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[[I]]
Robinſon der Juͤngere,
zur angenehmen
und
nuͤzlichen Unterhaltung fuͤr Kinder.

Erſter Theil.



Mit Churſaͤchſiſcher Freiheit.

Hamburg: 1779,
beim Verfaſſer und in Commiſſion bei
Carl Ernſt Bohn.

[[II]][[III]]
[figure]

Vorbericht.


Wenn ich die mannigfaltigen Zwekke, die
ich bei der Ausarbeitung dieſes Werkchens
vor Augen hatte, nicht alle verfehlt habe,
ſo liefere ich hier ein Buch, welches in
mehr, als einer, Hinſicht Nuzen verſpricht.
Ich will dieſe Zwekke kuͤrzlich darlegen, um
einen jeden in den Stand zu ſezen, ſie mit
der Ausfuͤhrung zuſammen zu halten. Das
wird dan auch den Vortheil haben, daß an-
gehende Erzieher daraus den Gebrauch erſe-
hen koͤnnen, den ich von dieſem Buche ge-
macht wuͤnſche.


Erſt-
a 2
[[IV]]Vorbericht

Erſtlich wolte ich meine jungen Leſer auf
eine ſo angenehme Weiſe unterhalten, als es
mir moͤglich waͤre; weil ich wußte, daß die
Herzen der Kinder ſich jedem nuͤzlichen Unter-
richte nicht lieber oͤfnen, als wenn ſie ver-
gnuͤgt ſind. Auch darf ich hoffen, dieſe mei-
ne erſte Abſicht in einem ziemlichen Grade
erreicht zu haben.


Dan nahm ich mir zweitens vor, an
den Faden der Erzaͤhlung, die in dieſem Bu-
che zum Grunde liegt, ſo viel elementariſche
Kentniſſe zu ſchuͤrzen, als es, ohne meinem
erſten Zwekke Eintrag zu thun, nur immer
geſchehen koͤnte. Ich verſtehe aber unter den
elementariſchen Kentniſſen nicht etwa blos lit-
terariſche,
ſondern auch vornehmlich ſolche,
welche den eigentlichen litterariſchen oder wiſ-
ſenſchaftlichen Elementen vorgehen muͤſſen;
nem-
[[V]]Vorbericht.
nemlich alle die Vorbegriffe von Dingen aus
dem haͤuslichen Leben, aus der Natur und
aus dem weitlaͤuftigen Kreiſe der gemeinen
menſchlichen Wirkſamkeit, ohne welche jeder
andere Unterricht einem Gebaͤude gleicht, das
keine Grundlage hat.


Nebenbei wolte ich freilig auch drittens
manche nicht unerhebliche litterariſche Vorer-
kentniß, beſonders aus der Naturgeſchichte,
mitnehmen, weil es ſich auf einem Wege
thun ließ. Denn warum haͤtt' ich nicht,
ſtat der erdichteten Dinge, womit die Ge-
ſchichte des alten Robinſons aufgeſtuzt iſt,
lieber wahre Gegenſtaͤnde, wahre Produkte
und Erſcheinungen der Natur — und zwar
in Beziehung auf diejenigen Weltgegend,
wovon die Rede iſt, — in meine Erzaͤhlung
aufnehmen ſollen, da ich beide zu einem Preiſe
haben
a 3
[[VI]]Vorbericht.
haben, und mit beiden einerlei Abſicht errei-
chen konte? Schon eine Urſache, warum ich
von der Geſchichte des alten Robinſons bei
der Meinigen wenig Gebrauch machen konte.
Es werden ſich mehrere finden.


Meine vierte und wichtigſte Abſicht war,
die Umſtaͤnde und Begebenheiten ſo zu ſtellen,
daß recht viele Gelegenheiten zu moraliſchen,
dem Verſtande und dem Herzen der Kinder
angemeſſenen Anmerkungen und recht viele
natuͤrliche Anlaͤſſe zu frommen, gottesfuͤrchti-
gen Empfindungen dadurch hervorwuͤchſen.
Auch um dieſer Urſache willen mußte ich mir
einen eigenen Stof nach meinem jedesmahli-
gen Beduͤrfniſſe ſchaffen und von der alten
Geſchichte abgehen. Derjenige alſo, der dies
Buch blos zur Leſeuͤbung fuͤr ſeine Kinder
brauchen wolte, (welches gewoͤhnlicher Weiſe
nicht
[[VII]]Vorbericht.
nicht das angenehmſte Geſchaͤft fuͤr ſie iſt)
wuͤrde meinen angelegentlichſten Wunſch, —
den Samen der Tugend, der Froͤmmigkeit
und der Zufriedenheit mit den Wegen der goͤtt-
lichen Vorſehung, in junge Herzen auszu-
ſtreuen, gar ſehr vereiteln. Es ſol erwach-
ſenen Kinderfreunden zum Vorleſen
dienen und nur ſolchen Kindern ſelbſt
in die Haͤnde gegeben werden, die im
Leſen ſchon eine zureichende Fertigkeit
erlangt haben.


Meine fuͤnfte Abſicht hatte Beziehung
auf eine dermalige epidemiſche Selenſeuche,
welche unter allen Kraͤften unſerer geſamten
koͤrperlichen und geiſtigen Natur, zu recht
ſichtbarer Verminderung der Summe unſerer
Lebensfreuden, ſeit einigen Jahren eine ſo
fuͤrchterliche Verwuͤſtung angerichtet hat. Ich
meine
a 4
[[VIII]]Vorbericht.
meine das leidige Empfindſamkeitsfieber.
Zwar hat — dem Himmel ſei Dank! — die
Wuth dieſer moraliſchen Seuche in ſo fern
wieder nachgelaſſen, daß ſie nicht mehr eine
Peſtilenz iſt, die am hellen Mittage ver-
derbet
, weil wohl keiner mehr das Schild
der Empfindſamkeit oͤffentlich auszuhaͤngen
wagt: aber nichts deſtoweniger iſt ſie noch
bis auf dieſen Tag eine Seuche geblieben,
die im Finſtern ſchleicht, und gleich andern
Krankheiten, deren man ſich ſchaͤmt, an der
Geſundheit der menſchlichen Sele im Verbor-
genen nagt. Nichts hat mich mehr dabei ge-
jammert, als zu ſehen, daß man das ſuͤße
einſchmeichelnde Gift dieſer Krankheit auch
unſerer jungen Nachkommenſchaft anzuhauchen
und alſo auch das kommende Geſchlecht eben
ſo an Leib und Sele kraͤnkelnd, eben ſo ner-
venlos, eben ſo unzufrieden mit ſich ſelbſt,
mit
[[IX]]Vorbericht.
mit der Welt, und mit dem Himmel zu ma-
chen ſuche, als es das gegenwaͤrtige iſt. In-
dem ich nun daruͤber nachdachte, welches wohl
das wirkſamſte Gegengift wider dieſe Anſtek-
kung ſein moͤgte, ſtelte ſich meiner Sele das
Ideal eines Buchs dar, welches grade der
Gegenfuͤßler der empfindſamen und empfindeln-
den Buͤcher unſerer Zeit waͤre; ein Buch,
welches die Kinderſelen aus der fantaſtiſchen
Schaͤferwelt, welche nirgends iſt, und in welche
Andere ſie hinzukoͤrnen ſuchen, in diejenige
wirkliche Welt, in der wir uns dermalen ſelbſt
befinden, und aus dieſer in den urſpruͤnglichen
Zuſtand der Menſchheit zuruͤkfuͤhrte, aus dem
wir herausgegangen ſind; ein Buch, welches
jede in uns ſchlummernde phiſiſche und mora-
liſche Menſchenkraft wekte, anfeuerte, ſtaͤrkte;
ein Buch, welches zwar eben ſo unterhaltend
und anziehend, als irgend ein Anderes waͤre,
aber
a 5
[[X]]Vorbericht.
aber nicht ſo, wie Andere, blos zu unthaͤti-
gen Beſchauungen, zu muͤſſigen Ruͤhrungen,
ſondern unmittelbar zur Selbſtthaͤtigkeit fuͤhr-
te; ein Buch, welches den jungen Nachah-
mungstrieb der Kinderſele (den erſten unter
allen Trieben, die bei uns zu erwachen pfle-
gen) unmittelbar auf ſolche Gegenſtaͤnde rich-
tete, welche recht eigentlich zu unſerer Beſtim-
mung gehoͤren, ich meine — auf Erfindungen
und Beſchaͤftigungen zur Befriedigung unſerer
natuͤrlichen Beduͤrfniſſe; ein Buch, worin
dieſe natuͤrlichen Beduͤrfniſſe des Menſchen
mit den erkuͤnſtelten und eingebildeten, ſo wie
die wahren Beziehungen der Dinge in der
Welt auf unſere Gluͤkſeeligkeit, mit den fan-
taſtiſchen, anſchaulich kontraſtirten; ein Buch
alſo endlich, welches Junge und Alte das
Gluͤk des geſelligen Lebens, bei allen ſeinen
Maͤngeln und unvermeidlichen Einſchraͤnkun-
gen,
[[XI]]Vorbericht.
gen, recht mit Haͤnden greifen lieſſe, und da-
durch Alle zur Zufriedenheit mit ihrem Zu-
ſtande, zur Ausuͤbung jeder geſelligen Tugend
und zur innigſten Dankbarkeit gegen die goͤtt-
liche Vorſehung ermunterte.


Indem ich mir das herliche Ideal eines
ſolchen Buches dachte und ſchuͤchtern nach dem
Manne, der's uns geben koͤnte, umherblikte;
fiel mir ein, daß ſchon Rouſſeau (Friede
ſei mit ſeinem abgeſchiedenen großen Geiſte!)
einmahl ein aͤhnliches Buch gewuͤnſcht und —
wie fing mein Puls an zu pochen! — ſchon
zum Theil gefunden habe. Geſchwind ergrif
ich den zweiten Theil des Aemils, um die
angenehme Nachricht davon noch einmahl zu leſen;
und hier iſt die Stelle, worin ich ſie fand:


„Solte es wohl kein Mittel geben, ſo
viele in ſo vielen Buͤchern zerſtreuete Lehren
naͤher
[[XII]]Vorbericht.
naͤher zuſammen zu bringen? ſie unter einen
gemeinſchaftlichen Gegenſtand zu vereinigen,
der leicht zu uͤberſehen, nuͤzlich zu befolgen
waͤre, und auch ſelbſt dieſem Alter zum An-
triebe dienen koͤnte? Wenn man eine Ver-
faſſung finden kan, worinnen ſich alle natuͤr-
liche Beduͤrfniſſe des Menſchen auf eine dem
Geiſte des Kindes ſinliche Art zeigen, und
wo ſich die Mittel, fuͤr dieſe Beduͤrfniſſe zu
ſorgen, nach und nach mit eben der Lebhaftig-
keit entwikkeln: ſo muß man durch die leb-
hafte und natuͤrliche Abſchilderung dieſes Zu-
ſtandes ſeiner Einbildungskraft die erſte Uebung
geben.„


„Hiziger Philoſoph, ich ſehe ſchon Ihre
Einbildungskraft ſich entzuͤnden. Sezen Sie
ſich in keine Unkoſten; dieſe Verfaſſung iſt
gefunden, ſie iſt beſchrieben und, ohne Ihnen
Un-
[[XIII]]Vorbericht.
Unrecht zu thun, viel beſſer, als Sie ſolche
beſchreiben wuͤrden, wenigſtens mit mehr
Wahrheit und Einfalt. Weil wir durchaus
Buͤcher haben muͤſſen, ſo iſt eins vorhanden,
welches nach meinem Sinne die gluͤklichſte
Abhandlung von einer natuͤrlichen Erziehung
an die Hand giebt. Dies Buch wird das
Erſte ſein, welches mein Aemil leſen wird;
es wird lange Zeit allein ſeine ganze Biblio-
thek ausmachen und es wird ſtets einen anſehn-
lichen Plaz darin behalten. Es wird der Text
ſein, welchem alle unſere Unterredungen von
den natuͤrlichen Wiſſenſchaften nur zur Ausle-
gung und Erlaͤuterung dienen werden. Es
wird bei unſerm Fortgange zu dem Stande
unſerer Urtheilskraft zum Beweiſe dienen, und
ſo lange unſer Geſchmak nicht wird verderbt
ſein, wird uns das Leſen deſſelben allezeit ge-
fallen. Welches iſt denn dieſes wunderſame
Buch?
[[XIV]]Vorbericht.
Buch? Iſt es Ariſtoteles, iſt es Plinius,
iſt es Buͤffon? — Nein; es iſt Robinſon
Kruſoe.


Robinſon Kruſoe iſt auf ſeiner Inſel
allein, von allem Beiſtande ſeines Gleichen
und von den Werkzeugen aller Kuͤnſte ent-
bloͤßt; *) er ſorget indeſſen doch fuͤr ſeinen Un-
terhalt, fuͤr ſeine Erhaltung und verſchaft ſich
ſogar eine Art von Wohlſein. Dies iſt ein
wichtiger Gegenſtand fuͤr jedes Alter und man
hat tauſenderlei Mittel ihn den Kindern ange-
nehm zu machen. Man ſehe, wie wir die
wuͤſte Inſel wirklich machen, die mir anfangs
nur zur Vergleichung diente. Dieſer Zuſtand
iſt,
[[XV]]Vorbericht.
iſt, ich geſtehe es, nicht des geſelligen Men-
ſchen ſeiner. Wahrſcheinlicher Weiſe wird er
auch nicht Aemils ſeiner ſein. Allein nach
eben dieſem Stande ſol er alle die andern
ſchaͤzen. Das ſicherſte Mittel, ſich uͤber die
Vorurtheile zu erheben, und ſeine Urtheile
nach den wahren Verhaͤltniſſen der Dinge ein-
zurichten, iſt, daß man ſich an die Stelle ei-
nes einzelnen Menſchen ſeze und von allem
ſo urtheile, wie dieſer Menſch in Abſicht auf
ſeinen eigenen Nuzen davon urtheilen muß.„


„Dieſer Roman, welcher von allen ſeinem
Gewaͤſche entladen, mit Robinſons Schifbruche
bei ſeiner Inſel anfaͤngt und ſich mit der An-
kunft des Schiffes endiget, welches ihn von
da abholet, wird waͤhrend der Zeit, wovon
hier die Rede iſt, Aemils Zeitvertreib und
Unterricht zugleich ſein. Ich wil, daß ihm
der
[[XVI]]Vorbericht.
der Kopf davon ſchwindle, daß er ſich unauf-
hoͤrlich mit ſeinem Schloſſe, mit ſeinen Ziegen,
mit ſeinen Pflanzungen beſchaͤftige; daß er
umſtaͤndlich, nicht aus Buͤchern, ſondern an
den Sachen ſelbſt lerne, was er in dergleichen
Falle wiſſen muß. Er denke, er ſei ſelbſt
Robinſon; er ſehe ſich in Felle gekleidet,
wie er eine große Muͤze, einen großen Saͤbel
traͤgt und den ganzen ſeltſamen Aufzug des
Bildes machet, bis auf den Sonnenſchirm bei-
nahe, den er nicht noͤthig haben wird. Ich
wil, daß er ſich wegen der Maaßregeln beun-
ruhige, die er nehmen ſol, wenn ihm dies
oder das abgehen wuͤrde; daß er die Auffuͤh-
rung ſeines Helden unterſuche; daß er nach-
forſche, ob derſelbe nichts unterlaſſen habe; ob
nichts beſſer zu machen geweſen waͤre; daß er
ſeine Fehler aufmerkſam anmerke und daß er
ſich derſelben zu Nuze mache, damit er in
der-
[[XVII]]Vorbericht.
dergleichen Falle nicht ſelbſt darein gerathe.
Denn man zweifle nicht, daß er nicht den An-
ſchlag faſſe, einen dergleichen Siz anzulegen.
Dies iſt das wahre Luftſchloß dieſes gluͤklichen
Alters, worin man keine andere Gluͤkſeelig-
keit kennet, als das Nothwendige und die
Freiheit.„


„Was fuͤr ein Huͤlfsmittel iſt doch dieſe
Thorheit fuͤr einen geſchikten Man, der ſie
nur hervorzubringen gewußt, damit er ſie zum
Vortheile anwende! Das Kind, welches ge-
drungen iſt, ſich ein Vorrathshaus fuͤr ſeine
Inſel anzulegen, wird weit hiziger ſein zu
lernen, als der Lehrmeiſter zu lehren. Es
wird alles wiſſen wollen, was nuͤzlich iſt,
und wird nur das wiſſen wollen. Man wird
nicht mehr noͤthig haben, es zu fuͤhren; man
wird es nur zuruͤk zu halten brauchen. —
Die Ausuͤbung der natuͤrlichen Kuͤnſte, wozu
b
ein
[[XVIII]]Vorbericht.
ein einziger Menſch genug ſein kan, fuͤhret
zur Nachforſchung derjenigen Kuͤnſte des Fleiſ-
ſes und der Geſchiklichkeit, welche noͤthig ha-
ben, daß viele Haͤnde zuſammen kommen.„


So weit Rouſſeau!


Und ſo waͤre es dan wirklich ſchon laͤngſt
da geweſen, das wunderſeltſame Buch, welches
uns noch zu fehlen ſchien? — Ja! und nein!
je nachdem man entweder die bloße Haupt-
idee
von einem ſolchen Buche, oder die gan-
ze Ausfuͤhrung
derſelben meint. In jener
Hinſicht (aus welcher Rouſſeau davon redet)
iſt es da, iſt es laͤngſt da geweſen und Robin-
ſon Kruſoe
iſt ſein Nahme; in dieſer fehlt'
es bisher noch gaͤnzlich. Denn ich brauche
doch wohl nicht erſt anzumerken, daß ſo viel
weitſchweifiges, uͤberfluͤſſiges Gewaͤſche, wo-
mit dieſer veraltete Roman uͤberladen iſt, die
bis zum Ekkel gezerte, ſchwerfaͤllige Schreib-
art
[[XIX]]Vorbericht.
art deſſelben und die veraltete, oft fehlerhafte
Sprache unſerer alten deutſchen Ueberſezung
eben ſo wenig, als ſo manche, in Ruͤkſicht
auf Kinder, fehlerhafte moraliſche Seite deſſel-
ben, keine wuͤnſchenswerthe Eigenſchaften eines
guten Kinderbuchs ſind.


Hierzu koͤmt in der Geſchichte des alten
Robinſons
noch etwas, welches einen der
groͤßten Vortheile zernichtet, den dieſe Ge-
ſchichte ſtiften koͤnte; ich meine den Umſtand,
daß Robinſon mit allen europaͤiſchen Werk-
zeugen verſehen wird, deren er noͤthig hatte,
um ſich viele von denjenigen Bequemlichkeiten
zu verſchaffen, welche das geſelſchaftliche Leben
geſitteter Menſchen gewaͤhrt. Dadurch geht
der große Vortheil verlohren, dem jungen Leſer
die Beduͤrfniſſe des einzelnen Menſchen,
der auſſer der Geſelſchaft lebt, und das viel-
ſeitige Gluͤk des geſelſchaftlichen Lebens, recht
b 2
an-
[[XX]]Vorbericht.
anſchaulich zu machen. Abermahls ein wich-
tiger Grund, warum ich von der Geſchichte
dieſes alten Robinſons abgehen zu muͤſſen
glaubte.


Ich zerlegte daher die ganze Geſchichte des
Aufenthalts meines juͤngern Robinſons
auf ſeiner Inſel in drei Perioden. In der
erſten ſolt' er ganz allein und ohne alle euro-
paͤiſche Werkzeuge ſich blos mit ſeinem Ver-
ſtande und mit ſeinen Haͤnden helfen, um auf
der einen Seite zu zeigen, wie huͤlflos der
einſame Menſch ſei, und auf der andern, wie
viel Nachdenken und anhaltende Strebſamkeit
zur Verbeſſerung unſers Zuſtandes auszurich-
ten vermoͤgen. In der andern geſelte ich ihm
einen Gehuͤlfen zu, um zu zeigen, wie ſehr
ſchon die bloße Geſelligkeit den Zuſtand des
Menſchen verbeſſern koͤnne. In der dritten
Periode endlich ließ ich ein europaͤiſches Schif
an
[[XXI]]Vorbericht.
an ſeiner Kuͤſte ſcheitern, und ihn dadurch
mit Werkzeugen und den meiſten Nothwen-
digkeiten des Lebens verſorgen, damit der große
Werth ſo vieler Dinge, die wir gering zu
ſchaͤzen pflegen, weil wir ihrer nie entbehrt
haben, recht einleuchtend wuͤrde.


Nach dieſer Anzeige meines ganzen Plans
werden meine Leſer ſich wundern, in dieſem
Bande nur die angezeigte erſte Periode be-
ſchrieben zu finden. Hieruͤber und uͤber den
doppelten Titel, womit ich dieſen Band verſe-
hen habe, muß ich mich jezt, und zwar be-
ſonders gegen die Herrn Subſkribenten, er-
klaͤren.


Von Allem, was ich bisher fuͤr die Preſſe
ſchrieb, giengen wenigſtens drei halbbeſchriebene
Bogen auf einen gedrukten. Dieſer Erfah-
rung zu folge, hatte ich darauf gerechnet,
daß ich zum juͤngern Robinſon nicht weni-
b 3
ger
[[XXII]]Vorbericht.
ger Handſchrift brauchte, als ich zu jedem an-
dern Buche von zwanzig Bogen in klein Oktav
bisher gebraucht hatte. Darnach ſchnit ich
alſo bei der Ausarbeitung meinen Stof zu.


Jezt ſolte das Papier zum Druk einge-
kauft werden, und nun erfuhr ich die erſte
Buchhaͤndler Verlegenheit. Man ſagte mir,
daß ich nur unter zweierlei Schreibpapierar-
ten zu waͤhlen haͤtte, wovon die Eine ganz
groſſes,
die Andere kleines Format habe.
Da das erſtere fuͤr ein Kinderbuch von der Art,
wie dieſes, ein ſehr unſchikliches Format ſein
wuͤrde, ſo mußte ich mich zu dem Leztern ent-
ſchlieſſen. Und nun ließ ich den Sezer Ueber-
ſchlag machen, wie viel der geſchriebenen Bogen
zu einem ſo gedrukten erfodert werden durften.


Da erfuhr ich dan zu meiner groſſen Be-
fremdung, daß derjenige Vorrath von Manu-
ſkript, den ich zu ohngefaͤhr zwanzig Bogen
beſtimt
[[XXIII]]Vorbericht.
beſtimt hatte, wohl an vierzig ausmachen
wuͤrde. Ich ließ den Ueberſchlag zwei, drei-
mahl wiederholen, aber immer ergab ſich daſ-
ſelbe Reſultat.


Nun befand ich mich in einer ausnehmen-
den Verlegenheit. Die Schrift durfte nicht
kleiner, der Zwiſchenraum zwiſchen Zeilen und
Lettern nicht enger ſein, weil es ein Buch
fuͤr Kinder werden ſolte. Wurden hinge-
gen beide ſo gewaͤhlt, und ſolte dennoch das
Ganze abgedrukt werden: ſo mußt' ich mich
entſchlieſſen, ſtat achtzehn bis zwanzig Bogen,
die ich verſprochen hatte, vierzig zu liefern.
Wolt' ich dies: ſo mußt ich entweder von den
Praͤnumeranten und Subſkribenten einen an-
ſehnlichen Nachſchuß fodern, oder mich ent-
ſchlieſſen, einen anſehnlichen Schaden zu lei-
den. Aber jenes unterſagten mir meine Begriffe
von Recht und Unrecht, dieſes meine oͤkonomi-
b 4
ſchen
[[XXIV]]Vorbericht.
ſchen Umſtaͤnde. Ich ſuchte alſo einen Mittelweg,
deſſen Einſchlagung ſich mit beiden vertragen
koͤnte, und fand ihn in folgender Einrichtung.


Ich beſchloß nemlich, nur ſo viel Bogen
drukken zu laſſen, als ich verſprochen hatte,
und dieſen die Form eines ganzen vollendeten
Buchs zu geben; damit derjenige, der kein
Verlangen truͤge, noch mehr davon zu beſizen,
nicht gezwungen wuͤrde, einen zweiten Theil
zu kaufen. Fuͤr ſolche Subſtribenten und Kaͤu-
fer iſt der erſte Titel beigelegt, auf welchem
der Zuſaz: erſter Theil, weggelaſſen worden
iſt. Fuͤr Andere hingegen, welche Luſt ha-
ben, ſich auch die zweite Haͤlfte dieſes Kinder-
buchs anzuſchaffen, iſt der andere Titel beſtimt,
welcher dieſen Zuſaz hat.


Durch dieſen Ausweg glaubte ich meinen
Subſtribenten und mir ſelbſt Gerechtigkeit wie-
derfahren zu laſſen. Solte aber dem ohngeach-
tet
[[XXV]]Vorbericht.
tet Einer oder der Andere von jenen mit dieſer
Einrichtung nicht voͤllig zufrieden ſein: ſo erklaͤre
ich ihn hiermit von der Verbindlichkeit ſeiner
Unterſchrift voͤllig frei und bitte ihn, ſein Exem-
plar irgend einem armen Kinde ſeines Orts zu
ſchenken, und, ſtat der Bezahlung, mir blos
zu melden, daß dieſes geſchehen ſei.


Der zweite Theil alſo, der die Fortſezung
und das Ende der Geſchichte in ſich faßt,
wird, wenn ſein Abdruk verlangt wird, ohn-
gefaͤhr eben ſo viel Bogen ſtark werden, als
der gegenwaͤrtige erſte Theil enthaͤlt. Wenn
ich fruͤhzeitig genug benachrichtiget werde, daß
eine zureichende Anzahl Subſtribenten dieſen
zweiten Theil begehrt, ſo kan er, nebſt der
franzoͤſiſchen Ueberſetzung, ſchon zur naͤchſten
Oſtermeſſe erſcheinen. Ich erſuche daher die
Reſp. Beſizer dieſes erſten Theils mir ihren
Willen baldigſt anzuzeigen.


b 5
Ehe
[[XXVI]]Vorbericht.

Ehe ich aber von meinen Leſern Abſchied
nehme, ſei es mir vergoͤnt, junge Erzieher
auf eine Nebenabſicht aufmerkſam zu machen,
die mir bei der Ausarbeitung dieſes Buchs
gleichfals, als ungemein wichtig, vor Augen
ſchwebte. Ich hofte nemlich, durch eine treue
Darſtellung wirklicher Familienſcenen ein fuͤr
angehende Paͤdagogen nicht uͤberfluͤſſiges Bei-
ſpiel des vaͤterlichen und kindlichen Verhaͤltniſ-
ſes zu geben, welches zwiſchen dem Erzieher
und ſeinen Zoͤglingen nothwendig obwalten
muß. Wo dieſes gluͤkliche Verhaͤltniß in ſei-
ner ganzen Natuͤrlichkeit einmahl eingefuͤhrt
worden iſt: da ſinken viele der ſitlichen Erzie-
hung entgegenſtehende Klippen von ſelbſt nie-
der: wo dieſes aber nicht iſt, — nun da
nimt man ſeine Zuflucht zu dem Kompaß paͤ-
dagogiſcher Kuͤnſteleien, deſſen Abweichungen
ſo mannigfaltig, und durch hinlaͤngliche Be-
obach-
[[XXVII]]Vorbericht.
obachtungen bei weitem noch nicht beſtimt
ſind. —


Uebrigens enthaͤlt dieſe Abſicht den Grund,
warum ich lieber wirkliche, als erdichtete Per-
ſonen, habe redend einfuͤhren, und meiſten-
theils wirklich vorgefallene Geſpraͤche lieber
habe nachſchreiben, als ungehaltene und kuͤnſt-
lichere Dialogen habe machen wollen.


Ueber die Urſachen, die mich bewegen, in
Buͤchern, die fuͤr Kinder beſtimt ſind, die
gewoͤhnliche ſo genante Rechtſchreibung mit ih-
ren meiſten Anomalien beizubehalten, habe ich
mich in der Vorrede zum zweiten Baͤndchen
meiner kleinen Kinderbibliothek erklaͤrt.


Man hat von dieſem Buche zugleich eine
franzoͤſiſche Ueberſezung, zum Nuzen der
Lehrlinge dieſer Sprache veranſtaltet, die ſich
hoffentlich von ſelbſt empfehlen wird. Solte
ſich ein, der lateiniſchen Sprache hinlaͤnglich,
maͤch:
[[XXVIII]]Vorbericht.
maͤchtiger, Man finden, der Luſt und Muße
haͤtte, eine gute lateiniſche Ueberſezung davon
zu machen: ſo wuͤrde dadurch eine ſehr erheb-
liche Luͤkke in unſerer dermaligen, noch ſo uͤber-
aus mangelhaften Schulbibliothek ausgefuͤlt
werden. Denn wo iſt das Buch, welches
man Langens erbaͤrmlichen Kolloquien unter-
ſchieben, und den erſten Lehrlingen der lateini-
ſchen Sprache, ohne alle Bedenklichkeit in die
Haͤnde geben koͤnte? Das Buch, meine ich,
welches lauter, fuͤr ſolche Kinder verſtaͤndliche,
fuͤr ſolche gehoͤrige, fuͤr ſolche auch zugleich an-
genehme Sachen in einem leichten lateiniſchen
Gewande enthielte? Ich hab' es ſorgfaͤltig
geſucht; aber fand es nirgends.


[[XXIX]]

Robinſon
der Juͤngere.


[[XXX]][[XXXI]]

Es war einmahl eine zahlreiche Familie, die
aus kleinen und großen Leuten beſtand. Dieſe
waren theils durch die Bande der Natur, theils
durch wechſelſeitige Liebe vereiniget. Der Haus-
vater und die Hausmutter liebten Alle, als ihre
eigene Kinder, ohngeachtet nur Lotte, die
Kleinſte von Allen, ihre leibliche Tochter war;
und zwei Freunde des Hauſes, R** und B**,
thaten ein Gleiches. Ihr Aufenthalt war auf
dem Lande, nahe vor den Thoren von Hamburg.


Das Wort dieſer Familie war: bete und
arbeite!
und Klein und Groß kanten kein an-
der Gluͤk des Lebens, als welches die Erfuͤllung
dieſer Vorſchrift gewaͤhrt. Aber waͤhrend der
Arbeit und nach vollendetem Tagewerke, wuͤnſch-
te jeder von ihnen auch etwas zu hoͤren, welches
ihn verſtaͤndiger, weiſer und beſſer machen koͤnte.
Da erzaͤhlte ihnen dan der Vater, bald von die-
ſem, bald von jenem, und die kleinen Leute alle
hoͤrten ihm gern und aufmerkſam zu.


Eine
[[XXXII]]

Eine von ſolchen Abenderzaͤhlungen iſt die
folgende Geſchichte des juͤngern Robinſons.
Da man glaubte, daß wohl noch mehr gute
Kinder waͤren, die dieſe merkwuͤrdige Geſchichte
zu hoͤren oder zu leſen wuͤnſchten: ſo ſchrieb ſie
der Vater auf und der Buchdrukker mußte zwei
tauſend Abdruͤkke davon machen.


Das Buch, liebes Kind, das du jezt in
Haͤnden haſt, iſt einer davon. Du kanſt al-
ſo, wenn du wilſt, gleich auf der folgenden
Seite anfangen.


Aber bald haͤtte ich vergeſſen, dir zu ſagen,
was vorher ging, ehe dieſe Erzaͤhlung ihren An-
fang nahm! — „Wilſt du uns nicht wieder was
erzaͤhlen, Vater?„ fragte Gotlieb an einem
ſchoͤnen Sommerabend. „Gern!„ war die
Antwort; „aber es waͤre Schade, einem ſo
herlichen Abend nur durch die Fenſter zu zuſehen.
Komt, wir wollen uns im Gruͤnen lagern!„


O das iſt ſchoͤn, das iſt ſchoͤn! riefen Alle;
und ſo ging's in vollen Spruͤngen zum Hauſe
hinaus.


Erſter
[[1]]
[figure]

Erſter Abend.


Gotlieb.


Hier, Vater?


Vater. Ja, hier unter dieſem Apfel-
baume.


Nikolas. O praͤchtig!


Alle. Praͤchtig! Praͤchtig! (huͤpfen und
klatſchen mit den Haͤnden.)


Vater. Aber, was denkt ihr denn zu
machen unter der Zeit, daß ich euch erzaͤle?
So ganz muͤſſig werdet ihr doch wohl nicht
gern da ſizzen wollen?


A
Jo-
[2]

Johannes. Ja, wenn wir nur was zu
machen haͤtten!


Mutter. Hier ſind Erbſen auszukruͤllen!
Hier tuͤrkſche Bonen abzuſtreifen; wer hat
Luſt?


Alle. Ich! ich! ich! ich!


Gotlieb. Ich, und meine Lotte und
du, Frizchen, wollen Erbſen auskruͤllen:
nicht?


Lotte. Nein, mit Erlaubniß, ich muß
erſt den Kettenſtich machen, den Mutter mir
gezeigt hat.


Gotlieb. Na, wir beide denn! Kom,
Friz, ſezze dich.


Freund R. Ich arbeite mit euch. (Sezt
ſich neben ſie ins Gras.)


Freund B. Und ich mit euch andern;
ihr wolt mich doch?


Diederich. O gern, gern! Hier iſt noch
Plaz genung. Das iſt erzellent! Nun wol-
len wir ſehen, wer am meiſten abſtreifen kan!


Vater. Sezt euch ſo herum, daß ihr
die Sonne koͤnt untergehen ſehen; es wird
heute
[3] heute ein ſchoͤn Spektakel am Himmel geben.
(Alle lagern ſich und beginnen ihr Werk.)


Vater. Nun, Kinder, ich wil euch
heute eine recht wunderbare Geſchichte erzaͤ-
len. Die Hare werden euch dabei zu Berge
ſtehen, und dan wird euch das Herz wieder
im Leibe lachen.


Gotlieb. O, aber mach's ja nicht zu
traurig!


Lotte. Nein, nicht zu traurig; hoͤrſt
du, Vaͤterchen? Sonſt muͤſſen wir gewiß
weinen, und koͤnnen nicht davor.


Johannes. Nun, ſo laßt doch! Vater
wird's ſchon wiſſen.


Vater. Seid unbeſorgt, Kinder; ich
wil's ſchon ſo machen, daß es nicht gar zu
traurig werde.


Es war einmahl ein Man in der Stadt
Hamburg, der hieß Robinſon. Dieſer hatte
drei Soͤhne. Der Aelteſte davon hatte Luſt
zum Soldatenſtande, ließ ſich anwerben und
wurde erſchoſſen in einer Schlacht mit den
Franzoſen.


A 2
Der
[4]

Der zweite, der ein Gelehrter werden
wolte, hatte einmahl einen Trunk gethan,
da er eben erhizt war; kriegte die Schwind-
ſucht und ſtarb.


Nun war alſo nur noch der Kleinſte uͤbrig,
den man Kruſoe nante, ich weiß nicht, wa-
rum? Auf den ſezten nun der Herr Robin-
ſon und die Frau Robinſon ihre ganze Hof-
nung, weil er jezt ihr Einziger war. Sie
hatten ihn ſo lieb, als ihren Augapfel; aber
ſie liebten ihn mit Unverſtand.


Gotlieb. Was heiſt das, Vater?


Vater. Wirſt es gleich hoͤren. Wir lie-
ben euch auch, wie ihr wißt; aber eben des-
wegen halten wir euch zur Arbeit an, und
lehren euch viel angenehme und nuͤzliche Din-
ge, weil wir wiſſen, daß euch das gut und
gluͤklich machen wird. Aber Kruſoe's El-
tern machten es nicht ſo. Sie lieſſen ihrem
lieben Soͤhnchen in allem ſeinen eigenen Wil-
len, und weil nun das liebe Soͤhnchen lieber
ſpielen, als arbeiten und etwas lernen mogte:
ſo lieſſen ſie es meiſt den ganzen Tag ſpie-
len,
[5] len, und ſo lernte es denn wenig oder gar
nichts. Das nennen wir andern Leute eine
unvernuͤnftige Liebe.


Gotlieb. Ha! ha! nu verſteh ich's.


Vater. Der junge Robinſon wuchs
alſo heran, ohne daß man wuſte, was aus
ihm werden wuͤrde. Sein Vater wuͤnſchte,
daß er die Handlung lernen moͤgte; aber dazu
hatte er keine Luſt. Er ſagte, er wolte lie-
ber in die weite Welt reiſen, um alle Tage
recht viel neues zu ſehen und zu hoͤren.


Das war nun aber recht unverſtaͤndig geſpro-
chen von dem jungen Menſchen. Ja, wenn
er ſchon was rechts haͤtte gelernt gehabt!
Aber was wolte ein ſo unwiſſender Burſche,
als dieſer Kruſoe war, in der weiten Welt
machen? Wenn man in Laͤndern ſein Gluͤk
machen wil: ſo muß man ſich erſt viel Ge-
ſchiklichkeit erworben haben. Und daran hatte
er bisher noch nicht gedacht.


Er war nun ſchon ſiebenzehn Jahr alt,
und hatte ſeine meiſte Zeit mit Herumlaufen
zugebracht. Taͤglich quaͤlte er ſeinen Vater,
A 3
daß
[6] daß er ihn doch moͤgte reiſen laſſen; ſein Va-
ter antwortete: er waͤre wohl nicht recht ge-
ſcheit, und wolte nichts davon hoͤren. Soͤhn-
chen, Soͤhnchen! rief ihm dan die Mutter
zu, bleibe im Lande und naͤhre dich
redlich!


Eines Tages —


Lotte. Haha! nun wirds kommen!


Nikolas. O ſtille doch!


Vater. Eines Tages, da er, ſeiner Ge-
wohnheit nach, bei dem Hafen herum lief,
ſahe er einen Kammeraden, der eines Schif-
fers Sohn war und der eben mit ſeinem
Vater nach London abfahren wolte.


Frizchen. In der Kutſche?


Diederich. Nein, Frizchen, nach Lon-
don muß man zu Schiffe fahren uͤber ein
großes Waſſer, das die Nordſee heißt. —
Nun?


Vater. Der Kammerad fragte ihn: ob
er nicht mit reiſen wolte? Gern, antwortete
Kruſoe, aber meine Eltern werden es nicht
haben wollen! I, ſagte der Andre wieder,
mache
[7] mache einmahl den Spaß und reiſe ſo mit!
In drei Wochen ſind wir wieder hier, und
deinen Eltern kanſt du ja ſagen laſſen, wo
du geblieben ſeiſt.


„Aber ich habe kein Geld bei mir!„
ſagte Kruſoe. — „Schad't nichts, antwor-
tete der Andere; ich wil dich ſchon frei hal-
ten unterwegens.


Der junge Robinſon bedachte ſich noch
ein Paar Augenblikke; dan ſchlug er dem
Andern auf einmahl in die Hand und rief aus:
„Top! ich fahre mit, Bruder! Nur gleich zu
Schiffe!„ — Darauf beſtelte er Jemand,
der nach einigen Stunden zu ſeinem Vater
gehen und ihm ſagen ſolte: er waͤre nur ein
bischen nach England gefahren und werde bald
wieder kommen. Dan giengen die beiden
Freunde an Bord.


Johannes. Fi! den Robinſon mag
ich nicht leiden.


Nikolas. Ich auch nicht.


Freund B. Warum denn nicht?


A 4
Jo-
[8]

Johannes. Ja, weil er das thun kan,
daß er ſo von ſeinen Eltern weg geht, ohne
daß ſie's ihm erlaubt haben!


Freund B. Haſt Recht, Johannes, es
war wirklich ein dummer Streich von ihm;
wir muͤſſen Mitleid mit ſeiner Dumheit ha-
ben. Gut, daß es ſolcher einfaͤltigen jungen
Leute, die nicht wiſſen, was ſie ihren Eltern
ſchuldig ſind, nicht viel giebt!


Nikolas. Giebt es mehr ſolche?


Freund B. Mir iſt keiner dergleichen vorge-
kommen; aber das weiß ich ganz gewiß, daß es ſol-
chen jungen Leuten nicht gut gehen kan in der Welt.


Johannes. No, wir wollen hoͤren,
wie's dem Robinſon gegangen iſt.


Vater. Die Matroſen — das ſind die
Schifferknechte — zogen die Anker auf,
und ſpanten die Segel; der Wind fieng an
das Schif zu treiben und der Schiffer ſagte
der Stadt mit ſechs Kanonenſchuͤſſen Adjeu!
Der junge Robinſon war mit ſeinem Freun-
de auf dem Verdekke und war ganz naͤrriſch vor
Freude, daß er nun endlich einmahl reiſen ſolte.


Es
[9]

Es war ein angenehmer Tag und der
Wind blies ſo guͤnſtig, daß ſie in kurzer Zeit
die Stadt Hamburg aus den Augen verloren.
Am folgenden Tage kamen ſie ſchon bey Ritze-
buͤttel
an, wo die Elbe ſich ins Meer er-
gieſſet. Und nun ging's in die offenbare See.


Was der Robinſon fuͤr Augen machte,
da er vor ſich nichts als Luft und Waſſer
ſahe! Das Land, wo er hergekommen war,
verſchwand ſchon nach und nach aus ſeinen
Augen. Jezt konte er nur noch den großen
Leuchtethurm ſehen, den die Hamburger auf
der Inſul Heiligeland unterhalten. Nun
verſchwand auch dieſer, und nun ſahe er uͤber
ſich nichts, als Himmel, und um ſich nichts,
als Waſſer.


Gotlieb. Das mag ausſehen!


Freund R. Kanſt es vielleicht bald ein-
mahl zu ſehen kriegen!


Gotlieb. O wollen wir hingehen?


Freund R. Wenn ihr recht aufmerkſam
ſeid, indem wir euch die Erdbeſchreibung
lehren, daß ihr lernt, wo man hingehen
A 5
muß,
[10] muß, um von einem Orte zum andern zu
kommen —


Vater. Ja, und wenn ihr durch Ar-
beitſamkeit und Maͤßigkeit im Eſſen und Trin-
ken euch taͤglich abhaͤrtet, daß ihr ſo eine
Reiſe aushalten koͤnt: ſo machen wir ſchon
einmahl einen kleinen Spazziergang nach Tra-
vemuͤnde,
wo die Oſtſee angeht —


Alle. Oh! oh!


Vater, — ſezzen uns da auf ein Schif,
und laſſen uns ein Paar Meilen weit ins
Meer hinein fahren.


Alle ſprangen auf, hingen ſich dem Vater
an Hals, Arme und Knie und druͤkten ihre
Freude durch Liebkoſungen, durch Haͤndeklat-
ſchen und durch Huͤpfen und Springen aus.


Mutter. Nehmt ihr mich auch mit?


Lotte. Ja, wenn du ſo weit gehen
kanſt! — Das iſt aber weit hin — nicht
wahr Vater? — wohl noch weiter, als nach
Wandsbek, wo Herr Claudius wohnt
und noch einer, der ein großes Haus und
einen großen Garten hat — ach! der iſt ſo
groß,
[11] groß, ſo groß! Viel groͤßer, als unſer Gar-
ten; ich bin ſchon da geweſen, nicht wahr
Vater? Da wir auf dem Felde die bunten
Steine ſuchten und —


Vater. Und das Pfluͤgen anſahen —
Lotte. Ja, und in die Schmiede gien-
gen, die da am Wege lag —


Vater. Und auf die Windmuͤhle hin-
auf ſtiegen —


Lotte. Ach! ja, wo mir der Wind den
Hut abwehete —


Vater. Den der Muͤllerjunge dir wie-
derholte.


Lotte. Das war doch ein guter Junge,
nicht wahr, Vater!


Vater. Ein recht guter, der uns gleich
etwas zu gefallen that, ohngeachtet er uns
vorher niemahls geſehen hatte!


Lotte. Du gabſt ihm auch was —


Vater. Freilich gab ich ihm was! Gu-
ten Menſchen, die uns gern etwas zu gefal-
len thun, ſucht jederman wieder Freude zu
machen. — Aber wir vergeſſen unſern Ro-
binſon;
[12] binſon;
wir muͤſſen machen, daß wir ihn
wieder einholen, ſonſt verlieren wir ihn aus
dem Geſichte. Denn ſeine Farth geht ver-
zweifelt ſchnel!


Zwei Tage hinter einander hatten ſie im-
mer ſchoͤnes Wetter und immer guten Wind.
Am dritten uͤberzog ſich der Himmel mit Wol-
ken. Es wurde dunkel und immer dunkler,
und der Wind fieng an aus vollen Bakken
zu blaſen.


Bald blizte es, als wenn der ganze Him-
mel in Feuer ſtuͤnde; bald war es wieder
ſo finſter, wie um Mitternacht und der Don-
ner hoͤrte gar nicht auf zu krachen. Der
Regen rauſchte, wie ein Strom, herab und
ein maͤchtiger Sturmwind wuͤhlte ſo gewaltig
in dem Meere, daß die Wellen, wie Haͤuſer
hoch, aufſchwollen.


Da haͤttet ihr ſehen ſollen, wie das Schif
eins ums andere auf und niederſchwankte!
Bald trug eine hohe Welle es bis zu den
Wolken hinauf, bald ſtuͤrzte es wieder in
den
[13] den tiefen Abgrund hinab; bald lag es auf
der einen, bald auf der andern Seite.


Das war ein Lermen zwiſchen dem Tau-
werke! Das war ein Gepolter im Schiffe!
Die Leute muſten ſich anhalten, wenn ſie
nicht alle Augenblikke umfallen wolten. Ro-
binſon,
der des Dings noch nicht gewohnt
war, wurde ſchwindlicht, kriegte Uebelkeiten,
und wurde ſo krank, daß er glaubte er muͤſte
den Geiſt aufgeben. Das nennen ſie die
Seekrankheit.


Johannes. Das hat er nun davon!


Vater. „Ach! meine Eltern! meine
armen Eltern!„ rief er nun einmahl uͤber das
andere aus. „Sie werden mich nie wieder
ſehen! O ich unverſtaͤndiger Menſch, daß ich
ſie ſo betruͤben konte!„


Krak! Krak! ging's ploͤzlich auf dem Ver-
dekke. „Himmel, ſei uns gnaͤdig!„ ſchrie
das Schifsvolk und ward blaß, wie der Tod
und rang verzweiflungsvol die Haͤnde. „Was
iſt?„ rief Robinſon, der vor Schrekken
beinahe des Todes war.


„Ach,
[14]

„Ach, hieß es, wir ſind verloren! Ein
Wetterſchlag hat den Fokmaſt (das heißt,
den erſten von den drei aufrechtſtehenden
Maſtbaͤumen des Schifs) zerſplittert und der
große mitlere Maſt ſteht nun ſo loſe, daß
er auch gekapt und uͤber Bord geworfen
werden muß!„


„Wir ſind verloren! ſchrie eine andere
Stimme aus dem Schifsraume herauf.
Das Schif hat einen Lek bekommen; das
Waſſer ſteht ſchon vier Fuß hoch im Schif!„


Robinſon, der in der Kajuͤte auf den
Boden ſaß, ſank bey dieſen Worten ruͤklings
nieder, und fiel in eine tiefe Ohnmacht. Alle
andere liefen nach den Pumpen, um das
Schif, wo moͤglich, flot, das heißt, uͤber
dem Waſſer, zu erhalten. Endlich kam ein
Matroſe; ſchuͤttelte ihn und rief ihm zu: ob
er denn allein muͤſſig da liegen wolte, indeß
alle andere Leute im Schiffe ſich zu Tode
arbeiten muͤſten?


Er rafte ſich alſo auf, ſo ſchwach er auch
war, und ſtelte ſich mit im eine der Pumpen.
In-
[15] Indeß ließ der Schiffer einige Kanonen ab-
brennen, um andern Schiffen, die ſich etwa
in der Naͤhe befinden moͤgten, ein Zeichen zu
geben, daß er ſich in Noth befinde. Robin-
ſon,
der nicht wuſte, was der Knal zu be-
deuten habe, glaubte das Schif waͤre gebor-
ſten, und ſank von neuem in Ohnmacht. Ein
Matroſe, der an ſeine Stelle trat, ſtieß ihn
aus dem Wege und ließ ihn fuͤr todt liegen.


Man pumpte mit Macht; allein das Waſ-
ſer im Schifsraum ſtieg immer hoͤher und
man erwartete ſchon den Augenblik, da das
Schif unterſinken wuͤrde. Um es zu erleich-
tern wurde alles, was nur einigermaßen ent-
behrt werden konte, Kanonen, Ballen, Faͤſſer
u. ſ. w. uͤber Bord ins Meer geworfen.
Aber das wolte alles nicht helfen.


Indeß hatte ein anderes Schif die Noth-
ſchuͤſſe
gehoͤrt, und ſchikte ein Boot ab,
um die Leute, wo moͤglich, zu retten. Aber
dieſes Boot konte nicht heran kommen, weil
die Wellen gar zu hoch giengen. Endlich kam
es dem Hintertheile des Schiffes ſo nahe,
daß
[16] daß man den Leuten, die darein waren, ein
Tau zu werfen konte. Durch Huͤlfe deſſelben
zogen ſie das Boot heran; und nun ſprang
alles, was Fuͤße hatte, hinein, um ſich zu
retten. Robinſon, der nicht auf den Fuͤſ-
ſen ſtehen konte, wurde von einigen mitleidi-
gen Matroſen gleichfals hinein geworfen.


Kaum waren ſie eine kleine Strekke von
dem Schiffe weggerudert: ſo ſahen ſie es vor
ihren Augen ſinken. Gluͤklicher Weiſe fieng
um dieſe Zeit der Sturm an, ſich ein wenig
zu legen: ſonſt wuͤrde das Boot, worin nun
ſo viele Menſchen ſaſſen, gewiß von den Wel-
len ſein verſchlungen worden. Unter vielen
Gefahren kam es endlich bey dem Schiffe,
wozu es gehoͤrte an, und alle wurden in daſ-
ſelbe aufgenommen.


Gotlieb. Ach! das iſt gut, daß die
armen Menſchen doch nicht ertrunken ſind!


Nikolas. Ich bin recht angſt geweſen.


Lotte. Das wird den Monſieur Ro-
binſon
lehren, daß er kuͤnftig nicht wieder
ſo dum Zeug anfaͤngt!


Mut-
[17]

Mutter. Das denk' ich auch; nun wird
er wohl kluͤger geworden ſein?


Diederich. Wo blieb er denn nun?


Vater. Das Schif, welches ihn und
die Andern aufgenommen hatte, ſegelte nach
London. Vier Tage darauf war es ſchon bei
der Muͤndung der Themſe und nicht lange
darnach lag es bei der Stadt London vor
Anker.


Frizchen. Was iſt das, die Muͤndung
der Themſe?


Freund R. Die Themſe iſt ein Strom,
wie unſere Elbe, der nicht weit von London
ins Meer fließt. Der Ort, wo ein Strom
ins Meer faͤlt, wird die Muͤndung deſſelben
genant.


Vater. Alle giengen nunmehr ans Land,
und jeder freute ſich, daß er ſo davon gekom-
men war.


Robinſon hatte nun genug zu thun, die
große Stadt London zu beſehen, und ver-
B
gaß
[18] gaß daruͤber das Vergangene und das Zukuͤnf-
tige. Endlich erinnerte ihn ſein Magen, daß
er auch was zu Eſſen haben muͤſte, wenn er
in der großen Stadt London leben wolte. Er
gieng alſo hin zu dem Schiffer, mit welchem
er gekommen war, und bat ihn, daß er ihn
moͤgte mit ſich ſpeiſen laſſen.


Dieſer war bereit, ihn gaſtfreundlich auf-
zunehmen. Waͤhrend dem Eſſen fragte er
unnſer Robinſon, warum er denn eigentlich
hieher gekommen ſei? und was er nun hier
vorzunehmen gedaͤchte?


Da erzaͤhlte ihm Robinſon offenherzig,
daß er bloß zur Luſt und zwar ohne Wiſſen
ſeiner Eltern dieſe Reiſe gethan habe, und
daß er nun nicht wiſſe, was er anfangen ſolle.


„Ohne Wiſſen ihrer Eltern?„ rief der
Schiffer ganz erſchrokken aus, indem ihm das
Meſſer aus der Hand fiel. „Guter Gott!
warum muſte ich das doch nicht eher erfah-
ren!„ „Glauben Sie mir, unbeſonnener
junger Menſch, fuhr er fort, haͤtte ich das
zu Hamburg gewuſt, ich wuͤrde ſie nicht
mit-
[19] mitgenommen haben, und wenn ſie mir eine
Tonne Goldes zur Belonung angeboten haͤt-
ten!„


Robinſon ſaß beſchaͤmt und ſchlug die
Augen nieder.


Der ehrliche Schiffer fuhr fort, ihm ſein
großes Unrecht vorzuſtellen, und ſagte: er ſei
verſichert, daß es ihm unmoͤglich wohl gehen
koͤnne, bis er ſich gebeſſert und von ſeinen
Eltern Vergebung erlangt haͤtte. Robinſon
weinte ſeine bittern Traͤnen.


Aber, was ſol ich denn nun machen?
fragte er endlich, mit vielem Schluchzen.


„Was ſie machen ſollen? antwortete der
Schiffer; — zuruͤk zu ihren Eltern ſollen ſie,
ihre Knie umfaſſen und mit kindlicher Reue
ſie um Verzeihung ihrer Unbeſonnenheit bit-
ten.


Lotte. Das war doch ein recht guter
Man, der Schiffer; nicht wahr, Vater?


Vater. Er that, was jeder thun muß,
wenn er ſeinen Nebenmenſchen fehlen ſieht; er
erinnerte den jungen Menſchen an ſeine Pflicht.


B2
„Wol-
[20]

„Wollen Sie mich wieder mit zuruͤk
nach Hamburg nehmen?„ fragte Robinſon.


„Ich? antwortete der Schiffer; haben ſie
denn vergeſſen, daß mein Schif untergegangen
iſt? Ich werde nicht eher wieder zuruͤk gehen,
bis ich Gelegenheit gehabt habe, ein anderes
Schif zu kaufen, und das moͤgte laͤnger waͤh-
ren, als ſie hier bleiben duͤrfen. Auf das
erſte das beſte Schif, das von hier nach Ham-
burg ſegelt, ſollen ſie ſich ſezzen, und das lie-
ber heute, als morgen!„


„Aber ich habe kein Geld!„ ſagte Ro-
binſon.


„Hier, antwortete der Schiffer, ſind ei-
nige Guineen


Gotlieb. Was ſind das, Guineen.


Vater. Engliſches Geld, mein Lieber;
Goldſtuͤkken, ſo wie unſere Louisd'or. Sie
gelten ohngefaͤhr ſechs Thaler; zu Hauſe wil
ich dir eine zeigen.


Johannes. O nu, nur weiter!


Vater. „Hier, antwortete alſo der bra-
ve Schiffer, ſind einige Guineen, die ich ihnen
leihen
[21] leihen wil, ohngeachtet ich ſelbſt mein bischen
Geld jezt ſehr noͤthig habe. Gehen ſie damit
nach dem Hafen und mithen ſie ſich auf ein
Schif ein. Wenn ihre Reue aufrichtig iſt,
ſo wird Gott ihnen eine Ruͤkreiſe verleihen,
die gluͤklicher ſein wird, als unſere Herreiſe
war. „ Und damit ſchuͤttelte er ihm treuher-
zig die Hand und wuͤnſchte ihm Gluͤk auf
den Weg.


Robinſon ging.


Nikolas. O nu geht er ſchon wieder
nach Hauſe? Ich dachte, es wuͤrde erſt recht
angehen!


Mutter. Biſt du es nicht zufrieden,
lieber Nikolas, daß er zu ſeinen Eltern zu-
ruͤkkehrt, die vermuthlich ſo bekuͤmmert um
ihn ſind?


Freund R. Und freueſt du dich nicht,
daß er ſein Unrecht bereut und ſich nun beſ-
ſern wil?


Nikolas. Ja, das wohl; aber ich dachte,
es ſolte erſt recht was luſtiges kommen.


B 3
Va-
[22]

Vater. Er iſt ja noch nicht zu Hauſe;
laßt uns hoͤren, wie's weiter mit ihm geht!


Auf dem Wege nach dem Hafen gieng
ihm dies und jenes durch den Kopf. „Was
werden meine Eltern ſagen?„ dacht' er, wenn
ich nun wieder zu Haus komme. Gewiß
werden ſie mich ſtrafen, daß ich das gethan
habe! Und meine Kammeraden und die an-
dern Leute, wie werden die mich auslachen,
daß ich ſo geſchwind zuruͤk komme und faſt
nichts geſehen habe, als ein Paar Straßen
von London!„


Er blieb vol Gedanken ſtehen.


Bald fiel's ihm ein, er wolte noch nicht
abreiſen; bald dachte er wieder daran, was
der Schiffer ihm geſagt hatte, daß es ihm
nicht wohl gehen koͤnne, wenn er nicht zu ſei-
nen Eltern zuruͤkkehrte. Er wuſte lange nicht,
was er thun ſolte? Endlich aber gieng er
doch hin nach dem Hafen.


Aber zu ſeinem Vergnuͤgen muſte er hoͤ-
ren, daß jezt kein Schif da ſei, welches die
Farth nach Hamburg machen wolte. Der
Man,
[23] Man, der ihm dieſe Nachricht gab, war
ein Guineafahrer.


Frizchen. Was iſt ein Guineafahrer?


Vater. Das laß dir von Diederich er-
zaͤlen, der's wohl ſchon wiſſen wird.


Diederich. Weißt du noch wohl, daß
es ein Land giebt, das Afrika heißt? Nu
die eine Kuͤſte davon —


Frizchen. Kuͤſte? —


Diederich. Ja, oder das Land, was
dichte am Meer liegt, — ſieh ich habe mei-
nen kleinen Atlas eben bei mir! — dieſer
Strich Landes hier, der da ſo krum hinunter
geht, der wird die Kuͤſte von Guinea ge-
nant.


Vater. Und die Schiffer, die da hin-
fahren, um da was zu handeln, heißt man
Guineafahrer. Der Man alſo, mit dem
unſer Robinſon redete, war ein ſolcher
Guineafahrer, oder Kapitain eines Schifs,
welches nach Guinea ſegeln wolte.


Dieſer Schifskapitain fand Vergnuͤgen,
ſich weiter mit ihm zu unterreden, und noͤthigte
B 4
ihn
[24] ihn alſo, mit an Bord zu gehen, um in ſei-
ner Kajuͤte eine Taſſe Thee mit ihm zu trin-
ken; und Robinſon willigte darein.


Johannes. Konte der Kapitain denn
deutſch ſprechen?


Vater. Ich habe vergeſſen zu ſagen, daß
Robinſon ſchon im Hamburg Gelegenheit
gehabt hatte, Engliſch zu lernen, welches ihm
jezt, da er in dem Lande der Englaͤnder war,
ſehr wohl zu ſtatten kam.


Da der Schifskapitain von ihm hoͤrte,
daß er ſo große Luſt zu reiſen habe, und daß
es ihm ſo leid thue, ſchon jezt wieder nach
Hamburg zuruͤk kehren zu muͤſſen: ſo that
er ihm den Vorſchlag, mit ihm nach Guinea
zu reiſen. Robinſon erſchrak anfangs vor
dieſem Gedanken. Aber da ihn der Kapitain
verſicherte, daß die Reiſe ſehr angenehm ſein
wuͤrde; daß er ihn, um einen Geſelſchafter zu
haben, umſonſt mitnehmen, und frei halten
wolte, und daß er vielleicht etwas Anſehnli-
ches auf dieſer Reiſe erwerben koͤnte: ſo ſtieg
ihm ploͤzlich das Blut zu Kopfe, und die
Be-
[25] Begierde zu reiſen wurde ſo lebendig in ihm,
daß er auf einmahl vergaß Alles, was ihm
der ehrliche Hamburger Schiffer gerathen hat-
te, und was er kurz vorher thun wolte.


„Aber, ſagte er, da er ſich ein wenig
bedacht hatte, ich habe nur drei Guineen.
Was kan ich fuͤr ſo wenig Geld einkaufen,
um einen Handel zu treiben an dem Orte,
wo ſie hinfahren wollen?„


„Ich wil ihnen, antwortete der Schifs-
kapitain, noch ſechs Guineen dazu leihen. Da-
fuͤr koͤnnen ſie ſchon ſo viel Waren einkau-
fen, als hinreichend ſein werden, um in
Guinea ein reicher Man zu werden, wenn
uns das Gluͤk ein bischen guͤnſtig ſein wird.„
„Und was ſolte ich denn dafuͤr einkau-
fen?„ fragte Robinſon.


Der Kapitain antwortete: „lauter
Kleinigkeiten, — allerlei Spielzeug, Glas-
korallen, Meſſer, Scheeren, Beile, Baͤnder,
Flinten u. ſ. w. — woran die Schwarzen
in Afrika ſo viel Vergnuͤgen finden, daß ſie
ihnen hundertmahl mehr an Gold, Elfenbein
B 5
und
[26] und andern Sachen dafuͤr geben werden, als
ſie werth ſind.„


Robinſon konte nun ſich laͤnger nicht
mehr halten. Er vergaß Eltern, Freunde
und Vaterland und rief freudig aus: „ich
fahre mit, Herr Kapitain!„ „Top!„ant-
wortete dieſer; und ſo ſchlugen ſie ſich einan-
der in die Haͤnde, und die Reiſe war beſchloſ-
ſen.


Johannes. Na, nu wil ich auch gar
kein Mitleid mehr haben mit dem dummen
Robinſon, und wenn's ihm auch noch ſo
ungluͤklich geht!


Vater. Kein Mitleid, Johannes?


Johannes. Nein, Vater; warum iſt
er ſo dum, und vergißt ſchon wieder, was
er ſeinen Eltern ſchuldig iſt. Dafuͤr muß ja
wohl der liebe Gott es ihm wieder ſchlim
gehen laſſen —


Vater. Und ſcheint dir ein ſo ungluͤkli-
cher Menſch, der ſeiner Eltern vergeſſen kan,
und den der gute liebe Gott erſt durch Stra-
fen beſſern muß, kein Mitleid zu verdienen?
Frei-
[27] Freilich iſt er ſelbſt Schuld an allem, was
ihm nun begegnen wird: aber iſt er nicht
um deſto ungluͤklicher? O mein Sohn, Gott
bewahre dich und uns alle, vor dem ſchrek-
lichſten unter allen Leiden, welches darin be-
ſteht, daß man fuͤhlt, man habe ſich ſelbſt
elend gemacht!
Aber wo wir von einem
ſolchen Ungluͤklichen hoͤren, da wollen wir be-
denken, daß er unſer Bruder, unſer armer
verirter Bruder ſei, und eine Traͤne des
Mitleids und der bruͤderlichen Fuͤrbitte fuͤr
ihn gen Himmel weinen.


Alle ſchwiegen einige Augenblikke; dan
fuhr der Vater folgendermaßen fort:


Robinſon eilte nun mit ſeinen neun
Guineen in die Stadt, kaufte dafuͤr ein, was
der Schifskapitain ihm gerathen hatte und
ließ es an Bord bringen.


Nach einigen Tagen, da ein guter Wind
ſich erhob, ließ der Kapitain die Anker lich-
ten
und ſo giengen ſie unter Segel.


Diederich. Wo muſten ſie denn eigent-
lich hinſegeln, um nach Guinea zu kommen?


Va-
[28]

Vater. Du haſt deine kleinen Charten
bei dir; kom, ich wil dir's zeigen! Siehſt
du, von London fahren ſie hier die Themſe
hinunter bis in die Nordſee; dan ſteuern
ſie gegen Abend durch die Meerenge bei Ca-
lais
in den Kanal. Aus dieſem kommen
ſie in das große atlantiſche Weltmeer,
worauf ſie dan immer weiter fortſegeln, hier
bei den Canariſchen Inſeln und da bei den
Inſeln des gruͤnen Vorgebirges vorbei,
bis ſie endlich hier unten an dieſer Kuͤſte lan-
den, welche Guinea iſt.


Diederich. Wo werden ſie denn eigent-
lich landen?


Vater. Vielleicht da, bei Capo Cor-
ſo,
welches den Englaͤndern gehoͤrt.


Mutter. Aber es wird wohl Zeit ſein,
daß wir auch unter Segel gehn und dem
Tiſche zuſteuern. Die Sonne iſt ſchon lange
untergegangen.


Gotlieb. Ich bin noch gar nicht hun-
grig.


Lotte. Ich moͤgte auch lieber noch zuhoͤren.


Va-
[29]

Vater. Morgen, morgen, Kinder,
wollen wir hoͤren, wie's dem Robinſon
weiter gegangen iſt. Jezt zu Tiſche!


Alle. Zu Tiſche! zu Tiſche! zu Tiſche!


Zweiter Abend.


Am andern Abend, da die ganze Geſelſchaft
ſich an eben demſelben Orte wiederum gela-
gert hatte, fuhr der Vater in ſeiner Erzaͤ-
lung folgendermaßen fort.


Die neue Farth unſers Robinſons gieng
anfangs wieder ſehr gluͤklich von ſtatten. Schon
waren ſie, ohne die mindeſte Widerwaͤrtig-
keit, durch die Meerenge bei Calais und
durch den Kanal geſegelt, und nun befan-
den ſie ſich mitten auf dem atlantiſchen
Weltmeere.
Hier hatten ſie viele Tage
hinter einander ſo widrigen Wind, daß ſie
im-
[30] immer weiter gegen Amerika zugetrieben
wurden.


Seht, Kinder, ich habe eine große Charte
mitgebracht, auf der ihr beſſer, als auf ei-
ner kleinen ſehen koͤnt, wohin das Schif ei-
gentlich ſegeln ſolte und wohin es von dem
Winde wirklich getrieben ward. Hier, im-
mer ſo hinunter, wolten ſie eigentlich fahren
aber weil der Wind ihnen halb entgegen, und
halb von der Seite kam: ſo wurden ſie wi-
der ihren Willen dorthin verſchlagen, wo ihr
Amerika liegen ſeht. Ich wil die Charte
hier hinſtellen, daß wir im Nothfal ſie in
Geſichte haben.


Eines Abends zeigte der Steuermann an,
daß er in einer weiten Entfernung Feuer er-
blikke, und daß er eben daher auch einige
Kanonenſchuͤſſe gehoͤrt haͤtte. Alle liefen auf
das Verdek, ſahen das entfernte Feuer, und
hoͤrten gleichfals noch verſchiedene Kanonen-
ſchuͤſſe. Der Schifskapitain ſahe genau auf
ſeiner Seecharte nach, und fand, daß wohl
auf hundert Meilen weit kein Land ſei; und
alle
[31] alle waren daher der Meinung, daß dieſes
Feuer nichts anders ſein koͤnne, als ein in
Brand gerathenes Schif.


Man beſchloß den Augenblik, den ungluͤk-
lichen Leuten zu Huͤlfe zu eilen, und ſteuerte
dahin. Bald darauf konten ſie deutlich ſehen,
daß ihre Muthmaßung gegruͤndet geweſen ſei:
denn ſie erblikten nun wirklich ein großes
Schif, welches ganz in Flammen ſtand.


Der Schifskapitain ließ ſogleich fuͤnf Ka-
nonen abbrennen, um den armen Nothleiden-
den ein Zeichen zu geben, daß ein Schif in
der Naͤhe ſei, welches ihnen zu Huͤlfe eile.
Kaum war dieſes geſchehen: ſo ſahe man mit
Schrekken das brennende Schif ploͤtzlich unter
einem großen Knal in die Luft fliegen, und
bald darauf war alles verſunken und das Feuer
erloſchen. Die Flamme hatte nemlich die
Pulverkammer des Schifs ergriffen.


Was aus den ungluͤklichen Leuten des
Schifs geworden ſei, konte man noch nicht
wiſſen. Es war moͤglich, daß ſie vor dem
Auffliegen des Schifs ſich in die Boͤte gerettet
haͤtten;
[32] haͤtten; deswegen fuhr der Kapitain die ganze
Nacht hindurch fort, aus den Kanonen ſchieſ-
ſen zu laſſen, um die Gefahrleidenden zu be-
nachrichtigen, in welcher Gegend das Schif
ſei, welches ihnen zu Huͤlfe zu kommen wuͤn-
ſche. Auch ließ er alle Laternen aushaͤngen,
damit das Schif von ihnen moͤchte geſehen
werden.


Mit Anbruch des Tages entdekte man
durch die Fernglaͤſer wirklich zwei Boͤte, wel-
che vol von Menſchen waren und welche zwi-
ſchen den hohen Wellen auf und nieder
ſchwankten. Man bemerkte daß ſie aus allen
Kraͤften dem Schiffe zuruderten, indem der
Wind ihnen entgegen war. Gleich ließ der
Kapitain die Flagge wehen, zum Zeichen,
daß man ſie bemerkt habe, und daß man ſie
aufzunehmen bereit ſei. Das Schif ſegelte
zugleich ſtark auf ſie zu, und in einer halben
Stunde hatte man ſie gluͤklich erreicht.


Es waren ſechzig Menſchen, Maͤnner,
Weiber und Kinder, die alle an Bord ge-
nommen wurden. Da haͤtte man ſehen ſollen,
was
[33] was das fuͤr ein ruͤhrender Auftrit war, da
dieſe armen Leute ſich nunmehr gluͤklich geret-
tet ſahn! Einige weinten laut vor Freuden;
andere ſchrien, als wenn ſie jetzt erſt in Ge-
fahr gerathen waͤren; einige ſprangen wie
ſinlos auf dem Schiffe herum, andere waren
blas, wie der Tod, und rungen die Haͤnde;
andere lachten, wie Wahnſinnige, und tanz-
ten und jauchzten laut; andere hingegen ſtan-
den ſtum und leblos da und konten kein
Wort ſprechen.


Bald fielen einige von ihnen auf ihre
Knie, hoben ihre Haͤnde gen Himmel und
dankten laut dem Gotte, deſſen Vorſehung ſie
ſo wunderbar errettet hatte. Bald ſprangen
ſie wieder auf, huͤpften wie Kinder, zerriſſen
ſich die Kleider, weinten, fielen in Ohnmacht,
und konten kaum wieder ins Leben zuruͤkge-
rufen werden. Auch dem haͤrteſten Matroſen,
der das mit anſahe, lief eine Traͤne uͤber die
Bakken.


Unter dieſen Ungluͤklichen befand ſich auch
ein junger Geiſtlicher, der ſich unter alle
C
am
[34] am maͤnlichſten und wuͤrdigſten betrug. Bei
ſeinem erſten Tritt' auf das Schif legte er ſich
aufs Geſicht nieder, und ſchien ganz leblos
zu ſein. Der Schifskapitain trat zu ihm,
um ihn zu ermuntern, weil er glaubte, daß
er in Ohnmacht gefallen ſei. Aber er redete
ganz ruhig, dankte ihm fuͤr ſein Mitleid und
ſagte: „erlauben ſie, daß ich erſt meinen Schoͤp-
fer fuͤr unſere Errettung danke; dan wil ich
auch ihnen ſagen, wie ſehr ich ihre Wohlthat
mit innigſtem Dank erkenne.„ Der Schifs-
kapitain trat ehrerbietig zuruͤk.


Einige Minuten blieb er auf ſeinem Ge-
ſichte liegen; dan richtete er ſich freudig auf,
und gieng zum Kapitain, um auch ihm ſeinen
Dank zu ſagen. Hierauf wandte er ſich zu
ſeinen Gefaͤhrten, und ermahnte ſie, ihr Ge-
muͤth zu beruhigen, um ihre Gedanken deſto
beſſer zu dem Alguͤtigen erheben zu koͤnnen,
dem ſie die ungehofte Erhaltung ihres Lebens
zu verdanken haͤtten. Sein Zureden that auch
bei vielen gute Wirkung.


Und
[35]

Und nun erzaͤhlte er, wer ſie waͤren, und
wie es ihnen gegangen ſei.


Das verbrante Schif war ein großes franzoͤ-
ſiſches Kauffartheiſchif geweſen, welches nach
Quebek ‒ ſeht hier, nach dieſem Orte in
Amerika — ſegeln wolte. Das Feuer war in
des Steuermans Huͤtte ausgebrochen und hatte
ſo geſchwind um ſich gegriffen, daß an kein
Loͤſchen zu denken war. Sie hatten nur noch
eben ſo viel Zeit gehabt, einige Kanonen zu
loͤſen, und ſich dan in die Boͤte zu retten.


Was aus ihnen werden wuͤrde, hatte kei-
ner von ihnen gewuſt. Das wahrſcheinlichſte
war geweſen, daß ſie alle mit ihren kleinen
Schiffen bei dem geringſten Sturme von den
Wellen wuͤrden verſchlungen werden; oder daß
ſie in Kurzen vor Hunger und Durſt wuͤrden
umkommen muͤſſen, weil ſie von dem brennen-
den Schiffe nur auf einige Tage Brod und
Waſſer mitnehmen konten.


Frizchen. I, was brauchten ſie denn
Waſſer mitzunehmen? Sie waren ja mitten
drauf?


C 2
Va-
[36]

Vater. Du haſt vergeſſen, liebes Friz-
chen, daß das Waſſer im Meere ſo ſalzig und
bitter iſt, daß kein Menſch es trinken kan!


Frizchen. Ha! ha!


Vater. In dieſem ſchreklichen Zuſtande,
hatten ſie die Kanonenſchuͤſſe von dem engli-
ſchen Schiffe gehoͤrt, und bald darauf auch
die aufgeſtekten Laternen erblikt. Zwiſchen
Furcht und Hofnung hatten ſie die lange trau-
rige Nacht hingebracht, indem die Wellen ſie
immer weiter wieder zuruͤk trieben, als ſie
mit Anwendung aller ihrer Kraͤfte vorwaͤrts nach
dem Schiffe zugerudert hatten. Endlich hatte
das laͤngſt gewuͤnſchte Tageslicht ihrem Jam-
mer ein Ende gemacht.


Robinſon hatte die ganze Zeit uͤber mit
fuͤrchterlichen Gedanken gekaͤmpft. „Himmel,
dachte er, haben dieſe Leute ſo großes Ungluͤk
leiden koͤnnen, unter denen doch gewiß wohl
recht gute Selen ſind: was werd' ich zu er-
warten haben, der ich ſo undankbar gegen
meine Eltern handeln konte!„ Dieſer Gedanke
lag ihm, wie ein Berg, auf dem Herzen.
Blaß
[37] Blaß und ſtum, wie ein Menſch, der kein
gutes Gewiſſen hat, ſaß er in einem Winkel,
rang die Haͤnde, und getraute ſich kaum zu
beten, weil er dachte, Gott koͤnne unmoͤglich
ihn noch lieb haben.


Man ließ die Geretteten, die nun ſehr
ermattet waren, ſich durch Speiſe und Trank
erquikken. Dan kam der Vornehmſte unter
ihnen mit einem großen Beutel vol Geld zum
Schifskapitain und ſagte: „Dies waͤre das
Einzige, was ſie von dem Schiffe haͤtten mit-
nehmen koͤnnen. Er uͤberreiche es ihm, als
einen kleinen Beweis der Dankbarkeit, die ſie
fuͤr die Erhaltung ihres Lebens ihm ſchuldig
waͤren.„


„Gott bewahre mich, antwortete der
Schifskapitain, daß ich ihr Geſchenk anneh-
men ſolte! Ich habe weiter nichts gethan,
als was die Menſchlichkeit mir zu thun gebot
und ich bin verſichert, daß ſie eben das an
uns wuͤrden gethan haben, wenn ſie in unſerer
Stelle, und wir in der Ihrigen geweſen waͤ-
ren.„


C 3
Ver-
[38]

Vergebens noͤthigte ihn der dankbare Mann,
daß ers doch annehmen moͤgte: er blieb bei
ſeiner Weigerung und bat ihn, davon zu
ſchweigen. — Darauf entſtand die Frage: wo-
hin die Geretteten denn nun gebracht werden
ſolten? Sie nach Guinea mitzunehmen, gieng,
um einer zweifachen Urſache willen, nicht wohl
an. Denn erſtlich warum ſolten die armen
Leute eine ſo weite Reiſe nach einem Lande
machen, wo ſie nichts zu thun hatten? Und
dan, ſo waren auf dem Schiffe nicht ſo viel
Lebensmittel vorhanden, daß ſo viel Menſchen
bis dahin genug daran gehabt haͤtten.


Endlich beſchloß der brave Schifskapitain,
ſich die Muͤhe nicht verdrieſſen zu laſſen, die-
ſer armen Leute wegen, ein Paar hundert
Meilen umzuſchiffen, um ſie erſt nach Terre-
neuve
zu bringen, wo ſie Gelegenheit haben
wuͤrden mit franzoͤſiſchen Stokfiſchfaͤngern
wieder nach Frankreich zuruͤk zu kehren.


Lotte. Was ſind das fuͤr Leute die Stok-
fiſchſaͤnger?


Jo-
[39]

Johannes. Weiſt du nicht mehr, was
uns Vater erzaͤhlt hat von den Stokfiſchen,
wie ſie da oben aus dem Eismeere herunter
kommen bis nach den Sandbaͤnken bey Ter-
reneuve
, wo ſie in ſo großer Menge gefan-
gen werden?


Lotte. Ach ja! Nun weiß ich ſchon.


Johannes. Sieh, das iſt Terreneuve,
was hier oben dichte bei Amerika liegt, und
die Punkte da bedeuten die Sandbaͤnke! —
Na, die Leute die die Stokfiſche fangen, die
heiſſen die Stokfiſchfaͤnger.


Vater. Man fuhr alſo dahin; und weil
es gerade in der Zeit war, da die meiſten
Stokfiſche gefangen werden, ſo fand man auch
franzoͤſiſche Schiffe da, welche dieſe ungluͤkli-
chen Leute aufnehmen konten. Ihre Dankbar-
keit gegen den guten Schifskapitain laͤßt ſich
mit Worten nicht beſchreiben.


Sobald dieſer ſie an Ort und Stelle ge-
bracht hatte, kehrte er mit gutem Winde wie-
der zuruͤk, um ſeine eigentliche Reiſe nach
Guinea fortzuſezzen. Das Schif flog durch die
C 4
Wel-
[40] Wellen, wie ein Vogel durch die Luft, und
in kurzer Zeit hatten ſie wieder einige hun-
dert Meilen zuruͤk gelegt. Das war etwas
fuͤr unſern Robinſon, dem's nie zu geſchwind
gehen konte, weil er ein unruhiger Geiſt war!


Einige Tage darauf, da ſie immer ſuͤd-
waͤrts geſteuert hatten, wurden ſie ploͤzlich
eines großen Schiffes gewahr, welches nach
ihnen zu hielt. Bald darauf hoͤrten ſie, daß
es einige Nothſchuͤſſe that, und bemerkten nun,
daß es den Fokmaſt und den Boegſpriet
verloren habe.


Nikolas. Den Boegſpriet?


Vater. Ja; du weiſt doch noch, was
das iſt?


Nikolas. Ach ja, der kleine Maſtbaum,
der nicht ſo, wie die andern, grade in die Hoͤhe
gerichtet, ſondern nur ſo ſchief hingeſtelt iſt
auf dem Vordertheil des Schiffes, als wenn's
der Schnabel des Schiffes waͤre!


Vater. Ganz recht. Sie ſteuerten alſo
auf dieſes beſchaͤdigte Schif zu, und da ſie
nahe genung gekommen waren, um mit den
Leu-
[41] Leuten, die darauf waren, reden zu koͤnnen;
ſchrien ihnen dieſe mit aufgehabnen Haͤnden
und mit klaͤglichen Gebehrden zu:


„Rettet, guten Leute, o rettet ein Schif
vol Menſchen, die alle des Todes ſein muͤſſen,
wenn ihr euch ihrer nicht erbarmet!„


Man fragte ſie hierauf, worin ihr Ungluͤk
denn eigentlich beſtehe? und da erzaͤhlte einer
von ihnen folgender Geſtalt:


„Wir ſind Englaͤnder, die nach der fran-
zoͤſiſchen Inſel Martinike — (Seht hier,
Kinder; dies iſt ſie, hier mitten in Ameri-
ka!) — ſchiften, um eine Ladung Kaffebohnen
zu holen. Da wir alda vor Anker lagen und
bald wieder abreiſen wolten, giengen unſer
Schiffer und der Oberſteuerman eines Tages
ans Land, um noch etwas einzukaufen. Un-
terdeß erhob ſich ein ſo gewaltiger und zugleich
wirbelnder Sturmwind, daß unſer Ankertau
zerriß und wir aus dem Hafen in das weite
Meer hinausgetrieben wurden. Der Or-
kan


Gotlieb. Was iſt das?


C 5
Va-
[42]

Vater. Ein ſolcher heftiger und wirbeln-
der Sturmwind, der daraus entſteht, wenn
mehrere ſtarke Winde von verſchiedenen Sei-
ten gegen einander blaſen. — „Der Orkan
alſo wuͤthete drei Tage und drei Naͤchte;
wir verlohren unſere Maſten und wurden
einige hundert Meilen fortgetrieben. Zum
Ungluͤk verſteht ſich keiner von uns auf die
Schiffarth; ſchon neun Wochen werden wir
ſo herum geworfen, all' unſere Lebensmittel
ſind verzehrt, und die meiſten von uns ſind
ſchon halb todt gehungert.„


Der gute Schifskapitain ließ ſogleich das
Boot ausſezen, nahm einen Vorrath von
Lebensmitteln zu ſich und fuhr, nebſt Robin-
ſon,
ſelbſt nach dieſem Schiffe hin.


Sie fanden die Leute des Schifs in dem
klaͤglichſten Zuſtande. Alle ſahen ſo verhun-
gert aus, und viele unter ihnen konten kaum
mehr auf den Fuͤßen ſtehen. Aber da ſie in
die Kajuͤte giengen — Gott! was fuͤr ein
ſchreklicher Anblik zeigte ſich ihnen da erſt!
Eine Mutter mit ihrem Sohn und einem
jun-
[43] jungen Dienſtmaͤdchen lagen, allem Anſehen
nach, ſchon ganz todt gehungert da. Die
Mutter ſaß ſtar und ſteif zwiſchen zwei feſt-
gebundnen Stuͤhlen auf dem Boden, den
Kopf gegen die Schifswand gelehnt; die
Magd lag der Laͤnge nach neben ihr und hatte
den einen Arm feſt um den Tiſchfuß geklam-
mert; der junge Menſch aber lag auf dem
Bette und hatte noch ein Stuͤk von einem
ledernen Handſchuh im Munde, den er ſchon
halb zernagt hatte.


Lotte. O Vaͤterchen, machſt es ja doch
ſo traurig!


Vater. Haſt Recht; ich vergaß, daß
ihr ſo was nicht hoͤren woltet. Ich wil dieſe
Geſchichte alſo immer uͤberhuͤpfen —


Alle. O nein! o nein, lieber Vater!
Laß ſie uns nun ganz aushoͤren!


Vater. Wenn ihr wolt! — Ich muß
euch alſo erſt ſagen, wer dieſe armen Leute
waren, die da ſo klaͤglich lagen.


Es waren Reiſende, die mit dieſem Schiffe
aus Amerika nach England gehen wolten.
Alle
[44] Alle ſagten, daß ſie recht wakkere brave Leute
geweſen waͤren. Die Mutter hatte ihren Sohn
ſo unausſprechlich geliebt, daß ſie keinen Biſ-
ſen mehr genieſſen wolte, damit ihr geliebter
Sohn nur noch ein wenig zu eſſen haben
moͤgte: und der gute Sohn hatte es eben ſo
gemacht, um alles fuͤr ſeine Mutter zu ſpa-
ren. Auch das getreue Maͤdchen war mehr
fuͤr ihre Herſchaft, als fuͤr ſich ſelbſt beſorgt
geweſen.


Man hielt ſie alle drei fuͤr todt: aber es
zeigte ſich bald, daß noch einiges Leben in
ihnen ſei. Denn da man ihnen einige Trop-
fen Fleiſchbruͤhe in den Mund gegoſſen hatte,
fiengen ſie nach und nach an, die Augen wie-
der aufzuſchlagen. Die Mutter aber war ſchon
zu ſchwach, um etwas hinunter zu ſchlukken,
und gab durch Zeichen zu verſtehen, daß man
nur ihrem Sohne helfen moͤgte. Bald dar-
auf verſchied ſie auch wirklich.


Die andern beiden wurden durch Arzenei-
mittel wieder zu ſich ſelbſt gebracht, und da
ſie noch junge Kraͤfte hatten; ſo gelang es der
Sorg-
[45] Sorgfalt des Kapitains, ihr Leben zu erhal-
ten. Aber da der junge Menſch nach ſeiner
Mutter blikte und bemerkte, daß ſie todt da
liege, fiel er vor Schrekken wieder in Ohn-
macht, aus der man ihn kaum ermuntern
konte. Er wurde indeß wieder zu ſich ſelbſt
gebracht, und ſo wohl er, als auch das Maͤd-
chen, blieben am Leben.


Der Schifskapitain verſorgte darauf das
ganze Schif mit ſo vielen Lebensmitteln, als
er nur immer entbehren konte; ließ durch ſeine
Zimmerleute die zerbrochenen Maſten, ſo gut
es gehen wolte, wieder herſtellen, und gab den
Leuten guten Rath, wie ſie ſteuern muͤſten,
um nach dem naͤchſten Lande zu kommen,
welches die Kanariſchen Inſeln waͤren.
Dahin fuhr er nun ſelbſt auch ab, um ſich
erſt wieder mit Lebensmitteln zu verſorgen.


Eine von dieſen Inſeln heißt, wie ihr
wißt, Madera.


Diederich. Ach ja; die den Portugie-
ſen gehoͤrt!


Jo-
[46]

Johannes. Wo der ſchoͤne Madera-
wein
waͤchſt —


Gotlieb. Und Zukkerrohr!


Lotte. Und wo die vielen Kanarienvoͤgel
ſind, nicht Vater?


Vater. Ganz recht. Bei dieſer Inſel
landete der Schifskapitain und Robinſon
ging mit ihm ans Land.


Er konte ſich nicht ſat ſehen an dem her-
lichen Anblik, den dieſe fruchtbare Inſel
gewaͤhrt. So weit ſein Auge reichte, ſahe
er Gebirge, die mit lauter Weinreben beklei-
det waren. Wie waͤſſerte ihm der Mund nach
den ſchoͤnen ſuͤßen Trauben, die er da hengen
ſah! Und wie labte er ſich, da der Schifska-
pitain ihm die Erlaubniß erkaufte, ſo viel zu
eſſen, als er Luſt haͤtte!


Von den Leuten, die in dem Weinberge
waren, erfuhren ſie, daß der Wein hier nicht
ſo, wie in andern Laͤndern, durch Huͤlfe einer
Kelter ausgepreßt werde.


Gotlieb. Und wie denn?


Va-
[47]

Vater. Sie ſchuͤtten die Trauben in ein
großes hoͤlzernes Gefaͤß und dan treten ſie
den Saft mit den Fuͤßen, oder ſtampfen ihn
mit den Ellenbogen aus.


Lotte. Fi! ich mag keinen Maderawein
trinken.


Johannes. Ich moͤgte ihn ſo nicht
trinken, wenn ſie ihn auch ordentlich auskel-
terten.


Frizchen. Warum?


Johannes. Ach! du biſt noch nicht hier
geweſen, da uns Vater erklaͤrte, daß der Wein
den jungen Leuten nicht gut iſt. Solſt nur
hoͤren, was er alles ſchaden kan.


Frizchen. Iſt das wohl wahr, Vater?


Vater. Freilich, liebes Frizchen, iſt es
wahr. Kinder, die oft Wein, oder andere
ſtarke Getraͤnke trinken, werden ſchwaͤchlich
und dum.


Frizchen. Fi, ſo wil ich niemahls Wein
trinken!


Vater. Wirſt wohl daran thun, mein
Kind!


Da
[48]

Da der Schifskapitain ſich hier eine Zeit-
lang verweilen mußte, um ſein Schif ausbeſ-
ſern zu laſſen, welches etwas ſchadhaft gewor-
den war: ſo fieng unſer Robinſon nach eini-
gen Tagen an, Langeweile zu haben. Sein
unruhiger Geiſt ſehnte ſich wieder nach Ver-
aͤnderung, und er wuͤnſchte ſich Fluͤgel, um
ſo geſchwind, als moͤglich, die ganze Welt
durchfliegen zu koͤnnen.


Unterdeß kam ein portugieſiſches Schif
von Liſſabon an, welches nach Braſilien
in Amerika
ſegeln wolte.


Diederich. (auf die Charte zeigend) Nicht
wahr, nach dieſem Lande hier, das den Por-
tugieſen gehoͤrt, und wo ſo viele Goldkoͤrner
und Edelgeſteine gefunden werden?


Vater. Nach dem nemlichen. — Ro-
binſon
machte Bekantſchaft mit dem Kapi-
tain des Schifs, und da er von den Goldkoͤr-
nern und Edelſteinen gehoͤrt hatte: ſo waͤre er
um ſein Leben gern mit nach Braſilien gefah-
ren, um ſich da die Taſchen vol zu leſen.


Niko-
[49]

Nikolas. Der hatte wohl nicht gehoͤrt,
daß da keiner Gold und Steine leſen darf,
weil ſie dem Koͤnige von Portugal allein gehoͤ-
ren?


Vater. Das machte, daß er in ſeiner
Jugend ſich gar nicht hatte unterrichten laſ-
ſen. — Da er nun den Portugiſiſchen Schifs-
kapitain bereit fand, ihn unentgeldlich mitzu-
nehmen, und da er hoͤrte, daß das engliſche
Schif wenigſtens noch vierzehn Tage hier ſtil
liegen muͤſſe: ſo konte er der Begierde, wei-
ter zu reiſen, nicht laͤnger widerſtehen. Er
ſagte alſo ſeinem guten Freunde, dem engli-
ſchen Schifskapitain, rund heraus, daß er ihn
verlaſſen wuͤrde, um mit nach Braſilien zu
fahren. Dieſer, der kurz vorher von ihm
ſelbſt gehoͤrt hatte, daß er ohne Wiſſen und
Willen ſeiner Eltern in der Welt herum ſchwaͤr-
me, freute ſich, ſeiner los zu werden, ſchenkte
ihm das Geld, welches er in England ihm
geliehen hatte, und gab ihm noch recht viel
gute Lehren mit auf den Weg.


D
Ro-
[50]

Robinſon ſtieg alſo an Boord des Por-
tugiſiſchen Schiffes, und darauf gings fort
nach Braſilien. Sie ſteuerten nicht weit von
der Inſel Teneriffa vorbei, auf der ſie den
hohen Spizberg liegen ſahen.


Lotte. Ich meine, der hieſſe der Piko
von Teneriffa?


Johannes. I, das iſt ja einerlei!
Piko heißt ja ein Spizberg. — O nun weiter!


Vater. Es war ein koͤſtlicher Anblik des
Abends, da die Sonne ſchon lange unterge-
gangen und es auf dem Meere ſchon finſter
geworden war, zu ſehen, wie der Gipfel die-
ſes Berges der einer der hoͤchſten in der gan-
zen Welt iſt, noch von Sonnenſtralen gluͤhte,
als wenn er gebrant haͤtte.


Einige Tage nachher ſahen ſie eine andere,
gleichfals ſehr angenehme Erſcheinung auf dem
Meere. Eine große Menge fliegender Fiſche
erhob ſich uͤber die Oberflaͤche des Waſſers und
die waren ſo glaͤnzend, als polirtes Silber, ſo
daß ſie einen ordentlichen Schein, wie Licht-
ſtralen, verbreiteten.


Friz-
[51]

Frizchen. Giebt es denn auch Fiſche, die
fliegen koͤnnen?


Vater. O ja, Frizchen; mich duͤnkt, wir
haben ja ſchon einmahl ſelbſt einen geſehen.


Gotlieb. Ach ja, da wir neulich in der
Stadt waren! Der hatte ja aber keine Fe-
dern und keine Fluͤgel?


Vater. Aber doch lange Flosfedern! Die-
ſe braucht er, ſtat der Fluͤgel, und ſchwingt
ſich damit uͤber das Waſſer empor.


Die Reiſe gieng viele Tage hintereinan-
der recht gluͤklich von ſtatten. Ploͤzlich aber
brach ein heftiger Sturm aus, der aus Suͤd-
oſten wehete. Die Meereswogen ſchaͤumten und
thuͤrmten ſich, wie Haͤuſer hoch, indeß das
Schif von ihnen auf und nieder geſchleudert wur-
de. Sechs Tage hinter einander dauerte dieſer
entſezliche Sturm, und das Schif wurde dadurch
ſo weit verſchlagen, daß der Steuerman und der
Schifskapitain gar nicht mehr wuſten, wo ſie
waren. Sie glaubten indeß, daß ſie in der
Gegend waͤren, wo die Karibiſchen In-
ſeln
— (hier in dieſer Gegend!) — liegen.


D 2
Am
[52]

Am ſiebenten Tage, eben da die Morgendaͤm-
merung anbrach, rief ein Matroſe, zur großen Freu-
de der ganzen Schifsgeſelſchaft, ploͤzlich: Land!


Mutter. Land! Land! — Das Abend-
brod wartet ſchon; Morgen wollen wir wei-
ter hoͤren.


Gotlieb. O liebe Mutter, laß uns doch
nur erſt hoͤren, wie ſie ausgeſtiegen ſind, und
wie's ihnen da gieng! Ich wolte gern mit
einem Stuͤk Brod vorlieb nehmen, wenn wir
nur hier drauſſen blieben und Vater fortfuͤhre
zu erzaͤlen.


Vater. Ich daͤchte auch, liebe Marie,
wir aͤßen unſer Abendbrod hier im Gruͤnen!


Mutter. Wie du wilſt. Laſt's euch alſo
immer auserzaͤlen, Kinder; ich wil unterdeß
Anſtalt machen.


Alle. O das iſt ſcharmant! das iſt herlich!


Vater. Alle liefen nun aufs Verdek um
zu ſehen, was fuͤr ein Land es ſei, wohin
ſie kommen wuͤrden. Aber in eben dem Au-
genblikke wurde ihre Freude in das groͤßte
Schrekken verwandelt.


Puf!
[53]

Puf! ging's, und alle die auf dem Ver-
dekke waren, kriegten einen ſo ſtarken Schup,
daß ſie zu Boden fielen.


Johannes. Was war's denn?


Vater. Das Schif war auf eine Sand-
bank
gerant, und ſaß in dem Augenblikke ſo
feſt, als wenn es angenagelt geweſen waͤre.
Gleich darauf ſprizten die ſchaͤumenden Wellen
ſo viel Waſſer auf das Verdek, daß Alle nach
den Huͤtten und Kajuͤten fluͤchten muſten, um
nicht fortgeſpuͤhlt zu werden.


Nun erhob ſich ein Winſeln und Wehkla-
gen unter dem Schifsvolke, daß es einen
Stein haͤtte erbarmen moͤgen! Einige bete-
ten, andere ſchrien; einige rungen verzwei-
flungsvol die Haͤnde, andere ſtanden ſtar und
ſteif, wie todte Leichnahme. Unter den Leztern
befand ſich Robinſon, der mehr todt, als
lebendig war.


Ploͤzlich hieß es: das Schif waͤre gebor-
ſten! Dieſe ſchrekliche Nachricht gab allen
wieder neues Leben. Man lief hurtig aufs
D 3
Ver-
[54] Verdek; ließ in groͤſter Geſchwindigkeit das
Boot hinab, und alle ſprangen hinein.


Es waren aber der Menſchen ſo viele, daß
das Boot kaum eine Hand hoch Bord be-
hielt, da ſie hinein geſprungen waren. Das
Land war noch ſo weit entfernt, und der
Sturm ſo heftig, daß Jederman es fuͤr un-
moͤglich hielt, die Kuͤſte zu erreichen. Indeß
thaten ſie doch ihr moͤglichſtes durch Rudern, und
der Wind trieb ſie gluͤklicher Weiſe Landwaͤrts.


Ploͤzlich ſahen ſie eine berghohe Welle
dem Bote nachrauſchen. Alle erſtarten vor
dem ſchreklichen Anblikke, und lieſſen die Ru-
der fallen. Jezt, jezt nahete der ſchrekliche
Augenblik heran! Die ungeheure Welle er-
reichte das Boot; das Boot ſchlug um, und
— alle verſanken im wuͤthenden Meere! —


Hier hielt der Vater ein; die ganze Ge-
ſelſchaft blieb ſchweigend ſizen, und vielen ent-
fuhr ein mitleidiger Seufzer. Endlich erſchien
die Mutter mit einem laͤndlichen Abendbrod,
und machte den wehmuͤtigen Empfindungen ein
Ende.


Drit-
[55]

Dritter Abend.


Gotlieb.


Iſt denn Robinſon nun wirklich todt,
lieber Vater?


Vater. Wir haben ihn geſtern in der
augenſcheinlichſten Lebensgefahr verlaſſen. Er
verſank, da das Boot umſchlug, mit allen
ſeinen Gefaͤhrten im Meer. — Aber eben die-
ſelbe gewaltige Welle, die ihn verſchlungen
hatte, riß ihn mit ſich fort, und ſchleuderte
ihn gegen den Strand. Er ward ſo heftig
gegen ein Felſenſtuͤk geworfen, daß der Schmerz
ihn aus dem Todesſchlummer, worin er ſchon
verſunken war, wieder erwekte. Er ſchlug die
Augen auf und da er ſich unvermuthet auf dem
Trokkenen ſah, ſo wandte er ſeine lezten Kraͤfte
an, um den Strand vollends hinauf zu klim-
men.


D 4
Es
[56]

Es gelang ihm; und nun ſank er kraft-
los hin, und blieb eine ziemliche Zeitlang
ohne Bewuſtſein liegen.


Da endlich ſeine Augen ſich wieder oͤfne-
ten, richtete er ſich auf und ſchaute umher.
Gott, welch ein Anblik! Von dem Schiffe,
von dem Bote, von ſeinen Gefaͤhrten war
nichts, nichts mehr zu ſehen, als einige los-
geriſſene Bretter, die von dem Meereswogen
nach dem Strande hingetrieben wurden. Nur
er, nur er allein war dem Tode entgangen.


Vor Freud' und Schrekken zitternd warf
er ſich auf die Knie, hob ſeine Haͤnde gen
Himmel, und dankte mit lauter Stimme,
und unter einem Strom von Traͤnen, dem
Herrn des Himmels und der Erde, der ihn
ſo wunderbar errettet hatte. —


Johannes. Aber warum mogte Gott
auch wohl den Robinſon allein erretten, da
er die andern Leute alle ertrinken ließ?


Vater. Lieber Johannes, biſt du wohl
im Stande, jedesmahl die Urſachen einzuſe-
hen, warum wir Erwachſene, die wir euch
herz-
[57] herzlich lieben, dies oder jenes mit euch vor-
nehmen?


Johannes. Nein!


Vater. Zum Exempel neulich, da es
ein ſo ſchoͤner Tag war und wir alle gern eine
Luſtreiſe nach den Vierlanden gemacht haͤt-
ten, was that ich da?


Johannes. Ja, da muſte der arme
Nikolas zu Hauſe bleiben, und wir andern
muſten nach Wansbek, und nicht nach den
Vierlanden gehen.


Vater. Und warum war ich denn ſo hart
gegen den armen Nikolas, daß ich ihn nicht
mit laſſen wolte?


Nikolas. Ach! ich weiß noch wohl!
Da kam bald unſer Bromlei und hohlte mich
ab zu meinen Eltern, die ich lange nicht geſe-
hen hatte.


Vater. Und machte dir das nicht mehr
Freude, als eine Luſtreiſe nach den Vierlanden?


Nikolas. O viel, viel mehr!


Vater. Ich wuſte vorher, daß Brom-
lei kommen wuͤrde, und deswegen gebot ich
D 5
dir,
[58] dir, zu Hauſe zu bleiben. — Und du, Jo-
hannes, wen trafſt du in Wansbek an?


Johannes. Meinen lieben Vater und
meine liebe Mutter, die auch da waren.


Vater. Auch davon hatte ich Nachricht,
und deswegen wolte ich daß ihr dasmahl nach
Wansbek und nicht nach den Vierlanden reiſen
ſoltet. Meine Einrichtung wolte euch Allen
damahls gar nicht zu Kopfe; denn ihr wuſtet
meine Urſachen nicht. Aber warum ſagte ich
euch die nicht?


Johannes. Um uns eine unerwartete
Freude zu machen, wenn wir unſere Eltern
zu ſehen kriegten, ohne daß wir es vorher
gewuſt hatten.


Vater. Ganz recht; — nun, Kinder,
meint ihr nicht, daß der große liebe Gott
ſeine Kinder, die Menſchen alle, eben ſo lieb
hat, als wir euch haben?


Gotlieb. O noch wohl lieber!


Vater. Und wißt ihr nicht ſchon laͤngſt,
daß Gott alle Dinge viel beſſer verſteht,
als wir armen bloͤdſichtigen Menſchen, dir
wir
[59] wir ſo ſelten wiſſen, was uns eigentlich gut
iſt?


Johannes. Ja, das glaub ich! Gott
iſt ja auch alwiſſend [und] weiß alles, was
kuͤnftig iſt; das wiſſen wir nicht!


Vater. Da alſo Gott alle ſeine Men-
ſchen ſo vaͤterlich liebt, und da er zugleich ſo
weiſe iſt, daß er allein weiß, was uns im-
mer gut iſt: ſolte er dan wohl nicht auch immer
alles aufs Beſte mit uns machen?


Gotlieb. O ja, ganz gewiß!


Vater. Aber koͤnnen wir wohl immer
die Urſachen einſehen, warum Gott dies oder
jenes ſo und nicht ſo mit uns macht?


Johannes. Da muͤſten wir ja auch
eben ſo alwiſſend und ſo alweiſe, als er, ſein!


Vater. Nun, lieber Johannes, haſt du
jezt Luſt, deine vorige Frage noch einmahl zu
thun?


Johannes. Welche?


Vater. Die: warum Gott den Robin-
ſon
allein errettet, und die Andern alle habe
ertrinken laſſen?


Jo-
[60]

Johannes. Nein!


Vater. Warum nicht?


Johannes. Weil ich jezt einſehe, daß
es eine unverſtaͤndige Frage war?


Vater. Warum eine unverſtaͤndige?


Johannes. Ja, weil Gott am beſten
weiß, warum er etwas thut, und weil wir
das nicht wiſſen koͤnnen!


Vater. Der liebe Gott hatte alſo ohnſtrei-
tig ſeine weiſen und guͤtigen Urſachen, warum
er die ganze Schifsgeſelſchaft umkommen, und
nur den Robinſon allein am Leben lies aber
wir koͤnnen dieſe Urſachen nicht begreifen.
Vermuthen koͤnnen wir wohl ſo etwas, aber
wir muͤſſen uns nie einbilden, daß wir es
getroffen haben.


Gott konte z. E. vorher ſehen, daß den
Leuten, die er ertrinken ließ, ein laͤngeres
Leben mehr ſchaͤdlich, als nuͤzlich ſein wuͤrde;
daß ſie in große Noth gerathen, oder gar,
daß ſie laſterhaft werden wuͤrden: deswegen
nahm er ſie von der Erde weg und fuͤhrte
ihre unſterblichen Selen an einen Ort, wo
ſie
[61] ſie es viel beſſer hatten, als hier. Den Ro-
binſon
aber ließ er vermuthlich deswegen
noch am Leben, damit er durch Truͤbſale erſt
gebeſſert wuͤrde. Denn da er ein guͤtiger
Vater iſt: ſo ſucht er die Menſchen auch durch
Leiden zu beſſern, wenn ſie durch Guͤte und
Nachſicht ſich nicht wollen beſſern laſſen.


Merkt euch dies, meine guten Kinder,
und denkt daran zuruͤk, wenn in eurem kuͤnfti-
gen Leben euch einmahl auch etwas begegnen ſol-
te, wovon ihr nicht werdet begreifen koͤnnen,
warum euer guter himliſcher Vater es ſo uͤber
euch verhengt habe! Dan denket immer bei
euch ſelbſt; „Gott weiß doch beſſer, als ich,
was mir gut iſt; ich wil alſo gern leiden,
was er mir zu ſchikt! Gewiß ſchikt er mir's
deswegen zu, daß ich noch beſſer werden ſol,
als ich bin; das wil ich denn thun, ſo wird
Gott es mir gewiß auch wieder wohl gehen
laſſen!„


Diederich. Dachte Robinſon jezt auch
ſo?


Va-
[62]

Vater. Ja; jezt, da er aus ſo großer
Lebensgefahr errettet war, und da er von
allen Menſchen ſich nun verlaſſen ſah: jezt
fuͤhlte er in dem Innerſten ſeines Herzens,
wie unrecht er gehandelt habe; jezt bat er auf
ſeinen Knien Gott um Vergebung ſeiner Suͤn-
den; jezt ſezte er ſich feſt vor, ſich von gan-
zem Herzen zu beſſern und nie wieder etwas
zu thun, wovon er wuͤßte, daß es nicht recht
waͤre.


Nikolas. Aber was fieng er denn nun
an?


Vater. Da die Freude uͤber ſeine gluͤk-
liche Errettung voruͤber war, fieng er an, uͤber
ſeinen Zuſtand nachzudenken. Er ſahe ſich
umher: aber da war nichts, als Gebuͤſch
und Baͤume! Nirgends erblikte er etwas,
woraus er haͤtte vermuthen koͤnnen, daß die-
ſes Land von Menſchen bewohnt ſei.


Das war nun ſchon ein ſchreklicher Ge-
danke fuͤr ihn, daß er ſo ganz allein in einem
fremden Lande leben ſolte. Aber wie ſtanden ihm
nicht erſt die Hare zu Berge, da er nun weiter
dach-
[63] dachte: wie? wenn es hier wilde Thiere oder
wilde Menſchen gaͤbe, vor denen du keinen
Augenblik ſicher wareſt?


Frizchen. Giebt's denn auch wilde Men-
ſchen, Vater?


Johannes. I ja, Friz! Haſt du das
noch nicht gehoͤrt? Es giebt weit — o wer
weiß wie weit von hier! ſolche Menſchen, die
ſo wild, wie das Vieh ſind!


Gotlieb. Die faſt ganz nakt gehen;
ſtelle dir mahl vor, Frizchen!


Diederich. Ja, und die nichts verſte-
hen; die keine Haͤuſer bauen, keinen Garten
pflanzen, kein Feld beakkern koͤnnen!


Lotte. Und die ungekochtes Fleiſch eſſen
und rohe Fiſche; ich habe es wohl gehoͤrt!
Nicht wahr, Vater, haſt du's uns nicht er-
zaͤhlt?


Johannes. Ja und was meinſt du
wohl, die armen Menſchen wiſſen gar nicht,
wer ſie erſchaffen hat, weil ſie niemahls einen
Lehrer gehabt haben, der's ihnen ſagte!


Di-
[64]

Diedrich. Deswegen ſind ſie auch ſo
barbariſch! Denke mahl, einige von ihnen
eſſen ſo gar Menſchenfleiſch!


Frizchen. Fi! die garſtigen Menſchen!


Vater. Die ungluͤklichen Menſchen! wol-
teſt du ſagen. Ungluͤks genug fuͤr die armen
Schelme, daß ſie ſo dum und ſo viehiſch auf-
gewachſen ſind!


Frizchen. Kommen die auch wohl hier
her?


Vater. Nein; die Laͤnder, wo es noch
jezt einige von dieſen armen Menſchen giebt,
ſind ſo weit von hier, daß niemahls welche
zu uns kommen. Auch werden ihrer immer
weniger, weil die andern geſitteten Menſchen,
die dahin kommen, ſich Muͤhe geben, ſie auch
klug und artig zu machen.


Diederich. Lebten denn auf dem Lande,
wo jezt Robinſon war, ſolche wilde Men-
ſchen?


Vater. Das wuſte er noch nicht. Aber
da er einmahl gehoͤrt hatte, daß es auf den
Inſeln in dieſer Weltgegend dergleichen gaͤbe:
ſo
[65] ſo dachte er, es koͤnte wohl ſein, daß da, wo
er ſich jezt befand, auch welche waͤren; und
daruͤber war er in ſo großer Angſt, daß ihm
alle Glieder am Leibe zitterten.


Gotlieb. Das glaube ich! Es waͤre auch
gewiß kein Spaß, wenn welche da waͤren!


Vater. Vor Furcht und Angſt getraute
er ſich anfangs nicht aus der Stelle zu gehen.
Das geringſte Geraͤuſch erſchrekte ihn und
machte, daß er zuſammen fuhr.


Endlich fing er an einen ſo heftigen Durſt
zu fuͤhlen, daß ers nicht mehr aushalten konte.
Er ſah ſich alſo gezwungen, herum zu gehen,
um eine Quelle oder einen Bach zu ſuchen.
Gluͤklicher Weiſe fand er eine ſchoͤne klare
Quelle, aus der er nach Herzensluſt ſich la-
ben konte. O was ein Trunk friſches Waſſer
fuͤr eine Wohlthat iſt fuͤr den, der von Durſt
gequaͤlt wird!


Robinſon dankte Gott dafuͤr, und hofte,
daß er ihm auch Speiſe verleihen wuͤrde.
Der die Voͤgel unter dem Himmel fuͤttert,
E
dacht'
[66] dacht' er, der wird mich ja auch nicht verhun-
gern laſſen!


Zwar Hunger ſpuͤrte er eben nicht, weil
die Angſt und der Schrekken ihm allen Appe-
tit benommen hatten. Aber deſtomehr ſehnte
er ſich nach Ruhe. Er war ſo ermattet von
Allem, was er gelitten hatte, daß er kaum
mehr auf den Fuͤßen ſtehen konte.


Allein wo ſolte er nun die Nacht uͤber
bleiben? Auf der Erde, und unter freien Him-
mel? Aber da koͤnten wilde Menſchen oder
Thiere kommen und ihn auffreſſen! Ein Haus,
oder eine Huͤtte, oder eine Hoͤle — waren
nirgends zu ſehen. Er ſtand lange Zeit ganz
troſtlos und wuſte nicht, was er thun ſolte.


Endlich dachte er, er wolte es, wie die
Voͤgel machen, und ſich auf einen Baum ſe-
zen. Er fand auch bald einen, der ſo dikke
Aeſte hatte, daß er bequem darauf ſizen, und
mit den Ruͤkken ſich anlegen konte. Auf die-
ſen kletterte er hinauf, verrichtete ein andaͤch-
tiges Gebeth zu Gott, ſezte ſich dan zurecht,
und ſchlief augenbliklich ein.


Im
[67]

Im Schlafe traͤumte er von Allem, was
ihm den Tag vorher begegnet war. Dan ka-
men ihm ſeine Eltern vor. Es war ihm, als
ſaͤhe er ſie, von Gram und Kummer abge-
haͤrmt, wie ſie um ihn trauerten, ſeufzten,
weinten, die Haͤnde raͤngen und ſich nicht wol-
ten troͤſten laſſen. Der kalte Schweiß drang
ihm aus allen Gliedern. Er ſchrie laut: „ ich
bin da, ich bin da, liebſte Eltern!„ und in-
dem er ſo rief, wolte er ſeinen Eltern in die
Arme fallen, machte eine Bewegung im
Schlaf, und ſtuͤrzte jaͤmmerlich vom Baume
herab!


Lotte. O der arme Robinſon!


Gotlieb. Nun iſt er wohl todt?


Vater. Gluͤklicher Weiſe hatte er nicht
hoch geſeſſen, und der Boden war ſo ſehr mit
Gras bewachſen, daß er nicht gar zu unſanft
nieder fiel. Er fuͤhlte nur einige Schmerzen
an der Seite, auf die er gefallen war; aber
da er im Traum vielmehr gelitten hatte, ſo
achtete er dieſer Schmerzen nicht. Er klet-
terte vielmehr wieder auf den Baum, und
E 2
blieb
[68] blieb da ſo lange ſizen, bis die Sonne auf-
ging.


Nun ſtelte er Ueberlegungen an, wo er
was zu eſſen hernehmen wuͤrde. Alles was
wir in Europa haben, fehlte ihm. Er hatte
kein Brod, kein Fleiſch, keine Gartengewaͤchſe,
keine Milch; und wenn er auch etwas zu ko-
chen oder zu braten gehabt haͤtte, ſo fehlte
es ihm doch an Feuer, am Bratſpieß und
an Toͤpfen. Alle Baͤume, die er bisher ge-
ſehen hatte, waren von der Art, die man
Kampeſchenbaͤume nent: die keine Fruͤchte,
ſondern nur Blaͤtter trugen.


Johannes. Was ſind das fuͤr Baͤume?


Vater. Es ſind Baͤume, deren Holz
man zu allerlei Faͤrbereien braucht. Sie wach-
ſen in einigen Gegenden von Amerika, und
werden haͤufig nach Europa verfahren. Wenn
das Holz davon in Waſſer gekocht wird, ſo
wird das Waſſer ſchwarzroͤthlich, und das
brauchen den die Faͤrber um andere Farben
damit zu ſchattiren.


Aber wieder zu unſerm Robinſon!


Ohne
[69]

Ohne zu wiſſen, was er machen ſolte,
ſtieg er von dem Baume herab. Da er den
ganzen vorigen Tag nichts genoſſen hatte: ſo
fing der Hunger an, ihm entſezlich weh zu
thun. Er lief einige tauſend Schritte umher:
aber Alles, was er fand, waren unfruchtbare
Baͤume und Gras.


Seine Angſt war jezt aufs hoͤchſte geſtie-
gen. „Ich werde vor Hunger ſterben muͤſ-
ſen! „ rief er aus und weinte laut gen Him-
mel. Indes gab die Noth ihm Muth und
Kraͤfte, laͤngſt dem Strande hinzulaufen, um
zu ſehen, ob er nicht irgendwo etwas Eßbares
finden wuͤrde.


Aber umſonſt! Nichts, als Kampeſchen
und indianiſche Weidenbaͤume, nichts, als
Gras und Sand! Mat und ohnmaͤchtig warf
er ſich mit dem Geſicht auf die Erde, weinte
laut, und wuͤnſchte, daß er doch lieber moͤgte
ertrunken ſein, als nun ſo jaͤmmerlich vor
Hunger ſterben zu muͤſſen!


Er hatte ſchon beſchloſſen, in dieſer troſt-
loſen Lage den langſamen und ſchreklichen Tod
E 3
des
[70] des Hungers zu erwarten, als er ſich zufaͤlli-
ger Weiſe umkehrte, und einen Seefalken er-
blikte, der mit einem gefangenen Fiſche durch
die Luft flog. Ploͤzlich fielen ihm die Worte
ein, die er irgendwo einmahl geleſen hatte:


Der Gott, der Raben naͤhrt, wird Men-

ſchen nicht verſtoßen;

Wer groß im Kleinen iſt, wird groͤßer

ſein im Großen.

Er tadelte ſich nun ſelbſt, daß er ſo we-
nig Vertrauen zu der goͤtlichen Vorſehung ge-
habt habe; ſprang augenbliklich vom Boden
auf, und beſchloß ſo weit herum zu gehen, als
ſeine Kraͤfte nur immer reichen wuͤrden. Er
fuhr alſo fort, laͤngſt der Kuͤſte hinzugehen
und nach allen Seiten umher zu blikken,
ob er nicht irgendwo eine Speiſe entdekken
moͤgte.


Endlich ſahe er einige Auſterſchalen im
Sande liegen. Gierig lief er nach dem Orte
hin, und ſuchte ſorgfaͤltig nach, ob er nicht
vielleicht einige volle Auſtern finden moͤgte.
Er
[71] Er fand ſie und ſeine Freude daruͤber war
unausſprechlich.


Johannes. Liegen denn die Auſtern ſo
auf dem Lande?


Vater. Eigentlich nicht. Sie leben
vielmehr im Meere, wo ſie ſich an die Fel-
ſenwaͤnde eine uͤber die andere ankleben, ſo
daß ein ordentlicher kleiner Berg davon ent-
ſteht. Einen ſolchen Haufen nent man denn
eine Auſterbank. Manche Auſter aber
wird von den Wellen losgeſpuͤlt, und von
der Fluth auf den Strand geſchwemt. Wenn
dan die Zeit der Fluth aus iſt, und die Eb-
be
eintrit, ſo bleiben ſie auf dem Troknen
liegen.


Frizchen. Was iſt denn das, die Ebbe
und die Fluth?


Lotte. O weißt du das nicht einmahl!
Das iſt, wenn das Waſſer ſo anſchwilt, und
wieder ablaͤuft.


Frizchen. Was fuͤr Waſſer?


Lotte. I, das Waſſer im Meer!


E 4
Freund
[72]

Freund R. Frizchen, laß dir das von
deinem Bruder Johannes erklaͤren, der wird's
dir wohl deutlich machen koͤnnen.


Johannes. Ich? — Na, ich wil ſehn!
Haſt du nicht bemerkt, daß das Waſſer
in der Elbe zuweilen weiter aufs Land koͤmt,
und denn nach einiger Zeit wieder zuruͤkgeht,
und daß man denn dahin gehen kan, wo
vorher Waſſer war?


Frizchen. O ja, das hab' ich wohl ge-
ſehn!


Johannes. Na, wenn das Waſſer ſo
anlaͤuft, daß es uͤber die Ufer koͤmt, ſo nent
man das Fluth; wen's aber wieder zuruͤk trit
und das Ufer trokken wird, ſo nent man's
Ebbe.


Vater. Nun muß ich dir ſagen, lieber
Friz, daß das Waſſer im Weltmeer alle vier
und zwanzig Stunden auf dieſe Weiſe zwei-
mahl aufſteigt, und zweimahl wieder nieder-
ſinkt. Sechs Stunden und etwas druͤber
ſchwilt es jedesmahl an, und ſechs Stunden
und etwas druͤber ſinkt es wieder. Jenes
nent
[73] nent man die Zeit der Fluth, dieſes die
Zeit der Ebbe. Verſtehſt du's nun;


Frizchen. O ja! Aber warum ſchwilt
denn das Meer immer auf?


Gotlieb. O ich weiß wohl; das koͤmt
vom Mond, der zieht das Waſſer an ſich,
das es in die Hoͤhe ſteigen muß!


Nikolas. O das haben wir ja ſchon
ſo oft gehoͤrt! Laßt doch Vater weiter er-
zaͤlen!


Vater. Ein andermahl, Frizchen, wil
ich mehr davon mit dir reden.


Robinſon war auſſer ſich vor Freuden,
daß er etwas gefunden hatte, womit er ſei-
nen nagenden Hunger ein wenig ſtillen konte.
Die Auſtern, die er fand, reichten zwar
nicht zu, ihn ganz zu ſaͤtigen, aber er war
zufrieden, daß er nur etwas hatte.


Jezt war ſeine groͤßte Sorge, wo er nun
kuͤnftig wohnen ſolte, um vor wilden Men-
ſchen und vor wilden Thieren geſichert zu
ſein? Sein erſtes Nachtlager hatte ſo viel
Unbequemlichkeiten fuͤr ihn gehabt, daß er
E 5
nicht
[74] nicht ohne Schaudern daran denken konte,
daß er ſeine kuͤnftigen Naͤchte alle auf eben
dieſe Weiſe wuͤrde hinbringen muͤſſen.


Gotlieb. O ich weiß wohl, was ich
gemacht haͤtte!


Vater. Und was dan? Laß doch hoͤren!


Gotlieb. Ja, ich haͤtte mir erſt ein Haus
gebaut mit ſo dikken Waͤnden! und mit dik-
ken eiſernen Thuͤren. Und denn haͤtte ich
einen Graben da herum gemacht mit einer
Zugbruͤkke und die Zugbruͤkke haͤtte ich alle
Abend aufgezogen, und denn ſollten's die Wil-
den wohl bleiben laſſen, daß ſie mir was zu
leide thaͤten, wenn ich ſchliefe.


Vater. Das laͤßt ſich hoͤren! Schade,
daß du nicht dabei wareſt; du haͤtteſt dem
armen Rabinſon ſchon rathen koͤnnen! —
Aber — mir faͤlt doch was ein — haſt du
wohl ſchon recht genau zugeſehen, wie die Zim-
merleute und die Maurer es anfangen, wenn
ſie ein Haus bauen?


Gotlieb. O ja! ſchon ſo oft! Der
Maurer macht erſt Kalk zurechte und ruͤhrt
Sand
[75] Sand darunter. Denn legt er immer einen
Stein auf den Andern und ſchmiert mit ſei-
ner Mauerkelle den Kit dazwiſchen, daß ſie
recht feſt zuſammen halten muͤſſen. Denn kom-
men die Zimmerleute her, und behauen die
Balken mit ihren Beilen und machen, daß
ſie ſo recht in einander paſſen. Darnach win-
den ſie die Balken mit einer Winde oben
auf die Mauer hinauf und nageln immer
einen an den andern. Dann ſaͤgen ſie auch
Bretter und Latten, die ſie auf die Sparren
nageln, um die Dachziegel darauf zu legen.
Und denn —


Vater. Ich ſehe ſchon, du haſt dir's recht
gut gemerkt, wie ſie's machen, ein Haus zu
bauen. Aber der Maurer braucht doch Kalk
und eine Mauerkelle und Bakſteine oder Feld-
ſteine, die erſt behauen werden muͤſſen: und
die Zimmerleute muͤſſen Beile, Saͤgen, Boh-
rer, Nagel, Winkelmaß und Hammer haben.
Wo haͤtteſt du denn die hernehmen wollen,
wenn du in Robinſons Stelle geweſen waͤ-
reſt?


Got-
[76]

Gotlieb. Ja, das weiß ich nicht!


Vater. So gieng es dem Robinſon
auch und deswegen muſte er ſich die Luſt, ein
ordentliches Haus zu bauen, wohl vergehen
laſſen. Er hatte kein einziges Werkzeug, als
ſeine beiden Haͤnde, und damit allein kan
man keine ſolche Haͤuſer bauen, als wir ha-
ben.


Nikolas. I ſo haͤtte er ſich ja nur eine
Huͤtte machen koͤnnen von Zweigen, die er
von den Baͤumen abbrechen konte!


Vater. Und haͤtte eine Huͤtte von Laub-
werk ihn wohl ſchuͤzen koͤnnen gegen Schlan-
gen, Woͤlfe, Panter, Tieger, Loͤwen und an-
dere ſolche wilde Thiere?


Johannes. Hu! — armer Robin-
ſon,
wie wird dir's gehen!


Nikolas. Kont' er denn nicht ſchießen?


Vater. Ja, wenn er nur eine Flinte
und Pulver und Blei gehabt haͤtte! Aber
der arme Schelm hatte ja nichts, wie wir
wiſſen; nichts, gar nichts auf der Welt, als
nur ſeine beiden Haͤnde!


Da
[77]

Da er dieſen ſeinen huͤlfloſen Zuſtand uͤber-
dachte, ſank er auf einmal wieder in ſeine
vorige Bekuͤmmerniß zuruͤk. Was hilft es
mir, dachte er, daß ich dem Tode des Hun-
gers vor jezt entgangen bin, da ich vielleicht
dieſe Nacht von wilden Thieren werde zerriſ-
ſen werden!


Es kam ihm ordentlich vor, als wenn
ſchon ein grimmiger Tieger vor ihm ſtuͤnde,
ſeinen Rachen weit aufſperte, und ihm ſeine
großen ſcharfen Zaͤhne zeigte. Jezt bildete
er ſich ein, er pakke ihn ſchon bei der Gur-
gel, that einen lauten Schrei: „o meine ar-
men Eltern!„ — und ſank kraftlos zu Bo-
den.


Nachdem er eine Zeitlang gelegen und mit
Angſt und Verzweifelung gerungen hatte, fiel
ihm ein Lied ein, welches er ſeine fromme
Mutter manchmahl hatte ſingen hoͤren, wenn
ihr etwas Trauriges begegnet war. Das Lied
faͤngt ſich ſo an:


Wer nur den lieben Gott laͤßt walten,

Und hoffet auf ihn allezeit,

Den
[78]
Den wird er wunderlich erhalten

In allem Kreuz und Herzeleid;

Wer nur den Allerhoͤchſten traut,

Der hat auf keinen Sand gebaut.

Das war eine rechte Herzſtaͤrkung fuͤr
ihn! Er ſagte dieſes ſchoͤne Lied ein Paar mahl
recht innig in Gedanken her; dan fing er an,
es laut zu ſingen; rafte ſich dabei von dem
Boden auf und ging, um zu ſehen, ob er
nicht irgendwo eine Hoͤle finden koͤnte, die
ihm zur ſichern Wohnung diente.


Wo er eigentlich waͤre, — auf dem fe-
ſten Lande von Amerika, oder nur auf einer
Inſel? — das wuſte er noch nicht. Er ſahe
aber von fern einen Berg liegen, und dahin
ging er.


Auf dieſem Wege machte er die traurige
Bemerkung, daß die ganze Gegend nichts als
unfruchtbare Baͤume und Gras trage. Wie
ihm dabei zu Muthe war, koͤnt ihr euch vor-
ſtellen.


Er kletterte auf den Berg, der ziemlich
hoch war, mit Muͤhe hinauf; und nun konte
er
[79] er viele Meilen weit umher ſehen. Da ſahe
er denn mit Schrekken, daß er wirklich auf
einer Inſel waͤre, und daß, ſo weit ſein Au-
ge reichte, nirgends Land erſcheine, ein Paar
kleine Inſeln ausgenommen, die etliche Mei-
len weit von da aus dem Meere hervor ragten.


„Ich armer, armer Menſch! rief er aus
und hob ſeine Haͤnde, die er aͤngſtlich gefal-
tet hatte, gen Himmel. So iſt es alſo
wahr, daß ich von allen Menſchen abgeſon-
dert, von allen verlaſſen bin, und keine Hof-
nung habe, aus dieſer traurigen Einoͤde je-
mahls, jemahls wieder errettet zu werden? O
meine arme bekuͤmmerte Eltern! So werde
ich euch alſo niemahls wieder ſehen! Niemahls
euch um Vergebung meines Fehlers bitten
koͤnnen! Niemahls wieder die liebliche Stim-
me eines Freundes, eines Menſchen, hoͤren! —
Aber ich habe mein Schikſal verdient, fuhr
er fort. Gott, du biſt gerecht in deinen
Schikkungen! Ich darf mich nicht beklagen.
Hab' ich es doch nicht beſſer haben wollen!„


Ge-
[80]

Gedankenlos und wie ein Traͤumender blieb
er auf derſelben Stelle ſtehen und hatte ſeine
ſtarren Blikke auf die Erde geheftet. „Von
Gott und Menſchen verlaſſen!„ das war Al-
les, was er denken konte. — Zum Gluͤk fiel
ihm endlich wieder eine Strofe aus ſeinem
ſchoͤnen Liede bei:


Denk' nicht in deiner Drangſalshize,

Daß du von Gott verlaſſen ſeiſt,

Und daß ihm der im Schooße ſize,

Der ſich mit ſtetem Gluͤkke ſpeiſt!

Die Zukunft aͤndert oft ſehr viel,

Und ſezt der Truͤbſaal Maaß und Ziel.

Er warf ſich mit Inbrunſt auf ſeine Knie
vor Gott, gelobte Geduld und Unterwerfung
in ſeinen Leiden, und bat um Staͤrke zur Er-
tragung derſelben.


Lotte. Das war doch recht gut, daß
der Robinſon ſolche ſchoͤne Lieder wuſte, die
ihn ſo troͤſteten in ſeinem Ungluͤk!


Vater. Freilich war das ſehr gut! Was
wuͤrde aus ihm geworden ſein, wenn er nun
nicht gewuſt haͤtte, daß Gott der alguͤtige,
der
[81] der almaͤchtige und der algegenwaͤrtige Vater
aller Menſchen iſt? Er haͤtte umkommen
muͤſſen vor Angſt und Verzweiflung, wenn
man ihn das nicht gelehrt gehabt haͤtte. Aber
der Gedanke an dieſen himliſchen Vater gab
ihn immer wieder neuen Troſt und Muth,
ſo oft er in ſeinem Jammer vergehen wolte.


Lotte. Wilſt du mich auch noch mehr
von Gott lehren, wie du die Andern gelehrt haſt?


Vater. Gern, mein gutes Kind! So
wie du von Tage zu Tage verſtaͤndiger wer-
den wirſt, werde ich dir auch immer mehr
von unſern lieben Gott erzaͤhlen. Du weiſt,
ich rede von nichts lieber, als von ihm, der
ſo gut und ſo groß und ſo liebevol iſt.


Lotte. O das iſt ſchoͤn! Es iſt mir auch
nichts lieber, als wenn du von Gott mit uns
redeſt. Ich freue mich ſchon recht darauf.


Vater. Haſt auch Urſache, liebe Lotte!
Denn, wenn du Gott erſt recht wirſt kennen
lernen: ſo wirſt du dich noch vielmehr bemuͤ-
hen, ſo ganz gut zu werden, und dan wirſt
du noch vielmehr Freude haben, als jezt. —


F
Ro-
[82]

Robinſon fuͤhlte ſich nun wieder um
vieles geſtaͤrkt und fing jezt an, an dem Ber-
ge herum zu klettern. Lange war ſeine Be-
muͤhung, einen ſichern Ort zu ſeiner Woh-
nung ausfuͤndig zu machen, vergebens. End-
lich kam er zu einem kleinen Berge, der von
der Vorderſeite ſo ſteil, als eine Wand war.
Indem er dieſe Seite deſſelben genauer unter-
ſuchte, fand er eine Stelle, die etwas ausge-
hoͤhlt war, und einen ziemlich ſchmalen Ein-
gang hatte.


Haͤtte er ein Hakeiſen, einen Steinmeiſ-
ſel und andere Werkzeuge gehabt: ſo waͤre
nichts leichter geweſen, als dieſe Hoͤlung, die
zum Theil felſicht war, weiter auszuarbeiten
und ſie zu einer Wohnung geſchikt zu machen.
Aber von allen dieſen Dingen hatte er nichts.
Es war alſo die Frage, wie er den Mangel
derſelben erſezen ſolte?


Nachdem er ſich lange den Kopf daruͤber
zerbrochen hatte, dachte er ſo: „die Baͤume
die ich hier ſehe, ſcheinen wie die Weidenbaͤu-
me in meinem Vaterlande zu ſein, die ſich
leicht
[83] leicht verpflanzen laſſen. Ich wil eine Menge
ſolcher jungen Baͤume mit meinen Haͤnden aus-
graben, und hier vor dieſem Loche einen kleinen
Plaz ſo dicht damit bepflanzen, daß es wie
eine Wand werden ſol. Wenn die denn wie-
der ausſchlagen und wachſen, ſo werde ich in
dieſem Raume ſo ſicher ſchlafen koͤnnen, als
wenn ich in einem Hauſe waͤre. Denn von
hinten beſchuͤzt mich die ſteile Felſenwand und
von vorn her und von den Seiten werden es
die dicht gepflanzten Baͤume thun.„


Er freute ſich uͤber den gluͤklichen Einfal
und lief augenbliklich hin, ihn auszufuͤhren.
Zu ſeinem noch groͤſſeren Vergnuͤgen ſahe er
nahe bei dieſem Orte eine ſchoͤne klare Quelle
aus dem Berge hervorſprudeln. Er lief zu
ihr hin, um ſich erſt durch einen friſchen
Trunk zu erquikken, weil er bei dem Herum-
laufen in der brennenden Sonnenhize ſehr
durſtig geworden war.


Gotlieb. War's denn ſo heiß auf der
Inſel?


F 2
Va-
[84]

Vater. Das kanſt du denken! Sieh hier
(auf die Charte zeigend) liegen die Karibi-
ſchen Inſeln,
wovon diejenige, auf welcher
Robinſon jezt lebte, vermuthlich eine war.
Nun ſiehſt du, dieſe Inſeln ſind nicht gar
weit mehr von da weg, wo man ſagt, daß
man unter der Linie ſei, und wo die Son-
ne den Leuten zuweilen grade uͤber den Koͤp-
fen ſteht. Es muß da alſo wohl ſchon ſehr
heiß ſein.


Er grub nun einige junge Baͤume auf ei-
ne ſehr muͤhſame Weiſe mit ſeinen Haͤnden
aus, und trug ſie an den Ort, den er zu ſei-
ner Wohnung beſtimt hatte. Hier muſte er
nun wieder ein Loch krazen um die Baͤume
dahin zu pflanzen, und weil dies Alles ſehr
langſam von ſtatten ging: ſo ruͤkte der Abend
heran, indeß er kaum erſt mit fuͤnf oder ſechs
Baͤumen zu Stande gekommen war.


Der Hunger trieb ihn an, erſt wieder
nach der Kuͤſte zu gehen, um ſich abermahls
einige Auſtern zu ſuchen. Allein ungluͤklicher
Weiſe war grade die Zeit der Fluth. Er
fand
[85] fand alſo nichts, und muſte ſich bequemen fuͤr
dasmahl hungrig zu Bette zu gehen.


Und wo? — Er hatte beſchloſſen, ſo lan-
ge auf dem Baume zu uͤbernachten, bis er
mit einer ſichern Wohnung wuͤrde zu Stan-
de gekommen ſein. Dahin ging er alſo.


Um aber dieſe Nacht nicht wieder eben
das Schikſal zu haben, was er in der vori-
gen Nacht gehabt hatte, band er ſich mit ſei-
nen Strumpfbaͤndern um die Bruſt herum
an dem Aſte feſt, der ihm zur Ruͤklehne dien-
te. Dan empfahl er ſich ſeinem Schoͤpfer
und ſchlief ruhig ein.


Johannes. Das machte er klug!


Vater. Die Noth lehrt uns vieles,
was wir ſonſt nicht wiſſen wuͤrden. Eben
deswegen hat ja auch der gute Gott die Er-
de und uns ſelbſt ſo eingerichtet, daß wir
mancherlei Beduͤrfniſſe haben, die wir erſt
durch Nachdenken und allerlei Erfindungen be-
friedigen muͤſſen. Dieſen Beduͤrfniſſen alſo
haben wir es zu verdanken, daß wir klug und
verſtaͤndig werden. Denn wenn uns die ge-
bratenen Tauben in den Mund floͤgen; wenn
F 3
Haͤu-
[86] Haͤuſer, Betten, Kleider, Speiſe und Trank
und alles Andere, was wir zur Erhaltung
und zur Bequemlichkeit des Lebens noͤthig ha-
ben, ſo ganz von ſelbſt und ſchon ganz fertig
aus der Erde hervorwuͤchſen; ſo wuͤrden wir
ſicherlich weiter nichts thun, als eſſen, trin-
ken und ſchlafen; und dan wuͤrden wir bis
an unſern Tod ſo dum bleiben, als das liebe
Vieh.


Nikolas. Das hat alſo der liebe Gott
recht gut gemacht, daß er nicht Alles ſo aus
der Erde hervorwachſen laͤßt.


Vater. So wie er alles Andere in der
Welt auch gut und weiſe eingerichtet hat! —
Aber ſeht doch dort den lieben ſchoͤnen Abend-
ſtern! Wie er ſo freundlich auf uns herab
funkelt! Auch den hat unſer Vater im Him-
mel geſchaffen, dem wir nun noch unſern
Dank fuͤr den abermahls verlebten angeneh-
men Tag zu bringen haben. — Komt, Kin-
der! laßt uns Hand in Hand gelegt zu jener
Laube gehn!


Vier-
[87]

Vierter Abend.


Vater.


Nun, Kinder, wo blieben wir denn geſtern
mit unſerm Robinſon?


Johannes. Er war wieder auf den
Baum geklettert, um da zu ſchlafen, und —


Vater. Ganz recht, ich bin ſchon da! —
Nun fuͤr dasmahl gings beſſer; er fiel nicht
wieder herab, ſondern ſchlief geruhig bis an
den Morgen.


Mit Anbruch des Tages lief er erſt nach
dem Strande, um einige Auſtern zu ſuchen,
und dan wieder an ſeine Arbeit zu gehen.
Er nahm diesmahl einen andern Weg dahin
und hatte unterwegens die Freude, einen
Baum anzutreffen, an dem groſſe Fruͤchte
hingen. Er wuſte zwar nicht, was es fuͤr
welche ſein moͤgten; aber er hofte doch, daß
F 4
ſie
[88] ſie eßbar waͤren, und ſchlug alſo eine davon
herab.


Es war eine dreiekkichte Nuß, wie ein
kleiner Kinderkopf groß. Die aͤuſſerſte Scha-
le war faſericht und wie aus Hanf gemacht.
Die andere Schale hingegen war faſt ſo hart
als eine Schildkroͤtenſchale, und Robinſon
ſahe bald, daß er ſie ſtatt eines Napfes wuͤr-
de brauchen koͤnnen. Dieſe Schale iſt ſo ge-
raͤumig, daß der kleine amerikaniſche Affe,
Sagoin genant, zuſamt ſeinem langen
Schwanze darin wohnen kan. Der Kern
war ungemein ſaftig, und ſchmekte, wie ſuͤße
Mandeln, und in der Mitte deſſelben, wel-
che hohl war, fand er eine ſehr wohl ſchmek-
kende ſuͤſſe Milch. Das war einmahl eine
Mahlzeit fuͤr unſern ausgehungerten Robin-
ſon!


Sein leerer Magen war mit einer Nuß
noch nicht befriediget; er ſchlug alſo noch eine
zweite ab, die er mit eben ſo groſſem Appe-
tite verzehrte. Vor Freude uͤber dieſen Fund
trat
[89] trat ihm eine Traͤne in die Augen, die er
dankbar gen Himmel weinte.


Der Baum war ziemlich groß und hing
vol von Fruͤchten. Aber leider! war er nur
der einzige in dieſer Gegend!


Gotlieb. Was mogte denn das fuͤr ein
Baum ſein? Hier ſind ja keine ſolche.


Vater. Es war ein Kokusbaum, de-
ren es vornemlich da in Oſtindien und hier
auf den Inſeln des groſſen Suͤdmeers giebt.
Wie dieſer auf Robinſons Inſel mogte ge-
kommen ſein, daß kan ich euch nicht ſagen.
Auf den amerikaniſchen Inſeln pflegt es ſonſt
dergleichen nicht zu geben.


Ohngeachtet Robinſon nun geſaͤtiget war:
ſo lief er doch nach dem Strande, um zu ſe-
hen, wie es heute um die Auſtern ſtuͤnde.
Hier fand er zwar wieder einige; aber doch
bei weitem nicht genug, um eine volkommene
Mahlzeit davon halten zu koͤnnen. Er hatte
alſo groſſe Urſache Gott zu danken, daß er
ihm heute ein anderes Nahrungsmittel hatte
F 5
fin-
[90] finden laſſen. Und das that er denn auch
wirklich mit ſehr geruͤhrtem Herzen.


Die gefundenen Auſtern nahm er ſich mit
zum Mittagseſſen, und nun kehrte er mit
freudigen Muthe zu ſeiner geſtrigen Arbeit
zuruͤk.


Er hatte am Strande eine große Muſchel-
ſchale gefunden, die er ſtat eines Spatens
brauchte. Dadurch ward ihm ſeine Arbeit
ſchon um vieles leichter. Nicht lange nach-
her entdekte er eine Pflanze, deren Stengel
ſo faſericht war, als bei uns der Flachs und
der Hanf ſind. Zu einer andern Zeit wuͤrde
er auf ſo etwas gar nicht geachtet haben;
jezt aber war ihm nichts gleichguͤltig. Er un-
terſuchte Alles und dachte uͤber Alles nach,
ob er nicht irgend einigen Nuzen daraus zie-
hen koͤnte?


In der Hofnung, daß dieſe Pflanze ſich
eben ſo wie Flachs oder Hanf wuͤrde bearbei-
ten laſſen, riß er eine Menge davon aus,
band ſie in kleine Buͤndel, und legte ſie ins
Waſſer. Da er nach einigen Tagen merkte,
daß
[91] daß die grobe aͤuſere Schale vom Waſſer weich
genug gebeizt ſei, nahm er die Buͤndel wie-
der heraus und ſpreitete die erweichten Sten-
gel an der Sonne aus. Kaum waren ſie
hinlaͤnglich getroknet, ſo machte er einen Ver-
ſuch, ob ſie ſich nun auch eben ſo, wie der
Flachs, durch Huͤlfe eines groſſen Stoks wuͤr-
den boken und brechen laſſen. Und ſiehe!
es gelang ihm.


Von dem Flachſe, welches er daraus ge-
wan, machte er ſogleich einen Verſuch, kleine
Strikke zu drehen. Dieſe wurden nun frei-
lich nicht ſo feſt, als diejenigen ſind, die bei
uns der Seiler drehet: weil er kein Drehrad
und keinen Gehuͤlfen hatte. Indeß waren
ſie doch ſtark genug, um ſeine große Muſchel
damit an einem Stokke feſt zu binden, wodurch
er denn ein Werkzeug kriegte, welches einem
Spaten ziemlich aͤhnlich ſah.


Nun ſezte er ſeine Arbeit fleißig fort, und
pflanzte Baum bei Baum, bis er endlich den
kleinen Raum vor ſeiner kuͤnftigen Wohnung
voͤllig eingezaͤunt hatte. Da ihm aber eine
ein-
[92] einzige Reihe ſchlanker Baͤume noch keine
ſichere Schuzmauer zu ſein ſchien: ſo ließ er
ſich die Muͤhe nicht verdrieſſen, noch eine
zweite Reihe um die erſte herum zu pflan-
zen. Dan durchflocht' er beide Reihen mit
gruͤnen Zweigen und endlich gerieth er gar
auf den Einfal, den Zwiſchenraum zwiſchen
den beiden Reihen mit Erde auszufuͤllen. Da-
durch entſtand nun eine ſo feſte Wand, daß
ſchon eine recht groſſe Gewalt wuͤrde erfodert
worden ſein, um ſie zu durchbrechen.


Alle Abend und alle Morgen begoß er
ſeine kleine Pflanzung mit Waſſer aus der
nahen Quelle. Zum Waſſergefaͤß diente ihm
die Kokusſchale. Bald hatte er auch die
Freude zu ſehen, daß die jungen Baͤume aus-
ſchlugen und gruͤnten, daß es eine rechte Luſt
war, ſie anzuſehen.


Da er mit ſeiner Einzaͤunung faſt voͤllig
fertig war, wandte er einen ganzen Tag dazu
an, viele und ſtarke Strikke zu drehen. Von
dieſen machte er, ſo gut er konte, eine Strik-
leiter.


Die-
[93]

Diderich. Wozu denn die?


Vater. Wirſt es gleich hoͤren. — Er
war Willens ganz und gar keine Tuͤr zu ſei-
ner Wohnung zu machen, ſondern auch die
lezte noch uͤbrige Oefnung zu zupflanzen.


Diderich. Wie wolte er denn aber hin-
ein und heraus kommen?


Vater. Dazu ſolte ihn eben die Strik-
leiter dienen. Der Fels nemlich uͤber ſeiner
Wohnung war ungefaͤhr zwei Stokwerke hoch.
Oben ſtand ein Baum. Um dieſen legte er
ſeine Strikleiter und ließ ſie bis zu ſich herun-
ter haͤngen. Er verſuchte darauf, ob er dar-
an hinauf klettern koͤnte, und es gelang ihm
nach Wunſche.


Da dis Alles fertig war, ſo uͤberlegte er
nun, wie er es wohl anzufangen habe, um
die kleine Hoͤlung des Berges noch weiter aus-
zuarbeiten, damit ſie groß genug wuͤrde, ihm
zur Wohnung zu dienen. Mit ſeinen bloſſen
Haͤnden, ſahe er wohl, wuͤrde es nicht ge-
hen! Was war alſo zu thun? Er muſte ſu-
chen,
[94] chen, ſich irgend ein Werkzeug ausfindig zu
machen, das ihm dazu behuͤlflich waͤre.


In dieſer Abſicht ging er hin nach einem
Orte, wo er viele gruͤne Steine, die man
Talkſteine nent, und die ſehr hart ſind,
hatte liegen geſehen. Da er unter denſelben
ſorgfaͤltig ſuchte, fand er zuerſt einen, bei deſ-
ſen Anblik ihm vor Freuden das Herz im
Leibe klopfte.


Es war nemlich dieſer Stein ordentlich
wie ein Beil geſtaltet; es ging vorn ſcharf zu
und hatte ſo gar ein Loch, um einen Stiel
hinein zu ſtekken. Robinſon ſahe gleich,
daß er ſich ein ordentliches Beil daraus wuͤrde
machen koͤnnen, wenn er nur das Loch ein
wenig erweiterte. Hiermit kam er durch
Huͤlfe eines andern Steins nach langer Arbeit
endlich gluͤklich zu Stande. Dan ſtekte er ei-
nen dikken Stok zum Stiel hinein und band
ihn mit ſelbſt gedrehten Bindfaden ſo feſt,
als wenn er waͤre eingenagelt geweſen.


Er verſuchte darauf ſogleich ob er nicht
einen jungen Stam damit abhauen koͤnte; und
ſeine
[95] ſeine Freude uͤber den gluͤklichen Erfolg dieſes
Verſuchs war unausſprechlich. Man haͤtte
ihm tauſend Thaler fuͤr dieſes Beil bieten
koͤnnen, und er wuͤrde es nicht dafuͤr gegeben
haben; ſo viel Nuzen verſprach er ſich davon!


Indem er weiter ſuchte unter den Steinen
fand er noch zwei, die ihm gleichfals ſehr
brauchbar zu ſein ſchienen. Der Eine war
ohngefaͤhr wie ſo ein Kloͤpfel geformt, als
die Steinhauer und die Tiſchler brauchen.
Der Andere hatte die Geſtalt eines kurzen
dikken Pruͤgels und ging unten ſpizig zu, wie
ein Keil. Auch dieſe beiden nahm Robin-
ſon
mit und lief nun freudig nach ſeiner
Wohnung hin, um ſich ſogleich in Arbeit zu
ſezen.


Das Werk ging treflich von ſtatten. In-
dem er den ſpizigen keilfoͤrmigen Stein an
das Erdreich und an die Felſenſtuͤkke ſezte,
und mit dem Kloͤpfel darauf ſchlug, loͤſte er
ein Stuͤk nach dem andern ab und erweiterte
auf dieſe Weiſe die Hoͤle. In einigen Ta-
gen war er ſo weit damit gekommen, daß er
den
[96] den Plaz fuͤr groß genug hielt, um ihn zur
Wohnung und zur Schlafſtelle zu dienen.


Er hatte ſchon vorher eine Menge Gras
mit den Haͤnden ausgerauft, und es an die
Sonne gelegt, um Heu daraus zu machen.
Dieſes war nun hinlaͤnglich gedoͤrt. Er trug
es alſo in ſeine Hoͤle, um ſich ein bequemes
Lager davon zu machen.


Und nun hinderte ihn nichts mehr, ein-
mahl wieder auf eine menſchliche Weiſe, nem-
lich liegend, zu ſchlafen, nachdem er uͤber acht
Naͤchte, wie die Voͤgel, auf einem Baume
hatte ſizen muͤſſen. O was das fuͤr eine
Wolluſt fuͤr ihn war, ſeine ermatteten Glie-
der ſo der Laͤnge nach auf einen weichen Heu-
lager auszuſtrekken! Er dankte Gott dafuͤr
und dachte bei ſich ſelbſt: o wenn doch meine
Landsleute in Europa wuͤſten, wie es thut,
wenn man viele Naͤchte hinter einander auf
einem harten Aſte ſizend zubringen muß:
gewiß, ſie wuͤrden ſich gluͤklich ſchaͤzen, daß
ſie alle Abend ſich auf ein weiches und ſiche-
res Lager ſtrekken koͤnnen, und wuͤrden nicht
ver-
[97] vergeſſen, auch fuͤr dieſe Wohlthat Gott taͤg-
lich Dank zu bringen!


Der folgende Tag war ein Sontag. Ro-
binſon
widmete ihn der Ruhe, dem Gebet und
dem Nachdenken uͤber ſich ſelbſt. Stundenlang
lag er auf ſeinen Knien, die betraͤnten Augen
gen Himmel gerichtet, und flehete zu Gott
um Vergebung ſeiner Suͤnden und um See-
gen und Troſt fuͤr ſeine armen Eltern. Dan
dankte er Gott mit Freudentraͤnen fuͤr die
wunderbare Huͤlfe, die er ihm in ſeinem ver-
laſſenen Zuſtande hatte wiederfahren laſſen und
gelobte taͤgliche Beſſerung ſeiner Selbſt, und
beſtaͤndigen kindlichen Gehorſam an. —


Lotte. Nun iſt er doch ein viel beſſerer
Robinſon, als er vorher war!


Vater. Das wuſte der liebe Gott wohl
vorher, daß er ſich beſſern wuͤrde, wenn's ihm
ungluͤklich ginge; und deswegen ſchikte er ihm
eben dieſes Leiden zu! So macht's der guͤtige
himliſche Vater immer mit uns. Nicht aus
Zorn, ſondern aus Liebe, laͤßt er's uns zu-
G
weilen
[98] weilen uͤbel gehen, weil er weiß, daß wir
ſonſt nicht gut werden wuͤrden.


Um die Folge der Tage nicht zu vergeſſen,
und um immer zu wiſſen, welcher Tag ein
Sontag ſei, war Robinſon darauf bedacht,
ſich einen Kalender zu machen.


Johannes. Einen Kalender?


Vater. Freilich keinen ſo genauen und
auf Papier gedrukten, als man in Europa
machen kan, aber doch einen, nach dem er die
Tage zaͤhlen koͤnte.


Johannes. Und wie machte er denn
das?


Vater. Da er kein Papier und keine
Schreibmaterialien hatte: ſo ſuchte er ſich vier
neben einander ſtehende Baͤume aus, die eine
glatte Rinde hatten. In den groͤſten von
ihnen grub er alle Abend mit einem ſcharfen
Steine einen kleinen Strich ein, welcher je-
desmahl einen zuruͤk gelegten Tag bedeutete.
So oft er nun ſieben Striche gemacht hatte,
war eine Woche geendiget; und dan ſchnit
er in den naͤchſten Baum einen Strich ein,
wel-
[99] welcher eine Woche bedeutete. So oft er
in dieſem zweiten Baume vier Striche ge-
macht hatte, bezeichnete er in dem dritten
Baume durch einen aͤhnlichen Strich, daß ein
ganzer Monat verfloſſen waͤre. Und wenn
endlich dieſer Monatszeichen zwoͤlf geworden
waren: ſo merkte er in dem vierten Baume
an, daß nun ein ganzes Jahr geendiget ſei.


Diderich. Aber die Monate ſind ja
nicht alle gleich lang! Die Einen haben ja
dreiſſig, die andern ein und dreiſſig Tage:
wie wuſte er denn immer wie viel Tage jeder
habe?


Vater. Das wuſte er an den Fingern
abzuzaͤhlen.


Johannes. An den Fingern?


Vater. Ja; und wenn ihr wolt, ſo wil
ich euch das auch lehren.


Alle. O ja! o ja, lieber Vater!


Vater. Nun, ſo gebt Achtung! — Seht,
er machte ſo die linke Hand zu; dan ſtipte er
mit einem Finger der andern Hand erſt auf
einen dieſer hervorragenden Knoͤchel, dan in
G 2
die
[100] die dabei befindliche Grube, und nante dabei
die Monate in der Ordnung, wie ſie auf ein-
ander folgen. Jeder Monat der auf einen
Knoͤchel faͤlt, hat ein und dreiſſig Tage, die an-
dern aber, die in die Gruͤbchen fallen, haben
nur dreiſſig, den einzigen Februar ausgenom-
men, der nicht einmahl dreiſſig, ſondern nur
acht und zwanzig, und alle vier Jahre neun
und zwanzig Tage hat.


Er fing aber mit dem Knoͤchel des Zeige-
fingers an und nante indem er darauf ſtipte
den erſten Monat im Jahr, nemlich den Jen-
ner.
Der hat alſo, wie viel Tage?


Johannes. Ein und dreiſſig.


Vater. Nun wil ich fortfahren, die
Monate auf dieſe Weiſe an den Knoͤcheln ab-
zuzaͤhlen, und du, Johannes, magſt jedes-
mahl die Zahl der Tage nennen. — Alſo
zweitens: Februar!


Johannes. Solte 30 Tage haben, hat
aber nur 28 und zuweilen 29.


Vater. Maͤrz.


Johannes. Ein und dreiſſig.


Va-
[101]

Vater. April.


Johannes. Dreiſſig.


Vater. Mai!


Johannes. Ein und dreiſſig.


Vater. Junius!


Johannes. Dreiſſig.


Vater. Julius.


Johannes. Ein und dreiſſig.


Vater. Auguſt! (Auf den Knoͤchel des
Daums zeigend.)


Johannes. Ein und dreiſſig.


Vater. September.


Johannes. Dreiſſig.


Vater. Oktober.


Johannes. Ein und dreiſſig.


Vater. November!


Johannes. Dreiſſig.


Vater. December.


Johannes. Ein und dreiſſig Tage?


Vater. Diderich, haſt du immer im
Kalender nachgeſehen, ob unſere Angabe rich-
tig war?


G 3
Di-
[102]

Diderich. Ja, es traf Alles auf ein
Haar ein!


Vater. Dergleichen Dinge muß man ſich
merken, weil man nicht immer einen Kalen-
der zur Hand hat, und einem doch manchmahl
daran gelegen iſt, zu wiſſen, wie viel Tage
jeder Monat habe.


Johannes. O ich werd' es nicht ver-
geſſen!


Diderich. Ich auch nicht; ich hab' es
mir wohl gemerkt!


Vater. Auf dieſe Weiſe alſo ſorgte un-
ſer Robinſon dafuͤr, daß er die Zeitrechnung
nicht verloͤre, und immer wuͤſte, welcher Tag
ein Sontag waͤre, um ihn, wie die Chriſten,
feiern zu koͤnnen.


Unterdeß hatte er den groͤſten Theil der
Kokusnuͤſſe von dem einzigen Baume, den er
bisher entdekt hatte, ſchon verzehrt, und
die Auſtern wurden ſo ſparſam ausgeworfen,
daß er von ihnen allein nicht leben konte.
Er fing alſo wieder an fuͤr ſeinen kuͤnftigen
Unterhalt beſorgt zu ſein.


Aus
[103]

Aus Furcht vor wilden Thieren und
Menſchen hatte er ſich bisher noch nicht ſehr
weit von ſeiner Wohnung zu entfernen ge-
wagt. Jezt zwang ihn die Noth, ein Herz
zu faſſen, und ſich etwas weiter auf der In-
ſel umzuſehen, um neue Nahrungsmittel zu
entdekken. In dieſer Abſicht beſchloß er, am
folgenden Tage in Gottes Namen eine kleine
Landreiſe vorzunehmen.


Um ſich aber vor der brennenden Sonnen-
hize zu verwahren, wandte er den Abend da-
zu an, ſich einen Sonnenſchirm zu verfer-
tigen.


Nikolas. Wo nahm er denn Leinewand
und Fiſchbein dazu her?


Vater. Er hatte weder Leinewand, noch
Fiſchbein, weder Meſſer noch Scheere, weder
Nadel noch Zwirn, und doch — was meint
ihr wohl wie ers anfing, um ſich einen Son-
nenſchirm zu machen?


Nikolas. Ja, das weiß ich nicht!


Vater. Er flochte ſich aus Weidenruthen
ein kleines Dach, ſtekte in die Mitte deſſel-
G 4
ben
[104] ben einen Stok, den er mit Bindfaden feſt
band und dan holte er ſich von ſeinem Ko-
kusbaum breite Blatter, die er mit Stekna-
deln
auf dem geflochtenen Dache befeſtigte.


Johannes. Mit Steknadeln? I, wo
kriegt' er denn die her?


Vater. Das rathet einmahl!


Lotte. O ich weiß ſchon! Die hatte er
gefunden unter dem Auskehrigt, und in den
Dielenrizen; ich finde da oft auch welche!


Johannes. Ja, du haſt es ſchoͤn ge-
troffen! Als wenn man Steknadeln finden
koͤnte, wo keiner welche verloren hat! Und
wo waren denn Dielen und Auskehrigt in
Robinſon ſeinem Loche?


Vater. Nun wer raͤht's? — Wie wuͤr-
det ihr es machen, wenn ihr etwas feſt ſtek-
ken woltet, und keine ordentliche Steknadeln
haͤttet?


Johannes. Ich wuͤrde Stacheln vom
Dornbuſch dazu brauchen.


Gotlieb. Und ich vom Stachelbeer-
buſch!


Va-
[105]

Vater. Das laͤßt ſich hoͤren! — Indeß
muß ich euch ſagen, daß Robinſon weder
jene, noch dieſe brauchte, weil er weder Dorn-
buͤſche noch Stachelbeerbuͤſche auf ſeiner Inſel
gefunden hatte.


Johannes. Nun, was braucht' er denn?


Vater. Fiſchgraͤten. Das Meer warf
von Zeit zu Zeit todte Fiſche aufs Land, und
wenn die denn verfault oder von Raubvoͤ-
geln verzehrt waren: ſo blieben die Graͤten
davon liegen. Von dieſen hatte Robinſon
die ſtaͤrkſten und ſpizigſten aufgeleſen, um ſie
ſtat der Steknadeln zu gebrauchen.


Durch Huͤlfe derſelben brachte er einen ſo
feſten Schirm zu Stande, daß kein einziger
Sonnenſtrahl durchfallen konte. So oft ihm
eine ſolche neue Arbeit gluͤkte, hatte er eine
unausſprechliche Freude daruͤber; und dan pfleg-
te er zu ſich ſelbſt zu ſagen: was bin ich doch
in meiner Jugend fuͤr ein groſſer Nar gewe-
ſen, daß ich meine meiſte Zeit mit Muͤſſig-
gang zubrachte! O wenn ich jezt in Europa
waͤre, und alle die vielen Werkzeuge haͤtte,
G 5
die
[106] die man da ſo leicht haben kan: was wolte
ich nicht alles machen! Was ſolte mir das
fuͤr Freude ſein, die meiſten Dinge, die ich
noͤthig haͤtte, ſelbſt zu verfertigen!


Da es noch nicht ſehr ſpat am Tage war:
ſo fiel ihm ein, ob er nicht auch einen Beu-
tel machen koͤnte, worin er etwas zu leben
mitnaͤhme, und worin er dasjenige zuruͤktruͤ-
ge, was er etwa ſo gluͤklich waͤre an neuen
Lebensmitteln ausfindig zu machen. Er ſan
eine Zeitlang daruͤber nach und endlich gluͤkte
es ihm, auch dazu Mittel zu finden.


Er hatte nemlich einen ziemlichen Vorrath
Bindfaden verfertiget; von dieſem beſchloß er
ein Nez zu ſtrikken, und aus dem Neze eine
Art von Jaͤgertaſche zu machen.


Das fing er nun ſo an. An zwei Baͤu-
me, die etwas uͤber eine Elle weit aus ein-
ander ſtanden, knuͤpfte er einen Faden unter
den andern, und zwar ſo dicht, als moͤglich.
Dies ſolte das ſein, was bei dem Weber der
Aufzug iſt. Dan knuͤpfte er von oben her-
unter wiederum einen Faden neben dem an-
dern
[107] dern gleichfals ſo dicht, als moͤglich; und zwar
machte er mit dieſen herunter gehenden Faden
um jeden Querfaden einen Knoten, recht ſo,
wie es bei dem Filetmachen geſchieht. Dieſe
herunter gehenden Faden waren alſo der Ein-
ſchlag.
Und ſo brachte er bald ein Nez zu
Stande, das einem feinen Fiſcherneze glich.
Er loͤſete darauf die Enden von den Baͤumen
ab, ſchuͤrzte ſie auf der einen Seite und un-
ten zuſammen, und ließ nur die obere Seite
offen. Und ſo hatte er alſo eine ordentliche
Jagdtaſche gemacht, die er durch Huͤlfe eines
dikken Bindfadens, den er an den oberſten
Enden befeſtigte, um den Hals hengen konte.


Vor Freude uͤber den gluͤklichen Erfolg
ſeiner Bemuͤhungen konte er faſt die ganze
Nacht hindurch nicht ſchlafen.


Gotlieb. O ich moͤgte mir auch gern
eine ſolche Jaͤgertaſche machen.


Nikolas. Ich auch; aber wenn wir nur
Bindfaden haͤtten!


Mutter. Wenn ihr eben ſo viel Freude,
als Robinſon, an eurer Arbeit haben wol-
tet:
[108] tet: ſo muͤſtet ihr auch erſt euch den Bind-
faden ſelbſt machen, und auch ſelbſt erſt den
Flachs oder den Hanf zubereiten. Aber da dieſe
noch nicht reif ſind auf dem Felde, ſo wil ich
euch wohl Bindfaden dazu geben.


Gotlieb. O wilſt du das, liebe Mut-
ter?


Mutter. Gern, wenn ihr es wuͤnſcht.
Kom, wir wollen welchen holen.


Gotlieb. O das iſt praͤchtig!


Lotte. Das iſt recht gut, Kinder, daß
ihr das nachmacht. Wenn ihr denn auch ein-
mahl auf eine Inſel komt, wo keine Men-
ſchen ſind: ſo wißt ihr ſchon, wie ihr es ma-
chen muͤßt. Nicht wahr, Vater?


Vater. Ganz recht; macht nur! — Un-
ſern Robinſon werden wir denn wohl bis
Morgen muͤſſen ſchlafen laſſen! — Ich wil
unter der Zeit ſehen, ob ich ihm nicht die
Kunſt, einen Sonnenſchirm zu machen, abler-
nen kan.


Fuͤnf-
[109]

Fuͤnfter Abend.


Am folgenden Abend, da die Geſelſchaft an
dem gewoͤhnlichen Orte ſich wieder verſamlet
hatte, kam Nikolas mit einer von ihm ſelbſt
verfertigten Jagdtaſche einher ſtolziert, wodurch
er Aller Augen auf ſich zog. Stat des Son-
nenſchirms hatte er ſich von der Koͤchin einen
Sieb geliehen, den er uͤber ſeinem Kopfe auf
einem Stokke trug. Sein ganzer Aufzug
war ſehr ernſthaft und majeſtaͤtiſch.


Mutter. Bravo, Nikolas! Das haſt
du gut gemacht! Es fehlte nicht viel, daß
ich dich fuͤr den wahren Robinſon genom-
men haͤtte.


Johannes. Ich habe nur noch nicht fer-
tig werden koͤnnen mit meiner Taſche; ſonſt
waͤre ich auch ſo gekommen!


Gotlieb. So geht's mir auch!


Va-
[110]

Vater. Schon gut, daß Einer damit
fertig geworden iſt: nun ſehn wir doch, daß
es geht! Aber dein Schirm, Nikolas, taugt
nichts!


Nikolas. Ja, ich habe ihn auch nur
aus Noth gemacht, weil ich keinen andern
ſo geſchwind fertig kriegen konte!


Vater. (Der einen von ihm ſelbſt ge-
machten Schirm hinter der Hekke vorlangt)
Was ſagſt du hierzu, Freund Robinſon?


Nikolas. Ah! der iſt ſchoͤn!


Vater. Ich hebe ihn ſo lange auf, bis
wir unſere Geſchichte ausgehoͤrt haben. Wer
denn von den Dingen, die Robinſon mach-
te, am meiſten wird nachmachen koͤnnen, der
ſol unſer Robinſon ſein und dem wil ich den
Sonnenſchirm ſchenken.


Gotlieb. Sol der ſich denn auch ordent-
lich eine Huͤtte bauen?


Vater. Warum nicht?


Alle. O das iſt exzellent! Das iſt praͤch-
tig!


Va-
[111]

Vater. Robinſon konte kaum den Tag
erwarten; er ſtand noch eher auf, als die
Sonne, und machte ſich zu ſeiner Reiſe fer-
tig. Er hing die Taſche um; guͤrtete einen
Strik um ſeinen Leib, ſtekte ſein Beil, ſtat
eines Degens, daran, nahm den Sonnenſchirm
auf die Schulter und wanderte darauf getroſt
fort.


Zuerſt beſuchte er ſeinen Kokusbaum, um
eine oder ein Paar Nuͤſſe in ſeinen Beutel
zu ſtekken; dan lief er auch erſt an den
Strand, um einige Auſtern dazu zu ſuchen;
und da er ſich mit beiden nothduͤrftig verſorgt
und einen guten Trunk friſches Waſſer aus
ſeiner Quelle zum Fruͤhſtuͤk genoſſen hatte:
ſo marſchierte er ab.


Es war ein reizender Morgen. Die Son-
ne ſtieg jezt eben in ihrer ganzen Klarheit,
wie aus dem Meere, hervor, und vergoldete
die Gipfel der Baͤume. Tauſend kleine
und groſſe Voͤgel von wunderbaren Farben
ſangen ihr erſtes Morgenlied und freuten ſich
des neuen Tages. Die Luft war ſo rein
und
[112] und ſo erquikkend, als wenn ſie jezt eben erſt
von Gott waͤre geſchaffen worden, und aus
den Kraͤutern und Blumen duftete der ſuͤſ-
ſeſte Wohlgeruch empor.


Robinſons Herz ſchwol auf von Freude
und Dankbarkeit gegen Gott. Auch hier,
ſagte er zu ſich ſelbſt, auch hier zeigt er ſich,
als den Alguͤtigen! — Dan vermiſchte er
ſeine Stimme mit dem Geſange der Voͤgel
und ſang laut das ſchoͤne Morgenlied:


Dein erſtes Werk ſei Preis und Dank,

Du neugeſtaͤrkte Sele!

Der Herr hoͤrt deinen Lobgeſang,

O preiſ' ihn, meine Sele!

Mich ſelbſt zu ſchuͤzen viel zu ſchwach,

Lag ich und ſchlief in Frieden.

Wer war indeſſen fuͤr mich wach?

Wer ſchenkte Schlaf mir Muͤden?

Du biſt es, Herr und Gott der Welt,

Dein, dein iſt unſer Leben;

Du biſt es, der es uns erhaͤlt,

Und mir's jezt neu gegeben.

Gelo-
[113]
Gelobet ſeiſt du, Gott der Macht,

Gelobt ſei deine Treue,

Daß ich, nach einer ſanften Nacht,

Mich dieſes Tags erfreue.

Laß deinen Seegen auf mir ruhn,

Mich deine Wege wallen;

Und lehre du mich ſelber thun

Nach deinem Wohlgefallen.

Nim meines Lebens ferner wahr

Auf dich hoft meine Sele;

Sei du mein Retter in Gefahr,

Mein Vater, wenn ich fehle.

Gib mir ein Herz vol Froͤmmigkeit,

Vol warmer Menſchenliebe;

Ein Herz daß ſich mit Freudigkeit

In jedem Guten uͤbe.

Daß ich, als dein gehorſam Kind,

Nach wahrer Tugend ſtrebe;

Und nicht, durch Leidenſchaften blind,

Den Laſtern mich ergebe.

H
Daß
[114]
Daß ich, dem Naͤchſten beizuſtehn,

Beſchwerlichkeit nie ſcheue;

Mich gern an andrer Wohlergehn

Und ihrer Tugend freue.

Daß ich das Gluͤk der Lebenszeit

Dir dankbar, froh genieſſe,

Und meinen Lauf mit Freudigkeit

Wenn du gebeutſt, beſchlieſſe.*)

Gotlieb. O lieber Vater, wilſt du mir
wohl dies Lied abſchreiben, daß ichs alle Mor-
gen fuͤr mich leſen kan, wenn ich aufſtehe?


Vater. Sehr gern!


Fr. R. Und ich wil euch die Melodie
dazu lehren: ſo koͤnnen wir es vor dem Mor-
gengebete ſingen.


Nikolas. O das iſt gut! Es iſt ein
gar zu ſchoͤnes Lied!


Va-
[115]

Vater. Da Robinſon ſich noch immer
vor wilden Menſchen und vor wilden Thieren
fuͤrchtete: ſo vermied er bei ſeiner Wanderung,
ſo ſehr er nur immer konte, die dichten Waͤl-
der und Gebuͤſche, und wandte ſich vielmehr
nach ſolchen Gegenden, die ihm eine freie
Ausſicht nach allen Seiten hin gewaͤhrten.
Aber dieſe waren grade die unfruchtbarſten
Theile ſeiner Inſel. Er war daher ſchon
ziemlich weit gegangen, ohne etwas zu finden,
welches ihm haͤtte nuͤzlich werden koͤnnen.


Endlich fiel ihm ein Gewaͤchs in die Au-
gen, welches er naͤher unterſuchen zu muͤſſen
glaubte. Es waren kleine Krautbuͤſche, die
neben einander ſtanden und wie einen kleinen
Wald ausmachten. An einigen ſahe er roͤth-
liche, an andern weiſſe Blumen und an noch
andern fanden ſich, ſtat der Blumen, kleine
gruͤnliche Aepfelchen, von der Groͤſſe einer
Kirſche.


Er biß hurtig einen derſelben an, aber
fand, daß ſie nicht genießbar waͤren. Aus Un-
willen daruͤber riß er den Buſch, von dem
H 2
er
[116] er ſie gepfluͤkt hatte, aus und wolte ihn weg-
werfen, als er zu ſeiner Verwunderung an
der Wurzel der Stengel allerlei kleine und
große Knollen haͤngen ſah. Er vermuthete
augenbliklich, daß dieſe Knollen die eigentliche
Frucht der Pflanze waͤren, und fing an, ſie
zu unterſuchen.


Aber mit dem Einbeiſſen wolte es ihm
abermahls nicht gelingen. Das Gewaͤchs war
hart und unſchmakhaft. Robinſon war
ſchon im Begrif, ſie wegzuwerfen: aber zum
Gluͤk fiel ihm ein, daß eine Sache doch wohl
zu etwas gut ſein koͤnne, ohngeachtet man
ihren Nuzen nicht ſogleich bemerkt. Er ſtekte
alſo einige dieſer Knollen in ſeine Jagdtaſche
und ging weiter.


Johannes. Ich weiß ſchon, was das
fuͤr Knollen waren?


Vater. Nun, was fuͤr welche meinſt du
denn wohl?


Johannes. J, es waren Kartoffeln!
Die wachſen ja grade ſo, wie ſie hier beſchrie-
ben werden!


Di-
[117]

Diderich. Und die ſind ja auch in Ame-
rika eigentlich zu Haus!


Gotlieb. Ach ja, da hat ſie ja der
Franz Drake hergebracht! — Aber das war
doch dum, daß Robinſon die nicht einmahl
kante!


Vater. Woher kenſt du ſie denn?


Gotlieb. J, weil ich ſie ſo oft geſehen
und gegeſſen habe; ſie ſind ja meine Leib-
ſpeiſe!


Vater. Aber Robinſon hatte ſie nie
geſehen und nie gegeſſen.


Gotlieb. Nicht?


Vater. Nein; weil ſie damahls in
Deutſchland noch gar nicht bekant waren.
Erſt ohngefaͤhr ſeit 40 Jahren ſind ſie bei
uns eingefuͤhrt und es iſt wohl ſchon 200 Jahr
her, daß unſer Robinſon lebte.


Gotlieb. Ja denn —


Vater. Siehſt du, lieber Gotlieb, daß
man unrecht thut, wenn man ſo voreilig iſt,
andere Leute zu tadeln? Man muß ſich im-
mer erſt ſelbſt ganz in ihre Stelle ſezen und
H 3
ſich
[118] ſich dan erſt fragen: ob man's beſſer gemacht
haben wuͤrde, als ſie? Haͤtteſt du auch nie-
mahls Kartoffeln geſehen und haͤtteſt du nie-
mahls gehoͤrt, wie man ſie zubereiten muͤſſe:
ſo wuͤrdeſt du anfangs eben ſo, wie Robin-
ſon,
nicht wiſſen, was damit zu machen ſei?
Laß dir dieſen Umſtand zur Warnung dienen,
dich nie wieder fuͤr kluͤger, als andere Men-
ſchen, zu halten.


Gotlieb. Kuͤſſe mich, Vaͤterchen! Wil's
nicht mehr thun. —


Vater. Von da ging Robinſon nun
weiter; jedoch ſehr langſam und mit groſſer
Vorſichtigkeit. Jedes Geraͤuſch, welches der
Wind zwiſchen Baͤumen und Buͤſchen verur-
ſachte, erſchrekte ihn und machte, daß er nach
ſeinem Beil grif, um ſich zu vertheidigen,
wenn's noͤthig waͤre. Aber immer ſahe er
zu ſeiner Freude, daß er ſich ohne Urſache ge-
fuͤrchtet habe.


Endlich kam er an einen Bach, wo er
ſein Mittagsbrod zu verzehren beſchloß. Hier
ſezte er ſich unter einen dikken ſchattigten
Baum,
[119] Baum, und fing ſchon an nach Herzensluſt
zu ſchmauſen — als er ploͤzlich wieder durch
ein fernes Geraͤuſch entſezlich erſchrekt ward.


Er ſahe aͤngſtlich umher und bemerkte end-
lich eine ganze Heerde. —


Nikolas. Ah! gewiß Wilde!


Gotlieb. Oder Loͤwen und Tieger!


Vater. Keine von beiden! ſondern eine
ganze Heerde wilder Thiere, die einige Aehn-
lichkeit mit unſern Schafen hatten, nur, daß
ſie auf dem Ruͤkken einen kleinen Hoͤkker tru-
gen, und dadurch einem Kamele aͤhnlich wur-
den. Sie waren uͤbrigens nicht viel groͤſſer,
als ein Schaf.


Wenn ihr wiſſen wolt, was das fuͤr Thie-
re waren und wie ſie genant werden, ſo wil
ichs euch wohl ſagen.


Johannes. O ja!


Vater. Man nent ſie Lama's, auch wohl
Guanako's.
Ihr eigentliches Vaterland iſt die-
ſer Theil von Amerika (auf die Karte zeigend) der
den Spaniern gehoͤrt, und den man Peru nent.
Hier hatten die Amerikaner, ehe die Euro-
H 4
paͤer
[120] paͤer ihr Land entdekten, dieſes Thier zahm
gemacht und brauchten es, wie einen kleinen
Eſel zum Laſttragen. Von der Wolle deſſel-
ben wuſten ſie ſich Zeug zu Kleidern zu ma-
chen.


Johannes. Die Leute von Peru mu-
ſten alſo wohl nicht mehr ſo wild ſein, als
die andern Amerikaner?


Vater. Bei weiten nicht! Sie wohnten,
ſo wie auch die Mexikaner, (hier in dem
noͤrdlichen Amerika!) in ordentlichen Haͤuſern,
hatten praͤchtige Tempel gebaut und wurden
ordentlich von Koͤnigen beherſcht.


Gotlieb. Iſt das nicht das Land, wo
die Spanier das viele Gold und Silber her-
kriegen, was ſie alle Jahr auf der Silber-
flotte
aus Amerika holen, wie du uns er-
zaͤhlt haſt?


Vater. Das nemliche! — Da Robin-
ſon
dieſe Thiere, die wir nun auch Lama's
nennen wollen, herannahen ſahe: regte ſich
bei ihm ein ſtarker Appetit nach einem Stuͤk
Braten, wovon er nun ſchon in ſo langer Zeit
nicht
[121] nicht gekoſtet hatte. Er wuͤnſchte alſo eins
derſelben zu erlegen, ſtelte ſich daher mit ſei-
nem ſteinernen Beil dicht an den Baum, und
hofte daß eins derſelben vielleicht ſo nahe bei
ihm vorbei kommen wuͤrde, daß er es mit
dem Beile treffen koͤnte.


Es geſchahe. Die ſorgenloſen Thiere, die
hier vermuthlich niemahls waren geſtoͤhrt wor-
den, gingen ohne alle Furcht bei dem Bau-
me, hinter welchen Robinſon ſich verſtekt hat-
te, vorbei nach dem Waſſer und da eins der-
ſelben und zwar ein Junges, ihm ſo nahe
kam, daß er es erreichen konte, ſchlug er ihm
mit ſeinem Beile ſo nachdruͤklich in den Nak-
ken, daß es augenbliklich todt zur Erde ſtuͤrzte.


Lotte. O ſi! Wie konte er nun auch
das thun? Das arme Schaͤfchen!


Mutter. Und warum ſolte er's denn
nicht thun?


Lotte. Ja, das arme Thierchen hatte
ihm ja nichts zu Leide gethan; ſo haͤtte er's
ja auch koͤnnen leben laſſen!


H 5
Mut-
[122]

Mutter. Aber er brauchte ja das Fleiſch
dieſes Thiers, um davon zu eſſen: und weißt
du nicht, daß Gott uns erlaubt hat, die
Thiere zu brauchen, wozu wir ſie noͤthig ha-
ben?


Vater. Ohne Noth ein Thier zu toͤd-
ten, oder zu quaͤlen, oder auch nur zu beun-
ruhigen, waͤre grauſam; und das wird auch
kein guter Menſch zu thun im Stande ſein.
Aber ſie zu brauchen, wozu ſie gut ſind, ſie
zu ſchlachten, um ihr Fleiſch zu eſſen, iſt uns
unverwehrt. Wißt ihr nicht mehr, wie ich
euch einmahl erklaͤrt habe, daß es ſo gar fuͤr
die Thiere ſelbſt gut iſt, daß wir es ſo mit
ihnen machen?


Johannes. Ach ja, wenn wir die Thie-
re nicht brauchten, ſo wuͤrden wir auch nicht
fuͤr ſie ſorgen, und dan wuͤrden ſie es lange
nicht ſo gut haben, als jezt, und denn wuͤr-
den des Winters viele von ihnen vor Hunger
ſterben muͤſſen!


Diderich. Ja, und ſie wuͤrden vielmehr
leiden muͤſſen, wenn ſie nicht geſchlachtet wuͤr-
den,
[123] den, ſondern an Krankheiten und vor Alter
ſtuͤrben; weil ſie ſich einander nicht ſo helfen
koͤnnen, als die Menſchen ſich einander helfen!


Vater. Und dan, ſo muͤſſen wir auch
nicht glauben, daß der Tod, den wir den Thie-
ren anthun, ihnen ſo viel Schmerz verurſa-
che, als es uns wohl vorkoͤmt. Sie wiſſen nicht
vorher, daß ſie geſchlachtet werden ſollen, ſind
daher ruhig und zufrieden bis auf den lezten
Augenblik, und die Empfindung des Schmer-
zes, waͤhrend daß ſie getoͤdtet werden, iſt
bald voruͤber.


In dem Augenblikke, da Robinſon das
junge Lama erſchlagen hatte, fiel ihm erſt die
Frage ein: wie er nun mit der Zubereitung
des Fleiſches wuͤrde zu Stande kommen koͤnnen?


Lotte. I kont' ers denn nicht kochen
oder braten?


Vater. Das haͤtte er gern gethan; aber
es fehlte ihm ungluͤklicher Weiſe an Allem,
was er dazu noͤthig hatte. Er hatte keinen
Topf und keinen Bratſpieß, und, was das
Schlimſte war, — er hatte nicht einmahl Feuer?


Lotte.
[124]

Lotte. Kein Feuer? — Das haͤtte er
ſich ja anmachen koͤnnen!


Vater. Freilich, wenn er Stahl und
Zunder, einen Feuerſtein und Schwefelhoͤlzer
gehabt haͤtte! Aber von allen dieſen hatte er
nun grade nichts!


Johannes. Ich weiß wohl, wie ichs
gemacht haͤtte!


Vater. Und wie denn?


Johannes. Ich haͤtte zwei Stuͤkchen
troknes Holz ſo lange an einander gerieben,
bis ſie in Brand gerathen waͤren; ſo wie wir ein-
mahl in der Reiſebeſchreibung laſen, daß die
Wilden es machten.


Vater. Grade darauf verfiel unſer Ro-
binſon
auch! Er nahm alſo das getoͤdtete
Lama auf ſeine Schultern und machte ſich da-
mit auf den Weg, um wieder nach ſeiner
Wohnung zuruͤk zu kehren.


Auf ſeinem Ruͤkwege machte er noch eine
Entdekkung, die ihm groſſe Freude verurſach-
te. Er traf nemlich ſechs bis acht Zitro-
nenbaͤume
an, unter denen ſchon verſchiede-
ne
[125] ne abgefallene reife Fruͤchte lagen. Er las ſie
ſorgfaͤltig auf, merkte ſich den Plaz, auf dem
dieſe Baͤume ſtanden, und eilte nun ſehr ver-
gnuͤgt zuruͤk nach ſeiner Wohnung.


Hier war ſeine erſte Arbeit, dem jungen
Lama das Fel abzuziehen. Durch Huͤlfe ei-
nes ſcharfen Steins, den er ſtat eines Meſ-
ſers brauchte, kam er damit zu Stande. Das
Fel ſpante er, ſo gut er konte, an der Son-
ne aus, um es zu troknen, weil er voraus
ſahe, daß er davon einen guten Gebrauch
wuͤrde machen koͤnnen.


Johannes. Was konte er denn davon machen?


Vater. O vielerlei! Erſtlich fingen ſeine
Schuh und ſeine Struͤmpfe ſchon an zu [reiſ-
ſen]
. Da dachte er nun, wenn er keine Schu-
he mehr haͤtte, ſo koͤnte er ſich von dem Felle
Fußſolen machen, und ſie unter die Fuͤße
binden, daß er doch nicht ganz baarfuß zu ge-
hen brauchte. Dan war ihm auch nicht we-
nig bange vor dem Winter und er freute ſich
daher ſehr, daß er nun ein Mittel wuͤſte ſich
mit Pelzwerk zu verſorgen, um nicht erfrieren
zu duͤrfen.


Zwar
[126]

Zwar dieſer Sorge haͤtte er fuͤglich koͤn-
nen uͤberhoben ſein, weil es in dieſer Gegend
niemahls Winter wurde.


Gotlieb. Niemahls Winter?


Vater. Nein! In allen den heiſſen Him-
melsgegenden hier zwiſchen den beiden Wen-
dezirkeln,
die ich euch neulich erklaͤrt habe,
pflegt es niemahls Winter zu werden. Da-
fuͤr aber haben dieſe Laͤnder ein Paar Mona-
te lang ein unaufhoͤrliches Regenwetter. —
Doch davon wuſte unſer Robinſon noch
nichts, weil er in ſeiner Jugend ſich nicht or-
dentlich hatte unterrichten laſſen.


Johannes. Aber, Vater, ich meine
doch, daß wir einmahl geleſen haben, daß der
hohe Spizberg auf Teneriffa und die hohen
Cordilleras in Peru immer mit Schnee be-
dekt ſind? Da muß es ja alſo wohl immer
Winter ſein; und die liegen doch auch zwi-
ſchen den Wendezirkeln?


Vater. Haſt Recht, lieber Johannes
die ſehr hohen bergigten Gegenden machen
eine Ausnahme. Denn auf den Gipfeln ſol-
cher
[127] cher hohen Berge pflegt ein immerwaͤhrender
Schnee zu liegen. Erinnerſt du dich noch,
was ich euch von einigen Gegenden in Oſtin-
dien erzaͤhlte, da wir neulich auf der Land-
karte dahin gereiſet waren?


Johannes. Ach ja, daß da in einigen
Gegenden der Sommer und der Winter nur ein
Paar Meilen weit aus einander ſind! Auf der
Inſel Zeylon, die den Hollaͤndern gehoͤrt
und noch wo — wo war's doch gleich?


Vater. Auf der vorderſten Halbinſel.
Wenn's nemlich diſſeits des Gebirges Gate,
auf der Malabariſchen Kuͤſte Winter iſt,
ſo iſt es jenſeits des Gebirges auf der Kuͤſte
Koromandel Sommer, und ſo umgekehrt.
Eben ſo ſol es ja auch auf der Inſel Zeram
ſein, die zu den Molukkiſchen Inſeln ge-
hoͤrt, wo man nur drei Meilen zu gehen
braucht, um aus dem Winter in den Som-
mer, oder aus dem Sommer in den Winter
zu kommen.


Aber wir haben uns auf einmahl wieder weit
von unſerm Robinſon verſtiegen! Seht,
wie
[128] wie unſer Geiſt durch einen einzigen Sprung
ſich ploͤzlich an Oerter begeben kan, die viel
tauſend Meilen von uns entfernt ſind! Aus
Amerika flogen wir nach Aſien und nun —
gebt Acht! — huſch! da ſind wir wieder in Ame-
rika auf Freund Robinſons Inſel. Iſt das
nicht wunderbar? —


Nachdem er alſo das Fel abgeſtreift, das
Eingeweide ausgenommen, und ein Hinter-
viertel zum Braten abgeſchnitten hatte; war
er nun zunaͤchſt darauf bedacht, einen Bratſpieß
zu machen. Hierzu hieb er einen jungen ſchlan-
ken Baum ab, loͤſte die Rinde davon ab, und
ſpizte ihn an dem einen Ende zu. Dan ſuch-
te er ein Paar gabelfoͤrmige Aeſte aus, wel-
che dem Bratſpieß zu Stuͤzen dienen ſolten.
Nachdem er dieſe gleichfals unten zugeſpizt
hatte, ſchlug er ſie gegen einander uͤber in die
Erde, ſtekte dem Braten an den Spieß, legte
ihn dan in die Gabeln und freute ſich nicht
wenig, da er ſahe, wie gut er ſich umdrehen
ließ.


Nun
[129]

Nun fehlte nur noch das Noͤthigſte von
Allen, das Feuer. Um dieſes durch Reiben
hervorzubringen, hieb er von einem troknen
Stamme zwei Hoͤlzer ab, und ſezte ſich ſo-
gleich in Arbeit. Er rieb, daß ihm der
Schweiß in groſſen Tropfen vom Geſichte
treufelte; allein, es wolte ihm nicht gelin-
gen, ſeine Abſicht zu erreichen. Denn wenn
das Holz ſchon ſo heiß geworden war, daß es
rauchte; ſo befand er ſich ſo ermattet, daß er
nothwendig erſt einige Augenblikke einhalten
muſte, um wieder neue Kraͤfte zu ſamlen.
Daruͤber kuͤhlte denn das Holz ſich immer wie-
der etwas ab, und ſeine vorige Arbeit war
vergeblich geweſen.


Hier fuͤhlte er einmahl wieder recht leb-
haft die Huͤlfloſigkeit des einſamen Lebens und
die groſſen Vortheile, die uns die Geſelſchaft
anderer Menſchen gewaͤhrt. Haͤtte er nur ei-
nen einzigen Gehuͤlfen gehabt, der dau, wenn
er ſelbſt ermattet war, fortgefahren haͤtte zu
reiben: ſo wuͤrde er gewiß mit der Entzuͤndung
I
des
[130] des Holzes zu Stande gekommen ſein. So
aber war es ihm unmoͤglich.


Johannes. Aber ich meine doch, die
Wilden machten ſich Feuer durch das Reiben?


Vater. Das thun ſie auch. Aber das
macht, daß dieſe Wilden gemeiniglich ſtaͤrker
ſind, als wir Europaͤer, die wir gar zu weich-
lich erzogen werden. Und dan, ſo verſtehen
ſie auch beſſer, wie man das Ding angreifen
muͤſſe. Sie nehmen nemlich zwei Hoͤlzer von
verſchiedener Art, ein weiches und ein har-
tes, und reiben das Leztere mit groſſer Ge-
ſchwindigkeit auf dem Erſtern. Dan entzuͤn-
det ſich dieſes. Oder ſie machen auch wohl
in das eine Holz ein Loch, ſtekken das Ande-
re da hinein, und drehen dieſes dan zwiſchen
ihren Haͤnden ſo geſchwind und ſo unaufhoͤr-
lich herum, daß es anfaͤngt zu brennen.


Davon wuſte nun Robinſon nichts; und
alſo wolt's auch damit nicht gelingen.


Traurig warf er endlich die beiden Hoͤl-
zer weg; ſezte ſich auf ſein Lager; ſtuͤzte
ſchwermuͤthig den Kopf auf die Hand; blikte
oft
[131] oft mit einem tiefen Seufzer nach dem ſchoͤ-
nen Braten, der nun ungegeſſen bleiben ſol-
te; und indem er an den bevorſtehenden Win-
ter dachte, und was er alsdan machen wuͤrde,
wenn er kein Feuer haͤtte, uͤberfiel ihn eine ſol-
che Angſt daß er aufſpringen und etwas herum-
gehen mußte, um freier Athem zu holen.


Da ſein Blut dabei in groſſe Wallung ge-
kommen war, ſo ging er nach der Quelle um
ſich einen friſchen Trunk Waſſer in einer Ko-
kusſchale zu holen. Mit dieſem Waſſer ver-
miſchte er den Saft einiger Zitronen, und
erhielt dadurch ein kuͤhlendes Getraͤnk, wel-
ches ihm unter dieſen Umſtaͤnden ſehr zu ſtat-
ten kam.


Immer aber waͤſſerte ihm noch der Mund
nach dem Braten, von dem er gar zu gern
ein Stuͤkchen gegeſſen haͤtte. Endlich erinnerte
er ſich einmahl gehoͤrt zu haben, daß die Ta-
tern,
die doch auch Menſchen ſind, das
Fleiſch, welches ſie eſſen wollen, unter
den Sattel legen und es muͤrbe reiten.
Das, dachte er, muß auf eine andere Weiſe
I 2
ja
[132] ja auch wohl moͤglich ſein; und er beſchloß ei-
nen Verſuch zu machen.


Gedacht, gethan! Er holte ſich zwei ziem-
lich breite und glatte Steine von der Art,
wovon ſein Beil war. Zwiſchen dieſe legte
er eine Porzion Fleiſch, worin kein Knochen
war und fing nun an mit ſeinem Kloͤpfel oh-
ne Unterlaß auf den oberſten Stein zu ſchla-
gen. Er hatte dieſes kaum zehn Minuten
fortgeſezt: ſo fing der Stein an, heiß zu wer-
den. Deſto muntrer ſchlug er darauf los,
und ehe eine halbe Stunde verſtrich, war
das Fleiſch, ſowohl von der Hize des Steins,
als auch von dem unaufhoͤrlichen Schlagen ſo
muͤrbe geworden, daß es volkommen genieß-
bar war.


Freilich ſchmekte es nicht voͤllig ſo gut,
als wenn es ordentlich waͤre gebraten wor-
den: aber fuͤr Robinſon, der ſo lange kein
Fleiſch gegeſſen hatte, war es ein auſſeror-
dentlicher Lekkerbiſſen. — O ihr Lekkermaͤuler
unter meinen Landsleuten, rief er aus, de-
nen oft die beſten Speiſen Ekel verurſachen,
weil
[133] weil ſie grade nicht nach eurem verwoͤhnten
Geſchmakke ſind, waͤret ihr doch nur acht
Tage an meiner Stelle geweſen, wie wuͤrdet
ihr kuͤnftig gern mit jeder Gottesgabe zufrie-
den ſein! Wie wuͤrdet ihr euch huͤten, durch
Verſchmaͤhung irgend einer geſunden Speiſe
euch gegen die alles ernaͤhrende Hand der
Vorſehung undankbar zu bezeigen!


Um den Wohlgeſchmak dieſes Gerichts
noch mehr zu erhoͤhen, druͤkte er Zitronenſaft
darauf; und nun that er eine Mahlzeit, wie
er lange nicht gethan hatte! Auch vergaß er
nicht, dem Geber aller guten Gaben fuͤr die-
ſe neue Wohlthat recht inniglich zu danken.


Nach aufgehobener Tafel ging er mit ſich
ſelbſt zu Rathe, welche Arbeit nun wohl die
noͤthigſte ſei? Die Furcht vor dem Winter,
die heute ſo lebhaft in ihm geworden war,
machte, daß er ſich vorſezte, einige Tage blos
dazu anzuwenden recht viele Lama's zu
fangen oder todt zu ſchlagen, um ſich mit
Fellen zu verſorgen. Da ſie ſo ſehr zahm zu
I 3
ſein
[134] ſein ſchienen, ſo hofte er, daß er ſeinen Wunſch
ohne viele Muͤhe wuͤrde erreichen koͤnnen.


Mit dieſer Hofnung legte er ſich zu Bet-
te, und ein ſanfter erquikkender Schlaf be-
lohnte ihm reichlich jede uͤberſtandene Muͤhe
des volbrachten Tages.


Sechster Abend.


(Der Vater faͤhrt in ſeiner Erzaͤlung fort.)


Unſer Robinſon ſchlief dasmahl bis weit
in den Tag hinein. Er erſchrak, da er er-
wachte, daß es ſchon ſo ſpaͤt waͤre, und raf-
te ſich hurtig auf, ſeinen Weg nach den La-
ma's anzutreten. Aber der Himmel hinderte
ihn daran.


Denn da er den Kopf zu ſeiner Hoͤle
hinausſtrekte, muſte er ihn geſchwind wieder
zuruͤkziehen.


Lot-
[135]

Lotte. Warum denn?


Vater. Es ſtuͤrzte ein ſo gewaltiger
Plazregen herab, daß an kein Ausgehen zu
denken war. Er beſchloß alſo zu warten, bis
der Schauer voruͤber waͤre.


Aber der Schauer ging nicht voruͤber;
der Regenguß wurde vielmehr immer hefti-
ger. Unter durch blizte es ſo ſtark, daß ſei-
ne ſonſt dunkle Hoͤle ganz in Feuer zu ſte-
hen ſchien; und dan folgte ein Donner, der-
gleichen er ſonſt niemahls gehoͤrt hatte. Die
Erde zitterte von dem ganz entſezlichen Kra-
chen, und von den Bergen kehrte ein ſo viel-
facher Wiederhal zuruͤk, daß das fuͤrchterliche
Getoͤſe gar kein Ende nahm.


Weil Robinſon keine gute Erziehung ge-
habt hatte: ſo war ihm auch eine thoͤrigte
Furchtſamkeit vor dem Gewitter eigen.


Gotlieb. Vor dem Donner und Bliz?


Vater. Ja; er fuͤrchtete ſich ſo ſehr
davor, daß er vor Angſt nicht zu bleiben
wuſte.


I 4
Got-
[136]

Gotlieb. I, das iſt ja was Praͤchtiges,
warum fuͤrchtete er ſich denn davor?


Vater. Warum, das weis ich ſelbſt
nicht recht zu ſagen; vermuthlich, weil der
Bliz zuweilen zuͤndet, auch wohl dan und
wan einmahl einen Menſchen toͤdtet.


Johannes. Ja, aber das geſchieht doch
ſo ſelten! Ich kan doch nun ſchon lange den-
ken, und habe noch niemahls geſehen, daß
der Bliz einen todt geſchlagen haͤtte.


Gotlieb. Und wenn er's auch thaͤte,
ſo koͤmt man ja ſo geſchwind von der Welt
und wenn man todt iſt, ſo koͤmt man ja
zum lieben Gott: was thut's denn?


Diderich. Ach, und es iſt doch ſo ſchoͤn,
wenn ein Gewitter iſt! Da kuͤhlt ſich die
heiſſe Luft ſo darnach ab, und es ſieht ſo
ſchoͤn aus, wenn der Bliz aus den ſchwarzen
Wolken heraus faͤhrt!


Lotte. Ich mag das auch gern haben.
Wilſt du uns wieder hinaus fuͤhren, Vaͤter-
chen, wenn ein Gewitter koͤmt, daß wir es
recht anſehen?


Va-
[137]

Vater. O ja! — Robinſon war, wie
ihr wißt, in ſeiner Jugend ſchlecht unterrich-
tet worden; daher wuſte er auch nicht, was
die Gewitter fuͤr eine große Wohlthat Got-
tes ſind; wie die Luft darnach ſo rein wird!
Wie ſie machen, daß auf dem Felde und in
den Gaͤrten Alles noch einmahl ſo gut waͤchſt!
Wie Menſchen und Thiere, Baͤume und
Pflanzen dadurch ſo angenehm erquikt wer-
den! —


Jezt ſaß er in einem Winkel ſeiner Hoͤle
mit gefaltenen Haͤnden, und fuͤhlte Todes-
angſt. Indeß rauſchte der Plazregen, indeß
leuchteten die Blize, indeß bruͤlte der Don-
ner unaufhoͤrlich fort. Schon ruͤkte die Mit-
tagsſtunde heran, und noch hatte das Toben
des Gewitters nicht im geringſten nachge-
laſſen.


Hunger fuͤhlte er nicht; denn den vertrieb
ihm die Angſt, worin er war. Aber deſto
mehr wurde ſeine Sele durch ſchrekliche Ge-
danken gepeiniget. „Die Zeit iſt gekommen,
dachte er, da Gott mich fuͤr meine Verge-
I 5
hungen
[138] hungen wil buͤßen laſſen! Er hat ſeine Va-
terhand von mir abgezogen; ich werde um-
kommen, werde nie meine armen Eltern wie-
der ſehen!„


Freund R. Nun dasmahl bin ich mit
Freund Robinſon doch auch gar nicht zufrieden!


Nikolas. Warum nicht?


Freund R. Warum? Hatt enicht der
liebe Gott ſchon ſo viel an ihm gethan, daß
er wohl aus ſeiner eigenen Erfahrung haͤtte
wiſſen koͤnnen, daß er Niemanden verlaͤßt,
der ihm von Herzen vertraut und aufrichtig
ſich zu beſſern ſucht? Hatte er ihn nicht aus
der augenſcheinlichſten Lebensgefahr gerettet?
Hatte er ihm nicht ſchon ſo weit geholfen,
daß er nicht mehr beſorgen durfte vor Hun-
ger ſterben zu muͤſſen? — Und doch ſo klein-
muͤtig! Fi! das war nicht huͤbſch von ihm!


Mutter. Ich bin Ihrer Meinung, lie-
ber R.; aber laſſen Sie uns Mitleid mit dem
armen Menſchen haben! Er war ja erſt ſeit
kurzen zum Nachdenken gekommen, und konte
daher unmoͤglich ſchon ſo volkommen ſein, als
Einer,
[139] Einer, der ſchon von fruͤher Jugend an ſich
zu beſſern bemuͤht geweſen.


Vater. Haſt Recht, meine Liebe; deine
Hand! und hier einen Kuß fuͤr dein Mitleid
mit meinem armen Robinſon, den ich nun
ſchon ſeit einiger Zeit recht lieb gewonnen ha-
be, weil ich ſehe, daß er auf guten Wegen
iſt.


Indeß er nun ſo in Angſt und Sorgen
da ſaß, ſchien das Gewitter endlich nachzulaſ-
ſen. So wie der Donner ſchwaͤcher ward
und der Regen nach und nach abnahm, wach-
te auch die Hofnung wieder in ſeiner Sele
auf. Jezt glaubte er koͤnne er ſich ſchon auf
den Weg machen; eben wolte er nach ſeiner
Jagdtaſche und nach ſeinem Beile greifen,
als er ploͤzlich — was meint ihr? — be-
taͤubt und ſinlos zu Boden ſtuͤrzte.


Johannes. Nun! was geſchah ihm
denn?


Vater. Rrrrrrrrr — puf! ging es
uͤber ſeinem Kopfe; die Erde bebte und Ro-
binſon
ſtuͤrzte hin, wie ein Todter! Das
Gewit-
[140] Gewitter ſchlug nemlich in den Baum, wel-
cher uͤber ſeiner Hoͤle ſtand, und zerſchmetter-
te ihn mit einem ſo entſezlichen Krachen, daß
dem armen Robinſon Sehen und Hoͤren
verging und daß er ſich einbildete, er waͤre
ſelbſt erſchlagen worden.


Lange blieb er liegen, ohne ſich ſeiner ſelbſt
bewuſt zu ſein. Endlich, da er merkte, daß
er noch lebte, richtete er ſich wieder auf;
und das erſte, was er vor der Thuͤr ſeiner
Hoͤle erblikte, war ein Theil des Baums,
den der Wetterſchlag zerſchmettert und herab
geworfen hatte. Ein neues Ungluͤk fuͤr ihn!
Woran ſolte er nun ſeine Strikleiter befeſti-
gen, wenn der ganze Baum, wie er glaubte,
zerſchlagen war?


Da der Regen indeſſen gaͤnzlich nachgelaſ-
ſen hatte, und auch kein Donner weiter ge-
hoͤrt wurde: ſo wagte er's endlich, hinaus zu
gehen. Und was erblikte er nun?


Etwas, welches ihn auf einmahl wieder
mit Dank und Liebe gegen Gott und mit
tiefer Schaam uͤber ſeine vorige Kleinmuͤthig-
keit
[141] keit erfuͤlte! Nemlich der Stam des Baums,
den der Wetterſchlag getroffen hatte, ſtand
in lichten Flammen. So war alſo ſeinem
groͤſten Beduͤrfniſſe auf einmahl abgeholfen,
und ſo hatte die goͤtliche Vorſehung grade zu
der Zeit am ſichtbarſten fuͤr ihn geſorgt, da
er in ſeiner Aengſtlichkeit ſich einbildete, daß
ſie ihn verlaſſen habe!


Mit unausſprechlichen Empfindungen der
Freude und der Dankbarkeit hob er ſeine Haͤn-
de auf gen Himmel und dankte laut und un-
ter vielen Freudentraͤnen dem guten, dem
alles regierenden Vater der Menſchen, der
auch bei den ſchreklichſten Begebenheiten, die
er zulaͤßt, immer die allerweiſeſten und lieb-
reichſten Abſichten hat. „O! rief er aus,
was iſt doch der Menſch, der arme kurzſich-
tige Wurm, daß er murren duͤrfte uͤber das,
was Gott thut, und was er nicht verſteht!„


Nun hatte er Feuer, ohne daß es ihm
weiter die geringſte Muͤhe gekoſtet haͤtte;
nun war es ihm leicht dieſes Feuer zu unter-
halten; und nun brauchte er wegen ſeiner
kuͤnf-
[142] kuͤnftigen Erhaltung auf dieſer einſamen In-
ſel weniger bekuͤmmert zu ſein. — Die Jagd
wurde fuͤr heute eingeſtelt, weil Robinſon
ſogleich von dem Feuer Nuzen ziehen, und
ſeinen Braten, der noch von geſtern her am
Spieſſe ſtekte, zubereiten wolte.


Da der unterſte Theil des brennenden
Stammes, an welchem ſeine Strikleiter hing,
noch unverlezt war: ſo konte er ſicher hin-
auf ſteigen. Er thats, nahm darauf einen
Feuerbrand, ſtieg mit demſelben hinab in den
eingezaͤunten Vorplaz ſeiner Wohnung, mach-
te daſelbſt ein helles luſtiges Feuer vor ſeinem
Braten an, und kletterte alsdan wieder zu
dem brennenden Stamme hinauf, um das
Feuer auszuloͤſchen. Hiermit kam er auch
bald zu Stande.


Und nun verwaltete er das Amt eines
Kuͤchenjungens, unterhielt das Feuer und
wendete ſeinen Braten fleiſſig. Der Anblik
des Feuers war ihm ungemein erfreulich und
ruͤhrend. Er ſahe es als ein theures Geſchenk
Gottes an, das er ihm aus den Wolken her-
abge-
[143] abgeſandt habe; und indem er die groſſen
Vortheile uͤberdachte, die es ihm gewaͤhren
wuͤrde, ſo waren ſeine Augen oft dankbar gen
Himmel gerichtet. So oft er nachher Feuer
ſahe, oder an Feuer dachte, war ſein zweiter
Gedanke immer: auch das hat mir Gott
gegeben!


Freund B. Kein Wunder, daß einige
arme unwiſſende Menſchen, die niemahls un-
terrichtet wurden, auf den Gedanken gerie-
then, daß das Feuer, wodurch Alles, was
auf Erden lebt, erhalten wird, Gott ſelbſt
ſei!


Johannes. Haben das einige Leute ge-
glaubt?


Freund B. Ja! — Gotlob! daß wir beſ-
ſer unterrichtet ſind, und wiſſen, daß das
Feuer nicht ſelbſt Gott, ſondern, ſo wie das
Waſſer, die Erde und die Luft, Wohlthaten
Gottes ſind, die er um unſerntwillen erſchaf-
fen hat!


Vater. Bei ſeiner geſtrigen Abendmahl-
zeit hatte Robinſon in dem Geſchmakke des
muͤrbe
[144] muͤrbe geſchlagenen Fleiſches das Salz ver-
mißt. Er hofte mit der Zeit auf ſeiner In-
ſel etwas zu finden; fuͤr jezt aber lief er nur
hin nach dem Strande, um ſich eine Kokus-
ſchale vol Meerwaſſer zu holen. Mit dieſem
begoß er einige mahl ſeinen Braten; und
ſalzte ihn dadurch nothduͤrftig


Jezt ſchien er hinlaͤnglich durchgebraten zu
ſein. Die Freude, mit welcher Robinſon
das erſte Stuͤk davon abſchnit und den erſten
Biſſen davon in den Mund ſtekte, mag der-
jenige beſchreiben, der einmahl, ſo wie er,
in vier Wochen keine Mundvol ordentlich zu-
bereiteter Speiſe genoſſen, und alle Hofnung,
dergleichen jemahls wieder zu genieſſen, ſchon
gaͤnzlich aufgegeben hatte.


Nun war die groſſe Frage: wie er ver-
huͤten ſolte, daß das Feuer ihm niemahls
wieder ausginge?


Gotlieb. O das konte er ja leicht ma-
chen! Er brauchte ja nur immer wieder neu-
es Holz zuzulegen.


Va-
[145]

Vater. Schon gut; aber wenn er nun
ſchlief und es kam des Nachts einmahl ein
ploͤzlicher Regenguß: wie da?


Lotte. Weißt du was, Vater? Ich
haͤtte das Feuer in meiner Hoͤle angemacht,
wo der Regen nicht hinkommen konte.


Vater. Nicht uͤbel! Aber ſeine Hoͤle
war zum Ungluͤk ſo klein, daß ſie ihm nur
eben zur Lagerſtelle diente; und dan, ſo hat-
te ſie auch keinen Schorſtein. Er wuͤrde al-
ſo vor Rauch darin nicht haben aushalten
koͤnnen.


Lotte. Ja, ſo weiß ich ihm nicht zu
helfen.


Johannes. Das iſt doch verzweifelt,
daß ſich immer wieder etwas finden muß, das
ihm Noth macht! Oft ſolte einer glauben,
nun waͤre er doch recht gluͤklich! aber großen
Dank! gleich koͤmt ihm wieder etwas Neues
in die Queer!


Vater. So unendlich ſchwer iſt es fuͤr
jeden einzelnen Menſchen, fuͤr alle ſeine Be-
duͤrfniſſe ſelbſt zu ſorgen; und ſo groß ſind die
K
Vor-
[146] Vortheile, die uns das geſellige Leben gewaͤhrt!
O Kinder, wir waͤren nur arme elende Wigte
von Menſchen, wenn jeder von uns allein le-
ben ſolte, und keiner ſich der Huͤlfe ſeiner
Nebenmenſchen getroͤſten duͤrfte! Tauſend
Haͤnde reichen nicht zu, um alles das zu be-
reiten, was ein Einziger unter uns an jedem
Tage braucht!


Johannes. O, Vater —


Vater. Meinſt du nicht, lieber Johan-
nes? Wohlan! laß doch ſehen, was du
heute alles genoſſen und was du alles ge-
braucht haſt! Erſtlich haſt du bis zu Sonnen-
aufgang geſchlafen und zwar in einem ordent-
lichen Bette, nicht?


Johannes. Auf Madrazen.


Vater. Recht! — Die Madrazen ſind mit
Pferdeharen ausgeſtopft. Dieſe haben zwei
Menſchenhaͤnde abgeſchnitten, zwei gewogen
und verkauft, zwei eingepakt und verſandt,
zwei empfangen und ausgepakt, zwei wieder
an den Satler oder Tapezirer verkauft. Des
Satlers Haͤnde haben die Hare, die verwik-
kelt
[147] kelt waren, aus einander gefluͤkt, und die
Madraze damit angefuͤlt. Der Ueberzug der
Madraze iſt von geſtreifter Leinewand, und
wo iſt dieſe hergekommen?


Johannes. Die hat der Leineweber ge-
macht.


Vater. Und was braucht' er dazu?


Johannes. I, einen Weberſtuhl und
Garn, und eine Winde, und einen Scheer-
ramen und Kleiſter und —


Vater. Schon genug! Wie viel Haͤn-
de muſten nicht erſt beſchaͤftiget ſein, ehe der
Weberſtuhl fertig ward! Wir wollen nur we-
nig ſezen — zwanzig! Der Kleiſter wird von
Mehl gemacht: wie viel muß nicht erſt ge-
ſchehen, ehe man Mehl haben kan! Wie
viel hundert Haͤnde muͤſſen ſich angreifen,
um alles das zu machen, was zu einer Muͤ-
le gehoͤrt, worauf das Mehl gemalen wird!
— Der Leineweber braucht aber auch vor-
nemlich Garn, und wo nimt er das her?


Johannes. Das wird geſponnen von
den Spinnerinnen.


K 2
Va-
[148]

Vater. Und woraus?


Johannes. Aus Flachs.


Vater. Und weißt du noch, durch wie
viel Haͤnde der Flachs erſt gehen muß, ehe
er zu Faden geſponnen werden kan?


Johannes. Ach ja, das haben wir ja
neulich erſt berechnet! Erſt muß der Land-
man den Leinſamen ſichten, damit kein Un-
kraut dazwiſchen komme; dan muß der Akker
geduͤnget, und ein Paar mahl gepfluͤgt wer-
den. Dan wird geſaͤet, dan geegget. Wenn
denn der junge Flachs hervorwaͤchſt, ſo kom-
men ein Haufen Frauen und Maͤdchen und
jaͤten das Unkraut aus. Iſt er denn groß
genug geworden: ſo reiſſen ſie die Sten-
gel aus, und ziehen ſie durch die Raufe,
daß die Samenknoͤpfchen davon abfallen muͤſ-
ſen. —


Nikolas. Ach ja, und denn binden ſie
die Stengel in kleine Buͤndel und legen ſie
ins Waſſer!


Diderich. Und wenn ſie da lange ge-
nug gelegen haben, ſo nehmen ſie ſie wieder
heraus —


Got-
[149]

Gotlieb. Und ſezen ſie an die Sonne,
daß ſie trokken werden —


Frizchen. Und denn brechen ſie den
Flachs auf der Breche


Lotte. Nein, mit Erlaubniß, lieber
Herr, erſt muͤſſen ſie ihn boken! Nicht wahr,
Vater?


Frizchen. Ach ja; und denn brechen ſie
ihn und denn —


Johannes. Denn wird er gehechelt auf
der Hechel, die ſo viel ſpizige Stacheln hat,
daß der Werg heraus komme.


Diderich. Und denn thun ſie noch was
damit — ich weiß — o gleich, gleich! —
ſie ſchwingen es mit der Schwinge!


Vater. Nun nehmt einmahl alles das
zuſammen, was erſt geſchehen muß, ehe wir
Leinewand haben; bedenkt zugleich, wie vie-
lerlei Arbeit alle die Werkzeuge erfodern, die
der Akkersman, die Flachsbereiterin, und die
Spinnerin noͤthig haben: und ihr werdet mir
geſtehen, daß es nicht zu viel geſagt ſei, wenn
ich verſichern wolte, daß bloß zur Verferti-
J 3
gung
[150] gung der Madraze, worauf ihr ſo ſanft ſchlaft,
mehr, als tauſend Haͤnde, beſchaͤftiget gewe-
ſen ſind!


Gotlieb. Das iſt doch erſtaunlich! tau-
ſend Haͤnde!


Vater. Nun bedenkt, wie viel andere
Dinge ihr taͤglich noͤthig habt; und ſagt mir
denn einmahl, ob's wohl zu verwundern ſei,
daß Robinſon alle Augenblik in Noth gera-
then mußte, da keine einzige andere Hand,
auſſer den Seinigen, fuͤr ihn arbeitete, und
da er kein einziges von allen den Werkzeugen
hatte, womit man bei uns ſo leicht etwas zu
Stande bringen kan?


Jezt war er alſo daruͤber bekuͤmmert, wie
er es doch wohl anzufangen habe, um ſein
liebes Feuer vor dem Erloͤſchen zu bewahren.
Bald rieb er ſich die Stirn, als wenn er
einen guten Einfal aus ſeinem Kopfe mit
Gewalt heraus reiben wolte; bald ging er mit
untergeſchlagenen Haͤnden und mit haſtigen
Schritten in ſeinem Vorplaze auf und nieder,
und wußte lange nicht, was er machen ſolte.
End-
[151] Endlich fielen ſeine Augen von ohngefaͤhr auf
die Felſenwand des Huͤgels, und in dem Au-
genblikke wußte er, was er zu thun habe!


Diderich. Wie ſo?


Vater. Aus der Felſenwand ragte, ohn-
gefaͤhr eine Elle hoch uͤber der Erde, ein ſehr
groſſer und ſehr dikker Stein hervor.


Frizchen. Wie groß war er wohl?


Vater. Eine genaue Zeichnung davon
habe ich nicht erhalten koͤnnen: aber ich ver-
muthe, daß er ohngefaͤhr ſo lang war, als
ich bin. In der Breite und in der Dikke
mogte er eine gute Elle halten.


Ohngeachtet es ſtark geregnet hatte, ſo
war doch die Stelle unter dieſem groſſen Stei-
ne ſo trokken geblieben, als wenn ein ordent-
liches Dach daruͤber geweſen waͤre. Robin-
ſon
ſahe daraus den Augenblik, daß ſie ei-
nen voͤllig ſichern Feuerheerd abgeben koͤnne.
Aber er ſahe noch mehr. Er bemerkte nem-
lich, daß es ihm leicht ſein wuͤrde, dieſen
Plaz zu einer ordentlichen Kuͤche mit Feuer-
heerd und Schorſtein einzurichten; und er
K 4
nahm
[152] nahm ſich vor, ſogleich Hand ans Werk zu
legen.


Mit ſeinem Spaten grub er die Erde un-
ter dem groſſen Steine ohngefaͤhr eine gute
Elle tief aus. Dan machte er den Anſchlag,
die beiden Seiten dieſer Stelle, bis an den
dikken Stein hinauf mit einer ordentlichen
Mauer einzufaſſen.


Gotlieb. Ja, wie kont' er denn eine
Mauer machen?


Vater. Da er jezt auf alles, was ihm
vorkam, mit der groͤßten Aufmerkſamkeit ach-
tete und ſich immer ſelbſt fragte: wozu moͤg-
te das wohl nuͤzlich ſein?
— ſo hatte er
auch eine gewiſſe Thonerde nicht unbemerkt ge-
laſſen, die er an einer Stelle ſeiner Inſel
geſehen hatte. Er hatte vielmehr gleich ge-
dacht: ei, daraus koͤnte man ja wohl Bak-
ſteine machen, um eine Mauer aufzufuͤhren?


Jezt erinnerte er ſich wieder daran; und
da er mit dem Ausgraben der Kuͤche beinahe
fertig war: ſo nahm er ſeinen Spaten und
ſein ſteinernes Meſſer und begab ſich damit
hin
[153] hin nach dem Orte, wo die Thonerde war, um
ſich ſogleich in Arbeit zu ſezen.


Weil es ſtark geregnet hatte: ſo war die
Erde ſo weich, daß er ſie ohne Muͤhe ausſte-
chen, zu vierekkigten Bakſteinen formen und
mit ſeinem Meſſer glat ſchneiden konte. Er
hatte in kurzer Zeit eine ziemliche Menge
davon bereitet, die er einen bei dem andern
an einen Ort ſtelte, wo ſie den ganzen Tag
uͤber von der Sonne konten beſchienen werden.
Mit dieſer Arbeit beſchloß er Morgen fortzu-
fahren, und verfuͤgte ſich nun wieder nach
Hauſe, um den Reſt ſeines Bratens zu ver-
zehren, weil die muntere Arbeit ſtarken Appe-
tit bei ihm erregt hatte. Um an einem ſo
freudenvollen Tage einmahl recht koͤniglich zu
ſpeiſen, erlaubte er ſich auch, eine von den
wenigen noch uͤbrigen Kokusnuͤſſen mitzunehmen.


Die Mahlzeit war herlich. — Ach! ſeufzte
Robinſon mit freudigem, aber doch auch zu-
gleich mit wehmuͤthigem Herzen — ach! wie
gluͤklich waͤre ich jezt, wenn ich nur einen ein-
zigen Freund, nur irgend einen Menſchen,
K 5
und
[154] und waͤre er auch der armſeeligſte Betler, zu
meinem Geſelſchafter haͤtte, dem ich ſagen
koͤnte, daß ich ihn lieb haͤtte, und der mir
wieder ſagte, daß er mich auch lieb haͤtte!
Ware ich nur ſo gluͤklich, irgend ein zahmes
Thier — einen Hund oder eine Kaze — zu
beſizen, dem ich Gutes erzeigen koͤnte, um
mir ſeine Liebe zu erwerben! Aber ſo ganz
allein, von allen lebendigen Weſen ſo ganz
abgeſondert zu ſein! — Hier rolte eine weh-
muͤthige Traͤne uͤber ſeine Wangen.


Jezt erinnerte er ſich der Zeit, da er mit
ſeinen Bruͤdern und andern Geſpielen oft in
Unfriede und Zaͤnkereien gelebt hatte; und er
erinnerte ſich derſelben mit der bitterſten Reue.
Ach! dachte er, wie wenig wuſte ich doch da-
mahls zu ſchaͤzen, wie viel ein Freund wohl werth
ſei und wie unentbehrlich uns die Liebe andrer
Menſchen ſei, wenn wir gluͤklich leben wollen!
O wenn ich doch jezt in meine Jugend zuruͤk-
geſezt wuͤrde, wie freundlich, wie gefaͤllig,
wie nachgebend wolt' ich mich gegen meine
Bruͤder und gegen andere Kinder betragen!
Wie
[155] Wie gern wolt' ich kleine Beleidigungen dul-
den, und wie wolte ich durch Guͤte und Freund-
lichkeit alle Menſchen zwingen, mir gut
zu ſein! Gott! Gott! Warum wuſte ich das
Gluͤk der Freundſchaft doch nicht eher zu ſchaͤ-
zen, bis es fuͤr mich verloren — ach! auf
immer verloren waͤre!


Indem er hierauf zufaͤlliger Weiſe die Au-
gen nach dem Eingange in ſeine Huͤtte richte-
te, bemerkte er eine Spinne, die in einer Ekke
ihr Nez ausgeſpant hatte. Der Gedanke,
mit irgend einem lebendigen Weſen unter ei-
nem Dache zu ſchlafen, hatte ſo viel freudi-
ges fuͤr ihn, daß es ihm jezt ganz und gar
nicht darauf ankam, was es fuͤr ein Thier
ſei. Er beſchloß, dieſer Spinne alle Tage
Fliegen zu fangen, um ihr zu erkennen zu
geben, daß ſie an einem ſichern und freund-
ſchaftlichen Orte wohne, und, wo moͤglich, ſie
zahm zu machen.


Da es noch hel am Tage und die durchs
Gewitter abgekuͤhlte Luft ſo ſehr erquikkend
war: ſo wolte Robinſon noch nicht zu Bette
gehen;
[156] gehen; und um die Zeit mit etwas Nuͤzli-
chem hinzubringen, nahm er ſeine Spate wie-
der zur Hand, und fing an noch etwas Erde
aus ſeiner Kuͤche auszugraben. Ploͤzlich ſtieß
er auf etwas Hartes in der Erde, ſo daß
ſein Spaten beinahe zerbrochen waͤre.


Er glaubte es ſei ein Stein: aber wie
erſtaunte er nicht, da er den Klumpen heraus
hob und nun entdekte, daß er — aus gedie-
genem Golde ſei!


Johannes. Daß dich! der hat doch auch
einmahl rechtes Gluͤk, der Robinſon!


Vater. Ein recht groſſes! Der Klumpen
Gold war ſo dik, daß wohl fuͤr hundert tau-
ſend Thaler Muͤnze daraus haͤtte gepraͤgt wer-
den koͤnnen. Nun war er auf einmahl ein
ſteinreicher Man; und was konte er ſich nun
nicht alles anſchaffen? Er konte ſich einen
Pallaſt bauen laſſen, konte Kutſchen, Pferde,
Bedienten, Laͤufer, Affen und Meerkazen hal-
ten; konte —


Got-
[157]

Gotlieb. Ja, wo wolt' er das aber her-
kriegen auf ſeiner Inſel? Da war, ja kei-
ner, der was zu verkaufen hatte!


Vater. Ja ſo, daran hatt' ich nicht
gedacht! — Unſerm Robinſon fiel dieſes den
Augenblik ein. Stat ſich uͤber den gefunde-
nen Schaz zu freuen, ſtieß er ihn veraͤchtlich
mit dem Fuſſe fort und ſprach: „da liege du
elender Klumpen, wornach die Menſchen ſo
begierig zu ſein pflegen! Was nuͤzeſt du mir!
O haͤtte ich ſtat deiner ein gutes Stuͤk Eiſen
gefunden, woraus ich mir vielleicht eine Axt
oder ein Meſſer haͤtte ſchmieden koͤnnen! Wie
gern gaͤbe ich dich fuͤr eine Handvol eiſerner
Naͤgel oder fuͤr irgend ein nuͤzliches Werkzeug
hin!„ Und ſo ließ er den ganzen koſtbaren
Schaz mit Verachtung liegen, und wuͤrdigte
ihn nachher kaum eines Bliks im Vorbei-
gehen.


Lotte. Weiſt du was, Vater? Der
machte es recht ſo wie der Hahn!


Vater. Wie welcher Hahn?


Lot-
[158]

Lotte. J weißt du nicht mehr die Fa-
bel, die du uns einmahl erzaͤhlt haſt: Es war
einmahl ein Hahn —?


Vater. Nun?


Lotte. Der krazte im Miſte und fand
— i wie heißt es doch?


Vater. Eine Perle?


Lotte. Ach ja eine Perle war's! Da
ſagt' er: was nuͤzeſt du mir, du glaͤnzendes
Ding? Wenn ich, ſtat deiner, ein Gerſten-
korn gefunden haͤtte, war's mir viel lieber.
Und da ließ er die Perle liegen und bekuͤm-
merte ſich nicht mehr darum.


Vater. Ganz recht; grade ſo machte es
Robinſon auch mit dem Goldklumpen.


Jezt ruͤkte die Nacht heran. Die Sonne
war ſchon laͤngſt ins Meer hinabgeſunken —


Gotlieb. Ins Meer?


Vater. So koͤmt es denen vor, die auf
einer Inſel wohnen, wo ſie rund umher
nichts, als Waſſer, ſehen. Da ſcheint es ihnen
recht ſo, als wenn die Sonne des Abends im
Meer verſuͤnke, wenn ſie untergeht; und des-
wegen
[159] wegen pflegt man wohl zuweilen ſo zu ſpre-
chen, als wenn's wirklich ſo waͤre.


An dem andern Ende des Himmels ſtieg
der liebliche Mond herauf und warf ſo freund-
liche Stralen in Robinſons Hoͤle, daß er
vor Vergnuͤgen daruͤber erſt gar nicht einſchla-
fen konte.


Lotte. O ſieh, ſieh, lieber Vater, dort
koͤmt unſer Mond auch eben hervor!


Johannes. Ach, ja! — O wie das
praͤchtig ausſieht!


Frizchen. Warum nimt denn Vater die
Muͤze ab?


Johannes. (Leiſe) Stil, Frizchen! ich
glaube er betet.


Frizchen. (Leiſe zu Johannes) J, wa-
rum denn?


Johannes. (Leiſe) Er wird wohl Gott
danken, daß er den ſchoͤnen Mond erſchaffen
hat.


(Nach einer kleinen Pauſe.)


Vater. Nun Kinder, Robinſon ſchlaͤft,
indeß ſein Feuer an einigen groſſen Holzſtuͤk-
ken
[160] ken langſam fortbrennt; was denkt ihr denn
unterdeß zu machen?


Nikolas. O wollen wir nicht erſt wie-
der in unſere Laube gehen, ehe wir uns zu
Bette legen?


Gotlieb. O ja, in die Laube!


Vater. Nun ſo komt, meine Lieben,
um unſern Schoͤpfer bei dem Lichte ſeines her-
lichen Mondes ein Loblied fuͤr die Freuden
des verfloſſenen Tages zu ſingen!


Und Alle gingen freudig nach der Laube.


Siebender Abend.


Johannes und Nikolas und Gotlieb
zogen am folgenden Abend den Vater am
Arm' und Schooß zur Hausthuͤr hinaus. Auf
ihr Geſchrei um Huͤlfe kamen die uͤbrigen auch
herbei gerant und ſo ward er, ohne weitere
Umſtaͤnde, von Allen fortgeſchlept.


Va-
[161]

Vater. Nun, wohin wolt ihr mich denn
ziehen, ihr gewaltigen Leute?


Johannes. J, auf den Grasplaz, un-
ter den Apfelbaum!


Vater. Was ſol ich denn da?


Nikolas. O von unſerm Robinſon!
Bitte, bitte!


Gotlieb. O ja! Von unſerm Robinſon!
Solſt auch mein liebſtes zukkerſuͤßes Vaͤter-
chen ſein!


Vater. Ja, das iſt ſchon gut; aber ich
beſorge, daß euch mein Robinſon kein Ver-
gnuͤgen mehr macht!


Johannes. Kein Vergnuͤgen? Wer hat
das geſagt?


Vater. Keiner! Aber, wenn ich nicht
irre, ſo ſahe ich geſtern Abend Einige unter
euch gaͤhnen; und das pflegt ſonſt ein Zeichen
zu ſein, daß man lange Weile habe.


Gotlieb. O nein, gewiß nicht! Das
kam nur davon her, daß wir ſo viel gegra-
ben hatten in unſerm Garten. Das glau-
L
be
[162] be ich, wenn man den ganzen Nachmittag
gegraben hat: ſo kan man wohl ein bischen
ſchlaͤfrig ſein!


Nikolas. Heute haben wir nur Unkraut
ausgegaͤtet und die Salatpflanzen begoſſen;
nun ſind wir noch recht munter.


Lotte. O ja, nun ſind wir noch recht
munter; ſieh nur, wie ich noch ſpringen kan!


Vater. Wenn ihr denn ſo wolt, ſo wil
ichs wohl thun; aber ihr muͤßt mir auch ſa-
gen, wenn ihr's muͤde werdet.


Johannes. O ja! — Na?


Vater. Weil die Hize auf Robinſons
Inſel bei Tage ſo unertraͤglich war: ſo mußte
er vornemlich den fruͤhen Morgen und den
Abend nuzen, wenn er irgend eine Arbeit zu
Stande bringen wolte. Er ſtand alſo noch
vor Aufgang der Sonne auf, legte neues Holz
an ſein Feuer, und nahm eine halbe Kokus-
nuß zu ſich, die ihm von geſtern uͤbrig geblie-
ben war. Jezt wolte er einen andern Bra-
ten von ſeinem Lama an den Spies ſtekken;
aber er fand, daß das Fleiſch ſchon ſtinkend
gewor-
[163] geworden ſei, der ſchwuͤlen Hize wegen. Den
Fleiſchappetit mußte er ſich alſo fuͤr heute ver-
gehen laſſen.


Da er ſich nun auf den Weg nach der
Thonerde machen wolte und ſeine Jagdtaſche
umhing, fand er noch die Kartoffeln drin, die
er ehegeſtern aufs Gerathewohl mit zu Hauſe
genommen hatte. Es fiel ihm ein, ſie bei ſei-
nem Feuer in gluͤhende Aſche zu legen, um zu
ſehen, was doch wohl daraus werden moͤgte,
wenn ſie gebraten wuͤrden? Dan ging er ab.


Er arbeitete ſo fleiſſig, daß er noch vor
Mittage ſo viel Bakſteine aus Thon geformt
hatte, als er vermuthete, daß er zu der
Mauer um ſeine Kuͤche noͤthig haben wuͤrde.
Alsdan ging er nach dem Strande um einige
Auſtern aufzuſuchen. Aber ſtat der Auſtern,
deren er nur wenige fand, entdekte er hier, zu
ſeiner groſſen Freude, ein anderes Nahrungs-
mittel, welches noch beſſer, als dieſe, war.


Johannes. Was war denn das?


Vater. Es war ein Thier, welches er
zwar ſelbſt noch niemahls gegeſſen, aber wo-
L 2
von
[164] von er doch gehoͤrt hatte, daß das Fleiſch
deſſelben wohlſchmekkend und geſund ſei.


Johannes. Nun, was war es denn?


Vater. Eine Schildkroͤte, und zwar eine
ſo große, als man hier nicht leicht zu ſehen
kriegt. Sie mogte leicht hundert Pfund
wiegen.


Gotlieb. Ah das muß ja eine erſchrek-
liche Schildkroͤte geweſen ſein! Giebt es denn
wohl ſolche?


Johannes. O es giebt noch viel groͤſ-
ſere! Weißt du nicht mehr aus unſerer Rei-
ſebeſchreibung, die uns Vater vorgeleſen hat?
Die die Leute, die um die Welt reiſeten, auf
dem Suͤdmeere fingen? Die waren ja drei-
hundert Pfund ſchwer geweſen.


Gotlieb. Dreihundert Pfund! das iſt
doch erſtaunlich.


Vater. Robinſon lud ſeinen Fund auf
ſeine Schultern und ſchlepte ihn langſam nach
Hauſe. Hier hieb er mit ſeinem Beile ſo
lange auf den untern Theil der Schale, bis
ſie endlich zerplazte. Dan bemaͤchtigte er ſich
der
[165] der Schildkroͤte, ſchlachtete ſie, und ſchnit eine
gute Porzion zum Braten davon ab. Dieſe
ſtekte er an den Spieß, und wartete, weil er
von der Arbeit hungrig geworden war, mit
Schmerzen, daß ſie gar ſein moͤgte.


Unterdeß, daß er den Braten wendete,
gieng ihm der Gedanke im Kopfe herum, was
er nun mit dem uͤbrigen Fleiſche der Schild-
kroͤte anfangen ſolte, um es vor der Faͤulung
zu verwahren? Um es einzuboͤkeln, fehlte
es ihm an einem Zuber und an Salze.


Lotte. Was iſt das, einboͤkeln?


Vater. Das heißt, Fleiſch, welches man
gern aufbewahren moͤgte, in ein Gefaͤß legen
und mit vielem Salze beſtreuen; haſt du nicht
geſehen, wie Mutter dieſen Winter das
Schweinefleiſch einboͤkelte?


Lotte. Ach ja! Aber ich meine, das
hieſſe einpaͤkeln?


Vater. Man ſpricht wohl ſo; aber ei-
gentlich muͤßte man einboͤkeln ſagen: weißt du
noch, Johannes, warum?


L 3
Jo-
[166]

Johannes. O ja! Man ſagt — ich
weiß aber nicht, obs wahr iſt — das Wort
kaͤme von dem Wilhelm Boͤkel oder Beu-
kelſen
her, der zuerſt die Kunſt erfand, die
Haͤringe einzuſalzen, daß man ſie das ganze
Jahr hindurch eſſen kan.


Mutter. Schoͤnen Dank, Johannes,
daß du mich das gelehrt haſt! Nun weiß ich
doch auch, wie man ſprechen muß.


Vater. Traurig ſahe Robinſon vor-
aus, daß ſeine ganze ſchoͤne Schildkroͤte, wo-
von er vierzehn Tage und laͤnger leben koͤnte,
Morgen ſchon ungenießbar werden wuͤrde,
und doch ſahe er kein Mittel ein, wie er es
einſalzen koͤnte. Ploͤtzlich aber fiel ihm etwas
ein! Die obere Schale der Schildkroͤte war
wie eine ordentliche Mulde. Dieſe, dachte
er, wil ich ſtat des Zubers brauchen. Aber
woher nun Salz? —


Sieh! was ich fuͤr ein Dumkopf bin!
ſagte er, und ſchlug ſich vor die Stirn. Kan
ich das Fleiſch nicht mit Meerwaſſer uͤbergieſ-
ſen und wird das nicht beinahe ſo gut ſein,
als
[167] als wenn's in einer Salzlake laͤge? O treflich!
treflich! rief er aus, und drehete vor Freuden
den Bratſpieß noch einmahl ſo geſchwind, als
vorher, herum.


Jezt war der Braten fertig. Ach! ſeufzte
Robinſon, indem er ein recht appetitliches
Stuͤkchen davon mit Wohlgefallen gekoſtet
hatte, wer nun ein Stuͤkchen Brod dazu haͤt-
te! Was bin ich doch in meiner Jugend fuͤr
ein dummer Menſch geweſen, daß ich nicht zu
ſchaͤzen wußte, was fuͤr eine groſſe Wohlthat
Gottes ein Stuͤk trokken Brod ſei! Da muß-
te man mir immer erſt Butter dazu geben,
auch wohl noch Kaͤſe oben drein! O ich Unver-
ſtaͤndiger! Haͤtte ich doch jezt nur das ſchwarze
Kleienbrod, das unſerm Gartenhunde gebakken
wurde! Wie wolte ich mich gluͤklich ſchaͤzen!


Indem er ſo dachte, fielen ihm die Knol-
len ein, die er dieſen Morgen in die gluͤ-
hende Aſche gelegt hatte. Ich wil doch ſehen,
ſagt' er, was daraus geworden iſt; und holte
eine derſelben hervor.


L 4
Welche
[168]

Welche abermalige Freude! Der harte
Knollen war nun ſo weich geworden, und da
er ihn aufbrach, ſtieg ein ſo angenehmer Geruch
davon in ſeine Naſe, daß er ſich keinen Au-
genblik bedachte, ihn anzubeiſſen. Und ſiehe!
der Geſchmak dieſes Gewaͤchſes war ſo lieblich,
ſo lieblich, als — nun wer hilft mir, eine
Vergleichung machen?


Freund B. So lieblich, als der Ge-
ſchmak einer Kartoffel!


Vater. Schoͤn! Das heiſt Alles mit ein-
mahl ſagen! Alſo — der Geſchmak dieſer ge-
bratenen Kartoffel war ſo lieblich, als der
Geſchmak einer Kartoffel; und Robinſon
merkte ſogleich zu ſeiner groſſen Freude, daß
ihm dieſes Gewaͤchs die Stelle des Brods
vertreten koͤnne.


Er that alſo wieder eine Mahlzeit, die
ſich gewaſchen hatte. Dan legte er ſich, der
brennenden Sonnenhize wegen, ein wenig nie-
der auf ſeine Lagerſtaͤte, um unter der Zeit,
daß er nicht arbeiten konte, allerlei Ueberle-
gungen anzuſtellen.


„Was
[169]

„Was ſol ich nun wohl zunaͤchſt vor-
nehmen?„ dachte er. „Die Bakſteine muͤſ-
ſen erſt von der Sonne gehaͤrtet werden, ehe
ich mein Mauerwerk anfangen kan. Es wird
alſo wohl am Beſten ſein, daß ich unterdeß auf
die Jagd gehe, um ein Paar Lama's zu er-
legen. — Aber, was ſoll ich mit all' dem
Fleiſche machen? — Wie? Wenn ich meine
Kuͤche ſo einrichtete, daß ich etwas darin
raͤuchern koͤnte? — Vortreflich!„ rief er aus,
ſprang hurtig von ſeinem Lager auf und ſtelte
ſich vor den Ort ſeiner kuͤnftigen Kuͤche hin,
um zu uͤberlegen, wie er dieſe Abſicht wohl
am beſten erreichen koͤnte?


Er ſahe bald, daß es recht gut gehen
wuͤrde. Er brauchte ja nur in den beiden
Seiten Mauern, die er auffuͤhren wolte, ein
Paar Loͤcher zu machen und einen groſſen
Stab dadurch zu ſtekken. Dan konte er ſei-
ne Schinken daran hengen und die Rauchkam-
mer war gemacht!


Der Kopf ſchwindelte ihm faſt vor Freude
uͤber den neuen gluͤklichen Einfal. Was haͤtte
L 5
er
[170] er nicht darum gegeben, daß ſeine Bakſteine
ſchon hart genug geweſen waͤren, um das
groſſe Werk ſogleich anfangen zu koͤnnen!
Aber was war zu thun? Er mußte ſich ent-
ſchlieſſen, zu warten, bis die Sonne die Bak-
ſteine fertig gemacht haͤtte.


Aber was ſolte er nun dieſen Nachmittag
anfangen? — Indem er daruͤber nachdachte,
kriegte er einen neuen Einfal, der alle andere,
die er bisher gehabt hatte, an Vortreflichkeit
bei weiten uͤbertraf. Er erſtaunte uͤber ſeine
Dumheit, daß ihm das nicht eher eingefallen
waͤre!


Johannes. Was war denn das?


Vater. Nichts Geringeres, als dieſes:
er wolte ſich, zu ſeiner Geſelſchaft und zu ſei-
nem Unterhalt einige Hausthiere zuziehen!


Gotlieb. Ah, gewiß von den Lama's?


Vater. Richtig! Andere Thiere hatt' er
ja auch bisher noch nicht geſehen. Da dieſe
Lama's ſo ſehr zahm zu ſein ſchienen: ſo hofte
er, daß es ihm ſchon gelingen wuͤrde, ein
Paar derſelben lebendig zu fangen.


Got-
[171]

Gotlieb. O das iſt ſcharmant! Ich wol-
te, daß ich bei ihm waͤre, um mir auch eins
zu fangen!


Vater. Aber, wie wolteſt du es anfan-
gen, lieber Gotlieb? So zahm werden ſie
wohl nicht ſein, daß ſie ſich mit Haͤnden grei-
fen lieſſen.


Gotlieb. Wie wolte Robinſon es denn
anfangen?


Vater. Das war nun eben die Frage,
und daruͤber ließ er ſich in lange und ernſtli-
che Ueberlegungen ein. — Aber der Menſch
braucht eine Verrichtung, die nicht an ſich
ſelbſt unmoͤglich iſt, nur recht ernſtlich und
anhaltend zu wollen, ſo iſt ſeinem Verſtande
und ſeinem Fleiſſe nichts zu ſchwer. So groß
und mannigfaltig ſind die Kraͤfte, womit der
guͤtige Schoͤpfer uns ausgeruͤſtet hat!


Merkt euch dieſes, meine Lieben, und
verzweifelt nie an einem erwuͤnſchten Erfolge
irgend einer ſchweren Arbeit, wenn ihr nur
entſchloſſen genug ſeid, nicht eher nachzulaſſen,
bis ihr ſie werdet vollendet haben! Anhalten-
der
[172] der Fleiß, fortgeſeztes Nachdenken, und aus-
dauernder Muth haben ſchon viele Dinge zu
Stande gebracht, die man vorher fuͤr unmoͤg-
lich hielt. Laßt euch alſo niemahls durch die
Schwierigkeiten, die ihr bei einem Geſchaͤfte
antreft, davon abſchrekken; ſondern denket im-
mer, daß es am Ende um ſo viel mehr Freu-
de macht, ein Werk zu Stande gebracht zu
haben, je groͤſſer die Anſtrengung war, die
man dazu anwenden mußte!


Auch unſerm Robinſon gluͤkte es bald,
ein Mittel auszuſinnen, wie er die Lama's
lebendig fangen koͤnte.


Johannes. Na?


Vater. Er nahm ſich vor, einen Strik
ſo einzurichten, daß er eine Schlinge davon
machen koͤnte. Dan wolte er ſich wieder hin-
ter einen Baum verſtekken, und dem erſten
dem beſten Lama, das ihm nahe genug kaͤme,
die Schlinge uͤber den Kopf werfen.


In dieſer Abſicht drehete er ſich einen
ziemlich ſtarken Strik; und in einigen Stun-
den war Strik und Schlinge fertig. Er
machte
[173] machte einige Verſuche, ob ſie ſich gut wuͤrde
zu ziehen laſſen: und es ging nach Wunſche.


Weil der Ort, wo die Lama's nach dem
Waſſer zu kommen pflegten, etwas fern war;
und weil er nicht wußte, ob ſie des Abends
auch dahin kommen wuͤrden, da ſie neulich
gegen Mittag da geweſen waren: ſo ſezte er
ſeinen Fang bis Morgen aus, und machte
unter der Zeit die noͤthigen Anſtalten zu ſei-
ner Reiſe.


Er lief nemlich nach dem Orte hin, wo
die Kartoffeln wuchſen und holte ſich ſeine
ganze Jaͤgertaſche vol davon. Einen Theil
derſelben legte er wieder in gluͤhende Aſche,
um ſie zu braten, und die uͤbrigen ſchuͤttete
er in einen Winkel ſeiner Hoͤle, um ſie fuͤr
die naͤchſten Tage aufzubewahren. Dan ſchnit-
te er auch ein anſehnliches Stuͤk ſeiner Schild-
kroͤte fuͤr dieſen Abend und fuͤr Morgen ab
und uͤbergoß den Reſt derſelben mit Seewaſ-
ſer, welches er dazu mitgebracht hatte.


Er grub hierauf ein kleines Loch in die
Erde, welches ihm vor der Hand zum Keller
dienen
[174] dienen ſolte. Darein ſezte er die Schildkroͤ-
tenſchale mit dem eingeſalzenen Fleiſche, legte
das Bratenſtuͤk bis auf den Abend dazu,
und bedekte die Oefnung des Lochs mit Zwei-
gen.


Den noch uͤbrigen Theil des Nachmittags
widmete er der Aufheiterung ſeines Gemuͤths
durch einen angenehmen Spaziergang laͤngſt
dem Strande des Meers, von wannen ein
ſanfter Oſtwind wehete, wodurch die ſchwuͤle
Luft um etwas abgekuͤhlt ward. Seine Au-
gen weideten ſich an dem Anblikke des uner-
meßlichen Weltmeers, welches nur von kleinen
in einander laufenden Wellen gekraͤuſelt wurde.
Er ſahe ſehnſuchtsvol nach der Himmelsgegend
hin, in welcher ſein geliebtes Vaterland lag,
und eine bange Traͤne ſchlich uͤber ſeine Wan-
gen, da der Gedanke an ſeine theuern Eltern
lebhaft in ihm ward.


„Was moͤgen ſie jezt machen, die armen
bekuͤmmerten Eltern?„ rief er aus und rang
unter vielen Traͤnen ſeine Haͤnde. „Wenn
ſie den bittern Schmerz, den ich Elender
ihnen
[175] ihnen verurſachte, uͤberlebt haben: ach! wie
traurig mag ihnen jeder Tag verſtreichen!
Wie moͤgen ſie ſeufzen und klagen, daß ſie
nun gar kein Kind mehr haben; daß ihr lez-
ter, von ihnen ſo geliebter Sohn, zum Ver-
raͤther an ihnen werden und ſie auf immer ver-
laſſen konte! O theurer beſter Vater! O meine
geilebte theure Mutter, verzeiht, o verzeiht eu-
rem armen elenden Sohne, daß er euch ſo
betruͤbet hat! Und du, mein himliſcher —
jezt mein einziger Vater, meine einzige Ge-
ſelſchaft, mein einziger Helfer und Beſchuͤzer —
(hier warf er ſich anbetend auf ſeine Knie)
— o mein Schoͤpfer, ſchuͤtte deinen beſten
Seegen, ſchuͤtte alle die Freuden, die du fuͤr
mich beſtimt hatteſt und deren ich mich ſelbſt
unwerth gemacht habe; — o ſchuͤtte ſie Alle
herab auf meine geliebten, ſo groͤblich von mir
beleidigten Eltern, um ſie fuͤr den ausgeſtan-
denen Kummer ſchadlos zu halten. Gern,
ach! gern wil ich ſelbſt leiden Alles, was dei-
ne Weisheit und Liebe zu meiner Beſſerung
noch ferner uͤber mich ergehen zu laſſen fuͤr
gut
[176] gut befinden wird: wenn nur meine armen,
meine unſchuldigen Eltern gluͤklich ſind! „


Er blieb noch eine Zeitlang auf ſeinen
Knien liegen und ſahe in ſtummer Wehmuth
und mit Traͤnenvollen Augen gen Himmel.
Endlich ſtand er auf und grub mit ſeinem ſteiner-
nen Meſſer in den naͤchſten Baum die geliebten
Namen ſeiner Eltern ein. Ueber dieſelben
ſchnitt' er die Worte ein: Gott ſeegne euch!
und unter dieſelben ſezte er: Vergebung fuͤr
euren ungerathenen Sohn!
Dan kuͤßte
er die eingeſchnittenen Namen mit heiſſen Lip-
pen und wuſch ſie mit ſeinen Traͤnen aus.
In der Folge ſchnitt' er eben dieſe theuern
Namen mit eben den Worten in eine Menge
anderer Baͤume in andern Gegenden der Inſel
ein, und gemeiniglich pflegte er nachher bei
einem dieſer Baͤume ſein Gebet zu verrichten,
worin er nie vergaß, ſeiner Eltern zu ge-
denken.


Gotlieb. O nun iſt er doch ein recht
guter Menſch!


Va-
[177]

Vater. Er iſt jezt auf dem beſten Wege
ein recht guter Menſch zu werden; und das
hat er der weiſen goͤtlichen Vorſehung zu ver-
danken, die ihn hierher gefuͤhrt hat.


Gotlieb. Nun koͤnt' ihn Gott auch wohl
wieder erretten, und ihn zu ſeinen Eltern zu-
ruͤk fuͤhren!


Vater. Gott, der Alles, was zukuͤnf-
tig iſt, vorher ſieht, weiß am Beſten, was
ihm gut iſt, und darnach wird er auch ſein
Schikſal einrichten. Zwar iſt Robinſon,
allem menſchlichen Anſehen nach, jezt auf dem
beſten Wege der taͤglichen Beſſerung; aber
wer weiß, was aus ihm werden duͤrfte, wenn
er ſchon jezt von ſeiner Inſel befreit und zu
ſeinen Eltern wieder zuruͤkgefuͤhrt wuͤrde! Wie
leicht iſt es, daß ein Menſch wieder in ſeine
vorigen Untugenden zuruͤk verfaͤlt! O Kinder,
es iſt ein wahres Wort: wer ſteht, der ſehe
wohl zu, daß er nicht falle!


Indem nun Robinſon ſo am Strande
herum ging, fiel ihm ein, daß es wohl nicht
uͤbel gethan waͤre, wenn er ſich einmahl
M
badete.
[178] badete. Er zog ſich alſo die Kleider aus aber
wie erſchrak er nicht, da er ſahe in welchem
Zuſtande ſein Hemde ſei, das einzige welches
er hatte! Da er es in einer ſo heiſſen Him-
melsgegend ſchon ſo lange ununterbrochen am
Leibe trug, ſo konte man faſt nicht mehr ſe-
hen, daß die Leinewand ehemals weiß gewe-
ſen war. Ehe er ſich alſo ſelbſt badete, war
er bemuͤht, das Hemde, ſo gut er konte zu
waſchen; dan hing er es an einem Baume
auf und ſprang ins Waſſer.


Er hatte in ſeiner Jugend ſchwimmen ge-
lernt. Es machte ihm daher Vergnuͤgen, von
dem Orte, wo er ins Waſſer geſtiegen war,
nach einer Erdzunge hinzuſchwimmen, die
ziemlich weit ins Meer hinein lief und auf
der er bisher noch nicht geweſen war.


Frizchen. Eine Erdzunge? Was iſt das?


Vater. So nent man einen ſchmalen
Strich Landes, der von einer Inſel oder vom
feſten Lande ſich ins Meer hinein erſtrekt.
Sieh, wenn jenes Ufer unſers kleinen See's,
das da ſo etwas ins Waſſer hervor geht,
noch
[179] noch weiter hinein ginge: ſo waͤre das eine
Erdzunge. Verſtehſt du's nun?


Frizchen. O ja!


Vater. Auch dieſer Einfal unſers Ro-
binſons
war ſehr gluͤklich geweſen. Er fand
nemlich, daß dieſe Erdzunge zur Fluthzeit un-
ter Waſſer geſezt werde, und daß denn nach-
her, wenn die Ebbe wieder eintrete, eine
große Menge Schildkroͤten, Auſtern und Mu-
ſcheln darauf zuruͤk blieben. Dasmahl kont'
er zwar keine davon mitnehmen; auch brauch-
te er jezt keine, weil ſeine Kuͤche noch hinlaͤng-
lich beſtelt war: aber er freuete ſich doch herz-
lich, dieſe neue Entdekkung gemacht zu haben.


In der Gegend des Meers, wo er herum
ſchwam, wimmelte es dergeſtalt von Fiſchen,
daß er ſie beinahe mit Haͤnden greifen konte.
Haͤtt' er ein Nez gehabt: ſo wuͤrd' er viele
Tauſende derſelben haben fangen koͤnnen. Das
hatte er nun zwar noch nicht; aber da er bis-
her in allen ſeinen Arbeiten ſo gluͤklich gewe-
ſen war: ſo hofte er, daß es ihm auch einſt
gelingen wuͤrde, ein Fiſchernez zu verfertigen.


M 2
Froh
[180]

Froh uͤber dieſe angenehme Entdekkungen
ſtieg er wieder ans Land, nachdem er wohl
eine Stunde im Waſſer geweſen war. Die
warme Luft hatte ſein Hemde ſchon ganz ge-
troknet, und er hatte nun alſo auch das Ver-
gnuͤgen, einmahl wieder reine Waͤſche anzu-
legen.


Aber der Gedanke: wie lange dieſe Freude
dauern wuͤrde? Wie bald ſein einziges Hemde,
das er nun beſtaͤndig tragen muͤßte, wuͤrde
unbrauchbar geworden ſein? Und was er dan
anfangen ſolte? — Dieſer Gedanke verbitter-
te ſeine Freude gar ſehr. Er faßte ſich in-
deß bald wieder und nachdem er ſich angeklei-
det hatte, ging er ſingend nach Hauſe: Wer
nur den lieben Gott laͤßt walten,
u.
ſ. w.


Johannes. Das iſt doch gut, daß er
nun nicht mehr ſo kleinmuͤthig iſt und huͤbſch
Gott vertraut!


Lotte. O ich wolte, daß der Robinſon
zu uns kaͤme; ich habe ihn recht lieb!


Got-
[181]

Gotlieb. Ja, wenn Vater mir nur
Papier geben wolte; ſo wolt' ich ihm gern
einen Brief ſchreiben.


Nikolas. O ja, ich auch!


Johannes. Ich wolt' ihm auch wohl
ſchreiben!


Lotte. Ja, das wolt' ich auch wohl:
aber wenn ich nur ſchreiben koͤnte!


Mutter. Kanſt mir vorſagen, was du
ihm gern ſchreiben moͤgteſt, ſo wil ich's fuͤr
dich aufſchreiben.


Lotte. O das iſt gut!


Mutter. Nun ſo komt! Ich wil euch
Andern Papier geben.


Nach einer halben Stunde kam Einer
nach dem Andern herbei geſprungen, und zeigte
was er geſchrieben hatte.


Lotte. Hier, Vaͤterchen! Sieh, da iſt
mein Brief! Nun liß ihn einmahl!


Vater liest: *)


[182]

Mein lieber Robinſon,


Mache doch, daß du recht arbeitſam und gut
werdeſt. Das wird den Leuten Freude machen
und deinen Eltern auch. Ich gruͤße dich ſehr
vielmahl. Du ſiehſt nun, wie die Noth nuͤz-
lich iſt! Gotlieb und Johannes gruͤßen dich
vielmahl; Diderich und Nikolas auch. Kom
einmahl zu uns, ſo wil ich dich auch noch beſ-
ſer unterrichten.


Lotte.


Gotlieb. Nun meinen, lieber Vater!
Hier iſt er!


Vater liest:


Mein lieber Freund,


Wir wuͤnſchen dir alles Gluͤk, was wir nur
koͤnnen! Und wenn ich erſt Taſchengeld haben
werde: ſo wil ich dir auch was kaufen. Und
fahre fort, was du angefangen haſt, gut zu
ſein. Schikke dir hier ein bischen Brod;
und
[183] und werde nur nicht krank. Wie befindeſt
du dich? Lebe wohl, lieber Robinſon! Ohne
daß ich dich kenne, ſo liebe ich dich doch ſehr
und bin


Dein


Hamburg d. 7ten Febr.
1779.

getreuer Freund
Gotlieb.


Nikolas. Hier iſt meiner! Ich habe
ihm aber nur kurz geſchrieben.


Vater liest:


Lieber Robinſon,


Ich bin traurig, daß du ſo ungluͤklich biſt!
Wenn du bei deinen Eltern geblieben waͤreſt:
ſo haͤtte ſich das Ungluͤk nicht zugetragen. Le-
be wohl! Kom bald wieder zu deinen lieben
Eltern. Lebe noch einmahl wohl! Ich bin


Dein


Hamburg d. 7ten Febr.
1779.

getreuer Freund
Nikolas.


M 4
Jo-
[184]

Johannes. Nun meinen!


Vater liest:


Hochedelgebohrner Robinſon,


Ich bedaure dich ſehr, daß du ſo ganz von
allen lebendigen Geſchoͤpfen abgeſondert biſt.
Ich glaube wohl, daß du es anjezt ſelbſt be-
reuen werdeſt. Lebe wohl! Ich wuͤnſche von
ganzem Herzen, daß du einmahl wieder zu
deinen lieben Eltern kommen moͤgeſt. Vertrau
kuͤnftig ja immer Gott; der wird ſchon fuͤr
dich ſorgen. Nochmahls: lebe wohl! Ich bin


Dein


Hamburg d. 7ten Febr.
1779.

getreuer Freund
Johannes.


Diderich. O meiner taugt nichts!


Vater. Laß doch hoͤren!


Diderich. Ich habe nur geſchwind ſo
was hingeſchrieben, damit ich bald wieder hier
waͤre.


Vater liest:


Lie-
[185]

Lieber Herr Robinſon,


Wie geht dir's auf deiner Inſel? Ich habe
gehoͤrt, daß du manche Truͤbſal gehabt haſt.
Du weiſt wohl noch nicht, ob die Inſel,
worauf du biſt, bewohnt ſei? Das moͤgt'
ich gern wiſſen. Ich habe auch gehoͤrt, daß
du einen großen Klumpen Goldes gefunden
haſt; aber da auf deiner Inſel hilft dir das
ja nichts.


(Vater. Haͤtteſt koͤnnen hinzuſezen: hier
in Europa macht das viele Gold die Menſchen
auch nicht beſſer und nicht gluͤklicher.)


Es waͤre beſſer geweſen, wenn du dafuͤr
Eiſen gefunden haͤtteſt, woraus du dir ein
Meſſer, ein Beil und andere Inſtrumente
haͤtteſt machen koͤnnen. Lebe wohl! Ich bin


Dein


Hamburg d. 7ten Febr.
1779.

Freund
Diderich.


Gotlieb. Ja, aber wie wollen wir nun
die Briefe hinkriegen?


M 5
Lot-
[186]

Lotte. J, wir koͤnnen ſie ja einem
Schiffer mitgeben, der nach Amerika ſchift,
und da koͤnnen wir ihm ja auch was mitſchik-
ken! Ich will ihm Roſinen und Mandeln ſchik-
ken; o gib mir doch welche, liebe Mutter!


Johannes (dem Vater ins Ohr). Die
glauben ordentlich, daß Robinſon noch
lebt!


Vater. Lieben Kinder, ich danke euch
in Robinſons Namen, daß ihr ſo viel Freund-
ſchaft fuͤr ihn habt. Aber dieſe Briefe ihn
hinſchikken, — das kan ich nicht.


Gotlieb. J warum nicht?


Vater. Darum nicht, weil Robinſons
Sele ſchon lange im Himmel, und ſein Leib
ſchon lange verweſet iſt.


Gotlieb. Ach, iſt er ſchon todt? Er
hat ſich ja eben erſt noch gebadet!


Vater. Du vergißt, lieber Gotlieb,
daß das, was ich euch vom Robinſon er-
zaͤhle, ſich ſchon vor zweihundert Jahren zu-
getragen hat. Er ſelbſt iſt alſo ſchon lange
todt. Aber in der Geſchichte, die ich jezt von
ihm
[187] ihm ſchreibe, wil ich eure Briefe mit abdruk-
ken laſſen. Wer weiß, vielleicht erfaͤhrt er
im Himmel, daß ihr ihn ſo lieb habt, und das
wird ihm denn gewiß auch dort Freude machen.


Lotte. O du erzaͤhlſt uns doch aber noch
was von ihm?


Vater. O ja; ich kan euch noch recht
viel von ihm erzaͤhlen, was euch eben ſo an-
genehm ſein wird, als das, was ihr ſchon
gehoͤrt habt. Aber fuͤr heute, daͤchte ich, haͤt-
ten wir wohl genug. — Robinſon ging nach
dem Baden ſingend zu Hauſe, verzehrte ſein
Abendbrod, verrichtete ſein Gebet und legte
ſich ruhig ſchlafen.


Und ſo wollen wir es denn auch machen!


Ach-
[188]

Achter Abend.


Frizchen.


Mutter! Mutter!


Mutter. Was wilſt du, Frizchen?


Frizchen. Moͤgteſt Johannes ein ander
Hemde ſchikken!


Mutter. Warum ein ander Hemde?


Frizchen. Ja, er kan ſonſt nicht aus dem
Bade kommen.


Mutter. Warum nicht? Kan er denn
ſein heutiges Hemde nicht wieder anziehen?


Frizchen. Nein, das hat er gewaſchen;
und nun iſt es noch ganz naß. Er wolt' es
wie Robinſon machen!


Mutter. Auch gut! — Nun, ich wil
dir eins geben. — Da lauf und macht daß
ihr bald hier ſeid; Vater wil uns wieder
was erzaͤhlen!


Mut-
[189]

Mutter (zu Johannes, der mit den
uͤbrigen komt.) Nun, Freund Robinſon, wie
bekoͤmt dir das Bad?


Johannes. Recht gut! Aber das Hemde
wolte nicht wieder trokken werden.


Vater. Du haſt nicht bedacht, daß es
hier zu Lande nicht ſo warm iſt, als es auf
Robinſon's Inſel war. — Aber wo blieben
wir denn geſtern?


Diderich. Da Robinſon zu Bette ging
und den andern Morgen —


Vater. Ah! nun weiß ich ſchon! — Am
andern Morgen alſo ſtand Robinſon fruͤhzei-
tig auf und ruͤſtete ſich zur Jagd. Seine
Jaͤgertaſche ſtopfte er mit gebratenen Kartoffeln
und mit einem derben Stuͤkke Schildkroͤten-
braten aus, welches er in Kokusblaͤtter gewik-
kelt hatte. Dan ſtekte er ſein Beil an die
Seite, wand das Strik, welches er geſtern
zum Lamafang gedreht hatte, um den Leib,
nahm ſeinen Sonnenſchirm in die Hand und
machte ſich auf den Weg.


Es
[190]

Es war noch ſehr fruͤh am Tage. Er be-
ſchloß daher, diesmahl einen Umweg zu neh-
men, um zugleich noch einige andere Gegen-
den ſeiner Inſel kennen zu lernen. Unter der
Menge von Voͤgeln, wovon die Baͤume wim-
melten, ſahe er auch viele Papegaien von
wunderſchoͤnen Farben. Wie gern haͤtte er ei-
nen davon gehabt, um ihn zahm und zu ſei-
nem Geſelſchafter zu machen! Aber die Alten
waren zu klug, um ſich greifen zu laſſen, und
ein Neſt mit Jungen ſah er nirgends. Er
mußte alſo die Befriedigung dieſes Wunſches
fuͤr dasmahl aufſchieben.


Dafuͤr aber entdekte er auf dieſem Wege
etwas, welches ihm noͤthiger, als ein Pape-
gai war. Indem er nemlich einen Huͤgel
nahe am Meere beſtieg und von da herab
zwiſchen Felſenkluͤften hinblikte, ſahe er daſelbſt
etwas liegen, welches ſeine Neubegierde reizte.
Er kletterte alſo hinab und fand zu ſeinem
groſſen Vergnuͤgen, daß es — was meint
ihr?


Diderich. — Perlen waren!


Jo-
[191]

Johannes. Ja daruͤber wuͤrde er ſich
gefreut haben! — Es war wohl Eiſen?


Nikolas. I, weißt du nicht mehr, daß
in den heiſſen Laͤndern kein Eiſen gefunden
wird? — Es mogte wohl wieder ein Klum-
pen Gold ſein!


Lotte. Ich dachte gar! Wuͤrde er ſich
denn daruͤber wohl gefreut haben? Das Gold
kont' er ja nicht brauchen!


Vater. Ich ſehe wohl, ihr werdet es
doch nicht rathen; ich wil's alſo nur ſelbſt ſa-
gen. Was er fand, war — Salz.


Zwar hatte er den Mangel deſſelben bisher
durch Seewaſſer einigermaſſen erſezt: aber es
war doch das nicht. Das Seewaſſer hat auch
zugleich einen bittern Geſchmak, der ſehr un-
angenehm iſt, und daß ſein Boͤkelfleiſch ſich
darin halten wuͤrde, war ein Irthum; weil
dieſes Seewaſſer, eben ſo wie Brunnen: oder
Flußwaͤſſer, faul wird, ſo bald es ſtil ſteht.
Es that ihm alſo recht wohl, daß er hier
wirkliches Salz fand. Auch fuͤhlte er ſeine bei-
den
[192] den Roktaſchen damit an, um ſogleich etwas
davon mitzunehmen.


Gotlieb. Wie war denn das Salz da-
hin gekommen?


Vater. Du erinnerſt dich wohl nicht
mehr an das, was ich von dem Urſprunge des
Salzes euch einmahl erzaͤhlt habe?


Johannes. O ja, ich weiß noch! Sie
graben welches aus der Erde; und dan ſo
kochen ſie auch was aus ſalzigem Waſſer, wel-
ches aus der Erde hervorquilt, und dan ſo
iſt auch was in dem Meerwaſſer!


Vater. Ganz recht. Nun aus dem
Meerwaſſer kochen, ſo wohl die Menſchen,
als auch die Sonne, Salz.


Gotlieb. Die Sonne?


Vater. Ja; indem nemlich nach einer
hohen Fluth, oder nach einer Ueberſchwem-
mung Seewaſſer auf dem Lande zuruͤk bleibt,
ſo troknet die Sonne nach und nach dies Waſ-
ſer aus und was denn an dem Orte uͤbrig
bleibt, das iſt Salz.


Lotte. I, das iſt ja naͤrriſch!


Va-
[193]

Vater. So guͤtig hat der liebe Gott
fuͤr uns geſorgt, daß dasjenige, was uns am
unentbehrlichſten iſt, die wenigſte Zubereitung
durch Kunſt erfodert, und am haͤufigſten da
iſt.


Robinſon ging nun vergnuͤgt nach dem
Orte hin, wo er ein Lama zu erhaſchen hof-
te. Da er ankam, war keins derſelben da;
aber es war auch noch nicht ganz Mittag.
Er lagerte ſich alſo unter einem Baume,
um ſich unterdeß von ſeinem Braten und von
ſeinen Kartoffeln guͤtlich zu thun! O wie viel
kraͤftiger ſchmekte ihm jezt beides, da er es
mit etwas Salz genieſſen konte!


Eben da er mit ſeiner Mahlzeit fertig
war, zeigten ſich in der Ferne die herbei huͤp-
fenden Lama's. Robinſon ſtelte ſich ge-
ſchwind in Poſitur, und wartete mit aufge-
hobener Schlinge, bis eins derſelben ſich ihm
naͤhern wuͤrde. Jezt waren ſchon verſchiedene
von ihnen voruͤber gegangen, ohne daß er ſie
erreichen konte: aber ploͤzlich kam ihm eins ſo
nahe, daß er nur ſeine Haͤnde durfte fallen
N
laſ-
[194] laſſen, um es in der Schlinge zu haben. Er
that's und in dem Augenblikke war das La-
ma ſein!


Es wolte bloͤken; aber aus Beſorgniß,
daß die Andern dadurch ſcheu werden moͤgten,
zog er die Schlinge ſo feſt zu, daß dem Thie-
re das Schreien wohl vergehen muſte. Dan
zog er es, ſo geſchwind er nur konte, ins
Gebuͤſch, um den Uebrigen aus den Augen
zu kommen.


Das gefangene Lama war eine Mutter
zweier Laͤmmer. Zu Robinſons groſſer
Freude folgten dieſe ihr auf dem Fuſſe nach;
und ſchienen ſich gar nicht vor ihm zu fuͤrch-
ten. Er ſtreichelte die kleinen lieben Dinger,
und ſie — recht als wenn ſie ihn bitten wol-
ten, daß er doch ihre Mutter moͤgte gehen
laſſen — lekten ihm die Hand.


Gotlieb. O da haͤtte er ſie doch auch
muͤſſen gehen laſſen!


Vater. Da waͤr' er wohl ein groſſer
Nar geweſen, wenn er das gethan haͤtte!


Got-
[195]

Gotlieb. Ja, aber das arme Thier
hatte ihm ja nichts gethan!


Vater. Er aber brauchte ſeiner; und
du weißt ja, lieber Gotlieb, daß es uns er-
laubt iſt, die Thiere zu brauchen, wozu ſie
gut ſind, wenn wir ſie nur nicht misbrau-
chen!


Nun, Robinſon war hoch erfreut, daß
er ſeinen Wunſch ſo gluͤklich erreicht hatte.
Er zog das gefangene Thier, ſo ſehr es ſich
ſtraͤubte, aus allen ſeinen Kraͤften mit ſich
fort, und die beiden Laͤmmerchen folgten ihm.
Der kuͤrzeſte Weg war ihm jezt der liebſte;
und auf dieſem langte er endlich gluͤklich bei
ſeiner Wohnung an.


Aber nun war die Frage, wie er das
Lama auf ſeinen Hofraum bringen ſolte,
den er, wie wir wiſſen, auf allen Seiten
feſt zugemacht hatte. Es oben von dem Fel-
ſen am Strik hinab zu laſſen, war wohl nicht
thunlich, weil er beſorgen muſte, daß es un-
terwegens erſtikken wuͤrde. Er beſchloß alſo,
vor der Hand einen kleinen Stal neben ſeinem
N 2
Hof-
[196] Hofplaze zu machen, und das Lama mit ſei-
nen Jungen ſo lange darin zu verwahren,
bis er irgend eine beſſere Anſtalt wuͤrde ge-
troffen haben.


Bis dieſer Stal fertig waͤre, band er es
an einen Baum und fing ſo gleich die Arbeit
an. Er hieb nemlich mit ſeinem ſteinernen
Beil eine Anzahl junger Baͤume ab, und
pflanzte ſie ſo dicht neben einander in die Erde,
daß ſie eine ziemlich feſte Wand machten. Das
Lama hatte ſich unterdeß vor Muͤdigkeit nie-
der gelegt, und die Laͤmmer, die nichts da-
von wußten, daß ſie Gefangene waͤren, lagen
ſorglos an ihren Zizen und lieſſen ſichs wohl
ſchmekken.


Was das fuͤr ein erfreulicher Anblik fuͤr
unſern Robinſon war! Zehnmahl ſtand er ſtil,
um den lieben Thierchen zuzuſehen, und ſich
gluͤklich zu ſchaͤzen, daß er doch nun wenig-
ſtens einige lebendige Geſchoͤpfe zu ſeiner Ge-
ſelſchaft habe! Von dieſem Augenblikke an,
ſchien ſein Leben ihm nicht mehr ganz einſam
zu ſein, und die Freude daruͤber gab ihm ſo
viel
[197] viel Kraft und Munterkeit, daß er in kurzer
Zeit mit der Anlegung des Stals zu Stande
kam. Dan fuͤhrte er das Lama mit ſeinen
Jungen hinein und verzaͤunte die lezte Oef-
nung mit dichten Zweigen.


Wie vergnuͤgt er nun war — O das laͤßt
ſich mit Worten nicht beſchreiben! Auſſer der
Geſelſchaft dieſer Thiere, die ihm allein ſchon
unſchaͤzbar war, verſprach er ſich noch viel an-
dere, recht große Vortheile davon; und das
mit Recht! Von ihrer Wolle konte er ſich
vielleicht mit der Zeit irgend eine Kleidung
machen lernen, ihre Milch konte er eſſen, kon-
te auch Butter und Kaͤſe davon machen. Wie
er dies alles eigentlich anfangen wuͤrde, das
wußte er zwar noch nicht; aber er hatte nun
ſchon hinlaͤnglich erfahren, daß man an ſeiner
Geſchiklichkeit nicht verzweiflen muͤſſe, wenn
man nur Luſt und Fleiß genug zur Arbeit
braͤchte.


Eins fehlte noch, um ſein Gluͤk volkom-
men zu machen. Er wuͤnſchte mit ſeinen lie-
ben Thieren von einerlei Waͤnden eingeſchloſ-
N 3
ſen
[198] ſen zu ſein, um ſie immer vor Augen zu ha-
ben, ſo oft er zu Haus waͤre, und um ſich
die Freude zu machen, ſie an ſeine Geſelſchaft
gewoͤhnt zu ſehen.


Lange zerbrach er ſich den Kopf daruͤber,
wie er das wohl anzufangen habe? Endlich
beſchloß er, es ſo zu machen. Er wolte nem-
lich ſich die Muͤhe nicht verdrieſſen laſſen, die
Baumwand ſeines Hofraums an einer Seite
einzureiſſen und eine Neue von etwas groͤſſe-
rem Umfange anzulegen, damit ſein Hof zu-
gleich ein wenig erweitert wuͤrde. Um aber
unter der Zeit, daß er die neue Baumwand
anlegte, doch auch zugleich ſicher wohnen zu
koͤnnen, nahm er ſich kluͤglich vor, die alte
Wand nicht eher einzureiſſen bis er mit der
neuen wuͤrde fertig geworden ſein.


Durch unverdroſſenen Fleiß ward das Werk
in einigen Tagen vollendet; und ſo hatte Ro-
binſon
die herzliche Freude, ſich in Geſel-
ſchaft dreier Hausgenoſſen zu finden. Indeß
vergaß er daruͤber nicht, wie viel Vergnuͤgen
ihm die Entdekkung ſeiner erſten Geſelſchafte-
rin,
[199] rin, der Spinne, verurſachet haͤtte, und fuhr
fort, ſie taͤglich mit Fliegen und Muͤkken zu
verſorgen. Das Thier merkte auch bald ſeine
freundſchaftlichen Geſinnungen gegen ſich und
wurde ſo vertraut, daß es, ſo oft er das Nez
beruͤhrte, hervorkam, um ihm die Fliege aus
der Hand zu nehmen.


Auch das Lama und die Jungen gewoͤhn-
ten ſich bald an ſeine Geſelſchaft. So oft er
zu Hauſe kam, ſprangen ſie ihm entgegen,
berochen ihn, ob er ihnen nichts mitgebracht
habe, und lekten ihm dankbar die Hand, ſo
oft ſie friſches Gras oder junge Baumreiſer
von ihm erhalten hatten.


Er gewoͤhnte darauf die Jungen von der
Muttermilch ab, und fing an, die Alte des
Morgens und des Abends ordentlich zu mel-
ken. Zu Gefaͤßen dieneten ihm ſeine Kokus-
ſchalen, und der Genuß der Milch, die er
zum Theil ſuͤß verzehrte, zum Theil ſauer
werden ließ, vermehrte das Vergnuͤgen ſeines
einſamen Lebens um vieles.


N 4
Da
[200]

Da der Kokusbaum ihm ſo ſehr viel Vor-
theile verſchafte: ſo haͤtte er ihn gar zu gern
vervielfaͤltiget geſehen. Aber wie ſolt' er das
anfangen? Er hatte wohl gehoͤrt, daß man
Baͤume zu pfropfen oder einzuimpfen pflege;
aber wie das eigentlich gemacht werden muͤſſe,
darum hatte er ſich niemahls bekuͤmmert. O,
ſeufzte er oft, wie wenig habe ich in meiner
Jugend meinen Vortheil gekant, daß ich nicht
auf Alles, was ich ſahe oder hoͤrte, recht ge-
nau Achtung gab, um den Leuten alle ihre
Kuͤnſte abzulernen! Haͤtte ich das Gluͤk' noch
einmahl jung zu werden: o wie wolt' ich
aufmerkſam ſein auf Alles, was Menſchen
Haͤnde und menſchliche Geſchiklichkeit nur im-
mer machen koͤnnen! Es ſolte kein Handwer-
ker, kein Kuͤnſtler ſein, dem ich nicht etwas
von ſeinen Kunſtſtuͤkken ablernen wolte.


Aber was halfen ihm dieſe Klagen jezt,
da es zu ſpaͤt war, ihnen abzuhelfen? Beſſer
wars, er richtete alle ſeine Gedanken darauf,
wie er den Mangel an gelernten Kuͤnſten durch
ſeine
[201] ſeine Erfindſamkeit erſezen moͤgte. Und das
that er denn auch wirklich.


Ohne zu wiſſen, ob er es recht mache,
ſchnitte er ein Paar junge Baͤume ab, mach-
te in der Mitte des Stams einen kleinen Ein-
ſchnit, ſtekte ein junges Reis vom Kokusbaum
da hinein, umwand darauf die Stelle des
Einſchnits mit Baumbaſt; und erwartete mit
Ungeduld, was wohl der Erfolg ſein wuͤrde?
Und ſiehe! auch dieſes mußte ihm gelingen.
Nach einiger Zeit fingen die eingepfropften
Reiſer an zu gruͤnen, und das Mittel war
alſo gefunden, ſich nach und nach einen gan-
zen Wald von Kokusbaͤumen zu zuziehen!


Neue Urſache zur Freude! Neuer Antrieb
zur innigſten Dankbarkeit gegen den Schoͤpfer,
der ſo unzaͤhlbare Kraͤfte und Eigenſchaften
in die Natur der Dinge gelegt hat, daß es
ſeinen lebendigen Geſchoͤpfen nirgends an Mit-
teln fehlt, ſich zu erhalten und ihren Zuſtand
angenehm zu machen!


Das alte und die jungen Lama's waren in
kurzer Zeit ſo zahm geworden, als bei uns
N 5
die
[202] die Hunde ſind. Er fing daher nach und nach
an, ſich ihrer zu ſeiner Bequemlichkeit, als
Laſtthiere zu bedienen, ſo oft er etwas einho-
len wolte, welches zu tragen ihm ſelbſt zu
ſchwer geworden waͤre.


Johannes. Ja, wie kont' er ſie aber
mitnehmen, da er ſie aus ſeinem Hofplaze
nicht heraus kriegen konte?


Vater. Ich habe vergeſſen zu ſagen,
daß er in der neuen Seitenwand und zwar
an einer Stelle, die an ein dikkes Gebuͤſch
grenzte, eine Oefnung gelaſſen hatte, die grade
ſo groß war, daß ein Lama durchkriechen kon-
te. Dieſes Loch war von auſſen gar nicht
ſichtbar, und von innen flochte er es jeden
Abend mit dichten Zweigen zu.


Das war nun recht niedlich anzuſehen,
wenn er ſo zu Hauſe kam und das bepakte
Lama vor ſich her gehen ließ! Es wußte den
Ruͤkweg ſo gut zu finden, als er ſelbſt und
ſobald es an die kleine Thuͤre kam, ſtand es
ſtil, um ſich ſeine Buͤrde erſt abnehmen zu
laſſen. Dan kroch es gebuͤkt hinein, und
Ro-
[203]Robinſon folgte ihm auf eben dieſem Wege.
Dan hatten die jungen Lama's ihr Feſt! Sie
druͤkten ihre Freude durch Springen und Bloͤ-
ken aus, ranten bald zur Mutter, um ſie zu
bewilkommen, bald zu ihrem Herrn, um auch
ihm zu liebkoſen. Robinſon ergoͤzte ſich dan
an ihrer Freude, wie ein Vater an der Freude
ſeiner Kinder, wenn er nach einer Abweſen-
heit von einiger Zeit ſie wieder in ſeine Arme
ſchließt.


Freund B. Es iſt doch ſehr merkwuͤr-
dig, daß die Thiere ſo erkentlich ſind gegen
den Menſchen, der ihnen gutes thut!


Vater. Davon hat man viele, unge-
mein merkwuͤrdige Beiſpiele, die einen faſt
auf die Vermuthung bringen koͤnten, daß
einige Thiere ordentlich Menſchenverſtand ha-
ben, wenn man nicht aus andern Gruͤnden
wuͤßte, daß es ihnen daran fehlt.


Diderich. Ach ja, der Loͤwe, wovon
in unſerm Sittenbuͤchlein ſteht, und der
Man — i wie hieß er doch?


Johannes. Androklus!


Di-
[204]

Diderich. Ach ja! — der dem Loͤwen
eine Dornſpize aus der Klaue gezogen hatte!


Gotlieb. Das war doch ein recht guter
Loͤwe! Er hatte den Androklus ſo lieb da-
fuͤr, daß er das an ihm gethan hatte, und
that ihm nachher nichts zu Leide, da er ihn
zerreiſſen ſolte. — Ja, wenn ſie alle ſo waͤ-
ren, ſo moͤgt' ich auch wohl einen Loͤwen
haben.


Johannes. Mir gefaͤlt doch der Hund,
den einmahl der Schweizer hatte, noch viel
beſſer!


Lotte. Was fuͤr ein Hund?


Johannes. J weißt du nicht mehr?
Der den beiden Menſchen das Leben rettete?


Lotte. O erzaͤhle doch, lieber Johan-
nes!


Johannes. Es war einmahl ein Man
in der Schweiz, wo die hohen Alpenberge
ſind —


Lotte. Ach ja, wo die Murmelthiere
wohnen?


Jo-
[205]

Johannes. Ja da! — Na, der Man
ſtieg auf einen abſcheulich hohen Berg hinauf,
o der war ſo hoch, ſo hoch — als wenn du
den Michaelisthurm zehnmahl auf einander
ſezeſt!


Gotlieb. Du laͤßt was aus, lieber
Bruder! Er nahm auch einen Wegweiſer
mit!


Johannes. Freilich that er das! — Na,
und der Wegweiſer nahm ſeinen Hund mit.
Als ſie nun oben auf den Berg gekommen
waren —


Gotlieb. Ja, und der Berg war ganz
mit Schnee bedekt —


Johannes. O ſo laß doch! — Ja, der
Berg war ganz mit Schnee bedekt; und als
ſie nun bald oben waren, da glitſchte der Herr
aus, und da ihm der Wegweiſer helfen wol-
te, glitſchte er auch aus, und ſo glitſchten ſie
beide hinunter, und waren nur noch ein Paar
Schritte von dem Rande ab, von welchem
ſie faſt eine halbe Meile tief haͤtten hinun-
ter fallen muͤſſen. Da pakte der gute Hund
ſeinen
[206] ſeinen Herrn bei dem Schooß und hielt ihn
feſt, daß er nicht weiter glitſchen konte, und
dieſer hielt den Andern feſt, bis ſie ſich beide
wieder aufgerichtet hatten.


Gotlieb. Ja, nun mußt du aber auch er-
zaͤhlen, was der fremde Herr da ſagte! Ich
weiß es noch.


Johannes. O ich auch! Er bat den
Wegweiſer, daß er ihn zuweilen beſuchen
moͤgte, da wo er zu Haus war, und denn
ſolte er doch ja immer auch den Hund mit-
bringen; dem wolt' er denn auch immer eine
Wurſt braten laſſen.


Lotte. That denn das der Man auch?


Johannes. O ja! So oft der Weg-
weiſer ihn beſuchte, traktierte er ihn immer
aufs Beſte und dem Hunde ließ er allemahl
eine Bratwurſt vorſezen.


Lotte. Das war recht!


Vater. Nun, Kinder, wir ſind von
unſerm Robinſon abgekommen; wollen wir
es heute dabei bewenden laſſen?


Got-
[207]

Gotlieb. O nein, lieber Vater! Noch
ein klein Bischen von Robinſon!


Vater. Jezt waren ſeine Bakſteine hart
genug, um gebraucht zu werden. Er ſuchte
alſo eine leimigte Erde auf, womit er, in
Ermangelung des Kalchs, ſeine Mauer aufzu-
fuͤhren dachte; und fand ſie. Dan machte
er ſich eine Mauerkelle von einem platten
Steine und um Alles, was zu der Maurerei
gehoͤrt, recht volſtaͤndig zu haben, machte er
ſich ſogar eine Art von Sezwage und Richt-
ſcheid,
freilig ſo gut, als es ſich wolte thun
laſſen. Ihr wißt doch noch, was das fuͤr
Dinger ſind?


Nikolas. O ja, die haben wir ja oft
genug geſehen!


Vater. Nachdem er alſo mit allen An-
ſtalten, die zum Mauern erfordert werden,
fertig war, ließ er von ſeinem Lama die be-
noͤthigte Zahl Bakſteine herbei tragen.


Johannes. Wie konte er denn die
Bakſteine dem Lama auflegen?


Va-
[208]

Vater. Wie er das anfing' werdet ihr
ſchwerlich errathen; ich wil's alſo nur gleich
ſelbſt ſagen.


Er hatte ſchon lange gemerkt, wie nuͤzlich
es ihm ſein wuͤrde, wenn er etwas von der
nuͤzlichen Kunſt, Koͤrbe zu flechten, verſtuͤnde.
Aber in ſeiner Jugend hatt' er es ſo wenig
der Muͤhe werth geachtet, einem Korbmacher
aufmerkſam zuzuſehen, daß er von dieſer, an
ſich nicht ſchweren Kunſt, nicht mehr, als
von allen uͤbrigen nuͤzlichen Kuͤnſten, verſtand,
das heißt, ſo viel, als gar nichts.


Da es ihm aber gleich anfangs gelungen
war, einen Sonnenſchirm zu flechten: ſo
wandte er nachher oft eine muͤſſige Stunde
dazu an, ſich ferner darin zu uͤben. Und da
entdekte er denn immer einen Handgrif nach
dem andern, bis er endlich ſo geſchikt wurde,
einen ziemlich feſten Korb zu machen. Sol-
cher Koͤrbe nun hatte er zwei fuͤr ſein Lama
verfertiget. Dieſe band er mit einem Strik-
ke zuſammen, und legte ſie dem Lama auf
den
[209] den Ruͤkken und zwar ſo, daß von jeder Seite
deſſelben einer hinab hing.


Gotlieb. O Vater, ich moͤgte auch wohl
Koͤrbe machen lernen!


Vater. Ich ſelbſt auch, lieber Gotlieb;
und ich werde daher naͤchſtens einen Korbma-
cher bitten, daß er uns einigen Unterricht
gaͤbe.


Gotlieb. O das iſt ſchoͤn! Da wil ich
meiner Lotte auch ein huͤbſches nettes Koͤrb-
chen machen.


Lotte. O ich werde es auch mit lernen!
Nicht wahr, Vater?


Vater. O ja! Es kan dir auch nicht
ſchaden. Es fehlt uns doch zuweilen an einer
Arbeit, wenn ich euch was erzaͤhle; da wird
uns denn das Korbflechten vortreflich zu ſtat-
ten kommen.


Robinſon fing alſo ſeine Maurerarbeit
an, und ſie ging ihm ziemlich gut von ſtat-
ten. Schon hatt' er die eine Seitenmauer
ſeiner Kuͤche aufgefuͤhrt und zu der andern
ſchon den Grund gelegt: als ſich ploͤzlich et-
O
was
[210] was ereignete, welches er nicht vorher geſehen
hatte, und welches einen gewaltigen Strich
durch ſeine Rechnung machte.


Johannes. Was war denn das?


Lotte. O ich weiß ſchon! Die wilden
Menſchen ſind gekommen und haben ihn auf-
gegeſſen!


Gotlieb. Bewahre! Iſt das wohl
wahr, Vater?


Vater. Nein, das nicht; aber es war
etwas, welches ihm beinahe eben ſo groſſen
Schrekken verurſachte, als wenn die Wilden
ihn haͤtten lebendig braten wollen.


Johannes. O nu! Was war's denn?


Vater. Es war Nacht, und Robin-
ſon
lag ruhig auf ſeinem Lager, die treuen
Lama's zu ſeinen Fuͤſſen. Der Mond ſtand
in ſeiner ganzen Herlichkeit am Himmel; die
Luft war rein und ſtil, und ein tiefes Schwei-
gen herſchte durch die ganze Natur. Robin-
ſon,
von der Arbeit des Tages ermuͤdet, lag
ſchon im ſuͤſſen Schlummer und traͤumte, wie
er ſehr oft zu thun pflegte, von ſeinen lieben
El-
[211]Eltern: als ploͤzlich — aber nein! mit einer
ſo ſchreklichen Begebenheit wollen wir dieſen
Abend nicht beſchlieſſen! Es koͤnte uns die
Nacht davon traͤumen, und dan wuͤrden wir
einen unruhigen Schlaf haben.


Alle. Oh!


Vater. Laßt uns vielmehr unſere Ge-
danken auf etwas Angenehmes richten, um
auch dieſen Tag mit Freuden und Dank gegen
unſern guten Vater im Himmel beſchlieſſen
zu koͤnnen. — Komt, liebe Kinder, erſt wol-
len wir zu unſern Blumenbeeten und dan zu
unſerer Laube gehn.


Neunter Abend.


Nachdem der Vater bis zu Ende des vori-
gen Kapittels erzaͤhlt hatte, fielen ſo viel
andere Geſchaͤfte vor, daß verſchiedene Abende
O 2
ver-
[212] verſtrichen, bevor er wieder Zeit gewan, ſeine
Geſchichte fortzuſezen.


Die kleinen Leute des Hauſes waren in-
deß nicht wenig bekuͤmmert, wie es dem armen
Robinſon doch wohl moͤgte ergangen ſein; und
ſie haͤtten gern ihren beſten Kreuſel oder wohl
noch etwas Lieberes darum gegeben, wenn
ihnen einer haͤtte ſagen koͤnnen, was in der
Nacht, wovon zulezt die Rede war, ſich denn
eigentlich zugetragen habe? Aber das konte
ihnen niemand, als der Vater ſelbſt, ſagen;
und der fand fuͤr gut, es ihnen nicht eher
zu ſagen, als bis er wieder Zeit gewoͤnne, in
ſeiner Erzaͤhlung ordentlich fortzufahren.


Das war nun ein ewiges Rathen und
Kopfbrechen unter ihnen die ganze Zeit hin-
durch, daß der Vater ſein beſchwerliches
Stilſchweigen fortſezte. Der Eine rieth dies,
der Andere jenes; aber nichts von alle dem,
was ſie riethen, wolte ſo ganz zu den Um-
ſtaͤnden paſſen, die ſie von der unbekanten
Begebenheit ſchon gehoͤrt hatten.


„Aber
[213]

„Aber warum ſollen wir's denn noch
nicht wiſſen?„ fragten einige unter ihnen mit
recht klaͤglichen Gebehrden?


„Ich habe meine Urſachen„, antwortete
der Vater.


Die Kinder, welche gewoͤhnt waren, ſich
mit dieſer Antwort zu begnuͤgen, drangen nicht
weiter in ihn, und erwarteten mit beſcheide-
ner Sehnſucht die Stunde, da dieſe Urſachen
ſeines Stilſchweigens aufhoͤren wuͤrden. Indeß,
weil die erwachſenen Leute den Kindern leicht
ins Herz ſehen und alle ihre Gedanken erra-
then koͤnnen, ſo war es auch dem Vater nicht
ſchwer, einigen unter ihnen den Gedanken an
der Stirn zu leſen: „aber was koͤnten doch
das wohl fuͤr Urſachen ſein, die ihn abhalten,
uns den Gefallen zu thun. „ Er hielt es al-
ſo fuͤr noͤthig, ſie bei dieſer Gelegenheit noch
einmahl zu uͤberzeugen, daß es ihm nicht an
gutem Willen fehle, ihnen ſo viel Freude zu
machen, als er nur koͤnne, und daß er alſo
wichtige Urſachen haben muͤſſe, warum er ih-
O 3
nen
[214] nen nicht jezt das Vergnuͤgen gewaͤhrte, ihnen
weiter zu erzaͤhlen.


„Bereitet euch, ſagte er zu ihnen, Morgen
mit dem Fruͤheſten die laͤngſt gewuͤnſchte Reiſe
nach Travemuͤnde zur Oſtſee anzutreten!„


Nach Travemuͤnde? — Zur Oſtſee? —
Morgen fruͤh? — Ich auch, lieber Vater? —
Ich auch? — ſo fragten alle mit einem Mun-
de, und da ein algemeines Ja! alle dieſe
Fragen auf einmahl beantwortete: ſo entſtand
ein Freudengeſchrei, dergleichen wohl kuͤrzlich
nicht gehoͤrt worden, und wohl ſo bald nicht
wieder gehoͤrt werden duͤrfte.


„Nach Travemuͤnde! Nach Travemuͤnde!
Wo iſt mein Stok? Hanne, wo ſind meine
Halbſtiefel? Geſchwind, die Buͤrſte! Den
Kam! Reine Waͤſche! Nach Travemuͤnde! O
Geſchwind! Geſchwind! — „ ſo ging's durchs
ganze Haus, daß alle Waͤnde davon erſchol-
len.


Alles ward nun zur morgenden Wander-
ſchaft vorbereitet; und die kleinen Wanderer
thaten in dem Feuer ihrer Freude tauſend
Fra-
[215] Fragen, ohne eine einzige Antwort abzuwar-
ten. Mit Muͤhe waren ſie dahin zu bringen,
ſich denſelben Abend zu Bette zu legen, weil
ſie die Zeit nicht erwarten konten, daß der
Tag wieder anbrechen und die Reiſe angetre-
ten wuͤrde.


Jezt brach die erſte Morgendaͤmmerung
an; und das ganze Haus ward laut. Vor
allen Schlafzimmern ward getrommelt; und
da half nichts, es muſte Alles heraus!


Und da nun Alles, Groß und Klein, auf
den Beinen war, und die Erſten von den
Lezten durch Liebkoſungen und Freudensbezei-
gungen faſt aufgerieben wurden: rieb der
Vater die Augen und ſagte in einem Tone,
der mit der algemeinen Stimme der Freude
einen erbaͤrmlichen Misklang machte:


„Kinder, wenn ihr mir einen Gefallen
thun woltet, ſo ſpraͤchet ihr mich heute frei
von meinem Verſprechen!„


„Von welchem? Von welchem? — und
jeder Mund, der dieſe Frage that, blieb vor
O 4
aͤngſt-
[216] aͤngſtlicher Erwartung und vor halben Schrek-
ken offen ſtehen.


Vater. Von dem Verſprechen, heute
mit euch nach Travemuͤnde zu gehn. —


Nun war der Schrekken ganz; keiner
konte eine Silbe hervorbringen.


Vater. Ich habe dieſe Nacht bedacht,
daß wir einen dummen Streich machen wuͤr-
den, wenn wir dieſe Reiſe ſchon heute an-
traͤten.


„J, warum denn?„ — mit halberſtik-
ter Stimme, und mit einer zuruͤk gehaltenen
Traͤne.


Vater. Das wil ich euch ſagen, und
ihr moͤget dan ſelbſt entſcheiden. — Erſtlich
haben wir ſeit einiger Zeit immer Oſtwind
gehabt, und der treibt alles Waſſer aus der
Trave ſo geſchwind ins Meer, daß aus dem
Hafen bei Travemuͤnde kein einziges Schif
auslaufen und auch keins in denſelben einlau-
fen kan, weil das Waſſer in der Muͤndung
des Fluſſes viel zu ſeicht iſt. Und Eins oder
das
[217] das Andere wolten wir doch wohl Alle gern
ſehen, wenn wir einmahl da ſind!


„O der Wind kan ſich ja heute wohl
noch umſezen!„


Vater. Dan iſt mir noch etwas einge-
fallen. Wenn wir noch vier Wochen warte-
ten: ſo waͤre grade die Zeit, da die Haͤ-
ringe
in ihrem groſſen Zuge, aus dem Eis-
meere herunter, auch in das Baltiſche Meer
oder in die Oſtſee kommen. Dan ſchwimt
ein ganzes Heer derſelben auch bis zur Muͤn-
dung der Trave, wo die Fiſcher ihrer eine
groſſe Menge mit leichter Muͤhe aus dem
Waſſer herausziehen. Das wolten wir doch
auch wohl gerne ſehen? Nicht wahr?


„Ja — aber — „


Vater. Nun hoͤrt aber noch meinen
wichtigſten Grund! Was wuͤrden unſere neuen
Freunde Mathias und Ferdinand, die erſt in
vier Wochen zu uns kommen, von uns denken,
wenn wir dieſe Luſtreiſe angeſtelt haͤtten, ohne
erſt ihre Ankunft zu erwarten, um ſie mitzuneh-
men? Wuͤrden ſie nicht uͤber uns ſeufzen, ſo oft wir
O 5
kuͤnf-
[218] kuͤnftig von dem Vergnuͤgen dieſer Reiſe rede-
ten, und wuͤrde uns Allen denn wohl die
Erinnerung daran noch Freude machen koͤn-
nen? Nein, gewiß nicht! Wir wuͤrden uns
immer geheime Vorwuͤrfe machen, daß wir nicht
das an ihnen gethan haͤtten, was wir wuͤnſch-
ten, daß ſie an uns thun moͤgten, wenn
wir jezt in ihrer Stelle und ſie in der Un-
ſrigen waͤren. — Alſo was ſagt ihr?


Ein tiefes Stilſchweigen.


Vater. Ihr wißt, ich habe nie mein
Wort gebrochen; beſteht ihr alſo darauf, ſo
marſchiren wir ab. Sprecht ihr mich aber
ſelbſt frei davon, ſo thut ihr mir, und un-
ſern kuͤnftigen Freunden, und euch ſelbſt einen
Dienſt. Alſo, ſprecht! Was ſol geſchehen?


„Wie wollen warten,„ war die Ant-
wort, und ſo wurde alſo die ſchoͤne Luſtreiſe
bis auf weiter ausgeſezt.


Man konte deutlich ſehen, daß einigen
unter ihnen dieſe Selbſtuͤberwindung viel
gekoſtet hatte. Dieſe waren auch den ganzen
Tag uͤber lange nicht ſo froͤhlichen Muths,
als
[219] als ſie ſonſt wohl zu ſein pflegten. Das gab
denn dem Vater Gelegenheit, ſie am Ende
des Tages folgendermaßen anzureden:


„Kinder, was euch heute begegnet iſt, das
wird in eurem kuͤnftigen Leben euch noch ſehr
oft begegnen. Ihr werdet, bald dieſes, bald
jenes irdiſche Gluͤk erwarten; eure Hofnung
wird ſehr gegruͤndet ſcheinen und euer Ver-
langen darnach wird ungemein feurig ſein.
Aber in dem Augenblikke, da ihr das ver-
meinte Gluͤk zu ergreifen meint, wird die al-
weiſe goͤtliche Vorſehung ploͤzlich einen uner-
warteten Strich durch eure Rechnung machen,
und ihr werdet euch in eurer Hofnung jaͤm-
merlich betrogen finden.„


„Die Urſachen, warum euer himliſcher
Vater ſo mit euch verfahren wird, werdet
ihr ſo deutlich und ſo gewiß ſelten einſehen,
als ihr dieſem Morgen diejenigen Urſachen
einſahet, warum wir heute nicht nach Trave-
muͤnde gehen wolten. Denn da Gott unend-
lich weiſer iſt, als ich bin: ſo ſieht er auch
immer in die entfernteſte Zukunft und laͤßt
uns
[220] uns zu unſerm Beſten oft etwas begegnen,
wovon wir die gluͤklichen Folgen erſt lange
nachher, ja wohl erſt in dem ewigen Leben
erfahren werden. Ich hingegen ſahe nur auf
vier Wochen voraus.„


„Waͤre nun in eurer Jugend euch Alles
immer nach Wunſche gegangen, und haͤttet
ihr dasjenige, was ihr hoftet, jedesmahl zur
beſtimten Zeit richtig erhalten: o Kinder, wie
wuͤrde das in eurem kuͤnftigen Leben euch
ſchlecht bekommen! Wie wuͤrde dadurch euer
Herz verwoͤhnt werden, und wie ungluͤklich
wuͤrde dies ſo verwoͤhnte Herz euch in der Fol-
ge machen, wenn die Zeit erſt wird gekommen
ſein, da euch nicht Alles mehr ſo ganz nach
Wunſche gehen wird, als jezt! Und dieſe
Zeit wird kommen, meine Lieben; ſie wird
eben ſo gewiß fuͤr euch kommen, als ſie fuͤr
alle andere Menſchen zu kommen pflegt. Denn
noch iſt kein Menſch auf Erden erfunden wor-
den, der da haͤtte ſagen koͤnnen, daß es ihm
in allen Dingen voͤllig nach ſeinem Sinne ge-
gangen waͤre.„


„Was
[221]

„Was iſt demnach hierbei zu thun, ihr
lieben Kinder? — Nichts anders, als dieſes,
daß ihr euch ſchon jezt in eurer Jugend uͤbet,
oft ein Vergnuͤgen zu entbehren, deſſen ihr
fuͤr euer Leben gern genoſſen haͤttet. Dieſe oft
wiederhohlte Selbſtuͤberwindung wird euch
ſtark machen, ſtark am Geiſt und Herzen, um
kuͤnftig mit gelaſſener Standhaftigkeit Alles,
Alles ertragen zu koͤnnen, was der weiſe und
gute Gott zu eurem Beſten uͤber euch verhen-
gen wird.„


„Seht, Kinder, hier habt ihr den Schluͤſ-
ſel zu manchem, euch raͤthſelhaft ſcheinenden
Betragen, welches wir Erwachſene zuweilen
gegen euch zu beobachten pflegen! Ihr wer-
det euch erinnern, daß wir euch oft ein Ver-
gnuͤgen verſagten, deſſen ihr gern genoſſen
haͤttet. Zuweilen ſagten wir euch wohl die
Urſachen unſerer abſchlaͤgigen Antwort, (wenn
ihr nemlich ſie begreifen kontet) zuweilen aber
auch nicht, (wenn ihr nemlich ſie noch nicht
begreifen kontet.) Und warum thaten wir
dieſes? — Oft blos darum, um euch in der,
allen
[222] allen Menſchen ſo noͤthigen Geduld und Maͤſ-
ſigung zu uͤben; um euch auf euer kuͤnftiges
Leben vorzubereiten!„


„Nun wißt ihr auch, warum ich alle
dieſe Tage hindurch mich beſtaͤndig geweigert
habe, euch die Geſchichte unſers Robinſons
weiter zu erzaͤhlen. So viel Zeit haͤtte ich
doch wohl eruͤbrigen koͤnnen, als erfodert wird,
um euch wenigſtens den Umſtand aufzuklaͤren,
mit dem ich neulich geſchloſſen und woruͤber
ich euch in einer unangenehmen Ungewißheit
gelaſſen habe. Aber nein! ich ſagte euch
kein einziges Wort mehr davon, ohngeachtet
ihr mich batet, und ich ſo ungern euch etwas
abſchlage. Alſo warum that ich das, Lotte?


Lotte. Daß du uns lehren wolteſt, Ge-
duld zu haben.


Vater. Richtig! und gewiß, wenn ihr
mir dereinſt fuͤr irgend etwas danken werdet,
ſo wird es dafuͤr ſein, daß ich euch gewoͤhnt
habe, ohne groſſe Betruͤbniß etwas zu ent-
behren, nach deſſen Beſize ihr doch ein groſſes
Verlangen in euch verſpuͤrtet. —


So
[223]

So gingen alſo wieder einige Tage hin,
ohne daß vom Robinſon etwas erzaͤhlt ward.
Endlich aber erſchien die ſehnlich gewuͤnſchte
Stunde, da der Vater durch nichts weiter
abgehalten wurde, dem algemeinen Verlangen
ein Genuͤge zu leiſten. Er fuhr alſo in der
ununterbrochenen Erzaͤhlung folgendermaßen
fort:


Es war, wie ich ſchon neulich ſagte, Nacht,
und unſer Robinſon lag ruhig auf ſeinem
Lager, die treuen Lama's zu ſeinen Fuͤſſen.
Eine tiefe Stille herſchte durch die ganze Na-
tur, und Robinſon traͤumte, wie ge-
woͤhnlich, von ſeinen Eltern, als ploͤzlich
die Erde auf eine ungewoͤhnliche Weiſe
erzitterte, und unter der Erde ein ſo ent-
ſezliches Bruͤllen und Krachen gehoͤrt wurde,
als wenn viele Donnerwetter auf einmahl
losbraͤchen. Robinſon erwachte mit Schrek-
ken, und fuhr auf, ohne zu wiſſen, wie ihm
geſchahe und was er thun wolte. In dem
Augenblikke erfolgte ein ſchreklicher Erdſtoß
nach dem andern; das fuͤrchterliche unterirdi-
ſche
[224] ſche Getoͤſe dauerte fort; es erhob ſich zu glei-
cher Zeit ein heulender Orkan, der Baͤume
und Felſen niederriß und das laute brauſende
Meer bis auf den tiefſten Abgrund durch-
wuͤhlte. Die ganze Natur ſchien in Aufruhr
zu ſein, und ſich ihrem Ende zu nahen.


In wahrer Todesangſt ſprang Robinſon
aus der Hoͤhle auf ſeinen Hofplaz und die er-
ſchrekten Lama's thaten ein gleiches. Kaum
waren ſie heraus, als die uͤber der Hoͤhle ru-
hende Felſenſtuͤkke auf die Lagerſtaͤte herab-
ſtuͤrzten. Robinſon, von Angſt befluͤgelt,
floh durch die Oefnung ſeines Hofraums, und
die Lama's liefen ihm aͤngſtlich nach.


Sein erſter Gedanke war, einen in der
Naͤhe liegenden Berg auf derjenigen Seite zu
beſteigen, wo er oben eine nakte Ebene hatte,
um nicht von einſtuͤrzenden Baͤumen erſchla-
gen zu werden. Er wolte dahin laufen; aber
ploͤzlich ſahe er mit Erſtaunen und Schrekken,
daß an eben der Stelle des Berges ſich ein
weiter Schlund eroͤfnete, aus welchem Rauch
und Flammen, Aſche, Steine und eine gluͤ-
hende
[225] hende Materie, die man Lava nent, heraus-
fuhren. Kaum war es ihm moͤglich, ſich
durch die Flucht zu retten, weil die gluͤhende
Lava, wie ein Strom herabſchoß, und groſſe
ausgeworfene Felſenſtuͤkke, wie ein Regen,
weit und breit umhergeſchleudert wurden.


Er rante nach der Kuͤſte zu. Aber hier
erwartete ihn ein neuer ſchreklicher Auftrit.
Ein gewaltiger Wirbelwind der von allen Sei-
ten her bließ, hatte eine Menge Wolken dicht
zuſammen getrieben, und aus dieſen ſtuͤrzte
nun auf einmahl eine ſolche Fluth herab, daß
das ganze Land in einem Augenblikke zur See
ward. Einen ſolchen ungewoͤhnlichen Waſ-
ſerguß pflegt man eine Waſſerhoſe zu nen-
nen.


Mit genauer Noth rettete Robinſon ſich auf
einen Baum; ſeine armen Lama's hingegen wur-
den von der Gewalt des Waſſers fortgeriſſen.
Ach! wie zerriß ihr klaͤgliches Jammergeſchrei
ſein Herz, und wie gern haͤtt' er ſie mit Ge-
fahr ſeines eigenen Lebens zu retten geſucht,
P
wenn
[226] wenn die ſchnelle Fluth ſie nicht ſchon zu weit
mit ſich haͤtte fortgeraft gehabt!


Das Erdbeben dauerte noch einige Mi-
nuten fort; dan wurde auf einmahl Alles
ſtille. Die Winde legten ſich; der Feuer-
ſchlund hoͤrte nach und nach auf zu ſpeien;
das unterirdiſche Getoͤſe ſchwieg; der Himmel
ward wieder heiter, und alles Waſſer verlief
ſich in weniger, als einer Viertelſtunde.


Gotlieb. (Mit einem tiefen Seufzer)
Ach Gottlob! daß das vorbei iſt! Der arme
Robinſon! und die armen Lama's!


Lotte. Mir iſt recht angſt geweſen!


Frizchen. Wovon koͤmt denn das Erd-
beben?


Johannes. Das hat uns Vater ſchon
laͤngſt erklaͤrt, da du noch nicht hier warſt.


Vater. Sage es ihm doch, Johannes!


Johannes. In der Erde ſind viele groſ-
ſe und weite Loͤcher, wie Keller; die ſind
nun vol Luft und Duͤnſte. Denn ſind auch
allerlei brenbare Dinge in der Erde, als
Schwefel, Pech, Harz und ſo was. Dieſe
fan-
[227] fangen zuweilen an ſich zu erhizen und zu
brennen, wenn eine Feuchtigkeit dazu koͤmt.


Gotlieb. Eine Feuchtigkeit? Kan denn
das, was naß iſt, wohl etwas heiß machen?


Johannes. Ja wohl! Haſt du nicht
geſehen, wenn die Mauerleute kaltes Waſſer
auf Kalchſteine gieſſen, wie es denn gleich an-
faͤngt zu kochen, als wenn es uͤber dem Feuer
ſtuͤnde; und iſt doch kein Feuer da. — Na,
ſo entzuͤnden ſich alſo auch die Dinge in der
Erde, wenn das Waſſer hinein dringt; und
wenn die denn brennen: ſo dehnt ſich die
Luft, die in den groſſen Hoͤhlen iſt, ſo ge-
waltig aus, daß ſie keinen Plaz mehr darin
hat. Denn wil ſie mit Gewalt herausfah-
ren und erſchuͤttert alſo die Erde, bis ſie ſich
endlich irgendwo ein Loch macht. Aus dieſem
Loche faͤhrt ſie denn, wie ein Sturmwind,
hinaus und reißt eine Menge von den bren-
nenden und ſchon geſchmolzenen Materien mit
ſich fort.


Vater. Und dieſe Materie, die aus ge-
ſchmolzenen Steinen, Metallen, Harzen u. ſ.
P 2
w.
[228] w. beſteht, iſt es, die man die Lava nent.
Ich habe einmahl irgendwo geleſen, daß man
ſelbſt einen kleinen Feuerſpeienden Berg nach-
machen kan; wenn ihr Luſt habt, ſo wollen
wir einmahl den Verſuch machen.


Alle. O ja! O ja! lieber Vater!


Johannes. Und wie wird denn das ge-
macht?


Vater. Man braucht nur Schwefel und
Eiſenfeilſtaub an einem feuchten Orte in die
Erde zu graben: ſo erhizt und entzuͤndet ſich
dieſe Maſſe von ſelbſt, und denn hat man im
Kleinen, was ein feuerſpeiender Berg im
Großen iſt. Naͤchſtens wollen wir den Ver-
ſuch davon machen.


Indem Robinſon von dem Baume, auf
den er ſich gefluͤchtet hatte, herabſtieg, war
ſeine Sele uͤber alle das Ungluͤk, was ihn
jezt von neuem betroffen hatte, ſo betruͤbt,
daß es ihm gar nicht einfiel, fuͤr ſeine aber-
malige Errettung dem zu danken, der die ſicht-
barſte Todesgefahr von ihm abgewandt hatte.
In der That war ſein Zuſtand jezt wieder ſo
klaͤg-
[229] klaͤglich, als jemahls. Seine Hoͤhle, der ein-
zige ſichere Aufenthalt, den er bisher gefun-
den hatte, war vermuthlich verſchuͤttet; ſeine
lieben treuen Lama's waren fortgeſchwemt;
alle ſeine bisherigen Arbeiten zerſtoͤrt; alle
ſeine ſchoͤnen Anſchlaͤge fuͤr die Zukunft dahin!
Der Berg hatte zwar aufgehoͤrt, Feuer aus-
zuwerfen; aber noch ſtieg aus dem ofnen
Schlunde deſſelben ein dikker ſchwarzer Dampf
empor, und es war moͤglich, daß er von nun
an immer ein Feuerſpeiender Berg bliebe.
Und blieb er das, wie konte Robinſon einen
Augenblik ruhig ſein? Mußte er nicht an je-
dem Tage ein neues Erdbeben, einen neuen
Feuerauswurf beſorgen?


Dieſe traurigen Gedanken druͤkten ihn vol-
lends nieder. Er unterlag der Laſt ſeines
Kummers, und, anſtat daß er ſich zu der
einzigen wahren Quelle des Troſtes, zu Gott,
haͤtte wenden ſollen, waren ſeine Augen blos
auf das Elend ſeines kuͤnftigen Zuſtandes ge-
richtet, welches ſich ihm unausſprechlich groß
und ohn' Ende darſtelte.


Von
[230]

Von Angſt und Beklemmung ermattet
lehnt' er ſich an den Baum, von dem er
herabgeſtiegen war; und ſeiner gepreſten Bruſt
entfuhren ohn' Unterlaß Seufzer, die mehr
Schrei, als Seufzer, waren. In dieſer troſtloſen
Stellung verblieb er, bis die Morgenroͤthe
den neuen Tag verkuͤndigte.


Gotlieb zu Fr. R. Nun ſehe ich, daß
Vater doch recht hatte.


Fr. R. Worin?


Gotlieb. Ja, ich meinte neulich, daß
Robinſon nun ſchon ganz gebeſſert waͤre,
und daß ihn der liebe Gott nun wohl von ſei-
ner Inſel erloͤſen koͤnte. Da ſagte Vater,
daß wuͤßte der liebe Gott ſelbſt am Beſten,
und daß wir das nicht beurtheilen koͤnten.


Fr. R. Und nun?


Gotlieb. Ja, nun ſehe ich wohl, daß
er doch noch nicht ſo viel Vertrauen zu Gott
hat, als er haben ſolte; und daß der liebe
Gott recht that, daß er ihn noch nicht er-
loͤſete.


Ni-
[231]

Nikolas. Das habe ich auch ſchon ge-
dacht; und nun bin ich ihm auch gar nicht
mehr ſo gut.


Vater. Eure Bemerkung, Kinder, iſt
volkommen richtig. Wir ſehen freilig wohl,
daß Robinſon lange noch nicht das feſte,
unwandelbare kindliche Vertrauen zu Gott
hatte, welches er, nach ſo vielen Beweiſen
ſeiner Guͤte und Weisheit, die er ſelbſt erfah-
ren hatte, billig haͤtte haben muͤſſen. Aber
ehe wir ihn deswegen verdammen: wollen wir
uns erſt einen Augenblik an ſeine Stelle ſe-
zen, und unſer eigenes Herz fragen, ob wir,
an ſeinem Plaze, es auch wohl beſſer wuͤrden
gemacht haben? Was duͤnkt dich, Nikolas,
wuͤrdeſt du, wenn du Robinſon geweſen
waͤreſt, wohl getroſter geweſen ſein?


Nikolas. (Mit leiſer, zweifelhafter
Stimme.) Ich weiß nicht.


Vater. Erinnere dich einmahl an die
Zeit, da dir, deiner Augen wegen, eine ſpa-
niſche Fliege gelegt werden mußte, die dir
einige Schmerzen verurſachte. Weißt du noch,
P 4
wie
[232] wie kleinmuͤthig du da zuweilen wurdeſt? Und
das war doch nur ein kleines voruͤbergehendes
Leiden, welches nur zwei Tage dauerte! Ich
weiß, jezt wuͤrdeſt du bei einer aͤhnlichen Ge-
legenheit dich viel ſtandhafter bezeigen: aber
ob du auch ſchon ſtark genug ſein wuͤrdeſt,
alles das, was Robinſon leiden mußte, mit
frommen kindlichem Sin zu ertragen — was
meinſt du, Lieber, ſol ich daran auch nicht
zweifeln? —


Dein Stilſchweigen iſt die rechte Antwort
auf dieſe Frage. Du kanſt es ſelbſt nicht recht
wiſſen, wie du dich in dieſem Falle betragen
wuͤrdeſt, weil du noch nie darin geweſen biſt.
Alles alſo, was wir jezt thun koͤnnen, iſt die-
ſes, daß wir bei den kleinen unbedeutenden
Uebeln, die wir etwa zu erleben Gelegenheit
haben moͤgten, uns gewoͤhnen, unſere Augen
immer auf Gott zu richten und immer gedul-
dig, immer getroſt zu ſein. Dan wird unſer
Herz von Tage zu Tage ſtaͤrker werden, auch
groͤſſere Leiden zu ertragen, wenn es Gott einſt
gefallen wird, uns deren aufzulegen.


Der
[233]

Der neue Tag brach an, und das aufge-
hende Freudeverbreitende Licht des Tages
fand den armen Robinſon in der troſtloſen
Lage, worin er ſich an den Baum gelehnt
hatte. In ſeine Augen war kein Schlaf, und
in ſeine Sele kein anderer Gedanke gekom-
men, als die einzige ſchwarze, ſchwermuͤthige
Frage: was ſol nun aus mir werden?


Endlich machte er ſich auf und ſchwankte,
wie ein Traͤumender, nach ſeiner verwuͤſteten
Wohnung hin. Wie groß war aber nicht das
freudige Schrekken, welches ihn uͤberfiel, da
ihm nahe bei ſeinem Hofplaze auf einmahl
ſeine — was meint ihr? — ſeine geliebten
Lama's geſund und wohlbehalten entgegen ſpran-
gen! Anfangs traute er ſeinen eigenen Augen
nicht, aber jeder Zweifel wurde ihm bald benom-
men. Sie kamen herzugerant, lekten ihm die
Haͤnde und druͤkten ihre Freude, ihn wieder
zuſehen, durch Huͤpfen und Bloͤken aus.


In dieſem Augenblik erwachte Robinſons
Herz, welches bis dahin ganz erſtorben zu ſein
ſchien. Er blikte auf ſeine Lama's, dan zum
P 5
Him-
[234] Himmel, und eine Traͤne der Freude, des
Danks und der Reue uͤber ſeine Kleinmuͤthig-
keit benezte ſeine Wangen. Dan uͤberhaͤufte
er ſeine ihm wiedergeſchenkten Freunde mit
freudigen Liebkoſungen; und von ihnen beglei-
tet ging er nun hin, zu ſehen, was aus ſei-
ner Wohnung geworden ſei?


Diderich. Wie mogten ſich denn die
Lama's gerettet haben?


Vater. Vermuthlich hatte die Waſſer-
fluth ſie nach einem kleinen Huͤgel fortgeriſ-
ſen, wo ihre Fuͤße wieder Grund faſſen kon-
ten; und weil das Waſſer eben ſo ſchnel wie-
der ſich verlief, als es aus der Luft herunter
geſtuͤrzt war, ſo gingen ſie vermuthlich nach
ihrer Wohnung zuruͤk.


Robinſon ſtand jezt vor ſeiner Hoͤhle,
und fand zu ſeiner abermahligen Beſchaͤmung,
daß auch hier der Schade bei weitem nicht
ſo groß ſei, als er ihn in ſeiner Kleinmuͤthig-
keit ſich vorgeſtelt hatte. Zwar war die Dekke,
die aus einem Felſenſtuͤkke beſtanden hatte,
eingeſtuͤrzt, und hatte das naͤchſte Erdreich mit
ſich
[235] ſich herabgeriſſen: aber es ſchien doch nicht un-
moͤglich zu ſein, alle dieſe Ruinen aus der
Hoͤhle wieder hinaus zu ſchaffen, und dan war
ſeine Wohnung noch einmahl ſo geraͤumlich
und bequem, als ſie vorher geweſen war.


Hierzu kam noch etwas, welches ganz
offenbahr bewies, daß die goͤtliche Vorſehung
das, was vorgefallen war, nicht um Robin-
ſon
zu zuͤchtigen, ſondern vielmehr aus mil-
der Fuͤrſorge fuͤr ihn veranſtaltet habe. Da
er nemlich die Stelle, wo das Felſenſtuͤk ge-
hangen hatte, genauer beſichtigte, fand er zu
ſeinem Erſtaunen, daß es uͤberal mit lokkerer
Erde umgeben geweſen war, und alſo ganz
und gar keine feſte Haltung gehabt hatte.
Nichts war alſo wahrſcheinlicher, als daß es
uͤber kurz oder lang von ſelbſt wuͤrde einge-
ſtuͤrzt ſein. Das ſahe nun Gott nach ſeiner
Alwiſſenheit vorher, und vermuthlich auch,
daß dies Felſenſtuͤk grade zu einer Zeit ein-
ſtuͤrzen wuͤrde, da Robinſon eben in der
Hoͤhle waͤre. Da nun aber ſeine weiſe Guͤte
dieſem Menſchen ein laͤngeres Leben beſtimte;
ſo
[236] ſo hatte er der Erde, von Anbegin der Welt
her, eine ſolche Einrichtung gegeben, daß
grade um dieſe Zeit auf dieſer Inſel ein ſol-
ches Erdbeben entſtehen mußte. Selbſt das
unterirdiſche Krachen und das Heulen des
Sturmwindes, ſo ſchreklich es auch in Ro-
binſons
Ohren klingen mogte, hatte zu ſei-
ner Errettung dienen muͤſſen. Denn wenn
das Erdbeben ohne alles Getoͤſe entſtanden
waͤre: ſo wuͤrde Robinſon vermuthlich nicht
davon erwacht ſein; und dan haͤtte der ein-
ſtuͤrzende Felſen ſeinem Leben ſicherlich ein
Ende gemacht.


Seht, Kinder, ſo hatte Gott abermahls
fuͤr ihn geſorgt zu einer Zeit, da er ſich von
ihm verlaſſen waͤhnte; und er hatte grade
durch diejenigen fuͤrchterlichen Begebenheiten
fuͤr ihn geſorgt, die Robinſon als ſein groͤß-
tes Ungluͤk betrachtete.


Und dieſe ſeelige Erfahrung, werdet ihr
ſelbſt, meine Lieben, in eurem kuͤnftigen Le-
ben oft zu machen Gelegenheit haben. Wenn
ihr nur auf die Wege der goͤtlichen Vorſehung,
die
[237] die ſie mit euch gehen wird, recht merken
wolt: ſo werdet ihr bei allen den traurigen
Vorfaͤllen des Lebens, die eurer in der Zu-
kunft warten, zweierlei immer wahr befinden,
nemlich:


Erſtlich, daß die Menſchen ſich das Un-
gluͤk, welches ihnen begegnet, immer
groͤſſer vorſtellen, als es in der That iſt
und dan


Zweitens, daß alles unſer Leiden uns
von Gott aus weiſen und guͤtigen Urſa-
chen zugeſchikt werde, und alſo am Ende
immer zu unſerm wahren Beſten ge-
reiche.


Ja, Kinder, — o freut euch dieſer troͤ-
ſtenden Wahrheit! — es lebt


Es lebt ein Gott, der ſeine Menſchen liebt!

Wir ſehn's, wohin wir blikken,

Am Nebel, der den Himmel truͤbt,

Wie an den reinſten Sonnenblikken.

Wir ſehn's, wenn Donnerwolken gluͤhn,

Und Berg' und Wald bewegen;

Und
[238]
Und ſehn's, wenn ſie voruͤber ziehn,

Am ſanften lieben Regen.

Jezt ſehn wir ſie bei ſtetem Gluͤk

In tauſend, tauſend Freuden;

Einſt ſieht ſie unſer naſſer Blik

In kleinen kurzen Leiden.

Zehnter Abend.


(Der Vater faͤhrt in ſeiner Erzaͤhlung fort.)


Robinſon, der nun ſchon ſeit einiger Zeit
gewohnt war, Gebet und Arbeit mit einan-
der zu vereinigen, warf ſich erſt auf ſeine
Knie, um Gott fuͤr ſeine abermahlige Erret-
tung zu danken; dan legt' er muthig Hand
ans Werk, um ſeine Wohnung von dem ein-
geſtuͤrzten Schut zu raͤumen. Die bloße Erde
war bald hinaus geſchaft: aber nun lag unten
das
[239] das groſſe Felſenſtuͤk, welches zwar in zwei
Stuͤkke zerbrochen war, aber doch auch ſo noch
mehr, als eines Menſchen Kraft, zu erfodern
ſchien, um von der Stelle bewegt zu wer-
den.


Er machte einen Verſuch, den Kleinſten
dieſer Steinklumpen fortzuwaͤlzen: aber ver-
gebens! Er fand, daß dieſe Arbeit ſeine Kraͤfte
bei weitem uͤberſteige. Da ſtand er alſo wie-
der in tiefen Gedanken und wußte nicht, was
er machen ſolte.


Johannes. O ich wuͤßte wohl, was ich
gemacht haͤtte!


Vater. Und was denn?


Johannes. J, ich haͤtte mir einen He-
bel
gemacht, wie wir neulich thaten, da wir
den Balken auf dem Hofraum fortwaͤlzen
wolten.


Gottlieb. Da bin ich nicht bei gewe-
ſen; was iſt denn das ein Hebel?


Johannes. Das iſt ſo eine dikke und
lange Stange; die ſtekt man mit dem einen
Ende unter den Balken, oder den Stein, den
man
[240] man fortbewegen wil, und denn legt man
einen kleinen Kloz oder Stein unter die Stange,
aber recht nahe bei den Balken, den man
wegwaͤlzen wil; und denn faßt man an das
andere lange Ende der Stange und druͤkt ſie
ſo ſtark, als man kan, auf den kleinen Kloz;
denn hebt ſich der Balken und man kan ihn
mit leichter Muͤhe fortwaͤlzen.


Vater. Wie das geſchieht, wil ich euch
zu einer andern Zeit erklaͤren; jezt hoͤrt, was
Robinſon that.


Nach langem vergeblichen Nachſinnen, fiel
ihm endlich eben dieſes Huͤlfsmittel ein. Er
erinnerte ſich, in ſeiner Jugend zuweilen ge-
ſehen zu haben, daß alle Arbeitsleute es ſo
zu machen pflegen, wenn ſie ſchwere Laſten
bewegen wollen; und er eilte nun den Verſuch
davon zu machen.


Es gelang ihm. In einer halben Stunde
waren beide Steine, welche wohl vier Men-
ſchen mit ihren bloßen Haͤnden nicht von der
Stelle gekriegt haͤtten, aus ſeiner Hoͤhle gluͤk-
lich hinaus gewaͤlzt. Und nun hatte er die
Freude
[241] Freude ſeine Wohnung noch einmahl ſo geraͤu-
mig, als ſie vorher geweſen war, und zugleich,
allem Anſehen nach, voͤllig ſicher zu ſehen.
Denn nunmehr beſtanden ſowohl die Waͤnde,
als auch die Dekke, aus einem einzigen hohlen
Felſen, in welchem nirgends auch nur die
kleinſte Rize zu ſehen war.


Nikolas. Wie war's denn ſeiner Spin-
ne ergangen?


Vater. Gut, daß du mich daran erin-
nerſt; die haͤtte ich bald vergeſſen. Aber in
der That weiß ich auch nichts mehr davon zu
ſagen, als daß ſie, aller Wahrſcheinlichkeit
nach, in den Ruitten der eingeſtuͤrzten Dekke
begraben war. Wenigſtens ſahe ſie Robinſon
nimmer wieder, und ſeine andern Freunde,
die Lama's, erſezten ihm den Verluſt derſel-
ben.


Jezt wagte er einen Gang nach dem feuer-
ſpeienden Berge aus dem noch immer ein
ſchwarzer Dampf empor ſtieg. Er erſtaunte
uͤber die Menge geſchmolzener Materien, die
weit und breit umher gefloſſen waren, und
Q
die
[242] die ſich noch nicht abgekuͤhlt hatten. Nur
in einer gewiſſen Entfernung beobachtete er dies-
mahl das fuͤrchterlich praͤchtige Schauſpiel des
dampfenden Schlundes, weil ſo wohl ſeine
Furcht, als auch die noch zu heiſſe Lava, ihn
hinderten, naͤher hinzu zu treten.


Da er bemerkte, daß der Strom der Lava
nach der Gegend hingefloſſen ſei, in welcher
die Kartoffeln wuchſen: ſo erſchrekte ihn nicht
wenig der Gedanke, daß der feurige Ausfluß
dieſen ganzen Plaz vielleicht verwuͤſtet habe;
und er konte nicht ruhen, bis er von dem Ge-
gentheil ſich uͤberzeugt haͤtte. Er lief alſo nach
der Gegend hin und fand zu ſeinem innigen
Vergnuͤgen die ganze Pflanzung unverſehrt.
Von dieſem Augenblike an beſchloß er, an ver-
ſchiedenen Orten ſeiner Inſel aufs Gerathewohl
Kartoffeln zu pflanzen, um dem Ungluͤk vorzu-
beugen, eines ſo herlichen Gewaͤchſes durch irgend
einen ſchlimmen Zufal einmahl beraubt zu wer-
den. Zwar ſtand, ſeiner Meinung nach, jezt der
Winter bevor; allein er dachte: wer weiß, ob
dieſe Gewaͤchſe nicht vielleicht von der Art
ſind,
[243] ſind, daß ſie in der Erde uͤberwintern koͤn-
nen?


Nachdem er dieſen Vorſaz ausgefuͤhrt hat-
te, fing er wieder an, an ſeiner Kuͤche zu
arbeiten. Auch hierzu hatte die uͤberſtandene
ſchrekliche Naturbegebenheit ihm einen groſſen
Vortheil verſchaffen muͤſſen. Der Feuerſpeien-
de Berg hatte nemlich unter vielen andern
Dingen auch eine Menge Kalchſteine ausge-
worfen. Ordentlicher Weiſe muß man dieſe
erſt in einem Ofen muͤrbe brennen, ehe man
geloͤſchten Kalch daraus machen kan. Aber
das war bei dieſen nicht noͤthig, weil der ent-
zuͤndete Berg ſchon die Stelle des Brenofens
vertreten hatte.


Robinſon brauchte alſo weiter nichts zu
thun, als ein Loch in die Erde zu graben,
die Kalchſteine da hinein zu werfen, dan Waſ-
ſer zu zugieſſen und die Maſſe umzuruͤhren.
Auf dieſe Weiſe wurde der Kalch geloͤſcht, und
zum Mauern brauchbar gemacht. Dan ver-
miſchte er ihn mit etwas Sand; ſezte ſich
Q 2
dar-
[244] darauf in Arbeit, und hatte Urſache mit ſei-
ner Geſchiklichkeit zufrieden zu ſein.


Der Berg hatte indeſſen aufgehoͤrt zu rau-
chen; und Robinſon wagte es daher, nach
dem Schlunde hinzugehen. Er fand ſowohl
die Seiten deſſelben, als auch den Grund mit
abgekuͤhlter Lava belegt, und weil er an kei-
nem Orte den geringſten Rauch mehr hervor-
dringen ſahe: ſo hatte er Urſache zu hoffen,
daß das unterirdiſche Feuer voͤllig verloſchen,
und kuͤnftig kein Auswurf weiter zu befuͤrch-
ten ſei.


Durch dieſe Hofnung geſtaͤrkt, war er
darauf bedacht, ſich einen Vorrath von Lebens-
mitteln fuͤr den Winter einzuſammeln. In
dieſer Abſicht fing er nach und nach bis auf
acht Lamas, auf eben die Weiſe, wie er die
erſten gefangen hatte. Dieſe ſchlachtete er
alle bis auf einen Bok, den er ſeinen drei
zahmen Thieren zur Geſelſchaft leben ließ,
und hing den groͤßten Theil des Fleiſches in
ſeiner Kuͤche auf, um es durchraͤuchern zu laſ-
ſen. Vorher aber hatte er es auf einige Tage
einge-
[245] eingeſalzen, weil er ſich erinnerte zu Hauſe
geſehen zu haben, daß ſeine Mutter es eben
ſo zu machen pflegte.


Das war nun ſchon ein ziemlicher Vorrath
von Fleiſch; und doch beſorgte er, daß es
noch nicht genug ſein moͤgte, im Fal der Win-
ter ſehr rauh und anhaltend werden ſolte. Er
wuͤnſchte daher noch einige Lama's zu fangen;
aber das wolte ihm nicht mehr gelingen.
Denn die Thiere hatten nunmehr ſeine Nach-
ſtellungen gemerkt, und waren auf ihrer Hut.
Er muſte alſo ein neues Mittel erſinnen, ſich
ihrer zu bemaͤchtigen.


Auch dieſes ward gefunden; ſo unerſchoͤpflich
iſt der menſchliche Verſtand, wenn man ihn
nur recht uͤbt, an Huͤlfsmitteln zur Gluͤkſee-
ligkeit! Er hatte bemerkt, daß die Lama's,
ſo oft ſie ihn bei der Quelle zu Geſicht beka-
men, allemahl in groͤßter Eile uͤber einen klei-
nen Huͤgel nach dem Gebuͤſche ranten. An
der andern Seite war dieſer Huͤgel mit kleinem
Geſtraͤuch, wie mit einer Hekke eingefaßt
und hinter dieſer Hekke war eine ſteile Wand,
Q 3
ohn-
[246] ohngefaͤhr zwei Ellen hoch. Er ſahe, daß die
Lama's, jedesmahl uͤber dieſes Geſtraͤuch mit
einem Saze vom Huͤgel hinab ſprangen; und
dieſe Beobachtung war ihm genug.


Er machte nemlich den Plan, an dieſer
Stelle eine tiefe Grube zu graben, damit die
Lama's, wenn ſie von oben hineinſpraͤngen,
darin gefangen wuͤrden. Sein unermuͤdeter
Fleiß brachte dieſes neue Werk ſeiner Erfin-
dung in anderthalb Tagen zu Stande; er bedekte
darauf die Grube mit Straͤuchern und hatte am
folgenden Tage die Freude, zwei ziemlich groſſe
Thiere hinein ſpringen zu ſehen und ſie zu fangen.


Nunmehr glaubte er mit Fleiſche hinlaͤng-
lich verſorgt zu ſein. Er wuͤrde verlegen ge-
weſen ſein, wo er es den Winter uͤber laſſen
ſolte, wenn nicht der Himmel gleichfals durch
das Erdbeben dafuͤr geſorgt gehabt haͤtte, ihm
einen ordentlichen Keller zu verſchaffen. Es
war nemlich nahe bei ſeiner Hoͤhle ein ande-
res Stuͤck des Berges ohngefaͤhr zwei Klafter
tief eingeſunken, und dadurch war eine zweite
Hoͤhle entſtanden, deren Oefnung gleichfals in
ſeinen
[247] ſeinen Hofplaz ging. So hatte er alſo nun-
mehr Wohnung, Kuͤche und Keller dicht neben
einander, recht als wenn ſie mit Fleiß und
durch Kunſt ſo waͤren angelegt worden.


Nun war ihm noch dreierlei zu thun uͤbrig,
um auf den ganzen vermeinten Winter hin-
laͤnglich verſorgt zu ſein. Er mußte nemlich
noch Heu fuͤr ſeine Lama's machen, ſich mit
Brenholz verſorgen, und alle Kartoffeln aus-
graben, um ſie gleichfals in ſeinen Keller zu
bringen.


Von dem Heu, welches er in großer
Menge einſammelte, machte er in ſeinem Hof-
raume einen pyramidenfoͤrmigen Schober, ſo
wie die Landleute auch bei uns zu thun pfle-
gen, und ſo oft er etwas Heu hinzuthat, trat
er es ſo feſt, daß der Regen nicht leicht hin-
ein dringen konte. Aber bei dieſer Arbeit
mußt' er erſt Lehrgeld bezahlen.


Er hatte nemlich nicht die Vorſichtigkeit
beobachtet, das Heu erſt durchaus trokken wer-
den zu laſſen. Wenn dieſes nicht geſchieht,
und das Heu gleichwohl feſtgetreten wird, ſo
Q 4
faͤngt
[248] faͤngt es an, ſich zu erhizzen, zu dampfen und
endlich wohl gar Feuer zu fangen. Davon
hatte er in ſeiner Jugend nie gehoͤrt, weil er
ſich um die Landwirthſchaft niemahls bekuͤm-
merte. In ſeinem jezigen Zuſtande aber lernte
er, wie gut es ſei, auf alles zu achten, und
ſo viele Kentniſſe einzuſammeln, als man nur
kan, wenn man auch gleich nicht zum voraus
ſieht, wozu ſie uns einmahl nuͤzen werden.


Er wunderte ſich nicht wenig, da er auf
einmahl ſeinen Heuſchober dampfen ſahe; noch
mehr aber erſtaunte er, da er die Hand hin-
einſtekte und fuͤhlte, daß das inwendige Heu
brennend heiß ſei. Er kont nicht umhin,
zu glauben, daß Feuer darin ſei, ohngeachtet
ihm die Art und Weiſe, wie es hineingekom-
men ſein ſolte, ſchlechterdings unbegreiflich
war.


Er machte ſich alſo geſchwind daruͤber her,
daß Heu wieder abzupakken. Aber zu ſeiner
Verwunderung fand er nirgends Feuer, wohl
aber daß das Heu uͤberal ſehr erhizt und feucht
ſei. Er gerieth alſo endlich von ſelbſt auf die
wahre
[249] wahre Vermuthung, daß die bloſſe Feuchtig-
keit die Urſache der Erhizung ſei, ohngeachtet
er nicht begreifen konte, wie das zuginge.


Johannes. Wie mag denn das auch
wohl eigentlich zugehen, daß die bloſſe Naͤſſe
etwas erhizen kan?


Vater. Lieber Johannes, ſolcher Erſchei-
nungen, als dieſe, giebt es tauſend in der
Natur, und dem menſchlichen Verſtande, der
nun ſchon ſeit vielen Jahrhunderten daruͤber
nachgedacht hat, iſt es bei einer Menge der-
ſelben gelungen, ihre eigentlichen Urſachen deut-
lich einzuſehen. Dieſe Urſachen werden uns
in einer Wiſſenſchaft gelehrt, die ihr noch
nicht einmahl den Nahmen nach kent; ſie
heißt — die Naturlehre oder mit einem
andern Nahmen die Phiſik. Darin wird auch
von dieſem merkwuͤrdigen Umſtande, wie von
vielen andern hoͤchſt ſonderbaren natuͤrlichen
Dingen Rechenſchaft gegeben; und wenn ihr
fortfahrt in der Erlernung derjenigen Sachen,
die wir jezt treiben, den gehoͤrigen Fleiß an-
zuwenden: ſo wollen wir euch auch dieſe Wiſ-
Q 5
ſen-
[250] ſenſchaft lehren, die euch unausſprechlich viel
Vergnuͤgen machen wird. Vorjezt wuͤrde es
uͤberfluͤſſig ſein, davon zu reden, weil ihr
das, was ich ſagte, doch noch nicht verſtehen
wuͤrdet.


Robinſon troknete alſo ſein Heu von
neuem, und dan machte er abermahls einen
Schober, der Wind und Wetter trozen konte.
Zu noch groͤſſerem Schuze verfertigte er uͤber
demſelben ein Dach ans Rohr, welches un-
ſern Strohdaͤchern an Feſtigkeit wenig nach-
gab.


Die naͤchſten Tage wandte er dazu an, ſo
viel trokkenes Holz einzuſammeln, als er fuͤr
noͤthig erachtete. Dan grub er ſeine Kartof-
feln aus und gewan einen anſehnlichen Vor-
rath derſelben. Dieſe ſammelte er in ſeinem
Keller. Endlich ſchuͤttelte er auch alle reife
Zitronen ab, um ſie gleichfals fuͤr den Win-
ter aufzubewahren; und nun war er wegen
ſeines Unterhalts in der rauhen Jahrszeit
unbekuͤmmert.


Aber
[251]

Aber dieſe rauhe Jahrszeit wolte noch im-
mer nicht kommen, [ohngeachtet] der Oktober
ſchon zu Ende ging. Stat deſſen fing es an
zu regnen, und zwar ſo unaufhoͤrlich zu reg-
nen, als wenn die Luft in Waſſer waͤre ver-
wandelt worden. Robinſon wußte gar nicht,
was er davon denken ſolte. Schon vierzehn
Tage hindurch hatte er keinen Fuß weiter aus
ſeiner Wohnung ſezen koͤnnen, als nach dem
Keller, nach dem Heuſchober, und nach dem
Brunnen, um fuͤr ſich und ſeine Lama's Le-
bensmittel und Waſſer zu holen. Die uͤbrige
Zeit mußte er, wie ein Gefangener, zubrin-
gen.


Ach! wie langſam verſtrich ihm da die
Zeit! Nichts zu thun zu haben, und ganz
allein zu ſein — Kinder, was das fuͤr ein Lei-
den ſei, davon habt ihr noch gar keine Vor-
ſtellung! Haͤtte ihm jemand ein Buch oder
Papier, Dinte und Feder ſchaffen koͤnnen,
gern haͤtte er fuͤr jedes Blatt einen Tag ſei-
nes Lebens hingegeben. O, ſeufzte er oft,
was war ich doch in meiner Jugend fuͤr ein
Thor,
[252] Thor, daß ich das Leſen und Schreiben zu-
weilen fuͤr etwas Beſchwerliches und das
Nichtsthun fuͤr etwas Angenehmes hielt! Das
langweiligſte Buch wuͤrde jezt ein Schaz fuͤr
mich ſein: ein Blat Papier und ein Schreib-
zeug waͤren mir jezt ein Koͤnigreich!


In dieſer Zeit der Langenweile zwang ihn
die Noth, zu allerlei Beſchaͤftigungen ſeine
Zuflucht zu nehmen, die er noch nie verſucht
hatte. Schon lange hatt' er ſich mit dem
Gedanken getragen, ob's ihm wohl nicht moͤg-
lich waͤre, einen Topf und eine Lampe zu
verfertigen, zwei Dinge, die ſeinen Zuſtand
ungemein verbeſſert haben wuͤrden. Er lief
alſo im vollen Regen hin, einen Vorrath Ton-
erde zu hohlen; und dan legte er Hand ans
Werk.


Freilich wolt' es auch hiermit ihm nicht
ſo gleich gelingen; er mußte erſt manchen
fruchtloſen Verſuch machen; aber da er nichts
Beſſeres zu thun hatte: ſo machte er ſich ein
Vergnuͤgen daraus, ſeine Arbeit, ſo oft ſie
vollendet und noch nicht ganz untadelhaft war,
zu
[253] zu zerbrechen, um ſie wieder von neuen anzu-
fangen. So brachte er einige Tage in ange-
nehmer Geſchaͤftigkeit zu; bis endlich Topf
und Lampe voͤllig fertig und ſo wohl gerathen
waren, daß es Muthwille geweſen waͤre, ſie
noch einmahl zu zerbrechen. Er ſezte ſie alſo
in ſeiner Kuͤche, ohnweit dem Feuer hin, da-
mit ſie nach und nach austrokneten. Dan
fuhr er fort, noch andere Toͤpfe, auch Pfan-
nen und Tiegel, von verſchiedener Geſtalt und
Groͤſſe, zu formen und je laͤnger er ſich da-
mit beſchaͤftigte, deſto groͤſſer wurde ſeine Ge-
ſchiklichkeit.


Das Regenwetter waͤhrte indeß unaufhoͤr-
lich fort. Robinſon ſahe ſich alſo genoͤthi-
get, noch andere haͤusliche Arbeiten zu erſin-
nen, um nicht von der entſezlichen Langen-
weile gequaͤlt zu werden. Sein naͤchſtes Ge-
ſchaͤft war die Verfertigung eines Nezes zum
Fiſchfang. Er hatte vorher einen ziemlichen
Vorrath Bindfaden gedreht, und dieſer kam
ihm jezt zu ſtatten. Da er ſich Zeit genug
nahm, und Geduld genug hatte, eine Sache,
die
[254] die anfangs nicht recht gelingen wolte, zehn
und mehrmahl zu verſuchen: ſo erfand er end-
lich die rechte Kunſt Knoten zu ſchuͤrzen und
erlangte eine ſolche Geſchiklichkeit darin, als
bei uns die Frauen und Maͤdchen im Filet-
machen haben. Er hatte ſich nemlich gleich-
fals ein Werkzeug von Holz erſonnen und mit
ſeinem ſteinernen Meſſer ausgeſchnizt, welches
die Geſtalt einer Filetnadel hatte. Durch
Huͤlfe deſſelben brachte er endlich ein Nez zu
Stande, welches unſern gewoͤhnlichen Fiſcher-
nezen an Guͤte und Brauchbarkeit wenig nach-
gab.


Dan gerieth er auf den Einfal, zu verſu-
chen, ob er nicht vielleicht auch einen Bogen
und Pfeile machen koͤnte? Ei, wie gluͤhete
ihm der Kopf, da er dieſem Einfalle weiter
nachdachte und die groſſen Vortheile uͤberlegte,
die der Bogen ihm verſchaffen wuͤrde! Mit
ihm konte er Lama's erlegen, konte Voͤgel
ſchieſſen und — was das Wichtigſte war —
mit ihm konte er ſich in ſeiner Wohnung ver-
theidigen, wenn er einſt von Wilden ſolte
uͤber-
[255] uͤberfallen werden. Er brante vor Begierde,
den Bogen fertig zu ſehen und lief, troz Re-
gen und Wind, davon, um das noͤthige Holz
dazu aufzuſuchen.


Nicht jedes Holz ſchien ihm gut dazu zu
ſein. Er ſuchte eins aus, welches hart und
zaͤhe zugleich waͤre, damit es ſich ſo wohl
biegen lieſſe, als auch in ſeine alte Lage zuruͤk
zu ſpringen ſtrebte.


Johannes. Das elaſtiſch waͤre, nicht?


Vater. Richtig! Ich dachte nicht, daß
ihr die Bedeutung dieſes Worts euch gemerkt
haͤttet; deswegen wolt' ich es nicht brauchen.


Nachdem er nun ſolches Holz gefunden
und abgehauen hatte, trug er es zu Hauſe
und ſezte ſich ſogleich in Arbeit. Aber ach!
wie ſehr empfand er jezt den Mangel eines
ordentlichen Meſſers! Wohl zwanzig und mehr
Schnitte mußte er jedesmahl thun, um ſo
viel abzuſchneiden, als wir mit unſern ſtaͤhler-
nen Meſſern durch einen einzigen Schnit weg-
nehmen koͤnnen. Nicht weniger, als acht
volle Tage verſtrichen uͤber dieſer Arbeit, ohn-
geach-
[256] geachtet er vom Morgen bis an den Abend
unaufhoͤrlich daran arbeitete. Ich kenne Leute,
die das ſo lange nicht wuͤrden ausgehalten
haben.


Gotlieb. (Zu den Andern.) Da meint
Vater uns mit!


Vater. Haſt's getroffen, Gotlieb; und
denkſt du nicht, daß ich recht habe?


Gotlieb. Ach ja! Aber kuͤnftig wil
ich gewiß auch in eins fort arbeiten, wenn
ich einmahl etwas angefangen habe.


Vater. Wirſt wohl daran thun; Ro-
binſon
wenigſtens befand ſich gut dabei. Zu
ſeiner unbeſchreiblichen Freude war der Bogen
am neunten Tage fertig, und es fehlten ihm
nur noch eine Sehne und Pfeile. Haͤtt' er
damahls, da er die Lama's ſchlachtete, daran
gedacht, ſo wuͤrde er einen Verſuch gemacht
haben, ob er aus den Gedaͤrmen derſelben
nicht vielleicht Saiten machen koͤnte, weil
ihm bekant war, daß man in Europa ſie aus
Schafsdarm zu machen pflegt. In Ermange-
lung derſelben drehete er einſtweilen eine
Schnur
[257] Schnur und zwar ſo feſt, als es ihm nur
immer moͤglich war. Dan ſchrit er zur Ver-
fertigung der Pfeile.


Haͤtt' er nun ein Stuͤkchen Eiſen haben
koͤnnen, um den Pfeilen eine ſcharfe Spize an-
zuſezen; was haͤtt' er nicht darum gegeben!
Aber dieſer Wunſch war umſonſt. — Indem
er nun in der Thuͤr ſeiner Hoͤhle ſtand, und
uͤberlegte, wodurch er wohl den Mangel einer
eiſernen Spize erſezen koͤnte, fielen ſeine Blik-
ke zufaͤlliger Weiſe auf den Goldklumpen, der
noch immer, als ein veraͤchtliches Ding, auf
der Erde da lag. Geh, ſagte er, indem er
ihn mit dem Fuße zur Seite ſtieß, geh, un-
nuͤzes Ding, und werde Eiſen, wenn du wilſt,
daß ich dich in Ehren halten ſol! Und ſo
wuͤrdigte er ihn ferner keines Blikkes mehr.


Nach langen Hin- und Herſinnen fiel ihm
endlich ein, einmahl gehoͤrt zu haben, daß die
Wilden ſich der Graͤten großer Fiſche, auch
wohl ſcharfer Steine bedienen um ihre Pfeile
und ihre Spieße zu zuſpizen; und er ent-
ſchloß ſich, ſie darin nachzuahmen. Zugleich
R
faßt-
[258] faßt' er den Vorſaz, auch einen Spieß zu
verfertigen.


Beides ward ſogleich bewerkſtelliget. Er
lief nach dem Strande hin und war ſo gluͤk-
lich einige Graͤten und Steine, juſt wie er
ſie wuͤnſchte, zu finden. Dan hieb er eine
grade und lange Stange zum Spieß ab, und
kehrte, von Regen triefend, wieder heim.


In einigen Tagen waren Spieß und
Pfeile fertig. An dem Spieße hatte er einen
ſpizigen Stein, an den Pfeilen ſtarke ſtach-
lichte Fiſchgraͤten, und an dem andern Ende
derſelben Federn befeſtiget, wodurch ihr Flug
bekantermaßen befoͤrdert wird.


Jezt machte er einen Verſuch uͤber die
Brauchbarkeit ſeines Bogens. So unvol-
kommen auch derſelbe war, und aus Mangel
an eiſernen Werkzeugen nothwendig ſein mußte:
ſo fand er ihn doch brauchbar genug, um
Voͤgel oder andere kleine Thiere, damit zu
ſchießen; ja er zweifelte ſogar nicht, daß er
einen nakten Wilden, wenn er ihn nur nahe
genug kommen ließe, auf eine gefaͤhrliche
Weiſe
[259] Weiſe damit wuͤrde verwunden koͤnnen. Mit
dem Spieße hatte er noch mehr Urſache zu-
frieden zu ſein.


Nunmehr ſchienen ſeine Toͤpfe und ſeine
Lampe hinlaͤnglich ausgetroknet zu ſein. Er
wolte alſo Gebrauch davon machen. Zuerſt
that er einen Klumpen Fet von dem Einge-
weide der geſchlachteten Lama's in einen der
neuen Tiegel, um es zu Schmalz zu ſchmel-
zen, deſſen er ſich, ſtat des Oels fuͤr die
Lampe zu bedienen dachte. Da mußte er nun
aber zu ſeinem Mißvergnuͤgen bemerken, daß
das Fet, ſobald es zergangen war, in den
Ton des Tiegels hineindrang und an der Auſ-
ſenſeite deſſelben wieder herausquol, ſo daß
nur wenig davon in dem Tiegel uͤbrig blieb.
Er ſchloß daraus, daß die Lampe und die
Toͤpfe eben dieſen Fehler haben und alſo we-
nig brauchbar ſein wuͤrden; und ſo fand es
ich auch wirklich.


Ein verdrieslicher Umſtand! Er hatte ſich
ſchon ſo ſehr darauf gefreut, daß er nun bald
die Abende bei Licht wuͤrde zubringen, und
R 2
ein-
[260] einmahl wieder eine warme Suppe wuͤrde
eſſen koͤnnen; und nun ſchien dieſe ſchoͤne Hof-
nung auf einmahl wieder zernichtet zu ſein!


Diderich. Das war doch auch fatal!


Vater. Freilich war es das; und ge-
wiſſe Leute wuͤrden verdrießlich daruͤber gewor-
den ſein und den Plunder weggeworfen ha-
ben. Aber Robinſon war nun ſchon ziem-
lich zur Geduld gewoͤhnt, und hatte ſich ein-
mahl in den Kopf geſezt, nichts unvollendet
zu laſſen, was ihm zu vollenden nur immer
moͤglich waͤre.


Er ſezte ſich alſo in ſeinen Gedanken-
winkel
(ſo nante er die eine Ekke ſeiner
Hoͤhle, wo er ſich hinzuſezen pflegte, wenn
er etwas erſinnen wolte) und rieb ſich die
Stirn. „Woher koͤmt es denn wohl, dacht'
er, daß die Toͤpfe in Europa, die doch auch
nur aus Ton beſtehen, ſo viel feſter ſind,
und gar nichts einſaugen? — Ja, das koͤmt
daher, weil ſie glaſirt ſind. — Glaſirt?
Hum! Was mag denn das wohl eigentlich
ſein, und wie moͤgen ſie das machen? —
Ha!
[261] Ha! ha! ich glaube, ich hab's! Ja, ja ſo
wird's ſein! — Habe ich nicht einmahl gele-
ſen, daß, auſſer dem Sande, noch verſchiedene
andere Materien, auch der Ton, glasartig
ſind, und durch ein ſtarkes Feuer ſich in
wirkliches Glas verwandeln laſſen? — So
werden ſie es alſo gewiß machen; ſie ſezen
die Toͤpfe in einen gluͤhenden Ofen, und wenn
der Ton anfaͤngt zu ſchmelzen: ſo nehmen ſie
ſie wieder heraus, damit ſie nicht ganz in
Glas verwandelt werden. Ja, ja, ſo iſts!
Das muß ich nachmachen.„


Geſagt, gethan! Er machte in ſeiner
Kuͤche ein tuͤchtiges Feuer an, und als es
lichterloh brandte, ſtekte er einen ſeiner Tie-
gel mitten hinein. Aber es waͤhrte nicht
lange, ſo ging's — knak! und der Tiegel
war zerſprungen. — O weh! ſagte Robin-
ſon,
wer haͤtte das gedacht?


Er ſezte ſich wieder in ſeinen Gedanken-
winkel. „Wie in aller Welt, dacht' er,
mag das doch wohl zugehn? — Habe ich
denn wohl ſchon etwas Aehnliches erlebt? —
R 3
Ei
[262] Ei ja doch! Wenn wir des Winters ein Glas
mit kaltem Waſſer oder Bier auf den heiſſen
Ofen ſezten, daß es warm werden ſolte,
ſprang das nicht auch entzwei? — Und wan
ſprang es nicht entzwei? Wenn es auf den
Ofen geſezt wurde zur Zeit, da er noch nicht
recht heiß war, oder wenn wir ein Blat Pa-
pier unterlegten. — Schon gut; ich merke
was! Ja, ja, ſo wird's ſein; man muß das Ge-
faͤß nur nicht auf einmahl auf die Gluth ſezen,
ſondern es erſt nach und nach durchwaͤrmen
laſſen. — Auch muß man ſich huͤten, daß
das eine Ende nicht fruͤher, als das Andere,
heiß werde.„ „Vivat mein alter Kopf!„
rief er froͤhlig aus und ſprang auf, um einen
zweiten Verſuch zu machen.


Dieſer lief nun ſchon viel beſſer ab. Der
Tiegel zerſprang nicht; aber er wolte doch
auch nicht glaſirt werden.


„Und warum wohl nicht?„ dachte Ro-
binſon
wieder. „Das Feuer, meine ich,
waͤre doch wohl ſtark genug geweſen; — was
mag denn nun noch wohl fehlen?„ — Nach-
dem
[263] dem er lange daruͤber nachgedacht hatte, glaub-
te er endlich auf den rechten Flek zu treffen.
Er hatte nemlich den Verſuch in einem Feuer
gemacht, welches in keinem Ofen eingeſchloſſen
war, ſondern in freier Luft brandte. Aus
dieſem verflog die Hize viel zu ſchnel und
theilte ſich zu ſehr nach allen Seiten aus,
als daß der Ton dadurch haͤtte koͤnnen bis
zum Glaſiren gluͤhend werden. Seinem
Grundſaze, nichts unvollendet zu laſſen,
getreu, beſchloß er alſo, einen ordentlichen
Schmelzofen anzulegen. Aber zu dieſer Arbeit
mußt' er eine bequemere Witterung abwar-
ten.


Es regnete nemlich noch immer fort, und
erſt nach zwei Monaten fing der Himmel
endlich wieder an, ſich aufzuklaͤren. Nun,
dachte Robinſon, wuͤrde der Winter ange-
hen: und ſiehe! der Winter war ſchon vor-
uͤber. Kaum trauete er ſeinen eigenen Augen,
da er ſahe, daß die albelebende Fruͤhlingskraft
ſchon wieder neues Gras, neue Blumen und
neue Reiſer hervortrieb; und doch war es
R 4
wuͤrk-
[264] wuͤrklich ſo. Die Sache war ihm unbegreif-
lich, und doch ſahe er ſie vor Augen. „Das
ſol mir, dachte er bei ſich ſelbſt, eine Lehre
ſein, daß ich kuͤnftig nicht gleich etwas laͤugne,
was ich nicht begreifen kan!„


Mutter. Ging er da nicht zu Bette,
nachdem er das geſagt hatte?


Gotlieb. O Mutter, wir ſind ja noch
alle ſo munter!


Vater. Ganz zuverlaͤßige Nachricht ha-
be ich nicht davon. Indeß, da ich in der
alten Geſchichte ſeines einſamen Aufenthalts
auf dieſer Inſel fuͤr dieſen Tag weiter nichts
aufgezeichnet finde: ſo vermuthe ich ſelbſt,
daß er mit dieſen Worten ſich zu Bette legte.
Und ſo wollen wir's denn auch machen, um,
ſo wie er, Morgen fruͤh mit der Sonne zu-
gleich wieder aufſtehen zu koͤnnen.


Eilf-
[265]

Eilfter Abend.


Gotlieb.


Vater, nun wolt' ich wohl in Robinſons
Stelle ſein?


Vater. Wolteſt du das?


Gotlieb. Ja, nun hat er ja Alles,
was er braucht und lebt in einem ſo ſchoͤnen
Lande, wo es niemahls Winter wird!


Vater. Alles, was er braucht?


Gotlieb. Ja, hat er nicht Kartoffeln
und Fleiſch und Salz, und Citronen und Fi-
ſche und Schildkroͤten und Auſtern, und kan
er nicht von der Milch, die ihm die Lama's
geben, Butter und Kaͤſe machen?


Vater. Das hat er wirklich ſchon ſeit
einiger Zeit gethan; ich hab es nur vergeſſen
zu ſagen.


R 5
Got-
[266]

Gotlieb. Na, und Bogen und Spieß
hat er auch, und eine gute Wohnung auch:
was wolt' er denn mehr?


Vater. Robinſon wußte das Alles ſehr
zu ſchaͤzen und dankte Gott dafuͤr; und doch
— haͤtt' er ſein halbes kuͤnftiges Leben darum
gegeben, wenn ein Schif gekommen waͤre, um
ihn wieder in ſein Vaterland zuruͤk zu brin-
gen.


Gotlieb. Ja, aber was fehlte ihm
denn noch?


Vater. Viel, ſehr viel, um nicht Alles
zu ſagen. Es fehlte ihm an dem, ohne wel-
ches keine wahre Gluͤkſeeligkeit hienieden moͤg-
lich iſt, an Geſelſchaft, an Freunden, an We-
ſen ſeiner Art, die er lieben und von denen
er wieder geliebt werden koͤnte. Entfernt von
ſeinen Eltern, die er ſo ſehr betruͤbt hatte,
entfernt von ſeinen Freunden, die er niemahls
wieder zu ſehen hoffen durfte, entfernt von
allen, allen Menſchen auf der ganzen Erde —
ach! was haͤtte ihm in dieſer traurigen Lage
auch der groͤßte Ueberfluß an allen irdiſchen
Guͤ-
[267] Guͤtern fuͤr ſonderliche Freude machen koͤnnen?
Verſuche es, junger Freund, verſuche es nur ein-
mahl einen einzigen Tag, an einem einſamen Orte
ganz allein zu ſein, und du wirſt es fuͤhlen,
was es mit dem einſamen Leben auf ſich hat!


Und dan, ſo fehlte auch noch ſehr viel
daran, daß Robinſons anderweitige Beduͤrf-
niſſe voͤllig waͤren befriediget geweſen. Alle
ſeine Kleidungsſtuͤkke verfielen nach und nach
in unbrauchbare Lappen, und noch ſahe er
nicht, wie es ihm moͤglich ſein wuͤrde, neue
Kleider zu verfertigen.


Johannes. O die Kleider kont' er ja
auch wohl entbehren auf ſeiner warmen Inſel,
wo es niemahls Winter wurde!


Lotte. Fi! ſo haͤtte er ja nakt gehen
muͤſſen.


Vater. Zum Schuz wider die Kaͤlte
brauchte er freilich keiner Kleider; wohl aber
zum Schuz wider die Inſekten, beſonders wi-
der die Musquitos, wovon es auf dieſer
Inſel wimmelte.


Ni-
[268]

Nikolas. Was ſind denn das fuͤr Thiere,
die Musquitos?


Vater. Eine Art von Fliegen, die aber
einen viel ſchmerzhaftern Stich, als die Un-
ſrigen, verurſachen. Sie ſind eine große Pla-
ge fuͤr die Bewohner der heiſſen Erdgegenden:
denn ihre Stiche laſſen beinahe eben ſo
ſchmerzhafte Beulen nach ſich, als bei uns
der Stich der Bienen und der Wespen. Ro-
binſons
Geſicht und Haͤnde waren faſt im-
mer davon aufgeſchwollen. Was ſtand ihm
nun nicht erſt alsdan fuͤr Leiden bevor, wenn
ſeine Kleidungsſtuͤkke einſt voͤllig wuͤrden zer-
riſſen ſein! Und dieſe Zeit war nahe.


Dies und beſonders die Sehnſucht nach
ſeinen Eltern und nach menſchlicher Geſelſchaft
uͤberhaupt, preßten ihm manchen tiefen Seuf-
zer aus, ſo oft er am Strande ſtand und mit
naſſen ſchmachtenden Augen uͤber das unend-
liche Weltmeer hinblikte, und jedesmahl nichts,
als Waſſer und Himmel, vor ſich ſahe. Wie
groß wurde ihm oft das Herz von vergebli-
cher Hofnung, wenn am entfernten Horizonte
ein
[269] ein kleines Woͤlkchen empor ſtieg, und ſeine
Einbildungskraft ein Schif mit Maſten und
Segeln daraus machte! Und wenn er dan
des Irthums inne wurde: ach! wie ſtuͤrzten
ihm da die Traͤnen aus den Augen, und mit
welchem bangen beklommenen Herzen kehrte
er dan zu ſeiner Wohnung zuruͤk!


Lotte. O er haͤtte nur den lieben Gott
recht ſehr bitten ſollen; ſo wuͤrde der gewiß
ihm ein Schif zugeſchikt haben!


Vater. Das that er, liebe Lotte; er
betete Tag und Nacht zu Gott um ſeine Er-
loͤſung; aber er vergaß auch nie, hinzu zu ſezen:
doch, Herr, nicht mein Wille, ſondern
der Deinige geſchehe!


Lotte. Warum that er das?


Vater. Weil er jezt volkommen uͤber-
zeugt war, daß Gott viel beſſer, als wir ſelbſt,
wiſſe, was uns gut iſt. Er dachte alſo:
wenn's meinem himliſchen Vater nun ſo gefal-
len ſolte, mich noch laͤnger hier zu laſſen, ſo
muß er gewiß recht gute Urſachen dazu haben,
die ich nicht einſehe; und alſo muß ich ihn
nur
[270] nur unter der Bedingung um meine Befrei-
ung bitten, wenn ſeine Weisheit es fuͤr nuͤz-
lich erkent.


Aus Beſorgniß, daß einmahl ein Schif
vorbeifahren, oder ſich bei der Inſel vor An-
ker legen moͤgte, zu einer Zeit, da er grade
nicht am Strande waͤre: faßte er den Ent-
ſchluß, auf der vorſpringenden Erdzunge ein
Zeichen aufzurichten, aus welchem jeder, der
da ankaͤme, ſeine Noth erſehen koͤnte. Die-
ſes Zeichen beſtand in einem Pfahle, an wel-
chem er eine Flagge wehen ließ.


Nikolas. Ja, wo kriegt' er denn die
Flagge her?


Vater. Das wil ich dir ſagen. Sein
Hemde befand ſich jezt in einem Zuſtande,
daß es unmoͤglich laͤnger getragen werden kon-
te. Er nahm alſo den groͤßten Lappen deſſel-
ben und machte ihn zur Flagge an dem auf-
gerichteten Pfahl.


Nun haͤtt' er auch gern eine Inſchrift
auf den Pfahl geſezt, um ſeine Noth noch
deutlicher zu erkennen zu geben: aber wie
ſolte
[271] felt' er das anfangen? — Das einzige Mit-
tel dazu, welches in ſeiner Gewalt ſtand, war
dieſes, daß er die Buchſtaben mit ſeinem ſtei-
nernen Meſſer einſchnit. Aber nun entſtand
die Frage: in welcher Sprache er die Inſchrift
abfaſſen ſolte? That er es in deutſcher oder
engliſcher Sprache, ſo konte vielleicht ein fran-
zoͤſiſches, oder ſpaniſches oder portugiſches
Schif kommen, und dan wuͤrden die Leute
auf demſelben nicht verſtanden haben, was die
Worte bedeuteten. Gluͤklicher Weiſe beſan er
ſich auf ein Paar lateiniſche Worte, mit denen
er ſeinen Wunſch ausdruͤkken konte.


Gotlieb. Ja, wuͤrden denn das die
Leute verſtehen?


Vater. Die lateiniſche Sprache, wie
ihr wißt, hat ſich durch alle Laͤnder Europens
verbreitet und die meiſten Menſchen, die eine
ordentliche Erziehung gehabt haben, verſtehen
wenigſtens etwas davon. Robinſon durfte
alſo hoffen, daß auf jedem Schiffe, welches
da ankaͤme, wenigſtens einer ſein wuͤrde, der
ſeine
[272] ſeine Inſchrift verſtuͤnde. Alſo macht' er ſie
fertig.


Johannes. Wie hieß ſie denn?


Vater.Ferte opem misero Robinso-
nio!
Verſtehſt du, Lotte?


Lotte. J ja: helft dem armen Ro-
binſon!


Vater. Jezt beſtand ſein groͤßtes Be-
duͤrfniß in dem Mangel an Schuhen und
Struͤmpfen. Dieſe waren ihm endlich ſtuͤk-
weiſe abgefallen und die Musquitos ver-
folgten ſeine bloßen Beine ſo entſezlich, daß
er vor Schmerzen nicht zu bleiben wußte.
Geſicht, Haͤnde und Fuͤße waren ihm ſeit der
Regenzeit, wodurch die Inſekten ſich auf eine
unbeſchreibliche Weiſe vermehrt hatten, derge-
ſtalt von ſchmerzhaften Stichen aufgeſchwollen,
daß ſie gar kein menſchliches Anſehen mehr
hatten.


Wie oft ſezte er ſich in ſeinen Gedanken-
winkel, um ein Mittel zu ſeiner Bedekkung
auszuſinnen! Aber immer vergebens; immer
fehlt' es ihm an Werkzeugen, und an noͤthi-
ger
[273] ger Kentniß, um das zu Stande zu bringen,
was er zu machen wuͤnſchte.


Das leichteſte unter allen Mitteln zu ſei-
ner Bekleidung ſchienen ihm die Felle der ge-
ſchlachteten Lama's darzubieten. Aber dieſe
waren noch roh und ſteif; und zum Ungluͤk
hatt' er ſich nie darum bekuͤmmert, wie die
Lohgaͤrber und die Weißgaͤrber es anfangen,
um rohe Felle zu zubereiten. Und haͤtt' er
dies auch gewußt; ſo hatte er doch keine Na-
del und keinen Zwirn, um aus dem Leder ir-
gend ein Kleidungsſtuͤk zuſammen zu naͤhen.


Die Noth war indeß dringend. Er konte
weder bei Tage arbeiten, noch zur Nachtzeit
ſchlafen, ſo unaufhoͤrlich verfolgten ihn die
Fliegen mit ihren Stacheln. Es mußte alſo
nothwendig irgend etwas geſchehen, wenn er
nicht auf die erbaͤrmlichſte Weiſe unkommen
wolte.


Diderich. Wozu mag doch Gott auch
wohl die fatalen Inſekten eigentlich geſchaffen
haben, da ſie einem nur zur Laſt ſind?


S
Va-
[274]

Vater. Wozu meinſt du wohl, daß der
liebe Gott dich und mich und andere Men-
ſchen erſchaffen hat?


Diderich. Daß wir in ſeiner Welt
gluͤklich ſein ſollen.


Vater. Und was bewog ihn denn wohl,
das zu wollen.


Diderich. Ja, weil er ſo gut iſt, und
nicht gern allein gluͤklich ſein wolte.


Vater. Ganz recht. Aber meinſt du
nicht, daß die Inſekten auch einer Art von
Gluͤkſeeligkeit genieſſen?


Diderich. Ja, das wohl; man ſieht,
wie ſie ſich freuen, wenn die Sonne ſo warm
ſcheint.


Vater. Nun, iſt es dir alſo nicht be-
greiflich, warum auch ſie von Gott geſchaffen
ſind? Sie ſollen ſich auf ſeiner Erde auch
freuen und ſo gluͤklich ſein, als ſie ihrer Na-
tur nach werden koͤnnen. Iſt dieſe Abſicht
nicht ſehr liebreich, und eines ſo guten Got-
tes wuͤrdig?


Di-
[275]

Diderich. Ja, ich meine nur, der lie-
be Gott haͤtte wohl nur lauter ſolche Thiere
ſchaffen koͤnnen, die keinem was zu Leide thun!


Vater. Danke Gott, daß er das nicht
gethan hat.


Diderich. Warum?


Vater. Weil du und ich und wir Alle
ſonſt auch nicht da waͤren.


Diderich. Wie ſo?


Vater. Weil wir grade zu den reiſſend-
ſten und verheerendeſten unter allen Thierarten
gehoͤren! Alle andere Geſchoͤpfe auf Erden ſind
nicht nur unſere Sklaven, ſondern wir toͤdten
ſie auch nach Gefallen, bald um ihr Fleiſch zu
eſſen, bald um ihre Felle zu bekommen; bald
weil ſie uns im Wege ſind, bald um dieſer,
bald um jener unerheblichen Urſache willen.
Wie viel mehr Recht haͤtten alſo die Inſekten
zu fragen: warum mag doch Gott wohl das
grauſame Thier, den fatalen Menſchen erſchaf-
fen haben? — Was wuͤrdeſt du nun der Fliege
auf dieſe Frage antworten?


S 2
Di-
[276]

Diderich. (Verlegen.) Ja — das weiß
ich nicht.


Vater. Ich wuͤrde ohngefaͤhr ſo zu ihr
ſprechen: „liebe Fliege, deine Frage iſt ſehr
verwegen, und beweiſet, daß du mit deinem
kleinen Kopfe noch nicht ordentlich zu denken ge-
lernt haſt. Sonſt wuͤrdeſt du bei dem gering-
ſten Nachdenken leicht erkant haben, daß Gott
aus bloſſer Guͤte viele ſeiner Geſchoͤpfe ſo einge-
richtet habe, daß Eins von dem Andern leben
muß. Denn haͤtt' er dies nicht gethan, ſo wuͤr-
de er nicht halb ſo viel Thierarten haben erſchaf-
fen koͤnnen: weil Gras und Fruͤchte nur fuͤr we-
nige Arten von lebendigen Geſchoͤpfen hinrei-
chend geweſen waͤren. Damit alſo die ganze Erde
belebt wuͤrde, damit uͤberal — in Waſſer, Luft
und Erde — lebendige Weſen waͤren, die ſich
ihres Daſeins freuten, ſo lange ſie lebten, und
damit die eine Art von Geſchoͤpfen nicht zum
Untergang einer andern Art ſich gar zu ſtark
vermehrte: ſo mußte der weiſe und gute Gott
die Einrichtung treffen, daß einige Geſchoͤpfe
auf Unkoſten anderer lebten. — Ueberdem haſt
du
[277] du dir in deinem kleinen dummen Kopfe wohl
nicht traͤumen laſſen, was wir Menſchen mit
voͤlliger Gewißheit wiſſen, nemlich: daß dies
Leben fuͤr alle von Gott erſchaffene Geiſter,
auch fuͤr dich, Fliege! nur der Anfang, nur
die erſte Morgenſtunde eines andern ewigen Le-
bens ſei, und daß ſich alſo kuͤnftig einmahl Vieles,
Vieles aufklaͤren kan, wovon wir jezt noch nichts
begreifen. Wer weiß, ob nicht dan auch du
erfahren wirſt, wozu es dir und Andern gut
geweſen ſei, daß du dich erſt an unſerm Blu-
te laben und dan von der Schwalbe gefangen
oder vom Fliegenklap zerſchmettert werden
mußteſt? Bis dahin beſcheide dich, daß du
nur eine Fliege ſeiſt, die uͤber das, was der al-
weiſe und alguͤtige Gott thut, unmoͤglich ur-
theilen kan; und wir — wollen dir hierin
mit unſerm Exempel vorgehn.„


Was meinſt du, Diderich, wuͤrde die Flie-
ge, wenn ſie Verſtand haͤtte, mit dieſer Ant-
wort wohl zufrieden ſein?


Diderich. Ich bin's.


S 3
Va-
[278]

Vater. Nun ſo wollen wir wieder zu
unſerm Robinſon zuruͤkkehren.


Die Noth zwang ihn, ſich zu helfen, ſo
gut er konte. Er kriegte alſo die Felle vor,
und ſchnit aus denſelben — freilich nicht ohne
viele Muͤhe — mit ſeinem ſteinernen Meſſer,
erſt ein Paar Schuhe, dan ein Paar Struͤm-
pfe zu. Naͤhen konte er beide nicht; alſo
mußt' er ſich begnuͤgen, nur kleine Bindloͤcher
darein zu machen, um ſie durch Huͤlfe eines
gedreheten Fadens an den Fuͤßen feſt zu ſchnuͤ-
ren. Das war nun freilig mit großer Be-
ſchwerlichkeit verbunden. Denn ohngeachtet er
das Rauhe auswaͤrts kehrte: ſo fuͤhlte er den-
noch immer eine brennende Hize in den Fuͤſ-
ſen, und das ſteife harte Leder ſchabte ihm
vollends bei dem geringſten Gange, den er
vornahm, die Haut wund, und verurſachte
ihm dadurch nicht geringe Schmerzen. Und
dennoch wolte er lieber dies, als die Stiche
der Musquitos, ertragen.


Von einem andern ſehr ſteifen und etwas
krum gebogenen Stuͤk Leder machte er ſich
eine
[279] eine Maske, indem er nur zwei kleine Loͤcher
fuͤr die Augen und ein drittes fuͤr den Mund
zum Athemholen hinein ſchnit.


Und da er einmahl bei dieſer Arbeit war:
ſo beſchloß er nicht eher nachzulaſſen, bis er
endlich auch mit einer Jakke und mit Bein-
kleidern aus Lamafellen zu Stande gekommen
waͤre. Das koſtete nun freilig ſchon mehr
Kopfbrechen: allein, was hat man auch ohne
Muͤhe, und was gelingt einem endlich nicht,
wenn man nur Geduld und Fleiß genug an-
wendet? — Ihm gelang auch dieſe Arbeit zu
ſeiner herzlichen Freude.


Die Jakke war aus drei Stuͤkken zuſam-
men geſezt, die durch Schnuͤre verbunden wur-
den; zwei Stuͤkke nemlich, waren fuͤr die Ar-
me und das Dritte fuͤr den Leib. Die Bein-
kleider beſtanden gleichfals wie unſere Reitho-
ſen, aus zwei Stuͤkken, einem Vorder- und
einem Hintertheile, und wurden auf den Sei-
ten zugeſchnuͤrt. Er legte beides, ſo bald
es fertig geworden war, an, mit dem Vor-
ſaze, ſein altes, ſchon halb zerriſſenes Euro-
S 4
paͤiſches
[280] paͤiſches Kleid nicht anders, als an hohen
Feſttagen und an ſeiner Eltern Geburtstagen,
die er als heilige Tage feierte, anzuziehen.


Sein Aufzug war nunmehr der ſonder-
barſte von der Welt. Vom Kopf bis zu den
Fuͤßen in rauhe Felle eingehuͤlt; ſtat des De-
gens ein großes ſteinernes Beil an der Seite;
auf den Ruͤkken eine Jagdtaſche, einen Bo-
gen und ein Buͤndel Pfeile, in der rechten
Hand einen Spieß, der noch einmahl ſo lang
war, als er ſelbſt, und in der Linken einen
geflochtenen Sonnenſchirm mit Kokusblaͤttern
belegt, und, ſtat des Hutes, einen ſpizig zu-
gehenden Korb, gleichfals mit rauhen Fellen
uͤberzogen, auf dem Kopfe: ſtelt euch einmahl
vor, wie das wohl ausſehen mußte! Keiner,
der ihn ſo geſehen haͤtte, wuͤrde in dieſem
wunderbaren Aufzuge ein menſchliches Weſen
vermuthet haben. Auch mußte er ſelbſt uͤber
ſich lachen, da er dieſe ſeine ganze Figur zum
erſtenmahle im Bache ſahe.


Jezt ſchritt' er wieder zu ſeiner Toͤpfer-
arbeit. Der Brenofen war bald gemacht, und
nun
[]

[figure]


[][281] nun wolt' er verſuchen, ob er nicht durch die
Gewalt des ſtaͤrkſten Feuers eine Glaſur her-
vorbringen koͤnte. Er ſtekte alſo die Toͤpfe
mit den Tiegeln hinein, und machte darauf
nach und nach ein ſo ſtarkes Feuer an, daß
der Ofen durch und durch gluͤhend wurde.
Dies heftige Feuer unterhielt er bis an den
Abend, da er es nach und nach ausgehen ließ,
und nun, ſehr begierig war, den Erfolg davon
zu ſehen. Aber was wars? Der erſte Topf,
den er hervorzog, war dem ohngeachtet nicht
glaſirt, der zweite auch nicht, und ſo die uͤbri-
gen. Als er aber zulezt einen der Tiegel betrach-
tete: ſo bemerkte er zu ſeiner eben ſo groſſen
Freude, als Verwunderung, daß dieſer allein
auf dem Boden mit einer ordentlichen Glaſur
uͤberzogen war.


Dabei ſtand nun ſein Verſtand vollends ſtil.
Was in aller Welt, dacht' er, kan doch wohl die
Urſache ſein, warum grade dieſer eine Tiegel
ein wenig glaſirt worden iſt, und keins von
den uͤbrigen Gefaͤßen, da ſie doch alle aus ei-
nerlei Thon gemacht, und in einem und eben
demſelben Ofen gebrant worden ſind? — Er
ſan und ſan, aber es wolte ſich lange nichts
finden laſſen, was ihm das Ding begreiflich
machte.


S 5
End-
[282]

Endlich erinnerte er ſich, daß in dieſem Tie-
gel ein wenig Salz geweſen ſei, da er ihn
in den Ofen geſezt habe. Er konte alſo nicht
umhin zu vermuthen, daß dieſes Salz einzig
und allein die Urſache der Glaſirung ſei.


Johannes. hatt's denn auch wirklich
das Salz gemacht?


Vater. Ja. Was Robinſon hier durch
Zufal entdekte, hat man in Europa laͤngſt ge-
wußt. Das Salz nemlich iſt eigentlich dasje-
nige, durch deſſen Vermiſchung viele Sachen
im Feuer zu Glas werden. Er haͤtte daher
die Toͤpfe nur mit Salzwaſſer beſtreichen, oder
auch nur eine Porzion Salz in den gluͤhen-
den Ofen werfen duͤrfen, ſo wuͤrden ſeine
Toͤpfe alſobald mit einer Glasrinde uͤberzogen
worden ſein.


Das wolt' er nun am folgenden Tage
verſuchen. Schon brante das Feuer unter ſei-
nem Ofen; ſchon hatt' er einige Gefaße mit
Salzwaſſer beſtrichen und in andere troknes
Salz gethan, um beide Verſuche zugleich zu ma-
chen: als er mitten in dieſer Arbeit durch etwas
unterbrochen wurde, wovor ihm ſchon lange
am meiſten bange geweſen war, durch —
eine Unpaͤßlichkeit.


Er empfand Uebelkeiten, Kopfſchmerzen,
und eine große Mattigkeit in allen ſeinen Glie-
dern.
[283] dern. Und nun ſtand ihm der ſchreklichſte Zu-
ſtand bevor, in welchen ein Menſch jemahls
gerathen kan.


„Großer Gott, dachte er, was wird aus
mir werden, wenn ich von meinem Lager nicht
mehr aufſtehen kan? Wenn keine mitleidige Hand
da iſt, die meiner wartet und meinem Un-
vermoͤgen zu Huͤlfe koͤmt? Kein Freund, der
mir den Todesſchweiß abwiſcht und mir irgend
ein Labſal reicht? — Gott! Gott! was wird
aus mir werden?„


Er ſank, von tiefer Selenangſt uͤberwaͤlti-
get, mit dieſen Worten ohnmaͤchtig zu Boden.


War ihm nun jemahls ein feſtes kindliches
Vertrauen auf Gott, den algegenwaͤrtigen
und alliebenden Vater, noͤthig geweſen; ſo war
es jezt. Aller menſchlichen Huͤlfe beraubt,
von ſeinen eigenen Kraͤften verlaſſen: was
blieb ihm nun noch uͤbrig, wenn er in ſeinem
Elende nicht untergehen ſolte? Gott, Gott
allein; ſonſt niemand auf der ganzen Welt.


Er lag und rang mit Todesangſt. Seine
Haͤnde waren feſt in einander geklammert;
und unfaͤhig zu reden, unfaͤhig zu denken,
heftete er ſeine ſtarren Blikke an den Him-
mel. Gott! Gott! Erbarmung! — Dies
war Alles, was er mit tiefen Seufzern von
Zeit zu Zeit hervorzubringen vermogte.


Aber
[284]

Aber die Angſt ließ ihn nicht lange ru-
hen. Er rafte ſeine lezten Kraͤfte zuſammen,
um, wo moͤglich, das Noͤthigſte zu ſeiner Ver-
pflegung neben ſein Lager zu tragen, damit
er, wenn die Krankheit ihm das Aufſtehen
unmoͤglich machte, doch nicht ganz ohne alle
Erquikkung waͤre. Mit groſſer Beſchwerlich-
keit trug er ein Paar Kokusſchalen vol Waſſer
herbei, die er neben ſein Lager ſezte. Dan
legte er einige gebratene Kartoffeln und vier
Zitronen, die ihm noch uͤbrig waren, dazu
und ſank ohnmaͤchtig daneben auf ſein trauri-
ges Krankenbette.


Haͤtt' es dem lieben Gott jezt gefallen
ihn durch einen ploͤzlichen Tod von der Erde
wegzunehmen: ach! wie gern, wie gern waͤr'
er geſtorben! Er wagte es, Gott darum zu
bitten: aber bald darauf beſan er ſich wieder,
daß dieſes Gebet nicht recht ſei. „Bin ich
nicht Gottes Kind? dacht' er; bin ich nicht
ſein Werk, und iſt er nicht mein liebreicher,
mein weiſer und maͤchtiger Vater? Wie darf
ich ihm alſo vorſchreiben, was er mit mir
thun ſol? Weiß er es nicht am beſten, was
mir gut iſt, und wird ers nicht ſo mit mir
machen, als es mir am zutraͤglichſten iſt? Ja,
ja, das wird er, der gute, liebe, maͤchtige
Gott! Schweig alſo, mein armes bekuͤmmer-
tes
[285] tes Herz! Sieh auf Gott, meine arme ge-
aͤngſtete Sele, — auf Gott, den großen Hel-
fer in allen Noͤthen! Und er wird dir helfen,
wird dir helfen durch Leben oder Tod!„


Mit dieſen Worten ermante er ſich, richtete
auf ſeinen Knien ſich in die Hoͤhe, und be-
tete mit heiſſer Inbrunſt ſeines Herzens: „ich
uͤbergebe mich dir, mein Vater; ich uͤbergebe
mich ganz deiner vaͤterlichen Fuͤhrung! Mache
es mit mir nach deinem Wohlgefallen. Ich
wil gern leiden, was du mir zuſchikkeſt; und
du wirſt mir Kraͤfte dazu verleihen. O ver-
leihe ſie mir, mein Vater — dies iſt Alles,
warum ich dich anflehe — verleihe mir Ge-
duld in meinen Leiden und unwandelbares
Vertrauen auf dich. O erhoͤre dieſe Bitte,
dieſe einzige flehentliche Bitte deines armen
leidenden Kindes, um deiner Liebe willen!„


Jezt uͤberfiel ihn ein heftiges Fieber. Ohn-
geachtet er ſich ganz und gar mit den getrok-
neten Lamafellen bedekte, ſo konte er ſich doch
nicht erwaͤrmen. Dieſer Froſt dauerte wohl
zwei Stunden. Dan wechſelte er mit einer
Hize ab, die wie ein brennendes Feuer durch
alle ſeine Adern lief. Seine Bruſt flog vom
heftigen Schlagen der Pulsadern auf und
nieder, wie die Bruſt eines Menſchen, der
ſich ganz auſſer Athem gelaufen hat. In die-
ſem
[286] ſem ſchreklichen Zuſtande hatt' er kaum ſo
viel Kraft uͤbrig die Kokusſchale mit dem Waſ-
ſer nach dem Munde zu fuͤhren, um ſeine bren-
nende Zunge zu kuͤhlen.


Endlich drang der Schweiß in großen Trop-
fen hervor; und dies verſchafte ihm einige
Linderung. Nachdem er uͤber eine Stunde
darin gelegen hatte, gewan ſeine Sele wieder
einige Beſonnenheit. Und da fiel ihm der
Gedanke aufs Herz, daß ſein Feuer ausgehen
wuͤrde, wenn nicht neues Holz zugelegt wuͤrde.
Er kroch alſo, ſo mat er auch war, auf allen
Vieren hin, und warf ſo viel Holz auf den
Heerd, als noͤthig war, um bis Morgen zu
brennen. Denn jezt war die Nacht ſchon an-
gebrochen.


Dieſe Nacht war die traurigſte, die er je
erlebt hatte. Froſt und Hize wechſelten ohne
Unterlaß mit einander ab; die heftigſten Kopf-
ſchmerzen hoͤrten gar nicht auf; und kein
Schlaf kam in ſeine Augen. Dadurch wurde
er ſo entkraͤftet, daß er am andern Morgen
kaum wieder nach dem Holze hinzukriechen
vermogte, um das Feuer zu unterhalten.


Gegen Abend nahm die Krankheit von
neuem zu. Er wolte abermahls nach dem
Feuer kriechen; aber das war ihm diesmahl
unmoͤglich. Er mußte alſo auf die Erhaltung
deſſel-
[287] deſſelben Verzicht thun und die gewiſſe Hof-
nung, daß es nicht lange mehr mit ihm dau-
ern wuͤrde, machte ihn gleichguͤltig dagegen.


Die Nacht war wieder, wie die vorige.
Das Feuer war indeß erloſchen; das uͤbrige
Waſſer in den Kokusſchalen fing an zu faulen;
und Robinſon war nunmehr unfaͤhig, ſich
von einer Seite auf die andere zu legen. Er
glaubte die Annaͤherung des Todes zu fuͤhlen
und die Freude daruͤber machte ihn ſtark ge-
nug, ſich noch durch ein frommes Gebet zu
ſeiner großen Reiſe vorzubereiten.


Er bat Gott noch einmahl demuͤthig um
Vergebung ſeiner Suͤnden. Dan dankte er
ihm fuͤr alle Guͤte, die er ihm — einem ſo
unwuͤrdigen Menſchen — ſein ganzes Leben
hindurch erwieſen habe. Beſonders aber dank-
te er ihm fuͤr die Leiden, die er zu ſeiner
Beſſerung ihm zugeſchikt haͤtte, und wovon er
jezt mehr, als jemahls erkante, wie wohlthaͤ-
tig ſie fuͤr ihn geweſen waren. Zulezt bat er
noch um Troſt und Seegen fuͤr ſeine armen
Eltern; dan empfahl er ſeine unſterbliche Sele
der ewigen Vaterliebe ſeines Gottes — legte
ſich darauf zurechte, und erwartete den Tod
mit freudiger Hofnung.


Auch ſchien derſelbe ſich mit ſtarken Schrit-
ten zu naͤhern. Die Beaͤngſtigungen nahmen
zu;
[288] zu; die Bruſt fing an zu roͤcheln, und das
Athemholen wurde ihm immer ſchwerer. Jezt,
jezt ſchien der lezte gewuͤnſchte Augenblik da zu
ſein! Eine Beaͤngſtigung, die er nie gefuͤhlt
hatte, ergrif ſein Herz, der Athemzug ſtand
ploͤzlich ſtil; er kriegte Verzukkungen, neigte
ſein Haupt und hoͤrte auf ſich ſeiner bewußt
zu ſein.


Alle ſchwiegen eine gute Weile und ehrten
das Andenken ihres Freundes, den ſie nie
geſehen hatten, durch eine wehmuͤthige Empfin-
dung. — Der arme Robinſon! ſeufzten
nachher Einige; Gotlob! ſagten die Andern,
daß er nun von allen ſeinen Leiden be-
freit iſt!
— Und ſo ging die Geſelſchaft die-
ſen Abend ſtiller und nachdenkender aus
einander, als gewoͤhnlich.


[][][]
Notes
*)
Hierin irret Rouſſeau. Der alte Robinſon
hat Werkzeuge in Menge, die er von dem
geſtrandeten Schiffe rettete. Der gegenwaͤr-
tige juͤngere Robinſon hingegen hat zu ſei-
ner Erhaltung nichts, als ſeinen Kopf und
ſeine Haͤnde.
*)
Nach dem bekanten Gellertſchen Liede: Mein
erſt Gefuͤhl etc. Es gehoͤrt uͤbrigens nicht
viel Scharfſichtigkeit dazu, den hier began-
genen Anachronismus zu bemerken, und
nicht viel Nachſicht, um ihn zu Gute zu
halten.
*)
Dieſe Briefe, ſo wie ſehr viele Fragen und
Antworten der Kinder durchs ganze Buch
ſind hier Wort fuͤr Wort den Kindern nach-
geſchrieben worden.

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TextGrid Repository (2025). Campe, Joachim Heinrich. Robinson der Jüngere. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bjgm.0