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Schach von Wuthenow.
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Schach von Wuthenow.

Erzählung
aus der Zeit des Regiments Gensdarmes


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Leipzig:
Verlag von Wilhelm Friedrich
K. Hofbuchhändler.

1883.
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Inhalt.


  • 1. Kapitel: Im Salon der Frau von Caranon  1
  • 2. Kapitel: „Die Weihe der Kraft“  12
  • 3. Kapitel: Bei Sala Tarone  22
  • 4. Kapitel: In Tempelhof  34
  • 5. Kapitel: Victoire v. Carayon an Liſette v. Perbandt  61
  • 6. Kapitel: Bei Prinz Louis  68
  • 7. Kapitel: Ein neuer Gaſt  81
  • 8. Kapitel: Schach und Victoire  98
  • 9. Kapitel: Schach zieht ſich zurück  111
  • 10. Kapitel: „Es muß etwas geſchehn“  117
  • 11. Kapitel: Die Schlittenfahrt  126
  • 12. Kapitel: Schach bei Frau von Carayon  131
  • 13. Kapitel: „Le choix du Schach“ 139
  • 14. Kapitel: In Wuthenow am See  151
  • 15. Kapitel: Die Schachs und die Carayons  171
  • Seite
  • 16. Kapitel: Frau von Carayon und der alte Köckritz  181
  • 17. Kapitel: Schach in Charlottenburg  194
  • 18. Kapitel: Fata Morgana  203
  • 19. Kapitel: Die Hochzeit  210
  • 20. Kapitel: Bülow an Sander  219
  • 21. Kapitel: Victoire von Schach an Liſette von Perbandt  224
[[1]]

1. Kapitel.
Im Salon der Frau v. Carayon.

In dem Salon der in der Behrenſtraße woh¬
nenden Frau v. Carayon und ihrer Tochter
Victoire waren an ihrem gewöhnlichen Em¬
pfangsabend einige Freunde verſammelt, aber freilich
wenige nur, da die große Hitze des Tages auch die
treueſten Anhänger des Zirkels ins Freie gelockt hatte.
Von den Offizieren des Regiments Gensdarmes, die
ſelten an einem dieſer Abende fehlten, war nur einer
erſchienen, ein Herr v. Alvensleben, und hatte neben
der ſchönen Frau vom Hauſe Platz genommen unter
gleichzeitigem ſcherzhaftem Bedauern darüber, daß gerade
der fehle, dem dieſer Platz in Wahrheit gebühre.


Beiden gegenüber, an der der Mitte des Zimmers
zugekehrten Tiſchſeite, ſaßen zwei Herren in Civil, die,
1[2] ſeit wenig Wochen erſt heimiſch in dieſem Kreiſe, ſich
nichtsdeſtoweniger bereits eine dominierende Stellung
innerhalb deſſelben errungen hatten. Am entſchieden¬
ſten der um einige Jahre jüngere von beiden, ein
ehemaliger Stabskapitän, der, nach einem abenteuern¬
den Leben in England und den Unionsſtaaten in
die Heimat zurückgekehrt, allgemein als das Haupt
jener militäriſchen Frondeurs angeſehen wurde, die
damals die politiſche Meinung der Hauptſtadt machten,
beziehungsweiſe terroriſierten. Sein Name war
v. Bülow. Nonchalance gehörte mit zur Genialität,
und ſo focht er denn, beide Füße weit vorgeſtreckt
und die linke Hand in der Hoſentaſche, mit ſeiner
Rechten in der Luft umher, um durch lebhafte Geſti¬
kulationen ſeinem Kathedervortrage Nachdruck zu geben.
Er konnte, wie ſeine Freunde ſagten, nur ſprechen um
Vortrag zu halten, und — er ſprach eigentlich immer.
Der ſtarke Herr neben ihm war der Verleger ſeiner
Schriften, Herr Daniel Sander, im Übrigen aber ſein
vollkommener Widerpart, wenigſtens in allem was
Erſcheinung anging. Ein ſchwarzer Vollbart um¬
rahmte ſein Geſicht, das ebenſoviel Behagen wie
Sarkasmus ausdrückte, während ihm der in der Taille
knapp anſchließende Rock von niederländiſchem Tuche
ſein Embonpoint zuſammenſchnürte. Was den Gegen¬
ſatz vollendete, war die feinſte weiße Wäſche, worin
Bülow keineswegs excellierte.


[3]

Das Geſpräch, das eben geführt wurde, ſchien
ſich um die kurz vorher beendete Haugwitzſche Miſſion
zu drehen, die, nach Bülows Anſicht, nicht nur ein
wünſchenswertes Einvernehmen zwiſchen Preußen und
Frankreich wieder hergeſtellt, ſondern uns auch den
Beſitz von Hannover noch als „Morgengabe“ mit ein¬
getragen habe. Frau v. Carayon aber bemängelte
dieſe „Morgengabe“, weil man nicht gut geben
oder verſchenken könne, was man nicht habe, bei wel¬
chem Worte die bis dahin unbemerkt am Theetiſch
beſchäftigt geweſene Tochter Victoire der Mutter einen
zärtlichen Blick zuwarf, während Alvensleben der
ſchönen Frau die Hand küßte.


„Ihrer Zuſtimmung, lieber Alvensleben,“ nahm
Frau v. Carayon das Wort, „war ich ſicher. Aber
ſehen Sie, wie minos- und rhadamantusartig unſer
Freund Bülow daſitzt. Er brütet mal wieder Sturm,
Victoire, reiche Herrn v. Bülow von den Karlsbader
Oblaten. Es iſt, glaub' ich, das Einzige, was er
von Öeſterreich gelten läßt. Inzwiſchen unterhält
uns Herr Sander von unſeren Fortſchritten in der
neuen Provinz. Ich fürchte nur, daß ſie nicht groß
ſind.“


„Oder ſagen wir lieber, gar nicht exiſtieren,“ er¬
widerte Sander. „Alles was zum welfiſchen Löwen
oder zum ſpringenden Roß hält, will ſich nicht preu¬
ßiſch regieren laſſen. Und ich verdenk es Keinem.
1*[4] Für die Polen reichten wir allenfalls aus. Aber die
Hannoveraner ſind feine Leute.“


„Ja, das ſind ſie,“ beſtätigte Frau v. Carayon,
während ſie gleich danach hinzufügte: „Vielleicht auch
etwas hochmütig.“


„Etwas!“ lachte Bülow. „O, meine Gnädigſte,
wer doch allzeit einer ähnlichen Milde begegnete.
Glauben Sie mir, ich kenne die Hannoveraner ſeit
lange, hab ihnen in meiner Altmärker-Eigenſchaft ſo
zu ſagen von Jugend auf über den Zaun gekuckt, und
darf Ihnen danach verſichern, daß alles das, was mir
England ſo zuwider macht, in dieſem welfiſchen Stamm¬
lande doppelt anzutreffen iſt. Ich gönn' ihnen des¬
halb die Zuchtrute, die wir ihnen bringen. Unſere
preußiſche Wirtſchaft iſt erbärmlich, und Mirabeau
hatte Recht, den geprieſenen Staat Friedrichs des
Großen mit einer Frucht zu vergleichen, die ſchon faul
ſei, bevor ſie noch reif geworden, aber faul oder nicht,
Eines haben wir wenigſtens: ein Gefühl davon,
daß die Welt in dieſen letzten funfzehn Jahren einen
Schritt vorwärts gemacht hat, und daß ſich die großen
Geſchicke derſelben nicht notwendig zwiſchen Nuthe und
Notte vollziehen müſſen. In Hannover aber glaubt man
immer noch an eine Spezialaufgabe Kalenbergs und
der Lüneburger Haide. Nomen et omen. Es iſt
der Sitz der Stagnation, eine Brutſtätte der Vor¬
urteile. Wir wiſſen wenigſtens, daß wir nichts tau¬
[5] gen, und in dieſer Erkenntnis iſt die Möglichkeit der
Beſſerung gegeben. Im Einzelnen bleiben wir hinter
ihnen zurück, zugegeben, aber im Ganzen ſind wir
ihnen voraus, und darin ſteckt ein Anſpruch und ein
Recht, die wir geltend machen müſſen. Daß wir, trotz
Sander, in Polen eigentlich geſcheitert ſind, beweiſt nichts;
der Staat ſtrengte ſich nicht an und hielt ſeine Steuer¬
einnehmer gerade für gut genug, um die Kultur nach
Oſten zu tragen. In ſoweit mit Recht, als ſelbſt ein
Steuereinnehmer die Ordnung vertritt, wenn auch
freilich von der unangenehmen Seite.“


Victoire, die von dem Augenblick an, wo Polen
mit ins Geſpräch gezogen worden war, ihren Platz am
Theetiſch aufgegeben hatte, drohte jetzt zu dem Sprecher
hinüber und ſagte: „Sie müſſen wiſſen, Herr v. Bülow,
daß ich die Polen liebe, ſogar de tout mon coeur.“
Und dabei beugte ſie ſich aus dem Schatten in den
Lichtſchein der Lampe vor, in deſſen Helle man jetzt
deutlich erkennen konnte, daß ihr feines Profil, das
einſt dem der Mutter geglichen haben mochte, durch
zahlreiche Blatternarben aber um ſeine frühere Schön¬
heit gekommen war.


Jeder mußt' es ſehen, und der Einzige, der es
nicht ſah, oder, wenn er es ſah, als abſolut gleich¬
giltig betrachtete, war Bülow. Er wiederholte nur:
„o ja, die Polen. Es ſind die beſten Mazurkatänzer,
und darum lieben Sie ſie.“

[6]

„Nicht doch. Ich liebe ſie, weil ſie ritterlich und
unglücklich ſind.“


„Auch das. Es läßt ſich dergleichen ſagen. Und
um dies ihr Unglück könnte man ſie beinah beneiden,
denn es trägt ihnen die Sympathien aller Damen¬
herzen ein. In Fraueneroberungen haben ſie, von
alter Zeit her, die glänzendſte Kriegsgeſchichte.“


„Und wer rettete . .“


„Sie kennen meine ketzeriſchen Anſichten über
Rettungen. Und nun gar Wien! Es wurde gerettet.
Allerdings. Aber wozu? Meine Phantaſie ſchwelgt
ordentlich in der Vorſtellung, eine Favoritſultanin in
der Krypta der Kapuziner ſtehen zu ſehen. Vielleicht
da, wo jetzt Maria Thereſia ſteht. Etwas vom
Islam iſt bei dieſen Hahndel- und Faſahndelmännern
immer zu Hauſe geweſen, und Europa hätt' ein
bischen mehr von Serail- oder Haremwirtſchaft ohne
großen Schaden ertragen . .“


Ein eintretender Diener meldete den Rittmeiſter
v. Schach, und ein Schimmer freudiger Über¬
raſchung überflog beide Damen, als der Ange¬
meldete gleich darnach eintrat. Er küßte der Frau
v. Carayon die Hand, verneigte ſich gegen Victoire,
und begrüßte dann Alvensleben mit Herzlichkeit, Bülow
und Sander aber mit Zurückhaltung.


„Ich fürchte, Herrn v. Bülow unterbrochen zu
haben . . .“

[7]

„Ein allerdings unvermeidlicher Fall,“ antwortete
Sander und rückte ſeinen Stuhl zur Seite. Man
lachte, Bülow ſelbſt ſtimmte mit ein, und nur an
Schachs mehr als gewöhnlicher Zurückhaltung ließ
ſich erkennen, daß er entweder unter dem Eindruck
eines ihm perſönlich unangenehmen Ereigniſſes oder
aber einer politiſch unerfreulichen Nachricht in den
Salon eingetreten ſein müſſe.


„Was bringen Sie, lieber Schach? Sie ſind
präokkupiert. Sind neue Stürme . . .“


„Nicht das, gnädigſte Frau, nicht das. Ich
komme von der Gräfin Haugwitz, bei der ich um
ſo häufiger verweile, je mehr ich mich von dem Grafen
und ſeiner Politik zurückziehe. Die Gräfin weiß es
und billigt mein Benehmen. Eben begannen wir ein
Geſpräch, als ſich draußen vor dem Palais eine Volks¬
maſſe zu ſammeln begann, erſt Hunderte, dann Tau¬
ſende. Dabei wuchs der Lärm und zuletzt ward ein
Stein geworfen und flog an dem Tiſch vorbei, daran
wir ſaßen. Ein Haar breit und die Gräfin wurde
getroffen. Wovon ſie aber wirklich getroffen wurde,
das waren die Worte, die Verwünſchungen, die her¬
aufklangen. Endlich erſchien der Graf ſelbſt. Er
war vollkommen gefaßt und verleugnete keinen Augen¬
blick den Kavalier. Es währte jedoch lang', eh' die
Straße geſäubert werden konnte. Sind wir bereits
[8] dahin gekommen? Emeute, Krawall. Und das im
Lande Preußen, unter den Augen Seiner Majeſtät.“


„Und ſpeziell uns wird man für dieſe Ge¬
ſchehniſſe verantwortlich machen,“ unterbrach Alvensleben,
„ſpeziell uns von den Gensdarmes. Man weiß, daß
wir dieſe Liebedienerei gegen Frankreich mißbilligen,
von der wir ſchließlich nichts haben als geſtohlene
Provinzen. Alle Welt weiß, wie wir dazu ſtehen,
auch bei Hofe weiß mans, und man wird nicht
ſäumen, uns dieſe Zuſammenrottung in die Schuh zu
ſchieben.“


„Ein Anblick für Götter,“ ſagte Sander. „Das
Regiment Gensdarmes unter Anklage von Hochver¬
rat und Krawall.“


„Und nicht mit Unrecht,“ fuhr Bülow in jetzt
wirklicher Erregung dazwiſchen. „Nicht mit Unrecht,
ſag' ich. Und das witzeln Sie nicht fort, Sander.
Warum führen die Herren, die jeden Tag klüger ſein
wollen, als der König und ſeine Miniſter, warum
führen ſie dieſe Sprache? Warum politiſieren ſie?
Ob eine Truppe politiſieren darf, ſtehe dahin, aber
wenn ſie politiſiert, ſo politiſiere ſie wenigſtens rich¬
tig. Endlich ſind wir jetzt auf dem rechten Weg,
endlich ſtehen wir da, wo wir von Anfang an hätten
ſtehen ſollen, endlich hat Seine Majeſtät den Vor¬
ſtellungen der Vernunft Gehör gegeben und was ge¬
ſchieht? Unſere Herren Offiziere, deren drittes Wort
[9] der König und ihre Loyalität iſt, und denen doch
immer nur wohl wird, wenn es nach Rußland und
Juchten und recht wenig nach Freiheit riecht, unſere Herren
Offiziere, ſag' ich, gefallen ſich plötzlich in einer ebenſo
naiven wie gefährlichen Oppoſitionsluſt, und fordern
durch ihr keckes Thun und ihre noch keckeren Worte
den Zorn des kaum beſänftigten Imperators heraus.
Dergleichen verpflanzt ſich dann leicht auf die Gaſſe.
Die Herren vom Regiment Gensdarmes werden frei¬
lich den Stein nicht ſelber heben, der ſchließlich bis
an den Theetiſch der Gräfin fliegt, aber ſie ſind doch
die moraliſchen Urheber dieſes Krawalles, ſie haben
die Stimmung dazu gemacht.“


„Nein, dieſe Stimmung war da.“


„Gut. Vielleicht war ſie da. Aber wenn ſie
da war, ſo galt es, ſie zu bekämpfen, nicht aber ſie
zu nähren. Nähren wir ſie, ſo beſchleunigen wir
unſern Untergang. Der Kaiſer wartet nur auf eine
Gelegenheit, wir ſind mit vielen Poſten in ſein Schuld¬
buch eingetragen, und zählt er erſt die Summe, ſo
ſind wir verloren.“


„Glaubs nicht,“ antwortete Schach. „Ich ver¬
mag Ihnen nicht zu folgen, Herr v. Bülow.“


„Was ich beklage.“


„Ich deſto weniger. Es trifft ſich bequem für
Sie, daß Sie mich und meine Kameraden über Lan¬
des- und Königstreue belehren und aufklären dürfen,
[10] denn die Grundſätze, zu denen Sie ſich bekennen, ſind
momentan obenauf. Wir ſtehen jetzt nach Ihrem Wunſch
und allerhöchſtem Willen am Tiſche Frankreichs und
leſen die Broſamen auf, die von des Kaiſers Tiſche
fallen. Aber auf wie lange? Der Staat Friedrichs
des Großen muß ſich wieder auf ſich ſelbſt beſinnen.“


„So ers nur thäte,“ replizierte Bülow. „Aber
das verſäumt er eben. Iſt dies Schwanken, dies
immer noch halbe Stehen zu Rußland und Öſter¬
reich, das uns dem Empereur entfremdet, iſt das
Fridericianiſche Politik? Ich frage Sie?“


„Sie mißverſtehen mich.“


„So bitt ich, mich aus dem Mißverſtändnis zu
reißen.“


„Was ich wenigſtens verſuchen will . . Übrigens
wollen Sie mich mißverſtehen, Herr v. Bülow.
Ich bekämpfe nicht das franzöſiſche Bündnis, weil es
ein Bündnis iſt, auch nicht deshalb, weil es nach
Art aller Bündniſſe darauf aus iſt, unſere Kraft zu
dieſem oder jenem Zweck zu doublieren. O, nein;
wie könnt' ich? Allianzen ſind Mittel, deren jede
Politik bedarf; auch der große König hat ſich dieſer
Mittel bedient und innerhalb dieſer Mittel beſtändig
gewechſelt. Aber nicht gewechſelt hat er in ſeinem
Endzweck. Dieſer war unverrückt: ein ſtarkes und
ſelbſtändiges Preußen. Und nun frag' ich Sie, Herr
[11] v. Bülow, iſt das, was uns Graf Haugwitz heim¬
gebracht hat, und was ſich Ihrer Zuſtimmung ſo
ſehr erfreut, iſt das ein ſtarkes und ſelbſtändiges
Preußen? Sie haben mich gefragt, nun frag ich
Sie.“

[[12]]

2. Kapitel.
„Die Weihe der Kraft.“

Bülow, deſſen Züge den Ausdruck einer äußer¬
ſten Überheblichkeit anzunehmen begannen,
wollte replizieren, aber Frau v. Carayon
unterbrach und ſagte: „Lernen wir etwas aus der
Politik unſerer Tage: wo nicht Friede ſein kann, da
ſei wenigſtens Waffenſtillſtand. Auch hier . . Und
nun raten Sie, lieber Alvensleben, wer heute hier
war, uns ſeinen Beſuch zu machen? Eine Berühmt¬
heit. Und von der Rahel Lewin uns zugewieſen.“


„Alſo der Prinz,“ ſagte Alvensleben.


„O nein, berühmter, oder doch wenigſtens tages¬
berühmter. Der Prinz iſt eine etablierte Celebrität,
und Celebritäten, die zehn Jahre gedauert haben,
ſind keine mehr . . Ich will Ihnen übrigens zu Hilfe
[13] kommen, es geht ins Litterariſche hinüber, und ſo
möcht' ich denn auch annehmen, daß uns Herr Sander
das Rätſel löſen wird.“


„Ich will es wenigſtens verſuchen, gnädigſte Frau,
wobei mir Ihr Zutrauen vielleicht eine gewiſſe Weihe¬
kraft, oder ſagen wirs lieber rund heraus, eine gewiſſe
,Weihe der Kraft' verleihen wird.“


„O vorzüglich. Ja, Zacharias Werner war hier.
Leider waren wir aus, und ſo ſind wir denn um den
uns zugedachten Beſuch gekommen. Ich hab es ſehr
bedauert.“


„Sie ſollten ſich umgekehrt beglückwünſchen, einer
Enttäuſchung entgangen zu ſein“ nahm Bülow das Wort.
„Es iſt ſelten, daß die Dichter der Vorſtellung entſprechen,
die wir uns von ihnen machen. Wir erwarten einen Olym¬
pier, einen Nektar- und Ambroſia- und ſehen ſtatt
deſſen einen Gourmand einen Putenbraten verzehren;
wir erwarten Mitteilungen aus ſeiner geheimſten
Zwieſprach mit den Göttern und hören ihn von
ſeinem letzten Orden erzählen oder wohl gar die aller¬
gnädigſten Worte zitieren, die Sereniſſimus über das
jüngſte Kind ſeiner Muſe geäußert hat. Vielleicht
auch Sereniſſima, was immer das denkbar Albernſte
bedeutet“.


„Aber doch ſchließlich nichts Alberneres, als das
Urteil ſolcher, die den Vorzug haben, in einem
[14] Stall oder einer Scheune geboren zu ſein,“ ſagte
Schach ſpitz.


„Ich muß Ihnen zu meinem Bedauern, mein ſehr
verehrter Herr v. Schach, auch auf dieſem Gebiete
widerſprechen. Der Unterſchied, den Sie bezweifeln,
iſt wenigſtens nach meinen Erfahrungen thatſächlich
vorhanden, und zwar, wie Sie mir zu wiederholen
geſtatten wollen, zu Nicht-Gunſten von Sereniſſimus.
In der Welt der kleinen Leute ſteht das Urteil an
und für ſich nicht höher, aber die verlegene Beſcheiden¬
heit, darin ſichs kleidet und das ſtotternde Schlechte-
Gewiſſen, womit es zu Tage tritt, haben allemal
etwas Verſöhnendes. Und nun ſpricht der Fürſt!
Er iſt der Geſetzgeber ſeines Landes in all und jedem,
in Großem und Kleinem, alſo natürlich auch in Äſthe¬
ticis. Wer über Leben und Tod entſcheidet, ſollte
der nicht auch über ein Gedichtchen entſcheiden können?
Ah, bah! Er mag ſprechen was er will, es ſind
immer Tafeln direkt vom Sinai. Ich habe ſolche
zehn Gebote mehr als einmal verkünden hören, und
weiß ſeitdem was es heißt: regarder dans le Néant.“


„Und doch ſtimm' ich der Mama bei,“ bemerkte
Victoire, der daran lag das Geſpräch auf ſeinen An¬
fang, auf das Stück und ſeinen Dichter alſo zurückzuführen.
„Es wäre mir wirklich eine Freude geweſen, den
‚tagesberühmten Herrn‘, wie Mama ihn einſchränkend
genannt hat, kennen zu lernen. Sie vergeſſen, Herr
[15] von Bülow, daß wir Frauen ſind, und daß wir als
ſolche ein Recht haben, neugierig zu ſein. An einer
Berühmtheit wenig Gefallen zu finden, iſt ſchließlich
immer noch beſſer, als ſie garnicht geſehen zu haben.“


„Und wir werden ihn in der That nicht mehr
ſehen, in aller Beſtimmtheit nicht,“ fügte Frau v. Ca¬
rayon hinzu. „Er verläßt Berlin in den nächſten
Tagen ſchon und war überhaupt nur hier, um den
erſten Proben ſeines Stückes beizuwohnen.“


„Was alſo heißt“ warf Alvensleben, ein „daß
an der Aufführung ſelbſt nicht länger mehr zu
zweifeln iſt.“


„Ich glaube, nein. Man hat den Hof dafür zu
gewinnen oder wenigſtens alle beigebrachten Bedenken
niederzuſchlagen gewußt.“


„Was ich unbegreiflich finde,“ fuhr Alvensleben
fort. „Ich habe das Stück geleſen. Er will Luther
verherrlichen, und der Pferdefuß des Jeſuitismus guckt
überall unter dem ſchwarzen Doktormantel hervor.
Am rätſelhafteſten aber iſt es mir, daß ſich Iffland
dafür intereſſiert, Iffland ein Freimaurer.“


„Woraus ich einfach ſchließen möchte, daß er die
Hauptrolle hat,“ erwiderte Sander. „Unſere Prinzipien
dauern gerade ſo lauge, bis ſie mit unſern Leiden¬
ſchaften oder Eitelkeiten in Konflikt geraten und ziehen
dann jedesmal den kürzeren. Er wird den Luther
ſpielen wollen. Und das entſcheidet.“

[16]

„Ich bekenne, daß es mir widerſtrebt,“ ſagte Vic¬
toire, „die Geſtalt Luthers auf der Bühne zu ſehen.
Oder geh' ich darin zu weit?“


Es war Alvensleben, an den ſich die Frage ge¬
richtet hatte. „Zu weit? O, meine teuerſte Victoire,
gewiß nicht. Sie ſprechen mir ganz aus dem Herzen.
Es ſind meine früheſten Erinnerungen, daß ich in
unſerer Dorfkirche ſaß, und mein alter Vater neben
mir, der alle Geſangbuchsverſe mitſang. Und links
neben dem Altar, da hing unſer Martin Luther in
ganzer Figur, die Bibel im Arm, die Rechte darauf
gelegt, ein lebensvolles Bild, und ſah zu mir herüber.
Ich darf ſagen, daß dies ernſte Mannesgeſicht an
manchem Sonntage beſſer und eindringlicher zu mir
gepredigt hat als unſer alter Kluckhuhn, der zwar
dieſelben hohen Backenknochen und dieſelben weißen
Päffchen hatte wie der Reformator, aber auch weiter
nichts. Und dieſen Gottesmann, nach dem wir uns
nennen und unterſcheiden, und zu dem ich nie anders
als in Ehrfurcht und Andacht aufgeſchaut habe, den
will ich nicht aus den Kouliſſen oder aus einer Hinter¬
thür treten ſehen. Auch nicht, wenn Iffland ihn giebt,
den ich übrigens ſchätze, nicht blos als Künſtler, ſon¬
dern auch als Mann von Grundſätzen und guter
preußiſcher Geſinnung.“


Pectus facit oratorem,“ verſicherte Sander und
Victoire jubelte. Bülow aber, der nicht gern neue
[17] Götter neben ſich duldete, warf ſich in ſeinen Stuhl
zurück und ſagte, während er ſein Kinn und ſeinen
Spitzbart ſtrich: „Es wird Sie nicht überraſchen, mich
im Diſſens zu finden.“


„O, gewiß nicht,“ lachte Sander.


„Nur dagegen möcht' ich mich verwahren, als ob
ich durch einen ſolchen Diſſens irgendwie den Anwalt
dieſes pfäffiſchen Zacharias Werner zu machen gedächte,
der mir in ſeinen myſtiſch-romantiſchen Tendenzen ein¬
fach zuwider iſt. Ich bin Niemandes Anwalt. . . .“


„Auch nicht Luthers?“ fragte Schach ironiſch.


„Auch nicht Luthers!“


„Ein Glück, daß er deſſen entbehren kann.....“


„Aber auf wie lange?“ fuhr Bülow ſich auf¬
richtend fort. „Glauben Sie mir, Herr v. Schach,
auch er iſt in der Decadence, wie ſo viel anderes mit
ihm, und über ein Kleines wird keine Generalanwalt¬
ſchaft der Welt ihn halten können.“


„Ich habe Napoleon von einer ,Epiſode Preußen‘
ſprechen hören,“ erwiderte Schach. „Wollen uns die
Herren Neuerer, und Herr v. Bülow an ihrer Spitze,
vielleicht auch mit einer ‚Epiſode Luther‘ beglücken?“


„Es iſt ſo. Sie treffen es. Übrigens ſind nicht
wir es, die dies Epiſodentum ſchaffen wollen. Der¬
gleichen ſchafft nicht der Einzelne, die Geſchichte ſchafft
es. Und dabei wird ſich ein wunderbarer Zuſammen¬
hang zwiſchen der Epiſode Preußen und der Epiſode
2[18] Luther herausſtellen. Es heißt auch da wieder:
‚Sage mir, mit wem Du umgehſt, und ich will
Dir ſagen, wer Du biſt.‘ Ich bekenne, daß
ich die Tage Preußens gezählt glaube, und ,wenn
der Mantel fällt, muß der Herzog nach.‘ Ich über¬
laſſ' es Ihnen, die Rollen dabei zu verteilen. Die
Zuſammenhänge zwiſchen Staat und Kirche werden
nicht genugſam gewürdigt; jeder Staat iſt in ge¬
wiſſem Sinne zugleich auch ein Kirchenſtaat; er
ſchließt eine Ehe mit der Kirche, und ſoll dieſe Ehe
glücklich ſein, ſo müſſen beide zu einander paſſen. In
Preußen paſſen ſie zu einander. Und warum? Weil
beide gleich dürftig angelegt, gleich eng geraten ſind.
Es ſind Kleinexiſtenzen, beide beſtimmt in etwas
Größerem auf- oder unterzugehen. Und zwar bald.
Hannibal ante portas.“


„Ich glaubte Sie dahin verſtanden zu haben,“
erwiderte Schach, „daß uns Graf Haugwitz nicht den
Untergang, wohl aber die Rettung und den Frieden
gebracht habe.“


„Das hat er. Aber er kann unſer Geſchick nicht
wenden, wenigſtens auf die Dauer nicht. Dies Ge¬
ſchick heißt Einverleibung in das Univerſelle. Der
nationale wie der konfeſſionelle Standpunkt ſind
hinſchwindende Dinge, vor allem aber iſt es der
preußiſche Standpunkt und ſein alter ego der lutheriſche.
Beide ſind künſtliche Größen. Ich frage, was be¬
[19] deuten ſie? welche Miſſionen erfüllen ſie? Sie ziehen
Wechſel aufeinander, ſie ſind ſich gegenſeitig Zweck
und Aufgabe, das iſt alles. Und das ſoll eine Welt¬
rolle ſein! Was hat Preußen der Welt geleiſtet?
Was find' ich, wenn ich nachrechne? Die Großen
Blauen König Friedrich Wilhelms I., den eiſernen
Ladeſtock, den Zopf, und jene wundervolle Moral,
die den Satz erfunden hat, ‚ich hab' ihn an die
Krippe gebunden, warum hat er nicht gefreſſen?‘“


„Gut, gut. Aber Luther . .“


„Nun wohl denn, es geht eine Sage, daß mit
dem Manne von Wittenberg die Freiheit in die Welt
gekommen ſei, und beſchränkte Hiſtoriker haben es dem
norddeutſchen Volke ſo lange verſichert, bis mans
geglaubt hat. Aber was hat er denn in Wahrheit
in die Welt gebracht? Unduldſamkeit und Hexen¬
prozeſſe, Nüchternheit und Langeweile. Das iſt kein
Kitt für Jahrtauſende. Jener Weltmonarchie, der
nur noch die letzte Spitze fehlt, wird auch eine Welt¬
kirche folgen, denn wie die kleinen Dinge ſich finden
und im Zuſammenhange ſtehen, ſo die großen noch
viel mehr. Ich werde mir den Bühnen-Luther nicht
anſehen, weil er mir in dieſes Herren Zacharias
Werner Verzerrung einfach ein Ding iſt, das mich
ärgert; aber ihn nicht anſehen, weil es Anſtoß gebe,
weil es Entheiligung ſei, das iſt mehr als ich
faſſen kann.“

2*[20]

„Und wir, lieber Bülow,“ unterbrach Frau
v. Carayon, „wir werden ihn uns anſehen, trotzdem
es uns Anſtoß giebt. Victoire hat Recht, und wenn
bei Iffland die Eitelkeit ſtärker ſein darf als das
Prinzip, ſo bei uns die Neugier. Ich hoffe, Herr
v. Schach und Sie, lieber Alvensleben, werden uns
begleiten. Übrigens ſind ein paar der eingelegten
Lieder nicht übel. Wir erhielten ſie geſtern. Victoire,
Du könnteſt uns das ein' oder andere davon ſingen.“


„Ich habe ſie kaum durchgeſpielt.“


„O, dann bitt' ich um ſo mehr,“ bemerkte Schach.
„Alle Salonvirtuoſität iſt mir verhaßt. Aber was
ich in der Kunſt liebe, das iſt ein ſolches poetiſches
Suchen und Tappen.“


Bülow lächelte vor ſich hin und ſchien ſagen zu
wollen: „Ein jeder nach ſeinen Mitteln.“


Schach aber führte Victoiren an das Klavier, und
dieſe ſang, während er begleitete.


Die Blüte, ſie ſchläft ſo leis und lind

Wohl in der Wiege von Schnee;

Einlullt ſie der Winter „Schlaf ein geſchwind

Du blühendes Kind“

Und das Kind es weint und verſchläft ſein Weh

Und hernieder ſteigen aus duftiger Höh

Die Schweſtern und lieben und blühn . .

Eine kleine Pauſe trat ein, und Frau v. Carayon
fragte: „Nun, Herr Sander, wie beſteht es vor Ihrer
[21] Kritik?“ „Es muß ſehr ſchön ſein,“ antwortete dieſer.
„Ich verſteh es nicht. Aber hören wir weiter. Die
Blüte, die vorläufig noch ſchläft, wird doch wohl mal
erwachen.“


Und kommt der Mai dann wieder ſo lind,

Dann bricht er die Wiege von Schnee,

Er ſchüttelt die Blüte „Wach‘ auf geſchwind

Du welkendes Kind.“

Und es hebt die Äuglein, es thut ihm weh

Und ſteigt hinauf in die leuchtende Höh

Wo ſtrahlend die Brüderlein blühn.

Ein lebhafter Beifall blieb nicht aus. Aber er
galt ausſchließlich Victoiren und der Kompoſition, und
als ſchließlich auch der Text an die Reihe kam, be¬
kannte ſich Alles zu Sanders ketzeriſchen Anſichten.


Nur Bülow ſchwieg. Er hatte, wie die meiſten
mit Staatenuntergang beſchäftigten Frondeurs, auch
ſeine ſchwachen Seiten, und eine davon war durch
das Lied getroffen worden. An dem halbumwölkten
Himmel draußen funkelten ein paar Sterne, die
Mondſichel ſtand dazwiſchen, und er wiederholte,
während er durch die Scheiben der hohen Balkonthür
hinaufblickte: „wo ſtrahlend die Brüderlein blühn.“


Wider Wiſſen und Willen, war er ein Kind
ſeiner Zeit, und romantiſierte.


Noch ein zweites und drittes Lied wurde ge¬
ſungen, aber das Urteil blieb dasſelbe. Dann trennte
man ſich zu nicht allzu ſpäter Stunde.

[]

3. Kapitel.
Bei Sala Tarone.

Die Turmuhren auf dem Gensdarmenmarkt
ſchlugen elf, als die Gäſte der Frau
v. Carayon auf die Behrenſtraße hinaus¬
traten und nach links einbiegend auf die Linden zu¬
ſchritten. Der Mond hatte ſich verſchleiert, und die
Regenfeuchte, die bereits in der Luft lag und auf
Wetterumſchlag deutete, that allen wohl. An der Ecke
der Linden empfahl ſich Schach, allerhand Dienſtliches
vorſchützend, während Alvensleben, Bülow und Sander
übereinkamen, noch eine Stunde zu plaudern.


„Aber wo?“ fragte Bülow, der im Ganzen nicht
wähleriſch war, aber doch einen Abſcheu gegen Lokale
hatte, darin ihm „Aufpaſſer und Kellner die Kehle
zuſchnürten.“

[23]

„Aber wo?“ wiederholte Sander. „Sieh, das
Gute liegt ſo nah,“ und wies dabei auf einen Eck¬
laden, über dem in mäßig großen Buchſtaben zu leſen
ſtand: Italiener-, Wein- und Delikateſſen-Handlung
von Sala Tarone. Da ſchon geſchloſſen war, klopfte
man an die Hausthür, an deren einer Seite ſich ein
Einſchnitt mit einer Klappe befand. Und wirklich,
gleich darauf öffnete ſichs von innen, ein Kopf er¬
ſchien am Kuckloch, und als Alvenslebens Uniform
über den Charakter der etwas ſpäten Gäſte beruhigt
hatte, drehte ſich innen der Schlüſſel im Schloß, und
alle drei traten ein. Aber der Luftzug, der ging,
löſchte den Blaker aus, den der Küfer in Händen
hielt, und nur eine ganz im Hintergrunde, dicht über
der Hofthür ſchweelende Laterne, gab gerade noch
Licht genug, um das Gefährliche der Paſſage kennt¬
lich zu machen.


„Ich bitte Sie, Bülow, was ſagen Sie zu die¬
ſem Defilé,“ brummte Sander, ſich immer dünner
machend, und wirklich hieß es auf der Hut ſein, denn
in Front der zu beiden Seiten liegenden Öl- und
Weinfäſſer, ſtanden Zitronen- und Apfelſinenkiſten,
deren Deckel nach vorn hin aufgeklappt waren. „Ach¬
tung,“ ſagte der Küfer. „Is hier allens voll Pinnen
und Nägel. Habe mir geſtern erſt einen eingetreten.“


„Alſo auch ſpaniſche Reiter . . O, Bülow! In
ſolche Lage bringt einen ein militäriſcher Verlag.“

[24]

Dieſer Sanderſche Schmerzensſchrei ſtellte die
Heiterkeit wieder her, und unter Tappen und Taſten
war man endlich bis in Nähe der Hofthür gekommen,
wo, nach rechts hin, einige der Fäſſer weniger dicht
nebeneinander lagen. Hier zwängte man ſich denn
auch durch, und gelangte mit Hilfe von vier oder
fünf ſteilen Stufen in eine mäßig große Hinterſtube,
die gelb geſtrichen und halbverblakt und nach Art
aller „Frühſtücksſtuben“ um Mitternacht am vollſten
war. Überall, an niedrigen Panelen hin, ſtanden
lange, längſt eingeſeſſene Lederſophas, mit kleinen
und großen Tiſchen davor, und nur eine Stelle war
da, wo dieſes Mobiliar fehlte. Hier ſtand vielmehr
ein mit Käſten und Realen überbautes Pult, vor
welchem einer der Repräſentanten der Firma tagaus
tagein auf einem Drehſchemel ritt, und ſeine Befehle
(gewöhnlich nur ein Wort) in einen unmittelbar neben
dem Pult befindlichen Keller hinunterrief, deſſen
Fallthür immer offen ſtand.


Unſere drei Freunde hatten in einer dem Keller¬
loch ſchräg gegenüber gelegenen Ecke Platz genommen,
und Sander, der grad lange genug Verleger war,
um ſich auf lukulliſche Feinheiten zu verſtehen, über¬
flog eben die Wein- und Speiſekarte. Dieſe war in
ruſſiſch Leder gebunden, roch aber nach Hummer.
Es ſchien nicht, daß unſer Lukull gefunden hatte,
was ihm gefiel; er ſchob alſo die Karte wieder fort
[25] und ſagte: „Das Geringſte, was ich von einem ſol¬
chen hundstäglichen April erwarten kann, ſind Mai¬
kräuter, Asperula odorata Linnéi. Denn ich hab
auch Botaniſches verlegt. Von dem Vorhandenſein
friſcher Apfelſinen haben wir uns draußen mit Ge¬
fahr unſeres Lebens überzeugt, und für den Moſel
bürgt uns die Firma.“


Der Herr am Pult rührte ſich nicht, aber man
ſah deutlich, daß er mit ſeinem Rücken zuſtimmte,
Bülow und Alvensleben thaten desgleichen, und
Sander reſolvierte kurz: „Alſo Maibowle.“


Das Wort war abſichtlich laut und mit der Be¬
tonung einer Ordre geſprochen worden, und im ſelben
Augenblicke ſcholl es auch ſchon vom Drehſtuhl her in
das Kellerloch hinunter „Fritz!“ Ein zunächſt nur mit
halber Figur aus der Verſenkung auftauchender, dicker
und kurzhalſiger Junge, wurde, wie wenn auf eine
Feder gedrückt worden wäre, ſofort ſichtbar, über¬
ſprang dienſteifrig, indem er die Hand aufſetzte, die
letzten zwei, drei Stufen und ſtand im Nu vor San¬
der, den er, allem Anſcheine nach, am beſten kannte.


„Sagen Sie, Fritz, wie verhält ſich die Firma
Sala Tarone zur Maibowle?“


„Gut. Sehr gut.“


„Aber wir haben erſt April, und ſo ſehr ich im
allgemeinen der Mann der Surrogate bin, ſo haſſ'
ich doch eins: die Toncabohne. Die Toncabohne ge¬
[26] hört in die Schnupftabaksdoſe, nicht in die Mai¬
bowle. Verſtanden?“


„Zu dienen, Herr Sander.“


„Gut denn. Alſo Maikräuter. Und nicht lange
ziehen laſſen. Waldmeiſter iſt nicht Kamillenthee.
Der Moſel, ſagen wir ein Zeltlinger oder ein Braune¬
berger, wird langſam über die Büſchel gegoſſen; das
genügt. Apfelſinenſchnitten als bloßes Ornament.
Eine Scheibe zuviel macht Kopfweh. Und nicht zu
ſüß, und eine Cliquot extra. Extra, ſag ich. Beſſer
iſt beſſer.“


Damit war die Beſtellung beendet und ehe 10
Minuten um waren, erſchien die Bowle, darauf nicht
mehr als drei oder vier Waldmeiſterblättchen ſchwam¬
men, nur gerade genug, den Beweis der Ächtheit zu
führen.


„Sehen Sie, Fritz, das gefällt mir. Auf mancher
Maibowle ſchwimmt es wie Entengrütze. Und das
iſt ſchrecklich. Ich denke, wir werden Freunde bleiben.
Und nun grüne Gläſer.“


Alvensleben lachte. „Grüne?“


„Ja. Was ſich dagegen ſagen läßt, lieber Al¬
vensleben, weiß ich und laß es gelten. Es iſt in der
That eine Frage, die mich ſeit länger beſchäftigt, und
die, neben anderen, in die Reihe jener Zwieſpalte ge¬
hört, die ſich, wir mögen es anfangen wie wir wollen,
durch unſer Leben hinziehen. Die Farbe des Weins
[27] geht verloren, aber die Farbe des Frühlings wird
gewonnen, und mit ihr das feſtliche Geſamtkolorit.
Und dies erſcheint mir als der wichtigere Punkt.
Unſer Eſſen und Trinken, ſo weit es nicht der gemei¬
nen Lebensnotdurft dient, muß mehr und mehr zur
ſymboliſchen Handlung werden, und ich begreife Zeiten
des ſpäteren Mittelalters, in denen der Tafelaufſatz
und die Fruchtſchalen mehr bedeuteten, als das Mahl
ſelbſt.“


„Wie gut Ihnen das kleidet, Sander,“ lachte
Bülow. „Und doch dank ich Gott, Ihre Kapaunen¬
rechnung nicht bezahlen zu müſſen.“


„Die Sie ſchließlich doch bezahlen.“


„Ah, das erſte Mal, daß ich einen dankbaren
Verleger in Ihnen entdecke. Stoßen wir an . . Aber
alle Welt, da ſteigt ja der lange Noſtitz aus der Ver¬
ſenkung. Sehen Sie, Sander, er nimmt gar kein
Ende . .“


Wirklich, es war Noſtitz, der, unter Benutzung
eines geheimen Eingangs, eben die Kellertreppe hinauf¬
ſtolperte, Noſtitz von den Gensdarmes, der längſte
Lieutenant der Armee, der, trotzdem er aus dem Säch¬
ſiſchen ſtammte, ſeiner 6 Fuß 3 Zoll halber ſo ziem¬
lich ohne Widerrede beim Elite-Regiment Gendarmes
eingeſtellt und mit einem verbliebenen kleinen Reſte
von Antagonismus mittlerweile längſt fertig gewor¬
den war. Ein tollkühner Reiter und ein noch toll¬
[28] kühnerer Kour- und Schuldenmacher, war er ſeit
lang ein Allerbeliebteſter im Regiment, ſo beliebt,
daß ihn ſich der „Prinz“, der kein andrer war als
Prinz Louis, bei Gelegenheit der vorjährigen Mobili¬
ſierung, zum Adjutanten erbeten hatte.


Neugierig, woher er komme, ſtürmte man mit
Fragen auf ihn ein, aber erſt als er ſich in dem Leder¬
ſopha zurecht gerückt hatte, gab er Antwort auf all
das, was man ihn fragte. „Woher ich komme?
Warum ich bei den Carayons geſchwänzt habe? Nun,
weil ich in Franzöſiſch-Buchholz nachſehen wollte, ob
die Störche ſchon wieder da ſind, ob der Kuckuck
ſchon wieder ſchreit, und ob die Schulmeiſters Toch¬
ter noch ſo lange flachsblonde Flechten hat, wie vo¬
riges Jahr. Ein reizendes Kind. Ich laſſe mir immer
die Kirche von ihr zeigen, und wir ſteigen dann in
den Turm hinauf, weil ich eine Paſſion für alte
Glockeninſchriften habe. Sie glauben gar nicht, was
ſich in ſolchem Turme Alles entziffern läßt. Ich zähle
das zu meinen glücklichſten und lehrreichſten Stunden.“


„Und eine Blondine, ſagten Sie. Dann freilich
erklärt ſich alles. Denn neben einer Prinzeſſin Flachs¬
haar kann unſer Fräulein Victoire nicht beſtehn. Und
nicht einmal die ſchöne Mama, die ſchön iſt, aber doch
am Ende brünett. Und blond geht immer vor ſchwarz.“


„Ich möchte das nicht geradezu zum Axiom er¬
heben,“ fuhr Noſtitz fort. „Es hängt doch alles noch
[29] von Nebenumſtänden ab, die hier freilich ebenfalls zu
Gunſten meiner Freundin ſprechen. Die ſchöne Mama,
wie Sie ſie nennen, wird 37, bei welcher Addition
ich wahrſcheinlich galant genug bin, ihr ihre vier
Ehejahre halb ſtatt doppelt zu rechnen. Aber das iſt
Schachs Sache, der über kurz oder lang in der Lage
ſein wird, ihren Taufſchein um ſeine Geheimniſſe zu
befragen.“


„Wie das?“ fragte Bülow.


„Wie das?“ wiederholte Noſtitz. „Was doch die
Gelehrten, und wenn es gelehrte Militärs wären, für
ſchlechte Beobachter ſind. Iſt Ihnen denn das Ver¬
hältnis zwiſchen Beiden entgangen? Ein ziemlich vor¬
geſchrittenes, glaub' ich. C'est le premier pas, qui
coûte
. . .“


„Sie drücken ſich etwas dunkel aus, Noſtitz.“


„Sonſt nicht gerade mein Fehler.“


„Ich meinerſeits glaube Sie zu verſtehn,“ unter¬
brach Alvensleben. „Aber Sie täuſchen ſich, Noſtitz,
wenn Sie daraus auf eine Partie ſchließen. Schach
iſt eine ſehr eigenartige Natur, die, was man auch an
ihr ausſetzen mag, wenigſtens manche pſychologiſche
Probleme ſtellt. Ich habe beiſpielsweiſe keinen Menſchen
kennen gelernt, bei dem alles ſo ganz und gar auf
das Äſthetiſche zurückzuführen wäre, womit es vielleicht
in einem gewiſſen Zuſammenhange ſteht, daß er über¬
ſpannte Vorſtellungen von Intaktheit und Ehe hat.
[30] Wenigſtens von einer Ehe, wie er ſie zu ſchließen
wünſcht. Und ſo bin ich denn wie von meinem Leben
überzeugt, er wird niemals eine Witwe heiraten, auch
die ſchönſte nicht. Könnt' aber hierüber noch irgend
ein Zweifel ſein, ſo würd' ihn ein Umſtand beſeitigen,
und dieſer eine Umſtand heißt: „Victoire.“


„Wie das?“


„Wie ſchon ſo mancher Heiratsplan an einer un¬
repräſentablen Mutter geſcheitert iſt, ſo würd er hier
an einer unrepräſentablen Tochter ſcheitern. Er fühlt
ſich durch ihre mangelnde Schönheit geradezu geniert,
und erſchrickt vor dem Gedanken, ſeine Normalität,
wenn ich mich ſo ausdrücken darf, mit ihrer Unnorma¬
lität in irgend welche Verbindung gebracht zu ſehen.
Er iſt krankhaft abhängig, abhängig bis zur Schwäche,
von dem Urteile der Menſchen, ſpeziell ſeiner Standes¬
genoſſen, und würde ſich jederzeit außer Stande
fühlen, irgend einer Prinzeſſin oder auch nur einer
hochgeſtellten Dame, Victoiren als ſeine Tochter vor¬
zuſtellen.“


„Möglich. Aber dergleichen läßt ſich vermeiden.“


„Doch ſchwer. Sie zurückzuſetzen, oder ganz ein¬
fach als Aſchenbrödel zu behandeln, das widerſtreitet
ſeinem feinen Sinn, dazu hat er das Herz zu ſehr
auf dem rechten Fleck. Auch würde Frau v. Carayon
das einfach nicht dulden. Denn ſo gewiß ſie Schach
liebt, ſo gewiß liebt ſie Victoire, ja, ſie liebt dieſe
[31] noch um ein gut Teil mehr. Es iſt ein abſolut
ideales Verhältnis zwiſchen Mutter und Tochter, und
gerade dies Verhältnis iſt es, was mir das Haus ſo
wert gemacht hat und noch macht.“


„Alſo begraben wir die Partie,“ ſagte Bülow.
„Mir perſönlich zu beſondrer Genugthuung und Freude,
denn ich ſchwärme für dieſe Frau. Sie hat den
ganzen Zauber des Wahren und Natürlichen, und
ſelbſt ihre Schwächen ſind reizend und liebenswürdig.
Und daneben dieſer Schach! Er mag ſeine Meriten
haben, meinetwegen, aber mir iſt er nichts als ein
Pedant und Wichtigthuer, und zugleich die Ver¬
körperung jener preußiſchen Beſchränktheit, die nur
drei Glaubensartikel hat: erſtes Hauptſtück „die Welt
ruht nicht ſichrer auf den Schultern des Atlas, als
der preußiſche Staat auf den Schultern der preußiſchen
Armee“, zweites Hauptſtück „der preußiſche Infanterie¬
angriff iſt unwiderſtehlich“, und drittens und letztens
„eine Schlacht iſt nie verloren, ſo lange das Regiment
Garde du Corps nicht angegriffen hat“. Oder natür¬
lich auch das Regiment Gensdarmes. Denn ſie ſind
Geſchwiſter, Zwillingsbrüder. Ich verabſcheue ſolche
Redensarten, und der Tag iſt nahe, wo die Welt die
Hohlheit ſolcher Rodomontaden erkennen wird.“


„Und doch unterſchätzen Sie Schach. Er iſt
immerhin einer unſerer Beſten.“


„Um ſo ſchlimmer.“

[32]

„Einer unſrer Beſten, ſag ich, und wirklich ein
Guter. Er ſpielt nicht blos den Ritterlichen, er iſt
es auch. Natürlich auf ſeine Weiſe. Jedenfalls trägt
er ein ehrliches Geſicht und keine Maske“.


„Alvensleben hat Recht,“ beſtätigte Noſtitz. „Ich
nicht habeviel für ihn übrig, aber das iſt wahr, alles
an ihm iſt echt, auch ſeine ſteife Vornehmheit, ſo lang¬
weilig und ſo beleidigend ich ſie finde. Und darin
unterſcheidet er ſich von uns. Er iſt immer er ſelbſt,
gleichviel ob er in den Salon tritt, oder vorm Spiegel
ſteht, oder beim Zubettegehn ſich ſeine ſaffranfarbenen
Nachthandſchuh anzieht. Sander, der ihn nicht liebt
ſoll entſcheiden und das letzte Wort über ihn haben.“


„Es iſt keine drei Tage,“ hob dieſer an, „daß ich
in der Haude und Spenerſchen geleſen, der Kaiſer
von Braſilien habe den Heiligen Antonius zum Obriſt¬
lieutenant befördert und ſeinen Kriegsminiſter an¬
gewieſen, beſagtem Heiligen die Löhnung bis auf
Weiteres gut zu ſchreiben. Welche Gutſchreibung mir
einen noch größeren Eindruck gemacht hat, als die
Beförderung. Aber gleichviel. In Tagen derartiger
Ernennungen und Beförderungen, wird es nicht auf¬
fallen, wenn ich die Gefühle dieſer Stunde, zugleich
aber den von mir geforderten Entſcheid und Richter¬
ſpruch, in die Worte zuſammenfaſſe: Seine Majeſtät
der Rittmeiſter von Schach, er lebe hoch.“


„O, vorzüglich Sander,“ ſagte Bülow, „damit
[33] haben Sies getroffen. Die ganze Lächerlichkeit auf
einen Schlag. Der kleine Mann in den großen
Stiefeln! Aber meinetwegen, er lebe!“


„Da haben wir denn zum Überfluß auch noch
die Sprache von „Sr. Majeſtät getreuſter Oppoſition,“
antwortete Sander, und erhob ſich. „Und nun Fritz,
die Rechnung. Erlauben die Herren, daß ich das
Geſchäftliche arrangiere.“


„In beſten Händen,“ ſagte Noſtitz.


Und fünf Minuten ſpäter traten alle wieder ins
Freie. Der Staub wirbelte vom Thor her die Linden
herauf, augenſcheinlich war ein ſtarkes Gewitter im
Anzug, und die erſten großen Tropfen fielen bereits.


„Hâtez-vous.‟


Und Jeder folgte der Weiſung und mühte ſich,
ſo raſch wie möglich und auf nächſtem Wege ſeine
Wohnung zu erreichen.


3
[[34]]

4. Kapitel.
In Tempelhof.

Der nächſte Morgen ſah Frau von Carayon
und Tochter in demſelben Eckzimmer, in
dem ſie den Abend vorher ihre Freunde
bei ſich empfangen hatten. Beide liebten das
Zimmer, und gaben ihm auf Koſten aller andern
den Vorzug. Es hatte drei hohe Fenſter, von
denen die beiden unter einander im rechten Winkel
ſtehenden auf die Behren- und Charlottenſtraße
ſahen, während das dritte, thürartige, das ganze,
breit abgeſtumpfte Eck einnahm, und auf einen
mit einem vergoldeten Rokoko-Gitter eingefaßten Balkon
hinausführte. Sobald es die Jahreszeit erlaubte,
ſtand dieſe Balkonthür offen, und geſtattete, von beinah
jeder Stelle des Zimmers aus, einen Blick auf das
[35] benachbarte Straßentreiben, das, der ariſtokratiſchen
Gegend unerachtet, zu mancher Zeit ein beſonders
belebtes war, am meiſten um die Zeit der Frühjahrs¬
paraden, wo nicht blos die berühmten alten Infanterie¬
regimenter der Berliner Garniſon, ſondern, was für
die Carayons wichtiger war, auch die Regimenter
der Garde du Corps und Gensdarmes unter dem
Klang ihrer ſilbernen Trompeten an dem Hauſe
vorüberzogen. Bei ſolcher Gelegenheit (wo ſich dann
ſelbſtverſtändlich die Augen der Herrn Offiziers zu
dem Balkon hinaufrichteten) hatte das Eckzimmer erſt
ſeinen eigentlichen Werth, und hätte gegen kein anderes
vertauſcht werden können.


Aber es war auch an ſtillen Tagen ein reizendes
Zimmer, vornehm und gemütlich zugleich. Hier lag
der türkiſche Teppich, der noch die glänzenden, faſt
ein halbes Menſchenalter zurückliegenden Petersburger
Tage des Hauſes Carayon geſehen hatte, hier ſtand
die malachitne Stutzuhr, ein Geſchenk der Kaiſerin
Katharina, und hier paradierte vor allem auch der
große, reich vergoldete Trumeau, der der ſchönen Frau
täglich aufs Neue verſichern mußte, daß ſie noch eine
ſchöne Frau ſei. Victoire ließ zwar keine Gelegenheit
vorübergehn, die Mutter über dieſen wichtigen Punkt
zu beruhigen, aber Frau von Carayon war doch klug
genug, es ſich jeden Morgen durch ihr von ihr ſelbſt
zu kontrolierendes Spiegelbild neu beſtätigen zu laſſen.
3*[36] Ob ihr Blick in ſolchem Momente zu dem Bilde des
mit einem roten Ordensband in ganzer Figur über
dem Sopha hängenden Herrn v. Carayon hinüber¬
glitt, oder ob ſich ihr ein ſtattlicheres Bild vor die
Seele ſtellte, war für Niemanden zweifelhaft, der die
häuslichen Verhältniſſe nur einigermaßen kannte. Denn
Herr v. Carayon war ein kleiner, ſchwarzer Kolonie¬
franzoſe geweſen, der außer einigen in der Nähe von
Bordeaux lebenden vornehmen Carayons und einer
ihn mit Stolz erfüllenden Zugehörigkeit zur Legation,
nichts Erhebliches in die Ehe mitgebracht hatte. Am
wenigſten aber männliche Schönheit.


Es ſchlug elf, erſt draußen, dann in dem Eck¬
zimmer, in welchem beide Damen an einem Tapiſſerie¬
rahmen beſchäftigt waren. Die Balkonthür war weit
auf, denn trotz des Regens, der bis an den Morgen
gedauert hatte, ſtand die Sonne ſchon wieder hell am
Himmel und erzeugte ſo ziemlich dieſelbe Schwüle,
die ſchon den Tag vorher geherrſcht hatte. Victoire
blickte von ihrer Arbeit auf und erkannte den Schach'ſchen
kleinen Groom, der mit Stulpenſtiefeln und zwei
Farben am Hut, von denen ſie zu ſagen liebte, daß
es die Schach'ſchen „Landesfarben“ ſeien, die Charlotten¬
ſtraße heraufkam.


„O ſieh nur,“ ſagte Victoire „da kommt Schachs
kleiner Ned. Und wie wichtig er wieder thut! Aber
[37] er wird auch zu ſehr verwöhnt, und immer mehr
eine Puppe. Was er nur bringen mag?“


Ihre Neugier ſollte nicht lange unbefriedigt bleiben.
Schon einen Augenblick ſpäter hörten beide die Klingel
gehn, und ein alter Diener in Gamaſchen, der noch
die vornehmen Petersburger Tage miterlebt hatte, trat
ein, um auf einem ſilbernen Tellerchen ein Billet zu
überreichen. Victoire nahm es. Es war an Frau
von Carayon adreſſiert.


„An Dich Mama.“


„Lies nur,“ ſagte dieſe.


„Nein, Du ſelbſt; ich hab eine Scheu vor Ge¬
heimniſſen.“


„Närrin,“ lachte die Mutter und erbrach das
Billet und las: „Meine gnädigſte Frau. Der Regen
der vorigen Nacht hat nicht nur die Wege gebeſſert,
ſondern auch die Luft. Alles in allem ein ſo ſchöner
Tag, wie ſie der April uns Hyperboreern nur ſelten
gewährt. Ich werde 4 Uhr mit meinem Wagen vor
Ihrer Wohnung halten, um Sie und Fräulein Victoire
zu einer Spazierfahrt abzuholen. Über das Ziel
erwarte ich Ihre Befehle. Wiſſen Sie doch wie glücklich
ich bin, Ihnen gehorchen zu können. Bitte Beſcheid
durch den Überbringer. Er iſt gerade firm genug im
Deutſchen, um ein „ja“ oder „nein“ nicht zu ver¬
wechſeln. Unter Gruß und Empfehlungen an meine
[38] liebe Freundin Victoire (die zu größerer Sicherheit
vielleicht eine Zeile ſchreibt) Ihr Schach.“


„Nun, Victoire, was laſſen wir ſagen . . ?“


„Aber Du kannſt doch nicht ernſthaft fragen
Mama?“


„Nun denn alſo ,ja‘.“


Victoire hatte ſich mittlerweile bereits an den
Schreibtiſch geſetzt, und ihre Feder kritzelte: „Herzlichſt
acceptiert, trotzdem die Ziele vorläufig im Dunkeln
bleiben. Aber iſt der Entſcheidungsmoment erſt da,
ſo wird er uns auch das Richtige wählen laſſen.“


Frau von Carayon las über Victoires Schulter
fort. „Es klingt ſo vieldeutig,“ ſagte ſie.


„So will ich ein bloßes Ja ſchreiben, und Du
kontraſignierſt.“


„Nein; laß es nur.“


Und Victoire ſchloß das Blatt, und gab es dem
draußen wartendem Groom.


Als ſie vom Flur her in das Zimmer zurück¬
kehrte, fand ſie die Mama nachdenklich. „Ich liebe
ſolche Pikanterien nicht, und am wenigſten ſolche
Rätſelſätze.“


„Du dürfteſt ſie auch nicht ſchreiben. Aber ich?
Ich darf alles. Und nun höre mich. Es muß etwas
geſchehen, Mama. Die Leute reden ſo viel, auch
ſchon zu mir, und da Schach immer noch ſchweigt
[39] und Du nicht ſprechen darfſt, ſo muß ich es thun
ſtatt Eurer und Euch verheiraten. Alles in der Welt
kehrt ſich einmal um. Sonſt verheiraten Mütter ihre
Tochter, hier liegt es anders, und ich verheirate Dich.
Er liebt Dich und Du liebſt ihn. In den Jahren
ſeid ihr gleich, und ihr werdet das ſchönſte Paar ſein,
das ſeit Menſchengedenken im fränzöſiſchen Dom oder
in der Dreifaltigkeitskirche getraut wurde. Du ſiehſt,
ich laſſe Dir wenigſtens hinſichtlich der Prediger und
der Kirche die Wahl; mehr kann ich nicht thun in
dieſer Sache. Daß Du mich mit in die Ehe bringſt,
iſt nicht gut, aber auch nicht ſchlimm. Wo viel Licht
iſt, iſt viel Schatten.“


Frau von Carayons Auge wurde feucht. „Ach
meine ſüße Victoire, Du ſiehſt es anders, als es
liegt. Ich will Dich nicht mit Bekenntniſſen über¬
raſchen, und in bloßen Andeutungen zu ſprechen, wie
Du gelegentlich liebſt, widerſtreitet mir. Ich mag
auch nicht philoſophieren. Aber das laß Dir ſagen,
es liegt alles vorgezeichnet in uns, und was Urſach
ſcheint, iſt meiſt ſchon wieder Wirkung und Folge.
Glaube mir, Deine kleine Hand wird das Band
nicht knüpfen, das Du knüpfen möchteſt. Es geht
nicht, es kann nicht ſein. Ich weiß es beſſer. Und
warum auch? Zuletzt lieb' ich doch eigentlich nur Dich.“


Ihr Geſpräch wurde durch das Erſcheinen einer
alten Dame, Schweſter des verſtorbenen Herrn
[40] von Carayon, unterbrochen, die jeden Dienſtag ein für
allemal zu Mittag geladen war, und unter „zu Mit¬
tag“ pünktlicherweiſe zwölf Uhr verſtand, trotzdem
ſie wußte, daß bei den Carayons erſt um drei Uhr
gegeſſen wurde. Tante Marguerite, das war ihr
Name, war noch eine echte Koloniefranzöſin, d. h.
eine alte Dame, die das damalige, ſich faſt ausſchlie߬
lich im Dativ bewegende Berliniſch mit geprüntem
Munde ſprach, das ü dem i vorzog, entweder „Kür¬
ſchen“ aß, oder in die „Kürche“ ging, und ihre Rede
ſelbſtverſtändlich mit franzöſiſchen Einſchiebſeln und
Anredefloskeln garnierte. Sauber und altmodiſch
gekleidet, trug ſie Sommer und Winter denſelben
kleinen Seidenmantel, und hatte jene halbe Verwach¬
ſenheit, die damals bei den alten Koloniedamen ſo
allgemein war, daß Victoire einmal als Kind ge¬
fragt hatte: „Wie kommt es nur, liebe Mama, daß
faſt alle Tanten ſo ,ich weiß nicht wie‘ ſind?“ Und
dabei hatte ſie eine hohe Schulter gemacht. Zu dem
Seidenmantel Tante Margueritens gehörten auch
noch ein Paar ſeidene Handſchuhe, die ſie ganz be¬
ſonders in Ehren hielt, und immer erſt auf dem
oberſten Treppenabſatz anzog. Ihre Mitteilungen,
an denen ſies nie fehlen ließ, entbehrten all und
jedes Intereſſes, am meiſten aber dann, wenn ſie,
was ſie ſehr liebte, von hohen und höchſten Perſonen
ſprach. Ihre Spezialität waren die kleinen Prin¬
[41] zeſſinnen der königlichen Familie: la petite princesse
Charlotte, et la petite princesse Alexandrine
, die
ſie gelegentlich in den Zimmern einer ihr befreundeten
franzöſiſchen Erzieherin ſah, und mit denen ſie ſich
derartig liiert fühlte, daß, als eines Tages die Bran¬
denburger Thorwache beim Vorüberfahren von la
princesse Alexandrine
verſäumt hatte, rechtzeitig
ins Gewehr zu treten und die Trommel zu rühren,
ſie nicht nur das allgemeine Gefühl der Empörung
teilte, ſondern das Ereignis überhaupt anſah, als ob
Berlin ein Erdbeben gehabt habe.


Das war das Tantchen, das eben eintrat.


Frau von Carayon ging ihr entgegen und hieß
ſie herzlich willkommen, herzlicher als ſonſt wohl,
und das einfach deshalb, weil durch ihr Erſcheinen
ein Geſpräch unterbrochen worden war, das ſelbſt
fallen zu laſſen, ſie nicht mehr die Kraft gehabt hatte.
Tante Marguerite fühlte ſofort heraus, wie günſtig
heute die Dinge für ſie lagen, und begann denn auch
in demſelben Augenblicke, wo ſie ſich geſetzt und die
Seidenhandſchuh in ihren Pompadour geſteckt hatte,
ſich dem hohen Adel königlicher Reſidenzien zuzuwen¬
den, diesmal mit Umgehung der „Allerhöchſten Herr¬
ſchaften“. Ihre Mitteilungen aus der Adelsſphäre waren
ihren Hofanekdoten in der Regel weit vorzuziehn,
und hätten ein für allemal paſſieren können, wenn
ſie nicht die Schwäche gehabt hätte, die doch immer¬
[42] hin wichtige Perſonalfrage mit einer äußerſten Ge¬
ringſchätzung zu behandeln. Mit andern Worten,
ſie verwechſelte beſtändig die Namen, und wenn ſie
von einer Escapade der Baronin Stieglitz erzählte,
ſo durfte man ſicher ſein, daß ſie die Gräfin Taube
gemeint hatte. Solche Neuigkeiten eröffneten denn
auch das heutige Geſpräch, Neuigkeiten, unter denen
die, „daß der Rittmeiſter von Schenk vom Regiment
Garde du Corps der Prinzeſſin von Croy eine Sere¬
nade gebracht habe“ die weitaus wichtigſte war, ganz
beſonders als ſich nach einigem Hin- und Herfragen
herausſtellte, daß der Rittmeiſter von Schenk in den
Rittmeiſter von Schach, das Regiment Garde du Corps
in das Regiment Gensdarmes, und die Prinzeſſin
von Croy in die Prinzeſſin von Carolath zu transpo¬
nieren ſei. Solche Richtigſtellungen wurden von
Seiten der Tante jedesmal ohne jede Spur von Ver¬
legenheit entgegengenommen, und ſolche Verlegenheit
kam ihr denn auch heute nicht, als ihr, zum Schluß
ihrer Geſchichte, mitgeteilt wurde, daß der Rittmeiſter
von Schenk alias Schach noch im Laufe dieſes Nach¬
mittags erwartet werde, da man eine Fahrt über
Land mit ihm verabredet habe. Vollkommener Kava¬
lier wie er ſei, werde er ſich ſicherlich freuen, eine
liebe Verwandte des Hauſes an dieſer Ausfahrt mit
teilnehmen zu ſehen. Eine Bemerkung, die von Tante
Marguerite ſehr wohlwollend aufgenommen und von
[43] einem unwillkürlichen Zupfen an ihrem Taftkleide be¬
gleitet wurde.


Um Punkt drei war man zu Tiſche gegangen und
um Punkt vier — l'exactitude est la politesse des
rois
, würde Bülow geſagt haben — erſchien eine zu¬
rückgeſchlagene Halbchaiſe vor der Thür in der Behren¬
ſtraße. Schach, der ſelbſt fuhr, wollte die Zügel dem
Groom geben, beide Carayons aber grüßten ſchon
reiſefertig vom Balkon her, und waren im nächſten
Moment mit einer ganzen Ausſtattung von Tüchern,
Sonnen- und Regenſchirmen unten am Wagenſchlag. Mit
ihnen auch Tante Marguerite, die nunmehr vorgeſtellt
und von Schach mit einer ihm eigentümlichen Miſchung
von Artigkeit und Grandezza begrüßt wurde.


„Und nun das dunkle Ziel, Fräulein Victoire“.


„Nehmen wir Tempelhof,“ ſagte dieſe.


„Gut gewählt. Nur Pardon, es iſt das undunkelſte
Ziel von der Welt. Namentlich heute. Sonne und
wieder Sonne.“


In raſchem Trabe ging es, die Friedrichsſtraße
hinunter, erſt auf das Rondel und das Halleſche
Thor zu, bis der tiefe Sandweg, der zum Kreuzberg
hinaufführte, zu langſamerem Fahren nötigte. Schach
glaubte ſich entſchuldigen zu müſſen, aber Victoire,
die rückwärts ſaß und in halber Wendung bequem
mit ihm ſprechen konnte, war, als echtes Stadtkind,
aufrichtig entzückt über all und jedes, was ſie zu
[44] beiden Seiten des Weges ſah, und wurde nicht müde
Fragen zu ſtellen und ihn durch das Intereſſe, das
ſie zeigte, zu beruhigen. Am meiſten amüſierten ſie
die ſeltſam ausgeſtopften Alt-Weiber-Geſtalten, die
zwiſchen den Sträuchern und Gartenbeeten umher
ſtanden, und entweder eine Strohhutkiepe trugen oder
mit ihren hundert Papilloten im Winde flatterten und
klapperten.


Endlich war man den Abhang hinauf, und über
den feſten Lehmweg hin, der zwiſchen den Pappeln
lief, trabte man jetzt wieder raſcher auf Tempelhof
zu. Neben der Straße ſtiegen Drachen auf, Schwalben
ſchoſſen hin und her, und am Horizonte blitzten die
Kirchthürme der nächſtgelegenen Dörfer.


Tante Marguerite, die, bei dem Winde der ging,
beſtändig bemüht war, ihren kleinen Mantelkragen in
Ordnung zu halten, übernahm es nichtsdeſtoweniger
den Führer zu machen, und ſetzte dabei beide Cara¬
yonſche Damen ebenſo ſehr durch ihre Namensver¬
wechſelungen, wie durch Entdeckung gar nicht vorhan¬
dener Ähnlichkeiten in Erſtaunen.


„Sieh, liebe Victoire, dieſer Wülmersdörfer Kürch¬
thürm! Ähnelt er nicht unſrer Dorotheenſtädtſchen
Kürche?“


Victoire ſchwieg.


„Ich meine nicht um ſeiner Spitze, liebe Victoire,
nein, um ſeinem Corps de Logis.“

[45]

Beide Damen erſchraken. Es geſchah aber was
gewöhnlich geſchieht, das nämlich, daß alles das was
die Näherſtehenden in Verlegenheit bringt, von den
Fernerſtehenden entweder überhört oder aber mit
Gleichgiltigkeit aufgenommen wird. Und nun gar
Schach! Er hatte viel zu lang in der Welt alter
Prinzeſſinnen und Hofdamen gelebt, um noch durch
irgend ein Dummheits- oder Nicht-Bildungszeichen in
ein beſondres Erſtaunen geſetzt werden zu können.
Er lächelte nur, und benutzte das Wort „Dorotheen¬
ſtädtſche Kirche“, das gefallen war, um Frau v. Ca¬
rayon zu fragen „ob ſie ſchon von dem Denkmal
Kenntnis genommen habe, das in ebengenannter Kirche,
ſeitens des hochſeligen Königs ſeinem Sohne dem
Grafen von der Mark errichtet worden ſei?“


Mutter und Tochter verneinten. Tante Marguerite
jedoch, die nicht gerne zugeſtand, etwas nicht zu wiſſen
oder wohl gar nicht geſehen zu haben, bemerkte ganz
ins allgemeine hin: „Ach, der liebe, kleine Prinz.
Daß er ſo früh ſterben mußte. Wie jämmerlich. Und
ähnelte doch ſeiner hochſeligen Frau Mutter um beiden
Augen.“


Einen Augenblick war es, als ob der in ſeinem
Legitimitätsgefühle ſtark verletzte Schach antworten
und den „von ſeiner hochſeligen Mutter“ gebornen
„lieben kleinen Prinzen“ aufs ſchmählichſte dethroni¬
ſieren wollte, raſch aber überſah er die Lächerlichkeit
[46] ſolcher Idee, wies alſo lieber, um doch wenigſtens
etwas zu thun, auf das eben ſichtbar werdende grüne
Kuppeldach des Charlottenburger Schloſſes hin, und
bog im nächſten Augenblick in die große, mit alten
Linden bepflanzte Dorfgaſſe von Tempelhof ein.


Gleich das zweite Haus war ein Gaſthaus. Er
gab dem Groom die Zügel und ſprang ab, um den
Damen beim Ausſteigen behilflich zu ſein. Aber nur
Frau von Carayon und Victoire nahmen die Hilfe
dankbar an, während Tante Marguerite verbindlich
ablehnte „weil ſie gefunden habe, daß man ſich auf
ſeinen eigenen Händen immer am beſten verlaſſen
könne“.


Der ſchöne Tag hatte viele Gäſte hinausgelockt,
und der von einem Staketenzaun eingefaßte Vorplatz
war denn auch an allen ſeinen Tiſchen beſetzt. Das
gab eine kleine Verlegenheit. Als man aber eben
ſchlüſſig geworden war, in dem Hintergarten, unter
einem halboffenen Kegelbahnhäuschen, den Kaffee zu
nehmen, ward einer der Ecktiſche frei, ſo daß man
in Front des Hauſes, mit dem Blick auf die Dorf¬
ſtraße, verbleiben konnte. Das geſchah denn auch, und
es traf ſich, daß es der hübſcheſte Tiſch war. Aus
ſeiner Mitte wuchs ein Ahorn auf und wenn es auch,
ein paar Spitzen abgerechnet, ihm vorläufig noch an
allem Laubſchmucke fehlte, ſo ſaßen doch ſchon die
Vögel in ſeinen Zweigen und zwitſcherten. Und nicht
[47]das blos ſah man; Equipagen hielten in der Mitte der
Dorfſtraße, die Stadtkutſcher plauderten, und Bauern
und Knechte, die mit Pflug und Egge vom Felde herein
kamen, zogen an der Wagenreihe vorüber. Zuletzt
kam eine Heerde, die der Schäferſpitz von rechts und
links her zuſammenhielt, und dazwiſchen hörte man
die Betglocke, die läutete. Denn es war eben die
ſechſte Stunde.


Die Carayons, ſo verwöhnte Stadtkinder ſie
waren, oder vielleicht auch weil fies waren, enthu¬
ſiasmierten ſich über all und jedes, und jubelten, als
Schach einen Abendſpaziergang in die Tempelhofer
Kirche zur Sprache brachte. Sonnenuntergang ſei
die ſchönſte Stunde. Tante Marguerite freilich, die
ſich „vor dem unvernünftigen Viehe“ fürchtete, wäre
lieber am Kaffeetiſche zurückgeblieben, als ihr aber der
zu weiterer Beruhigung herbeigerufene Wirt aufs
eindringlichſte verſichert hatte, „daß ſie ſich um den Bullen
nicht zu fürchten brauche,“ nahm ſie Victoirens Arm
und trat mit dieſer auf die Dorfſtraße hinaus, wäh¬
rend Schach und Frau v. Carayon folgten. Alles,
was noch an dem Staketenzaune ſaß, ſah ihnen nach.


„Es iſt nichts ſo fein geſponnen,“ ſagte Frau
v. Carayon und lachte.


Schach ſah ſie fragend an.


„Ja lieber Freund, ich weiß alles. Und niemand
[48] Geringeres als Tante Marguerite hat uns heute
Mittag davon erzählt.“


„Wovon?“


„Von der Serenade. Die Carolath iſt eine Dame
von Welt, und vor allem eine Fürſtin. Und Sie
wiſſen doch, was Ihnen nachgeſagt wird, ,daß Sie
der garſtigſten princesse vor der ſchönſten bougeoise
den Vorzug geben würden.' Jeder garſtigen Prinzeß
ſag ich. Aber zum Überfluß iſt die Carolath auch
noch ſchön. Un teint de lys et de rose. Sie wer¬
den mich eiferſüchtig machen.“


Schach küßte der ſchönen Frau die Hand. „Tante
Marguerite hat Ihnen richtig berichtet, und Sie ſollen
nun alles hören. Auch das Kleinſte. Denn, wenn
es mir, wie zugeſtanden, eine Freude gewährt, einen
ſolchen Abend unter meinen Erlebniſſen zu haben, ſo
gewährt es mir doch eine noch größere Freude, mit
meiner ſchönen Freundin darüber plaudern zu können.
Ihre Plaiſanterien, die ſo kritiſch und doch zugleich
ſo voll guten Herzens ſind, machen mir erſt alles
lieb und wert. Lächeln Sie nicht. Ach, daß ich Ihnen
alles ſagen könnte. Theure Joſephine, Sie ſind mir
das Ideal einer Frau: klug und doch ohne Gelehr¬
ſamkeit und Dünkel, espritvoll und doch ohne Moc¬
quanterie. Die Huldigungen, die mein Herz dar¬
bringt, gelten nach wie vor nur Ihnen, Ihnen, der
Liebenswürdigſten und Beſten. Und das iſt Ihr höchſter
[49] Reiz, meine teure Freundin, daß Sie nicht einmal
wiſſen, wie gut Sie ſind und welch ſtille Macht Sie
über mich üben.“


Er hatte faſt mit Bewegung geſpochen, und das
Auge der ſchönen Frau leuchtete, während ihre Hand
in der ſeinen zitterte. Raſch aber nahm ſie den
ſcherzhaften Ton wieder auf und ſagte: „Wie gut Sie
zu ſprechen verſtehen. Wiſſen Sie wohl, ſo gut ſpricht
man nur aus der Verſchuldung heraus.“


„Oder aus dem Herzen. Aber laſſen wirs bei
der Verſchuldung, die nach Sühne verlangt. Und zu¬
nächſt nach Beichte. Deshalb kam ich geſtern. Ich
hatte vergeſſen, daß Ihr Empfangsabend war, und
erſchrak faſt, als ich Bülow ſah und dieſen aufgedun¬
ſenen Roturier, den Sander. Wie kommt er nur in
Ihre Geſellſchaft?“


„Er iſt der Schatten Bülows.“


„Ein ſonderbarer Schatten, der dreimal ſchwerer
wiegt als der Gegenſtand, der ihn wirft. Ein wahres
Mammuth. Nur ſeine Frau ſoll ihn noch übertreffen,
weshalb ich neulich ſpöttiſch erzählen hörte, ‚Sander,
wenn er ſeine Brunnenpromenade vorhabe, gehe nur
dreimal um ſeine Frau herum.‘ Und dieſer Mann
Bülows Schatten! Wenn Sie lieber ſagten, ſein Sancho
Panſa . .“


„So nehmen Sie Bülow ſelbſt als Don Quixote?“


„Ja, meine Gnädigſte . . Sie wiſſen, daß es
4[50] mir im allgemeinen widerſteht, zu mediſieren, aber
dies iſt au fond nicht mediſieren, iſt eher Schmeichelei.
Der gute Ritter von La Mancha war ein ehrlicher
Enthuſiaſt, und nun frag ich Sie, teuerſte Freundin,
läßt ſich von Bülow daſſelbe ſagen? Enthuſiaſt! Er
iſt ecxentriſch, nichts weiter, und das Feuer, das in
ihm brennt, iſt einfach das einer infernalen Eigenliebe.“


„Sie verkennen ihn, lieber Schach. Er iſt ver¬
bittert, gewiß; aber ich fürchte, daß er ein Recht hat,
es zu ſein.“


„Wer an krankhafter Überſchätzung leidet, wird
immer tauſend Gründe haben, verbittert zu ſein. Er
zieht von Geſellſchaft zu Geſellſchaft, und predigt die
billigſte der Weisheiten, die Weisheit post festum.
Lächerlich. An allem, was uns das letzte Jahr an
Demütigungen gebracht hat, iſt, wenn man ihn hört,
nicht der Übermut oder die Kraft unſerer Feinde
ſchuld, o nein, dieſer Kraft würde man mit einer
größeren Kraft unſchwer haben begegnen können, wenn
man ſich unſrer Talente, will alſo ſagen, der Talente
Bülows rechtzeitig verſichert hätte. Das unterließ die
Welt, und daran geht ſie zu Grunde. So geht es
endlos weiter. Darum Ulm und darum Auſterlitz.
Alles hätt ein andres Anſehen gewonnen, ſich anders
zugetragen, wenn dieſem korſiſchen Thron- und Kro¬
nenräuber, dieſem Engel der Finſternis, der ſich Bo¬
naparte nennt, die Lichtgeſtalt Bülows auf dem Schlacht¬
[51] feld entgegengetreten wäre. Mir widerwärtig. Ich
haſſe ſolche Fanfaronaden. Er ſpricht von Braun¬
ſchweig und Hohenlohe wie von lächerlichen Größen,
ich aber halte zu dem fridericianiſchen Satze, daß die
Welt nicht ſichrer auf den Schultern des Atlas ruht,
als Preußen auf den Schultern ſeiner Armee.“


Während dieſes Geſpräch zwiſchen Schach und
Frau von Carayon geführt wurde, war das ihnen
voranſchreitende Paar bis an eine Wegſtelle gekommen,
von der aus ein Fußpfad über ein friſch gepflügtes
Ackerfeld hin ſich abzweigte.


„Das iſt die Kürche,“ ſagte das Tantchen und
zeigte mit ihrem Paraſol auf ein neugedecktes Turm¬
dach, deſſen Roth aus allerlei Geſtrüpp und Gezweig
hervorſchimmerte. Victoire beſtätigte, was ſich ohne¬
hin nicht beſtreiten ließ, und wandte ſich gleich danach
nach rückwärts, um die Mama durch eine Kopf- und
Handbewegung zu fragen, ob man den hier abzweigen¬
den Fußpfad einſchlagen wolle? Frau von Carayon
nickte zuſtimmend, und Tante und Nichte ſchritten in
der angedeuteten Richtung weiter. Überall aus dem
braunen Acker ſtiegen Lerchen auf, die hier, noch ehe
die Saat heraus war, ſchon ihr Furchenneſt gebaut
hatten, ganz zuletzt aber kam ein Stück brachliegendes
Feld, das bis an die Kirchhofsmauer lief, und, außer
einer ſpärlichen Grasnarbe, nichts aufwies, als einen
trichterförmigen Tümpel, in dem ein Unkenpaar muſi¬
4*[52] zierte, während der Rand des Tümpels in hohen
Binſen ſtand.


„Sieh, Victoire, das ſind Binſen.“


„Ja, liebe Tante.“


„Kannſt Du Dir denken, ma chère, daß, als ich
jung war, die Binſen als kleine Nachtlichter gebraucht
wurden, und auch wirklich ganz ruhig auf einem
Glaſe ſchwammen, wenn man krank war oder auch
bloß nicht ſchlafen konnte. . .“


„Gewiß,“ ſagte Victoire. „Jetzt nimmt man
Wachsfädchen, die man zerſchneidet, und in ein Karten¬
ſtückchen ſteckt.“


„Ganz recht, mein Engelchen. Aber früher waren
es Binſen, des joncs. Und ſie brannten auch. Und
deshalb erzähl' ich es Dir. Denn ſie müſſen doch
ein natürliches Fett gehabt haben, ich möchte ſagen
etwas Kienenes.“


„Es iſt wohl möglich,“ antwortete Victoire, die
der Tante nie widerſprach, und horchte, während ſie
dies ſagte, nach dem Tümpel hin, in dem das Muſi¬
zieren der Unken immer lauter wurde. Gleich danach
aber ſah ſie, daß ein halberwachſenes Mädchen von der
Kirche her im vollem Lauf auf ſie zukam und mit
einem zottigen weißen Spitz ſich neckte, der bellend
und beißend an der Kleinen empor ſprang. Dabei
warf die Kleine, mitten im Lauf, einen an einem
Strick und einem Klöppel hängenden Kirchenſchlüſſel
[53] in die Luft, und fing ihn ſo geſchickt wieder auf, daß
weder der Schlüſſel noch der Klöppel ihr weh thun
konnte. Zuletzt aber blieb ſie ſtehn und hielt die
linke Hand vor die Augen, weil die niedergehende
Sonne ſie blendete.


„Biſt Du die Küſterstochter?“ fragte Victoire.


„Ja,“ ſagte das Kind.


„Dann bitte, gieb uns den Schlüſſel oder komm
mit uns und ſchließ uns die Kirche wieder auf. Wir
möchten ſie gerne ſehen, wir und die Herrſchaften da.“


„Gerne,“ ſagte das Kind und lief wieder vorauf,
überkletterte die Kirchhofsmauer und verſchwand als¬
bald hinter den Haſelnuß- und Hagebuttenſträuchern,
die hier ſo reichlich ſtanden, daß ſie, trotzdem ſie noch
kahl waren, eine dichte Hecke bildeten.


Das Tantchen und Victoire folgten ihr und
ſtiegen langſam über verfallene Gräber weg, die der
Frühling noch nirgends mit ſeiner Hand berührt
hatte; nirgends zeigte ſich ein Blatt, und nur un¬
mittelbar neben der Kirche war eine ſchattig-feuchte
Stelle wie mit Veilchen überdeckt. Victoire bückte
ſich, um haſtig davon zu pflücken, und als Schach
und Frau von Carayon im nächſten Augenblick den
eigentlichen Hauptweg des Kirchhofes heraufkamen,
ging ihnen Victoire entgegen und gab der Mutter die
Veilchen.


Die Kleine hatte mittlerweile ſchon aufgeſchloſſen
[54] und ſaß wartend auf dem Schwellſtein; als aber
beide Paare heran waren, erhob ſie ſich raſch und
trat, allen vorauf, in die Kirche, deren Chorſtühle
faſt ſo ſchräg ſtanden, wie die Grabkreuze draußen.
Alles wirkte kümmerlich und zerfallen, der eben ſinkende
Sonnenball aber, der hinter den nach Abend zu
gelegenen Fenſtern ſtand, übergoß die Wände mit einem
rötlichen Schimmer und erneuerte, für Augenblicke
wenigſtens, die längſt blind gewordene Vergoldung
der alten Altarheiligen, die hier noch, aus der
katholiſchen Zeit her, ihr Daſein friſteten. Es konnte
nicht ausbleiben, daß das genferiſch reformierte Tantchen
aufrichtig erſchrak, als ſie dieſer „Götzen“ anſichtig
wurde, Schach aber, der unter ſeine Liebhabereien
auch die Genealogie zählte, fragte bei der Kleinen
an, ob nicht vielleicht alte Grabſteine da wären?


„Einer iſt da,“ ſagte die Kleine. „Dieſer hier,“
und wies auf ein abgetretenes aber doch noch deut¬
lich erkennbares Steinbild, das aufrecht in einen
Pfeiler, dicht neben dem Altar, eingemauert war. Es
war erſichtlich ein Reiteroberſt.


„Und wer iſt es?“ fragte Schach.


„Ein Tempelritter,“ erwiderte das Kind „und
hieß der Ritter von Tempelhof. Und dieſen Grab¬
ſtein ließ er ſchon bei Lebzeiten machen, weil er wollte,
daß er ihm ähnlich werden ſollte.“


Hier nickte das Tantchen zuſtimmend, weil das
[55] Ahnlichkeitsbedürfniß des angeblichen Ritters von
Tempelhof eine verwandte Saite in ihrem Herzen traf.


„Und er baute dieſe Kirche,“ fuhr die Kleine
fort „und baute zuletzt auch das Dorf, und nannt es
Tempelhof, weil er ſelber Tempelhof hieß. Und die
Berliner ſagen „Templow“. Aber es iſt falſch.“


All das nahmen die Damen in Andacht hin,
und nur Schach, der neugierig geworden war, fragte
weiter „ob ſie nicht das ein oder andre noch aus
den Lebzeiten des Ritters wiſſe?“


„Nein, aus ſeinen Lebzeiten nicht. Aber nachher.“


Alle horchten auf, am meiſten das ſofort einen
leiſen Gruſel verſpürende Tantchen, die Kleine hin¬
gegen fuhr in ruhigem Tone fort: „Ob es alles
ſo wahr iſt, wie die Leute ſagen, das weiß ich nicht.
Aber der alte Koſſäthe Maltuſch hat es noch mit
erlebt.“


„Aber was denn, Kind?“


„Er lag hier vor dem Altar über hundert Jahre,
bis es ihn ärgerte, daß die Bauern und Einſegnungs¬
kinder immer auf ihm herumſtanden, und ihm das
Geſicht abſchurrten, wenn ſie zum Abendmahl gingen.
Und der alte Maltutſch, der jetzt ins 90ſte geht, hat
mir und meinem Vater erzählt, er hab es noch mit
ſeinen eigenen Ohren gehört, daß es mitunter ſo ge¬
poltert und gerollt hätte, wie wenn es drüben über
Schmargendorf donnert.“

[56]

„Wohl möglich.“


„Aber ſie verſtanden nicht, was das Poltern
und Rollen bedeutete“ fuhr die Kleine fort. „Und
ſo ging es bis das Jahr, wo der ruſſiſche General,
deſſen Namen ich immer vergeſſe, hier auf dem Tempel¬
hofer Felde lag. Da kam einen Sonnabend der
vorige Küſter und wollte die Singezahlen wegwiſchen
und neue für den Sonntag anſchreiben. Und nahm
auch ſchon das Kreideſtück. Aber da ſah er mit einem
Male, daß die Zahlen ſchon weggewiſcht und neue
Geſangbuchzahlen und auch die Zahlen von einem
Bibelſpruch, Kapitel und Vers, mit angeſchrieben
waren. Alles altmodiſch und undeutlich, und nur ſo
grade noch zu leſen. Und als ſie nachſchlugen, da
fanden ſie: ‚Du ſollſt Deinen Todten in Ehren halten
und ihn nicht ſchädigen an ſeinem Antlitz.‘ Und nun
wußten ſie, wer die Zahlen geſchrieben, und nahmen
den Stein auf, und mauerten ihn in dieſen Pfeiler.“

„Ich finde doch,“ ſagte Tante Marguerite, die,
je ſchrecklicher ſie ſich vor Geſpenſtern fürchtete, deſto
lebhafter ihr Vorhandenſein beſtritt, „ich finde doch,
die Regierung ſollte mehr gegen dem Aberglauben
thun.“ Und dabei wandte ſie ſich ängſtlich von dem
unheimlichen Steinbild ab, und ging mit Frau
von Carayon, die, was Geſpenſterfurcht anging, mit
dem Tantchen wetteifern konnte, wieder dem Aus¬
gange zu.


[57]

Schach folgte mit Victoire, der er den Arm ge¬
reicht hatte.


„War es wirklich ein Tempelritter?“ fragte dieſe.
„Meine Tempelritter-Kenntnis beſchränkt ſich freilich
nur auf den einen im ‚Nathan,‘ aber wenn unſre
Bühne die Koſtümfrage nicht zu willkürlich behandelt
hat, ſo müſſen die Tempelritter durchaus anders aus¬
geſehen haben. Hab ich Recht?“


Immer Recht, meine liebe Victoire.“ Und der
Ton dieſer Worte traf ihr Herz und zitterte darin
nach, ohne daß ſich Schach deſſen bewußt geweſen
wäre.


„Wohl. Aber wenn kein Templer, was dann?“
fragte ſie weiter und ſah ihn zutraulich und doch
verlegen an.


„Ein Reiteroberſt aus der Zeit des 30jährigen
Krieges. Oder vielleicht auch erſt aus den Tagen
von Fehrbellin. Ich las ſogar ſeinen Namen: Achim
v. Haake.“


„So halten Sie die ganze Geſchichte für ein
Märchen?“


„Nicht eigentlich das, oder wenigſtens nicht in
allem. Es iſt erwieſen, daß wir Templer in dieſem
Lande hatten, und die Kirche hier mit ihren vor¬
gotiſchen Formen mag ſehr wohl bis in jene Templer¬
tage zurückreichen. So viel iſt glaubhaft.“

[58]

„Ich höre ſo gern von dieſem Orden.“


„Auch ich. Er iſt von der ſtrafenden Hand
Gottes am ſchwerſten heimgeſucht worden und eben
deshalb auch der poetiſchſte und intereſſanteſte. Sie
wiſſen, was ihm vorgeworfen wird: Götzendienſt,
Verleugnung Chriſti, Laſter aller Art. Und ich fürchte
mit Recht. Aber groß wie ſeine Schuld, ſo groß war
auch ſeine Sühne, ganz deſſen zu geſchweigen, daß
auch hier wieder der unſchuldig Überlebende die
Schuld voraufgegangener Geſchlechter zu büßen hatte.
Das Los und Schickſal aller Erſcheinungen, die ſich,
auch da noch wo ſie fehlen und irren, dem Alltäglichen
entziehn. Und ſo ſehen wir denn den ſchuldbeladenen
Orden, all ſeiner Unrühmlichkeiten unerachtet, ſchließlich
in einem wiedergewonnenen Glorienſchein zu Grunde
gehen. Es war der Neid, der ihn tötete, der Neid
und der Eigennutz, und ſchuldig oder nicht, mich über¬
wältigt ſeine Größe.“


Victoire lächelte. „Wer ſie ſo hörte, lieber
Schach, könnte meinen, einen nachgebornen Templer
in Ihnen zu ſehen. Und doch war es ein mönchiſcher
Orden, und mönchiſch war auch ſein Gelübde. Hätten
Sies vermocht als Templer zu leben und zu ſterben?“


„Ja.“


„Vielleicht verlockt durch das Kleid, das noch
kleidſamer war, als die Supra-Weſte der Gensdarmes.“


„Nicht durch das Kleid, Victoire. Sie verkennen
[59] mich. Glauben Sie mir, es lebt etwas in mir, das
mich vor keinem Gelübde zurückſchrecken läßt.“


„Um es zu halten?“


Aber eh er noch antworten konnte, fuhr ſie raſch
in wieder ſcherzhafter werdendem Tone fort: „Ich
glaube Philipp le Bel hat den Orden auf dem Ge¬
wiſſen. Sonderbar, daß alle hiſtoriſchen Perſonen,
die den Beinamen des ‚Schönen‘ führen, mir un¬
ſympathiſch ſind. Und ich hoffe, nicht aus Neid. Aber
die Schönheit, das muß wahr ſein, macht ſelbſtiſch,
und wer ſelbſtiſch iſt, iſt undankbar und treulos.“


Schach ſuchte zu widerlegen. Er wußte, daß
ſich Victoirens Worte, ſo ſehr ſie Piquanterien und
Andeutungen liebte, ganz unmöglich gegen ihn ge¬
richtet haben konnten. Und darin traf ers auch. Es
war alles nur jeu d'esprit, eine Nachgiebigkeit
gegen ihren Hang zu philoſophieren. Und doch, alles
was ſie geſagt hatte, ſo gewiß es abſichtslos geſagt
worden war, ſo gewiß war es doch auch aus einer
dunklen Ahnung heraus geſprochen worden.


Als ihr Streit ſchwieg, hatte man den Dorf¬
eingang erreicht, und Schach hielt, um auf Frau
von Carayon und Tante Marguerite, die ſich beide
verſäumt hatten, zu warten.


Als ſie heran waren, bot er der Frau von Carayon
den Arm, und führte dieſe bis an das Gaſthaus
zurück.


[60]

Victoire ſah ihnen betroffen nach, und ſann nach
über den Tauſch, den Schach mit keinem Worte der
Entſchuldigung begleitet hatte. „Was war das?“ Und
ſie verfärbte ſich, als ſie ſich, aus einem plötzlichen
Argwohn heraus, die ſelbſtgeſtellte Frage beant¬
wortet hatte.


Von einem Wiederplatznehmen vor dem Gaſt¬
hauſe war keine Rede mehr, und man gab es um ſo
leichter und lieber auf, als es inzwiſchen kühl ge¬
worden und der Wind, der den ganzen Tag über
geweht hatte, nach Nordweſten hin umgeſprungen war.


Tante Marguerite bat ſich den Rückſitz aus, „um
nicht gegen dem Winde zu fahren.“


Niemand widerſprach. So nahm ſie denn den
erbetenen Platz, und während jeder in Schweigen
überdachte, was ihm der Nachmittag gebracht hatte,
ging es in immer raſcherer Fahrt wieder auf die
Stadt zurück.


Dieſe lage ſchon in Dämmer als man bis an
den Abhang der Kreuzberghöhe gekommen war und
nur die beiden Gensdarmentürme ragten noch mit
ihren Kuppeln aus dem graublauen Nebel empor.

[[61]]

5. Kapitel.
Victoire v. Carayon an Liſette
v. Verbandt.

Berlin, den 3. Ma chère Lisette.


Wie froh war ich, endlich von Dir
zu hören, und ſo Gutes. Nicht als ob
ich es anders erwartet hätte; wenige Männer hab
ich kennen gelernt, die mir ſo ganz eine Garantie des
Glückes zu bieten ſcheinen, wie der Deinige. Geſund,
wohlwollend, anſpruchslos, und von jenem ſchönen
Wiſſens- und Bildungsmaß, das ein gleich gefährliches
Zuviel und Zuwenig vermeidet. Wobei ein „Zuviel“
das vielleicht noch gefährlichere iſt. Denn junge Frauen
ſind nur zu geneigt, die Forderung zu ſtellen „Du
ſollſt keine andren Götter haben neben mir.“ Ich
ſehe das beinah täglich bei Rombergs, und Marie
weiß es ihrem klugen und liebenswürdigen Gatten
[62] wenig Dank, daß er über Politik und franzöſiſche
Zeitungen die Viſiten und Toiletten vergißt.


Was mir allein eine Sorge machte, war Deine
neue maſuriſche Heimat, ein Stück Land, das ich mir
immer als einen einzigen großen Wald mit hundert
Seen und Sümpfen vorgeſtellt habe. Da dacht ich
denn, dieſe neue Heimat könne Dich leicht in ein
melancholiſches Träumen verſetzen, das dann immer
der Anfang zu Heimweh oder wohl gar zu Trauer
und Thränen iſt. Und davor, ſo hab ich mir ſagen
laſſen, erſchrecken die Männer. Aber ich ſehe zu
meiner herzlichen Freude, daß Du auch dieſer Ge¬
fahr entgangen biſt, und daß die Birken, die Dein
Schloß umſtehn, grüne Pfingſtmaien und keine
Trauerbirken ſind. A propos über das Birkenwaſſer
mußt Du mir gelegentlich ſchreiben. Es gehört zu
den Dingen, die mich immer neugierig gemacht haben,
und die kennen zu lernen mir bis dieſen Augenblick
verſagt geblieben iſt.


Und nun ſoll ich Dir über uns berichten. Du
frägſt teilnehmend nach all und jedem, und verlangſt
ſogar von Tante Margueritens neueſter Prinzeſſin
und neueſter Namensverwechslung zu hören. Ich
könnte Dir gerade davon erzählen, denn es ſind
keine drei Tage, daß wir (wenigſtens von dieſen Ver¬
wechslungen) ein gerüttelt und geſchüttelt Maß gehabt
haben.


[63]

Es war auf einer Spazierfahrt, die Herr
von Schach mit uns machte, nach Tempelhof, und zu
der auch das Tantchen aufgefordert werden mußte,
weil es ihr Tag war. Du weißt, daß wir ſie jeden
Dienſtag als Gaſt in unſrem Hauſe ſehn. Sie war
denn auch mit uns in der „Kürche“, wo ſie, beim
Anblick einiger Heiligenbilder aus der katholiſchen
Zeit her, nicht nur beſtändig auf Ausrottung des
Aberglaubens drang, ſondern ſich mit eben dieſem
Anliegen auch regelmäßig an Schach wandte, wie
wenn dieſer im Konſiſtorium ſäße. Und da leg ich
denn (weil ich nun mal die Tugend oder Untugend
habe, mir alles gleich leibhaftig vorzuſtellen) während
des Schreibens die Feder hin, um mich erſt herzlich
auszulachen. Au fond freilich iſt es viel weniger
lächerlich, als es im erſten Augenblick erſcheint. Er
hat etwas konſiſtorialrätlich Feierliches, und wenn
mich nicht alles täuſcht, ſo iſt es gerade dies Feier¬
liche, was Bülow ſo ſehr gegen ihn einnimmt. Viel,
viel mehr als der Unterſchied der Meinungen.


Und beinah klingt es, als ob ich mich in meiner
Schilderung Bülow anſchlöſſe. Wirklich, wüßteſt Dus
nicht beſſer, Du würdeſt dieſer Charakteriſtik unſres
Freundes nicht entnehmen können, wie ſehr ich ihn
ſchätze. Ja, mehr denn je, trotzdem es an manchem
Schmerzlichen nicht fehlt. Aber in meiner Lage lernt
man milde ſein, ſich tröſten, verzeihn. Hätt ich es
[64]nicht gelernt, wie könnt ich leben, ich, die ich ſo
gern lebe! Eine Schwäche, die (wie ich einmal ge¬
leſen) alle diejenigen haben ſollen, von denen man es
am wenigſten begreift.


Aber ich ſprach von manchem Schmerzlichen, und
es drängt mich, Dir davon zu erzählen.


Es war erſt geſtern auf unſrer Spazierfahrt.
Als wir den Gang aus dem Dorf in die Kirche
machten, führte Schach Mama. Nicht zufällig, es war
arrangiert, und zwar durch mich. Ich ließ beide
zurück, weil ich eine Ausſprache (Du weißt welche)
zwiſchen beiden herbeiführen wollte. Solche ſtillen
Abende, wo man über Feld ſchreitet, und nichts hört
als das Anſchlagen der Abendglocke, heben uns über
kleine Rückſichten fort und machen uns freier. Und
ſind wir erſt das, ſo findet ſich auch das rechte
Wort. Was zwiſchen ihnen geſprochen wurde, weiß
ich nicht, jedenfalls nicht das, was geſprochen werden
ſollte. Zuletzt traten wir in die Kirche, die vom
Abendrot wie durchglüht war, alles gewann Leben,
und es war unvergeßlich ſchön. Auf dem Heimwege
tauſchte Schach, und führte mich. Er ſprach ſehr
anziehend, und in einem Tone, der mir ebenſo wohl¬
that, als er mich überraſchte. Jedes Wort iſt mir
noch in der Erinnerung geblieben, und giebt mir zu
denken. Aber was geſchah? Als wir wieder am
Eingange des Dorfes waren, wurd er ſchweigſamer,
[65] und wartete auf die Mama. Dann bot er ihr den
Arm, und ſo gingen ſie durch das Dorf nach dem
Gaſthauſe zurück, wo die Wagen hielten und viele
Leute verſammelt waren. Es gab mir einen Stich
durchs Herz, denn ich konnte mich des Gedankens
nicht erwehren, daß es ihm peinlich geweſen ſei, mit
mir und an meinem Arm unter den Gäſten zu er¬
ſcheinen. In ſeiner Eitelkeit, von der ich ihn nicht
freiſprechen kann, iſt es ihm unmöglich, ſich über das
Gerede der Leute hinwegzuſetzen, und ein ſpöttiſches
Lächeln verſtimmt ihn auf eine Woche. So ſelbſt¬
bewußt er iſt, ſo ſchwach und abhängig iſt er in dieſem
einen Punkte. Vor niemandem in der Welt, auch
vor der Mama nicht, würd ich ein ſolches Bekennt¬
nis ablegen, aber Dir gegenüber mußt ich es. Hab
ich Unrecht, ſo ſage mir, daß mein Unglück mich mi߬
trauiſch gemacht habe, ſo halte mir eine Strafpredigt
in allerſtrengſten Worten, und ſei verſichert, daß ich
ſie mit dankbarem Auge leſen werde. Denn all ſeiner
Eitelkeit unerachtet, ſchätz ich ihn wie keinen andern.
Es iſt ein Satz, daß Männer nicht eitel ſein dürfen,
weil Eitelkeit lächerlich mache. Mir ſcheint dies über¬
trieben. Iſt aber der Satz dennoch richtig, ſo be¬
deutet Schach eine Ausnahme. Ich haſſe das Wort
„ritterlich“ und habe doch kein anderes für ihn. Eines
iſt er vielleicht noch mehr, diskret, imponierend, oder doch
voll natürlichen Anſehns, und ſollte ſich mir das erfüllen,
5[66] was ich um der Mama und auch um meinetwillen
wünſche, ſo würd es mir nicht ſchwer werden, mich
in eine Reſpektsſtellung zu ihm hinein zu finden.


Und dazu noch eins. Du haſt ihn nie für ſehr
geſcheidt gehalten, und ich meinerſeits habe nur ſchüchtern
widerſprochen. Er hat aber doch die beſte Geſcheit¬
heit, die mittlere, dazu die des redlichen Mannes. Ich
empfinde dies jedesmal, wenn er ſeine Fehde mit
Bülow führt. So ſehr ihm dieſer überlegen iſt, ſo
ſehr ſteht er doch hinter ihm zurück. Dabei fällt mir
mitunter auf, wie der Groll, der ſich in unſerm
Freunde regt, ihm eine gewiſſe Schlagfertigkeit, ja,
ſelbſt Esprit verleiht. Geſtern hat er Sander, deſſen
Perſönlichkeit Du kennſt, den Bülowſchen Sancho
Panſa genannt. Die weiteren Schlußfolgerungen er¬
geben ſich von ſelbſt, und ich find es nicht übel.


Sanders Publikationen machen mehr von ſich
reden, denn je; die Zeit unterſtützt das Intereſſe für
eine lediglich polemiſche Litteratur. Außer von Bülow
ſind auch Aufſätze von Maſſenbach und Phull er¬
ſchienen, die von den Eingeweihten als etwas Beſonderes
und nie Dageweſenes ausgeprieſen werden. Alles
richtet ſich gegen Öſterreich, und beweiſt aufs neue,
daß wer den Schaden hat, für den Spott nicht ſorgen
darf. Schach iſt empört über dies anmaßliche Beſſer¬
wiſſen, wie ers nennt, und wendet ſich wieder ſeinen
alten Liebhabereien zu, Kupferſtichen und Rennpferden.
[67] Sein kleiner Groom wird immer kleiner. Was bei
den Chineſinnen die kleinen Füße ſind, ſind bei den
Grooms die kleinen Proportionen überhaupt. Ich
meinerſeits verhalte mich ablehnend gegen beide, ganz
beſonders aber gegen die chineſiſch eingeſchnürten Füßchen,
und bin umgekehrt froh, in einem bequemen Pantoffel
zu ſtecken. Führen, ſchwingen werd ich ihn nie; das
überlaſſ ich meiner teuren Liſette. Thu es mit der
Milde, die Dir eigen iſt. Empfiehl mich Deinem
teuren Manne, der nur den einen Fehler hat, Dich mir
entführt zu haben. Mama grüßt und küßt ihren
Liebling, ich aber lege Dir den Wunſch ans Herz,
vergiß in der Fülle des Glücks, die Dir zu Teil
wurde, nicht ganz Deine, wie Du weißt auf ein
bloßes Pflichtteil des Glückes geſetzte Victoire.


5*
[[68]]

6. Kapitel.
Bei Prinz Louis.

An demſelben Abend, an dem Victoire von Ca¬
rayon ihren Brief an Liſette von Perbandt
ſchrieb, empfing Schach in ſeiner in der
Wilhelmſtraße gelegenen Wohnung ein Einladungs¬
billet von der Hand des Prinzen Louis.


Es lautete:


„Lieber Schach. Ich bin erſt ſeit drei Tagen hier
im Moabiter Land und dürſte bereits nach Beſuch und
Geſpräch. Eine Viertelmeile von der Hauptſtadt, hat
man ſchon die Hauptſtadt nicht mehr und verlangt
nach ihr. Darf ich für morgen auf Sie rechnen?
Bülow und ſein verlegeriſcher Anhang haben zugeſagt,
auch Maſſenbach und Phull. Alſo lauter Oppoſition,
die mich erquickt, auch wenn ich ſie bekämpfe. Von
[69] Ihrem Regiment werden Sie noch Noſtitz und
Alvensleben treffen. Im Interimsrock und um 5 Uhr.
Ihr Louis, Prinz v. Pr.“


Um die feſtgeſetzte Stunde fuhr Schach, nachdem
er Alvensleben und Noſtitz abgeholt hatte, vor der
prinzlichen Villa vor. Dieſe lag am rechten Flußufer,
umgeben von Wieſen und Werftweiden, und hatte die
Front, über die Spree fort, auf die Weſtliſière des
Tiergartens. Anfahrt und Aufgang waren von der
Rückſeite her. Eine breite, mit Teppich belegte Treppe
führte bis auf ein Podium und von dieſem auf einen
Vorflur, auf dem die Gäſte vom Prinzen empfangen
wurden. Bülow und Sander waren bereits da, Maſſen¬
bach und Phull dagegen hatten ſich entſchuldigen laſſen.
Schach war es zufrieden, fand ſchon Bülow mehr als
genug, und trug kein Verlangen die Zahl der Genia¬
litätsleute verſtärkt zu ſehen. Es war heller Tag
noch, aber in dem Speiſeſaal, in den ſie von dem
Veſtibul aus eintraten, brannten bereits die Lichter
und waren (übrigens bei offenſtehenden Fenſtern) die
Jalouſien geſchloſſen. Zu dieſem künſtlich hergeſtellten
Licht, in das ſich von außen her ein Tagesſchimmer
miſchte, ſtimmte das Feuer, in dem in der Mitte des
Saales befindlichen Kamine. Vor eben dieſem, ihm
den Rücken zukehrend, ſaß der Prinz, und ſah, zwiſchen
den offenſtehenden Jalouſiebrettchen hindurch, auf die
Bäume des Tiergartens.


[70]

„Ich bitte fürlieb zu nehmen,“ begann er, als die
Tafelrunde ſich arrangiert hatte. „Wir ſind hier auf
dem Lande; das muß als Entſchuldigung dienen, für
alles was fehlt. ,A la guerre, comme à la guerre.‘
Maſſenbach, unſer Gourmé, muß übrigens etwas der¬
art geahnt, reſpektive gefürchtet haben. Was mich
auch nicht überraſchen würde. Heißt es doch, lieber
Sander, Ihr guter Tiſch habe mehr noch als Ihr guter
Verlag die Freundſchaft zwiſchen ihnen beſiegelt.“


„Ein Satz, dem ich kaum zu widerſprechen wage,
Königliche Hoheit.“


„Und doch müßten Sies eigentlich. Ihr ganzer
Verlag hat keine Spur von jenem ,laisser passer‘,
das das Vorrecht, ja, die Pflicht aller geſättigten
Leute iſt. Ihre Genies (Pardon, Bülow) ſchreiben
alle wie Hungrige. Meinetwegen. Unſre Paradeleute
geb ich Ihnen Preis, aber daß Sie mir auch die
Öſterreicher ſo ſchlecht behandeln, das mißfällt mir.“


„Bin ich es, Königliche Hoheit? Ich, für meine
Perſon, habe nicht die Prätenſion höherer Strategie.
Nebenher freilich, möcht ich, ſo zu ſagen aus meinem
Verlage heraus, die Frage ſtellen dürfen: „war Ulm
etwas Kluges?“


„Ach, mein lieber Sander, was iſt klug? Wir
Preußen bilden uns beſtändig ein, es zu ſein; und
wiſſen Sie, was Napoleon über unſre vorjährige
thüringiſche Aufſtellung geſagt hat? Noſtitz, wieder¬
[71] holen Sies!.. Er will nicht. Nun, ſo muß ich es
ſelber thun. ,Ah, ces Prussiens‘ hieß es, ‚ils sont
encore plus stupides, que les Autrichiens‘
. Da
haben Sie Kritik über unſere vielgeprieſene Klugheit,
noch dazu Kritik von einer allerberufenſten Seite her.
Und hätt ers damit getroffen, ſo müßten wir uns
ſchließlich zu dem Frieden noch beglückwünſchen, den
uns Haugwitz erſchachert hat. Ja, erſchachert. Er¬
ſchachert, indem er für ein Mitbringſel unſre Ehre
preisgab. Was ſollen wir mit Hannover? Es iſt der
Brocken, an dem der preußiſche Adler erſticken wird.“


„Ich habe zu der Schluck- und Verdauungskraft
unſres preußiſchen Adlers ein beſſeres Vertrauen,“ er¬
widerte Bülow. „Gerade das kann er und verſteht
er von alten Zeiten her. Indeſſen darüber mag
ſich ſtreiten laſſen; worüber ſich aber nicht ſtreiten
läßt, das iſt der Friede, den uns Haugwitz gebracht
hat. Wir brauchen ihn wie das tägliche Brot und
mußten ihn haben, ſo lieb uns unſer Leben iſt. König¬
liche Hoheit haben freilich einen Haß gegen den armen
Haugwitz, der mich inſoweit überraſcht, als dieſer Lom¬
bard, der doch die Seele des Ganzen iſt, von jeher
Gnade vor Eurer Königl. Hoheit Augen gefunden hat.“


„Ah, Lombard! Den Lombard nehm ich nicht
ernſthaft, und ſtell ihm außerdem noch in Rechnung,
daß er ein halber Franzoſe iſt. Dazu hat er eine
Form des Witzes, die mich entwaffnet. Sie wiſſen
[72] doch, ſein Vater war Friſeur und ſeiner Frau Vater
ein Barbier. Und nun kommt eben dieſe Frau,
die nicht nur eitel iſt bis zum Närriſchwerden, ſondern
auch noch ſchlechte franzöſiſche Verſe macht, und
fragt ihn, was ſchöner ſei: ,L'hirondellefrisela
surface des eaux‘
oder ,l'hirondellerasela sur¬
face des eaux?‘ Und was antwortet er? ‚Ich ſehe
keinen Unterſchied, meine Teure; l'hirondellefrise
huldigt meinem Vater und l'hirondellerase dem
Deinigen.‘ In In dieſem Bonmot haben Sie den
ganzen Lombard. Was mich aber perſönlich angeht,
ſo bekenn ich Ihnen offen, daß ich einer ſo witzigen
Selbſtperſiflage nicht widerſtehen kann. Er iſt ein
Poliſſon, kein Charakter.“


„Vielleicht, daß ſich ein Gleiches auch von Haug¬
witz ſagen ließe, zum Guten wie zum Schlimmen.
Und wirklich, ich geb Eurer K. Hoheit den Mann
preis. Aber nicht ſeine Politik. Seine Politik iſt
gut, denn ſie rechnet mit gegebenen Größen. Und
Eure K. Hoheit wiſſen das beſſer als ich. Wie ſteht
es denn in Wahrheit mit unſren Kräften? Wir leben
von der Hand in den Mund und warum? weil der
Staat Friedrichs des Großen nicht ein Land mit einer
Armee, ſondern eine Armee mit einem Lande iſt. Unſer
Land iſt nur Standquartier und Verpflegungsmagazin.
In ſich ſelber entbehrt es aller großen Reſſourcen.
Siegen wir, ſo geht es; aber Kriege führen dürfen nur
[73] ſolche Länder, die Niederlagen ertragen können. Das
können wir nicht. Iſt die Armee hin, ſo iſt alles
hin. Und wie ſchnell eine Armee hin ſein kann, das
hat uns Auſterlitz gezeigt. Ein Hauch kann uns töten,
gerad auch uns. ,Er blies, und die Armada zerſtob
in alle vier Winde.' Afflavit Deus et dissipati
sunt
.“


„Herr v. Bülow,“ unterbrach hier Schach, „möge
mir eine Bemerkung verzeihn. Er wird doch, denk
ich, in dem Höllenbrodem, der jetzt über die Welt
weht, nicht den Odem Gottes erkennen wollen, nicht
den, der die Armada zerblies.“


Doch, Herr v. Schach. Oder glauben Sie
wirklich, daß der Odem Gottes im Spezialdienſte des
Proteſtantismus, oder gar Preußens und ſeiner Armee
ſteht?“


„Ich hoffe, ja.“


„Und ich fürchte, nein.“ Wir haben die ,pro¬
preſte Armee‘, das iſt alles. Aber mit der ,Propre¬
tät‘ gewinnt man keine Schlachten. Erinnern ſich
Königliche Hoheit der Worte des großen Königs, als
General Lehwald ihm ſeine dreimal geſchlagenen Re¬
gimenter in Parade vorführte? ,Propre Leute‘ hieß
es. ,Da ſeh' Er meine. Sehen aus wie die Gras¬
deibel, aber beißen.‘ Ich fürchte, wir haben jetzt
zu viel Lehwaldſche Regimenter und zu wenig alten¬
[74] fritzige. Der Geiſt iſt heraus, alles iſt Dreſſur und
Spielerei geworden. Giebt es doch Offiziere, die, der
bloßen Prallheit und Drallheit halber, ihren Uniform¬
rock direkt auf dem Leibe tragen. Alles Unnatur.
Selbſt das Marſchieren-können, dieſe ganz gewöhnliche
Fähigkeit des Menſchen, die Beine zu ſetzen, iſt uns
in dem ewigen Paradeſchritt verloren gegangen. Und
Marſchieren-können iſt jetzt die erſte Bedingung des
Erfolges. Alle modernen Schlachten ſind mit den
Beinen gewonnen worden.“


„Und mit Gold“ unterbrach hier der Prinz.
„Ihr großer Empereur, lieber Bülow, hat eine Vor¬
liebe für kleine Mittel. Ja, für allerkleinſte. Daß
er lügt, iſt ſicher. Aber er iſt auch ein Meiſter in
der Kunſt der Beſtechung. Und wer hat uns die
Augen darüber geöffnet? Er ſelber. Leſen Sie, was
er unmittelbar vor der Auſterlitzer Bataille ſagte.
,Soldaten‘ hieß es, ‚der Feind wird marſchieren und
unſre Flanke zu gewinnen ſuchen; bei dieſer Marſch¬
bewegung aber wird er die ſeinige preisgeben. Wir
werden uns auf dieſe ſeine Flanke werfen, und ihn ſchla¬
gen und vernichten.‘ Und genau ſo verlief die Schlacht.
Es iſt unmöglich, daß er aus der bloßen Aufſtellung
der Öſterreicher auch ſchon ihren Schlachtplan erraten
haben könnte.“


Man ſchwieg. Da dies Schweigen aber dem
lebhaften Prinzen um vieles peinlicher war als
[75] Widerſpruch, ſo wandt er ſich direkt an Bülow und
ſagte: „Widerlegen Sie mich.“


„Königliche Hoheit befehlen und ſo gehorch ich denn.
Der Kaiſer wußte genau was geſchehen werde, konnt
es wiſſen, weil er ſich die Frage ,was thut hier die
Mittelmäßigkeit‘ in vorausberechnender Weiſe
nicht blos geſtellt, ſondern auch beantwortet hatte.
Die höchſte Dummheit, wie zuzugeſtehen iſt, entzieht ſich
ebenſo der Berechnung wie die höchſte Klugheit, —
das iſt eine von den großen Seiten der echten und
unverfälſchten Stupidität. Aber jene ‚Mittelklugen‘,
die gerade klug genug ſind, um von der Luſt ‚es auch
einmal mit etwas Geiſtreichem zu probieren‘, an¬
gewandelt zu werden, dieſe Mittelklugen ſind allemal
am leichteſten zu berechnen. Und warum? Weil ſie
jederzeit nur die Mode mitmachen und heute kopieren,
was ſie geſtern ſahn. Und das alles wußte der Kaiſer.
Hic haeret. Er hat ſich nie glänzender bewährt, als
in dieſer Auſterlitzer Aktion, auch im Nebenſächlichen
nicht, auch nicht in jenen Impromptus und witzigen
Einfällen auf dem Gebiete des Grauſigen, die ſo recht
eigentlich das Kennzeichen des Genies ſind.“


„Ein Beiſpiel.“


„Eines für hundert. Als das Centrum ſchon
durchbrochen war, hatte ſich ein Teil der ruſſiſchen
Garde, vier Bataillone, nach ebenſo viel gefrornen
Teichen hin zurückgezogen, und eine franzöſiſche
[76] Batterie fuhr auf, um mit Kartätſchen in die
Bataillone hineinzufeuern. In dieſem Augenblick er¬
ſchien der Empereur. Er überblickte ſofort das Be¬
ſondere der Lage. ‚Wozu hier ein ſich Abmühen en
détail
?‘ Und er befahl mit Vollkugeln auf das Eis
zu ſchießen. Eine Minute ſpäter und das Eis barſt
und brach, und alle vier Bataillone gingen en carré
in die moraſtige Tiefe. Solche vom Moment ein¬
gegebenen Blitze hat nur immer das Genie. Die
Ruſſen werden ſich jetzt vornehmen, es bei nächſter
Gelegenheit ebenſo zu machen, aber wenn Kutuſow auf
Eis wartet, wird er plötzlich in Waſſer oder Feuer
ſtecken. Öſterreichiſch-ruſſiſche Tapferkeit in Ehren, nur
nicht ihr Ingenium. Irgendwo heißt es: ‚In meinem
Wolfstorniſter, Regt ſich des Teufels Küſter, Ein
Kobold, heißt ‚Genie‘ — nun, in dem ruſſiſch¬
öſterreichiſchen Torniſter iſt dieſer ‚Kobold und Teufels¬
küſter‘ nie und nimmer zu Hauſe geweſen. Und um
dies Manko zu kaſſieren, bedient man ſich der alten,
elenden Troſtgründe: Beſtechung und Verräterei.
Jedem Beſiegten wird es ſchwer, den Grund ſeiner
Niederlagen an der einzig richtigen Stelle, nämlich
in ſich ſelbſt zu ſuchen, und auch Kaiſer Alexander,
mein ich, verzichtet auf ein ſolches Nachforſchen am
recht eigentlichſten Platz.“


„Und wer wollt ihm darüber zürnen?“ antwortete
Schach. „Er that das ſeine, ja mehr. Als die Höhe
[77] ſchon verloren und doch andrerſeits die Möglichkeit
einer Wiederherſtellung der Schlacht noch nicht ge¬
ſchwunden war, ging er klingenden Spiels an der
Spitze neuer Regimenter vor; ſein Pferd ward ihm
unter dem Leibe erſchoſſen, er beſtieg ein zweites,
und eine halbe Stunde lang ſchwankte die Schlacht.
Wahre Wunder der Tapferkeit wurden verrichtet, und
die Franzoſen ſelbſt haben es in enthuſiaſtiſchen Aus¬
drücken anerkannt.“


Der Prinz, der, bei der vorjährigen Berliner
Anweſenheit des unausgeſetzt als deliciae generis
humani
geprieſenen Kaiſers, keinen allzu günſtigen
Eindruck von ihm empfangen hatte, fand es einiger¬
maßen unbequem, den „liebenswürdigſten der Menſchen“
auch noch zum „heldiſchſten“ erhoben zu ſehen. Er
lächelte deshalb und ſagte: „Seine kaiſerliche Majeſtät
in Ehren, ſo ſcheint es mir doch, lieber Schach, als
ob Sie franzöſiſchen Zeitungsberichten mehr Gewicht
beilegten, als ihnen beizulegen iſt. Die Franzoſen
ſind kluge Leute. Je mehr Rühmens ſie von ihrem
Gegner machen, deſto größer wird ihr eigner Ruhm,
und dabei ſchweig ich noch von allen möglichen
politiſchen Gründen, die jetzt ſicherlich mitſprechen.
‚Man ſoll ſeinem Feinde goldene Brücken bauen‛,
ſagt das Sprichwort, und ſagt es mit Recht, denn,
wer heute mein Feind war, kann morgen mein
Verbündeter ſein. Und in der That, es ſpukt ſchon
[78] dergleichen, ja, wenn ich recht unterrichtet bin, ſo ver¬
handelt man bereits über eine neue Teilung der Welt,
will ſagen über die Wiederherſtellung eines morgen¬
ländiſchen und abendländiſchen Kaiſertums. Aber
laſſen wir Dinge, die noch in der Luft ſchweben, und
erklären wir uns das dem Heldenkaiſer geſpendete
Lob lieber einfach aus dem Rechnungsſatze: ‚wenn
der unterlegene ruſſiſche Mut einen vollen Centner wog,
ſo wog der ſiegreich franzöſiſche natürlich zwei‘“


Schach, der, ſeit Kaiſer Alexanders Beſuch in
Berlin, das Andreaskreuz trug, biß ſich auf die Lippen
und wollte replizieren. Aber Bülow kam ihm zuvor
und bemerkte: „Gegen ,unter dem Leibe erſchoſſene
Kaiſerpferde‘ bin ich überhaupt immer mißtrauiſch. Und
nun gar hier. All dieſe Lobeserhebungen müſſen Seine
Majeſtät ſehr in Verlegenheit gebracht haben, denn es
giebt ihrer zu viele, die das Gegenteil bezeugen können.
Er iſt der ‚gute Kaiſer‘ und damit Baſta.“


„Sie ſprechen das ſo ſpöttiſch, Herr v. Bülow,“
antwortete Schach. „Und doch frag ich Sie, giebt
es einen ſchöneren Titel?“


„O gewiß giebt es den. Ein wirklich großer
Mann wird nicht um ſeiner Güte willen gefeiert und
noch weniger danach benannt. Er wird umgekehrt
ein Gegenſtand beſtändiger Verleumdungen ſein. Denn
das Gemeine, das überall vorherrſcht, liebt nur das,
was ihm gleicht. Brenkenhof, der, trotz ſeiner Para¬
[79] doxien, mehr geleſen werden ſollte, als er geleſen wird,
behauptet geradezu, ‚daß in unſerm Zeitalter die
beſten Menſchen die ſchlechteſte Reputation haben
müßten‘. Der gute Kaiſer! Ich bitte Sie. Welche
Augen wohl König Friedrich gemacht haben würde,
wenn man ihn den ‚guten Friedrich‘ genannt hätte.“


„Bravo, Bülow,“ ſagte der Prinz, und grüßte
mit dem Glaſe hinüber. „Das iſt mir aus der Seele
geſprochen.“


Aber es hätte dieſes Zuſpruches nicht bedurft.
„Alle Könige,“ fuhr Bülow in wachſendem Eifer fort,
„die den Beinamen des ‚guten‘ führen, ſind ſolche,
die das ihnen anvertraute Reich zu Grabe getragen
oder doch bis an den Rand der Revolution gebracht
haben. Der letzte König von Polen war auch ein
ſogenannter ‚guter‘. In der Regel haben ſolche
Fürſtlichkeiten einen großen Harem und einen kleinen
Verſtand. Und geht es in den Krieg, ſo muß irgend
eine Kleopatra mit ihnen, gleichviel mit oder ohne
Schlange.“


„Sie meinen doch nicht, Herr von Bülow,“ ent¬
gegnete Schach, „durch Auslaſſungen wie dieſe, den
Kaiſer Alexander charakteriſiert zu haben.“


„Wenigſtens annähernd.“


„Da wär ich doch neugierig.“


„Es iſt zu dieſem Behufe nur nötig, ſich den
letzten Beſuch des Kaiſers in Berlin und Potsdam
[80] zurückzurufen. Um was handelte ſichs? Nun, an¬
erkanntermaßen um nichts Kleines und Alltägliches,
um Abſchluß eines Bündniſſes auf Leben und Tod,
und wirklich, bei Fackellicht trat man in die Gruft
Friedrichs des Großen, um ſich, über dem Sarge
desſelben, eine halbmyſtiſche Blutsfreundſchaft zu¬
zuſchwören. Und was geſchah unmittelbar danach?
Ehe drei Tage vorüber waren, wußte man, daß
der aus der Gruft Friedrichs des Großen glücklich
wieder ans Tageslicht geſtiegene Kaiſer, die fünf an¬
erkannteſten beautés des Hofes in eben ſo viele
Schönheitskategorien gebracht habe: beauté coquette
und beauté triviaile, beauté céleste und beauté du
diable
, und endlich fünftens ,beauté, qui inspire
seul du vrai sentiment‘
. Wobei wohl jeden die
Neugier angewandelt haben mag, das Allerhöchſte
‚vrai sentiment‘ kennen zu lernen.“

[[81]]

7. Kapitel.
Ein neuer Gaſt.

All dieſe Sprünge Bülows hatten die Hei¬
terkeit des Prinzen erregt, der denn auch
eben mit einem ihm bequem liegenden
Capriccio über beauté céleste und beauté du diable
beginnen wollte, als er, vom Korridor her, unter dem
halbzurückgeſchlagenen Portièrenteppich, einen ihm
wohlbekannten kleinen Herrn von unverkennbaren
Künſtlerallüren erſcheinen und gleich danach ein¬
treten ſah.


„Ah, Duſſek, das iſt brav,“ begrüßte ihn der
Prinz. „Mieux vaut tard que jamais. Rücken
Sie ein. Hier. Und nun bitt ich alles was an
Süßigkeiten noch da iſt, in den Bereich unſres Künſt¬
lerfreundes bringen zu wollen. Sie finden noch
6[82]tutti quanti, lieber Duſſek. Keine Einwendungen.
Aber was trinken Sie? Sie haben die Wahl. Aſti,
Montefiascone, Tokayer.“


„Irgend einen Ungar.“


„Herben?“


Duſſek lächelte.


„Thörichte Frage,“ korrigierte ſich der Prinz
und fuhr in geſteigerter guter Laune fort: „Aber nun,
Duſſek, erzählen Sie. Theaterleute haben, die Tugend
ſelber ausgenommen, allerlei Tugenden, und unter dieſen
auch die der Mitteilſamkeit. Sie bleiben einem auf
die Frage ‚was Neues‛ ſelten eine Antwort ſchuldig.“


„Und auch heute nicht, Königliche Hoheit,“ ant¬
wortete Duſſek, der, nachdem er genippt hatte, eben ſein
Bärtchen putzte.


„Nun, ſo laſſen Sie hören. Was ſchwimmt
obenauf?“


„Die ganze Stadt iſt in Aufregung. Verſteht
ſich, wenn ich ſage, ‚die ganze Stadt‛, ſo mein ich
das Theater.“


„Das Theater iſt die Stadt. Sie ſind alſo ge¬
rechtfertigt. Und nun weiter.“


„Königliche Hoheit befehlen. Nun denn, wir
ſind in unſrem Haupt und Führer empfindlich ge¬
kränkt worden und haben denn auch aus eben dieſem
Grunde nicht viel weniger als eine kleine Theater¬
emeute gehabt.
[83]Das alſo, hieß es, ſeien die neuen Zeiten, das ſei
das bürgerliche Regiment, das ſei der Reſpekt vor
den preußiſchen ,belles lettres et beaux arts.‘ Eine
‚Huldigung der Künſte‘ laſſe man ſich gefallen, aber
eine Huldigung gegen die Künſte, die ſei ſo fern
wie je.“


„Lieber Duſſek,“ unterbrach der Prinz, „Ihre
Reflexionen in Ehren. Aber da Sie gerade von
Kunſt ſprechen, ſo muß ich Sie bitten, die Kunſt
der Retardierung nicht übertreiben zu wollen. Wenn
es alſo möglich iſt, Thatſachen. Um was handelt
es ſich?“


„Iffland iſt geſcheitert. Er wird den Orden,
von dem die Rede war, nicht erhalten.“


Alles lachte, Sander am herzlichſten, und Noſtitz
ſkandierte: „Parturiunt montes nascetur ridiculus


Aber Duſſek war in wirklicher Erregung, und
dieſe wuchs noch unter der Heiterkeit ſeiner Zuhörer.
Am meiſten verdroß ihn Sander. „Sie lachen, San¬
der. Und doch trifft es in dieſem Kreiſe nur Sie und
mich. Denn gegen wen anders iſt die Spitze gerichtet,
als gegen das Bürgertum überhaupt.“


Der Prinz reichte dem Sprecher über den Tiſch
hin die Hand. „Recht, lieber Duſſek. Ich liebe
ſolch Eintreten. Erzählen Sie. Wie kam es?“


„Vor allem ganz unerwartet. Wie ein Blitz aus
6*[84] heitrem Himmel. Königliche Hoheit wiſſen, daß ſeit
lange von einer Dekorierung die Rede war, und wir
freuten uns, alles Künſtlerneides vergeſſend, als ob
wir den Orden mitempfangen und mittragen ſollten.
In der That, alles ließ ſich gut an, und die ,Weihe
der Kraft,‘ für deren Aufführung der Hof ſich in¬
tereſſiert, ſollte den Anſtoß und zugleich die ſpezielle
Gelegenheit geben. Iffland iſt Maçon (auch das
ließ uns hoffen), die Loge nahm es energiſch in die
Hand, und die Königin war gewonnen. Und nun
doch geſcheitert. Eine kleine Sache, werden Sie ſagen;
aber nein, meine Herren, es iſt eine große Sache.
Dergleichen iſt immer der Strohhalm, an dem man
ſieht, woher der Wind weht. Und er weht bei uns
nach wie vor von der alten Seite her. Chi va piano
va sano
, ſagt das Sprichwort. Aber im Lande
Preußen heißt es ‚pianissimo.‘


„Geſcheitert, ſagten Sie, Duſſek. Aber geſcheitert
woran?“


„An dem Einfluß der Hofgeneralität. Ich habe
Rüchels Namen nennen hören. Er hat den Gelehrten
geſpielt und darauf hingewieſen, wie niedrig das
Hiſtrionentum immer und ewig in der Welt geſtanden
habe, mit alleiniger Ausnahme der neroniſchen Zeiten.
Und die könnten doch kein Vorbild ſein. Das half.
Denn welcher allerchriſtlichſte König will Nero ſein
oder auch nur ſeinen Namen hören. Und ſo wiſſen
[85] wir denn, daß die Sache vorläufig ad acta verwieſen
iſt. Die Königin iſt chagriniert, und an dieſem Aller¬
höchſten Chagrin müſſen wir uns vorläufig genügen
laſſen. Neue Zeit und alte Vorurteile.“


„Lieber Kapellmeiſter,“ ſagte Bülow, „ich ſehe zu
meinem Bedauern, daß Ihre Reflexionen Ihren
Empfindungen weit vorauf ſind. Übrigens iſt das
das Allgemeine. Sie ſprechen von Vorurteilen, in
denen wir ſtecken, und ſtecken ſelber drin. Sie, ſamt
ihrem ganzen Bürgertum, das keinen neuen freien
Geſellſchaftszuſtand ſchaffen, ſondern ſich nur eitel und
eiferſüchtig in die bevorzugten alten Klaſſen einreihen
will. Aber damit ſchaffen Sies nicht. An die Stelle
der Eiferſüchtelei, die jetzt das Herz unſres dritten
Standes verzehrt, muß eine Gleichgiltigkeit gegen alle
dieſe Kindereien treten, die ſich einfach überlebt haben.
Wer Geſpenſter wirklich ignoriert, für den giebt es
keine mehr, und wer Orden ingnoriert, der arbeitet an
ihrer Ausrottung. Und dadurch an Ausrottung einer
wahren Epidemie . .“


„Wie Herr von Bülow umgekehrt an Errichtung
eines neuen Königreichs Utopien arbeitet,“ unterbrach
Sander. „Ich meinerſeits nehme vorläufig an, daß
die Krankheit, von der er ſpricht, in der Richtung von
Oſten nach Weſten immer weiter wachſen, aber nicht
umgekehrt in der Richtung von Weſten nach Oſten
hin abſterben wird. Im Geiſte ſeh ich vielmehr
[86] immer neue Multiplikationen, und das Erblühen einer
Ordens-Flora mit 24 Klaſſen wie das Linnéſche
Syſtem.“


Alle traten auf die Seite Sanders, am ent¬
ſchiedenſten der Prinz. Es müſſe durchaus etwas in
der menſchlichen Natur ſtecken, das, wie beiſpielsweiſe
der Hang zu Schmuck und Putz, ſich auch zu dieſer
Form der Quincaillerie hingezogen fühle. „Ja,“ ſo
fuhr er fort, „es giebt kaum einen Grad der Klugheit,
der davor ſchützt. Sie werden doch alle Kalkreuth
für einen klugen Mann halten, ja mehr, für einen
Mann, der, wie wenige, von dem ‚Alles iſt eitel‘
unſres Thuns und Trachtens durchdrungen ſein muß.
Und doch, als er den roten Adler erhielt, während
er den ſchwarzen erwartet hatte, warf er ihn wütend
ins Schubfach und ſchrie: ,Da liege, bis du ſchwarz
wirſt.‘ Eine Farbenänderung, die ſich denn auch
mittlerweiſe vollzogen hat.


„Es iſt mit Kalkreuth ein eigen Ding,“ erwiderte
Bülow, „und offen geſtanden, ein andrer unſrer
Generäle, der geſagt haben ſoll: ‚ich gäbe den ſchwarzen
drum, wenn ich den roten wieder los wäre,‘ gefällt
mir noch beſſer. Übrigens bin ich minder ſtreng, als
es den Anſchein hat. Es giebt auch Auszeichnungen,
die nicht als Auszeichnung anſehn zu wollen, einfach
Beſchränktheit oder niedrige Geſinnung wäre. Admiral
Sidney Smith, berühmter Verteidiger von St. Jean
[87] d'Acre und Verächter aller Orden, legte doch Wert
auf ein Schauſtück, das ihm der Biſchof von Acre
mit den Worten überreicht hatte: ‚Wir empfingen
dieſes Schauſtück aus den Händen König Richards
Coeur de Lion, und geben es, nach ſechshundert
Jahren, einem ſeiner Landsleute zurück, der, helden¬
mütig wie er, unſre Stadt verteidigt hat.‘ Und
ein Elender und Narr, ſetz ich hinzu, der ſich
einer ſolchen Auszeichnung nicht zu freuen verſteht.“


„Schätze mich glücklich, ein ſolches Wort aus
Ihrem Munde zu hören,“ erwiderte der Prinz. „Es
beſtärkt mich in meinen Gefühlen für Sie, lieber
Bülow, und iſt mir, Pardon, ein neuer Beweis, daß
der Teufel nicht halb ſo ſchwarz iſt, als er gemalt
wird.“


Der Prinz wollte weiter ſprechen. Als aber in
eben dieſem Augenblick einer der Diener an ihn heran
trat und ihm zuflüſterte, daß der Rauchtiſch arrangiert
und der Kaffee ſerviert ſei, hob er die Tafel auf,
und führte ſeine Gäſte, während er Bülows Arm
nahm, auf den an den Eßſaal angebauten Balkon.
Eine große, blau und weiß geſtreifte Marquiſe, deren
Ringe luſtig im Winde klapperten, war ſchon vorher
herabgelaſſen worden, und unter ihren weit nieder¬
hängenden Frangen hinweg, ſah man, flußaufwärts,
auf die halb im Nebel liegenden Türme der Stadt,
flußabwärts aber auf die Charlottenburger Park¬
[88] bäume, hinter deren eben ergrünendem Gezweige die
Sonne niederging. Jeder blickte ſchweigend in das
anmutige Landſchaftsbild hinaus, und erſt als die
Dämmrung angebrochen und eine hohe Sinumbralampe
gebracht worden war, nahm man Platz und ſetzte die
holländiſchen Pfeifen in Brand, unter denen jeder
nach Gefallen wählte. Duſſek allein, weil er die
Muſikpaſſion des Prinzen kannte, war phantaſierend
an dem im Eßſaale ſtehenden Flügel zurückgeblieben,
und ſah nur, wenn er den Kopf zur Seite wandte,
die jetzt draußen wieder lebhafter plaudernden Tiſch¬
genoſſen und ebenſo die Lichtfunken, die von Zeit zu
Zeit aus ihren Thonpfeifen aufflogen.


Das Geſpräch hatte das Ordensthema nicht
wieder aufgenommen, wohl aber ſich der erſten Ver¬
anlaſſung deſſelben, alſo Iffland und dem in Sicht
ſtehenden neuen Schauſpiele zugewandt, bei welcher
Gelegenheit Alvensleben bemerkte, „daß er einige der
in den Text eingeſtreuten Geſangsſtücke während dieſer
letzten Tage kennen gelernt habe. Gemeinſchaftlich
mit Schach. Und zwar im Salon der liebenswür¬
digen Frau v. Carayon und ihrer Tochter Victoire.
Dieſe habe geſungen und Schach begleitet.“


„Die Carayons,“ nahm der Prinz das Wort.
„Ich höre keinen Namen jetzt öfter als den. Meine
teure Freundin Pauline, hat mir ſchon früher von beiden
Damen erzählt, und neuerdings auch die Rahel. Alles
[89] vereinigt ſich, mich neugierig zu machen und An¬
knüpfungen zu ſuchen, die ſich, mein ich, unſchwer
werden finden laſſen. Entſinn ich mich doch des
ſchönen Fräuleins vom Maſſowſchen Kinderballe her,
der, nach Art aller Kinderbälle, des Vorzugs genoß,
eine ganz beſondre Schauſtellung erwachſener und
voll erblühter Schönheiten zu ſein. Und wenn ich
ſage, ,voll erblühter‘, ſo ſag ich noch wenig. In der
That, an keinem Ort und zu keiner Zeit hab ich je ſo
ſchöne Dreißigerinnen auftreten ſehen, als auf Kin¬
derbällen. Es iſt, als ob die Nähe der bewußt oder
unbewußt auf Umſturz ſinnenden Jugend, alles, was
heute noch herrſcht, doppelt und dreifach anſpornte,
ſein Übergewicht geltend zu machen, ein Übergewicht,
das vielleicht morgen ſchon nicht mehr vorhanden iſt.
Aber gleichviel, meine Herren, es wird ſich ein für
allemal ſagen laſſen, daß Kinderbälle nur für Er¬
wachſene da ſind, und dieſer intereſſanten Erſcheinung
in ihren Urſachen nachzugehen, wäre ſo recht eigentlich ein
Thema für unſren Gentz. Ihr philoſophiſcher Freund
Buchholtz, lieber Sander, iſt mir zu ſolchem Spiele nicht
graziös genug. Übrigens nichts für ungut; er iſt
Ihr Freund.“


„Aber doch nicht ſo,“ lachte Sander, „daß ich
nicht jeden Augenblick bereit wäre, ihn Eurer König¬
lichen Hoheit zu opfern. Und wie mir bei dieſer Ge¬
legenheit geſtattet ſein mag, hinzuzuſetzen, nicht bloß
[90] aus einem allerſpeziellſten, ſondern auch noch aus
einem ganz allgemeinen Grunde. Denn wenn die
Kinderbälle, nach Anſicht und Erfahrung Euer König¬
lichen Hoheit, eigentlich am beſten ohne Kinder be¬
ſtehen, ſo die Freundſchaften am beſten ohne Freunde.
Die Surrogate bedeuten überhaupt alles im Leben,
und ſind recht eigentlich die letzte Weisheitseſſenz.“


„Es muß ſehr gut mit Ihnen ſtehn, lieber San¬
der,“ entgegnete der Prinz, „daß Sie ſich zu ſolchen
Ungeheuerlichkeiten offen bekennen können. Mais
révenons à notre belle Victoire
. Sie war unter
den jungen Damen, die durch lebende Bilder das
Feſt damals einleiteten, und ſtellte, wenn mich mein
Gedächtnis nicht trügt, eine Hebe dar, die dem Zeus
eine Schale reichte. Ja, ſo war es, und indem ich
davon ſpreche, tritt mir das Bild wieder deutlich vor
die Seele. Sie war kaum fünfzehn, und von jener
Taille, die jeden Augenblick zu zerbrechen ſcheint.
Aber ſie zerbrechen nie. ‚Comme un ange‘, ſagte
der alte Graf Neale, der neben mir ſtand, und mich
durch eine Begeiſtrung langweilte, die mir einfach als
eine Karrikatur der meinigen erſchien. Es wäre mir
eine Freude, die Bekanntſchaft der Damen erneuern
zu können.“


„Eure Königliche Hoheit würden das Fräulein
Victoire nicht wieder erkennen,“ ſagte Schach, dem der
Ton, in dem der Prinz ſprach, wenig angenehm war.
[91] „Gleich nach dem Maſſowſchen Balle wurde ſie von
den Blattern befallen, und nur wie durch ein Wun¬
der gerettet. Ein gewiſſer Reiz der Erſcheinung iſt
ihr freilich geblieben, aber es ſind immer nur Mo¬
mente, wo die ſeltene Liebenswürdigkeit ihrer Natur
einen Schönheitsſchleier über ſie wirft, und den
Zauber ihrer früheren Tage wiederherzuſtellen ſcheint.“


„Alſo restitutio in integrum,“ ſagte Sander.


Alles lachte.


„Wenn Sie ſo wollen, ja,“ antwortete Schach
in einem ſpitzen Tone, während er ſich ironiſch gegen
Sander verbeugte.


Der Prinz bemerkte die Verſtimmung und wollte
ſie coupieren. „Es hilft Ihnen nichts, lieber Schach.
Sie ſprechen, als ob Sie mich abſchrecken wollten.
Aber weit gefehlt. Ich bitte Sie, was iſt Schönheit?
Einer der allervagueſten Begriffe. Muß ich Sie an
die fünf Kategorien erinnern, die wir in erſter Reihe
Sr. Majeſtät dem Kaiſer Alexander und in zweiter
unſrem Freunde Bülow verdanken? Alles iſt ſchön
und nichts. Ich perſönlich würde der beauté du
diable
jederzeit den Vorzug geben, will alſo ſagen
einer Erſcheinungsform, die ſich mit der des ci-devant
ſchönen Fräuleins von Carayon einigermaßen decken
würde.“


„Königliche Hoheit halten zu Gnaden,“ entgegnete
Noſtitz, „aber es bleibt mir doch zweifelhaft, ob K. H.
[92] die Kennzeichen der beauté du diable an Fräulein
Victoire wahrnehmen würden. Das Fräulein hat
einen witzig-elegiſchen Ton, was auf den erſten Blick
als ein Widerſpruch erſcheint, und doch keiner iſt,
unter allen Umſtänden aber als ihr charakteriſtiſcher
Zug gelten kann. Meinen Sie nicht auch, Alvensleben?“


Alvensleben beſtätigte.


Der Prinz indeſſen, der ein ſich Einbohren in
Fragen über die Maaßen liebte, fuhr, indem er ſich
dieſer Neigung auch heute wieder hingab, immer leb¬
hafter werdend fort: „Elegiſch“ ſagen Sie, „witzig¬
elegiſch; ich wüßte nicht, was einer beauté du diable
beſſer anſtehn könnte. Sie faſſen den Begriff offenbar
zu eng, meine Herren. Alles was Ihnen dabei vor¬
ſchwebt, iſt nur eine Spielart der alleralltäglichſten
Schönheitsform, der beauté coquette: das Näschen
ein wenig mehr geſtubſt, der Teint ein wenig dunkler,
das Temperament ein wenig raſcher, die Manieren
ein wenig kühner und rückſichtsloſer. Aber damit er¬
ſchöpfen Sie die höhere Form der beauté du diable
keineswegs. Dieſe hat etwas Weltumfaſſendes, das
über eine bloße Teint- und Raſſenfrage weit hinaus¬
geht. Ganz wie die Katholiſche Kirche. Dieſe wie
jene ſind auf ein Innerliches geſtellt, und das Inner¬
liche, das in unſerer Frage den Ausſchlag giebt,
heißt Energie, Feuer, Leidenſchaft.“


Noſtitz und Sander lächelten und nickten.


[93]

„Ja, meine Herren, ich gehe weiter und wieder¬
hole ,was iſt Schönheit?‘ Schönheit, bah! Es kann
nicht nur auf die gewöhnlichen Schönheitsformen ver¬
zichtet werden ihr Fehlen kann ſogar einen allerdirekteſten
Vorzug bedeuten. In der That, lieber Schach, ich habe
wunderbare Niederlagen und noch wunderbarere Siege
geſehn. Es iſt auch in der Liebe wie bei Morgarten
und Sempach, die ſchönen Ritter werden geſchlagen
und die häßlichen Bauern triumphieren. Glauben Sie
mir, das Herz entſcheidet, nur das Herz. Wer liebt,
wer die Kraft der Liebe hat, iſt auch liebenswürdig,
und es wäre grauſam, wenn es anders wäre. Gehen
Sie die Reihe der eigenen Erfahrungen durch. Was
iſt alltäglicher, als eine ſchöne Frau durch eine nicht
ſchöne Geliebte verdrängt zu ſehn! Und nicht etwa
nach dem Satze toujours perdrix. O nein, es hat
dies viel tiefre Zuſammenhänge. Das Langweiligſte
von der Welt iſt die lymphatiſch-phlegmatiſche beauté,
die beauté par excellence. Sie kränkelt hier, ſie
kränkelt da, ich will nicht ſagen immer und notwendig,
aber doch in der Mehrzahl der Fälle, während meine
beauté du diable die Trägerin einer allervollkommenſten
Geſundheit iſt, jener Geſundheit, die zuletzt alles be¬
deutet und gleichwertig iſt mit höchſtem Reiz. Und
nun frag ich Sie, meine Herrn, wer hätte mehr davon
als die Natur, die durch die größten und gewaltigſten
Läuterungsprozeſſe wie durch ein Fegefeuer gegangen
[94] iſt. Ein paar Grübchen in der Wange ſind das
Reizendſte von der Welt, das hat ſchon bei den Römern
und Griechen gegolten, und ich bin nicht ungalant und
unlogiſch genug, um einer Grübchen-Vielheit einen Reſpekt
und eine Huldigung zu verſagen, die der Einheit
oder dem Pärchen von Alters her gebührt. Das
paradoxe ,le laid c'est le beau‘ hat ſeine voll¬
kommne Berechtigung, und es heißt nichts andres, als
daß ſich hinter dem anſcheinend Häßlichen eine höhere
Form der Schönheit verbirgt. Wäre meine teure
Pauline hier, wie ſies leider nicht iſt, ſie würde mir
zuſtimmen, offen und nachdrücklich, ohne durch perſön¬
liche Schickſale captiviert zu ſein.“


Der Prinz ſchwieg. Es war erſichtlich, daß er
auf einen allſeitigen Ausdruck des Bedauerns wartete,
Frau Pauline, die gelegentlich die Honneurs des
Hauſes machte, heute nicht anweſend zu ſehn. Als
aber Niemand das Schweigen brach, fuhr er fort:
„Es fehlen uns die Frauen, und damit dem Wein
und unſrem Leben der Schaum. Ich nehme meinen
Wunſch wieder auf und wiederhole, daß es mich
glücklich machen würde, die Carayon'ſchen Damen in
dem Salon meiner Freundin empfangen zu dürfen.
Ich zähle darauf, daß diejenigen Herren, die dem
Kreiſe der Frau von Carayon angehören, ſich zum Inter¬
preten meiner Wünſche machen. Sie Schach, oder
auch Sie, lieber Alvensleben.“

[95]

Beide verneigten ſich.


„Alles in allem wird es das Beſte ſein, meine
Freundin Pauline nimmt es perſönlich in die Hand.
Ich denke, ſie wird den Carayon'ſchen Damen einen
erſten Beſuch machen, und ich ſehe Stunden eines
angeregteſten geiſtigen Austauſches entgegen.“


Die peinliche Stille, womit auch dieſe Schlu߬
worte hingenommen wurden, würde noch fühlbarer
geweſen ſein, wenn nicht Duſſek in eben dieſem Moment
auf den Balkon hinausgetreten wäre. „Wie ſchön“,
rief er und wies mit der Hand auf den weſtlichen,
bis hoch hinauf in einem glühgelben Lichte ſtehenden
Horizont.


Alle waren mit ihm an die Brüſtung des Bal¬
kons getreten, und ſahen flußabwärts in den Abend¬
himmel hinein. Vor dem gelben Lichtſtreifen ſtanden
ſchwarz und ſchweigend die hohen Pappeln und ſelbſt
die Schloßkuppel wirkte nur noch als Schattenriß.


Einen jeden der Gäſte berührte dieſe Schönheit.
Am ſchönſten aber war der Anblick zahlloſer Schwäne,
die, während man in den Abendhimmel ſah, vom
Charlottenburger Park her in langer Reihe heran¬
kamen. Andre lagen ſchon in Front. Es war er¬
ſichtlich, daß die ganze Flottille durch irgend was
bis in die Nähe der Villa gelockt ſein mußte, denn
ſobald ſie die Höhe derſelben erreicht hatte, ſchwenkten
[96] ſie wie militäriſch ein und verlängerten die Front
derer, die hier ſchon ſtill und regungslos und die
Schnäbel unter dem Gefieder verborgen, wie vor
Anker lagen. Nur das Rohr bewegte ſich leis in
ihrem Rücken. So verging eine geraume Zeit. End¬
lich aber erſchien einer in unmittelbarer Nähe des
Balkons, und reckte den Hals, als ob er etwas
ſagen wollte.


„Wem gilt es?“ fragte Sander. „Dem Prinzen
oder Duſſek oder der Sinumbralampe.“


„Natürlich dem Prinzen,“ antwortete Duſſek.


„Und warum?“


„Weil er nicht blos Prinz iſt, ſondern auch Duſſek
und ‚sine umbra‘.“


Alles lachte (der Prinz mit), während Sander
allerförmlichſt „zum Hofkapellmeiſter“ gratulierte. „Und
wenn unſer Freund,“ ſo ſchloß er, „in Zukunft wieder
Strohalme ſammelt, um an ihnen zu ſehen, „woher
der Wind weht,“ ſo wird dieſer Wind ihm allemal
aus dem Lande geheiligter Traditionen und nicht mehr
aus dem Lande der Vorurteile zu kommen ſcheinen.“


Als Sander noch ſo ſprach, ſetzte ſich die Schwanen¬
flotille, die wohl durch die Duſſekſche Muſik herbei¬
gelockt ſein mußte, wieder in Bewegung, und ſegelte
flußabwärts, wie ſie bis dahin flußaufwärts gekommen
war. Nur der Schwan, der den Obman gemacht,
[97] erſchien noch einmal, als ob er ſeinen Dank wieder¬
holen und ſich in ceremoniellſter Weiſe verabſchieden
wolle.


Dann aber nahm auch er die Mitte des Fluſſes, und
folgte den übrigen, deren Tête ſchon unter dem Schatten
der Parkbäume verſchwunden war.


7
[[98]]

8. Kapitel.
Schach und Victoire.

Es war kurz nach dieſem Diner beim Prin¬
zen, daß in Berlin bekannt wurde, der
König werde noch vor Schluß der Woche
von Potsdam herüberkommen, um auf dem Tempelhofer
Felde eine große Revue zu halten. Die Nachricht
davon weckte diesmal ein mehr als gewöhnliches In¬
tereſſe, weil die geſamte Bevölkerung nicht nur dem
Frieden mißtraute, den Haugwitz mit heimgebracht
hatte, ſondern auch mehr und mehr der Überzeugung
lebte, daß im Letzten immer nur unſre eigene
Kraft auch unſre Sicherheit bez. unſre Rettung ſein
werde. Welch andre Kraft aber hatten wir als die
Armee, die Armee, die, was Erſcheinung und Schu¬
lung anging, immer noch die friedericianiſche war.


[99]

In ſolcher Stimmung ſah man dem Revuetage
der ein Sonnabend war, entgegen.


Das Bild, das die Stadt vom frühen Morgen an
darbot, entſprach der Aufregung, die herrſchte. Tauſende
ſtrömten hinaus, und bedeckten vom Halleſchen Thor
an die berganſteigende Straße, zu deren beiden Seiten
ſich die „Knapphänſe“, dieſe bekannten Zivilmarketen¬
der, mit ihren Körben und Flaſchen etabliert hatten.
Bald danach erſchienen auch die Equipagen der vor¬
nehmen Welt, unter dieſen die Schachs, die für den
heutigen Tag den Carayonſchen Damen zur Dispo¬
ſition geſtellt worden war. Im ſelben Wagen mit
ihnen befand ſich ein alter Herr v. d. Recke, früher
Offizier, der, als naher Anverwandter Schachs, die
Honneurs und zugleich den militäriſchen Interpreten
machte. Frau v. Carayon trug ein ſtahlgraues Sei¬
denkleid und eine Mantille von gleicher Farbe, während
von Victoirens breitrandigem Italienerhut ein blauer
Schleier im Winde flatterte. Neben dem Kutſcher
ſaß der Groom und erfreute ſich der Huld beider
Damen, ganz beſonders auch der ziemlich willkürlich
accentuierten engliſchen Worte, die Victoire von Zeit
zu Zeit an ihn richtete.


Für elf Uhr war das Eintreffen des Königs
angemeldet worden, aber lange vorher ſchon erſchienen
die zur Revue befohlenen, altberühmten Infanterie¬
regimenter Alt Lariſch, v. Arnim und Möllendorff,
7*[100] ihre Janitſcharenmuſik vorauf. Ihnen folgte die
Kavallerie: Garde du Corps, Gensdarmes und Leib¬
huſaren, bis ganz zuletzt in einer immer dicker werdenden
Staubwolke die Sechs- und Zwölfpfünder heran¬
raſſelten und klapperten, die zum Teil ſchon bei Prag
und Leuthen und neuerdings wieder bei Valmy und
Pirmaſens gedonnert hatten. Enthuſiaſtiſcher Jubel
begleitete den Anmarſch, und wahrlich, wer ſie ſo
heranziehen ſah, dem mußte das Herz in patriotiſch
ſtolzer Erregung höher ſchlagen. Auch die Carayons
teilten das allgemeine Gefühl, und nahmen es als
bloße Verſtimmung oder Altersängſtlichkeit, als der
alte Herr v. d. Recke ſich vorbog und mit bewegter
Stimme ſagte: „Prägen wir uns dieſen Anblick ein,
meine Damen. Denn glauben Sie der Vorahnung
eines alten Mannes, wir werden dieſe Pracht nicht
wiederſehen. Es iſt die Abſchiedsrevue der friederi¬
cianiſchen Armee.“


Victoire hatte ſich auf dem Tempelhofer Felde
leicht erkältet und blieb in ihrer Wohnung zurück,
als die Mama gegen Abend ins Schauſpiel fuhr, ein
Vergnügen, das ſie jederzeit geliebt hatte, zu keiner
Zeit aber mehr als damals, wo ſich zu der künſtleriſchen
Anregung auch noch etwas von wohlthuender politiſcher
[101] Emotion geſellte. Wallenſtein, die Jungfrau, Tell,
erſchienen gelegentlich, am häufigſten aber Holbergs
„politiſcher Zinngießer“, der, wie Publikum und
Direktion gemeinſchaftlich fühlen mochten, um ein Er¬
hebliches beſſer als die hohe Schillerſche Muſe zu
lärmenden Demonſtrationen geeignet war.


Victoire war allein. Ihr that die Ruhe wohl,
und in einen türkiſchen Shawl gehüllt, lag ſie träumend
auf dem Sopha, vor ihr ein Brief, den ſie kurz vor
ihrer Vormittagsausfahrt empfangen und in jenem
Augenblicke nur flüchtig geleſen hatte. Deſto lang¬
ſamer und aufmerkſamer freilich, als ſie von der Revue
wieder zurückgekommen war.


Es war ein Brief von Liſette.


Sie nahm ihn auch jetzt wieder zur Hand, und
las eine Stelle, die ſie ſchon vorher mit einem Blei¬
ſtiftsſtrich bezeichnet hatte: „.. Du mußt wiſſen, meine
liebe Victoire, daß ich, Pardon für dies offne Ge¬
ſtändnis, mancher Äußerung in Deinem letzten Briefe
keinen vollen Glauben ſchenke. Du ſuchſt Dich und
mich zu täuſchen, wenn Du ſchreibſt, daß Du Dich in
ein Reſpektsverhältnis zu S. hineindenkſt. Er würde
ſelber lächeln, wenn er davon hörte. Daß Du Dich
plötzlich ſo verletzt fühlen, ja, verzeihe, ſo piquiert
werden konnteſt, als er den Arm Deiner Mama nahm,
verrät Dich, und giebt mir allerlei zu denken, wie
denn auch andres noch, was Du ſpeziell in dieſer
[102] Veranlaſſung ſchreibſt. Ich lerne Dich plötzlich von
einer Seite kennen, von der ich Dich noch nicht kannte,
von der argwöhniſchen nähmlich. Und nun, meine
teure Victoire, hab ein freundliches Ohr für das,
was ich Dir in Bezug auf dieſen wichtigen Punkt zu
ſagen habe. Bin ich doch die ältere. Du darfſt Dich
ein für allemal nicht in ein Mißtrauen gegen Perſonen
hineinleben, die durchaus den entgegengeſetzten An¬
ſpruch erheben dürfen. Und zu dieſen Perſonen, mein
ich, gehört Schach. Ich finde, je mehr ich den Fall
überlege, daß Du ganz einfach vor einer Alternative
ſtehſt, und entweder Deine gute Meinung über S.,
oder aber Dein Mißtrauen gegen ihn fallen laſſen
mußt. Er ſei Kavalier, ſchreibſt Du mir, „ja, das
Ritterliche,“ fügſt Du hinzu, „ſei ſo recht eigentlich
ſeine Natur,“ und im ſelben Augenblicke, wo Du dies
ſchreibſt, bezichtigt ihn Dein Argwohn einer Handels¬
weiſe, die, träfe ſie zu, das Unritterlichſte von der
Welt ſein würde. Solche Widerſprüche giebt es nicht.
Man iſt entweder ein Mann von Ehre, oder man iſt
es nicht. Im Übrigen, meine teure Victoire, ſei gutes
Mutes, und halte Dich ein für allemal verſichert, Dir
lügt der Spiegel
. Es iſt nur Eines, um deſſent¬
willen wir Frauen leben, wir leben, um uns ein Herz
zu gewinnen, aber wodurch wir es gewinnen, iſt
gleichgiltig.“


Victoire faltete das Blatt wieder zuſammen. „Es
[103] rät und tröſtet ſich leicht aus einem vollen Beſitz
heraus; ſie hat alles und nun iſt ſie großmütig.
Arme Worte, die von des Reichen Tiſche fallen.“


Und ſie bedeckte beide Augen mit ihren Händen.


In dieſem Augenblick hörte ſie die Klingel gehen,
und gleich danach ein zweites Mal, ohne daß jemand
von der Dienerſchaft gekommen wäre. Hatten es Beate
und der alte Jannaſch überhört? Oder waren ſie fort?
Eine Neugier überkam ſie. Sie ging alſo leiſe bis an
die Thür und ſah auf den Vorflur hinaus. Es war
Schach. Einen Augenblick ſchwankte ſie, was zu thun
ſei, dann aber öffnete ſie die Glasthür und bat ihn
einzutreten.


„Sie klingelten ſo leiſe. Beate wird es über¬
hört haben.“


„Ich komme nur, um nach dem Befinden der
Damen zu fragen. Es war ein prächtiges Parade¬
wetter, kühl und ſonnig, aber der Wind ging doch
ziemlich ſcharf. .“


„Und Sie ſehen mich unter ſeinen Opfern. Ich
fiebre, nicht gerade heftig, aber wenigſtens ſo, daß
ich daß Theater aufgeben mußte. Der Shawl (in den
ich bitte, mich wieder einwickeln zu dürfen) und dieſe
Tiſane, von der Beate wahre Wunder erwartet, wer¬
den mir wahrſcheinlich zuträglicher ſein, als Wallen¬
ſteins Tod. Mama wollte mir anfänglich Geſellſchaft
leiſten. Aber Sie kennen ihre Paſſion für alles,
[104] was Schauſpiel heißt, und ſo hab ich ſie fortgeſchickt.
Freilich auch aus Selbſtſucht; denn daß ich es geſtehe,
mich verlangte nach Ruhe.“


„Die nun mein Erſcheinen doch wiederum ſtört.
Aber nicht auf lange, nur gerade lange genug, um
mich eines Auftrags zu entledigen, einer Anfrage, mit
der ich übrigens leichtmöglicherweiſe zu ſpät komme,
wenn Alvensleben ſchon geſprochen haben ſollte.“


„Was ich nicht glaube, vorausgeſetzt, daß es nicht
Dinge ſind, die Mama für gut befunden hat, ſelbſt
vor mir als Geheimnis zu behandeln“


„Ein ſehr unwahrſcheinlicher Fall. Denn es iſt
ein Auftrag, der ſich an Mutter und Tochter gleich¬
zeitig richtet. Wir hatten ein Diner beim Prinzen,
cercle intime, zuletzt natürlich auch Duſſek. Er ſprach
vom Theater (von was andrem ſollt er) und brachte
ſogar Bülow zum Schweigen, was vielleicht eine
That war.“


„Aber Sie mediſieren ja, lieber Schach.“


„Ich verkehre lange genug im Salon der Frau
v. Carayon, um wenigſtens in den Elementen dieſer
Kunſt unterrichtet zu ſein.“


„Immer ſchlimmer, immer größere Ketzereien.
Ich werde Sie vor das Großinquiſitoriat der Mama
bringen. Und wenigſtens der Tortur einer Sitten¬
predigt ſollen Sie nicht entgehen.“


„Ich wüßte keine liebere Strafe.“

[105]

„Sie nehmen es zu leicht . . Aber nun der
Prinz . .“


„Er will Sie ſehen, beide, Mutter und Tochter.
Frau Pauline, die, wie Sie vielleicht wiſſen, den
Zirkel des Prinzen macht, ſoll Ihnen eine Einladung
überbringen.“


„Der zu gehorchen, Mutter und Tochter ſich zu
beſondrer Ehre rechnen werden.“


„Was mich nicht wenig überraſcht. Und Sie
können, meine teure Victoire, dies kaum im Ernſte
geſprochen haben. Der Prinz iſt mir ein gnädger
Herr, und ich lieb ihn de tout mon coeur. Es be¬
darf keiner Worte darüber. Aber er iſt ein Licht mit
einem reichlichen Schatten, oder, wenn Sie mir den
Vergleich geſtatten wollen, ein Licht, das mit einem
Räuber brennt. Alles in allem, er hat den zweifel¬
haften Vorzug ſo vieler Fürſtlichkeiten, in Kriegs- und
in Liebesabenteuern gleich hervorragend zu ſein, oder
es noch runder heraus zu ſagen, er iſt abwechſelnd
ein Helden- und ein Debauchenprinz. Dabei grund¬
ſatzlos und rückſichtslos, ſogar ohne Rückſicht auf den
Schein. Was vielleicht das Allerſchlimmſte iſt. Sie
kennen ſeine Beziehungen zu Frau Pauline?“


„Ja.“


„Und . . .“


„Ich billige ſie nicht. Aber ſie nicht billigen, iſt
etwas andres als ſie verurteilen. Mama hat mich
[106] gelehrt, mich über derlei Dinge nicht zu kümmern
und zu grämen. Und hat ſie nicht Recht? Ich frage
Sie, lieber Schach, was würd aus uns, ganz ſpeziell
aus uns zwei Frauen, wenn wir uns innerhalb
unſrer Umgangs- und Geſellſchaftsſphäre zu Sitten¬
richtern aufwerfen und Männlein und Weiblein auf
die Korrektheit ihres Wandels hin prüfen wollten?
Etwa durch eine Waſſer- und Feuerprobe. Die Ge¬
ſellſchaft iſt ſouverän. Was ſie gelten läßt, gilt, was
ſie verwirft, iſt verwerflich. Außerdem liegt hier alles
exzeptionell. Der Prinz iſt ein Prinz, Frau von
Carayon iſt eine Witwe, und ich . . bin ich.“


„Und bei dieſem Entſcheide ſoll es bleiben,
Victoire?“


„Ja. Die Götter balancieren. Und wie mir
Liſette Perbandt eben ſchreibt: ,wem genommen wird,
dem wird auch gegeben‘. In meinem Falle liegt der
Tauſch etwas ſchmerzlich, und ich wünſchte wohl, ihn
nicht gemacht zu haben. Aber andrerſeits geh ich
nicht blind an dem eingetauſchtem Guten vorüber,
und freue mich meiner Freiheit. Wovor andre meines
Alters und Geſchlechts erſchrecken, das darf ich. An
dem Abende bei Maſſows, wo man mir zuerſt
huldigte, war ich, ohne mir deſſen bewußt zu ſein,
eine Sklavin. Oder doch abhängig von hundert
Dingen. Jetzt bin ich frei.“


Schach ſah verwundert auf die Sprecherin.
[107] Manches, was der Prinz über ſie geſagt hatte, ging
ihm durch den Kopf. Waren das Überzeugungen oder
Einfälle? War es Fieber? Ihre Wangen hatten ſich
gerötet, und ein aufblitzendes Feuer in ihrem Auge
traf ihn mit dem Ausdruck einer trotzigen Ent¬
ſchloſſenheit. Er verſuchte jedoch ſich in den leichten
Ton, in dem ihr Geſpräch begonnen hatte, zurück¬
zufinden, und ſagte: „Meine teure Victoire ſcherzt.
Ich möchte wetten, es iſt ein Band Rouſſeau, was
da vor ihr liegt, und ihre Phantaſie geht mit dem
Dichter.“


„Nein, es iſt nicht Rouſſeau. Es iſt ein anderer,
der mich mehr intereſſiert.“


[Und]wer, wenn ich neugierig ſein darf?“


„Mirabeau.“


„Und warum mehr?“


„Weil er mir näher ſteht. Und das Allerper¬
ſönlichſte beſtimmt immer unſer Urteil. Oder doch faſt
immer. Er iſt mein Gefährte, mein ſpezieller Leidens¬
genoß. Unter Schmeicheleien wuchs er auf. ,Ah,
das ſchöne Kind,‘ hieß es tagein, tagaus. Und dann
eines Tags war alles hin, hin wie . . wie . .“


„Nein, Victoire, Sie ſollen das Wort nicht
ausſprechen.“


„Ich will es aber, und würde den Namen
meines Gefährten und Leidensgenoſſen zu meinem
eigenen machen, wenn ich es könnte. Victoire
[108]Mirabeau de Carayon, oder ſagen wir Mirabelle
de Carayon, das klingt ſchön und ungezwungen, und
wenn ichs recht überſetze, ſo heißt es Wunderhold.“


Und dabei lachte ſie voll Uebermut und Bitter¬
keit. Aber die Bitterkeit klang vor.


„Sie dürfen ſo nicht lachen, Victoire, nicht ſo.
Das kleidet Ihnen nicht, das verhäßlicht Sie. Ja,
werfen Sie nur die Lippen, — verhäßlicht Sie.
Der Prinz hatte doch Recht, als er enthuſiaſtiſch von
Ihnen ſprach. Armes Geſetz der Form und der Farbe.
Was allein gilt, iſt das ewig Eine, daß ſich die Seele
den Körper ſchafft oder ihn durchleuchtet und
verklärt.“


Victoirens Lippen flogen, ihre Sicherheit verließ
ſie, und ein Froſt ſchüttelte ſie. Sie zog den Shawl
höher hinauf, und Schach nahm ihre Hand, die eis¬
kalt war, denn alles Blut drängte nach ihrem Herzen.


„Victoire, Sie thun ſich Unrecht; Sie wüten
nutzlos gegen ſich ſelbſt, und ſind um nichts beſſer
als der Schwarzſeher, der nach allem Trüben ſucht
und an Gottes hellem Sonnenlicht vorüber ſieht. Ich
beſchwöre Sie, faſſen Sie ſich und glauben Sie wieder
an Ihr Anrecht auf Leben und Liebe. War ich denn
blind? In dem bittren Wort, in dem Sie ſich
demütigen wollten, in eben dieſem Worte haben Sies
getroffen, ein für allemal. Alles iſt Märchen und
Wunder an Ihnen; ja Mirabelle, ja Wunderhold!“

[109]

Ach, das waren die Worte, nach denen ihr Herz
gebangt hatte, während es ſich in Trotz zu waffnen ſuchte.


Und nun hörte ſie ſie willenlos und ſchwieg in
einer ſüßen Betäubung.


Die Zimmeruhr ſchlug neun und die Turmuhr
draußen antwortete. Victoire, die den Schlägen ge¬
folgt war, ſtrich das Haar zurück, und trat ans
Fenſter und ſah auf die Straße.


„Was erregt Dich?“


„Ich meinte, daß ich den Wagen gehört hätte.“


„Du hörſt zu fein.“


Aber ſie ſchüttelte den Kopf, und im ſelben
Augenblicke fuhr der Wagen der Frau von Carayon vor.


„Verlaſſen Sie mich . . Bitte.“


„Bis auf morgen.“


Und ohne zu wiſſen, ob es ihm glücken werde,
der Begegnung mit Frau von Carayon auszuweichen,
empfahl er ſich raſch und huſchte durch Vorzimmer
und Korridor.


Alles war ſtill und dunkel unten, und nur von
der Mitte des Hausflurs her, fiel ein Lichtſchimmer
bis in Nähe der oberſten Stufen. Aber das Glück war
ihm hold. Ein breiter Pfeiler, der bis dicht an die
Treppenbrüſtung vorſprang, teilte den ſchmalen Vor¬
[110] flur in zwei Hälften, und hinter dieſen Pfeiler trat
er und wartete.


Victoire ſtand in der Glasthür und empfing
die Mama.


„Du kommſt ſo früh. Ach, und wie hab ich
Dich erwartet!“


Schach hörte jedes Wort. „Erſt die Schuld und
dann die Lüge“, klang es in ihm. „Das alte Lied.“


Aber die Spitze ſeiner Worte richtete ſich gegen
ihn und nicht gegen Victoire.


Dann trat er aus ſeinem Verſteck hervor und
ſchritt raſch und geräuſchlos die Treppe hinunter.

[[111]]

9. Kapitel.
Schach zieht ſich zurück.

Bis auf morgen,“ war Schachs Abſchieds¬
wort geweſen, aber er kam nicht. Auch
am zweiten und dritten Tage nicht. Vic¬
toire ſuchte ſichs zurechtzulegen, und wenn es nicht
glücken wollte, nahm ſie Liſettens Brief und las immer
wieder die Stelle, die ſie längſt auswendig wußte.
„Du darfſt Dich, ein für allemal, nicht in ein Mi߬
trauen gegen Perſonen hineinleben, die durchaus den
entgegengeſetzten Anſpruch erheben dürfen. Und zu
dieſen Perſonen, mein ich, gehört Schach. Ich finde,
je mehr ich den Fall überlege, daß Du ganz einfach
vor einer Alternative ſtehſt, und entweder Deine gute
Meinung über S., oder aber Dein Mißtrauen gegen
ihn fallen laſſen mußt.“ Ja, Liſette hatte Recht und
[112] doch blieb ihr eine Furcht im Gemüte. „Wenn doch
alles nur . .“ Und es übergoß ſie mit Blut.


Endlich am vierten Tage kam er. Aber es traf
ſich, daß ſie kurz vorher in die Stadt gegangen war.
Als ſie zurückkehrte, hörte ſie von ſeinem Beſuch;
er ſei ſehr liebenswürdig geweſen, habe zwei-, dreimal
nach ihr gefragt, und ein Bouquet für ſie zurückge¬
laſſen. Es waren Veilchen und Roſen, die das
Zimmer mit ihrem Dufte füllten. Victoire, während
ihr die Mama von dem Beſuche vorplauderte, be¬
mühte ſich, einen leichten und übermütigen Ton an¬
zuſchlagen, aber ihr Herz war zu voll von widerſtrei¬
tenden Gefühlen, und ſie zog ſich zurück, um ſich in
zugleich glücklichen und bangen Thränen aus zuweinen.


Inzwiſchen war der Tag herangekommen, wo
die „Weihe der Kraft“ gegeben weiden ſollte. Schach
ſchickte ſeinen Diener und ließ anfragen, ob die Damen
der Vorſtellung beizuwohnen gedächten? Es war eine
bloße Form, denn er wußte, daß es ſo ſein werde.


Im Theater waren alle Plätze beſetzt. Schach
ſaß den Carayons gegenüber und grüßte mit großer
Artigkeit. Aber bei dieſem Gruße blieb es, und er
kam nicht in ihre Loge hinüber, eine Zurückhaltung,
über die Frau von Carayon kaum weniger betroffen
war, als Victoire. Der Streit indeſſen, den das hin¬
ſichtlich des Stücks in zwei Lager geteilte Publikum
führte, war ſo heftig und aufregend, daß beide Damen
[113] ebenfalls mit hingeriſſen wurden und momentan wenig¬
ſtens alles Perſönliche vergaßen. Erſt auf dem Heim¬
wege kehrte die Verwunderung über Schachs Be¬
nehmen zurück.


Am andern Vormittage ließ er ſich melden.
Frau von Carayon war erfreut, Victoire jedoch, die
ſchärfer ſah, empfand ein tiefes Unbehagen. Er hatte
ganz erſichtlich dieſen Tag abgewartet, um einen be¬
quemen Plauderſtoff zu haben und mit Hilfe desſelben
über die Peinlichkeit eines erſten Wiederſehens mit
ihr leichter hinwegzukommen. Er küßte der Frau
von Carayon die Hand und wandte ſich dann gegen
Victoiren, um dieſer ſein Bedauern auszuſprechen, ſie
bei ſeinem letzten Beſuche verfehlt zu haben. Man
entfremde ſich faſt, anſtatt ſich feſter anzugehören.
Er ſprach dies ſo, daß ihr ein Zweifel blieb, ob er
es mit tieferer Bedeutung oder aus bloßer Verlegen¬
heit geſagt habe. Sie ſann darüber nach, aber ehe
ſie zum Abſchluß kommen konnte, wandte ſich das
Geſpräch dem Stücke zu.


„Wie finden Sies?“ fragte Frau von Carayon.


„Ich liebe nicht Komödien,“ antwortete Schach,
„die fünf Stunden ſpielen. Ich wünſche Vergnügen
oder Erholung im Theater, aber keine Strapaze.“


„Zugeſtanden. Aber dies iſt etwas Äußerliches,
und beiläufig ein Mißſtand, dem eheſtens abgeholfen
ſein wird. Iffland ſelbſt iſt mit erheblichen Kürzun¬
8[114] gen einverſtanden. Ich will Ihr Urteil über das
Stück.“


„Es hat mich nicht befriedigt.“


„Und warum nicht?“


„Weil es alles auf den Kopf ſtellt. Solchen
Luther hat es Gott ſei Dank nie gegeben, und wenn
ein ſolcher je käme, ſo würd er uns einfach dahin
zurückführen, von wo der echte Luther uns ſeinerzeit
wegführte. Jede Zeile widerſtreitet dem Geiſt und
Jahrhundert der Reformation; alles iſt Jeſuitismus
oder Myſticismus, und treibt ein unerlaubtes und
beinah kindiſches Spiel mit Wahrheit und Geſchichte.
Nichts paßt. Ich wurde beſtändig an das Bild
Albrecht Dürers erinnert, wo Pilatus mit Piſtolen¬
halftern reitet oder an ein ebenſo bekanntes Altarblatt
in Soeſt, wo ſtatt des Oſterlamms ein weſtfäliſcher
Schinken in der Schüſſel liegt. In dieſem ſein-wol¬
lenden Lutherſtück aber liegt ein allerpfäffichſter Pfaff in
der Schüſſel. Es iſt ein Anachronismus von Anfang
bis Ende.“


„Gut. Das iſt Luther. Aber ich wiederhole,
das Stück?“


„Luther iſt das Stück. Das andre bedeutet nichts.
Oder ſoll ich mich für Katharina von Bora begeiſtern,
für eine Nonne, die ſchließlich keine war“.


Victoire ſenkte den Blick und ihre Hand zitterte.
Schach ſah es, und über ſeinen faux pas erſchreckend,
[115] ſprach er jetzt haſtig und in ſich überſtürzender Weiſe
von einer Parodie, die vorbereitet werde, von einem
angekündigten Proteſte der lutheriſchen Geiſtlichkeit,
vom Hofe, von Iffland, vom Dichter ſelbſt, und
ſchloß endlich mit einer übertriebenen Lobpreiſung der
eingelegten Lieder und Kompoſitionen. Er hoffe, daß
Fräulein Victoire noch den Abend in Erinnerung habe,
wo er dieſe Lieder am Klavier begleiten durfte.


All dies wurde ſehr freundlich geſprochen, aber
ſo freundlich es klang, ſo fremd klang es auch,
und Victoire hörte mit feinem Ohr heraus, daß es
nicht die Sprache war, die ſie fordern durfte. Sie
war bemüht ihm unbefangen zu antworten, aber es
blieb ein äußerliches Geſpräch bis er ging.


Den Tag nach dieſem Beſuche kam Tante Mar¬
guerite. Sie hatte bei Hofe von dem ſchönen Stücke
gehört, „das ſo ſchön ſei, wie noch gar keins,“ und
ſo wollte ſies gerne ſehn. Frau von Carayon war ihr
zu Willen, nahm ſie mit in die zweite Vorſtellung,
und da wirklich ſehr gekürzt worden war, blieb auch
noch Zeit daheim eine halbe Stunde zu plaudern.


„Nun Tante Marguerite,“ fragte Victoire, „wie
hat es Dir gefallen?“


„Gut, liebe Victoire. Denn es berührt doch den
Hauptpunkt in unſrer gereinigten Kürche.“


„Welchen meinſt Du, liebe Tante.“


„Nun den von der chrüſtlichen Ehe.“

8*[116]

Victoire zwang ſich ernſthaft zu bleiben und ſagte
dann: „Ich dachte, dieſer Hauptpunkt in unſrer Kirche
läge doch noch in etwas andrem, alſo z. B. in der
Lehre vom Abendmahl.“


„O nein, meine liebe Victoire, das weiß ich
ganz genau. Mit oder ohne Wein, das macht keinen ſo
großen Unterſchied; aber ob unſre prédicateurs in
einer ſittlich getrauten Ehe leben oder nicht, das,
mein Engelchen, iſt von einer würklichen importance.“


„Und ich finde, Tante Marguerite hat ganz Recht,“
ſagte Frau von Carayon.


„Und das iſt es auch,“ fuhr die gegen alles
Erwarten Belobigte fort, „was das Stück will, und
was man um ſo deutlicher ſieht, als die Bethmann
würklich eine ſehr hübſche Frau iſt. Oder doch zum
wenigſtens viel hübſcher, als ſie würklich war. Ich meine
die Nonne. Was aber nichts ſchadet, denn er war auch
kein hübſcher Mann, und lange nicht ſo hübſch als er. Ja
werde nur rot, meine liebe Victoire, ſo viel weiß ich auch.“


Frau von Carayon lachte herzlich.


„Und das muß wahr ſein, unſer Herr Rittmeiſter
von Schach iſt würklich ein ſehr angenehmer Mann,
und ich denke noch ümmer an Tempelhof und den
aufrechtſtehenden Ritter .. Und wißt Ihr denn, in
Wülmersdorf ſoll auch einer ſein, und auch ebenſo weg¬
geſchubbert. Und von wem ich es habe? Nun? Von
la petite Princesse Charlotte.“

[[117]]

10. Kapitel.
„Es muß etwas geſchehn.“

Die „Weihe der Kraft“ wurde nach wie vor
gegeben, und Berlin hörte nicht auf
in zwei Lager geteilt zu ſein. Alles was
myſtiſch-romantiſch war, war für, alles was frei¬
ſinnig war, gegen das Stück. Selbſt im Hauſe
Carayon ſetzte ſich dieſe Fehde fort, und während die
Mama teils um des Hofes, teils um ihrer eignen
„Gefühle“ willen überſchwänglich mitſchwärmte, fühlte
ſich Victoire von dieſen Sentimentalitäten abgeſtoßen.
Sie fand alles unwahr und unecht, und verſicherte,
daß Schach in jedem ſeiner Worte Recht gehabt habe.

Dieſer kam jetzt von Zeit zu Zeit, aber doch
immer nur, wenn er ſicher ſein durfte, Victoiren in
Geſellſchaft der Mutter zu treffen. Er bewegte ſich
[118] wieder viel in den „großen Häuſern“, und legte, wie
Noſtitz ſpottete, den Radziwills und Carolaths zu,
was er den Carayons entzog. Auch Alvensleben
ſcherzte darüber, und ſelbſt Victoire verſuchte, den
gleichen Ton zu treffen. Aber ohne daß es ihr
glücken wollte. Sie träumte ſo hin, und nur eigent¬
lich traurig war ſie nicht. Noch weniger unglücklich.


Unter denen, die ſich mit dem Stück, alſo mit
der Tagesfrage beſchäftigten, waren auch die Offiziere
vom Regiment Gensdarmes, obſchon ihnen nicht ein¬
fiel, ſich ernſthaft auf ein Für oder Wider einzu¬
laſſen. Sie ſahen alles ausſchließlich auf ſeine komiſche
Seite hin an, und fanden in der Auflöſung eines Nonnen¬
kloſters, in Katharina von Boras „neunjähriger Pflege¬
tochter“ und endlich in dem beſtändig Flöte ſpielenden
Luther, einen unerſchöpflichen Stoff für ihren Spott
und Übermut.


Ihr Lieblingsverſammlungsort in jenen Tagen
war die Wachtſtube des Regiments, wo die jüngeren
Kameraden den dienſtthuenden Offizier zu beſuchen
und ſich bis in die Nacht hinein zu divertieren pflegten.
Unter den Geſprächen, die man in Veranlaſſung der
neuen Komödie hier führte, kamen Spöttereien wie
die vorgenannten kaum noch von der Tagesordnung,
und als einer der Kameraden daran erinnerte, daß
das neuerdings von ſeiner früheren Höhe herabge¬
ſtiegene Regiment eine Art patriotiſche Pflicht habe,
[119] ſich mal wieder „als es ſelbſt“ zu zeigen, brach ein
ungeheurer Jubel aus, an deſſen Schluß alle einig waren
„daß etwas geſchehen müſſe.“ Daß es ſich dabei
lediglich um eine Traveſtie der „Weihe der Kraft“,
etwa durch eine Maskerade, handeln könne, ſtand von
vornherein feſt, und nur über das „wie“ gingen die
Meinungen noch auseinander. In Folge davon be¬
ſchloß man, ein paar Tage ſpäter eine neue Zu¬
ſammenkunft abzuhalten, in der, nach Anhörung einiger
Vorſchläge, der eigentliche Plan fixiert werden ſollte.


Raſch hatte ſichs herumgeſprochen, und als Tag und
Stunde da waren, waren einige zwanzig Kameraden in
dem vorerwähnten Lokal erſchienen: Itzenplitz, Jürgaß und
Britzke, Billerbeck und Diricke, Graf Haeſeler, Graf
Herzberg, v. Rochow, v. Putlitz, ein Kracht, ein
Klitzing, und nicht zum letzten ein ſchon älterer Lieute¬
nant von Zieten, ein kleines, häßliches und ſäbelbeiniges
Kerlchen, das durch entfernte Vetterſchaft mit dem be¬
rühmten General und beinahe mehr noch durch eine
keck in die Welt hineinkrähende Stimme zu balanciren
wußte, was ihm an ſonſtigen Tugenden abging.
Auch Noſtitz und Alvensleben waren erſchienen. Schach
fehlte.


„Wer präſidiert?“ fragte Klitzing.

„Nur zwei Möglichkeiten,“ antwortete Diricke. „Der
längſte oder der kürzeſte. Will alſo ſagen, Noſtitz
oder Zieten.“

[120]

„Noſtitz, Noſtitz,“ riefen alle durcheinander, und
der ſo durch Akklamation Gewählte nahm auf einem
ausgebuchteten Gartenſtuhle Platz. Flaſchen und
Gläſer ſtanden die lange Tafel entlang.


„Rede halten! Aſſemblée nationale. .“


Noſtitz ließ den Lärm eine Weile dauern, und
klopfte dann erſt mit dem ihm als Zeichen ſeiner
Würde zur Seite liegenden Pallaſch auf den Tiſch.


Silentium, Silentium.“


„Kameraden vom Regiment Gensdarmes, Erben
eines alten Ruhmes auf dem Felde militäriſcher und
geſellſchaftlicher Ehre (denn wir haben nicht nur der
Schlacht die Richtung, wir haben auch der Geſellſchaft
den Ton gegeben), Kameraden, ſag ich, wir ſind
ſchlüſſig geworden: es muß etwas geſchehn!“


„Ja, ja. Es muß etwas geſchehn.“


„Und neu geweiht durch die ,Weihe der Kraft‘,
haben wir, dem alten Luther und uns ſelber zu Liebe,
beſchloſſen, einen Aufzug zu bewerkſtelligen, von dem
die ſpäteſten Geſchlechter noch melden ſollen. Es muß
etwas Großes werden! Erinnern wir uns, wer nicht
vorſchreitet, der ſchreitet zurück. Ein Aufzug alſo.
So viel ſteht feſt. Aber Weſen und Charakter dieſes
Aufzuges bleibt noch zu fixieren, und zu dieſem Be¬
hufe haben wir uns hier verſammelt. Ich bin bereit,
Ihre Vorſchläge der Reihe nach entgegen zu nehmen.
Wer Vorſchläge zu machen hat, melde ſich.“

[121]

Unter denen, die ſich meldeten, war auch Lieute¬
nant von Zieten.


„Ich gebe den Lieutenant von Zieten das Wort.“


Dieſer erhob ſich und ſagte, während er ſich leicht
auf der Stuhllehne wiegte: „Was ich vorzuſchlagen
habe, heißt Schlittenfahrt.“


Alle ſahen einander an, Einige lachten.


„Im Juli?“


„Im Juli,“ wiederholte Zieten. „Unter den Lin¬
den wird Salz geſtreut, und über dieſen Schnee hin,
geht unſre Fahrt. Erſt ein paar aufgelöſte Nonnen;
in dem großen Hauptſchlitten aber, der die Mitte des
Zuges bildet, paradieren Luther und ſein Famu¬
lus, jeder mit einer Flöte, während Katharinchen auf
der Pritſche reitet. Ad libitum mit Fackel oder
Schlittenpeitſche. Vorreiter eröffnen den Zug. Ko¬
ſtüme werden dem Theater entnommen oder ange¬
fertigt. Ich habe geſprochen.“


Ein ungeheurer Lärm antwortete, bis der Ruhe
gebietende Noſtitz endlich durchdrang. „Ich nehme
dieſen Lärm einfach als Zuſtimmung, und beglück¬
wünſche Kamerad Zieten, mit einem einzigen und erſten
Meiſterſchuß gleich ins Schwarze getroffen zu haben.
Alſo Schlittenfahrt. Angenommen?“


„Ja, ja.“


„So bleibt nur noch Rollenverteilung. Wer giebt
den Luther?“

[122]

„Schach.“


„Er wird ablehnen.“


„Nicht doch,“ krähte Zieten, der gegen den ſchö¬
nen, ihm bei mehr als einer Gelegenheit vorgezogenen
Schach eine Spezialmalice hegte: „wie kann man Schach
ſo verkennen! Ich kenn ihn beſſer. Er wird es frei¬
lich eine halbe Stunde lang beklagen, ſich hohe Backen¬
knochen auflegen und ſein Normal-Oval in eine bäuriſche
tête carré verwandeln zu müſſen. Aber ſchließlich
wird er Eitelkeit gegen Eitelkeit ſetzen, und ſeinen Lohn
darin finden, auf 24 Stunden der Held des Tages
zu ſein.“


Ehe Zieten noch ausgeſprochen hatte, war von
der Wache her ein Gefreiter eingetreten, um ein an
Noſtitz adreſſiertes Schreiben abzugeben.“


„Ah, lupus in fabula.“


„Von Schach?“


„Ja!“


„Leſen, leſen!“


Und Noſtitz erbrach den Brief und las. „Ich
bitte Sie, lieber Noſtitz, bei der mutmaßlich in eben
dieſem Augenblicke ſtattfindenden Verſammlung unſrer
jungen Offiziere, meinen Vermittler und wenn nötig,
auch meinen Anwalt machen zu wollen. Ich habe
das Zirkular erhalten, und war anfänglich gewillt zu
kommen. Inzwiſchen aber iſt mir mittgeteilt worden,
um was es ſich aller Wahrſcheinlichkeit nach handeln
[123] wird, und dieſe Mitteilung hat meinen Entſchluß
geändert. Es iſt Ihnen kein Geheimnis, daß all
das, was man vorhat, meinem Gefühl widerſtreitet,
und ſo werden Sie ſich mit Leichtigkeit herausrechnen
können, wie viel oder wie wenig ich (dem ſchon
ein Bühnen-Luther contre coeur war) für einen
Mummenſchanz-Luther übrig habe. Daß wir dieſen
Mummenſchanz in eine Zeit verlegen, die nicht einmal
eine Faſtnachtsfreiheit in Anſpruch nehmen darf, beſſert
ſicherlich nichts. Jüngeren Kameraden ſoll aber durch
dieſe meine Stellung zur Sache kein Zwang auferlegt
werden, und jedenfalls darf man ſich meiner Diskre¬
tion verſichert halten. Ich bin nicht das Gewiſſen
des Regiments, noch weniger ſein Aufpaſſer. Ihr
Schach.“


„Ich wußt es,“ ſagte Noſtitz in aller Ruhe, wäh¬
rend er das Schachſche Billet an dem ihm zunächſt
ſtehenden Lichte verbrannte. „Kamerad Zieten iſt
größer in Vorſchlägen und Phantaſtik, als in Men¬
ſchenkenntnis. Er will mir antworten, ſeh ich, aber
ich kann ihm nicht nachgeben, denn in dieſem Augen¬
blicke heißt es ausſchließlich: wer ſpielt den Luther? Ich
bringe den Reformator unter den Hammer. Der Meiſt¬
bietende hat ihn. Zum Erſten, Zweiten und zum . . . .
Dritten. Niemand? So bleibt mir nichts übrig als
Ernennung. Alvensleben, Sie.“


Dieſer ſchüttelte den Kopf. „Ich ſtehe dazu wie
[124] Schach; machen Sie das Spiel, ich bin kein Spielver¬
derber, aber ich ſpiele perſönlich nicht mit. Kann nicht und
will nicht. Es ſteckt mir dazu zu viel Katechismus
Lutheri im Leibe.“


Noſtitz wollte nicht gleich nachgeben. „Alles zu
ſeiner Zeit,“ nahm er das Wort „und wenn der Ernſt ſeinen
Tag hat, ſo hat der Scherz wenigſtens ſeine Stunde.
Sie nehmen alles zu gewiſſenhaft, zu feierlich, zu pe¬
dantiſch. Auch darin wie Schach. Keinerlei Ding iſt
an ſich gut oder bös. Erinnern Sie ſich, daß wir
den alten Luther nicht verhöhnen wollen, im Gegenteil,
wir wollen ihn rächen. Was verhöhnt werden ſoll,
iſt das Stück, iſt die Lutherkarrikatur, iſt der Refor¬
mator in falſchem Licht und an falſcher Stelle. Wir
ſind Strafgericht, Inſtanz aller oberſter Sittlichkeit.
Thuen Sies. Sie dürfen uns nicht im Stiche laſſen
oder es fällt alles in den Brunnen.“


Andere ſprachen in gleichem Sinn. Aber Alvens¬
leben blieb feſt, und eine kleine Verſtimmung ſchwand erſt,
als ſich unerwartet (und eben deshalb von allgemeinſtem
Jubel begrüßt) der junge Graf Herzberg erhob, um
ſich für die Lutherrolle zu melden.


Alles was danach noch zu ordnen war, ordnete
ſich raſch, und ehe zehn Minuten um waren,
waren bereits die Hauptrollen verteilt: Graf Herzberg
den Luther, Diricke den Famulus, Noſtitz, wegen ſei¬
ner koloſſalen Größe, die Katharina von Bora. Der
[125] Reſt wurd einfach als Nonnenmaterial eingeſchrieben,
und nur Zieten, dem man ſich beſonders verpflichtet
fühlte, rückte zur Äbtiſſin auf. Er erklärte denn auch
ſofort, auf ſeinem Schlittenſitz ein „jeu entrieren“ oder
mit dem Kloſtervogt eine Partie Mariage ſpielen zu
wollen. Ein neuer Jubel brach aus, und nachdem noch
in aller Kürze der nächſte Montag für die Maskerade
feſtgeſetzt, alles Ausplaudern aber aufs ſtrengſte ver¬
boten worden war, ſchloß Noſtitz die Sitzung.


In der Thür drehte ſich Diricke noch einmal um,
und fragte: „Aber wenns regnet?“


„Es darf nicht regnen.“


„Und was wird aus dem Salz?“


„C'est pour les demostiques.“


„Et pour la canaille,“ ſchloß der jüngſte Cornet.

[126]

11. Kapitel.
Die Schlittenfahrt.

Schweigen war gelobt worden, und es blieb
auch wirklich verſchwiegen. Ein vielleicht
einzig daſtehender Fall. Wohl erzählte man
ſich in der Stadt, daß die Gensdarmes „etwas vor¬
hätten“ und mal wieder über einem jener tollen
Streiche brüteten, um derentwillen ſie vor andern
Regimentern einen Ruf hatten, aber man erfuhr weder
worauf die Tollheit hinauslaufen werde, noch auch
für welchen Tag ſie geplant ſei. Selbſt die Carayon¬
ſchen Damen, an deren letztem Empfangsabende weder
Schach noch Alvensleben erſchienen waren, waren ohne
Mitteilung geblieben, und ſo brach denn die berühmte
„Sommer-Schlittenfahrt“ über Näher- und Ferner¬
ſtehende gleichmäßig überraſchend herein.


[127]

In einem der in der Nähe der Mittel- und
Dorotheenſtraße gelegenen Stallgebäude hatte man
ſich bei Dunkelwerden verſammelt, und ein Dutzend
prachtvoll gekleideter und von Fakelträgern begleiteter
Vorreiter vorauf, ganz alſo wie Zieten es proponiert
hatte, ſchoß man mit dem Glockenſchlage neun an dem
Akademiegebäude vorüber auf die Linden zu, jagte
weiter abwärts erſt in die Wilhelms-, dann aber um¬
kehrend in die Behren- und Charlottenſtraße hinein
und wiederholte dieſe Fahrt um das ebenbezeichnete
Linden-Quarré herum in einer immer geſteigerten Eile.


Als der Zug das erſte Mal an dem Carayonſchen
Hauſe vorüberkam und das Licht der voraufreitenden
Fackeln grell in alle Scheiben der Bel-Etage fiel, eilte
Frau von Carayon, die ſich zufällig allein befand,
erſchreckt ans Fenſter und ſah auf die Straße hinaus.
Aber ſtatt des Rufes „Feuer“, den ſie zu hören er¬
wartete, hörte ſie nur, wie mitten im Winter, ein
Knallen großer Hetz- und Schlittenpeitſchen mit Schellen¬
geläut dazwiſchen, und ehe ſie ſich zurecht zu finden
im Stande war, war alles ſchon wieder vorüber und
ließ ſie verwirrt und fragend und in einer halben
Betäubung zurück. In ſolchem Zuſtande war es, daß
Victoire ſie fand.


„Um Gotteswillen, Mama, was iſt?“


Aber ehe Frau von Carayon antworten konnte,
[128] war die Spitze der Maskerade zum zweiten Male
heran, und Mutter und Tochter, die jetzt raſch und
zu beſſrer Orientierung von ihrem Eckzimmer aus auf
den Balkon hinausgetreten waren, waren von dieſem
Augenblick an nicht länger mehr in Zweifel, was
das Ganze bedeute. Verhöhnung, gleichviel auf wen
und was. Erſt unzüchtige Nonnen, mit einer Hexe
von Aebtiſſin an der Spitze, johlend, trinkend und
Karte ſpielend, und in der Mitte des Zuges ein auf
Rollen laufender und in der Fülle ſeiner Vergoldung
augenſcheinlich als Triumphwagen gedachter Haupt¬
ſchlitten, in dem Luther ſamt Famulus und auf der
Pritſche Katharina von Bora ſaß. An der rieſigen
Geſtalt erkannten ſie Noſtitz. Aber wer war der auf
dem Vorderſitz? fragte ſich Victoire. Wer verbarg
ſich hinter dieſer Luther-Maske? War er es? Nein,
es war unmöglich. Und doch, auch wenn er es nicht
war, er war doch immer ein Mitſchuldiger in dieſem
widerlichen Spiele, das er gutgeheißen oder wenigſtens
nicht gehindert hatte. Welche verkommne Welt, wie
pietätlos, wie bar aller Schicklichkeit! Wie ſchaal und
ekel. Ein Gefühl unendlichen Wehs ergriff ſie, das
Schöne verzerrt und das Reine durch den Schlamm
gezogen zu ſehen. Und warum? Um einen Tag
lang von ſich reden zu machen, um einer kleinlichen
Eitelkeit willen. Und das war die Sphäre, darin ſie
gedacht und gelacht, und gelebt und gewebt, und darin
[129] ſie nach Liebe verlangt, und ach das Schlimmſte von
allem an Liebe geglaubt hatte!


„Laß uns gehen,“ ſagte ſie, während ſie den Arm
der Mutter nahm, und wandte ſich, um in das
Zimmer zurückzukehren. Aber ehe ſies erreichen konnte,
wurde ſie wie von einer Ohnmacht überraſcht, und
ſank auf der Schwelle des Balkons nieder.


Die Mama zog die Klingel, Beate kam, und
beide trugen ſie bis an das Sofa, wo ſie gleich da¬
nach von einem heftigen Bruſtkrampfe befallen wurde.
Sie ſchluchzte, richtete ſich auf, ſank wieder in die
Kiſſen, und als die Mutter ihr Stirn und Schläfe
mit kölniſchem Waſſer waſchen wollte, ſtieß ſie ſie
heftig zurück. Aber im nächſten Augenblick riß ſie
der Mama das Flacon aus der Hand und goß es
ſich über Hals und Nacken. „Ich bin mir zuwider,
zuwider wie die Welt. In meiner Krankheit damals,
hab ich Gott um mein Leben gebeten . . Aber wir
ſollen nicht um unſer Leben bitten . . Gott weiß
am beſten, was uns frommt. Und wenn er uns zu
ſich hinaufziehen will, ſo ſollen wir nicht bitten: laß
uns noch . . O, wie ſchmerzlich ich das fühle! Nun
leb ich . . Aber wie, wie!“


Frau von Carayon kniete neben dem Sofa nie¬
der und ſprach ihr zu. Denſelben Augenblick aber
ſchoß der Schlittenzug zum dritten Mal an dem
Hauſe vorüber, und wieder war es, als ob ſich ſchwarze
9[130] phantaſtiſche Geſtalten in dem glühroten Scheine jagten
und haſchten. „Iſt es nicht wie die Hölle?“ ſagte
Victoire, während ſie nach dem Schattenſpiel an der
Decke zeigte.


Frau von Carayon ſchickte Beaten, um den Arzt
rufen zu laſſen. In Wahrheit aber lag ihr weniger
an dem Arzt, als an einem Alleinſein und einer Aus¬
ſprache mit dem geliebten Kinde.


„Was iſt Dir? Und wie Du nur fliegſt und
zitterſt. Und ſiehſt ſo ſtarr. Ich erkenne meine
heitre Victoire nicht mehr. Überlege, Kind, was iſt
denn geſchehen? Ein toller Streich mehr, einer unter
vielen, und ich weiß Zeiten, wo Du dieſen Übermut
mehr belacht als beklagt hätteſt. Es iſt etwas andres,
was Dich quält und drückt; ich ſeh es ſeit Tagen
ſchon. Aber Du verſchweigſt mirs, Du haſt ein Ge¬
heimnis. Ich beſchwöre Dich, Victoire, ſprich. Du
darfſt es. Es ſei, was es ſei.“


Victoire ſchlang ihren Arm um Frau von Carayons
Hals, und ein Strom von Thränen entquoll ihrem
Auge.


„Beſte Mutter!“


Und ſie zog ſie feſter an ſich, und küßte ſie und
beichtete ihr alles.

[131]

12. Kapitel.
Schach bei Frau von Garayon.

Am andern Vormittage ſaß Frau von Carayon
am Bette der Tochter und ſagte, während
dieſe zärtlich und mit einem wieder¬
gewonnenen ruhig-glücklichen Ausdruck zu der Mutter
aufblickte: „Habe Vertrauen, Kind. Ich kenn ihn ſo
lange Zeit. Er iſt ſchwach und eitel nach Art aller
ſchönen Männer, aber von einem nicht gewöhnlichen
Rechtsgefühl und einer untadligen Geſinnung.“


In dieſem Augenblicke wurde Rittmeiſter von
Schach gemeldet, und der alte Jannaſch ſetzte hinzu,
„daß er ihn in den Salon geführt habe“.


Frau von Carayon nickte zuſtimmend.


„Ich wußte, das er kommen würde,“ ſagte
Victoire.


9*[132]

„Weil Dus geträumt?“


„Nein, nicht geträumt; ich beobachte nur und
rechne. Seit einiger Zeit weiß ich im voraus, an
welchem Tag und bei welcher Gelegenheit er erſcheinen
wird. Er kommt immer, wenn etwas geſchehen iſt
oder eine Neuigkeit vorliegt, über die ſich bequem
ſprechen läßt. Er geht einer intimen Unterhaltung
mit mir aus dem Wege. So kam er nach der Auf¬
führung des Stücks, und heute kommt er nach der
Aufführung der Schlittenfahrt. Ich bin doch begierig,
ob er mit dabei war. War ers, ſo ſag ihm, wie
ſehr es mich verletzt hat. Oder ſag es lieber nicht“.


Frau von Carayon war bewegt. „Ach, meine
ſüße Victoire, Du biſt zu gut, viel zu gut. Er ver¬
dient es nicht; keiner.“ Und ſie ſtreichelte die Tochter
und ging über den Korridor fort in den Salon, wo
Schach ihrer wartete.


Dieſer ſchien weniger befangen als ſonſt und
verbeugte ſich ihr die Hand zu küſſen, was ſie freund¬
lich geſchehen ließ. Und doch war ihr Benehmen
verändert. Sie wies mit einem Ceremoniell, das ihr
ſonſt fremd war, auf einen der zur Seite ſtehenden
japaniſchen Stühle, ſchob ſich ein Fußkiſſen heran,
und nahm ihrerſeits [auf] dem Sofa Platz.


„Ich komme, nach dem Befinden der Damen zu
fragen und zugleich in Erfahrung zu bringen, ob die
[133] geſtrige Maskerade Gnade vor Ihren Augen gefunden
hat oder nicht.“


„Offen geſtanden, nein. Ich, für meine Perſon,
fand es wenig paſſend, und Victoire fühlte ſich beinah
widerwärtig davon berührt.“


„Ein Gefühl, das ich teile.“


„So waren Sie nicht mit von der Partie?“


„Sicherlich nicht. Und es überraſcht mich, es
noch erſt verſichern zu müſſen. Sie kennen ja meine
Stellung zu dieſer Frage, meine teure Joſephine,
kennen ſie ſeit jenem Abend, wo wir zuerſt über das
Stück und ſeinen Verfaſſer ſprachen. Was ich damals
äußerte, gilt ebenſo noch heut. Ernſte Dinge fordern
auch eine ernſte Behandlung, und es freut mich auf¬
richtig, Victoiren auf meiner Seite zu ſehen. Iſt ſie
zu Haus?“


„Zu Bett.“


„Ich hoffe nichts Ernſtliches.“


„Ja und nein. Die Nachwirkungen eines Bruſt-
und Weinkrampfes, von dem ſie geſtern Abend befallen
wurde.“


„Mutmaßlich infolge dieſer Maskeradentollheit.
Ich beklag es von ganzem Herzen.“


„Und doch bin ich eben dieſer Tollheit zu Danke
verpflichtet. In dem Degoût über die Mummerei,
deren Zeuge ſie ſein mußte, löſte ſich ihr die Zunge;
[134] ſie brach ihr langes Schweigen, und vertraute mir
ein Geheimnis an, ein Geheimnis, das Sie kennen.“


Schach, der ſich doppelt ſchuldig fühlte, war wie
mit Blut übergoſſen.


„Lieber Schach,“ fuhr Frau von Carayon fort,
während ſie jetzt ſeine Hand nahm und ihn aus ihren
klugen Augen freundlich aber feſt anſah: „lieber
Schach, ich bin nicht albern genug, Ihnen eine Szene
zu machen oder gar eine Sittenpredigt zu halten; zu
den Dingen, die mir am meiſten verhaßt ſind, gehört
auch Tugendſchwätzerei. Ich habe von Jugend auf in
der Welt gelebt, kenne die Welt, und habe manches an
meinem eignen Herzen erfahren. Und wär ich heuch¬
leriſch genug, es vor mir und andern verbergen zu
wollen, wie könnt ich es vor Ihnen?“


Sie ſchwieg einen Augenblick, während ſie mit
ihrem Battiſttuch ihre Stirn berührte. Dann nahm
ſie das Wort wieder auf und ſetzte hinzu: „Freilich
es giebt ihrer, und nun gar unter uns Frauen, die
den Spruch von der Linken, die nicht wiſſen ſoll was
die Rechte thut, dahin deuten, daß das Heute nicht
wiſſen ſoll, was das Geſtern that. Oder wohl gar
das Vorgeſtern! Ich aber gehöre nicht zu dieſen
Virtuoſinnen des Vergeſſens. Ich leugne nichts,
will es nicht, mag es nicht. Und nun verurteilen Sie
mich, wenn Sie können.“


Er war erſichtlich getroffen, als ſie ſo ſprach, und
[135] ſeine ganze Haltung zeigte, welche Gewalt ſie noch
immer über ihn ausübte.


„Lieber Schach,“ fuhr ſie fort, „Sie ſehen, ich
gebe mich Ihrem Urteil preis. Aber wenn ich mich
auch bedingungslos einer jeden Verteidigung oder An¬
waltſchaft für Joſephine von Carayon enthalte, für
Joſephine (Verzeihung, Sie haben eben ſelbſt den
alten Namen wieder heraufbeſchworen) ſo darf ich doch
nicht darauf verzichten, der Anwalt der Frau von
Carayon zu ſein, ihres Hauſes und ihres Namens.“


Es ſchien, daß Schach unterbrechen wollte. Sie
ließ es aber nicht zu. „Noch einen Augenblick. Ich
werde gleich geſagt haben, was ich zu ſagen habe.
Victoire hat mich gebeten, über alles zu ſchweigen,
nichts zu verraten, auch Ihnen nicht, und nichts zu
verlangen. Zur Sühne für eine halbe Schuld (und
ich rechne hoch, wenn ich von einer halben Schuld
ſpreche) will ſie die ganze tragen, auch vor der Welt,
und will ſich in jenem romantiſchen Zuge, der ihr
eigen iſt, aus ihrem Unglück ein Glück erziehen. Sie
gefällt ſich in dem Hochgefühl des Opfers, in einem
ſüßen Hinſterben für den, den ſie liebt, und für das,
was ſie lieben wird. Aber ſo ſchwach ich in meiner
Liebe zu Victoire bin, ſo bin ich doch nicht ſchwach
genug, ihr in dieſer Großmutskomödie zu willen zu
ſein. Ich gehöre der Geſellſchaft an, deren Be¬
dingungen ich erfülle, deren Geſetzen ich mich unter¬
[136] werfe; daraufhin bin ich erzogen, und ich habe nicht
Luſt einer Opfermarotte meiner einzig geliebten Tochter
zur Liebe, meine geſellſchaftliche Stellung mit zum
Opfer zu bringen. Mit andern Worten, ich habe
nicht Luſt ins Kloſter zu gehen oder die dem Irdiſchen
entrückte Säulenheilige zu ſpielen, auch nicht um
Victoirens willen. Und ſo muß ich denn auf Legiti¬
miſierung des Geſchehenen dringen. Dies, mein Herr
Rittmeiſter, war es, was ich Ihnen zu ſagen hatte.“

Schach, der inzwiſchen Gelegenheit gefunden hatte
ſich wieder zu ſammeln, erwiderte, „daß er wohl wiſſe,
wie jegliches Ding im Leben ſeine natürliche Konſequenz
habe. Und ſolcher Konſequenz gedenk er ſich nicht
zu entziehen. Wenn ihm das, was er jetzt wiſſe,
bereits früher bekannt geworden ſei, würd er um eben
die Schritte, die Frau von Cayron jetzt fordere,
ſeinerſeits aus freien Stücken gebeten haben. Er habe
den Wunſch gehabt, unverheiratet zu bleiben, und von
einer ſolchen langgehegten Vorſtellung Abſchied zu
nehmen, ſchaffe momentan eine gewiſſe Verwirrung.
Aber er fühle mit nicht mindrer Gewißheit, daß er
ſich zu dem Tage zu beglückwünſchen habe, der binnen
kurzem dieſen Wechſel in ſein Leben bringen werde.
Victoire ſei der Mutter Tochter, das ſei die beſte
Gewähr ſeiner Zukunft, die Verheißung eines wirklichen
Glücks.“


All dies wurde ſehr artig und verbindlich ge¬
[137] ſprochen, aber doch zugleich auch mit einer bemerkens¬
werten Kühle.


Dies empfand Frau von Carayon in einer ihr
nicht nur ſchmerzlichen, ſondern ſie geradezu verletzenden
Weiſe; das, was ſie gehört hatte, war weder die
Sprache der Liebe noch der Schuld, und als Schach
ſchwieg, erwiederte ſie ſpitz: „Ich bin Ihnen ſehr
dankbar für Ihre Worte, Herr von Schach, ganz be¬
ſonders auch für das, was ſich darin an meine
Perſon richtete. Daß Ihr ‚ja‘ rückhaltloſer und un¬
geſuchter hätte klingen können, empfinden Sie wohl
am eignen Herzen. Aber gleichviel, mir genügt das
‚Ja‘. Denn wonach dürſt ich denn am Ende? Nach
einer Trauung im Dom und einer Galahochzeit.
Ich will mich einmal wieder in gelbem Atlas ſehn,
der mir kleidet, und haben wir dann erſt unſren
Fackeltanz getanzt und Victoirens Strumpfband zer¬
ſchnitten — denn ein wenig prinzeßlich werden wirs
doch wohl halten müſſen, ſchon um Tante Margueritens
willen — nun ſo geb ich Ihnen charte blanche,
Sie ſind dann wieder frei, frei wie der Vogel in der
Luft, in Thun und Laſſen, in Haß und Liebe, denn
es iſt dann einfach geſchehen, was geſchehen mußte.“


Schach ſchwieg.


„Ich nehme vorläufig ein ſtilles Verlöbnis an.
Über alles andre werden wir uns leicht verſtändigen.
[138] Wenn es ſein muß, ſchriftlich. Aber die Kranke
wartet jetzt auf mich, und ſo verzeihen Sie.“


Frau von Carayon erhob ſich und gleich danach
verabſchiedete ſich Schach in aller Förmlichkeit, ohne
daß weiter ein Wort zwiſchen ihnen geſprochen
worden wäre.

[139]

13. Kapitel.
„Le choix du Schach.“

In beinah offner Gegnerſchaft hatte man
ſich getrennt. Aber es ging alles beſſer,
als nach dieſer gereizten Unterhaltung er¬
wartet werden konnte, wozu ſehr weſentlich ein Brief
beitrug, [den] Schach andern Tags an Frau von Ca¬
rayon ſchrieb. Er bekannte ſich darin in allem Frei¬
mut ſchuldig, ſchützte, wie ſchon während des Ge¬
ſprächs ſelbſt, Überraſchung und Verwirrung vor, und
traf in all dieſen Erklärungen einen wärmeren Ton,
eine herzlichere Sprache. Ja, ſein Rechtsgefühl, dem
er ein Genüge thun wollte, ließ ihn vielleicht mehr
ſagen, als zu ſagen gut und klug war. Er ſprach
von ſeiner Liebe zu Vicioiren und vermied abſichtlich
oder zufällig all jene Verſicherungen von Reſpekt und
[140] Wertſchätzung, die ſo bitter wehe thun, wo das ein¬
fache Geſtändnis einer herzlichen Neigung gefordert
wird. Victoire ſog jedes Wort ein, und als die
Mama ſchließlich den Brief aus der Hand legte, ſah dieſe
letztre nicht ohne Bewegung, wie zwei Minuten Glück
ausgereicht hatten, ihrem armen Kinde die Hoffnung,
und mit dieſer Hoffnung auch die verlorene Friſche
zurückzugeben. Die Kranke ſtrahlte, fühlte ſich wie
geneſen, und Frau von Carayon ſagte: „wie hübſch
Du biſt, Victoire.“


Schach empfing am ſelben Tage noch ein Ant¬
wortsbillet, das ihm unumwunden die herzliche Freude
ſeiner alten Freundin ausdrückte. Manches Bittre,
was ſie geſagt habe, mög er vergeſſen; ſie habe ſich,
lebhaft wie ſie ſei, hinreißen laſſen. Im Übrigen ſei
noch nichts Ernſtliches und Erhebliches verſäumt, und
wenn, dem Sprichworte nach, aus Freude Leid er¬
blühe, ſo kehre ſichs auch wohl um. Sie ſehe wieder
hell in die Zukunft und hoffe wieder. Was ſie per¬
ſönlich zum Opfer bringe, bringe ſie gern, wenn dies
Opfer die Bedingung für das Glück ihrer Tochter ſei.


Schach, als er das Billet geleſen, wog es hin
und her, und war erſichtlich von einer gemiſchten
Empfindung. Er hatte ſich, als er in ſeinem Briefe
von Victoire ſprach, einem ihr nicht leicht von irgend¬
wem zu verſagenden, freundlich-herzlichen Gefühl über¬
laſſen, und dieſem Gefühle (deſſen entſann er ſich)
[141] einen beſonders lebhaften Ausdruck gegeben. Aber
das, woran ihn das Billet ſeiner Freundin jetzt aufs
neue gemahnte, das war mehr, das hieß einfach
Hochzeit, Ehe, Worte, deren bloßer Klang ihn von
alter Zeit her erſchreckte. Hochzeit! Und Hochzeit
mit wem? Mit einer Schönheit, die, wie der Prinz
ſich auszudrücken beliebt hatte, „durch ein Fegefeuer
gegangen war.“ „Aber,“ ſo fuhr er in ſeinem Selbſt¬
geſpräche fort, „ich ſtehe nicht auf dem Standpunkte
des Prinzen, ich ſchwärme nicht für ,Läuterungspro¬
zeſſe‘, hinſichtlich deren nicht feſtſteht, ob der Verluſt
nicht größer iſt als der Gewinn, und wenn ich mich
auch perſönlich zu dieſem Standpunkte bekehren könnte,
ſo bekehr ich doch nicht die Welt. . . Ich bin rettungs¬
los dem Spott und Witz der Kameraden verfallen,
und das Ridikül einer allerglücklichſten ,Land-Ehe‘, die
wie das Veilchen im Verborgnen blüht, liegt in einem
wahren Muſterexemplare vor mir. Ich ſehe genau,
wies kommt: ich quittiere den Dienſt, übernehme wie¬
der Wuthenow, ackre, melioriere, ziehe Raps oder
Rübſen, und befleißige mich einer allerehelichſten Treue.
Welch Leben, welche Zukunft! An einem Sonntage
Predigt, am andern Evangelium oder Epiſtel, und
dazwiſchen Whiſt en trois, immer mit demſelben
Paſtor. Und dann kommt einmal ein Prinz in die
nächſte Stadt, vielleicht Prinz Louis in Perſon, und
wechſelt die Pferde, während ich erſchienen bin um
[142] am Thor oder am Gaſthof ihm aufzuwarten. Und
er muſtert mich und meinen altmodiſchen Rock, und
frägt mich: ‚wie mirs gehe?‘ Und dabei drückt jede
ſeiner Mienen aus: ,O Gott, was doch drei Jahr
aus einem Menſchen machen können.‘ Drei Jahr . .
Und vielleicht werden es dreißig.“


Er war in ſeinem Zimmer auf und abgegangen,
und blieb vor einer Spiegelkonſole ſtehn, auf der
der Brief lag, den er während des Sprechens bei¬
ſeite gelegt hatte. Zwei, dreimal hob er ihn auf
und ließ ihn wieder fallen. „Mein Schickſal. Ja,
‚der Moment entſcheidet.‘ Ich entſinne mich noch,
ſo ſchrieb ſie damals. Wußte ſie, was kommen würde?
Wollte ſies? O pfui, Schach, verunglimpfe nicht
das ſüße Geſchöpf. Alle Schuld liegt bei Dir.
Deine Schuld iſt Dein Schickſal. Und ich will ſie
tragen.“


Er klingelte, gab dem Diener einige Weiſungen,
und ging zu den Carayons.


Es war, als ob er ſich durch das Selbſtgeſpräch,
das er geführt, von dem Drucke, der auf ihm laſtete,
frei gemacht habe. Seine Sprache der alten Freundin
gegenüber war jetzt natürlich, beinah herzlich, und
ohne daß auch nur eine kleinſte Wolke das wieder¬
hergeſtellte Vertrauen der Frau von Carayon getrübt
hätte, beſprachen beide was zu thun ſei. Schach zeigte
ſich einverſtanden mit allem: in einer Woche Ver¬
[143] lobung, und nach drei Wochen die Hochzeit. Un¬
mittelbar nach der Hochzeit aber ſollte das junge Paar
eine Reiſe nach Italien antreten, und nicht vor Ab¬
lauf eines Jahres in die Heimat zurückkehren, Schach
nach der Hauptſtadt, Victoire nach Wuthenow, dem
alten Familiengute, das ihr, von einem früheren Be¬
ſuche her (als Schachs Mutter noch lebte) in dank¬
barer und freundlicher Erinnerung war. Und war
auch das Gut inzwiſchen in Pacht gegeben, ſo war
doch nach das Schloß da, ſtand frei zur Verfügung,
und konnte jeden Augenblick bezogen werden.


Nach Feſtſetzungen wie dieſe, trennte man ſich.
Ein Sonnenſchein lag über dem Hauſe Carayon,
und Victoire vergaß aller Betrübnis die vorausge¬
gangen war.


Auch Schach legte ſichs zurecht. Italien wieder¬
zuſehen, war ihm ſeit ſeinem erſten, erſt um wenige
Jahre zurückliegenden Aufenthalte daſelbſt, ein brennen¬
der Wunſch geblieben; der erfüllte ſich nun; und
kehrten ſie dann zurück, ſo ließ ſich ohne Schwierigkeit
auch aus der geplanten doppelten Wirtſchaftsführung
allerlei Nutzen und Vorteil ziehen. Victoire hing an
Landleben und Stille. Von Zeit zu Zeit nahm er
dann Urlaub und fuhr oder ritt hinüber. Und dann
gingen ſie durch die Felder und plauderten. O, ſie
plauderte ja ſo gut, und war einfach und espritvoll
zugleich. Und nach abermals einem Jahr, oder einem
[144] zweiten und dritten, je nun, da hatte ſichs verblutet,
da war es tot und vergeſſen. Die Welt vergißt ſo
leicht, und die Geſellſchaft noch leichter. Und dann
hielt man ſeinen Einzug in das Eckhaus am Wilhelms¬
platz und freute ſich beiderſeits der Rückkehr in Ver¬
hältniſſe, die doch ſchließlich nicht blos ſeine, ſondern
auch ihre Heimat bedeuteten. Alles war überſtanden
und das Lebensſchiff an der Klippe des Lächerlichen
nicht geſcheitert.


Armer Schach! Es war anders in den Sternen
geſchrieben.


Die Woche, die bis zur Verlobungsanzeige ver¬
gehen ſollte, war noch nicht um, als ihm ein Brief
mit voller Titelaufſchrift und einem großen roten
Siegel ins Haus geſchickt wurde. Den erſten Augen¬
blick hielt ers für ein amtliches Schreiben (vielleicht
eine Beſtallung) und zögerte mit dem Öffnen, um
die Vorfreude der Erwartung nicht abzukürzen. Aber
woher kam es? von wem? Er prüfte neugierig das
Siegel und erkannte nun leicht, daß es überhaupt
kein Siegel, ſondern ein Gemmenabdruck ſei. Son¬
derbar. Und nun erbrach ers und ein Bild fiel ihm
entgegen, eine radierte Skizze mit der Unterſchrift:
Le choix du Schach. Er wiederholte ſich das Wort.
ohne ſich in ihm oder dem Bilde ſelbſt zurecht finden
zu können und empfand nur ganz allgemein und aufs
Unbeſtimmte hin etwas von Angriff und Gefahr.
[145] Und wirklich, als er ſich orientiert hatte, ſah er, daß
ſein erſtes Gefühl ein richtiges geweſen war. Unter
einem Thronhimmel ſaß der perſiſche Schach, er¬
kennbar an ſeiner hohen Lammfellmütze, während an
der unterſten Thronſtufe zwei weibliche Geſtalten
ſtanden und des Augenblicks harrten, wo der von
ſeiner Höhe her kalt und vornehm Dreinſchauende
ſeine Wahl zwiſchen ihnen getroffen haben würde.
Der perſiſche Schach aber war einfach unſer Schach
und zwar in allerfrappanteſter Porträtähnlichkeit,
während die beiden ihn fragend anblickenden, und um
vieles flüchtiger ſkizzierten Frauenköpfe, wenigſtens
ähnlich genug waren, um Frau von Carayon und
Victoire mit aller Leichtigkeit erkennen zu laſſen. Alſo
nicht mehr und nicht weniger als eine Karrikatur.
Sein Verhältnis zu den Carayons hatte ſich in der
Stadt herumgeſprochen und einer ſeiner Neider und
Gegner, deren er nur zu viele hatte, hatte die Gelegen¬
heit ergriffen, ſeinem boshaften Gelüſt ein Genüge
zu thun.


Schach zitterte vor Scham und Zorn, alles Blut
ſtieg ihm zu Kopf, und es war ihm, als würd er
vom Schlage getroffen.


Einem natürlichen Verlangen nach Luft und Be¬
wegung folgend, oder vielleicht auch von der Ahnung
erfüllt, daß der letzte Pfeil noch nicht abgeſchoſſen ſei,
nahm er Hut und Degen, um einen Spaziergang zu
10[146] machen. Begegnungen und Geplauder ſollten ihn
zerſtreuen, ihm ſeine Ruhe wiedergeben. Was
war es denn ſchließlich? Ein kleinlicher Akt der
Rache.


Die Friſche draußen that ihm wohl; er atmete
freier und hatte ſeine gute Laune faſt ſchon wieder¬
gewonnen, als er vom Wilhelmsplatz her in die Linden
einbiegend, auf die ſchattigere Seite der Straße hinüber¬
ging, um hier ein paar Bekannte, die des Wegs kamen,
anzuſprechen. Sie vermieden aber ein Geſpräch und
wurden ſichtlich verlegen. Auch Zieten kam, grüßte
nonchalant und wenn nicht alles täuſchte ſogar mit
hämiſcher Miene. Schach ſah ihm nach, und ſann und
überlegte noch, was die Suffiſance des einen und die
verlegenen Geſichter der andern bedeutet haben mochten,
als er, einige Hundert Schritte weiter aufwärts, einer
ungewöhnlich großen Menſchenmenge gewahr wurde, die
vor einem kleinen Bilderladen ſtand. Einige lachten,
andre ſchwatzten, alle jedoch ſchienen zu fragen „was
es eigentlich ſei?“ Schach ging im Bogen um die
Zuſchauermenge herum, warf einen Blick über ihre
Köpfe weg, und wußte genug. An dem Mittelfenſter
hing dieſelbe Karrikatur, und der abſichtlich niedrig
normierte Preis war mit Rotſtift groß darunter ge¬
ſchrieben.


Alſo eine Verſchwörung.


Schach hatte nicht die Kraft mehr ſeinen Spazier¬
[147] gang fortzuſetzen, und kehrte in ſeine Wohnung
zurück.


Um Mittag empfing Sander ein Billet von Bülow:
„Lieber Sander. Eben erhalt ich eine Karrikatur,
die man auf Schach und die Carayonſchen Damen
gemacht hat. In Zweifel darüber, ob Sie dieſelbe
ſchon kennen, ſchließ ich ſie dieſen Zeilen bei. Bitte,
ſuchen Sie dem Urſprunge nachzugehn. Sie wiſſen
ja alles, und hören das Berliner Gras wachſen. Ich
meinſeits bin empört. Nicht Schachs halber, der
dieſen ‚Schach von Perſien‘ einigermaßen verdient
(denn er iſt wirklich ſo was), aber der Carayons
halber. Die liebenswürdige Victoire! So bloßgeſtellt
zu werden. Alles Schlechte nehmen wir uns von den
Franzoſen an, und an ihrem Guten, wohin auch die
Gentilezza gehört, gehen wir vorüber. Ihr B.“


Sander warf nur einen flüchtigen Blick auf das Bild,
das er kannte, ſetzte ſich an ſein Pult und antwortete:
Mon Général! Ich brauche dem Urſprunge nicht
nachzugehen, er iſt mir nachgegangen. Vor etwa
vier, fünf Tagen erſchien ein Herr in meinem Kontor
und befragte mich, ob ich mich dazu verſtehen würde,
den Vertrieb einiger Zeichnungen in die Hand zu
nehmen. Als ich ſah, um was es ſich handelte, lehnt
ich ab. Es waren drei Blätter, darunter auch le
choix du Schach
. Der bei mir erſchienene Herr
gerierte ſich als ein Fremder, aber er ſprach, alles
10*[148] gekünſtelten Radebrechens unerachtet, das Deutſche ſo
gut, daß ich ſeine Fremdheit für bloße Maske halten
mußte. Perſonen aus dem Prinz R.ſchen Kreiſe,
nehmen Anſtoß an ſeinem Gelieble mit der Prinzeſſin,
und ſtecken vermutlich dahinter. Irr ich aber in
dieſer Annahme, ſo wird mit einer Art von Sicherheit
auf Kameraden ſeines Regiments zu ſchließen ſein.
Er iſt nichts weniger als beliebt. Wer den Aparten
ſpielt, iſt es nie. Die Sache möchte hingehn, wenn
nicht, wie Sie ſehr richtig hervorheben, die Carayons
mit hineingezogen wären. Um ihret willen beklag
ich den Streich, deſſen Gehäſſigkeit ſich in dieſem einem
Bilde ſchwerlich erſchöpft haben wird. Auch die bei¬
den andern, deren ich Eingangs erwähnte, werden
mutmaßlich folgen. Alles in dieſem anonymen An¬
griff iſt klug berechnet, und klug berechnet iſt auch
der Einfall, das Gift nicht gleich auf einmal zu geben.
Es wird ſeine Wirkung nicht verfehlen, und nur auf
das ‚wie‘ haben wir zu warten. Tout à vous. S.“

In der That, die Beſorgnis, die Sander in die¬
ſen Zeilen an Bülow ausgeſprochen hatte, ſollte ſich
nur als zu gerechtfertigt erweiſen. Intermittierend wie
das Fieber, erſchienen in zweitägigen Pauſen auch die
beiden andern Blätter, und wurden, wie das erſte,
von jedem Vorübergehenden gekauft oder wenigſtens
begafft und beſprochen. Die Frage Schach-Carayon
war über Nacht zu einer cause celèbre geworden,
[149] trotzdem das neubegierige Publikum nur die Hälfte
wußte. Schach, ſo hieß es, habe ſich von der ſchönen
Mutter ab- und der unſchönen Tochter zugewandt.
Über das Motiv erging man ſich in allerlei Mut¬
maßungen, ohne dabei das Richtige zu treffen.


Schach empfing auch die beiden andern Blätter
unter Kouvert. Das Siegel blieb dasſelbe. Blatt
2 hieß „La gazza ladra“ oder die „diebiſche Schach-
Elſter“, und ſtellte eine Elſter dar, die, zwei Ringe
von ungleichem Werte muſternd, den unſcheinbareren
aus der Schmuckſchale nimmt.


Am weitaus verletzendſten aber berührte das den
Salon der Frau von Carayon als Szenerie nehmende
dritte Blatt. Auf dem Tiſche ſtand ein Schachbrett,
deſſen Figuren, wie nach einem verloren gegangenen
Spiel und wie um die Niederlage zu beſiegeln, um¬
geworfen waren. Daneben ſaß Victoire, gut getroffen,
und ihr zu Füßen kniete Schach, wieder in der per¬
ſiſchen Mütze des erſten Bildes. Aber diesmal be¬
zipfelt und eingedrückt. Und darunter ſtand: „Schach
— matt.“


Der Zweck dieſer wiederholten Angriffe wurde
nur zu gut erreicht. Schach ließ ſich krank melden,
ſah niemand und bat um Urlaub, der ihm auch um¬
gehend von ſeinem Chef, dem Oberſten von Schwerin,
gewährt wurde.


[150]

So kam es, daß er am ſelben Tag, an dem,
nach gegenſeitigem Abkommen, ſeine Verlobung mit
Victoire veröffentlicht werden ſollte, Berlin verließ.
Er ging auf ſein Gut, ohne ſich von den Carayons
(deren Haus er all die Zeit über nicht betreten hatte)
verabſchiedet zu haben.

[[151]]

14. Kapitel.
In Wuthenow am See.

Es ſchlug Mitternacht, als Schach in Wuthe¬
now eintraf, an deſſen entgegengeſetzter
Seite das auf einem Hügel erbaute, den
Ruppiner See nach rechts und links hin überblickende
Schloß Wuthenow lag. In den Häuſern und Hütten
war alles längſt in tiefem Schlaf, und nur aus den
Ställen her hörte man noch das Stampfen eines
Pferds oder das halblaute Brüllen einer Kuh.


Schach paſſierte das Dorf und bog am Ausgang
in einen ſchmalen Feldweg ein, der, allmählich an¬
ſteigend, auf den Schloßhügel hinauf führte. Rechts
lagen die Bäume des Außenparks, links eine gemähte
Wieſe, deren Heugeruch die Luft erfüllte. Das Schloß
ſelbſt aber war nichts als ein alter, weißgetünchter
[152] und von einer ſchwarzgeteerten Balkenlage durch¬
zogener Fachwerkbau, dem erſt Schachs Mutter, die
„verſtorbene Gnädige“, durch ein Doppeldach, einen
Blitzableiter und eine prächtige, nach dem Muſter von
Sansſouci hergerichtete Terraſſe, das Anſehen aller¬
nüchternſter Tagtäglichkeit genommen hatte. Jetzt
freilich, unter dem Sternenſchein, lag alles da wie
das Schloß im Märchen, und Schach hielt öfters
an und ſah hinauf, augenſcheinlich betroffen von der
Schönheit des Bildes.


Endlich war er oben und ritt auf das Einfahrts¬
thor zu, das ſich in einem flachen Bogen zwiſchen
dem Giebel des Schloſſes und einem danebenſtehenden
Geſindehauſe wölbte. Vom Hof her vernahm er im
ſelben Augenblick ein Bellen und Knurren und hörte,
wie der Hund wütend aus ſeiner Hütte fuhr und mit
ſeiner Kette nach rechts und links hin an der Holz¬
wandung umherſchrammte.


„Kuſch Dich, Hektor.“ Und das Tier, die
Stimme ſeines Herrn erkennend, begann jetzt vor
Freude zu heulen und zu winſeln, und abwechſelnd
auf die Hütte hinauf- und wieder hinunterzuſpringen.


Vor dem Geſindehauſe ſtand ein Wallnußbaum
mit weitem Gezweige. Schach ſtieg ab, ſchlang den
Zügel um den Aſt, und klopfte halblaut an einen der
Fenſterläden. Aber erſt als er das zweite Mal ge¬
pocht hatte, wurd es lebendig drinnen, und er hörte
[153] von dem Alkoven her eine halb verſchlafene Stimme:
„Wat is?“


„Ich, Kriſt.“


„Jott, Mutter, dat's joa de junge Herr.“


„Joa, dat is hei. Steih man upp un mach flink.“


Schach hörte jedes Wort und rief gutmütig in
die Stube hinein, während er den nur angelegten
Laden halb öffnete: „Laß Dir Zeit, Alter.“


Aber der Alte war ſchon aus dem Bette heraus,
und ſagte nur immer, während er hin und her ſuchte:
„Glieks, junge Herr, glieks. Man noch en beten“.


Und wirklich nicht lange, ſo ſah Schach einen
Schwefelfaden brennen, und hörte, daß eine Laternen¬
thür auf- und wieder zugeknipſt wurde. Richtig, ein
erſter Lichtſchein blitzte jetzt durch die Scheiben, und ein
paar Holzpantinen klappten über den Lehmflur hin. Und
nun wurde der Riegel zurückgeſchoben, und Kriſt, der
in aller Eile nichts als ein leinenes Beinkleid übergezogen
hatte, ſtand vor ſeinem jungen Herrn. Er hatte, vor
manchem Jahr und Tag, als der alte „Gnädge-Herr“
geſtorben war, den durch dieſen Todesfall erledigten
Ehren- und Reſpektstitel auf ſeinen jungen Herrn
übertragen wollen, aber dieſer, der mit Kriſt das
erſte Waſſerhuhn geſchoſſen und die erſte Bootfahrt
über den See gemacht hatte, hatte von dem neuen
Titel nichts wiſſen wollen.


„Jott, junge Herr, ſunſt ſchrewens doch ümmer
[154] ihrſt, o'r ſchicken uns o'r den kleenen in¬
gliſchen Kierl. Un nu keen Wort nich. Awers ick
wußt' et joa, as de Poggen hüt Oabend mit ehr
Gequoak nich to Enn' koam' künn'n. ‚Jei, jei, Mutter,‘
ſeggt ick, ‚dat bedüt' wat‘ Awers as de Fruenslüd'
ſinn! Wat ſeggt ſe? ‚Wat ſall et bedüden?‘ ſeggt
ſe, ‚Regen bedüt et. Un dat's man gaud. Denn unſ'
Tüffeln bruken't.‘


„Ja, ja,“ ſagte Schach, der nur mit halbem Ohr
hingehört hatte, während der Alte die kleine Thür
aufſchloß, die von der Giebelſeite her ins Schloß führte.
„Ja, ja. Regen iſt gut. Aber geh nur vorauf.“


Kriſt that wie ſein junger Herr ihm geheißen,
und beide gingen nun einen mit Flieſen gedeckten
ſchmalen Korridor entlang. Erſt in der Mitte ver¬
breiterte ſich dieſer und bildete nach links hin eine
geräumige Treppenhalle, während nach rechts hin eine
mit Goldleiſten und Rokokoverzierungen reich aus¬
gelegte Doppelthür in einen Gartenſalon führte, der
als Wohn- und Empfangszimmer der verſtorbenen
Frau Generalin von Schach, einer ſehr vornehmen
und ſehr ſtolzen alten Dame gedient hatte. Hierher
richteten ſich denn auch die Schritte beider, und als
Kriſt die halb verquollene Thür nicht ohne Müh und
Anſtrengung geöffnet hatte, trat man ein.


Unter dem Vielen, was an Kunſt- und Erinne¬
rungsgegenſtänden in dieſem Gartenſalon umherſtand,
[155] war auch ein bronzener Dopelleuchter, den Schach
ſelber, vor drei Jahren erſt, von ſeiner italieniſchen
Reiſe mit nach Hauſe gebracht und ſeiner Mutter
verehrt hatte. Dieſen Leuchter nahm jetzt Kriſt vom
Kamin und zündete die beiden Wachslichter an, die
ſeit lange ſchon in den Leuchtertellern ſteckten, und
ihrerzeit der verſtorbenen Gnädigen zum Siegeln ihrer
Briefe gedient hatten. Die Gnädige ſelbſt aber war
erſt ſeit einem Jahre tot, und da Schach, von jener
Zeit an, nicht wieder hier geweſen war, ſo hatte noch
alles den alten Platz. Ein paar kleine Sofas ſtanden
wie früher an den Schmalſeiten einander gegen¬
über, während zwei größere die Mitte der Längswand
einnahmen und nichts als die vergoldete Rokoko-Doppel¬
thür zwiſchen ſich hatten. Auch der runde Roſenholz¬
tiſch (ein Stolz der Generalin) und die große Mar¬
morſchale, darin alabaſterne Weintrauben und Orangen
und ein Pinienapfel lagen, ſtanden unverändert an
ihrem Platz. In dem ganzen Zimmer aber, das ſeit
lange nicht gelüftet war, war eine ſtickige Schwüle.


„Mach ein Fenſter auf,“ ſagte Schach. „Und
dann gieb mir eine Decke. Die da.“


„Wullen's ſich denn hier hen leggen, junge
Herr?“


„Ja, Kriſt. Ich habe ſchon ſchlechter gelegen.“


„Ick weet. Jott, wenn de oll jnädge Herr uns
[156]doavunn vertellen deih! Ümmer ſo platſch in'n
Kalkmodder 'rin. Nei, nei, dat wihr nix för mi.
‚Jott, jnädge Herr‘ ſeggt ick denn ümmer, ‚ick gloob
de Huut geit em runner‘. Awers denn lachte joa de
oll jnädge Herr ümmer, un ſeggte: ‚Nei, Kriſt, unſ'
Huut ſitt faſt.‘


Während der Alte noch ſo ſprach und vergan¬
gener Zeiten gedachte, griff er zugleich doch nach einem
breiten, aus Rohr geflochtenen Ausklopfer, der in
einer Kaminecke ſtand, und verſuchte damit das eine
Sofa, das ſich Schach als Lagerſtätt ausgewählt
hatte, wenigſtens aus dem Gröbſten herauszubringen.
Aber der dichte Staub, der aufſtieg, zeigte nur das
Vergebliche ſolcher Bemühungen, und Schach ſagte
mit einem Anfluge von guter Laune: „Störe den
Staub nicht in ſeinem Frieden.“ Und erſt als ers
geſprochen hatte, fiel ihm der Doppelſinn darin auf,
und er gedachte der Eltern, die drunten in der Dorf¬
kirche in großen Kupferſärgen und mit einem aufge¬
löteten Kruzifix darauf, in der alten Gruft der Fa¬
milie ſtanden.


Aber er hing dem Bilde nicht weiter nach und
warf ſich aufs Sofa. „Meinem Schimmel gieb ein
Stück Brod und einen Eimer Waſſer; dann hält er
aus bis morgen. Und nun ſtelle das Licht ans
Fenſter und laß es brennen. . . Nein, nicht da, nicht
ans offene; an das daneben. Und nun gute Nacht,
[157] Kriſt. Und ſchließe von außen zu, daß ſie mich nicht
wegtragen.“


„Ih, ſe wihren doch nich . .“


Und Schach hörte bald danach die Pantinen, wie
ſie den Korridor hinunterklappten. Ehe Kriſt aber die
Giebelthür noch erreicht, und von außen her zuge¬
ſchloſſen haben konnte, legte ſichs ſchon ſchwer und
bleiern auf ſeines Herrn überreiztes Gehirn.


Freilich nicht auf lang. Aller auf ihm laſtenden
Schwere zum Trotz, empfand er deutlich, daß etwas
über ihn hinſumme, ihn ſtreife und kitzle, und als
ein ſich Drehen und Wenden und ſelbſt ein unwill¬
kürliches und halbverſchlafenes Umherſchlagen mit
der Hand nichts helfen wolle, riß er ſich endlich auf
und zwang ſich ins Wachen zurück. Und nun ſah
er, was es war. Die beiden eben verſchweelenden
Lichter, die mit ihrem Qualme die ſchon ſtickige Luft
noch ſtickiger gemacht hatten, hatten allerlei Getier vom
Garten her in das Zimmer gelockt, und nur über
Art und Beſchaffenheit deſſelben war noch ein Zweifel.
Einen Augenblick dacht er an Fledermäuſe; ſehr bald
aber mußt er ſich überzeugen, daß es einfach rieſige
Motten und Nachtſchmetterlinge waren, die zu ganzen
Dutzenden in dem Saale hin und her flogen, an die
Scheiben ſtießen und vergeblich das offne Fenſter
wieder zu finden ſuchten.


Er raffte nun die Decke zuſammen und ſchlug
[158] mehrmals durch die Luft, um die Störenfriede wieder
hinauszujagen. Aber das unter dieſem Jagen und
Schlagen immer nur ängſtlicher werdende Geziefer,
ſchien ſich zu verdoppeln, und ſummte nur dichter
und lauter als vorher um ihn herum. An Schlaf
war nicht mehr zu denken, und ſo trat er denn ans
offne Fenſter und ſprang hinaus, um, draußen um¬
hergehend, den Morgen abzuwarten.


Er ſah nach der Uhr. Halb zwei. Die dicht
vor dem Salon gelegene Gartenanlage beſtand aus
einem Rondeel mit Sonnenuhr, um das herum, in
meiſt dreieckigen und von Buchsbaum eingefaßten
Beeten, allerlei Sommerblumen blühten: Reſeda und
Ritterſporn, und Lilien und Levkojen. Man ſah leicht,
daß eine ordnende Hand hier neuerdings gefehlt hatte,
trotzdem Kriſt zu ſeinen vielfachen Ämtern auch das
eines Gärtners zählte; die Zeit indeß, die ſeit dem
Tode der Gnädigen vergangen war, war andrerſeits
eine viel zu kurze noch, um ſchon zu vollſtändiger
Verwilderung geführt zu haben. Alles hatte nur
erſt den Charakter eines wuchernden Blühens ange¬
nommen, und ein ſchwerer und doch zugleich auch
erquicklicher Levkojenduft lag über den Beeten, den
Schach in immer volleren Zügen einſog.


Er umſchritt das Rondeel, einmal, zehnmal, und
balancierte, während er einen Fuß vor den andern
ſetzte, zwiſchen den nur handbreiten Stegen hin. Er
[159] wollte dabei ſeine Geſchicklichkeit proben und die Zeit
mit guter Manier hinter ſich bringen. Aber dieſe
Zeit wollte nicht ſchwinden, und als er wieder nach
der Uhr ſah, war erſt eine Viertelſtunde vergangen.


Er gab nun die Blumen auf und ſchritt auf
einen der beiden Laubengänge zu, die den großen
Parkgarten flankierten und von der Höhe bis faſt an
den Fuß des Schloßhügels herniederſtiegen. An
mancher Stelle waren die Gänge nach obenhin über¬
wachſen, an andern aber offen, und es unterhielt ihn
eine Weile den abwechſelnd zwiſchen Dunkel und Licht
liegenden Raum in Schritten auszumeſſen. Ein paarmal
erweiterte ſich der Gang zu Niſchen und Tempelrun¬
dungen, in denen allerhand Sandſteinfiguren ſtanden:
Götter und Göttinnen, an denen er früher viele hundert¬
male vorübergegangen war, ohne ſich auch nur im ge¬
ringſten um ſie zu kümmern oder ihrer Bedeutung nach¬
zuforſchen; heut aber blieb er ſtehn und freute ſich be¬
ſonders aller derer, denen die Köpfe fehlten, weil ſie
die dunkelſten und unverſtändlichſten waren, und ſich
am ſchwerſten erraten ließen. Endlich war er den
Laubengang hinunter, ſtieg ihn wieder hinauf und
wieder hinunter, und ſtand nun am Dorfausgang und
hörte daß es zwei ſchlug. Oder bedeuteten die beiden
Schläge halb? War es halb drei? Nein, es war
erſt zwei.


Er gab es auf, das Auf und Nieder ſeiner
[160] Promenade noch weiter fortzuſetzen und beſchrieb lieber
einen Halbkreis um den Fuß des Schloßhügels herum,
bis er in Front des Schloſſes ſelber war. Und nun
ſah er hinauf, und ſah die große Terraſſe, die von
Orangeriekübeln und Cypreſſenpyramiden eingefaßt,
bis dicht an den See hinunterführte. Nur ein ſchmal
Stück Wieſe lag noch dazwiſchen, und auf eben dieſer
Wieſe ſtand eine uralte Eiche, deren Schatten Schach
jetzt umſchritt, einmal, vielemal, als würd er in ihrem
Bann gehalten. Es war erſichtlich, daß ihn der Kreis,
in dem er ging, an einen andern Kreis gemahnte,
denn er murmelte vor ſich hin: könnt' ich heraus!


Das Waſſer, das hier ſo verhältnismäßig nah an
die Schloßterraſſe herantrat, war ein bloßer toter
Arm des Sees, nicht der See ſelbſt. Auf dieſen See
hinauszufahren aber, war in ſeinen Knabenjahren
immer ſeine höchſte Wonne geweſen.


„Iſt ein Boot da, ſo fahr ich.“ Und er ſchritt
auf den Schilfgürtel zu, der die tief einmündende
Bucht von drei Seilen her einfaßte. Nirgends ſchien
ein Zugang. Schließlich indeß fand er einen über¬
wachſenen Steg, an deſſen Ende das große Sommer¬
boot lag, das ſeine Mama viele Jahre lang benutzt
hatte, wenn ſie nach Karwe hinüberfuhr, um den
Kneſebecks einen Beſuch zu machen. Auch Ruder und
Stangen fanden ſich, während der flache Boden des
Boots, um einen trockenen Fuß zu haben, mit hoch¬
[161] aufgeſchüttetem Binſenſtroh überdeckt war. Schach
ſprang hinein, löſte die Kette vom Pflock und ſtieß
ab. Irgend welche Ruderkünſte zu zeigen, war ihm
vor der Hand noch unmöglich, denn das Waſſer war
ſo ſeicht und ſchmal, daß er bei jedem Schlage das
Schilf getroffen haben würde. Bald aber verbreiterte
ſichs und er konnte nun die Ruder einlegen. Eine
tiefe Stille herrſchte; der Tag war noch nicht wach,
und Schach hörte nichts als ein leiſes Wehen und
Rauſchen, und den Ton des Waſſers, das ſich gluckſend
an dem Schilfgürtel brach. Endlich aber war er in
dem großen und eigentlichen See, durch den der Rhin
fließt, und die Stelle, wo der Strom ging, ließ ſich
an einem Gekräuſel der ſonſt ſpiegelglatten Fläche
deutlich erkennen. In dieſe Strömung bog er jetzt
ein, gab dem Boote die rechte Richtung, legte ſich und
die Ruder ins Binſenſtroh, und fühlte ſofort wie das
Treiben und ein leiſes Schaukeln begann.


Immer blaſſer wurden die Sterne, der Himmel
rötete ſich im Oſten und er ſchlief ein.


Als er erwachte, war das mit dem Strom gehende
Boot ſchon weit über die Stelle hinaus, wo der tote
Arm des Sees nach Wuthenow hin abbog. Er nahm
alſo die Ruder wieder in die Hand und legte ſich
mit aller Kraft ein, um aus der Strömung heraus und
an die verpaßte Stelle zurückzukommen, und freute
ſich der Anſtrengung dies ihm koſtete.


11[162]

Der Tag war inzwiſchen angebrochen. Über dem
Firſt des Wuthenower Herrenhauſes hing die Sonne,
während drüben am andern Ufer die Wolken im Wieder¬
ſchein glühten und die Waldſtreifen ihren Schatten in
den See warfen. Auf dem See ſelbſt aber begann es
ſich zu regen, und ein die Morgenbriſe benutzender Torf¬
kahn glitt mit ausgeſpanntem Segel an Schach vorüber.
Ein Fröſteln überlief dieſen. Aber dies Fröſteln
that ihm wohl, denn er fühlte deutlich, wie der Druck,
der auf ihm laſtete, ſich dabei minderte. „Nahm er
es nicht zu ſchwer? Was war es denn am Ende?
Bosheit und Übelwollen. Und wer kann ſich dem
entziehn! Es kommt und geht. Eine Woche noch, und
die Bosheit hat ſich ausgelebt.“ Aber während er ſo
ſich tröſtete, zogen auch wieder andre Bilder herauf,
und er ſah ſich in einem Kutſchwagen bei den prinz¬
lichen Herrſchaften vorfahren, um ihnen Victoire von
Carayon als ſeine Braut vorzuſtellen. Und er hörte
deutlich, wie die alte Prinzeß Ferdinand ihrer Tochter,
der ſchönen Radiziwill, zuflüſterte: „Est-elle riche?“
„Sans doute.“ „Ah, je comprends.“


Unter ſo wechſelnden Bildern und Betrachtungen
bog er wieder in die kurz vorher ſo ſtille Bucht ein,
in deren Schilf jetzt ein buntes und bewegtes Leben
herrſchte. Die darin niſtenden Vögel kreiſchten oder
gurrten, ein paar Kibitze flogen auf, und eine Wild¬
ente, die ſich neugierig umſah, tauchte nieder, als das
[163] Boot plötzlich in Sicht kam. Eine Minute ſpäter,
und Schach hielt wieder am Steg, ſchlang die Kette
feſt um den Pflock, und ſtieg unter Vermeidung jedes
Umwegs die Terraſſe hinauf, auf deren oberſtem Ab¬
ſatz er Kriſts Frau, der alten Mutter Kreepſchen
begegnete, die ſchon auf war, um ihrer Ziege das
erſte Grünfutter zu bringen.

„Tag, Mutter Kreepſchen.“

Die Alte ſchrak zuſammen, ihren drinnen im Garten¬
ſalon vermuteten jungen Herrn (um deſſentwillen ſie
die Hühner nicht aus dem Stall gelaſſen hatte, bloß
damit ihr Gackern ihn nicht im Schlafe ſtören ſollte)
jetzt von der Frontſeite des Schloſſes her auf ſich zu¬
kommen zu ſehn.


„Jott, junge Herr. Wo kümmens denn her?“

„Ich konnte nicht ſchlafen, Mutter Kreepſchen.“

„Wat wihr denn los? Hätt et wedder ſpökt?“

„Beinah. Mücken und Motten warens. Ich
hatte das Licht brennen laſſen. Und der eine Fenſter¬
flügel war auf.“


„Awers worümm hebbens denn dat Licht nich
utpuuſt? Dat weet doch jed-een, wo Licht is, doa
ſinn ook ümmer Gnitzen un Motten. Ick weet nich!
Un mien oll Kreepſch, he woahrd ook ümmer dümm¬
ſcher. Jei, jei. Un nich en Oog to.“


„Doch, Mutter Kreepſchen. Ich habe geſchlafen,
im Boot, und ganz gut und ganz feſt. Aber jetzt
11*[164] frier ich. Und wenns Feuer brennt, dann bringt Ihr
mir wohl was Warmes. Nicht wahr? 'Ne Suppe
oder 'nen Kaffe.“


„Jott, et brennt joa all lang, junge Herr; Füer
is ümmer dat ihrſt. Verſteiht ſich, verſteiht ſich, wat
Warm's. Un ick bring et ook glieks; man blot de oll
Zick, de geiht för. Se jloben joar nich, junge Herr,
wie ſchabernakſch ſo'n oll' Zick' is. De weet, as ob
ſe 'ne Uhr in'n Kopp hätt, ob et feif is o'r ſöſſ. Un
wenn't ſöſſ is, denn wohrd ſe falſch. Un kumm ick
denn un will ehr melken, joa, wat jloben ſe woll, wat
ſe denn deiht? Denn ſtött ſe mi. Un ümmer hier in't
Krüz, dicht bi de Hüft'. Un worümm? Wiel ſe weet,
dat ick doa miene Wehdag' hebben deih. Awers nu
kummen's man ihrſt in unſ' Stuw, un ſetten ſich en
beten dahl. Mien oll Kreepſch is joa nu groad bie't
Pierd und ſchütt't em wat in. Awers keen Viertel¬
ſtunn mihr, junge Herr, denn hebben's ehren Koffe.
Un ook wat dato. De oll Semmelfru von Herzberg
wihr joa all hier.“


Unter dieſen Worten war Schach in Kreepſchens
gute Stube getreten. Alles darin war ſauber und rein,
nur die Luft nicht. Ein eigentümlicher Geruch
herrſchte vor, der von einem Pfeffer- und Koriander-
Mixtum herrührte, das die Kreepſchen als Motten¬
vertreibungsmittel in die Sophaecken geſteckt hatte.
Schach öffnete deshalb das Fenſter, kettelte den Haken
[165] ein, und war nun erſt im Stande, ſich all der
Kleinigkeiten zu freun, die die „gute Stube“ ſchmückten.
Über dem Sopha hingen zwei kleine Kalenderbildchen,
Anekdoten aus dem Leben des Großen Königs dar¬
ſtellend, „Du, du“ ſtand unter dem einen, und „Bon
soir, Messieurs
“ unter dem andern. Um die Bilder¬
chen und ihre Goldborte herum hingen zwei dicke
Immortellenkränze mit ſchwarzen und weißen Schleifen
daran, während auf dem kleinen, niedrigen Ofen eine
Vaſe mit Zittergras ſtand. Das Hauptſchmuckſtück
aber war ein Schilderhäuschen mit rotem Dach, in
dem früher, aller Wahrſcheinlichkeit nach, ein Eich¬
kätzchen gehauſt und ſeinen Futterwagen an der Kette
herangezogen hatte. Jetzt war es leer, und der Wagen
hatte ſtille Tage.


Schach war eben mit ſeiner Muſterung fertig,
als ihm auch ſchon gemeldet wurde: „daß drüben alles
klar ſei“.


Und wirklich, als er in den Gartenſalon eintrat,
der ihm ein Nachtlager ſo beharrlich verweigert hatte,
war er überraſcht, was Ordnungsſinn und ein paar
freundliche Hände mittlerweile daraus gemacht hatten.
Thür und Fenſter ſtanden auf, die Morgenſonne füllte
den Raum mit Licht und aller Staub war von Tiſch
und Sopha verſchwunden. Einen Augenblick ſpäter
erſchien auch ſchon Kriſts Frau mit dem Kaffe, die
Semmeln in einen Korb gelegt, und als Schach eben
[166] den Deckel von der kleinen Meißner Kanne heben
wollte, klangen vom Dorfe her die Kirchenglocken
herauf.


„Was iſt denn das?“ fragte Schach. „Es kann
ja kaum ſieben ſein.“


„Juſtement ſieben, junge Herr.“


„Aber ſonſt war es doch erſt um elf. Und um
zwölfe dann Predigt.“


„Joa, ſo wihr et. Awers nu nich mihr. Un
ümmer den dritt'n Sünndag is et anners. Twee
Sünndag', wenn de Radenslebenſche kümmt, denn is't
um twölwen, wiel he joa ihrſt in Radensleben preeſtern
deiht, awers den dritten Sünndag, wenn de oll Rup¬
pinſche röwer kümmt, denn is et all um achten. Un
ümmer. wenn unſ oll Kriwitz von ſine Thurmluk' ut
unſen Ollſchen von dröwen abſtötten ſeiht, denn treckt
he joa ſien Klock. Und dat's ümmer um ſeb'n.“


„Wie heißt denn jetzt der Ruppinſche?“


„Na, wie ſall he heten? He heet ümmer noch
ſo. Is joa ümmer noch de oll Bienengräber.“


„Bei dem bin ich ja eingeſegnet. War immer
ein ſehr guter Mann.“


„Joa, dat is he. Man blot, he hett keene Teihn
mihr, ook nich een', un nu brummelt un mummelt he
ümmerto, un keen Minſch verſteiht em.“


„Das iſt gewiß nicht ſo ſchlimm, Mutter Kreepſchen.
Aber die Leute haben immer was auszuſetzen. Und
[167] nun gar erſt die Bauern! Ich will hingehen und mal
wieder nachſehen, was mir der alte Bienengräber zu
ſagen hat, mir und den andern. Hat er denn noch
in ſeiner Stube das große Hufeiſen, dran ein Zehn¬
pfundgewicht hing? Das hab ich mir immer angeſehn,
wenn ich nicht aufpaßte.“


„Dat woahrd he woll noch hebben. De Jungens
paſſen joa all nich upp.“


Und nun ging ſie, um ihren jungen Herrn nicht
länger zu ſtören, und verſprach ihm ein Geſangbuch
zu bringen.


Schach hatte guten Appetit und ließ ſich die Herz¬
berger Semmeln ſchmecken. Denn ſeit er Berlin ver¬
laſſen, war noch kein Biſſen über ſeine Lippen ge¬
kommen. Endlich aber ſtand er auf, um in die Gar¬
tenthür zu treten und ſah von hier aus über das
Rondeel und die Buchsbaumrabatten und weiter da¬
hinter über die Baumwipfel des Parkes fort, bis ſein
Auge ſchließlich auf einem ſonnenbeſchienenen Storchen¬
paar ausruhte, das unten, am Fuße des Hügels, über
eine mit Ampfer und Ranunkel rot und gelb gemuſterte
Wieſe hinſchritt.


Er verfiel im Anblicke dieſes Bildes in allerlei
Betrachtungen; aber es läutete gerade zum dritten
Mal, und ſo ging er denn ins Dorf hinunter, um,
von dem herrſchaftlichen Chorſtuhl aus zu hören, „was
ihm der alte Bienengräber zu ſagen habe.“

[168]

Bienengräber ſprach gut genug, ſo recht aus dem
Herzen und der Erfahrung heraus, und als der letzte
Vers geſungen und die Kirche wieder leer war, wollte
Schach auch wirklich in die Sakriſtei gehen, dem Al¬
ten danken für manches gute Wort aus längſt ver¬
gangener Zeit her, und ihn in ſeinem Boot über den
See hin zurückbegleiten. Unterwegs aber wollt er
ihm alles ſagen, ihm beichten, und ſeinen Rat erbitten.
Er würde ſchon Antwort wiſſen. Das Alter ſei alle¬
mal weiſe, und wenn nicht von Weisheits-, ſo doch
bloß ſchon von Alters wegen. „Aber,“ unterbrach er
ſich mitten in dieſem Vorſatze, „was ſoll mir ſchlie߬
lich ſeine Antwort? hab ich dieſe Antwort nicht ſchon
vorweg? hab ich ſie nicht in mir ſelbſt? Kenn ich
nicht die Gebote? Was mir fehlt, iſt bloß die Luſt,
ihnen zu gehorchen.“


Und während er ſo vor ſich hinredete, ließ er
den Plan eines Zwiegeſprächs fallen, und ſtieg den
Schloßberg wieder hinauf.


Er hatte von dem Gottesdienſt in der Kirche
nichts abgehandelt, und doch ſchlug es erſt zehn, als
er wieder oben anlangte.


Hier ging er jetzt durch alle Zimmer, einmal,
zweimal, und ſah ſich die Bilder aller der Schachs
an, die zerſtreut und in Gruppen an den Wänden
umherhingen. Alle waren in hohen Stellungen in
der Armee geweſen, alle trugen ſie den Schwarzen
[169] Adler oder den Pour le Merite. Das hier war der
General, der bei Malplaquet die große Redoute nahm,
und das hier war das Bild ſeines eigenen Gro߬
vaters, des Oberſten im Regiment Itzenplitz, der den
Hochkirchner Kirchhof mit 400 Mann eine Stunde
lang gehalten hatte. Schließlich fiel er, zerhauen und
zerſchoſſen, wie alle die, die mit ihm waren. Und
dazwiſchen hingen die Frauen, einige ſchön, am ſchönſten
aber ſeine Mutter.


Als er wieder in dem Gartenſalon war, ſchlug
es zwölf. Er warf ſich in die Sopha-Ecke, legte die
Hand über Aug und Stirn und zählte die Schläge.
„Zwölf. Jetzt bin ich zwölf Stunden hier, und mir
iſt als wären es zwölf Jahre. . Wie wird es ſein?
Alltags die Kreepſchen, und Sonntags Bienengräber
oder der Radenslebenſche, was keinen Unterſchied macht.
Einer wie der andre. Gute Leute, verſteht ſich, alle
gut . . Und dann geh ich mit Victoire durch den
Garten, und aus dem Park auf die Wieſe, dieſelbe
Wieſe, die wir vom Schloß aus immer und ewig
und ewig und immer ſehn, und auf der der Ampfer
und die Ranunkeln blühn. Und dazwiſchen ſpazieren
die Störche. Vielleicht ſind wir allein; aber vielleicht
läuft auch ein kleiner Dreijähriger neben uns her und
ſingt in einem fort: ,Adebaar, Du Beſter, bring mir
eine Schweſter.‘ Und meine Schloßherrin errötet und
wünſcht ſich das Schweſterchen auch. Und endlich
[170] ſind elf Jahre herum, und wir halten an der ,erſten
Station,‘ an der erſten Station, die die ,ſtroherne
Hochzeit‘ heißt. Ein ſonderbares Wort. Und dann iſt
auch allmählich die Zeit da, ſich malen zu laſſen,
malen zu laſſen für die Galerie. Denn wir dürfen
doch am Ende nicht fehlen! Und zwiſchen die Generäle
rück ich dann als Rittmeiſter ein, und zwiſchen die
ſchönen Frauen kommt Victoire. Vorher aber hab
ich eine Konferenz mit dem Maler und ſag ihm: ‚Ich
rechne darauf, daß Sie den Ausdruck zu treffen
wiſſen. Die Seele macht ähnlich.‛ Oder ſoll ich ihm
geradezu ſagen: ‚machen Sies gnädig‘ . . . Nein,
nein!“

[[171]]

15. Kapitel.
Die Schachs und die Carayons.

Was immer geſchieht, geſchah auch diesmal: die
Carayons erfuhren nichts von dem, was
die halbe Stadt wußte. Dienſtag, wie ge¬
wöhnlich, erſchien Tante Marguerite, fand Victoiren
„um dem Kinn etwas ſpitz” und warf im Laufe der
Tiſchunterhaltung hin: „Wißt Ihr denn ſchon, es ſollen
ja Karrikatüren erſchienen ſein?”


Aber dabei blieb es, da Tante Marguerite jenen
alten Geſellſchaftsdamen zuzählte, die nur immer von
allem „gehört haben”, und als Victoire fragte: „was
denn, liebe Tante?” wiederholte ſie nur: „Karrika¬
türen, liebes Kind. Ich weiß es ganz genau.“ Und
damit ließ man den Geſprächsgegenſtand fallen.


Es war gewiß ein Glück für Mutter und Tochter,
[172] daß ſie von den Spott- und Zerrbildern, deren Gegen¬
ſtand ſie waren, nichts in Erfahrung brachten; aber für
den Drittbeteiligten, für Schach, war es ebenſo gewiß
ein Unglück und eine Quelle neuer Zerwürfniſſe. Hätte
Frau von Carayon, als deren ſchönſter Herzenszug
ein tiefes Mitgefühl gelten konnte, nur die kleinſte
Vorſtellung von all dem Leid gehabt, das, die ganze
Zeit über, über ihren Freund ausgeſchüttet worden
war, ſo würde ſie von der ihm geſtellten Forderung
zwar nicht Abſtand genommen, aber ihm doch Auf¬
ſchub gewährt und Troſt und Teilnahme geſpendet
haben; ohne jede Kenntnis jedoch von dem, was in¬
zwiſchen vorgefallen war, aigrierte ſie ſich gegen Schach
immer mehr und erging ſich von dem Augenblick an,
wo ſie von ſeinem Rückzug nach Wuthenow erfuhr,
über ſeinen „Wort- und Treubruch“ als den ſies an¬
ſah, in den heftigſten und unſchmeichelhafteſten Aus¬
drücken.


Es war ſehr bald, daß ſie von dieſem Rückzuge
hörte. Denſelben Abend noch, an dem Schach ſeinen
Urlaub angetreten hatte, ließ ſich Alvensleben bei den
Carayons melden. Victoire, der jede Geſellſchaft
peinlich war, zog ſich zurück, Frau von Carayon
aber ließ bitten und empfing ihn mit beſondrer Herz¬
lichkeit.


„Daß ich Ihnen ſagen könnte, lieber Alvensleben,
wie ſehr ich mich freue, Sie nach ſo vielen Wochen
[173] einmal wieder zu ſehen. Eine Welt von Dingen hat
ſich ſeitdem zugetragen. Und ein Glück, daß Sie ſtand¬
haft blieben, als man Ihnen den Luther aufzwingen
wollte. Das hätte mir Ihr Bild ein für allemal
verdorben.“


„Und doch, meine Gnädigſte, ſchwankt' ich einen
Augenblick, ob ich ablehnen ſollte.“


„Und weshalb?“


„Weil unſer beiderſeitiger Freund unmittelbar
vorher abgelehnt hatte. Nachgerade widerſteht es mir,
immer wieder und wieder in ſeine Fußtapfen zu treten.
Giebt es ihrer doch ohnehin ſchon genug, die mich
einfach als ſeinen Abklatſch bezeichnen, an der Spitze
Zieten, der mir erſt neulich wieder zurief: ‚Hüten
Sie ſich, Alvensleben, daß Sie nicht als Schach II.
in die Rang- und Quartierliſte kommen‘.“


„Was nicht zu befürchten ſteht. Sie ſind eben
doch anders.“


„Aber nicht beſſer.“


„Wer weiß.“


„Ein Zweifel, der mich aus dem Munde meiner
ſchönen Frau von Carayon einigermaßen überraſcht,
und unſrem verwöhnten Freunde, wenn er davon
hörte, ſeine Wuthenower Tage vielleicht verleiden
würde.“


„Seine Wuthenower Tage?“


„Ja, meine Gnädigſte. Mit unbeſtimmtem Urlaub.
[174] Und Sie wiſſen nicht davon? Er wird ſich doch nicht
ohne vorgängigen Abſchied von Ihnen in ſein altes
Seeſchloß zurückgezogen haben, von dem Noſtitz neu¬
lich behauptete, daß es halb Wurmfraß und halb
Romantik ſei.“


„Und doch iſt es geſchehen. Er iſt launenhaft,
wie Sie wiſſen.“ Sie wollte mehr ſagen, aber es ge¬
lang ihr, ſich zu bezwingen und das Geſpräch über
allerhand Tagesneuigkeiten fortzuſetzen, bei welcher
Gelegenheit Alvensleben zu ſeiner Beruhigung wahr¬
nahm, daß ſie von der Haupttagesneuigkeit, von dem
Erſcheinen der Bilder, nicht das Geringſte wußte.
Wirklich, es war der Frau von Carayon auch in der
zwiſchenliegenden halben Woche nicht einen Augenblick
in den Sinn gekommen, etwas Näheres über das
von dem Tantchen Angedeutete hören zu wollen.


Endlich empfahl ſich Alvensleben, und Frau von
Carayon, alles Zwanges nunmehr los und ledig, eilte,
während Thränen ihren Augen entſtürzten, in Victoirens
Zimmer, um ihr die Mitteilung von Schachs Flucht
zu machen. Denn eine Flucht war es.


Victoire folgte jedem Wort. Aber ob es nun ihre
Hoffnung und Zuverſicht oder umgekehrt ihre Reſig¬
nation war, gleichviel, ſie blieb ruhig.


„Ich bitte Dich, urteile nicht zu früh. Ein Brief
von ihm wird eintreffen und über alles Aufklärung
geben. Laß es uns abwarten; Du wirſt ſehn, daß
[175] Du Deinem Verdacht und Deiner Verſtimmung gegen
ihn mehr nachgegeben haſt, als recht und billig war.“


Aber Frau von Carayon wollte ſich nicht um¬
ſtimmen laſſen.


„Ich kannt ihn ſchon, als Du noch ein Kind
warſt. Nur zur gut. Er iſt eitel und hochfahrend,
und die prinzlichen Höfe haben ihn vollends über¬
ſchraubt. Er verfällt mehr und mehr ins Ridiküle.
Glaube mir, er will Einfluß haben und zieht ſich im
Stillen irgend einen politiſchen oder gar ſtaats¬
männiſchen Ehrgeiz groß. Was mich aber am meiſten
verdrießt, iſt das, er hat ſich auch plötzlich auf ſeinen
Obotritenadel beſonnen, und fängt an ſein Schach¬
oder Schachentum für etwas ganz Beſondres in der
Weltgeſchichte zu halten.“


„Und thut damit nicht mehr, als was alle thun..
Und die Schachs ſind doch wirklich eine alte Familie.“


„Daran mag er denken und das Pfauenrad
ſchlagen, wenn er über ſeinen Wuthnower Hühnerhof
hingeht. Und ſolche Hühnerhöfe giebt es hier überall.
Aber was ſoll uns das? Oder zum wenigſten was
ſoll es Dir? An mir hätt er vorbeiſtolzieren und
der bürgerlichen Generalpächterstochter, der kleinen
Roturière, den Rücken kehren können. Aber Du
Victoire, Du; Du biſt nicht blos meine Tochter, Du
biſt auch Deines Vaters Tochter, Du biſt eine
Carayon!


[176]

Victoire ſah die Mama mit einem Anfluge ſchel¬
miſcher Verwunderung an.


„Ja, lache nur, Kind, lache laut, ich verüble Dirs
nicht. Haſt Du mich doch ſelber oft genug über dieſe
Dinge lachen ſehen. Aber, meine ſüße Victoire, die
Stunden ſind nicht gleich, und heute bitt ich Deinem
Vater ab und dank ihm von Herzen, weil er mir in
ſeinem Adelsſtolze, mit dem er mich zur Verzweiflung
gebracht und aus ſeiner Nähe hinweg gelangweilt hat,
eine willkommene Waffe gegen dieſen mir unerträg¬
lichen Dünkel in die Hand giebt. Schach, Schach!
Was iſt Schach? Ich kenn ihre Geſchichte nicht und
will ſie nicht kennen, aber ich wette dieſe meine
Broche gegen eine Stecknadel, daß Du, wenn Du das
ganze Geſchlecht auf die Tenne wirfſt, da, wo der
Wind am ſchärfſten geht, daß nichts übrig bleibt, ſag
ich, als ein halbes Dutzend Oberſten und Rittmeiſter,
alle devoteſt erſtorben und alle mit einer Pontaknaſe.
Lehre mich dieſe Leute kennen!“


„Aber, Mama . .“


„Und nun die Carayons! Es iſt wahr, ihre
Wiege hat nicht an der Havel und nicht einmal an
der Spree geſtanden, und weder im Brandenburger
noch im Havelberger Dom iſt je geläutet worden,
wenn einer von ihnen kam oder ging. Oh, ces
pauvres gens, ces malheureux Carayons!
Sie
hatten ihre Schlöſſer, beiläufig wirkliche Schlöſſer,
[177] ſo bloß armſelig an der Gironde hin, waren bloß
Girondins und Deines Vaters leibliche Vettern fielen
unter der Guillotine, weil ſie treu und frei zugleich
waren und uneingeſchüchtert durch das Geſchrei des
Berges für das Leben ihres Königs geſtimmt hatten.“


Immer verwunderter folgte Victoire.


„Aber,“ fuhr Frau von Carayon fort, „ich will
nicht von Jüngſtgeſchehenem ſprechen, will nicht ſprechen
von heute. Denn ich weiß wohl, das von Heuteſein
iſt immer ein Verbrechen in den Augen derer, die
ſchon geſtern da waren, gleichviel wie. Nein, ich
will von alten Zeiten ſprechen, von Zeiten, als der
erſte Schach ins Land und an den Ruppiner See
kam, und einen Wall und Graben zog, und eine la¬
teiniſche Meſſe hörte, von der er nichts verſtand.
Eben damals zogen die Carayons, ces pauvres et
malheureux Carayons
, mit vor Jeruſalem und
eroberten es und befreiten es. Und als ſie heimkamen,
da kamen Sänger an ihren Hof, und ſie ſangen ſelbſt,
und als Victoire de Carayon (ja ſie hieß auch Victoire)
ſich dem großen Grafen von Luſignan vermählte,
deſſen erlauchter Bruder Großprior des hohen Ordens
vom Spital und endlich König von Cypern war, da
waren wir mit einem Königshauſe verſippt und ver¬
ſchwägert, mit den Luſignans, aus deren großem
Hauſe die ſchöne Meluſine kam, unglücklichen aber
Gott ſei Dank unproſaiſchen Angedenkens. Und von
12[178] uns Carayons, die wir ganz andere Dinge geſehn
haben, will ſich dieſer Schach abwenden und ſich hoch¬
mütig zurückziehn? Unſrer will er ſich ſchämen?
Er, Schach. Will er es als Schach, oder will er es
als Grundherr von Wuthenow? Ah, bah! Was iſt es
denn mit beiden? Schach iſt ein blauer Rock mit einem
roten Kragen, und Wuthenow iſt eine Lehmkathe.“


„Mama, glaube mir, Du thuſt ihm Unrecht. Ich
ſuch es nach einen andern Seite hin. Und da find
ich es auch.“


Frau von Carayon beugte ſich zu Victoire nieder
und küßte ſie leidenſchaftlich. „Ach, wie gut Du biſt,
viel viel beſſer, als Deine Mama. Und nur Eines
iſt gut an ihr, daß ſie Dich liebt. Er aber ſollte
Dich auch lieben! Schon um Deiner Demut willen.“


Victoire lächelte.


„Nein, nicht ſo. Der Glaube, daß Du verarmt
und ausgeſchieden ſeieſt, beherrſcht Dich mit der Macht
einer fixen Idee. Du biſt nicht ſo verarmt. Und
auch er. .“


Sie ſtockte.


„Sieh, Du warſt ein ſchönes Kind, und Alvens¬
leben hat mir erzählt, in welch enthuſiaſtiſchen Worten
der Prinz erſt neulich wieder von Deiner Schönheit
auf dem Maſſowſchen Balle geſprochen habe. Das
iſt nicht hin, davon blieb Dir, und jeder muß es
finden, der ihm liebevoll in Deinen Zügen nachzu¬
[179] gehen den Sinn und das Herz hat. Und wenn
wer dazu verpflichtet iſt, ſo iſt ers! Aber er ſträubt
ſich, denn ſo hautain er iſt, ſo konventionell iſt er.
Ein kleiner ängſtlicher Aufmerker. Er hört auf das,
was die Leute ſagen, und wenn das ein Mann thut
(wir müſſen's), ſo heiß ich das Feigheit und lacheté.
Aber er ſoll mir Rede ſtehn. Ich habe meinen Plan
jetzt fertig und will ihn demütigen, ſo gewiß er uns
demütigen wollte.“


Frau von Carayon kehrte nach dieſem Zwiege¬
ſpräch in das Eckzimmer zurück, ſetzte ſich an Victoirens
kleinen Schreibtiſch und ſchrieb.


„Einer Mitteilung Herrn von Alvensleben ent¬
nehm ich, daß Sie, mein Herr von Schach, heute,
Sonnabend Abend, Berlin verlaſſen und ſich für einen
Landaufenthalt in Wuthenow entſchieden haben. Ich
habe keine Veranlaſſung Ihnen dieſen Landaufent¬
halt zu mißgönnen oder Ihre Berechtigung dazu
zu beſtreiten, muß aber Ihrem Rechte das meiner
Tochter gegenüberſtellen. Und ſo geſtatten Sie mir
denn, Ihnen in Erinnerung zu bringen, daß die Ver¬
öffentlichung des Verlöbniſſes für morgen, Sonntag,
zwiſchen uns verabredet worden iſt. Auf dieſe Ver¬
öffentlichung beſteh ich auch heute noch. Iſt ſie bis
Mittwoch früh nicht erfolgt, erfolgen meinerſeits andre,
durchaus ſelbſtändige Schritte. So ſehr dies meiner
Natur widerſpricht (Victoirens ganz zu geſchweigen,
12*[180] die von dieſem meinem Schreiben nichts weiß und
nur bemüht ſein würde, mich daran zu hindern), ſo
laſſen mir doch die Verhältniſſe, die Sie, das Mindeſte
zu ſagen, nur zu gut kennen, keine Wahl. Alſo bis
auf Mittwoch! Joſephine von Carayon.“


Sie ſiegelte den Brief und übergab ihn perſön¬
lich einem Boten mit der Weiſung, ſich bei Tages¬
anbruch nach Wuthenow hin auf den Weg zu machen.


Auf Antwort zu warten, war ihm eigens unter¬
ſagt worden.

[[181]]

16. Kapitel
Frau von Carayon und der alte
Köckritz.

Der Mittwoch kam und ging, ohne daß ein
Brief Schachs oder gar die geforderte
Verlobungsankündigung erſchienen wäre.
Frau von Carayon hatte dies nicht anders erwartet
und ihre Vorbereitungen darauf hin getroffen.


Am Donnerſtag früh hielt ein Wagen vor ihrem
Hauſe, der ſie nach Potsdam hinüber führen ſollte,
wo ſich der König ſeit einigen Wochen aufhielt. Sie
hatte vor, einen Fußfall zu thun, ihm den ihr wider¬
fahrenen Affront vorzuſtellen und ſeinen Beiſtand an¬
zurufen. Daß es in des Königs Macht ſtehen werde,
dieſen Beiſtand zu gewähren und einen Ausgleich
herbeizuführen, war ihr außer Zweifel. Auch über
[182] die Mittel und Wege, ſich Sr. Majeſtät zu nähern,
hatte ſie nachgedacht, und mit gutem Erfolge. Sie
kannte den Generaladjutanten von Köckritz, der vor
dreißig Jahren und länger, als ein junger Lieutenant
oder Stabskapitän, in ihrem elterlichen Hauſe ver¬
kehrt und der „kleinen Joſephine“, dem allgemeinen
Verzuge, manche Bonbonnière geſchenkt hatte. Der war
jetzt Liebling des Königs, einflußreichſte Perſon ſeiner
nächſten Umgebung, und durch ihn, zu dem ſie we¬
nigſtens in oberflächlichen Beziehungen geblieben war,
hoffte ſie ſich einer Audienz verſichert halten zu
dürfen.


Um die Mittagsſtunde war Frau von Carayon
drüben, ſtieg im „Einſiedler“ ab, ordnete ihre Toilette,
und begab ſich ſofort ins Schloß. Aber hier mußte
ſie von einem zufällig die Freitreppe herabkommenden
Kammerherrn in Erfahrung bringen, daß Seine Maje¬
ſtät Potsdam bereits wieder verlaſſen und ſich zur
Begrüßung Ihrer Majeſtät der Königin, die Tags
darauf aus Bad Pyrmont zurückzukehren gedenke, nach
Paretz begeben habe, wo man, frei vom Zwange
des Hofes, eine Woche lang in glücklicher Zurückge¬
zogenheit zu verleben gedenke.


Das war nun freilich eine böſe Nachricht. Wer
ſich zu einem peinlichen Gange (und wenn es der
„hochnotpeinlichſte“ wäre) anſchickt und mit Sehnſucht
auf das Schreckensende wartet, für den iſt nichts
[183] härter als Vertagung. Nur raſch, raſch! Eine kurze
Strecke geht es, aber dann verſagen die Nerven.


Schweren Herzens, und geängſtigt durch die
Vorſtellung, daß ihr dieſer Fehlſchlag vielleicht einen
Fehlſchlag überhaupt bedeute, kehrte Frau von Carayon
in das Gaſthaus zurück. An eine Fahrt nach Paretz
hinaus war für heute nicht mehr zu denken, um ſo
weniger, als zu ſo ſpäter Nachmittagszeit unmöglich
noch eine Audienz erbeten werden konnte. So denn
alſo warten bis morgen! Sie nahm ein kleines Diner,
ſetzte ſich wenigſtens zu Tiſch, und ſchien entſchloſſen,
die langen langen Stunden in Einſamkeit auf ihrem
Zimmer zu verbringen. Aber die Gedanken und Bilder,
die vor ihr aufſtiegen und vor allem die feierlichen
Anſprachen, die ſie ſich zum hundertſten Male wieder¬
holte, ſo lange wiederholte, bis ſie zuletzt fühlte, ſie
werde, wenn der Augenblick da ſei, kein einziges Wort
hervorbringen können, — alles das gab ihr zuletzt
den geſunden Entſchluß ein, ſich gewaltſam aus ihren
Grübeleien herauszureißen und in den Straßen und
Umgebungen der Stadt umherzufahren. Ein Lohn¬
diener erſchien denn auch, um ihr ſeine Dienſte zur
Verfügung zu ſtellen, und um die ſechſte Stunde hielt
eine mittel-elegante Miethschaiſe vor dem Gaſthauſe,
da ſich das von Berlin her benutzte Gefährt, nach
ſeiner halbtägigen Anſtrengung im Sommerſand, als
durchaus ruhebedürftig herausgeſtellt hatte.


[184]

„Wohin befehlen, gnädige Frau?


„Ich überlaß es Ihnen. Nur keine Schlöſſer,
oder doch ſo wenig wie möglich; aber Park und Garten,
und Waſſer und Wieſen.“


Ah, je comprends,“ radebrechte der Lohndiener,
der ſich daran gewöhnt hatte, ſeine Fremden ein für
allemal als Halbfranzoſen zu nehmen, oder vielleicht
auch dem franzöſiſchen Namen der Frau von Carayon
einige Berückſichtigung ſchuldig zu ſein glaubte. „Je
comprends.
“ Und er gab dem in einem alten
Treſſenhut auf dem Bock ſitzenden Kutſcher Ordre,
zunächſt in den „Neuen Garten“ zu fahren.


In dem „Neuen Garten“ war es wie tot, und
eine dunkle, melancholiſche Cypreſſenallee ſchien gar
kein Ende nehmen zu wollen. Endlich lenkte man
nach rechts hin in einen neben einem See hinlaufenden
Weg ein, deſſen einreihig gepflanzte Bäume mit ihrem
weit ausgeſtreckten und niederhängenden Gezweige den
Waſſerſpiegel berührten. In dem Gitterwerke der
Blätter aber glomm und glitzerte die niedergehende
Sonne. Frau von Carayon vergaß über dieſe Schön¬
heit all ihr Leid, und fühlte ſich dem Zauber derſelben
erſt wieder entriſſen, als der Wagen aus dem Ufer¬
weg abermals in den großen Mittelgang einbog, und
gleich danach vor einem aus Backſtein aufgeführten,
im Übrigen aber mit Gold und Marmor reich ge¬
ſchmücktem Hauſe hielt.


[185]

„Wem gehört es?“


„Dem König.“


„Und wie heißt es?“


„Das Marmor-Palais.“


„Ah das Marmor-Palais. Das iſt alſo das
Palais . . .“


„Zu dienen, gnädige Frau. Das iſt das Palais,
in dem weiland Seine Majeſtät König Friedrich
Wilhelm der Zweite ſeiner langen und ſchmerzlichen
Waſſerſucht allerhöchſt erlag. Und ſteht auch noch
alles ebenſo, wies damals geſtanden hat. Ich kenne
das Zimmer ganz genau, wo der gute gnädige Herr
immer ,den Lebensgas‘ trank, den ihm der Geheim¬
rat Hufeland in einem kleinen Ballon ans Bett brin¬
gen ließ oder vielleicht auch bloß in einer Kalbsblaſe.
Wollen die gnädige Frau das Zimmer ſehn? Es iſt
freilich ſchon ſpät. Aber ich kenne den Kammerdiener,
und er thut es, denk ich, auf meinen Empfehl . .
verſteht ſich . . Und iſt auch dasſelbe kleine Zimmer,
worin ſich eine Figur von der Frau Rietz oder wie
manche ſagen von der Mamſell Encken oder der
Gräfin Lichtenau befindet, das heißt, nur eine kleine
Figur, ſo bloß bis an die Hüften oder noch weniger.“


Frau von Carayon dankte. Sie war bei dem
Gange, der ihr für morgen bevorſtand, nicht in der
Laune, das Allerheiligſte der Rietz oder auch nur
ihre Porträtbüſte kennen lernen zu wollen. Sie ſprach
[186] alſo den Wunſch aus, immer weiter in den Park
hineinzufahren, und ließ erſt umkehren, als ſchon die
Sonne nieder war und ein kühlerer Luftton den
Abend ankündigte. Wirklich, es ſchlug neun, als man
auf der Rückfahrt an der Garniſonkirche vorüberkam,
und ehe noch das Glockenſpiel ſeinen Choral ausge¬
ſpielt hatte, hielt der Wagen wieder vor dem „Ein¬
ſiedler“.


Die Fahrt hatte ſie gekräftigt und ihr ihren
Mut zurückgegeben. Dazu kam eine wohlthuende
Müdigkeit, und ſie ſchlief beſſer als ſeit lange. Selbſt
was ſie träumte, war hell und licht.


Am andern Morgen erſchien, wie verabredet, ihre
nun wieder ausgeruhte Berliner Equipage vor dem
Hotel; da ſie jedoch allen Grund hatte, der Kenntnis
und Umſicht ihres eigenen Kutſchers zu mißtrauen,
engagierte ſie, wie zur Aushilfe, denſelben Lohndiener
wieder, der ſich geſtern, aller kleinen Eigenheiten ſeines
Standes unerachtet, ſo vorzüglich bewährt hatte. Das
gelang ihm denn auch heute wieder. Er wußte
von jedem Dorf und Luſtſchloß, an dem man vorüber
kam, zu berichten, am meiſten von Marquardt, aus
deſſen Parke, zu wenigſtens vorübergehendem Intereſſe
der Frau von Carayon, jenes Gartenhäuschen her¬
vorſchimmerte, darin unter Zuthun und Anleitung des
Generals von Biſchofswerder, dem „dicken Könige“
(wie ſich der immer konfidentieller werdende Cicerone
[187] jetzt ohne weiteres ausdrückte) die Geiſter erſchienen
waren.


Eine Viertelmeile hinter Marquardt hatte man
die „Wublitz“, einen von Mummeln überblühten
Havelarm zu paſſieren, dann folgten Äcker und Wie¬
ſengründe, die hoch in Gras und Blumen ſtanden,
und ehe noch die Mittagsſtunde heran war, war ein
Brückenſteg und alsbald auch ein offenſtehendes Gitter¬
thor erreicht, das den Paretzer Parkeingang bildete.


Frau von Carayon, die ſich ganz als Bittſtellerin
empfand, ließ in dem ihr eigenen, feinen Gefühl an
dieſer Stelle halten und ſtieg aus, um den Reſt des
Weges zu Fuß zu machen. Es war nur eine kleine,
ſonnenbeſchienene Strecke noch, aber gerade das Sonnen¬
licht war ihr peinlich, und ſo hielt ſie ſich denn ſeit¬
wärts unter den Bäumen hin, um nicht vor der Zeit
geſehen zu werden.


Endlich indes war ſie bis an die Sandſteinſtufen
des Schloſſes heran und ſchritt ſie tapfer hinauf. Die
Nähe der Gefahr hatte ihr einen Teil ihrer natürlichen
Entſchloſſenheit zurückgegeben.


„Ich wünſchte den General von Köckritz zu
ſprechen,“ wandte ſie ſich an einen im Veſtibül an¬
weſenden Lakaien, der ſich gleich beim Eintritt der
ſchönen Dame von ſeinem Sitz erhoben hatte.


„Wen hab ich dem Herrn General zu melden?“


„Frau von Carayon.“

[188]

Der Lakai verneigte ſich und kam mit der Antwort
zurück: „Der Herr General laſſe bitten in das Vor¬
zimmer einzutreten.“


Frau von Carayon hatte nicht lange zu warten.
General von Köckritz, von dem die Sage ging, daß
er außer ſeiner leidenſchaftlichen Liebe zu ſeinem Könige
keine weitere Paſſion als eine Pfeife Tabak und einen
Rubber Whiſt habe, trat ihr von ſeinem Arbeitszimmer
her entgegen, entſann ſich ſofort der alten Zeit und
bat ſie mit verbindlichſter Handbewegung Platz zu
nehmen. Sein ganzes Weſens hatte ſo ſehr den
Ausdruck des Gütigen und Vertrauenerweckenden, daß
die Frage nach ſeiner Klugheit nur ſehr wenig daneben
bedeutete. Namentlich für ſolche, die wie Frau von
Carayon mit einem Anliegen kamen. Und das ſind
bei Hofe die meiſten. Er beſtätigte durchaus die
Lehre, daß eine wohlwollende Fürſtenumgebung
einer geiſtreichen immer weit vorzuziehen iſt. Nur
freilich ſollen dieſe fürſtlichen Privatdiener nicht auch
Staatsdiener ſein und nicht mitbeſtimmen und mit¬
regieren wollen.


General von Köckritz hatte ſich ſo geſetzt, daß ihn
Frau von Carayon im Profil hatte. Sein Kopf
ſteckte halb in einem überaus hohen und ſteifen
Uniformkragen, aus dem nach vorn hin ein Jabot
quoll, während nach hinten ein kleiner ſauber be¬
handelter Zopf fiel. Dieſer ſchien ein eigenes Leben
[189] zu führen, und bewegte ſich leicht und mit einer
gewiſſen Koketterie hin und her, auch wenn an dem
Manne ſelbſt nicht die geringſte Bewegung wahr¬
zunehmen war.


Frau von Carayon, ohne den Ernſt ihrer Lage
zu vergeſſen, erheiterte ſich doch offenbar an dieſem
eigentümlich neckiſchen Spiel, und erſt einmal ins
Heitre gekommen, erſchien ihr das, was ihr oblag,
um vieles leichter und bezwingbarer, und befähigte
ſie, mit Freimut über all und jedes zu ſprechen, auch
über das, was man als den „delikaten Punkt“ in
ihrer oder ihrer Tochter Angelegenheit bezeichnen
konnte.


Der General hatte nicht nur aufmerkſam, ſondern
auch teilnahmevoll zugehört, und ſagte, als Frau
von Carayon ſchwieg: „Ja, meine gnädigſte Frau,
das ſind ſehr fatale Sachen, Sachen, von denen
S. Majeſtät nicht zu hören liebt, weshalb ich im
allgemeinen darüber zu ſchweigen pflege, wohlver¬
ſtanden ſo lange nicht Abhilfe zu ſchaffen und über¬
haupt nichts zu beſſern iſt. Hier aber iſt zu beſſern,
und ich würde meine Pflicht verſäumen und Seiner
Majeſtät einen ſchlechten Dienſt erweiſen, wenn ich
ihm einen Fall wie den Ihrigen vorenthalten oder da
Sie ſelber gekommen ſind Ihre Sache vorzutragen,
Sie, meine gnädigſte Frau, durch künſtlich erfundene
[190] Schwierigkeiten an ſolchem Vortrage behindern wollte.
Denn ſolche Schwierigkeiten ſind allemalen erfundene
Schwierigkeiten in einem Lande wie das unſre, wo
von alter Zeit her die Fürſten und Könige das Recht
ihres Volkes wollen, und nicht geſonnen ſind, der
Forderung eines ſolchen Rechtes bequem aus dem
Wege zu gehen. Am allerwenigſten aber mein Aller¬
gnädigſter König und Herr, der ein ſtarkes Gefühl
für das Ebenmäßige des Rechts und eben deshalb
einen wahren Widerwillen und rechten Herzensabſcheu
gegen alle diejenigen hat, die ſich, wie manche Herren
Offiziers, inſonderheit aber die ſonſt ſo braven und
tapfren Offiziers von Dero Regiment Gensdarmes,
aus einem ſchlechten Dünkel allerlei Narretei zu
permittieren geneigt ſind, und es für angemeſſen und
löblich oder doch zum mindeſten für nicht unſtatthaft
halten, das Glück und den Ruf Andrer ihrem Über¬
mut und ihrer ſchlechten moralité zu opfern.“


Frau von Carayons Augen füllten ſich mit
Thränen. „Que vous êtes bon, mon chèr General.“


„Nicht ich, meine teure Frau. Aber mein Aller¬
gnädigſter König und Herr, der iſt gut. Und ich
denke, Sie ſollen den Beweis dieſer ſeiner Herzens¬
güte bald in Händen halten, trotzdem wir heut einen
ſchlimmen oder ſagen wir lieber einen ſchwierigen
Tag haben. Denn wie Sie vielleicht ſchon in Er¬
fahrung gebracht haben, der König erwartet in wenig
[191] Stunden die Königin zurück, und um nicht geſtört zu
werden in der Freude des Wiederſehns, deshalb be¬
findet er ſich hier, deshalb iſt er hierher gegangen
nach Paretz. Und nun läuft ihm in dies Idyll ein
Rechtsfall und eine Streitſache nach. Und eine Streit¬
ſache von ſo delikater Natur. Ja, wirklich ein Schaber¬
nack iſt es, und ein rechtes Schnippchen, das ihm die
Laune der Frau Fortuna ſchlägt. Er will ſich ſeines
Liebesglückes freuen (Sie wiſſen wie ſehr er die
Königin liebt) und in demſelben Augenblicke faſt, der
ihm ſein Liebesglück bringen ſoll, hört er eine Ge¬
ſchichte von unglücklicher Liebe. Das verſtimmt ihn.
Aber er iſt zu gütig, um dieſer Verſtimmung nicht
Herr zu werden, und treffen wirs nur einigermaßen
leidlich, ſo müſſen wir uns aus eben dieſem Zu¬
ſammentreffen auch noch einen beſonderen Vorteil zu
ziehen wiſſen. Denn das eigne Glück, das er erwartet,
wird ihn nur noch geneigter machen als ſonſt, das
getrübte Glück andrer wieder herzuſtellen. Ich kenn
ihn ganz in ſeinem Rechtsgefühl und in der Güte
ſeines Herzens. Und ſo geh ich denn, meine teure
Frau, Sie bei dem Könige zu melden.“


Er hielt aber plötzlich wie nachdenkend inne,
wandte ſich noch einmal wieder und ſetzte hinzu: „Irr
ich nicht, ſo hat er ſich eben in den Park begeben.
Ich kenne ſeinen Lieblingsplatz. Laſſen Sie mich alſo
ſehen. In wenig Minuten bring ich Ihnen Antwort,
[192] ob er Sie hören will oder nicht. Und nun noch ein¬
mal, ſeien Sie gutes Mutes. Sie dürfen es.“


Und damit nahm er Hut und Stock, und trat
durch eine kleine Seitentür unmittelbar in den Park
hinaus.


In dem Empfangszimmer, in dem Frau von Ca¬
rayon zurückgeblieben war, hingen allerlei Buntdruck¬
bilder, wie ſie damals von England her in der Mode
waren: Engelsköpfe von Joſua Reynolds, Landſchaften
von Gainsborough, auch ein paar Nachbildungen
italieniſcher Meiſterwerke, darunter eine büßende Mag¬
dalena. War es die von Correggio? Das wunder¬
voll tiefblau getönte Tuch, das die Büßende halb
verhüllte, feſſelte Frau von Carayons Aufmerkſam¬
keit, und ſie trat heran, um ſich über den Maler zu
vergewiſſern. Aber ehe ſie noch ſeinen Namen ent¬
ziffern konnte, kehrte der alte General zurück, und
bat ſeinen Schützling ihm zu folgen.


Und ſo traten ſie denn in den Park, drin eine
tiefe Stille herrſchte. Zwiſchen Birken und Edeltannen
hin ſchlängelte ſich der Weg und führte bis an eine
künſtliche, von Moos und Epheu überwachſene Fels¬
wand, in deren Front (der alte Köckritz war jetzt zu¬
rückgeblieben) der König auf einer Steinbank ſaß.


Er erhob ſich, als er die ſchöne Frau ſich nähern
ſah, und trat ihr ernſt und freundlich entgegen. Frau
von Carayon wollte ſich auf ein Knie niederlaſſen, der
[193] König aber litt es nicht, nahm ſie vielmehr aufrichtend
bei der Hand, und ſagte: „Frau von Carayon? Mir
ſehr wohl bekannt . . Erinnre Kinderball . . ſchöne
Tochter . . Damals . .“


Er ſchwieg einen Augenblick, entweder in Ver¬
legenheit über das ihm entſchlüpfte letzte Wort, oder
aber aus Mitgefühl mit der tiefen Bewegung der
unglücklichen und beinah zitternd vor ihm ſtehenden
Mutter, und fuhr dann fort: „Köckeritz mir eben An¬
deutungen gemacht . . Sehr fatal . . Aber bitte . .
ſich ſetzen, meine Gnädigſte . . Mut . . Und nun
ſprechen Sie.“


13
[[194]]

17. Kapitel.
Schach in Charlottenburg.

Eine Woche ſpäter hatten König und Königin
Paretz wieder verlaſſen, und ſchon am
Tage danach ritt Rittmeiſter von Schach
in Veranlaſſung eines ihm in Schloß Wuthenow über¬
gebenen Kabinetsſchreibens nach Charlottenburg hin¬
aus, wohin inzwiſchen der Hof überſiedelt war. Er
nahm ſeinen Weg durchs Brandenburger Thor und
die große Tiergartenallee, links hinter ihm Ordonnanz
Baarſch, ein mit einem ganzen Linſengericht von
Sommerſproſſen überdeckter Rotkopf mit übrigens
noch röterem Backenbart, auf welchen roten und etwas
abſtehenden Bart hin Zieten zu verſichern pflegte,
„daß man auch dieſen Baarſch an ſeinen Floſſen
erkennen könne.“ Wuthenower Kind und ſeines Guts¬
[195] herrn und Rittmeiſters ehemaliger Spielgefährte, war
er dieſem und allem, was Schach hieß, ſelbſtverſtändlich
in unbedingten Treuen ergeben.


Es war vier Uhr Nachmittags und der Verkehr
nicht groß, trotzdem die Sonne ſchien und ein er¬
quickender Wind wehte. Nur wenige Reiter begegneten
ihnen, unter dieſen auch ein paar Offiziere von Schachs
Regiment. Schach erwiderte ihren Gruß, paſſierte
den Landwehrgraben und ritt bald danach in die
breite Charlottenburger Hauptſtraße mit ihren Sommer¬
häuſern und Vorgärten ein.


Am türkiſchen Zelt, das ſonſt wohl ſein Ziel zu
ſein pflegte, wollte ſein Pferd einbiegen; er zwang es
aber weiter und hielt erſt bei dem Morelliſchen Kaffee¬
hauſe, das ihm heute für den Gang, den er vorhatte,
bequemer gelegen war. Er ſchwang ſich aus dem
Sattel, gab der Ordonnanz den Zügel und ging ohne
Verſäumnis auf das Schloß zu. Hier trat er nach
Paſſierung eines öden und von der Juliſonne längſt
verbrannten Grasvierecks erſt in ein geräumiges
Treppenhaus und bald danach in einen ſchmalen
Korridor ein, an deſſen Wänden in anſcheinend über¬
lebensgroßen Porträts die glotzäugigen blauen Rieſen
König Friedrich Wilhelms I. paradierten. Am Ende
dieſes Ganges aber traf er einen Kammerdiener, der
ihn, nach vorgängiger Meldung, in das Arbeitskabinet
des Königs führte.


13*[196]

Dieſer ſtand an einem Pult, auf dem Karten
ausgebreitet lagen, ein paar Pläne der Auſterlitzer
Schlacht. Er wandte ſich ſofort, trat auf Schach zu,
und ſagte: „Habe Sie rufen laſſen, lieber Schach
. . Die Carayon; fatale Sache. Spiele nicht gern
den Moraliſten und Splitterrichter; mir verhaßt; auch
meine Verirrungen. Aber in Verirrungen nicht ſtecken
bleiben; wieder gut machen. Übrigens nicht recht
begreife. Schöne Frau, die Mutter; mir ſehr gefallen;
kluge Frau.“


Schach verneigte ſich.


„Und die Tochter! Weiß wohl, weiß; armes
Kind . . Aber enfin, müſſen ſie doch charmant gefunden
haben. Und was man einmal charmant gefunden, findet
man, wenn man nur will, auch wieder. Aber das iſt
Ihre Sache, geht mich nichts an. Was mich angeht,
das iſt die honnêteté. Die verlang ich und um dieſer
honnêteté willen verlang ich Ihre Heirat mit dem
Fräulein von Carayon. Oder Sie müßten denn
Ihren Abſchied nehmen und den Dienſt quittieren
wollen.“


Schach ſchwieg, verriet aber durch Haltung und
Miene, daß ihm dies das Schmerzlichſte ſein würde.


„Nun denn bleiben alſo; ſchöner Mann; liebe
das. Aber Remedur muß geſchafft werden, und bald,
und gleich. Übrigens alte Familie, die Carayons,
und wird Ihren Fräulein Töchtern (Pardon, lieber
[197] Schach) die Stiftsanwartſchaft auf Marienfließ oder
Heiligengrabe nicht verderben. Abgemacht alſo. Rechne
darauf, dringe darauf. Und werden wir Meldung
machen.“


„Zu Befehl, Ew. Majeſtät.“


„Und noch eines; habe mit der Königin darüber
geſprochen; will Sie ſehn; Frauenlaune. Werden ſie
drüben in der Orangerie treffen. . Dank Ihnen.“


Schach war gnädig entlaſſen, verbeugte ſich und
ging den Korridor hinunter auf das am entgegen¬
geſetzten Flügel des Schloſſes gelegene große Glas-
und Gewächshaus zu, von dem der König geſprochen
hatte.


Die Königin aber war noch nicht da, vielleicht
noch im Park. So trat er denn in dieſen hinaus
und ſchritt auf einem Flieſengange zwiſchen einer
Menge hier aufgeſtellter römiſcher Kaiſer auf und ab,
von denen ihn einige faunartig anzulächeln ſchienen.
Endlich ſah er die Königin von der Fährbrücke her
auf ſich zukommen, eine Hofdame mit ihr, allem An¬
ſcheine nach das jüngere Fräulein von Viereck. Er
ging beiden Damen entgegen, und trat in gemeſſener
Entfernung bei Seit, um die militäriſchen Honneurs
zu machen. Das Hoffräulein aber blieb um einige
Schritte zurück.


„Ich freue mich Sie zu ſehen, Herr von Schach.
Sie kommen vom Könige.“

[198]

„Zu Befehl, Ew. Majeſtät.“


„Es iſt etwas gewagt,“ fuhr die Königin fort,
„daß ich Sie habe bitten laſſen. Aber der König, der
anfänglich dagegen war und mich darüber verſpottete,
hat es ſchließlich geſtattet. Ich bin eben eine Frau,
und es wäre hart, wenn ich mich meiner Frauenart
entſchlagen müßte, nur weil ich eine Königin bin.
Als Frau aber intereſſiert mich alles, was unſer
Geſchlecht angeht, und was ging uns näher an als
eine ſolche question d'amour.“


„Majeſtät ſind ſo gnädig.“


„Nicht gegen Sie, lieber Schach. Es iſt um des
Fräuleins willen . . Der König hat mir alles er¬
zählt, und Köckritz hat von dem Seinen hinzugethan.
Es war denſelben Tag, als ich von Pyrmont wieder
in Paretz eintraf, und ich kann Ihnen kaum ausſprechen,
wie groß meine Teilnahme mit dem Fräulein war.
Und nun wollen Sie, gerade Sie, dem lieben Kinde
dieſe Teilnahme verſagen und mit dieſer Teilnahme
zugleich ſein Recht. Das iſt unmöglich. Ich kenne
Sie ſo lange Zeit und habe Sie jederzeit als einen
Kavalier und Mann von Ehre befunden. Und dabei,
denk ich, belaſſen wirs. Ich habe von den Spott¬
bildern gehört, die publiziert worden ſind, und dieſe
Bilder, ſo nehm ich an, haben Sie verwirrt und Ihnen
Ihr ruhiges Urteil genommen. Ich begreife das, weiß
ich doch aus allereigenſter Erfahrung, wie weh der¬
[199] gleichen thut und wie der giftige Pfeil uns nicht bloß
in unſerem Gemüte verwundet, ſondern auch ver¬
wandelt und nicht verwandelt zum Beſſeren. Aber
wie dem auch ſei, Sie mußten ſich auf ſich ſelbſt
beſinnen, und damit zugleich auch auf das, was Pflicht
und Ehre von Ihnen fordern.“


Schach ſchwieg.


„Und Sie werden es,“ fuhr die Königin immer
lebhafter werdend fort, „und werden ſich als einen
Reuigen und Bußfertigen zeigen. Es kann Ihnen
nicht ſchwer werden, denn ſelbſt aus der Anklage gegen
Sie, ſo verſicherte mir der König, habe noch immer
ein Ton der Zuneigung geſprochen. Seien Sie deſſen
gedenk, wenn Ihr Entſchluß je wieder ins Schwanken
kommen ſollte, was ich nicht fürchte. Wüßt ich doch
kaum etwas, was mir in dieſem Augenblicke ſo lieb
wäre, wie die Schlichtung dieſes Streits und der Bund
zweier Herzen, die mir für einander beſtimmt erſcheinen.
Auch durch eine recht eigentliche Liebe. Denn Sie
werden doch, hoff ich, nicht in Abrede ſtellen wollen,
daß es ein geheimnisvoller Zug war, was Sie zu
dieſem lieben und einſt ſo ſchönen Kinde hinführte.
Das Gegenteil anzunehmen, widerſtreitet mir. Und
nun eilen Sie heim, und machen Sie glücklich und
werden Sie glücklich. Meine Wünſche begleiten Sie,
Sie Beide. Sie werden ſich zurückziehen, ſo lang
es die Verhältniſſe gebieten; unter allen Umſtänden
[200] aber erwart ich, daß Sie mir Ihre Familienereigniſſe
melden, und den Namen Ihrer Königin als erſte
Taufpatin in Ihr Wuthenower Kirchenbuch eintragen
laſſen. Und nun Gott befohlen.“


Ein Gruß und eine freundliche Handbewegung
begleiteten dieſe Worte; Schach aber, als er ſich kurz
vor der Gartenfront noch einmal umſah, ſah, wie beide
Damen in einem Seitenweg einbogen und auf eine
ſchattigere, mehr der Spree zu gelegene Partie des
Parkes zuſchritten.


Er ſelbſt ſaß eine Viertelſtunde ſpäter wieder im
Sattel; Ordonnanz Baarſch folgte.


Die gnädigen Worte beider Majeſtäten hatten
eines Eindrucks auf ihn nicht verfehlt; trotzdem war
er nur getroffen, in nichts aber umgeſtimmt worden.
Er wußte, was er dem König ſchuldig ſei: Gehorſam!
Aber ſein Herz widerſtritt, und ſo galt es denn für
ihn, etwas ausfindig zu machen, was Gehorſam und
Ungehorſam in ſich vereinigte, was dem Befehle ſeines
Königs und dem Befehle ſeiner eigenen Natur gleich¬
mäßig entſprach. Und dafür gab es nur einen Weg.
Ein Gedanke, den er ſchon in Wuthenow gefaßt hatte,
kam ihm jetzt wieder und reifte raſch zum Entſchluß,
und je feſter er ihn werden fühlte, deſto mehr fand er
ſich in ſeine frühere gute Haltung und Ruhe zurück.
„Leben,“ ſprach er vor ſich hin. „Was iſt leben?
Eine Frage von Minuten, eine Differenz von heut
[201] auf morgen.“ Und er fühlte ſich, nach Tagen ſchweren
Druckes, zum erſten Male wieder leicht und frei.


Als er, heimreitend, bis an die Wegſtelle gekommen
war, wo eine alte Kaſtanienallee nach dem Kurfürſten¬
damm hin abzweigte, bog er in dieſe Allee ein, winkte
Baarſch an ſich heran und ſagte, während er den
Zügel fallen ließ und die linke Hand auf die Kruppe
ſeines Pferdes ſtemmte: „Sage Baarſch, was hälſt
Du eigentlich von heiraten?“


„Jott, Herr Rittmeiſter, wat ſoll ich davon halten?
Mein Vater ſelig ſagte man ümmer: heiraten is gut,
aber nich heiraten is noch beſſer.“


„Ja, das mag er wohl geſagt haben. Aber wenn
ich nun heirate, Baarſch?“


„Ach, Herr Rittmeiſter werden doch nich!“


„Ja, wer weiß . . Iſt es denn ein ſolches
Malheur?“


„Jott, Herr Rittmeiſter, vor Ihnen grade nich,
aber vor mir . .“


„Wie das?“


„Weil ich mit Untroffzier Czepanski gewett't hab,
es würd' doch nichts. Un wer verliert, muß die
ganze Corporalſchaft freihalten.“


„Aber woher wußtet Ihr denn davon?“


„I Jott, des munkelt ja nu all lang. Un wie
nu vorige Woch ooch noch die Bilders kamen ..“

[202]

„Ah, ſo . . Nu ſage, Baarſch, wie ſteht es denn
eigentlich mit der Wette? Hoch?“


„I nu, 's jeht, Herr Rittmeiſter. 'Ne Cottbuſſer
un'n Kümmel. Aber vor jed' een.“


„Nu, Baarſch, Du ſollſt dabei nicht zu Schaden
kommen. Ich werde die Wette bezahlen.“


Und danach ſchwieg er und murmelte nur noch
vor ſich hin „et payer les pots cassés.“

[[203]]

18. Kapitel.
Fata Morgana.

Schach war zu guter Stunde wieder heim,
und noch denſelben Abend ſchrieb er ein
Billet an Frau von Carayon, in dem er
in anſcheinend aufrichtigen Worten um ſeines Benehmens
willen um Entſchuldigung bat. Ein Kabinetsſchreiben,
das er vorgeſtern in Wuthenow empfangen habe, hab
ihn heute Nachmittag nach Charlottenburg hinausge¬
führt, wo König und Königin ihn an das, was ſeine
Pflicht ſei, gemahnt hätten. Er bedaure, ſolche Mah¬
nung verſchuldet zu haben, finde den Schritt, den
Frau von Carayon gethan, gerechtfertigt, und bäte
morgen im Laufe des Vormittags ſich beiden Damen
vorſtellen zu dürfen, um ihnen ſein Bedauern über
dieſe neuen Verſäumniſſe perſönlich zu wiederholen.
[204] In einer Nachſchrift, die länger als der Brief ſelbſt
war, war hinzugefügt, „daß er durch eine Kriſis ge¬
gangen ſei; dieſe Kriſis aber liege jetzt hinter ihm,
und er hoffe ſagen zu dürfen, ein Grund an ihm
oder ſeinem Rechtsgefühle zu zweifeln, werde nicht
wiederkehren. Er lebe nur noch dem einen Wunſch
und Gedanken, alles was geſchehen ſei, durch Geſetz¬
lichkeit auszugleichen. Über ein Mehr leg er ſich vor¬
läufig Schweigen auf.“


Dies Billet, das der kleine Groom überbrachte,
wurde, trotz der ſchon vorgerückten Stunde, von Frau
von Carayon auf der Stelle beantwortet. Sie freue
ſich, in ſeinen Zeilen einer ſo verſöhnlichen Sprache
zu begegnen. Über alles, was ſeinem Briefe nach
als ein nunmehr Zurückliegendes anzuſehen ſei, werd
es am beſten ſein zu ſchweigen; auch ſie fühle, daß
ſie ruhiger und rückſichtsvoller hätte handeln ſollen,
ſie habe ſich hinreißen laſſen, und nur das Eine
werd ihr vielleicht zur Entſchuldigung dienen dürfen,
daß ſie von jenen hämiſchen Angriffen in Wort und
Bild, die ſein Benehmen im Laufe der letzten Woche
beſtimmt zu haben ſchienen, erſt ſeit zwei Tagen Kennt¬
nis habe. Hätte ſie dieſe Kenntnis früher gehabt,
ſo würde ſie vieles milder beurteilt, jedenfalls aber
eine abwartende Haltung ihm und ſeinem Schweigen
gegenüber eingenommen haben. Sie hoffe jetzt, daß
alles wieder einklingen werde. Victoirens große Liebe
[205] (nur zu groß) und ſeine eigene Geſinnung, die, wie
ſie ſich überzeugt halte, wohl ſchwanken aber nie dau¬
ernd erſchüttert werden könne, gäben ihr die Gewähr
einer friedlichen und wenn ihre Bitten Erhörung fän¬
den auch einer glücklichen Zukunft.


Am andern Vormittage wurde Schach bei Frau
von Carayon gemeldet. Sie ging ihm entgegen, und
das ſich ſofort entſpinnende Geſpräch verriet auf bei¬
den Seiten weniger Verlegenheit, als nach dem Vor¬
gefallenen hätte vorausgeſetzt werden ſollen. Und
doch erklärte ſichs auch wieder. Alles was geſchehen
war, ſo ſchmerzlich es hüben und drüben berührt
hatte, war doch ſchließlich von jeder der beiden Par¬
teien verſtanden worden, und wo Verſtändnis iſt,
iſt auch Verzeihung oder wenigſtens die Möglichkeit
einer ſolchen. Alles hatte ſich in natürlicher Konſe¬
quenz aus den Verhältniſſen heraus entwickelt, und
weder die Flucht, die Schach bewerkſtelligt, noch die
Klage, die Frau von Carayon an oberſter Stelle ge¬
führt hatte, hatten Übelwollen oder Gehäſſigkeit aus¬
drücken ſollen.


Als das Geſpräch einen Augenblick zu ſtocken
begann, erſchien Victoire. Sie ſah ſehr gut aus,
nicht abgehärmt, vielmehr friſcher als ſonſt. Er trat
ihr entgegen, nicht kalt und ceremoniös, ſondern herz¬
lich, und der Ausdruck einer innigen und aufrichtigen
Teilnahme, womit er auf ſie ſah und ihr die Hand
[206] reichte, beſiegelte den Frieden. Es war kein Zweifel,
er war ergriffen, und während Victoire vor Freude
ſtrahlte, füllten Thränen das Auge der Mutter.


Es war der beſte Moment, das Eiſen zu ſchmie¬
den. Sie bat alſo Schach, der ſich ſchon erhoben
hatte, ſeinen Platz noch einmal auf einen kurzen
Augenblick einnehmen zu wollen, um gemeinſchaftlich
mit ihm die nötigſten Feſtſetzungen zu treffen. Was
ſie zu ſagen habe, ſeien nur wenige Worte. So viel
ſei gewiß, Zeit ſei verſäumt worden, und dieſe Ver¬
ſäumnis wieder einzubringen, empfehle ſich wohl zu¬
nächſt. Ihre langjährige freundſchaftliche Beziehung
zum alten Konſiſtorialrat Bocquet, der ſie ſelber ge¬
traut und Victoiren eingeſegnet habe, böte dazu die
beſte Gelegenheit. Es werde leicht ſein, an die Stelle
des herkömmlichen dreimaligen Aufgebots ein ein¬
maliges zu ſetzen; das müſſe nächſten Sonntag ge¬
ſchehen, und am Freitage der nächſten Woche — denn
die Freitage, die gemeinhin für Unglückstage gölten,
hätte ſie perſönlich von der durchaus entgegengeſetzten
Seite kennen gelernt — werde dann die Hochzeit zu
folgen haben. Und zwar in ihrer eignen Wohnung,
da ſie Hochzeiten in einem Hotel oder Gaſthauſe von
ganzer Seele haſſe. Was dann weiter zu geſchehen
habe, das ſtehe bei dem jungen Paare; ſie ſei neu¬
gierig, ob Venedig über Wuthenow oder Wuthenow
über Venedig den Sieg davon tragen werde. Die
[207] Lagunen hätten ſie gemeinſam und die Gondel auch,
und nur um Eines müſſe ſie bitten, daß der kleine
Brückenſteg unterm Schilf, an dem die Gondel liege,
nie zur Seufzerbrücke erhoben werde.


So ging das Geplauder, und ſo verging der
Beſuch.


Am Sonntage, wie verabredet, erfolgte das Auf¬
gebot, und der Freitag, an dem die Hochzeit ſtatt¬
finden ſollte, rückte heran. Alles im Carayonſchen
Hauſe war Aufregung, am aufgeregteſten Tante
Marguerite, die jetzt täglich erſchien, und durch ihre
naive Glückſeligkeit alles Unbequeme balancierte, das
ſonſt unzertrennlich von ihrem Erſcheinen war.


Abends kam Schach. Er war heitrer und in
ſeinem Urteile milder als ſonſt, und vermied nur in
ebenſo bemerkenswerter wie zum Glück unbemerkt
bleibender Weiſe von der Hochzeit und den Vor¬
bereitungen dazu zu ſprechen. Wurd er gefragt,
ob er dies oder jenes wünſche, ſo bat er mit einer
Art von Empreſſement, „ganz nach eigenem Dafür¬
halten verfahren zu wollen; er kenne den Takt und
guten Geſchmack der Damen und wiſſe, daß ohne ſein
Raten und Zuthun alles am beſten entſchieden werden
würde; wenn ihm dabei manches dunkel und geheim¬
nisvoll bleibe, ſo ſei dies ein Vorteil mehr für ihn,
hab er doch von Jugend auf eine Neigung gehabt,
ſich überraſchen zu laſſen.“

[208]

Unter ſolchen Ausflüchten entzog er ſich jedem
Geplauder, das, wie Tante Marguerite ſich ausdrückte,
„den Ehrentag en vue hatte,“ war aber um ſo plauder¬
hafter, wenn das Geſpräch auf die Reiſetage nach
der Hochzeit hinüberlenkte. Denn Venedig, aller halben
Widerrede der Frau von Carayon zum Trotz, hatte
doch ſchließlich über Wuthenow geſiegt, und Schach,
wenn die Rede darauf kam, hing mit einer ihm ſonſt
völlig fremden Phantaſtik allen erdenklichen Reiſe¬
plänen und Reiſebildern nach. Er wollte nach Sizi¬
lien hinüber und die Sireneninſeln paſſieren, „ob frei
oder an den Maſt gebunden, überlaß er Victoiren
und ihrem Vertrauen.“ Und dann wollten ſie nach
Malta. Nicht um Maltas willen, o nein. Aber auf
dem Wege dahin, ſei die Stelle, wo der geheimnis¬
volle ſchwarze Weltteil in Luftbildern und Spiegelungen
ein allererſtes Mal zu dem in Nebel und Schnee ge¬
bornen Hyperboreer ſpräche. Das ſei die Stelle, wo
die bilderreiche Fee wohne, die ſtumme Sirene, die
mit dem Zauber ihrer Farbe faſt noch verführeriſcher
locke als die ſingende. Beſtändig wechſelnd ſeien die
Szenen und Geſtalten ihrer Laterna magica, und
während eben noch ein ermüdeter Zug über den gelben
Sand ziehe, dehne ſichs plötzlich wie grüne Triften
und unter der ſchattengebenden Palme ſäße die Schaar
der Männer, die Köpfe gebeugt und alle Pfeifen in
Brand, und ſchwarz und braune Mädchen, ihre Flech¬
[209] ten gelöſt und wie zum Tanze geſchürzt, erhüben die
Becken und ſchlügen das Tambourin. Und mitunter
ſeis, als lach es. Und dann ſchwieg es und ſchwänd
es wieder. Und dieſe Spiegelung aus der geheim¬
nisvollen Ferne, das ſei das Ziel!


Und Victoire jubelte, hingeriſſen von der Leb¬
haftigkeit ſeiner Schilderung.


Aber im ſelben Augenblick überkam es ſie bang
und düſter, und in ihrer Seele rief eine Stimme:
Fata Morgana.


14
[[210]]

19. Kapitel.
Die Hochzeit.

Die Trauung hatte ſtattgefunden und um die
vierte Stunde verſammelten ſich die zur
Hochzeit Geladenen in dem nach dem Hofe
hinaus gelegenen großen Eßſaale, der für gewöhnlich
als ein bloßes unbequemes Anhängſel der Carayonſchen
Wohnung angeſehen und ſeit einer ganzen Reihe von
Jahren heute zum erſtenmale wieder in Gebrauch ge¬
nommen wurde. Dies erſchien thunlich, trotzdem die
Zahl der Gäſte keine große war. Der alte Kon¬
ſiſtorialrat Bocquet hatte ſich bewegen laſſen, dem
Mahle mit beizuwohnen, und ſaß, dem Brautpaare
gegenüber, neben der Frau von Carayon; unter den
anderweit Geladenen aber waren, außer dem Tantchen
und einigen alten Freunden aus der Generalfinanz¬
[211] pächterzeit her, in erſter Reihe Noſtitz, Alvensleben
und Sander zu nennen. Auf letzteren hatte Schach,
aller ſonſtigen, auch bei Feſtſtellung der Einladungs¬
liſte beobachteten Indifferenz unerachtet, mit beſon¬
derem Nachdruck beſtanden, weil ihm inzwiſchen das
rückſichtsvolle Benehmen desſelben bei Gelegenheit des
Verlagsantrages der drei Bilder bekannt geworden
war, ein Benehmen, das er um ſo höher anſchlug,
als er es von dieſer Seite her nicht erwartet hatte.
Bülow, Schachs alter Gegner, war nicht mehr in
Berlin, und hätte wohl auch gefehlt, wenn er noch
dageweſen wäre.


Die Tafelſtimmung verharrte bis zum erſten
Trinkſpruch in der herkömmlichen Feierlichkeit; als in¬
deſſen der alte Konſiſtorialrat geſprochen und in einem
dreigeteilten und als „hiſtoriſcher Rückblick“ zu be¬
zeichnenden Toaſt, erſt des großväterlichen General¬
finanzpächterhauſes, dann der Trauung der Frau von
Carayon und drittens (und zwar unter Citierung des
ihr mit auf den Lebensweg gegebenen Bibelſpruches)
der Konfirmation Victoirens gedacht, endlich aber
mit einem halb ehrbaren, halb ſcherzhaften Hinweis
auf den „egyptiſchen Wundervogel, in deſſen verhei¬
ßungsvolle Nähe man ſich begeben wolle“ geſchloſſen
hatte, war das Zeichen zu einer Wandlung der Stim¬
mung gegeben. Alles gab ſich einer ungezwungenen
Heiterkeit hin, an der ſogar Victoire teilnahm, und
14*[212] nicht zum wenigſten, als ſich ſchließlich auch das zu
Ehren des Tages in einem grasgrünen Seidenkleid
und einem hohen Schildpattkamme erſchienene Tant¬
chen erhob, um einen zweiten Toaſt auf das Braut¬
paar auszubringen. Ihr verſchämtes Klopfen mit
dem Deſſertmeſſer an die Waſſerkaraffe war eine Zeit¬
lang unbemerkt geblieben, und kam erſt zur Geltung,
als Frau von Carayon erklärte: Tante Marguerite
wünſche zu ſprechen.


Dieſe verneigte ſich denn auch zum Zeichen der
Zuſtimmung, und begann ihre Rede mit viel mehr
Selbſtbewußtſein, als man nach ihrer anfänglichen
Schüchternheit erwarten durfte. „Der Herr Kon¬
ſiſtorialrat hat ſo ſchön und ſo lange geſprochen,
und ich ähnle nur dem Weibe Ruth, das über dem
Felde geht und Ähren ſammelt, was auch der Text
war, worüber am letzten Sonntag in der kleinen Me¬
lonenkürche gepredigt wurde, die wieder ſehr leer war,
ich glaube nicht mehr als ölf oder zwölf. Aber als
Tante der lieben Braut, in welcher Beziehung ich
wohl die älteſte bin, erheb ich dieſes Glas, um noch
einmal auf dem Wohle des jungen Paares zu trinken.“


Und danach ſetzte ſie ſich wieder, um die Hul¬
digungen der Geſellſchaft entgegenzunehmen. Schach
verſuchte der alten Dame die Hand zu küſſen, was
ſie jedoch wehrte, wogegen ſie Victoirens Umarmung
mit allerlei kleinen Liebkoſungen und zugleich mit der
[213] Verſicherung erwiderte: „ſie hab es alles vorher ge¬
wußt, von dem Nachmittag an, wo ſie die Fahrt nach
Tempelhof und den Gang nach der Kürche gemacht
hätten. Denn ſie hab es wohl geſehen, daß Victoire
neben dem großen für die Mama beſtimmten Veilchen¬
ſtrauß auch noch einen kleinen Strauß in der Hand
gehalten hätte, den habe ſie dem lieben Bräutigam,
dem Herrn von Schach, in der Kürchenthüre präſen¬
tieren wollen. Aber als er dann gekommen ſei, habe
ſie das kleine Bouquet wieder weggeworfen, und es
ſei dicht neben der Thür auf ein Kindergrab gefallen,
was immer etwas bedeute, und auch diesmal etwas
bedeutet habe. Denn ſo ſehr ſie gegen dem Aber¬
glauben ſei, ſo glaube ſie doch an Sympathie, natür¬
lich bei abnehmendem Mond. Und der ganze Nach¬
mittag ſtehe noch ſo deutlich vor ihr, als wär es
geſtern geweſen, und wenn manche ſo thäten, als
wiſſe man nichts, ſo hätte man doch auch ſeine zwei
geſunden Augen, und wiſſe recht gut wo die beſten
Kürſchen hingen.“ In dieſen Satz vertiefte ſie ſich immer
mehr, ohne daß die Bedeutung deſſelben dadurch klarer
geworden wäre.


Nach Tante Margueritens Toaſt löſte ſich die
Tafelreihe; jeder verließ ſeinen Platz, um abwechſelnd
hier oder dort eine Gaſtrolle geben zu können, und
als bald danach auch die großen Joſtyſchen Deviſen¬
bonbons umhergereicht und allerlei Sprüche wie bei¬
[214] ſpielsweiſe „Liebe, wunderbare Fee, Selbſt dein Wehe
thut nicht weh“, aller kleinen und undeutlichen Schrift
unerachtet, entziffert und verleſen worden waren, er¬
hob man ſich von der Tafel. Alvensleben führte
Frau von Carayon, Sander Tante Marguerite, bei
welcher Gelegenheit, und zwar über das Ruth-Thema,
von Seiten Sanders allerlei kleine Neckereien verübt
wurden, Neckereien, die der Tante ſo ſehr gefielen, daß
ſie Victoiren, als der Kaffee ſerviert wurde, zuflüſterte:
„Charmanter Herr. Und ſo galant. Und ſo bedeu¬
tungsvoll.“


Schach ſprach viel mit Sander, erkundigte ſich
nach Bülow, „der ihm zwar nie ſympathiſch, aber
trotz all ſeiner Schrullen immer ein Gegenſtand des
Intereſſes geweſen ſei“ und bat Sander, ihm, bei ſich
darbietender Gelegenheit, dies ausdrücken zu wollen.
In allem was er ſagte, ſprach ſich Freundlichkeit und
ein Hang nach Verſöhnung aus.


In dieſem Hange nach Verſöhnung ſtand er
aber nicht allein da, ſondern begegnete ſich darin mit
Frau von Carayon. Als ihm dieſe perſönlich eine
zweite Taſſe präſentierte, ſagte ſie, während er den
Zucker aus der Schale nahm: „Auf ein Wort, lieber
Schach. Aber im Nebenzimmer.“


Und ſie ging ihm dahin vorauf.


„Lieber Schach,“ begann ſie, hier auf einem gro߬
geblümten Kanapee Platz nehmend, von dem aus
[215] beide mit Hilfe der offenſtehenden Flügelthür einen
Blick auf das Eckzimmer hin frei hatten, „es ſind dies
unſere letzten Minuten, und ich möchte mir, ehe wir
Abſchied von einander nehmen, noch manches von der
Seele herunterſprechen. Ich will nicht mit meinem
Alter kokettieren, aber ein Jahr iſt eine lange Zeit,
und wer weiß, ob wir uns wiederſehen. Über Vic¬
toire kein Wort. Sie wird Ihnen keine trübe Stunde
machen; ſie liebt Sie zu ſehr, um es zu können oder
zu wollen. Und Sie, lieber Schach, werden ſich
dieſer Liebe würdig zeigen. Sie werden ihr nicht
wehe thun, dieſem ſüßen Geſchöpf, das nur Demut
und Hingebung iſt. Es iſt unmöglich. Und ſo ver¬
lang ich denn kein Verſprechen von Ihnen. Ich weiß
im Voraus, ich hab es.“


Schach ſah vor ſich hin, als Frau von Carayon
dieſe Worte ſprach, und tröpfelte, während er die
Taſſe mit der Linken hielt, den Kaffee langſam aus
dem zierlichen kleinen Löffel.


„Ich habe ſeit unſrer Verſöhnung,“ fuhr ſie fort,
„mein Vertrauen wieder. Aber dies Vertrauen, wie
mein Brief Ihnen ſchon ausſprach, war in Tagen,
die nun glücklicherweiſe hinter uns liegen, um vieles
mehr als ich es für möglich gehalten hätte, von mir
gewichen, und in dieſen Tagen hab ich harte Worte
gegen Sie gebraucht, harte Worte, wenn ich mit Vic¬
toiren ſprach, und noch härtere, wenn ich mit mir
[216] allein war. Ich habe Sie kleinlich und hochmütig,
eitel und beſtimmbar geſcholten, und habe Sie, was
das Schlimmſte war, der Undankbarkeit und der la¬
cheté
geziehen. All das beklag ich jetzt, und ſchäme
mich einer Stimmung, die mich unſre Vergangenheit
ſo vergeſſen laſſen konnte.“


Sie ſchwieg einen Augenblick. Aber als Schach
antworten wollte, litt ſies nicht und ſagte: „Nur ein
Wort noch. Alles was ich in jenen Tagen geſagt
und gedacht habe, bedrückte mich, und verlangte nach
dieſer Beichte. Nun erſt iſt alles wieder klar zwiſchen
uns, und ich kann Ihnen wieder frei ins Auge ſehen.
Aber nun genug. Kommen Sie. Man wird uns
ohnehin ſchon vermißt haben.“


Und ſie nahm ſeinen Arm und ſcherzte: „Nicht
wahr? On revient toujours à ses premiers amours.
Und ein Glück, daß ich es Ihnen lachend ausſprechen
kann, und in einem Momente reiner und ganzer
Freude.“


Victoire trat Schach und ihrer Mama von
dem Eckzimmer her entgegen, und ſagte: „Nun, was
war es?“


„Eine Liebeserklärung.“


„Ich dacht es. Und ein Glück, Schach, daß wir
morgen reiſen. Nicht wahr? Ich möchte der Welt um
keinen Preis das Bild einer eiferſüchtigen Tochter
geben.“

[217]

Und Mutter und Tochter nahmen auf dem Sofa
Platz, wo ſich Alvensleben und Noſtitz ihnen geſellten.


In dieſem Augenblick wurde Schach der Wagen
gemeldet, und es war als ob er ſich bei dieſer
Meldung verfärbe. Frau von Carayon ſah es auch.
Er ſammelte ſich aber raſch wieder, empfahl ſich, und
trat in den Korridor hinaus, wo der kleine Groom
mit Mantel und Hut auf ihn wartete. Victoire war
ihm bis an die Treppe hinaus gefolgt, auf der noch
vom Hof her ein halber Tagesſchein flimmerte.


„Bis auf morgen,“ ſagte Schach, und trennte ſich
raſch und ging.


Aber Victoire beugte ſich weit über das Geländer
vor und wiederholte leiſe: „Bis auf morgen. Hörſt
Du? []Wo ſind wir morgen?“


Und ſiehe, der ſüße Klang ihrer Stimme ver¬
fehlte ſeines Eindrucks nicht, auch in dieſem Augen¬
blicke nicht. Er ſprang die Stufen wieder hinauf,
umarmte ſie, wie wenn er Abſchied nehmen wolle für
immer, und küßte ſie.


„Auf Wiederſehn, Mirabelle.“


Und nachhorchend hörte ſie noch ſeinen Schritt
auf dem Flur. Dann fiel die Hausthür ins Schloß,
und der Wagen rollte die Straße hinunter.


Auf dem Bocke ſaßen Ordonnanz Baarſch und
der Groom, von denen jener ſichs eigens ausbedungen
hatte, ſeinen Rittmeiſter und Gutsherrn an dieſem ſeinem
[218] Ehrentage fahren zu dürfen. Was denn auch ohne
weiteres bewilligt worden war. Als der Wagen aus
der Behren- in die Wilhelmsſtraße einbog, gab es
einen Ruck oder Schlag, ohne daß ein Stoß von unten
her verſpürt worden wäre.


„Damm,“ ſagte der Groom. „What's that?“


„Wat et is? Wat ſoll et ſind, Kleener? En
Steen is et; en doter Feldwebel.“


„Oh no, Baarſch. Nich stone. 't was something
. . dear me . . like shooting.“


„Schuting? Na nu.“


„Yes; pistol-shooting . .“


Aber der Satz kam nicht mehr zu Ende, denn
der Wagen hielt vor Schachs Wohnung, und der
Groom ſprang in Angſt und Eile vom Bock, um
ſeinem Herrn beim Ausſteigen behilflich zu ſein. Er
öffnete den Wagenſchlag, ein dichter Qualm ſchlug ihm
entgegen, und Schach ſaß aufrecht in der Ecke, nur wenig
zurückgelehnt. Auf dem Teppich zu ſeinen Füßen lag
das Piſtol. Entſetzt warf der Kleine den Schlag wieder
ins Schloß und jammerte: „Heavens, he is dead.“


Die Wirtsleute wurden alarmiert, und ſo trugen
ſie den Toten in ſeine Wohnung hinauf.


Baarſch fluchte und flennte, und ſchob alles auf
die „Menſchheit“, weil ers aufs Heiraten zu ſchieben
nicht den Mut hatte. Denn er war eine diplomatiſche
Natur wie alle Bauern.

[[219]]

20. Kapitel.
Bülow an Sander.

Königsberg, 14. Sept. 1806. „. . Sie
ſchreiben mir, lieber Sander, auch von
Schach. Das rein Thatſächliche wußt ich
ſchon, die Königsberger Zeitung hatte der Sache
kurz erwähnt, aber erſt Ihrem Briefe verdank ich die
Aufklärung, ſo weit ſie gegeben werden kann. Sie
kennen meine Neigung (und dieſer folg ich auch heut),
aus dem Einzelnen aufs Ganze zu ſchließen, aber
freilich auch umgekehrt aus dem Ganzen aufs Einzelne,
was mit dem Generaliſieren zuſammenhängt. Es mag
das ſein Mißliches haben und mich oft zu weit führen.
Indeſſen wenn jemals eine Berechtigung dazu vorlag,
ſo hier, und ſpeziell Sie werden es begreiflich finden,
daß mich dieſer Schach-Fall, der nur ein Symptom
[220] iſt, um eben ſeiner ſymptomatiſchen Bedeutung willen
aufs ernſteſte beſchäftigt. Er iſt durchaus Zeiter¬
ſcheinung, aber wohlverſtanden mit lokaler Begrenzung,
ein in ſeinen Urſachen ganz abnormer Fall, der ſich
in dieſer Art und Weiſe nur in Seiner Königlichen
Majeſtät von Preußen Haupt- und Reſidenzſtadt,
oder, wenn über dieſe hinaus, immer nur in den
Reihen unſrer nachgeborenen fridericianiſchen Armee
zutragen konnte, einer Armee, die ſtatt der Ehre nur
noch den Dünkel, und ſtatt der Seele nur noch ein
Uhrwerk hat — ein Uhrwerk, das bald genug abge¬
laufen ſein wird. Der große König hat dieſen ſchlimmen
Zuſtand der Dinge vorbereitet, aber daß er ſo ſchlimm
werden konnte, dazu mußten ſich die großen Königs¬
augen erſt ſchließen, vor denen bekanntermaßen jeder
mehr erbangte, als vor Schlacht und Tot.


Ich habe lange genug dieſer Armee angehört,
um zu wiſſen, ‚daß Ehre‘ das dritte Wort in ihr
iſt; eine Tänzerin iſt charmant ‚auf Ehre‘, eine
Schimmelſtute magnifique ,auf Ehre‘, ja, mir ſind
Wucherer empfohlen und vorgeſtellt worden, die ſüperb
,auf Ehre‘ waren. Und dies beſtändige Sprechen
von Ehre, von einer falſchen Ehre, hat die Begriffe
verwirrt und die richtige Ehre tot gemacht.


All das ſpiegelt ſich auch in dieſem Schach-Fall,
in Schach ſelbſt, der, all ſeiner Fehler unerachtet,
immer noch einer der beſten war.


[221]

Wie lag es denn? Ein Offizier verkehrt in einem
adligen Hauſe; die Mutter gefällt ihm, und an einem
ſchönen Maitage gefällt ihm auch die Tochter, vielleicht,
oder ſagen wir lieber ſehr wahrſcheinlich, weil ihm
Prinz Louis eine halbe Woche vorher einen Vortrag
über „beauté du diable“ gehalten hat. Aber gleich¬
viel, ſie gefällt ihm, und die Natur zieht ihre Kon¬
ſequenzen. Was, unter ſo gegebenen Verhältniſſen,
wäre nun wohl einfacher und natürlicher geweſen, als
Ausgleich durch einen Eheſchluß, durch eine Verbindung,
die weder gegen den äußeren Vorteil, noch gegen irgend
ein Vorurteil verſtoßen hätte. Was aber geſchieht?
Er flieht nach Wuthenow, einfach weil das holde
Geſchöpf, um das ſichs handelt, ein paar Grübchen
mehr in der Wange hat, als gerade modiſch oder
herkömmlich iſt, und weil dieſe „paar Grübchen zu¬
viel“ unſren glatten und wie mit Schachtelhalm polierten
Schach auf vier Wochen in eine von ſeinen Feinden
bewitzelte Stellung hätten bringen können. Er flieht
alſo, ſag ich, löſt ſich feige von Pflicht und Wort,
und als ihn ſchließlich, um ihn ſelber ſprechen zu
laſſen, „ſein „Allergnädigſter König und Herr“ an
Pflicht und Wort erinnert und ſtrikten Gehorſam
fordert, da gehorcht er, aber nur, um im Momente
des Gehorchens den Gehorſam in einer allerbrüskeſten
Weiſe zu brechen. Er kann nun mal Zietens ſpöttiſchen
Blick nicht ertragen, noch viel weniger einen neuen
[222] Anſturm von Karrikaturen, und in Angſt geſetzt durch
einen Schatten, eine Erbſenblaſe, greift er zu dem alten
Auskunftsmittel der Verzweifelten: un peu de poudre.

Da haben Sie das Weſen der falſchen Ehre.
Sie macht uns abhängig von dem Schwankendſten
und Willkürlichſten, was es giebt, von dem auf Trieb¬
ſand aufgebauten Urteile der Geſellſchaft, und ver¬
anlaßt uns, die heiligſten Gebote, die ſchönſten und
natürlichſten Regungen eben dieſem Geſellſchaftsgötzen
zum Opfer zu bringen. Und dieſem Kultus einer
falſchen Ehre, die nichts iſt als Eitelkeit und Ver¬
ſchrobenheit, iſt denn auch Schach erlegen, und Größeres
als er wird folgen. Erinnern Sie ſich dieſer Worte.
Wir haben wie Vogel Strauß den Kopf in den Sand
geſteckt, um nicht zu hören und nicht zu ſehen. Aber
dieſe Straußenvorſicht hat noch nie gerettet. Als es
mit der Mingdynaſtie zur Neige ging und die ſieg¬
reichen Mandſchuheere ſchon in die Palaſtgärten von
Peking eingedrungen waren, erſchienen immer noch
Boten und Abgeſandte, die dem Kaiſer von Siegen
und wieder Siegen meldeten, weil es gegen ‚den Ton‘
der guten Geſellſchaft und des Hofes war, von Nieder¬
lagen zu ſprechen. O, dieſer gute Ton! Eine Stunde
ſpäter war ein Reich zertrümmert und ein Thron
geſtürzt. Und warum? weil alles Geſchraubte zur
Lüge führt und alle Lüge zum Tod.

Entſinnen Sie ſich des Abends in Frau von
[223] Carayons Salon, wo bei dem Thema ‚Hannibal
ante portas
‘ Ähnliches über meine Lippen kam?
Schach tadelte mich damals als unpatriotiſch. Un¬
patriotiſch! Die Warner ſind noch immer bei dieſem
Namen genannt worden. Und nun! Was ich da¬
mals als etwas blos Wahrſcheinliches vor Augen
hatte, jetzt iſt es thatſächlich da. Der Krieg iſt
erklärt. Und was das bedeutet, ſteht in aller Deut¬
lichkeit vor meiner Seele. Wir werden an derſelben
Welt des Scheins zugrunde gehn, an der Schach
zugrunde gegangen iſt. Ihr Bülow.


Nachſchrift. Dohna (früher bei der Garde du
Corps), mit dem ich eben über die Schachſche Sache
geſprochen habe, hat eine Lesart, die mich an frühere
Noſtitzſche Mitteilungen erinnerte. Schach habe die
Mutter geliebt, was ihn, in einer Ehe mit der Tochter,
in ſeltſam peinliche Herzenskonflikte geführt haben
würde. Schreiben Sie mir doch darüber. Ich
perſönlich ſind es pikant, aber nicht zutreffend. Schachs
Eitelkeit hat ihn zeitlebens bei voller Herzenskühle
gehalten, und ſeine Vorſtellungen von Ehre (hier aus¬
nahmsweiſe die richtige) würden ihn außerdem, wenn
er die Ehe mit der Tochter wirklich geſchloſſen hätte,
vor jedem faux pas geſichert haben. B.

[[224]]

21. Kapitel.
Victoire von Schach an Liſette
von Verbandt.

Rom, 18. Auguſt 1807. Ma chère Lisette.
Daß ich Dir ſagen könnte, wie gerührt
ich war über ſo liebe Zeilen! Aus dem
Elend des Krieges, aus Kränkungen und Verluſten
heraus, haſt Du mich mit Zeichen alter, unveränder¬
ter Freundſchaft überſchüttet und mir meine Verſäum¬
niſſe nicht zum Üblen gedeutet.


Mama wollte mehr als einmal ſchreiben, aber
ich ſelber bat ſie, damit zu warten.


Ach, meine teure Liſette, Du nimmſt Teil an
meinem Schickſal, und glaubſt der Zeitpunkt ſei nun
da, mich gegen Dich auszuſprechen. Und Du haſt
Recht. Ich will es thun, ſo gut ichs kann.


[225]

„Wie ſich das alles erklärt?“ fragſt Du und
ſetzeſt hinzu: „Du ſtündeſt vor einem Rätſel, das
ſich Dir nicht löſen wolle.“ Meine liebe Liſette, wie
löſen ſich die Rätſel? Nie. Ein Reſt von Dunklem
und Unaufgeklärtem bleibt, und in die letzten und
geheimſten Triebfedern andrer oder auch nur unſrer
eignen Handlungsweiſe hineinzublicken, iſt uns ver¬
ſagt. Er ſei, ſo verſichern die Leute, der ſchöne
Schach geweſen, und ich, das Mindeſte zu ſagen, die
nicht-ſchöne Victoire, — das habe den Spott heraus¬
gefordert, und dieſem Spotte Trotz zu bieten, dazu
hab er nicht die Kraft gehabt. Und ſo ſei er denn
aus Furcht vor dem Leben in den Tod gegangen.


So ſagt die Welt, und in vielem wird es zu¬
treffen. Schrieb er mir doch ähnliches und verklagte
ſich darüber. Aber wie die Welt ſtrenger geweſen iſt,
als nötig, ſo vielleicht auch er ſelbſt. Ich ſeh es in
einem andern Licht. Er wußte ſehr wohl, daß aller
Spott der Welt ſchließlich erlahmt und erliſcht, und
war im Übrigen auch Manns genug, dieſen Spott
zu bekämpfen, im Fall er nicht erlahmen und nicht
erlöſchen wollte. Nein, er fürchtete ſich nicht vor die¬
ſem Kampf, oder wenigſtens nicht ſo, wie vermutet wird;
aber eine kluge Stimme, die die Stimme ſeiner eigen¬
ſten und innerſten Natur war, rief ihm beſtändig zu,
daß er dieſen Kampf umſonſt kämpfen, und daß er,
wenn auch ſiegreich gegen die Welt, nicht ſiegreich
15[226] gegen ſich ſelber ſein würde. Das war es. Er ge¬
hörte durchaus, und mehr als irgendwer, den ich
kennen gelernt habe, zu den Männern, die nicht für
die Ehe geſchaffen ſind. Ich erzählte Dir ſchon, bei
früherer Gelegenheit, von einem Ausfluge nach Tem¬
pelhof, der überhaupt in mehr als einer Beziehung
einen Wendepunkt für uns bedeutete. Heimkehrend
aus der Kirche, ſprachen wir über Ordensritter und
Ordensregeln, und der ungeſucht ernſte Ton, mit dem
er, trotz meiner Neckereien, den Gegenſtand be¬
handelte, zeigte mir deutlich, welchen Idealen er nach¬
hing. Und unter dieſen Idealen — all ſeiner Liaiſons
unerachtet, oder vielleicht auch um dieſer Liaiſons
willen — war ſicherlich nicht die Ehe. Noch jetzt
darf ich Dir verſichern, und die Sehnſucht meines
Herzens ändert nichts an dieſer Erkenntnis, daß es
mir ſchwer, ja faſt unmöglich iſt, ihn mir au sein
de sa famille
vorzuſtellen. Ein Kardinal (ich ſeh
ihrer hier täglich) läßt ſich eben nicht als Ehemann
denken. Und Schach auch nicht.


Da haſt Du mein Bekenntnis, und ähnliches
muß er ſelber gedacht und empfunden haben, wenn
er auch freilich in ſeinem Abſchiedsbriefe darüber ſchwieg.
Er war ſeiner ganzen Natur nach auf Repräſentation
und Geltendmachung einer gewiſſen Grandezza geſtellt,
auf mehr äußerliche Dinge, woraus Du ſehen magſt,
daß ich ihn nicht überſchätze. Wirklich, wenn ich ihn
[227] in ſeinen Fehden mit Bülow immer wieder und wie¬
der unterliegen ſah, ſo fühlt ich nur zu deutlich, daß
er weder ein Mann von hervorragender geiſtiger Be¬
deutung, noch von ſuperiorem Charakter ſei; zugegeben
das alles; und doch war er andererſeits durchaus
befähigt, innerhalb enggezogener Kreiſe zu glänzen und
zu herrſchen. Er war wie dazu beſtimmt, der Halb¬
gott eines prinzlichen Hofes zu ſein, und würde dieſe
Beſtimmung, Du darfſt darüber nicht lachen, nicht
bloß zu ſeiner perſönlichen Freude, ſondern auch zum
Glück und Segen andrer, ja vieler anderer, erfüllt
haben. Denn er war ein guter Menſch, und auch
klug genug, um immer das Gute zu wollen. An dieſer
Laufbahn als ein prinzlicher Liebling und Plenipoten¬
tiaire, hätt ich ihn verhindert, ja, hätt ihn, bei meinen
anſpruchsloſen Gewohnheiten, aus all und jeder Kar¬
riere herausgeriſſen und ihn nach Wuthenow hinge¬
zwungen, um mit mir ein Spargelbeet anzulegen
oder der Kluckhenne die Küchelchen wegzunehmen.
Davor erſchrak er. Er ſah ein kleines und beſchränktes
Leben vor ſich, und war, ich will nicht ſagen auf ein
großes geſtellt, aber doch auf ein ſolches, das ihm
als groß erſchien.


Über meine Nichtſchönheit wär er hinwegge¬
kommen. Ich hab' ihm, ich zögre faſt es niederzu¬
ſchreiben, nicht eigentlich mißfallen, und vielleicht hat
er mich wirklich geliebt. Befrag ich ſeine letzten, an
15*[228] mich gerichteten Zeilen, ſo wär es in Wahrheit ſo.
Doch ich mißtraue dieſem ſüßen Wort. Denn er war
voll Weichheit und Mitgefühl, und alles Weh, was er
mir bereitet hat, durch ſein Leben und ſein Sterben,
er wollt es ausgleichen, ſo weit es auszugleichen war.


Alles Weh! Ach wie ſo fremd und ſtrafend mich
dieſes Wort anſieht! Nein, meine liebe Liſette, nichts
von Weh. Ich hatte früh reſigniert, und vermeinte
kein Anrecht an jenes Schönſte zu haben, was das
Leben hat. Und nun hab ich es gehabt. Liebe. Wie
mich das erhebt und durchzittert, und alles Weh in
Wonne verkehrt. Da liegt das Kind und ſchlägt eben
die blauen Augen auf. Seine Augen. Nein, Liſette,
viel Schweres iſt mir auferlegt worden, aber es federt
leicht in die Luft, gewogen neben meinem Glück.


Das Kleine, Dein Pathchen, war krank bis auf
den Tod, und nur durch ein Wunder iſt es mir er¬
halten geblieben.


Und davon muß ich Dir erzählen.


Als der Arzt nicht mehr Hilfe wußte, ging ich
mit unſerer Wirtin (einer ächten alten Römerin in
ihrem Stolz und ihrer Herzensgüte) nach der Kirche
Araceli hinauf, einem neben dem Kapitol gelegenen
alten Rundbogenbau, wo ſie den ,Bambino,‘ das
Chriſtkind, aufbewahren, eine hölzerne Wickelpuppe
mit großen Glasaugen und einem ganzen Diadem
von Ringen, wie ſie dem Chriſtkind, um ſeiner ge¬
[229] ſpendeten Hilfe willen, von unzähligen Müttern ver¬
ehrt worden ſind. Ich bracht ihm einen Ring mit,
noch eh ich ſeiner Fürſprache ſicher war, und dieſes
Zutrauen muß den Bambino gerührt haben. Denn
ſieh, er half. Eine Kriſis kam unmittelbar, und der
Dottore verkündigte ſein ,va bene‘; die Wirtin aber
lächelte, wie wenn ſie ſelber das Wunder verrichtet
hätte.


Und dabei kommt mir die Frage, was wohl
Tante Marguerite, wenn ſie davon hörte, zu all dem
‚Aberglauben‘ ſagen würde? Sie würde mich vor
der ,alten Kürche‘ warnen, und mit mehr Grund,
als ſie weiß.


Denn nicht nur alt iſt Araceli, ſondern auch
troſtreich und labevoll, und kühl und ſchön.


Sein Schönſtes aber iſt ſein Name, der ,Altar
des Himmels
‘ bedeutet. Und auf dieſem Altar
ſteigt tagtäglich das Opfer meines Dankes auf.“

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Dieses Werk ist gemeinfrei.


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TextGrid Repository (2025). Collection 1. Schach von Wuthenow. Schach von Wuthenow. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bjfq.0