Darſtellung
der
Handlung
in deren mannigfaltigen
Geſchaͤften.
Bei Benjamin Gottlob Hoffmann.
Viertes Buch.
Von den Huͤlfsgeſchaͤften der Handlung.
Erſtes Capitel.
Von der Schiffahrt.
§. 1.
Wenn gleich die Schiffahrt fuͤr jedes Volk, wel-
ches ſie zu treiben im Stande iſt, ein wichtiges und
im Ganzen eintraͤgliches Gewerbe iſt, ſo iſt ſie doch
ſo wenig als eine Art der Handlung anzuſehen, als
das Gewerbe eines Fuhrmanns. Sie iſt aber ein
wichtiges Huͤlfsgeſchaͤft der Handlung. Der Schiff-
bau iſt eine wichtige Manufactur fuͤr jedes Volk,
das viele eigne Schiffe braucht. Er wird auch, wenn
ein Volk Schiffe in der Abſicht des Verkaufs an an-
dere Voͤlker bauet, ein betraͤchtlicher Zweig des auslaͤn-
diſchen Manufactur-Handels. Seefahrt und Fluß-
fahrt dienen der Handlung verhaͤltnißmaͤſſig mehr
oder weniger. Ich habe aber bereits oben Cap. I.
§. 9 erwaͤhnt, daß das Zuſammentreffen von bei-
den hauptſaͤchlich den Ort beſtimme, wo groſſe
Handelsſtaͤdte natuͤrlich entſtehen. Jezt will ich zu-
voͤrderſt von der Seefahrt reden.
2ter Teil. A
[2]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
§. 2.
Die natuͤrlichſte Veranlaſſung, ein Seeſchiff zu
bauen und auszuruͤſten, entſteht dem Kaufmann aus
ſeinem eigenen Handel. Will er Waaren uͤber See
verſenden oder kommen laſſen, ſo iſt er freilich am
beſten daran, wenn er ſein eignes Schiff dazu an-
wenden kann, oder hoͤchſtens mit einzelnen ſeiner
Mitbuͤrger ſich vereinigen darf, um es zu befrachten.
Vor Alters war es wirklich ſo damit bewandt, als
der Kaufleute weniger waren, ihre Handlung nicht
viele Zweige hatte, und nicht auf ſo manche Plaͤze
gieng. Damals waren auch die Schiffe kleiner, und
alſo ein einziger Kaufmann mehr im Stande, als
jezt, dem kleinen Schiffe ſeine ganze Ladung zu ge-
ben. In den mittlern Zeiten mag es ſchon anders da-
mit bewandt geweſen ſein. Ich habe oben B. 3. C. 5.
§. 9. angefuͤhrt, daß in den Hamburgiſchen alten Com-
panien die ſogenannten Voͤgte verpflichtet waren, mit
den Schiffen der aͤltern Mitglieder als Cargadoͤre
zu gehen, welches darauf zu deuten ſcheint, daß die
Ladungen der Seeſchiffe das Eigentuhm mehrerer
Kaufleute enthielten. Denn der Kaufmann, wel-
cher ein Schiff allein befrachtete, fand es gewis ge-
rahtener, einen Handlungs-Bedienten mitgehen zu
laſſen, welcher mehr von ihm abhing, als ein ſolcher
Vogt. In entfernten Weltgegenden, wo es doch
auch Kaufleute giebt, die uͤber See handeln, in Ara-
[3]Cap. 1. Von der Schiffahrt.
bien, Indien und China, wo aber die Handlung
nicht ſo gemiſcht und mannigfaltig, als in Europa
iſt, haben die Schiffe groͤſtenteils nur Einen Be-
frachter, der auch deren Eigner iſt.
Unter dieſen Umſtaͤnden war und iſt noch die
Schiffahrt an ſich kein Gegenſtand des Gewinns fuͤr
deren Eigner. Dieſer wird die Koſten des Schiffs
mit in die Rechnung der Handlung ſchlagen, welche
er mit dieſem Schiffe betreibt, und den Wehrt deſſel-
ben als ein auf Gewinn und Verluſt laufendes
Capital anſehen, das ihm nur durch den Gewinn
von ſeiner Handlung erſezt werden kann. Auf eben
dieſen Fuß wird gewiſſermaſſen, wie ich weiter unten
§. 10 zeigen werde, die Rechnung von den Eignern
der Schiffe, wenigſtens in unſern Gegenden, gefuͤhrt.
§. 3.
In unſern Zeiten giebt vorzuͤglich der Colonie-
Handel Kaufleuten, die aus demſelben ihr Haupt-
werk machen, Anlaß zur Erbauung oder Anſchaffung
eigner Schiffe zum Behuf dieſes ihres eigenen Han-
dels. Man nennt dieſelben in Frankreich Arma-
toͤre, (von armer ein Schiff ausruͤſten,) wie denn
dieſe Worte uͤberhaupt fuͤr das gelten, was wir in
Deutſchland Rehder und ausrehden nennen.
Noch mehr beduͤrfen eigener Schiffe die im Mutter-
A 2
[4]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
lande wohnenden Beſizer groſſer Plantagen in den
Kolonien. Beckford, welcher ſich vor bald dreiſſig
Jahren in der Fuͤhrung des Amts eines Lords-Maire
ſo beruͤhmt machte, erhielt, da er uͤbrigens kein ei-
gentlicher Kaufmann war, zwanzig eigene Schiffe
im Gange zwiſchen England und ſeinen Plantagen
in Jamaica; und gewis hat England noch jezt ſol-
cher Maͤnner viele. Die Fahrt laͤngſt den Kuͤſten
Eines Staats, welche man die Kuͤſtenfahrt im
eingeſchraͤnkten Verſtande nennt, wird mehrenteils
auch mit eigenen Schiffen derjenigen Kaufleute be-
trieben, welche von Hafen zu Hafen handeln. Man-
cher Schiffer iſt dann auch ſelbſt der Kaufmann, und
faͤhrt in ſeinem eigenen Gewerbe. Doch wendet
man dazu kleinere Schiffe an, es ſei denn, daß Pro-
ducte, die ein Schiff ſehr leicht fuͤllen, wie z. B. die
Steinkohlen und Holz einen Gegenſtand dieſes Ge-
werbes ausmachen. Aus dieſem Grunde und uͤber-
haupt wegen ſeiner Lage hat Gros-Britannien und
Irland die ſtaͤrkſte Kuͤſtenfahrt in Europa.
§. 4.
Eine Haupt-Veranlaſſung des Gebrauchs der
Schiffe im eigenen Gewerbe iſt die Fiſcherei. Ich
rede nicht von der Fiſcherei laͤngſt den Kuͤſten, welche
ein Gewerbe des geringen Mannes iſt, das er von
den Ufern ab mit kleinen Fahrzeugen betreibt. Der
[5]Cap. 1. Von der Schiffahrt.
Fang ſolcher Fiſche iſt nach Gruͤnden, welche ich
B. 3. Cap. 1. §. 1 angegeben habe, noch kein Ge-
genſtand eigentlicher Handlung, bevor aus demſel-
ben ein Vorraht geſammelt iſt, mit welchem ein Ge-
werbe im Groſſen getrieben werden kann. So wird
der an den Kuͤſten Islands und Norwegens gefan-
gene Stokfiſch, und jezt der an den Schwediſchen
Kuͤſten von deren Bewohnern gefangene Hering
allererſt nach ſeiner Aufkaufung durch Kaufleute ein
Gegenſtand des groſſen Handels. Aber der Anlaß
zur Ausruͤſtung groͤſſerer Schiffe entſteht aus dem
Fange der Fiſche auf hoher See oder in entfernten
Meeren. Dieſer hat bekanntlich den Hering, den
Stokfiſch, den Wallfiſch und den Seehund vorzuͤg-
lich zu Gegenſtaͤnden. Ich habe bereits oben B. 2.
C. 2. §. 6 geſagt, daß ich dies Gewerbe zum Pro-
ductenhandel der Nation rechne, die es treibt. Ich
mag mich hier nicht auf die hiſtoriſche und geogra-
phiſche Darſtellung der Wichtigkeit dieſes Gewerbes
ausdehnen, welche freilich in einigen Zweigen jezt in
dem Maaſſe abnimmt, je kleiner die Zahl derjenigen
Chriſten wird, welche die von der Kirche allgemein
gebotenen Faſten noch mit Aengſtlichkeit halten. Doch
bleibt ſie noch immer dadurch ein wichtiges Mittel,
die Seefahrt im Ganzen aufrecht zu erhalten, weil
ein zur Fiſcherei auf hohen Meeren ſich verdingen-
der Seemann mehr Uebung hat, und an die Gefah-
[6]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
ren der See ganz anders gewoͤhnt wird, als in irgend
einem andern Zweige der Seefahrt.
§. 5.
Bei dem allen iſt jezt die erſte Veranlaſſung zum
Bau der See-Schiffe die Hofnung des Gewinns,
der aus der Vermietung derſelben, oder der teilweiſe
eingenommenen Fracht von Kaufleuten deſſelben ſo
wol, als eines fremden Staats entſteht, ſo daß ich
ſagen moͤgte, daß von fuͤnf Schiffen, welche die See
befahren, vier in dieſem Wege benuzt werden. Der
jezige Gang der Handlung macht dies uͤberhaupt noht-
wendig, da die Kaufleute groſſer Handelsſtaͤdte ſo
vielerlei Geſchaͤfte eins neben dem andern treiben,
daß nur von wenigen der Gegenſtand ein Schiff ganz
fuͤllen kann. Entſteht ihnen ein ſolches von Zeit zu
Zeit, ſo wird es ihnen leicht, ein Schiff fuͤr dies
einzelne Handlungsgeſchaͤfte zu mieten. Der Preis
der Fracht ſei, welcher er wolle, ſo iſt der Kauf-
mann doch immer beſſer daran, als wenn er in der
Hinausſicht, zuweilen eines ganzen Schiffes zu be-
duͤrfen, viele eigne Schiffe ſelbſt halten muͤßte. Der
Contract, durch welchen ein ganzes Schiff bedungen
wird, heißt in der Sprache des Schiffsweſens eine Cer-
tepartie. Ein ſchiklicher Deutſcher Ausdruk dafuͤr
wuͤrde Ladungs-Contract oder Fracht-Con-
tract ſein. Jenes Wort iſt fremden Urſprungs,
[7]Cap. 1. Von der Schiffahrt.
und bedeutet ſo viel als ein geteiltes Papier, charte
partie, in altem Franzoͤſiſchen. Jezt werden zwei
gleichlautende Abſchriften eines ſolchen Contracts,
von beiden Teilen unterſchrieben, einander aus-
gefertigt.
§. 6.
Gewoͤhnlich aber legt in Seeſtaͤdten ein Schiffer
ſich in Ladung auf Stuͤkguͤter, d. i. in dem
Vorſaz und mit dem Erbieten, eine jede kleine oder
groſſe Partei Waare und ein jedes Stuͤk Gut fuͤr
eine daruͤber zu bedingende Fracht an den von ihm
angezeigten Ort ſeiner Beſtimmung zu bringen.
Nach gemachtem Verding und empfangener Waare
ſtellt er drei gleich lautende Certificate unter der Be-
nennung eines Connoſſements aus, deren eines
er ſelbſt behaͤlt, zwei aber der Einlader bekoͤmmt.
Dieſer ſendet Eines durch den Weg der Poſt dem
Empfaͤnger an dem Beſtimmungsort zu, und die-
ſer wird dadurch berechtigt, es von dem Schiffer
in Empfang zu nehmen, welchem auch er fuͤr die
Fracht haftet. Denn dieſe iſt nicht eher ganz ver-
dient, als bis das Schiff zur Stelle koͤmmt, wird
aber im Ungluͤksfall als bis zu dem Ort verdient
angeſehen und berechnet, wo das Schiff zu Scha-
den kam.
[8]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
§. 7.
In beiderlei Wegen wird der Schiffer nur von
dem Verdienſt der Hinreiſe gewis, es ſei denn in
dem Fall[,] daß er bedungen wird, ledig nach einem
Ort hin zu ſegeln, um dort eine Ladung einzuneh-
men, oder auch die Certepartie auf Hin- und Her-
Fracht geſchloſſen wird. Sonſt aber muß er in dem
Hafen ſeiner Beſtimmung eine Ruͤkfracht auf eben
die Art, wie in dem Hafen, von welchem er ausſe-
gelte, ſuchen. Aber vergebens ſucht er dieſe in man-
chen Haͤfen. Denn es giebt der Seeplaͤze ſehr viele,
zwiſchen welchen die Handlung nur in Einem Wege
geht, ſo daß nur eine Hinfracht geſunden werden
kann, aber keine Ruͤkfracht, wenigſtens keine ſolche
Statt hat, die ein Schiff ganz fuͤllen und ihm hin-
laͤnglichen Verdienſt geben koͤnnte. Dies iſt z. B.
der Fall mit Cadix, welchem Hafen freilich die koſt-
baren fuͤr das Spaniſche Amerika beſtimmten Kunſt-
Produkte aus dem uͤbrigen Europa zugefuͤhrt wer-
den, welches aber nur ſelten ein Schiff mit Retour-
Guͤtern eben dahin fuͤllen kann. Denn die Piaſter,
die Cochenille und andere koſtbare Produkte jener
Gegenden zahlen, ſo groß auch deren Wehrt iſt, dem
Schiffer nur wenig Fracht. Jezt koͤmmt jedoch der
von Havana ausgeſandte Zukker der anfangenden
Plantagen in Cuba dazu. Die Gegend von Cadix
ſelbſt liefert wenig aus. Daher gehen von Hamburg
[9]Cap. 1. Von der Schiffahrt.
nach Cadix jaͤhrlich 12 bis 14 Schiffe, und nur 2
oder 3 kommen von dort auf Hamburg. Auf andere
Seeplaͤze aber fehlt es an der Hinfracht. Nach
Malaga geht von Hamburg aus nur ſ[e]lten ein Schiff
grade zu, und ungefaͤhr dreiſſig kommen von dort
jaͤhrlich nach Hamburg. Ein groſſer Teil derer
Schiffe, welche die Oſtſee beſegeln, befinden ſich in
eben dieſem Fall. Man kann aus den Sundiſchen
Liſten ſehen, wie viele derſelben mit bloſſem B[a]llaſt
hineinſegeln, aber faſt keiner mit Ballaſt wieder
heraus. Es koͤmmt hiebei ſehr auf die Beſchaffen-
heit derer Guͤter an, welche von Einem Hafen und
Lande zu dem andern gehen. Richtete ſich die Fracht
nicht nach dem Gewichte, ſondern nach dem Wehrte,
ſo wuͤrden jene Faͤlle weniger Statt haben. Wenn
aber die Producte Eines Landes ſchwer ſind, und
vielen Raum einnehmen, die des andern aber koſt-
bar bei kleinem Gewicht ſind, ſo giebt jenes Land
dem Schiffer immer mehr und [geſchwinder] zu ver-
dienen, als dieſes, oder er muß in dieſem lange und
mit groſſen Koſten liegen bleiben, ehe es zu einer
hinlaͤnglichen Fracht gelangt. Welch eine Schwierig-
keit dies den Nordamerikanern in ihrer Handlung
und Schiffahrt mache, habe ich in meinen Bedenk-
lichkeiten uͤber dieſe Handlung S. 20 des
2ten Bandes unſerer Handels-Bibliothek gezeigt.
[10]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
Anmerkung.
Wenn ich Dinge dieſer Art, die in allen Seehaͤ-
fen und groſſen Handlungsplaͤzen jedermann bekannt
ſind, ſo umſtaͤndlich vortrage, ſo denke man dabei,
daß mein Buch auch hoffentlich inlaͤndiſche Leſer ha-
ben werde, welchen eben dieſe Umſtaͤnde nicht ganz
bekannt ſind.
§. 8.
Aus allen dieſen Urſachen nimmt der Eigner eines
Schiffes ſeine Ausſicht dahinaus, und weist auch
ſeinen [Schiffer] an, ſich in keinem Hafen lange auf-
zuhalten, wo keine Retourfracht, wenigſtens nicht
ohne langen Zeitverluſt und Koſten, ſich erwarten
laͤßt, ſondern von einem ſolchen Hafen zu einem an-
dern zu ſegeln, wo ſich der Fall umkehrt. Schiffe,
die von Hamburg nach Cadix gehen, verlaſſen alſo
dieſen Hafen, ſobald ſie ausgeladen haben, und ge-
hen in die Mittellaͤndiſche See, vorzuͤglich nach Ma-
laga, zumal gegen die Jahrszeit, wenn die Weinleſe
[und] Erndten anderer Art die Schiffe geſchwind fuͤllen.
Oder ſie ſuchen andre Haͤfen an der Mittellaͤndiſchen
See, wo allenfalls eine Ordre hin gegeben iſt, eine
Certepartie auf dieſen oder jenen Hafen auf eine
Fracht Oel, Corinthen, Citronen und dergleichen
Produkte zu ſchlieſſen, die fuͤr den Norden Europens
beſtimmt ſind. Am gewiſſeſten, wiewol nur ſchwach,
[11]Cap. 1. Von der Schiffahrt.
bezahlt einem ſolchen Schiffe das Seeſalz an den
Ufern der ſuͤdlichen Meere ſeine Ruͤkfracht, deſſen
die Laͤnder an der Oſtſee ſo ſehr beduͤrfen. Mit die-
ſem ſegelt der Schiffer dem Sunde zu, ohne den Ort
ſeiner eigentlichen Beſtimmung zu wiſſen, welchen
er allererſt im Sunde durch Briefe ſeiner Rheder er-
faͤhrt, die mittlerweile erkundigt haben, in welche[m] Ha-
fen der Oſtſee das Salz am meiſten verlangt wird.(*)
In manchen Haͤfen laͤßt ſich ſo wenig eine volle Fracht
erwarten, daß ein Schiff nur auf mehrere derſelben
in Ladung legen kann, ſie der Reihe nach befaͤhrt,
und ſich ſeiner Ladung Teilweiſe entledigt.
[12]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
Das iſt ungefaͤhr der Gang der ſogenannten
Frachtfahrt, (Franzoͤſiſch le Cabotage) eines Ge-
werbes von oft groſſer, oft geringer und uͤberhaupt
ſehr ungewiſſer Eintraͤglichkeit.
§. 9.
Zwar wird ein jedes Volk zu dem Bau derjeni-
gen Schiffe Raht zu ſchaffen wiſſen, deren es zu
ſeinem eigenen Seehandel bedarf. Aber derer Vor-
ausſezungen ſind ſehr viele, ohne welche eine Na-
tion nicht zu dem Gewinn einer ſolchen Frachtfahrt
gelangen, wenigſtens es nicht hoch in derſelben brin-
gen kann. Dieſe ſind teils natuͤrliche, teils oͤkono-
miſche, teils politiſche Vorteile, welche Eine Na-
tion vor der andern voraus hat. Ich will von jeder
Art beſonders reden.
1) Natuͤrliche Vorteile ſind,
a) wenn eine Nation reich an ſolchen Producten
iſt, welche als Materialien des Schiffsbaues und
der Schiffahrt dienen. Zum Gluͤck fuͤr die handelnde
Welt hat kein Volk entweder alle dieſe Producte
in hinlaͤnglichem Vorraht und Guͤte, oder genießt
der noch zu erlaͤuternden uͤbrigen Vorteile nicht hin-
reichend. Sonſt wuͤrde ein ſolches Volk allen uͤbri-
gen nicht nur in der Seefahrt, ſondern auch in dem
Seehandel den Rang zu ſehr abgewinnen. In Eu-
[13]Cap. 1. Von der Schiffahrt.
ropa ſind die Laͤnder an der Oſtſee uͤberhaupt am
reichſten an dieſen Producten. Darauf beruhete das
Uebergewicht der Hanſeſtaͤdte im Handel um ſo viel
mehr, da faſt ein jeder Seeplaz an dieſem Meere in
dem Bunde ſtand. Als dieſer Bund geſchwaͤcht war,
bewies und es beweist noch die Erfahrung, daß jede
Nation, welche das Uebergewicht in der Oſtſeeiſchen
Schiffahrt hat, daſſelbe auch uͤberhaupt im Schiffs-
bau und in der Seefahrt habe. Aber warum hat
denn von den Staaten laͤngſt der Oſtſee bisher keiner
dies Uebergewicht an ſich ziehen koͤnnen? Deswegen
nicht, weil ihnen einzeln ſo mancher derer uͤbrigen
Vorteile fehlt, von welchen ich noch zu reden habe.
Hier gehoͤrt nur ſo viel her, daß nicht alle dieſe Pro-
ducte insgeſamt haben. Z. B. Rußland und Schwe-
den fehlt es an dem Eichenholze. Nordamerika hat
deſſen einen Ueberfluß, aber nicht in der Guͤte, die
erforderlich iſt, um auf eine hinlaͤnglich lange Dauer
des Schiffes rechnen zu koͤnnen.
b) Geographiſche Vorteile. Dahin gehoͤren:
genug gute Haͤfen, Gewaͤſſer und Seekuͤſten, an
welchen viele Beſchaͤftigungen vorfallen, in welchen
der geringe Mann auf die Seefahrt zulernen kann.
Ich habe ſchon §. 3 geſagt, daß England in dieſer
Abſicht am beſten daran iſt. Jezt muß ich hinzu
ſezen, daß es Rußland gar ſehr daran fehle. Es
[14]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
hat zu wenig Gewaͤſſer und Seeufer. Die nun den
Tuͤrken aufs neue abgedrungene Schiffahrt auf dem
Schwarzen Meere wird ihm zwar mehr Seeleute
verſchaffen, aber langſam und nie im Ueberfluß, ſo
lange die nun unter Rußlands Herrſchaft gelangten
Kuͤſten deſſelben nicht mehr Bewohner haben, die
auf dem Meere Beſchaͤftigung ſuchen koͤnnen.
Zu einer ſtarken Frachtfahrt gehoͤrt dann auch
eine ſolche Lage, daß der Staat, welcher daran Teil
nehmen will, nicht zu weite Wege zu denen Meeren
habe, in welchen der Verdienſt von derſelben am
meiſten vorkoͤmmt. Fuͤr Nordamerika wird die
Frachtfahrt in den Europaͤiſchen Meeren nie ein Zweig
ſeiner Induſtrie werden koͤnnen. Auch Rußland iſt
ſchon zu weit von denſelben entfernt.
Zu den natuͤrlichen Vorausſezungen rechne ich
auch, daß die eigene Handlung eines Volks allein
nicht ſchon deſſen Schiffahrt ſo ſehr beſchaͤftige, daß
ihm keine Schiffe und Seeleute fuͤr die Frachtfahrt
uͤbrig bleiben. Das iſt der Fall, in welchem ſich
Frankreich befindet, welches bei den ſo oft wieder-
holten Auffoderungen ſeiner Handlungspolitiker,
die ihm noͤtige Seefahrt in den Norden ſelbſt zu be-
treiben, es nimmermehr hoch darin bringen wird.
Es koͤmmt dazu, daß, wenn es in Friedenszeit einen
[15]Cap. 1. Von der Schiffahrt.
Anfang damit gemacht hat, es die Fahrt durch den
Kanal ſeinen Schiffen geſperrt ſieht, ſo bald Frank-
reich mit den Englaͤndern in Krieg geraͤht. Auch
davon iſt die Urſache geographiſch; denn Frankreich
hat laͤngſt dem Canal keine ſolche Seehaͤfen, in wel-
chen es eine Seemacht beiſammen halten koͤnnte, die
ſeinen Schiffen die Fahrt durch den Canal ſicherte.
Ich werde mehr davon in den Zuſaͤzen ſagen. Die
Britten ſelbſt ſind gewiſſermaſſen in eben dieſem Fall,
daß ſie nicht Schiffe genug fuͤr den Verdienſt der
Frachtfahrt uͤbrig haben.
§. 10.
2) Was ich unter oͤkonomiſchen Vorteilen ver-
ſtehe, erklaͤrt der Ausdruk ſelbſt. Aber es gehoͤren
auch die Vorteile dazu, welche der uͤbrige Gang der
Gewerbe und der Handlung ſelbſt, inſonderheit der
mit den Schiffs-Materialien, einem Volke anbietet.
Der Bau groſſer Schiffe koͤmmt am leichteſten durch
eine Aſſociation mehrerer zu Stande. Dieſe finden in
Holland eine groſſe Erleichterung darin, daß ſie unter
Leuten geſchloſſen werden, welche als Handelsleute,
und ſelbſt als Handwerker, an dem Schiffe verdie-
nen, welches ſie vereint bauen. Nicht nur der auf
die Oſtſee handelnde Kaufmann, ſondern auch der
Schiffbauer, der Seiler, der Schmidt, der Seegel-
macher ſehen zuvoͤrderſt auf den Gewinn, den ſie
[16]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
von dem Bau dieſes Schiffes haben. Sie haben die
Kraͤfte, das ihnen fuͤr ihre Lieferung oder Arbeit zu-
kommende Capital als den Kaufpreis ihres Schiffs-
parts ſtehen zu laſſen, und ſehen es als Gewinn an,
wenn ſie aus dem Verdienſt von deſſen Frachtfahrt
mehr als gewoͤhnliche Zinſen ziehen. Das iſt ganz
eine andere Sache, als wenn in Hamburg und an-
dern Seeplaͤzen die ganze Auslage fuͤr Materialien
und Arbeit von den Rhedern eines Schiffes baar her-
geſchoſſen werden muß.
Inſonderheit aber entſteht eine groſſe Erſparung
aus der Bauart und der Beſegelung der Schiffe.
Dies wird uͤberhaupt mehr und mehr ausſtudirt.
In meiner Jugend ſah ich kein Schiff die Elbe beſe-
geln, das nicht drei Maſten gehabt haͤtte, wenn es etwa
100 Laſten groß war. Jezt giebt man ſelten einem
Schiffe von 150 Laſt mehr als zwei Maſten, wo-
durch wenigſtens zwei Mann an der Equipage er-
ſpart werden. Aber vollends groß iſt der Vorteil,
welcher aus der Hollaͤndiſchen Art der Bemaſtung
und Beſegelung von kleinen und Mittelſchiffen ent-
ſteht, welcher jedoch die auf der Oſtſee gewoͤhnliche
ſich ſehr naͤhert. Die Stellung der ſogenannten
Spreet- (ausgeſpreiteten) und der kleinern dreiekkig-
ten Segel geſchieht mit viel groͤſſerer Leichtigkeit,
und braucht weit weniger Haͤnde, als die der vierek-
[17]Cap. 1. Von der Schiffahrt.
kigten mit der Mitte ihrer Seegelſtangen an den
Maſten befeſtigten Segel. Mittelſchiffe dieſer Art
werden groſſenteils von dem Schiffer, welcher ge-
woͤhnlich deren Eigner iſt, deſſen Weibe, einem Knecht
und einem Jungen auf weite Reiſen gefuͤhrt. Die
ganze Familie, wenn der Kinder auch mehr ſind,
lebt auf dem Schiffe und behilft ſich kaͤrglich, ohne
allen den Aufwand zu kennen, den andre Schiffer
aus groſſen oder kleinern Seeplaͤzen daheim in ihrem
Hauſe zu machen gewohnt ſind, zumal wenn ſie
Winterlager halten.
Ueberhaupt iſt von allen Geſchaͤften, welche der
Handlung angehoͤren, keines, das eine ſo weit ge-
triebene Sparſamkeit erfodert, als das Schiffsweſen
fuͤr Rechnung von Privatleuten, wenn ſo viel durch
die Frachten eines Schiffs gewonnen werden ſoll,
daß das Capital, welches an den Bau des Schiffes
verwandt worden, nebſt den wiederholten Reparatur-
und Ausruͤſtungs-Koſten, ſchon dann gewonnen iſt,
wann durch das Alter und die Abnuzung des Schiffes
das Capital verlohren geht. Die Rechnung uͤber
ein Schiff wird gewoͤhnlich auf eine Art gefuͤhrt, die
man in andern Handlungs-Geſchaͤften nicht kennt.
Der Wehrt des neugebauten oder angekauften Schif-
fes wird als ein auf Gewinn und Verluſt laufendes
Capital auf die Eine Seite der Rechnung in das Debet
2ter Teil. B
[18]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
des Schiffs geſtellt. Eben dahin traͤgt man die Ko-
ſten vorfallender Reparaturen und der Ausruͤſtung
zu jeder neuen Reiſe, nebſt allen dafuͤr bezahlten
Aſſecuranz-Praͤmien. Auf die andere Seite traͤgt
man die Einnahme von allen Frachtgeldern. Wenn
dieſe Summen ſich gleich werden, ſo ſpricht der
Eigner: ſein Schiff habe ſich frei gefahren. Von
Zinſen des daran gewandten Capitals iſt noch gar
nicht die Rede. Gelingt es, daß fuͤr eben dies Schiff
nach mehrern Reiſen die in deſſen Credit gebrachte
Summe das auf der Debetſeite ſtehende ums zwie-
fache uͤberſteigt, ſo heißt es, das Schiff habe ſich
zum zweiten mal frei gefahren.
§. 11.
3) Politiſche Vorausſezungen entſtehen in
dem jezigen Zuſtande Europens auf mancherlei Art.
a) Wenn ein uͤber See handelndes Volk keine
oder wenigſtens ſeltne Seekriege hat. Jeder See-
Krieg macht der Frachtfahrt der im Kriege begriffe-
nen Nation ein Ende, wird aber eine reiche Quelle
des Gewinns fuͤr diejenigen, welche an dieſem Kriege
keinen Teil nehmen, deren Flagge alsdann die neu-
trale heißt. Inſonderheit aber haͤngt die Frachtfahrt
in den ſuͤdlichen Gegenden fuͤr alle Europaͤiſche Na-
tionen von dem friedlichen oder feindlichen Verhaͤlt-
[19]Cap. 1. Von der Schiffahrt.
nis ab, in welchem ſie mit den Afrikaniſchen Seeraͤu-
bern ſtehen. Ich erſpare aber fuͤr das fuͤnfte Buch
alles, was man von dem aus dieſem Verhaͤltnis und
den Friedensſchluͤſſen mit jenen Seeraͤubern entſtan-
denen Recht der neutralen Flagge vielleicht
erwarten moͤgte bereits hier zu leſen. Eben dahin
verſchiebe ich auch von der gewaltſamen Maasregel
zu reden, durch welche die Britten alle Frachtfahrt
auf ihre Haͤfen und Meere den uͤbrigen Europaͤiſchen
Nationen abgeſchnitten haben, nemlich der berufenen
Navigationsacte. Dort werde ich auch erwaͤhnen,
was andere Seefahrende Voͤlker dem aͤhnliches ge-
tahn haben. Hier ſei es genug anzufuͤhren, daß
alle Nationen, welche Colonien beſizen, mit einer
gerechten Handlungspolitik die Frachtfahrt auf die-
ſelben andern Nationen verſagen. Doch ſahen in
dem lezten Seekriege alle in [demſelben] begriffene
Voͤlker ſich genoͤtigt dieſelbe frei zu geben, welches
aber, wie leicht voraus zu ſehen war, nach geſchloſ-
ſenem Frieden wieder aufhoͤrte.
§. 12.
Der Bau der Seeſchiffe iſt, auch wenn er nur
zum Behuf der Handlung des Staats, dem dieſe
Schiffe angehoͤren, getrieben wird, eine vielen Ver-
dienſt gebende Kunſt-Arbeit, welche ſeinen Buͤrgern
zu erhalten deſſen Obern viele Urſache haben, wenn
B 2
[20]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
gleich die Materialien zu demſelben groͤßtenteils durch
die auslaͤndiſche Handlung herbeigefuͤhrt werden
muͤſſen. Ich werde im fuͤnften Buche von denen
Wegen mehr ſagen, welche eine verſtaͤndige Hand-
lungspolitik in dieſer Abſicht zu gehen Urſache hat.
Aber einerſeits ſteht mancher Staat in denen Vorteilen,
die dies erleichtern, zu weit hinter andern zuruͤck;
andrerſeits [entſtehen] aus mancherlei Vorfaͤllen, inſon-
derheit aus den Kriegen unſrer Zeit, zuweilen Re-
volutionen in der Seehandlung, von welchen der
Vorteil manchem Staat entgehen wuͤrde, wenn er
die zu dieſem Behuf ihm noͤtigen Schiffe noch erſt
bauen muͤßte, und ſie nicht von andern Nationen
fertig kaufen duͤrfte. Auch der Fall hat Statt, daß
eine Nation ihre Schiffe anwendet, um die Hand-
lungs-Balanz mit einer andern durch deren Verkauf
wenigſtens zum Teil auszugleichen.
Dadurch werden alſo die Schiffe der Gegenſtand
einer Handlung, die zum Manufactur-Gewerbe zu
rechnen iſt, es mag nun das Schiff ausdruͤklich da-
zu gebauet ſein, oder deſſen Eigner es fuͤr alt ver-
kaufen, um von der Conjunctur Nuzen zu ziehen.
Freilich iſt der leztere Fall der gewoͤhnlichere,
und ſolche Conjuncturen machen die Preiſe der Schiffe
ſo hoch und ſo ſchnell ſteigen, wie es faſt kein Bei-
[21]Cap. 1. Von der Schiffahrt.
ſpiel in andern Handlungszweigen giebt. In dem
lezten Seekriege ward manches alte und ſchlechte
Schiff faſt zu dem Preiſe verkauft, den es im erſten
Bau gekoſter haben mogte. Aber deſto ſchneller
faͤllt auch deren Wehrt, wenn die Conjunctur ſich
ploͤzlich endigt. Dies eben war der Fall in dem J.
1783. Der Verluſt ward erſtaunlich gros, zumal
fuͤr denjenigen, der Schiffe in der Hinausſicht auf
dieſe Conjunctur gebauet hatte. Das Vermoͤgen ſo
manches Privat-Mannes in unſern Gegenden iſt da-
durch verlohren gegangen. Wir haben aber auch hier
in Hamburg drei der groͤſten Schiffe verfaulen ſehen,
welche die Preuſſiſche Nuz-Holz-Handlungs-Compa-
nie hatte bauen laſſen, und ſich zu lange geweigert
hatte, ſie fuͤr den mit dem Frieden geſunkenen Preis
zu verkaufen.
Auſſer ſolchen Conjuncturen geht die Schiffbaue-
rei auf den Kauf an einzelnen Orten lebhaft fort,
welche vorzuͤgliche Vorteile im Ankauf der Materia-
lien und des Arbeitslohns genieſſen, ſo daß der aus-
waͤrtige Kaufmann ſeinen Vorteil dabei einſieht,
wenn er dort Schiffe zum Behuf ſeiner Handlung
bauen laͤßt. Sehr viele Plaͤze an der Oſtſee erfreuen
ſich dieſes Gewerbes auch im Frieden. Holland iſt
durch die §. 10 bemerkten Vorteile faſt immer im
Stande geweſen, andern Nationen ſeine Schiffe mit
[22]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
Gewinn zu verkaufen, wenn auch dieſelben nicht in
dieſer Abſicht gebauet waren.
Vor etwa zwanzig Jahren kam Rusland, in-
ſonderheit Archangel, zu einem Genus dieſes Gewer-
bes, indem es ſehr viele Schiffe von Fuhrenholz auf
den Kauf fuͤr Auslaͤnder baute. Solche Schiffe wa-
ren wolfeil; und in der Befrachtung haben ſie den
Vorteil, daß ein ſolches Schiff, da es durch ſeine
eigene Laſt viel weniger tief, als ein eichenes Schiff
geht, eine weit groͤſſere Ladung einnehmen kann.
Aber drei Umſtaͤnde heben dieſen Vorteil wieder auf:
erſtlich, daß ein ſolches Schiff nicht die Haͤlfte der Zeit
dauert, in welcher ein eichenes Schiff brauchbar
bleibt; zweitens, daß es viel mehr Reparatur erfo-
dert, inſonderheit in demjenigen Teile, der bei dem
Beladen ins Waſſer verſenkt wird, und nachher wie-
der aus demſelben hervorſteigt, da dann das Fuhren-
Holz bei abwechſelnder Naͤſſe und Trokkene ſich zieht
und die Fugen ſich allenthalben oͤfnen; drittens, weil
die Aſſecuranz auf jedes in ein fuhrenes Schiff gela-
denes Stuͤk Gut ſo viel theurer wird, daß der Schiffer
dies gewiſſermaſſen in der ſo viel geringer angenom-
menen Fracht verguͤten muß.
Anmerkung.
Man erwarte nicht, daß ich von den Pflichten
eines Schiffers, und von dem, was ihm die Eigner
[23]Cap. 1. Von der Schiffahrt.
des Schiffes uͤberlaſſen muͤſſen, wenn er in einem
entfernten Hafen ſich befindet, auch nicht von dem,
was die Seegeſeze in einer gewiſſen Einſtimmigkeit
in Anſehung des Schiffers und des Schiffsvolks ver-
ordnen, hier etwas eintrage. Denn ich moͤgte mein
Buch nicht gern durch ſolche rein praktiſche Dinge
ausdehnen, welche man aus ſo manchen Buͤchern
kennen lernen kann, unter welchen ich deutſchen Le-
ſern inſonderheit den wolinſtruirten Schiffer
emfehle, von welchem die zweite Auflage, Luͤbek 1778,
in 8vo, in allen Buchladen zu haben iſt. Aus eben
der Urſache werde ich auch nichts von dem Fuhrwe-
ſen, den Pflichten der Fuhrleute und der Weiſe
mit Ihnen zu contrahiren ſagen, wenn gleich die
Landfracht ein ſo wichtiges Huͤlfsgeſchaͤfte der Hand-
lung iſt, welchem ich ein beſonders Capitel widmen
muͤßte, wenn es mit meinem Hauptzwek zuſammen-
ſtimmte, mich darauf einzulaſſen.
§. 13.
Die Flußfahrt iſt ein von der Natur den in-
laͤndiſchen Gegenden ganz zugeteilter Vorteil, deſſen
dieſelben ſo weit genieſſen, als der Fluß ſchiffbar
bleibt. Dieſes wird freilich auch bei einem waſſerrei-
chen [Fluß] durch einen zu ſtarken Fall deſſelben gemin-
dert. Die Donau, der groͤſte Fluß Europens,
ſchaft Deutſchland, ſo weit ſie durch daſſelbe fließt,
[24]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
wenig Vorteil, weil die Schwierigkeit und Koſten
der Fahrt dem Fluß entgegen zu groß werden, ſo
daß ſie ſich den Koſten der Landfracht naͤhern. Wenn
ſie aber noch betraͤchtlich weit unter dieſen bleiben,
ſo weiſet auch ein ſo reiſſender Fluß, wie der Rhein
und die Weſer, der Handlung den Weg, welchen
ſie zu gehen hat. Die Concurrenz, welche in der
Seefahrt ſo viel vermag, iſt bei der Flußfahrt weni-
ger zu fuͤrchten, und dieſe braucht keine Unterſtuͤzung
von der Handlungspolitik ihrer Regenten.
Dagegen aber hat eine uͤbel verſtandene Handlungs-
Politik deutſcher Regenten und der von ihnen ab-
haͤngenden kleinern Staaten und Staͤdte durch die
ſogenannte Stapelgerechtigkeit vieles getahn,
um die Flußfahrt zu erſchweren. Ich will jedoch
fuͤr die Zuſaͤze das, was ſich daruͤber hiſtoriſch ſagen
laͤßt, mit andern Anmerkungen erſparen. Weit
aͤrger aber iſt der Nachteil, welchen die Gierigkeit
der deutſchen Staͤnde im Mittelalter und die zu
groſſe Nachgiebigkeit der Regenten Deutſchlands,
durch Erteilung der Zollrechte an dieſen Fluͤſſen, der
Fahrt auf den ſchoͤnen Fluͤſſen Deutſchlands zugefuͤgt
hat. Durch dieſe iſt es ſo weit gekommen, daß die
Handlung mancher Gegenden, denen der Fluß zu
Statten kommen koͤnnte, die Landfracht vorzieht,
ſo bald der Wehrt der Waare betraͤchtlich und deren
[25]Cap. 1. Von der Schiffahrt.
Maſſe klein genug iſt, um ſie auf der Achſe verfuͤh-
ren zu koͤnnen. Das iſt nun freilich ein Uebel,
deſſen Deutſchland ſchwerlich jemals los werden
wird. Fuͤr die Seefahrt giebt die Concurrenz den
Regenten oft Gruͤnde an, die Zoͤlle in ihren Haͤfen
zu vermindern, oder aufzuheben, um dieſelbe ihnen zu
erhalten oder ſie hinzuziehen. Allein die Flußfahrt
giebt keine dergleichen Bewegungsgruͤnde an. Kein
Fuͤrſt, wenn er einmal in dem Beſiz eines Zollrechts
an einem deutſchen Fluß iſt, kann erwarten, den
Ort, wo dieſer Zoll gehoben wird, durch Aufhebung
oder Verminderung derſelben ins Aufnehmen zu
bringen, und ihn zu einem Handelsplaze zu machen,
wenn er es ſonſt nicht war. Dagegen bringen dieſe
Zoͤlle denen Orten, wo ſie gehoben werden, nichts
mehr ein, als was die Zollbediente dort verzehren.
Ich kenne einen Ort, wo der Regent 100000 Rthlr.
von ſeinem Zoll hebt, dem es aber zu nichts hilft,
die Grenzſtadt eines groſſen Staats und an einem
groſſen ſchiffbaren Fluß belegen zu ſein, der immer
armſelig bleibt, und deſſen Einwohner blos Akkers-
Leute in buͤrgerlicher Tracht ſind. Wo einige Con-
currenz zu fuͤrchten iſt, da entſtehen andere Gruͤnde.
So hat z. B. Hamburg alle Zoͤlle auf durchgehende
Waaren aufgehoben. Denn da es ſeine ihm ſo buͤn-
dig erteilte Stapelgerechtigkeit nicht behaupten mag,
ſo moͤgte es durch dieſe, wenn gleich kleine Zoͤlle den
[26]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
Tranſithandel wenigſtens groſſenteils von ſich weg-
gewieſen haben. Zwar erklaͤren ſich die neuern
Reichsgeſeze, inſonderheit die Wahlcapitulation, ſo
unguͤnſtig gegen die Zoͤlle, daß man aus deren Aus-
druͤkken allein die Hofnung faſſen moͤgte, es koͤnne
doch noch wol einmal dahin kommen, daß die Deut-
ſche Handlung dieſer Laſt entledigt wuͤrde. Wenig-
ſtens iſt die Errichtung neuer Zollſtaͤdte in einem der
Reichsverfaſſung gemaͤſſen Wege ſo gut als unmoͤglich.
Aber der Fluß-Zoͤlle ſind nun einmal bei weitem zu
viele, und deren Tarife ſo hoch geſtellt, daß das
Uebel nicht wol aͤrger werden kann. Noch iſt kein
Beiſpiel von einem aufgehobenen Zoll in Deutſch-
land da, wol aber iſt, inſonderheit den maͤchtigen
Reichsſtaͤnden, ſo viele Freiheit in Erhoͤhung ihrer ſchon
beſtehenden Zoͤlle uͤbrig gelaſſen, daß ohne Errich-
tung neuer Zollſtaͤdten das Uebel noch unabſehlich
groͤſſer werden kann. Ich behalte mir vor, auch
daruͤber in den Zuſaͤzen noch manches nachzutragen.
§. 14.
Die Bemuͤhung, durch Kunſt eine Schiffahrt
da zu bewirken, wo die Natur dieſelbe nicht gegeben
hat, iſt ſehr alt; aber die dazu erfoderliche Kunſt
hat allererſt vor zwei Jahrhunderten ſich ihrer Vollen-
dung genaͤhert. Alles, was die Alten darin verſtan-
den, war, dem Waſſer der Fluͤſſe und Meere einen
[27]Cap. 1. Von der Schiffahrt.
Weg da zu oͤfnen, wo der Boden ihren Unterſu-
chungen ganz eben oder nur ſchwach abzufallen ſchien.
Die Spuren ſind noch da von einer angefangenen
Durchgrabung der Landenge zwiſchen dem Mittellaͤndi-
ſchen und dem Rohten Meer zur Zeit der aͤlteſten Aegyp-
tiſchen Koͤnige. Aber die Geſchichte ſagt auch, daß
der Anſchlag deswegen aufgegeben ſei, weil dieſen
Koͤnigen die Beſorgnis erwekt worden waͤre, das
Mittellaͤndiſche Meer wuͤrde, weil es viel hoͤher,
als das Rohte Meer belegen ſei, in dieſes aus-
flieſſen, und ſo ſei der groſſe Anſchlag aufgegeben
worden. Die Sineſer begegneten dieſer groſſen
Schwierigkeir, indem ſie queer durch ihre Fluͤſſe und
Canaͤle prismatiſche Daͤmme legten, uͤber deren
ſpizen Ruͤkken die Schiffe mit groſſer Gefahr des Zer-
brechens gezogen werden muͤſſen. Die Roͤmer gru-
ben in Belgien zwei Canaͤle, um den zu waſſerrei-
chen Rhein abzuzapfen; einen jezt nicht mehr erkenn-
baren in ganz flachem Boden in der Nachbarſchaft
ſeines alten Ausfluſſes, einen zweiten mit einem
nicht ſchwachen Falle, der jezt noch die Yſſel heißt.
Dies ward von den ſpaͤtern Belgiern durch Ziehung,
wer weis es? wie vieler Canaͤle, in ihrem flachen Bo-
den nachgeahmt, welche jedoch mehr die Abwaͤſſe-
rung, als die Schiffahrt zur Abſicht hatten, jezt
aber eben ſo viel Wege fuͤr leztere ſind. Erſt im
14ten Jahrhundert wagten es unſre Vorfahren, die
[28]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
Vorfahren von uns nordlichen Deutſchen, Canaͤle
und Fluͤſſe durch Schleuſen zu ſtauen, welche, auf
eine gewiſſe Art geoͤfnet, den Schiffen den Weg auf-
und niederwaͤrts oͤfnen, wenn der Fall nicht uͤber 4
Fus iſt. Endlich gab der Niederlaͤnder, Simon
Stevin, die Fangſchleuſen mit zwiefachen Tuͤhren
an. Eine Erfindung, mit welcher jezt eine kuͤnſtli-
che Schiffahrt allenthalben moͤglich wird, wenn die
Natur nur ſo viel zu Huͤlfe koͤmmt, daß man einen
hinlaͤnglichen Waſſervorraht auf derjenigen Stelle
findet, von welcher ab der Canal nach einer oder
nach beiden Seiten abflieſſen ſoll! Es wuͤrde mich
zu weit fuͤhren, wenn ich alle Canaͤle benennen woll-
te, in welchen dieſe Erfindung benuzt iſt.
Jezt ſind alſo keine andre als gebirgigte oder mit
einem zu ſtarken Abhange ſich ſenkende Gegenden,
in welchen die Kunſt nicht eine Schiffahrt zu Wege
bringen koͤnnte.
§. 15.
Wenn ich zu ſagen wage, ſolche Canaͤle, am rech-
ten Orte angelegt, ſeien der Handlung viel vorteil-
hafter, als die natuͤrlichen Fluͤſſe, ſo ſage ich etwas,
das nur noch Deutſchen unerhoͤrt ſcheinen kann.
Denn faſt jede andre fuͤr die Aufnahme der Handlung
[29]Cap. 1. Von der Schiffahrt.
ſorgfaͤltige Nation, wiewol doch auch unter den
Deutſchen die Brandenburger, wiſſen es. Und die
nordlichen Deutſchen wußten es vor 400 Jahren fruͤ-
her, und uͤbten es fruͤher, ſo gut ſie es verſtanden,
als andre. Alſo muß ich doch wol den Deutſchen
meiner Zeit und meiner Gegend noch Gruͤnde meiner
kuͤhnen Behauptung anfuͤhren. Dieſe ſind:
1) Der natuͤrliche Lauf der Fluͤſſe hat urſpruͤng-
lich keine Beziehung auf die Handlung gehabt, wenn
gleich die Handlung ſie jezt ſo benuzt, wie ſie kann.
Koͤnnten wir der Natur jezt gebieten, die Fluͤſſe ſo
zu verlegen, wie es das Beduͤrfnis der Handlung
erfodert, ſo wuͤrden wir manchem Fluſſe ganz an-
dere Wege anweiſen. Die Natur hat keine Fluͤſſe
gemacht zwiſchen andern Fluͤſſen, oder ſolche, die
von einem Meere zum andern gehen. Ein kuͤnſtli-
cher Fluß in dieſem Wege iſt der Handlung viel wich-
tiger, als mehrere neben einander hinſtreichende und
Einem Meere zulaufende Fluͤſſe.
2) In jedem natuͤrlichen Fluſſe hat die Fahr
demſelben entgegen groſſe Schwierigkeit, vergroͤſſert
die Koſten und den Zeitverluſt. Die Kunſt aber ver-
ſteht es jezt, einen Canal in jeder Richtung gleich
fahrbar zu machen.
[30]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
3) Mancher natuͤrliche Fluß iſt nicht zu allen
Zeiten waſſerreich genug, oder ſtroͤmt mit zu vielem
Waſſer herabwaͤrts. Beides hat in einem gut ange-
legten Canal nicht Statt.
Alle dieſe Vorzuͤge, welche der kuͤnſtliche Fluß
vor dem natuͤrlichen voraus hat, veranlaſſen deren
Erbauer, nicht mehr, wie ſonſt, die natuͤrlichen Fluͤſſe
ſelbſt ſchiffbar zu machen, ſondern in den meiſten
Faͤllen deren Waſſer zur Fuͤllung des Canals zu be-
nuzen, dieſen ſelbſt aber in ſeinem beſondern Wege
zu fuͤhren.
4) In unſerm Deutſchland wird in manchen Ge-
genden ein kuͤnſtlicher Fluß daß einzige Mittel, den
Zoͤllen, Stapelgerechtigkeiten und andern Erfindun-
gen ehemaliger Barbarei der Deutſchen gegen Deut-
ſche auszuweichen, durch welche die von der Natur
bewirkte Flußfahrt ſo ſehr erſchwert wird, welche
jedoch der Eigennuz der Regenten nimmer wird [auf-
geben] wollen. Aber darin wird mancher Regent
ſeinen Vorteil finden, und einzelne haben ihn bereits
darin gefunden, daß ſie die Handlung in einen neuen
ihren Staaten vorteilhaften Weg leiten. Zoͤlle an den
Fluͤſſen koͤnnen, in der Concurrenz mit andern Staa-
ten, wol angewandt werden, die Handlung der
[31]Cap. 1. Von der Schiffahrt.
Nachbaren zu ſtoͤren, aber nicht, um ſie in einen
dem Staate ſelbſt vorteilhaften Gang zu bringen,
der ſeine Zoͤlle zu dieſem Endzwek misbraucht. Aber
ein Canal kann auch lezteres bewirken, und darf
nicht zur Abſicht haben, erſteres gewaltſam zu tuhn.
In manchen Staaten Deutſchlands gilt es als
ein Hauptgrund gegen gute Vorſchlaͤge dieſer Art,
daß man dem Landmann nicht den Verdienſt von
den Frachtfuhren entziehen muͤſſe. Es iſt genug,
darauf zu antworten: wenn das als ein Grund ge-
gen die Canaͤle gelten ſoll, ſo haben alle Staaten
eine groſſe Tohrheit begangen, und dem Nahrungs-
Stande ihres Volks ſehr geſchadet, welche irgend
einen Canal angelegt haben. Ja mehr als dieſes!
ſo wird es einem jeden Lande, das noch ſchiffbare
Fluͤſſe hat, gerahten ſein, dieſe zu ſperren, und an
ſeinen eignen Fluͤſſen das zu tuhn, was der Eigen-
nuz der V. Niederlaͤnder in Anſehung der Schelde
von den Spaniern in dem Muͤnſterſchen Frieden
erzwang.
[32]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
Zweites Capitel.
Von dem Verluſt bei der Seefahrt und
deſſen Berechnung, oder der
ſogenannten Averei.
§. 1.
Die Verfuͤhrung der Waaren ſo wol zu Lande als
zu Waſſer iſt mit groſſen Koſten verbunden. Ge-
wiſſe Koſten ſind der Lohn der Verfuͤhrung oder die
Fracht, welcher zwar den Umſtaͤnden nach ſehr ſchwan-
ket, aber doch bei jedem Stuͤck Gut gewoͤhnlich durch
einen Verding beſtimmt wird, welchem zufolge die
Zahlung bei der Ablieferung der Waare erfolgt.
In die Land- und Flußfracht werden gewoͤhnlich die
Zoͤlle und andere unterwegs zu zahlende Ungelder
mit eingeſchloſſen, deren Belauf der mit ſeinem
Wege bekannte Fuhrmann und Schiffer genau genug
wiſſen kann, um bei deren Uebernehmung in ſeiner
Fracht keinen Verluſt zu leiden. Die am Orte der
Ablieferung entſtehenden Unkoſten traͤgt der Eigner,
und, wo er ſelbſt nicht zur Stelle iſt, deſſen Spedi-
toͤr oder Commiſſionaͤr fuͤr jenes Rechnung. Von
dem allen iſt hier nichts weiter zu ſagen noͤtig.
[33]Cap. 2. Vom Verluſt bei der Seefahrt ꝛc.
§. 2.
Aber bei der Seefahrt entſteht natuͤrlich eine Ge-
meinſchaft zwiſchen den in Ein Schiff verladenen Guͤ-
tern und dem Schiffe ſelbſt, in Ruͤckſicht auf gewiſſe
Unkoſten der Reiſe, welche ihrer Natur nach nicht
von dem Schiffe allein, nicht von jedem Stuͤckgut
beſonders, ſondern von allen vereint getragen wer-
den muͤſſen. Es ſind wenig Haͤfen, von und zu wel-
chen ein Schiff ohne Leitung eines der Fahrt kundi-
gen Menſchen, eines ſogenannten Lootſen, ſegeln
duͤrfte. Auf den Rheden wird Ankergeld, in den
Haͤfen wird Hafengeld gefodert. In den Muͤndun-
gen der Fluͤſſe und den Einfahrten der Haͤfen ſind
Veranſtaltungen aller Art zur Sicherung der Fahrt
gemacht. Dieſe koſten viel, (*) und ein Beitrag zu
deren Koſten von jedem Schiffe iſt durchaus billig.
Dieſer richtet ſich nach der Groͤſſe der Schiffe. Denn
je groͤſſer es iſt und je tiefer es geht, deſto groͤſſer iſt
deſſen Gefahr ohne ſolche Anſtalten.
2ter Teil. C
[34]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
Alle dieſe Unkoſten muͤßten genau genommen
durch eine Durchſchnitts-Rechnung auf das Schiff
und deſſen inhabende Guͤter verteilt werden. Allein,
man rechnet gewoͤhnlich 10 p. C. der Fracht auf die-
ſelben. Sind ſie nicht in dieſe einbedungen, ſo wer-
den ſie bei deren Einfoderung beſonders bezahlt.
§. 3.
Average iſt der Engliſche Ausdruk fuͤr eine
Durchſchnitts-Rechnung. Ohne Zweifel iſt es die-
ſes Wort, welchem man eine Deutſche Endung gege-
ben und es in Averei auch wol Havarie oder
Haverei verwandelt hat. Die fuͤr die bemerkten ge-
wiſſen Koſten der Seefahrt zu machende Durchſchnitts-
Rechnung wird die kleine Averie oder Averie
ordinaire genannt. Dieſe ſezt alſo keinen Schaden
voraus, und wird auch bei der gluͤklichſten Fahrt be-
zahlt. Indeſſen wird, wiewol gewiß misbraͤuchlich,
ein jeder Seeſchaden, wodurch nicht alles verloren
wird, Averei genannt, ſelbſt die Beſchaͤdigung eines
verderblichen Guts auf einer Seereiſe durch eindrin-
gendes Waſſer oder andere Zufaͤlle, die eine an ſich
leicht verderbliche Waare beſchaͤdigen koͤnnen, wenn
gleich keine Durchſchnitts-Rechnung zur Schaͤzung
eines ſolchen Schadens Statt hat.
§. 4.
Eben eine ſolche Durchſchnitts-Rechnung wird
[35]Cap. 2. Vom Verluſt bei der Seefahrt ꝛc.
auch noͤtig, wenn durch nicht gewoͤhnliche Vorfaͤlle
der Seefahrt Schaden und Verluſt am Schiff oder an
Guͤtern entſteht, welcher ſeiner Natur nach nicht
dem einen oder dem andern beſonders zur Laſt ge-
bracht werden kann. Ein Schiff geraͤht z. B. auf
eine Untiefe in offener See, und es muß, um daſſelbe
zum Treiben zu bringen, ehe groͤſſeres Ungluͤk er-
folgt, derjenige Teil der Ladung, zu welchem am
leichteſten zu gelangen iſt, oder die ſchwerſten Guͤter
ins Meer geworfen werden. Eben das geſchieht
ſehr gewoͤhnlich in ſchwerem Sturm zur Erleichte-
rung eines Schiffes, das in der Vorausſezung einer
gewoͤhnlichen Witterung nicht zu ſchwer beladen war.
Oder ein Schiff muß wegen Beſchaͤdigung einen
Nohthafen ſuchen. Die Billigkeit leuchtet ein, daß
aller Verluſt und alle Unkoſten, ohne deren Anwen-
dung Schiff und Gut verloren gegangen ſein moͤgte,
oder, wenn es den Nohthafen geſucht hat, nicht die
Reiſe zum Ort ſeiner Beſtimmung wuͤrde haben fort-
ſezen koͤnnen, von dem Schiff und allen Guͤtern, im
Verhaͤltnis zu deren Wehrt getragen werden muͤſſen.
Hier wird alſo eine ſehr genaue Durchſchnitts-
Rechnung noͤtig, welche nicht, wie bei der kleinen
Averei, nach Procenten der Fracht, ſondern nach
Procenten des Wehrts von einzelnen und allen ge-
macht werden muß. Nach welchen Gruͤnden dieſer
C 2
[36]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
Wehrt geſchaͤzt werde, davon werde ich unten noch
viel zu ſagen haben. Dieſe Berechnung, aber auch
ſelbſt der dadurch beſtimmte Schadensbeitrag, wird
Averie groſſe genannt. Man wuͤrde ſie Deutſch
die gemeine Averei nennen koͤnnen. Aber
durch dieſe Benennung unterſchiede ſie ſich nicht
genug von der kleinen Averei.
§. 5.
Ein Schaden, der dem Schiffe oder gewiſſen
Guͤtern alleine wiederfaͤhrt, und durch keine ſolche
Durchſchnitts-Rechnung uͤber das Ganze verteilt
werden kann, ſollte nicht mehr Averei genannt wer-
den. Es braucht auch nicht einmal einer Berechnung
deſſelben, wenn nicht eine Aſſecuranz der Sache Statt
gehabt hat. Alsdann muß der Eigner den Schaden
tragen, er ſei groß oder klein, hat aber dagegen auch
den Vorteil, daß er nichts zu dem allenfalls groͤſſe-
ren Schaden anderer beitraͤgt. Es ſtrandet z. B. ein
mit verderblichen und unverderblichen Guͤtern belade-
nes Schiff, und alle Waaren werden aus demſelben
geborgen; die verderblichen verlieren durch das See-
waſſer faſt ihren ganzen Wehrt; das Schiff ſelbſt
breche hintennach, und werde ein Wrak; die unver-
derblichen aber kommen ohne andern Verluſt, als den
der Bergungskoſten, dem Eigner zu Haͤnden: ſo er-
ſezet er doch denen, die mehr als er verloren haben,
[37]Cap. 2. Vom Verluſt bei der Seefahrt ꝛc.
nicht das geringſte. Einen ſolchen Seeſchaden nennt
man eine particulaͤre Averei.
§. 6.
Es iſt ſehr wichtig, ein unterſcheidendes Kenn-
zeichen der Averie Groſſe anzugeben, die ich kuͤnftig
die Groſſe Averei nennen will, nach dem ſchon
erklaͤrt iſt, daß das Wort Groſſe nicht auf deren Be-
lauf deute. Ich glaube es darin ſezen zu koͤnnen:
Zur Groſſen Averei gehoͤrt aller Schaden, der als die
Folge eines Entſchluſſes angeſehen werden kann,
welcher nach kuͤrzerer oder laͤngerer Ueberlegung von
dem Schiffer und denen, welche ihm zu rahten be-
fugt ſind, genommen werden. Ein Entſchluß alſo,
welcher auf die Rettung der in Gemeinſchaft ſtehen-
den Guͤter und des Schiffes Ruͤkſicht hatte. Z. B.
Ein Schiff wird von einem ploͤzlichen Windſtoß an-
gefallen; der Schiffer und Steuermann rufen dem
Schiffsvolk zu: kappt den Maſt. Dies faͤngt kaum
an, die Schiffswaͤnde und Seile, die den Maſt hal-
ten, zu durchſchneiden, da der Maſt ſchon bricht und
verloren geht. Auf einem andern Schiffe werde noch
nicht an das Kappen des Maſtes gedacht, da der
Windſtoß ihn ſchon zerbricht. Nun iſt keine Frage
mehr, zu welcher Art von Averei dieſer Verluſt des
Maſtes fuͤr das Eine und das andere Schiff anzuſe-
hen ſei. Fuͤr jenes Schiff iſt der ganze Verluſt in
[38]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
der groſſen Averei zu berechnen. Denn es war eine
Ueberlegung vorgegangen, und man hatte dieſer zu
Folge zu handeln angefangen. Es gilt alſo nicht
mehr die Einwendung, der Maſt wuͤrde ohnehin ge-
brochen ſein: denn es war doch etwas geſchehen,
welches dieſes Brechen erleichterte. In dem andern
Schiff aber war nichts dergleichen uͤberlegt und ge-
tahn. Das Brechen des Maſtes gilt alſo fuͤr einen
reinen Unfall von der See. Weil aber nach dieſem
Unfall das Schiff ſich des Maſtes entledigen mußte,
und deswegen Seile, die ihn hielten, mit einer ge-
wiſſen Ueberlegung abgeſchnitten werden mußten,
ſo wird deren Erſaz in die Groſſe Averei getragen;
und ſo gilt uͤberhaupt die Regel: was bricht, bricht
dem Schiffe; was geſchnitten wird, iſt Groſſe Averei.
Wenn ein Schiff ſich durch Verteidigung von einem
Caper rettet, ſo gehoͤrt aller dem Schiffe daraus ent-
ſtehende Schaden eben dahin. Denn ſo zufaͤllig alles
in dieſer Verteidigung zugeht, ſo iſt doch alles Folge
des von dem Schiffer genommenen Entſchluſſes, ſich
nicht zu ergeben, ſondern zu verteidigen. Dies iſt
freilich im Allgemeinen der Geiſt der Seegeſeze uͤber
die Groſſe Averei. Man hat dieſen Geſichtspunkt,
wie mir ſcheint, dunkel vor Augen gehabt, aber
nicht ſo feſt an ihm gehalten, daß nicht manche Aus-
nahme von der Regel geſezmaͤſſig gemacht waͤre.
[39]Cap. 2. Vom Verluſt bei der Seefahrt ꝛc.
Ich werde in den Zuſaͤzen noch mehr daruͤber zu
ſagen haben.
§. 7.
Die einzigen Zeugen von faſt allen denen Um-
ſtaͤnden und Vorfaͤllen, aus welchen Averei entſteht,
ſind der Schiffer und ſein Schiffsvolk. Aus ihren
Zeugniſſen muß es klar werden, ob und welcher
Schaden als groſſe oder als particulaͤre Averei anzu-
ſehen ſei. Iſt das Schiff ſamt dem Volke umge-
kommen, ſo bedarf es keines Zeugniſſes. Iſt das
Volk umgekommen, das Schiff aber in einem ſol-
chen Zuſtande geſtrandet, daß von demſelben und
der Ladung noch etwas gerettet werden kann, ſo
kann bei ganz fehlendem Zeugniſſe keine groſſe
Averei angenommen, berechnet, oder, wie der
gewoͤhnliche Ausdruk iſt, formirt werden. Dann
iſt alles particulaͤre Averei, auch bei ſolchen Ver-
mutungen, die ſich aus denen Umſtaͤnden, worin
das Schiff gefunden worden, ziehen laſſen, daß vor
der Strandung etwas vorgegangen ſei, was ſich zur
groſſen Averei qualificirt.
Dies Zeugnis muß in dem erſten Hafen, wo das
Schiff anlangt, vor gerichtlichen Perſonen eidlich
abgelegt werden. Man nennt es die Verklarung.
Wenn es bis zu dem Beſtimmungs-Hafen, oder gar
[40]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
bis zu demjenigen, aus welchem das Schiff gegan-
gen iſt, verſchoben wuͤrde, ſo koͤnnte ein zweiter Un-
fall auf der weitern Reiſe dieſe Leute aus der Welt
bringen, und das Zeugnis ganz fehlen.
§. 8.
Die Berechnung dieſer Havereien, der Groſſen
in jedem Fall, und der partikulaͤren nur dann, wann
eine Verſicherung auf das verlorne Gut genommen
iſt, benennt man eine Diſpaſche, von dem Italiaͤ-
niſchen und Spaniſchen Wort diſpacho, welches ſo
viel als depeche bedeutet. In groſſen Haͤfen und
Handelsplaͤzen, wo dergleichen Berechnungen oft
vorkommen, wird von dem Staate ein Mann aus-
druͤklich zu dieſem Geſchaͤfte, unter der Benennung
Diſpaſchoͤr, angeſtellt. In andern Staaten iſt
es kein oͤffentliches Amt, ſondern es wird bei jedem
einzelnen Fall von den fuͤr die Seevorfaͤlle beſtellten
Admiralitaͤten, Conſulaten, in Holland von den
Commiſſarien der Aſſecuranzen ein Mann ausge-
waͤhlt, und deſſen Dispaſche von dieſen Collegien
ſanctionirt. In kleinen Haͤfen, dergleichen die Noht-
haͤfen mehrenteils ſind, fehlt es an einem ſolchen
Manne, und ſie kann daher nicht dort aufgemacht
werden. Dann aber kann ſie auch bis zum Abgangs-
Hafen verſpart werden, nachdem die Verklarung
und uͤbrige Papiere dorthin geſandt ſind, und da
[41]Cap. 2. Vom Verluſt bei der Seefahrt ꝛc.
geht es dann nach den Seegeſezen des Beſtimmungs-
Orts. Wird aber die Verklarung an einem Orte ge-
geben und documentirt, wo eine Art von Seegericht
und ein Diſpaſchoͤr mit oder ohne dieſe Benennung
iſt, ſo wird die Groſſe Averei nach den dortigen See-
geſezen aufgemacht, und man muß ſich dies an dem
Orte der Abſendung gefallen laſſen.
Die Diſpaſche iſt als das Urteil der erſten In-
ſtanz anzuſehen, das ſich durch die Richtigkeit der
Berechnung und der dabei genommenen Ruͤkſicht auf
die Seegeſeze des Plazes, wo ſie aufgemacht wird,
rechtfertigen muß. Blos gegruͤndete Einwendun-
gen gegen dieſe koͤnnen die Entſcheidung ruͤckgaͤngig
machen.
§. 9.
Ich werde in dem naͤchſten Capitel ſagen, wie
willkuͤhrlich die Taxen bei Verſicherungen gemacht
werden. Aber der Dispaſchoͤr weis von keiner ſchon
gemachten Taxe bei Aufmachung ſeiner Dispaſche.
Von nicht verſicherten Guͤtern exiſtirt keine derglei-
chen Taxe. Von den verſicherten koͤmmt ſie ihm nur
ſelten ſchon dann zu Haͤnden, wenn er ſich an die
Berechnung der Groſſen Averei macht. Er beſtimmt
alſo den Wehrt der Guͤter, deren Groſſe Averie er
zu berechnen hat, aus dem Preiſe, welchen ſie an
[42]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
dem Orte der Abladung mit den Unkoſten bis am
Bord des Schiffs hatten, wiewol ohne die Aſſecu-
ranz-Praͤmie. Doch nimmt man an andern Orten,
inſonderheit in Amſterdam, den Wehrt an, den ſie
an dem Beſtimmungs-Ort gehabt haben wuͤrden,
falls der Unfall auf der zweiten Haͤlfte der Reiſe ſich
zutraͤgt. Das neue Preuſſiſche Geſezbuch nimmt
den Wehrt am Beſtimmungs- oder Loſungsplaze
auch ohne dieſe Bedingung an. Doch beſtimmt dieſer
Wehrt ſich von ſelbſt, wenn die Unfaͤlle, aus wel-
chen die Groſſe Averei entſteht, ſie nicht beſchaͤdigt
haben. Dem Schiffe ſelbſt und deſſen Zubehoͤr kann
nicht der volle Wehrt beigelegt werden, welchen es
beim Abſegeln hatte. Denn eine jede Reiſe verrin-
gert auch ohne Ungluͤcksfaͤlle deren Wehrt durch die
Abnuzung. Fuͤr dieſes wird alſo der Wehrt gerech-
net, den es hat, wenn es aus der See koͤmmt, mit
Einrechnung desjenigen, was die Groſſe Averei dem
Schiffe verguͤtet. Denn die Groſſe Averei-Berech-
nung geht auch auf das Schiff und die Guͤter zuruͤck,
fuͤr deren Beſchaͤdigung oder Verluſt der Erſaz durch
eben dieſelbe ausgemacht wird. Es ſein z. B. fuͤr
2000 Thaler Guͤter im Sturm uͤber Bord geworfen,
oder das Schiff habe, in Folge dieſes oder jenes durch die
Umſtaͤnde notwendig gewordenen Entſchluſſes, einen
Schaden von gleichem Belauf erlitten. Dann wird
freilich der Erſaz dieſer 2000 Thaler der Gegenſtand
[43]Cap. 2. Vom Verluſt bei der Seefahrt ꝛc.
der Groſſen Averei. Aber nun wird der Wehrt der
geworfenen Guͤter ſo gut, als exiſtirten ſie noch, und
der Wehrt des Schiffes in dem Zuſtande, in welchem
es aus der See koͤmmt, in Eine Summe mit den
durch den Averei-Fall geretteten Guͤtern gezogen.
Geſezt nun jene 2000 Tahler betruͤgen 10 p. C.
von dieſer Total-Summe; ſo gehen dieſe an den ver-
moͤge der Berechnung den Guͤtern oder dem Schiffe
zu erſezenden 2000 Tahlern ab.
Die Billigkeit dieſer Regel iſt einleuchtend, wenn
man bedenkt, daß, wenn nicht ſo gerechnet wuͤrde,
die Eigner des beſchaͤdigten Schiffes oder der gewor-
fenen Guͤter eben durch den Unfall auf Unkoſten der
uͤbrigen in der Gemeinſchaft ſtehenden gewinnen
wuͤrden. Der volle Erſaz wuͤrde ihnen den ganzen
Wehrt der beſchaͤdigten oder verlohrnen Sache wie-
der geben, da alle uͤbrige in der Gemeinſchaft bis
dahin ſtehende Guͤter im Verhaͤltnis ihres Wehrts
verloͤren. Da auch die billige Regel gilt, daß ein
Schiff, wenn es mit Ueberlegung zu beſtmoͤglicher
Rettung des Ganzen auf den Strand geſezt wird,
Erſaz bekoͤmmt, ſo laͤge darin eine Veranlaſſung mehr
fuͤr den nicht ehrlichen Schiffer, ein ſchlechtes Schiff
auf den Strand zu ſezen, und der ehrliche moͤgte
wenigſtens dies mit einigem Leichtſinn ohne dringende
Noht tuhn, wenn er den ganzen Erſaz fuͤr ſich oder
[44]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
ſeine Rheder erwarten koͤnnte, ſo bald er mit ſeiner
Verklarung dartuht, daß er es mit Ueberlegung
getahn habe.
§. 10.
In dieſe Berechnung der Averei, ſelbſt auch der
particulaͤren, koͤmmt auch die von dem Schiffe ver-
diente Fracht mit in Anſchlag, nach Abzug der Volks-
Haͤuer (Schiffsvolks-Lohn) und Hafenkoſt, (Unter-
halt im Nohthafen.) Es wiederfahre dem Schiff,
was da wolle, und wo es wolle, ſo iſt es hoͤchſt
billig, daß die Fracht bis zu dem Orte des Ungluͤks
von allen inhabenden Guͤtern als ſchon verdient an-
geſehen werde. Dann aber iſt das Schiff auch anzu-
ſehen, als waͤre es ſeinen Eignern um ſo viel mehr
wehrt geworden. Was alſo auf der Reiſe mit Ueber-
legung vorgenommen wird, um Schiff und Gut zu
retten oder die Vollendung der Reiſe zu befoͤrdern,
das hat an dem Schiffe einen Gegenſtand, der im
Verhaͤltnis des zuruͤkgelegten Weges mehr wehrt
geworden iſt, und der Beitrag deſſelben zur Groſſen
Averei muß dieſem gemaͤß berechnet werden.
[45]
Drittes Capitel.
Von den Verſicherungen oder
Aſſecuranzen.
§. 1.
Ich habe oben B. 3. C. 5. §. 10. ff. bereits von der
Aſſecuranz geredet, in wie ferne ſie das Geſchaͤfte
einer Geſellſchaft ſein koͤnne und gewiſſermaſſen wirk-
lich ſei. Hier, da ich von dem Geſchaͤfte der Ver-
ſicherung fuͤr Seegefahr ſelbſt rede, werde ich es als
das Geſchaͤfte eines Privatmanns anſehen duͤrfen,
wie es denn immer in den daruͤber geſchloſſenen Con-
tracten als ein ſolches erſcheint, auch wenn der Be-
vollmaͤchtigte einer Companie denſelben ſchließt und
zeichnet.
§. 2.
Eine See-Verſicherung oder Aſſecuranz iſt
demnach ein Contract, vermoͤge deſſen ein Mann
dem andern ſich verpflichtet, allen Schaden, welcher
aus der Waſſerreiſe an dem Eigentuhm des andern
entſtehen kann, zu erſezen, wenn er ihm dafuͤr einen
der uͤbernommenen Gefahr gemaͤſſen Teil des Wehrts
[46]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
von ſeinem Eigentuhm zahlt. Ein Mann, der aus
der Schlieſſung ſolcher Contracte ein Geſchaͤfte macht,
iſt ein Verſicherer, Aſſekuradoͤr, Aſſura-
doͤr, Engliſch: Inſurer.
Der von dem die Verſicherung ſuchenden einge-
willigte Preis oder Belohnung fuͤr dieſelbe wird die
Aſſekuranz-Praͤmie genannt.
§. 3.
Der Zwek einer ſolchen Verſicherung kann nichts
minders ſein, als daß der Verſicherte durchaus gewis
ſein will, daß alles, was auf dieſer Reiſe oder
durch deren Veranlaſſung ihm als Schaden oder Ver-
luſt an dem uͤber Waſſer gehenden Schiffe oder Gut
entſtehen kann, nicht mehr ihm zur Laſt komme,
ſondern gaͤnzlich von dem Verſicherer erſezt werde.
Das daruͤber ausgefertigte und von dem Verſicherer
unterſchriebene Document wird die Polize ge-
nannt; eine Benennung, deren wahrſcheinlichſte
Ableitung die von dem Lateiniſchen Worte: polliceri,
verſprechen iſt. Man wendet dazu gedrukte For-
mulare an, deren Inhalt alle erdenkliche Gefahren,
die aus einer Waſſerreiſe entſtehen koͤnnen, umſtaͤnd-
lich ausdruͤkt, um dem Verſicherer jede Ausflucht zu
benehmen, wenn dem Schiffe oder der Ladung ein Un-
[47]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
fall, nicht immer vom Waſſer ſelbſt, aber doch durch Vor-
faͤlle, die eine Folge der Seereiſe waren, entſtanden iſt.
So bekannt die Formulare dieſer Polizen ſind,
ſo will ich doch ein ſolches hieher ſezen, weil ich die
beſondern Anmerkungen uͤber alle Bedingungen
und Nebenumſtaͤnde eines Verſicherungs-Contracts
nicht beſſer, als nach dem Inhalt der Polize, ordnen
zu koͤnnen glaube. Ich werde denen Worten, auf
welche ſich dieſe Anmerkungen beziehen, die Roͤmi-
ſche Zahl der Anmerkung beifuͤgen; aber auch jeder
Anmerkung einen beſondern §. geben, da manche
derſelben nicht ſehr kurz ausfallen moͤgte.
Man nimmt ſolche Verſicherungen nicht blos auf
Seegefahr, ſondern manchmal auch auf die Gefah-
ren der Flußfahrt, inſonderheit in Jahrszeiten, wo
es Beiſpiele giebt, daß auch Flußſchiffe ungluͤklich
werden koͤnnen. Hier in Hamburg wird manches
Stuͤk Gut von oder bis Luͤneburg verſichert. Der
Weg iſt ſieben Meilen zu Waſſer lang, deren vier
uͤber die Elbe gehen und nicht beiſpiellos vom Umſchla-
gen der Schiffe ſind.
Aſſecuranzen auf Landfracht haben zwar auch
Statt, fallen aber ſelten vor.
[48]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤft. der Handl.
§. 5.
Hamburgiſches Formular der Polize
auf Guͤter.
Wir I. unterſchriebene Aſſecuradeurs, fuͤr uns
und unſere Erben, bekennen ein jeder fuͤr ſeine ge-
zeichnete Summe verſichert zu haben an Hrn. Grego-
rius Martens fuͤr fremde Rechnung II. auf zwei Ki-
ſten Leinen C V B No. 1. Bco. Mk. 5000, und
V B G No. 2. Bco. Mk. 5000, welche mit unſerm,
der Aſſecuradeurs Conſens, ob ſchon dieſelben mehr
oder weniger gekoſtet haben, oder wehrt ſein moͤgen,
und ohne ins kuͤnftige des Wehrts halber einigen
mehrern Beweis und Rechnung als nur allein dieſe
Polize zu fodern, auf, wie oben, taxirt, III. und
geladen ſind, oder noch eingeladen werden ſollen,
in das Daͤniſche Schiff, Anna Maria, welches
Schiffer Jens Rasmuſſen oder ein anderer IV. jezo
fuͤhret, und von Hamburg, wo ſelbſt es dieſe Guͤter
eingenommen, nach Cadix, V. alwo dieſe einge-
nommene Guͤter zu entladen und zu loͤſchen ſein,
gehen ſoll. Wir nehmen uͤber uns gegen Em-
pfang VI. von 3 p. C. Praͤmie in Bco. den Riſiko
und die Gefahr dieſer eingeladenen Guͤter in Anſe-
hung alles Schadens und Ungluͤks, ſo denſelben
ganz oder zum Teil in bedachten oder unbedachten
Faͤllen auf einige Art und Weiſe zuſtoſſen und uͤber-
kommen koͤnnte, geſtalt wir gehalten ſein wollen,
[49]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
fuͤr alle Gefahr von See, Sturm und Ungewitter,
Schiffbruch, Strandung, Ueberſegelung, Werfung,
Feuer, Arreſten und Bekuͤmmerungen von Koͤnigen,
Fuͤrſten und andern Puiſſancen, feindlicher Neh-
mung, Aufbringung, Confiſcationen und Repreſſa-
lien, auch fuͤr gewaltſame Spoliirung der Kaper
und Seeraͤuber, und fuͤr alle andere Perikeln, ſo
auf dieſer Reiſe dieſen Guͤtern durch aͤuſſerliche Ge-
walt zuſtoſſen moͤgten, es geſchehe ſolches durch Ver-
ſehen, Verſaͤumniß und Muhtwillen des Schiffers
oder ſeines Schiffsvolks, oder ſonſt auf einige andere
Art und Weiſe. Wir ſezen uns voͤllig in den Plaz
von beſagtem Herrn Aſſecurirten VII, um denſelben
von allem ſolchen Schaden ſicher zu ſtellen. Und be-
ginnet dieſer Riſiko von dem Moment an, daß dieſe
Guͤter vom Lande geſchieden, um an Bord gebracht
zu werden, bis dieſelben zu Cadix frei und unbe-
ſchaͤdigt wieder an Land werden gebracht ſein VIII.
Gott geleite es in Salvo!
Wir ſind auch zufrieden, daß das Schiff, worin-
nen dieſe Guͤter eingeladen ſind, auf Gutbefinden
des Schiffers ſeine Reiſe fortſezen moͤge IX. Und
daferne, welches Gott verhuͤte, ſich zutragen ſollte,
daß auf vorhingedachte, oder ſonſt auf einige Art und
Weiſe, dieſen Guͤtern und Kaufmannſchaften eini-
ges Ungluͤk zukomme, oder daß dieſelben ganz oder
2ter Teil. D
[50]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
zum Teil verloren, verdorben oder beſchaͤdigt wuͤr-
den; ſo geloben wir und verpflichten uns, ſo wol
der erſte als der lezte, ein jeder fuͤr die von ihm hier-
unter gezeichnete Summe, allen dieſen Schaden und
Verluſt, nebſt allen extraordinairen Unkoſten, zu
gelten, und, nachdem uns von dem geſchehenen
Ungluͤk gebuͤhrende Nachricht gegeben worden X,
innerhalb zween Monaten XI. ein jeder ſolche ſeine
gezeichnete Summe, oder ſo viel davon zu des Aſſe-
curirten voͤlliger Schadloshaltung erfodert wird,
promt zu bezahlen.
Inmaſſen wir, in allen ſo wol gedrukten als
beigeſchriebenen Clauſuln und Bedingungen, welche
den gedrukten gleich gelten, oder vielmehr vorzuzie-
hen ſind, der Stadt Hamburg Aſſecuranz- und Ha-
verei-Ordnung uns unterwerfen. Alles bei [Ver-
pfaͤndung] unſerer Haab und Guͤter, auch ohne Liſt
und Gefaͤhrde, geſchloſſen durch den beeidigten
Maͤkler Philipp Redlich XII.
Hamb. den 10. Maͤrz 1792 XIII.
- Bco. Mk. 6000. Fuͤr Sechs Tauſend Mark Bco., bei
Verpfaͤndung der Aſſecuranz-Com-
panie-Capital, Praͤmie in Bco.
empfangen, den 10 Maͤrz. Hamb.
1792.
Marcus Behutſam.
[51]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
- Bc. Mk. 4000. Fuͤr Vier Tauſend Mark Bco.
Praͤmie in Bco. empfangen.
Arnold Wagemann XIV.
§. 5.
I. Wenn die Polize auf eine etwas groſſe Sum-
me geht, ſo wird nicht leicht ein einzelner Aſſecura-
doͤr auf das ganze Capital zeichnen. Man ſezt alſo
bei jedem Formular voraus, daß mehrere unter dem-
ſelben zeichnen [werden]. Dies Wir wird dann auch
nicht immer geaͤndert, wenn gleich nur ein einziger
Name unter der Polize zu ſtehen koͤmmt.
Es iſt eine Hauptregel des verſtaͤndigen Aſſecura-
doͤrs, auf viele Schiffe, aber nur kleine Summen
zu zeichnen. Denn er ſieht auf die Wahrſcheinlich-
keit hinaus, daß von einer gewiſſen Zahl von Schif-
fen ungefaͤhr gleich viele verungluͤkken. In Frank-
reich rechnete man ſonſt auf hundert deren zwei.
Dies iſt ſchon eine groſſe Zahl, zumal da die von
und auf die Haͤfen Frankreichs ſegelnden Schiffe ein
offenes Meer befahren, und wenigſtens ehemals we-
nig Schiffe durch den Canal, und keine durch den
Sund ſegelten. Waͤre jenes Verhaͤltnis fuͤr Frank-
reich einer zuverlaͤſſigen Erfahrung gemaͤß, ſo muͤßten
fuͤr die Nordiſchen Meere wenigſtens drei auf hun-
dert gerechnet werden, und dem zufolge koͤnnten die
D 2
[52]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
Verſicherer noch nicht beſtehen, wenn ihre Praͤmien
3 p. C. im Durchſchnitt betruͤgen, weil doch fuͤr ſo
manches nicht verungluͤkkendes Schiff Averei beider-
lei Art zu bezahlen vorfaͤllt. Aber das Verhaͤltnis
ſei, welches es wolle, ſo koͤmmt doch der Verſicherer
der Wahrſcheinlichkeit deſſelben um ſo viel naͤher,
auf je mehr Schiffe er zeichnet. Die Bewandnis iſt
faſt eben ſo, wie mit den Leibrenten. Wer Geld
von einem einzelnen Menſchen auf Leibrenten nimmt,
kann zwar aus den Mortalitaͤts-Tabellen fuͤr den-
ſelben bald beſtimmen, wie viel er nach der wahr-
ſcheinlichen Dauer von deſſen Leben ihm als Leibrente
geben koͤnne. Aber dies kann ihn bei einzelnen ſehr
triegen. Wenn aber der Staat oder eine groſſe Ge-
ſellſchaft das Geld vieler Hunderter auf Leibrente an-
nimmt, ſo trift es beſſer zu. Indeſſen mag der
Privat-Aſſecuradoͤr in Ruͤkſicht auf ſein Vermoͤgen fuͤr
groͤſſere Summen zeichnen. Die Hamburgiſchen Aſſe-
curanz-Companien befugen ihre Bevollmaͤchtigten,
in Hinſicht auf ihr groſſes Capital, 10 bis 15000
Thaler Bco. auf Ein Schiff, es ſei aufs Schiff oder
in demſelben geladene Guͤter, zu zeichnen.
§. 6.
II. Es iſt der Natur eines jeden Contracts ge-
maͤß, daß ein Contrahent den andern kenne. Nun
aber werden in Staͤdten, wo viele Aſſecuradoͤre leben,
[53]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
oder einzelne mit groſſem Capital errichtete Aſſecu-
ranzcompanien beſtehen, ſehr viele Verſicherungen
auf fremden Auftrag geſucht. Denn ſo mancher
Hafen, von welchem aus Seefahrt getrieben wird,
hat gar keine Aſſecuradoͤre. Dann gibt der die Ver-
ſicherung ſuchende durch den Zuſaz: fuͤr fremde Rech-
nung, an, daß er als Commiſſionaͤr oder Bevoll-
maͤchtigter handle. Nichts aber verpflichtet ihn,
ſeinen Mandanten zu nennen. Es giebt aber Vor-
faͤlle, da derſelbe noch nicht wiſſen kann, ob er die
verſicherte Sache nicht als ſein Eigentuhm ganz oder
zum Teil anzuſehen habe. Um ſich alſo frei zu hal-
ten, daß er zu ſeiner Zeit als Eigner oder Bevoll-
maͤchtigter handeln duͤrfe, fuͤgt er auch wol den Aus-
druk ein: fuͤr eigne oder fremde Rechnung.
Wer an einem fremden Ort eine Verſicherung
nehmen laͤßt, muß befuͤrchten, daß ſein Bevollmaͤch-
tigter Aſſecuradoͤre auswaͤhle, welche nicht zuver-
laͤſſig, oder in ihrem Geſchaͤfte ungluͤklich ſind, und
inſolvent werden. Gewoͤhnlich ſteht alſo der Bevoll-
maͤchtigte del credere, und berechnet ſich dafuͤr ein
gewiſſes. Dadurch wird freilich den Buͤrgern eines
Handelsplazes, wo groſſe Summen verſichert wer-
den koͤnnen, dies Geſchaͤfte eintraͤglicher. Ja es iſt
dieſer Gewinn gewiſſer, als der von den Praͤmien
[54]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
ſelbſt, und bleibt dem Bevollmaͤchtigten, wenn auch
die Verſicherer ſelbſt mehr verlieren, als gewinnen.
Der Preis dieſes del Credere beſtimmt ſich ge-
wiſſermaſſen nach der Praͤmie zwiſchen ¼ und 1 p. C.
des verſicherten Capitals. Denn es hat damit eine
andre Bewandnis, als mit dem del Credere bei Ver-
kaufs-Commiſſionen. In dieſem ſteht der Commis-
ſionaͤr fuͤr ſein bedungnes del Credere auf jeden Fall
ein. Aber bei Aſſecuranzen wird ſeine Garantie
nur in dem Falle wirkſam, wenn Ungluͤk erfolgt,
und dieſer Fall wird bei einer weitern Reiſe und in
ſchlechter Jahrszeit in eben dem Verhaͤltnis wahr-
ſcheinlicher, in welchem der Verſicherer ſeine Praͤmie
erhoͤht. Liefen alle Aſſecuranzen gluͤklich ab, ſo zoͤge
der Commiſſionaͤr das del Credere gar umſonſt.
§. 7.
III. Es moͤgte manchem ſeltſam erſcheinen, daß
der Verſicherer in Anſehung der Taxe der verſicherten
Guͤter ſich dem Willkuͤhr des Verſicherten ſo ganz
uͤberlaͤßt. In der Taht iſt es bei den Verſicherungen
auf das Schiff ſelbſt (welche man eine Aſſecu-
ranz aufs Caſco nennt) ſehr bedenklich, und die
Faͤlle ſind nicht ſelten, da ein betruͤgeriſcher Rheder
ein Schiff hoch verſichern laͤßt, und mit dem Schiffer
unter Verſprechung einer groſſen Belohnung Abrede
[55]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
nimmt, es durch Bohren zu verſenken, oder es ſtran-
den zu laſſen. Bei Stuͤk-Guͤtern iſt dieſes weniger
zu beſorgen. Denn geſezt, einer lieſſe ein ſolches
Stuͤk Gut in der Hofnung, den zwiefachen Wehrt
erſezt zu bekommen, ſo hoch verſichern, ſo hat er es
doch nicht in der Macht, oder der Lohn der Buͤberei
wuͤrde ihm zu hoch zu ſtehen kommen, wenn er den
Schiffer bereden wollte, zu ſeinem Vorteil das Schiff
mit allen uͤbrigen Guͤtern verungluͤkken zu machen.
Schon bedenklicher iſt es, wenn der Verſicherte ein
Schiff allein befrachtet, und der Verſicherer den Wehrt
der Ladung nicht unterſuchen kann.
Wenn, wie in dieſer zum Muſter genomme-
nen Polize, mehrere Stuͤkke Guͤter bezeichnet werden,
ſo iſt es nicht gleichguͤltig, ob dieſe in Einer Taxe zu-
ſammengenommen oder ob jedes Stuͤk beſonders taxirt
werde; denn der Aſſecuradoͤr iſt bei minder verderb-
lichen Guͤtern frei, wenn ſie eine Beſchaͤdigung lei-
den, die nicht 3 p. C. von deren Taxe ausmacht.
Sind ſie nun in der Taxe beſonders, wie z. B. hier
jede Kiſte zu 5000 Mk. taxirt, und leidet Eine der-
ſelben eins Beſchaͤdigung, die uͤber 3 p. C. ihres
beſondern Wehrts oder etwa 160 Mk. betraͤgt, ſo
muß er ſie bezahlen. Waͤren ſie aber beide vereint zu
10000 Mk. taxirt, ſo erſezt er ſie nicht. Denn
160 Mk. ſind von 10000 Mk. wenig mehr als 1½
[56]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
p. C. Man moͤgte alſo denken, ein vorſichtiger
Kaufmann tuhe wol, wenn er jedes Stuͤk Gut in
der Polize beſonders taxirt. Aber der Verſicherer
wird eben deswegen eine hoͤhere Praͤmie fodern.
Doch kann die Sache auch zum Schaden des Aſſecu-
radoͤrs ausſchlagen, wenn die Taxe nicht geteilt iſt.
Es ſein z. B. zwei Kiſten Leinen, jede 5000 Mk.
wehrt, in Einer Taxe zu 10000 Mk. verſichert.
Eine derſelben leide eine Beſchaͤdigung bis zu 300
Mk., und die zweite zu 140 Mk. Waͤren ſie in der
Taxe unterſchieden worden, ſo wuͤrde der Verſiche-
rer jene, aber nicht dieſe Beſchaͤdigung verguͤten.
Denn ſo betraͤgt ſie nicht 3 p. C. von 5000 Mk. Nun
aber muß er alles bezahlen. Denn 440 Mk. ſind
mehr als 3 p. C. von 10000 Mk. Man ſieht alſo,
daß es eine gewiſſermaſſen unnuͤze Subtilitaͤt iſt.
Der Kaufmanu trennt indeſſen die Taxe mit gutem
Grunde in dem Falle, welchen ich hier annehme,
daß die beiden Kiſten zwei verſchiedene Eigner haben.
Bei mehr verderlichen Waaren, als Leinen und
d. gl. ſind, z. B. rohem Zukker, Hanf, Korn und
d. gl. macht der Verſicherer die Bedingung, die
aber der Polize eingeruͤkt werden muß, daß er frei
von 10 p. C. Averei ſei. Korn wird im Win-
ter gewoͤhnlich frei von Averei gezeichnet. Doch
koͤmmt es auch dem Aſſecuradoͤr im Fall eines totalen
[57]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
Schadens zu Statten, wenn er nicht unter ſolcher
Bedingung gezeichnet, und daher eine ſo viel hoͤ-
here Praͤmie gezogen hat. Bei ſolchen leicht ver-
derblichen Guͤtern wird es noch wichtiger, ob jede
Kiſte, Faß oder Pak beſonders taxirt iſt. Es iſt
keine Nation meines Wiſſens, auſſer den Portugie-
ſen [und] Spaniern, deren Schiffer oder Rheder fuͤr
die kleinen Beſchaͤdigungen durch eindringendes See-
waſſer einſtehen. Daher aber ſind fuͤr Guͤter, die
auf Portugieſiſchen Schiffen verfuͤhrt werden, ſolche
Clauſeln unnoͤtig. Eben deswegen aber werden die
Schiffe keiner Nation ſo gut kalfatert, als die Por-
tugieſiſchen und Spaniſchen, doch erſtere vorzuͤglich.
Dieſe ſo willkuͤhrlich gemachte Taxe der verſicher-
ten Guͤter koͤmmt dem Verſicherer nur dann ganz
zur Laſt, wenn das Gut ganz verloren geht. Doch
bezahlt er bei einem ſolchen totalen Schaden der Re-
gel nach nur 98 p. C. Indeß haben die Hamburgi-
ſchen Aſſecuranz-Companien ſich zur Bezahlung des
vollen Belaufs verpflichtet, welche Zahlung nur den
Aufſchub leidet, welchen bei manchem ganz ver-
ſchwundenen Schiffe die Geſeze im Verhaͤltnis der
Entfernung erlauben, in welcher das Schiff muht-
maßlich verloren gegangen iſt. Wenn jedoch die
Waare nur ſtark beſchaͤdigt iſt, ſo wird dieſe Beſchaͤ-
digung zu Procenten geſezt, nicht der Taxe in der
[58]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
Polize, ſondern des Wehrts, welchen die Waare an
dem Beſtimmungsorte gehabt haben wuͤrde, wenn
ſie unverſehrt angekommen waͤre. Ich werde Bei-
ſpiele davon in den Zuſaͤzen angeben.
Der Kaufmann, der dem Wehrt der Waare in
ſeiner Taxe ſich am naͤchſten haͤlt, um auch nicht zu
viel Praͤmie zu bezahlen, nimmt wenigſtens eine
runde Summe an, und ſchlaͤgt die muhtmaßliche Praͤ-
mie gewoͤhnlich mit in dieſelbe. Denn in der Taht
erhoͤhet dieſe den Wehrt der verſicherten Waare.
§. 8.
IV. Fuͤr den Verſicherer iſt die Kenntnis, welche
er von dem Schiffe und dem Schiffer hat, oder die
Vermuhtung, daß jenes in gutem Stande, die-
ſer mit der Schiffahrtskunſt wol bekannt ſei, auch
die Meere kenne, durch welche er gehen ſoll, ein
Hauptgrund ſeiner Entſchlieſſung, ob und zu welcher
Praͤmie er die Polize zeichnen wolle. In Anſehung
des Schiffes hat nun keine Veraͤnderung Statt, und
er iſt von ſeiner Verpflichtung frei, wenn das ver-
ſicherte Gut ohne ſeine Wiſſenſchaft in ein anderes
Schiff geladen wird. Aber in Anſehung des Schif-
fers befreiet ihn keine Veraͤnderung, ſie mag nun
zufaͤllig durch Krankheit oder Tod deſſelben entſtehen,
[59]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
oder die Rheder andere Gruͤnde haben, denſelben vor
angetretener Reiſe ſeines Dienſtes zu entſezen.
§. 9.
V. Daß Ein Ort der Beſtimmung in der Polize
benannt werden muͤſſe, verſteht ſich von ſelbſt. Aber
wenn aus Gruͤnden, deren ich Cap. 1. §. 7. erwaͤhnt
habe, ein Schiff ſeine Fahrt auf mehrere Oerter rich-
tet, ſo muß in der Polize aufs Schiff ein jeder Ort
benannt werden, wohin daſſelbe auch nur muhtmaß-
lich gehen moͤgte. Es geht z. B. in die Mittellaͤn-
diſche See, wo es der Reihe nach in Cartagena, Ali-
cante, Barcelona ſeine Fracht teilweiſe entladet, oder
Fracht in dieſen Haͤfen ſucht, ſo muß dies in der Po-
lize angegeben werden, und der Verſicherer iſt frei,
wenn das Schiff anders, als durch Noht gedrungen
in einen nicht benannten Hafen, z. B. in Malaga
einlaͤuft. Ja dies hat ſogar Statt, wenn der Hafen
naͤher liegt, als der angegebene Beſtimmungsort.
Dieſer ſei z. B. Liſſabon, der Schiffer aber entſchlieſſe
ſich in Bilbao einzulaufen, und dort Fracht zu ſu-
chen. Denn in einem ſo wichtigen Contract muß
alles durchaus nach dem Buchſtaben gehen; und der
Aſſecuradoͤr hat Recht, wenn er im Fall eines Un-
gluͤks ſaget: eben das Ungluͤk, welches dem
Schiffe begegnet iſt, da es ſeine Fahrt [auf] Bilbao
richtete, wuͤrde ihm nicht begegnet ſein, wenn es
[60]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
auf der Fahrt nach Liſſabon verblieben waͤre. Ich
bezahle alſo keinen Unfall, fuͤr welchen ich eigentlich
nicht verſichert habe.
Iſt aber die Verſicherung auf Guͤter genommen,
ſo darf in der Polize fuͤr diejenigen, welche fuͤr den
naͤchſten Hafen beſtimmt ſind, nur dieſer bemerkt
werden. Sind ſie aber fuͤr den zweiten oder dritten
Hafen beſtimmt, ſo muͤſſen alle bemerkt werden, wel-
che das Schiff vor Ausladung des Guts beruͤhrt.
Bei einer ungewiſſen Beſtimmung des Schiffes
wird zwar in der Polize ein oder zwiſchen den bei-
den muhtmaßlichen Beſtimmungshaͤfen eingefuͤhrt,
z. B. nach Havre de Grace oder Nantes. Dann
aber darf eben dieſes Schiff nicht nach Havre de Grace
und Nantes gehen; ſondern der Verſicherte muß,
wenn er erfaͤhrt, daß das Schiff von Havre de Grace
noch weiter nach Nantes ſegeln werde, dem Verſi-
cherex es anzeigen und allenfalls eine neue Polize,
natuͤrlich mit erhoͤheter Praͤmie, zeichnen laſſen.
§. 10.
VI. Die Natur eines Aſſecuranz-Contracts erfo-
dert es zwar durchaus, daß der Verſicherer nicht an
denſelben gehalten ſei, wenn er nicht die Praͤmie
empfangen hat. Es iſt wenigſtens dem ſtrengen
[61]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
Rechte gemaͤß, daß ſie ihm in moͤglich kuͤrzeſter Zeit
nach ſeiner Unterzeichnung gezahlt werde, zumal da
er bei dieſer Zeichnung uͤber deren Empfang quitirt.
Auch iſt ein groſſer ihm ſehr zu goͤnnender Gewinn
darin, daß er die Praͤmien fruͤher in Haͤnden hat,
als die Seeſchaͤden von ihm bezahlt werden. Hat
ein Privat-Aſſecuradoͤr andere Handelsgeſchaͤfte, ſo
kann er noch ein behaltener Mann bleiben, wenn er
z. B. 100000 Mk. im Jahre an Praͤmien einnimmt,
und grade ſo viel fuͤr Seeſchaͤden wieder auszahlen
muß, wenn er mit dieſen 100000 Mk., die ihm
keine Zinſen koſteten, ſeine Handelsgeſchaͤfte mit
Gluͤk betrieben hat. Wohnt er an einem groſſen
Wechſelplaz, ſo benuzt er dies Geld im diskontiren.
Das neue Preuſſiſche Geſezbuch hat auch der Billig-
keit gemaͤß, Teil 2. Tit. 8. §. 2067, feſtgeſezt,
daß die Praͤmie innerhalb Vier und Zwanzig Stun-
den nach empfangener Polize bezahlt werden ſolle,
oder executiviſch eingetrieben werden duͤrfe.
Aber auch hierin hat ſich ein Credit eingefuͤhrt,
der oft uͤber die Gebuͤhr lang und mit Unſicherheit
verbunden iſt. In unſerm Hamburg iſt es freilich
jezt unmoͤglich, daß der Makler, ſo wie er die Aſſe-
curanz ſchließt, gleich bezahlen koͤnne. Dies geſchah
ehemals, da der Aſſecuranzen ſo wenig waren, und
der Makler mit einem Beutel voll Species-Geld
[62]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
noch ziemlich weit ausreichen konnte. Wo eine Zet-
telbank iſt, da geben deren Noten freilich eine groſſe
Erleichterung. In Hamburg aber werden die Praͤ-
mien jezt alle in Banco bedungen; der Makler aber
darf kein Bankfolium haben, und wenn der Kauf-
mann, fuͤr welchen er geſchloſſen hat, ſo gleich in
Banco abſchreiben laſſen wollte, ſo kann er dies nicht
in kleinen Poſten unter 100 Mk. tuhn. Die Folge
davon iſt, daß die Praͤmien zwiſchen dem Aſſecura-
doͤr und Makler, und zwiſchen dieſem und den Verſi-
cherten auf Rechnung ſtehen bleiben, um in groͤſſern
Summen abgetragen werden zu koͤnnen. Aber eine
zweite Folge davon iſt, daß der Makler dieſe Sum-
men oft laͤnger an ſich haͤlt, als er ſollte, und eine
dritte, daß auch der Kaufmann, der dies weiß, mit
der Bezahlung an ihn zuruͤk haͤlt. Inſonderheit
aber ſind manche Auslaͤnder, welche in Hamburg
haben verſichern laſſen, mit Remittirung der Praͤ-
mien ſehr traͤge. Die Faͤlle ſind alſo nicht ſelten,
da Aſſecuradoͤre durch Bankerotte der Makler oder
dieſe durch Bankerotte der Kaufleute verlieren. Bei
dem allen aber bleibt der Aſſecuradoͤr nicht nur durch
ſeine Quitung, welche ſeine Unterſchrift begleitet,
an den Contract gebunden, ſondern er iſt es ſchon,
ſobald er mit dem Makler geſchloſſen hat. Wenig-
ſtens iſt in [Hamburg] kein Beiſpiel anzufuͤhren, da
ein Verſicherer unter dem Vorwand nicht empfan-
[63]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
gener Praͤmie ſich von ſeiner Verpflichtung los zu
ſagen verſucht haͤtte.
Aber daraus entſteht wieder eine andere Irregulaͤ-
ritaͤt. Da ſonſt nach gegebener Quitung innerhalb dreiſ-
ſig Tagen wegen Nichtbezahlung geklagt werden muß,
ſo gelten die Foderungen des Verſicherers auch auf
laͤngere nicht beſtimmte Zeit.
Das alles kann nun freilich nicht wol anders ſein.
Denn wer die Verſicherung ſucht, will von dem Au-
genblik an, da ſie geſchloſſen iſt, keiner Gefahr von
einer unvermeidlichen, wenn gleich noch ſo kurzen
Zoͤgerung in der Bezahlung ausgeſezt ſein. Nie-
mand wuͤrde bei dem Verſicherer zeichnen laſſen, der
aus zu groſſer Puͤnctlichkeit oder Beſorgnis, nicht
bald bezahlt zu werden, bei ſeiner Unterſchrift noch
mit der Quitirung zuruͤkhielte, um ſo lange nicht
gebunden zu ſein, als er nicht bezahlt iſt. Aber ſo,
wie es gewoͤhnlich geht, iſt doch der Mißbrauch zu
groß. Ich habe in meiner Abh. uͤber Handlungs-
Uſanzen im 1. B. S. 261 der Handlungs-Bi-
bliothek vorgeſchlagen, daß der nicht bezahlten Praͤ-
mie nach drei Monaten die Rechte einer Wechſelſchuld
beigelegt werden moͤgten. Zwar iſt hier durch ein Sta-
tut vom J. 1763 veſtgeſezt, daß innerhalb drei Mona-
ten alle Praͤmien ſollen berichtigt werden. Aber dies
[64]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
ſcheint mir nicht hinlaͤnglich zu ſein. Die Erfahrung
hat ſeitdem oft bewieſen, daß Verſicherte und auch
Makler oft in groſſen Verluſt durch ihre in dieſem
Statut nicht verbotene Nachſicht gerahten
ſind. Wird aber die 3 Monate lang ruͤkſtaͤndige
Praͤmie zu einer Wechſelſchuld, ſo hat ſo wenig bei
ihr, als bei Wechſeln ſelbſt, fernere Nachſicht
Statt, und ſie muß nun berichtigt werden, oder
der Schuldige ſich inſolvent erklaͤren.
§. 11.
VII. Das weſentliche des Aſſecuranz-Contracts
liegt in dieſen Worten: Wir ſezen uns voͤllig
in den Plaz des Aſſecurirten. Der Verſi-
cherte will ſich der ganzen Gefahr von allem
Schaden und Verluſt entledigen, der an ſeinem
Schiffe und Gute durch die in der Polize bemerkte
Reiſe entſtehen kann; von allem Schaden, welchen
er ſelbſt leiden muͤßte, und von keinem andern wuͤrde
fodern koͤnnen, ſo bald er ſein Eigentuhm aus der
ſichern Lage in ſeinem Speicher genommen und den
mancherlei Vorfaͤllen der Reiſe es uͤberlaſſen hat,
oder der ſeinem Schiffe bevorſteht, wenn es den An-
fang mit der Ladung gemacht hat. Es waͤre alſo
die Auseinanderſezung aller dieſer Gefahren in den
vorhergehenden Zeilen uͤberfluͤſſig, wenn man Con-
tracte in ſo allgemeinen Ausdruͤkken ſchlieſſen duͤrfte,
[65]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
welche die weſentliche Abſicht derſelben darſtellen, und
wenn man nicht jeder Auslegung vorbeugen muͤßte,
welche ein nicht redlicher Contrahent hintennach er-
finden mag. Nun ſind freilich unter den mannigfal-
tigen Gefahren einer Seereiſe viele Faͤlle, von wel-
chen ein ſolcher Contrahent behaupten moͤgte, ſie ſeien
zur Zeit der Zeichnung des Contracts nicht einverſtan-
den oder beabſichtigt worden. Ich will auf einige
derſelben, denen in den vorhergehenden Zeilen vor-
gebeugt iſt, zuruͤkgehen. Dieſe ſind: a) der Fall
eines unerwartet entſtehenden Krieges, oder b) ſolche
Vorlaͤufer deſſelben, wie Repreſſalien, Beſchlag,
oder c) in ſchon entſtandenem Kriege unerwartete und
nicht gewoͤhnliche Verordnungen abſeiten der Krieg-
fuͤhrenden Maͤchte, wovon ich in den Zuſaͤzen einige
Beiſpiele angeben werde; d) oder ungerechte Ent-
ſcheidungen uͤber widerrechtliche Aufbringung, wovon
die Britiſchen Gerichte in den lezten Seekriegen man-
ches trefliche Beiſpiel gegeben haben. e) Gewalt-
taͤhtigkeiten der Kaper auch an nicht feindlichen Schif-
fen. f) Unfaͤlle, die offenbar durch Verſehen oder
Muhtwillen des Schiffers und Schiffsvolks entſtan-
den ſind, wozu man noch g) ſelbſt die Schiffsdiebe-
rei rechnen muß. So natuͤrlich alle ſolche Vorfaͤlle
unter jenem allgemeinen Ausdruk mit einverſtanden
ſind, ſo moͤgte doch ſehr oft, wenn ſie nicht aus-
druͤklich erwaͤhnt waͤren, ein Aſſecuradoͤr die Einwen-
2ter Teil. E
[66]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
dung geltend zu machen ſuchen, welche die Juriſten
die exceptionem rei non ſic ſed aliter geſtae nen-
nen. Er wuͤrde ſagen, er habe ſich zwar in die
Stelle des Verſicherten, aber nur in Hinſicht auf
ſolche Unfaͤlle geſezt, welche beide Teile bei Schlieſ-
ſung des Contracts als moͤglich anſahen, aber nicht
in Hinſicht auf unerwartete Kriege, auch nicht auf
Spizbuͤberei des Schiffers und des Schiffsvolks, weil
er vielmehr angenommen, der Verſicherte kenne die
Schiffer beſſer, als er ſelbſt. Nun aber hilft ihm
auch offenbare Spizbuͤberei nicht anders, als wenn
er den Beweis fuͤhren kann, der Verſicherte ſelbſt
habe darum gewußt. So hart das alles iſt, ſo kann
es doch nach der weſentlichen Abſicht eines Aſſecuranz-
Contracts nicht anders ſein.
§. 12.
VIII. Zur ganzen Gefahr der Reiſe gehoͤrt alles,
was dem Kaufmanns-Gute begegnen kann, wenn
es vom Lande ab gebracht wird, bis es wieder auf fe-
ſtem Boden liegt. Selbſt ſolche Verſehen, welche
eine Beſchaͤdigung beim Einladen oder Ausladen ver-
anlaſſen, kommen dem Verſicherer zur Laſt. Auf
dieſen Fuß werden in unſern Gegenden alle Verſi-
cherungen geſchloſſen. Die Britiſchen Geſeze geben
zwar an, daß die Verſicherung nur gelte, ſo lange
das Gut uͤber dem Kiel des Schiffes ſich befindet.
[67]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
Sie verbieten aber nicht, die Gefahr vom Lande bis
aufs Land zu beſtimmen. Dem Kaufmann kann
dies nicht gleichguͤltig ſein, wenn er ſich ganz ſicher
ſtellen will. Denn in ſehr vielen Seeplaͤzen iſt ſein
Gut weſentlichen Gefahren ausgeſezt, bevor es uͤber
den Kiel des Schiffes gelangt, und wenn es das
Schiff wieder verlaͤßt. Dies ſind diejenigen, zu
welchen kein groſſes oder gar kein Seeſchiff kommen
kann, ohne auf einer unruhigen Rhede oder in Vor-
haͤfen zu loͤſchen, von und zu welchen die Fahrt in
Lichtern (an der Oſtſee nennt man ſie Bordings) uͤber
wilde Gewaͤſſer geht. So iſt es mit den meiſten
Preuſſiſchen Haͤfen bewandt. Auf unſerer Elbe iſt
dieſe Gefahr unerheblich, auch wenn ein groſſes
Schiff auf vier Meilen von der Stadt loͤſchen oder
ſeine lezte Ladung einnehmen muß. Dieſe Gefahr
wird nun freilich von dem Aſſecuradoͤr uͤbernommen;
es giebt aber in Anſehung der Groſſen Averei hiebei
allerlei zu bedenken, woruͤber die Seerechte nicht
gleichſtimmig entſcheiden.
In der Polize auf Schiffe (oder aufs Caſco) wird
die Gefahr von dem Tage und der Stunde
an gerechnet, da das Schiff ſeine Ladung
oder Ballaſt einzunehmen angefangen,
bis es an dem Beſtimmungsorte ſeine
Ladung voͤllig geloͤſcht hat. Das iſt an ſich
E 2
[68]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
klar, aber auch der Grund der Sache einleuchtend.
Denn dadurch beſtimmt ſich der Anfang und das
Ende der Reiſe, auf welche die Verſicherung geht.
Doch entſteht auch hier eine Schwierigkeit in dem
Falle, wenn das Schiff ſchon wieder zu laden an-
faͤngt, ehe es ſeiner mitgebrachten Ladung voͤllig ent-
ledigt iſt, von welcher ich in den Zuſaͤzen noch etwas
nachtragen werde.
§. 13.
IX. Zwar nimmt der Aſſecuradoͤr gar ſehr Ruͤk-
ſicht auf die Zeit, zu welcher ein in Ladung liegen-
des Schiff ſeine Reiſe antreten wird, wenn er auf
das Schiff oder deſſen Ladung zeichnet.
Wenn die Verſicherung auf ein Schiff oder Gut
genommen wird, das in einem fernen Hafen ſegel-
fertig liegt, oder die Reiſe bereits angetreten hat,
ſo wird die Nachricht davon in einem auf dem For-
mular zu dem Ende leer gelaſſenen Plaze eingetragen.
Denn auch auf ſolche Umſtaͤnde koͤmmt es ſehr an.
Es werde z. B. heute den 14ten December in Ham-
burg eine Verſicherung auf ein von Nantes kommen-
des Schiff geſucht, da man ſchon durch Briefe weis,
daß in den lezten Tagen des Novembers ein ſchwerer
Sturm im Canal geweſen ſei. Der Verſicherer wird
ſich aus dem Grunde entſchlieſſen zu zeichnen, weil
[69]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
er dem Briefe traut, der ihm ſagt, daß das Schiff
zur Zeit des Sturms noch im Hafen gelegen habe.
Spaͤterhin wird er zeichnen, wenn ihm verſichert
wird, daß es erſt nach dieſem Sturm unter Segel
gegangen ſei. Aber er iſt frei, wenn hintennach er-
weislich iſt, daß man ihn mit dieſer Nachricht hin-
tergangen habe.
Aber eben ſo wichtig iſt es fuͤr ihn zu wiſſen, ob
das Schiff zu einer angegebenen Zeit ſchon ſeine La-
dung gehabt habe, und ſegelfertig geweſen ſei. Na-
tuͤrlich veraͤndern ſich die Praͤmien mit den Jahrszei-
ten, und man unterſcheidet ſehr gewoͤhnlich Win-
terpraͤmien und Sommerpraͤmien. Kein
Kaufmann wird im Februar ſchon Verſicherung auf
ein Schiff oder auf Guͤter ſuchen, die vielleicht nicht
vor Maimonat abgehen. Aber mancher wird im
Auguſt ſchon die Verſicherung ſuchen, wenn das
Schiff wahrſcheinlich nicht vor dem October voll
und Segelfertig wird. Kein Verſicherer wird ihm
auf Sommerpraͤmien zeichnen, wenn er dies eini-
germaſſen vorausſieht. Aber wenn das Schiff in
einem fernen Hafen in Ladung liegt, ſo kann nur die
Verſicherung, es ſei zur angegebenen Zeit ſegelfertig
geweſen, ihn in Beſtimmung der Praͤmie leiten.
Indeſſen ſcheint mir die Natur der Sache es mit
ſich zu bringen, daß die Verzoͤgerung jeder Seereiſe
[70]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
aus der guten in die ſchlechte Jahrszeit eine Erhoͤhung
der Praͤmie zur Folge habe, und dies in der Polize
ausbedungen werde. In dem Neuen Preuſſiſchen
Geſezbuche iſt hieruͤber wirklich nach Billigkeit ver-
fuͤgt worden. Ich werde mehr davon in den Zu-
ſaͤzen ſagen.
So lange dies nicht geſchieht, gewinnt der Ver-
ſicherer freilich oft in dem umgekehrten Falle, wenn
er im Winter gezeichnet hat, und das Schiff erſt im
Fruͤhjahr ſegeln kann. Aber alle, die Verſicherung
ſuchen, werden dies zu vermeiden wiſſen. Es ent-
ſteht ſogar ein Grund daraus, nicht in Schiffe zu
laden, die in den lezten Herbſtmonaten in Ladung
liegen, wenn es nicht mit der Verſendung der Waare
groſſe Eile hat. Nur in Einem Falle koͤnnen ſie es
nicht; das iſt, in fruͤhen und lange dauernden Win-
tern. Dann kann es treffen, daß Verſicherungen
ſchon im November zu hohen Winterpraͤmien genom-
men werden, und das Schiff nicht vor dem Maͤrz,
oder, wie es im J. 1785 lief, nicht vor dem Mai
unter Segel geht.
Bei dem allen aber kann dem Verſicherer keines-
wegs frei gelaſſen werden, die beſchleunigte Abreiſe
eines Schiffers zu verlangen, nachdem er gezeichnet
hat, vielweniger ſich von ſeiner Verſicherung los zu
[71]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
ſagen, wenn er glaubt, daß der Schiffer uͤber die
Gebuͤhr zoͤgere, und er durch zu fruͤh verlangte Zeich-
nung abſichtlich hintergangen ſei. Denn einerſeits
moͤgte ein der Schiffahrt nicht ſehr kundiger Aſſecura-
doͤr ungegruͤndete Foderungen an den Schiffer ma-
chen; andrerſeits wuͤrde es ihm, auch bei einer ge-
rechten Sache, ſchwer werden, den Beweis gegen
den Schiffer zu fuͤhren, daß er ohne guͤltige Urſachen
gezoͤgert habe. Er muß alſo blos durch eigne Vor-
ſicht und Ueberlegung dem Nachteil auszuweichen
ſuchen, der ihm daraus entſteht, wenn er auf Som-
merpraͤmie zeichnet, was eigentlich Winterpraͤmie
ſein ſollte.
§. 14.
X. Die Nachricht von dem Ungluͤksfall wird
ſchlechthin gegeben, oder, wie der Ausdruk hier iſt,
angedient. Dies liegt dem Makler ob, der die
Verſicherung beſorgt hat, welcher den Ungluͤksfall
auf dem Contoir des Verſicherers in einem zu dem
Ende bereit gehaltenen Buche bemerkt. Sind ſchon
Documente uͤber den Schaden da, ſo begleiten ſie
dieſe Andienung. Damit aber iſt der Verſicherte
nicht von aller Bemuͤhung und Vorſorge frei, den
Schaden ſo ſehr zu vermindern, als moͤglich, ſon-
dern er muß das verungluͤkte oder beſchaͤdigte Schiff
oder Gut noch immer anſehen, als waͤre es ſeine
[72]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
eigene Sache. Dies iſt hoͤchſtbillig, den 1) der Aſſe-
curadoͤr wuͤrde unglaublich beſchaͤftiget werden, wenn
er uͤber jeden Ungluͤksfall den Briefwechſel uͤberneh-
men, oder, wie es oft noͤtig wird, Bevollmaͤchtigte
an Ort und Stelle ſenden, oder, wenn es auf recht-
liche Entſcheidung ankoͤmmt, ſein Recht in der Ferne
ſelbſt verfechten muͤßte. 2) Der Kaufmann kann
durch ſeine Correſpondenz weiter reichen, auch be-
quemer ſeine Vorteile wahrnehmen, als der Aſſecu-
radoͤr, deſſen Geſchaͤfte eigentlich nicht mit groſſem
Briefwechſel verbunden iſt. Wenn z. B. ein nach
Bourdeaux beſtimmtes Schiff auf der Garonne bleibt,
ſo iſt kein Eigner von dem Schiff oder den Guͤtern,
der nicht dort ſeinen Correſpondenten haͤtte.
In Hamburg werden, wenn ein wichtiger Stran-
dungsfall bekannt wird, aus welchem noch etwas zu
retten Hofnung iſt, alle Intereſſenten am Schiff und
an der Ladung zuſammenberufen. Dieſe waͤhlen
alsdann aus ihrem Mittel Deputirte, welche ſich des
Ganzen in jedem moͤglichen Wege annehmen, auch
wol einen ſichern Mann an den Ort der Strandung
ſenden. Die Aſſecuradoͤre nehmen an dieſen Ueber-
legungen den ihnen dienlichen Anteil, wie denn auch
die Koſten am Ende auf ſie fallen. Wenn indeſſen
der Verluſt als eine Tahtſache entſchieden, oder die
beſchaͤdigte Waare an Land gebracht iſt, aber in einem
[73]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
Zuſtande, da der Eigner, auch ſelbſt mit dem Erſaz
der taxirten Beſchaͤdigung, ſie nicht wieder als ſein
Eigentuhm an ſich nehmen moͤgte, ſo ſteht es ihm
frei, die Waare dem Verſicherer zu abandonni-
ren, d. i. ihm zu uͤberlaſſen, was er durch Verkau-
fung derſelben, und ſo auch durch den Verkauf des
Wraks von einem Schiffe wieder erlangen koͤnne.
Das ſei dann wenig oder viel, ſo haſtet ihm der Aſſe-
curadoͤr fuͤr den ganzen gezeichneten Wehrt. Doch
iſt das Abandonniren in Hamburg ein ſeltner Fall.
§. 15.
XI. Der Verpflichtung, in zwei Monaten zu
bezahlen, kann der Verſicherer nicht ausweichen,
wenn ein totaler Schaden erfolgt, oder die Umſtaͤnde
ſo ſind, daß er das Abandonnement ſich hat
gefallen laſſen muͤſſen. Wenn aber dies nicht Statt
hat, ſo hat er ſich eines oft langen Verzuges zu er-
freuen, bis der Belauf des Schadens ihm von dem
Diſpaſchoͤr berechnet iſt. Aber dieſer kann nicht im-
mer dazu gelangen, weil in den meiſten Ungluͤks-
faͤllen die noͤtigen Documente langſam herbeikom-
men. Dadurch entſteht nun freilich dem Kaufmann
ein nicht geringer Verluſt, wenn er ſein Geld ſo
lange entbehrt, ohne es benuzen zu koͤnnen. Aber
bei den meiſten und inſonderheit bei groſſen Seeſchaͤ-
den iſt es bald entſchieden, wie viel der Verluſt aufs
[74]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
wenigſte betrage. Alsdann bezahlt jeder billige Aſſe-
curadoͤr, der ſeinen guten Credit erhalten will, we-
nigſtens dieſes, woruͤber kein Streit mehr entſtehen
kann, dem Verſicherten, und beide Teile warten
dann ab, bis die Diſpaſche aufgemacht und
in Procenten und Bruͤchen von Procenten angegeben
iſt, wie viel dem Verſicherten gebuͤhre.
§. 16.
XII. Der Makler, von deſſen Geſchaͤften uͤber-
haupt ich bald naͤher reden werde, iſt bei keinem Ge-
ſchaͤfte ſo noͤtig, als bei dieſem; 1) weil zu groſſen
Summen auf Einer Polize viele Verſicherer muͤſſen
geſucht werden, ſo daß oft mehrere Tage verloren ge-
hen, ehe auf die ganze Summe gezeichnet iſt. Dies
macht nun eine ins Detail gehende Rechnung entſte-
hen, wie viel einem jeden Verſicherer als Praͤmie zu-
komme. 2) Nicht nur ſolcher Rechnungen auf ein-
zelne Polizen, ſondern uͤberhaupt der Rechnungen,
welche aus mehreren Polizen zwiſchen Einem Kauf-
mann und vielen Aſſecuradoͤren entſtehen, entledigt ſich
jener gerne auf dieſen. In Hamburg und in Am-
ſterdam, wo die Praͤmien in Banco abgeſchrieben
werden muͤſſen, entſteht ein Grund mehr, daß nicht
leicht Eine Praͤmie beſonders abgeſchrieben werden
kann, und eine groͤſſere Summe aus denſelben ſich
ſammeln muß, die der Kaufmann dem Makler, aber
[75]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
auf das Folium eines dritten, zuſchreiben laͤßt, um
ihn in den Stand zu ſezen, mit den Aſſecuradoͤren
zu liquidiren. Die Courtage des Maklers iſt ¼ p. C.
von dem Verſicherten und halb ſo viel von dem Ver-
ſicherer, wenn die Praͤmie 2 und mehr Procente,
aber nur 1/16 p. C., wenn ſie weniger betraͤgt.
§. 17.
XIII. Das Datum iſt bei den Polizen in Ab-
ſicht auf die Erfuͤllung des Contracts, wenn es ehr-
lich zugeht, weniger nohtwendig, als bei irgend ei-
nem andern Contracte. Denn wenigſtens in neun
Faͤllen unter zehn unterbleibt die Erfuͤllung auf Sei-
ten des Verſicherers. Wenn aber ein Ungluͤksfall
dieſelbe entſtehen macht, ſo haͤngt die Zeit der Er-
fuͤllung von den §. 15. erwaͤhnten Umſtaͤnden ab.
Doch machen zwei Umſtaͤnde einem vorſichtigen Ver-
ſicherer rahtſam darauf zu halten. Der erſte iſt,
wenn aus Verſehen, Misverſtand, oder bei Statt
habender Ungewisheit, ob die Aſſecuranz ſonſt irgend-
wo ſchon genommen ſei, eine ſolche zweimal an ver-
ſchiedenen Orten genommen wird. Z. B. ein Kauf-
mann ſchikt dem andern Waaren in Verkaufs-Com-
miſſion uͤber See, und das Connoſſement im Briefe
zu, zeigt aber in dieſem nicht an, daß er ſelbſt fuͤr
die Aſſecuranz bereits geſorgt habe; der Commiſſio-
naͤr beſorgt ſie alſo, und nun findet ſich eine zwiefa-
[76]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
che Aſſecuranz uͤber dieſelbe Sache. In dieſem Fall
hat die fruͤher gezeichnete den Vorzug, und der ſpaͤ-
ter gezeichnet habende Aſſecuradoͤr giebt die empfan-
gene Praͤmie mit Abzug eins ½ p. C. zuruͤk. Man
nennt dieſen Abzug das Riſtorno. Der zweite
Umſtand iſt, daß auch wol von hinterliſtigen Men-
ſchen Aſſecuranzen geſucht werden, nachdem ſie ſchon
insgeheim Nachricht bekommen, daß Ungluͤk vorge-
fallen ſei. Dieſer Betrug, welcher freilich den Ver-
ſicherer von ſeiner Verpflichtung befreiet, iſt oft
ſchwer zu erweiſen, und dann vollends nicht, wenn
kein Datum den Tag angiebt, da die Verſicherung
von dem Makler geſucht worden.
§. 18.
VIX. Ich habe S. 271. des 1. Teils von Aſſecu-
ranz-Companien erwaͤhnt, deren Mitglieder alle mit
ihrem ganzen Vermoͤgen einſtanden, und gezeigt, wie
unnatuͤrlich und unuͤberlegt dieſe Verpflichtung ſei.
Indeſſen iſt bei der Unterſchrift des Bevollmaͤchtig-
ten einer Aſſecuranz-Companie doch immer der Zuſaz
noͤtig, daß dieſelbe nur fuͤr das Capital ihrer Actien
einſtehe. Denn bei einem jeden Privataſſecuradoͤr
verſteht es ſich von ſelbſt, und die Polize ſagt es
auch, daß er mit ſeinem ganzen Vermoͤgen einſtehe.
Da nun die Intereſſenten der Companie aus dieſer
Verpflichtung heraustreten, ſo muß ihr Bevollmaͤch-
[77]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
tigter doch eben dies bei jeder Unterſchrift bemerken,
daß nicht gleiche Rechte gegen ſeine Intereſſenten,
wie gegen die Privataſſecuradoͤre, gelten.
§. 19.
Das Formular der Polizen aufs Casco,
oder auf das Schiff mit deſſen Zubehoͤr iſt dem auf
Guͤter ſo gleichlautend, ohne in denjenigen einzelnen
Ausdruͤkken, welche auf die Verſchiedenheit der Ge-
genſtaͤnde in beiderlei Polizen deuten, daß mir dar-
aus kein Anlaß zu beſondern Anmerkungen entſteht.
Selbſt, wenn Verſehen oder Muhtwillen des Schif-
fers und ſeiner Leute Schaden oder den gaͤnzlichen
Verluſt des Schiffes veranlaſſen, haftet der Aſſecu-
radoͤr ſo gut, wie bei Guͤtern, ſo lange er nicht eine
Teilnehmung des Eigners beweiſen kann.
Aber wenn es auch in dieſen heißt: Wir nehmen
auf uns die Gefahr alles Schadens und Ungluͤks,
ſo dieſem Schiffe ganz oder zum Teil waͤhrend dieſer
Reiſe auf eine oder andere Art zuſtoſſen moͤg-
te, ſo ſcheint der Buchſtabe mehr auzugeben, als
was die Natur der Sache zulaͤßt. Auf eine oder
die andere Art wird jedes Schiff einigen Schaden
auch auf der gluͤklichſten Reiſe, leiden, und nimmer
den Beſtimmungs-Hafen in voͤllig ſo gutem Zuſtande
erreichen, als in welchem es den Abgangs-Hafen
[78]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
verlies. Es iſt das Mittel eines Erwerbs fuͤr deſſen
Eigner, der den Betrag der mit jeder Reiſe noht-
wendig werdenden Reparaturen durch die von dem
Schiffe verdiente Fracht eben ſo wol einzuholen ſu-
chen muß, als ein Fuhrmann die Abnuzung ſeines
Wagens, ja ſelbſt ſeiner Pferde auf ſein Fuhrlohn
ſchlaͤgt, und nur dann beſtehen kann, wenn er nicht
zu wenig darauf gerechnet hat. Auf dieſen Ver-
ſchleis an dem Schiffe, und inſonderheit an deſſen
Geraͤhtſchaften, wird als einen unabwendlichen Ver-
luſt bei Aufmachung der Groſſen Averei hinausgeſe-
hen, und dem Schiffe, wenn ihm etwas dergleichen
zu erſezen iſt, ein Dritteil wegen der vor dem Un-
gluͤksfall ſchon vorausgeſezten Abnuzung abgeſchla-
gen. Der Verſicherer kann alſo nicht auf ſich neh-
men, dem Eigner dies Werkzeug ſeines Erwerbs
ganz Schadenfrei zu erhalten. Wenn er es aber,
gereizt durch eine ſehr hohe Praͤmie, wirklich taͤhte,
wie wuͤrde man hintennach die Entſcheidung moͤglich
machen, wie viel das Schiff ganz und in ſeinen Tei-
len bei einer gewoͤhnlichen Wirkung des Windes und
der Wellen, wodurch doch kein Teil zerbrochen wor-
den oder verloren gegangen, gelitten habe? Zwei
bis zur Unmoͤglichkeit genaue Unterſuchungen wuͤr-
den erfodert werden, die eine von dem Zuſtande des
Schiffes und aller ſeiner Teile beim Abſegeln, und
die zweite bei der Ankunft.
[79]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
Zwar wird in der Groſſen Averei dem Schiffe die
Beſchaͤdigung verguͤtet, welche erweislich aus dem
ſogenannten Prangen deſſelben entſteht, das iſt,
wenn ein Schiff, um von dem Ufer, Sand und
Klippen abzuhalten, hart an den ſtuͤrmiſchen Wind
legen und ſo eine Weile fortſegeln muß. Wer nur
eine kurze Seereiſe bei nicht guͤnſtigem Winde gemacht
hat, weiß, welche Gewalt die dem Schiff entgegen
ſchlagenden Wellen auf deſſen Koͤrper ausuͤben, und
wie viel mehr Maſten, Segel und Tauwerk auszu-
halten haben, wenn der Lauf des Schiffes in einer
dem Winde zum Teil entgegengeſezten Richtung er-
zwungen werden muß. Kein Schiffer ſezt ohne
Noht ſein Schiff in dieſe nachteilige Lage, ſondern
laͤßt, wenn er freie See hat, ſein Schiff vor dem
Sturm treiben. Aber wenn er jenes im Fall der
Noht tuht, ſo iſt es die Folge einer uͤberlegten Ent-
ſchlieſſung. Indeſſen moͤgten gerne viele Rheder
eine jede ſtarke Abnuzung des Schiffes, die aus
hohler See bei unguͤnſtigem Wetter entſteht, den
Verſicherern als particulaͤre Averei zur Laſt bringen.
Wenn ihnen ein Schiff nach einer etwas ſchweren
Seereiſe nach Hauſe koͤmmt, und koſtbare Reparatu-
ren erfodert, aber kein ſolcher Unfall entſtanden iſt,
der eine Verklarung erfodert haͤtte, wodurch ein
Prangen des Schiffs dargetahn wird, ſo moͤgten
ſie die Reparatur gern zur partikulaͤren Averei
[80]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
machen. Sie behelligen alsdann gerne, wenn ſie
die Aſſecuranz in groſſen Seeplaͤzen, wie Hamburg,
haben nehmen laſſen, ihre Commiſſionaͤre mit dem
zudringlichen Auftrage, dieſe ungewoͤhnlich groſſe
Abnuzung ihres Schiffs als wirklichen Schaden von
den Verſicherern einzufodern. Ich habe ſchon ge-
ſagt, daß die Worte der Polize zu viel ſagen. Aber
die Vernunft berechtigt ſie eben ſo wenig dazu, als
ein Fuhrmann berechtigt werden darf, die Repara-
tur ſeines Wagens etwa von den Eignern ſeiner
Frachtguͤter, weil er keine Verſicherer hat, wieder
zu fodern, wenn er auf einer Reiſe durch eingefal-
lenes Regenwetter ſchlechtere Wege findet, als er
vermuhtete. Beides ſind Faͤlle, auf welche als
moͤglich derjenige hinaus ſehen muß, der ſeinen Ver-
dienſt durch See- oder Landfracht ſucht.
§. 20.
Durch dieſen Commentar uͤber das Formular
einer Polize glaube ich die Hauptſachen angegeben
zu haben, welche fuͤr ſolche Leſer wiſſenswehrt ſind,
die nicht mit dergleichen Geſchaͤften ſehr viel umge-
hen, aber auch fuͤr ſolche, die in Landſtaͤdten woh-
nen und die Beſorgung der Aſſecuranz fuͤr Guͤter,
welche ſie fuͤr ihre Rechnung kommen laſſen oder ver-
ſenden, ihren Commiſſionaͤren oder Speditoͤren in
den Seeplaͤzen auftragen muͤſſen. Es giebt auch oft
[81]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
ſonderbare Vorfaͤlle und Streitigkeiten, die aus der
Unkunde inlaͤndiſcher Kaufleute mit den Aſſecuranz-
Geſchaͤften entſtehen. Aber auch fuͤr diejenigen
glaube ich viel nuͤzliches geſchrieben zu haben, welche
bekannter mit der Sache ſind, aber nicht den Grund
aller derer Verfuͤgungen einſehen, welche in Anſe-
hung der Avereien und Aſſecuranzen in aͤltern und
neuern Seerechten in einer gewiſſen Einſtimmigkeit
feſtgeſezt ſind. Zwar gibt es noch viele andere Ge-
genſtaͤnde der Verſicherungen als Seegefahr, und be-
ſondere Beſtimmungen, unter welchen Aſſecuranzen
genommen werden: Z. B. auf die Lebensdauer, auf
Ranzionsgelder, wenn ein Seemann von den Tuͤrken
genommen wird, auf Feuersgefahr von Guͤtern, wie
auch Verſicherungen von Schiffen und Guͤtern auf ge-
wiſſe Zeit oder fuͤr einen beſtimmten Teil ihres Weges.
Ich will aber nur von zweien etwas beifuͤgen, nem-
lich von Aſſecuranzen auf Intereſſe und Non-Inte-
reſſe, und auf imaginaͤren Gewinn.
§. 21.
Muͤſſige Leute, oder, die einen ernſthaften Zwek
in den Gegenſtand eines Gluͤksſpiels verwandeln, ſo
wie dies in dem B. 3. C. 6. §. 17 beſchriebenen fal-
ſchen Stokshandel geſchieht, haben auch eine Ver-
ſicherung erfunden, welche keinen andern Zwek hat,
als ſich die Hofnung des Gewinns aus einem Verlu-
2ter Teil. F
[82]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
ſte, der ſie gar nicht angeht, durch eine Praͤmie zu
erkaufen. Sie nehmen nemlich eine Polize fuͤr ein
willkuͤhrliches Capital auf ein Schiff, von welchem ſie
wiſſen, daß es unterwegs ſei, bezahlen eine gewiſſe
Praͤmie dafuͤr, und bekommen die verſicherte Summe
bezahlt, wenn das Schiff verloren geht. Derglei-
chen Verſicherungen ſind in England nicht ungewoͤhn-
lich, obgleich ſie durch ein Statut vom J. 1746 ver-
boten ſind. Nur auf Caperſchiffe und auf Guͤter,
die aus Spaniſchen oder Portugieſiſchen Haͤfen kom-
men, iſt ſie erlaubt verblieben. Es iſt eine bloſſe
Wette auf die gluͤkliche oder ungluͤkliche Ankunft
eines Schiffes, die daher immer mit der Bedingung
geſchloſſen wird, daß der Aſſecuradoͤr im Falle der
Strandung die Summe, als waͤre es ein totaler
Schaden, bezahle, und nicht etwan nach abgemachter
Averei ſo viel weniger bezahlen duͤrfe, als dieſe be-
traͤgt. Das kann auch nicht anders ſein, weil ſehr
oft ein Aſſecuradoͤr ſolche Polizen auf Schiffe zeichnet,
fuͤr welche keine Averei aufgemacht wird. Auf Guͤ-
ter kann nicht ſo gezeichnet werden; es muͤßte denn
der Wettende wiſſen, was fuͤr Art Guͤter in dem
Schiffe ſind, um demnaͤchſt ſagen zu koͤnnen: Solche
Guͤter, verderbliche oder unverderbliche, waren im
Schiffe. Wie nun fuͤr dieſe die Averei aufgemacht
iſt, ſo ſind auch die Guͤter, auf welche ich gewet-
tet habe, anzuſehen. Aber ſo etwas iſt dem Ge-
[83]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
winnſuͤchtigen zu weitlaͤuftig. Wenn dann das ange-
fuͤhrte Britiſche Statut erlaubt, daß Aſſecuranzen auf
Waaren oder Effecten aus Europaͤiſchen oder Ameri-
kaniſchen Haͤfen, die im Beſiz der Krone Spanien
oder Portugal ſind, koͤnnen verſichert werden, ſo
iſt dies wahrſcheinlich von ſolchen ernſthaften Ver-
ſicherungen zu verſtehen, die keine leere Wette zur
Abſicht haben, und von welchen ich ſogleich noch mehr
ſagen werde.
Bei ſo vielen Beiſpielen des Betruges iſt eine
ſolche Verſicherung inſonderheit bedenklich. Denn
dem, der ohne Intereſſe Verſicherung zu groſſem
Belauf ſucht, kann man auch wol zutrauen, daß
er, um ſich ſeines Gewinns gewiß zu machen, mit
dem Schiffer eine buͤbiſche Beredung nehme, daß er
das Schiff zu Ungluͤk bringe, und dadurch die Eig-
ner und wirklichen Verſicherer deſſelben ſowol als
der Ladung in empfindlichen Verluſt ſeze. Weil
nun dies bei Kaperſchiffen weniger zu fuͤrchten iſt,
ſo ſind ſie in jener Acte der Spielſucht der Britten
als ein Gegenſtand freigelaſſen worden.
Indeſſen gibt es Faͤlle, in welchen ein ehrlich
denkender Kaufmann Verſicherungen ſucht, auch ohne
gewiß zu ſein, ob er Intereſſe oder nicht Intereſſe
an dem in der Polize benannten Schiffe habe. Man
F 2
[84]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
ſeze, einer habe eine Commiſſion auf Liſſabon zum
Einkauf und Verſendung von 10000 Mk. Waaren
gegeben; ſein Commiſſionaͤr berichte ihm, daß er
den Auftrag ausgerichtet habe und die Guͤter zur Ab-
ſendung bereit halte, ſende ihm aber noch kein Con-
noſſement zum Beweis, daß, und in welches Schiff
er ſie verladen habe. Nun koͤmmt dem Kaufmann
eine Schiffer-Nachricht, daß ein benanntes Schiff
von Liſſabon kommend auf der See geſehen worden
ſei. Ein Sturm erfolgt. Noch iſt das Schiff nicht
da, und der Kaufmann muß fuͤrchten, ſeine Guͤter
zu verlieren, ehe das Connoſſement durch die Poſt
an ihn gelangt, und ihn in den Stand ſezt, die
Verſicherung unter gehoͤriger Beſtimmung zu neh-
men. Er ſucht ſie indeſſen, und ſchließt ſie auf das
benannte Schiff, doch ohne die Marken und Nu-
mern der Pakken oder Kiſten angeben zu koͤnnen,
wie doch ſonſt nohtwendig iſt. Dabei behaͤlt er ſich
vor, daß die Verſicherung unguͤltig ſei, und kein
Riſtorno dafuͤr Statt haben ſolle, im Fall dies Schiff
ſeine Guͤter nicht geladen habe. Einer ſolchen Aſſe-
curanz gibt man auch wol die Benennung auf Inter-
eſſe und Non-Intereſſe. Die Geſeze koͤnnen eine
ſolche nicht verbieten, auch nicht einmal misbilligen.
Doch wird ſie in unſern Gegenden in Hamburg nicht
unter einer ſolchen Benennung geſchloſſen, ſondern
man bleibt lieber in dem gewoͤhnlichen Wege. Der
[85]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
Aſſecuradoͤr laͤßt ſich den Mangel der Anzeige von
Marken und Numern gefallen, welches freilich
nicht ohne Bedenklichkeit iſt, behaͤlt ſich aber, wie
bei andern etwa durch Irrthum zwiefach geſchloſſenen
Aſſecuranzen, vor, daß, wenn dieſe nicht Statt hat,
er die Praͤmie mit Abzug eines ½ p. C. riſtornire.
§. 22.
Es iſt natuͤrlich, daß ein Kaufmann, welcher
eine Unternehmung von Belang uͤber See macht,
bei dem Verluſt ſeiner Guͤter auch den Verluſt des
bei deren gluͤklicher Anlangung mit Grunde zu hoffen-
den Gewinns empfindlich fuͤhle. Dies moͤgte Grund
genug fuͤr jeden bedaͤchtlichen Kaufmann ſein, eine
Verſicherung auf dieſen Gewinn beſonders zu neh-
men. Aber die Praͤmie dafuͤr iſt immer gewiſſer
Verluſt, welcher in jedem Fall gelitten werden muß,
die Speculation ſchlage ein oder nicht, und ein Kauf-
mann, der aus zu groſſer Behutſamkeit jeden von
ſeinen Unternehmungen uͤber See zu hoffenden Ge-
winn verſichern laſſen wollte, moͤgte am Ende nicht
viel gewinnen. Daher ſind ſolche Verſicherungen,
die man auf imaginaͤren Gewinn nennt, wenig
gewoͤhnlich. Nur in den Ausruͤſtungen von Schiffen
zur Fiſcherei hat ſie zuweilen Statt; doch mehr als
Erſaz des Verluſtes, den eine verlohrne Reiſe ent-
ſtehen macht, wenn Volkshaͤuer und Victualien ver-
[86]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
gebens verwandt werden, als um dem Rheder einen
Ueberſchuß uͤber dieſe Koſten und einen Gewinn zu
verſchaffen, welchen Zufaͤlle der Natur fuͤr die dies-
malige Reiſe verſagten.
Dann leiten auch den Kaufmann folgende Ueber-
legungen zur Nehmung einer ſolchen Aſſecuranz,
welche ich in einem Beiſpiel darſtellen will. Er ver-
ſeudet nach Liſſabon eine Partei Waaren, welche er
in der Polize mit allen Unkoſten bis an Bord und
der Aſſecuranz-Praͤmie auf 10000 Mk. taxirt, wie-
wol er in Liſſabon auf einen Boͤrſenpreis von 12000
Mk. rechnet. Die Waare koͤmmt ſo ſtark beſchaͤdigt
an, daß ſie dort zu 50 p. C. unter dem Boͤrſenpreis
verkauft werden muß, d. i. fuͤr 6000 Mk. Hier
aber wird nach eben dieſem Verhaͤltnis diſpaſchirt,
aber auf 50 p. C., nicht von 12000, ſondern nur von
der taxirten Summe 10000 Mk. Der Kaufmann
bekoͤmmt alſo ſtatt wirklich verlohrner 6000 Mk.
nur 5000. Um ſich alſo davor ſicher zu ſtellen,
nimmt er neben der Polize auf den taxirten Wehrt
eine zweite auf den mit Grunde erwarteten Ueber-
ſchuß von 2000 Mk. in Liſſabon, der keineswegs
ganz Gewinn fuͤr ihn iſt, weil Fracht und Unkoſten
in Liſſabon davon abgehen. Dieſe 2000 Mk. be-
koͤmmt er keinesweges ganz, ſondern auch nur 50
p. C. Auch hat eine ſolche Aſſecuranz keinesweges
[87]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
den Effect, welchen man aus der Benennung abneh-
men moͤgte, daß, wenn die Waare wolbehalten an-
gekommen waͤre, aber nur zu 10000 Mk. verkauft
werden koͤnnte, der Verſicherer dem Verſicherten
jene 2000 Mk. voll bezahlen muͤßte.
§. 23.
Die ſo allgemein gewordene Aſſecuranz hat in
dem Gange der Handlung uͤberhaupt groſſe Veraͤnde-
rungen gemacht, die teils als vorteilhaft, teils als
nachteilig angeſehen werden koͤnnen.
a) Vorteilhaft iſt es unſtreitig, daß nun das
Gluͤk eines uͤber See handelnden Kaufmanns nicht
mehr ſo von ungefaͤhren Zufaͤllen der Natur abhaͤngt,
als ehemals. Manche Handlungen wuͤrden wegen
Mißlichkeit der Seefahrt gar nicht betrieben werden
koͤnnen. Ohne dieſe Verſicherung muͤßte ein vorſich-
tiger Kaufmann einen groſſen Teil ſeines Vermoͤgens
bei Seite legen, um in dem Fall, da er ein Schiff
ganz verliert, noch ſeine Handlung fortſetzen zu koͤn-
nen. Jezt aber kann ein jeder, auch der ſchwaͤch-
ſte, ſein ganzes Vermoͤgen in einer Seehandlung
wagen, und darf nur dahinausſehen, daß er es bei
Ungluͤksfaͤllen aushalten koͤnne, bis der Verſiche-
rer ihm einen Teil des entſchiedenen Schadens und
nach aufgemachter Diſpaſche das Ganze bezahlt.
[88]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
Die Handlung uͤberhaupt iſt alſo dadurch viel leb-
hafter geworden.
§. 24.
b) Als ſchaͤdliche Folgen moͤchte anzuſehen ſein: 1)
die ſeitdem entſtandene Unſicherheit im Speculations-
und uͤberhaupt im eignen Handel. Vorzeiten lieſſen
alle Schiffe die Meere in der ſchlechteſten Jahrszeit
unbefahren, ja ſogar gewiſſe Seerechte, beſonders
die Hanſeatiſchen, geboten, daß kein Schiff vom
10ten Novbr. bis zum 2ten Febr. in See gehen ſolle.
Es wußte alſo ein jeder Kaufmann, daß ihm nach Mar-
tini kein ſpaͤter abgehendes Schiff ſeinen Preis ver-
derben koͤnnte. Jezt aber muß er, in denen Gewaͤſ-
ſern wo der Winter ungewiß iſt, dies zu aller Zeit
fuͤrchten. Mancher Kaufmann wird auch ungluͤk-
lich dadurch, wenn er in ſpaͤter Jahrszeit Guͤter ver-
ladet, und ein unerwartet fruͤher oder langer Win-
ter, wie in den Jahren 1784 und 85 geſchah, ſein
Schiff Monate lang zuruͤcke haͤlt und die Conjunctur
daruͤber verlohren geht. Aber, wenn ſolche Ein-
ſchraͤnkungen in der Handlung voriger Zeiten Statt
haben konnten, ſo koͤnnen ſie es jezt nicht mehr, da
auch der kuͤrzeſte Winter in den Nordiſchen Gegenden
mancher Art der Handlung noch zu lang wird. Wenn
z. B. in Hamburg die Schiffe von Mallaga her im
November ankommen, ſo beduͤrfen noch die Oſtſee-
iſchen Haͤfen ihres Teils der damit angelangten Waa-
[89]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
ren, z. B. Zitronen und anderer Fruͤchte, die nicht
den Winter durch liegen bleiben koͤnnen. Dann geht
noch manches Schiff mit denſelben beladen von Luͤbek
im December ab und erreicht den Hafen ſeiner Be-
ſtimmung. Denn viele Haͤfen im hohen Norden,
z. B. Reval, Bergen, Drontheim ſind oft im Ja-
nuar noch nicht vom Eiſe geſchloſſen. Man kann
auch in jezigen Zeiten ſehr auf die gebeſſerte Kunſt
der Schiffahrt rechnen. Auf manche Gegenden muß
ein Schiff ſeine Abfahrt bis in den Winter ſtellen.
Das muͤſſen inſonderheit die Oſtindienfahrer, die,
wenn ſie die Paſſatwinde treffen wollen, ſpaͤt im
Jahre aus den Nordiſchen Haͤfen abgehen muͤſſen.
2) Die Preiſe aller Waaren, welche uͤber See
kommen, werden dadurch teurer. Derjenige, wel-
cher die Aſſecuranz wirklich bezahlt, muß dieſelbe
auf den Preis der Waare ſchlagen. Aber auch der
Kaufmann, welcher die Seegefahr ſelbſt laͤuft, wird
darum nicht wolfeiler verkaufen, ſondern den Preis
mit genieſſen wollen, fuͤr welchen diejenigen verkau-
fen, welche die Praͤmie auf ſelbige bezahlt haben.
Indeſſen iſt dies nur ein anſcheinender Nachteil.
In aͤltern Zeiten wurden die Waaren unter ſonſt glei-
chen Umſtaͤnden eben dadurch gewiß teurer als jezt,
daß der Kaufmann auf hoͤhere Preiſe halten muſte,
um den ſo ungewiſſen Schaden von Seeungluͤk aus-
[90]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
halten zu koͤnnen. Bei der damaligen ſchlechtern
Beſchaffenheit der Schiffahrtskunſt mußte er um ſo
viel hoͤher den Anſchlag davon machen. Eben deswe-
gen waren die Aſſecuranzen, als ſie zuerſt uͤblich wur-
den, ungemein hoch. Im vorigen Jahrhundert war
die gewoͤhnliche Praͤmie von Hamburg auf Liſſabon
auch im Sommer 5 p. C. Dazu wuͤrde ſich kein
Kaufmann entſchloſſen haben, wenn er nicht die bis
dahin von ihm ſelbſt beſtandene Gefahr hoͤher ange-
ſchlagen haͤtte. Jezt aber weis der Kaufmann, wenn
ſeine Polize gezeichnet iſt, aufs beſtimmteſte, was
ihm dieſe Gefahr koſtet, und darf, in Ruͤkſicht auf
dieſe, den Preis ſeiner Waare nicht nach dem Grade
ſeiner Beſorgnis erhoͤhen. Wenn noch jezt alle Kauf-
leute ihr Riſico liefen, ſo wuͤrde doch ein jeder im Waa-
ren-Verkauf ſo viel zu gewinnen ſuchen, daß er den
Verluſt von andern ihm verungluͤkkenden Waaren
tragen koͤnne. Dann aber wuͤrde manchmal ein leicht-
ſinniger, oder im Geld-Mangel ſich befindender Kauf-
mann, bei ſeiner ſchon gluͤklich angelangten Waare
nicht auf die von derſelben ſchon uͤberſtandene See-
Gefahr rechnen, ſondern wolfeil verkaufen und an-
dern den Preis verderben koͤnnen.
§. 25.
Indeſſen kann es mit dem Verſichern zu weit ge-
trieben werden. Etwas wagen iſt bei Handlungs-Ge-
[91]Cap. 3. Von den Aſſecuranzen.
ſchaͤften weſentlich. Wenn ein gar zu vorſichtiger
Kaufmann fuͤr alle Gefahren des Verluſtes Verſiche-
rungen ſuchen und bezahlen wollte, ſo wuͤrde die
Rechnung bald geben, daß die Koſten allen auf ſeinen
Handel zu machenden Gewinn wegnehmen wuͤrden.
Dies iſt ein Grund, welchen gegen die oft vorgeſchla-
genen Aſſecuranzen auf kaufmaͤnniſchen Credit anzu-
fuͤhren ich B. 3. C. 5. §. 15. verſaͤumt habe. Ich mag
jedoch dieſen ſo wichtigen Abſchnitt nicht durch mehr
Erlaͤuterungen dehnen, ſondern behalte mir das, was
man vielleicht noch erwarten moͤgte, fuͤr die Zuſaͤze vor.
Viertes Capitel.
Von der Bodmerei.
§. 1.
Jeder Schiffer, der auf einen etwas entfernten Plaz
ſegelt, und jeder Rheder deſſelben weiß, daß er,
auch nach der gluͤklichſten Reiſe, dort Beduͤrfniſſe
haben werde, denen nicht anders, als mit Gelde ab-
geholfen werden kann. Dieſes Geld ihm mitzuge-
ben, waͤre ſo viel als die Gefahr des moͤglichen
Verluſtes vergroͤſſern, und, weil man doch nicht
den noͤtigen Belauf vorher wiſſen kann, ſo wuͤrde
[92]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
manche Summe ungenuͤzt und mit Zinſenverluſt fuͤr
deren Beſizer hin und her verſchifft werden. Und
wie kann man immer in dem Abgangshafen zu der
Geldſorte gelangen, die in dem Beſtimmungs-Hafen
gaͤnge und gebe iſt? Der Schiffer muß es daher ſo
machen, oder es muß fuͤr ihn ſo geſorgt werden,
wie ein zu Lande Reiſender fuͤr ſich ſorgt oder ſorgen
laͤßt, daß er allenthalben ſo viel Geld finde, als ihm
bei ſeinem Aufenthalt und zur Fortſezung ſeiner
Reiſe nohtwendig iſt. Er wird an irgend einen Ein-
wohner des Hafens verwieſen, oder dem gewoͤhnli-
chen Ausdruk nach conſignirt, der allen ſeinen
Beduͤrfniſſen mit dem ihm noͤtigen Gelde abhilft,
und ihn in dem Stande erhaͤlt, die Zwekke ſeiner
Reiſe ohne Stoͤrung durch unerwartete Zufaͤlle zu
erfuͤllen. Dieſer wird dann nicht nur die gewoͤhn-
liche Proviſion, ſondern auch in dem Falle kaufmaͤn-
niſche Zinſen fuͤr ſeinen Vorſchuß rechnen, wenn er
den Umſtaͤnden nach nicht angewieſen werden kann,
auf die Eigner des Schiffes zu traſſiren, ſondern
deren Remeſſe erwarten muß.
Dieſe Vorſicht wird kein Rheder fuͤr irgend einen
Plaz zu nehmen verſaͤumen, wohin ſein Schiff auch
nur muhtmaslich kommen kann, und kein Schiffer
wird dahin gerne gehen, wo nicht auf dieſe Art ſchon
fuͤr ihn geſorgt iſt, oder er als ein dort ſchon bekann-
[93]Cap. 4. Von der Bodmerei.
ter Mann ſich ſelbſt zu helfen weiß. Fuͤr die Reiſen
in und aus der Oſtſee bedarf es ſchon unterwegs die-
ſer Vorſorge. Fuͤr jedes Schiff, ja fuͤr jede Waare,
die durch den Sund geht, iſt dieſelbe noͤtig, um den
Schiffer in den Stand zu ſezen, den Zoll in Elſenoͤr
zu berichtigen, oder zu clariren.
§. 2.
Das alles iſt nun zwar ſo bekannt, als es ge-
woͤhnlich iſt. Aber man denke dabei an alte Zeiten
zuruͤk, in welchen die Huͤlfsmittel fehlten, welche
jezt alle mit der Handlung im Zuſammenhange ſte-
hende Geſchaͤfte ſo ſehr erleichtern. Man kann frei-
lich annehmen, daß zwiſchen Haͤfen, die viel Ge-
werbe hatten, die Conſignation eines Schiffes an
einen Handelsmann in dem Beſtimmungshafen nie
unterblieben ſei, wenn es deren bedurfte. Aber nur
ſelten bedurfte ein Schiff derſelben. Denn auf faſt
allen reiſeten Eigner der Ladung oder des Schiffes,
oder ſichere Bediente derſelben mit. In vielen
Faͤllen aber war es in jenen Zeiten ſo gut wie unmoͤg-
lich, fuͤr ein Schiff in dem jezt uͤblichen Wege zum
voraus zu ſorgen. Die Schiffe ſegelten nicht alle
unter gewiſſen Beſtimmungen, und ihre Fuͤhrer ſelbſt
wußten bei ihrer Abreiſe nicht alle die Haͤfen, in
welche ſie einlaufen, und wo die Eigner der Ladung
den beſten Markt fuͤr dieſelbe finden wuͤrden. Es
[94]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
mußten alſo teils manche Verlegenheiten fuͤr dieſelben
entſtehen, teils die Luſt und der Anſchein zum Gewinn
ein dringendes Beduͤrfnis des Geldes fuͤr die mitrei-
ſenden Kaufleute veranlaſſen. Verlegenheit, wenn
ein Schiff beſchaͤdigt anlangte, und einer koſtbaren
Reparatur bedurfte; Beduͤrfnis, wenn ſich ein Ge-
winn verſprechendes Geſchaͤfte in einem ſolchen Hafen
machen ließ, und der Verkauf der hingebrachten La-
dung nicht Geld genug gegeben hatte, um eine koſt-
barere Retour-Ladung mit zu nehmen.
In ſolchen Umſtaͤnden mußte der Schiffer und
der mitreiſende Handelsmann es ſich ſehr lieb ſein
laſſen, wenn er einen Einwohner des Ortes fand,
der ihm mit Gelde in der einen oder der andern Ab-
ſicht zu Huͤlfe kam. Er mußte aber auch ſich ſchwere
Bedingungen gefallen laſſen, weil er keine andere
Sicherheit anbieten konnte, als den Gegenſtand des
genommenen Darlehns. Gieng das Schiff oder die
Waare verloren, auf welche das Geld angeliehen
war, ſo konnte der Darleiher ſchwerlich auf Bezah-
lung rechnen. Und wenn ja der Anleihende noch
ſonſt etwas im Vermoͤgen und den beſten Glauben
an ſeine Ehrlichkeit fuͤr ſich hatte, ſo mußte, da
keine Verſicherungen damals gewoͤhnlich waren, der
Darleiher den Fall eines Schiffbruchs dafuͤr anſehen,
daß er ſeinen Schuldner auſſer Stand ſezen wuͤrde,
[95]Cap. 4. Von der Bodmerei.
ihm ſeine Schuld zu bezahlen. Er ſah alſo, wenn
er ſich entſchloß, die Seegefahr als auf ihn ſelbſt
zuruͤkfallend an. Er rechnete, wie ein Aſſecuradoͤr
zu unſern Zeiten rechnen muß, aber viel hoͤher, weil
die damalige Unvollkommenheit der Schiffahrt ſeine
Gefahr viel groͤſſer machte. Im Ganzen aber rech-
nete er nach eben denen Gruͤnden, welche ich oben
B. 3. C. 6. §. 23 bei dem Groß-Aventurhandel an-
gegeben habe.
§. 3.
Dieſen Handel habe ich dort ſo beſchrieben, wie
er in der jezigen handelnden Welt noch hier oder dort
beſteht, ohne etwas geſchichtliches von demſelben bei-
zubringen. Hier iſt der Ort zu ſagen, daß derſelbe
in den aͤlteſten Zeiten ein ſehr gewoͤhnliches Geſchaͤfte
geweſen ſei, und daß vielleicht der halbe Teil aller Hand-
lungsgeſchaͤfte in dieſem Wege betrieben wurden.
Als einen Beweis davon ſehe ich dieſes an: So
armſelig das Roͤmiſche Recht an Verordnungen uͤber
die Handlung iſt, ſo viele Verfuͤgungen enthaͤlt es
uͤber dieſen ſo benannten Schiffsfahrts-Wucher,
(Foenus nauticum) nicht um ihn zu verbieten,
ſondern um ihn in dem Gange der Ordnung und der
Billigkeit zu erhalten. Zwei Urſachen auſſer jenen
Veranlaſſungen befoͤrderten gewiß ihn ungemein.
Die erſte war der damals viel groͤſſere Gewinn fuͤr
[96]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
den Kaufmann, wenn er mit ſeinen eingehandelten
Waaren den rechten Markt aufſuchte. Damals gab
es keine Poſten, welche von einem Handelsplaz zum
andern die Preiscuranten und die verlangten Conti
finti, ſo wie jezt von einem Ende Europens zum
andern brachten, welche Urſache ſind, daß der Preis
einer jeden Waare, wenn nicht Conjuncturen ihn
veraͤndern, von dem Orte ihrer Ausfuhr an unge-
faͤhr in dem Maaſſe hoͤher wird, wie die Koſten der
fernern Verfuͤhrung es mit ſich bringen. Plinius
ſagt, daß die Waaren Indiens in Rom hundertfach
theurer, als ihr urſpruͤnglicher Wehrt, verkauft wur-
den. Man mag in dieſem Ausdrucke ſo viele Ueber-
treibung annehmen, als man will, (wie denn eigent-
lich nichts beſtimmtes in ihm angenommen werden
kann) ſo wird doch jezt, da alle Wege fuͤr die Hand-
lung ſo ausſtudirt ſind, niemand uͤber den Preis
einer wenn gleich noch ſo weit her geholten Waare
ſich ſo ausdruͤcken.
Eine zweite Urſache, ohne welche dieſer Handel
damals gar nicht haͤtte beſtehen koͤnnen, war, daß
die ganze damals handelnde Welt Einer, der Roͤmi-
ſchen, Botmaͤſſigkeit unterworfen war. Der Glaͤu-
biger konnte alſo ſeinen Schuldner allenthalben ab-
reichen, und kannte die Geſeze, nach denen er konnte
gerichtet werden.
[97]Cap. 4. Von der Bodmerei.
§. 4.
Es iſt mir noch nicht gelungen, aufzufinden,
nach welcher Regel die Zinſen dieſes Groß-Aventur-
Handels in jenen Zeiten ſich moͤgen beſtimmt haben.
Sie waren aus leicht einzuſehenden Gruͤnden hoͤher,
als die Zinſen, bei welchen die Benennung Wucher
zu gelten anfaͤngt. Die Lateiniſche Benennung
Foenus hat eine aͤhnliche jedoch nicht gleich boͤſe Be-
deutung mit dem Worte: uſura. Wenigſtens
nahmen die Roͤmiſchen Geſeze ſolche Contracte noch
nicht fuͤr wucherlich. Allein nach der Zeit ſahen uͤbel-
verſtandene Kirchliche Geſeze und vollends das Cano-
niſche Recht, welches alles Zinſennehmen verbot,
ſie in einem ſehr gehaͤſſigen Lichte an und verboten ſie
mehrmals. Weil ſie aber nicht den Gang der Hand-
lung verbeſſern konnten, ſo haͤtte in den damaligen
Zeiten faſt alle Handlung aufhoͤren muͤſſen, wenn
alle Kaufleute gehorſame Soͤhne der Kirche geweſen
waͤren. Ich weiß nicht, ob ſie deren Verbote etwa
auf aͤhnliche Art moͤgen ausgewichen ſein, wie man
es bei dem Belehnen auf liegende Gruͤnde taht, da
man dem Anleihenden zum Schein einen Teil der
Nuzung ſeines Grundſtuͤks verkaufte, doch mit dem
Bedinge des Wiederkaufsrechts auf Seiten des
Schuldners. Da hieß es z. B., Peter verlaͤßt an
Paul in ſeinem Grundſtuͤk 25 Mark Renten mit 500
Mark zu loͤſen. Die im Norden angenommene
2ter Teil. G
[98]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
Benennung dieſes Geſchaͤftes: Bodmerei, Eng-
liſch Bottomry, laͤßt wol keine andere Ableitung
zu, als vom Boden des Schiffes, der dem Dar-
leihenden ganz oder zum Teil zum Eigentuhm uͤber-
laſſen ward, ſo daß er nach geendigter Seereiſe, auf
welche ſein Vorſchuß gieng, die Hand auf daſſelbe
legen, und ſeine Schuld ganz, oder, wenn das
Schiff nicht verſunken war, zum kleinen Teil aus
dem Ueberre[ſt]e deſſelben, dem Boden, ſich bezahlt
machen konnte. Aeltere Seerechte, inſonderheit das
Wisbyiſche, befugten jedoch den Schiffer, im Fall der
Noht auf einen Teil ſeines Schiffes Geld als foͤrmli-
chen Vorſchuß zu nehmen. Fuͤr einen ſolchen Fall
der Noht durfte nun freilich die Kirche nicht gefragt
werden, ob dem Darleihenden auch Zinſen eingeſtan-
den werden duͤrften. Sie ſezten dabei die Bedingung,
daß der Schiffer ſich an einem Orte befinde, wo er
nicht ohne groſſen Verluſt einen Teil der Ladung zu
Gelde machen koͤnne. Ich werde von dieſem Um-
ſtande §. 7. weiter reden.
§. 5.
Die neuern Seerechte, welche auf das kirchliche
Verbot keine Ruͤkſicht mehr nehmen, ſind reich an
Verfuͤgungen uͤber die Bodmerei-Contracte, und
geben ihre Vorſchriften uͤber dieſelben in faſt gleichen
Ausdruͤkken und nach faſt gleichen Grundſaͤzen, der
[99]Cap. 4. Von der Bodmerei.
Gegenſtand derſelben mag Schiff oder Guͤter ſein.
Sind es Guͤter, ſo iſt freilich Bodmerei auf dieſel-
ben und Vorſchuß auf Groſſe Aventure ganz und gar
Ein Ding. Ich habe alſo davon nichts mehr zu
ſagen Anlaß, aber deſto mehr in Anſehung der zum
Bodmereinehmen genoͤtigten Schiffe. Ich muß
nur noch bemerken, daß man den Glaͤubiger in
Bodmerei-Contracten den Bodmereigeber oder
Bodmeriſten, den Schuldner aber den Bod-
mereinehmer benenne.
§. 6.
Der Veranlaſſungen, fuͤr ein ganzes Schiff oder
fuͤr einen Teil deſſelben einen laſtigen Bodmerei-
Contract einzugehen, ſind in unſern Zeiten vornehm-
lich zwei: die erſte iſt der §. 3. von mir angegebenen,
welche in alten Zeiten Statt hatte, aͤhnlich, nemlich
die Hofnung, mit dem Schiff eine Fracht zu verdienen,
welche reichlich genug lohnt, um die hohe Bodmerei-
Praͤmie tragen zu koͤnnen. Man nehme z. B. an,
ein Schiff liege in einem Oſtſeeiſchen Hafen zu einer
Zeit, da ein Krieg ausbricht, und die Frachten uner-
wartet hoch fuͤr neutrale Schiffe ſteigen. Dem
Schiffer wird eine Certepartie angeboten, welche er
nicht ſchlieſſen kann, weil ſein Schiff einer ſtarken
Reparatur bedarf, die nun ſchnell vollfuͤhrt werden
muß, und um ſo viel mehr koſtet. Er wuͤrde
G 2
[100]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
die Conjunctur verlieren, wenn er ſich erſt Geld von
Hauſe her verſchaffen ſollte. Oder man ſeze, dem
Commiſſionaͤr, an welchen er conſignirt iſt, gehe die
Summe uͤber ſeine Ordre. Er wird alſo ſich ent-
ſchlieſſen, Geld auf Bodmerei zu nehmen, und ſich
der hohen Praͤmie unterwerfen. Eben dergleichen
kann einem Schiffer in dem Hafen begegnen, wo er
zu Hauſe gehoͤrt, wenn er Eigner des Schiffes iſt,
aber nichts mehr als dieſes im Vermoͤgen, folglich
keinen Credit hat, um auf gewoͤhnliche Zinſen Geld
zur Ausruͤftung ſeines Schiffs zu borgen. Iſt er
nicht Eigner vom Ganzen oder einem Teil deſſelben,
ſo verbieten ihm alle Seegeſeze, in dem Hafen, wo
er zu Hauſe gehoͤrt, Bodmerei zu ſchlieſſen. Es
kann aber auch treffen, daß ein Mitrehder im Schiffe
nicht die Kraͤfte hat, ſeinen Teil zu den noͤtigen Aus-
ruͤſtungskoſten beizutragen, und, da man dies ihm
abmerkt, nicht den Credit findet, Geld im gewoͤhn-
lichen Wege aufzunehmen, ſondern ſich zu einem
Bodmerei-Contract verpflichten muß.
Faͤlle dieſer Art betreffen auch wol Schiffe der
groſſen Handlungs-Companien in entfernten Gegen-
den. Ein Schiff hat z. B. 200000 Rthlr. halb an
Europaͤiſchen Guͤtern, halb an baarem Silber nach In-
dien gebracht. Jene werden zwar mit 40 p. Ct.
Vorteil verkauft, und deſſen Cargadoͤr hat demnach
[101]Cap. 4. Von der Bodmerei.
240000 Rthlr. zum Ankauf einer Retourladung.
Aber das Schif bedarf einer Reparatur, die dort, wo
Schifsmaterialien ſo ſehr teur ſind; nicht unter 20000
Rthlr. vollfuͤhrt werden kann. Der Cargadoͤr muͤſte
alſo mit einer ſo viel ſchwaͤchern Retourladung abge-
hen. Die Preiſe aber ſtehen ſo vorteilhaft, daß
er glaubt, dieſe Ladung nicht reich genug machen zu
koͤnnen. Er moͤchte alſo gerne noch fuͤr 50000 Rthlr.
einkaufen. Dieſe fehlen ihm, und noch 20000 Rthlr.
wegen des Schifs dazu. So viel vermag die dortige
Caſſe der Companie nicht, oder deren Agenten ſuchen
ſelbſt auf Unkoſten der Companie zu gewinnen, indem
ſie das Geld nur auf Bodmerei zu geben anbieten.
Der Cargadoͤr wird aus zwei Urſachen ſich bequemen
muͤſſen: erſtlich, weil er ſich an einem Orte befindet,
von welchem er nicht Wechſel auf die Companie zie-
hen kann; zweitens, weil er dort keine Aſſecuradoͤre
findet, welche ihm die fehlende Summe verſichern,
ſo daß er die Polize verpfaͤnden koͤnnte. Sein Schif
und Gut ſind zwar in Europa verſichert, aber nicht
bis zu der Summe, welche das Schif nun mit ſeiner
Retourladung wehrt wird. Wer ihm alſo dies Geld
gibt oder verſchaft, muß ſein eigner Aſſecuradoͤr ſein,
und wird zu nicht geringern Zinſen, als ſolchen, das
Geld geben, welche den dort uͤblichen hohen Zinſen
und der Aſſecuranzpraͤmie zuſammengenommen we-
nigſtens gleich ſind.
[102]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
§. 7.
Weit gewoͤhnlicher aber iſt der Fall, da ein Schif-
fer in einen Nothhaven einlaͤuft, wo er gar keinen
Freund oder Correſpodenten ſeiner Rheder oder Ein-
lader findet, weil auf den Zufall nicht gerechnet wer-
den konnte, der ihn dort hinfuͤhrte. Iſt dieſer Not-
haven auch ein Handelsplaz, wo er fuͤr die einhaben-
den Waaren auf billige, und in dem groſſen Handel
zu der Zeit Statt habende Preiſe rechnen kann, ſo be-
fugen ihn zwar die meiſten Seerechte, einen Teil der-
ſelben zu verkaufen, um damit die ihm entſtehenden
Koſten zu beſtreiten. Aber die damit verbundenen
Verfuͤgungen ſind zum Teil ſehr hart fuͤr den Schif-
fer Alle ſezen der Billigkeit gemaͤß feſt, daß das fuͤr
dieſe Waaren geloͤſete Geld in der Groſſen Averei er-
ſtattet werde, wenn das Schiff behalten zur Stelle
koͤmmt. Aber das Wisbyiſche laͤßt ihn den Eignern
dafuͤr haften, wenn das Schiff hintennach verloren
geht. Andere Seerechte laſſen es unentſchieden, und
mehrere Rechtsgelehrte beſtehen ebenfalls darauf.
Das Hanſeatiſche erlaubt es ihm nur, wenn er nicht
Geld auf Wechſel bekommen kann; und das Ant-
werpiſche ſezt noch dazu: wenn nicht auch auf Bod-
merei. Es iſt alſo ein ſolcher Verkauf der Waaren
ein fuͤr den Schiffer bedenklicher Schritt; wiewol
auch Gewinn aus dieſem Verkauf unter gewiſſen Um-
ſtaͤnden entſtehen kann. Die Britiſchen Geſezze
[103]Cap. 4. Von der Bodmerei.
haben hierin eine billigere Nachſicht, als welche ſonſt
dem Geiſte der Handlungsgeſezze dieſer Nation, in
Ruͤkſicht auf Auslaͤnder, gemaͤß iſt. Sie erlaſſen
den Zoll von ſolchen Waaren, die ein Schiffer in ei-
nem dergleichen Nohtfall verkauft. Indeſſen gibt
der Kaͤufer gerne einen Preis, der dem durch die Zoͤlle
erhoͤheten Preiſe wo nicht gleich, doch nahe koͤmmt,
welcher dann natuͤrlich hoͤher iſt, als derjenige, wel-
cher dafuͤr erlangt ſein wuͤrde, wenn die Guͤter in
ihrem Beſtimmungsorte angelangt waͤren, wo die
Zoͤlle und Abgaben geringer ſind. Es iſt inſonderheit
dies bei einer Ladung von Weinen manchem Schiffe
ſehr vorteilhaft geworden, und mag auch wol von
Schiffern ohne eigentlichen Nohtfall benuzt worden
ſein. Mir iſt noch kein Seegeſez bekannt, welches
fuͤr dieſen Fall die richtige Verfuͤgung traͤfe, daß der
daraus entſtehende Vorteil nicht dem Eigner der
Waare zu Gute kommen, ſondern zur Verminde-
rung der Groſſen Averei angewandt werden muͤſſe.
§. 8.
Aber in kleinen Haͤfen, die keine bedeutende
Handlung haben, wird ein Schiffer keinen Teil ſei-
ner Ladung verkaufen koͤnnen, ohne ihn zu verſchleu-
dern. Dies iſt der Fall mit den meiſten Haͤfen im
ſuͤdlichen Norwegen, welche freilich herrliche Zu-
fluchtsoͤrter fuͤr die Schiffe ſind, welche in der Nord-
[104]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
See und im Schagerak von ſuͤdlichen Stuͤrmen uͤber-
fallen werden. Nur in wenigen derſelben iſt eine
ſo ausgebreitete Correſpondenz mit andern Handels-
Plaͤzen, daß ein Schiffer dort einen Einwohner an-
treffen koͤnnte, der ihm auf den Credit ſeiner Rhe-
der oder Einlader den noͤtigen Beiſtand leiſtete. Es
iſt wenigſtens eine ganz zufaͤllige Sache, wenn es
ſich ſo trift. Aber er findet leicht offene Caſſe bei be-
mittelten Einwohnern, wenn er ſich zu einem Bod-
merei-Contracte verſteht. In dem jezigen Zuſtande
der Handlung kann zur Erfuͤllung der von dem Schif-
fer eingegangenen Verpflichtung, die vorgeſchoſſene
Summe zu bezahlen, nachdem er in ſeinem Beſtim-
mungsort eingelaufen iſt, leicht Raht geſchaft wer-
den, und ein betruͤgeriſcher Anſchlag, einen andern
Weg zu nehmen, um der Bezalung zu entgehen,
kann ſo gut als unmoͤglich angeſehen werden. Der
Bodmereigeber kann alſo durch den Weg der Corres-
pondenz und Wechſel Anſtalt machen, daß ihm dieſe
Bezalung zur rechter Zeit zu Haͤnden komme. Die
in ſeiner Bodmerei-Praͤmie gerechnete Aſſecuranz
kann er nun freilich auf ſeine Gefahr fortdauern
laſſen. Aber ſehr gewoͤhnlich laͤßt er dieſe an dem
naͤchſten Orte, wo es Aſſecuradoͤre oder Aſſecuranz-
Companien giebt, auf ſeine Bodmerei-Gelder beſor-
gen. Natuͤrlich iſt die Praͤmie, welche er dort zahlt,
geringer als diejenige, welche er in ſeinem Contracte
[105]Cap. 4. Von der Bodmerei.
berechnet hatte. Dies iſt Ein Teil ſeines Gewinns.
Der Belauf eines zweiten Vorteils, nemlich auf die
Zinſen ſeines Capitals, haͤngt von dem Gluͤk und
der Geſ [...]windigkeit der Reiſe von dem Nohthafen
bis zum Beſtimmungsort ab.
§. 9.
Die unter ſolchen Umſtaͤnden gemachte Bodmerei-
Schuld wird zur Groſſen Averei geſchlagen, und
in deren Berechnung von dem Diſpaſchoͤr uͤber die
Eigner von Schiff und Ladung verteilt. Die See-
Geſeze aller handelnden Nationen geben derſelben den
Vorzug vor allen Foderungen der Aſſecuradoͤre und
Eigner, wenn etwa ſpaͤter erfolgende Unfaͤlle machen,
daß von dem urſpruͤnglichen Wehrt des Schiffes und
der Ladung wenig mehr, als dieſe Bodmerei-Gelder
uͤbrig bleiben. Denn wenn das Schiff voͤllig bleibt,
ſo iſt vom Vorzug Eines Teils vor dem andern nicht
mehr die Rede. Jener Vorzug des Bodmeriſten iſt
in der Natur der Sache gegruͤndet. Denn beides
Eigner und Verſicherer muͤſſen zufrieden ſein, daß
an einem Orte, wo ſie ſelbſt keine Verfuͤgungen ma-
chen konnten, zur Rettung, Wiederherſtellung des
Schiffs und Fortſezung von deſſen Reiſe wieder Raht
geſchaft wird, wodurch ihr Eigentuhm am Schiff oder
an der Ladung ihnen erhalten wird. Aber die durch
den Bodmerei-Vorſchuß befoͤrderte weitere Reiſe des
[106]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
Schiffes kann mit neuen Unfaͤllen begleitet ſein,
welche den Schiffer noͤtigen, zum zweiten mal einen
Nohthafen zu ſuchen, und abermals Geld auf Bod-
merei zu nehmen. Dann aber iſt der Fall nicht blos
moͤglich, ſondern auch nicht ſo gar ſelten, daß eben
dies Schiff ſtrandet oder groſſe Beſchaͤdigungen leidet,
ehe es den Beſtimmungs-Hafen erreichet. Ja es iſt
auch nicht ganz unmoͤglich, daß von Einem Schiffe
dreimal Bodmerei genommen wird. In dieſen Faͤl-
len geben die Geſeze dem lezten Bodmeriſten den Vor-
zug vor ſeinen Vorgaͤngern. Auch dies iſt natuͤrlich:
denn der lezte Bodmeriſt iſt in eben dem Verhaͤltnis
gegen ſeine Vorgaͤnger, in welchem der erſte gegen
die Eigner und Aſſecuradoͤre ſich befand.
§. 10.
Dieſe aus Noht genommenen Bodmerei-Gelder
werden gewoͤhnlich zu einer ſchweren Laſt fuͤr die Teil-
nehmenden, und ſind auch nach einem gluͤklichen
Ende der Reiſe als ein betraͤchtlicher Verluſt am Schiff
und Gut anzuſehen, es mag nun derſelbe die Eigner
oder die Verſicherer treffen. Ein groſſer Kaufmann,
der viele Schiffe in der See hat, und noch mehr ein
Aſſecuradoͤr, der auf weit mehr Schiffe verſichert,
als von welchen ein Privatmann Eigentuͤhmer ſein
kann, wird daher alle moͤgliche Mittel anwenden, um
den Geldfreſſenden Bodmerei-Contracten auszuwei-
[107]Cap. 4. Von der Bodmerei.
chen. Er wird in allen Haͤfen, wo er nur Corre-
ſpondenten hat, dieſe anweiſen, ſich ſeiner Schiffe
anzunehmen, wenn ein Zufall ſie dorthin fuͤhrt, ihnen
mit den benoͤtigten Geldern beizuſtehen, dafuͤr die
Proviſion zu berechnen, und ihren Vorſchuß durch
auf ihn traſſirte Wechſel ſogleich wieder einzuziehen;
kurz, ſich des Schiffes ſo anzunehmen, wie an dem
Beſtimmungs-Orte derjenige, an welchen daſſelbe
foͤrmlich conſignirt iſt. Dies iſt nun freilich fuͤr ei-
nen Privatmann nicht leicht zu bewirken. Doch ha-
ben die fuͤnf in Hamburg beſtehenden Companten
in Vereinigung mit den hieſigen Privataſſecuradoͤren
es auf folgende Weiſe getahn: Sie haben in allen
groſſen und kleinen Haͤfen, hauptſaͤchlich laͤngſt den
Nordiſchen Meeren, allgemeine Vollmachten an dort
wohnende vermoͤgende Kaufleute erteilt, an welche
ſich ein jeder Schiffer, der da weiß, daß in Ham-
burg Teilnehmer an ſeinem Schiffe, deſſen Ladung oder
an beiden leben, es ſei vermoͤge Eigentuhms oder
Aſſecuranz ſich wenden koͤnne, oder von den Be-
vollmaͤchtigten ſelbſt angehalten werde, den noͤtigen
Vorſchuß aus ihren Haͤnden zu nehmen, ohne mit
ſonſt irgend jemandem Bodmerei-Contracte ſchlieſſen
zu duͤrfen.
Ich weiß nicht, ob dieſe kluge Maaßregel in an-
dern groſſen Seeplaͤzen auf gleiche Weiſe genommen
iſt. Je mehr aber dies geſchieht, deſto weniger Bod-
[108]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
merei Contracte werden kuͤnftig in der Schiffahrt vor-
fallen. Aber dahin kann es nimmermehr kommen,
daß nicht einzelne Schiffe in einzelnen Vorfaͤllen dazu
genoͤtigt wuͤrden. Es wird alſo in allen Seerechten
die Bodmerei der Gegenſtand eines weitlaͤuftigen
Artikels bleiben, und von denen vielen Geſezen,
welche in allen Geſezbuͤchern in einer gewiſſen Ein-
ſtimmigkeit ſich finden, wie ſie Billigkeit und Natur
der Sache angab, nicht leicht Eines als ganz uͤber-
fluͤſſig angeſehen und aufgehoben werden koͤnnen.
Anhang, vom Strandrecht.
§. 11.
Ehe ich den Schluß mit demjenigen mache, was
die Schiffahrt angeht, glaube ich noch etwas von dem
Verfahren bei Strandungen und inſonderheit von
dem verhaßten Strandrechte ſagen zu muͤſſen. Es
iſt natuͤrlich, daß bei einem ſo ſchweren Ungluͤksfall,
als Stranden, Scheitern und Verſinken eines Schiffs
iſt, hohe Belohnungen demjenigen nicht geweigert
werden koͤnnen, welcher dem in ein ſolches Ungluͤk
gerahtenen Schiffe zu Huͤlfe koͤmmt; auch nicht dem
Finder einer aus einem geſcheiterten oder geſunkenen
Schiffe durch die Wellen fortgefuͤhrten Waare, oder
irgend einer des Findens wehrten Sache. In vielen
Faͤllen dieſer Art entſteht auch Gefahr fuͤr die zu
Huͤlfe kommenden Bewohner des Strandes oder der
[109]Cap. 4. Anhang, vom Strandrechte.
kleineren dort umher ſeegelnden Schiffe, wenn deren
Fuͤhrer dem Ungluͤklichen zu Huͤlfe kommen wollen.
Nur die Erwartung eines hohen Lohns kann dieſe
ermuntern, ſich in dieſe Gefahren zu wagen. Wuͤrde
er ihnen hintennach durch zu genaues Dingen oder
zu ſtrenge rechtliche Entſcheidung beſtimmt, ſo wuͤrde
[nur] ſelten von verungluͤkten Schiffen etwas gerettet,
ſondern alles eine Beute des Meers werden. Frei-
lich haben die Umſtaͤnde noch immer einigen Einfluß
auf die Beſtimmung dieſes Lohns. Wenn z. E. ein
Schiff auf unſerer Elbe auf den Sand geraͤht, und
einer geſchwinden Erleichterung bedarf, ſo wird der
Schiffer den zu ſeiner Huͤlfe heran kommenden klei-
nen Elbſchiffen einen Lohn verſprechen, fuͤr welchen
ſie die aus dem Schiff gehobenen Guͤter zur Stadt
bringen, welcher freilich alsdann den Lohn der kur-
zen Reiſe, wie er auſſer dem Fall der Noht ihn ge-
geben haben wuͤrde, weit uͤberſteigt. Eben ſo wird
ein Schiffer verfahren, der noch in der bloſſen Ge-
fahr zu ſtranden iſt, und ſich, weil Wind und Wet-
ter es noch erlauben, der Huͤlfe kleinerer Schiffe be-
dient, um ſich aus ſeiner gefaͤhrlichen Lage heraus-
bringen zu laſſen. Dies alles nennt man noch ein
billiges Berglohn. Strandet aber ein Schiff voͤllig,
und oͤfnet es ſich dem Waſſer, oder bricht, ſo daß
der Koͤrper deſſelben nachher verloren gegeben werden
muß, ſo iſt die Huͤlfe, die demſelben geſchieht, ſchon
[110]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
eines groͤſſern Lohns wehrt, und noch eines groͤſſern,
wenn in einer ſolchen Noht daſſelbe von dem Schiffs-
volk verlaſſen iſt, folglich niemand mehr da iſt, der
uͤber dies billige Berglohn mit ihnen abhandeln
koͤnnte. Man moͤgte ſagen, hier trete ſchon die ju-
riſtiſche Regel ein, daß eine verlaſſene Sache ein Ei-
gentuhm desjenigen werde, der ſie zuerſt in Beſiz
nimmt. (Res derelicta cedit primo occupanti.)
Aber es waͤre doch der Billigkeit entgegen, dieſe Re-
gel auf Dinge anzuwenden, die nicht willkuͤhrlich,
ſondern aus Noht verlaſſen ſind, und deren Eigen-
tuͤhmer nicht unbekannt iſt, oder unbekannt bleibt.
Aber es iſt doch nichts Hartes in dem faſt allgemei-
nen Geſez, daß das Berglohn in ſolchen Faͤllen ein
Dritteil von dem Wehrt der geretteten Sache aus-
mache. Der Eigner eines in ſolcher Noht verlaſſe-
nen Schiffs und Gutes mag die ihm uͤbrig bleibenden
zwei Dritteile noch immer als einen wichtigen Gewinn
anſehen. Doch bleibt ſein Schaden noch immer groß
genug, zumal da der Wehrt ſeines Eigentuhms durch
die bei ſolchen Vorfaͤllen entſtehende Beſchaͤdigung
der geretteten Guͤter ſehr vermindert wird.
§. 12.
Aber weder Vernunft, noch das darauf ſich gruͤn-
dende Natur- und Voͤlkerrecht laſſen irgend einen
Grund hervorblikken, aus welchem ein Recht des
[111]Cap. 4. Anhang, vom Strandrechte.
Landesherrn gefolgert werden koͤnnte, von den an
ſeinem Strande verungluͤkkenden Schiffen und Guͤ-
tern, wenn ſie durch ſeine hoch genug belohnten Un-
tertahnen ganz oder zum Teil, mehr oder minder
beſchaͤdigt gerettet worden ſind, einen Anteil ſich an-
zumaſſen, oder ein ſo genanntes Strandrecht zu uͤben.
Allein in den Sitten der Vorzeit war Raubſucht, in-
ſonderheit gegen den Auslaͤnder, auch auf feſtem Lan-
de, kein Laſter, und mehrerer Entſchuldigung faͤhig,
wenn dieſelbe an einem ſolchen Eigentuhm des Frem-
den geuͤbt ward, das ihm die Natur ſchon gewiſſer-
maſſen entriſſen hatte. Es war alſo kein Wunder,
wenn von allen Anwohnern der Nordiſchen Meere
ein Recht angenommen ward, ſich, ohne Erbarmung
uͤber das Ungluͤk und den Verluſt des Beſizers, alles
deſſen zu bemaͤchtigen, was die Unfaͤlle der Seereiſen
ihrem Strande zufuͤhrten, und die oben angefuͤhrte
Rechtsregel ohne Einſchraͤnkung zu uͤben, auch wann
der mit ſeinem Schiff und Guͤtern gereiſete Eigner
zugegen war, und deſſen Eigentuhm als keineswegs
verlaſſen angeſehen werden konnte. Doch war es
in jenen Zeiten der Barbarei nicht Fuͤrſtenrecht, ſon-
dern aus Raub- und Gewinnſucht entſtandene Sitte
unſerer Vorfahren, inſonderheit der Frieſen, eines
kuͤhnen, freien und faſt keine Oberherren kennenden
Volks. Als Sitte erhielt es ſich bis in die Zeiten,
da dieſe Strandbewohner Oberherren bekamen, welche
[112]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
bei damals ſehr ſchwachen Geldeinkuͤnften ihre Aus-
ſicht auf jeden Gewinn nahmen, welchen an ſich zu
ziehen ihre Landesherrlichen Rechte ihnen einen Vor-
wand gaben. Doch geſchah dieſes mit mehrerer oder
minderer Gierigkeit der Fuͤrſten, und inſonderheit ihrer
laͤngſt dem Strande angeſtellten Beamten. Wenn
jedoch die Regenten Verordnungen uͤber dieſe Sache
gaben, ſo athmeten dieſelben den Geiſt der Menſchen-
liebe ſchon ſehr fruͤhe, und ſie ſtimmen faſt alle darin
uͤberein, daß nur dann, wenn von der verungluͤkten
Sache innerhalb Jahr und Tag ſich kein Eigner an-
gaͤbe, nachdem ſie bis dahin getreulich aufbewahrt
worden, dieſelbe zur Haͤlfte den Findern oder Ber-
gern und zur zweiten Haͤlfte den Regenten zufallen
ſolle. So lauten auch noch die Verfuͤgungen einer
Verordnung Koͤnig Chriſtians V. in Daͤnemark von
1687. Allein K. Friedrich IV. machte zuerſt eine
andere Verfahrungsart geltend. Ich werde davon
mehr in den Zuſaͤzen ſagen, und hier nur anmerken,
daß der einzige Winkel der policirten Welt, in wel-
chem jezt ein eigentliches Strandrecht zum Vorteil
des Landsherrn, auch an nicht Herrenloſen
Guͤtern, geuͤbt wird, die Daͤniſchen Staaten ſind.
Man moͤgte glauben, daß die unter Koͤnig Friedrich IV.
ſo lebhaft gewordenen Zwiſtigkeiten mit Hamburg
dies Verfahren hauptſaͤchlich veranlaßt haben. Das
aber hat nicht Grund. Denn die erſten Schritte dieſes
[113]Cap. 4. Anhang, vom Strandrechte.
Koͤniges zur Erneuerung des von ſeinem Vater
Chriſtian V. auf die engſten voͤllig billigen Grenzen
zuruͤkgebrachten Strandrechts, ſind aus einer Zeit,
nemlich den Jahren 1704 und 1705, da dieſe Zwi-
ſtigkeiten ruhten.
Bisher wird alſo ein an Daͤniſchen Ufern oder
auf den Sanden mitten in der Elbe verungluͤkkendes
Schiff, wenn die Gefahr den Schiffer und das
Schiffsvolk daſſelbe zu verlaſſen noͤtigt, als Strand-
Gut Daͤniſcher Seits angeſehen, und, wenn gleich
deſſen Eigner ſich ſogleich melden und legitimiren,
dennoch nur Ein Teil den Eignern, Ein zweiter
den Bergern gegeben, den dritten Teil nimmt der
Koͤnigliche Fiſcus. Zwar iſt es den ungluͤklichen
Eignern unverboten, um deſſen Schenkung zu
bitten. Aber die Faͤlle ſind nicht ſelten, ſelbſt in
den neueſten Zeiten, daß dieſe Bitte kein Gehoͤr ge-
funden hat.
2ter Teil. H
[114]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
Fuͤnftes Capitel.
Von der Makelei, als einem Huͤlfsge-
ſchaͤfte der Handlung.
§. 1.
Wer nicht ſelbſt Kaufmann iſt, oder nur mit Ei-
ner oder wenigerlei Waaren in einer kleinen Nieder-
lags- oder Stapelſtadt ſeine Handlung treibt, dem
wird es nicht einleuchten, warum der Handelsmann
in groſſen Staͤdten den Dienſt eines Unterhaͤndlers
beduͤrfe, welcher doch durch ſeinen nicht kleinen Lohn,
den man Curtage benennt, die Handlungs-Un-
koſten betraͤchtlich vermehrt. Jeder groſſe, auch
mancher mittelmaͤſſige Handelsplaz, hat beſtimmte
Zeiten und einen beſtimmten Ort, die Boͤrſe, zur
Zuſammenkunft der Kaufleute Eines Plazes, wo ſo
manches Handelsgeſchaͤfte ohne Dazwiſchenkunft eines
dritten geſchloſſen wird. Copenhagen habe ich S. 140
ſchon genannt, und vielleicht giebt es noch mehr gleich
betraͤchtliche Handelsplaͤze, in welchen man dieſe Un-
terhaͤndler nicht kennt, folglich auch ihren Lohn nicht
in den Handlungs-Unkoſten berechnen darf. Aber
ich habe auch dort der Schwierigkeit erwaͤhnt, welche
daraus fuͤr die Handlung jener Stadt entſtand, als
[115]Cap. 5. Von der Makelei.
dieſelbe unerwartet ſchnell vor zehn Jahren ſich er-
weiterte. Es iſt alſo wol nicht ganz uͤberfluͤſſig,
wenn ich um mancher Leſer willen von dieſen Huͤfs-
maͤnnern bei der Handlung etwas ſage, welches frei-
lich den Einwohnern groſſer Handelsſtaͤdte nicht be-
lehrend ſein kann.
Die Benennung eines ſolchen Unterhaͤndlers iſt
Makler, im Italieniſchen Senſale, welche Be-
nennung in Ober-Deutſchland faſt die einzige ge-
braͤuchliche iſt, im Franzoͤſiſchen Courtier, im En-
gliſchen Broker. So viele andere Kunſtwoͤrter in
der Handlung haben ſich von der Zeit an, da die
Sache bei irgend einer Nation entſtand, aus deren
Sprache in die Sprachen anderer mit dem Geſchaͤfte
ſelbſt verpflanzt. Die Benennung dieſes Gehuͤlfen
der Handlung hat keine Nation von der andern an-
genommen. Ein nicht ſchwacher Beweis, das je-
des handelnde Volk das Beduͤrfnis ſolcher Huͤlfs-
Maͤnner fruͤh erkannt, nicht aus Nachahmung ſie
ſich habe gefallen laſſen, und folglich mit dem Ent-
ſtehen ihrer Geſchaͤfte den Namen fuͤr ſie ſelbſt er-
funden habe! Doch auch das Altertuhm kannte ſie
ſchon unter der Benennung Proxeneta, welches
Wort ſeiner Ableitung aus dem Griechiſchen zufolge
einen Mann bedeutet, der den Willen oder die Mei-
nungen zweier oder mehrerer Perſonen vereiniget.
H 2
[116]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
§. 2.
Der erſte und gewoͤhnlichſte Dienſt, welchen der
Makler dem Kaufmann leiſtet, iſt Unterhandlung
zwiſchen dem Kaͤufer und Verkaͤufer. Beide beduͤr-
fen ihn in gleichem Maaſſe in groſſen Handelsſtaͤdten
und Marktplaͤzen, doch weniger in Stapel- und
Niederlagsſtaͤdten. In erſtern teilen ſich die Makler
nach der Verſchiedenheit der Waaren und Handlungs-
geſchaͤfte ein, und es giebt keine allgemeine Makler,
die ſich eines jeden Auftrages, von welcher Art er
auch ſei, annehmen koͤnnten. Dann aber bemuͤhet
ſich ein ſolcher zuvoͤrderſt, ſo viel moͤglich, zu er-
kundigen, wie groß der Vorraht einer gewiſſen
Waare ſei, der ſich von Zeit zu Zeit auf dem Markt
des Handelsplazes befindet. Seine Pflicht iſt zwar,
ſeines Committenteu Vorteil beſtmoͤglichſt zu bewir-
ken, und ihm die Waare, welche zu kaufen ihm auf-
getragen iſt, zu dem beſten Preiſe zu verſchaffen.
Aber von ihm kann auch der Kaufmann den ihm
noͤtigen Wink bekommen, wie ſich der Preis im Ver-
haͤltnis zu dem vorhandenen Vorraht der Waare ſtel-
len werde. Ein zeitiger Wink davon veranlaßt ihn
zu einer gegruͤndeten Speculation, welcher zufolge
er zu rechter Zeit kaufen, oder, wenn ein Steigen
des Preiſes ſich erwarten laͤßt, nicht verkaufen wird.
Wenn der Kaufmann nur immer mit dem Kaufmann
handelt, ſo moͤgte oft Uebereilung auf einer oder der
[117]Cap. 5. Von der Makelei.
andern Seite daraus entſtehen. Wiewol ich nicht
laͤugne, daß ein Kaufmann durch eigene Erkundi-
gung erfahren koͤnne, wie viel von einer gewiſſen
Waare an ſeinem Ort vorraͤtig ſei, ſo gelangt doch
der Makler leichter dazu, weil die Verkaͤufer ihm
ſelbſt ihren Waarenvorraht angeben muͤſſen. Ohne
den Makler wuͤrden ſich weder Waarenpreiſe noch
Wechſelcurſe den Umſtaͤnden nach ſtellen koͤnnen; und
wo dies in Ermangelung der Makler unter den Kauf-
leuten eines Orts ſelbſt geſchieht, da richten ſich die-
ſelben hauptſaͤchlich nach denen Nachrichten, die man
von dem naͤchſten groͤſſern Handelsplaze bekoͤmmt,
wie dort die Preiſe und Curſe ſtehen. Einzelne Ge-
ſchaͤfte einer gewiſſen Art koͤnnen dies nicht bewirken.
An der Hamburgiſchen Boͤrſe werden oft Wechſel in
Einer Boͤrſenzeit zu nicht ganz gleichen Curſen ver-
kauft. Es war eine Zeit, als, um einen gewiſſen
Curs dem Scheine nach zu zwingen, ein dazu com-
mittirter Makler am Ende der Boͤrſenzeit eines jeden
Poſttages ½ p. C. teurer kaufte, als andere, und
dann in dem Comtoir, wo die Curſe zum Dienſt des
Kaufmanns notirt werden, ſeinen hohen Curs noti-
ren ließ. Jezt aber iſt die Verfuͤgung gemacht, daß
der Curs notirt wird, wie ihn derjenige Makler an-
giebt, welcher an dem Tage die groͤſte Summe ge-
kauft oder verkauft hat.
[118]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
§. 3.
Den zweiten Dienſt leiſtet der Makler dem Kauf-
mann als Zeuge ſeiner Unterhandlungen. Jeder
Kauf iſt ein Contract, und der Gegenſtand manches
ſolchen Kaufs weit wichtiger, als der von andern im
buͤrgerlichen Leben vorfallenden Contracten, welchen
man nicht glaubt ihre Buͤndigkeit geben zu koͤnnen,
wenn ſie nicht mit Zuziehung von wenigſtens zwei
Zeugen [geſchloſſen] werden. Aber wie langſam und
ſchwer wuͤrden die Handelsgeſchaͤfte fortgehen, wenn
bei Schlieſſung eines jeden zwei Zeugen herbeigern-
fen werden muͤßten! Aber Eines Zeugen koͤnnen ſie
nicht entbehren, es ſei denn, daß ſie unter Leuten
geſchloſſen werden, die ſich vollkommen einander
trauen. Nun iſt zwar Ein Zeuge in gerichtlichen
Vorfaͤllen nicht hinlaͤnglich, aber in Handlungsge-
ſchaͤften iſt es der geſchworne Makler. Das aber iſt
nicht etwan als Nachſicht der Gerichte und Geſeze
anzuſehen. Dieſe ſind darin dem gefolget, was der
gute Glaube zur Handelsgewohnheit bereits gemacht
hatte; und geſezt, die geſezgebende Macht wollte
in einem groſſen Handelsplaze dem Kaufmann mehr
Foͤrmlichkeit bei ſeinen Contracten vorſchreiben, ſo
wuͤrde doch der Kaufmann bei ſeiner Weiſe bleiben.
Der gute Glaube wuͤrde es dabei erhalten, daß beide
Teile in kaufmaͤnniſchen Contracten mit dieſem Einen
Zeugen ſich begnuͤgten. Derjenige wuͤrde alsdann
[119]Cap. 5. Von der Makelei.
allen Credit verlieren, der, um ſich von einem ihn
gereuenden Handel los zu ſagen, zum Vorwand
nehmen wuͤrde, daß ſeinem Contracte die von den
Geſezen vorgeſchriebene mehrere Foͤrmlichkeit fehlte.
Jezt alſo iſt in jedem Staat, welcher Handelsge-
ſeze hat, feſtgeſezt, daß das einzelne Zeugnis des Mak-
lers hinreiche, um dem Handels-Contraet ſeine voͤl-
lige Buͤndigkeit zu geben, um hintennach, wenn
Streit uͤber denſelben entſteht, fuͤr den einen oder
den andern Teil zu entſcheiden. Zwar noͤtiget nichts
Kaufleute, die ſich einander hinlaͤnglich trauen, ih-
ren Handel ohne Zuziehung des Maklers zu ſchlieſſen.
Inſonderheit in Aſſecuranzen kann dies keine erhebli-
che Folge haben. Denn da entſcheidet die Police mit
den in dieſelbe eingefuͤllten Worten und der Unter-
ſchrift des Aſſecuradoͤrs. Die Ausſage des Maklers
kann nichts hinzutuhn noch davon abnehmen. Auch
bei Wechſeln kann keine erhebliche Irrung entſtehen,
wenn der Curs ohne Zuziehung des Maklers beredet
wird. Aber bei einem Waarenhandel moͤgte man
es fuͤr ſehr verfaͤnglich halten, wenn ein ſolcher ohne
Makler geſchloſſen wird. Doch habe ich ſchon ge-
ſagt, daß dies nur unter Kaufleuten vorgehe, die
ſich einander trauen. Wo aber dies Zutrauen nicht
ganz feſt iſt, wird auch nach geſchloſſenem Handel der
Makler herbeigerufen und ihm von beiden Teilen er-
[120]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
klaͤrt, was er uͤber dieſen Handel zu notiren habe,
womit dann ſchon ſeine Curtage verdient iſt. Ich
werde bald mehr Gruͤnde anfuͤhren, welche den Kauf-
mann in dieſem Verfahren leiten.
§. 4.
Den dritten Dienſt leiſtet der Makler dem Kauf-
mann durch ſeine Kenntnis der Waaren. Ich habe
B. 2. C. 1. und B. 3. Cap. 2. von der Nohtwen-
digkeit dieſer Huͤlfe, inſonderheit im Commiſſions-
Handel, ſo viel geſagt, daß ich mich daruͤber nicht
weiter ausbreiten mag; aber auch hinzugeſezt, daß
deswegen der Kaufmann ſich nicht der Bemuͤhung
entſchlagen duͤrfe, welche ihm die Erwerbung einer
guten Waarenkenntnis koſtet.
Indeſſen iſt die Schwierigkeit einer zuverlaͤſſigen
Waarenkenntnis ſo groß, daß eben dadurch ein Mak-
ler in groſſen Handelsplaͤzen von ſeinem Verdienſte
gewiſſer wird, als durch irgend eine andere Faͤhigkeit.
Die Folge davon aber iſt auch, daß die Makler ſich
gewiſſermaſſen nach den Waaren teilen, in deren Be-
handlung ſie zuverlaͤſſig brauchbar ſind. Ein allge-
meiner Waarenkenner, ein ſolcher Kenner, auf den
ſich der Kaufmann bei allen moͤglichen Waaren ver-
laſſen koͤnnte, iſt ein Ideal, von welchem das Sub-
ject nicht exiſtirt. Zwar iſt es eine Aushuͤlfe fuͤr
[121]Cap. 5. Von der Makelei.
manchen Makler, der gerne in manchen Faͤchern ver-
dienen will, daß er in oͤffentlichen Waarenverkaͤufen
einem Makler bei kleinem nachbietet, welchem er eine
beſſere und feſtere Kenntnis, als ſich ſelbſt, zutraut.
Ein Makler, der als ein ſolcher in Anſehung der
Materialwaaren bekannt war, deren Kenntnis in der
That bei weitem die weitlaͤuftigſte und ſchwerſte iſt,
ſagte mir, daß er eben deswegen die Auftraͤge ei-
niger Kaufleute in Waarenauctionen verloren habe,
weil er nichts wolfeil kaufen koͤnne, indem die Nicht-
kenner ihm alles verteuerten. Aber dieſer Behelf
kann nur bei Waarenauctionen dienen. Denn der
Makler muß voͤllig Kenner ſein, der einen nicht oͤf-
fentlichen Handel nur nach den ihm gegebenen Pro-
ben ſchlieſſen ſoll. Aus dieſem Grunde ſind in Ham-
burg nur wenig Makler in den wichtigſten Gegen-
ſtaͤnden der Handlung, z. B. in Leinen, Korn und
Materialwaaren, die den Verdienſt davon haupt-
ſaͤchlich an ſich halten. Die Aſſecuranzmakelei aber
verteilt ſich deſto mehr, jedoch die Makelei in Wech-
ſeln nicht ſo ſehr. Denn bei Wechſeln verlaͤßt ſich
der Kaufmann, und noch mehr der Diſcontent, auf
den Makler in Anſehung des Credits derjenigen, de-
ren Namen auf den Wechſeln vorkommen, inſonder-
heit ob der Wechſel ein Product von Wechſelreuterei
ſei. Nur ein Mann, durch deſſen Haͤnde dieſe Pa-
piere fortdauernd gehen, kann das rechte muhtmaſ-
[122]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
ſen, aber nicht ſo ein jeder Kaufmann, der nur
Wechſel kauft, ſo wie ſeine Handlung ihm dies noht-
wendig macht. Dazu koͤmmt die ſchnelle Rechnung
welche bei dem Wechſelhandel oft im Kopf gemacht
werden muß. Selbſt Arbitragen muͤſſen oft ſchon
auf der Boͤrſe gemacht werden, freilich nicht durch
Kettenſaͤze, ſondern durch die dem Wechſelmakler
und auch dem Cambiiſten immer gegenwaͤrtige Erin-
nerung, wie Ein Curs zu dem andern paſſe, und
welche Folge die Veraͤnderung in Einem Curſe auf
jeden andern habe.
§. 5.
In einigen Geſchaͤften leiſtet der Makler dem
Kaufmann einen vierten Dienſt, nemlich dieſen, daß
er ihn der Muͤhe der Einhebung oder Auszahlung
kleiner Summen uͤberhebt, aus welchen ſich deſſen
Einnahme und Gewinn in dieſen Geſchaͤften ſammelt.
Dies hat inſonderheit bei der Seefahrt Statt, wo
der Kaufmann dem Makler gerne das ganze Detail
uͤberlaͤßt, die Rheder aber, wenn deren viel in Einem
Schiffe intereſſiren, es ihm uͤberlaſſen muͤſſen, weil
der Anteil eines jeden erſt nach ganz vollendeter Ein-
nahme ſich ergiebt. Wie eine aͤhnliche Beſorgung
des Maklers bei Aſſecuranzgeſchaͤften Statt habe, iſt
oben B. 4. C. 3. §. 10 ſchon erwaͤhnt.
[123]Cap. 5. Von der Makelei.
§. 6.
Nicht blos als Dienſt, ſondern als eine natuͤrliche
Folge von dem Credit eines renommirten Maklers,
darf ich anfuͤhren, daß er dem jungen Kaufmann
bei einem noch zweifelhaften Credit aͤuſſerſt behuͤlflich
ſein kann. Hat er ſich den guten Namen erworben,
daß er keine Auftraͤge von unzuverlaͤſſigen Leuten
annimmt, ſo iſt es manchem Kaufmann ſchon genug,
daß er ihm einen Handel antraͤgt, um ihn zu ſchlieſ-
ſen, und erſt hintennach fragt er, wer der Kaͤufer ſei.
Zwar wird er nicht von dem Makler Buͤrgſchaft fodern,
ſondern ſein Urteil iſt ihm hinlaͤnglich. Es verſteht
ſich aber, daß ein Makler, der eine ſolche Reputa-
tion gewinnen will, oder ſchon gewonnen hat, aͤuſſerſt
behutſam und ſcharfſichtig in dieſem Urteil ſein muͤſſe.
Leidenſchaft muß ihn nicht leiten einem jungen Kauf-
mann, dem er wol will, zu dienen, viel weniger
einen andern zu unterdruͤkken, wie wol das leztere
leichter geht, und weniger Ueberlegung erfodert.
§. 7.
Die Maklerordnungen aller handelnden Staaten
verbieten dem Makler ſelbſt zu handeln, ja in Ham-
burg iſt ihm nicht einmal erlaubt ein Bankfolium
ſelbſt zu halten, ſo viel Erleichterung auch dies in
verſchiedenen dem Makler allein zukommenden Ge-
ſchaͤften ſchaffen moͤgte. Der Grund davon iſt ſehr
[124]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
einleuchtend. Die Zuverlaͤſſigkeit eines Unterhaͤnd-
lers in Handlungsgeſchaͤften faͤllt weg, wenn ſein
eigenes Intereſſe in dieſelben mit einwirken und ihm
eingeben darf, den Preis einer Waare, mit welcher
er ſelbſt handelt, hoͤher oder niedriger zu treiben,
wenn er ſelbſt ſie zu kaufen vorhat. Es iſt aber
auch leicht einzuſehen, wie ein Makler dieſem Ge-
ſeze ausweichen koͤnne, wenn er einen Sohn, An-
verwandten oder Freund hat, in deſſen Namen er
kauft und verkauft, oder wenn er in Waarenauctio-
nen fuͤr groſſe Summen ſelbſt ohne Angabe des Na-
mens irgend eines Committenten kaufen darf, oder
wo ihm dies nicht erlaubt iſt, Namen von Perſonen
angiebt, die in Ruͤkſicht auf ihren Credit von ihm
abhaͤngen. Zwar ſezt eine jede Maklerordnung ſol-
chen Umſchlaͤgen Verbote entgegen, und ſucht den
Makler auf die Grenzen ſeines eigentlichen Geſchaͤf-
tes einzuſchraͤnken. Aber es iſt damit, wie mit
vielen andern Dingen bewandt. Was fuͤrs Ganze
nicht zutraͤglich und deswegen unzulaͤſſig iſt, wird
einzelnen nach ihrer Lage und ihren Umſtaͤnden vor-
teilhaft. Wenn der groſſe Kaufmann ſeinen freien
Gang in ſeinen Geſchaͤften zu gehen weiß, ſo giebt
es viele andere, welche nicht wuͤrden forthandeln koͤn-
nen, wenn ſie nicht ſich in eine gewiſſe Abhaͤngig-
keit von den Maklern ſezten. Und einen gewiſſen
Grad dieſer Abhaͤngigkeit fuͤhlt auch ſelbſt der groſſe
[125]Cap. 5. Von der Makelei.
Kaufmann, wenn gleich nicht in Ruͤkſicht auf ſeinen
Credit, doch in der auf ſeinen Abſaz. Hier liegt
eine Urſache mehr fuͤr ihn, bei manchem Kaufe, den
er ſchon mit ſeinem Mitbuͤrger geſchloſſen hat, einen
accreditirten Makler zu Huͤlfe zu rufen, und ihn
die Curtage ohne alle Muͤhe verdienen zu laſſen.
§. 8.
Indeß wird mancher Handel zwiſchen Kaufleuten
Eines Orts und auch mit Correſpondenten geſchloſſen,
ohne daß ein Makler dazu gezogen wuͤrde. Es faͤllt
vollends in jedem Handel weg, wenn ein Auswaͤrti-
ger Waaren von einem Manne verſchreibt, von de-
nen er weiß, daß dieſer ſie ſelbſt auf ſeinem Lagerhabe.
Da wuͤrde ein ſolcher es ſehr uͤbel anſehen, wenn
ihm Curtage berechnet wuͤrde. Es faͤllt auch bei ſol-
chen Commiſſionen weg, die auf Niederlagsplaͤze ge-
gegeben werden und nicht durch Aufkaufung der
Waare von den Mitbuͤrgern, ſondern durch Auftraͤge
an Collectoͤre ausgefuͤhrt werden koͤnnen, welche
die verlangte Waare im Lande aufkaufen. So geht
es z. B. mit den nach Petersburg oder Archangel auf
Ruſſiſche Produkte gegebenen Commiſſionen. Da tre-
ten dann dieſe Collectoͤre in die Stelle der Makler.
Der Lohn derſelben beſtimmt ſich nach ganz andern
Gruͤnden, und viele derſelben ſchlieſſen Contracte
uͤber die zu machenden Lieferungen, bei welchen ſie
[126]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
in dem dem groſſen Kaufmann gewoͤhnlichen Wege
ihren Teil gewinnen. Aber wann auf groſſe Markt-
plaͤze Einkaufs-Commiſſionen gegeben werden, ſo
kann auch der ehrlichſte und grosmuͤhtigſte Kaufmann
nicht umhin, ſelbſt in dem Fall die dort uͤbliche
Curtage zu berechnen, wenn er den Gegenſtand der
Commiſſion aus ſeinem eigenen Waarenlager nimmt.
Denn geſezt, er berechnet jenen die Curtage nicht, ſo
wird dieſer dadurch verwoͤhnt und in andern Faͤllen
ſchwierig werden, wenn ihm die Curtage den Um-
ſtaͤnden nach berechnet [werden] muß. Man moͤgte
ſagen: aber dann zieht ja der Commiſſionaͤr einen
ihm nicht gebuͤhrenden Gewinn, der doch bei Waa-
ren faſt durchgaͤngig ⅚ p. C. betraͤgt. Allein der
gutdenkende Kaufmann wendet dieſe Curtage zur
auſſerordentlichen Belohnung ſeiner Handlungsbe-
dienten an. Hiezu hat er auch aus folgendem Grun-
de Recht: In jeder groſſen Handelſtadt ſind zwar eine
Zahl beeidigter Makler, in Hamburg etwa drei hun-
dert. Aber kein Geſez kann den Kaufmann verpflich-
ten, nicht auch andere Unterhaͤndler zu brauchen, de-
ren Lohn dann ſo gut, wie der des Makler, die gewoͤhn-
liche Curtage iſt. Er kann alſo auch ſeine Hand-
lungsbedienten dazu brauchen, und tuht dies wirklich
in vielen Faͤllen, inſonderheit bei Aſſecuranzen.
Wenn er alſo einen Handel ſelbſt ohne Makler ſchließt,
oder eine auf ſeinem Lager befindliche Waare dem aus-
[127]Cap. 5. Von der Makelei.
waͤrtigen Committenten verkauft, und ſich alſo ge-
wiſſermaſſen ſelbſt bedient, ſo kann man nicht ſagen,
daß es der Rechtſchaffenheit zuwider ſei, wenn er den
von ihm ſelbſt verdienten Lohn dieſes Dienſtes ſeinen
Handlungsbedienten zuwendet.
§. 9.
Ein gewinnvolles Geſchaͤft der Makler entſteht
ihnen aus den oͤffentlichen Waarenverkaͤufen, welche
in groſſen Marktplaͤzen ſehr haͤufig vorfallen. Waa-
ren an den Meiſtbietenden verkaufen, ſcheint nicht
die Maasregel der Gewinnſucht zu ſein, es ſei denn,
daß man auf unverſtaͤndige Kaͤufer rechnet, welches
dann freilich bei manchen oͤffentlichen Verkaͤufen,
inſonderheit von Manufactur-Waaren, der Fall
ſein mag, aber es nicht werden kann, wenn Waa-
ren, die der Gegenſtand des groſſen Handels ſind,
da an den Meiſtbietenden ausgeboten werden, wo
der Kaufmann ſelbſt Kenner iſt, oder, wenn er es
nicht iſt, durch einen ſachkundigen Makler kaufen
laͤßt. Man muß aber auch auf hinlaͤnglich viele Kaͤu-
fer rechnen koͤnnen, um von Anfang bis zu Ende
einer groſſen Waarenauction von ſolchen Preiſen ge-
wiß zu ſein, welche keinen Verluſt geben. Das hat
aber nur in groſſen Marktplaͤzen Statt, oder in ſol-
chen Handelsſtaͤdten, zu welchen die Einkaufscom-
[128]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
miſſionen leicht und haͤufig genug gelangen koͤnnen.
Da iſt dann nicht daran zu gedenken, daß man unter
Preis kaufen werde, wol aber macht eine nicht ganz
erwartete Concurrenz auswaͤriger Kaͤufer die Preiſe
uͤber die Vermuhtung ſteigen. So hat z. B. die
Daͤniſche Oſtindiſche Companie in der lezten oͤffentli-
chen Auction unerwartet hohe Preiſe der Indiſchen
Zeuge genoſſen. In curanten Waaren geht dies in
groſſen Handelsſtaͤdten eben ſo gewiß. In dem ab-
gewichenen Jahre wurde in Hamburg, in Folge eines
groſſen Bankerots, eine Million Pfunde Caffee in
verſchiedenen Auctionen ſchnell hinter einander ver-
kauft, ehe noch die Unruhen auf St. Domingo deſſen
Preis ſo ſchnell ſteigen machten; aber in den lezten
Hundert Tauſend Pfund behielt jede Sorte Caffee
den Preis, welchen ſie zu Anfang der Auctionen ge-
habt hatte.
Eine gewoͤhnliche Veranlaſſung ſolcher Waaren-
Auctionen iſt deren Beſchaͤdigung auf der Seereiſe,
und die Nohtwendigkeit das auszumachen, was
dem Verſicherten dieſer Beſchaͤdigung wegen zu ver-
guͤten zukoͤmmt. Aber auch in ſolchen Auctionen
wird in groſſen Handlungsplaͤzen nichts verſchenkt,
ſondern die beſchaͤdigte Waare gilt immerhin das,
was ſie ihrem Zuſtande nach gelten kann.
[129]Cap. 5. Von der Makelei.
§. 10.
Indeſſen bleibt es wahr genug, daß der Kauf-
mann in manchen Handlungsplaͤzen zu viel auf den
Makler ankommen laͤßt. Man erwarte nicht von
mir, daß ich ſolche Plaͤze bezeichne. Es ſei genug
zu ſagen, daß da, wo der Kaufmann ſich den Ver-
gnuͤgungen zu ſehr uͤberlaͤßt, wo er inſonderheit die
Sommerzeit faſt ganz auf ſeinem Landhauſe zubringt,
der Makler beſſer Spiel habe und ſchneller reich
werde, als da, wo der Kaufmann an ſeinen Ge-
ſchaͤften klebt, und ſo viel in denſelben ſelbſt verrich-
tet, als nur irgend ihm zukoͤmmt, oder anſteht.
(Dieſer Vorwurf gilt nicht gegen das Landleben des
Hamburgiſchen Kaufmanns, ſo wie er es jezt treibt.)
Ueberhaupt aber bedarf die Handlung allenthal-
ben ſolcher Huͤlfsleute, ſie moͤgen den Namen eines
Maklers haben oder nicht, inſonderheit in ſolchen
Perioden, da ſie lebhafter geht, und der wirkliche
Kaufmann ſich auf einmal zu ſehr uͤberhaͤuft fuͤhlt.
So auch da, wo Geſchaͤfte anderer Art ſich an die
Handlung anknuͤpfen, von welchen das eigentliche Ge-
werbe der Kaͤufer oder Verkaͤufer denſelben keine
Kenntnis giebt. Das iſt z. B. der Fall in den Fran-
zoͤſiſchen Antillen, vielleicht auch in den Britiſchen.
Der Pflanzer, inſonderheit der von den Haͤfen und
Anfahrten entfernt wohnende, kennt nicht das
2ter Teil. J
[130]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
Schiffsweſen, und was Recht oder Gebrauch dabei
geltend gemacht haben. Er weiß nicht, was er alles
zu tuhn habe, um die Verfuͤhrung der von ihm ver-
kauften Producte zum Hafen und aus dem Hafen,
ſo viel davon an ihm liegt, zu befoͤrdern.
Sechſtes Capitel.
Vom Buchhalten.
§. 1.
Richtige Rechnung uͤber Einnahme und Ausgabe iſt
ein Hauptgrund des Wolſtandes fuͤr jeden Mann,
der in ſeinen Geſchaͤften beſtehen will.
Sie iſt vollends fuͤr den Kaufmann unentbehrlich,
deſſen Geld Geſchaͤfte ſo mannigfaltig und ſo verwik-
kelt ſind. Der gluͤkliche Kaufmann hat das Ver-
gnuͤgen davon, ſeinen Wolſtand, wenn er will, be-
ſtimmt zu uͤberſehen. Der ungluͤkliche, aber ehrliche
Kaufmann findet in derſelben die Rechtfertigung
ſeiner Handlungen, die er Freunden und Feinden
darlegen kann. Es iſt allemal ein Beweis, daß ein
Mann nicht zur Handlung geſchikt geweſen, und
[131]Cap. 6. Vom Buchhalten.
daß er durch Unwiſſenheit, Unordnung oder Leicht-
ſinn ungluͤklich geworden ſei, wenn man bei ſei-
nem Bankerott hoͤrt, daß ſeine Buͤcher in Unord-
nung ſind.
Zwar iſt es natuͤrlich, daß ein Mann, dem ſeine
Geſchaͤfte nicht einſchlagen, Muht und Liebe zur
Ordnung verliert. Aber gewiß iſt viel oͤfter der
Mangel der Ordnung in den Berechnungen die Urſache
der Verwirrung ſelbſt, und dieſe Verwirrung hat
dann fortdauernden Verluſt zur Folge. So man-
chen Kaufleuten fehlt die Gabe, ihr Comtoir gehoͤ-
rig zu dirigiren, und ich, der ich kein praktiſcher
Kaufmann bin, geſtehe gern, daß ich jeden Kauf-
mann bewundere, von dem ich weiß oder erfahre,
daß er ſein groſſes Comtoir gut dirigire, daß er ein
jedes Geſchaͤfte zu der Zeit tuhe, da es getahn wer-
den muß, und es dabei zu erhalten wiſſe, daß, was
er durch andere nohtwendig thun laſſen muß, zu
rechter Zeit unfehlbar geſchehe. Unter ſolchen Ge-
ſchaͤften iſt das vornehmſte die Buchhalterei.
Man wird nicht von meinem Buche erwarten,
daß es eine eigentliche Anweiſung zum Buchhalten
enthalte. Ich werde alſo nur einige allgemeine An-
merkungen daruber in dies Capitel tragen.
J 2
[132]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
§. 2.
Der weſentliche Zwek der Rechnung eines Kauf-
manns iſt freilich dieſer, daß er ſeine Ausgabe und
Einnahme, ſo oft er will, geſchwind und richtig ver-
gleichen koͤnne. Um ſich dazu in Stand zu ſezen,
muß er ein Verzeichnis aller ſeiner Kaufmaͤnniſchen
Geſchaͤfte, mit Beziehung auf alle Umſtaͤnde, welche
den Geld Belauf in denſelben beſtimmen, zu Pa-
pier bringen, um ſeine Rechnung daraus ziehen zu
koͤnnen.
Dies Verzeichnis hat den Nahmen des Memo-
rials, und keine Handlung, wie auch Buch in der-
ſelben gehalten werden mag, kann ohne daſſelbe ſein.
§. 3.
Aus dieſem Memorial kann nun auf eine ſehr
einfache Art die Rechnung gezogen werden, wer dem
Eigner der Handlung und, wem er ſelbſt ſchuldig ge-
worden ſei, und zu beſtimmter Zeit, inſonderheit
am Ende eines Jahrs, ob und wie weit Einnahme
und Ausgabe einander uͤberſteigen, wie hoch der
Caſſen-Vorraht ſei, und was an Schulden noch aus-
ſtehe. Eine ſolche Art der Rechnung war vor Alters
allgemein gebraͤuchlich, und fuͤhrt noch den Nahmen
des Deutſchen Buchhaltens. Mit ihr kann
ſich eine ſehr einfache Handlung, die nicht mancherlei
[133]Cap. 6. Vom Buchhalten.
Gegenſtaͤnde hat, inſonderheit kann ſich jeder Kraͤ-
mer und Ausſchnitter und auch mancher Manufactu-
riſt damit behelfen. Doch wird er einzelne derjeni-
gen Nebenbuͤcher noͤtig haben, deren ich bald erwaͤh-
nen werde.
§. 4.
Allein der Kaufmann, welcher wichtigere und
mannigfaltige Geſchafte treibt, hat nicht genug an
einer ſolchen Rechnung, welche die Geſchaͤfte ge-
wiſſermaſſen durch einander wirft. Er muß ſeine
Rechnung ſo einrichten, daß er nicht nur im Allge-
meinen den Zuſtand ſeiner Sachen, ſondern auch,
wenn er, wie gewoͤhnlich, mehrere Caſſen fuͤhrt,
den Beſtand jeder Caſſe, ſo oft er will, uͤberſehen
koͤnne. Er muß wiſſen, wie er mit jedem ſeiner
Correſpondenten ſtehe, und wie aus jedem Geſchaͤfte,
das er treibt, aus jeder Gattung Waare, womit er
handelt, ihm Gewinn oder Verluſt entſtehe. Hier-
aus iſt bei den Italiaͤnern, als die Handlung bei ih-
nen lebhafter, als bei andern Voͤlkern ward, eine
Art des Buchhaltens entſtanden, die man noch im-
mer die Italiaͤniſche Buchhaltung nennt.
Ihr Nuzen iſt nicht blos auf die Handlung einzu-
ſchraͤnken. Schon vor bald 200 Jahren ſchrieb Si-
mon Stevin ſeine Verrechting van Domeinen,
ende Vorſtelyke Boekhouding (Berechnung
[134]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
von Domaͤnen und Fuͤrſtliche Buchhaltung) und
wandte dieſelbe auf die Berechnung der Einnahme
und Ausgabe des Prinzen von Oranien an. Man
hat viele ſpaͤtere, z. E. Einleitung zu einem
verbeſſerten Cameral- und Rechnungs-
Buch, Wien 1744, in welchen Anweiſung gegeben
wird, das Kaufmaͤnniſche Buchhalten auf die Staats-
Wirtſchaft und die Wirtſchaft mit groſſen Landguͤtern
anzuwenden.
§. 5.
Vielleicht dient es manchem, der nicht ohnehin
mit dem Geſchaͤfte des Buchhaltens bekannt iſt, zur
Aufklaͤrung ſeiner Begriffe, wenn ich hier angebe,
wie ich mir vorſtelle, daß aus der einfachen und frei-
lich natuͤrlicher ſcheinenden Buchhalterei die Italiaͤ-
niſche doppelte Buchhaltung habe entſtehen koͤnnen.
Ich denke mir einen Kaufmann, den ich Coſmus
nennen will, in irgend einer groſſen Handelsſtadt
Italiens zu der Zeit, als dieſes Land der Hauptſiz
der Handlung ward. Er hatte bisher nicht mit groſ-
ſen Vorraͤhten von mancherlei Waaren gehandelt,
erweiterte nun aber ſeine Handlung auf mehrere Ge-
genſtaͤnde, und hielt von jedem derſelben groͤſſere
Lager. Er vermehrte die Zahl ſeiner Bedienten und
untergab ihnen einzeln gewiſſe Waarenlager, machte
[135]Cap. 6. Vom Buchhalten.
Einen beſonders zum Caſſirer, untergab einem an-
dern die Beſorgung aller Handlungs-Unkoſten, wie
auch der an ſeinem Wohnort zu zahlenden Zoͤlle.
Man nehme an, er habe in dieſem Wege zwoͤlf Per-
ſonen beſchaͤftigt, deren jeder uͤber das ihm anver-
traute richtige Rechnung zu halten verpflichtet war.
Einen jeden derſelben konnte er alſo beim Anfang der
Rechnung anſehen, als fuͤr dasjenige haftend, was
ſeiner Aufſicht und Beſorgung anvertraut war. So
ſah er z. B. denjenigen an, der ſein Waarenlager in
Wolle, und einen andern, der das in Seide wahrzu-
nehmen hatte u. ſ. f. Wir wollen dabei annehmen,
er habe Einem ſeiner Handlungs-Bedienten abſon-
derlich aufgetragen, aus den Haͤnden des Caſſirers zu
empfangen, was dieſem in den Rechnungen der uͤbri-
gen, als auf deren Geſchaͤfte gewonnen, gezahlt ward,
der aber auch aus dieſer Gewinnmaſſe wieder gut ma-
chen mußte, was in andern Geſchaͤften verloren ward:
ſo war die Folge davon uͤberhaupt dieſe, daß die
Rechnungen dieſer zwoͤlf Perſonen ſehr in einander
floſſen. Eine beſondere Folge aber war, daß jeder
dieſer Maͤnner eine doppelte Rechnung fuͤhren mußte,
deren eine angab, was der Principal aus ſeinen Haͤn-
den zu erwarten hatte, die andere nachwies, wo dieſes
ganz oder teilweiſe ſich finde. Z. B. Ambroſins
hatte das Seidenlager unter ſeiner Gewahrſam und
Berechnung, welches im Einkaufspreis 10000 Du-
[136]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
katen im Wehrt war, und ward von ſeinem Principal
als ſo viel ſchuldig angeſehen. Davon ward die
Haͤlfte mit 20 p. C., d. i. 1000 Duk., Vorteil ver-
kauft. Aber nicht er bekam das Geld, ſondern es
gieng an den Caſſirer Anſelmus. Noch aber haftete
Ambroſius fuͤr das Ganze mit Einſchluß der gewon-
nenen 1000 Dukaten, fuͤr welche beſonders er Bar-
tholden einſtand, der das Gewinn- und Verluſt-Conto
fuͤhrte. Ambroſius mußte dem zufolge ſeine Rech-
nung ſo machen, daß, wenn er auf der einen Seite
ſeines Buchs ſich fuͤr den vollen Schuldner ſeines
Principals, fuͤr 10000 Dukaten ihm anvertrauete
Seide, und 1000 gewonnene Dukaten erkannte, er auf
der andern Seite den Caſſirer Anſelmus als ſeinen
Schuldner hinſtellte, in deſſen Haͤnden die fuͤr die
Haͤlfte geloͤsten 6000 Ducaten ſich befanden. Als-
dann aber erwartete noch immer Barthold die gewon-
nenen 1000 Ducaten aus ſeiner Hand, und Anſel-
mus mußte ſich als deſſen Schuldner anſehen. Wie
er den Wehrt der ihm noch uͤbrigen Haͤlfte der Seide
in Rechnung zu ſtellen hatte, wird §. 7 erlaͤutert
werden.
§. 6.
Auf dieſe Art mußte alſo Coſmus, wenn er den
Zuſtand ſeiner Handlung uͤberſehen wollte, zwar ihn
aus zwoͤlf Rechnungen hervor ſuchen, aber jede dieſer
[137]Cap. 6. Vom Buchhalten.
Rechnungen ſtellte ihm das, was er wiſſen wollte,
ungemein viel deutlicher dar, als da er vorhin die
Geſchaͤfte in Einer Folge zuſammentragen ließ. Er
ſahe nun bei jedem einzeln, was er dabei gewonnen
oder verloren habe. Er ſah, wenn ſein Lager von
einer gewiſſen Waare noch nicht ausverkauft war,
wie viel er fuͤr den ihm verbleibenden Reſt noch loͤſen
muͤſſe, ehe ihm ſein ganzes Capital wieder einkaͤme.
Die Rechnung ſeines Caſſirers gab ihm den Vorraht
aller ſeiner Baarſchaften; (denn an Banken wollen
wir hierbei nicht denken,) die Rechnung des den Ge-
winn einnehmenden und den Verluſt ausſchieſſenden
ſagte ihm, wieviel er im Ganzen gewonnen oder ver-
loren habe. Und nun konnte er durch Aufrechnung
des Gewinns und des Verluſtes, des Waaren-Vor-
rahts und des Caſſen-Vorrahts, ſeiner Activ- und
ſeiner Paſſiv-Schulden zu einer Balanz, d. i. zu
einer zuverlaͤſſigen Darſtellung von dem Wehrt ſeines
Vermoͤgens gelangen.
§. 7.
Zu dieſer Ueberſicht ſeines Vermoͤgens-Zuſtandes,
oder der Balanz ihm zu verhelfen, trug er einem be-
ſondern Mann, ſeinem eigentlichen Buchhalter auf,
der aus den Rechnungen aller uͤbrigen das, was als
Eigentuhm ſeines Principals anzuſehen war, in
ſeine allgemeine Rechnung uͤbertrug, und als ihm
[138]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
wirklich uͤbergeben anſah, folglich in dieſer
Ruͤkſicht ſich nicht anders als deren Debitor nennen
konnte, ſo wie ſie nun ſeine Creditores wurden. Am-
broſius, der Berechner des Seidenlagers, hatte noch
die Haͤlfte Seide, die er in jener Balanzrechnung,
weil noch nichts darauf gewonnen oder verloren war,
zu dem Einkaufspreiſe 5000 Ducaten angab, und
ſo ſeine Rechnung §. 5 egaliſirte, daß er gegen 10000
Ducaten, den Einkaufspreis des Ganzen, und 1000
Ducaten, als dem Gewinn- und Verluſt-Conto ſchul-
dig, die auf Einer Seite ſtanden, auf der andern
Seite 6000 Ducaten, als bei dem Caſſirer vorraͤhtig,
angab, und 5000 Ducaten, den Wehrt der noch
vorraͤhtigen Seide, als in das Balanzconto hingege-
ben, folglich als dem Balanzconto oder dem Buch-
halter creditirt notirte.
In dieſer Balanzrechnung wurden nun alle nicht
verloren geachtete Activſchulden des Coſmus als Teile
von deſſen wirklichem Vermoͤgen, folglich deſſen ei-
gentliche Schuldner ſo angeſehen, als haͤtten ſie be-
zahlt, und als waͤren ſie Creditores geworden. Nun
aber mußten die wirklichen Creditores in der gerade
entgegengeſezten Relation, folglich als Debitores an
das Balanzconto notirt werden. Dies halte ich
fuͤr den ſchwerſten Knoten in der Erlaͤuterung des
doppelten Buchhaltens, nicht fuͤr den, der es aus
[139]Cap. 6. Vom Buchhalten.
der Praktik nun einmal weiß, wie er zu verfahren
habe, ſondern fuͤr den, der die Sache aus Gruͤnden
einſehen will. Ich will alſo noch folgende Vorſtel-
lungsart beifuͤgen. Wenn die Maſſe des Vermoͤ-
gens des Cosmus nach deſſen Tode eilends haͤtte auf-
gemacht werden ſollen, ſo wuͤrde alles, was er teil-
weiſe beſaß, auch teilweiſe zu derſelben gekommen
ſein, und, die dies alles hergegeben haͤtten, aufgehoͤrt
haben, Debitores zu ſein, folglich Creditores ge-
worden ſein. Seine Paſſivſchulden aber haͤtten als-
dann eben ſo ſchnell berichtigt werden muͤſſen. Seine
Creditores bekaͤmen dann auch das ihrige, traͤten in
die entgegengeſezte Relation, und wuͤrden Debitores.
Was nun bei einem ſolchen Sterbefall oder bei ſon-
ſtiger Aufhebung einer Handlung geſchehen muͤßte,
das ſah ſein Buchhalter als geſchehen an, als er am
Ende des Jahrs, oder einer kuͤrzern Periode, die
Maſſe des Vermoͤgens ſeines Principals deſſen Ue-
berſicht vorlegen wollte, ſo daß er ihm ſagen konnte:
So ſtehſt du, wenn du heute deine Handlung auf-
hebſt und alles ohne Verzug dir eingeht, was man
dir ſchuldig iſt, und alle deine noch vorraͤhtige Waa-
ren ohne Gewinn oder Verluſt verkauft werden, du
aber auch alles bezahlſt, was du ſchuldig biſt, da
dann deine bisherigen Debitores deine Creditores
werden, und deine wirklichen Creditores in unſerer
Rechnung entgegengeſezte Nahmen annehmen muͤſſen.
[140]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
Aber auch dein wirkliches Vermoͤgen, dein Capital-
Conto, gebe ich dir heute als meinem Schuldner in
meiner Rechnung auf, auf deren Einer Seite du
alles das beiſammen findeſt, was unter deinen Beſiz
gehoͤrt, und deine Paſſivſchulden abzutragen zum
Teil dienen muß. Jenes Capital-Conto, nicht ich,
hat dein reines Eigentuhm, und dieſes mit deinen
Paſſiv-Schulden zuſammen genommen ſtelle ich in
Gleichheit mit allem, was du vor jezt beſizeſt.
Cosmus fand ſich alſo am Schluß des Jahres
im Beſiz von 100000 Ducaten an Waaren, Caſſen-
Vorraht und guten Schulden. Fuͤr dieſes hatte ſein
Buchhalter ſein Balanz-Conto, das iſt, ihn ſelbſt
als Schuldner notirt. Denn er hatte ſie. Aber
er war 20000 Ducaten ſchuldig. Dieſe und ſein
reines Vermoͤgen, 80000 Ducaten, ſtellte er jenen
entgegen. So glich ſich zwar eins mit dem andern
aus. Aber Cosmus war aus den erlaͤuterten Gruͤn-
den und wegen deren ganz entgegenſtehenden Bezie-
hung fuͤr dieſe beiden Poſten zum Creditor gemacht.
§. 8.
Man gehe von dieſer Vorſtellung aus, und ſtelle
ſich in einer Handlung von gewiſſer Mannigfaltig-
keit, ſtatt jener zwoͤlf Bedienten, ſo viele vor, als
dieſe Handlung Gegenſtaͤnde hat, oder als die Ge-
[141]Cap. 6. Vom Buchhalten.
ſchaͤfte in derſelben ſich ihrer Natur nach unterſchei-
den; folglich auch ſo viele Rechnungen oder Conti,
als dieſer Gegenſtaͤnde und Geſchaͤfte ſind, und in
einer gewiſſen Periode (ich nehme an, in Einem
Jahre) deren mehr oder weniger werden. Oder
man lege dieſen Waaren und Gegenſtaͤnden ſelbſt eine
Perſonalitaͤt bei, oder die Faͤhigkeit, von demjeni-
gen, was der Principal von ihnen zu fodern hat,
Rede und Antwort zu geben. Man vergeſſe z. B.
den Ambroſius und laſſe die Seide ſelbſt reden, ſo
wird ſie ſagen: Von mir haſt du 10000 Ducaten zu
erwarten; aber ich habe ſchon 6000 D. deiner Caſſe
eingebracht. Deiner Gewinn- und Verluſtcaſſe bin
ich zwar 1000 Duc. ſchuldig. Dagegen aber hat deine
Caſſe 6000 Duc. bereits meinetwegen erhoben, und
was die von mir noch uͤbrige Haͤlfte wehrt iſt, 5000
Duc., hat das Balanzconto an ſich genommen.
Dies Gewinn- und Verluſtcaſſe wird ſprechen: 1000
Duc. habe ich von der Seide zu fodern. Dagegen
aber ſind auf deine Wolle 500 Duc. verloren, die ich
in deren Conto geben muß, damit ſie ihre Rechnung
egaliſire, und fuͤr welche ſie folglich mein Creditor iſt.
Und wenn dann die Balanz aufgemacht wird,
und das Gewinn- und Verluſt-Conto mit dieſem ſich
berechnet hat, ſo wird jene ſagen: 5000 Duc. hat
mir deine Caſſe gegeben, als fuͤr Seide geloͤst, den
[142]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
Wehrt von der uͤbrigen Seide, 5000 Duc., die Seide
ſelbſt und das Gewinn- und Verluſtkonto 500 Duc.
Wirkliche Perſonen, mit welchen Coſmus ſeine
Umſaͤze machte, mußten jeder ihre beſondere Rech-
nung bekommen, und ſtanden in denſelben als wirk-
liche Glaͤubiger oder Schuldner in dem gewoͤhnlichen
Sinne des Wortes. Als Glaͤubiger, ſo lange die
aus dem mit ihnen betriebenen Handelsgeſchaͤfte ent-
ſtandene Foderung noch nicht berichtigt war; als
Schuldner, ſo lange eine an ſie verkaufte Waare oder
eine unter andern Veranlaſſungen ihnen creditirte
Summe noch unbezahlt ſtand. In den Buͤchern
ſelbſt aber machte es keinen Unterſchied, ob die Rech-
nung eine wirkliche Perſon oder ein perſonificirtes
Conto betraf.
§. 9.
Ueberhaupt aber koͤmmt es fuͤr Perſonen und
fuͤr die perſonificirten Caſſen und Rechnungen darauf
hinaus, daß eine jede als Debitor fuͤr dasjenige an-
geſehen wird, was ſie hatte, und als Creditor
fuͤr dasjenige, was ſie weggegeben hat, oder
in einer andern Rechnung nachweiſen kann. So
wird ein jeder Poſten, der in einem Conto als Cre-
ditor oder Debitor ſteht, in einer andern ſich darauf
beziehenden Rechnung unter der entgegengeſezten Be-
[143]Cap. 6. Vom Buchhalten.
nennung erſcheinen. Iſt einer Perſon oder Waare
ein Conto gegeben, und es geht vor Aufmachung der
Balanz nichts weiter mit derſelben vor, ſo wird ſie
doch auf die zweite Seite als Creditor des Balanz-
Conto aufgefuͤhrt, wenn ſie ein Teil des wirklichen
Vermoͤgens des Kaufmanns iſt, und als Debitor an
eben daſſelbe, wenn ſie eine Paſſivſchuld iſt, die eben
dies Vermoͤgen vermindert. Iſt die Waare ganz
oder zum Teil verkauft, oder mit Gelde ein Umſaz
geſchehen, ſo wird dieſe Waare oder dies Geld, wenn
Gewinn darauf gemacht iſt, Debitor an das Gewinn-
und Verluſtconto. Denn noch hat dieſes den Ge-
winn nicht, ſondern ſoll ihn haben. Iſt aber Ver-
luſt entſtanden, ſo wird ſie Creditor. Denn noch
hat ſie es nicht, ſondern ſie ſoll es aus dem Ge-
winn- und Verluſt-Conto haben, um ihr Conto zu
egaliſiren.
Der Vermoͤgenszuſtand, in welchem ein Kauf-
mann ſeine Handlung neu, oder nach geſchloſſener
Balanz gleich als neu anfaͤngt, wird in einer Rech-
nung dargeſtellt, die man das Capital-Conto
nennt. Dies hat dann ſo viele Debitores, als Teile
des wirklichen Vermoͤgens in den Conti der Waaren,
der guten Schulden und der verſchiedenen Caſſen ſich
befinden, und ſo viele Creditores, als wirkliche
Paſſivſchulden ſich finden. Auch das Balanzconto
[144]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
wird mit dem ganzen Unterſchiede beider Summen,
um die Rechnung auszugleichen, aus eben denen
Gruͤnden als Creditor aufgefuͤhrt, aus welchen zu-
folge §. 7. das Capitalconto zu deſſen Debitor ge-
macht ward.
§. 10.
Dies alles koͤnnte nun zwar in Einem Buche
enthalten ſein, und in der Taht heißt und iſt das
Buch, welches dies alles in einer kurzen Ueberſicht
darſtellt, das Hauptbuch, welches richtig abzu-
faſſen das Meiſterwerk des auf jedem etwas groſſen
Handels-Comtoir angeſtellten Buchhalters iſt. Allein
1) die Handlungsgeſchaͤfte, welche die Data zu die-
ſen Rechnungen angeben, geſchehen nicht immer in
Einem fort, ſondern verteilen ſich auf mehrere Tage,
und gehen zu einer Zeit vor, da man nicht immer
Muſſe hat, alles richtig und genau anzuzeichnen.
2) Die Auseinanderſezung der verſchiedenen Conti
laͤßt ſich nicht immer in der Eile mit Richtigkeit ma-
chen. Die §. 5—8. gegebenen Erlaͤuterungen wer-
den auch dem Unkundigen einleuchtend machen, daß
Ueberlegung dazu gehoͤre, um ein jedes Conto richtig
ins Debet und ins Credit zu ſtellen. Eine Ueberle-
gung, ohne welche alle Buchhalterei irre fuͤhrt, und
welche in dem Gewuͤhl der Geſchaͤfte nicht immer
richtig gemacht werden moͤgte!
[145]Cap. 6. Vom Buchhalten.
§. 11.
Es wird alſo nohtwendig, jede auf die Hand-
lungsgeſchaͤfte ſich beziehende Umſtaͤnde und jede Zahl,
woraus das Conto ſich beſtimmt, ſogleich, wenn das
Geſchaͤfte vorgegangen iſt, zu Papier zu bringen.
Dies geſchieht in dem ſogenannten Memorial,
welches auch Kladde und nach dem Italiaͤniſchen
Strazze genannt wird, in welches einzutragen der
Kaufmann einem jeden uͤberlaͤßt, der das Geſchaͤfte
hat ausrichten helfen, und Einſicht genug davon hat,
um keine zur richtigen Angabe in den uͤbrigen Buͤ-
chern noͤtige Umſtaͤnde zu uͤberſehen. Wenn ein
Kaufmann von ſeinen Bedienten gewis iſt, daß ſie
in Eintragung dieſes Geſchaͤftes ſchon ein jedes auf
ſein rechtes Conto ſtellen werden, oder es einem ein-
zelnen Bedienten auftraͤgt, der darin zuverlaͤſſig iſt,
ſo koͤnnte freilich ein jeder Handlungs-Poſten ſo einge-
tragen werden, daß das Conto in dem Haupt-Buche
daraus in buͤndiger Kuͤrze gezogen werden moͤgte.
Allein dieſe Vorausſezung hat nur ſelten Statt, und
in Handlungs-Comtoiren, wo viel Gewuͤhl iſt, moͤg-
ten darin oft groſſe Fehler vorfallen.
In dieſem Memorial wird mehr gerechnet, als
in den folgenden Buͤchern, z. B. in Hamburg, wie
fuͤr die zu einem gewiſſen Preis, allenfalls in Cu-
rant behandelte Waare der wahre Wehrt derſelben
2ter Teil. K
[146]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
in Banco nach Berechnung der Thara, des guten
Gewichts, des Rabatts u. d. gl. mehr ſich beſtimme.
§. 12.
Aus dem Memorial wird daher faſt auf allen
Handlungs Comtorien ein zweites Buch, das Jour-
nal, gezogen, in welchem aus jenem Memorial die
Reſultate gezogen und kurz dargeſtellt werden, und
inſonderheit einem jeden Conto vorlaͤufig das zuge-
wieſen wird, was fuͤr daſſelbe gehoͤrt. Wenn z. B.
in dem Memorial geſagt iſt, daß heute den 17ten
Febr. 20 Sack Reis, 12100 Pfd. in Brutto Ge-
wicht betragend, zu dem Preiſe 17 Mk. Cur. die
100 Pfd. gekauft ſein, und nach Abzug der Thara,
des Gutgewichts, des Rabatts, reducirt in Banco
1546 Mk. betragen, ſo nimmt das Journal von
allen dieſen Umſtaͤnden nichts mehr auf, als daß das
Reisconto fuͤr 20 Saͤkke 1546 Mk. an Bco. Conto
ſchuldig ſei. In dem Memorial wird der Zeitord-
nung genau gefolgt: das Journal aber ſammelt die
Geſchaͤfte mehrerer Tage ſchon unter die Rubriken von
gewiſſen Conti, und vereint ſie als Debitores oder
als Creditores eines ſolchen Conto, freilich auch der
Zeitordnung nach. Es trennt aber auch die aus
Einem Geſchaͤfte entſtandenen Zahlen, und bringt
ſie unter verſchiedene Conti.
[147]Cap. 6. Vom Buchhalten.
Dies Buch, wenn es ſorgfaͤltig und ordentlich
geſchrieben iſt, hat bei Gerichten in vorkommenden
Streitfaͤllen die Kraft des Beweiſes, und gilt als
ein Document in der eigenen Sache des Kaufmanns.
Dies hat von dem Memorial noch nicht Statt.
§. 13.
Es iſt indeſſen klar daß der Kaufmann noch
auſſer dieſen drei oder zwei weſentlich nohtwendigen
Buͤchern, andere Rechnungen zu fuͤhren noͤtig hat,
um ſeine Geſchaͤfte mit Ordnung zu uͤberſehen. Ei-
nige derſelben ſind in jeder Handlung, andere nach
den beſondern Umſtaͤnden der Handlung eines Orts
und der Art der Handlung noͤtig. Eben ſo ſind auch
einzelne mehr oder weniger noͤtig. Ein Rechnungs
Buch von allgemeiner Nohtwendigkeit iſt:
1) Das Lager-Buch. Kein Kaufmann kann
ſeine Geſchaͤfte mit Ordnung treiben, wenn er nicht
weiß, was fuͤr Waaren durch Einkauf oder Com-
miſſion in ſein Lager kommen oder durch Verkauf
aus ſeinem Lager gehen. Dazu waͤre freilich genug,
wenn die Art, Gewicht und Maaſſe derſelben richtig
verzeichnet, und Ausgabe und Einnahme an Ge-
wicht oder Maaſſe berechnet wuͤrden. Allein man
benuzt das Lager-Buch, um auch die Waaren, die
es enthaͤlt, nach dem Geldes-Wehrt beim Einkauf
K 2
[148]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
und den Verkaufspreis beim Verkauf anzuſchreiben.
Erſterer, der Einkaufspreis, kann ſchlechthin, ſo wie
er ſich aus der Factur und den zur Stelle verwandten
Handlungs-Unkoſten beſtimmt eingetragen werden.
Dies iſt fuͤr den eigentlichen Zwek des Lagerbuchs
hinlaͤnglich. Man waͤhlt aber auch eben dieſes Buch,
um die ganze mit der Waare eingekommene Factur
oder Berechnung von allem, was die Waare bis zur
Abſendung gekoſtet hat, und die dazu kommenden
Handlungs-Unkoſten, welche zur Stelle bezahlt wer-
den, mit Einem Wort, die ganze Calculation in
daſſelbe einzutragen. Wer dies nicht tuht, muß
neben dem Lagerbuch ein beſonders Factur-Buch
fuͤhren.
2) Ein Caſſa-Buch. Kein Kaufmann kann
in Ordnung bleiben, der nicht ſeinen Geld-Vorraht
in jeder Minute zu wiſſen im Stande iſt. Zu dem
Ende muß jede baare Einnahme und Ausgabe als
Debet und Credit der Caſſa gegen einander geſtellt
werden. Dies Caſſabuch macht um ſo viel mehr
Muͤhe, je mannigfaltiger die Muͤnz-Sorten ſind, in
welchen an einem Handlungsplaze die Zahlungen ge-
ſchehen. Groſſe Handlungen muͤſſen immer einen
beſondern Caſſirer anſtellen. Doch iſt fuͤr denſelben in
denen Handlungsplaͤzen weniger zu tuhn, die eine ſoli-
de Girobank haben, und wo der Kaufmann ſein baares
[149]Cap. 6. Vom Buchhalten.
Curant-Geld bald zu dem Wechsler ſchikt, oder mit
andern es in Banko umſezt.
§. 14.
Buͤcher von nicht allgemeiner Nohtwendigkeit ſind:
1) Ein Banko-Buch, doch nur in ſol-
chen Handelsplaͤzen, die eine Giro-Bank haben.
An Oertern, die eine Zettelbank haben, ſind, we-
nigſtens ſo lange als die Bank-Noten dem baaren
Gelde gleich gelten, dieſe ſo gut als Muͤnzen anzu-
ſehen, und die Berechnung uͤber Einnahme und Aus-
gabe in denſelben gehoͤrt ins Caſſabuch. Allein hier
in Hamburg, in Venedig, in Amſterdam und Nurn-
berg, wo alle etwas groſſe Zahlungen in der Bank
abgeſchrieben werden, iſt ein beſonderes Bankobuch
durchaus noͤtig, und von dem Caſſabuch ganz un-
terſchieden.
2) In allen ſolchen Handelsplaͤzen werden die
uͤbrigen Muͤnz-Sorten, in welchen Zahlungen ge-
ſchehen, mit einem gewiſſen Agio gegen Banko-Geld
berechnet. Wenn dieſes Agio feſte ſteht, wie in Ve-
nedig und Genua, ſo macht die Berechnung deſſelben
wenig Muͤhe, und es kann kein Gewinn oder Ver-
luſt daraus entſtehen. Auch hier in Hamburg, wo
gewiſſe Waaren in Curant, aber zu dem feſten Agio
[150]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
von 16 oder 20 p. C. verkauft werden, entſteht dar-
aus kein beſonders Conto.
§. 15.
Aber wenn dies Agio oͤftere Veraͤnderungen lei-
det, ſo entſteht ein Gewinn und Verluſt daraus,
der keinesweges uͤberſehen werden kann, und eine
beſondere Rechnung erfodert, die man das Agio-
Conto nennt. Z. E. wenn ein Kaufmann ſeine
im Lagerbuch zu Banco-Wehrt angeſezten Waaren
teilweiſe den hieſigen Kraͤmern in Curant verkauft,
ſo wird er zwar an dem Tage des Verkaufs wiſſen,
wie viel Banco-Geld er dafuͤr in ſeine Buͤcher zu
tragen habe, und dieſe Zahl moͤgte ſich nur um ¼
p. C. veraͤndern, welches der Wechsler ihm abnimmt,
wenn er ſogleich bei demſelben das empfangene Cu-
rantgeld wieder in Banco umſezt. Aber dies tuht er
nicht immer, weil er auch eine Caſſe in Curant hal-
ten muß. Wenn er nun nach einiger Zeit eben dies
Geld wieder ausgiebt, ſo wird ein gebeſſerter Curs
des Curant-Geldes ihm mehr Banco, ein ſchlechte-
rer weniger in ſein Hauptbuch bringen, als er am
Tage des Verkaufs in ſeinem Journal notirte. Dies
wuͤrde eine Menge kleiner Rechnungen bei jedem in
Curant ausgegebenen und empfangenen Poſten er-
fodern; doch nicht nur bei Curant, ſondern auch bei
jeder in der Caſſa eines Kaufmanns einkommenden
[151]Cap. 6. Vom Buchhalten.
oder ausgehenden Muͤnzſorte. Der Kaufmann laͤßt
alſo dieſe Rechnungen fuͤr die ganze Zeit laufen,
welche von Ziehung einer Balanz bis zur andern ver-
laͤuft. Er bringt jede Summe, die ihm bei dem
Verkauf einer Waare als Agio entſteht und im Jour-
nal notirt wird, unter der fuͤr den Tag berechneten
Summe ins Credit des Caſſaconto, und alle Zah-
lungen, die bei dem Einkauf einer Waare und Kauf
oder Einwechſelung von Banco-Gelde entſtehen, ins
Debet derſelben. Von beiden wird Eine Summe
beim Schluß der Balanz gezogen. Geſezt nun, an
dieſem Tage ſein 10000 Mk. mehr im Debet des
Agio-Conto, als im Credit, ſo wuͤrde der Unwiſſende
dies fuͤr einen Verluſt halten; aber es koͤmmt darauf
an, zu welchem Curs dieſe 10000 Mk., die in aller-
lei Conti als Einnahme und Ausgabe ſtecken, und
zu allerlei Curſen dort gegen Banco berechnet ſind,
am Tage der Balanz ſtehen und ins Conto der Ba-
lanz eingetragen werden muͤſſen. Alsdann zeigt ſich
der Gewinn oder Verluſt auf alles bis dahin berech-
nete Agio n Einer Zahl.
§. 16.
Auch beider groͤßten Ordnung kann der zu ziehen-
den Balanz nicht ſo vorgearbeitet werden, daß der
Principal einer groſſen Handlung bald nach Ende des
Jahrs dazu geangen koͤnnte. Mittlerweile aber in-
[152]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
tereſſirt es ihn ſehr, die Lage ſeiner Geſchaͤfte in Ab-
ſicht auf jeden Correſpondenten oder auch jeden ein-
heimiſchen Kundmann zu wiſſen, mit welchem er
viele Umſaͤze macht. Dies giebt ihm ſein Memorial
und Journal nur Teilweiſe an, und es wird ihm
daher noͤhtig, in ein beſondres Buch die auf jeden ein-
zelnen Correſpondenten ſich beziehende Rechnung ſo
einzutragen, daß er, ſo oft er will, ſehen koͤnne,
wie er mit demſelben ſtehe. Dies Buch hat den
Nahmen Riſcontro, und wird in mancher Hand-
lung in das inlaͤndiſche und auslaͤndiſche
Riſcoutro geteilt. Jenes enthaͤlt die Geſchaͤfte
mit den Mitbuͤrgern oder Einwohnern der Stadt,
dieſes die mit entfernten Correſpondenten.
Siebentes Capitel.
Von den Bankerotten.
Wenn ich von Bankerotten in dieſen Buche das
Noͤtige ſage, ſo moͤgte es faſt ſcheinen, als wenn ich
ſie zu den Huͤlfsmitteln der Handlung zaͤhlte. Das
ſind ſie freilich fuͤr manchen einzelnen Mann, wenn
[153]Cap. 7. Von den Bankerotten.
er ſich zum Bankerott entſchließt, und dadurch ſich
in einen Wolſtand ſezt, den er vorher nicht kannte
und durch ſeinen Handel nicht zu erreichen wußte.
Allein dann moͤgte ich viele andere Misbraͤuche und
Betruͤge zu den Huͤlfsmitteln der Handlung zaͤhlen
muͤſſen, und dies vierte Buch noch ſehr dehnen koͤn-
nen. Im Ernſt geredet ſind Bankerotten ein boͤſes
Hindernis der Handlung, dem ich nur deswegen hier
ſeinen Plaz gebe, weil doch von demſelben in einem
Buche, wie das meinige iſt, Einmal geredet werden
muß, und ich dieſer Materie keinen andern Plaz
anzuweiſen weiß.
§. 1.
Hofnung und Abſicht des Gewinns ſind die we-
ſentliche Vorausſezung bei jedem Handel. Die Er-
fuͤllung derſelben haͤngt nicht ganz von dem Handeln-
den ab, [und] iſt nur auf Wahrſcheinlichkeit gegruͤndet.
Triegt dieſe Wahrſcheinlichkeit, entſteht der Gewinn
gar nicht, oder iſt nicht gros genug, um dem han-
delnden Kaufmann ſein Auskommen zu geben; ſo
iſt er freilich zu entſchuldigen. Dann iſt der Name
eines ehrlichen Mannes noch nicht fuͤr ihn verloren,
und eine billige Nachſicht der Geſeze und Gerichte
bei ſeinem Ungluͤk ihm freilich zu goͤnnen. Der erſte
Schritt, den ihm die Geſeze vorſchreiben, iſt, daß
er ſeine Unfaͤhigkeit, ſeine Paſſiv-Schulden zu be-
[154]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
zahlen, ſeiner Obriakeit erklaͤre, alles, was er bis
dahin beſizt, ihr oder den von ihr dazu befugten
Perſonen uͤbergebe, und dieſen die Ausgleichung
ſeiner Activ- und Paſſiv-Schulden uͤberlaſſe. Dann
aber wird er nach dieſem Vorgange allen unangeneh-
men Verfolgungen ſeiner Glaͤubiger, und inſonder-
heit dem aus dem Wechſelrecht entſtandnen Rechte
ſeiner Wechſelglaͤubiger an ſein Vermoͤgen, ja ſogar
an ſeine Perſon einſtweilig entzogen. Dieſen Vor-
gang nennt man einen Bankerott.
§. 2.
Wer mit den Rechten und deren Geſchichte nur
maͤſſig bekannt iſt, weiß, welch ein ſtrenges Verfah-
ren dieſelben, inſonderheit in Deutſchland, dem
Glaͤubiger gegen den nicht Zahlungsfaͤhigen Schuld-
ner erlaubten, und daß er nicht nur mit ſeinen
Guͤtern, ſondern ſelbſt mit ſeiner Perſon dem Glaͤu-
biger haftete. Herr Prof. Fiſcher hat daruͤber in
dem erſten Bande ſeiner Geſchichte der Deut-
ſchen Handlung viel belehrendes demjenigen ge-
ſagt, der in Ruͤkſicht auf die Handlung von dieſen
Rechten unterrichtet ſein will; aber auch zu viel
darin zu finden geglaubt, da er meint, ſchon hierin
liege der Grund des Wechſelrechts. Es iſt auch auſ-
ſerhalb dem Wechſelrecht ſehr viel von dieſen Rechten
der Glaͤubiger in den noch beſtehenden Geſezen man-
[155]Cap. 7. Von den Bankerotten.
cher Deutſchen und Nordiſchen Staaten uͤbrig, das
auch ſelbſt in dem Verfahren gegen verungluͤkte oder
in der Zahlung ihrer Wechſel ſaͤumige Kaufleute gilt.
In den Daͤniſchen Staaten gilt noch keine ordentliche
Verfuͤgung uͤber die Erklaͤrung der Inſolvenz eines
Kaufmanns, ſondern der Glaͤubiger laͤßt ſeinen
Schuldner in Verhaft nehmen, wo er ihn findet,
der daher die Flucht uͤber die Grenze nimmt, und
dann auf ſicheres Geleite wieder zuruͤkkoͤmmt. Auch
in Hamburg hat vor erklaͤrter Inſolvenz der Wech-
ſelglaͤubiger die Wahl, ob er bei dem Gerichte die
Pfaͤndung oder den perſoͤnlichen Verhaft ſeines
Schuldners verlangen will. In lezter Abſicht nimmt
er einen Freizettel auf ihn, der ihn aber nur berech-
tigt, ihn von der Gaſſe, nicht aus ſeinem Hauſe,
wegnehmen zu laſſen. Ein Mittel, das alsdann
wirkſamer als die Pfaͤndung iſt, wenn der Schuld-
ner noch nicht zur Inſolvenz-Erklaͤrung reif oder ent-
ſchloſſen iſt, nur durch Ausfluͤchte dieſer oder jener
Art ſich hinzuhalten ſucht, oder aus Eigenſinn Ein-
wendunge macht. In den Herzogtuͤhmern Sles-
wig und Holſtein iſt das ſogenannte Einlager-
Recht (Jus Obſtagii) von Alters her uͤblich, jedoch
in Folge einer dem Schuldſchein angefuͤgten Verbind-
lichkeit, ohne welche jedoch nicht leicht eine Standes-
Perſon, am wenigſten ein Guͤterbeſizer ein Darlehn
erlangt. Doch iſt ſie in manchen Teilen dieſer Her-
[156]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
zogtuͤhmer, auch bei Schuldverſchreibungen von Leu-
ten geringern Standes, uͤblich. Die Folge davon
iſt nicht eigentliche Gefangenſezung; ſondern der
Glaͤubiger deutet dem Schuldner einen Ort oder ge-
wiſſen Diſtrict an[,] wohin er ſich begeben muß, und
nicht von dort weichen darf, bevor er ihn befriedigt
hat. Immittelſt iſt jener dieſem zur Erteilung eines
aͤuſſerſt kaͤrglichen Tagegeldes gehalten. Geht der
Schuldner nicht in das ihm angewieſene Einlager,
oder entweicht er aus demſelben, ſo hat er ſeine Ehre
verwirkt. Es hat Faͤlle der Art gegeben, in welchen
die Gerichte darauf erkannt haben, daß einem Ade-
lichen Schild und Helm von ehrloſer Hand zerbro-
chen ward.
§. 3.
Zwar iſt in Staaten, wo Recht und Ordnung
gilt, einem jeden Buͤrger und Landmann, der in ſeinem
Nahrungs-Stande ſo zuruͤk koͤmmt, daß er ſeine ein-
gegangenen Verpflichtungen nicht erfuͤllen, und ſeine
Schulden nicht bezahlen kann, gleich dem Kaufmann,
erlaubt, ja gewiſſermaſſen vorgeſchrieben, daß er
ſeine Guͤter den Gerichten uͤbergebe, und unter
deren Autoritaͤt ſeinen Glaͤubigern die aus deren Ver-
kauf entſtehende Verguͤtung zugeteilt werde. Man
nennt dies das Beneficium Ceſſionis Bonorum,
ein in der Deutſchen Gerichtsſprache bisher nicht mei-
[157]Cap. 7. Von den Bankerotten.
nes Wiſſens uͤberſezter Ausdruk. Die Folge davon
iſt ein uͤber dieſe abgetretenen Guͤter verhaͤngter
Concurs. Das Wolthaͤtige dabei iſt in den meiſten
Faͤllen blos die einſtweilige Befreiung von der Ver-
folgung der Glaͤubiger, die, ſo lange dieſer Schritt
nicht geſchehen iſt, in der Ausuͤbung ihrer einzelnen
Rechte freilich ihren Glaͤubiger ſehr kraͤnken koͤnnen,
und auch dies zu tuhn gewohnt ſind. Aber dann
verſprechen auch die Rechte dem Schuldner keine wei-
tere Vorteile, und uͤberlaſſen ihn dem huͤlfsloſen
Zuſtande eines Menſchen, der nun nichts mehr be-
ſizt, wenn derſelbe kein neues Mittel zu waͤhlen
weiß, ſich ein Auskommen zu verſchaffen. Dagegen
aber iſt es der Geiſt aller Verordnungen uͤber Banke-
rotte, dem in Ungluͤk gerathenen Kaufmann nicht
alle Mittel abzuſchneiden, durch welche er nach der
Abtretung ſeiner Guͤter, wo nicht ſeinen alten Wol-
ſtand, doch einen gewiſſen Nahrungsſtand wieder
erlangen kann.
§. 4.
Die gewoͤhnlichſte Veranlaſſung zum Bankerott
eines eigentlichen Kaufmanns entſteht aus dem Wech-
ſelrechte in Staaten, wo daſſelbe foͤrmlich eingefuͤhrt
iſt, aber auch daruͤber gehalten wird, keine mora-
toria erteilt werden, und nicht etwan auf Wechſel-
klagen der Beſcheid erteilt wird, man koͤnne den
[158]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
Buͤrger nicht druͤkken. Wer ſeinen Wechſel nicht an
dem lezten Verfalltage, die Friſttage mit eingerech-
net, bezahlen kann, und nun der Pfaͤndung oder
perſoͤnlichen Haft ausweichen will, zu welcher ſein
Wechſelglaͤubiger nicht blos befugt, ſondern, wenn er
ſein Recht nicht ganz verlieren will, gehalten iſt,
muß dieſen Schritt tuhn.
Die Benennung Bankerott deutet darauf hinaus,
daß derſelbe urſpruͤnglich die Aufhebung oder den
Bruch einer Wechſelbank zur Folge hatte. Denn
die Bedeutung des Worts Bank als Tiſch, oder
Privatcaſſe der Wechsler, oder uͤberhaupt ſolcher
Maͤnner, die mit Geldgeſchaͤften auch als Kaufleute
zu tuhn hatten, iſt gewiß aͤlter, als die oͤffentlichen
Banken. Im Altertuhm hies der Geldwechsler
Trapezita. Eine ihrer Griechiſchen Ableitung nach
dem Wort, Banker, ganz gleich geltende Benen-
nung! So gewoͤhnlich nun die Ceſſio Bonorum,
oder die Aufgebung ſeines Eigentuhms an die Gerichte
von Alters her geweſen iſt, ſo bekam dieſe Hand-
lung die erwaͤhnte Benennung, wenn ein Kaufmann
ſich dazu genoͤtigt ſah und ſeine Wechſel- und Geldge-
ſchaͤfte dadurch ins Stokken geriethen. Seine Bank
war nun, ſo zu reden, gebrochen. Allein die bei
ſolchen Schritten ſo oft ſich entdekkende, oder von
unwilligen Glaͤubigern auch oft ohne Grund ange-
[159]Cap. 7. Von den Bankerotten.
nommene Abſicht des Betruges, machte die Benen-
nungen Falliſſement und Fallit entſtehen.
§. 5.
Ehe die Wechſel-Geſchaͤfte und das Wechſelrecht
in einen lebhaften Gang kamen, war ohne Zweifel
die oͤfter vorkommende Veranlaſſung, welche einen
Kaufmann zum Ungluͤk brachte, der Verluſt an Schif-
fen und Guͤtern auf der See, zumal da noch keine
Aſſecuranzen ſehr uͤblich waren. Ein Ungluͤk dieſer
Art erregte natuͤrlich mehr Nachſicht bei Geſezgebern
und Richtern, und die Unſchuld des inſolvent ge-
wordenen Kaufmanns war klaͤrer, als bei allen an-
dern Vorfaͤllen, die einen Buͤrger in ſeinem Nahrugs-
ſtande betreffen, ihn zuruͤk ſezen und den Schuz der
Obrigkeit zu ſuchen noͤtigen konnten. Damals ſcheint
mir der gewoͤhnlichere Weg, durch welchen ſich ein
ſolcher zu retten ſuchte, das Anſuchen um einen Fri-
ſtungsbrief, oder ein jezt ſogenanntes Mora-
torium, geweſen zu ſein, und die Erlangung deſ-
ſelben bei der Obrigkeit nicht ſchwer gehalten zu ha-
ben. Allein alle Obrigkeiten mußten in dem Maſſe,
wie das Wechſelrecht bei den Gerichten mehr und
mehr guͤltig ward, es bald einſehen, daß mit dieſem
ſolche Friſtungsbriefe ſich durchaus nicht vertruͤgen,
wenn gleich jezt manche Obrigkeit noch immer zu
willfaͤhrig in Erteilung derſelben iſt, ſelbſt wenn der
[160]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
Bruch eines Kaufmanns durch Wechſel veranlaßt
wird. Dadurch ward alſo die Erklaͤrung der Inſol-
venz eines Kaufmanns zu einer minder vermeidlichen
und keines Aufſchubs faͤhigen Handlung. Aber man
hegte doch noch immer einen Teil der Nachſicht gegen
den ungluͤklichen Wechſel-Schuldner, welche die Ge-
richte aus eben angefuͤhrten Gruͤnden fuͤr den durch
andre Unfaͤlle verungluͤkten Kaufmann hegten, und
raͤumte ihm Woltahten ein, die bei der ſonſt gewoͤhn-
lichen Ceſſione Bonorum nicht Statt hatten.
Noch Ein Grund der Nachſicht fuͤr den verun-
gluͤkten Kaufmann iſt dieſer, daß man ſeiner Gegen-
wart und ſeiner Dienſte bedarf, um ſeine Sache zu
berichtigen, ſeine Activ- und Paſſivſchulden richtig
darzuſtellen, und die oft ſehr verwikkelte Berechnung
und die vor jedem Bankerott gewoͤhnlich in Unordnung
gerahtenen Buͤcher in Ordnung bringen zu helfen.
Man muß alſo verhuͤten, daß er ſich nicht aus Furcht
vor perſoͤnlicher Haft, oder unter dem Vorwande,
ſein Auskommen ſonſt irgendwo zu ſuchen, entferne.
Es giebt Staaten, in welchen der Anfang des Ban-
kerotts die Flucht des Glaͤubigers iſt, weil er nicht
geſezmaͤſſig um die Befreiung von perſoͤnlicher Ver-
folgung ſeiner Glaͤubiger anhalten darf. Dann aber
verweilt er an der Grenze, und wird ſehr bald durch
ein ſichres Geleit wieder herbeigezogen. Dieſer Um-
[161]Cap. 7. Von den Bankerotten.
ſtand inſonderheit macht dem Falliten das benefi-
cium Competentiae oder die Woltaht entſtehen,
daß ihm aus ſeinen Guͤtern ein anſtaͤndiger, wiewol
im Verhaͤltnis zu deſſen Concurs-Maſſe oft ſehr ſpar-
ſamer, Unterhalt gereicht werden muß. Dies hat
nicht bei jeder andern Ceſſione bonorum Statt.
Wenn nach Staͤdtiſchen Statuten ein Buͤrger aus
dem Beſiz ſeines verſchuldeten Grundſtuͤcks, inſon-
derheit eines Hauſes, geſezt wird, ſo iſt nicht die
Frage, wo er ſeinen Unterhalt von dem Tage an fer-
ner hernehmen wolle oder koͤnne. Auf dem Lande
laͤßt man den zum Concurs gebrachten Bauern auf
ſeinem Grundſtuͤcke, um den Landbau unter Auf-
ſicht bis zu geendigtem Concurſe fortzuſezen. Er iſt
alſo bis dahin wie ein Knecht in dem Dienſte ſeiner
Glaͤubiger.
§. 6.
Die Hauptwoltaht, wodurch ſich ein Kaufmaͤn-
niſcher Bankerott von der gewoͤhnlichen Ceſſione
bonorum in ſeinen Folgen unterſcheidet, iſt dieſe,
daß er ſich gewoͤhnlich durch einen Vergleich endigt,
in welchen dem Schuldner von ſeinen Glaͤubigern
nicht ſelten ſo viel erlaſſen wird, daß ihm noch ein
Teil ſeines beſeſſenen Vermoͤgen suͤbrig bleibt, der ihn
allenfalls in den Stand ſezt, ſein Gewerbe oder ein
anderes wieder anzufangen, von welchem er ſein Aus-
2ter Teil. L
[162]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
kommen einigermaſſen hoffen kann. Freilich iſt dies
bei jedem andern Concurs den Glaͤubigern unverbo-
ten, wenn ſie Guͤte uͤben wollen. Es iſt auch bei
Bankerotten nicht Pflicht jedes einzelnen Glaͤubi-
gers, in einen ſolchen Vergleich zu willigen, wenn
er gleich von allen uͤbrigen angenommen iſt. Aber
durch Gruͤnde des Mitleidens und der Nachſicht, die
bei dem wirklich ungluͤklichen Kaufmann vorzuͤglich
Statt finden, iſt es ſo ſehr zur Gewohnheit gewor-
den, daß es freilich in einigen Staͤdten und Laͤndern
in vielen Faͤllen zum Misbrauch ausartet, und ein
mit Schlauheit gemachter Bankerott wirklich ein
Mittel zur Vermehrung des Wolſtandes fuͤr man-
chen wird.
Zwei Urſachen wirken hiebei inſonderheit mit
ein. Die erſte iſt die Gewoͤhnung des groſſen Kauf-
manns an den Verluſt durch boͤſe Schulden, die ihn
zu einer Art von Gleichguͤltigkeit vorbereitet, bei
welcher er das, was er aus einem Bankerott an deſſen
Ende durch einen Accord rettet, gewiſſermaſſen als
gewonnen anſieht. Ich kann nicht unbemerkt laſſen,
daß der bei vorfallenden Bankerotten gewoͤhnliche
Ausdruk: der oder der hat ſo viel Tauſend Tahler
verloren, dem Credit des verlierenden oft ſehr ſchaͤd-
lich iſt. Man hoͤrt nur die im Concurs ſtekkende
Summe nennen, und erfaͤhrt ſelten hintennach,
[163]Cap. 7. Von den Bankerotten
wie viele Procente von derſelben gerettet ſind. Es
waͤre gewiß dem Credit der Kaufleute uͤberhaupt zu-
traͤglich, wenn von allen wichtigen Concurſen in ſol-
chen oͤffentlichen Blaͤttern, welche der Kaufmann zu
leſen gewohnt iſt, am Ende jedes Concurſes Nach-
richt eingeruͤckt wuͤrde, wie viele Procente der Fallit
gegeben habe. Dadurch wuͤrde dem Credit manches
Mannes wieder aufgeholfen werden, der durch jene
unbeſtimmte Sage, daß er ſo viel verloren habe,
Noht leidet. Aber ich beſcheide mich auch, daß eine
ſolche Nachricht oft zu ſpaͤt erſcheinen wuͤrde. Die
groͤßte Gefahr eines Kaufmanns, durch den Banke-
rott eines andern niedergeriſſen zu werden, iſt als-
dann, wenn derſelbe ausbricht. Denn da entbehrt
er die verlorne Summe auf eine Zeitlang ganz, und
man faͤngt an, ſchon beſſer von ihm zu denken, wenn
er in der Zeit, die bis zum Ende des Concurſes ver-
laͤuft, ſich zu halten im Stande iſt.
Eine zweite Urſache iſt, daß auslaͤndiſche Glaͤu-
biger die Schwierigkeit oft zu ſehr fuͤrchten, ihre
Rechte gegen den Falliten gehoͤrig durchzuſezen. Ei-
nes Teils kennen ſie die Falliten-Ordnungen des Staats,
wo der Bankerott vorfaͤllt, nicht immer und hinlaͤng-
lich; wiewol dies billig das erſte ſein ſollte, nm
welches ein Kaufmann, inſonderheit auf ſeinen Rei-
ſen, ſich bekuͤmmern ſollte. Andern Teils koͤnnen
L 2
[164]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
ſie nicht umhin, ihre Sache in die Haͤnde von Man-
datarien zu geben, welche ſehr oft, als Mitbuͤr-
ger des Falliten mehr Frenndſchaft fuͤr dieſen, als
fuͤr ihre Mandanten hegen, und bei dieſen deren
Wort reden.
§. 7.
Es wuͤrde mich zu weit fuͤhren, aus den Falli-
tenordnungen handelnder Staaten das Uebereinſtim-
mende und Abweichende hieher zu ſezen, und ich
kann mir nur vorſezen, einige Hauptbemerkungen
zu machen. Die erſte iſt dieſe: da die mildere Be-
handlung des Kaufmanns in denſelben ihren Grund
in der Vorausſezung hat, daß die Handlung Un-
gluͤksfaͤllen unterworfen iſt, welche bei andern buͤr-
gerlichen Geſchaͤften nicht Statt haben, ſo ſollten
billig keine Fallit-Geſeze fuͤr andere Perſonen als
ſolche gelten, welche beweiſen koͤnnen, daß ſie eigent-
liche Handlungsgeſchaͤfte getrieben haben, keineswe-
ges aber fuͤr ſolche, welche in dem Gange ſolcher buͤr-
gerlichen Geſchaͤfte leben, die keinen unerwarteten
Unfaͤllen ausgeſezt ſind, und deren ganzes Ungluͤk
darin beſteht, daß ſie Einnahme und Ausgabe nicht
im Gleichgewicht zu erhalten verſtanden haben. Am
wenigſten aber ſollten ſie fuͤr ſolche gelten, die, es ſei
durch oͤffentlichen oder Privatauftrag, mit fremdem
Gelde gewirtſchaftet und dieſes in ihrem eigenen Ge-
[165]Cap. 7. Von den Bankerotten.
brauch und Verſchwendung verwandt haben. Kurz,
nur ein wirklicher Kaufmann ſollte eigentlich Banke-
rott machen duͤrfen, jene aber dem gewoͤhnlichen
gegen ſchlechte Schuldner Statt habenden Gange im-
merhin ausgeſezt bleiben. Es dient ſolchen Leuten
gewiß zu ihrem Nuzen und Frommen, und haͤlt ſie
ab, ihre kleine keinen eigentlichen Ungluͤksfaͤllen aus-
geſezte Wirtſchaft ſo leichtſinnig zu treiben, als man
ſie es da tuhn ſieht, wo ſie gleich bei dem Anfange
derſelben ihre Ausſicht darauf hinaus nehmen koͤnnen,
daß ſie, wenn ſie eine Zeitlang gepraßt und ge-
ſchwelgt haben, durch einen foͤrmlichen Bankerott
ſich jeder Anfoderung an ſie entziehen und wieder
rein waſchen koͤnnen. Dieß aber iſt ein weſentlicher
Fehler mancher ſolcher Verordnungen, daß man
nicht nur Huͤlfsperſonen der Handlung, wie z. E.
Maklern und Buchhaltern, ſondern auch Handwer-
kern und Leuten aller Art, die von feſtgeſeztem oder
zufaͤlligem Verdienſte leben, ein ordentliches Falliſſe-
ment erlaubt, und ihnen mehr oder weniger die Vor-
teile angedeihen laͤßt, welche nur die billige Ruͤkſicht
auf die Unfaͤlle der Handlung in dieſe Verordnungen
gebracht hat. Es ſind der Menſchen nur ſehr we-
nige, die ſich gewoͤhnen koͤnnen, mit fremdem Gelde
gewiſſenhaft umzugehen und nicht in daſſelbe zu grei-
fen, wenn ihre Beduͤrfniſſe ſie dazu veranlaſſen.
Auch der noch nicht unredliche Mann rechnet darauf
[166]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
hinaus, daß ſein Verdienſt ihn bald in Stand ſezen
werde, die gemachte Luͤkke wieder zu fuͤllen. Nun
ſind der Geſchaͤfte dieſer Art ſo viele, welche doch
dem, der ſie gut treibt, Wolſtand geben. Es iſt jener
Ungluͤk ſo ſehr, als derjenigen, in deren Geld ſie ein-
greifen, wenn ſie unordentlich wirtſchaften. Wenn
nun zu milde Fallitenordnungen ihnen die Ausſicht
geben, ſich durch eine Inſolvenzerklaͤrung den ſonſt
rechtmaͤſſigen Verfolgungen ihrer Glaͤubiger zu ent-
ziehen, ſo entſteht dadurch eine Veranlaſſung mehr
zum Leichtſinn. In keinem Staat wird dieſe Nachſicht
und die Woltahten der Inſolvenzerklaͤrung auf ſolche
Leute ausgedehnt, welche das Geld deſſelben angrei-
fen. Aber man ſollte nicht minder Strenge gegen
diejenigen uͤben, durch deren Wirtſchaft Privatper-
ſonen, inſonderheit Unmuͤndige, oder unter Cura-
tel ſtehende Wittwen, in den Verluſt ihres Vermoͤ-
gens geſezt werden. Auch der Kaufmann ſollte nicht
durch Bankerotte ſeiner Makler ſo oft leiden, als
dies wirklich vorfaͤllt. Denn ſeine Gefahr iſt groß
genug in dem uͤbrigen Credit, den er mit Hofnung ei-
nes Vorteils geben muß, der ihm aber nicht entſteht,
wenn er ſein Geld ſo lange in den Haͤnden eines
Maklers laſſen muß, von welchem er nie Geld-
Gewinn erwartet, ſondern der eigentlich aus ſeiner
Hand lebt.
[167]Cap. 7. Von den Bankerotten.
§. 8.
Ich habe oben §. 6 erwaͤhnt, wie noͤtig es dem
Kaufmann ſei, die Fallitgeſeze der Staaten zu ken-
nen, auf welche er handelt. Dieſe wird ihm inſon-
derheit in Anſehung der Ausnahme nohtwendig,
welche dieſelben teils ausdruͤklich in den zum Concurs
kommenden Guͤtern machen, teils die buͤrgerlichen
Geſeze des Staats angeben. Er hat Urſache inſon-
derheit in dem Credit behutſam zu ſein, welchen er
an Kaufleute ſolcher Staaten giebt, deren Regenten
in Geldgeſchaͤften mit denſelben verwikkelt ſind.
Denn da gilt immer die Regel, daß der Regent allen
uͤbrigen Glaͤubigern vorgreift. Dies iſt ganz recht,
wenn es von dem Falliten bekannt geweſen iſt, daß
er Banker ſeines Landesherrn geweſen ſei, oder daß
er eine Manufactur mit Herrſchaftlicher Unterſtuͤzung
betrieben habe. Aber es iſt ſehr unrecht, wenn der
Fuͤrſt als Privatmann mit ihm Umſaͤze macht, und
der Fallit, der ſich bewußt war, eine offene Caſſe bei
dem Landesherren zu haben, durch ſeinen Aufwand
oder durch ſcheinbar groſſes Gewuͤhl in ſeiner Hand-
lung die Augen ſeiner Glaͤubiger lange blendete.
Der Credit manches Kaufmanns gruͤndet ſich
hauptſaͤchlich auf den Umſtand, daß man von ihm
weiß, er habe reich geheirahtet. Aber nicht immer
weiß jeder ſeiner Glaͤubiger, daß in dem Staat, wo
[168]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
derſelbe lebt, keine Gemeinſchaft der Guͤter zwiſchen
Eheleuten, oder zwiſchen dem Vater und den Kin-
dern einer reichen ſchon verſtorbenen Mutter gelte,
auch wenn er nicht wieder verheirahtet iſt, und ihnen
ihr Erbteil nicht abgeſagt hat. Die ſtrenge Gemein-
ſchaft der Guͤter gilt nur in wenigen handelnden Staa-
ten, ſo wie in Hamburg und Luͤbek. Hier bleibt
auch der Vater im vollen Beſiz des beheirahteten
Vermoͤgens und darf ſeinen Kindern nichts abſagen,
wenn er nicht zum zweiten mal heirahtet. Vor der
im J. 1753 beliebten Hamburgiſchen Falliten-Ord-
nung kam daher das ganze beheirahtete oder bis da-
hin geerbte Vermoͤgen der Frau und der noch nicht ab-
geſagten Kinder eines Falliten in deſſen Fallit-Maſſe.
Damals aber ward feſtgeſezt, daß die Frau das ihrige
ganz heraus nimmt, wenn der Mann innerhalb der
erſten fuͤnf Jahre der Ehe bricht, und bewieſen wer-
den kann, daß er ſchon vor der Ehe im Ruͤckſtande
geweſen ſei.
Es iſt klar, daß, im Durchſchnitt genommen,
Hamburg und uͤberhaupt jeder Handelsplaz, wo dieſe
Gemeinſchaft der Guͤter zwiſchen Eheleuten gilt,
mehr aus allen dort vorfallenden Bankerotten, als
dieſe dorthin zahlen. Die Billigkeit ſpricht alſo fuͤr
die Aufhebung dieſer Gemeinſchaft in handelnden
Staaten. Zwar giebt man gewoͤhnlich zum Grunde
[169]Cap. 7. Von den Bankerotten.
an, der Credit eines Kaufmanns werde dadurch um
ſo viel ſolider. Aber es iſt ein wunderliches Ding
um den Credit. Nur ſelten wird bei einem reichen
Manne weiter hinaus gedacht, als daß er jezt reich
ſei, und ein Kaufmann, von welchem man weiß,
daß er viel beheiratet habe, gilt in der gemeinen Mei-
nung fuͤr gleich glaubenfeſt in Sachſen und in Ham-
burg, ſo lange man ſeine Geſchaͤfte uͤberhaupt fuͤr
gewinnvoll haͤlt, und keine Vorfaͤlle kund werden,
die in ſeinem Nahrungs- und Vermoͤgens-Stande ihn
zuruͤckſezen. Dann aber iſt auch wirklich etwas har-
tes darin, daß eine Frau, welche keine Einſicht in
den Gang der Geſchaͤfte ihres Mannes hat oder ha-
ben kann, mit dem Verluſt ihres ganzen Vermoͤgens
bei deren ungluͤklichem Ausgange buͤſſen ſoll. Billig
muͤßte ſie die Rechte eines Glaͤubigers mit genieſſen,
und ihr Vermoͤgen um ſo viel mehr als ein vorge-
ſchoſſenes Capital angeſehen werden, da daſſelbe dem
Manne keine Zinſen, wie andre von ihm aufgeborgte
Capitalien, gekoſtet hat.
§. 9.
So ſehr ſich die Geſeze und Gerichte der Sache,
wovon ich rede, angenommen haben, ſo unvollkom-
men halte ich doch dieſen Teil der kaufmaͤnniſchen
Geſezgebung. Ich wil alſo noch von einigen Maͤn-
geln derſelben reden, die in Einem handelnden Staat
mehr, in einem andern weniger Statt haben.
[170]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
Die erſte iſt: die ungemeine Langſamkeit in Been-
digung der Concurſe. Ich darf nicht wiederholen,
daß manchem Kaufmann das lange Entbehren ſeines
Geldes wol ſo laſtig und verderblich werde, als der
Verluſt, welchen er am Ende in einem nicht gar
ſchlecht ausfallenden Concurſe leidet. In dieſer Lang-
ſamkeit zeichnen ſich inſonderheit die Hollaͤndiſchen Ge-
richte aus. Das Ende eines an die Amſterdamiſche
Boedelkamer (dies iſt die Benennung des dorti-
gen Concurs-Gerichtes) gelangten Concurſes wird
als unabſehlich angeſehen. Daß dies Grund habe,
zeigt ſich allein aus dieſem Beiſpiel, daß der Deneuf-
villiſche Concurs, welcher im Jahre 1763 den Aus-
bruch der groſſen Handlungszerruͤttung veranlaßte,
in dieſer Kammer noch nicht gaͤnzlich beendigt iſt, da
die in Hamburg damals vorgefallenen vielen Concurſe,
ſelbſt die, welche ſich vor dem Gericht, und nicht
durch einen Akkord endigten, in wenig Jahren abgetahn
waren. Ich bin zwar nicht unterrichtet, ob dieſe
Langſamkeit von einer zu groſſen Puͤnktlichkeit in der
rechtlichen Behandlung, oder der Sorgſamkeit, einem
jeden ſein Recht zu tuhn, oder wo ſonſt her ruͤhre.
Aber ſelbſt ſolche Gruͤnde entſchuldigen nicht. Den
Glaͤubiger kraͤnkt es nicht ſo ſehr, wenn ihm nicht
ſein volles Recht gewaͤhrt wird, als daß ihm ſein
Geld lange zuruͤkgehalten wird. Eine natuͤrliche
Folge davon iſt auch, daß er ſo viel williger zu einem
[171]Cap. 7. Von den Bankerotten.
ſtillen Akkorde wird, in welchem er zu viel von ſei-
nen Rechten aufgiebt, je mehr Zoͤgerung er von der
gerichtlichen Handhabung des Concurſes befuͤrchtet.
Derjenige, welcher in dem Vorſaz zu betruͤgen ſich
inſolvent erklaͤrt, hat daher viel beſſer Spiel in einem
ſolchen Staate. Zudem haben die Gerichte bei Fal-
liſſementen es mehrenteils mit Perſonen zu tuhn,
die aus dem §. 6 angegebenen Grunde ſchon ſehr
geneigt ſind, mehr von ihren Rechten aufzugeben,
als ſie bei genauer Handhabung der Gerechtigkeit
erwarten koͤnnen.
§. 10.
Das zweite iſt, daß in den Fallitgeſezen keine
Kraft iſt, den Misbrauch zu ſtoͤren, da ein dem
Bankerott naher Kaufmann den ihm noch uͤbrigen
Credit zu Geſchaͤften benuzt, welche keine andere
Abſicht haben, als ſeine Concursmaſſe auf Unkoſten
einzelner zu verbeſſern, d. h. durch Wechſel- oder
Waarenkauf groſſe Summen an ſich zu ziehen, um
ſo viel mehr Procente im Accord anbieten zu koͤnnen.
Z. B. er uͤberſieht ſeinen Zuſtand und findet, daß,
wenn er heute Bankerott macht, er auf ſeine bisherige
Schuldenmaſſe von 100000 Tahlern nur etwan 30
p. C. anbieten kann. Nun traſſirt und kauft er,
ſo viel er nur immer kann, und zieht dadurch noch
[172]4. Buch. Von Huͤlfsgeſchaͤften der Handl.
50000 Tahler ein. Er wird alſo nun 150000 Tah-
ler ſchuldig; aber ſeine Maſſe wird 80000 Tahler
wehrt. Er kan alſo im Durchſchnitt 53 p. C. und
bei dem Vorzuge, welchen die Fallitordnungen den aͤl-
tern Obligationen geben, allenfalls fuͤr dieſe 75 p. C.
zahlen. Seine Vorteile ſind: erſtlich daß ſeine Cu-
ratoren ihm aus einer ſo guten Maſſe ein ſo viel
beſſeres Koſtgeld zuteilen. Weit wichtiger aber iſt
zweitens, daß ſein Bankerott einen guten Namen
bekoͤmmt. Der Mann, heißt es, hat 75 p. C. ge-
geben, und er findet bald neuen Credit, wenn er
wieder zu handeln anfaͤngt. Zu ſolchen Kniffen
hilft inſonderheit das ſehr viel, daß in den Falliten-
Ordnungen die aͤlteſten Hypothekariſchen oder Obli-
gations-Schulden doppelt ſo viel, als Wechſel und
Buch-Schulden bekommen, und die neuern Obliga-
tions-Schulden in der Mitte ſtehen. Ich weiß,
was fuͤr Gruͤnde fuͤr dieſe Verfuͤgung reden, denen
ich in meiner Abhandlung vom Wechſelrecht
ihr Gewicht eingeraͤumt habe. Aber hart iſt es doch,
daß ein Mann, der mit einer ſo deutlichen Abſicht
des Betrugs in einen ſo nahen Bankerott hinein-
gezogen ward, mehr verlieren ſoll, als ein ande-
rer, der dem Falliten vor vielen Jahren Geld ge-
liehen und ſo lange Zeit durch die Zinſen dafuͤr ge-
zogen hat.
[173]Cap. 7. Von den Bankerotten.
§. 11.
Eben ein ſolcher Mangel der geſezlichen Ver-
ordnungen zeigt ſich in Anſehung des ſogenannten
Dekkens, d. i. der kurz vor dem Bankerott ge-
leiſteten Bezahlung an Verwandte oder Freunde,
wobei auch wol ſcheinbare Bezahlung an ſolche vor-
faͤllt, die nicht eigentlich Glaͤubiger des Falliten wa-
ren. Die Abſicht dabei iſt kuͤnftige Unterſtuͤzung,
wenn der Fallit ſeine Geſchaͤfte aufs neue anfangen
will. Das Indoſſiren der dem Falliten gehoͤrenden
Wechſel, das Verpfaͤnden oder Uebergeben eines
Waarenlagers an ſolche Freunde kurz vor dem Aus-
bruche eines unabwendlichen Bankerotts iſt ſo ge-
woͤhnlich, als es unredlich und durchaus verdammlich
iſt, daß ein Mann, der ſchon weiß, daß er weni-
ger als nichts beſize, daß ihm eigentlich nichts mehr
auf der Welt eigen gehoͤre, hier nehmen, dorthin
geben duͤrfe. Fuͤr eine gerechte Geſezgebung muß
es gewiß keine unuͤberwindliche Schwierigkeit haben,
den Punct zu beſtimmen, bei welchem, auch ſchon
vor erklaͤrtem Bankerotte, die Faͤhigkeit eines Kauf-
manns aufhoͤre, von ſeinem bisherigen Eigentuhm
etwas zu veraͤuſſern, ſo daß alle dennoch ſpaͤter
geſchehene kaufmaͤnniſche Transactionen unguͤltig
waͤren. Ich werde vielleicht einige naͤhere Gedan-
ken daruͤber in den Zuſaͤzen nachtragen.
[174]
Fuͤnftes Buch.
Von der Handlungs-Politik.
Erſtes Capitel.
Allgemeine Hiſtoriſche Anmerkungen
uͤber die Veraͤnderungen der Hand-
lungs-Politik bis zu ihrem
jezigen Zuſtande.
§. 1.
Als Handel und Gewerbe unter denen Voͤlkern
bluͤheten, welche in der Cultur den uͤbrigen am mei-
ſten voreilten, dauerte es noch lange Zeit, ehe die Re-
genten der Staaten die Handlung fuͤr etwas mehr
als eine Quelle ihrer eigenen Bereicherung anſahen.
Von dem Gedanken, daß auf derſelben die Gluͤk-
ſeligkeit ihres Volkes und die Vermehrung von deſſen
Zahl beruhete, waren ſie lange ſehr fern. Sie zo-
gen ihre Zoͤlle von der Handlung, freueten ſich, wenn
ſie mit deren Anwachs mehr Einnahme hatten, wuß-
ten aber nichts zur Sache zu tuhn, wenn die Hand-
lung und mit derſelben ihre Einnahme abbrach.
Deſto freier aber war dann auch der Kaufmann.
Wenn er ſelbſt durch ſein Gewerbe reich ward und
[175]C. 1. Veraͤnderung der Handl. Politik ꝛc.
durch ſeine Betriebſamkeit den Nahrungsſtand ſeiner
Mitbuͤrger verbeſſerte, und Auskommen, Wolſtand
und Reichtuhm unter denſelben verbreitete, ſo war
dies ganz ſein Werk, und das Volk hatte nichts da-
von ſeinen Regenten zu verdanken.
§. 2.
Der Gedanke an ein allgemeines Handlungs-
Intereſſe fuͤr den Staat, entſtand zu allererſt in denen
Staͤdten, von welchen, durch ihre Lage veranlaßt, die
Seehandlung lebhaft betrieben ward. Die Regen-
ten derſelben ſuchten ſich mit andern Voͤlkern in Ver-
bindungen zu ſezen, die ihrer Handlung vorteilhaft
waren. Ein bekanntes Beiſpiel iſt die Verbindung
des Koͤnigs Hiram zu Tyrus mit dem Koͤnig Salomo.
Sie ſuchten ſich in der Ferne Handlungs-Etabliſſe-
menter zu erwerben, doch noch ohne Abſicht von Ero-
berungen von Land und Leuten. Einige dieſer Eta-
bliſſementer wurden nachher Staaten fuͤr ſich, und
fuhren in demſelben Wege fort. An Colonien der
Art, wie ſie in neuern Zeiten entſtanden ſind, ward
damals nicht gedacht, aus Urſachen, die ich bereits
B. 2. C. 2. §. 2 angegeben habe.
§. 3.
Carthago war der erſte handelnde Staat, der es
ſich einfallen ließ, Laͤnder zu uͤberwaͤltigen, um mit
[176]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
denſelben deſto ſicherer zu handeln. Die Ausdeh-
nung ſeines Gebiets gab ihm nicht die dazu noͤtige
Mannſchaft. Aber ſeine Handlung gab ihm die noͤ-
tigen Geldeskraͤfte, um durch groͤßtenteils gedungene
Heere ſeine Eroberungsſucht zu befriedigen. Doch
hat er auch das erſte Lehrgeld fuͤr die Wahrheit gege-
ben, daß Eroberungs-Sucht ſich nicht fuͤr einen han-
delnden Staat ſchicke.
§. 4.
Rom hat, ſo lange es ein Freiſtaat war, nur
den Geiſt der Eroberung, aber niemals, auch ſpaͤ-
terhin nicht unter den Kaiſern, den wahren Geiſt
der Handlung gehabt. Die Schatzungen der uͤber-
wundenen Voͤlker machten Italien reich; aber die
Handlung eben jener Voͤlker entzog ihm ſeine Reich-
tuͤhmer wieder, und machte es am Ende wirklich arm.
Die Regenten ſelbſt ſahen nur auf ihre Zoll-Einkuͤnfte.
Als ſpaͤterhin die barbariſchen Voͤlker vom Norden her
in die Roͤmiſchen Grenzen eindrangen, ward in den
mit ihnen von Zeit zu Zeit geſchloſſenen Tractaten
nicht Befoͤrderung, ſondern Verhinderung der Hand-
lung mit denſelben zur Abſicht geſezt, wovon ich in
den Zuſaͤzen einige Beweiſe geben werde.
§. 5.
In denen Staaten, welche aus den Voͤlker-Wan-
derungen entſtanden, verlohr ſich vollends aller Ge-
[177]C. 1. Veraͤnderungen der Handl. Politik.
danke an Handlung und Handlungs-Politik. Das
Feudal-Syſtem druͤkte beide gaͤnzlich danieder. Denn
wo die erſte Volksclaſſe im Staat alle uͤbrigen in den
Staub tritt oder vernichtet, und ſie in die Lage ſezt,
daß deren Schweis und Arbeit ihr einen Ueberfluß
alles deſſen verſchaffen muß, was ſie zu ihren Be-
duͤrfniſſen rechnet, da kann kein Gedanke an eigent-
liche Handlung entſtehen, und ſelbſt die Menſchen
exiſtiren da nicht, welche Handlung treiben koͤnnten.
Nur der Fremdling kann ſeinen Vorteilen in einem
ſolchen Volke nachſuchen; und ſo fand der auslaͤndi-
ſche Kaufmann oder Kraͤmer mit ſeinen Waaren, die
fuͤrs Wolleben dienten, bei den Fuͤrſten und Groſſen
des Landes gute Aufnahme, mußte aber Ihnen einen
Teil ſeines Gewinns in den Zoͤllen abgeben.
Dazu kam, daß die kirchlichen Geſeze jener Zeit
das Ausleihen auf Zinſen fuͤr ſuͤndlich erklaͤrten. Es
mußte alſo ein jeder Kaufmann das Geld nach und
nach erwerben oder bereits ererbt haben, mit wel-
chem er handeln wollte, oder ſich den Juden in die
Haͤnde geben, welche dieſes Verbot der Kirche nicht
traf. Die Privat-Induſtrie eines Kaufmanns ent-
behrte alſo der groſſen Huͤlfe, welche ſie in jezigen
Zeiten von den Vorſchuͤſſen reicher Mitbuͤrger hat,
oder ward durch den Wucher der Juden aͤuſſerſt er-
ſchwert. Natuͤrlich wurden dann auch dieſe ſelbſt
2ter Teil. M
[178]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
maͤchtige Kaufleute, und bei ihnen haͤuften ſich die
Reichtuͤhmer teils durch die Handlung, teils durch
den Wucher vorzuͤglich an.
Als in ſpaͤtern Zeiten durch die Kreuzzuͤge noch
mehr Wolleben in Europa entſtand, folglich Italien
den Handel mit Indiſchen und ſeinen eigenen Manu-
factur-Waaren in einen lebhaften Gang ſezen konnte,
wozu nachher das Gewerbe der Niederlaͤnder kam,
ſahen die Fuͤrſten Europens, und insbeſondere Deutſch-
lands, die zunehmende Handlung als ein Mittel an,
ſich mehr Geld-Einkuͤnfte zu verſchaffen, woran es
ihnen bis dahin ſehr fehlte. Aber an die Befoͤrde-
rung der Handlung zum Nuzen ihres eigenen Landes
dachten ſie nicht.
§. 6.
In dem 13ten Jahrhundert entſtand in Deutſch-
land die Hanſa oder die Vereinigung der See- und
Landſtaͤdte, hauptſaͤchlich Deutſcher Nation, welche
anfangs blos die Sicherung der Handlungswege,
nachmals aber die Aufnahme ihrer Handlung und
ihrer Manufactur-Gewerbe ohne beſtimmte Ruͤkſicht
auf andere politiſche Vorteile, nemlich Unabhaͤngig-
keit von dem Landesherrn und Erwerbung eines groſſen
Gebiets fuͤr die ſchon wirklich freien Staͤdte, zur Ab-
ſicht hatte. In dieſem Bunde herrſchte eine Hand-
[179]C. 1. Veraͤnderungen der Handl. Politik.
lungspolitik, dergleichen das menſchliche Geſchlecht
bis dahin nicht gekannt hatte. Eine aͤhnliche Ver-
bindung war in dem ſuͤdlichen Deutſchland entſtan-
den, nemlich der Rheiniſche Bund, der aber haupt-
ſaͤchlich nur die Sicherheit der Land- und Flußfracht
zum Zwek hatte. Deſto mehr aber fehlte es den
Fuͤrſten jener Zeit an wahrer Handlungspolitik, und
es iſt nicht zu leugnen, daß die Hanſa in ihren Tracta-
ten mit denſelben ſich Vorteile ausbedungen hat,
uͤber welche man erſtaunen muß, wie ſich ein Fuͤrſt
dazu habe bequemen koͤnnen. In Schweden und
in England war ſie ſogar von Zoͤllen frei, welche
die Untertahnen bezahlen mußten.
§. 7.
In der erſten Haͤlfte des ſechzehnten Jahrhunderts
fingen die Regenten Europens zuerſt an, der Han-
ſeatiſchen Handlungs-Politik entgegen zu wirken.
Kaiſer Carl V. ſuchte ſeine Niederlaͤnder in die Fahrt
auf die durch die Hanſe bis dahin verſchloſſene Oſtſee
zu ſezen. Die Hanſe wagte, unter vorgreifendem
Betriebe Luͤbeks, um dies zu hindern den ſogenann-
ten Grafenkrieg im Jahr 1533, und gerieht aus aͤhn-
lichen Urſachen mit Schweden in offenen Krieg.
Beide endigten ſich zu ihrem Nachteil und mit dem
Verluſt der bis dahin von ihr behaupteten Vorzuͤge
in dem Oſtſeeiſchen Handel. Die Regenten Eng-
M 2
[180]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
lands und inſonderheit die Koͤnigin Eliſabeth, von
deren Regierungs-Jahren faſt kein einziges frei von
Haͤndeln mit der Hanſa iſt, gingen aͤhnliche Wege,
doch ohne offenen Krieg. Man ſehe davon in der
Kuͤrze meine Geſchichte der Welthaͤndel bei den
Jahren dieſer Vorfaͤlle, inſonderheit bei dem J. 1630.
In Frankreich ſorgte Heinrich IV fuͤr die Hand-
lungs-Vorteile ſeines Landes nach neuen eigenen oder
ſeines Miniſters Sully Entwuͤrfen. In der Mitte
des vorigen Jahrhunderts ſezte England die ſoge-
nannte Navigations-Acte feſt, deren eigentlicher Zwek
war, nicht nur die Schiffahrt, ſondern auch die Hand-
lung auf und von England und ſeine Colonien ganz
in die Haͤnde der Nation zu bringen, welches ihm
nur gar zu ſehr gelungen iſt. In Deutſchland ließ
man die Sache noch lange in dem alten Wege. Die
Deutſchen Fuͤrſten freuten ſich, von den oft wieder-
ſpenſtigen Hanſe-Staͤdten ganz Herren geworden zu
ſein, und leerten ihre Caſſen im Ankauf der Fran-
zoͤſiſchen Waaren zum Behuf ihres Wollebens aus,
nachdem die Manufacturen in Deutſchland mit dem
Hanſeatiſchen Bunde groͤßtenteils zu Grunde gegan-
gen oder mit den nun veraͤnderten Moden minder
angenehm geworden waren. In Spanien ſtand es
noch ſchlechter. Hier wurden die inlaͤndiſchen Gewer-
be durch hohe Auflagen niedergedruͤkt, und der Handel
[181]C. 1. Veraͤnderungen der Handl. Politik.
der Auslaͤnder deſto freier gelaſſen. Es war eine
Zeit, da von aͤhnlichen Waaren dieſe gar keinen Zoll,
die Untertahnen aber hohe Rechte bezahlten. Man
war zufrieden, und iſt es gewiſſermaſſen noch, wenn
America nur Silber genug hergiebt, um dem Aus-
laͤnder die von ihm angekauften Beduͤrfniſſe des Le-
bens und des Wollebens zu bezahlen.
§. 8.
Dies alles hat ſich im jezigen Jahrhundert ſehr ge-
aͤndert; es ſind wenig Fuͤrſten in Europa, welche
nicht ſich beſtrebten und zur Regel machten, ihrem
Lande alle Gewerbe und Handlungs-Vorteile zuzu-
wenden, welche fuͤr daſſelbe Statt haben, wenn ſie
gleich in Anwendung dieſer Regel nicht alle die rech-
ten Mittel waͤhlen. Hiezu koͤmmt, daß inſonder-
heit in dieſem Jahrhundert der Colonie-Handel zu
einer ſo groſſen Hoͤhe und Ausdehnung geſtiegen iſt,
von welchem Handel das Altertuhm wenig oder gar
nichts wußte. Im Ganzen iſt alſo die Handlungs-
Politik unſrer Zeit gewiſſermaſſen als eine ganz neue
Kenntnis anzuſehen. Sie hat ſich ſo ſehr aller Hoͤfe
bemaͤchtigt, daß ſeit einem Jahrhundert alle Kriege,
den kurzen Krieg von 1733 ausgenommen, die Hand-
lung zur erſten Veranlaſſung gehabt haben, oder in
dem Verfolge Handlungskriege geworden ſind.
[182]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
§. 9.
Zwar iſt dieſelbe ein Geſchaͤfte der Regenten aller
Staaten, in welchem der Kaufmann ſehr oft der lei-
dende, ſelten der mitwirkende und ſeinen Einſichten
folgende Teil iſt. Aber er hat doch viele Gruͤnde,
dieſe Kenntnis ſich eigen zu machen; denn
1) ſehr viele handelnde Staaten ſind doch Re-
publiken, oder ihre Verfaſſung naͤhert ſich der Re-
publikaniſchen Form. In dieſen gilt alſo das Wort
des Kaufmanns vorzuͤglich in den Berahtſchlagungen
uͤber das Beſte der Handlung.
2) In Staaten, wo der Kaufmann ſich jezt alle
Verordnungen des Landesherren in Anſehung der
Handlung gefallen laſſen muß, kann es ſich doch aͤn-
dern, wie es ſich jezt in Frankreich ſo ſehr aͤndert,
ohne daß deswegen eine aͤhnliche Revolution in an-
dern Staaten entſtehen duͤrfte. Der verſtaͤndige Kauf-
mann wird gewiß kuͤnftig in allen Staaten mehr ge-
fragt werden. Wenn es aber dahin koͤmmt, ſo zeigt
eben jezt das Beiſpiel von Frankreich, wie uͤbel ein
Staat daran iſt, wenn er in dem Kaufmannsſtande
nicht Koͤpfe genug findet, welche in der Handlungs-
Politik und der damit zuſammenhaͤngenden Staats-
Wirtſchaft recht helle ſehen. Wenn dies aber auch
nicht geſchieht, ſo hat doch der Kaufmann Urſache,
[183]C. 1. Veraͤnderungen der Handl. Politik.
die Handlungs-Politik anderer Staaten zu kennen,
um ſich in ſeinen Handlungs-Unternehmungen dar-
nach zu leiten.
3) Ein Kaufmann in ſolchen Staaten, welche
durch die Handlungspolitik anderer Staaten ſcheinbar
leiden, muß doch dieſelbe in ſo weit kennen, daß er
richtig und billig daruͤber urteilt. Die Zeiten ſind
nicht mehr, da eine allgemeine Freiheit der han-
delnden Staaten zutraͤglich waͤre, und der cultivirte
Teil des menſchlichen Geſchlechts hat gewis dabei
gewonnen.
Ich will jezt zuvoͤrderſt die allgemeinen Grundſaͤze
der Handlungs-Politik, der im 2ten Cap. des 2ten
Buchs angegebenen Einteilung der Handlung in den
Producten- Colonie- Manufactur- und Zwiſchen-
Handel gemaͤß, vortragen. Demnaͤchſt werde ich
einzelne Capitel der Handlungspolitik in Anſehung
der Schiffahrt, der Huͤlfsmittel der Handlung, der
Abgaben uͤberhaupt und der Zoͤlle insbeſondere wid-
men. Den Beſchluß werden allgemeine Anmerkun-
gen uͤber Handlungsrechte und Geſeze machen.
[184]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Zweites Capitel.
Allgemeine Grundſaͤze der Handlungs-
Politik in Abſicht auf den
Producten-Handel.
§. 1.
Alles, was in die Handlung koͤmmt, iſt ein Pro-
duct der Natur, an welches doch einige menſchliche
Arbeit gewandt iſt. Es iſt alſo klar, daß alle Hand-
lung eines Landes die Gewinnung von Natur-Pro-
ducten voraus ſezt. In der Taht iſt jedes Land von
der Erhaltung ſeiner Handlung am ſicherſten, wel-
ches hauptſaͤchlich nur den Producten-Handel treibt.
Ihm kann es an Gegenſtaͤnden des inlaͤndiſchen ſo-
wol als des auslaͤndiſchen Handels niemals fehlen.
§. 2.
Die Gewinnung vieler Producte ſezt zwei Dinge
voraus:
- 1) Fruchtbarkeit des Bodens.
- 2) Fleiß der Menſchen.
Es iſt leicht geſagt: Man ſolle ein fruchtbares
Land anbauen. Es wird nie dazu kommen, wenn es
[185]C. 2. In Anſehung des Productenhandels.
dem Lande an Menſchen fehlt, oder denn in demſel-
ben lebenden Menſchen nicht Gruͤnde entſtehen, die
ſchwere Arbeit des Landbaues lebhaft zu treiben.
§. 3.
Dieſe Gruͤnde entſtehen entweder 1) durch
Zwang, wenn einzelne Menſchen in das Recht ge-
ſezet ſind, eine Menge anderer zur Arbeit des Land-
baues anzuhalten. Dies geſchah in alten Zeiten durch
die Herren vieler Tauſend Sclaven, in mittlern Zei-
ten und noch jezt in vielen Gegenden der Erde durch
die Leibeigenſchaft und die Frohndienſte. In den
Americaniſchen Colonien wird der Landbau durch er-
kaufte Sclaven beſtellt. Fuͤr freie Menſchen ent-
ſteht ein minderer Zwang aus den Auflagen und
Schazungen. Es iſt unſtreitig, daß der Bauer in
Laͤndern, wo er mit maͤſſigen Auflagen beſchwert iſt,
fleiſſiger arbeite, als wo er wenige oder gar keine
Abgaben hat. Allein nimmer wird es gerahten ſein,
dem ſogenannten Phyſiokratiſchen Syſtem zufolge,
den Landmann allein mit Einer groſſen Abgabe zu
belegen. M. ſ. davon im kurzen meine Abh. von
dem Geldes-Umlauf B. 6. §. 83. ff.
§. 4.
Oder ſie entſtehen 2) durch Geld-Gewinn.
Dieſer iſt eine weit maͤchtigere Triebfeder zur Befoͤr-
[186]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
derung des Landbaues. Aber er iſt hauptſaͤchlich nur
von andern Menſchen zu hoffen, die nicht ſelbſt den
Landbau treiben. Dieſe finden ſich in den uͤbrigen
Staͤnden und Volks-Claſſen. Es iſt daher aͤuſſerſt
wichtig fuͤr ein Volk, wenn in demſelben der Buͤr-
gerſtand hinlaͤnglich zahlreich in Vergleichung des
Landvolks iſt. Viele Schriftſteller haben dies Ver-
haͤltnis auszumachen geſucht. So viel zeigt die Er-
fahrung, daß wenn es gut in einem Lande ſtehen
ſoll, wenigſtens Ein Menſch, der nicht den Land-
bau treibt, gegen fuͤnf, die ihn treiben, muͤſſe gerech-
net werden koͤnnen. Doch koͤmmt es darauf nicht
allein an; es muß auch dafuͤr geſorgt werden, daß
die Gewerbe ſich nicht zu ſehr vermengen, der Land-
bau nicht von den Buͤrgern getrieben werde, und der
Landmann nicht zu viel in ſolchen Arbeiten tuhe,
welche zur Nahrung der Staͤdte gehoͤren. S. hie-
bei meine Reiſe-Bemerkungen uͤber Schwe-
den. Nur an der Arbeit der erſten Hand fuͤr die
Manufacturen muß dem Landvolk ein ſo groſſer An-
teil gegeben werden, als moͤglich.
§. 5.
Indeſſen haben die Laͤnder, wo Knechtſchaft und
Zwang den Landbau befoͤrdern, alle mehr Vorraht
an den nohtwendigſten Producten, als im Lande ver-
braucht werden kann. Diejenigen Laͤnder an der Oſt-
[187]C. 2. In Anſehung des Productenhandels.
See, in welchen die Knechtſchaft des Bauern noch
ganz in dem alten Wege fortdauert, ſind daher noch
immer die Korn-Kammer des uͤbrigen Europa. Dies
aber liegt nicht ſowol daran, daß in dieſen Laͤnder
der Ackerbau ſo vorzuͤglich getrieben wuͤrde, ſondern
daran, daß die Knechtſchaft uͤberhaupt die Menſchen-
Zahl klein erhaͤlt: und dies nicht nur in dem Bauern-
ſtande, ſondern auch der Buͤrgerſtand muß dort
ſchwach bleiben, weil er von jenem nichts verdienen
kann. Immittelſt wird durch dieſe Zwangsarbeit in
jeder nicht gar ſchlechten Erndte ein groͤſſerer Vorraht
von Lebensmitteln gewonnen, als fuͤr welchen das
Land ſelbſt hinlaͤnglich viele Verzehrer hat. Dazu
koͤmmt noch, daß in ſolchen Laͤndern nur die noht-
wendigſten Producten gezogen, diejenigen aber faſt
ganz verſaͤumt werden, welche das Material zu den
Manufacturen abgeben. Nur die Schaafszucht kann
man ausnehmen, welche in einigen dieſer Laͤnder
noch ſtark getrieben wird, weil ſie wenig Muͤhe er-
fodert. Aus aͤhnlichen Gruͤnden iſt in Daͤnemark
die Vieh- und Pferdezucht auch in denen Gegenden,
wo die Leibeigenſchaft bis in die lezten Jahre ge-
golten hat, ſehr ſtark. Hingegen wird in Laͤndern,
wo der Landbau ein freies Gewerbe iſt, derſelbe in
ſich hoͤher ſteigen, der ſtaͤrkſte Verbrauch der noht-
wendigſten Producten aber im Lande verbleiben, weil
die uͤbrigen Volks-Claſſen ſo zahlreich werden.
[188]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Indeſſen ſieht man doch manches Land, welches
ſelbſt unter dieſen Umſtaͤnden noch einen ſtarken Pro-
ductenhandel treibt, wenn es fruchtbar genug und gut
zur Ausfuhr gelegen iſt. Solche ſind in unſern Ge-
genden Oſt-Friesland und Oldenburg, welche ſeit ſo
vielen Jahren faſt alles das Geld durch ihren Pro-
ducten-Handel haben erwerben muͤſſen, welches ſie
ihren entfernten Landesherrn vormals beide, jezt
Oſtfriesland insbeſondre, zuſenden.
Hiezu koͤmmt, daß ein Volk, wenn es die Er-
werbung von Producten und den Handel damit zur
Hauptſache macht, nicht ohne ſehr wirkſamen Antrieb
ſeiner Regenten in Manufacturen betriebſam wird.
Der innere Geldsumlauf iſt daher in demſelben min-
der lebhaft, und die Bevoͤlkerung nimmt nicht ſo
ſtark zu, als in andern Laͤndern. Es gelangt daher
leichter zu einem Ueberſchuß ſeiner Produkten uͤber
ſeine eigenen Beduͤrfniſſe.
§. 6.
Das Producten-Gewerbe hat die erſte Nohtwen-
digkeit fuͤr jeden Staat zu deſſen innerem Wolſtande.
Wenn es aber zu einem auslaͤndiſchen Handel wird,
ſo hat es dieſen Vorzug vor den drei uͤbrigen Arten
der Handlung, daß es ſich nicht leicht wieder von ei-
nem Lande verliert. Dies beweist die Handlungs-
[189]C. 2. In Anſehung des Productenhandels.
Geſchichte, welche ſonſt ſo viele Beiſpiele von der
Abnahme der Manufacturen und der Zwiſchenhand-
lung zeigt, die ſich aus mancher Gegend ganz verlo-
ren haben, wo ſie ſonſt am ſtaͤrkſten bluͤheten.
Die alte Geſchichte nennt uns manches Land,
das mit ſeinen Produkten das Ausland verſorgte,
welches noch jezt in dem Beſiz eines aͤhnlichen Han-
dels iſt. Ein ſolches war z. B. Sicilien und iſt es
noch. Wenn in nenern Zeiten der Productenhandel
eines Landes ſich mindert, ſo liegt die Urſache in in-
nern Veraͤnderungen eines ſolchen Staats. Das Land
iſt z. B. mehr bevoͤlkert worden, und verzehrt den
Ueberſchuß ſeiner Producten ſelbſt. Dies iſt vielleicht
Eine derer Urſache, warum England ſeit dreiſſig Jah-
ren ſelten oder wenig Korn ausfuͤhrt, ſo daß deſſen
Ausfuhr zuweilen verboten und die Einfuhr erlaubt
hat werden muͤſſen. Die Ausfuhr der Producten,
welche Materialien der Manufacturen ſind, iſt in
manchem Staate verboten, ſeitdem derſelbe dieſe
Manufacturen ſich ſelbſt eigen gemacht hat. Eng-
land ſandte ſonſt ſeine Wolle in Menge aus. Man
weis aber, daß ſchon laͤngſt dieſe Ausfuhr fuͤr die ſtraf-
barſte Contrabande erklaͤrt iſt. So hat auch Schle-
ſien unter ſeinem neuen Herrn keine Wolle mehr
ausfuͤhren duͤrfen. Dieſer Beiſpiele ſind zu viele,
als daß ich ſie hier alle anfuͤhren koͤnnte.
[190]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
§. 7.
In dem jezigen Zuſtande Europens traͤgt der ſte-
hende Soldat ungemein viel zur Unterhaltung des
inlaͤndiſchen Handels mit den nohtwendigſten Pro-
ducten bei.
Der Landbau auf dem groͤßtenteils ſchlechten
Boden der Preuſſiſchen Staaten wuͤrde nicht haben
ſo hoch getrieben werden koͤnnen, wenn der Land-
mann nicht auf mehr als 200000 Abnehmer rechnen
koͤnnte, fuͤr welche der Koͤnig doch noch ſeine Ma-
gazine mit Polniſchem Korn, wenigſtens zum Teil,
fuͤllen muß. In andern Staaten belebt ihn die Nach-
barſchaft groſſer Staͤdte. Am vorteilhafteſten aber
iſt, wenn ein groſſer Teil des Volks bei ſeinen Be-
ſchaͤftigungen im buͤrgerlichen Gewerbe nicht nur
ſeinen Unterhalt, ſondern auch das Material ſeiner
Arbeit von dem Landmann nohtwendig ziehen muß,
oder, indem er ſeinen Boden zu dieſem Material an-
wendet, vom Kornbau abgehalten wird. Dieſer
geht daher in keinen Gegenden beſſer fort, als wo
ein Erzgebuͤrge oder eine mit Manufacturiſten ange-
fuͤllte Berggegend in der Naͤhe iſt. Jenes zeigt ſich
in denen flachen Laͤndern, die den Harz und das
Saͤchſiſche Erzgebirge umgeben, dieſes in dem fla-
chen Teile Schleſiens.
[191]C. 2. In Anſehung des Productenhandels.
§. 8.
Es iſt viel uͤber die Freiheit der Korn-Ausfuhr
geſtritten worden, weil man in jedem Staate uͤber
die Folgen eines unerwarteten Mangels beſorgt zu
ſein Urſache hat. In einigen Landen, z. E. in
Frankreich, war ſonſt ſogar die Korn-Ausfuhr von
einer Provinz in die andere verboten. In Deutſch-
land wird ſie von Zeit zu Zeit durch die Verbote ein-
zelner Fuͤrſten geſtoͤrt, und wird daher nie leicht zu
einem ſichern Handel werden. Ich behalte mir vor,
in den Zuſaͤzen mehr daruͤber zu ſagen. Wenn
man indeß der Erfahrung nachgeht, ſo haben Hol-
land und England in zwei verſchiedenen Wegen ge-
zeigt, daß die freie Korn-Ausfuhr ein ſicheres Mit-
tel ſei, den Mangel zu verhuͤten. Holland hat be-
kanntlich bei weitem zu wenig Lebensmittel aus ſei-
nem Boden zum Unterhalt ſeiner Einwohner, ſon-
dern muß ſie faſt alle durch den Handel herbei holen.
Nie iſt in Holland die Korn-Ausfuhr aus Furcht vor
Mangel verboten worden. Dennoch hat dies Land
in neuern Zeiten niemals Mangel erfahren, ſondern
genießt mehr als andre Staaten mittlere Kornpreiſe.
England iſt noch weiter gegangen, indem in dem J.
1689 ſogar eine Gratification auf die Korn-Ausfuhr
geſezt ward, ſo lange der Preis davon im Mittel
bleibt. Indeſſen hat ſeit etwan 30 Jahren dieſe
Gratification nicht gezahlt werden koͤnnen. Die
[192]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
wahrſcheinlichſte Urſache davon iſt, daß auſſer der zu-
nehmenden Bevoͤlkerung bei dem zunehmenden Reich-
tuhm der Nation, es ſei nun nuzbares Eigentuhm an
baarem Gelde oder an Papieren, der Preis des Korns
uͤberhaupt ſo geſtiegen iſt, daß er nicht wieder unter
jenen Mittelpreis herab ſinken will.
§. 9.
Die Mineralien ſind eben ſo wol ein Landespro-
duct, als alles, was uͤber der Erd-Flaͤche waͤchſt.
Der Bergbau iſt daher ein Geſchaͤfte, welches ſehr
wichtige Producte ausliefert. Er dient an ſich ſelbſt
ſchon dem Staate gewiſſermaſſen als eine Manufactur,
und ernaͤhrt da, wo er ſtark betrieben wird, viele
Menſchen, wiewol den geringen Arbeiter allenthal-
ben nohtduͤrftig. Als ſein wichtigſter Nuzen wird
freilich angeſehen, daß er den Menſchen die edlen
Metalle verſchaft, die ſie als Zeichen des Wehrts ge-
brauchen. Allein weit wichtiger iſt der, daß er die
Materialien zu ſo vielen Manufacturen und zu den
nohtwendigen Werkzeugen derſelben liefert.
§. 10.
Indeſſen geht der Wunſch aller Voͤlker, die den
Bergbau treiben koͤnnen, auf die Gewinnung von
Gold und Silber. Es iſt wahr, daß ein ſonſt von
Manufacturen und Producten entbloͤßtes Volk,
[193]C. 2. In Anſehung des Productenhandels.
einen Erſaz dieſes Mangels dadurch gewinnt. Allein,
nichts iſt ſchaͤdlicher, als wenn ein Volk ſich damit
allein ſchon gluͤklich genug duͤnkt, daß es mit dieſen
Metallen ſeine Beduͤrfniſſe einhandeln kann und die
Arbeit unterlaͤßt, durch welche es dieſe ſich erwerben
ſollte. Dies iſt das groſſe Ungluͤk Spaniens ge-
worden, welches, als es zuerſt die Antillen entdekt
hatte, und nun kein Gold mehr auf Hiſpaniola fand,
in den rechten Weg Plantagen dort anzulegen hin-
eingerieht; als es aber Mexico und nachher Peru
erobert hatte, und dieſe ſo reich an edlen Metallen
fand, ſah es blos auf dieſe. Die in den Antillen
angeſezten Coloniſten verlieſſen dieſelben, um dort
hinuͤber zu gehen, und die Koͤnige ſelbſt vergaſſen
nun alle Sorgen fuͤr den innern Wolſtand des Lan-
des, als ſie ſich ſo reich an edlen Metallen ſahen.
Lange verfuhren ſie hier, wie ſie ſchon auf Hiſpaniola
getahn hatten, gleich dem Beſizer der Henne in der
Fabel, die ihm taͤglich ein goldnes Ei legte. Sie
vertilgten die Einwohner des Landes, und machten
die Gewinnung der dieſen Laͤndern eigentuͤhmlichen
Producten auf lange Zeit hinaus ſo gut wie un-
moͤglich, da zu gleicher Zeit die Auswanderung aus
dem Mutterlande nach jenen Gegenden hin den
Erwerb der einheimiſchen Producten fortdauernd
minderte.
2ter Teil. N
[194]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Drittes Capitel.
Von der Handlungspolitik in Anſehung
des Coloniehandels.
§. 1.
Colonien, zu Deutſch Pflanzoͤrter, ſind in
allgemeiner Bedeutung Laͤnder, die ein Volk mit
einem Teile ſeiner Mitbuͤrger abſichtlich beſezt. Ab-
ſichtlich, ſage ich, und mit einem Teile ſeiner Mit-
buͤrger, weil ſonſt alle Laͤnder, welche in den Zeiten
der Voͤlkerwanderung neue Einwohner bekamen, als
Colonien ihrer Eroberer angeſehen werden muͤßten.
Dieſe Abſichten waren bei den Alten hauptſaͤch-
lich folgende: 1) ein Volk ward zu zahlreich fuͤr ſei-
nen Boden, und entledigte ſich des Ueberfluſſes ſei-
ner Menſchenzahl durch Verſezung deſſelben in ein
anderes, entweder nicht bewohntes, oder, wenn es
bewohnt war, leicht zu uͤberwaͤltigendes Land. Durch
ſolche Verſezungen ſind freilich in den aͤlteſten Zeiten
vom Orient her die meiſten weſtlichen Voͤlkerſchaf-
ten entſtanden, und waren in dieſem Verſtande Co-
lonien oͤſtlicher Voͤlker. Aber auch in ſpaͤtern Zeiten
beſezten inſonderheit die Griechen oſt- und weſtwaͤrts
[195]C. 3. In Anſehung des Colonie-Handels.
manches betraͤchtliche Land. 2) Politiſche Veraͤnde-
rungen im Staat noͤtigten entweder einen Teil des
Volks ſich zu verſezen; oder man noͤtigte einen ge-
haͤſſig oder veraͤchtlich gewordenen Teil der Buͤrger
von ſich. So gibt die freilich ungewiſſe Geſchichte
die Entſtehung von Carthago an. So zogen von La-
cedaͤmon die ſogenannten Parthenier oder Jungfern-
Kinder weg nach Ober-Italien welche waͤhrend der
langen menſchenfreſſenden Belagerung von Meſſene
ohne eheliche Verbindung gezeugt waren. Bei der
Ausſendung ſolcher Colonien hatte kein Gedanke an
eine fortdauernde Unterwuͤrfigkeit unter den von ih-
nen verlaſſenen Staat Statt. Man war zufrieden,
wenn man auf ſie, als getreue Verbuͤndete rechnen
konnte, wiewol dieſes Band nicht zwiſchen allen lange
Zeit ſich feſt erhielt. 3) Sicherung der gemachten
Eroberungen und der erweiterten Grenzen war die
Hauptabſicht bei denen Colonien, welche das freie
Rom fruͤh aus ſeinen Ringmauern verſandte. So
wie ein Volk unterjocht war, ward eine der Haupt-
ſtadt entbehrliche Zahl von deren Einwohnern in
deſſen Staͤdte verſezt, oder baute dort neue befeſtigte
Staͤdte an. Dieſe blieben Buͤrger Roms, wie ſie es
geweſen waren, und nicht blos Bundsgenoſſen.
Spaͤterhin gaben eben dieſe Colonien auch einen Teil
ihrer Buͤrger ab, um entferntere Colonien eben die-
ſer Art und in gleicher Abſicht zu errichten.
N 2
[196]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Die Handlung gab den alten Voͤlkern keinen An-
las zu ſolchen Colonien, welche nur auf deren Vor-
teile abzwekten. Verſandten gleich die groſſen Han-
delsſtaͤdte jener Zeit einzelne ihrer Mitbuͤrger in ent-
fernte Seeplaͤzze zur beſſern Betreibung ihrer Hand-
lung, ſo war doch nicht die Abſicht dabei, neue Voͤl-
kerſchaften entſtehen zu machen, oder, wie bei den
Roͤmern, eine Ausbreitung des Stammvolks. Es
waren nur Handlungs-Etabliſſementer oder Facto-
reien, aber keine eigentliche Handlungs-Colonien,
wie ſich bald naͤher zeigen wird. Freilich gingen die
Carthaginienſer weiter, als ſie Spanien und Sici-
lien groͤßtenteils erobert hatten. Aber dann aͤhnlich-
ten ſich ihre Colonien mehr den Roͤmiſchen, in dem
ſie ebenfalls die Sicherung der Eroberungen zum
Hauptzwek hatten. Als in den mittlern Zeiten die
groſſen Italiaͤniſchen Handlungsplaͤze ihr Gewerbe
in entfernte Gegenden ausdehnten, uͤberwaͤltigten
und beſezten ſie manche Inſeln im Mittellaͤndiſchen
Meere und manche Haͤfen, teils um ſich die Wege
ihrer Handlung zu ſichern, teils um dort Gewerbe
einer gewiſſen Art entſtehen zu machen. So baute
z. B. Genua die Stadt Caffa in der Crimm an, in
welcher die aus Perſien uͤber das ſchwarze Meer ge-
zogene Seide ein Gegenſtand vollendender Manu-
facturarbeit, inſonderheit des Sammts, ward.
[197]C. 3. In Anſehung des Colonie-Handels.
§. 2.
Als vor drei Jahrhunderten Spanien und Por-
tugal entfernte Laͤnder, die ſo groſſe Vorteile aller
Art verſprachen, in Beſiz nahmen, noͤtigte ſie die
Hinausſicht auf dieſe Vorteile zur Beſezung derſelben
mit einem Teile ihres Volks, bei welcher jedoch noch
kein feſter Plan Statt hatte. Man lernte in dieſen
Laͤndern Producte kennen, welche das Mutterland
nicht hatte, und ſahe bald ein, daß ſie der Gegen-
ſtand eines Handels werden koͤnnten, der in dem
Maaſſe zunehmen wuͤrde, wie ſich der Verbrauch
dieſer Produkte den Europaͤern angenehmer machte.
Portugal konnte nichts anders zur Abſicht nehmen,
als es die Braſiliſche Kuͤſte beſezt hatte und keine
edle Metalle fand. Die Spanier tahten ein gleiches,
inſonderheit nachdem ſie Hiſpaniola von dem Golde
erſchoͤpft hatten, welches ſie den ungluͤklichen Bewoh-
nern dieſer Inſel raubten. Als aber nach Eroberung
von Mexico und Peru deren Gebirge ſich ſo reich an
edeln Metallen zeigten, gaben ſie jenen Zwek auf,
und ſahen auf dieſen, als auf den vornehmſten von
ihren Eroberungen zu hoffenden Gewinn. Aehnliche
Hofnungen veranlaßten andere ſeefahrende Voͤlker
Europens, die von den Spaniern nicht beſezten zu
America gehoͤrigen Laͤnder und Inſeln ſich eigen zu
machen. Als aber dieſe Hofnung ſie betrog, [da]
[198]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
allererſt kamen ſie zu dem natuͤrlich ſich darbietenden
Zwek zuruͤk, nemlich durch Anpflanzung ſolcher Pro-
ducten, welche das Mutterland nicht hatte, neue
Gegenſtaͤnde ihres Handels ſich zu erwerben. Sie
beſezten dieſe Inſeln mit einem Teil ihres Volks, in
der Hinausſicht, daß derſelbe immer ein Teil deſſel-
ben bleiben ſolle, und ſo entſtanden eigentliche
Handlungs-Colonien.
Zwar ward auch von eben dieſen Voͤlkern man-
ches Land unter aͤhnlichen Veranlaſſungen beſezt,
als welche im Altertuhm Statt gehabt hatten. Eng-
land verſandte im vorigen Jahrhundert bald dieſen,
bald jenen Teil ſeines Volks nach Nordamerica, ſo
wie derſelbe der herrſchenden Religionspartei verhaßt
wurde. Dieſe ſtieß ohne feſte Ruͤkſicht auf Hand-
lungsvorteile, die daraus entſtehen koͤnnten, mit
eben der Zufriedenheit jene nicht mit ihr gleich den-
kenden Menſchen von ſich aus, mit welcher nach der
Zeit der Staat ſeine noch nicht haͤngenswehrte Ver-
brecher dahin ſchikte und ſie noch nach Botanybay
verſezt.
§. 3.
Solche eigentliche Handlungs-Colonien haben
dann nur unter folgenden Vorausſezungen Statt:
[199]C. 3. In Anſehung des Colonie-Handels.
1) Daß ſie auf einem Boden angelegt werden,
deſſen Beſchaffenheit ihn zur Hervorbringung ſolcher
Producte tuͤchtig macht, welche das Mutterland ent-
weder nicht hat, oder nicht in gehoͤriger Menge her-
vorbringen kann. Dies findet ſich inſonderheit bei
den Colonien des heiſſen Erdſtriches, deren Gewaͤchſe
durchaus von denen Voͤlkern, die ſie anlegten, nicht
auf ihrem Boden gezogen werden koͤnnen. Waͤren
in jenen Gegenden maͤchtige ſeefahrende Voͤlker fruͤ-
her, als in Europa, entſtanden, ſo moͤgten dieſe Ur-
ſache gefunden haben, in unſern Gegenden Colonien
anzulegen, um unſer Eiſen, unſern Flachs, Hanf,
gewiſſe Arten Holz u. d. gl. ſich eigen zu machen.
Da dieſer wichtige Umſtand bei Entſtehung der Nord-
Americaniſchen Colonien nicht zwiſchen dieſen und
England Statt hatte, ſo glaubte man es dadurch er-
ſezen zu koͤnnen, daß man den Anbau des Tobaks
in England verbot, einer Pflanze, die man zwar
dort zuerſt kennen lernte, aber bald einſah, daß ſie
auch auf Europaͤiſchem Boden gedeihen koͤnnte. Spaͤ-
terhin ward der Anbau und die Ausfuhr ſolcher gro-
ben Producte auf England in allen Wegen befoͤrdert,
fuͤr welche das Mutterland bei ſeinem ſtarken Akker-
bau nicht Raum hat, und die es ohnehin aus dem
nordlichen Europa zu ſich holt. Allein, es hat ſich
gewieſen, daß auch dieſes nicht hinreichte, das Band
zu erhalten.
[200]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
§. 4.
2) Daß die Einwohner der Colonien eine Menge
Beduͤrfniſſe haben, und in deren vermeinter oder
wahrer Nohtwendigkeit erhalten werden, welcher nur
durch Zufuhr aus dem Mutterlande ein Genuͤge geſche-
hen kann. Dies entſteht natuͤrlich in den Colonien der
waͤrmern Gegenden, deren Producte hoͤher im Preiſe
ſtehen, als die Lebensmittel der erſten Nohtwendig-
keit, und deren Cultur durch den hohen Preis der Ne-
ger zu teuer wird, als daß ſie ſich ihre Lebensmittel
aus ihrem Boden ſelbſt ganz verſchaffen und inſon-
derheit die Viehzucht gehoͤrig treiben koͤnnten. Die
kleinern Antillen nicht nur, die zu viel Menſchen fuͤr
ihren Boden haben, ſondern auch die Franzoͤſiſchen
Plantagen in St. Domingo, die Britiſchen in Ja-
maica, und die Hollaͤndiſchen auf feſtem Lande, ſo
viel Raum ſie auch haben, bleiben daher noch immer
in dieſem Wege, daß ſie ihre Lebensmittel, wie auch
Pferde, Holz u. d. gl., zu deren Producirung viel
Raum erfodert wird, groͤßtenteils aus Europa und
aus Nordamerika ziehen. Es koͤmmt hiebei aber
auch ſehr darauf an, daß die Coloniſten in der Ge-
wohnheit der Europaͤiſchen Lebensart bleiben, und
das zu ihren Beduͤrfniſſen zu rechnen fortfahren,
was man in Europa dafuͤr haͤlt. Daraus entſteht der
Umſaz Europaͤiſcher Manufactur-Waaren und erhaͤlt
ſich um ſo viel ſicherer, je weniger die Colonien Haͤnde
[201]C. 3. In Anſehung des Colonie-Handels.
fuͤr die Manufacturen uͤbrig haben. Schon lange
vor dem Ausbruch der lezten Empoͤrung legten es die
Nordamericaner darauf an, die Engliſchen Manu-
facturen bei ſich zu bearbeiten. Aber ſo zahlreich die
Einwohner ſchon waren, ſo mußten ſie es doch dabei
bewenden laſſen, weil ſie die Haͤnde nicht von ihrem
zu gleicher Zeit ſich immer mehr erweiternden Land-
bau abziehen konnten. Dabei iſt es auch nach ge-
ſchloſſenem Frieden verblieben, und Nordamerika
bleibt in Anſehung der Manufacturen noch immer in
der alten Abhaͤngigkeit von ſeinem ehemaligen Mut-
terlande. Es hatte alſo dieſes zweite Erfodernis
einer wahren Colonie. Aber weil jenes erſte fehlte,
ſo konnte dennoch die zur Abſicht genommene politi-
ſche Abhaͤngigkeit von dem Mutterlande nicht in die
Laͤnge beſtehen.
§. 5.
3) Zu einer wahren Handlungs-Colonie gehoͤrt
auch, daß ſie mit Einwohnern aus dem Mutterlande
beſezt werde, welche auf dem in der Colonie ihnen
zugeteilten Eigentuhm die Producte anpflanzen.
Man irrt ſich daher, wenn man die Gegenden in
Africa und in Oſtindien, in welchen ſich die Euro-
paͤer feſtgeſezt und mehr oder weniger zu Herren ge-
macht haben, insgeſamt Colonien benennt. Sie
ſind bloſſe Handlungs-Etabliſſementer oder Facto-
[202]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
reien, ſelbſt da, wo die Europaͤer ganz Herren ſind,
und die Producte des Landes ſich von den Einwoh-
nern umſonſt als eine Abgabe, oder fuͤr einen niedri-
gen von ihnen ſelbſt geſezten Preis reichen laſſen.
Dies iſt der Fall mit den in Oſtindien von den Euro-
paͤern uͤberwaͤltigten Landſtrichen. In der Taht
koͤmmt der Handel auf dieſe Gegenden niemals in
den eigentlichen Gang des Colonie-Handels.
§. 6.
Die Beſizungen der Spanier auf dem feſten Lande
in America ſind zwar fuͤr Handlungs-Colonien zu
achten. Allein der Reichtuhm der edlen Metalle hat,
wie oben geſagt, zur Folge gehabt, daß ſie den erſten
Zwek derſelben, die Hervorbringung der ihrem Bo-
den eigentuͤhmlichen Producte, und den Handel mit
denſelben ſehr verabſaͤumen, und nur einige koſtba-
rere Arten derſelben zum Gegenſtande ihrer Cultur
machen. Deſto mehr aber erfuͤllen ſie den andern
Zwek der Handlungs-Colonien in dem Verbrauch
eines ungeheuren Vorrahts Europaͤiſcher Manufactur-
Waaren. Braſilien fing an in eine aͤhnliche Lage zu
gerahten, inſonderheit ſeitdem es in ſeinen Gebirgen
ſich ſo Goldreich gezeigt hat. Doch iſt es in neuern
Zeiten wieder eifriger im Anpflanzen geworden.
Unter den Spaniſchen Colonien iſt jedoch die Cara-
[203]C. 3. In Anſehung des Colonie-Handels.
quiſche Kuͤſte als eine Handlungs-Colonie anzuſehen,
die alle Zwecke derſelben erfuͤllt.
Es iſt anmerklich, daß die meiſten derjenigen
Colonien, welche ſich blos aufs Plantagiren legen,
das Uebergewicht in der Handlungs-Balanz mit Eu-
ropa haben, und vieles von den edlen Metallen nach
America wieder zuruͤk ziehen, welche jene Colonien
heruͤber ſenden. Frankreich und England haben an
St. Domingo und an Jamaica jaͤhrlich eine ſtarke
Balanz zu bezahlen, die dadurch wieder zuruͤk koͤmmt,
weil teils die Plantagen viele Eigentuͤhmer im Mut-
terlande haben, andern Teils ſo mancher dort reich
gewordene Bediente mit ſeinem Gelde wieder nach
Hauſe eilt.
§. 7.
Alle Staaten, welche dieſe Handlungs-Colonien
beſizen haben es zur Regel gemacht, daß die Hand-
lung dorthin und zuruͤck nur zwiſchen dem Mutter-
Lande und ihnen beſtehen ſoll. Daneben erhal-
ten ſie es auch dabei, daß die Schiffahrt nur mit
Schiffen des Mutterlandes betrieben werden darf.
Keine Regel der Handlungs-Politik hat einen ſo
guten Grund, als dieſe. Es iſt weder zu erwarten
noch zu verlangen, daß ein Staat, der wahre Hand-
[204]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
lungs-Colonien beſizt, dieſe Regel andern zu gefallen
aufgeben ſollte. Denn dies waͤre eben ſo viel, als
den Zwek, in welchem dieſe Colonien angelegt ſind,
aufgeben, und allen ihren Nuzen Fremden zuwen-
den wollen.
§. 8.
So ſehr dies ſolchen handelnden Staaten, die
ſelbſt keine Colonien beſizen, misfaͤllt, ſo haben wir
doch nun ſchon zwei Erfahrungen, daß eine einſtwei-
lige Freigebung dieſes Handels der Handlung von
Europa ſelbſt nicht zutraͤglich iſt. Die erſte entſtand
im Spaniſchen Succeſſions-Kriege, als die Franzoͤ-
ſiſchen Kaufleute uneingeſchraͤnkte Freiheit erlangten,
das Spaniſche America ſelbſt zu befahren. Eine
zweite weit wichtigere und allgemeinere hat der lezte
kurze Seekrieg gegeben. S. davon mehr in meinen
kleinen Schriften uͤber die Handlung und
in der Handlungs-Bibliothek 2tem Bande.
In der That wuͤrden jene Colonien, deren einige,
wie ſchon geſagt, die Balanz der Handlung ohne-
hin fuͤr ſich haben, Europa von ſeinem Gelde nach
und nach entbloͤſſen, wenn die Sache nicht ausdruͤk-
lich dabei erhalten wuͤrde, daß die Europaͤiſchen Waa-
ren ihnen ſo ſparſam zugefuͤhrt werden, daß der
Preis derſelben ſich noch betraͤchtlich hoch uͤber deren
[205]C. 3. In Anſehung des Colonie-Handels.
natuͤrlichem Wehrt erhalten muß. Daß es bei einer
freien Handlung nicht dabei beſtehen koͤnne, haben
wir nunmehr erfahren; doch verderben ſich auch die
Kaufleute des Muterlandes nicht ſelten den Markt
durch zu ſtarke Verſendung. Aber dies kann nie zu
weit gehen, weil man in den Haͤfen Eines Reiches
doch bald Wiſſenſchaft bekoͤmmt, was die Kaufleute
der Nation uͤberhaupt tuhn.
§. 9.
An den Coloniehandel knuͤpft ſich der Negerhan-
del. Die Urſachen, welche die Colonien in das Be-
duͤrfnis der Neger ſezen, ſind zu bekannt, als daß
ich annehmen koͤnnte, meine Leſer werden ſie allererſt
aus meinem Buche zu lernen beduͤrfen. Es ſei ge-
nug zu ſagen, daß in dem bisherigen Gange des Co-
loniegewerbes die Leichtigkeit des Ankaufs der Ne-
ger die Vorausſezung iſt, unter welcher allein jene
Colonien aufbluͤhen und ſich in ihrem Beſtande er-
halten koͤnnen. Es haben daher die handelnden Na-
tionen, welche Colonien von Belang beſizen, ſich fruͤhe
Beſizungen an den Kuͤſten des mittlern Africa erwor-
ben, die man keinesweges ſelbſt Colonien nennen
darf, aus Gruͤnden, die ich §. 3—5 angegeben habe.
In dem vorigen Jahrhundert war noch der Han-
del mit einzelnen Producten dieſer Gegend, inſon-
[206]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
derheit dem Goldſtaube, ein Anlaß zu Erwerbungen
auf jenen Kuͤſten. Selbſt der groſſe Churfuͤrſt glaubte
Vorteil dabei fuͤr ſeine Brandenburgiſchen Untertah-
nen zu finden, als er ihnen dort ein Handlungs-
Etabliſſement erwarb. Jezt aber werden ſolche nur
in Abſicht auf den Sclavenhandel nuzbar. Die Spa-
nier, welche neben den Portugieſen zuerſt ſich dort
haͤtten feſtſezen koͤnnen, haben es verſaͤumt, weil ſie
nicht ans Anpflanzen gedachten. Dafuͤr aber iſt
Spanien, in Anſehung der ſeinem America mehr und
mehr nohtwendig werdenden Arbeiter, in einer un-
angenehmen Abhaͤngigkeit von andern Nationen. In
dem Utrechter Frieden war es dies vollends gewor-
den, als es ſich zu dem ſogenannten Aſſiento-Tractat
mit England auf dreiſſig Jahr bequemen mußte,
welches in der zu weit getriebenen Hofnung der Vor-
teile davon ſeine Suͤdſee-Companie errichtete. Spa-
niens deutlich werdende Abſicht, ſich von dieſem
Tractat bei Ablauf deſſelben los zu machen, ward
eine Urſache des im Jahr 1738 entſtandenen Krieges.
Jezt iſt es beſſer daran, da es ſich die Neger von
jeder Nation zufuͤhren laͤßt, welche ihm dieſelben zu
verkaufen im Stande iſt, fuͤr welche aber der Ge-
winn der dieſen Handel begleitenden Contrabande in
andern Waaren den groͤſſern Reiz hat. Doch beruht
der Spaniſchen Americaner Beduͤrfnis nicht ſowol
auf der Erweiterung ihrer Plantagen als der Zunah-
[207]C. 4. In Anſehung des Colonie-Handels.
me ihrer Bergwerke, welche bei ihrer bisher ſo
mangelhaften Einrichtung ungemein viele Menſchen
koſten.
§. 10.
Bei den uͤbrigen Voͤlkern haben lange boͤſe Mis-
griffe in Anſehung des Negerhandels Statt gehabt.
Ich habe bereits B. 3. C. 5. §. 7. 8 geſagt, daß
die Colonien den groſſen Handlungs-Companien
durchaus nicht unterwuͤrfig ſein muͤſſen, und ich mag,
ſo ſehr es in dieſes Capitel gehoͤrt, nicht wiederho-
len, was ich in meiner Abhandl. uͤber die oͤffent-
lichen Handlungs-Companien in unſerer
Handlungs-Bibliothek §. 25. geſagt habe.
So beſtand es aber bis in dieſes Jahrhundert noch
bei vielen Nationen, die dann auch dieſen Compa-
nien das Monopol im Negerhandel gaben. Dieſe
folgten der Regel, mit wenigem Umſaz den moͤglich
groͤßten Gewinn zu machen, und fuͤhrten den Co-
lonien weit weniger Neger zu, als deren Beduͤrfnis
es erfoderte, blos um ſie deſto teurer zn verkaufen.
Der Franzoͤſiſche Hof ſah dies erſt ſpaͤt, nemlich in
dem Jahre 1735, ein. Bis dahin hatte die Fran-
zoͤſiſche Companie ihren Antillen nur 1000 Neger
jaͤhrlich zugefuͤhrt, und ſie dadurch in ihrem Betriebe
durchaus nieder gehalten. Schon in den erſten Jah-
ren, nachdem der Companie dies Monopol genommen,
[208]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
und der Negerhandel frei gegeben war, wurden ih-
nen 7500 zugefuͤhrt. Nun iſt dieſer Handel uͤberall ein
Geſchaͤfte der Privat-Induſtrie geworden. Aber bei
der groſſen in demſelben entſtandenen Concurrenz ſucht
der Privatmann ſeine Vorteile, wie gewoͤhnlich, in
einer weiter getriebenen Sparſamkeit, als dies von
den Companien geſchehen ſein mag. Daraus ent-
ſteht die die Menſchheit empoͤrende Behandlung der
Neger, inſonderheit auf ihrer Ueberfuͤhrung von
Afrika nach Amerika, auf welcher man mehrere Hun-
derte derſelben in maͤſſige Schiffe ladet, in welchen
man nicht halb ſo viel freie Menſchen uͤberzufuͤhren
ſich getrauen wuͤrde. Dieſe nebſt den uͤbrigen Lei-
den, welche man dieſe Menſchen in den Colonien
ſelbſt ausſtehen macht, veranlaſſen den jezt ſich ſo leb-
haft aͤuſſernden Hang mancher Menſchenfreunde,
vorzuͤglich in England, dem Sclavenhandel ein Ende
und durch eine natuͤrliche Folge in der jezt in den
Colonien beſtehenden Wirtſchaft eine Hauptveraͤnde-
rung zu machen.
§. 11.
Es wuͤrde mich zu weit fuͤhren, die Gruͤnde fuͤr
und wider dieſe Angelegenheit hier abzuhandeln,
da ſo vieles daruͤber bereits geſchrieben iſt. Ich ſeze
bei Seite, wie ſehr ſie die Menſchheit intereſſire,
und will nur mein Glaubensbekenntnis daruͤber in
[209]C. 4. In Anſehung des Colonie-Handels.
politiſcher Hinausſicht ablegen. Ich nehme mit groſſer
Ueberzeugung an, daß die kuͤnftige Generation den
Sclavenhandel nicht mehr kennen, und daß inſonder-
heit das Ungluͤk, das St. Domingo jezt zu Grunde
richten zu wollen ſcheint, die Europaͤer weiſer in die-
ſem Stuͤcke machen werde. Weiſer, ſage ich. Denn
es iſt gewiß ein groſſer Vorteil der Colonien insge-
ſamt, wenn ſie den groſſen Aufwand ſparen koͤnnen,
welchen ihnen jezt die jaͤhrliche Anſchaffung der unter
ihrer harten Behandlung ſich nicht hinlaͤnglich durch
eigene Bevoͤlkerung erſezenden Neger nohtwendig
macht. Wie aber ſparen? wird man fragen. Ich
wage zu behaupten, daß, wenn dieſe Menſchen einen
Teil der Freiheit und des Eigentuhms genieſſen, nach
welchem ſie ſeufzen, ein Americaniſcher Pflanzer noch
weniger noͤtig haben werde, die Zahl ſeiner Neger
durch Ankauf zu erſezen, als ein Holſteiniſcher Edel-
mann noͤtig hat, Leibeigene anzukaufen, wenn er
mit ihnen einigermaſſen billig umgeht. Vor etwa
vierzig Jahren hatte ein gewiſſes Gut im Holſteini-
ſchen einen Herren, aus deſſen harter Begegnung
eine Verbindung unter ſeinen Leibeignen erfolgte,
ſich nicht zu verehelichen. Weil er nun gewiß war,
nach einigen Jahren keine Sclaven mehr zu haben,
und in unſern Gegenden deren keine wieder ankaufen
konnte, ſo mußte er ſein Gut verkaufen. Na-
tuͤrlich uͤbte der Kaͤufer, der in ſeine Stelle trat,
2ter Teil. O
[210]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
eine mildere Behandlung; und nun heirahteten ſeine
weiſſen Sclaven, und das Gut behielt ſeine zulaͤng-
liche Bevoͤlkerung. Der Sclave ſei weiß oder ſchwarz,
er trage Haare oder Wolle auf dem Kopfe, ſo woh-
nen in dieſen Koͤpfen aͤhnlich denkende Seelen. Und
warum ſollten nicht unter jenem Himmelsſtriche Plan-
tagen ſo gut, als bei uns Landguͤter, durch Men-
ſchen, denen man etwas mehr von den Rechten der
Menſchheit goͤnnt, ſo angebaut werden koͤnnen, daß
ſie den bisherigen Ueberfluß von verkaͤuflichen Pro-
ducten fortdauernd ausliefern? Sind doch in Europa
eben die Laͤnder, wo der Zwang den Landbau in Gang
ſezt, die Kornkaͤmmer des uͤbrigen Europa. (C. 2.
§. 5.) Und doch gehoͤren nur wenig Beguͤnſti-
gungen dazu, zu welchen ſich der Pflanzer entſchlieſ-
ſen darf, um den Zuſtand eines Negers leidlich und
wenigſtens dem eines Leibeigenen in Holſtein, Liefland
und in Curland gleich zu machen. Auch moͤgte dann
der hochgetriebene Aufwand vieler Pflanzer eben in
dieſer Menſchen-Waare ſich mindern, da mancher
Pflanzer ein halbes Hundert Sclaven blos in ſeiner
haͤuslichen Wirtſchaft hat.
Aber Zeit will dieſe Sache haben. Gutdenkende
und uͤberlegende Gutsherrn in unſern Gegenden ha-
ben den fruͤh gefaßten Entſchluß, ihren Leibeigenen
Freiheit und Eigentuhm zu geben, nicht eher ausge-
[211]C. 4. In Anſehung des Colonie-Handels.
fuͤhrt, als nachdem ſie dieſelben durch eine gewiſſe
Erziehung zu eigentlichen Menſchen gemacht hatten.
Einer derſelben (doch, warum ſollte ich den wuͤrdi-
gen Grafen Reventlow auf Trolleburg nicht hier
nennen?) rechnete auf viele Jahre hinaus, fand
aber nach etwa zehn Jahren, daß er es ſchon wagen
koͤnne, und hat es mit gutem Erfolge gewagt. Zu
einer ſolchen vorgaͤngigen Ausbildung eines Negers
werden zwar mehr Jahre gehoͤren, und zum Ungluͤk
werden dort nicht viele Reventlowe ſein, die ſich dieſer
Ausbildung annaͤhmen. Aber die Zeit Einer Gene-
ration wird doch beinahe hinlaͤnglich ſein, zumal
wenn man dieſen Menſchen die Ausſicht giebt, daß
mit ihrer Ausbildung die Zeit ihrer Freiheit ſich be-
ſchleunigen werde.
Es wird inſonderheit darauf ankommen, wie es
denen Englaͤndern gelingt, die jezt das Beiſpiel einer
Anpflanzung bei Sierra Leona durch freie eingebohrne
Neger geben wollen. Gelingt es nicht, ſo wird ſich
daraus noch kein Schluß gegen die Moͤglichkeit der
Ausfuͤhrung auf den Antillen ziehen laſſen, weil die
Umſtaͤnde ſich nicht gleich ſind. Gelingt es aber,
dieſe Menſchen da, wo ſie zu Hauſe gehoͤren, zu
der Arbeit dieſer Anpflanzung mehr zu leiten, als
zu zwingen, und ihren Fleis ſich eintraͤglich zu ma-
O 2
[212]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
chen, ſo bedarf es keiner andern Beweiſe von der
Ausfuͤhrbarkeit der Sache. Dann wird der unfehl-
bare Vorteil in wolfeilerer Gewinnung der Colonie-
Producte auch diejenigen Nationen zu folgen noͤtigen,
welche jezt noch am wenigſten dazu geneigt ſind.
Wie freue ich mich hinzuſezen zu koͤnnen, daß eben
in dieſen Tagen Daͤnemark das Ende des Sclaven-
Handels in ſeinen Colonien auf das J. 1804 feſtge-
ſezt hat!
Viertes Capitel.
Von der Handlungs-Politik in Anſehung
des Manufactur-Handels.
§. 1.
Manufacturen ſind das vornehmſte Mittel, durch
welches die Menſchen Beſchaͤftigung und Auskom-
men einander geben, folglich die erſte Triebfeder der
Circulation. Der vorzuͤgliche Nuzen davon zeigt
ſich in dem Lande ſelbſt, das Manufacturen treibt,
und der Vorteil, der daraus in der innern Circula-
tion entſteht, iſt immer als der wichtigſte anzuſehen.
[213]C. 4. In Anſehung des Manuf. Handels.
Man nehme z. B. die Preuſſiſchen Staaten, de-
ren Manufacturen noch immer groͤßtenteils fuͤr den
inlaͤndiſchen Vertrieb arbeiten, und, die Schleſiſchen
ausgenommen, nicht haͤufig in die Fremde gehen.
Indeſſen liegt in ihnen vorzuͤglich der Grund der zu-
nehmenden Bevoͤlkerung dieſer Staaten. Man ſ.
Friedrichs Geſchichte ſeiner Zeit im 2ten Cap. des
2ten Bandes.
§. 2.
Allein ſo mancher Staat genießt das Gluͤk, ſeine
Manufacturen auswaͤrts zu vertreiben, und dieſe
kennt man als die Geld- und Volkreichſten in Eu-
ropa. Dies iſt ſehr natuͤrlich, Denn jener Vorteil
in der inlaͤndiſchen Circulation geht nohtwendig voran.
Dazu koͤmmt aber der Geldgewinn fuͤr wenigſtens
alle an dieſe Manufacturen gewandte Arbeit, wel-
cher ganz von dem Auslaͤnder bezahlt wird, wenn
nicht ohnehin das Material derſelben ein Product
des Landes iſt. Man kann alſo mit Wahrheit ſagen,
daß in ſolchen Staaten Tauſende von Untertahnen
auf Unkoſten anderer Staaten leben.
§. 3.
Dieſer unlaͤugbar groſſe Vorteil verleitet manche
Fuͤrſten und Staatsmaͤnner, daß ſie die Manufactu-
ren nicht anders achten, als in ſo fern ſie fuͤr den
auslaͤndiſchen Handel wichtig zu werden ſcheinen,
[214]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
und diejenigen uͤberſeheu, welche in dem Lande ſelbſt
ſchon vorhanden ſind, oder noch entſtehen, deren
Vertrieb aber noch nicht uͤber die Grenze geht. Es
iſt wahr, daß einem Staate von kleiner Ausdehnung,
welcher die auslaͤndiſchen Manufacturen nie von ſich
abhalten kann, und doch fortdauernd von dem Aus-
laͤnder verdienen muß, wenn er beſtehen will, der
auswaͤrtige Manufactur-Handel vorzuͤglich wichtig
werde. Wenn z. E. in Hamburg auch niemand ein
Stuͤck an ſeinem Leibe truͤge, was nicht in Hamburg
gemacht waͤre, ſo wuͤrden wir doch noch ſchlecht be-
ſtehen, wenn uns nicht der Gewinn von den hieſigen
Cattun- und Zukker-Fabriken, neben der uͤbrigen
Handlung, zu unſern uͤbrigen Beduͤrfniſſen Geld von
Auslaͤndern herbeiſchafte. Aber in einem Lande von
groͤſſerer Ausdehnung bleibt die inlaͤndiſche Circula-
tion immer das wichtigſte, und Manufacturen ſind
die wirkſamſte Triebfeder zu deren Befoͤrderung.
§. 4.
Hiezu koͤmmt, daß der auslaͤndiſche Manufactur-
Handel Abwechſelungen unterworfen iſt, in denen
man nichts erzwingen kann. So mancher Staat hat
die Manufacturen, durch welche er von dem Auslaͤn-
der verdiente, wieder verloren und kaum es dabei
erhalten koͤnnen, daß ſie fuͤr den inlaͤndiſchen Ver-
brauch fortwaͤhrten. Deutſchland, im vorigen Jahr-
[215]C. 4. In Anſehung des Manuf. Handels.
hundert inſonderheit, und Spanien bis an unſere
Zeit geben Beiſpiele davon. Aber die inlaͤndiſche Cir-
culation und deren Erhaltung haben die Regenten
mehr in ihrer Macht. Auch ſelbſt ohne deren Befehl
wird ſich ein Volk nicht leicht gewoͤhnen von denen
Manufacturen wieder abzugehen, mit welchen es ſich
im Lande ſelbſt zu verſorgen gewohnt worden iſt,
wenn deren Preis und Guͤte ſich nicht veraͤndern.
§. 5.
Indeſſen iſt gewiß jede Nation, die es dahin ge-
bracht hat, daß ihre Manufactur-Waaren zum Aus-
laͤnder gehen, ſicherer davon, daß ſie auch im Lande
allein verbraucht werden, als diejenige, welche es
nur darauf anlegt, fuͤr den inlaͤndiſchen Vertrieb zu
arbeiten. Leztere koͤnnen ſich nur durch Handlungs-
Verbote, durch Praͤmien und andere den natuͤrlichen
Gang der Gewerbe veraͤndernde Erfindungen erhal-
ten, leiden dennoch aber immer ſehr durch die Con-
trabande. Erſtere brauchen dies alles nicht. Eben
die Gruͤnde, welche dem Auslaͤnder ſie angenehm ma-
chen, ſichern auch ihren Vorzug bei dem Inlaͤnder.
Es koͤmmt alſo zum ſichern Beſtande einer Manufactur
im allgemeinen darauf an, daß ſie im Preiſe und in
der Guͤte die Manufacturen anderer Nationen uͤber-
treffe. Freilich haben inlaͤndiſche Manufacturen
groſſe Feinde an den Kraͤmern und Ausſchnittern,
[216]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
auch wenn ſie untadelhaft arbeiten. Denn die Preiſe
derſelben werden im Lande zu allgemein bekannt, und
ſie koͤnnen nicht im kleinen Verkauf ſo viel auf die-
ſelben ſchlagen, als auf die auslaͤndiſchen. Aber
wenn jene vorzuͤglich gut ſind, ſo koͤmmt es auch
wieder dahin, daß dieſe Kraͤmer ſie kaufen und in
ihren Laͤden fuͤr auslaͤndiſche ſolchen Kaͤufern ausge-
ben, welche aus Eigenſinn und Vorurteil das aus-
laͤndiſche dem inlaͤndiſchen vorziehen. Ich will jezt
die Umſtaͤnde, von welchen das eine und das andere
abhaͤngt, im Allgemeinen anzugeben ſuchen.
§. 6.
Was I) den wolfeilen Preis betrift, ſo ſcheint
derſelbe zwar davon ganz abzuhaͤngen, ob das Ar-
beitslohn in einem Lande wolfeil ſei? Ich will auch
hiebei eine Weile ſtehen bleiben.
Der wolfeile Preis des Arbeits-Lohns haͤngt ab
a) von dem wolfeilen Preiſe der Lebensmittel.
Dieſer gruͤndet ſich dem Anſehen nach hauptſaͤchlich
auf die Fruchtbarkeit des Landes; aber doch mehr
darauf, ob der Landmann fleiſſig iſt, und nicht zu
viel Abnehmer ſeiner Producte an einer benachbarten
groſſen Stadt oder durch Ausfuhr uͤber See hat. Die
Auflagen, wenn ſie gehoͤrig uͤberlegt ſind, veraͤndern
den Preis der Lebensmittel nicht ſo ſehr, als man
[217]C. 4. In Anſehung des Manuf. Handels.
wol denken moͤgte. Wo das Geld uͤberhaupt rar iſt,
da lebt man wolfeil und kann deshalb um ſo viel wol-
feiler arbeiten.
Nichts iſt den Manufacturen ſo vorteilhaft, als
wenn die Preiſe der Lebensmittel uͤberhaupt verglei-
chungsweiſe im Mittel ſtehen bleiben. Sinken ſie
unter demſelben zu weit herab, ſo macht dies den ge-
ringen Mann auf eine Zeitlang traͤge zur Arbeit,
und er wird nicht wieder ſo fleiſſig als er war, wenn
eine Teurung folgt, ſondern legt ſich alsdann lieber
aufs Betteln. Zu hoch und ſchnell ſteigende Preiſe
fuͤhlt unter allen Volksclaſſen der in Manufacturen
arbeitende Teil am meiſten. Waͤre z. B. Nieder-
Sachſen ein ſtark manufacturirendes Land, ſo wuͤrde
die Teurung der Jahre 1789 und 90 zu eben der
Zeit deſſen Manuf cturen niedergeſchlagen haben,
als der Landmann ſich bei denen hohen Preiſen ſo gut
befand, die er fuͤr ſeine ſchoͤnen Erndten wegen der
ſtarken Ausfuhr uͤber Hamburg nach Frankreich zog.
Jedes Land, wo die Lebensmittel anhaltend ſehr
wolfeil ſind, iſt freilich der beſte Siz fuͤr Manufactu-
ren, auch bei deren erſten Anlage. Iſt aber die Ur-
ſache davon die ſchwache Bevoͤlkerung des Landes,
und geht der Landbau nicht in gleichem Schritt mit
den Manufacturen vorwaͤrts, oder kann nicht durch
erleichterte Zufuhr Raht geſchaft werden, ſo kann
[218]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
blos deswegen eine Manufactur wieder ſinken, weil
mit der durch ſie gemehrten Menſchenzahl die Preiſe
ſich zu ſehr erhoͤhen.
§. 7.
b) Es koͤmmt auch ſehr viel auf den Muͤnzfuß
an, den ein Staat waͤhlt. Die Beduͤrfniſſe des
geringen Mannes werden bei Kleinigkeiten von ihm
gekauft, und bei dieſem kleinen Handel nicht darauf
geſehen, ob die dafuͤr gegebene Muͤnze mehr oder
weniger Silber habe. Man hat gewis im Saͤchſi-
ſchen und Brandenburgiſchen fuͤr den leichten Sechſer
oder fuͤr 1/48 eines Tahlers eben ſo viel von taͤglichen
Beduͤrfniſſen, als in unſern Gegenden, wo der Luͤb-
ſche Muͤnzfuß gilt, fuͤr den ſchweren Schilling. Der
geringe Mann aber bezahlt faſt alle ſeine Beduͤrfniſſe
in dieſen kleinen Muͤnzen, und er ſo wenig, als die
Verkaͤufer dieſer Beduͤrfniſſe, denken in ihren Um-
ſaͤzen darauf hinaus, ob derer Tahler, von welchen
dieſer Sechſer oder Schilling 1/48 iſt, 11⅓, ob 12,
ob 13⅓ oder gar 16 aus der Mark fein gemuͤnzt wer-
den. Nur darauf ſehen ſie hinaus, ob ſie gleich viele
dieſer kleinen Muͤnzſtuͤcke fuͤr eben dieſelben Beduͤrf-
niſſe geben oder empfangen. S. mehr davon in
meiner Abh von der Circulation des Geldes
B. 6. §. 14.
[219]C. 4. In Anſehung des Manuf. Handels.
Ich kann jedoch mir nicht verbieten zu wiederho-
len, was ich inſonderheit in der Abh. uͤber Bank-
Geld, Muͤnze und Muͤnz-Verwirrung
(Handl. Bibl. 2. Band 3. Stuͤck.) geſchrieben habe,
daß Holſtein, Meklenburg und mit ihr die Daͤni-
ſchen Staaten ſo lange keine Manufacturen bei ſich
aufbluͤhen ſehen werden, als man in denſelben bei
dem ſchweren Muͤnzfuß beharret, und ſelbſt dann
noch, wenn andere Hinderniſſe, die ich auch kenne,
weggeraͤumt ſein werden.
§. 8.
c) Die Auflagen in einem Staate haben auch
einen groſſen Einfluß auf den Preis der Lebensmittel.
Es koͤmmt aber ſehr auf die Art der Auflagen an.
Ich werde mehr davon in dem ſechſten Capitel ſagen.
§. 9.
d) Allein der wolfeile Preis der Manufacturen
haͤngt auch ſehr von dem Zinsfuß und Privat-Credit
ab, der im Lande Statt hat. Wenn ein Manu-
facturiſt zur Anlage ſeines Gewerbes leicht und zu
geringen Zinſen Geld bekommen kann, ſo kann er
ſchon Preis mit einem andern halten, der zwar wol-
feiler auslohnt, aber ſein Geld teurer verzinſen muß.
Es koͤmmt aber hiebei auf den Umſtand an, ob die
Manufactur in der Anlage viel Geld erfodert, her-
nach aber mit wenig Leuten betrieben werden kann,
[220]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
wie z. E. diejenigen, ſo durch Muͤhlwerke betrieben
werden, als Saͤge- Oel- Papier-Muͤhlen u. d. gl.
Dies iſt die Urſache, warum in Holland alle Manu-
facturen dieſer Art noch immer gut beſtehen und ihre
Waaren wolfeiler verkaufen koͤnnen, als die in an-
dern Laͤndern. Dagegen hat Holland alle die Manu-
facturen wieder verlohren, oder kann wenigſtens den
Teil derſelben nicht betreiben, welcher viel Geld in
taͤglicher Auslohnung erfodert, wenn gleich das Ca-
pital zur erſten Anlage nur klein ſein darf.
§. 10.
e) Der Preis mancher Manufactur-Waaren iſt aus
dem Lohn vieler und mancherlei Arbeiten zuſammen-
geſezt. Z. E. in den Tuch- und Leinen-Arbeiten be-
ſchaͤftigen ſich manche Haͤnde, die aber ſehr verſchie-
den bezahlt werden. Bei dieſer Arbeit koͤmmt es
durchaus darauf an, daß der Lohn der erſten Hand
moͤglichſt klein ſei. Er muß nicht ſo groß ſein, daß
er einem Menſchen voͤllig ſeinen Unterhalt gebe, ſon-
dern blos ein Fuͤllſtuͤck ſeines Auskommens und ſeiner
Zeit neben ſolchen Arbeiten ſei, die ihn beſſer naͤhren.
Dies findet ſich nun am leichteſten, wenn das Land-
Volk ſolche Arbeit verrichtet, und zwar nur in der
Zeit, die ihm von dem Geſchaͤfte des Landbaues frei
iſt. Daher beſtehen diejenigen Manufacturen, von
welchen der Anfang Spinnen und Weben iſt, nur da
[221]C. 4. In Anſehung des Manuf. Handels.
gut, wo dieſe Arbeit unter dem Landvolk betrieben
wird. Die Erfahrung beweist, daß das Landvolk
am fleiſſigſten fuͤr dieſe Arbeit in den gebirgigten Ge-
genden ſei, wo der Landbau mehr Muͤhe erfodert
und den Landmann uͤberhaupt fleiſſiger und fuͤr ſein
Auskommen ſorgſamer macht.
Ein wichtiger Umſtand hiebei iſt, wenn der Land-
mann zur Reinlichkeit und einem gewiſſen ſich fuͤr ihn
ſchickenden Wolleben gewoͤhnt iſt. Wenn dies nicht
iſt, ſo hat der kleine Verdienſt von den Manufactu-
ren keinen Reiz fuͤr ihn. S. davon meine Abh. vom
Geldes-Umlauf. So war es nicht in alten Zei-
ten, weil das Landvolk uͤberall in der Sclaverei lebte
und keinen Genuß, auch des kleinſten Wollebens,
kannte. Damals geſchah alle, auch die Arbeit der
erſten Hand, ſo wie die der lezten, in den Staͤdten.
Aber eben deswegen waren die Manufactur-Waaren
uͤber alles Verhaͤltnis zu den Kornpreiſen teuer, und
bei gleicher Guͤte wenig wolfeiler als jezt. Ich ſpare
die Beweiſe davon fuͤr die Zuſaͤze.
§. 11.
II) Die Guͤte der Manufactur-Waaren haͤngt
von folgenden Umſtaͤnden ab:
a) Ob ein Volk das Material derſelben in gehoͤ-
riger Guͤte aus ſeinem Boden habe oder leicht dazu
[222]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
gelangen koͤnne. Z. E. Schleſiens Leinen-Manu-
factur gruͤndet ſich auf den ſtarken Flachsbau des
Landes, auch des platten Landes, das dieſe Manu-
factur ſelbſt nicht ſehr treibt; Englands Wollen-
Manufactur auf ſeiner guten Wolle. Spanien
wuͤrde in dieſer Ruͤkſicht den Vorzug in der Manu-
factur feiner Tuͤcher behaupten koͤnnen. Aber weil
es ſeine Wolle ungeweigert allen Auslaͤndern ver-
kauft, ſo treibt jezt jedes Volk in Deutſchland und
anderswo dieſe Manufactur, wenn es durch die Hand-
lung die Spaniſche Wolle zu ſich holen und bei ſich
die Spinnerei derſelben wolfeil genug haben kann.
Eben ſo betreibt der groͤßte Teil von Europa ſeine Sei-
den-Manufacturen mit einem Material, welches ſehr
weit her geholt werden muß. In Staaten, wo man
auf dieſen Vorteil aufmerkſam iſt, verbietet man da-
her die Ausfuhr dieſer Materialien, ja auch wol der
erſten daraus verfertigten Arbeit, z. E. des Leinen-
Garns, wobei jedoch noch viel zu bedenken iſt.
§. 12.
b) Daß die verſchiedne Arbeit, welche eine Ma-
nufactur-Waare erfodert, von verſchiednen Haͤnden
verrichtet werde. Ein paar Haͤnde macht nur einer-
lei Arbeit gleich gut, und Ein Menſch verliert auch
zu viel Zeit zwiſchen dem Wechſel der Arbeit. Da-
durch beſtehen inſonderheit die Britiſchen Manufactu-
[223]C. 4. In Anſehung des Manuf. Handels.
ren, fuͤr welche Metalle das Material ſind, daß
jeder in denſelben angewandte Arbeiter nur einerlei
Werk tuht. Von den Uhren-Fabriken, nicht nur
in England, ſondern auch in Geneve und Neuchatel,
iſt eben dies bekannt. Kein Uhrwerk, groß oder
klein, wird von Einer Hand von Anfang bis zu Ende
ausgearbeitet. In Manufacturen anderer Art hat
ſich dies von ſelbſt eingefuͤhrt. Kein Spinner laͤßt
ſich einfallen, auch ſein Garn zu weben, auch wenn
Spinnen und Weben in Einer Familie und unter
Einem Dache geſchieht.
§. 13.
c) Eine ſorgfaͤltige Aufſicht zur Verhuͤtung des
Betrugs bei Waaren, welche nicht bei jedem Ein-
kauf Stuͤckweiſe durchgeſehen werden koͤnnen, oder
auf guten Glauben von einem Commiſſionaͤr in die
Ferne muͤſſen verſandt werden. Die Leinen- und
Wollen-Manufacturen ſind gewoͤhnlich einer ſolchen
Aufſicht oder Schau von der Obrigkeit unterworfen.
Man ſehe B. 2. C. 2. §. 2 mehr davon. Es giebt
viele Beiſpiele, daß eine Manufactur durch erſte
gute Arbeit in Aufnahme gekommen iſt; aber ſich,
ehe die Obrigkeit ſich ihrer annehmen konnte, wieder
verloren hat, weil der Unternehmer, um geſchwin-
der zu gewinnen, ſie ſchlechter bearbeiten ließ, oder
weil andere, um uͤber ihn zu gewinnen, ſie ſchlech-
[224]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
ter nachmachten. Oft wird auch eine Urſache zur
Verſchlimmerung der Manufactur-Waare, daß aus-
laͤndiſche Kundmaͤnner ſie ſchlechter, als gewoͤhnlich,
und auf den Betrug gemacht verlangen, um ihre
Umſaͤze damit deſto leichter zu machen. So kom-
men nach Hamburg viele Britiſche Manufactur-Waa-
ren, welche in oͤffentlichen Verkaͤufen dem Schein
nach verſchleudert werden, wobei jedoch die, welche
ſie verſchrieben haben, ihre Rechnung ganz gut finden.
§. 14.
d) Am Beſten iſts, wenn in der Nation ſelbſt
Ehrlichkeit und ein Beſtreben aller iſt, die einerlei
Werk treiben, die Manufactur des Landes uͤberhaupt
bei einer ſolchen Guͤte und bei ſo niedrigen Preiſen
zu erhalten, daß ſie allenthalben den Vorzug be-
hauptet. Keine Manufactnr koͤmmt da in die Hoͤhe,
wo ein jeder Manufacturiſt ſeine Geheimniſſe hat,
oder zu haben glaubt und dieſe nur fuͤr ſich zu benu-
zen ſucht. Dies iſt inſonderheit der Fehler der Deut-
ſchen Manufacturiſten, die auch mit den kleinſten
Vorteilen, in deren Beſiz ſie zu ſein glauben, nei-
diſch und geheim ſind. Wie es die Hollaͤndiſchen
Mauufacturiſten, die mit Maſchinen arbeiten, darin
halten und dahin ſtreben, daß das Gewerk eines je-
den die moͤglich groͤßte Vollkommenheit erlange, habe
ich §. 78 meiner Mechanik der Wahrheit gemaͤß erzaͤhlt.
[225]C. 4. In Anſehung des Manuf. Handels.
§. 15.
e) Maſchinen tragen ſehr viel zur Vollkommen-
heit einer Manufactur-Arbeit bei, indem ſie meiſten-
teils gleichfoͤrmiger und zuverlaͤſſiger arbeiten, als
die Hand, auch des geuͤbteſten Menſchen, tuhn kann.
Von der anſcheinenden Schaͤdlichkeit der Maſchi-
nen, indem ſie oft auch Menſchen arbeitlos machen,
ſ. meine Abhandl. vom Geldes-Umlauf B.
6. §. 73.
Die Vollkommenheit der Britiſchen Manufactu-
ren und deren ſeit zwanzig Jahren ſo hoch geſtiegener
und mit allem Wetteifer unerreichbarer Vertrieb iſt
hauptſaͤchlich den fuͤr dieſelben neu erfundenen Ma-
ſchinen zuzuſchreiben. Von dieſen mehren ſich die
Erfindungen noch immer in dieſem Volk, wo tief
gehende Einſicht in die Mechanik bei einzelnen zwar
ſelten, aber deſto allgemeiner diejenige Kenntnis der
praktiſchen Mechanik, wie auch der Chemie, verbreitet
iſt, welche dann ein jeder in dem ihn intereſſirenden
Gewerke zu benuzen lernt.
§. 16.
f) Freiheit der Arbeit fuͤr jeden, der ſich geſchikt
genug haͤlt, ſeine Arbeit ſo gut zu verfertigen, daß
ſie verkaͤuflich wird, und die Obrigkeitliche Unterſu-
chung da, wo eine ſolche gilt, ertragen kann. Frei-
2ter Teil. P
[226]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
lich muß eine gewiſſe Ordnung im Erlernen dieſer
Arbeit gelten; aber die Neben-Umſtaͤnde und Vor-
ſchriften, welche die ſogenannten Aemter und Gilden
behaupten, und durch welche ſie inſonderheit die Zahl
der arbeitenden Haͤnde klein zu erhalten ſuchen, laſſen
nicht zu, daß ein ſo im Zwange gehaltenes Handwerk
ſich zu einer groſſen Manufactur erhebe. S. hievon und
von denen Vorausſezungen, unter welchen die Hand-
werks-Gilden minder ſchaͤdlich werden, obige Ab-
handlung B. 4. §. 20.
§. 17.
Die wichtigſten Manufacturen fuͤr ein jedes Land
ſind die, welche der groſſe Haufe vorzuͤglich braucht,
Z. B. wolfeile Kleidungsſtuͤcke aller Art, oder deren
Materialien, als Leder, oder was in allen Geſchaͤf-
ten am unentbehrlichſten iſt, z. B. Papier, Oel aus
Geſaͤme gepreßt u. ſ. w. Solche haben allenthalben
den ſicherſten Beſtand und wandern nicht ſo leicht,
als andere Manufacturen, aus einem Lande in das
andere. Dieſe koͤnnen ſich zwar in jedem Lande er-
halten, wo es Menſchen giebt, die wenigſtens fuͤr
ihre nohtwendigen Beduͤrfniſſe Geld-Erwerb genug
haben. Man muß dabei auf das Landvolk als den
vornehmſten Abnehmer und Stuͤze dieſer Manufactu-
ren ſehen. Allein es koͤmmt hiebei noch auf zwei
Stuͤcke an.
[227]C. 4. In Anſehung des Manuf. Handels.
§. 18.
1) Daß der Landmann nicht gewohnt ſei, und,
wenn er es gewohnt iſt, davon abgehalten werde,
ſich dergleichen Beduͤrfniſſe ganz durch eigene Arbeit
zu verſchaffen. Er mag ſpinnen, allenfalls weben,
aber er muß feine Leinen nicht bleichen, ſein Tuch
nicht faͤrben, auch nicht etwa ſein Leder ſelbſt zube-
reiten wollen. Wo dies Statt hat, koͤnnen auch die
gemeinſten und nohtwendigſten Manufacturen nicht
in die Hoͤhe kommen. S. mehr hievon und inſonder-
heit von dem Schaden, den Schweden von dieſem fal-
ſchen Gange der Dinge leidet, umſtaͤndlicher an ſeinem
Orte in der Abhandl. vom Geldes-Umlauf, und
in meinen Reiſe-Anmerkungen uͤber Schwe-
den. Hier will ich nun noch hinzuſezen, daß der Land-
mann ſich auf dieſe vollendende Arbeit in den ihm
noͤtigen Manufactur-Waaren nicht einlaͤßt, oder
auch leicht davon zuruͤk zu bringen iſt, wenn ſein
Landbau ihm eintraͤglich genug wird, und die Zeit,
welche er an jene Arbeit wenden moͤgte, ihm fehlt
oder nicht hinlaͤnglich durch ſie belohnt wird.
2) Der Landmann muß, um auch Verbraucher
ſolcher Kunſtproducte ſein zu koͤnnen, an denen er
die erſte Arbeit tuht, zur Reinlichkeit und zu einem
gewiſſen ſich fuͤr ihn ſchickenden Wolleben Luſt haben,
muß ſich gerne gut kleiden und reinlich wohnen wollen.
P 2
[228]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Holland und vorzuͤglich England haben gewiß der
Reinlichkeit ihrer Landleute den Beſtand ihrer wich-
tigſten Manufacturen groͤßtenteils zu verdanken.
Freilich ſezt dies voraus, daß der Landmann im ge-
hoͤrigen Wolſtande ſei, und nicht etwan ſein Wolle-
ben in Freſſen und Saufen ſeze. Aber eins hilft hier
zum andern. Der reinliche Bauer iſt immer gerne
fleiſſig, der unreinliche wird weder fuͤr ſich noch fuͤr
das uͤbrige Volk mit Luſt und Anſtrengung arbeiten.
S. mehr hieruͤber von dem Geldes-Umlauf
B. 3. §. 11 — 14 und B. 4. §. 5.
§. 19.
Indeſſen hat Frankreich groſſen Vorteil davon
gehabt, und genießt ihn noch von ſolchen Manufactu-
ren, welche zum Wolleben der hoͤhern Volks-Claſſen
hauptſaͤchlich dienen. Henrich IV ſezte dieſe zu ſeiner
erſten Abſicht und verordnete, daß ſie von Zeit zu
Zeit ihre Muſter und Erfindungen veraͤndern ſollten.
Hiedurch brachte er es dahin, daß Frankreich fuͤr das
Wolleben der hoͤhern Volks-Claſſen in ganz Europa
lange Zeit allein arbeitete. Der dreiſſigjaͤhrige Krieg
machte die Deutſchen Fuͤrſten mit den Franzoſen und
deren Wolleben naͤher bekannt, und als deren Nach-
kommen einſahen, wie viel Geld Frankreich fuͤr dieſe
Manufacturen zog, ſo glaubten ſie und ſo glauben es
auch noch viele, und auſſer Deutſchland auch andere
[229]C. 4. In Anſehung des Manuf. Handels.
Fuͤrſten, daß ſie nicht beſſer fuͤr ihr Land ſorgen koͤn-
nen, als wenn ſie in demſelben Manufacturen fuͤr
die Beduͤrfniſſe des hohen Wollebens anlegen. Allein
dieſe gruͤnden ſich nicht, wie die Leinen- und Wollen-
Manufacturen, auf den Neben-Fleis des Landmanns.
Sie koͤnnen nicht wol anders, als in Staͤdten, ja wol
gar nur in einzelnen koſtbaren Arbeits-Haͤuſern be-
trieben werden. Die Anlagen davon koſten groſſe
Summen. Die Contrabande wirkt ihnen mehr als
andern Manufacturen entgegen, und, wenn es mit
ihnen gelingt, ſo naͤhren ſie doch immer weit weni-
ger Leute, als jene. Am weiteſten haben die Fuͤr-
ſten unſerer Zeit dies Vorurteil in [Anſehung] der Por-
cellan-Manufacturen befolgt, ohne daß irgend ein
Staat auſſer Sachſen, ſo lange es allein im Beſiz
einer Europaͤiſchen Porcellan-Manufactur war, er-
heblichen Vorteil davon gehabt haͤtte.
§. 20.
Es koͤmmt bei den Manufacturen noch auf ver-
ſchiedne andere Umſtaͤnde an, ob ſie in einem Lande
mit Vorteil betrieben werden koͤnnen. Ein Haupt-
Umſtand iſt die Feuerung. England hat den groſ-
ſen Vorteil, daß es eine jede Fabrik in jeder Gegend
ſeines Landes anlegen kann, weil es ſeine Steinkoh-
len allenthalben in der Naͤhe hat. In Deutſchland
aber, wo man mehrenteils Holz brennt, und dies
[230]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
ſchon ſo ſehr ſich zu verlieren anfaͤngt, ſind wenig
Gegenden, wo Glashuͤtten, Eiſenhaͤmmer und der-
gleichen beſtehen koͤnnten. Selbſt die Porcellan-Fa-
briken fallen mancher Gegend zur Laſt. Das Schle-
ſiſche Leinen wird durch eine Bleiche zubereitet, die
einen erſtaunlichen Aufwand von Feuerung erfodert.
Dieſe laͤßt ſich in keiner andern Gegend Deutſchlands
nachahmen, wo die Feuerung ſelten und teuer iſt.
Eben in ſolchen Gegenden koͤnnen daher nicht mehrere
Arten von Manufacturen neben einander beſtehen,
die beide viel Feuerung gebrauchen.
In den Schleſiſchen Gebirgen haben die Verſuche
im Bergbau ſeit den lezten Jahren Friedrichs des
Groſſen einen lebhaften Fortgang gehabt, welchem
aber vielleicht der Umſtand die Grenze ſezen moͤchte,
daß die dazu erfoderliche Feuerung nicht bei den Leinen-
Manufacturen entbehrt werden kann, es ſei dann,
daß die Steinkohlen dort ſich noch ergiebiger zeigen.
Ein anderer wichtiger Umſtand iſt der Trans-
port, nicht [nur] der Manufactur-Waaren und ihrer
Materialien, ſondern auch der Beduͤrfniſſe zu deren
Betreibung, inſonderheit des Holzes. England hat
ſich durch ſeine neugegrabenen vielen Canaͤle inſonder-
heit dieſen Vorteil verſchaft, daß die Steinkohlen jezt
wolfeiler zu den Fabriken gelangen koͤnnen.
[231]C. 4. In Anſehung des Manuf. Handels.
Zuvoͤrderſt iſt zu uͤberlegen, ob man auf Menſchen
genug oder auf genug freie Zeit bei ihnen rechnen koͤnne,
oder ob die Menſchen ſo geartet ſind, daß ſie die noͤ-
tige Arbeit fuͤr die Manufacturen tuhn koͤnnen oder
tuhn wollen.
In Laͤndern, wo die Leibeigenſchaft noch gilt,
wird dem Landmann durch Frohn-Dienſte zu viel Zeit
genommen, und er iſt auch zu gleichguͤltig fuͤr den
Neben-Verdienſt, den ihm die Manufactur geben
koͤnnte. In andern Gegenden iſt der groſſe Haufe
zu liederlich und zu faul, und will, ſo geldlos er iſt,
nicht anders als fuͤr hohen Lohn arbeiten.
In Laͤndern, wo der Landbau im lebbaften Stei-
gen iſt, fehlt es an Haͤnden fuͤr die Manufacturen,
und man freuet ſich nur, Menſchen genug fuͤr die
noͤtigſten Handwerke zu haben. Dies iſt bisher
noch der Fall mit Nord-America.
In mancher Gegend, wo dieſe Umſtaͤnde mehr
oder weniger zuſammen kommen, hat man den Vor-
teil, eine benachbarte Gegend benuzen zu koͤnnen, mit
deren Einwohnern es anders ſteht So beruhen z. B.
die Manufacturen zu Muͤlhauſen und Langenſalze
hauptſaͤchlich auf dem Fleiß der Einwohner des Eichs-
feldes in der fuͤr jene noͤtigen Vorarbeit. Den Tuch-
[232]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Manufacturen in Aachen und Eupen wird durch das
Landvolk von wenigſtens zehn verſchiedenen Gebieten
vorgearbeitet.
§. 21.
Wenn eine Manufactur unter jenen mißlichen
Umſtaͤnden angelegt iſt, ſo kann freilich kein Beſtand
derſelben bei freier Handlung erwartet werden. Die
Mittel ſie zu erhalten ſind alsdann:
Auflagen auf die fremden Manufacturen gleicher
Art, oder gaͤnzliches Verbot.
Das erſte von dieſen Mitteln iſt als billig anzu-
ſehen. Wenn der Auslaͤnder durch ſeine Manufactu-
ren in einem Lande verdienen will, ſo iſt es gerecht,
daß er im Lande etwas dafuͤr laſſe. Die inlaͤndiſche
Manufactur, wenn ſie dieſe Abgabe nicht mit bezahlt,
wird dadurch in den Stand geſezt, gegen die auslaͤn-
diſche zu beſtehen, wenn dieſe ſo viel, als ſie wol-
feiler arbeitet, abgeben muß. Allein ſie muß ſich
doch immer beſtreben, ihre Waare gut zu liefern,
weil ſonſt der Einwohner, wenn er Freiheit dazu
hat, lieber das mehrere fuͤr die beſſere fremde Waare
geben wird. Man hat auch an dieſen Auflagen ein
Mittel der Beurteilung, ob eine Manufactur ſich
fuͤr ein Land ſchicke oder nicht. Man ſeze z. B. der
fremde raffinirte Zucker werde in einem Lande, wo
[233]C. 4. In Anſehung des Manuf. Handels.
man ſelbſt Zucker-Fabriken angelegt hat, mit 10
p. C. Auflage beſchwert, und behalte dennoch den
Vorzug vor dem inlaͤndiſchen. Nun belege man
ihn mit 20 p. C. Zeigt ſich auch dann noch, daß
er den Vorzug behaͤlt, ſo iſt dies ein Zeichen, daß
dieſe Manufactur nicht fuͤr das Land paßt, weil ſie
mit einem Vorteil von 20 p. C. nicht neben der aus-
laͤndiſchen beſtehen kann.
Allein dieſe Schluͤſſe laſſen ſich nicht anders ma-
chen, als unter der Vorausſezung, daß der Zoll rich-
tig taxirt und eingehoben wird. Wenn man Z. E.
fuͤr eingefuͤhrten feinſten Refinad-Zucker nur 20 p. C.
nach dem Wehrt der groͤbſten Sorte nimmt, ſo iſt
dies von keiner Wirkung.
Portugal war bis 1703 mit ſeinen Manufactu-
ren ſehr weit gekommen, deren Einfuhr vom Aus-
lande her ganz verboten war. In dieſem Jahre aber
wirkte der Britiſche Miniſter Methuen aus, daß die
Britiſchen Manufacturen mit einer Abgabe von 20
p. C. wieder eingefuͤhrt werden duͤrften. Sogleich ver-
brauchte das ganze Reich nur Britiſche Manufacturen,
und dieſe Auflage hinderte nichts, weil in dem fuͤr
dieſelbe geltenden Tarif die Taxe ſo niedrig gemacht
war, und man die beſſern Guͤter ſo unter den ſchlech-
tern verſteckte, daß die Auflage vielleicht keine 3 p.
C. betrug.
[234]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
§. 22.
Ein allgemeines Verbot auslaͤndiſcher Manu-
facturen hat freilich, wenn daruͤber gehalten werden
kann, die nohtwendige Folge, daß nur inlaͤndiſche
Manufacturen im Lande gehen duͤrfen. Aber die
Contrabande ſtoͤrt dies uͤberall gar zu ſehr, wiewol
es dabei auf andere Umſtaͤnde noch ankoͤmmt. Iſt die
inlaͤndiſche Manufactur gut, und empfielt ſich durch
einen beinahe ſo wolfeilen Preis, als die auslaͤndi-
ſche, ſo wird das Verbot ſeine Wirkung tuhn, und
die Contrabande nicht ins Groſſe gehen.
§. 23.
Gewoͤhnlich ſuchen die Unternehmer neuer Ma-
nufacturen nicht bloß ein Verbot der Einfuhr von
auſſen, ſondern auch das Vorrecht, daß nur ſie, we-
nigſtens auf eine beſtimmte Zeit, dieſe Manufactur
im Lande anlegen, und daraus verkaufen duͤrfen.
Der einzige Grund, welcher zu einer ſolchen Fo-
derung berechtigen moͤgte, iſt, wenn es dabei auf
eine beſondere Erfindung ankoͤmmt. Selbſt in Eng-
land, wo man ſich doch ſonſt ſo ſehr vor Monopolien
huͤtet, wird unter dieſen Umſtaͤnden manches Privi-
legium auf gewiſſe Zeit erteilt. Indeſſen hat man
auch darin zuweilen ein Verſehen gemacht, und es
hintennach erkannt. Lombe, der Mann, welcher
[235]C. 4. In Anſehung des Manuf. Handels.
in Piemont die groſſe Seiden-Windemuͤhle ſo lange
ſtudirt hatte, daß er ſie in England nachzuahmen
ſich getraute, war auf 14 Jahr privilegiirt worden,
ſie allein benuzen zu duͤrfen. Das Parlament ſah
aber ſeinen Fehler ein, kaufte ihm das gegebene Pri-
vilegium wieder ab, und gab nun jedermann Frei-
heit ſie anzulegen. In jedem andern Fall aber, zu-
mal wenn der Gegenſtand eine Manufactur-Waare
von ſehr allgemeinem Verbrauch iſt, haben derglei-
chen Monopolien die ſchaͤdlichſten Folgen. Die ge-
wiſſeſte Folge iſt, daß der Monopoliſt, weil er keine
Concurrenz im Lande fuͤrchtet, ſeine Waare nicht ſo
vollkommen macht, als er ſonſt tuhn wuͤrde. Es
koͤmmt alſo niemals dahin, daß ſie durch Guͤte und
Wolfeilheit zum auswaͤrtigen Vertrieb gelangte.
Das gewoͤhnliche iſt dabei auch, daß ein ſolcher Mo-
nopoliſt vorſtellt, er koͤnne noch nicht ſo viel Waare
verfertigen, als das Land erfodert, und dem zufolge
ſich die Erlaubnis geben laͤßt, vors erſte fremde Waa-
ren einfuͤhren, aber auch allein verkaufen zu duͤrfen.
§. 24.
In dem jezigen Beſtreben guter Staatswirte,
den Wolſtand ihrer Voͤlker durch Manufacturen zu
heben, ſind der Beiſpiele ſo viel von mislungenen,
als von gelungenen Unternehmungen. Friedrichs
des Groſſen Meiſterwerk war, daß er ſeinen Staa-
[236]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
ten, welchen dieſelben bis dahin ſo ſehr fehlten, einen
ſo groſſen Erwerb durch das von ihm wie neuerſchaf-
fene Manufacturgewerbe gegeben hat. Aber man-
ches iſt auch ihm mislungen, und er hat die ſchon er-
gangenen Verbote der Einfuhr fremder Manufactu-
ren ungern wieder aufheben muͤſſen, er, deſſen erſte
Regel war, ſein Volk in keinem Stuͤkke glauben zu
machen, daß er ſich in ſeinen Maasregeln betriegen
koͤnne. So ergieng es ihm unter andern mit dem
Verbot der Einfuhr des fremden Papiers. Andre
hat er mit Muͤhe und mit einem Zwange erhalten,
von deſſen Unmoͤglichkeit er vielleicht ſelbſt zulezt ſehr
uͤberzeugt war. Man weiß, wie viel ſchwerer es
in den Oeſterreichiſchen Staaten gegangen iſt, wenn
gleich ſchon unter Maria Thereſia die Hauptſache
ſchnell gelang, und durch die von ihr erregte inlaͤndi-
ſche Betriebſamkeit Kraͤfte des Staats entſtanden,
die den Verluſt ſo vieler von ihrem Vater und zum
Teil von ihr verlornen Laͤnder mit wenigſtens ſieben
Millionen Untertahnen reichlich erſezten. Am wenig-
ſten hat es Daͤnemark und Schweden mit dem lange
eifrig befolgten Manufactur-Syſtem gelingen wollen.
Ich habe bereits ſo viel von den Erfoderniſſen der
Manufacturen geſagt, als fuͤr meinen Zwek noͤtig
iſt. Hier will ich noch dieſe allgemeine Erinnerung
hinzuſezen: die meiſten Anſchlaͤge zur Anlegung
ſolcher Manufacturen, die noch nicht durch Privat-
[237]C. 4. In Anſehung des Manuf. Handels.
Induſtrie dem Staate haben entſtehen wollen, ent-
ſpringen aus der Nachahmung, wenn ein Regent
oder ſein Staatsmann hoͤrt, daß ein anderer Staat
ſich bei dieſer Manufactur gut befinde. Dann iſt es
aber nohtwendig, alle kleine Umſtaͤnde, die den Gang
dieſer Manufactur betreffen, aufs genaueſte zu wiſſen
und zu unterſuchen, ob das alles in dem Volke, wel-
chem man die Manufactur geben will, eben ſo Statt
habe, damit es in der jezt ſo allgemeinen Concurrenz
beſtehen koͤnne. Ich habe es geſchrieben, und kann
nicht umhin, es zu wiederholen: Es giebt Ma-
nufacturen, die ſich eben ſo wenig in je-
den Staat verpflanzen laſſen, als dies
mit ſo vielen Producten der Natur moͤg-
lich iſt. Ich glaube dies von der Hamburgiſchen
Zukkerſiederei in dem 1ſten Stuͤcke des 3ten Bandes
unſerer Handlungs-Bibliothek erwieſen zu
haben, wo man auch noch mehr zur Beſtaͤtigung die-
ſes wichtigen Sazes S. 104 ff. leſen kann. Ich
habe noch nichts zu deſſen Widerlegung geſehen, und
fuͤrchte auch keine. Aber man wird bei mancher an-
dern Manufactur aͤhnliche Schwierigkeiten finden.
§. 25.
Indeſſen bleibt es wahr: es giebt Manufactu-
ren, die ein jedes Volk muß haben koͤnnen, wenn
es ſie haben will. Aber bei eben dieſen gilt die Frage:
[238]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
ob es ſie ſogleich ſchon haben koͤnne, wenn der
Staatsmann ſich einfallen laͤßt, ſie demſelben zu ge-
ben, und ob er nicht blos ſich begnuͤgen muͤſſe, die
Anlage vorlaͤufig zu machen, daß die kuͤnftige Gene-
ration ſie haben koͤnne? Hiebei koͤmmt es inſonder-
heit auf die in dem Volke herrſchende Wendung des
Geiſtes an. Mit mancher Nation laͤßt ſich alles an-
fangen, mit mancher andern nichts, ſo lange ſie ſo
bleibt, wie ſie iſt. Sachſen hat in Anſehung ſeiner
Manufacturen alles ſeinen natuͤrlichen Vorteilen und
insbeſondere dem natuͤrlichen Hange des Volks zum
Fleiß, ſeinen ehemaligen Regenten aber, Auguſt
den Churfuͤrſten ausgenommen, nichts zu danken.
Den Beweis davon getraue ich mich in den Zuſaͤzen
zu fuͤhren. Aber in allen Staaten, wo die Leibei-
genſchaft noch beſteht, werden die Verſuche des ver-
ſtaͤndigſten Regenten auf dieſen Zwek, auch nach auf-
gehobener Leibeigenſchaft, ſo lange noch vergebens
ſein, bis durch eine gebeſſerte Erziehung der aufkei-
menden Generation der Geiſt der Betriebſamkeit
mitgeteilt iſt. Ganz Europa hat Urſache, den Bri-
ten die groſſen Vorteile zu beneiden, welche es jezt
von ſeinen vervollkommten Manufacturen zieht.
Aber lange, lange noch wird in manchen derſelben
der Wetteifer auch aus der Urſache unwirkſam bleiben,
weil die Kenntnis der praktiſchen Mechanik und Che-
mie, und darauf ſich gruͤndende Erfindſamkeit einzelner
[239]C. 4. In Anſehung des Manuf. Handels.
Menſchen in ihrem beſondern Betriebe ſich noch nicht
ſo bei andern Voͤlkern verbreiten will, als ſie es bei
dieſem Volke iſt, wenn gleich ihre Schriftſteller jezt
in dieſen Wiſſenſchaften ſelbſt hinter den Deutſchen
betraͤchtlich weit zuruͤk ſtehen.
§. 26.
Ein beilaͤufig ſchon erwaͤhnter Misgrif der Staats-
maͤnner in Anſehung der Manufacturen iſt der, wenn
ſie die Manufacturen fuͤr das hohe Wolleben einer vor-
zuͤglichen Aufmerkſamkeit wuͤrdigen, und glauben
durch deren Einfuͤhrung Segen uͤber ein Land zu ver-
breiten, dagegen aber derjenigen vergeſſen, welche
fuͤr die nohtwendigen Beduͤrfniſſe des groſſen Hau-
fens arbeiten. Der vornehme Mann erfaͤhrt nur die
hoͤhern Preiſe, welche ihm jene Beduͤrfniſſe koſten,
und fuͤhlt nicht die Koſten von dieſen. Wenn er
Hunderte fuͤr ein reich geſticktes Kleid zahlt, ſo ver-
gißt er daruͤber der einzelnen Tahler, die ihm das
Leinen zu ſeinem Nachthemde, ſein wollenes Bruſt-
tuch und ſeine Unterſtruͤmpfe koſten. Er vergißt
daruͤber, daß es Tauſende gebe, die nichts mehr
als dieſes zur Bedekkung ihres Leibes bezahlen koͤn-
nen, und daß dieſe viele Tauſende die fuͤr ſie arbei-
tenden gewiſſer naͤhren, als das Hundert von prun-
kenden Hofleuten, die an einem Gallatage in dem
Pallaſt des Fuͤrſten ſich verſammeln. Dies iſt der
[240]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Misgrif ſo vieler Deutſchen Fuͤrſten geweſen, als in
der lezten Haͤlfte dieſes Jahrhunderts ihnen der erſte
Gedanke entſtand, daß ihren Staaten Manufactu-
ren nuͤze ſein koͤnnten. Friedrich glaubt noch in der
Geſchichte ſeiner Zeit Cap. 2 des 5. Teils durch
die Porzellan-Fabrik ein groſſes geleiſtet zu haben.
Aber weit gluͤklicher werde ich denjenigen Deutſchen
Staat ſchaͤzen, dem es gelingen wird, das Engliſche
weiſſe irdene Tiſchgeſchirr, deſſen Einfuhr er verbot,
ſo in dem Preiſe und in der Guͤte nachzuahmen, daß
es in der Concurrenz mit dem Britiſchen beſtehen kann.
§. 27.
Auch in der Wahl des Orts verſieht man es oft,
in welchem man eine Manufactur von Belang ent-
ſtehen zu machen ſucht. Alte Staͤdte ſchikken ſich
durchaus nicht fuͤr die Manufacturen unſerer Zeit,
wenn nicht die Anlage der Haͤuſer, welche zufaͤllig
einer aͤltern Manufactur gedient haben, ſo beſchaffen
iſt, daß ſie fuͤr die neue Manufactur umgebauet
werden koͤnnen. Die in Hamburg ehemals ſo hoch
getriebene Brauerei erfoderte vielen Raum in mehre-
ren nicht hohen luftigen Stockwerken. Weil dies auch
die erſte Erfodernis fuͤr eine Zukkerſiederei iſt, ſo die-
nen wenigſtens hundert der groͤſten alten Brauhaͤuſer
jezt fuͤr dieſe. Aber keines derſelben wuͤrde fuͤr eine
Manufactur dienen, welche mit groſſen Maſchinen
[241]C. 4. In Anſehung des Manuf. Handels.
arbeitet, die allenfalls von Pferden getrieben wer-
den muͤſſen, oder die vieles allenfalls in kleine Ge-
maͤcher verteiltes Licht bedarf. Zu einer kleinen Zuk-
kerſiederei, ſo lange derer Betrieb nicht an Hundert-
tauſende von Pfunden in einem Jahre ſteigt, laͤßt
ſich faſt ein jedes Gebaͤude einrichten, zumal, wenn
deren Unternehmer noch kein Wolleben in reinlicher
und geſchmuͤkter Wohnung fuͤr ſich und ſeine Familie
kennt. Doch ſehen die groͤſſern [Zukkerſieder] jezt mehr
und mehr dahin, und bauen vorzuͤglich ſolche Haͤuſer
aus, die einen breiten Speicher haben, in welchem
viel Raum auf groſſen luftigen Boͤden ſich gewin-
nen laͤßt, und weniger Zeit und Arbeit im Auf- und
Niederſchleppen des Fabrikats und der Materialien
verloren geht. Weit groͤſſere Schwierigkeit aber hat
es bei Anlegung einer Cattunmanufactur, und Ham-
burg wuͤrde dazu nicht Haͤuſer genug nach deren ge-
woͤhnlicher Bauart darbieten koͤnnen, wenn deren
ſo viel waͤren oder entſtehen koͤnnten, als der Zukker-
ſiedereien. Ich habe eine ſolche gekannt, wo man
dem Pferde, das den Calander treiben mußte, nur
einen Zirkel von dreizehn Fuß im Durchmeſſer zum
Ziehen gegeben hatte, welches gewiß jaͤhrlich wenig-
ſtens Ein Pferd koſtet, aus Gruͤnden, die man §. 60
meiner Mechanik nachleſen kann. Ich habe mich
uͤber dieſe klein ſcheinenden Umſtaͤnde ausgedehnt,
um die Bemerkung vorzubereiten, daß, wenn in
2ter Teil. Q
[242]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
unſern Zeiten Manufacturen ins Groſſe gehen ſollen,
entweder die Privatinduſtrie oder der ſie ermunternde
Regent Oerter dazu waͤhlen muß, wo Raum genug
zum Bauen iſt. Oder es ſcheint vielmehr, daß die-
ſer Umſtand vorzuͤglich das groſſe und geſchwinde
Aufbluͤhen der Manufacturen in ſolchen Staͤdten ver-
anlaßt habe, die mit denſelben wie neu entſtanden
ſind. Sehr auffallend muß es jedem Reiſenden ſein,
wie es mir war, dies in Mancheſter zu bemerken.
Hier ſieht man jenſeits des kleinen Fluſſes, an wel-
chem dieſe jezt ſo groſſe Stadt liegt, eine alte ſchmu-
zige kleine Stadt Stamford. Aber in dieſer konnte
der Betrieb nicht entſtehen, der jezt Mancheſter zu
einer der groͤßten Staͤdte Englands in ſo kurzer Zeit
gemacht hat, und die Einwohner jener alten Stadt
leben von den Vor- und Nebenarbeiten in den Ma-
nufacturen der Tochterſtadt, wie ich ſie glaube nennen
zu duͤrfen. Dies ſcheint mir ein Hauptgrund zu ſein,
weswegen in den alten Deutſchen Land- und Reichs-
Staͤdten es mit allen Anſchlaͤgen, ihnen durch Ma-
nufacturen aufzuhelfen, nicht recht fort will. Denn,
wenn man ſolche Anſchlaͤge faßt, ſo kann man nicht
in den Plan nehmen, die alte Stadt umzubauen.
Denn eines Teils fehlen zu Anfang die Kraͤfte dazu,
und andern Teils haben ſolche Entwuͤrfe zur erſten
Abſicht, der alten Stadt aufzuhelfen und ihren alten
Gebaͤuden, ſo wie ſie ſind, einen groͤſſern Wehrt zu
[243]C. 4. In Anſehung des Manuf. Handels.
geben. Vielleicht liegt es eben hieran, weswegen
auch noch in neuern Zeiten alte groſſe Staͤdte,
z. E. Nuͤrnberg und Augsburg, deren bis dahin
fortgedauerten Manufacturen groͤßtenteils verloren
haben.
Deutſchland hat der Hofſtaͤdte ſo ſehr viele, und
faſt keine derſelben iſt eine Manufacturſtadt. Hier
ſcheint mir eine andere Urſache zu wirken, weil nem-
lich die Taͤhtigkeit des Buͤrgers durch ſeine mehr oder
mindre Teilnehmung an dem Hofleben eingeſchlaͤfert
wird, auch der Landmann um ſolche Staͤdte her
mit dem Wolleben zu ſehr bekannt wird, und einen zu
ſichern Verdienſt durch den Abſaz ſeiner Producte in
der Hofſtadt findet, dei welchem er nicht Luſt behaͤlt
an der Arbeit der erſten Hand Teil zu nehmen. Aehn-
liche Urſachen unterdruͤkken die Manufacturen in ſol-
chen Staͤdten, welche ſtark beſezte Univerſitaͤten haben.
Wenn aber einmal eine Stadt ſo groß geworden iſt,
daß der Hof dem geringen in derſelben wohnenden
Mann minder bemerkbar wird, wie in London, Pa-
ris und Berlin, oder wenn derſelbe zahlreiche Vor-
ſtaͤdte hat, wie Wien und auch Paris, ſo koͤnnen
Manufacturen in derſelben bluͤhen und der ſichere
Abſaz bei ſo vielen groſſen Geldverzehreren hebt die-
jenigen, welche fuͤr das hohe Wolleben arbeiten.
Aber auch dann entſteht ihnen eine andere Gefahr au[s]
Q 2
[244]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
der Betoͤhrung der ſie betreibenden Buͤrger, wenn
ſie an dieſem hohen Wolleben zu viel Anteil nehmen,
mit der Titelſucht befallen werden, und der Regent
ſchwach genug iſt, ihnen Titel zu erteilen, die ſich
nicht fuͤr ihren Stand und Lebensweiſe ſchicken, oder
ſie wol gar zu Adeln.
Fuͤnftes Capitel.
Von der Handlungs-Politik in Anſehung
des Zwiſchen-Handels.
§. 1.
Es wird ſehr noͤtig ſein, die in dieſes Capitel gehoͤ-
renden Regeln in zwei Abſchnitte einzuteilen.
A) In diejenigen, welche der Staat anzuwen-
den hat, der den Zwiſchenhandel ſelbſt treibt, oder
bei ſich entſtehen machen will.
B) In diejenigen, welche ein jeder Staat in
Anſehung des in und durch ihn gehenden Zwiſchen-
Handels befolgen muß.
[245]C. 5. In Anſehung des Zwiſchenhandels.
Erſter Abſchnitt.
A) Die Handlung war in der alten, wie in der
mittlern Zeit uͤberhaupt keine andre als die von mir
B. 3. C. 1 beſchriebene Eigene oder Propre-Handlung.
Diejenigen Staaten, welche durch Vorteile der Lage
oder durch Zeitumſtaͤnde beguͤnſtigt, den Zwiſchenhan-
del an ſich gebracht hatten, ſezten ihre ganze Wol-
fahrt darin, denſelben allein im Wege des eigenen
Handels zu treiben. So manche Verordnung in
den gemeinen Beſchluͤſſen des Hanſeatiſchen Bun-
des, und die ganze Handlungs-Politik einzelner
Staͤdte ſowol, als der Hanſa uͤberhaupt, war auf
dieſen Zwek gerichtet. Durch veraͤnderte Umſtaͤnde
der Zeit, wovon im 4ten Stuͤck meiner kleinen
Schriften von der Handlung umſtaͤndlich und
kuͤrzer hier B. 3. C. 2. geredet worden, iſt der Com-
miſſionshandel entſtanden. Wie aber dennoch ein-
zelne Handelsſtaͤdte Deutſcher Nation oder Deutſchen
Urſprunges noch an den alten Grundſaͤzen haften,
und den Propre-Handel als den ihnen allein zutraͤg-
lichen zu behaupten ſuchen, davon giebt mein Gut-
achten uͤber die Anmaſſungen der Stadt
Roſtock in Anſehung der Handlung in dem
1ſten Stuͤck des 3ten Bandes unſerer Handlungs-
Bibliothek zulaͤngliche Beweiſe.
[246]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Der Beſtand des Zwiſchenhandels beruht haupt-
ſaͤchlich darauf, daß eine hinlaͤngliche Menge und
Mannigfaltigkeit von Waaren an Einem Orte zu-
ſammen komme, ſo daß die Nachfrage der Kaͤufer
anderer Gegenden nicht leicht vergeblich wird. Eben
dadurch wird eine Handelsſtadt zu einem wahren
Marktplaz; (m. ſ. zuruͤck auf B. 3. C. 1. §. 5. ff.)
und eben ſolche Marktplaͤze ſind es, die der Zwi-
ſchenhandel im Groſſen zu ſeinem Hauptſiz waͤhlt.
Wie inſonderheit die geographiſche Lage einem Orte
dieſen Vorteil zuwendet, vorzuͤglich die Lage an dem-
jenigen Orte eines Fluſſes, wo die Seefahrt aufhoͤrt
und die Flußfahrt anfaͤngt, habe ich B. 3. Cap. 1.
§. 9 gezeigt. In alten Zeiten war es genug, nur
einen mittelmaͤſſigen Seehafen zn haben, um einen
Zwiſchenhandel von einiger Ausdehnung zu treiben.
In den Zeiten der Hanſa war ſo manche Stadt Nie-
derlage, Stapelſtadt und Marktplaz zugleich, und
konnte ſich lange dabei erhalten. Auch noch jezt
macht manche kleine See- ja manche Landſtadt ſich
einen gewiſſen Zwiſchenhandel eigen, wenn deren
Buͤrger ein hinlaͤngliches Maas von Taͤhtigkeit und
Handlungs-Kenntniſſen haben, und es iſt keine Vor-
ausſezung, welche den taͤhtigen und einſichtsvollen
Kaufmann, er lebe wo er wolle, hindern koͤnnte,
[247]C. 5. In Anſehung des Zwiſchenhandels.
den Zwiſchenhandel in demjenigen Wege zu treiben,
welchem ich B. 3. Cap. 1. §. 11 beſchrieben habe.
Wenn ein Ort zu einem groſſen Marktplaz fuͤr
die Handlung geworden iſt, (B. 3. Cap. 1. §. 9. ff.)
oder auch noch dahin ſtrebt, ein ſolcher zu werden,
ſo muß es ihm gleichguͤltig ſein, ob die Waaren auf
ſeinen Markt durch Eigne-Handlung oder durch Com-
miſſions-Handlung gelangen. Zwar iſt es dem ein-
zelnen Handelsmanne in ſolchen Staͤdten nicht aller-
dings gleichguͤltig, wenn ſich, bei dem jezt ſo allgemein
gewordenen Beſtreben die Handlung directe zu treiben,
wohin es nur immer moͤglich iſt, ſein eigner oder
ſein Commiſſions-Handel mehr und mehr in einen
bloſſen Tranſit-Handel verwandelt. Aber auch das
kann er verſchmerzen, und die Erfahrung beweiſet
es, daß in Handlungsplaͤzen, welche dem Zwiſchen-
Handel Einen Weg wie den andern erlauben, der
Eigne-Handel neben dem Tranſit-Handel nicht nur
ſich erhalte, ſondern mehr und mehr vergroͤſſere,
und dann das eine Folge davon werde, daß man den
Marktplaz wiederum mehr zu ſuchen aufaͤngt, wel-
chen man verlaſſen oder bloß zum Durchgang fuͤr
ſeinen eignen Handel benuzen zu koͤnnen glaubte.
Mehr davon §. 6.
[248]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Kein Ort kann in dem Beſiz des Zwiſchenhan-
dels beſtehen, wenigſtens nicht den Markt derjenigen
Guͤter an ſich halten, in Anſehung deren er mit an-
dern Plaͤzen in Concurrenz ſteht, wenn er die Ein-
und Ausfuhr derſelben mit hohen Zoͤllen beſchwert.
Er muß wenigſtens mit Auflegung und Beſtimmung
derſelben nicht weiter gehen, als er bemerkt, daß die
Concurrenz mit andern handelnden Staaten es ihm
erlaubt. In neuern Zeiten wendet man es als eines
der wirkſamſten Mittel an, einen Ort, auf welchen
man Zwiſchenhandlung ziehen will, von allen Zoͤllen
zu befreien, oder ihn zu einem Frei-Hafen (Por-
to Franco) zu machen. Italien hat einen ſolchen
an Livorno, in unſrer Nachbarſchaft iſts Altona.
Hamburg, das ſeine zwar ſchwachen Zoͤlle nicht ganz
entbehren kann, hat dieſelben in neuern Zeiten aͤuſ-
ſerſt vermindert, und von allen durchgehenden Guͤtern
ganz abgenommen.
In den Vereinigten Niederlanden hat man we-
gen der ſo hoch geſtiegenen Staats-Schulden die
Handlung mit zu ſtarken Abgaben belaſten muͤſſen,
und da hiedurch ſo wohl, als durch andre Umſtaͤnde
die Handlung dieſer Staaten viel verloren hat, ſo
iſt zwar ſchon vor vielen Jahren der Vorſchlag ge-
tahn, Einen Hafen der Republik zum Freihafen zu
[249]C. 5. In Anſehung des Zwiſchenhandels.
machen. Es wird aber nie dazu kommen, weil der-
jenige Plaz, dem dies Gluͤk wiederfaͤhrt, den Zwi-
ſchenhandel faſt ganz an ſich ziehen, und ſich zum
Nachteil der in alle ſolchen Ueberlegungen zu maͤchtig
einwirkenden Stadt Amſterdam heben wuͤrde.
Indeſſen wird in ſolchen Handelsplaͤzen die Eigne-
Handlung neben der Commiſſions-Handlung immer
beſtehen muͤſſen, wenn ſie den Markt bei ſich erhal-
ten wollen. Mit den Commiſſionen allein wuͤrde es
zu ungewiß gehen, manche Waare wuͤrde fehlen,
wenn ſie lebhaft geſucht wird, und wuͤrde alsdann
an einem andern Ort geſucht werden muͤſſen. Es iſt
aber niemals Schade fuͤr einen Plaz, wenn durch
Commiſſion von Einer Waare zu viel auf deren
Markt koͤmmt, obgleich alsdann einzelne Speculan-
ten dabei verlieren. So manche Art der Handlung
iſt auch, in welcher die Waaren niemals in Verkaufs-
Commiſſionen zu einem ſolchen Plaz kommen, und
die folglich ganz in demſelben fehlen muß, wenn ſie
nicht durch Speculanten als eigene Handlung betrie-
ben wird. So iſt es hier in Hamburg mit den Corin-
ten und mit den Italiaͤniſchen Oelen bewandt. Wenn
dann auch der inlaͤndiſche Kaufmann durch eben dieſe
Plaͤze ihrer Lage wegen den Weg fuͤr ſeinen directen
Handel ſucht, ſo iſt zwar wahr, daß dabei dem Ein-
[250]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
wohner ſolcher Plaͤze nicht der Verdienſt entgeht,
den ihm die Eigne-Handlung bei gut einſchlagenden
Conjuncturen und die Commiſſions-Handlung geben.
Die bloſſe Spedition iſt auch nicht eigentlich als ein
Zweig der Zwiſchenhandlung anzuſehen. Indeſſen
wuͤrde der Staat ſehr uͤbel tuhn, welcher in dieſer
Ruͤkſicht der durchgehenden oder Tranſito-Handlung
Schwierigkeit in den Weg legen wollte. Eins hilft
zum andern, und mancher Ort hat einen Abſaz der
auf ſeinen Markt zuſammen kommenden Waaren,
welcher ſich auf die Tranſito-Handlung gruͤndet. Der
Verdienſt fuͤr den geringen Mann iſt doch immer eben
ſo groß von der durchgehenden Waare, als von der,
welche der Kaufmann des Orts ſelbſt verſchreibt.
Die Handlungs-Politik voriger Zeiten ſah inſon-
derheit Jahrmaͤrkte und Meſſen als ein Mittel an,
den Zwiſchenhandel zu erwecken und zu unterhalten.
Auch in neuern Zeiten wandten inſonderheit die
Deutſchen Fuͤrſten daſſelbe zuweilen an, um einzel-
nen Staͤdten dieſen Handel zuzuwenden. Sie waren
in aͤltern Zeiten ſehr zutraͤglich als der Kaufmann
uͤberhaupt gewohnt war mit ſeinen Waaren, ſowol
zum Einkauf als Verkauf zu reiſen. Durch ſie wur-
den die Einkaͤufer und Verkaͤufer auf Einen Plaz
[251]C. 5. In Anſehung des Zwiſchenhandels.
zuſammen gebracht. Auch noch ſchaffen ſie dieſen
Nuzen in dem groſſen Handel den Kaufleuten ſolcher
Gegenden, welche den Handel noch nicht genug aus-
ſtudirt haben, oder wo die Straſſen nicht ſicher ge-
nug ſind, daß ſie ihr Gewerbe in dem gewoͤhnlichen
Wege der Spedition und Commiſſion gehoͤrig betrei-
ben koͤnnten. Aber in ſolchen Handlungs-Plaͤzen,
wo die Zwiſchen-Handlung ihren feſten Siz haben
ſoll, kann die Handlung ſich nicht an gewiſſe Zeiten
binden.
Der Auslaͤnder muß die Waare, die er dort ſucht, zu
allen Zeiten finden, er mag ſie committiren oder ſelbſt
kommen ſie zu holen. Z. B. im J. 1789 waren in Ham-
burg 13 Marokkaner, um Leinen aus der erſten Hand
zu kaufen. Sie fanden deſſen mehr, als ſie brauchten,
ohngeachter Hamburg keine Leinen-Meſſe hat. Aber
eben dieſe Leute wuͤrden, wenn eine ſolche Meſſe hier
waͤre, ihre Reiſe ſchwerlich darnach einrichten koͤn-
nen, um zur Zeit der Meſſe hier zu ſein. Wenn
daher auch ein ſolcher Plaz einen Jahrmarkt und
Meſſe hat, ſo koͤmmt dieſelbe bei deſſen uͤbrigen Hand-
lung in keine Achtung, und vermehrt deſſen Wol-
ſtand nicht ſonderlich.
Ich habe B. 2. C. 1. §. 11 von einer Art des
Zwiſchenhandels, der nicht uͤber den Wohnſiz des
[252]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Kaufmanns, der ihn treibt, geht, bereits genug ge-
ſagt, um ihn nicht hier aufs neue beſchreiben zu duͤr-
fen, aber auch erwaͤhnt, daß, ſo lobenswuͤrdig auch
die Taͤhtigkeit ſolcher Kaufleute iſt, die ihn zu trei-
ben verſtehen, der Vorteil davon fuͤr den Staat,
deſſen Buͤrger ſie ſind, ſehr eingeſchraͤnkt ſei. Wel-
cher Regent wird jedoch es ſich nicht angenehm ſein
laſſen, ſolche Kaufleute in ſeinen Staaten zu haben,
die, wenn ihre ſo feinen Speculationen einſchlagen,
zum Reichtuhm gelangen, und wenigſtens in ih-
rer Stadt Geld durch ihren Aufwand verbreiten.
Auch das Beiſpiel, das ſie ihren Mitbuͤrgern geben,
muß dem Regenten angenehm und wichtig ſein, um
Nacheiferung in andern Staͤdten und Gegenden des
Reichs zu erwekken, von welchen aus und zu wel-
chen die Speculationen betrieben werden, und dem
geringern Mitbuͤrger mehr Verdienſt geben koͤnnen.
Auch mag das Comtoir eines ſolchen Kaufmanns eine
vorzuͤgliche Schule fuͤr den ſich bildenden Juͤngling
ſein, wenn nur derſelbe nachher ſeine Entwuͤrfe nicht
alle und ganz in eben demſelben Wege, ſondern den
Lokalumſtaͤnden ſeines Wohnſizes gemaͤß, zu machen
faͤhig wird. Aber auf dieſe Art des Handels kann
die Handelspolitik des Regenten im geringſten nicht
einwirken. Er kann keinem guten Kopfe, der mit-
ten in ſeinem Lande wohnt, Waaren im Weſten von
Europa zu verſchreiben und in der Mitte oder im
[253]C. 5. In Anſehung des Zwiſchenhandels.
Oſten Europens zu verkaufen, gebieten. Er kann ihn
nicht in Zoͤllen beguͤnſtigen, da die von demſelben her-
ſpeculirten Waaren nicht in oder durch ſein Land gehen.
Er kann ihn nicht unterſtuͤzen, es ſei denn durch
groſſen Geldvorſchuß, und muß gewiſſermaſſen eines
ſolchen Kaufmanns Compagnon werden, welches
fuͤr jeden Fuͤrſten bedenklich iſt, und zu leicht die
Folge haben moͤgte, daß ein ſolcher Mann in gar zu
groſſe Speculationen verleitet wird, und die freie
Induſtrie und uͤberlegungsvolle Sparſamkeit verliert,
welche grade bei dieſem Handel ſo noͤtig iſt. So ent-
ſtand derſelbe in Iſerlohn in der erſten Haͤlfte dieſes
Jahrhunderts ohne alles Zutuhn der Preuſſiſchen
Monarchen, und da deſſen erſte wuͤrdigen Unter-
nehmer nicht alle durch ihnen aͤhnliche Nachfolger er-
ſezt ſind, ſo wird auch keine oberherrliche Ermun-
terung ihn wieder zu ſeinem ehemaligen Glanze
bringen koͤnnen.
Groſſe Geldgeſchaͤfte knuͤpfen ſich natuͤrlich an
einen groſſen Zwiſchenhandel an. Aber dieſer Han-
del ſelbſt haͤlt ſich auch vorzuͤglich an ſolche Staͤdte,
wo dieſe Geldgeſchaͤfte mit Leichtigkeit und Sicherheit
vorgehen. Der inlaͤndiſche Kaufmann muß ſich an
die Banker der groſſen Marktplaͤze halten, welche
in manchen Staͤdten, wie z. B. in London und Pa-
[254]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
ris, auch mancher inlaͤndiſchen Deutſchen Stadt nur
dies einzige Geſchaͤfte kennen. Daraus allein waͤchſt
einem Handelsplaz noch kein vorzuͤglicher-Seegen zu.
Ich koͤnnte mehr als Eine Stadt nennen, welche bei
groſſen durch ihre Banker betriebenen Geldgeſchaͤf-
ten doch ſehr nahrungslos iſt, und manche andere,
in welcher es zwar beſſer ſteht, die aber ihren eigent-
lichen Bankern wenig von ihrem Wolſtande zu dan-
ken hat. Sie ſieht ſie reich werden, Geld auf Geld
anhaͤufen, mit einigem Aufwande leben, aber ſelbſt
ihr erworbener Reichtuhm irrt in ihren fortgeſezten
Geld-Speculationen und Negotiationen in fremden
Landen umher, und naͤhrt in der Stadt wenige Leute,
als Buchhalter, Caſſirer, Comtoir-Bediente und
tagweis belohnte Geldſchlepper. Weit beſſer iſt es
unſtreitig, wenn in einer ſolchen Handelsſtadt jeder
Kaufmann im Stande iſt, der Banker ſeines Corre-
ſpondenten zu ſein. Dann knuͤpft ſich an dieſe Geld-
Umſaͤze ein fuͤrs Ganze moͤglicher Waarenhandel, es
ſei in Commiſſionen, oder auch nur in Speditionen.
Die Sicherheit ſolcher Geldgeſchaͤfte beruht frei-
lich auf den Geldeskraͤften derjenigen, die ſie treiben,
aber auch auf der Vorſichtigkeit, mit welcher ſie ſelbſt
dabei zu Werke gehen. Die Leichtigkeit aber wird
hauptſaͤchlich durch die Bank eines ſolchen Plazes be-
wirkt. Amſterdam hat lange in den Geldgeſchaͤften
[255]C. 5. In Anſehung des Zwiſchenhandels.
zum Behuf des ganzen Europa, aber auch zu ſeinem
eigenen Gewinn, das Uebergewicht uͤber alle jezige
handelnde Staaten gehabt, weil die Soliditaͤt der
Bank dieſer Stadt unbezweifelt war. Unbezweifelt,
ſage ich, weil man von ihrer eigentlichen Verfaſſung
ſo wenig wußte, oder ſie nicht unterſuchte, und kein
Vorfall einen Beweis gab, daß Verlegenheit fuͤr ſie
entſtehen konnten. Einen ſolchen Beweis zu geben
hat die Direction im J. 1790 ſich genoͤtigt geſehen, da
ſie den originellen Preis des Silbers um 10 p. C.
erhoͤhete. Die Folgen davon werden ihr um ſo viel
mehr bemerkbar werden, da gerade eben um dieſe Zeit
ihre vielleicht zu klein geachtete Neben-Buhlerin,
die Hamburgiſche Bank, ihre ſo vorzuͤgliche Einrich-
tung ganz vollendet, und ſich nun auf den Fuß ge-
ſezt hatte, daß, wenn nicht ganz unabſehbare Revo-
lutionen eintreten, der Urenkel des jeztlebenden Kauf-
manns im ganzen Europa in ſeinen Umſaͤzen mit
Hamburg auf eben den Silberwehrt in der Hambur-
giſchen Bank wird hinausrechnen koͤnnen, auf wel-
chen jezt ſein Ahnherr rechnet. Man ſehe mein Wort
zu ſeiner Zeit uͤber die Hamburgiſche Bank
von S. 450—494. im 3. B. unſrer Handl. Bbthek.
Eine Zettelbank tuht nicht eben dieſe Dienſte,
auch wenn ſie in dem beſten Beſtande iſt, und ihre
Papiere dem baaren Gelde gleich gelten. Doch iſt
[256]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
es immer beſſer, wenn ein Ort, oder ein Land, das
einen lebhaften Zwiſchenhandel treibt, eine ſolche
Bank, als wenn es gar keine hat, und deſſen Ban-
ker den auslaͤndiſchen Handelsmann in den Geldum-
ſaͤzen nach Willkuͤhr ſchnellen koͤnnen.
Zweiter Abſchnitt.
B) Die Handlung aͤlterer Zeiten beruhete faſt
ganz auf der Betriebſamkeit derjenigen groͤßtenteils
kleinen Staaten, welche durch den Zwiſchenhandel
bluͤheten. Auch in mittleren Zeiten war es eben ſo
bewandt. Die handelnden Staaten Italiens und
Deutſchlands, leztere in ihren beiden Buͤndniſſen,
dem Rheiniſchen und dem Hanſeatiſchen, nebſt eini-
gen Niederlaͤndiſchen Staͤdten, belebten allein den
Handel in denjenigen Europaͤiſchen Staaten, in wel-
chen er ſonſt ganz geruhet haben wuͤrde. Zwar hat
ſich dies, inſonderheit in dieſem Jahrhundert, ſehr
geaͤndert.
In jenen Zeiten ſtoͤrten freilich Kriege zuweilen
den Gang dieſer Handlung, aber nie legte der Hand-
lungsneid derſelben Hinderniſſe in den Weg, weil
noch kein Regent daran dachte, wie viel Gluͤk ſeinen
Staaten durch eigene Handlung erwachſen koͤnnte,
[257]C. 5. In Anſehung des Zwiſchenhandels.
und keiner, wenn er ja dies dachte, es verſtand die-
ſelbe an ſich zu ziehen. Der Kaufmann war alſo
allenthalben willkommen, er mogte als Kaͤufer oder
als Verkaͤufer erſcheinen, oder nur den Weg mit ſei-
nen Waaren durch Ein Land zu dem andern ſuchen.
So iſt es geblieben, bis die Regenten Europens in
Anſehung der Handlung anders zu denken anfingen,
aber auch nun zu geſchwind glaubten, eine jede Hand-
lung ihren Staaten eigen machen zu koͤnnen, welche
ſie andere Voͤlkern betreiben ſahen. Natuͤrlich ſind
ſie auf diejenige Handlung inſonderheit aufmerkſam
geworden, welche ſie den Weg durch ihr Land neh-
men ſahen. Der Gedanke eines Fuͤrſten hat viel
ſcheinbares: Wer durch mein Land handelt, der han-
delt bis in mein Land, und dann weiter uͤber daſſelbe
hinaus. Der Weg, welchen ſeine Waaren bis zu
mir und uͤber meine Grenzen hinaus nehmen, wird
nicht kuͤrzer, nicht laͤnger, wenn mein Untertahn
eben dieſe Waaren in dem erſten Teile des Weges zu
ſich holt, ſie zu ſeinem Eigentuhm macht, und ſie
ſeinen Mitbuͤrgern verkauft oder ſie weiter fort-
ſchikt. Die Koſten werden nicht groͤſſer, wenn eben
die Ueberlegung dabei angewandt wird; und werden
ſie es ja, ſo habe ich es ja in meiner Macht, dem
Fremdling dieſe Koſten durch meine Zoͤlle zu vermeh-
ren, und meinem Untertahn den Vorteil uͤber ihn zu
2ter Teil. R
[258]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
geben. Kein Regent neuerer Zeiten, und viel we-
niger irgend einer der alten, hat an dieſem Gedanken
ſo feſt gehaftet, als der groſſe Friedrich, groß in
allen Kenntniſſen, deren ein Regent bedarf, groß in
allen Maasregeln, die er zur Befoͤrderung der in-
laͤndiſchen Circulation anwandte, aber nichts weni-
ger als groß in ſeinen Einſichten und Kenntniſſen von
dem natuͤrlichen Gange der Handlung zwiſchen ver-
ſchiedenen Staaten. Er haßte den Zwiſchenhandel,
der durch ſeine Staaten gieng, und erſchwerte ihn
auf allen Wegen, von welchen er Meiſter war. Zum
Ungluͤk fuͤr ſeine Zeitgenoſſen war er, oder mach-
te ſich zum Meiſter von fuͤnf der groͤßten Fluͤſſe,
den vorzuͤglichſten Handlungswegen in der Mitte
Europens. Wem ich hiemit zu viel zu ſagen ſcheine,
dem werde ich nur den Zolltarif hinhalten duͤrfen,
welchen er noch im Jahre 1775 ſeinen Schleſiſchen
Handelsmaͤnnern gab. Jeder Artikel in demſelben
zeugt von dieſem Gedanken: Mein Schleſiſcher Kauf-
mann ſoll alles ſelbſt einhandeln und wieder verhan-
deln. Selbſt Auſtern ſoll er vom Meere her im
eigenen Handel zu ſich ziehen und ſie den Polen zu-
ſenden. Und ſo ward dieſe fauligte Waare, wenn
ſie durch Breslau durchgieng, mit 6 Ggr. aufs Hun-
dert, wenn ſie aber von dem Breslauer verſchrieben
war, mit 1 Ggr. belaſtet.
[259]C. 5. In Anſehung des Zwiſchenhandels.
Trieb es gleich keiner ſo weit, als er, und hat
gleich Friedrich Wilhelm bald gezeigt, daß er anders
daͤchte, ſo iſt doch Friedrichs des Einzigen Beiſpiel
im allgemeinen zu wirkſam geweſen, als daß man
ſich wundern duͤrfte, manche Nachahmung deſſelben
auch in dieſem Stuͤk entſtanden zu ſehen.
Mein Buch wird zwar dies nicht hindern, aber
es wuͤrde doch eine Luͤkke in demſelben ſein, wenn ich
nicht das Allgemeinſte wider Vorurteile dieſer Art
in demſelben in Kurzem ſagte, wobei ich jedoch, um
mich nicht zu ſehr zu wiederholen, auf meine hieher
gehoͤrigen Abhandlungen, die zweite und vierte meiner
kleinen Schriften uͤber die Handlung und
die 2te im 1ſten Stuͤk des 2ten Bandes unſerer
Handlungsbibliothek werde verweiſen duͤrfen.
Die hieher gehoͤrenden Gruͤnde davon ſind 1) Geo-
graphiſch. So ſehr die Schiffahrt verbeſſert wor-
den iſt, ſo ſind doch manche Seereiſen zu langwierig
und zu ungewiß, und manche Producte zu verderb-
lich, als daß der Handel mit denſelben in Einer See-
Reiſe vorteilhaft betrieben werden koͤnnte. Z. E.
der Weg fuͤr Ein Schiff, das mit Producten aus dem
Mittellaͤndiſchen Meere hoch in den Norden ſegelt, iſt
zwar keine der weiteſten Seereiſen. Aber er veraͤn-
R 2
[260]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
dert ſeine Richtung ſo oft, daß man zufrieden iſt,
wenn ein Schiff ihn in 3 Monaten zuruͤck legt. Es
kann aber auch 5 bis 6 Monate dauern, ohne daß ein
Schiff ſonſt Ungluͤck hat. Dieſe Zeit iſt zu lang fuͤr
die verderblichen Waaren jener Gegenden, und das
Schiff laͤuft Gefahr, erſt die noͤrdlichen Meere und
Fluͤſſe zu erreichen, wenn ſie zugefroren ſind. Als
im Anfang dieſes Jahrhunderts der Franzoͤſiſche Hof
es durchaus in den Gang ſezen wollte, daß die Franzoͤ-
ſiſchen Weine und andere Landes-Producte den nordli-
chen Staaten directe zugefuͤhrt wurden, ſtellte das da-
mals beſtehende Commerz-Collegium vor: die mehre-
ſten Franzoͤſiſchen Weine litten dieſe weite Reiſe nicht;
man muͤſſe dieſe Weine den Hollaͤndern gerne goͤnnen,
daß ſie Lager davon hielten, um ſie, wenn ſie ſich ge-
worfen, zu verbeſſern, und ſie dann trinkbar den
nordlichen Staaten wieder zu verkaufen. Einige
Waaren koͤnnen nicht anders als in ſolch einer Jah-
reszeit verſchrieben werden, da ihre Ankunft in den
noͤrdlichen Haͤfen vor Winter ſchon mißlich wird.
Dergleichen ſind Roſinen und Corinten. Wie waͤre
es da moͤglich und wie unſicher wuͤrde die Handlung
fuͤr einen Oſtſeeiſchen Plaz ſein, der im October ein
Schiff in Malaga oder gar in Zante befrachten
lieſſe, das, wenn es recht gluͤklich geht, um Neu-
Jahr ankommen wuͤrde. Es iſt umgekehrt mit man-
chen Producten des Nordens. Wenn z. E. Spanien
[261]C. 5. In Anſehung des Zwiſchenhandels.
Korn noͤtig hat, ſo wird ihm dies von Hamburg
oder Holland allenfalls im Febr. ſchon zugeſandt wer-
den koͤnnen. Aber aus einem Oſtſeeiſchen Hafen
nicht ſo fruͤh im Jahr. Von dieſem her moͤchte es
erſt nach dort vollendeter Erndte, oder in der Som-
merhize verdorben dort ankommen koͤnnen. Das
Korn uͤberhaupt kann nur ſelten der Gegenſtand ei-
nes Commiſſions- vielweniger eines Speditionshan-
dels werden, ſondern immer wird es dabei bleiben
muͤſſen, daß eigner Handel und Speculationen den
Handel damit beleben. Nur Unwiſſende koͤnnen ſich
dagegen empoͤren, und dem Speculanten im Zwi-
ſchenhandel den Vorteil misgoͤnnen, der ihm aus
einem ſo bedenklichen Gewerbe zuweilen entſteht.
2) Politiſch oder in dem jezigen Zuſtande der
handlenden Staaten gegruͤndet.
Es wuͤrde zu weitlaͤuftig werden, hier viele
Exempel anzufuͤhren, die man in der Handlungs-
und Staats-Geſchichte eines jeden Landes beſſer ken-
nen lernt. Es iſt bekannt und ſchon erwaͤhnt, daß
alle Staaten, welche Colonien beſizen, keiner frem-
den Nation den directen Handel auf ihre Colonien
erlauben. Das Mittel-Meer bleibt fuͤr die Seefahrt
aller Staaten wie geſchloſſen, welche den Frieden
[262]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
mit den Seeraͤuberiſchen Staaten nicht erkauft oder
erzwungen haben. Die Oſtindiſche Handlung iſt fuͤr
jeden Staat mißlich, der nicht ſeine Flagge den See-
Maͤchten reſpectabel machen kann, oder in jenen Ge-
genden Factoreien oder eignes Gebiet ſich zu erwer-
ben im Stande iſt. Lange glaubte Spanien und
fuͤhrte die Sprache ſo, als wenn es alle Europaͤiſche
Nationen von der Handlung beider Indien abhalten
duͤrfte. Noch in dieſem Jahrhundert ſah Kaiſer
Carl VI. ſeinen Plan, von den Niederlanden aus
nach Oſtindien directe zu handeln, durch die See-
Maͤchte niedergeſchlagen, welche den Vorwand dazu
in einem Artikel des Weſtphaͤliſchen Friedens fanden.
Durch eben dieſen Frieden hat Holland bis auf unſere
Zeit die Schelde fuͤr Antwerpen geſperrt erhalten,
wovon ſich loß zu machen Kaiſer Joſeph II. verge-
bens verſucht hat.
3) In manchen Faͤllen kommen geographiſche und
politiſche Urſachen zuſammen. Z. E. Frankreich
wird nie die Handlung im Norden anhaltend directe
treiben koͤnnen, weil es wegen Beſchaffenheit ſeiner
Kuͤſten am Canal und ganz verſchiedener Beſchaffen-
heit der Britiſchen Kuͤſten, auch in dem gluͤklichſten
Seekriege, nicht Meiſter von der Fahrt durch den
Canal bleiben kann.
[263]C. 5. In Anſehung des Zwiſchenhandels.
Von geographiſchen Urſachen, die auf die Oſtſee-
iſche Handlung Einfluß haben, iſt ſchon geredet; aber
auch politiſche Umſtaͤnde wirken hier ſehr mit ein.
Daͤnemark iſt nach ſeiner Lage gewiſſermaſſen Meiſter
vom Sunde. Der Hanſeatiſche Bund ſing an die Oſt-
ſeeiſche Handlung durch ſeine Haͤndel mit Daͤnemark,
inſonderheit in dem Grafen-Kriege 1533, zu verlie-
ren, und die Hollaͤnder ſezten ſich von der Zeit an in
den Beſiz derſelben durch die enge Verbindung, in
welche ſie mit Daͤnemark eintraten.
Daß ſehr oft politiſche und geographiſche Umſtaͤn-
de die inlaͤndiſche Handlung durch Sperrung der Fluͤſſe
in ihrem natuͤrlichen Gange ſtoͤren koͤnnen, zeigt ſich
in der Deutſchen Handlung und den Bemuͤhungen
Preuſſens, die Danziger Handlung zu ſtoͤren.
Indeſſen hat ein jeder Staat eine Menge Hand-
lungszweige, bei welchen es der Frage ſehr wehrt iſt,
ob die directe oder die Zwiſchenhandlung vorteilhafter
in denſelben ſei. Die Federfechterei daruͤber iſt nie-
mals ſo lebhaft geweſen, als ſie in unſern Zeiten war,
und niemals wurde die Fuͤrſten mehr gegen den Zwi-
ſchenhandel eingenommen, der von andern Staaten
in und durch die ihrigen geht.
[264]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Auch fuͤr den Kaufmann hat dieſer Grund vielen
Anſchein: der fremde Kaufmann, welcher die Waaren
eines Landes kauft, um ſie an einen dritten zu ver-
kaufen, ſucht einen Gewinn damit, den die erſte
Hand ſelbſt machen wuͤrde, wenn ſie da verkaufte,
wo er verkauft. Er macht auch einen Gewinn beim
Verkauf an die zweite Hand, den der lezte Kaͤufer
ſelbſt ſcheint machen zu koͤnnen, wenn er aus der er-
ſten Hand kauft.
Allein, nicht jede Art der Handlung kann dieſe
Vorteile nach ihrer Beſchaffenheit genieſſen. Je
weiter eine Handlung in die Ferne geht, deſto groͤſſer
wird die Gefahr des Verluſtes durch mislichen oder
zu lange dauernden Credit. Der Manufactur-Han-
del inſonderheit kann dieſe Gefahr nicht ertragen.
Sein Wolſtand beruhet darauf, daß das Gewerbe
im Lande, ſoviel moͤglich, in gleichem Beſtande fort-
gehe, und es dem groſſen Manufacturiſten nie an
Gelde fehle, um ſeinen Betrieb in gleicher Lebhaf-
tigkeit fortſezen zu koͤnnen. S. davon mehr in der
2ten Abhandl. meiner kleinen Schriften uͤber die
Handlung.
Man erinnere ſich hiebei an das, was B. 2 C. 4 §. 6
von der Wirkung der Nachfrage und deren Graden geſagt
[265]C. 5. In Anſehung des Zwiſchenhandels.
iſt. Nur eine ſtarke anhaltende Nachfrage iſt dem
Manufactur-Handel eines Landes zutraͤglich. Von
der hohen Nachfrage fließt demſelben an ſich allemal
etwas zu. Aber der Haupt-Gewinn muß dem Spe-
culanten gegoͤnnt werden, er wohne wo er wolle, er
ſei Mituntertahn, oder nicht.
Indeſſen mag ein jeder Kaufmann im Manu-
facturhandel ſich nach ſeinen Kraͤften richten. Wenn
er Geld genug hat, um nicht nur ſein Gewerbe an-
haltend fortzuſezen, ſondern auch bei entſtehender
Speculation ſtaͤrkere Ankaͤufe zu machen und den
beim directen Verkauf entſtehenden langen Credit
auszuhalten, ſo mag er immerhin auch den Vorteil
der hohen Nachfrage genieſſen. So geht es auch in
jedem Lande, wo der Manufactur-Handel einzelne
Leute ſehr reich gemacht hat, und wird auch immer
ſo bleiben. Die Schleſiſchen Kaufleute trieben ſchon
unter Oeſterreichiſcher Herrſchaft, die ſie nicht dazu
aufmunterte, zum Teil den directen Handel, wie
man aus Marpergers Schleſiſchem Kauf-
mann ſehen kann. Aber der Fuͤrſt tuht nicht wohl,
der den Manufacturiſten ſeines Landes uͤberhaupt
zu lebhaft zumuhtet, in dieſem Wege zu verfahren.
[266]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Inſonderheit aber behaͤlt der Zwiſchenhandel eine
groſſe Nohtwendigkeit, und wird ſich immer erhalten
muͤſſen, durch die Schwierigkeit der Zahlung in und
aus der Ferne. So weit es mit dem Wechſelgeſchaͤfte
jezt gelangt iſt, und ſo ſehr es ausſtudirt iſt, ſo hilft
es doch bei weitem nicht allen Schwierigkeiten in die
Ferne ab, ſelbſt in kurzen Entfernungen, wo man
es nicht vermuhten ſollte. Z. E. zwiſchen Hamburg
und der Schweiz. Von Hamburg kann auf Rusland
nur remittiret werden und Holland ſelbſt kann nicht
traſſiren. Schweden macht mit Hamburg vorzuͤglich
ſeine Wechſelgeſchaͤfte. Aber Hamburg ſelbſt kann nicht
auf Schweden traſſiren. Mehr hievon findet ſich
in meinem Briefe an Herrn Geh. Juſtizraht Moͤſer,
welcher der 4ten Abh. meiner kleinen Schriften
beigefuͤget iſt, und im erſten Buche Eap. 6. §. 36. ff.
dieſes Werks.
Ueberhaupt ſcheint der Sturm ſich jezt mehr und
mehr zu legen, welchen ſo viele Fuͤrſten, Miniſter
und Schriftſteller neuerer Zeit gegen den Zwiſchen-
Handel erregt haben. Wenn in der Politik von
Dankbarkeit die Rede ſein koͤnnte, ſo wuͤrde ich meh-
rere Tahtſachen zum Beweiſe anfuͤhren koͤnnen, wie
[267]C. 5. In Anſehung des Zwiſchenhandels.
viel der Handel einzelner Provinzen Deutſchlands
uͤberhaupt, insbeſondere aber der Manufacturhandel
dem Zwiſchenhandel der am meiſten beneideten Staͤdte
zu danken habe. Aber Ein Beiſpiel will ich doch noch
einmal hieher ſtellen, weil ich jezt den vollſtaͤndigen
Beweis aus einem der bewaͤhrteſten Preuſſiſchen
Schriftſteller geben kann. Die Schleſiſche Leinen-
Manufactur war im vorigen Jahrhundert ſehr unbe-
deutend, und es ward mehr rohes, nicht einmal ge-
bleichtes Garn, als Leinen ausgefuͤhrt. Faſt aller
Gewinn vom Leinenhandel mit Spanien und dem
Spaniſchen Amerika floß Frankreich zu. Hambur-
giſche Kaufleute waren es, die denſelben von Ham-
burg nach Schleſien verpflanzten. Dies habe ich be-
reits in der erſten Ausgabe meiner kleinen
Schriften geſagt, ſo wie ich es aus den Erzaͤh-
lungen meiner Mitbuͤrgor wußte. Aber weit um-
ſtaͤndlicher erzaͤhlt es Herr Zimmermann in ſeinen
Beitraͤgen zur Beſchreibung von Schle-
ſien, Brieg 1786, und aus dieſem in Auszuge Herr
Gilbert im erſten Bande ſeines Handbuchs fuͤr
Reiſende durch Deutſchland, Leipz. 1791.
Seite 425. “Hamburger Kaufleute lieſſen Schle-
“ſiſche Meiſter in der Franzoͤſiſchen Verfahrungsart
“unterrichten, verſchaften ihnen die noͤtigen Muſter,
“und tahten ſtarke Vorſchuͤſſe. In kurzer Zeit ge-
“lang dieſe Nachahmung ſo vollkommen, daß ſelbſt,
[268]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
“nach dem Geſtaͤndnis der Franzoſen, die Schleſi-
“ſchen Contrefaits den Muſtern in Nichts nachſtehen
“und in Wolfeilheit ſie noch ſehr uͤbertreffen, daher
“auch die Franzoſen ſich ihrer zu ihren Sortements
“bedienen. Man rechnet, daß Schleſien jezt halb
“ſo viel Contrefaits liefert, als uͤberhaupt an Fran-
“zoͤſiſcher Leinwand, Schleier und Cambray durch
“Europa und Amerika vertrieben wird. Faſt alle
“Arten Schleſiſcher Leinwand fuͤhren daher auch
“Franzoͤſiſche Namen, als Rouennes, Bretagnes,
“Platilles \&c.“ Daraus iſt nun ein Gewerbe ent-
ſtanden, welches in guten Jahren nach dem Zeug-
niſſe dieſer Schriftſteller zwiſchen 5 und 6 Millionen
fremdes Geld ins Land zieht. Herr Gilbert ſchlaͤgt
S. 428 den Vorteil der Hamburgiſchen, Hollaͤndi-
ſchen, Engliſchen und Spaniſchen Kaufleute in dem
weitern Betriebe dieſer Leinen zu 50 bis 60 p. C. an.
“Koͤnnte,“ ſagt er weiter, “die Leinwand uͤber
“Stettin aus unmittelbar nach Holland, England,
“Spanien, Portugal und Amerika gefuͤhrt werden,
“ſo wuͤrden die Schleſiſchen Kaufleute wenigſtens
“fuͤnfmal ſo viel als jezt gewinnen.“ Dieſe Zahl
moͤgte noch vielleicht zu klein ſein, wenn ſie fuͤr den
Unterſchied des Preiſes, fuͤr welchen dieſe Leinen in
Schleſien zu haben ſind, und desjenigen, fuͤr wel-
chen ſie tief in Amerika verkauft werden, gilt. Denn in
Peru und Chili werden ſie wenigſtens 100 p. C. teurer.
[269]C. 5. In Anſehung des Zwiſchenhandels.
Aber iſt dies alles Gewinn fuͤr jeden oder fuͤr alle
Zwiſchenhaͤnde, durch welche ſie bis dahin gelanget?
Wie viel Handlungs-Unkoſten, wie viel an Zoͤllen,
wie viel fuͤr die Fracht bis Amerika und weiter hin
uͤber Land, gehet nicht davon ab? Waͤre ein Gewinn
von 20 p. C. auch nur fuͤr die zweite Hand des Ham-
burgers, die ſie der erſten des Schleſiers abnimmt,
gewis, ſo iſt dies dem Hamburg ſo nahe lebenden
Schleſier ſo wenig verborgen, daß er den directen
Weg, wenigſtens nach Spanien (denn bis Amerika
iſt er ihm ſo wenig als dem Hamburger offen) laͤngſt
geſucht und gefunden haben wuͤrde. Handlungs-
Haͤuſer, die Kraͤfte genug dazu beſizen, fanden ihn
ſchon vor 1714, wie ich S. 266 angefuͤhrt habe. Ich
habe aber §. 36 der zweiten meiner kleinen
Schriften aus einer Vorſtellung der Schleſiſchen
Kaufleute ſelbſt, an den ſie zum directen Handel
kraͤftig auffodernden Koͤnig, die eigentlichen Gruͤnde
angegeben, welche ſie mit dem jezt beſtehenden ſo
natuͤrlichen Gange ihrer Handlung zufrieden ſtellen,
und Urſache wurden, daß dieſe Verſuche, wie Herr
Gilbert ſelbſt ſagt, fuͤr manchen ſo ungluͤklich aus-
gefallen ſind.
Der Zwiſchenhandel, welcher jezt noch in Euro-
pa uͤbrig iſt, wird gewiß nicht nur ſich erhalten, ſon-
[270]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
dern, da mit der ſteigenden Aufnahme ſo mancher
Staaten die Zahl der Conſumenten von Waaren aller
Art ſich fortdauernd mehrt, nicht nur die Handlung
uͤberhaupt, ſondern insbeſondere der Zwiſchenhandel
derjenigen Staaten und Staͤdte fortdauernd zuneh-
men, welche jezt durch ihre Lage und die Art ihrer
Betriebſamkeit in dem Beſiz derſelben ſind. Ich
habe alſo noch vieles uͤber die Handlungspolitik zu
ſagen noͤtig, die einem Staat in Anſehung des durch
ihn gehenden Handels zutraͤglich iſt, welchen ſich
ſelbſt eigen zu machen er die Hofnung aufgeben und
ihn in ſeinem Beſtande laſſen muß. In Anſehung
eines ſolchen Staats haben zwei Faͤlle Statt.
- I) Der Tranſithandel geht bereits durch ihn hin,
und kann keine andere Straſſe nehmen; oder - II) er ſucht den nicht durch ihn gehenden Tran-
ſithandel noch an ſich zu ziehen, oder den ſchon durch
ihn gehenden zu vermehren.
I) Wenn ich von Staaten rede, welche ſich ge-
wiß halten koͤnnen, daß der Tranſithandel nur durch
ſie ſeinen Weg nehmen koͤnne, ſo kann hie nicht die
Rede von Wegen des Handels uͤber offene Meere ſein,
ſondern von Flus- und von Landwegen. Dieſe haben
[271]C. 5. In Anſehung des Zwiſchenhandels.
die Regenten aͤlterer und neuerer Zeit ſich durch ihre
Zoͤlle aͤuſſerſt eintraͤglich zu machen geſucht, und es
iſt freilich nicht genau beſtimmbar, wie weit es da-
mit gehen koͤnne, ohne den Tranſithandel ganz zu
zernichten. Man weiß, wie uͤbertrieben hoch die Fluß-
Fahrt in Deutſchland mit Zoͤllen belaſtet iſt, ſo daß
man ſich wundern moͤgte, wie dieſe Fluͤſſe noch be-
fahren werden. Aber dieſe ſind nun einmal die von
der Natur angewieſenen Wege der Handlung, und
natuͤrlich werden ſie ungern von der Handlung ver-
laſſen, bevor die Zoͤlle den Vorteil beinahe ganz weg-
nehmen, welchen der Unterſchied zwiſchen der Fluß-
und Landfracht dem Kaufmann entſtehen macht.
Doch irrt ſich der Regent ſehr, deſſen Gierigkeit ſich
dieſen Grenzen zu ſehr naͤhert. Denn auch der ver-
haßte Aufenthalt, welchen dieſe Zoͤlle in der Fluß-
Reiſe verurſachen, wird ſchon eine Urſache dazu.
Auf der unvergleichbar ſchoͤnen Reiſe den Rhein hin-
ab von Mainz bis Coͤlln war es die einzige wirklich
empoͤrende Unannehmlichkeit fuͤr mich, unſer Schiff-
chen, welches nichts als drei Reiſende mit ihrem Rei-
ſegeraͤhte fuͤhrte, ohne Unterlaß bald rechts, bald
links zum Anlegen an den vielen Zollſtaͤdten genoͤtigt
zu ſehen. Ich erſtaunte aber vollends, als ich von
dem Schiffer hoͤrte, daß er, wenn er mit dem ledi-
gen Fahrzeuge zuruͤckehrte, eben denſelben Zoll fuͤr
daſſelbe bezahlen muͤßte. Er machte uns auch die
[272]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Rechnung, daß von 22 Rthlrn., fuͤr die wir die Reiſe
mit Einſchluß dieſer Zoͤlle bedungen hatten, ihm nur
wenige Tahler uͤbrig blieben, auf deren Erwerb er hin
und zuruͤk ſieben Tage verwenden mußte. Ungefaͤhr
fuͤr eben ſo viel Geld haͤtten wir zu Lande reiſen koͤnnen.
Wir waren alſo an der Grenze, bei welcher die Fluß-
und Landreiſe gleich koſtbar ward, und bezahlten folg-
lich den groſſen und kleinen Beherrſchern dieſer ſchoͤ-
nen Gegend wenigſtens 12 Tahler fuͤr das Vergnuͤ-
gen von deren Anblik. Eine zweite Urſache, den
Fluß zu verlaſſen, wird die Schwierigkeit der Reiſe
gegen den Strom. Es iſt denn doch nun auch wirk-
lich dahin gekommen, daß die Landfracht den Vor-
zug vor der Flußfracht fuͤr alle ſolche Guͤter gewinnt,
deren Wehrt das hoͤhere Fuhrlohn ertragen kann.
Eine ungeheure Maſſe von Waaren geht deswegen
von Hamburg auf Luͤneburg oder Harburg, und von
dort auf der Achſe in ſolche Gegenden des inneren
Deutſchlandes, welchen ohne dieſe Zoͤlle die Elbe ſie
zufuͤhren wuͤrde.
Mit ſo vielen und ſo hohen Zoͤllen kann nun frei-
lich die Landfracht nicht erſchwert werden, wenn
nicht der Fuͤrſt die durch ſein Land gehende Handlung
ganz niederſchlagen will. Aber doch fehlt es daran
nicht allerdings. Billig waͤre es auch, einem Tran-
ſithandel gute Straſſen zu geben, auch wenn man
[273]C. 5. In Anſehung des Zwiſchenhandels.
ſich gewiß glaubt, daß er keinen andern Weg neh-
men koͤnne. Aber ich kenne einen Staat, in wel-
chem ich die Straſſen uͤberall verfallen ſah, von wel-
chen ich wußte, das ſie unter der vorigen Regierung
in wenigſtens ertraͤglichem Zuſtande erhalten waren.
Aber man erklaͤrte mir dies ſo; Unſer Regent ſagt:
Je laͤnger die Fuhrleute und die Reiſenden in mei-
nem Lande aufgehalten werden, deſto mehr Geld
muͤſſen ſie verzehren.
II) Ganz anders muß freilich ein Regent ver-
fahren, wenn die Lage ſeines Landes eine ſolche iſt,
daß der Tranſithandel noch ſeinen Weg neben demſel-
ben finden kann. Zwar ertraͤgt derſelbe alsdann
auch noch Zoͤlle, ſelbſt auf den Landwegen, aber
dieſe muͤſſen ſehr maͤſſig ſein, und mit groſſer Gelin-
digkeit eingefodert werden. Dieſem Handel faͤllt der
Tranſitzoll ſelbſt nicht ſo ſchweer, als die ſcharfe Durch-
ſuchung mit dem daraus entſtehenden Aufenhalt und
den Plakkereien der Zollbedienten; und ein Umweg von
vielen Meilen wird dem mit ſeinen Guͤtern durchzie-
henden Fremdling nicht zu lang, um dieſe zu ver-
meiden. Bis zu dem Jahre 1770 gieng der Zug
der Polen von und zu der Leipziger Meſſe durch
Breslau, wo ein Zoll von dieſen Tranſitguͤtern von nur
einem halben p C. gehoben ward. Aber man nahm
2ter Teil. S
[274]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
ihn nach einer ungefaͤhren Schaͤzung an, und muh-
tete den Polen nicht zu, abzuladen und ihre Pakken
zu oͤfnen. Daraus war ein gewinnvoller Zwiſchen-
nicht Tranſithandel fuͤr die Breslauer ſelbſt entſtan-
den. Die Polen merkten ſich auf ihrer Hinreiſe die
Preiſe in Breslau. Wenn ſie dann dieſe in Leipzig
hoͤher fanden, oder von dieſen Waaren nicht genug
auf der Meſſe ſich fand, ſo kauften ſie dieſelben auf
ihrer Ruͤkkehr aus den Breslauiſchen Waarenlagern,
und zahlten gerne noch etwas mehr, als in Leipzig,
weil ſie vierzig Meilen weniger daran zu ſchleppen
hatten. Der dirigirende Miniſter aber gab Befehl,
dies halbe p. C. mit Schaͤrfe einzufodern, und unter-
warf die Polen einer ſo genauen Unterſuchung, als
waͤren es viele Procente geweſen. Dies war nur
Einmal geſchehen, als die Polen von Leipzig aus den
Weg durch Boͤhmen und das Oeſterreichiſche Schle-
ſien nahmen, und Breslau dieſen Handel verlor.
Der wuͤrdige Nachfolger jenes Miniſters hatte Jahre
vergebens angewandt, die Polen in den alten Weg
durch das Verſprechen wieder zu ziehen, daß ſie ſo
milde, wie vorhin, behandelt werden ſollten. Die Wir-
kung davon fing an ſich zu zeigen, als im Jahre 1775
der Koͤnig durch den §. 10 erwaͤhnten neuen Zolltarif
die Tranſithandlung Schleſiens ganz zu toͤdten unter-
nahm. Unter aͤhnlicher Veranlaſſung verlies nach
dem ſiebenjaͤhrigen Kriege die von Hamburg nach
[275]C. 5. In Anſehung des Zwiſchenhandels.
Ober-Sachſen gehende Landfracht die ebene Straſſe
durch das Magdeburgiſche und Halberſtaͤdtiſche und
nahm den Bergweg uͤber den Harz, nachdem Braun-
ſchweigiſcher Seits die Beſchwerlichkeiten deſſelben
durch einen Ausbau dieſer Straſſe etwas erleichtert
waren.
In ſo belegenen Laͤndern fuͤhlen dann die Regen-
ten, falls ihnen der Tranſithandel einigermaſſen lieb
iſt, mehr und mehr, wie nohtwendig gute Landſtraſſen
ſind. Dieſe ſind ein faſt ſo unfehlbares Mittel, den
Tranſithandel in neue von ihm noch nicht benuzte
Wege zu ziehen, als die Canaͤle es ſind, won welchen
ich deswegen hier nichts mehr ſagen werde, weil es
mir ſchweer werden moͤgte, nicht zu wiederholen,
was ich davon bereits B. 3. C. 8 geſagt habe. Aber
es iſt damit noch lange ſo weit nicht in Deutſchland
gediehen, als man es deswegen erwarten ſollte, weil
die kleinern Staaten nur darin das ſichere Mittel fin-
den koͤnnen, einen Tranſithandel in ihr Land zu zie-
hen, der ſo leicht ſeinen Weg neben ihre Grenzen hin
finden kann. Aber eben die Miſchung ſo vieler klei-
nen Gebiete durch einander wird eine Haupthindernis.
Die ſo boͤſe mit Recht verſchriene Meile zwiſchen Buz-
bach und Friedberg, welche durch das Gebiet von fuͤnf
Herrn geht, giebt ein redendes Beiſpiel davon. Faſt
S 2
[276]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
vergebens hat der Herr Landgraf von Heſſen Caſſel
der Handlung den Weg auf ſeinen gebeſſerten Chauſ-
ſeen gegen Frankfurt zu erleichtert. Auf dieſer Meile
wird wahrſcheinlich noch lange der Fuhrmann ſeine
Pferde zu Grunde richten muͤſſen, und der Reiſende
doppeltes Poſtgeld fuͤr einen Weg bezahlen muͤſſen,
welchen zu beſſern, und dann ein hohes Wegegeld
von ihm zu fodern, dieſe fuͤnf Herren ſich nicht verei-
nigen koͤnnen oder wollen.
Der Tranſithandel bedarf in ſeinem Wege derjeni-
gen Staͤdte, welche ich B. 3. C. 3. §. 5. Ablager-
Plaͤze benannt habe, deren Wolſtand folglich ganz
darauf beruht, dieſen Handel an ſich zu halten.
Sind ſie einem Landesherrn unterworfen, ſo haͤngen
ſie freilich von der Handlungspolitik deſſelben ab, und
ich habe in Anſehung ihrer wenig zu ſagen. Doch
kann ich nicht unbemerkt laſſen, daß, da viele die-
ſer Staͤdte alte dem Handel laſtige Vorrechte haben,
ein Regent ſehr zu uͤberlegen hat, ob es fuͤrs Ganze
rahtſam ſei, ſie bei dieſen Vorrechten zu erhalten,
zumal wenn in dieſen Staͤdten ſelbſt keine reine Ein-
ſichten in Anſehung der Handlung gelten, oder deren
Eigennuz das Wol des Landes von ihrem beſondern
Wolſtande zu ſehr unterſcheidet. Die Haͤndel, wel-
che die Stadt Roſtock ihrem Landesherrn und ihren
[277]C. 5. In Anſehung des Zwiſchenhandels.
Mitſtaͤnden macht, ſind ein redendes Beiſpiel dieſer
Art. Man ſehe davon mein Gutachten im 1ſten
Stuͤk des 3ten Bandes unſerer Handlungs-Bi-
bliothek, aber auch S. 32 ein anderes Beiſpiel,
wie das Tribunal zu Wismar aͤhnliche Anmaſſungen
der Stadt Stralſund, und S. 5, wie Catharina die
faſt noch weiter gehenden Anmaſſungen der Stadt
Reval niedergeſchlagen hat. Und ſo muß es auch
nach hoͤchſter Billigkeit ſein. Wer nicht parteiiſch iſt,
wird mit mir darin einig ſein, daß ein Land, wel-
ches das Gluͤk hat, an der See belegen zu ſein, aber
nur Einen oder wenige Seehaͤfen hat, ſehr uͤbel daran
ſei, wenn dieſe Haͤfen ihm nicht als Ablagerplaͤze die-
nen, keinen Tranſithandel verſtatten, ſondern alles
durch Eigenhandel betreiben wollen. Der Fuͤrſt muß
vielmehr alles anwenden, einen ſolchen Seeplaz zum
Ablagerplaz fuͤr den Tranſithandel zu machen, wenn
es nur immer moͤglich iſt. Dies gelingt nicht immer,
wie es denn dem Daͤniſchen Hofe bisher mit der Stadt
Kiel noch nicht recht hat gelingen wollen. Dann
aber mag die Stadt, wie das Land, dies gleich ſehr
bedauern.
Wenn der Handlungsneid gegen den Nachbarn
einen Fuͤrſten leitet, einer in dem Wege des Tranſit-
Handels belegenen Stadt ſolche Rechte zu geben, oder
veraltete Rechte hervor zu ſuchen, ſo hat dies freilich
[278]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
mehrern Schein. So ſuchte Friedrich um das
Jahr 1750 die vernachlaͤſſigte Stapelgerechtigkeit der
Magdeburger wieder hervor, und ſperrte den Sach-
ſen, wie den Hamburgern, die Fahrt laͤngſt der Elbe.
Man wuͤrde mir nicht glauben, wenn ich behaupten
wollte, daß Magdeburg keinen weſentlichen Vorteil
davon gehabt habe. Denn ſeine Schiffer ſind ſeit
der Zeit Meiſter davon geweſen, ihre Frachtgelder
ſehr zu erhoͤhen. Aber es iſt doch auch Eine derer Ur-
ſachen geworden, warum, wie ich §. 21 dieſes Capitels
erzaͤhlt habe, der Tranſithandel ins innere Deutſch-
land ſeitdem weit ſtaͤrker, als vorhin, die Straſſe uͤber
Luͤneburg und Braunſchweig gewaͤhlt hat, und wird
eine Urſache ſein, warum die Preuſſiſchen Staaten
von der groſſen ſeitdem entſtandenen Zunahme der von
Hamburg ab gehenden Tranſithandlung weit weniger
Nuzen haben werden, als ihnen ſonſt entſtanden ſein
moͤgte. Es ſei denn, daß der unter des jezigen Koͤ-
nigs Majeſt. unternommene Straſſenbau im Magde-
burgiſchen den Tranſithandel mehr wieder dahin lokt.
In eben ſolchen Ablagerſtaͤdten werden ernſthafte
Verfuͤgungen noͤtig, daß das Fuhrweſen dort zu kei-
ner Zeit fehle, die Waaren ſchnell genug hin und her
befoͤrdert werden, und die Frachtgelder billig bleiben
moͤgen. Dazu gehoͤrt nicht wenig, und Local-Um-
[279]C. 5. In Anſehung des Zwiſchenhandels.
ſtaͤnde erregen oft boͤſe Hinderniſſe. Es iſt und wird
ein ſolches fuͤr die Aufnahme des Tranſithandels in
Kiel bleiben, daß die Gegend umher nicht Fuhrwerk
genug hat, ſo lange die umliegenden Guͤter nur Leib-
eigne Bewohner haben, welche ſich mit Frachtfuhren
nicht befaſſen koͤnnen noch duͤrfen. Dann aber be-
darf es auch einer ſtrengen Aufſicht, daß das Spedi-
tionsweſen mit Ehrlichkeit, Sicherheit und mit moͤg-
lichſt geringen Nebenkoſten fortgehe. In ſolchen
Staͤdten ſind von Alters her viele Leute zu ſolchen
Dienſten angeſtellt, welche nicht weſentlich nohtwen-
dig ſind, oder ſind zu einem zu hohen Lohn fuͤr dieje-
nigen Dienſte berechtigt, deren der Tranſithandel
wirklich bedarf. Denn ſorgfaͤltige Ordnung iſt frei-
lich bei dieſen Geſchaͤften noͤtig, damit alle Waaren
zu treuen Haͤnden gelangen, und die Frachtbriefe ge-
hoͤrig ausgeſtellt werden, welche bei der Landfracht
die Stelle der Connoſſementen in der Schiffahrt ver-
treten. Dabei kann ich die Anmerkung nicht unter-
druͤkken, daß die Exempel von Dieberei und Verun-
treuung bei Landfrachten viel ſeltener als bei Schiffen
ſind, ungeachtet ein Fuhrmann, der viele Meilen
ohne Zeugen uͤber Land faͤhrt, ſie viel leichter finden
muß, als Seeleute in einem vollgepakten Schiffe,
aus welchem ſie nur im Hafen das Geſtohlne auf die
Seite bringen koͤnnen. Auf Flußfahrten ſind die
Exempel viel haͤufiger. Die Urſache ſcheint mir teils
[280]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
in der Lebensart eines Fuhrmanns, teils in dieſem
Umſtande zu liegen: der Fuhrmann, welcher Waaren
veruntreut, kann die Schuld auf niemanden anders,
hoͤchſtens auf ſeinen Knecht, werfen. Aber er kennt
ſeine Knechte beſſer und wechſelt nicht oft mit ihnen;
weiß auch, daß er keine Fracht da wieder findet, wo
er oder ſeine Knechte ſich verdaͤchtig gemacht haben.
Aber der Schiffer, welcher faſt zu jeder Reiſe anderes
Volk dinget, ſchiebt es auf dieſes, und wird immer
vorgeben, er habe nun ſichrere Leute ausgeſucht.
Unabhaͤngige Staͤdte, deren Hauptgeſchaͤfte die
Spedition iſt, werden freilich aͤhnliche Grundſaͤze in
ihrer Handlungspolitik befolgen muͤſſen. Sie wer-
den inſonderheit keine Stapelgerechtigkeit behaupten,
und nicht auf eigenen Handel halten koͤnnen, wenn
Einmal derſelbe ſich in einen Tranſithandel verwan-
delt hat. Die Stadt Luͤbek giebt davon ein merkwuͤr-
diges Beiſpiel. So lange ſie das Haupt der Hanſa
war, trieb ſie faſt nur eigenen Handel, und bediente
ſich Hamburgs in einem groſſen Teil deſſelben als
eines Ablagerplazes. Viele ihrer Statuten zwekten
auch darauf ab. Als aber die Umſtaͤnde ſich aͤnderten,
und es allmaͤhlich dahin kam, daß ſie hauptſaͤchlich
nur durch den Tranſithandel bluͤhete, hat ſie dieſem
ſeine gaͤnzliche Freiheit gelaſſen, und ihren alten auf
[281]C. 5. In Anſehung des Zwiſchenhandels.
den Eigenhandel ſich beziehenden Verfaſſungen ent-
ſagt. Aber darin iſt ſie in dem alten Wege geblieben,
daß ſie jenen Handel unter der Laſt eines Zolles gelaſ-
ſen hat, welcher im Durchſchnitt genommen 2 p. C.
betraͤgt, die freilich mit einer Gelindigkeit gehoben
werden, wovon der Luͤbeckiſche Speditoͤr, nicht der
Verſender den groͤſten Vorteil zieht. Bis an unſere
Zeiten hat ſie dabei beſtehen koͤnnen, weil die kurze
und dabei wolfeile Landfracht den Uebergang der Waa-
ren aus der Nordſee in die Oſtſee an dieſe Stadt feſt-
gehalten hat. Doch bemerkt ſie nun ſchon, daß der
Daͤniſche Canal ihr ſehr vieles abzieht, durch welchen
ſelbſt ihre Schweſterſtadt Hamburg alle Waaren aus
der Oſtſee zu ſich zieht und verſendet, bei welchen die
Rechnung ergiebt, daß dieſer in Luͤbeck zu zahlende
Zoll dabei erſpart werden koͤnne.
In Hamburg iſt es gerade umgekehrt ergangen.
Seitdem dieſe Stadt, vorzuͤglich durch das Ueberwan-
dern der Antwerper am Ende des ſechzehnten Jahr-
hunderts, Kraͤfte und ſolche Kenntniſſe gewann, wie
ſie zum eigenen Handel erfodert werden, ward dieſer
lange als der einzige angeſehen, der Hamburg reich
machen koͤnnte. In dem vorigen Jahrhundert gieng
die Handlungspolitik der Hamburger faſt ganz auf
dieſen Zwek. Sie bewirkte noch bei den Kaiſern Fer-
dinand II. und Leopold I: die Befeſtigung ihrer bis
[282]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
dahin ſchwankenden Stapelgerechtigkeit in der groͤßten
moͤglichen Ausdehnung. Man ſ. mein Roſtock be-
treffendes Gutachten S. 18. ff. Aber nun ent-
ſtand faſt unter ihren Mauern eine Stadt, welche
durch ihren Landsherrn zum Freihafen erklaͤrt wurde.
Es kam darauf an, allen Haͤndeln ſich auszuſezen und
ſie auszufuͤhren, welche die Behauptung jener Sta-
pelgerechtigkeit gegen dieſelbe nach ſich gezogen haben
wuͤrde, oder das zu tuhn, was die Natur des Tran-
ſithandels erfodert, d. i. allen Zoll auf denſelben auf-
zugeben. Lezteres iſt geſchehen, und Hamburg hat
gewiß wol daran getahn.
Sechſtes Capitel.
Von der Handlungspolitik in Anſehung
der Schiffahrt.
§. 1.
Ich habe nicht vermeiden koͤnnen in demjenigen, was
ich in dem 1ſten Cap. des 4ten Buchs von der Schif-
fahrt uͤberhaupt als einem Huͤlfsmittel der Hand-
lung ſagte, ſchon vieles von den geographiſchen und
[283]C. 6. In Anſehung der Schiffahrt.
politiſchen Vorteilen eines Volks in Abſicht auf die
Schiffahrt zu ſagen, werde mich aber huͤten, nicht
in unnuͤze Wiederholungen zu gerahten. Fuͤr den Re-
genten hat die Schiffahrt nur Eine Seite. Sie gilt
ihm als das erſte Huͤlfsmittel zur Belebung des in-
laͤndiſchen Geldumlaufs, und zur Ausbreitung der
Handlung ſeines Staats, wenn die Natur demſelben
die Lage gegeben hat, daß er daſſelbe benuzen kann.
Freilich iſt die Schiffahrt ein Gewerbe, von welchem
der Gewinn zweifelhafter iſt, als von irgend einem
andern, und das Werkzeug derſelben, das Schiff,
hat bei ſeiner groſſen Koſtbarkeit einen ſo veraͤnderli-
chen Wehrt, als kaum irgend ein anderes Ding, das
der Buͤrger eines Staates als einen Teil ſeines nuz-
baren Eigentuhms beſizt. Dies Gewerbe bedarf alſo
mehr Ermunterungen, als irgend ein anderes. Der
Regent muß daher alle moͤgliche Sorge anwenden,
um den Gewinn deſſelben ſo groß und inſonderheit ſo
gewiß fuͤr ſeine Untertahnen zu machen, als es nur
immer bei der natuͤrlichen Mislichkeit deſſelben moͤg-
lich iſt.
§. 2.
Die erſte natuͤrlich ſich darbietende Maasregel
dazu iſt, daß er ſeine Untertahnen leite, in dem Han-
del, den ſie ſelbſt treiben, eigene Schiffe oder nur die
Schiffe ihrer Mitbuͤrger zu gebrauchen. In vorigen
[284]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Zeiten bedurfte es dazu keiner Aufmunterung und kei-
ner Befehle. Der Kaufmann, welcher uͤber See
handelte, taht dies faſt immer nur mit ſeinen eigenen
Schiffen. Sein Schiff fuͤhrte gemeiniglich nur ſeine
Waaren, und brachte in ſeiner Ruͤkfracht wenig andere
Waaren mit, als die ſein Eigentuhm geworden waren.
Doch kam es ſchon damals auf die beſondere Taͤhtig-
keit an, in welcher ein handelnder Staat den andern
uͤbertraf. Der ganz active Handel der Hanſeaten
verſchafte ihren Schiffen die Ruͤckfracht, wie die Hin-
fracht. Sie lieſſen alſo denen Voͤlkern, mit welchen
ſie handelten, nicht einmal den Anlaß entſtehen, die
Hanſeatiſchen Haͤfen mit ihren Schiffen zu befahren.
Insbeſondere hielt ihre Handlungspolik, die ſo lan-
ge ſehr gewalttaͤhtig war, als ſie dazu die Kraͤfte
fuͤhlten, die Schiffe aller andern Europaͤer von der
Oſtſee ab. So etwas hat nun nicht mehr Statt, und
kann fuͤr minder maͤchtige Staaten nicht wieder ent-
ſtehen. Die Schiffahrt der handelnden Nationen
durchkreuzt ſich uͤberhaupt ſo ſehr, und der Kaufmann
ſelbſt folgt ſeinem Privatnuzen ſo gerne in der Aus-
wahl der Schiffe, die er mit ſeinem Handel beſchaͤf-
tigt, daß wirklich es einer beſondern Aufmerkſamkeit
des Regenten bedarf, um es dabei zu erhalten, daß
die Schiffe ſeines Volks auch nur in deſſen Handlung
vorzuͤglich ihre Beſchaͤftigung und Verdienſt finden.
[285]C. 6. In Anſehung der Schiffahrt.
Dieſe Aufmerkſamkeit wird in neuern Zeiten faſt
von allen Regenten angewandt, deren Volk die See
befaͤhrt. Frankreich hat ſeit langer Zeit ein Faßgeld
(droit de tonneau) von 2½ Livres auf die Tonne,
d. i. 2000 Pfund, die ein Schiff in Fracht nehmen
kann, feſtgeſezt. Schweden hat durch Verfuͤgungen,
die den Britiſchen ſich naͤhern, jedoch bei weitem nicht
ſo hart fuͤr andre ſeefahrende Voͤlker ſind, ſeiner See-
fahrt den ihr aus ſeinem eignen Handel zuflieſſenden
Vorteil geſichert. Portugal hat allererſt vor wenig
Jahren die Schiffe der Nation mit einem Vorteil von
5 p. C. im Zoll beguͤnſtigt. Grosbritanien iſt am
weiteſten darin gegangen, da es durch ſeine 1651
feſtgeſezte und 1660 beſtaͤtigte Navigationsacte den
Schiffen aller fremden Nationen ſeine Haͤfen gewiſ-
ſermaſſen geſchloſſen hat. Denn wenn es gleich ihnen
erlaubt, die Waaren ihres Landes zu ihm uͤberzufuͤh-
ren, ſo nimmt es ihnen durch das Verbot, keine ein-
heimiſche Guͤter oder die ſeiner Colonien aus Briti-
ſchen Haͤfen zuruͤck zu nehmen, den Vorteil der Ruͤk-
fracht, ohne welchen in den Umſtaͤnden unſerer Zeit
die Schiffahrt uͤberhaupt dem Eigner eines Schiffes
nicht lange eintraͤglich bleiben kann.
§. 3.
Ich habe die Geſchichte dieſer Navigationsacte,
zum zweiten male ausgearbeitet, unſerer Hand-
[286]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
lungs-Bibliothek in deren zweitem Bande ein-
geruͤkt, und mag nichts aus derſelben hier wieder-
holen. Sie iſt freilich die gewiſſeſte Maasregel, die
ein Staat nehmen kann, um ſich nicht nur allen Vor-
teil, der aus ſeiner eigenen Handlung fuͤr ſeine Schif-
fahrt entſtehen kann, eigen zu machen, ſondern auch
ſich in dem Genuß des Gewinns der Schiffahrt auf
fremde Staaten zu ſezen. Sie iſt aber auch die ge-
walttaͤhtigſte Maasregel der Handlungspolitik. Waͤre
es moͤglich, daß ſie von allen andern ſeefahrenden
Nationen befolgt wuͤrde, ſo wuͤrde der Gewinn von
der Fracht fuͤr jedes Schiff im Durchſchnitt auf die
Haͤlfte herabgeſezt, oder, weil doch die Seefahrt
nicht ganz aufhoͤren kann, ein jeder Schiffer genoͤtigt
werden, ſeine Hinfracht aus dem Hafen, dem er an-
gehoͤrt, zu verdoppeln, um beſtehen zu koͤnnen. Welch
ein ſchweres Hindernis der Handlung wuͤrde nicht dar-
aus entſtehen! Man ſehe meine angef. Abhandlung,
inſonderheit von S. 654 an, wo ich die Urſachen zu-
ſammengeſtellt habe, weswegen andere ſeefahrende
Voͤlker nicht die billige Vergeltung in Feſtſezung aͤhn-
licher Verordnungen genommen haben, oder haben
nehmen koͤnnen. Dies iſt nun freilich ein Gluͤck fuͤr
die Handlung uͤberhaupt. Indeſſen fahren die Brit-
ten fortdauernd in demſelben Wege fort, und ſchmaͤ-
lern die Vorteile anderer Voͤlker, welche ſie ihnen in
jener Acte noch uͤbrig gelaſſen oder ihnen durch be-
[287]C. 6. In Anſehung der Schiffahrt.
ſondere Vertraͤge erlaubt haben. Man leſe eben da-
ſelbſt die Geſchichte derer beſondern Acten, durch
welche Carl II. die drei Hanſeſtaͤdte und Danzig von
der Navigationsacte zwar befreiete, aber auch wie
durch ſo viele neue Parlamentsacten der Vorteil fuͤr
dieſe Begnadigung den Hamburgern insbeſondere in
den fuͤr die Schiffahrt eintraͤglichſten Waaren ge-
ſchmaͤlert wird.
§. 4.
Indeſſen zeigt ſich genugſam, daß durch die gelin-
deren Verfuͤgungen anderer Staaten allein nur ein Teil
von demjenigen erlangt wird, was dabei zum Zwek
geſezt war. Es ſind derer Umſtaͤnde ſo viele, die es
hindern, daß ein Volk auch nicht einmal die von ſei-
ner eigenen Handlung gehoften Vorteile fuͤr ſeine
Schiffahrt ziehen kann. So hat z. B. Frankreich
das Faßgeld allen denen Nationen erlaſſen muͤſſen,
deren Handlung auf ſeine Haͤfen ihm angenehm und
wichtig iſt. Es hat durch ſo viele Ermunterungen
bisher ſeine Seefahrt auf die Nordiſchen Haͤfen auch
in Friedenszeit nicht ſo vermehrt geſehen, als es ge-
wiß erwartete. Die Haupturſache davon ſcheint mir
zu ſein, daß dieſer Nation, welcher bei der groſſen
und mannigfaltigen Fruchtbarkeit ihres Bodens die
Materialien zum Schiffsbau ſo ſehr fehlen, ihre
Schiffe zu koſtbar im Bau werden, und ſie daher ſich
[288]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
begnuͤgen muß, nur Schiffe genug fuͤr ihre Kuͤſten-
ihre Coloniefahrt und den Levantiſchen Handel zu be-
ſizen. Ja, ſie kann es nicht einmal dahin bringen,
daß ihre Schiffe nur die Hinfracht auf die Haͤfen der
Britten mit Vorteil machen koͤnnten, welchen ſie das
Faßgeld, wie billig, nicht erlaſſen hat. Die Urſache
liegt darin, daß die Britiſchen und Irlaͤndiſchen
Schiffe, welche Franzoͤſiſche Producte, inſonderheit
Weine, holen, immer eine volle Hinfracht auf die
Franzoͤſiſchen Haͤfen, und waren es auch nur Stein-
kohlen, mitnehmen koͤnnen, welche ihnen mehr, als
das Faßgeld koſtet, einbringt, folglich immer die Ruͤk-
fracht wolfeiler geben koͤnnen, als der Franzoͤſiſche
Schiffer, welcher nur die Hinfracht gewinnen kann,
und mit Ballaſt wieder zuruͤck ſegeln muß. Auch von
Portugieſiſchen Schiffen ſieht man ſeit jener Beguͤn-
ſtigung wenige mehr in dem Hamburgiſchen Haͤfen an-
kommen; doch vermehrt ſich deren Fahrt auf die Oſt-
See. Schweden hat noch bisher die Vorteile ſeiner
oben erwaͤhnten Verfuͤgung ohne andre Unterbre-
chung, als in Kriegszeiten, genoſſen.
§. 5.
Die Kriegsvorfaͤlle ſtoͤren nicht nur oft ein Volk
in dem Genuß der Schiffahrt fuͤr ſeine eigene Hand-
lung, ſondern wirken auch in die Friedenszeit hinaus.
Dies erfaͤhrt Frankreich, inſonderheit in Anſehung der
[289]C. 6. In Anſehung der Schiffahrt.
von ihm ſo ſehr gewuͤnſchten Nordiſchen Seefahrt,
die, wenn ſie im Frieden zu einiger Hoͤhe gelangt iſt,
in jedem Seekriege mit den Britten ganz und gar
wieder niedergeſchlagen wird, ſo daß auch kein Fran-
zoͤſiſches Kauffardeiſchiff ſich noch durch den Canal wa-
gen kann. Hierin iſt ihm die Natur ſelbſt zuwieder.
Ich habe es nun ſchon drei mal erlebt, daß die Colo-
niehandlung von Havre de Grace und die Seehan-
dlung zwiſchen demſelben und Hamburg in den lebhaf-
teſten Gang gekommen und wieder niedergeſchlagen
iſt. Der Weg dorthin iſt kuͤrzer, die Fahrt kann mit
kleineren Schiffen betrieben werden, von welchen
man Beiſpiele hat, daß ſie ſieben Reiſen in Einem
Jahre gemacht haben. Der Kaufmann unſerer Ge-
gend kann alſo die committirten Colonie-Waaren von
dorther geſchwinder auf ſein Lager bekommen, als von
den entfernteren Franzoͤſiſchen Haͤfen und auf groͤſſern
Schiffen. Allein, ſobald ein Seekrieg ausbricht, iſt
auch der kleine Teil des Canals, durch welchen ein
Schiff auf Havre de Grace ſegeln muß, zu unſicher
fuͤr daſſelbe, und aller Coloniehandel dieſes Plazes
hoͤrt auf.
Das alles war in fruͤhern Zeiten anders, als jezt.
Wenn eine ſeefahrende Nation in Krieg gerieht, ſo
mußte ſie dennoch ihre Schiffe auf die See wagen,
wollte ſie anders ihren Handel fortſezen. Denn Ei-
2ter Teil. T
[290]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
nes Teils boten ſich ihr nicht die Schiffe anderer Na-
tionen fuͤr ihre Frachten an; andern Teils entſchied
die Aſſecuranz, die damals minder gewoͤhnlich war,
nicht ſo, wie jezt, in denen Ueberlegungen, die der
Kaufmann macht, wenn er ſeine Waare in mislichen
Zeitumſtaͤnden uͤber die See wagt. Jezt aber hat
jedes Schiff den Vorzug unter denen, die zu gleicher
Zeit in Ladung liegen, fuͤr welches der Aſſecuradoͤr
weniger Praͤmie fodert. Ehemals ließ der in Krieg
gerahtene Staat ſeine Schiffe ſich in Flotten ſammeln,
und durch bewehrte Schiffe ſie begleiten. Da muß-
ten dann die Schiffe, welche einerlei Beſtimmung
hatten, ſich ſammeln, und abwarten, bis eine der
Eſcortirung wehrte Zahl ſegelfertig ward. Das aber
vertraͤgt ſich in dem jezigen Gange der Handlung nicht
mit den Speculationen eines Kaufmanns, bei deren
Ausfuͤhrung jeder Zeitverluſt ihn verlegen macht.
§. 6.
Jedes Volk, das Colonien hat, haͤlt von allen
Teilen der Schiffahrt zum Behuf des eignen Handels
die Schiffahrt auf ſeine Colonien am feſteſten an
ſich. Dieſe einer andern Nation frei geben, wuͤrde
ebenſoviel ſein, als derſelben den eignen Coloniehandel
ſelbſt ſchenken, und alle Vorteile aufgeben, die der-
ſelbe fuͤr das Mutterland hat. Dennoch aber kann
faſt keine Nation es ganz dabei erhalten. Die Con-
[291]C. 6. In Anſehung der Schiffahrt.
trabande tuht der Schiffahrt, wie dem Handel jedes
Mutterlandes auf die Colonien, gewaltigen Eintrag.
Spanien muß alle diejenigen Schiffe ſich willkommen
ſein laſſen, welche ſeinen Colonien Neger zufuͤhren,
aber auch durch eine natuͤrliche Folge Nachſicht gegen
deren Contrabande brauchen. Die Antillen ſind uͤber-
haupt in einem groſſen Beduͤrfnis vieler Dinge, welche
ihnen die Nordamerikaner, wo nicht allein, doch vor-
zuͤglich und unter geringern Preiſen zufuͤhren koͤnnen,
z. B. der Pferde, des Bauholzes, Stabholzes und
der Lebensmittel. Daran knuͤpfeten aber dieſe ſchon
lange einen Handel mit Waaren jeder andern den
Pflanzern angenehmen Art, und nahmen einen groſ-
ſen Vorraht von Producten der Colonien als Bezah-
lung zuruͤck. Spanien bewirkte nach dem Frieden
von 1763 ein Verbot dieſer Schiffahrt auf ſeine Colo-
nien, und dies ward eine Urſache mehr, welche die
Empoͤrung vorbereitete, nach welcher jenes Volk dies
Gewerbe jezt viel freier und lebhafter treibt. Der
Krieg ſtoͤrt denn auch allerdings dieſe Schiffahrt.
Noch immer haben jedoch die Staaten die Fahrt auf
ihre Colonien auch mitten im Kriege ganz an ſich zu
halten geſucht. Doch mußten ſie in dem lezten Krie-
ge alle nach einander tuhn, was ſie ſonſt niemals ge-
tahn hatten. Holland fing an, ließ den Schiffen
neutraler Flaggen die Fahrt auf ſeine Colonien frei.
Frankreich folgte nach, und zulezt ſogar England,
T 2
[292]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
ſeiner Navigationsacte ungeachtet. Sie mußten ein-
ander folgen. Denn jede dieſer Nationen konnte ſchon
um ſo viel wolfeiler ſeine Colonie-Waaren in ſeine
Haͤfen bekommen und wieder ausfuͤhren, je fruͤher
ſie die Fahrt dahin frei gab und fremde Schiffe zu be-
nuzen anfieng. Freilich kam es dann auch bald da-
hin, daß ſo manches Schiff aus den im Krieg begrif-
fenen Staaten nur eine neutrale Flagge mit dem
dazu gehoͤrigen Certificat kaufte, ſich damit auf die
See wagte, aber von den feindlichen Kapern aufge-
bracht ward. Man wird ſich lange erinnern, was
es damals hieß, ein Schiff Oſtendiſiren, und die
Aſſecuradoͤre werden mit Schmerz daran denken, wie
viel die Oſtendiſirten Schiffe ihnen gekoſtet haben.
Daß auch uͤberhaupt, und warum dieſer Gang des
Coloniehandels fuͤr die neutralen Staaten am Ende
ſehr nachteilig ausfiel, habe ich bereits an einem an-
dern Orte geſagt.
§. 7.
Noch Ein wichtiger Umſtand verhindert jezt man-
chen Staat, ſeine eigene Handlung mit eigenen
Schiffen zu betreiben. Dieſer iſt die Seeraͤuberei der
bekannten Afrikaniſchen Staaten. Die kurze Ge-
ſchichte von dem Entſtehen dieſer Seeraͤuberei und der
teils erzwungenen, teils mit Geld erkauften, doch
immer nur durch Geſchenke erneubaren Friedenstracta-
[293]C. 6. In Anſehung der Schiffahrt.
ten mit denſelben ſehe man in m. Geſchichte der
Welthaͤndel bei dem J. 1682. Jezt ſind es
denn noch die meiſten Italieniſchen Staaten, Portu-
gal, und im Norden Rusland, Preuſſen, nach ei-
nem neuen Friedensbruch nun wieder Schweden, und
die drei Hanſeſtaͤdte nebſt Danzig, deren Seefahrt
in das Mittellaͤndiſche Meer durch dieſe Seeraͤuber
vereitelt wird. Auch die Nordamericaner leiden un-
ter dieſem Uebel ſeit ihrer Losreiſſung von Grosbri-
tanien, deſſen Flagge ſie ehemals ſchuͤzte. Auf die
ſo natuͤrliche Frage, warum die groſſen Seemaͤchte
Europens dieſe kleinen Staaten nicht zu einem allge-
meinen Frieden noͤtigen, iſt die Antwort zwar die
richtige: deswegen nicht, um ihren Untertahnen die
Frachtfahrt zum Dienſt der benannten noch nicht zum
Frieden gelangten Nationen zu erhalten. Aber auch
ſelbſt jene Staaten, inſonderheit Algier, werden im-
mer mehr unwillig, neue Vertraͤge einzugehen, weil
es ihnen zulezt an Gegenſtaͤnden ihrer Seeraͤuberei
fehlen wuͤrde, welche ihnen nebſt den Geſchenken der
chriſtlichen Staaten ſtatt aller Gewerbe gilt. Indeß
haben die zum Frieden gelangten Nationen wenig-
ſtens dafuͤr geſorgt, daß die Fahrt der noch unfreien
Schiffe auf ihre Haͤfen dieſſeits des Capofinisterraͤ
ſicher bleibt, indem ſie alle es zur Hauptbedingung
ihrer Tractaten gemacht haben, daß keiner dieſer See-
raͤuber, die ſonſt ſelbſt bis Island hinauf im Nor-
[294]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
den kreuzten, dieſſeits deſſelben erſcheinen darf. Einen
voͤllig ſo wichtigen Dienſt leiſtet Portugal denſelben
durch das beſtaͤndige Kreuzen einer Eſcadre vor der
Straſſe von Gibraltar, um ſeine Fahrt auf Braſilien
zu ſichern. Es koͤnnen daher unfreie Schiffe ſich noch
bis Liſſabon wagen.
Bevor Daͤnemark und Schweden mit dieſen See-
raͤubern geſchloſſen hatten, zwang die Noht gewiſſer-
maſſen die Hamburger und andere Nordiſche Staa-
ten, ihre Schiffe in die Mittellaͤndiſche See zu wa-
gen, zumal wenn Kriege im Norden Europens die
Flagge der Englaͤnder und Hollaͤnder unfrei machten.
Als aber um das Jahr 1745 zwoͤlf Hamburgiſche
Schiffe kurz nach einander von den Algierern genom-
men wurden, ſtieg die Aſſecuranz auf dieſelben ſo hoch,
daß die Hamburgiſche Flagge ſich ſeitdem nicht mehr
im Mittellaͤndiſchen Meere gezeigt hat. Denn auch
ſelbſt der Rheder, der ſein Schiff dahin wagen wollte,
wuͤrde keine Ladung finden, und, wenn er es ſtark
genug zum Widerſtande ausruͤſten und bemannen
wollte, ſo wuͤrde dies allen Vorteil von der Fracht
wegnehmen.
§. 8.
Weil nun durch alle dieſe Umſtaͤnde ſo mancher
handelnde Staat gehindert wird, ſeine eigene Han-
[295]C. 6. In Anſehung der Schiffahrt.
dlung mit eigenen Schiffen zu treiben, ſo iſt jezt mehr
als jemals die Frachtfahrt im Dienſt anderer Voͤlker ein
gewinnvolles Gewerbe derjenigen, welche durch die
B. 4. C. 1. §. 9. ff. angegebenen Vorteile, oder durch ihre
Sparſamkeit ſich in Stand ſezen, eine zahlreiche Kauf-
fahrt zu treiben, oder die wolfeilſte Fracht einzuwilligen.
Freilich wirken denſelben die §. 2. und 3. erwaͤhnten
Verfuͤgungen ſehr entgegen, aber ich habe an eben
dem Orte derer Hinderniſſe erwaͤhnt, welche eben die-
ſen entgegen ſtehen, und will nur uͤberhaupt anmer-
ken, daß die Aſſecuranz mehr als alles daruͤber ent-
ſcheidet. Wenn der Verſicherer den Ausſpruch tuht,
daß er auf ein Schiff Einer Nation nicht anders als
2 oder 3 p. C. teurer, als auf das einer andern, zeich-
nen wolle, ſo iſt es auch nicht einmal genug, daß der
Schiffer ſeine Fracht um ſo viele p. C. wolfeiler zu ge-
ben ſich erbietet. Denn ſelbſt dem Kaufmann iſt es
nicht genug, ſich vor Verluſt ſicher geſtellt zu haben,
ſondern er waͤhlt fuͤr ſich auch den Schiffer, der ſeine
Waare ſicherer und zu rechter Zeit fuͤr ſeine Specula-
tion uͤberfuͤhrt.
§. 9.
Darin liegt auch ein Haupthindernis wider das
Aufbluͤhen der Schiffahrt irgend einer Nation in
einem neuen Wege. Man weiß, daß ſolche Schiffer
der Gegenden und Meere noch unkundig ſind. Der
[296]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Aſſecuradoͤr fodert dem zufolge z. B. auf einen Por-
tugieſiſchen Schiffer, der auf die Oſtſee ſeegelt, ge-
wiß einige Procent mehr, als von einem Hollaͤnder
oder Hamburger. Noch ſchlimmer aber iſt es und
wirkt auf laͤngere Zeit, wenn die Schiffer Einer Na-
tion in dem boͤſen Ruf ſind, daß ſie ihr Werk ſchlecht
verſtehen. Noch vor einigen Jahren beſtand eine faſt
allgemeine Beredung unter den Hamburgiſchen Aſſe-
curadoͤren, nicht mehr auf die Schiffe eines gewiſſen
Nordiſchen Staats zu zeichnen, weil nicht leicht Ei-
nes unter fuͤnf Schiffen deſſelben ohne Schiffbruch
oder ohne ſchwere Averei ſeine Reiſe machte, weil
die Schiffer unwiſſend, und die Schiffe ſchlecht ge-
baut waren.
Es iſt alſo kein unwichtiger Gegenſtand der Hand-
lungspolitik, daß der Regent oder ſeine Miniſter fuͤr
gute Navigations-Schulen ſorgen, und auch eine ge-
wiſſe Aufſicht auf den Bau der Schiffe beſtellen, daß
ſie nicht von zu ſchlechtem Holze und mit zu groſſer Er-
ſparung in den noͤtigen Materialien gebauet werden.
Alle Schiffe ſehen gleich gut und feſt aus, wenn ſie
vom Stapel laufen. Aber wer oft Schiffe bauen
ſieht, wird bald bemerken, welch ein groſſer Unter-
ſchied darin ſei.
[297]C. 6. In Anſehung der Schiffahrt.
§. 10.
In unſern Zeiten werden die Seekriege der Fracht-
Fahrt auch derer Nationen ſehr hinderlich, welche
nicht an denſelben Teil nehmen. Es iſt natuͤrlich und
dem Rechte des Krieges gemaͤß, daß kein Schiff eines
friedlichen Volkes dem bekriegten fertige Beduͤrfniſſe
des Land- und des Seekrieges zufuͤhren duͤrfe, wol
aber Materialien, deren Anwendung zu andern Be-
duͤrfniſſen eben ſo gut, als zu denen des Krieges ſtatt
hat, z. B. Eiſen, Holz, Hanf u. d. gl. Holland
erlangte das Recht dazu von England, als eine Be-
dingung in dem Frieden zu Breda im J. 1667 nach
einem mit den Britten gefuͤhrten gluͤcklichen Kriege.
Und doch ward die Ueberfuͤhrung ſolcher Waaren aus
der Oſtſee nach Frankreich 113 Jahre ſpaͤter eine Ur-
ſache des Krieges, mit welchem die V. Niederlande
von den Britten angegriffen wurden. Und wie man-
ches friedlich handelndes Schiff anderer Nationen iſt
von dieſem uͤbermuͤhtigen Volke in deſſen lezten See-
Kriegen unter aͤhnlichen Vorwaͤnden in deſſen Haͤfen
eingeſchleppt, grundloſen Unterſuchungen unterwor-
fen, und zulezt ohne allen Erſaz der Koſten und des
durch den Verzug erlittenen Verluſtes an Volksmiete
und Koſt, und an verderblichen Waaren entlaſſen wor-
den. Mir iſt ein Vorfall dieſer Art bekannt, da die
Verſicherer auf ein ſolches Schiff, das in England
viele Monate durch aufgehalten war, und aus wel-
[298]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
chem nicht das geringſte fuͤr eine gute Priſe erklaͤrt
werden konnte, mehr als den Belauf der von ihnen
verſicherten Summe bezahlen mußten. Man ſ. den
Grund davon B. 4. C. 3. §. 11.
§. 11.
Als in dem vorigen Jahrhundert die erſten Schrift-
ſteller und Weltweiſen Europens das Natur- und Voͤl-
kerrecht, und insbeſondre das Recht des Krieges und
des Friedens in ein demſelben bisher fehlendes Licht
ſezten, war es eine unter denſelben eine Zeitlang ſtrei-
tige Frage, ob die Meere ſo, wie Land, zum Ge-
biete eines Staats gerechnet werden duͤrften. Die
Vernunft uͤberwog ſo, daß jezt kein Staat mehr ei-
gentlich behauptet, daß die ſeine Ufer umflieſſenden
Meere weiter, als ein Canonenſchuß reicht, ihm an-
gehoͤren. Dem zufolge ſieht ein jeder im Frieden be-
griffener Staat einen jeden in dieſer Naͤhe ſich ereig-
nenden Kriegs-Vorfall ſo gut fuͤr eine Beleidigung
ſeines Gebiets an, als wenn es innerhalb ſeiner Lan-
desgrenzen geſchehen waͤre. Voͤllig ſo einleuchtend iſt
es, daß einer kriegfuͤhrenden Macht keine Rechte
uͤber Schiffe zuſtehen, die als Eigentuhm der Unter-
tahnen einer friedlichen Macht Meere beſeegeln, die
niemands Eigentuhm ſind, und wo niemands beſon-
dre Befehle gelten.
[299]C. 6. In Anſehung der Schiffahrt.
§. 12.
Aus der allgemeinen Anerkennung dieſer und meh-
rerer Wahrheiten des Natur- und Voͤlkerrechts iſt dann
zwar das ſogenannte Recht der neutralen
Flagge dem Namen nach allgemein guͤltig gewor-
den. Zwar ſchließt der Begrif des Krieges den Vor-
ſaz ein, dem bekriegten Volke nicht nur allen moͤgli-
chen Schaden bis zu deſſen aͤuſſerſtem Verderben zu
tuhn, ſondern auch alle Vorteile deſſelben zu ſtoͤren
und deren Quellen ihm zu verſtopfen, auch dem zu-
folge das feindliche Gut zu nehmen, wo es nur zu
finden iſt. Allein einerſeits iſt die Denkungsart der
cultivirten Voͤlker in Anſehung des Krieges viel
menſchlicher geworden, und der Gedanke an gaͤnzliche
Zerſtoͤrung und Zernichtung des Feindes jezt ſo gut
als unausfuͤhrbar. Andererſeits haben die handelnden
Voͤlker einſehen gelernt, daß, wenn ſie die Handlung
des Volkes durch Wegnehmung des feindlichen Eigen-
tuhms, wo ſie es finden, ſtoͤren, ſie ihren eigenen
Schaden bewirken. Kein Volk kann die Beduͤrfniſſe
ganz und gar entbehren, welche der Boden und der
Kunſtfleis des bekriegten Volkes ihm gewaͤhrt, oder
moͤgte gerne dem Gewinn ganz entſagen, den es aus
dem Handel mit demſelben zu ziehen gewohnt war.
Man hat alſo ſchon lange eine jede Handlung und
Schiffahrt als den Krieg nicht angehend angeſehen,
welche von einem friedlichen Volke auf eine ſolche Art
[300]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
getrieben wird, daß ſie als mit dem Kriege in keiner
Verbindung ſtehend angeſehen werden muß. Durch
eine natuͤrliche Folge muß alſo einem ſolchen Volke er-
laubt bleiben, die Handlung mit dem bekriegten Volke
ſo fortzufuͤhren, wie es im Frieden ſie zu betreiben ge-
wohnt war. Dazu koͤmmt nun ſeit Jahrhunderten,
daß Ein Volk dem andern ſeine Schiffe zum Handel
und Fracht vermietet, und ſich Guͤter, die das Eigen-
tuhm mehrerer Voͤlker ſind, in Einem Schiffe mit ein-
ander miſchen. Eben das Schiff, welches aus einem
Franzoͤſiſchen Hafen Guͤter und Waaren nach Ham-
burg bringt, die der Hamburger verſchrieben hat,
nimmt auch andere ein, welche die Franzoſen in
Verkaufs-Commiſſion nach Hamburg verſenden. Ein
Gebot von Seiten des feindlichen Volkes an das
friedliche dies nicht zu tuhn, waͤre nicht viel weniger,
als ein Verbot der Handlung ſelbſt mit dem bekrieg-
ten Volk an jenes Volk, und ſo ſehr dem Voͤlkerrechte
entgegen, daß darin Grund genug zu einer Kriegs-
Erklaͤrung abſeiten dieſes Volkes liegen wuͤrde. Noch
mehr iſt der Befehl oder die Erlaubnis an die bewaf-
neten Schiffe ſo anzuſehen, die Schiffe der friedli-
chen Nation auf freier See anzuhalten, zu durchſu-
chen, oder, weil dies auf der See nicht immer moͤg-
lich iſt, ſie in ſeine Haͤfen zu ſchleppen, um da dieſe
Durchſuchung zu vollfuͤhren. Man hat deswegen in
neuern Zeiten es als Regel angenommen, daß das
[301]C. 6. In Anſehung der Schiffahrt.
Schiff, wenn es friedlich oder neutral iſt, auch das
feindliche Gut frei mache, und ſchon die neutrale
Flagge dem Anhalten und Durchſuchen eines friedli-
chen Schiffes entgegen ſtehen muͤſſe. Als in dem vo-
rigen Jahrhundert die chriſtlichen Seemaͤchte den
Africaniſchen Seeraͤubern den Frieden teils abzuzwin-
gen, teils abzukaufen fuͤr gut fanden, war dies die
Hauptbedingung deſſelben, und iſt es noch immer bei
jedem neuen mit denſelben geſchloſſenen Tractate.
Waͤre es dieſen Seeraͤubern erlaubt geblieben, ein
nun zum Frieden mit ihm gelangtes Schiff, unter
dem Vorwande ſich gewiß zu machen, ob es auch
feindliche Guͤter fuͤhre, zu durchſuchen und allenfalls
in ihre Haͤfen zu ſchleppen, ſo waͤre aller Vorteil von
dieſen Tractaten fuͤr jene Nationen weggefallen.
§. 13.
Vielleicht haben eben dieſe Tractaten die See-
Maͤchte mehr und mehr daran gewoͤhnt, auch den
Grundſaz aufzugeben, daß man feindliches Gut neh-
men koͤnne, wo man es findet. Alle, auſſer Eng-
land, haben in ihren Seekriegen das Recht der neu-
tralen Flagge fuͤr jede Nation gelten laſſen, die nicht
an ihren Kriegen Anteil nahm. Man wird nicht leicht
einen Fall anfuͤhren koͤnnen, daß die Franzoſen, ſelbſt
unter dem gewalttaͤhtigen Ludwig XIV., demſelben
entgegen gehandelt haͤtten, wenigſtens keinen, der von
[302]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
dem Hoſe gebilligt worden waͤre, wenn er zu deſſen
Wiſſenſchaft kam. Nur die Britten, die doch ſo gut,
wie andere, den Africanern dieſe Bedingung aufdran-
gen, ſtreben derſelben bisher noch entgegen, verlan-
gen von allen friedlichen Seefahrern Beweiſe, daß ſie
nur Eigentuhm ihres Volks fuͤhren, und ſchleppen ſie
in ihre Haͤfen, um auf jeden ihnen entſtehenden Ver-
dacht vor Gerichten, wo ſie Klaͤger und Richter ſind,
es zu unterſuchen. Noch in dem lezten Seekriege
brachten ſie es dahin, daß ein jedes aus friedlichen
Nordiſchen Haͤfen abgehendes Schiff Documente eines
uͤber jede Waare geleiſteten Eides mitfuͤhren mußte,
daß ſie nicht Franzoͤſiſches Eigentuhm ſei. So empoͤ-
rend dieſe Maasregel fuͤr alle Voͤlker Europens iſt, wel-
che das Recht der neutralen Flagge gelten laſſen, ſo
ganz zwekwidrig iſt ſie. Ich moͤgte freilich nicht fuͤr
die Gewiſſenhaftigkeit aller bei dieſer Gelegenheit ge-
leiſteten Eide einſtehen. Koͤnig Friedrich ſelbſt glaubte
den Britten fugen zu muͤſſen; aber, um die Gewiſſen
ſeiner Untertahnen zu erleichtern, war den Obrigkei-
ten in Preuſſiſchen Handelsſtaͤdten die Weiſung gege-
ben, ſie nicht zum Eide zu fodern, ſondern einem je-
den, der es verlangte, einen Atteſt zu geben, daß
er der Britiſchen Vorſchrift gemaͤß geſchworen habe,
die von ihm verſandten Guͤter waͤren ſeine. So
ſchrieben dann freilich die Magiſtrate die Unwahrheit,
aber keine von ihnen beſchworne Unwahrheit. Doch
[303]C. 6. In Anſehung der Schiffahrt.
geſezt, es waͤre allenthalben alles ſo ehrlich geſchwo-
ren, als es jenes ſtolze Volk verlangte, ſo war die
Folge davon dieſe, daß kein Franzoſe oder Spanier
Waaren aus dem Norden committiren oder die ſeini-
gen dorthin in Verkaufs-Commiſſion ſenden konnte.
Wol aber mußten die Nordiſchen Kaufleute jenen
ihre Waaren in Verkaufs-Commiſſion zuſenden, und
was ſie von dorther bedurften, durch Einkaufscom-
miſſion ziehen. Alles reiner Vorteil von 2 p. C. we-
nigſtens auf jede hin oder her gehende Waare fuͤr die
Kaufleute der bekriegten Nationen! Es iſt mir unbe-
greiflich, daß doch bisher nicht ein Britte aufgeſtan-
den iſt, um ſeinem Volke zu ſagen, daß deſſen Ei-
genſinn die Vorteile ſeiner Feinde grade zu vermehre,
an ſtatt ſie zu mindern.
§. 14.
Friedrich der Groſſe hatte nach dem Aachener
Frieden fuͤr die in dem Oeſterreichiſchen Succeſſions-
Kriege ſeinen Untertahnen von den Britten auf der
See zugefuͤgten Kraͤnkungen, welche auf 200000
Rthlr. berechnet wurden, ſich durch Einbehaltung der
von ihm uͤbernommenen Schleſiſchen Schuld bezahlt
gemacht, wovon ich ſchon bei anderer Veranlaſſung
B. 3. C. 6. §. 14 etwas geſagt habe. Als in dem
lezten Seekriege die Britten dies Spiel ſo arg trie-
ben, nahm Catharina eine Maasregel, deren ſich
[304]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
ganz Europa damals erfreuen konnte, indem ſie faſt
alle nicht im Krieg begriffene ſeefahrende Nationen fuͤr
die ſogenannte bewafnete Neutralitaͤt verbuͤn-
dete, und dieſem Buͤndniſſe durch ihre Flotten Achtung
verſchafte. Aber leider! iſt noch nichts dadurch entſchie-
den, und, ungeachtet der Friede, der dieſen Krieg
beendigte, unter Ruſſiſcher Vermittelung geſchloſſen
ward, hat doch Grosbritanien in keinem Artikel deſ-
ſelben ſeinen Anmaſſungen fuͤrs kuͤnftige entſagt.
Dagegen hat der lezte Seekrieg in der Oſtſee Vor-
faͤlle entſtehen gemacht, welche denen Grundſaͤzen,
auf welchen das Buͤndnis fuͤr die bewafnete Neu-
tralitaͤt beruhet, gerade zuwieder waren. Sehr uner-
wartet ward Schwediſcher Seits ſelbſt das Geld auf
neutralen Schiffen fuͤr Contrabande erklaͤrt, und ein
Luͤbekiſches Schiff, noch ehe dieſe in ihrer Art ganz
unerhoͤrte Verfuͤgung gehoͤrig bekannt gemacht war,
in Schweden aufgebracht. Hier aber hoͤrten wir,
daß von unſerer friedlichen Elbe Caper unter Ruſſiſcher
Flagge auf den Fang der Schwediſchen Retourſchiffe
von China ausgelaufen waren, und daß, da ihnen
dieſes mislang, eines derſelben ein neutrales nach
Cadix gehendes Schiff in der Muͤndung der Elbe un-
ter dem Vorwande weggenommen hatte, weil auf
demſelben Leute in Tuͤrkiſcher Tracht, eben die oben
S. 251 erwaͤhnten Marokkaner, ſich befanden.
[305]C. 6. In Anſehung der Schiffahrt.
§. 15.
Alle bisher in oͤfteren Seekriegen begriffen gewe-
ſene Voͤlker haben mehr und mehr erfahren, daß die
Kaperei der Kauffardeiſchiffe keinen Gewinn bringe, der
Krieg mag laufen wie er wolle, inſonderheit ſeitdem
es ſo gewoͤhnlich geworden iſt, daß auch feindliche
Schiffe verſichert werden. Man hat wol in Schri-
ften daruͤber geſtritten, ob dies den Untertahnen einer
im Krieg begriffenen Nation zu erlauben ſei. Noch
aber hat kein Staat Geſeze dawider gemacht. Die
hohen Praͤmien im Kriege ſind ſo anlokkend, und der
Grund hat in der Taht viel Gewicht fuͤr den Staats-
Mann, daß durch dieſelben ſelbſt die gluͤklich ankom-
menden Schiffe der feindlichen Nation ſeinem Staate
eintraͤglich werden. Aber wenn der Gewinn von der
Kaperei ſich zwiſchen zwei feindlichen Nationen unge-
faͤhr ausgleicht, ſo mag es doch mit dem von den
Aſſecuranz-Praͤmien nicht immer eben ſo ſtehen. In
dem Anfange des lezten Seekrieges kamen einige
Weſtindiſche Flotten, fuͤr welche man in England ſehr
beſorgt geweſen war, gluͤklich an. Ich wuͤnſchte
einem hier anweſenden Englaͤnder, einem groſſen
Aſſecuradoͤr, Gluͤck dazu. Gut genug, ſagte er,
doch wuͤrde mir das Herz leichter ſein, wenn ich in
den Zeitungen laͤſe, daß die Franzoͤſiſchen Oſtindien-
Fahrer, die man jezt erwartet, gluͤcklich eingelaufen waͤ-
ren. Ich verſtand ihn nicht ſogleich, und mußte fragen,
2ter Teil. U
[306]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
warum? Als ich aber nachher in den Zeitungen von
mehrern derſelben geleſen hatte, daß ſie von den
Englaͤndern genommen waͤren, ſo erfuhr ich auch bald
darauf, daß dieſer Mann einen groſſen Bankerott ge-
macht hatte. Ich habe ſchon erwaͤhnt, was ohnehin
bekannt genug iſt, daß gegen das Ende des Krieges
alle in demſelben begriffene Nationen den neutralen
Flaggen die Fahrt auf ihre Colonien erlaubten. Nun
hatte die Kaperei der Englaͤnder, wie der Franzoſen,
wenig andere Gegenſtaͤnde, als etwa noch die Oſten-
diſirten Schiffe. Sie ward alſo faſt ganz aufgegeben.
Faſt moͤgte man die Hofnung faſſen, daß die krieg-
begierigen Nationen bei kuͤnftig ausbrechenden Kri[e]-
gen endlich weiſe genug werden werden, um in Anſe-
hung der Kauffardeiſchiffe es eben ſo zu halten, wie
man, bei der jezt allgemein eingefuͤhrten mildern Art
Krieg zu fuͤhren, es in Anſehung der Landfrachten
haͤlt, welche mit ihren Kaufmannsguͤtern von regu-
laͤren Truppen nichts, und, wenn uͤberhaupt die gute
Diſciplin bei den Heeren ſich erhaͤlt, wenig von den
Marodoͤren zu fuͤrchten haben. In dem ganzen ſie-
benjaͤhrigen Kriege ſind gewiß wenig Beiſpiele von
Beraubung der Landfrachten vorgefallen. Und warum
ſollte nicht mit gleichem Grunde ein wehrloſes Kauffar-
dieſchiff, das nichts als Waaren faͤhrt, die keine Bezie-
hung auf den Krieg haben, eben ſo ſicher uͤber Meere
[307]C. 6. In Anſehung der Schiffahrt.
gehen duͤrfen, als ein Fuhrmann zu Lande? Es
koͤmmt dazu, daß die kriegfuͤhrenden Maͤchte viele
Schwierigkeit haben, ihre Kriegsſchiffe zu bemannen, ſo
lange die Kaperei lebhaft geht. Das erfuhr England
in den erſten Jahren des lezten Seekrieges. Die Hand-
lung des Staats wird ſelbſt dem Volke, welches alsdann
wenn es das Uebergewicht auf der See mit ſeinen Flotten
hat, ſehr dadurch erſchwert, und es vertraͤgt ſich nicht mit
dem jezigen Gange derſelben, daß die Kauffardeiſchiffe
ſich in Haͤfen verſammeln, und auf die Convoi war-
ten muͤſſen, folglich keine Speculation und Con-
junctur Statt hat, wenn die Waaren Einer Gegend
und Einer Art mit ganzen Flotten ankommen, oder
abgehen. Friedrich der Groſſe hat denn doch
wirklich den Wink dazu andern Staaten gegeben, in-
dem ſein Handlungs-Tractat mit den Nordamericani-
ſchen Freiſtaaten den Artikel enthaͤlt, daß, wenn zwi-
ſchen beiden Staaten einmal Krieg entſtehen ſollte,
die Kauffardeiſchiffe von beiden eine freie Fahrt behal-
ten ſollen. Nur Schade, daß dies Beiſpiel weni-
ger wirkſam werden moͤgte, weil ſchwerlich jemals
ein Krieg zwiſchen Preuſſen und Nordamerika entſte-
hen wird!
§. 16.
Indeſſen bleibt eine ſtarke und wol unterhaltene
Seemacht ein unentbehrliches Mittel zur Erhaltung
U 2
[308]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
der Schiffahrt und Seehandlung fuͤr ein Volk, das
im Beſiz von beiden iſt, und von Zeit zu Zeit in
Kriege verwickelt zu werden fuͤrchten muß. Wir ſehen
ſeit zehn Jahren an Venedig, welches von der klei-
nen Republik Tunis ſeine Seefahrt geſtoͤrt ſieht, was
fuͤr Schaden ein ſolcher Staat davon habe, der ſeine
Handlung durch ſeine Seemacht lange Zeit geſchuͤzt
hat, wenn es von ihm kund wird, daß er dieſelbe
habe verfallen laſſen. Freilich iſt ſo mancher kleine
handelnde Staat, welcher dieſen Gedanken nicht faſſen
kann. Von dieſen kann hier nicht die Rede ſein, und
ſie muͤſſen dann freilich in Kriegszeiten ſich von ein-
zelnen gewalttaͤhtigen Seemaͤchten vieles gefallen
laſſen, das dem Voͤlkerrechte ganz entgegen iſt. M.
ſ. §. 13. ff.
§. 17.
Inſonderheit beruhet die Sicherheit des Colonie-
Handels und die Erhaltung des Beſizes entfernter
Colonien auf der Seemacht, die ein Staat zu un-
terhalten im Stande iſt; und dies um ſo viel mehr,
da es mit den Kriegen der Europaͤiſchen Staaten ſeit
einem Jahrhundert eine ſolche Wendung genommen
hat, daß ſie faſt alle Handlungs-Kriege und die Co-
lonien der Preis des Kampfs geweſen ſind. Holland
hat in dem lezten Seekriege erfahren, wie wenig es
bei ſeiner verfallenen Seemacht ſeine Colonien zu er-
halten im Stande war.
[309]C. 6. In Anſehung der Schiffahrt.
§. 18.
Auch die im Groſſen und in entfernten Meeren
betriebene Fiſcherei erfodert den Schuz der Seemacht
nohtwendig. Im vorigen Jahrhundert konnte Hol-
land noch wagen, mitten im Kriege ſeine Fiſchereien
fortzuſezen, weil es dieſelben durch ſeine Seemacht
ſchuͤzen konnte. Aber im lezten Kriege mußte es ſo-
gar gebieten, daß kein Schiff weder zum Wallfiſch-
noch zum Heeringsfange auslaufen ſollte. Nordame-
rica wird blos ſeiner Fiſcherei wegen Urſache haben,
eine Seemacht in Stand zu ſezen, die es ſonſt um
ſo mehr entbehren koͤnnte, da es keine entfernte Co-
lonien hat, und ſchwerlich jemals dergleichen erwer-
ben wird.
§. 19.
Die Errichtung und Unterhaltung einer Seemacht
beruhet auf denen Huͤlfsmitteln, die oben Buch 3.
C. 4 angefuͤhrt worden, noch mehr, als die ausge-
breitete Schiffahrt einer Nation ſelbſt. Dies bewei-
ſet die Geſchichte aller ſogenannten Seemaͤchte und
auch noch deren jeziger Zuſtand. Fuͤr dieſe Seemacht
ſind gute Navigations-Schulen ein noch mehr noht-
wendiges Huͤlfsmittel, als fuͤr die Kauffardei. Ein
Kriegs-Schiff iſt an ſich von einem ſo groſſen
Wehrt, daß man mehr Urſache hat, fuͤr einen ge-
ſchikren Fuͤhrer deſſelben zu ſorgen, als bei einem
[310]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Kauffarbei-Schiffe. Zudem iſt ein Schiff allemal
deſto ſchwerer zu regieren, je groͤſſer es iſt. Vielleicht
lieſſe ſich behaupten, daß der Verluſt ſo vieler Kriegs-
Schiffe, den die V. Niederlaͤnder im lezten Kriege
durch Stranden und Verſinken erlitten haben, daran
liege, daß ſie jezt ſchlechtere Seeſchulen als andere
Staaten haben. Wie viel fuͤr die Seemaͤchte auf
die Kunſt des Schiffbaues ankomme, werde ich nicht
beweiſen, ſondern bloß anfuͤhren duͤrfen, daß jezt die
Franzoſen in derſelben einen Vorzug gewonnen ha-
ben, welcher ihnen ſelbſt von den Englaͤndern willig
eingeſtanden wird.
§. 20.
Aber iſt es ſchweer eine Seemacht zu errichten,
ſo iſt es nicht minder ſchweer ſie zu erhalten. Ein
Fuͤrſt kann, wenn er eines langen Friedens gewiß iſt,
ſeine Landmacht ſchwaͤchen und gewiß ſein, daß, wenn
er nur die Truppen, die er auf den Beinen haͤlt, in
Diſciplin und Kriegsfertigkeit nicht zuruͤck gehen laͤßt,
und Geld und volle Magazine beim Ausbruch eines
Krieges hat, er ſeine neu vermehrte Armee bald wie-
der werde in Stand ſezen koͤnnen. Aber in Anſe-
hung der Seemacht gilt dieſes nicht. Man muß im
Frieden nicht viel weniger Aufmerkſamkeit auf ſie
wenden, als im Kriege. Das ſchlimmſte iſt, daß
die Schiffe ſelbſt, wenn ſie ruhig im Hafen liegen,
[311]C. 6. In Anſehung der Schiffahrt.
eben ſo bald als im Gebrauche abgaͤngig werden, be-
ſonders im ſuͤſſen Waſſer. So manches Schiff wird
im Frieden gebauet, um im Frieden wieder zu ver-
faulen. Auch der Vorraht in See-Arſenalen beſteht
groͤßtenteils aus leicht verderblichen Dingen. Fehlt
die gehoͤrige Aufſicht auf dieſe, ſo erfaͤhrt ein Staat
bei unerwartet ausbrechendem Seekriege ſo boͤſe Fol-
gen davon, als Holland in dem lezten Seekriege.
Aber ſchon 1777 fiel es mir nicht Sachkundigen gar
ſehr auf, das Arſenal in Amſterdam ſo ſchlecht ver-
ſorgt zu finden. Es wird daher einem Staate unend-
lich koſtbarer, ſich als eine Seemacht zu erhalten. Daͤne-
mark koſtet ſeine nicht groſſe Marine ungefaͤhr 900000
Rthlr. jaͤhrlich, und dieſes Geld iſt von 1721 bis
1789 gewiſſermaſſen vergebens verwandt. Und bei
dieſem Aufwande ſelbſt hat ſich doch gezeiget, daß,
wenn der der Marine vorgeſezte Miniſter ſeine Sache
nicht recht verſtand, dieſelbe ſehr bald unbrauchbar
ward, wovon noch neulich die Beweiſe aus den Jah-
ren 1766 ff. im Druck erſchienen ſind. Frankreich hat
eben dies unter Ludwig des XV. ſchlaffer Regierung
mehrmalen erfahren, und England fuͤhrte auch im
vorigen Kriege uͤber ſeinen ſo ungeſchickten als eigen-
nuͤzigen Lord Sandwich gerechte Klagen.
§. 21.
Indeſſen ſehen wir doch auch Beiſpiele, daß ein
Staat, wenn er nicht ſelbſt in einen Krieg mit ver-
[312]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
wickelt iſt, der die Meere beunruhigt, ſeine Flagge
in Reſpect halten koͤnne, ohne Ein Kriegs-Schiff in
See ſchicken zu duͤrfen. Dies hat inſonderheit Frie-
drich der Groſſe im lezten Seekriege bewieſen. Auch
er ſchloß ſich an die bewafnete Neutralitaͤt an,
zu deren Behauptung er kein Schiff ſtellen konnte,
und unter ſeiner Flagge lieſſen die Hollaͤnder ihre
Schiffe ſogar nach Oſtindien gehen. Es iſt auch zu
erwarten, wenn es jemals dazu koͤmmt, daß das
Recht der neutralen Flagge voͤllig feſtgeſezt wird, daß
diejenigen handelnden Staaten, welche keine Colonien
in der Entfernung zu beſchuͤzen haben, ihre Seemacht
immer mehr werden eingehen laſſen koͤnnen, zumal
da die Koſten derſelben, inſonderheit durch den zu-
nehmenden Holzmangel, ihnen immer ſchwerer zu
ertragen ſein werden.
Auch darin hat ſich der Seekrieg ſehr geaͤndert,
und eben dadurch werden die groſſen Flotten minder
nohtwendig werden, daß man eingeſehen hat, wie
wenig durch groſſe Seeſchlachten entſchieden wird.
In dem vorigen Jahrhundert ſchlugen die Admirale,
wo ſie ſich nur trafen, und der Sieg war unter gleich
geuͤbten Nationen gewoͤhnlich auf der Seite der zahl-
reicheren Flotte. In dem lezten Seekriege aber fiel
unter etlichen und zwanzig Seegefechten, nur ein
groſſes entſcheidendes vor.
[313]C. 6. In Anſehung der Schiffahrt.
§. 22.
Fuͤr kleine, inſonderheit fuͤr Freiſtaaten, die durch
den Zwiſchenhandel bluͤhen, ſind wenige oder gar
keine Maasregeln der Handlungs-Politik in Anſehung
der Schiffahrt anwendbar. Denn nicht leicht eine
derſelben kann gewaͤhlt werden, ohne der Freiheit der
Handlung, die von ihnen durchaus behauptet werden
muß, einigen Eintrag zu tuhn, oder ohne dem Kauf-
mann in demjenigen, was ſeine Sparſamkeit ihm
anraͤht, einen gewiſſen Zwang anzulegen. Er muß
das Schiff waͤhlen duͤrfen, welches ſich ihm zur wol-
feilſten Fracht anbietet, oder auf welches er die Aſſe-
curanz am wolfeilſten finden kann, es mag ein ein-
heimiſches oder ein fremdes ſein. Auch der Schiffs-
Bau haͤngt in ſolchen Staaten von Umſtaͤnden ab,
welche durch politiſche Verfuͤgungen nicht regiert wer-
den koͤnnen. Der Zwiſchenhandel fuͤhrt ſolchen Haͤ-
fen manches fremde Schiff zu, welches der Kaufmann
wolfeiler kaufen, als auf den Werften ſeiner Stadt
bauen laſſen kann. Praͤmien auf den einheimiſchen
Schiffsbau zu ſezen, waͤre zwar ein Mittel zu deſſen
Ermunterung. Aber dieſe Praͤmien muͤßten ſehr
groß ſein, wenn deren Zwek erfuͤllt werden ſollte.
In unſerm Hamburg iſt daher die Frachtfahrt ein
gleich freies Gewerbe fuͤr einheimiſche und fremde.
So enge die Grenzen ſind, innerhalb welcher die
See fuͤr die Hamburgiſche Flagge frei iſt, ſo haͤngt
[314]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
doch an unſerer Boͤrſe der fremde Schiffer neben dem
Hamburger ſeine Anzeige, daß er auf einerlei Hafen
mit ihm lade, ungehindert an. Auch in denen Un-
geldern, welche ihren Grund in den Koſten der Erhal-
tung des Hafens und der Sicherung der Fahrt von
der See her haben, gilt kein Unterſchied.
Dagegen aber fehlt es nicht ganz in ſolchen Staa-
ten an kleinern oder groͤſſern Erſchwerungen der Schif-
fahrt. Fuͤr Hamburg ſind die Zunft-Gerechtſame des
Amtes der Schiffbauer ein groſſes Hindernis des
Schiffsbaues in der Stadt, und machen auch die Re-
paraturen der Schiffe innerhalb des Hafens koſtbar.
Der Wallfiſchfang iſt mit einer freilich kleinen Abgabe
von jedem gefangenen Wallfiſch beſchweret, wenn da-
gegen England durch anſehnliche Praͤmien eben dieſe
Fiſcherei ermuntert hat. Dergleichen Dinge ruͤhren
von aͤltern Zeiten her, wann man nicht alles, ſo wie
jezt, zu uͤberlegen brauchte. In andern Staaten
machen Zeit-Umſtaͤnde dergleichen neu entſtehen. So
hat z. B. Holland im Anfange des lezten Seekrieges
ſeine Schiffahrt mit einem Laſt- und Veil-Gelde be-
ſchweert, und iſt meines Wiſſens noch nicht im Stan-
de, daſſelbe wieder aufzuheben.
[315]
Siebentes Capitel.
Von der Handlungspolitik in Anſehung
verſchiedener Huͤlfsmittel der
Handlung.
Dieſes Capitel wird nur ſehr kurz ſein koͤnnen und
duͤrfen. Was der Regent in Anſehung der, im 4ten
Buche nach der Schiffahrt, abgehandelten Huͤlfsmittel
der Handlung zum Vorteil ſeines Volks zu tuhn hat,
haͤngt teils mit den uͤbrigen ſchon angegebenen oder
beurteilten Maasregeln der Handlungspolitik ſehr
enge zuſammen, teils wird es ein Gegenſtand der
Geſezgebung uͤber die Handlung. Es wuͤrde mir alſo
ſchweer werden, wenn ich dieß Capitel ſehr dehnen
wollte, Wiederholungen zu vermeiden, oder nicht
demjenigen vorzugreifen, was ich uͤber die Hand-
lungsrechte und Geſeze noch in dem neunten Capitel
zu ſagen habe. Weil indeſſen der Zuſammenhang
mich geleitet hat von den Banken, den Geld- und
Wechſelgeſchaͤften nicht unter den Huͤlfsmitteln der
Handlung, wie ſie es wirklich ſind, ſondern bereits
im erſten Buche zu reden, wo ich wenig von ihnen
in politiſcher Ruͤkſicht ſagen konnte, ſo will ich vor-
zuͤglich uͤber dieſe noch etwas in lezerwaͤhnter Hinſicht
[316]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
nachtragen; demnaͤchſt aber noch einige Anmerkungen
uͤber das Poſtweſen und die Erleichterungen kauf-
maͤnniſcher Reiſen anhaͤngen.
§. 1.
Die Banken ſind von ihrem Anfange an in die
Staatswirtſchaft derer Voͤlker, die ſie errichtet haben,
ſo verwebt worden, daß man ihres urſpruͤnglichen
Zweks, ein Huͤlfsmittel der Handlung zu ſein, bei-
nahe vergeſſen hat. Man hat ſie vielmehr gemis-
braucht, um dem Staat bei jeder ihm entſtehenden
Verlegenheit auszuhelfen. Republiken ſind ſo wenig,
als monarchiſche Staaten, dieſes Vorwurfes frei.
Der Schaz der Bank zu Venedig iſt ſehr fruͤh in die
Haͤnde der Regierung gefallen, welche dafuͤr Buͤrg-
ſchaft leiſtet. Dieß ſagt Kruſe in ſeinem Conto-
riſten S. 427 der neueſten Ausgabe. Er konnte
mir nicht ſeine Quelle angeben, und vergebens habe
ich ſchon vor zwanzig Jahren in meiner Abhandlung
von den Banken jeden naͤher davon unterrich-
teten gebeten, mir dieß hiſtoriſch aufzuklaͤren. Ich
weiß nicht ob von dem ſo wol unterrichteten Verfaſ-
ſer der Beſchreibung von Venedig, Leipzig 1771,
mehr zu erwarten ſei, und moͤgte denſelben hiedurch
darum bitten, falls ihm dieſe Zeilen vor Vollendung
ſeines ſonſt ſchoͤnen Buches zu Geſichte kommen moͤg-
ten. Aber gewiß genug mag die Sache ſein. Denn
[317]C. 7. In Anſehung der Huͤlfsmittel.
ſchon ſeit ſo langer Zeit iſt dieſe Bank geſchloſſen,
und mit allem Ab- und Zuſchreiben in deren Buͤchern
wird niemand Herr eines Hellers aus deren urſpruͤng-
lichem Fond, ſondern man zahlt ſich in baarem Gelde
welches zweierlei Agio gegen das ganz imaginaͤre
Bankgeld giebt oder traͤgt.
Die Georgen-Bank in Genua iſt eine Zettel-
Bank, welche bekanntlich vorlaͤngſt durch ihre groſſen
Vorſchuͤſſe an die Republik ſich zur Eignerin des groͤß-
ten Teils ihrer Einkuͤnfte gemacht hat. Doch waren
ihre Zettel noch in Ehren, weil die Bank deren Be-
lauf einem jeden zahlen konnte. Als aber der Staat
in den ungluͤklichen Oeſterreichiſchen Erbfolgekrieg ver-
wickelt ward, leerte derſelbe deren baare Caſſe aus.
Jahre giengen unter vielen Anſchlaͤgen verloren, wie
ihr wieder aufzuhelfen waͤre, und die Aushuͤlfe war
endlich eine Verringerung ihrer Valuta in die Valuta
di permeſſo, welche 5 p. C. ſchlechter, als die alte
Bank-Valuta iſt. Ich behalte mir auf die Zuſaͤze
vor, die kurze Geſchichte des Misbrauchs anderer
Banken zur Aushuͤlfe derer Staaten, welchen ſie an-
gehoͤren, in deren Beduͤrfniſſen zu geben, und merke
nur blos an, daß jezt keine Bank in Europa iſt, die
nicht dadurch mehr oder weniger zerruͤttet worden
waͤre, ohne nur unter den Zettelbanken die Londoner,
und unter den Girobanken die Hamburger Bank.
[318]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Wenn ich die Berliner Bank nicht mit in dieſe Reihe
ſtelle, ſo iſt es deswegen, weil ſie ſo bald aufgehoͤret
hat, der Handlung ihrem erſten Entwuͤrfe gemaͤß zu
dienen, und mehr eine Leihe- und Depoſiten-Bank,
als eine Handlungsbank, geworden iſt.
§. 2.
Als ich vor bald zwanzig Jahren eine in Buͤchern
bisher fehlende Aufklaͤrung uͤber die Banken gege-
ben hatte, gelangte mehr als Ein Auftrag an mich,
Vorſchlaͤge zur Errichtung einer Bank in ſolchen
Staaten zu geben, deren Finanzen durch den ſieben-
jaͤhrigen Krieg zerruͤttet worden waren. Ich geſtehe,
daß ich damals noch die Zettelbanken als ein Mittel
anſah, dem Staat ſeine zu groſſe Schulden-Laſt zu
erleichtern. Ich hatte in jener Abhandlung genug
von den Gefahren ihres Misbrauches geſagt, ſo daß
man mir zutrauen wird, daß meine Vorſchlaͤge ſehr
behutſam angegeben waren. Aber jezt preiſe ich,
nach meinen ſpaͤtern Einſichten, dieſe Staaten gluͤklich,
in welchen man von dieſen Anſchlaͤgen bald wieder ab-
gieng; nicht deswegen, weil ich zu glauben aufhoͤre,
daß Banken ein wahres Huͤlfsmittel fuͤr einen ver-
ſchuldeten Staat abgeben koͤnnen, ſondern weil ſeit
jener Zeit die Erfahrungen ſich ſo ſehr gemehrt haben,
aus welchen nicht blos mir, ſondern gewiß einem
jeden Staatswirt einleuchtet,
[319]C. 7. In Anſehung der Huͤlfsmittel.
1) daß eine Bank ſelten lange beſtehe, ohne daß
deren Hauptzwek verlaſſen und ihre Einrichtung ſo
umgekehrt werde, daß dem Staat, ſtatt vermeinter
Huͤlfe, weſentlicher Schaden daraus entſteht. Der
Misgrif iſt leicht getahn, und die Folgen deſſelben
aͤuſſern ſich ſchnell; aber nicht ſo bald und leicht ſind
die Mittel ausgefunden, dem Uebel wieder abzuhelfen.
2) Daß jedem Staat, in welchem man den Ge-
danken, ſich durch Papiergeld zu helfen, verlaſſen,
und dagegen ſich entſchloſſen hat, durch eine woluͤber-
legte Sparſamkeit und gebeſſerte Ordnung in den Fi-
nanzen ſich zu helfen, dieſes bald und ſicher gelun-
gen iſt.
§. 3.
Iſt dann noch etwa ein Staat in oder auſſer
Deutſchland, in welchem noch eine Bank fuͤr die
Handlung dienen koͤnnte, wo dieſelbe uͤber kurz oder
lang errichtet werden moͤgte, ſo nehme man dieß zur
erſten Regel:
1) Man gebe den Gedanken ſo lange
ganz auf, als der Staat oder deſſen Re-
gent in dringender Geld-Verlegenheit iſt,
und errichte ja nimmer eine Bank in der
Abſicht, dieſer Verlegenheit abzuhelfen.
[320]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
In dringender Verlegenheit ſage ich. Denn daß eine
Zettelbank einem bluͤhenden Staat, und dem es nicht
an andern Reſſourcen fehlt, gleich von ihrem Anfange
an zu Huͤlfe kommen koͤnne, das beweist das Beiſpiel
der Londoner Bank, welche von ihrem erſten Fond,
1200000 L. S. groß, 900000 ſogleich an die Krone
vorſchoß. M. ſ. den zweiten Anhang zu meiner Abh.
von den Banken. Der Mißbrauch erfolgt aber
ſehr bald auf den guten Gebrauch, und moͤgte auch
wol in England nicht unterblieben ſein, wenn dieſer
Staat nicht in einem ununterbrochenen Fortwuchs
des Wolſtandes ſich ſeitdem befunden haͤtte. Aber
wenn man mit dem Mißbrauch ſogleich anfaͤngt, ſo
ſind die Folgen davon unabſehlich.
2) Man ſorge zuvoͤrderſt fuͤr gute
Muͤnze und einen recht zuverlaͤſſigen
Muͤnzfuß ehe man eine Bank errichtet. Das war
der Fehler bei der Londoner Bank, daß ſie zu einer
Zeit errichtet wurde, da das Silbergeld in England
aͤuſſerſt ſchlecht war, und immer ſchlechter ward, ſo
daß eine vollwichtige Guinea 30 Schilling in Silber
galt; und dies drohete der Bank zwei Jahre nach
ihrer Errichtung ſchon den voͤlligen Umſturz. Ein
gleicher Fehler druͤkt die Petersburgiſche Bank. Der
Ruſſiſche Muͤnzfuß iſt ſeit Peter dem Groſſen nie
recht zuverlaͤſſig geweſen, aber von eben der Zeit an
[321]C. 7. In Anſehung der Huͤlfsmittel.
vollends unzuverlaͤſſig geworden, da deren Zettel um
100 Millionen Rubel in der Abſicht vermehrt wur-
den, dem Ruſſiſchen Adel auf ſeine Guͤter Vorſchuͤſſe
tuhn zu koͤnnen.
§. 4.
Schon beſtehende Banken ſcheitern inſonderheit
an folgenden 3 Klippen:
1) An uͤbertriebenen Darlehnen auf liegende
Gruͤnde. Doch davon habe ich genug in meiner Abh.
von Banken geſagt.
2) Wenn der Staat ſeine Banknoten als eine
Reſſource anſieht, mit welcher er Krieg, ſo gar uͤber
ſeine Grenzen hinaus, fuͤhren koͤnne. Vor dieſem
Fehler huͤtete Carl XII. ſich, ſelbſt in ſeinen aͤuſſerſt
dringenden Verlegenheiten. Die Bank blieb ihm
noch immer heilig, ſelbſt als er durch die Muͤnzzei-
chen ſich zu helfen ſuchte, die jedoch ein noch ſchlech-
teres Huͤlfsmittel als Banknoten fuͤr ihn geweſen
ſein wuͤrden, weil ſie leichter nachzuahmen waren,
als Banknoten. Auch haͤtte Carl XII. deswegen
weiter mit Banknoten reichen koͤnnen, weil er in den
lezten Jahren auf ſeine Landes-Grenzen eingeſchraͤnkt
war, und nur innerhalb derſelben ſeinen Krieg fort-
ſezen konnte. Aber nach ſeinem Tode hat das freier
2ter Teil. X
[322]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
gewordne Reich zweimal geglaubt, mit Banknoten
offenſive Kriege fuͤhren zu koͤnnen. Zu dem erſten
Kriege im Jahre 1741, war die Haupt-Huͤlfe ein
Papier-Geſchenk von 10 Mill. Thaler Silber-Muͤnze.
Weil aber dieſer Krieg, wider Schwedens Hofnung,
durch deſſen Ungluͤk innerhalb ſeiner Grenzen blieb,
ſo konnte dies Papier da noch die Stelle des Geldes
vertreten, und die Folgen dieſes Mißgriffes wurden
nicht ſo ſchweer empfunden, als da es ſich in den
ſiebenjaͤhrigen Krieg miſchte, und auch jenſeits des
Meeres mit ſeinen Papier-Kraͤften Krieg fuͤhren zu
koͤnnen glaubte.
3) Eben ſo wenig laſſen ſich durch Papiergeld
groſſe Handlungs-Speculationen betreiben. Wie die
Handelsmaͤnner Daͤnemarks waͤhrend des lezten See-
Krieges in dieſen ſchaͤdlichen Irrweg geriehten, und wie
dadurch fuͤr dieſen Staat die groͤßte Conjunctur, welche
ſeinem Handel und Schiffahrt jemals entſtanden iſt,
verloren gieng, und ganz zu ſeinem Verluſte aus-
ſchlug, habe ich in dem vierten Anhang zu meiner
Abhandlung von den Banken, ungern aber der
Wahrheit gemaͤß, erzaͤhlt.
§. 5.
Die Franzoͤſiſchen Aſſignate ſind eine ganz neue
Erſcheinung in dem Geldweſen unſerer Zeit. Sie
[323]C. 7. In Anſehung der Huͤlfsmittel.
waren nicht zum Dienſt der Handlung, ſondern ganz
zur Aushuͤlfe des hoͤchſtverſchuldeten Staats beſtimmt.
Sehr ſchnell aber traten ſie in die Stelle des baaren
Geldes, und verruͤkten den Gang der Handlung auf
eine ſehr unerwartete Weiſe, welche auf unbeſtimm-
bare Zeiten hinaus fuͤr dieſen Staat belehrend ſein
mag. Wer haͤtte denken moͤgen, daß ein Papiergeld,
welches nicht nur von dem Staat autoriſirt und fuͤr
zahlbar in den oͤffentlichen Einnahmen erklaͤrt war,
dem man ſeine Anwendung in dem Ankaufe eines ſo
ſehr begehrten nuzbaren Eigentuhms, der liegenden
Gruͤnde der Geiſtlichkeit, angewieſen hatte, und von
dem man verſprach, was niemals bei der Errichtung
einer Bank fuͤr deren Zettel verſprochen iſt, daß ſie,
ſo wie ſie in die oͤffentlichen Caſſen zuruͤckehrten, ſoll-
ten vernichtet werden, und dieſes gehalten hat, deſſen
totaler Wehrt [auch] bis jezt noch nicht der Maſſe des in
Frankreich vorraͤhtigen baaren Geldes gleich koͤmmt;
wer haͤtte, ſage ich, denken moͤgen, daß eben dieſes
in weniger als zwei Jahren auf faſt den halben Wehrt
herabſinken, und dieß Volk in ſo boͤſe Verlegenheit
ſezen wuͤrde, als je einem Volke aus deſſen Ueber-
haͤufung mit Banknoten entſtanden iſt? Ich geſtehe
auch gerne, daß meine Einſichten in dieſes Fach nicht
ſo weit gereichet haben, daß ich dieſes zu Anfang ver-
muhtet haͤtte. Jezt aber duͤnkt mich, daß die Haupt-
Urſache von dieſem ſchlechten Erfolg klar genug am
X 2
[324]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Tage liege. Die erſte iſt: weil keine Caſſe da war,
welche auch nur zu Anfang den Zahlwehrt dieſes Pa-
piergeldes baar zu zahlen gehalten geweſen waͤre. Es
iſt durchaus unmoͤglich, daß ein Papiergeld, von wel-
cher Art es auch ſei, ſich nicht bald von dem baaren
Gelde, ſo zu reden, losreiſſe, wenn nicht eine Caſſe
da iſt, die zu jeder Stunde durch unverzoͤgerte baare
Bezahlung die Inhaber deſſelben erinnert, daß daſ-
ſelbe mit dem baaren Gelde Eins ſein ſolle und fuͤr
jeden Beſizer des Papiers wirklich ſei. Die zweite:
den Kaͤufern der geiſtlichen Guͤter war die Bezahlung
auf jaͤhrige Termine bis zwoͤlf Jahre hinaus geſtellt.
Alſo ward nur der zwoͤlfte Teil dieſes neuen Papier-
Geldes zu Anfang anwendbar. Die dritte: der
bisherige ſchwankende Zuſtand der Hauptangelegenhei-
ten des Staats, hat manche in die Beſorgniß geſezt, daß
vielleicht darin es ſich noch aͤndern, die Geiſtlichkeit
die Oberhand wieder gewinnen, und die ſchon verkauf-
ten Guͤter ſich wieder ohne Bezahlung eigen machen
koͤnnte; wie denn auch, aus dieſer Urſache vielleicht,
mit deren Verkaufe eingehalten worden iſt.
Ueberhaupt ſcheint Frankreich der Staat zu ſein,
welchem am wenigſten von allen das Papiergeld zu-
traͤglich iſt. Es hat nun in dieſem Jahrhundert zwei
ſehr ungluͤklich ausgefallene Verſuche mit der Bank des
Lawd und mit dieſen Aſſignaten, und zwiſchen beiden ei-
[325]C. 7. In Anſehung der Huͤlfsmittel.
nen nicht allerdings gluͤklichen mit der Caiſſe d’Escompte
gemacht. Gerade in dieſem Volke haben einesteils
ſo viele zwekwidrige Misgriffe den urſpruͤnglichen bei
dieſen Papiergeldern abgezwekten Plan geſtoͤrt, an-
dernteils iſt der Eigennuz der Gewinnſuͤchtigen ſo erfind-
ſam geweſen, als es nicht leicht Beiſpiele in andern
Staaten gegeben hat. Wenn Einmal das Papier-
Geld ſich von dem baaren Gelde losgeriſſen hat, ſo
iſt in einer Nation, wo das Einverſtaͤndnis ſo weni-
ger Banker in ſo wenigen Wechſelplaͤzen ſo leicht iſt,
deren Vorteil gewiß, das Papiergeld mag ſteigen oder
fallen. Bei ihnen iſt die Vorausſicht jeder Veraͤnde-
rung, die den uͤbrigen im Volke fehlt. Sie koͤnnen
die Pfeifen ſchneiden, weil ſie im Rohr ſizen. Eben
in der Woche, da ich dieſes ſchreibe, iſt der Curs von
Paris auf Hamburg von 380 auf 280, daß iſt, um
53 p. C. in acht Tagen gebeſſert hergekommen, aber auch
ſchnell wieder gefallen. Welch ein ungeheurer Gewinn
fuͤr diejenigen, die ſich darnach zu halten wußten, daß
er ihnen zuflieſſen mußte! Aber welch ein Nachteil,
welch eine Irrung in der Handlung uͤberhaupt!
Sehr wahrſcheinlich wird dies der Nachkommen-
ſchaft zur Lehre dienen, und wenn der Staat ſich von
dieſen Aſſignaten loß gemacht haben wird, wol nie-
mals ein neues eigentliches Papiergeld in Frankreich
wieder entſtehen. Eigentliches, ſage ich. Denn daß
[326]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
die Staatsſchulden und Actien nicht dazu gehoͤren,
glaube ich in dem 2ten Abſchnitte des 3ten, und dem
1ſten des 6ten Buchs der Abh. vom Geldesum-
lauf bewieſen zu haben.
Was von dieſen in einem Buche des vorliegenden
Inhalts erwartet werden moͤgte, habe ich bereis im
dritten Buche geſagt.
§. 6.
Die Handlung gab nicht dem Poſtweſen den
erſten Urſprung, ſondern die Politik, als Ludwig XI
ſich durch untergelegte Pferde ſchnelle Nachricht von
den Unternehmungen ſeines ſo ſehr gefuͤrchteten Fein-
des Carls des Kuͤhnen, Herzogs von Burgund, zu
verſchaffen ſuchte. Bei den von dem damals Graͤfli-
chen Hauſe Tour und Taxis in den Niederlanden an-
gelegten Poſten, war vielleicht ſchon mehr Ruͤkſicht
auf die Handlung genommen. Als aber eben dieſes
Haus unter Kaiſerlicher Autoritaͤt in Deutſchland dieß
gewinnvolle Geſchaͤfte an ſich brachte, belegte es man-
che ſchon damals betraͤchtliche Straſſe der Handlung-
noch nicht mit Poſten. Es hatte z. B. die zwiſchen
Hamburg und Amſterdam noch in der Mitte des vo-
rigen Jahrhunderts ganz vergeſſen, und uͤberhaupt
das nordliche Deutſchland ſehr uͤberſehen. Lange Zeit
war es allen Deutſchen Fuͤrſten unbegreiflich, daß
[327]C. 7. In Anſehung der Huͤlfsmittel.
Poſten eintraͤglich ſein koͤnnten. Der groſſe Kurfuͤrſt
Friedrich Wilhelm fand es zuerſt aus, legte
Poſten durch ſein Land an, und damals war Sachſen
noch ſehr zufrieden, als es ihn dieſelben auch bis weit
uͤber ſeine Grenzen ausdehnen ſah.
§. 7.
Jezt kennt nun jeder Regent die Eintraͤglichkeit
derſelben, und daß dieſe [hauptſaͤchlich] auf dem Ge-
brauch beruhe, den die Handlung davon macht.
Freilich macht man ihr dieſes Huͤlfsmittel zur Betrei-
bung ihrer Geſchaͤfte mehr und mehr koſtbar. Indeß
waͤre es der Frage wehrt, bis zu welchen Grenzen
es mit dieſer Verteurung gehen koͤnne, wenn die
Antwort ſich nicht ſogleich darin faͤnde, daß ſie ihr
unentbehrlich ſind, und ſie freilich eine jede Verteu-
rung derſelben ſich muͤſſe gefallen laſſen. Aber nur
wenig Briefe, welche nicht durch die Handlung ver-
anlaßt werden, haben eine ſolche Nothwendigkeit,
daß nicht viele derſelben ungeſchrieben blieben, wenn
das Poſtgeld zu hoch ſteigt. Als Friedrich der Groſſe
vor zwanzig Jahren das Briefporto um die Haͤlfte
erhoͤhete, geſtand mir der Director eines der groͤßten
Preuſſiſchen Poſtcomtore zwei Jahre nachher, daß
die Einkuͤnfte der reitenden Poſt nach dieſer Ver-
teurung ſich nicht gemehrt haͤtten. Es waren alſo
nur zwei Drittheile derer Briefe noch geſchrieben,
[328]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
welche vorhin mit dieſer Poſt giengen; und auch da-
bei wuͤrde es ſich nicht erhalten haben, wenn in Hand-
lungsbriefen eben ſo viel, als in andern, haͤtte geſpart
werden koͤnnen. Dies geſchicht zwar genug, und der
Kaufmann wird uͤber manches kleine Geſchaͤfte nicht
ſchreiben, wenn die Poſt ſehr teuer iſt, ſondern es
aufſchieben, bis mehr und wichtigere Geſchaͤfte einen
Brief notwendig machen. Weil aber dieß nicht im-
mer geſchehen kann, ſo iſt der Grund, der den Re-
genten noch uͤbrig bleibt, um die Handlung nicht mit
gar zu hohem Poſtgelde zu belaſten, blos dieſer,
wenn ſie die Concurrenz mit Poſten anderer Staaten
fuͤrchten muͤſſen. Und dieſer Grund wirkt bisher
noch viel in denen Kreiſen Deutſchlandes, wo die
Fuͤrſtlich Taxiſchen Poſten mit den Poſten anderer
Fuͤrſten concurriren.
Die fahrenden oͤffentlichen Poſten ſind ein großes
Huͤlfsmittel der Handlung fuͤr Waaren von kleinem
Gewichte bei betraͤchtlichem Wehrte, oder fuͤr ſolche,
deren Verſendung Eile erfodert. Dieß erkennt man
nicht beſſer, als wenn man in ſolchen Laͤndern ſich
befindet, wo dieſelbe fehlen, wie z. B. in Schweden,
denn hier koͤnnen die Einwohner der innlaͤndiſchen
Staͤdte und auch der Doͤrfer zu manchem Beduͤrfnis
gar nicht gelangen, weil auch die Frachtfuhren ſelten
vorfallen. Zwiſchen den Seehaͤfen und den innern
[329]C. 5. In Anſehung der Huͤlfsmittel.
Landesſtaͤdten geht daher alles Gewerbe uͤberaus
traͤge und beſchwerlich fort. Es iſt unglaublich, nach
wie vielen Dingen man dort vergebens fragt, die in
Deutſchland jedermann zu ſeinen Beduͤrfniſſen rech-
net, welche aber die Handlung bis dahin nicht ver-
treiben kann.
§. 8.
Die Leichtigkeit und Bequemlichkeit der Reiſen
giebt der Handlung eine große Erleichterung. Aber
es iſt auch gewiß, daß fuͤr dieſelbe in keinem Lande
leicht Raht geſchaft werden kann, als wo die Hand-
lung ſelbſt viele Reiſen veranlaßt, und wo viele
Staͤdte ſind, aus deren Einer das wechſelſeitige Ge-
werbe den Kaufmann oder ſeine Gehuͤlfen zu der an-
dern ruft. Davon entſteht einem jeden, der Eng-
land bereiſet, ſehr bald die Ueberzeugung, aber auch
bei einigem Nachdenken dieſe, daß in dem groͤßten
Teile Deutſchlands nicht eben die Vorteile und An-
nehmlichkeiten zu bewirken ſind. Aber ein ande-
res iſt, ſie nicht bewirken koͤnnen, und wieder ein
anders, den Reiſenden unter ſo vielen Unannehmlich-
keiten und Beſchwerden, und eben dabei unter ſo
großen ungebuͤhrlichen Koſten, leiden laſſen, als dieß
bisher noch in dem nordlichen Deutſchland geſchieht.
Ich will aber mich hieruͤber nicht verbreiten, ſondern
werde nur auf meine in das lezte Stuͤck des nun
[330]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
wieder abgebrochenen Neuen deutſchen Mu-
ſeums eingeruͤkte Abhandlung uͤber dieſen Gegen-
ſtand, und darneben auf meine Reiſebemerkun-
gen uͤber Holland und England verweiſen
duͤrfen. Was ich in meinen Reiſebemerkungen
uͤber Schweden von der Art dort zu reiſen erzaͤhlt
habe, giebt wenigſtens den Beweis, wie leicht, wenn
gleich nicht in allen Umſtaͤnden angenehm, man das
Reiſen auch in einem ſolchen Lande machen koͤnne,
wo die Handlung noch weit weniger Veranlaſſung
zum Reiſen entſtehen macht, und das Clima und der
Boden mehr Hinderniſſe in den Weg legen, als in
dem nordlichen Deutſchland.
Achtes Capitel.
Von der Handlungspolitik in Anſehung
der Zoͤlle.
§. 1.
Ich bin zwar eine Weile angeſtanden, ob ich nicht
in dieſem Buche von mehr als derjenigen Art der
Abgaben, welche die Handlung abſonderlich treffen,
[331]C. 8. In Anſehung der Zoͤlle.
das iſt, von den Zoͤllen reden wollte. Denn frei-
lich iſt dem Kaufmanne eine allgemeine Einſicht in
dieſe wichtige politiſche Materie von den Abgaben
ſehr nothwendig, nicht nur in ſolchen Staaten, wo
er Teil am Regiment nimmt, ſondern auch in ſol-
chen, wo er mehr und mehr erwarten kann, uͤber
dieſen Gegenſtand zu Rathe gezogen zu werden.
Das erſte hat nicht nur in Frankreich ſeit der Revolu-
tion, ſondern auch in ſo manchem Freiſtaat, inſonder-
heit Deutſchlands, Statt. Das zweite geſchieht in
monarchiſchen oder der Monarchie ſich naͤhernden
Staaten nicht nur mehr und mehr, ſondern unſre
Zeiten haben der Beiſpiele ſo viele von Maͤnnern,
die aus dem Kaufmannsſtande von ihren Landes-
herrn zur Direction uͤber Finanzen uͤbergezogen ſind.
Aber auch ſolcher Beiſpiele ſind viele, daß in dem
Regimente der handelnden Freiſtaaten, und in den
Koͤpfen einzelner von ihren Fuͤrſten ins Miniſte-
rium gezogener Kaufleute, richtige Einſicht in dieſe
wichtige Materie ſehr gefehlt habe. Selbſt der mit
hohem Recht geprieſene Colbert ſahe in dieſer Sa-
che nicht klar. Und jezt iſt es gewiß Frankreichs Un-
gluͤk, und die Haupturſache von deſſen fortwaͤhren-
den und jezt noch unabſehlichen Verlegenheiten, daß
in ſeiner National-Verſammlung wenig oder gar keine
Maͤnner aus dem Kaufmannsſtande nach Nekkers
Verdraͤngung aufgetreten ſind, welche vom Finanz-
[332]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
weſen, und insbeſondere von den Abgaben, die rich-
tige Einſicht gehabt haͤtten, welche noͤtig war, um
der phyſiokratiſchen Theorie entgegen zu wirken. Mi-
rabeau nahm zwar dieſe mit in die Nationalver-
ſammlung; aber bald durch reinere, ihm nun entſte-
hende praktiſche Kenntniß geleitet, geſtand er, daß
ſie auf einen ſo großen Staat, wie Frankreich, nicht
andwendbar waͤre.
Um jedoch in der noch uͤbrigen Ausarbeitung die-
ſes Buchs ſo viel moͤglich das Ebenmaas zu behau-
pten, uͤber welches ich doch ſchon hin und wieder ein
wenig hinaus geſchritten bin, will ich lieber das,
was ich dem Kaufmann uͤber die Abgaben im Allgemei-
nen ſagen zu koͤnnen glaube, fuͤr die Zuſaͤze aufbehalten.
§. 2.
Schon mehrmalen hat der Zuſammenhang mich
darauf geleitet zu erwaͤhnen, wie die Regenten der
Erde von den erſten Zeiten her, da Handlung ent-
ſtand, ſich dieſelbe durch Auflagen eintraͤglich gemacht
haben, und wie dies auch lange der einzige Geſichts-
punct geblieben ſei, in welchem man die Handlung
mit Abgaben belegt hat. Es iſt auch noch der einzige
Zwek der Tuͤrken und anderer Voͤlker, welche keine
eigentliche Handlungspolitik kennen und uͤben. So
lange es dabei bleibt, ſind die Abgaben maͤſſig. In
[333]C. 8. In Anſehung der Zoͤlle.
der Tuͤrkei zahlt man fuͤr alle aus- und eingehende
Waaren nur drei Procent.
§. 3.
Indeſſen erſchwerten auch ſchon vor Alters die
Zoͤlle die Handlung aus folgenden drei Urſachen:
1) Man hob dieſe Zoͤlle von ausgehenden Waa-
ren ſo, wie von einkommenden, und erſchwerte da-
durch den Producten- und Manufacturhandel des
eigenen Landes gar ſehr. Die Regenten ſchienen
dabei nicht mehr zu denken, als: wer handelt, hat
Geld, und kann davon geben, er handele mit Landes
oder mit fremden Waaren.
2) In jenen Zeiten waren die groͤſſern Europaͤi-
ſchen Staaten unter viele Herren geteilt, die in eini-
gen ganz unabhaͤngig waren, in andern zwar von
Einem Oberherrn abhiengen, aber doch landesherr-
liche Rechte uͤbten. Dieſe ſuchten nun von jeder durch
ihr Land oder aus demſelben gehenden Waare fuͤr ſich
zu gewinnen. Sie legten alſo an ihren Grenzen
allenthalben Zoͤlle an, und ſo konnte keine Waare
einen weiten Weg verfuͤhret werden, ohne eine Menge
Zoͤlle zu bezahlen. Dies veranlaßte das Entſtehen
zahlloſer Zoͤlle in allen Staaten, die nicht fruͤh Ei-
nem Oberhaupte unterwuͤrfig wurden. Denn in die-
[334]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
ſen wurden die Zoͤlle zwar eben ſo wenig vergeſſen,
aber faſt allein an den Grenzen und in Haͤfen angelegt.
§. 4.
Hievon iſt nun noch vieles in dem jezigen Zuſtande
von Europa uͤbrig geblieben, wenigſtens bei den ge-
beſſerten Einſichten der Regenten nicht ganz gehoben.
In Frankreich hat man erſt in den lezten Jahren
vor der Revolution angefangen, die Zoͤlle zwiſchen
den Provinzen aufzuheben, welche noch von der Zeit
her beſtanden, da dieſelben ſo viele beſondre Herren
hatten. Maria Thereſia fand es noch eben ſo
in den verſchiedenen Teilen des Oeſterreichiſchen Krei-
ſes. Sie hob ſie zwar hier groͤßtenteil auf, aber
zwiſchen dieſem Kreiſe und den uͤbrigen Staaten ihres
Hauſes beſtehen dieſelben noch groͤßtenteils. Auch
Friedrich II. hat die Zoͤlle zwiſchen ſeinen alten
und neu erworbenen Staaten noch auf eben die Art
beſtehen gelaſſen, wie er ſie fand. Wer von Ham-
burg uͤber Berlin nach Schleſien reiſet, muß fuͤr
jedes zollbare Beduͤrfnis ſeiner Reiſe zweimal, und
reiſet er ins Glaziſche, ein Drittesmal bezahlen.
§. 5.
Noch jezt beſtehen in allen Staaten eine Menge
Zoͤlle und Abgaben, bei welchen ſich kein Zwek an-
nehmen laͤßt, als daß ſie dem Regenten Einkuͤnfte
[335]C. 8. In Anſehung der Zoͤlle.
verſchaffen ſollen. Aber eben das iſt billig und recht,
wenn die Gegenſtaͤnde dieſer Zoͤlle gehoͤrig gewaͤhlt
ſind, und in der Art ſie zu erheben dahin geſehen
wird, daß ſie die Handlung nicht zu ſehr ſtoͤren,
wenn es gleich unvermeidlich iſt, daß ſie nicht dem
Kaufmann Muͤhe machen. Zwar habe ich den Vor-
wurf nur gar zu oft leſen muͤſſen, daß ich, durch meine
Lage verleitet, fuͤr eine von allen Zoͤllen freie Hand-
lung eingenommen ſei.
Aber wie kann man das von mir annehmen, da
ich in ſo vielen Stellen, daß es mir Muͤhe machen
wuͤrde, ſie alle anzufuͤhren, laut erklaͤrt habe, daß
ich eine voͤllige Freiheit der Handlung in dem jezigen
Zuſtande Europens fuͤr nicht rahtſam, ja fuͤr unmoͤg-
lich halte? (*) Ich habe, wo ich uͤber Auflagen ge-
[336]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
ſchrieben, den Auflagen auf den Genuß den Vorzug
gegeben. Ich habe ſogar den Salz- und Tobakspach-
tungen das Wort geredet, wenn man es in dem Wege
der Zoͤlle und der Acciſe nicht mit beiden zwingen kann,
und behalte mir vor, in den Zuſaͤzen noch mehr fuͤr
die Auflagen auf den Genuß zu ſagen. Zoͤlle, die von
den Gegenſtaͤnden des Genuſſes bei deren Einfuhr ins
Land gehoben werden, erſcheinen mir keinesweges
deswegen verwerflicher, weil der Kaufmann bei deren
Einfuhr ſie zahlen muß, als die Acciſe, die im Lande
davon gehoben wird. Kein Staat kann ſie entbehren,
wenn er ſich Geldeskraͤfte verſchaffen will. Sie ſind das
beſte Mittel der Regenten, um dem Gelde in ſeinem
Umlauf, ſo zu reden, aufzulauern, und aus jeder
Hand einen Teil desjenigen zu heben, was ſeine Buͤr-
ger zu ihrem Geldauskommen rechnen. Dies war
der Haupteinwurf, mit welchem ich das phyſiokrati-
ſche Syſtem am Ende m. Abh. vom Geldesum-
lauf beſtritten habe; ein Einwurf, von welchem ich
noch immer glaube, daß er den Verteidigern dieſes
Syſtems unaufloͤslich bleiben werde.
Freilich hat es der Kaufmann ſchweer dabei, und
in wenigen derer Staaten, wo man es mit den Zoͤllen
(*)
[337]C. 8. In Anſehung der Zoͤlle.
hoch treibt, iſt genug dafuͤr geſorgt, die Einhebung
derſelben ſo leicht und einfach einzurichten, wie es
doch moͤglich ſein muß. Dies koͤmmt daher, weil
faſt in allen dieſe Abgaben und Zoͤlle in dem Maas
vervielfacht ſind, wie die Beduͤrfniſſe des Staats zu-
nahmen, oder, daß man es hie und da noch zu ſehr
beim alten laͤßt, und Zoͤlle, die doch zulezt in Eine
Kaſſe flieſſen, verteilt gehoben werden, weil ſie urſpruͤng-
lich verſchiedene Beſtimmungen hatten. Ich werde
davon in den Zuſaͤzen Beiſpiele geben.
§. 6.
Aber in neuern Zeiten hat man, ſo viel ich auffin-
den kann, erſt angefangen, die Zoͤlle als ein Mittel
anzuſehen, durch welches die Handlungspolitik die
Handlung nach ihren wahren oder falſchen Grund-
ſaͤzen zu leiten vermag. In der Taht ſind ſie das ein-
zige Mittel, welches auſſer den Handels-Verboten zu
dieſem wichtigen Zwek angewandt werden kann, und
in manchen Faͤllen den Handels-Verboten weit vorzu-
ziehen. Das wenige, was ich davon hier zu ſagen
noͤtig glaube nach dem, was ſchon davon geſagt iſt,
kann abermal nach den vier allgemeinen Arten der Hand-
lung eingeteilt werden.
§. 7.
I) In dem Productenhandel koͤnnen die Zoͤlle
groſſe Dienſte tuhn. Aber das Verfahren in Aufle-
2ter Teil. Y
[338]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
gung dieſer Zoͤlle iſt natuͤrlich ſehr verſchieden bei Pro-
ducten, welche Beduͤrfniſſe des Lebens, und ſolchen,
welche Materialien der Manufacturen ſind. Jene
ertragen nicht eher Zoͤlle, wenigſtens keine von Be-
lang, als wenn ein Volk durch die Fruchtbarkeit ſei-
nes Bodens und den Fleiß ſeiner Landbauer gewis davon
iſt, der fremden Einfuhr entbehren zu koͤnnen. Unter
ſolchen Umſtaͤnden hat England deren Einfuhr ſogar
verbieten koͤnnen, wenn nicht der Preis im Lande
uͤber ein beſtimmtes Mittel geht. Holland aber wird
nicht nur ſie nimmer verbieten, ſondern auch bei ihrer
Einfuhr nicht hoch belaſten duͤrfen. Will dann aber ein
ſolcher Staat von deren Genuß noch etwas haben,
ſo muß er dies durch die inlaͤndiſche Acciſe tuhn, bei
deren Einhebung nicht mehr die Frage iſt, ob dieſe
Lebensmittel einheimiſch oder ausheimiſch ſind? Weit
minder bedenklich ſind Zoͤlle, welche auf die Einfuhr
ſolcher Producten gelegt werden, die ſchon zu den
Beduͤrfniſſen, des Wollebens gerechnet werden koͤnnen,
z. B. Weine, Branntweine, auslaͤndiſche Fruͤchte,
u. d. gl. Von dieſen muß der Staat ſchon heben
koͤnnen, was ihm noͤtig und billig iſt, ſo bald ſie an
ſeine Grenzen kommen.
Bei den Materialien der Manufacturen koͤmmt
es darauf an, ob ein Land fruchtbar und volkreich ge-
nug iſt, um gewiſſe Producte hervorzubringen, aber
[339]C. 8. In Anſehung der Zoͤlle.
nur durch den zu wolſeilen Preis der von auſſen her
eingefuͤhrten Producte geſtoͤrt wird. Dann giebt eine
Auflage auf die Einfuhr ein ſicheres Mittel ab, die
inlaͤndiſchen Producte in ihrer Concurrenz mit den
Auslaͤndern zu heben. Z. E. ein Land brauche lauter
auslaͤndiſches Leder, ſo wird eine Auflage auf daſſelbe
den Gebrauch und die Bearbeitung des inlaͤndiſchen
Leders ſchon befoͤrdern koͤnnen.
Wenn jedoch das Land ſchon Manufacturen hat,
die dieſes Material, z. B. Wolle, Flachs, lebhaft
bearbeiten, ſo tuht es ſehr unrecht, wenn es deſſen
Einfuhr blindlings durch Zoͤlle beſchwert. Am ſchaͤd-
lichſten iſt der Misgrif, wenn man das zur Produ-
cirung dieſer Materialien noͤtige Geſaͤme mit Einfuhr-
Zoͤllen hoch belaſtet, oder wol gar den Handel damit
unter Privilegien oder Monopolien ſtellt. Und dieſen
Misgrif taht doch wirklich Friedrich der Groſſe in
Anſehung des ſeinem Schleſien und ſeinen Weſt-
phaͤliſchen Staaten ſo hoͤchſt noͤtigen auslaͤndiſchen
Leinſaamens.
§. 8.
Indeſſen kann durch ſolche Auflage allein keine
Ausfuhr der Producten entſtehen, bis andere Urſachen
einwirken, welche den Landbau heben und den Vor-
raht der Landesproducte ſo zunehmen machen, daß der
Y 2
[340]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Auslaͤnder ſie wolfeiler als bei ſich oder bei andern
Voͤlkern findet. Gros-Britanien hat in dieſer Abſicht
einen Weg erwaͤhlt, in welchem es noch keine Nach-
ahmer gefunden hat. Aber vorher war der wichtige
Schritt getahn, daß man die gemeinen Weiden in
dem groͤßten Teile des Landes aufhob und einteilte.
Bis jezt iſt dies bei weitem nicht uͤberall geſchehen.
Dennoch aber hat es auch ſelbſt denſelben aufgeben
muͤſſen, nachdem es etwa achzig Jahre durch groſſe
Vorteile davon gezogen hat. Dies war die Gratifi-
cation auf die Ausfuhr des Korns, wovon ſchon oben
geredet iſt. In den meiſten Europaͤiſchen Staaten
iſt man deſto aͤngſtlicher uͤber die Ausfuhr des Korns;
und manche, inſonderheit kleine zwiſchen ſolchen
Nachbaren belegene Staaten, welche oft die Korn-
Ausfuhr ſperren, haben groſſe Urſache, darin behut-
ſam zu ſein. Alsdann aber iſt es nicht durch Zoͤlle
und Auflagen, ſondern durch voͤlliges Verbot, daß
man dieſe Handlung zu zwingen ſucht. Rusland
uͤbte ehemals eine fuͤr den Auslaͤnder ſehr beſchwerliche
Handlungspolitik in Anſehung des Korns aus. Wer
in Archangel Korn laden ließ, mußte den dritten Teil
des Vorrahts dort bis zum naͤchſten Jahre liegen
laſſen, damit das Land vor Mangel ſicher bliebe.
Nun war das Korn, welches man ausfuͤhrte, alles
ſchon im Winter vorher gekauft und bezahlt. Die
Zinſen fuͤr dieſe Zeit kamen ſchon dem Handel zur
[341]C. 8. In Anſehung der Zoͤlle.
Laſt, und fuͤr das zuruͤckbleibende Ein Drittel muß-
ten ſie noch ein Jahr laͤnger getragen werden. In-
deſſen hinderte dieſes den Handel lange Zeit noch nicht,
weil der Einkaufs-Preis ſo gar geringe, in Kaſan zu
Anfang dieſes Handels nur 7 Rubel fuͤr die Laſt Rog-
ken, war. Als aber durch die Concurrenz, inſonder-
heit in und nach dem Hungerjahre 1771, der Ein-
kaufspreis ſtieg, haͤtte ſich dieſer Handel ganz verlie-
ren muͤſſen, wenn nicht dieſe Verordnung aufgeho-
ben waͤre.
§. 9.
II) In dem Colonie-Handel wendet die Hand-
lungspolitik die Zoͤlle auf ſehr verſchiedene Weiſe an.
England nimmt von ſeinen Colonie-Producten groſſe
Abgaben, die der inlaͤndiſche Conſument tragen muß.
Aber bei deren Ausfuhr wird dieſer Zoll im Draw-
back zuruͤk gegeben. Sonſt wuͤrde der auslaͤndiſche
Vertrieb nicht moͤglich ſein. Frankreich aber ließ bis
an die Zeit der Revolution dieſen Zoll in den Haͤnden
der Eigner, gab ihnen ein ſogenanntes Aecquit â
caution, bis die Ankunft der Waare am Orte der
Beſtimmung beſcheinigt war.
§. 10.
In Anſehung der auf die Colonien verſandten
Waaren ſind die Zoͤlle der meiſten Nationen ſehr hoch.
[342]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Schon oben iſt geſagt, daß jedes Mutterland durch
die ſtrengſten Verordnungen den Handel mit den Co-
lonien an ſich zu halten ſuche. In der Vorausſezung,
daß man dies erzwingen koͤnne, ſuchen die Regenten
ihre Vorteile von jenen Coloniſten durch groſſe Abga-
ben auf die Waaren zu ziehen, welche denſelben von
Hauſe aus zugefuͤhrt werden. Spanien treibt die-
ſelben bis auf 20 p. C., bei andern ſind ſie etwas ge-
ringer. Indeſſen entſteht eben daraus eine ſtarke
Contrabande, wozu die Verſuchung allemal um ſo
viel ſtaͤrker wird, je hoͤher dieſe Abgaben ſind. Da
Gros-Britanien bei ſich zu Hauſe ſelbſt ſie ſo wenig
hindern kann, ſo iſt leicht einzuſehen, wie viel weni-
ger ſie in jenen entfernten Meeren gehindert werden
koͤnne. Einige dieſer Nationen ſuchen dann dadurch
ſie vollends zu beguͤnſtigen, daß ſie einzelne Colonien
in jenen Gegenden zu Freihaͤfen machen. Dafuͤr hat
Holland ſeine dortigen Inſeln St. Euſtaz und Curazao,
und Daͤnemark St Thomas erklaͤrt. Sie hat nicht
anders als ſich mehren koͤnnen, ſeitdem die Nordame-
ricaner mit ihrem Gewerbe, das der Krieg geſtoͤrt
hatte, wieder in Ordnung gekommen ſind. Die An-
tillen aller Nationen koͤnnen ihre Zufuhr von noht-
wendigen Beduͤrfniſſen nicht entbehren. Sie ver-
ſtekten zu allen Zeiten allerlei Europaͤiſche Waaren
unter ihre erlaubten Ladungen, und unterlaſſen dies
gewiß jezt weniger, als jemals. Spanien litt ſonſt
[343]C. 8. In Anſehung der Zoͤlle.
in dem Handel auf Suͤd-Amerika ſehr durch die groſſe
Contrabande, welche von der portugieſiſchen Colonie
St. Sacrament aus queer durchs Land nach Chili
gieng. Der groſſe Belauf derſelben zeigte ſich in der
Menge von Piaſtern, welche die Portugieſiſchen Re-
tour-Schiffe von Braſilien nach Liſſabon brachten.
Davon hat ſich Spanien durch die Eroberung dieſer
Colonie in dem kurzen Seekriege 1777 losgemacht,
und in ſeinen Zoͤllen, wie in ſeiner Handlung, dadurch
ſehr gewonnen.
§. 11.
III. In dem Manufactur Handel werden
die Zoͤlle hauptſaͤchlich von den handelnden Staaten
angewandt, um denſelben nach dem Entwurf der Re-
genten zu lenken. Es iſt klar, daß unter der Vor-
ausſezung, daß der Zoll richtig bezahlt werde, ſelbi-
ger ein Mittel abgiebt, eine inlaͤndiſche Manufactur
uͤber die Concurrenz mit einer auslaͤndiſchen zu heben,
wenn man die Waare der leztern mit einem ſolchen
Zolle belegt. Z. B. Rußland hat eintge Zuckerſieder.
Sie arbeiten wenigſtens 20 Procent teurer, als die
Hamburger, und wuͤrden ſchon laͤngſt eingegangen
ſein, wenn nicht der Hamburgiſche Zucker mit etwa
15 p. C. belegt waͤre. Allein man kann nur darauf
rechnen, wenn die Waaren ſo groß und ſchweer ſind,
daß der Zoll nicht leicht bei ihnen betrogen werden
[344]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
kann. Bei feinern Manufacturen gelingt dies nicht.
Wie Portugal dies in dem Jahr 1703 erfahren habe,
iſt C. 4. §. 21 erzaͤhlt.
§. 12.
Dergleichen Erfahrungen veranlaſſen die Regenten
unſerer Zeit, zur Aufnahme ihrer Landes-Manufactu-
ren, die auswaͤrtigen lieber ganz zu verbieten. Auch
davon iſt im 4ten Cap. §. 22. ſchon mehr geſagt.
Indeſſen bleiben die Zoͤlle ein ſehr ſchickliches Mittel
fuͤr den Regenten, wenn er es mit einer Manufactur
ernſthaft verſuchen will, ob ſie ſich fuͤr ſein Land ſchicke,
oder nicht. Im letztern Fall, wenn andere Hinder-
niſſe, z. Ex. Knechtſchaft, Mangel der Bevoͤlkerung
und der inlaͤndiſchen Circulation, teurer Preis der
Materialien und Abneigung des geringen Mannes
oder Traͤgheit an der Arbeit der erſten Hand Teil zu
nehmen, und daneben ein uͤbelgewaͤhlter Muͤnzfuß
entgegen ſtehen, ſo giebt es die Erfahrung, daß alle
Verbote und Zoͤlle den Manufacturen nicht aufhelfen,
noch die Contrabande hindern koͤnnen, bevor jenen
Hinderniſſen abgeholfen iſt.
Aber man muß von den Zoͤllen das lernen wollen,
was ſie lehren koͤnnen. So mancher Fuͤrſt entſchließt
ſich zu Handlungsverboten, nachdem er vergebens ver-
ſucht hat, fremde Manufacturen durch hohe Zoͤlle aus
[345]C. 8. In Anſehung der Zoͤlle.
ſeinem Lande zu halten. Sie haͤtten ihn lehren koͤn-
nen, daß wenigſtens vorjezt die Manufactur nicht
ſich fuͤr ſein Land ſchicke, und daß er vorher auf Weg-
raͤumung jener Hinderniſſe und Erwekkung ſolcher
Vorteile, die ſein Land noch nicht genießt, ſinnen
muͤſſe. Sobald aber das Verbot ergangen iſt, ſo wird
daran nicht weiter gedacht. Die Kontrabande geht
in ihrem unwiderſtehlichen Gange fort, und beſteht
dann noch die Manufactur dabei, ſo iſt es mehr zum
Schaden als zum Vorteil des Staats.
§. 13.
Der Wolſtand der Manufacturen beruht ſehr auf
der Leichtigkeit, die Materialien derſelben ganz roh oder
mit der im B. 2. C. 1. §. 6—8. erwaͤhnten Vorarbeit,
zu bekommen. Kann man zu denſelben nicht anders,
als durch fremde Einfuhr gelangen, ſo verſteht es ſich,
daß ein verſtaͤndiger Regent dieſe ſo viel moͤglich er-
leichtern muß, wenigſtens nicht dieſelbe durch Zoͤlle ver-
theuern darf. Indeſſen ſind noch viele Laͤnder, in wel-
chen man dieſelben nicht von Zoͤllen befreiet hat, welche
von Alters her auf ſie gelegt geweſen ſind. Wann ſie
aber das Land ſelbſt giebt, und man glaubt deren Aus-
fuhr ſei den Manufacturen des Landes ſchaͤdlich, ſo ent-
ſchließt ſich freilich faſt jeder Regent, zu einem allge-
meinen Verbot derſelben. So hat England vorlaͤngſt
die Ausfuhr ſeiner Wolle verboten. FriedrichII.
[346]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
that dies ebenfalls fuͤr Schleſien, nicht nur in Anſe-
hung der Wolle und des Flachſes, ſondern auch des
Leinen-Garns.
Es iſt aber unſtreitig gerathener, durch Zoͤlle, in
denen man den Umſtaͤnden verhaͤltnismaͤßig folgt, die
Ausfuhr derſelben zu ſchwaͤchen und den Preis dem
Auslaͤnder ſo weit zu verteuren, als es dienlich iſt.
Ja wir ſehen Beiſpiele, daß die ganz freie Ausfuhr
ſolcher Materialien, nachdem der Unterthan den Lohn
gewiſſer Vorarbeiten daran gewonnen hat, den Manu-
facturen im Lande ſelbſt dennoch nicht ſchadet, viel-
mehr eine Urſache wird, daß immer ein hinlaͤnglicher
Vorraht und wolfeiler Preis dieſes vorgearbeiteten
Materials ſich findet. In Niederſachſen und Weſt-
phalen iſt die Ausfuhr des leinen Garns gaͤnzlich frei.
Wenigſtens hat kein Fuͤrſt eine Abgabe in der Abſicht
darauf gelegt, um die Ausfuhr dadurch zu erſchweren.
Indeſſen wird in dieſer Gegend allenthalben ſo viel
Leinen gemacht, und in Weſtphalen ſorgfaͤltig appre-
tirt, als man nur irgend abſetzen kann. Dies iſt
freilich nicht im allgemeinen anzunehmen.
Schleſiens Ausfuhr war vor der Preußiſchen Be-
ſiznehmung wol ſo groß dem Wehrte nach in Garnen,
als in Leinen. Friedrich verbot die Ausfuhr der
erſteren, um der letztern willen. Im Ravensbergiſchen
[347]C. 8. In Anſehung der Zoͤlle.
mußte ſie frei bleiben. Dennoch wurden in 12 Mona-
ten der J. 1790 und 91 in 1,207265 Thlrn. drei
Vierteile des Werths in Leinen und ein Vierteil in
Garnen ausgefuͤhrt. (M. ſ. das genauere S. 16. der
2ten Abt. der den Zimmermanniſchen Fragmenten entge-
gengeſetzten Anmerkungen, Berlin 792.) Ein ſichrer
Beweis, daß die Ausfuhr des vorgearbeiteten Mate-
rials der Manufactur ſelbſt nicht entgegen ſtand! In-
deſſen iſt gewiß, daß die zu freie Ausfuhr eines Products
als Materials ohne alle Vorarbeit den Manufacturen
durchaus entgegen ſteht. Z. B. in den hieſigen Ge-
genden beſteht keine Papier-Muͤhle, wenigſtens nicht in
feinerem Papier, weil die Lumpen alle zu teuer von den
Englaͤndern und Hollaͤndern aufgekauft werden. Als
in der Nachbarſchaft Hamburgs deren Ausfuhr verbo-
ten, und der alleinige Ankauf den Papiermuͤllern zu-
gewieſen ward, war die Folge davon, daß dieſe den
Alleinhandel damit auch in der verbotenen Ausfuhr
trieben. Denn davon war ihnen der Vortheil gewiſ-
ſer, als wenn ſie ihre Gewerke erweitert und verbeſſert
haͤtten, um mehr und beſſeres Papier zu machen. Es
wuͤrde eine beſſere Wirkung haben, wenn die Ausfuhr
dieſer groben nicht leicht auszuſchleichenden Waare un-
ter einem maͤſſigen Zoll, aber mit der Bedingung er-
laubt wuͤrde, daß die Lumpen nicht anders, als mit ge-
hoͤriger Sorgfalt ſortirt, ausgefuͤhrt werden duͤrften.
Dadurch wuͤrde Eines Teils der Lohn dieſer Vorarbeit
[348]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
dem Lande erhalten, andernteils dem Auslaͤnder deren
Preis ſo geſteigert werden, daß die Ausfuhr natuͤrlich
abnehmen muͤßte.
§. 14.
IIII. Was ich in dem fuͤnften Capitel uͤber die
Handlungspolitik in Anſehung des Zwiſchen- und des
Tranſithandels geſagt habe, hat mich ſo oft auf die
Zoͤlle gefuͤhrt, durch welche man dieſelben zu befoͤrdern,
zu leiten, auch wol zu ſtoͤren ſucht, daß ich nichts mehr
hinzuzuſezen habe, ohne dieſen Nachtrag zu demjeni-
gen, was §. 5. und 21. jenes Kapitels geſagt iſt:
Kleine Staaten, welche durch dieſen Handel bluͤ-
hen, haben Urſache, ſehr ernſthaft auf die Verbeſſerung
ihrer Zollordnungen und die Simplificirung der Art
zu ſehen, wie ihre noch beſtehenden Zoͤlle eingehoben
werden. Sie muͤſſen mehr und mehr die Erſchwerun-
gen wegraͤumen, welche aus den an ſeinem Ort erwaͤhn-
ten Urſachen in beiden entſtanden ſind. Eben in dieſen
Erſchwerungen liegt eine Urſache mehr, wodurch ihr
Zwiſchenhandel geſchwaͤcht werden kann, welchem doch
ohnehin ſo ſehr nachgetrachtet und durch dieſen oder
jenen oberherrlichen Befehl geſchadet wird. Riga fuͤhrt
eine vieljaͤhrige Klage uͤber die zu ſeinem Nachteil von
ſeiner Beherrſcherin gemachten Verfuͤgungen im Zoll,
nach welchen derſelbe dort in Albertsthalern gerechnet
[349]C. 8. In Anſehung der Zoͤlle.
werden muß, da er in Petersburg nach Rubeln gezahlt
wird, neben andern Beklemmungen ſeines Handels.
Aber man ſehe Muͤnzels Tabellen uͤber die Rigaiſche
Licent-Portorien-Stadts-Acciſe- und Sund-Zoll-
Taxe, nebſt Schiffs-Ungeldern-Accidentien und
zur Vertiefung des Duͤnaſtroms bewilligten Auf-
lage-Verzeichniſſen. Riga 1768. 4. nach, und beurteile
daraus die noch von Alters her beſtehende Weitlaͤuftig-
keit in dem Zollweſen dieſer Stadt. Doch weiß ich
nicht, ob es von derſelben in ihrem jezigen Zuſtande
abhaͤnge, darin Aenderungen zu machen. Danzig
hat noch dringendere Urſache, die Modalitaͤt in ſeinem
ebenfals ſehr verwikkelten Zollweſen zu beſſern, ſeitdem
die Preuſſiſchen Zoͤlle ſeine Handlung ſo ſehr bedruͤk-
ken. Hamburg hebt unbetraͤchtliche Zoͤlle, aber es ſind
deren vier unter ſo vielen verſchiedenen Benennungen,
von welchen einer bis zum Gottorpſchen Vertrage mit
den beiden Hauptlinien des Oldenburgiſchen Hauſes ge-
teilt ward. Jezt da er ganz Hamburgiſch geworden
iſt, fließt die kleine Einnahme aus demſelben in Eine
Kaſſe mit den uͤbrigen, wird aber doch noch beſonders
gehoben.
[350]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Neuntes Capitel.
Allgemeine Anmerkungen uͤber die
Handlungs-Rechte.
§. 1.
Die Handlung iſt ein ſo wichtiges Geſchaͤfte der-
buͤrgerlichen Geſellſchaft, daß die geſetzgebende Macht
groſſe Urſache hat, in ihren Verordnungen ſich der-
ſelben mehr anzunehmen, als irgend eines andern Ge-
ſchaͤftes, das in den verſchiedenen Verbindungen des
buͤrgerlichen Lebens vorkoͤmmt. Allein alle Geſez-
Buͤcher neuerer Zeiten ſind in Anſehung der Hand-
lungs-Rechte ſehr mangelhaft, und bis jezt iſt der
Preuſſiſche Staat der erſte, welcher an dem 2ten Teil
ſeines von §. 475, des 8ten Titels bis zu deſſen Ende
in dem neuen allgemeinen Geſezbuch ein gewiſſermaſſen
vollſtaͤndiges Handlungsgeſez hat.
§. 2.
Die Urſachen davon ſind dieſe:
1) Die am ſtaͤrkſten handelnden Nationen dieſer
Zeit machen neue nach dem Ruin des Roͤmiſchen
Reichs entſtandene Staaten aus, deren Geſeze und
Verfaſſungen ihren Grund in Urſachen haben, die der
[351]C. 9. Anmerk. uͤber Handlungsrechte.
Handlung ganz fremde ſind. Sie ſind geſammelt, er-
weitert und in eine Art von Geſetz-Buͤchern gebracht,
ehe dieſe Voͤlker ſich mit der Handlung ernſthaft be-
ſchaͤftigten. Manche derſelben ſind bis jezt noch ſehr
unvollſtaͤndig, und daher haben die meiſten derſelben
das Roͤmiſche Recht als ein Huͤlfs-Recht fuͤr die Faͤlle
angenommen, welche in jenen nicht beachtet waren.
§. 3.
2) Aber die Roͤmer, ſo ſehr ſie ſonſt in ihren Sit-
ten ausgebildet und ſo mannigfaltig die Vorfaͤlle waren,
in welchen es auf mein und dein, auf Recht und Un-
recht ankam, ſo kannten ſie doch die Handlung viel zu
wenig. Die weitlaͤuftige Sammlung ihrer Geſeze
erwaͤhnt daher kaum des Nahmens der Handlung, und
alles, was ſich in denſelben findet, das man als auf die
Handlung anwendbar anſehen moͤgte, kann nur durch
eine gewiſſe Accommodation, aber nicht dem Buchſtaben
nach, auf Handlungs-Vorfaͤlle angewandt werden.
Das Roͤmiſche Recht hat eine weitlaͤuftige Lehre
von Contracten, aber nichts von Handlungs-Con-
tracten insbeſondre. Nun ſezen faſt alle Geſchaͤfte
des Kaufmanns einen Contract voraus, der aber da,
wo die Handlung lebhaft geht, eilfertig und ohne viele
Formalitaͤten geſchloſſen wird. Indeſſen wendet der
Rechts-Gelehrte, ſo gut er kann, aber ſehr oft irrig,
[352]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
ſeine roͤmiſche Lehre von Contracten auf die Hand-
lungs-Vorfaͤlle an.
§. 4.
3) Seitdem die Handlung in Europa wieder auf-
gebluͤht iſt, ſind deren Geſchaͤfte anfangs, auf eine ſehr
einfache Art betrieben worden. Nach und nach aber
ſind eine Menge Erfindungen z. E. Wechſel und Aſſe-
curanz, hinzugekommen, welche die Geſchaͤfte ver-
wickelter und deren Entſcheidung dem Rechts-Gelehr-
ten ſchweer machen. Hier ſehen nun zwar die Re-
genten und Obrigkeiten die Notwendigkeit ein, uͤber
dieſe Geſchaͤfte insbeſondre gewiſſe Verordnungen zu
machen. Jeder handelnde Staat hat nun ſeine Wech-
ſel-Aſſecuranz Makler- und Falliten-Ordnungen und
ſeine Seerechte. Aber ſo, wie dieſe verfertiget worden
ſind, ſo ſind auch wieder dieſe Geſchaͤfte verwickelter
worden, und jede dieſer Verordnungen wird, wenn ſie
etwas alt iſt, wieder unbrauchbar. Es entdecken ſich
auch Faͤlle, wofuͤr ſie nicht geſorgt hat, oder unerwartete
ſchaͤdliche Folgen ihrer Verfuͤgungen. Rechtsgelehrte,
denen man alsdann die Verbeſſerung und Erweiterung
ſolcher Verordnungen auftragen moͤgte, muͤſſen jezt
weit mehr von der Handelung und ihrer Verwickelung
wiſſen, als deren erſte Verfaſſer wiſſen durften. Solche
Maͤnner aber ſind ſehr ſelten.
[353]C. 9. Anmerk. uͤber Handlungsrechte.
Anmerkung.
Es iſt bekannt, daß die hoͤchſtverordnete Preuſſiſche
Geſezcommiſſion einen Entwurf zu dem vorhabenden
neuen Geſezbuch durch den Druk ins Publikum ver-
teilte und jedermann auffoderte, zu deſſen moͤglichſter
Vollkommenheit durch Anmerkungen, die mit dem
Entwurf fortliefen, oder durch Abhandlungen in dem bei
Preisaufgaben gewoͤhnlichen Wege beizutragen. Faſt
alle Preismedaillen fuͤr die beiden erſten Teile wurden
zweien Rechtsgelehrten in den Daͤniſchen Staaten, den
Herrn Profeſſoren von Eggers in Kopenhagen und
Schrader in Kiel zu Teil. Beide gehoͤren zu denen ſel-
tenen Rechtsgelehrten, deren juriſtiſche Einſichten ſich
auf Philoſophie und bei lezterem insbeſondere auch auf
Mathematik ſtuͤzen. Als der Entwurf des Hand-
lungsrechtes erſchien, glaubte ich, der ich kein Rechts-
gelehrter bin, zum wenigſten durch Einſendung meiner
damals nach gehoͤriger Umarbeitung in dem 1ſten
Bande der Handlungsbibliothek wieder abgedrukten
Abhandlung uͤber das Wechſelrecht im Jahr 1785
einen Beitrag geben zu duͤrfen. Dieſer ward von des
Hrn. Großkanzlers Freyh. von Carmer Exc. guͤ-
tigſt aufgenommen, und ich aufgefodert, uͤber das Ganze
mit oder ohne Namen zu arbeiten. Meine damals
wiederum ſchwache Geſundheit und mein laͤngſt genom-
mener feſter Entſchluß, nie eine eigentliche Preisſchrift
2ter Teil. Z
[354]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
zu ſchreiben, waren Urſache, daß ich vor dem den er-
warteten Preisſchriften geſezten Termin gar nicht die
Feder dazu anſezte. Im Jahr 1786 beehrte mich der
Herr Großkanzler mit einem Schreiben, aus welchem
ich erfuhr, daß uͤber die Handlungs-Geſeze
gar keine beachtungswehrte Abhandlun-
gen oder Anmerkungen eingelaufen waͤ-
ren, wie denn auch jederman wiſſen kann, daß gar
kein Preis fuͤr dieſen Abſchnitt erteilt iſt. Ein Be-
weis, wie ſelten unter den Rechtsgelehrten, Philoſo-
phen und Kaufleuten die Einſichten ſind, welche zu
einer richtigen Geſezgebung uͤber die Handlung erfo-
dert werden! Nun allererſt folgte ich gerne der Auf-
foderung Sr. Exellenz, Hand an dies Werk zu legen.
Aber ſchon vorher war die Ueberzeugung da, daß ich
allein demſelben nicht gewachſen ſein wuͤrde. Ich ver-
einigte alſo drei Maͤnner mit mir fuͤr dieſen Zwek,
deren tiefgehende Kenntniſſe und Erfahrungen im
Handlungsfach in unſerer Gegend jedermann kennt.
Dieſe ſind Herr Georg Heinrich Sieveking,
Teilnehmer an der groſſen unter der Firma: Voght
und Sieveking bekannten Handlung, Herr Ulrich
Moller, Bevollmaͤchtigter der fuͤnften Aſſecuranz-
compagnie, beide in Hamburg, und Herr Juͤrgen
Hinrich Gaͤdertz, Aſſecuradoͤr und Teilnehmer an
der Handlung unter der Firma, Gaͤdertz und Wild-
fanck in Luͤbek. Von dem Eifer dieſer wuͤrdigen
[355]C. 9. Anmerk. uͤber Handlungsrechte.
Maͤnner in dieſem auf meine Auffoderung unternom-
menen Geſchaͤfte bewahre ich die Beweiſe in deren
Manuſcripten auf, welche deren der Ordnung der Pa-
ragraphen des Entwurfs folgende Anmerkungen ent-
halten, inſonderheit aber in dem Manuſcript der Re-
ſultate unſerer Conſerenzen uͤber die Seegeſezze. Durch
dieſe vereinigten wir unſere bis dahin oft abweichenden
Meinungen, und Herr Gaͤdertz brachte bloß dieſes
Geſchaͤftes wegen den ganzen Monat Januar des
Jahrs 1790 mit uns in Hamburg zu. Es iſt alſo
vielleicht keinem Teile dieſes Geſezbuchs ſo ernſthaft
vorgearbeitet worden, als dieſem, wiewol ich damit
gar nicht angeben will oder kann, als waͤre daſſelbe in
ſeiner endlichen Ausfertigung ganz unſern Vorſchlaͤgen
gemaͤß erſchienen. Mir wird man es nicht zur Eitel-
keit auslegen, daß ich dieſe Umſtaͤnde bekannt mache.
Denn die wuͤrde mehr vergnuͤgt werden, wenn ich einen
jeden, der in dem Lauf jener fuͤnf Jahre von meiner
Arbeit etwas erfahren hat, in der [Meinung] lieſſe, ich
haͤtte alles allein oder die Hauptſache getahn. Aber
meinen Freunden bin ich es ſchuldig, dies ins Publi-
kum zu bringen, da der verehrungswuͤrdigen Preuſſi-
ſchen Geſezcommiſſion bei und nach der Herausgabe
des Geſezbuches kein Anlaß ſcheint entſtanden zu ſein,
dieſe Maͤnner oͤffentlich zu nennen, die ohne Ausſicht
auf Praͤmien und Gewinn blos in dem Zwek arbeiteten,
Z 2
[356]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
etwas dazu beizutragen, daß der Preuſſiſche Staat
zuerſt von allen zu einem etwas vollſtaͤndigen Geſez-
buche uͤber die Handlung gelangen moͤgte.
§. 5.
Bis jezt haben wir noch keinen Staat, auſſer dem
Preuſſiſchen, der durch ein neues allgemeines Geſez-
buch Recht und Gerechtigkeit in den Zuſtand geſezt
hatte, der den jezigen Zeitumſtaͤnden und der Umbil-
dung des Geiſtes und der Sitten der Voͤlker dieſer
Zeit gemaͤß iſt. In Rußland iſt zwar der Anfang
dazu gemacht, aber bis jetzt auch nur alles beim An-
fang geblieben. In Frankreich wird wahrſcheinlich
es ſehr langſam damit gehen, und wenigſtens der jezt
beſtehenden Nationalverſammlung nicht zuzutrauen
ſein, daß ſie groſſe Fortſchritte in dieſem wichtigen Ge-
ſchaͤfte machen werde. Indeſſen laͤſſt ſich erwarten,
daß mehrere Staaten, deren Negenten die Handlung
wichtig iſt, fruͤher zu einem vollſtaͤndigen Handlungs-
geſezbuch gelangen werden, als das ganze Werk einer
allgemeinen neuen Geſezgebung vollendet werden kann.
Das preuſſiſche Geſezbuch gibt fuͤr jeden wenigſtens
die Grundlage. Aber auch noch immer wird man ſich
fuͤr Uebereilung dabei zu huͤten haben, und es wird
noͤtig bleiben, mit jedem einzelnen Teile der Geſezge-
bung uͤber den Handel auf dem Wege zu verfahren[,]
[357]C. 9. Anmerk. uͤber Handlungsrechte.
den die Preuſſiſche Geſezcommiſſion ſo weiſe ge-
waͤhlt hat. *)
§. 6.
Weil indeſſen die Geſchaͤfte des Kaufmanns in den
weſentlichen Umſtaͤnden ſo ſehr mit einander uͤberein
ſtimmen, ſo haben die Kaufleute aller Zeiten und Laͤn-
der vorlaͤngſt ohne Antrieb und Huͤlfe der Geſeze ſich
natuͤrlich fuͤr eine gewiſſe Norm ihres Verfahrens ver-
einigt. Der gute Glaube, und was demſelben gemaͤß
iſt, ſind der Hauptgrund deſſelben geworden. Mit
Geſez oder ohne Geſez kann kein Mann hoffen, die
[358]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Rolle eines Kaufmanns lange zu ſpielen, wenn er ſich
nicht demjenigen gemaͤß bezeiget, was der gute Glau-
be erfodert. Die Empfindungen der Ehrlichkeit und
Rechtſchaffenheit moͤgen in ſeinem Herzen ſo ſchwach
ſein, als ſie immer wollen, ſo muß er doch in ſeinen
Geſchaͤften den Schein derſelben aufs aͤuſſerſte be-
haupten. Wenn hunderte ja tauſende von Menſchen
nach einerlei Bewegungsgruͤnden und in gleichem
Zwecke handeln, ſo entſteht natuͤrlich eine Uebereinſtim-
mung in ihrem Verfahren auch ohne Vorſchrift der
Geſeze, d. i. eine Gewohnheit oder Uſanz.
§. 7.
Die Geſchaͤfte des Kaufmanns ſind ſo mannigfal-
tig und gehen in einer ſolchen Geſchwindigkeit zum
Teil fort, daß der Kaufmann die Zeit nicht genug da-
bei zu ſparen weiß. Es wird ihm zu weitlaͤuftig, die
geſezmaͤßige Art zu verfahren in aͤhnlichen Handlun-
gen zu lernen und nachzuahmen. Jeder Handel, den
man ſchließt, iſt ein Contract. Nicht nur das Roͤmi-
ſche, ſondern auch andere Rechte geben weitlaͤuftige
Vorſchriften uͤber die Contracte, die Bedingniſſe, un-
ter welchen ſie guͤltig ſein ſollen, und ſchreiben gewiſſe
Feyerlichkeiten vor, unter welchen ſie vollzogen werden
muͤſſen. Der Kaufmann hat ſich nohtgedrungen frei
davon machen muͤſſen, und ſchließt und vollzieht die
wichtigſten Contracte mit Beiſeiteſetzung aller derer
[359]C. 9. Anmerk. uͤber Handlungsrechte.
Umſtaͤndlichkeiten, welche bei minder wichtigen Ver-
gleichen im buͤrgerlichen Leben nie verſauͤmt werden
duͤrfen.
§. 8.
Eben diefer Eilfertigkeit wegen kann der Kauf-
mann nicht ſo ſorgfaͤltig in Abfaſſung und Aufbehal-
tung ſolcher Beweisthuͤmer ſein, welche bei entſtehen-
den Streitigkeiten uͤber ſein Recht oder Unrecht ent-
ſcheiden koͤnnen. In muͤndlichen Beredungen bleibt
der Makler gewoͤhnlich ſein einziger Zeuge: in ſchrift-
lichen Unterhandlungen hat er oft kein anderes Docu-
ment, als ſeine Handlungsbuͤcher. Dieſe ſind zwar ein-
ſeitig, aber ſie haben doch bei allen Gerichten ein groſſes
Gewicht, das in keinen andern Rechtsfaͤllen einſeitige
Beweiſe erwarten duͤrfen.
§. 9.
Die in der Handlung neuerer Zeiten zu deren Er-
leichterung entſtandenen mannigfaltigen [Erfindungen]
[u]nd Huͤlfsgeſchaͤfte, welche das Altertuhm gar nicht kann-
te, waren bei ihrem erſten Entſtehen einfach, ſind aber in
der Anwendung, zumal da die Handlung uͤberhaupt ſo
ſehr zunahm, immer verwickelter geworden. Die ge-
ſezgebende Macht hat bei deren erſtem Entſtehen kei-
nen Teil daran gehabt. Der Kaufmann richtete ſich
in ſeiner erſten Verfahrungs-Art blos nach dem, was
[360]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
der gute Glaube erfodert, und iſt eben dieſer Vorſchrift
ſo weit gefolget, als ſie nur immer zureichte. So
entſtand z. B. das Wechſelrecht unter den Kaufleuten,
und beſtand lange, ehe vielleicht ein Richter oder
Rechtsgelehrter erfuhr, daß es Wechſel gaͤbe. Man
ſehe m. Abhandlung vom Wechſelrechte, im 3ten Stuͤck
des 1ſten Bandes unſrer Handl. Bibliothek.
Das erſte Verfahren dabei war einfach, ſo lange die
Wechſel noch nicht viel indoſſirt wurden, und groſſen-
teils Meßwechſel waren, deren Glaͤubiger und Schuld-
ner auf den naͤchſten Meſſen perſoͤnlich wieder mit ein-
ander zuſammentrafen. Der gute Glaube fuͤhrte allent-
halben das Recht ein, daß, wer einen Wechſel verkauft
hatte, ſogleich bezahlen mußte, wenn derſelbe an Ort
und Stelle nicht bezahlt war.
§. 10.
Aus allen dieſen Urſachen hat daher der Kauf-
mann Regeln ſeines Verfahrens annehmen muͤſſen,
welche zwar nicht den Vorſchriften der Geſeze entge-
gen ſtehen, aber auch wenig von denſelben abhaͤngen,
und inſonderheit den Richter ſelbſt leiten, das ſonſt
uͤbliche rechtliche Verfahren ſehr abzukuͤrzen, wenn es
dazu koͤmmt. Dies alles iſt nicht etwa durch eine
Beredung in einer allgemeinen Verſammlung der Kauf-
leute entſtanden. Geſunder Menſchen-Verſtand und
die beſtaͤndige Ruͤkſicht auf das, was die Behauptung
[361]C. 9. Anmerk. uͤber Handlungsrechte.
des guten Glaubens erfodert, haben ihn darin gelei-
tet und eine ſolche Uebereinſtimmung zu wege gebracht,
wie man ſie ſonſt in menſchlichen Handlungen nicht
leicht findet. In demjenigen, was man ſonſt Gewohn-
heitsrechte nennt, findet ſich von einem Lande zum
andern ſolch ein Unterſchied, daß der Rechtsgelehrte
groſſe Bibliotheken von den Gewohnheits-Rechten
ſammeln kann. Aber das, was in der Handlung zur
Gewohnheit oder Uſanz geworden iſt, gilt, in den ein-
fachen Faͤllen wenigſtens, in der ganzen handelnden
Welt auf einerlei Art, und wuͤrde ein nicht ſtarkes
Buch ausmachen, wenn es mit gehoͤriger Auswahl
geſammelt wuͤrde. Es iſt z. B. kein Land, wo der
Kaufmann, wenn er einen wichtigen Waarenhandel
ſchließt, Notarien oder Zeugen herbei riefe, und es
ihm bei entſtehendem Streit-Falle zum Nachteile ge-
reichte, dies nicht getahn zu haben. Iſt ein Unter-
ſchied in dergleichen Dingen, ſo beſtehet er allenfalls
darin, daß in einzelnen Landen der gute Glaube noch
wirkſamer iſt und ihm mehr eingeraͤumt wird, als in
andern. Man wird z. B. hier, wenn man einen
Contract uͤber Lieferungen von Waaren ſchließt, doch
wenigſtens etwas ſchriftlich daruͤber verfaſſen, zumal
wenn man Geldvorſchuͤſſe darauf tuht. Mir aber
hat ein glaubwuͤrdiger Mann, der in Canton lange
als Ober-Kaufmann fuͤr die Hollaͤndiſche Companie
geſtanden, verſichert, daß er mit ſeinen Chineſiſchen
[362]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Kaufleuten bloß muͤndlich contrahirt und ihnen groſſe
Vorſchuͤſſe getahn habe, ohne jemals dabei zu verlie-
ren. Wenn in unſern Gegenden jemand eine Hand-
lungs-Companie ſchlieſſen oder in gewiſſen Geſchaͤften
einen fremden Nahmen gebrauchen will, ſo wird ein
Contract aͤuſſerſt noͤtig geachtet, und die aus den
Handlungs-Societaͤtstractaten entſtehenden Streitig-
keiten geben ein fettes Futter fuͤr die Sachwalter in
Handelsplaͤzen. Wer aber von Cadix aus als ein
Fremder auf America handeln will, muß eines Spa-
niers Nahmen dazu gebrauchen, und ſich ihm ſo in
die Haͤnde geben, daß der Spanier, ſo bald er zum
Betruͤger werden will, Capital und Gewinn als ihm
gehoͤrig an ſich reiſſen kann. Schriftlich geht nichts
daruͤber vor, und wuͤrde auch im Gericht nicht gelten.
Dennoch iſt kein Beiſpiel, daß ein Fremder von ei-
nem Spanier in dieſem Fall betrogen waͤre.
§. 11.
Dieſen Handlungs-Gewohnheiten aber fehlt es
noch an drei Dingen:
1) Sie ſind noch nicht hinlaͤnglich geſammelt,
wie die Geſeze und das Geſez vertretende Gewohn-
heiten fuͤr andere buͤrgerliche Geſchaͤfte geſammlet ſind.
Es wird auch noch lange daran fehlen muͤſſen,
weil
[363]C. 9. Anmerk. uͤber Handlungsrechte.
2) dieſe Uſanzen groͤßtenteils unter den Kaufleu-
ten ſelbſt nicht hinlaͤnglich beſtaͤttigt ſind und zu viel
Gelegenheiten zum Widerſpruch daruͤber entſtehen.
Wenn Kaufleute in Streitigkeit mit einander gerah-
ten, ſo ſucht ein jeder zur Beſtaͤttigung ſeines Rechts
ein Gutachten oder ein ſogenanntes Parere von
andern erfahrnen Kaufleuteu, welche wenig anders
ſagen, als daß der Requirent, unter der Vorausſezung
ſeines angegebenen Facti, nach Handlungs-Uſanz
Recht habe. Ein ſolches Parere bekoͤmmt gewoͤhn-
lich ein jeder, der es verlangt, in einer nicht auffallend
ungerechten Sache. Denn er ſucht ſich ſeine Freunde
dazu aus. Es entſtehen alſo ſehr oft gegenſeitige
Gutachten, deren eines das umſtoͤßt, was das andre
zur Handlungs-Uſanz machen will. Richtiger geht
es, wenn ein Streit-Handel unter Kaufleuten an ſo-
genannte gute Maͤnner gebracht wird, und dieſe
ſich zulezt fuͤr Eine Entſcheidung nach Handlungs-
Uſanz vereinigen. Aber auch in ſolchen Faͤllen ge-
ſchieht es oft, daß, wenn beide gute Maͤnner ver-
eint ſprechen, dennoch der eine Teil noch zu Gerichte
geht. Dieſem vorzubeugen, haben in Hamburg meh-
rere Kaufleute von befeſtigtem guten Rufe der Ein-
ſicht und Rechtſchaffenheit es zur Regel gemacht, daß
ſie kein Gutachten als gute Maͤnner geben, wenn
nicht die daſſelbe ſuchenden Parteien ſich vorher ſchrift-
lich verpflichten, ſich an kein Gericht weiter zu wen-
[364]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
den, wenn entweder ſie beide fuͤr ein gemeines Gut-
achten ſich vereint haben, oder ein dritter, der ſoge-
nannte Obmann, zwiſchen ihnen entſchieden hat.
3) Die Obrigkeitliche Beſtaͤttigung fehlt dieſen
Handlungs-Uſanzen noch zu ſehr. Die Obrigkeit hat
ſich bisher hauptſaͤchlich nur der Handlung in fuͤnf
Stuͤcken angenommen, und was ſie in dieſen als Ge-
wohnheit geltend fand, zum Geſez gemacht, nemlich
in den Wechſeln, den Aſſecuranzen, der Makelei,
den Bankerotten und den Seegeſezen. Aber im uͤbri-
gen iſt noch wenig an ein allgemeines Geſezbuch fuͤr
die [Handlung] gedacht. Kein Buch enthaͤlt daſſelbe,
auch nur fuͤr einen einzelnen Staat, wenn gleich
deſſen Titel es zu verſprechen ſcheint, z. B. Beawe’s
lex mercatoria rediviva fuͤr Grosbritanien. Von
denen Folgen, die dies fuͤr den Kaufmann in ſeinen
Rechtshaͤndeln hat, ſiehe meine Abhandlung von den
Handlungs-Uſanzen im 2ten Stuͤck des 1ſten Bandes
der Handlungsbibliothek.
§. 12.
Von den Handlungs-Gerichten brauche ich hier
nicht weitlaͤuftig zu reden. Ein jeder Staat, in dem
die Handlung lebhaft iſt, kann ſie nicht entbehren,
und hat ſie unter allerlei Benennungen. Doch giebt es
noch wenig Gerichte, die fuͤr alle Vorfaͤlle der Hand-
lung beſtellt waͤren. Hier in Hamburg iſt das einzige
[365]C. 9. Anmerk. uͤber Handlungsrechte.
eigentliche beſondre Handlungs-Gericht die Admira-
litaͤt. Aber dieſe hat nur die Entſcheidung uͤber Aſſe-
curanz- und Seevorfaͤlle, und auch dieſe nicht in lezter
Inſtanz. Mit der Britiſchen Admiralitaͤt iſt es faſt
eben ſo bewandt. In dem ſuͤdlichen Europa beſtehen
die ſogenannten Conſulats-Gerichte. Aber ſelbſt in
handelnden Staaten hat man groſſe Muͤhe, ein ei-
gentliches Handlungsgericht aus Kaufleuten zu ſam-
meln, ſo lange noch dem Kaufmann die Vorkennt
niſſe fehlen, und er die gewoͤhnliche Verachtung fuͤr
ſie hegt, ohne welche ein Richter in ſeiner Entſchei-
dung immer verlegen iſt, er mag mit dem Geſchaͤfte
ſelbſt ſo bekannt ſein, als er will.
§. 13.
In den meiſten Staaten gehen alſo die aus der
Handlung entſtehenden Streitigkeiten wenigſtens in
lezter Inſtanz zu den gewoͤhnlichen Gerichten, deren
Mitglieder eigentliche Rechtsgelehrte ſind. Wenn
ich annehme, daß viele dieſer Maͤnner um ſo viel ver-
legener bei Handlungsvroceſſen ſind, je rechtſchaffener
ſie ſind, und je lebhafter ihr Wunſch iſt, nach beſtem
Wiſſen und Gewiſſen uͤber ſolche Faͤlle zu entſcheiden,
ſo rechne ich auf deren Beiſtimmung. Ich wage es
daher, ſolchen Maͤnnern, inſonderheit den Referen-
ten in ſolchen Haͤndeln, einen zwiefachen Raht zu
geben:
[366]5. Buch. Von der Handlungs-Politik.
Der erſte iſt, daß ſie in Durchleſung der Acten,
ſo viel moͤglich, alle eigentlich juriſtiſche Ideen entfer-
nen, und blos ihren geſunden Verſtand benuzen, um
die Natur des Geſchaͤftes recht durchzuſchauen und
einzuſehen, was der gute Glaube bei demſelben vor-
ausſeze oder zur Folge habe. Vielleicht dient eben
dieſes mein Buch dazu, manchem in ſeinem Tribu-
nalsort fern von Handelsplaͤzen lebenden Rechtsgelehr-
ten dieſe richtigen Vorſtellungen, wenigſtens im All-
gemeinen, zu geben. Der zweite: Um der Schikane
recht auf die Spur zu kommen, welche bei der einen
oder der andern Partei ſich annehmen laͤßt, duͤrfen ſie
nur, nach wol durchgeſchauter Natur des Geſchaͤftes,
ſich einleuchtend machen, was ſie ſelbſt, wenn ſie
handelnde Partei in demſelben waͤren, von dem guten
Glauben der andern wuͤrden erwartet, oder, wenn
ſie die Sache umkehren, ſelbſt getahn haben. Wenn
nun in den Acten Tahtbeweiſe ſich darlegen, daß der
eine Teil dieſem guten Glauben gemaͤß gehandelt habe,
ſo tuhn ſie gewiß dem Gegenteile nicht mehr Unrecht,
wenn ſie wider ihn entſcheiden. Denn es wird ihnen
aus eben dieſen Acten einleuchten, daß er demſelben
nicht ganz gemaͤß gehandelt habe, und durch Aus-
fluͤchte, die nicht in der Natur des Geſchaͤfts liegen,
ſich loszuwinden ſuche, und waͤren dieſe auch aus den
Winkeln der feinſten Jurisprudenz hervorgeſucht.
Durch dieſe beiden Regeln werden ſie inſonderheit
ſich in den Stand geſezt ſehen, zwiſchen den in ſolchen
Faͤllen vorkommenden Kaufmaͤnniſchen Gutachten zu
entſcheiden, und ſich durch deren Widerſpruch nicht
irre machen zu laſſen, wenn ſich dieſelben auf entge-
gen ſtehende Handelsuſanzen berufen. Denn das
iſt zuverlaͤſſig die wahre Uſanz, die dem
guten Glauben die gemaͤſſeſte iſt.
[367]
Zuſaz
zu B. 5. C. 4. §. 24. S. 235. und
zu C. 8. §. 12. S. 344.
Gerade da ich die lezten Bogen zur Preſſe ſenden
will, wird mir ein Abdruk der auch dem zweiten Stuͤk
des 104ten Bandes der Allgem. deutſchen Bi-
bliothek eingeruͤkten Anmerkungen uͤber die
Zukkerſiedereien in den preuſſiſchen
Staaten zur Erlaͤuterung meiner Urteile
uͤber dieſelben, von deren Herren Verfaſſer zuge-
ſandt. Ich widme dieſe wenigen Seiten einer jezt
vorlaͤufigen, aber wahrſcheinlich der einzigen Beant-
wortung. Wuͤrde ich naͤher zu antworten Anlaß fin-
den, ſo wuͤrde ich der Wahrheitsliebe gemaͤß, in wel-
cher ich als Menſch und als Schriftſteller meine Ehre
ſuche, gerne alles das gelten laſſen, was ich fuͤr Taht-
ſachen erkenne, die der Herr Verf. unter Augen hatte.
Aber manchem daraus gezogenen Reſultat wuͤrde ich
viele und wichtige Gruͤnde entgegenſezen. Wenigſtens
fuͤhle ich mich nicht durch die Kraft der Wahrheit ge-
drungen, gegen jene Reſultate irgend eines derjenigen
aufzugeben, welche ich in meiner bekannten Schrift in
beſonderer Ruͤckſicht auf die Hamburgiſchen Zuckerſie-
dereien, und S. 235 und 344 dieſes Buchs im allge-
meinen dargeſtellt habe. Wer wird es leugnen, wer
2ter Teil. A a
[368]Zuſaz.
wird es widerlegen wollen, daß, wenn eine Ma-
nufactur nur durch gaͤnzliches Verbot des
fremden Fabrikats ſich erhalten kann,
blos dadurch erhelle, daß die auslaͤndiſche
von ihr gefuͤrchtete Fabrik ſo wolfeil ar-
beite, daß auch groſſe Beguͤnſtigungen im
Zoll ſie noch nicht vor fremder Einfuhr
ſicher ſtellen koͤnnen? Das aber habe ich haupt-
ſaͤchlich beweiſen wollen, und glaube es bewieſen zu
haben, daß die Hamburgiſchen Zukkerſiedereien, beguͤn-
ſtigt durch einen Zuſammenfluß von Umſtaͤnden, auch
ohne Contrabande noch ihren Vertrieb in jedes
Land finden, wo man ihnen nur betraͤchtliche Zoͤlle
entgegen ſezt. Nun ſei (um die Sache auſſer den
Grenzen eines beſondern Streitfalles zu ſtellen) nicht
mehr die Rede von Zukkerſiedereien, nicht von einem
beſtimmten Staate; und dann ſei es mir erlaubt, mich
eine Weile in die Stelle eines Regenten zu ſezzen,
und meine Manufacturiſten zu fragen: Auf wie viele
Procente wollt ihr die Beguͤnſtigung im Zolle geſezt
wiſſen, um beſtehen zu koͤnnen? In Rußland wuͤrden
mir die Zukkerſieder antworten: Wenigſtens 20 p. C.
In andern Staaten weniger, welche ſchon ein betraͤcht-
liches von denen Vortheilen mit genieſſen, welche Ham-
burg in der Zufuhr und dem Ankauf des Materials zu
Statten kommen. Ich nehme an, ſie verlangen
10 p. C. Die ſollt ihr haben, wuͤrde ich ſagen, aber vor-
[369]Zuſaz.
her will ich meine Ueberlegungen fuͤr meine uͤbrigen
Untertahnen und fuͤr mich machen. Von dem Material
muß ich das Meinige haben. Dieſe Abgabe vom Ge-
nuß kann ich nicht entbehren. Dies ſollen gleichfalls
nur 10 Procent vom Wehrt ſein, damit nicht ein zu
groſſer Reiz fuͤr die Contrabande entſtehe, die nun
20 p. C. gewinnen kann. Wenn aber nun der Aus-
laͤnder 10 p. C. mehr bezahlt, wo koͤmmt das her, als
von euren Mituntertahnen, welche jene 10 Procente
doch ebenfalls ſchon mir zahlen muͤſſen? Jezt koͤmmt
es aber mir zu, zu uͤberlegen, ob mit dieſen 10 Procen-
ten mehr der Nuzen geſchaft wird, der dieſer Auflage
wehrt iſt. Ich will alſo wiſſen 1) wie viele Menſchen
von eurer Manufactur insbeſondere ihr Brod haben.
2) Ich will uͤberlegen, ob eben dieſe Menſchen ſonſt
gar kein Brod in meinem Lande finden wuͤrden.
Wenn ich dann erfuͤhre, daß die Manufactur etwa
1000 Menſchen ernaͤhrte und fuͤr 1100000 Rthlr.
Waare auslieferte, ſo wuͤrde ich dieſen Fabrikanten
ſagen: Seht Leute! ſo geht es nicht. Dieſe 100000
Rthlr. muͤſſen eure Mitbuͤrger noch zu jenen 10 p. C.
die ich ohnehin als einen Conſumtionszoll bekommen
kann, zahlen, blos damit ihr mit euren 1000 Men-
ſchen leben koͤnnt. So viel koſten mir nicht 1000
Soldaten, die ich aus Noht halten und dazu das
Geld von meinen Untertahnen aufbringen muß.
Denkt einmal, was das fuͤr eine Staatswirtſchaft ſein
A a 2
[370]Zuſaz.
wuͤrde, wenn ich um jeder tauſend Menſchen willen,
meinen Untertahnen 100000 Rthlr. zur Laſt bringen
wollte, blos damit ſie von dieſem oder jenem beſtimm-
ten Gewerbe leben koͤnnen. Wuͤrde es alſo nicht beſſer
ſein, wenn ihr mit euren tauſend Arbeitern an an-
dern Gewerben Teil naͤhmet, die ihr in meinen Staa-
ten findet, und welche durch Preis und Guͤte ſich ſo
empfehlen, daß ſie eines ſtarken auswaͤrtigen Ver-
triebs faͤhig werden. Von eurer Manufactur aber
glaube ich nunmehro, daß ſie ſich eben ſo we-
nig in meinen Staat verflanzen laſſe, als
dies mit ſo vielen andern Producten der
Natur moͤglich iſt.
So ungefaͤhr dachte Leopold II., als er im vori-
gen Jahre das Verbot des Hamburgiſchen Zukkers,
ohngeachtet der lebhaften Gegenvorſtellung der bis
dahin privilegiirten Fabrikanten, aufhob und ihnen
bloß einen billigen Vorteil im Zoll uͤbrig ließ.
In jener mir entgegengeſezten Schrift wird
aber behauptet, daß, wenn auch die Preuſſiſchen
Zuckerſiedereien 20 p. C. teurer als die Hamburgi-
ſchen arbeiteten, ſie dennoch wegen ihrer vorteilhaf-
ten Einwirkung in den Geldesumlauf dem Staate zu-
traͤglich ſein. So auffallend dies fuͤr jeden unbefan-
genen Leſer ſein moͤgte, ſo kann es doch nicht ſo ei-
[371]Zuſaz.
nem Leſer werden, der in Friedrichs des Groſſen
Handlungspolitik alles fuͤr richtig und unbeſtreitbar
gelten laͤßt. Denn dieſer nahm alles ſo genau, daß
die Preuſſiſchen Muͤhlen nur Schleſiſche Steine neh-
men durften, welche ihnen viermal ſo viel koſten,
und kaum ſo viele Monate dauern, als die Engliſchen
Jahre. M. ſ. Bocks wirtſchaftliche Natur-
Geſchichte Preuſſens im 5ten Bande. Aber,
weil ich doch auch etwas von den Vorteilen des Gel-
desumlaufs verſtehe, ſo fallen mir ſelbſt dieſe 20 p.
C. noch nicht auf. Doch muß ich wieder die Sprache
eines Regenten reden, der den Gang des Geldesum-
laufs deutlich durchſchauet, und welchem nicht als
alleiniger Grundſaz gilt, daß das Geld im Lande er-
halten werden muͤſſe, ſondern der noch immer unter-
ſucht, ob es in dieſem oder jenem einzelnen Fall mit
Vorteil fuͤrs Ganze erhalten werden koͤnne. Ich
wuͤrde meinen Manufacturiſten ſagen: 20 p. C. Auf-
lage mehr auf den Wehrt einer Million eures Fabri-
kats, in welcher ſchon 8 p. C. Auflage auf das Ma-
terial begriffen ſind, machen 200000 Thlr. Ich
will ſie einwilligen, wenn ihr mir folgende drei Dinge
beweiſet: 1) daß nicht die Contrabande zu hoch ſtei-
gen werde. Denn nun entſtehen 28 p. C. Vorteil
fuͤr die Contrabande mit dem auslaͤndiſchen Fabrikat,
und auſſerdem verliere ich um eurentwillen ſo viel von
dem Tranſitzoll. 2) Daß dadurch fuͤr wenigſtens
[372]Zuſaz.
200000 Thlr. Verdienſt fuͤr eure Mituntertahnen in
dem natuͤrlichen Geldesumlauf entſtehe. Aber das
muß rein ſein; und deswegen muͤßt ihr mir 3) auch
noch beweiſen, daß andern euren Mituntertahnen ein
hinlaͤnglicher Erſaz ihres bisherigen billigen Gewinns
aus dem freien Verkauf des auslaͤndiſchen Fabrikats
entſtehe.
Da moͤgte dann bei einem denkenden Fuͤrſten das-
jenige ſehr in Betracht kommen, was ich S. 99 ff.
von den Vorteilen derer Umſaͤze der ſtrengſten Wahr-
heit noch geſagt habe, welche die Deutſchen und ein
groſſer Teil der Nordiſchen Kaufleute mit dem Ham-
burger in Zukkern machen, die ihnen wichtiger ſind, als
wenn ſie baares Geld zu den billigſten Zinſen in ihre
Handlung nehmen. Man erkundige ſich doch in dem
jezt ſo bluͤhenden Sachſen und laͤngſt dem Rhein, wo
die Kaufleute aͤhnliche Vorteile aus ihren Umſaͤzen
mit den Hollaͤndern genieſſen. Wenn ich behaupte,
daß wenigſtens zwei Millionen Thlr. Bco. creditir-
ten Hamburgiſchen Zuckers, nicht baaren Geldes,
die Handlung und die Circulation in den an Hamburg
ſich haltenden Laͤndern beleben, ſo bin ich ſo gewiß da-
von, als der Herr Verf. jener Schrift es von Einer
ſeiner Behauptungen ſein kann. Und das iſt doch wol
einer Ueberlegung der Fuͤrſten wehrt!
Appendix A Inhalt
des zweiten Teils.
- Viertes Buch.
Von den Huͤlfsgeſchaͤften der Handlung.
Erſtes Capitel.
Von der Schiffahrt.
§. 1. Die Schiffahrt iſt keine Handlung,
wol aber ein Huͤlfsgeſchaͤfte derſelben. S. 1. - — 2. Vormals beſchaͤftigte bloß der Eigenhan-
del die Schiffahrt. Noch jezt ſieht der
Kaufmann ſein Schiff als ein auf Ge-
winn und Verluſt laufendes Capital an. — 2. - — 3. Gebrauch der Schiffe in dem Colonie-
handel, in der Kuͤſtenfahrt, — 3. - — 4. und in der Fiſcherei. — 4.
- — 5. Vermietung der Schiffe durch Certepar-
tien oder Fracht-Contracte. — 6. - — 6. Ladung auf Stuͤckguͤter gegen Connoſſe-
mente. — 7. - — 7. 8. Jeziger Gang dieſer Frachtfahrt. — 8.
- — 9. Natuͤrliche — 12.
- — 10. und oͤkonomiſche Vorteile eines Volks
im Schiffsbau. — 15.
[374]Inhalt.
§. 11. Politiſche Vorausſezungen dabei. S. 18. - — 12. Von dem Schiffsbau als einer Kunſt-
Arbeit und Manufactur-Gewerbe. — 19.
Anmerk. In Anſehung der Pflichten
und Verrichtungen des Schiffers wird
auf ein bekanntes Buch verwieſen. — 22. - — 13. Von der Flußfahrt, der Stapelgerech-
tigkeit und den Zoͤllen. — 24. - — 14. Von Canaͤlen und dem Fortgang der
zu deren Grabung erfoderlichen Kunſt. — 26. - — 15. Von deren groſſem Nuzen und Vor-
zuge ſelbſt vor der natuͤrlichen Fluß-
Fahrt. — 28.
Zweites Capitel.
Von Verluſt bei der Seefahrt oder von Avereien.
§. 1. Von den gewiſſen Koſten der Schiffahrt
im allgemeinen. S. 32. - — 2. Jede Seereiſe hat ihre gemeine Koſten. — 33.
- — 3. Grund der Benennung: Averei, d. i.
Durchſchnitts-Rechnung. — 34. - — 4. Urſprung der Groſſen oder gemeinen
Averei. — 34. - — 5. Die particulaire Averei entſtehe aus
der Groſſen Averei. — 36.
[375]Inhalt.
§. 6. Unterſcheidendes Kennzeichen der groſ-
ſen Averei. S. 37. - — 7. Von dem dabei zum Grunde liegenden
Zeugnis der Verklarung. — 39 - — 8. Von der Berechnung daruͤber in der
ſogenannten Diſpache. — 40. - — 9. Wie in der Diſpache der Wehrt be-
rechnet werde. — 41. - — 10. Daß und warum die von dem Schiff
verdiente Fracht in dieſe Rechnung
komme. — 44.
Drittes Capitel.
Von den Aſſecuranzen.
§. 1. Dieſe ſind allemal als das Geſchaͤft
eines Privatmanns zu betrachten. S. 45. - — 2. Von den Benennungen: Aſſecuranz,
Aſſecuradoͤr und Praͤmie. — — - — 3. Weſentlicher Zwek des Aſſecuranzcon-
tractes. — 46. - — 4 Hamburgiſches Formular einer Polize
auf Guͤter. 48. - — 5. Anmerkungen zu den Ausdruͤkken der Polize
I. Wir unterſchriebene. 51. - — 6. II. Fuͤr eigene oder fremde Rechnung. 52.
Von dem Del Credere bei Aſſe-
curanzen. - — 7. III. uͤber die Taxe in der Polize und
Bedenklichkeiten dabei. 54.
[376]Inhalt.
§. 8. IV. uͤber die Benennung des Schif-
fers mit dem Zuſaz: oder
ein anderer. S. 58. - — 9. V. Ueber die Beſtimmung des
Schiffes. — 59. - — 10. VI. Ueber das Bekenntnis, die
Praͤmie empfangen zu haben,
und die Zoͤgerung von deren
Auszahlung. — 60. - — 11. VII. Ueber den Ausdruk: wir ſezen
uns voͤllig in den Plaz des Aſſe-
curirten. — 64. - — 12. VIII. Ueber den Anfang und das Ende
der verſicherten Gefahr. — 66. - — 13. IX. Warum die Zeit der Reiſe un-
beſtimmt gelaſſen wird. — 68. - — 14. X. Von der Ankuͤndigung des
Schadens, wie ſich der Ver-
ſicherte deſſelben anzunehmen
habe, und vom Abandonniren. — 71. - — 15. XI. Von der Friſt der Bezahlung
des Schadens. — 73. - — 16. XII. Von den Dienſten des Mak-
lers bei den Aſſecuranzen. — 74. - — 17. XIII. Ueber das Datum der Zeich-
nung. — 75.
[377]Inhalt.
§. 18. XIV. Ueber den Zuſaz bei der Un-
terzeichnung des Bevollmaͤch-
tigten einer Companie. S. 76. - — 19. Von den Polizen aufs Schiff oder
aufs Caſko. Deren Ausdruͤkke ver-
ſprechen mehr als gehalten werden
kann. — 77. - — 20. Von der Einſtimmigkeit der Seerechte
in Anſehung der Aſſecuranzen. — 80. - — 21. Von den Aſſecuranzen auf Intereſſe
und Non-Intereſſe, deren Unzu-
laͤſſigkeit und Zulaͤſſigkeit. — 81. - — 22. Von Aſſecuranzen auf imaginairen
Gewinn. — 85. - — 23. Von dem Nuzen der Aſſecuranzen. — 87.
- — 24. Von deren anſcheinender Schaͤdlich-
keit. — 88. - — 25. Ob und wie es mit dem Aſſecuriren
zu weit gehen koͤnne. — 90.
Viertes Capitel.
Von der Bodmerei.
§. 1. Vom Conſigniren der Schiffe in ent-
fernten Haͤven S. 91. - — 2. Warum in alten Zeiten nicht eben ſo
fuͤr ein Schif geſorgt werden konnte 93.
[378]Inhalt.
§. 3. Von dem Schiffahrtswucher (Foenus
nauticum) der Alten. S. 95. - — 4. Von der dieſem aͤhnlichen Bodmerei. 97.
- — 5. Deren Uebereinſtimmung mit der
Groß-Aventure. 98. - — 6. Veranlaſſung der Bodmerei in unſern
Zeiten. 99. - — 7. Von der Befugniß des Schiffers, in
einem Nohthaven Waaren zu Gelde
zu machen. 102. - — 8. Wo dies nicht geſchehen kann, iſt er
zur Bodmerei genoͤtigt. 103. - — 9. Die Bodmereiſchuld wird zur groſſen
Averei geſchlagen 105. - — 10. Wie die Verſicherer und Aſſecuranz-
compagnien die Bodmerei abzuwen-
den ſuchen. 106.
Anhang vom Strandrechte. - — 11. Billigkeit eines ungewoͤhnlichen Lohns
der Huͤlfe bei Strandungsfaͤllen. 108. - — 12. Kein Regent ſollte ſich eines Anteils
an demſelben anmaaſſen; wie dieſe
Anmaaſſung entſtanden, von den
Regenten aufgegeben, izt aber von
Daͤnemark zu ſtrenge behauptet
werde. 110.
[379]Inhalt.
Fuͤnftes Capitel.
Von der Makelei.
§. 1. Nohtwendigkeit des Maklers. Aus-
laͤndiſche und alte Benennungen
deſſelben. S. 114. - — 2. Der Makler dient dem Kaufmann:
1) als Unterhaͤndler. 116. - — 3. 2) als Zeuge. 118.
- — 4. 3) Durch ſeine Waarenkenntnis. 120.
- — 5. 4) auch wol in Beſorgung kleiner Ge-
ſchaͤfte und Zahlungen. 122. - — 6. Dem jungen Kaufmann dient er, indem
er ihm Credit verſchaft. 123. - — 7. Der Makler ſoll nicht ſelbſt handeln;
wie aber mancher es dennoch tuhe — - — 8. Von dem Lohn des Maklers oder der
Courtage. Wie der Kaufmann ver-
fahre, wenn er ohne Makler handelt. 125. - — 9. Geſchaͤfte der Makler bey oͤffentlichen
Waarenverkaͤufen. 127. - — 10. Der Kaufmann muß nicht zu viel
durch den Makler tuhn. Von an-
dern Unterhaͤndlern. 129.
Sechſtes Capitel.
Vom Buchhalten.
§. 1. Nothwendigkeit richtiger Rechnung in
Handelsgeſchaͤften. 130.
[380]Inhalt.
§. 2. Weſentlicher Zwek des Buchhaltens,
dem durch das Memorial vorgear-
beitet wird. S. 132. - — 3. Aus dieſem allein kann die deutſche
Buchhaltung gefuͤhrt werden. 132. - — 4. Grund des italiaͤniſchen Buchhaltens. 133.
- — 5. 6. 7. Darſtellung deſſelben unter der
Vorausſezzung, wie ein Kaufmann
zuerſt darauf gerahten ſein moͤge, und
jeden ſeiner Bedienten ſeine Rechnung
zu fuͤhren angewieſen haben moͤge. 134. - — 8. Wie die Rechnungen oder Conti perſo-
nificirt werden. 140. - — 9. Grund der Beſtimmung des Debitors
und Creditors im Buchhalten. 142. - — 10. Von dem Hauptbuch. 144.
- — 11. Was ins Memorial oder Kladde ge-
hoͤre. 145. - — 12. Von dem Journal 146
- — 13. Von dem Lagerbuch und Caſſabuch,
als Nebenbuͤchern von allgemeiner
Nohtwendigkeit. 147. - — 14. Von Buͤchern nicht allgemeiner
Nohtwendigkeit. 149. - — 15. Vom Agioconto. 150.
- — 16. Vom Riſcontro. 151.
[381]Inhalt.
Siebentes Capitel.
Von Bankerotten.
Zur Einleitung, warum in dieſen Buch von Banke-
rotten gehandelt werde. S. 152.
§. 1. Beſchreibung eines Bankerotts. 153. - — 2. Von dem ſonſt in Rechten gewoͤhnlichen
ſtrengen Verfahren gegen den nicht
zahlungsfaͤhigen Schuldner. 154. - — 3. Von der Ceſſione bonorum im allge-
meinen. 156. - — 4. Verbindung des Bankerotts mit dem
Wechſelrecht. 157. - — 5. In aͤltern Zeiten war Seeverluſt die
gewoͤhnlichere Urſache des Bankerotts
und der fuͤr den Ungluͤcklichen fruͤhe
entſtandenen Nachſicht. 159. - — 6. Die Hauptwoltaht beim Bankerott iſt,
die Beendigung deſſelben durch einen
Vergleich, oder Accord. Gruͤnde
dazu. 161. - — 7. Die Woltahten eines Bankerotts ſollten
nur Kaufleuten zu Gute kommen. 164. - — 8. Abweichung der Geſeze uͤber Banke-
rotte in Abſicht auf die Gemeinſchaft
der Guͤter zwiſchen Eheleuten, und
was daͤrunter als allgemein billig gel-
ten ſollte. 167.
[382]Inhalt.
§. 9. Maͤngel der Fallitenordnungen,
1) in zu groſſer Langſamkeit in Been-
digung der Concurſe. S. 169. - — 10. 2) ſie ahnden nicht den Betrug des
Falliten, den er noch zulezt durch
Misbrauch ſeines Credits macht. 171. - — 11. 3) Sie wehren nicht dem ſogenannten
dekken. 173.
Fuͤnftes Buch.
Von der Handlungspolitik.
Erſtes Capitel.
Ueber die Veraͤnderungen der Handlungspolitik
bis zu unſern Zeiten.
§. 1. Vor Alters ſahen die Regenten nur die
Handlung, als eine Quelle ihrer eige-
nen Bereicherung an. 174. - — 2. In den aͤlteſten Handelsſtaͤdten dachte
man weiter. 175. - — 3. Carthago verband mit ſeiner Hand-
lungspolitik den Geiſt der Eroberung — - — 4. Rom kannte keine Handlungspolitik. 176.
- — 5. Noch weniger die Staaten mittlerer
Zeit —
[383]Inhalt.
§. 6. Von der Handlungspolitik der Hanſe. S. 178. - — 7. Entſtehen einer Handlungspolitik bei
den Regenten des XVI. Jahrhun-
derts. 179. - — 8. Groſſe Veraͤnderung derſelben in dem
jezigen Jahrhundert. 181. - — 9. Nohtwendigkeit einer Kenntniß derſel-
ben fuͤr den Kaufmann. 182.
Zweites Capitel.
Allgemeine Grundſaͤze der Handlungspolitik in
Abſicht auf den Produktenhandel.
§. 1. Der Productenhandel iſt der gewiſſeſte
fuͤr jedes Volk. 184. - — 2. Vorausſezung bei der Gewinnung vie-
ler Producte. — - — 3. Einwirkung
1) Des Zwanges. 185. - — 4. 2) Des Geldgewins. —
- — 5. Woher die Laͤnder, in denen der Land-
bau ſich auf Knechtſchaft und Zwang
gruͤndet, ſo viele Producten uͤbrig haben. 186. - — 6. Der Reichtuhm an Producten verliert
ſich nicht leicht wieder aus einem Lande. 188 - — 7. Jezt traͤgt der ſtehende Soldat und
eine durch Manufacturen oder durch
2ter Teil. B b
[384]Inhalt.
Bergbau volkreiche Gegend viel zum
Productengewerbe bei. S. 190.
§. 8. Ueber die Freiheit der Kornausfuhr. 191. - — 9. Von den Mineralien, als einem Lan-
desproduct. 192. - — 10. Reichtuhm an edlen Metallen wirket
der Cultur entgegen. 192.
Drittes Capitel.
Von der Handlungspolitik in Anſehung des
Coloniehandels.
§. 1. Von den Colonien im Allgemeinen,
und denen der Alten insbeſondere.
Dieſe hatten keine eigentliche Hand-
lungscolonien. 194. - — 2. Wie leztere in neueren Zeiten entſtan-
den ſind. 197. - — 3. Wahre Handlungscolonien muͤſſen
1) Producte haben, die dem Mutter-
lande fehlen. 198. - — 4. 2) Beduͤrfniſſe, die das Mutterland er-
fuͤllen kann. 200. - — 5. 3) ſie muͤſſen ſich aus dem Mutterlan-
de bevoͤlkern. 201. - — 6. In wie fern das Spaniſche America als
eine Handlungscolonie anzuſehen ſei. 202.
[385]Inhalt.
§. 7. Ein jedes Mutterland haͤlt mit Recht
die Handlung mit den Colonien an
ſich. S. 203. - — 8. Eben dies iſt der Handlung im Allge-
meinen zutraͤglich. 204. - — 9. Von dem Negerhandel. 205.
- — 10. Von dem Negerhandel unter Hand-
lungscompanien und deren Betrei-
bung durch Privatinduͤſtrie. 207. - — 11. Von dem wahrſcheinlich nahen Ende
des Negerhandels. 208.
Viertes Capitel.
Von der Handlungspolitik in Anſehung des
Manufacturhandels.
§. 1. Groſſe Vorteile der Manufacturen fuͤr
den inlaͤndiſchen Geldsumlauf, 212. - — 2. und fuͤr den auslaͤndiſchen Handel. 213.
- — 3. Lezterer wird von den Fuͤrſten zu ſehr
geachtet. 213. - — 4. Doch iſt der Beſtand von jenem ſiche-
rer, als von dieſem. 214. - — 5. Indeſſen erhaͤlt ſich der inlaͤndiſche Ver-
trieb der Manufacturen gewiſſer,
wenn ein auslaͤndiſcher daneben ent-
ſtanden iſt. 215.
B b 2
[386]Inhalt.
§. 6. Erſtes Erfodernis: wolfeiler Preis.
Dieſer haͤngt ab:
a) von dem wolfeilen Preiſe der
Lebensmittel. S. 216. - — 7. b) von dem Muͤnzfus. 218.
- — 8. c) von den Auflagen. 219.
- — 9. d) von dem Zinsfuß im Privatcredit. —
- — 10. e) von dem Lohn vieler und man-
cherlei Arbeiten. 220. - — 11. Zweites Erfordernis: Guͤte der Ma-
nufacturwaaren, haͤngt ab:
a) von deren Materialien, ob ein
Volk dieſelben produçiren oder
mit Vorteil erhandeln koͤnne. 221. - — 12. b) von gehoͤriger Verteilung der
Arbeit. 222. - — 13. c) von ſorgfaͤltiger Aufſicht. 223.
- — 14. d) von der Ehrlichkeit und gutem
Einverſtaͤndniſſe der Manufa-
cturiſten. 225. - — 15. e) von Maſchinen. —
- — 16. f) von einer gewiſſen Freiheit der
Arbeit. — - — 17. Die wichtigſten Manufacturen ſind
die, welche fuͤr den Gebrauch des groſ-
ſen Haufens arbeiten. 226
[387]Inhalt.
§. 18. Anteil des Landmanns an der Manu-
facturarbeit. S. 227. - — 19. Von den Manufacturen fuͤr das hohe
Wolleben. 228. - — 20. Nebenumſtaͤnde, auf welchen der Be-
ſtand einzelner Manufacturen beruht. 229. - — 21. Von den gewoͤhnlichen Zwangsmit-
teln bei Manufacturen, insbeſondere
von Zoͤllen. 232. - — 22. Vom Verbote der fremden Manu-
facturen. 234. - — 23. Von Monopolien. —
- — 24. Von einigen Beiſpielen ganz mislun-
gener Manufacturen. 235. - — 25. Es gibt Manufacturen, die ein jedes
Volk muß haben koͤnnen, wenn es
will. 237. - — 26. Misgrif vieler Regenten, da ſie den
Manufacturen fuͤr das hohe Wolle-
ben den Vorzug geben. 239. - — 27. Auch auf die Wahl des Orts koͤmmt
es ſehr an bei Anlegung der Ma-
nufacturen. 240.
[388]Inhalt.
Fuͤnftes Capitel.
Von der Handlungspolitik in Anſehung des
Zwiſchenhandels.
§. 1. Einteilung dieſes Capitels. S. 244. - — 2. A) Von Staaten, welche durch den
Zwiſchenhandel ſelbſt bluͤhen oder ihn
zu erwekken ſuchen. 245. - — 3. Der Zwiſchenhandel ſezt eine Menge
und Mannigfaltigkeit von Waaren
voraus, die an Einem Orte zuſam-
men kommen. 246. - — 4. Dadurch wird ein Ort zu einem Markt-
plaz. 247. - — 5. Der Zwiſchenhandel vertraͤgt ſich nicht
mit hohen Zoͤllen. 248. - — 6. In den Marktplaͤzen miſcht ſich der
eigene Handel mit dem Commiſſions-
und Speditionshandel. 249. - — 7. Jahrmaͤrkte und Meſſen dienen jezt
nicht mehr fuͤr einen groſſen Marktplaz 250. - — 8. Von dem Zwiſchenhandel, der nicht
uͤber den Wohnſiz derer geht, die ihn
betreiben. 251. - — 9. Groſſe Geldgeſchaͤfte knuͤpfen ſich an
einen groſſen Zwiſchenhandel. 253. - — 10. B) In aͤltern Zeiten ward dem Zwi-
ſchenhandel der Weg gerne frei gelaſſen.
[389]Inhalt.
Von dem ſpaͤterhin entſtandenen Nei-
de wider den Zwiſchenhandel. S. 256.
§. 11. Geographiſche Urſachen, die den Zwi-
ſchenhandel an gewiſſe Plaͤzze halten. 259. - — 12. 2) Politiſche. 261.
- — 13. 3) Vereinigung geographiſcher und
politiſcher Gruͤnde. 262. - — 14. Gruͤnde fuͤr den Kaufmann, den di-
recten Handel dem Zwiſchenhandel
vorzuziehen. 263. - — 15. Dem Manufacturiſten wird dies in-
ſonderheit ſchweer. 264. - — 16. Doch nicht, wenn er hinlaͤngliche
Kraͤfte zu dem directen Handel hat. 265. - — 17. Die Schwierigkeit der Zahlung in
und aus der Ferne erhaͤlt den Zwi-
ſchenhandel an gewiſſe Plaͤzze. 266. - — 18. Wie der Zwiſchenhandel den Manu-
facturhandel in abgeſonderten Staaten
belebe und erwekke. 266. - — 19. Aus dem Zwiſchenhandel entſteht der
Tranſithandel. 269. - — 20. I) Handlungspolitik fuͤr den Staat,
durch welchen dieſer Tranſithandel
geht, und notwendig gehen muß.
Ungefaͤhre Graͤnzen, bis zu welchen
derſelbe die Zoͤlle ertragen kann. 270.
[390]Inhalt.
§. 21. II) Handlungspolitik des Staats, der
den Tranſithandel an ſich ziehen will. Er
muß ihn mit ſtarken Zoͤllen und mit
genauer Durchſuchung verſchonen. S. 273. - — 22. Notwendigkeit guter Landſtraſſen in
dieſer Abſicht. 275. - — 23. Der Tranſithandel erfodert Ablager-
plaͤzze. 276. - — 24. Notwendige Vorſorge des Regenten fuͤr
gute Ordnung in demſelben. - — 25. Verſchiedenes Verhalten unabhaͤngiger
Staͤdte in Abſicht des Tranſithandels
in dem Beiſpiel Luͤbeks und Ham-
burgs. 280.
Sechſtes Capitel.
Von der Handlungs-Polik in Abſicht auf die
Schiffahrt.
§. 1. Von welcher Seite der Regent die
Schiffahrt anzuſehen habe. S. 282. - — 2. Zwar muß vorzuͤglich dahin geſehen
werden, daß ein Staat ſeine Hand-
lung mit ſeinen eigenen Schiffen
betreibe. — 283. - — 3. Wie die Britten dies durch ihre
Navigationsacte erzwingen. — 285. - — 4. Andere Staaten koͤnnen ihnen darin
nicht folgen. — 287.
[391]Inhalt.
§. 5. Kriegs-Vorfaͤlle ſtoͤren ſie in der
Schiffahrt. S. 288. - — 6. Auch den Colonie-Handel koͤnnen
nicht alle ganz mit eigenen Schiffen
betreiben. — 290. - — 7. Ein Haupthindernis iſt fuͤr manche
die Afrikaniſche Seeraͤuberei. — 292. - — 8. Staaten, die unter ſolchen Hinder-
niſſen leiden, wird alſo die Fracht-
Fahrt anderer Nationen unent-
behrlich. — 294. - — 9. Hindernis eigener Schiffahrt fuͤr
manches Volk in der Unkunde ſei-
ner Schiffer. — 295. - — 10. Stoͤrung der Frachtfahrt feindlicher
Nationen durch die Seekriege. — 297. - — 11. Ueber die Herrſchaft der See. — 298.
- — 12. Von dem Recht der neutralen
Flagge. — 299. - — 13. Von dem ſeltſamen Widerſtreben
der Britten dagegen. — 301. - — 14. Von der dieſen entgegengeſezten be-
wafneten Neutralitaͤt und deren un-
vollkommenem Erfolg. — 303. - — 15. Von der Kaperei und deren Unnuͤz-
lichkeit. — 305.
[392]Inhalt.
§. 16. Nohtwendigkeit der Seemacht fuͤr
ein Seefahrendes Volk, S. 307. - — 17. inſonderheit fuͤr deſſen Coloniehan-
del und — 308. - — 18. fuͤr deſſen Fiſcherei. — 309.
- — 19. Vorausſezungen bei Erhaltung einer
Seemacht — — - — 20. Schwierigkeiten eben dabei. — 310.
- — 21. Wie ein blos zu Lande maͤchtiger
Staat ſeine Flagge in Reſpect er-
halten koͤnne, an dem Beiſpiel Frie-
drichs des Groſſen. — 311. - — 22. Freiſtaaten, die durch den Zwiſchen-
Handel bluͤhen, koͤnnen keine ſtren-
ge Politik in Anſehung ihrer Schif-
fahrt uͤben. — 313.
Siebentes Capitel.
Von der Handlungs-Politik in Anſehung verſchiede-
ner Huͤlfsmittel der Handlung.
§. 1. Bei den meiſten Banken iſt der ur-
ſpruͤngliche Zwek, der Handlung
zu dienen, anderen Zwekken aufge-
opfert. S. 316. - — 2. Bedenklichkeiten vor Errichtung ei-
ner Bank. — 318.
[393]Inhalt.
§. 3. Kein Staat muß eine Bank errich-
ten, um ſeinen Schulden abzuhel-
fen, oder wenn ſein Muͤnzfuß nicht
in feſter Ordnung iſt. S. 319. - — 4. Drei Klippen, an welchen ſchon er-
richtete Banken ſcheitern. — 321. - — 5. Von den Franzoͤſiſchen Aſſignaten. — 322.
- — 6. Von dem Entſtehen des Poſtwe-
ſens. — 326. - — 7. Wie weit man die Handlung mit
dem Poſtgelde belaſten koͤnne, und
von dem Nuzen der fahrenden Po-
ſten fuͤr die Handlung. — 327. - — 8. Von der noͤtigen Erleichterung der
Kaufmaͤnniſchen Reiſen. — 329.
Achtes Capitel.
Von der Handlungs-Politik in Anſehung der Zoͤlle.
§. 1. Nohtwendigkeit fuͤr den Kaufmann,
ſich uͤber die wichtige Materie von
Abgaben uͤberhaupt recht zu unter-
richten. S. 330. - — 2. Die aͤlteſte und einzige Abſicht der
Zoͤlle war deren Eintraͤglichkeit fuͤr
den Staat. — 332. - — 3. Schon damals Statt habende Er-
[394]Inhalt.
ſchwerung der Handlung durch die-
ſelben. S. 333.
§. 4. Was davon noch bisher uͤbrig ge-
blieben. 334. - — 5. Befreiung der Handlung von Zoͤl-
len iſt nicht rahtſam, nicht moͤglich. — - — 6. Erſt in neuern Zeiten hat die Han-
dlungspolitik die Zoͤlle als ein Mittel
angewandt, um die Handlung zu
eiten. 337 - — 7. I) Was in Anſehung der Zoͤlle fuͤr den
Productenhandel rahtſam ſei.
a) in Anſehung der Einfuhr. — - — 8. b) in Anſehung der Ausfuhr
der Producten. 339. - — 9. II) In dem Coloniehandel.
a) in Abſicht auf die Coloniepro-
ducte. 341. - — 10. b) in Abſicht auf die Zufuhr zu
denſelben. 341. - — 11. III) In Anſehung des Manufaç-
turhandels. 343. - — 12. Wie die Zoͤlle zur Unterſuchung
helfen, ob eine Manufactur im Lan-
de beſtehen koͤnne. 344. - — 13. Von den Zoͤllen auf die Materialien
[395]Inhalt.
der Manufacturen und den Verbo-
ten von der Ausfuhr. S. 345.
§. 14. IV. In Anſehung des Zwiſchenhan-
dels. Staaten, deren Wolſtand auf
demſelben beruht, ſollten ihre Zoͤlle, ſo
viel moͤglich, ſimplificiren. 348.
Neuntes Capitel.
Allgemeine Anmerkungen uͤber die Handlungsrechte.
§. 1. Bis jezt hat der Preuſſiſche Staat allein
ein allgemeines Handlungsrecht. 350. - — 2. Die Geſezbuͤcher der Staaten neuerer
Zeit entſtanden fruͤher, als deren
Handlung. 350. - — 3. Die Roͤmer kannten die Handlung zu
wenig, um in ihrer Geſezgebung auf
ſie zu ſehen. 351. - — 4. Jezt werden die Geſchaͤfte der Hand-
lung immer verwikkelter, und die
Rechtsgelehrten unſerer Zeit ſind
darin zu unkundig. 352.
Anmerkung, einige Umſtaͤnde, die Vorar-
beit zu dem neuen Preußiſchen Ge-
ſezbuche betreffend. 353. - — 5. Was von andern handelnden Staaten
zu erwarten ſei, und wie dabei zu ver-
fahren ſein moͤgte. 356.
[396]Inhalt.
§. 6. Wie die Handlungs-Uſanzen natuͤrlich
entſtanden ſein. S. 357. - — 7. Kurzes Verfahren des Kaufmanns bei
ſeinen Contrakten. 358. - — 8. Von den Zeugen und Beweiſen bei
denſelben. 359. - — 9. In kaufmaͤnniſchen Handlungen ent-
ſtand das Recht fruͤher, als die Ge-
ſeze. 359. - — 10. Der gute Glaube veranlaſſte eine
ſehr allgemeine Uebereinſtimmung in
dem kaufmaͤnniſchen Verfahren. Bei-
ſpiele, wie weit es damit in einzelnen
Voͤlkern gehe. 360. - — 11. Was noch die geſezliche Kraft der
Handlungsuſanzen ſchwaͤche. 362. - — 12. Etwas von Handlungsgerichten. 364.
- — 13. Raht fuͤr Richter, welche die Hand-
lungsgeſchaͤfte nicht in der Naͤhe ken-
nen. 365.
Zuſaz zu B. 5. C. 4. §. 24. S. 235. und
zu C. 8. §. 12. S. 344. Verthei-
digung der darin behaupteten Saͤzze
gegen eine ganz neulich erſchienene
Schrift. 367.
[][][][][]
meines Buches, welche deſſen Verfaſſer wol
wollen, und die es intereſſiren kann; meinen
zu S. Uebes oder Setuval etablirten Sohn,
Carl Auguſt Buͤſch (dies iſt deſſen Firma)
zu Conſignationen ihrer dorthin auf Salzfracht
gehenden Schiffe an ihn beſtens, als einen jun-
gen Mann, zu empfehlen, den ſein Aufenthalt
in Hamburg, demnaͤchſt in Copenhagen vier
Jahre durch, und nun ſchon ſeit ſieben Jahren in
Portugal mit der Handlung und den Sprachen
dieſer Laͤnder zur Bedienung Nordiſcher Kauf-
leute vorzuͤglich geſchikt gemacht hat. So fremd
dieſe Empfehlung dem Inhalte meines Buches iſt,
ſo wird doch das Intereſſe eines alten Vaters
an dem Gluͤck ſeines Sohns hoffentlich ſie ent-
ſchuldigen.
Sicherung der Seefahrt jaͤhrlich verwendet, in
zwei Leuchtfeuern, den vielen Tonnen und Baa-
ken zur Signalirung der Stromtiefen, in Er-
haltung des Nohthafens Kuxhaven an der Muͤn-
dung der Elbe und Erhaltung des Lootſenwe-
ſens in einer gewiſſen Ordnung, laufen jaͤhrlich
im Durchſchnitt auf 60000 Rthlr. an.
Grafen Mirabeau bei ſeinem Aufenthalt in Ham-
burg hatte, war ſeine erſte Vorausſezung, daß
ich dem phyſiokratiſchen Syſtem anhinge. Als
ich ihm dies verneint hatte, fragte er: Wenig-
ſtens werden Sie doch fuͤr die voͤllige Freiheit
der Handlung ſein? Auch das nicht, antwortete
ich, ſondern ich halte ſie in dem jezigen Zuſtande
Europens und ſelbſt der Handlung fuͤr unmoͤg-
lich. Das wundert mich, ſagte er, von einem
Schriftſteller zu hoͤren, der in einer Handelsſtadt
lebt, wo die Handlung ſo frei ſein muß, und
welche bei einer allgemeinern Freiheit der Hand-
ich, daß meine Lage mich nicht in meinen Schri-
ften leitet.
ſeinem Stadtbuch ſeit 1603 gehabt. Eine ſpaͤtere
und fuͤr ihre Zeit ziemlich vollſtaͤndige Wechſelord-
nung erſchien im Jahr 1725. Jezt hat die Ham-
burgiſche Commerzdeputation von ihrem derzeitigen
Praͤſes Hrn. G. H. Sieveking entworfne Ma-
terialien zu einem vollſtaͤndigen und
ſyſtematiſchen Wechſelrecht mit beſon-
derer Ruͤkſicht auf Hamburg denkenden
Rechtsgelehrten und Kaufleuten zur
Pruͤfung vorgelegt auf 206 Octavſeiten in
Quartformat drukken laſſen, um den Anmerkungen
Plaz zu geben. Dies iſt der wahre Weg, den man
waͤhlen muß, wenn ſolch ein Werk ausreifen ſoll,
und man muß den Verluſt einzelner Jahre dabei
nicht achten, wenn nur moͤglich beſte Vollendung
daraus entſteht.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Theoretisch-Praktische Darstellung der Handlung in deren mannigfaltigen Geschäften. Theoretisch-Praktische Darstellung der Handlung in deren mannigfaltigen Geschäften. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bjg5.0