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Vorleſungen
uͤber
Esskunst


‘„Ernſt iſt das Leben, heiter iſt die Kunſt.“’

[figure]


Leipzig,:
Verlag von Otto Wigand.

1838.

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Vorwort.


In der theuren und werthen Stadt, innerhalb
deren Ringmauern ich den ſchoͤnſten Theil meiner
Tage verlebte, hatte ſich ein Verein mehrerer kunſt-
ſinniger und gelehrter Eßliebhaber gebildet, welche am
erſten Sonnabend eines jeden Monats wechſelsweiſe bei
Einem der Mitglieder zu einem ausgewaͤhlten Mahl
ſich zu verſammeln, und uͤber mancherlei Kunſtgegen-
ſtaͤnde freundlich zu unterhalten pflegten. Ich hatte
die unverdiente Ehre, Mitglied dieſes ſchoͤnen Ver-
eins zu ſein.


Dieſes Beiſammenſein war viel zu anmuthig, als
daß man ſobald nach vollbrachtem Eſſen ſich haͤtte
trennen moͤgen. Einige aͤltere Mitglieder waren aber
ihr Mittagsſchlaͤfchen gewohnt, welches ſie nicht auf-
[IV] zugeben Willens waren. Von dieſen ging der Vor-
ſchlag aus: da die durchdachten Satzungen der Ge-
ſellſchaft das Spiel nach Tiſch unterſagten, ſo moͤchte
es ſich wohl eignen, dem Eſſen Vortraͤge uͤber das
Eſſen folgen zu laſſen, und das Ganze mit ſchoͤnem
Trinken zu beſchließen.


Der Antrag fand Beifall, und das Loos, dieſe
Vorleſungen zu halten, traf mich.


Keines der vorhandenen Lehrbuͤcher, — heißt es
in hundert Vorreden — genuͤgte mir; ich mußte alſo
ſelbſt eins ſchreiben. Mir konnte um ſo weniger eines
genuͤgen, weil noch gar keins da iſt. So entſtanden
denn dieſe Vorleſungen, welche ich, uͤberarbeitet, le-
diglich deßhalb dem Druck uͤbergebe, weil ich dem gar
zu ſtarken, jahrelangen Andringen der ſehr verehrten
Herren, welche ſie mit ihrer Gegenwart beehrt hat-
ten, nicht laͤnger zu widerſtehen vermag. Denn ich
bin ein Menſch, und trage ein Herz im Buſen.


Wie manche Schwierigkeiten ein nicht ſelbſt ge-
waͤhlter, ſondern aͤußerlich gegebener Stoff zu uͤber-
winden giebt, erfahren die Kuͤnſtler oͤfter, als ihnen
lieb iſt. In wiefern es mir nun gelang, meiner Auf-
gabe zu entſprechen, unterſtelle ich — unbeſchadet
[V] meiner eigenen Meinung, die ich fuͤr mich behalte, —
einer beſſeren Einſicht meiner ſehr verehrten Leſer.


Eine Rechtfertigung iſt oft von einer Entſchul-
digung kaum zu unterſcheiden, und nuͤtzt gerade da
am wenigſten, wo ſie am noͤthigſten ſcheint. So be-
gnuͤge ich mich denn, nur noch zu bemerken, daß vor-
liegendes Buͤchlein nicht bei nuͤchternem Magen, oder
im Zuſtande des Hungerns, ſondern am fuͤglichſten nach
Tiſch, und zwar nicht auf einmal, ſondern nach und
nach, zu leſen waͤre.


Wollte ein und der andere meiner ſehr verehrten
Leſer dieſe Vorleſungen vorleſen, ſo wuͤrde er, wenn
er ſie vorher durchgeleſen, finden, daß ſie manche
deklamatoriſch dankbaren und ausdrucksvollen Stellen
enthielten, und daß man noch allerlei heraus und hin-
ein leſen koͤnnte.


Uebrigens ſind ſie zwar zunaͤchſt fuͤr ſinnige Eß-
liebhaber beſtimmt, doch wird auch jeder Gelehrte
und Kuͤnſtler, der Philoſoph, Zahnarzt, Philolog
und Paͤdagog, Buͤrſtenbinder, Chemiker, Koch,
Staatsmann, Gaſtwirth, Meſſerſchmied, Schauſpie-
ler, Wurſtfabrikant, ꝛc., ꝛc., kurz jeder Gebildete,
wohl dieß und jenes ihm ſpeziell Zuſagende oder nicht
[VI] Zuſagende darinnen antreffen. Und hiermit ſei der
geneigte Leſer Gott befohlen, oder wie man ſonſt
gar lieb ſagte: Vale faveque, lector benevole!


Der Verfaſſer“ oder: „An-
tonius Anthus
“ pflegt man
unter die Vorreden zu ſchreiben,
um, gleich nach dem Titelblatt,
ſeinen werthen Namen nochmals
anzubringen.


[[VII]]

Inhalt.


  • Seite
  • Erſte Vorleſung.
    Einleitendes. — Weltanſchauung des Eßkuͤnſtlers. — Begriff, Werth und
    Bedeutung der Eßkunſt. — 1
  • Zweite Vorleſung.
    Geſchichtliches. 20
  • Dritte Vorleſung.
    Ethnographiſches. 41
  • Vierte Vorleſung.
    Verhaͤltniß der Eßkunſt zu den anderen ſchoͤnen Kuͤnſten. 69
  • Fuͤnfte Vorleſung.
    Moraliſche Beziehungen. 96
  • Sechſte Vorleſung.
    Diaͤtetik des Eßkuͤnſtlers. 116
  • Siebente Vorleſung.
    Prinzip der Eßkunſt. 139
  • Achte Vorleſung.
    Elementarunterricht. 164
  • Neunte Vorleſung.
    Hoͤhere Kunſtregeln. 191
  • Zehnte Vorleſung.
    Spezielle Eßbarkeiten. 216
  • Eilfte Vorleſung.
    Vom Trinken. 243
  • Zwoͤlfte Vorleſung.
    Schlußbetrachtungen. 265
[[1]]

Erſte Vorleſung.


Einleitendes. — Weltanſchauung des Eßkünſtlers. — Begriff,
Werth und Bedeutung der Eßkunſt. —


Goethe laͤßt in ſeinen Wahlverwandtſchaften den Archi-
tekten ſagen: „Wenn Sie wuͤßten, wie roh ſelbſt gebildete
Menſchen ſich gegen die ſchaͤtzbarſten Kunſtwerke verhalten, Sie
wuͤrden mir verzeihen, wenn ich die Meinigen nicht unter die
Menge bringen mag. Niemand weiß eine Medaille am Rand
anzufaſſen; ſie betaſten das ſchoͤnſte Gepraͤge, den reinſten Grund,
laſſen die koͤſtlichſten Stuͤcke zwiſchen dem Daumen und Zeige-
finger hin- und hergehen, als wenn man Kunſtformen auf dieſe
Weiſe pruͤfte. Ohne daran zu denken, daß man ein großes
Blatt mit zwei Haͤnden anfaſſen muͤſſe, greifen ſie mit Einer
Hand nach einem unſchaͤtzbaren Kupferſtich, einer unerſetzlichen
Zeichnung u. ſ. w.“


Es iſt mit dem Eſſen gerade ſo. Da ſtopft Einer gedan-
kenlos zu jedem Biſſen und uͤberhaupt ſo viel Brod in den
Mund, daß er unmoͤglich den ſpezifiſchen Geſchmack irgend ei-
ner Speiſe perzipiren kann. Sein Nachbar zerreißt, Grimm im
Antlitz, mit kannibaliſcher Rohheit einen Krebs, an die qual-
volle Hinrichtung Rovaillac’s erinnernd, des fanatiſchen Moͤr-
ders jenes Guͤtigſten der Koͤnige, welcher Jedem ſeiner Untertha-
nen ein Huhn im Reis wuͤnſchte. Unterdeſſen iſt ein Dritter
noch beim Rindfleiſch und verſichert, mit der Gabel in der rech-
ten Hand, habe er geſottenes Rindfleiſch, ſo frage er nach nichts
weiter. Wenn nur, meint er, der friſche Gurkenſalat ausge-
1
[2] preßt worden waͤre, ſo waͤre er beſſer. Ein Anderer kaut mit
vieler Anſtrengung den harten Teig einer Straßburger Gaͤnſe-
leberpaſtete, und meint, er aͤße was. Leute, welche ſich anma-
ßen, tranſchiren zu koͤnnen, ermangeln der erſten Grundbegriffe,
und ſchneiden das Fleiſch parallel mit der Faſer. Der ſpricht
bei einem Gansbauch wehmuͤthig von dem Tod ſeiner Frau
und von der Vergaͤnglichkeit alles Irdiſchen, jener haͤlt jedes
Wort fuͤr einen verlornen Biſſen, und verſchlingt, duͤſter kauend,
Fuͤnferlei zugleich.


So ſieht man denn ſelbſt ſogenannte Gebildete, — ſubjektiv
ſtumpf, objektiv peinigend — ganz ohne Bewußtſein, ohne
Sinn, Gefuͤhl, Plan und Gedanken, ja ſelbſt ohne Behagen die
lieblichſten, durch die Natur vorgebildeten, durch die Kochkunſt
veredelten Produkte naturaliſtiſch und roh ſich aneignen. In
Anerkennung dieſer Thatſachen begegnen ſich ſelbſt die, ſonſt
durchaus und entſchieden verſchiedenen, Charaktere Boͤrne und
Rumohr in der beſtimmteſten, um ſo gewichtigeren, Ueberein-
ſtimmung.


Und doch verhaͤlt ſich keine willkuͤhrliche Thaͤtigkeit des
Menſchen Sein und Art des Seins ſo unmittelbar bedingend
und modifizirend. Wie aber Millionen nicht Blinde ſterben,
ohne ſehen gelernt zu haben, alſo auch ißt eine gleiche Legion,
ohne zu ſchmecken, bis ſie nicht mehr ißt. „Ach, er ißt nicht
mehr“ ſagt man mit menſchlicher Wehmuth, wenn ein Menſch
aufgehoͤrt hat zu eſſen, d. h. zu ſein. Dieſe, nahe an Itenditaͤt
ſtreifende Verſchmelzung des Bedingenden mit dem Bedingten
hat auch die ſcharf klare Roͤmiſche Sprache laͤngſt erkannt, und
deßhalb auch Ein Wort fuͤr Sein und Eſſen, welches letztere
denn buchſtaͤblich der Deutſchen Zunge ſich einverleibte.


Hunger und Liebe haͤlt nach Schiller die Welt zuſammen,
und Goethe ſagt in ſeiner Kuͤnſtler-Apotheoſe bedeutungsvoll
„So lang er kau’n und kuͤſſen kann.“


Somit und auch durch die Allgemeinheit der unbedingten
[3] Anerkennung iſt zwar das leer Abſolute der Eßnothwendigkeit,
als gemeiner Nothdurft, ſchlechthin zugeſtanden, aber das Eſſen
weder in ſeiner Natur- noch Kunſt-Bedeutung irgend begriffen.


Sollten die Nationen ewig in dieſer Bornitur verharren,
ſoll es nie tagen, ſoll der Inſtinkt ſich nie zum Bewußtſein
verklaͤren?


Ein paſſionirter Kunſt- und Menſchenfreund, kann ich den
Jammer nicht laͤnger mit anſehen, und entledige mich dieſes
Dranges, indem ich der Nachſicht einer ſehr verehrten Verſamm-
lung das ergebenſt empfehle, was ich uͤber dieſen Gegenſtand
erfahren und gedacht, und mitzutheilen eben im Begriff ſtehe.


Bekanntlich ſieht die Natur gerade ſo aus, wie man ſie
anſchaut. Welt und Weltanſchauung ſind zwar zwei ganz ver-
ſchiedene Dinge, aber trotz dem iſt die Welt relativ um kein
Haar anders, als ſie angeſchaut wird, ja fuͤr den Einzelnen ge-
nau ſo, wie er dreſſirt wurde, ſie zu betrachten. Als ich ein
Knabe war, ſah ich, wie mir’s vom Schulmeiſter geſagt worden
war, in der Natur Stein-, Pflanzen- und Thierreich oder, wie
es hieß, Weſen, welche nicht leben und nicht empfinden, Weſen,
welche leben aber nicht empfinden und Weſen, welche leben und
empfinden. Welche Beſchraͤnktheit, welche Unrichtigkeiten, welche
Trivialitaͤten! Fuͤr die Weltanſchauung des Eſſers iſt dergleichen
voͤllig unfruchtbar, hoͤchſtens geht daraus, in Beziehung auf
das Menſchenreich, das wenig troͤſtliche Reſultat hervor, daß
ſehr viele Mitglieder derſelben weder zu empfinden noch zu leben
wiſſen.


Eine lebendigere, freundlichere, hoͤhere und jedenfalls appe-
titliche Lebensanſicht ſieht die Natur zunaͤchſt als genießbar an.
Die ungenießbare Natur kommt dabei kaum in Betracht.
Denn die Sache ſcheint durch die nicht unbetraͤchtliche Anzahl
derer, welche im Entwicklungsgange des Menſchengeſchlechts
auf dem Wege des Experiments zur Ermittlung des Genießba-
ren zufaͤllig in Ungenießbares biſſen und deßhalb ins Gras beißen
1*
[4] mußten, groͤßtentheils ſchon erledigt. — Auch die Eßkunſt
hat ihre Maͤrtyrer. — Wollte man daruͤber klagen, daß in je-
nen Urzeiten noch keine mediziniſche Fakultaͤt exiſtirte, ſo koͤnnte
vielleicht zur Beruhigung dienen, daß ſpaͤter von derſelben auf
demſelben Wege das Verſaͤumte mit Wucher eingebracht wurde.


Beliebter Kuͤrze willen der Triplizitaͤt von Mineral,
Pflanze und Thier folgend, ſehen wir auf jener erſten Stufe
Weſen, welche, mit Ausnahme des Salzes und Waſſers, weder
eßbar ſind noch eſſen; auf der zweiten eßbare, aber nicht eſſende
Weſen; auf der dritten Stufe endlich Weſen, welche eſſen und
gegeſſen werden.


Der civiliſirte Menſch erhebt ſich zur hoͤchſten Stufe, indem
er zwar, in Folge ſeiner hoͤheren Organiſation, nothwendig auch
der Eigenſchaft nicht ermangeln darf, eßbar zu ſein, dieß jedoch
iſt und ißt, ohne ſelber gegeſſen zu werden, es muͤßte denn von
Unciviliſirten geſchehen.


Man tadle die nach dieſer Eintheilung ſich ergebenden ge-
ringen Ausnahmen nicht. Wohl uns und der Wiſſenſchaft,
wenn nur irgend eine der vielen naturhiſtoriſchen Claſſificatio-
nen ſich derſelben Beſtimmtheit, Einfachheit, Schaͤrfe und ſtren-
gen Ordnung erfreute, wie die eben ausgeſprochene!


So betrachtet denn der Eßkuͤnſtler Himmel, Erde und
Meer als Speiſekammer, und die drei Reiche der Natur als
verſchiedene Faͤcher derſelben und, mit Ausnahme des wenigen,
bedeutungsloſen Ungenießbaren, alle Weſen als eßbar oder doch
miteſſend. Welch’ eine lebendige liebliche Fuͤlle der Betrachtung,
welcher Reichthum von Aſſonanzen und Aſſociationen des Ge-
nuſſes aller Art, nur einigermaßen getruͤbt durch den Seitenblick
auf das ſterile Mineralreich, welches, als ſolches und unmittel-
bar, verhaͤltnißmaͤßig ſo wenig contribuirt. Und doch, wie
wichtig und unentbehrlich iſt dieß Wenige: Waſſer und Salz,
ohne die man nicht kochen kann.


Bedeutungsvolle Wahrheiten ergeben ſich durch die ſich nun
[5] erſchließenden Naturgeſetze: Wie unter den Planeten der Staͤr-
kere ſich zum Herrn des Schwaͤcheren macht und dieſen zwingt,
um ihn herumzulaufen — er ſelber laͤuft wieder um die Sonne —
ſo eſſen ſich auch die den Erdball bewohnenden Naturweſen je
nach Rang und Stand, und zwar auch ſo, daß je immer die
Subalternen gegeſſen werden, — bis zum Menſchen herauf, der
ſie ſo ziemlich alle ißt. Das gegeſſene Naturweſen wird auf
dieſe Weiſe immer einem hoͤheren Organismus aſſimilirt, und
jedes Natur-Avancement wird ſomit durch das Eſſen vermit-
telt. Das Eſſen bezweckt alſo Aneignung von Stoffen aus der
Außenwelt zum Behuf der Perfection. Je hoͤher das Weſen,
um ſo willkuͤhrlicher, mannichfaltiger, geſchmackvoller kann es
eſſen. Das unvollkommene Thier, und ſo auch der menſchliche
Saͤugling, aſſimilirt zunaͤchſt nur Fluͤſſiges. Daß der Strauß
Steine frißt, ſpricht nicht fuͤr deſſen groͤßere Vervollkommnung.


Je unvollkommner eine Organiſation iſt, deſto weniger
hat ſie einen individualiſirten Eßapparat, deſto weniger iſt ſie
geſchickt, das Nahrungsmittel vorher ſelbſt vorzubereiten. Je
hoͤher, je vielſeitiger entwickelt eine Organiſation, um ſo vielfa-
cherer und edlerer Nahrung iſt ſie beduͤrftig und faͤhig, und ko-
chen und braten kann blos der Menſch!


Mit welchem Hochgefuͤhl kann der Menſch auf die Weſen
unter ihm herabſchauen. Welche Beſchraͤnktheit, Einſeitigkeit,
ja langweilige Einerleiheit der niederen Eßverhaͤltniſſe! So iſt
der Seidenwurm auf den Maulbeerbaum, ſelbſt das edle Roß
auf Heu und Haber beſchraͤnkt!


Daß bei den Pflanzen von keinem eigentlichen Eſſen die
Rede ſein kann, wird ſich aus dem Begriffe des Eſſens ſpaͤter
ergeben. Die Dionaea muscipula faͤngt zwar Muͤcken, weiß
ſie aber nicht zu eſſen. Indeſſen ſcheint doch ſchon hier eine
Eßſehnſucht ſymboliſch angedeutet und vorgebildet. Wie aber
die Gelehrten noch daruͤber ſchwitzen, zu beſtimmen, wo die
Pflanze zum Thier wird, wo die Grenzen des Pflanzen- und
[6] Thierreiches feſtzuſtecken ſeien, eben ſo ſchwierig iſt es, zu be-
ſtimmen, welcher unteren Thierreihe man zuerſt die Faͤhigkeit
eines eigentlichen Eſſens zuzugeſtehen hat.


Auf der erſten Stufe ſind die Zoophyten eigentlich bloße
Maͤgen. Der Polyp, bei dem es erſt der Muͤhe werth iſt, an-
zufangen, zertheilt ſich oben in mehrere Arme oder lebendig be-
wegliche Zweiglein, womit er andere kleinere Waſſerthierchen
haſcht, und ſie zu einem, zwiſchen den Armen ſtehenden Munde
bringt, der zu einer Art Magen fuͤhrt und eben ſowohl zum
Einſchlucken, als auch zum Wiederausſtoßen der Excreta dient. —


Die bereits ziemlich entwickelten Kauwerkzeuge der Echi-
nodermen befaͤhigen nun ſchon eher zu eigentlichem Eſſen.


Bei den Mollusken zeigen ſich nach und nach ſchon Spuren
von Zaͤhnen, Lippen, und was die Hauptſache iſt: Fuͤhlfaͤden
als Zungen-Vicarii, endlich wirkliche Zaͤhne und etwas ent-
ſchiedenere Zungen.


Die Gliederthiere wiederholen in ihren unteren Claſſen die
Unvollkommenheiten der genannten Reihen. Doch entwickelt
ſich hier der Eßapparat ſchon bedeutend. So haben die Kru-
ſtazeen bereits Mandibeln und Maxillen. Die Inſekten ſind
zwar in Beziehung auf das Quantum guͤnſtig geſtellt, da z. B.
Raupen in 24 Stunden wenigſtens 3mal ſo viel zu Leibe neh-
men, als ſie wiegen. Hier iſt ſcheinbar der Menſch in desa-
vantage,
aber eben nur ſcheinbar, wie ſich ergeben wird.


Die Fiſche haben nun ſchon einen großen Sprung vor
den genannten Claſſen voraus: tuͤchtige Zaͤhne, knoͤcherne Kinn-
laden und ditto Backen, Zungenbein, und einen ſehr entwickel-
ten Muskelapparat zum Beißen und Kauen. Indeſſen iſt eben
doch ihre Zunge noch keine rechte Zunge, kein ausgebildetes
Geſchmacksorgan. Dieß gilt auch von den Amphibien. —
Truͤgt aber nicht Alles, ſo ſchmeckt es allen dieſen Weſen, auch
ohne ausgepraͤgtere Zungen, ſehr wohl.


[7]

Die Voͤgel haben zwar einen Schnabel, an dem jedoch ei-
gentliche Zaͤhne fehlen, welcher daher nicht Kau-, ſondern Beiß-
organ iſt. Die Articulationen dieſes Schnabels, oder dieſer
Schnaͤbel, ſind merklich freier und vollkommner, das Zungen-
bein naͤhert ſich dem der Mammalien, und doch iſt noch nicht
bei allen Voͤgeln die Zunge eigentliches Geſchmacksorgan. Es
iſt gewiß nicht uͤberfluͤſſig, darauf aufmerkſam zu machen, daß
nicht jede Zunge ein wirkliches Geſchmacksorgan iſt. Begeg-
nete mir doch erſt neuerlich ein junger Kunſtkritiker, der ſogar
ſeinen Schnabel fuͤr eine Zunge hielt.


Unter den Mammalien erfreuen ſich Fledermaͤuſe, Raub-
thiere, Affen und auch der Menſch — den ich jedoch, wie ich
vorſichtigerweiſe ausdruͤcklich und nachdruͤcklich verſichere, weit
entfernt bin, hierher zu rechnen — aller drei Arten von Zaͤhnen,
Unterkieferbewegung und weicher, biegſamer, fleiſchiger, knorpel-
loſer Zungen, ſo wie Gaumenſegel. Intereſſant ſind hier be-
ſonders noch die Backentaſchen, ſo wie die Maͤgen der Wieder-
kaͤuer.


Viel zu lang waͤre es nun, zu beſchreiben, auf wie unend-
lich verſchiedene Art und Weiſe, oft ſehr ſonderbar, dieſe Thiere
und Thierlein alle zu eſſen pflegen; als beachtungswerth mag
aber noch hervorgehoben werden, daß manches fuͤr eine Thier-
art eßbar und gedeihlich iſt, welches einer anderen Verderben
bringt, wie ja auch bei den Menſchen dem Einem oft etwas
ſchmeckt, welches ein Anderer mit aller Anſtrengung nicht im
Stande iſt auszuhalten.


Bekannt iſt die Eintheilung in Pflanzenfreſſer und Fleiſch-
freſſer. Der Menſch nun iſt von der Natur angewieſen, weder
ausſchließlich Herbivor noch Carnivor zu ſein; er ſoll beides in
ſich verſoͤhnen und verklaͤren. Nur keine Einſeitigkeit! Eben ſo
wenig lauter van Huyſums, als lauter Wouwermans!


Tiedemann findet einen beſondern Grund fuͤr dieſen dop-
pelten Eßberuf des Menſchen darin, daß die Affen, namentlich
[8] die Orang-Outangs, deren Digeſtions-Organe denen des
Menſchen am aͤhnlichſten ſind, gleichfalls Nahrungsmittel aus
beiden Reichen genießen. —


Aus dieſer zweiſeitigen Eßaufgabe des Menſchen, deſſen
anatomiſche und phyſiologiſche Begruͤndung ich hier nicht naͤ-
her nachzuweiſen Willens bin, werden ſich im Verlaufe der
Vorleſungen ſehr wichtige Eßregeln entwickeln laſſen.


Wie aber der Geſchmacksſinn im Menſchen vor allen an-
deren Sinnen zuerſt erwacht und in Thaͤtigkeit tritt, ſo verlaͤßt
er ihn auch zuletzt, und troͤſtet ihn noch mit ruͤhrender Treue,
wenn die uͤbrigen Sinne ſchon zu erloͤſchen beginnen. Welche
maͤchtige Anregung liegt in dieſen Verhaͤltniſſen zu deſſen flei-
ßiger, ernſter Ausbildung, und wie dankbar und lohnend iſt
ſolches Beſtreben!


Alle genannten Thiere nun, und wie man leider nicht in
Abrede ſtellen kann, gar viele Menſchen eſſen zwar, fuͤhlen die
Nothwendigkeit zu eſſen, leben oft blos, um eſſen zu koͤnnen,
und leben blos menſchlich, indem ſie eſſen, ſtreben nicht ſelten
unter Riſico der drohendſten Gefahren, etwas zu eſſen zu be-
kommen; wenn ſie es nun aber haben, verſchlucken ſie’s ohne
rechten Genuß, in ungeeigneter Verbindung, mit ungedeihli-
chem Erfolge, ſchmeckend und doch geſchmacklos, ohne Sinn
und Bewußtſein. Giebt es doch der Ungluͤcklichen unter den
Menſchen nicht wenige, welche gar keinen Begriff davon haben,
daß man ſich auf das Mittageſſen freuen kann, die haſtig nur da-
mit fertig zu werden ſtreben, und dieß mit ſo wenig Antheil
thun, daß ſie Abends oft nicht mehr wiſſen, was ſie zu Mit-
tag gegeſſen, denen das Eſſen, ſtatt ein heiterer ſchoͤner Genuß,
ein unangenehmes laͤſtiges Geſchaͤft zu ſein ſcheint, das ſie
denn auch auf eine Weiſe vollbringen, die man nicht ohne das
tiefſte Mitleid betrachten kann. Wie manche fuͤhlen ſich bei ei-
ner Einfachheit und Aermlichkeit befriedigt, welche nahe an das
Thieriſche ſtreift!


[9]

Es giebt ſonderbare Menſchen. Im 3ten Theil der 1806
zu Augsburg erſchienenen Unterhaltungen uͤber den Menſchen
ſagt der Verfaſſer: „Welcher Nachdenkende koͤnnte ohne Weh-
muth, daß der Menſch ſich ſo ſehr von einfacher Natur entfer-
nen konnte, einen Speiſezettel bei dem Reſtaurateur Very in
Paris leſen und darauf 150 Speiſen, 55 feine Weine und 25
Liqueurs finden?“ — Es iſt gar nicht zu begreifen, wie man
hier Wehmuth empfinden ſoll, es muͤßte denn daruͤber ſein,
daß man nicht gleich alle 150 Speiſen eſſen kann.


Andere eifern gegen das Eſſen, weil ſie ſich den Magen
verdorben haben; der frommen Fuͤchſe nicht zu gedenken, wel-
che die zu hoch haͤngenden Trauben als ſauer verſchreien.


Eine große Menge derer, welche wohl ſchmecken und den-
ken koͤnnten, lungern und hungern, durch allerlei transcenden-
ten Wahn verblendet, aͤffenden ungenießbaren Schaugerichten
nach und halten wirkliches Eſſen fuͤr gemeine Nothdurft, wel-
cher unterworfen zu ſein ſie ſchmerzlichſt beklagen. Daß man
beim Eſſen die Lachmuskeln in Bewegung ſetzen muß, iſt ihnen
ein Graͤuel; ſie moͤchten gern die langgezognen ernſthaften Mie-
nen auch beim Eſſen beibehalten, und bedenken nicht, daß nur
das Thier ſtets ernſthaft iſt, Lachen aber, wie Kochen, zu den
Vorzuͤgen des Menſchen gehoͤrt. Uebrigens vergeſſen die Leute,
daß es ja nur an ihnen liegt, wenn ſie im Eſſen nichts Tieferes
ſehen. Man hoͤre Novalis und nehme ein Exempel dran:
„Das Eſſen iſt ein accentuirtes Leben. Eſſen, Trinken und
Athmen entſpricht der dreifachen Abtheilung der Koͤrper in fe-
ſte, fluͤſſige und luftige. Der ganze Koͤrper athmet, nur die
Lippen eſſen und trinken; gerade das Organ, das in mannich-
fachen Toͤnen das wieder ausſendet, was der Geiſt bereitet und
durch die uͤbrigen Sinne empfangen hat. Die Lippen ſind fuͤr
die Geſelligkeit ſo viel: wie ſehr verdienen ſie den Kuß! Jede
ſanfte weiche Erhoͤhung iſt ein ſymboliſcher Wunſch der Be-
ruͤhrung. So ladet uns Alles in der Natur figuͤrlich und be-
[10] ſcheiden zu ſeinem Genuſſe ein!“ — In Schubert’s Symbo-
lik des Traums heißt es: „Jede Lebensbewegung iſt ein Nah-
rungsnehmen, ein an ſich Ziehen der niederen Baſis.“ — Man
kann daruͤber beliebig weiter nachdenken und wer was exquiſit
Tiefſinniges hieruͤber will, leſe Jacob Boͤhme’s vierten Send-
brief v. 12 bis 14. —


Endlich kommt nun aber vollends noch eine Menge Volks,
groß und klein, ſtatt eines menſchlichen Appetits rohen Hun-
ger mitbringend, ohne Geſchmack und Kritik, ohne Sinn und
Witz, und praͤtendirt gleichwohl auch eſſen zu koͤnnen. Das
Allererſchuͤtterndſte iſt aber, wenn Leute, die nicht einmal eſſen
koͤnnen, kochen und tranſchiren wollen. Vielleicht maͤkeln und
tadeln ſolche auch die angedeutete Lebensanſicht. Moͤgen ſie’s!
Ich erſpare mir die Muͤhe, mit unmuſikaliſchen Menſchen uͤber
den Zauber der Melodie und Harmonie zu reden, und ſpreche
hier ein fuͤr allemal aus, daß dieſe Vorleſungen fuͤr Sinnbe-
gabte, fuͤr Geſunde, und fuͤr Maͤnner beſtimmt ſind.


Man erwartet vielleicht eine Apologie uͤber die dargelegte
ungeheure Eßtendenz der Natur. Es kommt mir aber curios
vor, das Daſeiende erſt rechtfertigen zu wollen. Sollte es
nicht ſo ſein, ſo waͤr’s gewiß anders. Wer aber dergleichen
weiter ausgefuͤhrt haben will, ſei auf des ſeeligen Engel Phi-
loſophen fuͤr die Welt, welcher vielleicht aͤlteren Literaten noch
bekannt iſt, und zwar auf die Abhandlung: „Der Habicht“
verwieſen, wo das Unnoͤthige in noͤthiger Breite zu finden.


Mir iſt’s genug, daß die Sache wahr und ſchoͤn iſt. Ob-
gleich zunaͤchſt nur von jenem die Rede ſein ſoll, will ich doch
ſchon hier im Allgemeinen auch dieſes beruͤckſichtigen. Wer
koͤnnte, frage ich, in der Anſchauung dieſer zum Theil eſſender,
zum Theil gegeſſen werdender Weſen das ſchoͤne Wechſelſpiel
der Komi-Tragoͤdie des Lebens verkennen? Genuß und Unter-
gang in der appetitlichſten Verklaͤrung, welches freilich mit klaſſi-
ſcher Ruhe und Klarheit angeſchaut werden will. Oder kann
[11] das Todte jemals lieblicher erſcheinen, als in ſo fern es als eßbar
betrachtet wird? Iſt denn ein Kalbsbraten als Symbol des
Todes nicht um Vieles freundlicher, als der ſchwermuͤthige Ge-
nius mit der umgekehrten Fackel?


Waͤr’s nicht ſchoͤn, haͤtte Goethe nicht geſungen:


„So frißt’s Wuͤrmlein friſch Keimlein-Blatt,

Das Wuͤrmlein macht das Lerchlein ſatt,

Und weil ich auch bin zu eſſen hier,

Mir das Lerchlein zu Gemuͤthe fuͤhr.’“

Es findet hier wohl ſchicklich die Mittheilung eines Tage-
buch-Fragmentes, als Ergebniß einer in fruͤherer Zeit gemach-
ten ſuͤdlichen Meerfahrt, ihre Stelle.


— Als ich ſo in der heiligen Stille der Nacht hinabſah
vom Bord auf das unermeßliche, geheimnißvolle, fiſchwimmeln-
de Meer, und mir deſſen Bewohner vergegenwaͤrtigte, wie ſie
wechſelsweiſe gegenſeitig nach einander ſchnappen, und ſich freſ-
ſen, trat die ungeheure Weltbedeutung des Eſſens in ihrer gan-
zen erſchuͤtternden Maͤchtigkeit vor meine Seele. Ich wandte
meinen Blick ab vom Ungeheuren, und vermittelte den menſch-
lichen Schauder, wie Goethe, durch Bilder. — Gleich lieb-
lichen Toͤnen aus der Ferne, gleich froͤhlichen Erinnerungen
des ſeligen Knabenalters, draͤngte ſich der Wohlgeruch und Ge-
ſchmack leckerer Bricken, Forellen, Hechte, Lachſe, Stockfiſche
vor meine Seele, und weckte die lieblichſten Aſſociationen an
die uͤber allen Ausdruck erhabene Eigenthuͤmlichkeit der Auſtern,
den unausſprechlichen Wohlgeſchmack gebratenen Karpfen-Rog-
gens, die pikante Entſchiedenheit des Caviar und anderer Nep-
tuniſcher Gaben.


Der erfriſchende Morgen war gekommen. Meine Blicke
wandten ſich aufwaͤrts zu der lichten Blaͤue des Himmels.
Schaaren von wilden Enten ſchwebten in der Luft. Welche
Reminiscenzen! Sauergebraten wilde Enten!


[12]

Das Ufer war nicht mehr ferne. Schon ſchimmerte das
lichte Gruͤn junger Lorbeerbaͤume heruͤber und bildete durch die
wuͤrzigen Blaͤtter einen harmoniſchen Einklang in das durch die
wilden Enten von ſuͤßer Sehnſucht leiſe bewegte Gemuͤth. Die
delikate Seelerche ſtrich am Ufer hin und bot ſich dem luͤſternen
Auge dar. Ein Geier ſtuͤrzte aus der Hoͤhe zur Meeresflaͤche,
und holte ſich ein Fiſchlein zum Fruͤhſtuͤck. Wir ſelbſt ſaßen
gemaͤchlich auf dem Verdeck und bewillkommten — buchſtaͤblich
wie Goethe ſagt — den Morgenſtern mit Bratwuͤrſten in der
Hand und einem vortrefflichen Glas Cyperwein.


Immer naͤher kamen wir der fruchttragenden Mutter
Erde. Heerden von Schafen und Rindern weideten und fra-
ßen von dem großen, immer fuͤr ſie gedeckten, gruͤnen Tiſche.
Ach, es muß der entzuͤckendſte Gedanke ſein, den ein Ochs haben
kann, wenn er, ſo weit ſein Auge reicht, den ſaftgruͤnen Gras-
boden uͤberblickend, ſich ſagt: dieß Alles iſt eßbar, und ſchmeckt
ſo ſuͤß, und liegt mir vor der Naſe, und ich brauche blos mei-
nen Kopf zu buͤcken, ſo hab’ ich’s.


Wie muͤtterlich liebend ſorgt doch die Natur fuͤr alle ihre
Kinder, und wie oft wird ſie verkannt, die Guͤtige! Sie bietet
das Lieblichſte und Beſte dar, und ihre naͤrriſchen Kinder moͤ-
gen’s nicht und weinen. — So weit das Fragment.


Nur kurz will ich darauf hindeuten, in welch’ innigem Zu-
ſammenhang mit der Eßkunſt die nobelſten Beſchaͤftigungen
und Amuſemens: Jagd, Vogelfang und Fiſcherei ſtehen, ja
wie ſie zunaͤchſt erſt durch jene Beziehung einen ſo reizenden
Naturgenuß gewaͤhren.


Es gilt aber noch weiter zu erwaͤgen, wie die Einſichts-
und Geſchmackvolleren der Menſchen die Bedeutung des Eſſens
mit dem Leben uͤberhaupt, ſowohl dem oͤffentlichen, als Privat-
leben, auf das Innigſte und Freundlichſte verkettet, welche eben
ſo alt ehrwuͤrdigen, als immer auf’s Neue liebenswuͤrdigen Ge-
[13] wohnheiten und Gebraͤuche denn auch ſchon ziemlich in der
ganzen Welt Eingang gefunden.


Wie zart ſchmiegt ſich der Geburt eines Menſchen der
Taufſchmauß an! Wie bedeutend beruͤhrt ſich das Brautbette
und die Tafel des Hochzeitmahls! Wie troͤſtend wird ſelbſt der
bittre Schmerz tiefbetruͤbter Trauergaͤſte durch ſuͤße Torten und
Kuchen und herzerquickende Weine gemildert und beſchwichtigt!


Das kleinſte Familienereigniß wie die wichtigſte weltge-
ſchichtliche Begebenheit, eine Verlobung wie eine Kroͤnung, eine
gewonnene Schlacht wie eine verlorne Doctordisputation; der
Ausbau einer Kleinkinderſchule wie eines Staͤndehauſes, eine
ſilberne oder goldne Hochzeit wie ein Friedensſchluß, ein Reichs-
tag wie ein Meiſterwerden, — wie wird, wie kann alles das
anders celebrirt, ja uͤberhaupt feſtlich verwirklicht werden, als
durch Eſſen? Haͤlt doch ſelbſt der Aermſte einen Feſttag ohne
Braten fuͤr einen Widerſpruch.


„Vor Tiſch und nach Tiſch“ nennt man ſchoͤn und paſ-
ſend die zwei Haͤlften des Tages, als der Zeit, in welcher der
Menſch wacht, wirkt und ißt. Mit dem Abendeſſen nimmt
der Menſch vom Tage wie vom Eſſen Abſchied, und der Schlaf
wird deßhalb auch mit Recht ein Bruder des Todes genannt.


Nach alledem ſollte man nun freilich ſich zur Annahme berech-
tigt glauben, ſo allgemeine Anerkennung und Ausuͤbung muͤßte
auch allgemein Sinn und Bewußtſein fuͤr die Sache aufge-
ſchloſſen haben. Daß dem aber nicht ſo ſei, wurde ſchon ge-
zeigt und beklagt.


Und nun zur Beantwortung der Frage: was heißt, menſch-
licherweiſe zu reden, Eſſen?


Das Eſſen iſt ein Kunſtwerk, welches, wie jedes andere,
mit kluger Wahl des Gegenſtandes, mit innerlicher und aͤußer-
licher Zweckmaͤßigkeit, nach richtiger Proportion, mit Geſchmack,
ohne Uebereilung und Ueberladung, fuͤr den Eſſenden nicht nur,
ſondern auch fuͤr den Anſchauenden erfreulich, ausgefuͤhrt ſein
[14] will. Der Menſch ißt wie ein Menſch, wenn er gute
und angemeſſene Produkte der Natur und Kunſt in
gehoͤriger Menge und Verbindung, mit Heiterkeit,
Ruhe, Sinn und Bewußtſein, auf ſubjektiv und objek-
tiv angenehme und geſchmackvolle Weiſe, ſich ſchmecken
laͤßt
.


Welch gewichtiger Sinn in wenig Worten! Schon eine
kurze vorlaͤufige Pruͤfung derſelben wird ihre Bedeutung und
die Nothwendigkeit weiterer und naͤherer Eroͤrterung ergeben.


Fichte in ſeiner Anleitung zum ſeeligen Leben ſagt: „Die
Vorleſungen, welche ich hiermit eroͤffne, haben ſich angekuͤndigt
als die Anweiſung zu einem ſeeligen Leben. Uns fuͤgend der
gemeinen und gewoͤhnlichen Anſicht, welche man nicht berichti-
gen kann, ohne fuͤr’s erſte an dieſelbe anzuknuͤpfen, konnten wir
nicht umhin uns alſo auszudruͤcken: ohnerachtet, der wahren
Anſicht nach, in dem Ausdrucke: ſeeliges Leeben etwas Ueber-
fluͤſſiges liegt. Naͤmlich, das Leben iſt nothwendig ſeelig, denn
es iſt die Seeligkeit; der Gedanke eines unſeeligen Lebens hin-
gegen enthaͤlt einen Widerſpruch.“ — Eben ſo ergeht es auch
mir. Denn der Ausdruck: gut und angemeſſen enthaͤlt etwas
Ueberfluͤſſiges, da gute Speiſen nothwendig auch angemeſſen ſein
muͤſſen und umgekehrt. Ferner kann man eine Speiſe, die nicht
gut iſt, unmoͤglich ſich ſchmecken laſſen, eſſen und ſich’s ſchmek-
ken laſſen iſt aber nothwendig ein und daſſelbe, und eine nicht
ſchmackhafte Speiſe ſteht mit ſich ſelbſt in Widerſpruch, hebt ſich
ſomit ſelbſt auf, iſt alſo gar keine Speiſe, iſt etwas, was man
eben nicht ißt, nicht eſſen ſoll.


Meine Entſchuldigung iſt theils die Fichte’s, theils recht-
fertigen ſich die gebrauchten Ausdruͤcke durch die Wichtigkeit
ihrer Bedeutung. Wie ſchwierig ſind die Fragen: was ſoll
man eſſen? welche Speiſen ſind gut, ſind angemeſſen? wie muͤſ-
ſen ſie bereitet ſein? wie viel davon, in welcher Verbindung
ſoll man ſie eſſen? was iſt geſchmackvoll? was ſchmeckt ange-
[15] nehm? was hat das Recht, angenehm zu ſchmecken? wer hat
Geſchmack? wer hat Recht, wenn er ſagt: ich habe Geſchmack?


In Erwaͤgung, daß nur die wenigſten Speiſen im Natur-
zuſtande eßbar ſind; in Erwaͤgung, daß der gehaͤſſige Ausſpruch
des menſchenfreundlichen Miſanthrop Rouſſeau: „Tout est
bien, sortant des mains de l’auteur des choses: tout dégé-
nère entre les mains de l’homme“
— wie er uͤberhaupt nichts
gilt, ſo am allerwenigſten fuͤr die in Rede ſtehende Beziehung
in Anwendung kommen kann; in Erwaͤgung endlich, daß gerade
unſere Aufgabe darin beſteht, das Eſſen der inſtinktiſchen be-
wußtloſen Naturrohheit zu entreißen und der Kunſt zu vindizi-
ren, es als Eßkunſt zu conſtruiren, — mußte die Definition
der Eßkunſt nothwendig der Kochkunſt gedenken (die uͤbrigens
beſſer Bratkunſt genannt werden ſollte), auf welcher ſie, als ihrer
Baſis ruht; denn der Eßkuͤnſtler verhaͤlt ſich zum Kochkuͤnſtler
wie der Schauſpieler zum dramatiſchen Dichter. Wer Vorle-
ſungen uͤber Eßkunſt haͤlt, verhaͤlt ſich wie der Dramaturg.
Daß dem wirklich ſo ſei, wird ſpaͤter zur Evidenz klar werden.
Aber ſelbſt wenn ſich der Eſſer zum Kocher nur verhielte wie
der Beſchauer eines Bildes zum Mahler deſſelben, waͤren Re-
geln unerlaͤßlich. Leider, daß wir noch keine Seh- und Hoͤr-
kunſt beſitzen! Eine Anleitung: Kunſtprodukte vernuͤnftigerweiſe
zu Leibe zu nehmen oder, wie man auch ſagt, ſich zu Gemuͤthe
zu ziehen, iſt nothwendiger, als eine, ſie hervorzubringen. Keine
Theorie iſt im Stande, einen Raffael, einen Michel Angelo,
einen Mozart zu bilden; wohl aber kann ſie jedem empfaͤng-
lichen Menſchen Luſt und Sinn zu deren Genuß und Verſtaͤnd-
niß aufſchließen. Uebrigens kann auch der Dummſte, ohne den
Anſtand zu verletzen, eine fuͤrſtliche Gemaͤldeſammlung anſchauen,
wenn er zu ſchweigen, oder ein paar auf Alles paſſende Phraſen
weiß. Man ſetze ihn aber an die fuͤrſtliche Tafel, und bemerke,
welche Verſtoͤße ein Menſch ohne einige Kenntniſſe der Eßkunſt
[v]erſchuldet. Schon hieraus wird allen Eltern und Erziehern,
[16] Großvaͤtern und Großmuͤttern die Wichtigkeit unſeres Gegen-
ſtandes einleuchtend werden.


Ueber die Bedeutung der Kochkunſt (welche hier mit der
der Eßkunſt zuſammenfaͤllt) in agrikoler, ſtaatswirthſchaftlicher,
commerzieller und andrer Beziehung hat Hr. von Rumohr Treff-
liches geſagt, welches jedoch ſchon deßhalb hier nicht wiederholt
ſein ſoll, weil dieſer um die Kunſt uͤberhaupt, wie um die Koch-
und (alſo auch Eß-) Kunſt ſo ſehr verdiente Schriftſteller, im
Verlaufe dieſer Vortraͤge, gehoͤrigen Orts, noch vielfach zur
Sprache kommen wird. Den Werth der Lebensmittel fuͤr den
Staat, als deſſen Grundlage, haben Quesnay, Turgot, Gar-
nier
und Schmalz bereits in eignen (phyſiokratiſchen) Syſte-
men in’s hellſte Licht geſtellt, und ſchon Voltaire hat geſagt,
daß die ungeheuren Aegyptiſchen Pyramiden nichts gekoſtet haͤt-
ten, als Zwiebeln.


Als Kunſt wird ſich aber die Eßkunſt zunaͤchſt durch Fol-
gendes legitimiren.


Die Zeiten ſcheinen — Gottlob, wenn ſie es in der That
auch waͤren! — vorbei, wo man (z. B. Sulzer und Beattie)
daruͤber ſtritt, ob der Zweck der Kunſt das Angenehme oder das
Nuͤtzliche ſei. Selbſt von dieſem niedrigen und beſchraͤnkten
Standpunkte aus betrachtet ſind die Anſpruͤche der Eßkunſt
gerechtfertigt, da gerade in ihr das Utile mit dem Dulci auf
das Innigſte verſoͤhnt, vermiſcht, vereint iſt. Das Horaziſche
„Delectare“ — nahe verwandt mit dem Eßterminus „Deli-
cat“
— uͤberbietet der Eßkuͤnſtler im hohen Grade. Waͤhrend
naͤmlich Poeten gar oft durch Vorleſen ihrer Sonette, Oden
und Trauerſpiele zwar ſich ſelber beſtens delectiren, diejenigen
aber, welche zuhoͤren muͤſſen, auf das Peinigendſte annuyren,
wird ein Menſch, welcher mit zierlichem Behagen, mit Geſchmack
und Liebe zu eſſen weiß, jedem geſunden Sinne einen angenehm
ergoͤtzlichen Anblick gewaͤhren.


Man hat (z. B. Kauſch) den Punkt, wo alle ſchoͤnen
[17] Kuͤnſte zuſammentreffen, das Ziel, wohin ſie insgeſammt colli-
niren, im Intereſſe, und zwar in einem angenehmen Intereſſe
finden wollen. Ich moͤchte nun wohl ein allgemeineres, ent-
ſchiedneres, waͤrmeres, angenehmeres, intereſſanteres Intereſſe
wiſſen, als das Eſſen. Eben ſo verhaͤlt ſich die Sache, wenn
man mit Sulzer das Weſen der Kuͤnſte in Einpraͤgung ſinn-
licher Kraft ſetzt.


Das, worauf Winckelmann ſo beſonders drang, das
Uebertreffen der Wirklichkeit, die ſtete Aufforderung: die Kunſt
ſoll die Natur uͤbertreffen, gilt bei unſerer Frage im vollgiltig-
ſten Sinne. Der Menſch ſoll nicht eſſen wie das Thier, der Ci-
viliſirte nicht, wie der Wilde, der „ſchoͤnſinnige Menſch ſoll auch
ſchoͤn eſſen und den Stoff vergeiſtigen“ — die Natur durch
den Geiſt beherrſchen. „Die Geſetze, nach welchen der Kuͤnſtler
verfaͤhrt, ſind allerdings zwar Naturgeſetze, aber er verfolgt ſie
mit Bewußtſein und Freiheit.“


Der Eßkuͤnſtler iſt aber der eigentliche Magister naturae,
Directeur de la nature.


„Es ſoll die bildende Kunſt eine ſtumme Dichtkunſt ſein.“ —
„Das Schoͤne ſoll das Wahre ſein in der vollendetſten Form.“ —


Dieß Wenige mag mehr als genug ſein. Was iſt damit
geſagt? — Der Horror vacui iſt beſondere Pflicht des Kuͤnſt-
lers, alſo auch des Eßkuͤnſtlers, und alſo laß’ ich’s genug ſein.


Viel ließe ſich ſagen uͤber die Veredlung der Menſchheit
durch die Eßkunſt. Wozu aber ſolche Redereien? Wird ſich die
Menſchheit es angelegen ſein laſſen, die Eßkunſt zu veredeln, ſo
wird umgekehrt die reciproke Ruͤckwirkung nicht ausbleiben.
Doch wird auch daruͤber beſonders zu diſſeriren Anlaß nicht aus-
bleiben, wie denn dieſer Kyklos von Vorleſungen keine irgend
beachtungswerthe Richtung und Beziehung, welche der Gegen-
ſtand darbietet, außer Acht laſſen wird.


Denn habe ich in dieſer erſten Vorleſung nur Einleitendes
und Andeutendes uͤber die Weltanſchauung des Eßkuͤnſtlers, uͤber
2
[18] Begriff, Werth und Bedeutung der Eßkunſt geben koͤnnen, ſo
werde ich in der zweiten deren hiſtoriſche Entwicklung und Aus-
bildung zu umreißen befliſſen ſein. Die dritte Vorleſung ver-
ſpricht einen ethnographiſchen Ueberblick des Gegenſtandes.
Den Vorwurf der vierten Vorleſung wird das Verhaͤltniß der
Eßkunſt zu den anderen ſchoͤnen Kuͤnſten bilden, und in der fuͤnf-
ten werden die moraliſchen Beziehungen der Eßkunſt beſprochen
werden. Das Verhaͤltniß der Eßkunſt zur Diaͤtetik ſo wie
Naͤheres uͤber Eßkunde zu eroͤrtern, bleibt der ſechsten Vorleſung
vorbehalten. Erſt in der ſiebenten wird ein Prinzip der Eß-
kunſt aufzuſtellen verſucht werden koͤnnen, — der ſchlagendſte
Beweis eines gruͤndlich wiſſenſchaftlichen Verfahrens.


Mit je engeren Kreiſen wir nun den Gegenſtand werden
umſchloſſen haben, je naͤher wir ihm geruͤckt, je ſpezieller klar
und genießbar er geworden, um ſo reicher und intereſſanter wird
er ſich uns auch zeigen, ſo daß die eigentliche Aufgabe in zwei
Vorleſungen zerfaͤllt. Demgemaͤß wird die achte Vorleſung
einen exoteriſchen Praͤparanden-Unterricht, die Elementarerziehung
zum Eſſen, die neunte jedoch hoͤhere Kunſtregeln fuͤr Eſoteriker
zu entwickeln haben. Eine beſonders appetitliche Vorleſung
duͤrfte wohl die zehnte werden, welche es lediglich mit Eßbarkei-
ten, mit einzelnen Eßobjekten zu thun hat.


Da es eine unverantwortliche Einſeitigkeit verriethe, beim
Eſſen des Trinkens nicht zu erwaͤhnen, ſo wird dieſem die gan-
ze eilſte Vorleſung gewidmet ſein. In der zwoͤlften folgt ein
kurzes Deſſert vermiſchter Schlußbetrachtungen.


Ich liebe die Ueberraſchungen nicht; ſoll ich aber uͤber-
raſcht werden, ſo ziehe ich eine unangenehme einer angenehmen
Ueberraſchung (als Ueberraſchung) vor. Denn bei der ange-
nehmen komme ich um die Vorfreude des Genuſſes, welche oft
mehr werth iſt, als der Genuß ſelber; bei der unangenehmen
aber wird mir die aͤrgerliche Erwartung erſpart. Bin ich zu
Tiſche geladen und weiß, was ohngefaͤhr aufgetragen wird, ſo
[19] kann ich ſo ziemlich bemeſſen, was mir davon behagen wird,
was ich mir zu verſprechen habe, und nun entweder gar nicht
kommen, oder mich auf dieß und jenes beſonders ſpitzen. Dieß
nun ſind die Gruͤnde, durch welche bewogen ich meinen Pro-
ſpectus gab. —


Voreſſen haben die Aufgabe, und waͤr’ es auch nur durch
ihre Leerheit, den Appetit auf die folgenden Speiſen zu reizen
und zu determiniren. Sie ſind noch keine eigentlichen Eſſen
ſelbſt. Dieſe erſte Vorleſung ſoll nichts ſein, als ein Voreſſen,
von dem ich nur wuͤnſche, daß es nicht ſchon den Appetit fuͤr’s
Uebrige genommen haben moͤge.


Mit Bedacht gebe ich folgende Verſe Goethe’s ſchon am
Schluß dieſes Anfangs, und nicht an dem des Endes, wo ſie
fuͤr eine anmaßliche Erfuͤllung gelten koͤnnten, waͤhrend ich da-
mit doch nur eine beſcheidne hoffende Andeutung bezeichnen
will. Der Meiſter ſagt aber:


„Ich habe geſpeiſet; nun ſpeiſ’ ich erſt gut!

Bei heiterem Sinne, mit froͤhlichem Blut

Iſt Alles an Tafel vergeſſen.

Die Jugend verſchlingt, dann ſaußet ſie fort;

Ich liebe zu tafeln an luſtigem Ort,

Ich koſt’ und ſchmecke beim Eſſen.“


[[20]]

Zweite Vorleſung.
Geſchichtliches
.


Die mit Sinn und Urtheil die gigantiſchen Blaͤtter der
Weltgeſchichte unſeres kleinen Planeten uͤberblickten, haben es
laͤngſt erkannt und beklagt, wie oft muͤhſam errungen Civiliſa-
tion von ihrem ſtrahlendſten Gipfel ploͤtzlich wieder herabſtuͤrzt,
und in der Nacht der Barbarei verſinkt. Wem draͤngen ſich
nicht ſchaudrig wehmuͤthige Erinnerungen an die großen Na-
men „Griechenland und Rom“ hier auf? — Im Vaterlande
Ariſtipp’s gehoͤrt gegenwaͤrtig ein Stuͤck Bockfleiſch zu den
Leckerbiſſen, und die gewaltige Roma, welche drei Apicier her-
vorbrachte, lungert jetzt unter der neueren Inſtitution der Faſt-
tage!


Waͤhrend die Helden Homer’s ſchon mit Sinn und Ge-
ſchmack zu ſchmaußen wußten, ließen ſich ſpaͤtere Spartaner auf
die Geſchmackloſigkeit einer miſerablen ſchwarzen Suppe redu-
ziren, ja waren ſo roh, unwiſſend und ohne Sinn fuͤr den Eß-
genius, daß ſie den Nauklides des Landes verweiſen wollten,
weil der Treffliche in ſeinem wohlgemaͤſteten Baͤuchlein ein Do-
kument ausgebildeteren Geſchmacks nicht verhehlen konnte.


Der beruͤhmte Roͤmiſche Staatsmann, Juriſt und Redner,
der Conſul Quintus Hortenſius, verdiente ſich den Dank
ſeiner Zeitgenoſſen dadurch, daß er die erſte Anleitung gab,
Pfauen zuzurichten und zu eſſen. Marcus Aufidius Lurco
erfand die Kunſt, Pfauen zu maͤſten, wodurch er ſich, beilaͤufig
geſagt, in kurzer Zeit 60,000 Seſterzien verdiente. Auch von
[21] den alten Griechen wurden die Pfauen ſehr geſchaͤtzt. Wer
maͤſtet und richtet gegenwaͤrtig mehr Pfauen zu, wer ißt ſie?


Auſonius feierte mit Begeiſterung das Lob der Auſtern
in ſeinen Gedichten. Von dieſem Dichter an verloren ſie auf
einmal ihr Anſehen und blieben Jahrhunderte hindurch verrufen
und verkannt.


Der weltbekannte Maͤcen hat das Verdienſt, die Welt
auf das delikate Fleiſch der Eſelsfuͤllen aufmerkſam gemacht zu
haben und ſie dafuͤr zu intereſſiren. Bald nach ſeinem Tode
erloſch in der Nation die Theilnahme dafuͤr, und man entbehrte
dieſen Genuß, bis der ſinnige Kanzler von Frankreich, der Car-
dinal Antoine du Prat, ihn wiedererweckte. Aber trotz der
Schmackhaftigkeit und Gedeihlichkeit dieſer Speiſe, die dem
wohlgeſinnten Mann ſo gut anſchlug, daß er ſeinen Tiſch con-
cav ausſchneiden laſſen mußte, um fuͤr ſeinen Bauch Platz zu
gewinnen, trotz der Macht dieſes Beiſpiels wurde die Sache
von Mit- und Nachwelt vergeſſen.


Meine Herrn, drei Jahrhunderte ſind ſeitdem hinabgerollt
in’s Meer der Ewigkeit und ich bin meines Wiſſens der Erſte,
der wieder davon ſpricht. Welcher Wandel und Wechſel des
Weltlaufs!


Plinius erzaͤhlt, daß zu Trajan’s Zeit der Stoͤr, der
doch fruͤher ſehr geſchaͤtzt wurde, ganz in Unwerth war. Aehn-
lich ging es, nach des Horatius Zeugniß, mit dem Seefiſche
Rhombus, den Stoͤrchen und den gebratenen Waſſertauchern.


Nicht blos die Anſichten uͤber Werth und Unwerth einzel-
ner Speiſen, auch die uͤber das Eſſen ſelbſt ſind dieſen welt-
geſchichtlichen Schwankungen unterworfen. Wie haͤtte noch
vor wenigen Jahrzehnten ein Menſch zum Doctor werden koͤn-
nen ohne Doctorſchmauß, und wer denkt heutzutage noch da-
ran? Sie ſind aber auch darnach die heutigen Doctoren, welche
ſo geſchmacklos creirt werden. Keine ruhige Beſchaulichkeit,
kein ſolides auf ſich ſelbſt Ruhen, kein freudiges Behagen an
[22] den Doctrinen um ihrer ſelbſt willen mehr, ſondern uͤberall un-
geduldiges Zappeln und Ueberpurzeln, uͤberall ein unſeliges un-
ruhiges Rennen, Streben und Trachten, uͤberall Unzufrieden-
heit und Eſſenwollen ſtatt friedlichen Eſſens ſelber!


Als ich examinirt wurde, ſtanden weingefuͤllte blinkende
Glaͤſer, appetitlich aufgeſchnittene Schinken, Zungen und Cer-
velatwuͤrſte, Torten und Kuchen auf der ehrwuͤrdigen Tafel.
Es mahnte an die dem Cerberus dargebotenen Kuchen. Eſſende
Examinatoren ſind nicht halb ſo ernſt und furchtbar. Wie
freundlich war das Alles! Das encouragirte, das hob und ver-
ſchoͤnerte das ganze, ſonſt laͤſtige, Geſchaͤft, und man entwickelte
die tiefſten und umfaſſendſten Kenntniſſe auf die leichteſte und
anmuthigſte Weiſe. Freilich bei den gegenwaͤrtig uͤblichen Ge-
ſinnungs-Examinibus haben weder Examinatoren noch Exami-
nanden mehr rechten Appetit.


Ob ich nun gleich ſolche traurige Rezidive im Culturgang
des Menſchengeſchlechts nicht umhin kann zuzugeſtehen, ſehe ich
doch meine froͤhliche Ueberzeugung von einem Fortſchreiten im
Allgemeinen und Ganzen auch bei Erwaͤgung des Gegenſtandes,
uͤber welchen ich hier vorzutragen die Ehre habe, auf das Glaͤn-
zendſte beſtaͤtigt. Iſt ja doch gegenwaͤrtig irgend ein reiſender
Handlungsdiener beſſer bedient, als die Goͤtter Griechenlands,
die nicht einmal Gabeln und Servietten kannten.


Wie hoch aber die ſeligen Goͤtter das Eſſen ſchaͤtzten,
lehrt ihr Verkehr mit dem Menſchenvolk, mochte er ſich nun
liebend oder zuͤrnend aͤußern. Welche Gnaden verdienten ſich
Philemon und Baucis von Zeus fuͤr einen Gansbraten,
wie dankbar war Ceres gegen Celeus fuͤr ein Abendeſſen! Ei-
nes der ſegensvollſten Geſchenke, welche den Bewohnern von
Delos fuͤr ihre Gaſtfreundſchaft gegen Latona zu Theil wur-
de, war die Entdeckung, Huͤhner zu maͤſten und fett zu machen.
Ariſtaͤus, ein Sohn des Apollo und der Cyrene, war Er-
finder des Kaͤſes. Die Menſchheit wußte das zu wuͤrdigen und
[23] erwies ihm deßhalb gleiche goͤttliche Ehre wie dem [Bacchus],
ja ſie ertheilte ihm ſogar den Zunamen Jupiter Ariſtaͤus.
(Auch bei den Roͤmern klingt noch dergleichen nach. Fulvius
Herpinus
wurde unter die Goͤtter verſetzt, weil er das Schne-
ckenmaͤſten erfand.)


Wenn aber die Goͤtter recht hart ſtrafen wollten, ſo ge-
ſchah es immer in Beziehung auf’s Eſſen, wie bei uns heutzu-
tage auch noch durch die Schaͤrfung: „bei Waſſer und Brod“
uͤblich iſt. Dem Frevler Phineus ſchickten ſie die unappetit-
lichen Harpyen, die ihm alle Speiſen, welche er genießen wollte,
entriſſen oder beſudelten. Dem Tantalus ging’s bekanntlich
noch ſchlimmer. Denn waͤhrend dem Phineus der Appetit
verdorben wurde, was freilich immer hart genug iſt, wurde
Tantalus zu einem ewigen ungeſtillten Appetit verdammt,
und dieſe Strafart wurde auch von denkenden Menſchen aller
Zeiten als die furchtbarſte erkannt. Einige neuere Melancho-
liker, die nicht zu eſſen verſtanden, hielten ſie gar fuͤr ein Sym-
bol des Looſes der Sterblichen uͤberhaupt. Solche naͤrriſche
Lebensanſichten entſpringen daraus, wenn Begriff, Werth und
Bedeutung des Eſſens im Menſchen nicht zum Durchbruch
kommt. Die alten Menſchen vor Alters waren geſcheidter und
luſtiger, als jetzt die Jungen. Ohne zu lamentiren ließ man
ſich’s damals ſchmecken. Gegenwaͤrtig iſt in der Welt ein Ge-
zier und Geſperr, eine uͤberſchwengliche Hungerleiderei und
Ernſthaftigkeit, bei deren Betrachtung man oͤfter einen ſolchen
Appetit bekommt, daß man beinahe ſelber nichts eſſen mag.
Es war doch wahrlich etwas, als die arme Niobe an einem
Tag zwoͤlf Kinder
„Sechs der lieblichen Toͤchter, und ſechs aufbluͤhende Soͤhne“
verlor.


„Dennoch dachte der Speiſe die Traurende, muͤde der Thraͤnen.“


[24]

Bei uns, wenn eine Kleinigkeit vorfaͤllt, z. B. einer Frau
der Mann ſtirbt, glaubt ſie, es ſchickt ſich nicht, wenn ſie zu
Mittag ißt, und ſie trinkt blos ein paar Taſſen Kaffee.


Das beſte Geſchenk, welches Prometheus den Menſchen,
nachdem er ſie gemacht hatte, geben zu koͤnnen glaubte, war
das Feuer, das er den Goͤttern ſtahl. Nun konnten die Sterb-
lichen braten, kochen, backen und daͤmpfen, und die Goͤtter hat-
ten wenig mehr vor ihnen voraus. Die Furchtbarkeit der
Strafe, womit Prometheus belegt wurde, beweiſt hinlaͤnglich,
welches Gewicht die Goͤtter auf das Feuer, als Conditio sine
qua
keine Koch- und Eßkunſt gedenkbar iſt, legten.


Es iſt zum Erbarmen, wenn man die Schilderungen uͤber
das Elend der Menſchen lieſt, als ſie noch kein Feuer hatten
und ehe Veſta ſie gelehrt, ſich auf dem heiligen Heerde die
naͤhrende Koſt zu bereiten. So naͤhrten ſich nach dem Zeug-
niß das Aelianus die alten Arkadier hauptſaͤchlich von Ei-
cheln, die Athenienſer von Feigen, die Tirynthier von Holz-
aͤpfeln, die Indier von Rohr, die Caramanen von Halmen, die
Moͤotier und Sauromaten von Hirſe. — Welche thieriſchen
Zuſtaͤnde!


Aber ſelbſt mit der Gabe des Feuers war’s noch nicht ge-
than, ſo lange man nicht an’s Fleiſcheſſen ging. Wie die
Viehzucht uͤberhaupt einen Fortſchritt der Menſchheit bezeichnet,
welche vorher nur ackerbauend und herbivoriſch lebte, eben ſo
verhaͤlt es ſich mit dem Uebergang zum Fleiſcheſſen. Leider
hielt der ultra-conſervative Triptolemus durch ein Verbot
das Volk von dieſem Fortſchritt lange genug zuruͤck, bis die
Menſchen ſo klug wurden, ſich an jenes Verbot nicht mehr zu
kehren.


Hiermit faͤngt eine neue Epoche der Civiliſation an. Luſt,
Kraft und Muth erwacht, eine heitere Morgenroͤthe beleuchtet
die Fluren, die Helden eſſen Ochſen- und Lammsbraten und
Homer beginnt zu ſingen.


[25]

Ich kann mir es nicht verſagen, einige bezuͤgliche Stellen
meinem ſehr verehrten Auditorium in’s Gedaͤchtniß zu rufen.
Fuͤr die Einſicht in die ſchlechthin abſolute Nothwendigkeit und
Bedeutung des Eſſens ſprechen zuerſt die Verſe:


„Wohl iſt jeglicher Tod graunvoll den elenden Menſchen,

Doch iſt Hungers Sterben das jammervollſte Verhaͤngniß.“

Ferner ſagt der goͤttliche Dulder Odyſſeus:


„Aber laßt mich genießen des Mahles, wie ſehr ich betruͤbt bin.

Nichts unbaͤndiger doch, denn die Wuth des leidigen Magens,

Der an ſeinen Bedarf mit Gewalt jedweden erinnert,

Auch den Bekuͤmmerten ſelbſt, den Gram die Seele belaſtet.

So iſt mir auch belaſtet mit Gram die Seele, doch immer

Speiſe verlangt er und Trank gebieteriſch; und mir entruͤckt er

All mein Leid aus dem Sinn, bis ſeine Begier ich geſaͤttigt.“

— — —

Aber des Magens Wuth, des verderblichen, kann man unmoͤglich

Baͤndigen. u. ſ. w. —

Seinethalb gehen ſelbſt ſchoͤnrudrige Schiffe geruͤſtet

Durch das veroͤdete Meer u. ſ. w.

Durchaus findet ſich bei Homer kein gekochtes Fleiſch,
ſondern immer Braten. Die Worte:

„Schnitten behend in Stuͤcken das Fleiſch und ſteckten’s an Spieſe,

Brieten ſodann vorſichtig und zogen es alles herunter“


ſind in der Iliade und Odyſſee gleich ſtereotyp, und wie-
derholen ſich unzaͤhlige Male. Ein merkwuͤrdiger Umſtand!
Auch hier, wie ſo oft ſonſt, findet ſich das Beſſere, Zweckmaͤßi-
gere, Geſchmackvollere vor dem Schlechteren, Verfehlten, Unge-
nießbaren, und beſtaͤtigt wieder jene ſchon angedeuteten rezidi-
ven Schwankungen in der Weltgeſchichte. Nachdem die Ho-
meriſchen Menſchen aus reinmenſchlichem aͤſthetiſchen Sinn Ge-
bratenes dem Geſottenen vorzogen, ſteht in der ſpaͤteren Zeit
ein Celſus auf, ein Auctor, welcher ſich unter Anderm auch mit
Medizin befaßte, eigentlich aber als Hofmeiſter und Secretair
des Kaiſers Tiberius funktionirte, und will irrthuͤmlich das
Gegentheil.


[26]
„Ja, was kein Verſtand der Verſtaͤndigen ſieht,

Das uͤbet in Einfalt ein kindlich Gemuͤth.“

Schon hieraus mag erkannt werden, was noch oͤfter dar-
gethan werden wird, daß das Schoͤnſte zugleich das Beſte und
Zweckmaͤßigſte iſt. Und wer zweifelt daran, daß das Volk der
alten Hellenen das ſchoͤnſinnigſte der Welt geweſen?


Vor Ganymed verwaltete Hebe, Juno’s Tochter, das
Amt, den Nektar einzuſchenken, bis ſie durch einen Fehltritt deſ-
ſelben verluſtig wurde, indem ſie einſt im Fallen, durch eine
unanſtaͤndige Stellung, die Grazie entweihte, welche bei dieſem
hohen Goͤtteramte jede Bewegung begleiten mußte. — Ein
Volk, das ſich ſolche Goͤtter bildet, fuͤhlt, was Grazie iſt, und
muß auch ſchoͤn gegeſſen haben.


Wie trefflich ſpricht ſich der vielgewandte Odyſſeus am
Hofe des Alkinoos, des Fuͤrſten der Phaͤaken, hieruͤber aus:


„Denn ich kenne gewiß kein angenehmeres Trachten,

Als wenn feſtliche Freud’ im ganzen Volk ſich verbreitet

Und hoch Schmaußende rings in den Wohnungen horchen dem
Saͤnger,

Sitzend in langen Reih’n, da voll vor ihnen die Tafeln

Stehn mit Brod und Fleiſch, und lieblichen Wein aus dem
Miſchkrug

Schoͤpfet der Schenk, und tragend umher eingießt in die Becher.

So was daͤucht mir im Geiſte die ſeligſte Wonne des Lebens.“

Scheint auch Odyſſeus dieß zunaͤchſt ad captandam be-
nevolentiam
der Phaͤaken ausgeſprochen zu haben, ſo ſieht man
doch leicht, wie ſehr es ihm vom Herzen ging, und wer ſtimmte
nicht bei?


Auch an anderen Stellen werden Lautenſpiel und Geſang
als Zierden des Mahles geprieſen. Schon findet ſich auch in
dieſer Zeit, z. B. im Hauſe des Odyſſeus an Menelaos Hofe ꝛc.
ein eigner Zerleger (δαιτρός).


[27]

In der Iliade ſchmaußen Sieger und Beſiegte vor und
nach den Kaͤmpfen, was nicht anders als vernuͤnftig betrachtet
werden kann. Charakteriſtiſch ſpricht ſich die Hospitalitaͤt in
dem Gebrauche aus, nicht abzutragen. Alle Speiſen blieben
auf dem Tiſche, bis die Gaͤſte gingen. Beſuchende muͤſſen zu-
erſt eſſen und trinken, ehe ſie davon reden duͤrfen, weßhalb ſie
kommen und was ſie eigentlich wollen. Auch hoͤhere Bezie-
hungen werden immer durch Eſſen und Trinken vermittelt.
Opfern kommt nie ohne Eſſen vor.


Als der goͤttliche Sauhirt den Odyſſeus, welchen er nur
fuͤr einen Bettler hielt, bewirthete, nahm er nicht weniger als
zwei Ferkel


„— und opferte beide zum Gaſtmahl —

Sengt’ alsdann und zerſchnitt, und ſteckte das Fleiſch an die
Spieße.

Als nun gar es gebraten, da trug er’s hin vor Odyſſeus,

Braͤtelnd noch an den Spießen, mit weißem Mehle beſtreuet.“

Das ϑερμ̕ αὐτοις ὀβελοισιν, welches Voß, das Original
uͤbertreffend, ſo delikat mit braͤtelnd noch an den Spießen
uͤberſetzt, iſt eine der appetitlichſten klaſſiſchen Stellen, die ich
kenne, und die ich nie leſen kann, ohne daß mir das Waſſer im
Munde zuſammenlaͤuft. Ueberhaupt wußte man dazumal zu
leben. Schon zum Fruͤhmal ſchlachten die Genoſſen dem
Achilleus ein Schaf, dickwollig und groß, und es iſt der
Muͤhe werth, wenn man ſich zu Tiſche ſetzt.


„Viele der muthigen Stier’ umroͤchelten blutend das Eiſen,

Abgewuͤrgt, auch viele der Schaf’ und meckernden Ziegen,

Viel weißzahnige Schweine zugleich, voll bluͤhenden Fettes,

Sengeten ſie ausſtreckend in lodernder Gluth des Hefaͤſtos.

— — —

Alſo den ganzen Tag bis ſpaͤt zur ſinkenden Sonne

Schmauſten ſie.“ —

[28]

Aber nicht blos weidliche Schafe, weißzahnige Schweine,
ſchwerwandelnde Rinder, gefeiſtete Ziegen, fette Maſtſchweine; —
auch Auſtern wurden (Iliad. XV. 746) ſchon geſpeiſt. Fiſche ſchei-
nen wenig geachtet geweſen zu ſein. Von den Vegetabilien
kommt zunaͤchſt „muthſtaͤrkendes Brod“ und Mehl, „das
Mark der Maͤnner“ vor. Wir begegnen aber auch ſchon kuͤnſt-
licheren Conſtructionen, wie z. B. Gaismagen mit Fett und
Blut gefuͤllt und auf gluͤhenden Kohlen gebraten, auch fleißig
umgewendet, womit der ſchlaflos ſich umherwaͤlzende goͤttliche
Dulder Odyſſeus verglichen wird. Hier iſt alſo ſchon ein
Prototyp der vielen ſpaͤter entſtandenen Sippen des Gattungs-
begriffes: Wurſt. Ferner ſcheint ein Weinmus — beſtehend
aus trunkeinladenden Zwiebeln, gelblichem Honig und dem hei-
ligen Kerne des Mehles mit, auf eherner Raspel geriebenem,
Ziegenkaͤſe und Pramniſchem Wein zuſammengemengt — ſehr
beliebt geweſen zu ſein. In der Iliade bereitet es die lockige,
den Goͤttinnen vergleichbare Hekamede vor den Augen der
Gaͤſte — ein lieblich anmuthiges Accidens! — und in der
Odyſſee bedient ſich die goͤttliche Kirke deſſelben als Koͤder.
Kirke laͤßt nun zwar die Zwiebeln weg, miſcht aber unheilſa-
me Kraͤuter hinzu. Uebrigens iſt das Epitheton der Zwiebeln:
ποτῳ ὀψον, welches Voß ſehr ſchoͤn mit „trunkeinladend“ uͤber-
ſetzt, der ſprechendſte Beweis vorgeſchrittener Civiliſation und
bewußten Plans.


Es darf nicht uͤberſehen werden, wie ſinnig man ſchon die
beſten Biſſen zu waͤhlen wußte. So wird z. B. des Ruͤcken-
ſtuͤcks der Braten als vorzuͤglich oͤfter gedacht. Die Schenkel,
als das Beſte, opferte man den Goͤttern, welcher fromme Ge-
brauch freilich der Erfindung der Schinken ſehr im Wege ſtand.


Welche erhoͤhte Qualitaͤt und Guͤte des Fleiſches durch
das Vorſchneiden erzielt werden kann, ſcheint der damaligen
Zeit noch unbekannt geweſen zu ſein. Es wird deſſen nirgends
[29] erwaͤhnt, im Gegentheil iſt von Maſtebern die Rede, die Freier
der Penelope aßen immer zunaͤchſt die maͤnnlichen Schweine ꝛc.


Was der Lotos der Lotophagen, welcher durch ſeinen
Wohlgeſchmack ſelbſt das Vaterland vergeſſen machte, eigentlich
geweſen ſei, wage ich nicht zu entſcheiden. Moͤchten gelehrtere
Forſcher die Eßkunde mit Aufklaͤrungen hieruͤber bereichern,
wenn die Sache, wie ich vermuthe, nicht vielmehr in das Gebiet
des Trinkens einſchlaͤgt.


Nachdem der Speiſen und der leckerbereiteten Mahle ge-
buͤhrend gedacht iſt, darf das Trinken nicht unerwaͤhnt bleiben.
Dieſes fehlte nie, ja die Homeriſchen Helden tranken, wenn
auch keinen Eilfer, doch (nach Odyss. III. 391) eilfjaͤhrigen
Wein. Ein bedeutender Fortſchritt in der Cultur! Nachdem
ſie geſchmaußt und das Herz mit Speiſe geſtaͤrket, vergaßen ſie
des Trinkens keineswegs, und der Refrain eines Gaſtmahls
heißt immer: „nachdem die Begierde des Tranks und der Spei-
ſe geſtillt war“ oder „uns mit Fleiſch und lieblichem Weine er-
quickend“ ꝛc.


Das Alles nun halte man mit den oben erwaͤhnten Ei-
cheln, Holzaͤpfen, Hirſe und Halmen zuſammen, und urtheile,
ob das Menſchengeſchlecht vorgeſchritten.


Was nun das Eßgeraͤthe und das Verfahren beim Eſſen
betrifft, ſo war jedenfalls durch Erfindung des Tiſches ſchon
viel gewonnen. Da man nicht fuͤglich ohne Tiſch eſſen kann,
ſo war es hiſtoriſch nothwendig, daß der Tiſch erfunden wurde,
woraus folgt, daß er wirklich erfunden werden mußte, wie er
denn auch erfunden wurde. Es iſt gar nicht zu bezweifeln, daß
der Tiſch lediglich des Eſſens wegen erfunden wurde. Wird
ja noch heute Tiſch und Eſſen ſynonym gebraucht: vor und
nach Tiſch, ein guter Tiſch ꝛc. War aber einmal der Tiſch
erfunden, ſo gab ſich der Stuhl von ſelbſt.


Vor und zu den Zeiten Homer’s nun aß man ſehr ver-
nuͤnftig an Tiſchen ſitzend. Wir ſtoßen nun aber ſchon wieder
[30] auf einen Ruͤckſchritt; denn in ſpaͤterer Zeit wurde die Sitte
der Perſer, beim Eſſen halb zu liegen, faſt allgemein angenom-
men. Dieſes waͤre gar nicht auszuhalten geweſen, haͤtte man
die Lagerſtaͤtten nicht mit beweglichen Kiſſen bedeckt, welche je-
der Gaſt nach Belieben ſich zurecht legen konnte. Aber auch
ſo noch war es unbequem und unſchicklich zugleich. Denn es
wurden zu drei Seiten der Tafel Kiſſen gelegt, ſo daß die
vierte fuͤr die Dienerſchaft frei blieb. Die Gaͤſte lagen auf
der linken Seite, den Kopf nach der Tafel zu gewendet und die
Fuͤße nach der Ecke gekehrt, mit der rechten Hand uͤber ſich ſel-
ber hinuͤberlangend, die Speiſen greifend und eſſend. Auf dieſe
Weiſe kehrte Jeder dem Andern den Ruͤcken zu. Wollte nun
Einer mit dem Andern reden, ſo mußte er ſich erſt umwenden.


Da ſie, wie die Englaͤnder, keine Suppe aßen, ſo brauch-
ten ſie wohl auch keine Loͤffel. Dabei bleibt es freilich unklar,
wie ſie z. B. mit dem genannten Weinmus zurechtkamen; es
muͤßte denn dieſes ſo duͤnnfluͤſſig geweſen ſein, daß man’s trin-
ken konnte. Vielleicht tunkten ſie es mit Brodſtuͤcken aus.
Die Gabeln ſind eine Erfindung viel ſpaͤterer Zeit; uͤber die
der Loͤffel gelang es leider meinen hiſtoriſchen Forſchungen
nicht, Beſtimmtes zu ermitteln. Es laͤßt ſich nicht laͤugnen,
daß Goͤtter, Helden und Menſchen unmittelbar mit den Fin-
gern gegeſſen haben. Ich uͤberſehe dieſe Schattenſeite keines-
wegs, erkenne ſie vielmehr mit tiefem Bedauern vollkommen an.
Waͤre ſie aber nicht, ſo haͤtten wir ja gar zu wenig zum vor-
aus.


War nun die Vorzeit des ſchoͤnen Griechenlands ſchon in
ſo Vielen ausgebildet, hatte Solon ſchon das zarte Geſetz ge-
geben, daß die Braͤute vor dem Hymensfeſte einen Quitten-
apfel eſſen mußten, um die Lieblichkeit des Kuſſes zu erhoͤ-
hen, — ſo zeigen ſich noch lange nachher andere Nationen in
tiefer Barbarei befangen.


[31]

Die Aegypter aßen, nach Prosper Alpin’s ausfuͤhrli-
chen Berichten, hoͤchſt aͤrmlich und tranken keinen Wein. In
der Regel mit Einem Gerichte zufrieden, welches meiſtens aus
Reis oder anderen Huͤlſenfruͤchten, Gemuͤſen oder Wurzeln, oder
aus Milch beſtand, aßen ſie nur noch ausnahmsweiſe Fiſche
oder Kameelfleiſch, und ob ſie gleich das Vorſchneiden ſchon
kannten, wandten ſie es doch zunaͤchſt nur auf Schafboͤcke an.
Daß das Volk Zwiebeln und Kohl anbetete, iſt bekannt. Frei-
lich ſind die Aegyptiſchen Zwiebeln von ganz beſonderem Wohl-
geſchmack. Erſt zu Prosper Alpin’s Zeit fingen wenige
Gebildetere, von fremden Kaufleuten belehrt, an, Huͤhnerfleiſch
zu eſſen. Was laͤßt ſich aber auch von dieſer wunderlichen
und triſten Nation erwarten?


Wenn Winckelmann es nicht uͤber ſein aͤſthetiſches Herz
bringen konnte, zu ſagen, daß die jungen Ringer unter den
Griechen Kaͤſe zur Speiſe erhielten und es fuͤr ſchoͤner hielt,
dafuͤr Milchſpeiſe zu ſetzen, ſo kommt auch mir es hart an,
zu berichten, daß die alten Roͤmer in der erſten Zeit faſt ganz
allein von einem Breie gelebt haben, welcher von Kornmehl,
bisweilen auch von Spelz, Weizen, Haber bereitet wurde.
Nach Caͤſar’s Beſchreibung lebten die alten Helveti beinahe
von gleicher Speiſe, und Plinius berichtet, die deutſchen Voͤl-
ker bedienten ſich außer dem Haberbrei keines andern. Taci-
tus
fuͤgt Holzaͤpfel und ſaure Milch hinzu.


Doch ich eile von ſolchen Objekten wegzukommen; nur
will ich noch erwaͤhnen, daß man auf die Kraft und Koͤrper-
ſtaͤrke dieſer ſchlecht eſſenden Voͤlker nicht ſo ſtark pochen ſollte.
Die Homeriſchen Roaſtbeef-Helden ſchleuderten mit Einer
Hand Steine, welche wohl ein Dutzend ſolcher ſpaͤterer Brei-
eſſer zuſammengenommen nicht einmal heben konnten. Und
dann iſt erſt noch die Frage: was die alten Deutſchen wohl
ohne ihr Bier geweſen waͤren.


[32]

Die philoſophiſchen Gaſtmaͤhler der Griechen verdienen
mehr durch das, was dabei geſprochen, als was gegeſſen wurde,
Ruͤckſicht, und es moͤge genuͤgen, ihrer erwaͤhnt zu haben.


Wie die Roͤmer ihre Bildung uͤberhaupt den Griechen
verdanken, ſo kam ihnen auch von daher zuerſt die Ahnung,
es gaͤbe was Anderes und Beſſeres als Brei. Selbſt die erſten
Elementarbegriffe, wie z. B. das Brod, erhielten ſie von den
Griechen. (Eine rundgeſchnittene Scheibe Brod, die ſpaͤter
nach dem Gebrauch den Armen geſchenkt wurde, vertrat Jahr-
hunderte lang die Stelle des Tellers.) Wie aber die Bewoh-
ner der neuen Amerikaniſchen Welt ſich ihr Bischen Bildung
fix und fertig aus Europa kommen laſſen und ſich damit zu
uͤberkleiſtern ſuchen, ſo gut es eben geht, — aͤhnlich verhielten
ſich die Roͤmer zu den Griechen. Ohne eigentlichen Sinn, ohne
jenes zarte innerlichere Verſtaͤndniß nahmen ſie, was zu neh-
men war, und haͤtten gern noch mehr genommen, ſuchten pro
captu
damit zurechtzukommen, entſtellten, uͤbertrieben, manie-
rirten, uͤberluden aber (mit Asa foetida und Salmiak) bis zur
Unkenntlichkeit der nachgeahmten und entſtellten Urbilder. Ho-
mer
und Virgil! —


Wie lieblich ſind die mimiſchen Taͤnze bei den Gaſtmaͤh-
lern der Griechen; wie abſcheulich die Thierhatzen und Zerflei-
ſchungen der Gladiatoren bei denen der Roͤmer!


Man ſtoͤßt allenthalben auf griechiſche Reminiscenzen.
So war es, nach Macrobius, in Rom Mode, in dem Bauche
eines Schweines mehrere andere Thiere zu braten, was man,
mit feiner Anſpielung auf das Trojaniſche Roß, ein Trojani-
ſches Schwein nannte. Es iſt immerhin etwas Klaſſiſches bei
ſolchen Eſſen. Auf einer Nachbildung des mehrgedachten Ho-
meriſchen Weinmuſes gab das Roͤmiſche Fruͤhſtuͤck eine mit ge-
kochten Eiern, Zwiebeln, Weihrauch und Pfeffer gefuͤllte Wurſt.
Welche unnatuͤrliche Uebermengung und Verkuͤnſtlung! Auſtern
von Lucrin und in Schnee gekuͤhlter Sorrente-Wein, die dazu-
[33] gegeben wurden, allein haͤtten jedenfalls von edlerer Simpli-
citaͤt gezeugt.


Allerdings macht ſich eine gewiſſe Großartigkeit bei den
alten Roͤmern geltend, welcher man Anerkennung, ja Bewun-
derung nicht verſagen kann. So wurden z. B. einmal fuͤr den
Antonius und einige wenige Freunde acht wilde Schweine
gebraten, die man alle in kleinen Zwiſchenraͤumen an den Spieß
geſteckt hatte. Als Philotas, der Arzt, ſein Erſtaunen uͤber
dieſe Zuruͤſtungen zu erkennen gab, antwortete der Koch, daß
man deßwegen ſo viele Braten zubereite, damit gewiß Einer
dann, wenn Antonius ihn fordere, den hoͤchſten Grad von
Vortrefflichkeit erreicht haben moͤge, welcher hoͤchſte Grad von
Vollkommenheit in den Meiſterſtuͤcken der Kochkunſt, wie in
anderen Werken des Genies, kurz dauernd und ſchnell voruͤber-
gehend ſei. Wer wollte nicht einem Lucull Gerechtigkeit wi-
derfahren laſſen, der in ſeinen Palaͤſten mehrere Speiſeſaͤle ein-
richten ließ, die, je nach dem Namen einer Gottheit benannt,
dem Haushofmeiſter zugleich Einrichtung und Koſtenaufwand
der darin anzuordnenden Gaſtmaͤhler bezeichneten, indem z. B.
eine Mahlzeit im Sale des Apollo gewoͤhnlich 6250, nach
Anderen 100,000 Thaler koſtete. Bei einer Collation, welche
der Komoͤdiant Aeſopus gab, ſoll ſogar eine Einzige der
Schuͤſſeln 250,000 Thaler gekoſtet haben. Da ich den dama-
ligen Muͤnzfuß und Anderes nicht naͤher kenne, beſcheide ich
mich, uͤber dieſe Angaben entſcheiden zu wollen.


Groß gedacht ſind die Etabliſſemens zur Maͤſtung von
Fiſchen aller Arten aus allen Waſſern und Meeren, von Voͤ-
geln aller Zonen, von Schnecken, Auſtern, Wildſchweinen ꝛc.,
die ſo allaugenblicklich genießbar zu Dienſten ſtanden. Von
gruͤndlichen Studien zeigt die Kunſt, Auſtern lange friſch zu
erhalten, welche Einer der drei Apicier, die zu Rom lebten,
erfand und ſo ausbildete, daß er dem Kaiſer Trajan in’s fer-
ne Land der Parther ohne Eiſenbahnen dergleichen noch friſch
3
[34] zumitteln konnte. Wie gluͤcklich iſt auch das Aperçu: Schwei-
ne mit trocknen Feigen zu maͤſten! Eben ſo verdienen die innen
verſilberten kupfernen Kochgeſchirre, wie ſie in Herculano ge-
funden und, gleich nobel und zweckmaͤßig, neuerdings von den
Englaͤndern wieder eingefuͤhrt wurden, alles Lob.


Dagegen iſt’s durchaus abſurd, theure Speiſen eben deß-
halb, und blos weil ſie theuer ſind, fuͤr delicat zu halten,
Wohlſchmeckendes dagegen deßhalb zu verachten, weil’s wohlfeil
iſt, und der unſinnige Roͤmiſche Luxus mit Pfauenzungen ꝛc. iſt
ſattſam bekannt. So wurden Roͤmiſchen Gaͤſten ſelbſt koſtbare
Perlen, die nach gar nichts ſchmecken, zu trinken gegeben.


Wie ſchon bemerkt, druͤckt der Mangel der Gabeln Griechen
wie Roͤmer, Letzteren muß jedoch der Fortſchritt zu den Ser-
vietten zugeſtanden werden. Winckelmann bemerkt: wie un-
ter den Griechen keine Schnupftuͤcher gebraͤuchlich waren, ſon-
dern ſelbſt Perſonen von Stande mit dem Mantel die Thraͤnen
abtrockneten, ſo wurden auch die Servietten bei den Roͤmern
allererſt in den ſpaͤteren Zeiten uͤblich. Der eingeladene Gaſt
brachte aber dieſes Tuch (mappa) ſelbſt mit.


Aber zu welch wirklich ſchauderhaftem Gebrauch dienten
dieſe ſogenannten Servietten? Wenn dem Gaſt Speiſen beſon-
ders ſchmeckten, ſo wickelte er ſie, mit Erlaubniß des Wirths,
in die Serviette, und ſchickte ſie ſo nach Hauſe. Leider fand
ſich dieſe widerliche Heimſchlepperei auch bei den Athenern. Je-
der Gaſt brachte ſeinen Bedienten mit und ließ durch dieſen
Alles, was er von den verſchiedenen Gerichten, wovon jedem
Gaſt eine reichliche Portion vorgeſetzt wurde, nicht ſelber aufaß,
und was irgend transportabel war, z. B. Stuͤcke von gebrate-
nem Wildpret, Wuͤrſte, Huͤhner, Fiſche, wildes Gefluͤgel, Ku-
chen ꝛc., in einen, zu dieſem Zwecke mitgebrachten Korb oder
Sack ſtecken, und nach Hauſe tragen. Bei Spießbuͤrger-Gaſt-
maͤhlern findet man dieſe Gewohnheit leider noch heutzutage
auch bei uns.


[35]

Dagegen verdiente die Sitte, daß das Vorſchneiden in
beſonderen Schulen regelmaͤßig gelehrt wurde, bei uns wieder-
eingefuͤhrt zu werden. Daß aber bei großen Gaſtmaͤhlern die
Roͤmiſchen Vorſchneider nach dem Takt der Tafelmuſik tran-
ſchirten, ſpricht wieder fuͤr jene geruͤgte Uebertreibung.


Man hat den Roͤmern vorgeworfen, daß ſie Ratten gegeſ-
ſen haͤtten. Winckelmann weiſt nach, daß es eine Art Feld-
maͤuſe geweſen ſei, die ſich in Kaſtanienwaͤldern aufhielten und
naͤhrten, und welche uͤberdieß noch in eigenen Behaͤltniſſen
(glinarium) gefuͤttert und fett gemacht wurden. Auch dieß
verdiente Wiedereinfuͤhrung. Sonderbar iſt’s, was ebenfalls
Winckelmann darthut, daß naͤmlich die Zitronen von den
Roͤmern nicht gegeſſen, uͤberhaupt nicht zu Speiſen verwendet
wurden. Doch ich beſchraͤnke mich hier billig, ſo leicht es mir
auch waͤre, noch Unendliches aus den, ſpeziell uͤber antikes
Eſſen handelnden, Antiquaren Stuckius, Puteanus, Ma-
nelphus, Urſinus, Ciacconius, Bulengerus, Thoma-
ſini, Lipſius, Framondus, Patius, Cornarius
und A.
anzufuͤhren.


Die ſehr paſſende Roͤmiſche Eintheilung der Eſſenszeiten
in zwei Mahlzeiten, Déjeûner à la fourchette und Dîner, iſt
meinem ſehr verehrten Auditorium noch von der Schule her
hinlaͤnglich bekannt, und ich will an den Umſtand, daß dieſelbe
Eintheilung, welche noch in’s Mittelalter hinein ſich erhielt,
ſpaͤter erloſch, und erſt in der neueren Zeit von Franzoſen und
Englaͤndern und in der gebildeten Welt in großen Staͤdten und
Haͤuſern uͤberhaupt nach Verdienſt gewuͤrdigt und wieder ein-
gefuͤhrt wurde, nur die troͤſtliche Bemerkung knuͤpfen, daß,
wenn auch das Wahre zuweilen durch die Nacht einbrechender
Barbarei vernichtet ſcheint, doch immer wieder ſafranfarbige
morgenroͤthliche Tage einer neueren Zeit es von Friſchem wecken
und reifen.


Ehe ich nun der dicken Nacht, oder, wie Andere lieber wollen:
3*
[36] des romantiſchen Zwielichts, oder nach dem vielfarbigen
Chateaubriand: der goldnen Zeit des Mittelalters gedenke
(denn die Zeit der Voͤlkerwanderungen war keine Eſſenszeit),
werfe ich noch billig einen Blick auf Carl den Großen. Seine
Mahlzeiten beſtanden gewoͤhnlich aus vier Gerichten, worunter
Eier mit Wildpret. — Kalbsnieren, Hechtſchwaͤnze, Barben-
koͤpfe und Gaͤnſehaut galten fuͤr große Leckerbiſſen. Wildpret,
Rinder, Schweine, Ziegen, Tauben, Faſanen, Enten, Rebhuͤh-
ner, Gaͤnſe, Fiſche, Obſt, Gemuͤſe, Milch, Butter, Kaͤſe, Eier,
Mehl, Weineſſig, Honig, Getreide, Hirſe, Senf ꝛc. mußten auf
ſeinen Guͤtern ſtets reichlich in Vorrath gehalten werden. Aber
die von der Kirche gebotenen Faſten wurden ſo unſinnig reſpek-
tirt, daß Fleiſcheſſen an einem Faſttage mit der Todesſtrafe
bedroht war.


Koͤnige und Fuͤrſten ſendeten aͤrztliche und theologiſche
Zeugniſſe an den Pabſt ein, und baten unterthaͤnigſt, Fleiſch
eſſen zu duͤrfen. Auch auf einzelne Speiſen donnerte der Pon-
tifex herab. Der Pabſt Zacharias verbot ſogar Haſenbraten.
Unter Pabſt JohannXXII. ſtritten die Franziskaner daruͤber,
ob ſie die Suppe, welche ſie aßen, wirklich beſaͤßen, oder die
bloße Nutznießung davon haͤtten. Da blos drei bis vier davon als
Ketzer verbrannt, aber weder Throne geſtuͤrzt, noch Laͤnder
verheert wurden, rechnet es Voltaire zu den Sottises paisibles.


Beten, Kaſteien, Faſten und hungerige Wallfahrten reißen
immer mehr ein, und die Bannſtrahlen der Paͤbſte verderben
vollends alle Eßluſt. Die zarten Troubadours finden Wallfiſch-
fleiſch gut; doch ergoͤtzen ſie noch — ein Nachklang griechi-
ſcher Zeit! — durch ſuͤße Liebesgeſaͤnge bei’m Gaſtmahl, bis
ſie den Vorleſungen ungenießbarer Erbauungsſchriften weichen
muͤſſen, die ihre Stelle einnehmen.


Was hilft es, daß die Kreuzfahrer Pfirſchen, Kirſchen,
Pflaumen ꝛc. vom Orient mit zuruͤckbringen? Wer verſteht ſie
mit Sinn zu eſſen?


[37]

Die Salernitaniſche Schule macht Verſe uͤber das, was
geſund, zutraͤglich und gedeihlich zu eſſen ſei; an das mit Ge-
ſchmack und Sinn Eſſen, an ſchoͤn Eſſen denkt niemand. Miſcht
ſich was von Kenſt ein, ſo iſt’s auf fratzenhafte Weiſe. Man
traͤgt Baͤckereien von obſcoͤnen Formen auf und macht plumbe,
ſchlechte Witze daruͤber Der Hanswurſt ſpringt zur Beluſti-
gung der Gaͤſte in eine eigens dazu bereitete Paſtete — ein
Divertiſſement, welches bis in die Zeiten Shakeſpeare’s hin-
aufreicht — und die unſinnigſten Schaugerichte nehmen Platz
auf der Tafel.


Außer dem, wahrſcheinlich ſehr noͤthigen, Haͤndewaſchen
vor dem Eſſen findet ſich nichts Griechiſches mehr. (Die Gra-
zie war faſt, bis zum Schnarchen, eingeſchlafen.) Dieſes Ge-
brauches wegen hieß der zur Tafel rufende Hoͤrnerſchall das
Waſſerblaſen.


Ich verkenne nicht, was das Mittelalter Schoͤnes und
Großes in der Baukunſt z. B. bildete; fuͤr die Eßkunſt aber
leiſtete es faſt nichts. Mehr geſchah fuͤr das Trinken.


Strenge Gebote ſchrieben in dieſer romantiſchen Zeit dem
Menſchen vor, was und wie viel ſie eſſen durften. Den Reichen
waren nur zwei Gerichte und zwei Arten Fleiſch geſtattet.
Kaufleute und Handwerker durften nur bei einer Mahlzeit
Fleiſch eſſen, und ſollten ſich bei der andern mit Milch, Butter
und Gemuͤſe begnuͤgen. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß von
dieſen Verboten Praͤlaten und Barone ausgenommen waren.
Dieſe durften eſſen, ſo viel und was ſie wollten.


Doch auch dieſe Zeit ging, zum Leidweſen mancher heuti-
ger Liebhaber, endlich, wie Alles, zu Ende. Pabſt LeoX.
fuͤhrte eine koſtbarere Tafel, als alle ſeine Vorgaͤnger. Einer
ſeiner Einnehmer, Auguſtin Chigi, bewirthete ihn einſtmals
zugleich mit dem ganzen heiligen Collegium und den fremden
Geſandten. Bei jedem neuen Gange von Richten wurden die
gebrauchten Gefaͤße, obgleich durchaus von Silber, in die Tiber
[38] geworfen, und zum Schluß lauter, auf die mannigfaltigſte Art
zugerichtete Papageienzungen aufgetragen. — Ein altroͤmiſcher
Nachklang! — Es iſt klar, daß der Diener wohl den Herrn
nicht uͤberbot. Durch ein neuerfundenes Ragoût konnte man
ſich bei Leo in die hoͤchſte Gunſt ſetzen. Er [ſelbſt] erfand eine
Gattung kleiner Wuͤrſte, uͤber deren Koſtbarkeit ſein Nachfolger,
HadrianVI., der den Poſten in den Rechnungen fand, er-
ſchrack. Obgleich dieſer den Fiſch Merlus ſo uͤber die Maßen
liebte, daß derſelbe, zur Luſt der Roͤmiſchen Fiſcher, bald nach
ſeinem Antritt des Pontifikats im Preiße ſtieg, war Hadrian
doch ſonſt frugal. Leo aber war es in keiner Beziehung. Er
brauchte Geld. Der Commis voyageurTetzel machte nur
zu gute Geſchaͤfte, bis die weltgeſchichtliche Kataſtrophe anbrach.


Fuͤr die Geſchichte der Eßkunſt iſt das Wichtigſte dieſer
Epoche die Erfindung der Gabeln, welche fuͤr ſie ebenfalls eine
Epoche bezeichnet. Sie kommen in Frankreich zuerſt um dieſe
Zeit, in England viel ſpaͤter vor. Die reizende Maria Stu-
art
bediente ſich noch der Finger ſtatt der Gabel. Sie wurden
von Eiſen und zwar Anfangs nur zweizackig gefertigt. Es iſt
augenfaͤllig, daß die ſpaͤteren drei- oder vierzackigen Eßgabeln
zweckmaͤßiger ſind. Dagegen deuten die neueren ganz ſilbernen
Gabeln, mit denen man nichts feſt anſtechen kann, mit denen
nur mit Gefahr unter Wegs umzuwerfen, etwas zum Mund
zu fuͤhren iſt und deren man ſich nur mehr wie loͤcheriger
Schaufeln bedienen kann, offenbar auf einen Ruͤckſchritt.


Gleichzeitig mit den Gabeln fanden die Servietten allge-
meinere Aufnahme, welche als eigentliche Servietten zuerſt zu
Rheims in Frankreich gemacht wurden.


Was aber fuͤr die Wiſſenſchaften die Erfindung der Buch-
druckerkunſt, und fuͤr die Kriegskunſt die des Schießpulvers,
das iſt fuͤr die Eßkunſt die Erfindung der Gabeln und Servietten.


Wie nun von dem kunſtſinnigen Italien aus die feinere
Koch- und Eßkunſt durch die Mediceiſchen Prinzeſſinnen an
[39] den F[ra]nzoͤſiſchen Hof, und von da nach Deutſchland und die
uͤbrige [c]iviliſirte Welt kam, und ſich bis auf unſere Zeit weiter
ausbilde[t]e, hat bereits Herr von Rumohr trefflich dargethan,
worauf ich verweiſe.


Moͤ[ge]n die gegebenen Andeutungen genuͤgen, um zu zeigen, wie
die Menſch[h]eit vom Eſſen zur Eßkunſt ſich emporzuarbeiten gerungen.


Wie [a]ber die aͤlteren Helden uͤberhaupt mehr durch die
Staͤrke ihr[e]r Knochen und die Kraft ihrer Muskeln vor der
uͤbrigen He [...]rde hervorragten, wie uͤberhaupt da die Quantitaͤt
den Ausſchl[a]g gab, ſo haben auch diejenigen, welche in fruͤheren
Zeiten im Eſſen Ausgezeichnetes leiſteten, es zunaͤchſt durch die
Maſſenhaftigkeit und Menge des Genoſſenen bewaͤhrt. Milo
von Kroton, ſo erzaͤhlt die Sage, ſchlug mit Einem Streich
einen Ochſen tod, lud ihn auf die Schulter und trug ihn im
Lauf davon; — aß ihn aber auch vollkommen auf. Lepraeus
Elaus
, mit dem Zunamen: der Ochſenfreſſer, that es ihm
gleich, und uͤberw[a]nd in einem Eßwettſtreite ſelbſt die gewaltige
Kraft des Her[a]kles. Der beruͤhmte Muſiker und Taͤnzer
Herodot von Megara aß gewoͤhnlich 20 Pfund Fleiſch und
eben ſo viel Brod. Kaiſer Maximinius verzehrte auf einmal
40 — 60 Pfund Fleiſch und trank einen Eimer Wein dazu. Aber er
zog auch einen ſtark beladenen Wagen mit Einer Hand und ſchlug
einem Pferd mit einem einzigen Streich alle Zaͤhne in den Rachen.


Eine ſpaͤtere Zeit ſetzte nun die eigentliche Form in die
Kraft des Kopfs. Es galt Plan, Gedanken, Bewußtſein. Es
galt Sinn, Wahl, Kunſt!


LudwigXIII. machte Conſituren, LudwigXV. kochte
ſich ſeinen Caffee ſelbſt. — Friedrich der Große ließ ſich jeden
Abend den Kuͤchenzettel fuͤr den folgenden Tag, mit derſelben
Puͤnktlichkeit wie irgend einen Rapport, bringen. Mit Inter-
eſſe las er ihn durch, freute ſich, wenn er Lieblingsſpeiſen (Po-
lenta und Aalpaſtete) darauf fand, wie ein Menſch, waͤhlte und
corrigirte. Der Tiefdenker Kant beſorgte mit liebendem Eifer
[40] ſeinen Tiſch, und erging ſich geſpraͤchsweiſe gar gern uͤber das
Eſſen.


Nach den Mémoires des beruͤhmten Kochkuͤnſtlers Carème,
welcher den ſehr wahren Satz ausſpricht, daß die Perſonen,
welche zu eſſen verſtehen, eben ſo ſelten ſeien, wie große Koch-
kuͤnſtler, war Napoleon weder ein Eſſer noch ein Kenner;
weder Cambacérès noch Savarin verſtanden zu eſſen. Die
echten Eſſer meiner Zeit, ſagt Carème, waren der Fuͤrſt von
Talleyrand, Murat, Junot, Fontanes, der Kaiſer
Alexander, GeorgIV. und der Marquis von Cuſſy.


Vor ein paar Jahrtauſenden fraß, wie bemerkt, Milo ei-
nen ganzen Ochſen; — vor ein paar Jahren machte ein Pari-
ſer Reſtaurateur das Anerbieten, 500 Menſchen mit 2 Sous
fuͤr jeden taͤglich, zu ernaͤhren, und zwar einzig durch Daͤmpfe,
die ſich aus den Knochen von Fleiſch, Suppen und Braten
verbreiten. Er behauptet (auf den Erfahrungsſatz geſtuͤtzt,
daß die meiſten Koͤche wenig eſſen, und doch dick werden), daß
er acht Tage in dieſen nahrhaften Duͤnſten leben koͤnne, ohne
etwas zu eſſen.


Was folgt daraus und aus Allem? — Ich denke, zunaͤchſt
nichts Anderes, als daß es Aufgabe unſerer Zeit ſei, Quanti-
tatives mit Qualitativem, Formales mit Materialem, das
Schoͤne mit dem Kraͤftigen, das Strenge mit dem Zarten, das
Starke mit dem Milden zu verbinden, beides gemeinſam in
Bewußtſein und Freiheit, natur- und kunſtgemaͤß in Wahr-
heit und Schoͤnheit wiſſenſchaftlich zu begruͤnden, zu entwik-
keln, zu verſchmelzen, der Menſchen-Idee lebendig naͤher zu
bringen, praktiſch zu verwirklichen.


Thu’ ich, will ich denn nicht eben dieß? und werden denn
die nun immermehr auf’s Eigentliche kommenden und immer
intereſſanter werdenden Vortraͤge etwas Anderes zum Ziele
haben?


[[41]]

Dritte Vorleſung.
Ethnographiſches
.


Nachdem ich in der letzten Vorleſung die Entwicklung
der Eßkunſt ſucceſſiv in der Zeit, im progreſſiven Nacheinander
zu ſkizziren verſuchte, wird es Aufgabe der heutigen ſein, mit
Hervorhebung des ethnographiſchen Momentes den Gegenſtand
nach ſeiner Coexiſtenz und Dimenſion im Raume, nach ſeinem
concreten Nebeneinander auzudeuten, d. h. auf Deutſch: ich
werde heute davon ſprechen, wie die verſchiedenen Voͤlker eſſen.


Dabei kommt nun das Eſſen der Wilden, ſo wie das
mancher Zahmen, mehr nur in Betracht, um anzudeuten, wie
man nicht eſſen ſoll.


Waͤhrend uns aber uͤber das Eſſen wilder Voͤlker, aus
dem ſo wenig zu lernen iſt, die ſpeziellſten Schilderungen der
Reiſebeſchreiber zu Gebote ſtehen, verſaͤumen Gegentheils Rei-
ſende, welche civiliſirte Nationen beſuchen, zwar nicht, genau
zu berichten, bei welchen vornehmen oder ſonſt beruͤhmten Per-
ſonen ſie zu Tiſche gebeten waren; — ein Umſtand, der den
Leſer ganz kalt laͤßt, — gerade uͤber das aber, was intereſſant
und woraus etwas zu lernen waͤre: was ſie naͤmlich dort ge-
geſſen, und wie man uͤberhaupt dort zu eſſen pflegt, erfaͤhrt
man nichts. Hier iſt noch eine bedauerliche Luͤcke unſerer
Doktrin.


Wie Selbſtanſchauung kuͤnſtleriſcher Ausbildung erſt Vol-
lendung giebt, und zur Vervollkommnung einer jeglichen Kunſt
Reiſen unerlaͤßlich ſind, ſo auch zu der der Eßkunſt. Es ſoll
[42] in der Wiſſenſchaft, es ſoll in der Kunſt nichts leerer Name,
nichts begriffsloſes Wort bleiben. Die meiſten Menſchen ſind
bloß deßhalb ſo dumm, weil ſie mit den Worten, die ſie ge-
brauchen und hoͤren, keine Begriffe verbinden, weil ſie ſich bei
den Worten nichts denken.


Fuͤr den Eßkuͤnſtler iſt es nun wahrhaft peinigend, eine
Speiſe nennen zu hoͤren, bei der er ſich nichts denken kann.
So iſt gewiß ein Indianiſches Vogelneſt fuͤr den, der noch keins
gegeſſen hat, eines der klaͤglichſten Probleme. Welcher Nachge-
nuß dagegen, von einer Speiſe zu leſen oder zu hoͤren, die man
kennt, die man ſchon gegeſſen hat, bei der man ſich etwas Be-
ſtimmtes vorſtellen kann! Wie manches Vorurtheil wird berich-
tigt, mit dem man ſich ohne Reiſen zeitlebens geſchleppt haͤtte.
So meinen Z. B. gar Viele, daß man in katholiſchen Laͤndern,
beſonders in Kloͤſtern, die ausgezeichnetſten Stockfiſche faͤnde.
Ich traf ſie aber auch bei Proteſtanten von derſelben Qualitaͤt.
Wird ja doch der Menſch, wie der Fiſch, neutral geboren, und
es iſt ſehr zufaͤllig, wo und wie er appretirt wird.


Das Wichtigſte bleibt immer, das Gute, Zweckmaͤßige,
Schoͤne, ſei es nun der Eßobjekte ſchlechthin oder der Berei-
tungsart, oder der Verbindung, des Zuſammeneſſens, oder der
Art des Genießens uͤberhaupt, welches man in der Fremde er-
lernte, auch der einheimiſchen Kunſt einzuverleiben, dieſe dadurch
zu erweitern, zu erheben, zu vervollſtaͤndigen, zu reinigen, ver-
ſteht ſich mit ſteter Beruͤckſichtigung und Schonung des Natio-
nalgefuͤhls.


So ſei denn unſere Reiſe begonnen und es iſt billig, da
anzufangen, von wo uͤberhaupt die Civiliſation ausging, vom
Oſten naͤmlich, und zunaͤchſt vom himmliſchen Reich.


Als eigenthuͤmlich charakteriſtiſch ſteht der Chineſe dadurch
da, daß er Alles ißt, was er haben kann. Falken, Eulen, Ad-
ler, Stoͤrche, Fleiſch von alten Zugochſen, Pferdefleiſch, Hunde,
Katzen, Ratten, Maͤuſe ſtehen uͤberall oͤffentlich zum Verkauf
[43] und bilden die beliebteſten Speiſen. Reiſende verſichern, daß
die gemaͤſteten Katzen, die ſich auf der Tafel der Reichſten fin-
den, gar nicht uͤbel ſchmeckten. Dagegen konnten dieſelben den
gedaͤmpften Nachteulen und gekochten bebruͤteten Eiern keinen
rechten Geſchmack abgewinnen. Wie bei uns paſſionirte Au-
ſterneſſer, giebt es dort eigentliche Hunde-Gourmands. Doch
wird Schweinefleiſch im Allgemeinen jedem Andern vorgezogen
und bildet immer die Baſis ihrer Ragoûts. Nach den Zeug-
niſſen der Reiſenden laͤßt ſich nichts Schmackhafteres finden, als
ein Chineſiſcher Schinken, wie denn uͤberhaupt ihr Schweine-
fleiſch, durch ihr treffliche Maſtung, viel beſſer ſein ſoll als das
Unſrige. — Daß wir ihnen den Zucker verdanken, iſt bekannt. —
Die Chineſen ſind ſehr geſchickte Koͤche und wiſſen mit einigen
Bohnen, Reis, Korn und ein paar Gewuͤrzen und Kraͤutern
eine Menge, wie es heißt: wohlſchmeckende Gerichte zu berei-
ten. Wie der Thee das Getraͤnk par excellence, ſo iſt die gewoͤhn-
lichſte allgemeinſte Speiſe der Reis. In Kanton wird eine Art
Hohlhippen von Weizen gemacht, die mit verſchiedenen Kraͤu-
tern, welche den Appetit erwecken, zugerichtet, ſehr gut ſchme-
cken. Eine der wohlfeilſten und beliebteſten Seiſen beſteht in
großen (5 — 6 Zoll dicken) Kuchen von Bohnenteig, welche
roh, oder in Waſſer mit Kraͤutern gekocht, oder in Butter ge-
braten, auch getrocknet und geraͤuchert mit Kuͤmmel beſtreut,
verſpeiſet zu werden pflegen. Man zieht ſie ſelbſt jungen Huͤh-
nern vor. —


Die gewoͤhnlichſten Formen ſind Ragoûts von gehacktem
Fleiſch mit Kraͤutern und Huͤlſenfruͤchten, Suppen von Schwein-
ſchmalz mit Kraftbruͤhen von Schweinen, Enten, Huͤhnern
und Hacheés von, je nach der Jahreszeit, verſchiedenen Kraͤu-
tern. Das vorzuͤglichſte von allen Chineſiſchen Gerichten,
welches bei großen Gaſtereien nie fehlen darf, ſind Hirſch-
ſehnen und die beruͤhmten Vogel- oder Schwalbenneſter. Er-
ſtere werden in der Sonne getrocknet, in Pfeffer und Muskat
[44] zuſammengerollt, aufbewahrt, und wenn man ſie geben will,
in Reiswaſſer eingeweicht und mit einer Kraftbruͤhe von Zie-
genfleiſch mit Gewuͤrzen gekocht. — Die Vogelneſter aber fin-
det man auf der Kuͤſte von Tong King, von Java und Co-
chinchina in den Felſen. Sie ſcheinen Anfangs weiß; trocken
werden ſie graulich, hart und durchſichtig. Sie ſehen aus, wie
eine eingemachte Zitrone und geben den Speiſen einen vor-
trefflichen Geſchmack. — Sie beſtehen aus Seegewaͤchſen, be-
ſonders Tang-Arten, die ſehr klebrig und gallertartig ſind, ver-
miſcht mit manchen Theilen von Seethieren und dem Schleim
des Druͤſenmagens.


Baͤrenpfoten und Fuͤße von verſchiedenen anderen Thieren,
welche man geſalzen aus Siam, Camboja und der Tartarei
bringt, ſind blos Leckerbiſſen fuͤr die Vornehmen. Dem Gefluͤ-
gel, den Haſen, Kaninchen und anderm Wildpret, ſo wohlfeil
es auch in den groͤßeren Staͤdten zu haben iſt, zieht doch der
Chineſe Hund- und Pferdefleiſch vor.


Das Unertraͤglichſte aber der Chineſiſchen Gaſtmaͤhler iſt
die Chineſiſche Hoͤflichkeit. Welche unausſtehliche Complimen-
te und Ceremonien! Unſere deutſchen großen und kleinen
Kraͤhwinkel — die Großen ſind’s oft mehr, als Kleine — er-
ſcheinen faſt ungenirt dagegen.


Man hat in China zwei Gattungen von Gaſtmaͤhlern:
ein gewoͤhnliches von zwoͤlf bis funfzehn Schuͤſſeln, und ein feierli-
ches, bei welchem achtzig Schuͤſſeln auf jeder Tafel mit vielerlei
Gepraͤnge aufgetragen werden.


Um das Ceremoniell gehoͤrig zu beobachten, muͤſſen die
Gaͤſte durch drei Billets eingeladen werden. Das erſte Mal ein
oder zwei Tage vorher; das zweite Mal am Morgen des Feſtes,
um die Gaͤſte an ihr Engagement zu erinnern, mit der Bitte,
es nicht zu brechen; das dritte Mal, wenn Alles angeordnet iſt.
Der Wirth will dadurch ſeine Ungeduld, die Eingeladenen bei
ſich zu ſehen, an den Tag legen.


[45]

Der mit Blumentoͤpfen, Mahlereien und Porzellan gezierte
Saal enthaͤlt ſo viel Tafeln, als Gaͤſte erſcheinen ſollen. Sel-
ten werden, wegen der Menge der Eingeladenen, zwei, noch ſelt-
ner drei Gaͤſte an einen Tiſch geſetzt. Dieſe ſtehen nach der
Reihe an den Waͤnden und die Gaͤſte ſitzen einander gegenuͤber
in Armſtuͤhlen. Jede Tafel iſt, wie ein Altar, vorn mit einem
geſtickten ſeidenen Tuch behangen, und zwar weder mit Tiſch-
tuͤchern noch Servietten belegt, doch ſehr ſchoͤn lackirt. An bei-
den Seiten ſtehen pyramidaliſche Schaueſſen.


So wie der Herr vom Hauſe ſeine Gaͤſte in den Saal ge-
fuͤhrt hat, begruͤßt er einen nach den andern, und nachdem er
ſich, in einer koſtbaren Taſſe, Wein hat bringen laſſen, wendet
er ſich mit dem Geſichte gegen den großen Hof des Hauſes,
und geht nach dem Ende des Saales hin. Hier hebt er die
Augen gen Himmel, und gießt etwas Wein auf den Boden,
um damit anzuzeugen, daß er Alles, was er beſitze, der Gunſt
des Himmels zu danken habe. Hierauf laͤßt er wieder eine
große ſilberne oder porzellanene Schale mit Wein fuͤllen und
ſetzt ſie auf den Tiſch, der fuͤr ihn beſtimmt iſt. Vorher macht
er aber dem Vornehmſten der Geſellſchaft eine Verbeugung,
und dieſer erwiedert dieſe Hoͤflichkeit damit, daß er außerordent-
lich geſchaͤftig thut, eine aͤhnliche Schale mit Wein zu fuͤllen
und dieſe auf den Tiſch des Wirths, der allemal der niedrigſte
iſt, zu ſetzen und ihn auf dieſe Art der Muͤhe zu uͤberheben.
Der Herr des Hauſes haͤlt ihn davon durch andere Compli-
mente ab ꝛc. ꝛc.


Der Haushofmeiſter bringt ſodann, ſtatt der Gabeln,
Staͤbchen von Elfenbein und legt ſie parallel auf jeden Tiſch.
Endlich fuͤhrt der Herr des Hauſes ſeinen vornehmſten Gaſt zu
ſeinem, mit Auszeichnung verzierten, Lehnſtuhl, und ladet ihn
unter neuen Verbeugungen ein, ſich darauf zu ſetzen. Dieſer
verbittet die Ehre und der Wirth will ſie allen Anweſenden an-
[46] bieten, die aber durchaus nicht zugeben, daß er ſich ſo viele
Muͤhe geben ſoll.


So lange ſteht noch jedermann. — Endlich ſetzt man ſich.
In dieſem Augenblick treten vier oder fuͤnf Schauſpieler in
den Saal und begruͤßen die Geſellſchaft mit vier Verbeugun-
gen, die ſo tief ſind, daß ſie den Fußboden mit der Stirne be-
ruͤhren. Dem Vornehmſten der Geſellſchaft wird nun ein
Buch praͤſentirt, in dem funfzig oder ſechzig Komoͤdien mit goldnen
Buchſtaben aufgezeichnet ſind, welche die Schauſpieler auswen-
dig wiſſen, damit er eine davon waͤhlen ſoll. Er ſchlaͤgt es
aber ab, und mit dem Erſuchen, ſolches zu thun, wird es ſei-
nem Nachbar gegeben, und von dieſem an einen Andern, bis es
an allen Tiſchen geweſen iſt, und wieder an den Erſten zuruͤck-
kommt. Endlich laͤßt er ſich erbitten, oͤffnet das Buch, ſieht
einen Augenblick hinein und waͤhlt das Stuͤck, welches ſeiner
Meinung nach der Geſellſchaft am angenehmſten iſt. Die
Schauſpieler laſſen jedermann den Titel ſehen und Alles giebt
durch Kopfnicken ſeinen Beifall. Eine Ouverture mit Trom-
meln, Trompeten und Pfeifen, in Spontini’s Geſchmack,
kuͤndigt nun den Beginn der Komoͤdie an, welche die Frauen-
zimmer außerhalb des Saales hinter Jalouſien mit anſehen
duͤrfen ꝛc.


Bis jetzt hat noch kein Menſch einen Biſſen gegeſſen.
Man faͤngt immer das Feſt mit einem Glaſe puren Wein an.
Der Haushofmeiſter ruft, mit einem Knie an der Erde: Meine
Herrn, man bittet Sie, die Schale zu nehmen. Sogleich er-
greift ein jeder die ſeinige, hebt ſie bis an den Kopf in die
Hoͤhe, bringt ſie wieder bis unter den Tiſch und trinkt ſie dann
ganz langſam in drei oder vier Zuͤgen aus. Man wendet hinter-
drein die Schalen um, um zu zeigen, daß ſie geleert ſind.
Dieß wird zwei bis dreimal repetirt. Waͤhrend dem wird auf jede
Tafel eine Schuͤſſel mit Ragoût aufgetragen, welches ſo berei-
tet iſt, daß man kein Meſſer weiter dazu braucht. Der Haus-
[47] hofmeiſter bittet, man moͤge eſſen, und jeder bedient ſich nun
mit vieler Geſchicklichkeit ſeiner zwei Staͤbchen. Sobald man
aufgehoͤrt hat, von einer Speiſe zu eſſen, bringen die Diener
eine andere, und praͤſentiren Wein, unterdeſſen der Haushof-
meiſter unablaͤſſig zum Eſſen und Trinken noͤthigt. Zwanzig
bis achtzig Schuͤſſeln folgen einander auf dieſe Art, und man
iſt verbunden, eben ſo vielmal zu trinken. Die Schuͤſſeln wer-
den nicht weggenommen, wenn andere aufgeſetzt ſind, ſondern
ſie bleiben alle bis zum Ende des Gaſtmahls ſtehen. Zwiſchen
ſechs und ſechs, oder fuͤnf und fuͤnf Schuͤſſeln werden Bruͤhen
und kleine Kuchen oder Paſtetchen ſervirt, die man mit den
Staͤbchen hineintunkt. Bis dahin wird nichts als Fleiſch ge-
geſſen; aber nun faͤngt der Thee an. Dieſer, wie der Wein,
wird warm gegeben und die Diener ſind beſtaͤndig beſchaͤftigt,
warmen Wein(!) einzuſchenken, und den kaltgewordnen weg-
zunehmen. Die letzte Schuͤſſel muß in dem Augenblick aufge-
ſetzt werden, in dem die Komoͤdie zu Ende geht, und wenn
nun noch Reis, Wein und Thee ſervirt iſt, ſo wird aufgeſtan-
den. Die Gaͤſte machen dem Wirth ihre Komplimente und
dieſer fuͤhrt ſie in den Garten oder in ein anderes Zimmer.


Es iſt aber noch nicht uͤberſtanden. Wenn das Deſſert
von achtzig Schuͤſſeln mit Confituren, Gelées, Fruͤchten, Schinken,
getrockneten und geſalzenen Enten, Seefiſchen ꝛc. in Ordnung
gebracht iſt, ſo giebt ein Diener dem Herrn knieend hiervon
Nachricht. Sogleich ſchweigt die ganze Geſellſchaft. Der
Wirth ſteht auf und bittet ſeine Gaͤſte, wieder in den Saal zu
gehen. Im Anfange ſtellt ſich Alles zuſammen, endlich nimmt
jeder nach einigen Zeremonien ſeinen Platz ein. Nun kom-
men groͤßere Taſſen und man iſt genoͤthigt mehr zu trinken.
Es faͤngt zur Abwechſelung ſo ziemlich wieder Alles von vorn
an, es wird wieder eine Komoͤdie gewaͤhlt und geſpielt ꝛc. ꝛc.


Bei’m Anfange des Nachtiſches laͤßt ſich jeder Gaſt kleine
Paketchen von rothem Papier bringen, die ein Trinkgeld fuͤr
[48] den Koch, Haushofmeiſter, die Schauſpieler und Diener ent-
halten. Jeder von dieſen bringt ſein Paketchen dem Herrn
vom Hauſe, der nach einigen Schwierigkeiten erlaubt, es anzu-
nehmen ꝛc.


Gewoͤhnlich dauert ein ſolches Feſt vier bis fuͤnf Stunden. Es
faͤngt Abends an und endigt um Mitternacht. Mit hundert
Zeremonien geht die Geſellſchaft aus einander. Am andern
Morgen ſchickt jeder Gaſt ein Billet, worin er ſeine gehorſam-
ſte Dankſagung abſtattet. —


Ich bitte, etwas verſchnaufen zu duͤrfen; denn die Sache
war anſtrengend.


Von den Oſtindiſchen Colonien der Europaͤer, wo man (d. h.
die dortigen Europaͤer) in der Regel ſehr reichlich, gut und
fein ſpeiſt, ſchweige ich billig, da ſich je die einzelnen Eßarten
nach dem ſpeziellen Mutterlande richten, wovon beſonders ge-
handelt werden wird.


Den Hindus, Perſern, Arabern, Mauren und anderen
Orientalen fehlt der eigentliche Eßſinn faſt gaͤnzlich. Reiſende
koͤnnen ihr Erſtaunen uͤber die unglaublich geringe Quantitaͤt
von Nahrung nicht genug ausdruͤcken, mit der jene Voͤlker ſich
begnuͤgen. Dieſe iſt noch dazu meiſt pflanzlich, und von der
ermuͤdendſten ſterilſten Einerleiheit. Reis, Mais, Datteln! —
Datteln, Mais, Reis! — Iſt es denn ein Wunder, wenn ſo
Millionen, die kein Fleiſch eſſen, von wenigen Roaſt-beef eſſen-
den Englaͤndern leicht im Zaume gehalten werden?


Daß man den ſchlechteſten Caffee da trinkt, wo er waͤchſt,
iſt eine traurige Wahrheit.


Als eigenthuͤmlich verdient das Heuſchreckeneſſen Erwaͤh-
nung. Perſer und Araber, beſonders die Beduinen, eſſen ſie
ſehr gerne. Sie werden etwas geroͤſtet, an der Sonne getrock-
net, in große Saͤcke gefuͤllt, und etwas Salz zugemiſcht. Sie
kommen als kein beſonderes Mahl auf den Tiſch, ſondern jeder
nimmt eine Hand voll, wenn er hungrig iſt. Die Beduinen
[49] eſſen ſie ganz. Die wenigen Syrer, welche ſie eſſen moͤgen
brechen den Kopf ab und nehmen die Eingeweide heraus, ehe
ſie ſie trocknen. Forbes ſah ſie, nachdem durch das Braten
Beine und Fluͤgel beſeitigt waren, mit Milch und Datteln oder
mit Salz und Gewuͤrzen zugerichtet eſſen. Prokeſch fand
uͤbrigens bei den Beduinen die Tafel nicht uͤbel, lobt das in
Butter geroͤſtete Schaffleiſch, das in Aſche gebratene junge Ka-
meelfleiſch und das gute Weizenbrod, vor Allem aber die herz-
liche Freundlichkeit und den zarten gaſtfreundlichen Takt ſeiner
Wirthe. Zum Getraͤnk gab’s freilich nur Kameelmilch.


Der vornehmen Araber in Syrien und Palaͤſtina gewoͤhn-
liche Art zu eſſen, iſt aber folgende. Auf der Erde ſind ver-
ſchiedne Teppiche ausgebreitet, und in die Mitte wird eine lan-
ge Tafel geſetzt, welche nur eine Spanne hoch von der Erde
und 1½ Elle breit iſt, und mit keinem Tiſchtuche oder ſonſt
etwas bedeckt wird. Verſchiedene große Schuͤſſeln mit Pilau
oder dickgekochtem Reis ſtehen auf derſelben vertheilt, und in
der Mitte wird ein ganzer, großer, gekochter Hammel aufgeſetzt,
der in ſeinem Wanſt eine Fuͤlle von einer andern Art Pilau
hat. Ueberſteigt die Anzahl der Gaͤſte dreißig Perſonen, ſo wird
mehr als ein Hammel aufgetragen. Viele kleine Schuͤſſeln
mit gekochtem Gemuͤſe und auf mancherlei Art zugerichtetem
Fleiſche, und Naͤpfe voll geronnener ſaurer Milch werden zwi-
ſchen dem Hauptgerichte eingeſchoben. Duͤnne und ziemlich
ſchlecht gebackene Kuchen vertreten die Stelle des Brodes. Ei-
nige beinerne oder hoͤlzerne Loͤffel machen das ganze Tiſchge-
raͤth aus. Iſt nun das Eſſen aufgetragen, ſo waſchen ſich Alle
ſorgfaͤltig die Haͤnde, legen die Fußbekleidung ab, und ſtellen
ſich vor die Tafel. Der Wirth thut ein Gebet an Gott, die
Uebrigen desgleichen, und dann laſſen ſich alle, mit kreuzweis
untergeſchlagenen Fuͤßen, auf die Teppiche nieder. Einer der
Diener breitet ein großes Tiſchtuch uͤber die Kniee von Allen,
und das Eſſen beginnt. Obgleich Loͤffel auf der Tafel liegen,
4
[50] bedienen ſie ſich doch derſelben wenig, ſondern fahren ohne Um-
ſtaͤnde mit der Hand in den Pilau, nehmen ſo viel ſie in die
hohle Hand faſſen koͤnnen, machen einen Kloß daraus und eſ-
ſen ſo, indem ſie bald von dieſem bald von jenem Gerichte et-
was zumiſchen.


Waſſer iſt neben der Milch das gewoͤhnliche Getraͤnk, wel-
ches von den aufwartenden Dienern gefordert, und aus irde-
nen Trinkgefaͤßen oder aus Kokosnuͤſſen, ſelten aus Glaͤſern,
getrunken wird.


Die bei der Tafel zugebrachte Zeit iſt ſehr kurz. Alle
ſtehen zugleich auf, danken Gott, waſchen ſich wieder mit glei-
cher Sorgfalt die Haͤnde und den Mund, und nehmen an ei-
ner andern Tafel Platz, welche mit Fruͤchten und ſuͤßen Sachen
beſetzt iſt. Nachdem ſie davon etwas Weniges genoſſen haben,
wird die Tafel weggenommen und ohne von ihren Plaͤtzen auf-
zuſtehen, trinken ſie Caffee, rauchen Tabak, und bleiben lange
bei einander ſitzen. Unterdeſſen gehen die Leute des Hausherrn
und nach ihnen die Jungen an der erſten Tafel zu Tiſche, ſich
an dem, was darauf geblieben iſt, zu ſaͤttigen, und zuletzt wer-
den die Ueberbleibſel der erſten und zweiten Tafel in die gehei-
men Zimmer der Damen getragen. —


Die wenigen Ausnahmen, welchen man in dieſer oͤſtlichen
Aermlichkeit begegnet, ſind von der unerfreulichſten Art, ſo z. B.
das garſtige Freſſen auf Malabar, wo, nach Große, als
Maaßſtab eines ſolennen Gaſtmahls die Anzahl der Gaͤſte gilt,
welche dabei zerplatzten.


Griechenland iſt noch in ſeiner Regeneration begriffen und
es duͤrfte wohl nicht lange mehr dauern, bis ein cultivirteres
Eſſen die zu hoffende Civiliſation uͤberhaupt als Vorlaͤufer
verkuͤndete. Gegenwaͤrtig aber findet der Eßkuͤnſtler ſeine
Rechnung dort nicht. Bock- und Hammelfleiſch, Huͤhner,
Reis und Carutzen (kleine Kuͤrbiſſe) bekommt man bald ſatt.
Feigen, Trauben, Granaten, Orangen und Aepfel findet man
[51] blos zur beſtimmten Jahreszeit. Kirſchen, Pflaumen und Bir-
nen ſelten; Himbeeren, Johannis- und Stachelbeeren niemals.


Dieſen Mangel an ſoliden Subſtanzen ſucht die Griechiſche
(und die Tuͤrkiſche) Kochkunſt durch formale Ueberladung,
Ueberpfefferung und Ueberfettung zu maskiren. Es iſt dieſelbe
Pauvretaͤt wie bei den Kartoffelmahlzeiten, wo die verſchieden-
ſten Gerichte eben doch nur aus Kartoffeln beſtehen. So
kommt Reis ſechsmal verſchieden, bald als Pilau, bald in
Weinblaͤttern, bald gebacken ꝛc., das Hammelfleiſch bald mit wei-
ßer, bald mit brauner Tunke, alſo daſſelbe immer wieder unter
anderer Zurichtung vor, wie die Crescentos Roſſini’s. Sel-
ten ſieht man ein großes derbes Stuͤck auf der Tafel, Alles iſt
klein zerſtuͤckelt und ſehr weich, weil man meiſtens ohne Meſſer
und Gabel ißt.


Daß Oel die Stelle der Butter vertritt, will ich um ſo we-
niger tadeln, als ich ſelbſt z. B. einen in Oel, ſtatt in Schmalz,
gebackenen Fiſch viel ſchmackhafter finde, wenn nur uͤberhaupt
nicht Alles ſo fett zubereitet wuͤrde. Doch gehoͤrt das nun ein-
mal zu jener Ueberkleiſterung. Was Lord Byron von Kreta
ſagt, gilt von ganz Griechenland:


„— Rind iſt rar auf dieſen ochſenloſen Inſeln.

Bockfleiſch und Zicklein, Schoͤps iſt uͤblich dort;

Und kommt ein Feiertag einmal, ſofort

Laͤßt man ein Stuͤck an rohen Spießen brinſeln,

Doch dieß geſchieht zuweilen nur, hoͤchſt ſelten.“

Faſt eben ſo ſieht es in Conſtantinopel aus. Von Fleiſch
ißt man meiſtens Hammel und Lamm, gekocht oder gebraten,
und zwar ſo weich, daß man es mit den Fingern zerreißen
kann, da Meſſer und Gabeln ungebraͤuchlich ſind, — wenig
Wildpret, Voͤgel (namentlich gemaͤſtete junge Kraniche), Fiſche
und Cruſtazeen; dafuͤr aber Caviar und Kaͤſe. Aus dem Pflan-
zenreiche: Kuͤrbiſſe, Coloquinten, Malven, Lattich, Orangen,
Waſſermelonen, Feigen, Weintrauben, Reis, Backwerk, einge-
4*
[52] machtes Obſt; zum Getraͤnke: Waſſer, Caffee und zuweilen
Scherbet (ausgepreßte Weinbeeren in Waſſer mazerirt).


Taͤglich wird nur einmal und blos zur duͤrftigen Saͤtti-
gung gegeſſen. Zwiſchen Vornehmen und Gemeinen iſt hin-
ſichtlich der Nahrung ſehr wenig Unterſchied.


Welch’ elendes Eſſen! Was iſt aber auch aus der Tuͤrkei
geworden! Moͤchte der reformirende Mahmud auch dieſem
wichtigen Zweige ſeine Aufmerkſamkeit zuwenden, wie er fuͤr
ſeine Perſon bereits in Beziehung auf den Champagner gethan.
Auch Meſſer und Gabel ſoll der hochſtehende Reformer, wenig-
ſtens in ſeiner naͤchſten Umgebung, ſchon eingefuͤhrt haben.


Es iſt nicht unerſprießlich, einen Augenblick bei der Refle-
xion zu verweilen, — nicht bei der, daß die Tuͤrken vorwaͤrts
und wir ruͤckwaͤrts ſollen; denn das fuͤhrt zu nichts, ſondern
bei der: — welche ruͤckwirkende Kraft die Eßkunſt auf die
Kochkunſt ausuͤbt. Oder iſt es gleichgiltig, daß man das
Fleiſch zu einer eben ſo geſchmack- als kraftloſen Weichheit uͤber-
kocht und uͤberbratet, blos um es, in Ermangelung der fuͤr die
Eßkunſt unſaͤglich wichtigen Meſſer und Gabeln, mit den Fin-
gern zerreißen zu koͤnnen?


Auch darauf mag hingedeutet ſein, daß die Tuͤrken ſich
keiner Zahnbuͤrſten bedienen, die ja aus den Borſten des ver-
haßten Schweins zuſammengeſetzt ſind, und deßhalb und in
Folge des ſchlechten Eſſens mit 45 Jahren meiſtens keine oder
doch ganz verdorbene Zaͤhne haben. Ein ausuͤbender Eßkuͤnſt-
ler aber ohne gute Zaͤhne iſt ein Raffael ohne Haͤnde.


Ich beruͤhre nun andere mehr außereuropaͤiſche Verhaͤlt-
niſſe nur kurz. Was laͤßt ſich auch von dem Seehunds- und
Wallfiſchthran zu Kamczatka, von den Fledermaͤuſen zu Ti-
mor, von den wilden Hunden und faulen Fiſchen zu Groͤnland
viel ſagen? Faſt iſt’s beſſer, ganz davon zu ſchweigen. Eſſen
doch die Kalmuͤcken ſogar etwas, das ich nur mit dem geburts-
[53] hilflichen (nicht culinariſchen) lateiniſchen Terminus „Placenta“
zu bezeichnen wage.


Zur augenfaͤlligen Beſtaͤtigung des ſchon von Herrn von
Rumohr
ausgeſprochnen Satzes: daß der Menſch iſt wie er
ißt, nenne ich nur noch die Oſtjacken, die nicht einmal eine be-
ſtimmte Zeit zum Eſſen haben, ſondern ſich, je nachdem dieſer
oder jener gerade Hunger, oder was zu eſſen hat, an dem im-
mer in der Mitte der Huͤtte brennenden Feuer kochen oder bra-
ten. Doch freſſen ſie ihre Fiſche, oder noch lieber deren Fett
allein, auch haͤufig roh. Eben ſo: Hirn, Herz, Lunge, Leber
und das Mark des erlegten Wildprets. Ihren Goͤtterbildern
ſchmieren ſie das Maul mit Fiſchfett.


Ueber die Menſchenfreſſer ſage ich gar nichts. Wer recht
deutlich hieruͤber, namentlich wie ſehr man ſich vor ihnen
fuͤrchten koͤnnte, berichtet ſein will, leſe die beruͤhmte Braſilia-
niſche Reiſe von Spix und Martius. Auch die Thon- und
Erdeneſſer, ſo wie die Betelkauer verſchiedener Nationen ver-
dienen keine naͤhere Erwaͤhnung.


Von Afrika erwaͤhne ich nur, und zwar kurz, die civiliſirte-
ren ſuͤdlichſten und noͤrdlichſten Punkte. Entdeckungsreiſen in’s
Innere von Afrika ſind bekanntlich ſehr mißlich, und wuͤrden
uns auch zu geringe Reſultate gewaͤhren.


In Oran ißt man haͤufig Omelettes von Straußeneiern,
und die Loͤwen und Schakalsbraten finden viele Liebhaber. Da-
gegen ſollen gebratene Affen ein ganz abſonderliches Bild dar-
bieten, und indem ſie an einen heiligen Laurentius, Bartholo-
maͤus
und andere ſchauderhaft entſtellte Maͤrtyrer erinnern, fuͤr
feinere Geſchmaͤcke ſehr viel Abſtoßendes haben.


Die wohlhabenderen Coloniſten am Cap, beſonders die
Hollaͤndiſchen, zeichnen ſich mehr durch die Frequenz ihrer
Mahlzeiten, deren ſie nicht weniger als ſieben taͤglich zu halten
pflegen, als durch irgend welche Beſonderheiten der Speiſen
oder des Eſſens aus. Morgens um ſechs Uhr wird Caffee mit
[54] Backwerk genommen, welches mit Recht eigentlich fuͤr nichts ge-
rechnet wird. Um neun Uhr kommt das wirkliche Fruͤhſtuͤck, wel-
ches aus Eiern, Fiſchen, Zungen, Wildpretkeulen und vortreff-
lichem Thee beſteht. — Dieſer Thee mag aber ſo vortrefflich
ſein, als immer moͤglich, ſo paßt er nicht zu dem Uebrigen. —
Um eilf Uhr folgt ein ſogenanntes Tiffin oder Gabelfruͤhſtuͤck,
welches die Mitte haͤlt zwiſchen dem eigentlichen Fruͤhſtuͤck und
dem Mittageſſen. Dieſes findet um zwei Uhr ſtatt und beſteht
aus einer Menge der mannigfaltigſten Gerichte. Gegen drei Uhr
wird Caffee mit trefflichem Gebaͤck gegeben, um ſechs Uhr verſam-
melt ſich die Familie zum Thee, und um neun Uhr beſchließt ein
reichliches Abendeſſen aus warmen Speiſen das muͤhſelige Ta-
gewerk.


Wieder noͤrdlich ſpringend gedenke ich nur noch der, Ma-
deira erzeugenden, Canariſchen Inſeln. Unzweckmaͤßig fuͤr die-
ſe heiße Gegend wird da um zwoͤlf Uhr zu Mittag gegeſſen; paſ-
ſend iſt’s dagegen, daß man, um Stoͤrungen zu verhuͤten, alle
Thuͤren nach der Straße zu bis um drei Uhr Nachmittags ſchließt.


In vornehmen Haͤuſern beſteht die erſte Schuͤſſel in einer
Suppe von Rindfleiſch, Hammelfleiſch, Schweinfleiſch, Speck,
Karotten, Ruͤben, Kartoffeln, Erbſen, Zwiebeln und Safran,
welches Alles zuſammengekocht, und wenn es in die Schuͤſſel
gegoſſen wird, mit duͤnnen Brodſchnitten vermehrt wird. Das
zweite Gericht bilden Braten ꝛc. Das dritte iſt das Olio,
oder die Ingredienzen, aus denen die Suppe gemacht war. —
Den Beſchluß macht das Deſſert, das aus Konfekt und Fruͤch-
ten beſteht. Wein, pur und mit Waſſer vermiſcht, iſt das Ge-
traͤnke bei Tiſch, ſobald aber das Tiſchtuch weggenommen iſt,
trinkt man keinen Wein mehr. Die ausgebrachten Geſundhei-
ten ſind: Ihre Geſundheit, mein Herr oder Madame! — und
die Antwort: „Ich wuͤnſche Ihnen tauſend Jahre zu leben“
oder: „Wohl bekomme es Ihnen!“ —


Gleich nach dem Eſſen ſetzt man eine große maſſiv ſilberne,
[55] mit Waſſer gefuͤllte, Schuͤſſel auf den Tiſch, worein die ganze
Geſellſchaft ihre Haͤnde auf einmal ſteckt und waͤſcht. Wenn
dieß geſchehen, ſpricht ein Diener, der an dem andern Ende des
Tiſches ſteht, folgendes Gebet: „Hochgelobt und geprieſen ſei das
allerheiligſte Sacrament des Altars und die klare und reine
Empfaͤngniß der allerheiligſten Jungfrau, in Gnaden empfan-
gen von dem erſten Augenblick ihrer natuͤrlichen Exiſtenz. Mei-
ne Damen und Herrn, wohl bekomme es Ihnen!“ — Hierauf
macht er einen tiefen Buͤckling, und jeder entfernt ſich, um die
Sieſte zu halten. Wenn Leute von Stand ein Traktament ge-
ben, ſo iſt allemal ein Moͤnch dabei, der gewoͤhnlich der Beicht-
vater des Hauſes iſt. Bei Morgen- und Abendbeſuchen praͤ-
ſentirt man Chokolade und Backwerk, an Sommerabenden aber
Gefrornes. Zwiſchen acht und neun Uhr wird die Abendmahlzeit
gehalten und dann legt man ſich zu Bette.


Doch es iſt Zeit, im civiliſirten Europa zu landen. —
Was Goethe uͤber Sizilien berichtet, ſticht ſtark gegen den alten
„Sizilianiſchen Luxus“ ab. In der Herberge zu Caltaniſetta
war gar keine Gelegenheit zum Kochen. Mit Muͤhe erlangten
die Reiſenden von einem Buͤrger Herd und Holz, Kuͤchen- und
Tiſchgeraͤthe. Sie ſelbſt kauften eine Henne und der Vetturino
holte Reis, Salz und Spezereien. In Catania fanden ſie
zwar eine Henne in Reis gekocht, die aber durch unmaͤßigen
Safranzuſatz kaum genießbar war. Der Vetturino aß mit groͤß-
tem Appetit rohe Artiſchocken und Kohlrabi. Doch fand Goethe
die Gartenfruͤchte herrlich, beſonders den Salat von Zartheit
und Geſchmack wie eine Milch, Oel und Wein gut, Fiſche die
beſten und zarteſten, ſogar bis Palermo ſehr gutes Rind-
fleiſch.


Neapel bietet mehr Ausbeute. Winckelmann aͤußert ſich
mit Entzuͤcken uͤber den zarten Blumenkohl von zwei Spannen
im Durchmeſſer (ſein Lieblingsgericht) und die koͤſtliche Lagri-
ma Christi,
und es bekam ihm ſehr wohl. Er ſchreibt: das
[56] Geruͤcht, als ob ich krank ſei, iſt dermaßen falſch, daß ich mich
niemals beſſer befunden habe, und da mich mein Schneider nach
meiner Ruͤckkehr von Neapel ausmaß, fand ſich ein Unterſchied
von zwei Finger breit im Umkreiſe. Auch Goethe gedenkt mit
freudigem Lobe des Neapolitaniſchen Blumenkohls, Kohls,
Salats, der Broccoli und Artiſchocken. Ich fuͤhre nur folgen-
de Stelle aus deſſen Italieniſcher Reiſe hier an:


„Es iſt keine Jahreszeit, wo man ſich nicht uͤberall von
Eßwaaren umgeben ſaͤhe, und der Neapolitaner freut ſich nicht
allein des Eſſens, ſondern er will auch, daß die Waare zum
Verkauf ſchoͤn aufgeputzt ſei. — Bei Santa Lucia ſind die
Fiſche nach ihren Gattungen meiſt in reinlichen und artigen
Koͤrben. Krebſe, Auſtern, Scheiden, kleine Muſcheln, jedes be-
ſonders aufgetiſcht und mit gruͤnen Blaͤttern unterlegt. Die
Laͤden von getrocknetem Obſt und Huͤlſenfruͤchten ſind auf das
Mannigfaltigſte herausgeputzt. Die ausgebreiteten Pomeran-
zen und Citronen von allen Sorten, mit dazwiſchen hervorſte-
hendem gruͤnen Laub, dem Auge ſehr erfreulich. Aber nirgends
putzen ſie mehr als bei den Fleiſchwaaren, nach welchen das
Auge des Volkes beſonders luͤſtern gerichtet iſt, weil der Appe-
tit durch periodiſches Entbehren nur mehr gereizt wird.


In den Fleiſchbaͤnken haͤngen die Theile der Ochſen, Kaͤl-
ber, Schoͤpſe niemals aus, ohne daß neben dem Fett zugleich
die Seite oder die Keule ſtark vergoldet ſei. Es ſind verſchiedene
Tage im Jahr, beſonders die Weihnachtsfeiertage, als Schmaus-
feſte beruͤhmt; alsdann feiert man eine allgemeine Cocagna,
wozu ſich 500,000 Menſchen das Wort gegeben haben. Dann
iſt aber auch die Straße Toledo und neben ihr mehrere Stra-
ßen und Plaͤtze auf das Appetitlichſte verziert. Die Boutiquen,
wo gruͤne Sachen verkauft werden, wo Roſinen, Melonen und
Feigen aufgeſetzt ſind, erfreuen das Auge auf das Allerange-
nehmſte. Die Eßwaaren haͤngen in Guirlanden uͤber die Stra-
ßen hinuͤber; große Paternoſter von vergoldeten, mit rothen
[57] Baͤndern geſchnuͤrten Wuͤrſten; welche Haͤhne, welche alle eine
rothe Fahne unter dem Buͤrzel ſtecken haben. Man verſicherte,
daß deren 30,000 verkauft worden, ohne die zu rechnen, welche
die Leute im Hauſe gemaͤſtet hatten. Außer dieſem werden
noch eine Menge Eſel mit gruͤner Waare, Kapaunen und jun-
gen Laͤmmern beladen durch die Stadt und uͤber den Markt
getrieben und die Haufen Eier, welche man hier und da ſieht,
ſind ſo groß, daß man ſich ihrer niemals ſo viel beiſammen ge-
dacht hat. Und nicht genug, daß alles dieſes verzehrt wird:
alle Jahre reitet ein Polizeidiener mit einem Trompeter durch
die Stadt, und verkuͤndigt auf allen Plaͤtzen und Kreuzwegen,
wie viel tauſend Ochſen, Kaͤlber, Laͤmmer, Schweine ꝛc. der
Neapolitaner verzehrt habe. Das Volk hoͤrt aufmerkſam zu,
freut ſich unmaͤßig uͤber die großen Zahlen und jeder erinnert
ſich des Antheils an dieſem Genuſſe mit Vergnuͤgen.


Was die Mehl- und Milchſpeiſen betrifft, welche unſere
Koͤchinnen ſo mannichfaltig zu bereiten wiſſen, iſt fuͤr jenes
Volk, das ſich in dergleichen Dingen gern kurz faßt und keine
wohleingerichtete Kuͤche hat, doppelt geſorgt. Die Maccaroni,
ein zarter ſtark durchgearbeiteter, gekochter, in gewiſſe Geſtalten
gepreßter Teig von feinem Mehle, ſind von allen Sorten uͤber-
all um ein Geringes zu haben. Sie werden meiſtens nur im
Waſſer gekocht und der geriebene Kaͤſe ſchmaͤlzt und wuͤrzt zu-
gleich die Schuͤſſel. Faſt an der Ecke jeder großen Straße ſind
die Backwerksverfertiger mit ihren Pfannen voll ſiedenden Oels,
beſonders an Feſttagen, beſchaͤftigt, Fiſche und Backwerk einem
jeden nach ſeinem Verlangen ſogleich zu bereiten. Dieſe Leute
haben einen unglaublichen Abgang, und viele tauſend Menſchen
tragen ihr Mittag- und Abendeſſen von da auf einem Stuͤck-
chen Papier davon.“


Tiſchbein ſchreibt ganz daſſelbe. Hackert lobt beſonders
ſeinen hohen Goͤnner, den Koͤnig von Neapel, als ſehr ge-
ſchmackvollen und denkenden Eßkuͤnſtler. Der Koͤnig ließ Au-
[58] ſtern aus Taranto zur See in Behaͤltern kommen und ver-
mehrte ſie in dem See Fuſaro, der von Alters her durch einen
Canal Zuſammenhang mit dem See hat und deßwegen Salz-
waſſer iſt, mit dem gluͤcklichſten Erfolg. In den Monaten, wo
kein r iſt, als vom Mai an bis September, durfte keine Auſter
angeruͤhrt werden, weil ſie ſich in den heißen Monaten vermeh-
ren. Die Lieblingsſpeiſe des Koͤnigs, kleine Wuͤrſte von Schne-
pfen mit Schweinfleiſch vermiſcht zu einem guten Glas Bur-
gunder, der vortreffliche mit Faſanen gekochte Reis, die Combi-
nation von Sauerkraut und Faſan, die Behandlung des delica-
ten Schwertfiſches und Anderes, welches in Hackert’s Leben
nachzuleſen Niemand gereuen wird, verdient alle Achtung, —
der Wildſchweine, rothen Rebhuͤhner, wilden Enten ꝛc. gar nicht
zu gedenken.


Nach dieſen Berichten iſt vom Kirchenſtaat und Rom kaum
etwas zu ſagen. Winckelmann ſchreibt klagend: „Die Luft
in Rom erfordert und befiehlt, ſehr maͤßig zu ſein und dieſes
wird verdrießlich und zur Laſt. — Ich werde mit Caſanova
das Ufer des adriatiſchen Meeres bis Urbino beſtreichen, um
uns mit Kapaunen, das Paar zu einem Paolo, zu maͤſten.
Eine herrliche Ausſicht in’s Leben!“


Ich kann mir es nicht verſagen, wie in der erſten Vorle-
ſung, ſo auch hier ein Tagbuchfragment mitzutheilen:


— Mit tiefbewegtem Gemuͤthe betrat ich in Venedig zuerſt
Italieniſches Gebiet. Welche Erinnerungen wurden in mir
wach!


Ich war auf die drei bekannten Venetianiſchen Leiden:
ſchlechtes Brod, ſchlechten Wein und ſchlechten Caffee — gefaßt.
Ich brannte aber vor Verlangen, die Italieniſche Kaͤſe- und
Knoblauchkocherei, von der ich ſchon ſo viel gehoͤrt hatte, per-
ſoͤnlich kennen zu lernen. Gefliſſentlich hatte ich mich in einen
Gaſthof zweiten Ranges (luna) bringen laſſen, von dem ich ge-
hoͤrt, daß die Nationaleigenthuͤmlichkeit der Kochkunſt noch
[59] mehr in ihrer Reinheit beſtehe, waͤhrend ſie in Regina d’Inghil-
terra, gran Brittania, gran Parigi
und Scudo di Francia
mehr angliſirt und franzoͤſirt, ihren ſpezifiſchen Charakter gro-
ßentheils verloren haben ſoll. Leider war es noch viel zu fruͤhe
zum Mittageſſen. Ein Gang uͤber den Markusplatz fuͤllte die
Zwiſchenzeit anmuthig aus. Es war noch wenig lebendig, doch
brachte das froſchartige Acqua-Geſchrei der Waſſertraͤger, die
Knaben, welche gebratene Kuͤrbiſſe und Melonen, Mais- und
Cacaobohnen ausriefen, beſonders und vor Allem aber die huͤb-
ſchen Maͤdchen und Frauen mit bunten Blumen in den ſchwar-
zen Haaren, die eben ſo blumengeſchmuͤckte Wuͤrſte und Schin-
ken feil boten, viel Freundliches in das Ganze. Ich konnte
nicht umhin, mir eine ſolche Wurſt zu verſchaffen, aus der mich
dann der erwartete Knoblauch begruͤßend anduftete.


Als ich in mein Gaſthaus zuruͤckkam, war die Tafel ge-
deckt. Einen ſehr guͤnſtigen Eindruck machte die fuͤr mich hin-
geſtellte, ſtatt mit einem proſaiſchen Korkſtoͤpſel, mit einem zier-
lich gefalteten Weinblatt verſchloſſene Weinflaſche. Heiter und
frei ſtimmten auch die offnen Fenſter. Als aber die (Kraͤuter-)
Suppe gebracht wurde, machte ſich der Knoblauch mit noch zu
ungewohnter Fremdartigkeit ſtoͤrend geltend. Vergebens rief
ich mir die Lobeserhebungen in’s Gedaͤchtniß, mit welchen Hip-
pokrates, Ariſtoteles, Galen, Dioscorides, Plinius

und Conſtantinus Caeſar die fuͤrtrefflichen Tugenden deſſel-
ben preißen, wie Avicenna ihn beſonders Reiſenden empfiehlt,
wie Aemilius Macer ihn ſogar durch Verſe feierte. Es
wollte die Verſicherung deſſelben Macer und eine Stelle Vir-
gil
’s, daß ſelbſt Schlangen und anderes giftiges Gewuͤrm die-
ſem penetranten Geruche ausweichen, nicht verfangen. Auch
das Beiſpiel des Philoſophen Stilpon, der auch Knoblauch
gegeſſen und trotz dem den Tempel der Mutter der Goͤtter be-
ſuchte, in welchen jedem, der Knoblauch genoſſen, der Eintritt
ſtrenge verboten war, eben ſo wie das des großen Arztes und
[60] Hypochondriſten Zimmermann, welcher ſelbſt Teufelsdreck
mit wahrer Wolluſt kaute, wie er verſichert, war nicht im
Stande, mich zu troͤſten und zu ermuntern. Da ich weder an
Zahnſchmerzen, noch am Stein, noch an Wuͤrmern litt, fruch-
teten auch des Borellus, Felix Plater, Riverius, Hoff-
mann’s, Zuͤckert
’s und anderer beruͤhmten Aerzte Empfeh-
lungen dieſes dagegen bewaͤhrten Mittels nicht das Mindeſte.
Ich wußte zwar, daß zur Beſeitigung des ſonderbaren Geruches
Menander eine in gluͤhender Aſche gebratene Betaruͤbe, Hie-
ronymus Trogus
Raute, und Aemilius Macer die Ze-
doaria dazu zu eſſen rathen; das Traurigſte war aber, daß der
beruͤhmte Gratarolus ausdruͤcklich verlangt, der Knoblauch
muͤſſe gekocht verſpeiſet werden. Das war gerade mein Un-
gluͤck; denn kalt unter der Cervelatwurſt hatte er viel weniger
Ueberwindung gekoſtet. Am meiſten encouragirte die Reminis-
cenz an die zarten Damen des Boccaccio, welche auch Lu-
pinen und Knoblauch zu ſpeiſen pflegten, und ſo gelang es
endlich, da ich mir nun einmal feſt vorgenommen hatte, alle
Schwierigkeiten zu uͤberwinden. Das folgende Rindfleiſch war
ſo gut, als gekochtes Rindfleiſch uͤberhaupt zu ſein vermag;
von ausgezeichneter Zartheit aber zeigte ſich gedaͤmpftes Lamm-
fleiſch, welches mit Broccoli gegeben wurde. Zwar kuͤndigte
eine Kalbscotelette nur zu deutlich ihre innige Vermaͤhlung
und Saͤttigung mit Knoblauch an, der beigemiſchte Sardellen-
geſchmack uͤberwog jedoch ſo bedeutend, daß ſie ohne ſonderliche
Schwierigkeit zu genießen war.


Nun folgte ein ſonderbar und abenteuerlich geſtalteter brei-
ter Fiſch mit gehackten Sardellen gefuͤllt und in Oel gebraten,
der mir zwar wohlſchmeckte, wobei jedoch die Unwiſſenſchaftlich-
keit, mit der ich ihn aß, da mir deſſen ſyſtematiſcher Name
gaͤnzlich unbekannt war, einigermaßen ſtoͤrend einwirkte. Freude
machte es dagegen, in einem demnaͤchſt und zwar in ſeiner
Schale ſervirten Mollusken die Pilgermuſchel (Pecten Jaco-
[61] baeus
) zu erkennen. Sie war ebenfalls in Oel gebraten und
von ſehr feinem Wohlgeſchmack. Eine halbe Citrone wurde
dazu gegeben. Ganz zweckmaͤßig fand ich es, daß die nachſol-
gende Taube mit dem Kopf aufgetragen wurde. In Deutſch-
land wird dieſer leider gewoͤhnlich beſeitigt, wodurch das deli-
cate Hirn verloren geht.


Ueberaus ſchmackhaft erwies ſich eine Melone; ein mit ge-
riebenem Parmeſankaͤſe verſetztes Reisgebaͤcke behagte weniger.
In Oel gebackene Pfirſchenkuͤchlein gewaͤhrten dagegen eine ſehr
angenehme Ueberraſchung, obſchon die friſchen Pfirſchen, ſo wie
friſche Feigen, fuͤr ſich und in Wein getaucht, beſſer behagten.
Ich haͤtte nicht gedacht, wie ſchoͤn dieſe, ſo wie Pfirſchen und
Aepfel zu Parmeſankaͤſe harmoniren. Durch ſeine Fremdartig-
keit ſowohl, als den uͤberaus anmuthigen weinſaͤuerlichen kuͤhlen-
den Geſchmack und die ſtrahlende ſchoͤn ſcharlachrothe Farbe
machte ein Granatapfel bedeutenden, unvergeßlichen Eindruck.
Ueber alle Beſchreibung erhaben aber ſchmeckte ein Schinken-
ſchnitz mit einer friſchen Feige zugleich genoſſen.


Damit ſchloß ich mein Mittageſſen, abſichtlich ohne Caffee
nachzutrinken. Zwar vermißte ich das eigentlich Italieniſche
Voreſſen eben ſowohl, als einen eigentlichen Hauptconcentra-
tionspunkt in der Anordnung, doch war ich im Ganzen und
Einzelnen ſehr wohl zufrieden. Nach Erledigung anderweiti-
ger Studien ließ ich mich, verſehen mit einer vortrefflich geraͤu-
cherten Rindszunge, welche ich von Salzburg mitgenommen
hatte, auf die nahe Inſel Lido fahren. Mein Gondolier, der
mich unter der Accademia delle belle arti erwartete, aß zu
einem Stuͤckchen Brod rohe kleine Muſcheln, welche er ſich von
der Mauer abgeleſen hatte. Es ſchien ihm ſehr zu ſchmecken
und er hatte nicht einmal Salz dazu. Bald waren wir auf
Lido. Ein kraͤftiger Oſtwind warf maͤchtig hohe Wellen gegen
das Ufer und lockte zum friſchen Kampfe damit. Welche Luſt,
zum erſten Mal in der gruͤnlich-blaͤulichen Salzfluth des Meeres
[62] zu baden und den gegenſchlagenden Wogen anzukaͤmpfen! Ich
konnte laͤnger als eine Stunde nicht ſatt werden, gegen die
Wellen anzuſtreben, und mich immer auf’s Neue zuruͤckwerfen
zu laſſen.


Welches Wolluſtgefuͤhl durchſtroͤmte alle Glieder nach dem
Baden und welcher unſchaͤtzbare Appetit hatte ſich eingeſtellt!
Mein Gondolier hatte von Porto franco aus fuͤr eine gute
Flaſche Cyprier geſorgt, meine Salzburger Zunge wurde ent-
wickelt und enthuͤllte, in zierliche Scheiben zerſchnitten, ihren
ſchoͤnen Purpur, ein ſaftiger Granatapfel geſellte ſich harmo-
niſch dazu, der azurblaue Himmel laͤchelte hernieder, lieblich
kuͤhlte der Oſtwind, — und ich genoß in paradieſiſcher Un-
ſchuld ein Abendbrod, welches, trotz ſeiner Frugalitaͤt, meinem
Herzen ewig unvergeßlich bleiben wird.


Bei einem etwas laͤngeren Aufenthalte in Italien gewoͤhnt
man ſich ſo ziemlich an den Knoblauch, der fuͤr Italien eben
ſo charakteriſtiſch iſt, als das, freilich etwas uͤbertriebene, Zumi-
ſchen von Kaͤſe an die Speiſen; ja man findet wohl in dem
Knoblauch ſpaͤter eine ſehr reizende Staffage, die nur mit Be-
dacht und Oekonomie angebracht ſein will, um die eigentliche
Landſchaft nicht zu bedecken. Was die Kaͤſebeimiſchungen be-
trifft, ſo werden ſie durch die ſanfte Milde des dazu verwen-
deten Parmigiano ſo gluͤcklich-temperirt, daß ſie um ſo fruͤ-
her ihre anfaͤngliche Fremdartigkeit verlieren. Der ſo eben be-
zeichnete etwas fade Charakter des Parmeſankaͤſes macht es auch
erklaͤrlich, wie er ſich mit Apfel, Pfirſche und Feigen vertraͤgt.
Uebrigens verdienen dieſe Kaͤſebeimiſchungen ſchon als Remi-
niscenzen des Homeriſchen Weinmuſes verſucht zu werden.


Da unſer Weg noch weit iſt, ſei hiermit vom ſchoͤnen Ita-
lien geſchieden!


Ueber das frugale und ſteife Spanien, deſſen Ungluͤck nicht
hierher gehoͤrt, mag es wenig zu ſagen genuͤgen. Hr. von
Rumohr
, welcher das Gaſthaus zum Baͤren in Aranjuez be-
[63] ſonders empfiehlt, hat uͤber den Puchero, die Olla und An-
deres erſchoͤpfend berichtet, und in Vollrath Hoffmann’s
geographiſchen Schriften, in welchen uͤberhaupt unſer Geſichts-
punkt ſehr erfreulich moͤglichſt beachtet iſt, findet man Naͤheres
uͤber den Gazbacho und Guiſado. — Lord Byron begnuͤgt
ſich, Weiber und Orangen von Sevilla zu loben. Aus Al-
lem erhellt, daß es ſich ſo ziemlich noch damit verhaͤlt, wie zur
Zeit von Sancho Panſa’s Statthalterſchaft, und der in Cer-
vantes
„Macht des Blutes“ angedeutete Gegenſatz des Spa-
niſchen Eſſens zum Italieniſchen gilt auch noch heute, und
auch fuͤr Portugal.


In den beſſeren Gaſthaͤuſern der Schweiz an den Haupt-
ſtraßen ißt man ganz wie in Frankreich. Traurig ſieht’s auf
den von Ortſchaften entfernteren Alpen aus. Milch und Kaͤſe,
und Kaͤſe und Milch iſt Alles. Statt des Brodes dient mage-
rerer Kaͤſe, der zu Fetterem gegeſſen wird. Dabei hat man das
Vergnuͤgen, Milchſuppen und Molken aus hoͤlzernen Gelten und
zwar mit hoͤlzernen runden Loͤffeln zu eſſen, deren Durchmeſſer
ſo koloſſal iſt, daß, wer einen civiliſirten Mund und kein helve-
tiſches Maul hat, ſie kaum an Ort und Stelle fuͤhren kann.
Ich ſelbſt erfuhr dieß Alles auf der Alpe Croix rouge, nicht
ſehr weit von Bex, wohin ich zur Erforſchung dieſer National-
eigenthuͤmlichkeiten eigens einen Abſtecher machte. Und nun in
Beziehung auf die Schweiz nur noch einen guten Rath. Ich
kam durch Genf zuerſt dahin. Wie ich, als großer Kaͤſelieb-
haber, ſehnlichſt erwartete, kam zum Deſſert ein Kaͤſe,
von Geburt ein Emmenthaler und mittleren Alters, deſſen
Wohlgeſchmack, — eine ſpezifiſche pikante Schaͤrfe mit beſchwich-
tigender milchigter Milde auf das Zarteſte vereint, — mich ent-
zuͤckte. In der ungluͤckſeligen Vorausſetzung, dergleichen faͤnde
ſich von nun an allenthalben, aß ich, mit ſtoiſcher Zuruͤckhal-
tung, ſo wenig als moͤglich, in der Abſicht, dieſen Hochgenuß
nicht gleich von vornherein zu erſchoͤpfen. Furchtbare Taͤu-
[64] ſchung! Am andern Tag mußte ich abreiſen, ohne Ausſicht
zur Wiederkehr. Ich durchzog die Schweiz nach allen Rich-
tungen, fragend und forſchend; — niemals wieder fand ich mei-
nem Urbilde nur entfernt Aehnliches. Wie der Dichter Ernſt
Wagner
mit unvergeßlicher Sehnſucht noch im Mannesalter
einer einzigen uͤberreifen Birne gedenkt, die er als Knabe hoch
in den Zweigen des Baumes ſich ſchauckelnd, gegeſſen, und
dergleichen unbeſchreiblichen Wohlgeſchmack er nie wieder fand,
ſo ging es mir mit dem in Genf genoſſenen Emmenthaler.


„Doch den entfloh’nen Augenblick

Bringt keine Reu’, kein Gram zuruͤck.“

Wie fuͤr die ſchoͤnen Kuͤnſte und die Lebenskunſt, ſo gilt auch
fuͤr die Eßluſt das Erfaſſen des Momentes, das Feſthalten
gluͤcklicher Aperçus.


Frankreich wird in Beziehung auf Koch- und Eßkunſt be-
ſonders von Englaͤndern und Deutſchen auf das Schiefſte beur-
theilt. Geſchieht dieß von Englaͤndern, ſo hat es ſeinen guten
Grund. Was aber berechtigt denn die Deutſchen, dasjenige
zu tadeln, was ſie gleichwohl ſo eifrig befliſſen ſind, auf das
Genaueſte nachzuahmen?


Der Englaͤnder, bei dem, wie Byron ſagt, die Quanti-
taͤt blos zur Qualitaͤt verdickt iſt, der Englaͤnder hat ſeinen ei-
genthuͤmlich nationalen Styl, ſeine Schule, wenn auch nicht in
der Malerei, doch in der Koch- und Eßkunſt. Er ſchaut von
der edlen, wohlhaͤbigen Simplicitaͤt ſeiner großen kraͤftigen
Roaſtbeefs, Kalbs- und Lammsbraten, ſeiner ausgiebigen
Puddings und maſſenhaften Schildkroͤtenſuppen ſtolz auf die
franzoͤſiſchen Froſchſchenkel und mageren Suppen, auf das
Land herab, wo Kopfſalat als ein eigentliches Gericht fuͤr ſich
gilt. Trotz alledem aber ſagt, wie ſchon Lichtenberg bemerkt,
ein Franzoͤſiſcher Koch bei der großen Welt in London ſehr
viel und faſt ſo viel als die große Welt ſelbſt.


[65]

Deutſchland aber quaͤnkelt und klatſcht uͤber die Franzoͤſi-
ſche Kuͤche, waͤhrend es gar keinen beſtimmt ausgepraͤgten Styl,
keine Nationalſpeiſen hat. Oder wollen wohl gar die Oeſter-
reichiſchen Knoͤdel und Strudel, die Baieriſchen Dampfnudeln
und Bauchſtecherl, die Wuͤrtemberger Spaͤtzle und Knoͤpfle, die
Saͤchſiſchen ſuͤßſauren Wuͤrſte mit Mandeln und Roſinen, die
Teltower Ruͤben oder die Pommeriſchen geraͤucherten Spick-
gaͤnſe ſich erkuͤhnen, darauf Anſpruͤche geltend zu machen?


Man leſe im „Geiſt der Kochkunſt“ was wir der Franzoͤ-
ſiſchen Kuͤche verdanken, und verſtumme.


Es waͤre thoͤrigt, gegen das Nachahmen uͤberhaupt zu ei-
fern. Warum ſollte man das als gut Erkannte ſich nicht an-
eignen? Aber man thue es mit Bewußtſein und Freiheit!
Iſt’s ja doch gar zu klaͤglich, das Nachgeahmte fuͤr verwerflich
zu erklaͤren und doch es nachzuahmen.


Da ich ſelbſt ein gewiſſes ergiebiges Quantum liebe, ſo
bin ich um ſo weiter entfernt, der Deutſchen und Engliſchen
Nation einen Vorwurf deßhalb zu machen, daß ſie uͤber die
Franzoͤſiſche wegen deren Frugalitaͤt die Achſeln zuckt. Aber das
Franzoͤſiſche Volk iſt nun einmal maͤßig im Eſſen und Trinken,
und wer iſt fuͤr Natureigenheiten verantwortlich? Und haben
ſich denn nicht auch in dieſem Volke begabtere Naturen loszu-
ringen geſucht von dieſer Beſchraͤnktheit? Iſt Frankreich nicht
das Vaterland eines Alexander Balthaſar Laurent Gri-
mod de la Reynière
, des unſterblichen Verfaſſers des, dem
großen Cambacérès gewidmeten, acht Baͤnde ſtarken Alma-
nac des gourmands
und des Manuel des Amphitryons? —
Werke, die in Deutſchland ſo wenig bekannt ſcheinen, daß es
mir, was ich bei dieſen Vorleſungen ſchmerzlichſt zu beklagen
habe, trotz aller erdenklichen Anſtrengungen, nicht gelang, ſie
aufzutreiben.


Tadelt aber der Englaͤnder die Franzoͤſiſche Mannigfaltig-
keit und verfeinerte Vielfaͤltigkeit der Objekte oder gemiſchten
5
[66] Formen, ſo moͤge er wohl bedenken, daß ſeine eigne Weiſe doch
gar zu ſimpel und einerlei iſt, und der Franzoſe ihn, mit dem-
ſelben Recht der Uebertreibung, einen Barbaren nennt, der nichts
von Eßkunſt verſtehe, die uͤberwuͤrzten Schildkroͤtenſuppen und
ſonſtige Suppenloſigkeit, die blutigen Roaſtbeefs, die in Waſ-
ſer gekochten Gemuͤſe und die Rhabarberpaſteten in tiefer Seele
verachtet. Jedenfalls iſt’s auch ſchicklicher, Mund und Finger
mit der Serviette, als mit dem Tiſchtuch abzuwiſchen.


Der Deutſche aber, der im Uebermiſchen und Mengen, in
den ungeeignetſten Compoſitionen ins Grund- und Bodenloſe
geht, und den Franzoſen weit uͤberbietet, ſollte billig ſich be-
ſcheiden, hieruͤber an die eigne Bruſt zu ſchlagen.


Uebrigens darf nicht uͤberſehen werden, daß die Franzoͤſi-
ſche Kuͤche in neuerer Zeit in der Compoſition gar ſehr ſich ver-
einfacht hat. Ich ſelbſt fand in Paris dieſe Vereinfachung der
Compoſition ſehr geſchmackvoll, wobei zugleich die reichſte Man-
nigfaltigkeit und Vielfaͤltigkeit der einzelnen Speiſen, von de-
nen man nach Belieben eſſen konnte, die erfreulichſte Auswahl
bot. Unlogiſcher Weiſe verwechſelt man immer beides.


Abgeſehen nun davon, daß eine detaillirtere Darſtellung
und Kritik der Eßkunſt der drei genannten Nationen, beſon-
ders der Franzoͤſiſchen, mich allein weiter fuͤhrte, als mir fuͤr
alle Vorleſungen zuſammengenommen Raum geſtattet iſt, hat
bereits die heutige Vorleſung ſchon zu viel Zeit weggenommen,
um nicht zu deren Beendigung alsbald einzulenken. Was dem-
nach etwa hier vermißt werden moͤchte, wird daher in den folgen-
den Vortraͤgen ſchicklichen Orts gebuͤhrende Erwaͤhnung finden.


So neigt ſich denn unſere weite Wanderung zum Ziele,
und das Ideal iſt noch immer nicht gefunden. Die noch uͤbri-
gen Europaͤiſchen Nationen haben ſo wenig bezuͤgliches Eigen-
thuͤmliche, daß ein dortiger Fund wohl das Suchen nicht lohnte.
Vielleicht finden wir’s in der neuen Welt? Auf nach Amerika,
in die civiliſirten vereinigten Staaten! Wir kommen gerade
[67] recht, da ſitzt eine ehrenwerthe Familie eben am Mittagsmahl.
Wir erneuern blos eine alte Engliſche Bekanntſchaft; vermiſſen
aber durchaus deren Behaglichkeit, Weile und Eßſinnigkeit. Wie
laͤſtig muß den Dollarmaͤnnern doch dieß Geſchaͤft ſein, mit
welcher haſtigen Verdrießlichkeit ſchlingen und ſchlucken ſie, und
eilen mit der geſchaͤftsſtoͤrenden Pauſe ſo ſchnell als moͤglich fer-
tig zu werden. Es ſind keine fuͤnf Minuten vergangen, und
ſchon ſteht Einer nach dem Andern eilfertig auf, und geht, noch
kaͤuend, ab.


Eilen wir, eben ſo ſchnell wieder nach Deutſchland zuruͤck-
zukommen, und weder die Braſilianiſchen Riemen von, an der
Sonne gedoͤrrtem Buͤffelfleiſch, noch das in Baͤrentalg und Hei-
delbeeren geſottene Hundefleiſch von Labrador ſollen uns zu-
ruͤckhalten.


Moͤge jene Amerikaniſche freudloſe Geldkuͤmmerlichkeit ſich
nicht auch bei uns einniſten und uns ruhigen behaglichen Ge-
nuß am Schoͤnen und Geſchmackvollen vergaͤllen! Wollen wir
doch, ſo viel an uns iſt, dahin wirken, daß es uns und unſeren
Mitbruͤdern auf Erden wieder ſchmeckt und immer beſſer ſchmeckt,
trotz den zum Theil uͤberſtandenen, zum Theil noch druͤckenden
Wirren, Zerriſſenheiten und unvergnuͤglichen Lumpereien und
Dummheiten aller Art! — Da wir ſahen, daß es dergleichen
auf der Welt, und noch viel Laͤſtigeres, giebt, ſchlaͤgt’s um ſo
mehr in’s Fach des ſogenannten Deutſchen Troſtes. Eines
ſchickt ſich nicht fuͤr Alle, und jeder kann ſich’s ſchmecken laſſen,
wenn er’s verſteht, und Andere auch. Fuͤr die geringere Ver-
dauungskraft Vieler ſchickt ſich milde Pflanzenkoſt, Faſtenſpei-
ſen und Aehnliches; einem kraͤftigen Magen gehoͤrt ſein angemeſ-
ſenes Stuͤck Braten.


Wir haben alſo das Ideal nicht gefunden. Es waͤr’ auch
dumm geweſen, es im Ernſt als in Fleiſch und Bein daſeiend
zu ſuchen. Geſcheidt waͤr’s aber, ſich ihm dadurch zu naͤhern,
daß wir das Gute und Geſchmackvolle aller Nationen naͤher zu
5*
[68] ermitteln, das Geeignete zu waͤhlen, zu verbinden, zu veredeln
trachteten. Auch das beim erſten Anblick ungeeignet Scheinende
wollen wir erſt koſten und uns mundgerecht zu machen ſuchen,
ehe wir es verwerfen. Wir wollen nie vergeſſen, daß, je wil-
der, roher, unciviliſirter die Voͤlker ſind, ſie auch um ſo ſchlech-
ter und duͤmmer eſſen, und umgekehrt die civiliſirten menſchlich
hoͤchſtſtehenden Menſchen im gleichem Verhaͤltniſſe zu Eßkuͤnſt-
lern ſich erheben. — Dieß, und die Conſequenzen daraus ſei die
Nutzanwendung!


Ein in ſcientifiſchem Sinne gemachter Ueberblick ergiebt,
daß, wie die ſogenannten geſetzten, reiferen Jahre der, dem
Eßkuͤnſtler vor Allem noͤthigen Sophroſyne zunaͤchſt und zu-
meiſt entſprechen, ja den Eßkuͤnſtler eigentlich erſt bilden, ſo
auch die gemaͤßigteren Zonen der Eßkunſt am foͤrderlichſten ſind.


Weder an den eiskalten, rauhen und unwirthlichen Polen,
noch unter dem heißen Aequator bluͤht die Eßkunſt. Auch das
Klima der Wendezirkel laͤchelt ihr nicht. Im Allgemeinen iſt
daher eine gewiſſe betraͤchtlichere geographiſche Breite und ein
gemaͤßigteres Klima der Eßkunſt am guͤnſtigſten. Dieß, meine
Herrn, nennt man ein wiſſenſchaftliches Reſultat.


[[69]]

Vierte Vorleſung.
Verhältniß der Eßkunſt zu den anderen ſchönen Künſten.


Man hat die Noth die Mutter der Kuͤnſte genannt. Es
iſt dieß wahr und falſch, je nachdem man’s verſteht, wie der-
gleichen in der gelehrten Welt oͤfter vorkommt. Meint man
die ſchoͤnen Kuͤnſte fuͤr ſich als ſolche in ihrer Reinheit und
Vollendung, ſo iſt der Satz nicht wahr. Verſteht man den
Satz aber ſo, daß der Menſch durch ſeine Beduͤrfniſſe,
durch ſeinen Kampf gegen die Außenwelt zu manchen Er-
findungen, Conſtructionen, Fertigkeiten, Bildungen gedraͤngt
wurde, aus denen, gleichſam als aus Vorarbeiten erſt ſe-
cundaͤr, nachdem das Beduͤrfniß befriedigt, die Subſiſtenz
geſichert war, die ſchoͤnen Kuͤnſte ſich entwickeln konnten,
ſo mag weniger dagegen einzuwenden ſein. Mit demſelben
Rechte koͤnnte man dann freilich ſagen, das ABC iſt die Quelle
der Wiſſenſchaften.


Die Indianer haben die zarte Gewohnheit, ihre gefangenen
Feinde baarfuß auf eiſerne Platten zu ſtellen, unter denen ein
angemeſſenes Feuer brennt. Aus Gruͤnden, welche Phyſik und
Phyſiologie nachzuweiſen haben, theilt ſich zunaͤchſt den Fuß-
ſohlen des auf dieſer heißen Platte Stehenden die Hitze derſel-
ben mit, welche dann der uͤbrige Menſch ebenfalls ſpuͤrt. We-
niger aus der Berechnung, daß, wenn er nur auf Einem Fuß
ſteht, es ihm auch nur an Einen Fuß brennen kann, oder aus
dem Plan, daß er durch die Abwechſelung: bald auf dieſem bald
auf jenem Fuß zu ſtehen, hoͤheren wachſenden Hitzegraden tem-
[70] poraͤr zu entgehen ſucht, als vielmehr durch blinden Naturtrieb
hebt der Torquirte den andern Fuß in die Hoͤhe. Es brennt
aber an dem Erſten ſo ſtark, daß auch dieſer ſich von dem un-
angenehmen Beruͤhrungspunkt zu entfernen ſucht. Unterdeſſen
uͤbernimmt der erſte Fuß wieder das Geſchaͤft. Am liebſten
ſtuͤnde der Menſch auf gar keinem Fuß. Da dieß nun aber
nicht angeht, ſo bleibt nichts uͤbrig, als fortwaͤhrendes Wech-
ſeln beider Fuͤße. Je heißer und gluͤhender nun die Eiſenplatte
wird, um ſo weniger lang haͤlt’s jeder Fuß aus, um ſo ſchnel-
ler wechſelt das auf Einem Fuß Stehen, um ſo hoͤher ſpringt
der Gemartete. Dieß iſt ein Indianiſcher Tanz, dem der fuͤrſt-
liche Hof mit ſehr viel Beifall zuſchaut. Kann hierin die Er-
findung der Tanzkunſt geſucht werden? So wenig als im
Hunger die der Eßkunſt.


Wo die Noth iſt, iſt das Schoͤne nicht, wo das Schoͤne
iſt, iſt keine Noth. Das Schoͤne iſt das gerade Widerſpiel al-
ler Noth; ein Kunſtwerk, dem man Noth anſieht, iſt nicht ſchoͤn.


Gewiſſe neuere Dichter holen allen ihren Stoff aus Noth,
Hunger, Elend, Krankheit, Mangel, Abſcheu, Ekel — pfui
Teufel! — die Waare wird auch darnach.


Wie widerſprechend und dumm nimmt ſich eine eſſende
Trauerverſammlung aus! Wie widerlich iſt ein Todtenkopf
mit einem Blumenkranz! Wie unausſtehlich ein Kotzebueſcher
Ausbruch der Verzweiflung in Verſen!


Wie truͤb und unerfreulich iſt ſelbſt der goͤttliche Schiller,
wo er jammert und z. B. ſeine Melancholie an Laura winſelt!
Wie kaum ertraͤglich wird der ſonſt ſo menſchlich ſchoͤne und
liebenswuͤrdige Jean Paul, wenn er einen Mann zwei Baͤnde
lang uͤber ſeinen bevorſtehenden Tod lamentiren laͤßt, und zu
wie vielen Mißgriffen haben ſolche falſche Molltoͤne erſt Andere
veranlaßt!


Weil die Wenigſten wiſſen, oder Muth, Reſignation und
Kraft haben, zu begreifen, was Kunſt iſt, draͤngt ſich Alles
[71] zum Schmerz und glaubt etwas zu ſein, wenn’s auch mitla-
mentirt. Wer Bauchweh hat, macht ein lyriſches Gedicht. Dar-
um unſere hundert nicht auszuhaltende Trauerſpiele, und kein
Dutzend gute Luſtſpiele, ja ſogar die Miſère ſentimentaler,
auf Thraͤnen berechneter Komoͤdien! Darum ſtatt Verherrli-
chung, Verklaͤrung, Vollendung der Natur: deren Herabwuͤrdi-
gung, Entſtellung, Verfratzung! Darum ſtatt Ernſt, Erhe-
bung, Reinigung, Heiterkeit, Klarheit des Gedankens, Freude
am Schoͤnen, ſeeligem Genießen: gegentheils nur Schmerzver-
zerrung, Niedergedruͤcktſein, Gemeinheit, Dumpfſinn, Wider-
ſpruch, Zweifelsqual, Lebenszwieſpalt und Ueberdruß, und trotz
alle dem noch dazu die dummſtolze Einbildung: das waͤre
was. — Um ſo deutlicher muß man’s ruͤgen. Das iſt ja gar
nichts. Jede Naͤhterin und Waͤſcherin ſchreibt ja auch von ih-
ren Schmerzen und gebrochnem Herzen. Das iſt keine Kunſt,
traurig zu ſein in unſerer Zeit. Es iſt eine Kunſt, luſtig zu
ſein. Das verſucht, oder haͤngt Euch auf, wenn Ihr ſonſt
nichts gelernt habt und zu thun wißt, als Euren unſchuldigen
Mitmenſchen mit Eurer und der allgemeinen Miſère beſchwer-
lich zu fallen.


Wie liebenswuͤrdig und kuͤſſenswerth ſteht, oder ſitzt viel-
mehr, der Eßkuͤnſtler Euch gegenuͤber! Nicht nur er ſelbſt iſt
ſeelig in Ausuͤbung ſeiner Kunſt; er erfreut und erquickt durch
ſeine Darſtellungen jeden Beſchauer. Welch milder Ernſt,
welche ſchoͤne Heiterkeit, welche klaſſiſche Ruhe, welch ſeeliges
Genuͤgen umſchwebt ihn! Und einen ſolchen Mann wagen
dieſe ewig naſſen zerriſſenen Thraͤnenhaͤderlein uͤber die Achſeln
anzuſehen!


Wie Wenige der neueren Kuͤnſtler uͤberhaupt koͤnnen auf
ihre kleine Subjektivitaͤt reſigniren und das Objektive in ſeiner
Reinheit und Urbedeutung erfaſſen. Wie ſchauen uͤberall die
langhaarigen, weißbekragten, ſchwarzberockten Deutſchen Juͤng-
[72] linge, oder herzinnigen blauaͤugigen Gaͤnslein, oder die Fran-
zoͤſiſchen zerriſſenen Hoſen, Herzen und Koͤpfe durch!


Der Eßkuͤnſtler giebt ſeine Subjektivitaͤt auf, und lebt
blos im Gegenſtande und in dem Beſtreben, darzuſtellen, wie
dieſer Gegenſtand eigentlich genießbar gemacht und genoſſen
werden ſoll. Er weiß ſich ſelber ſeiner Aufgabe gaͤnzlich unter-
zuordnen; er haͤlt die Zeit der Ausuͤbung ſeiner Kunſt fuͤr die
genußreichſte ſeines Lebens; er koſtet nicht an dieſem oder jenem
herum, um am Ende doch nirgends etwas zu leiſten, — ſichern
Schrittes wandelt er wohlbedacht und ruhig ſeinem Ziele zu.
Wie ungeduldig und haſtig ſtuͤrmen oft andere Kuͤnſtler dar-
auf los, um etwas zu Stande zu bringen und wie froh ſind
ſie, wenn ſie damit fertig ſind. Er nicht alſo; im Gegentheil
er eilt niemals, er uͤberſudelt nichts, er pruͤft, uͤberblickt, holt
nach, ergaͤnzt, vervollſtaͤndigt uͤberall mit Ueberlegung und
Weile, und wenn er fertig iſt, iſt’s ihm gar nicht recht.


Die Kuͤnſtler uͤberhaupt moͤgen ſagen, was ſie wollen, das
letzte Ziel ihrer Beſtrebungen iſt doch das, ſich ſehen oder hoͤren
zu laſſen. Es iſt noch niemals vorgekommen, daß ein Kuͤnſt-
ler fuͤr ſich allein etwas gebildet, und es gar niemand gezeigt
haͤtte. Es iſt immer Ehrliebe dahinter, die ich zwar weit ent-
fernt bin, zu tadeln, im Gegentheil vollkommen ſchaͤtze, doch
aber nicht umhin kann, ruͤhmend auf den anſpruchsloſen Eß-
kuͤnſtler hinzudeuten. Und wenn niemand ihn ſieht, als Gott,
er iſt zufrieden und ſein Genuß iſt derſelbe. Er wird mit der-
ſelben Delikateſſe und Zartheit verfahren, man wird dieſelbe
fleißige Ausfuͤhrung, dieſelbe umſichtige erſchoͤpfende Behand-
lung, dieſelbe eifrige Sorgfalt finden. Wie der geniale Kuͤnſt-
ler uͤberhaupt, vergißt er ſich ſelbſt uͤber ſeinem Werke.


Es gehoͤrt etwas dazu, in jetziger Zeit bei ſo viel Concur-
renten und Competenten ſich in irgend einer Richtung auszu-
zeichnen. Daher das heutige Rennen, Jagen, Wetten, Wagen
und Ueberpurzeln. Der Eßkuͤnſtler will ſich aber gar nicht
[73] auszeichnen. Es genuͤgt ihm vollkommen, wenn er ſich’s ſel-
ber recht und zu Dank gemacht.


Der ungluͤckliche Kunſt- und Rangſtreit iſt ihm fremd.
Nicht nur ordnet er ſich beſcheiden allen anderen Kuͤnſtlern, ſelbſt
dem Tanz- und Fechtkuͤnſtler, unter, ſondern er ſchaͤtzt mit der
humanſten Toleranz alles Geſchmackvolle, gehoͤre es nun dieſer
oder jener Kunſtgattung an. Er weiß das Hiſtoriſche eines
großen in Oel gemalten Friedensmalers von Sandrart eben ſo
zu wuͤrdigen, als in der kleinſten radirten Skizze von Geßner
mit Butterbrod, Milch und Kaͤſe das Idylliſche. Er fuͤhlt das
Schoͤne der Huͤhner, Gaͤnſe und Enten eines Hondekoeter ſo
lebhaft, wie das der Weintrauben eines van Aelſt, und ſtreitet
nie daruͤber, ob Wildpret von Weeninx oder Fruͤchte von Coo-
ſemans
gelungener ſeien. Mit gleicher Liebe betrachtet er Ka-
ninchen von Koning, Rebhuͤhner von Fyt und Schnepfen von
Sintzenich. Indem er einen Haaſen von Sneyders bewun-
dert, findet er die einladende Reinlichkeit der blinkenden Kry-
ſtall- und Perlmuttergefaͤße eines Kalf nicht minder ſchoͤn.
Selbſt irgend ein Gurkenſchild als einen Keimpunkt von Still-
leben betrachtet er mit Antheil. Ueberhaupt verweilt er bei den
Stillleben mit einiger Vorliebe, nur kann er die Todtenkoͤpfe
eines van Streeck nicht ausſtehen, und er bedauert es ſehr, daß
dieſe lieblichen Stillleben gegenwaͤrtig ſo wenig mehr gelten.
Weniger als ein auf der Zerſtoͤrung von Jeruſalem ſitzender
Jeremias, ſagt er, macht auf uns gar keinen Eindruck mehr.
Unſere dumme, zerriſſene Zeit findet an dem friedlich unſchuldig
lieblichen Kunſtzweig keinen Geſchmack. Da forciren ſich die
Leute, die Qualen und Martern der Spaniſchen Schule ſchoͤn
zu finden, glauben widrige Kreuzabnahmen und pergamentar-
tig ausgemergelte eckige altdeutſche Steckenmichel angaffen und
loben zu muͤſſen, und ſchauen den Stern einer angeſchnittenen
Citrone, wo die Kerne ſo zart und aufrichtig durch’s ſaftige
Fleiſch ſchimmern, und ein ſchoͤn geformtes lichtbeglaͤnztes
[74] Stengelglas, den zierlichen Perlmuttergriff eines dabei liegen-
den Meſſers, den ſchoͤnen Uebergang der weißen feinen Haaſen-
haare am Bauch in die braͤunlichen des Ruͤckens, ein paar zartbe-
fiederte Rebhuͤhner daneben, kaum an. Ich will, faͤhrt er fort,
zwei hundert Maler im Nu zuſammen haben, die Schlachtſtuͤcke
malen, wozu Eduard Collow im vorjaͤhrigen Kunſtblatt ein
ſo ergoͤtzliches Rezept mitgetheilt, daß die Leute Maͤuler und
Augen aufreißen; keine zwanzig aber, die ein Stillleben zu malen
im Stande ſind, welches das Anſchauen verlohnte.


Eine verbreitete hoͤhere Eßkunſt muͤßte freilich auch die
Kochkunſt heben und beſſern. Geſcheidter waͤr’s aber, die Ver-
beſſerung der Eßkunſt ginge von denen aus, die kochen.


Dieſes Lob der zarten Stillleben hindert den Eßkuͤnſtler
keineswegs, die in der erſten Vorleſung ausgeſprochene Freß-
tendenz der Natur als wirklich anzuerkennen. Denn, ſagt
er, in der Natur muß ich gelten laſſen, was da iſt und
wie es da iſt, und mag es ſo befremdend, ſchauerlich und
ungeheuerlich ſein als es will, — wobei mir es immer noch
freiſteht, die appetitlichſte Seite hervorzuheben — in der Kunſt
will ich gar nichts Anderes, als vollkommenes, vollendetes,
makelloſes Sein, lediglich das Schoͤne und gar nichts An-
deres, als allein das Schoͤne, und nur das Schoͤne. Aller-
dings iſt mir eine fluͤchtige Skizze lieber als ein noch ſo ausge-
fuͤhrtes gelecktes Gemaͤlde, wenn jene geſchmackvoll und geſcheidt,
und dieſes es nicht iſt. Es bedeutet aber Alles etwas und
dem, der denkt, kann Alles Symbol ſein; das blos Bedeutende
jedoch, wenn es nicht ſchoͤn iſt, gehoͤrt wo anders hin, als in
die Kunſt. Dreiecke und Hieroglyphen ſind keine Kunſtwerke.
Bornitur aber iſt der Kunſt und Natur zu enge. Ich habe,
verſichert er, nicht das Mindeſte gegen chriſtliche Kunſt und bin
ein Chriſt wie irgend ein anderer auch, — aber wenn ich, wo
ich auch hinſchauen mag, oben und unten, links und rechts,
hinten und vorn, in der Mitte und an allen Seiten nichts weiter,
[75] gar nichts Anderes ſehe, als immer und immer nur chriſt-
liche Kunſt, ſo moͤchte ich vor lauter Chriſtlichkeit des Teufels
werden. Jeder Tropf hebt jetzt die Finger hoch in die Hoͤhe
und ſchlaͤgt ſein Kreuz, und wo die Natur zum Kuͤnſtler zu
kurz iſt, legt man den Chriſten unter. Wie werden unſere
Nachkommen wieder zu reſtauriren bekommen, wenn ſie die
uͤber nackte Goͤttinnen gemalten Kutten wieder anſchaffen muͤſ-
ſen, die wir weggeſchafft haben und jetzt wieder druͤber malen!
Mit Teufels Gewalt ſoll auf einmal Alles und Alles chriſtlich
ſein, und wahrſcheinlich ſtimmen die armen Stillleben auch nicht
mit der chriſtlichen Weltanſchauung uͤberein. Warum hat ſich
doch der Farneſiſche Herkules die Unverſchaͤmtheit herausneh-
men koͤnnen, dazuſein, ehe Ihr ihn habt taufen koͤnnen? oder
warum holt Ihr’s nicht noch nach, und gebt ihm ſtatt der
Keule ein Kreuz in die Hand? S’iſt gegenwaͤrtig die ſchoͤnſte
Zeit dazu!


Man ſieht, der Eßkuͤnſtler kann auch in Eifer kommen.
Trotz dieſes Eifers aber, oder vielmehr eben dieſes Eifers fuͤr
die Sache wegen, iſt ihm der bekannte garſtige Kuͤnſtlerneid
voͤllig fremd. Im Gefuͤhl eigner Kraft beneidet er keinen auch
noch ſo reichbegabten Collegen, niemals verkleinert er die Ver-
dienſte Anderer, laͤßt vielmehr jedem aufrichtig volle Gerechtig-
keit widerfahren. Das einzige Eigene hat er an ſich, daß er
nicht gerne an Einem Tiſch (namentlich wenn derſelbe nicht
ſehr vollſtaͤndig beſetzt iſt) mit mehreren ausgezeichneten Eßvir-
tuoſen zuſammentrifft.


Wie viel Nachahmungswerthes in dem Geſagten liegt,
brauche ich nicht erſt weiter darzuthun. Aber die bildenden
Kuͤnſtler koͤnnten auch vom Eßkuͤnſtler lernen, wie ein Menſch,
der irgend etwas darſtellt, wieder dargeſtellt ſein will. Naͤmlich
ſo, daß man ſieht, dieß ſtellt dieſer dargeſtellte Menſch dar,
nicht aber, dieß will er darſtellen. Ich meine z. B., ich hab’
nichts gegen irgend einen muthwilligen Karl oder Fritz, der
[76] voll kraͤftiger Jugendluſt ſpringt und klettert, weil’s ganz natuͤr-
lich iſt. Wenn dieſer muthwillige Karl aber weiß, daß er muthwil-
lig iſt, und es iſt, und mich fragt: bin ich nicht der allerliebſte
muthwillige Karl, ſo moͤcht’ ich dem Buͤrſchlein einen Naſen-
ſtuͤber geben. Es gefaͤllt mir gar wohl, wenn ich einen Herku-
les im kraͤftigen Zorn die Wucht ſeiner Keule ſchwingen ſehe.
Wenn mich aber deſſen Augen fragen: bin ich nicht ein tuͤchti-
ger Herkules, deſſen Keule zwei Zentner Bairiſch Gewicht ſchwer
iſt, und ſchwing’ ich ſie nicht mit Kraft und Anſtand? — ſo
lach’ ich dem Kerl in’s Geſicht und geh’ meines Wegs. Da
iſt ein Gemaͤlde des beruͤhmten Gérard (Psyche recevant
le premier baiser de l’Amour
), uͤber das die Franzoſen und
andere Leute in Entzuͤcken geriethen. Es iſt doch weiter nichts,
als ein Page, der auf Befehl Sr. Majeſtaͤt des Koͤnigs von
Frankreich CharlesX Angeſichts des ganzen Hofes einer
Prinzeſſin einen Kuß giebt. Man ſieht’s ihm an, daß er weiß,
wer ihm zuſchaut, und wie er an die Tanzmeiſter-Pas denkt,
die er am anſtaͤndigſten dazu zu machen hat. Aehnliches wird
man in den meiſten Gemaͤlden und Bildwerken der Franzoſen
finden. Wie ſie ſelbſt bei jedem, was ſie thun, vor Allem, oft
ganz allein, daran denken, wie ſie ſich dabei ausnehmen, ſo
muͤſſen das auch Goͤtter und Helden ſo machen. Da iſt auch
das charakteriſtiſche franzoͤſiſche se plaire, und es gehoͤrt gegen-
waͤrtig auch in Deutſchland zum guten Ton, daß jeder Menſch
von einiger Diſtinktion, wenn er ein Geck iſt, ſagt, nicht: es
habe ihm dort gefallen, ſondern: er habe ſich dort gefallen.
„Meine Frau gefaͤllt ſich recht wohl in Baden!“ — kann ſein,
lieber Gedankenloſer, Andern auch.


Dieſen Fehler findet man nie bei’m wahren Eßkuͤnſtler.
Niemals wird er irgend zeigen, er wiſſe und gebe zu bedenken,
wie ſchoͤn er eſſe. Je groͤßer die Virtuoſitaͤt, um ſo weniger
merkt man Abſicht, je geſicherter die Leichtigkeit, um ſo weni-
ger denkt man an die Schwierigkeit. Der groͤßte Eßkuͤnſtler
[77] wird am natuͤrlichſten und ungezwungenſten zu eſſen ſcheinen,
ja er wird ſchoͤn eſſen, ohne es zu wiſſen und zu wollen. Das
iſt Gipfel und Bluͤthe der Eßkunſt. Wohlgemerkt, gilt das
Geſagte vom Eßvirtuoſen; denn kein Kuͤnſtler iſt in groͤßerer
Gefahr, in’s Uebertriebene und Unſchoͤne zu fallen, als der Eß-
kuͤnſtler.


Um nun auf die einzelnen Kuͤnſte zu kommen, ſo hat ſich
keine andere Kunſt mit der Eßkunſt ſo innig zu verſchwiſtern
geſucht, als die Muſik, was ſchon das Wort: „Tafelmuſik“ be-
zeugt. Wir haben zwar faktiſch auch eine Tafelpoeſie; aber
der Name iſt noch nicht uͤblich.


Dieſe Tafelmuſiken ſind uralt. Homer, der die Sache
verſtand, ſagt, daß die Harfe dem Mahle zur Freundin die
Goͤtter gegeben. Nun kommen die lieben Ausleger und erwei-
ſen, es habe bei den Gaſtmaͤhlern der alten Helden haͤufig Pruͤ-
gel gegeben, und deßhalb, — naͤmlich um dem vorzubeugen
und die durch Wein aufgeregten Gemuͤther zu beſaͤnftigen, zu
beſchwichtigen, mild zu ſtimmen, ſo daß ſie nicht an’s Raufen
und Schlagen daͤchten, oder entſtehende leichtere Zerwuͤrfniſſe,
Rippenſtoͤße und dergleichen abzuleiten oder zu verſoͤhnen (ut ea,
quae a liberaliori compotatione obvenire solent, incommoda
averterent
) und nicht zur Luſt und Ergoͤtzung (non animi
causa et ad fovendas voluptates
) — deßhalb haben die Alten
Tafelmuſik gemacht. Dieß ſagt Albrecht in ſeiner 1734 zu
Leipzig erſchienenen Abhandlung uͤber die Wirkungen der Mu-
ſik auf den beſeelten Koͤrper, und ſagt, daß dieß Plutarch ge-
ſagt habe, welcher ſagt, daß dieß Ariſtoxenus geſagt habe.


Der erhabene Platon hat eine aͤhnliche ſchwaͤrmeriſche
Idee von der Muſik uͤberhaupt, indem er meint, nicht zur ſinn-
lichen Luſt ſei die Muſik gegeben, ſondern um die Menſchen in
geſellige Zuſtaͤnde zu bannen, zu zaͤhmen, und vor Verirrun-
gen, Leidenſchaften und Exzeſſen zu bewahren. Das iſt ganz
die Poeſie eines Polizeidieners. Der klare Sirach iſt hier viel
[78] poetiſcher, wenn er ſingt: „Wie ein Rubin in feinem Golde
leuchtet, alſo zieret ein Geſang das Mahl. Wie ein Smaragd
in ſchoͤnem Golde ſtehet, alſo zieren die Lieder bei’m guten
Wein.“


Eine andere Frage iſt aber die: ob gerade Tafelmuſik
uͤberhaupt zweckmaͤßig und zulaͤſſig ſei. Wer von Eßkunſt und
Muſik gleich wenig verſteht, haͤlt dieſe Frage unbedingt und ge-
radezu fuͤr uͤberfluͤſſig, und ſtimmt unbedenklich fuͤr ja. Der
Kenner urtheilt anders.


Wahre Muſik, wie gediegenes Eſſen, nimmt den ganzen
Menſchen in Anſpruch. Je beſſer das Eſſen, um ſo mehr zieht
es die Aufmerkſamkeit und das Intereſſe auf ſich und von der
Muſik ab; je vortrefflicher die Muſik, um ſo mehr ſtoͤrt ſie das
Eſſen. Eins davon iſt immer zu viel. Eine ſchlechte Muſik
aber iſt nicht nur uͤberhaupt uͤberall zu viel, ſondern erweckt
entweder gar kein Intereſſe, und dann iſt ſie um ſo uͤberfluͤſſi-
ger, oder ſie iſt ſo ſchlecht, daß einem vor Schmerz alle Eßluſt
vergeht, und dann iſt ſie geradezu zweckwidrig. Sollte aber
gar ein ſchlechtes Eſſen durch eine gute Muſik uͤbergoldet wer-
den ſollen, ſo wuͤrde kein Eſſer dadurch beſtochen werden koͤn-
nen, vielmehr das Unzulaͤſſige dieſes Verfahrens mit gerechter
Entruͤſtung zuruͤckweiſen.


Hr. von Rumohr raͤth eine laͤrmende Tafelmuſik da, wo
lauter dumme und zum Mißverſtehen, Auffahren und Uebel-
nehmen geneigte Menſchen mit einander eſſen; verwirft ſie aber
in allen uͤbrigen Faͤllen als ſchaͤdlich und ſtoͤrend. — Und doch
iſt nicht zu laͤugnen, daß gewiſſe leichte Muſikgattungen viel
zur Freude der Tafel beitragen koͤnnen, z. B. um bei manchen
gegenwaͤrtigen genirten, uͤberall Verdacht ſchnuͤffelnden, un-
menſchlichen Verhaͤltniſſen des ſo laͤſtigen und verfaͤnglichen Re-
dens uͤberhoben zu ſein. Auch koͤnnte unter dem Schein ei-
ner lebhaften muſikaliſchen Theilnahme und der dadurch geſetz-
ten Selbſtvergeſſenheit ein begabterer Eſſer vielleicht beſſer ſeine
[79] Rechnung finden, als ohne dieß zulaͤſſig ſchiene. Auf dieſe
Art wuͤrde zugleich am leichteſten zu erfuͤllen ſein, wozu Sirach
ermahnt: Irre die Spielleute nicht, und wenn man Lieder ſin-
get, ſo waſche nicht darein, und ſpare Deine Weisheit bis zur
andern Zeit.


Ob ich mich gleich meines Sommeraufenthaltes in Wien,
wo ich kaum ein paarmal ohne Muſik dinirte, mit Luſt erin-
nere, darf ich doch die da gemachte Erfahrung nicht verſchwei-
gen, daß gerade, die bei Muſik das Wenigſte denken und gar
nicht wiſſen, was ſie damit wollen, am meiſten dafuͤr enthuſias-
mirt ſind.


Mozart waͤhlte zur Tafelmuſik im Don Juan ſehr gluͤck-
lich gar liebliche Piecen aus Martini’s Coſa rara, und es
iſt das wohl das Beſte, welches in dieſer Art nur gefunden wer-
den mag. Der eben ſo große Eß- als Tonkuͤnſtler Roſſini
hat in dieſem Genre Vortreffliches geleiſtet. Sein Barbier bie-
tet die ſchoͤnſte Auswahl; viel zu ruͤhrend waͤre dagegen ſein
Tancred, und wollte man gar eine Weigel’ſche Schweizerfa-
milie waͤhlen, ſo koͤnnten Empfindſamere vor lauter Weinen
gar nicht zum Eſſen kommen. Spontiniſche Muſik wuͤrde
wenigſtens nicht durch zu großen Melodieen-Reichthum die
Aufmerkſamkeit vom Eſſen abziehen, koͤnnte aber durch ihren
Herz und Nieren erſchuͤtternden Ambos- und Hammer-, Trom-
mel- und Trompetenlaͤrm einen, dem Appetit ſehr unguͤnſtigen,
Schrecken einfloͤßen.


Ach, wie viele Muſiken ſind nichts, als mehr oder weniger
auffallende Paraphraſen anderer Beſſerer!


Die Meiſten der ganz neuen Componiſten aber ſind rein
unappetitlich. Da beginnt eine Ouverture mit einigen geheim-
nißvollen kurzen Baßarten im Adagio, ahnungserweckende be-
denkliche Pauſen folgen, duͤſtre Triolen und Sextolen wuͤrgen,
wuͤhlen und arbeiten in der Tiefe; einiges hohes Gaͤnſegeſchnatter
[80] ſteigert die unheimliche Erwartung. Pauſe. — Wieder ein-
zelne pizzicato Baß-Achtel, dem Hoͤrer in Abſaͤtzen, wie bei
der Hinrichtung durch’s Rad, beigebracht, machen die Sache
immer peinlicher. Neue Pauſe. — Nun meint man kommt
was. Auf einmal, man weiß gar nicht warum, werden ſaͤmmt-
liche Inſtrumente von ploͤtzlich ausbrechender heftigſter Tobſucht
ergriffen, ein wahnſinniges Furioso prestissimo fortissimo
raſet los, und es vergeht einem vernuͤnftigen Menſchen Hoͤren
und Sehen. Man hofft immer auf’s Ende. Der Componiſt
neckt aber mit den immer ſcheinbar genaͤherten und wieder ent-
zogenen, immer wiederkehrenden Schlußſaͤtzen den ungluͤcklichen
Hoͤrer, wie ein barbariſcher Krieger den Wehrloſen mit dem
letzten Todesſtoß, oder ein naſeweiſer Junge ſeinen Pudel mit
der vorgehaltenen, bald nahe bald ferne geruͤckten heißerſehnten
Bratwurſt.


Mit dergleichen ſollte man zum Tode verurtheilte arme
Suͤnder martern und ſie, wenn ſie die Muſik uͤberſtanden ha-
ben, begnadigen; aber jeden unſchuldigen Menſchen, oder wenig-
ſtens wer nichts recht Schweres verbrochen, billig verſchonen.


In Summa: Will man anders Tafelmuſik, ſo waͤhle
man, um des Himmels willen, keine Zahnſchmerz erregende
Blechmuſik im Zimmer, keine ernſten Poſaunen, keinen Trom-
mel- und Paucken-Donner, kein Trompetenſchmettern, keinen
Janitſcharenlaͤrm; eben ſo wenig aber Herz- und Schmerz-
ſtuͤcke, Sehnſuchtswalzer und Molltonarten, keine Largo und
Adagio, ſondern leichte taͤndelnde Allegro, kleinere Andante-
Symphonieen, Rondo, Pastorale etc. einfach aus C- oder D-
dur.
Oboen, Klarinetten, Floͤten, Hoͤrner, Fagotts, mit Dis-
cretion geblaſen, genuͤgen, und ſind wohl am ſchicklichſten.
Das Verfahren des wackeren Portraitmalers Joshua Rey-
nolds
gilt als Grundregel. Er wandte allen Fleiß auf den
Hauptgegenſtand und vernachlaͤſſigte abſichtlich die Neben- und
Beiwerke, um die Aufmerkſamkeit nicht von jenem abzulenken.
[81] Geſang von wirklichen Saͤngern oder gar Saͤngerinnen waͤre
viel zu gut zur Tafelmuſik.


Die Sache hat aber immer noch ihr Bedenkliches. Lang-
ſame Tempi paſſen nicht. Nun bringt aber muntere, ſchnell
fortſchreitende Muſik in dem Hoͤrer unwillkuͤhrliche entſprechen-
de raſche Bewegungen hervor und koͤnnten alſo ſelbſt einen ſonſt
taktfeſten Eſſer aus der Menſur bringen und Anlaß zum zu
ſchnell Eſſen geben. Es iſt alſo am gerathenſten, mit Tafelmu-
ſik zunaͤchſt die Zwiſchenpauſen, in denen nicht gegeſſen wird,
die Zeit, wo ein Gericht abgetragen, und das andere noch nicht
aufgetragen iſt, auszufuͤllen, auch wohl das Deſſert damit
accompagniren zu laſſen. Muſik nach dem Eſſen iſt eigentlich
keine Tafelmuſik mehr.


Die Malerei und hoͤhere Plaſtik kann und ſoll unmittel-
bar zum Eſſen nichts contribuiren. Hoͤren und Eſſen zugleich
geht wohl noch. Jedes Sehen aber, außer dem auf die Speiſen,
beeintraͤchtigt das Eſſen auf ungebuͤhrliche Weiſe. Hoͤchſtens
moͤchten gemalte Blumenvaſen paſſiren. Fein gedacht iſt der
Rath des Herrn von Rumohr: Alabaſtervaſen mit meiſt ge-
ruchloſen Blumen auf die Tafel zu ſtellen. Uebrigens reichte
hier wohl die Plaſtik der Zuckerbaͤcker aus. Aber dieſe Kunſt
verfehlt ganz ihren Zweck, wenn ſie etwas bildet, was man
nicht eſſen kann. Eben ſo geht ſie zu weit, wenn ſie ſo ſchoͤn
und zierlich bildet, daß es dem aͤſthetiſchen Gewiſſen des Eſſers
Ueberwindung koſtet, ſo ſchoͤne Formen zu zerſtoͤren. Noch
verfehlter iſt’s, wenn ſie Bildungen darſtellt, die man aus Zorn
zerbeißen moͤchte. Ich habe einen ſpannlangen Straßburger
Muͤnſter von Zucker geſehen. Ein glaͤnzender Beweis, in wel-
chem Maaße die Deutſche Kunſt und der große Erwin von
Steinbach
immer lebendigere Anerkennung findet.


Mehr als die Bildhauerkunſt hat die Baukunſt zu leiſten.
Im Sommer kuͤhle, große, luftige Marmorſaͤle, im Winter
hinlaͤnglich erheitzbare behagliche, nicht zu enge Raͤume, —
6
[82] dieſe unter Anderm, wenn Schoͤpſenbraten aufgetragen wird,
deſſen zartes Fett bei niederer Temperatur ſo leicht gerinnt,
erſtarrt und erkaltet — vermoͤgen unſaͤglich Viel zur Hebung
eines ſinnigen Genuſſes.


Man hat Speiſeſaͤle und Refektorien am paſſendſten mit
Gemaͤlden des Abendmahls, wie Leonardo da Vinci, oder
anderen frommen weitlaͤuftigen Gaſtgeboten, wie Paul Vero-
neſe
, zu zieren geglaubt. Goethe lobt’s. Mir kommts vor
als wie eine in eine Landſchaft gehaͤngte Landſchaft, wie ein
Theaterdonner neben einem wirklichen Donner. Es iſt, als
wenn man einen gemalten Wald mit einigen wirklichen
Tannen- und Fichtenreiſern umſteckte. Ich glaube, daß Gaͤr-
ten, Jagden, Fiſchzuͤge und anderes mehr nur auf das Eſſen
Hindeutende, als es wirklich Darſtellende, paſſender waͤre.
Geradezu unausſtehlich iſt aber das ſo oft wiederkehrende Gaſt-
mahl des reichen Mannes, mit dem cyniſchen Lazarus, dem die
Hunde die Beulen und Schwaͤren ablecken. Puh! —


Auch der ſo oft gemalte, zum Hungertode verurtheilte
Greis, welcher an der Bruſt ſeiner Tochter ſaugt — dieſe gan-
ze Situation — iſt nicht appetitlich, obſchon die Tochter.
Waͤre ein ſittliches Motiv, wobei man zugleich, auch fuͤr den
Stockphiliſter unbedenklich, einen reizenden bloßen Buſen zur
Schau ſtellen kann, nicht gar zu erwuͤnſcht, ſo koͤnnte man
wohl aus dieſem Bilde lernen, welche Naturalia die Kunſt
nicht zu bilden, wie ſich die Kunſt zur Natur nicht zu verhal-
ten habe. Ueberhaupt hat die Malerei mit wenigem Gluͤcke
ſich unſeres Gegenſtandes zu bemaͤchtigen geſucht. Es iſt zwar
ganz gut, daß aus den Abbildungen von Eßkuͤnſtlern in Aus-
uͤbung ihrer Berufsthaͤtigkeit Karrikaturen wurden. Und doch
iſt wohl zu bedenken, daß der antike Silen keine Karrikatur iſt.
Tieck laͤßt in ſeinen „Gemaͤlden“ den alten Herrn von Eiſen-
ſchlicht
uͤber die Hochzeit zu Kanaan von Paul Veroneſe alſo
urtheilen: „Alles Eſſen wird auf Bildern langweilig, weil es
[83] doch nie von der Stelle ruͤckt, und die gebratenen Pfauen und
hochaufgehobenen Paſteten, ſo wie die halb umgedrehten Mund-
ſchenken, ſind auf allen ſolchen Darſtellungen laͤſtige Krea-
turen.“ —


Abgeſehen nun davon, ſo beweiſen, wie Goethe ſagt, die
Sperlinge, welche nach des großen Meiſters Kirſchen flogen,
nicht, daß dieſe Fruͤchte vortrefflich gemalt, ſondern eben nur,
daß dieſe Liebhaber Sperlinge waren. — Ich will nicht daruͤber
ſtreiten, ob man fuͤr den Kopf oder fuͤr das ſogenannte Herz
malen ſoll. Denn wie koͤnnte man mit Leuten, die ohne
Kopf ſtreiten, ſtreiten? So viel iſt gewiß, daß man nicht fuͤr
den Magen malen ſoll.


Fuͤr die Bildhauerkunſt eignet ſich unſer Gegenſtand ſchon
aus dem einfachen Grunde nicht, weil hier die Natur immer
geſchmackvoller ſchafft, als die Kunſt vermag. Man muß nicht
Alles malen und bilden wollen.


„Ueber Roſen laͤßt ſich dichten;

In die Aepfel muß man beißen.“

Der bloße einem Eſſer ſo nahe liegende Gedanke aber, in
ſolch’ harte Nachbildungen einzubeißen, wuͤrde mit der ſtoͤrend-
ſten Apprehenſion wirken. Daher ſind auch die hoͤlzernen Schin-
ken, Semmeln, Wuͤrſte und dergleichen ſo abgeſchmackt. So
kann ich denn auch die Schaugerichte nicht billigen, ohne jedoch
den Verdienſten eines Desfreyes, Delorme, Datfoy und An-
derer im geringſten zu nahe treten zu wollen. — Doch haben die
Prangkuͤchen des alten Nuͤrnberg, wo das zierlich geſchlichtete
Brennholz aus ſchoͤn behobelten und bunt gebeitzten Stuͤcken
beſtand, die an beiden Enden mit, immer blank geputztem, Meſ-
ſing beſchlagen waren, etwas gemuͤthlich Kindliches.


Ein Eſſender aber, plaſtiſch dargeſtellt, wuͤrde denſelben
langweiligen Eindruck machen, wie ein Lachender. Dergleichen
Heiterkeiten, welche blos fuͤr den Moment Werth haben, ſollten
6*
[84] der ernſteren Plaſtik fremd bleiben, auch wenn’s dem Darge-
ſtellten noch ſo gut ſchmeckt. Ueberhaupt ſollte die Kunſt mehr
darauf bedacht ſein, Geſchmackvolles darzuſtellen, als Schmek-
kendes. Hier hat offenbar die Natur das Prévenir. Das
vergeſſen auch die Dichter gar zu oft, wie auch manche Predi-
ger meinen, wenn ſie ſelber weinten, haͤtten ſie ruͤhrend gepre-
digt. Und doch braͤchte mich eine wirkliche, natuͤrliche, abſichts-
loſe Zwiebel leichter zu Thraͤnen, als ein ſolcher Ruͤhrungspre-
diger. Wie nun aber wenn die Zwiebel ſich einbilden wollte,
ſie ruͤhre, weil ſie macht, daß man weinen muß? Wenn denn
uͤberhaupt auf der Welt geweint ſein muß, ſo bleibt’s doch ein
großer Unterſchied, ob man uͤber das Trauerſpiel, oder den
Trauerſpieldichter weint. Nicht ſelten moͤchte man uͤber den
Trauerſpieler zugleich mitweinen und hat dann eine complete
dreiſtimmig beſetzte Ruͤhrung. Doch ich ſchweife ab.


Zwar habe ich ein Duett zweier pubertaͤtsreifer, verſchie-
den geſchlechtlicher, nuder Menſchenkinder, auf einem Weinblatt
liegend, in einer aus dieſen Verhaͤltniſſen leicht begreiflichen
Attitude, aus ſchneeweißem Alabaſter — wie mir verſichert
wurde, ein Divertiſſement Thorwaldſen’s — geſehen, welches
mir durchaus nicht mißfallen konnte. Aber das Ganze war nicht
groͤßer als ein wirkliches Weinblatt, und weil ſo etwas nicht
groß iſt, darf’s auch nicht groß gebildet werden.


Waͤre es nun wuͤnſchenswerth, es moͤchte die Eßkunſt kei-
nem Kuͤnſtler fremd ſein, da ſie nothwendig den heiterſten Ein-
fluß auf ſeine Weltanſchauung ſowohl, als auf das Zarte und
Geſchmackvolle ſeiner beſonderen Darſtellungen uͤben muͤßte, ſo
iſt ſie doch dem Schauſpieler geradezu unerlaͤßlich. Bekannt-
lich haben wir nicht wenige Trauer-Schau- und Luſtſpiele ſo
wie Opern, in denen gegeſſen wird. Obgleich nun zu wuͤnſchen
waͤre, Dichter und Schauſpieler moͤchten dem Zuſchauer etwas
zu ſchmecken geben, auch ohne Eßdarſtellungen, ſo hat nun ein-
mal dieſe wichtige Thaͤtigkeit auch auf den Welt bedeutenden
[85] Brettern ihre Stelle geltend gemacht, und der Schauſpieler
muß eſſen koͤnnen. Es geht aber damit, wie mit dem Fechten.
Entweder koͤnnen Schauſpieler keines von beiden und geben die
ungeſchmuͤckte blanke Natur, oder ſie bringen ſo viel kuͤnſtliche
Manier, daß man deutlich ſieht, dieß iſt weder gehauen, noch
geſtochen, weder gefochten, noch gegeſſen. Der Schauſpieler
muß wenigſtens das Exterieur wie des Helden ſo des Eßkuͤnſt-
lers weg haben, wenn auch nicht von ihm verlangt werden
kann, daß er ſelber wirklich ein Held oder Eßkuͤnſtler ſein ſoll.
Wenn nun aber der Schauſpieler eſſen ſoll wie ein Menſch, ſo
gilt Gegentheils als wichtige Regel, daß der Menſch nicht eſſen
ſoll wie ein Schauſpieler.


Die mimiſchen Taͤnze bei den Gaſtmaͤhlern der Griechen
hat man in neuerer Zeit ſelbſtſtaͤndiger gemacht, weiter ausge-
bildet, und der Oper und dem Ballet zugewieſen. Allerdings
ſind dieſe auch viel zu intereſſant, als daß ſie nur ſo neben her
zu genießen waͤren, und doch auch wieder das Eſſen zu anzie-
hend, als daß es ein getheiltes Intereſſe zuließe.


Der Dichtkunſt erwaͤhne ich zuletzt, weil es mir, aus wohl
hinlaͤnglich dargelegten Gruͤnden, am allerwenigſten einfiele,
eine eigentliche Tafelpoeſie aufkommen zu laſſen. Sollte aber
die Liebe zur Poeſie ſo gluͤhend ſein, daß man ſie auch mit
Meſſer und Gabel zu Leibe nehmen wollte, ſo waͤre wohl die
Dichtungsgattung der Leberreime hierzu die angemeſſenſte.
Vor philoſophiſchen Gaſtmaͤhlern aber bewahre uns der Him-
mel! Was die Griechen ſo nannten, war ein ziemlich vernuͤnfti-
ges Geſpraͤch. Nicht zu vergeſſen, daß man dabei viel und
moͤglich gut ſprach, aber um ſo weniger und ſchlechter zu eſſen
bekam, wie’s auch in Wieland’s Ariſtipp heißt: — „wobei
eine freie muntere Unterhaltung die beſſere Haͤlfte der Bewir-
thung machte. Heutzutag nun iſt’s mit der Philoſophie ganz
anders. Die heutige Philoſophie iſt lediglich eine Poeſie uͤber
[86] das Nichts. Wer merkt darauf, wenn er etwas vor ſich auf
dem Teller hat?


So viel nun davon, was die ſchoͤnen Kuͤnſte fuͤr die Eß-
kunſt ſind: nun ein paar Worte, was die Eßkunſt den ſchoͤnen
Kuͤnſten iſt.


Von Homer bis zu Clauren haben die Dichter dieſen
Zweig ſchoͤn-menſchlicher Thaͤtigkeit zu wuͤrdigen und zu feiern
gewußt. (Auch in der Louiſe von Voß wird exquiſit gut ge-
ſpeiſt.) Es zeigt aber von ſehr richtigem Takt, daß wir keine
Eßlieder haben. Die idylliſchen Kartoffellieder einiger Natura-
liſten verdienen keine Erwaͤhnung. Sonderbar genug hat man
das Trinken fuͤr edler gehalten. Daher denn auch die Menge
Trinklieder, wovon ſpaͤter.


Will die Dichtkunſt einen recht ſeeligen, himmliſchen Zu-
ſtand ſchildern, z. B. ein Schlaraffenland, ſo weiß ſie nichts
Beſſeres aufzutreiben, als recht gutes Eſſen, was auf der Welt
ſtets zugleich das unſchuldigſte Vergnuͤgen bleibt. Uebrigens
werden die Dichter immer wohl thun, nicht zu viel vom Eſſen
zu dichten, um den Verdacht des Hungers zu vermeiden.


Aber nicht nur die Dichter, welche in Verſen ſchreiben,
auch diejenigen, welche, wider Willen, in der tiefſten Proſa
dichten, die Philoſophen, finden im Eſſen einen ſprechenden Ver-
gleichungspunkt ſeeliger hoͤherer Zuſtaͤnde uͤberhaupt. Jacob
Boͤhme
— an deſſen Tiſch der groͤßte jetztlebende Philoſoph
incognito ſehr fleißig ſich zu Gaſte bat, — ſagt z. B.: „Wenn
das Licht aufgehet, ſo ſiehet ein Geiſt den andern, und wenn
das ſuͤße Quellwaſſer in dem Lichte durch alle Geiſter gehet,
ſo ſchmecket einer den andern: alsdann werden die Geiſter le-
bendig, und dringet die Kraft des Lebens durch Alles und in
derſelben Kraft riecht einer den andern, und durch dieſes Quel-
len und Durchdringen fuͤhlet einer den andern: und es iſt nichts,
denn ein herzlich Lieben und freundlich Sehen, Wohlriechen
[87] und Liebe Fuͤhlen, ein holdſeelig Kuͤſſen, von einander Eſſen,
Trinken und Liebe-Spazieren.“ —


Ein fein gebildeter richtiger Eßgeſchmack wird dem Kuͤnſt-
ler niemals ohne Fruͤchte fuͤr ſeinen aͤſthetiſchen Geſchmack uͤber-
haupt bleiben. Aeſthetik kommt nun doch einmal von ἀισδω,
ich ſchmecke, her, und es liegt die Deutung nahe genug, daß
ein Menſch, der keinen Eßſinn, keinen veredelten, zum Bewußt-
ſein erhobenen Geſchmack hat, deſſen Uebung und Ausbildung
ihm taͤglich ſo nahe liegt, ſchwerlich an Schoͤnheitsſinn uͤber-
haupt Ueberfluß haben werde. Obgleich nun Jacob Boͤhme
ſagt: wie ein Menſch eine Stimme aus einer lieblichen Muſica
in ſein Gehoͤr gerne iſſet und darinnen froͤhlich iſt ꝛc., — ſo ha-
ben doch ernſthafte Muſikliebhaber mit Nachdruck dagegen geei-
fert, die Muſik einen Ohrenſchmaus zu nennen, und haben das
eine Herabwuͤrdigung der Kunſt geheißen. Man wuͤrde das
Weſen der Eßkunſt gleichmaͤßig verkennen, wollte man ſie, wie
z. B. Montaigne, als Wiſſenſchaft des Gaumens definiren.
Abgeſehen davon, daß nicht der Gaumen, ſondern die Zunge
das zunaͤchſt perzipirende Geſchmacksorgan iſt, ſo ſchmeckt doch
die Zunge eben ſo wenig, als die Ohren hoͤren, ſondern es iſt
nachzuweiſen, daß der Menſch es iſt, welcher mittels Zunge
und Ohren ſchmeckt und hoͤrt. Wer ſeine Zunge ſchmecken und
ſeine Ohren hoͤren laͤßt, und nicht ſelber ſchmeckt und hoͤrt,
verſteht von Eßkunſt und Muſik gleich wenig. Es iſt das ein
weſentlicher Punkt, der ja nicht uͤberſehen werden darf. Das
Beleidigende, welches fuͤr den Eßkuͤnſtler in jener uͤbel gerath-
nen Definition Montaigne’s, einem verungluͤckten Witze,
liegt, wird ſich im Verlaufe der Vorleſungen von ſelbſt er-
ledigen.


Denkt man, aber nicht mit dem Gaumen, tiefer uͤber die
Eßkunſt nach, ſo ergiebt ſie ſich ſubjektiv als die Geſchicklichkeit
oder Fertigkeit vernuͤnftig-ſinnlicher Weſen, freie, nicht noth-
wendige, geſchmackvolle Wirkungen zu ſetzen, und objektiv als
[88] die aͤußere Darſtellung eben dieſer Geſchicklichkeit in der Sin-
nenwelt. — Damit reicht die Eßkunſt den anderen ſchoͤnen Kuͤn-
ſten die befreundete Schweſterhand. Man nehme eine Kunſt,
welche man wolle, und denke uͤber ſie, ſo iſt ſie, ſubjektiv und
objektiv, nichts Anderes, wie ja ein großes, d. h. zwoͤlf Baͤnde
ſtarkes, achtmal aufgelegtes und ein paarmal nachgedrucktes
Deutſches Nationalwerk bereits dargethan.


Man hat geſagt, die Natur bewirke nach nothwendigen
Geſetzen und bewußtlos ihre Erſcheinungen, umgekehrt die
Kunſt. Was hat man aber nicht Alles ſchon geſagt? — Doch
paßt’s genau auf die Eßkunſt, und ſo mag’s damit gut ſein.


Daß die Kunſt in der Natur begruͤndet und nur unter
Vorausſetzung derſelben moͤglich und wirkſam ſein koͤnne, laͤug-
net wohl niemand, und ich ſehe nicht ein, warum ich von
Dingen reden ſoll, die ſich von ſelbſt verſtehen. Eher duͤrfte zu
erinnern ſein, daß ein Kunſtwerk nicht nur nach etwas ſchmecken,
ſondern auch wirklich wohlſchmecken ſoll, — ein Umſtand, der
ſehr oft vergeſſen wird.


Traͤgt aber jemals eine Kunſt ihren Zweck rein und lauter
in ſich ſelbſt, ſo iſt es gewiß die Eßkunſt.


Was nun den Kunſtgenuß betrifft, ſo reicht dazu ein va-
ger allgemeiner Kunſtſinn, d. h. Empfaͤnglichkeit und Intereſſe
fuͤr das Genießbare und Geſchmackvolle, und Leichtigkeit ſich
darin zu orientiren, — ſo ſchaͤtzenswerth und als Vorbedin-
gungen unerlaͤßlich dieſe Eigenſchaften auch ſind, — doch nicht
aus. Es wird eigentlicher Kunſtgeſchmack erfordert, d. h. ein
feines Beurtheilungsvermoͤgen, nach einer beſtimmten Idee Ge-
ſchmackvolles von dem Widrigen, Manierirtes, Verſuͤßlichtes,
Entſtelltes vom Natur- und Kunſtwahren, vom Schoͤnen zu
unterſcheiden. (Alles dieß geſchieht weder durch’s Herz, noch
durch den Magen.) Aber auch damit iſt’s noch nicht gethan.
Viel iſt der gluͤcklichen Combination uͤberlaſſen. Wer blos eſſen
will, braucht allerdings nicht kochen zu koͤnnen. Wer aber uͤber
[89] das Eſſen und die Speiſen urtheilen will, — und Genuß ohne
Urtheil iſt jedenfalls doch gar zu wenig — der muß zwar kein
Koch ſein, aber ſollte wiſſen, was Kochen heißt, er ſollte den
Geiſt der Kochkunſt erfaßt haben. Freilich urtheilen gerade die
Koͤche uͤber das Eſſen oft ſehr ſchief und einſeitig, namentlich
ſind ſie faſt ohne Ausnahme hartnaͤckig der Meinung, es muͤſſe
das, was ſie gekocht haben, jedem gut ſchmecken und behagen.
Man kann aber Niemand Kunſtkenntniß zuſchreiben, der nichts
vom Techniſchen des zu Beurtheilenden verſteht. Wie ſchoͤn
klingt’s, wenn man auch nur nachſagen kann: es iſt mit der
trocknen Nadel gearbeitet, im Papinianiſchen Topfe gekocht ꝛc.
Es laͤßt gar ſchoͤn, wenn einer eine Bildſaͤule anſchaut und ge-
wichtig ſagt: ſie iſt von Carariſchem Marmor, — ſo hat doch
gleich jeder ſein Urtheil uͤber den Urtheiler. Goethe ſchrieb an
Oeſer: die Werkſtaͤtte eines großen Kuͤnſtlers entwickelt den
keimenden Dichter mehr, als der Hoͤrſaal des Kritikers. Sehr
wahr! aber die Kuͤche leiſtet das fuͤr den keimenden Eßkuͤnſtler
bei weitem nicht; im Gegentheil, es iſt oft ſehr gut, gar nicht
in die Kuͤche geſchaut zu haben, wenn man will, daß es einem
ſchmecken ſoll. Doch ich halte mich dabei nicht auf, ſondern
fahre fort:


Es iſt laͤngſt geſagt, daß, wer ein Kunſtwerk recht genie-
ßen will, eine eigne ergaͤnzende Kraft mitzubringen habe. So
wahr dieſes auch iſt, ſo laͤßt ſich gleichwohl nicht laͤugnen, ſo-
wohl daß manche Kuͤnſtler dieſer ergaͤnzenden Kraft des Be-
ſchauers zu viel zumuthen und uͤberlaſſen, als auch, daß manche
Beſchauer ſo viel Ueberfluß davon conſumiren und dem Werke
uͤbertragen, daß ſie was ganz Anderes gegeſſen haben, als ge-
kocht worden war. Immer ſoll der Kochkuͤnſtler den Zaͤhnen
und der Verdauungskraft des Eßkuͤnſtlers zwar nicht zu viel
zumuthen, aber doch etwas uͤberlaſſen und aufzuloͤſen geben.
Blos kleinen Kindern ſtreicht man den ſimpeln Brei in den
Mund, und nur gedankenloſe Nationen erfreuen ſich daran, daß
[90] Alles ganz weichgekocht und ſchon zerſchnitten aufgetragen wird.
Moͤchten dieſe Vorleſungen nicht zu hart und nicht zu weich
gekocht ſein!


Zum rechten Verſtaͤndniß und Genuß eines Kunſtwerkes
iſt ferner erforderlich, daſſelbe im rechten Licht und in gehoͤriger
Naͤhe zu ſehen. Letzteres iſt beſonders fuͤr den Eßkuͤnſtler wich-
tig, fuͤr welchen eine zu große Ferne des Gegenſtandes immer
etwas ſehr Unangenehmes hat. Der Eßkuͤnſtler faſſe alſo ſei-
nen Gegenſtand ſcharf in’s Auge. Einer meiner Bekannten
heirathete ein Maͤdchen, welches er vor lauter Liebe gar nicht
recht angeſehen hatte. Nach und nach, und zwar bald nach der
Hochzeit, konnte er ſie ruhig genau anſehen, und fand zu
ſonderbarer Ueberraſchung, daß ſie, nun ſeine feſte Frau, drei
und zwanzig Zaͤhne zu wenig und funfzehn Warzen zu viel hatte.


Doch iſt ein zu nahes und zu genaues Beſehen eben ſo
unpaſſend. Wer ein Oelgemaͤlde in ſpannenlanger Naͤhe be-
trachtet, ſieht ſo viel wie gar nichts. Wer mit der Naſe un-
mittelbar auf’s Eſſen ſtoͤßt, wird nichts Angenehmes riechen,
und alſo auch ſchmecken. Der von ferne lieblich duftende Mo-
ſchus ſtinkt zu nahe berochen.


Im Dunkeln kann man nicht eſſen. Kerzenbeleuchtung
bei Nacht giebt den Speiſen und Getraͤnken — wie Fackelbe-
leuchtung Marmorſtatuen — ein viel hoͤheres Licht, hebendere
Schatten, einen viel lebendigeren Ton, als die trockne Proſa
des Tageslichtes. Die Nacht, ſagt Byron, zeigt Stern’ und
Weiber in erhoͤhter Pracht.


Den Kunſtakademieen will man in neuerer Zeit, wie ich
glaube, nicht ohne Grund, ihr Foͤrderliches fuͤr Kunſtbildung
abſprechen, oder doch in ſehr beſcheidenem Maaße zugeſtehen.
Die Nothwendigkeit und Nuͤtzlichkeit der Kunſtreiſen ſtellt aber
meines Wiſſens niemand in Abrede, als ein unmenſchlich, oder
doch unmaͤnnlich frommer Rezenſent der Halleſchen allgemeinen
Literaturzeitung, welcher bitter und ſchmerzlich klagt, daß Reiſen
[91] immer von Gott entferne, und daß man eben doch zu Hauſe
bei der Frau Mutter hinter’m Ofen viel froͤmmer bliebe. Der
Nutzen der Reiſen fuͤr den Eßkuͤnſtler wurde von mir aber be-
reits ſchon angedeutet.


Wie aber Kunſtvereine der Kunſt und den Kuͤnſtlern nicht
anders als guͤnſtig ſind, ſo ſollten ſich auch Eßvereine bilden,
aber in wirklichem, eigentlich artiſtiſchem Sinne, denn außerdem
haben wir ohnehin deren ſchon ſo viele, als Vereine uͤberhaupt.


Die Kunſtkritik nun ſetzt voraus: geſunde Sinne, gute
Zaͤhne, um ſich die Objekte aneignen zu koͤnnen, eine feine
Zunge, kraͤftigen Magen, um das Erfaßte zu verdauen, Re-
produktionskraft und Geſchick, ein Urtheil von ſich zu geben,
guten Appetit, unbefangene Anſchauung, Schule, Bewußtſein,
Luſt, Neigung, Sinn, Geſchmack, Uebung, Kenntniß der Zei-
ten und Voͤlker, der Naturſtoffe und ihrer Behandlung und
Wirkung, Kunſtphiloſophie, Theorie, Technologie, Archaͤologie,
und wo moͤglich: Vernunft. Doch ſteckt in der Kunſt mehr
Wiſſenſchaft, als man leider insgemein glaubt.


Der Kunſtrichter hat ſich beſonders zu huͤten, das was
ihm ſelber beſonders ſchmeckt, ſchlechthin fuͤr gut, was ihm nicht
ſchmeckt, fuͤr ſchlecht zu erklaͤren; er ſoll ſeine Subjektivitaͤt
uͤberwinden, oder, weil das oft zu viel verlangt, genau ge-
nommen auch gar nicht moͤglich iſt, doch ſein Urtheil fuͤr nicht
mehr ausgeben, als eben fuͤr ſein Urtheil. Oft iſt’s nichts
weiter als eine Interjektion.

„Sie ſagen: das ſpricht mich nicht an,

Und glauben, damit waͤr’s abgethan.“


Merkt der Kunſtrichter, daß er das nicht verſteht, was er beur-
theilen ſoll, ſo verſire er klug in Generalioribus. Er kann
davon ſprechen, daß er ſelbſt uͤber dieſen Gegenſtand Einiges
unter der Feder habe, womit er die gelehrte Welt zu beſchen-
ken gedenke, und um ſo weniger vorgreifen wolle. Eine huͤbſche
[92] Redensart iſt die: die Akten uͤber dieſen Gegenſtand ſeien
noch nicht geſchloſſen. Es thut gar nichts, daß man dieß von
Allem und Jedem ſagen kann. Das iſt eben der Pfiff. —
Und ſo dergleichen mehr. So iſt’s am ſicherſten; anders koͤnnte
ſich der Kunſtrichter ſehr leicht blamiren. Kuͤmmert er ſich
aber um’s Blamiren nichts, iſt er’s ſchon gewohnt, oder will
er damit brilliren, wie dieß in jetziger Zeit von namhaften Li-
teraten geſchieht, fuͤhlt er ſich irgend getroffen, und will ſich
nicht ſchaͤmen, ſondern lieber Recht behalten, ſo kann er ſehr
wohl die ganze Sache, um die es ſich eigentlich handelt, liegen
laſſen; er muͤßte gar keine Naſe haben, wenn er nicht etwas,
was gegen den Staat, die Religion, die guten Sitten ꝛc. ver-
ſtieße, aufſchnuͤffeln koͤnnte. Daran halte er ſich und er hat
nichts weiter zu fuͤrchten, im Gegentheil volle Anerkennung zu
hoffen. Er kann ſein Blatt in Ruf bringen, vermehrten Ab-
ſatz erzielen, der Theilnahme und Unterſtuͤtzung vieler Gleich-
geſinnter verſichert ſein, — enfin er iſt pouſſirt, wenn auch
blamirt. Das Deutſche große Publikum merkt auf dergleichen
Kleinigkeiten nicht, und hat die hohe Polizei, die der edelmuͤ-
thige Kunſtkritiker herbeiſchrie, dem Gegner Zunge und Schreib-
finger petſchirt, ſo behaͤlt er natuͤrlich das letzte Wort und Recht,
und jeder, der ihm widerſpricht, iſt ein Feind des Staats, der
Religion und der Sittlichkeit.


Wenn ein Mann keine Gallenblaſe haͤtte, waͤr’s kaum be-
greiflich, wie er ſich von ſeinem Gegenſtand in dergleichen nicht
hierher Gehoͤriges verirren koͤnnte. Damit alſo mehr als ge-
nug! — Ich fahre fort. Schon der gemeinen Klugheit wegen
waͤre es rathſam, vorher zu denken oder, weil man dieß nicht
von jedem verlangen kann, zu leſen, ehe man ein deciſives, na-
mentlich gedrucktes, Urtheil abgiebt. Ich hoͤrte einmal einen
Kunſtreiſenden harten Tadel uͤber den, in Italien hart und
weiß (ohne Safran) gekochten Reis ausſprechen. Der Un-
gluͤckliche hatte Rumohr’s Geiſt der Kochkunſt nicht geleſen.


[93]

Nicht uͤbel waͤr’s, uͤber was Gutes gut, und uͤber was
Geſcheidtes geſcheidt zu urtheilen; letzteres natuͤrlich mit Zu-
ruͤckhaltung. Daraus folgt keineswegs, daß das Unſchoͤne
mit ſchoͤnen Worten zu uͤberkleiſtern, das Dumme mit dem
Gemuͤth zu bedecken, das Unerwuͤnſchte zu laͤugnen ſei. Salz
und Pfeffer kann der Koch nicht entbehren. Auch der Kunſt-
richter wird ſeine Urtheile dadurch ſchmackhafter und eindring-
licher machen, vorausgeſetzt, daß weder uͤberſalzen noch uͤber-
pfeffert wird.


Uebrigens laſſe ſich der wahre Eßkuͤnſtler durch die Kunſt-
richter nicht irrefuͤhren, und ſuche ſich’s am Beſten ſelber zu
Danke zu machen; denn wer koͤnnte es denn beſſer verſtehen,
als er ſelber, oder wen haͤtte denn Mozart ſollen um Rath
fragen? —


Es giebt Kunſtkenner und Menſchen von wirklich feinem
Geſchmack, die gleichwohl der warmen und lebendigen Theil-
nahme ermangeln, womit der Kunſtſinnige, der Kunſtfreund
beſeelt iſt. Jenen wird ſich aber das innere Leben und Weſen
der Kunſt in ſeiner Urluſt und Grundbedeutung niemals er-
ſchließen. Wie wahr iſt’s, wenn es heißt: „Es iſt nicht zu be-
rechnen, wie tief ein Liebender ſchaut (und ſchmeckt), waͤhrend
ein Gleichgiltiger nichts ſchaut. — [Aber zu große Liebe macht
blind.] — Man kann wohl ſagen, die Sinne, die Wahrneh-
mungsgabe ſeien eigentlich die Intereſſen, ja das Geſchmack-
volle, das Schmackhafte beſteht in der Auffaſſung, Aneignung.
Uebrigens vergeſſe man nicht, daß bei Kunſturtheilen gar viel
darauf ankommt, was der Urtheilende ſchon Alles gegeſſen,
was er weiß und nicht weiß, was er gewohnt und nicht ge-
wohnt iſt, was er idioſynkratiſch liebt und nicht liebt, — und
rechne darauf, daß, was ihm im Leben beſonders geſchmeckt,
was er unter eigenthuͤmlich guͤnſtigen und erfreulichen Gelegen-
heiten genoſſen, „oder was ihm einmal uͤbel bekam, modifizi-
rend in ſein Urtheil ſich eindraͤngen wird.“ —


[94]

Unter der geforderten Natur- und Kunſtliebe verſtehe ich
aber keineswegs eine eigentliche Begeiſterung. Zwar wird
dieſe von Vielen unnachſichtlich verlangt. — Ich war ſo gluͤcklich,
viele bedeutende Kuͤnſtler aller Faͤcher kennen zu lernen; keiner
davon war begeiſtert. Die Begeiſterten, die mir aufſtießen,
waren mittelmaͤßiges Volk, Dilettanten, Anfaͤnger, Lehrlinge,
uͤberhaupt Leute, die viel ſchwatzten und ſprudelten, von denen
aber keiner weder was Rechtes gebildet und geſtaltet hatte, noch
ſelbſt eines klaren Kunſtgenuſſes faͤhig ſchien. Ich kann mich
irren, aber mir ſcheint es, daß die ſogenannte Begeiſterung
viel mehr Fratzen und dummes Zeug gebildet, als wahrhaft
Schoͤnes, Durchdachtes, Klares, Heiteres und Reines. Nicht
iſt auch zu uͤberſehen, daß mit dem Artikel: „Begeiſterung“
ſchrecklich viel Schmuggelhandel getrieben wird. Zwar ſagt ein
großer Philoſoph, alles Große ſei durch Begeiſterung groß ge-
worden. Aber es iſt ſchon lange her, daß dieſer Mann begei-
ſtert war und niemand iſt von aller Begeiſterung mehr zuruͤck-
gekommen, als gerade dieſer eben ſo große als kluge Philoſoph.
Durch Begeiſterung ſind nicht Wenige ſchon (z. B. um einen
Kopf) kleiner geworden, und die groß geworden ſind, haben
ſich, ohne alle Begeiſterung, ſchlau die Begeiſterten vorge-
ſpannt. Doch ſind das Sachen, die man laͤngſt weiß; aber bei
jedem neuen Falle wieder vergißt. — Der Enthuſiaſt wird uͤber-
haupt ſehr leicht laͤcherlich. Der Eßkuͤnſtler hat dieſe Klippe
vor Allem zu vermeiden. Iſt nun aber die Begeiſterung fuͤr
den Kuͤnſtler ſehr verfaͤnglich, ſo iſt ſie mit der Ruhe des Kunſt-
richters ganz und gar unvertraͤglich.


Aus dieſen Saͤtzen nun wird das Gemeinſame, welches
den Kuͤnſten uͤberhaupt ſo wie der Eßkunſt gleichmaͤßig zu-
kommt, leicht zu entnehmen ſein. Worin liegt denn nun der
Unterſchied?


Man koͤnnte ſagen: auf Geſicht und Gehoͤr beziehen ſich
zunaͤchſt alle andern Kuͤnſte, die Eßkunſt aber auf den Ge-
[95] ſchmack. Beziehen ſich denn darauf die anderen ſchoͤnen Kuͤnſte
nicht auch? und was will Eſſen ohne Sehen, was will blindes
Wirken bedeuten? Das iſt alſo keine Antwort. Indem ich
ſchließlich dieſe Frage zu beantworten ſuchen will, offenbare ich
zugleich ein großes Geheimniß.


Man nimmt zwei Urkraͤfte an, nach welchen Monde, Er-
den und Sonnen ihre Bahnen beſchreiben, durch welche das
Univerſum zugleich auseinander und zuſammengehalten wird
und es waͤre ſonderbar, wenn ſo Großes wie das All, und
nicht zugleich alles Moͤgliche damit zu erklaͤren waͤre. Ich
brauche nicht erſt zu ſagen, daß ich Centripetalitaͤt und Centri-
fugalitaͤt meine. Wenn man nun irgend etwas erklaͤren ſoll,
mit dem man bald und kurz fertig werden will, ſo ſage man
mit Wichtigkeit: ſeine Bedeutung muß als eine centripetale
oder centrifugale erfaßt und begriffen werden. Damit iſt Kaͤlte
und Waͤrme, Schlaf und Wachen, Weiblich und Maͤnnlich, Ge-
muͤth und That, Schmerz und Luſt, Schuͤtze und Scheibe,
Ambos und Hammer, Contraction und Expanſion, Nehmen
und Geben, Seiler und Petſchierſtecher, Geiz und Verſchwen-
dung, Syſtole und Diaſtole, Neid und Liebe, Ein- und Aus-
athmen, Gepruͤgeltwerden und Pruͤgeln, Gewinn und Verluſt,
kurz Alles erklaͤrt.


Um nun auf unſern Gegenſtand zuruͤckzukommen, ſo er-
hellt leicht, wie die uͤbrigen Kuͤnſtler alle etwas außer ſich dar-
zuſtellen ſuchen und ſtreben, aus ſich hinaus arbeiten, centri-
fugal ſind. Des Eßkuͤnſtlers naͤchſtes Ziel aber iſt, in ſich hin-
ein zu arbeiten, centripetal zu ſein. Und das iſt der Humor
davon.


[[96]]

Fünfte Vorleſung.
Moraliſche Beziehungen
.


Ich hatte einſt einen Lehrer und der Lehrer hatte einen
Zopf. Dieſer, der Lehrer, ſagte oͤfter mit wichtiger Miene und
hohen Augenbraunen: „Der Menſch ißt um zu leben, lebt aber
nicht um zu eſſen.“ Das ganze Anſehen des Mannes dabei
verrieth unverkennbar, daß er dachte, damit wirklich etwas ge-
ſagt zu haben, ja man haͤtte ihn wohl fuͤr den erſten Erfinder
dieſes Sinnſpruchs halten koͤnnen, mit ſo viel Antheil pflegte er
ihn vorzubringen. Es war dieß in der Trivialſchule, und da
gehoͤrte es hin. Ich habe nun im Verlaufe des Lebens dieſe
Worte oͤfter gehoͤrt und geleſen und, wie nun Vorſtellungs-Aſſo-
ciationen eben ſind, jedesmal dachte ich dabei an meinen Schul-
meiſter und ſeinen Zopf.


Dieſes ſtete Handeln irgend eines Nutzens und aͤußerlichen
Zweckes wegen, dieſes aͤngſtliche Ruͤck- und Vorwaͤrtslauern
bei jedem Tritt und Schritt, dieſe gemeine Abſichtlichkeit macht
unſere Zeit uͤber die Maaßen ſchaal und trivial. Man riecht
an eine Roſe um zu nießen, wenn man keine Priſe Schnupf-
tabak bei der Hand hat. Der Motion wegen wird, aͤrztlicher
Vorſchrift gemaͤß, ein Spaziergang durch Flur und Wald un-
ternommen, und der Blick wendet ſich kaum von dem uͤppigen
Wuchs der Wieſen, weil Gruͤn den Augen ſo geſund iſt. Man
ſieht und hoͤrt ein Kunſtwerk, eine Gemaͤldeausſtellung, eine
neue Oper, um doch Antwort geben zu koͤnnen, wenn Seine
Excellenz etwa daruͤber fragen ſollte. Man geht zu einem
Gaſtmahl, nicht um zu eſſen, — nein um zu leben.


[97]

Mit Ausnahme einiger Weniger, die wirklich etwas dumm
ſind, iſt’s aber bei der Mehrzahl lauter Gleißnerei, Heuchelei
und Luͤge, — der Fluch unſerer ganzen Zeit.


Da forciren ſich die Leute Geſinnungen an, wie ſie eben
verlangt und bezahlt werden, und zappeln mit Arm und Bein,
um ſie gehoͤrigen Orts an Mann zu bringen. — Der Kenner
merkt gerade am eifrigen Zappeln das Forcirte. — So ein
Ungluͤcklicher, der den ganzen Tag mit ſeinen Geſinnungen
Staat gemacht, legt ſich dann Nachts, muͤde und matt wie ein
gepruͤgelter Hund, der als Schauſpieler und Seiltaͤnzer funk-
tionirt, in’s Bett und monologiſirt ſeufzend: haſt brav getanzt
heute, Caro, haͤtteſt eine Bratwurſt verdient, und haſt ſie doch
nicht gekriegt! Aber nicht der entbehrten Bratwurſt, als ſchnoͤ-
der Bratwurſt, wegen iſt es, daß ich traure; — faͤhrt der Pu-
del fort und leckt ſich die Schnauze, — das waͤre gemein.
Ich haͤtte ſie blos gefreſſen, um als Gatte und Familienvater,
als Hund und Weltbuͤrger, als Kuͤnſtler und Unterthan bei
Kraͤften zu bleiben, und dadurch im Stande zu ſein, dieſen viel-
fachen Verpflichtungen um ſo erſprießlicher zu entſprechen.


Der Menſch ißt eben ſo wenig, um zu leben, als er lebt,
um zu eſſen. Er ißt, weil er Hunger oder Appetit hat, oder in
Deutſchland, weil’s zwoͤlf Uhr ſchlaͤgt. Wie aber die Tugend,
ſo wird das Eſſen von dem Wuͤrdigen und ſeiner Selbſt willen
geuͤbt. Der Eßkuͤnſtler ißt rein um zu eſſen und ſpricht dieß
aus; der Philiſter ſagt, er aͤße, um zu leben, und das ſei chriſt-
lich und moraliſch.


Der Eßkuͤnſtler ißt ſchoͤn, und damit genuͤgt er allen arti-
ſtiſchen Anſpruͤchen. Eben weil er ſchoͤn ißt, bleibt er in den
geregelten Graͤnzen, gleichweit von Schlemmerei als Hunger-
leiderei entfernt. Nun verlangt aber der Philiſter bei jedem
Loͤffel Suppe eine Tugendphraſe, und wo dieſe nicht losgelaſſen
wird, ſchwatzt er von unſittlicher Kunſt. Man weiß, welch’
7
[98] Geſindel bis auf die letzten Tage herab unſere groͤßten Dichter
anwinſelte und anbellte.


Der Eßkuͤnſtler will, daß es ihm und der ganzen Welt
ſchmecke, und wie er niemand etwas wegißt, ſo verlangt er
ſeinerſeits billig ein Gleiches. Er opfert als Menſch ſeinen
Appetit dem Hunger eines Andern auf, kommt aber Hunger
mit Hunger in Colliſion, ſo tritt der fatale Fall von den zwei
Schiffbruͤchigen auf Einem Balken ein, der nur Einen traͤgt.
Welcher von Beiden hinunter und ertrinken ſoll, findet man
ſehr genau und lang in Cicero’s beruͤhmtem Buch uͤber die
Pflichten eroͤrtert. Es iſt nur nicht zu vergeſſen, daß in ſolchen
Extremitaͤten der Eßkuͤnſtler als ſolcher gar nicht in Frage
kommt.


Allerdings erwachſen fuͤr den Eßkuͤnſtler als ſolchem aus
dieſem, ſeinem ſpeziellen Berufe auch eigenthuͤmliche Pflichten,
und dieſe moͤgen denn, da gegenwaͤrtige Vorleſungen ihren Ge-
genſtand nach allen ſeinen Seiten und Richtungen darzuſtellen
haben, auch hier zunaͤchſt beſprochen ſein.


Ueber die abſolute Verpflichtung zum Eſſen uͤberhaupt
gedenke ich nur wenig zu ſagen. Schon Avicenna ſpricht die
große Wahrheit aus, daß wer hungerig iſt, eſſen ſoll, und wie
Prosper Alpinus bezeugt, iſt es zwar ſehr bedenklich, wenn
ein Menſch keinen Durſt hat und nicht trinken mag, toͤdlich
aber iſt’s, wenn Wahnſinn oder Delirium ſo weit geht, daß
der Menſch nicht eſſen will. Nicht eſſen zu wollen wird von
allen erfahrenen Aerzten als der hoͤchſte Gipfel der Narrheit be-
trachtet. Umgekehrt iſt aber noch kein einziger Fall bekannt,
daß die Neigung zur Eßkunſt ſich ſo wild leidenſchaftlich geſtal-
tet haͤtte, daß Wahnſinn daraus hervorgegangen waͤre.


Nach den glaubwuͤrdigſten Zeugniſſen der Geſchichtſchreiber
haben alle großen Maͤnner gegeſſen, und gerne und ohne Be-
denken gegeſſen und die erſten und tiefſten Denker aller Voͤlker
und Zeiten die Verpflichtung zum Eſſen, wenn nicht ausdruͤcklich,
[99] doch ſtillſchweigend, ohne Widerſpruch, ja durch eignes Bei-
ſpiel durchaus anerkannt. Aus ſehr vielen Stellen laͤßt ſich
zur Evidenz erweiſen, daß auch der erhabene Platon gegeſſen
habe. Zwar ſollen einige Heilige faſt gar nichts gegeſſen haben;
doch das ſind Wunder und Gott bewahre mich, ein Wort wei-
ter uͤber Wunder zu ſagen. Die beruͤhmte Vox populi ſpricht
es laut aus, daß durch Eſſen und Trinken Leib und Seele zu-
ſammengehalten werden, woraus die Verpflichtung zu dieſem
Zuſammenhalten unſchwer ſich ergiebt.


Brauche ich mehr, wo ſo viel weltgeſchichtliche Zeugen,
ſolche gewichtige Auctoritaͤten ſprechen, wo Vernunft und Er-
fahrung, Erz, Marmor, Pergament und Papier, von dem
grauſten Grau der Vorzeit und den erſten Anfaͤngen einer Ge-
ſchichte bis auf unſere Tage, ſich beſtaͤtigen, wo die ganze
Menſchheit in ſeltner Uebereinſtimmung ſich in Einem großen
Gedanken begegnet? Und wem ſollte ich gehaͤuftere Beſtaͤti-
gungen darlegen? Einer Verſammlung, welche dieſe Wahrheit
niemals bezweifelte! — Das ſei ferne.


Ich ziehe es vor, einen freundlichen Blick der Liebe auf
die Unſchuld und Harmloſigkeit, auf den genuͤglichen ſeeligen
Frieden unſeres Gegenſtandes zu werfen. Blicket her auf die-
ſen rein und ſchoͤn menſchlichen Genuß. Hier wird keine Un-
ſchuld gemordet, keine Reuethraͤnen fließen, kein Stahl faͤrbt
ſich hier mit Menſchenblut, es muͤßte ſich denn ein Nichteßkuͤnſt-
ler in den Finger ſchneiden. Hier bricht kein verzagendes
Herz; es iſt hinlaͤnglich viel aufgetragen und der hohlaͤugige
Neid, die verzehrenden Flammen der Eiferſucht, das Zucken der
Leidenſchaft ſind ferne.


Iſt Euch das Herz enge und gepreßt von dem Doppelt-
ſinn des Lebens, fluͤchtet hierher! Hat Euch die Freundſchaft
verrathen, die Liebe betrogen, hier iſt Erſatz und ſeeliges Ver-
geſſen. Werdet Ihr traurig uͤber die Schmach und Erbaͤrm-
lichkeit alluͤberall, verſteht Euch die Welt nicht, findet Ihr keine
7*
[100] Anerkennung, ſeufzet Ihr nach Theilnahme vergebens, — hier
iſt Sympathie, hier Aufrichtigkeit, hier ungeheucheltes Mitge-
fuͤhl. Druͤckt Euch Gram, daß Niemand den Mund aufzuthun
wagt, uͤber die großen Sottises des deux parts der Zeit, oder
daß Sprechende durch Knebeln widerlegt werden, — hier be-
wegen ſich ungehemmt, luſtig und tapfer Zungen und Lippen.


„Komm her! wir ſetzen uns zu Tiſch,

Wen moͤchte ſolche Narrheit ruͤhren!

Die Welt geh’ auseinander wie ein fauler Fiſch,

Wir wollen ſie nicht balſamiren.“

Aber warum iſt jener einſam ſtehende Mann ſo tief be-
truͤbt, warum ſeine duͤſtre Stirn ſo krauß, ſeine truͤben Augen
ſo finſter, ſein bleiches Antlitz ſo ſchmerzverzerrt? Warum ent-
winden ſich ſeiner gepreßten Bruſt ſo ſchwere Seufzer? Wa-
rum ſo liebeleer, ſo lebensmatt, ſo thatenſchwach? —


Hierher Juͤngling! Siehe da die ungluͤckſeeligen Folgen
einer unzweckmaͤßig bereiteten und im Uebermaaß genoſſenen Aal-
paſtete, wozu ſchlechter Wein getrunken wurde! Das wuͤrde
einem Eßkuͤnſtler nie begegnet ſein. Jean Paul ſagt das
Naͤmliche, aber nicht ſo ſchoͤn, in folgenden Worten: „Gehe mit
einem Magen, der Unverdautes oder Brechweinſtein bei ſich
hat, uͤber die Gaſſe, ſo wirſt du an zwanzig Herzen und Ge-
ſichtern, und wenn du nach Hauſe kommſt, an noch mehreren
Buͤchern, ein innigeres ſittliches und aͤſthetiſches Mißbehagen
empfinden als ſonſt.“


Goethe bemerkte hinter dem Brenner eine entſchiedne
Veraͤnderung der Menſchengeſtalten, beſonders mißfielen ihm die
braͤunlich bleiche Farbe der Weiber, die auf Elend deutenden
Geſichtszuͤge, die erbaͤrmlichen Kinder ꝛc. Sehr richtig ſuchte
und fand er den Grund im ſchlechten Eſſen der Ungluͤcklichen.
Nichts als Mais und Haidekorn, daraus bereiteter Mehl- und
Waſſerbrei, und das ganze Jahr kein Fleiſch. „Nothwendig,“
[101] ſagt Goethe, „muß das die erſten Wege verleimen und ver-
ſtopfen, beſonders bei den Kindern und Frauen, und die kachek-
tiſche Farbe deutet auf ſolches Verderben.“


Verlaſſen wir das Beklagenswerthe! Wir begegnen Freund-
licherem. Welche muthblitzenden Augen, welche bluͤhenden,
vollen, lachenden Backen, welche Fuͤlle der feſten Waden, wel-
che Kraft und Gelenkigkeit des ſtarken, rieſigen Gliederbaues! —
Woher denn dieſe Entſchiedenheit des Charakters, dieſer kuͤhne
Unternehmungsgeiſt, dieſer durchdachte Plan, dieſes kraͤftige
Wollen?


Seht Ihr denn die, bis auf die maͤchtigen Knochen abge-
nagten Reſte des ſaftigen Bratens nicht, ſteht nicht die bis zur
Nagelprobe geleerte Flaſche trefflichen Weines daneben? —


Sagt doch der alte Galen, man koͤnne durch die bloße
Wahl der Nahrungsmittel einen Weiſen, Klugen, Geſchickten,
Muthigen, Keuſchen oder das Gegentheil von dem Allen machen,
und auch Carteſius ſpricht es aus: Si l’espèce humain peut
être perfectionnée c’est dans la médecine
(im Eſſen) qu’il
faut en chercher les moyens.
Intereſſant iſt die Geſchichte
der moraliſchen Folgen einer Schildkroͤtenſuppe an Herr und
Madame Skate in vierten Theil von Yorick’s empfindſamer
Reiſe, und der Herr Stadtphyſikus Schimko in Olmuͤtz hat
ganz recht, das Menſchengeſchlecht durch beſſere Nahrungsmit-
tel regeneriren und amelioriren zu wollen.


Warum bluͤhen denn in jener Provinz Gewerbe und Han-
del, Ackerbau und Viehzucht, woher der hohe Werth der Grund-
ſtuͤcke, woher deren trefflicher Anbau, die gigantiſchen Gemuͤſe
und Fruͤchte, die 800 Pfund ſchweren Ochſen, die 140 Pfund
ſchweren Kaͤlber, die 23pfuͤndigen Truthaͤhne, woher der rege
Abſatz, woher die froͤhlichen Geſichter, Muſik und Tanz? Die
Leute leben gut, und Leben foͤrdert Leben.


Doch ich laſſe mich von meinem Gegenſtand zu ſehr hin-
reißen. Der Menſch iſt zu einem frohen Lebensgenuß nicht
[102] blos berechtigt; er iſt dazu verpflichtet. „Ich hab’ mich ge-
wundert, ſagt Bettina, wie ſchnell Goethe’s Mutter die
Herzen gewinnen kann, blos weil ſie mit Kraft genießt und
dadurch die Umgebung auch zur Freude bewegt.“ — Die An-
wendung liegt nahe, da der Menſch, wie Goethe ſagt, blos
als ein Supplement aller uͤbrigen zu betrachten iſt, und am
nuͤtzlichſten und liebenswuͤrdigſten erſcheint, wenn er ſich als
einen ſolchen giebt. Wie ſchoͤn iſt’s z. B., daß hohe Haͤupter
bei ihren feſtlichen Gaſtmaͤhlern dem Volke geſtatten, zuzuſehen!


Daß man Gedeihliches genießen ſoll, koͤnnte leicht mit vie-
len Worten dargethan werden, waͤre nicht die Frage viel inter-
eſſanter, was und wie dieß Gedeihliche eigentlich zu ſein habe.
Wir ſind aber noch lange nicht ſo weit gekommen, auch waͤr’s
unlogiſch, hier dieß zu beſtimmen.


Der Menſch ſoll nicht zu viel und nicht zu wenig eſſen.
O du goldene Mittelſtraße, du Ziel der Weiſen wie der Schaafs-
koͤpfe, du temperirter Sommer-, du warmgeheitzter Winter-
Tag, du beſcheidnes Grau, wie ſchimmert dein breites mattes
Licht, der Milchſtraße gleich, ſo mild und kuͤhl alluͤberall ins
Leben, und auch in die hier zu beſprechenden Verhaͤltniſſe, und
zwar hier allerdings am ſchoͤnſten!


Wie mancher beruͤhmte Mann verdankt dir ſeine zeitliche
Unſterblichkeit! Mit dieſer Kruͤcke erhebt er ſich uͤber alle Par-
theien. „Die Wahrheit liegt in der Mitte“ ſagt der große
Mann und die Schaar bloͤkt ſympathetiſche Beiſtimmung.
Mit dieſer einzigen Maxime kann der Menſch ſein buͤrgerliches
und [literariſches] Gluͤck machen.


Man koͤnnte freilich fragen: kann man denn nicht auch
das Nichtuͤbertriebene uͤbertreiben? Doch das fuͤhrte ab. Ich
ſtimme aber der Meinung Jean Paul’s: „Sich maͤßigen paſ-
ſe fuͤr Patienten und fuͤr Zwerge“ ſo wenig bei, daß ich viel-
mehr ſage, es paſſe fuͤr Rieſen. Ich kann’s nur nicht leiden,
wenn ſich die Mittelmaͤßigkeit maͤßigen will. Paßt aber die
[103] Mittelſtraße irgendwo, ſo iſt’s allerdings bei’m Eſſen, nament-
lich in Beziehung auf’s Quantum, wobei nur zu wuͤnſchen
bleibt, daß das Quale nicht zu mittelmaͤßig ſein moͤge.


Es iſt ſchwer zu ſagen, was zu viel und zu wenig iſt,
auch wenn man weiß, daß die Wahrheit in der Mitte liegt.
Ein Menſch kann bei einer Portion maͤßig heißen, die einem
Andern ſchon Indigeſtion verurſacht. Es kommt viel auf die
Maͤgen und dergleichen an. Ein Michel Angelo hat einen ganz
andern Magen als ein Franz Mieris. Die Pariſer Schuſter-
frau Katharina Bonſergent trank taͤglich zwei bis vier Ei-
mer Waſſer; ein einziges Glas Wein aber zog ihr Ohnmachten
zu. Ein ſehr belehrendes Beiſpiel!


Der Jeſuit Leſſius ſetzte fuͤr jeden Menſchen taͤglich zwoͤlf
Unzen Speiſe und vierzehn Unzen Getraͤnk feſt. II ne faut pas
trop regner.
Er mochte immer feſtſetzen. Niemand merkt
darauf, und wenn auch eine ganze Heerde Toͤlpel ſich darnach
gerichtet haͤtte, ſo wuͤrde die Sache dadurch um nichts geſcheid-
ter, ſondern hoͤchſt wahrſcheinlich duͤmmer.


Es laͤßt ſich eher ſagen, wer zu viel, als wer nicht zu viel
ißt. Aber auch jenes iſt nicht ſo leicht. Cochrane berichtet
von einem Jakuten (im Aſiatiſchen Rußland), der innerhalb
vierundzwanzig Stunden ein Viertel von einem großen Ochſen,
zwanzig Pfund Fett, und dazu als Getraͤnk eine tuͤchtige Por-
tion geſchmolzener Butter verzehrte. Zum Deſſert folgte ein
zarter Reispudding von achtundzwanzig Pfund. — Es ſcheint
dieß allerdings einigermaßen uͤber die Schnur gehauen. Wer
aber getraut ſich, die ſubjektive Eßzurechnungsfaͤhigkeit dieſes
Menſchen zu beſtimmen, um zu behaupten, es ſei wirklich fuͤr
ihn zu viel?


Renaud de Beaune, Erzbiſchoff zu Bourges, mußte
Nachts, wenn er kaum vier Stunden geſchlafen hatte, aufſtehen,
um zu eſſen. Um vier Uhr Morgens hielt er die zweite Mahl-
zeit. Um acht Uhr folgte das eigentliche Fruͤhſtuͤck und Mit-
[104] tags, wie billig, das eigentliche Mittagsmahl. Vier Stunden
ſpaͤter machte ſich ein ergiebiges Vesperbrod noͤthig. Nach dem
nun folgenden Abendmahl ſchloß noch unmittelbar vor Schla-
fengehen ein ſiebentes Mahl die Muͤhen des Tages. Zu jeder
dieſer Reſtaurationen war etwa eine gute Stunde erforderlich.
Dabei war der Mann munter, geſund und, ſo weit die Zeit
zureichte, ſehr geſchaͤftsthaͤtig, und ſtudirte und verdaute gleich
gut. Etwas nant war’s jedoch, daß er, zur Vermeidung
unnoͤthiger Appetitaufregungen, Bewegung in friſcher Luft und
Spazierengehen ſorgfaͤltig vermeiden mußte.


Viele Moraliſten geben den Rath, man ſolle aufhoͤren,
wenn’s einem am beſten ſchmeckt. Aber wie weiß man dieß?
Man koͤnnte ja, auf dem Wege des Experiments zur Ermitt-
lung dieſes Moments — Experimentum est periculosum
ſchon viel zu viel gegeſſen haben, bis man dahinter gekommen
waͤre. Und gleich am Anfang, wo’s einem am allerbeſten
ſchmeckt, ſoll man doch nicht ſchon wieder aufhoͤren? — Man
kann hieraus ſehen, welch’ eben ſo unuͤberlegte als unausfuͤhr-
bare Lebensregeln moraliſche Eiferer in die Welt hinausſchreien
und fuͤr nichts und wieder nichts die Gewiſſen der Menſchen
verwirren. Es erſcheint zweckmaͤßiger zu ſagen: eſſe, ſo lang
es Dir ſchmeckt, und hoͤre auf, wenn es Dir nicht mehr ſchmeckt,
oder: eſſe nicht bis zur Ueberſaͤttigung.


Mit dem entweder rohen oder krankhaften zu viel Eſſen,
welches man — mit Erlaubniß der Zartſinnigen! — kurzweg
auch Freſſen nennt, nahe verwandt iſt das Eſſen von Ungenieß-
barem. Leider wird deſſen nur zu viel gekocht, womit ſich Lieb-
haber, phyſiſch, moraliſch und aͤſthetiſch, Geſchmack und Ver-
dauung verderben. Koͤnnte man Vorſtellungsobjekte im Hirn,
und Appetite im Herzen durch die Sektion ermitteln, man
wuͤrde bei manchem Leſer ein aͤhnliches Reſultat finden, wie in
dem Magen des Galeerenſklaven Bazile, der im Marineſpital
zu Breſt ſtarb. Der Sektionsbericht glich einem Inventarium
[105] und der Kerl hatte ſo Unrecht nicht, wenn er kurz vor ſeinem
Tode zu ſeiner Waͤrterin ſagte: j’ai mille diable de choses
dans le ventre, qui font tout mon mal.
Es fanden ſich darin:


  • a) Faßreife von diverſer Groͤße;
  • b) dreizehn Stuͤcke Eichenholz;
  • c) hoͤlzerne und zinnerne Loͤffel. — Es kommt auch
    ſonſt vor, daß Leute Loͤffel fuͤr Speiſen nehmen. —
    Ferner:
  • d) zinnerne Schnallen;
  • e) ein Pfeifenkopf;
  • f) ein Klappmeſſer;
  • g) Fenſterglas;
  • h) item Leder;
  • i) eine blecherne Roͤhre, und
  • k) noch einige, weniger erhebliche Varia.

Hofrath Huhn berichtete von einem Vielfraß in Auen-
heim, der Steine von der Groͤße eines Huͤhnereies, Kroͤten,
Froͤſche, Stecknadeln, Laubthaler u. andere Muͤnzen gierig ver-
ſchluckte, und wenn ſie ihn belaͤſtigten — Miſtjauche trank. (In die-
ſer moraliſchen Vorleſung darf dergleichen ſchon genannt werden.)
Dabei war er natuͤrlichen Nahrungsmitteln abgeneigt. Ganz
daſſelbe, mit buchſtaͤblichem Einſchluß eines genannten Ingre-
diens, welches nicht wiederholt werden ſoll, gilt ja auch von
der Lektuͤre der neu romantiſchen Franzoͤſiſchen Schule.


Der beruͤhmte Wittenberger Kahle, ſeines außerordentli-
chen Appetits wegen Freßkahle genannt, welcher 1754 im
79ſten Jahre ſeines Alters ſtarb, fraß zum Fruͤhſtuͤck ein Span-
ferkel mit Haut u. Haaren, und dieß that einem Mittagsmahl,
welches aus einem Hammel mit Fell und Knochen beſtand,
nicht den geringſten Abbruch. Kein Mondſcheindichter haͤtte
einen erwuͤnſchteren Leſer finden koͤnnen, als ihn. Ratten,
Maͤuſe und Eulen waren fuͤr ihn wahre Leckerbiſſen. Ja er
fraß die Speiſen mit den irdenen Schuͤſſeln, verſchlang den
[106] Caffée mit der Taſſe, den Wein mit dem Glaſe. Noch mehr,
er nahm ſogar ein bleiernes Schreibzeug mit Dinte, Streuſand,
Federn und Federmeſſer zu ſich. Ein wahrer Eßpolyhiſtor! Ein
Morhof in ſeinem Fach!


Dieſer große Mann entwickelte dabei manchmal den lie-
benswuͤrdigſten Humor. So fraß er z. B. einmal in einem
Wirthshaus, dem liebſten Schauplatz ſeiner Darſtellungen, einen
ganzen Dudelſack. Der Virtuoſe, dem er gehoͤrte, ein reiſender
Pohle, hatte eben, vom prophetiſchen Geiſte ergriffen, das ſchoͤne
Lied geblaſen: „Pohlen iſt noch nicht verloren“ und glaubte
nun, nachdem der Dudelſack gefreſſen war, jetzt kaͤme die Reihe
des Gefreſſenswerdens an ihn, lief daher, ſo ſchnell er konnte,
davon und Kahle, zur großen Beluſtigung der Gaͤſte des
Wirthshauſes zum ſchwarzen Adler, ihm nach.


Unter Anderm folgt hieraus: Eſſe nichts Ungenießbares,
eſſe nichts, was Du nicht verdauen kannſt!


Ueber das entgegengeſetzte Gebot: Eſſe nicht zu wenig! —
ſage ich deßhalb wenig, weil Faͤlle, welche ſich dafuͤr eigneten,
ſehr ſelten vorkommen, und wo ſich dieſes Gebot geltend machen
koͤnnte, die Schuld weniger am moraliſchen Willen, als an dem
kleinen, organiſch verengerten Magen liegt, der eben nicht viel
faßt und vertraͤgt, wogegen aber Mittel und Gebote gleich uͤber-
fluͤſſig ſind. Das moͤchte etwa hier zu erinnern ſein, daß ſolche
kleine Maͤgen, welche wenig faſſen und vertragen, nicht affek-
tiren und groß damit thun ſollten, als wollten und moͤchten ſie
nicht mehr zu ſich nehmen, waͤhrend ſie doch nicht koͤnnen.
Solche ſuchen gerne Collegen von umfaſſenderer Capazitaͤt und
daher umfaſſenderem Bedarf, als unſittliche Maͤgen zu ver-
ſchreien, und dieß iſt eine Hauptquelle der Mediſance auf Erden.
Der als Schwelger verrufene Lucull, von dem Byron ſagt,
er habe ſich durch ſeine Kochkunſt groͤßere Verdienſte erworben,
als durch ſeine Eroberungen, war ein eben ſo tapferer Kriegs-
held, als decitirter Platoniker.


[107]

Es kommt nun aber ein anderes ethiſches Gebot in Be-
tracht, naͤmlich die Pflicht, ſich bei gutem Appetit zu erhalten.
Durch nichts wird aber der Appetit mehr verdorben, als durch
Saufen. Ein Saͤufer wird und kann niemals ein Eßkuͤnſtler
ſein. Der Saͤufer zerſtoͤrt geradezu alle Bedingungen eines
heiteren Genuſſes des Lebens uͤberhaupt und des Eſſens und
was damit zuſammenhaͤngt insbeſondere. Der Eßkuͤnſtler trinkt
uͤber, oder beſſer nach Tiſch ſein Flaͤſchchen Wein oder pro
captu
zwei; man wird ihn aber nie ſaufen ſehen, ja man kann
von Jemand, der ſaͤuft, mit Beſtimmtheit ſagen, er ſei kein
Eßkuͤnſtler.


Wie es von wilder Rohheit oder pathologiſcher Abnormitaͤt
zeugt, wenn der Menſch frißt, ſo zeugt es von niederem Stand-
punkte, Bornitur und Engherzigkeit, wenn der Menſch ſich auf
einen zu kleinen Kreis, auf eine zu geringe, zu wenig mannich-
faltige Auswahl von Speiſe beſchraͤnkt. Die guten Schaͤfchen,
welche Faſttage halten, kommen in dieſen, fuͤr Maͤnner beſtimm-
ten, Vorleſungen nicht in Betracht. Allerdings haben einzelne
Menſchen fuͤr manche Beziehungen von Natur aus keinen Sinn,
kein Talent; bei anderen ſind Idioſynkraſieen wirklich krank-
haft. Dieß jedoch nur in den ſeltenſten Faͤllen. Meiſtens be-
ruhen ſolche Abneigungen gegen einzelne Speiſen auf Vorur-
theil, Befangenheit, Mangel an Muth zum Experiment. So
hab’ ich mir als junger Menſch eingebildet, ich koͤnnte niemals
Neigung zu demjenigen Fiſch faſſen, welchen, wie Pater Abra-
ham a Sancta Clara
ſagt, die Hollaͤnder Stock nennen, und
der in unſeren Landen ohne Kopf anzutreffen. Gereiftere Er-
fahrung lehrte mich ihn ſehr applicable und liebenswuͤrdig
finden. Es iſt eine Speiſe von beſtimmtem, entſchiedenem Cha-
rakter, bei dem man weiß, woran man iſt, obſchon man glaubt,
daß einige Verdauungskraft dazu gehoͤrt, ihn zu vertragen.
Viele Schriftſteller zaͤhlen ihn aber gerade zu den leichtverdau-
lichſten Speiſen. Nicht nur ziehe ich ihn der Doppelzuͤngigkeit
[108] einer ſauerſuͤßen Wurſt mit Mandeln und Roſinen bei weitem
vor — und er verdient es — ſondern ich eſſe ihn jetzt mit der
groͤßten Luſt. So ging es mir auch mit den vornehmeren Au-
ſtern, deren Charakter zwar indifferenter, zugleich aber merklich
feiner und anregender iſt. Ich hatte gluͤcklicherweiſe ihre Be-
kanntſchaft privatim gemacht und wußte ſchon ſehr wohl mit
ihnen zu verfahren, als ich die peinigende Verlegenheit eines
jungen Mannes mit Bedauern zu beobachten Gelegenheit hatte,
welcher zu einem noblen Gaſtmahl geladen, zum erſten Mal Au-
ſtern begegnete, ſich zu geſtehen ſchaͤmte, er wiſſe nicht damit
umzugehen, und gleichwohl das Ungewohnte, Ungekannte nicht
zu ſchlucken wagte, aus Mißtrauen gegen ſeinen Magen und
aus Furcht, durch Eclat noch anſtoͤßiger zu werden. Blos
durch dieſe Kleinigkeit verlor der junge Mann bei faſt jedem,
der es ſah, alles Zutrauen und galt fuͤr nichts.


Aber nicht blos deßhalb ſollte man trachten, jeder Speiſe
Herr zu werden, ſondern je mehr im ganzen Bereiche der Natur
und des Lebens fuͤr den Menſchen Ungenießbares iſt, je weniger
er ſich daraus anzueignen vermag, um ſo aͤrmer iſt die ganze
Welt fuͤr den Menſchen, und alſo er ſelber auch. So geben ſich
auch manche, beſonders Frauen und junge Maͤnner, ſo unbe-
dingt den erſten Eindruͤcken hin, daß ſie ein fuͤr allemal gewiſſe
Speiſen oder Menſchen nicht leiden moͤgen, deren ſie ſich nun
auch durch ſtetes Abſtoßen dauernd berauben und dadurch, wie
ſich oft zu ſpaͤt (z. B. wenn ſie keine Zaͤhne mehr haben) mit
ſchmerzlicher Reue ergiebt, um die ſchoͤnſten Beziehungen und
Genuͤſſe kommen. Manche Idioſynkraſieen haben aber einen
rein moraliſchen Urſprung und deren Aeußerungen deuten auf
entſprechende Defekte hin. So koͤnnen es Manche nicht leiden,
wenn von einem nicht angenommenen Duell, von Naſenſtuͤ-
bern, von Davonlaufen, von außerehelicher Schwangerſchaft, von
Naſen und dergleichen geſprochen wird. Olaus Borrichius
erzaͤhlt von einem Weinwirthe, der, ſo oft er Eſſig ſah, mit
[109] den Zaͤhnen knirrſchte und in einen kalten Schweiß ausbrach.
Es laͤßt ſich wohl annehmen, daß hier gewiſſe Reminiscenzen
im Spiele waren. So bekam der Theologe Pechmann, in
Folge paͤdagogiſcher Erinnerungen, von Jugend auf vor Beſen,
ja vor dem leiſeſten Streichen eines Beſen oder einer Ruthe
die beklemmendſten Schauder und Kraͤmpfe.


Doch genug davon. Ariſtoteles verlangt von der Tra-
goͤdie eine Reinigung, Beruhigung der Leidenſchaften (καϑαρσις
των παϑηματων). Eine gute Mahlzeit entſpricht oft dieſem
Zwecke viel durchgreifender. Gewiß manche furchtbare That,
Mord, Selbſtmord ꝛc., waͤre unterblieben, haͤtte der Thaͤter
durch ein gutes Mittageſſen ſeine Leidenſchaften gereinigt, pur-
girt, abgeleitet, abgefuͤhrt.


Der Menſch ſoll ſich nicht geniren zu eſſen. O Ihr Na-
tur- und Wirklichkeits-Scheuen Hyperidealen, Ihr zarten zim-
perlichen Naturen, gebt doch die duͤnne Luft Eurer Ueberſchweng-
lichkeit auf! Sie kommt weder Euch noch Andern zu gut. Ihr
ſelbſt verfallt uͤber kurz oder lang der Trommelſucht oder der
Auszehrung, und Andere haben den Jammer, es anſehen zu
muͤſſen. Beißt ungenirt ein, ſchuͤchterne Juͤnglinge, haltet das
Eſſen nicht fuͤr gemein; lernt’s lieber.


Der Menſch ſoll mit Heiterkeit und Luſt eſſen, um recht
zu eſſen. Aus dem ſchoͤnen Spruche Sirach’s: „Einem froͤh-
lichen Herzen ſchmeckt alles wohl, was er iſſet“ ergiebt ſich
leicht, warum Heiterkeit ſchon der in der erſten Vorleſung gege-
benen Definition des Eſſens einzuverleiben war. Ein gewiſſer
heiterer Ernſt wird den Eßkuͤnſtler, der mit Eifer ſich ſeinem
Berufe widmet, nie verlaſſen. Nur keine Sentimentalitaͤt uͤber
Tiſch! — Wenn Jean Paul klagend ausruft: „Himmel, aus
wie vielen Marterſtunden der Thiere gluͤhen und loͤthen die
Menſchen eine einzige Feſtminute der Zunge zuſammen!“ —
ſo iſt dieß eben ein Geſichtspunkt, aus welchem das Eſſen ge-
rade nicht angeſchaut, am allerwenigſten aber dargeſtellt werden
[110] darf. Denn was ſoll dabei herauskommen? Man ißt deßwe-
gen doch, und Jean Paul hat ſich’s recht wohl ſchmecken laſſen.
Ich habe als Kind ein uͤbermaͤßig ruͤhrendes Lied uͤber den Tod
(ich weiß nicht mehr) einer erſchoſſenen Lerche oder eines Finken
lernen muͤſſen, das ich vor lauter Thraͤnen kaum ſingen konnte.
Es hat auf meinen Eßcharakter nicht den mindeſten Einfluß ge-
habt. Eine gebratene Lerche und eine ſingende Lerche ſind ſo
himmelweit von einander verſchieden, daß man Abends die naͤm-
liche mit dem groͤßten Appetit eſſen kann, uͤber deren Morgen-
lied man Thraͤnen vergoſſen.


Eine ernſte Aufgabe fuͤr den Menſchen bleibt immer die,
wenn er auch nicht gerade ſo eſſen kann, daß Andere daruͤber
erfreut zu werden vermoͤchten, doch wenigſtens ſo zu eſſen, daß
Andere nicht den Appetit verlieren. Das Eſſen iſt aber an ſich
eine ſo egoiſtiſche Handlung, daß ein geſitteter Menſch alles
Moͤgliche anwendet, ſie zu veredeln, wozu denn allerdings auch
das poſitive Beſtreben gehoͤrt, auch objektiv ſchoͤn, d. h. Andern
erfreulich zu eſſen.


Die Moral verlangt ferner ein tolerantes Urtheil, wovon
ich ſelber im Verlaufe der Vorleſungen ſchon ſehr unterſchied-
liche Proben gegeben habe. Es giebt Leute, die durchaus nicht
dulden wollen, daß einem Andern etwas ſchmeckt, woran ſie
ſelber kein Behagen finden. Ja ich habe ſelbſt von Perſonen,
die ſich fuͤr wohlgezogen hielten, uͤber ein, mit liebendem An-
theil ausgedruͤcktes, Lob irgend einer Speiſe, ein widerliches
„Pfui!“ — mir ins Angeſicht ausſprechen gehoͤrt. Iſt dieß
Feinheit der Geſinnung und Auffuͤhrung, iſt dieß human und
tolerant? — Umgekehrt aber wollen Andere, es ſolle durchaus
jedem das ſchmecken, was ihnen ſelbſt behagt und waͤr’s Teu-
felsdreck. Beides iſt, mit aller Toleranz ſei es geſagt, durch-
aus verwerflich.


So verwerfen auch manche gar zu riguroͤſe Leute das Re-
den uͤber das Eſſen ganz und gar, als einem Manne nicht wohl
[111] ziemend. Wie ſchoͤn fuͤhrt dagegen Archestratus aus, daß
man zwar manche Leckerbiſſen nur in gewiſſen Jahreszeiten ge-
nießen, dafuͤr aber das ganze Jahr hindurch mit waͤſſerndem
Mund davon ſprechen koͤnne. — Wenn man aber uͤber Anderes
ſchon geſprochen hat, oder gar nicht reden kann, will, oder
darf, — iſt’s denn nicht huͤbſcher, vom Eſſen zu ſprechen, als
ganz zu ſchweigen? und findet man nicht uͤber dieſes Objekt am
erſten noch Anklang? Freilich iſt’s unpaſſend, ja grauſam,
mit Hungrigen vom Eſſen zu reden, wie z. B. Grumio mit
dem hungerigen Kaͤthchen in Shakeſpeare’s gezaͤhmter Keiferin.
Goethe erzaͤhlt in ſeiner Campagne in Frankreich: „Bei einem
ploͤtzlichen Befehl zum Aufbruch und dadurch geſtoͤrten Mit-
tageſſen ſprachen mehrere hungernde Genoſſen im Reiten vom
Eſſen. Einer wuͤnſchte ſich Bratwurſt und Brod, ein Anderer
ſprang gleich mit ſeinen Wuͤnſchen zum Rehbraten und Sar-
dellenſalat. Da aber das Alles unentgeldlich geſchah, fehlte es
auch nicht an Paſteten und ſonſtigen Leckerbiſſen, nicht an den
koͤſtlichſten Weinen, und ein ſo vollkommnes Gaſtmahl war bei-
ſammen, daß endlich einer, deſſen Appetit uͤbermaͤßig rege ge-
worden, die ganze Geſellſchaft verwuͤnſchte, und die Pein einer
aufgeregten Einbildungskraft im Gegenſatze des groͤßten Man-
gels ganz unertraͤglich ſchalt. — Ein andermal, unter aͤhn-
lichen hungrigen Verhaͤltniſſen, hatten die Leute des Prinzen
Louis Ferdinand einen ſchweren verſchloſſenen Kuͤchenſchrank
erbeutet, verſicherten, es klappere darin, und ſie hofften einen
guten Fang gethan zu haben. Man erbrach ihn begierig, fand
aber nur ein ſtark beleibtes Kochbuch und nun, indeſſen der ge-
ſpaltene Schrank im Feuer aufloderte, las man die koͤſtlichſten
Kuͤchenrezepte vor, und ſo ward abermals Hunger und Be-
gierde durch eine aufgeregte Einbildungskraft bis zur Verzweiflung
geſteigert.“


So paßt’s freilich nicht, außerdem aber gehoͤren Geſpraͤche
uͤber das Eſſen im Allgemeinen und Beſondern gewiß zu den
[112] unverfaͤnglichſten, die der civiliſirte Menſch aufzutreiben im
Stande iſt, eignen ſich daher fuͤr Reſidenzſtaͤdte, Regierungs-
ſitze und andere ſolch’ ſchoͤne menſchliche Niederlaſſungen vor-
zuͤglich. Doch auch weniger hoch ſtehende Zirkel ergoͤtzen ſich
mit Recht an der Harmloſigkeit dieſes Sprechobjektes. Wie
patriarchaliſch freundlich iſt es, wenn Sonntags in der Abend-
compagnie bei einem Kruge Bier der Buͤrger ſeinen Nachbarn
erzaͤhlt, was er zu Mittag gegeſſen, wie gut es ſeine Frau gekocht,
und wie es ihm und ſeinem kleinen Gottlieb wohlgeſchmeckt.
In ſchoͤner Theilnahme ißt jeder Nachbar in Gedanken mit, und
erzaͤhlt auch ſeinerſeits, was ihm geſchmeckt, und es iſt billig,
daß jeder an die Reihe des Erzaͤhlens kommt.


„— Und knackten jede ſchoͤne Nuß

Noch einmal in Gedanken auf. —“

Welch’ eine ſpirituelle Multiplication der einzelnen Mit-
tageſſen, welche Menge der vielfachſten fetten und magern, ſauren
und ſuͤßen Erinnerungen, welche edle Einfalt der Sitten, wel-
che unbedenkliche Ruhe des Staatsbuͤrgers.


Der Menſch ſoll geſellig ſein und geſellig eſſen. Sancho
Panſa
ſagt zwar: „haͤtte ich etwas Gutes zu eſſen, ſo wuͤrde
es mir ſtehend und fuͤr mich eben ſo gut und beſſer ſchmecken,
als wenn ich einem Kaiſer zur Seite ſaͤße. Und es heißt wohl
in Wahrheit, weit beſſer ſchmeckt, was ich in meinem Winkel-
chen verzehre, ohne Complimente und Reverenz, und wenn es
Brod und Zwiebeln waͤren, als die waͤlſchen Haͤhne vornehmer
Tafeln, wo ich gezwungen bin, langſam zu kauen, wenig zu
trinken, mir oft den Mund zu wiſchen, nicht zu nießen, noch
zu huſten, wenn mir die Luſt ankommt, noch ſonſt Etwas zu
thun, was Alleinſein und Ungebundenheit mit ſich bringt.“
Dieß ſind aber unanſtaͤndige Anſichten eines Naturaliſten. Jean
Paul
behauptet dagegen, daß durch Tiſchgeſpraͤche das Eſſen
erſt ein menſchliches werde. Kant empfiehlt das geſellige Eſſen
deßhalb, weil deſſen anregende Geſpraͤche die periſtaltiſche Be-
[113] wegung der Gedaͤrme, und dadurch die Verdauung befoͤrdern, —
und Johann Jacob Wagner lehrt: „Daß gemeinſame Mahl-
zeiten bei allen Voͤlkern und zu allen Zeiten als ein Menſchen
verbindendes Mittel angeſehen worden ſind, hat ſeinen tiefen
Grund in der menſchlichen Natur ſelbſt, als welche aus Himm-
liſchen und Irdiſchen zu ſchoͤner Verſchmelzung beider Elemente
gemiſcht den Genuß der Speiſe uͤber die thieriſche Form hinaus-
heben und durch Einwebung gemuͤthlichen und geiſtigen Lebens
veredeln will. Haben ja Manche von der Hoheit der Menſchen-
natur tief ergriffen, unter der Form des Tiſchgebets ſogar reli-
gioͤſes Leben hineinzubringen geſucht, und Philoſophen der Vor-
zeit haben die ſchoͤnſten Aufgaben ihrer wiſſenſchaftlichen Dar-
ſtellung unter der Form eines Gaſtmahles der Speiſen loͤſen zu
koͤnnen geglaubt. Wenn nun die Vermenſchlichung des Ge-
nuſſes der Speiſen in der That an eine Gemeinheit der Spei-
ſenden gebunden erſcheint, ſo iſt auch die Mahlzeit ſelbſt eine
Ruhezeit von den Muͤhſeligkeiten des Lebens, alſo ein feſtlicher
Punkt im Leben, und die Labung, welche hier dem Leibe durch
Speiſe und Trank widerfaͤhrt, bringt auch von ſelbſt eine zur
Mittheilung im Wechſelgeſpraͤche geneigte Stimmung in das
Gemuͤth ꝛc. ꝛc.“


Ohne daß hiergegen das Mindeſte eingewendet ſein ſoll,
wird der Eßkuͤnſtler immer das Eſſen ſelbſt als Haupt-, das
Reden aber als Nebenſache betrachten.


Von wie viel Seiten aber eine und dieſelbe Sache betrach-
tet werden kann, beweiſt noch der Oheim in den Wanderjahren,
welcher behauptet: keine Erfindung des Jahrhunderts verdiene
mehr Bewunderung, als daß man in Gaſthaͤuſern, an beſonde-
ren kleinen Tiſchchen nach der Charte ſpeiſen koͤnne, und ſobald
er dieß gewahr geworden, es auch fuͤr ſich und Andere in ſeiner
Familie einzufuͤhren ſuchte. Im beſten Humor mochte er gern
die Schreckniſſe eines Familientiſches lebhaft ſchildern, wo jedes
Glied mit fremden Gedanken beſchaͤftigt ſich niederſetzt, ungern
8
[114] hoͤrt, in Zerſtreuung ſpricht, muffig ſchweigt, und wenn gar
das Ungluͤck kleine Kinder heranfuͤhrt, mit augenblicklicher Paͤ-
dagogik die unzeitigſte Mißſtimmung hervorbringt. So man-
ches Uebel, ſagte er, muß man tragen; von dieſem habe ich
mich zu befreien gewußt. — Allerdings gehoͤren zu eigentli-
chen Gaſtmaͤhlern keine kleinen Kinder. Am Familientiſch aber
iſt’s doch nicht uͤbel, zu ſehen, wie’s den kleinen Dickkoͤpfen
ſchon ſo gut ſchmeckt, und wie ſie ſich ſo eifrig der erſten Vor-
uͤbungen befleißigen, um dereinſt zu der hoͤheren Stufe wahrer
Eßkuͤnſtler ſich zu befaͤhigen. Paͤdagogiſche Ruͤgen finden aller-
dings beſſer vor oder nach Tiſch Statt, wie auch ſchon Sirach
ſpricht: Strafe und Lehre ſoll man zur rechten Zeit uͤben. —
Ehe man nun aber den Oheim als Egoiſten tadelt, bedenke
man wohl, daß der alte Herr gerne, reichlich und gut Andern
zu eſſen gab und ſich daran ergoͤtzte, zu ſehen, wie’s Andern
wohlſchmeckt. Dieß, gut zu eſſen Geben, iſt in ſittlicher Be-
ziehung die Hauptſache, d. h. wenn ein edler Menſch ein Faͤß-
chen Auſtern geſchickt bekommt, ſo ißt er ſie nicht allein, ſon-
dern invitirt gute Freunde.


Die Pflichten gegen ſich ſelbſt bilden in jeder Moral ein
mehr als uͤberfluͤſſiges Kapitel. Dieſe erfuͤllt der Menſch nur
zu ſehr, ohne daß man ſie ihm einzuſchaͤrfen braucht. Die
Pflichten aber gegen die Nebenmenſchen werden verſaͤumt, man
mag predigen, ſo viel man will.


Es giebt aber einen ſittlichen Takt, der auf Wohlwollen,
Schoͤnheitsſinn und Verſtand ruht, und von dem ein Beiſpiel
zu geben, hier am Orte iſt. Der treffliche Graf Rumford
ſetzte der allbekannten und nach ihm benannten Suppe geroͤſtete
Brodſchnitte zu, um das Kauen zu verlaͤngern und das mit
dem Eſſen verbundene Vergnuͤgen (the pleasure of eating),
das ſich niemand, auch der Arme nicht, gern nehmen laͤßt, zu
vermehren. Dieſes Vergnuͤgen, dem Rumford in ſeinen 1796
zu London erſchienenen Experimental Essays ein beſonderes,
[115] ſehr leſenswerthes Kapitel gewidmet hat, wird theils da-
durch befoͤrdert, daß man der eigentlich naͤhrenden, aber oͤfters
geſchmackloſen Subſtanz einen angenehmen Geſchmack zu geben
ſucht, welches durch eine Menge ſehr wohlfeiler Mittel, worun-
ter das Salz gehoͤrt, erhalten werden kann, und dann, daß man
dem ſchnellen Verſchlucken vorbeugt und zum Kauen noͤthigt.
Dieſes Letztere wird nun durch die Brodſchnitte befoͤrdert, die
an ſich ziemlich geſchmacklos ſind. Man roͤſtet ſie deßwegen,
am beſten in einer Fettigkeit, die das Eindringen des Waſſers
und folglich das ſchnelle Zergehen derſelben hindert, und daher
das Kauen um ſo nothwendiger macht.“


So etwas will gefuͤhlt und verſtanden ſein und wer’s
nicht fuͤhlt und verſteht, hat kein Talent zur Tugend.


„Sie hat ein gut Gemuͤth, drum kocht ſie gut“ heißt’s in
Lenau’s Fauſt, und weiter:


„Ich hab’s erfahren oft auf meinen Reiſen

— Bemerkt nun Fauſt mit ſchwatzhaftem Vergnuͤgen —

Der Frauen Herz, voll raͤhſelhaften Zuͤgen,

Erprobt ſich ſtets am Wohlſchmack ihrer Speiſen.

Wenn ſo ein gutes Weib kocht, braͤt und ſchuͤrt,

Und in den Topf den Wunſch des Herzens ruͤhrt,

Daß es den Gaͤſten ſchmecke und gedeihe,

Das giebt den Speiſen erſt die rechte Weihe.“

Uebrigens ſtimme ich dem Dictum: moraliſche Vorleſun-
gen duͤrfen nicht zu lange dauern, vollkommen bei und bethaͤtige
dieß meinerſeits, indem ich ſchließe.



[[116]]

Sechste Vorleſung.
Diätetik des Eßkünstlers
.


Gleichwie Bildhauer, Steinſchneider und Goldſchmiede bei
Ausuͤbung ihrer Kunſt der noͤthigen mineralogiſchen Kenntniſſe
der zu verarbeitenden Naturſtoffe und ihrer Eigenſchaften nicht
fuͤglich entbehren koͤnnen, eben ſo, und nicht anders erkennt der
Eßkuͤnſtler die Nothwendigkeit diaͤtetiſcher Regeln an. Wie
aber dort Mineralogie, ſo gilt hier Diaͤtetik lediglich als Hilfs-
wiſſenſchaft, und als ſonſt nichts.


Die Diaͤtetik des Eßkuͤnſtlers iſt aber von der anderer
Leute, wie wir ſie in Lehr- und Handbuͤchern zu Dutzenden
haben, weſentlich verſchieden. Entweder naͤmlich bezwecken jene
vor Allem und ausſchließlich das lange Leben, wobei an den
qualitativen Lebensgenuß ſo wenig gedacht iſt, daß namhafte
Auktoritaͤten (Galen, Avicenna, Gratarolus u. A.) ſogar
ungemiſchte Speiſen als Mittel ihres erſten und letzten Zweckes,
des langen Lebens, zu Grunde legen, oder ſie ſind fuͤr ſchwache
Maͤgen berechnet. Auch Mephiſtopheles raͤth dem Fauſt:


„Begieb dich gleich hinaus auf’s Feld,

Fang’ an zu hacken und zu graben,

Erhalte dich und deinen Sinn

In einem ganz beſchraͤnkten Kreiſe,

Ernaͤhre dich mit ungemiſchter Speiſe,

Leb’ mit dem Vieh als Vieh, und acht’ es nicht fuͤr Raub,

Den Acker, den du ernteſt, ſelbſt zu duͤngen ꝛc. —“

Wie aber Fauſt, ſo antwortet auch der Eßkuͤnſtler: das
enge Leben ſteht mir gar nicht an, — und was die genannten
ſchwachen Maͤgen betrifft, ſo wird bei dem Eßkuͤnſtler als Con-
[117] ditio sine qua non
durchaus ein guter Magen vorausgeſetzt.
Wer dieſen nicht hat, iſt nun einmal zum Eßkuͤnſtler verdorben,
und kommt daher hier durchaus nicht in Betracht. Wem fiele
es jemals ein, aus einem Hinkenden einen Ballettaͤnzer bilden
zu wollen?


Was aber jenen wahrhaft Mephiſtopheliſchen Rath der
ungemiſchten Speiſe betrifft, welchen Fauſt auf’s Wort hin
glaubt und doch verwirft, — ſo werden diejenigen meiner ſehr
verehrten Herrn Auditoren, welche dieſen Vorleſungen mit Auf-
merkſamkeit gefolgt ſind, unſchwer beurtheilen, daß die Vor-
ausſetzungen, nach welchen er gegeben wurde, unrichtig ſind,
demnach alſo der ganze Rath ſelber verfehlt und falſch iſt, und
alſo nichts taugt. Ich muͤßte aber einen großen Theil der be-
reits gehaltenen Vorleſungen noch einmal leſen, um dieß nach-
zuweiſen, was um ſo weniger ſtatthaft waͤre, je laͤnger uͤber-
haupt ſchon vom Eſſen in allgemeinen Beziehungen die Rede
war, und je dringender es mir daher Aufgabe und Pflicht iſt,
endlich zu dem Speziellen des Eſſens und der einzelnen Speiſen
zu kommen. Es genuͤge daher die einzige Bemerkung, daß der
Eßkuͤnſtler eben nicht mit dem Vieh als Vieh leben mag und
kann, ſelbſt nicht um den Preiß, in dieſer Eigenſchaft alt zu
werden. Aber das Beiſpiel der ungemiſchte Speiſe genießenden
bleichen, ſchwaͤchlichen und finſtern Bramanen iſt weder ſo an-
ziehend, noch jenes von Maͤnnern, welche, wie Anacreon,
Democrit, Voltaire, Fontenelle, Goͤthe
u. A. — in hohem
Alter ihr genußreiches Leben beſchloſſen, ſo abſtoßend, um der
ungemiſchten Speiſe ſehr das Wort zu reden. Wir halten es
drum mit der Mannigfaltigkeit und gedenken dabei in keiner
Art zu kurz zu kommen. Wie ſchon bemerkt, der Eßkuͤnſtler
ißt um zu eſſen, und hat ſich um Nebenſachen wie langes Leben
und dergleichen nicht weiter zu kuͤmmern. Er macht ſich mit
den noͤthigen diaͤtetiſchen Regeln vertraut, um gut und mit Be-
wußtſein zu eſſen, um das Eſſen ſelbſt zu erhoͤhen, ohne andere
[118] weitere Zwecke, welche rein dadurch erreicht werden und von
ſelber ſich erfuͤllen, daß er gute und angemeſſene Produkte der
Natur und Kunſt in gehoͤriger Menge und Verbindung, mit
Heiterkeit, Ruhe, Sinn und Bewußtſein auf ſubjektiv und ob-
jektiv angenehme und geſchmackvolle Weiſe ſich ſchmecken laͤßt. —
Dieß lernt der Eßkuͤnſtler ſo wenig aus der Diaͤtetik, als der
Bildhauer ſeine Kunſt aus der Mineralogie; indem er die aus-
geſprochenen Aufgaben erfuͤllt, ſetzt und giebt er vielmehr ſelbſt
die hoͤchſten Regeln der Diaͤtetik, ja es laͤßt ſich wiſſenſchaftlich
aus dem feſtgeſetzten Grundſatz die ganze bezuͤgliche Diaͤtetik
conſtruiren und ſo koͤnnte man die Eßkunſt die auf’s Hoͤchſte
verklaͤrte Diaͤtetik ſelber nennen.


Zum Beleg nur ein paar Beiſpiele. Im Winter ſchmeckt
dem Eßkuͤnſtler theils mehr, theils anderes als im Sommer.
Er laͤßt ſich alſo ganz natuͤrlich im Winter auch mehr und an-
deres ſchmecken, als im Sommer. Die Diaͤtetik raͤth genau
daſſelbe. — Es wird einem Eßkuͤnſtler nicht einfallen, Salat
zu eſſen und Milch dazu zu trinken. Die Diaͤtetik verbietet
dergleichen eifrigſt. Wie aber der reine Kunſtſinn des Eßkuͤnſt-
lers richtiger waͤhlt als der Verſtand der Verſtaͤndigen, eweiſet
z. B. Heinrich Rantzovius, der in ſeinem 1604 zu Frankfurt
gedruckten Buche de conservanda valetudine Mandelmilch als
Tiſchgetraͤnk empfiehlt, — eine Idee, welche den Eßkuͤnſtler mit
tiefem Schauder erfuͤllt. — Dem feinſchmeckenden ſinnigen
Eßkuͤnſtler wird nichts fataler ſein, als ein uͤberhaͤufter unna-
tuͤrlicher ſuͤßſaurer Miſchmaſch des Verſchiedenartigſten, welcher
jeden ſpezifiſchen Geſchmack des Einzelnen verwirrt, ja aufhebt.
Die Diaͤtetik glaubt vor nichts eindringlicher warnen zu muͤſſen,
als gerade vor dieſem, was dem Eßkuͤnſtler von ſelbſt wider-
ſteht.


Die Diaͤtetik eifert gegen das Ueberwuͤrzen der Speiſen;
der Eßkuͤnſtler iſt ohne alle Diaͤtetik entruͤſtet, wenn die Suppe
verſalzen wurde. Dem Eßkuͤnſtler iſt duͤnne Koſt verhaßt ohne
[119] alle Ruͤckſicht auf Diaͤtetik. Mit Vergnuͤgen lieſt er aber bei
Hippocrates die Schilderungen der gefaͤhrlichen Folgen der-
ſelben und den Ausſpruch des Celſus: Zweimal zu eſſen ſei
beſſer, als einmal, und mehr zutraͤglicher als zu wenig.


Es iſt eine diaͤtetiſche, der Phyſiologie entnommene, Grund-
regel, dem Magen nichts zu uͤberantworten, was die Zunge
nicht hinlaͤnglich geſchmeckt und die Zaͤhne nicht gehoͤrig gekaut
haben. Nichts waͤre dem Eßkuͤnſtler unangenehmer als ſich im
Schmecken und Kauen verkuͤrzt zu ſehen. Er ſchmeckt und kaut
aber nicht deßhalb, um den Speicheldruͤſen Zeit zu goͤnnen,
dem Gekauten ihren gedeihlichen Zuſchuß zu geben, und um
dem Magen gehoͤrig Mazerirtes und Vorbereitetes zu uͤberliefern.
Aber indem er weiß, wie geſund und zutraͤglich, wie wiſſen-
ſchaftlich geheiſcht und geboten zugleich dasjenige Verfahren
iſt, wobei er als Kuͤnſtler ſo ſehr ſeine Rechnung findet, uͤbt er
es mit Bewußtſein noch einmal ſo gerne und mit doppelter
Luſt. So las ich als junger Menſch ſehr gerne Callot-Hoff-
mann’s
Maͤhrlein vom Koͤnig Daucus Carota, und die
gelben Ruͤben gleiches Namens, ſo wie Scorzonera, Peterſilie,
Koͤrbelkraut ꝛc. genoß ich mit Luſt, aber ohne Urtheil, wie die
Maͤhrlein auch. Seitdem ich aber daruͤber nachgedacht, wie
ich in den genannten ſchmackhaften und wuͤrzigen Vegetabilien,
ſo wie in den zarten Spargelkoͤpfchen, den ſanften jungen
Bohnen, den ſuͤßen gruͤnen Erbſen, dem milden Blumenkohl
ꝛc. gleichſam den ganzen lieben Fruͤhling mir aneigne, wie mein
melancholiſches Blut dadurch erfriſcht und ermuntert, erquickt
und verſuͤßt wird, genieße ich’s mit wahrer Wolluſt. Dabei
iſt nicht zu uͤberſehen, wie durch dieſe Glaubensfreudigkeit aller-
dings das Gedeihliche der genannten lieben Speiſen erhoͤht und
vermehrt wird. Aber ich errege in mir keine abſichtliche Freude,
um jenen Zweck zu erreichen; meine Freude hat jene Gedeihlich-
keit von ſelbſt zur Folge, wie ich auch uͤber und nicht uͤber
[120] Tiſch gern lache, ohne damit eine Verdauungsbefoͤrderung er-
zielen zu wollen.


Ich glaube mit den gegebenen wenigen Beiſpielen, welche
leicht in’s Unzaͤhlige vervielfaͤltigt werden koͤnnten, das, was ich
ſagen wollte, hinlaͤnglich klar gemacht zu haben. Es wird ſich
daraus auch ergeben, daß der Eßkuͤnſtler, der ſchoͤn ißt, auch
gut ißt.


Was gut ſchmeckt, oder wie der Berliner ſehr richtig ſagt,
was ſchoͤn ſchmeckt, iſt in der Regel und namentlich fuͤr den
Eßkuͤnſtler wirklich gut und ſchoͤn, und umgekehrt. Und zwar
mit vollem Recht, wie auch die Diaͤtetik beſtaͤtigt. „Das An-
genehme iſt gedeihlich“ — Suavia nutriunt — ſagt Hippo-
crates
. „Was wohl ſchmeckt, bekommt wohl“ — Quod sapit,
nutrit
— lehrt Avicenna, und Heurnius commentirt und
beſtaͤtigt beides. — Ich erlaube mir die philologiſche Bemerkung,
daß Sapientia von Sapio herkommt.


Es haben gar Viele, und noch dazu ſolche, die ſich’s recht
wohl ſchmecken ließen, uͤber die Eßkuͤnſtler ſich ironiſch, ſaty-
riſch, perſiflirend vernehmen laſſen, ja es iſt der, in ſolchem
Sinne ausgeſprochene, Rath gegeben worden, der Eßkuͤnſtler
duͤrfe an nichts denken, ſein Beruf ſchließe das Denken aus.
Der Vorwurf faͤllt aber auf die ſelbſt zuruͤck, denen der Appetit
vergeht, wenn ſie denken. Und dennoch machen die ungluͤck-
lichen verzwickten „pauvres honteux“ ſelbſt gar große Anſpruͤche
auf’s Denken, ohne, ob ſie gleich ſo ſcheinen moͤchten, die auf’s
Eſſen im geringſten ſelber hintanzuſetzen. Doch iſt ſchon oͤfter
davon die Rede geweſen.


Es iſt ſehr ſchoͤn, wenn man ſchoͤne Zaͤhne hat. Es iſt
ſehr gut, wenn man gute Zaͤhne hat. Schoͤne Zaͤhne ſind ſehr
gut, gute Zaͤhne ſind ſehr ſchoͤn. — Wer ſieht hier nicht die
innige Verwandtſchaft des Guten und Schoͤnen?


Sehr ſchoͤn und wahr ſagt Don Quirote: „Ein Mund
ohne Backenzaͤhne iſt wie eine Muͤhle ohne Muͤhlſtein, und ein
[121] Zahn iſt hoͤher zu achten, als ein Diamant.“ — Bei Goethe
heißt es:


„Ich neide nichts, ich laß’ es gehn,

Und kann mich immer manchem gleich erhalten;

Zahnreihen aber, junge, neidlos anzuſehn,

Das iſt die groͤßte Pruͤfung mein, des Alten.“

Daraus erhellt wohl zur Genuͤge die Wichtigkeit der Zahn-
pflege. Wer hat aber in der Regel die ſchlechteſten Zaͤhne? —
Leute, die nicht zu eſſen verſtehen, oder die nichts Gutes zu
beißen haben, oder denen es nicht ſchmeckt, deren Verdauung
verdorben iſt. Es giebt bekanntlich Saͤtze, die ſich umwenden
laſſen wie ein Handſchuh, z. B. gleich wieder der: Schlechte
Zaͤhne ſind Folgen geſtoͤrter Verdauung; geſtoͤrte Verdauung
iſt Folge ſchlechter Zaͤhne.


Man eſſe alſo gute, gedeihliche Speiſen auf ſchoͤne und
zweckmaͤßige Weiſe, ſo wird man auch am beſten die Zaͤhne
erhalten. Dieß iſt die Hauptregel. Speziell hierher gehoͤrt
aber noch:


Man eſſe und trinke nicht gar zu heiß, vorzuͤglich meide
man ſchnellen Wechſel von Hitze und Kaͤlte, ſonſt bekommt der
Schmelz der Zaͤhne Spruͤnge, denn die Natur duldet keine
Spruͤnge.


Man verſuche nichts Unmoͤgliches zu zerbeißen, z. B.
Pfirſchenkerne.


Man eſſe nicht zu viel und zu ausſchließlich Suͤßes oder
Saures.


Man halte die Zaͤhne reinlich. — Dazu dient Ausſpuͤlen
des Mundes Morgens und nach dem Eſſen mit rothem Wein
oder nicht zu kaltem Waſſer. — Es wird zwar von vielen
Diaͤtetikern laues oder gar warmes Waſſer gerathen, was jedoch
Vielen widerlich ſein moͤchte. —


Dieſe Gewohnheit des Mundausſpuͤlens nach Tiſch iſt
leider nichts weniger als allgemein eingefuͤhrt. Ich habe ſie
[122] zum erſten Mal in einem großen Hauſe in Wien beobachtet, und
muß freilich geſtehen, daß die Sache, wie ſie da betrieben wurde,
mir nicht ganz appetitlich vorkam. Denn obgleich das Waſſer
in ſchoͤnen großen Kryſtalltaſſen mit extrafeinen Servietten
jedem einzelnen Gaſt gereicht wurde, klang doch das allgemeine
Gegurgel faſt etwas ſchauerlich, wie das Murmeln unterirdi-
ſcher Quellen, und da die Gaͤſte wie bei’m Eſſen in Reih und
Glied und ſich zugekehrt blieben, ſo haͤtte ein Geſichterſchneider
zu den belehrendſten und uͤberblickendſten Studien Gelegenheit
gehabt. Doch iſt die Sache zweckmaͤßig und kann fuͤglich auch
auf anmuthigere Weiſe abſolvirt werden.


Man hat zu demſelben Zwecke das Kauen eines Brodrind-
chens nach jeder Mahlzeit gerathen. Der Eßkuͤnſtler wird aber
durch den trivialen Brodgeſchmack nicht gerne zartere Reminis-
cenzen verderben wollen.


Eben ſo bekannt, deßhalb aber nicht minder wichtig, iſt
der Gebrauch geeigneter Zahnſtocher, das heißt nicht metallner,
ſondern ſolcher von Holz oder Federſpulen, welche aber, wie
gleichwohl von Vielen geſchieht, nicht ſowohl wie Grabſtichel,
ſondern mehr wie leichte Radiernadeln zu handhaben ſind.


Glaubt man Zahnpulver noͤthig zu haben, ſo wird das
beruͤhmte Hufelandiſche gute Dienſte leiſten. Doch waͤren
wohl die uͤberkuͤnſtelten Zuſaͤtze von Nelken- und Bergamottoͤl
wegzulaſſen. — Wie es Leute giebt, welche bei vorkommen-
der moraliſcher ſchwarzer Waͤſche gleich Walkmuͤhlen, Laugen-
baͤder und Chlorkalkbleichen fuͤr unerlaͤßlich halten, ſo glauben
Andere bei unrein gewordenen Zaͤhnen — wie auch ſelbſt Aerzte:
Foreſtus, Riverius, Crato, Montanus u. A. wirklich
empfahlen — alsbald mit Bimsſteinpulver, Tabaksaſche und
Schwefelſaͤure daruͤber her fahren zu muͤſſen. Dieß iſt das
beſte Mittel, die Zaͤhne ganz unbrauchbar zu machen.


Zahnbuͤrſten ſollten kaum taͤglich gebraucht werden, feine
Leinwand und Schwamm, nach Bedarf ein friſches Blatt Salbei
[123] erfuͤllen oft den Zweck beſſer. Hufeland raͤth, nicht ſowohl
die Zaͤhne, als vielmehr das Zahnfleiſch mit einer etwas rauhen
Zahnbuͤrſte zu reiben und glaubt, daß das Zahnfleiſch dadurch
feſter und harter wird, beſſer waͤchſt und die Zaͤhne umſchließt.
Hildebrandt dagegen warnt vor den Zahnbuͤrſten eben deß-
halb, weil ſie das Zahnfleiſch abſchaben, abſtreifen, und die
Zahnwurzel bloslegen.


Hier hat nun wohl ohne Zweifel Hildebrandt Recht.
Wer Teufel moͤchte ſich auch ſein Zahnfleiſch mit einer rauhen
Buͤrſte abreiben!


Ich bediene mich eines Zahnbuͤrſtchens von feinen, nicht
ſehr ſteifen und nicht zu langen Borſten, welche ich mit einer
ſtarken Scheere ſo zuſtutzte, daß die ſeitlichen Borſten an allen
ihren vier Raͤndern abgekuͤrzt worden, die Geſammtheit der
Borſtenreihen mithin ihre ſcharfkantige Rechtwinklichkeit verlo-
ren und ſich der concaven Form genaͤhert hat. Dieſes thue ich
eben zur Schonung des Zahnfleiſches. —


Als Zahnpulver gebrauche ich meines phlegmatiſchen Tem-
peramentes wegen einfach gepuͤlverte Chinarinde. Zwar miſcht
man gerne die fuͤr ſich allerdings liebliche Florentiniſche Veil-
chenwurz bei; doch widerſtrebt dieſe Verſuͤßlichung dem maͤnn-
lich ernſten Charakter der Chinarinde. Viele werden die China
zu herbe finden. Einfach gepuͤlverte Lindenholzkohle wuͤrde ich
der, immer ſchon zu ſehr nach der fatalen Apotheke ſchmecken-
den, China vorziehen, haͤtte ſie nicht die uͤble Eigenſchaft, ſich
zwiſchen Zaͤhne und Zahnfleiſch zu legen und ſo den Homer’-
ſchen Zaͤhnezaum (έρκος ὀδοντων), wie eine Staatszeitung bei
Hoftrauer, mit einem ſchwarzen Rand zu umgeben, welcher nur
mit Muͤhe und nicht ohne Beleidigung und Verletzung des Zahn-
fleiſches und der Zahnwurzeln zu beſeitigen iſt. — Es iſt aber
nicht noͤthig, jedesmal Zahnpulver zum Zahnputzen anzuwenden.
Fuͤr gewoͤhnlich reicht man mit dem bloßen Zahnbuͤrſtchen aus,
[124] welches man aber nicht blos mit Waſſer, ſondern auch, nach
Bedarf, von Zeit zu Zeit mit Weingeiſt reinigt.


Hufeland raͤth ferner, ſobald man den erſten carioͤſen
Zahn bemerkt, ſoll man ihn ſogleich herausnehmen laſſen; —
man ſage niemals „herausreißen“ weil dieſer Ausdruck den
Zahnkuͤnſtlern ſehr anſtoͤßig iſt — denn ſonſt ſteckt er die uͤbri-
gen an. Die Akten uͤber hierher gehoͤrige Erfahrungen ſind
aber, wie man uͤberall ſo ſchoͤn ſagt, noch nicht geſchloſſen; im
Gegentheil werden in hundert Faͤllen andere Zaͤhne ergriffen,
auch wenn der erſterkrankte gleich ausgezogen wurde. Es iſt
daher viel geſcheidter, Hildebrandt’s Rath zu folgen, naͤmlich:
zur Beſeitigung des Zahnſchmerzes eher alle andere Mittel (gegen
verdorbene Verdauung, Unordnung im Gallenſyſtem, Erkaͤltung,
Rheuma, Vollbluͤtigkeit, Wallung, Blutzudrang, Entzuͤndung
ꝛc. ꝛc.) anzuwenden und das Ausziehen des Zahnes nur als al-
lerletztes trauriges Mittel zu gebrauchen. Es iſt unverantwort-
lich, wie leichtſinnig und unbedenklich die Aerzte andern Leuten
die Zaͤhne herausreißen laſſen. Wohlgemerkt: Ein Zahn
iſt hoͤher zu achten, als ein Diamant
. Leider erkennt und
fuͤhlt man die tiefe Wahrheit dieſes Ausſpruches, wenn es zu
ſpaͤt iſt, wie eben der gute Don Quixote auch erſt durch einen
gewiſſen Steinwurf grober, unritterlicher Schaͤfer darauf ge-
fuͤhrt wurde. Statt daß man aber dieſe Sentenz einer trau-
rigen Elegie zu Grunde legt, waͤr’s geſcheidter, einen jauchzen-
den Dithyrambus daraus zu machen, und ſich moͤglichſt vor
der Elegie zu huͤten.


So viel uͤber die Zaͤhne. Ich komme nun zur Zunge.


Neuere Verſuche uͤber den Geſchmacksſinn des Menſchen
lehren: daß die Lippen, der innere Theil der Backen, das Gau-
mengewoͤlbe, der Schlund, die Pfeiler des Gaumenſegels und
die untere Flaͤche der Zunge mit den Geſchmackswahrnehmungen
nichts zu thun haben, und daß die Verrichtungen des Ge-
ſchmacksſinnes vorzugsweiſe auf der hinteren und tieferen Parthie
[125] der Zunge ſtattfinden. Es iſt ferner ermittelt, daß mit groͤßter
Energie die Baſis oder hintere Parthie der Zunge ſchmecke, mit
etwas minderer die Zungenſpitze, mit noch geringerer die Zun-
genraͤnder, mit der geringſten Energie das Gaumenſegel.


Manche ſchmeckende Koͤrper, und darunter Milch, Butter,
Oel, Brod, Fleiſch und eine große Menge von vorzugsweiſe
naͤhrenden Subſtanzen, gewaͤhren in der vorderen Partie des
Mundes nur einen Taſteindruck, und aͤußern ihren charakteriſti-
ſchen Geſchmack erſt hinten. Daraus folgt unter Anderm, daß
man noch nicht befugt iſt, zu urtheilen, wenn man blos mit
der Zungenſpitze (primis labiis, wie der Lateiner ſagt) etwas
verſucht hat.


Ein ſchmeckbarer Koͤrper giebt ferner nicht in der ganzen
Ausdehnung der Geſchmacksflaͤche einen und denſelben Geſchmack.
Eine ſehr große Menge Koͤrper und beſonders die Salze bieten
das ſehr merkwuͤrdige Faktum dar, daß die von ihnen in den
vorderen Partieen der Zunge bewirkte Geſchmackswahrnehmung
gaͤnzlich verſchieden von der iſt, die ſie in der hintern Partie
hervorrufen.


Eben ſo iſt ermittelt, daß die Saͤuren in der Regel beſſer
durch die Spitze und die Raͤnder der Zunge, und die baſiſchen
Subſtanzen beſſer durch die Baſis der Zunge geſchmeckt wer-
den, daß die meiſten weder ſauren noch alkaliſchen Koͤrper einen
einzigen Geſchmack geben, und daß, jedoch mit großen Ausnah-
men, die Salze ihren ſauren, ſalzigen, pikanten, ſtyptiſchen
Geſchmack an der Spitze und ihren bittern, metalliſchen, baſi-
ſchen Geſchmack auf der hintern Partie der Zunge wahrnehmen
laſſen.


Der Galvanometer weiſt die Baſis der Zunge als poſitiv
elektriſch, und die Spitze als negativ elektriſch nach. — Manche
Koͤrper rufen gar keine Geſchmackswahrnehmung hervor, ſon-
dern geben ſich blos durch ihren Geruch zu erkennen.


[126]

Daraus folgt nun: a) daß der Geſchmack ein chemiſcher
und kein phyſiſcher Sinn iſt; daß er ſich an die Natur der
Koͤrper, und nicht an ihre Dichtigkeit, Temperatur oder Con-
ſiſtenz wendet. b) Daß der Geſchmacksſinn nicht ein gleichfoͤr-
miger, einiger iſt, d. h. daß er verſchiedene Stufen, verſchiedene
Maaße fuͤr die Geſchmaͤcke an ſeinen verſchiedenen Stellen hat, und
zwar nicht blos hinſichtlich der Intenſitaͤt der Geſchmaͤcke, ſondern
auch in Betreff der Art vom ſchmackhaften Koͤrper, und endlich
c) daß der Geſchmack nicht durch einen einzigen Nerven ausge-
uͤbt werden kann, ſondern wenigſtens durch zwei.


Ich will nun nicht weiter ausfuͤhren, welchen Gewinn der
denkende Eßkuͤnſtler fuͤr Geſchmacksurtheile und fuͤr Bildung
und Uebung des Geſchmacksſinnes aus dem eben Mitgetheilten
ziehen kann. Dagegen iſt wieder ein Vorurtheil zu beruͤhren.
Man hat naͤmlich dem Eßkuͤnſtler vorgeworfen, er ſtumpfe ſich
durch ſeine Neigung ſeinen Geſchmack ab. — Was ſind doch
unſere großen Kunſtkenner fuͤr Thoren! In der eifrigen
Uebung ihres Blicks, im ſteten Studium der beſten Meiſter aller
Schulen bis in’s kleinſte Detail ſuchen ſie ſich zu hoͤherem Kunſt-
genuß, zur Kennerſchaft, zu Kunſtrichtern auszubilden. Ich
wuͤßte freilich nicht, wie ſie’s anders machen ſollten; aber, ſagen
nun eben die Leute, die am allerwenigſten was in ſich abſtum-
pfen koͤnnen, weil nichts Schneide hat, dadurch ſtumpfe man
ſich den Geſchmack ab. — Durch Schlechtes, Ungenießbares
oder Gemeines, durch widriges Zeug kann man ſich den Ge-
ſchmack abſtumpfen; — wenn man anders nicht weiß, ihn daran
erſt zu ſchaͤrfen — nimmermehr aber durch das Geſchmackvolle,
durch das Schoͤne. Wer ohne Appetit, wer bis zur Ueberſaͤt-
tigung, wer Asa foetida ißt, iſt kein Eßkuͤnſtler.


Gall ſagt in ſeiner Anatomie und Phyſiologie des Ner-
venſyſtems ſehr richtig: „Man pflegt zu behaupten, der Ge-
ſchmack werde durch die Luͤſternheit der Menſchen, durch den
Genuß ſo mannichfaltiger Speiſen abgeſtumpft. Sollte man
[127] nicht vielmehr vermuthen, daß er eben dadurch geuͤbt und aus-
gebildet werde? Gewoͤhnlich kann man die erſten Male, als
man gewiſſe Speiſen ißt, z. B. Truͤffeln, Auſtern, denſelben kei-
nen Geſchmack abgewinnen; man entdeckt und unterſcheidet erſt
nach wiederholtem Genuſſe die eigenen Geſchmackstheile derſel-
ben. Kann man behaupten, daß unſere Wirthe und Koͤche,
unſere Leckermaͤuler und Weinkoſter einen ſtumpfern Geſchmack
haben, als ein Wilder, der eine uns ſchmackloſe Wurzel eben
ſo gut unterſcheidet, wie wir unſere Gartengewaͤchſe unterſchei-
den? Zeigen uns nicht die vielfaͤltigen ungluͤcklichen Vergiftun-
gen durch den Schierling, die Tollkirſche, die Giftſchwaͤmme
u. dergl., daß der Geſchmack der nuͤchternen Landleute nicht
ſicherer iſt, als jener uͤppigen Staͤdter?“


Ich frage weiter: ſind Truͤffeln und Auſtern einem guten
Geſchmack nicht foͤrderlicher als Zwiebeln und Knoblauch? wird
eine gebildete Zunge den widrigen Schierling, das ekelhafte
Bilſenkraut, die gallbittere Brechnuß und andere Gifte uͤber
ſich ſelber bringen koͤnnen? oder wird ein Ungebildeter, der gar
nicht weiß, was wohlſchmeckt, der gewohnt iſt, ſchlechtes Zeug
zu eſſen, zu ſchlucken ohne zu ſchmecken, von dem man alſo
ſagen kann, er ſei von ſchlechtem Zeug abgeſtumpft, er ſei ſo
ſehr ans Schlechte gewoͤhnt und dadurch verwoͤhnt, daß er
ſtumpf gegen das Gute wurde, — wird ein ſolcher, ungewarnt
von dem unſchoͤnen Geſchmack, nicht weit eher Gefahr laufen,
damit vergiftet zu werden? Selbſt die er- und verkuͤnſtelte
metalliſche Suͤßlichkeit des Arſeniks, verſuͤßten Queckſilbers, des
Bleizuckers ꝛc., die eine ungeuͤbte Zunge leicht fuͤr Kochzucker
nehmen koͤnnte, wird von dem feingebildeten Eßkuͤnſtler leicht
erkannt und perhorreszirt werden. Somit liegt in der Eßkunſt
gerade eine Buͤrgſchaft gegen Vergiftung. Auch laͤßt ſich vor-
ausſetzen, daß der Eßkuͤnſtler, welcher die Natur zunaͤchſt vom
Geſichtspunkte des Genießbaren und Ungenießbaren zu betrach-
ten gewohnt iſt, eher mit den bezuͤglichen botaniſchen und toxi-
[128] kologiſchen Lehren vertraut ſein wird, als der roh, ohne Sinn
und Bewußtſein Eſſende, der gar nicht recht ſieht und ſchmeckt,
was er ißt, und ſich ſo wenig fuͤr das intereſſirt, was darauf
Bezug hat.


Wichtig iſt ferner die Pflege des Geruchsſinnes, der zum
Eßgenuß ſo unbeſchreiblich viel beitraͤgt. Wie weit man’s in
dieſem Fache bringen kann, beweiſt unter Anderen der Cardinal
Alexander Albani, welcher, nachdem er blind geworden war,
junge Damen von den alten durch den Geruch unterſcheiden
konnte. Wenn man bedenkt, wie viel im Ausdruck: „ich rieche
den Braten“ liegt, ſollte man wohl auf Ausbildung einer
moͤglichſt feinen Naſe eifrigſt bedacht ſein. Man ſollte daher
auch nicht ſchnupfen, am allerwenigſten waͤhrend des Eſſens.
Doch erwiederte mir ein großer Eßliebhaber, — dem zum vollen-
deten Eßkuͤnſtler nichts weiter fehlte, als etwas, was er zu viel
hatte, naͤmlich das Schnupfen, alſo das Nichtſchnupfen — als
ich ihm die Sache auseinander ſetzte: „ob ich gleich ſchnupfe,
ſo ſchmeckt mir doch das Eſſen um nichts weniger gut, und
ſelbſt wenn ich dieſen Einen Genuß durch Verzichten auf den
Andern zu erhoͤhen vermoͤchte, was ich noch als problematiſch
betrachte, behalte ich ſie doch lieber alle Beide bei.


Wenn ſich Herz und Mund thut laben

Will die Naſe auch was haben.“

Gegen ſolche derb praktiſche Argumente, welche auf keine
Prinzipien eingehen, laͤßt ſich nun nichts weiter erwiedern.


So viel von Zaͤhnen, Zunge und Naſe.


Was nun den gemein nuͤtzlichen Magen betrifft, — deſſen
natuͤrliche Kraft, Capazitaͤt, Nachgiebigkeit und Guͤte als ab-
ſolut nothwendig vorausgeſetzt wird — ſo intereſſirt er den
Eßkuͤnſtler gleichwohl nur ſecundaͤr und in untergeordneter
Weiſe, etwa wie einen Poeten ſeine Boͤrſe, in welche er die als
Honorar fuͤr ein Hochzeitcarmen empfangenen Thaler ſteckt.
Die Einnahme iſt die Hauptſache. Es wird ſomit auch nicht
[129] eigens vom Magen gehandelt, ſondern das Behagliche je am
geeigneten Orte vorgetragen werden. Maaßregeln, wie z. B. die
Magengegend mit Flanell zu reiben u. a., verachtet der geſunde
Eßkuͤnſtler vorzuͤglich deßhalb, weil er ſie nicht braucht.


Von der Auswahl der Speiſen, ihrer Verbindung und
ihren Eigenſchaften wird in den naͤchſten Vorleſungen noch
mehrfach die Rede ſein.


Was man in jeder einzelnen Jahreszeit eſſen ſoll, verſteht
ſich von ſelbſt, naͤmlich was ſie bringt, und zwar das Beſte
davon. Und gerade dieß iſt auch das Gedeihlichſte, ſo wie das,
was in jeder Jahreszeit am beſten ſchmeckt. Jedem wird kalter
Schinken im Sommer; — warmer Schweinsbraten, oder ge-
kochtes Schweinfleiſch mit Sauerkraut dagegen im Winter
beſſer behagen, auch wenn er nicht weiß, daß er hier ganz der
Meinung des Avicenna beipflichtet.


Die Tageszeiten betreffend, ſo iſt ohne eine ordentliche
beſtimmte Zeit ein ordentliches Eſſen gar nicht moͤglich. Gewiß
waͤre auch fuͤr uns es am ſchoͤnſten und paſſendſten, nach Art
der alten Roͤmer und heutigen Franzoſen und Englaͤnder, etwa
um zehn oder eilf Uhr Vormittags ein ergiebiges Fruͤhſtuͤck,
Déjêuné à la fourchette, Prandium, — und eine Haupt-
mahlzeit, Dîné, Coena, um fuͤnf oder ſechs Uhr Abends zu
halten, was natuͤrlich einige leichtere Praͤ- und Interludien und
Fermaten nicht ausſchließt, wie ja die Roͤmiſchen Bezeich-
nungen: Jentaculum, Commissatio und Merenda andeuten.
— Es iſt aber zu beklagen, daß unſere Deutſche Tagesein-
theilung nach Arbeits- und Bureaux-Stunden ꝛc. der allge-
meinen Einfuͤhrung dieſer eben ſo zweckmaͤßigen als angeneh-
men Eßzeiten entgegenſteht.


Ueber klimatiſche und geographiſche Verhaͤltniſſe hat die
dritte Vorleſung ſchon Einiges erwaͤhnt. In Beziehung auf
Acclimatiſirung, ſo wie auf Aenderung des fruͤher Gewohnten
uͤberhaupt, weiß der Eßkuͤnſtler am beſten, daß man nirgends
9
[130] mit der Thuͤr in’s Haus fallen ſoll, und alles Andere giebt ſich
von ſelbſt. Abgeſehen davon, daß es keine beſonderen Schwie-
rigkeiten haben kann, auch ungewohnte Speiſen zu genießen,
wo man keine anderen hat, wird gerade der denkende Eſſer
jede Gelegenheit, ſeine Kenntniſſe zu erweitern, am freudigſten
ergreifen. So maͤchtig auch die Gewalt und ſo gewaltig auch
die Macht der Vorurtheile und der Gewohnheit die Welt tyran-
niſirt, — ſo hoch erhaben ſteht der Eßkuͤnſtler daruͤber, indem
er lediglich und allein das Nichteßbare durchaus negirt und
ablehnt. Uebrigens braucht der Eßkuͤnſtler nicht erſt ermahnt
zu werden, daß er ſich daran gewoͤhnen ſoll, taͤglich gut zu
eſſen. Muß er ſich’s aber, aus irgend welchen aͤußerlichen oder
innerlichen Gruͤnden abgewoͤhnen, ſo wird er, indem er aus
Neigung nur ungerne und zoͤgernd ſich zuruͤckzieht, zugleich das
diaͤtetiſche Geſetz: keine Gewohnheit ploͤtzlich aufzugeben, von
ſelbſt erfuͤllen. Iſt’s aber nicht anders, und muß er endlich
wirklich, — ſo kann er ein Stoiker oder fromm werden, Be-
trachtungen uͤber das Eſſen ſchreiben u. a. Fuͤr ſolche Verhaͤlt-
niſſe eignen ſich die frugalen griechiſchen philoſophiſchen Gaſt-
maͤhler ganz beſonders.


Die Diaͤtetiker reden immer vom Uebermaaß im Eſſen,
oder hoͤchſtens von uͤbler Beſchaffenheit der Nahrungsmittel
als uͤberwiegenden Krankheitsurſachen, auch wird manches
dem Eſſen zugeſchrieben, was auf Rechnung des Trinkens
kommt, ſo z. B. das Podagra, wie Darwin gezeigt. Ja
derſelbe Darwin ſagt ſogar buchſtaͤblich: „mit Fleiſch und
vegetabiliſcher Koſt kann ein Vielfraß bis an die Gurgel voll-
gepropft und fett gemacht werden, wie ein aufgeſtellter Ochſe;
er wird aber davon nicht krank, wenn er nicht gegohrene Ge-
traͤnke hinzufuͤgt.“ — Es waͤre Vermeſſenheit, einer ſolchen
Auctoritaͤt zu widerſprechen. Doch iſt nicht zu verkennen, daß
ſich der Verfaſſer mit viel Emphaſe und etwas ſtark aus-
druͤckt.


[131]

Gewiß iſt, daß das zu wenig, zu haſtig, das ohne Hei-
terkeit Eſſen, das nicht gut Ausgewaͤhlte und Verbundene, wenn
nicht oͤfter, doch eben ſo oft als krankmachend in Betracht
kommt. Nie iſt auch zu vergeſſen, daß nicht das, was man ißt
oder lieſt, ſondern was man verdaut und verſteht, naͤhrt und
gedeihlich iſt; das Unverdaute aber ſchadet, und das Schwaͤch-
liche und zu Leichte nicht minder. Papſt JuliusIII. ſtellte
ſich aus politiſchen Urſachen krank und ließ ſich, um dieſen
Vorwand glaublicher zu machen, lauter leichte Speiſen bringen,
woran er im Ernſt krank wurde und ſtarb.


Als eine der gemeinſten und haͤufigſten Urſachen der ver-
ſchiedenſten Krankheiten werden Unreinigkeiten der erſten Wege,
wie die Aerzte ſagen, anerkannt. Dergleichen kommt aber eben
davon her, wenn die Leute ſchlechtes Zeug eſſen, oder nicht
ſchoͤn eſſen, d. h. freſſen, oder in ungeeigneter Verbindung und
ohne Bewußtſein eſſen.


Uebermaaß im Eſſen ſchadet aber ganz beſonders dann,
wenn man ſehr viel auf einmal ißt. Es iſt aber erſtaunlich,
wie viel der Menſch vermag, wenn man ihm Zeit laͤßt. Abge-
ſehen von dem langſamen Kauen, als Ur- und Grundbedingung
vernuͤnftigen Eſſens, verdienen die noͤthigen Pauſen zwiſchen
den einzelnen Schuͤſſeln die hoͤchſte Ruͤckſicht. Solche Zwiſchen-
akte waͤren dann, wie ſchon bemerkt, ſehr fuͤglich durch geeignete
Tafelmuſik auszufuͤllen, und zwar ſollten dieſe Pauſen, je ſpaͤter
im Verlaufe des Eſſens ſie vorkommen, um ſo laͤnger ſein, ſo
daß alſo die erſte vom Voreſſen bis zum Braten die kuͤrzeſte
und ſo zunehmend die letzte zum Deſſert die laͤngſte waͤre.


Sollte es aber geſchehen, daß ſelbſt einem Eßkuͤnſtler etwas
Menſchliches begegnete, daß im Kampfe der Kunſt gegen die
Natur und Sinnlichkeit die Kunſt unterlegen und der Natur
weh gethan worden waͤre, ſollte der Eßkuͤnſtler zu viel gegeſſen
und ſich den Magen verdorben haben, ſo iſt das Beſte und
9*
[132] Einfachſte: er faſte und warte mit Geduld und Hoffnung auf
neuen Appetit.


Eine aufgeklaͤrte Diaͤtetik iſt laͤngſt davon zuruͤckgekommen,
gewiſſe Speiſen durchaus als ſchwerverdaulich, blaͤhend, als
leichtverdaulich ꝛc. zu erklaͤren, weil alles das relativ iſt. Es
giebt uͤberhaupt wenige fuͤr Jeden giltige, allgemein ſtichhaltige
diaͤtetiſche Regeln. Ja ſelbſt der ausgeſprochene, als Regel
geltende Satz: „Dasjenige iſt Dir geſund, was Dir ſchmeckt“
erleidet nach der Individualitaͤt, nach Geſchlecht, Lebensalter,
Temperament und Stand nicht unbedeutende Modificationen.
Und davon ſoll ſchließlich die Rede ſein. Erſchoͤpft wird freilich
die Sache erſt durch das in der naͤchſten Vorleſung zu begruͤn-
dende Eßprinzip.


Es iſt zum Leben wie zum Eſſen Selbſt- und Weltkenntniß
noͤthig und nuͤtzlich, ſo traurig auch in einzelnen Faͤllen die
Erfahrung ſowohl eigner Magenſchwaͤche, als ungenießbarer
oder unverdaulicher Außenwelt ſein mag. Freilich lehrt Wiſſen-
ſchaft und Leben, daß, wer ſeinen Magen uͤberhaupt fuͤhlt, eo
ipso
ſchon einen kranken Magen hat, da der Geſunde den
Teufel weiß und darnach fragt, ob er einen und was fuͤr einen
Magen er hat, und Goethe hat auch in anderer Hinſicht mit
ſeiner Perſiflage des abgedroſchenen γνωϑι σεαυτον! ſo Unrecht
nicht, als Viele behaupten, die ſich gerade ſelbſt am wenigſten
kennen. Der eigentliche Eßkuͤnſtler findet auch bei Platon
faſt nichts Genießbares und Schmackhaftes — eher noch bei
Socrates ſelber — und wendet ſich entſchieden mit Ariſto-
teles
der daſeienden Welt zu. Es genuͤgt aber meinem Zweck,
hier zunaͤchſt auf einige Taͤuſchungen hinzudeuten, die dem an-
gehenden Eßkuͤnſtler widerfahren koͤnnen. So kann es ſehr leicht
vorkommen, daß er einen ſchwachen Magen zu haben glaubt,
weil er manche Speiſen, die ihm von gewichtigen Auktoritaͤten
als nahrhaft und gut geſchildert wurden, geſchmacklos, fad und
[133] nicht zu verdauend fand. Feig iſt er aber, wenn er als ſchwer-
oder unverdaulich Verſchrieenes gar nicht zu verſuchen wagt.


Folgende goldene Worte, welche der wackere Hildebrandt
in ſeinem Taſchenbuch fuͤr die Geſundheit giebt, bitte ich wohl
zu erwaͤgen: „Die weichlichen Speiſen werden gemeiniglich fuͤr
leichter verdaulich gehalten, als die derben: aber es iſt gerade
umgekehrt. Grobes Brod und roher Schinken ſind viel leichter
zu verdauen, als ein Brei von gekochtem Spinat und ein
Fricaſſee von Kalbfleiſch. Gerade das Derbe, Haͤrtliche thut
dem Magen wohl; das Weichliche, Breiartige erſchlafft ihn
und ſchwaͤcht ſeine Verdauungskraft. Ich rede hier im Ganzen
vom geſunden Magen; doch habe ich auch gefunden, daß ſelbſt
Schwaͤchliche, Hypochondriſten, durch Irrthum an weichliche
Koſt Jahre lang gewoͤhnt, ſich beſſer befanden und eine beſſere
Verdauung erhielten, als ſie auf meinen Rath nach und nach
anfingen derbe Speiſen zu eſſen. Wer nichts als Suppe ißt,
wie kraͤnkliche Perſonen, zumal weiblichen Geſchlechts ꝛc. kann
endlich nichts Feſtes vertragen.“ —


Umgekehrt aber verſichern Sydenham und Monro, und
Richter und Zuͤckert beſtaͤtigen es, das diejenigen, welche
geiſtige Getraͤnke gewoͤhnt ſind, keine Milchdiaͤt vertragen
koͤnnen. —


Indem ich allen Ernſtes auf kraͤftige Fleiſchſpeiſen dringe,
hoffe ich dem zaͤrtlich ſchwaͤchlichen, ungedeihlich unmaͤnnlichen
ewigen Suppenloͤffeln, Zuckernaͤſchereien und Leckereien am
beſten entgegenzuarbeiten, womit ich keineswegs ſage, daß man
Confituren ꝛc. nicht zum Deſſert eſſen ſolle.


Man ſollte niemals auf eine Speiſe zu ſchnell oder ganz
verzichten, auch wenn ſie einmal nicht behagte. Es ſind erſt
die Fragen zu beantworten: war die Speiſe ſelbſt oder die Zu-
richtung, oder die Verhaͤltniſſe, unter welchen ſie genoſſen
wurde, zu gehaͤufte Wiederholung, Zeit, Umgebung, Praͤoccu-
pation durch Andere ꝛc. Urſache?


[134]

Dieſe Pruͤfung hat nun aber nicht nur bei ſolchen Speiſen
einzutreten, welche durch Erziehung, durch den Familientiſch ꝛc.
aufgedrungen wurden, ohne daß der dadurch Er- oder Verzo-
gene Behagen oder Gedeihen daran und davon fand, ſondern
auch umgekehrt bei ſolchen, die ihm verſagt wurden oder von
welchen er abſichtlich abgehalten ward, obſchon er Appetit dar-
nach gehabt. Es fragt ſich eben: ob dieß mit Recht geſchah, —
und wenn auch, ſo ſchmeckt und gedeiht dem Mann gar ande-
res als dem Gelbſchnabel. Dem Kind paßt Brei; der Mann
will Roaſtbeef. Doch da dieſe Vorleſungen fuͤr Maͤnner be-
ſtimmt ſind, wird das naſeweiſe junge Volk hoͤchſtens bei der
Elementar-Erziehung in der achten Vorleſung beſprochen werden.


Von dem Stand der Eſſer kommt hier zunaͤchſt der ſitzende,
und der ruͤhrige, die Bewegungspartei in Betracht. Die dem
Erſteren Angehoͤrigen ſitzen meiſtens deßhalb ſo ruhig, weil ſie
im Trocknen oder in der Wolle ſitzen, und es fehlt ihnen zwar
nichts weniger als an Appetit, doch iſt er mehr kuͤnſtlich. Eine
gelinde Bewegung koͤnnte ihnen eben ſo wenig ſchaden, als der
zu ruͤhrigen Gegenpartei Maͤßigung gar zu naturaliſtiſcher
Appetitsaͤußerungen und anmuthigere Befriedigung anzurathen
waͤre. Ein unruhiger Menſch qualifizirt ſich uͤbrigens gar nicht
zum Eßkuͤnſtler, wie denn gewiß auch ein Staat, deſſen ſaͤmmt-
liche Glieder hinlaͤnglich dotirte Eßkuͤnſtler waͤren, nothwendig
zugleich der ruhigſte, feſteſte und bluͤhendſte ſein muͤßte. Doch
ſind das zunaͤchſt Finanzſachen, die nicht weiter hierher gehoͤren.


Ein ſonderbares Vorurtheil herrſcht in Beziehung auf das
Eſſen der Gelehrten. Selbſt ſehr gelehrte Diaͤtetiker ſetzen den
Gelehrten auf eine Art Krankendiaͤt, auf viertels Portion. Soll
etwa gar ein ſchwacher Magen das Aushaͤngeſchild eines ſtarken
Kopfs ſein? Iſt ja doch die Zeit groͤßtentheils vorbei, wo Va-
peurs zur Vornehmigkeit gehoͤrten; — wollen denn die Gelehr-
ten, die denn doch nebenbei eigentlich auch geſcheidt ſein ſollten,
es nicht nach und nach endlich auch werden? „Ein voller Bauch
[135] ſtudirt nicht gern“ das iſt die Vogelſcheuche. Und nun glaubt
man, um fuͤr einen Gelehrten, Denker, Dichter zu paſſiren,
muͤſſe man thun, als ob man von der Luft lebte. Ihr Ungluͤck-
ſeligen, iſt denn dieſer hohle, leere, dumme Schein eine einzige
Bratwurſt werth, die ihr dagegen gebt? oder glaubt ihr wirklich
bei leeren und ſchwachen Magen was Tuͤchtiges produziren zu
koͤnnen? — Lacht doch das dumme Volk aus, das, wenn es
Euch einmal eſſen geſehen, gleich ſchreit: ſeine Poeſie iſt zu
ſinnlich, ſeine Metaphyſik zu materialiſtiſch, ſeine Gelehrſamkeit
nicht abſtrakt genug.


Man genire ſich doch nicht und eſſe, und zwar moͤglich
gut, und halte ſich uͤberzeugt, daß es gerade ſo mit Denken,
Dichten und Thun am beſten gehen und ſtehen wird.


Daruͤber nun, welche Speiſen gewiſſen Staͤnden vorzuͤglich
zuſagen muͤßten, ließe ſich manches ſehr Spezielle bemerken. —
Mercier ſagt jedoch: „jeder Stand, jede Profeſſion hat einen
eigenen Charakter; wer aber deßhalb glaubt, ein Schneider
ſei ein Schneider, und ein Soldat ein Soldat, hat es in
der Menſchenkenntniß noch nicht weit gebracht.“ Man ſieht
alſo, daß dabei nichts herauskaͤme. So begruͤnden auch ehe-
liche oder Coͤlibats-Verhaͤltniſſe an und fuͤr ſich in fraglicher
Hinſicht bekanntlich keinen Unterſchied. Erſprießlicher iſt es,
vom Temperaments-Verhaͤltniſſe das Noͤthige zu bemerken.


Man mag ſagen, und die Sache benennen, wie man will,
ſo giebt’s doch ſanguiniſche, choleriſche, melancholiſche und phleg-
matiſche, oder leichtbluͤtige, warmbluͤtige, ſchwerbluͤtige und kalt-
bluͤtige Menſchen. Die Sache liegt im Blut, und daß das
Blut aus Speiſe und Trank ſich bildet, weiß jeder. Es liegt
alſo auf offener Hand, wie wichtig fuͤr je einzelne Tempera-
mente je einzelne Speiſen ſind. Dieß wurde auch laͤngſt er-
kannt, die Sache aber immer ſo aufgegriffen, daß den einzelnen
Temperamenten immer entgegengeſetzte Speiſen zu waͤhlen ſeien.
Allerdings iſt’s richtig, daß z. B. Leute, die den Tiedge leſen,
[136] ſtatt Teufel: T*** ſchreiben ꝛc., durchaus keine Suppen, keine
Milch, keine Confituren eſſen, ſondern lauter Roaſtbeef, Wild-
pret, Rheinwein zu ſich nehmen ſollten, wenn anders nicht
China, Eiſentincturen, Phosphorſaͤure und Stahlbaͤder noͤthig
ſind. Aber wer wird denn verlangen, daß ein Michel An-
gelo
, ein Luther Milchbrei eſſen ſoll, und wer koͤnnte es nur
mit anſehen?


Der kraͤftige Choleriker nun kann und ſoll Alles eſſen, er
hat von Haus aus den meiſten Beruf zum Eßkuͤnſtler. Waͤh-
rend aber fuͤr den Phlegmatiker Suppen, Mehlſpeiſen, Milch,
Gurken, Melonen, Schnecken, Krebſe, Spanferkel, Fiſche,
Kaͤſe, Butter, Salate, Gemuͤſe, Obſt, Thee ſich nicht eignen,
welche dem Sanguiniker ganz angemeſſen ſind, paſſen gegen-
theils gewuͤrzte animaliſche Speiſen, Wildpret en haut goût,
Gefluͤgel, Pikantes uͤberhaupt, kraͤftige feurige Weine ꝛc., die
dem Phlegmatiker wohlbekommen, fuͤr den Sanguiniker nicht.
Daſſelbe gilt von dem Rath: nicht zu ſchnell zu eſſen, welcher
fuͤr den Sanguiniker hoͤchſt noͤthig, fuͤr den Phlegmatiker ganz
uͤberfluͤſſig erſcheint.


Der Melancholiker trinkt lieber, als er ißt, ſollte es aber
nicht thun. Zuͤckert raͤth gegen die Melancholie: junge Huͤh-
ner, Kalbsbraten, Krebſe, Forellen, Hechte, leichte Gartenge-
muͤſe, fuͤße Wurzeln, Gurken, reifes Obſt, Trauben, Wein ꝛc.,
verbietet dagegen Mehlkloͤſe, Erbſen und Poͤckelfleiſch, ſchwere
Biere und dergl. Gratarolus unterſagt dem melancholiſchen
Eſſer — ein melancholiſcher Eſſer iſt und bleibt immer was
ſonderbares — vor Allem Haſenbraten, welcher melancholiſchen
Humor erzeugen ſoll. Ich bin nun aber, wie ſich aus den ver-
vielfaͤltigſten Verſuchen und Erfahrungen ergab, durch Haſen-
braten niemals im mindeſten melancholiſch geworden, au con-
traire,
und werde noch oͤfter um ſolchen Preis den melancholi-
ſchen Humor riskiren. Ueberhaupt ſollte der genießende Menſch
[137] nicht gar zu ſchuͤchtern pruͤfen und taſten, ſondern in Gottes
Namen friſch einbeißen.


Ich hatte einen guten Freund, der, mit Ausnahme von
Neunaugen, niemals einen Fiſch zu eſſen ſich getraute, ſo gern
er auch davon gegeſſen haͤtte, aus Furcht, es moͤchte ihm eine
Graͤte im Halſe ſtecken bleiben, und der ſich ſpaͤter erſchoß. —
So giebt’s auch Leute, die niemals Schwaͤmme eſſen, um ja
auf keine giftigen zu ſtoßen, und nun alle jene beſeeligenden
Augenblicke fuͤr immer entbehren, welche die lieblichen goldfar-
bigen Braͤtlinge, die zarten kleinen Eierſchwaͤmmlein, Morcheln
und andere Champignons mit jungen Bohnen und Haͤhnchen
oder ſonſtigen Verbindungen den Sterblichen immer gewaͤhren
koͤnnen. Wenn Peterſilie wohlſchmecken ſoll, darf man keine
Angſt vor Schierling haben. „Vor Lerchen und Zucker, ſagt
Jean Paul, braucht man nicht zu warnen, wenn nicht jeder
Genießende ein mediziniſcher Polizeibeamter werden ſoll, der
jeder ankommenden Freude erſt Reiſepaß und Geburtsbrief ab-
verlangt, ehe er ſie einlaͤßt. Auch wagen ſoll der Menſch und
kuͤhn ſein, um frei zu ſein.“ — Selbſt der trockne Arzt Zuͤckert
bemerkt ganz ruhig: „Einem geſunden Menſchen rechnet man es
billig als eine Kleinmuͤthigkeit und als eine von Einbildung
und unedler Furcht geleitete Thorheit an, wenn er eine aͤngſt-
liche Wahl der Speiſen anſtellet.“ — Schon Celſus gab auch
im erſten Buche, erſten Kapitel, ſeines Werkes von der Heil-
kunde diaͤtetiſche Rathſchlaͤge im aͤhnlichen freien Sinne.


Noch haͤtte ich von dem Verhaͤltniſſe der Speiſen je nach
dem Geſchlecht, und, da ich bisher fortwaͤhrend Maͤnner im
Auge hatte, zum ſchoͤnen Geſchlecht abzuhandeln. Bekanntlich
war dieſe zartere, leichtverletzliche Haͤlfte von den Gaſtmaͤhlern
der aͤlteren Griechen und Roͤmer ausgeſchloſſen. —


Rouſſeau macht ſeine Julie „un peu gourmande.“ Das
kann nun Lord Byron nicht leiden, der es uͤberhaupt nicht
liebt, Frauen eſſen zu ſehen. Auch Novalis ſagt: Empfangen
[138] iſt das weibliche Genießen, Verzehren das maͤnnliche. — Dieß
mag dahin geſtellt ſein; ſo viel iſt gewiß, die Schoͤnheit will
ungetheilt genoſſen ſein, und ſo gern der Eßkuͤnſtler auch ſeine
Huldigungen dem holden Geſchlechte darbringt, ſo will er dieß
doch je ausſchließlich thun, ohne Beeintraͤchtigung des Einen
durch’s Andere, und erledigt deßhalb Eſſen und Huldigen am
liebſten jedes extra. Und dieß iſt denn auch der Grund, warum
dieſe Vorleſungen ausſchließlich fuͤr Maͤnner beſtimmt wurden.
Denn wer koͤnnte, den holdſeeligen liebreizenden Huldinnen
gegenuͤber, von etwas Anderm reden, als von ihnen ſelber?


[[139]]

Siebente Vorleſung.
Prinzip der Eßkunst
.


Als ich noch keine Vorleſungen hielt, ſondern hoͤrte, hatte ich
kein beſtimmtes Prinzip, und hoͤrte alles Moͤgliche mit- und
durcheinander. Schelling’s Methode des akademiſchen Stu-
dium war damals noch nicht erſchienen, auch Goethe’s Me-
phiſtopheles hatte ſich noch nicht hieruͤber vernehmen laſſen, und
ſo blieb nichts uͤbrig, als durch Schaden klug zu werden;
Schade nur, daß Letzteres nicht immer auf Erſteres folgte. Ich
glaubte, ehe ich mich fuͤr eine beſtimmte Fakultaͤt oder einzelne
Abtheilung einer Fakultaͤt entſchied, erſt ſaͤmmtliche pruͤfen zu
muͤſſen; wobei jedoch eine zu große Hoͤrbegierde eher hinderlich
als foͤrderlich war. Ich erwaͤhne nun zuvoͤrderſt, was mir aus
jenen verſchiedenen Vorleſungen auf die Eßkunſt Bezuͤgliches
gerade beifaͤllt.


Die philoſophiſchen Collegia uͤberhaupt ſchienen mir wenig
genießbar, und ergaben eine rein negative Ausbeute; nicht ein-
mal in der Aeſthetik, der Geſchmackslehre, war von Eßkunſt
die Rede. Sonderbar kam mir’s vor, Moral hoͤren zu ſollen.
Das wußte ich alles ſo unmittelbar und beſſer in mir ſelber,
als mir es irgend ein Fremder ſagen konnte. Als ich aber vor
meinem Abgang auf die Univerſitaͤt in meiner Vaterſtadt einer
alten ſehr werthgeſchaͤtzten Frau Baſe eine gebuͤhrende uͤber
Gebuͤhr ruͤhrende Abſchiedsviſite gemacht, uͤbermachte mir die
Guͤtige mehrere Stuͤcke liebenswuͤrdig blinkender Ducaten, mit
dem Anſinnen, Sonntags nach der Kirche ein Glas Wein zu
[140] trinken, zugleich aber mit der angehaͤngten Clauſel, ein Colle-
gium uͤber Moral zu hoͤren. Es war eine eingeredete Sache,
es hatte ihr es jemand geſagt. Jemehr ich als junger Juͤng-
ling von dem Recht, Wein zu trinken, Gebrauch machte, um
ſo weniger glaubte ich mich der Pflicht, Moral zu hoͤren, ent-
ſchlagen zu duͤrfen. So hoͤrte ich denn, dem Wunſche meiner
ſehr werthgeſchaͤtzten Frau Baſe gemaͤß, ein Semeſter lang uͤber
das Prinzip: „Braͤt’ſt Du mir eine Wurſt, loͤſch’ ich
Dir den Durſt“
ohne ſonderliche Erbauung verſchiedene,
etwas laͤnglichte Redensarten vortragen.


Ein Lateiniſches Styliſticum brachte ein dickes Heft aͤcht
claſſiſcher Phraſen ins Pult, wovon ſchon die Erſte: „Ab ovo
usque ad mala“
zu denken gab. Daß abstinere se cibo beſſer
ſei als jejunare, ſchien problematiſch; daß aber comedere Ce-
rerem, bibere Bacchum
als Metonymie und nicht eigentlich
genommen werden duͤrfe, leuchtete ein; daß: da cito cantha-
rum circum, — date ei bibere
nur ſcheinbare Germanismen
ſeien, und ſchon bei Plautus und Terentius vorkaͤmen, war
erfreulich zu hoͤren. Von Caelius Apicius, als dem ehernen
Zeitalter angehoͤrig, war mit Recht kaum, oder doch nur war-
nend, die Rede.


Bei einem reichen Goͤnner, welcher ein ſplendides Gabel-
fruͤhſtuͤck von ſo eben aus Hamburg erhaltenen Hummern gab,
machte ich die Bekanntſchaft des in ſeinem Fache ſehr wackeren
Proſektor der Univerſitaͤt, welcher Tags vorher einen der Hum-
mern zum Praͤpariren des Nervenſyſtems fuͤr die zootomiſche
Sammlung erhalten hatte. Es fehlte wenig, daß dieſer vor
Verwunderung, wie man ſolche Raritaͤten als Speiſe betrachten
und behandeln koͤnne, die Haͤnde uͤber den Kopf zuſammenge-
ſchlagen haͤtte. — Bemerkenswerth war’s, wie dieſer ſo tuͤchtige
Proſektor durchaus nicht tranſchiren konnte. Wie ſehr fand
man es uͤberhaupt zu beklagen, daß keiner der Dozenten ein
praktiſches Privatiſſimum uͤber Tranſchirkunſt gab, woran ſich
[141] nachfolgendes Eſſen mit wiſſenſchaftlichen Vortraͤgen daruͤber ſo
ſchoͤn geknuͤpft haͤtte. — Dieſe Bekanntſchaft fuͤhrte mich dem
Studium der Anatomie zu, welche mir aber bald alle Eßkunſt
verleidet haͤtte.


Aus einem gleichzeitig gehoͤrten Collegium uͤber Homiletik
merkte ich mir die Regel: vor Beſteigung der Kanzel das Waſſer
abzuſchlagen, auch fuͤr andere Faͤlle, welche laͤnger dauernde
ununterbrochene Anweſenheit erforderten, wobei nur der ſonder-
bare Terminus: „Abſchlagen“ auffiel.


Die Phyſiologie fing ſchon damals an zu phantaſieren,
ſtatt zu demonſtriren. Da wurde Stunden lang vom maͤnn-
lichen und weiblichen Verhalten der Leber und Milz, von Po-
laritaͤten, Differenz und Indifferenz ꝛc. deklamirt, der Biſſen
ſollte das Beſtreben haben, zum Menſchen zu werden und der-
gleichen. Die Ohren klangen und man hatte nichts gelernt.


Poſitiveres gab ein Collegium uͤber die Pandekten. Ven-
ter non patitur moram. — Tot portiones, tot capita. —
Melius est superflua addere, quam necessaria omittere
u. a.
waren Themata, welche zu den erſprießlichſten Betrachtungen
Anlaß gaben.


Der Lehrer der Botanik hatte das gemeinnuͤtzige ſchoͤne
Beſtreben, bei jeder Pflanze uͤber deren Eßbarkeit oder Nichteß-
barkeit das Noͤthige zu bemerken. Es kam ihm aber zu, auch
auf Landwirthſchaft Ruͤckſicht zu nehmen. Die Sache wurde
nun dadurch ſchwierig, daß er, als ein Mann, der ſehr ſorg-
faͤltig der rechten Mitte zugethan war, und es mit keiner Partei
verderben wollte, entweder ſagte: „Dieſe Pflanze wird vom
Menſchen und Vieh ohne Nachtheil gefreſſen, oder von Vieh
und Menſchen ohne Nachtheil verſpeiſet.“ Damit wechſelte er
nun ab, und glaubte es auf dieſe Art ſowohl dieſem als jenem
recht gemacht zu haben, was aber keineswegs der Fall war.


Das genießbarſte Collegium war ohne Frage das uͤber
Chemie. Der ſehr wuͤrdige Lehrer, dem nur etwas fruͤher die
[142] wohlverdiente Ruhe haͤtte gegoͤnnt werden ſollen, indem er vor
Alter ganz taub und halb blind war, und dennoch ſeinem Amte
noch vorſtehen mußte, gab ſich nichts deſto weniger alle Muͤhe,
ſeinen Vortrag moͤglichſt anſchaulich zu machen und zu verſinn-
lichen. Beſonders intereſſant waren die Vorleſungen uͤber den
Zucker, in welchen anſehnliche Maſſen von Confituren aller Art
an die Zuhoͤrer vertheilt, und von denſelben mit außerordentli-
cher Wißbegierde conſumirt wurden. Man lernte daſelbſt Sie-
gellack machen, Feuerraͤder conſtruiren, und andere eben ſo
nuͤtzliche als annehmliche Kunſtfertigkeiten. Mit Theilnahme
hatte man zu vernehmen, wie in Amerika ſehr viele ſchwarze
Neger ohne Haͤnde herumliefen, weil ihnen dieſelben von den
Walzen der Zuckerrohr-Preſſen abgezwickt und abgedruͤckt wuͤr-
den. Zwiſchendurch war auch manchmal von Chemie die Rede,
wovon Folgendes ſich am meiſten dem Gedaͤchtniſſe einpraͤgte:


Ein Hauptbefoͤrderungsmittel chemiſcher Vereinigung iſt
die Waͤrme.


Man unterſcheidet unorganiſche und organiſche Chemie.
Erſterer gehoͤren die Stoffe an, welche nicht von pflanzlichen
oder thieriſchen Koͤrpern herſtammen, letzterer letztere. Die or-
ganiſchen Verbindungen ſcheiden ſich weiter in pflanzliche und
thieriſche. Die unorganiſchen Verbindungen ſind in der Regel
binairer, die vegetabiliſchen ternairer, die animaliſchen quater-
nairer Zuſammenſetzung. — Die Pflanzenſtoffe beſtehen aus
Waſſerſtoff, Kohlenſtoff und Sauerſtoff; die thieriſchen aus
denſelben Stoffen und Stickſtoff. Erſtere laſſen ſich in Gummi,
Zucker, Staͤrkemehl, Eſſigſaͤure ꝛc., — letztere (das Fleiſch, z. B.
ein Kalbsbraten) in thieriſchen Faſerſtoff, Gallerte, Osmazom,
phosphorſaures Natrum, Ammonium, Kalk, Fett und Leim
zerlegen.


Es ſind das Grundſaͤtze, welche ich auch mein ſehr verehr-
tes Auditorium wohl zu behalten bitte.


[143]

In einem Collegium uͤber Archaͤologie war viel von
Winckelmann’s „edler Einfalt und ſtiller Groͤße“ als Kenn-
zeichen der Meiſterwerke Griechiſcher Kunſt, die Rede, was
nicht anders, als anſprechenden Eindruck machen konnte. Es
draͤngte ſich die Reminiscenz an Milo von Kroton bei.


Aus der Experimentalphyſik war zu merken, daß das Un-
gleiche ſich anzieht und gleiche Pole ſich abſtoßen.


Die Optik, reſp. Goethe’ſche Farbenlehre gab die Grund-
ſaͤtze:


  • Gelb fordert Rothblau,
  • Blau fordert Rothgelb,
  • Purpur fordert Gruͤn.

Gleich in der erſten Vorleſung uͤber Symbolik wurde dar-
gethan, das Prinzip der Symbolik ſei der Pragmatismus. —


Was iſt denn nun das Prinzip der Eßkunſt? —


Moͤge es mir gelingen, dieſes Prinzip meinen ſehr verehr-
ten Herrn Auditoren Sokratiſch ſelbſt finden zu laſſen.


Variatio delectat, ſprach bekanntlich der Teufel und fraß
den Salat mit der Ofengabel. — Das iſt’s aber nicht.


Zwar hat man, freilich mehr ex post, als das Prinzip
der Kunſt uͤberhaupt: „Kraft, Mannigfaltigkeit und Harmonie“
bezeichnet, und es paßt auch wohl. Man gebe aber einem
Kuͤnſtler Meſſer und Gabel, oder Pinſel und Palette in die
Hand und die drei Worte dazu, und er iſt ſo klug wie vorher.


Man weiß uͤberhaupt, wie’s in der Philoſophie und ſonſt
mit den Prinzipien hapert. „Ein allgiltiger Satz, der auch
allgemein gilt“ iſt ſchwer. Wie in andern Kuͤnſten und Wiſ-
ſenſchaften hat man eben auch in der Eßkunſt noch kein beſtimm-
tes Prinzip. Ein Umſtand, der beſonders dadurch erklaͤrlich
wird, daß die Welt bis auf gegenwaͤrtige Vorleſungen eine
Eßkunſt ſelber nicht hatte.


Der geiſtreiche Herr von Rumohr, dem wir ein ſo vor-
treffliches Prinzip der Kochkunſt verdanken, hat gleichwohl
[144] keines der Eßkunſt gegeben. Er ſagt zwar: Gewiß ſoll der
Menſch aus Geſundheit freudig, aus Ueberzeugung maͤßig, aus
Verſtaͤndigkeit gut eſſen. — Es kann aber dieſer, allerdings
wahre Satz dennoch nicht als Prinzip gelten. Ueberhaupt be-
trifft die von Herrn von Rumohr gegebene Erziehung zum
Eſſen etwas ganz Anderes als das Eſſen, iſt allegoriſcher Be-
deutung, und macht die Ermittlung eines Eßprinzips ſowohl,
als dieſe Vorleſungen uͤber Eßkunſt uͤberhaupt nichts weniger
als entbehrlich.


Die Gemeinſpruͤche zum Lobe der Mittelmaͤßigkeit und
Maͤßigkeit, wie man ſie ſo oft hoͤrt und lieſt, koͤnnen eben ſo
wenig als Prinzip angeſprochen werden. Auch die allgemeinen
Hinweiſungen auf den Inſtinkt als Richter hieruͤber entbehren
wiſſenſchaftlicher Apodiktik, und bezeichnen einen zu tiefen Stand-
punkt, auf welchem das Eſſen noch gar nicht als Kunſt erkannt
und begriffen iſt.


Die bereits kritiſirte Maxime: hoͤre auf, wenn es dir am
beſten ſchmeckt, — ſchreckt Gebildete ſchon durch ihre ſtoiſche
Rauhheit ab; koͤnnte aber auch ſchon deßhalb nicht genuͤgen,
weil dadurch uͤber Was und Wie durchaus nichts ausgeſagt iſt.
Es verhaͤlt ſich damit, wie mit einer Dramaturgie, welche blos
vom fuͤnften Akt handelte, oder denjenigen Moraliſten, welche
in dem Satze:
„Lebe, wie du, wenn du ſtirbſt, wuͤnſchen wirſt, gelebt zu haben“
auch ein Prinzip gefunden zu haben glauben. Abgeſehen von
der objektiven Inhaltloſigkeit ſolcher Maximen, wird dadurch
obendrein der ganze Spaß verdorben. Wenn ich aufhoͤren ſoll,
wenn es mir am beſten ſchmeckt, ſchmeckt es mir uͤberhaupt
nicht. Dieſer dumpfe Aegyptiſche Styl paßt offenbar nicht mehr
fuͤr eine hoͤher und heiter gebildete Menſchheit, und man moͤchte
mit Fallſtaff zur Mamſell Dortchen Lockenreißer ſagen:
Sprich doch nicht wie ein Todenkopf, erinnere mich nicht an’s Ende!


[145]

Seit durch Ariſtoteles die Sokratiſche Beſchraͤnkung ſo
gluͤcklich ergaͤnzt iſt, neben den moraliſchen Beziehungen auch
andere geltend gemacht wurden, und man das Selbſtbewußt-
ſein mit dem Weltbewußtſein zu einigen beſtrebt war, haͤtte ſich
die wiſſenſchaftliche Forſchung auch mehr der Außenwelt, in ſo
fern ſie eßbar iſt, im Begriffe zu bemaͤchtigen ſtreben ſollen.
Dieß wurde jedoch, wie z. B. von Galen und der Salernita-
niſchen Schule, nur vereinzelt und empiriſch verſucht. Auch
Ariſtoteles ruͤgte ſchon z. B. den Unſinn, Milch und Fiſche
zugleich zu genießen.


Umfaſſender ſuchte eine neuere Eubiotik die Sache aufzu-
greifen, deren Verfaſſer ſagt: Dasjenige in der großen Außen-
welt iſt je fuͤr dasjenige Individuum das Beſte, was das we-
ſentlich Gleiche von etwas in der kleinen menſchlichen Innen-
welt iſt, aber in dieſer eben jetzt in geringerem Maaße vorhan-
den iſt, als es ſein ſollte. Und das iſt das Schlimmſte, was
einem beſtimmten Individuum dasjenige vermehrt, was er ſchon
in hinlaͤnglicher oder gar ſchon in groͤßerem Maaße beſitzt, als
er ſollte.


Derſelbe Verfaſſer ſagt ferner: „Uns im gegenwaͤrtigen Zeit-
alter bekommt Fleiſch am beſten, weil wir im Allgemeinen (?)
zum Theil (?) noch mehr (?) im Juͤnglingsalter (?) der Menſch-
heit (?) uns befinden (?), das ſich phyſiſch durch uͤberwiegende
Irritabilitaͤt naturgemaͤß ausſprechen ſoll, und daher auch von
Natur in betraͤchtlicherm Grade auf Fleiſchgenuß angewie-
ſen iſt.“


Dieſe beiden Ausſpruͤche widerſprechen ſich jedoch einiger-
maßen. Denn dem Juͤnglingsalter, das ſich durch uͤberwie-
gende Irritabilitaͤt ausſpricht, kann ja, eben nach dem aufge-
ſtellten Prinzip, unmoͤglich das aus der großen Außenwelt das
Beſte ſein, was es ſelber ſchon am meiſten hat. Nimmt man
aber dieſe Saͤtze nicht genau, ſo enthalten ſie immer ſehr viel
Wahres, obſchon die Fragen uͤbrig bleiben: wie erkennt man
10
[146] denn, was man zu viel oder zu wenig in ſich hat? und warum
ſollte man denn, wenn man z. B. fromm iſt, durch Faſtenſpeiſen,
Mandelmilch und Eibiſchthee ſich nicht noch froͤmmer, — wenn
man tapfer iſt, durch Roaſtbeef und Burgunder nicht noch
tapferer machen duͤrfen? Es laͤuft denn doch das Ganze auf das
vage: „zu viel iſt ungeſund“ hinaus.


Naͤher kommen wir der Sache durch Darwin, welcher
ſagt: Fleiſchdiaͤt und Pflanzenkoſt ſind beides die natuͤrliche
Nahrung fuͤr den Menſchen, und Hildebrandt, welcher die
Speiſen definirt, als ſolche thieriſche und vegetabiliſche Mate-
rien, welche dazu dienen, unſere thieriſche Materie zu erſetzen.


Alſo ſoll man Fleiſch eſſen?


Die gewichtigen Auktoritaͤten Brouſſonet, Buffon,
Haller, Blumenbach, Hunter, Humboldt, Tiedemann

ſind dafuͤr. Die obſcuren Cocchi und Wallis, ſo wie der
paradoxe Rouſſeau, der von der Sache nichts verſtand, reden
der ausſchließlichen Pflanzennahrung das Wort. Auch Hufe-
land
iſt ſehr fuͤr vegetabiliſche Nahrung und fuͤhrt eclatante
Beiſpiele langlebender Vegetabilieneſſer an, welche meiſtens
von Milch und Kaͤſe lebten. — Wenn man Wildpret hat, kann
man noch leichter auf Fleiſch verzichten. Helvetius, Tyſon,
Andry, Arbuthnot
und Bianchi dagegen wollen, man ſolle
ein abſoluter Carnivor ſein.


Es iſt nicht zu widerſprechen, daß Fleiſch eine groͤbere,
derbere Speiſe iſt, durch welche der feinern Empfindlichkeit der
Nerven ein gewiſſer Gegenſatz gegeben, ja auch wohl ſelbſt Ab-
bruch gethan wird. Der problematiſche Caspar Hauſer zeigte,
welche enorme abnorme Nervenreizbarkeit durch bloße pflanz-
liche Nahrung ꝛc. bewirkt werden kann. Ich ſelbſt litt einſt an
einer heftigen Lugenentzuͤndung, welche wiederholte betraͤchtliche
Blutentziehungen noͤthig machte. Zehn Tage lang aß ich gar
nichts und weitere vierzehn Tage blos Waſſerſuppen oder Reis,
Gerſte, Sago ꝛc. in Waſſer gekocht und zwar taͤglich nur einen
[147] kleinen Teller voll. Das Getraͤnk beſtand aus Eibiſchabkochung,
Limonade, Zuckerwaſſer und lauterem Waſſer. Meine Nerven
wurden dadurch zu einer krankhaften Reizbarkeit geſteigert, wo-
durch ich Gegenſtaͤnde auf meiſtens hoͤchſt unangenehme, ja
ſchmerzhafte Weiſe perzipirte, welche mir vorher voͤllig gleich-
giltig geweſen waren. Hatte ich Meſſing oder Kupfer, z. B.
Zirkel, Kupferpfennige ꝛc. beruͤhrt, ſo war mir der an meiner
Hand davon haftende Geruch ſo unertraͤglich widrig und pei-
nigend, daß ich mir jedesmal nachher die Haͤnde waſchen mußte.
Ich war gezwungen, meine meſſingne Reißfeder abzuſchaffen
und mir eine ſilberne zu kaufen. Ein Mann, der mit Juch-
tenſtiefeln an den Fuͤßen, an mein Bett trat, erregte mir be-
deutenden Ekel. Ein Blumenſtrauß, welchen mir eine Freun-
din ſchickte, namentlich die Narziſſen deſſelben, brachte mir das
bisher voͤllig unbekannte Gefuͤhl des Schwindels. Radirte
Blaͤtter von Salvator Roſa, an deren Beſchauen ich fruͤher
oͤfter mich hoͤchſt behaglich erfreut hatte, kamen mir nun ge-
zwungen, ſteif, lang, liederlich, ja zum Theil garſtig vor. Eine
zugeſchlagene Stubenthuͤre, Anklopfen ꝛc. erſchreckte mich.
Kritzeln auf Glas und dergleichen affizirte mich auf das Schmerz-
hafteſte. Die Geſichtszuͤge beſuchender Freunde, welche mir
bisher als ſchoͤn gebildet und angenehm erſchienen waren, zeig-
ten ſich mir nun veraltet, unregelmaͤßig, unſchoͤn, fratzenhaft,
widerlich und ſo noch eine Menge Dinge mehr. Es waren
peinigende Zuſtaͤnde. Mit einer dauernden ſolchen Nervenreiz-
barkeit waͤr’s auf der Welt kaum auszuhalten. Ich hatte Muͤhe,
durch Fleiſchgenuß die fuͤr’s praktiſche Leben unentbehrliche ſtick-
ſtoffhaltige Grobheit wieder zu gewinnen, in deren Vollbeſitz
ich erſt wieder meines Daſeins froh wurde. Man ſoll alſo
Fleiſch eſſen, aber natuͤrlich Brod dazu.


Ein armer Irlaͤnder fand einmal an der Landſtraße Wai-
zenbrod, welches ein reiſender Pariſer hatte liegen laſſen. Es
war das erſte Mal in ſeinem Leben, daß er dergleichen ſah. Er
10*
[148] erkannte es als eine Speiſe und aß es. Es ſchmeckte ihm ſehr
gut, und er bedauerte nur, daß er kein Brod habe, um es da-
zu eſſen zu koͤnnen. Worin beſteht das Ernſte und worin das
Laͤcherliche dieſer Anekdote? —


Man gebe einem Eßluſtigen ein Stuͤck Brod. Er wird
ſeufzen: ach wenn ich nur ein Stuͤckchen Kaͤſe oder Wurſt dazu
haͤtte. Man ſchenke einem Armen eine Wurſt, und er wird ſich
ein Stuͤck Brod dazu betteln. Man trage Rindfleiſch auf;
jeder vernuͤnftige Gaſt wird denken: wo bleibt der Senf? —
Warum huͤpft jener lockige rothbackige Knabe ſo froͤhlich? Er
hat eine dampfende Bratwurſt auf dem Wecken in der Hand,
die er jauchzend emporhaͤlt. — Spricht man zu unverdorbe-
nen Naturſoͤhnen: „Stockfiſch iſt ein gutes Eſſen“ — ſo wird
die Antwort lauten: ja, mit durchgetriebenen Erbſen! — Man
wird kaum das Wort „Sauerkraut“ ausgeſprochen haben, ſo
wird man (wie bei einer mit dem Fiedelbogen angeſtrichenen
Glasſcheibe die Quinte) den Zuſatz: „und Schweinefleiſch„
mit- und nachtoͤnen hoͤren. — Lobt man ein Linſengericht,
ſo erwiedert der Volkswitz: ja, zu jeder Linſe eine Bratwurſt
iſt was Schoͤnes. Wie lieblich harmonirt Schinken und Kopf-
ſalat! — Purpur fordert Gruͤn.


Animaliſches fordert Vegetabiliſches. Vegetabiliſches for-
dert Animaliſches. Das Ternaire, Stickſtoffloſe fordert zu ſei-
ner Ergaͤnzung Quaternaires, Stickſtoffhaltiges.


Es iſt wahr, man hat’s in der Philoſophie mit den Ge-
genſaͤtzen, und in der Kunſt mit dem ewigen Contraſt und Con-
trapoſt etwas uͤbertrieben; nichtsdeſtoweniger bleibt gewiß, daß
ohne die genannten Gegenſaͤtze von wahrer Eßkunſt gar keine
Rede ſein kann. Ein blos vegetabiliſches, wie ein blos anima-
liſches Gaſtmahl iſt fuͤr den Eßkuͤnſtler ſchlechthin ein Abſur-
dum, ein Gemaͤlde ohne Licht und Schatten, alſo gar nichts.
Wenn nun von zwei Gegenſtaͤnden jeder rein fuͤr ſich, ohne
den andern gedacht, abſurd iſt und nur durch die Verbindung
[149] beider der Begriff ſich conſtruirt, ſo wird ja das Weſenhafte
eben dieſer Verbindung von ſelbſt einleuchten. Eine einzige
Zangenbranche, ein einziges Scheerenblatt iſt keine Zange, keine
Scheere. So iſt auch das Wort „Zange“ im Hebraͤiſchen
eine Partizipial-Dualform: „die beiden Nehmenden“ — wie
denn uͤberhaupt dieſe Dual- und Partizipialformen der alten
Sprachen tiefe lebendige Bedeutung haben.


Aber was braucht’s vieler Demonſtration, wo die Natur
ſo laut und vernehmlich ſpricht! Oder beweiſen die mittlere
Laͤnge des menſchlichen Tractus intestinorum, die carnivoren
Spitzzaͤhne und die herbivoren Backenzaͤhne nichts? — Sollte
das uͤbereinſtimmende Urtheil aller geſunden und unbefangenen
Menſchen zufaͤllig und nichtig ſein? —


Die erſte Nahrung des Menſchen iſt naturgemaͤß die Mut-
termilch, alſo Animaliſches. Der Knabe neigt dagegen mehr
ſich zum Vegetabiliſchen.


„Wie Kirſchen und Beeren behagen,

Mußt du Kinder und Sperlinge fragen.“

Hier wie dort iſt noch Einſeitiges. — Der Mann, wie
der Loͤwe, will, und ſoll alſo auch, Fleiſch eſſen. Bloße Fleiſch-
nahrung aber iſt roh, ja fuͤr den Menſchen abſurd. Wer weiß
nicht, mit welchen Strafen die Natur ausſchließlichen Fleiſch-
genuß bedroht, als mit Scharbock, Faulfieber, Blutungen, dem
Tod. — Aber auch durch ausſchließliche einſeitige, vegetabi-
liſche Koſt wird Scorbut erzeugt, der in dieſem Falle durch
Fleiſchnahrung geheilt wird, wie jener umgekehrt durch Vege-
tabilien. Wer kennt nicht die weltgeſchichtliche Bedeutung des
Sauerkrauts fuͤr die Schifffahrt? — Aber wie leer und Er-
gaͤnzung fordernd iſt nicht der einfache Begriff: „Sauerkraut“
ohne den noͤthigen carnaliſchen Gegenſatz? — z. B. nur einen
gebratenen Haͤring! — So iſt denn auch Muskelſchwaͤche,
Mangel an Thatkraft und Muth Folge ausſchließlichen Pflan-
zengenuſſes.


[150]

Wie ſchoͤn ſagt Cervantes: „Bei einem Gaſtmahle nimmt
ſich neben dem wohlzugerichteten Faſan eine Schuͤſſel gruͤner,
friſcher und ſchmackhafter Salat nicht uͤbel aus.“ — Es iſt
dieß ganz meine Meinung, wie ich in einigen appetitlichen Bei-
ſpielen weiter darzuthun beſtrebt ſein werde.


So beſtaͤtigt denn Natur, Kunſt und Wiſſenſchaft unſere
Anſicht gleichmaͤßig!


Ein fuͤr allemal erklaͤre ich, daß ohne Salz, Waſſer und
Feuer weder Koch- noch Eßkunſt ſich verwirklichen kann. Es
waͤre aber ermuͤdend, bei den nun darzulegenden Gegenſaͤtzen
jedesmal des Salzes ꝛc. eigens zu erwaͤhnen, aus welchem Grunde
ich es eben weglaſſe; aber ausdruͤcklich inbegriffen wiſſen will.


Schon bei der ſimpeln Fleiſchbruͤhe offenbart ſich die Be-
deutung der Gegenſaͤtze. Wie ſchaal und einſeitig iſt Fleiſch-
bruͤhe ohne Zuſatz von Kuͤchenkraͤutern gekocht! — Aehnlich
iſt’s bei der Milchſuppe. Nicht nur giebt hinzugebrocktes ſchwar-
zes Brod einen huͤbſchen pittoresken Contraſt, wie ein Mohr
neben einer Europaͤiſchen Schoͤnheit, ſondern es wird dadurch
noch der ſuͤßen Milch ein derberer herber Gegenſatz, uͤberhaupt
die geheiſchte vegetabiliſche Antitheſe gegeben, und das tropfbar
Fluͤſſige findet zugleich ſoliden Halt und Grund im Feſten.


Wie der ſauerteigige Beigeſchmack einer ſchwarzen Brod-
ſuppe durch die Suͤßigkeit eines beigeſetzten friſchen Eies, —
alſo wird auch umgekehrt die ſuͤßlichte Einſeitigkeit einer Peter-
ſilien- oder Koͤrbelkraut-Suppe durch zugeſetzten ſauren Milch-
rahm verſoͤhnt und ergaͤnzt.


Milch und Fluͤſſiges uͤberhaupt genuͤgt aber nicht lange.
Man biete einem Kinde von nur einjaͤhrigem Verſtand eine
Bratwurſt dar, und es wird die ſchoͤnſte Mutterbruſt fahren laſſen
und nach der Bratwurſt greifen. Ich wende mich zum Feſten.


Hier bildet unſtreitig die mildeſte und ſanfteſte Form der
Verſchwiſterung des Animaliſchen mit dem Vegetabiliſchen, ein
Bild und Gleichniß des idylliſchen Urzuſtandes der Menſchheit,
[151] das Butterbrod. Dieſem ſchließt ſich Honigbrod an. — Ge-
ſteigert in ſeiner Qualitaͤt fuͤhlt man ſolchen einfachen Gegen-
ſatz, wenn man gut ausgebacknes ſchwarzes Brod oder geroͤſtete
Semmelſcheiben und warmes Mark aus einem tuͤchtigen, ſo
eben der kochenden Bruͤhe enthobenen Rindsroͤhrenknochen mit
etwas Salz darauf verſpeiſt. Avicenna raͤth es zu pfeffern.
Dadurch wird jedoch der zarte Geſchmack zu ſehr uͤberſchrieen.


Ein weiteres Beiſpiel dieſes einfachen Gegenſatzes auf erſter
Stufe giebt das ſchon benannte Huhn im Reis. Auch Nudeln
bilden dazu eine paſſende Antitheſe.


Eine dampfende Kartoffel iſt etwas ſehr Gutes. Aber ihre
ſproͤde Trockenheit wird nicht nur durch zugegebene Butter oder
Gaͤnſefett auf das Mildeſte ſupplirt und ameliorirt, ſondern
auch damit der entſprechendſte animaliſche Gegenſatz geſetzt.


Bei Goethe’s Goͤtz von Berlichingen giebt’s gekochte
weiße Ruͤben und Lammsbraten; — eine Verbindung, welche
von der tiefen Einſicht des Dichters auch in dieſes Fach Kunde
giebt. Denn nicht nur harmonirt die charakteriſtiſche Eigen-
thuͤmlichkeit des Lammsbratens uͤberhaupt mit den milden Ruͤ-
ben, ſondern es kommt noch das Temperaturverhaͤltniß in Be-
tracht. Es heißt naͤmlich: „gekochte weiße Ruͤben“ — alſo iſt
von Warmem die Rede, und in der That duldet gerade Lamms-
braten von allen Braten am wenigſten kalte Gegenſaͤtze, worauf
ſchon deſſen Geneigtheit zur Gerinnung und Erſtarrung ſeines
Fettes hindeutet.


Wer jemals eine gute Krautwurſt gegeſſen, wird wahrge-
nommen haben, wie harmoniſch verklaͤrt dieſe die fragliche Idee
in ſich verſchloſſen traͤgt.


Es iſt aber durchaus nicht der gemeine Nutzen, welcher
dieſe Gegenſaͤtze hervorruft. Denn warum gaͤbe man einem
gebratenen Spanferkel einen Apfel oder eine Citrone in’s Maul?
— Schon der liebenswuͤrdige Anblick rechtfertigt es. Es hat
aber auch noch tiefere Gruͤnde. Manchmal zeigt ſich eine be-
[152] ſtimmte, aber deßhalb um nichts weniger geheimnißvolle Wahl-
verwandtſchaft, wie z. B. zwiſchen Lammsbraten und Schalotten,
Wildpret und Lorbeerblaͤttern ꝛc.


Warum entſpricht friſcher Gurkenſalat einer gebratenen
Taube ſo innig? — Man denke an die trockne, hitzige, etwas
derbe Faſer, an den ſproͤden Charakter des Taubenfleiſches, und
erwaͤge dagegen die ſanfte Milde, die ſaftreiche Kuͤhle der phleg-
matiſch-lymphatiſchen Gurken, und man wird erkennen, wie
innerlich harmoniſch dieſe Verbindung zuſammenklingt.


Wer weiter nachdenkt, wird finden, daß es ſich mit ge-
backnen Tauben und Blumenkohl, mit geraͤucherter Zunge und
Baieriſchen oder Teltower Ruͤbchen, oder gedaͤmpften jungen
Bohnen, — mit gebackner Leber und gruͤnen (Zucker-) Erbſen
ganz aͤhnlich verhaͤlt. Dagegen wuͤrden ſich die etwas bitter-
lichen Artiſchocken mit der etwas (gallicht-) bitterlichen Leber
uͤbel vertragen. Hier iſt eine ſchwergepruͤfte, geraͤucherte Zunge
an ihrem Platze, wie Verrina neben Fiesco.


Ein gebratnes Zicklein mit jungen Hopfenſproſſen als Sa-
lat, dieſe beiderſeitige Jugend, wie die Liebe der Nachtigall zur
Roſe, wie ſtimmt ſie ſo freundlich zuſammen.


Wie bezeichnend begruͤßen gruͤne Erbſen und junge Tauben
den holden Fruͤhling zugleich!


In ſehr liebenswuͤrdigem Einklang ſteht ein gebratenes
junges Haͤhnchen mit zartem, lenzentſproßtem Gartenſalat.
Aber auch einem bejahrteren, ernſteren Schinken ſteht dieſe
jugendlich heitere Geſellſchaft ſehr wohl zu Geſichte.


Liebhaber des Maſſenhaften werden einen Gansbauch am
liebſten mit Jataliaͤniſchen Kaſtanien gefuͤllt ſehen, und aller-
dings geht deren ſproͤde Trockenheit mit der ſchmiegſamen Hin-
gebung jener ſimplen Unſchuld und Harmloſigkeit eine paſſende
Vermaͤhlung ein. Andere ziehen dazu den aromatiſchen Beifuß
(Artemisia vulgaris) vor, der in der That dem etwas faden
Ganscharakter entſprechend wuͤrzt; aber auch die entſchiednere
[153] Schaͤrfe eines wohlgepfefferten Krautſalats ſteht nichts weniger
als im Widerſpruch damit; — aͤhnlich wie ſich auch etwas
Citronenſaft und Pfeffer zu Auſtern ſehr wohl vertraͤgt. Unter
jenem Gansbauch iſt aber durchaus ein ſehr junges Gaͤnschen
gemeint. Gott bewahre Jeden vor einer alten Gans!


Wenn zu einfach geſottenen Forellen ein paar friſche Peter-
ſilienblaͤtter eine erfreuliche, zart wuͤrzende Staffage geben, ſo
leiſten einem in Eſſig und Wein geſottenen Karpfen einige
Schwaͤbiſche Mehlſpaͤtzle gar verſoͤhnliche Geſellſchaft, und einige
Kartoffelſchnitte unter einem in Salzwaſſer gekochten und mit
Butter getraͤuften Hecht gebreitet, koͤnnen nicht anders, denn
als convenirende Baſis betrachtet werden.


Kartoffelkloͤſe ſchicken ſich zu Sauerbraten ſehr wohl. Ißt
man ſie aber dazu, ſo muß man nicht auch noch zugleich Brod
eſſen. Dieſer zweite Gegenſatz iſt ungeeignet.


Wildſchwein erfordert Kapernſalat, eingemachte ſaure
Weichſel und dergleichen, was ſich umgekehrt mit dem davon
zu verſchiedenen Charakter eines Kalbsbratens nicht eignete,
welchem vielmehr Kopfſalat, etwa mit hartgeſottenen Eiern,
oder Spargelſalat naͤher zuſagte. Hier iſt zu bemerken, daß
der weiche, zarte, milde Spargel beſſer zu einem Kalbsſchlegel
und deſſen etwas ſtaͤrkerer Faſer paßt; — der etwas ſtaͤrkere
Kopfſalat dagegen mit der zarteren milchigten Kalbsbruſt er-
gaͤnzender uͤbereinſtimmt.


Rebhuͤhner gehen mit den waldbewohnenden Morcheln
eine freundnachbarliche Verbindung ein. Die fetteren milderen
Bratwuͤrſte lieben dagegen die Naͤhe ſtrengerer Geſellſchaft von
Sauerkrant, ſaure Gurken, Senf u. dergl.; — und zwar aus
aͤhnlichem Grunde, warum das zur nichtsſagenden Indifferenz
gekochte Rindfleiſch die ſchaͤrferen Gegenſaͤtze von Senf, Meer-
rettig, rothen Ruͤben, Schnittlauch mit Eigelb und Eſſig,
Radieschen, Salzgurken, Bohnenſalat ꝛc. verlangt.


[154]

Aber auch das kraͤftige Beefſteak fordert dringend Kreſſe,
Senf, Eſſiggurken, aromatiſche Kuͤchenkraͤuter, geroͤſtete Kar-
toffeln ꝛc.


Wie ſchoͤn iſt der Anblick eines blendend ſcharlachroth ge-
ſottenen Krebſes und das zarte Gruͤn von friſcher Peterſilie,
und das lichte Braun von Kuͤmmel darauf, und welch feines
Aroma gewinnt zugleich der Krebsgeſchmack dadurch!


So wohlſchmeckend ſich die Verbindung von Sauerkraut,
einigen Wachholderbeeren und einigen gebratenen Krammets-
voͤgeln erweiſet, ſo ſinnig deutet ſie zugleich auf naturwiſſen-
ſchaftlich verwandte Verhaͤltniſſe. Ueberhaupt erſchließen ſich
dem denkenden Eßkuͤnſtler oft die tiefſten Myſterien der Natur
und Kunſt.


Schoͤn klingt ferner zuſammen: geroͤſtete Waizenbrodſchnit-
ten mit Schnepfendreck; eben ſo aber auch mit gehackten ge-
bratenen Schnecken. In beiden Faͤllen ſchaden einige Citronen-
ſchaalen-Atome nicht, die jedoch, wenn man den kraͤftigen
Caviar aufſtreicht, nicht paſſend waͤren.


Sehr geeignet verbindet ſich Gaͤnſeleber mit Truͤffeln,
Krautskopf mit Fleiſchgehaͤckſel gefuͤllt, Kalbs- oder Schweins-
Cotelettes mit Lactuca, Endivien, Kohlrabi ꝛc., waͤhrend fricaſſir-
tes Kalbfleiſch Champignons, Kapern ꝛc. verlangt, und die
ſtarke Bologneſer Wurſt ſelbſt einigen Knoblauch ſehr wohl
vertraͤgt.


Bei dieſen Gegenſaͤtzen giebt aber natuͤrlich der Geſchmack
des Eſſers den beſtimmenden Ausſchlag. So kann man z. B.
Sauerbraten durch Erbſen, Kartoffelkloͤſe, Linſen ꝛc. mildern;
eben ſo aber durch Kapern-Zwiebel-Tunke ꝛc. ſeinen Charakter
ſteigern. Beides paßt. Beſtimmt Saures mit ausgepraͤgt
Suͤßem paßt aber unter keiner Vorausſetzung. Zuckerbrod und
Haͤring iſt ſchlechthin laͤcherlich. Es giebt aber in jeder Kunſt
ſehr viel Unausſprechliches. Alſo auch hier. Man kann ſehr
[155] leicht fehl greifen, auch wenn man den allgemeinen Grundſatz
„Animaliſches fordert Vegetabiliſches“ feſthaͤlt. So wurde mir
oͤfter Stockfiſch mit Spargel und Muskatbluͤthe vorgeſetzt. Mir
ſchien jedoch jedesmal ſowohl der zarte Spargel, als die feinere
hoͤhere Muskatbluͤthe fuͤr den populaͤren Stockfiſch ſich nicht zu
eignen, und Kartoffelſchnitte als vegetabiliſcher Gegenſatz und
geroͤſtete kleingewuͤrfelte wenige Zwiebelſtuͤckchen zur Wuͤrze in
dieſem Falle viel zuſagender.


In aͤrmeren Gebirgsgegenden erhielt ich nicht ſelten zu
Kalbsbraten gedoͤrrte gekochte Zwetſchchen. Obgleich damit die
Nothwendigkeit des Gegenſatzes anerkannt iſt, konnte ich doch
niemals dieſe Wahl billigen. So wurde mir auch in Gaſt-
haͤuſern kleiner, entlegener Orte, z. B. in Jean Paul’s Ge-
burtsort, Kohl mit geroͤſteten Brodſchnitten vorgeſetzt, die
einmal, an einem Sonntag, in Eiern gebacken waren. Auf
dieſe Weiſe ſuchte man, trotz hinderlicher Duͤrftigkeit, ohne ſich
zum beſtimmt animaliſchen Gegenſatz erheben zu koͤnnen, doch
die antithetiſche Forderung einigermaßen zu erfuͤllen.


Ehe wir nun zu zuſammengeſetzteren Gegenſaͤtzen uͤber-
gehen, mag ferner noch davon die Rede ſein, ob man dieſe
Gegenſaͤtze gleichzeitig und je zugleich, oder vielmehr ſucceſſiv,
abwechſelnd und je einzeln fuͤr ſich eſſen ſolle. Sind ſie, was
vorausgeſetzt wird, gut gewaͤhlt, ſo moͤgen ſie zwar immerhin
gleichzeitig gekaut werden, man wird wohl auch dadurch ganz
neue eigenthuͤmliche Geſchmaͤcke entdecken. Doch waͤre dabei
nicht außer Acht zu laſſen, daß man nicht von beiden Gegen-
ſaͤtzen gleich große Mengen, ſondern je immer von dem Einen
mehr als von dem Andern zu nehmen habe, um das Spezi-
fiſche doch nicht zu ſehr zu verwiſchen. Dieß gilt natuͤrlich
zunaͤchſt von geſchieden aufgetragenen gegenſaͤtzlichen Speiſen.
Denn wo die Kochkunſt ſelbſt jene Vereinbarung der Gegenſaͤtze
ſchon vermittelt und vorgebildet hat, verſteht ſich auch das
[156] Simultan-Eſſen von ſelbſt. Doch laͤßt ſich nicht laͤugnen,
daß das Spezifiſche klarer und beſtimmter dann hervortritt,
wenn man jedes zunaͤchſt fuͤr ſich mit je darauf folgendem
Gegenſatze kaut, wodurch zugleich die erfreulichſte Abwechslung
gegeben wird. Ißt man z. B. ein Huͤhnerfluͤgelchen und laͤßt
erſt, nachdem dieſes gekoſtet und gekaut iſt, eine Gabel Salat
folgen, ſo hat man klar und entſchieden den ſpezifiſchen Ge-
ſchmack eines jeden dieſer Gegenſaͤtze, waͤhrend beides zumal
und zugleich gekaut weder recht Eins noch das Andere, ſondern
ein Drittes, Vermiſchtes, eine Art truͤbes Grau giebt. Dagegen
waͤre es z. B. — ſchon wegen der Indifferenz der Butter an
ſich — kaum zu rechtfertigen, wenn jemand Butter und Brod,
jedes fuͤr ſich, aͤße.


Das Verhaͤltniß der beſprochnen Gegenſaͤtze hat Brouſſo-
net
dahin beſtimmt, daß, nach der Beſchaffenheit und Zahl der
fuͤr Animaliſches zunaͤchſt beſtimmten Schneide- und Eckzaͤhne,
und der zum Kauen des Vegetabiliſchen eingerichteten Backen-
zaͤhne, die Menge der animaliſchen Speiſen zu der Menge der
vegetabiliſchen, alſo wie 12 zu 20 ſich verhalten muͤſſe. —
Das iſt ſo ſpitzig, daß man ſich die Zaͤhne damit ausſtochern
koͤnnte.


So viel nun, um nicht durch zu viele Beiſpiele zu er-
muͤden, von den einfachen Gegenſaͤtzen. Indem ich nun zur
Steigerung der Gegenſaͤtze durch weitere Zuſammenſetzung uͤber-
gehe, behalte ich des Zuſammenhanges und groͤßerer Anſchau-
lichkeit wegen, meiſtens die ſchon gegebenen Objekte bei.


Werfen wir einen Blick auf eine der genannten einfachen
Suppen, und vergleichen wir damit eine, in Deutſchland
faͤlſchlich Olla potrida genannte, Vielerleiſuppe damit, ſo tritt
uns die Gehaͤuftheit der Gegenſaͤtze bis zum Staunen entgegen.
Ich nenne nur folgende Beſtandtheile, ohne auf die Compoſi-
tion der einzelnen Kloͤßchen, Rafiolen ꝛc. Ruͤckſicht zu nehmen.


[157]
Vegetabiliſche Reihe.
  • Blumenkohl.
  • Artiſchocken.
  • Spargel.
  • Lactuca.
  • Morcheln.
  • Kohl.
  • Scorzonera.
  • Gruͤne Erbſen.
  • Waizenbrod.
  • Cardamomen.
  • Piſtazien.
  • Muskatbluͤthe.
  • Piement.
  • Pfeffer.
Animaliſche Reihe.
  • Tauben.
  • Huhn.
  • Kalbfleiſch.
  • Kalbsdruͤſen. (Brieſe.)
  • Hirn.
  • Nierlein.
  • Bratwuͤrſtlein.
  • Leberlein.
  • Rindsmark.
  • Maͤgelein.
  • Krebſe.
  • Schnecken.
  • Eier.
  • Butter.

Trotz dieſer Haͤufung und Complication kann ich’s doch
nicht uͤber’s Herz bringen, das Verdammungsurtheil daruͤber
auszuſprechen; denn, ach! — die Gegenſaͤtze ſind gar zu ſchoͤn
gewaͤhlt! — Und am Ende reduzirt ſich das Ganze doch auf
ſehr einfache verwandte chemiſche Grundſtoffe.


Waͤhrend ſich uns ferner bei dem patriarchaliſchen Butter-
brod der einfache Gegenſatz des Vegetabiliſchen und Animaliſchen
(letzteres noch dazu in ſeiner mildeſten Form) zeigte, hat eine
neuere Zeit z. B. ſogenannte Speckkuchen zur concreten Er-
ſcheinung gebracht. Sie beſtehen bekanntlich aus feinem mit
Milch und Eiern gekneteten Mehl und enthalten auf ihrer
Oberflaͤche einige fein gewuͤrfelte Speckſtuͤckchen und etwas
Kuͤmmel. Hier iſt alſo der vegetabiliſche Gegenſatz von Mehl
und Kuͤmmel durch die animaliſchen Antitheſen von Milch,
Eiern und Speck bereits uͤberboten, uͤberhaupt das Ganze
complizirter. Dieſe Speckkuchen ſchmecken durchaus nicht un-
angenehm; — meine ſchon belobte Frau Baaſe pflegte zu ſagen,
zu Milchcaffée gaͤb’s nichts Beſſeres auf der Welt — waͤhrend
[158] dagegen Zwiebelkuchen, (welche ein, in der fuͤnften Vorleſung
genannter Schriftſteller merkwuͤrdig gern ißt) eben wegen der
Einerleiheit ihrer Vegetabilitaͤt und anderer Inconvenienzen
einem feineren Sinne nicht wohl zuſagen.


Nehmen wir noch einmal Butterbrod! Wem die claſſiſche
Simplicitaͤt deſſelben nicht genuͤgt, kann es beliebig in’s Ani-
maliſche oder Vegetabiliſche ſteigern. Einfach in’s Vegetabi-
liſche hinuͤber geſteigert wird es durch aufgeſtreuten gehackten
Schnittlauch oder friſche Rautenknospen. Eine doppelte Stei-
gerung in’s Vegetabiliſche ergiebt ſich, wenn man noch Ra-
dieschen beifuͤgt.


Eine einfache Steigerung des Butterbrods in’s Ani-
maliſche wird durch beigeſetzten Kaͤſe geſetzt. Eben ſo verhaͤlt
es ſich mit zugegebenem Schinken, welcher jedoch in dieſem Falle
nicht fett ſein darf, weil die beiden Indifferenzen: Butter und
Schinkenfett als nichtsſagend zu erachten ſind. — Shakes-
peare
’s Honigbruͤhe uͤber Zucker! — Setzt man dem Schinken
noch kalten Kalbsbraten und Sardellen bei, ſo erhaͤlt man
dreifach geſteigerte animaliſche Gegenſaͤtze, welche durch Cervelat-
wurſt noch bedeutend vervielfaͤltigt wuͤrde. Doch ſchmeckt das
ſchon ſtark nach Manier. Einem geſunden Geſchmack wird
Einfacheres beſſer zuſagen. Es waͤre nichts gewonnen, ja uͤbel
aͤrger gemacht, wenn man in den oben angegebenen concreten
Verhaͤltniſſen durch groͤßere Anhaͤufung auch des Vegetabiliſchen
ein Gleichgewicht ſuchte.


Jeder unverdorbene Menſch wird Radieschen und Kaͤſe
zuſammen fuͤr abgeſchmackt halten. Wie naͤmlich die Radieschen
durch ihre beitzende Schaͤrfe die den Vegetabilien ſonſt eigen-
thuͤmliche Milde einigermaßen uͤberſchreiten, ſo bleibt eben auch
der Kaͤſe durch ſeine milchigte Unentſchiedenheit hinter dem
charakteriſtiſch ausgepraͤgten Fleiſch zuruͤck. Beſitzt nun der
Kaͤſe auch beſtimmte Schaͤrfe, ſo ſteht doch deren Arthaftigkeit
mit der der Radieschen in offenbarem Widerſpruch. Durch
[159] Beides erklaͤrt ſich Beider Unvereinbarkeit. Schinken aber
und Radieschen paſſen ſehr wohl. — Warum harmoniren denn
Truͤffeln und Gaͤnſeleber ſo ſchoͤn? — Um wie viel die Leber
hinter dem eigentlichen Fleiſch zuruͤckbleibt, um ſo viel geht die
Truͤffel uͤber das gewoͤhnlich Vegetabiliſche hinaus, und gerade
dadurch ergaͤnzt und miſcht ſich Beides ſo entſprechend.


Wer wird nicht mit Indignation in Frankreich bemerken
und blos der Franzoͤſiſchen Oberflaͤchlichkeit verzeihen, daß Gar-
tenſalat ein Gericht fuͤr ſich bildet? Mit Zuſatz von hartge-
ſottenen aufgeſchnittenen Eiern koͤnnte er eher dafuͤr gelten, und
dieſes Tricolor von Weiß, Gelb und Gruͤn hat auch was augen-
faͤllig Liebliches. — Andere ziehen den ebenfalls richtigen
Gegenſatz von kleingewuͤrfeltem geroͤſteten Speck zu Gartenſalat
vor. — Wie ſehr aber gewinnt das Ganze, wenn z. B. eine
wahlverwandte Kalbsbruſt dazu kommt! — Eine mit Roſinen
und Milchbrod gefuͤllte Kalbsbruſt dagegen hat zu weibiſchen
Charakter. So wird auch in Deutſchland Spargel fuͤr ſich
gegeben. Man ſucht zwar durch Eierſauce, Krebsbutter ꝛc.
den geforderten animaliſchen Gegenſatz einigermaßen zu er-
gaͤnzen. Wie kraͤftiger und großartiger aber macht ſich z. B. ein
gebratner Truthahn und Spargelſalat! Ein zweiter Salat
von Neunaugen dazu ſteigert das Animaliſche, wie ich oͤfter das
Vergnuͤgen hatte, mich zu uͤberzeugen, auf die anmuthigſte Weiſe.


Nehmen wir gedaͤmpfte junge Bohnen. Warmer Schinken
bildet einen allerliebſten Gegenſatz. Will man das Vegetabi-
liſche ſteigern, ſo ſchicken ſich zugegebene Champignons vortrefflich
dazu. Aehnlich iſt’s mit Kohl und Kalbscotelettes, welches
Gericht durch aufgelegte gebratne Kaſtanien ſehr angenehm und
ergiebig noch mehr vegetabiliſch verſtaͤrkt wird. So paßt auch
zu einem einfachen gebratnen Kapaun ein zuſammengeſetzter
Salat von Endivien, Sellerie, Kreſſe ꝛc., — und Rapunzeln
mit Kartoffelſalat ſtellen ſich freundlich einem gebacknen Karpfen
gegenuͤber.


[160]

Ich bemerke hier, daß die vegetabiliſche Seite in der Regel
hoͤhere Steigerung vertraͤgt, als die animaliſche. Fleiſch,
namentlich Braten, iſt an ſich ſchon ſo bedeutend und viel-
ſagend, daß Zuſaͤtze gleicher Art meiſtens unnoͤthig, uͤberfluͤſſig,
zerſtoͤrend ſich zeigen. Freilich giebt es auch treffliche, wenn
ſchon gehaͤufte Steigerungen in’s Animaliſche, z. B. gefuͤllte
Artiſchocken. Die vegetabiliſche Seite davon beſteht lediglich
aus der Artiſchocke, Waizenbrod und etwas Muskatbluͤthe,
waͤhrend die animaliſche Gegenſeite uͤberwiegend Animaliſches
enthaͤlt, naͤmlich: gehackte Krebsſchwaͤnze und Scheeren, zarte
Leberlein und Eierſtuͤcke von Huͤhnern, Milch, Fleiſchbruͤhe,
Butter.


Eben ſo vertragen ſich Schnecken, Hahnenkaͤmme, Zungen,
Hirne, Brieſe, Kalbskopf, Vogel- und Fiſchlebern zu dem ein-
fachen vegetabiliſchen Gegenſatz der Champignons ſehr wohl.


In dem Kochbuch der Madame Louiſe Marezoll finden
ſich folgende zwei Salate.


Sardellenſalat.


Man waͤſſert ¼ Pfund Sardellen, ſchneidet ſie in der Mitte
durch, den Kopf ab, nimmt die Graͤten heraus und ordnet ſie
in einer Schuͤſſel oder Saladiere. Dann zerſchneidet man etwa
drei bis vier Bricken in fingergliedlangen Stuͤcken, thut das Ruͤck-
grat heraus und legt ſie zwiſchen die Sardellen. Außerdem
noch Oliven, Kapern, eingemachte Champignons, in Streifen
geſchnittene Aſiagurken dazu, und feingeſchnittne Scheiben von
Citronen und Cervelatwurſt ringsherum. Hierauf Eſſig und
Oel zuſammengeklopft und behutſam daruͤber gegoſſen, daß
Alles ordentlich liegen bleibt.


Haͤringſalat.


Hierzu werden einige Haͤringe gewaͤſſert, ausgenommen,
von Haut und Graͤten befreit, und in kleine Wuͤrfel geſchnitten.
[161] Ferner 6 bis 8 Borsdorferaͤpfel, eben ſo viele feſte, abgekochte
Kartoffeln, einige ebenfalls gekochte (?) Sellerieſtauden, einige
Scheiben eingemachte rothe Ruͤben, Aſiagurken oder kleine Eſſig-
gurken und ein tuͤchtiges Stuͤck kalten Kalbsbraten. Dieſes
Alles in demſelben Format geſchnitten, und nach Belieben etwas
gehackte Zwiebel und Peterſilie dazu. Hierrauf verruͤhrt man
ein paar hartgeſottene Eidotter mit einem Loͤffel Senf und der
gehackten Haͤringsmilch klar, gießt Eſſig, Oel und Kapern daran,
miſcht hierauf die geſchnittenen Ingredienzen hinzu und ſtreut
geſtoßenen Pfeffer daruͤber. Auch dieſer Salat iſt durch die Zu-
that einiger in Stuͤcken geſchnittener Bricken ſehr zu veredeln. —


Doch ich fuͤhle, daß ich hiermit von dem Gebiete der Eß-
kunſt mich zu ſehr in das der Kochkunſt verſteige, wollte aber
dieſe Formeln, deren ſinnige Anordnung ich zwar nicht verkenne,
ohngefaͤhr als die aͤußerſten Grenzen gehaͤufter Gegenſaͤtze dar-
legen, wenn anders nicht dieſe Grenzen dadurch ſchon uͤber-
ſchritten ſind. Jedenfalls ſind dieſe Salate ſchon ſehr gekuͤnſtelt,
uͤberpikant, und daher wohl dem durch Schlemmerei verdorbenen
Magen eines unkuͤnſtleriſchen Eſſers zuſagender, als dem eines
geſunden wahrhaften Eßkuͤnſtlers; aber gut ſchmecken ſie doch.


Ich kann mich aber eines nochmaligen Hinblickes auf die
Kochkunſt aus dem Grunde nicht wohl entſchlagen, weil ja der
Eßkuͤnſtler, ohne daß ihm der Koch in die Haͤnde arbeitet,
uͤberhaupt nichts zu leiſten vermag. Was helfen die Grund-
ſaͤtze: je zu animaliſchen Gegenſaͤtzen entſprechende vegetabiliſche
zu waͤhlen, wenn dieſe ſelbſt nicht gegeben ſind? — Ich beſitze
viele alte und neue Kochbuͤcher mit, auf Extrabeilagen, fuͤr
runde ſowohl als oblonge Tafeln, genau verſinnlichten Anga-
ben, wie die einzelnen Speiſen und Trachten, welche ſpeziell
benannt ſind, aufzutragen und zu ſtellen ſeien. Alle laſſen je-
doch beklagen, daß die Lehre von den Gegenſaͤtzen auf bedauer-
liche Art verkannt und hintangeſetzt, ja in einigen kaum be-
achtet iſt.


11
[162]

Allerdings zwar bildet das Brod den ſtereotypen, aber
eben ſo einſeitigen, vegetabiliſchen Gegenſatz, der jedoch durch-
aus nicht genuͤgt. Meiſtens findet man Fleiſch und faſt nur
Fleiſch, wobei nicht einmal die noͤthigen Gegenſaͤtze in dieſer
Claſſe ſelbſt von Fiſchen, Voͤgeln und zahmen und wilden Saͤug-
thieren gebuͤhrend beruͤckſichtigt iſt. Zu einer ungebuͤhrlichen
Menge der verſchiedenſten Braten ſind kaum zwei oder drei Salate
oder ſonſtige vegetabiliſche Gegenſaͤtze gegeben. Gemuͤſe fehlen
oͤfters ganz. Hier koͤnnte ſelbſt der groͤßte Eßkuͤnſtler unſer
Prinzip nicht bewaͤhren.


Der fleiſcharmen Tafeln und anderer bis zur charakterloſen
Indifferenz ver- und zerkochter Seiſen, die mir aufſtießen, mag
ich gar nicht gedenken.


Moͤge die eßkuͤnſtleriſche Kritik auf die Kochkunſt einen
guͤnſtigeren Einfluß aͤußern, als die Kunſtkritik uͤberhaupt auf
die ſchoͤnen Kuͤnſte, namentlich auf die Poeſie, die unter dem
populaͤren Deckmantel: „Malo convivis, quam placuisse co-
quis“
ſo eigenſinnig und widerſpenſtig gegen Regel und Ord-
nung ankaͤmpft, daß — bei dem juͤngeren Geſchlecht beſon-
ders — „Poetiſch“ und „uͤber die Schnur hauen“ faſt ſynonym
geworden iſt.


So viel nun vorlaͤufig uͤber die Steigerung und Haͤufung
der Gegenſaͤtze im Vegetabiliſchen und Animaliſchen, reſpective
deren reziproker Beziehung.


Wie aber in der Natur alluͤberall ſich Gegenſaͤtze offenba-
ren, ſo finden ſich je im Vegetabiliſchen und Animaliſchen auch
einzeln und fuͤr ſich ſelber dieſelben. Um nicht viel von Schaale
und Kern, Huͤlſe und Frucht ꝛc. zu ſagen, ſei nur auf das Brod
und deſſen gegenſaͤtzliche Kruſte hingewieſen. Eine Verſchoͤne-
rung und Steigerung dieſer Gegenſaͤtze ſpricht ſich in der con-
creten Erſcheinung der Aepfel- und Zwetſchchenkrapfen, Kirſch-
kuchen ꝛc. aus.


[163]

Im Animaliſchen iſt auf natuͤrliche Weiſe daſſelbe durch
Fleiſch und Fett gegeben. Wie pittoresk, gleich Roſen und
Lilien, iſt z. B. im purpurroſigen Schinken das ſchnee- oder
bluͤhweiße Fett! — Man vergleicht dieſes immer mit Mandel-
kern, als ob man nicht dieſen mit jenem noch beſſer vergleichen
koͤnnte. Die Kunſt bildet ſinnig dieſe Naturprototypen nach,
man ſpickt Rebhuͤhner, Haaſen, Lebern ꝛc., und der Italiaͤner
ſetzt fetten Fiſchen ꝛc. ſehr zweckmaͤßig pikantere Sardellen zu.


So giebt man denn auch, wie ſchon die Salernitaniſche
Schule poſtulirt, Aepfel und Nuͤſſe, Trauben und Mandeln
zum Deſſert. Und dazu und dafuͤr paßt es auch ſehr wohl.
So ſind Erdbeeren mit Zucker und Wein, wenn man ſie nicht
lieber rein fuͤr ſich ißt, allerliebſt, dulden aber in ſich ſelber
ſchon auch den zarten animaliſchen Gegenſatz von Milch. So
vertragen Aepfel Parmeſankaͤſe; — friſche Feigen Schinken ꝛc.
Doch wird das Obſt am beſten nicht mit, ſondern nach Ani-
maliſchem genoſſen.


Der Hauptgegenſatz wird immer durch Animaliſches und
Vegetabiliſches repraͤſentirt. Die Gegenſaͤtze je im Vegetabili-
ſchen und Animaliſchen ſelbſt ſind immer Nebenſachen, die den
Hauptgegenſatz keineswegs entbehrlich machen, vielmehr auf das
Glaͤnzendſte beſtaͤtigen und als Einleitendes, Begleitendes und
Nachfolgendes, als untergeordnete kleinere Gegenſaͤtze Hoͤherer,
Bedeutenderer, aber als nicht mehr, volle Geltung behalten moͤgen.


Nach allem Geſagten und dem dadurch gewonnenen poſi-
tiven Prinzip und objektiven Inhalt, erweitert ſich die ſchon
gegebene Eßdefinition, als Maxime ausgedruͤckt, alſo: Laſſe
gute und angemeſſene Produkte der Natur und Kunſt in gehoͤ-
riger Menge und Verbindung, d. h. je nach den Gegenſaͤtzen des
Vegetabiliſchen und Animaliſchen, mit Heiterkeit, Ruhe, Sinn
und Bewußtſein, auf ſubjektiv und objektiv angenehme und
geſchmackvolle Weiſe, Dir ſchmecken.



[[164]]

Achte Vorleſung.
Elementarunterricht
.


Wer Baſedow’s bekanntes Elementar-Werk kennt, wird
ſich mit Vergnuͤgen des freundlichen Eindrucks erinnern, wel-
chen gleich die erſte ſchoͤne Kupfertafel auf ihn machte, welche
lauter ſehr appetitlich dargeſtelltes und huͤbſch gruppirtes Eßba-
res enthaͤlt. Sehr zweckmaͤßig faͤngt dieſes durchdachte Werk
die Erziehung bei’m Eſſen an, dieſes gleichſam als Grund, Keim
und Vorbild derſelben und des Lebens ſelber betrachtend.


Auch die meiſten heutigen Erziehungsanſtalten und Pen-
ſionen, in welchen die Zoͤglinge zugleich leiblich verpflegt und
gebildet werden, haben das ruͤhmliche Beſtreben und die ge-
meinſame Wirkung, den Zoͤglingen eine tiefe Sehnſucht nach
dem Eſſen einzupraͤgen, welche nach Tiſch nur ganz wenig ab-
nimmt, ja manchmal durch das Quantum der Atzung ſogar
geſteigert ſich ausſpricht, aber meiſtens außerhalb der Anſtalten
Befriedigung zu ſuchen gezwungen iſt. Man ſcheint da auf
negativem Wege zum Ziele gelangen zu wollen. Der poſitive
waͤre freilich beſſer, aber nicht ſo wohlfeil.


Indem hier die Grundzuͤge einer Elementar-Eßlehre gege-
ben werden ſollen, iſt es kaum zu bemerken noͤthig, daß damit
nichts Anderes gemeint und gewollt ſein kann, als dieſelben
einer ſehr geehrten Verſammlung zur gefaͤlligen Pruͤfung vor-
zulegen, in wiefern ſie zur Heranbildung eines juͤngern Ge-
ſchlechts etwa geeignet ſein duͤrften.


[165]

Mit Recht ſind die Naturwiſſenſchaften und Realia in un-
ſeren gelehrten Schulplanen ganz unbeachtet geblieben, indem
Natur und Gelehrſamkeit ſich durchaus widerſprechen. Um ſo
ergaͤnzender und nothwendiger duͤrfte die heutige Vorleſung den-
kender Paͤdagogen ſich anbieten.


Der kluge Sirach iſt meines Wiſſens der erſte Schrift-
ſteller, welcher paͤdagogiſche Eßregeln gegeben. Spaͤtere Aukto-
ren haben dieſelben nur erweitert. Wer z. B. Hager’s Ju-
gendſpiegel (Hamburg 1643), des Magiſter Graf hoͤflichen Schuͤ-
ler (Augsburg 1750), Zobel’s Hand- und Reiſebuch (Altdorf
1755) u. a. vergleicht, wird eine merkwuͤrdige Uebereinſtimmung
auch der Form und Ausdrucksweiſe finden. Syſtematiſche Ord-
nung fehlt aber durchaus. Ich werde beſtrebt ſein, etwas da-
von hinein zu bringen.


Niemand wird von Jemand, der nicht eſſen kann, ſagen,
er wiſſe zu leben. Was aber in dieſer Abſicht ſchon in den fruͤ-
heren Vorleſungen Artiſtiſches, Moraliſches und Diaͤtetiſches
bemerkt iſt, ſoll hier nicht noch einmal bemerkt werden. Nun
gilt das Beſondere, ja Beſonderſte.


Als Vorbereitungsregel mag in Erinnerung gebracht ſein,
daß es Alt und Jung fein laͤßt, wenn man gekaͤmmt und ge-
waſchen iſt, und die Naͤgel huͤbſch abgeſchnitten ſind, ehe man
zu Tiſche geht.


Zobel ermahnt: „Mache im Hinunterſchlingen keinen lau-
ten Ton. Wenn das Halstuch zu enge zugezogen waͤre, welches
dergleichen Geraͤuſch verurſacht, ſo kann man ſolches ein wenig
oͤffnen.“ — Raͤthlicher iſt’s jedenfalls, ſchon vorher das Hals-
tuch nicht zu feſt zu binden. Ueberhaupt ſind die unpaſſenden,
ungeſunden und unbequemen, unſchoͤnen und hoͤchſt zweckwidri-
gen engen Kleider gaͤnzlich zu verwerfen. Der Eßkuͤnſtler traͤgt
durchaus weite Gewaͤnder, denn er hat Geſchmack, und liebt
eine ſchoͤne Drapperie.


[166]

Eine ſehr zu beherzigende Regel iſt, zum Eſſen nicht zu
ſpaͤt zu kommen, das Eſſen uͤberhaupt nie zu lange uͤber die
beſtimmte Zeit hinauszuſchieben. Abgeſehen von der dadurch
fuͤr Tiſchgaͤſte erwachſende Beleidigung und Beeintraͤchtigung,
abgeſehen ſelbſt von dem unverantwortlichen Verderben, Verko-
chen, Verbraten der Speiſen


— „Suppe kocht und ſiedet ein,

Braten will verbrennen“ —

ſo verdirbt durch zu langes Warten und zu ſpaͤtes Eſſen der
Appetit; roher Hunger ſetzt ſich an deſſen Stelle, und ſelbſt
dieſer beginnt, bei laͤnger aufgeſchobener Befriedigung, patholo-
giſch zu tendiren, in’s Krankhafte zu deflektiren, wodurch dann
die beſte Mahlzeit illuſoriſch wird. Ich weiß nicht mehr, in wel-
chem Luſtſpiele der Schulmeiſter ſagt, als er vom gnaͤdigen
Herrn zur Tafel geladen wird, er wuͤrde nicht ermangeln,
vierundzwanzig Stunden vorher zu faſten, um der zugedachten
hohen Ehre pflichtſchuldigſt und nach Moͤglichkeit nachkommen
zu koͤnnen. Es iſt nicht noͤthig, das Zweckwidrige dieſes Ver-
fahrens weiter zu eroͤrtern.


Sehr zweckmaͤßig und raͤthlich iſt es dagegen, nicht unmit-
telbar vor Tiſch Briefe zu eroͤffnen, oder wenn man Schrift-
ſteller iſt, keine Literaturzeitungen zu leſen und dergl.


In Deutſchland pflegt man haͤufig guten Appetit zu wun-
ſchen, ja mir wurde von einigen Wirthen ſogar „beſter Appetit“
gewuͤnſcht. Letzteres war nicht ohne Grund, welcher Grund
ſelbſt aber leider auf einer tiefen Ironie beruhte. Erſteres hat
im Allgemeinen immer etwas Freundliches und Sittliches. Wie
aber der Staatsbuͤrger je nach dem zeitweiligen Barometerſtand
ein Belobungsſchreiben oder eine Naſe, oder nach Zeit und Ort
fuͤr eine und dieſelbe Leiſtung ein Band in’s Knopfloch oder
einen Strick um den Hals acquiriren kann, — wie bei Weſt-
wind etwas zeitgemaͤß und lobenswuͤrdig iſt, welches bei Nordoſt
[167] als abſcheulich und geradezu verdammungswerth betrachtet wer-
den muß, — alſo kann man ſich auch mit dem Appetitwuͤnſchen
eben ſo ſehr und leicht recommandiren als blamiren. Es war
z. B. ein ungeheurer Unterſchied, ob man Griechen oder Pohlen
eine geſegnete Mahlzeit wuͤnſchte. Und doch war die eingebrockte
Suppe dieſelbe. Hier gilt Takt und Politik.


Nach dieſen vorbereitend-einleitenden Bemerkungen ſcheint
es logiſch richtig, zunaͤchſt von Handhabung der Werkzeuge zu
ſprechen.


Es laͤßt plumb und ſchwerfaͤllig, den Loͤffel wie einen Ham-
mer, mit der ganzen Hand zu fuͤhren. Man faßt ihn viel-
mehr, — eingedenk des Ifflandiſchen Rathes, nicht die Fauſt
zu gebrauchen, wo man mit den Schreibfingern ausreicht, —
zierlich mit Daumen, Mittel- und Zeigefinger, mehr wie eine
Schreibfeder. Aus demſelben Grunde ſchneidet man Suppen-
theile, Fadennudeln, Vermicelli ꝛc. nicht mit Meſſer und Gabel,
weil der Loͤffel dazu genuͤgt. Will man den Loͤffel extra zierlich
fuͤhren, ſo kann man dabei, wie auf altdeutſchen Gemaͤlden die
Blumen beruͤhrenden Damen, den kleinen Finger von den uͤbri-
gen Fingern moͤglichſt weit ab, frei in die Luft ſtrecken, wodurch
zugleich ein etwa daran ſteckender Diamantring in’s gehoͤrige
Licht geſetzt wird. Dagegen fordert die Fuͤhrung von Meſſer
und Gabeln eine vollere Hand.


Hier begegnet man nun aber einer Handlungsweiſe, welche
einen denkenden Kuͤnſtler zur Verzweiflung bringen koͤnnte.
Man eſſe naͤmlich mit funfzig Nichtenglaͤndern zuſammen und
beobachte ſie, — neunundvierzig davon verfahren alſo: Sie hal-
ten die Gabel zwar, waͤhrend ſie ſchneiden, mit der linken Hand,
weil ſie natuͤrlich mit der rechten Hand ſchneiden. Hierauf legen
ſie aber das Meſſer aus der rechten Hand, uͤbergeben derſelben
mit der linken die Gabel, und fuͤhren nun mit der rechten Hand
den Biſſen zum Munde. Da kein wohlerzogener Menſch gleich
Alles kurz und klein ſchneidet, ſo wandert denn, nach den paar
[168] verſchluckten Biſſen, die Gabel immer auf’s Neue von der rech-
ten Hand zur linken und von der linken Hand zur rechten, und
das Meſſer wird ſtets von Neuem ergriffen und weggelegt.


Es iſt kaum zu begreifen, wie eine ſo unbeholfene und taͤp-
piſche, plumbe und ſchwerfaͤllige Manier, wodurch ſelbſt die zar-
teſten, feinſten, kuͤſſenswertheſten Damenhaͤndchen hufſchmied-
artig grob erſcheinen, nicht laͤngſt aufgegeben wurde, da doch
die Engliſche Encheireſe, die Gabel ſtets und fortwaͤhrend mit
der linken Hand zu fuͤhren, als ſo nachahmungswuͤrdiges Bei-
ſpiel nahe liegt. Aber das Ungeſchickte wird immer eher nach-
geahmt, als das Geſcheidte. Kommt ein vernuͤnftiger Eßkuͤnſtler
nun mit ſolchen rechts die Gabel fuͤhrenden Menſchenkindern
zuſammen, und fuͤhrt dieſelbe, wie es geſcheidt, zweckmaͤßig und
ſchoͤn iſt, mit der linken Hand, ſo ſtoͤßt er immer an den linken
Nachbar an, der die Gabel rechts fuͤhrt, und nun ſtatt ſeinen
eigenen Fehler einzuſehen, im Gegentheil den richtig Eſſenden
fuͤr unrichtig, links und unbequem haͤlt. Dergleichen iſt nun
wahrhaft bedauerlich, und allgemeine Aenderung und Beſſerung
ſehr zu wuͤnſchen. Moͤchten dieſe Vorleſungen etwas dazu bei-
zutragen im Stande ſein! Und wenn ſie auch ſonſt nichts leiſte-
ten, als nur dieſes Einzige, ſo haͤtten ſie wahrlich mehr gethan,
als hundert andere, die gar nichts wirken.


Hier koͤnnte Erziehung viel thun. Wie kann man aber er-
warten, daß ein Vater, ein Hofmeiſter oder ſonſtiger Mann,
mit Ernſt und Erfolg, Fuͤhrung der Gabel mit der linken Hand
einſchaͤrfen wird, der ſie ſelber nur mit der rechten zu handha-
ben weiß? Die Beſſerung muß von den Erziehern ſelbſt aus-
gehen, bei ihnen ſelbſt anfangen.


„Man koͤnnte erzogne Kinder gebaͤren,

Wenn die Eltern erzogen waͤren.“

Handelte es ſich um Ausrottung von Vorurtheilen, ſo
wollte ich ſchweigen, weil alle Vorleſungen der Welt hier nichts
[169] helfen. Aber ſelbſt ein ganz und gar vernagelter Menſch wird
das Gute und Zweckmaͤßige der linken Gabelhandfuͤhrung zu-
geſtehen muͤſſen. Auch iſt mir kein politiſches und religioͤſes
Bedenken bekannt, welches ſich dieſem vernuͤnftigen Verfahren
in den Weg ſtellen koͤnnte. Es bleibt alſo nur Gewohnheit,
Traͤgheit und Gedankenloſigkeit zu beſeitigen uͤbrig. Freilich
immer noch genug. — Wenn aber der Traͤge uͤberzeugt wuͤrde,
daß gerade die linke Gabelfuͤhrung die muͤhloſere, bequemere,
leichtere iſt, wenn der Gewohnheitsmenſch bei der Ambition
gepackt wird, und ſpitzzahnige Eitelkeit die unnachdenkliche Ge-
wohnheit in die dicken Waden beißt, ſo geht’s doch wohl. Die
Gedankenloſigkeit muß uͤberhaupt verſchwinden, ſo wie dieſe
Vorleſungen Verbreitung finden. Zu dem Allen nun guͤtigſt
mitzuwirken, bitte ich meine ſehr verehrten Herrn Zuhoͤrer auf
das Eindringlichſte.


Freilich ſcheint die Sache Anfangs einige Schwierigkeiten
zu haben; — aber gleich wie das Morgenblatt ein Klopſtocki-
ſches
Motto vom „Reiz des Schweren“ an der Stirne traͤgt,
ohne deßhalb im geringſten weniger leicht zu ſein, alſo iſt auch
das Schwierige der linken Gabelfuͤhrung nur vorn am Anfang.
Spaͤter iſt’s eine wahre Kinderei.


Ich ſelbſt war noch als Juͤngling und Bengel von vierund-
zwanzig Jahren gewohnt, die Gabel rechts zu fuͤhren, als der Anblick
eines links und ſchoͤn eſſenden Mannes mich fuͤr immer Engliſch
links determinirte. Allerdings iſt’s nicht raͤtlich, die neuen
Exerzitien mit fein und kurz geſchnittenem Endivien- und Kraut-
ſalat, mit Rapunzeln und Kreſſe ꝛc. zu beginnen. Aber mit
Beharrlichkeit nur kurze Zeit fortgeſetzt, wird dieſe Uebung bald
auch jene etwas ſchwerbegreiflicheren und anſtechbaren Objekte
mit Leichtigkeit zu uͤberwinden ermaͤchtigt haben.


Ich habe ſelbſt ſehr fertige Violin- und Guitarreſpieler
und andere Virtuoſen, welche mit der linken Hand die ſchwie-
rigſten Paſſagen mit der hoͤchſten Leichtigkeit ausfuͤhrten, dennoch
[170] die Gabel rechts fuͤhren ſehen. Es kann die Sache alſo auch
nicht an der Schwierigkeit der Sache liegen. Und in der That
iſt die Haupturſache auch die Unwiſſenſchaftlichkeit, mit welcher
man bis zur Zeit der Erſcheinung dieſer Vorleſungen das Eſſen
uͤberhaupt betrieb.


Zobel haͤngt einzelnen Eßregeln die Bemerkung an, wenn
man allein oder zu Hauſe eſſe, duͤrfe man anders, weniger
genirt, groͤber verfahren. Dem iſt auf das Beſtimmteſte un-
beugſam zu widerſprechen. Wer, ſagt Goethe, bei Proben
tragiſcher Rollen die Hand in den Buſen ſteckt, kommt in Ge-
fahr, bei der Auffuͤhrung eine Oeffnung im Harniſch zu ſuchen.
— Wer zu Hauſe bei’m taͤglichen Eſſen die Gabel rechts fuͤhrt,
wird ſie nie links handhaben lernen. Wer ſich zu Hauſe kei-
ner Serviette bedient, wird auch oͤffentlich nicht anſtaͤndig da-
mit zu verfahren wiſſen. Wer zu Hauſe ein Rembrand iſt,
wird ſchwerlich anderwaͤrts ein Raffael ſein.


Virtuoſitaͤt uͤberhaupt iſt im Grunde gar nichts Anderes,
als fortgeſetzte Gewohnheit; — naͤmlich virtuoſe Gewohnheit.
Ich reiſte einſt mit einem Violinvirtuoſen und einem Oboevir-
tuoſen drei Tage und Naͤchte ununterbrochen auf dem Eilwagen.
Es war natuͤrlich unmoͤglich, waͤhrend dieſer Zeit Violine zu
ſpielen oder Oboe zu blaſen. Als wir am vierten Tage in einer
großen Stadt angekommen waren, wo ſie ein großes Concert geben
wollten, fielen ſie gierig uͤber ihre Inſtrumente her, und jam-
merten nun zu mir: ſie waͤren außer aller Uebung, ſie koͤnnten
nichts mehr. — Wahrſcheinlich war dieß auf widerſprechendes
Lob von meiner Seite berechnet; jedenfalls uͤbertrieben. Doch
merkte ich mir die Sache zu eignem großen Nutzen.


Ehe man nun aber der Eßinſtrumente ſich bedient, werfe
man mit Discretion einen vorſichtigen Blick auf dieſelben. Be-
ſonders kommt es manchmal vor, daß zwiſchen den Zacken der
Gabeln noch etwas vom Eiſenhammerſchlag oder von irgend einer
andern, nicht wohl genießbaren Subſtanz, welche zum Putzen
[171] verwendet wurde, befindlich iſt, welche, wenn ſie uͤberſehen und
nicht entfernt wird, einen ſehr ſtoͤrenden, unangenehm knirr-
ſchenden Eindruck auf die Zaͤhne, und ſomit auf den ganzen
Menſchen hervorbringt.


Es verſteht ſich von ſelbſt, daß man im fraglichen Falle
bemerkte Allotria auf kluge Weiſe unbemerkt zu entfernen habe.
Ich kann auf dergleichen minutioſe Regeln nicht eingehen, weil
das viel Wichtigere, welches mir zu ſagen obliegt, viel zu kurz
dadurch kaͤme. So giebt auch Zobel den ausdruͤcklichen Rath,
ſich nicht an die Serviette zu ſchnaͤutzen. Obſchon nun, nach
einer bereits angefuͤhrten Stelle Winckelmann’s, zu vermuthen
ſteht, daß dieß bei Griechen und Roͤmern jezuweilen vorgekom-
men, kann doch davon nicht weiter die Rede ſein. Derſelbe
Zobel empfiehlt, fette Finger nicht mit der Serviette, ſondern
mit Brod abzuwiſchen. Wie widerlich! — Hier liegt die
ſpiesbuͤrgerliche Idee zu Grunde, die Servietten moͤglichſt zu
ſchonen. Die Beſtimmung der Serviette auf der Welt iſt
aber gerade die, nicht geſchont zu werden. Es ergiebt ſich aber
hieraus noch die zu beherzigende Regel: Zweck des Eßbaren iſt
das Gegeſſenwerden; — jeder andere Gebrauch, der bei Tiſch
davon gemacht wird, iſt zweckwidrig, herabwuͤrdigend, appetit-
ſtoͤrend. So ſtreicht auch mancher gute Hausvater am Meſſer
haftende Fleiſch- und Fetttheilchen ſorgfaͤltig auf’s Brod, wel-
ches er dann noch einmal ſo gerne ißt, weil er auf dieſe Art
„nichts hat umkommen laſſen.“ Loͤffel, Meſſer und Gabel
ſind durchaus an der Serviette zu reinigen, da, wenn ſie nicht
gewechſelt werden, — in welchem Fall ein Abwiſchen derſelben
nicht noͤthig iſt — ſonſt gar nichts zu thun uͤbrig bleibt.


Uebrigens ſchneidet man manche feuchte Mehlſpeiſen, wie
Pudding, Kloͤße ꝛc. nicht, weil ſie durch den Druck des Meſſers
patzig werden und an Wohlgeſchmack verlieren, ſondern man
trennt ſie durch zierliches Zerreißen, natuͤrlich jedoch nicht mit den
Fingern. Brod aber kann man, wenn man anders nicht ſym-
[172] boliſiren will, und das Brod nicht ganz neugebacken iſt, nach
Belieben brechen oder ſchneiden. Einige Schriftſteller ſind ſehr
eigenſinnig abſolut fuͤr’s Brechen.


Bei der Handhabung der Serviette wird, beſonders von
Frauenzimmern und jungen Herrn — von eigentlichen Stutzern
als nur uneigentlich zum Menſchengeſchlecht gehoͤrig, iſt gar
nicht die Rede — ſehr viel kokettirt. Dieſes ewige Herum-
werfen, Hervorziehen und wieder Zurechtlegen, wie man es ſo oft
ſieht, iſt ſehr laͤcherlich. Unſtatthaft iſt dagegen auch das Feſt-
binden der Serviette im Knopfloch oder ſonſt. Es erinnert an
das Schurzfell eines Handwerkers, es laͤßt auf zu eifrigen Vorſatz
einer dauernden Arbeit, die man zu ernſt nimmt, und gar
nicht zu unterbrechen gedenkt, ſchließen; es erſcheint gar zu auf-
fallend und abſichtlich und: — „man fuͤhlt die Abſicht und iſt
verſtimmt.“


Man breite alſo die Serviette ruhig uͤber den Schooß und
bediene ſich ihrer mit Oekonomie. Wer die Serviette unentfal-
tet bei Seite legt und ſich ihrer nicht bedient, entfaltet dagegen
ſeinen Charakter dadurch um ſo mehr und ſpricht die Art ſeiner
Erziehung, ſeines haͤuslichen Lebens, und ſeines Geſchmacks
und Sinns, ohne ein Wort zu ſprechen, ſehr ſprechend aus.
Dieß merke man wohl. Der Menſch iſt wie er ißt. Wie man
aber aus dem Eſſen eines Menſchen wohl abnehmen kann, was
in und an ihm iſt, ſo kann man auch von einem Menſchen,
hinter deſſen eigentliches Sein oder Nichtſein man gekommen
iſt, unſchwer ausſagen, wie er eſſen wird. Ich hatte einmal
mit einem jungen Mann eine halbe Stunde lang geſprochen,
als ich ihn fragte, ob er nicht, wenn er Nuͤſſe bekaͤme, alle
nach einander aufknackte, die Kerne zuſammenlegte, und erſt
wenn er alle Nuͤſſe aufgeknackt, alle Kerne eſſe? Er bejahte
es, mit dem Bemerken, daß er nicht begreife, wie ich das wiſſen
koͤnne.


[173]

Hager verlangt von jungen Leuten, ſie ſollten bei Abend-
maͤhlern das Licht mit guter Art putzen und fleißig zuſehen,
daß mit dem Geſtanke der Lichtputze niemand beleidigt oder
das Licht gar ausgeputzt werde. Allerdings iſt bei’m Lichtputzen
Geſtank zu vermeiden, ob aber gerade junge Leute dazu berufen
ſeien, iſt eine andre Frage. Es iſt uͤberhaupt was ſehr Ver-
faͤngliches um’s Lichtputzen, womit man ſich noch dazu ſelten
jemandes Dank verdient. Oft brennen aber die Lichter gar zu
finſter und duͤſter, ſo daß man ſelbſt faſt nichts mehr fieht, und
da bleibt denn freilich nichts uͤbrig, wenn ſich niemand anders
dazu findet, es ſelbſt „auf gute Art“ zu verſuchen.


So viel uͤber die Handhabung der Inſtrumente. Es ſoll
nun vom Kauen, Koſten und Schlingen oder Schlucken, vom
diskreten Gebrauch der Naſe, von anderweitigen Naturalien,
Eruktiren, Schnaͤutzen, Gaͤhnen ꝛc. die Rede ſein. Allgemeine
und beſondere Cautelen, Kunſt- und Klugheitsregeln in Be-
ziehung auf den Eſſenden ſelbſt und die Miteſſenden, und auf
Wahl und Behandlung der Speiſen nach Qualitaͤt und Quan-
titaͤt duͤrfen nicht fehlen.


Nicht nur zur Beſtaͤtigung der ſchon beruͤhrten Ueberein-
ſtimmung der ſpaͤteren Eßlehrer mit Sirach, ſondern auch um
hierher gehoͤrige Grundregeln zuſammenzufaſſen, folge Fol-
gendes.


Sirach fuͤhre den Reichen, indem er ſpricht: Wenn Du
bei eines reichen Mannes Tiſche ſitzeſt, ſo ſperre deinen Rachen
nicht auf, und denke nicht, hier iſt viel zu freſſen. Greif’ nicht
nach Allem, was Du ſieheſt, und nimm nicht, was vor Dir in
der Schuͤſſel liegt.


Nimm’s bei dir ſelbſt ab, was dein Naͤchſter gern oder un-
gern hat, und halt’ dich vernuͤnftig in allen Stuͤcken.


Iß wie ein Menſch, was dir vorgeſetzt iſt, und friß
nicht zu ſehr, auf daß man dir nicht gram werde.


[174]

Um der Zucht willen hoͤre du am erſten auf, und ſei
nicht ein unerſaͤttlicher Fraß, daß du nicht Ungunſt erlangeſt.


Wenn du bei vielen ſitzeſt, ſo greif’ nicht am erſten zu.


Ein ſittiger Menſch laͤßt ihm am Geringen genuͤgen, darum
darf er in ſeinem Bette nicht ſo keuchen. Und wenn der Magen
maͤßig gehalten wird, ſo ſchlaͤft man ſanft, ſo kann einer des
Morgens fruͤhe aufſtehen und iſt fein bei ſich ſelbſt. Aber ein
unerſaͤttlicher Fraß ſchlaͤft unruhig und hat das Grimmen und
Bauchwehe.


Wenn du zu viel gegeſſen haſt, ſo ſtehe auf und gehe weg
und lege dich zur Ruhe.


Obgleich nun Herr von Rumohr das Bezuͤgliche aus
Hager’s Jugendſpiegel ſchon abdrucken ließ, heiſchen doch Zu-
ſammenhang und Vergleich, daß dieß auch hier geſchehe. Ha-
ger
lehrt aber alſo:


„Sitze aufrecht, und ſei nicht der erſte, in die Schuͤſſel zu
langen. Schluͤrfe die Speiſen, etwa die Suppe, nicht hinein,
wie ein Schwein, blaſe die Koſt auch nicht, daß es allenthalben
umher ſpritze. Schnaube nicht, wie ein Igel; trink auch nicht
zum erſten; ſei maͤßig und meide die Trunkenheit. Trink und
iß ſo viel, als dir Noth iſt; daruͤber gethan gebieret Krankheit.


Wenn nun Jedermann in die Schuͤſſel gegriffen hat, ſo
greife zuletzt auch hinein.


Deine Haͤnde muͤſſen nicht lange auf dem Teller liegen.
Schlenkere auch nicht mit den Fuͤßen hin und her unter dem
Tiſche, wie ein Leinweber.


Das Angebiſſene tunke nicht wieder in die Schuͤſſel. Lecke
die Finger nicht ab, auch bewege kein Bein, ſondern ſchneide
mit dem Meſſer davon, was du eſſen willt.


Wann du die Zaͤhne ſtocherſt, ſo halte die eine Hand vor
den Mund. Das Brod ſchneide nicht vor der Bruſt. Iß, was
zunaͤchſt vor dir liegt, und greife nicht an einen andern Ort;
[175] drehe auch die Schuͤſſel nicht herum, daß vor dir komme, was
dir gefaͤllig iſt.


So du Fleiſch willt vorlegen oder Fiſch, ſo thu es mit
dem Meſſer und nicht mit den Fingern, wie heutiges Tages
etliche Nationen gewohnt ſind.


Schmatze nicht wie eine Sau uͤber dem Eſſen. Dieweil
du iſſeſt, kratze dein Haupt nicht. Fege auch nicht an der Naſe.


Du ſollt auch nicht zugleich eſſen und reden, denn ſolches
iſt baͤueriſch.


Oft nießen, ſich ſchnaͤutzen und huſten ſtehet nicht wohl an.


Wenn du ein Ei iſſeſt, ſo ſchneide zuvor das Brod. Mache
die Brocken nicht zu groß oder lang. Sieh darauf, daß dir
nichts daneben abrinne und iß es bald. Die Eierſchalen zer-
brich nicht; lege ſie wieder in die Schuͤſſel und waͤhrend du am
Ei iſſeſt, trinke nicht darein.


Mache das Tiſchtuch oder das Wammes nicht unſauber.
Mache auch nicht um deinen Teller von Beinen, Brodrinden
und dergleichen eine Schuͤtte herum, wie die Schanzgraͤber.


Wirf auch die Beine nicht unter den Tiſch, damit von den
Hunden kein Scharmuͤtzel entſtehe, und die Beiſitzenden darob
eine Unluſt empfaͤnden. So du gegeſſen haſt, waſche deine
Haͤnde und das Angeſicht, ſpuͤle den Mund aus, und ſage
Gott fuͤr ſeine vaͤterliche Wohlthat Lob und Dank.“


Aus des Magiſter Graf hoͤflichem Schuͤler moͤgen die,
leider ſo oft vergeſſenen Verſe in Erinnerung gebracht ſein:


„Wenn du dich ſchnaͤutzen willſt, ſo mußt du nicht poſaunen,

Daß andre vor dem Ton erſchrecken und erſtaunen.

Bei’m Gaͤhnen ſollſt du gleich die Hand zum Munde bringen,

Daß nicht dein Nachbar glaubt, du wolleſt ihn verſchlingen.“

Doch findet ſich noch gar manches Beherzigenswerthe bei
dieſem Auktor, welches nur aus Furcht unnoͤthiger Breite und
nur ungerne weggelaſſen wird, da dieſes Werk in neuerer Zeit
[176] ſich etwas rar gemacht. Auch Zobel’s Handbuch kommt nicht
mehr oft vor. Zobel aber giebt folgende Vorſchriften:


Lehne noch lege dich nicht auf den Tiſch; die Haͤnde magſt
du wohl ein wenig uͤber den Tiſch halten, doch daß du nicht
mit dem Ellenbogen dazu kommeſt, noch weder mit Meſſer, Ga-
bel oder Teller einiges Getoͤſe verurſacheſt.


Lange beſcheiden zu, und nimm auf einmal nicht mehr,
als ſich’s fuͤget.


Laß nichts auf’s Tiſchtuch, noch auf die Kleider fallen,
weßwegen du dich mit dem Haupt ein wenig uͤber den Teller
biegen kannſt.


Blaſe nicht, wenn etwa die Suppe oder auch eine andere
Speiſe noch zu heiß waͤre, ſondern ruͤhre ſie ein wenig mit dem
Loͤffel um, oder warte ſo lange, bis die Speiſe ſelbſt erkaltet.
Verbrenneſt du dich aber mit etwas, ſo trag’s mit Geduld und
laß dich’s nicht merken, wo es anders moͤglich iſt. Iſt aber
der Schmerz zu groß, ſo ſiehe zu, daß du geſchwind den Teller
zum Mund bringeſt, halte die eine Hand fuͤr, und wirf es auf
den Teller, den du hernach einem hinter dir ſtehenden Diener
geben oder ſelbſt wegtragen kannſt, denn die Geſundheit muß
der Hoͤflichkeit vorgezogen werden. [Dieſe Verfahrungsweiſe
iſt nicht zu billigen. Zobel vergißt hier die Serviette, mit wel-
cher dergleichen am beſten maskirt wird.]


Das Brod ſchneide mit dem Meſſer, oder ſo es zu neuge-
backen waͤre, brich es mit den Fingern; aber mit den Zaͤhnen
abzubeißen iſt nicht erlaubet. Wird dir aufgetragen, einem an-
dern das Brod zu uͤberreichen, ſo thue ſolches nicht mit bloßer
Hand, ſondern mit einem Teller.


Des Salzes kannſt du dich mit einem Meſſer, welches
nicht mit Fett beſchmieret, aus dem Salzfaſſe bedienen, und
eine Meſſerſpitze voll auf den Rand deines Tellers legen; aber
ja nicht mit den Fingern darnach langen, noch weniger deinen
[177] Biſſen in das Salzfaß tunken, welches nur ungehobelte Leute
alſo zu machen pflegen.


Wann denen Gaͤſten vorgelegt wird, ſo lange deinen Teller
nicht hin, dir auch etwas zu geben, ſondern warte, bis man dir
etwas darreicht. Neige dich mit dem Haupt, und lange mit
hoͤflichen Mienen den vor dir liegenden Teller dagegen hin.


Leget man dir etwas vor, ſo du nicht gerne iſſeſt, ſo ſage
nicht: Ich eſſe keinen Haaſen, ich kann nicht eſſen, wo Pfeffer,
Muskate, Zwiebel und dergleichen darauf iſt. Sondern nimm
Alles an, was man dir giebet, und zwinge dich ſo viel moͤglich
etwas davon zu eſſen. Waͤre aber ein gar zu heftiger Wider-
wille fuͤr eine Speiſe bei dir, ſo laß’ dich’s nicht merken,
ſondern iß von etwas anders, und erſiehe Gelegenheit, wie du
das, ſo dir ſo gar ſehr zuwider, heimlich hinweg practizireſt.
Es beſtehet aber gar viel in der Einbildung; und wenn ſich nur
mancher Menſch etwas kaſteiete, und ſeinen Begierden nicht
allzuſehr nachhaͤngen wollte, ſo wuͤrde er viele dergleichen uͤble
Gewohnheiten ablegen.


Langet jedermann ſelber in die Schuͤſſel, ſo warte bis die
Reihe an dich kommt, greife alsdann nicht nach dem Beſten
vor eines andern Ort, ſondern bleibe bei dem, was vor deiner
Thuͤre liegt, lange auch nicht zu oft hinein und hole alle
Gruͤmigen mit der Gabel hervor, ſondern verſiehe dich auf ein-
oder ein paarmal.


Iß nicht zu geſchwinde oder geitzig, wenn du auch noch
ſo großen Hunger haͤtteſt, damit du dich nicht uͤberfriſſeſt, und
den Hals zu voll faſſeſt. Iß vielmehr langſam, erbar und daß
du nicht fuͤr einen unerſaͤttlichen Fraß angeſehen werdeſt. Fuͤge
auch im Eſſen die Lippen wohl aufeinander, damit du nicht
ſchmatzeſt noch ſchlappeſt, wie die Hunde oder anderes Vieh.


Die Beine oder Knochen faſſe nicht mit der ganzen Hand
an, wie eine Pfeiffe, ſondern mit dem Daumen und Zeigefinger,
oder auch wohl noch mit dem Mittelfinger einer Hand; denn
12
[178] zweier Haͤnde bedienen ſich die Vielfraͤße. Nage nicht daran,
wie es die Hunde und Katzen machen. Sauge auch nicht
daran, daß es die Anweſenden hoͤren, brich ſie weder mit dem
Meſſer, noch anders womit entzwei; ſtoße ſie auch nicht auf
den Teller, um das Mark davon zu bekommen: Sondern ſei
zufrieden, wenn du allmaͤhlig das Fleiſch davon geſchnitten.
Alsdann lege ſie vor dich auf dem Teller, und laß keines auf
die Erde fallen.


Merke anbei, daß du uͤber der Mahlzeit nicht von guten
Lecker-Bißlein redeſt, noch die vorhandnen Speiſen und Bruͤhen
tadelſt, welches ein offenbares Kennzeichen eines wolluͤſtigen
Gemuͤthes und einer ſchlechten Auferziehung waͤre.“ —


Sehr angenehm zu leſen ſind die Eßregeln, welche Don
Quixote
ſeinem Sancho giebt, da dieſer als Statthalter nach
ſeiner Inſul abzieht, wobei beſonders vom mit vollen Backen
Kauen und Eructiren die Rede iſt.


Sowohl zur Ergaͤnzung als Berichtigung des Angefuͤhrten
iſt nun weiter zu bemerken:


Daß durch gute Erziehung, wie zu aller, ſo auch zur
Ausbildung des Eßkuͤnſtlers von vornherein das Erſprießlichſte
zu leiſten iſt, wird niemand widerſtreiten. Der zu hoch ge-
haͤngte Brodkorb wird viel weniger ſchaden, als das, leider ſo
haͤufige, Verzaͤrteln, Verziehen, die Nachſicht gegen Gefraͤßig-
keit, Naſchhaftigkeit und Leckerei. Dem iſt mit Energie und
Conſequenz vom Hauſe aus zu ſteuern, wenn der junge Menſch
nicht, oft fuͤr immer, zum wahren Eßkuͤnſtler verdorben wer-
den ſoll.


Doch muthe man auch den Kindern nicht gar zu viel
zu, vermeide zu ſchwere Verſuchungen, denen auch Erwachſene
unterliegen wuͤrden, und ſei doch nicht allzuſtrenge. Zur Be-
ſtaͤtigung alles deſſen kann ich einen traurigen Beitrag in fol-
gender tragiſchen Geſchichte mittheilen.


[179]

Ein uͤberaus naſchhafter Apothekerlehrling war dieſer Unart
wegen von ſeinem etwas groben Herrn oͤfters hart, jedoch ſtets
erfolglos gezuͤchtigt worden. Der Herr, ein Mann ohne Reli-
gion, wie die Leute ſagten, naſchte ſo gern als der Lehrling
und verzieh deßhalb dieſem um ſo weniger, weil ſein eigner
Genuß dadurch beeintraͤchtigt wurde. Wie Lehrlinge zu allerlei
Verrichtungen gebraucht werden, wegen welcher ſie keineswegs
in die Lehre geſchickt wurden, ſo hatte eines Tages der Ungluͤck-
liche, von dem ich ſpreche, den ſehr verfaͤnglichen Auftrag er-
halten, in temporaͤrer Abweſenheit der Koͤchin auf ein bra-
tendes Spanferkel Acht zu haben und daſſelbe mit Butter zu
beſtreichen. Der wonnigliche Duft dieſes leckern Gerichtes war
viel zu lockend, als daß der leicht verfuͤhrbare Juͤngling haͤtte
der Verſuchung widerſtehen koͤnnen. Einige Blaſen, die ſich
auf der lieblich braͤunlichen Haut des Spanferkels gebildet
hatten, verlockten den Ungluͤckſeeligen, ſie niederzudruͤcken. Die
Haut war aber ſchon ſo gahr gebraten, daß ſie mit krachendem
Kniſtern einbrach und ſich ſenkend loͤſete. Im Wahne, das
abgeloͤſete Fleckchen wuͤrde ſich durch laͤngeres Braten und
Butterbeſtreichen wieder braͤunen und auf dieſe Art completiren
— was man heftig wuͤnſcht, glaubt man gern — naſchte er das
Stuͤckchen Haut weg. Es ſchmeckte ihm jedoch ſo allerliebſt,
und ſowohl die reizende Kuͤrze des ſo ſpaͤrlichen Genuſſes,
als die reiche Maſſe des noch zu genießenden vorliegenden
Objektes, welches ſich ja, ex hypothesi, eben ſo gut ſuppliren
konnte, brachte ihn dahin, daß er im Wonnetaumel der Ge-
ſchmacksluſt, im Wirbel ſeeliger Vergeſſenheit, faſt die ganze
gar zu ſchmackhafte Huͤlle des ihn ſo ſuͤß anlaͤchelnden Ferkels
verzehrt hatte, als die Koͤchin herbeikam, die ſchreckliche Ent-
ſtellung des zarten, nun ſchaudrig hautlos nackten, Gerichtes
mit Schreck und Grauſen gewahrte, und mit der furchtbaren
Drohung: der Herr wuͤrde ihn dieſesmal, ob des unerhoͤrten
Frevels, unfehlbar todtſchlagen, den Suͤnder aus ſeinem Taumel
12*
[180] weckte und zugleich in das tiefſte Entſetzen, in die troſtloſeſte
Angſt ſtuͤrzte.


Er floh, um ſich zunaͤchſt auf ſeinem Schlafkaͤmmerlein
der Pruͤgelpein, die ſeiner wartete, zu entziehen. Um dahin
zu gelangen, mußte er vor der Materialkammer vorbei. Sein
Entſchluß war gefaßt. Der ſo oft und ſchwer Mißhandelte,
dießmal das Qualvollſte fuͤrchtend, gleich maͤchtig niedergedruͤckt
von Gewiſſensbiſſen und Furcht, ergriff ein großes Glas, deſſen
Inhalt ihm ſein Herr warnend als ein neues, erſt aus Braſi-
lien angekommenes, Gift bezeichnet hatte, nahm es mit in ſein
Kaͤmmerlein, und genoß die toͤdtliche Speiſe.


Er hatte ſich, den Tod erwartend, zu Bette gelegt. Das
Gift aber wirkte langſam, ſo daß er, um ſein Ende zu be-
ſchleunigen, den ganzen Inhalt des Glaſes, welcher nichts
weniger als bitter ſchmeckte, zu ſich zu nehmen veranlaßt wird.


Wuthentbrannt, mit dem Pruͤgel in der Hand, ſtuͤrzte
nun der Herr herein. — Um Gotteswillen, winſelte der ge-
aͤngſtigte Lehrling, laſſen Sie mich ruhig ſterben, ich habe mich
vergiftet. — Jetzt kehrte ſich der Schreck ploͤtzlich dem Apo-
theker zu. In Nu ſtanden alle die Giftarten ihm vor Augen,
die er zu Nutz und Frommen der leidenden Menſchheit und
Viehheit vorraͤthig hatte und, ſtatt loszuſchlagen, fragte er
aͤngſtlich theilnehmend nach dem Namen des gewaͤhlten Giftes.
Weinend deutete der Lehrling auf das leere Zuckerglas. Es
waren eingezuckerte Nuͤſſe geweſen, die der Herr dem Lehrling
als Gift angegeben hatte, um ſie um ſo ſicherer vor deſſen
Naſchhaftigkeit zu ſchuͤtzen. — So ſind denn Nuͤſſe und Ferkel
zum Teufel, ſchrie der Apotheker, und zerplatzte vor Lachen.
„Handwerker trugen ihn. Kein Geiſtlicher hat ihn begleitet.“


Viele Eltern und Erzieher fehlen nun auch darin, daß ſie
der Jugend das Brodeſſen uͤber Tiſch und zu allen und mit
allen Speiſen zu ſehr einſchaͤrfen. Es iſt gar nicht ſelten, daß
man Brod zur Suppe eſſen ſieht, welches einem beobachtenden
[181] Eßkuͤnſtler geradezu laͤcherlich erſcheint. Die guten Brodeſſer
denken uͤberhaupt gar nicht daran, daß, je mehr ſie Brod eſſen,
ſie ſich um ſo mehr der Capazitaͤt fuͤr andere Speiſen be-
rauben.


Wird ferner Brod zu Braten, Kaͤſe ꝛc. gegeſſen, ſo iſt dieß
zwar, wie die vorige Vorleſung im Princip richtig, aber meiſtens
in der Ausfuͤhrung falſch. Durch das zugleich Kauen von
Brod und irgend einer Speiſe geht naͤmlich der ſpezifiſche Ge-
ſchmack der Speiſe großentheils verloren; man kaue alſo ab-
wechſelnd je die Speiſe allein und das Brod allein ꝛc. Auch
dieß habe ich ſchon bemerkt, wiederhole es aber als wichtig,
und weil gerade hiergegen allermeiſt verſtoßen wird, gefliſſent-
lich. Ich kenne alte Leute, welche zwar wiſſen, wie eine ge-
wiſſe Miſchung von Brod und Kaͤſe, aber nicht wie Kaͤſe ſelbſt
ſchmeckt, da ſie, ſo oft ſie auch dergleichen aßen, doch jedesmal
von vornherein ſo viel Brod in den Mund ſtopften und damit
continuirten, daß ſie hinter den eigentlichen, reinen Kaͤſege-
ſchmack, hinter den Kaͤſe ſchlechthin, gar nicht kamen.


Nicht ſelten bemerkt man vorzugsweiſe Herbivoren, die
ſich ſo ausſchließlich an die Gemuͤſe halten, daß ſie aufliegende
Cotelettes ꝛc. gar nicht nehmen. Sie ſollten ſich huͤten, ſo viele
Einſeitigkeit zur Schau zu tragen. Das Gemuͤſe iſt ja blos
der geforderte vegetabiliſche Gegenſatz, das Accessorium, und
Accessorium sequitur suum principale, lehrt das Roͤmiſche
Recht mit Recht.


Den Gebrauch der Naſe anlangend, gilt als Grundſatz:
jede Pruͤfung einer Speiſe durch direktes Beriechen mittels
unzweideutiger Annaͤherung der Naſe an den Gegenſtand, iſt
als unſchicklich, roh, und Andere im hoͤchſten Grade ſtoͤrend auf
das Beſtimmteſte zu mißbilligen.


Ferner iſt der Jugend einzuſchaͤrfen, daß von dem, was
man einmal der Schuͤſſel oder dem Praͤſentirteller entnommen
und auf ſeinen eignen Teller gebracht, niemals etwas auf jenen
[182] zuruͤckgebracht werden darf, — auch nichts ohne Noth in den
Mund zu nehmen ſei, was man wieder herausthun muß.


Fuͤr den Fall, daß etwas aufgetragen wird, welches man
noch nicht gegeſſen, und womit man nicht zu verfahren weiß,
rathen alle Schriftſteller einſtimmig, man ſolle warten und zu-
ſehen; wie es Andere machen. So koͤnnte es freilich kommen,
daß zwei und mehr beiſammen ſaͤßen und jeder auf den andern
wartete, und wer kennt nicht aͤhnliche Ereigniſſe im Leben und
in der Weltgeſchichte, bei denen dieß wirklich der Fall war, und
wobei bald die am erſten zugegriffen, bald die am laͤngſten ge-
wartet hatten, am meiſten zu kurz kamen? — Oder es riskirt
einer ohne Regel zu verfahren, und ein anderer macht’s nun
nach, indem er glaubt, jener verſtuͤnd’s. Der Erfolg haͤngt
vom Zufall ab. Es iſt ſchwer, hier eine allgemein giltige
Vorſchrift aufzuſtellen, und auch Salluſt’s goldne Regel,
vorher reiflich nachzudenken und nachher zu handeln, ſo wie der
Pandektengrundſatz: In obscuris inspici solet, quod verisi-
milius est, aut quod plerumque fieri solet,
laſſen oft gerade
da im Stich, wo ſie einem beifallen. Was nuͤtzen einem
ſchuͤchternen Juͤngling, der noch keine Artiſchocke, keinen Krebs
gegeſſen hat, im Nothfalle allgemeine Regeln? Doch faͤhrt
man mit dem Rath, ſich der Majoritaͤt anzuſchließen, immer
allerliebſt.


Es wird aber aus Allem klar, wie noͤthig es ſei, ſich nach
guten Muſtern zu bilden. So wie man einem Menſchen, der auf
der Manège reiten gelernt hat, leicht von dem noch ſo guten
naturaliſtiſchen Reiter zu unterſcheiden vermag, alſo erkennt ein
geuͤbtes Auge auch den Eßnaturaliſten auf den erſten Blick.
Eine ſolche liebe Unſchuld wird bei allem Appetit doch eine ge-
wiſſe Befangenheit nicht von ſich wegbringen, ſie wird ſich
moͤglichſt an die Suppe halten und nachher von dem eigent-
lichen Eſſen um ſo weniger profitiren koͤnnen. Wird ihr von
einem gebratnen Haͤhnchen Kopf und Fluͤgelſtuͤck zu Theil, ſo
[183] laͤßt ſie Kamm und Hirn, das Delikateſte, unberuͤhrt liegen,
eben ſo beim Braten das, in der auseinander gehauenen Ruͤcken-
wirbelhoͤhle liegende, lieblich ſchmeckende Ruͤckenmark. Das
beſte am Knochen haftende Fleiſch bleibt ungegeſſen, weil man
ſich durch zu ſorgfaͤltiges Abpraͤpariren zu compromittiren
fuͤrchtet, und ſo hundert andere Dinge mehr. Man erkennt
uͤberhaupt den Nichteßkuͤnſtler beſonders an dem, was er
nicht ißt.


Sieht ſo ein noch nicht zum Eßkuͤnſtler gereifter Menſch
etwa die Koͤchin ſchnupfen, — ich ziehe Koͤchinnen Koͤche vor
— bemerkt er zufaͤllig ein zartes langes, oder gekraͤuſeltes
kurzes Frauenhaar in der Suppe, ein kleines Raͤuplein im
Blumenkohl oder dergleichen, ſo kann das liebe Herz nichts
mehr eſſen, oder es wird ihm gar uͤbel. Sehr richtig ſagt
Mephiſtopheles: Wer fragt darnach in einer Schaͤferſtunde? —


Buchſtaͤblich zu beherzigen iſt Goethe’s Rath:


„Du mußt dich niemals mit Schwur vermeſſen:

Von dieſer Speiſe will ich nicht eſſen.“

Ad semel renunciatum non amplius datur regressus, ſagt
das Corpus juris. — Von gleicher Unerfahrenheit zeugt es,
ein erhaltenes Stuͤck als zu groß zu beſchreien. Biſt du denn
ſicher, unbeſonnener Juͤngling, ob ſich durch Eſſenſehen und
Selbereſſen nicht dein Appetit ſo vollkommen entwickelt, um
ſich deinen unbedachtſamen Worten nicht ſchnurſtracks und
quaͤlend entgegenzuſetzen? Kennſt du die giftigen Schlangenbiſſe
der Reue?


Es ſind nun bald funfzig Jahre, daß ich einmal morgens
in ein befreundetes Haus kam, wo man gerade auf das Freund-
lichſte mit einem Gabelfruͤhſtuͤck der exquiſiteſten Neunaugen
beſchaͤftigt war. Man lud mich ein, und ich — es iſt mir nun
faſt unbegreiflich, warum eigentlich? — jung, dumm und un-
erfahren, gab beſtimmt abſchlaͤgige Antwort. Vergebens hoffte
[184] ich auf eine wiederholte Einladung. Man aß vor meinen
ſehnſuͤchtig ſchmachtenden Blicken fort, und ich hatte die Qual,
zuſehen zu muͤſſen. Niemals ſind dieſe fuͤrchterlichen reuezer-
malmenden Augenblicke aus meinem Gedaͤchtniſſe entſchwunden,
faſt taͤglich werden ſie durch proſaiſche und poetiſche Reminis-
cenzen auf’s Neue lebendig, und wohl verfolgt mich dieſe bittre
Reue, bis dieß arme Herz aufgehoͤrt, zu ſchlagen.


Ueber die Lehre vom Reputationsbiſſen, d. h. uͤber das
Poſtulat, nicht Alles aufzueſſen, ſondern ehrenhalber etwas auf
dem Teller liegen zu laſſen, bemerke ich nur kurz, daß ſie gegen-
waͤrtig mit Recht nicht nur als obſolet betrachtet wird’, ſondern
deren Befolgung auch jetzigen reiferen Begriffen widerſpraͤche.
Der Bewirthende kann durch nichts auf ſchmeichelhaftere und
augenfaͤlligere Weiſe zu der genugthuenden Ueberzeugung ge-
langen, daß Alles gut war, als wenn Alles aufgegeſſen wird.
Daß man aber nicht Alles auftunken, den Teller nicht aͤngſtlich
von aller Sauce ꝛc. reinigen ſolle, — daß man nicht von allen
praͤſentirten Speiſen zu eſſen braucht, wenn man nicht ſelbſt
Luſt hat, — daß man namentlich Nachbarinnen auf das Auf-
merkſamſte zu bedienen habe, — daß man nicht eher um etwas
bitten ſoll, als es gewaͤhrt werden kann, z. B. tranſchirt iſt, —
daß man bei’m Deſſert, wo es der Anſtand erfordert, ſatt zu
ſein, nicht erſt recht anfaͤngt, ſich etwa ein großes Stuͤck Butter-
brod ſtreicht, und anderes dergleichen verdient keine ausfuͤhr-
lichere Erwaͤhnung.


Obgleich ich von einem bedeutenden Kunſtakademiker Kaͤſe
mit der bloßen Hand habe anfaſſen ſehen, ſo verdienten doch
junge Leute, welche ſich dieſes erlauben, auf die Finger geklopft
zu werden. (Der Uſus, Kaͤſe ohne Gabel, blos mit dem
Meſſer zu Munde zu fuͤhren, ſtuͤtzt ſich auf den Grundſatz:
fieri potest per pauca, non fieri debet per plura.) Obſt
aber, Confituren ꝛc. nimmt man mit der bloßen Hand, wobei
es jedoch nicht noͤthig iſt, wie neuere Anleitungen fordern,
[185] daſſelbe gerade beim Stiel anzufaſſen. Dieß laͤßt allerdings bei
Trauben z. B. gut; mehr als uͤberfluͤſſig iſt dieſer Rath aber,
wenn das Obſt gar keinen Stiel hat.


Hippel bemerkt ſchoͤn: Obſt aus Frauenzimmerhaͤnden
waͤre wie beinahe vom Baume. —


Da ich vom Eſſen handle, kann ich zwar die Tiſchgeſpraͤche
nicht umgehen, aber eben ſo wenig lange dabei verweilen.


Wenn es allerdings unſchicklich iſt, Speiſen zu tadeln, ſo
iſt’s doch auch hoͤchſt laͤſtig, ſie in Einem fort loben zu ſollen.
Oft kommt man vor lauter Loben gar nicht zum Eſſen. Ach,
wie manches Gaſtmahl, wie manche Kunſtſammlung iſt mir
dadurch ſchon auf’s Truͤbſte verleidet worden! Die Eßkunſt iſt
eine freie Kunſt, und alles Forcirte, jeglicher Zwang zum Eſſen
und Loben iſt gleich verhaßt. Wie ſchrecklich iſt’s, wenn einem
was ſchmecken muß! — Lob aber mit Diskretion, z. B. nur
durch ſtrahlende Heiterkeit des Antlitzes, durch reichliches, ſtarkes
Eſſen ꝛc. ausgedruͤckt, iſt oft viel aus- und eindrucksvoller und
viel wahrer, ermuthigt auch Andere ſehr; wie umgekehrt eine
widerliche ekelnde Miene Vielen den Appetit ſtoͤren kann und
uͤberhaupt unverzeihlich iſt.


Waͤhrend nun aber die Kunſtkritik ein modifirtes Urtheil
verlangt, und die Exclamationen: Gut! Schoͤn! Sehr gut!
Sehr ſchoͤn! Vortrefflich! ꝛc. als eigentlich nichtsſagend mit
Recht verwirft, ſo ſind gerade bei Urtheilen uͤber Speiſen weitere
Modifirungen und Begruͤndungen unzulaͤſſig, und z. B. die
mit Ausdruck und entſprechenden Geſichtszuͤgen vorgebrachte
kurze Interjektion: „Delikat!“ — iſt hier viel beſſer als die
laͤngſte Auseinanderſetzung eines Urtheils.


Goethe ſagt als Hofmann ſehr richtig: Von rechts-
wegen ſoll eine geſellige Unterhaltung nur etwas mehr als
nichts ſein. — Es iſt aber ſchwerer, als mancher glaubt, Nichts
zu ſagen. Auch haben die wenigſten Menſchen (manche aber
wider Wiſſen und Willen) dieſe hohe Stufe der Civiliſation
[186] erreicht. Die Meiſten betrachten Eſſen und Reden uͤberhaupt
wie Ein- und Ausathmen, und moͤgen lieber gar nicht eſſen,
wo ſie nicht etwas ſagen duͤrfen.


Die Hauptſache iſt, wenigſtens bei’m Eſſen Heiteres,
Leichtes, Appetitliches, Objektives, Freundliches, Angenehmes,
Wohlwollendes zu ſagen und von allem dem das Gegentheil zu
vermeiden, wie denn auch Sirach ſpricht: Pfeifen und Har-
fen lauten wohl, aber eine freundliche Rede beſſer, denn die
Beide. Unter jenem Leichten iſt aber nichts weniger als
Anekdoten gemeint. Es iſt allemal vorauszuſetzen, daß von
vierundzwanzig erzaͤhlten Anekdoten dreiundzwanzig bereits
Anderen bekannt ſind, die nun die Pein haben, thun zu muͤſſen,
als erfuͤhren ſie dieſelben zum erſten Mal. Mit den in dieſen
Vorleſungen erzaͤhlten verhaͤlt es ſich ganz anders. Die ſind
alle funkelneu.


Gerathen Gaͤſte in Disput, ſo rede man ja nichts drein.
Wird man zu einem Urtheil aufgefordert, ſo ſage man: die
Wahrheit liegt in die Mitte, — und eſſe ruhig weiter. Waͤhrend
Andere disputiren, hat man Gelegenheit, die ſchmackhafteſten
Biſſen zu Leibe zu nehmen.


Uebrigens iſt beim Eſſen jedes andere heitere Geſpraͤch
paſſender und intereſſanter, als eins uͤber’s Eſſen. Weiteres
wuͤrde mich zu weit abfuͤhren. Gegen eine gewiſſe, Eſſen und
Sprechen gleichmaͤßig beeintraͤchtigende, Aufregung, genirte
Spannung und zappelnde Ungeduld, welche jungen Leuten bei
groͤßeren Gaſtmaͤhlern und ungewohnter zahlreicherer Umgebung
eigen zu ſein pflegt, in welcher ſie beſonders leicht Gefahr lau-
fen, dumm zu reden, helfen Regeln nichts, ſondern, wenn uͤber-
haupt etwas, allein Zeit und Uebung. Gut iſt’s, Sirach’s
Rath zu befolgen: Ein Juͤngling mag auch wohl reden ein
Mal oder zwei, wenn’s ihm noth iſt, und wenn man ihn
fraget, ſoll er’s kurz machen, und ſich halten, als der nicht viel
[187] wiſſe, und lieber ſchweigen. Und ſoll ſich nicht den Herren
gleich achten, und wenn ein Alter redet, nicht drein waſchen.


Von den Bewegungen und Zuſtaͤnden des Gemuͤthes, die
man vermeiden ſoll in ſich ſelbſt oder in Anderen waͤhrend des
Eſſens anzuregen, oder zu unterhalten, iſt im ſchon oft belobten
Geiſt der Kochkunſt, Seite 173 u. folg. der zweiten Auflage, ſo
erſchoͤpfend geſprochen, daß ich bitte, dieſe Stelle nachzuleſen.


Der angehende Eßkuͤnſtler wird aber wohl thun, auf Rei-
ſen ſeine weitere Ausbildung zu completiren. Da es kaum
moͤglich iſt, ſich mit der Kuͤchenterminologie der verſchiedenen
Voͤlker vorher irgend genuͤgend bekannt zu machen, ſo muͤſſen
vorlaͤufig die allgemeinen Sprachkenntniſſe genuͤgen. Hat der
Eßkuͤnſtler viel Geld, ſo hat er freilich um ſo weniger Sprach-
kenntniſſe noͤthig; incommodiren aber werden ſie ihn keinenfalls.
Mir begegnete in Italien ein Kunſtgenoſſe, welcher wußte, daß
Aglio Knoblauch heißt, den er nicht leiden konnte. Kam er in
ein Gaſthaus, ſo ſchuͤttelte er mit dem Kopfe und ſagte nix
(nichts) Aglio! — Damit verſicherte er, kaͤme er recht gut fort.
Doch iſt’s bedenklich. In Paris lockte ſchnoͤder Uebermuth einige
Kunſtgenoſſen, welche ſchon etwas laͤngere Zeit da verweilt hat-
ten, einem neuen Ankoͤmmling, der kaum ſo viel Franzoͤſiſch ver-
ſtand, als der oben erwaͤhnte Italieniſche Reiſende Italieniſch,
manchen Streich zu ſpielen. Da er ſich durch ſeine Freunde
die einzelnen Speiſen nach der Karte beſtellen laſſen mußte, ſo
war die Gelegenheit doch gar zu verfuͤhreriſch, ihm ſtatt der ge-
wuͤnſchten Suppe: Salat, ſtatt des erwarteten Kalbsbratens:
Schweizerkaͤſe ꝛc. zu beſtellen und mit der Suppe ſchließen zu
laſſen, wobei dann der hilfloſe Zorn des Wackeren in deutſcher,
ſehr verſtaͤndlicher und eindringlicher Sprache, mit vielem Aus-
druck auf das Anmuthigſte und Ergoͤtzlichſte ſich zu aͤußern
Anlaß fand.


Kommt der reiſende Eßkuͤnſtler nach Berlin, ſo ſage er
nicht: Sauerkraut, Kartoffel ꝛc., ſondern Erdtoffel, Sauerkohl,
[188] ſonſt ſieht man ihn uͤber die Achſel an, und ſagt: er waͤre aus
dem Reich. Er lerne, was Rippeſpeer zu Deutſch heißt, ergoͤtze
ſich an ſuͤß gebratnem Haaſen, ſtudire Maͤßigkeit, wozu er ſehr
gute Gelegenheit hat, und uͤbe ſich, Thee und Butterbrod fuͤr
ein Abendeſſen anzuſehen. Zu eben ſo ergoͤtzlichem als ver-
dauungsbefoͤrderndem Lachen wird er ſich veranlaßt ſehen, wenn
er wahrnimmt, wie die dortigen Menſchen ein Monopol auf
die geſunde Vernunft zu haben glauben und dieß ihm ſelber
ſagen. Befremden darf es ihn nicht, wenn er eine nichts we-
niger als kleine Rechnung bezahlt hat, und der Kellner bemerkt,
er haͤtte geſehen, daß der Herr auch Senf genommen, dieß
mache ſechs Pfennige mehr. Laͤndlich, ſittlich!


In Wien hat er dergleichen nicht zu beſorgen und wenn
er dem Kellner Mittags und Abends jedesmal ſechs oder auch
nur drei Kreuzer extra giebt, ſo wird er gut fahren. Es giebt
aber in Wien eine gewiſſe Paprika-Sauce, womit Neuankoͤmm-
linge jezuweilen von aͤlteren Kunſtgenoſſen gehaͤnſelt werden.
Wenn er weiß, daß Paprika auf Deutſch Capsicum annuum
heißt, wird er die Warnung mit Dank erkennen. Lieſt er auf
dem Speiſezettel „Ungariſches Rebhuhn“ ſo erwarte er nichts
Beſonderes, denn es iſt blos Ochſenfuß.


Uebrigens bedarf es meiner Worte nicht, um erſt darauf
aufmerkſam zu machen, wie viel in fraglicher Beziehung in der
froͤhlichen Kaiſerſtadt zu profitiren iſt, wozu nicht das Geringſte
dazu beitraͤgt, zu ſehen, daß es jedem ſchmeckt und daß ſich’s
ringsum jeder ſchmecken laͤßt. Ich kenne keine andre Stadt,
von der ich dieß im gleichen Maaße zu ſagen wuͤßte. Im Ue-
brigen aber ſteht’s wie gegenwaͤrtig anderwaͤrts eben auch. Be-
kanntlich iſt Friedrich der Große und JoſephII. geſtorben.


Frankfurt am Main und die Rheingegenden werden den
reiſenden Eßkuͤnſtler zunaͤchſt mit der Muſterhaftigkeit guter Be-
dienung bekannt machen, die freilich von der in Paris uͤbertroffen
wird. Ich erinnerte daſelbſt einmal ein Beefſteak, welches, trotz der
[189] prompten Bedienung, zufaͤllig etwas lange ausblieb, — „une
petite seconde, et vous l’aurez“
ſagte der Garçon. Man
kann nicht mehr verlangen.


Die ſchoͤnſten natuͤrlichen Eßſtillleben wird er im Palais
royal zu beobachten und zu genießen Gelegenheit haben. In
dieſer Beziehung uͤbertrifft das Palais royal allerdings den
Markusplatz in Venedig. Aber da ſieht man eben das Meer! —
Iſt der reiſende Eßkuͤnſtler zugleich ein Gelehrter, ſo wird er
wohl oft im ſogenannten Lateiniſchen Viertel zu eſſen ſich ver-
muͤſſigt ſehen. Hier wird er dem hoͤflich-groben: Pain à dis-
crétion!
auf den Speiſekarten begegnen und ſich darnach achten!
Genau wird er merken, welche einzelnen Speiſen er gehabt, da
er dieſe, bei’m Bezahlen, der am Ein- reſp. Ausgang ſitzenden
Dame du comptoir namhaft zu machen hat. Iſt ihm etwas
entfallen, und er weiß es nicht zu benennen, ſo wird er die Ent-
deckung zu machen Gelegenheit haben, daß er etwas einfaͤltig
daſteht. Schon deßhalb wird er die Nothwendigkeit einſehen,
ſich mit der culinariſchen Terminologie vertraut zu machen,
außerdem koͤnnte es ihm auch widerfahren, daß er eine pompoͤs
klingende ſesquipedale Speiſe verlangt und z. B. geroͤſtete Kar-
toffeln erhaͤlt. Er wird manche lehrreiche Erfahrung machen,
z. B. die. Ein wandelnder Paſtetenverkaͤufer ruft auf der
Straße ſeine delikate Waare aus. Lieblich lockender Dampf
ſteigt von den allerliebſt zierlichen Paſtetchen auf. Der Eßjuͤn-
ger laͤßt ſich verlocken, und findet bis zur Ungenießbarkeit Alt-
gebackenes. Der Verkaͤufer iſt verſchwunden. Der Dampf kam
von einer betruͤglichen Vorrichtung unter dem Brete, auf dem
die Paſtetchen lagen.


Dergleichen waͤre noch viel zu berichten; doch iſt die Stunde
zu Ende.


Adreſſen von Pariſer Reſtaurateurs, wo man ſich ausge-
zeichnet gut reſtauriren kann, findet man leicht. Da ich aber
ſchon zur Zeit der Reſtauration in Paris war, ſind wohl die
[190] mir bekannten heute nicht mehr in Cours, weßhalb es wohl
unnuͤtz waͤre, ſie anzufuͤhren.


Will ſich der Eßkuͤnſtler mit dem einfach klaſſiſchen, naͤmlich
kraͤftigen Styl der Engliſchen Kuͤche bekannt machen, ſo giebt
ihm das wohlbediente Engliſche Speiſehaus in Paris erwuͤnſchte
Gelegenheit.


Iſt er ſo gluͤcklich, das großartige England ſelbſt bereiſen
zu koͤnnen, wohl ihm! — Kommt er anders an keinem Sonn-
tag an, ſo wird’s ihm gleich Anfangs anmuthen. Er wird
erſtarken und zunehmen an Kraft, Muth und Gewicht, und
eben ſo bald mit Ueberraſchung wahrnehmen, wie umgekehrt
ſeine Boͤrſe abnimmt. Spaͤter wird er bemerken, daß die klaſ-
ſiſche Simplicitaͤt des Rindfleiſches nicht ſehr abwechſelnd iſt,
und mag er endlich in’s liebe Deutſchland zuruͤckkehren, ſo wird
er finden, daß man auch da es ſich ſchmecken laſſen kann, wenn
man anders von dieſen und jenen, und jenem und dieſem abzu-
ſehen weiß. Wuͤßten meine ſehr verehrten Herren Zuhoͤrer mir
vielleicht zu ſagen, wo man dieß nicht muͤßte?


[[191]]

Neunte Vorleſung.
Hoͤhere Kunstregeln
.


Waͤhrend der exotoriſche Lehrling mit einem aus banger
Erwartung, Freudenſchauer und glaͤubigem Ernſt, Demuth und
Stolz gemiſchten Gefuͤhle die geheimnißverhuͤllenden Vorhaͤnge
aufrauſchen ſieht und zum erſten Mal in’s Innerſte des Tem-
pels tritt, laͤchelt der bereits eingeweihte Eſoteriker, — wohl
wiſſend, wie wenig jener erfaͤhrt, was er nicht ſchon vorher ſelbſt
gewußt, oder doch haͤtte wiſſen koͤnnen.


Erfreut, fruͤherer kleinlicher und laͤſtiger Obliegenheiten ent-
bunden zu ſein, vergißt der Losgeſprochene, daß mit gewonne-
nen groͤßeren Rechten nothwendig auch zugleich umfaſſendere
Pflichten uͤbernommen werden, wie er doch in vielen Lehrbuͤ-
chern des Naturrechts ſowohl, als der Ethik laͤngſt gedruckt haͤtte
leſen koͤnnen.


Wenn der Rekrute bei’m Exerziren nicht mehr: eins, zwei,
drei! zu zaͤhlen braucht, meint er, jetzt waͤre er fertig. Es
kommt aber erſt das Schwerſte, die Schwenkungen, das Abbre-
chen, Rottenfeuer, Maneuvriren, Tirailliren. Es war Manches
in der Elementar-Erziehung noͤthig, welches der Weitergekom-
mene fuͤr uͤberfluͤſſig halten zu duͤrfen glaubt, ohne welches er
aber eben kaum oder gar nicht weiter gekommen waͤre. Mit
Manchem muß man ſich freilich fuͤr nichts und wieder nichts
placken. So wird denn auch ein Ruͤckblick auf die vorige Vor-
leſung dem Gereifteren manches Laͤppiſche und Unhaltbare erge-
ben. Mag auch der hoͤhere Eßkuͤnſtler uͤber viele der mitge-
theilten Eßregeln laͤcheln, und ſich nicht weiter daran binden.
[192] Sie waren das Blei, welches ſich der Taͤnzer Veſtris an die
Fuͤße band, um dann, davon befreit, um ſo hoͤher und leichter
zu tanzen.


Die angefuͤhrten Schriftſteller ſtimmen z. B. darin uͤberein,
man ſolle nicht zuerſt, ſondern zuletzt in die Schuͤſſel langen,
dagegen aber am erſten zu eſſen aufhoͤren. Man ſieht ohne
großes Nachdenken, daß, da dieſe Gebote an Alle geſtellt ſind,
ſie theils unmoͤglich erfuͤllt werden koͤnnen, theils durch das Be-
ſtreben, denſelben nachzukommen, das Eſſen auf der einen Seite
eben ſo lange hinausgeſchoben, als auf der andern ungebuͤhrlich
abgekuͤrzt wuͤrde. Zum Gluͤck iſt der Sache durch die neuere
zweckmaͤßige Einrichtung, die Suppe den einzelnen Gaͤſten je
auf den Tellern zu geben oder durch Diener geben zu laſſen,
heutzutage erledigt. Durch dieſe Einrichtung iſt zugleich die
Nichterfuͤllung eines andern laͤſtigen Gebotes: „nicht den beſten
Biſſen herauszuſuchen“ bedeutend erleichtert. Bleiben naͤmlich
die Schuͤſſeln und Praͤſentirteller nach alter Art auf dem Tiſch
ſtehen, ſo iſt freilich nichts uͤbrig, als zu reſigniren und, gegen
Sirach’s ſonderbares Gebot, den naͤchſten (oft leider nicht beſten)
Biſſen zu nehmen, da oft ſelbſt ein betraͤchtlicher Aufwand raf-
finirter Kriegsliſt nicht ohne aufzufallen zum Ziele fuͤhrt. Geht
aber die Schuͤſſel herum, ſei es nun, daß dieſelbe von einem Gaſt
dem andern gereicht, oder durch Diener herumgegeben wird, ſo
kann man, nach der Rechtsregel: Melior est praevenire, quam
praeveniri,
mit nur einiger Gewandtheit und raſcher Entſchloſ-
ſenheit leicht und unbemerkt ſich des beſten Biſſens bemaͤchtigen.
Freilich iſt dazu eine alles zehn Mal umwendende, hinten und
vorn beſchauende Bedaͤchtlichkeit durchaus ungeeignet.


Von den genannten Auktoren wird ferner das Blaſen der
Suppe theils ganz unterſagt, theils ſehr beſchraͤnkt erlaubt. —
Es iſt aber gar nichts wichtiger, als, nachdem man ſich zu Tiſch
geſetzt, mit kluger Vorſicht den erſten Loͤffel Suppe zu ſich zu
nehmen, — wie bedeutend iſt das: zu Sich nehmen! — um ſich
[193] nicht die Zunge zu verbrennen, und ſo fuͤr die ganze Mahlzeit
geſchmacks-, genuß- und urtheilsunfaͤhig ſich zu machen. Einem
ſolchen Hoͤllenzuſtand kann nur durch convenirendes Blaſen auf
den, mit Suppe halbgefuͤllten erſten Loͤffel vorgebeugt werden.
Dieſes nun, in Betracht der unausſprechlichen Wichtigkeit gleich-
wohl fuͤr unſchicklich zu halten, beurkundet ſpießbuͤrgerliche Be-
ſchraͤnktheit und gaͤnzlichen Mangel an Eßſinn und Wiſſenſchaft-
lichkeit. Der Eßkuͤnſtler wird ſich um ſo weniger an dieſes Ge-
bot kehren, als bei dem angerathenen Warten unverantwortli-
cher Weiſe gar nicht bedacht iſt, wie leicht hier die beſte Zeit,
die Suppe moͤglichſt warm zu genießen, verſaͤumt, der Genuß
alſo geradezu verfehlt werden koͤnne. Was waͤre dieß auch fuͤr
ein triſter, ja troſtloſer Anblick: eine ganze Tafel tortaliſch war-
tender Eſſer! — Iſt es doch ſelbſt bei dem Hilfsmittel des Bla-
ſens noch ſchmerzlich zu beklagen, daß man ſich, bei Mangel
noͤthiger Vorſicht und Selbſtbeherrſchung, auch noch beim zwei-
ten und dritten Loͤffel verbrennen kann! Auch da darf Vorſicht
und Plan dem fuͤr ſich ſeienden und als ſolchen gedankenloſen
Genuß nicht weichen. Wie klar wird hierdurch allein die Be-
deutung der Eßkunſt! Wie viel kann der denkende Eſſer nur
z. B. aus der in der ſechſten Vorleſung gegebenen Phyſiologie
der Zunge fuͤr den fraglichen Fall mit groͤßtem Nutzen in An-
wendung bringen!


Dem Rath Zobel’s, auf das Knochenmark zu verzichten,
wird kein Eßkuͤnſtler Folge geben, ſondern gegentheils auf jede
zulaͤſſige Art ſich deſſelben zu bemaͤchtigen trachten.


Waͤhrend jene Eßregeln die peinlichſte gêne, einen durch-
aus ſtoͤrenden, ruͤckſichtsvollen ſteifen Zwang zur Pflicht machen,
ſtrebt der wahre Kuͤnſtler durchaus nach moͤglicher Freiheit.
Dieß allerdings innerhalb der aͤſthetiſchen Schranken; aber un-
bekuͤmmert um Herkommen, Gewohnheit und Spießbuͤrgerlich-
keit, ſei es nun, daß er dieſer in den groͤßten Staͤdten, oder in
den kleinſten Neſtern begegnet.


13
[194]

Ich gedenke der froͤhlichen im ſchoͤnen Wien verlebten Tage.
Im Sommerhalbjahr war ſo reichliche Gelegenheit gegeben, im
Freien zu eſſen, daß man ſich kaum entſchließen konnte, von der
druͤckenden Enge einer Stube ſich einſchließen zu laſſen. In
ſolchen Eßgaͤrten ſah man die anſtaͤndigſten Eſſer, die feinſten
Cavaliere in eben ſo feinen ſchneeweißen bloßen Hemdaͤrmeln
ſitzen und friſch und frei ſchmauſen, welchem Beiſpiele man be-
greiflicherweiſe auch unbedenklich folgte und ſich hoͤchſt behaglich
dabei befand. Ein enge zugeknoͤpfter ſchlanker Juͤngling aus
einer großen norddeutſchen Stadt, welcher ſich unſerm Kreiſe
zugeſellen wollte, und den wir in einen ſolchen Garten mit uns
nahmen, ging ſchreckensbleich ruͤckwaͤrts wieder zum Thor hin-
aus, ſobald er dieſen Skandal, wie er es nannte, anſichtig
wurde, wobei wir uns denn natuͤrlich keineswegs Muͤhe gaben,
den Zarten zu halten. Seine Mutter hatte ihm geſagt, ſo was
ſchicke ſich nicht.


Es giebt Leute, denen es anfaͤngt unwohl zu werden, ſo
wie ſie ſich’s wohl ſein laſſen duͤrften, ja welche ihre eigene Exi-
ſtenz genirt. Auch habe ich Phyſiognomieen geſehen, welche
deutlich ausſagten: Nehmen Sie es mir doch ja nicht ungnaͤdig,
daß ich auf der Welt bin. Andere freilich, wozu unſer Zuge-
knoͤpfter gehoͤrte, ſcheinen gegentheils zu glauben, nur ſie haͤtten
das Recht dazuſein, und wer nicht ſo da ſei, wie ſie und ihr
Herr Vater und ihre Frau Mutter und die lieben Nachbarn und
desgleichen, der ſollte lieber gar nicht exiſtiren. Ach wenn ſich
doch ſolche Ungluͤckliche das ohnehin ſchon enge genug zuge-
knoͤpfte Leben nicht ſelber noch enger bis zur Engbruͤſtigkeit zu-
ſchnuͤren zu muͤſſen glaubten!


Obgleich nun Schiller in ſeinem traurigen Lied an die
Freude mit Wehmuth Ungluͤcklicher gedenkt, die ſich weinend
fortſtehlen ſollen aus der Compagnie, ſo tragen doch ſolche Sei-
tenblicke nicht ſehr viel zur Plaiſirlichkeit des Ganzen bei, weß-
halb denn jenes genannten Zugeknoͤpften und ſeiner Ungluͤcks-
[195] gefaͤhrten billig hier nicht weiter gedacht werden ſoll. Error
nocet erranti.


Welch ſchoͤnen Genuß das Reiſen, friſche freie Luft, na-
mentlich auf Berghoͤhen, friſche neue Waͤſche, und Baden in
raſchfließender kryſtallner Fluth gewaͤhrt, wie froͤhlich uͤberhaupt
die Freude und wie freudig die Froͤhlichkeit iſt, wiſſen Viele,
der Eßkuͤnſtler auch, und noch etwas dazu. Ueberhaupt weiß
und denkt ein Eßkuͤnſtler mehr, als ein anderer Menſch. So
gewaͤhrt ihm z. B. der zarte Duft friſcher Auſtern Reminiscen-
zen, die man einem andern Menſchen gar nicht einmal ſagen
kann. Er verſteht Saͤtze, die jedem Andern unbegreiflich ſind,
z. B. den: A B C iſt nicht A + B + C, ſondern = X, oder
doch nur A B C. — Man bedenke noch die Menge der dem Eß-
kuͤnſtler eigenthuͤmlichen feinſten Kenntniſſe aller moͤglichen Eß-
barkeiten je nach ihren Kennzeichen und Merkmalen, nach Guͤte,
Alter, Geſchlecht, Vaterland ꝛc., nach der Art ihrer habhaft zu
werden, ihrer Behandlungsweiſe im Leben, bei und nach dem
Tode, das Detail aller einzelnen Organe, Theile und Theilchen
als Biſſen betrachtet, ihre verſchiedenen Verbindungen, Geſtal-
tungen, Zurichtungen, die Beziehungen der einzelnen Monate
zur Tafel, die ungeheure Nomenklatur allein und Anderes, uͤber
welches man dicke Buͤcher ſchreiben kann, wenn man’s weiß —
um den wahren Eßkuͤnſtler verehrungswuͤrdig zu finden.


Waͤhrend ferner der gewoͤhnliche Eſſer eben ißt, was es
gerade giebt, wird bei dem Eßkuͤnſtler eine gewiſſe praͤparative
Sorgfalt und Umthulichkeit um Eßbares und deſſen Acquiſition
hervorleuchten, welche eine Thaͤtigkeit hervorruft, von deren
beſeeligender Genußfuͤlle ein gewoͤhnlicher Menſch gar keine Ah-
nung hat. Der Eßkuͤnſtler ißt in Zukunft, Gegenwart und
Vergangenheit zugleich. Es iſt mein tief und wahr aufrichtiger
Wunſch, daß jeder Eßſinnige einen eigenen Garten oder doch
ein Gaͤrtlein haben moͤchte. Der Salat, den man ſelbſt geſaͤet
oder gepflanzt, den man keimen, ſproſſen und wachſen ſieht,
13*
[196] gewaͤhrt ſchon lange vorher wiederholten lieblichen Genuß, ehe
er mit Eſſig und Oel neben dem dampfenden Braten auf dem
Tiſch ſteht, und ſchmeckt dann beſſer, als jeder andere. Was
will auch z. B. ein anderer Haaſe gegen den ſagen, welchen
man ſelbſt geſchoſſen?


Welche Wonne, auf eigenem Grund und Boden in der friſchen
Kuͤhle des Morgens, oder in ſchattiger Laube vor den heißen
Strahlen der Mittagsſonne geſchuͤtzt, oder bei ſanft heruͤberklin-
gendem Vespergloͤcklein — es hat nach langer Trockenheit ge-
regnet und der erfriſchende aromatiſche Duft weht kuͤhl umher
und Alles ſieht gruͤner und friſcher und luſtiger — in eine ſaf-
tige reife Birne, einen weinſaͤuerlichen Borsdorfer, den man
nicht anblicken kann, ohne daß der Mund voll Waſſer laͤuft, in
eine thauuͤberhauchte Traube zu beißen, die man ſelbſt gezogen
und gebrochen, oder mit dem ſichelfoͤrmigen Gartenmeſſer abge-
ſchnitten hat!


Hier braucht’s keine Gegenſaͤtze, hier iſt von keinem Kunſt-
werke die Rede, hier beſeeligt die kunſtlos ungeſchmuͤckte Natur!


Seelig, wer, wie Bettina, die Baͤume ſelbſt zu erklet-
tern und gleich den Voͤgeln in ihren Zweigen zu naſchen und
zu ſchmauſen vermag! — Wie lieblich liebkoſet die holde Bet-
tina
den Fruͤchten, ehe ſie dieſelben anbeißt! — Auf jenes Klet-
tern wird der bejahrtere Eßkuͤnſtler freilich um ſo mehr verzich-
ten muͤſſen, je lohnender ſich ſeine Kunſtbeſtrebungen durch
gewonnene Koͤrperfuͤlle und Schwere bewaͤhrten. Jedoch giebt
es Zwergbaͤume und Spaliere, wo man ſich bei einiger Ima-
gination, obgleich auf feſten Boden ſtehend, doch in den Zwei-
gen ſchwebend denken und fuͤhlen kann.


Aber nicht blos fuͤr ſich ſelbſt wirkt und ſchafft der Kuͤnſt-
ler, nicht nur ſeine eigenen Genuͤſſe weiß er umfaſſend zu ge-
ſtalten und zu veredeln, zu erhoͤhen; es draͤngt ihn im Innern,
auch Anderen Genuͤſſe zu verſchaffen, Andere genießen zu laſſen.
Und dieß iſt das Hoͤhere, und dahin zielen denn auch vorzuͤglich
[197] die hoͤheren Kunſtregeln. Daß er Geld hat, wird hierbei natuͤr-
lich vorausgeſetzt. Impossibilium nulla est obligatio, lehren
die Pandekten.


Sirach ſagt aber die goldnen Worte: „Einen gaſtfreien
Mann loben die Leute und ſagen, er ſei ein ehrlicher Mann,
und ſolches iſt ein guter Ruhm. Aber von einem kargen Filze
redet die ganze Stadt uͤbel, und man ſaget recht daran.“


Sowohl fuͤr den Eßkuͤnſtler ſelbſt noͤthig und nuͤtzlich, als
auch Anderen zu gut kommend iſt die Kunſt des Vorſchneidens.
Sie hat noch dazu die rein ſittliche Bedeutung des Opfers, wie
auch Zobel ſagt: — „Hierbei iſt zu beobachten, wenn du vorle-
geſt, daß du jedesmal das ſchlechteſte Stuͤck vor dich behalteſt.
Das iſt der Lohn fuͤr deine Muͤhe; fuͤhreſt du dich aber geſchickt
dabei auf, ſo traͤgſt du noch einen Hut voll Lob davon.“


So wenig man aber Reiten, Fechten und Tanzen aus
Buͤchern lernen kann, und ſelbſt die beſten Abbildungen dazu
ſo viel wie nichts nuͤtzen, ſo muß auch dieſe Kunſt durchaus
praktiſch, mit wohlgeſchliffenem großen Meſſer und zweizackiger
Gabel in der Hand, erlernt werden. Doch moͤgen ein paar
Worte hieruͤber hier ihre Stelle finden.


Vor Allem verdient Beherzigung, was Zobel raͤth: „Wird
dir aufgetragen zu zerſchneiden und vorzulegen, du kannſt aber
nicht damit umgehen, ſo entſchuldige dich, und uͤberlaſſe ſolch
ein Amt einem Andern: denn ſonſt wirſt du dich mehr proſti-
tuiren, als heliebt machen.“


Dieß hat Mancher vergeſſen, der wohl gethan haͤtte, ſich
deſſen zu erinnern.


Ich entnehme dem Magdeburgiſchen Kochbuch folgende
beachtungswuͤrdige Stellen: „Man kommt in nicht geringe
Verlegenheit, wenn bei einem Gaſtmahl oder einer Geſellſchafts-
Tafel der zu Theil gewordene Platz das Tranſchiren erfordert,
oder wenn man von einem andern Gaſte darum erſucht wird,
und man nicht gehoͤrig damit umzugehen weiß.


[198]

Das Tranſchiren iſt ein Ehrenamt und die Uebernehmung
deſſelben eigentlich Pflicht fuͤr einen der naͤchſten maͤnnlichen
Gaͤſte; aber viele, beſonders junge Maͤnner moͤgen ſich immer
gern davon losmachen, und wenn ſie nicht umhin koͤnnen, das-
ſelbe zu uͤbernehmen, ſo wird man bald gewahr werden, daß
es den Meiſten an den noͤthigen Vorkenntniſſen dazu fehlt.
[Welche traurige Wahrheit!]


Wer es aber gelernt hat, dem wird die Ausuͤbung nicht
die geringſte Laſt machen, vielmehr zum Vergnuͤgen gereichen.


Man muß ſich ſowohl der Staͤrke, als auch der Schwaͤche
ſeines Meſſers zu bedienen wiſſen. [Es verhaͤlt ſich damit, wie
beim Fechten.] Bei einem ſtarken Schnitt ſetzt man daſſelbe
am Ende der Klinge an, bei einem leichten Schnitt aber nur
die Spitze ꝛc. Hauptſaͤchlich muß man das Meſſer nicht nach
der Laͤnge der Fleiſchfaſern, ſondern quer hindurch fuͤhren.


Uebrigens verrichtet man das Geſchaͤft ſtehend, und nur
dann ſitzend, wenn es die Umſtaͤnde erlauben. Damit man
aber dabei ſeinen Nachbarn nicht beſchwerlich falle oder bei ſtar-
ken Gerichten ſich nicht erhitze und Kraͤfte verſchwende, ſo halte man
die Arme ſo viel als moͤglich an ſich, und laſſe ſich waͤhrend des Ge-
ſchaͤfts auch nicht in vieles Geſpraͤch ein, damit man daſſelbe mit
aller Ordnung und ſo geſchwind als moͤglich vollendet, die Speiſe
nicht kalt und der Appetit der Gaͤſte bald befriedigt werde.“


Zu dieſen Generalioribus mag noch bemerkt ſein, daß die
Groͤße der Biſſen beſonders den Takt des Vorſchneiders bezeich-
net. Zu große Biſſen ſind nicht immer wohl darzuſtellen, wenn
es am Ende nicht fehlen ſoll, man haͤlt ſie fuͤr unſchicklich und
mancher Gaſt koͤnnte auch in Erfuͤllung der Pflicht: aufzueſſen
einigermaßen dadurch incommodirt werden. Dieß Alles reichte
aber nicht hin, ſie den Augen des Eßkuͤnſtlers als verwerflich
erſcheinen zu laſſen, kaͤme nicht Folgendes hinzu. Bekanntlich
iſt nicht nur der Geſchmack der verſchiedenen Theile eines Thie-
res uͤberhaupt anders, ſondern je ein beſtimmter einzelner Theil
[199] zeigt in ſeinen einzelnen Theilen wieder verſchiedenen Geſchmack,
ſei es nun von Natur aus, oder ſei es, daß dieſer oder jener
Theil im Braten beſſer gerathen iſt. Auch dem umſichtigſten
Kuͤnſtler kann es nun begegnen, — z. B. wenn ein Stuͤck auf
der verungluͤckten Seite liegt und eine gleißende Oberflaͤche dar-
bietet — daß er ein ihm nicht zuſagendes Stuͤck gewaͤhlt. Er
wird es, obſchon mit Ueberwindung, doch aus Zartgefuͤhl auf-
eſſen, um ein anderes zu erproben. Es iſt klar, wie dieß
Alles durch kleinere Stuͤckchen erleichtert wird, durch welche
uͤberhaupt jedem einzelnen Gaſte eine viel groͤßere Mannigfal-
tigkeit dargeboten iſt. Geniert ſich ein oder der andere Gaſt
bei kleineren Stuͤcken mehrere entweder auf einmal oder nach ein-
ander zu nehmen, ſo iſt es ſeine eigene Schuld, und nicht die
des Vorſchneiders, welcher ſich dadurch nicht abhalten laſſen
wird, nach der Theorie der kleineren Biſſen zu verfahren.


Wird in kleinere Stuͤcke zerlegter Braten ꝛc. praͤſentirt, ſo
haben manche Gaͤſte, deren Schuͤchternheit doch einigermaßen
von ihrer Eßluſt uͤbertroffen wird, um nicht wiederholt nehmen
zu muͤſſen, den Gebrauch, unter dem Schein der Zerſtreuung
oder irgend einem andern Praͤtext mit der Gabel ſo tief zu
ſtechen, daß zugleich mit dem direkt und unmittelbar gemeinten
Biſſen noch ein oder der andere, welcher unter jenem oder dem-
ſelben ſonſt nahe liegt, ebenfalls angeſtochen, und ſo auf ihren
Teller gebracht wird. Sie bedienen ſich zu dieſem Zwecke des
Manoͤvers, mit ſcheinbarer Leichtigkeit, aber tiefdringendem
raſchen Gabeldruck den erſten Biſſen etwas ſeitlich anzuſtechen.


Dieſe Encheireſe belaͤchelt der wahre Eßkuͤnſtler, nicht ſo-
wohl deßhalb, weil ſie unſchicklich iſt und von Mangel an Ge-
radheit und Offenheit zeugt, ſondern weil man dadurch un-
wiſſenſchaftlich und blindlings in den Beſitz ganz unerwuͤnſch-
ter Theile kommen kann, welche eben durch jenes erſt ange-
ſtochene Stuͤck gedeckt ſein koͤnnen.


[200]

In Beziehung auf das Vorſchneiden will ich aber noch,
einer eigenen ſchmerzlichen Erfahrung gedenkend, der Cautele
erwaͤhnen, das Geſicht ſo wie die Naſe dem zu zerſchneiden-
den Objekte nicht zu nahe zu bringen. Es gilt fuͤr unſchicklich,
hat aber noch viel wichtigere Gruͤnde gegen ſich.


Ich hatte einſt die Verpflichtung uͤbernommen, fuͤr noch
zwei Freunde ein Spanferkel zu zerlegen. Das zarte Geſchoͤpf
war im Braten beſonders gegluͤckt, und unſere geſammte Er-
wartung hoͤchſt geſteigert. Dadurch zu nie zu billigendem,
etwas haſtigem Eifer angeſpornt, brachte ich ungeſchickt Naſe
und Mund der duftenden Oberflaͤche, eben als ich den Kopf
abgeſchnitten, zu nahe. Ein gluͤhend heißer, in ſolcher Naͤhe
unangenehm riechender und ſchmeckender Dampf entſtroͤmte
dem geoͤffneten Koͤrper, faſt mich betaͤubend, und raubte wie
mit einem Zauberſchlag allen Appetit. Bis ich mich wieder
erholt, geſammelt und gefaßt hatte, waren die beſten Biſſen
von meinen Freunden verzehrt und mir blieb nur noch die
traurige Wahl einer, nicht mehr ganz warmen, vorderen und
einer hinteren Extremitaͤt. — Felix quem faciunt aliena
pericula cautum!


Daß man die Tranſchiruͤbungen nicht bei ſchwierigen
Objekten, wie Truthahn, Gans, Auerhahn, Kalbskopf ꝛc., ſon-
dern bei leichteren, Rindfleiſch, Rebhuhn ꝛc. zu beginnen habe,
iſt klar. Bekannt iſt’s, wie die Hauptſache darin liegt, bei
Gefluͤgel, Wildpret ꝛc. die Gelenkverbindungen zu kennen und
zu treffen. Dieß Alles aber wird, wie geſagt, nicht durch Wort
und Bild klar, ſondern durch unmittelbare Anſchauung und
Uebung. Uebrigens giebt es bei Zerlegung einzelner Objekte
ſehr viel willkuͤhrliche Regeln, welche, mit unbedingter Ver-
werfung anderer, von manchen Meiſtern eigenſinnig und aus-
ſchließlich feſtgehalten werden. Hier waͤre Manches zu verein-
fachen. Moͤchte uͤberhaupt der ſehr vernachlaͤſſigten Vorſchneide-
kunſt, in welcher noch im vorigen Jahrhunderte beſonders die
[201] Deutſchen exzellirten, bald wieder die freundliche Morgenroͤthe
eines neuen Tages heraufleuchten!


Ein wohlgeſinnter und ſinniger Bewirthender wird ferner
ſeinen Gaͤſten ſchoͤne, brauchbare, zweckmaͤßige, ſpiegelblanke,
wohlgeſpitzte und ſcharfgeſchliffene Waffen zu Gebote ſtellen.


Von der abſoluten Verwerflichkeit ganz ſilberner Gabeln
iſt ſchon die Rede geweſen. Faſt eben ſo unbrauchbar ſind Eß-
gabeln von Stahl, die nur zwei Zacken haben. Der Dreizack,
oder noch beſſer Vierzack, gehoͤrig ſtark und ſpitzig, iſt die vor-
zuͤglichſte Form.


Ueber die Loͤffel laͤßt ſich nicht viel ſagen, als daß ſie, wie
ſich von ſelbſt verſteht, von Silber, und in hinlaͤnglicher An-
zahl, am beſten, nach Hollaͤndiſcher Manier, fuͤr jeden Gaſt
mehrere, vorhanden ſein muͤſſen.


Wichtiger ſind die Meſſer, beſonders in Beziehung auf
ihre Spitzen. Gegenwaͤrtig ſind beſonders folgende drei Formen
in Gebrauch.


[figure]
[202]

Die Form A iſt erſt neuerdings aufgekommen, und taugt
ganz und gar nichts. Dieſe Meſſer ſind unbequem zu handha-
ben, geben gedruͤckte, zackige Schnittflaͤchen, man bricht leicht
die Spitze ab, verhackt ſich damit, ſie bringen nicht ſelten ein
ſcharfkritzelndes ohrenſchmerzendes Geraͤuſch hervor und verder-
ben durchaus Teller aller Art auf heilloſe Weiſe. Man ſcheint
ihre Unzweckmaͤßigkeit bereits einzuſehen und ſie ſelbſt außer
Nachfrage und Gebrauch zu kommen, welches ich daraus ſchließe,
weil ich ohnlaͤngſt ein Dutzend zum Geſchenk erhalten habe.


Die Form C iſt alt, wurde in neuerer Zeit unter Napo-
leon
’s Herrſchaft in Italien geſetzlich eingefuͤhrt, verhindert
zwar, daß man ſich ſelbſt damit ſticht oder Andere erſticht, da
ſie keine Spitze hat. Da in Deutſchland und ſonſt gegenwaͤr-
tig Denunciationen alles Dolchartige reichlich erſetzen und uͤber-
bieten, ſo waͤre die Einfuͤhrung dieſer Meſſerform mehr als
uͤberfluͤſſig. Unzweckmaͤßig iſt dieſe Form aber, weil ſie ein tie-
feres Eingehen in engere Knochenvertiefungen unmoͤglich
macht, und als plump und ſtumpf uͤberhaupt keine feinere
Handhabung zulaͤßt.


Die Wahrheit liegt hier in der Mitte. Die Form B ent-
ſpricht allen Anforderungen auf’s Beſte, und iſt durchaus frei
von allen Maͤngeln, welche man A und C vorwerfen kann.


Es giebt noch andere verwerfliche Formen. So hat man
die Form C noch dadurch moͤglichſt verſchlechtert, daß man das
ſtumpfe Ende gar noch von groͤßerem Durchmeſſer als die
uͤbrige Klinge bildete, wodurch dann das vorſpringende kreis-
oder ſcheibenfoͤrmige Ende die Schneide uͤberragt, und das Meſ-
ſer faſt ganz unbrauchbar macht. Auch ſpitzige Meſſer verlie-
ren durch zu großen Bauch der Schneide ſehr an Brauchbar-
keit und leichter Handhabbarkeit.


Von den Tellern will ich blos in Erinnerung bringen,
daß ſie fuͤr warme Speiſen wohlgewaͤrmt ſein muͤſſen. Daß
alles Geſchirr ſpiegelblank ſtrahlen und funkeln muß, beduͤrfte
[203] kaum einer Erwaͤhnung, waͤre nicht in Semilaſſo’s vorletztem
Weltgang bemerkt, daß ſelbſt an vielen Deutſchen Hoͤfen das
Silbergeſchirr, wegen Mangel des Putzens, oft wie Zinn
ausſaͤhe.


In Berlin giebt man neuerdings zu Krebſen roſenfarbene
Servietten. Wer die Klagen reinlicher Hausfrauen gehoͤrt,
wie ſchwer weiße Servietten von allen Krebsfleckenſpuren zu
befreien ſind, wird jene, und ſich ſelbſt dadurch, zu empfehlen
wiſſen.


In Gaſthaͤuſern trifft man haͤufig den lobenswerthen Ge-
brauch, daß Zahnſtocher auf und in allerlei kuͤnſtlichen, ſinnigen
Vorrichtungen, — z. B. mit Zahnſtochern gefuͤllte Koͤcher tra-
genden Amoretten, Stachelſchweinen und dergleichen — zum
Gebrauch der Gaͤſte auf der Tafel ſtehen. Man giebt dieſe
Zahnſtocher auch aus wohlriechendem Holze. Ich halte das
Einfachere fuͤr beſſer. Daß man aber Zahnſtocher uͤberhaupt
zur Verfuͤgung ſtellt, verdiente auch bei Privatgaſtmaͤhlern
fleißigere Nachahmung. Der wahre Eßkuͤnſtler wird zwar eben
ſo wenig jemals ohne Zahnſtocher ausgehen, als der Trinker
ohne Pfropfzieher, der Offizier ohne Degen, die Hoffnung ohne
Anker oder mein Freund S. ohne Regenſchirm; aber es iſt ja
nicht jeder, der ißt, ein Eßkuͤnſtler und „Superflua non nocent“
ſagt der Juriſt.


So ſollte man ſich auch nicht damit begnuͤgen, blos ein-
fache Salzfaͤſſer auf den Tiſch zu ſtellen, ſondern wohlaſſortirte
complete Gewuͤrzbuͤchſen, die zwar nicht gerade von oder nach
Benvenuto Cellini zu ſein brauchen, aber doch ſonſt eine
anmuthige Form haben ſollten. Moͤge man dieſen unmaß-
geblichen Vorſchlag nicht befremdlich finden, ſondern lieber dar-
auf eingehen. Der Eßkuͤnſtler wird ſich zwar nur mit der
hoͤchſten Sparſamkeit der Gewuͤrze bedienen, aber eben ſo ungern
dieſelben vermiſſen, wo er Einzelnes zu ergaͤnzen, zu vervoll-
ſtaͤndigen, zu verbeſſern noͤthig findet. Uebrigens ſtoͤßt man
[204] nicht ſelten auf ſo flache, wenig concave Salzfaͤſſer, namentlich
glaͤſerne, daß man kaum eine ergiebige Meſſerſpitze daraus zu
nehmen vermag. Dieſe verdienten vernichtet zu werden.


Glasglocken deckt man zwar ſehr zweckmaͤßig uͤber Limbur-
ger Kaͤſe (Peter’s des Großen Liebling) und andere Subſtan-
zen von etwas indiskretem Geruche; ſie waͤren jedoch auch zur
Warmhaltung anderer Gerichte ebenfalls fuͤglich oͤfter zu ad-
hibiren.


Eine Front Soldaten ſtellt man zwar ſo auf, daß ſie, nach
dem militaͤriſchen Terminus: die Fuͤhlung haben, d. h. zu
Deutſch, daß ſie ſich mit den Ellenbogen beruͤhren. Leider erin-
nere ich mich der Pein, bei Tiſche eben ſo militaͤriſch placirt ge-
weſen zu ſein. Nichts iſt tadelnswerther!


Man lade nicht mehr Gaͤſte, als man bequem und anſtaͤn-
dig placiren kann. So war ich einmal auf das Landhaus eines
ſehr verehrten Edelmanns geladen, welches zwar ſonſt in allen
Beziehungen ſehr ſchoͤn, namentlich aber in der Raͤumlichkeit
des, zwar ebenfalls ſehr geſchmackvollen, Speiſeſaals fuͤr die
Menge der Gaͤſte viel zu klein war. Blos Maͤdchen und Frauen
fanden an der Tafel Platz, wir Maͤnner mochten ſehen, wo wir
ſonſt Raum und Unterlage fuͤr unſere Teller fanden. Ich er-
mittelte ein allein noch freies ſchmales Fenſtergeſimſe und fing
froͤhlich an zu ſchneiden, als ſich der Porzellan-Teller (es war
ein ſchoͤner Kupferſtich der Treue darauf abgedruckt) uͤberſchlug,
zu Boden fiel, und ſchallend aus einander brach. Ich machte
mir aber gar nichts daraus. Es mochte dem Wirth zur Lektion
dienen. Aber fuͤr den delicaten Weſtphaͤliſchen Schinken war’s
um ſo mehr Schade, als mir damals die Weſtphaͤliſchen Schin-
ken und Goͤttinger Wuͤrſte viel beſſer behagten, als jetzt.


Schiller laͤßt den Octavio Piccolomini zu Buttler
ſagen:
[205]„Ein halbes Dutzend guter Freunde hoͤchſtens
Um einen kleinen, runden Tiſch, ein Glaͤschen
Tokaierwein, ein offnes Herz dabei
Und ein vernuͤnftiges Geſpraͤch — ſo lieb’ ich’s.“


Buttler antwortet:
„Ja, wenn man’s haben kann, ich halt’ es mit.“


Ich auch; bis auf den runden Tiſch; aͤchter Tokaier iſt
ohnehin ſo ſelten, als ein vernuͤnftiges Geſpraͤch. Ohne Jemand
in ſeinem Urtheil im mindeſten vorgreifen zu wollen, finde ich
den runden Tiſch als Eßtiſch nicht empfehlenswerth. Man
denke nur daruͤber nach, wenn man die Inconvenienz nicht aus
Erfahrung kennt.


[figure]

Ich ziehe oblonge Tiſche entſchieden vor. Aber ſie muͤſſen
gehoͤrige Breite haben, daß man Erwuͤnſchtes in der Naͤhe er-
reichen kann, und Raum findet, Platten, von denen man ge-
nommen, und welche nicht weiter befoͤrdert werden, ſondern auf
dem Tiſche bleiben ſollen, wegzuſtellen.


In Nancy ſtieß ich auf merkwuͤrdig niedrige Tiſche (was
ich in Frankreich uͤberhaupt oͤfter wiederfand); aber die eben-
falls ſehr niedrigen Stuͤhle (auch die Fenſter) ſtanden im rich-
tigſten Verhaͤltniſſe damit. So befremdend der Anblick war,
wenn man in die Stube trat, Alles ſo tief unter ſich zu ſehen,
ſo uͤberaus bequem fand ich das Ganze, welches wohl Nach-
ahmung verdiente.


[206]

Blos ein Nichteßkuͤnſtler wird die vorgetragenen Be-
merkungen fuͤr unwichtige Nebenſachen halten; ſie ſind nichts
weniger, obſchon das Eſſen ſelbſt unbeſtritten die Hauptſache
bleibt. Davon nachher!


Es iſt Zeit, vom Einladen der Gaͤſte zu ſprechen, welches
vielleicht ſchon fruͤher haͤtte geſchehen ſollen.


Mit Uebergehung alles ganz Bekannten und Trivialen,
welches ich uͤberhaupt nach Kraͤften und Moͤglichkeit, und wo
nicht hoͤhere Zwecke darauf Ruͤckſicht zu nehmen fordern, liegen
laſſe, welches ſich uͤberdieß am allerwenigſten gerade fuͤr dieſe
Vorleſung eignete, obſchon fuͤr die vorige, erlaube ich mir
nur zu bemerken, daß Einladungskarten zu Gaſtmaͤhlern ſich
ſehr ſchoͤn ausnehmen wuͤrden, wenn ſie mit Emblemen und
Arabesken verziert waͤren, die in andeutenden Beziehungen zu
den zu erwartenden Speiſen ſtaͤnden. Man wuͤrde wohl mit
einem Dutzend verſchiedener Muſter ausreichen, die vielleicht
auch die betreffenden Monatshieroglyphen enthalten duͤrften.


Welch’ liebenswuͤrdiger Anblick! nicht blos mit ſuͤßer Er-
wartung des Bevorſtehenden zu betrachten, ſondern auch die
ſchoͤnſten Erinnerungen zu vergegenwaͤrtigen geeignet. — Da
es Sitte iſt, erhaltene Viſitenkarten an den Spiegel zu ſtecken,
um Beſuchenden auf verbluͤmte Art zu verſtehen zu geben, mit
welch’ anſehnlichen Perſonen man verkehre, — die, worauf
keine Wappen oder Titel ſtehen, wirſt man billig weg — ſo
wuͤrden ſowohl zu dieſer Abſicht, als uͤberhaupt ſolche ange-
nehm und geſchmackvoll verzierte Einladungskarten zur Schau
aufgeſteckt, die Blicke beſonders auf ſich ziehen und auch auf
Andere den erfreulichſten mundwaͤſſerndſten Eindruck machen.


Durch dieſe Karten wuͤrde der Eingeladene zugleich an-
muthigſt auf das vorbereitet, was er zu erwarten, worauf er
ſich zu freuen hat. Man iſt mit Recht von der beſcheiden prah-
lenden Einladung „auf einen Loͤffel Suppe“ zuruͤckgekommen;
man ſollte auch die Unbeſtimmtheit und objektive Inhaltloſigkeit
[207] der Eßeinladungen uͤberhaupt aufgeben, und wenigſtens
das zu erwartende Hauptgericht andeuten. Als ich jung war,
d. h. in der zweiten Haͤlfte des vorigen Jahrhunderts, hieß es:
man erbaͤte ſich die Ehre auf einen Rehbraten, Auerhahn,
Wildſchwein ꝛc. Der Geladene wußte, woran er ſei, und konnte
vergnuͤglich daruͤber nachdenken, was wohl damit weiter in
Verbindung ſtehen werde. Es verdiente der Wiedereinfuͤhrung,
ſo ſpießbuͤrgerlich es auch ſcheinen mag. Manches uͤbliche
großſtaͤdtiſche Zugeknoͤpftſein iſt dagegen ſpießbuͤrgerlich und ver-
diente abgeſchafft zu werden. Ueberhaupt iſt Großſtaͤdtiſch kei-
neswegs der Gegenſatz von Spießbuͤrgerlich.


Bei der von mir gemeinten beſtimmten Einladungsart
waͤre aber mit Sinn zu verfahren, und nicht, wie z. B.: —
der Schauſpieler Pope erhielt eine in folgenden Worten ver-
abfaßte Einladung: „Komm, alter Freund, und iß bei mir,
und Deine gaſtronomiſche Strenge moͤge nicht zu viel verlan-
gen. Wir haben durchaus weiter nichts als Lachs und Beef-
ſteak.“ — Der Geladene kam, fand Beefſteak und Lachs
trefflich, und bald war er außer Stande, weiter etwas zu ſich
zu nehmen. Da zeigte ſich ſeinen verwunderten Blicken ein
herrliches, ſo appetitlich duftendes Wildpretſtuͤck, daß der ge-
ſaͤttigte Gutſchmecker nicht umhin konnte, zu verſuchen, ob es
nicht doch noch ginge. Aber nach einigen vergeblichen Ver-
ſuchen legte er Meſſer und Gabel nieder, richtete ſeine mit
Thraͤnen gefuͤllten Augen auf ſeinen Wirth, und ſagte ſchluch-
zend: „Von einem zwanzigjaͤhrigen Freund haͤtte ich dieß nicht
erwartet!“


Dergleichen iſt nun allerdings auch unverantwortlich.


Daß man nicht mehr Gaͤſte ladet, als man vollſtaͤndig mit
Speiſen zu verſehen im Stande iſt, verſteht ſich von ſelbſt. Feinheit
gehoͤrt aber dazu, ſolche Gaͤſte zuſammenzuladen oder zuſammenzu-
ſetzen, welche auch wirklich zuſammenpaſſen. Man glaubt insge-
mein, Mitglieder Eines Standes, Einer Fakultaͤt, Eines Kunſtzwei-
[208] ges paßten am beſten zuſammen. Sie paſſen aber nicht nur nicht
am beſten zuſammen, ſondern ganz und gar nicht. Bringen es die
Verhaͤltniſſe mit ſich, daß man Genoſſen Eines Faches zu laden
nicht umhin kann, ſo verſaͤume man doch ja nicht, ſie ſo weit
als moͤglich aus einander zu ſetzen, ſo daß ſie nicht mit einander
reden koͤnnen, wenn man anders nicht Gefahr laufen will, durch
ſtundenlange Disputationen uͤber einen Etruriſchen Stiefelknecht
und dergleichen das koͤſtlichſte Mahl geſtoͤrt zu ſehen.


Ueber die Theilnahme ſchoͤner Frauen und Jungfrauen an
Gaſtmaͤhlern iſt ſchon am Schluſſe der ſechſten Vorleſung vom
Geſichtspunkte des Eßkuͤnſtlers aus, und zwar fuͤr eigentlich
eſoteriſche Eſſen, das Noͤthige bemerkt. Fuͤr Gaſtmaͤhler uͤber-
haupt aber kann keine andere Geſellſchaft erwuͤnſchter und be-
gluͤckender ſein. Nur huͤte man ſich vor der Grauſamkeit, den
Eßkuͤnſtler zwiſchen zwei Goͤttinnen zu ſetzen. Die eigne Frau
zaͤhlt fuͤr nichts.


Man hat geſagt, je mehr Ideenaſſociationen bei einem
Kunſtgenuß rege wuͤrden, um ſo vollkommner ſei er. Es iſt
hier nicht der Ort, daruͤber zu ſtreiten; jedenfalls iſt aber da-
mit gemeint, daß jene Aſſociationen vom Kunſtwerk ſelbſt aus-
gehen muͤſſen, welches wohl zu beachten.


Ob aber Menſchen, welche aus Standesruͤckſichten immer
ſtolz, ſteif und ernſthaft ſein zu muͤſſen glauben, und in deren
Geſellſchaft der kecke Hagen im Nibelungenlied nicht gerne zu
ſein verſichert, zu laden ſeien, muß man freilich dem beſten Er-
meſſen oder dem Stande des Wirths ſelbſt uͤberlaſſen. Manche
Eßkuͤnſtler glauben am beſten zu fahren, wenn ſie unter ſolchen
Verhaͤltniſſen hoͤflichſt bedauern, ſchon anderwaͤrts geladen
zu ſein.


Verſteht der Einladende, wie leider nicht ſelten, ſelber nichts
von Koch- und Eßkunſt, ſo iſt’s gleichgiltig, wen er ladet.
Der einladende Eßkuͤnſtler ſelber wird nur daran Geſchmack
finden, wieder Eßkuͤnſtler zu bewirthen; umgekehrt aber auf
[209] das Unangenehmſte ſich beruͤhrt fuͤhlen, wenn er Leuten zu eſſen
giebt, die gar nicht wiſſen, was ſie eſſen, die blos ſchlucken,
und von den Ideen gar keine Idee haben, die der Wirth mit
auftragen ließ.


Der hoͤhere Genuß eines Kunſtwerkes beſteht denn doch
wohl darin, daß der Genießende den Koch und Wirth verſteht,
wie auch der befriedigendſte Lohn des Bewirthenden der iſt, von
ſeinen Gaͤſten begriffen zu werden.


Ladet man zum Eſſen ein, ſo laſſe man ferner nicht außer
Acht, daß man zum Eſſen eingeladen hat, und vermeide ſtoͤrende
Allotria. Man beabſichtige z. B. vor oder nach dem Eſſen
kein Kartenſpiel. Abgeſehen davon, daß man dadurch fuͤr ſich
ſelbſt und die Gaͤſte die nicht ſehr ſchmeichelhaften ſtillſchweigen-
den Geſtaͤndniſſe ablegt, man wiſſe nichts zu reden, oder duͤrfe
nicht reden, oder man wolle Geld gewinnen, ſo iſt nichts ge-
eigneter, vor Tiſch den Appetit und nach Tiſch die Verdauung
zu ſtoͤren, als das ungluͤckſelige Kartenſpiel.


Ueberhaupt lade man nicht zu fruͤh, ſondern fange gleich
mit der Hauptſache an, und laſſe das Eſſen zur, in der Ein-
ladung beſtimmten, Zeit auftragen; denn die Augenblicke des
Wartens ſind die peinlichſten im Menſchenleben.


Der Wirth und Koch erwaͤge wohl, daß irgend etwas
Verfehltes, etwas Tadelnswerthes gern von den Gaͤſten ver-
groͤßert und als noch tadelnswerther genommen wird, wie ja
auch die ſchiefen Thuͤrme zu Piſa und Bologna von den
Zeichnern gewoͤhnlich noch viel ſchiefer abgebildet werden, als ſie
wirklich ſind, und nehme ſich in Acht.


Der Bewirthende bedenke ferner, daß der Eingeladene ſich
aller Dankbarkeit uͤberhoben haͤlt, wenn er fuͤr das Genoſſene
zu ſchwere Verpflichtungen zu erfuͤllen hat, als z. B. wenn er
nach, oder gar vor dem Eſſen ein Liebhaberkonzert, Klavier-
ſpielen, von der Tochter des Hauſes hergekraͤhte Arien u. a.
zu verwinden bekommt.


14
[210]

Ein Dichterdilettant ſchickte Piron einen Faſan. Am
andern Tag kam er und zog ein Trauerſpiel aus der Taſche.
„Ich merke den Pfiff, rief Piron, da nehmen Sie Ihren
Faſan wieder!“


Was nun die Ordnung, Wahl, Quantitaͤt und Qualitaͤt
der aufzutragenden Speiſen betrifft, ſo moͤchte Folgendes hierher
gehoͤren.


Im ſechszehnten Jahrhundert fing man in Deutſchland die
Mahlzeit bald mit dem Braten an und hoͤrte mit der Suppe
und dem Gemuͤſe auf, bald war es umgekehrt. Aber die liebe
Suppe durfte und darf außer England nirgends fehlen. Dem
iſt nun einmal ſo. Daß man die Suppe, die ſchon Hippo-
krates
fuͤr Geſunde unſtatthaft findet, die proſaiſche Suppe, —
eine Supp’ aus Bruͤh, ein Ding, das ſelten vorkommt in der
Poeſie, wie Byron ſagt, — daß man die Suppe aber zuerſt
und nicht zuletzt aufzutragen habe, bedarf fuͤr einen einfach
geſunden Sinn gar keiner weiteren Auseinanderſetzung. —
„Suppe nach Fleiſchſpeiſen!“ laͤßt Shakeſpeare in Troilus
und Kreſſida den Pandarus veraͤchtlich ſagen, als nach
Hektor allerlei ſchlechtes Volk voruͤberzieht, und auch der be-
kannte Ausdruck „Loͤffeln“ bezeichnet ſehr treffend einen mehr
praͤludirenden, an ſich ungenuͤgenden Genuß.


Man lege aber den Gaͤſten nicht zu viel Suppe vor; denn
die Suppe iſt und ſoll fuͤr den Eſſer nichts weiter ſein, als das
Klopfen des Kapellmeiſters als Zeichen, daß nun die Ouver-
ture beginne, fuͤr das Orcheſter. Es iſt noch kein Accord,
nicht der Anfang ſelbſt, ſondern lediglich eine Ankuͤndigung des
bevorſtehenden Anfangs.


Der lieben Suppe folgt nun in der Regel das liebe ge-
ſottene Rindfleiſch, welchem jene ihre Exiſtenz verdankt, ohne
welche ſie gar nicht auf der Welt waͤre. Und dieſes ab- und
ausgekochte, ſaft- und kraftloſe Faſergewebe, welches ſchon als
Mittel zu einem andern Zweck gedient, dieſes Caput mortuum,
[211] dieſer ſchnoͤde Abhub, dieſes bereits verbrauchte Ueberbleibſel,
dieſer Alteweiberſommer gilt als eine Speiſe! —


Was iſt gewonnen, wenn man, wie zuweilen geſchieht,
ſtatt des abgeſchmackten geſchmackloſen gekochten Rindfleiſches
eine gekochte Ochſenzunge giebt?


Der gegenwaͤrtige Herr geheime Rath, deſſen offenen,
gaſtfreundlichen Charakter wir verehren zu koͤnnen ſo gluͤcklich
ſind, hat dieß wohl erkannt und bei unſerer vorletzten, je-
dem Theilnehmer ewig unvergeßlichen, mit unausloͤſchlichen
Zuͤgen ſaͤmmtlichen Herzen eingegrabenen Sitzung, nach der
Suppe unvergleichliche Auſtern herumgeben laſſen. Rohe
Auſtern jedoch nach warmer Suppe und vor zu erwartenden
anderen warmen Speiſen haͤtten wohl als kaum zulaͤſſig erkannt
werden muͤſſen. Aber der ſinnige, feine Takt unſeres hochver-
ehrten Mitgliedes bewaͤhrte ſich eben darin, daß die Auſtern
gebraten waren. Und wie waren ſie das? — Ueber allen
Ausdruck, uͤber alles Lob ſo erhaben, wie der guͤtige Geber! —


Der hochverdiente Stifter, der ehrwuͤrdige Neſtor unſeres
ſchoͤnen Vereines, hat in der letzten Verſammlung, wo ſich die
Schoͤnheit der Formen, die Wahl der Gegenſaͤtze und Ver-
bindungen, die wohlgeordnete Reihenfolge mit der inneren quali-
tativen Gediegenheit und wohlgerathenen Trefflichkeit der Speiſen
um den Vorrang ſtritten, nach der Suppe Caviar auf zart
geroͤſteten Waizenbrodſchnitten gegeben, Caviar, deſſen entzuͤcken-
der Anblick allein durch ſeinen bezaubernden Wohlgeſchmack
uͤbertroffen wurde, und werden konnte! —


Wem gebuͤhrt der Preiß? — Ich glaube im Sinne mei-
nes ſehr verehrten Auditorium zu verfahren, wenn ich den
Lorbeer theile.


Bei Gaſtmaͤhlern, die dieſen Namen wirklich verdienen
wollen, ſollte man billig, ſtatt des geſottenen Rindfleiſches,
Roaſtbeef geben, wenn man anders jenes nicht anders zu er-
ſetzen weiß, vermag, oder Willens iſt.


14*
[212]

Die entſprechenden vegetabiliſchen Gegenſaͤtze verſtehen ſich,
nach dem aufgeſtellten Prinzip, hier und fuͤr das Folgende, von
ſelbſt, natuͤrlich je in vervielfaͤltiger Mannigfaltigkeit.


Als aller Empfehlung wuͤrdig muß hier des in Italien
uͤblichen Imbiſſes von Schinken, geſalzenen Zungen, Sardellen,
geraͤucherten Wuͤrſtchen und Wuͤrſten, Neunaugen ꝛc. gedacht
werden. Dieſe Speiſen, als Vorlaͤufer des eigentlichen Eſſens,
haben die Aufgabe, die Eßluſt nur mehr anzuregen, zu deter-
miniren, durchaus aber nicht zu befriedigen; wollen alſo cum
grano salis
genoſſen werden. Wie ſie ihren Zweck nicht er-
fuͤllen, beweiſt der Schottlaͤnder, von dem Byron erzaͤhlt,
welcher gehoͤrt hatte, daß Voͤgel, die man dort Kittiewiaks heißt,
beſonders die Eßluſt reizten, und ſechs Stuͤck davon verzehrte,
darauf aber klagte: er waͤre nicht hungriger, als vorher.


Goethe deutet eben ſo kurz als treffend die Hauptbe-
ſtandtheile eines Mahles mit den Worten
„Voͤgel, Wild und Fiſche“
an, und allerdings ſollte, meiner beſcheidenen Meinung nach,
keines der drei bei einem eigentlichen Gaſtmahle fehlen. Dieſe
ſollten die Grundzuͤge, gleichſam die Dispoſition der Predigt,
bilden, wie viel auch dazwiſchen und nebenbei angebracht wer-
den moͤge. Am paſſendſten folgten ſich dieſe Gerichte wohl in
der Weiſe, daß, nach dem Rindfleiſch oder deſſen Stellvertreter
und ein paar kurzen Uebergangsaccorden, Fiſche aufgetragen
wuͤrden. Nach einem weiteren Uebergang kaͤme dann der oder
die Braten, wild oder zahm, — und dieſem folgte eben ſo
Gefluͤgel, zahm oder wild.


Paſtetchen, Torten, Krebſe und dergleichen wuͤrden ein
mildes Verklingen, ein ſuͤßes dahinſterbendes Decrescendo ver-
mitteln, bis endlich das Ganze in den wohlgeſetzten Schluß-
accorden eines wohlbeſetzten Deſſerts von Obſt, Confituren ꝛc.
(Butter und Kaͤſe, als herkoͤmmliche Fermate) im ſchmelzenden
[213] Piano ſanft verhallt, wie etwa die Ouvertuͤre zum Don Juan,
welche (ſie geht aus D- dur) mit dem Accord:

[figure]

eigentlich auch nicht abſchließt, ſo wenig wie das Gaſtmahl;
denn nun faͤngt ja erſt das Trinken an.


Damit glaube ich nun zugleich mit hinlaͤnglicher Beſetzung
alle uͤberladene Inſtrumentirung ausgeſchloſſen zu haben. In
der That beſteht die Vortrefflichkeit eines Gaſtmahles durchaus
nicht in der Menge und Vielheit der Gerichte, ſondern in der
inneren Guͤte und gelungenen Zurichtung, in der harmoniſchen
Zuſammenſtimmung des Vor- oder Aufgetragnen, in deſſen
zweckmaͤßiger Folge, in dem geſchmackvollen uͤberall ſchoͤnen
Tout ensemble, bei welchem jede einzelne Stimme noch deutlich
gehoͤrt und erkannt werden kann, und — was nicht zu ver-
geſſen! — in der heiteren freien Tonart, aus der Alles geht.


Bei einem uͤberladenen Gaſtmahl hat man ein aͤhnliches
Gefuͤhl, als in einem ſchnell ſegelnden Schiff, wo man Baͤume,
Haͤuſer und Berge am Ufer verſchwimmend und ſchwindlich
vor ſich voruͤberlaufen ſieht, und man geht davon wie aus einer
großen Bildergallerie, wo man vor lauter Wald keinen Baum
geſehen, — oder von einer Tuͤrtiſchen Muſik mit gellenden
Ohren, die gleichwohl nichts gehoͤrt haben. Das Urtheil wird
verwirrt und getruͤbt, ſtatt gelaͤutert und gebildet, und ſtatt
eines ruhigen, klaren, beſtimmten und bewußten Genuſſes hat
man nichts gewonnen, als ein unbehagliches Gefuͤhl dumpfer
Betaͤubung und chaotiſchen Drucks.


Im Einzelnen moͤchte unter Anderm noch zu erinnern ſein,
daß man eigentliche Leckerbiſſen (beſonders kleinere) am paſſendſten
gegen Ende des Mahles auftraͤgt, u. daß ſolche eminente Biſſen
in der Regel keine Gegenſaͤtze dulden, ſondern in abſoluter
[214] Reinheit und Einheit geſchmeckt ſein wollen. Es iſt die Frage,
ob nicht manche derſelben vorzuͤglich deßhalb dafuͤr gelten, weil
ſie von ſo zartem, ſchwer zu ermittelndem Geſchmack ſind, daß
ſie der ergaͤnzenden Kraft, der Phantaſie des Genießenden ſo
viel uͤberlaſſen? —


Ob dieſelbe Speiſe, wenn auch noch ſo verſchieden zuge-
gerichtet, bei demſelben Gaſtmahl wiederholt werden duͤrfe oder
nicht, — daruͤber ſcheinen die Stimmen getheilt zu ſein, wie
ich aus den Muſtern von Tafelbeſetzung in mehreren Koch-
buͤchern entnehme. Ich finde es unraͤthlich, und hoͤchſtens
beliebiger Auswahl wegen zulaͤſſig. So wird auch ein denkender
Componiſt z. B. in einem Floͤtenconzert, außer der obligaten
Floͤte, keine andere Floͤtenſtimme ſetzen, eben um jene dadurch
beſtimmter hervortreten zu laſſen. Doch gehoͤrt dieſe Frage zu
den Controverſen. Eine andere dergleichen, ob und in wie fern
es naͤmlich paſſe oder nicht, als Gaſt fuͤr den Tiſch des Be-
wirthenden ſelbſt Speiſen mitzubringen, findet man in Goethe’s
Italiaͤniſcher Reiſe (zweiter Aufenthalt in Rom. October 1787)
beſprochen.


Die hoͤheren Eigenſchaften des Eßkuͤnſtlers ſollen mit denen
des Kuͤnſtlers uͤberhaupt zuſammenfallen. In Schorn’s
Kunſtblatt heiſt es: Im rechten Kuͤnſtler unterſcheiden wir fol-
gende weſentliche Eigenſchaften:


  • 1) Schule, Uebung, Bewußtſein, Technik.
  • 2) Naturliebe, Geſchmack, Formenſinn, Uebertragen der Na-
    turſprache in die ſeinige.
  • 3) Bildungstrieb, Erfindung, bewußtloſes Treffen, In-
    ſpiration, Ausbilden im Unendlichen der Combinationen.

Wer dieſe Worte, vom Geſichtspunkt der Eßkunſt aus,
verſteht und begreift, der iſt der wahre Eßkuͤnſtler, und fuͤr
den ſind alle weitere Vorleſungen entbehrlich. Und ſo ſchließe
ſich denn auch dieſe, nachdem ich den Sinn jener Worte wei-
terem Ueberdenken, Ergruͤnden, Erforſchen und Erfahren em-
[215] pfehle. Ich bemerke ausdruͤcklich, daß ich die Wahrheit jener
Worte fuͤr dem Kuͤnſtler uͤberhaupt vollkommen anerkenne; ich
kann aber nichts dafuͤr, freue mich vielmehr herzlich, daß ſie
wie gemacht auch fuͤr den Eßkuͤnſtler paſſen.


Sollten meine ſehr verehrten Herrn Zuhoͤrer vielleicht der
bedenklichen Meinung ſein, ſie waͤren nach der Art, wie ſich
dieſe Vorleſung angekuͤndigt, etwas ganz Anderes, Feineres
und uͤberhaupt mehr zu erwarten berechtigt geweſen, ſo moͤgen
ſie geneigteſt erwaͤgen, daß Gelehrten leicht predigen iſt, —
Sapienti pauca! — außerdem aber billig bedenken, was
Goethe ſagt: „Nur ein Theil der Kunſt kann gelehrt wer-
den. — Die Worte ſind gut, aber ſie ſind nicht das Beſte.
Das Beſte wird nicht deutlich durch Worte.“ —


[[216]]

Zehnte Vorleſung.
Spezielle Eßbarkeiten.


Ueberblicke ich den Gegenſtand meiner heutigen Vor-
leſung, — die ganze Natur liegt vor mir auf dem Praͤſentir-
teller — ſo wird mir von vorn herein klar, daß ich auf Voll-
ſtaͤndigkeit verzichten muß, und nur Einzelnes, Ausgewaͤhltes
zu geben im Stande bin. Es iſt nicht moͤglich, in einer Stunde
nur die bloßen Namen alles deſſen auszuſprechen, was der
Menſch ißt und eſſen kann.


Der mit der Natur in ſo innig liebendem Connex lebende
Eßkuͤnſtler wird wohl irgend eine gute Naturgeſchichte beſitzen,
oder, auf eine dringende Empfehlung, ſich anſchaffen, um ſich
zu orientiren. Gute Dienſte wuͤrde auch der dritte Band von
Tiedemann’s Phyſiologie leiſten, in welchem mit, heutiges
Tages außer Mode gekommener, ausgebreitetſter Gelehrſamkeit
alles Moͤgliche angefuͤhrt iſt, was die Menſchen aller Zeiten
und Laͤnder aßen und eſſen.


Einfache Formen und das Eſſen derſelben zunaͤchſt im
Auge, verweiſe ich in Beziehung auf deren Bereitungsart auf
den nicht genug zu ruͤhmenden „Geiſt der Kochkunſt.“ Ueber
Verbindungsart je der einzelnen Gegenſaͤtze glaube ich das
Noͤthigſte bereits angedeutet zu haben.


Als Nominal- und Realrepraͤſentant aller Speiſe wird von
civiliſirten Voͤlkern das Brod bezeichnet und betrachtet. Der
Mann hat ſein Brod, oder ſogar: ſein gutes Brod, heißt be-
[217] kanntlich ſo viel als: er hat ſeinen Lebenszweck erreicht, er kann
alle Tage heirathen, er iſt ein gemachter Mann.


Auch fuͤr die Betrachtung des Eßkuͤnſtlers iſt das Brod
ein nicht unwichtiger Gegenſtand. Es kann der Kruſte eine
kleine Kohle, etwas Aſche und dergleichen anhaften, es kann
mit ſo viel Kuͤmmel, Coriander und Fenchel beſtreut ſein, daß
ohne Entfernung dieſer Diſſonanzen das Eſſen vielfach beein-
traͤchtigt wuͤrde.


Daß das Brod uͤberhaupt weder altgebacken, noch zu neu-
gebacken ſein darf, iſt bekannt. Geizige Gaſtgeber und Wirthe
geben gerne uͤber Tiſch recht neugebackenes Brod, um uner-
fahrene Eſſer zu verlocken, recht viel davon zu eſſen, und ſo ſtatt
theurerer anderer Speiſe wohlfeileres Brod zu conſumiren. —
Man ißt in Deutſchland gewoͤhnlich ſchwarzes Brod uͤber Tiſch.
Man ſollte aber lieber Waizenbrod waͤhlen, wenigſtens zugleich
mit jenem zur beliebigen Dispoſition ſtellen. Bei dem feineren
Waizenbrod tritt eben doch der ſpezifiſche Geſchmack aller ein-
zelnen Speiſen beſtimmter hervor, waͤhrend der groͤbere Charakter
des ſchwarzen Brodes und deſſen Sauerteig-Aſſonanz manches
Zarte uͤberſtimmt und bedeckt. Zu einfachen Gegenſaͤtzen wie
Butter, Radieschen, Schinken, Kaͤſe ꝛc. beim Vesperbrod, unter
idylliſchen einfachen Verhaͤltniſſen im Freien, und ſonſt findet
dagegen das ſchwarze Brod beſſer ſeine Stelle und hier eignet
ſich vor Allem der treffliche Pumpernickel, Pompernickel, auch
Bonpournikel genannt.


Ein edler Sinn aber liebt edlere Geſtalten. Man wird
z. B. auch bei dem laͤngſten Aufenthalt in Paris das ſchwarze
Brod kaum vermiſſen.


Dem Brod nahe ſteht die Kartoffel, in ihren beſſeren
Arten und wohlgezeitigt eine ſehr ſchmackhafte Speiſe, und
zwar im einfachſten Zuſtande, in gluͤhender Aſche gebraten oder
mit Dampf gekocht, wohl am beſten. Mancher Eßnaturaliſt,
der ſich ſeine dampfende Kartoffel mit Salz und Butter innigſt
[218] wohl ſchmecken laͤßt, denkt nicht weiter daran, aus welchen
Gruͤnden dieſe Speiſe ſo weite Verbreitung gefunden, oder ſucht
hoͤchſtens die Urſache in deren Wohlgeſchmack, Wohlfeilheit,
leichtem Anbau, ſaͤttigenden Maſſenhaftigkeit, LudwigXV.,
und dergleichen. Er leſe aber eine neuere Eubiotik, und ſtaune
uͤber die tiefe Bedeutung des Kartoffeleſſens. Nichts Gerin-
geres naͤmlich, als „die rieſenhaft und ungeſtuͤm vorwaͤrts ſchrei-
tende Entwicklung der hoͤheren Beziehungen des Menſchenlebens
im Laufe der letzten Jahrhunderte machte die Kartoffeln inſtink-
tiſch als gelind gegenhaltendes und retardirendes Mittel zu einem
ſo ſehr verbreiteten Commestibel. Denn der Kartoffel iſt ſtets
eine narkotiſche Kraft in geringem Grade eigen, und durch dieſe
eben werden jene hoͤheren Beziehungen des Menſchenlebens ge-
daͤmpft und herabgezogen.“


Der Kartoffeleſſer braucht daruͤber nicht zu erſchrecken und
um ſeine hoͤheren Beziehungen bange zu werden, ſondern mag
getroſt forteſſen; es hat damit nicht ſo viel zu ſagen. Derſelbe
Verfaſſer bietet die beſte Hilfe. Der Caffée-Aufguß iſt naͤm-
lich, — was auch Manche nicht wiſſen, eines der wichtigſten
und wirkſamſten Hilfsmittel zur raſchen, energiſchen und viel-
ſeitigen Entwicklung des ſenſitiven und dadurch mittelbar ſelbſt
des hoͤhern geiſtigen Lebens in Europa durch die letzten Jahr-
hunderte.


Man hat alſo durch dieſes Correktiv die Sache in ſeiner
Hand. Wer Vormittags einer Sitzung beizuwohnen hat, in
welcher er dumm ſein ſoll, wird ſich die Sache durch ein Kar-
toffelfruͤhſtuͤck ſehr erleichtern. Iſt’s vorbei, ſo trinkt er ein paar
Taſſen Caffée, und iſt ſo geſcheidt, wie zuvor.


Es liegt ein furchtbar fruchtbarer Wink fuͤr diejenigen, die
wollen, daß es wieder ruͤckwaͤrts gehen ſoll, in dieſen Worten.
Sie brauchen blos den Caffée zu verbieten und zu bewirken,
daß Jeder Kartoffeln ißt. LudwigXV. beguͤnſtigte bekanntlich
den Kartoffelbau mit merkwuͤrdigem Eifer. Napoleon verbot
[219] den Caffée. — Welches ungeheure Licht geht einem auf, wenn
man ſo tiefſinnige Betrachtungen uͤber den Weltinſtinkt lieſt!


Indem ich nun zunaͤchſt der Suppen zu gedenken habe,
will und kann ich nicht verhalten, wie wuͤnſchenswerth aus den
wichtigſten Gruͤnden ich eine Annaͤherung unſerer Nation an
die Engliſche Eßweiſe erachte. In Koſthaͤuſern, bei Wirthsta-
feln, uͤberhaupt beim Zuſammenſtoßen Mehrer und Vieler, na-
mentlich proteſtantiſcher Menſchen, koͤnnte wohl damit begon-
nen, und durch gaͤnzliche Verbannung oder doch moͤglichſte
Beſchraͤnkung des Suppeneſſens und dadurch allein zu erzie-
lende große kraͤftige Rinder- und andere Braten das Erwuͤnſch-
teſte erreicht und erfuͤllt werden. Doch iſt die Gewohnheit des
Suppeneſſens zu feſt gewurzelt, als daß die Erfuͤllung ſolcher
Hoffnungen irgend wahrſcheinlich waͤre. Fuͤr den Familientiſch
ſiedet man Rindfleiſch der Bruͤhe wegen, und den Katholiken
ſtaͤnden ihre Faſttage u. a. entgegen. Moͤchte wenigſtens bei
eigentlichen hoͤheren Gaſtmaͤhlern auf die uͤber dieſe Angelegen-
heit bereits mitgetheilten Bemerkungen Ruͤckſicht genommen
werden.


Ich nahm einſt an einer Berathung uͤber ein zu veranſtal-
tendes Gaſtmahl Theil. Daß mein Antrag, die Suppe ganz
wegzulaſſen, trotz einer deßhalb gehaltenen langen und breiten
Rede, verworfen wurde, war faſt vorauszuſehen; ſchmerzlich er-
griff es dagegen, als das entgegengeſetzte Amendement einer in
Burgunder gekochten Sagoſuppe mit großer Stimmenmehrheit
durchging. Ich prophezeite das Ungluͤcklichſte, was leider ein-
traf. Obgleich die eifrigſten Wortfuͤhrer dieſer Suppe das Moͤg-
liche thaten, ſie ſchmackhaft zu finden, aus Rechthaberei ſelbſt
ſich zwei Mal davon geben ließen, ſo war das Simulirte und
Erzwungene dabei doch nicht zu verkennen. Andere ſchuͤtzten
Verſchiedenes vor, warum ſie nicht viel davon eſſen wollten;
Einige aber ſagten geradezu: ſie faͤnden keinen Geſchmack daran.


Doch genug uͤber einen ungeliebten Gegenſtand.


[220]

Viele Eßkuͤnſtler hegen eine nicht zu billigende Gering-
ſchaͤtzung gegen Gemuͤſe. Allerdings bilden Gemuͤſe keine
Speiſe fuͤr ſich, und ſollen dieß auch nicht; aber durch ſie und
die Salate koͤnnen ja zunaͤchſt nur die ſchon beſprochenen Ge-
genſaͤtze verwirklicht werden, und wie einzige, wie unerſetzliche
Geſchmaͤcke und Genuͤſſe gewaͤhren z. B. die blutreinigenden
und erfriſchenden, verſuͤßenden, mildernden und erquickenden
Gemuͤſe: Blumenkohl, Artiſchocken, Broccoli, Spargel, junge
Erbſen und Bohnenſchoten, Schwarzwurzel, Werſich, Spinat,
Endivien, Kohlrabi, Ruͤbchen ꝛc. ꝛc.


Haͤufig werden Gemuͤſe zerhackt aufgetragen und auf dieſe
Art die oft ſo ſchoͤne Blumen- und Blattform ganz zerſtoͤrt.
Ein ſinnig Eſſender wird, wo es geht, die Form auch miteſſen
wollen und alſo an dieſem Verfahren keine Freude finden. Man
giebt Blumenkohl auch kalt als Salat; warm als Gemuͤſe ge-
geſſen wird aber ſeine Zartheit wohl zuſagender verſtanden wer-
den. Auch Scorzonera iſt ſo beſſer. — Der Spargel wird
warm als Gemuͤſe faſt zu weichlich, und ſcheint als Salat zu
gewinnen. Wenn Gratarolus raͤth, den Spargel vor anderen
Speiſen zu eſſen, ſo beweiſt dieß blos, daß ihm die neuerkannte
Bedeutung der Gegenſaͤtze voͤllig unbekannt war. — Junge
Bohnen zeigen ſich als Gemuͤſe und Salat gleich gut und lie-
benswuͤrdig.


In Beziehung auf die Salate verdiente wohl die Franzoͤ-
ſiſche Sitte allgemeinere Nachahmung, daß der Salat ohne
Eſſig, Oel und Gewuͤrz aufgetragen, und vom Eſſer ſelber ge-
miſcht und nach Belieben zurecht gemacht wird. Meiſtens trifft
man auch in Deutſchland einen ungebuͤhrlichen Ueberſchuß von
Eſſig im Salat, waͤhrend umgekehrt viel mehr Oel als Eſſig
entſprechend iſt. Leider ſchmeckt aber das Oel haͤufigſt ſo ſchlecht,
daß man froh iſt, es durch den Eſſig uͤberdeckt und uͤberſtimmt
zu finden. Hat man aber gutes Oel, ſo wird durch deſſen
Ueberſchuß und durch geringeren Eſſigzuſatz der zarte Ge-
[221] ſchmack des Salats, beſonders des Garten- oder Kopfſalats,
gar ſehr erhoͤht. Sonderbarerweiſe beſeitigt man allenthalben
gewoͤhnlich bei’m Kopfſalat die groͤßeren Blattrippen, Kerne
und Herzen, welches Alles doch ſehr wohl ſchmeckt. So wird
gewoͤhnlich Sellerie auch zum Salat vorher abgekocht, wo-
durch er ganz fade wird. Als Suppenkraut mit Moͤhren, Porre,
etwas Peterſilie, Koͤrbelkraut, Portulack, Dragon ꝛc. abgekocht,
giebt er zwar eine vortreffliche Bruͤhe, als Salat aber ſollte er
ſtets ungekocht gegeben werden.


Mit Recht hat ſchon Unzer das unzweckmaͤßige Auspreſſen
der friſchen Gurken getadelt, wodurch ſie des einzig Nuͤtzlichen
und ſaftig Schmackhaften beraubt werden, was ſie enthalten.
Das Verdammungsurtheil, welches Galen uͤber dieſen milden,
lieblichen Salat ausgeſprochen, wird keinen Eßkuͤnſtler abhalten,
ſich denſelben auf’s Beſte ſchmecken zu laſſen. Er weiß, daß er
wohlgepfeffert ſein ſoll und wenig oder kein Oel verlangt.
Wozu er paßt, iſt ſchon geſagt. — Man pflegt Gurken gewoͤhn-
lich in Eſſig einzumachen. Dieß iſt ſehr gut; man ſollte dieß
aber auch oͤfter, als man pflegt, mit Salz thun, wodurch man
eine ſehr angenehme Abwechſelung erhaͤlt. Kaum begreiflich
iſt’s, wie man gekochte Gurken empfehlen kann, wie von un-
nachdenklichen Schriftſtellern gleichwohl geſchieht.


Von Obſt, Zucker und anderen Deſſertſachen wird am Ende
die Rede ſein.


Auch wenn Ariſtoteles es nicht ſchon geſagt haͤtte, wuͤrde
ein denkender Eſſer, der, was er ißt, auch wirklich ſchmecken will,
aus inneren Gruͤnden ſich aller Wuͤrzen nur mit aͤußerſter weiſer
Sparſamkeit bedienen. Es iſt unverantwortlich, wie oft die
beſten Speiſen durch Ueberwuͤrzung bis zur Ungenießbarkeit
verdorben werden, was in den ſeltenſten Faͤllen vom Eſſenden
verbeſſert werden kann. Zu ſcharfer Senf oder Meerrettig kann
zwar durch Zuſatz von gepulvertem Zucker leicht entſprechender
[222] gemacht werden. Wie aber iſt es moͤglich, z. B. eine Wurſt,
welche durch Baſilicum, Majoran ꝛc. entſtellt iſt, zu reſtituiren?


Eine Ueberwuͤrzung waͤre nur in jenen bedauerlichen Faͤllen
raͤthlich, wo man irgend eine widerſtrebende (namentlich Fleiſch-)
Speiſe durch Verhaͤltniſſe und Ruͤckſichten determinirt, zu eſſen
ſich gezwungen ſaͤhe. Je mehr Wuͤrze, um ſo weniger reiner
wahrer Geſchmack. Dieß gilt auch von zu ſtark gezuckerten Lob-
preißungen, ſo wenig es auch die Geprießenen ſelber merken
oder glauben.


Pilze und Schwaͤmme — Perſoon zaͤhlt einundvierzig
eßbare Gattungen auf — bilden den Uebergang zum Animali-
ſchen, koͤnnen dieß ſogar manchmal ergaͤnzen und ſurrogiren.
Der lohnende Genuß, welchen ſie gewaͤhren, verdient es wohl,
daß man ſich mit ihrer Naturgeſchichte genau vertraut macht,
um nicht auf ſchaͤdliche zu ſtoßen. Freilich wird der feingebil-
dete Geſchmack des Eſſenden am beſten uͤber ihre Gedeihlichkeit
entſcheiden, indem kein giftiger Pilz gut ſchmeckt. Doch iſt
dieſe feinere Geſchmacksausbildung nicht bei jedem Eſſer vor-
auszuſetzen. Schwaͤrzt ſich ein in das aus Schwaͤmmen bereitete
Gericht getauchter ſilberner Loͤffel, ſo verzichte man auf’s Eſſen.


Uebrigens vertragen die meiſten derberen Pilz- und
Schwammarten etwas reichlichere Wuͤrzzuſaͤtze, welche man in
gegebenen Faͤllen nachtraͤglich zu ergaͤnzen ſich nicht geniren
ſollte. Der nachſalzende oder nachpfeffernde Eſſer ſpricht da-
durch nicht nur keinen abſoluten Tadel uͤber das concrete Ge-
richt aus, ſondern er kann ja, nach Bedarf, ſeine (angebliche)
Gewohnheit nachzuwuͤrzen, ſchlau ſelbſt tadelnd, mit um ſo we-
niger Anſtoß ſeine Abſicht erreichen.


Trotz des Reichthums der ſchmackhafteſten Einzelheiten,
welche wir dem Pflanzenreich verdanken, die aber hier nicht
fuͤglich aufzuzaͤhlen ſind, koͤnnte doch auch dieſer Kreis noch be-
deutend erweitert werden, wie man z. B. bei Tiedemann
finden wird.


[223]

Wie nun das Brod als Repraͤſentant des Vegetabiliſchen,
ſo tritt das Rindfleiſch als der des Animaliſchen auf. Beides
ißt man taͤglich, ohne deſſen jemals uͤberdruͤſſig zu werden, und
haͤtte einer Mahlzeit eines von beiden gefehlt, ſo wuͤrde man
ſagen, man habe eigentlich gar nicht gegeſſen.


Vom Fleiſch aber uͤberhaupt und im Allgemeinen gilt, daß
blos die Muskelſubſtanz eigentlich den Namen Fleiſch verdient
und als ſolches zu achten und zu eſſen iſt. Der ſanfte Gegenſatz
des Fettes ergaͤnzt allerdings die etwas trockene und ſproͤde
Muskelfaſer vortrefflich, doch iſt das Fleiſch die Hauptſache —
die maͤnnlichen, thatkraͤftigen Muskeln ſchmecken und naͤhren —
und das weiblichere Fett nur Beigabe, Zuſatz, Mitgift, welche
letztere leider ſo oft fuͤr die Hauptſache gilt.


Das Muskelfleiſch muß aber gebraten ſein; gekochtes Fleiſch
iſt eigentlich blos etwas mehr, als gar keines.


Mit dem Herz iſt’s eine eigene Sache. Wohl iſt es das
in ſich feſteſte und dichteſte Fleiſch, aber dabei denn doch zu-
gleich auch ſchwach und fad. Doch mag’s den naͤchſten Rang
nach dem eigentlichen Fleiſch einnehmen, wenn man dieſen an-
ders nicht der, dem Merkur, dem Gott der Ueberredung geweih-
ten, Zunge, dem zarteſten Fleiſch, zugeſtehen will. Demnaͤchſt
kaͤmen Nieren, Druͤſen, Kuheuter, Bockshoden, Lebern, Hirn.
(Nach Avicenna iſt Schoͤpſenhirn beſſer als Kalbshirn.) Am
letzten kommt Blut.


Die ſchwammig poroͤſen Lungen und Milze lehnt der Eß-
kuͤnſtler ab. — Gekroͤſe, Euter und Hoden werden mit Unrecht
von Manchen eben ſo uͤbertrieben erhoben, als von Anderen fuͤr
gar nichts geachtet. Sie haben ihr Gutes, und wer’s zu ſchaͤtzen
weiß, laſſe ſich es wohlſchmecken.


Die alten Roͤmer ſchaͤtzten beſonders die weiblichen Ge-
ſchlechtstheile der Schweine und Plutarch ſagt ſogar: Vulva
porci nihil dulcius ampla.
— Sumen waren die Bruͤſte einer
Sau, die eben geworfen, und an der die Jungen noch nicht geſaugt
[224] hatten, woruͤber man Martial vergleichen kann. — Beſondere
Feinheit verraͤth dieſer Geſchmack wohl nicht, wenn ſchon Raf-
finement. — Bei Horatius findet man die Leber mit Feigen
gemaͤſteter Schweine als beſondere Delicateſſe erwaͤhnt. Man
leſe deſſen zweite Satyre des zweiten Buches, etwa mit Wie-
land’s
Noten, woraus man allerlei lernen kann, wenn man
dabei nicht vergißt, daß der Dichter den Oſellus hier manche
Anſichten in den Mund legt, die er weit entfernt war, zu den
ſeinigen zu machen.


Man hat ſehr daruͤber geſtritten, welche Thiere das beſte
Fleiſch liefern, und namentlich concurrirten hier Rind und
Schwein. Galen behauptet an mehreren Stellen, daß Schweine-
fleiſch unter allen Speiſen, die wir kennen, am nahrhafteſten
ſei. Auch Hippokrates empfiehlt bei Erſchoͤpfung durch koͤr-
perliche Anſtrengungen vor Allem Schweinsbraten als das Beſte.
Die Salernitaniſche Schule lobt, auf ſolche Auktoritaͤten hin,
Schweinfleiſch uͤber die Maaßen als allem andern Fleiſch durch-
aus vorzuziehen, und zwar aus dem Grunde, weil es die meiſte
Aehnlichkeit und Wahlverwandtſchaft zu dem des Menſchen
habe. Kenner, welche Menſchenfleiſch und Schweinefleiſch ver-
ſucht, haͤtten keinen Unterſchied gefunden. —


Celſus war fuͤr’s Rindfleiſch und auch dieſe Auktoritaͤt
fand viele Anhaͤnger. Bekanntlich ſchloſſen und ſchließen reli-
gioͤſe Gruͤnde eine Menge Menſchen (Juden, Araber ꝛc.) von
dem Genuß des Schweinfleiſches aus. Vielleicht war dieß ein
Grund mehr, warum ſich eine uͤberwiegende Mehrzahl von
Menſchen zu Gunſten des Rindfleiſches erklaͤrten. So fing
denn das Disputiren an.


Wollte die eine Partei vom moraliſchen Geſichtspunkt aus
das Schwein einer zu ſinnlichen Weltanſchauung, einer epiku-
raͤiſch materialiſtiſchen Philoſophie, einer zu objektiven Natur-
poeſie bezuͤchtigen, ſo durfte wohl die Gegenpartei dem Ochſen
[225] Bornitur, lyriſche Befangenheit und ſpießbuͤrgerlich beſchraͤnkte
Subjektivitaͤt zum Vorwurf machen.


Vergebens mochten Dritte zu bedenken geben, daß beide,
Ochſe und Schwein, zwei gleich werthe animaliſche Mitglieder
der Geſellſchaft ſeien, jedes derſelben gleich befugt ſei, dazuſein,
jedes gaͤbe, was es eben haͤtte und waͤre, jedes von beiden
ſeine ſpezifiſchen trefflichen Eigenſchaften habe; dem Charakter
des Schweins zwar groͤßere Vielſeitigkeit, dagegen dem des
Ochſen groͤßere Simplicitaͤt nicht abgeſprochen werden duͤrfe,
da dieſer Gras, jenes aber alles Moͤgliche freſſe und verdaue,
daß uͤbrigens bei Geſchmacksurtheilen nicht vom moraliſchen,
ſondern vom aͤſthetiſchen Geſichtspunkte aus der Gegenſtand auf-
zufaſſen ſei, daß uͤbrigens gar nicht abzuſehen ſei, warum ein
Ochs ſittlicher ſein ſolle, als ein Schwein, — es brachte keine
Entſcheidung.


Was die Einen als lebensluſtige und kraͤftige ſchoͤne Hei-
terkeit prieſen, tadelten die Anderen als faunenhafte Frivolitaͤt.
Dagegen ſchalten jene traurigen Bloͤdſinn und melancholiſches
Wiederkaͤuen, was dieſe maͤnnlich ernſte Stimmung und hoͤhere
Wuͤrde nannten.


Die eine Partei ſtieß ſich immer an den abſtrakten Be-
griff: „Schweinerei,“ die andere an den: „Ochſenhaftigkeit,“
und beide warfen ſich beides vor und vergaßen, wie trefflich
concrete Schweins- und Rindsbraten wirklich ſchmecken.


Vergebens wuͤrde man chemiſch, phyſiologiſch, hiſtologiſch,
zootomiſch ꝛc. nachgewieſen haben, daß der große Unterſchied,
den man finden wolle, zwiſchen beiden ſtreitigen Objekten we-
ſentlich gar nicht vorhanden ſei.


Einzelne, zwiſchen beiden ſchwankend, gaben nur einzelne
zufaͤllige Urtheile, die natuͤrlich um ſo weniger entſcheiden konn-
ten. So ſagte z. B. der Junker Tobias in Shakeſpeare’s
Was ihr wollt: „Mir iſt, als haͤtt’ ich manchmal nicht mehr
Witz, als ein Chriſtenſohn oder ein gewoͤhnlicher Menſch hat.
15
[226] Aber ich bin ein großer Rindfleiſcheſſer, und ich glaube, das
thut meinem Witz Schaden.“


Manche zogen Dinge in den Streit, die gar nicht herge-
hoͤrten, z. B. daß die Mahlerpinſel aus Schweinsborſten ſeien
und dergleichen.


Auch vom patriotiſchen Geſichtspunkte ſollte die Sache
debattirt werden. Die Volkpartei war fuͤr das Rindfleiſch; die
Ariſtokraten zogen Schweinsbraten vor.


Die Trivialen ſagten, dieſer ſei mehr fuͤr den Kopf, jenes
fuͤr’s Herz, worunter ſie ihren Magen verſtanden.


Die Verehrer der Wahrheit in der Mitte beſtritten die Zu-
laͤſſigkeit der Frage uͤberhaupt. Andere dergleichen tadelten und
lobten bald an dieſem jenes und dieſes, bald an jenem dieſes
und jenes, — und Leute, welche uͤberhaupt Fleiſchſpeiſen nicht
vertrugen oder an beſtimmten Tagen weder Rind- noch Schwein-
fleiſch eſſen durften, behaupteten eifrig, es tauge beides nichts.


Selbſt zwei große Deutſche Dichter wurden gewiſſermaßen
in die Sache compromitirt. Schiller hatte den Pegaſus im
Joche neben einen Stier geſpannt, ſeinen Carl Moor ſich ſel-
ber mit Perillus Ochſen vergleichen laſſen und im Wilhelm
Tell
ſogar eine Kuh, „die braune Lieſel“ verewigt. Goethe
ſchrieb in ſeiner Campagne in Frankreich woͤrtlich: „Nahe an
einem großen zweiſchlaͤfrigen Ehebett mit gruͤnem Raſch ſorg-
faͤltig umſchloſſen, hing das geſchlachtete Schwein, ſo daß die
Vorhaͤnge einen maleriſchen Hintergrund zu dem erleuchteten
Koͤrper machten. Es war ein Nachtſtuͤck ohne Gleichen.“


Darin fand der blinde Partei-Eifer auf beiden Seiten
Patronate, oder, was daſſelbe iſt, glaubte ſie zu finden. Der
Streit dauerte nichts deſto weniger, oder vielmehr um ſo mehr
fort, und jede Partei blieb, wie gewoͤhnlich, am Ende bei ihrer
Meinung.


Soll ich meine Meinung ſagen, ſo iſt das Engliſche,
Shakeſpeariſch kraͤftige Vorbild Roaſtbeef eine treffliche, eben
[227] ſo urkraͤftige, als wohlſchmeckende Speiſe, die hoͤchſte Urſpeiſe.
Die Deutſchen Nachahmungen ſind merklich matter und weni-
ger nahrhaft: geſottenes Rindfleiſch aber, wie ſchon bemerkt,
ohne alle Kraft und ſo wenig anſprechend, wie ein durch un-
aufhoͤrliches Thraͤnenvergießen entmannter Menſch. Die Fran-
zoͤſiſchen Boeufs à la Mode — ja wohl à la Mode! — mit
jenem Urbilde verglichen, ſind rein eine Sardelle gegen einen
Wallfiſch. Es kann davon gar keine Rede ſein. Jenes Deutſche
Rindfleiſch aber ſagt beſonders dem allgemeinen Hausgebrauche
zu. Schweinsbraten wird von Vielen, namentlich Nichteßkuͤnſt-
lern, nicht ſo gut vertragen, iſt ſchon ein leckereres Gericht, außer-
ordentlich vortrefflich wohlſchmeckend und nahrhaft, und bildet,
mit jenem Engliſchen Roaſtbeef zur Baſis, eine ſchoͤne, reiche
Mannigfaltigkeit.


Vergleicht man aber jenes ſchon benannte ausgeſottene
Rindfleiſch mit dem originalen ſaftvollen Schweinsbraten, ſo
bin ich unbedingt auf Seiten des Hippokrates, Galen und
der Salernitaniſchen Schule, ſo gute Kranken-Suppen auch
Rindfleiſchbruͤhe geben moͤge.


Wohl zu beherzigen iſt, daß am Spies Gebratenes vor
allem anders Gebratenen den Vorzug verdient. Man ver-
gleiche z. B. am Spies gebratenen mit dem gewoͤhnlichen
Schweinsbraten, und man wird hochgeſteigerten Genuß finden.
Auch muß Avicenna und Rhazes vollkommen Recht gegeben
werden, daß fuͤr thatkraͤftige und arbeitſame Maͤnner die fette
Fuͤlle und naͤhrende Kraft des Schweinsbratens zunaͤchſt paſſe.
Fuͤr traͤumende Phantaſten iſt aber geſottenes Rindfleiſch ſehr
entſprechend, wenn auch nicht ſtaͤrkend.


Wie man nun uͤber die genannten beiden Eßbarkeiten uͤber-
haupt geſtritten, ſo erſtreckte ſich der Disput auch auf
ihre einzelnen Stuͤcke. — Doch wuͤrde mich dieß, da ich gar
mehr Andres zu beſprechen habe, zu weit fuͤhren, und ſtelle
15*
[228] ich deßhalb billig dem Ermeſſen meiner ſehr verehrten Herren
Zuhoͤrer ſpezielle Urtheile hieruͤber anheim.


Dagegen habe ich der liebenswuͤrdigen Sproͤßlinge beider
genannter Quadrupeden, des Kalbes und Ferkels zu gedenken.
Was ließe ſich aber nicht hieruͤber allein ſagen?


Wie ſchwer iſt es zu beſtimmen, — es giebt nun einmal
Leute, die Alles beſtimmt haben wollen — ob die ſaftige Kalbs-
bruſt, der ſtaͤrkere Schlegel (ſehr wohl auch als Sauerbraten
zu verſpeiſen), der zarte Nierenbraten mit ſeinem an’s Aetheriſche
ſtreifenden markigen Fett, die nahrhaften Kalbsfuͤße und der
ſo manche ergoͤtzliche Auswahl darbietende Kalbskopf den Vor-
zug verdiene. Am beſten iſt’s, ſich Alles wechſelsweiſe ſchmecken
zu laſſen. Doch ſei das Kalb, welches ſchmackhaft ſein will,
nicht allzujung. Galen fordert achtwoͤchentliches Alter, auch
die Polizei will nicht, daß zu junge Individuen publik werden
ſollen. Was hilft’s? uͤberall ſtoͤßt man leider auf Gelbſchnaͤbel,
die noch mehr Milch als eigentliches Fleiſch ſind.


Wenn Galen zu alte Schweine zum Genuß ungeeignet
findet, hat er vollkommen Recht, daß er aber, lediglich das
Fleiſch ein- oder zweijaͤhriger Schweine empfehlend, die uͤber-
aus leckeren und koͤſtlichen Ferkel hintanſetzt, wird ihm kein
denkender Eſſer verzeihen. Auch uͤber die Guͤte der einzelnen
Theile des Ferkels curſiren die verſchiedenſten Anſichten. Ohne
mich damit zu befaſſen, bemerke ich im Allgemeinen, daß, wenn
man etwas pfeffert und guten feinen Senf dazu ißt, man ſehr
wohl thun, und mehr wird eſſen und vertragen koͤnnen, als ir-
gend ein neidiſcher Miteſſer, der dieß nicht weiß.


Ueber Schinken und Wuͤrſte waͤre wohl Manches zu ſagen,
waͤre nur die mir gegoͤnnte Zeit nicht zu kurz. Wer aber
kennt nicht die Schinken von Weſtphalen, Bayonne, Bor-
deaux ꝛc., und die Wuͤrſte von Braunſchweig, Bologna,
Goͤttingen, Gotha ꝛc.? — Sie erfreuen ſich wohlverdienten
allgemeinen Ruhmes. Aber „Manche ſind beruͤhmt, Andere
[229] verdienten es zu ſein.“ — So kann ich es nicht unterlaſſen,
auf die weniger beruͤhmten, aber um nichts weniger trefflichen
Nuͤrnberger Bratwuͤrſte aufmerkſam zu machen. Goethe fand
ſie ſo ſchmackhaft, daß er ſie mit der Poſt von Nuͤrnberg
nach Weimar kommen ließ.


Curioſitaͤten und Monſtra, wie z. B. die Anno 1601 in
Koͤnigsberg conſtruirte 2010 Fuß lange Wurſt, haben blos
hiſtoriſchen Werth.


Vom Wurſtgift und was damit zuſammenhaͤngt, z. B.
Juſtinus Kerner zu ſprechen, waͤre unerfreulich.


Ich bleibe bei der werthen Verwandtſchaft, und nenne
hier gleich das Wildſchwein. Galen zieht es zahmen vor.
Es iſt ſonderbar, aber ſehr natuͤrlich, daß der Menſch uͤberall
vergleicht, uͤberall etwas beſſer, vorzuͤglicher finden zu muͤſſen
glaubt. — Schnell fertig iſt die Jugend (auch das Alter) mit
dem Wort. — Gleich heißt ihr Alles ſchaͤndlich oder wuͤrdig;
boͤs oder gut. — Iſt denn die Nelke beſſer als die Narziſſe?
Beide ſind ja nur anders. Und anders iſt allerdings auch das
Wildſchwein. Man wird, wie man auch appretiren mag, dem
erfahrenen Eßkuͤnſtler niemals ein zahmes Schwein fuͤr ein
wildes geben koͤnnen, obſchon eine feine Zunge dazu gehoͤrt, es
immer zu unterſcheiden. Dagegen ſcheint mir der Werth des
Wildſchweinskopfs haͤufig ſehr uͤberſchaͤtzt zu werden. Schon
Meleager gab der Atalanta den Kopf des Ebers, von wel-
cher derſelbe (eigentlich jeder, Eber und Meleager) angeſchoſſen
war, als das Beſte. Auch heute noch hoͤrt man daſſelbe Ur-
theil. Ich geſtehe, daß mir und meinem Geſchmacke ein wohl-
appretirtes Ochſenmaul lieber iſt. Es hat mehr Charakter,
welchem zu viel Fett unguͤnſtig iſt.


Ziegenfleiſch kommt nach Galen — dem Rhazes beizu-
ſtimmen ſcheint — gleich nach dem Schweinfleiſch, dann erſt
das Kalbfleiſch. Dieß lobt aber Averrhoes ſehr, beſonders
wegen deſſen odoris suavioris et jucundioris, und zieht es
[230] dem Lammfleiſch vor, von dem auch Galen glaubt, es tauge
weniger, denn es ſei humida, lentoremque ac macorem in se
habens.
Allerdings taugt ein altes mageres Schaaf nichts;
wie aber iſt’s mit einem jungen, runden, ſchneeweißen Schaͤf-
chen? — Man hat das Schaaf wild machen wollen, es auf
Wildpretart zugerichtet, ja betruͤgeriſche Wirthe geben es wohl fuͤr
Rehbraten aus. Es ſchmeckt aber auch nach allem Andern eher,
als nach Wildpret, da der idylliſch ſanfte Charakter des Schaafs
aller Wildheit vom Hauſe aus widerſtrebt. Daſſelbe gilt vom
zahmen Kaninchen.


Dagegen will Wildpret mortifizirend und beitzend behan-
delt ſein. Doch waͤr’s uͤberfluͤſſig, die Jedem bekannten wonne-
vollen Genuͤſſe, die wir Hirſchen, Rehen und Haaſen verdan-
ken, eigens zu beſprechen. Mit Recht duͤrfen aus forſtpolizei-
lichen Gruͤnden die zarten Gattinnen der genannten geweih-
tragenden edlen Thiere nicht geſchoſſen werden. Trotz dem kommt
dieß aus allerlei Urſachen bekanntlich nicht gar zu ſelten vor.
Kann man auf dieſe Art eine Rehgais, eine Hirſchkuh ꝛc. be-
kommen, ſo verſaͤume man ja nicht, davon zu profitiren. Es
iſt koͤſtlich! — Zu den individuellen Geſchmacksangelegenhei-
ten gehoͤrt es wohl, daß Manche Rehleber fuͤr ſo beſonders wohl-
ſchmeckend halten.


Hab’ ich nun noch Eichhoͤrnchen und Gemſen genannt,
ſo ſind ſo ziemlich alle Eßbarkeiten beiſammen, die wir aus der
Claſſe der Saͤugthiere nehmen. Denn junge Kameele und
Dromedare, Antilopen, Rennthiere, Biſamochſen, Murmelthiere,
Affen, Faulthiere, Armadille, Beutelthiere, Kaͤnguruhs, Tapire,
Elephanten, Flußpferde und Seekuͤhe, Loͤwen, Baͤren, beſon-
ders die delikaten Baͤrentatzen, Eisbaͤren, Otahïtiſche Hunde,
Robben, Walroſſe, Walfiſche u. a., womit andere Nationen
ihren Eßſchatz bereichern koͤnnen, ſind leider bei uns kaum auf-
zutreiben. Vom Elephanten bemerke ich noch, daß, laut Nach-
richten aus Genf, wo neulich einer erſchoſſen und verſpeiſt
[231] wurde, das Fleiſch theurer abging als Rindfleiſch und auch viel
ſaftiger und ſchmackhafter befunden wurde.


Vom Eſels-, Pferde- und Hundefleiſch, welches alles Hip-
pokrates
hoͤchlich lobt, will ich nicht beſonders reden, aber
die fruͤher als Leckerbiſſen beruͤhmten Siebenſchlaͤfer, die auch
bei uns, namentlich in Suͤddeutſchland, vorkommen, — ſo wie
Hamſter, Dachſe, Bieber, verdienten verſucht zu werden, und
ich werde die erſte ſich mir darbietende Gelegenheit mit Freuden
ergreifen, hieruͤber eigene Erfahrungen zu ſammeln.


Wenn auch den Fuchs ſeine eminenten Geiſtesgaben zur
Menſchenſpeiſe ſehr wohl befaͤhigten und wuͤnſchenswerth mach-
ten, ſo verſichern doch einige Kritiker, daß ſein Geſchmack hin-
ter ſeinem Witz meilenweit zuruͤckbleibt. Daſſelbe will man
von Rabelais, Abraham a Sancta Clara, Kant und noch
einigen Anderen behaupten. — Es iſt aber zu bemerken, daß
die Roͤmer Fuͤchſe geſchmackvoll fanden, wenn ſie mit Trauben
gemaͤſtet waren.


Den Saͤugethieren zunaͤchſt ſtehen die Voͤgel. Was aber
das Rindfleiſch unter den Saͤugthieren, das iſt das Huhn
unter den Voͤgeln, und es gilt hier auch ganz das, was dort
uͤber Braten und Sieden ꝛc. geſagt wurde.


Jeder nur einigermaßen Gebildete kennt die annehmliche
ſpezifiſche Verſchiedenheit der Geſchmaͤcke von Huͤhnchen und
Haͤhnchen, Poularde und Kapaun. Galen, Avicenna, Me-
ſues, Simeon Sethi
u. A. loben beſonders die Hoden junger
Haͤhne als gleich wohlſchmeckende und erſprießliche Delicateſſe.


Daß Vogelhirn uͤberhaupt fuͤr das feinſte gilt, und als
wie verdienſtvoll die Lebern vieler Voͤgel zu ſchaͤtzen ſind, iſt be-
kannt. Eben ſo allgemein anerkannt iſt die Trefflichkeit des
Faſans, uͤber deſſen Wohlgeſchmack alle Schriftſteller uͤberein-
ſtimmen.


Groß ſteht der Truthahn und die Truthenne da, und ge-
waͤhrt nicht nur die befriedigendſte Fuͤlle des Genuſſes uͤberhaupt,
[232] ſondern, je nach den verſchiedenen Theilen, auch die lieblichſte
Mannigfaltigkeit der Geſchmaͤcke. In der Gegend von Lyon
werden ſie mit Wallnuͤſſen gemaͤſtet, — eine herrliche Idee! —
Geſtatten es die Umſtaͤnde, ſo wird der Eßkuͤnſtler wohl thun,
von einem gebratenen Truthahn Einiges zu retten, um es am
andern Tag, ſo etwa um 10 Uhr Morgens, zu Bricken und
einem guten Glas Wein, kalt zu verſpeiſen.


Auerhahn und Auerhenne haben bei aller Verſchiedenheit
doch viel Aehnliches mit ihren oben genannten zahmen Ver-
wandten.


Gans und Ente koͤnnte man wohl die Schweine der Vo-
gelgeſchlechter nennen. Man fehlt haͤufig darin, daß man ſie
zu alt conſumirt. Sumpf- und Waſſervoͤgel ſtehen uͤbrigens
in der Regel, doch nicht ohne bedeutende Ausnahmen, den friſch
in freier Luft lebenden an Feinheit nach.


Tauben fliegen im Schlaraffenland bekanntlich gebraten
herum und gelten dem Volke als Prototyp des Delicaten. Der
hoͤhere Eſſer ſtimmt nicht bei. Doch iſt der Unterſchied erſtaun-
lich, der zwiſchen gebratenen Tauben und gebratenen Tauben
Statt findet. Doch gehoͤrt dieß mehr in’s Gebiet der Kochkunſt,
die, wie ich ausdruͤcklich nochmals bemerke, fuͤglicher Bratkunſt
genannt zu werden verdient.


Als einzig in ihrer Art glaͤnzen Schnepfen und Rebhuͤh-
ner. Man vergegenwaͤrtige ſich lebhaft die durch ſie erlebten
Genuͤſſe, und laſſe mich ſchweigen. Doch mag im Allgemeinen
ausgeſprochen ſein, daß alles wilde, in der Freiheit Lebende be-
ſtimmteren Charakter und anregenderen Geſchmack hat. So
bemerkt ſchon Avicenna, daß wilde Tauben ſchmackhafter ſind,
als Haustauben. —


Soll ich noch anderer Wald- und Feldhuͤhner gedenken,
der Wachteln, Rothhuͤhner, Frankolins, Haſelhuͤhner, der Fin-
ken, Kernbeißer, Ammern (Ortolan), Droſſeln, Lerchen u. a.?
— die Nachtigallen kann ich doch kaum uͤber’s Herz bringen,
[233] zu nennen — wer kennt ſie nicht ſo gut, wie die Regenpfeifer,
Strandlaͤufer, Rohr- und Waſſerhuͤhner?


Krammetsvoͤgel traͤgt man nicht ſelten unausgeweidet auf:
man ſollte es aber nicht thun.


Ich ſchweige von den uns weniger zugaͤnglichen Straußen,
Flamingos, Papageien ꝛc., kann aber nicht umhin, zu bemerken,
daß man in Italien, beſonders in Rom, Weihen, Sperber,
Kirchfalken, Staare, Dolen, Dompfaffen oder Gimpel, in
Frankreich Raben, in Pohlen Kraniche ißt, und daß man dieß
auch in Deutſchland probiren koͤnnte.


Ueber die Eßbarkeit und Gedeihlichkeit der Staare, Wach-
teln, Amſeln ꝛc. haben Avicenna, Averrhoes, Baldachus,
Aloiſius Mundella, Rabbi Moſes, Pſellus, Rhazes,
Savonarola
und andere Celebritaͤten viel geſtritten und ge-
ſchrieben, was ich blos anfuͤhre, um es anzufuͤhren.


Veraltet ſind: Schwanbraten, Stoͤrche, Pfauen ꝛc. —
vielleicht mit Unrecht. Das etwas trockne Fleiſch der Pfauen
eignete ſich beſonders zu laͤngerer Aufbewahrung.


Auch Perlhuͤhner, Kibitze und Trappen ſollte man nicht
ſo ſehr vernachlaͤſſigen, als man gleichwohl pflegt.


Aloiſius Mundella raͤth die, der Aphrodite heiligen,
Spatzen, welche man ſchoͤner Sperlinge nennt, fuͤr manche Ver-
haͤltniſſe. Hieruͤber aber, ſo wie uͤber die Guͤte und Erſprieß-
lichkeit der verſchiedenen Vogeleier herrſcht unendlich viel Vor-
urtheil und Aberglauben, welchen man bei ſo unſchaͤdlichen
Richtungen vielleicht am beſten thut, unangefochten zu laſſen.


Ueber die Indianiſchen Vogelneſter iſt ſchon geſprochen.
Da ſie fuͤr die Meiſten unerreichbar ſind, ſo dient es zur Be-
ruhigung, wenn man ſagt, es waͤre nichts Gutes daran.


Von den zweideutigen Amphibien, die zum Thierreiche
gerechnet werden, kommen in Deutſchland zunaͤchſt die wetter-
verkuͤndigenden Froͤſche — die ſelteneren Vipern weniger — in
Betracht. Hier ſieht man recht, was Befangenheit und Vor-
[234] urtheil vermag, indem die uͤberaus zarten Froſchſchenkel haͤufig
von der unnachdenklichen Menge faſt mit Abſcheu verſchmaͤht wer-
den. — Andere ſagen, ſie wuͤrden bei’m Froſcheſſen erſt recht
hungrig. O Unnachdenklichkeit! — als ob nicht gerade in die-
ſem Umſtande die ſchoͤnſte Buͤrgſchaft eines laͤngſtmoͤglich fort-
geſetzten Genuſſes laͤge! — Wer uͤberhaupt ißt, um den Ma-
gen zu fuͤllen, verdient gar nicht zu eſſen.


Zu den, aus Unkenntniß und Mangel eigener Erfahrung,
haͤufig uͤberſchaͤtzten Eßbarkeiten gehoͤren die Schildkroͤten. Ich
habe in Italien oͤfters welche gegeſſen, es iſt nicht der Muͤhe
werth, zu bedauern, daß ſie nicht auch bei uns heimiſch
ſind, was ſie noch dazu ſehr leicht gemacht werden koͤnnen.
Doch hat es tiefe Bedeutung, wenn Apollo zur Schildkroͤte
ſagt: „Wenn du todt biſt, dann wird erſt dein Geſang an-
heben.“


Ueber die ebenfalls eßbaren Krokodille, Leguans, und de-
ren Eier, ſo wie uͤber die Rieſenſchlangen, welche wie Schwein-
fleiſch ſchmecken ſollen, weiß ich nichts zu ſagen, welches zu ſa-
gen mir ſchwer ankommt.


Die Fiſche ſind eigentlich wohl Fleiſch; eigentlich aber auch
kein Fleiſch. Statt daruͤber zu ſtreiten, laſſe man ſie lieber
ſich ſchmecken.


Im Allgemeinen gilt, daß in ſtehenden Waſſern, tieflie-
genden Teichen, ſumpfigen langſam fließenden Fluͤſſen lebende
Fiſche indifferenter, dumpfer, fetter und doch ſchwerer ſind;
denn es kommt auf der Welt ſehr viel auf die Umgebung an.
In freier See hauſende Fiſche haben durchaus entſchiedeneren,
ſtaͤrkeren, feſteren Charakter. Gleich gut und etwas milder zei-
gen ſich die in ſchnell fließenden Stroͤmen und groͤßeren Land-
ſeen.


Vorzuͤglich geſchaͤtzt ſchon von Alters her wegen hoͤherer
Feinheit ſind die Fiſche, welche in hochgelegenen, raſch fließen-
den kleineren Fluͤſſen mit Kies- und Felsgrund ein frei beweg-
[235] liches Leben fuͤhren, daher, nach Galen, von den Alten Pisces
saxatiles
oder petrosi genannt, wozu beſonders die Forellen
gehoͤren.


Mit Recht, denn ſie verdienen es, gelten manche Fiſchle-
bern, beſonders die des Hechts, der Aalputte (Gadus Lota)
u. a., als feine Delicateſſen. Daſſelbe gilt von den Eiern der
Karpfen, Hechte, Barſche, Lachſe, Forellen, Stoͤre — Caviar,
NB. fluͤſſiger Caviar. —


Es kommt als eigne Erſcheinung im Menſchenleben vor,
daß man hinten ſucht, was vorn, unten, was oben, links,
was rechts iſt. So glauben manche Nationen, z. B. die Be-
wohner von Belutſchiſtan, Fiſcheſſen mache dumm. Es iſt
allerdings nicht klug, wenn man ſich mit Fiſchen begnuͤgt, wo
man Fleiſch haben kann. Aber das Dummmachen der Natur
vorzuwerfen, zeigt wirklich von keiner großen Weisheit. O
Himmel! die Natur iſt hier außer aller Schuld. Dieß wird ſyſte-
matiſch, kuͤnſtlich betrieben; ja das Sichdummſtellen haben zu
allen Zeiten, wie jetzt, Viele zu ſolcher Virtuoſitaͤt gebracht,
daß man irre wird, ob ihre taͤuſchenden Darſtellungen nicht
wirklich natuͤrlich ſind.


Daß Graͤtenfiſche mit vieler Vorſicht zu eſſen ſind, ſagt
man ſchon den Kindern, und doch vergeſſen es oft die Erwach-
ſenen zu ihrem groͤßten Nachtheil.


Fiſche duͤrfen bei einem Gaſtmahl niemals als Haupt-,
ſondern immer nur als Zwiſcheneſſen betrachtet werden, fordern
ſtaͤrkeren Gewuͤrzzuſatz, eignen ſich ihres Fettes wegen auch zum
Sieden; Fiſchbruͤhe aber iſt etwas Trauriges.


So viel im Allgemeinen. Indem ich aber uͤber die ein-
zelnen Fiſche ſprechen will, wimmelt eine ſo große Anzahl vor
mir herum, daß ich kaum weiß: „wo beginn’, und wo
end’ ich!“


Ich nenne — aber nicht aus lexikographiſchen Gruͤnden —
den Aal zuerſt, denn er, der Treffliche, iſt der vor Allen Ver-
[236] kannte, Vielverlaͤſterte und Verrufene, der auch, wie Maria
Stuart
und Madame F., ſagen koͤnnte: „ich bin beſſer als
mein Ruf!“ Es iſt auch jetzt noch, wo es, wie die Koͤnigin
im Don Carlos ſagt, keine Ritter mehr giebt, Pflicht, ſich der
leidenden Unſchuld anzunehmen.


Die Auktoritaͤt Galen’s iſt wohl an dieſer uͤblen Nachrede
eben ſo ſehr Urſache, als der unnachdenkliche Genuß und die
ungeeignete Zurichtung. Auch der beruͤhmte Gratarolus betet
dem Galen das Verdammungsurtheil uͤber den Aal nach, ohne
jedoch deſſen Wohlgeſchmack laͤugnen zu koͤnnen, ja der Beruͤhmte
wird hier grob, wie Beruͤhmte oͤfter, indem er, die milden
Annehmlichkeiten der Aale zugeſtehend, ſagt: „quamvis hellu-
onum guttur leniant suaviter.“
Da der Beruͤhmte aber die
Krebſe zu den Fiſchen rechnet, eine eigne Giftvene des Aals
annimmt, und glaubt, man koͤnne Jemand das Weintrinken
uͤberhaupt verleiden, wenn man einen Aal in Wein erſticke und
dieſen Wein dieſem Jemand zu trinken gaͤbe, ſo ſieht man leicht,
wie wenig eine ſolche Auktoritaͤt Beachtung verdient.


Die meiſten Verlaͤſterer gleichen ganz dem Kinde, welches
den Stuhl ſchlaͤgt, an dem es ſo ungeſchickt war, ſich zu ſtoßen,
dem Schlechtſchreiber, der die Schuld auf die Feder ſchiebt, dem,
der die Scheibe fehlt, und das Pulver anklagt, und wie der-
gleichen triviale Gleichniſſe noch mehr beigebracht werden
koͤnnten.


Man ſorge fuͤr zweckgemaͤße Zurichtung, wie im Geiſt der
Kochkunſt zu finden, man eſſe nicht gar zu viel und trinke ein
oder zwei, oder drei Glaͤſer guten, alten, kraͤftigen Wein darauf,
und man wird ſich dieſes labenden Genuſſes ohne alle Faͤhrlich-
keit erfreuen koͤnnen. — Nach Gratarolus ſind uͤbrigens die
weiblichen Aale die beſten, und um’s Sommerſolſtitium ſoll man
uͤberhaupt keine Aale eſſen. — Was hat der Eßkuͤnſtler nicht
Alles zu beruͤckſichtigen und zu bedenken!


[237]

Trotz dieſer bekannten und fuͤr noch groͤßer als wirklich
gehaltenen Gefahr, draͤngtſich ein Babington, ein Tiſchburn
nach dem Andern um die Lockſpeiſe, und man koͤnnte einen
tiefen pſychologiſchen Zug der Natur und des Reizes der Gefahr
hierin erkennen, wenn nicht der Reiz des Wohlgeſchmacks die
Sache einfacher erklaͤrte.


Ein eigener Brauch herrſcht allenthalben in Beziehung auf
die viel, viel tiefer ſtehenden Buͤcklinge. Man glaubt naͤmlich,
ſie mit Butter- und Eiergebaͤck auftragen und eſſen zu muͤſſen.
Es liegt hier eine dunkle Ahnung des geforderten Gegenſatzes
zu Grunde; — aber welche Wahl! Sie ſind in dieſer Ver-
bindung kaum zu verdauen, und zart geroͤſtete Kartoffel oder
dergleichen bilden in jedem Betracht einen entſprechenderen
Gegenſatz. Ich erwaͤhne dieß, weil ſie viele Liebhaber zaͤhlen,
die ſich in der Regel den Magen damit verderben. Uebrigens
ſchmecken ſie roh und trocken nicht gerade ſchlecht, obſchon etwas
ſehr hoͤlzern; vertragen aber, auf dieſe Art genoſſen, um ſo
eher einen guten Trunk.


Ich habe bereits vorhin der Forellen nach Verdienſt ruͤh-
mend gedacht, ohne deßhalb, wie die meiſten diaͤtetiſchen Schrift-
ſteller, ſie an die Spitze ihrer Claſſe ſtellen zu wollen. Ein
Hecht iſt allerdings keine Forelle, wie umgekehrt; aber er iſt
gleichen Ranges. Ich habe oft gehoͤrt, wie Gaͤſte ſich beklagten,
wenn ſie ſtatt Forellen — wie ſie ſagten nur Hechte bekamen.
Warum denn: nur? —


Doch iſt bereits von Fiſchen, Stockſiſchen ꝛc. im Verlaufe
der Vorleſungen ſo oft ſchon die Rede geweſen, daß ich mich
billig darauf beſchraͤnke, nur noch die Namen folgender zur an-
genehmen Reminiscenz meinem ſehr verehrten Auditorium zu
vergegenwaͤrtigen: Welſe — Rochen — Karpfen — Lachſe —
Schellfiſche — Schollen — Meerbarben — Seehaͤhne —
Knurrhaͤhne — Lippfiſche — Meerbraſſen (Seebrachſen) —
große und kleine Makrelen — Barſche. —


[238]

Bei den Krebſen finde ich mich zunaͤchſt veranlaßt, zu be-
merken, daß diejenigen, welche gerade Eier unter dem Schwanze
haben, zu dieſer Zeit ſehr wenig ſchmackhaft ſind, und ſchon
deßhalb Schonung verdienten, wenn man auch die vielen tauſend
zukuͤnftiger Krebſe, welche man im entgegengeſetzten Falle im
Keime vernichtet, nicht beachten will. — Der Menſch ſollte
aber auch in dieſer Beziehung eſſen wie ein Menſch. — Eine
ſeine Zunge wird an den ſonderbar, faſt wie Siegellack,
ſchmeckenden Krebseiern uͤberhaupt nichts Delicates finden. Die
rohen Eier aber von lebenden Krebſinen wegzueſſen, wie ich
ein paar Mal geſehen, gehoͤrt zu einem Styl, von dem ich
wuͤnſchte, daß in dieſen Vorleſungen nichts vorgekommen ſein
moͤchte.


Bei’m Krebseſſen iſt aber vor Allem zierliche Fertigkeit
noͤthig, ſowohl um Anſtoß zu vermeiden, als beſonders, um durch
ungeuͤbtes zoͤgerndes Verfahren nicht die groͤßten, beſten, und mei-
Krebſe von Geuͤbteren ſich vor der Naſe weg eſſen zu ſehen.
Ißt man ſelber und jedermann keine Krebſe mehr, ſo kann
man, — wenn man’s kann; es iſt aber ſpottleicht, — aus
den Scheeren gar niedliche fechtende Maͤnnlein machen, auf
Brod ſtecken, und zum Divertiſſement der Gaͤſte ſeine Ge-
ſchicklichkeit zirkuliren laſſen. Unſtatthaft iſt die Ausuͤbung
dieſer plaſtiſchen Kunſtfertigkeit, ſo lange Andere noch Krebſe
eſſen wollen und alſo ſelbe nicht gerne, namentlich zu ſo un-
eigentlicher Verwendung, ſich entziehen ſehen; dieß um ſo
weniger, wenn die Kuͤnſtler, wie meiſtens, gerade die groͤßten
Krebſe zu ihren anthropomorphiſchen Bildungen waͤhlen.


Der ſehr verbreitete Glaube, die Krebſe wuͤrden ſchmack-
hafter, wenn man ſie mit kaltem Waſſer an’s Feuer ſetzt und
kocht, beruht auf einem Vorurtheil, einer irrigen Annahme,
welche man zu berichtigen menſchlich beſtrebt ſein ſollte. Doch
geſchehen auch in Deutſchland immer bedeutendere Schritte zur
Abſtellung der grauſamen Thierquaͤlereien, und Zartgefuͤhl und
[239] Menſchlichkeit wird herrſchend. Erſt geſtern las ich ein Zeitungs-
blatt, welches dafuͤr zeugt, indem es erzaͤhlt, daß die Humani-
taͤt mehrerer Buͤrger einer Stadt, durch einen Kutſcher, welcher
ſeine Pferde ſehr mißhandelte, ſo indignirt wurde, daß ſie den-
ſelben ohne Weiteres tuͤchtig durchpruͤgelten.


Wird mit etwas Gutem auf der Welt Mißbrauch getrieben,
ſo iſt es mit den ſo verſchieden beurtheilten Auſtern. Es hat
etwas Schauderhaftes, zuzuſehen, wie Manche Auſtern zu vielen
Dutzenden und Hunderten verſchlucken, denn vom Schmecken
und eigentlichen Eſſen iſt dabei gar keine Rede. Es ſind
Beiſpiele vorhanden, daß dreißig Dutzend und mehr ver-
ſchlungen wurden.


Sonderbar iſt’s, daß man ſich ſcheuen wuͤrde z. B. ein
Dutzend Bratwuͤrſte zu verlangen, Auſtern aber immer nach
Dutzenden und Hunderten beſtellt oder beſtellen zu muͤſſen
glaubt, ſo daß Auſtern eſſen und viel eſſen fuͤr identiſch ge-
nommen wird. Daher ſtammt denn wohl die Sage, als ob
die Auſtern uͤberhaupt ſchwerverdaulich ſeien. Sie ſind aber
nichts weniger als dieß, wie ich mich durch, hier nicht wohl zu
erzaͤhlende, Beobachtungen zur Evidenz uͤberzeugte. Ißt man
freilich mehrere Dutzend und trinkt noch ſchlechten Wein dazu,
dann kann man freilich ſterbenskrank werden.


Der mit Geſchmack und Sinn eſſende Menſch wird, mit
Maaß ſie genießend, finden, daß wenigere beſſer ſchmecken als
zu viel, und ſo Luſt behalten, ſich oͤfter daran zu erquicken.


Fuͤr den angehenden Eßkuͤnſtler mag bemerkt ſein, daß,
im Falle ſie nicht ſchon ohne Bart aufgetragen werden, dieſer
zu beſeitigen iſt; daß man, um ſie zu ſchmecken, auch zu kauen,
und nicht, wie oft geſchieht, blos zu ſchlucken habe; und daß,
ehe man oͤffentlich als Auſterneſſer auftritt, man wohlthut, eine
oder ein paar Privatvoruͤbungen vorzunehmen. Im Anfang
wird etwas Pfeffer dazu gut ſein, welcher freilich wegbleiben
[240] muß, wenn man die ſpezifiſche Feinheit ihres Geſchmacks rein
und klar erkennen will.


Man ſollte die Auſtern nicht immer blos roh eſſen. Sie
ſind auch gebraten, — allein, oder z. B. in einem Kapaun —
ſehr gut.


Ich erwaͤhne noch der Weinbergsſchnecken, welche die vollſte
Anerkennung verdienen. Selbſt in der Suppe ſind ſie noch
trefflich und iſt irgend eine Suppe wuͤrdig, gegeſſen zu werden,
ſo iſt es gewiß eine Schneckenſuppe.


Vieles, was hier noch aufgefuͤhrt werden koͤnnte, uͤbergehe
ich als fremd und ferner liegend, laſſe mich auch in den Streit,
ob die Milch, von der ich noch nichts geſagt habe, zu den
Speiſen oder Getraͤnken zu rechnen ſei, nicht ein, und gehe
zum Deſſert uͤber.


Vom verkehrten Volk der Gelehrten haben einige, z. B.
Avicenna, Gratarolus u. A., geſagt, Pfirſchen, Pflaumen,
Kirſchen, Aprikoſen, Birnen ꝛc. ſeien vor anderen Speiſen zu
eſſen. Selbſt die eifrigſten Anhaͤnger des Alten werden aber
hier — und warum denn nicht uͤberhaupt? — entgegengeſetzter
Meinung ſein. Im Théâtre Français wird an Einem Abend
ein Trauerſpiel in fuͤnf Akten und darauf ein ditto Luſtſpiel
gegeben, und ſo paßt’s auch; umgekehrt nicht. Das Deſſert
iſt eine erheiternde Erfriſchung nach ernſteren Leiſtungen.


Man wendet in der Regel zu wenig Aufmerkſamkeit und
Auswahl auf das Deſſert in Beziehung auf den Hauptinhalt
des Mahles. So z. B. wurde mir einſt nach einem gebratenen
Spanferkel eine Melone gegeben. So uͤbereinſtimmend nun
beide Gaben in ihrem Grundcharakter auch ſind, ſo ſcheinen
ſie mir es doch eben zu ſehr zu ſein, um einen Gegenſatz bilden
zu koͤnnen, den ich nun einmal, meinem Prinzip zu lieb, fordere.
Ich glaube, nach Haaſen- oder Rehbraten, Rebhuhn ꝛc. haͤtte
die Melone beſſer gepaßt; umgekehrt nach dem Spanferkel beſſer
[241] die etwas pikanteren Weichſel, Johannisbeeren, Cornelius-
kirſchen, — auch Orangen.


Aus aͤhnlichen Gruͤnden halte ich den Rath der Salerni-
taner, nach Fiſchen Nuͤſſe zu geben, fuͤr verwerflich.


Ein lieblicher Gegenſatz liegt in den Fruͤchten ſelber. Man
eſſe z. B. Aepfel und waͤlſche oder Haſelnuͤſſe, — Trauben
und Mandeln ꝛc. zuſammen, und fuͤhle, wie lieb das ſchmeckt.
Die gar nicht uͤblen Bucheckern verdienten zu dieſem Behufe
wohl auch einen Platz beim Nachtiſch.


Daß der verdauungsbefoͤrdernde Zucker, angenehme Con-
fituren verſchiedener Art, nicht fehlen duͤrfen, erwaͤhne ich gar
nicht extra. Dagegen ſcheint mir die haͤufig (in Frankreich
allemal) zum Deſſert gegebene Crême ſich weniger dazu zu
eignen. Sie bildet keinen rechten Gegenſatz und Uebergang
zum Trinken, welcher viel entſprechender durch Kaͤſe vermittelt
wird. Man ſollte aber nicht immer, wie gleichwohl uͤblich iſt,
eine und dieſelbe Spezies Kaͤſe zum Deſſert geben. Variatio
delectat.
— In der Ueberſetzung des Martialis von Ma-
rolles
findet man klaſſiſche Bemerkungen uͤber Kaͤſe, beſonders
Franzoͤſiſche Sorten.


Die Trefflichkeit der Pfirſchen preißt ſchon Avenzoar.
Ich betrachte dieſe ſchoͤne, zarte, ſaftige Frucht als Zierde des
Nachtiſches, wobei ich darauf hinzudeuten nicht unterlaſſe, daß,
eben der ſaftreichen anmuthigen runden Fuͤlle und Zartheit
wegen und ſonſt, die liebliche Bezeichnung: „die Pfirſche“
ſchoͤner und convenirender iſt, als das herbe und eckige: „der
Pfirſich.“


Der maͤnnliche Apfel iſt zum Nachtiſch unerlaͤßlich, und
zum Gluͤck immer zu haben. Ich koͤnnte uͤber dreißig Aepfel-
Species aufzaͤhlen und beſchreiben, die alle ſehr ſchmackhaft
ſind, haͤtte ich nicht uͤber das Deſſert nicht ſchon oͤfter geſprochen
und uͤberhaupt genug geſagt. Doch darf ich nicht unerwaͤhnt
laſſen, daß Gefrornes als Nachtiſch verwerflich iſt. Einem
16
[242] geſunden Sinn wird es uͤberhaupt ſchon zum und nach dem
Eſſen nicht zuſagen, auch wenn er das Undiaͤtetiſche davon
nicht erkennt, oder was er auch ſonſt von den gefrornen Ten-
denzen unſerer Zeit halten mag.


Noch waͤre Manches zu ſagen; aber nicht nur die ſich
endende Stunde, ſondern auch die Unausſprechlichkeit mancher
Objekte laͤßt es nicht zu. Sehr wahr ſagt Hippokrates:
Waizen und Waizen, und Wein und Wein, und Alles, was
wir genießen, iſt gar ſehr von einander verſchieden, und macht,
daß man nicht ſo genau davon handeln kann.“


Gewaͤhrt der Geſammteindruck ſchoͤner Gegenſtaͤnde unge-
theilten Vollgenuß, ſo wird der Kenner doch Luſt und Beleh-
rung auch an Pruͤfung und Wuͤrdigung ſchoͤner Einzelheiten
finden, welche anzuregen keiner der geringſten Zwecke dieſer
Vorleſung war, wobei denn freilich, wie — sans comparaison
— in der Iliade, auch Therſites nicht fehlen durfte. „Der
Bauch, lehrt aber Sirach, nimmt allerlei Speiſe zu ſich, doch
iſt eine Speiſe beſſer denn die andre.“ — Daraus folgt nicht,
daß man blos nach Einem trachten, Eines lieben muͤſſe, ſondern
vielmehr alles Liebenswuͤrdige; — immer mit gebuͤhrender Be-
achtung und Achtung des Spezifiſchen. Nur keine Gleich-
giltigkeit! — Shakeſpeare’s holde Porzia ſagt: Die Kraͤhe
ſingt ſo lieblich, wie die Lerche, wenn man auf keine lauſchet. —


[[243]]

Eilfte Vorleſung.
Vom Trinken
.


Wer die Bedeutung des Trinkens, beſonders des Wein-
trinkens, fuͤr die Menſchheit kennt, wer noch beſonders erwaͤgt,
daß dieſe Vorleſungen in Deutſcher Sprache, fuͤr Deutſch re-
dende Maͤnner und von einem Deutſchen verabfaßt ſind, wird
unmoͤglich von einer einzigen derſelben, wie der heutigen,
irgend etwas Umfaſſendes oder gar Erſchoͤpfendes erwarten.
Der Wein allein iſt ſo viel beſungen und beſprochen, daß man,
wollte man nur alles das leſen, kaum Zeit zum Trinken uͤbrig
behielte. Die Kunſt zu trinken erforderte und verdiente einen
eigenen Kyklos von Vorleſungen.


Ich muß mich hier durchaus darauf beſchraͤnken, uͤber das
Trinken blos in ſo weit zu ſprechen, als es auf das Eſſen Be-
ziehung hat.


Hier iſt nun die erſte Frage: Soll man uͤberhaupt zum
Eſſen trinken?


Meinen ſehr verehrten Herrn Zuhoͤrern kann es unmoͤglich
entgangen ſein, daß, wenn ich vom Eſſen rede, ich keine ſpielen-
den Floͤten- und Flageolet-Voruͤbungen und leichten Diver-
tiſſements, ſondern etwas vollſtimmig Beſetztes, etwas Ge-
wichtigeres im Sinne habe. Wie ich uͤberhaupt oft Eigentliches
meine, wenn ich es auch fuͤr ſchleppend halte, es dabei jedes-
mal zu ſagen, ſo iſt auch hier vom eigentlichen Eſſen, von einem
eigentlichen Mahl die Rede; denn ein Glas oder eine Flaſche
Wein zu einem Wuͤrſtlein, einem Neunauge, einigem Ca-
16*
[244] viar, einem kalten Rebhuͤhnchen und dergleichen verſteht ſich
von ſelbſt.


Das Allerunnoͤthigſte waͤre, daruͤber zu reden, ob der
Menſch uͤberhaupt trinken ſolle. Wer erkennt nicht in dem
Mecklenburgiſchen Bauer Woldeck, der in ſeinem Leben gar
niemals getrunken hatte, und ſchon als Kind nicht einmal die
Muttermilch mochte, ein verabſcheuungswuͤrdiges Monſtrum,
eine unmenſchliche Abnormitaͤt?


Anders verhaͤlt es ſich mit dem Trinken uͤber Tiſch. Es
giebt gewichtige Auktoritaͤten und Gruͤnde dagegen.


Plater leitete ſein hohes Alter davon her, daß er niemals
eher getrunken haͤtte, als bis er ſich ſatt gegeſſen, und Lichten-
berg
verſichert, daß er ſich niemals ſo geſund befunden, als
ſeit er nicht mehr uͤber Tiſch getrunken, und noch von keiner
Arznei ſo ſchnell und handgreiflich die gute Wirkung empfun-
den, als hiervon.


Wenn aber Plater auch ſein hohes Alter davon herleitete,
und wenn man auch hierauf uͤberhaupt Werth legen wollte, ſo
iſt damit nichts weniger als erwieſen, daß er Recht hatte, es
davon herzuleiten, und Lichtenberg ſagt ſelbſt, daß er haͤufig
medizinirte, alſo nicht geſund, alſo krank war, alſo fuͤr Geſunde
nichts entſcheidet. Ueberhaupt ſagt eine Auktoritaͤt aus dem
Grund eigentlich nichts, weil ſie kein Grund iſt.


Auch die Auktoritaͤt Hildebrandt’s iſt gegen das Trinken
uͤber Tiſch; das thaͤte aber gar nichts, wenn er nicht zugleich
den fuͤr den Eßkuͤnſtler eben ſo erheblichen als gewichtigen Grund
anfuͤhrte, daß das Getraͤnk neben den Speiſen doch auch ſeinen
Platz haben wolle, woraus natuͤrlicher Weiſe folgt, daß einer,
der viel trinkt, verhaͤltnißmaͤßig um ſo weniger eſſen kann.
Dieß, und daß der ſpezifiſche Geſchmack der Speiſe reiner und
beſtimmter wahrgenommen wird, wenn man nicht dazu trinkt,
iſt wohl zu beherzigen.


[245]

Tiedemann ſagt aber; „es darf als Grundſatz aufgeſtellt
werden, daß Perſonen, welche von der Aufnahme von Getraͤn-
ken bei dem Mahle keine nachtheiligen Wirkungen ſpuͤren, wohl
thun, ſich des Trinkens nicht ganz zu enthalten, denn der
Genuß ſehr trockner, zaͤher, geſalzner und gewuͤrzter Speiſen
verurſacht Durſt, und wenn er nicht befriedigt wird, ſo ent-
ſteht dadurch das Gefuͤhl von Voͤlle, Spannen und Druck im
Magen.“


Was folgt daraus? — Wem’s ſchmeckt und wohl be-
kommt, der ſoll trinken, aber eingedenk der einfachen Wahrheit,
daß bei’m Eſſen das Eſſen die Hauptſache bleibt.


Ich beruͤckſichtige abſichtlich Diaͤtetiker bei dieſer Frage,
weil ſich die Antwort von dem kuͤnſtleriſchen Geſichtspunkt aus
zu Gunſten des Trinkens, als poetiſcher Verſtaͤrkung, eben ſo
von ſelbſt ergiebt, als nach unſerem Prinzip, da der Wein nicht
nur den ſchoͤnſten fluͤſſigen Gegenſatz des Feſten, ſondern zugleich
die edelſte vegetabiliſch fluͤſſige Gegenſaͤtzlichkeit uͤberhaupt re-
praͤſentirt. Doch will ich der Unterſuchung nicht vorgreifen.


Es iſt ein chemiſcher Grundſatz, daß trockne, ſproͤde Koͤrper
niemals ſich innig verbinden und durchdringen, ja gar nicht
auf einander wirken, es muͤßte denn rein abſtoßend ſein (cor-
pora non agunt nisi fluida
). Die Application liegt auf der
Hand. Doch ſorgen die Koͤche durch gehoͤrige Tunken und
Bruͤhen, und der Hauptkoch, der Magen, vor Allem, ſelbſt
ſchon fuͤr das noͤthigſte Verfluͤſſigende.


Die Salernitaner ſagen uͤber dieſen Gegenſtand: die Wahr-
heit liegt in der Mitte. Das heißt einmal lehren ſie: man ſolle
oft, aber nicht viel (inter prandendum sit saepe parumque
bibendum),
das andere Mal: man ſolle gar nicht uͤber Tiſch
trinken (ut minus aegrotes, non inter fercula potes). Man
kann hieraus im Vorbeigehen lernen, wie klug die in der Mitte
ſind. Wenn auch einige Einfaͤltige meinen, es ſei charakterlos
und abſurd: ja und nein zugleich zu ſagen, ſo iſt doch leicht
[246] darzuthun, wie klug und lohnend es vielmehr ſich im Leben
erweiſe. Da funktionirt z. B. ſo ein Salernitaner als Leibarzt
eines Fuͤrſten, der, wie ein Menſch, gern und luſtig uͤber Tiſch
trinkt. Der Salernitaner ſagt: inter prandendum sit saepe
bibendum;
das „parum“ verſchluckt er. Dem Fuͤrſten thut’s
aber nicht mehr gut, es aͤndern ſich die Zeiten, Witterungs-
verhaͤltniſſe, Anſichten und der Magen. Der Salernitaner ſagt,
er hab’ es laͤngſt geſagt, und ſage es auf’s Neue, es tauge, un-
maßgeblich, nichts. Wie ſicher, verdienſtvoll und edel ſteht
der Salernitaner da! er kann alle Tage einen Orden bekommen,
und warum denn nicht?


Ohne nun zu ſolcher edlen Wahrheit in der Mitte zu ge-
hoͤren, bin ich gleichwohl weder auf der Seite derer, welche
abſolut und ſtarr wollen, man ſolle gar nicht trinken, noch auf
Seiten derjenigen, die gar behaupten, man ſolle ſaufen. Muß
man denn gerade rechts oder links oder in der Mitte ſtehen,
kann man nicht auch vernuͤnftig ſein?


Wenn nun alſo das Trinken uͤber Tiſch im Allgemeinen
nicht nur als zulaͤſſig, ſondern auch als relativ empfehlungs-
werth erachtet werden ſoll, ſo iſt damit noch nicht daruͤber
entſchieden, was ſoll man uͤber Tiſch trinken?


Kruͤger in ſeinen Traͤumen, die wohl noch jetzt geleſen
zu werden verdienten, erzaͤhlt von einem hypochondriſchen Um-
ſtandskraͤmer: „Das Sonderbarſte an ihm war, daß er niemals
trinken wollte, ob er gleich duͤrſtete. Denn, ſagte er, der Wein
iſt ungeſund, die Milch iſt zu nahrhaft und macht Saͤure, das
Bier hat unzaͤhlige Fehler und wird vom Waſſer gemacht,
welches zu trinken ich großes Bedenken trage. Denn das
Regenwaſſer nimmt aus der Luft ſo viele Inſekten und Unrei-
nigkeiten mit, daß es nothwendig hoͤchſt ſchaͤdlich ſein muß.
Das Quellwaſſer iſt nichts, als anderes Regenwaſſer, das ſich
in die Erde gezogen, und dadurch noch mehr verunreinigt wor-
den. Das Flußwaſſer iſt noch unreiner, und man moͤchte ſich
[247] brechen, wenn man nur daran denkt, was Alles hineingeworfen
wird. Stillſtehendes Waſſer iſt uͤberdem noch voller Wuͤrmer,
und das Seewaſſer iſt gar ſalzig. Eben dergleichen Bedenk-
lichkeiten hatte er bei den Speiſen, und weil ich ihm ſagte, daß
alles das Kleinigkeiten waͤren, ſo aͤrgerte er ſich dergeſtalt
daruͤber, daß er in ein hitziges Fieber verfiel und ſtarb.“


Ich werde in der nun zu unternehmenden Pruͤfung der
verſchiedenen Tiſchgetraͤnke hierauf gebuͤhrenden Bedacht nehmen.


Der Arzt Prießnitz in Graͤfenberg, der zugleich ein
Bauer iſt, welches man um ſo weniger auffallend finden ſollte,
je oͤfter es uͤberhaupt vorkommt, fuͤllt ſeine Curgaͤſte auch uͤber
Tiſch um ſo mehr mit Waſſer, je weniger er ihnen etwas
Genießbares zu eſſen vorzuſetzen weiß und im Stande iſt.
Dieſes Verfahren iſt ſo widerlich, geſchmacklos und ungeeignet,
daß es nur wegen ſeiner abſoluten Dummheit Erwaͤhnung
verdient; denn das Meiſte auf der Welt iſt nur ſo mittelmaͤßig,
relativ, bedingt, zuruͤckhaltend, und ſchuͤchtern dumm oder ge-
ſcheidt, daß es kaum die Muͤhe lehrt, daruͤber zu reden.


Schiller bemerkt fuͤr den Schauſpieler, der als Don
Carlos
zum Herzog Alba die Worte: „Sie ſind ein großer
General“ ꝛc. zu ſagen hat, daß dieß ohne Ironie gemeint und
zu ſagen ſei. Allerdings giebt’s Schauſpieler, Leſer und Men-
ſchen, denen man wohl thut, zu ſagen: dieß iſt Spaß, dieß iſt
Ernſt. — Fuͤr Letztere bemerke ich Letzteres. Dergleichen auf
flacher, platter Hand liegende Dinge aber erſt nachweiſen zu
ſollen, iſt am allerwenigſten meine Sache, auch abgeſehen davon,
daß ich nicht gerne, wenigſtens nicht mit Abſicht, langweile.


Der Eßkuͤnſtler wird Leute, die uͤber Tiſch Waſſer trinken,
fuͤr Alles eher als fuͤr Collegen halten. — Ein friſches Glas
Waſſer — ein leeres Blatt Papier! — unmittelbar vor Schla-
fengehen oder nach dem Aufſtehen, oder fuͤr ſich in Zwiſchen-
zeiten je nach Bedarf und Verhaͤltniß, Sommer oder Winter ꝛc.
iſt etwas Erfriſchendes, Zweckmaͤßiges; ein Krug Selterswaſſer
[248] mit Wein und Zucker in einer ſchattigen Laube an einem heißen
ſtaubigen Sommertag etwas Treffliches; — Waſſer aber
waͤhrend eines Gaſtmahles uͤberhaupt — zu warmen, ſaftigen,
fetten Speiſen beſonders — iſt nicht nur undiaͤtetiſch, wie jeder
weiß, der nur ein paar § § uͤber Verdauung geleſen, ſondern,
was mehr iſt, durchaus unkuͤnſtleriſch.


Kinder uͤberhaupt, beſonders junge Leute in Penſionen
und Erziehungsanſtalten, die aus purem Hunger zu ihren paar
ſpaͤrlich aufgetiſchten Biſſen Waſſer trinken, — Studenten,
welche die Griffe, Bewegungen und Muskelaktionen des Trinkens
ſo gewohnt ſind, daß ſie, um nicht in Einem fort Bier zu
trinken, zur Abwechſelung uͤber Tiſch Waſſer ſurrogiren, aͤltere
Poͤnitenzthuende, Graͤfenberger Waſſerenthuſiaſten und Kranke
mancher Art moͤgen immerhin Waſſer auch uͤber Tiſch trinken;
— aber nicht ſaufen — wer aber zu keiner dieſer Kategorieen
gehoͤrt, uͤberlaͤßt es billig dieſen.


Die Salernitaniſche Schule ſchildert die fuͤrchterlichen Fol-
gen des Waſſertrinkens, beſonders uͤber oder nach Tiſch, auf
das Eindringlichſte. Das fade Waſſer, ſo lehrt ſie, ermangele
aller erwaͤrmenden verdauungsbefoͤrdernden Kraft, habe auch
rein gar nichts von aͤtheriſcher feuriger Subſtanz, welches Alles
dem Wein zukomme, der daher dem Waſſer durchaus vorzu-
ziehen. Daſſelbe bezeugt auch Avicenna, welcher zugleich auf
uͤberzeugende Art nachweiſt, wie durch uͤbermaͤßiges Waſſer-
trinken wirklich die erſchreckliche Waſſerſucht erzeugt werde.
Der eben ſo gelehrte als geſcheidte Erasmus trank gern ein
gutes Glas Wein, hielt aber Waſſertrinken fuͤr ſchlimmer als
die Peſt. Schon der Homeriſche Achilleus hatte ſo großen Ab-
ſcheu vor Waſſer, daß er lieber von ſeinem verhaßten Todtfeind
Hektor, als im Waſſer ſterben will.


Antonio Perſio erzaͤhlt, daß die alten Roͤmer bei großen
Gaſtmaͤhlern heißes Waſſer zu trinken pflegten. Mag man nun
annehmen, daß dieß geſchehen ſei, um die Thaͤtigkeit des Magens
[249] zu ſteigern, oder um uͤber ſehr heiß aufgetragene Speiſen ſo-
gleich herfallen zu koͤnnen, bevor noch andere ungeuͤbte, minder
feuerfeſte Gaͤſte ſich daran wagten, oder um den Magen zu
exoneriren, ſo wird doch dergleichen Manier, Erkuͤnſtelung und
Uebertreibung ein naturtreuer geſunder Kuͤnſtler durchaus ver-
ſchmaͤhen.


Das Gemeinſte nach dem Waſſer iſt Bier. Man nannte
es (wie man wahrſcheinlich glaubte: poetiſch) fluͤſſiges Brod.
In vielen Staͤdten, Staͤdtchen, Marktflecken und Doͤrfern
Deutſchlands wird es auch uͤber Tiſch getrunken. Die Groͤn-
laͤnder trinken bekanntlich Fiſchthran. Es ſind das Angelegen-
heiten des individuellen Geſchmacks. Wie aber ein Menſch, der
irgend eine Zunge hat, uͤber Tiſch Bier trinken kann, iſt ein
Problem, uͤber welches ich oft ernſtlich und reiflich nachgedacht,
deſſen Aufloͤſung mir aber bis auf dieſen Augenblick immer
noch nicht gelingen wollte. Vielleicht bin ich heute, — durch die
Anweſenheit ſo vieler ſehr verehrter Zuhoͤrer, die nicht da ſind,
begeiſtert — ſo gluͤcklich, dem Unbegreiflichen naͤher zu treten.


Ich habe Thatſachen erlebt, bei deren Erinnerung mir die
Haut ſchaudert. Ich habe geſehen, wie man waͤhrend des
Suppeneſſens Bier getrunken, wie man geſottenes Rindfleiſch
aß und Bier dazu trank, wie man Gansbraten aß und dazu
Bier trank, wie man Gurkenſalat aß, und auch Bier trank,
wie man Paſteten und Torten aß, und auch Bier trank, und
wie man, freilich conſequent, bei’m Deſſert zu Aepfeln und
Confituren eben auch Bier trank. — Dieſes Biertrinken uͤber
Tiſch ſcheint mir nahe am Gipfel des Ungeſchmacks und bar-
bariſcher Rohheit zu liegen. Ich erklaͤre mir die wirkliche Moͤg-
lichkeit dieſer Thatſachen, um meinen Glauben an die Menſchheit
nicht wankend werden zu laſſen, denſelben vielmehr immer mehr
zu ſtaͤrken und zu befeſtigen, alſo: Es giebt Laͤnder und Geld-
beutel, welche fuͤr den Wein keine oder doch nur ſehr wenige
Anlagen und Talente haben. Nun kommt es vor, daß, durch
[250] allerlei Gruͤnde veranlaßt und bewogen, Mitglieder der menſch-
lichen Geſellſchaft reiſen, keine eigne Frau und kein eignes Haus
haben, Studenten, Offiziere, Handlungsdiener ꝛc. ſind. Dieſe
pflegen in Gaſthaͤuſern zu eſſen. Sehr bezeichnend nennt man
das Wirthstiſche, Tables d’hôte, um damit anzudeuten, daß
der Gaſtwirth es iſt, wegen deſſen man eigentlich eſſen ſoll.
Dieſer Gaſtwirth nun hat Wein und Bier auf dem Lager.
Sehr zu verehren iſt das Beſtreben des Gaſtwirths, ſeine Gaͤſte
von der Zweckmaͤßigkeit des Weintrinkens uͤberhaupt, beſonders
aber uͤber Tiſch moͤglichſt durch Autopſie zu uͤberzeugen. Zu
dieſem Zwecke wird auch insgemein zu jedem Couvert ein Flaͤſch-
lein Wein geſtellt. Dieſer ſogenannte Wein iſt nun aber ge-
woͤhnlich, wie alles Gewoͤhnliche, ſo ſchlecht, daß ein vernuͤnftiger
Staatsbuͤrger und Menſch denſelben nur mit Widerſtreben zu
genießen im Stande iſt. Oder der Wein iſt ſo gut (was aber
viel ſeltner vorkommt), daß er zu dem Inhalt der Boͤrſe mancher
Gaͤſte im umgekehrten Verhaͤltniß ſteht.


Von der, durch das graueſte Alterthum geheiligten Sitte,
zum Eſſen zu trinken veranlaßt, ſupponirt man nun, aus be-
nannten Gruͤnden, das nach dem Waſſer gemeinſte bezahlbare
Trinkbare, das Bier.


Nur giebt es in Deutſchland nicht nur ſchuͤchterne Juͤng-
linge, die ich ſehr liebe, ſondern auch ſchuͤchterne Maͤnner, die
ich ſehr bedaure. Wird nun einem ſolchen im menſchlichen Ent-
wickelungsgange Begriffenen oder Steckengebliebenen irgend etwas
hingeſtellt, ſo genirt er ſich, es abzulehnen, und aſſimilirt ſich’s
eben. So habe ich Leute uͤber Tiſch Bier trinken geſehen, die
ich naͤher deßhalb befragen konnte, und die mir geſtanden: es
ſchmecke ihnen nicht im mindeſten, ſie traͤnken es ſogar ungerne
uͤber Tiſch, aber eben des Wirths wegen. —


Ich bitte, nicht mißverſtanden zu werden, indem ich gegen
das Biertrinken uͤber Tiſch eifere. Ich trinke ſelbſt außer
Tiſch nichts weniger als ungerne Bier. Man kann ſich auch
[251] damit in die heiterſt melancholiſche Stimmung verſetzen.
Doch hat’s ſeine Seiten, z. B. durch weſſen Leben ſich der
Schmerz eines unerſetzlichen und unverſchmerzlichen Verluſtes
zieht, oder wen der aͤtzende und ſtachelnde ſauerteigige Gift-
tropfen „Ideal“ durchdrungen, dem iſt zwar ein hebendes
romantiſches Prinzip eingegeben, doch hat ſich derſelbe ſehr zu
huͤten, nicht zu viel Bier zu trinken.


So viel vom Trinken des Biers uͤber Tiſch!


In Rußland und hie und da in Norddeutſchland trinkt
man Schnaps uͤber Tiſch. Man nennt es Aquavit, Liqueur,
Rum, Arak, Tafia, Extrait d’absinthe ꝛc. ꝛc. Der Name
thut nichts zur Sache. Die Ur- und Grundbedeutung iſt eben
Schnaps oder Branntwein, wie der Deutſche, der leider immer
weniger Deutſch zu reden wagt, hier Deutſch ſagt. Dieſer ge-
ſchmackvernichtende Schnapstrinker verdient in Vorleſungen uͤber
Eßkunſt gar nicht beſprochen zu werden.


Biſchof, Cardinal, Meth, Punſch, Gluͤhwein, Grog und
dergleichen haben, bei viel Manierirtem, zu Zeiten doch einiges
Verdienſt. Ueber Tiſch aber ſind ſie gar nichts. Es wird auch
niemand einfallen, ſie, ſo wenig wie Limonade, uͤber Tiſch zu
trinken. Doch hab’ ich es, — zum Gluͤck nur einmal — er-
leben muͤſſen, ein zweibeiniges Weſen, welches ſich fuͤr einen
Menſchen ausgab, Zuckerwaſſer uͤber Tiſch trinken zu ſehen.
Ich uͤberlaſſe es meinen ſehr verehrten Herrn Zuhoͤrern, zu er-
rathen, wer ohngefaͤhr es geweſen ſein koͤnnte.


Hab’ ich nun davon geſprochen, was man uͤber Tiſch
nicht trinken ſoll, ſo iſt es billig, poſitiv von dem zu handeln,
was man trinken ſoll, naͤmlich vom Wein. Es iſt aber ſchwer,
ruhig und ohne Begeiſterung davon zu reden; unmoͤglich
Beſſeres hieruͤber zu ſagen, als Shakeſpeare’s Falſtaff und
Tieck’s Eulenboͤck. Leicht und gleich geſagt iſt aber: man
ſoll Wein trinken. Welchen denn?


[252]

Da ſtehen die weißen: Rheingauer, Johannisberger,
Grafenberger, Ruͤdesheimer, Hinterhaͤuſer, Markebrunner,
Steinberger, Rothenberger, Geiſenheimer, Hattenheimer, Er-
bacher, Hochheimer, Nierſteiner, Liebfrauenmilch, Scharlach-
berger, Laubenheimer, Bodenheimer.


Leiſten- und Steinwein, Salecker, Werthheimer, Klingen-
berger.


Forſter, Ruppertsberger, Deidesheimer, Wachenheimer.


Zeltinger, Douſemonder, Pisporter, Mannebacher, Brauen-
berger.


Weinheimer Hubberger.


Laufner, Sulzburger, Montrachet, Meurſault, Chablis.


St. Bris, Haut Preignac, Bommes, Haut Barſac,
Sauterne, Carbonieux, Berons, Cotes, Rion.


Hermitage blanc, Coté rôtie, St. Peray.


Albano, Montefiescone, Orvietto. — Oedenburger.


Die rothen: Asmannshaͤuſer, Niederingelheimer, Oppen-
heimer, Gimmeldinger, Callſtadter, Koͤnigsbacher, Weinheimer,
Affenthaler, Bleicher. La Cote. Corteillod.


Clos de Vougeot, Romanée Conti, Chambertin,
Richebourg, St. George, Tache, Volnay, Vosnes, Nuits,
Pomard, Beaune, Morey.


Château Margaux, Haut Brion, Latour, Lafitte, Laroſe,
St. Julien, Cantenac, St. Eſtephe.


Hermitage rouge, Coté rôtie, Château grillé, Cornas.


Collioure, Bagnols, Terrats, Tavel.


Ofner, Erlauer. — Portwein, Collares, Vinho de Romo.


Ferner: Madeira, Teneriffa, Capwein.


Die Sekte: Bangules, Rivesaltes, Muskat-Béziers,
Lunel, Frontignac, Ciotat, Coudrieux, Arbois.


Malaga, Tinto di Rota, Alicante, Xeres, Pedro-Ximenes,
Tintilla, Calonge, Fontillon, Shery, Crenache, Alba flor,
Majorka.


[253]

Lacrymae Chriſti, Monte Somma, Alliatico, Monte pul-
ciano, Marzala, Syrakuſer, Vino ſanto.


Tokayer, die Ausbruͤche von St. Georg, Meneſch, Ratsdorf.


Malvaſier von Morea und Creta, Muskat von Skio,
Cyprier.


Canarien-Sekt von Palma und Teneriffa, Drakenſtein,
Conſtantia- und Steen-Wein! —


Alle dieſe, und noch mehr, ſo wie den rothen und weißen
Schiraz in Perſien, und den Wein der Provinz Kacheti in
Georgien kann man in Tiedemann’s Phyſiologie beſchrieben
leſen, und bei guͤnſtigen Außen- und Innenverhaͤltniſſen auch
trinken, durch welches letztere Verfahren man einen noch viel
klareren Begriff davon bekommt. — O Himmel, wie viel
Begriffe giebt’s auf Erden, wovon man keine Idee hat! —
Alle dieſe nun, — und man denke noch an die Verſchiedenheit
der verſchiedenen Jahrgaͤnge, um die ganze Wonne dieſer uͤber-
reichen Mannigfaltigkeit zu faſſen! — „o wunderſchoͤn iſt Gottes
Erde, und werth, darauf vergnuͤgt zu ſein!“ — alle dieſe nun
kann man waͤhlen, wenn man kann.


Welche davon aber ſoll man waͤhlen, welche eignen ſich zu
Tiſchweinen?


Nach Unzer ſind die Gujenniſchen rothen Weine, Bor-
deaux, Medoc, Pontack, von allen Europaͤiſchen Weinen die
beſten Tiſchweine. Weiße Weine uͤberhaupt eignen ſich weniger
zu Tiſchweinen. Alter Rheinwein waͤre zum gewoͤhnlichen
Tiſchwein zu feurig, junger zu ſauer, Mosler zu kuͤhlend,
Eremitage fuͤr Viele zu ſtark. Eben ſo alle gefrornen Weine.
Auch Champagner und Burgunder iſt kein convenirender Tiſch-
wein. Suͤße Weine paſſen blos zum Deſſert.


Nach Tiedemann geben die leichten ſaͤuerlichen Weine,
gehoͤrig abgelegen und maͤßig genoſſen, ein paſſendes Getraͤnk
bei der Mahlzeit ab. Sie loͤſchen den Durſt gut, erregen den
Magen gelinde, ſteigern die Nerventhaͤtigkeit und beſchleunigen
[254] den Blutumlauf etwas, ohne zu erhitzen oder Wallungen zu
machen; anderer erſprießlicher Wirkungen nicht zu gedenken.


Bejahrteren oder phlegmatiſchen Eßkuͤnſtlern paſſen dagegen
die alten edlen und kraͤftigen Weine, am Ende der Mahlzeit
genoſſen, welche erregender und hebender wirken. Die Saler-
nitaner nennen ſolche Weine Vina theologica. Sehr ſchwache
ſaͤuerliche Weine paſſen fuͤr Niemand.


Aepfel-, Birn-, Johannisbeer- und Stachelbeer-Weine
kommen gar nicht in Betracht.


Sehr ſchoͤne taͤgliche Tiſchweine ſind die Ungariſchen rothen
Weine, Ofner, Erlauer, Adelsberger u. a., wie ich mich aus
meinen Wiener Studien mit vielem Vergnuͤgen erinnere. Schade
nur, daß ſie ſich nicht laͤnger halten.


Uebrigens ſei man in der Auswahl nicht zu aͤngſtlich.
Maͤßig, und nicht ſowohl waͤhrend, als vielmehr in den
Zwiſchenpauſen oder nach dem Eſſen getrunken, werden die-
jenigen, welche am ſchoͤnſten ſchmecken, auch am beſten bekommen.


Menſchen, welche ſich ſtark koͤrperlich bewegen, ſollen guten
Wein trinken zur Erhaltung der Muskelkraft; ſolche aber, welche
eine ſitzende Lebensart fuͤhren, ſollen guten Wein trinken, um
den Reiz jener Bewegung zu erſetzen. Im Winter iſt es ſehr
dienlich, guten Wein zu trinken, um ſich zu erwaͤrmen, und was
iſt im heißen, trocknen, ſtaubigen Sommer erfriſchender und
belebender, als ein gutes Glas Wein?


Am beſten ſchmeckt der Wein, wenn man ihn in der Ab-
ſicht trinkt, ſich ihn ſchmecken zu laſſen.


Als Grundſatz darf gelten: Man kann wohl, ſehr wohl,
ohne Wein zu trinken eſſen, man ſollte aber niemals Wein
trinken, ohne etwas dazu zu eſſen.


Es wird aber haͤufig auch noch darin gefehlt, oder gar
nicht darauf geachtet, auf gewiſſe wahlverwandtſchaftliche Ver-
haͤltniſſe gewiſſer Weine zu gewiſſen Speiſen bei der Wahl Ruͤck-
ſicht zu nehmen. So giebt’s auch Speiſen, welche entweder
[255] kein Trinken fordern, oder nicht zulaſſen; andere, welche es be-
ſtimmt und entſchieden verlangen. Galen und die Salernita-
ner erinnern daran, daß man zu Schweinfleiſch guten alten
Wein trinken ſolle, damit eine gewiſſe Ergaͤnzung und uͤberein-
ſtimmende Einheit (συμμετρια) in die Sache komme.


Wenn man kalten, trocknen Rehbraten ißt, wird man
deutlich die Forderung nach Rheinwein oder Burgunder in ſich
verſpuͤren. Aal oder Wildſchweinskopf fordert Madeira. Caviar
widerſpricht abſolut allen ſuͤßen Weinen. Thee fordert Butter-
brod, Milchcaffée Kuchen.


Auſtern und Champagner werden ſpruͤchwoͤrtlich ſo unzer-
trennlich gedacht, wie Glauben und Hoffen. Es iſt aber nicht
wohl abzuſehen, warum Champagner zu Krebſen, Hummern
und dergleichen nicht eben ſo gut iſt. Champagner und Burgunder
paßt nicht zu ſauren Speiſen. Rheinwein empfiehlt ſich, als
Appetit befoͤrdernd, vor Tiſch. Suvpen, mit Ausnahme der
Schildkroͤtenſuppe, ſchließen alles Trinken aus.


Rettige weiſen jeden Wein ab, und harmoniren, etwa im
Freien, zu einem guten Glas Bier ſehr wohl.


Man ſagt gewoͤhnlich: der Fiſch will ſchwimmen. So
ſehr ich aber erkenne und anerkenne, wie abſolut nothwendig
es ſei, z. B. nach einem wohlgeſalznen und gepfefferten geback-
nen Karpfen, nach Haͤrings- oder Sardellenſalat und Aehn-
lichem zu trinken, ſo darf doch nicht unerwaͤhnt bleiben, daß
keine Speiſe ſchwimmen will.


Jeder, welcher Phyſik gehoͤrt, weiß, daß Koͤrper in einer
beſtimmten Fluͤſſigkeit dann ſchwimmen, wenn ſie leichter ſind,
als ein dem ihrigen gleiches Volumen jener Fluͤſſigkeit, — er
kennt ferner das Prinzip des Archimedes, daß ein in eine
Fluͤſſigkeit geſenkter Koͤrper ſo viel von ſeinem Gewicht verliert,
wie viel das Gewicht der von ihm aus der Stelle gedraͤngten
Fluͤſſigkeit betraͤgt. Es iſt ihm eben ſo wenig unbekannt, daß
ein Fiſch genau ſo viel wiegt, als er Waſſer aus der Stelle
[256] draͤngt; er wiegt ein Kilogramm, wenn er ein Litre Waſſer
verdraͤngt, und 1000 Kilogramme, wenn er 1000 Litres oder
ein Cubikmeter verdraͤngt, weil 1 Litre reines Waſſer 1 Kilo-
gramm wiegt. — Dieß Alles bedenke man wohl; erwaͤge noch,
daß Wein, den man zu oder (wie man zu ſagen pflegt) auf
den Fiſch trinkt, viel leicher iſt, als Waſſer, Burgunder z. B.
ſich zu Fiſchwaſſer verhaͤlt wie 0,953 zu 1,030, — und man
wird einſehen, was es ſagen will, einen Fiſch ſchwimmen zu
machen. Allerdings wuͤrde der Fiſch um ſo leichter werden, je
ſchwerer die genoſſene Fluͤſſigkeit und der Kopf des Experimen-
tators. O ſolche Metaphern (Metaphern uͤberhaupt) ſind nur
zu oft das groͤßte Ungluͤck der Menſchheit, wenn ſie nicht mit der
Fackel der Naturwiſſenſchaft beleuchtet werden, welches zu thun
ich mich nicht enthalten konnte.


Man ſoll alſo uͤber (oder, um es nochmals zu bemerken,
in den Zwiſchenpauſen; am beſten nach) Tiſch Wein trinken;
aber mit Diskretion und innerhalb gewiſſer Schranken.


Das uͤber die Wahl der einzelnen Weinſorten zu Tiſch-
weinen Geſagte iſt zunaͤchſt vom gewoͤhnlichen, taͤglichen Genuß
gemeint. Bei extra Gaſtmaͤhlern bindet man ſich natuͤrlich nicht
an jene Regel, ſondern giebt vielmehr keine alltaͤglichen, ſon-
dern extra gute und exquiſite Weine.


Wo mehrere Sorten aufgetragen werden, geſchieht dieß
am paſſendſten in der Climax adscendens, leichtere, unſchul-
digere, ſchwaͤchere voran, [und] ſtaͤrkere, kraͤftigere, feurigere
darauf! — Zum Deſſert paſſen die im mitgetheilten Wein-
verzeichniſſe zuletzt genannten Franzoͤſiſchen, Spaniſchen, Ita-
lieniſchen ꝛc. Sekte, Ungariſche Ausbruͤche und dergleichen.


Sehr Viele ſind der Meinung, man ſolle, beſonders bei
Tiſch, den Wein mit Waſſer vermiſchen. Es iſt noch nicht ent-
ſchieden, welchem Sterblichen oder Unſterblichen die Menſchheit
dieſe große Erfindung verdankt. Athenaeus ſagt, daß
Amphictyon, Koͤnig von Athen, die Menſchen gelehrt habe,
[257] Waſſer unter den Wein zu gießen. Caſaubonus behauptet
daſſelbe von Amphitryon, Koͤnig von Theben. Es iſt recht
Schade, daß man nicht im Reinen daruͤber iſt. Man koͤnnte
dem Erfinder ein Denkmal errichten. So viel iſt gewiß, daß
jeder denkende geſunde Eßkuͤnſtler dieſes Miſchen, Verduͤnnen,
Entſtellen, Schwaͤchen, Verderben und Vernichten der ſpezifi-
ſchen Kraft des Weines gerade uͤber Tiſch, nicht anſtehen wird,
fuͤr ganz und gar ungeignet zu erklaͤren.


Eben ſo uͤberziert, verſuͤßlicht, verkuͤnſtelt und entſtellend
iſt das Roͤmiſche Verfahren, wovon Apicius handelt, Wein
vor dem Genuß uͤber Veilchen oder Roſen zu gießen. Es iſt
Schade, daß wir noch keine Suppe von Zuckerwaſſer, Milch
und Vergißmeinnicht haben.


Das Chineſiſche warme Weintrinken nenne ich blos, um
kurz bemerklich zu machen, wie widerlich alle Ueberkuͤnſtlung,
alles Unnatuͤrliche iſt.


Das heißt weder maͤnnlich, noch ſchoͤn getrunken.


Der maͤchtige Perſerkoͤnig Darius ließ auf ſeiner Grab-
ſchrift bemerken, daß er haͤtte viel Wein trinken, und denſelben
ſchoͤn vertragen koͤnnen (ἠδυναμην και ὀινον πινειν πολυν, και
τουτον φερειν καλως). Bayle ruͤhmt dieß als une bonne qua-
lité, une force, une puissance, l’effet d’un tempérament
robuste.
— Man kann damit auch Goethe’s Rochusfeſt ver-
gleichen. — Was aber in der fuͤnften Vorleſung uͤber das Quantum
der Speiſen geſagt wurde, mag auch von dem der Getraͤnke gelten.


Es iſt nicht gut und nicht ſchoͤn, mehr zu trinken, als
man vertraͤgt, wer alſo wenig vertraͤgt, trinke nicht viel; woraus
aber nicht nothwendig folgt, daß der, welcher viel vertraͤgt,
gerade auch viel trinken ſolle. Doch iſt dieſes Viel und
Wenig ſehr relativ. So charakteriſirt ſich der in Frankreich
reiſende Eßkuͤnſtler unverkennbar als Deutſcher oder Englaͤnder,
wenn er die zu ſeinem Couvert fuͤr ihn hingeſtellte Flaſche
Wein austrinkt, welches der Franzoſe nicht thut.


17
[258]

Es ſind viele Mittel zur Verhuͤtung und Beſeitigung der
Trunkenheit vorgeſchlagen worden. Ariſtoteles, Hippokra-
tes, Galen
u. A. empfehlen den Knoblauch. Plutarch fuͤhrt
an, daß Druſus, der Sohn des Tiberius, einige bittere
Mandeln verzehrte, wenn er ſich zu einem Gelag begab. An-
dere empfehlen Oel, Kohl und dergleichen. Africanus in
ſeinen Commentaren raͤth gebratene Ziegenlunge, Avicenna
Weineiſſig und Granatapfelſaft. Rantzovius erzaͤhlt ſehr ge-
muͤthvoll, er trage zu dieſem Behufe einen großen Amethyſt
auf der Bruſt, und er glaube, daß dieſer einiges nuͤtze. —
Welcher Kuͤnſtler von nur einigem Natur- und Wahrheitsſinn
wird ſolches Zeug nicht in tiefer Seele verachten!


In welchen Faͤllen es uͤbrigens erlaubt, ohne Suͤnde, ja
raͤthlich ſei, in Baccho uͤber die Schnur zu hauen, hat Pri-
meroſius
in ſeinem Buche de vulgi erroribus in medicina
(dritten Buches 18tes Kapitel) ſehr gelehrt und ſchoͤn aus ein-
ander geſetzt.


Der Eßkuͤnſtler ſoll aber nicht blos ſchoͤn eſſen, er ſoll auch
ſchoͤn trinken. Durch Unterlaſſung letzterer Regel wird er ſich
aller Verdienſte berauben, welche er ſich in erſter Kategorie
erwarb.


Hier iſt denn der Ort, das mitzutheilen, was der ſchon
belobte Zobel ſo klar als deutlich hieruͤber im Folgenden ſagt:


„Trinke weder allzulangſam, noch zu geſchwinde, ſondern
ſein erbar und ſittſam, nicht wie die Saͤufer, die den Wein
oder Bier nur in ſich gießen; ſiehe auch unter dem Trinken
nicht viel umher, ſondern in das Glas oder anderes Geſchirr
hinein.


Trinke nicht, wenn du das Maul voll Brod, oder anderer
Speiſe haſt; auch mache im Schlingen keinen unanſtaͤndigen
Laut mit der Gurgel, daß man alle Schluck zaͤhlen kann. Son-
dern warte lieber, bis du hinunter gegeſſen haſt, und das Ge-
traͤnke deſto leichter durch die Gurgel laufen kann. Thue auch,
[259] nachdem du getrunken, keinen ſtarken Seufzer, um Athem zu
holen.“


Manchmal kommt freilich die Natur mit der Kunſt in Con-
flict. Im Allgemeinen ſagt Zobel und die Schule allerdings
ſehr richtig, man ſolle nicht trinken, waͤhrend man noch Speiſe
im Munde habe. Wer aber verſucht hat, wie gut es ſchmeckt,
friſche Feigen und Mandeln, oder Nuͤſſe zugleich mit etwas
Cyprier oder Malaga im Munde zu ſchaukeln, wird wohl durch
moͤglich kleinſte Bißchen und Schluͤckchen, Lautloſigkeit und
ſonſtige zierliche Embouchure die Natur mit der Kunſt zu ver-
ſoͤhnen wiſſen.


Wichtig fuͤr den Genuß bei’m Trinken ſind die Trinkge-
geſchirre. Es paßt hier buchſtaͤblich und eigentlich, was Goethe
ſagt:


„Ueberall trinkt man guten Wein,

Jedes Gefaͤß genuͤgt dem Zecher;

Doch ſoll es mit Wonne getrunken ſein,

So wuͤnſch’ ich mir kuͤnſtlichen Griechiſchen Becher.“

Ich laſſe gleich einen Ausſpruch Winckelmann’s folgen,
der genau hierher gehoͤrt: „Die Farbe traͤgt zur Schoͤnheit
mit bei, aber ſie iſt nicht die Schoͤnheit ſelbſt, ſondern ſie erhebet
dieſelbe uͤberhaupt und ihre Formen, ſo wie der Geſchmack des
Weines lieblicher wird durch deſſen Farbe in einem durchſichti-
gen Glaſe, als in der koſtbarſten goldnen Schale getrunken.“


Wem der Sinn fuͤr ſchoͤne Formen fehlt, dem wird man
freilich vergebens zu erweiſen ſuchen, daß, aus einem ſchoͤnen
Glas getrunken, der Wein beſſer ſchmeckt. Wie viel aber der
Anblick der Farbe (ſei es des funkelnden Purpurs oder des
ſtrahlenden fluͤſſigen Goldes) des Weines zum Wohlgeſchmack
beitraͤgt, kann man jedem zur Evidenz darthun, wenn man ihm
die Augen zubindet und verſchiedene Sorten nach einander zu
verſuchen giebt, er wird am Ende nicht mehr wiſſen, je welchen
Wein er eben gekoſtet. Man trinkt die Farbe auch mit, und der
17*
[260] Blinde iſt deßwegen der ungluͤcklichſte Menſch, weil er nicht
ſieht, was er ißt und trinkt.


Die Trinkglaͤſer ſollen alſo von Glas oder Kryſtall ſein.
Aber dieſes Glas ſoll farblos ſein. Die, ich weiß nicht warum,
ſo beliebten gruͤnen Roͤmer wird ein feinſinniger Trinker ab-
lehnen.


Das goldne Trinkgeſchirr, welches Herkules von Neptun
erhalten, war offenbar von etwas zu großem Kaliber, da ſich
Herkules deſſen zugleich ſtatt eines Fahrzeuges auf dem Meere
bediente. Auch die Pokale des Mittelalters waren noch von
zu unbequemem Umfang. Es hat etwas Bedenkliches, Be[droh]-
liches, ja faſt Schauderhaftes, wenn man, einen ſolchen Po-
kal anſetzend, den ungeheuren Wein-Ozean in ſo gefaͤhrlicher
Naͤhe unmittelbar vor der Naſe fluthen ſieht. Dagegen hat
die neueſte Zeit ohne Frage in’s entgegengeſetzte Extrem uͤber-
trieben, und die Weinglaͤſer doch von gar zu winziger Capazi-
taͤt conſtruirt. Solche eignen ſich hoͤchſtens zum Deſſert.


Die Trinkglaͤſer ſollen aber ferner nicht nur von entſpre-
chender Groͤße, ſondern auch von anmuthiger Form ſein. Giebt
es doch nichts Abgeſchmackteres als z. B. ein Henkelglas. Es
iſt fuͤr einen Mann von Geſchmack peinigend, aus ſolchen ge-
meinen, rohen, nichts ſagenden Formen trinken zu ſollen.


Daß man zu verſchiedenen Weinſorten verſchiedene Glaͤſer
giebt, iſt bekannt. Das nicht voll Einſchenken der Glaͤſer
u. a. dergleichen beruht auf unnachdenklicher Convenienz.


Da gegenwaͤrtig die allerdings appetitlichere Sitte herrſcht,
jedem Gaſt ein eigenes Glas zu geben und nicht, wie fruͤher,
aus einem gemeinſchaftlichen Becher getrunken wird, ſo ſind
Bemerkungen uͤber andere, zum Theil gar nicht verwerfliche
Gewohnheiten, wie z. B. die, die Lippen an der Stelle des
Becherrandes anzuſetzen, wo andere geliebte Lippen genippt
hatten, uͤberfluͤſſig.


Es giebt Menſchen, welche kaum Wein geſehen und ge-
[261] rochen, als ſie ſingen zu muͤſſen glauben, und nicht raſten
koͤnnen, bis ſie einen Rundgeſang zu Stande gebracht haben.
Dieſe notenloſen Geſaͤnge haben die gemeinſchaftliche Eigen-
thuͤmlichkeit, daß ſie, gewoͤhnlich von den fuͤrchterlichſten Stim-
men, mehr gebruͤllt, als geſungen zu werden pflegen, und daß
ſolche leidige Saͤnger bruͤderlich, wie es eben trifft, in die Ober-
ſtimme, und tiefer Organiſirte in deren Oktave ſich theilen.
Hoͤchſtens hoͤrt man noch von dem und jenem, der etwa einmal
ein Floͤtenduett geblaſen, zu dieſer edel einfaͤltigen Octavhar-
monie, welche die Allegri’s und Palaeſtrina’s zu uͤberbie-
ten ſtrebt, eine Seconde einſchwaͤrzen und ad libitum dazu
wimmern. Dieſes heißt man in Deutſcher Landesſprache einen
Rundgeſang. Das ſuͤßeſte Deſſert wird dabei in dem Magen
deſſen, der Ohren hat, in Gift und Galle verwandelt. Um die
Qual zu vollenden, iſt der Inhalt dieſer Trinklieder und Rund-
geſaͤnge in der Regel ſo beſchaffen, daß man zu dem deſpera-
teſten Durſt geruͤhrt wird, und in dieſer Pein leicht in Gefahr
kommt, das Uebel aͤrger zu machen. Das Duͤmmſte iſt, wenn ſolche
Lieder geſcheidt ſein wollen. So kommen in der Ode unſeres
groͤßten Barden an den Rheinwein Impertinenzen von Weis-
heit, Kummer, Sterben und dergleichen vor; umgekehrt iſt
deſſen beruͤhmtes: „Wein und Waſſer“ ſo ſpaßhaft, daß man’s
nicht ohne Thraͤnen in den Augen und Ruͤhrung im Magen
hoͤren kann.


In neuerer Zeit hat man ſich mehr auf’s Gemuͤthliche ge-
worfen; ein gar liebes Genre. — Ein ſolches Liederbuch hat
das Motto auf dem Titel:


„Wo man ſingt, da laßt Euch froͤhlich nieder,

Boͤſe Menſchen ſingen keine Lieder.“

Dieſes Buch erſchien zu einer Zeit, in welcher die Maaß-
regeln der hochnothpeinlichen Polizei in vielen Deutſchen Ge-
muͤthern eine complete Armenſuͤnderangſt hervorriefen. Kamen
[262] zwei, namentlich Angeſtellte und ſolche, die es werden, oder
bleiben, oder ſteigen wollten, zuſammen, ſo berochen ſie ſich
gegenſeitig von allen Seiten, um von etwa wahrgenommenen
Liberalitaͤten und Gallizismen gehoͤrigen Ortes moͤglichen Nutzen
zu ziehen. Da nun auf dieſem Talisman-Motto ausdruͤcklich
bemerkt war, daß boͤſe Menſchen keine Lieder ſingen, ſo lag es
nahe, daß man, um zu zeigen, man ſei eine gute Haut, nichts
Beſſeres thun koͤnnte, als Lieder ſingen. Lief auch manch-
mal ein mit zitternder Stimme geſungenes Freiheits- oder Poh-
lenlied mit unter, ſo konnte wieder die Aegide des Motto vor-
gehalten werden und decken. Man vergaß aber, daß eine Po-
lizei nicht geruͤhrt werden darf und ſehr wohl weiß, daß Don
Juan
, und Caspar im Freiſchuͤtz, die Beide der Teufel holt,
auch Lieder ſingen, und Mephiſtopheles ſogar ein morali-
ſches Lied intonirt.


Es giebt ferner ganze Nationen wie einzelne Menſchen,
welche bei Tiſch Geſundheiten trinken zu muͤſſen glauben. Be-
kanntlich lebt das freie England in dieſer Beziehung unter einem
ſehr unbequemen Zwang. Die alten Roͤmer hatten bei Tiſche
einen eigenen Magister bibendi, dem es oblag, die Geſundhei-
ten auszubringen. Es war einigermaßen nant, wenn der
Name des Gaſtes, deſſen Geſundheit man zu trinken hatte,
etwas lang war, da es die Sitte mit ſich brachte, ſo viel Be-
cher zu leeren, als jener Name Buchſtaben enthielt. Auch in
Deutſchland herrſchte fruͤher ein ſehr anſtrengendes Geſundheit-
trinken, welches gegenwaͤrtig, mit Ausnahme einzelner Toaſts,
gluͤcklicherweiſe ſo ziemlich außer Gebrauch gekommen, vielleicht
aber, in Folge der ſchon beſprochenen weltgeſchichtlichen retro-
graden Schwankungen, bald wieder aufkommt. So glaube ich
denn nur bemerken zu muͤſſen, daß ein Toaſt von Ellenlaͤnge
nicht ganz ſo kurz zu ſein ſcheint, als er vielleicht ſein koͤnnte,
wenn er weniger lang waͤre, und daß es anſtaͤndig iſt, bei
hohen Toaſt’s moͤglichſt laut: „hoch!“ zu ſchreien. Es ſoll
[263] vorgekommen ſein, daß bei gewiſſen feſtlichen Eſſen ein Freund
den andern denunzirte, dieſer haͤtte nicht laut genug geſchrieen:
ein durch die Beſchuldigung hinlaͤnglich erwieſenes Verbrechen,
welches nicht ohne das groͤßte Mißfallen vermerkt werden
konnte. Bei ſo viel gemachtem, forcirtem und ſurveillirtem Ge-
ſchrei fuͤhlt ſich mancher klare Beobachter, der zugleich ein Menſch
iſt, in ein ſehr appetitſtoͤrendes Mißbehagen verſetzt, und leert
lieber ſein Glas wahr und aufrichtig im Stillen, oder unter
einem blos beifaͤlligen, weniger lauten Brummer, um nicht von
einem andern Menſchen jener unlauteren lauten Claſſe beige-
zaͤhlt zu werden.


Noch hab’ ich derjenigen jungen und alten gemuͤthlichen
Seelen zu erwaͤhnen, welche mit irgend einem unſchuldigen
Mitmenſchen nicht zum dritten Mal eſſen koͤnnen, ohne wie
Don Carlos zum Marquis Poſa, oder der Parapluiemacher
Staberl zu aller Welt, zu ſagen: Sie, ſag’n wir Du zu ein-
ander! — Waͤre es wegen unſeres ſonderbaren Deutſchen
„Sie“ — denn Deutſchland iſt das Vaterland dieſer Du’s —
da wir kein „vous“ und „you“ brauchen, ob wir’s gleich
eben ſo gut und geſcheidt koͤnnten, ja unſere Vorfahren es wirklich
thaten, ſo moͤchte es eher hingehen. Es iſt aber nichts weni-
ger als deßhalb.


Hier helfen nun oft alle Mittel nichts, dem angedrohten
Bruderkuß, welcher oft unter Kaͤuen applizirt wird, zu ent-
gehen. Alle Schlauheiten des Ueberhoͤrens, des Falſchverſtehens,
des Ablenkens, ja ſelbſt ein deutliches: „Ihr Wohl! Sie ſollen
leben!“ — ein mit einem andern Nachbar angefangenes Geſpraͤch,
ein fingirtes Naſenbluten ꝛc. ꝛc. ſind haͤufig vergebens, einen
ſolchen Dutz-Egel ſich vom Leibe zu halten. Das Unabwend-
bare geſchieht, und der neue bruͤderliche Freund haͤlt ſich von
dieſem ungluͤckſeligen Augenblick an fuͤr berechtigt, ruͤckſichtslos
grob zu ſein. Wohl dem, welchen die Natur ſo conſtruirte,
daß er mit eherner Bruſt zu ſagen vermag: „ich danke ſchoͤnſtens;
[264] ich finde es beſſer, wir laſſen’s bei’m: Sie.“ So lange
es Menſchen giebt, die dieſes nicht im Stande ſind, wird ſich
derjenige, welche eine andere, beſtimmt ſichernde Abwehr zu er-
finden ſo gluͤcklich iſt, ſo unverwelkliche Lorbeeren verdienen,
als etwa einer, der die Kunſt, Truͤffeln friſch aufzubewahren,
entdeckte.


Wenden wir den Blick ab von dieſen truͤben, die Freuden
des Mahles ſtoͤrenden Impertinenzen, die gleichwohl beſprochen
werden mußten, und blicken wir hin auf den magenſchließenden,
aromatiſch ernſten ſchwarzen Caffée!


Unter der Vorausſetzung, daß derſelbe von einer guten
Sorte, von ſo eben erſt gebrannten Bohnen, und hinlaͤnglich
ſtark bereitet wird, hat weder Kunſt noch Wiſſenſchaft im All-
gemeinen dagegen das Mindeſte einzuwenden.


In Frankreich pflegt man ſchwarzen Caffée kaum ohne
Franzbranntwein oder Rum (petit verre ſchlechthin) zu trin-
ken. Finden die eben angefuͤhrten Verhaͤltniſſe und Vorbe-
dingungen ſtatt, ſo bedarf es dieſer Verſtaͤrkung nicht, welche
uͤberdieß den Nachtheil hat, den ſpezifiſchen Wohlgeſchmack ei-
nes guten Caffée zu alteriren.


So viel hieruͤber! Den Schlußcaffée dieſer Vorleſungen
werden wir, wenn es beliebt, in der naͤchſten und letzten der-
ſelben zu uns nehmen.


[[265]]

Zwölfte Vorleſung.
Schlußbetrachtungen.


Indem ich heute eine ſehr verehrte Verſammlung einer-
ſeits mit tiefer Wehmuth zum letzten Male hier begruͤße, wage
ich zugleich andererſeits mit hoher Freude in Deren zahlreicher
Anweſenheit die Beſtaͤtigung zu erblicken, daß die ſich nun
ſchließenden Eßvorleſungen keineswegs ein verſcheuchendes Ge-
fuͤhl der Ueberſaͤttigung hervorbrachten. Dieſes Gefuͤhl glaubte
ich aber nicht anmaßlich etwa dadurch veranlaßt zu haben, daß
ich zu viel gab, ſondern ich fuͤrchtete vielmehr beſcheiden, zu
Duͤnnes und einer ſehr verehrten Verſammlung Ungenuͤgendes
auf- und vorgetragen zu haben.


Daß aber eine ſehr verehrte Verſammlung mir bis hierher
deßhalb gefolgt ſein ſollte, weil Dieſelbe erwartete, es kaͤme
heute erſt was Genießbares, kann ich deßhalb um ſo weniger
glauben, je mehr ich den Begriff des Deſſerts, als eines Kur-
zen, wenig Sagenden, fuͤr bekannt und zugeſtanden bei Derſel-
ben vorauszuſetzen berechtigt bin. Die heutige Vorleſung wurde
aber als Deſſert angekuͤndigt.


Ich werde alſo erſtgenannter froher Annahme mich unver-
kuͤmmert freuen koͤnnen. Wohl bin ich mir bewußt und kann
mir ſelber das freudige Zeugniß geben, nur Noͤthiges, ſtrenge
Hergehoͤriges, und nicht das mindeſte Ueberfluͤſſige aufgetiſcht
zu haben. Denn was haͤtte ich nicht Alles noch vorbringen
koͤnnen?


[266]

Ich haͤtte von Adam’s Apfelbiß, von Eſau’s Linſengericht,
von Ariſtipp’s theurem Rebhuhn, von Hannibal in Capua,
von dem Fuͤrſten Suidrigellus und ſeinen, 130 Schuͤſſeln
ſtarken, taͤglichen Gaſtmaͤhlern, von dem Vielfreſſer Tarare,
von dem Menſchen, der gar nichts eſſen mochte als Gras, von
welchem Haller berichtet, von wiederkaͤuenden Menſchen, von
dem Geburtstagsgeſchenk Roſſini’s: einer Leier aus Parme-
ſankaͤſe, — von dem Neapolitaniſchen Brod aus Mais und
Johannisbrod, von Percy’s und Vauquelin’s Lob der Linſen,
von dem beruͤhmten Pariſer Koch Burnet, der einer ſeiner
Nichten bei ihrer Verheirathung 500,000 Francs ſchenkte, von
der ungeheueren Weihnachtspaſtete, welche Mistreß Kirch 1831
zu London conſtruirte, und welche vier Gaͤſte aufaßen, von
Schottland


„wo halb verhungerte Spinnen

ſich naͤhren von halbverhungerten Fliegen“ —

von der Faͤhigkeit der Wilden, lange zu faſten, von den geadel-
ten Rinderbraten in England, wovon Lichtenberg Bericht
erſtattet, ꝛc. reden koͤnnen.


Es waͤre mir freigeſtanden, ein Heer von aͤlteren und
neueren Eßſchriftſtellern zu zitiren, z. B. Anguilbert, Lig-
namine, Ryff, Stephanus, Montanus, Phryſius,
Bruyere-Champier, Piſanelli, Bonamici, Sala, Non-
nius, Sebitz, Durande, Mundy, Lemery, Elsholz, Ro-
ſenſtein, Lorry, Linné, Plenck, Montechiari, Raynaud,
Deboringue, Volte, Danz, Omodei, Virey, Paris,
Kolb, Aulagnier, Accum
und viele, viele Andere; welches
mir um ſo leichter geweſen waͤre, als ſie bereits Tiedemann
auch zitirte, und Ploucquet’s Bibliothek und Literatur, Bay-
le’s
Dictionnaire u. A. haͤtte die reichſte Ausbeute geboten.


Aus Petronius, Juvenalis, Horatius und vielen
Anderen waͤren viele Stellen zu widerlegen geweſen, der Api-
cier
gar nicht zu gedenken.


[267]

Die Medicina Salernitana haͤtte uͤber Gebuͤhr benuͤtzt
werden, es haͤtten z. B. die Zeichen angefuͤhrt werden koͤnnen,
aus welchen man zu beurtheilen im Stande iſt, daß man
Hunger hat, und noch viel mehr.


Es waͤre mir ein Leichtes geweſen, die bedeutendſten Bei-
traͤge zur Erklaͤrung des Klaſſiker zu liefern, z. B. darzuthun,
woraus die armen Ritter gebacken werden, uͤber die ſich Fal-
ſtaff
ſo aͤrgerte.


Das große magnetiſche Gaſtmahl des Reiſemarſchalls
Worble von Jean Paul, Boͤrne’s Eßkuͤnſtler ꝛc., haͤtte auf
allen Seiten zu Bemerkungen und Abſchweifungen verlocken
koͤnnen.


Ich bewahre die ſchoͤnſten Reminiscenz-Dokumente der
intereſſanteſten Speiſezettel und Wirthsrechnungen verſchiedener
Laͤnder und Sprachen, die ich nur haͤtte abdrucken laſſen duͤr-
fen. Eben ſo eine Menge Eß-Anekdoten und Eß-Charaden.


Von den Speiſen, welche arme Suͤnder des verſchiedenſten
Standes, Alters und Geſchlechts, von den aͤlteſten bis auf die
neuſten Zeiten, in den letzten drei Tagen vor der Hinrichtung
und unmittelbar vorher zu eſſen verlangten und aßen, die mit
unſaͤglichem Fleiße und nicht unbetraͤchtlichem Koſtenaufwand
geſammelten und angefertigten Verzeichniſſe, — welche mitzuthei-
len kaum ein anderer Vorleſer ſich haͤtte enthalten koͤnnen.


Was in der Welt waͤre ich nicht Alles noch anzufuͤhren im
Stande geweſen? — Wo aber ſagte ich von alle dem auch nur
eine Sylbe? —


Ich haͤtte dergleichen in langen Noten beibringen und nach-
tragen koͤnnen. Wo findet ſich aber auch nur eine einzige An-
merkung in allen dieſen Vorleſungen? —


Wer da weiß, wie ſchwer es iſt, gelehrt und ohne Noten *)
[268] zu ſchreiben, wird dieß zu wuͤrdigen wiſſen. Oder ſind dieſe
Vorleſungen am Ende gar nicht gelehrt genug geſchrieben? —
Ich daͤchte! —


Dieß Alles nun, und unausſprechlich viel mehr haͤtte ich
ſagen koͤnnen, haͤtten mich nicht gemeldete Gruͤnde davon zuruͤck-
gehalten.


Obgleich ich nun aber ſtets darauf bedacht war, dem ſinn-
loſen und unſchoͤnen vielerlei und viel Freſſen nach Kraͤften entge-
genzuarbeiten, Beiſpiele von Beſtellung und Einrichtung be-
deutender Feſtmaͤhler gefliſſentlich zuruͤckhielt, und durchaus
einem edleren, einfacheren, maͤnnlichen Styl Bahn zu brechen
ſtrebte, ſo iſt mir doch geſagt worden, ich haͤtte weniger auf
große Tafeln, als vielmehr auf haͤusliches Eſſen, auf den ein-
fachen Familientiſch Ruͤckſicht nehmen ſollen.


Statt mit einer Selbſtapologie die Zeit zu verderben,
will ich lieber verſuchen, hier alles das nachzuholen, was ich
anderwaͤrts beſtimmt auszuſprechen irgend ſollte außer Acht
gelaſſen haben, wie man ja auch bei’m Nachtiſch gewoͤhnlich
das einzubringen ſucht, was man bei den Haupteſſen verſaͤumte,
oder nicht fand.


Eben um jenes unnachdenkliche Vielerlei, Durch- und
Uebereinander auf natuͤrliche Normen zuruͤckzufuͤhren, habe ich
fuͤr eigentliche Gaſtmaͤhler Fiſche, Vierfuͤſſer und Gefluͤgel poſtu-
lirt, von welchen drei Grundtypen bei einem und demſelben
*)
[269] eigentlichen Feſtmahl allerdings je mehrere und verſchiedene
Spezies, z. B. Hechte, Lachſe, Forellen, — Rinds-, Kalbs- und
Rehbraten, — Schnepfen, Truthahn und Rebhuͤhner, (es ver-
ſteht ſich, immer mit ihren vegetabiliſchen Gegenſaͤtzen) aufge-
tragen werden koͤnnen.


Aber bei weniger feſtlichen, bei einfacheren Eſſen genuͤgt
ja z. B. Hecht, Rehbraten und Huhn; bei einem andern:
Stockfiſch, Haſenbraten und Truthahn; bei einem dritten:
Caviar, Schweinsbraten oder Wildſchwein und Krammetsvoͤgel.
Oder man kann ja auch blos Grundeln, Roaſtbeef und Reb-
huͤhner geben; oder auch Sardellenſalat, Spanferkel und
Schnepfen; oder Lachs, Lammsbraten und Kapaun; oder
Karpfen, Beefſteak und Auerhahn; oder Forellen, Kalbsbraten
und Finken, Lerchen oder wilde Tauben dazu. Fuͤr andere
Gelegenheiten reicht Haͤringsſalat und Schinken mit darauf
folgendem Gansbraten hin. Alles natuͤrlich mit ſeinen vegeta-
biliſchen Gegenſaͤtzen. —


Will oder kann man’s nicht anders, als ganz haͤuslich
und ordinaͤr, ſo kann man ja alles Moͤgliche, nach oder ohne
Belieben, weglaſſen. Es mußte aber ja doch wiſſenſchaftlich
ein gewiſſes hoͤheres Muſter und Vorbild aufgeſtellt werden.


Sirach ſagt: „beſſer ſchlecht zu Hauſe, als gut bei Fremden
eſſen.“ — Warum denn aber gerade ſchlecht? — Wer zu
kochen und zu eſſen verſteht, kann ja machen, daß ihm das
ſcheinbar Geringfuͤgigſte wonnevoll wohlſchmeckt.


Geraͤucherte kalte Leberwuͤrſte (oder auch eine gute Preß-
wurſt) und der vegetabiliſche Gegenſatz: Kartoffelſalat, eine
trinkbare Flaſche Wein und ein offenes trautes Geſpraͤch mit
ein paar Freunden, die Maͤnner, und Maͤnnern, die Freunde
ſind dazu, — das blinkende zinnerne Salzfaß in der Mitte,
gutes ſelbſtverdientes Brod daneben, — das iſt allerdings
beſſer, tauſendmal beſſer als alle erdenklichen Leckerbiſſen die
Fuͤlle, und Buben und Lumpenkerle dazu. Iſt’s denn aber
[270] nicht doch noch beſſer, wenn man bei erſtgenannten Verhaͤlt-
niſſen eben doch Anderes und mehr hat, als geraͤucherte kalte
Leberwuͤrſte? —


Ich ſtimme Herrn von Rumohr ganz und gar bei, man
ſolle alle Tage gut eſſen; — aber zu gewiſſen Zeiten noch beſſer,
glaube ich.


Wer die ſehr ſchoͤne und ſehr geſcheidte Bedeutung des
Sonntags (nicht des triſten Engliſchen) erwaͤgt, wer da verſteht,
was es heißt:


„Tages Arbeit! Abends Gaͤſte!

Saure Wochen! Frohe Feſte!“

der wird die Anwendung auf das Thema dieſer Vorleſungen
von ſelbſt finden, und wohl ihm, wenn er ſie findet!


Sei mir freundlich und herzlich gegruͤßt, trauter,
heimiſcher Heerd des Hauſes!


Moͤge dir Fanatismus, Dummheit, Heuchelei und
Luͤge, die naͤchtlich draußen ziſchen und ſchleichen, oder
ſich am lichten Tage proſtituiren, ferne bleiben!


Moͤgen froͤhliche, aufrichtige, lachende Geſichter,
luſtig und rothbackig, dich umkraͤnzen, heiliges Aſyl
menſchlicher Wohnplaͤtze! Sei geſegnet!


Somit glaube ich auch dem Familientiſche gebuͤhrendes
Recht eingeraͤumt und zugeſprochen zu haben.


Man hat mir ferner ganz fein und von weitem zu ver-
ſtehen gegeben, ich haͤtte in dieſen Vorleſungen zu oft „ich“
geſagt. — Beruͤckſichtigt denn aber eine ſehr verehrte Ver-
ſammlung nicht, wie viele Jahre lang ich ſchon eſſe? Sieht
Dieſelbe meine wenigen weißen Haare, und meine noch wenigeren
ſchwarzen Zaͤhne nicht?


Wenn neuere blutjunge Dichter faſt von gar nichts Anderem
reden und drucken laſſen, als von ſich ſelber, warum ſoll denn
ein alter Mann, bei einer Angelegenheit, wo es galt, eigene
Erfahrungen und Beobachtungen auszuſprechen, nicht auch
[271] von ſich reden duͤrfen? Und hab’ ich denn ein einziges Mal
geſagt, daß ich krank und ungluͤcklich bin? —


Kant in ſeiner Abhandlung von der Macht des Gemuͤthes
durch den bloßen Vorſatz, ſeiner krankhaften Gefuͤhle Meiſter zu
ſein, in welcher er auch Selbſtbeobachtungen erzaͤhlt, entſchuldigt
ſich, daß er „ich“ und nicht „wir“ ſagt.


Wenn ich nun aber auch nach Autorenweiſe geſagt haͤtte
z. B.: wir haben eine Bratwurſt gegeſſen, ſo koͤnnte man ja
doch nicht wohl wiſſen, ob nicht noch jemand dabei war. In
dieſem Fall waͤre offenbar die Bratwurſt zu wenig. Will ich
aber damit ſagen: ich haͤtte die Bratwurſt gegeſſen, ſo ſcheint
mir das Wir zu viel. Doch laͤßt ſich mit dem Wir allerlei
maskiren, z. B. „Wir haben ein Spanferkel gegeſſen.“ Es weiß
niemand recht, wie er daran iſt, ob Einer allein es war, oder
nicht ein Anderer dabei war und das Beſte dazu, oder viel-
mehr davon, gethan hat.


Da ich gerade vom Reden ſpreche, ſo waͤre hier die ſchoͤnſte
Gelegenheit, noch Mehreres vom Sprechen zu reden, wenn was
dabei herauskaͤme.


Wenn ich nun aber vorhin die edle Einfachheit und andere
Vorzuͤge des haͤußlichen Eſſens ruͤhmend anzuerkennen hatte,
ſo darf ich doch nicht unterlaſſen, eben ſo eifrig darauf zu
dringen, daß der Eßkuͤnſtler nicht ohne Weiterſtreben auf der
genuͤglichen Baͤrenhaut raſten ſoll. „Es iſt nichts ſo gut, daß
es nicht noch Beſſeres gaͤbe.“ Dieß bedenke der Eßkuͤnſtler
wohl, und hoͤre nie auf, nach Erreichung eines hoͤheren Stand-
punktes zu trachten, wodurch der Horizont zu erweitern, die
Objekte zu vervielfaͤltigen, neue Verbindungen und Eßbarkeiten
zu entdecken, und dieſelben zu pruͤfen, zu bewaͤhren und mitzu-
theilen waͤren. Ich darf es nicht verhehlen, daß gerade Viele
aus der Klaſſe der Eßkuͤnſtler nur zu bald auf ihren Lorbeeren
einſchlafen und zur Baͤrenhaut inkliniren.


[272]

Allerdings iſt’s aber auch richtig, daß man das Gute nicht
verachten ſoll, um das, ſo oft unmoͤgliche, Beſſere zu acquiriren,
und daß ein Sperling in der Hand beſſer iſt, als eine Taube
auf dem Dach. —


Ich ſchweige davon, wie viel noch die Chemie fuͤr die Koch-
und alſo auch Eßkunſt leiſten koͤnnte, was um ſo mehr ihr
oblaͤge, je weniger ſie im Ganzen und Einzelnen dafuͤr gethan.
Man darf aber nur von dem Chemiker etwas dafuͤr erwarten,
der zugleich Sinn und Talent fuͤr Eßkunſt hat.


Noch weniger gehoͤrt hierher, wie die Heilkunde, welche
laͤngſt keine bloße Arzneikunde mehr iſt, nicht ſowohl fuͤr die
Eßkunſt thun, ſondern von ihr lernen koͤnnte, wozu ſchon
Hippokrates, Galen, Celſus, Sydenham, Bagliv, Boer-
haave, Alexander Trallianus, de Haen, Zuͤckert, Un-
zer, Varnhagen, Darwin
und viele Andere ruͤhmlich die
Bahn gebrochen.


Das aber ſoll hier erwaͤhnt ſein, daß eine Vereinfachung
und Veredlung der Kuͤchen-Terminologie und Eß-Nomencla-
tur in unſerer Zeit als dringend noͤthig erſcheint. Welche un-
uͤberſehbare Menge der unverſtaͤndlichſten, nichts, oder zu viel,
oder zu wenig, oder ungeeignet ausdruͤckender Kuͤchen-Idiotis-
men! Welche ſesquipedale Laͤnge, welche barbariſche Sprache,
ja zum Theil welche abſchreckende Bedeutungen der Termini,
z. B. Maultaſchen! Welche unertraͤgliche Vornehmthuerei und
Nachaͤfferei mit Franzoͤſiſchen Woͤrtern, die man tauſendmal
geſcheidter Deutſch ſagte! Ja wenn’s noch gelehrte Lateiniſche
oder Griechiſche waͤren!


Alles dieſes ſollte geaͤndert, vereinfacht, bezeichnender,
ſinniger, aͤſthetiſcher, edler, appetitlicher gemacht werden. Auch
die Eßkunſt beduͤrfte einer Umgeſtaltung, nicht auf dem blutigen
Wege der Revolution, ſondern auf dem vernuͤnftigen der Reform.


Damit ich aber nicht blos leere Worte geſprochen habe,
ſondern die Eßkunſt auch mit einer poſitiven concret daſeienden
[273] Thatſache bereichere, ſo will ich es nicht zuruͤckhalten, ſondern
laut ausſprechen und verbreiten: Auch ich habe, ohne mich zu
ruͤhmen, eine intereſſante, und fuͤr die Eßkunſt hochwichtige
Erfindung gemacht. Ich habe eine neue Wurſt erfunden. Ich
habe dieſe neue, von mir erfundene, Wurſt auch getauft, — und,
da es billig iſt, daß ſie den Namen ihres Erfinders und Schoͤpfers
traͤgt, ſo habe ich ſie Antonius-Wurſt getauft. Haͤtte ich ſie
nicht ſelber gleich ſo getauft, ſo waͤre ich in Gefahr, der Ehre
der Erfindung verluſtig zu werden. Auch habe ich ſie eigens
fuͤr dieſe letzte Vorleſung erfunden, damit etwas darinnen ſei.


Dieſe Wurſt, — alſo iſt es mir im tiefſten Gemuͤth auf-
gegangen, alſo hat der Geiſt es mir offenbaret, — dieſe meine
Wurſt beſteht:


  • 1) aus den Ingredienzen einer gewoͤhnlichen, jedoch knoblauch-
    loſen, Salami oder Braunſchweiger Wurſt. — Dieß iſt
    blos die rohe Unterlage, die irdiſche Baſis meiner Wurſt,
    wie Kind’s Text des Freiſchuͤtz zu Weber’s goͤttlicher
    Muſik, — der gemeine Boden, in dem das Hoͤhere kei-
    men und Wurzel ſchlagen kann.
  • 2) Aus rohem Weſtphaͤliſchen Schinken. — Dieſer Zuſatz
    repraͤſentirt zunaͤchſt das, dem Digeſtionsapparat wahl-
    verwandteſte nutritive Prinzip.
  • 3) Aus Sardellen. — Darin ſteckt vorzuͤglich die eßkuͤnſt-
    leriſche Feinheit.
  • 4) Aus Pfeffer, Piement, Zitronenſchaale, und wenig, wenig
    Gewuͤrznelken und Ingwer. Punktum. Durch einen
    Zuſatz von Salzburger geraͤucherter Rindszunge, den ich
    Anfangs beabſichtigte, waͤre der maͤnnliche Styl, die
    klaſſiſche Simplicitaͤt dieſer Conſtruktion ſchon uͤberſchrit-
    ten, weßhalb ich ſie, nach reiflicherem Nachdenken,
    wegließ.

Wer die erhabene Idee dieſer Zuſammenſetzung zu faſſen
im Stande iſt, wird im innerlichſten Gemuͤthe durchdrungen
18
[274] werden von der ungeheuren Bedeutung der ſinnigen Ver-
ſchmelzung gering ſcheinender Mittel zu einem herrlichen Gan-
zen, Einem!


Zur Verkoͤrperung dieſer Idee iſt ein ſinniger Wurſtmacher
noͤthig. Kennen Sie nun, meine ſehr verehrten Herrn, einen
denkenden Wurſtmacher, einen Wurſtmacher von philoſophiſch-
aͤſthetiſcher Bildung — ich wollte, Sie kennten einen ſolchen
Wurſtmacher — ſo machen Sie die Probe, und beſtellen Sie ſich
eine, noch beſſer: gleich einige, ſolche Wuͤrſte*) von beliebiger
Groͤße.


Dieſer Wurſtmacher hat das proportionale Verhaͤltniß der
ſtoͤchiometriſchen Grundbedingungen dieſer idealen Naturmiſchung
im Geiſte zu erfaſſen, und zu durchdringen, und mit Ernſt und
Liebe zur concreten Erſcheinung zu bringen. Ihm mag es uͤber-
laſſen ſein, zu ermitteln, ob ein Pfund Sardellen auf fuͤnf Pfund
uͤbriges Wurſtgemiſch zu viel ſei, oder ob ¾ Pfund hinreichen.
Ihm bleibt es anheimgeſtellt, die relative Quantitaͤt der Ge-
wuͤrze feſtzuſetzen, damit die grimmige Qualitaͤt des Ingwers
den ſcharf mephiſtopheliſchen Charakter des Pfeffers nicht uͤber-
ſchreie, und er hat dafuͤr zu ſorgen, daß die anmuthig aro-
matiſche Gewalt des Piements den anderen wuͤrzigen Qualitaͤten
harmoniſch ſich beigeſelle.


Er mag ſich aber die Gewichtsverhaͤltniſſe genau notiren,
um, je nach dem inviduellen Geſchmack der Beſtellenden, aͤndern,
weglaſſen, zuſetzen zu koͤnnen.


Den mechaniſch techniſchen Theil der Operation ſelbſt be-
treffend, ſo iſt, bei der Encheireſe des Miſchens und Hackens,
des Verſchmelzens und Vereinbarens, der Beſeitigung aller
haͤutigen, unkaubaren Fleiſch- und Schinkentheile, beſonders
aber dem Entgraͤten der knochigen und graͤtigen Sardellen-
[275] gebilde vorzuͤglich praͤparative Kunſtberuͤckſichtigung zu widmen.
Auch darf die Zeit, innerhalb welcher dieſe Wurſt im Raume
der Raͤucherkammer zu verbleiben hat, je nur eine moͤglichſt
kleinſte ſein.


Der Charakter dieſer Wurſt ſoll entſchieden, ernſt, maͤnn-
lich, ſcharf, ausdrucksvoll, — Gluth und Hitze des Suͤdens mit
trockner Herbheit und Dauerbarkeit des Nordens verbindend und
verſoͤhnend, — anregend, mephiſtopheliſch reizend, teufliſch hu-
moriſtiſch — und doch lockend, mild und freundlich anſprechend
ſein. Es ſoll dadurch ſowohl das Verlangen nach jenem ſchoͤnen
Gegenſatz fluͤſſigen Goldes (Rheinwein z. B.) eben ſo angeregt,
als auch der verhallende Genuß dieſer Wonne des Fluͤſſigen in
ſanfter, aber kraͤftiger, feſter Vermittlung ausgeglichen werden.


Die Idee des Lebens ſoll ſich abſpiegeln in der Idee dieſer
Wurſt: ſie ſoll anregen, aber nicht befriedigen; — ſie ſoll zu
kraͤftiger Thaͤtigkeit aufrufen, aber nicht traͤges muͤheloſes Ge-
nuͤgen geben.


So viel nur in buͤndigſter Kuͤrze uͤber meine Wurſt, von
der noch gar Manches zu ſagen waͤre. Uebrigens wird ſie
natuͤrlich kalt verſpeiſt.


Dieſes angeregte Weiterſtreben ſchließt aber zeitweiſe Raſt
und Ruhe, neue Kraͤfte ſammelnde Erholung, froͤhliches Ge-
nießen nicht aus, fordert es vielmehr mit abſoluter Nothwen-
digkeit. Wohl dem Manne, der ein Mann iſt, und zugleich
etwas, — aber ja nicht zu viel — von einem Jean Paulſchen
Schulmeiſterlein Wuz in ſich hat!


Moͤchte unſere verſtimmte, dumme, ernſthafte Zeit wieder
geſcheidt und luſtig werden, und es ſein und bleiben koͤnnen.


Laͤge es doch an mir, daß es jedem, der wirklich ein
Menſch iſt, vom ganzen Herzen, und ſo ſehr als immer moͤglich
wohlſchmeckte auf der Welt, daß der Himmel jeden Nichteß-
kuͤnſtler erleuchtete und begabte, und der Teufel jeden holte, der
vernuͤnftiges Eſſen ſtoͤren will!


18*
[276]

Heiterkeit! Kraft! Mannigfaltigkeit! Harmonie! —


„Die Welt iſt ein Sardellenſalat;

Er ſchmeckt uns fruͤh, er ſchmeckt uns ſpat:

Citronen-Scheibchen rings umher,

Dann Fiſchlein, Wuͤrſtlein, und was noch mehr

In Eſſig und Oel zuſammengerinnt,

Kapern, ſo kuͤnftige Blumen ſind —

Man ſchluckt ſie zuſammen wie Ein Geſind.“


Appendix A

Druck von Bernh. Tauchnitz jun.


[][][]
Notes
*)
Ich erfreute mich einer zahlreichen Sammlung von, nach Dr.Gall’s
Syſtem geordneten, ſchoͤnen Abbildungen und Gypsabguͤſſen der Schaͤdel
ausgezeichneter Eßkuͤnſtler. Dieſe wurden bei den Vorleſungen, wie ſie
*)
wirklich muͤndlich gehalten wurden, vorgezeigt, und ſollten auch lithographirt
vorliegendem Abdrucke jener Vorleſungen beigegeben werden. Leider wurde aber
der Kuͤnſtler, welcher deren Ausarbeitung uͤbernommen, auf den Grund und in
Folge eines getragenen altdeutſchen Rockes, in eine Criminalunterſuchung de-
magogiſcher Umtriebe verwickelt, wobei ſeine Papiere und Effekten, worunter
eben jene, mir gehoͤrigen, Abbildungen und Gypsabguͤſſe, ſo wie die wunder-
ſchoͤnſten Aquarellgemaͤlde von Torten und Paſteten ꝛc. ſich befanden, verſie-
gelt, und liegen gegenwaͤrtig, wer weiß wie lange? — noch unter Siegel. Da
nun dieſe Vorleſungen bis auf dieſen Bogen abgedruckt ſind, und einem ſehr
verehrten Publikum wohl kaum laͤnger vorenthalten werden duͤrfen, ſo muß lei-
der jene, gewiß intereſſante, Zugabe wegbleiben.
*)
Bei den muͤndlichen Vorleſungen ſelbſt wurde, ſtatt obiger Saͤtze, eine
ſolche zierlich aufgeſchnittene Wurſt herumgegeben, und fand vielen Beifall.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 1. Vorlesungen über Esskunst. Vorlesungen über Esskunst. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bjgb.0