[]
Eylfertiges
Bedencken
über
M. August Hermann
Franckens/
Pastoris zu Glauche vor Halle/
Seine
Schutz-Predigt/
Ob Er
Durch dieselbe seinen Zweck/
den er auf dem Titul gedachter Predigt
berühret hat/ erlanget oder
nicht?
Auf Begehren gestellet
von einem
Diener GOttes in Halle/
An einen
Seiner Beicht-Kinder.
Anno 1692, d. 25. Julii.
[2]

Geneigter Leser.

DJeses Bedencken
ist zwar nicht ge-
stellet worden/ daß
es in den Druck
hat kommen sollen. Es hat
auch der Herr Autor, da es zu
dem Ende von ihm verlanget
worden/ sich unterschiedlich
mahl geweigert/ und unter an-
dern damit sich entschuldiget/
weil M. Francke/ dem einige
Abschrifft davon alsbald zu-
gekommen/ ihn solches nicht
zu publiciren bitten lassen/wel-
ches
[3] ches Er auch/ wo M. Francke
das gegebene Aergerniß durch
revocation oder Erleuterung
seiner Predigt in öffentlichen
Druck würde abschaffen/ zu
unterlassen sich erboten. Nach-
dem aber M. Francke durch
Umwege ihn zu betriegen/ und
seine ausgestreuete Anklage
dadurch zu bestätigen nur ge-
sucht/ allermaßen denn seine
Predigt inzwischen schon et-
liche mahl aufgeleget/ und
überal ausgestreuet wird/ als
hat man auch wider Willen
und Wissen des Herrn Auto-
ris
solch Bedencken der Presse
A2zu
[4] zu vertrauen für nöthig erach-
tet/ damit iedermänniglich
M. Franckens Boßheit dar-
aus erkennen lernen möchte;
indem sie nicht nur mit gutem
Grunde darinnen beschrieben/
sondern auch/ nach vornehmer
Leute Urtheil/ allen seinen Auf-
lagen sattsam geantwortet ist.
Und lebet man darbey der gu-
ten Zuversicht/ es werde sol-
ches der Herr Autor ihme nicht
mißfallen lassen/ denn Recht
muß doch Recht bleiben/ und
dem werden alle fromme
Hertzen zufal-
len.


[5]

Großgünstiger Freund.


ER verlanget von mir zu-
wissen/ was von des Hn.
M. Franckens/ Pastoris
zu Glauche vor Halle/
seiner Predigt zuhalten
sey/ und ob er damit der Auflagen sich
exculpiren könne. Nun wolte ich
wünschen/ daß dergleichen Predigt
nicht vonnöthen gewesen wäre/ wolte
ihm auch gerne gönnen/ daß er sich
durch diese Schutz-Predigt alles Ver-
dachts hätte entledigen können (denn
ja keinem redlichen Christen mit falscher
Auflage eines Christen/ vielweniger
eines Dieners Gottes/ etwas gedienet
ist/ als der vielmehr wündschen wird/
A3daß
[6] daß alles Ergernis möchte auffgeho-
ben werden/ ja ich will hoffen/ daß er
durch dieselbe sich einiger Auflagen
dürffte entbinden/ iedoch so viel ich
mercke/ wird er schwerlich durch diese
Predigt des gantzen Verdachts sich
entledigen/ daß er vielmehr in einigen
Stücken viel tieffer hineingerathen ist.

Jhm ist nicht unbewust/ daß bisher
einige Trennung und Verwirrung
unserer Kirche hat entstehen wollen/
indem es dahin gediehen/ daß wer sich
hat belieben lassen Herrn M. Fran-
cken oder seinen Anhängen zu favori-
si
ren/alsobald alle andere Diener Got-
tes auch bey unserer Stadt zuverach-
ten/daher es denn geschicht/ daß weder
die Studiosi, die ihm anhängig seyn/
noch auch andere Leute mehr/ anderer
Diener Gottes ihre Predigten besu-
chen/sondern so gleich alles/ was bey
denselben sich befindet/ vernichten und
ver-
[7] verachten/ und das schimpflichste davon
urtheilen. Nun hat man anfänglich
dem Unverstande der Leute es können
beymessen/ als die aus Neugierigkeit
dem Herrn M. Francken (weil so viel
spargirens sonst von ihm gewesen/ und
der Beruff fast ergangen/ daß er was
neues lehrete) etwa gehöret/ und weil
er ihren Ohren vielleicht gefallen ha-
ben mag/ hierdurch demselben günstig
worden/ und so gleich auff die Gedan-
cken gerathen/ er müsse doch wohl nicht
unrecht haben/ weil er sich gleichwol so
fromm anstellte; dahero sie dann ver-
meynet/ als wenn er was anders lehre-
te/als wir/ und sich deswegen lieber zu
ihm/ als zu andern/ halten wollen. Wie
dann auch deswegen einige/ die solcher
Verachtung gegen ihre vorgesetzten
Lehrer sich haben vermercken lassen/
sind vermahnet worden/ sie möchten
sich nicht einbilden/ als wenn Herr M.
A4Fran-
[8] Francke etwas anders lehrete/ als wir/
sondern er lehrete eben das/ und solte er
ja anders reden/ als wir bisher geredet
hätten (welches eben an ihm/ als ei-
nem einzeln jungen Mann nicht zulo-
ben wäre) so würde er sich doch endlich
nach Zuspruch so erklären/ daß es uff
eines hinauslieffe. Solten daher bey
ihren vorgesetzten Lehren vielmehr
verbleiben/ als andern nachlauffen/ da-
durch sie irre gemachet würden/ indem
sie dieselben nicht recht verstünden. Es
hat aber die Sage ie mehr und mehr
von seinen Günstigen wollen ausge-
breitet werden/ daß andere nicht das
lehreten/ was er lehrete/ haben auch wol
des Verachtens gegen ihre Seelsor-
ger keinen Scheu getragen/ daß man
auff die Gedancken hat gerathen müs-
sen/ ob vielleicht er selbst Schuld daran
hätte/ daß so ein Haß volles Gemüthe
wider andere treue Diener Gottes bey
eini-
[9] einigen seinen Zuhörern so gleich ent-
stünde/ und daß er solches/ wo nicht aus-
drücklich intendire/ doch materialiter
verursachte; welche Gedancken denn
unterhalten worden sind/ wenn man
von einigen Studiosis, die ihm anhän-
gig seyn/ hat erfahren müssen/ wie sie
ein und anders unrichtigs Wesen ge-
gen einfältige Leute sich unterfingen/
als daß sie dieselben haben bereden wol-
len/ sie köndten bey keinem andern ab-
solution
ihrer Sünden haben/ als bey
M. Francken/ es wäre niemand nicht
bekehret/ als der erst fast gar hätte ver-
zagen wollen; nachdem sie zu M. Fran-
cken kommen/ wären sie erst bekehret
worden; Man hat auch bey denensel-
ben ein absonderliches Gebeth ange-
mercket/ in welchem sie GOtt abson-
derlich haben dancken müssen/ daß sie
durch einen gewissen Mann wären
erleuchtet und bekehret worden/ un-
A5er-
[10] erachtet man gewust/ daß es sonst from-
me und Christliche Seelen gewest/ die
aus der Gnade ihres Tauffbundes da-
mals wol schwerlich gefallen gewesen/
als sie ihm zu favorisiren begunnen;
andere haben wiederum in Zittern und
Zagen gelebet/ und sich verlauten las-
sen/ wenn sie doch nur wissen möchten/
ob sie bekehret und erleuchtet wären;
noch andere haben nicht leiden können/
wenn ein Lehrer seinen Zuhörern von
den heutiges Tages vorgegebenen Of-
fenbahrungen hat Unterricht gegeben/
ob es wol gantz bescheiden geschehen ist/
theticè \& antitheticè ohne Meldung/
woraus sie ihr Absehen gehabt/ oder
wenn er etwa von dem tausendjähri-
gen Reiche Christi geredet hat/ das al-
les/ und noch ein mehrers/ ist solchen
jungen Klüglingen ein Dorn in ihren
Ohren gewesen. Gleichwol hat das
Ansehen eines vornehmen hiesiges
Orts
[11] Orts lebenden Theologi, der mit ihm
in guten Vertrauen stehet/ dergleichen
Gedancken zuweilen zurückgehalten/
daß man denselben nicht hat freyen
Lauff lassen mögen/ unerwogen solcher/
wo er dergleichen etwas bey Herrn M.
Francken solte anmercken/ zweiffels
ohne/ unsern Gedancken nach/ würde
gestrafft haben/ daß er sich hätte ändern
müssen.

Man hat aber von einigen Glaub-
würdigen nicht ungelehrten frembden
Personen vernehmen müssen/ daß er
sich nicht entblödet ihnen ins Gesichte
zusagen/ daß sie Unbekehrte/ und von
dem Geist Gottes nicht regierte Leute
wären/ würden auch dergleichen nicht
ehe werden/ biß sie sich zu ihnen schlü-
gen. Und als derselben einer/ sich theils
auff sein/ theils auff des Hn. M. Fran-
ckens eigen Gewissen beruffen/ daß er
nie muthwilliger Sünden sich schuldig
A6wü-
[12] wüste/ sondern vor allen wissentlichen
Sünden sich gehütet/ inzwischen gleich-
wol seine tägliche Mängel busfertig
erkant/ sich seines Heylandes CHristi/
und des mit ihm gemachten Tauff-
Bundes getröstet/ und Gott busfer-
tig abgebethen/ daß er aus der Gnade
Gottes gefallen zuseyn nicht erachten
könte/ ihn dannenhero gefragt/ was ihm
denn noch fehlete/ daß er völlig bekehrt
würde? so ist kein andere Antwort ge-
fallen/ als diese; Er hörete wohl/ daß
referente ein Weltgelehrter Mensch
wäre/ aber er würde schon anders ge-
sinnet werden/ wenn er sich zu ihnen
schlüge. Dannenhero man erachtet/
daß weil er gegen Gelehrte dergleichen
Reden zuführen sich erkühnet/ er viel-
mehr gegen Einfältige solches thun
möchte. Und kondte also leicht sehen/
woher der Haß/ denn seine Günstiger
gegen andere Seelsorger tragen/ rüh-
ren
[13] ren möchte. Jedoch war die Sache
noch nicht so bekandt/ daß man es über-
al/ auch vor Gerichte/ als ein erwiese-
nes hätte passiren lassen müssen.

Nachdem aber HErr M. Francke
sich hat bereden lassen/ daß er mit dieser
seiner Schutz-Predigt/ wiewol intem-
pestivè
und wider das Ansehen der
Obern/ an den Tag kommen ist/ ist die
Sache vollend klar worden/ daß solche
Trennung/ die bisher in unserer Stadt
entstanden ist/ von ihm hergerühret
hat/ welches der Jnhalt solcher Pre-
digt gleich anzeiget/ muß von forne an-
gefangen werden. Es scheinet zwar
des Herrn M. Franckens Absehen
bey dieser Predigt gewesen zu seyn/ der
Auflagen/ die theils einige Zuhörer
selbst/ wider ihn eingegeben/ sich zuent-
schütten/ (wie er denn auch diesen
Zweck im Titul ausdrückt) aber/ wer
die gantze Predigt ansiehet/ muß fast
A7auf
[14] auff die Gedancken gerathen/ daß sol-
che Ableinung nur der Neben-Zweck
sey/ der Hauptzweck aber sey die Be-
schuldigung und Verkleinerung so
wol der gantzen Lutherischen Kirchen/
als insonderheit aller treuer Diener
Gottes bey derselben/ die es nicht mit
ihm halten. Bey den ersten ist er da-
zu ziemlich unglücklich/ und verschwei-
get ie zuweilen/ was er in seiner Ant-
wort wohl berühren solte/ damit er recht
aus allem Verdacht käme/ bey dem
andern ist er geübter/ und fehlet ihm an
Worten und an Beschuldigungen
nicht/ aber wol am Erweise.

Man sehe nur seiner Predigt Ein-
gang an/ und bedencke die Worte/ mit
welchen er denselben anfängt/ daß das
gantze 59. Capitel Esaiæ sich eigentlich
auf Christi und unsere Zeiten (ver-
stehe/ von der Lutherischen Kirche zu
reden) schickte/ insonderheit die Worte
vom
[15] vom 14. vers. und so weiter. Wer un-
ter den Einfältigen den Jnhalt dieses
Capitels wissen will/ der kan des Osi-
andri
oder die Weymarische Bibel
nachschlagen/ da wird er finden/ was
vor schwere Beschuldigungen wider
die öffentlichen Lehrer daselbst sind/ wie
sie falsche gifftige Lehrer wären; man
kan dabey zugleich ansehen/ was vor ein
Zustand des Ministerii zu den Zeiten
Ahas und also des Esaiæ gewesen 2.
Chron. XX. so wird man darinnen
bestätiget werden. Zu dergleichen
macht er nun hiermit die Lutherischen
Lehrer indefinitè, und vergleicht sie
auch zugleich tacitè mit den Schrifft-
gelehrten und Phariseern/ den falschen
Lehrern zu Christi Zeiten/ wie er auch
eben dieses tacitè intendiret in dem
Anfang seiner Predigt/ oder vielmehr
durch die gantze Predigt/ so weit er von
dem Fall und der Wiederauffrichtung
der
[16] der Gerechtigkeit aus dem Evangelio
redet/ daß er die Lutherischen Prediger
abmahlen möchte/ dannenhero er schon
im Eingang den Leuten die Gedan-
cken gemacht/ daß zwischen Christi und
unsern Zeiten einige Gleichheit wäre.

Jnzwischen mischet er in seinem
Discurs immer eins und das andere
mit ein/ daß ich nicht weis/ wie er es
entschuldigen will/ wenn es genau solte
examiniret werden; Er müste sich
denn behelffen mit der Distinction
unter den äuserlichen und innerli-
chen Menschen
/ deren dieser nur ver-
stünde/ was er schriebe/ wie er sonst der-
gleichen distinction sich soll bedienen/
doch weil es nicht Sachen von Wich-
tigkeit seyn/ läst man es billich vorbey
gehen.

Man sehe überdiß den Anhang an/
da er die Frage tractiret: Ob das
Christenthum bey uns verfallen

sey?
[17]sey? Und mercke/ wie er sein Ja be-
hauptet/ insonderheit bey der Lehre/ so
wird man finden/ was er vor Gedan-
cken von Lutherischen Predigern/ in-
definitè
genommen/ nicht etwan nur
von ein und andern mag haben/ ja was
er vor Reden gegen Unverständige zu-
führen sich getrauen mag/ nachdem er
sich nicht scheuet/ ein solches öffentlich
zu schreiben. Anfänglich redet er be-
dencklich/ daß er schreibet: Wir wol-
len das Ansehen haben/ daß wir
durch die Reformation aus dem
Pabstthum gegangen/ und von
dem Joch der Menschen-Satzun-
gen
befreyet worden; Jch will nicht
hoffen/ daß er uns beschuldigen wolle/
als wenn wir noch das Joch der Men-
schen-Satzungen auff uns hätten/ weil
wir einige Ceremonien/ die unschädlich
seyn/ behalten haben/ oder als wenn
wir dem Pabstthum nicht recht ent-
gan-
[18] gangen wären/ denn sonst wäre das ei-
ne grosse unerweißliche Beschuldi-
gung. Hernach kan er es nicht erdul-
den/ daß einige gesagt haben/ es sey itzo
florentissimus Ecclesiæ status, ob es
iemand/ und wer es gesagt habe/ weis
ich nicht/ wenn sie es auch de doctrinâ
\& vité totius Ecclesiæ Lutheranæ
,
an welchem Ort dieselbe wäre/ und
darzu absolutè, nicht comparatè, ver-
standen hätten/ möchte es wohl falsch
seyn/ aber wenn es de Ecclesiâ aliqvâ
particulari
und comparatè wäre
verstanden worden/ sehe ich nicht/ was so
unrecht geredet wäre? Solte denn
nicht in mancher Stadt/ oder in man-
chem Lande solche gute Anstalt bey ei-
niger Kirchen seyn/ oder gewesen seyn/
daß/ wenn sie den Zustand ihrer Kir-
chen mit den vorigen Zeiten überlegt
hätten/ sie hätten sagen können/ es sey
ietzo florentissimus Ecclesiæ status,
un-
[19] unerachtet etwa ein oder anders Glied-
mas sich nicht recht verhalten? solte es
aber nur de doctrinâ verstanden wor-
den seyn/ so würde es viel weniger zu
tadeln gewesen seyn/ doch wollen wir
anderer ihre Worte nicht verthädigen/
darauff gestehet er zwar/ daß die theses
Orthodoxæ
bey uns vorgetragen
würden
/ (welches er denn/ wenn er
nicht eine Contradiction begehen
will/ nur von einigen/ vielleicht seinen
Gönstigen/ verstehen muß/) doch da-
mit er den Verfall der Lehre erweise/
klaget er noch (1.) über vieler Un-
wissenheit
/ berufft sich dabey auff seine
und anderer Erfahrung; aber das ist
kein Verfall der Lehre (daß ich das
seltzame Wort mit ihm brauche/ denn
wer saget der verbleib/ der verschreib/
der verharr/ vor die Verbleibung/
Verschreibung/ Verharrung ꝛc.) son-
dern eine üble Anstalt in der Unter-
rich-
[20] richtung/ oder üble Ampts-Pflege des
Seelsorgers/ wenn dergleichen wo ist.
Und ist kaum zuglauben/ daß eine sol-
che Unwissenheit deren/ die schon etli-
che mahl zum Tisch des HErrn gan-
gen wären/ vielfältig erfunden wor-
den. Wenn er die Antwort gehöret
hatte/ hätte er leicht gedencken können/
daß sie ihn nicht recht verstünden/ und
de aliqvâ causâ impulsivâ die Frage
angenommen hätten/ die er de usu \&
fructu
hätte verstehen wollen/ darum
hätte er ferne fragen können/ was hast
du aber vor Nutz davon/ wenn du
zum Abendmahl gehest?
Vielleicht
hätten sie anderst geantwortet/ daß er
nicht vielfältig dergleichen Antwort
hätte müssen hören/ wenn es ia gesche-
hen ist; hat es also vielmehr sich/ als an-
dern zu imputiren/ daß er vielfältig
nicht nach seiner Frage Meynung
Antwort erhalten. Man weiß die
Ein-
[21] Einfalt der Leute/ und daß sie offt ein
Ding verstehen/ welches sie doch nicht
so gleich von sich geben können/ wo nicht
die Frage nach ihrem Verstande ein-
gerichtet wird; Darum soll er viel-
mehr lernen sich nach der Einfalt rich-
ten/ als daher Anlaß nehmen die Leh-
re der Kirchen ungeschickter Weise zu
beschuldigen.

(2.) Daß die rechte Lehre Lu-
theri nicht recht verstanden würde
.
Wenn solches bey dem einen oder an-
dern nur ist/ ists auch kein Verfall der
Lehre bey der Kirchen/ davon hier die
Rede ist. Daß es bey vielen und
zwar den meisten Gliedern der Kirche
so schlecht bestalt wäre/ und das aus
Mangel der Lehre/ solches muß erwie-
sen werden. Es hätte auch der Herr
M. Franck gedencken mögen/ daß der
Glaube/ wie ihn Herr Lutherus be-
schrieben hat/ gar recht zwar beschrie-
ben
[22] ben ist/ (denn so muß er beschaffen
seyn/ wenns ein rechter Glaube heissen
will) iedoch machte derselbe nicht vor
GOtt gerecht/ so ferne er nach allen
Stücken ein solcher ist/ sondern nur/
so fern er Christum mit seinem Ver-
dienst ergreiffet/ und auf ihn sein
Vertrauen setzet. Weil er aber das nicht
gethan hat/ so hat er selbst wider seine
4te Klage gehandelt/ und die Lehre
zerstückt vorgetragen.

(3.) Daß von gar vielen/ auch
Gelehrten/ die Evangelische Lehre
zwar einiger Maßen/ recht begrif-
fen/ aber nach der unerleuchteten
Vernunfft angesehen/ und beur-
theilet wird.
Erst wenns geschicht/
so ist das kein Verfall der Lehre bey der
Kirchen/ (davon hier die Rede ist/)
sondern des seligmachenden Glaubens
im Hertzen; Darnach so ist die Ver-
nunfft eines solchen nicht gantz und
gar
[23] gar unerleuchtet zu nennen/ wenn nicht
bloß von der seligmachenden Er-
leuchtung
/ sondern von der Erleuch-
tung
in genere geredet wird/ wiewol
sie salutariter unerleuchtet genennet
werden muß/ sofern sie nun nicht mehr
hat das principium assentiendi su-
pernaturale
, die Wirckung GOttes
des Heiligen Geistes/ der den Verstand
durchs Wort übernatürlich lenckt/ daß
er mit Göttlicher Gewißheit vor wahr
halten muß/ was er mit seinen Kräf-
ften vor wahr zu seyn nicht ergründen
kan/ sondern sie ist im ersten Grad (wie
einige Theologi die gradus illumi-
nationis
setzen) erleuchtet/ und hat
aus GOttes Wort die Lehre der Christ-
lichen Kirche erlernet/ und wird deswegen
derselben Lehre oder Erkäntniß
nicht verlustig/ unerachtet der Mensch
durch muthwillige Sünde der Gna-
den-Wirckung des Heiligen Geistes
sich
[24] sich beraubet. Denn sonst müste der
Mensch/ so offt er sündigte/ gleich
so verkehrt und verdüstert an seinem
Verstande werden/ daß er nicht mehr
wüste und verstünde/ was er zuvor
in Göttlichen Dingen verstanden hät-
te/ welches wider die Erfahrung
läufft. Ob nun wol ein solcher saluta-
riter
unerleuchteter Verstand unrecht
thut/ daß er heilige Sachen nicht mit
der Art/ wie ers thun solte/ und durch
die Gnade GOttes hätte thun können/
vornimmt und tractiret/ so kan er doch
aus GOttes Wort eben noch die Leh-
re der Kirche/ wie zuvor/ verstehen und
examiniren/ und wenn er sie aus
GOTTES Wort examiniret/ so
siehet sie zwar der unerleuchtete Ver-
stand an/ auch mit der unerleuchte-
ten Vernunfft/ aber nicht nach der
unerleuchteten Vernunfft/ sondern
nach GOttes Wort/ und so fern thut
er
[25] er nicht unrecht. Daher spielt Herr
M. Franck nur mit dem Wort Wis-
sen und Erkäntniß/ wenn er hinzu
setzt: Ja viel wissen nicht einmahl/
was die rechte heilsame und leben-
dige Erkäntniß sey; Denn wenn er
durch das Wissen notitiam practicam
verstehet/ und durch die Erkäntniß il-
luminationem salutarem
, so ist es
wahr/ aber wie wird er denn dadurch
erweisen/ daß die Lehre der Kirchen ver-
fallen ist? Daß der Glaube (fides sub-
jectiva
) derjenigen/ bey welchen sol-
cher Mangel ist/ nicht tauge/ ist zwar
daher zu erweisen/ aber nicht/ daß die
Lehre der Kirchen verfallen. Und doch
hat er entweder aus Unverstande/ o-
der mit Fleiß solche Stückeconfun-
diret
.

(4) Daß öffters die Lehre nicht
recht vorgetragen werde. Das er-
Bwei-
[26] weiset er mit zweyen Gründen: (α)
Weil GOttes Wort offtmals mit
Menschen-Wort/ als mit unnützen
Historien/ Fabeln/ Erzehlung aller-
hand abgeschmackten Meynung/ un-
erbaulichen critisiren vermenget/ und
dadurch die vornehmste Seelen-Weide
entzogen würde. Dieses erweiset nicht/
daß die Lehre nicht recht/ das ist/ irrig
und falsch vorgetragen werde/ (wel-
ches er doch erweisen solte/ wenn er ei-
nen Verfall unserer Kirche in der Leh-
re will darthun) sondern nur/ wenn es
ja was erweiset/ daß sie sparsamer vor-
getragen werde; Denn die Zeit/ die
man auf solche angeführte Stücke wen-
dete/ könte man auf die Lehre wenden;
es erweiset auch nicht/ daß sie nicht suf-
ficienter
vorgetragen werde/ sondern
nur nicht überlfüßig; Es ist auch die
Beschuldigung noch nicht erwiesen/
und
[27] und glaube ich kaum/ daß iemand ge-
funden werde/ der dergleichen thut/ von
denen/ welche Herr M. Francke in
seinen Gedancken hat. Denn sich nur
in seinem Gehirne solche Concepte
machen/ und sie hernach in die Welt/
als geschehen/ hinein schreiben/ ist un-
verantwortlich. (β) Weil eine an sich
theure Warheit offt zerstücket wird.
Wenn zerstücken heist/ nicht alles auf
einmahl vortragen/ ists nicht unrecht/
sonderlich/ wenn man versichert ist/ daß
das ausgelassene Stück nicht widrige
Gedancken erwecken könne bey den Zu-
hörern/ welches ein Prediger leicht da-
her abnehmen kan/ wenn er die völlige
Lehre öffters getrieben; Wenn aber zer-
stücken heist dasjenige auslassen/ was
nötig zu erinnern ist/ damit der Zuhörer
nicht ungleiche Gedancken bekommen
müsse/ so ist nicht erwiesen/ daß diß ein
B2ge-
[28] gemeiner Fehler Lutherischer Lehrer
sey/ daß man so indefinitè hinreden sol-
le/ und wenn er es auch wäre/ so wäre
doch noch nicht erwiesen/ daß die Lehre
nicht recht (wenns so viel heist als falsch)
vorgetragen würde/ und also die Lu-
therische Kirche beschuldiget werden
könte/ daß sie in der Lehre verfallen wä-
re; Von ihm dem Herrn M. Fran-
cken solte mir nicht schwer fallen zu er-
weisen/ daß er das Büchlein des Urba-
ni Rhegii de formulis cautè loqven-
di
nicht gar wol gebrauchte/ massen von
ihm bekand ist/ daß er in vielen Stü-
cken sehr securè geredet hat/ man sehe
nur ietzo zum Exempel/ was er drunten
beym discurs von Weiber-Predigten
sich vernehmen lassen/ und was er hier
discurriret vom Verfall der Lehre bey
der Lutherischen Kirchen; Zudem ist
mir wohl bekand/ daß er einsten zu
Lei-
[29] Leipzig von einem Theologo wegen
seiner ungeschickten Reden erinnert/
und ihm deswegen dieses Büchlein
Urbani Rhegii (welches er vor nicht
gesehen/ noch davon gehöret hatte)re-
commend
iret/ und zu lesen commu-
nic
iret worden.

(5.) Daß die Zuhörer wegen
der vorgfasten Meynungen die
Lehre anderst verstunden. Und
gesetzt/ daß das wahr wäre/ so ist doch
die Lehre der Kirchen deswegen nicht
im Verfall; so ist auch das Urtheil von
der Kirche so ungütig/ daß die meisten
oder doch ihrer viel/ solche üble Conce-
pt
e haben solten/ daß sie eine Lehre/ die
ausdrücklich vorgetragen wird/ solten
anders deuten. Vielleicht hat Herr
M. Franck bey diesem Punct etwas
im Sinn/ das er vor sündlich hält/ wel-
ches an und vor sich keine Sünde ist/
B3und
[30] und ist also eben des schuldig/ was er an-
dere bezüchtigen will/ daß er wegen
vorgefaster Meynung die Lehre reiner
Theologorum anderst verstehet/ als
er solte verstehen.

(6.) Affirmiret er/ daß ein gottlos
Leben nit wenig die heilsame Lehre
verderbe; Woraus er denn schliessen
wil/ dz weil bey Lutherischen ein gottlos
Leben ist/ so müste auch die Lehre ver-
dorben seyn. Er solte sich aber schä-
men/ daß er so hochmüthig und ver-
ächtlich von einer Kirche urtheilen will/
dessen Gliedmaß zu seyn er sich aus-
gibt; Hernach ist der Satz auch falsch/
so lange GOTTES Wort noch be-
halten/ und dem einbrechenden Un-
heil gesteuert wird. Wiewol freylich
GOTT durch ein gottlos Leben be-
wogen wird/ daß er endlich auch die
reine Lehre entzeucht/ der man nicht
achtet/
[31] achtet/ aber an und vor sich ists nicht
unmüglich/ daß eine zeitlang eine reine
Lehre und ein gottlos Leben bey einan-
der stehe. Syrachs Ansehen erweiset
nichts/ als welcher nicht ist scriptor
[...].

Kurß! Herr M. Francke will be-
haupten/ Unsere Kirche stünde we-
gen der Lehre im Verfall
/ welches
ein ieder so annehmen wird/ als würde
die reine Lehre bey uns nicht mehr ge-
trieben/ ja man muß es auch so anneh-
men/ wenn Lehr und Leben einander
entgegen gesetzet wird; und wenn man
nun siehet/ wie ers erweiset/ so weiset
er nicht mehr/ als daß entweder einige
Zuhörer oder Lehrer das ihre bey der
Lehre nicht thun/ oder wegen Unge-
schick nicht thun können/ (welches ja
nicht einen Verfall der Lehre/ sondern
des Lebens anzeiget/) und extendiret
B4sol-
[32] solches zugleich unverantwortlicher
Weise auff viele/ wo nicht gar auff alle/
bringet dadurch unsere Kirche ins
schwartze Register bey auswertigen/
und führet sich selbst als einen Ver-
leumbder auff/ hemmet auch/ so viel an
ihm ist/ die Arbeit treuer Diener Chri-
sti/ und die Bekehrung der auswerti-
gen zur Warheit/ welches ihm alles
schwere Verantwortung bringen
wird.

Er will zwar sich entschuldigen/ daß
er treue Diener Gottes nicht meyne;
er distingvire unter ihrem Ampt und
ihrer Person und wiederum und ihrer
Person und Lastern p. 57. aber der
gute Herr redet indefinitè unter præ-
supponi
ret fälschlicher Weise/ daß die
meisten der Lutherischen Lehrer und
Zuhörer lose Leute seyn/ nemlich weil
er sich alleine für fromm hält/ daher
wird
[33] wird ihm diese distinction nicht helf-
fen. Die er ausnimmt sind wenige/
und vielleicht niemand als seines An-
hangs/ welche er nur nennen möchte/
so wüste man/ wer sie wären/ denn
pauperis est numerare pecus \&c.
Aber wers noch nicht glauben will/ daß
die Lehre bey der Lutherischen Kirchen
im Verfall stehe/ der höre noch fernern
Beweis Herrn M. Franckens: Wer
aber noch einen Zweiffel dran hat/
spricht er/oder dem diß zu hart ge-
redet zu seyn düncket/ der thue seine
Augen auff/ und sehe auch das Le-
ben an
. Es scheinet/ als wolle er ad
oculum demonstri
ren/ daß die Lehre
auch bey der Lutherischen Kirchen im
Verfall stehe; Er weiset aber nicht auff
die Lehre/ oder auff etwas an der Leh-
re/ sondern auff das Leben; ist mir das
nicht ein schöner Beweis? Jst denn
B5das
[34] das Leben die Regel/ nach welcher man
die Lehre probiren soll? Jch entsinne
mich/ daß als mir ehmal/ da ich noch /
ein Studente war/ ein tentatus, sed
eruditus vir
, dieses dubium movirte:
Wir müsten nicht den rechten
Glauben haben/ weil wir so gottlos
lebeten
; ich ihm geantwortet: daß der
Glaube zweyerley wäre/ fides obje-
ctiva
und subjectiva, jener müste nach
Gottes Wort geurtheilt werden/ die-
ser könte aus den Wercken æstimirt
werden. Und wo böse Wercke wä-
ren/ wäre freylich nicht vera fides sub-
jectiva \&c
. Als dieser discours gesche-
hen war/ und dabey insonderheit gewie-
sen/ daß auch bey andern Religionen
Unkraut wäre/ bedanckete er sich vor
den erbaulichen discours. Jch halte
Herr M. Francke solte dergleichen
auch wohl wissen/ aber er stellt sich hier
gar
[35] gar frembde darzu an. Darauff hebt
er eine grosse Klage von dem Leben der
heutigen Christen an/ welches ich nicht
in allen zuverthädigen gedencke/ so we-
nig ich M. Franckens unnöthige Kla-
ge über das Lutherische Predigampt
gut heisse; iedoch solte er auch aus ei--
nem geistlichen Hochmuth der Sache
nicht zuviel thun/ sunt mala mixta [...]
bonis
, und gehet doch nicht an allen
Orten das Unkraut über den Weißen/
obs gleich zu Mantua hiesse: infelix
lolium \& steriles Dominantur ave-
. Die Schulen stechen ihm auch in
die Augen/ weil vielleicht daraus Leu-
te kommen/ welche andern die Augen
auffthun können/ daß sie die Verwir-
rung sehen/ so Klüglinge anrichten wol-
len. Daß bey jungen Leuten zuwei-
len Muthwillige vorkommt/ auch wol
ziemliche excesse, kan nicht geläugnet
B6wer-
[36] werden/ so lange aber solchen möglich-
ster Massen gesteuert wird/ hat man
nicht Ursach ohne Unterscheid der
Schulen/ mit solcher Ungunst zuge-
dencken/ massen auch allezeit bey dem
wenigen Unkraut viel guter Weitzen
gewachsen ist/ und so weit gehen die
meisten und wichtigsten seiner Beschul-
digungen wider die Lutherische Kir-
che/ insonderheit die ietzigen Lehrer der-
selben/ welche er ungescheut in den Tag
hinein geschrieben hat.

Was aber seine Entschuldigungen
betrifft/ bekümmern wir uns nicht da-
rum/ wie weit sie gelten mögen; doch se-
hen wir/ daß er einige Dinge gar
schlecht entschuldiget/ einige vorbey-
schleichen lässet als recht geschehen/ ei-
nige mit untüchtigen Gründen abzu-
legen gedencket/ welches meinem
Herrn hierbey berichte/ daß er siehet/
was
[37] was vor Mangel bey Herr M. Fran-
ckens Entschuldigungen mit unter-
lauffen/ und wo er nicht recht heraus
will.

Jn der Zuschrifft ist auff dem 7.
Blat derselben (da er zuvor gelehret
hatte/ daß der wahre Glaube nicht mit
einem gottlosen Leben bestehen könnte/
sondern mit einem guten Vorsatz mü-
ste begriffen seyn/ wie auch ein Wachs-
thum darauff erfolgen müste) folgends
enthalten: Damit könt ihr denen
begegnen/ die meine Anführung
verlästern möchten/ als fodere man
entweder überflüßige oder unnö-
thige und unmögliche Dinge
. Jst
aber das nicht ein schöner Beweis:
Herr M. Franck fodert keine überflüs-
sige/unnöthige und unmügliche Din-
ge/ denn er lehret ja/ der Glaube könne
nicht ohne gute Wercke seyn/ reime
B7dich
[38] dich. Er sage nur/ ob er nicht allen/
auch höflichen Schertz/ alles nur zur
Ergetzligkeit angestelletes Spielen/
alle Lustbarkeiten/ zu gewissen Zeiten
unter guten Freunden angestellte
Musicken/ Zusammenkunfften/ etc.
als sündlich verwirfft/ denn daß er sie
als ein Göttlicher Lehrer soll recom-
mendi
ren/ wird nicht erfodert/ aber
ohne Noth andern ein Gewissen dar-
über zumachen/ wenn sie zu rechter Zeit
und mäßig geschehen/ liegt ihm auch
nicht ob. Was ist aber das anders/
als was er durch die angeführte untüch-
tige ration hat wollen von sich ableh-
nen?

Auff den 65. Blat hebt er an sich zu-
entschuldigen/ und den Auflagen zube-
gegnen; Wobey ich nochmahln wünd-
schen möchte/ daß er allen solchen mit
sattsamen Gründen begegnen könte;
denn
[39] denn mir ist mit seinen Auflagen we-
nig gedienet/ aber weil er zuweilen die-
selben so ablehnet/ daß es scheinet/ als
wolle er sie nicht ablehnen/ muß ihm
doch gewiesen werden/ worinnen er sich
besser hätte verantworten sollen. Sei-
nen Beruff
legitimiret er mit seinem
andächtigen Gebet/ und nicht Bemü-
hung um das Ampt/ er wird aber das
Bemühen von Anfang der ausge-
wirckten Vocation verstehen/ da sein
Patron zu Berlin vor ihn gewacht
wird haben/ denn sonst hat er sich hier in
Halle/ wie man sagt/ genung bemühet/
massen/ da ihm vom Consistorio re-
monstri
ret worden/ daß sedes noch
nicht vacans, und er sich so lange ge-
dulden müsse/ bis die Sache ausge-
machet wäre (wie denn auch sein An-
tecessor
hernach durch rechtlichen
Ausspruch absolviret worden) so hat
er
[40] er auff Churfürstl. Durchl. Befehl
auch mit Bedrohung gedrungen/ auff
seine Patronen sich verlassend/ da ihm
als einem Theologo wohl angestan-
den hätte/ wenn ja aus Versehen etwa
wo was vorgenommen worden wäre/
entweder selbst zuberichten oder berich-
ten zulassen/ wie die Sache stünde/ die
sie zu Hofe noch nicht so genau gewust
mögen haben/ und dann fernerer Ver-
ordnung zuerwarten. Er hat dabey/
wie berichtet wird/ sich Anfangs gewei-
gert eine Prob-Predigt zu thun/ wel-
ches doch gebräuchlicher Weise vor der
Vocation solle hergehen/ zumal er hier
in loco war/ sondern hat Krafft des
Befehls purè wollen eingesetzet seyn.
Nun mache er erst die Frage aus: Ob
ein
Theologus , der durch seine
Patronen einen Beruff aus-
bringt/
[41] bringt/ ehe noch die Stelle ver-
ledigt/ ist/ und/ da er hernach er-
fährt/ wie es um die Sache
stehet (welches weder er noch seine
Patronen anfänglich mögen gewust
haben)auch gebethen wird sich
zugedulden/ biß zu ferneren
Bericht/ dennoch darauff
tringt
purè auch ohne Prob-
Predigt eingesetzet zuseyn/ sol-
ches auch in
tantum erhält/
daß er eingesetzet wird/ ob der
sich eines rechtmäßigen Be-
ruffs
in totum zu rühmen wis-
se
.Wenn er die Frag erst ausge-
macht hat/ so kan er sich alsdenn auf die
Allwissenheit des HErrn Christi be-
ruffen/ und denn hat er diesen Einwurf
genung abgelehnet/ nicht eher.

Den
[42]

Den heimlichen Gifft/ dessen er
beschuldiget worden/ wird er nicht eher
von sich ablehnen/ bis er verschaffen
wird/ daß keine Trennung mehr zwi-
schen seinen Anhängern/ und andern
reinen Lutherischen Theologis ist.
Denn der heimliche Gifft gehet ent-
weder auff Ketzerey/ oder sonst auff Spal-
tung. Wiewol was die Spaltung
betrifft/ sein Gifft nun nicht mehr
heimlich/ sondern durch diese Schrifft
öffentlich gemacht ist. Jch rede aber
von einer eigentlich so genandten
Trennung
/ da sich der eine Theil der
anderen Seite Lehrer als Lügen-Pre-
diger auszuruffen keinen Scheu hat/
nicht nur von einiger Gunst-Ge-
wogenheit wegen der äuserlichen Ga-
ben/ die sich wohl auch in einer Kirche/
doch ohne Trennung/ findet.

Daß seine Lehre Melancholisch
ma
[43] mache/ haben mehr als eine Person
gestanden/ indem es mit etlichen ja so
weit kommen/ daß sie gar verzagen
wollen. Es köm̃t aber diß nicht da-
her/ daß er die Lehre unserer Kirche
von der wahren Busse recht treibet/
sondern daß er 1. zur Sünde macht/
was offt nicht Sünde ist. 2. Daß er
alle und iede Christen als lapsos, keine
als stantes, ansiehet/ und dahero von
allen und ieden eine solche Reue erfo-
dert/ wie David nach seinem Fall/ ge-
than. 3. Daß er solchen Zweiffel und
halbe Verzagung als ein gut Werck
ansiehet/ da man viel dawider zufech-
ten hat. Es ist eben bey David nicht
als eine Tugend anzusehen gewesen/
daß/ als er von Nathan absolution
seiner Sünden bekommen/ er hernach
gleichwol offt Kleinlaut worden. Aber
diese seine Schwachheit/ so ihm wider
Wil-
[44] Willen zugestossen/ wider welche er
auch gekämpffet hat/ hat ihm GOTT
um Christi willen vergeben/ hat sie auch
andern zur Nachricht und Trost auff-
schreiben lassen/ daß/ wenn sie in der-
gleichen Zustand der Sünde wegen
kommen/ sie nicht meynen/ sie sinds al-
lein/ die so geängstet werden. Darum
ist dasselbe nicht ein Stück/ welches
wir unsern Auditoribus zur Nach-
folge recommendiren sollen/ sondern
dawider wir sie sollen auffrichten. 4.
Daß er lehret/ man könne das Gesetz
halten/ welches seine Zuhörer/ als die
der reinen Lutherischen Lehre sonst ge-
wohnt sind/ so auffnehmen/ daß sie nicht
nur äuserlich das thun und lassen kön-
nen/ was das Gesetz von ihnen erfodert/
sondern auch die innerliche Regung
des Hertzens allemahl in den Schran-
cken halten/ wie es das Gesetz erfodert/
denn
[45] denn sie sind benachrichtiget/ daß das
Gesetz einen innerlichen und äuser-
lichen Gehorsam erfodere/ und wis-
sen darneben/ daß zu den Gesetz auch
das 9. und 10. Geboth gehört/ welches
gar allein auff den Grund des Her-
ßens geht. Wenn er nun darauff
gleichwol dringt/ und diejenigen vor
keine Christen halten will/ welche das
Gesetz nicht halten/ sie auch aus Mose
verdammt und verflucht/ was kan dar-
aus anders als Melancholische Ge-
dancken folgen? denn das Gesetz rich-
tet nur Zorn an. Solte es wahr seyn/
was noch gleichwol iemand in seinem
Hause von ihm gehöret zu haben hat
behaupten wollen/ und was die Ver-
traulichkeit mit Herrn M. Sten-
gern/ dem neulichen Lästerer hiesigen
Ministerii, der dieses Jrthums we-
gen aus Erffurt schon längst weg
must
[46] gemust hat) fast bestätigen will/ daß er
gelehret habe; Wenn der Mensch ein-
oder etliche mahl? drey biß vier mahl)
wider Gewissen sündigte/ habe er wei-
ter keine Vergebung/ so kömmt 5.
auch diese verzweiffelte Lehre darzu/
welche melancholisch machen kan. Er
besinne sich nur/ wie ihm damahls Herr
D. Breithaupt und der Herr Con-
rector
widersprochen haben. Weil
er aber unten dieses leugnet/ so will ichs
ihm nicht Schuld geben/ es kan seyn/
daß er sich geender that/ oder er muß
anders zu Hause als in öffentlicher
Predigt lehren/ welches einige auch
bey ihm wollen angemercket haben/
so gar daß es ihm seine Cantorin ins
Gesichte gesagt hat.

Daß die Leute nicht solten
in den Büchern lesen
. Wenn
man
[47] man es verstehet von solchen Büchern/
welche die Christliche Lehre von Stück
zu Stück vortragen/ als etwa des seel.
Herrn D. Johan. Olearii Handbuch
oder dergleichen; wird er nicht in Ab-
rede seyn können/ gerathen zuhaben/
als welchem alle Systemata Theolo-
gica
, wie sie heut zu Tage seyn/ ein
Stachel in den Augen seyn. Er wird
sich auch dieses Verdachts nicht ent-
schütten/ bis er behauptet/ daß die Sy-
stemata Theologica
, Chemnizii,
Gerhardi \&c. nicht zuverwerffen
seyn.

Vom Ehestand will ich nicht
hoffen/ daß auch ihm etwas zu impu-
tiren
sey; Er hätte aber wohl gethan/
daß er die Worte Pauli: Nicht in der
Lust-Seuche
; ein wenig erkläret
hätte/ zumahl er weis/ daß seiner Disci-
pul
einer hier wegen einiger Puncten
dis-
[48] disfalls in Anklag kommen ist. Wenn
er die Systemata Theologica noch
würdigt/ so sehe er/ ob er alles gut heis-
set/ was unser Gerhard de Conjugio
§. 441. geschrieben hat.

Daß er den Bogen zu hoch span-
ne
/ dürffte von dem erweislich seyn/
was zuvor bey der Materie von me-
lancholischen Gedancken geschrieben
worden/ drümb solte er sich hier erklä-
ret haben/ was der durch ein fromm
gottselig Leben verstünde/ ob den an-
gefangenen Gehorsam oder den Voll-
kommenen/ nach welchem das Gesetz
vollkömmlich gehalten wird. Solte
er das letzte verstehen/ so reichet frey-
lich die in dieser Sterbligkeit uns ver-
liehene Göttliche Krafft nicht so weit/
daß wir das Gesetz vollkömmlich hal-
ten können. Denn GOtt hat nicht
Gefallen/ uns dergleichen Kräffte all-
hier
[49] hier zu verleihen/ damit wir in luctâ
stehen/ und seine Gnade desto mehr er-
kennen müssen. Es folget auch nicht:
Er gibt Christo die Ehre/ daß er
unser Hoherpriester und König/
auch unsere Gerechtigkeit und Hei-
ligung sey
/ E. so spanne er den Bo-
gen nicht zu hoch. Es ist auch seltsam
genung geredt/ wenn er schreibet/ daß
er seinen Zuhörern noch kein Wort
gesagt/ so nicht müglich sey zu hal-
ten
.Hat er denn ihnen den Spruch
nie gesaget aus Matth. 22. Du solt
lieben GOTT deinen HERRN ꝛc.
oder vermeynet er denn mit den Pa-
pisten/ daß er denselben auch halten
könne? Man spüret aber/ daß sich
Herr M. Franck offt nicht besinnet/
was er redet/ und also fähig ist/ jungen
Leuten auch wider Willen irrige Mey-
nungen beyzubringen/ die er doch zum
Cguten
[50] guten solte anführen. Ob das seinem
Ampt zukommen/ wird er selbst be-
dencken.

Daß er keinen Trost gebe schei-
net er
anfänglich zugestehen/ denn er
saget ja/ daß die Tröster seine Zuhörer
verführen/ beschreibet darauf dieselbe/
daß sie sind Trunckenbolde/ Hurer/
Rachgierige ꝛc. ist ein schlechter Ruhm/
den er seiner Gemeine gibt/ nemlich/
er siehet dieselbe aus Christlicher Liebe/
welche alles hoffet/ als eine solche Ge-
meine an/ darinn kein Frommer ist/
oder doch wenige/ daß sie des Trostes
also nicht bedürffen/ aber das Urtheil
ist abermal zu ungütig. Das weiß ein
iederman/ und auch seine Zuhörer/
oder wo sie es nicht wissen/ kan er ihnen
solches beybringen/ daß der Trost vor
ruchlose Sünder nicht gehöret/ son-
dern vor Bußfertige. Wenn er denn
nicht
[51] nicht in den Gedancken stünde/ daß
sie alle unbußfertige Sünder wären/
so solte er billig des Trostes nicht ver-
gessen. Denn wenn auch nur ein ein-
ziger vorsetzlich versäumet wird/ ist es
unrecht. Endlich aber kömt er doch/
daß er betrübte Gewissen nie sparsam
getröstet; Das wird aber vielleicht pri-
vatim
geschehen seyn/ weil die andern
es nicht wissen.

Daß/ und wie er gelehret habe/
daß/ wenn ein Mensch nach der
Tauffe sündige/ ihm die Gnaden-
Thür zugeschlossen sey; ist droben
bey den melancholischen Gedancken
angeführet worden/ wir wollen aber
gerne sehen/ wenn er sich geändert hat.

Von welcher Lust geredet wer-
de/ wenn er sie den Menschen ver-
bietet/ ist droben gesaget worden/ wenn
aus der Zuschrifft einige seine Worte
C2ha-
[52] haben müssen berühret werden. Und
darauf mag er sich nur erklären/ wenn
er diesen Punct sattsam beantworten
will.

Die Beschuldigung/ daß Wieder-
gebohrne das Gesetz halten können/
läugnet er nach einiger Erklärung
nicht. Nun weiß er aber/ was bey
unserer Kirchen vor eine Redens-Art
bräuchlich ist/ und wie dieselbe in Gottes
Wort/ und in unsern Libris Symbo-
licis
gegründet ist/ und wie die seinige
hergegen insgemein verstanden wird.
Darumb stünde ihm besser an/ die ge-
wöhnliche Rede zugebrauchen/ zumahl
in neuer Chur-Fürstl. Brandenburg.
Kirchen-Ordnung verboten/ einige
Neurung sich gefallen zu lassen. Möch-
te er doch seine limitationes darzu se
tzen/ die er vor nöthig erachtete/ wenn
er vermuthete/ so blos geredt möchte es
schäd-
[53] schädlich seyn. Und ob gleich die Apo-
logia
so redet: Legem verè fieri
non posse, nisi acceptô Spiritu
Sanctô
, so saget sie doch deswegen
nicht/ daß man so absolutè reden können:
Lex verè fit à renatis, denn das
wäre/ in rigore genommen/ nicht
[...]fieri, sed [...] fieri, wel-
ches letztere falsch ist/ sondern sie erklä-
ren es selbst also: Profitemur igi-
tur
, qvod necesse sit INCHOA-
RI in nobis
, \& subinde MA-
GIS MAGISQVE FIERI
legem
, vid. pag 25. Gesetzt aber/
daß die Apologia so redete/ wie er sag-
te/ solte der denn lieber eine Rede/ die
zwar in einem Libro Symbolico stün-
de/ doch nicht so gebräuchlich wäre/ als
C3eine
[54] eine andere (die auch in den libris
Symbolicis
enthalten wäre) darzu
auch im ersten Anhören einen irrigen
Verstand erwecken könte/ wenn sie nicht
alsofort limitiret würde/ dieselbe unge-
bräuchliche der gebräuchlichen vorzie-
hen u. Verwirrung verursachen? Weñ
aber die Schrifft saget/ daß wir die Ge-
both Christi halten müssen/ so ist ser-
vare
so viel als observare i.e. halten
so viel als in acht nehmen/ und ist die
Redens-Art secundum [...] Ev-
angelicam
zuverstehen nicht in rigo-
re legali
.

Daß Herr M. Francke lehre/ daß
auch die Weiber predigen dürffen/
wenn es verstanden wird/ daß er solches
nicht directè sondern indirectè \& per
Conseqventiam lehrete/ ist keine un-
gegründete Beschuldigung. Er wird
sich zuentsinnen wissen/ was er ehemals
in
[55] in des Herrn M. Rottens/ Ober-Dia-
coni
bey Sanct Ulrichs-Kirche in Hal-
le/ seiner Behausung gegen gedachten
Herrn M. Rothen geredet hat; als
derselbe Erwehnung gethan hatte/ wie
gleichwohl von einigen Studiosis un-
gereimbte Dinge vorgebracht würden/
die ja ihren Ursprung woher haben
müsten/ und ihn deswegen fragte: ob
er denn etwa bisweilen zufrey redete/
daß es junge Leute anderst annähmen
als ers verstünde? so hat er zwar gar
bescheidentlich geantwortet/ daß er ein
Mensch wäre/ und wohl glauben wol-
te/ daß seine Wort nicht allemal so ein-
gerichtet worden/ daß sie nicht anders
hätten können angenommen werden;
Und als ihm darauff erzehlet worden/
wie damahls nur vor dreyen Tagen
sich zwey Studiosi über der Frage hät-
ten schlagen wollen: Ob ein ieder zu
C4pre-
[56] predigen macht hätte/ deren der eine/
der ihnen anhängig wäre/ es hätte be-
haupten wollen/ der ander aber es ver-
neinet hätte/ und dabey der Herr M.
Roth des Herrn M. Franckens Lehr
in diesem Stück verlanget hatte; so
hatte Herr M. Francke geantwortet/
daß er nie so gelehret hätte/ sondern so
habe er wohl geredt: qvod tota Eccle-
sia habeat jus prædicandi
; und noch
hinzugefüget adeoqve \& singula
membra
. Als ihm aber dieser An-
hang nicht hat wollen gestattet werden/
weil Paulus die Weiber ausschlösse/
die doch auch membra Ecclesiæ wä-
ren/ so hat er darauff zur Antwort ge-
geben: es müste de membris Ecclesiæ
ad
hoc munus idoneis verstanden
werden/ ja er ist durch andere Instan-
tias
so weit getrieben worden/ daß er
noch zwo limitationes hinzu hat setzen
müs-
[57] müssen/ daß bey solcher auch [...]do-
ctrinæ
, und dann vocatio erfodert
würde. Worbey ihm dann so gleich
gewiesen worden/ daß Studenten/
wenn sie seine erste assertion höreten/
nicht anders könten/ als einen irrigen
Verstand fassen/ daher er auch gebe-
then worden/ er möchte GOtt die Eh-
re thun/ und so ja etwa anderswo solte
etwas versehen worden seyn/ es ins
künfftige bey uns verbessern/ daß wir
nicht uns über ihn zubeschweren hät-
ten. Welches er zwar versprochen/
aber/ wie der Ausgang gewiesen/ we-
nig gehalten hat. Jnzwischen hat er
bey dieser Beschuldigung wol gethan/
daß er das öffentliche Predigen der
Weiber verworffen. Er wid aber ver-
hoffentlich nicht alleine das Lehren in
der Kirche öffentlich nennen/ sondern
auch dasjenige/ welches in den so
C5ge-
[58] genandten Collegiis pietatis ge-
schicht/ und also von diesem die Wei-
ber auch ausschliessen. Er kan sich aber
deswegen weiter erklären/ damit auch
in diesem Punct kein Verdacht bleibe.

Bey der Qväckerey/ Fantaste-
rey und Enthusiasterey Beschul-
digung ist
dieses zumercken/ daß einer
derselben Dinge könne beschuldiget
werden/ der nicht allen Jrrthümen der
Qväcker in Engelland beypflichtet/
welche das äuserliche Wort und die
Sacramenta als Mittel der Seelig-
keit verwerffen/ sondern der nur etwas
mit ihnen gemein hat/ als daß der die
noch ietzigen vorgegebene raptus und
revelationes in dogmaticis nebst der
Heil. Schrifft approbiret. it. der die
Chiliasterey/ das ist ein sichtbares Reich
des HErrn Christi hier auff Erden/
welches er selbst sichtbarlich regieren
wer-
[59] werde/ behaupten will; so ist auch zu-
mercken/ daß ich andere auff GOttes
beschriebene Wort weisen kan/ als auff
das unicum principium fidei, oder
als auff ein principium fidei zwar
adæqvatum aber nicht unicum.
Wenn er sich nun des Verdachts bey
dieser Beschuldigung loßwircken will/
(darein ihn seine Discipul und andere
favoriten gebracht haben/ welche nicht
haben leiden können/ daß man solcherevela-
tiones
hat verwerffen wollen)
so mus er nicht nur sich darauff
beruffen/ daß er seine Zuhörer auff GOttes
Wort und die heiligen Sacramenta
weiset/ daran er zwar gar löblich thut/
sondern er uns (1) alle neue
revelationes in dogmatibus tales von Her-
tze [...]grund verwerffen. (2) Mus er
sagen/ daß das Wort Gottes die
einige Regel und Richtschnur unsers
C6
Glau-
[60] Glaubens ist/ (3) wenn etwa Mägde
oder dergleichen Personen in
Ohnmacht sincken/ der sonst ein Zufall
bekommen/ mus er nicht sagen/ daß der
heilige Geist zu ihnen komme/ und daß
dis Wirckungen des heiligen Geistes
wären. Mus auch seinen Discipeln
verbieten/ daß sie dergleichen Reden
nicht aussprengen. Wenn er das
thut/ so dürffte er dieses Puncts wegen
freygesprochen werden können.

Daß es in totum ein neuer
Glaube sey/ wenn er ja dessen beschuldiget ist
worden/ wird wohl die Meynung
nicht gewesen seyn/ sondern nur IN
TANTUM
, weilen viel neues mit
untergemischt wird; ehe man ihn nun
von den Auflagen befreyen kan/ so mus
er sich in allen oben erwehnten
Stücken erklären/ sonst wird er schwerlich
frey davon werden. Den Nahmen
und
[61] und Beschreibung der Pietisten
betreffend/ so hat er sie theils in dem
Ebenbilde der Pietisterey/ theils in dem
Maaß des unmaßgeblichen
Bedenckens/ darinnen er sich nur umsehen
kan/ was es vor Leute seyn/ so wird er
sehen/ daß von ihm gar sehr geirret
werde/ da er vermeynet/ das hiesse man
Pietisten/ die vom Bösen weichen/
sondern wird vielmehr befinden/ daß diese
solche Nahmen verdienen/ die Böses
gut heissen/ und doch vor sonderliche
Heiligen wollen angesehen seyn.

Ob er sein Ampt recht führe oder
nicht/ mag er mit seinem hochlöblichem
Consistorio ausführen/ welches gleich
wol den Leuten/ die er aus dem
Beichtstuhl gewiesen/ anderswo zu beichten
vergönnet hat/ das solches schwerlich
würde gethan haben/ wenn es nicht
hochwichtige Ursachen dessen gefunden
hätte.

C7Mit
[62]

Mit seinen Conventiculis wird
er auch schwerlich sich behelffen können/
denn nicht eben dasselbe getadelt wird/
was er hier als geschehen anführet/
(wiewohl man nun auch erfähret/ daß
er Stadt-Kinder durch seinen An-
hang zu sich hinaus locket/ und dieselbe
unterrichtet/ oder vielmehr verwirret)
sondern daß er allerley/ auch von frem-
den herkommende Leute zu sich nimmt/
ihnen in seinem Hause/ auch privatim
in der Kirche das H. Abendmahl rei-
chet/ gleich als wenn sie an ihrem Orte
bey ihrem ordentlichen Seelsorger sol-
ches nicht eben so wol/ als bey ihm er-
langen könten/ und dadurch die auch
an andern Orten schon angefangene
Spaltung noch weiter heget/ und un-
terhält. Jt. daß er zu ungewöhnli-
cher Zeit vermasqvete Weibes-Per-
sonen in sein Haus läßt; und wenn sie
auch
[63] auch um was gutes zu ihm kämen/ so
solte er doch nach Pauli Vermahnung
bösen Schein meiden/ und thäte er
nicht unrecht/ wenn er spräche/ es schi-
cke sich nicht/ daß solche Leute/ zumahl
verkappet/ zu ihm kämen/ ꝛc.

Wenn er nun sich nach allen obigen
Stücken erkläret hätte/ alsdenn könte
man sehen/ ob er sich mit recht über
dem/ was ihn bisher/ seinen Gedan-
cken nach/ widriges begegnet/ zuer-
freuen hätte/ und ob es Lügen wären/
was ihm Schuld gegeben worden.
Ehe aber das geschicht/ mag er selbst
dencken/ ob er gnung entschuldiget
seyn wird/ und ob seine Predigt hierzu
zulange.

Aus diesem allen wird verhoffent-
lich mein Großgünstiger Freund er-
sehen/ daß Herr M. Francke sehr un-
glücklich mit dieser seiner Geburth in
den
[64] den Druck herausgewischet ist/ indem
er sich tieffer in den Verdacht hinein-
gestürtzet/ und in den meisten Stücken
gar ungeschickt und unglücklich ent-
schuldiget hat. Und will ich nicht hof-
fen/ daß forthin so wol der hier anwesen-
de Theologus als andere abwesen-
de ihm hierinn favorisiren werden/
sonst würden sie nicht nur gleiches
Verdachts/ wie sie schon bißher zum
theil seyn/ verbleiben müssen/ sondern
man müste verspüren/ daß sie sich öf-
fentlich [...]r Trennung mit theihafftig
machten. Jch schließe also von der
Schrifft des Herrn M. Francken.

Welche Schrifft des Herrn M.
Franckens so bewand ist/ daß er
darinne ohne Noth die gantze
Lutherische Kirche/ insonderheit
das Predig-Amt/ als das vor-
nehm-
[65] nehmste Glied der Kirche/ nach
welchen die Rein- oder Unrei-
nigkeit der Kirchen pflegt geæsti-
mi
ret zu werden/ auch ohne er-
weisliche Ursach beschuldiget/
daß sie in Lehr und Leben von
dem Worte GOttes abgewi-
chen/ und dadurch die Feinde der
Evangelischen Warheit nur zu-
lästern macht/ die Jrrigen aber
abschreckt sich zur Warheit zu-
bekehren/ und darbey sich selbst
so entschuldiget/ daß er das wich-
tigste/ so da solte erwehnt wer-
den/ verschweigt/ dieselbe Schrifft
ist nicht geschickt/ ihn der Be-
schuldigung zuentledigen/ daß
sie ihn vielmehr tieffer in den
Verdacht einiger Dinge hinein
bringet/ in einigen aber gar öf-
fentlich bezüchtiget/ daß er schul-
dig sey.

Nun
[66]

Nun ist die Schutz-Predigt des
Herrn M. Franckens so be-
schaffen/ daß sie ohne Noth die
gantze Lutherische Kirche beschul-
diget/ ꝛc.

E ist sie nicht geschickt ihn der Be-
schuldigung zuentledigen.

Der Major ist an- und vor sich klar;
der Minor ist nach allen Membris aus
vorhergehenden zusehen/ darum ist die
Conclusion auch richtig. Und ge-
stehe ich gerne/ daß ich von des Herrn
M. Franckens erudition mir grösser
Dinge eingebildet/ indem ich hörete/
daß er von einigen so groß gemacht ist
worden/ als wenn er alle andere über-
träffe/ als ich nun erfahre/ indem er ia
in vielen asyllogisten sich gnung ver-
tieffet.

Da mögen doch nun diejenigen/
wel-
[67] welche so trefflich über dieser/ des Herrn
M. Franckens seiner Schutz-Predigt
sollen geweinet haben/ sehen/ ob sie so
grosse Ursach zu weinen gehabt haben/
sie möchten denn über seine Thorheit
und Boßheit geweinet haben; über
die Thorheit/ daß er sich ungeschickt so
wol in der Anklag als Entschuldigung
bezeuget hat; aber über die Boßheit/
daß er die gantze Lutherische Kirche
wider Recht so angegriffen; Und mö-
gen denn zugleich bedencken/ wie schö-
ne sie von seinen andern Predigten
urtheilen müssen/ wenn sie von dieser so-
lennen Predigt so trefflich im Urtheil
verfehlet haben.

Wenn ich mein Gutdüncken
hierbey eröffnen solte/ wolte ich rathen/ daß/
weil Herr M. Francke ohne dem im
Verdacht ist/ und sich nun so unge-
scheut unterstehet der gantzen Lutheri-
schen
[68] schen Kirche mit Frolocken der Papi-
sten Hohn zusprechen/ und insonderheit
das Lutherische Predig-Amt so vie-
ler schweren Auflagen zubeschuldigen/
daß/ sag ich/ ihm aufferleget würde sol-
che seine Beschuldigung zu verifici-
ren/ und bey denen zu Halle/ die er son-
der Zweiffel absonderlich verstehet/ den
Anfang zu machen/ und darauff/ wo
er solches nicht würde thun können
(wie ers denn in Ewigkeit nicht wird
thun können) nach seinem Verdien-
ste lohnete. Was aber das Verdienst
solcher Leute ist/ werden die Herrn
Rechts-gelehrten wohl verstehen. Jch
wolte auch rathen/ daß ihm anbefohlen
werden möchte/ daß er sich besser ent-
schuldigen/ und nach allen oben ange-
führten Stücken erklären solte/ oder
wo nicht/ ihn vor untüchtig zu halten
im Lande ein solches Ampt zubedie-
nen/
[69] nen/ wie man in andern benachbarten
Fürstenthümen aus hochwichtigen
Ursachen gethan hat.

Den Buchdruckern aber solte bil-
lich bey Verlust ihres Druckens un-
tersaget werden nichts Theologisches
drucken zu lassen/ biß die Censur der
Theologorum dazu kommen wäre
von der Religion/ darinne etwas ge-
druckt werden solte/ die denn davor ste-
hen müsten/ wenn etwas verdächtiges
vorkäme. Denn wenn es dahin kom-
men solte/ daß man neugierigen fried-
häßigen Leuten alles verstattete/ ande-
re hergegen hemmete/ welche sich ihnen
aus recht Christlichen Eyfer widerse-
tzen/ was vor eine Unordnung würde
werden?

Jnzwischen wird mein Herr aus
allen diesem ersehen/ daß der Herr. M.
Francke mit solcher Schutz-Predigt
wenig
[70] wenig wird ausrichten. Jch bitte aber
zugleich höchlich/ daß er solcher Leute/
die Verwirrung anrichten/ihr Unter-
fangen sich nicht wolle gefallen lassen/
sondern Gott bitten/ daß er uns und
seine gantze Kirche vor allem Ubel be-
wahre. Befehle denselben/ wie auch
die gantze Christliche Kirche/ schlieslich
Göttlichem Schutze/ und mich in be-
harrliche Gewogenheit

Des Herrn

Gebets und Dienstwilligster
in Halle

N.N.


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TextGrid Repository (2025). Rotth, Albrecht Christian. Eylfertiges Bedencken über M. August Hermann Franckens/ Pastoris zu Glauche vor Halle/Seine Schutz-Predigt/ Ob Er Durch dieselbe seinen Zweck/ den er auf dem Titul gedachter Predigt/ berühret hat/ erlanget oder nicht?. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bjcv.0