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Die
Wunder des Himmels,
oder

gemeinfaßliche Darſtellung
des
Weltſyſtems.


Mit Königl. Würtembergiſchem Privilegium.
Drei Baͤnde.
Mit dem Bildniſſe des Verfaſſers und aſtronomiſchen Tafeln.

Zweiter Theil: Beſchreibende Aſtronomie.

Stuttgart,:
Hoffmann'ſche Verlags-Buchhandlung.
1835.

[]
Beſchreibende Aſtronomie
oder
Topographie
des
Himmels.


Mit der Darſtellung von Sternbildern auf drei Stahlſtichen, einer
Sternkarte, einer Mondkarte und 23 aſtronomiſchen Figuren
auf 3 Tafeln.

Stuttgart,:
Hoffmann’ſche Verlags-Buchhandlung.
1835.
[]

Die
Wunder des Himmels.


Zweiter Band.


Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 1
[[2]][[3]]

KapitelI.
Die Sonne.


§. 1. (Maſſe der Sonne.) Nachdem wir im Vorhergehenden
die Erſcheinungen, welche die Bewegungen der Körper unſeres
Sonnenſyſtems für uns hervorbringen, betrachtet haben, wollen
wir nun zu der Erzählung desjenigen übergehen, was uns die
Fernröhre über den Bau und die phyſiſche Beſchaffenheit dieſer
Körper ſowohl, als auch, ſo viel es uns bisher gegönnt iſt, der
außer unſerm Planetenſyſtem befindlichen Geſtirne kennen gelehrt
haben.


Wir beginnen unſere Wanderungen durch die Planetenwelt mit
dem bei weitem wichtigſten, mit dem Centralkörper derſelben, mit
der Sonne, der alle übrige Körper unſeres Syſtemes Licht und
Wärme und Wohlthaten ohne Zahl verdanken, daher ſie auch von
mehreren Völkern der Vorzeit als das würdigſte Bild der Gottheit,
ja als die Gottheit ſelbſt verehrt wurde, wie denn Oſiris in Aegyp-
ten, Baal in Chaldäa, Adonis in Phönicien, Mithra in Perſien,
und ſelbſt Apollo in Griechenland nur eben ſo viele Embleme
der Gottheit waren, welche jene Völker unter dem Sinnbilde des
ewigen Feuers in ihren Tempeln anbeteten. Wenn ſie aber durch
dieſe Wohlthaten die Ehrfurcht der Menſchen an ſich gebunden
hat, ſo iſt es eine ganz andere Eigenſchaft, durch welche ſie ſich
1 *
[4]Die Sonne.
die Herrſchaft über die ihr unterworfenen Planeten und Kometen
erworben hat. Dieſe Herrſchaft verdankt ſie ſich ſelbſt, ihrer ei-
genen Kraft, d. h. ihrer Maſſe, die 355,000 mal größer als die
Maſſe der Erde, und ſelbſt noch über ſiebenhundertmal größer iſt,
als die aller übrigen Körper des Syſtems zuſammen genommen.
Wir werden weiter unten ſehen, daß dieſe Maſſe es eigentlich iſt,
wodurch ſie alle Planeten an ſich feſſelt und ſie zwingt, die ih-
nen angewieſenen Bahnen in ſchweigendem Gehorſame um ſie
zu beſchreiben. Dieſes Uebergewicht der Maſſe macht ſie nicht
nur zu dem Haupt- und Centralkörper des ganzen Syſtems, ſon-
dern daſſelbe begründet zugleich die ſtreng monarchiſche Einrich-
tung dieſes großen Staates, in welchem die Kraft des Herrſchers
die aller ſeiner Unterthanen ſo weit übertrifft, daß größere Unord-
nungen jeder Art völlig unmöglich ſind.


§. 2. (Größe der Sonne.) Auch an Größe, an körperlichem
Umfange kann kein Planet mit der Sonne verglichen werden. Der
Durchmeſſer der Sonnenkugel beträgt 188,000 deutſche Meilen,
alſo ihre Oberfläche 111,000 Millionen Quadratmeilen, und ihr
Volum 3500 Billionen Kubikmeilen. Allein dieſe Zahlen ſind
zu groß, um uns einen deutlichen Begriff von dem wahren Um-
fange der Sonne zu geben. Suchen wir alſo, uns durch Verglei-
chungen mit andern, bekannten Körpern die Sache gleichſam zu
verſinnlichen.


Der kleinſte aller unſerer Planeten iſt Veſta. Sein Durch-
meſſer beträgt, nach Schröters Meſſungen, nicht einmal ſechzig
Meilen. Der Sonnendurchmeſſer iſt alſo über 3100 mal größer, als
jener der Veſta, alſo iſt auch der körperliche Inhalt oder das Volum
der Sonne gegen 30,000 Millionen mal größer als das Volum der
Veſta, oder aus der Sonne laſſen ſich mehr als 30,000 Millionen der
Veſta gleich große Kugeln machen. Solcher Kugeln aber, wie unſre
Erde, würde man über 1,300,000 um einander legen müſſen, um
endlich einen Körper, der Sonne am Umfange gleich, zu erhal-
ten. Ja ſelbſt alle Planetenkugeln zuſammengefügt, würden noch
nicht den 560ſten Theil der Sonnenkugel an Raum einnehmen.
Da aber auch dieſe Zahlen noch immer zu groß ſind, uns eine
klare Vorſtellung von der wahrhaft ungeheuern Ausdehnung des
Sonnenkörpers zu geben, ſo wollen wir uns denſelben um ſeinen
[5]Die Sonne.
Mittelpunkt ſo weit ausgehöhlt denken, daß die Erde in dieſem
Mittelpunkte ſtehen, und um ſie der Mond in ſeiner Entfernung
von 50,000 Meilen ſich frei in dieſer Höhle bewegen könne. Da
würde doch noch ein nicht ausgehöhlter Rand der Sonne, eine
Kugelſchaale übrig bleiben, deren Dicke nahe eben ſo groß iſt,
als der Halbmeſſer dieſer Höhle ſelbſt. Zu einer ſogenannten Reiſe
um die Welt, d. h. um den Umkreis der Erde zurückzulegen,
würde ein Wanderer, der täglich zehn deutſche Meilen macht,
540 Tage, zu einer Reiſe um die Sonne aber würde derſelbe
59,160 Tage oder mehr als 160 Jahre brauchen.


§. 3. (Dichtigkeit ihrer Maſſe.) Wenn aber die Sonne an
Größe und Maſſe alle anderen Planeten weit überwiegt, ſo ſteht
ſie ihnen im Gegentheil an der Dichtigkeit ihrer Maſſe weit nach.
Der Stoff, aus dem dieſer große Körper gewoben iſt, iſt vier-
mal lockerer, als der Stoff der Erde. Die Leſer werden fragen,
woher wir dieß wiſſen, und wer die Materie, aus welcher die
Sonne beſteht, in dieſer Beziehung unterſucht hat? — Allein das
hätten ſie beſſer ſchon oben, als wir von der Maſſe der Sonne
geſprochen haben, fragen können. Wenn man einmal die Maſſe
und das Volum eines Körpers kennt, ſo iſt es ſehr leicht, auch
die Dichtigkeit deſſelben zu finden, da dieſe immer gleich der
Maſſe dividirt durch das Volum des Körpers iſt. Es wurde aber
oben geſagt, daß die Maſſe der Sonne 355,000, und das Volum
derſelben 1,300,000 mal größer iſt, als das der Erde. Wenn
man nun die erſte dieſer beiden Zahlen durch die zweite dividirt,
ſo erhält man 0,27 oder nahe ¼, daher die Dichtigkeit der Sonne
nur den vierten Theil der Dichtigkeit der Erde betragen kann.
Wie man aber zu jener Kenntniß der Maſſe der Sonne gelan-
gen kann, werden wir in der nächſtfolgenden Abtheilung dieſes
Werkes ſehen, wie wir denn überhaupt hier noch gar manches,
von dem wir erſt in der Folge eine, wie wir hoffen, völlig genü-
gende Rechenſchaft werden geben können, dem guten Glauben und
dem Vertrauen der Leſer zu unſerer Redlichkeit überlaſſen müſ-
ſen. Es mag ihnen immerhin etwas auffallend dünken, wenn
ſie die Aſtronomen behaupten hören, daß ſie die Geſtirne des
Himmels wie auf einer Wage abgewogen und gefunden haben
[6]Die Sonne.
ſollen, daß ſie, wenn ſie die Sonne in die eine Wagſchale legten,
in die andere 355,000 ſolche Kügelchen, wie unſere Erde iſt, le-
gen müßten, um das Gleichgewicht der Wage zu erhalten. Aber
da ſie ihnen glauben, wenn ſie die Finſterniſſe der Sonne und
des Mondes ganze Jahre, ja Jahrhunderte voraus ſagen, warum
ſollten ſie eben hier mißtrauiſcher ſeyn und ihnen weniger Glau-
ben ſchenken? Zwar ſind von dieſen Finſterniſſen ſchon ſo viele
eingetroffen und genau ſo eingetroffen, wie ſie von den Aſtrono-
men vorausgeſagt worden ſind. Aber auch jene Ausſagen von der
Maſſe und Dichtigkeit der Himmelskörper werden eintreffen, und,
wie wir mit Zuverſicht erwarten, ſelbſt in einem Werke dieſer
Art, aus dem doch alle eigentliche Rechnung verwieſen ſeyn ſoll,
eine Beſtätigung finden, die jeden unſrer Leſer vollkommen zufrie-
den ſtellen ſoll.


§. 4. (Fall der Körper auf der Oberfläche der Sonne.) Wir
wollen daher, im Vertrauen auf den guten Glauben zu unſerer
Wahrheitsliebe, ſogleich noch einen Schritt weiter gehen und hin-
zuſetzen, daß die Aſtronomen nicht bloß die Maſſe der Sonne
abgewogen, und die Dichtigkeit des Stoffes, aus dem ſie beſteht,
beſtimmt haben, ſondern daß ſie ſogar dahin gekommen ſind, zu
erfahren, wie tief ein Stein oder ſonſt irgend ein ſchwerer Kör-
per in der erſten Secunde fallen würde, wenn er auf der Ober-
fläche der Sonne ſeiner Unterſtützung beraubt und ſich ſelbſt über-
laſſen würde. Auf unſerer Erde beträgt dieſer Fall der Körper
in der erſten Secunde bekanntlich nahe 15 Par. Fuß, wie bereits
Tauſende von Beobachtungen gezeigt haben, und wie jeder, wenn
er will, ſelbſt verſuchen kann. Auf der Sonne aber haben wir
allerdings keine ſolchen Beobachtungen anſtellen können, allein
wir wiſſen demungeachtet nicht weniger gewiß, daß dieſer Fall
der Körper dort 430 Fuß beträgt, und daß daher die Körper auf der
Sonne in dieſer erſten Secunde nahe 29 mal tiefer fallen, als auf
der Erde. Wir werden weiter unten Gelegenheit haben, auch von
dieſer Behauptung eine Jedermann zufrieden ſtellende Rechenſchaft
zu geben. Hier wollen wir uns begnügen, zu wiſſen, daß jeder
Körper, der bei uns z. B. hundert Pfunde wiegt, dort 2900 Pfunde
oder nahe 30 Centner wiegen würde. Dieß Experiment dürfte
aber, ſelbſt wenn wir zur Sonne gelangen könnten, nicht mit un-
[7]Die Sonne.
ſeren gewöhnlichen Wagen angeſtellt werden, da das Gewicht in
der andern Schaale der Wage ebenfalls ein Körper, und daher
ebenfalls 29 mal ſchwerer auf der Sonne ſeyn wird, als auf der
Erde. Aber eine Maſchine, z. B. eine elaſtiſche Feder, die den
Druck der auf ihr liegenden Körper angäbe, würde hier ſchon beſ-
ſere Dienſte leiſten, da der vorhergehende Ausdruck eigentlich nur
ſagen will, daß der Druck eines jeden Körpers auf ſeine Unter-
lage an der Oberfläche der Sonne 29 mal größer iſt, als an der
der Erde. Und doch würden wir uns vergebens bemühen, auch den
Verſuch mit einer ſolchen Maſchine auf der Sonne anzuſtellen,
ſelbſt wenn wir Mittel hätten, bis zu ihr zu gelangen. Denn ab-
gerechnet, daß wir, wenn wir auf unſerer Reiſe von der Erde
zur Sonne der letztern einmal nahe genug kämen, mit einer ſo
großen Kraft von ihr angezogen, und mit einer ſo ungeheuern
Geſchwindigkeit auf ihr ankommen würden, daß wir entwe-
der ſchon längſt erſtickt, oder bei unſerem Auffalle zerſchmettert
werden müßten; angenommen ſelbſt, daß wir ein Mittel hätten,
uns vor der großen Hitze zu ſchützen, die wir wahrſcheinlich in
ihrer Nähe erleiden müßten, ſo würde ſchon jener größere Druck
unſern Aufenthalt daſelbſt ganz unmöglich machen. Unſer eige-
ner Körper würde nämlich uns ſelbſt ebenfalls mit einem 29
mal größeren Gewichte drücken, und die 150 Pfunde, die wir
etwa hier mit uns ſelbſt herumtragen, würden dort mit einer 29
mal größeren Kraft, d. h. mit einem Gewichte von 4350 Pfun-
den auf uns laſten, und wir würden, da wir unſer eigenes Ge-
wicht nicht mehr ertragen könnten, von uns ſelbſt erdrückt werden.


§. 5. (Veränderliche Dichtigkeit der Sonnenmaſſe.) Uebrigens
muß bemerkt werden, daß die oben erwähnte Dichtigkeit der Son-
nenmaſſe nur die mittlere Dichtigkeit derſelben iſt, oder daß,
wenn die Sonne in allen ihren Theilen eine durchaus homogene
Maſſe hätte, die Dichtigkeit derſelben dem vierten Theile der mitt-
lern Dichtigkeit unſrer Erde gleich, alſo nahe ſo groß, wie die
des Pechs oder der Steinkohle ſeyn würde. Allein dieſe Voraus-
ſetzung einer überall gleich dichten Maſſe der Sonne iſt äußerſt
unwahrſcheinlich, und wir werden ſpäter ſehen, daß die Dichte
dieſes Himmelskörpers mit der Nähe zu ſeinem Mittelpunkte im-
mer zunehmen, und in dieſem Mittelpunkte ſelbſt eine ganz
[8]Die Sonne.
außerordentliche ſeyn müſſe, weil hier die Maſſe der Sonne durch
die Kraft ihrer eigenen Anziehung ſehr ſtark zuſammengedrückt
wird. Es iſt aber bekannt, daß die Temperatur aller Körper,
wenn ſie einer heftigen Compreſſion ausgeſetzt werden, ſehr hoch
iſt, woraus folgt, daß im Innern der Sonne auch eine ſehr große
Hitze herrſchen muß, und daß vielleicht nur die durch dieſe Hitze
vermehrte Elaſticität der Sonnenmaſſe hindert, daß ſie nicht
durch ihre eigene Attractionskraft in einen ſehr kleinen Körper
zuſammengedrückt werde.


§. 6. (Phyſiſche Beſchaffenheit der Sonne.) Es würde ohne
Zweifel ſehr intereſſant ſeyn, die phyſiſche Beſchaffenheit dieſes
Centralkörpers unſeres Planetenſyſtems, auch nur die ſeiner Ober-
fläche, näher zu kennen. Allein er iſt zu Unterſuchungen dieſer
Art, ſelbſt für unſere beſten Fernröhre, zu weit entfernt, als daß
wir auf große Erfolge rechnen könnten. Nach den neueſten Un-
terſuchungen beträgt die Horizontalparallaxe (I. §. 63.) derſelben
für die Bewohner unſeres Aequators nur 8.578 Secunden, woraus
die mittlere Entfernung derſelben von der Erde gleich 20 665,800
deutſchen Meilen abgeleitet wird, eine Diſtanz, welche eine Kano-
nenkugel, wenn ſie auch in jeder Secunde 1500 Fuß durchlaufen
würde, erſt in zehn ganzen Jahren zurücklegen könnte. Welche
Ausſichten haben wir unter ſolchen Verhältniſſen zu großen Ent-
deckungen über die Oberfläche der Sonne, wir, die wir ſelbſt die
Oberfläche der uns ſo nahen Erde noch immer ſo wenig kennen.


Demungeachtet werden wir durch die Wichtigkeit dieſes größten
aller Himmelskörper, den wir näher kennen, und noch mehr viel-
leicht durch die Wohlthaten, die wir ihm täglich und ſtündlich
verdanken, gleichſam aufgefordert, ihn wenigſtens ſo weit, als
es unſere beſchränkten Kräfte erlauben, zu unterſuchen. Unter
dieſen Wohlthaten haben wir bereits oben als die zwei vorzüg-
lichſten Licht und Wärme genannt. Es wird nicht unan-
gemeſſen ſeyn, bei jedem dieſer wahrhaft himmliſchen Geſchenke
etwas länger zu verweilen, um ſo mehr, da verſchiedene weſent-
liche Eigenſchaften derſelben erſt in den neueſten Zeiten entdeckt,
und daher vielleicht noch nicht allgemein genug bekannt ſind.


[9]Die Sonne.
Licht.

§. 7. (Dem Lichte verdanken wir die Farben in der Natur.)
Ohne Sonnenlicht würde die Erde, würden alle Planeten von ei-
ner ewigen Nacht bedeckt, und das ganze Sonnenſyſtem würde
eine ſtarre Wüſte, ein weites, finſteres Grab ſeyn. Die Folgen
eines ſolchen Zuſtandes, ſo wie die bloß allgemeinen Vor-
theile, deren wir uns jetzt durch Hülfe dieſes Lichtes erfreuen,
ſind aber ſo bekannt, und auch ſo leicht zu finden, daß es über-
flüſſig wäre, ſie hier näher auseinander zu ſetzen.


Verweilen wir daher bloß einige Augenblicke bei einer der
vielen beſonderen Eigenſchaften, durch welche ſich das Son-
nenlicht vor jedem andern Lichte auszeichnet. Es iſt bekannt,
daß jeder einzelne Sonnenſtrahl, wenn er durch ein Glasprisma
geht, in eine große Anzahl von farbigen Strahlen getheilt wird,
unter welchen man vorzüglich die ſieben auf einander folgenden
unterſcheidet: roth, orange, gelb, grün, blau, indigo und violett.
Dieſe gefärbten Strahlen haben alle eine andere Richtung, als
der urſprüngliche weiße Strahl, und zwar liegt der rothe Strahl
dem urſprünglichen am nächſten, während der violette am weite-
ſten von ihm entfernt iſt, ſo daß alſo das Prisma, wie man zu
ſagen pflegt, die rothen Strahlen am wenigſten, und die violetten
am meiſten bricht. Wird einer dieſer gefärbten oder bereits gebro-
chenen Strahlen neuerdings durch ein Prisma geführt, ſo ändert
er weder ſeine Brechung, noch ſeine Farbe, zum Beweiſe, daß
dieſe Farbe dem Lichte ſelbſt eigenthümlich angehört. Werden
endlich alle ſieben farbige Strahlen durch eine convexe Glaslinſe
wieder geſammelt, ſo erſcheint der weiße Strahl wieder, zum
Zeichen, daß der weiße Strahl in der That aus jenen gefärbten
Strahlen zuſammengeſetzt iſt.


Wenn nun, um nur bei dieſer einzelnen Erſcheinung ſtehen
zu bleiben, wenn das Sonnenlicht urſprünglich weiß, und nicht
aus farbigen Strahlen zuſammengeſetzt wäre, welche Folgen wür-
den aus einer ſolchen Einrichtung entſtehen? — Die ganze Natur
würde farbenlos ſeyn; alle Körper würden ein bleifarbiges Anſe-
ben haben; die Morgenröthe, und ſelbſt das menſchliche Antlitz,
die Morgenröthe des Lebens auf den blühenden Wangen der Ju-
[10]Die Sonne.
gend würde nur mehr unſeren Zeichnungen mit Tuſche, unſeren
grauen Kupferſtichen gleichen. Der Regenbogen mit ſeinem ſchö-
nen Farbenſpiele würde in eine ſchmale Linie weißgrauen Lichtes
übergeben; die Sterne würden matt an einem aſchfarbnen Him-
mel ſcheinen, und der Vorbote des Morgens, ſo wie der Be-
ſchließer unſerer Tage würde nicht mehr ſeinen Roſenmantel, ſon-
dern nur eine einfarbige graue Decke über den Himmel breiten,
und ſelbſt der ſchönſte Mittag würde uns nur wie jetzt ein trü-
ber Wintertag erſcheinen. Aber die Natur, die ſchon in die For-
men der Körper, die ſie gebildet hat, eine ſo ausgezeichnete Schön-
heit zu legen wußte, hat ihnen zugleich jene ätheriſche Anmuth
hinzugefügt, die ſie aus den Farben der Sonnenſtrahlen ſchöpfte.
Ohne dieſes Geſchenk könnte wohl das Laub der Pflanzenwelt den
Knospen Nahrung, und der von ihnen bedeckten Frucht noch
Schutz gewähren, aber das jugendliche Grün der Blätter, und
der friſche Schmelz unſerer Wieſen im Frühling würde mit dem
welken Gelb des Herbſtes überzogen ſeyn. Ohne dieſes Geſchenk
könnte der Diamant wohl noch ſeinen Glanz und ſeine Härte ha-
ben, aber er würde, ſeines lebhaften Farbenſpieles beraubt, auf-
hören, in dem Kranze der Schönheit und in dem Diademe der
Fürſten zu prangen. Ohne dieſes köſtliche Geſchenk endlich könnte
wohl das menſchliche Angeſicht noch immer daſſelbe feine Gewebe,
noch immer derſelbe Verräther unſerer verborgenſten Gefühle ſeyn,
aber das Roſenlicht der Liebe und die Purpurfarbe der Schaam-
röthe würde nicht mehr auf der jugendlichen Wange blühen, und
ſelbſt jene krankhaft fliegende Röthe des welkenden Geſichtes würde
nicht mehr die herannahende, oft willkommene Befreiung von dem
Lager der Schmerzen verkündigen.


§. 8. (Eigenſchaften des Sonnenſpectrums.) Der in ſeine
Farben zerlegte Sonnenſtrahl erſcheint, wenn er von einer weißen
Tafel aufgefangen wird, auf derſelben unter der Geſtalt eines an
ſeinen beiden kürzeren Seiten abgerundeten Rechtecks, welches
man das Farbenſpectrum zu nennen pflegt. Nimmt man die
Länge dieſes Spectrums als Einheit an, ſo beträgt davon das
rothe Licht 0,12, das orangefarbne 0,07, das gelbe 0,13, grüne 0,17,
blaue 0,17, das indigofarbne 0,11, und endlich das violette 0,21
Theile, ſo daß alſo das violette den größten und das orange-
[11]Die Sonne.
farbne den kleinſten Raum einnimmt. Im Jahre 1802 aber be-
merkte Wollaſton zuerſt in dieſem Spectrum zwei ganz ſchwarze
gerade Linien, die ſenkrecht auf die zwei längſten Seiten des
Rechtecks ſtanden, und von welchen die eine in der grünen, und
die andere in der blauen Farbe ſich zeigte. Er verfolgte dieſe
Entdeckung nicht weiter, bis ſie, mehrere Jahre ſpäter, von
Fraunhofer, dem Wollaſtons Beobachtung unbekannt war,
dahin erweitert wurde, daß er eine große Anzahl, beinahe 600,
ſolcher ſchwarzen Streifen in dem Sonnenſpectrum fand, die alle
unter ſich parallel und von verſchiedener Dicke und Schwärze wa-
ren. Man ſieht die Linien, wenn man das Spectrum durch ein
Fernrohr beobachtet, immer in denſelben relativen Diſtanzen von
einander ſowohl, als auch von den Gränzen der einzelnen Far-
ben. Wenn z. B. drei ſchwarze Linien bemerkt werden, von welchen
die beiden erſten doppelt ſo weit von einander abſtehen, als die
beiden letzten, und von welchen die mittlere die größte iſt, und
genau in der Mitte der grünen Farbe liegt, ſo findet man alle
dieſe Verhältniſſe bei jedem andern Spectrum wieder, welcher Art
auch das Prisma von Glas, Kryſtall, Waſſer u. dgl. ſeyn mag,
deſſen man ſich zur Spaltung des Sonnenſtrahls bediente. Ihre
Anzahl, die Ordnung ihrer Aufeinanderfolge, ihre Intenſität iſt
immer dieſelbe, wenn nur der Strahl entweder direct, oder auch
indirect, z. B. durch Reflexion, von der Sonne kömmt. Das
Licht des Monds, der Planeten, der Fixſterne, ferner das unſeres
Lampen- oder Küchen-Feuers, oder das der electriſchen Funken
zeigt zwar auch jene ſchwarzen parallelen Linien, aber in ganz
anderer Ordnung und Vertheilung, ſo daß jedes Licht ſein eige-
nes Syſtem dieſer Linien zu haben ſcheint. Das Licht des Sirius
z. B. hat in der orangen und gelben Farbe gar keine ſchwarzen
Streifen, dafür mehrere ſtarke in der grünen und blauen, die das
Sonnenſpectrum nicht zeigt. Die Streifen in dem Lichte der Zwil-
linge ſind wieder von denen des Sirius verſchieden u. ſ. w., ſo
daß vielleicht jeder Fixſtern ſein eigenes Syſtem hat. Da dieſe
Linien in dem Spectrum eines jeden Orts immer eine feſte, un-
veränderliche Stelle einnehmen, ſo geben ſie ein viel ſichereres
Mittel, die Brechung der Lichtſtrahlen und die einzelnen Farben
zu meſſen, als man früher hatte, wo man nur dieſe immer ſehr
[12]Die Sonne.
ſchlecht begränzten Farbenſtreifen ſelbſt als die eigentlichen Beob-
achtungspunkte nehmen mußte.


§. 9. (Verſchiedene Intenſität des Spectrums.) Die Intenſi-
tät oder die Stärke der Beleuchtung iſt nicht in allen Theilen des
Sonnenſpectrums gleich groß. Fraunhofer fand durch ſehr genaue
Beobachtungen mit einem Photometer, daß die ſtärkſte Beleuch-
tung ſehr nahe bei der Gränze zwiſchen orange und gelb liegt. —
Man hat früher geglaubt, daß die helleren Stellen des Spec-
trums auch zugleich die heißeſten ſeyen, d. h. daß die größte In-
tenſität des Lichts mit jener der Temperatur zuſammenfalle, daher
Landriani, Sennebier u. a. die gelben Strahlen für die heißeſten
hielten. Allein der ältere Herſchel hat durch unmittelbare Ther-
mometer-Beobachtungen gezeigt, daß erſtens die Temperatur in
dem Maaße zunehme, wie man von den violetten zu den rothen
Strahlen fortgeht, und daß zweitens die höchſte Temperatur noch
etwas jenſeits der rothen Farbe, alſo außerhalb des Spectrums
liege. Daraus folgt, daß die Sonne nicht bloß ſichtbare, Licht-
ſtrahlen, ſondern daß ſie auch unſichtbare, Wärmeſtrahlen habe,
und daß die Brechbarkeit der letzten kleiner ſey, als die der er-
ſten, weil, wie ſchon erwähnt, unter den ſichtbaren Strahlen die
rothen die kleinſte, und die violetten die größte Brechung haben.
Selbſt in der Entfernung von zwei Zollen von den äußerſten ro-
then Strahlen iſt die Temperatur der Wärmeſtrahlen noch be-
trächtlich. Englefield fand die Temperatur der blauen
Strahlen 13° Reaumur, der grünen 14°, der gelben 17°, der ro-
then 22°, und die höchſte Temperatur jenſeits der rothen Strah-
len 26°. Seebuch, der dieſe Beobachtungen mit beſonderem
Fleiße wiederholte, fand den Ort der höchſten Temperatur ver-
ſchieden je nach der Materie, aus welcher das Prisma gemacht
wurde. Für das Glas gaben die rothen Strahlen die größte
Wärme, für Ammoniacſalz und Schwefelſäure die orangefarbnen,
für Waſſer, Alcohol und mehrere Oehle die gelben u. ſ. w.


§. 10. (Chemiſche Wirkungen des Spectrums.) Die verſchie-
denen Stellen des Sonnenſpectrums unterſcheiden ſich auch noch
durch ihre chemiſchen Wirkungen. Schon Scheele hatte bemerkt,
daß ſalzſaures Silber in der blauen Farbe des Spectrums viel
eher und viel ſtärker ſchwarz werde, als in der rothen, und der
[13]Die Sonne.
jüngere Herſchel fand ſpäter, daß die größte Intenſität dieſer che-
miſchen Kraft noch etwas jenſeits der violetten Strahlen, alſo
wieder außerhalb des Spectrums, liege, ſo daß alſo das uns
ſichtbare Spectrum auf der einen Seite von den intenſivſten wär-
menden, und auf der andern von den intenſivſten chemiſchen
Strahlen begränzt wird. Die erſten, auf der Seite der rothen
Farbe, ſtellen ſogar das in der blauen Farbe geſchwärzte ſalzſaure
Silber wenigſtens großentheils wieder her, ſo daß alſo die erſte
Gattung der unſichtbaren Strahlen, die neben der rothen Farbe,
die Oxygenation, und die zweite Gattung, neben der violetten
Farbe, die Desoxygenation der Körper befördern. Seebuch,
der die Beobachtungen der chemiſchen Wirkungen der Farben mit
beſonderer Umſicht anſtellte, fand, daß jede Farbe auf das ſalz-
ſaure Silber eine beſondere Wirkung äußere, da es in der vio-
letten Farbe braunroth, in der blauen blaßgrau, in der gelben
weißgelb, und in der rothen Farbe ebenfalls röthlich wurde.


§. 11. (Magnetiſche Wirkungen des Spectrums.) Endlich hat
man in den letzten Zeiten auch noch verſchiedene magnetiſche
Kräfte in den einzelnen Theilen des Sonnenſpectrums entdeckt.
Schon Morichini fand, daß gewöhnliche Stahlnadeln in dem vio-
letten Farbentheile von ſelbſt magnetiſch werden. Carpa, Rudolfi
und Davy beſtätigten dieſe Beobachtungen, und Sommerville
fand überdieß, daß auch die blaue und grüne Farbe der Nadel
noch eine magnetiſche Kraft, obgleich eine ſchwächere, mittheile,
während im Gegentheile die gelbe, orange und rothe Farbe gar
keine ſolche Kraft zu beſitzen ſcheint. Prof. Baumgartner in
Wien fand, daß Stahldraht, deſſen eine Hälfte polirt, die andere
aber raub iſt, wenn er dem weißen Lichte der Sonne einige Zeit
durch ausgeſetzt iſt, magnetiſch wird, indem die beiden Ende des
polirten Theils einen Nordpol, und die beiden Ende des andern
Theils einen Südpol zeigten. Barlocci fand ſpäter, daß gewöhn-
liche Magnete, wenn ſie dem Sonnenlichte ausgeſetzt werden, ihre
Kraft beinahe verdoppeln, wenn man den Nordpol derſelben ge-
gen die Sonne richtet, und daß ſie im Gegentheil, wenn man
den Südpol gegen die Sonne ſtellt, an Kraft verlieren. Obſchon
Ries und Moſer ſich gegen dieſe Experimente erklärten, da ſie
dieſelben durch ihre eigenen Beobachtungen nicht beſtätiget fanden,
[14]Die Sonne.
ſo ſcheinen ſie doch die Aufmerkſamkeit der Naturforſcher in hohem
Grade zu verdienen.


§. 12. (Geſchwindigkeit und Feinheit des Sonnenlichts.) Die
Fortſetzung des Lichts ſcheint durch ſeine Expanſivkraft, oder durch
eine ſehr ſtarke und ſchnell wirkende Abſtoßungskraft der leuchten-
den Körper hervorgebracht zu werden. Dieſe Kraft muß ungemein
groß ſeyn, da ſich das Licht mit einer außerordentlichen Schnel-
ligkeit fortpflanzt. Es legt in einer Secunde 41,900 d. Meilen,
alſo in einem Tage über 3,620 Millionen, und in einem Jahre
von 365¼ Tagen über 1,322,263 Millionen Meilen zurück, ſo
daß es von der Sonne bis zur Erde, wenn dieſe in ihrer mitt-
leren Entfernung von der Sonne iſt, in 8 Min. 13,22 Secunden
gelangt. Dieß iſt die größte Geſchwindigkeit, die wir bisher ken-
nen gelernt haben. Nur die Fortpflanzung der Schwere ſcheint
noch unvergleichbar geſchwinder vor ſich zu gehen, und die Zeit,
welche z. B. die Attraction der Sonne braucht, bis zur Erde zu
gelangen, muß, wie die Rechnung zeigt, noch viele Millionen-
male kürzer ſeyn, als diejenige, die das Licht anwendet, denſel-
ben Weg zurückzulegen. — Da aber die Wirkung, welche ein
Körper durch ſeine Bewegung auf andere Körper hervorbringt,
das Product ſeiner Maſſe in ſeine Geſchwindigkeit iſt, ſo müßte
das ſo ungemein ſchnell bewegte Licht einen ſehr ſchmerzhaften
Eindruck auf unſer Auge machen, wenn die Maſſe, die Fein-
heit der einzelnen Lichttheilchen nicht noch viel erſtaunenswerther
wäre, als die Geſchwindigkeit derſelben. Wegen dieſer außeror-
dentlich geringen Maſſe hat man auch das Licht bisher zu den
Imponderabilien (den unwägbaren Subſtanzen) gezählt. Wahr-
ſcheinlich ſind die einzelnen Elemente, aus welchen jeder Licht-
ſtrahl beſteht, ſehr weit von einander entfernt, weil es ſonſt nicht
zu erklären wäre, wie man ſelbſt durch die kleinſte Oeffnung eines
vor dem Auge gehaltenen Blattes eine ganze Gegend überſehen
kann, da doch von jedem einzelnen Punkte der Gegend Strahlen
durch dieſe Oeffnung gehen müſſen, ohne ſich zu ſtören. Da der
Eindruck des Lichtes im Auge, nach den darüber angeſtellten Be-
obachtungen, nicht unter ein und nicht über drei Zehntheile einer
Secunde dauert, ſo kann ein Lichttheilchen von dem andern
über 4000 Meilen entfernt ſeyn, ohne daß darum der ſoge-
[15]Die Sonne.
nannte Lichtſtrahl aufhören wird, uns als eine gerade Linie zu
erſcheinen.


§. 13. (Vibrations- und Emanations-Hypotheſe.) Es kann
aber auch ſeyn, daß das Licht nicht in einer Emanation der leuch-
tenden Körper, ſondern daß es in den Schwingungen eines dieſe
Körper umgebenden elaſtiſchen Mittels beſteht, ſo wie der Ton
durch die Schwingungen entſteht, welche tönende Körper in unſe-
rer Atmoſphäre hervorbringen, wenn ſie die Vibrationen, die ſie
durch eine äußere Kraft erhalten haben, der ſie umgebenden ela-
ſtiſchen Luft mittheilen. Dieſe letzte Hypotheſe, die zuerſt Huy-
gens und Euler aufſtellten, ſcheint in der That mehrere Erſchei-
nungen des Lichts vollkommen zu erklären, die nach der von
Newton angenommenen Vorausſetzung einer Emanation nicht, oder
doch nicht ſo gut dargeſtellt werden können.


Zu den ſchönſten Entdeckungen der Optik in den neueſten
Zeiten gehören ohne Zweifel diejenigen Erſcheinungen des Lichts,
die man unter der Benennung der Polariſation und Interferenz
deſſelben zu begreifen pflegt. Da ſie, als neue Gegenſtände, ihres
hohen Intereſſes ungeachtet, nur noch einem kleinen Kreiſe von
Leſern bekannt ſeyn mögen, ſo wird es nicht unangemeſſen er-
ſcheinen, einige Augenblicke bei ihnen zu verweilen, wobei wir
die ſchöne Darſtellung, die Arago in dem Annuaire für das Jahr
1831 von dieſem Phänomen gegeben hat, zu Grunde legen wollen.


§. 14. (Allgemeine Erſcheinung des polariſirten Lichts.) Wenn
ein Sonnenſtrahl auf einen gewöhnlichen durchſichtigen Körper,
z. B. auf Glas fällt, ſo kann er wohl in demſelben von ſeiner
frühern Richtung abgelenkt werden, aber immer ſieht man ihn
wieder auf der andern Seite des Glaſes als einen einzigen
Strahl heraustreten. Allein unter dieſen durchſichtigen Körpern
gibt es einige, welche von der erwähnten Erſcheinung eine merk-
würdige Ausnahme machen. Dahin gehört vorzüglich der ſoge-
nannte isländiſche Kryſtall, der Kalkſpath u. f. Wenn ein Licht-
ſtrahl auf die Oberfläche eines ſolchen Körpers, ſelbſt in ſenkrechter
Richtung fällt, ſo theilt er ſich daſelbſt ſogleich in zwei Strab-
len. Der eine geht, ohne eine Beugung zu erfahren, durch den
Kryſtall durch, während der andere von ſeiner erſten Richtung
ſehr ſtark abgelenkt wird. Man nennt jenen den gewöhnlichen,
[16]Die Sonne.
und dieſen den ungewöhnlichen oder außerordentlichen Strahl.
Beide liegen immer in einer auf die brechende Fläche des Kry-
ſtalls ſenkrechten Ebene, und dieſe Ebene wird der Hauptſchnitt
des Kryſtalls genannt.


Legt man nun einen Kryſtall ſo, daß ſein Hauptſchnitt z. B.
in der Ebene des Meridians in der Richtung von Süd nach
Nord gehe, und ſtellt man in einiger Entfernung unter ihm einen
andern ſolchen Kryſtall, deſſen Hauptſchnitt ebenfalls im Meri-
dian, alſo dem vorigen parallel liegt, und läßt man auf die obere
Fläche des erſten Kryſtalls einen Lichtſtrahl fallen, ſo wird der-
ſelbe durch den erſten Kryſtall, wie geſagt, in zwei Strahlen ge-
brochen werden, alſo als ein doppelter Strahl aus ihm hervor-,
und bald darauf in den zweiten Kryſtall eintreten. Wird nun auch
jeder dieſer zwei auf den zweiten Kryſtall auffallenden Strahlen
von demſelben wieder in zwei andere geſpalten werden? Wird man
alſo jetzt vier Strahlen aus dem zweiten Kryſtall heraustreten
ſehen? — Keineswegs. Der gewöhnliche Strahl wird auch in dem
zweiten Kryſtall der gewöhnliche bleiben, aber der außerordentliche
wird ſehr ſtark von ſeiner frühern Richtung abgelenkt werden, und
keiner von dieſen beiden Strahlen wird weiter geſpalten, ſo daß
man aus dem zweiten, wie vorhin aus dem erſten Kryſtall nur
zwei Strahlen austreten ſieht.


Um dieß durch Zeichnungen zu verſinnlichen, ſey ARMN
(Fig. I.) ein ſolches Stück Isländiſchen Kryſtalls, und Rr der
auf die obere Fläche deſſelben einfallende Strahl. Derſelbe wird
bei r in den gewöhnlichen Strahl rO und in den außerordentlichen
rE geſpalten, wo dann beide an der untern Seite des Kryſtalls
in den Richtungen Oo und Ee wieder aus demſelben heraustre-
ten. Wird dieſe untere Seite auf ein Blatt weißen Papiers ge-
ſtellt, auf welchem man eine ſchwarze Linie MN verzeichnet hat,
ſo ſieht ein Auge bei R dieſe Linie doppelt, nämlich MN und mn.
Wenn man aber das Auge immer in derſelben Richtung hält,
den Kryſtall auf ſeiner Unterlage von Papier gleichſam um die
Axe Or dreht, ſo treten dieſe beiden Linien MN und mn näher
an, oder weiter von einander, und es gibt in der ganzen Peri-
pherie dieſer Drehung zwei einander gegenüberſtehende Punkte, wo
dieſe beiden Linien zuſammen fallen, und nur eine einzige bilden,
[17]Die Sonne.
und wieder zwei andere, nahe 90 Grade von jenen entfernte
Punkte, wo dieſe beiden Linien ihren größten Abſtand von einan-
der haben.


Wenn der urſprüngliche Lichtſtrahl Rr ſenkrecht auf die Fläche
des Kryſtalls fällt, ſo geht er ganz ohne Biegung durch, und
wenn er unter irgend einem ſchiefen Winkel auf dieſe Fläche fällt,
ſo wird er zwar an dieſer obern ſowohl, als auch an der untern
Fläche, bei r und bei O, gebogen, aber ganz nach dem bekann-
ten Geſetze der Refraction, daß nämlich die Sinus des Einfalls-
und des Brechungs-Winkels immer daſſelbe Verhältniß unter ſich
beibehalten. Da dieß bei allen durchſichtigen Körpern im Allge-
meinen beobachtet wird, ſo heißt eben aus dieſer Urſache rO der
gewöhnliche Strahl. Dieſes Geſetz der allgemeinen Refraction
wird nun von dem andern Strahl rE nicht befolgt, und deßwe-
gen wird er auch der außerordentliche Strahl genannt.


In Fig. 2. werden zwei ſolcher Kryſtalle in geringer Entfer-
nung von einander und ſo vorgeſtellt, daß ihre Hauptſchnitte ein-
ander parallel liegen. Der Lichtſtrahl Rr ſoll, der größeren Ein-
fachheit wegen, ſenkrecht auf die Oberfläche des erſten Kryſtalls
einfallen, und alſo bei r in zwei Strahlen geſpalten werden.
Der gewöhnliche Strahl rD geht ungebrochen durch beide Kry-
ſtalle und verfolgt den Weg rDCKOo; der außerordentliche Strahl
aber wird in r ſowohl, als auch in C, und dann in F ſowohl,
als auch in H gebrochen, ſo daß ſein Weg rCFHEe iſt.


Wenn aber der untere Kryſtall um ſeine Axe ſo lange ge-
dreht wird, bis ſein Hauptſchnitt auf dem Hauptſchnitte des obe-
ren Kryſtalls ſenkrecht ſteht, oder mit ihnen einen rechten Winkel
bildet, ſo verhält ſich die Sache ſo, wie ſie in Fig. 3. dargeſtellt
wird. Dann wird nämlich der gewöhnliche Strahl rODC des
erſten Kryſtalls in dem zweiten auf die außerordentliche Weiſe,
und der außerordentliche Strahl rECF des erſten Kryſtalls wird
von dem zweiten auf die gewöhnliche Weiſe gebrochen. Es iſt
nämlich (in Fig. 2.) Oo der durch beide Kryſtalle gewöhnlich, und
Ee der durch beide außerordentlich gebrochene Strahl, und eben
ſo iſt (Fig. 3.) Oe der im erſten Kryſtall gewöhnlich und im zwei-
ten außerordentlich, ſo wie endlich Eo der im erſten Kryſtalle
außerordentlich und im zweiten gewöhnlich gebrochene Strahl.


Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 2
[18]Die Sonne.

In jeder von dieſen beiden Lagen der zwei Kryſtalle, wo die
Hauptſchnitte derſelben entweder parallel oder auf einander ſenk-
recht ſind, wird weder der gewöhnliche, noch der außerordentliche
Strahl von dem zweiten Kryſtall mehr geſpalten, und man ſieht
immer nur zwei Strahlen. Aber in den Zwiſchenpoſitionen die-
ſer beiden Lagen, wenn nämlich der Winkel der beiden Haupt-
ſchnitte weder O noch 90 Grade beträgt, hat allerdings eine ſolche
Spaltung ſtatt, ſo daß man dann mehr als zwei Lichtſtrahlen
bemerkt.


§. 15. (Erklärung dieſer Erſcheinungen des polariſirten Lichts.)
Was iſt nun die Urſache dieſer ſonderbaren Erſcheinungen? —
Auf den erſten Blick könnte man glauben, daß jeder Lichtſtrahl
aus zwei verſchiedenen Strahlen, aus zwei verſchiedenen Reihen
von Elementen beſteht, von welchen die erſte die Eigenſchaft hat,
auf die gewöhnliche, und die andere auf die außerordentliche
Weiſe, von diaphanen Körpern gewiſſer Art, gebrochen zu werden.
Aber die ſo eben angeführte Beobachtung ſteht mit dieſer An-
nahme im Widerſpruch, daß nämlich, wenn die Hauptſchnitte
auf einander ſenkrecht ſtehen, der gewöhnliche Strahl des erſten
Kryſtalls der ungewöhnliche im zweiten wird und umgekehrt.


Der ganze Unterſchied zwiſchen den in Fig. 2 und 3 vorge-
ſtellten Erſcheinungen rührt offenbar nur daher, daß man in
Fig. 2 die beiden Hauptſchnitte parallel, alſo z. B. beide von
Süd gen Nord geſtellt hat, während man in Fig. 3 den einen
nach Südnord und den andern nach Oſtweſt gerichtet hat. Die
von dem erſten Kryſtalle kommenden Strahlen würden alſo von
dem Hauptſchnitte des zweiten Kryſtalls in Fig. 2 in der Rich-
tung Südnord, und in Fig. 3 in der Richtung Oſtweſt geſchnit-
ten. Es muß alſo auch in jedem Lichtſtrahle etwas ſeyn, das
ſeine Südnordſeite von ſeiner Oſtweſtſeite verſchieden macht, und
dieſe zwei oder eigentlich dieſe vier Hauptſeiten müſſen noch das
Eigenthümliche haben, daß die Nordſüdſeite des gewöhnlichen
Strahls mit der Oſtweſtſeite des außerordentlichen Strahls als
identiſch angeſehen werden kann, ſo zwar, daß der letzte, wenn
er um 90 Grade um ſich ſelbſt gedreht wird, von dem erſten nicht
mehr unterſchieden werden kann. Wir werden daher künftig bei
jedem Lichtſtrahl, ſo fein er auch übrigens ſeyn mag, vier Seiten
[19]Die Sonne.
zu unterſcheiden haben, deren jede 90 Grade von ihren beiden
nächſten abſteht, etwa ſo wie wir bei einem Dolche drei Schnei-
den, und bei jeder viereckigen Stange vier Ecken oder Flächen
unterſcheiden, und dieſe vier Seiten werden ſo weſentlich verſchie-
den ſeyn, wie es z. B. die Schneide oder der Rücken oder die
beiden Seiten eines jeden Meſſers ſind.


Da man bei dem Magnet bekanntlich ebenfalls zwei Seiten
oder zwei Punkte bemerkt, die man die Pole des Magnets
nennt, und deren Eigenſchaften in mehreren Stücken mit den eben
erwähnten der Lichtſtrahlen ähnlich ſind, ſo hat man analog die
auf die vorhergehende Weiſe erhaltenen Strahlen Oo und Ee
(Fig. 1.) polariſirtes Licht genannt. Denkt man ſich einen
ſolchen gleichſam cylindriſchen Lichtſtrahl, ſenkrecht auf ſeine Länge,
durchſchnitten, ſo wird dieſer Schnitt die Geſtalt eines Kreiſes
haben. Ziehen wir in dieſem Kreiſe einen Durchmeſſer AB und
einen darauf ſenkrechten CD; dieß vorausgeſetzt, wird alſo jeder
polariſirte Lichtſtrahl in den beiden einander gegenüberſtehenden
Punkten A und B gleiche, und in den beiden Punkten C und D
zwar wieder gleiche, aber jenen entgegengeſetzte Eigenſchaften haben,
und überdieß wird der Strahl Oo (Fig. 1.) dieſelben Eigenſchaf-
ten in den beiden Punkten A und B haben, die der Strahl Eo
in den beiden anderen Punkten C und D hat, oder mit anderen
Worten, die Diameter der gleichartigen Eigenſchaften werden, bei
den polariſirten Strahlen, auf einander ſenkrecht ſtehen.


Die Lage dieſer Diameter iſt in der Lehre von der Polariſa-
tion des Lichtes von der größten Wichtigkeit. Sind bei zwei Licht-
ſtrahlen dieſe Diameter AB, A'B' alſo auch CD, C'D' parallel,
ſo ſagt man, dieſe Strahlen ſind in derſelben Ebene polariſirt.
Sind aber die Diameter AB, C'D' und A'B', CD mit einander
parallel, ſo heißen die Strahlen unter rechten Winkeln polariſirt.
Die zwei Strahlen Oo und Ee, die man durch den isländiſchen
Kryſtall erhält, ſind daher immer unter rechten Winkeln polariſirt.


§. 16. (Polariſation des Lichts durch andere Mittel.) Auch
in Beziehung auf die Reflexion von Spiegeln ſind die natürlichen
Strahlen von den polariſirten weſentlich verſchieden. Von den
natürlichen Strahlen, die auf einen Spiegel fallen, wird immer
ein großer Theil in der That zurückgeworfen; bei polariſirten
2 *
[20]Die Sonne.
Strahlen aber gibt es eine beſtimmte Lage des Spiegels, wo er
das meiſte, und eine andere Lage, wo er ganz und gar kein Licht
zurückwirft. Dieß gab uns daher ein leichtes Mittel, das pola-
riſirte Licht von dem natürlichen zu unterſcheiden; aber erzeu-
gen
konnte man das letzte doch nur durch die oben erwähnten
Verſuche mit dem isländiſchen Kryſtall.


Allein dabei blieb es nicht lange, und Malus, der die Ent-
deckung, daß polariſirtes Licht nicht in allen Lagen des Spiegels
reflectirt wird, gemacht hatte, machte bald darauf noch eine zweite,
und in ihren Folgen viel wichtigere. Er fand nämlich, daß man
durch bloße Reflexion der Strahlen von durchſichtigen Spiegeln
jeder Art auf eine ſehr einfache Weiſe polariſirtes Licht erzeugen
kann. Wenn die Lichtſtrahlen von einem gewöhnlichen Glasſpie-
gel unter einem Winkel von 35°,4 oder von der Oberfläche des
Waſſers unter einem Winkel von 37°,5 zurückgeworfen werden, ſo
iſt daſſelbe ganz eben ſo vollkommen polariſirt, als das durch den
isländiſchen Kryſtall gehende Licht nur immer ſeyn kann. — Seit
der Zeit der Griechen, ſeit mehr als 2000 Jahren kennt man die
Reflexion des Lichts durch die Spiegel, aber nie iſt es weder ei-
nem Künſtler, noch einem Theoretiker der alten und neuen Zeiten
eingefallen, in dieſer Reflexion etwas anderes, als ein Mittel zu
ſuchen, die Strahlen der Sonne entweder zu vereinigen oder zu
zerſtreuen, alſo überhaupt nur ihre gegenſeitige Lage zu ändern,
und Niemand hat es auch nur von ferne geahnet, daß man da-
durch zugleich eine völlige Aenderung der Natur des Lichtes ſelbſt
hervorbringen könne.


Seitdem hat Arago noch eine andere Art, polariſirtes Licht
zu erhalten, entdeckt. Die auf dieſe Art polariſirten Strahlen ge-
ben, wenn ſie durch einen isländiſchen Kryſtall gehen, zwei ver-
ſchiedene Bilder, deren jedes in einer beſtimmten, ſehr lebhaften
Farbe erſcheint. Wenn auch z. B. der einfallende Strahl ganz
weiß iſt, ſo iſt doch der gewöhnliche Strahl vollkommen roth,
oder gelb, oder grün u. f., je nach der Seite, welche dieſer Strahl
dem Kryſtalle bei ſeinem Eintritt in daſſelbe zuwendet. Der au-
ßerordentliche Strahl aber iſt nicht nur immer von einer ganz
andern Farbe, als der gewöhnliche, ſondern die Farben der bei-
den Strahlen ſind zugleich die verſchiedenſten, die man finden
[21]Die Sonne.
kann, z. B. ſtark roth und hellgrün, orange und violett u. ſ. w.
Wenn dieſes auf eine neue Art polariſirte Licht von einem dia-
phanen Spiegel zurückgeworfen wird, zeigen ſich ebenfalls neue
und ſehr merkwürdige Erſcheinungen. Iſt z. B. einer dieſer an-
fänglich weißen Strahlen vertical, und begegnet er einem Glas-
ſpiegel unter einem Winkel von 35 Graden, ſo kann der Spiegel
um den Strahl willkührlich gedreht werden, wenn er nur immer
dieſelbe Neigung gegen den Strahl beibehält, ohne daß je wieder
weißes Licht von ihm zurückgeworfen wird. Das reflectirte Licht
wird nach der Ordnung, wie man den Spiegel wendet, von der
rothen bis zur violetten alle Farben des Spectrums wieder geben,
aber nie die weiße, ſo daß man alſo, um dieſe Verſuche zu er-
klären, nicht bloß vier, ſondern eigentlich unzählige Pole eines
jeden einzelnen Lichtſtrahls annehmen muß, und daß jede einzelne
Seitenlinie des Strahlencylinders ſeine eigene Farbe, ſeine eigene
Natur zu haben ſcheint. Durch dieſes Verfahren kann man alſo
zugleich das weiße Sonnenlicht, bloß mit Hülfe der Reflexion,
ganz eben ſo gut in ſeine einfachen Farben zerlegen, wie man es,
ſeit Newton, bisher bloß mit Hülfe des Prisma’s gethan hat.
Zwar ſind die Farben, welche man auf dieſe Art erhält, weniger
lebhaft, aber die Bilder der Gegenſtände, welche man dadurch
darſtellen will, ſind auch in ihren Umriſſen nicht mehr verzerrt,
wie dieß bei dem Prisma der Fall iſt.


§. 17. (Interferenz des Lichtes.) Noch intereſſanter und wun-
derbarer zugleich ſind diejenigen erſt ſeit Kurzem bekannten Er-
ſcheinungen des Lichtes, die man unter der Benennung der In-
terferenz
deſſelhen zu bezeichnen pflegt. — Wenn man durch
eine kleine runde Oeffnung Lichtſtrahlen in ein verfinſtertes Zim-
mer läßt, ſo bilden dieſelben auf einer der Oeffnung gegenüber
ſtehenden Wand einen runden beleuchteten Kreis. Wenn man in
dieſen Lichtkegel, in irgend einer Diſtanz, zwiſchen der Oeffnung
und der Wand einen opaken Körper, z. B. eine Kugel hält, ſo
wird er ſeinen Schatten auf jenen beleuchteten Kreis der Wand
werfen, und dieſer Schatten wird, das iſt hier das Weſentliche,
von drei verſchiedenfarbigen, franſigen Ringen umgeben ſeyn. Wenn
man endlich auch nur einen kleinen Theil des Randes dieſer Ku-
gel mit einem größeren, undurchſichtigen Schirm bedeckt, ſo ver-
[22]Die Sonne.
ſchwinden ſofort dieſe gefärbten Ringe ganz und gar, obſchon ſie
vorhin den Schatten in allen ſeinen Gränzen umgaben, und ob-
ſchon noch immer bei weitem der größte Theil der Kugel von dem
Lichte beſchienen wird. Es ſcheint daraus nothwendig zu folgen,
daß jene franſigen Ringe von demjenigen Lichte entſtanden ſind,
das zu beiden Seiten der Kugel nahe bei derſelben vorbei ging.
Der berühmte engliſche Naturforſcher Young, der dieſes Phä-
nomen zuerſt beobachtete, war der Anſicht, daß die jene Kugel
an zwei entgegenſtehenden Seiten nahe vorbeigehenden Strahlen
auf einander wirken, und dadurch jene farbigen Ringe hervorbrin-
gen. Er nannte dieſe Wirkung die Interferenz der Strahlen.
Fresnel, dem wir überhaupt die meiſten und ſchönſten Auf-
ſchlüſſe in dieſem intereſſanten Theile der Optik verdanken, zeigte,
daß dieſe Interferenz eine Einwirkung der directen, von der klei-
nen Oeffnung unmittelbar kommenden Strahlen auf diejenigen
ſey, welche die Kugel ſehr nahe vorbei gehen, und durch dieſelbe
gebogen oder inflectirt werden.


Wenn ein Sonnenſtrahl in einem verfinſterten Zimmer auf
eine Tafel, z. B. auf ein Blatt weißen Papieres fällt, ſo malt
er ſich auf demſelben, wie bereits geſagt, als ein hellglänzender
Punkt ab. Allein dieſen hellen Punkt kann man auf eine ſehr
einfache Weiſe ſofort zu einem ganz finſtern machen, ohne übri-
gens den Lichtſtrahl, noch das Papier zu berühren. Und worin
ſoll dieſer ſonderbare Prozeß beſtehen, durch den man in einem
Augenblicke Tag in Nacht und umgekehrt verwandeln kann? —
Die Auflöſung dieſes Räthſels wird den Leſern ohne Zweifel noch
ſonderbarer erſcheinen, als das Räthſel ſelbſt. — Man darf nur
auf dieſen hellen Punkt noch einen zweiten Sonnenſtrahl leiten,
der denſelben ganz eben ſo, wie der erſte beſcheint, und der, wenn
er allein da wäre, den Punkt eben ſo hell, wie der erſte, gemacht
haben würde. Beide zuſammen aber machen ihn, nicht, wie
man glauben ſollte, noch heller, ſondern ſie machen ihn ganz dun-
kel und ſchwarz! — Alſo, wenn man, unter gewiſſen Verhältniſſen
nämlich, Licht zu Licht gießt, ſo wird es finſter: die beiden Licht-
ſtrahlen zerſtören ſich gegenſeitig, ſie heben ſich auf. Und auch
das iſt eine Wirkung der Interferenz des Lichts.


[23]Die Sonne.

§. 18. (Erläuterung dieſer Erſcheinungen der Interferenz des
Lichts.) Und welches ſind dieſe Verhältniſſe, die ſo wunderbare
Folgen nach ſich ziehen? — Die einfachſten von der Welt. Alles
kömmt nur darauf an, daß die beiden Strahlen von demſelben
Punkte des leuchtenden Objects ausgehen, und daß die beiden
kleinen Oeffnungen, durch welche die zwei Strahlen in das ver-
finſterte Zimmer gelangen, von dem Papier eine beſtimmte und
unter einander verſchiedene Entfernung haben. Die Strahlen, die
von dem öſtlichen Rande der Sonne kommen, interferiren, d. h.
zerſtören ſich nie durch die Strahlen des weſtlichen Randes und
umgekehrt. Von all denen unzähligen Strahlen, aus denen jeder
einzelne Sonnenſtrahl beſteht, interferiren immer nur diejenigen,
die gleiche Brechung, alſo auch gleiche Farbe haben, daher z. B.
der rothe und der grüne Strahl ſich nie gegenſeitig aufheben. Aber
auch die gleichartigen Strahlen, z. B. weiß und weiß, oder roth
und roth, interferiren nie, wenn der Punkt des Papieres, in wel-
chem ſie ſich begegnen und ſchneiden, gleichweit von beiden Oeff-
nungen des Fenſterladens entfernt iſt, ſondern in dieſem Falle wird
der leuchtende Punkt durch das Hinzukommen des zweiten Strahls
in der That noch heller.


Aber nicht jede Differenz dieſer beiden Entfernungen bringt
eine Interferenz des Lichts hervor. Nehmen wir an, a ſey die
kleinſte Differenz dieſer Entfernungen, für welche der leuchtende
Punkt durch beide Strahlen erhellt, alſo mit der Summe ihres
Lichtes beleuchtet wird, ſo wird dieſelbe ſtärkſte Beleuchtung des
Punktes auch dann noch ſtatthaben, wenn jene Differenz der
Diſtanzen des Punktes von den beiden Oeffnungen a oder 2a
oder 3a oder 4a u. f. iſt. Dieß iſt bereits ſonderbar genug, höre
ich meine Leſer ſagen. Sehr wohl, aber, was ihnen wohl noch
mehr auffallen wird, wenn dieſe Differenz der Diſtanzen gerade
mitten zwiſchen die jetzt aufgezählten fällt, ſo interferiren die bei-
den Strahlen, oder die Beleuchtung des Punktes iſt dann die
kleinſte, oder vielmehr, der Punkt erhält ganz und gar keine Be-
leuchtung mehr und erſcheint ganz ſchwarz. Der Punkt iſt alſo
am hellſten, wenn dieſe Differenz a, 2a, 3a, 4a, und er iſt ganz
dunkel, wenn dieſe Differenz 1/2 a, 3/2 a, 5/2 a, 7/2 a iſt.


[24]Die Sonne.

§. 19. (Erklärung der Interferenz des Lichts im Vibrations-
ſyſteme.) Es würde uns viel zu weit führen, wenn wir alle die
Erſcheinungen jener gefärbten Ringe, die den Schatten umgeben,
oder die Farbenſpiele der dünnen Platten, ſelbſt die der Seifen-
blaſen, hier näher angeben wollten, die ſich durch dieſe Interferenz
des Lichtes auf das ſchönſte und überzeugendſte geben laſſen. Wir
bemerken nur noch, daß ſich die ganze Theorie der Interferenz
viel beſſer und genügender durch die oben erwähnte Undulations-
lehre, als durch das Emanationsſyſtem erklären läßt. Durch die
Bewegung der Lichtelemente wird jenes äußerſt feine, durchſichtige
und elaſtiſche Medium, welches wir der Kürze wegen den Aether
nennen wollen, in eine wellenartige Bewegung geſetzt. Wenn
dieſe Wellen bis zu unſerm Sehorgan vordringen, ſo wird daſſelbe
dadurch auf eine ähnliche Weiſe afficirt, wie unſer Ohr durch die
Wellen der Luft. Und wie die Differenz der Töne in der größeren
oder kleineren Anzahl der Luftſchwingungen während einer Se-
cunde beſteht, eben ſo beſteht auch die Differenz der Farben in
den verſchiedenen Geſchwindigkeiten, mit welchen die Wellen des
Aethers fortgepflanzt werden. Und wie endlich die kreisförmigen
Wellen, die ſich bei zwei in ein ruhiges Waſſer geworfenen Stei-
nen um jeden derſelben bilden, wenn ſie ſich auf der Oberfläche
des Waſſers begegnen, einander öfter aufheben, und die Ebene des
Waſſerſpiegels nicht ſtören, und oft wieder, wenn ſie ſich in corre-
ſpondirenden Richtungen treffen, ſich gegenſeitig zu einer doppel-
ten Höhe erheben, ſo werden auch die Aetherwellen ſich bald ge-
genſeitig unterſtützen, und das Licht ihrer Durchſchnittspunkte er-
höhen, bald wieder einander aufheben und alles Licht zerſtören,
d. h. ſich interferiren.


Setzen wir nur noch hinzu, daß dieſe ganze Theorie der In-
terferenz nicht bloß ein Aggregat von vagen Hypotheſen, ſondern
daß ſie ein Reſultat der ſtrengſten Analyſe iſt, und daher jenes
hohen Grades der Wahrheit ſich erfreut, die jeder Theorie nur
dann zu Theil wird, wenn ſie, wie die Aſtronomie, eine rein
mathematiſche Baſis hat, und daß endlich die Reſultate die-
ſer Berechnungen bereits durch zahlloſe Beobachtungen auf das
vollkommenſte beſtätiget worden ſind. Obſchon es unmöglich iſt,
von ſolchen Berechnungen in einem Werke dieſer Art eine nähere
[25]Die Sonne.
Anzeige zu geben, und obſchon es uns ohne große Umſtändlichkeit
und ſelbſt vielleicht ohne Unverſtändlichkeit nicht möglich iſt, auch
nur die Art anzuzeigen, wie man zu den folgenden Zahlen ge-
kommen iſt, von welchen die einen durch ihre Kleinheit, und die
andern durch ihre eben ſo gewaltige Größe an das Wunderbare,
beinahe an das Unglaubliche gränzen, ſo hoffen wir doch, daß
unſere Leſer bereits ſo viel Vertrauen zu uns gewonnen haben,
die Richtigkeit dieſer Zahlen auf Treu und Glauben wenigſtens ſo
lange anzunehmen, bis ſie ſich in den Stand geſetzt haben, die
Wahrheit derſelben durch eigene Nachrechnung ſelbſt zu prüfen,
und wie wir mit Gewißheit hinzuſetzen können, ſie auch vollkom-
men beſtätiget zu finden.


Wir haben oben geſagt, daß der Durchſchnittspunkt zweier
Lichtſtrahlen mit doppeltem Lichte leuchte, wenn die Differenz der
Abſtände dieſes Punktes von den beiden Oeffnungen im Fenſter-
laden a, 2a, 3a iſt, und daß im Gegentheile dieſer Durchſchnitts-
punkt ganz finſter und ſchwarz erſcheint, wenn jene Differenz
1/2 a, 3/2 a, 5/2 a iſt. Allein wie groß iſt denn dieſe Zahl a ſelbſt?


Sie iſt für die farbigen Strahlen, aus denen jeder weiße
Sonnenſtrahl beſteht, verſchieden. Drückt man ſie in engliſchen
Zollen aus, von welchen jeder 0,9383 Pariſer, oder 0,9642 Wie-
ner Zolle enthält, ſo findet man dieſen Werth von a bei den


  • rothen Strahlen gleich 0,000026 engl. Zolle,
  • orangen „ „ 0,000024 „ „
  • gelben „ „ 0,000023 „ „
  • grünen „ „ 0,000021 „ „
  • blauen „ „ 0,000020 „ „
  • indigo „ „ 0,000018 „ „
  • violetten „ „ 0,000017 „ „

Dieſe Größen ſind alſo ſämmtlich ungemein klein, und nur
durch unſere ſtärkſten Mikroſcope noch merkbar. Sie drücken zu-
gleich die Breiten der Aetherwellen aus, welche von den genann-
ten ſieben Farben erregt werden.


[26]Die Sonne.

Dividirt man die Einheit durch dieſe Zahlen, ſo erhält man
die Anzahl der Wellen, welche in der Breite eines Zolles enthal-
ten ſind. Dieſe Anzahl beträgt daher bei dem


  • rothen Lichte 38460 Wellen,
  • orangen „ 41600 „
  • gelben „ 44000 „
  • grünen „ 47500 „
  • blauen „ 51100 „
  • indigo „ 54100 „
  • violetten „ 57500 „

ſo daß alſo die von dem rothen Lichte erregten Wellen die breite-
ſten, und die von dem violetten erzeugten die ſchmalſten unter allen
ſind.


Noch könnte man fragen, wie viele ſolcher Wellen bei jeder
Farbe in einer beſtimmten Zeit entſtehen, oder mit welcher Ge-
ſchwindigkeit ſie auf einander folgen. Auch darauf hat die ma-
thematiſche Analyſe bereits geantwortet, aber die hieher gehören-
den Zahlen ſind ſo groß, daß wir ſie der Kürze wegen in ganzen
Billionen angeben wollen. Nach jenen Berechnungen wird alſo
während einer Secunde folgende Anzahl von Wellen erzeugt:


  • Von dem rothen Lichte 478 Billionen
  • „ „ orangen „ 506 „
  • „ „ gelben „ 535 „
  • „ „ grünen „ 577 „
  • „ „ blauen „ 622 „
  • „ „ indigo „ 658 „
  • „ „ violetten „ 700 „

Demnach iſt alſo die Geſchwindigkeit der Wellenerzeugung bei
den rothen oder den breiteſten die kleinſte, und bei den violetten
oder den ſchmalſten die größte, wie dieß der Natur der Sache
angemeſſen iſt. Zugleich zeigt dieſe letzte Tafel, daß die Senſi-
bilität unſeres Auges in Beziehung auf die Farben in viel engere
Gränzen eingeſchloſſen iſt, als die unſeres Ohres in Beziehung
auf die Töne. Das Verhältniß der beiden äußerſten Zahlen der
letzten Tafel iſt nur 700 zu 478 oder 1,46 zu 1, alſo noch be-
trächtlich kleiner, als das einer Octave, während wir doch mit
[27]Die Sonne.
unſerem Gehöre noch mehrere Octaven umfaſſen. Welche Farben
oder welche Empfindungen für höhere Geſichtsorgane mögen jen-
ſeits dieſer beiden Gränzen liegen?


Waͤrme.

§. 20. (Wichtigkeit und wohlthätige Folgen der Wärme.) Man
ſieht ſchon aus den vorhergehenden kurzen Zuſammenſtellungen der
vorzüglichſten Eigenſchaften des Lichtes, wie wichtig die Lehre von
den mannigfaltigen Erſcheinungen deſſelben für Jeden ſeyn muß, der
die ihn umgebende Natur von einer ihrer ſchönſten und intereſſan-
teſten Seiten näher kennen lernen will. So groß aber auch das
Geſchenk ſeyn mag, welches wir dadurch der Sonne, dieſer wah-
ren Quelle alles Lichtes verdanken, ſo ſcheint doch ihr zweites,
mit jenem nahe verwandtes Geſchenk, das der Wärme, für uns
noch viel größer und wichtiger zu ſeyn. Aus dieſer zweiten Quelle
fließt eine unabſehbare Reihe von Wohlthaten, die nicht bloß,
wie jene, unſer Leben verſchönern und unſere Genüſſe erhöhen,
ſondern die unſer Daſeyn erſt möglich machen, da ohne ſie die
Exiſtenz aller organiſchen Weſen ganz unmöglich ſeyn würde. Da
es uns aber zu weit von unſerem Gegenſtande abführen würde,
die Eigenſchaften der Wärme, auch nur in der Kürze, mit welcher
wir jene des Lichtes betrachtet haben, aufzuzählen, ſo wird eine
bloße gedrängte hiſtoriſche Anzeige derſelben genügen, dieſe Wohl-
that, welche wir der Sonne verdanken, wenigſtens einigermaßen
nach ihrem wahren Werthe zu erkennen. Bei dieſer Darſtellung
glaubten wir beſonders der ſchönen Einleitung folgen zu müſſen,
die Lardner ſeinem vortrefflichen Treatise on Heat, London
1833,
gegeben hat.


Die meiſten organiſchen Weſen können, wenigſtens einige Zeit
durch, auch ohne Licht leben. Unzählige Operationen der Natur
gehen eben ſo gut und thätig in dem Lichte, als in der Abwe-
ſenheit deſſelben vor ſich. Der Mangel deſſelben, wo er z. B.
bei der Blindheit der Thiere als Krankheit eintritt, hindert die
andern Functionen ihres Körpers keineswegs an ihrer Thätigkeit,
und ſelbſt die geiſtige Kraft des Menſchen wird dadurch zuweilen
ſogar erhöht, wie wir bereits mehrere glänzende Beiſpiele von
blinden Dichtern, wie Homer und Milton, und ſelbſt von blinden
[28]Die Sonne.
Mathematikern, wie Saunderſon und Euler, anführen könnten,
bei welchen der Verluſt ihres Augenlichtes den Verſtand und die
Einbildungskraft noch zu ſchärfen ſchien. Das Licht iſt demnach
gleichſam nur ein Gegenſtand des Luxus der Natur, und wenig-
ſtens für viele Dinge und auf längere Zeit entbehrlich. Daher
ſpendet es auch die Natur nicht mit jener unbegränzten Freige-
bigkeit aus, ſondern ſie beobachtet dabei jene zurückhaltende Oeco-
nomie, die ſie ſich bei allen den Gaben vorzuſchreiben pflegt, die
bloß das Vergnügen ihrer Geſchöpfe, nicht aber die unentbehrli-
chen Bedürfniſſe derſelben zum Zwecke haben.


Die Wärme aber hat ſie überall und für alle mit der frei-
gebigſten Hand ausgetheilt. Dieſes Geſchenk findet ſich zu allen
Zeiten und an allen Orten. Jeder Körper, ſelbſt der unorgani-
ſche, ſelbſt der luftförmige enthält ſie in reichlichem Maaße. Die
todte Maſſe des Waſſers, der Erde, der Steine, und was wir
ſehen, was wir nur durch irgend einen unſerer Sinne erkennen,
iſt damit angefüllt. Dem Einfluſſe der Wärme iſt jene endloſe
Verſchiedenheit der Geſtalten zuzuſchreiben, die über die Erde ver-
breitet ſind. Unſer Feſtland, unſere Meere und Flüſſe, unſere
Atmoſphäre ſelbſt könnten nicht einen Augenblick ſo bleiben, wie ſie
ſind, wenn ihnen die Wärme entzogen würde, und alles würde,
ohne ſie, in eine rohe, ſtarre, formloſe Maſſe zuſammen fallen.
Die Luft, die uns umgibt, müßte, ſobald ihr die Wärme entzo-
gen würde, in eine dicke, harte Rinde zuſammen ſchrumpfen,
welche die Erde rings umſchließen, und alle ihre Geſchöpfe in ein
einziges, großes, undurchdringliches Grab ſtürzen würde. Die
Wärme iſt die Mutter und die Amme aller organiſchen Weſen,
und ſelbſt die unorganiſchen entſpringen nur aus ihrem Schooße.
Jeder Körper der Natur, wie grob ſeine Maſſe, oder wie fein
auch ſein Gewebe ſeyn mag, verdankt ſeine Entſtehung und ſeine
Erhaltung nur der Wärme. Nehmt die Wärme weg aus der
Natur, und ſofort verſchwindet auch alle Bewegung, alle Form-
gebung und alles Leben aus derſelben, und das alte Chaos tritt
wieder in ſeine Rechte ein.


§. 21. (Wärme, in Beziehung auf Kunſt und Wiſſenſchaft.)
Auch unſere Künſte und Manufacturen können ſie ſo wenig, als
die Natur ſelbſt, entbehren. Welche Veränderungen wir auch mit
[29]Die Sonne.
den Körpern, wie ſie uns die Natur gegeben hat, vornehmen
mögen, ſie beſtehen alle nur in der Trennung oder Zuſammenfü-
gung ihrer Theile, und in einer unſeren Zwecken gemäßen Ver-
wandlung ihrer Geſtalt. Wir ſchmelzen ſie, um ihnen eine an-
dere Geſtalt zu geben, wir trennen die zuſammengeſetzten, um ihre
uns nutzloſen oder ſchädlichen Theile zu entfernen, und wir ver-
binden die getrennten wieder, um ſie auch dadurch unſern Abſich-
ten dienſtbar zu machen. In allen dieſen Operationen iſt die Wärme
das wichtigſte, oft das einzige Inſtrument. Auf ihren Wink er-
weichen die härteſten Körper, das Gold wird Wachs, das Eiſen
Waſſer, und die ganze Natur wird verändert, um unſeren Be-
dürfniſſen, um unſerem Vergnügen, oft ſelbſt um unſeren Einfällen
zu gehorchen.


Aber nicht bloß in unſeren techniſchen, auch in unſeren wiſ-
ſenſchaftlichen Arbeiten ſpielt dieſes Agens eine große, wichtige
Rolle. Wer in einer hellen Nacht den geſtirnten Himmel betrach-
tet, glaubt ſchon alles geſehen zu haben, wenn er die Größe und
die gegenſeitige Lage dieſer Geſtirne kennen gelernt hat. Der Aſtro-
nom aber weiß, daß er dieſen Himmel keineswegs ſo ſieht, wie
er in der That iſt, daß er ihn vielmehr durch eine große täu-
ſchende Linſe, durch eine Kugelſchaale von Luft ſieht, die alle
Gegenſtände gleich einem Hohlſpiegel verzerrt, und keinen derſel-
ben an ſeinem wahren Orte erſcheinen läßt. Er weiß, daß dieſe
optiſchen Täuſchungen mit der Entfernung der Geſtirne von dem
Horizonte, daß ſie von Nacht zu Nacht, ja von Stunde zu
Stunde wechſeln, und daß dieſer Wechſel bloß von der ebenfalls
wechſelnden Wärme der Atmoſphäre kömmt. Selbſt das Inſtru-
ment, mit welchem er dieſe Veränderungen beobachtet, iſt wieder
ähnlichen Aenderungen unterworfen, und wie die Temperatur ſei-
ner Umgegend anders wird, ziehen ſich auch ſeine Theile zuſam-
men oder auseinander. Ein einziger Sonnenſtrahl, der auf ſein
Inſtrument fällt, ein einziger Hauch von einem kühlen Zugwinde,
ja die den Beobachter ſelbſt umgebende Atmoſphäre ſeines eigenen
Körpers iſt ſchon im Stande, den metallenen Bogen ſeines Krei-
ſes zu verziehen und Aenderungen hervorzubringen, die man lange
genug an dem Himmel geſucht hat, während ſie ihre wahre Ur-
ſache in dem Inſtrumente oder in dem Beobachter ſelbſt hatten.
[30]Die Sonne.
Unſere ſolideſten Gebäude aus den alten Zeiten, die ſprüchwörtlich
als Symbole, als Beiſpiele einer unwandelbaren Feſtigkeit gelten,
werden täglich, ja ſtündlich von der Wärme in immerwährende
Bewegung geſetzt. Seit den Verſuchen, die man mit den höchſt
empfindlichen Libellen Reichenbachs an der Sternwarte Brera zu
Mailand angeſtellt hat, iſt es bekannt, daß jeder Thurm und jedes
Haus, wenn es auf ſeiner Oſt- oder Weſtſeite von der Sonne
beſchienen wird, gleich einem Pendel hin und wieder geht, ohne
auch nur zwei Augenblicke dieſelbe Lage beizubehalten.


Aber welche noch viel größere Rolle iſt dieſer unſichtbaren
Macht in unſerer Chemie angewieſen worden. Unauflöslich ſchei-
nende Körper trennt ſie in ihre Elemente; die heterogenſten Maſ-
ſen ſchmilzt ſie zu einem gemeinſamen, einförmigen Körper; ſie
weckt ſeit Jahrtauſenden ſchlafende Affinitäten aus ihrem Schlum-
mer zu neuer Thätigkeit, und ſie zerreißt ſelbſt die Bande der
chemiſchen Attraction, die jeder andern uns bekannten Kraft ſpot-
tend widerſtehen. Durch Bindung und Freiwerden der Wärme
entſtehen alle unſere Compoſitionen und Decompoſitionen der na-
türlichen Körper, und dieſe zwei Prozeſſe ſind es, durch die wir
mit der einen Hand fürchterliche Detonationen mit einer alles
ſchnell verzehrenden Hitze, und mit der andern eine Kälte erzeu-
gen können, gegen welche die unſerer Pole noch Wärme heißen
kann.


§. 22. (Wärme in Beziehung auf das gemeine Leben.) Aber
wozu erſt Sternwarten oder Laboratorien aufſuchen, um Bei-
ſpiele für die Thätigkeit einer Kraft zu finden, die uns überall
und zu allen Seiten in der Nähe umgibt. Im Schlafe und im
Wachen, zu Hauſe oder auf dem Felde, bei Tag und Nacht, in
der heißen und in der kalten Zone — überall iſt ſie, überall
wirkt ſie und überall ſind wir ihre Sklaven zugleich und ihre
Meiſter.


Wir ſind ihre Sklaven. — Denn ohne ſie vermögen wir nicht
einen Augenblick zu leben, und ohne ein genau beſtimmtes
Maaß derſelben können wir dieſes Leben eben ſo wenig in Frie-
den genießen. Sie herrſcht gebieteriſch über unſere Freuden und
über unſere Leiden. Sie legt uns auf das Siechenbette hin, und
hilft uns wieder von demſelben auf. Sie iſt unſere Krankheit und
[31]Die Sonne.
unſer Arzt zugleich. In der brennenden Hitze des Sommers lech-
zen wir unter ihrem Drucke, und in der ſtarren Kälte des Win-
ters ſchauern wir ob ihrem Mangel. Wenn ſie ſich in unſerem
eigenen Körper anhäuft, ſo vertrocknet unſere Zunge, und wir
brennen im Fieber, — und wenn ſie uns zu ſchnell verläßt, ſo
ächzen wir unter Erkühlungen und Rheumatismen und allen den
zahlloſen Leiden, die mit dem Gefolge dieſer beiden Anführer
aufzutreten pflegen.


Wir ſind aber auch ihre Meiſter. — Denn wir zwingen ſie,
unſerem Willen zu gehorchen und unſere Zwecke zu befördern.
Mitten unter den Schnee- und Eis-Bergen der Pole muß ſie mit
uns in unſerer Stube wohnen, und ſelbſt außer derſelben darf ſie,
in undurchdringliche Kleider eingeſchloſſen, unſere Körper nicht
verlaſſen. Und dieſelben Kleider brauchen wir auch in der heißen
Zone, um ihren Andrang von uns abzuhalten. Wir entfernen ſie
aus dem Waſſer, um uns während der heißen Jahreszeit mit
Eis zu kühlen; und wir bringen ſie wieder in größerem Maaße
in das Waſſer zurück, um im Winter (durch in Nöhren geleitetes
heißes Waſſer) unſere Wohnungen zu erwärmen. Auf unſeren
Reiſen zur See iſt ſie es, die unſerem Schiffe (dem Dampf-
ſchiffe) Flügel gibt, und dadurch den Winden und den Wogen
trotzt. Auf unſeren Landfahrten aber ſpannen wir ſie ſtatt der
Pferde vor unſere (Dampf-) Wägen, und eilen damit dem ſchnell-
ſten Vogel und ſelbſt den Furien der Stürme vor *).


[32]Die Sonne.

Wenn wir ſchlafen, ſo iſt unſer Zimmer und unſer Bette mit
den Mitteln verſehen, die Wärme in ihrem gehörigen Zuſtande
zu erhalten. Wenn wir zu Tiſche ſitzen, ſo iſt wieder ſie es, die
unſeren Speiſen ihre Genießbarkeit, ihren Nutzen und ihre Würze
gibt. Sie bereitet unſere Gerichte in der Küche, wie ſie die
Früchte in unſeren Gärten kocht und zur Reife bringt. Die ange-
nehmen Säfte, die das Blatt des Theebaums, oder die Beere
der Kaffeeſtaude, oder die Cacaobohne in ſich ſchließt, würden uns
immer verborgen geblieben ſeyn, wenn ſie uns die Wärme nicht
aufgeſchloſſen hätte, und ſelbſt die Bereitung aller anderen künſt-
lichen Getränke, die uns erquicken und erwärmen, und die unſere
durch Arbeit und Anſtrengung ermatteten Glieder ſtärken, würden
uns noch ein Geheimniß ſeyn, wenn wir, gleich dem blödſinnigen
Feuerländer, mit der Erhaltung und Anwendung der Wärme auf
die Körper der Natur noch unbekannt wären.


§. 23. (Verbindung des Lichts mit der Wärme.) Selbſt das
Licht, jene an ſich ſo köſtliche Gabe des Himmels, wie oft wür-
den wir uns vergebens darnach ſehnen, wenn dieſelbe allgütige
Hand, die uns daſſelbe gegeben, jenes andere noch köſtlichere
Geſchenk zurückgehalten hätte. Wenn die Sonne ihr Antlitz von
uns wendet, und die Erde in Finſterniß einhüllt, wenn ſie, wie
in den Polargegenden, ſechs volle Monate nicht wiederkehrt —
woher ſollen wir dann Licht nehmen? — Dann iſt es die Wärme,
die unſere Luft in Flammen ſetzt *); dann zünden wir, mit ihrer
Hülfe, unſere Kerzen, unſere Lampen an, und ſchaffen uns künſt-
liche Tage mitten in der tiefſten Nacht; dann laſſen wir unſere
Sonnen leuchten zu unſeren Geſchäften, zu unſeren geſelligen Ver-
gnügungen, und vermehren ſo die Summe der Genüſſe und die
Länge unſeres Lebens durch nützlich oder angenehm verbrachte
Stunden, die wir, ohne jenes Geſchenk, in dumpfer Unthätigkeit
verloren oder im trägen Schlafe verträumt hätten.


§. 24. (Oberfläche oder Photoſphäre der Sonne.) Indem wir
nun, nach dieſer Digreſſion über die zwei wichtigſten Geſchenke,
[33]Die Sonne.
welche wir der Sonne verdanken, wieder zu unſerm Gegenſtande,
zu der phyſiſchen Beſchaffenheit dieſes Centralkörpers ſelbſt zu-
rückkehren, müſſen wir uns vorerſt auf das Wenige beſchränken,
was wir von der Oberfläche deſſelben durch Hülfe unſerer Fern-
röhre kennen gelernt haben. Dieſe Oberfläche ſcheint ein unge-
heueres, den eigentlichen Körper der Sonne umgebendes Lichtmeer
zu ſeyn. Dieſe Photoſphäre der Sonne iſt aber, wie die Beob-
achtungen zeigen, in immerwährender heftiger Bewegung, und in
ihr gehen Revolutionen vor, mit welchen die unſerer Stürme und
Ungewitter nicht weiter verglichen werden können. Man ſieht auf
dieſem Feuermeere öfter ſehr große, ſchwarze Flecken entſtehen,
und nach wenig Tagen oder Wochen wieder verſchwinden, Flecken,
die unſere Erde im Durchmeſſer vier-, fünf- und mehrmal über-
treffen. In der Nähe dieſer ſchwarzen Flecken bemerkt man im
Gegentheile häufig andere große Stellen der Sonne, die ſich
durch ihr ſtärkeres, helleres Licht auszeichnen, und daher Son-
nenfackeln
genannt werden. Aber auch der übrige Theil der
Sonne, der weder Flecken noch Fackeln zeigt, iſt beinahe nir-
gends gleich licht, ſondern durchaus mit kleinen Schuppen oder
Punkten beſäet, die ihren Ort immer ändern, wie man ſehen
kann, wenn man die Sonne mit ſehr guten Fernröhren be-
obachtet. Dadurch gewinnt die Oberfläche der Sonne das Anſe-
ben des Bodenſatzes einer flockigen Subſtanz, die in einer durch-
ſichtigen Flüſſigkeit aufgelöst iſt. Das Ganze leitet auf die Ver-
muthung, daß die Oberfläche dieſes Körpers aus einem Lichtme-
dium beſteht, mit welchem eine wohl durchſichtige, aber an
ſich ſelbſt nicht leuchtende Flüſſigkeit vermiſcht, jedoch nicht völlig
durchdrungen iſt, wo dann dieſe Flüſſigkeit in dem Lichtmeere
ſchwimmt, wie unſere Wolken in der Luft, oder wo ſie dieſes
Lichtmeer in mächtigen Streifen durchzieht, wie das Nordlicht
unſere Atmoſphäre.


§. 25. (Iſt die Oberfläche der Sonne ein Feuer?) Wenn
aber dieſe Photoſphäre der Sonne in der That ein Feuer ſeyn
ſoll, ſo iſt es gewiß von unſerem irdiſchen Feuer ſehr verſchieden.
Wie ließe ſich ſonſt das Eis auf den höchſten Gipfeln unſerer
Berge, ſelbſt in den Tropenländern, erklären? Oder wie ſollte
unſer Feuer, auch in noch ſo großen Maſſen angehäuft, in einer
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder II. 3
[34]Die Sonne.
Entfernung von mehr als zwanzig Millionen Meilen noch Kraft
genug beſitzen, die Haut des Negers ſchwarz zu färben, und den
Saft des Zuckerrohrs zu ſieden? — Es iſt ſehr wahrſcheinlich,
daß Licht und Wärme, wenn wir ſie gleich ſehr oft beiſammen
finden, doch weſentlich zwei ſehr verſchiedene Dinge ſind. Auch iſt
es bekannt, daß alle Körper unſerer Erde eine eigenthümliche
Wärme enthalten, die durch verſchiedene Mittel aus ihnen her-
vorgezogen oder entbunden werden kann. Ein ſolches iſt z. B. die
Reibung. Wir erwärmen unſere Hände, wenn wir ſie gegen
einander reiben, und mehrere wilde Völkerſchaften verſchaffen ſich
ihr Feuer bloß durch die Reibung zweier trockenen Holzſtücke.
Seile und Schnüre an unſeren Maſchinen entzünden ſich zuweilen
durch heftige Reibung, ſo wie die Achſen unſerer Räder durch
ſchnelles Fahren. Unſere Bohrer, beſonders die zum Durchlöchern
der Steine und Metalle beſtimmten, werden durch anhaltende
Reibung oft bis zum Glühen heiß, und müſſen darum durch ſtets
zufließendes Waſſer immerwährend abgekühlt werden.


Hieher gehört auch zum Theil das Erhitzen der Körper durch
ſchnell wiederholte, ſtarke Schläge. Ein Stück Metall wird, wenn
es auf den Amboß gelegt und eine Zeit durch kalt geſchmiedet
wird, ſehr oft bis zum Glühen erhitzt. Unſer gewöhnliches Feuer-
anſchlagen durch Stahl und Stein iſt eine ähnliche Erwärmung
durch Reibung, die durch das Zuſammenſchlagen beider Körper
verurſacht wird, wo dann kleine Stückchen Stahl durch den Stein
abgeſchlagen und in der Luft geſchmolzen werden. Ein anderes
Mittel, die Körper zu erwärmen, oder eigentlich die in ihnen la-
tente Wärme zu entwickeln, iſt das Zuſammenpreſſen derſelben in
einen kleineren Raum. Unſere Luftfeuerzeuge, die Mollet er-
funden hat, geben davon ein allgemein bekanntes Beiſpiel. Wenn
der Stempel in den Röhrchen dieſer Maſchinen die unter ihm
befindliche atmoſphäriſche Luft, durch das Herabdrücken deſſelben,
auf einen zwölfmal kleinern Raum verdichtet, ſo entſteht
dadurch ſchon eine Wärme von 123 Grad R., die hinlänglich iſt,
Zunder in Brand zu ſetzen, und ſelbſt leichtflüſſige Metallgemiſche
zu ſchmelzen.


Eben ſo kann man durch chemiſche Einwirkung der Körper
auf einander oft eine ſehr große Hitze erzeugen. Waſſer auf
[35]Die Sonne.
ungelöſchten Kalk gegoſſen, erhitzt ſich bis zum Kochen. Vitriol-
öhl oder Scheidewaſſer auf Eiſenfeile gegoſſen, und noch mehr
eine Miſchung von Terpentinöhl mit Scheidewaſſer, worauf Vi-
triolöhl gegoſſen wird, gibt eine ſehr hohe Temperatur, und ſelbſt
eine ſehr heftige Flamme, die ſchon manchem unvorſichtigen Expe-
rimentator gefährlich geworden iſt.


Aber das ſtärkſte bekannte Entbindungsmittel der Wärme iſt
immer das Sonnenlicht, beſonders wenn es ſenkrecht auf
die Oberfläche der Körper wirkt, und die letzten demſelben eine
längere Zeit durch ausgeſetzt bleiben. In den Tropenländern iſt
es ſo heiß, weil die Sonne zur Zeit des Mittags immer nahe
in dem Zenithe dieſer Länder ſteht, ſo wie es ſelbſt näher bei
den Polen wenigſtens einige Wochen durch oft noch heißer iſt,
weil dann die Tage für dieſe Gegenden ſo lang ſind. Wenn die
Strahlen der Sonne in unſern Brenngläſern oder in Hohlſpiegeln
geſammelt werden, ſo erzeugen ſie eine ſo große Hitze, daß die
dieſen Strahlen ausgeſetzten Körper oft ſchon in wenig Augen-
blicken verbrennen oder ſich verglaſen, obſchon ſie ſonſt, wie z. B.
unſer Diamant, dem größten gewöhnlichen Feuer unbeſchadet
ausgeſetzt werden können.


Es iſt ſehr möglich, daß die Strahlen der Sonne an ſich
ſelbſt ganz kalt ſind, daß ſie aber die Eigenſchaft haben, den
Wärmeſtoff aus den Körpern in hohem Grade zu entwickeln, was
vielleicht durch die große Geſchwindigkeit bewirkt wird, mit wel-
cher dieſe Strahlen an die Elemente der Körper ſtoßen, und da-
durch entweder dieſe Elemente augenblicklich in einen kleineren
Raum zuſammendrücken, oder doch eine heftige Reibung an den-
ſelben verurſachen. So kann es ſeyn, daß der entfernteſte unſerer
Planeten, daß Uranus ſich noch einer ſehr hohen Temperatur er-
freut, wenn die Körper ſeiner Oberfläche die Eigenſchaft haben,
die ihnen inwohnende Wärme ſchon durch wenige Sonnen-
ſtrahlen frei zu machen. Auch iſt es nicht unwahrſcheinlich,
daß wir die Wirkungen des Lichts auf die Körper beſſer kennen
lernen werden, wenn wir unſere Aufmerkſamkeit nicht immer
bloß auf die Attraction, ſondern auch auf die chemiſchen
Verwandtſchaften der Körper zu dem Lichte anhaltend richten
werden.


3 *
[36]Die Sonne.

§. 26. (Temperatur auf der Oberfläche der Sonne.) Indeß
ſcheinen doch mehrere Gründe dafür zu ſprechen, daß die Tempe-
ratur auf der Oberfläche der Sonne ſelbſt ungemein groß ſeyn
müſſe.


I. Das Licht ſowohl als die radiirende Wärme nimmt, un-
ſeren Beobachtungen zufolge, in demſelben Maaße ab, wie das
Quadrat der Entfernung zunimmt, ſo daß es z. B. in der Ent-
fernung von 2, 3, 4.. Meilen nur mehr ¼, 1/9, 1/16.. von dem iſt,
was es in der Entfernung von einer Meile beträgt. Wenn nun
die durch die Sonnenſtrahlen auf unſerer Erde erregte Hitze ſo
bedeutend iſt, wie ſtark muß ſie auf der Oberfläche der Sonne
ſelbſt auf für ſie gleich empfängliche Körper wirken. Man kann
durch Rechnung zeigen, daß die Hitze, welche die Sonne z. B.
auf eine Quadratmeile ihrer eigenen Oberfläche ausübt, über
300,000 mal größer iſt, als diejenige, welche ſie auf eine eben ſo
große Stelle der Oberfläche unſerer Erde äußert. Unſere Brenn-
gläſer ſind weit entfernt, eine ſo große Hitze zu erzeugen, oder
die Strahlen der Sonne 300,000 mal zu verdichten, und doch
kann man in den Brennpunkten dieſer Gläſer Gold, Platina und
ſelbſt Diamanten ſchmelzen und zerſtören.


II. Unſere künſtlichen oder irdiſchen Feuer ſenden bekanntlich
ihre Strahlen deſto leichter durch das Glas, je größer, je inten-
ſiver dieſe Feuer ſind. Ein zweimal ſo ſtarkes Feuer ſchickt auch
zweimal ſo viele Strahlen durch daſſelbe Glas. Nun gehen aber
die Strahlen der Sonne mit einer ganz beſondern Leichtigkeit
durch das Glas. Mit dem ſogenannten Actinometer, einem un-
ſerer verläſſigſten phyſiſchen Inſtrumente, fand der jüngere Her-
ſchel, daß von je 1000 Wärmeſtrahlen der Sonne 816 durch eine
Glasplatte von 1 ½ Linie Dicke gehen, und daß von 1000 bereits
durch eine ſolche Platte gegangenen Strahlen wieder 860 noch
ſtark genug ſind, durch eine zweite, eben ſo dicke Glasplatte zu
gehen. Unſere irdiſchen Feuer ſind ſämmtlich weit entfernt, ſolche
Leichtigkeit des Durchgangs zu zeigen, ſie ſtehen daher auch wahr-
ſcheinlich dem Feuer der Sonne an Intenſität eben ſo weit nach.


III. Wenn man eine Lichtkerze, eine brennende Fackel, ja
ſelbſt das lebhafteſte irdiſche Feuer zwiſchen das Auge und die
Sonne hält, ſo verſchwinden ſie gleichſam für unſern Blick, weil
[37]Die Sonne.
ſie von dem viel intenſiveren Sonnenlichte abſorbirt werden. Das
Licht des ſogenannten indiſchen Weißfeuers oder das des unge-
löſchten Kalkes blendet unſere Augen und gehört zu dem lebhaf-
teſten Feuer, das wir hervorbringen können, und doch bemerken
wir es kaum auf dem noch viel hellern Hintergrunde der Sonne.


§. 27. (Reſultate der vorhergehenden Betrachtungen.) Es iſt
alſo möglich, daß der eigentliche Sonnenkörper, ſo dunkel er auch
in den oben erwähnten ſchwarzen Flecken ausſehen mag, in einem
Zuſtande der heftigſten Conflagration ſich befindet, doch ſind dieß
nur Vermuthungen, und es iſt ganz eben ſo möglich, daß die
Sonnenſtrahlen ganz und gar keine eigene Wärme haben, ſondern
nur die in andern Körpern gebundene Wärme entwickeln, oder
auch, daß der eigentliche Kern der Sonne zunächſt an ſeiner
Oberfläche mit einer das Licht vollkommen reflectirenden Decke
überzogen ſey, wodurch er denn von der Irradiation des obern
Lichtmeeres völlig geſchützt werden, und in dem Zuſtande einer
ſehr niedern Temperatur ſich befinden könnte. Wenn die Dich-
tigkeit der Sonnenmaſſe mit ihrer Entfernung von dem Mittel-
punkte ſehr ſchnell abnimmt, oder wenn dieß auch nur von
ihrer Atmoſphäre ſtatt hat, ſo würde ebenfalls keine oder doch nur
wenig Hitze abwärts geleitet werden. Vielleicht iſt jene graue
Wolkenſchichte, mit welcher die ſchwarzen Flecken der Sonne
immer umgeben ſind, eine ſolche vollkommen ſpiegelnde Fläche.
Wenn aber auf der Oberfläche dieſer Himmelskörper in der That
immer ſo viel Hitze durch Radiation ausgeſchieden wird, ſo würde
dadurch allein ſchon der Zuſtand der heftigen Agitation zu er-
klären ſeyn, welche die Oberfläche der Sonne immerwährend, wie
ein vom Sturme gepeitſchtes Meer, bewegen, ohne daß man
deßwegen, wie andere gethan haben, zu [...]hemiſchen Kräften ſeine
Zuflucht zu nehmen braucht.


§. 28. (Erhaltung dieſes Zuſtandes der Sonne.) Wodurch
erhält ſich aber dieſe immerwährende Verbrennung, wenn ſie
anders in der That ſtatt hat, auf der Oberfläche der Sonne? —
Wir wiſſen es nicht und es iſt hier, wie in ſo vielen andern
Fällen, am beſten, ſeine Unkenntniß der Sache offen zu geſtehen.
Wird dieſe nie aufhörende Entwicklung von Licht und Wärme
durch eine ſtetige Reibung oder durch immerdauernde electriſche
[38]Die Sonne.
Entladungen bewirkt? Wie man immer dieſe Erſcheinungen zu
erklären verſucht, ſo ſollte man doch die etwas zu kraſſe Vor-
ſtellung eines eigentlichen ponderablen Futters zu vermeiden
ſuchen, da wir ſelbſt auf der Erde viele Feuer ohne dieſe Nahrung
kennen. Unſer Küchenfeuer mag immerhin ausgehen, wenn nicht
immer friſches Holz zugelegt wird. Auf eine ähnliche Art läßt
Newton der Sonne durch die in ſie ſtürzenden Kometen von Zeit
zu Zeit neue Nahrung zuführen. Allein wie viele Mittel mag
die Natur beſitzen, Licht und Wärme auch ohne ſolche äußere
Hülfe zu entwickeln und ſelbſt ſehr lange zu erhalten. Es iſt
bekannt, daß die Electricität, wenn ſie eine ſehr verdünnte Luft
durchzieht, Licht, alſo wohl auch Wärme gibt. Warum ſollte
nicht ein ſolcher electriſcher Strom auch die Sonne umgeben?
Warum ſollte unſer Nordlicht nicht vielleicht etwas Aehnliches
für unſere Erde ſeyn können?


§. 29. (Abnahme des Sonnendurchmeſſers.) Wer bürgt uns
übrigens dafür, daß die Größe der Sonne durch ihr immer-
währendes Ausſcheiden der Lichtmaterie in der That in ſteter Ab-
nahme begriffen iſt? Wir haben dieſe Abnahme noch nicht beobachtet,
allein wie lange iſt es denn, daß wir den Durchmeſſer der Sonne
ſo genau kennen? — Seit der Erfindung der Fernröhre, oder
eigentlich, ſeit der Anbringung der Mikrometer an dieſe Fernröhre,
d. h. ſeit dem Jahre 1640, von welcher Epoche ſich unſere beſſern
Beobachtungen datiren. Ja ſelbſt jetzt noch kennen wir dieſen
Durchmeſſer der Sonne nicht bis auf eine Secunde, d. h. wir
ſind in dem wahren Werthe deſſelben wenigſtens noch auf 100
deutſche Meilen ungewiß. Wenn daher der wahre Durchmeſſer
ſeit den letzten zwei Jahrhunderten auch um 2,280,000 Fuß ab-
genommen hätte, ſo würden wir jetzt den ſcheinbaren Durch-
meſſer nur um eine Secunde, d. h. um eine Größe kleiner ſehen,
über die unſere beſten Beobachter noch ganz in Zweifel ſind. Ja
wenn der wahre Durchmeſſer der Sonne ſelbſt täglich um einen
Fuß kleiner würde, ſo würde dieß in dem ſcheinbaren [Durchmeſſer]
erſt nach 12,000 Jahren eine Verminderung von zwei Secunden
erzeugen. Demungeachtet kann man nicht läugnen, daß dieſe
Abnahme, ſo klein ſie auch an ſich ſelbſt ſeyn mag, in der Folge
von vielen Jahrtauſenden endlich beträchtlich werden muß, ſelbſt
[39]Die Sonne.
wenn man annimmt, daß die einzelnen Elemente eines jeden
Sonnenſtrahls vielleicht durch tauſende von Meilen von einander
getrennt ſeyn mögen. Das Sonnenlicht iſt über 300,000 mal
ſtärker, als das des Vollmonds, und nahe 800 Millionenmal ſo
ſtark, als das des Sirius. Auch ſcheidet die mit ihrem Lichte
wenigſtens ſcheinbar ſehr verſchwenderiſche Sonne viel mehr Licht
aus, als zur bloßen Beleuchtung und Erwärmung der Planeten
nöthig iſt, ſo daß man verſucht wird, zu glauben, daß dieſe Er-
leuchtung wenigſtens nicht der einzige Zweck dieſes Lichtes ſeyn
kann, ebenſo wie die Erleuchtung der Erde zur Nachtzeit gewiß
nicht der Zweck des Mondes iſt, was wir an einem andern Orte
gezeigt haben. Auf der Peripherie der Erdbahn würden über
70,000 Erden, jede der unſeren an Größe gleich, Raum haben,
und alle von der Sonne gleich ſtark erleuchtet und erwärmt
werden können, während dieſe Wohlthat jetzt nur dieſer einzigen
Erde zu gut kömmt. Allein ſelbſt bei dieſer anſcheinenden Ver-
ſchwendung, die ohne Zweifel nur in unſerer Unkenntniß des
Gegenſtandes gegründet iſt, wird es der Natur nicht an Wegen
fehlen, auf welchen ſie dieſen Verluſt des Lichtes, wenn es über-
haupt noch ein Verluſt iſt, wieder erſetzen kann: das Zurückwerfen
des erhaltenen Sonnenlichts von den Planeten, das eigene Licht
der unzähligen Fixſterne, die Annäherung der Kometen, von denen
viele nur aus Lichtſtoff gewebt zu ſeyn ſcheinen u. dgl., ſo daß
unter allen dieſen Körpern des Himmels nicht ſowohl der Gewinn
und Verluſt des Einzelnen, als vielmehr nur der gegenſeitige
Austauſch des Lichtes in Betrachtung kommen ſoll. Endlich,
wenn das Licht nicht in der Emanation eines eigentlichen Körpers,
ſondern nur in der Vibration eines die Sonne umgebenden Me-
diums beſtehen ſollte, ſo fällt ohnedieß jede Abnahme der Sonne
durch Ausſcheidung ihrer Lichtmaſſe von ſelbſt weg.


§. 30. (Beſchreibung der Sonnenflecken.) Nach dieſen allge-
meinen Betrachtungen wollen wir nun zu einer nähern Beſchreibung
der bereits oben erwähnten Sonnenflecken übergehen.


Wenn man die Oberfläche der Sonne durch ein Fernrohr
betrachtet, das zur Schützung des Auges mit einem gefärbten
Planglaſe verſehen iſt, ſo bemerkt man auf ihr häufig größere
oder kleinere, meiſtens ſehr unregelmäßige dunkelſchwarze Flecken,
[40]Die Sonne.
mit einem aſchfarbenen, gewöhnlich überall gleich breiten Rand
eingefaßt. Dieſe Flecken verändern meiſtens ihre Geſtalt und
ſelbſt zuweilen ihren Ort auf der Sonne. Wenn man ſie von
Stunde zu Stunde verfolgt, ſo ſieht man ſie an Umfang wachſen
oder kleiner werden, verſchiedene Geſtalten annehmen, aus
einander brechen und gleichſam zerreißen und wieder zuſammen
fließen und oft ſelbſt gänzlich verſchwinden. In dem letzten Falle,
wenn der Flecken ſich unſerm Auge ganz entzieht, wird immer
zuerſt der ſchwarze Centralpunkt allmählig kleiner und verſchwindet
lange vor dem aſchgrauen Rande. Der ganze Anblick dieſer
Erſcheinung ſcheint auf einen flüſſigen Zuſtand der Oberfläche der
Sonne und auf ſehr heftige Bewegungen zu deuten, die auf ihr
vorgehen.


Diejenigen unter ihnen, welche längere Zeit ohne beträchtliche
Veränderungen ihrer Form dauern, — und man ſieht zuweilen ſolche,
die man nach vier und ſechs Wochen wieder deutlich als dieſelben
erkennen kann, — zeigen im Allgemeinen folgende Erſcheinungen.
Man ſieht die eigentlichen ſchwarzen Flecken in einer meiſtens
länglichen Geſtalt an den linken oder öſtlichen Rand der Sonne
eintreten und ſich von da langſam gegen den weſtlichen Rand
bewegen, den ſie gewöhnlich am dreizehnten Tage nach ihrer erſten
Erſcheinung erreichen, und dann eben ſo lange unſichtbar werden,
bis ſie am Ende dieſer Periode wieder an der frühern Stelle des
öſtlichen Randes hervortreten. Je näher ſie dem Mittelpunkte
der Sonne kommen, deſto breiter ſcheinen ſie zu werden, während
ſie an den beiden Rändern der Sonne ſehr ſchmal ſind.


§. 31. (Was dieſe Sonnenflecken ſeyn mögen?) Da ſie ſich
alle mit nahe derſelben Geſchwindigkeit von Oſt gen Weſt auf der
Sonnenſcheibe bewegen, ſo können ſie nicht ſolche Körper ſeyn,
wie unſere Wolken, die von den Winden nach allen Seiten und
mit verſchiedener Geſchwindigkeit bewegt werden. Sie können
auch keine eigenen Himmelskörper ſeyn, die die Sonne umkreiſen,
wie etwa der Mond die Erde, weil ſie am Rande der Sonne
immer ſchmäler, als in dem Mittelpunkte derſelben erſcheinen.
Sie müſſen alſo der Oberfläche der Sonne ſelbſt angehören und
in derſelben ſich aufhalten und die bemerkte Bewegung derſelben
von Oſt gen Weſt kann nur von einer Bewegung der Sonne
[41]Die Sonne.
ſelbſt kommen, die auf der uns abgewendeten Seite von Weſt gen
Oſt vor ſich geht und die daher dieſe Körper auf ihrem Wege um
den Mittelpunkt der Sonne mit ſich führt.


§. 32. (Größe der Sonnenflecken.) Dieſe Flecken ſind zu-
weilen ungemein groß. Es iſt ſchon oben geſagt worden, daß
auf der Oberfläche der Sonne eine gerade auf unſern Geſichts-
ſtrahl ſenkrechte Linie von hundert deutſchen Meilen in der Länge,
uns unter dem Winkel von einer Secunde erſcheint. Ein Kreis
von dieſem Durchmeſſer auf der Oberfläche der Sonne würde
alſo 31,410 deutſche Quadratmeilen enthalten. Tobias Mayer
ſah am 15. März 1758 einen ſolchen Flecken, der nach ſeinen
Beobachtungen den zwanzigſten Theil des Sonnendurchmeſſers,
alſo 90 Secunden betrug. Der wahre Durchmeſſer deſſelben hatte
alſo 9000 deutſche Meilen, war demnnch fünfmal größer als der
Durchmeſſer unſerer Erde. Der ältere Herſchel ſah im Jahre 1779
einen ſchon mit bloßen Augen bemerkbaren Flecken, von dem das
größere Stück, denn er beſtand aus mehreren hart an einander
liegenden Theilen, 70 Secunden, und das Ganze 270 Secunden
im Durchmeſſer betrug. Der wahre Durchmeſſer dieſes Fleckens
hatte alſo 27,000 deutſche Meilen, oder er war 15 mal größer,
als der Durchmeſſer der Erde, und ſeine Oberfläche betrug über
730 Millionen Quadratmeilen. Wenn ein ſolcher Flecken in der
Zeit von drei Wochen verſchwinden ſoll, ſo müſſen die Ränder
deſſelben täglich einen Weg von 1400, und in jeder Stunde einen
Weg von 58 Meilen zurücklegen, alſo die Geſchwindigkeit unſerer
heftigſten Stürme mehr als achtmal übertreffen. Man ſieht ſchon
daraus, welche Revolutionen auf der Oberfläche der Sonne vor-
gehen mögen. Es ſcheint aber, daß dieſe Flecken zuweilen noch
viel größer ſind, als die erwähnten. So erzählt Albufaradge in
ſ. Historia Dynast., daß i. J. 535 das Licht der Sonne durch
14 Tage verdunkelt war, und daß i. J. 626 die Hälfte der
Sonnenſcheibe durch längere Zeit ganz ſchwarz erſchien.


Bemerken wir noch, daß man die oben erwähnten Fackeln,
oder die hellſtreifigen Stellen der Sonne immer nur in der Nähe
der Flecken ſieht, und daß oft mitten aus dieſen Fackeln ſehr
dunkle Flecken hervorbrechen, ſo wie im Gegentheile wieder an
[42]Die Sonne.
denſelben Stellen, auf welchen frühere Flecken verſchwunden ſind,
häufig Fackeln zu erſcheinen pflegen.


§. 33. (Hypotheſen über die Sonnenflecken.) Allein was ſind
dieſe Flecken? — Die Meinungen der Aſtronomen waren lange
darüber getheilt. Zuerſt glaubte man, daß es opake Auswürfe,
gleichſam Schlacke oder Sonnenvulkane wären. Andere, wie
Scheiner, hielten ſie für dunkle Planeten oder Satelliten der
Sonne, die ſich, ſo wie Merkur und Venus, nur in geringeren
Entfernungen um die Sonne bewegen. Man wollte daher dieſen
Planeten auch beſondere Namen geben. So nannte ſie der
Aſtronom Tarde die lunas Borbonicas, und Maupertuis die
sidera austriaca, weil ſie Scheiner, ein öſterreichiſcher Jeſuit,
entdeckt haben ſollte. Galilei, dem vorzüglich ihre Veränderlichkeit
auffiel, hielt ſie für Wolken, die in der Sonnenatmoſphäre ſchwimmen.
Andere endlich waren der Anſicht, daß das die Sonne bedeckende
Lichtmeer einer Art von Ebbe und Fluth unterworfen ſey, durch
welche zuweilen die unteren Gegenden, Theile jenes Meeresbodens,
oder auch früher bedeckte Berge, bloß gelegt werden. Man ſieht,
daß dieſe Meinungen keiner umſtändlichen Widerlegung bedürfen.


Die letzte Anſicht beſonders ſchien demungeachtet ſelbſt Lalande
ſehr annehmbar, obſchon er einige Modificationen an dieſelbe an-
gebracht hatte. Er hält dieſe Flecken für Bergſpitzen, die über
die Lichtſphäre der Sonne ſich zu erheben ſcheinen, wenn die
letzte ſich zuweilen gegen den Mittelpunkt herabzieht. Die oben
erwähnte graue Einfaſſung erklärt er dadurch, daß dieſes Lichtmeer,
wo es den Berg berührt, in größeren Entfernungen von dem
Gipfel, allmählig tiefer wird, und immer weniger von dem an
ſich dunkeln Berge durchſchimmern läßt. Allein dagegen ſpricht
die ganz gleichförmige Schattirung des oft ſehr breiten Randes,
die doch, wenn jene Erklärung richtig wäre, nur allmählig lichter
werden müßte, ſo wie auch die ſcharfe Begränzung der beiden
Seiten dieſer Ränder.


Der ältere Herſchel ſuchte dieſe Erſcheinungen durch eine
dreifache Kugelſchale zu erklären, die den ebenfalls kugelförmigen,
aber an ſich dunklen Körper der Sonne umgeben ſoll. Nach ſeiner
Darſtellung (Philos. Transact. 1801) beſteht die erſte oder
äußerſte ſphäriſche Umgebung der Sonne aus einem Lichtmeer
[43]Die Sonne.
(Photoſphäre), welche durch eine zweite, unter ihr liegende, äußerſt
elaſtiſche und transparente Umgebung immer in einer großen Höhe
über der Sonne erhalten wird. Unter dieſer zweiten liegt endlich
eine wolkenartige, dunkle Schichte. Durch die Revolutionen,
welche auf der oberſten Lichtſphäre vor ſich gehen, und die ſich
auch den beiden andern, tiefer liegenden Einhüllungen der Sonne
mittheilen, durch die heftigen Schwankungen, denen dieſes Licht-
meer ausgeſetzt iſt, trennt es ſich zuweilen an einzelnen Stellen,
wo es gleichſam Riſſe bekömmt. Durch die Höhlen, die auf
dieſe Weiſe in der höchſten Sonnenſchichte entſtehen, und um
welche ſich die Lichtmaterie dieſer Schichte gleichſam in Wänden
aufthürmt, durch dieſe Höhlen dringen nun die Strahlen der
leuchtenden Wände, erhellen dadurch, nachdem ſie durch die
transparente zweite Hülle ungehindert durchgedrungen ſind, die
unterſte, dunkle Wolkenſchichte, und bilden auf dieſe eiſe jenen
aſchgrauen Rand. Da dieſe Spalten oder Riſſe, wie geſagt,
meiſtens allen drei Umgebungen der Sonne gemeinſchaftlich ſind,
ſo wird dadurch auch der unterſte Körper, der eigentliche Kern
der Sonne, unſern Augen bloßgelegt, aber dieſer kann von den
erwähnten lichten Wänden der oberſten Lichtſphäre nicht mehr
beleuchtet werden, weil er von den ihm zunächſt liegenden Wolken
der dritten oder unterſten, dunklen Schichte beſchattet wird, wodurch
alſo die eigentliche ſchwarze Stelle des Fleckens erzeugt wird.
— Dieſe Erklärung thut den Erſcheinungen, ſo weit wir ſie kennen,
allerdings genug, und ſie wird daher auch als die beſte und
ſinnreichſte von allen, die man bisher aufgeſtellt hat, angeſehen.


§. 34. (Entdeckung der Sonnenflecken.) Die Ehre der erſten
Entdeckung der Sonnenflecken, die bald nach der Erfindung der
Fernröhre ſtatt hatte, ſcheint dem Engländer Harriot zu ge-
hören. Baron Zach ſah in den hinterlaſſenen Papieren dieſes
Aſtronomen Beobachtungen von Sonnenflecken, die mit dem
8. Dezember 1610 anfingen. (Berl. Ephem 1788 p. 154). Allein
dieſe Beobachtungen blieben, wenigſtens auf dem Feſtlande Europas,
ſehr lange unbekannt. Der berühmte Arzt Averroes von Cordova,
der im zwölften Jahrhunderte lebte, hat wohl der erſte einen
großen Sonnenflecken mit freyen Augen geſehen, aber die Sache
erregte keine Aufmerkſamkeit und hatte um ſo weniger Folge, als
[44]Die Sonne.
er, obſchon mit Unrecht, dieſen Flecken für den Planeten Merkur
hielt.


Das erſte Werk, welches über dieſen Gegenſtand erſchien, iſt
das des Joh. Fabricius Phrysius (eines Friesländers) unter dem
Titel: De maculis in sole observatis. Wittemberg. 1611. Er
erzählt, daß er eines Morgens einen ſchwarzen, auf der einen
Seite grauen Flecken in der Sonne bemerkt, und denſelben an-
fangs für eine Wolke gehalten habe. Nachdem er ihn aber
wiederholt an demſelben Tage, und mit verſchiedenen Fernröhren,
immer an derſelben Stelle gefunden hatte, fing er an, an der
wolkenartigen Natur dieſer Erſcheinung zu zweifeln. Bald darauf
erhob ſich die Sonne ſchon zu ſehr über den Horizont, und man
konnte ſie, ohne Beſorgniß für ſeine Augen, nicht mehr anſehen *).
Nicht ohne Furcht brachte er die folgende Nacht zu, da ihn der
Argwohn, daß es nur eine vorübergehende Wolke ſeyn könnte,
noch immer, nicht ganz verlaſſen hatte. Deſto größer war ſeine
Freude, als er am folgenden Morgen ſeinen Gaſt wieder, und
beinahe an derſeben Stelle der Sonnenſcheibe erblickte. Jetzt ließ
er die Sonnenſtrahlen durch eine kleine Oeffnung ſeines Fenſter-
ladens, in einem verfinſterten Zimmer, auf eine weiße Tafel
fallen, und konnte auf dieſe Weiſe das Bild der Sonne und des
Fleckens auf dieſer Tafel den ganzen Tag durch beobachten. Er
bemerkte bald, daß der Flecken ſich von Oſt gen Weſt langſam
[45]Die Sonne.
fortbewege. Auch kamen in den nächſten Tagen noch mehrere
andere Flecken zu dem erſten, die alle dieſelben Erſcheinungen
zeigten. Etwas ſpäter verſchwand der erſte Flecken an dem weſt-
lichen Rande der Sonne, und nach etwa zwei Wochen ſah er ihn
an dem öſtlichen Rande wieder eintreten. Er ſchloß daraus mit
Recht, daß dieſe Flecken ſich um der Sonne Mittelpunkt bewegen.
Seine Freude über dieſe Entdeckung wurde dadurch etwas ver-
mindert, daß er die Veränderlichkeit der Geſtalt dieſer Flecken,
ja ſogar ihr völliges Verſchwinden in der Mitte der Sonnenſcheibe
bemerkte, und daß alſo dieſe Flecken keine permanenten Körper
ſind. Demungeachtet zieht er aus ſeinen Beobachtungen mit Recht
den Schluß, daß die Sonne ſich um ſich ſelbſt drehen müſſe, wie
dieß ſchon Jordan Bruno (der i. J. 1600 wegen ſeiner zu liberalen
religiöſen Geſinnungen lebendig verbrannt wurde), und ſpäter
auch Kepler behauptet hatte.


Der bereits erwähnte Jeſuit, Chriſtoph Scheiner aus Schwaben,
ſuchte die Entdeckung der Sonnenflecken für ſich zu vindiciren.
Sein Werk, Rosa Ursina, welches die Beobachtungen dieſer
Flecken enthielt, erſchien aber erſt i. J. 1630 zu Bracciano in
Italien. Er ſoll den erſten Flecken zu Ingolſtadt, wo er Profeſſor
war, im März 1611 geſehen und ihn ſeinen Zuhörern gezeigt
haben. Die Nachricht davon verbreitete ſich, wie er ſagt, ſehr
ſchnell, und er wurde von mehreren Freunden dringend erſucht,
ſeine Entdeckungen bekannt zu machen, allein er wurde daran
durch die Betrachtung gehindert, daß die Sache zu neu und mit
den Grundſätzen der Philoſophie ſeiner Zeit nicht im Einklange
erſcheinen müßte. Flecken oder Fehler in der Sonne zu ſehen,
ſchien allen bisher gehegten Ideen von dieſem Geſtirne, dem
Sinnbilde der höchſten Reinheit, zu widerſprechen. Demungeachtet
wollte er es endlich wagen, ſeine Beobachtungen öffentlich mit-
zutheilen, aber ſein Provinzial, Theodor Buſäus, ein peripa-
tetiſcher Zelot, hielt ihn davon zurück, indem er ihm ſagte: „Von
„ſolchen Dingen habe ich nichts in meinem Ariſtoteles geleſen:
„das ſind bloße Einbildungen oder Fehler deines Auges, oder
„endlich deiner Gläſer, mein Sohn, und du wirſt beſſer thun,
„dieſe Sache bei dir zu behalten.“ — Demungeachtet konnte
Scheiner nicht ganz ſchweigen, und gab daher ſeinem Freunde
[46]Die Sonne.
Velſer, Bürgermeiſter von Augsburg, im Dezember 1611 in drei
Briefen, von ſeiner Entdeckung Nachricht, welche Briefe denn der
letzte im Januar 1612 unter dem angenommenen Titel: Apelles
post tabulam
drucken ließ.


Auch Galilei hatte dieſe Flecken ſchon im Anfange des
Jahres 1611, alſo nahe gleichzeitig mit Fabricius geſehen, und
darüber ſogleich ſehr richtige Anſichten aufgeſtellt. Später ent-
wickelte ſich ein heftiger Streit zwiſchen Galilei und Scheiner,
indem der erſte den andern des Plagiats beſchuldigte, und be-
hauptete, die Sonnenflecken vor allen zuerſt geſehen zu haben.
Wie dieß auch ſeyn mag, Scheiner hat wenigſtens die Sonnen-
flecken mit fortgeſetztem Fleiße beobachtet. Sein Werk enthielt
774 Folioſeiten, die ganz dieſen Beobachtungen gewidmet ſind,
und man ſieht, daß er auch die Theorie dieſer Flecken, und ihre
Bewegungen richtig aufgefaßt hatte. Galilei lobte ihn früher
ſelbſt wegen ſeines hohen und ſeltenen Talents, und Hevel, dem
in dieſer Sache wohl ein Urtheil zuſtand, nennt ihn einen Mann
incomparabilis et omnigenae eruditionis, qui hac in re om-
nibus palmam praeripuit.
Scheiner beobachtete die Sonnen-
flecken unausgeſetzt, von dem Jahre 1618 bis 1627, durch neun
Jahre, und reduzirte alle ſeine Beobachtungen auf die Ecliptik.
Wir werden bald ſehen, zu welchem Zwecke dieſe Beobachtungen
eigentlich angeſtellt worden, und daß eben dieſem Zwecke die
bereits erwähnte Veränderlichkeit dieſer Flecken ſehr hinderlich iſt.
Es wäre ſehr zu wünſchen, daß man unter den vielen, die oft in
kurzer Zeit erſcheinen, nur wenigſtens einen herausfinden könnte,
der weder ſeine Geſtalt, noch ſeinen Ort auf der Sonnenſcheibe
beträchtlich änderte, und den man durch mehrere Revolutionen
mit Genauigkeit verfolgen könnte. Aber Flecken dieſer Art ſcheinen
ſehr ſelten zu ſeyn. Derjenige, den man unter allen bisher
geſehenen noch am längſten beobachten konnte, war der vom Ende
des Jahres 1676, welchen Caſſini durch volle 70 Tage, alſo durch
nahe drei volle Revolutionen verfolgte.


§. 32. (Sonnenflecken, als Mittel, die Rotation der Sonne
zu beſtimmen.) Wenn dieſe Flecken in der That mit der Ober-
fläche der Sonne, auf irgend eine Weiſe, wenigſtens auf einige
Zeit, in feſter Verbindung ſtehen, ſo kann man ſich ihrer als
[47]Die Sonne.
eines Mittels bedienen, die Umdrehung der Sonne um ihre Achſe,
und zugleich die Lage dieſer Achſe im Weltraume, zu beſtimmen.
Auch hat man dieſen Verſuch ſehr bald nach der Entdeckung der
Sonnenflecken gemacht, und die Sonne war auch unter allen
Himmelskörpern der erſte, deſſen Rotation man auf dieſe Weiſe
erkannt und beſtimmt hat.


Man bemerkte bald, daß die Wege, welche dieſe Flecken auf
der Sonnenſcheibe beſchreiben, in verſchiedenen Jahreszeiten auch
eine verſchiedene Geſtalt und Krümmung haben. Am Ende des
erſten Drittheils des Junius und des Decembers, erſcheinen ſie
als gerade Linien; in allen andern Jahreszeiten ſind ſie krumme
Linien, und zwar wenden ſie ihre erhabene oder convexe Seite ein
halbes Jahr gegen Nord oder aufwärts, und die folgenden ſechs
Monate gegen Süd oder abwärts. Ihre ſtärkſte Krümmung nach
oben haben ſie im Auguſt, und nach unten im Februar. Endlich
bemerkte man noch, daß die Zeit zwiſchen zwei nächſten Durch-
gängen der Flecken durch denſelben öſtlichen oder weſtlichen Rand
der Sonne nahe 27 Tage betrage. Dieſe Beobachtungen reichen
ſchon hin, uns mit den Umſtänden der Rotation der Sonne um
ihre Axe wenigſtens im Allgemeinen bekannt zu machen.


Wenn die Sonne ſich um eine Axe dreht, ſo müſſen alle
Punkte ihrer Oberfläche, alſo auch die Sonnenflecken, Kreiſe be-
ſchreiben, deren Ebenen auf dieſer Axe ſenkrecht ſtehen, und deren
Mittelpunkte alle in dieſer Axe liegen müſſen. Von dieſen Kreiſen
wird derjenige, der durch den Mittelpunkt der Sonnenkugel geht,
oder der gleichweit von den beiden Polen der Axe entfernt iſt,
der größte ſeyn, und wir werden ihn daher, analog mit der Erde,
den Sonnenäquator nennen können. Dieſer größte Kreis der
Sonne, und ſomit auch alle andern, mit ihm parallelen Kreiſe
der Sonnenflecken, wird nun den Beobachtern auf der Erde unter
verſchiedenen Geſtalten erſcheinen können, I. als eine gerade Linie,
wenn wir nur ſeine Kante ſehen, oder wenn die Ebene des
Sonnenäquators mit der Ecliptik zuſammenfällt. II. Als ein
eigentlicher Kreis, wenn unſere Geſichtslinie auf dem Sonnen-
äquator ſenkrecht ſteht, oder wenn der Sonnenäquator gegen die
Ecliptik, unter einen Winkel von 90 Graden geneigt iſt, und
endlich III. als eine Ellipſe, wenn wir den Sonnenäquator nur
[48]Die Sonne.
ſchief ſehen, oder wenn er eine Neigung gegen die Ecliptik hat,
die größer als Null und kleiner als 90° iſt.


§. 36. (Wie uns die Bahnen der Sonnenflecken erſcheinen.)
Der letzte dieſer drei Fälle iſt der, in welchem ſich die Erde in
Beziehung gegen die Sonne befindet. Wir ſehen die an ſich kreis-
förmigen Bahnen der Sonnenflecken im Allgemeinen als Ellipſen,
alſo müſſen ſie, und daher auch der, ihnen allen parallele Aequator,
in einer, gegen unſer Auge, ſchiefen Lage ſtehen. Da aber unſer
Auge ſelbſt ſich, ſammt der Erde, um die Sonne bewegt, ſo kann
jene Lage gegen uns eine veränderliche ſeyn, ſelbſt wenn, wie es
ſehr wahrſcheinlich iſt, die Lage des Sonnenäquators gegen die
feſte Ecliptik, ebenfalls feſt und unveränderlich wäre.


Da dieſer Aequator, deſſen Ebene man ſich, wie eine endloſe
Tafel, nach allen Seiten unbegränzt verlängert denken kann, mit
der Ebene der Ecliptik, in welcher ſich die Erde bewegt, nicht
zuſammenfällt, ſo wird die Erde, während ihrer Bewegung um
die Sonne, ein halbes Jahr über, und eben ſo lange unter dieſen
Aequator, und nur zwei Augenblicke im Jahre wird ſie in der
Ebene dieſes Aequators ſelbſt ſich aufhalten müſſen. In dieſen
beiden letzten Momenten werden uns demnach die Bahnen der
Flecken als gerade Linien erſcheinen müſſen, und da dieß, wie
geſagt, am 10 Junius und am 10 Dezember geſchieht, wo die
Länge der Erde, von der Sonne geſehen, 258 und 78 Grade be-
trägt, ſo muß die durch die Sonne gehende Knotenlinie des
Sonnenäquators mit der Ecliptik auch dieſelbe Länge haben.
Kennt man aber einmal dieſe Durchſchnittslinie beider Bahnen,
ſo wird man durch einige leichte geometriſche Betrachtungen auch
bald den Winkel finden, unter welchem dieſe Bahnen gegen ein-
ander geneigt ſind. Man ſieht, daß die Beobachtung der größten
Krümmungen jener Curven, im Februar und Auguſt, dazu vor-
züglich geſchickt ſeyn wird. Auf dieſe Weiſe hat man gefunden,
daß die Länge des aufſteigenden Knotens des Sonnenäquators
(§. I.) mit der Ecliptik 258 Grade, und daß die Neigung dieſer
beiden Ebenen etwas über 8 Grade beträgt, wodurch nun die
Lage des Sonnenäquators im Weltraume vollkommen beſtimmt iſt.


§. 37. (Rotationszeit der Sonne.) Noch iſt die Beantwortung
der Frage übrig, in welcher Zeit ſich die Sonne um ihre Axe
[49]Die Sonne.
bewegt. — Wir haben bereits geſehen, daß die Zeit zwiſchen den
zwei nächſten Erſcheinungen oder Verſchwindungen eines Fleckens
an dem Sonnenrande 27 Tage beträgt. Dieß iſt aber noch nicht
die wahre Rotationszeit der Sonne, denn da die Erde in ihrer
jährlichen Bewegung in 27 Tagen auch nahe 27 Grade zurücklegt,
ſo muß der Flecken in 27 Tagen nicht bloß den ganzen Umfang
der Sonnenkugel, nämlich nicht bloß 360 Grade, ſondern noch
27 Grade mehr zurückgelegt haben, um das zweitemal am öſtlichen
Rande der Sonne zu erſcheinen, ſo daß man daher die Proportion
hat
387° : 360° = 27 T.: x T.
oder, da x gleich 25,12 Tage iſt, ſo beträgt auch die Umlaufszeit
der Sonne um ihre Axe 25 Tage und nahe 3 Stunden.


Uebrigens müſſen wir bemerken, daß die Aſtronomen noch
immer weder jene Lage des Sonnenäquators, noch auch dieſe
Rotationszeit derſelben genau kennen, weil dieſe Beobachtungen der
Sonnenflecken, wegen der bereits erwähnten Veränderlichkeit der-
ſelben, ſehr ſchwer mit der hier nöthigen Genauigkeit aufzuſtellen
ſind, aus welcher Urſache auch nur wenige Aſtronomen der neuern
Zeit dem Gegenſtande die Aufmerkſamkeit gewidmet haben, deren er
ſonſt in einem ſo hohen Grade würdig iſt, da es in vielen andern,
ſehr wichtigen Beziehungen von dem größten Intereſſe ſeyn würde,
die Poſition dieſes Aequators ſowohl, als auch die Veränderungen,
welchen dieſelbe ohne Zweifel unterworfen iſt, näher kennen zu
lernen.


§. 38. (Einfluß der Sonnenflecken auf unſere Witterung.) Noch
dürfen wir hier der ſehr verbreiteten Meinung Erwähnung thun,
daß die Sonnenflecken einen bedeutenden Einfluß auf unſere
Witterung haben ſollen. Allein es fehlt uns noch an lange genug
fortgeſetzten Beobachtungen, um dieſen Einfluß verbürgen zu
können. Wenn dieſer Flecken ſo viele erſcheinen, daß ſie, wie
vielleicht in den bereits oben erwähnten zwei Jahren des ſechsten
und ſiebenten Jahrhunderts, große Theile der Sonne bedecken, ſo
kann dann eine Wirkung derſelben auf unſere Witterung wohl
nicht bezweifelt werden. Uebrigens hat man in der Erſcheinung
dieſer Flecken bisher nichts Regelmäßiges entdeckt. Nur ſelten
findet man die Sonne ganz frei von ihnen, aber auch eine große
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 4
[50]Die Sonne.
Anzahl gleichzeitiger Flecken gehört zu den ſeltenen Erſcheinungen.
Scheiner hat einmal über fünfzig an einem Tage bemerkt, obſchon
er zu einer andern Zeit oft wieder Monate durch kaum einen
einzigen etwas beträchtlicheren ſehen konnte. Lalande war der
Meinung, daß es beſondere Stellen der Sonne gebe, die für die
Bildung der Flecken vorzüglich günſtig ſind, allein auch dieſe Be-
merkung hat ſich nicht beſtätigt, obſchon es übrigens bekannt iſt,
daß man dieſe Flecken gewöhnlich nur in der Nähe des Aequators
der Sonne, bis nahe dreißig Grade zu beiden Seiten deſſelben,
ſieht, ſo, daß ſie alſo gleichſam ihren eigenen Zodiacus zu haben,
und daß ihre Entſtehung mit der Rotation der Sonne, die in der
Nähe des Aequators am ſchnellſten iſt, in irgend einer Verbindung
zu ſtehen ſcheint.


[[51]]

KapitelII.
Merkur.


§. 39. (Entfernung, Umlaufszeit u. f. dieſes Planeten.) Unter
allen Planeten iſt Merkur der nächſte an der Sonne. Unſere
Fernröhre zeigen uns daher von ihm wenig mehr, als daß er
rund iſt, und, wenn dieſe Fernröhre ſehr gut ſind, daß er Phaſen,
d. h. eben ſolche Lichtabwechslungen, wie unſer Mond, hat. Er
iſt nämlich zu klein, meiſtens zu weit von uns entfernt, und
hält ſich endlich zu ſehr in dem ſtarken Lichte der Sonne auf,
als daß wir hoffen könnten, ihn bald genauer kennen zu lernen.
Das Meiſte von dem, was wir von ſeiner phyſiſchen Beſchaffenheit
wiſſen, verdanken wir dem unvergeßlichen Schröter in Lilienthal,
der ihn mit ſeinen ſtarken Spiegelteleſcopen auf das eifrigſte ver-
folgte. (M. ſ. deſſen hermographiſche Fragmente im IIIten Bande
der Beiträge zu den neueſten aſtr. Entdeckungen. Götting. 1800.)


Die mittlere Entfernung dieſes Planeten von der Sonne,
oder die halbe große Axe ſeiner Bahn beträgt, 0,387 Halbmeſſer
der Erdbahn, oder 8,082,000 Millionen d. Meilen. Da aber dieſe
ſeine Bahn ſehr elliptiſch iſt, ſo iſt ſeine wahre Entfernung von
der Sonne ſehr veränderlich. Im Perihelium ſteht er nur 7,413,000,
im Aphelium (I.) aber 9,752,000 Meilen von der Sonne ab.
Mit andern Worten, ſeine kleinſte Entfernung von der Sonne
beträgt 66,5, ſeine mittlere 83,7, und ſeine größte 100,9 Sonnen-
4 *
[52]Merkur.
halbmeſſer, welcher letzte 94,000 Meilen hat. Noch beträchtlicher
unter einander verſchieden ſind ſeine Entfernungen von der Erde,
da die kleinſte derſelben 10 und die größte über 30 Mill. Meilen
beträgt.


Sein Halbmeſſer beträgt nur 300 Meilen, alſo nur den dritten
Theil des Erdhalbmeſſers, wie er denn überhaupt unter den ſieben
ältern Planeten (I.) bei weitem der kleinſte iſt. Seine Oberfläche
iſt daher nur 1,073.000 Quadratmeilen groß, oder kaum der
zehnte Theil von der Oberfläche der Erde, und ſein körperlicher
Inhalt, oder ſein Volum, das 104 Mill. Kubikmeilen beträgt, iſt
nur der 4/100te Theil des Volums der Erde, oder aus der Erde
würden ſich 25 ſolche Kugeln wie Merkur bilden laſſen.


Da er der Sonne, dieſer eigentlichen Quelle der Bewegungen
aller Planeten, ſo nahe ſteht, ſo iſt ſeine Bewegung um dieſen
Centralkörper von allen die ſchnellſte. In der That legt er in
ſeiner mittleren Geſchwindigkeit in jeder Stunde 6,7 Meilen, oder
in einem Tage ſchon 578,880 Meilen zurück. Seine ganze Bahn
um die Sonne vollendet er, in Beziehung auf die Fixſterne, in
87,969, und in Beziehung auf die Nachtgleichen (I.) in 87,968
Tagen, und zwar in einer Bahn, die nahe ſieben Grade, alſo
ſtärker, als alle andern ältern Planetenbahnen, gegen die Ecliptik
geneigt iſt. Seine ſynodiſche Umlaufszeit endlich (I. §. 98) be-
trägt 115,87 Tage.


§. 40. (Maſſe und Dichtigkeit Merkurs.) Wir werden weiter
unten die Mittel kennen lernen, die Maſſen der Planeten, d. h.
die Menge der materiellen Elemente, aus denen ſie beſtehen, oder,
wenn man lieber will, die gegenſeitigen Gewichte derſelben zu
beſtimmen, ſo wie auch die Dichtigkeit dieſes materiellen Stoffes,
aus dem ſie beſtehen. Wir werden uns indeß der Vollſtändigkeit
wegen erlauben, bei jedem Planeten dieſe beiden Eigenſchaften
ſchon jetzt mit aufzuführen. Die Maſſe Merkurs alſo iſt nur
⅙ von der Maſſe der Erde, d. h., wenn man die Erde in eine
Wagſchaale legen könnte, ſo müßte man in die andere ſechs ſolche
Kugeln, wie Merkur, legen, um die Waage im Gleichgewichte zu
erhalten. Da aber die Dichtigkeit eines jeden Körpers nichts
anderes, als ſeine Maſſe dividirt durch ſein Bolum iſt, ſo würde,
[53]Merkur.
wenn das Volum Merkurs auch nur der ſechste Theil des Volums
der Erde wäre, die Dichtigkeit Merkurs gleich der der Erde ſeyn.
Allein das Volum dieſes Planeten beträgt, wie bereits geſagt,
nur den 25ſten Theil des Volums der Erde, alſo iſt auch die
Dichtigkeit deſſelben gleich 25/6 oder nahe viermal ſo groß als die
Dichtigkeit der Erde. Die mittlere Dichtigkeit der Erde iſt
aber bekanntlich nahe 5 mal größer, als die des reinen Waſſers,
alſo iſt auch die Dichtigkeit des Merkurs nahe 20 mal größer,
als die des Waſſers, oder die Maſſe Merkurs beſteht aus einer
Materie, die nahe eben ſo dicht als unſer Gold oder Platin iſt.


Auf unſere Erde fallen die Körper, wenn ſie ihrer Unter-
ſtützung beraubt werden, in der erſten Secunde, nach den zahl-
reichen Beobachtungen, die wir auf der Oberfläche der Erde an-
geſtellt haben, durch 15,1 Par. Fuß. Da wir nicht auf die Ober-
fläche Merkurs oder einer der andern Planeten kommen, alſo auch
keine Beobachtungen daſelbſt anſtellen können, ſo ſollte man glauben,
daß es den Menſchen immer verſagt ſeyn wird, zu erfahren, wie
ſich die fallenden Körper auf jenen Planeten verhalten. Wir
werden aber weiter unten Gelegenheit haben, zu zeigen, daß dieſe
Beſtimmungen in der That ſehr leicht ſind, wenn man einmal die
Maſſe und den Halbmeſſer dieſer Planeten kennt. Eine ganz
einfache Rechnung lehrt uns, daß dieſer freie Fall der Körper auf
der Oberfläche Merkurs in der erſten Secunde 14.1 Fuß, alſo
genau einen Fuß weniger, als auf der Erde beträgt.


§. 41. (Durchmeſſer Merkurs.) Ein an ſich ſo kleiner und
von uns ſo weit entfernter Körper kann uns nur unter einem
ebenfalls ſehr kleinen Winkel erſcheinen. In der That, beträgt
ſein ſcheinbarer Durchmeſſer, ſelbſt wenn er am größten, oder
wenn der Planet uns am nächſten iſt, nur 12 Sec., und in ſeiner
größten Entfernung nur nahe 4 Sec. Die Beobachter auf der
Sonne aber, wenn dieſe in der That exiſtiren, und wenn ſie vor
dem blendenden Lichte der Sonne die Planeten noch ſehen können,
würden ihn in ſeiner mittleren Entfernung unter dem Winkel von
etwa 15 Sec., alſo nahe eben ſo groß ſehen, als ihnen die an ſich
ſo viel größere, aber auch weiter entferntere Erde erſcheint. Da-
gegen ſehen die Beobachter auf der Oberfläche Merkurs die ihnen
[54]Merkur.
ſo nahe Sonne unter einem ſcheinbaren Durchmeſſer von 4980 Sec.,
oder nahe 2½ mal ſo groß, als wir von der Erde den Sonnen-
durchmeſſer ſehen, und die Oberfläche der ganzen Sonnenſcheibe
ſehen ſie nahe ſiebenmal größer als wir.


§. 42. (Temperatur und Beleuchtung auf Merkur.) Dieſe
Nähe der Sonne muß auch auf die Temperatur Merkurs einen
bedeutenden Einfluß haben. Die Beleuchtung, welche dieſer Planet
von der Sonne erhält, oder die Helligkeit ſeiner Tage iſt nahe
ſiebenmal größer, als bei uns, und in demſelben Verhältniſſe
mag auch die Temperatur oder die Intenſität der Wärme ſeyn,
welche die Oberfläche Merkurs und der Erde von der Sonne er-
halten. Eine ſolche Helligkeit des Tageslichtes würde unſere
Augen blenden, und eine ſiebenmal höhere Temperatur würde dem
Leben aller unſerer Thiere und Pflanzen ſehr ſchnell ein Ende
machen. Welche von uns völlig verſchiedene, welche ganz anders
organiſirte Weſen mögen daher dieſe Planeten bewohnen, und wie
vielmehr noch mögen ſie von den Bewohnern des Uranus, des
entfernteſten aller Planete, verſchieden ſeyn, auf deſſen Oberfläche
die Intenſität der Beleuchtung ſowohl, als die der Erwärmung
nicht weniger als 330 mal kleiner iſt, als auf der Erde, alſo über
2300 mal kleiner als auf der Oberfläche Merkurs. Wenn daher
unſere Metalle auf der Oberfläche Merkurs wegen der großen dort
herrſchenden Hitze in beſtändigen Flüſſen ſind, wie unſer Queck-
ſilber, ſo würden auf jenen des Uranus nicht nur alle unſere,
ſelbſt unſere geiſtigen Flüſſigkeiten, ſondern vielleicht ſelbſt die Luft
zu einem feſten Körper erſtarren, und beide Extreme würden für
Organiſationen unſerer Art gleich unerträglich und zerſtörend ſeyn.


§. 43. (Sichtbarkeit Merkurs.) Man erkennt dieſen Planeten
an ſeiner hellweißen Farbe und an ſeinem intenſiven Lichte, das,
durch gute Fernröhre beſehen, die A gen blendet, daher man, in
ſehr lichtſtarken Teleſcopen, ſchwach gefärbte, ſogenannte Dampf-
gläſer vor das Ocular ſtellen muß, wie bei der Sonne, um ſeine
Begränzung ſchärfer zu ſehen. Gewöhnlich iſt er mit freien Augen
ſchwer zu finden, da er ſich immer in der Nähe der Sonne auf-
hält, von deren Lichte er gleichſam verdunkelt oder verdrängt wird.
In der That entfernt er ſich nie weit von der Sonne, und iſt
[55]Merkur.
daher nur, wenn er ihr weſtlich ſteht, Morgens kurz vor Sonnen-
aufgang am öſtlichen Himmel, und wenn er ihr öſtlich ſteht,
Abends bald nach Sonnenuntergang am weſtlichen Himmel einige
Zeit durch ſichtbar, wo man ihn daher immer in dem Dämmer-
lichte der Sonne und nahe am Horizonte ſuchen muß. Man
möchte beinahe glauben, daß die alten Griechen viel beſſere Augen,
als wir gehabt haben, da ſie dieſen Planeten nicht nur ſo oft
ſehen, ſondern ihn ſogar fortgeſetzt beobachten, und aus dieſen
Beobachtungen die Theorie ſeiner Bewegung ableiten konnten.
Zwar ſind die Tafeln deſſelben, wie ſie uns Ptolemäus überliefert
hat, die unvollkommenſten von allen ſeinen Planetentafeln, und
der Fehler derſelben geht, wenn man ſie mit unſern neuern Tafeln
vergleicht, bis auf ſieben volle Grade. Aber auch in dieſem Zu-
ſtande noch können ſie als ein Beweis des Fleißes jener Aſtro-
nomen betrachtet werden, die noch keine Fernröhre zu ihrem Gebothe
hatten, und gewiß nicht ohne lang fortgeſetzte Beobachtungen
auch nur die Bewegung dieſes Geſtirns erkennen konnten. Coper-
nikus ſoll es noch auf ſeinem Sterbebette betrauert haben, daß er
in ſeinem ganzen Leben den Merkur auch nicht ein einziges mal
geſehen hatte, ſo viel er ſich auch darum bemühte. Möſtlin, der
Lehrer des großen Kepler, ſagte oft ſcherzend, daß dieſer Planet
nur da zu ſeyn ſcheine, um die Aſtronomen in ein ſchlechtes Licht
zu ſtellen, und Riccioli hielt den himmliſchen Merkur für eben ſo
unergründlich für die Aſtronomen, als den irdiſchen (das Queck-
ſilber) für die Chemiker und Alchimiſten. Seit indeß die Fern-
röhre entdeckt, und in unſern Tagen auf einen ſo hohen Grad
der Vollkommenheit gebracht worden ſind, hat man weiter keine
Schwierigkeit, ihn ſelbſt um Mittag, und in einer ſehr geringen
Entfernung von der Sonne zu ſehen. Oefters ſoll es ſich jedoch
ereignen, daß man ihn auch mit dieſen Hülfsmitteln zu einer Zeit,
wo man ihn ſeiner Stellung gegen Erde und Sonne wegen, am
beſten ſehen ſollte, nur mit Mühe erkennen kann, und man glaubt
dieſe Sonderbarkeit dadurch zu erklären, daß einzelne Theile ſeiner
Oberfläche das Licht der Sonne weniger gut reflectiren, als andere.


§. 44. (Größtes Licht Merkurs.) Wir haben bereits oben
(I. §. 94) den ſcheinbaren Lauf dieſes Planeten um die Sonne
[56]Merkur.
umſtändlich angegeben und geſagt, daß er ſich von derſelben im
Mittel nur um 23 Grade öſtlich oder weſtlich entfernt. Allein
wenn er zu dieſer Zeit zugleich in ſeinem Aphelium iſt, ſo kann
dieſe Entfernung von der Sonne, wegen der großen Excentricität
ſeiner Bahn, bis auf 29 Grade ſteigen. Man nennt dieß ſeine
größte Elongation und zu dieſer Zeit, ſollte man glauben, müßte
man ihn am leichteſten und beſten ſehen, weil er da von dem viel
ſtärkern Lichte der Sonne am meiſten entfernt iſt, und auch bei
Auf- oder Untergang der Sonne noch am höchſten über dem
Horizonte ſteht. Allein zur Zeit der größten Elongation iſt er
auch noch zu ſehr von der Erde entfernt und wendet uns einen zu
kleinen Theil ſeiner von der Sonne beleuchteten Hemiſphäre zu,
um hier in ſeinem größten Lichte zu glänzen. Dieſe Verhältniſſe
ſind im Gegentheile am günſtigſten, wenn er etwas näher bei
ſeiner untern Conjunction mit der Sonne und nahe 15 oder 18
Grade von derſelben entfernt iſt.


§. 45. (Phaſen Merkurs.) Es iſt bereits geſagt worden, daß
dieſer Planet uns ähnliche Lichtabwechslungen, wie der Mond,
zeigt, was offenbar von ſeiner Stellung gegen Sonne und Erde
kömmt. Die bloße Anſicht der Fig. 4 wird hinreichen, dieſe
Phaſen Merkurs mit allen ihren Eigenheiten zu erklären. In
ſeiner obern Conjunction (i) iſt er am weiteſten von der
Erde T entfernt, erſcheint uns alſo auch am kleinſten. Da aber
hier die von der Sonne S beleuchtete Hemiſphäre ganz der Erde
zugewendet iſt, ſo hat er die Geſtalt einer ganzen kreisrunden,
lichten Scheibe, wie der Mond zur Zeit ſeines Vollichtes. In
ſeinem erſten Viertel (2) zeigt er uns nur mehr die eine Hälfte
ſeiner beleuchteten Hemiſphäre auf ſeiner Weſtſeite. Wenn er in
ſeiner Bahn noch weiter fortrückt, und nach (3) in ſeine untere
Conjunction kömmt, ſo ſteht er der Erde am nächſten, und
müßte ihr daher am größten erſcheinen. Allein da er hier ſeine
beleuchtete Seite ganz von der Erde wegwendet, ſo ſehen wir ihn
gar nicht. Bisher war Merkur Abendſtern, oder man ſah ihn nur
nach Sonnenuntergang im Weſten an der öſtlichen Seite der
Sonne; allein ſo wie er über (3) hinaustritt, wird er Morgen-
ſtern und erſcheint vor Aufgang der Sonne im Oſten auf der
[57]Merkur.
weſtlichen Seite der Sonne. Anfangs, wo er der Sonne noch
ſehr nahe erſcheint, ſieht man ihn nur wie einen feinen Silber-
faden, wie den Mond in den erſten Tagen nach dem Neulichte,
und ſeine öſtliche Seite wird immer mehr beleuchtet, bis er in
(4), in ſeinem letzten Viertel, uns die Hälfte ſeiner lichten He-
miſphäre, und endlich in (1) wieder die ganze beleuchtete Scheibe
zuwendet. (Vergl. I. §. 94 — 112). Alle dieſe Erſcheinungen
ſind den Beobachtungen vollkommen gemäß, und es iſt bereits
oben (I. Cap. VIII.) geſagt worden, daß man dieſe Phaſen als
einen der treffendſten Beweiſe des Copernicaniſchen Planeten-
ſyſtems anſehen kann. Zwar hat man eben dieſe Abweſenheit
derſelben (da man, ſelbſt bei der Venus, dieſe Phaſen ohne Fern-
röhre, die damals noch unbekannt waren, nicht ſehen kann) als
einen Beweis gegen dieß Syſtem brauchen wollen, aber nichts
beweiſt mehr die Sicherheit und die innige Ueberzeugung von der
einmal erkannten Wahrheit, als daß Copernicus ſich durch dieſen
damals allerdings ſehr gewichtvollen Einwurf nicht hindern ließ,
und daß er kühn behauptete, daß dieſe Phaſen ganz gewiß exiſtiren,
und daß wir ſie nur nicht ſehen können, weil unſere Augen dazu
zu ſchwach ſind. Und in der That, kaum war das Fernrohr er-
funden, als auch Galilei ſchon dieſe Phaſen, wenigſtens bei der
Venus, wo ſie viel leichter zu ſehen ſind, entdeckt hatte. Die
Geſchichte der Wiſſenſchaften enthält vielleicht nur noch einen
einzigen analogen Fall eines ähnlichen beharrlichen Feſthaltens
an der einmal entdeckten Wahrheit. Als Hutton ſeine Theorie
von der Conſolidation der Felſen durch Anwendung der Hitze in
einer großen Tiefe unter dem Spiegel des Meeres vortrug, und
dieſe beſonders auf den einſt flüſſigen Marmor anwendete, wurde
ihm entgegnet, daß wenigſtens bei dieſer und überhaupt bei allen
kalkigen Steinarten eine ſolche Urſache der Conſolidation nicht zu-
gelaſſen werden könne, weil die Hitze die Subſtanz derſelben auf-
löſt und ſie in Kalk verwandelt, indem ſie die Kohlenſäure aus
dem Steine treibt und nichts als eine Maſſe zurückläßt, die nicht
weiter flüſſig gemacht und nicht einmal durch Hitze verändert
werden kann; allein Hutton antwortete darauf, daß der große
Druck, unter welchem die Hitze auf dieſe Steinart angebracht
[58]Merkur.
worden iſt, die Trennung der Kohlenſäure hindern muß, und daß
daher bei dem Zurückbleiben derſelben die Flüſſigkeit des Kalk-
ſteines gar wohl möglich ſeyn kann. Und ſchon die nächſte Ge-
neration ſah die Beſtätigung dieſer eben ſo glücklichen, als kühnen
Vorausſage. Was Hutton bloß als Meinung, aber als eine auf
Verſtand und Erfahrung gegründete Meinung, vorgetragen hatte,
wurde bald darauf eine Thatſache, die jeder ſehen, die Niemand
mehr bezweifeln kann. James Hall ſchmilzt jetzt den Marmor,
wie wir Wachs, wie wir alle Metalle ſchmelzen, und zwar bloß
durch Zurückhaltung der Kohlenſäure unter einem heftigen Drucke.


§. 46. (Atmoſphäre Merkurs.) Um wieder zu den Phaſen
Merkurs zurückzukehren, ſo muß noch bemerkt werden, daß man
ſie zwar in unſern beſten Fernröhren ſehr deutlich und unbezweifelt
als ſolche erkennt, daß aber doch die Grenzen derſelben, dort wo
ſie die dunkle Seite des Planeten berühren, immer unbeſtimmt
und gleichſam verwaſchen ſind. Man hat die Urſache davon zuerſt
darin geſucht, daß Merkur immer dem Lichte der Sonne zu nahe
und von uns nur in kleinen Höhen über dem Horizonte geſehen
wird, wo unſere Luft noch zu dicht und mit fremdartigen Dünſten
gemiſcht iſt. Allein Schröter erkannte bald, daß der wahre Grund
dieſer Erſcheinung nicht in unſerer, ſondern vielmehr in der At-
moſphäre Merkurs zu ſuchen iſt. Er hatte nämlich öfter einzelne
Gegenden der Oberfläche dieſes Planeten ſich plötzlich aufhellen
und nach einiger Zeit wieder verdunkeln ſehen, und er ſchloß
daraus, daß dieß Wolken ſind, die über dieſen Planeten hin und
wieder ziehen. Da ſich nun Wolken ohne ihren Träger, die
Atmoſphäre, nicht denken laſſen, ſo war dadurch auch die Exiſtenz
der Atmoſphäre Merkurs nachgewieſen. Da aber eine ſolche,
ihrer Natur nach, in den untern, dem Planeten nähern Schichten,
immer dichter ſeyn muß, und da die Lichtgrenze jener Phaſen
diejenigen Gegenden des Planeten bezeichnet, für welche die Sonne
eben auf- oder untergeht, ſo war daraus jene Unbeſtimmtheit
der Lichtgrenze auf eine eben ſo leichte als genügende Weiſe zu
erklären.


§. 47. (Rotation Merkurs.) Eigentliche Flecken, wie bei der
Sonne, konnte Schröter auf der Oberfläche Merkurs nicht finden,
[59]Merkur.
weil vielleicht das Licht der Sonne ſie uns zu ſehen hindert. So-
nach wäre es alſo auch unmöglich geweſen, über die Rotation
dieſes Planeten um ſeine Axe irgend etwas feſtzuſetzen, allein die
eben erwähnte Beobachtung der nur unbeſtimmt begrenzten Phaſen,
die Schröter ſehr lange fortſetzte, gab ihm Gelegenheit, in ihnen
ſelbſt ein Mittel zu finden, die Rotation des Planeten zu erkennen.
Er fand nämlich, daß die eine Spitze des ſogenannten Horns des
beleuchteten Theils ſeiner Geſtalt, ſich nach einer regelmäßigen Periode
ändere, was wahrſcheinlich von großen Gebirgen in der Nähe des
einen Poles verurſacht wird, und indem er dieſe Periode genau
zu beſtimmen ſuchte, fand er, daß ſich Merkur in der That um
ſeine Axe drehe, und zwar ſehr nahe in derſelben Zeit, in welcher
auch die Erde ſich um ſich ſelbſt bewegt, ſo daß alſo die Tage
Merkurs mit den unſern nahe von gleicher Dauer ſind.


§. 48. (Jahreszeiten auf Merkur.) Wenn aber auch die
Tageszeiten auf dieſen beiden Planeten nur wenig verſchieden ſind,
ſo ſind es dafür die Jahreszeiten deſto mehr. Zwar nicht an
ihrer Intenſität oder in ihrem gegenſeitigen Verhältniſſe, denn
dieſe hängt, wie wir oben (I. Cap. VII.) geſehen haben, von der
Neigung der Bahn des Planeten gegen ſeinen Aequator oder von
der ſogenannten Schiefe der Ecliptik ab (I. §. 85.) und dieſe iſt
bei Merkur, wo ſie 20 Gr. beträgt, nur wenig von dem bei uns
verſchieden, wo ſie gleich 23 Gr. 28 Min. iſt. Allein die Schnel-
ligkeit des Wechſels dieſer Jahreszeiten iſt dort viel größer, als
hier, dort, wo jede der vier Jahreszeiten nur drei Wochen, oder
näher 22 Tage dauert, während ſie bei uns 91 Tage, alſo mehr
als viermal ſo lange währt. Dieſer ſchnelle Wechſel der Tem-
peratur wird vielleicht auf der Oberfläche Merkurs eine Art von
immerwährendem Frühlingswetter hervorbringen, wenn nicht die
Zeit der Anweſenheit der Sonne bei Tag wegen ihrer großen Nähe
eine zu ſtarke Hitze erzeugt, die von der darauf folgenden Nacht
nicht wieder abgekühlt werden kann. Wenn man bedenkt, welche
wichtige Rolle das Licht ſchon auf unſerer Erde ſpielt, ſo darf
man auch vorausſetzen, daß die Sonne auf dem von ihr vorzüglich
begünſtigten Planeten nicht nur mit ſtärkeren Farben malt, ſondern
auch mit größerer Kraft in ſein Inneres dringt, und daß ſchon
[60]Merkur.
aus dieſem Grunde die Pflanzen und Thiere, welche dieſen Pla-
neten bedecken, von denen unſerer Erde ungemein verſchieden ſeyn
werden.


§. 49. (Hohe Berge auf Merkur.) Noch mag bemerkt wer-
den, daß Schröter auf dem Merkur ſehr hohe Berge entdeckte,
die ſich in Zügen von 40 und 60 Meilen Länge hinziehen. Die
größten derſelben ſollen eine Höhe von 58,000 Fuß, alſo mehr als
die doppelte Höhe der größten Berge der Erde haben. Die
meiſten und höchſten dieſer Berge findet man bei dieſem ſowohl
als auch bei allen andern Planeten, auf der ſüdlichen Hemiſphäre.
Es iſt möglich, daß ſie zur Milderung der hohen Temperatur,
die auf der Oberfläche Merkurs herrſchen mag, nicht wenig bei-
tragen.


§. 50. (Vorübergänge Merkurs vor der Sonnenſcheibe.) Wenn
dieſer Planet zur Zeit ſeiner untern Conjunction [in (3) der
Fig. 4] nahe bei der Ecliptik, alſo auch nahe bei ſeiner Knoten-
linie (ſ. Bd. I.) iſt, ſo ſieht man ihn als einen kleinen, runden,
ſchwarzen Flecken vor der Sonnenſcheibe vorübergehen. Man
nennt dieß einen Durchgang des Planeten. Der ſcheinbare
Durchmeſſer deſſelben wird dann von der Erde unter dem Winkel
von 12 Sec. geſehen. Bei der gegenwärtigen Lage ſeiner Knoten
können dieſe Durchgänge nur in den beiden Monaten May und
November ſtatt haben. Kepler kündigte der erſte aus den von ihm
ſelbſt entworfenen Tafeln dieſes Planeten einen ſolchen Durchgang
für das Jahr 1631 an, den auch Gaſſendi am 7. Nov. dieſes
Jahrs in Paris beobachtete. Seit dieſer Epoche ſind viele ſolche
Durchgänge geſehen worden. Sie kommen gewöhnlich in Perioden
von 13, genauer von 26 oder auch 46 Jahren wieder und dienen
den Aſtronomen zur Correction der Elemente (ſ. Bd. I.) dieſes
Planeten, oder zur Verbeſſerung ſeiner Tafeln. Das folgende
Verzeichniß gibt die nächſtfolgenden ſichtbaren Durchgänge dieſes
Planeten. Die zweite Columne enthält die mitt. Par. Zeit der
Conjunction oder den Augenblick, in welchem der Mittelpunkt der
Sonne und des Planeten von der Erde geſehen, dieſelbe Länge
haben; die dritte gibt die Zeit der Mitte des Durchganges, die
[61]Merkur.
vierte die halbe Dauer deſſelben und die fünſte die kürzeſte Diſtanz
der beiden Mittelpunkte der Sonne und des Mercurs.

[62]

KapitelIII.
Venus.


§. 51. (Namen und Zeichen dieſes Planeten.) Obſchon jeder
Planet, wie wir bald ſehen werden, in Beziehung auf die Erde
ſein Eigenthümliches hat, ſo zeichnet ſich doch keiner durch ſo viele
beſondere Eigenſchaften aus, als Venus. Er iſt der hellſte und
ſchönſte unter allen Planeten; er kömmt der Erde am nächſten;
ſeine von der Erde geſehene Geſchwindigkeit iſt die größte; er war
wahrſcheinlich der erſte, deſſen ſchnelle Bewegung uns zeigte, daß
es außer den fixen Geſtirnen des Himmels noch andere, daß es
eigentliche Planeten gebe, und er iſt auch derjenige, der uns zuerſt
die wahre Entfernung der Sonne von der Erde, und dadurch den
Maaßſtab kennen gelehrt hat, mit welchem wir nun alle Räume
unſeres Sonnenſyſtems ausmeſſen.


Man erkennt ihn ſehr leicht an ſeinem blendend weißen und
intenſiven Lichte, wodurch er uns in günſtigen Umſtänden ſogar
bei Tage ſichtbar wird. In der That iſt er, nebſt dem Monde,
der einzige Himmelskörper, den man ohne Fernröhre mit der
Sonne zugleich ſehen kann, und, obſchon man ihn immer nur,
wie Merkur, in der Nähe der Sonne, alſo nur in den Strahlen
der Morgen- oder Abenddämmerung erblickt, ſo iſt doch ſein Licht
ſo ſtark, daß er, unter günſtigen Verhältniſſen, vor dem Aufgange
oder nach dem Untergange der Sonne einen erkennbaren Schatten
[63]Venus.
wirft. Aus derſelben Urſache iſt er durch lichtſtarke Fernröhre
nur ſchwer gut zu ſehen, weil ſein belles Licht das Auge blendet
und jede kleine Unvollkommenheit des Fernrohrs vergrößert, viel-
leicht auch, weil er mit einer ſehr dichten Atmoſphäre umgeben
iſt, die ſeinen Rand ſowohl als auch die Grenzen ſeiner Phaſen
undeutlich macht.


Durch die Helligkeit ſeines Lichtes fiel er ſchon den Alten auf.
Er iſt der einzige unter den Planeten, der in den älteſten der auf
uns gekommenen Gedichte erwähnt wird. Homer nennt ihn
(Iliad. XXII. 318) den Schönſten, καλλιςοϛ:
„Hell wie der Stern vorſtrahlt in dämmernder Stunde des Melkens,
„Hesperus, der der Schönſte erſcheint von den Sternen des Himmels.“


Dieſe Benennung „Hesperus oder Vesperugo (Abendſtern)“
erhielt er, weil man ihn wahrſcheinlich zuerſt als einen Wandel-
ſtern zu der Zeit erkannte, wann er in den Abendſtunden am
weſtlichen Himmel ſichtbar wurde. Einen ähnlichen hellen Stern
bemerkte man bald auch in den Morgenſtunden an der Oſtſeite
des Himmels, daher man dieſen Phosphorus, Lichtbringer oder
Morgenſtern nannte. Es war vielleicht keine kleine Aufmerkſamkeit
nöthig, zu erkennen, daß beide Sterne nur einer und derſelbe ſind.
Man ſagt, daß Pythagoras die Identität dieſer beiden Geſtirne
zuerſt erkannt habe. Uebrigens haben wir ſchon bemerkt, daß
Merkur dieſelben Anſprüche auf eine ſolche Doppelbenennung hat,
da beide Planeten als Abendſterne erſcheinen, wenn ſie in (2)
(Fig. 4) auf der Oſtſeite der Sonne, und als Morgenſterne,
wenn ſie in (4) auf der Weſtſeite der Sonne ſtehen. Doch zog
Venus, durch ihren hellern Glanz, die Aufmerkſamkeit der Men-
ſchen beſonders auf ſich, und die Dichter der Griechen und Römer
ſind voll von dem Lobe ihrer Schönheit.


Qualis ubi oceani perfusus lucifer undâ,
Quem Venus ante alios astrorum diligit ignes,
Extulit os sacrum coelo tenebrasque resolvit.
Aen. VIII. 589.
()

Die neueren Dichter ſcheinen mit dem geſtirnten Himmel we-
niger bekannt zu ſeyn, da ſie beinahe nur von Wein und Liebe
[64]Venus.
ſingen, doch iſt dieſer Planet ſelbſt für ſie noch zu auffallend, um
ihn ganz aus ihrem Gebiete auszuſchließen:


Friend to mankind, she glitters from afar,
Now the bright ev’ning, now the morning star.

(Baker.)

Dieſelben Alten haben den Planeten auch verſchiedene Zeichen
gegeben, deren Bedeutung jetzt nicht immer ſehr leicht zu entziffern
ſeyn möchte. In ſpätern Zeiten hat man dieſe Zeichen mit der
Mineralogie und ſelbſt mit der Alchymie in Verbindung gebracht,
wo ſich dann die Aſtrologen derſelben bemächtigten, und viel un-
ſinnige Dinge darüber zu ſchwätzen wußten. Auf dieſe Weiſe
wurde der Planet Merkur, wie bereits geſagt, mit dem Queck-
ſilber gepaart, die beide, jener in der Aſtronomie, und dieſer in
der Mineralogie, das Zeichen ☿ erhielten, wodurch der Stab vor-
geſtellt werden ſollte, mit welchem der Gott Merkur die Geiſter
der abgeſchiedenen Menſchen der Unterwelt zuführt. Venus
erhielt das Zeichen ♀ eines Spiegels mit einer Handhabe, des
nothwendigſten Attributs einer Göttin der Schönheit. In der
Mineralogie wird dadurch das Kupfer bezeichnet, und wahrſcheinlich
wurden auch die erſten Spiegel der Alten aus dieſem Metalle ver-
fertigt. Mars, der Gott des Krieges, erhielt das Symbol ♂ des
Pfeiles mit dem Schilde, das zugleich das Eiſen, das dem Krieger
unentbehrlichſte Metall, bezeichnet. Jupiter wurde durch ♃ an-
gedeutet, welche Figur in der älteſten Schreibart der erſte Buch-
ſtabe des griechiſchen Wortes Ζευϛ gehabt haben ſoll. Welchen
Zuſammenhang der Gott der Götter mit dem Zinne haben ſoll,
mögen die Mineralogen entſcheiden. Saturn erhielt das Zeichen
♄, einer Sichel oder Senſe, da dieſer Gott die alles abmähende
Zeit vorſtellen ſollte. Das Bley mag daſſelbe Zeichen erhalten
haben, weil die blaſſe Farbe dieſes Planeten einige, obwohl nur
ſehr entfernte Aehnlichkeit mit der Farbe dieſes Metalles hat.
Das Zeichen der Erde ♁ endlich, eine Kugel mit einem darüber
ſtehenden Kreuze, bezieht ſich auf die Erlöſungsgeſchichte, und das
des Uranus ♅ auf gar nichts. Von den vier neuen Planeten
iſt die Sichel ⚳ das Symbol der fruchtbringenden Ceres; die
[65]Venus.
Lanze ⚴ das der kriegeriſchen Pallas; das Zepter ♀ das der
königlichen Juno, und endlich der Altar ⚶, das Emblem der
Veſta, welcher die Alten ein immerwährendes Feuer unterhielten.


§. 52. (Andere, ältere aſtronomiſche Benennungen der Stern-
bilder.) Ohne Zweifel hatten auch die übrigen in der Aſtronomie
eingeführten Zeichen einen nähern Zuſammenhang mit den Ver-
hältniſſen und den Zeiten, unter welchen ſie erfunden worden ſind.
So ſcheint z. B. von den Zeichen des Thierkreiſes der Widder ♈
die Hörner, der Stier ♉ den Vorderkopf dieſes Thieres, der
Waſſermann ♒ die wellenſchlagende Bewegung des Waſſers u. f.
anzudeuten. Manche andere mögen mit der Zeit entſtellt und
gänzlich unkenntlich geworden ſeyn. Es ſcheint, daß dieſe Zeichen
und Benennungen der Sternbilder des Thierkreiſes dem graueſten
Alterthume angehören, und daß wir vielleicht kein älteres Mo-
nument beſitzen, als eben ſie. Man hat darüber Unterſuchungen
und Vermuthungen aufgeſtellt, und ganze Bibliotheken geſchrie-
ben, ohne eben dadurch den Gegenſtand aufzuklären. Dupuis,
Bailly u. a. wollten ſie mit religiöſen Inſtitutionen der alten
Völker und mit der Culturgeſchichte derſelben in Verbindung
bringen, das Alter der Erde daraus ableiten, und was dergleichen
Bemühungen mehr ſind, die alle ohne Erfolg blieben, und wahr-
ſcheinlich auch ferner bleiben werden, da dieſe Denkmäler der Vor-
zeit ſelbſt zu unbeſtimmt ſind, um nur einigermaßen ſichere
Schlüſſe darauf zu bauen. Einige derſelben ſcheinen ſich in der
That auf den Zuſtand des Himmels zu der Zeit, wo ſie erfunden
wurden, zu beziehen. So meint ſelbſt Laplace, daß der Krebs
und der Steinbock das Rückgehen der Sonne zur Zeit ihrer
Solſtitien (ſ. Bd. I.), ſo wie die Waage die Gleichheit der Tage
und Nächte zur Zeit der Aequinoctien angezeigt haben könnten. Der
Steinbock aber, der jetzt den tiefſten Punkt der Ecliptik einnimmt,
wurde wahrſcheinlich auf den höchſten Punkt derſelben geſtellt,
weil man dieſes Thier nicht in den Schluchten, ſondern immer
nur auf den höchſten Gipfeln der Felſen findet. Wenn aber dieſe
Vermuthung des Laplace richtig iſt, ſo muß dieß zu einer Zeit
geſchehen ſeyn, die wenigſtens 15,000 Jahre vor die unſere fällt,
wie man durch die oben (I. §. 190. 194) erklärte Präceſſion der
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 5
[66]Venus.
Nachtgleichen leicht finden kann. Zu dieſer Epoche fiel dann auch
das Sternbild der Waage, die jetzt in der Nähe des Herbſtpunktes
iſt, in das Frühlingsaequinoctium und beinahe alle übrigen Zeichen
des Thierkreiſes erhalten dann eine auffallende Beziehung zu dem
Clima und der Agricultur des alten Aegyptens, in welchem Lande
dieſe Zeichen und Benennungen erfunden ſeyn ſollen. Ohne dieſer
Anſicht widerſprechen zu wollen, da man ſie eben ſo wenig be-
weiſen als widerlegen kann, bemerken wir nur, daß unſere nur
etwas verläßliche Menſchengeſchichte nicht älter als vier Jahr-
tauſende angenommen werden kann, da alles, was jenſeits dieſer
Epoche geſchehen ſeyn mag, für uns nichts als Mythe und
undurchdringliche Dunkelheit iſt.


§. 53. (Entfernung und Umlaufszeit der Venus.) Venus iſt
im Mittel 0,723 Halbmeſſer der Erdbahn oder 15 Millionen
Meilen von der Sonne entfernt. Die Excentricität ihrer Bahn
iſt die kleinſte, oder dieſe Bahn iſt die kreisförmigſte von allen,
daher ſie auch beinahe immer in derſelben Entfernung von der
Sonne bleibt, während im Gegentheile die Diſtanzen Merkurs
von der Sonne über zwei Millionen Meilen von einander ver-
ſchieden ſeyn können. Deſto mehr ſind dafür die Entfernungen der
Venus von der Erde unter einander verſchieden. In der untern
Conjunction [(3) Fig. 4], wo ſie der Erde am nächſten iſt, beträgt
dieſe Diſtanz nur fünf Mill. Meilen, in der obern Conjunction (1)
aber, oder in ihrer größten Diſtanz, iſt ſie ſiebenmal weiter, oder
35 Millionen Meilen von der Erde entfernt. Aus dieſer Urſache
iſt auch ihre ſcheinbare Größe ſo ſehr verſchieden. In der untern
Conjunction erſcheint uns ihr Durchmeſſer unter dem Winkel von
66 Secunden, alſo größer, als irgend ein anderer Planet, ſelbſt
Jupiter und den Ring Saturns nicht ausgenommen. In der
obern Conjunction aber, wo ſie ihre beleuchtete Hälfte ganz der
Erde zuwendet, iſt doch ihr Licht nur ſchwach und ihr Durchmeſſer
beträgt kaum 10 Secunden, ſo daß uns alſo Venus hier ſelbſt
kleiner als Merkur, nur halb ſo groß als Saturn, und fünfmal
kleiner als Jupiter erſcheint.


Der wahre Durchmeſſer dieſes Planeten aber beträgt 1680
Meilen, iſt alſo nur unbedeutend kleiner als der der Erde. Die
[67]Venus.
Oberfläche der Venus hat 8,376,000 Quadratmeilen, iſt daher
nahe gleich 9/10 der Oberfläche der Erde. Das Volum derſelben
endlich beträgt 2280 Millionen Kubikmeilen oder 8/10 des Volums
der Erde.


Die ſideriſche Umlaufszeit (I. §. 100) der Venus um die
Sonne beträgt 224,701 Tage, die tropiſche 224,595 und die ſyno-
diſche (I. § 124) endlich 583,921 Tage. Mit dieſer Bewegung
legt ſie in jeder Secunde einen Weg von 111,500 P. Fuß oder
von 4,9 d. Meilen zurück. Die Maſſe dieſes Planeten beträgt
9/10 der Erdmaſſe, und die Dichte dieſer Maſſe iſt nur unbedeutend
größer als die der Erde. Der Fall der Körper auf ihrer Ober-
fläche endlich beträgt in der erſten Secunde 15,87 Fuß, alſo nur
0,7 Fuß mehr, als bei uns.


Man ſieht aus allem Vorhergehenden, daß die Venus ein
unſerer Erde nahe verwandter Planet iſt, indem die bisher auf-
gezählten Eigenſchaften derſelben von denen unſerer Erde nur
wenig verſchieden ſind. Doch fehlt es auch nicht an Unähnlichkeiten,
wie wir bald näher ſehen werden.


§. 54. (Phaſen der Venus.) Es iſt für ſich klar, daß Venus
uns eben ſolche Lichtabwechslungen zeigen muß, wie Merkur, und
zwar noch viel auffallendere, weil ſie uns oft ſo viel näher iſt.
Die Figur 4 kann unverändert auf die Phaſen beider Planeten
angewendet werden, und was oben in dieſer Beziehung von Merkur
geſagt worden iſt, gilt ebenfalls für Venus. Die Phaſen des
letzten Planeten bemerkt man ſchon mit einem ſehr mittelmäßigen
Fernrohre, daher ſie auch Galilei gleich nach der Entdeckung dieſes
Inſtruments erkannte, und dadurch einen neuen, Jedermann ein-
leuchtenden Beweis für die Wahrheit des Copernicaniſchen Welt-
ſyſtems gab. (I. §. 113.)


§. 55. (Größte Sichtbarkeit der Venus.) Auch Venus entfernt
ſich nie ſtark von der Sonne, daher ſie nie ſehr weit von,
ſondern nur immer in der Nähe der Sonne geſehen werden
kann. In ihrer größten Digreſſion ſteht ſie nahe 48 Grade
von derſelben öſtlich oder weſtlich ab. Allein dieſer bedeutenden
Entfernung von dem Sonnenlichte ungeachtet leuchtet ſie doch
5 *
[68]Venus.
zur Zeit ihrer größten Digreſſion ſo wenig als Merkur in ih-
rem ſtärkſten Lichte, weil ſie hier noch zu weit von uns entfernt
iſt. Noch weniger iſt dieß der Fall zur Zeit der obern Conjunction,
wo ſie uns zwar ganz beleuchtet erſcheint, wie der Mond im Voll-
lichte, wo ſie aber auch zugleich am weiteſten von uns abſteht.
Der Ort ihrer Bahn, wo ſie uns in ihrem hellſten Lichte erſcheint,
ſo daß man ſie ſelbſt mit unbewaffnetem Auge am Mittag ſehen
kann, liegt zwiſchen ihrer untern Conjunction und ihrer größten
Digreſſion, näher bei der letzten, oder nahe in dem Abſtande
von 40 Graden von der Sonne oder von dem Orte ihrer untern
Conjunction. In derſelben Entfernung von der Sonne, aber auf
der andern oder obern Seite ihrer Bahn, iſt ihr Licht dreimal
ſchwächer, obſchon ſie uns hier einen viel größeren Theil ihrer
beleuchteten Hälfte zeigt, als dort, und ganz in der Nähe der
obern Conjunction ſelbſt leuchtet ſie noch weniger, obſchon ſie hier ganz
beleuchtet erſcheint. Je näher Venus ihrer untern Conjunction kömmt,
deſto kleiner, deſto ſichelförmiger wird die Phaſe, die uns noch
Licht von ihr zuſendet, deſto näher ſteht uns aber auch der Planet,
und deſto kräftiger kann ſein Licht auf uns wirken. Man ſieht,
daß es einen Punkt der Bahn geben muß, wo dieſe Wirkung des
Lichtes am größten iſt, und daß dieſer Punkt weder in die obere
Conjunction fallen kann, wo zwar Venus ganz beleuchtet, aber
auch am weiteſten von uns entfernt iſt, — noch auch in die untere
Conjunction, wo der Planet zwar am nächſten bei uns ſteht, wo
aber auch ſein Licht gänzlich verſchwindet, indem er hier nur ſeine
dunkle Hemiſphäre zur Erde wendet. Es iſt ein intereſſantes
Problem der Aſtronomie, dieſen Ort des ſtärkſten Lichtes der
Venus zu beſtimmen; die Auflöſung deſſelben iſt aber auch mit
großen Schwierigkeiten verbunden, wenn man dabei auf alle
Verhältniſſe gehörig Rückſicht nehmen will. Im Mittel erſcheint
dieſer Planet in ſeinem ſchönſten Lichte, wenn er 40 Grade öſtlich
oder weſtlich von der Sonne entfernt iſt, dann beträgt ſein ſchein-
barer Durchmeſſer, der in der untern Conjunction bis auf 66 Sec.
gehen kann, nur etwa 40 Sec., und die größte Breite ſeiner
beleuchteten Phaſe hat kaum 10 Sec., aber dieſe ſchmale Licht-
ſichel hat, wegen ihrer Nähe bei uns, ein ſo intenſives Licht, daß
[69]Venus.
ſie um Mittag mit freyen Augen geſehen werden, und daß ſie in der
Abweſenheit der Sonne Schatten werfen kann. In dieſem Falle fällt
der hellglänzende Stern ſelbſt dem gemeinen Manne auf, beſonders
wenn dieſe Zeit in die Abendſtunden des Sommers fällt, und von eines
günſtigen Witterung unterſtützt wird. Nach Lambert’s Berechnung
iſt dann das Licht der Venus nur 3000 mal ſchwächer, als das
des Vollmonds, und nahe gleich dem Schein einer Kerze in der
Entfernung von 230 Fuß. Als Venus am 21. Julius d. J. 1716
in dieſer Lage war, betrachtete der Pöbel von London dieſe Er-
ſcheinung als ein Wunder und als ein drohendes Vorzeichen
nahen Unglücks, und i. J. 1750 wurde der nicht minder unwiſſende
Pöbel von Paris durch dieſes Phänomen ſo aufgeregt, daß es
nöthig wurde, die Hilfe der Polizei aufzurufen, um dem Tumulte
Einhalt zu thun. Und doch ereignet ſich dieſelbe Sache wenigſtens
alle acht Jahre einmal in derſelben Jahreszeit und unter denſelben
Verhältniſſen.


Die dunkle Seite der Venus iſt, beſonders zu der Zeit wo
der beleuchtete Theil nur wie ein feiner Lichtfaden erſcheint, von
einem eigenen Lichtſchimmer beleuchtet, wie der Mond in den
erſten Tagen nach dem Neumonde (I. §. 165). Die Urſache dieſer
Erſcheinung iſt uns noch unbekannt, und iſt vielleicht in einem
eigenen phosphorescirenden Lichte zu ſuchen, das der Oberfläche
dieſes und wohl auch noch mehrerer anderer Planeten eigenthüm-
lich iſt.


§. 56. (Flecken und Atmoſphäre der Venus.) Caſſini und
Bianchini wollen auf der Venus Flecken, denen unſerer Sonne
ähnlich, gefunden haben; allein Schröter konnte, ſeiner ſorgfältigen
und lang fortgeſetzten Beobachtungen ungeachtet, keine dunklen
Flecken, ſondern nur zuweilen ſehr ſchwache und bald vorüber-
gehende Spuren von grauen, unſern Wolken ähnlichen Stellen
ſehen. Aber daß dieſer Planet mit einer Atmoſphäre, die der
unſern an Dichtigkeit und Höhe nahe gleich iſt, umgeben ſey, hat
Schröter durch dieſelben Beobachtungen außer Zweifel geſetzt.
Wenn nämlich unſere Erde keine Atmoſphäre hätte, ſo würden
wir auch keine Morgen- oder Abenddämmerung haben, und die
[70]Venus.
dunklen Schatten der Nacht würden, im Augenblicke des Unter-
gangs der Sonne, unmittelbar auf den hellen Tag folgen. Jetzt
aber ſendet die Sonne, auch wenn ſie ſchon unter den Horizont
gegangen iſt, ihre Strahlen noch auf die höher über der Erde
ſtehenden Luſtſchichten, von welchen ſie wieder zu uns zurück ge-
brochen werden (Vergl. I. §. 188). Es iſt klar, daß dieſe Däm-
merung im Allgemeinen deſto ſtärker ſeyn und deſto länger dauern
wird, je dichter und je höher die Atmoſphäre iſt. — Bei unſerm
Monde nun iſt, wie jeder ſogleich ſieht, der ihn durch ein Fernrohr
betrachtet, der helle Theil ſeiner Oberfläche von dem dunklen
ſcharf getrennt, oder das Licht des einen geht plötzlich und ohne
alle Abſtufung in die Finſterniß des anderen Theiles über, zum
Zeichen, daß er keine Dämmerung, alſo auch keine Atmoſphäre,
wenigſtens keine beträchtliche und uns merkbare Atmoſphäre haben
kann. Auch verſchwinden die Fixſterne, vor denen der Mond,
auf ſeinem Wege um die Erde, vorbeigeht, in einem beinahe
untheilbaren Augenblick, ohne zuerſt an Licht allmählig verloren
zu haben, und kommen eben ſo plötzlich auf der andern Seite
wieder hervor. Dieß könnte nicht ſeyn, wenn der Mond eine
Atmoſphäre hätte, die, ihrer Natur nach, in größerer Nähe bei
der Oberfläche dieſes Körpers auch dichter und weniger durchſich-
tiger ſeyn müßte. — Ganz anders verhält ſich dieß bei der Venus.
Das ſonſt blendend weiße Licht dieſes Planeten verliert gegen die
Nachtſeite hin immer mehr von ſeiner Helle, und geht, nahe bei
der Lichtgrenze ſelbſt, in eine mattgraue Farbe über, die ſich oft
weit über die Lichtgrenze hinaus in die Nachtſeite der Venus
hineinzieht. Dieß ſind die Gegenden, denen eben die Sonne
untergegangen iſt, oder für die ſie eben aufgehen will, und die
daher ihre Abend- oder Morgendämmerung haben. Aus der
Breite dieſes dämmernden Streifens hat Schröter den Schluß
gezogen, daß die Refraction (I. §. 186) an dem Horizonte der
Venus nahe einen halben Grad beträgt, nahe ſo wie die Refraction,
die wir auf unſerer Erde beobachten. Auch verſchwinden die
Fixſterne, vor welchen dieſer Planet vorbeigeht, nicht plötzlich an
ſeinem Rande, ſondern ſie werden vielmehr immer ſchwächer, je
näher ſie ſeinem Rande kommen, oder je tiefer ſie in die untern
[71]Venus.
und daher dichtern Schichten der Atmoſphäre dieſes Planeten ein-
treten. Dadurch wird nicht bloß die Exiſtenz der Atmoſphäre der
Venus, ſondern auch ihre Aehnlichkeit mit derjenigen der Erde
bewieſen, wenigſtens in Beziehung auf ihre Dichte und Höhe,
nicht aber in Rückſicht auf ihre andern Eigenſchaften, die vielleicht
mit denen unſerer Luft nichts gemein haben. So haben wir zwar
oben von Wolken geſprochen, die Schröter zuweilen über der
Oberfläche der Venus geſehen hat, allein dieſe grauen Flecken ſind
ſo matt und lichtſchwach, daß ſie mehr leichten Dünſten oder
Nebeln, als eigentlichen Wolken gleichen, und ſie gehören über-
dieß zu den ſehr ſeltenen Erſcheinungen. Die Bewohner dieſes
Planeten ſcheinen daher eine viel reinere Luft, einen viel heiterern
Himmel zu haben, als wir, und da es ihm an ſo ſtarken Aus-
dünſtungen fehlt, wie bei uns die Seen und Meere erzeugen, ſo
mag es dort wohl auch an ſolchen großen Waſſerbehältern fehlen
und überhaupt alles in dem Zuſtande der Trockenheit oder der
Kryſtalliſation ſeyn, den wir ebenfalls auf unſerm Monde
bemerken.


§. 57. (Berge auf der Venus.) Die ſo eben erwähnte Licht-
grenze der Venus iſt nicht nur, in Beziehung auf ihr Licht, all-
mählig an Helligkeit abnehmend, ſondern ſie iſt auch, ſo wie wir
dieß ſehr deutlich bei unſerm Monde bemerken, nicht regelmäßig
in ihrer Krümmung fortgehend, ſondern vielmehr häufig gebrochen
und gleichſam ausgezackt. Beſonders auffallend ſieht man dieß an
den beiden Enden der Lichtgrenze, an den ſogenannten Hörnern
derſelben, die bald viel zu tief in die dunkle Seite hineintreten,
bald wieder ſich zurückziehen, bald abgeſtumpft, bald wieder ſehr
zugeſpitzt erſcheinen. Dieß ſcheint auf hohe Berge und tiefe Thäler
zu deuten, durch welche der regelmäßige Zug der Lichtgrenze,
unterbrochen wird. Dieſe Vermuthung wird vollkommen beſtätigt
durch die vielen iſolirten, lichten Punkte, die man in der Nacht-
ſeite, oft in einer beträchtlichen Entfernung von der Lichtgrenze,
erblickt, und die nichts anders ſeyn können, als hohe Berge, deren
Gipfel von der untergehenden Sonne noch beſchienen werden, wenn
ihr Fuß bereits tief in die Schatten der Nacht herabgeſunken iſt.
Man ſieht leicht, daß eben dieſe Entfernung der Lichtpunkte von
[72]Venus.
der Schattengrenze ein Mittel gibt, die Höhe dieſer Berge zu
meſſen, da die Gipfel der höhern Berge offenbar früher vor dem
Aufgange, oder ſpäter nach dem Untergange der Sonne von ihr
beleuchtet ſeyn werden, als die kleineren. Schröter, der dieſen
Gegenſtand mit beſonderem Eifer verfolgte, fand, daß Venus über-
haupt ſehr gebirgig iſt, und daß viele dieſer Berge eine Höhe
haben, gegen welche die höchſten Berge unſerer Erde nur wie
Zwerge erſcheinen. Er fand Berge, die bis zu einer Höhe von
ſechs Meilen heranſteigen, und die daher ſechsmal höher ſind,
als der Chimboraſſo oder der Dhawalagiri. Auch hier, wie bei
andern Planeten, wie ſelbſt bei der Erde, findet man die größten
und höchſten Gebirge in der ſüdlichen Hemiſphäre, wovon wir die
Urſache noch nicht angeben können. Es iſt möglich, daß Süd und
Nord nicht bloß eine mathematiſche Unterſcheidung ſind, und daß
damit eine allgemeine, durch unſer ganzes Syſtem wirkende Kraft
im Zuſammenhange ſtehe, wie wir dieſe z. B. ſchon bei unſerm
Magnetismus bemerken.


§. 58. (Rotation der Venus.) So lange man dieſe Berge der
Venus nicht kannte, war es ſchwer, die Rotation derſelben zu
beſtimmen, da ſie, wie bereits geſagt, nur ſehr wenige, veränder-
liche und nicht ausgezeichnete Flecken hat. Dominic Caſſini, der
Stammvater jener aſtronomiſchen Familie, die bis in ihr viertes
Glied der Sternwarte in Paris vorſtand, hatte bei dieſer Beſtim-
mung über viele Hinderniſſe zu klagen, da ihm doch die Beob-
achtung der Rotation von Mars und Jupiter ſehr gut gelungen
war. Nur mit großer Mühe ſetzte er die Umdrehungszeit der
Venus auf 23,3 unſerer Stunden feſt. Bianchini aber, der eben-
falls mit für ſeine Zeit ſehr vorzüglichen Fernröhren verſehen war,
fand ſie etwa 60 Jahre ſpäter gleich 24,1 Stunden. Schröter
der dieſe Planeten über zwanzig Jahre mit Eifer beobachte-
te, fand mit Hülfe ſeiner 7- und 27füßigen Herſchel’ſchen
Teleſcope, dieſe Umdrehungszeit der Venus gleich 23 St. 21
Min., alſo nahe ſo, wie ſchon D. Caſſini im Jahre 1666. Schrö-
ter benutzte dazu beſonders die bereits oben erwähnten periodi-
ſchen Veränderungen ihrer Hörnerſpitzen. Man findet dieſe und
die übrigen Beobachtungen Schröters in ſeinen „Aphroditogra-
[73]Venus.
phiſchen Fragmenten, Helmſtädt 1746 und in Bodes Berl. Jahr-
büchern 1793, 1796 und 1803.


§. 59. (Tages- und Jahreszeiten auf der Venus.) Der Tag
der Venus iſt alſo in Beziehung auf ſeine Länge von dem unſe-
rer Erde nur unbedeutend verſchieden, ſo daß alſo auch die Ta-
geszeiten
auf beiden Planeten nahe dieſelben ſeyn werden. Al-
lein ganz anders müſſen ſich die Jahrszeiten verhalten, wenn
es anders gegründet iſt, daß die Axe, um welche Venus täg-
lich um ſich ſelbſt rotirt, gegen die Axe ihrer jährlichen Bahn um
die Sonne nahe um 72 Grade geneigt iſt, daß alſo das, was
man ihre Schiefe der Ecliptik nennen könnte, mehr als dreimal
größer iſt, als bei der Erde, wo ſie (I. §. 48.) nur 23° 28′ be-
trägt. Man wird ſich aus dem VII. Capitel des erſten Buches
erinnern, daß die Jahreszeiten durch dieſe Schiefe der Ecliptik
beſtimmt werden und wir haben bereits dort (I. §. 91.) die Fol-
gen aus einander geſetzt, welche eine viel größere Schiefe der Ec-
liptik auf die Temperatur und auf den Wechſel der Jahreszeiten
der Erde haben würde. Dieß läßt ſich nun unmittelbar auf die
Venus anwenden. Wenn der Aequator dieſes Planeten gegen die
Bahn deſſelben in der That um volle 72 Grade geneigt iſt, (was
aber noch einer genaueren Beſtätigung bedarf, da Schröter ſich
nie beſtimmt darüber ausgeſprochen hat), ſo würde die heiße Zo-
ne, deren Bewohner die Sonne noch in ihrem Scheitel ſehen kön-
nen, ſich in einer Breite von 144 Graden um dieſen Planeten
erſtrecken, während die Breite dieſes Gürtels auf der Erde nur
47 Grade beträgt. Nennt man aber kalte Zone diejenigen Theile
eines Planeten, für welchen die Sonne mehrere Tage im Jahre
nicht auf- oder nicht untergeht, ſo würde man von dieſer heißen
Zone die beiden äußeren Theile, deren jeder eine Breite von 54
Graden hätte, auch zugleich zur kalten Zone rechnen müſſen.
Man würde alſo in jeder Hemiſphäre eine heiße Zone haben,
die von dem Aequator bis zu dem 18ten Grade der nördlichen
oder ſüdlichen Breite geht, und in welcher die Sonne durch das
ganze Jahr täglich auf- und untergeht. Die kalte Zone aber
würde um jeden der beiden Pole herum liegen und ſich von ihnen
ebenfalls 18 Grade gegen den Aequator hin erſtrecken, und in
[74]Venus.
dieſer Zone würde man die Sonne nie im Scheitel ſehen. Die
gemäßigte Zone aber, die zwiſchen jenen beiden in der Mitte liegt
und eine Breite von 54 Graden hat, würde einen Theil des
Jahres hindurch die Sonne gar nicht ſehen, wie in der irdiſchen
kalten Zone, und einen andern Theil des Jahres würde ſie wieder
die Sonne in ihrem Zenithe haben, wie in unſerer heißen Zone,
ſo daß alſo die ſogenannte gemäßigte Zone der Venus aus der
heißen und kalten gleichſam zuſammengeſetzt ſeyn würde. Die
Folge davon wird ſeyn, daß die ganze Oberfläche der Venus, nur
die beiden kleinen kalten Zonen ausgenommen, die Sonnenſtrahlen
zuweilen in ſenkrechter Richtung erhalten wird. Die Bewohner
der Grenze der beiden kalten Zonen werden in ihrem Sommer
die Sonne im Mittage ſehr nahe bei ihrem Zenithe ſehen, ja
ſelbſt für die Bewohner der beiden Pole wird ſie ſich noch bis
auf eine Höhe von 72 Graden erheben, wie dieß bei uns für das
ſüdliche Spanien und Griechenland der Fall iſt. Dieſe Polar-
bewohner werden an ihren längſten Tagen, wo ihnen die Sonne
nicht untergeht, im Augenblicke der Mitternacht dieſe Sonne
noch in einer Höhe von 54 Graden, alſo in derſelben Höhe ſehen,
in welcher bei uns die Bewohner von Petersburg die Sonne im
Mittage ihres längſten Tages erblicken. Die von dem Aequator
über 18 Grade entfernten, noch in der heißen Zone liegenden
Länder werden einen Theil des Jahres durch von den ſenkrechten
Strahlen der Sonne verbrannt, und zu einer andern Zeit wieder
von Wochen langen Nächten abgekühlt und alles Sonnenlichtes
gänzlich beraubt werden. Die Bewohner dieſes Planeten werden
daher mit ſehr ſchroffen Abwechslungen ihrer Jahreszeiten zu
kämpfen haben, die übrigens dadurch einigermaßen gemildert
werden mögen, daß ſie, wegen der kurzen Umlaufszeit der Venus
um die Sonne, nur etwa halb ſo lange dauern, als die Jahres-
zeiten der Erde.


§. 60. (Anblick des Himmels von der Venus.) Wenn wir
uns durch dieſe Verhältniſſe etwas eingeengt fühlen müßten, ſo
würden wir uns, auf dieſen Planeten verſetzt, durch andere Genüſſe
vielleicht wieder entſchädigt finden, vorausgeſetzt, daß unſere Or-
ganiſation eine ſolche Veränderung unſeres Wohnortes ertragen
[75]Venus.
könnte. Welche Ausſicht würden wir z. B. von den Gipfeln der
ſechs Meilen hohen Berge der Venus genießen. Von Wien
würden wir mit einem Fernrohr bis Hamburg, Paris und Neapel
ſehen, und eine Kreisfläche der Erde von mehr als hundert Meilen
überſchauen können. Lange nach dem Untergange der Sonne
würden wir noch die Gipfel der benachbarten Gebirge von ihren
Strahlen vergoldet ſehen, und die Schönheit dieſes Schauſpiels
würde noch erhöht werden durch die reinere klarere Atmoſphäre, in
der wir beinahe keine matte Wolke erblicken, und in der trübe
oder regnige Tage zu den größten Seltenheiten gehören. Und
welchen Anblick mag bei dieſer ſtets heitern Luft der geſtirnte
Himmel gewähren, wo alle Sterne und Planeten in hellem Lichte
ſtrahlen, wo die Sonne in ihrer Oberfläche viermal größer, als
bei uns, erſcheint, und ein zweimal ſtärkeres Licht, als unſere
Mittagsſonne, verbreitet. Unſere Erde ſelbſt erſcheint den Be-
wohnern der Venus zur Zeit ihrer größten Nähe, in der untern
Conjunction, neunmal größer als uns die Venus, und in ganz
vollem Lichte, in einem neunmal ſtärkern Lichte, als Venus in
ihrem ſchönſten Glanze der Erde zuſendet.


§. 61. (Venusmond.) Man hat in frühern Zeiten von
einem Monde geſprochen, der die Venus auf ihrem Weg um die
Sonne begleiten ſoll. Fontana will ihn i. J. 1645, Dom. Caſſini
1672 und wieder 1686, und Schort in England i. J. 1740 geſehen
haben, auch Montaigne, Horrebow und Andere ſprechen von
ihren Beobachtungen dieſes Trabanten. Da man ihn aber ſeitdem
bei den beiden Durchgängen der Venus vor der Sonnenſcheibe,
in den Jahren 1761 und 1769, wo er doch beſonders ſichtbar ſeyn
ſollte, nicht geſehen wurde, und da überhaupt alle weitern Bemühungen
der Aſtronomen, ihn aufzufinden, fruchtlos geweſen ſind, ſo ſcheinen
die angeführten Wahrnehmungen auf einer optiſchen Täuſchung
zu beruhen. Das Licht der Venus iſt ſo ſtark, daß die polirten
Gläſer der Fernröhre zuweilen eine Spiegelung deſſelben verur-
ſachen können, wo man dann ein zweites ſchwächeres Bild des
Planeten erblickt, das man leicht für einen Satelliten deſſelben zu
halten veranlaßt werden kann. Auch Wargentin in Stockholm ſah
einmal bei dieſem Planeten eine ähnliche Erſcheinung, aber als er,
[76]Venus.
ſich vor Täuſchung zu ſichern, das Fernrohr um ſeine eigene Axe
drehte, bewegte ſich auch der vermeinte Mond mit um den
Planeten im Mittelpunkte des Fernrohrs, ganz eben ſo, wie ſich
ein Flecken auf dem Glaſe des Inſtruments gedreht haben würde.
Indeß war Lambert in Berlin von der Wahrheit jener Beobach-
tungen ſo überzeugt, daß er aus den Angaben jener Aſtronomen
die Elemente dieſes Venusmondes zu beſtimmen ſuchte (M. ſ.
Bodes aſtr. Jahrb. 1777). Er fand aus dieſen Elementen, daß
der Satellit, ſeiner großen Breite wegen, bei den Durchgängen
der Venus von 1761 und 1769 auf der Sonnenſcheibe nicht ſicht-
bar ſeyn konnte, daß er aber bei der damals nahe bevorſtehenden
Conjunction am 1. Junius 1777 ſich auf der Sonne projiciren
würde; allein die Aſtronomen haben ihn auch zu dieſer Zeit ver-
gebens geſucht, und man iſt jetzt der beinahe allgemeinen Meinung,
daß ein ſolcher Satellit der Venus nicht exiſtire *). Es ſcheint
[77]Venus.
mit ihm zu gehen, wie es mit den dreißig Satelliten der Sonne
gegangen iſt, die das Dictionnaire de Trévoux ankündigte, und
die bald darauf für bloße Sonnenflecken erkannt worden ſind,
*)
[78]Venus.
oder wie mit dem neuen Planeten, weit jenſeits des Uranus, der
ſeiner entſetzlichen Größe wegen Herkules genannt wurde. Man
hatte ihn nebſt den bereits an ihm angeſtellten Beobachtungen,
und ſelbſt mit den aus ihnen abgeleiteten Elementen der Bahn in
den öffentlichen Blättern angezeigt, und der neue, wunderbare
Himmelskörper war eben daran, die Aufmerkſamkeit nicht bloß
des großen Haufens an ſich zu ziehen, als einige Wochen nach
jener Publikation in denſelben Blättern der Widerruf jener Anzeige
erſchien, und die ganze Sache als eine Myſtification dargeſtellt
wurde, mit der ein müßiger Kopf eine Menge anderer unterhalten
wollte.


§. 62. (Wichtigkeit der Durchgänge der Venus vor der Sonne.)
Wir haben bereits im zweiten Kapitel von den Vorübergängen
Merkurs vor der Sonnenſcheibe geſprochen. Ganz ähnliche Er-
ſcheinungen bietet uns auch die Venus dar, da ihre Bahn, als
die eines untern Planeten, von der Erdbahn eingeſchloſſen wird
und daher dieſer Planet ſelbſt zuweilen zwiſchen Sonne und Erde
treten muß.


Dieſe Durchgänge der Venus ſind in der neueren Aſtronomie
*)
[79]Venus.
von beſonderer Wichtigkeit, daher wir uns auch hier etwas länger
bei ihnen aufhalten wollen. Sie geben uns nämlich bei weitem
das beſte und ſicherſte Mittel, die Entfernung der Sonne von der
Erde, oder was daſſelbe iſt, die halbe große Axe der Erdbahn zu
beſtimmen. Dieſe Halb-Axe iſt aber das große Maaß, und gleich-
ſam die Elle, mit welcher die Aſtronomen das ganze Planeten-
ſyſtem ausmeſſen, und überhaupt alle Entfernungen im Weltraume
beſtimmen, daher die genaue Kenntniß derſelben in ſo hohem
Grade nothwendig iſt. Dieſes Maaß hängt aber nicht bloß von
der Willkühr der Aſtronomen ab, wie wohl ſonſt die Einheit aller
unſerer andern Maaße, ſondern ſie wird uns gleichſam von der
Natur ſelbſt aufgedrängt. Nach dem dritten Keplerſchen Geſetze
(I. S. 288) nämlich verhalten ſich die Quadrate der Umlaufszeiten
der Planeten wie die Würfel der großen Halb-Axen ihrer Bahnen.
Dieſe Umlaufszeiten ſind aber, wie bereits oben (I. S. 258) geſagt
wurde, der Art, daß ſie ſich mit der größten Genauigkeit beſtimmen
laſſen. Mit derſelben Schärfe wird man alſo auch jene Halb-Axen,
d. h. die mittleren Entfernungen von der Sonne für alle Planeten
beſtimmen können, wenn man nur einmal eine einzige dieſer
Entfernungen, wenn man z. B. die mittlere Entfernung der Erde
von der Sonne kennt. Und eben dazu werden uns die Durchgänge
der Venus, und zwar mit einer Sicherheit verhelfen, die wir von
keiner unſerer anderen aſtronomiſchen Beobachtungen, welcher Art
dieſe auch ſeyn mögen, erwarten können. Ja ſelbſt über die Größe
dieſer Planeten und über die der Sonne ſelbſt müſſen wir ſo lange
in völliger Ungewißheit bleiben, als wir die Entfernung derſelben
von uns nicht näher kennen. Denn unſere Beobachtungen geben
uns nichts, als die ſcheinbare Größe dieſer Himmelskörper, d. h.
nichts, als den bloßen Winkel, unter welchem uns der wahre
Durchmeſſer derſelben erſcheint. Dieſer Winkel kann aber immer
derſelbe bleiben, wenn auch der wahre Durchmeſſer vielmahl größer
aber zugleich weiter von uns entfernt würde, oder umgekehrt, ſo
daß man aus dem bloßen Winkel, unter welchem uns ein Gegen-
ſtand erſcheint, nichts, weder über ſeine wahre Größe, noch über
ſeine Entfernung von uns, ausmachen kann. Von dieſen drei
Dingen, wahrer und ſcheinbarer Durchmeſſer und Entfernung von
[80]Venus.
uns, müſſen nämlich, der Natur der Sache nach, immer zwei
gegeben ſeyn, um daraus das Dritte zu finden.


§. 63. (Wann dieſe Durchgänge ſtatt haben.) Eigentlich ſollte
in jeder ſynodiſchen Revolution (I. S. 256) der Venus, d. h. in
je 583,921 Tagen ein Durchgang dieſes Planeten vor der Sonnen-
ſcheibe erfolgen, weil er in dieſer Zeit einmal zwiſchen uns und
der Sonne durchgehen muß. Allein da die Neigung der Bahn
der Venus gegen die Ecliptik über drei Grade, der Halbmeſſer der
Sonne aber nur einen halben Grad beträgt, ſo wird es oft ge-
ſchehen, daß dieſer Planet zur Zeit ſeiner untern Conjunction, wo
er zwiſchen uns und der Sonne iſt, zu hoch über, oder auch zu
tief unter der Sonne ſteht, und daher von uns nicht auf der
Sonne ſelbſt geſehen werden kann.


Offenbar kann ſie zu dieſer Zeit nur dann in der Sonne er-
ſcheinen, wenn die von der Erde geſehene Breite (I. S. 249) nicht
größer iſt, als die Summe der Halbmeſſer der Sonne und des
Planeten, d. h. alſo nicht größer als 990 Secunden, da der Halb-
meſſer der Sonne im Mittel 961, und der der Venus in der
untern Conjunction 29 Secunden beträgt. Venus muß daher zu
dieſer Zeit in der Nähe eines ihrer Knoten (I. S. 247) ſeyn, und
ſie darf, wie man durch Rechnung zeigen kann, höchſtens um
1° 50′ von dieſem Knoten abſtehen, wenn ein Durchgang ſtatt
haben ſoll. Bei Merkur iſt dieſer äußerſte Abſtand vom Knoten
3° 28′, alſo viel größer, und dieß iſt die Urſache, warum die
Durchgänge Merkurs viel häufiger ſind, als die der Venus.


Dieſe Durchgänge der Venus fallen ſeit dem Anfange des
17ten Jahrhunderts immer entweder in die erſte Hälfte des Junius
oder des Dezembers, und dieß wird bis zu dem Jahre 3000
unſerer Zeitrechnung ſo fortgehen, ſo daß immer zwei nächſtfol-
gende Durchgänge in den Junius und die zwei auf dieſe kom-
menden in den Dezember fallen. Fängt man mit einem ſolchen
Durchgange an, der der erſte von den beiden in den Junius
fallenden iſt, wie dieß z. B. mit dem des Jahres 1761 der Fall
war, ſo kommen die anderen Durchgänge nach der Reihe in
8, 105 ½, 8, 121 ½ Jahren, nach welchen ſich dieſelben Perioden
von 8, 105 ½ u. ſ. w. immer wiederholen. Dieſe Bemerkung gibt
[81]Venus.
ein einfaches Mittel, die Zeiten aller folgenden Durchgänge zu
finden, wenn man einmal einen derſelben kennt. Die unten fol-
gende Tafel gibt dieſelben für mehrere Jahrhunderte mit aller
hier wünſchenswerthen Genauigkeit an.


§. 64. (Die erſten beobachteten Durchgänge der Venus.) Kepler
war es, der dieſe Erſcheinungen mit Hülfe ſeiner neuen Planeten-
tafeln, die er dem Kaiſer Rudolph II. zu Ehren die Rudolphiniſchen
nannte, zuerſt ankündigte, und die Aſtronomen auf dieſe wich-
tigen Beobachtungen aufmerkſam machte. Ohne dieſe Vorausbe-
rechnungen würde man ſie nicht gut haben beobachten können,
da man den Augenblick nicht weiß, wann ſie ſtatt haben. Aus
dieſer Urſache ſind auch alle früheren Erſcheinungen dieſer Art
verloren gegangen. Man würde ſie aber wahrſcheinlich auch mit
dieſen Vorausbeſtimmungen nicht beobachtet haben, da wohl nur
wenige Augen ſo ſcharf ſind, um die Venus ſelbſt zu einer Zeit,
wo ihr Durchmeſſer am größten iſt, und 58 Sec. beträgt, ohne
Fernrohr in der Sonne ſehen zu können. Schon Gaſſendi hat
ſich durch Erfahrung überzeugt, daß keiner ſeiner Freunde einen
ſchwarzen runden Flecken in der Sonne mit freien Augen ſehen
konnte, obſchon der Durchmeſſer derſelben 80 Sec. betrug. — Die
beiden Durchgänge der Venus, die Kepler i. J. 1627 auf dieſe
Weiſe ankündigte, waren die der Jahre 1631 und 1761, von
welchen der erſte auf den 6. Dezember und der andere auf den
5. Junius von ihm berechnet wurden. Beide hatten auch in der
That ſtatt, und zwar der erſte nur wenige Tage nach ſeinem Tode,
da Kepler am 15. Nov. 1631 ſtarb. Einen andern zwiſchen jene
beiden fallenden Durchgang, der am 4. Dezember 1639 eintrat,
hatte Kepler überſehen. Halley, welcher der erſte die Wichtigkeit
dieſer Erſcheinungen eingeſehen und auch bekannt gemacht hatte,
berechnete die 17 nächſtfolgenden Durchgänge der Venus bis zu
dem Jahre 2117 voraus, und theilte ſie den Aſtronomen in den
Philos. Transact. von 1691 und 1716 mit.


Eben dieſer von Kepler in ſeiner Rechnung überſehene Durch-
gang des Jahres 1639 war der erſte, der je von einem Aſtro-
nomen beobachtet worden iſt. Horrox in England berechnete einige
Zeit zuvor eine aſtronomiſche Ephemeride, aber nach den Tafeln
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 6
[82]Venus.
von Lansberg, die zwar viel weniger genau waren, als die Ru-
dolphiniſchen Tafeln, die aber doch zufällig einen Durchgang der
Venus für den 4. Dezember 1639 anzeigten, während die Kepler-
ſchen Tafeln keinen gaben. Da er in die erſten Tafeln ein beſonderes
Vertrauen ſetzte, ſo ſchickte er ſich zu der Beobachtung an, und er
ſah in der That durch nahe eine halbe Stunde die Venus in der
Sonne, ſo wie auch ſein Freund Crabtree, der nur wenige Meilen
von ihm wohnte, und den er von dem Ereigniſſe benachrichtigt
hatte. Allein dieſe Beobachtung hatte keine Folgen für die
Wiſſenſchaft, da ſie, wie wir bald ſehen werden, an zwei ſehr weit
von einander entlegenen Orten zugleich gemacht werden muß.


§. 65. (Durchgang von 1761.) Da Halley erſt i. J. 1677
bei Gelegenheit ſeiner Beobachtung eines Merkurdurchganges, die
er auf der ſpäter durch ein anderes Ereigniß berühmt gewordenen
Inſel St. Helena angeſtellt hatte, auf die Wichtigkeit dieſer Er-
ſcheinungen aufmerkſam geworden war, ſo mußte man bis zu dem
nächſt folgenden Durchgange der Venus, am 5. Junius 1761,
warten. Die Aſtronomen bereiteten ſich zu dieſer Beobachtung
auf das eifrigſte vor, und mehrere von ihnen reisten in ſehr
entfernte Gegenden, um ihren Zweck beſſer zu erreichen. Man
findet die Geſchichte dieſer Vorbereitungen in den Mem. de l’Acad.
de Paris
1757, 1761 und 1781. Die vorzüglichſten Beobachtungen
dieſes Durchganges ſind die von Maſon am Vorgebirge der guten
Hoffnung, von Bergmann in Upſala, von Planmann zu Cajane-
burg in Finnland, und die zu Stockholm und Tobolsk angeſtellten.
Die Berechnungen dieſer Beobachtungen geben die Horizontal-
parallaxe der Sonne (I. §. 61) für ihre mittlere Entfernung von
der Erde zwiſchen 8 und 9 Secunden. Wie man aber daraus dieſe
Entfernung der Sonne ſelbſt, die der eigentliche Hauptzweck dieſer
Beobachtungen iſt, abzuleiten hat, wurde bereits oben (I. §. 63)
geſagt. Wendet man die dort gegebenen Vorſchriften auf dieſe beiden
Zahlen an, ſo findet man für die mittlere Entfernung der Mittel-
punkte der Sonne und der Erde entweder 25783 oder 22918 Halb-
meſſer der Erde, je nachdem man die Parallaxe der Sonne zu 8
oder zu 9 Secunden annimmt. Die Differenz dieſer beiden Reſultate
iſt 2865 Erdhalbmeſſer, alſo nahe 2 ½ Millionen Meilen, oder
[83]Venus.
beinahe der neunte Theil des Ganzen, ſo daß man daher durch
dieſe Beobachtungen die wahre Entfernung der Sonne noch nicht
bis auf ihren zehnten Theil genau kennen gelernt hatte.


§. 66. (Frühere Verſuche, die Horizontal-Parallaxe der Sonne
zu finden.) So groß dieſe Ungewißheit auch ſcheinen mag, ſo iſt
ſie doch in viel engere Grenzen eingeſchloſſen, als alle früheren
Beſtimmungen, die man zu dieſem Zwecke erhalten hatte. Vor
Hipparch hatte man von dieſer Entfernung der Sonne nicht
einmal eine nur etwas gegründete Muthmaßung. Pythagoras
nahm die Entfernung der Sonne nur dreimal größer, als die des
Mondes an, da ſie doch über vierhundertmal größer iſt. Ariſtarch
von Samos war der erſte, der gegen d. J. 260 vor dem Anfange
unſerer Zeitrechnung dieſe Entfernung durch eine eigene Beobachtung
zu beſtimmen ſuchte, die wir oben (I. §. 169) näher angegeben
haben. Er fand die Parallaxe der Sonne gleich drei Minuten,
alſo wenigſtens achtzehnmal zu groß. So fehlerhaft auch dieſe
Beſtimmung war, ſo konnte man doch bis zu dem Anfange des
ſiebenzehnten Jahrhunderts nichts Beſſeres finden. Poſidonius,
der zwei Jahrhunderte nach Ch. G. lebte, nahm dieſe Diſtanz der
Sonne gleich 13150 Erdhalbmeſſer an, alſo nur nahe um die
Hälfte zu klein, aber dieſe Annahme gründete ſich auf keine
eigentliche Beobachtung, ſondern bloß auf eine Meinung, wie etwa
die des ältern Plinius, der die Sonne zwölfmal weiter ſetzt, als
den Mond, weil jene zwölf, und dieſer nur einen Monat braucht,
ſeine Revolution um die Erde zurückzulegen. Riccioli (geſt. 1671)
fand aus einer großen Anzahl von ihm nach Art des Ariſtarch
angeſtellter Beobachtungen die Parallaxe der Sonne 28 bis 30
Secunden. Ptolemäus im Gegentheile benutzte eine von Hipparch
vorgeſchlagene Methode, die Sonnenfinſterniſſe zu dieſem Zwecke
zu gebrauchen, die wohl ſehr ſinnreich, aber hier nicht mit Sicher-
heit anwendbar iſt, weil der Unterſchied zwiſchen den Entfernungen
der Sonne und des Mondes von der Erde viel zu groß iſt. Auch
fand Ptolemäus für die Parallaxe der Sonne das ſehr fehlerhafte
Reſultat von 2 Min. 50 Sec. Auch der große Obſervator Tycho
Brahe (geſt. 1601) hatte noch ſehr unrichtige Begriffe von dieſem
Gegenſtande. Er ſetzte die Diſtanz der Sonne gleich 1142 Erd-
6 *
[84]Venus.
halbmeſſer voraus und wollte aus den Beobachtungen der Mond-
finſterniſſe den Schluß ziehen, daß die Parallaxe der Sonne nicht
kleiner als drei Minuten ſeyn könne. Kepler (geſt. 1630) bemerkte
mit ſeinem gewöhnlichen Scharfſinne, daß die Parallaxe des Mars
zur Zeit ſeiner Oppoſition, wie dieß aus Tycho’s Beobachtungen
folge, unmerklich iſt, und daß alſo daſſelbe in einem noch viel
höhern Grade von der Sonne gelten müſſe. Mit den Inſtru-
menten jener Zeit war es ſchwer, ſich der Größe eines Winkels
bis auf eine und ſelbſt bis auf zwei Minuten zu verſichern. Indeß
nahm Kepler die Sonnenparallaxe gleich einer Minute, alſo noch
immer über ſiebenmal zu groß an.


Der erſte, der uns eine der Wahrheit genäherte Kenntniß der
Sonnenparallaxe gab, iſt Dom. Caſſtni. Auf ſeinen Vorſchlag
wurde Richer von der Pariſer Academie nach Cayenne geſchickt,
um dort die mittägige Höhe des Mars zu beobachten, während
dieſelben Höhen in Paris von Picard und Römer beobachtet wur-
den. Caſſini ſchloß daraus die Parallaxe des Mars gleich 25 ½
Sec., und dadurch war, mittels des dritten Geſetzes von Kepler,
die der Sonne gleich 9 ½ Sec. gegeben, woraus alſo die Entfernung
der Sonne von der Erde gleich 21712 Erd-Halbmeſſern folgte. Dieſe
Beobachtungen wurden im September des Jahrs 1671 angeſtellt.
In den folgenden Jahren ſetzte Caſſini dieſe Unterſuchungen auf
einem anderen Wege fort, indem er die Differenz der Rectaſcen-
ſionen des Mars mit benachbarten Fixſternen ſechs Stunden
vor, und ſechs Stunden nach ſeiner Culmination verglich,
eine Methode, die bereits oben (I. S. 151) näher angegeben
worden iſt. Caſſini fand durch dieſe zweiten Beobachtungen
das erſte Reſultat im Allgemeinen beſtätiget. Noch beſſer eignet
ſich zu dieſen Beſtimmungen die Venus, da ſie uns in ihren un-
teren Conjunctionen noch beträchtlich näher kommt, als Mars.
Allein es iſt ſchwer, die Mittagshöhen der Venus zu dieſer Zeit
zu beobachten oder auch ihre Lage gegen benachbarte Fixſterne zu
beſtimmen, da ihre Lichtphaſe ſehr klein iſt. Maraldi, Bianchini
und Lacaille beſchäftigten ſich anhaltend damit und Letzterer fand
aus ſeinen Beobachtungen, die er i. J. 1751 am Vorgebirge der
guten Hoffnung angeſtellt hatte, die Sonnenparallaxe gleich 10 ¼
[85]Venus.
Secunden, aber da beide Beobachtungsarten ihren Naturen nach
keiner ſehr großen Genauigkeit fähig ſind, beſonders für die noch
unvollkommenen Inſtrumente jener Zeit, ſo wurde es wohl ſehr
wahrſcheinlich gemacht, daß die Parallaxe der Sonne nahe 9 Secun-
den betrage, aber die Aſtronomen mußten noch immer wünſchens-
werth finden, eine andere, genauere Methode zu beſitzen, um
ſich von der wahren Größe dieſes wichtigen Planeten vollkom-
men zu verſichern.


Der Venusdurchgang des Jahres 1761 hatte ein Mittel, die-
ſen Zweck zu erreichen, dargeboten. Allein man ſah bald, daß
der Durchgang dieſes Jahres mit mehreren ungünſtigen Verhält-
niſſen verbunden war, und daß man ſich daher zufrieden ſtellen
mußte, wenigſtens eine Beſtätigung der von Caſſini aufgeſtellten
Parallaxe gefunden zu haben, obſchon man ſie, wie man doch an-
fangs gehofft hatte, nicht genauer beſtimmen oder in engere
Gränzen einſchließen konnte.


§. 67. (Durchgang von 1769.) Unter dieſen Umſtänden er-
wartete man mit Ungeduld den nächſtfolgenden Durchgang der
Venus, am 3 Junius 1769, von dem man ſich durch Rechnung
voraus verſichert hatte, daß er viel günſtigere Verhältniſſe zur
Beſtimmung der Sonnenparallaxe bieten würde, wenn die
Beobachtungen in den zu dieſem Zwecke angemeſſenſten Orten
der Erde angeſtellt werden ſollten. Die dazu geeignetſten waren
das Südmeer, Californien und die nördlichſten Gegenden von
Europa ſowohl als auch von Aſien.


Die Monarchen aller gebildeten Nationen Europa’s bemüh-
ten ſich, ihre Aſtronomen zur Erreichung ihres für die Wiſſen-
ſchaft wichtigen und für Alle intereſſanten Zweckes mit ruhmwür-
digem Wetteifer zu unterſtützen. Frankreich, deſſen Miniſter
Choiſeul ſich der Sache mit beſonderem Eifer annahm, ſendete
die Aſtronomen La Chappe nach Californien, Pingré nach St.
Domingo und Veron nach Oſtindien. Die K. Academie der
Wiſſenſchaften in London ſchickte, auf Befehl und Koſten des Kö-
nigs, ihre Mitglieder Dymond und Wales nach Nordamerica;
Call nach Madras und Green nach Otaheiti, welch Letzterer ſeine
Reiſe auf einem von dem berühmten Capitain Cook commandirten
[86]Venus.
Schiffe vollendete. — Die Kaiſerin Catharina von Rußland ließ
durch ihre Academie in Petersburg Aſtronomen aus Deutſchland
und der Schweiz berufen und viele Inſtrumente zu dieſem Zwecke
in Paris und London ankaufen, mit welchen ausgerüſtet der ruſ-
ſiſche Aſtronom Rumovsky nach Kola (Br. 69°), der Schweizer
Pictet nach Umba (Br. 67°) und Mallet nach Ponoi gingen.
Ueberdieß wurde noch Islenies nach Yakutz, Lowitz nach Gu-
rief, Krahl nach Orenburg und Chriſtian Euler nach Omsk ge-
ſchickt. In Petersburg ſelbſt beobachteten dieſen Durchgang Mor-
jan aus Manheim, Albert Euler, Lexell und Kotelnikow. —
Der König von Dänemark bat ſich zu dieſem Zwecke den Aſtrono-
men Hell von Wien aus, der auf des Königs Koſten die Reiſe
nach Wardoe im nördlichen Lappland machte. Ueberdieß beob-
achteten noch Planmann zu Cajaneburg in Finnland, Melander
zu Upſala, Bayley am Nordcap, Juſtander zu Abo, Maskelyne
zu Greenwich, Hornsby zu Oxford, Caſſini zu Paris, Lagrange
zu Mailand, Sambach zu Wien, Ackermann zu Kiel u. m. a.
Durch ungünſtiges Wetter und andere Umſtände wurden vereitelt
die Beobachtungen des Legentil zu Pondichery, des Call zu
Madras, des Pictet zu Umba u. a.


§. 68. (Berechnung der beobachteten Durchgänge.) Faſt alle
oder wenigſtens die wichtigſten dieſer Beobachtungen findet man ge-
ſammelt in Lalande’s Mem. sur le Passage de Venus 1772, und am
vollſtändigſten in Encke’s „Entfernung der Sonne, 2 Bände,
Gotha 1822 und 1824.“ Kaum waren die Beobachtungsreſultate
bekannt geworden, als ſich eine große Anzahl von Männern fand,
welche die Berechnung derſelben übernahmen. Hornsby in Eng-
land fand aus den von ihm zu Grunde gelegten Beobachtungen
die Horizontal-Parallaxe der Sonne für ihre mittlere Entfernung
von der Erde 8″8 und ganz eben ſo auch Pingré. Planmann
in Schweden fand 8″4, Lalande 8″5; Lexell 8″68, Hell 8″70.
Encke, der in dem ſo eben erwähnten Werke, die ſämmtlichen
als gut anerkannten Beobachtungen der beiden Durchgänge von
1761 und 1769 mit der größten Sorgfalt berechnete, fand im
Mittel aus allen die Sonnenparallaxe für die mittlere Entfernung
der Sonne und für einen Beobachter im Aequator gleich 8″578;
[87]Venus.
welches Reſultat nach Encke’s Berechnungen nur mehr den wahr-
ſcheinlichen Fehler von 0″037 haben kann, ſo daß die wahre
Sonnenparallaxe zwiſchen den beiden Gränzen 8″54 und 8″61 ent-
halten iſt. Nimmt man nun die geographiſche Meile ſo an,
daß fünfzehn derſelben auf einen Grad des Aequators, alſo
5400 auf den ganzen Umfang des Aequators gehen, ſo iſt der
Halbmeſſer des Erdäquators (I. §. 5) gleich oder gleich
859,4367 geographiſche Meilen und die aus der Parallaxe 8″,578
folgende Entfernung der Sonne von der Erde beträgt 20666800
Meilen und die wahre Entfernung derſelben iſt zwiſchen den
Gränzen von 20577649 und 20755943 geogr. Meilen enthalten.
Unſere ſpäteren Nachkommen werden dieſe Gränzen ohne Zweifel
noch enger zuſammenziehen und dieſes allgemeine Maaß der
Aſtronomen noch viel genauer beſtimmen, als es uns bisher mög-
lich geweſen iſt. Wir müſſen uns begnügen, die Entfernung der
Sonne von 20666800 Meilen bis 89000 Meilen, d. h. bis etwa
auf den 230ſten Theil ihrer Größe, genau zu kennen. Wem dieß
zu wenig ſcheint, der mag uns ſagen, wie viele Diſtanzen der
Hauptſtädte unſerer Erde wir bis auf ihren 230ſten Theil genau
anzugeben wiſſen.


Die folgende kleine Tafel enthält die zunächſt folgenden
Durchgänge der Venus, von welchen wir wünſchen, daß recht
viele unſerer Leſer wenigſtens die beiden erſten derſelben noch mit
anſehen mögen.


[88]Venus.

§. 69. (Methode, aus dieſen Durchgängen die Sonnenparall-
axe zu finden.) Es iſt nun noch übrig zu zeigen, auf welche
Weiſe man aus den Beobachtungen dieſer Durchgänge die Son-
nenparallaxe durch Rechnungen ableiten kann, und warum die aus
dieſen Beobachtungen geſchloſſenen Reſultate den hohen Grad von
Verläßlichkeit haben, der bereits oben von ihnen gerühmt wor-
den iſt.


Man bemerkt wohl ohne meine ausdrückliche Erinnerung,
daß ein rabenſchwarzer kleiner Kreis auf dem hellleuchtenden Hinter-
grunde der Sonne, denn ſo ſtellt ſich zur Zeit des Durchgangs
die Venus dem Beobachter dar, mit der größten Schärfe geſehen
werden kann, ſo daß man alſo den Ort, welchen dieſer ſchwarze
Kreis in der Sonne einnimmt, für jeden Augenblick mit völliger
Sicherheit angeben wird. Allein es handelt ſich hier nicht um
jeden dieſer Orte, den Venus nach und nach während ihrer Durch-
gänge einnimmt, ſondern nur um einige wenige und gerade um
dieſelben, die unter allen am leichteſten und beſten, ſelbſt ohne
alle Inſtrumente, blos durch ein gutes Fernrohr, beſtimmt wer-
den können. Man braucht nämlich nur die vier Momente der
äußern und innern Ein- und Austritte, oder die vier Augenblicke
zu beobachten, wann die Ränder der Venus und der Sonne ſich,
ſowohl von außen als auch von innen, berühren. Der erſte
äußere Eintritt bei a (Fig. 5) kann vielleicht zu ſpät beobachtet
werden, wenn man den Punkt des öſtlichen Sonnenrandes nicht
genau weiß, an welchem die Venus eintreten ſoll, obſchon man
dieſen Punkt durch Rechnung ſchon genau voraus beſtimmen
kann. Allein der zweite oder innere Eintritt bei b, ſo wie der
innere Austritt bei c läßt ſich auf das ſchärfſte mit dem Auge
verfolgen, bis der eigentlich entſcheidende Augenblick, d. h. die
Bildung des feinen Lichtfadens eintritt, der zwiſchen den Rändern
der beiden Himmelskörper bei ihrer Berührung entſteht, und
nicht viel weniger genau wird man auch den letzten entſcheiden-
den Punkt des ſchwarzen Kreiſes in d angeben, der an dem Ran-
de der Sonne in dem Augenblicke erſcheint, wenn er von der
Venus völlig verlaſſen wird.


§. 70. (Sicherheit dieſer Methode.) Ueber die Sicherheit die-
[89]Venus.
ſer Beobachtungen an ſich kann alſo weiter kein Zweifel ſeyn.
Allein es handelt ſich hier nicht ſowohl um dieſe Beobachtungen
ſelbſt, als vielmehr um das Reſultat, welches man daraus ablei-
ten will, nämlich um die wahre Größe der Sonnenparallaxe.
Wenn man nun z. B. zeigen könnte, daß ein Fehler der Beob-
achtung von einer Zeitſecunde die geſuchte Parallaxe erſt um
eine Raumſecunde, alſo um 15 mal weniger fehlerhaft machen
würde, ſo würden wir dieſe Methode mit Recht als eine ſehr
gute und in der Ausübung mit Verläßlichkeit anwendbare an-
ſeben, da, wie wir geſehen haben, ein Fehler von einer Zeitſecun-
de in der Beobachtung jener vier Berührungen nicht wohl ſtatt ha-
ben kann. Allein die Verhältniſſe ſind in der That noch viel
günſtiger, als ſie in dieſem Beiſpiele dargeſtellt wurden.


Halley hat in den zwei bereits erwähnten Memoiren (Phil.
Tranasct.
1691 und 1716) durch Berechnung gezeigt, daß wenn
bei ganz ſchicklich gewählten Beobachtungsorten auf der Erde die
Ein- und Austritte der Venus auf eine Zeitſecunde genau be-
ſtimmt werden, daraus die Parallaxe oder die Diſtanz der Sonne
bis auf ihren 1/500 ſten Theil genau beſtimmt werden könne. Wenn
nun auch dieſe Behauptung vielleicht etwas übertrieben erſcheinen
mag, und wenn, wie die Erfahrung bei den zwei letzten Durch-
gängen gelehrt hat, die Fehler der Beobachtungen eine Secunde
oft genug überſteigen, ſo bleibt es demungeachtet nicht minder
wahr, daß dieſe Beobachtungsart eine der ſicherſten in der gan-
zen praktiſchen Aſtronomie iſt, und daß dieſe Methode der Beſtim-
mung der Sonnenparallaxe einen Grad von Verläßlichkeit beſitzt,
deren ſich nur wenige und vielleicht keine andere erfreut.


Es wird nicht unangemeſſen ſeyn, hier Einiges aus dem er-
wähnten Aufſatze Halley’s anzuführen, dem wir die Kenntniß
dieſer Methode verdanken und der zugleich in einer gemeinfaßli-
chen Sprache geſchrieben und ſehr lehrreich abgefaßt iſt. „Es giebt
viele Dinge in der Welt, ſagt er, die auf den erſten Blick ſehr
paradox, ja ganz unglaublich erſcheinen und die doch nicht minder
wahr und oft ſogar mit Hülfe der Mathematik ſehr leicht zu be-
weiſen ſind. Was ſollte es wohl Schwereres geben, als die Be-
[90]Venus.
ſtimmung der Entfernung der Sonne von der Erde? *) Und doch
iſt ſie eine der leichteſten, wenn man nur einige dieſem Zwecke an-
gemeſſene Beobachtungen vorausſchickt; wie ich ſogleich näher zei-
gen werde.“


„Vor vierzig Jahren (im J. 1677) war ich auf der Inſel
St. Helena, um daſelbſt die Sterne des ſüdlichen Himmels zu
beobachten. Zufällig ereignete ſich in dieſer Zeit ein Durchgang
des Merkurs vor der Sonnenſcheibe. Indem ich ihn mit einem
guten Fernrohre beobachtete, bemerkte ich bald, daß ſich dieſe
Beobachtungen mit einer ganz beſonderen Schärfe ausführen laſ-
ſen. Dabei fiel mir ein, daß ſich durch dieſe Beobachtungen wohl
die Parallaxe des Merkur gut beſtimmen laſſen würde, die be-
trächtlich größer ſeyn muß, als die der Sonne, da Merkur in
ſeiner unteren Conjunction der Erde ſo viel näher ſteht. Aber ich
ſah auch bald, daß die Differenz der Parallaxe Merkurs und der
Sonne kleiner iſt, als die Parallaxe der Sonne, und daß daher
auf dieſem Wege nicht viel Gutes zu erwarten ſeyn wird.“ **)


„Aber bei der Venus, fiel mir ein, iſt dies Verhältniß viel
günſtiger, da ihre Parallaxe viel größer iſt, als die des Merkur,
und da man ſie alſo auch von verſchiedenen Punkten der Erde
an verſchiedenen Stellen der Sonnenſcheibe ſehen muß. Sollte
ſich aber nicht aus eben dieſer Verſchiedenheit der Stellen die
Sonnenparallaxe ſelbſt, durch die ſie doch verurſacht werden, wie-
der rückwärts finden laſſen?“


„Dieſe Beobachtungen bedürfen, wie man von ſelbſt ſieht,
keiner beſonders koſtbaren Inſtrumente. Ein gutes Fernrohr und
eine gute Uhr, weiter braucht es nichts. Die geographiſche Breite
[91]Venus.
des Orts darf nur obenhin bekannt ſeyn, da ſie auf die Erſchei-
nung keinen ſo weſentlichen Einfluß hat und die geographiſche
Länge kann man beinahe ganz entbehren, da man nichts als die
Dauer der Beobachtung, d. h. als die Zeit zu kennen braucht,
die zwiſchen dem Ein- und Austritt der Venus verfließt, ohne
die abſoluten Momente dieſer Erſcheinungen ſelbſt zu kennen.“


„Der erſte der nächſtkünftigen Durchgänge der Venus wird
am 26ſten May 1761 ſtatt haben. An dieſem Tage, wenn es in
London zwei Uhr des Morgens iſt, wird Venus in die Sonne
treten und um zehn Uhr des Vormittags wird ſie wieder austreten.
Die Dauer des ganzen Durchgangs wird alſo acht Stunden ſeyn,
und wir in London werden den Eintritt nicht ſehen, weil wir zu
dieſer Zeit noch Nacht haben. Aber wenn die Sonne gegen ſechs Uhr
aufgehen wird, werden wir die Venus beinahe in der Mitte der
Sonnenſcheibe erblicken. Aber die Bewohner von Norwegen und
wohl auch die vom nördlichen Schottland, für welche die Sonne,
wenn es in London zwei Uhr iſt, ſchon aufgegangen ſeyn wird,
dieſe werden den Eintritt und ſonach die ganze Dauer der Er-
ſcheinung ſehen. In Oſtindien aber, am Ausfluſſe des Ganges,
wird die Sonne beinahe im Zenithe dieſes Landes ſtehen, zu der
Zeit, wo die Bewohner derſelben die Venus eben in der Mitte
der Scheibe ſehen, und es läßt ſich leicht durch Rechnung zeigen,
daß hier die Dauer des ganzen Durchgangs, durch die Wirkung
der Parallaxe, nahe um 11 Zeitminuten verkürzt wird. Allein
die Antipoden dieſes Ortes, d. h. die Gegenden um die Hudſons-
bay ſehen die Venus in der Mitte der Scheibe zur Zeit ihrer
Mitternacht, und hier wird, durch die Wirkung derſelben Parall-
axe die Dauer des Durchgangs um mehr als 6 Zeitminuten ver-
längert
. Wenn alſo die Erſcheinung an dieſen beiden Orten
beobachtet werden ſollte, ſo würde die beobachtete Dauer des ei-
nen um volle 17 Min. von der des andern Ortes verſchieden ſeyn,
wenn, wie ich bei dieſen kleinen Rechnungen vorausſetzte, die
Parallaxe der Sonne gleich 12 ½ Secunden iſt. Sollte nun dieſe
Differenz der Dauer an den beiden Orten, durch die wirklichen
Beobachtungen größer oder kleiner gefunden werden, ſo würde
daraus auch eine nahe in demſelben Maaße größere oder kleinere
[92]Venus.
Sonnenparallaxe gefolgert werden. Da in der That 17 Min. oder
1020 Sec. zu der Sonnenparallaxe 12,5 Sec. gehören, ſo wird eine
einzige Secunde Aenderung dieſer Parallaxe ſchon mehr als 80
Zeitſecunden Aenderung in der Differenz jener Dauer erzeugen.
Da man hat 125 : 1020 = 1 : 81.“


„Hat man alſo dieſe Differenz auch nur auf zwei Zeitſecun-
den genau beobachtet, ſo wird man daraus die Sonnenparallaxe
bis auf den 1/40 ſten Theil einer Secunde genau finden, weil
wieder iſt 12,5 : 1020 =1/40 : 2 und dieſer 1/41 ſte Theil
einer Secunde iſt der 1/500 ſte Theil der ganzen Sonnenparallaxe,
die wir zu 125 angenommen haben, weil 40 mal 12,5 gleich
500 iſt.“


„Ich empfehle daher dieſe Methode auf das dringendſte allen
Aſtronomen, die Gelegenheit haben ſollten, dieſe Dinge zu be-
obachten, wenn ich ſchon todt bin. Mögen ſie dieſes meines Ra-
thes eingedenk ſeyn und ſich recht fleißig und mit aller ihrer Kraft
auf dieſe wichtigen Beobachtungen verlegen, wozu ich ihnen alles
erdenkliche Glück wünſche, zuerſt daß ſie nicht durch ungünſtige
Witterung des erſehnten Anblicks beraubt werden und dann,
daß ſie, wenn ſie die wahre Größe unſerer Planetenbahnen mit
mehr Genauigkeit beſtimmt haben, daraus unſterblichen Ruhm
und Ehren ſchöpfen mögen.“



[93]Venus.

§. 71. (Andere Betrachtungen über die Sicherheit dieſer Me-
thode.) Wir wollen es nun verſuchen, den Leſern im Allgemeinen,
und ſo weit dieß ohne Rechnung möglich iſt, die Gründe aus
einander zu ſetzen, worin ſich durch die Beobachtung dieſer Durch-
gänge der Venus die Sonnenparallaxe mit ſo großer Genauigkeit
beſtimmen läßt. Sey SS' (Fig. 6.) die Sonne, C oder C' die
Erde, und V oder V' der Mittelpunkt der Venus, welche b[e]ide
Planeten ſich in ihren Bahnen zur Zeit der untern Conjunction
der letztern von Oſt gegen Weſt, oder von C nach C', und
von V nach V' bewegen, während der der Venus zugekehrte Punkt
der Erde in ſeiner täglichen Rotation von Weſt nach Oſt geht,
wie die der Figur beigeſetzten Pfeile anzeigen. Die beiden geraden
Linien durch V und V' berühren den Rand der Venus, ſo wie
die beiden Linien bei S und S' den Rand der Sonne berühren.


Dieß vorausgeſetzt, iſt (I. §. 61) der Winkel AVC die Hori-
zontal-Parallaxe der Venus. Eigentlich ſollte zwar der Punkt V
in dem Mittelpunkte der Venus liegen, aber man ſieht von ſelbſt,
daß dieſer Winkel nur ganz unmerklich geändert werden wird,
wenn man den Punkt V in irgend einem Punkte der Peripherie
der Venus annimmt. Dieſem Winkel iſt aber auch der Winkel αVc
gleich, und da der letzte Winkel von dem Bogen αc am Himmel
gemeſſen wird, ſo kann man ſagen, dieſer Bogen αc ſtelle die
Parallaxe der Venus vor. Ganz eben ſo wird alſo auch die
Parallaxe der Sonne durch den Winkel ASC oder aSc, das heißt,
durch den Bogen ac vorgeſtellt werden. Es iſt demnach αc die
Parallaxe der Venus, und ac die der Sonne, und daher aα die
Differenz dieſer beiden Parallaxen, und zwar für den Augenblick,
wo ein Beobachter in dem Mittelpunkte C der Erde eben die
Venus ganz in dem öſtlichen Rande, und zwar in dem Punkte S
der Sonne eingetreten ſieht. Ganz eben ſo iſt auch a'c' die
Parallaxe der Sonne, und a'c' die der Venus, alſo auch a'α' die
Parallaxendifferenz für den Augenblick, wo für den Beobachter
C' im Mittelpunkte der Erde die Venus, ſo eben ganz aus
dem weſtlichen Rande der Sonne, und zwar in dem Punkte S',
ausgetreten iſt.


Bei jenem Eintritte ſieht alſo der Beobachter im Mittel-
[94]Venus.
punkte C der Erde den Punkt V des Venusrandes an dem Himmel
in c. Allein ein anderer Beobachter auf der Oberfläche der Erde
in A wird denſelben Punkt V am Himmel in α ſehen, während
er den Punkt S des öſtlichen Sonnenrandes, wo der erwähnte
Eintritt der Venus für den Mittelpunkt der Erde geſchieht, in
dem Punkte a des Himmels ſieht, d. h. alſo, der Beobachter in A
wird die beiden Berührungspunkte V und S noch um den Bogen aα
oder um die Parallaxendifferenz von einander entfernt ſehen,
während der Beobachter in C dieſe beiden Punkte V und S in
dem gemeinſchaftlichen Punkte c zuſammenfallen ſieht. In dem-
ſelben Augenblicke alſo, wo der Beobachter in C den letzten Punkt V
der Venus eben in den öſtlichen Sonnenrand eintreten ſieht, ſteht
dieſer Punkt V für den Beobachter in A, noch um die ganze
Parallaxendifferenz aα öſtlich von dem Sonnenrande S entfernt;
für C hat der innere Eintritt ſo eben ſtatt, für A aber wird er
erſt ſpäter erfolgen, und zwar erſt in der Zeit, in welcher Venus
den Bogen aα am Himmel zurückgelegt haben wird.


Während des nun folgenden Durchgangs der Venus vor der
Sonnenſcheibe geht dieſer Planet in ſeiner Bahn von V nach V',
und die Erde von C nach C', oder beide gehen von Oſt nach
Weſt. Der Beobachter A aber, auf der Oberfläche der Erde, der
früher den weſtlichſten Punkt A einnahm, wird durch die tägliche
Rotation auf die öſtliche Seite, gegen A' hin, gebracht. In dem
Augenblicke, wo der letzte Punkt V' des Venusrandes, von dem
Mittelpunkte C' der Erde geſehen, den weſtlichen Rand S' der
Sonne verläßt, und wo alſo, für dieſen Beobachter C', der Durch-
gang endet, weil er dieſe beiden Punkte V' und S' in einem und
demſelben gemeinſchaftlichen Punkte c' des Himmels ſieht, in
demſelben Augenblicke wird ein Beobachter in dem Punkte A' auf
der Oberfläche der Erde den Punkt S' der Sonne in a', den
Punkt V' der Venus aber in α, d. h. er wird den Punkt V' um
den Bogen a'α', oder um die Parallaxendifferenz weiter weſtlich
ſehen, und für den Beobachter in A' wird daher der Durchgang
ſchon vorüber ſeyn, und zwar wieder ſo lange Zeit, die wir
T nennen wollen, als die Venus braucht, den Bogen a'α' der
Parallaxendifferenz am Himmel zu durchlaufen.


[95]Venus.

Kurz, der Beobachter auf der Oberfläche der Erde in A oder
A' wird den Eintritt der Venus ſpäter, und den Austritt der-
ſelben früher ſehen, als der Beobachter im Mittelpunkte C der
Erde, und zwar um die Zeit T ſpäter oder früher. Die ganze
Dauer der Erſcheinung aber wird für jenen kürzer ſeyn, als für
dieſen, und zwar um das Doppelte jener Zeit, oder um die
Zeit 2 T.


Dieſer Unterſchied zwiſchen dem Ein- und Austritte, oder
auch dieſer Unterſchied zwiſchen der Dauer, wie er auf der Ober-
fläche und im Mittelpunkte der Erde geſehen wird, hängt alſo,
wie man ſieht, bloß von der Differenz der Parallaxen oder von
der Größe des Bogens aα oder a'α', und zugleich von der Ge-
ſchwindigkeit ab, mit welcher die Venus dieſen Bogen zurücklegt.
Wird die Parallaxendifferenz größer, ſo wird auch dieſe Zeit T
oder 2 T größer werden, und iſt im Gegentheile die Geſchwin-
digkeit der Venus größer, ſo wird dieſe Zeit T oder 2 T
kleiner werden. Da nun T eine bloße Wirkung der Parallaxen-
differenz iſt, ſo wird man, wenn die Bewegung, mit welcher ſich
die Venus der Sonne nähert, bekannt iſt — und dieſe iſt aus den
mittlern Bewegungen der Venus und der Sonne auf das genaueſte
bekannt — ſo wird man aus dieſer Zeit T auch wieder rückwärts
auf jene Parallaxendifferenz ſchließen und zwar mit einer deſto
größern Genauigkeit ſchließen können, je größer dieſes T ſelbſt iſt.


§. 72. (Vergleichung der Durchgänge von Merkur und Venus.)
Sehen wir alſo zu, welchen Werth dieſe Zeit T in dem Falle hat,
wo ſie am größten iſt. Für Merkur hat man bei der untern
Conjunction dieſes Planeten ſeine Horizontal-Parallaxe gleich 17″
und die der Sonne nahe 8″. Beider Differenz iſt alſo nur 9 Se-
cunden, und dieß iſt die Größe des Bogens aα für Merkur. Nun
beträgt aber die Bewegung Merkurs, mit welcher er ſich, von der
Erde geſehen, der Sonne nähert, zur Zeit der Durchgänge während
jeder Stunde nahe 550″. Wann wird er alſo in dieſer Bewegung
den Bogen von 18″, oder die doppelte Parallaxendifferenz zurück-
legen? Die folgende Proportion beantwortet dieſe Frage:
550″ : 60' = 18″ : 2 T
Es iſt alſo 2 T nahe gleich 2 Zeitminuten, oder die Differenz der
[96]Venus.
Dauer der Merkursdurchgänge, von dem Mittelpunkte und von
der Oberfläche der Erde geſehen, beträgt höchſtens 2 Zeitminuten.
Geſetzt alſo, man hätte bei der Beobachtung eines ſolchen Durch-
ganges die Dauer deſſelben um volle 10 Zeitſecunden fehlerhaft
erhalten, was allerdings eine ſehr unwahrſcheinliche Vorausſetzung
iſt, ſo würde man dadurch die Parallaxendifferenz ſchon um 1 ½
Raumſecunde unrichtig erhalten, denn
120 : 18 = 10 : 1 ½


So große Fehler, von 1 ½ Secunden, geben aber nicht ein-
mal die oben angeführten Beobachtungen des Mars zur Zeit
ſeiner Oppoſition, daher man alſo die Durchgänge Merkurs zu
dieſem Zwecke nicht mit Vortheil gebrauchen kann.


Sehen wir nun, was wir von den Durchgängen der Venus
zu erwarten haben. Die Horizontalparallaxe dieſes Planeten iſt
31″, und die der Sonne, wie geſagt, 8″. Die Differenz dieſer
Parallaxen beträgt alſo 23″, oder ſie iſt nahe dreimal größer,
als bei Merkur, was, nach dem Vorhergehenden, ſchon ein großer
Vortheil iſt. Die ſtündliche Bewegung der Venus gegen die
Sonne endlich iſt zur Zeit ihrer Durchgänge 234″, alſo mehr als
die Hälfte kleiner, als bei Merkur, worin der zweite Vortheil
beſteht. Wann wird alſo Venus den Bogen von 46″, oder die
doppelte Parallaxendifferenz zurücklegen? Die Antwort auf dieſe
Frage gibt folgende Proportion:
234″ : 60' = 46″ : 2 T
Es iſt alſo 2 T = 11',8 oder nahe 12 Minuten, alſo beinahe
ſechsmal größer, als bei Merkur. Um zu ſehen, welchen großen
Einfluß dieß auf die Beſtimmung der Parallaxendifferenz hat,
wollen wir wieder annehmen, daß man in der Beobachtung der
Dauer eines ſolchen Durchgangs um 10 Zeitſecunden gefehlt habe,
ſo hat man
720 : 46 = 10 : ⅗
oder, wenn man in der Beobachtung dieſes Phänomens auch nur
volle 10 Zeitſecunden gefehlt hätte, ſo würde die daraus geſchloſſene
Parallaxendifferenz doch nur um ⅗ einer Raumſecunde fehlerhaft
ſeyn, während wir oben bei Merkur einen Fehler von 1 ½ Se-
cunden, alſo nahe dreimal mehr, erhalten haben. Allein ſo große
[97]Venus.
Fehler wird wohl nicht leicht ein Aſtronom, ſelbſt unter den un-
günſtigſten Verhältniſſen, begehen können. Der Fehler, dem man
bei der gegenwärtigen Vervollkommnung der Inſtrumente und der
Beobachtungskunſt noch ausgeſetzt iſt, kann bei dieſer Art von
Beobachtungen höchſtens eine einzige Secunde betragen, und ſo-
nach würde man, durch die Anwendung der hier erläuterten Me-
thode, die Parallaxendifferenz der Venus und der Sonne wenigſtens
bis auf 0,06 oder bis auf 1/17 einer Raumſecunde genau erhalten.


Man ſieht aus allem Vorhergehenden, daß der eigentliche
Vortheil dieſer Methode darin beſteht, daß erſtens die Venus, in
ihrer untern Conjunction, ſehr nahe bei der Erde iſt, wodurch
die Parallaxe derſelben ſo groß wird, und daß zweitens ihre von
der Erde geſehene Bewegung, in Beziehung auf die Sonne, zu
dieſer Zeit ſo klein iſt. Hätten wir noch einen andern Planeten,
der uns in ſeiner untern Conjunction noch näher käme und der
ſich daſelbſt noch langſamer bewegte, ſo würde derſelbe noch viel
geſchickter zur Beſtimmung der Parallaxe ſeyn.


§. 73. (Nachträgliche Bemerkungen zu dieſer Methode.) Bei
der vorhergehenden Darſtellung wird ein aufmerkſamer Leſer
noch zwei Dinge vermiſſen, die wir, um den Vortrag zu erleich-
tern, abſichtlich übergangen haben und daher hier nachtragen
wollen.


Wir haben oben voraus geſetzt, daß nicht nur der Beobach-
ter auf der Oberfläche der Erde, ſondern daß auch noch ein an-
derer, im Mittelpunkte e der Erde, die Dauer des Durchgangs
geſehen habe, und auf die Vergleichung dieſer beiden Beobach-
tungen beruht eigentlich, wie man bemerkt haben wird, die ganze
Methode unſerer Parallaxen-Beſtimmung. Allein wie ſollen wir
dieſe Beobachtung, die im Mittelpunkt der Erde angeſtellt wor-
den iſt, erhalten? — Sie unmittelbar anzuſtellen, iſt allerdings
unmöglich, aber die Rechnung gibt hier, wie in ſo vielen andern
Fällen den Aſtronomen ein leichtes Mittel an die Hand, dieſen
Mangel zu erſetzen. Da nämlich die Tafeln der Venus ſchon in
ſo hohem Grade genau ſind, da man die Bewegung dieſes Pla-
neten und den ſcheinbaren Durchmeſſer derſelben ſowohl, als auch
jenen der Sonne ſchon mit ſo viel Schärfe kennt, ſo iſt es ſehr
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 7
[98]Venus.
leicht, durch Rechnung zu beſtimmen, wie lang die Dauer eines
ſolchen Durchgangs für den Mittelpunkt der Erde ſeyn wird, viel
leichter in der That, als für irgend einen andern Punkt der Ober-
fläche der Erde, weil man für dieſen letztern auf die Parallaxe der
Sonne und der Venus Rückſicht nehmen müßte, die hier, für den
Mittelpunkt der Erde, ganz wegfällt. Die Rechnung, von wel-
cher hier die Rede iſt, wird ganz dieſelbe ſeyn, welche man bei der
Beſtimmung der Mondsfinſterniſſe für unſern Kalender anwendet,
und mit der Jeder bekannt iſt, dem die erſten Elemente der rech-
nenden Aſtronomie nicht ganz fremd ſind.


Das Zweite, was man wahrſcheinlich ſchon ohnehin be-
merkt haben wird, iſt, daß wir oben immer nur von der Dif-
ferenz
der Parallaxen der Venus und der Sonne geſprochen ha-
ben, da es doch anfangs hieß, daß die Venusdurchgänge die
Sonnenparallaxe ſelbſt ſo genau beſtimmen ſollen. In der
That hat man geſehen, daß alles Vorhergehende ſich nur auf die
Differenz dieſer beiden Parallaxen gründet, und daß man
doch auch nur dieſe Differenz, keineswegs aber die beiden
Parallaxen ſelbſt, durch jene Methode beſtimmen kann.


Und ſo iſt es auch in der That: wir erhalten durch das bis-
her erklärte Verfahren bloß die Differenz dieſer zwei Parallaxen.
Allein hier kömmt uns das ſchon mehrmals (z. B. I. §. 58. 146
u. f.) angeführte dritte Geſetz Keplers ſehr zu ſtatten. Nach die-
ſem Geſetze verhalten ſich nämlich die Quadrate der Umlaufszeiten
der Planeten wie die Würfel ihrer mittleren Entfernungen von
der Sonne. Es wurde aber ebenfalls ſchon geſagt (I. §. 123) daß
man dieſe Umlaufszeiten der Planeten aus den Beobachtungen
der Alten mit der größten Schärfe beſtimmen kann, und auch in
der That beſtimmt hat. Alſo darf man auch, da uns das Kep-
ler’ſche Geſetz gegeben iſt, annehmen, daß wir die Verhältniſſe
der Entfernungen der Planeten von der Sonne mit derſelben
Schärfe kennen. Allein dieſe Verhältniſſe der Entfernungen ſind
nichts anders, als die Verhältniſſe der Parallaxen, da der Sinus
der Parallaxe eines jeden Planeten gleich iſt dem bekannten Halb-
meſſer der Erde dividirt durch die Entfernung des Planeten von der
Erde. Zur Zeit der untern Conjnnction aber, wo Venus in einer geraden
[99]Venus.
Linie zwiſchen der Erde und der Sonne ſteht, iſt die Entfernung
der Venus von der Sonne gleich dem, aus der elliptiſchen Theo-
rie bekannten Radius Vector (I. S. 282) der Erde, weniger dem
der Venus, ſo daß daher für dieſelbe Zeit das Verhältniß der
Entfernungen beider Planeten von der Sonne, alſo auch das Ver-
hältniß ihrer Parallaxen als eine gegebene und ſehr genau bekannte
Größe anzuſehen iſt. Wenn man aber von zwei unbekannten
Größen ihr Verhältniß und überdieß auch, wie dies bei un-
ſerer Methode der Fall iſt, ihre Differenz kennt, ſo kann man
auch ſehr leicht jede dieſer beiden Größen ſelbſt finden. Wenn z.
B. durch die Beobachtung eines Durchgangs die Differenz der
beiden Parallaxen gleich 23″ gefunden worden iſt, und wenn man
aus der Theorie der elliptiſchen Bewegung, verbunden mit dem
erwähnten Geſetze Keplers weiß, daß für dieſelbe Zeit das Ver-
hältniß der beiden Parallaxen 3,795 iſt, ſo findet daraus jeder
Anfänger in der Algebra ſofort, daß die beiden Parallaxen ſelbſt,
die eine gleich 23″ und die andre gleich 8″ ſeyn muß, wodurch
daher nicht bloß die geſuchte Parallaxe der Sonne, ſondern auch zu-
gleich die der Venus gefunden wird.


§. 74. (Einfache Darſtellung des Vorhergehenden.) Man
kann denſelben Gegenſtand noch auf eine andere, ſehr einfache
Weiſe darſtellen. Iſt ABC (Fig. 7) die Erde, V die Venus und
S die Sonne, ſo kann man, ohne in der Erſcheinung etwas zu
ändern, die Erde, in Beziehung auf ihre jährliche Bewegung,
als ruhend vorſtellen und dafür der Venus die Differenz derjeni-
gen zwei Bewegungen geben, welche dieſer Planet und die Erde
in der That haben. Sey alſo aVb der Weg, welchen Venus mit
dieſer relativen Bewegung während der Zeit des ganzen Durch-
gangs in ihrer Bahn beſchreibt. Es ſeyen ferner A und B zwei Be-
obachter auf der Oberfläche der Erde, welche die zwei Endpunkte
desjenigen Erddurchmeſſers AB einnehmen, der auf der Ebene der
Ecliptik ſenkrecht ſteht. Läßt man der größeren Einfachheit we-
gen die tägliche Rotation der Erde außer Betrachtung und nimmt
man alſo an, daß dieſe zwei Beobachter ihre Lage gegen die
Sonne unverändert beibehalten, ſo wird der eine Beobachter A zu
einer gewiſſen Zeit den Mittelpunkt der Venus auf der Sonnen-
7 *
[100]Venus.
ſcheibe in s und der andere Beobachter B in S ſehen. Wenn ſie
nun beide ein Mittel beſitzen, die Entfernung der Punkte s und
S von dem Mittelpunkte oder von dem Rande der Sonne mit
Genauigkeit zu meſſen, ſo wird ihnen die Größe des Bogens sS
z. B. in Secunden bekannt ſeyn. Nehmen wir an, daß man
dieſen Bogen Ss gleich 40 Sec. gefunden habe. Da nun die
Winkel in V, welche die beiden geraden Linien As und BS mit
einander bilden, gleich groß und da auch die beiden Linien AB
und Ss einander ſehr nahe parallel ſind, indem ſie beide auf der
Ecliptik ſenkrecht ſtehen, ſo hat man aus den erſten Elementen der
Geometrie die Proportion
Ss : AB = SV : VB.


Allein SV iſt die Diſtanz der Sonne von der Venus und VB
die der Venus von der Erde und aus der Theorie der elliptiſchen
Bewegung weiß man, daß zur Zeit des Durchgangs dieſe Größen
SV = 0,68 und VB = 0,27 ſind, wenn die mittlere Diſtanz
der Erde von der Sonne als Einheit angenommen wird. Man
hat daher auch
Ss : AB = 68 : 27 oder nahe = 5 : 2
oder jener Bogen Ss nimmt auf der Oberfläche der Sonne einen
Raum ein, der 5/2 mal ſo groß iſt als der Durchmeſſer AB der Er-
de. Dieſer Bogen ſelbſt, in Secunden ausgedrückt, iſt daher auch
2 ½ mal ſo groß als derjenige Bogen, unter welchen der Durch-
meſſer der Erde, von der Sonne aus geſehen, erſcheinen würde,
d. h. der Winkel SAs iſt 2 ½ mal größer als der Winkel BSA.
Dieſer letzte Winkel iſt aber (I. §. 61) die doppelte Parallaxe der
Sonne. Da nun der Winkel SA s oder der Bogen Ss oben gleich
40 Secunden gefunden worden iſt, ſo folgt, daß die doppelte
Sonnenparallaxe 16 Sec. und daher dieſe Parallaxe ſelbſt 8 Sec.
beträgt.


Daraus ſieht man zugleich, daß jeder Beobachtungsfehler,
den man in der Meſſung des Winkels SAs oder des Bogens Ss be-
geht, nur den fünften Theil dieſes Fehlers in der geſuchten Son-
nenparallaxe hervorbringen wird, was für die Beſtimmung dieſer
letzten Größe ſehr vortheilhaft iſt, beſonders dann, wenn man
Mittel beſitzt, dieſen Bogen Ss ſelbſt ſchon mit einer großen Ge-
[101]Venus.
nauigkeit zu meſſen. Mikrometriſche Meſſungen, ſo ſcharf dieſe
auch ſeyn mögen, ſind hier nicht mit der gewünſchten Sicher-
heit anzuwenden, weil es ſich um zwei verſchiedene Beobachter
handelt. Viel beſſer wird man dieſen Zweck erreichen, wenn
man von beiden Orten A und B der Erde den Eintritt der
Venus in m und M und den Austritt in n und N aus der
Sonnenſcheibe beobachtet. Wir haben bereits oben geſagt, daß
man dieſe Ein- und Austritte des ſchwarzen Kreiſes auf dem
hellen Sonnenhintergrunde ſehr ſcharf beobachten kann. Da
ferner die relative Bewegung der Venus auf der Sonne ſo lang-
ſam, und überdieß durch unſere ſchon ſehr vollkommenen Tafeln,
ſehr genau bekannt iſt, und da man endlich, ohne allen merkli-
chen Fehler die Wege MN und mn, welche der Planet auf der
Sonne zu beſchreiben ſcheint, als gerade Linien annehmen kann,
ſo erhält man eigentlich durch dieſe beobachteten Ein- und Aus-
tritte die Längen der beiden geraden Linien MN und m n, und
zwar mit der größten Schärfe, und es handelt ſich jetzt nur noch
um die leichte Auflöſung des geometriſchen Problems: die Diſtanz S s
zweier Sehnen eines Kreiſes zu finden, in welchem die Größe dieſer
Sehnen ſowohl, als auch der Halbmeſſer dieſes Kreiſes, d. h. der
Halbmeſſer der Sonne mit der größten Genauigkeit bekannt iſt.


§. 75. (Ueber die Verbeſſerung der Planetentafeln.) Das
Vorhergehende wird genügen, eine allgemeine Vorſtellung von dem
Verfahren zu geben, welches die Aſtronomen bei dieſer Beſtim-
mung der Sonnenparallaxe anwenden, und zugleich den hohen
Grad ſeiner Sicherheit zu zeigen. Allein die Vervollkommnung,
welche ſeit nahe einem halben Jahrhunderte die Analyſe und
durch ſie die berechnende Aſtronomie erhalten hat, ſetzt uns ge-
genwärtig in den Stand, jene wichtige und noch viele andere in-
tereſſante Aufgaben auf eine andere, ſehr vorzügliche Weiſe auf-
zulöſen, von der wir hier, ſo gut es ohne eigentliche Rechnung
möglich iſt, einige nähere Nachrichten mittheilen wollen.


Um die Sache ſogleich durch ein Beiſpiel deutlich zu machen,
ſo haben wir bereits oben (I. §. 143) gezeigt, wie man den Ort
eines Planeten für jede gegebene Zeit aus den für dieſen Plane-
ten bereits berechneten Tafeln finden könne. Hat man nun für
[102]Venus.
dieſelbe Zeit den Planeten auch wirklich beobachtet, ſo müſſen
beide Reſultate, das der Tafel, oder, was daſſelbe iſt, das der
Rechnung und das der unmittelbaren Beobachtung übereinſtim-
men, wenn anders beyde: Beobachtung und Berechnung, ganz
gut und fehlerfrei ſind.


Wenn nun die Beobachtungen mit aller möglichen Sorgfalt,
mit den beſten Inſtrumenten und unter den günſtigſten Umſtän-
den angeſtellt worden ſind, wenn vielleicht mehrere Aſtronomen
an derſelben oder auch an verſchiedenen Sternwarten dieſe Be-
obachtungen gemacht und davon das ſogenannte Mittel genom-
men haben, ſo wird man, da alle Wahrſcheinlichkeit dafür ſpricht,
dieſe Beobachtung, die man zur Vergleichung gewählt hat, als
gut anſehen können. Wenn ſie nun aber mit der Rechnung, d. h.
mit dem aus den Tafeln durch Rechnung abgeleiteten Orte dem-
ungeachtet nicht ſtimmen ſollte? — Dann bleibt nichts übrig, als
dieſe Rechnung oder dieſe Tafeln für fehlerhaft zu erklären.


Es iſt aber eines der wichtigſten, ja das Hauptgeſchäft
des Aſtronomen, dieſe Tafeln der Planeten immer mehr und
mehr zu vervollkommnen und es endlich, wenn möglich, dahin zu
bringen, daß ein ſolcher aus den Tafeln berechneter Ort verläß-
licher iſt, als jede einzelne Beobachtung, oder daß wir auf dieſe
Weiſe den Himmel, d. h. hier die Planeten und ihre Bewegungen,
am Ende ſo genau kennen lernen, um alle fernern Beobachtungen
gleichſam entbehrlich zu machen.


Wenn alſo eine als gut anerkannte Beobachtung mit dieſen
Tafeln nicht ſtimmt, ſo ſind dieſe Tafeln noch fehlerhaft, und
ſie müſſen daher verbeſſert werden. Allein wo ſoll man dieſe Ver-
beſſerung anbringen?


Dieſe Frage iſt von der größten Wichtigkeit. — Um eine
ſolche Tafel zu conſtruiren, muß man eine nicht kleine Anzahl
von Dingen zu Hülfe rufen oder zu Grunde legen. Man muß
z. B. die große Axe der Bahn, oder die Umlaufszeit des Planeten
um die Sonne, man muß die Lage dieſer großen Axe, die Ex-
centricität dieſer Bahn, ihre Neigung gegen die Ecliptik … kurz
man muß vor Allem die Elemente (Vergl. I. §. 142) der
Planetenbahn kennen. Sind dieſe einmal genau bekannt, ſo hat
[103]Venus.
die Conſtruction der Planetentafel keine andere Schwierigkeit
mehr, als die Mühe des Ealculs, die kein Aſtronom ſcheuen darf.
Allein wenn ſie nun noch nicht genau bekannt, wenn eine, wenn
mehrere, wenn vielleicht alle dieſe Elemente noch etwas unrichtig,
noch kleinen Fehlern unterworfen ſind, ſo können dann auch gute
Beobachtungen mit dieſen Tafeln nicht übereinſtimmen, und die
letzten müſſen vor allen andern verbeſſert, d. h. die den Tafeln zu
Grunde gelegten Elemente müſſen vor allen andern corrigirt
werden, um jene gewünſchte Harmonie zwiſchen ihnen und den
Beobachtungen einmal erhalten zu können.


§. 76. (Allgemeines Verfahren zu dieſem Zwecke.) Nun wäre
es wohl leicht, irgend eines dieſer Elemente ſo zu ändern, daß
dadurch dieſe Uebereinſtimmung für eine Beobachtung erzeugt
wird. Man dürfte nur z. B., was das einfachſte wäre, die Epoche
der mittlern Bewegung (I. §. 116) dem gemäß etwas ändern,
um die Tafel mit dieſer Beobachtung in vollkommene Harmonie
zu bringen. Allein wird dann auch ſofort jede zweite, dritte und
überhaupt jede folgende gute Beobachtung durch die Tafeln dar-
geſtellt werden? — Schwerlich, da jenes Verfahren vorausſetzt,
daß nur die Epoche der Tafeln fehlerhaft, jedes andere Element
aber vollkommen gut iſt, eine Vorausſetzung, zu der die Epoche
kein größeres Recht, als alle übrigen Elemente hat.


Man wird alſo im Allgemeinen alle Elemente für fehlerhaft
anſehen, und ſie ſonach alle auf einmal ſo verbeſſern müſſen,
daß dadurch nicht nur eine, ſondern eine große Anzahl guter und
weit von einander entfernter Beobachtungen vollkommen genau
dargeſtellt werden. Aber wie ſoll man das anfangen? Man ſieht
ohne meine Erinnerung, daß das Problem, das ſich hier die Aſtro-
nomen gegeben haben, kein leichtes iſt. Und doch muß es auf-
gelöst werden, weil man ſonſt gar nicht daran denken kann,
auch nur einmal gute Planetentafeln zu erhalten. Daß aber
ſolche Tafeln, nicht bloß für die Wiſſenſchaft, von ſehr großem
Werthe ſind, iſt wohl für ſich klar. Wenn z. B. unſere Monds-
tafeln noch ſo fehlerhaft wären, wie ſie es zu Tycho’s und ſelbſt
zu Newtons Zeiten waren, ſo würden wir das beſte und vorzüg-
lichſte Mittel, die geographiſche Länge auf der hohen See zu
[104]Venus.
beſtimmen, nämlich die Methode der Diſtanzen des Mondes von
den Sternen, auch gar nicht mit Sicherheit anwenden können,
und Hunderte von [Schiffen] würden ſchon zu Grunde gegangen
ſeyn, bloß weil ihnen dieſes Mittel fehlte.


Wie ſoll man es aber anfangen, alle Elemente einer Planeten-
bahn auf einmal zu verbeſſern. — Dieß iſt es, was ich hier zu-
nächſt zu erklären ſuchen werde.


Nehmen wir an, wir hätten eine Anzahl von beobachteten
Sonnenlängen vor uns, die wir alle als ganz gut anzuſehen
berechtigt ſind. Berechnen wir ſogleich aus unſern Sonnentafeln,
für die Zeiten jener Beobachtungen, dieſe tabellariſchen Längen
der Sonne. Da unſere Sonnentafel noch fehlerhaft iſt, wie wir
vorausſetzen, ſo werden dieſe berechneten Längen mit den beob-
achteten nicht genau ſtimmen. Seyen a, a', a'', die Differenzen
dieſer beiden Längen für die 1, 2, 3te Beobachtung.


Betrachten wir von den Elementen dieſer Sonnentafel zuerſt
die Länge des Apheliums. Nehmen wir z. B. an, die erſte Beob-
achtung ſey zu einer ſolchen Zeit gemacht worden, wo die Länge
der Sonne weniger der Länge ihres Apheliums, d. h. wo die mittlere
oder wahre Anomalie (I. §. 140) der Sonne nahe gleich 200 Grade
war. Geht man in denjenigen Theil der Sonnentafeln ein, der
mit dem Argumente der mittlern Anomalie die Gleichung der
Bahn (I. §. 141) gibt, ſo findet man, daß für eine ſolche Sonnen-
länge durch eine Minute Aenderung der Anomalie die wahre Länge
der Sonne um nahe 2 Sec. vergrößert wird. Damit könnte man
nun gleich dieſes Element ſo verbeſſern, daß die tabellariſche und
die beobachtete Länge der erſten Beobachtung vollkommen mit
einander übereinſtimmen, oder daß der erſte der oben erwähnten
Fehler a gänzlich verſchwinden müßte. Allein da, wie bereits
geſagt, die andern Elemente eben ſo gut fehlerhaft ſeyn können,
als dieſes erſte, ſo wollen wir auch noch einige dieſer andern auf
dieſelbe Weiſe betrachten.


Derſelbe Theil unſerer Tafel, von welchem wir ſo eben ge-
ſprochen haben, ſetzt auch eine beſtimmte Excentricität, oder was
daſſelbe iſt, einen beſtimmten größten Werth der Gleichung der
Bahn voraus. Nehmen wir an, daß eine Minute Aenderung
[105]Venus.
dieſer größten Gleichung der Bahn die Länge der Sonne um 0,5
Secunden ändere, und daß eben ſo eine Minute Aenderung der
Umlaufszeit der Sonne die Länge derſelben nur um 0,3 Secunden
vergrößere, und ſofort für alle übrigen Elemente der Sonnenbahn.


Wenn man auf dieſe Weiſe die Aenderungen kennt, welche
eine Minute in jedem einzelnen Elemente in der Länge der Sonne
hervorbringt, ſo weiß man auch, wie viel dieſe Länge durch jede
andere gegebene Aenderung der Elemente, z. B. durch den halben
oder durch den vierten Theil einer Minute geändert werden würde.
Nehmen wir nun an, daß man bereits die Aenderungen kenne,
welche an dieſen Elementen angebracht werden müſſen, um jene
erſte unſerer Beobachtungen ganz genau darzuſtellen, daß alſo
z. B. die Länge des Apheliums um x Minuten vergrößert, die
größte Gleichung der Bahn um y Minuten verkleinert, die Um-
laufszeit der Sonne um z Minuten vergrößert werden ſoll u. ſ.
w., ſo wird man, aus den erſten Gründen der Algebra, für die
totale Aenderung der Länge den Ausdruck haben
2 x — 0,5y + 0,3z
und da dieſe totale Aenderung der Sonnenlänge gleich dem oben
erwähnten Fehler a der erſten Beobachtung ſeyn muß, ſo hat man
die Gleichung
a = 2 x — 0,5y + 0,3z


Eine ähnliche Gleichung wird man aus der zweiten Beob-
achtung für a' und aus der dritten für a'' erhalten, und wer nur
eben die erſten Lehren von der Auflöſung der Gleichungen kennt,
wird daraus ohne Mühe diejenigen Werthe von x, y und z
finden, welche dieſen drei Gleichungen entſprechen, d. h. er wird
finden, wie viel Minuten, oder um welchen Theil einer Minute
jedes dieſer drei Elemente geändert werden müſſe, damit die mit
dieſen verbeſſerten Elementen berechneten Längen der drei Sonnen-
orte genau mit den beobachteten Längen derſelben übereinſtimmen.


§. 77. (Bedingungsgleichungen und Wahrſcheinlichkeitsrechnung.)
Man ſieht von ſelbſt, daß man dieſes Verfahren auch auf mehr
als drei, daß man es auf alle ſechs Elemente fortſetzen kann
(I. §. 142), daß man aber auch dann ſechs Beobachtungen braucht,
deren jede eine der obigen ähnliche Gleichung mit ſechs unbe-
[106]Venus.
ſtimmten Größen geben wird. Man nennt ſie Bedingungs-
gleichungen
und ſucht ſie in der neuen Aſtronomie überall an-
zuwenden, wo man einer vorzüglichen Schärfe in den Reſultaten
bedarf.


Wenn man nun aber auf dieſe Weiſe durch ſechs vorzüglich
gute Beobachtungen eines Planeten, mittels der ſechs ihnen ent-
ſprechenden Bedingungsgleichungen, diejenigen Werthe der Elemente
beſtimmt hat, wodurch dieſe ſechs Beobachtungen vollkommen genau
dargeſtellt werden, wird man dann auch vorausſetzen dürfen, daß
die ſo beſtimmten Elemente auch zugleich die wahren ſind? —
Allerdings, vorausgeſetzt, daß jene ſechs Beobachtungen ganz ohne
alle Fehler ſind. Aber iſt dieſe Vorausſetzung auch erlaubt?
Welches Mittel haben wir, uns zu überzeugen, daß alle jene
Beobachtungen, daß auch nur eine derſelben vollkommen genau
und auch nicht um den kleinſten Theil einer Secunde fehlerhaft
iſt. Sind nicht alle unſere Beobachtungen und Experimente, ja
alle menſchlichen Unternehmungen unvollkommen und bloße An-
näherungen zur Wahrheit, aber nicht die Wahrheit ſelbſt? Ohne
Zweifel würden wir, wenn wir jenen Rechnungen ſechs andere,
nach unſerer Ueberzeugung eben ſo gute Beobachtungen zu Grunde
gelegt hätten, auch wieder ſechs andere Elemente gefunden haben,
nur wenig von jenen verſchiedene, wenn die Beobachtungen ſelbſt
in der That zu den verläßlichen gehören, aber doch immer ver-
ſchiedene. Und welchem von beiden Reſultaten ſoll man nun den
Vorzug geben?


Man ſieht, die Verlegenheit iſt nicht gering, und die Frage
ſelbſt von der größten Wichtigkeit für die geſammte Aſtronomie
ſowohl, als auch für alle Naturwiſſenſchaften, die ſich in letzter
Inſtanz, doch immer nur auf Beobachtungen, d. h. alſo auf mehr
oder weniger fehlerhafte Vorausſetzungen gründen. So lange
daher dieſe Frage nicht beantwortet iſt, beſtehen alle unſere Be-
ſtimmungen nur in einzelnen, von einander iſolirten Verſuchen,
deren jeder ein anderes Reſultat gibt. Da wir kein Mittel
haben, unter allen dieſen Reſultaten das Beſte zu erkennen, ſo
würden, wie man ſieht, alle unſere Bemühungen ein immerwäh-
rendes Herumirren in einem Kreiſe ſeyn, in deſſen Mittelpunkte
[107]Venus.
die uns immer verſagte Wahrheit liegt, und die wir, ſelbſt wenn
wir ſie einmal zufällig erreichen ſollten, nicht einmal erkennen
würden.


Dieſem Uebel, das dem Fortgange aller Wiſſenſchaften feindlich
entgegen tritt, dieſem großen Uebel abzuhelfen, wurde die ſoge-
nannte Wahrſcheinlichkeits-Rechnung erfunden, die zwar
ſchon den Zeiten Newtons angehört, die aber beſonders in unſern
Tagen ihre weitere Ausbildung erhalten hat. Da uns jedoch die
Auseinanderſetzung dieſes wichtigen und intereſſanten Gegenſtandes
zu weit von unſern gegenwärtigen Betrachtungen abführen würde,
ſo wollen wir die nähere Betrachtung deſſelben dem Schluſſe dieſer
Schrift vorbehalten.


[[108]]

KapitelIV.
Mars.


§. 78. (Obere und untere Planeten.) Die beiden vorher-
gehenden untern Planeten, Merkur und Venus, bewegen ſich
immer innerhalb der Erdbahn um die Sonne, oder ihre Bahnen
werden von jener der Erde eingeſchloſſen. Mars iſt der erſte, der
im Gegentheile ſich außerhalb der Erdbahn bewegt, oder er iſt der
erſte der obern Planeten. Aus dieſer Urſache iſt er nicht mehr,
wie jene, in beſtimmten Entfernungen von der Sonne eingeſchloſſen,
oder man ſieht ihn nicht bloß in der Nachbarſchaft der Sonne,
ſondern vielmehr unter allen möglichen Winkeln mit derſelben,
alſo zuweilen ſogar ihr gegenüber, wo er um Mitternacht durch
den Meridian geht, und, wie man ſagt, mit der Sonne in Oppo-
ſition iſt, was nicht möglich wäre, wenn nicht die Erde, zur Zeit
der Oppoſition, zwiſchen ihm und der Sonne ſtünde, wenn alſo die
Erdbahn von der Marsbahn nicht eingeſchloſſen würde. Auch ſieht
man ihn, aus derſelben Urſache nie in der Geſtalt einer Sichel,
wie Merkur und Venus. Zwar bemerkt man zu der Zeit, wo
Mars neunzig Grade von der Sonne entfernt iſt, den öſtlichen
oder weſtlichen Rand deſſelben beſchattet oder dunkel, nahe wie
unſern Mond drei Tage vor oder nach dem Vollmonde. Aber
dieſer dunkle Theil beträgt, ſelbſt wenn er, wie hier, am größten
iſt, noch nicht den achten Theil der ganzen uns ſichtbaren Hälfte
[109]Mars.
dieſes Planeten, und iſt daher kaum bemerklich. Noch kleiner
iſt dieſer dunkle Theil bei den übrigen obern Planeten, Jupiter,
Saturn und Uranus, die, ſelbſt durch unſere Fernröhre beſe-
hen, immer vollkommen rund erſcheinen. Aus der ſehr kleinen
Parallaxe, die man an dieſen letzten drei Planeten beobachtet, folgt,
daß ſie ſehr weit von uns abſtehen müſſen, und aus dem Mangel
aller bemerkbaren Phaſen müſſen wir den Schluß ziehen, daß wir
ſie immer in einer Richtung ſehen, die nicht ſehr von derjenigen
verſchieden ſeyn kann, in welcher die Strahlen der Sonne dieſe
Planeten beleuchten, daß alſo unſere Erde eine Stellung im Welt-
raume einnimmt, die nie ſehr weit von dem Mittelpunkte der
Bahnen jener Planeten entfernt ſeyn kann, d. h. alſo wieder, daß
die Erdbahn von den Bahnen dieſer obern Planeten umſchloſſen
wird, daher wir ſie auch nie, wie die untern, vor der Sonne vor-
bei gehen ſehen können.


§. 79. (Entfernung und Umlaufszeit des Mars.) Die mittlere
Entfernung des Mars von der Sonne oder die halbe große Axe
ſeiner Bahn beträgt 1,324 von der mittlern Entfernung der Erde
von der Sonne, oder nahe 32 Millionen Meilen. Da aber die
Excentricität ſeiner elliptiſchen Bahn ſehr groß iſt, ſo kann er ſich,
im Perihelium, der Sonne bis auf 29 Mill. Meilen nähern, wäh-
rend er im Aphelium 35 Mill. Meilen von ihr abſteht. Viel größer
aber ſind die Verſchiedenheiten ſeiner Diſtanzen von der Erde.
In der Oppoſition, wo er der Erde am nächſten ſteht, iſt er
zuweilen nur 7, in der Conjunction aber, wo er am weiteſten von
ihr abſteht, iſt er 54 Millionen Meilen, alſo nahe 8 mal weiter,
als in der erſten Lage, von der Erde entfernt.


Der Durchmeſſer des Mars beträgt 1000 Meilen, oder nur
etwas über die Hälfte, genauer 6/10 des Erddurchmeſſers. Die
Oberfläche dieſes Planeten hat 9 Millionen Quadratmeilen, alſo
3/10 der Erdoberfläche. Das Volum deſſelben aber beträgt 467
Millionen Kubikmeilen, oder nur ⅕ des Volums der Erde.


Der ſcheinbare Durchmeſſer des Mars, wie er von der Erde
geſehen wird, muß ebenfalls ſehr veränderlich ſeyn, wie ſeine Ent-
fernung von uns. In der That beträgt derſelbe zur Zeit ſeiner
Conjunction nur 4 Secunden, alſo erſcheint er da nur in der
[110]Mars.
Größe des Uranus; zur Zeit ſeiner Oppoſition aber hat dieſer
Durchmeſſer 27 Secunden, iſt alſo da nahe ſo groß, wie Jupiter
zu der Zeit, wo er am kleinſten erſcheint. Der Durchmeſſer der
Sonne endlich erſcheint den Bewohnern des Mars unter dem
Winkel von 1280 Secunden, oder über 10 Minuten kleiner als
uns der Durchmeſſer der Sonne erſcheint.


Die Umlaufszeit dieſes Planeten um die Sonne beträgt
686,980 Tage in Beziehung auf die Fixſterne, und 686,930 Tage in
Beziehung auf den Frühlingspunkt (I. §. 123). Daraus folgt,
daß er in ſeiner mittlern Geſchwindigkeit während jeder Se-
cunde nahe 3⅔ Meilen zurücklegt. — Die Maſſe des Mars iſt
ſchwer mit Genauigkeit zu beſtimmen, da er keinen Satelliten hat.
Wir haben kein anderes Mittel, als die Störungen, die er in dem
Laufe der Erde hervorbringt, um aus ihnen rückwärts auf die
eigentliche Kraft, d. h. auf die Maſſe des ſtörenden Körpers zu
ſchließen. Allein da dieſe Störungen, wegen der geringen Maſſe
des Mars, ſelbſt wenn ſie am größten ſind, nur ſieben Secunden
betragen, ſo gewähren ſie keine hinlängliche Sicherheit. Man
nimmt an, daß die Maſſe des Mars nur etwa 1/10 von der Maſſe
der Erde ſey, während die Dichte dieſer Maſſe 7/10 der mittlern
Dichte der Erde betragen ſoll. Daraus würde folgen, daß die
Körper auf der Oberfläche dieſes Planeten in der erſten Secunde
nur durch 6 3/10 Fuß fallen, der kleinſte Weg, den überhaupt die
frei fallenden Körper auf irgend einem Planeten unſers Sonnen-
ſyſtems zurücklegen.


§. 80. (Flecken und Rotation des Mars.) Man erkennt
dieſen Planeten ſehr leicht an ſeiner trübrothen Farbe, die der des
mattglühenden Eiſens ähnlich iſt. Mit guten Fernröhren hat man
auch mehrere Flecken auf ſeiner Oberfläche beobachtet, die eine
braunröthliche, unſerer Ochererde, oder unſerem rothen Sandſteine
ähnliche Farbe haben, und vielleicht das Feſtland dieſes Planeten
bezeichnen, während andere, grünlich gefärbte Flecken, Seen oder
Meere ſeyn mögen. Caſſini beobachtete ſie zuerſt i. J. 1666, und
ſchloß daraus die tägliche Rotation dieſes Planeten um ſeine Axe
gleich 24 St. 40 M. unſerer mittleren Zeit (I. §. 158). Der
ältere Herſchel beſtimmte dieſe Umlaufszeit ſpäter i. J. 1781 auf
[111]Mars.
24 St. 39 M. 21 Sec., und eben ſo wurde ſie auch von Beer,
Mädler und Kunowsky gefunden, die ſich erſt in den letzten Jahren
mit dieſem Gegenſtande eifrig beſchäftiget haben. Es iſt immer
merkwürdig, daß die Tage der vier nächſten Planeten bei der
Sonne alle nahe gleich lang ſind, während ſich die von der Sonne
entfernteren Planeten durchaus viel geſchwinder bewegen. Die
letztgenannten Beobachter fanden, daß jene Flecken in Beziehung
auf ihre Geſtalt und auf ihren Ort ſehr conſtant ſind, und ſie
glaubten daraus folgern zu dürfen, daß ſie nicht, wie man früher
glaubte, wolkenartige Gegenſtände ſeyen, ſondern daß ſie vielmehr
der Oberfläche des Mars ſelbſt angehören. Allein dieſer Flecken
gibt es wohl wenigſtens zwei ſehr verſchiedene Arten. Schröter
und Harding haben an den meiſten der von ihnen beobachteten
Flecken eine ſehr große Veränderlichkeit wahrgenommen. Schröter
beobachtete mehrmals die Geſchwindigkeit, mit welcher ſie über
die Oberfläche ihres Planeten hinziehen, zu 50 und ſelbſt zu
90 Fuß in einer Secunde, was die Schnelligkeit unſerer hef-
tigſten Stürme beinahe um das Doppelte übertrifft. Auch hat
man häufig Veränderungen in der Geſtalt der einen Gattung
dieſer Flecken bemerkt, zum Beweiſe, daß dieſe wenigſtens der
Atmoſphäre des Mars angehören.


§. 81. (Atmoſphäre des Mars.) Auch dieſe Atmoſphäre ſelbſt
iſt nach einigen Beobachtern ganz verſchieden von der, die wieder
Andere geſehen haben wollen. Caſſini und Römer ſahen öfter
kleine Fixſterne, wenn ihnen Mars näher rückte, allmählig dunkler
werden und endlich ganz verſchwinden, noch ehe ſie den eigentlichen
Rand des Planeten erreichten. Sie ſchrieben dieß der ſehr ſtarken
Atmoſphäre deſſelben zu, die beſonders in den untern Schichten
ſo dicht ſeyn ſollte, daß man die kleinen Sterne dadurch nicht
mehr ſehen konnte. Allein James South bemerkte eine ſolche zu
frühe Verſchwindung nicht, als er am 28. Nov. 1832 die Bedeckung
eines Sterns der 8ten Größe von Mars, mit beſonderer Aufmerk-
ſamkeit auf dieſen Gegenſtand, beobachtete. Hier zeigte ſich auch
nicht die geringſte Spur einer ſolchen Veränderung des Sterns:
er behielt vielmehr ſein volles Licht und ſeine hellblaue Farbe bis
zu dem Augenblicke ſeines eigentlichen Eintritts, und auch bei und
[112]Mars.
nach ſeinem Austritte zeigte ſich keine ſolche Aenderung, zum Be-
weiſe, daß die Atmoſphäre des Mars, wenn ſie überhaupt exiſtirt,
aus ſehr zarten und dünnen Stoffen geweht ſeyn müſſe. Allein
man darf nicht unterlaſſen hinzuzuſetzen, daß ſein 19 ſchuhiges
Fernrohr von 11 8/10 Zoll Oeffnung eine ganz außerordentliche
Deutlichkeit und Lichtſtärke haben ſoll.


§. 82. (Abplattung des Mars.) Nicht minder zweifelhaft
iſt man über die Abplattung dieſes Planeten an ſeinen beiden
Polen. Der ältere Herſchel will das Verhältniß ſeiner beiden
Axen wie 15 zu 16 gefunden haben. Nach andern Beobachtern
iſt der Unterſchied zwiſchen ihnen viel kleiner. Künftige Beob-
achtungen mit ausgezeichneten Fernröhren werden uns darüber wohl
bald mehr Gewißheit geben. An jedem dieſer Pole bemerkt man einen
runden, blendend weißen Flecken (M. ſ. die Figur des Mars am Ende).
Er verſchwindet allmählig, wenn der Pol eine längere Zeit den
Sonnenſtrahlen ausgeſetzt iſt, oder Sommer hat, und er iſt am
größten und hellſten, wenn er eben aus der langen Nacht ſeines
Polarwinters heraustritt. Man hat daraus mit vieler Wahrſchein-
lichkeit den Schluß gezogen, daß dieſe Flecken große Schneefelder
ſind. Sie ſcheinen ſelbſt, wenn ſie am größten ſind, über die
eigentliche Kugel des Planeten hervorzutreten, vielleicht weil ſich in
den Polen hohe Eisgebirge bilden, vielleicht auch in Folge derſelben
optiſchen Täuſchung, nach welcher wir den beleuchteten Theil des
Mondes immer als das Segment einer größern Kugel ſehen,
als den übrigen dunklen Theil. Dieſe Flecken lehrten uns auch
die Neigung des Aequators dieſes Planeten gegen ſeine Bahn
kennen. Sie beträgt 28° 42′, iſt alſo nicht ſehr von unſerer
Schiefe der Ecliptik verſchieden, daher auch die Abwechslung der
Jahreszeiten auf dem Mars nahe dieſelben Erſcheinungen zeigen
wird, wie auf der Erde. Aber die Beleuchtung, welche Mars von
der Sonne erhält, iſt nur die Hälfte von jener der Erde, da dieſe
ſich immer verhält, wie das Quadrat der Entfernung von dem
leuchtenden Körper. Diejenige Beleuchtung aber, welche die Erde
von dem geborgten Lichte des Mars erhält, iſt gegen 9000 Mil-
lionenmal ſchwächer, als das der Sonne, d. h. erſt 9000 Millionen
dem Mars ähnliche und mit ihm gleich ſtark beleuchtete Kugeln
[113]Mars.
neben einander geſetzt, würden auf der Erde ein ſolches Licht ver-
breiten, welches unſerem hellen Mittagslichte gleicht.


§. 83. (Wichtige Dienſte, die Mars der Aſtronomie geleiſtet
hat.) Satelliten hat man, wie geſagt, an dieſem Planeten noch
keine bemerkt; demungeachtet könnten ſie doch wohl exiſtiren. Da
Mars ſelbſt nur ſo matt beleuchtet iſt, ſo wäre es möglich, daß
dieſe Satelliten ihr von der Sonne erhaltenes Licht in noch
ſchwächerem Grade zurückwerfen, und daß ſie ſich überdieß vielleicht
mehrere Grade von ihrem Hauptplaneten entfernen, wodurch das
Auffinden dieſer Monde ſehr erſchwert werden müßte. Es wäre
deßhalb vielleicht zweckmäßig, dieſen Planeten und ſeine Umgebungen
beſonders zu der Zeit ſeiner Oppoſition, wo er der Erde am nächſten
ſteht, mit lichtſtarken Fernröhren aufmerkſam und wiederholt zu
unterſuchen.


Uebrigens hat uns dieſer Planet, in Beziehung auf unſere
Kenntniß des ganzen Sonnenſyſtems, ſchon zweimal ſehr wichtige
Dienſte geleiſtet. Wir haben im vorhergehenden Kapitel geſehen,
daß Mars es war, der uns die erſte genaue Beſtimmung der
Sonnenparallaxe, und damit die Kenntniß der wahren Größe
unſeres Weltſyſtems gegeben hat. Eben ſo haben wir auch ſchon
oben (I. Kap. IX.) erwähnt, daß die große Excentricität der
Marsbahn es war, die Kepler auf die Entdeckung der elliptiſchen
Bewegung der Planeten geführt hat. Hätte ſich zufällig zu der
Zeit, als Kepler ſich mit Tycho zur Förderung der Wiſſenſchaft
verband, dieſer mit einem andern Planeten beſchäftigt, ſo würde
jener ſeine große Entdeckung, durch welche die Aſtronomie eine
ganz andere Geſtalt erhielt, höchſt wahrſcheinlich nicht gemacht
haben, da er bei den ſo unvollkommenen Beobachtungen ſeiner
Zeit ſchon Mühe genug hatte, auch nur die an ſich ſo große Ellip-
ticität der Marsbahn zu erkennen.


Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 8
[[114]]

KapitelV.
Die vier neuen Planeten.


§. 84. (Merkwürdige Reihe der Entfernungen der Planeten.)
Wenn man die mittleren Diſtanzen der älteren Planeten von der
Sonne, die wir bereits oben (I. §. 100) gegeben haben, näher
betrachtet, ſo findet man zwiſchen Mars und Jupiter eine auf-
fallend große Lücke. Bezeichnet man nämlich die mittlere Ent-
fernung Merkurs von der Sonne mit 4, ſo erhält man für die
der Venus 7, der Erde 10, des Mars 16, des Jupiter 52, des
Saturn 100 und des Uranus 196. Dieſe Zahlen gehen nach
einem beſtimmten Geſetze fort, das man ſogleich bemerkt, wenn
man ſie ſo ſchreibt:


  • Merkur 4
  • Venus 4 und 3
  • Erde 4 und 2 mal 3
  • Mars 4 und 4 mal 3
  • Jupiter 4 und 16 mal 3
  • Saturn 4 und 32 mal 3
  • Uranus 4 und 64 mal 3

Es ſind aber die Zahlen 2, 4, 8, 16, 32 und 64, wie bekannt,
die ſogenannten 1, 2, 3, 4ten Potenzen der Zahl 2, indem man
jene erhält, wenn man die Zahl 2 nach und nach mit ſich
ſelbſt 2, 3, 4 mal multiplicirt. Von dieſen Potenzen fehlt in der
[115]Die vier neuen Planeten.
obigen Reihe die dritte, oder die Zahl 8, und dieſe Lücke iſt es,
die den Aſtronomen, und unter ihnen, wie man ſagt, zuerſt Kepler
auffiel, daher dieſelben auch einen bisher unbekannten Pla-
neten in dem großen Zwiſchenraume vermutheten, welcher die
Bahnen des Mars und Jupiter von einander trennt. Obſchon,
wie man geſtehen muß, die Zahlen der vorhergehenden Reihe
nicht eben ſehr genau ſind, da ſie eigentlich (I. §. 100) ſeyn
ſollten 4,0; 7,5; 10,3; 15,7; 53,7 u. f., ſo wollte man doch nicht
von der früher gehegten Meinung abgehen, und unter den deutſchen
Aſtronomen ſoll es vorzüglich Bode geweſen ſeyn, der darauf
beſtand, in jenem Zwiſchenraume noch einen neuen Planeten zu
ſuchen.


§. 85. (Entdeckung der vier neuen Planeten, Entfernungen
und Durchmeſſer derſelben.) Erſt mit dem Anfange des gegen-
wärtigen Jahrhunderts beſtätigte ſich endlich der ſo lang gehegte
Verdacht, da in jenem Zwiſchenraume nicht bloß einer, ſondern
bald nach einander vier neue Planeten gefunden wurden, nämlich


  • Ceres ⚳ am 1. Januar 1801 von Piazzi,
  • Pallas ⚴ am 28. März 1802 von Olbers,
  • Juno ⚵ am 1. September 1804 von Harding, und
  • Veſta ⚶ am 29. März 1807 von Olbers.

Die Umlaufszeiten, alſo auch die mittlern Entfernungen dieſer
Aſteroiden, wie ſie Herſchel nannte, ſind alle nahe von gleicher
Größe, wie man aus der bereits (I. S. 224) angeführten Tafel
ſehen kann. In deutſchen Meilen ausgedrückt, betragen dieſe mittleren
Entfernungen von der Sonne


  • bei Veſta 49½ Millionen Meilen
  • Juno 55 3/2
  • Ceres 57 3/2
  • Pallas 57 3/2

Allein die wahren Entfernungen dieſer Planeten ſind, wegen
der großen Excentricitäten ihrer Bahnen, ſehr verſchieden, beſonders
bei der Pallas und Juno, wo ſie von 41 bis 72 Millionen Meilen
gehen können. Nicht mindere Differenzen findet man auch bei
ihren Entfernungen von der Erde, ſo daß man hat:


8 *
[116]Die vier neuen Planeten.
kleinſte Entfernung
von der Erde
größte Entfernung
von der Erde
Veſta 7223 Mill. Meilen.
Juno 8819
Ceres 8131
Pallas 9021

Da ihr Abſtand von der Erde ſo veränderlich iſt, ſo muß es
auch ihr ſcheinbarer Durchmeſſer ſeyn, allein die Meſſung dieſer
Durchmeſſer ſcheint mit beſondern Schwierigkeiten verbunden, wegen
der veränderlichen Atmoſphäre, mit welcher dieſe Planeten umgeben
ſind. Nach Schröters Meſſungen ſollen dieſe ſcheinbaren Durch-
meſſer ſeyn:


der Kleinſteder Größte
Veſta 0″,20″,5
Juno 0″,73″,3
Ceres 0″,92″,3
Pallas 1″,04″,2

Nach Herſchel aber ſoll keiner dieſer Durchmeſſer, auch wo er
am größten iſt, eine ganze Secunde überſteigen. Da man ſonach
die ſcheinbaren Durchmeſſer dieſer Himmelskörper ſo wenig
kennt, ſo kann man auch ihren wahren nicht mit größerer Si-
cherheit angeben. Nach Schröter würden die letzten, in der ange-
führten Ordnung 59, 308, 350 und 452 Meilen betragen, alſo
würde Veſta an körperlichem Inhalte 25,000 mal kleiner ſeyn als
die Erde, und ſelbſt aus unſerem Monde würde man noch 540
der Veſta gleiche Kugeln bilden können. Auf der Veſta würde
ein Reiſender, der täglich ſechs Meilen zurücklegt, in zwei Wo-
chen ſeine Antipoden beſuchen und in einem Monate die ſoge-
nannte Reiſe um die Welt machen können.


§. 86. (Urſprung dieſer Planeten.) Ueberhaupt gehören alſo
dieſe Planeten zu den kleinſten Himmelskörpern, die wir kennen,
und es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß noch mehrere, vielleicht noch
viel kleinere, ſich in denſelben Regionen bewegen, die wir aber bis-
her noch nicht bemerkt haben und vielleicht auch noch lange unter
den kleinen Fixſternen des Himmels überſehen werden. Meh-
rere Aſtronomen haben nämlich die Hypotheſe aufgeſtellt, daß
[117]Die vier neuen Planeten.
dieſe kleinen Planeten alle nur Trümmer eines einzigen großen
ſind, der durch die Wirkung innerer Kräfte geborſten oder durch
den Anſtoß eines äußeren Körpers zerſprengt worden iſt. Der
jüngere Herſchel, der dieſe Anſicht nicht gelten laſſen will, macht
dabei die Bemerkung: This may serve as a specimen of the
dreams, in which Astronomers, like other speculators, oc-
casionally and harmelessly indulge.
Allein dieſer Traum,
wenn er einer iſt, verhalf uns zur Entdeckung der Veſta. Olbers
hatte nämlich ſchon früher bemerkt, daß Juno, Ceres und Pallas,
da ſie beinahe dieſelbe mittlere Entfernung von der Sonne haben,
auch einander immer ſehr nahe kommen müſſen, ſo oft ihre Kno-
ten nahe in dieſelbe Himmelsgegend fallen, wie dieß z. B. mit
Ceres und Pallas in etwa 300 Jahren der Fall ſeyn wird, und
in früheren Zeiten auch ſchon oft geweſen ſeyn muß. Dieſes Zu-
ſammentreffen ſpricht allerdings für einen gemeinſchaftlichen, viel-
leicht dem oben erwähnten ähnlichen Urſprung, und es leitete ihn
zugleich auf die Idee, noch andere ſolcher Planeten in derjenigen
Gegend zu ſuchen, wo dieſe Knoten ſich mit der Zeit vereinigen,
wofür er den nördlichen Flügel der Jungfrau und den ihm
entgegenſtehenden Punkt des Himmels angegeben hatte. Indem
er ſelbſt dieſe Gegenden fleißig durchſuchte, war Olbers, der ſchon
früher die Pallas entdeckt hatte, ſo glücklich, auch noch die Veſta
zu finden.


Da uns die Durchmeſſer dieſer Planeten nur ſo unvollkom-
men bekannt ſind, ſo können wir auch die Maſſe und Dichtigkeit
derſelben ſo wenig, als die Schwere auf ihrer Oberfläche ange-
ben. Wahrſcheinlich iſt dieſe Schwere ſehr gering und der freie
Fall der Körper in der erſten Secunde kaum einen Schub groß.
Es iſt möglich, daß ſo kleine Körper wieder nur von verhältniß-
mäßig kleinen Geſchöpfen bewohnt ſind, allein es kann auch ſeyn,
daß, eben wegen der geringen Schwere dieſer Planeten, ihre Be-
wohner als Rieſen gegen die der Erde zu betrachten ſind, unſeren
Wallfiſchen z. B. ähnlich, die dort das feſte Land bewohnen, wäh-
rend ſie bei uns nur im Waſſer, das ihre Schwere ſo bedeutend
vermindert, leben und ſich frei bewegen können.


§. 87. (Neigung, Knoten und Excentricität ihrer Bahnen.) Ob-
[118]Die vier neuen Planeten.
ſchon die Bahnen, in welchen ſich dieſe vier Planeten bewegen,
nahe von derſelben Größe ſind, ſo ſind ſie doch ſo gegen einander
geneigt, daß ein Begegnen dieſer Planeten leicht vermieden wer-
den kann, indem einige Bahnen ihre Knoten eben dort haben,
wo andere in ihrer größten nördlichen oder ſüdlichen Breite
ſind. Dieſe Bahnen zeichnen ſich noch durch ihre ſehr große
Excentricität aus, wodurch ſie den langgeſtreckten elliptiſchen Bah-
nen der Kometen ähnlich werden. Bei der Juno und Pallas be-
trägt dieſe Excentricität ſchon den vierten Theil, und bei der
Veſta nahe den fünften Theil der mittlern Entfernung von der
Sonne. Eben ſo ungewöhnlich ſind die Neigungen dieſer Bahnen
gegen die Ecliptik. Bei den älteren Planeten gehen dieſe Neigun-
gungen nur bis 7 Grade, während Juno 13 und Pallas ſogar
34½ Grade ſich von der Ecliptik entfernt. Dadurch hat der alte
Thierkreis (Zodiacus) ſeine Bedeutung verloren. Die Alten
dachten ſich nämlich eine der Ecliptik parallele, zu beiden Seiten
derſelben zehn Grade breite Zone, in welcher ſie die oben (I.
S. 129) erwähnten zwölf Sternbilder annahmen und in welcher
ſich nebſt der Sonne, deren Bahn genau in der Mitte des Thier-
kreiſes liegt, auch der Mond und alle übrigen, den Alten bekann-
ten Planeten bewegten. Allein die vier neuen Planeten gehen,
von der Erde geſehen, zuweilen ſo weit von der Ecliptik weg,
daß der neue Thierkreis, der ſie alle einſchließt, eine Breite von
mehr als hundert Graden haben müßte.


§. 88. (Große Störungen, welche dieſe Planeten erleiden.)
Durch ihre großen Excentricitäten und Neigungen ſind dieſe Pla-
neten den Aſtronomen noch in einer anderen, ſehr wichtigen Be-
ziehung intereſſant geworden. Wir werden ſpäterhin ſehen, daß
die Wirkungen, welche die Planeten auf einander äußern und
wodurch ſie die ſogenannten Störungen ihres Ganges hervor-
bringen, ſehr ſchwer, ja eigentlich ganz unmöglich genau zu be-
rechnen ſind, und daß man ſich alſo, des vollkommenen Zuſtandes
unſerer mathematiſchen Analyſe ungeachtet, mit einer bloßen ap-
proximirten Rechnung begnügen mußte, die glücklicher Weiſe hin-
reichte, die Beobachtungen der alten Planeten, deren Störungen
durchaus nur gering ſind, genügend darzuſtellen. Allein die
[119]Die vier neuen Planeten.
großen Excentricitäten und Neigungen der neuen Planeten ſind
Urſache, daß diejenigen Störungen, welche ſie unter ſich ſowohl
als vorzüglich von den viel größern ältern Planeten erleiden,
ebenfalls viel bedeutender werden, als jene, und daß jene
bloß annähernden Methoden nicht mehr ausreichen, um auch die
Störungen der neuen Planeten den Beobachtungen gemäß darzu-
ſtellen. Wir ſind daher gezwungen, auf andere Mittel zu denken,
um jene Approximationen noch weiter treiben zu können, oder mit
anderen Worten, wir ſind gleichſam von der Natur ſelbſt aufge-
fordert, die Theorie der Mathematik zu vervollkommnen und
neue Mittel zu finden, um durch ſie die Geheimniſſe des Himmels
näher kennen zu lernen.


Eben ſo werden wir ſpäter ſehen, daß dieſe Störungen,
beſonders wenn ſie ſehr groß ſind, ein gutes Mittel geben, die
Maſſen der ſtörenden Planeten zu beſtimmen. Newton zeigte
uns nur, wie man die Maſſen derjenigen Planeten finden kann,
die mit Satelliten umgeben ſind, die Störungen aber konnte er
zu dieſem Zwecke nicht benutzen, da ſie bei den ältern Planeten
viel zu klein und auch damahls noch nicht genau genug bekannt
waren. Allein die Störungen, welche die neuen Planeten z. B.
durch Jupiter erleiden, ſind ſo groß, daß ſie ſogar das beſte
Mittel an die Hand geben, die Maſſe dieſes größten Planeten
unſeres Syſtems zu beſtimmen und daß wir, erſt ſeit wir daſſelbe
in der That angewendet haben, zu der eigentlichen Kenntniß die-
ſer Maſſe gekommen ſind.


§. 89. (Sichtbarkeit dieſer Planeten.) Da dieſe neuen Pla-
neten ſo klein ſind, ſo muß es auffallen, daß ſie demungeachtet
oft in einem ſo hellen Lichte erſcheinen. Ceres zeigt häufige Ab-
wechslungen in ihrem Glanze. Zuweilen erſcheint ſie röthlich und
hell, ſo daß man ſie wohl ſelbſt mit freien Augen ſehen kann,
zu weilen auch in einem ſchwachen weißlichen Lichte, wo ſie nur
durch Fernröhre ſichtbar iſt. Beſonders merkwürdig iſt aber das
Licht der Veſta. Obſchon dieſer Planet ſo ungemein klein iſt, ſo
hat er doch ein ſehr lebhaftes, den Fixſternen ähnliches Licht und
in günſtigen Verhältniſſen erſcheint er ſelbſt dem freien Auge als
ein Stern der ſechsten Größe. Es iſt möglich, daß dieſer Pla-
[120]Die vier neuen Planeten.
net aus einer harten Maſſe beſteht, die ſich in ihren äußer-
ſten Schichten als eine Menge von ſpiegelnden Flächen, wie De-
mantfelſen, um ihn anlegt, oder auch, daß dieſer Planet, wie
die andern Sterne des Himmels, ein eigenes Licht von hoher
Intenſität beſitzt.


§. 90. (Atmoſphäre dieſer Planeten.) So wie die großen
Excentricitäten und Neigungen ihrer Bahnen ſie den Kometen zu
nähern ſcheinen, ſo werden ſie dieſen ſonderbaren Weltkör-
pern auch durch die gewaltigen Atmoſphären ähnlich, von welchen
ſie, wenigſtens zuweilen, umgeben ſind. Bei Ceres und Pallas
ſcheint ſich dieſe Atmoſphäre öfter über 100 Meilen von ihrer
Oberfläche zu erſtrecken, wo ſie dann, nach Art mancher Kometen,
in einen dichten Nebel eingehüllt ſind, der ihren eigentlichen Kern
ganz unſichtbar macht, während ſie wieder zu andern Zeiten,
ſcharf begränzt und klein, in dem reinſten Fixſternlichte zu glän-
zen ſcheinen. Schröter wollte bemerkt haben, daß ſich dieſe At-
moſphäre oft um mehr als das Doppelte ihres Raumes zuſam-
men ziehe und zuweilen ſogar ganz verſchwinde. Aehnliche,
nur nicht ſo große Veränderungen hat man auch bei der Juno,
aber nicht an der Veſta entdeckt. Wahrſcheinlich gehen auf der
Oberfläche jener drei Planeten gewaltige Veränderungen vor, ge-
gen welche unſere Stürme und Ueberſchwemmungen ganz ver-
ſchwinden. Daß man aber bei ſo kleinen und in ſo dichte Atmo-
ſphären gehüllten Körpern noch keine Flecken entdeckt hat, und daß
daher auch die Rotation derſelben uns noch völlig unbekannt iſt,
darf kaum ausdrücklich erinnert werden.


[[121]]

KapitelVI.
Jupiter.


§. 91. (Diſtanz, Umlaufszeit und Durchmeſſer Jupiters.)
Dieſer größte aller Planeten wird leicht an ſeinem hellgelben, in-
tenſiven Lichte und durch mäßige Fernröhre an ſeinem beträchtli-
chen ſcheinbaren Durchmeſſer und ſeinen vier Begleitern erkannt,
die ihn immer umgeben und in einer geraden, durch ſeinen Mit-
telpunkt gehenden Linie gereiht erſcheinen. Seine mittlere Ent-
fernung von der Sonne iſt nahe 5⅕mal größer, als die der Erde,
oder gleich 108½ Millionen Meilen. Die Excentricität ſeiner
Bahn beträgt nur 1/20 ſeiner mittlern Entfernung, daher ſteht er
in ſeinem Aphelium (I. S. 264) 113⅘ und in ſeinem Perihelium nur
103⅔ Mill. Meilen von der Sonne ab. Seine Entfernung von
der Erde aber wechſelt von 79 bis 130 Mill. Meilen, ſo daß er
uns zur Zeit ſeiner Oppoſition (I. S. 173) beinahe noch einmal
ſo nahe ſteht, als in ſeiner Conjunction. Sein ſcheinbarer Durch-
meſſer von der Erde geſehen beträgt 49 Sec. zur Zeit der Oppo-
ſition und nur 30 Sec. in der Conjunction. Daraus und aus
ſeiner Entfernung folgt (I. S. 152) der wahre Durchmeſſer die-
ſes Planeten 19980 Meilen, alſo 11 mal größer, als der Durch-
meſſer der Erde. Seine Oberfläche iſt daher auch 121 und ſein
Volum 1333 mal größer, als das der Erde oder aus dieſem Pla-
neten könnte man 1333 der Erde an Größe gleiche Kugeln bilden,
[122]Jupiter.
aus der Sonne aber würden ſich im Gegentheile 905 dem Jupi-
ter und 1421000 der Erde gleiche Kugeln machen laſſen.


In ſeiner mittlern Bewegung um die Sonne legt er während
einer jeden Secunde nur 1 7/10 Meilen zurück, geht alſo nahe 2⅘
mal langſamer als die Erde und 4mal langſamer als Merkur.
Nimmt man, den neueſten Beſtimmungen zufolge, ſeine Maſſe
gleich 1/1450 der Sonnenmaſſe an, ſo enthält er 316mal mehr
Maſſe oder mehr materiellen Stoff, als die Erde, d. h. Jupiter
in einer und 316 Erden in der andern Schaale würden die Waa-
ge im Gleichgewichte halten. Allein die Dichtigkeit dieſer Maſſe
iſt nur der vierte Theil von jener der Erdmaſſe oder die mittlere
Dichtigkeit des Stoffes, aus dem Jupiter beſteht, iſt nahe der
unſeres Bernſteines gleich. Dieſer geringen Dichtigkeit ungeach-
tet fallen, wegen der großen Maſſe dieſes Planeten, die Körper
auf ſeiner Oberfläche in der erſten Secunde durch 38⅘ Fuß.


Durch die Größe ſeines Umfangs oder vielmehr durch die
Größe ſeiner Maſſe erſcheint Jupiter gleichſam als der zweite
Hauptkörper unſeres Sonnenſyſtems. In der That übertrifft er
an Maſſe die aller andern Planeten zuſammen genommen nahe
dreimal. Daher iſt ihm auch ein eigener Staat an den bereits
erwähnten vier Monden zugewieſen, die ihn auf ſeinem weiten
Wege um die Sonne begleiten:


With kingly state, the rival of the Sun.
Milt.
()

§. 92. (Unterſchiede der drei entfernteſten Planeten von den
andern.) Dieſer Planet iſt gleichſam der erſte einer neuen Art.
In der That unterſcheiden ſich die bisher betrachteten, Merkur,
Venus und Mars in vielen Rückſichten weſentlich von den nun
folgenden, Jupiter, Saturn und Uranus; die ſogenannten vier
neuen Planeten ſind mehr als ein Zwiſchenglied zu betrachten,
wodurch jene beiden Reihen mit einander verbunden werden.
Jene vier erfreuen ſich, ſo wie die Erde, einer immerwährenden Nähe
der Sonne, während dieſe immer mehr von ihr wegtreten, wie
denn der Durchmeſſer der Sonne auf Jupiter nur mehr unter dem
kleinen Winkel von 6⅕ Min., alſo nahe fünfmal kleiner, als
[123]Jupiter.
auf der Erde, erſcheint. Jene vier drehen ſich alle nahe in der-
ſelben Zeit, während 24 unſerer Stunden, um ſich ſelbſt, ſo daß
alſo die Länge der Tage und Nächte, für die Bewohner ihrer
Aequatoren, nahe eben ſo lang ſind, als bei uns; dieſe drei aber,
obſchon ſie alle bei weitem die größern ſind, bewegen ſich ſämmt-
lich viel ſchneller um ihre eigene Axe; Jupiter und Saturn in ⅖
und Uranus ſogar ſchon während 3/10 eines unſerer Tage, ſo daß
alſo hier Tag und Nacht viel ſchneller wechſeln als dort. Aus
dieſer Urſache bemerkt man auch an dieſen dreien, wie wir bald
näher ſehen werden, eine ſehr ſtarke, ſelbſt in dieſer großen Ent-
fernung noch ſichtbare Abplattung, die im Gegentheile bei jenen
vier der Sonne nähern Planeten durchaus ſehr klein iſt. Jene
vier gehören ferner im Allgemeinen zu den kleinern Planeten, denn
Venus bat nur ⅘, Mars ⅕ und Merkur ſogar nur 1/25 des Vo-
lums der Erde, da im Gegentheile Jupiter 1333, Saturn 928
und Uranus 76mal mehr Volum, als die Erde hat. Eben ſo
verſchieden ſind die Maſſen dieſer zwei Gattungen von Planeten,
denn wenn man die Maſſe der Erde als Einheit annimmt, ſo iſt
die der Venus 9/10, des Merkurs ⅙ und die des Mars nahe ⅛,
während im Gegentheile die Maſſe Jupiters 316, die des Saturn
95 und die des Merkurs 17 mal größer iſt, als die der Erde.
Endlich ſcheint dieſer Unterſchied ſich ſelbſt auf die Dichtigkeiten
dieſer Maſſen fortzuſetzen, denn die Dichtigkeit Merkurs iſt 3⅗,
der Venus 1 1/10 und des Mars 7/10 von der der Erde, während die
Dichtigkeit Jupiters und des Uranus nur ⅕ und die des Sa-
turn nur 1/10 von der Dichtigkeit der Erde beträgt, ſo daß alſo jene
vier Planeten an Beleuchtung und Erwärmung, an der Länge
der Tage und an Dichtigkeit den drei entferntern vorgehen, wäh-
rend ſie wieder von dieſen an der Größe ihres Umfangs, an der
Menge ihres körperlichen Stoffs und an der Abplattung ihrer
Pole übertroffen werden.


§. 93. (Atmoſphäre Jupiters.) Man könnte ſelbſt noch ei-
nen andern Unterſchied anführen, durch welchen ſich dieſe zwei
abgeſonderten Planetenfamilien, wenn man ſo ſagen darf, aus-
zeichnen. Die Atmoſphären nämlich, mit welchen ſie alle um-
geben ſind, beſtehen bei jenen vier der Sonne nähern Planeten
[124]Jupiter.
aus einem luftförmigen, äußerſt lockern Gewebe, während ſie bei
den drei andern eine mehr feſte, ſtarre, vielleicht ſchon unſern
tropfbaren Flüſſigkeiten ähnliche Maſſe zu bilden ſcheinen. Man
ſieht nämlich auf der Oberfläche dieſes Planeten vier bis fünf große
und mehrere kleinere Streifen, die alle unſerer Ecliptik oder ei-
gentlich dem Aequator Jupiters parallel ſind und von welchem
die größern durch die ganze Scheibe dieſes Planeten gehen. Fon-
tana ſoll die drei größten derſelben im J. 1633 entdeckt haben,
und Campana fand mit den von ihm ſelbſt verbeſſerten, für ſeine
Zeit vortrefflichen Fernröhren i. J. 1664 vier dunkle und zwei helle
Streifen. Hevel und Caſſini erkannten zuerſt, daß ſie der Ecliptik
nahe parallel ſind. Die Figur Jupiters am Ende dieſes Theiles zeigt
dieſe Streifen nach den Beobachtungen des j. Herſchels. Außer dieſen
langen Streifen ſieht man noch kleinere, dunkle, wolkenartige Flecken.
Von jenen größern ſind die zwei dem Aequator nächſten die brei-
teſten und dunkelſten von allen, zugleich in ihren Formen die be-
ſtändigſten, die übrigen ſind großen Veränderungen ihrer Geſtalt
ſowohl, als auch ihres Ortes unterworfen. Die kleineren entſtehen
und verſchwinden oft ſchon in mehreren Stunden, doch ſind ihre
Ortsveränderungen, wo man ſie bemerkt, immer denen der gro-
ßen, alſo dem Aequator Jupiters, parallel. Zuweilen ſicht man
ſie, wie unſere Wolken, ſich anhäufen und wieder trennen, und
über einen großen Theil Jupiters verbreiten. Aus den gro-
ßen Streifen laufen öfter kleinere, wie Strahlen, aus, und zu-
weilen ſieht man auch mitten in den Streifen ganz ſchwarze
Flecken entſtehen; es ſcheint, daß man in dieſen Streifen den dun-
keln Theil der Oberfläche des Planeten ſieht, wenn über dieſen
Theil die Atmoſphäre ſich trennt oder eine Oeffnung erhält, weil
man dieſe dunkeln Flecken nie in ihrer ganzen Farbenſtärke bis
an den Rand der Scheibe kommen, ſondern ſie zuerſt ſchwächer
werden und dann allmählig verſchwinden ſieht, wie ſie dem Rande
näher kommen. Es gibt Zeiten, wo alle dieſe Streifen ſehr
ſchwach erſcheinen, wenn auch unſere eigene Atmoſphäre ganz
heiter iſt. Zuweilen ſieht man acht bis zehn lange, parallele,
nahe an einander gerückte Streifen; ja der ältere Herſchel ſoll
einmal über vierzig derſelben gezählt haben.


[125]Jupiter.

§. 94. (Streifen und Flecken auf Jupiter.) Es iſt durchaus
nicht wahrſcheinlich, daß dieſe Streifen und Flecken der Oberfläche
Jupiters ſelbſt angehören. Sie bilden ſich vielmehr in der
Atmoſphäre dieſes Planeten, weil ſie in ihren Bewegungen immer
von Weſt nach Oſt gehen, und weil auch die Geſchwindigkeit der-
ſelben nicht mit der Umdrehung Jupiters um ſeine Axe überein-
ſtimmt. Dieſe letzte beträgt nicht ganz zehn unſerer Stunden,
während dieſe Flecken ihre Umlaufszeit in 7, 8 bis 10 Stunden
vollenden. Nahe am Aequator ſieht man öfter ſolche Flecken, die
in jeder Secunde 300 bis 400 Fuß zurücklegen, alſo die Geſchwin-
digkeit unſerer heftigſten Stürme mehr als achtmal übertreffen.
Schröter hat ſogar Flecken beobachtet, die 10000 Fuß in einer
Secunde zurücklegen. Wahrſcheinlich werden ſie über der Ober-
fläche Jupiters durch ſtarke, nach einer conſtanten Richtung
gehende Winde, die unſeren Paſſatwinden ähnlich ſind, in Be-
wegung geſetzt. Wenn dieſe Flecken der Oberfläche des Planeten
ſelbſt angehörten, ſo müßten dieſe beinahe täglich vorkommenden
Zerrüttungen die Oberfläche des Planeten gänzlich unbewohnbar
machen, und man müßte annehmen, daß dort große, flüſſige,
unſerm Meere ähnliche Maſſen täglich aus ihren Ufern treten
und das Feſtland bald mit ihren Fluthen bedecken, bald wieder
daſſelbe trocken legen. Wenn aber auch dieſe Veränderungen
nur in der Atmoſphäre Jupiters vor ſich gehen, ſo muß dieſe
Atmoſphäre doch von unſerer irdiſchen ſehr verſchieden ſeyn,
und eine viel größere Dichtigkeit haben. Schon Caſſini beob-
achtete in wenigen Stunden plötzliche Verdunklungen und Auf-
heiterungen großer Strecken von 10000 und 20000 Quadratmeilen
der Oberfläche dieſes Planeten, eine Erſcheinung, die Schröter
beſonders an den beiden Polen Jupiters ſehr oft ſich wieder-
holen ſah. Die Luft, welche dieſen Planeten umgibt, kömmt
vielleicht an Dichtigkeit ſchon der unſeres Waſſers nahe, und
die Ausdünſtungen und Wolken, welche in dieſer Atmoſphäre von
den heftigen Stürmen bewegt werden, mögen ſchon unſern feſten
Körpern oder den Wolken von Holz auf unſern Altären gleichen.
Gewiß iſt, daß die Revolutionen, welche in jener Atmoſphäre vor
ſich gehen, an Intenſität und Ausdehnung mit unſern Orkanen
[126]Jupiter.
und Stürmen nicht mehr verglichen werden können. Schon Büffon
ſagte daher, daß Jupiter, deſſen Geſtalt ſich beinahe jede Stunde
ändere, das Bild des Chaos zeige, und daß dieſe immerwährenden,
gewaltſamen Aenderungen die Folge einer innern Incandescenz
ſeyn müſſen.


§. 95. (Rotation Jupiters.) D. Caſſini hatte unter den
vielen kleinern Flecken Jupiters einen gefunden, der ſeinen Ort
wenigſtens nicht merkbar veränderte, und er bediente ſich des-
ſelben, die Rotation dieſes Planeten um ſeine Axe zu beſtimmen,
die er gleich 9,93 unſerer Stunden fand. Schröter erhielt ſpäter
aus ſeinen eigenen Beobachtungen 9″,942. Die wahre Größe
dieſer Rotation iſt ſchwer mit Genauigkeit zu beſtimmen, da
man nicht leicht einen Flecken ohne Ortsveränderung trifft.
Der ältere Herſchel verfolgte dieſen Gegenſtand lange und fand
mehrere Reſultate von 9″,86 bis 9″,92, der jüngere Herſchel nimmt
dafür 9″,93 an.


§. 96. (Abplattung Jupiters.) Dieſe ſchnelle Umdrehung
einer ſo ungeheuern Kugel iſt ſehr merkwürdig. Nach ihr legt
ein Punkt des Aequators in einer Secunde 1 7/10 Meilen oder
39070 P. Fuß, alſo nahe 27 mal mehr, als ein Punkt des Erd-
äquators zurück, während der Mittelpunkt dieſes Planeten in
ſeinem Laufe um die Sonne während jeder Secunde nahe
1 8/10 Meilen fortgeht. Dieſe beiden Geſchwindigkeiten, der Ro-
tation und der Revolution, ſind alſo hier nur ſehr wenig ver-
ſchieden, und auch dieß iſt eine den drei äußerſten Planeten
gemeinſame Eigenſchaft, durch welche ſie ſich von den vier anderen
unterſcheiden. Bei Jupiter und Saturn ſind dieſe beiden Ge-
ſchwindigkeiten ſehr wenig, und bei Uranus, ſo viel wir aus
unſeren bisherigen Beobachtungen ſchließen können, gar nicht
verſchieden, während im Gegentheile die fortrückende Bewegung
zu der rotirenden ſich verhält bei Merkur wie 302, bei Venus
wie 78, bei der Erde wie 67 und bei Mars wie 96 zu 1. — Dieſe
ſchnelle Rotation Jupiters hat auch eine ſehr große Abplattung
an ſeinen Polen zur Folge. Nach den erſten Beſtimmungen der-
ſelben, von D. Caſſini i. J. 1666, ſoll ſich die große Axe Jupiters
[127]Jupiter.
zur kleinen wie 15 zu 14 verhalten, oder ſeine Abplattung ſoll gleich
1/15 ſeyn. Später fand Pound dieſe Abplattung gleich 1/13,4. Short
beſtimmte mit einem ſehr guten Heliometer dieſelbe zu 1/14, Köhler zu
1/14,5 und Schröter ſogar zu 1/12. Nach der letzten Beſtimmung
würde alſo der Aequatorialhalbmeſſer Jupiters die halbe Polaraxe
deſſelben um 800 Meilen übertreffen, während bei der Erde dieſer
Unterſchied nur etwa 3 Meilen beträgt. Daß aber die Abplattung
mit der Rotations-Geſchwindigkeit wachſen muß, iſt ſchon oben
(I. S. 72) gezeigt worden. Nach den neueſten Beobachtungen
von Struve betragen dieſe zwei Durchmeſſer Jupiters in ſeiner
mittlern Entfernung 38″,442 und 35″,645, alſo die Abplattung 1/13,74.
Auch ſtimmt dieſe ſtarke Abplattung ſehr gut mit der Theorie von
der Geſtalt der Himmelskörper. Laplace, dem wir die Entwicklung
dieſer Lehre vorzüglich verdanken, war ſogar der Anſicht, daß die
Beſtimmung der Abplattung Jupiters, durch die Theorie genauer
iſt, als die der unmittelbaren Beobachtung, welche letzte in der
That mit großen Schwierigkeiten verbunden iſt, wie ſchon die
ſo eben erwähnten, unter ſich ſehr abweichenden Angaben zeigen.


§. 97. (Jahreszeiten auf Jupiter.) Die Axe ſeines Aequators
iſt gegen die Axe ſeiner Bahn nur um den kleinen Winkel von
drei Graden geneigt, d. h. die Schiefe der Ecliptik beträgt bei
Jupiter nur drei Grade, nahe achtmal weniger als bei der Erde.
Da aber der Wechſel der Jahreszeiten von der Größe dieſer
Schiefe abhängt, ſo folgt, daß auf Jupiter dieſer Wechſel ſehr
gering, oder daß der Sommer nur ſehr wenig von dem Winter
verſchieden ſeyn wird. Daſſelbe gilt auch von den Tageszeiten;
bloß die Gegenden zunächſt um die beiden Pole ausgenommen,
denen die Sonne eine Zeit ihres Jahres nicht auf- oder nicht
untergeht, iſt für bei weitem den größten Theil der Oberfläche
Jupiters das ganze Jahr hindurch der Tag und die Nacht von
nahe gleicher Länge d. h. gleich fünf unſerer Stunden. Deſto
fühlbarer mag aber für die Bewohner dieſes Planeten der Unter-
ſchied der Klimate ſeyn, wenn ſie gleich den Unterſchied ihrer
Jahreszeiten vielleicht nur mit Mühe bemerken. Die Temperatur
[128]Jupiter.
und die Witterung wird nämlich für daſſelbe Land im Sommer
und Winter nur wenig verſchieden ſeyn, aber es wird, in Be-
ziehung auf dieſelben Eigenſchaften, ſehr viel darauf ankommen,
ob das Land nahe oder ferne von dem Aequator liegt. In der
dem Aequator zunächſt liegenden Zone herrſcht ein ewiger Frühling
oder Sommer, da die Sonne beinahe immer in dem Scheitel der
Bewohner dieſer Zonen erſcheint. Unter den beiden Polen aber
ſieht man die Sonne, ſelbſt wenn ſie, in der Mitte ihres ſoge-
nannten Sommers, am höchſten ſteht, nur drei Grade über dem
Horizonte. Dieſe unglücklichen Gegenden müſſen alſo unter ewigen
Schneefeldern und Eisgebirgen begraben ſeyn, die um ſo weniger
aufthauen oder abnehmen können, da die über hundert Millionen
Meilen entfernte Sonne auf den Jupiter nur mehr als eine ſehr
kleine Scheibe, ſiebenundzwanzigmal kleiner als auf der Erde, er-
ſcheint. Aehnliche ſcharfe Abſchnitte des Klimas wird man auch
in den zwiſchen jenen beiden Extremen liegenden Gegenden be-
merken, da die lange Dauer der Jahreszeiten (ſein Jahr iſt zwölf
der unſeren gleich) dort auch einen ſtärkeren und bleibenderen
Eindruck machen wird, und es iſt daher ſehr wahrſcheinlich, daß
die conſtanten, dem Aequator parallelen Streifen, von welchen
wir oben geſprochen haben, eine Folge dieſes Eindrucks, gleichſam
ein ſtehender Typus der dort ſo ſehr verſchiedenen Klimate ſeyn
mögen.


§. 98. (Maſſe Jupiters.) So wie die Umlaufszeit und die
Abplattung dieſes Planeten nur ſchwer mit Genauigkeit zu be-
ſtimmen iſt, eben ſo große und wohl noch größere Schwierigkeiten
bot die Maſſe deſſelben dar, deren genaue Kenntniß den Aſtro-
nomen doch ſehr wichtig iſt, weil von ihr der größte Theil der
Störungen abhängt, welche die anderen, beſonders die ihm näher
ſtehenden Planeten erfahren. Wir werden im Folgenden ſehen,
auf welche Weiſe man das Verhältniß der Maſſe eines mit
Satelliten verſehenen Planeten gegen die Maſſe der Sonne be-
ſtimmen kann, wenn die Umlaufszeit des Planeten um die Sonne,
die Umlaufszeit des Satelliten um ſeinen Hauptplaneten, und
endlich der ſcheinbare Halbmeſſer der Bahn dieſes Satelliten zur
Zeit der mittlern Entfernung des Jupiters von der Sonne durch
[129]Jupiter.
die Beobachtungen gegeben iſt. Nennt man nämlich a das Pro-
duct des Würfels dieſes Halbmeſſers, multiplicirt in das Qua-
drat der Umlaufszeit des Planeten, dividirt durch das Quadrat der
Umlaufszeit des Satelliten, ſo findet man die Maſſe dieſes Pla-
neten gleich der Größe a dividirt durch 1 — a, wenn die Son-
nenmaſſe als Einheit vorausgeſetzt wird. Schon der große New-
ton hat uns dieſe Methode bekannt gemacht und ſie auch zugleich
auf Jupiter angewendet. Indem er den Halbmeſſer der Bahn
des vierten Satelliten aus den Beobachtungen ſeines Freundes
Halley zu Grunde legte, fand er (Princ. philos. nat. math.
Amsterd.
1723) die Maſſe Jupiters gleich 1/1633 der Sonnenmaſſe.
Später nahm er aus Pound’s Meſſungen einen andern Halb-
meſſer jener Bahn an und fand für dieſe Maſſe 1/1067 und dieſe
letzte wurde von allen Aſtronomen des 18ten Jahrhunderts als die
wahre angenommen, wie ſie denn auch in der Mec. céléste des
Laplace als eine Angabe betrachtet wird, mit welcher ſich, in
Beziehung auf ihre Genauigkeit, nur wenig andere aſtronomiſche
Reſultate vergleichen laſſen ſollen.


Allein außer dieſen Satelliten giebt es auch noch ein anderes
Mittel, die Maſſen der Planeten, vorzüglich ſo großer Planeten,
zu beſtimmen, die Störungen nämlich, welche andere Planeten
von ihnen erfahren und die natürlich deſto bedeutender ſeyn müſ-
ſen, je größer die ſtörende Maſſe iſt, daher man auch umgekehrt,
aus den Wirkungen, die durch unmittelbare Beobachtungen ge-
geben werden, auf die Urſache dieſer Wirkungen, d. h. auf die
Maſſen der ſtörenden Planeten zurückſchließen kann. Bouvard
unternahm es, auf den Rath ſeines großen Freundes Laplace, auf
dieſem Wege die Maſſe Jupiters durch die Störungen zu beſtim-
men, welche Saturn von ihm leidet, und er fand daraus die
Maſſe Jupiters 1/1073, alſo nur unbedeutend von jener letzten
Beſtimmung verſchieden. Dieſe Uebereinſtimmung vorzüglich war
es, die zu dem Schluſſe zu berechtigen ſchien, daß wir die Maſſe
Jupiters mit ſo großer Schärfe kennen. Allein Jupiter bringt in
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder II. 9
[130]Jupiter.
den Bewegungen der vier neuen, kleinen Planeten noch viel be-
deutendere Störungen hervor, als an Saturn. Gauß war der
erſte, der dieß erkannte und auch ſogleich anwendete. Er fand
aus ſeinen Berechnungen der Pallas, ſo wie Nicolai aus den Un-
terſuchungen der Juno, daß die bisher für ſo genau gehal-
tene Maſſe Jupiters um ihren 80ſten Theil vergrößert werden
und daher nahe 1/1 054 ſeyn müſſe. Später fand Encke aus der
Bewegung der Veſta, ſo wie aus der Berechnung des nach ihm
benannten Cometen, nahe dieſelbe Vergrößerung.


§. 99. (Die Schwere wirkt auf alle Körper gleich.) Da man
aber noch immer ſich von der Idee der hohen Genauigkeit jener
erſten Beſtimmung der Jupitersmaſſe durch ſeine Trabanten nicht
trennen wollte, und doch auf dem andern Wege, an deſſen Si-
cherheit man auch nicht zweifeln konnte, ein ganz anderes Reſul-
tat fand, ſo gerieth man auf die Muthmaßung, die ſich ſchon
früher mehrmals geregt hatte, daß die Anziehung der Erde und
der Planeten überhaupt nicht auf alle Körper dieſelbe ſey, ſon-
dern daß ſich auch etwas den chemiſchen Verwandtſchaften Aehn-
liches in die Sache miſchen könnte. Man ſtellte dem gemäß
die Behauptung auf, daß Jupiter aus dieſer Urſache, auf die
vier neuen Planeten mit einer nahe um 1/80 ſtärkern Anziehung
wirke, als auf ſeine vier Monde. Dieſe Sache gab zu vielen ge-
lehrten Diskuſſionen und weitläufigen Berechnungen Gelegenheit,
die aber zu keinem beſtimmten Reſultate geführt haben. Man
ſuchte ſich endlich auf anderen Wegen von der Unwahrſcheinlich-
keit der Vorausſetzung, daß dieſelbe Maſſe auf verſchiedene
Materien verſchieden wirken ſolle, zu überzeugen. Schon New-
ton hat durch Pendelverſuche, in welchen er verſchiedene Körper,
Metalle, Steine, Beine, Flüſſigkeiten u. dgl. ſchwingen ließ, ge-
zeigt, daß unſere Erde die verſchiedenartigſten Materien alle gleich
ſtark anziehe. Beſſel in Königsberg, dem die Aſtronomie ſchon
ſo viel verdankt, hat dieſe Verſuche noch erweitert und mit be-
ſonderer Genauigkeit angeſtellt, ſelbſt auf die Meteorſteine fort-
geſetzt, die vielleicht von fremden Weltkörpern zu uns gelangen,
und überall Newtons Reſultat vollkommen beſtätiget gefunden.
[131]Jupiter.
Wir haben noch mehrere andere Erſcheinungen, die dieſen Schluß
beſtätigen. Die Parallaxe des Monds z. B. läßt ſich aus den
Pendelſchwingungen an der Erde mit der größten Schärfe be-
rechnen und ſie ſtimmt genau mit der unmittelbaren Beobach-
tung dieſer Parallaxe, überein; zum Beweiſe, daß die Erde den
Mond genau auf dieſelbe Weiſe, wie das Pendel, anzieht. Die
Parallaxe der Sonne läßt ſich aus einer Störungsgleichung des
Monds durch die Erde berechnen, und auch dieſe harmonirt ſehr
gut mit derjenigen Sonnenparallaxe, die wir aus den Durchgän-
gen der Venus in den Jahren 1761 und 1769 (S. oben II.
S. 87) abgeleitet haben, zum Beweiſe, daß die Sonne unſere Erde
ganz eben ſo, wie unſern Mond, anzieht. Blos alſo die von
Bouvard berechneten Störungen des Saturn durch Jupiter ſchei-
nen mit dieſem Satze, ſo wie mit der Maſſenbeſtimmung dieſes
Planeten durch ſeine Monde, im Widerſpruche zu ſtehen, ſo lange
man nämlich nicht annehmen wollte, daß Bouvards Rechnungen
und daß auch die mit ihnen übereinſtimmende Maſſe Jupiters
aus ſeinen Satelliten irgend einer Verbeſſerung bedürfen könnten.


Jene Rechnungen ſind bisher, ſo viel uns bekannt, nicht wie-
derholt worden, aber wohl iſt dieß mit der Methode, die Maſſe
Jupiters aus ſeinen Satelliten zu beſtimmen, allein leider
erſt in unſeren Tagen geſchehen, ſo daß man unbegreiflicher
Weiſe jene alten Meſſungen von Pound, auf die ſchon Newton
ſeine Rechnung gegründet hat, durch mehr als hundert Jahre für
unverbeſſerlich gehalten hat, ohne ſie mit den ſeitdem ſo we-
ſentlich verbeſſerten Inſtrumenten zu wiederholen. Blos Tries-
necker in Wien kam auf dieſen Gegenſtand einmal zurück und ſuchte
i. J. 1794 die Halbmeſſer der Bahnen dieſer vier Monde mit
Hilfe eines 3½ füßigen Dollond’ſchen Objectivmikrometers zu be-
ſtimmen. Er machte dieſe ſeine, für jenes Inſtrument recht gute
Beobachtungen in den Wiener Ephemeriden f. d. J. 1797 bekannt,
und Wurm hat auf dieſe Meſſungen eine neue Maſſenbeſtimmung
Jupiters zu gründen geſucht (Mon. Corr. V Band), allein da er
ſich mehrere willkührliche Aenderungen an den Beobachtungen
Triesneckers erlaubte, ſo iſt auch ſeine Maſſenbeſtimmung, die er
9 *
[132]Jupiter.
gleich 1/1070 findet, nicht als richtig anzunehmen. Behält man
aber jene Beobachtungen, wie es ſeyn ſoll, unverändert bei, ſo
folgt daraus die Maſſe Jupiters 1/1040. Erſt in unſern Tagen
hat Prof. Airy in Cambridge dieſe Meſſungen der Halbmeſſer
der Satellitenbahnen an ſeinem großen Aequatorial wieder vor-
genommen und aus ſeinen ſehr genauen und mit vieler Umſicht
angeſtellten Beobachtungen dieſe Maſſe gleich 1/1043 gefunden,
was ſehr nahe mit Triesnecker und auch nahe genug mit den Stö-
rungen der vier neuen Planeten übereinſtimmt. Dadurch iſt alſo
zugleich erwieſen, daß Jupiter ganz auf dieſelbe Weiſe auf ſeine
Monde, wie auf die vier neuen Planeten wirkt, und eine mit grö-
ßerer Sorgfalt wiederholte Berechnung der Störungen Saturns
wird wahrſcheinlich auch hier die gewünſchte Uebereinſtimmung
zeigen.


§. 100. (Anblick des Himmels auf Jupiter.) Nach allem,
was wir bisher über die Oberfläche dieſes größten aller Planeten
kennen gelernt haben, müſſen wir zugeben, daß es auf demſelben
ganz anders, als auf unſerer Erde ausſehen mag. Er iſt mit
einer Atmoſphäre umgeben, die an Dichtigkeit der unſerer tropfbaren
Flüſſigkeiten nahe kömmt, deren Wolken ſchon ganz ſolide Körper
zu ſeyn ſcheinen, und in der immerwährend Revolutionen vor ſich
gehen, gegen welche unſere heftigſten Stürme und Ungewitter nur
als Kleinigkeiten zu betrachten ſeyn mögen. Ohne Zweifel wird
dieſer Planet auch von großen Strömen und ausgebreiteten Meeren
bedeckt ſeyn, deren Ausdünſtungen ſich in ſeine Atmoſphäre erheben
und da jene dichten Wolken erzeugen. — Wegen der geringen
Schiefe ſeiner Ecliptik ſind die Jahreszeiten und die Temperaturen
deſſelben nur ſehr wenig verſchieden, aber dafür dauert jede dieſer
vier Jahreszeiten ſo lange, als bei uns drei volle Jahre. Die
Höhe der Sonne ändert ſich für jeden gegebenen Ort, während
dem Lauf eines ganzen Jahres, nur um ſechs Grade, während bei
uns, in einer zwölfmal kürzern Zeit, dieſe Aenderung ſchon ſieben
und vierzig Grade beträgt. Die Bewohner des Aequators haben
[133]Jupiter.
die Sonne beinahe immer in ihrem Zenithe, und ſelbſt wenn ſie
am tiefſten ſteht, iſt ſie nur drei Grade von ihrem Scheitel ent-
fernt. Die beiden Pole aber haben abwechſelnd durch eine Zeit,
die ſechs Jahren der Erde gleichkömmt, immerwährend Tag oder
Nacht. Wenn dieſe lange Nacht aufhört, und die Sonne den
Bewohnern der Pole wieder erſcheint, um wieder ſechs Erdenjahre
für ſie nicht unterzugehen, ſo ſchleicht ſie doch nur an ihrem
Horizonte herum und erhebt ſich auch im Mittag nicht mehr als
drei Grade über denſelben. Aber auch in den andern Gegenden,
zwiſchen dem Aequator und den Polen, ſind die Klimate ſchroff
und ſcharf abgeſchnitten und der Unterſchied weniger Grade der
Breite muß ſchon eine große und conſtante Veränderung der
Temperatur hervorbringen. So lange übrigens die Jahreszeiten
auf dieſem Planeten dauern, ſo kurz ſind im Gegentheile wieder
die Tageszeiten, da dort Tag und Nacht zuſammen genommen
noch nicht zehn unſerer Erdſtunden betragen. Der Unterſchied
zwiſchen dem Tag im engern Sinne des Wortes, d. h. zwiſchen
der Anweſenheit der Sonne über dem Horizonte und der Nacht,
iſt dort, etwa die nächſten Gegenden an den Polen ausgenommen,
immer nur ſehr klein und die meiſten Orte haben durch das ganze
Jahr Tag und Nacht nahe gleich groß und zwar gleich fünf
unſerer Stunden. Dieſer ſchnelle Wechſel des Lichts mit der
Finſterniß muß auf die Lebensweiſe der Bewohner dieſes Planeten
von weſentlichen Einflüſſen ſeyn, wenn ſie anders, ſo wie wir, den
Tag ihren Beſchäftigungen und Vergnügungen, und die Nacht der
Ruhe und dem Schlafe widmen. Wenn ſie mit ihren Arbeiten
jeden Tag zu Ende kommen wollen, ſo müſſen ſie in wenigen
Minuten vollenden, wozu wir ganze Stunden brauchen, und
alſo wohl eine beſondere Schnellkraft des Geiſtes und des
Körpers haben. In der That, wie wenige von uns würden
zufrieden ſeyn, wenn ihre Nächte nur fünf Stunden dauerten, und
wenn ſie ſchon wieder aufſiehen müßten, nachdem ſie ſich kaum zu
Bette gelegt haben. Wie ſehr würden ſelbſt die Virtuoſen unter
unſern Gourmands in Verlegenheit kommen, wenn ſie, in einem
Zeitraume von fünf Stunden, ſchon drei oder vier Mahlzeiten zu
ſich nehmen müßten. Und wie ſehr würden erſt unſere Frauen
[134]Jupiter.
über die kurzen Nächte und die noch kürzeren Bälle von nicht
einmal fünf Stunden klagen, da ſie ſchon zur Vorbereitung dazu
mehr als doppelt ſo viel Zeit gebrauchen? Deſto zufriedener werden
im Gegentheile die Aſtronomen dieſes Planeten ſeyn, wenn es
anders noch daſelbſt auch Leute gibt, die es der Mühe werth
achten, zuweilen wenigſtens einen Blick auf den geſtirnten Himmel
zu richten. Die Sonne zwar erſcheint ihnen viel kleiner, im
Durchmeſſer über 5, und in der Fläche 27 mal kleiner, als uns,
daher auch die Beleuchtung, die Jupiter von der Sonne erhält,
27 mal ſchwächer iſt, als die unſerer Erde, und ſogar 180 mal
geringer, als die Beleuchtung, deren ſich Merkur, der nächſte
Planet an der Sonne, erfreut. Aber eben dieſe Düſterkeit ihrer
Tage wird den Aſtronomen Gelegenheit geben, die übrigen größern
Geſtirne, auch ohne Fernröhre, ſelbſt um die Zeit ihres Mittags
zu ſehen. Wenn ſie überdieß ihre Zeitrechnungen, ſo wie wir, in
letzter Inſtanz auf die Länge ihrer Tage beziehen, welche viel
genauere Zeitbeſtimmung werden ſie dann haben, da ihre Tage
nur zehn unſerer Stunden dauern. In dieſen zehn Stunden
ſchwingen ſich alle Geſtirne des Himmels mit einer Schnelligkeit
herum, die es ihnen ungemein leicht machen muß, den Ort der-
ſelben für jeden Augenblick mit der größten Schärfe zu beſtimmen.
Da die Körper in ihrem freien Falle auf der Oberfläche dieſes
Planeten, wie wir geſehen haben, in der erſten Secunde durch
38 Fuß fallen, oder da die Schwere auf der Oberfläche dieſes
Planeten bald dreimal größer iſt, als auf der Erde, ſo würde
unſer Secundenpendel von drei Fuß dort in einer Secunde ſchon
zwei Schwingungen vollenden, und ein Pendel, welcher auf Jupiter
ſeine Schwingungen in einer unſer Secunden machen ſoll, müßte
eine Länge von acht Fuß haben. Dieſe ſchnelle Rotation um ihre
Axe wird daher den Aſtronomen Jupiters ein Mittel geben, ihre
Zeit mit der größten Schärfe zu beſtimmen, und dieß iſt bekannt-
lich eines der wichtigſten Elemente aller practiſchen Aſtronomie.
Die vielen Finſterniſſe, welche ihnen ihre vier Monde bereiten,
und die beinahe täglich vorfallen, werden ihnen nicht nur den
Anblick des geſtirnten Himmels verſchönern, ſondern die vielen
künſtlich in einander verſchlungenen Bewegungen dieſer Monde
[135]Jupiter.
werden ihnen auch Gelegenheit geben, die vorzüglichſten Eigen-
ſchaften derſelben bald und mit großer Schärfe kennen zu lernen.
Um endlich die Entfernungen der Himmelskörper unter ſich ſelbſt
ſowohl, als auch von Jupiter zu beſtimmen, müſſen ſie vor allem
eine recht große Baſis (I. S. 158) haben, die ſie ihren Beobach-
tungen der Parallaxe zu Grunde legen können. Aber welche größere
Baſis können ſie wünſchen, als die, die ihnen durch den Halb-
meſſer ihres großen Planeten in Beziehung auf die Entfernung
jener Monde von dem Mittelpunkte dieſes Planeten gegeben iſt.
Unſer Mond iſt 60 Erdhalbmeſſer von uns entfernt, und dieß war
genug, die Parallaxe dieſes unſers Begleiters mit der größten
Genauigkeit zu beſtimmen. Die Sonne im Gegentheile ſteht über
20000 Erdhalbmeſſer von uns ab, daher wir ihre Parallaxe nur
ſchwer mit großer Schärfe beſtimmen können. Allein der nächſte
Satellit Jupiters iſt nicht einmal ſechs volle Halbmeſſer Jupiters
von dem Mittelpunkte dieſes Hauptplaneten entfernt, und ſeine
Parallaxe kann daher mit einer Genauigkeit beſtimmt werden, mit
welcher ſich keine unſerer irdiſchen Beobachtungen vergleichen läßt.
Selbſt die Beſtimmung der Sonnenparallaxe iſt dort weniger
Schwierigkeiten, als auf der Erde, unterworfen. Zwar iſt Jupiter
nahe fünfmal weiter, als die Erde, von der Sonne entfernt, aber
der Halbmeſſer Jupiters iſt dafür nahe zwölfmal größer, als der
Halbmeſſer der Erde, daher für jenen Planeten die Sonnenparallaxe
19 Secunden beträgt, während ſie bei uns nur 8 Secunden bat,
alſo mehr als die Hälfte kleiner und eben deßwegen auch viel
ſchwerer zu beſtimmen iſt.


[[136]]

KapitelVII.
Saturn und ſein Ring.


§. 101. (Entfernung und Umlaufszeit Saturns.) In einer
über neunmal größeren Entfernung als die Erde durchwandelt
Saturn ſeine weite Bahn um die Sonne in einer Zeit von 29½
Jahren. Man erkennt ihn an ſeinem matten, weißen Lichte ohne
Strahlen, und einmal erkannt, wird er immer wieder leicht auf-
gefunden, da er ſeinen Ort unter den Sternen ſo langſam ändert
und 2½ Jahre in demſelben Sternbilde verweilt. In ſeiner mitt-
leren Bewegung legt er in jeder Secunde nur 1 3/10 Meilen zurück,
geht alſo fünfmal langſamer als Merkur und ſelbſt noch 3½mal
langſamer als die Erde. So geht er, der alte Gott der Zeit,
langſam und unbemerkt, wie dieſe Zeit ſelbſt, ſeinen Weg von
mehr als hundert und neunzig Millionen Meilen um die Sonne,
die ihm in der großen Entfernung, um welche er von ihr abſteht,
nur mehr unter einem Durchmeſſer von 200 Sec., alſo 9½ mal
kleiner, als uns, erſcheint. Die ganze Oberfläche der Sonne aber
erſcheint ihm 90mal kleiner, als der Erde, daher auch die Be-
leuchtung, die Saturn von der Sonne erhält, 90mal geringer iſt,
als unſere Tageshelle, ſo daß der ſchönſte Mittag auf dieſem
Planeten nur unſerer tiefſten Dämmerung, unmittelbar vor dem
Einbruche der Nacht, zu vergleichen iſt. Seine mittlere Entfernung
von der Sonne beträgt nahe 200 Mill. Meilen. Das oben (II. S. 31)
[137]Saturn und ſein Ring.
erwähnte ſchnell ſegelnde Schiff würde dieſe Diſtanz erſt in 5400
Jahren, und eine Kanonenkugel, die in jeder Secunde 600 Fuß
zurücklegt, in 240 Jahren zurücklegen. Das Licht aber mit ſeiner
unbegreiflichen Geſchwindigkeit kömmt ſchon in 1 Stunde 18 Min.
von der Sonne bis zu Saturn.


Wegen der nicht unbeträchtlichen Excentricität der Bahn
dieſes Planeten kann ſich derſelbe bis 188 Mill. Meilen der Sonne
nähern, und bis 210 Mill. Meilen von ihr entfernen. Von der
Erde aber iſt ſein Abſtand zu verſchiedenen Zeiten viel mehr ver-
ſchieden, indem er ſich ihr bis 160 Mill. Meilen nähern und
wieder bis 223 Mill. Meilen von ihr entfernen kann.


§. 102. (Größe und Maſſe Saturns.) Der wahre Durch-
meſſer Saturns beträgt 17090 Meilen, alſo nicht viel weniger als
der des Jupiter, und nahe zehnmal mehr, als der der Erde.
Wenn er der Erde am nächſten ſteht, ſo erſcheint dieſer Durch-
meſſer unter dem Winkel von 21 Sec., in ſeiner größten Ent-
fernung aber nur unter 15 Sec. An Oberfläche übertrifft er die
der Erde 95 mal, und an körperlichem Inhalte 928 mal, ſo daß
man alſo aus ihm 928 der Erde gleiche Kugeln bilden könnte.
Allein die Maſſe, aus der er beſteht, iſt nur der 3512te Theil der
Sonnenmaſſe, oder nahe 95 mal größer als die Maſſe der Erde.
Daraus folgt, daß die Dichtigkeit dieſer Maſſe ungemein gering,
nur etwa der zehnte Theil der Dichte der Erdmaſſe iſt. Dieſe
Maſſe iſt überhaupt die lockerſte von allen Planetenmaſſen, und
nahe nur zweimal ſo dicht, als die unſeres Korkholzes. Es möchte
ſchwer ſeyn, zu ſagen, welchen Einfluß eine ſolche Einrichtung auf
die vegetabiliſche, auf die thieriſche und ſelbſt auf die intellectuelle
Welt dieſes Planeten haben mag. Was endlich die Kraft der
Schwere betrifft, ſo wirkt ſie auf dieſem Planeten nahe eben ſo,
wie auf der Erde: die Körper fallen nämlich in der erſten Secunde
durch 14 ½ P. Fuß.


§. 103. (Streifen und Atmoſphäre Saturns.) Auch Saturn
iſt mit ſolchen Aequatorialſtreifen, wie Jupiter, verſehen, ſie ſind
ſogar noch breiter, aber an Farbe weniger von der übrigen
Fläche des Planeten ausgezeichnet. Ohne Zweifel gehören auch
ſie der Atmoſphäre deſſelben an, obſchon dieſe Luft und dieſe
[138]Saturn und ſein Ring.
in ihr ſchwimmenden Wolken ſehr von den irdiſchen verſchieden
ſeyn mögen. Schröter hat in dieſen Streifen häufig bedeutende
Aenderungen bemerkt, was auf große Revolutionen in der Atmo-
ſphäre ſchließen läßt, da ſie uns in einer ſo großen Entfernung
noch ſichtbar ſind. Derſelbe Beobachter, ſo wie der ältere Herſchel
haben auch denjenigen Pol des Saturn, der eben von der Sonne
abgewendet iſt, und ſeinen Winterſchlaf hat, beſtändig heller und
weißer, als den anderen gefunden, wahrſcheinlich eine Folge der
großen Kälte, die zur Winterszeit unter dieſen Polen auf einem
Planeten herrſchen mag, der die Sonne 90mal kleiner ſieht, als
wir, und deſſen Winter volle 7¼ unſerer ganzen Jahre dauert.
Man will bemerkt haben, daß die Sterne, denen Saturn auf
ſeinem Laufe begegnet, und mit ſeinem Körper für uns bedeckt,
wenn ſie ihm näher rücken, allmählig ſchwächer werden, bis ſie
endlich hinter ſeinem Rande gänzlich verſchwinden. Daſſelbe ſoll
auch der Fall mit ſeinen Monden ſeyn, von welchen wir ſpäter
ſprechen werden. Man würde dieſe Erſcheinung als einen Beweis
anſehen können, daß die Atmoſphäre dieſes Planeten, wenigſtens
in ihren untern Schichten, ſehr dicht ſeyn müſſe.


§ 104. (Rotation Saturns.) Aus der Beobachtung einiger
Flecken auf der Oberfläche Saturns hat man die Rotation des-
ſelben zu 10½ unſerer Stunden abgeleitet. Künftige genauere
Beobachtungen werden dieſes Reſultat wohl noch verbeſſern, indeß
iſt dieſe ſchnelle Umdrehung eines ſo großen Planeten immer
merkwürdig. Der Aequator deſſelben iſt gegen ſeine Bahn unter
einem Winkel von nahe 30 Graden geneigt, woraus folgt, daß
die Jahreszeiten Saturns viel ſtärker verſchieden und ſchärfer
bezeichnet ſind, als die der Erde, während ſie, wie wir geſehen
haben, auf Jupiter beinahe gar nicht verſchieden ſind, und während
wieder die Tage dieſer zwei größten Planeten unſeres Sonnen-
ſyſtems beinahe dieſelbe Länge haben.


§. 105. (Abplattung Saturns.) Dieſe ſchnelle Umdrehung
Saturns läßt auch eine ſtarke Abplattung an ſeinen Polen er-
warten. Der ältere Herſchel fand dieſe Abplattung gleich dem
eilften Theil der halben Aequatorialaxe, allein er fand auch noch
eine andere Art von Erhöhung des Randes an vier einander
[139]Saturn und ſein Ring.
gegenüber ſtehenden Stellen, nahe in der Mitte zwiſchen Pol und
Aequator, ſo daß der Durchmeſſer Saturns in der Richtung dieſer
Erhöhungen gleich 1, der Durchmeſſer des Aequators gleich 0,97
und endlich der Polardurchmeſſer gleich 0,89 ſeyn ſoll. Allein
Schröter, der dieſen Gegenſtand anhaltend unterſuchte, fand die
äußere Geſtalt und Abplattung Saturns fortwährenden, großen
Aenderungen unterworfen, vielleicht, weil dieſen Planeten eine
flüſſige Hülle umgiebt, die einer immerwährenden Ebbe und Fluth
unterworfen iſt, oder auch, weil der Körper deſſelben in der That
von der Geſtalt einer Kugel beträchtlicher abweicht, als wir dieß
bisher bei andern Planeten beobachtet haben.


Ring des Saturn.

§. 106. (Wie Saturn den früheren Aſtronomen erſchien.) Wenn
man dieſen Planeten auch nur durch ein ſehr ſchwaches Fernrohr
beobachtet, ſo bemerkt man ſogleich, daß er von der runden Ge-
ſtalt der übrigen Himmelskörper abweicht und mehr eine ellipti-
ſche oder eyförmige Geſtalt hat. Galilei, der das damals kaum
erfundene Fernrohr (ein ſogenanntes holländiſches, mit einer Ver-
größerung von 33, und ohne Zweifel keines der beſſern dieſer Art)
der erſte i. J. 1612 zur Erweiterung unſerer Kenntniß des ge-
ſtirnten Himmels anwendete, entdeckte die ſonderbare Form die-
ſes Planeten ſogleich; aber, da er ihn nicht deutlich genug ſehen
konnte, ſo behauptete er, Saturn beſtehe aus drei an einander
befeſtigten Körpern, Saturnus triformis. Er hielt die zwei zu
den beiden entgegengeſetzten Seiten der eigentlichen Kugel ſtehenden
Körper für Monde, die aber keine Bewegung um die Kugel ha-
ben und gleichſam an ſie angeheftet ſeyn ſollten. Er erklärte dieſe
Meinung ſelbſt für etwas ſonderbar und verließ ſie auch ſpäter
wieder, als er, einige Jahre darauf, den Saturn ganz rund er-
blickte. Seine vermeinte Entdeckung wurde über zwanzig Jahre
von den andern Aſtronomen verfolgt, aber keiner derſelben konnte
ſich von der Idee eines ſolchen befeſtigten Mondenpaares los ma-
[140]Saturn und ſein Ring.
chen, wahrſcheinlich, weil ihre Fernröhre alle zu unvollkommen
waren, um dieſen entfernten Himmelskörper in ſeiner wahren
Geſtalt zu zeigen. Noch im Jahre 1633 ſah Gaſſendi aller ſeiner
Mühe ungeachtet doch nichts als dieſe eingebildeten Monde. He-
velius, der dieſen Planeten von den Jahren 1647 bis 1656 eifrig
verfolgte, bemerkte wohl, daß dieſe zwei kleinen Seitenkugeln,
dieſe imaginairen Monde mit der großen Kugel Saturns durch
Arme oder Henkel zuſammen hängen und daß Saturn ſeine Ge-
ſtalt überhaupt von Jahr zu Jahr auf eine ſehr ſonderbare Weiſe
ändere, aber er konnte doch den eigentlichen Grund dieſer auffal-
lenden Veränderungen nicht entdecken. Dafür gab er in ſeinem
Werke (De Saturni facie. Danzig 1656) eine Menge von barba-
riſchen Namen an, durch welche er die verſchiedenen Geſtalten
dieſes Planeten näher bezeichnen wollte. Hodierna war der Mei-
nung, daß Saturn die Geſtalt eines Eyes habe, mit zwei dun-
keln Flecken an den beiden Seiten, und daß die Abwechslung ſeiner
Geſtalt von einer Umdrehung dieſes Eyes um ſeine Axe komme.
Riccioli behauptete, daß Saturn mit einem dünnen Armillarringe
umgeben ſey, der in zweien ſeiner Punkte an der Kugel des Pla-
neten befeſtiget ſeyn ſollte, womit dieſer Jeſuit, der auch Coper-
nicus und Kepler verbeſſern wollte, die Entdeckung Huygen’s, die
damals ſchon allgemein bekannt war, zu rectificiren gedachte.


§. 107. (Huygens entdeckt den Ring Saturns.) Im Jahre
1659 erſchien nämlich das Systema Saturnium von Huygens,
in welchem dieſer vortreffliche Aſtronom und große Beobachter die
wahre Geſtalt dieſes Planeten bekannt machte, ſo wie er ſie durch
das von ihm ſelbſt verfertigte, für ſeine Zeit ſehr gute Fernrohr
i. J. 1655 geſehen hatte. Er zeigte, daß die Kugel Saturns
ringsum von einem dünnen, breiten, freiſchwebenden Ringe um-
geben iſt. Sofort erſchienen mehrere Widerlegungen, wie dieß
bei allen wichtigen Entdeckungen, die ſich auch andere gerne zueig-
nen möchten, zu geſchehen pflegt. Außer der bereits erwähnten
von Riccioli erhob ſich ein gewiſſer Fabri, aus demſelben Orden,
der unter dem falſchen Namen eines Eustachius de divinis die
Erklärung Huygens heftig angriff, nebſt mehrern andern, die
jetzt keiner weitern Erwähnung mehr werth ſind. Alle beſonnenen,
[141]Saturn und ſein Ring.
beſſern Aſtronomen erkannten ſofort die Wahrheit, wie ſie ihnen
von Huygens gezeigt wurde und reihten ſich auf ſeine Seite, und
in unſern Tagen giebt es vollends keinen Menſchen mehr, der
daran zweifeln könnte, wenn er auch nur mit einem Blicke durch
unſere beſſeren Fernröhre den Gegenſtand ſelbſt geſehen hat. Statt
dieſer Obtrectatoren, die ihre Rolle bald ausgeſpielt hatten, kam
ein anderes Heer von nicht viel beſſeren Speculanten, die man
auch hinter jeder neuen und wichtigen Erſcheinung herlaufen ſieht,
jene Theoretiker, wie ſie ſich ſelbſt ſo gerne nennen, die ſelbſt
keine Entdeckungen machen, aber dafür die der andern berichtigen
und erklären und dadurch, wie ſie in ihrer Beſcheidenheit wähnen,
dem Ganzen erſt die Krone aufſetzen und bei der ganzen Sache
ſich ſelbſt das Hauptverdienſt ſichern. Es entſtand nämlich die Frage,
woher dieſer Ring komme und wie er entſtanden ſeyn könne?
Da fehlte es denn nicht an Erklärungen aller Art. Der eine,
Roberval, ſonſt ein ſehr ſchätzbarer Geometer, behauptet, daß die-
ſer Ring blos durch die Dünſte gebildet werde, die ſich von der
Oberfläche des Saturn erheben; der andere hielt ihn für die ei-
gentliche Atmoſphäre dieſes Planeten; ein Dritter ſagte, dieſer
Ring ſey blos der Ueberreſt einer großen Kugel, die bis auf ih-
ren Aequator zuſammen geſchmolzen ſey, und Maupertuis endlich
ließ ihn aus einem Kometenſchweife entſtehen, der ſich um die
Kugel des Saturn herum geſchwungen habe und an ihm hängen
geblieben ſey.


Die beſſeren Aſtronomen, die eigentlichen Naturforſcher, be-
mühten ſich, die von Huygens gemachte Entdeckung zu verfolgen
und in ihren einzelnen Theilen, durch ihre eigenen Beobachtungen,
immer mehr zu vervollkommnen. Schon i. J. 1715 bemerkte Caſ-
ſini, daß dieſer Ring eigentlich ein doppelter, mit ſich und dem
Saturn concentriſcher Ring ſey, und daß der äußere, ſchmälere,
mit dem andern in derſelben Ebene liegende Ring von ihm durch
einen Zwiſchenraum getrennt iſt, den er gleich einem dunkeln
Bande auf der breiten Fläche des ganzen Ringes bemerkte. Short,
Hadley und andere, welche dieſe Trennung der Ringe durch ihre
Beobachtungen beſtätigten, bemerkten noch, daß der innere Ring
heller ſey, als der äußere und daß jener wohl noch aus mehreren
[142]Saturn und ſein Ring.
concentriſchen Ringen beſtehen mag, wie ſie aus den dunkeln Krei-
ſen ſchloſſen, die ſie auf demſelben, wenigſtens zuweilen, bemerken
konnten. (M. ſ. die Fig. am Ende dieſes Bandes.)


§. 108. (Ausmeſſungen des Rings.) Die folgende Tafel ent-
hält die Dimenſionen dieſer Ringe, wie ſie aus Struve’s neueſten
Meſſungen folgen. Die darin angegebenen Winkel beziehen ſich
auf die mittlere Diſtanz des Saturn von der Sonne oder von
der Erde, die 9,5388 Halbmeſſer der Erdbahn beträgt. Man erhält
die in Secunden ausgedrückte Größe in geogr. Meilen, wenn
man die erſten durch 950 multiplicirt. In der Fig. 8 iſt a der
Mittelpunkt Saturns und der beiden Ringe, a m der Halbmeſ-
ſer Saturns und c d der Raum, der beide Ringe von einander
trennt.


  • In Sec. In d. Meil.
  • Aeußerer Halbmeſſer des äußern Rings ae . . 20″,047 . . . 19045
  • Innerer — — — — ad . . 17″,644 . . . 16762
  • Aeußerer Halbmeſſer des innern Rings ac . . 17″,237 . . . 16375
  • Innerer — — — — ab . . 13″,334 . . . 12667
  • Halbmeſſer Saturns . . . . . . am . . 8″,995 . . . 8545
  • Breite des äußern Rings . . . . de . . 2″,403 . . . 2283
  • Breite des innern Rings . . . . bc . . 3″,903 . . . 3708
  • Breite des Zwiſchenraums . . . . cd . . 0″,407 . . . 387
  • Entfernung der innern Seite des innern
    Rings von der Oberfl. Saturns . bm . . 4″3397 . . . 4122
  • Breite des Doppelrings . . . . be . . 6″,713 . . . 6378

Man ſieht daraus die Größe dieſes, den Saturn freiſchwe-
bend umgebenden Rings. Sein äußerſter Durchmeſſer 2 ae be-
trägt 38090 Meilen oder 22 Durchmeſſer der Erde und der äu-
ßerſte Umfang dieſes Rings hat 119,663 Meilen. Der jüngere
Herſchel hat auch bei Gelegenheit der letzten Verſchwindung dieſes
Rings die Dicke deſſelben zu beſtimmen geſucht und ſie gleich
0,023 Secunden oder gleich 22 d. Meilen gefunden. Daraus würde
folgen, daß der körperliche Inhalt oder das Volum beider Ringe
zuſammen 13,980 Millionen Kubikmeilen oder nahe fünfmal ſo
viel, als das Volum der Erde beträgt. Allein Schröter folgert
aus ſeinen Beobachtungen dieſe Dicke des Rings gleich 0″,125 oder
[143]Saturn und ſein Ring.
119 Meilen, wo dann das Volum der beiden Ringe das unſerer
Erde 27 mal übertreffen würde.


Daß dieſer Ring, ſo wie die Kugel Saturns, ein dunkler
Körper iſt, der ſein Licht nur von der Sonne erhält, folgt ſchon
daraus, daß man oft genug den Schatten deutlich ſieht, den
Saturn auf ſeinen Ring und den auch der Ring auf den Körper
des Saturn wirft. Auch die Farbe des Saturn iſt von der des
Rings verſchieden. Herſchel fand jenen gelblich und dieſen lebhaft
weißlich gefärbt. Der Raum bm zwiſchen der Oberfläche des Sa-
turn und der innern Seite des innern Rings iſt ohne Zweifel
ein leerer Raum, durch den man den Hintergrund des Himmels
erblickt. In Smith’s Optik wird erzählt, daß Clarke in England
einen Fixſtern in dieſem leeren Raum durchblicken ſah, die ein-
zige Beobachtung dieſer Art, ſo viel uns bekannt iſt, die aber
wohl leicht mehrere finden würde, wenn man den Saturn zu die-
ſer Abſicht in ſternreichen Gegenden des Himmels eifriger verfol-
gen wollte, als bisher geſchehen ſeyn mag.


§. 109. (Neigung und Knoten des Rings.) Dieſer Ring hat,
nach Beſſels neueſten Beſtimmungen, gegenwärtig eine Neigung von
28 Graden gegen die Ecliptik, und die Länge ſeines aufſteigenden
Knotens in der Ecliptik beträgt 167 Grade. Wegen dieſer Nei-
gung erſcheint der in der That kreisförmige Ring, aus der Sonne
ſowohl, als auch aus der Erde geſehen, immer nur in der Ge-
ſtalt einer Ellipſe und zwar einer veränderlichen Ellipſe, deren
conſtante große Halbaxe, in der mittlern Entfernung Saturns,
gleich 20″,047, deren veränderliche kleine Halbaxe aber höchſtens
gleich 9″,55 ſeyn und öfters ſogar bis auf eine ganz verſchwindende
Größe abnehmen kann, wo dann der Ring als eine gerade Linie
erſcheint, oder auch ganz unſichtbar wird. Die erwähnte Figur ſtellt
Saturn mit ſeinem Ringe in der größtmöglichen ſcheinbaren Oeffnung
des letztern dar.


§. 110. (Urſachen der Verſchwindungen des Rings.) Dieſes
Verſchwinden des Rings iſt für die Theorie deſſelben von der
größten Wichtigkeit, weil ſich daraus die Lage der Ebene dieſes
Rings mit großer Schärfe beſtimmen läßt. Wir wollen daher
auch die Urſache und die nähern Umſtände dieſer Verſchwindungen
[144]Saturn und ſein Ring.
etwas genauer betrachten. — Es wurde bereits geſagt, daß die
Ebene dieſes Rings gegen die Ecliptik unter dem Winkel von 28
Graden geneigt iſt und daß er dieſe Neigung, im Allgemeinen
betrachtet, während ſeines ganzen Umlaufs um die Sonne beibehält,
ſo daß er ſich ſelbſt immer parallel bleibt.


Sey S (Fig. 9) die Sonne, mn die kreisförmige Bahn der
Erde, und ABCD die des Saturn. Nehmen wir an, daß die
Linie ESC die Knotenlinie (I. S. 222) des Rings in der Ecliptik
ſey, ſo daß alſo der aufſteigende Knoten A in der Länge von 167°
und der niederſteigende B in der Länge von 347° liege. Auf dieſe
Knotenlinie ſenkrecht ſey der Durchmeſſer BD gezogen. Wenn
nun Saturn in dem Punkte A iſt oder wenn er, von der Sonne
aus geſehen, die Länge 167° hat, ſo ſchneidet die Ebene ſeines
Ringes die Ecliptik in der Linie ASC, oder dieſe Ebene geht durch
die Sonne S, und kann ſonach bloß in ſeinen ſchmalen Kanten,
oder der Dicke nach von der Sonne beleuchtet werden. In dieſem
Augenblicke erſcheint er alſo einem Auge in der Sonne nur als
eine gerade Linie, oder in der Geſtalt der Fig. 10. Wie aber
Saturn aus dieſem Punkte A weiter gegen B fortrückt, ſo be-
leuchtet auch die Sonne die nördliche Seite des Ringes immer
mehr und mehr, und der Ring wird daher dem Auge in der
Sonne immer breiter erſcheinen, bis er, wenn Saturn in B iſt,
am weiteſten geöffnet iſt und die Geſtalt von Fig. 11 hat; wo
der nördliche Theil des Rings jenſeits der Kugel, und der ſüdliche
dießſeits ſteht. Wie dann Saturn weiter gegen C fortrückt, wird der
Ring wieder enger, bis er in C, in dem abſteigenden Knoten,
wieder nur ſeine Kante erleuchtet hat, und als eine gerade Linie,
wie Fig. 12, erſcheint. Von C gegen D wird die Sonne immer
mehr auf der ſüdlichen Seite des Rings vorrücken, die daher
immer breiter erſcheint, bis ſie in D am breiteſten iſt, und die
Geſtalt Fig. 13 hat, wo der nördliche Theil des Ringes dießſeits
der Kugel und der ſüdliche jenſeits liegt.


Von der Sonne geſehen erſcheint alſo Saturn während jeder
ſeiner Revolutionen um die Sonne, d. h., während 29½ Jahren
zweimal ohne Ring, wenn Saturn die heliocentriſche Länge 167°
oder 347° hat, und zweimal am weiteſten geöffnet, wenn er die
[145]Saturn und ſein Ring.
heliocentr. Längen von 257° und 77° hat. Die Intervalle zwiſchen
dieſen Erſcheinungen betragen daher 7⅖ Jahre, an deren Anfang
und Ende der Ring immer am kleinſten und am größten erſcheint.


Wenn alſo Saturn in einem der beiden Knoten ſeines Ringes
iſt, ſo wird von dieſem Ringe nur die ſchmale Kante durch die
Sonne beleuchtet, und der ganze Ring wird dann nicht bloß für
das Auge in der Sonne, ſondern auch für uns, für die Erde, ver-
ſchwinden, wenn anders unſere Fernröhre nicht ſtark genug ſind,
den ſchmalen Lichtſtreifen, welchen dieſe Kante bildet, ſichtbar zu
machen, wo uns dann der Ring als eine feine gerade Linie er-
ſcheinen wird, wie ihn Herſchel mit ſeinen großen Teleſcopen in
der That öfter zu dieſer Zeit geſehen hat.


Allein dieſer Ring kann außerdem für die Erde noch wegen
ganz anderer Urſachen verſchwinden. Wenn nämlich erſtens die
Ebene des Ringes durch die Erde geht, ſo ſehen wir keine ſeiner
beiden breiten Seiten, von welchen im Allgemeinen immer eine
von der Sonne beleuchtet iſt. Wir ſehen dann bloß die Kante,
die dunkle Kante des Ringes, d. h. wir ſehen ihn gar nicht. Dieß
iſt z. B. der Fall, wenn die Erde in m und Saturn in a oder c
iſt, wo dann die Ebene des Rings die Ecliptik in der Linie a m c
ſchneidet und durch das Auge des Beobachters in m geht. Wenn
aber auch dieß nicht der Fall iſt, ſondern wenn nur zweitens
die erweiterte Ebene des Rings zwiſchen Erde und Sonne hin-
durchgeht, ſo kann der Ring auch ſchon für uns unſichtbar werden.
Wenn z. B. die Erde in n und Saturn zwiſchen A und a' iſt,
ſo liegt die Ebene des Rings zwiſchen n und S, und da hier die
dunkle Seite deſſelben zur Erde n gekehrt iſt, ſo können wir ihn
nicht ſehen. Daſſelbe kann ſich ereignen, wenn überhaupt die Erde
irgendwo in der Hälfte p n o ihrer Bahn iſt, während Saturn
zwiſchen den Punkten A und a' ſich aufhält, und eben ſo, wenn
die Erde in der andern Hälfte p m o ihrer Bahn, und Saturn
zwiſchen dem Punkte A und a oder zwiſchen C und c iſt.


Man bemerkt übrigens von ſelbſt, daß dieſe beiden Arten
von Verſchwindungen des Ringes immer kurz vor oder nach der
Epoche ſtatt haben müſſen, wo die Ebene deſſelben durch die Sonne
gebt und nur der ſcharfe Rand des Ringes von ihr beleuchtet
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 10
[146]Saturn und ſein Ring.
wird. Denn da die Erdbahn gegen die des Saturn nur klein iſt,
ſo fällt die Ebene des Ringes durch 14 Jahre außer die Erd-
bahn, ſo daß alſo dann die Erde immer der von der Sonne
beleuchteten Seite des Ringes zugekehrt iſt und nur am Ende
dieſer Periode hat die Ringebene, etwa ein Jahr durch, eine ſolche
Lage, daß ſie, verlängert, die Erdbahn ſchneiden kann. Dieſe
beiden Fälle, wo die Ebene des Ringes entweder durch die Sonne
oder durch die Erde geht, geben offenbar nur ein momentanes
Verſchwinden deſſelben, während der dritte Fall, wo die Ebene
des Ringes zwiſchen Sonne und Erde liegt, den Ring mehrere
Wochen durch für die Erde unſichtbar machen kann.


§. 111. (Verſchiedene Geſtalten des Ringes, wie er von der
Erde geſehen wird.) Wenn man die halbe große Axe des elliptiſchen
Ringes gleich der Einheit annimmt, ſo gibt die folgende Tafel den
Werth der halben kleinen Axe für jeden heliocentriſchen oder geo-
centriſchen (I. S. 243) Abſtand des Saturn von dem auf- oder
abſteigenden Knoten des Ringes in Länge.


Von 0° bis 90° Abſtand vor dem aufſteigenden und nach dem
niederſteigenden Knoten liegt die zur Erde gekehrte Hälfte des
Ringes über, und von 0° bis 90° nach dem aufſteigenden und
vor dem niederſteigenden Knoten liegt dieſe Hälfte des Ringes
unter dem Mittelpunkte der Kugel des Saturn. Ueberhaupt zeigt
ſich Saturn ohne Ring, wenn er in dem öſtlichen Theile des
Sternbildes des Löwen und in dem öſtlichen Theile des Waſſer-
[147]Saturn und ſein Ring.
manns ſteht, während man den Ring in ſeiner größten Oeffnung
bei den Sternen in den Hörnern des Stiers oder zwiſchen dem
Scorpion und dem Schützen ſieht *).


§. 112. (Berge und Atmoſphäre des Ringes.) Zu der Zeit,
wo bloß die ſcharfe Kante des Ringes von der Sonne beſchienen
10 *
[148]Saturn und ſein Ring.
wird, ſah Schröter die feine Lichtlinie deſſelben häufig unterbrochen,
als wenn ſie aus mehreren geraden Linien beſtünde, die ſich ab-
wechſelnd trennen und wieder vereinigen. Er ſchrieb dieß einer
Atmoſphäre des Ringes und den darin vorgehenden Veränderungen
zu. Herſchel ſah zu der Zeit, als nur noch ein ſehr kleiner Theil
der Kugel über den Ring hervorragte (wie in Fig. 11 und 13),
dieſen Theil viel ſpitziger als ſonſt, da er doch, wegen der Ab-
plattung Saturns an ſeinen Polen, ſtumpfer ausſehen ſollte, was
ebenfalls einer Atmoſphäre des Ringes zugeſchrieben wurde, wo-
für auch noch die Erſcheinung ſpricht, daß zu der Zeit, wo
die Erde noch auf der dunklen Seite des Ringes ſteht, doch die
Kante deſſelben auch ſchon ſchwach beleuchtet geſehen wird.


Wenn der Ring nur als eine feine, gerade Lichtlinie erſcheint,
bemerkt man auf derſelben mehrere helle Punkte, die man für
Gebirge des Ringes hält, Schröter ſchätzt die Höhe einiger dieſer
Berge bis zu der enormen Größe von 200 Meilen über die Ebene
des Ringes. So gewaltige Berge können ſchon als zuſammen-
bängende Satelliten des Saturn angeſehen werden, die durch ihre
Vereinigung jenen Ring gebildet haben.


§. 113. (Ueber die Rotation des Ringes.) Dieſelben Berge
forderten gleichſam die beiden Beobachter, Herſchel und Schröter,
die mit den beſten Fernröhren in Europa verſehen waren, auf, durch
ſie die Rotation dieſes Ringes um ſeinen Mittelpunkt, der zugleich
der Mittelpunkt Saturns iſt, zu beſtimmen. Allein es iſt auf-
fallend und konnte lange nicht erklärt werden, daß dieſe beiden
trefflichen Aſtronomen ſo ganz widerſprechende Reſultate aus ihren
Beobachtungen abgeleitet haben. Herſchel fand aus der Ortsver-
änderung dieſer lichten Punkte oder dieſer Berge, im Jahre 1789,
daß der Ring ſich in 10½ unſerer Stunden, alſo in derſelben
Zeit, wie Saturn, um ſeine Axe drehe. Schröter aber behauptete,
daß dieſe lichten Punkte ihre Stellung gegen den Mittelpunkt
Saturns gar nicht ändern, und daß daher der Ring nicht rotiren
könne. Er ſah nämlich auf der weſtlichen Anſe einen, und auf
der öſtlichen zwei ausgezeichnete Punkte immer in derſelben unver-
rückten Lage, und um keinen Zweifel übrig zu laſſen, beobachtete
[149]Saturn und ſein Ring.
er dieſe lichten Punkte eine ganze Winternacht, durch mehr als
acht Stunden, immer in derſelben Stellung gegen den Planeten,
da doch die Ringe während dieſer Zeit, nach Herſchel, beinahe
eine ganze Rotation gemacht haben müßten. Dieſe ausgezeichneten
Punkte, die er als die oben erwähnten ungemein hohen Berge zu
erkennen glaubte, waren auf der ſpäter ſichtbar gewordenen ſüdlichen
Seite des Ringes gerade auf demſelben Orte, wie früher auf der
Nordſeite, wieder zu ſehen, und er ſchloß daraus, daß auf dem
Ringe Saturns dieſe hohen Berge, wie zwei an ihrer Baſis ver-
einigte Kegel, einander gegenüberſtehen.


So viel aber auch dieſe Beobachtungen für ſich zu haben
ſchienen, und ſo groß das Vertrauen war, das man mit Recht in
die ſeltene Geſchicklichkeit und die trefflichen Mittel, die dem
Lilienthaler Beobachter zu Gebote ſtanden, ſetzte, ſo konnten die
Aſtronomen ein ſolches Reſultat doch nicht wohl annehmen. Nach
theoretiſchen Gründen muß der Ring um ſeinen Planeten rotiren,
weil ſonſt, bei der kleinſten Veränderung deſſelben, die Schwer-
punkte der Ringe und des Planeten nicht mehr zuſammenfallen
und die Ringe unausbleiblich auf den Planeten ſtürzen würden.
Der einfache Zuſammenhang der Elemente, aus welchen dieſe
Ringe beſtehen, würde die Erhaltung deſſelben nicht ſichern, weil
dann die dem Planeten nähern Elemente, durch die immer wieder-
holte Anziehung des letztern, ſich am Ende von den Ringen getrennt
haben würden. Dieſe Ringe müſſen ſich alſo ohne eine fremde
Kraft, bloß nach dem Geſetze des Gleichgewichts, frei ſchwebend
erhalten, aber dieß kann nur geſchehen, wenn ſie um eine Axe
rotiren, die auf ihrer Ebene ſenkrecht ſteht und durch den Mittel-
punkt Saturns geht, ſo daß auf dieſe Weiſe ihre Schwere gegen
den Planeten durch die Centrifugalkraft ihrer Umdrehung aufge-
hoben oder im Gleichgewichte erhalten wird. Die Theorie zeigt,
daß eine durch dieſe Rotationsaxe auf die Fläche des Ringes
ſenkrechte Ebene dieſen Ring in einer Ellipſe ſchneiden muß, deren
große Axe verlängert durch den Mittelpunkt des Planeten geht,
und daß dann die Dauer der Rotation des Ringes ſehr nahe die-
ſelbe mit der Revolution eines Satelliten ſeyn wird, der ſich in
der Entfernung des Mittelpunkts jener Ellipſe um Saturn bewegt.
[150]Saturn und ſein Ring.
Dieſe Revolution iſt aber gleich 10⅖ Stunden, und nahe ſo groß
hat auch Herſchel, durch ſeine Beobachtungen, die Rotation des
Ringes gefunden. Die erwähnte Ellipſe kann ſelbſt für verſchiedene
Theile des Ringes veränderlich, alſo der Ring ſelbſt von ungleicher
Dicke ſeyn, und die Beobachtungen der Verſchwindung des Ringes
ſcheint dieſe Ungleichheiten deutlich anzuzeigen, die vielleicht ſelbſt
nothwendig ſind, das Gleichgewicht des Ringes zu ſichern, denn
wenn er in allen ſeinen Theilen völlig ſymmetriſch gebaut wäre,
ſo könnte ſchon die geringſte äußere Kraft, wie z. B. die eines
Satelliten, hinreichen, ihn zu verrücken und ihn auf den Planeten
zu ſtürzen. Demnach kann man dieſen Ring als eine kreisförmige
Reihe von aneinander hängenden Satelliten von ungleicher Größe
als eine Krone von Monden anſehen, die durch die Wirkung der
Sonne und durch die Störungen der ſieben Monde, die den
Saturn umgeben, kleineren oder größeren Oſcillationen unterworfen
iſt, aber doch im Allgemeinen immer dieſelbe mittlere Lage ſeiner
Ebene beibehält.


§. 114. (Erklärung dieſer Widerſprüche.) Da ſonach, der
Theorie und den Beobachtungen Herſchels zufolge, der Ring in
der That um ſeinen Planeten rotirt, ſo mußte die Beobachtung
Schröters, oder die von ihm daraus gezogene Folgerung, fehler-
haft ſeyn. Olbers war der erſte, der uns zeigte, daß die Er-
ſcheinung, die Schröter in Lilienthal ſo oft geſehen hatte, ihren
Grund nicht in den vermeinten Bergen des Ringes, ſondern in
der Erleuchtung derſelben durch die Sonne habe.


Seyen fh, g k . . (Fig. 8) die Geſichtslinien, unter welchen
man von der Erde aus die Fläche der Ringe ſieht. Offenbar
werden dann diejenigen Geſichtslinien unter allen die hellſten
ſcheinen, von welchen der größte Theil in der That durch die beiden
Ringflächen geht, weil dieſe allein, nicht aber die zwiſchen ihnen
und der Kugel enthaltenen leeren Räume das Licht zurückwerfen.
Betrachten wir mehrere dieſer mit fh parallelen Linien, ſo wird
zuerſt die zunächſt an dem Rande der Kugel, durch n, gehende
Linie die beiden Ringflächen in vier Theile ſchneiden, deren Summe
aber immer größer werden wird, je weiter die Geſichtslinie von n
[151]Saturn und ſein Ring.
nach fh rückt und in fh ſelbſt wird dieſe Summe am größten
ſeyn, alſo auch hier der Ring am hellſten erſcheinen. Von fh
weiter gegen g k wird dieſe Summe abnehmen, und nahe bei g k
am kleinſten ſeyn, von wo ſie wieder wachſen und in g k ſelbſt
neuerdings einen größten Werth erhalten wird, wo alſo der Ring
neuerdings am hellſten, aber nicht ganz ſo hell wie in fh, er-
ſcheinen wird, weil die Summe der beleuchteten Theile der Geſichts-
linie in g k offenbar kleiner, als in fh iſt. Je weiter dann dieſe
Geſichtslinien von g k oder von dem Mittelpunkte a des Saturn
noch wegrücken, deſto kleiner wird dieſer beleuchtete Theil derſelben,
bis er endlich an dem äußerſten Rande o des Ringes gänzlich
verſchwindet.


Es werden ſich daher, die Ringe mögen rotiren oder nicht,
und ſie mögen in der Geſtalt der breiteſten Ellipſe oder auch in
der einer geraden Linie erſcheinen, immer zwei Lichtknoten auf
jeder Seite der Kugel zeigen, von welchen der hellere in der Rich-
tung von fh und der minder helle in der von g k ſeyn wird, und
in dieſen Stellen hat auch Schröter in der That ſeine vermeinten
Berge beobachtet, während Herſchel, mit ſeinen noch beſſern Fern-
röhren, wahre Erhöhungen auf der Oberfläche des Ringes auf-
gefunden und dadurch die Rotation derſelben der Wahrheit gemäß
beſtimmt hat.


§. 115. (Anblick des Ringes von Saturn geſehen.) Die
Freunde des geſtirnten Himmels, wie er uns von der Erde er-
ſcheint, werden ihn ohne Zweifel für die Bewohner Saturns noch
viel ſchöner denken. Wenn der ſanfte Schimmer des Mondes,
der unſere Nächte ſo lieblich beleuchtet, den Beſchauer ſchon zu
erhabenen Betrachtungen bewegt, welche Genüſſe würde er dort
erwarten, wo der Sternehimmel nicht minder reich an Schön-
heiten aller Art iſt, und wo noch überdieß ſieben Monde das
Dunkel der Nacht erhellen, und wo ein großer Ring, der ſich wie ein
breites Strahlenband um den ganzen Himmel ſchwingt, in immer
abwechſelnden Stellungen die Aufmerkſamkeit des ſtaunenden Beob-
achters an ſich zieht.


[152]Saturn und ſein Ring.
One Moon to us reflects its cheerful light:
There seven attendants brighten up the night,
Here the blue firmament bedecked with stars;
There over head a lucid arch appears.
Barker
.
()

Aber ich beſorge ſehr, daß unſere Dichter, wenn ſie auf dieſen
Planeten verſetzt werden ſollten, ſich ſehr bald wieder zu uns
zurückwünſchen würden. So ſehr ſie auch ihre nächtliche Lampe
lieben mögen, die kleine Sonne, wie ſie dort erſcheint, und die
matte Beleuchtung derſelben, die den hellſten Mittag Saturns
nur unſerer tiefſten Dämmerung gleich macht, würden ihnen wohl
wenig behagen. Der äußerſt ſchnelle Wechſel des Tages mit der
Nacht, und der Unterſchied dieſer beiden Zeiten, der dort viel
größer iſt, als bei uns, und endlich die vier ſtreng von einander
geſonderten Jahreszeiten, deren jede 7½ unſerer Jahre, alſo dreißig
mal länger, als bei uns, dauert, alle dieſe Verhältniſſe würden,
wenigſtens auf unſere vegetabile und animaliſche Welt und auf
unſer Wohlbefinden ohne Zweifel einen ſehr ungünſtigen Einfluß
äußern, beſonders wenn wir die von dem Aequator Saturns ent-
ferntern Gegenden bewohnen müßten, da bei weitem der größte
Theil einer jeden Hemiſphäre dieſes Planeten, zur Zeit ſeines
Winters, durch volle vierzehn unſerer Jahre in der Finſterniß der
Nacht begraben bleibt.


Die Schönheit, welche uns der Anblick jenes Ringes gewähren
und der Nutzen, den wir von ihm ziehen könnten, würde uns
wohl nur wenig Erſatz für den Verluſt der andern Güter geben,
an die wir auf unſerer Erde ſo ſehr gewohnt, die uns hier ſo un-
entbehrlich geworden ſind.


Da die Ebene dieſes Ringes mit der des Aequators des
Planeten zuſammenfällt, ſo geht er für die Bewobner dieſes Aequa-
tors, für die heiße Zone, wenn ſie dort anders noch dieſen Namen
verdient, ganz verloren, denn er ſchwebt für dieſe Bewohner immer
in ihrem Scheitel, und ſie ſehen ihn nie der breiten Fläche, ſondern
bloß der Kante nach, der inneren Kante, die von der Sonne nie
beleuchtet wird. Für ſie zieht er ſich alſo nur als eine dunkle
[153]Saturn und ſein Ring.
Zone von etwa einem Grad Breite über den ganzen Himmel, und
weit entfernt, ihnen zu leuchten, verdeckt er vielmehr alle Fixſterne,
vor denen er ſich aufſtellt, und ſelbſt jene ſieben Monde des Saturn,
die ſich, wie wir weiter unten ſehen werden, in der Ebene dieſes
Ringes bewegen und daher für die Tropenländer Saturns von
dem Ringe bedeckt und unſichtbar gemacht werden.


Wenn aber ſo die Bewohner des Aequators keine Urſache
haben, ſich dieſes Ringes zu erfreuen, ſo ſind die den Polen
näheren Bewohner Saturns noch viel weniger in einem Zuſtande,
der ſie für uns beneidenswerth machen könnte. Die Einwohner
der kalten Zonen, die von den beiden Polen bis zu 24 Graden
abwärts wohnen, und ihn, ihrer fünfzehnjährigen Nächte wegen,
noch am beſten brauchen könnten, ſehen ihn gar nicht, für ſie iſt
der Ring gar nicht da, weil er dem Planeten zu nahe ſteht und
daher immer unter dem Horizonte jener Polarländer ſich auf-
halten muß. Erſt diejenigen, die wenigſtens 35 Grade von jedem
der beiden Pole entfernt ſind, erblicken den Ring in ſeiner ganzen
Breite von nahe zwölf Graden, aber ſie werden wenig Nutzen da-
von ziehen können, da ſie ihn nur ganz nahe an ihrer Erde, oder
da ſie ihn nur an ihrem Horizonte ſehen. Die noch näher an
dem Aequator Wohnenden ſehen ihn wohl höher, da er ſich für
ſie immer mehr über den Horizont erhebt, aber ſie ſehen ihn auch
zugleich immer ſchmäler, bis endlich die Bewohner des Aequators
ſelbſt, wie bereits geſagt, nur mehr ſeine ſchmale, innere, von der
Sonne nie beleuchtete Kante, d. h. bis dieſe ihn gar nicht mehr
ſehen können.


Alſo nur diejenigen Bewohner Saturns, welche von dem
Aequator, zu beiden Seiten deſſelben, bis 55 Grade entfernt ſind,
genießen den Anblick des Ringes, für ſie ſteht er, wie eine lichte
Zone, wie ein Feuerbogen, am Himmel, und zwar für die dem
Aequator näheren Länder hoch und ſchmal, für die entfernteren
aber immer breiter und zugleich tiefer an dem Horizonte. Dieſe
allein könnte man alſo noch für die Begünſtigten halten; allein
auch dieſe Gunſt iſt nicht ſo groß, wie ſie vielleicht auf den erſten
Blick erſcheinen mag. Von den zwei breiten Flächen des Ringes
iſt immer nur eine beleuchtet, und dieſe beleuchtete Seite kann
[154]Saturn und ſein Ring.
nur von derjenigen Hemiſphäre des Planeten geſehen werden,
welche eben gegen ſie gewendet iſt. Allein eben dieſe Hemiſphäre
iſt auch zugleich die gegen die Sonne gewendete, die eben ihren
Sommer feiernde Hälfte Saturns; dieſe könnte aber, da ſie ohnehin
im Sonnenlichte ſchwimmt, dieſe Beleuchtung des Ringes noch am
beſten entrathen, während die andere, winterliche Hälfte, die jene
Beleuchtung ihrer langen Nächte am meiſten brauchte, ſie gänzlich
entbehren muß. Dazu kommt noch, daß dieſe vordere, der Sonne
zugewendete Hälfte Saturns den beleuchteten Ring nur während
ihres Tages ſieht, wo ihr ohnehin die Sonne ſcheint, während bei
Nacht, wo eigentlich die beleuchtete Seite des Ringes den Mangel
des Sonnenlichtes erſetzen ſollte, Saturn ſeinen eigenen Schatten
auf den Ring wirft und ihn, in einer Art von Mondesfinſterniß
(I. S. 333) wieder unſichtbar macht, während die ganze andere
Hälfte Saturns, die eben Winter und ihre lange Nacht hat,
gegen die unbeleuchtete Seite des Ringes gewendet iſt und dieſen
daher gar nicht ſieht, vielmehr es ſich noch gefallen laſſen muß,
daß ihr durch ihn die Sterne und ſelbſt die Sonne, wo ſie ohne
Ring noch ſichtbar ſeyn könnte, verdeckt, und ſo ganze Jahre
dauernde und über große Zonen ſich erſtreckende Sonnenfinſterniſſe
erzeugt werden.


Aber wenn nun die Bewohner Saturns ſich an dieſem Ringe,
nach unſeren Anſichten, nicht ſehr ergötzen können, ſo werden viel-
leicht die Einwohner des Ringes ſelbſt, wenn es deren gibt, einen
deſto angenehmeren Aufenthalt haben? — Unſere Leſer werden
dieß leicht ſelbſt beurtheilen können, wenn ſie ſich aus dem Vor-
hergehenden erinnern, daß jede der beiden breiten Seiten dieſes
Ringes abwechſelnd durch fünfzehn unſerer Jahre immerwährend
Tag und eben ſo lange Nacht haben.


So unwirthlich aber auch dieſer Planet ſowohl, als auch
ſein Ring, für Geſchöpfe unſerer Art ſcheint, ſo unangemeſſen
mag es auch ſeyn, von dem, was uns ſchicklich oder unſchicklich
iſt, ſofort denſelben Schluß auch auf andere Himmelskörper und
auf andere Geſchöpfe anzuwenden, deren Einrichtung und Organi-
ſation durchaus von der unſeren verſchieden iſt, ſo daß, was uns
nur Abſcheu und Entſetzen, und vielleicht ſelbſt einen ſchnellen
[155]Saturn und ſein Ring.
Untergang verurſachen würde, für jene ein erhabenes und ſelbſt
wohlthätiges Schauſpiel ſeyn mag, durch welches ihnen die Güte
und die Allmacht des Schöpfers nicht minder geoffenbart wird,
als es mit den Bewohnern der Erde durch diejenigen Erſchei-
nungen des Himmels geſchieht, in welchen wir die Größe und die
Wohlthätigkeit des Urhebers der Natur ſo oft zu bewundern Ge-
legenheit haben.


[[156]]

KapitelVIII.
Uranus.


§. 116. (Entfernung und Umlaufszeit des Uranus.) In einer
Entfernung von der Sonne, die beinahe doppelt ſo groß iſt, als
die des Saturn, wandelt Uranus, der äußerſte Planet unſeres
Sonnenſyſtems, ſeine große, einſame Bahn


He walks his frontier round
The boundary of worlds
.
Mallet.
()

Seine mittlere Entfernung von der Sonne beträgt 400 Mil-
lionen Meilen. Ein ſchnell ſegelndes Schiff, das in jeder Stunde
4 Meilen zurücklegt, würde dieſe Diſtanz erſt in 11400 Jahren und
der Schall, der in jeder Stunde 163 Meilen macht, in 280 Jah-
ren erreichen, wozu das Licht mit ſeiner ungeheuern Geſchwindig-
keit nur 2 St. 39 M. braucht.


Da ſeine Bahn, deren Umfang 2425 Millionen Meilen be-
trägt, mehr kreisförmig iſt, ſo kann er ſich der Sonne im Peri-
helium nur auf 382 Millionen Meilen nähern und im Aphelium
419 Mill. Meilen von ihr entfernen. Von der Erde ſteht er zur
Zeit der Oppoſition 348 und in der Conjunction 424 Mill.
Meilen ab, wo er dort unter dem ſcheinbaren Durchmeſſer von
4 3/10 und hier unter den Winkel von 3½ Secunden nahe als ein
Stern der ſechsten Größe erſcheint, daher man ihn auch mit einem
[157]Uranus.
guten, unbewaffneten Auge noch erkennen kann. Sein wahrer
Durchmeſſer beträgt nahe 7500 Meilen.


§. 117. (Entdeckung und frühere Beobachtungen dieſes Plane-
ten.) Dieſer Planet wurde am 13. März 1781 von Herſchel zu
Both bei London mit einem von ihm ſelbſt verfertigten ſiebenfü-
ßigen Teleſcope entdeckt und an ſeiner bemerkbaren Scheibe (die
Fixſterne erſcheinen nur als untheilbare Punkte), und ſeiner Be-
wegung unter den Sternen ſofort als ein Planet erkannt. Da
er ſich ſo langſam bewegt, daß er ſeinen Umlauf um die Sonne
erſt in 30687 Tagen oder in nahe 84 Jahren vollendet, ſo würde
es lange gedauert haben, bis er einen ſo beträchtlichen Theil ſeiner
Bahn zurück gelegt hätte, um daraus die Elemente derſelben mit
Sicherheit abzuleiten. Allein Bode hatte bald darauf einen in
den Sternverzeichniſſen Flowſtead’s und T. Mayer’s gefunden,
daß dieſe beiden Aſtronomen den neuen Planeten bereits früher,
jener i. J. 1690 und dieſer 1756, beobachtet hatten, ihn aber nur
für einen der vielen Fixſterne hielten, da ſie auf ſeine Bewegung
nicht aufmerkſam genug waren. Bald darauf wurden noch meh-
rere andere ähnliche, ältere Beobachtungen deſſelben aufgefunden,
und dadurch wurde man in die Lage geſetzt, die Elemente dieſes
Planeten ſchon mit einer großen Genauigkeit zu einer Zeit zu be-
ſtimmen, wo er ſeit ſeiner Entdeckung kaum den dritten Theil ſei-
ner Bahn durchlaufen hatte.


§. 118. (Größe und Maſſe des Uranus.) Aus dem bereits
erwähnten Durchmeſſer dieſes Planeten von 7500 Meilen folgt,
daß ſeine Oberfläche die der Erde nahe 18 mal und ſein Volum
das der Erde 76 mal übertrifft. Die Maſſe deſſelben iſt 17 mal
größer als die Erdmaſſe, und die Dichtigkeit derſelben iſt nur der
fünfte Theil der Dichte der Erdmaſſe, alſo nahe ſo groß, wie die
Dichte unſeres Waſſers. Der Weg, welchen die Körper auf ſeiner
Oberfläche in der erſten Secunde ihres Falles zurücklegen, beträgt
14½ Fuß, alſo nur einen halben Fuß weniger, als auf der Erde.
Er ſelbſt aber legt, auf ſeinem Wege um die Sonne, in jeder
Secunde nahe eine deutſche Meile zurück, ſo daß die Geſchwin-
digkeit dieſes langſamſten aller Planeten nahe fünf mal kleiner
iſt, als die der Erde. Die Sonne erſcheint auf dieſem Planeten
[158]Uranus.
nur mehr unter einem Durchmeſſer von 100 Secunden, nicht ganz
noch einmal ſo groß, als uns die Venus, oder 19 mal kleiner,
als die Sonne uns erſcheint, und in der Oberfläche 360 mal
kleiner, daher auch im Allgemeinen die Beleuchtung, welche Uranus
von der Sonne erhält, 360 mal kleiner, als die Beleuchtung der
Erde ſeyn wird, ſo daß alſo ſeine hellſten Mittage kaum unſerer
ſternhellen Mitternacht gleichen mögen.


Da dieſer Planet ſo ungemein weit von uns entfernt iſt, ſo
wiſſen wir von ſeiner Oberfläche wenig mehr, als daß ſie uns wie
eine kleine, runde, matt aber durchaus gleichförmig beleuchtete
Scheibe erſcheint. Streifen und Flecken können wir auf dieſer
Fläche nicht mehr erkennen, alſo auch die Rotation dieſes Plane-
ten nicht beſtimmen. Doch kann ſie ihm nicht wohl mangeln, ja
ſeine Umdrehung ſcheint ſogar ſehr ſchnell zu ſeyn, da der ältere
Herſchel mit ſeinen ſtarken Teleſcopen eine bedeutende Abplattung
an zwei einander gegenüberſtehenden Punkten ſeines Umfangs be-
merkt hat.


§. 119. (Satelliten des Uranus.) Derſelbe vortreffliche Beobach-
ter hat auch ſechs Monde entdeckt, die ſich um dieſen Planeten be-
wegen. Allein ſie ſind bisher nur von Herſchel ſelbſt geſehen wor-
den, da die Fernröhre aller andern Aſtronomen zu ſchwach ſind,
dieſe matten Lichtpünktchen erkennen zu laſſen. Selbſt der jüngere
Herſchel hat, mit den Teleſcopen ſeines Vaters, nur zwei dieſer
ſechs Satelliten des Uranus wieder zu ſeinem Geſichte bringen
können. Ueberhaupt gehören dieſe Monde und die zwei innerſten
des Saturn zu den lichtſchwächſten und am ſchwerſten zu ſehenden
Gegenſtänden des Himmels, und es wird vielleicht noch lange
dauern, bis wir ſie mit unſern dioptriſchen Fernröhren ohne An-
ſtand ſehen werden, da dieſe in Beziehung auf die Oeffnung ihrer
Objective und alſo auf die Lichtſtärke der durch ſie geſehenen
Gegenſtände doch noch immer zu ſehr hinter den großen Spie-
geln der katoptriſchen Fernröhre, wie ſie Herſchel vorzugsweiſe ge-
braucht hat, zurück ſtehen. Demungeachtet ſcheinen dieſe Uranus-
monde eine beträchtliche Größe zu haben, weil ſie ſonſt auch nicht
einmal Herſchel hätte ſehen können. Unſer Mond, in jene Ent-
fernung verſetzt, würde uns nur mehr unter einem Durchmeſſer
[159]Uranus.
von ¼ Secunde erſcheinen, und da ſein Licht 360 mal ſchwächer
ſeyn würde, ſo würden wir, auch mit unſern beſten Fernröhren,
keine Spur mehr von ihm entdecken können.


§. 120. (Tages- und Jahreszeiten des Uranus.) Es iſt be-
reits oben (I. S. 340) bemerkt worden, daß die Bahnen dieſer
ſechs Uranusmonde auf der Uranusbahn, die ſehr nahe mit unſerer
Ecliptik zuſammen fällt, beinahe ſenkrecht ſtehen. Da wir nun
bisher bei allen Planeten die Satelliten derſelben ſich in der Ebene
des Aequators ihres Planeten bewegen ſehen, und da dieß auch
mit der Theorie der Entſtehung dieſer Satelliten übereinſtimmt, ſo
werden wir mit der größten Wahrſcheinlichkeit auch annehmen
müſſen, daß der Aequator des Uranus nahe ſenkrecht auf ſeiner
Bahn ſteht, oder daß die Schiefe der Ecliptik bei dieſem Pla-
neten nahe 90 Grade beträgt. Wir haben aber bereits oben
(I. §. 91) gezeigt, welche Folgen eine ſolche Einrichtung auf die
Klimate und Jahreszeiten eines Planeten nach ſich ziehen muß.
Der Unterſchied der Klimate wird nämlich auf Uranus beinahe
ganz aufgehoben ſeyn, das heißt, es wird in Beziehung auf den
Rand der Sonne in verſchiedenen Theilen des Jahres einerlei
ſeyn, ob das Land nahe bei dem Aequator oder nahe bei den Po-
len liegt, da jeder Punkt der Oberfläche dieſes Planeten, ſelbſt die
beiden Pole nicht ausgenommen, im Laufe des Jahres die Sonne
zweimal in ſeinem Zenithe ſieht. Im Anfange des Frühlings und
des Herbſtes ſteht nämlich die Sonne in dem Scheitel derjenigen,
die den Aequator bewohnen, während ſie den beiden Polen nur in
ihrem Horizonte erſcheint, und während überall, auf der ganzen
Oberfläche des Uranus, Tag und Nacht einander gleich iſt. Allein nur
kurze Zeit nach dieſer Epoche werden ſelbſt diejenigen, die in der
Nähe des Aequators wohnen, ſchon einen bedeutenden Unterſchied
in der Länge ihrer Tage und Nächte bemerken und im Anfange
des Sommers oder des Winters wird der nördliche oder der ſüd-
liche Pol die Sonne in ſeinem Zenithe ſehen und die dieſen Polen
zunächſt liegenden Länder werden 42 unſerer Jahre immerwährend
Tag, und eben ſo lange wieder Nacht haben. Durch dieſe Ein-
richtung wird alſo auch der Unterſchied der vier Jahreszeiten der
größtmögliche ſeyn, oder mit andern Worten, ſo wenig es, in
[160]Uranus.
Beziehung auf Temperatur, Beleuchtung, auf Vegetation u. f.
darauf ankommen wird, ob man nahe bei dem Aequator oder nahe
bei dem Pole wohnt, ſo viel wird darauf ankommen, ob der Süd-
oder Nordländer auf jenem Planeten eben Frühling oder Sommer
u. ſ. w. hat, da dort die Jahreszeiten, wegen der großen Schiefe
der Ecliptik, viel mehr von einander verſchieden und viel ſchroffer
von einander abgeſondert ſeyn müſſen, als bei uns.


§. 121. (Bewohner des Uranus und der Planeten überhaupt.)
Welcher Art die Bewohner eines Planeten ſeyn mögen, die ihre
Sonne 360 mal kleiner ſehen, als wir, die ſelbſt im Mittage noch,
mit unſern Augen betrachtet, im Finſtern tappen, ſich die grellſten
Abwechslungen der Jahreszeiten und vor allen eine Kälte gefallen
laſſen müſſen, die, auf unſerer Erde, allem Leben ein plötzliches
Ende bereiten würde, dieß mögen unſere Leſer ſelbſt unterſuchen,
wo ſie dann auch vielleicht die Mittel finden werden, mit welchen
ſich die Leute im Uranus die Langeweile ihrer zwei und vierzig
unſerer Jahre dauernden Nächte vertreiben.


Es iſt ohne Zweifel Unrecht, die Zufriedenheit und das Wohl-
ſeyn der Bewohner anderer Welten nach unſeren Bedürfniſſen ab-
zumeſſen und ſie ſofort ſchon für unglücklich zu achten, weil wir
uns, an ihre Stelle verſetzt, nicht glücklich finden würden. Indeß
ſind wir gezwungen, wenn wir von ihnen reden wollen, ſie mit
unſerem eigenen Maaßſtabe zu meſſen, und ohne über ihr Schickſal
abſprechen zu wollen, nur dasjenige zu betrachten, was uns in den
Verhältniſſen treffen würde, denen ſie ausgeſetzt ſind, und die ſie,
mit einer andern Organiſation und mit ganz anderen Einrichtun-
gen verſehen, auch wohl mit ganz anderen Augen anſehen werden.
Es hat aber auch nicht an Anderen gefehlt, und unter ihnen haben
ſich ſelbſt berühmte Aſtronomen gefunden, die ſich dieſen Specula-
tionen mit einer Art von Vorliebe hingegeben haben und ſich
nicht damit begnügten, zu ſehen, welchen Einfluß eine andere Ein-
richtung der Jahreszeiten, der Temperatur und Beleuchtung bei
fremden Weltkörpern auf die Bewohner derſelben, wenn ſie im
Allgemeinen uns ähnlich wären, hervor bringen würde, ſondern
die die Spiele ihrer Einbildungskraft oder ihre ſchwärmeriſchen
Träume auch noch auf die übrigen körperlichen und geiſtigen Ei-
[161]Uranus.
genſchaften der Bewohner jener Planeten fortſetzten, und es mag
uns, zum Schluſſe dieſes Gegenſtandes erlaubt ſeyn, einige dieſer
Phantaſien zur Erheiterung der Leſer hier anzuführen.


§. 122. (Wahrſcheinlichkeit, daß die Planeten bewohnt ſind.)
Zuerſt aber wollen wir bemerken, daß es allerdings ſehr wahr-
ſcheinlich iſt, daß auch jene Weltkörper mit Geſchöpfen aller Art
bedeckt ſind und daß auch dort zahlloſe organiſche Weſen ſich
ihres Lebens erfreuen. Auf unſerer Erde finden wir jedes Sand-
korn, jeden Waſſertropfen belebt — wie ſollten ſo unermeßliche
Kugeln, wie Jupiter, ohne Bewohner ſeyn! Auf unſerer Erde fin-
den wir ferner, nicht bloß bei den Thieren, wo die Abſtufungen
unendlich ſind, ſondern ſelbſt bei den Menſchen, welche die ver-
ſchiedenen Gegenden der Erde bewohnen, bei dem Lappländer und
dem Neger, ſo große Unterſchiede — wie ſollte ſie bei den Be-
wohnern des Merkurs und des Uranus nicht noch viel größer
ſeyn! Und warum ſollte es einer lebhaften Einbildungskraft nicht
gegönnt ſeyn, dieſe Unterſchiede aufzuſuchen und ſie denjenigen
Verhältniſſen, die wir von jenen Planeten kennen, ſo gut wir nun
eben können, anzupaſſen? Vorausgeſetzt, daß man bei den allge-
meinen Beſtimmungen ſtehen bleibt, ohne ſich in das Detail der
geiſtigen oder körperlichen Vorzüge einzulaſſen, die jene uns gänz-
lich unbekannten Geſchöpfe vor uns haben mögen.


§. 123. (Huygens Meinungen über die Bewohner der Plane-
ten.) Dieß hat Huygens in ſeinem bekannten Cosmotheoros,
wenigſtens in dem erſten Theile deſſelben, gethan und er hat darin
an dem Cardinal Cuſa, an dem unglücklichen Bruno und ſelbſt
an Kepler, in ſeinem Somnium astronomicum, ſchon Vorgän-
ger gehabt, deſſen Fußſtapfen er nur verfolgen und weiter aus-
bilden durfte. So meint Huygens, daß auf allen dieſen Welten,
ſo verſchieden ſie auch von unſerer Erde ſeyn mögen, doch immer
Waſſer zu finden ſeyn muß, weil ohne dieſes weder vegetabili-
ſches, noch animaliſches Leben gedacht werden kann, ein anderes
Waſſer übrigens, als das unſere, da dieſes im Saturn gewiß nur
als Eis vorhanden ſeyn könnte, und da es im Merkur ſchon längſt
in Dampf verwandelt ſeyn würde. Wo aber eine ſolche Flüſſig-
keit iſt, da müſſen ſich auch, wie er glaubt, Pflanzen finden, die
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 11
[162]Uranus.
eben ſo wachſen, wie bei uns, indem ſie mit ihren Wurzeln die
Flüſſigkeit des Bodens und mit ihren Blättern die der Luft ein-
ſaugen und verarbeiten. Wo aber Pflanzen ſind, werden auch
Thiere ſeyn, die ſich von dieſen Pflanzen nähren, und die da eben
ſo wachſen und ſich fortpflanzen, wie bei uns. Wo Waſſer iſt, muß
ferner auch eine Atmoſphäre ſeyn, weil jenes ohne die letzte ſchnell
verdunſten und alle Meere und Flüſſe austrocknen würden. Dieſe
Atmoſphäre iſt aber vielleicht bei manchen Planeten gar ſehr von
der unſern verſchieden und ſie iſt etwa bei Jupiter ſo dicht, daß
wir in derſelben, wie in unſerem Waſſer, ſchon ſchwimmen könn-
ten, daher die großen Streifen und die ſoliden Wolken, die wir
auf der Oberfläche dieſes Planeten bemerken. Mit dieſem allem
noch nicht zufrieden, läßt Huygens dieſe Welten nun auch von
vernünftigen Geſchöpfen bewohnt ſeyn, damit es auch dort Weſen
gebe, die über die Wunder des Himmels nachdenken und die Größe
des Schöpfers in ſeinen Werken verkündigen können. Denn wozu
ſollte der Menſch, dieſes nimmer ruhende Urſachenthier, wie es
Lichtenberg nennt, hierher verſetzt worden ſeyn, oder warum ſollte
dieſe kleine Erde jenen größten aller Vorzüge allein beſitzen? Auch ſoll
kein Zweifel ſeyn, daß der Verſtand jener Leute ganz derſelbe mit
dem unſern iſt, und daß, was hier als wahr, als gerecht, als gut
erkannt wird, auch dort dafür erkannt werde, ſo wie, daß ſie ganz
dieſelben Sinne haben, wie wir. Denn, wenn ſie nun z. B. keine
Augen hätten, wie ſollten ſie ihr Futter ſuchen, ihre Freunde er-
kennen, ihre Feinde fliehen, und warum ſollte denn die Sonne
über ihnen ſcheinen, wenn ſie ſie doch nicht ſehen können und wenn
ſie bloß unter der Erde, wie unſere Maulwürfe und Regenwürmer
ſich aufhalten? Er wendet ſich ſelbſt ein, daß es vielleicht auf
manchen dieſer Planeten mehrere Gattungen vernünftiger Weſen
geben könne, allein er findet bald, daß dieß der Weisheit der Na-
tur nicht gemäß wäre, weil dieſe vernünftigen Thiere verſchiedener
Art ſich durchaus nicht vertragen und ſehr bald einander aufreiben
würden. Da ich es nicht wage, dieſe ſonderbare Lobrede auf die
Vernunft hier umſtändlich wieder zu geben, ſo mag es hinreichen,
nur den Grund dieſer Unverträglichkeit mit den eigenen Worten des
Verfaſſers anzuführen: quia nempe, si plura forent eadem
[163]Uranus.
ingenii sagacitate, nocere deberent sibi invicem ac de pos-
sessionibus et imperio inter se contendere, quod eheu nunc
quoque faciunt nimis frequenter, licet unius generis sint,
qui in Terra hac dominantur.
Demungeachtet nimmt er keinen
Anſtand, Gelehrte aller Art dort in Menge wachſen zu laſſen, be-
ſonders aber Aſtronomen, an denen es dort durchaus nicht fehlen
darf. Dadurch will er aber andere Gattungen, die er wenigſtens
für eben ſo nothwendig hält, nicht ausgeſchloſſen haben. So be-
hauptet er, daß die Menſchen nur deßhalb nackt zur Welt kommen,
damit ſie, von der Noth getrieben, Gelegenheit bekommen, ihre
geiſtigen Kräfte immer mehr zu entwickeln und ſelbſt für ihre
Kleidung zu ſorgen, was die übrigen Thiere nicht nöthig haben,
woraus er dann den Schluß zieht, daß es auch in jenen Welten
eben ſo wenig an großen Gelehrten, als an geſchickten Schneidern
fehlen kann, und daß überhaupt alle, ſo wie wir, geſellſchaftlich
zuſammen leben, ſich des gegenſeitigen Geſprächs erfreuen, zuweilen
auch, der Abwechslung wegen, einander plagen und die Ruhe ih-
res Lebens vergiften, oder ſich in ihren Schlachten zu Tauſenden
morden mögen und was dergleichen löbliche Unterhaltungen mehr
ſind. Ob dieſe vernünftigen Weſen aber auch das Fleiſch der
übrigen unvernünftigen Thiere eſſen, oder ob ſie, den Lehren ihrer
Pythagoras gehorchend, bloß von Pflanzen leben, wagt er nicht zu
entſcheiden, doch geht ſeine Meinung dahin, daß es vielleicht nur
die ausſchließende Beſtimmung der Menſchen iſt, ut multorum
aliorum pernicie et caede vivere debeant.
Auch wegen der
Statur dieſer vernünftigen Geſchöpfe iſt er in einiger Verlegenheit.
Er weiß wohl, daß ſeine Vorgänger auf dieſem Felde die Be-
wohner der Planeten im Verhältniſſe dieſer ihrer Wohnorte an-
genommen und z. B. behauptet haben, daß die Menſchen auf
Jupiter und Saturn zehn- bis fünfzehnmal größer, als unſere Ele-
phanten oder gar als unſere Wallfiſche ſeyn müßten. Aber dieſer
Schluß ſcheint ihm doch viel zu gewagt, da die Natur nicht ein-
mal die Größe dieſer Planeten ſelbſt nach ihrer Entfernung von
der Sonne abgemeſſen hat. So iſt der entferntere Mars kleiner,
als die nähere Venus, und eben ſo iſt Saturn kleiner als Jupiter
und jener hat ſieben Monde und einen doppelten Ring, während
11 *
[164]Uranus.
dieſer, der größte unter allen Planeten, ſich ſchon mit vier Mon-
den ohne allen Ring begnügen muß. Andere meinten wieder, die
Menſchen auf jenen Planeten müßten ſehr klein und nicht viel
größer, als unſere Mäuſe ſeyn. Allein auch dieß kann er
nicht gelten laſſen, und zwar aus dem völlig hinreichenden Grun-
de, weil dann dieſe Mäuſe von Aſtronomen, deren Exiſtenz
ſchon früher erwieſen worden iſt, die großen Inſtrumente nicht
mehr gehörig handhaben und rectificiren könnten *).


Man ſieht, wie unvollkommen dieß Alles iſt, und wie viel
ſich dagegen ſagen läßt, aber auch, wie ſchwer es iſt, ſich auf die-
ſem Felde ſolche exspatiationes ingenii, wie Kepler die ungere-
gelten Ausflüge der Phantaſie genannt hat, mit Hoffnung auf eine
nützliche Ausbeute zu erlauben. Es würde den Leſern lehrreicher
und angenehmer zugleich geweſen ſeyn, wenn uns Huygens auch
nur einen einzigen Sinn mehr, außer den bekannten fünf, ge-
nannt hätte, mit welchen die Bewohner der anderen Planeten auch
nur begabt ſeyn könnten. Und warum hat er ihn nicht genannt?
— Weil er nicht kann, und weil wir alle es ebenfalls nicht kön-
nen. Wir würden nicht mehr Menſchen ſeyn, und die uns umge-
bende Natur würde uns ganz anders erſcheinen, wenn uns einer
unſerer fünf Sinne fehlte, oder wenn uns im Gegentheile noch
ein Paar ſolcher Löcher, wie unſere Augen oder Ohren ſind, in die
Haut geſchnitten worden wären und wir noch einen ſechsten Sinn
erhalten hätten. Aber welcher Art ſoll dieſer Sinn ſeyn? — Von
einem Sinne kann man ſich doch nur wieder eine ſinnliche, keine
tranſcendente Vorſtellung machen, und um dieß zu thun, muß
man zuvor den Sinn ſelbſt haben. So wie aber der Blindgeborne
Unrecht haben würde, die Unmöglichkeit des Sehens zu behaupten,
eben ſo wenig dürfen auch wir an der Möglichkeit noch anderer
Sinne zweifeln. Die Beſchaffenheit unſerer Erde ſcheint der Art,
[165]Uranus.
daß wir alle Genüſſe, die ſie uns, den Menſchen und den Thie-
ren, anbietet, durch jene fünf Kanäle in uns aufnehmen können.
Allein ein anderer Planet, eine andere Natur wird vielleicht auch
andere Sinne vorausſetzen, und wir haben keinen Grund zu be-
haupten, daß auf jedem Planeten nur die Erſcheinungen unſerer
Erde immer wieder kommen werden.


Obſchon es alſo wohl am klügſten wäre, über dieſe Dinge,
von welchen wir nichts wiſſen und nichts wiſſen können, auch wei-
ter nichts zu ſprechen, ſo haben es, wie geſagt, doch mehrere ſchätz-
bare Aſtronomen ſich erlaubt, einige ihrer Nebenſtunden einem
Ausfluge in jene unbekannten Gegenden zu widmen, und ſo wird
es auch uns gegönnt ſeyn, die Ausbeute, die jene von ihren Ex-
curſionen zurück gebracht haben, etwas näher anzuſehen.


Auf dieſe Weiſe hat ſich alſo auch Huygens mit den bereits
angeführten, allgemeinen Bemerkungen über jene Weltkörper
nicht begnügt, ſondern er verſuchte es, auf jeden einzelnen derſel-
ben herabzuſteigen und uns einige nähere Nachrichten von ihm
mitzutheilen.


Auf dem Merkur, ſagt er, wo die Sonnenſcheibe ſiebenmal
größer, als bei uns erſcheint, herrſcht eine ſo intenſive Hitze, daß
alle unſere Pflanzen verdorren und wir ſelbſt in kurzer Zeit zu
Grunde gehen müßten. Die Pflanzen und Thiere ſind daher dort
ſo eingerichtet, daß ſie dieſe höhere Temperatur ſehr gut ertragen,
und daß ſie ſich in einem Zuſtande wohl befinden können, den wir
für das größte Unglück anſehen müßten. Die Bewohner dieſes
Planeten glauben, daß wir vor Kälte ſchon längſt alle erſtarrt ſind,
wie wir wohl daſſelbe von den Leuten im Uranus glauben, wäh-
rend wir alle, jeder in ſeiner Welt, uns recht wohl befinden. Da
aber, fährt Huygens weiter fort, mit der Wärme das Leben des
Körpers ſowohl, als auch die Kraft und Lebhaftigkeit des Geiſtes
ſo innig zuſammenhängt, ſo iſt nicht zu zweifeln, daß die Hermo-
politen uns armen Erdbewohnern an geiſtigen Fähigkeiten weit
überlegen ſind. Warum aber, fragt er ſich ſelbſt, warum gilt nicht
daſſelbe auch von den Bewohnern Afrika’s oder Südamerika’s,
die es doch auch viel heißer haben, als wir und die demungeachtet
an Geiſteskraft den Europäern ſo weit nachſtehen? Dazu kömmt,
[166]Uranus.
daß wir, indem wir die Bewohner Merkurs durchaus für Genies
erklären, die von Jupiter und Saturn aus demſelben Grunde für
Dummköpfe erklären müßten, was ihm denn doch wieder leid thut,
da dieſe Leute, bei ihren vielen Monden, eine ſo ſchöne Gelegenheit
zu aſtronomiſcher Bildung haben, daher er denn auch die ganze Sache
lieber auf ſich ſelbſt beruhen laſſen will. Dadurch von weiteren Verſu-
chen dieſer Art abgehalten, wagt er es auch nicht, uns ſeine Mei-
nungen von den Bewohnern der anderen Planeten mitzutheilen,
ſondern er beſchränkt ſich bloß auf die Klimate und Jahreszeiten
derſelben und auf den Anblick des Himmels, deſſen Verſchiedenhei-
ten er für die einzelnen Standpunkte der Beobachter aufzählt.


§. 124. (Kircher’s Meinung von den Bewohnern der Planeten.)
Nicht ſo vorſichtig benahm ſich Kircher in ſeinem bekannten Iter
ecstaticum.
Dieſer Jeſuit fingirt eine Reiſe, die er an der
Hand eines Genius, von Planeten zu Planeten, gemacht hat,
und erzählt uns, was ihm daſelbſt zu Geſichte gekommen ſeyn
ſoll. Seine Phantaſie ſcheint lebhaft genug, aber nicht gehörig
geregelt, noch durch hinlängliche Kenntniſſe unterſtützt geweſen zu
ſeyn. Dabei ſetzt dieſer alte Gegner des Copernicus voraus,
daß ſämmtliche Planeten unbewohnt ſeyen, und daß man auf
ihnen nicht einmal Pflanzen und Bäume finde, wodurch er ſich
ſelbſt alle Mittel zu artigen Erfindungen, um die es ſich hier
allein handelte, abgeſchnitten hat. Den Einwurf, daß bei dieſer
Vorausſetzung die Planeten ganz unnütz ſind und eben ſo gut völlig
weg bleiben könnten, widerlegt er dadurch, daß er beweist, ſie
ſeyen alle der Erde und zwar der aſtrologiſchen Einflüſſe wegen
da, die ſie auf die Erde ausüben. Dieſem gemäß fand er auf der
Venus alles gar lieblich und ſchön, wie es dem Wohnſitze der
Liebesgöttin ziemt; ein ſanftes Roſenlicht war über den ganzen
Planeten ausgegoſſen, Wohlgerüche dufteten rings umher, Zephire
ſäuſelten in das Gemurmel der Bäche und ringsum glänzte alles
von Gold und Edelſteinen. Auf dem Jupiter fand er die Luft
äußerſt rein und geſund, das Waſſer ſpiegelhell und die Erde ſelbſt
wie Silber glänzend. Wie konnte er auch anders, da, nach der
Lehre der Aſtrologen, der Einfluß dieſer beiden Planeten auf die
Menſchen durchaus nur der glücklichſte iſt, und da die von ihnen
[167]Uranus.
begünſtigten Leute bald durch Schönheit und Liebenswürdigkeit,
bald durch männlichen Muth und hohen Verſtand ausgezeichnet
werden. Auch im Merkur war es noch erträglich, nur ging es
ihm daſelbſt zu lebhaft und queckſilberartig zu, aus Urſache, weil die
in ſeinem Zeichen Geborenen mit Leichtſinn und ſchalkhaftem Weſen
begabt zu ſeyn pflegen. Ganz anders war ſein Empfang auf dem
Mars, dem rauhen Kriegsgotte, wo er alles fürchterlich und ab-
ſchreckend ſah, wo große Ströme von flammendem Pech ſich über
ihre Ufer ergoſſen und ganze Länder in dichten, erſtickenden Rauch
hüllten. Noch ſchlechter aber war es auf Saturn, der ihm als
ein weites, einſames, finſteres Grab erſchien, von dem nichts als
Unheil zu erwarten war, daher er ſich denn auch ſo geſchwinde als
möglich wieder von ihm zu entfernen ſuchte. Man weiß nämlich, wie
übel die zwei letzten Planeten bei den Aſtrologen angeſchrieben waren,
daher ſich auch hier nichts Gutes von ihnen ſagen ließ. Da dieſe
kurzen Beſuche nicht hinreichten, unſern Reiſenden vollſtändig zu
unterrichten, ſo wendet er ſich noch mit einigen nachträglichen Fra-
gen an ſeinen Genius, der ihm dann erzählt, daß das Firmament
keineswegs von Kryſtall ſey, wie Kircher mit vielen Andern bisher
glaubte, ſondern daß es eine Art von Waſſer, ein großer Ocean
wäre, in welchem die Sonne, die Planeten und die Fixſterne, wie
Fiſche, herum ſchwimmen, daß aber die Bewegungen dieſer Fiſche
von eigenen Genien geleitet würden, die denſelben mit einem
Stabe ihre Bahn im Waſſer vorzeichnen, daß übrigens dieſes
Waſſer, ſo wie das, welches die Bäche der Planeten bildet, kein
gewöhnliches, ſondern ein ganz anders beſchaffenes Waſſer ſey,
daher auch mit demſelben ein Jude oder Heide nicht gültig getauft
werden könne, und was dergleichen Dinge mehr ſind, die ich weiter
zu erzählen Anſtand nehmen muß, da ſie in der That nicht bloß
für einen Genius, ſondern ſelbſt für einen ſolchen Schüler eines
Genius gar zu albern ſind, um weiter bei ihnen verweilen zu
können.


§. 125. (Fontenelle’s Anſichten von den Bewohnern der Pla-
neten.) Hören wir dafür noch, auf welche Weiſe Fontenelle dieſen
Gegenſtand in ſeinen bekannten Dialogen über die Mehrheit der
Welten behandelt. — Auf dem Merkur, ſagt er, iſt die Hitze ſo
[168]Uranus.
unmäßig, daß die guten Leute daſelbſt, die nun ſeit ſo langer Zeit
auch hoffentlich daran gewöhnt ſind, wenn ſie plötzlich in die Mitte
Afrika’s verſetzt würden, vor Kälte klappern und am Ende ganz
erfrieren müßten. Unſer Gold und Silber muß dort, der unge-
heuern Hitze wegen, im beſtändigen Fluſſe ſeyn, wie bei uns das
Queckſilber *), und da dieſe geſchmolzenen Metalle das eigentliche
Waſſer ihrer Ströme ausmacht, ſo laſſen es ſich die guten Leute
wohl nicht einfallen, daß es andere Welten gibt, wo man die-
ſes Waſſer nur als den härteſten Körper kennt und daſſelbe als
Münzen bei ſich in der Taſche herumträgt. Seine Tage müſſen
offenbar ſehr kurz ſeyn **), oder er muß ſich ſehr ſchnell um ſeine
Axe drehen, weil ſonſt die armen Leute auf dieſem Planeten von
der glühenden Eſſe, die über ihren Häuptern ſchwebt, ganz gebra-
ten werden müßten. Daher dürfen wir uns auch nicht zu ſehr
verwundern, wenn wir einmal hin kommen und ſehen, daß ſie alle
im Kopfe nicht recht richtig ſind, daß den meiſten das Gehirn
verbrannt iſt und daß ſie ſtets luſtig und leichtſinnig ***) wie die
Kinder und die Narren in den Tag hinein leben und nur froh
ſind, wenn die kühle Nacht wieder kömmt, wo ſie von ihren
Sprüngen und von der Sonnenhitze etwas ausruhen können.


Was nun weiter die Venus betrifft, ſo ſind die Bewohner
derſelben lauter Seladons und Sylphiden, Romanenhelden und
Heldinnen, verliebte Zeiſige, die, wie unſere Dichter, von nichts
als Liebe girren und ſich damit einander oft ganz entſetzliche Lan-
geweile machen. Von Philoſophie, Mathematik und andern ernſt-
haften Dingen iſt da das ganze Jahr keine Rede, nicht einmal
[169]Uranus.
Zeitungen leſen ſie und überhaupt gar keine Bücher, weil ſie vor
lauter Liebeleien nicht dazu kommen können, ausgenommen den
weinerlichen Siegward und die jämmerliche Palmela, die aber dort
in allen Sprachen überſetzt und ſchon, ſo lang ſie auch ſind, von
den kleinſten Kindern in den Schulen auswendig hergeſagt werden
müſſen. Und dabei iſt dieſes verliebte Völkchen das häßlichſte von
der Welt, ſchwarz, von der Sonne halb zu Kohlen verbrannt, aber
dabei doch immer luſtig und munter. Nirgends ſoll es mehr
Dichter oder wenigſtens Verſemacher geben, und der Muſik, der
Tänze und Feſtgelage ſoll dort gar kein Ende ſeyn, und kurz,
wenn ſie, wie übrigens alle Bewohner heißer Gegenden, nicht gar
ſo mäßig lebten, denn ſie ſollen beinahe nichts eſſen und bloß von
der Luft leben, ſo würde man das bekannte ſchöne Dyſtichon un-
ſeres Schiller, womit er eine große Haupt- und Reſidenz-Stadt
des ehemaligen h. römiſchen Reichs ſo treffend geſchildert hat,
ohne alle Umänderung auf ſie anwenden können.


Von dem Planeten Mars, ſagt unſer Verfaſſer weiter, weiß
ich gar nichts Merkwürdiges anzuführen, daher er es auch nicht
verdient, daß wir uns weiter bei ihm aufhalten.


Bald ſollte man es mit Jupiter eben ſo machen, obſchon er
der größte unter allen Planeten iſt. Warum nämlich ſollten wir
uns ſo ſehr um ihn bekümmern, da er ſich doch um uns ſo wenig
annimmt, daß er wahrſcheinlich nicht einmal von unſerer Exiſtenz
etwas weiß. Unſere Erde erſcheint ihm als eine 144 mal kleinere
Scheibe, als er uns erſcheint, und wenn daher die Leute dort keine
Fernröhre oder keine Adleraugen haben, ſo können ſie uns mit
aller Anſtrengung nicht einmal ſehen. Und wenn ja einmal ein
glücklicher Aſtronom mit einem Rieſenrefractor das kleine ſchim-
mernde Lichtpünktchen *) ſieht und ſeine große Entdeckung in den
Journalen ankündigt — was wird die Folge davon ſeyn? — Der
[170]Uranus.
große Haufe wird es nicht leſen oder darüber lachen; die Philo-
ſophen, mit deren Syſtem die neue Entdeckung nicht übereinſtimmt,
werden nichts davon glauben; eine andere Gattung von Leuten
werden den armen Aſtronomen bis in den Tod verfolgen und noch
ein anderer, nicht eben klügerer Theil wird — neutral bleiben und
ſich um die ganze Sache, d. h. um uns alle hier unten, nicht wei-
ter kümmern.


Aber die Jupitersbewohner, mit den Entdeckungen auf ihrem
eigenen Planeten ſo ſehr beſchäftiget, daß ihre Colombos wahr-
ſcheinlich nicht Zeit haben, an uns zu denken, werden, nach uns
zu ſchließen, noch nicht einmal den hundertſten Theil ihrer Län-
der und Völker kennen, während die Bewohner Merkurs, und
noch mehr die der vier neuen Planeten, wahrſcheinlich ſich alle-
ſammt ſchon längſt kennen und ganz wie die Einwohner unſerer
Dörfer unter einander verwandt ſind. Ueberhaupt aber mag es
mit der Aſtronomie dieſer guten Leute ſehr ſchlecht ſtehen. Denn
auch von der Venus und dem Merkur wiſſen ſie nichts, da jene
nur 8 und dieſer nur 4 Grade ſich von der Sonne entfernt und
alſo immer in ihren Strahlen ſchwimmt. Selbſt von dem ihnen
nächſten großen Planeten, dem Saturn, werden ſie weder den
Ring, noch die ſieben Monde ſehen, wenn anders nicht ein zweiter
Galilei auch bei ihnen ſchon das Fernrohr erfunden hat. An den
eigenen vier Monden werden ſie ſich vielleicht ſchadlos halten und
die beinahe täglich vorfallenden Finſterniſſe derſelben wahrſcheinlich
ohne jene Furcht beobachten, die uns ſo lange geplagt hat. Doch
dürfen wir daraus nicht ſchließen, daß ſie nicht an anderen, vielleicht
größeren Uebeln leiden, und wenn ſie uns gleichen, ſo werden ſie
gewiß auch ein Vorurtheil, einen Aberglauben nur verlaſſen, um
dafür zehn andern, eben ſo thörichten, anzuhängen. Die jahrelangen
Nächte, welche auf Jupiter und Saturn herrſchen, könnten aller-
dings der praktiſchen Aſtronomie ſehr förderlich ſeyn, aber die
Kälte dieſer Jahreszeiten iſt wahrſcheinlich wieder ſo groß, daß die
meiſten ihre warme Stube allen andern Unterhaltungen vorziehen
werden. Wenn die Natur auf den Saturn und Uranus nicht an-
dere Mittel gefunden hat, Wärme zu erregen, als bei uns, ſo
müſſen die Bewohner derſelben für die Kälte ganz unempfindlich ſeyn
[171]Uranus.
und wir würden ſie, wenn ſie plötzlich nach unſerm Lapplande verſetzt
würden, vielleicht augenblicklich vor Hitze umkommen ſehen. Das
Waſſer ihrer Flüſſe, wenn es anders unſerm Waſſer gleicht, wird
unſern polirten Steinen, und ſelbſt der bei uns nie frierende Wein-
geiſt wird unſern Diamanten gleichen. Unter ſolchen Verhältniſſen
kann man ſich die Leute in dieſen von der Sonne entfernten Welt-
körpern nicht gut anders, als ſehr träg und phlegmatiſch denken,
und während die des Merkurs ſtets tanzen und lachen, mögen die
im Saturn oder im Uranus wie unſere Auſtern, an den Stellen
liegen bleiben, wo ſie geboren ſind und nicht einmal wiſſen, wie
man fröhlich ſeyn und lachen kann.


Doch genug und vielleicht ſchon mehr als genug von dieſen
Dingen, die wir nicht kennen und wahrſcheinlich auch nie kennen
werden. Mögen wir uns zufrieden ſtellen, daß wir von der Na-
tur auf einen Ort im Weltraume angewieſen worden ſind, der
von allen jenen Extremen, der von der Hitze Merkurs und von
der Kälte des Uranus gleich weit entfernt iſt, und wenn jener
alte Philoſoph den Göttern dankte, daß er ihn zum Menſchen und
nicht zum Thiere geſchaffen hat, daß er ein Grieche und nicht ein
Barbar geboren ward, ſo wollen auch wir es dankbar erkennen,
daß wir auf dem unſerer Organiſation angemeſſenſten, auf einen
mittlern, gemäßigten Planeten, und überdieß auch noch auf die
gemäßigte Zone deſſelben verſetzt worden ſind und daß wir uns
vieler Wohlthaten erfreuen und Tauſende von Genüſſen erlauben
können, für welche die Bewohner des Senegals oder des Eis-
meeres keinen Sinn haben oder, wenn ſie ihn zu ihrem eigenen
Unglücke haben ſollten, ihn nur ſelten oder nie befriedigen können.


§. 126. (Iſt Uranus der äußerſte und letzte Planet des Son-
nenſyſtems?) Wichtiger, als jene unfruchtbaren Speculationen,
möchte für uns die Frage ſeyn, ob mit Uranus, den wir zuletzt
betrachtet haben, die Reihe der Planeten in der That geſchloſſen
iſt, und ob es jenſeits dieſes Himmelskörpers keinen andern mehr
gibt, der ſo, wie alle bisher aufgezählten, zu dem eigentlichen
Sonnenſtaat gehört.


Wir haben oben (II. Kap. V.) die Diſtanzen von der Sonne
aufgezählt, in welcher ſich die Planeten folgen. Nennt man näm-
[172]Uranus.
lich 4 die mittlere Entfernung Merkurs von der Sonne, ſo würde,
jener Reihe zu Folge, die Entfernung des erſtern über Uranus
hinaus liegenden Planeten 3 mal 128 und 4 oder 388 ſeyn. Da
nun die wahre mittlere Diſtanz Merkurs nahe acht Millionen
Meilen beträgt, ſo würde die Diſtanz dieſes neuen Planeten we-
nigſtens 776 Millionen Meilen, alſo nahe doppelt ſo groß, als
die Diſtanz des Uranus ſeyn. Wir werden aber in einem der
nächſtfolgenden Kapitel zwei merkwürdige Kometen kennen lernen,
die beide ihre Aphelien (I. S. 273) über der Uranusbahn, aber doch
noch weit dieſſeits der Bahn jenes vermeinten neuen Planeten liegen
haben, und von welchen der eine eine ſehr ſtarke Neigung ſeiner
Bahn gegen die Ecliptik hat, während der andere ſogar mit einer
rückläufigen Bewegung, d. h. von Oſt gen Weſt, ſeine Bahn be-
ſchreibt. In dem eilften Kapitel des dritten Theiles dieſer Schrift
werden wir ſehen, daß alle älteren Planeten ohne Ausnahme,
ſo wie auch ihre Monde, eine rechtläufige Bewegung, von Weſt
nach Oſt, und überdieß eine im Allgemeinen nur geringe Neigung
ihrer Bahnen gegen die Ecliptik haben. Es iſt äußerſt unwahr-
ſcheinlich, daß dieſe Uebereinſtimmung der Neigungen und der
Richtungen der Bewegung bei allen Planeten das bloße Werk des
Zufalls iſt, und wir werden finden, daß dieſelbe Urſache, welche
dieſe Harmonie hervorgebracht hat, ſchon zu der Zeit der Entſte-
hung dieſer Planeten thätig geweſen ſeyn, und daß endlich die
Wirkungsſphäre derſelben ſich bis zu den äußerſten Gränzen un-
ſeres Planetenſyſtems ausgedehnt haben muß. Dieſe Urſache mag
nun in einer anfänglich ſehr erweiterten Sonnenatmoſphäre oder
in irgend einem andern uns unbekannten Agens beſtanden haben,
ſo folgt doch immer daraus, daß innerhalb dieſer Wirkungsſphäre
keine Bahnen entſtehen oder fortdauern konnten, die von jener
erwähnten Uebereinſtimmung aller Planeten eine Ausnahme ma-
chen, deren Bahnen alſo entweder ſehr ſtark gegen die Ecliptik
geneigt ſind, oder mit einer retrograden Bewegung zurück gelegt
werden; dieß iſt aber der Fall mit jenen beiden Kometen. Da
nun aber dieſe zwei Kometen zur Zeit ihres größten Abſtands von
der Sonne, wie geſagt, zwiſchen der Bahn des Uranus und des
vermeinten noch entfernten Planeten ſtehen, ſo iſt es ſehr wahr-
[173]Uranus.
ſcheinlich, daß ſie auch zur Zeit der Entſtehung der Planeten jen-
ſeits des Uranus, alſo außerhalb derjenigen Wirkungsſphäre
ſich befunden haben, in welcher allein Planeten entſtehen konnten,
oder mit andern Worten, daß es jenſeits der Uranusbahn keinen
eigentlichen Planeten mehr geben kann.


Doch ſind dieß, wie wir hinzuſetzen müſſen, zwar wahrſchein-
liche, aber doch nicht bewieſene Muthmaßungen, und es könnte
leicht ſeyn, daß die Beobachtungen der nächſten Jahre uns von
dem Ungrunde derſelben überführen. Wer hätte, wenige Tage vor
dem Anfange des gegenwärtigen Jahrhunderts, uns vorausſagen
mögen, daß wir in einigen Jahren vier neue Planeten zwiſchen
Mars und Jupiter finden würden. Wie viele derſelben, von welchen
wir jetzt noch keine Ahnung haben, mögen ſich noch in demſelben
weiten Raume befinden. Wer könnte es uns ſelbſt verargen,
wenn wir der Anſicht wären, daß ſogar unſere Erde noch einen
neuen, uns bisher unbekannten Mond habe? In der That hat
ſchon D. Caſſini i. J. 1700 dieſe Meinung geäußert, die er we-
gen der großen Diſtanz der Erde von der Venus und dem Mars
ſogar ſehr wahrſcheinlich fand. Wenn dieſer Mond ſehr klein und
überdieß ſehr weit von uns entfernt iſt, ſo kann er ſich vielleicht
noch Jahrtauſende um die Erde bewegen, ohne daß die Bewohner
derſelben auch nur die Exiſtenz deſſelben erfahren. Vielleicht ſind die
ſogenannten Meteorſteine nichts anders, als ſolche kleine kosmiſche
Körper, die ſich, gleich den größern Planeten, wie Kometen im Welten-
raume herumtreiben, und wenn ſie einem derſelben näher kommen,
entweder auf ihn ſtürzen, wie wir das ſchon ſo oft erfahren ha-
ben, oder ihn als neue Satelliten auf ſeiner Bahn um die Sonne
begleiten, und von dieſem Standpunkte aus betrachtet, iſt unſere
Erde, und vielleicht jeder andere Planet, von einer großen Anzahl
ſolcher kleinen Monde umgeben, deren Daſeyn uns unbekannt iſt
und ſo lange bleiben wird, bis einmal der Zufall einen derſelben
in das Feld unſerer Fernröhre führt.


Uebrigens werden die großen Diſtanzen, in welchen die
Planeten von einander abſtehen, von dem Urheber der Natur ge-
wiß nicht ohne Abſicht gewählt worden ſeyn, wenn es uns gleich
ſehr ſchwer fallen mag, dieſelben zu ergründen. Wir glauben,
[174]Uranus.
und Theorie und Beobachtung berechtigt uns dazu, daß zwiſchen
dieſen Planeten und der Sonne nur die gegenſeitige Anziehung,
die wir in dem folgenden Buche unter der Benennung der allge-
meinen Schwere näher kennen lernen werden, wirkſam ſey. Wenn
aber dieſe Planeten einander näher ſtünden, ſo würden vielleicht
auch andere Kräfte, Affinitäten, chemiſche Verwandtſchaften u. dgl.
wirkſam werden und ſie ſind es auch vielleicht geweſen zu einer
Zeit, wo dieſe Planeten durch die Wirkung einer hohen Tempera-
tur in ihrem Innern einen viel größern Raum eingenommen ha-
ben, als gegenwärtig, und wo ſie, wie es ſehr wahrſcheinlich iſt,
in einem Zuſtande der Flüſſigkeit geweſen ſind. Die Kometen
ſcheinen ſich den Planeten und ſelbſt der Sonne ſchon oft viel mehr
zu nähern, und wir bemerken die Folgen dieſer Nachbarſchaft be-
reits in einer ſehr auffallenden Veränderung ihrer Geſtalt, die bei
den Planeten nicht mehr vorkömmt, und wenn der unſerer Erde
ſo nahe Mond, ſtatt aus ſoliden Theilen zu beſtehen, gleich jenen
Kometen eine bloße Dunſtwolke wäre, ſo würde wahrſcheinlich auch
ſeine Geſtalt eine ganz andere ſeyn, als die, welche wir jetzt an
ihm bemerken.


[[175]]

KapitelIX.
Der Mond.


§. 127. (Betrachtungen über eine Reiſe in den Mond.) Die
vorzüglichſten aſtronomiſchen Erſcheinungen des Mondes haben wir
bereits oben (I. Cap. XI) angegeben. Hier wollen wir dasjenige
kurz zuſammen ſtellen, was uns über die phyſiſche Beſchaffen-
heit
ſeiner Oberfläche bekannt geworden iſt.


Dieſe würden wir nun allerdings am beſten kennen lernen,
wenn es uns gegönnt wäre, eine Reiſe in den Mond zu machen
und ihn dann in der Nähe zu unterſuchen. Da aber bisher noch
Niemand, ſo viel wir wiſſen, eine ſolche Reiſe unternommen hat,
ſo wollen wir zuerſt zuſehen, welche Hoffnung wir haben, daß
wenigſtens in der Zukunft ein Unternehmen dieſer Art von irgend
einem unter uns glücklich ausgeführt werde.


Erſtens iſt es etwas weit von uns bis zu dem Monde, ob-
ſchon er unter allen andern Himmelskörpern uns am nächſten
ſteht, und wer ſich nicht einer beſondern Geduld und Ausdauer
bewußt iſt, wird beſſer thun, zu Hauſe zu bleiben. Seine mittlere
Entfernung von uns beträgt (I. S. 321) 51812 d. Meilen.
Unſere Dampfeilwägen ſollen in jeder Stunde 8 Meilen zurück-
legen, ſie würden alſo erſt in 270 Tagen, den Tag zu 24 Stun-
den genommen, dort ankommen. Mit unſeren ſchnellſten Poſt-
wägen, die täglich etwa 25 Meilen machen, würde man den Mond
erſt in 5 Jahren und 247 Tagen erreichen, und dieſe Zeit wird
[176]Der Mond.
doch wohl manchem unſerer ungeduldigen Reiſenden etwas zu lange
dünken. Da aber, wo keine feſte Straße iſt, auch kein Wagen
gebraucht werden kann, ſo müßten wir uns ſchon bequemen, zu
Schiffen, und zwar zu Luftſchiffen unſere Zuflucht zu nehmen.
Wenn uns dann das Glück ſo gut wollen ſollte, daß wir immer
mit friſchen Winden ſegeln, der bekanntlich in einer Secunde 15
Fuß zurücklegt, ſo werden wir zu unſerer Reiſe 909 Tage oder
2 Jahre und 179 Tage brauchen; eine noch immer viel zu lange
Zeit für alle die, welche ſich, der andern Unfälle, die einem auf
ſolchen Reiſen begegnen könnten, nicht zu erwähnen, vor dem
größten aller Uebel, vor der Langweile fürchten, die dort kaum
ausbleiben wird, wo rechts und links von der Straße — gar
nichts iſt, was die Aufmerkſamkeit des Reiſenden auch nur einen
Augenblick auf ſich ziehen könnte. Durch Stürme allerdings
könnte dieſe Reiſe nicht wenig befördert werden. Unſere Orkane
legen in einer Secunde gegen 100 Fuß zurück. Auf den Flügeln
eines ſolchen Sturmwindes würde man alſo ſchon in 136 Tagen
an Ort und Stelle ankommen, aber — wie ankommen! Wer mag
es wagen, ſich einem ſolchen Geleitsmanne anzuvertrauen! — Zwar
gäbe es noch andere und wohl auch ſehr expeditive Mittel, dieſe
Reiſe in noch viel kürzerer Zeit zu vollenden. Das Licht z. B., das
in 8 Min. 13 Sec. von der Sonne bis zu uns kömmt, würde von
uns bis zum Mond ſchon in 1 ⅖ Secunde, alſo, wie wir ſagen
können, in einem Augenblicke kommen. Aber dergleichen Fahr-
zeuge ſind nicht für uns eingerichtet, die wir nicht beſtimmt ſind,
auf Sonnenſtrahlen zu reiten.


Wir müſſen alſo doch wohl wieder zu unſern Luftſchiffen
zurückkehren. Aber auch hier werden ſich bald noch andere Hinder-
niſſe zeigen. Unſere Aeronauten haben bekanntlich noch immer
kein Mittel, ihr Schiff im contrairen Winde zu leiten und einer
ſichern Direction zu unterwerfen. Wie leicht iſt es dann möglich,
daß uns dieſe Herren, ſtatt nach dem Mond, in das große, ufer-
loſe Weltenmeer hinausführen, unde negant redire quenquam,
in jenen grenzenloſen Raum, in welchem wir nicht nur den Mond
nie erreichen, ſondern am Ende ſelbſt noch unſere Erde aus dem
Geſichte verlieren werden.


[177]Der Mond.

Ja ſelbſt, wenn dieſe Direction in der Macht unſerer Führer
ſtände, welche Richtung ſollen ſie nehmen, um ſicher auf dem
Monde anzukommen? Ich fürchte, dieſe Herren würden ſehr in
Verlegenheit kommen, wenn ſie dieſe Frage beantworten und den
Kompaß vorzeigen ſollten, der ihnen den wahren Weg zum Ziele
zeigen wird. Ihr Abfahrtspunkt, die Erde, iſt bekanntlich eben ſo
beweglich, wie das Ufer, dem ſie entgegen ſteuern ſollen. Jene,
die Erde, legt in jedem Tage über 355000 Meilen um die Sonne
zurück, fliegt alſo mit einer Geſchwindigkeit durch den Himmels-
raum, die mit der unſerer Kanonenkugeln nicht weiter verglichen
werden kann, und dieſer, der Mond, begleitet ſie auf ihrem Wege,
indem er ſtets in großen Spiralen- oder Schlangenlinien um ſie
tanzt und ſeine Geſchwindigkeit jeden Augenblick ändert. Während
die Erde in einer einfachen Ellipſe während einem Jahre um die
Sonne geht, lauft ihr Begleiter in einer Entfernung von 51800
Meilen in derſelben Zeit 12 ⅓ mal um die Erde, ſo daß ſeine
wahre Bewegung einer aus 12 bis 13 Knoten zuſammen ge-
ſchlungenen Schnur gleicht, die aber ſo wunderbar verworren iſt,
daß ſie in vielen tauſend Jahren nicht wieder in ſich ſelbſt zurück-
kehrt, weil nämlich jene monatlichen Knoten der Mondsbahn mit
dieſer jährlichen Schnur der Erdbahn kein gemeinſchaftliches Maaß
haben und jene daher immer in andere Stellen von dieſer fallen
müſſen.


Allein mit dieſer Schwierigkeit iſt es noch lange nicht gethan.
Eine viel größere wird uns die Schwere oder die ſogenannte
Anziehung der Erde ſowohl, als auch des Mondes ſelbſt, bereiten.
Die Schwere der Erde wird nicht zugeben wollen, daß ſich das
Schiff von ihr entferne, da ſie alles feſt hält, was zu ihr gehört
und da wir noch gar kein Beiſpiel haben, daß ihr etwas von dem,
was ſie einmal als ihr Eigenthum erklärt hat, hätte entwendet
werden können. Wenn wir aber auch, obſchon ich durchaus kein
Mittel dazu ſehe, dieſes Hinderniß überwinden und uns heimlich
aus dem Bereiche der Erde entfernen könnten, ſo werden wir,
indem wir dann wohlgemuth weiter ſchiffen, bald darauf in den
anderen Bereich, in die Attractionsſphäre des Mondes kommen,
der dieſelbe löbliche Eigenſchaft hat, alles feſt zu halten, was er
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 12
[178]Der Mond.
einmal, mit Recht oder Unrecht, als ſein Eigenthum erklärt hat.
Er hat dieſe Unart wahrſcheinlich von der Erde, deren Trabant
er ſchon ſo lange iſt, gelernt, wie ſich denn immer die Diener gern
nach ihren Herren, wenigſtens in ihren Fehlern, zu richten pflegen.
Ja es ſcheint ſogar, als ob dieſelbe Sitte ſich auch auf gewiſſe
zweibeinige Thiere ohne Federn fortgepflanzt habe, die es im
Kleinen eben ſo zu machen pflegen, wie die Erde und der Mond
im Großen. Dieſe Habſucht alſo, oder dieſe Herrſchluft, oder,
wie man auch zuweilen zu ſagen pflegt, dieſe Attractionskraft des
Mondes wird die Urſache ſeyn, daß unſer Luftſchiff, wenn es dem-
ſelben einmal nahe genug gekommen iſt, nun recht eigentlich
zu ihm herab fallen, ja mit einer ſolchen Heftigkeit herab
ſtürzen wird, daß das ganze Fahrzeug, und wir mit ihm nur
ganz zertrümmert und in dem elendeſten Zuſtande daſelbſt an-
kommen können, wodurch daher, ſelbſt wenn alles Vorhergehende
auf das Glücklichſte abgelaufen wäre, der ganze Zweck der Expe-
dition doch wieder verloren gehen müßte.


Womit ſollen wir ferner unſere Aeroſtaten füllen? — Mit
irgend einer Luftart ohne Zweifel, die dünner und leichter iſt, als
die, in der wir ſegeln wollen. Allein unſere atmoſphäriſche Luft
iſt, in der Höhe von etwa zwei Meilen über der Oberfläche der
Erde, ſchon ſo dünn, daß der ſogenannte leere Raum unter unſern
Luftpumpen dagegen als ſehr dicht angeſehen werden kann und
weiter ab hat alle Luft, alſo auch alles Schiffen in der Luft ganz
und gar ein Ende. Wir werden daher, nur um uns von der
Erde zu erheben, auf eine Kraft denken müſſen, die uns von der
Erde ſo ſtark abſtoßt, daß wir, wie eine aus der Mündung der
Kanone tretende Kugel, durch dieſen Stoß bis zu dem Mond
geſchleudert werden. Dieſe Kraft müßte, wie man durch Rechnung
zeigen kann, ſo groß ſeyn, daß ſie unſer Schiff, in der erſten
Secunde ſeiner Abfahrt von der Erde, durch 41000 P. Fuß trei-
ben könnte. Eine ſo entſetzliche Geſchwindigkeit iſt wenigſtens
ſiebenzigmal größer als die einer Kanonenkugel im Anfange ihres
Laufes. Wer von uns wird aber auf einer ſolchen Kugel, und
daher noch viel mehr auf einem ſo viel ſchnellern Schiffe fahren
[179]Der Mond.
wollen, das ohne Zweifel gleich in dem erſten Augenblicke durch
die Gewalt dieſes Stoßes ſelbſt zertrümmern müßte.


Wie wird es dann mit unſern Lungen ſtehen in den Gegen-
den, wo keine Luft mehr iſt. Sollen wir uns einen Vorrath
davon in Schläuchen mitnehmen? Sie werden keinen kleinen
Raum einnehmen, da wir alle die Zeit unſerer Reiſe davon zehren
ſollen. Und wenn wir endlich auf dem Monde ankommen und
unſern Vorrath erſchöpft finden, ſo ſind wir wieder wo wir früher
waren. Denn unglücklicher Weiſe iſt auch auf dem Monde ſelbſt
keine Luft, wenigſtens gewiß keine ſolche, die der menſchlichen
Lunge angemeſſen iſt.


Endlich, was vielleicht zuerſt hätte geſagt werden ſollen, da
es gewiß den meiſten unſerer Reiſenden, mehr als alles Vorher-
gehende, jede Luſt rauben wird, von der Parthie zu ſeyn — auf
der ganzen, langen, endloſen Straße gibt es, nicht nur keine guten,
ſondern überhaupt ganz und gar keine Gaſthäuſer, ja nicht einmal
eine Karavanſerey, wo man, wenn auch nicht eſſen und trinken,
doch nur ausruhen könnte. Dieſer Umſtand wird, ich fürchte ſehr,
die allermeiſten unſerer Reiſenden, ſelbſt viele der ſogenannten
wiſſenſchaftlichen nicht ausgenommen, zurückſchrecken. Wer von
ihnen wird es der Mühe werth finden, ſo lange Zeit ohne einen
guten Tiſch, ohne weiche Lager, ohne alle Unterhaltung zu ſeyn
und mit Ungemach aller Art zu kämpfen, um am Ende einige
Steine oder einige getrocknete Pflanzen, die Niemand von uns
brauchen kann, aufzuleſen, oder irgend eine Entdeckung zu machen,
ohne die wir gewiß auch noch leben können, aus dem einfachen
aber hinreichenden Grunde, weil wir bisher ohne ſie gelebt haben,
eine Entdeckung, auf die am Ende doch nur wieder da und dort
ein obſcurer Gelehrter einiges Gewicht legen und die von allen
andern, ſelbſt von denen ignorirt werden wird, die etwa nach uns
dieſelbe Reiſe machen und, unſeren Guide de Voyageur in der
Hand, ſich informiren wollen, nicht, welche Entdeckungen für die
Wiſſenſchaften wir gemacht haben, ſondern nur, wo guter Wein
und ſchmackhafte Braten zu bekommen ſind.


Man ſieht aus allem Vorhergehenden hoffentlich zur Genüge,
daß ein Unternehmen dieſer Art nicht nur thöricht und nutzlos,
12 *
[180]Der Mond.
ſondern auch ganz unausführbar iſt und daß es daher beſſer ſeyn
wird, uns noch ein Weilchen hier unten zu begnügen und aus
dieſem Thal der Thränen, das wir bewohnen, jene Gefilde der
Freude mit ſehnſuchtsvollen Augen, oder was noch beſſer ſeyn
möchte, mit guten Fernröhren anzuſchauen.


§. 128. (Vortheile, die uns die Entfernung des Mondes zu
der beſſern Kenntniß deſſelben gewährt.) Dieſer Umſtand, daß wir
uns immer in einer artigen Entfernung von dem Monde halten
müſſen, wird uns allerdings manche einzelne Merkwürdigkeit des-
ſelben verbergen und wir dürfen nicht hoffen, die Oberfläche des-
ſelben ſo gut kennen zu lernen, als dieß wohl geſchehen könnte,
wenn wir auf ihr herumgehen und jeden einzelnen Theil derſelben
mit dem Microſcope unterſuchen könnten. Aber derſelbe Umſtand
hat auch wieder, wie alle Dinge in dieſer beſten Welt, ſeine gute
und ſehr ſchätzenswerthe Seite. Wegen dieſer Entfernung lernen
wir den Mond im Großen viel beſſer kennen, als wir ihn in
einer größern Nähe ſehen würden und wir ſehen vielleicht manches
von den Eigenſchaften deſſelben auf den erſten Blick, von dem die
Leute im Monde, wenn ſie anders exiſtiren, ſelbſt nichts wiſſen.
Unſere Urtheile, und ſo wahrſcheinlich auch die der Mondsbe-
wohner, hängen von den Umſtänden, von unſeren Stellungen zu
den Gegenſtänden ab, über die wir urtheilen. Was uns zu nahe
iſt, können wir eben ſo wenig deutlich ſehen, als was zu weit von
uns abſteht, und ſo, wie wir gewöhnlich unter allen Menſchen
uns ſelbſt am wenigſten kennen, weil wir uns ſelbſt zu nahe
ſtehen, ſo mögen auch die Seleniten unſere Erde viel beſſer kennen,
als wir ſelbſt, weil ſie uns auch zu nahe ſteht.


§. 129. (Wie dem Monde die Erde erſcheint.) Wir haben
bereits oben (I. S. 324) von den Lichtabwechslungen geſprochen,
welche die Erde dem Monde zeigt und die ganz denjenigen ähnlich
ſind, welche wir ſelbſt an dem Monde bemerken, nur mit dem
Umſtande, daß jene den Mondsbewohnern in einem viel größeren
Maaßſtabe erſcheinen, da ihnen die Erdſcheibe dreizehnmal größer
vorkömmt, als uns die Scheibe des Mondes. Wenn wir Neu-
mond haben und daher nur die dunkle Seite des Mondes, alſo
eigentlich den Mond gar nicht ſehen, weil er in A (I. Fig. 26)
[181]Der Mond.
zwiſchen uns und der Sonne ſteht, ſo ſehen dafür die Bewohner
der uns zugekehrten Seite des Mondes die Erde T als eine
runde und ganz beleuchtete Scheibe, oder ſie haben, wenn man
ſo ſagen darf, Vollerde, während wir Neumond haben. Wenn
aber der Mond zwei Wochen ſpäter nach C kömmt, und für uns
der Sonne gerade gegenüber ſteht, ſo ſehen wir ſeine ganze be-
leuchtete Scheibe, während die Bewohner der uns zugekehrten
Hälfte des Mondes von der Erde T nur die von der Sonne ab-
gewendete oder dunkle Seite der Erde ſehen, oder die Monds-
bewohner haben Neuerde, während wir Vollmond haben. Wenn
nun dieſe Seleniten ſo gute Augen haben, wie wir, ſo werden ſie
nicht nur dieſe Lichtphaſe, ſondern auch die verſchiedenen Flecken
bemerken, welche auf der Oberfläche unſerer Erde von dem Feſt-
lande, den Inſeln und den verſchiedenen Meeren derſelben gebildet
werden, und die ſich ohne Zweifel durch ihre Farben ſowohl, als
auch durch die verſchiedene Intenſität der Reflexion der Sonnen-
ſtrahlen unterſcheiden. So werden ſie, wenn es bei uns Mittag
und Neumond iſt, Europa, Aſien und Afrika als eine zuſammen-
hängende hellere Maſſe erblicken, die auf allen Seiten von einer
dunklen, ebenen Fläche, dem Meere, umgeben iſt. Nach zwölf
unſerer Stunden aber ſehen ſie auf der großen Erdſcheibe beinahe
die ganze Scene geändert, denn nun iſt die ſogenannte alte Welt
für ſie verſchwunden, und dafür liegt Amerika mit den vielen
Inſeln des Südmeeres vor ihren Blicken. Auf dieſe Weiſe haben
die Bewohner des Mondes, und nicht bloß die Gelehrten unter
ihnen, ohne Zweifel ſchon vor Jahrtauſenden und zwar auf den
erſten Blick geſehen, worüber ſich unſere Geographen und Aſtro-
nomen ſo lange geſtritten haben, daß nämlich die Erde an ihren
beiden Polen abgeplattet iſt. Amerika war ihnen lange vor Co-
lumbus, und Auſtralien lange vor Cook ſchon bekannt, und die bei
uns noch immer nicht aufgelöste Frage von einer nordöſtlichen
Durchfahrt nach Oſtindien oder von dem großen Lande am Süd-
pol iſt bei ihnen ſchon längſt entſchieden, da Jedermann, der nur
eben Augen hat, alle dieſe Dinge in jedem Monate beinahe dreißigmal
vor ſich auf- und niederwälzen ſieht. Die große Ueberſchwem-
mung, von welcher wir nur mehr dunkle Sagen haben, obſchon
[182]Der Mond.
ſie vielleicht das ganze damals bekannte Menſchengeſchlecht getroffen
hat, haben ſie ohne Zweifel eben ſo ruhig angeſehen, als ſie jetzt
noch den Zug unſerer Kriegsheere und das Gewühl unſerer
Schlachten betrachten, in denen ſich unſere Brüder, oft ohne zu
wiſſen, warum, in einer Stunde zu Tauſenden morden. Eine
Stadt wie Wien z. B., von 3000 W. Klaftern im Durchmeſſer,
würde, vom Monde geſehen, unter dem Winkel von 3½ Sec.
erſcheinen. Mit einem Fernrohr, das nur 25 mal vergrößert,
würde ihnen daher die Stelle, welche dieſe Stadt einnimmt, nahe
eben ſo groß, als uns Uranus erſcheinen. Ueberhaupt ſehen wir
eine Linie von 0,22 Meilen oder 5020 P. Fuß Länge auf der
Oberfläche des Mondes, von der Erde betrachtet, unter dem
Winkel von einer Secunde, daher wir Gegenſtände im Monde,
die unſern einzelnen Häuſern, Feldern ꝛc. gleichen, noch nicht
deutlich ſehen können. Der ſchöne, runde Fleck Plato im
Monde, der zehn d. Meilen im Durchmeſſer hat, wird ſchon mit
einem Fernrohr von zehnmaliger Vergrößerung, unter dem Winkel
ſeines Durchmeſſers von 45 Sec. ſehr deutlich geſehen. Mit einer
Vergrößerung von 200 würde man in einem lichtſtarken Fernrohre
wohl ſchon Gegenſtände im Monde erkennen, die eine halbe Meile
im Durchmeſſer haben und daher unter dem Winkel von 23/10 Sec.
erſcheinen. Es ſcheint daher keinem Zweifel unterworfen, daß die
Seleniten, wenn ſie anders den unſeren ähnliche Augen haben,
unſere großen Städte, Flüſſe u. dgl. ſehen können, und daß ſie
vielleicht im Großen viel genauere Karten von unſerer Erde be-
ſitzen, als alle unſere topographiſchen Bureaus zuſammen genommen,
die wahrſcheinlich ſehr in Verlegenheit kommen würden, wenn ſie
uns die genauen Karten von dem Innern Afrikas oder Neuhollands
vorzeigen ſollten.


§. 130. (Tages- und Jahreszeiten auf dem Monde.) Ueber
das ſonderbare Verhältniß der Jahres- und Tageszeiten, das auf-
dem Monde herrſcht, haben wir ſchon oben (I. S. 327) geſprochen.
Wegen der äußerſt geringen Schiefe ſeines Aequators gegen ſeine
Bahn, von bloß 66/10 Graden, verſchwindet der Unterſchied der
Jahreszeiten beinahe gänzlich, und die Sonne ſteht dort bei-
nahe immer im Aequator oder im Zenithe der Bewohner dieſes
[183]Der Mond.
Aequators’, daher auch alle übrigen Bewohner des Mondes, ſo
lange ſie ihren Ort auf der Oberfläche deſſelben nicht ändern,
die Mittags-Sonne im Sommer wie im Winter immer ſehr
nahe in derſelben Höhe über ihrem Horizonte bemerken, die Be-
wohner des Aequators in ihrem Scheitel und die Polbewohner
immerwährend in ihrem Horizonte, ſo daß alſo gleichſam dort ein
ewiger Sommer und hier ein ewiger Winter herrſcht, während
in den Zwiſchengegenden ein immerdauernder Frühling ſeine
Wohnung aufgeſchlagen hat. Auch ſind die Tage auf dem Monde
beinahe durchaus den Nächten an Länge gleich, nicht wie bei uns,
im Sommer länger und im Winter kürzer. Solcher Orte, wie
unſere Polarländer, denen die Sonne im Sommer lange Zeit
nicht unter-, und im Winter nicht aufgeht, kann es im Monde
nicht geben. Die Temperatur auf der Oberfläche des Mondes
iſt ebenfalls nicht ſo gleichförmig vertheilt, wie auf der Erde. Auf
der Erde werden die näher bei den Polen liegenden Gegenden
in ihrem Sommer beträchtlich erwärmt, ſo wie auch die heiße
Zone zur Zeit der Solſtitien wegen des ſchiefen Standes der Sonne
wieder etwas abgekühlt wird. Nicht ſo auf dem Monde, wo die
den Polen näheren Orte die Sonne immerfort tief an ihrem
Horizonte und die dem Aequator nahen Orte ſie immer in ihrem
Scheitel ſehen, wo alſo der Sommer ſowohl, als auch der Winter
an beſtimmte und unveränderliche Gegenden gebunden iſt.


Noch mehr ſind die Tageszeiten des Mondes von denen
der Erde verſchieden. Wir haben bereits oben (I. S. 328) geſagt,
daß der Tag in weiterem Sinne des Wortes, d. h. die Zeit
zwiſchen zwei nächſten Aufgängen der Sonne bei den Seleniten
gleich dem Jahre derſelben iſt. In der Zeit von einem Neu- oder
Vollmonde zum anderen, d. h. in 29½ unſerer Tage, bewegt ſich
der Mond, in Beziehung auf die Sonne, um die Erde und zugleich
(I. §. 326) um ſeine Axe; jenes iſt ſein Jahr und dieß ſein
Tag. In dieſer Zeit von 29½ Tagen werden nach und nach alle
Theile des Mondes von der Sonne beſchienen und jeder Ort auf
demſelben hat die Sonne ununterbrochen 14¾ Tage über und
eben ſo lange unter ſeinem Horizonte. Klima und Erwärmung
iſt alſo auf dieſem Himmelskörper ſehr ungleich vertheilt, aber
[184]Der Mond.
die Beleuchtung iſt dafür deſto gleichförmiger und keine Zone
ſieht die Sonne längere Zeit, als die andere, da auf dem ganzen
Monde Tag und Nacht beſtändig ſehr nahe gleich ſind und jede
dieſer Zeiten 14¾ unſerer Tage dauert, ſo daß die Mondbürger
in 29½ unſerer Tage die Sonne und alle Sterne nur einmal
auf- und untergehen ſehen.


§. 131. (Wie auf dem Monde der Himmel erſcheint.) Allein
bei dieſer zwar ſehr langſamen, aber allgemeinen Umwälzung der
Himmelskörper giebt es einen, der an dieſer Bewegung keinen
Theil nimmt, und in abſoluter Ruhe am Himmel zu ſtehen ſcheint,
und dieſer Himmelskörper iſt ſcheinbar größer, als alle übrigen,
ſelbſt viel größer, als die Sonne, und dieß iſt — unſere Erde.
Da ſich nämlich der Mond in derſelben Zeit um die Erde bewegt,
in welcher er ſich um ſich ſelbſt dreht, und da der der Erde nächſte
Punkt ſeiner Oberfläche ihr auch immer der nächſte bleibt, ſo daß
er gleichſam, wie ſchon oben (I. S. 326) geſagt wurde, durch
eine feſte Stange unveränderlich mit uns verbunden iſt, ſo folgt
daraus, daß die Seleniten, ſo lange ſie nur ſelbſt ihren Ort auf
dem Monde nicht ändern, unſere Erde immer in derſelben Ent-
fernung von ihrem Zenithe ruhig am Himmel ſtehen ſehen. Die
in der Mitte der uns ſichtbaren Scheibe wohnenden Mondbürger
ſehen die Erde immer in ihrem Scheitel, die am Rande dieſer
Scheibe wohnenden ſehen ſie eben ſo immer in ihrem Horizonte,
und die zwiſchen Rand und Mittelpunkt wohnenden endlich, ſehen
die Erde das ganze Jahr durch ſtets in derſelben und zwar in
einer um ſo größern Höhe über ihrem Horizonte, je näher ſie
ſelbſt bei dem Mittelpunkt der uns ſichtbaren Mondſcheibe ſich
aufhalten. Sonne, Planeten und alle anderen Geſtirne des
Himmels gehen für den Mond alle 14 oder 15 unſerer Tage ein-
mal auf und unter, aber für die Erde hat weder Auf- noch
Untergang ſtatt. Dieſe Erde erſcheint ihnen dreizehnmal größer,
als uns der Mond, und dieſe gewaltige Lichtſcheibe ſcheint ihnen
feſt und unveränderlich am Himmel zu ſtehen, während ſich alle
anderen Geſtirne, ſelbſt die Sonne, in 29½ unſerer Tage um
dieſe Scheibe zu bewegen und täglich dreizehn Grade ſich von ihr
gen Weſt zu entfernen ſcheinen. Welch’ einen Anblick mag dieß
[185]Der Mond.
für die Bewohner des Mondes gewähren! Ich kann nicht weiter
zweifeln, daß die Gelehrten im Monde, die gleich den unſeren für
alles ſofort ihre Gründe haben, dieſe auffallende Erſcheinung des
Stillſtandes eines, alle andere Geſtirne an Größe ſo weit über-
treffenden Himmelskörpers, ſehr ſcharfſinnig aus der dieſer Größe
höchſt angemeſſenen Trägheit ableiten und daß eben ſo ihre Dichter,
wenn ſie das Lob der Faulheit ſingen, unſere Erde als Muſter
und als das erhabenſte Ideal derſelben aufſtellen werden. Und
wer wird es den frommen Gemüthern dieſes Volkes verargen
können, wenn ſie dieſes ungeheure Geſtirn mit ſeinem auffallenden
Lichtwechſel als den Abglanz der Gottheit verehren, die in ewiger
Ruhe ihren feſtgegründeten Thron einnimmt, während alle andern
Geſtirne des Himmels, Sonne und Planeten nicht ausgenommen,
in abgemeſſenen Bahnen ehrfurchtsvoll vor ihr vorüberziehen.


§. 132. (Bewohner der vorderen und hinteren Seite des Mon-
des.) Doch gilt dieß erhabene Schauſpiel nur denjenigen Mondes-
bürgern, welche die vordere, gegen die Erde gewendete Hälfte des
Mondes bewohnen. Die andern wiſſen nichts davon, da ſie (I.
S. 326) ewig von der Erde abgewendet ſind und ſie daher nie
ſehen können. Sie haben daher auch wohl keine Ahnung von den
herrlichen Erſcheinungen, welche ihre Nachbarn auf der andern
Hälfte ihrer Erde täglich und ſtündlich genießen, wenn ſie nicht
zuweilen von Reiſenden, die aus jenen Gegenden zu ihnen kommen,
davon Nachricht erhalten. Mit welchem Erſtaunen mögen ſie die
Erzählungen derſelben anhören und mit welcher Andacht werden
ſie vielleicht in ganzen Karavanen ihre Wallfahrten nach dem
glücklichen Orte anſtellen, wo ihnen der Anblick dieſer Wunder des
Himmels gegönnt iſt. Diejenigen Seleniten, welche nahe an dem
Rande der uns ſichtbaren Scheibe wohnen, können dieſe Reiſe in
kurzer Zeit vollenden und die Genüſſe, die ſie erwarten, mögen
die unſerer ſogenannten Reiſen um die Welt weit übertreffen.


Uebrigens haben dieſe glücklichen Bewohner der Vorderſeite
des Mondes noch einen andern nicht geringen Vortheil vor ihren
Nachbarn auf der andern Seite voraus, und es ſcheint dort oben
wie hier unten zu gehen, daß dem, der einmal im Vortheile iſt,
das Glück von allen Seiten zuzuſtrömen pflegt. Wir haben
[186]Der Mond.
nämlich oben (I. S. 324) geſehen, daß die Erde dem Monde
ganz eben ſolche Lichtabwechslungen zeigt, wie der Mond uns,
und daß die Bewohner des letzten die große Scheibe der erſten
bald im Volllichte, bald in einem ihrer beiden Viertel, bald
wieder im Neulichte ſehen. Dieſe vier Phaſen der Erde werden
ihnen ohne Zweifel ein ſehr bequemes Mittel geben, ihre langen
Tage einzutheilen, ſo wie wir den Abwechslungen des Mondes
unſere Wochen und Monate verdanken. Nebſt dieſer Eintheilung
ihres Tages, oder was daſſelbe iſt, ihres Jahres in vier gleiche
Theile, werden ihnen die großen Flecken der Erde, die ſich regel-
mäßig ihren Blicken zeigen und wieder entziehen, als Mittel zu
Unterabtheilungen jener Zeiten dienen. — Aber auch dieſen Vor-
theil genießen nur diejenigen, welche die vordere, uns ſichtbare
Seite des Mondes bewohnen, ſo wie zugleich nur die Nächte
dieſer Hemiſphäre von der Erde, wenn dieſe im Volllichte iſt,
beleuchtet, und zwar dreizehnmal ſtärker, als die Erde vom Voll-
monde, beleuchtet werden, während die andere Hemiſphäre, zu
derſelben Zeit ſowohl das Licht der Sonne, als auch das der Erde
völlig entbehren muß.


§. 133. (Berge des Mondes.) Mit unbewaffnetem Auge
geſehen, erſcheint uns der Mond als eine runde, ebene Scheibe,
mit mehreren grauen Flecken bedeckt, die uns entweder ihr eigenes
oder das von einem andern Körper erhaltene Licht, gleich einem
Spiegel, zuwirft. Allein die Abwechslung ſeiner Lichtgeſtalten und
die Abhängigkeit derſelben von der Stellung des Mondes gegen
die Sonne *) zeigt uns ſehr bald, daß der Mond keine ebene
Scheibe, ſondern eine Kugel iſt, und daß dieſe Kugel kein eigenes
Licht hat, ſondern daſſelbe nur von der Sonne geborgt erhält.
(Vergl. I. §. 163). Auch ſieht man bald, daß die Oberfläche
dieſer Kugel nicht ſo glatt, wie die eines convexen Spiegels ſeyn
kann, weil ſie ſonſt das Bild der Sonne nur von einem einzigen
[187]Der Mond.
Punkte dieſer Kugel zurückwerfen könnte und weil wir dann den
Mond nur wie einen kleinen lichten Stern, aber nicht wie eine
große beleuchtete Scheibe ſehen würden. Dieſe Oberfläche des
Mondes wird alſo rauh und vielleicht mit einer großen Menge
von Unebenheiten, von Bergen und Thälern, bedeckt ſeyn, von
welchen jeder Theil für ſich als ein kleiner Spiegel betrachtet
werden muß, der ſein Licht nach irgend einer Seite hin verſendet
und die alle zuſammen die Urſache ſind, daß wir den ganzen
Mond ſo ſehen, wie er uns in der That erſcheint. Wir werden
bald ſehen, daß ſchon ſehr mittelmäßige Fernröhre uns von dem
Daſeyn dieſer Berge und Thäler vollkommen überzeugen.


Da nun aber unſere Erde, wie allgemein bekannt, ebenfalls
eine Kugel und da ihre Oberfläche auch mit Unebenheiten aller
Art bedeckt iſt, ſo iſt kein Zweifel, daß die Erde den Bewohnern
des Mondes eben ſo, wie der Mond uns, als eine beleuchtete
Scheibe, erſcheinen wird. Mit Unrecht haben wir daher bisher
unſere Erde als einen rauhen, dunklen Kloß von Erde angeſehen,
während wir die ſo hell leuchtenden Planeten und andere Himmels-
körper, ihrer Schönheit wegen, für ganz andere und höhere Weſen zu
halten durch dieſen Irrthum veranlaßt worden ſind. Auch hier hing
alſo, wie in ſo vielen anderen Dingen, unſer Urtheil nur von unſerer
Stellung und von der Art ab, wie wir die Dinge um uns an-
ſehen. Wer zwiſchen der Erde und dem Monde mitten inne
ſtände, würde den rechten Standpunkt einnehmen, aus welchem er
beide Körper gleich vortheilhaft und gleich richtig beurtheilen
könnte.


Daß die grauen Flecken, die wir in dem Monde bemerken,
in der That Berge und Thäler ſind, lehrt uns ſchon der erſte
Blick, den wir durch ein Fernrohr auf denſelben werfen. Der
bloße Anblick dieſer Gegenſtände ſelbſt läßt weiter keinen Zweifel
über jene Vorausſetzung entſtehen, und die Schatten, welche ſie
werfen, überzeugen uns vollkommen von der Richtigkeit derſelben.
Dieſe nicht weiter zu verkennenden Schatten ſtehen nämlich im-
mer auf der der Sonne gegenüber liegenden Seite, und ſie ſind
auch immer deſto länger, je höher dieſe Berge ſelbſt ſind oder je
tiefer für ſie die Sonne an dem Horizonte derſelben ſteht. An
[188]Der Mond.
der Lichtgränze, wo die helle Phaſe des Mondes ſich von der dunklen
ſcheidet, liegen alle die Orte, denen die Sonne eben auf- oder untergeht,
und eben hier ſind auch die Schatten, welche die Gipfel der Berge, ſo
wie diejenigen, welche die hohen Wälle der Thäler in ihre Höhlungen
werfen, durchaus die längſten. Im Gegentheile werden dieſe Schatten
für alle Orte immer kürzer, je tiefer dieſe Orte ſelbſt in der Lichtſeite
liegen, weil für ſie der Tag ſchon längſt angefangen und die Sonne
ſchon eine größere Höhe über ihrem Horizonte erreicht hat. Zur Zeit
des Vollmondes endlich, wo die Bewohner der Mitte der jetzt
ganz beleuchteten Scheibe eben Mittag und daher die Sonne in
ihrem Zenithe haben, bemerkt man von dieſen Schatten beinahe
keine Spur mehr, ſo wenig, als man ſie in unſerer heißen Zone
bei allen ſenkrechten Gegenſtänden in dem Mittage desjenigen Ta-
ges bemerkt, an welchem die Sonne in dem Scheitel dieſer Ge-
genſtände ſteht. Aus dieſer Urſache iſt auch die beſte Zeit der
Beobachtung, die Zeit, wo man den Mond in ſeinem günſtigſten
und auffallendſten Lichte ſieht, keineswegs der Vollmond, ſondern
vielmehr die Tage kurz vor und nach dem Neumonde, wo er nur
als ein feiner Silberfaden oder als eine ſchmale Sichel am Him-
mel ſteht und die Schatten ſeiner Berge und Schluchten am deut-
lichſten und grellſten erſcheinen. Ueber die Benennungen dieſer
Berge und Thäler, wie ſie von verſchiedenen Aſtronomen vorge-
ſchlagen wurden, haben wir bereits oben (S. 76) einige Nach-
richten mitgetheilt, für das nun Folgende erſuchen wir die Leſer,
die Mondkarte am Ende des gegenwärtigen Theils aufzuſchlagen.


§. 134. (Nähere Beſchreibung der Mondsberge.) Bemerken
wir zuerſt von dieſen Bergen die wahrhaft ungeheuere Höhe der-
ſelben. Der Chimboraſſo, der ſonſt immer als der höchſte Berg
der Erde angegeben wurde, hat eine Höhe von 19320 Par. Fuß
über der Meeresfläche und beträgt daher nur den 1017ten Theil
des Erdhalbmeſſers. Der Dhawalagiri im Himalaja-Gebirge ſoll
24150 P. Fuß Höhe haben, und würde daher den 812ten Theil
des Halbmeſſers der Erde betragen. Ein Globus, auf welchem der
letzte Berg in der Höhe eines Zolles erſcheinen ſollte, müßte da-
her gegen 180 Fuß im Durchmeſſer haben. Allein Schröter hat
Berge im Mond gefunden, deren Höhe 25000 P. Fuß beträgt,
[189]Der Mond.
die alſo, da der ſo viel kleinere Mond nur einen Halbmeſſer von
233 Meilen hat, im Verhältniß zu dieſem Halbmeſſer nur den
214ten Theil deſſelben betragen, d. h. mit andern Worten: die
Berge im Mond ſind verhältnißmäßig zu der Größe deſſelben
viermal höher, als die Berge auf der Erde. Welche Naturkraft
hat dieſe großen Maſſen auf dem Monde bis zu dieſer entſetzlichen
Höhe aufgethürmt!


Wir werden weiter unten ſehen, daß die Maſſe des Monds
nahe den 70ſten Theil der Erdmaſſe beträgt, und daß die Körper
auf der Oberfläche deſſelben in der erſten Secunde nur durch
2⅘ Fuß alſo nahe fünfmahl weniger tief fallen, als auf der Erde,
daß alſo auch die Schwere oder die Kraft, mit welcher der Mond
alle Körper auf ſeiner Oberfläche an ſich zieht, nur den fünften
Theil von der Schwere der Erde beträgt. Daraus folgt, daß
unſer Schießpulver, auf den Mond gebracht, daſelbſt viel größere
Schußweiten, als bei uns, erzeugen würde. Auf der Erde würde
eine Kanonenkugel, die mit einer anfänglichen Geſchwindigkeit von
800 Fuß in einer Secunde ſenkrecht in die Höhe geſchoſſen wird,
etwa 26 Secunden ſteigen, und eine Höhe von 10600 Fuß errei-
chen, eh’ ſie wieder anfängt, zur Erde zurückzukehren. Auf den
Mond aber würde ſie mit derſelben anfänglichen Geſchwindigkeit
durch volle 160 Secunden aufſteigen und eine Höhe von 64000
Fuß erreichen, wenn man den Widerſtand der Luft u. dgl. hier
außer Acht läßt. Wenn daher im Innern des Monds eben ſolche
Kräfte, elaſtiſche Dämpfe u. dgl. wirken, wie in der Erde und
wenn die Cohäſionskräfte der Körper dieſer beiden Geſtirne nahe
dieſelben ſind, ſo werden dieſe Kräfte auch dort viel größere
Wirkungen hervorbringen, wo die gegenwirkende Kraft der Schwere
ſo viel kleiner iſt und jene hohen Gebirge ſind vielleicht eine un-
mittelbare Folge dieſer Kräfte.


§. 135. (Zwei Gattungen von Mondsbergen.) Dieſe Monds-
gebirge ſind im allgemeinen zweierlei Art, nämlich Ringgebirge
und Bergketten. Die Ringgebirge haben meiſtens die Geſtalt
von oft ſehr regelmäßigen, kreisförmigen, ausgetrockneten Teichen,
die rings mit einem hohen Walle umgeben ſind, oft viele Qua-
dratmeilen große Flächen einſchließen und in der Mitte dieſer Fläche
[190]Der Mond.
gewöhnlich einen iſolirten kegelförmigen Berg haben. Zwei ſolche
Ringgebirge ſieht man in der Karte unter den Namen Plato
und Eudoxus an der nördlichen oder untern Seite der Karte,
denn die Zeichnung ſtellt den Mond in verkehrter Lage dar, wie
er durch ein aſtronomiſches Fernrohr erſcheint. — Die Bergketten
laufen gewöhnlich von ſehr hohen Bergrücken aus, von denen ſie
ſich wie Lichtſtrahlen nach allen Seiten oft auf große Weiten aus-
breiten. Solche ſieht man auf der Karte bei Kepler und Co-
pernicus
auf der Oſtſeite, beſonders bei dem letzten, von dem
vier große Streifen gegen Norden herab ziehen, nebſt mehreren
kleineren, die in der Karte nicht verzeichnet werden konnten. Häufig
iſt der Mittelpunkt oder der Kern dieſer Bergketten ſelbſt wieder
ein hohes Ringgebirg, doch ſieht man auch andere Bergzüge
ohne Ringgebirg, wie z. B. das ſehr große, welches auf der Weſt-
ſeite von Eratoſthenes, Autolykus, Ariſtipp und Caſſini hinzieht
und öſtlich von Eudox endet.


In manchen Gegenden des Monds findet man wieder eine
Menge einzelner Bergkegel verſtreut, die ſich iſolirt und ſchroff
aus der ſie umgebenden Ebene erheben. An andern Stellen ſieht
man wieder Vertiefungen, die nach Art der Flüſſe oder der Stra-
ßen, bei geringer Breite und Tiefe, oft viele Meilen weit fortlau-
fen, an mehreren Stellen mit Gruben oder Einſenkungen verſehen
ſind und meiſtens zwei oder mehrere Ringgebirge zu verbinden
ſcheinen.


Endlich muß man noch die großen, meiſt grau gefärbten
Flecken bemerken, in welchen ſich nur geringe Unebenheiteu, oder
keine Berge finden und die man mit den Namen der Meere
bezeichnet hat, wie das Mare nubium, imbrium, nectaris
u. ſ. w.


§. 136. (Ringgebirge des Monds.) Die Ringgebirge, von
denen wir auf unſerer Erde nichts ähnliches aufzuweiſen haben,
ſind in ſehr großer Anzahl auf dem Monde zu finden und ſcheinen
durchaus vulkaniſchen Urſprungs zu ſeyn. Die Revolutionen,
durch die ſie erzeugt worden ſind, müſſen von der heftigſten Art
geweſen ſeyn. Der eigentliche Kern des Copernicus iſt ein ſolches
Ringgebirge, deſſen Inneres ganz das Ausſehen eines Kraters hat
[191]Der Mond.
und der Krater dieſes nun ſchon vielleicht ſeit Jahrtauſenden erlo-
ſchenen Vulkans hat ſieben Meilen im Durchmeſſer! Der Krater
des Aetna in Sicilien hat nur 4000 Fuß oder ⅕ Meile im
Durchmeſſer. Die Flächen und Thäler, welche dieſe Ringgebirge
einſchließen, haben öfter eine Ausdehnung von acht bis neun hun-
dert Quadratmeilen. Die von den Wallgebirgen eingeſchloſſenen
Räume ſind als Einſenkungen unter der Kugelfläche des Monds,
als leere, trockene Kraterbecken zu betrachten, die weiter keine
Aehnlichkeit mit unſeren von Bergrücken eingeſchloſſenen Ländern,
wie z. B. Böhmen u. dgl. haben, und deren Tiefe, nach Schrö-
ters Meſſungen, oft bis zu 18000 Fuß geht, die alſo zuweilen ſo
tief ſind, als unſer Chimboraſſo hoch iſt. Einen ſolchen Krater
findet man z. B. bei Cleomedes, an der Nordſeite des Mare Cri-
sium,
nahe an dem weſtlichen Rande der Karte; er hat 3½ Mei-
len in ſeinem oberſten Durchmeſſer und über 15000 Fuß Tiefe.
Welch’ ein Anblick für ein menſchliches Auge, in einen Keſſel
von 3½ Meilen im Durchmeſſer und von der Tiefe unſerer höch-
ſten Berge hinab zu ſchauen.


Die Ringgebirge, welche dieſe Krater umgeben, haben das
Merkwürdige, daß die Maſſe dieſer Berge immer ſehr nahe ſo
groß iſt, als eben hinreichen würde, den Krater auszufüllen, den
ſie umgeben. Schröter hat ſich Modelle von dieſen Gegenſtänden
gemacht und dieſe Bemerkung immer beſtätiget gefunden. Dieſer
Ring ſcheint daher dieſelbe Maſſe zu ſeyn, die den Krater vor
ſeiner Entſtehung ausgefüllt hat, zum Zeichen, daß dieſe Krater,
womit die Oberfläche des Mondes gleichſam überſäet iſt, nicht durch
Einſturz, ſondern durch Eruption entſtanden ſind. Auch ſcheint
daraus zu folgen, daß die durch innere Gährung an die Ober-
fläche geſchleuderte Maſſe des Mondes zu jener Zeit ſich in keinem
flüſſigen Zuſtande befunden hat, weil ſie nicht, wie die Lava un-
ſerer Vulkane, am Rande des Kraters ſtromartig abgefloſſen iſt,
ſondern nur in der Nähe der Oeffnung ſich rings um dieſelbe
wallförmig angelegt hat. Uebrigens zeigt das Innere dieſer un-
geheuern Höhlungen, mit ſtarken Fernröhren betrachtet, ganz den-
ſelben vulkaniſchen Charakter, wie man ihn bei unſerm Veſuv und
auf der Karte der Campi Phlegraei von Breislak, oder auf der
[192]Der Mond.
Karte des Puy de Dôme von Desmaret ſieht, ja in einigen die-
ſer Krater bemerkt man ſogar mit ſehr guten Fernröhren deutliche
Spuren von vulkaniſchen Stratificationen, die von einander fol-
genden Auswürfen entſtanden ſind und ſich ſo ſchichtenweiſe über
einander gelagert haben.


§. 137. (Streifen des Mondes.) Die bereits erwähnten Strei-
fen, welche dieſe Ringgebirge, nach Art unſerer Straßen zu ver-
binden ſcheinen, ſind gewiß keine Flüſſe, wie man früher wohl
geglaubt hat. Denn abgeſehen, daß es auf dem Monde an Flüſ-
ſigkeiten aller Art zu fehlen ſcheint, bemerkt man auch keine Sei-
tenadern derſelben, durch welche ſie Zufluß erhalten könnten, wohl
oft tiefe Abgründe, durch welche ſie ungehindert ziehen, und in
welchen man wieder nichts als Unebenheiten, aber nichts unſerem,
an ſeiner Oberfläche immer ebenen, Waſſer Aehnliches bemerkt.
Ja dieſe Straßen gehen nicht nur über jene Abgründe und Schluchten,
ſondern oft ſelbſt mitten durch die großen Krater der Vulkane
und durchbrechen zuweilen ganze Syſteme von Gebirgen, um auf
der entgegengeſetzten Seite derſelben ihren Gang wieder ungeſtört
und in der alten Richtung fortzuſetzen. Vielleicht ſind ſie ſeit
Jahrtauſenden ausgetrocknete Flußbette oder Kanäle, durch welche
jene Vulkane ehemals in Verbindung ſtanden.


§. 138. (Vulkane auf dem Monde.) Daß wenigſtens einige
dieſer Vulkane des Mondes ſelbſt jetzt noch thätig ſind, ſcheinen
die Beobachtungen Schröters und anderer Aſtronomen zu beſtäti-
gen. Halley will Blitze auf dem Monde und Ulloa in Spanien
ſogar ein Loch durch den ganzen Mond geſehen haben. Bianchini
ſah ein vorübergehendes Licht im Flecken des Plato, welches er
durch Sonnenſtrahlen zu erklären ſucht, die durch das Loch des
Felſens in der Seitenwand des Fleckens eingefallen ſind. Der
ältere Herſchel ſah auf dem nicht beleuchteten Theile des Mondes
einen hellleuchtenden Punkt, den er für das Feuer eines Vul-
kans zu halten ſich veranlaßt fand. Schröter fand i. J. 1788 bei
dem Flecken Hevelius (am öſtlichen Rande der Karte) einen
1½ Meilen im Durchmeſſer haltenden neuen Krater, von dem
er feſt überzeugt war, daß er im verfloſſenen Jahre, wo er dieſe
Gegend auf das genaueſte unterſucht hatte, noch nicht vorhanden
[193]Der Mond.
war. In dem Mare Crisium (NW Rand der Karte) fand er
einen Berg, den er mehrmals auf das genaueſte beobachtet und
gezeichnet hatte, und der ihm immer als länglich erſchienen war,
plötzlich und mit ausnehmender Deutlichkeit vollkommen
rund und auf ſeinem Gipfel mit einem, drei Viertheile einer Meile
im Durchmeſſer haltenden tiefen Krater verſehen, von welchem er
früher auch nicht die geringſte Spur entdecken konnte. Das Merk-
würdigſte dabei war, daß dieſer runde Berg mit ſeinem Krater
nach einem Monate wieder verſchwand, um dem alten länglichen
Berg ohne Krater ſeine vorige Stelle einzuräumen.


§. 139. (Wie die Höhe der Mondsberge gemeſſen wird.) Ehe
wir dieſe ſonderbaren Berge des Mondes gänzlich verlaſſen, wird
es den Leſern noch angenehm ſeyn, zu erfahren, auf welche Weiſe
man die Höhe derſelben gemeſſen hat.


Wenn dieſe Berge genau an dem Rande der uns ſichtbaren
Mondsſcheibe ſtehen, ſo wird man mit dem gewöhnlichen Inſtru-
mente, mit welchem die Aſtronomen überhaupt alle ſehr kleinen
Diſtanzen meſſen, mit den ſogenannten Mikrometern auch das
Verhältniß ihrer Höhe zu dem Halbmeſſer des Mondes beſtim-
men können. Geſetzt, man hätte eine ſolche Erhöhung, oder auch,
bei den Thälern des Mondes, eine ſolche Vertiefung, einen Ein-
ſchnitt des Mondsrandes gleich dem hundertſten Theil des Halb-
meſſers deſſelben gefunden, ſo weiß man auch ſofort, daß die Höhe
oder Tiefe deſſelben 23/10 Meilen beträgt, weil der Halbmeſſer des
Mondes (I. S. 321) 230 Meilen hat. In der That ſieht man
dieſen Rand des Mondes, nicht ganz glatt, ſondern an mehreren
Stellen wie ausgezackt, was nur von dieſen Bergen oder Schluch-
ten kommen kann. Wir werden weiter unten (III. §. 117) ſehen,
daß der Mond nicht ganz genau immer dieſelbe Seite der Erde
zuwendet, ſondern daß der Rand der uns ſichtbaren Scheibe ſich
öfter um nahe acht Grade, aus dem Mittelpunkte des Mondes
geſehen, verſchieben kann, daher zuweilen Berge oder Thäler in
dieſen Rand treten, die früher nicht ſichtbar waren. Beſonders
gut anwendbar wird dieſe Methode zur Zeit der Sonnenfinſter-
niſſe ſeyn, wo die ſchwarze Scheibe des Mondes mit ihren Zacken
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 13
[194]Der Mond.
auf dem hellen Hintergrunde der Sonne ſehr gut geſehen und mit
aller Schärfe gemeſſen werden kann.


Ein zweites Mittel, die Höhe dieſer Berge zu meſſen, erſtreckt
ſich auf alle uns ſichtbaren Orte des Mondes, nicht bloß auf die
Punkte, welche in dem Rande deſſelben liegen. Wer auch nur
einmal den Mond mit einem mäßigen Fernrohre angeſehen hat, wird
bemerkt haben, daß man nahe an der Lichtgränze, die meiſtens eben
ihrer Berge wegen, ſehr ausgezackt und unregelmäßig erſcheint, in
dem dunkeln Theile des Mondes viele iſolirte, hellglänzende Punkte
ſieht, die gleich den Inſeln auf dem Meere oder gleich den Thau-
tropfen auf den von der Sonne beſchienenen Blumen hervortreten.
Man überzeugt ſich bald, daß dieſe lichten Punkte nichts anders,
als Berggipfel ſind, die von der aufgehenden Sonne beſchienen
werden zu einer Zeit, wo der Fuß dieſer Berge noch in dem
Schatten der Nacht ruht, wie wir dieß auch auf unſerer Erde
kurz vor dem Aufgange oder bald nach dem Untergauge der Sonne
bemerken. Man ſieht aber leicht, daß dieſe Berge deſto höher
ſeyn werden, je weiter ihre von der Sonne vergoldeten Gipfel von
der Lichtgränze entfernt, oder je tiefer ſie in der Nachtſeite des
Mondes verſenkt ſeyn werden, ſo daß man alſo aus dieſer Ent-
fernung von der Lichtgränze auch wieder rückwärts, auf die Höhe
dieſer Berge, wird ſchließen können.


Eine dritte Methode, die Höhe der Mondsberge zu meſſen,
wird uns durch eine andere, noch bekanntere Erfahrung gegeben,
die wir auf unſerer Erde täglich zu machen Gelegenheit haben.
Wer weiß nicht, daß die Schatten unſerer Thürme und Berge
Mittags, wo die Sonne am höchſten ſteht, am kürzeſten und im
Gegentheile beim Auf- oder Untergange der Sonne am längſten
ſind, und daß dieſe Schatten vor dem Mittage gegen Weſten und
nach demſelben gegen Oſten gerichtet ſind. Ganz eben ſo ſehen
wir auch die Schatten der Berge des Mondes während der Zeit
ſeines 30tägigen Tages hin und wieder ziehen, beim zunehmenden
Mond links und beim abnehmenden rechts fallen und zugleich im-
mer länger werden, je näher ihnen die Lichtgränze kömmt, da
dieſe Gränze alle die Punkte des Mondes enthält, denen die
Sonne eben auf- und untergeht. Wir haben aber bereits oben
[195]Der Mond.
(I. S. 145) geſehen, wie man auf der Erde aus der bekannten
Höhe der Sonne und der Länge des Schattens eines Thurmes
die Höhe des letzten finden kann. Iſt nämlich in der dort ange-
führten Fig. 9 AB der Thurm und AC die Länge ſeines Schat-
tens auf dem horizontalen Boden, ſo iſt die Linie CB, über B
hin verlängert, nach der Sonne gerichtet, und der Winkel ACB iſt
die Höhe der Sonne (Einl. §. 10), die man mit Hülfe eines
Quadranten (I. §. 43) leicht meſſen kann, während man die Länge
AC des Schattens auf die gewöhnliche Weiſe mit einem Maaß-
ſtabe beſtimmt. Kennt man aber in einem bei A rechtwinkligen
Dreiecke ABC eine Seite AC mit ihrem anliegenden Winkel ACB,
ſo findet man daraus leicht (I. §. 62) auch die dieſem Winkel
gegenüberſtehende Seite AB oder die geſuchte Höhe des Thurms.
Ganz daſſelbe Verfahren wird man nun auch auf die Berge des
Mondes anwenden, deren Schattenlänge man mit dem Mikrometer
meſſen kann, und wo die Höhe der Sonne über dem Horizonte
des Berges ebenfalls bekannt iſt, da ſie immer gleich der Entfer-
nung des Berges von der Lichtgränze ſeyn muß.


§. 140. (Atmoſphäre des Mondes.) Der Mond ſcheint keine,
oder auch nur eine äußerſt feine Atmoſphäre zu haben. Die Licht-
gränze deſſelben iſt ſcharf abgeſchnitten und das hellſte Licht der
einen Seite geht unmittelbar in das tiefſte Dunkel der andern
über, während unſere Fernröhre doch bei viel entfernteren Him-
melskörpern, beſonders bei der Venus, eine deutliche Abſtufung
des Lichtes an dieſer Gränze, oder eine Dämmerung zeigen,
die dem Aufgange der Sonne vorhergeht oder ihrem Untergange
folgt. Dieſer gänzliche Mangel der Dämmerung bei dem Monde
ſetzt eine das Licht ſehr wenig brechende, alſo auch wohl ſehr wenig
dichte Luft voraus. Daſſelbe folgt auch aus den Bedeckungen der
Fixſterne von dem Monde, die in ſeiner Nähe nicht ſchwächer
werden und ihr Licht nur allmählig verlieren, ſondern die mit
ganz ungetrübtem Glanze bis an ſeinen Rand hintreten und
dann urplötzlich hinter demſelben verſchwinden, zum Zeichen, daß
ſelbſt die dem Monde nächſten und dichteſten Schichten ſeiner At-
moſphäre, wenn dieſe überhaupt exiſtirt, ſo fein und durchſichtig
ſind, daß ſie mit denen unſerer Luft nicht weiter verglichen wer-
13 *
[196]Der Mond.
den können. Indeß will doch Schröter zuweilen Spuren einer
äußerſt ſchwachen Dämmerung, beſonders zur Zeit des Neumondes
an den ſogenannten Hörnerſpitzen des Mondes, bemerkt haben.
Wo aber keine Atmoſphäre iſt, läßt ſich auch kein Waſſer oder
eine demſelben ähnliche Flüſſigkeit annehmen. Wenn der Erde
ihre Luft entzogen würde, ſo würden die Flüſſe und Meere der-
ſelben in kurzer Zeit verdünſten und die ganze Erde austrocknen.
In der That können wir auch auf der Oberfläche des Mondes
nichts bemerken, was dieſen unſeren irdiſchen Waſſerbehältern ähn-
lich wäre. Schröter behauptet, auf dem ganzen Monde auch
nicht eine Stelle von einiger Ausdehnung geſehen zu haben, die
auf ihrer Oberfläche ganz eben wäre, wie die des Waſſers ſeyn
müßte. Die großen, grauen Stellen des Mondes, die man mit
den Namen der Meere belegt hat, ſind voll kleiner Erhabenhei-
ten und Vertiefungen und können durchaus nicht mit unſern Seen
und Meeren verglichen werden. Indeß behauptet der jüngere
Herſchel, mit den großen Teleſcopen ſeines Vaters mehrere voll-
kommen ebene Stellen daſelbſt gefunden zu haben, die er zwar
nicht für Waſſerflächen hält, die aber doch ganz den Charakter
der Alluviation tragen ſollen. Es iſt in der That nicht wahr-
ſcheinlich, daß dieſer Himmelskörper immer ohne Atmoſphäre ge-
weſen iſt. Die großen Revolutionen, die in der Vorzeit auf ſeiner
Oberfläche ſtatt gehabt haben, ſetzen die Wirkungen des Feuers
und dieſe wieder die Luft voraus, wenigſtens eine feine Luft,
ohne welche unſer Feuer nicht beſtehen könnte.


§. 141. (Mangel an Waſſer auf dem Monde.) Für dieſen
Mangel an Flüſſigkeit jeder Art ſpricht auch ſchon der bloße An-
blick des Mondes. Er erſcheint uns wie ein trockener Gyps- oder
Schwefelguß mit unzähligen Blaſen und Höhlungen, mit Bergen
und Thälern bedeckt, die von großen und heftigen Erſchütterungen
zeugen, welche der Mond in der Vorzeit erlitten hat. Schröter
iſt der Anſicht, daß alle dieſe Zerſtörungen, die man auf der Ober-
fläche des Mondes bemerkt, durch eine nicht ganz vollführte Erup-
tion oder durch eine bloße Aufſchwellung ſeiner Oberfläche entſtan-
den ſind. Das elaſtiſche Fluidum in ſeinem Innern drängte gegen
die Oberfläche und verurſachte dadurch an einzelnen Stellen jene
[197]Der Mond.
Anſchwellungen und wo ſie ſtark genug war, auch eine Erup-
tion, wodurch dann die Krater und Wallgebirge entſtanden. Es
ſcheint, daß zur Zeit jener Kataſtrophe der ganze Körper des
Mondes nicht mehr eine weiche, ſondern mehr ſchon eine feſte
Maſſe geweſen, und daß wenigſtens ein Theil dieſer aufgeworfenen
Maſſe in eine Art von Schmelzung übergegangen ſey. Was der-
gleichen Schmelzungen oder Verglaſungen, wenn man ſo ſagen
darf, noch wahrſcheinlicher macht, iſt die gänzliche Unmöglichkeit,
allen den ſeltſamen Farbenwechſel, der auf dem Monde ſtatt hat,
zu erklären, ohne wenigſtens hie und da ſpiegelähnliche Flächen
anzunehmen. Immer ſcheint das ganze mehr vulkaniſchen, als
neptuniſchen Urſprungs zu ſeyn, wofür der ganze Anblick des
Mondes und ſelbſt die oben erwähnten Kegel in der Mitte
der Ringgebirge ſprechen, da ſie wohl nichts anders ſind,
als neue Verſuche jener innern elaſtiſchen Kraft, noch mehr
Maſſe auszuwerfen, wie man denn dieſe Kegel ſelbſt in den gro-
ßen Kratern, ganz ſo wie bei unſeren Vulkanen, findet. Es iſt
möglich, es iſt ſogar ſehr wahrſcheinlich, daß dieſer Himmelskör-
per, dem es jetzt an Luft und Waſſer fehlt, ſeit jener großen Re-
volution nur mehr ein trockenes, nacktes Felſengerippe iſt, auf
welchem vielleicht weder Vegetation, noch Leben, noch irgend eine
Bewegung, ſondern nur ewige Ruhe und Grabesſtille herrſcht,
und daß daher der Mond entweder ſich ſelbſt überlebt hat und
nun als unbrauchbarer Schlacken aus der Reihe bewohnbarer
Welten herausgetreten iſt, oder daß er in einer Art von Verpup-
pung ſeinem neuen, beſſern Leben, ſeiner Auferſtehung entgegen
ſchlummert.


§. 142. (Bewohner des Mondes.) Demungeachtet hat es,
nicht bloß unſern Dichtern, ſondern auch mehreren Aſtronomen
gefallen, dieſe Wüſte mit Bewohnern, ja ſogar mit menſchenähn-
lichen Bewohnern zu bevölkern. Jenen wird man dieſe poetiſche
Licenz nicht verargen dürfen, da dieſer Himmelskörper der Ver-
traute, um nicht zu ſagen, der Freund von uns allen in jener,
wohl den meiſten meiner Leſer ſchon entſchwundenen Roſenzeit der
Jugend geweſen iſt, in welcher die lebhaftere Einbildungskraft ſich
ſo leicht und gern in die höheren Regionen ſchwingt, und da er
[198]Der Mond.
ſelbſt den Gefühlloſeſten, wenn er ſein Auge einmal zu dem ge-
ſtirnten Himmel erhebt, durch die wunderbare Abwechslung ſeiner
Geſtalt und durch ſein helles Licht an ſich zieht, das nicht nur
die Fixſterne, ſondern ſelbſt das Licht Jupiters und der Venus
verdunkelt:


— — Hesperus, that led
The starry host, rode brightest: till the Moon
Rising in clouded majesty, at length
Apparent queen, unveiled her peerless form,
And o’ver the dark her silver mantle threw.
Milton.
()

Mögen nun die Aſtronomen ſelbſt zuſehen, wie ſie ſich ent-
ſchuldigen können, wenn ſie, gegen ihre Gewohnheit, das Reich
der Wahrheit verlaſſend, in das Gebiet der Phantaſie hinüber
treten und uns von den Leuten im Monde, an deren Exiſtenz ſie
wahrſcheinlich ſelbſt nicht glauben, ſo viele und ſo ſonderbare Dinge
vorerzählen, daß ich beinahe Anſtand nehmen muß, ſie ihnen
wieder nachzuſagen.


Daß dieſe Leute, wenn ſie überhaupt noch da ſind, von uns
ſelbſt und allen, was wir auf unſerer Erde ſehen, nicht wenig
verſchieden ſeyn mögen, wird wohl Niemand bezweifeln wollen,
der ſich aus dem Vorhergehenden auch nur daran erinnerte, daß
der Mond keine, wenigſtens keine mit der unſerer vergleichbaren
Atmoſphäre hat, und alſo auch kein Waſſer haben kann, da das
letzte, ohne jene, in kurzer Zeit verdünſten und nur mehr in luft-
förmiger Geſtalt exiſtiren würde. Dieſer Mangel an Luft und
Waſſer, dieſe allgemeine Dürre, verbunden mit der Abweſenheit
aller eigentlichen Jahreszeiten auf dem Monde, muß auf das
animaliſche und vegetabiliſche Leben auf der Oberfläche dieſes
Weltkörpers einen großen und ſo weſentlichen Einfluß äußern, daß
es uns ſchwer fallen mag, die Folgen eines ſolchen Zuſtandes auch
nur in ſeinen größeren Zügen einigermaßen getreu darzuſtellen.
Vielleicht leben die Geſchöpfe des Mondes, wie bei uns die Fi-
ſche, nur in den tiefſten Theilen der Oberfläche deſſelben, nur auf
dem Boden der vielen Höhlen und Abgründe, wo die ſonſt ſo
[199]Der Mond.
dünne Luft, durch den Druck der oberen Schichten verdichtet, für
ihre Lungen noch athembar iſt, und wo ſie, wie bei uns die
Bewohner des Innern der Erde, das Licht der Sonne ſcheuend,
wie unſere Maulwürfe und Regenwürmer wohnen, oder gleich
den Auſtern in ganzen Bänken gelagert, ihre Tage in unthätiger
Trägheit verleben. Wer weiß, ob nicht die Mondbewohner, der
drückenden, volle vierzehn unſerer Tage dauernden Sonnenhitze
zu entgehen, ſich in jene Höhlen flüchten, aus welchen ſie nur
für die Zeit ihrer eben ſo langen Nächte ſich herauswagen?
Oder haben ſie ſich vielleicht eben in dieſen Tiefen, wie unſere al-
ten Ritter auf den Bergſpitzen, ihre Burgen und Städte erbaut?
Iſt doch, wie man ſagt, unſer eigenes unterirdiſches Rom größer,
als das über der Erde erbaute. Man dürfte dieſe überirdiſche
Stadt nur wegnehmen und den Boden unter ihr aufbrechen, wie
man es mit Pompeji und Herculanum gemacht hat, um ſofort
auch auf unſerer Erde eine ſolche Mondſtadt zu erhalten. Warum
ſollten wir nicht annehmen dürfen, daß die Leute im Monde,
wenn ſie ſchon einmal da ſeyn ſollen, auch zugleich ſo klein und
eben ſo thätig und betriebſam wie unſere Ameiſen ſind, und daß
ihrer daher auf dem Boden einer ſolchen Höhle nicht weniger in
ſehr bequemen und geräumigen Häuſern beiſammen wohnen, als
bei uns in Paris oder London zu finden ſeyn mögen. Sind nicht
vielleicht die ſtraßenartigen Gänge und Streifen, von welchen wir
oben geſprochen haben, und welche jene ausgebrannten Krater, jene
unterirdiſchen Städte mit einander verbinden, wahre Straßen oder
wahre Kanäle, durch welche alle dieſe Städte in gegenſeitige Com-
munication geſetzt werden? Weil wir nur auf der Oberfläche un-
ſerer Erde leben, ſollen darum die Bewohner anderer Weltkörper
zu derſelben Lebensweiſe gezwungen ſeyn? Bei der Liebe zur Ab-
wechslung und ſelbſt zu den auffallendſten Verſchiedenheiten, die
wir in der Natur ſchon auf unſerem eigenen Wohnorte bemerken,
ſollte da der entgegengeſetzte Schluß nicht auch zugleich der ange-
meſſenſte, der wahrſcheinlichſte ſeyn?


Auch mag es mit der großen Trockenheit, die auf dem Monde
herrſcht, vielleicht lange nicht ſo arg ſeyn, als man auf den erſten
Blick glauben ſollte. Wegen des Mangels an Luft mag wohl die
[200]Der Mond.
Kälte, beſonders zu ihrer langen Nachtzeit, wie auf den Gipfeln
unſerer hohen Berge, ſehr groß ſeyn, nicht minder groß, als die
darauf folgende Hitze, wenn endlich nach vierzehn unſerer Tage
die Sonne über ihm aufgeht und eben ſo lange über ihrem Hori-
zonte verweilt. Aber dieſe langen Tage und Nächte erzeugen auch
vielleicht durch eine Art von Deſtillation im halbleeren Raume
eine ſtete Wanderung aller Feuchtigkeit, die von der durch die
Sonne erwärmten Hemiſphäre nach der dunkeln Seite des Mon-
des abfließt. Die Folge einer ſolchen Einrichtung würde eine ab-
ſolute Trockenheit auf der Sonnenſeite und ein immerwährendes
Hinſtrömen der Feuchtigkeit auf die Nachtſeite des Mondes ſeyn,
ſo daß, was wir Regen und Thau nennen, dort regelmäßig alle
vier Wochen die Runde um die ganze Kugel macht, und daß
ſelbſt die ebenfalls um den Mond wandernde Lichtgränze einem
Fluſſe zu vergleichen iſt, der gleich einem beweglichen Reifen
die ganze Kugel umſpannt und in jedem Monate abwechſelnd je-
den Theil der Oberfläche mit Waſſer verſorgt und zur Vegetation
vorbereitet, wie es der Nil bei uns nur in jedem Jahre einmal
thut. Bei einer ſolchen Einrichtung wäre es ſelbſt ſehr möglich,
daß eine immerwährende Evaporation auf der einen und eine ſte-
tige Condenſation auf der andern Seite des Mondes eine Art von
Gleichgewicht in dem Zuſtande der Temperatur ſowohl, als auch
in dem der Feuchtigkeit und Trockenheit hervorbringt, der die
Extreme derſelben mäßiget und auf die Bewohner jenes Weltkör-
pers ſehr wohlthätig einwirkt.


Wir haben bereits oben geſagt, daß den Seleniten unſere
Erde in der Oberfläche dreizehnmal größer, als uns der Mond,
erſcheint und daß ſie ihnen dieſelben Abwechslungen der Licht-
geſtalten zeigt, die wir bei dem Monde bemerken. So auffal-
lend dieſe Erſcheinungen bei einem ſo großen Weltkörper an ſich
ſeyn mögen, ſo ſehr werden ſie auch ohne Zweifel ſchon daran ge-
wohnt ſeyn, und es wird auch dort nicht an Leuten fehlen, die
ſich um alles das, was über ihnen am Himmel vorgeht, nicht
weiter bekümmern. Aber dafür werden eben dieſelben und aus
eben derſelben Urſache, wie bei uns, deſto mehr betroffen und er-
ſchrocken ſeyn, wenn nun der gewöhnliche Lauf dieſer Erſcheinungen
[201]Der Mond.
plötzlich unterbrochen wird und jener große Himmelskörper ſich
mitten am Tage zwiſchen ſie und die Sonne ſtellt und alles um
ſie her in die Finſterniß der Nacht einhüllt. Ohne Zweifel ſind
dieſe Erſcheinungen auch auf dem Monde, für den großen Haufen
wenigſtens, ein Gegenſtand der Furcht und des Entſetzens, wie
ſie es ſo lange Zeit auf der Erde waren *). Auch ſie werden
[202]Der Mond.
ſich ohne Zweifel in ihre Höhlen und Klüfte flüchten und unſere
Erde über ſich entrüſtet oder uns für bezaubert halten, und was
dergleichen Thorheiten mehr ſeyn mögen, in welchen wir ihnen
mit unſerm Beiſpiele vorausgegangen ſind. Denn welches Recht
ſollten ſie haben, geſcheuter zu ſeyn, als wir? Iſt der Mond nicht
der Satellit, der Diener und Fackelträger der Erde? Und da dieſe
große Erde in allen ihren Theilen der Thorheiten ſo voll iſt,
warum ſollte der kleine Mond eine Ausnahme von dieſer, wie es
ſcheint, allgemeinen Regel machen? Sie ſollten uns in Furcht
ſetzen können und wir ſie nicht? Es hat große Völkerſchaften bei
uns gegeben und es gibt ihrer wohl noch, die den kleinen Mond
als eine Gottheit angebetet haben, warum ſollten daſſelbe nicht
auch die Völker im Monde mit der viel größern Erde thun kön-
nen, und warum ſollten überhaupt wir allein im ganzen großen
Weltalle die einzigen Thoren ſeyn dürfen?


Aber ſo ſehr ſie uns auch in dieſem Stücke gleichen mögen,
in vielen anderen ſind ſie gewiß wieder eben ſo ſehr von uns ver-
ſchieden, und wir würden uns gewiß nicht wenig über ihre Geſtalt
und über ihr ganzes Weſen verwundern, wenn wir einmal Gele-
genheit haben ſollten, zu ihnen heraufzukommen, nicht weniger
ohne Zweifel, als ſie ſelbſt ſich über uns verwundern würden,
wenn ſie uns einmal näher zu Geſichte bekommen ſollten. Gewiß
können ſie ſich eben ſo wenig vorſtellen, wie es hier unten zugeht,
als wir ſelbſt uns einen Begriff von ihrem Treiben dort oben ma-
chen können. Wie ſollte es ihnen nur einfallen, daß es auf der
großen, lichten Scheibe, die über ihnen am Himmel ſchwebt, eine
ſo ſeltſame Gattung von Geſchöpfen gebe, die man das menſchliche
*)
[203]Der Mond.
Geſchlecht und das ſich ſelbſt, ohne Zweifel aus zu großer Be-
ſcheidenheit, das Meiſterſtück der Schöpfung und Gottes wahres
Ebenbild zu nennen pflegt; ein Geſchlecht, das ſo thörichte Leiden-
ſchaften hegt und dabei ſo weiſe Betrachtungen anſtellt; das ſo
kurzdauernd iſt und doch ſo weitausſehende Plane anſpinnt; das
ſo viel Kenntniſſe von den unnützeſten Dingen hat und doch die
allernothwendigſten nicht weiß; das ſo viel Freiheitsdrang neben
den knechtiſchſten Geſinnungen und ſo viel Verlangen nach Glück-
ſeligkeit hat und doch keine Kraft beſitzt, ſie zu genießen.


Uebrigens, was geht das ſie an. Gewiß nicht mehr, als ſie
uns ſelbſt angehen mögen. Genug, wenn jeder von uns mit ſich
und ſeiner nächſten Umgebung zufrieden iſt. Warum ſollten wir
uns auch um ſie, die ſo weit von uns entfernt ſind, bekümmern,
wir, die wir nicht einmal unſere nächſten Nachbarn kennen, die
daſſelbe Haus mit uns bewohnen? In der That, wir befinden uns
mit dieſen Nachbarn ſchon ſo lange Zeit auf einem gemeinſchaft-
lichen Schiffe und haben ſie noch nicht einmal geſehen. Wir be-
wohnen, wie wir wenigſtens glauben, das Vordertheil dieſes Schif-
fes, während die Leute von Lappland oder die von Neuholland
den Hintertheil des Fahrzeuges einnehmen, und ſo neugierig auch
beide ſeyn und ſo gern ſie ſonſt vor fremden Thüren kehren mö-
gen, ſo weiß doch einer nichts von dem anderen, und findet es
auch kaum der Mühe werth, darnach zu fragen, während ſie doch
alle gern wiſſen möchten, was dort oben im Monde, in einem
anderen Schiffe vorgeht, das ſo weit von uns auf dem großen
Ocean der Welten herumſegelt *).


[204]Der Mond.

Daß es auf dieſem Schiffe ganz anders hergeht, als auf dem
unſeren, daraus folgt noch nicht, daß jene Reiſenden weniger glück-
lich und zufrieden ſind, als wir ſelbſt, da auch ſie wahrſcheinlich
*)
[205]Der Mond.
wieder ganz andere Weſen ſind, als die, welche wir hier unten
kennen gelernt haben. Die Natur wird Mittel genug haben, ſie
für das, was wir Entbehrungen nennen, reichlich zu entſchädigen.
Ihre Fluren werden vielleicht durch keinen Regen erquickt, aber
auch durch keinen Hagel zerſchlagen. Sie kennen die Morgen-
und Abendröthe nicht, aber ſie wiſſen auch nichts von Wolken und
Platzregen, der ihre Felder überſchwemmt, nichts von Orkanen,
die ihre Wohnungen zerſtören. Wenn ſie keinen Regenbogen ſe-
hen, ſo ſehen ſie auch die verheerenden Blitze nicht, noch weckt ſie
das Brüllen des Donners aus ihrem Schlafe, in welchem ſie ſtill
und friedlich ihre Tage verträumen, während wir die unſeren in
ſtetem Kampfe mit uns ſelbſt und unſeren Umgebungen zubringen,
und während unſeren Freuden nur zu oft Schmerz und Reue folgt,
ſind ihnen vielleicht beide völlig unbekannt. Wenn wir, die wir
mit einem vielleicht ſehr übel angebrachten Stolze zuweilen auf
unſern ſogenannten Diener und auf die Bewohner deſſelben herab-
ſehen, wenn wir, wenn die Beſten von uns ihr Glück in einem
thatenreichen, mit Ehre und Schätzen bedeckten leben ſuchen und
es nicht finden — ſo kümmern ſie, in ihrer ewigen Ruhe, ſich
nichts um das Schattenbild des Ruhmes und genießen dafür ein
wohl weniger glänzendes, aber dafür auch ein deſto reineres und
ſtetigeres Glück und haben keine Urſache, uns um unſer Drängen
und Treiben zu beneiden. Wenn ſie die Buchdruckerkunſt noch
nicht erfunden haben ſollten, ſo kennen ſie dafür auch die vielen
ſchlechten Bücher nicht, mit welchen wir geplagt ſind, ſo iſt ihnen
auch alle die Mühſeligkeit und Verkehrtheit unbekannt geblieben,
die in dem Gefolge jener Erfindung über uns kam und wenn
ſie dadurch in ihren Schulen und Univerſitäten etwas zurückge-
blieben ſeyn und, wie man ſagt, das Pulver noch nicht erfunden
haben ſollten, ſo iſt ihnen dafür auch unſere höhere Tactik unbe-
kannt geblieben, durch die wir, ohne zu wiſſen warum, unſere
Brüder zu Tauſenden in einer Stunde morden, blühende Städte
in Aſchenhaufen und glückliche Länder in Wüſten und Leichenfelder
verwandeln. Und in der That, wenn wir uns ſchon einmal dieſen
Gegenſätzen überlaſſen wollen, wer könnte es uns verargen, wenn
wir die ſchon längſt von der Erde aus Pandora’s Urne entflohenen
[206]Der Mond.
Güter dort aufſuchen möchten: den ewigen Frieden, nach dem
wir ſchon ſo lange vergebens ſeufzen, das goldene Zeitalter,
das nur mehr in unſeren Gedichten lebt, und die Unſchuld der
Sitten
, die, nach Arioſto’s lieblicher Dichtung, ſammt dem ver-
lornen geſunden Menſchenverſtande unſerer großen Gelehrten
und Helden, dort unter der Aufſicht eines eigenen Genius in be-
ſonderen Phiolen aufbewahrt werden ſollen.


[[207]]

KapitelX.
Die Monde der drei äußerſten Planeten.


§. 143. (Die vier Monde Jupiters.) Der Planet Jupiter
iſt, wie bereits oben (I. S. 180 und 336) geſagt wurde, von
vier Monden umgeben. Da die Neigungen ihrer Bahnen gegen
die ihres Hauptplaneten ſämmtlich zwiſchen zwei und drei Graden
enthalten ſind, ſo erſcheinen ſie uns immer ſehr nahe in einer
geraden Linie aufgeſtellt, deren Richtung durch den Mittelpunkt
Jupiters geht. Schon mittelmäßige Fernröhre ſind hinreichend,
ſie zu erkennen.


Die mittleren Entfernungen und Umlaufszeiten, ſo wie die
Größen dieſer vier Monde, ſind bereits oben (I. S. 336) angegeben
worden. Aus den dort mitgetheilten Angaben folgt, daß ihre
Durchmeſſer, von dem, dem Planeten nächſten anzufangen, 1/34,
1/42, 1/24 und 1/34 des Durchmeſſers von Jupiter ſind, daß alſo der
zweite der kleinſte und der dritte der größte iſt. In Beziehung
auf dieſe ihre Durchmeſſer iſt der erſte und vierte nahe doppelt ſo
groß, als der Mond der Erde, der dritte hat einen nahe fünfmal
größeren Durchmeſſer als unſer Mond und der zweite endlich iſt
ihm beinahe gleich.


§. 144. (Wie ſie von Jupiter geſehen erſcheinen und umgekehrt.)
Von der Oberfläche Jupiters geſehen erſcheinen ſie, in derſelben
[208]Die Monde der drei äußerſten Planeten.
Ordnung, unter dem ſcheinbaren Durchmeſſer von 33, 17, 19 und
7 Minuten; von der Erde aber beträgt keiner dieſer Durchmeſſer
noch zwei Secunden.


Dafür erſcheint Jupiter ſelbſt auf dieſen Monden von einer
gewaltigen und impoſanten Größe. Die Bewohner des nächſten
Mondes ſehen ihren Hauptplaneten unter einem Durchmeſſer von
19¾ Graden, alſo 37 mal größer, als uns der Durchmeſſer der
Sonne, oder in der Oberfläche 1370 mal größer, als uns die
Oberfläche der Sonne erſcheint. Für dieſen Satelliten kann daher
ſein Hauptplanet das ganze große Sternbild des Orion bedecken,
und wenn er an dem Horizonte des Mondes auf- oder untergeht,
ſo nimmt er den achtzehnten Theil deſſelben ein. Auf dem zweiten
Satelliten erſcheint Jupiter, in Beziehung auf ſeine Oberfläche
620, auf dem dritten 240 und auf dem vierten endlich 78 mal
größer, als uns die Oberfläche der Sonne.


Der Durchmeſſer der Sonne ſelbſt aber erſcheint den Be-
wohnern Jupiters und ſeiner Satelliten nur mehr unter dem
kleinen Winkel von ſechs Minuten, ſo daß der Abſtand in der
Größe, wie den Bewohnern der Satelliten die Sonne und ihr
Hauptplanet erſcheint, noch viel auffallender iſt. In der That
ſehen die Bewohner des erſten oder nächſten Mondes die Ober-
fläche Jupiters 37000, die des zweiten 14600, des dritten 5800
und endlich die des vierten 1800 mal größer, als ſie die Sonne
ſehen, von welcher ſie im Mittel um 108 Millionen Meilen ent-
fernt ſind.


§. 145. (Vorübergänge dieſer Satelliten vor der Scheibe Ju-
piters.) Es wurde bereits (I. S. 337) bemerkt, daß man dieſe
Monde mit guten Fernröhren zuweilen auf der Scheibe Jupiters
ſelbſt bemerkt, wenn ſie nämlich zwiſchen ihm und der Erde durch-
gehen. Sie erſcheinen dann als kleine, runde Flecken, die ſich
durch ihre dunklere Farbe auf dem beleuchteten Hintergrunde
Jupiters auszeichnen. Oefters ſchon hat man in dieſen Flecken
einen kleinen helleren oder grauen geſehen, der mit dem Monde
ſelbſt dieſelbe Geſchwindigkeit und Richtung der Bewegung hat
und daher ein dunkler Flecken dieſes Mondes iſt. Bei dem vierten
Satelliten hat man überdieß eine periodiſche Aenderung ſeines
[209]Die Monde der drei äußerſten Planeten.
Lichtes bemerkt, indem er immer am ſtärkſten glänzt, wenn er
weiter als Jupiter von der Erde entfernt iſt, und am ſchwächſten,
wenn er für uns diesſeits ſeines Hauptplaneten ſteht, ſo daß er
uns dort ſeine hellere, hier aber ſeine dunklere Seite zuzuwenden
ſcheint. Man hat daraus den Schluß gezogen, daß auch dieſe
Monde, ſo wie der der Erde, in derſelben Zeit ſich um ihren
Hauptplaneten bewegen, in welcher ſie ſich um ihre Axe drehen.
Spätere Beobachtungen haben dieß bei dieſen vier Monden ſo-
wohl, als auch ſelbſt bei einigen Monden Saturns vollkommen
beſtätiget. (Vergl. I. S. 340). Dieſe Gleichheit der Revolution
und Rotation ſoll ſchon Hartſöker i. J. 1706 gemuthmaßt haben,
und wenn er gleich die Gründe davon nicht angeben konnte, ſo
war es doch gut, uns durch die Bekanntmachung ſeiner Meinung
auf die Sache aufmerkſam gemacht zu haben. Es iſt allerdings
viel leichter zu muthmaßen, als zu beweiſen oder zu erfinden, und
wir haben, beſonders in der Aſtronomie, Beiſpiele genug, die
dieß beſtätigen. Aber auch jene erſten Muthmaßungen haben oft
ihren hohen Werth, und es iſt nicht Jedermanns Sache, mit Glück
ſolche aufzuſtellen, die oft erſt ſpät nachher durch unmittelbare
Beobachtungen wahr befunden werden, und die oft ſelbſt den
Beobachter auf den richtigen Weg geleitet und die eigentliche
Erfindung vorbereitet haben. Man ſollte es daher Niemand, der
ſich dazu aufgelegt fühlt, verargen, Muthmaßungen, ſelbſt gewagte,
aufzuſtellen, und mit Hypotheſen zu experimentiren, da dieſe Spiele,
denn mehr ſind ſie gewöhnlich anfangs nicht, unſchuldige Opera-
tionen ſind, die ſpäter ſehr nützlich werden können, wenn ſie in
die rechten Hände fallen, obſchon ſie übrigens, man muß es ge-
ſtehen, auch ſchon Unheil genug angerichtet haben. Dieſe Dinge
laſſen ſich mit dem Feuer vergleichen, von dem man zu ſagen
pflegt, es ſey ein vortrefflicher Diener, aber ein ſehr gefährlicher
Herr.


Da übrigens dieſer periodiſche Lichtwechſel und jene dunklen
Flecken auf der Oberfläche des Satelliten nicht bei jedem Umlaufe
deſſelben um ſeinen Hauptplaneten ſichtbar ſind, ſo ſcheinen auf
dieſer Oberfläche öfter bedeutende Umwälzungen vor ſich zu gehen,
da ſie ſelbſt in der großen Entfernung dieſer Himmelskörper von
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 14
[210]Die Monde der drei äußerſten Planeten.
uns noch ſichtbar ſeyn können. Wahrſcheinlich ſind daher dieſe
Monde, ſo wie ihr Hauptplanet ſelbſt mit ſehr dichten Atmoſphären
umgeben, in welchen große Revolutionen ſtatt haben.


§. 146. (Verfinſterungen dieſer Monde.) Eben ſo iſt bereits
früher (I. S. 338) bemerkt worden, daß die Verfinſterungen der
Satelliten Jupiters uns ein ſehr bequemes Mittel gewähren, die
geographiſche Länge der Beobachtungsorte zu beſtimmen, das be-
ſonders auf der See ſehr gut angewendet werden konnte, da dieſe
Finſterniſſe ſo oft wiederkehren und viel häufiger, als bei unſerm
Monde, vorfallen. In den neueren Zeiten, wo die Theorie und
die Tafeln unſeres eigenen Mondes zu einer ſo großen Vollkom-
menheit gebracht worden ſind, bedient man ſich zu dieſem für die
Seefahrt ſo wichtigen Zwecke vorzugsweiſe der beobachteten Diſtanzen
des Mondes von den übrigen Geſtirnen, allein zur Zeit der Ent-
deckung jener Satelliten, im Anfange des ſiebenzehnten Jahr-
hunderts, hatte man kein anderes Mittel, die geographiſche Länge
zweier ſehr von einander entfernten Orte zu beſtimmen, als eben
die Finſterniſſe dieſer Satelliten, da die Finſterniſſe unſeres Mon-
des (I. §. 174. 175) zu ſelten vorfallen, um auf der See von
großem Nutzen zu ſeyn.


Sey S die Sonne (Fig. 14), I Jupiter, A B C die Bahn
der Erde und a b c d die Bahn eines Satelliten dieſes Planeten,
wo ſich die Erde und der Satellit von Weſt nach Oſt oder in der
Richtung A B C und a b c bewegen. Wenn der Satellit in der
Gegend a b ſeiner Bahn, oder in der Nähe des Schattenkegels
c N d iſt, den Jupiter, von der Sonne S beſchienen, hinter ſich
wirft, ſo verſchwindet er unſeren Blicken, ſobald er in dieſen
Schatten tritt, und verurſacht dadurch für die Bewohner des
Hauptplaneten eine Mondesfinſterniß. Wenn aber der Satellit
in der Gegend c d ſeiner Bahn, zwiſchen der Sonne und ſeinem
Hauptplaneten ſteht, ſo wirft er ſeinen eigenen Schatten auf den
letzten und erzeugt dadurch eine Sonnenfinſterniß. (Vergl. I.
S. 337.) Man ſieht daraus, daß die Finſterniſſe dieſer Satelliten
im Allgemeinen ganz analog mit denen unſeres Mondes (I. S. 333)
ſind, obſchon ſie ſich auch wieder in einigen Nebenumſtänden
weſentlich von ihnen unterſcheiden. Wegen der viel größeren
[211]Die Monde der drei äußerſten Planeten.
Entfernung Jupiters von der Sonne iſt nämlich der Schattenkegel,
den dieſer Planet hinter ſich wirf, viel länger, und wegen der
ungemeinen Größe Jupiters iſt ſein Schatten auch viel breiter, als
der der Erde. Dieſe Satelliten ſelbſt ſind überdieß gegen ihren
Hauptplaneten viel kleiner, als der Mond gegen die Erde, ihre
Bahnen ſind viel weniger gegen die Ecliptik geneigt und auch
verhältnißmäßig bedeutend kleiner, als die Bahn unſeres Mondes.
Aus dieſen Gründen gehen die drei erſten oder nächſten Satelliten
Jupiters, ſo oft ſie bei a b mit der Sonne in Oppoſition ſind,
immer durch den Schatten des Planeten, oder ſie werden bei
jedem Neumonde verfinſtert und ſelbſt der vierte muß, wenn er
ja zuweilen dieſem Schatten oben oder unten vorbeigeht, den Rand
deſſelben meiſtens ſtreifen. Aber der vorzüglichſte Unterſchied
zwiſchen den Finſterniſſen dieſer Satelliten und unſeres Mondes
beſteht darin, daß wir jene nicht, wie dieſe, aus dem Mittelpunkte
der Bewegung dieſer Satelliten, ſondern von irgend einem Punkte
A, B, C der Erdbahn ſehen, der nicht in der Richtung der geraden
Linie liegt, welche die Sonne, den Planeten und den Satelliten
mit einander verbindet, ſo daß alſo die Schattenaxe I N zu ver-
ſchiedenen Zeiten auch eine verſchiedene Lage gegen die Geſichts-
linie haben wird, die von der Erde nach Jupiter geht. Dieſer
Umſtand macht zwar keinen Unterſchied in der abſoluten Zeit,
wann dieſe Mondesfinſterniſſe bei a b anfangen und enden, denn
da ſie wahre Beraubungen des nur geborgten Lichtes der Satelliten
ſind, ſo müſſen dieſelben aus allen Orten in demſelben Augenblicke
geſehen werden, aber er hat dafür einen deſto größeren Einfluß
auf die Sichtbarkeit dieſer Finſterniſſe, wie wir ſogleich näher
ſehen werden.


Der Satellit wird in dem Augenblicke verfinſtert, wo er in dem
Punkte a in den Schattenkegel Jupiters tritt, aber nicht plötzlich, da der
Satellit zuerſt in den Halbſchatten tritt und doch immer einen beträcht-
lichen Durchmeſſer hat und daher nur nach und nach in den Schatten
treten oder allmählig ſich unſern Blicken entziehen kann. Dieſe Zeit
der völligen Extinction ſeines Lichtes wird ſo groß ſeyn, als diejenige
Zeit, die der Satellit braucht, in ſeiner Bahn einen Bogen, ſo
groß als ſein eigener Durchmeſſer, zu beſchreiben, oder eigentlich
14 *
[212]Die Monde der drei äußerſten Planeten.
noch etwas größer, wegen des Halbſchattens, der durch die
zwei geraden Linien begränzt wird, welche die Sonne an ihrem
oberen und Jupiter an dem entgegengeſetzten, untern Rande be-
rühren. Daſſelbe wird auch am Ende der Finſterniß ſtatt haben,
wenn der Mond bei b wieder die zweite Grenze des Schattens
verläßt. Es wird alſo auch ſehr ſchwer ſeyn, den eigentlichen
Anfang der Verfinſterung des Satelliten, ſo wie das völlige Ende
deſſelben genau anzugeben, und man ſieht, daß die Güte des
Auges und des Fernrohrs, und die Reinheit der Atmoſphäre
während der Beobachtung einen großen Einfluß auf dieſelbe äußern
kann. Dieſen ungünſtigen Umſtand ſo viel als möglich zu ver-
meiden, wird man ſich daher, wo es ſeyn kann, nie mit der Be-
obachtung des bloßen Anfanges oder auch des Endes einer ſolchen
Finſterniß begnügen, ſondern man wird, mit demſelben Fernrohre,
beide Momente beobachten und aus ihnen das Mittel nehmen,
wo man dann die Zeit desjenigen Augenblicks erhält, wo der
Satellit in der Schattenaxe I N oder in Oppoſition mit der Sonne
geweſen iſt. Nur ſolche vollſtändige Beobachtungen einer Finſterniß,
wenn ſie an mehreren Orten angeſtellt wurden, wird man mit
Sicherheit zur Beſtimmung der geographiſchen Länge dieſer Orte
(nach I. S. 338), ſo wie auch zur Verbeſſerung der Theorie der
Bewegungen dieſer Himmelskörper anwenden.


Der bloße Anblick der Zeichnung lehrt ſchon, daß dieſe
Finſterniſſe alle auf der Weſtſeite von Jupiter ſtatt haben, wenn
die Erde ſelbſt weſtlich von der Schattenaxe S I N liegt, d. h. in
der Zeit, die der Oppoſition Jupiters vorhergeht; dieſe letzte
aber hat ſtatt, wenn die Erde in C, oder wenn ſie ſelbſt in der
Schattenaxe liegt. Je näher die Erde dieſem Punkte C der Oppo-
ſition kömmt, deſto näher kömmt auch die Geſichtslinie A a, B a..
zu ihrer Coincidenz mit der Schattenaxe I N, deſto weniger ſind
beide Linien A a und I N gegen einander geneigt und deſto näher
an dem weſtlichen Rande Jupiters werden auch die Eintritte der
Satelliten ſich ereignen. Wenn die Erde in den Punkt B kömmt,
wo die Linie B b, die man von der Erde nach dem Satelliten zur
Zeit ſeines Austritts aus dem Schatten zieht, den Planeten an
ſeinem weſtlichen Rande berührt, ſo haben dieſe Austritte;
[213]Die Monde der drei äußerſten Planeten.
wie ſie von der Erde geſehen werden, an dem Rande Jupiters
ſelbſt ſtatt, und können daher zu dieſer Zeit eben ſo wenig geſehen
werden, als die darauf folgenden Tage, wo dieſe Austritte für
uns ſogar hinter der Scheibe Jupiters vor ſich gehen. Noch ſpäter
wird man auch die Eintritte bei a nicht mehr ſehen, da auch dieſe,
von der Erde geſehen, ſich hinter dem Planeten ereignen.


Vor der Oppoſition Jupiters alſo oder zu der Zeit, wo dieſer
Planet Vormittags durch den Meridian geht, fällt der Schatten-
kegel deſſelben für uns auf die weſtliche, nach der Oppoſition aber
auf die öſtliche Seite, daher wir dort die Eintritte der Monde
auf der weſtlichen, hier aber die Austritte derſelben auf der öſtlichen
Seite Jupiters ſehen, während uns dort die Austritte auf der
öſtlichen und hier die Eintritte auf der weſtlichen Seite unſichtbar
ſind, indem uns beide von der Scheibe des Planeten ſelbſt ver-
deckt werden. In der Mitte zwiſchen der Oppoſition und Con-
junction aber, wo Jupiter am weiteſten oder neunzig Grade von
der Sonne entfernt iſt, und wo er daher um ſechs Uhr Morgens
oder Abends durch den Meridian geht, fällt ſein Schatten auch
am meiſten gegen Oſt oder Weſt und dieſer Schatten iſt dort, wo die
zwei äußerſten Satelliten durch ihn gehen, von dem Planeten ſchon ſo
fern, daß keine der beiden Seiten des Schattens für uns von der
Scheibe des Planeten bedeckt werden kann, daher wir alſo auch
dann, von dieſen beiden Satelliten, die Eintritte ſowohl, als auch
die darauf folgenden Austritte, oder daß wir die Finſterniſſe der-
ſelben in ihrer ganzen Dauer ſehen können. Die zwei andern
Satelliten aber ſtehen ihrem Hauptplaneten immer ſo nahe, daß
man vor der Oppoſition bloß ihre Eintritte und nach der Oppo-
ſition bloß ihre Austritte ſieht, daher auch die Finſterniſſe
dieſer zwei nächſten Satelliten zu einer genauen Beſtimmung der
geographiſchen Länge viel weniger geſchickt ſind, als die der beiden
anderen.


§. 147. (Verfinſterungen Jupiters durch dieſe Monde.) Anders
verhält ſich die Sache, wenn der Satellit in ſeiner Bahn zu dem
Punkte c kömmt, wo er zwiſchen der Sonne und ſeinem Planeten
iſt, und wo man ihn dann von der Erde als einen runden Flecken
über die Scheibe dieſes Planeten ziehen ſieht, ſobald er in die
[214]Die Monde der drei äußerſten Planeten.
gerade Linie tritt, welche die Erde in A, B oder C mit dem
öſtlichen Rande des Planeten verbindet. Dieß ſind wahre Sonnen-
finſterniſſe für die Bewohner Jupiters (I. §. 175), während die
vorher betrachteten Erſcheinungen als Mondesfinſterniſſe (I. §. 174)
anzuſehen waren. In der That wirft dann der Satellit in c d ſeinen
eigenen Schattenkegel auf die ihm gegenüber ſtehende Oberfläche
des Planeten und verdunkelt dieſem dadurch das Licht der Sonne.
Zu derſelben Zeit ſieht man dann auch noch einen zweiten nahe
eben ſo großen, grauen Flecken dem Satelliten vorausgehen, wenn
die Finſterniß vor der Oppoſition Jupiters ſich ereignet, oder ihm
folgen, wenn ſie nach der Oppoſition ſtatt hat. Dieß iſt offenbar
der Schatten des Satelliten, der über die Oberfläche des Pla-
neten während der Finſterniß hinzieht. Bei dieſen Vorübergängen
der Satelliten, die mit lichtſtarken Fernröhren ſehr ſcharf beob-
achtet werden können, ſieht man den Satelliten auch zuweilen als
einen dunklen, nicht mehr runden, ſondern unregelmäßig be-
gränzten Flecken, deſſen Dimenſionen beträchtlich kleiner ſind, als
die ſeines Schattens, woraus Schröter und Harding den Schluß
gezogen haben, daß dieſe Satelliten zuweilen auf ihrer Oberfläche
oder in ihrer Atmoſphäre große, dunkle Stellen haben.


§. 148. (Theorie der Satelliten Jupiters.) Die Theorie der
Bewegungen und der gegenſeitigen Störungen dieſer Satelliten iſt
großen Schwierigkeiten unterworfen. Aber ihre große Entfernung
von uns geſtattet, bei den vorzüglichſten ihrer Perturbationen ſtehen
zu bleiben, da wir die kleinern Ungleichheiten doch nicht mehr
unterſcheiden können. Bailly, der ſich durch ſeine ſchöne, obgleich
etwas dichteriſche Geſchichte der Aſtronomie ausgezeichnet hat, und
deſſen grauſamer Tod zur Zeit der Schreckensregierung in Frank-
reich ein entſetzlicher Beweis der Unbeſtändigkeit der Volksgunſt
iſt, war der erſte, der die Theorie dieſer vier Monde durch Hülfe
der Analyſe zu bearbeiten ſuchte. Da aber ſein Verſuch noch zu
unvollkommen war, ſo machte die k. Academie in Paris i. J. 1766
dieſen ſchwierigen Gegenſtand zu einer Preisfrage, die Lagrange
in ihrem ganzen Umfange in einer Abhandlung löste, welche eine
der ſchönſten iſt, die je über die Einrichtung des Weltſyſtems er-
ſchienen war. Im Jahre 1788 nahm Laplace dieſelbe Arbeit noch
[215]Die Monde der drei äußerſten Planeten.
einmal vor, bereicherte ſie mit mehreren intereſſanten Entdeckungen
und legte dadurch den Grund zu den erſten genauen Tafeln dieſer
Satelliten, die Delambre berechnete. Dieſe Arbeiten lehrten uns
auch die Maſſen jener Monde kennen, die, in der bisher ange-
nommenen Ordnung 17, 23, 28 und 43 Milliontheile der Maſſe
Jupiters betragen. Verbindet man dieſe Maſſen mit der bereits
oben mitgetheilten Größe dieſer Monde, ſo findet man ihre Dich-
tigkeiten gleich 1, 4, 3 und 4 Zehntheile der Dichte der Erde,
und daher auch den Fall der Körper auf ihren Oberflächen in der
erſten Secunde, 8, 16, 20 und 19 Zehntheile eines P. Fußes.


§. 149. (Merkwürdige Verhältniſſe ihrer Bewegungen.) Wir
haben bereits oben (I. §. 177) die merkwürdigen Verhältniſſe
angegeben, welche zwiſchen den mittleren Längen ſowohl, als auch
zwiſchen den mittleren ſideriſchen Bewegungen der drei erſten dieſer
Satelliten ſtatt haben. Eine Folge dieſer Sonderbarkeit iſt, daß
dieſe drei Satelliten nie zugleich verfinſtert werden können. In
der That, wenn der zweite und dritte dieſer Monde, in demſelben
Punkte des Himmels, von Jupiter aus geſehen, ſich befinden, ſo
muß, jenes Verhältniſſes wegen, der erſte Mond jenen bei-
den gegenüber ſtehen; wird alſo dieſer erſte verfinſtert, ſo
müſſen die beiden andern zwiſchen der Sonne und Jupiter liegen,
und daher ihren Schatten auf den Hauptplaneten werfen, und
umgekehrt.


§. 150. (Anblick des Himmels von dieſen Monden.) Ohne
uns bei der Beſchreibung des Anblicks aufzuhalten, welchen die
vier Monde den Bewohnern Jupiters gewähren mögen, wollen
wir nur mit einigen Worten des Genuſſes erwähnen, welchen
Jupiter ſelbſt den Bewohnern der Satelliten darbietet. Welch ein
Schauſpiel mag es für die Bewohner des erſten Satelliten ſeyn,
eine unſerem Monde ähnliche Scheibe, mit denſelben regelmäßig
abweſelnden Lichtphaſen, aber 1370 mal größer, als uns die
Scheibe des Mondes zur Zeit des Volllichtes erſcheint, immer
unbeweglich an derſelben Stelle des Himmels zu erblicken, während
die Sonne ſelbſt und alle andern Geſtirne hinter ihr vorüberziehen,
begleitet von anderen ebenfalls ſehr großen lichten Himmelskörpern,
welche die erſte in künſtlich verſchlungenen Bahnen nach ewig
[216]Die Monde der drei äußerſten Planeten.
unveränderlichen Geſetzen umwandeln. Die Bewohner der Mitte
der, dieſem Planeten zugewendeten Hälfte ſehen die ungeheure
Lichtſcheibe immer in ihrem Zenithe und die des Randes immer
in ihrem Horizonte. Eine Reiſe von 440 Meilen, zweimal ſo
weit als von Wien nach Neapel, würde ſchon hinreichen, dieſe
große Scheibe des Hauptplaneten aus dem Zenithe des Wanderers
in ſeinen Horizont herab zu ziehen. Mit welchen Gefühlen mögen
die Bewohner des Randes der hinteren, von Jupiter ſtets abge-
wendeten Hälfte dieſes Mondes, nach einem Wege von nur
wenigen Meilen, dieſen ungeheuern Himmelskörper erblicken, der
ihnen in ſeiner Oberfläche 37000 mal größer als die ſo weit
entfernte Sonne erſcheint, und der ein blendendes Licht verbreitet,
das mit dem unſeres Vollmondes nicht weiter verglichen werden
kann.


§. 151. (Entdeckung dieſer Monde.) Bemerken wir noch, daß
die Entdeckung dieſer vier Monde, durch Galilei i. J. 1610, eine
der erſten Früchte des nur kurz vorher erfundenen Fernrohrs,
zugleich eine ſehr merkwürdige Epoche in der Geſchichte der Stern-
kunde begründet, denn die erſte aſtronomiſche Auflöſung des großen
Problems der Meereslänge, der wichtigſten und nützlichſten
Aufgabe, die der menſchliche Geiſt ſich je vorgelegt hat, verdanken
wir der Kenntniß dieſer Monde. Auch datirt man mit Recht die
eigentliche, letzte Beſtätigung der Wahrheit des Copernicaniſchen
Syſtems von der Entdeckung dieſer vier Himmelskörper, die
uns unſer eigenes Sonnenſyſtem gleichſam in einem Miniatur-
bilde zeigen, in welchem ſich die drei Kepler’ſchen Geſetze (I.
§. 147) und durch ſie das Geſetz der allgemeinen Schwere ab-
ſpiegeln und in wenigen Monaten ſchon alle die periodiſchen Be-
wegungen zeigen, deren vollſtändige Entwicklung bei den Planeten
ſelbſt mehrere Jahrhunderte erfordert. Und als ob die Natur mit
einer Art von Vorliebe dieſe kleinen, von uns mit freien Augen
ganz unſichtbaren Lichtpunkte begünſtigen und auf ſie die intereſſan-
teſten Züge der Geſchichte der Sternkunde häufen wollte, ſo ver-
danken wir ihnen auch die große Entdeckung der Aberration des
Lichtes (I. Cap. VI.) und durch dieſelbe die Kenntniß der außer-
ordentlichen Geſchwindigkeit (I. §. 77) dieſes wundervollen Elements.


[217]Die Monde der drei äußerſten Planeten.

§. 152. (Satelliten des Saturn und Uranus.) Viel weniger,
als die Satelliten des Jupiter, ſind uns die des Saturn und noch
beinahe gar nicht die des Uranus bekannt. Die vorzüglichſten
Elemente der ſieben Monde Saturns wurden ſchon oben (I.
S. 339) mitgetheilt. Wenn man ihre Umlaufszeiten mit ihren
mittleren Entfernungen vergleicht, ſo ſieht man, daß auch ſie, ſo
wie die Monde Jupiters, dem dritten Geſetze Keplers (I. §. 146)
gehorchen, ſo wie man durch lichtſtarke Fernröhre, wenigſtens an
einigen derſelben, auch ſchon die Gleichheit ihrer Revolution mit
der Umdrehung um ihre Axe beobachtet hat, eine Uebereinſtimmung,
die man bereits an ſo vielen Satelliten gefunden hat, daß man
nicht weiter anſtehen kann, ſie als eine allen dieſen Monden all-
gemein zukommende Eigenſchaft zu betrachten.


Der entfernteſte oder der ſiebente dieſer Monde hat allein noch
eine etwas beträchtliche Neigung gegen die Ebene des Ringes,
mit welcher die Bahnen der ſechs übrigen nahe zuſammenfallen.
Dieſer Mond iſt zugleich derjenige, den man noch am beſten durch
Fernröhre ſehen kann. Auch der ſechste bietet in dieſer Beziehung
keine beſonderen Schwierigkeiten dar; die drei nächſtfolgenden ſind
ſchon ſehr ſchwach und erfordern ſehr lichtſtarke Fernröhre, um
geſehen zu werden; während die zwei innerſten, die beinahe den äußern
Rand des Ringes ſtreifen, nur mit unſern vorzüglichſten Fern-
röhren, und auch da nur unter den günſtigſten Verhältniſſen
ſichtbar werden. Zu der Zeit, wo der Ring dieſes Planeten
für gewöhnliche gute Fernröhre verſchwindet, bemerkte ſie der
ältere Herſchel i. J. 1789, mit einem Reflector von vier Fuß
Oeffnung, gleich zwei äußerſt kleinen Perlen, die eine feine Silber-
ſchnur, wie ihm der Ring erſchien, zu beiden Seiten begrenzten
und bald darauf haſtig wieder zu dieſer Schnur zurück zu eilen
ſchienen, um ſich, auf ihre gewohnte Weiſe, wieder hinter derſelben
zu verbergen. Uebrigens iſt die große Neigung der Bahnen dieſer
Satelliten gegen die Ecliptik Saturns — ſie beträgt über 27
Grade — die Urſache, warum ſie ſo äußerſt ſelten von ihrem
Hauptplaneten verfinſtert werden, während im Gegentheile die
vier, oder wenigſtens die drei nächſten Monde Jupiters bei jedem
Volllichte derſelben durch den Schatten ihres Centralkörpers gehen.


[218]Die Monde der drei äußerſten Planeten.

Von den Satelliten des Uranus iſt bereits das Wenige, was
uns die Beobachtungen bekannt gegeben haben, oben (I. S. 340)
mitgetheilt worden, daher wir hier derſelben nicht weiter erwähnen.


§. 153. (Ueberſicht des ganzen Planetenſyſtems.) Zum be-
quemeren Ueberblicke der Verhältniſſe, Größe, Entfernungen u. f.
der einzelnen Körper unſeres Sonnenſyſtems hat man die vorzüg-
lichſten Elemente derſelben in Tafeln gebracht. Wir haben die-
jenigen, welche die Planeten betreffen, ſchon in dem erſten Theile
(S. 281 und 294 bis 297) gegeben und fügen ihnen hier nur
noch die Maſſen, Dichtigkeiten, die Rotation und Fallhöhen auf
ihrer Oberfläche bei, um dadurch jene Angaben zu vervollſtändigen.
Ihnen folgen dann die tabellariſchen Ueberſichten der Elemente
des Mondes und der übrigen Satelliten.


[219]Die Monde der drei äußerſten Planeten.

TafelI.Maſſen und Dichtigkeiten der Planeten.


Maſſe, die
der Erde = 1
Maſſe, die
der Sonne
= 1
Dichte, die
der Erde = 1
Dichte, die
des Waſſers
= 1
Oberfläche,
die der Erde
= 1
Volum, das
der Erde = 1
Volum in
Mill. Kubik-
Meilen
Merkur0,161/20258103,6117,70,120,04104
Venus0,921/4058711,075,20,900,852280
Erde1,001/3549361,004,91,001,00660
Mars0,131/25463200,703,30,320,18467
Veſta0,010,000041/10
Imo0,030,00514
Ceres0,040,008212
Pallas0,070,01745
Jupiter308,91/35120,101,1121,11333,13500000
Saturn93,31/179180,200,595,2928,52500000
Uranus16,91/179180,251,017,975,85201200

Die Maſſe der Sonne iſt 329630 mal größer als die der Erde und
die des Mondes iſt 1/70 von jener der Erde. Die Dichte der Sonne iſt
¼ der mittlern Dichte der Erde oder 1,22 der Dichte des reinen Waſſers.
Das Volum oder der körperliche Inhalt der Sonne iſt 1330000 größer
als der der Erde, oder es beträgt nahe 3730 Billionen Kubikmeilen.
Das Volum des Mondes iſt nur 1/50 von dem der Erde.


[220]Die Monde der drei äußerſten Planeten.

TafelII.
Geſchwindigkeit, Abplattung u. f. der Planeten.


Geſchwindigkeit
in der Bahn um
die Sonne in 88
Tagen
Geſchwindigkeit
in 1 Secunde in
Meil. in d. Bahn
Dauer der
Rotation
Geſchwindigk.ein.
Punkt. d. Aequat.
in d. tägl Beweg.
In Par. Fuß
Fall gegen die
Sonne in ein.
Secunde
In Par. Linien
Fall der Körper
auf der Oberfl.
in einer Sec.
In Par. Fuß
Abplattung
Merkur360°6,724 St.5,5 M5048,514,1
Venus140,94,92321,314302,415,9
Erde86,74,72356,0714221,315,11/300
Mars46,13,42439,37980,56,31/16
Veſta23,92,70,2
Juno19,92,60,2
Ceres18,82,50,2
Pallas18,82,50,2
Jupiter7,31,7955,7390700,0538,81/13
Saturn2,91,31016,0335000,0115,11/11
Uranus1,01,00,00314,6

Die Dauer der Rotation der Sonne beträgt 25½ Tag, und auf ihrer Oberfläche fallen die Körper in der
erſten Secunde durch 430 Par. Fuß.


[221]Die Monde der drei äußerſten Planeten.

TafelIII.
Elemente des Mondes.


  • Sideriſche Revolution des Mondes _ _ 27 T. 7 St. 43′,192
  • Tropiſche — — — _ _ 27 7 43 ,078
  • Synodiſche — — — _ _ 29 12 44 ,047
  • Neigung der Bahn gegen die Ecliptik _ _ 5° 8′,78
  • Mittlere Horizontal-Parallaxe am Aequator _ _ 0° 57′,01
  • Sideriſche Revolution der Knoten _ _ 6793 T. 6 St. 51′,65
  • Tropiſche — — — _ _ 6798 4 14 ,93
  • Scheinbarer mittlerer Durchmeſſer von der Erde geſehen _ _ 0° 31′ 8″,0
  • — — — von d. Sonne geſehen 0° 0′ 9″,3
  • Sideriſche Revolution der Abſiden _ _ 3232 T. 13 St. 37′,25
  • Tropiſche _ _ 3231 11 4 ′12
  • Scheinb. mittl. Durchm. der Erde vom Monde geſehen _ _ 1° 54′ 02″
  • Excentricität der Bahn in Theilen der halb. groß. Axe _ _ 0,0550
  • — — — in Meilen _ _ 4120
  • — — — in Erdhalbmeſſern _ _ 4,791
  • Wahrer Durchmeſſer in Meilen _ _ 466
  • Mittlere Entfernung vom Mittelpunkt der Erde
  • in Erdhalbmeſſern _ _ 60,2960
  • — — in Meilen _ _ 51600,0000
  • — — in Halbmeſſern der Erdbahn _ _ 0,00251
  • Verhältniß des Mondes zur Erde im Durchmeſſer _ _ 1/3,7
  • — — — — — in der Oberfläche _ _ 1/14
  • — — — — — im Volum _ _ 1/50
  • — — — — — in der Maſſe _ _ 1/70
  • — — — — — in der Dichte _ _ ⅔
  • Fall der Körper auf der Oberfläche des Mondes
  • in 1 Sec. _ _ 2,8 Par. Fuß.

[222]Die Monde der drei äußerſten Planeten.

TafelIV.
Elemente der Jupiter-Satelliten.


Tropiſche Revolution.Mittlere Entfernung vom
Mittelpunkte Jupiters.
Neigung der
Bahnen geg.
die des Jupit
Länge des
aufſteigend.
Knotens in
der Ecliptik
Wahrer
Durchmeſſer
in Meilen
in Halbmeſſ.
der Erdbahn
in Halbmeſ-
ſern Jupiters
I1 T. 18 St. 27,55 M.0,002585,6983° 18′314° 40′560
II3 13 13,700,004109,0663° 46′313° 45′460
III7 3 42,550,0065414,4623° 26′314° 24′810
IV16 16 32,150011525,4362° 36′316° 39′566
Scheinbarer DurchmeſſerMaſſe, die
des Jupiter
= 1
Dichte, die
des Jupiter
= 1
Fall der Kör-
per auf der
Oberfläche in
1 Secunde.
In Par Fuß
Fall gegen
Jupiter in 1
Secunde.
In Par. Fuß
Bewegung
in 1 Stunde
in der Bahn.
In Meilen
Auf Jupiters
Mittelpunkt
Mittlerer
auf der Erde
I33′ 16″1″,40,000020,70,811,28800
II17′ 13″1″,10,000[0]21,71,64,47000
III19′ 0″2″,00,000091,22,01,75500
IV7′ 32″1″,40,000041,71,90,64200
[223]Die Monde der drei äußerſten Planeten.

TafelV.
Elemente der Saturn-Satelliten.


TafelVI.
Elemente der Uranus-Satelliten.


§. 154. (Graphiſche Darſtellung der vorzüglichſten Elemente
des Sonnenſyſtems.) Die Zahlen der vorhergehenden Tafeln reichen
[224]Die Monde der drei äußerſten Planeten.
mehr als hin, um uns von der Ausdehnung und den Verhältniſſen
der Planeten- und Satellitenbahnen eine vollſtändige Kenntniß zu
geben. Nach ihnen ſind, dieſe Gegenſtände noch anſchaulicher dar-
zuſtellen, die folgenden Zeichnungen entworfen worden, in welchen
man die Verhältniſſe gleichſam mit einem Blicke überſehen kann.


In Fig. 15 ſind die Bahnen der Planeten mit den fünf
merkwürdigſten Kometenbahnen in ihren gehörigen Verhältniſſen
zu einander dargeſtellt. Der äußere, das Ganze umfaſſende Kreis,
in deſſen Mittelpunkte die Sonne iſt, kann als die Ecliptik, die
hier mit der Ebene des Papiers zuſammenfällt, betrachtet werden.
Die Peripherie dieſes Kreiſes kann man ſich in 360 gleiche Theile
oder Grade getheilt vorſtellen, ſo daß bei ♉ die Zahl 0°, bei ♋
die Zahl 90, bei ♎ die Zahl 180° und endlich bei ♑ die Zahl
270° zu ſtehen kömmt, wo dann dieſe Grade die heliocentriſchen
oder von der Sonne geſehenen Längen andeuten. So erſcheint
hier z. B. Jupiter in ſeiner Bahn, in der heliocentriſchen Länge
von 134° und Saturn in der Länge von 223° verzeichnet. Die
aufſteigenden Knoten der Bahnen ſind durch ☊ und ihnen gegen-
über die niederſteigenden durch ☋ angezeigt. Derjenige Theil der
Bahn, der über der Ecliptik oder auf der Nordſeite derſelben
liegt, iſt ganz ausgezogen, die andere, unter der Ecliptik liegende
Hälfte der Bahn aber iſt durch eine punktirte Linie angezeigt wor-
den. Die Pfeile deuten die Richtung der Bewegung an, die bei
allen direct iſt, oder von Weſt nach Oſt geht, blos den Halley’ſchen
Kometen ausgenommen, der retrograd iſt, oder von Oſt gen Weſt
geht. Die beiden geraden, punktirten, auf die großen Axen der
Kometenbahnen von Olbers und Halley ſenkrechten Linien ſind die
kleinen Axen dieſer Bahnen. Die bloße Anſicht der Zeichnung
zeigt ſchon die Ergänzung dieſer Kometenbahnen über die Peripherie
des das Ganze umfaſſenden Kreiſes. Wenn man in dieſe Pla-
netenbahnen auch noch die Orte der Perihelien und Aphelien der-
ſelben eintragen will, ſo kann man dieß nach der Tafel I. S. 281.
So iſt z. B. für die Uranusbahn die Länge des Periheliums im
167ſten Grade mit P, und ihr gegenüber die Länge des Apheliums
im 347ſten Grade mit A bezeichnet worden. Zieht man dann
durch beide Punkte A und B eine gerade Linie, ſo drückt dieſe
[225]Die Monde der drei äußerſten Planeten.
durch die Sonne gehende Gerade die große Axe der Planetenbahn
aus. Halbirt man dieſelbe Gerade, ſo drückt die Diſtanz dieſes
Halbirungspunktes von der Sonne die Excentricität der Planeten-
bahn, in Halbmeſſern der Erdbahn gerechnet, aus. Uebrigens
ſind alle dieſe Planeten- und Kometenbahnen ſo vorgeſtellt, wie
ſie ſich einem Auge hoch über der Sonne darſtellen, welches dieſe
Bahnen auf die Ebene der Ecliptik projicirt ſieht.


Die Zeichnung Fig. 16 enthält die ſämmtlichen Planeten in
ihrer verhältnißmäßigen Größe und mit ihren Monden in der-
ſelben verhältnißmäßigen Entfernung dargeſtellt, die in der Natur
ſelbſt ſtatt hat, die zwei äußerſten Monde von Saturn und Uranus
ausgenommen, die eigentlich über die Ebene der Zeichnung
weiter hinausgerückt werden ſollten, daher allen dieſen Monden ihre
Diſtanzen von dem Mittelpunkt ihrer Hauptplaneten, in d. Meilen
ausgedrückt, beigefügt ſind. Die beiden punktirten Bogen an den
Polen von Jupiter, Saturn und Uranus zeigen die Größe der
Abplattung und die zwei größeren Bogen bei Saturn zeigen die
äußerſte oder am meiſten geöffnete Lage des Ringes, welche der-
ſelbe von der Erde geſehen, noch annehmen kann.


Die Zeichnung Fig. 17 giebt die ſcheinbaren Durchmeſſer der
Planeten o derdie Winkel, unter welchen uns die wahren Durch-
meſſer derſelben erſcheinen und zwar die größten, wenn ſie uns
am nächſten ſtehen und die kleinſten, wenn dieſe Planeten am
weiteſten von uns entfernt ſind. In beiden Zeichnungen ſtellt die
obere gerade Linie A B der Fig. 16 den wahren ſowohl, als auch
den ſcheinbaren. Nämlich wenn dieſe Linie A B für den wahren
Durchmeſſer der Sonne gilt, ſo werden die wahren Durchmeſſer der
Planeten, des Saturnringes und der Diſtanzen der Satelliten von
den Mittelpunkten ihrer Hauptplaneten in demſelben Verhältniſſe
durch die Zeichnungen der Fig. 16 dargeſtellt. Bezeichnet aber
dieſelbe gerade Linie A B den ſcheinbaren Durchmeſſer der Sonne
(der im Mittel 32 Minuten oder 1920 Secunden beträgt), ſo
geben die Durchmeſſer der in Fig. 17 verzeichneten Kreiſe in dem-
ſelben Verhältniſſe auch die ſcheinbaren größten und kleinſten
Durchmeſſer der Planeten, ſo wie ſie von der Erde geſehen werden,
alles nach der zweiten Tafel von I. S. 295.


Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 15
[226]Die Monde der drei äußerſten Planeten.

Die Zeichnung Fig. 18 endlich zeigt die relativen Geſchwin-
digkeiten oder die Winkelbewegungen der Planeten um die Sonne
während der Zeit von 88 Tagen, in welcher Merkur ſeine ganze
Bahn um die Sonne zurücklegt, übereinſtimmend mit der erſten
Columne der vorhergehenden Tafel II.


[[227]]

KapitelXI.
Kometen.


§. 155. (Anzahl der Kometen.) Nebſt den eilf Planeten und
ihren achtzehn Satelliten, die wir bisher betrachtet haben, gibt es
noch eine große Anzahl anderer Himmelskörper, die ebenfalls zu
unſerem Sonnenſyſteme gehören, da ſie ſich, wie die Planeten, um
die Sonne bewegen, die ſich aber von denſelben gleich auf den
erſten Blick durch ihre Geſtalt unterſcheiden. Die Kometen
waren lange Zeit der Gegenſtand der Beſorgniß der Menſchen,
die ſie für außerordentliche Vorzeichen von dem Zorne des Him-
mels hielten. Nachdem ſich endlich dieſe Vorurtheile verloren ha-
ben, berechnen wir jetzt ihren regelmäßigen Lauf, ohne ſie zu fürch-
ten, aber auch ohne dieſe Himmelskörper näher zu kennen, deren
Natur uns bisher eben ſo fremd geblieben iſt, als die Abſicht,
mit welcher ſie in den Weltraum geſetzt wurden.


Unſere Geſchichtbücher erwähnen nahe fünfhundert Kometen,
die ſich bisher der Erde gezeigt haben ſollen. Allein dieſe Zahl
iſt offenbar viel zu klein. In den früheren Zeiten, wo man noch
keine Fernröhre hatte, wurden nur diejenigen Kometen bemerkt,
die man mit freien Augen ſehen konnte und auch von dieſen nur
die größeren der Verzeichnung in den Chroniken würdig gehalten.
Allein es gibt ſehr viele, die ſo klein und lichtſchwach ſind, daß ſie
dem unbewaffneten Auge gänzlich entgehen. Seit den Jahren 1769
15 *
[228]Kometen.
bis 1807, alſo in 37 Jahren erſchien auch nicht ein einziger, dem
gemeinen Mann auffallender Komet und doch haben die Aſtro-
nomen in derſelben Zeit mit ihren Fernröhren nicht weniger als
36 nicht bloß geſehen, ſondern auch förmlich beobachtet. Seit ei-
nigen Decennien, beſonders ſeit ſich die berühmten Kometenjäger
Meſſier und Pons mit dieſem Gegenſtande ſo eifrig beſchäftig-
ten, hat ſich der Fleiß und das Glück, dieſe Himmelskörper
aufzuſpüren, ſo ſehr vermehrt, daß man jetzt beinahe in jedem
Jahre zwei bis drei neue Kometen findet. Wenn unſere Vorgän-
ger eben ſo begünſtigt worden wären, wie viele Kometen würden
wir jetzt ſchon kennen gelernt haben in den ſechstauſend Jahren,
ſeit welchen, wie die Juden zählen, unſere Erde entſtanden ſeyn
ſoll? Auf jedes Jahr zwei gerechnet, würden wir ſchon 12000 der-
ſelben in unſeren Verzeichniſſen haben, und dieſe würden noch kei-
neswegs alle ſeyn, welche in dieſer Zeit der Erde in der That
nahe kamen. Denn viele dieſer Körper haben, zu der Zeit,
wo ſie in die Nähe der Erde hinabſteigen, eine zu ſüdliche Lage
und halten ſich daher nur unter den Fixſternen des ſüdlichen
Himmels, in der Nähe des Südpols unſeres Aequators auf, wel-
che Gegend von den Bewohnern Europa’s nicht geſehen werden
kann, weil ſie ihnen von der Erde ſelbſt verdeckt wird. (I. S. 52.)
Die Leute im Staatenlande oder die Wilden in Neuholland haben
ſie vielleicht geſehen, aber von dieſen Erſcheinungen iſt keine Nach-
richt zu uns gekommen, da man in jenen Ländern weder Geſchichte
zu ſchreiben, noch Kometen zu beobachten pflegt. Wieder andere
hielten ſich, wenn ſie der Erde nahe kamen, nur unter denjenigen
Sternbildern auf, in deren Nähe ſich zugleich die Sonne bewegte:
ſie waren alſo nur bei Tage über dem Horizonte und konnten
aus dieſer Urſache nicht geſehen werden. Viele andere endlich
mochten nur zur Zeit einer trüben Witterung, bei bedecktem Him-
mel erſcheinen und mußten deßwegen ebenfalls unbemerkt bleiben.
Immerhin ſieht man ſchon aus dieſen allgemeinen Andeutungen,
daß die Zahl dieſer Himmelskörper die oben erwähnte gewiß weit
überſteigt.


Wir haben oben bemerkt, daß die Planeten, wenigſtens die
älteren durchaus nur eine ſehr kleine Neigung gegen die Ecliptik
[229]Kometen.
haben, und daß ſie ſich alle nur nach einer Richtung, von Weſt
gegen Oſt, bewegen. Beides iſt bei den Kometen nicht mehr der
Fall. Dieſe bewegen ſich in allen möglichen Richtungen um die
Sonne und die Neigungen ihrer Bahnen umfaſſen alle Winkel von
Null bis zu 180 Graden. Wenn alſo die Perihelien der Planeten, und
überhaupt ihre ganzen Bahnen, ſämmtlich ſehr nahe in einer ein-
zigen Ebene liegen, ſo ſind dafür die Perihelien der Kometenbah-
nen rings um die Sonne nach allen Richtungen, nicht mehr in
einer Ebene, ſondern gleichſam in einem kugelförmigen Raume
vertheilt. Da dieſe Himmelskörper, wie wir bald ſehen werden, ſehr
langgeſtreckte elliptiſche Bahnen beſchreiben, auf welchen ſie ſich, in
ihren Aphelien, ſehr weit von der Sonne entfernen, ſo kann man
ſie im Allgemeinen nur dann gut ſehen, wenn ſie in der Nähe
ihrer Perihelien ſind, wenn ſie nahe zur Sonne, alſo auch näher
zur Erde kommen, weil dieſe, in Beziehung auf jene großen Ko-
metenbahnen, ſelbſt nie weit von der Sonne entfernt iſt.


Nun findet man aber, daß von den bisher beobachteten Ko-
meten 20 ihre Perihelien innerhalb der Merkursbahn und ſchon
nahe 70 innerhalb der viel größeren Venusbahn liegen haben.
Dieſe beiden Zahlen verhalten ſich aber nahe wie die Quadrate
der Halbmeſſer dieſer beiden Planetenbahnen. Denn, wenn man,
nach Taf. II. des vorhergehenden Kapitels, den Halbmeſſer der
Merkursbahn für die Einheit annimmt, ſo iſt der Halbmeſſer der
Venusbahn gleich 1,87 und das Quadrat derſelben 3½ und eben
ſo iſt auch 70 durch 20 dividirt gleich 3½. Setzt man dieſes
Verhältniß der Quadrate der Halbmeſſer, für deſſen Wahrſchein-
lichkeit man auch noch andere gute, geometriſche Gründe hat, auf
die übrigen Planetenbahnen fort, ſo würde daraus folgen, daß die
Anzahl der Perihelien, die zwiſchen die Bahn der Venus und die
des Uranus fallen, ſich wie die Quadrate von 1 und 28, das heißt,
wie die Zahlen 1 und 784 verhalten. Da es nun, nach dem Vor-
hergehenden, 70 Kometenbahnen gibt, deren Perihelien innerhalb
der Venusbahn fallen, ſo ſoll es 70 mal 784 oder 51880 Kometen-
bahnen geben, deren Perihelien noch innerhalb der Uranusbahn
liegen. Dieſe Zahl aber, ſo groß ſie auch erſcheinen mag, iſt doch
gewiß immer noch zu klein, weil wir von den in die Venusbahn
[230]Kometen.
fallenden Kometen nur die bisher in der That geſehenen 70 un-
ſerer Rechnung zu Grunde gelegt haben, da es doch gewiß noch
viele geben wird, die wir aus den oben angeführten Gründen nicht
geſehen haben.


Welch’ ein Heer von neuen Himmelskörpern, gegen das jenes
kleine Häufchen von eilf Planeten und achtzehn Monden ganz ver-
ſchwindet. Wohl wird man alſo künftig ſagen können, daß nicht
dieſe Planeten es ſind, die man als die Bewohner des Haushalts
unſerer Sonne anſehen kann, ſondern daß die Kometen das ei-
gentliche Volk dieſes großen Staates bilden. Jene eilf ſind nur
wie beſonders Begünſtigte zu betrachten, die den Thron dieſes Rei-
ches zunächſt umgeben und ſich in ſeinen Strahlen ſonnen, während
dieſe, die ſelbſtſtändig und nicht von fremden Wohlthaten leben, die
weiten Provinzen der Monarchie bewohnen und nur zuweilen ſich
jenen engeren Kreiſen nähern dürfen, um ihren Tribut zu entrichten
oder um Nachrichten von den fernſten Gränzen des Reichs vor
den Thron zu bringen, und ſich dann wieder zurück begeben, um,
fern von dem ſtrahlenden Prunke des Hofes, in Dunkelheit und
unbekannt, aber vielleicht eben darum nur um ſo glücklicher, ihre
Tage zu verleben.


§. 156. (Geſtalt der Kometen) Es iſt bereits im Eingange
dieſes Kapitels geſagt worden, daß die äußere Form der Kometen
Jedermann bei dem erſten Blicke ſchon auffällt. Bei einer nähe-
ren Betrachtung derſelben bemerkt man an ihnen vorzüglich drei,
wie es ſcheint, weſentlich verſchiedene Theile: den Kern, die Ne-
belhülle und den ſogenannten Schweif.


Der Kern iſt meiſtens klein, rund und durch ein helleres
Licht ausgezeichnet, obſchon die Intenſität dieſes Lichtes jener der
Planeten meiſtens weit nachſteht. Viele Kometen haben übri-
gens keine Spur von einem ſolchen Kern und dieſe ſcheinen daher
bloße Anhäufungen von Dünſten zu ſeyn. Wie man ſie aber auch
findet, ſind ſie gewöhnlich ſchlecht beleuchtet und noch ſchlechter be-
gränzt, daher auch die Beobachter über die Größe derſelben ſo
verſchiedene Reſultate erhalten. Hier folgen einige ſolche Meſſun-
gen des Durchmeſſers dieſer Kerne in deutſchen Meilen, wie ſie
uns Herſchel und Schröter gegeben haben.


[231]Kometen.

Die Nebelhülle ſcheint der, den Kometen eigentlich charak-
teriſtiſche Theil zu ſeyn, da man wohl ſchon viele ohne Kern und
Schweif, aber noch keinen ohne dieſe Dunſthülle geſehen hat. Sie
umgibt den Kern meiſtens in einer kugelförmigen, auf einer Seite,
gewöhnlich auf der Seite des Schweifes, verlängerten oder geöff-
neten Geſtalt, ſo daß dann der Schweif als die Fortſetzung jener
Dunſthülle erſcheint. Sie iſt meiſtens ſo locker und fein, daß ſie
nur unſeren dünnen Nebeln zu vergleichen ſeyn mag, und daß man
die Sterne mit beinahe ungeſchwächtem Lichte durch ſie blinken ſieht.
Meiſtens umgibt ſie den Kern nicht zunächſt, ſondern erſt in ei-
niger Entfernung, und ſo, daß der Kern an ſeiner nächſten Gränze
von einer dunklern Einfaſſung und erſt in einer größern Entfer-
nung von jener lichtern Dunſthülle umſchloſſen erſcheint. Bei
mehreren Kometen hat man auch zwei und ſelbſt drei ſolcher hel-
leren Ringe geſehen, die durch dunklere von einander getrennt
waren. Das Ganze hat das Ausſehen, als wenn der eigentliche
Körper, der Kern des Kometen, von mehreren concentriſchen, von
einander getrennten, hellen Wolkenſchichten umgeben wäre. Nach
Herſchel ſind dieſe Ringe tranſparente Atmoſphären des Kometen,
gebildet aus der durch die Sonnenhitze in den Perihelien rareficir-
ten Maſſe des Kerns, welche Maſſe durch ihr leichteres ſpecifiſches
Gewicht über der Oberfläche des Kerns aufſteigt und ihn dann
als eine leuchtende Wolke ringsum einſchließt. Man hat öfter
ſchon große Aenderungen in dieſen Nebenhüllen bemerkt. So ſah
Schröter die Hülle des Kometen von 1799 und von 1807 in dem
Laufe eines Tages ſchon bis auf den vierten Theil ihres Durch-
meſſers ſich erweitern und wieder zuſammenziehen.


Der Schweif iſt, wie geſagt, als die Fortſetzung jener Dunſt-
hülle zu betrachten, welche letztere dort, wo ſie geöffnet erſcheint,
in den eigentlichen Schweif ausläuft. Schon Apian (Bienewitz)
ſtellte i. J. 1531 die Behauptung auf, daß dieſer Schweif des
[232]Kometen.
Kometen immer in der Verlängerung derjenigen geraden Linie
liege, die die Sonne mit dem Kometen verbindet. Aber davon iſt
eigentlich nur wahr, daß der Schweif, meiſtens auf der von der
Sonne abgewendeten Seite des Kometen ſteht. Denn oft iſt er
gegen jene Linie ſehr ſtark, bis zu einem rechten Winkel geneigt
und zwar dann immer nach derjenigen Gegend hin, welche der
Komet in ſeinem Laufe ſo eben verlaſſen hat. Da dieſe Neigung
des Schweifes gegen das Ende deſſelben zuzunehmen pflegt, ſo er-
ſcheint er uns meiſtens gekrümmt und zwar ſo, daß ſeine concave
Seite immer nach derjenigen Gegend hingerichtet iſt, nach welcher
der Komet ſelbſt geht, ſo wie auch dieſe concave oder innere Seite
des Schweifes immer heller und ſchärfer begränzt erſcheint, als
die äußere, convexe Seite deſſelben.


§. 157. (Schweife der Kometen.) Man hat bereits Kometen
beobachtet, die zwei, drei und ſelbſt mehrere Schweife hatten, die
meiſtens alle nach derſelben Gegend hin gerichtet ſind. Der ſon-
derbare Komet von dem Jahre 1823 hatte zwei Schweife, die
einander gegenüber ſtanden, ſo daß der eine derſelben der Sonne
zugekehrt und der andere von ihr abgewendet war; eine höchſt auf-
fallende Erſcheinung, welche die bisher mit viel ſogenannter Ge-
lehrſamkeit entwickelten Theorien über die Entſtehung dieſer Schweife
in nicht geringe Verlegenheit ſetzte. Der Komet vom Jahre 1744
hatte ſogar ſechs Schweife, oder ſein Schweif erſchien wenigſtens
in ſechs Theile geſpalten, deren jeder 4 Grade breit und 30 bis
40 Grade lang war. Wunderbarer noch ſind die äußerſt heftigen
Bewegungen, die man bei einigen von ihnen, z. B. Chladni bei
dem großen Kometen von 1811, bemerkt haben will, der ſehr
ſchnelle, gleichſam zuckende Verlängerungen und Verkürzungen die-
ſes Schweifes ſah, mit welchen die leuchtende Maſſe dieſer
Schweife in einer einzigen Secunde den Weg von einer Million
Meilen hin- und wieder zurückſchoß, eine Geſchwindigkeit, die ſelbſt
jene des Lichtes weit übertreffen würde.


Auf welche Weiſe und durch welche Mittel dieſe Schweife
auch entſtehen mögen, immer wird man die Urſache derſelben in
der Sonne ſuchen müſſen. Denn ſie fangen immer erſt dann an
ſich zu bilden, wenn der Komet der Sonne näher kömmt; ſie
[233]Kometen.
wachſen mit dieſer Annäherung und nehmen auch, mit der Ent-
fernung des Kometen von der Sonne, allmählig wieder ab. Es
iſt möglich und ſelbſt nicht unwahrſcheinlich, daß viele dieſer Him-
melskörper, die in der Nähe der Sonne durch die Hitze derſelben
in eine feine Dunſtmaſſe aufgelöst werden, in großen Entfernun-
gen von ihr, durch die dort herrſchende Kälte, wieder zu ſehr klei-
nen und feſten Körpern concentrirt werden.


Dieſe Schweife der Kometen ſind oft ſehr lang und verbreiten
ſich über einen großen Theil des Himmels. Der Komet von 1456
hatte einen Schweif, der ſich über 60 Grade erſtreckte, alſo den
dritten Theil des uns ſichtbaren Himmels einnahm. Zu Keplers
Zeiten, i. J. 1618, im erſten Jahre des dreißigjährigen Krieges,
erſchien ein Komet, deſſen Schweif eine Länge von mehr als 100
Graden hatte. Auch der vom Jahre 1769 hatte einen über 90 Grade
langen Schweif.


Die Größe und Geſtalt dieſer Schweife iſt übrigens, auch bei
demſelben Kometen und während derſelben Erſcheinung deſſelben,
öfters verſchieden. Der Halley’ſche Komet, von dem wir ſpäter
mehr ſprechen werden, erſchien i. J. 1456, wo er der Erde näher
vorbeiging, ſehr groß und hell erleuchtet, cometa horrendae
magnitudinis,
wie der Chroniſt jener Zeit ihn beſchrieb. Sein
Schweif hatte eine Länge von 60 Graden. In einer nicht viel
geringeren Pracht zeigte er ſich in ſeinen zwei nächſtfolgenden
Beſuchen, in den Jahren 1531 und 1607. Aber bei ſeiner dritten
Wiederkunft, i. J. 1682, erſchien er ſchon ſchwächer und kleiner,
und ſeine letzte Erſcheinung v. J. 1759 war noch weniger ausge-
zeichnet. — Ueberhaupt erſcheinen die Kometen und ihre Schweife
immer am größten, einige Zeit nach dem Durchgange durch ihr
Perihelium, zum Beweiſe, daß die große Hitze, welche ſie in dieſer
Nähe der Sonne erleiden, die eigentliche Urſache ihrer Entwick-
lung und Ausdehnung iſt. Vielleicht würde es unſerer Erde,
wenn ſie ſich der Sonne ſo ſehr nähern könnte, nicht beſſer gehen;
ſie würde wahrſcheinlich auch glähend werden und wie erhitztes
Metall in Fluß gerathen, das Waſſer der Flüſſe und Meere würde
zu kochen anfangen und ſich in Dunſtgeſtalt erheben, und unſere
Atmoſphäre würde ſich auf eine große Höhe über die Erde erſtrecken,
[234]Kometen.
und wenn ſie, dem Widerſtande des Aethers oder aus irgend einer
andern Urſache, dem Kern derſelben auf ſeinem ſchnellen Laufe um
die Sonne nicht ſo geſchwind folgen könnte, ebenfalls die Geſtalt
eines Schweifes annehmen.


Die meiſten größeren Kometſchweife erſcheinen in ihrer Mitte,
der Länge nach, durch einen dunklern, breiten Streifen getheilt,
wodurch ſie das Anſehen erhalten, als ob ſie doppelt wären. Die
älteren Aſtronomen hielten dieſen dunklen Streifen für den Schat-
ten, welchen der auf ſeiner vordern Seite von der Sonne beſchie-
nene Kern hinter ſich wirft. Allein dieſe Meinung iſt unrichtig,
da man dieſe Streifen auch bei jenen Kometen bemerkt, deren
Schweife ſehr große Winkel mit derjenigen Linie bilden, die den
Kometen mit der Sonne verbindet, auf welcher letzten Linie doch
jener Schatten immer liegen müßte. Viel angemeſſener ſcheint
die Vorſtellung zu ſeyn, daß der Schweif des Kometen nicht, wie
man gewöhnlich glaubt, eine ruthenartige Fortſetzung ſeines Haupt-
körpers, ſondern daß er ein hohler, mit einem eigenen ſchwachen
Lichte verſehener, durchſichtiger Dunſtkegel iſt, der uns dann na-
türlich an ſeinen beiden Rändern viel heller, als in ſeiner Mitte,
erſcheinen muß. So ſah man den ſchönen Kometen von 1811 durch
gute Fernröhre mit ſeinem hellen Kopfe ganz auf die Art, wie
man etwa ein kugelförmiges Licht in dem Brennpunkte einer durch-
ſichtigen, paraboliſchen Glasglocke ſehen würde. Der eigentliche
Kopf deſſelben hatte eine ſchwache, grünblaue Farbe, die in ihrer
Mitte ins Röthliche überging. Der Halbmeſſer dieſes kugelför-
migen Kopfes, in deſſen Mitte ein auffallend heller Punkt, der
eigentliche Kern, ſich befand, hatte, nach Herſchels Meſſungen,
14000 d. Meilen. Dieſen Kopf umgab ein Ring von dunkelgrauer
Farbe, deſſen äußerer Kreis einen Halbmeſſer von 55000 Meilen
hatte und deſſen Breite daher 41000 M. betrug. Durch dieſen
dunklen Ring ſah man die kleinſten Sterne mit ganz ungeſchwäch-
tem Lichte durchſchimmern. Dieſe dunkle Kugelſchichte war wieder
von einer helleren umgeben, deren Breite 15000 M. betrug, und
die ſich daher bis 70000 M. von dem Mittelpunkte des Kopfes
erſtreckte. Dieſe letzte Kugelſchichte war aber, auf der von der
Sonne abgewendeten Seite offen und lief hier, an den beiden
[235]Kometen.
Enden der Oeffnung, in zwei Lichtſtröme aus, die ſich auf viele
Millionen Meilen erſtreckten und dem Ganzen das Anſehen eines
ungeheuern, paraboliſchen Trichters gaben, deſſen gelblichtes Licht
einen auffallenden Contraſt mit der grünblauen Farbe des Kopfes
bildete. Am Schluſſe dieſes Bandes iſt der Komet des Jahres 1819
abgebildet, keiner von den größten, aber doch einer der letzten von
den bisher erſchienenen, der mit freien Augen geſehen werden konnte.


§. 158. (Entſtehung und Ausbildung der Kometen.) Es iſt
möglich, daß der dunklere Ring, den man ſo oft zwiſchen dem
Kern und der eigentlichen lichten Dunſthülle bemerkt, eine eigene,
durchſichtige, elaſtiſche Materie iſt, welche dieſe beiden Gegenſtände
trennt. Auch kann die ſehr geringe Schwere der Kometenmaterie
die Urſache ſeyn, warum ſich die elaſtiſche, gasartige Maſſe dieſer
Himmelskörper durch die Hitze ſo gewaltig ausdehnt. Wenn un-
ſere Erde in ihrem Innern ausgehöhlt und die Maſſe derſelben
z. B. auf ihren tauſendſten Theil reduzirt wäre, ſo würde ſich
wahrſcheinlich unſere Atmoſphäre eben ſo ausdehnen, weit über
die Oberfläche der Erde erheben und endlich, wegen dem ſchnellen
Laufe der Erde, die Geſtalt eines Kometenſchweifes annehmen.
Da man übrigens nicht nur durch den Schweif, ſondern auch
durch die Dunſthülle dieſer Kometen die feinſten Fixſterne mit
faſt ganz ungeſchwächtem Lichte ſieht, ſo ſcheint die Maſſe dieſer
Körper ganz ungemein fein und locker zu ſeyn und vielleicht würden
einige Kubikfuß unſeres Waſſers, einer ſo hohen Temperatur aus-
geſetzt, ſchon hinreichend ſeyn, ähnliche Erſcheinungen zu erzeugen.
Mehrere dieſer Himmelskörper ſind auch wohl bloße Dünſte ohne
alle feſte, kernartige Maſſe, die ſich, wenn ſie eine Weile gedauert
haben, oder wenn ſie einem andern, größern und ſolidern Körper,
nahe vorbeigehen, auflöſen und völlig verſchwinden, indem ſie,
wie ein Thau, auf die Planeten fallen oder in die Sonne herab-
regnen. Daß einige derſelben ſchon öfter erſchienen ſind und ihre
elliptiſche Bahn um die Sonne nach beſtimmten Geſetzen beſchrei-
ben, kann dieſe Meinung nicht umſtoßen, da die Kometen in der
Dichte ihrer Maſſen wahrſcheinlich ſehr verſchieden ſeyn mögen,
und da jede unſerer Wolken, wenn ſie in jene Gegenden des
Weltraumes gebracht werden könnte, dieſelben Erſcheinungen her-
[236]Kometen.
vorbringen würde. Wir werden bald noch andere Himmelskörper
kennen lernen, die uns ebenfalls nur als ungemein ausgebreitete
Nebelgebilde erſcheinen, und die ſich in noch viel entfernteren
Räumen, als die Kometen, bewegen und die vielleicht nur Con-
glomerationen von einer das Weltall erfüllenden, äußerſt feinen,
durchſichtigen und elaſtiſchen Maſſe, des Aethers, ſind. Die
Kometen mögen dieſen Aether, wo ſie dichteren Schichten deſſelben
begegnen, an ſich ziehen, und wenn ſie ſich ſpäter der Sonne wie-
der nähern, entfernt ſich vielleicht dieſe fremde Maſſe, welche
die ſtarke Annäherung zur Sonne nicht ertragen kann, wieder von
dem Kometen und hängt anfangs nur mehr in der Geſtalt eines
Schweifes mit ihm zuſammen, bis ſie ſich endlich ganz von ihm
trennt. Bei dieſer Hypotheſe könnten die Kometen im Allgemei-
nen gar wohl beſtändige Körper ſeyn, deren eigentlicher Körper
unzerſtört bleibt, während bloß die mit ihnen zufällig vereinigten
fremdartigen Stoffe von jenen Veränderungen getroffen würden
und vielleicht ließe ſich daraus zugleich erklären, warum die Ge-
ſtalten dieſer Körper, bei ihren verſchiedenen Erſcheinungen, ſo ſel-
ten dieſelben ſind.


Nach unſeren bisherigen Erfahrungen ſind zwar alle Körper
des Himmels und der Erde gegen einander ſchwer, d. h. ſie zie-
hen ſich gegenſeitig an. Aber es wäre doch auch möglich, daß
einige, daß ſelbſt viele dieſer Körper, die wir bisher noch nicht
unterſucht haben, davon eine Ausnahme machen. Wiſſen wir doch
noch immer nicht, ob der Licht- oder Wärme-Stoff eine Schwere
habe oder nicht. Wenn dieß bei dem Lichtſtoffe der Fall wäre,
ſo müßte er ſich, ſeit ſo vielen Jahrtauſenden, ſchon längſt um
die Planeten angehäuft haben, wovon wir aber auch nicht die ge-
ringſte Spur entdecken können. Und wenn es ſonach in der That
Körper ohne Schwere geben könnte, was hindert uns, noch einen
Schritt weiter zu gehen und ſelbſt Körper mit negativer Schwere,
d. h. ſolche anzunehmen, welche die andern Körper nicht nur nicht
anziehen, ſondern ſie von ſich abſtoßen. Die Chemie hat uns bereits
ſolche Eigenſchaften der einzelnen Theile der Körper in Menge kennen
gelehrt. Wenn alſo die Sonne gegen den Kern des Kometen eine
poſitive Schwere hat, ſo wird daraus die elliptiſche Bewegung der
[237]Kometen.
Kometen um die Sonne ganz ſo wie bei den Planeten, erklärt.
Wenn eben ſo der Kern des Kometen gegen ſeine Dunſthülle auch
eine poſitive Schwere hat, ſo wird man daraus die kugelförmige
Geſtalt dieſer Hülle nach denſelben Geſetzen ableiten, nach welchen
man die ſphäriſche Geſtalt der Planeten und ihre Abplattung an
den Polen beſtimmt. Hat aber auch endlich die Sonne gegen die
Dunſthülle des Kometen eine negative Schwere, ſo wird die Maſſe
der Hülle von der Sonne nicht mehr angezogen, ſondern abgeſto-
ßen werden, woraus man dann auch leicht die Lage und Geſtalt
der Kometenſchweife wird ableiten können.


Der berühmte L. Euler ſuchte im Gegentheile die ſonderbare
Geſtalt der Kometen dadurch zu erklären, daß die Maſſe derſelben
von der Sonne ſo ausgedehnt und ſo weit von dem Kometenkern
entfernt wird, daß ſie endlich von dieſem Kern gar nicht weiter
angezogen, ſondern ganz ſich ſelbſt und der eigenen Anziehung der
Sonne überlaſſen bleibt. Valz in Nimes meint dagegen, daß
der Weltäther um den Kometen eine Art von Atmoſphäre bilde,
wodurch die unteren Schichten des Kometen deſto mehr zuſammen
gedrückt werden, je näher ſie bei dem Mittelpunkte des Kometen
liegen, etwa ſo, wie unſere Atmoſphäre in ihrem untern Theile
von den über ihr liegenden Schichten zuſammengedrückt und ver-
dunſtet werde. Allein dieſe Erklärung könnte nur dann ange-
nommen werden, wenn man zugleich zeigen kann, daß jener Aether
die Nebelmaterie des Kometen nicht durchdringen kann. Auf eine
mit Luft gefüllte Blaſe würde jene Erklärung wohl paſſen, aber
wo iſt hier die Blaſe, welche die Nebelhülle des Kometen ein-
ſchließt?


Wie dieſe Sache auch ſtehen mag, ſo wird es jetzt noch beſſer
ſeyn, Beobachtungen zu ſammeln, als Hypotheſen zu ſchmieden, des
hypothèses gratuites,
wie Arago ſagt, des opinions sans bases,
des véritables romans.
Demnach wollen wir dieſe theoretiſchen
Unterſuchungen unſeren Nachfolgern überlaſſen und wieder zu dem-
jenigen übergehen, was uns unſere eigenen Erfahrungen an dieſen
Himmelskörpern gelehrt haben.


§. 159. (Sehr große Kometen.) Die meiſten derjenigen Ko-
meten, die wir in den letzten Decennien geſehen haben, waren nur
[238]Kometen.
ſogenannte teleſcopiſche Kometen, ſo klein und ſchwach beleuchtet,
daß man ſie nur durch Fernröhre und auch da oft ſchlecht genug
erkennen konnte. Die beiden größten, die uns ſeit lange beſucht
haben, waren die von den Jahren 1807 und 1811, beſonders der
letzte, der aber auch nicht zu den größten gezählt werden kann,
die man in früheren Zeiten geſehen hat. Wir wollen nur einige
derſelben näher anführen.


Die chineſiſchen Annalen erzählen, wie uns Thevenot in
ſ. Hist. sinica berichtet, von einem Kometen, der bei Nacht alle
Sterne durch ſeinen ſtarken Glanz unſichtbar gemacht und die
Nacht ſelbſt in einen hellen Tag verwandelt haben ſoll. Nach
dem Tode des Demetrius, ſagt Seneca (nat. quaest. L. VII.),
erſchien ein Komet ſo groß als der Mond, der ganz roth und
von ſehr hellem Lichte war. Ariſtoteles ſchreibt von dem Kometen,
der i. J. 371 vor Chr. G. erſchien, daß ſein heller und breiter
Schweif den dritten Theil des ſichtbaren Himmels eingenommen
habe. Im Jahre 43 vor Chr. G., bald nach Cäſars Tod, erſchien
ein Komet, der ſo hell war, daß man ihn ſelbſt am Mittag noch
gut ſehen konnte. Die Römer glaubten, daß er gekommen ſey,
den Geiſt des großen Dictators zu empfangen, um ihn dem Sitz
der Götter zuzuführen. Selbſt die Sonne, in blaſſen Schleier
gehüllt, ſoll den Tod des außerordentlichen Mannes betrauert ha-
ben und der Komet wurde deßhalb Julium Sidus genannt.


Zur Zeit Neros, ſechszig Jahre nach Chr. G., erſchien ein Ko-
met, der, nach Seneca’s Berichte, die Strahlen der aufgehenden
Sonne verdunkelte. Im Jahre 1402 erſchienen zwei ſehr große
und helle Kometen. Der von 1532 konnte den ganzen Tag durch
am Himmel geſehen werden. Der von 1456 hatte einen Schweif
von 60 Graden Länge und der von 1618 einen von 100 Graden,
ſo daß das Ende dieſes Schweifes an dem Horizonte noch nicht
aufgegangen war, obſchon ſein Kopf bereits die Mitte des Him-
mels einnahm und dieſer Schweif erſchien um ſo furchtbarer, da
er nicht in eine Spitze auslief, ſondern vielmehr fächerartig ſich
immer mehr ausbreitete. Der Komet von 1680 war ſo groß,
daß er, obſchon ſein Kopf bald nach der Sonne unterging, doch
die ganze Nacht hindurch einen Theil ſeines über 70 Grade langen
[239]Kometen.
und ſehr breiten Schweifes über dem Horizonte zeigte. Der vor-
letzte der bisher geſehenen großen Kometen war der von 1744,
deſſen Licht, nach dem Berichte der Aſtronomen jener Zeit, am
1. Februar d. J. ſchon heller, als das des Sirius war, der am
8. Februar an Helligkeit den Jupiter und im Anfange des März
ſelbſt Venus in ihrem größten Glanze übertraf, ſo daß man ihn,
an beſchatteten Stellen, um 1 Uhr nach dem Mittage mit freien
Augen ſehr gut ſehen konnte. Der letzte große Komet endlich war
der vom Jahre 1769, deſſen Schweif über 90 Grade lang war
und deſſen ſich wohl die älteren meiner Leſer noch erinnern werden.


Wir haben hier, nach dem Gebrauche der Aſtronomen, die
Länge der Kometenſchweife in Graden, alſo nur die Winkel an-
gegeben, unter welchen ſie, von der Erde geſehen, erſchienen ſind.
Einen deutlicheren Begriff von ihrer Ausdehnung würden wir er-
halten, wenn wir dieſelben in Meilen angeben könnten. Allein
das iſt oft ſchwer, weil man, wenn auch die Entfernung der Ko-
meten von der Erde, ſo doch nicht die Lage ihres Schweifes gegen
unſere Geſichtslinie genau angeben kann. Wegen dieſer Lage er-
ſcheinen ſie uns oft ſehr verkürzt, wozu noch die meiſtens ſehr
ſchwache und unbeſtimmte Begränzung derſelben an ihren von dem
Kern entfernteren Enden kömmt. Schröter und Herſchel haben
es indeß verſucht, die Größe dieſer Schweife auf ſolche Art zu
beſtimmen. Sie fanden die Länge des Schweifes des Kometen
von 1744 gleich ſieben Millionen Meilen, und die von 1769 über
zehn, die von 1680 gegen zwanzig und endlich die von 1811 über
zwei und zwanzig Millionen Meilen.


Man muß demnach die Kometen nicht nur als die bei
weitem zahlreichſten, ſondern auch als die größten Körper
unſeres Sonnenſyſtems anſehen. Dieſe Schweife erſtrecken ſich,
wie wir geſehen haben, oft über einen Raum, der größer iſt,
als die Entfernung der Erde von der Sonne, und auch der auf
ihre Axe ſenkrechte Durchmeſſer, oder die Dicke derſelben mag
oft mehrere Millionen Meilen betragen. Der Kopf des Ko-
meten von 1811 hatte, nach dem oben Geſagten, einen Durch-
meſſer von wenigſtens 140000 Meilen, war alſo über achtzigmal
größer als der Durchmeſſer der Erde und ſelbſt noch ſiebenmal
[240]Kometen.
größer als der Durchmeſſer Jupiters, des größten unſerer Plane-
ten, ſo daß der Kopf dieſes Kometen, an körperlichem Inhalte
oder an Volum den Jupiter über 340mal und die Erde gegen
510000 mal übertraf, wobei ſein ungeheurer Schweif nicht mitge-
rechnet iſt, obſchon er in ſeiner Länge die Diſtanz der Sonne von
der Erde weit hinter ſich zurückließ. Man kann ſich kaum vor-
ſtellen, wie eine Maſſe, die einmal ſo viele Millionen Meilen von
dem Kopfe des Kometen weggeſchleudert worden iſt, von der ſo
ſchwachen Materie dieſes ebenfalls nur dunſtförmigen Kopfes wie-
der zurückgezogen werden ſoll und vielleicht erklärt ſich daraus die
Abnahme der Größe, die man bei mehreren ſchon mehr als ein-
mal wiedergekehrten Kometen bemerkt haben will.


§. 160. (Phaſen der Kometen.) Man hat ſo oft gefragt, ob die
Kometen, ſo wie die Planeten, an ſich dunkle Körper ſind und
ihr Licht nur von der Sonne erhalten, oder ob ſie, ſo wie die
letzte, mit einem eigenen, wenn gleich viel ſchwächeren Lichte
leuchten. — Dieſe Frage wäre beantwortet, wenn man mit Ge-
wißheit ſagen könnte, ob die Kometen ſolche Lichtphaſen zeigen,
wie ſie unſer Mond und ſelbſt Venus und Merkur haben. Denn
dann ließe ſich nicht weiter zweifeln, daß ſie an ſich dunkle Kör-
per ſeyen.


Aber leider iſt dieß letzte noch immer nicht ausgemacht. Man
hat ſo oft behauptet, daß D. Caſſini an dem Kometen von 1744
ſolche Phaſen beobachtet habe. Aber wenn man die Stelle in den
Par. Memoiren, wo er dieſe Erſcheinung mittheilt, genauer
betrachtet, ſo ſieht man, daß er nur von der Unregelmäßigkeit in
der Geſtalt des Kerns dieſes Kometen, nicht aber von eigentlichen
Phaſen deſſelben ſpricht. Ueberdieß ſagen auch Heinſius und
Chezeaux, die beide denſelben Kometen ebenfalls beobachtet haben,
ausdrücklich, daß ſie an demſelben nichts einer Phaſe Aehnliches
geſehen hätten. An dem Kometen von 1769 will zwar der Eng-
länder Dunn etwas dergleichen bemerkt haben, aber Meſſier’s
Beobachtungen deſſelben Kometen widerſprechen einer ſolchen Wahr-
nehmung gänzlich. Den Kometen des Jahrs 1819 ſah Cacciatore
in Palermo am 5. Junius d. J. unter der Geſtalt des Mondes
in ſeinen Vierteln. Dieſe Beobachtung könnte für entſcheidend
[241]Kometen.
gelten, wenn derſelbe Aſtronom nicht hinzugeſetzt hätte, daß die
Diſtanz der beiden Spitzen des Halbmonds in derjenigen geraden
Linie gelegen wäre, welche die Sonne mit dem Kometen ver-
band, da doch jene Diſtanz auf dieſer Linie ſenkrecht ſtehen müßte,
wenn das, was er ſah, eine wahre Phaſe geweſen wäre.


Uebrigens mag es ſchwer ſeyn, bei einem mit ſo vielen Dünſten
umhüllten Körper deutliche Lichtphaſen zu bemerken, beſonders
wenn, wie es nicht unwahrſcheinlich iſt, dieſe Dünſte ſelbſt ein
eigenes, phosphoreſcirendes Licht haben ſollten. Die neuere Phyſik
hat ein anderes Mittel gefunden, wodurch dieſe Frage vielleicht
beantwortet werden kann. Man weiß, daß das Licht, wenn es
von andern Körpern unter gewiſſen Winkeln zurückgeworfen wird,
mehrere Eigenſchaften äußert, die es erkennen laſſen, ob dieſes
Licht ein direktes oder ſelbſt nur ein reflektirtes Licht iſt. Allein
die Verſuche, die Arago in dieſer Beziehung an demſelben Kome-
ten von 1819 auf der Sternwarte in Paris gemacht hat, haben
den Gegenſtand noch nicht zur Entſcheidung bringen können.


§. 161. (Maſſe der Kometen.) Es iſt bereits oben geſagt
worden, daß die Materie, der Stoff, aus welchen die Kometen
gewebt ſind, äußerſt fein und ſo wenig dicht iſt, daß er nicht
mehr mit unſern Wolken, und kaum mit unſeren Nebeln vergli-
chen werden kann. Es iſt möglich, daß dieſe ganzen Maſſen, ſo
groß auch ihr Volum ſeyn mag, von den Sonnenſtrahlen völlig
durchdrungen werden, und daß daher nicht bloß die Oberfläche,
ſondern auch die inneren Theile derſelben noch das Licht der Sonne
reflektiren, ſo daß es nicht nothwendig iſt, ein eigenes ſchwaches
Licht dieſer Maſſen anzunehmen. Vielleicht iſt ſelbſt ihr Kern
nichts anderes, als ein etwas mehr verdichteter Dunſt und ein
ganzer großer Komet enthält nicht mehr eigentliche Maſſe, als
einer der größeren Meteorſteine, die ſo oft aus den oberen Räu-
men der Atmoſphäre auf unſere Erde fallen und die wohl eben
ſolche, nur viel kleinere kosmiſche Körper ſind, als die Planeten
ſelbſt. Der bloße Anblick dieſer Himmelskörper zeigt ſchon, daß
ſie mit den uns bekannten feſten Körpern durchaus keine Aehn-
lichkeit haben. Sie erſcheinen ſelbſt in den beſten Fernröhren
immer nur als leichte Wolken oder vielmehr als ſchwache, matt
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 16
[242]Kometen.
beleuchtete Dünſte. Während man durch unſere Nebel ſelbſt die
größeren Gegenſtände, wie unſere Häuſer und Bäume, oft ſchon
auf hundert Schritte nicht mehr zu erkennen vermag, ſieht man
durch die Nebelhüllen der Kometen, die oft viel tauſend Meilen
im Durchmeſſer betragen, auch die kleinſten Fixſterne noch mit
ungeſchwächtem Lichte. In einem viel höheren Grade gilt daſ-
ſelbe von den noch viel feineren Dünſten ihrer Schweife. Das
Gewebe, aus welchen dieſe Körper beſtehen, iſt daher wahrſchein-
lich ſo ungemein zart und locker, daß es nur mehr mit unſeren
verſchiedenen Luftarten zu vergleichen ſeyn mag. Es iſt daher
wohl möglich, daß wir einen Kometen nicht einmal ſehen würden,
wenn wir uns mitten in ihm befänden. Und ſo kann auch die
Erde ſchon öfter durch eine ſolche Nebelmaſſe gegangen ſeyn, ohne
daß wir es gewahr worden ſind.


§. 162. (Maſſe des Kerns der Kometen.) Etwas dichter ſcheint
der eigentliche Kern der Kometen zu ſeyn, wie man aus dem
helleren Lichte ſchließen kann, durch welches er ſich gewöhnlich von
dem übrigen Körper des Kometen unterſcheidet. Zwar will man
ſchon öfter ſelbſt kleinere Fixſterne durch dieſen Kern durchſchim-
mern geſehen haben, woraus man mit Recht auf eine ſehr geringe
Dichtigkeit der Maſſe dieſes Kerns geſchloſſen haben würde. Allein
jene Beobachtungen ſelbſt ſind zweifelhaft. Die Beobachtung von
Olbers an dem Kometen von 1796 hat er ſelbſt dahin berichtiget,
daß der Stern wahrſcheinlich nur ſehr nahe an dem Kern, aber
nicht hinter ihm vorüber gegangen iſt. Andere Beobachtungen
dieſer Art von Bryant i. J. 1744 und von Herſchel i. J. 1795
ſind nicht genau und entſcheidend genug angeführt worden. Daſ-
ſelbe gilt von dem Vorübergange eines Kometenkerns vor einem
kleinen Stern, den Montaigne i. J. 1774 geſehen haben ſoll, ſo
wie von der ähnlichen Erſcheinung, die Meſſier an demſelben Ko-
meten i. J. 1774 an einem andern Tage beobachtet hat. Die
Bedeckung eines Sterns der ſiebenten Größe, die Valz zu Nimes
i. J. 1825 ſah, ſcheint auch nur ein naher Vorübergang des
Kerns bei dem Kometen geweſen zu ſeyn. Entſcheidender würde
Wartmanns Beobachtung vom 28. November 1828 ſeyn, der ſagt,
daß er den Stern von dem Kern des Kometen vollkommen bedeckt
[243]Kometen.
(complètement éclipsée) geſehen habe, aber ſein Fernrohr war
offenbar zu ſchwach, um dieſen Gegenſtand durch eine einzige
Beobachtung zur Entſcheidung zu bringen. — Noch kann man
der berüchtigten Bedeckung des Mondes von einem Kometen er-
wähnen, die Georg Phranza in ſeiner griechiſchen Chronik für das
Jahr 1454 aufgeſtellt hat. Allein man weiß jetzt, daß dieſe Mei-
nung bloß durch eine unrichtige Ueberſetzung des griechiſchen Textes
durch den Jeſuiten Pontanus entſtanden iſt. Beſonders wichtig
wäre uns in dieſer Beziehung der Komet von dem Jahre 1819
geweſen, der am 26. Junius d. J. in einer Entfernung von
14 Millionen Meilen zwiſchen der Sonne und der Erde vorüber-
ging, und den wir daher auf dem lichten Hintergrunde der Sonne
hätten ſehen können. Allein unglücklicher Weiſe wurde dieſe Er-
ſcheinung, ein bloßes Reſultat der Vorherberechnung, zu ſpät be-
kannt gemacht, um die Beobachter auf dieſelbe aufmerkſam zu
machen. Jedoch will Paſtorf an dieſem Tage einen Sonnenflecken
beobachtet haben (Bode’s Jahrb. 1823), den er für dieſen Kome-
ten hielt. — Wie es ſich daher auch mit dieſen Kometenkernen
verhalten mag, wir müſſen darüber die Beobachtungen unſerer
Nachfolger abwarten, die dieſen Gegenſtand vielleicht bald ent-
ſcheiden werden.


§. 163. (Komet von dem Jahre 1770.) Einen andern Be-
weis für die ungemein geringe Dichtigkeit der Kometenmaſſe über-
haupt liefert uns der ſonderbare Komet von dem Jahre 1770. Die
erſten Beobachtungen deſſelben gaben uns eine nicht ſehr excentri-
ſche, elliptiſche Bahn mit einer Umlaufszeit von 5½ Jahren. Bei
dieſem Reſultate der Berechnung war es aber ſehr auffallend, daß
der Komet, ſeiner kurzen Umlaufszeit ungeachtet, weder vor, noch
auch nach dem Jahre 1770 wieder geſehen wurde. Endlich fand
man nach vielen umſtändlichen Rechnungen, daß er im Jahre
1767 dem Planeten Jupiter nahe vorbei ging, und daß dieſer
größte aller Planeten ſeine urſprüngliche, wahrſcheinlich ſehr excen-
triſche Bahn in dieſe viel kleinere von 5½ Jahren verändert
habe. In dieſer ſeiner neuen Bahn würden wir ihn auch wahrſchein-
lich im März d. J. 1776 wieder geſehen haben, wenn er nicht mit
der Sonne zugleich über unſerem Horizonte geſtanden, alſo uns
16 *
[244]Kometen.
unſichtbar geweſen wäre. Als er ſich aber ſpäter wieder von der
Sonne entfernte, begegnete er auf ſeinem Wege im Jahr 1779
dem Jupiter zum zweitenmale und erlitt dadurch neuerdings eine
gewaltſame Veränderung ſeiner Bahn, die jetzt wieder ſehr excen-
triſch iſt, wie ſie vor dem Jahre 1770 war, und in welcher er der
Erde nicht mehr ſo nahe kommen kann, um von ihr geſehen zu
werden. Auf dieſem zweimal ſo ſtark geſtörten Wege ging der
Komet ebenfalls zweimal mitten durch das Syſtem der vier Sa-
telliten jenes Planeten, und er würde unter dieſen kleinen Körpern
gewiß ſehr beträchtliche Störungen verurſacht haben, wenn ſeine
Maſſe nicht ungemein gering geweſen wäre. Selbſt unſerer Erde
ging dieſer Komet in demſelben Jahre 1770 näher, als bisher ir-
gend ein anderer, vorbei, indem ſeine kleinſte Entfernung von der
Erde nur 368 Erdhalbmeſſer oder nahe ſechsmal die Diſtanz des
Mondes von der Erde betrug. Hätte er eine der Erde gleiche
Maſſe gehabt, ſo würde er, wie die aſtronomiſchen Berechnungen
zeigen, die Länge unſeres Jahres um volle 2 St. 53 Min. geän-
dert haben. Allein alle unſere Beobachtungen zeigen, daß ſich
das Jahr der Erde, ſeit jener Epoche, gewiß nicht um zwei Se-
cunden, d. h. nicht um den 5000ſten Theil jener Zeit geändert
hat, woraus daher folgt, daß auch die Maſſe jenes Kometen noch
nicht den 5000ſten Theil der Erdmaſſe betragen könne.


Allerdings könnte man einwenden, daß das, was von die-
ſem und vielleicht noch von einigen andern Kometen gilt, darum
nicht von allen anderen gelten müſſe. Nun iſt es wohl unmög-
lich, alle dieſe Himmelskörper nach einander auf die Kapelle zu
bringen, um ſie in dieſer Beziehung auf das genaueſte zu unter-
ſuchen. Allein es gibt doch noch einen andern, bisher, ſo viel mir
bekannt, ganz überſehenen Beweis für die Geringfügigkeit der
Kometenmaſſen, der vor allen übrigen den großen Vorzug hat,
daß er in der That ſämmtliche Kometen, ſo viele deren ſeit vielen
Jahrhunderten uns nahe gekommen ſind, umfaßt, und daß er da-
her als ein allgemeiner Beweis anzuſehen iſt.


Bei den aſtronomiſchen Berechnungen der Störungen, welche
jeder Planet, der der Sonne nächſte, wie der entfernteſte von allen
übrigen Planeten erleidet, wird auf diejenigen Störungen, welche
[245]Kometen.
etwa von den Kometen oder auch von den Fixſternen kommen
könnten, durchaus keine Rückſicht genommen, weil man voraus-
ſetzt, daß die Maſſen von jenen zu klein und daß die Entfernun-
gen von dieſen viel zu groß ſind, als daß ſie noch auf die Bewe-
gung dieſer Planeten irgend einen Einfluß haben könnten. Ehe
man dieſe gegenſeitigen Störungen der Planeten berechnen konnte,
war die Theorie der planetariſchen Bewegungen noch ſo unvoll-
kommen, daß Abweichungen zwiſchen den Berechnungen und den
wirklichen Beobachtungen oft auf mehrere Minuten gingen, wo-
mit man ſich, da man nichts beſſeres hatte, zufrieden ſtellen
mußte. Allein ſeit man, durch die jetzt ſo vervollkommnete ma-
thematiſche Analyſe, dieſe Störungen mit allem Fleiße berech-
net hat, ſtimmen die voraus berechneten mit den in der That
beobachteten Orten der Planeten bis auf einige wenige Secunden
überein, ſo daß wir uns jetzt einer viel größeren Harmonie zwi-
ſchen der Theorie und der Anwendung zu erfreuen haben, als es
unſeren Vorgängern gegönnt war, und daß die kleinen Abweichun-
gen, die wir noch zuweilen finden, meiſtens der Art ſind, daß wir
ſie mehr den immer noch nicht ganz vermeidlichen Beobachtungs-
fehlern, als einer unrichtigen Theorie zuſchreiben müſſen. Dieſe
Harmonie würde aber nicht beſtehen können, wenn jene Voraus-
ſetzung, auf welche unſere ganze Theorie gebaut iſt, der Wahrheit
nicht gemäß wäre, d. h. wenn die Kometen, oder wenn auch nur
ein einziger von jenen, die ſeit langer Zeit unſeren Planeten nahe
gekommen ſind, eine Maſſe hätte, die hinlänglich wäre, den Ort
dieſer Planeten auf eine uns merkbare Weiſe zu verändern.


§. 164. (Berechnung der Kometenbahnen.) Es iſt bereits
oben geſagt worden, daß dieſe Himmelskörper, wenn ſie zum zwei-
tenmale zur Erde herabſteigen und nach oft langer Zeit wieder
für uns ſichtbar werden, ihre Geſtalt zuweilen ſo ſehr geändert
haben, daß es unmöglich iſt, ſie als früher ſchon da geweſene
Gäſte je wieder zu erkennen. Da aber dieſes Wiedererkennen für
die Aſtronomen ſehr wichtig iſt, ſo haben ſie andere Merkmale
aufgeſucht, die aller Wahrſcheinlichkeit nach weniger Veränderun-
gen unterworfen ſind und dieſe glaubte man in den Elementen
ihrer Bahnen (I. S. 280) zu finden, deren Kenntniß ohnehin
[246]Kometen.
nöthig iſt, um die Bewegung und den Ort des Kometen für jede
gegebene Zeit durch Rechnung zu beſtimmen.


So oft daher einer dieſer Himmelskörper erſcheint, wird er
ſofort von allen wohleingerichteten Sternwarten eifrig beobachtet
und aus dieſen Beobachtungen werden dann, durch Rechnung, die
Elemente ſeiner Bahn abgeleitet. Findet man, daß dieſe Elemente
mit einem der bereits früher erſchienenen Kometen übereinſtimmen,
ſo wird man mit der größten Wahrſcheinlichkeit daraus ſchließen,
daß dieſe beiden Kometen identiſch ſind, und daß daher der fremde
Gaſt ſchon einmal und vielleicht öfter da geweſen iſt.


Dieſer Elemente ſind aber ſechs, die an dem angeführten Orte
bereits aufgezählt worden ſind, nämlich 1) die große Axe der
Bahn, oder was (I. S. 252) daſſelbe iſt, die Umlaufszeit des
Kometen. 2) Die Lage dieſer Axe oder die Länge des Perihe-
liums
. 3) Die Excentricität oder die Entfernung des Brenn-
punktes der elliptiſchen Bahn von dem Mittelpunkte derſelben.
4) Die Neigung der Bahnebene gegen die Ecliptik. 5) Die
Knotenlinie oder die Länge der Linie, in welcher die Kometen-
bahn die Ecliptik ſchneidet und endlich 6) die Epoche oder der
Ort des Kometen in ſeiner Bahn zu irgend einer gegebenen Zeit.


Allein wie findet man dieſe Elemente aus den Beobachtun-
gen? — Es kann nicht meine Abſicht ſeyn, hier eine vollſtändige
Antwort auf dieſe Frage zu geben, aber demungeachtet wird der
Leſer wünſchen, wenigſtens den Weg dazu im Allgemeinen ange-
zeigt zu finden.


Sey S (Theil I. Fig. 21) die Sonne, T die Erde und p der
Komet zur Zeit irgend einer Beobachtung deſſelben. Läßt man
von p auf die Ebene ST'P' der Ecliptik eine Senkrechte pP herab
und verbindet man dann dieſen Punkt P durch gerade Linien mit
S und T, ſo entſtehen hier drei Dreiecke STP, SPp und TPp,
und auf die vollſtändige Kenntniß dieſer Dreiecke kömmt eigent-
lich die ganze Rechnung an, um die es ſich hier handelt.


Allein dieſe Kenntniß oder die ſogenannte Auflöſung dieſer
Dreiecke bietet ganz beſondere Schwierigkeiten dar. — Bemerken
wir zuerſt, daß unſere Beobachtungen der Kometen nichts geben,
als erſtens den Elongationswinkel (I. S. 244) STP (der gleich
[247]Kometen.
iſt der Länge der Sonne weniger der geocentriſchen Länge des
Kometen und zweitens die geocentriſche Breite Tp des Kometen
oder den Winkel PTp. Da uns die Bewegung der Sonne, aus
ihrer Theorie, bekannt iſt, ſo können wir auch noch für jede Zeit
die Entfernung der Erde von der Sonne oder die Größe der Linie
ST angeben. Die in jenen drei Dreiecken bekannten Größen ſind
alſo die beiden Winkel STP und PTp nebſt der Linie ST, und
daraus läßt ſich nun, nach einem leichten Satze der Trigonometrie,
auch noch der Winkel STp ableiten und — weiter nichts. Man
braucht aber, um jene Frage zu beantworten, vor allen den Com-
mutationswinkel TSP (der gleich iſt der heliocentriſchen Länge des
Kometen weniger der heliocentriſchen Länge der Erde I. S. 244);
ferner den Winkel PSp oder die heliocentriſche Breite des Kome-
ten und endlich die Linie Sp, welche den Kometen mit der Sonne
verbindet, d. h. den Radius Vector (I. S. 272) des Kometen.
Wenn man ſo dieſe drei letzten Größen unſerer Dreiecke hätte,
d. h. mit andern Worten, wenn uns die Lage des Kometen gegen
die Sonne
vollſtändig bekannt wäre, ſo würde die weitere Be-
ſtimmung der Elemente der Bahn des Kometen, zwar noch immer
nicht zu den leichten Arbeiten gehören und gar manche Kenntniſſe
der Aſtronomie ſowohl, als auch der höheren Analyſe vorausſetzen,
aber ſie würde doch, wie man längſt ſchon gezeigt hat, möglich
und ausführbar ſeyn. Allein jene drei Stücke ſind nun einmal
unbekannt, da uns durch unſere Beobachtungen nur die Lage des
Kometen gegen die Erde und dieſe nicht einmal vollſtändig
(weil uns die Kenntniß der Linie TP oder Tp fehlt) gegeben iſt.


Bei dieſer Lage der Dinge läßt ſich an eine ſogenannte di-
recte
Auflöſung unſeres Problems nicht einmal denken. Zwar
kann man die analytiſchen Ausdrücke, von welchen dieſe Auflö-
ſung abhängt, ohne beſondere Mühe aufſtellen, aber ſie ſind ſo
weitläufig und die aus ihnen zu findenden unbekannten Größen
ſind unter einander ſo verwickelt, daß zu der Berechnung derſelben
ſelbſt die Geduld des unermüdlichſten Rechners nicht hinreichen
würde.


Man müßte alſo dieſen directen oder geraden Weg ver-
laſſen und zuſehen, ob man nicht vielleicht durch Umwege das
[248]Kometen.
gewünſchte Ziel erreichen könne, durch Verſuche, in welchen man
z. B. eine von den unbekannten Seiten Tp oder TP einſtweilen
willkührlich, alſo wohl ohne Zweifel fehlerhaft annimmt und dann
mit dieſer Annahme weiter rechnet, bis man auf Reſultate
kömmt, die ſich mit den Beobachtungen nicht mehr vertragen und
die uns daher zu einer andern Annahme von TP führen, die wohl
wieder, aber vielleicht ſchon minder fehlerhafte Reſultate geben
und uns auf dieſe Art, nach einigen zweckmäßig angeſtellten Ver-
ſuchen, in den Stand ſetzen wird, denjenigen Werth von TP zu
finden, welcher den Beobachtungen vollkommen entſpricht.


Ein ſolches Mittel, dieſen Zweck auf eine bequeme und ſichere
Weiſe zu erreichen, wird uns z. B. das oben (I. S. 276) er-
wähnte zweite Geſetz Keplers geben. Nach dieſem Geſetze bewe-
gen ſich alle Planeten und Kometen um die Sonne ſo, daß der
Radius Vector derſelben Flächen beſchreibt, die den dazu verwen-
deten Zeiten proportional ſind.


Nehmen wir nun an, man habe den Kometen in drei auf-
einander folgenden Zeiten beobachtet. Für die erſte dieſer Beobach-
tungen iſt in unſerer Zeichnung, wie geſagt, der Elongationswinkel
STP und die Seite SS, ſo wie der Winkel PTp unmittelbar ge-
geben. Nimmt man nun vorläufig auch die Seite TP oder Tp
als bekannt an, ſo wird man, mit dieſen Größen, jene drei Dreiecke
vollſtändig auflöſen können. Daſſelbe wird man auch für die
zweite und dritte Beobachtung thun, und dadurch, wie man leicht
ſieht, nicht nur die drei Radii Vectores Sp, Sp', Sp'' des Ko-
meten zur Zeit jener drei Beobachtungen, ſondern auch noch die
zwei Winkel finden, welche zwiſchen dieſen drei durch die Sonne
S gehenden Radien enthalten ſind, und alſo auch die zwei ellip-
tiſchen Flächen, welche zwiſchen dieſen Radien und den ſie be-
gränzenden Bogen der elliptiſchen Bahn des Kometen liegen.
Dieſe Flächen ſind es nun, welche den aus den unmittelbaren
Beobachtungen gegebenen Zwiſchenzeiten proportional ſeyn müſ-
ſen, wenn jene willkührliche Annahme der Größen Sp, Sp', Sp''
der Wahrheit gemäß iſt. Geſetzt, jene Beobachtungen wären zur
Zeit der Mitternacht am 1., 6. und 16. März gemacht worden,
ſo ſind die Zwiſchenzeiten derſelben 5 und 10 Tage, oder die
[249]Kometen.
zweite iſt doppelt ſo groß, als die erſte. Und eben ſo muß auch
die elliptiſche Fläche zwiſchen dem zweiten und dritten Radius
doppelt ſo groß ſeyn, als die Fläche zwiſchen dem erſten und zwei-
ten Radius, wenn jene Annahme richtig geweſen iſt. Iſt dieß
nicht, ſo wird man jene Diſtanzen TP ſo lange ändern, bis dieſe
Flächen ſich genau ſo, wie jene Zwiſchenzeiten verhalten, und wenn
man dieß erreicht hat, ſo wird man auch überzeugt ſeyn, daß die
letzten drei Diſtanzen des Kometen von der Sonne und die Win-
kel, welche zwiſchen ihnen enthalten ſind, mit der Wahrheit genau
übereinſtimmen. Kennt man aber einmal dieſe Diſtanzen und
ihre Winkel, ſo iſt die daraus folgende Beſtimmung der eigentli-
chen Elemente ein reines, geometriſches Problem, das ſich direct
und zwar auf mehr als eine Weiſe auflöſen läßt.


Man wird ohne meine Erinnerung bemerken, daß dieſes Ver-
fahren nicht ohne etwas umſtändliche Rechnungen angewendet wer-
den kann, und daß es zu manchen ſcharfſinnigen Bemerkungen
und Kunſtgriffen Gelegenheit geben wird, die wir hier übergehen
müſſen.


Daſſelbe Verfahren muß man im Grunde auch bei der Be-
ſtimmung der Elemente der Planetenbahnen anwenden und es iſt
auch in der That bei den vier neuen Planeten angewendet worden,
ja dieſe ſind es eigentlich, welche die erſte Gelegenheit zur Aus-
bildung dieſer Methode gegeben haben. Bei den älteren Planeten
aber konnte man ſich dieſe Mühe erſparen, weil von denſelben
eines jener ſechs Elemente, nämlich die Umlaufszeit oder, was
daſſelbe iſt, die große Axe ihrer Bahnen durch die Beobachtungen
der Alten bereits auf das genaueſte bekannt war (I. S. 257), ein
Vortheil, der bei den neueren, den Alten unbekannten Planeten,
ganz wegfiel.


Auch bei den Kometen hat man ſich eines ähnlichen Vortheils
zu bedienen geſucht, um die hieher gehörenden Rechnungen zu er-
leichtern. Nachdem man nämlich bemerkt hatte, daß ſie beinahe
alle in ſehr excentriſchen Ellipſen um die Sonne laufen, ſo
erlaubte man ſich die Vorausſetzung, daß ſie ſich, nicht in Ellip-
ſen, wie dieß in der That der Fall iſt, ſondern daß ſie ſich in
Parabeln um die Sonne bewegen. Auch iſt die Parabel nichts
[250]Kometen.
anderes, als eine Ellipſe mit einer unendlich großen Axe. Wenn
beide krumme Linien denſelben Scheitel und Brennpunkt haben, ſo
kömmt der Bogen der Ellipſe dem der Parabel deſto näher, je
excentriſcher oder je länglicher dieſe Ellipſe iſt, beſonders in der
Nähe des Scheitels oder des Periheliums, und eben da iſt es,
wo wir die Kometen gewöhnlich beobachten, weil ſie da der
Sonne und alſo auch im Allgemeinen der Erde am nächſten ſtehen.


Nimmt man alſo die Bahn der Kometen paraboliſch an, ſo
fällt dadurch ein Element, die große Axe, die hier unendlich groß
wird, ganz weg und die Rechnung wird dadurch ungemein er-
leichtert. In der That hat man durch dieſe abkürzende Methode
die Bahnen vieler Kometen den Beobachtungen hinlänglich gemäß
dargeſtellt, aber man hat auch zugleich, indem man die große Axe
der Bahn als unendlich groß annahm, ſich aller Kenntniß der
Umlaufszeit des Kometen begeben, da in der Parabel keine
Wiederkehr deſſelben möglich iſt, und ſo iſt es gekommen, daß
uns vielleicht mehrere Kometen, ſelbſt von einer kürzeren Umlaufs-
zeit, gänzlich entgangen ſind, und daß man ſie bei ihrer Wieder-
kunft nicht mehr erkannt hat.


Es iſt übrigens für ſich klar, daß dieſe Beſtimmung der
Elemente der Bahn deſto genauer ſeyn wird, je größer der Bogen
der Ellipſe war, in welchem man den Kometen von der Erde beob-
achtet hat, weil hier, wie überall, der Schluß von dem Kleinen
auf das Große mißlich iſt. Es iſt daher für dieſe Beſtimmungen
ſehr nachtheilig, daß wir die Kometen, wegen ihrem zu ſchwachen
Lichte, nur in der Nähe der Sonne, alſo meiſtens nur in einem
ſehr kleinen Theile ihrer weit verbreiteten Bahnen ſehen können,
da ſie, ſobald ſie ſich weiter von der Sonne, alſo auch von der
Erde entfernen, ſelbſt unſeren beſten Fernröhren ſich gänzlich ent-
ziehen. Dieſer ungünſtige Zufall äußert ſeine Wirkung ganz be-
ſonders auf die Umlaufszeit der Kometen. Je größer die Excen-
tricität, deſto ſchwieriger iſt die Beſtimmung der Umlaufszeit.
Daher differiren auch die Aſtronomen ſo ſehr in ihren Angaben
dieſes Elements. Für den Kometen von 1769 fand Lexell eine
Revolution von 400 und Pingré eine von 1200 Jahren, und
[251]Kometen.
Beſſel endlich, der die Beobachtungen dieſes Kometen mit einer
beſondern Sorgfalt discutirte, ſogar eine von 2089 Jahren. Der
letzte zeigte zugleich, daß ein Beobachtungsfehler von nur fünf
Secunden die Umlaufszeit des Kometen ſchon um 400 bis 500
Jahre ändern kann. Eben ſo fand Proſperin für den Kometen
von 1779 aus ſeinen Rechnungen, je nachdem er andere Beob-
achtungen zu Grunde legte, bald eine Umlaufszeit von 1160, bald
von 19000 und endlich ſogar eine unendlich große, d. h. eine
paraboliſche Bahn, in welcher der Komet nie mehr zur Sonne
zurückkehrt. Für den bereits oben erwähnten großen Kometen
von 1680 fand Halley eine Umlaufszeit von 575 Jahren, während
Encke aus ſeiner ſorgfältigen Unterſuchung aller über ihn ge-
ſammelten Beobachtungen eine Umlaufszeit von 8800 Jahren
abgeleitet hat. Dieſe Beiſpiele, welche man leicht noch mit andern
vermehren könnte, werden genügen, zu zeigen, wie ſchwer es iſt,
die Umlaufszeiten der Kometen, wenigſtens wenn dieſe einmal
mehrere Jahrhunderte umfaſſen, mit Genauigkeit zu beſtimmen.


§. 165. (Kometen von bekannter Umlaufszeit.) Es giebt in
der That kein anderes Mittel, die Umlaufszeit eines Kometen
verläßlich zu beſtimmen, als die Beobachtung ſeiner Wiederkehr
ſelbſt, wo man ihn an der Identität ſeiner Elemente mit einem
früher da geweſenen Gaſte erkennen kann. Von Kometen, deren
Umlaufszeit man auf dieſe Weiſe beſtimmt hat, kennt man jetzt
mit Genauigkeit nur vier, deren Namen, nach denen ihrer Ent-
decker oder erſten Berechner, und deren Umlaufszeiten folgende ſind:


  • Halley’s Komet mit einer Umlaufszeit von 76 Jahren
  • Olbers — — — — — 74 —
  • Encke’s — — — — — 3,29
  • Biela’s — — — — — 6,74

Dieſe vier merkwürdigen Kometen gehören ſo recht eigentlich
unſerm Sonnenſyſteme an; ſie bewegen ſich immer unter den Pla-
neten, von welchen nur die beiden erſten ſich noch zuweilen be-
deutend entfernen, während die anderen in ungemeſſenen und
größtentheils für uns unmeßbaren Bahnen weit über die Gränze
unſeres Planetenſyſtems hinausſchweifen, ſich in den unbekannten
Tiefen des Himmels verlieren, und vielleicht ſchon nach ihrem
[252]Kometen.
erſten Beſuche auf immer für uns verſchwinden, indem ſie auf
ihren paraboliſchen oder hyperboliſchen Bahnen unter den Fix-
ſternen herumirren und auf ihren excentriſchen Wegen von einer
Welt zur andern wandern.


Zwar hat man außer jenen vier Kometen, die wir ſogleich
einzeln näher betrachten wollen, noch einige andere als ſchon mehr-
mals da geweſene Fremdlinge erkennen wollen, allein man iſt über
die Identität derſelben noch nicht ſo ſicher geworden, um die nächſte
Wiederkunft derſelben mit Verläßlichkeit vorausſagen zu können.
Die Elemente der beiden Kometen von dem Jahre 1264 und 1556
ſind einander ähnlich genug, um eine Identität derſelben nicht
unwahrſcheinlich zu finden. Allein die Beobachtungen derſelben,
vorzüglich die der erſten Periode, ſind viel zu unvollkommen, um
darauf einen ſichern Schluß für die Wiederkehr deſſelben, die im
Jahre 1848 ſtatt haben ſoll, gründen zu können. Eben ſo haben
manche Aſtronomen den i. J. 1743 mit dem i. J. 1819 erſchienenen
Kometen für einen und denſelben gehalten. Die Beobachtungen
von der letzten Periode laſſen allerdings deutliche Spuren einer
Ellipticität ſeiner Bahn bemerken, und die Elemente ſind, bis auf
die gar zu verſchiedenen Neigungen der Bahn, mit jener Ver-
muthung in Uebereinſtimmung. Clauſen zeigte uns, daß dieſe
Aenderung ſeiner Neigung von ſeinen nahen Vorübergängen vor Ju-
piter komme, und er machte es wahrſcheinlich, daß der Komet jetzt
eine Umlaufszeit von 5½ Jahre habe, ſo daß man ihn im Herbſte
des Jahres 1836 wieder erwarten dürfte, wenn er nicht wieder
ähnliche bedeutende Störungen auf ſeinem Wege von andern
Himmelskörpern erleiden ſollte.


§. 166. (Halley’s Komet.) Dieſer merkwürdige Komet zeichnet
ſich durch mehrere intereſſante Eigenheiten aus, die wir, in dieſem
Maaße, bei keinem andern vereinigt finden. Er iſt unter allen
Kometen von großer Umlaufszeit der einzige, von dem wir ſo
viele Wiederkünfte aufzuweiſen haben; wir können ihn bis in die
Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts mit Sicherheit, und mit
einiger Wahrſcheinlichkeit ſogar bis zu dem Anfang der chriſtlichen
Zeitrechnung verfolgen; er iſt einer der größten und auffallendſten
Kometen; er iſt der erſte, deſſen Wiederkunft die Menſchen voraus-
[253]Kometen.
zuſagen gewagt und glücklich gewagt haben, und er iſt es endlich,
der uns dieſe räthſelhaften Himmelskörper noch am meiſten kennen
gelehrt hat, da beinahe keine ſeiner Erſcheinungen ohne irgend
eine wichtige Entdeckung oder eine Bereicherung unſerer Kenntniſſe
der Kometenwelt vorübergegangen iſt.


§. 167. (Elemente des Halley’ſchen Kometen.) Die Umlaufs-
zeit
dieſes Kometen beträgt, im Mittel aus den bisher beobach-
teten Erſcheinungen 75 bis 76 Jahre. Die große Axe ſeiner
Bahn iſt daher nahe 18 mal größer als die große Axe der Erdbahn,
oder ſie beträgt nahe 744 Millionen d. Meilen. Die kleine
Axe
ſeiner Bahn beträgt 9⅕ Durchmeſſer der Erdbahn oder
380 Mill. Meilen. Daraus folgt, daß die Entfernung der Brenn-
punkte ſeiner Bahn von den Scheiteln der Ellipſe nur 0,033 Theile
ſeiner großen Halbaxe oder nur 12 Mill. Meilen beträgt, ſo daß
er alſo in ſeinem Perihelium nur halb ſo weit, als die Erde, von
der Sonne entfernt iſt, während er in ſeinem Aphelium nahe noch
einmal ſo weit, als Uranus, von der Sonne abſteht. Sein größter
Abſtand von der Sonne beträgt nämlich 35,4, und ſein kleinſter
nur 0,6 Halbmeſſer der Erdbahn. Die Länge ſeines aufſteigenden
Knotens, d. h. die Länge des Punktes der Ecliptik, in welchem
er ſich über dieſelbe erhebt, beträgt 54 Grade, und die Neigung
ſeiner Bahn gegen die Ecliptik iſt 72 Grade, alſo ungewöhnlich
groß. Ueberdieß bewegt er ſich in dieſer ſeiner Bahn, der allge-
meinen Richtung der Planeten entgegen, alſo von Oſt gen Weſt
oder ſeine Bewegung iſt retrograd, gegen die Ordnung der himm-
liſchen Zeichen des Thierkreiſes. Die Länge des Periheliums iſt
303, alſo auch die des Apheliums 123 Grade.


Dieſe Bahn iſt in Figur 15 verzeichnet, wo die Ebene des
Papiers die Ecliptik vorſtellt, und die vier Punkte ♉ ♋ ♎ und
♑ in den Längen von 0, 90, 180 und 270 Graden liegen. Zieht
man durch den Mittelpunkt des Kreiſes ♉ ♋ ♎ ♑, welcher Mittel-
punkt die Sonne vorſtellt, eine gerade Linie nach den Punkten 54
und 234° der Peripherie dieſes Kreiſes, ſo ſtellt dieſe Linie die
Knotenlinie der Kometenbahn vor. Da der Komet in dieſer Bahn
rückwärts, oder in der Richtung der dort verzeichneten Pfeile
geht, ſo ſieht man, daß nur ein ſehr kleiner Theil dieſer Bahn,
[254]Kometen.
nämlich derjenige, welcher auf der Seite der Knotenlinie ſteht, in
welcher das Perihel iſt, über der Ecliptik, bei weitem der
größere aber unter derſelben liegt, was die Urſache iſt, warum
uns der Komet meiſtens nur unter einer ſüdlichen Breite erſcheinen
muß. Zur Zeit, wo er der Sonne am nächſten iſt, ſteht er über
der Ecliptik und innerhalb der Erdbahn, wie man in der Zeichnung
ſieht. Da er aber hier zugleich ſeine ſchnellſte Bewegung hat, ſo
verweilt er nur etwa 2½ Monate innerhalb der Erdbahn. In
ſeinem Perihelium legt er in einer Stunde 59500 Meilen zurück,
geht alſo viermal ſchneller, als die Erde. In ſeinem Aphelium
hingegen, wo ſeine Geſchwindigkeit die kleinſtmögliche iſt, legt er
in einer Stunde nur 980 Meilen, alſo 15 mal weniger, als die
Erde, zurück *). Seine Bahn liegt übrigens ſo gegen die Erd-
[255]Kometen.
bahn, daß der Komet der Erde nie nahe kommen kann, und daß
er, ſelbſt im ungünſtigſten Falle noch mehrere Millionen Meilen
von ihr abſteht, während z. B. der Komet Biela’s ſich i. J. 1832
der Erdbahn (nicht der Erde ſelbſt) auf 3000 Meilen genähert
hat. Dieſer Umſtand macht, daß die Erde von Halley’s Kometen
durchaus nichts zu beſorgen hat, und daß die Furcht, welche einige
mit dieſem Weltkörper nicht genug bekannte Schriftſteller in ihren
Blättern unter dem Volke erregt haben, völlig ungegründet iſt.


§. 168. (Frühere, ungewiſſe Erſcheinungen dieſes Kometen.)
Wenn man von den durch Rechnung erwieſenen, alſo conſtatirten
Erſcheinungen dieſes Kometen rückwärts, in die früheren Perioden
unſerer Geſchichte, zurückgeht, indem man z. B. von dem Jahre
1456, wo er das erſtemal gehörig beobachtet wurde, die Umlaufs-
zeit von 75 bis 76 Jahren mehrmals ſubtrahirt, ſo ſtoßt man in
den Hiſtorikern jener Zeiten auf mehrere Nachrichten von großen
Kometen, die ſehr wohl den Halley’ſchen zum Grunde haben
können. Da aber oft in wenig Jahren mehrere bedeutende Ko-
meten erſcheinen; da jene Kometen nicht näher beſchrieben und
noch weniger aſtronomiſch beobachtet worden ſind; da endlich die
Geſchichtſchreiber häufig Meteore und andere Erſcheinungen für
eigentliche Kometen gehalten haben, ſo haben dieſe Nachrichten
kein wahres wiſſenſchaftliches Intereſſe. Wir wollen ſie demnach
auch nur kurz anführen.


Im Jahre 130 vor Chr. Geburt erſchien, wie Juſtinus er-
zählt, ein großer Komet zur Zeit der Geburt des Mithridates.
*)
[256]Kometen.
Man wollte dieſe Erſcheinung für die 21ſte dieſes Kometen vor
der erwähnten des Jahres 1456 halten, aber ohne für dieſe
Meinung einen andern Grund anführen zu können, als die
Zwiſchenzeit von 1586 Jahren, die nahe 21 mal 75½ Jahre be-
trägt. — Die zweite dieſer älteren Erſcheinungen unſeres Ko-
meten, deren in unſern Geſchichtbüchern Erwähnung geſchieht, iſt
die von dem Jahre 323 nach Chr. Geb., zwiſchen welcher und
jener alſo fünf Wiederkünfte unbeachtet vorübergegangen ſeyn
würden. Dieſes Jahr 323 ging unmittelbar dem großen Conci-
lium zu Nicäa, der erſten allgemeinen Kirchenverſammlung unter
K. Konſtantin voraus. Auf demſelben wurde die damals ſehr
verbreitete Lehre des Arius von der Conſubſtantialität verworfen
und die noch jetzt beſtehende Beſtimmung der Zeit des Oſterfeſtes
angenommen. Die Geſchichtſchreiber jener Epoche wußten dieſe
beiden Ereigniſſe mit dem Kometen in Verbindung zu bringen.
— Die nächſtfolgende dritte Erſcheinung deſſelben fiel, 76 Jahre
ſpäter, auf das Jahr 399. Auch dieſes Jahr war durch ein
großes Concilium zu Alexandrien ausgezeichnet, das gegen die
Anhänger des Origenes gehalten wurde. Auch überzogen in dieſem
Jahre die Vandalen zum erſtenmale Spanien, von welchem Lande
ſie dann nach Italien vorrückten. Der Komet ſoll zu dieſer
Epoche beſonders groß und ſchrecklich ausgeſehen haben, da ihn
die gleichzeitigen, meiſtens kirchlichen Geſchichtſchreiber einen Co-
metam prodigiosae magnitudinis
nennen, horribilem aspectu
et comam ad terram usque demittentem.
Nach einem Zwiſchen-
raum von nahe zweimal 75 Jahren findet man wieder die vierte
Erſcheinung deſſelben, oder wenigſtens irgend einen großen Ko-
meten in d. J. 547, in welchem Rom, die Hauptſtadt der Welt,
von Totilas geplündert wurde. Nach weiteren vier unbeachteten
Vorübergängen erfolgte die fünfte Erſcheinung i. J. 930, die,
nach der Meinung der gleichzeitigen Chronikenſchreiber, dem Tode
Heinrich des Voglers und der großen Niederlage der Ungarn in
Deutſchland als Wahrzeichen vorausgegangen ſeyn ſoll. Die ſechste
bemerkte Wiederkunft fiel in das Jahr 1005, von dem uns Haly Ben
Rodoan berichtet. Die ſiebente Erſcheinung deſſelben fiel auf
das Jahr 1080, das Todesjahr des griechiſchen Kaiſers Alexius
[257]Kometen.
Comnenus. Die achte auf 1155, in die Epoche des Conciliums
zu Soiſſons, wo König Ludwig von Frankreich und die Reichsbarone
in die Hände der Biſchöfe den Eid ablegten, daß ſie ſich des
Straßenraubes begeben und durch die nächſten zehn Jahre den
Landfrieden erhalten wollten. Die neunte Erſcheinung traf in
das Jahr 1231, und wird nur von chineſiſchen Schriftſtellern er-
wähnt. Die zehnte fiel in d. J. 1305. Der Komet dieſes Jahres
ſoll durch ſeine außerordentliche Größe allgemeinen Schrecken ver-
breitet haben. Ihm folgte, unmittelbar nach einem ſehr ſtrengen
Winter, eine verheerende Peſt, die Europa durch ſieben Jahre
mit Leichen bedeckte. Die eilfte endlich traf in das Jahr 1379
oder 1380, in welchen Jahren Alſtedius und Lubieniecius
zweier großer Kometen erwähnen. Der letzte dieſer beiden Schrift-
ſteller iſt der eigentliche Vater der Cometographie, ſofern dieſe
Erſcheinungen der Geſchichte und nicht der Aſtronomie angehören.
Er hat uns eine Sammlung aller in ältern Schriften zerſtreuten
Nachrichten über Kometen überlaſſen, die er in ſeinem Theatrum
Cometicum,
2 Bänden in Folio, mit vielem Fleiße geſammelt hat.


Dieß ſind die Erſcheinungen von Kometen aus den früheren
Zeiten, die man für Wiederkünfte des Halley’ſchen Kometen halten
könnte, da die Zwiſchenzeiten dieſer Erſcheinungen gut genug mit
der bekannten Umlaufszeit dieſes Kometen übereinſtimmen. Allein
da dieſer Himmelskörper in manchen Zeiten ſehr viele erſcheinen,
und da man vor dem fünfzehnten Jahrhunderte keine eigentlichen
aſtronomiſchen Beobachtungen an denſelben anzuſtellen pflegte, ſo
wird die Identität der erwähnten Kometen mit dem Halley’ſchen
wahrſcheinlich immer unbeſtimmt bleiben.


§. 169. (Spätere, gewiſſe Erſcheinungen des Halley’ſchen Ko-
meten. Erſte Erſcheinung.) Die erſte verläßliche, weil durch
aſtronomiſche Beobachtungen conſtatirte Erſcheinung dieſes Kometen
fällt, wie geſagt, in das Jahr 1456. Er zeigte ſich in dieſem
Jahre in den Sternbildern vom Stiere bis zum Löwen mit unge-
meiner Pracht, da er der Sonne und der Erde zugleich ſehr nahe
ſtand. Sein Schweif hatte während ſeiner glänzendſten Periode
eine Länge von 60 Graden und er breitete ſich gegen ſein Ende
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 17
[258]Kometen.
in Geſtalt eines Pfauenſchweifes aus. Zur Zeit ſeiner Sonnen-
nähe ſoll ſein Kern das intenſive Licht eines Fixſterns gehabt
haben. Da man ihn anfangs am Morgen oder vor Sonnenauf-
gang und ſpäter, nachdem er einige Zeit ganz verſchwunden war,
wieder Abends bald nach Sonnenuntergang am Himmel ge-
ſehen hatte, ſo glaubten mehrere, daß zwei verſchiedene Kometen
nach einander erſchienen ſeyen. Allein mehrere Beobachter hatten
bereits die richtige Anſicht gewonnen, daß dieſe beiden Erſcheinungen
nur einem und demſelben Kometen angehören, deſſen Sichtbarkeit
nur durch ſeine Annäherung zur Sonne einige Zeit unterbrochen
wurde, und der dann, als er auf die andere oder öſtliche Seite
der Sonne getreten war, auch im Oſten von derſelben, d. h. bald
nach Sonnenuntergang, am abendlichen Himmel geſehen werden
mußte.


Fünf Jahre früher i. J. 1451 hatte Mahomed II. Conſtan-
tinopel erobert und dadurch dem ſeit Conſtantin M. beſtehenden
griechiſchen Kaiſerthume ein Ende gemacht. Allein ein anderer
großer Komet von 1454 hatte bei den ſiegreichen Türken großen
Schrecken verbreitet, indem ſie ihn für die Anzeige eines allge-
meinen Kreuzzuges der geſammten europäiſchen chriſtlichen Heere
gegen ſie hielten. Zwei Jahre ſpäter, als die Türken, dieſer
Anzeige ungeachtet, ſehr glückliche Fortſchritte gemacht und beſon-
ders das deutſche Reich mit ihren ſiegreichen Heeren zu über-
ſchwemmen gedroht hatten, erſchien jener Komet von 1456 und
verbreitete jetzt einen noch größeren Schrecken unter den Chriſten,
die ihn für nichts weniger, als den Vorboten ihres gemeinſamen
Unterganges betrachteten. Calviſius, einer der Chroniſten jener
Zeit, berichtet uns: His (cometa et bello) exterritus Papa
Calixtus III ad advertendam Dei iram aliquot dierum sup-
plicationes indixit, constituitque in urbibus, ut in meridie
campanae pulsarentur, ut omnes de precibus contra Tur-
carum tyrrannidem fundendis admonerentur.
Nicht umſonſt, wie
es ſcheint, denn ſchon in dem erſten Jahre des Feldzuges erſcholl die
freudenvolle Nachricht von der völligen Niederlage der Türken. So
willkommen dieſelbe der ganzen Chriſtenheit im allgemeinen ſeyn
mochte, ſo verlegen machte ſie zugleich die Kometendeuter. Der eine,
[259]Kometen.
Cromerus, wußte ſich ſchnell zu helfen, indem er den Kometen
Christianis laetum nuntium clade Turcica et turpi fuga
Mahomedis
nannte. Andere ſuchten dem Kometen, der nun ein-
mal nichts als Unglück vorherſagen ſollte, ſein altes Anſehen zu
wahren, und bezogen ſeine Erſcheinung, nicht auf die Flucht der
Türken, ſondern auf den bald darauf erfolgten Tod des Helden
jener Tage, Johannes Corvinus Hunjady, an welchem das Chri-
ſtenthum eine mächtige Stütze verlor.


§. 170. (Zweite Erſcheinung.) Die zweite verläßliche
Wiedererſcheinung unſeres Kometen traf in das Jahr 1531. Er
war dießmal weniger groß und glänzend, auch genoß zu derſelben
Zeit ganz Europa eines allgemeinen Friedens. Peter Bienewitz,
oder wie er ſich dem damaligen Gebrauche zufolge nannte, Apianus,
kaiſerlicher Aſtronom zu Ingolſtadt unter Carl V. und Ferdinand I.
lieferte uns die beſten Beobachtungen von dieſem Kometen, wie
ſie denn zugleich überhaupt die erſten eigentlich aſtronomiſchen Beob-
achtungen ſind, die wir von dieſem Kometen erhalten haben. Er ſtellte
auch der erſte die im Allgemeinen ſehr wichtige Bemerkung auf, daß
der Schweif der Kometen der Sonne immer gegenüber ſtehe, was noth-
wendig auf einen Zuſammenhang dieſer Himmelskörper mit der
Sonne leiten mußte. Auch in dieſer Erſcheinung ſah man den Kometen
zuerſt Morgens am öſtlichen und ſpäter Abends am weſtlichen Himmel
und obſchon auch jetzt noch einige von zwei Kometen ſprechen wollten,
ſo hatte ſich doch ſchon die oben erwähnte richtige Anſicht ſo ſehr
befeſtiget, daß einer der Aſtronomen jener Zeit die Vertheidiger
der Duplicität des Kometen ohne weitere Umſtände für ein im-
peritum vulgus
erklärte. Deſto mehr hingen aber dafür beinahe
alle Aſtronomen jener Zeit noch an der Meinung, daß dieſe Him-
melskörper Vorzeichen von herannahenden Unglücksfällen ſeyn ſol-
len. Zwar regte ſich bereits da und dort die ſo lange verborgen
gebliebene Wahrheit, daß dieſe Körper, den Planeten ähnliche We-
ſen, ſich ſo, wie dieſe, am Himmel bewegen und mit den Schick-
ſalen der Menſchen nichts gemein haben. Aber dieſe Aeußerungen,
ſo beſcheiden und furchtſam ſie auch vorgetragen wurden, hatten
doch das Schickſal, ſelbſt unter den erſten Gelehrten jener Zeit
Gegner zu finden und allgemein für unrichtig, wohl auch für irre-
17 *
[260]Kometen.
ligiös verſchrieen zu werden. Milichius, einer der angeſehenſten
Schriftſteller des ſechszehnten Jahrhunderts, war einer der Vor-
kämpfer in der Vertheidigung der alten Meinung von den Kometen,
und nachdem er ſeine Gegner durch ſehr ſeichte Gründe, wie er
glaubte, wiederlegt hatte, ſtellt er ſelbſt die Behauptung auf, daß
die Kometen eine Art von Zwittergattung unter den Weltkörpern
wären, indem ſie aus den Conjunctionen der Planeten unter ſich,
oder aus den Sonnen- und Monds-Finſterniſſen entſtehen. Auf
dieſe Weiſe galt ihm der gegenwärtige Komet für ein Product der Con-
junction des Saturn mit Mars und Merkur im Sternbilde des Stiers.
— Nicht ſo dachte der bereits oben erwähnte Lubieniecius. Zwar
betrachtete er die Kometen nicht aus einem eigentlich aſtronomiſchen
Standpunkte, aber er bemühte ſich wenigſtens die Hinderniſſe
wegzuräumen, welche einer ſolchen Betrachtung bisher im Wege
geſtanden waren, und vor allem dem Vorurtheile und dem Aber-
glauben zu ſteuern, der, ſo lange er herrſchte, keine beſſere Erkennt-
niß aufkommen ließ. So viel er kann, benützt er eifrig jede
Gelegenheit, zu zeigen, daß die Erſcheinungen der Kometen eben
ſo oft von freudigen, als von traurigen Ereigniſſen begleitet ſind,
und daß ſie daher mit dieſen Ereigniſſen ſelbſt in keinem weitern
Zuſammenhange ſtehen. Bald fanden ſich auch andere Männer,
die es wagten, gegen die allgemeine Meinung aufzutreten und
dem bisher ſo ungerechter Weiſe verläumdeten Kometen das Wort
zu reden. So ſagt der bekannte Grynäus: „Ich kann mich nicht
„genug über die Kühnheit und Unwiſſenheit einiger Menſchen ver-
„wundern, die ſich nicht ſcheuen, aus der Erſcheinung der Kometen
„ohne allen Grund Mißwachs oder ſonſt ein anderes Unglück vor-
„her zu ſagen.“ Und Thomas Eraſtus ſchrieb in der Mitte des
16ten Jahrhunderts die für jene Zeit ſehr treffenden Worte:
„Wollte Gott, daß die Kriege keine andere Urfache hätten, als
„die durch die Wirkung der Kometen aufgereizte Galle der Macht-
„haber. Ein einziger geſchickter Arzt könnte dann mit einer
„kleinen Doſis Rhabarber oder Roſenſyrup das Glück eines ganzen
„Landes erhalten.“


§. 171. (Dritte Erſcheinung.) Das drittemal erſchien
unſer Komet i. J. 1607, wo er gegen das Ende Oktobers ſein
[261]Kometen.
Perihelium erreichte. Dieß war die Zeit, wo Eliſabeth in England
und Heinrich IV in Frankreich ihre Völker groß und glücklich zu
machen ſuchten und wo Kepler das große Geſetzbuch des Himmels
entdeckte. Die damalige Erſcheinung des Kometen hat viel Aehnliches
mit derjenigen, die im Jahre 1835 ſtatt haben wird, daher viel-
leicht auch die ſcheinbare Größe, die Geſtalt und der Glanz in
beiden Epochen ſich gleich ſeyn möchten. Im Jahre 1607 trat er
am 26. October in ſein Perihel; ſeine kleinſte Entfernung von der
Erde war fünf Millionen Meilen; er durchlief den untern Theil
des großen Bären, ging durch die Mitte des Bootes, durchzog
dann das Sternbild der Schlange und verſchwand im Fuße des
Bootes. Im Jahre 1835 aber wird er ſein Perihel um die Mitte
Novembers erreichen, der Erde ſich bis auf vier Millionen Meilen
nähern und die Sternbilder des großen Bären und des Bootes
durchlaufen und in der Schlange verſchwinden. Es iſt daher
wahrſcheinlich, daß er ſich im Jahre 1835 nahe eben ſo zeigen
wird, wie man ihn i. J. 1607 geſehen hat. Die beſten Beobach-
tungen jener Erſcheinung ſind von Kepler, Longomontar, und
von den Engländern Harriot und Torporley. Nach Keplers
Bericht hatte der Komet gegen Ende des Septembers 1607 noch
einen ſehr ſchwachen und kaum bemerkbaren Schweif, indem der
Kopf deſſelben einem nicht ganz runden Ballen von der Größe
Jupiters glich, deſſen Licht aber ſchwach und blaß, wie das des
Mondes war, wenn er im Halbſchatten der Erde ſteht. Einige
Tage ſpäter wurde ſein Schweif bemerkbarer, doch war er ab-
wechſelnd kurz und plötzlich wieder ſehr lang, ähnlich den Streifen
in der Luft, die man oft bei der Sonne bemerkt, wenn ſie, wie
der gemeine Mann ſagt, Waſſer zieht. Gegen das Ende der Er-
ſcheinung wurde der Kopf immer kleiner und der Schweif ver-
ſchwand wieder einige Zeit vor dem Kopfe.


Schon einige Jahre vorher hatten Tycho Brahe und Möſtlin
die Behauptung aufgeſtellt, daß die Kometen nicht Meteore ſeyen,
die ſich bloß in unſerer Atmoſphäre erzeugen, ſondern daß ſie als
eigene Himmelskörper betrachtet werden ſollen, die ſich in Kreiſen
um die Sonne bewegen. Die gegenwärtige Erſcheinung brachte
Kepler auf die Idee, daß die Bahnen der Kometen gerade
[262]Kometen.
Linien ſeyen. Beide Meinungen waren irrig, aber ſie ſind doch
immer als die erſten Schritte zur künftigen Theorie, zu einer
eigentlichen Bahnbeſtimmung dieſer Himmelskörper zu betrachten.


Dieſe Erſcheinung gab auch den Aſtrologen jener Zeit Ge-
legenheit, ihre Künſte zu üben. Im Anfange ſeiner Sichtbarkeit
war Jupiter in Oppoſition und Merkur in Conjunction mit der
Sonne, und am Ende derſelben ſtand Jupiter dem Mars gerade
gegenüber am Himmel. Stoff genug, um daraus eine Menge
von Vorherſagungen abzuleiten. Am klügſten benahm ſich noch
Krüger, der, um ganz ſicher zu gehen, die Mittelſtraße hält, und
von Merkur Stürme und Ungewitter, von Jupiter ſchönes Wetter
und von Saturn Krankheiten und anderes Unglück ableiten will,
und daher behauptet, daß der Komet ſagen wolle, es werde Krieg
mit Frieden und Gutes mit Böſen abwechſeln.


Die oben nach Keplers Bemerkung angeführte ſchnelle Ver-
kürzung und Verlängerung ſeines Schweifes iſt ſehr merkwürdig,
und ſie iſt auch von Cyſatus an dem Kometen von 1618, von
Hevel an denen von 1652 und 1661, und erſt in unſern Zeiten von
Schröter an dem Kometen von 1807 und von Chladni an dem
von 1812 bemerkt worden. Die beiden letzten zeigten ſo ſchnelle
Aenderungen in der Länge des Schweifes, daß die Geſchwindigkeit,
mit welcher die Lichtmaterie derſelben durch den Weltraum fuhr,
ſelbſt die des Lichtes bei weitem übertroffen haben müßte. — Noch
wollen wir bemerken, daß Gottfried Wendelin aus der von ihm
beobachteten Erſcheinung des Jahres 1607 diejenige vorauszuſagen
wagte, welche man in den folgenden Zeiten an ihm bemerken
würde. In der Zukunft, ſagt Wendelin, wird der Komet wie
eine feurige Lanze oder gleich einem flammenden Schwerte
erſcheinen, das ſich in eine feine Spitze endet; ſein Licht wird
ſich kurz vor ſeinem Untergange auflöſen und zerſtreuen,
ähnlich dem fliegenden Saamen mancher Blumen u. f. Wir
werden bald ſehen, wie gut oder ſchlecht Wendelin vor 228 Jahren
rathen konnte. Von dem obgleich ſehr unanſehnlichen Schweife
unſeres Kometen zur Zeit ſeiner Erſcheinung von 1607 weiß der
ſchon angeführte Krüger, Aſtronom in Danzig, mancherlei ſchöne
Dinge zu erzählen, von denen wir nur folgendes hier kurz und
[263]Kometen.
mit ſeinen Worten anführen: „Es haben mehrere befunden, daß
„die Kometen ihren ſchwantz allzeit von der Sonnen hindan ge-
„wandt, aber obwohlen Tycho vom Kometen d. J. 1577 demon-
„ſtriret, daß deſſen ſchwantz pielmehr nach der Venere, als nach
„der Sonnen ſich gerichtet, ſo bekennet er doch auch, daß er nicht
„eingeſehen, wie Venus ſo mächtig ſeyn ſolle, daß ihr licht einen
„ſo großen ſchwantz generiren könne u. ſ. w.“


§. 172. (Vierte Erſcheinung.) Die vierte gewiſſe Erſcheinung
des Halley’ſchen Kometen fällt in das Jahr 1682, und dieß iſt,
wenn man ſo ſagen darf, die Zeit ſeiner wiſſenſchaftlichen Geburt.
So oft er ſich auch bisher den Menſchen gezeigt hatte, immer hatte
man ihn nur als einen Fremdling angeſtaunt, als einen Vor-
boten des Unglücks betrachtet. Zwanzig Jahre früher hatte wohl
Hevel die Meinung aufgeſtellt, daß die Kometen Himmelskörper
ſeyen, die in Parabeln um die Sonne laufen. Aber es war
eben nur eine Meinung, die aller Beweiſe ermangelte und frucht-
los wieder verhallte, ſo ſehr ſie auch geeignet ſeyn mochte, uns
der ſo lange verkannten Wahrheit endlich näher zu führen. Hätte
Hevel durch Rechnungen gezeigt, daß man nur ſeine Hypotheſe
annehmen dürfe, um ſofort den Lauf und die Geſchwindigkeit der
Kometen für jede gegebene Zeit, den Beobachtungen gemäß, zu
beſtimmen, ſo wäre Er, und mit Recht, für den eigentlichen Be-
gründer der Kometenlehre angeſehen worden. Aber es fehlte
viel, dieſes hohe Ziel zu erreichen. Dieſe Palme war, wie ſo
viele andere, dem erſten Menſchen ſeiner und vielleicht aller Zeiten,
ſie war Newton vorbehalten.


Dieſer außerordentliche Mann hatte das Geſetz gefunden, nach
welchem ſich die himmliſchen Körper um die Sonne bewegen, das
Geſetz der allgemeinen Schwere, von welchem die drei ſogenannten
Kepler’ſchen Geſetze nur ein Ausfluß, eine bloße Folge ſind, und
nachdem er gezeigt hatte, daß die Planeten in ihren Bewegungen
dieſem Geſetze gehorchen, wandte er daſſelbe auch auf die Kometen,
und zwar zuerſt auf den großen Kometen von 1680 an, deſſen
Bahn und Geſchwindigkeit er, den Beobachtungen vollkommen
gemäß, beſtimmte, ſo daß an der Wahrheit der von ihm aufge-
ſtellten Syſteme weiter kein Zweifel ſtatt haben konnte.


[264]Kometen.

Halley, Newtons Zeitgenoſſe und Freund, war der erſte, der
die neue Lehre aufnahm und ſie insbeſondere zur weitern Aus-
bildung der Kometentheorie zu benützen ſuchte. Seine Abſicht
ging anfangs nur dahin, die bis zu ſeiner Zeit eigentlich aſtro-
nomiſch beobachteten Kometen nach Newtons Vorſchriften zu be-
rechnen, und dadurch die Richtigkeit dieſer Vorſchriften zu erweiſen.
Zu dieſem Zwecke berechnete er anfangs 24 Kometenerſcheinungen,
und da unter dieſen auch jene von den Jahren 1531 und 1607
waren, ſo erkannte er, durch die Aehnlichkeit der Elemente derſelben
mit der gegenwärtigen von 1682, ſofort die Identität dieſer drei
Kometen. Bisher hatte er alle dieſe Kometen nur in der abge-
kürzten, paraboliſchen Theorie berechnet, die auch in der That
binreichte, die Orte derſelben mit den Beobachtungen überein-
ſtimmend darzuſtellen. Da er aber in den Erſcheinungen der drei
letztgenannten Jahre eine Periode von nahe 75 Jahren erkannte,
ſo legte er, in einer zweiten Berechnung, denſelben die elliptiſche
Hypotheſe zu Grunde, und fand dadurch ſeine frühere Bemerkung
der Identität dieſer drei Kometen vollkommen beſtätiget. Anfangs
zwar wäre er bald an der bereits erkannten Wahrheit wieder
irre geworden, da er dieſe Periode zwiſchen den verſchiedenen Er-
ſcheinungen nicht gleich groß bemerkte. So fand er die Zwiſchen-
zeit von den Durchgängen des Kometen durch ſein Perihel in den
Jahren 1531 und 1607 nur 27352 Tage, während dieſe Zeit für
die Jahre 1607 und 1682 volle 27937 Tage, alſo 585 Tage mehr
betrug, als zuvor. Aber er war ſcharfſinnig genug, zu finden,
daß die ungemeine Nähe, in welcher der Komet bei den zwei
großen Planeten Jupiter und Saturn vorübergeht, die Urſache dieſer
Verſchiedenheit geweſen iſt, und daß daher die früher vermuthete
Identität dadurch nicht aufgehoben werden könne. Ueberdieß fand
er in den Jahren 1456, 1380 und 1305, alſo nahe immer in der-
ſelben Zwiſchenzeit von 75 oder 76 Jahren noch drei andere Er-
ſcheinungen, die er zwar, aus Mangel eigentlicher aſtronomiſcher
Beobachtungen, der ſtrengen Rechnung nicht unterwerfen konnte,
die aber, den von ihm geſammelten Nachrichten der Geſchichtſchreiber
jener Zeiten zufolge, immer noch ſehr gut zu ſeiner Hypotheſe
paßten und dieſelbe noch weiter zu beſtätigen ſchienen. Er wurde
[265]Kometen.
durch alle dieſe Unterſuchungen ſeiner Sache endlich ſo gewiß, daß
er mit edler Kühnheit die Wiederkehr deſſelben Kometen auf das
Jahr 1758 ankündigte, die erſte Vorherſagung dieſer Art, die auch
glücklich eingetroffen iſt.


§. 173. (Fünfte Erſcheinung.) Dieſe fünfte und letzte Er-
ſcheinung unſers Kometen hatte im Jahre 1759 ſtatt, wo er am
12. März durch ſein Perihel ging. Halley hatte, nach einer
bloßen Schätzung der Wirkungen, welche Jupiter und Saturn auf
ihn ausüben könnten, ſeine Wiederkehr auf das Ende des Jahres
1758 oder auf den Anfang von 1759 angekündiget. Dieſe Vor-
herſagung war ſchon an ſich für die Aſtronomen ſehr wichtig, und
ſie hing überdieß ſo innig mit dem nur vor Kurzem entdeckten
Geſetze der allgemeinen Schwere zuſammen, daß ſie die Auf-
merkſamkeit aller Aſtronomen erregen mußte. Sie ſuchten ihn
bereits ſeit dem Anfange des Jahres 1757, während Clairaut, der
einer der erſten die Theorie der planetariſchen Störungen zu
entwickeln beſtrebt war, ſich damit beſchäftigte, durch die Analyſe
die Veränderungen zu beſtimmen, welche die Anziehung der beiden
genannten Planeten auf ihn gehabt haben konnten. Am 14. Nov.
1758 berichtete er der Academie zu Paris, daß, ſeinen Rechnungen
zufolge, der Komet gegen die Mitte des Aprils 1759 ſein Perihel
erreichen würde. Er ſetzte hinzu, daß die Abkürzungen, die er ſich
bei ſeinen Rechnungen erlaubt habe, dieſe Epoche um höchſtens
einen Monat verſpäten oder beſchleunigen dürfte, wenn nicht etwa
der Komet noch bei einem andern Planeten nahe vorbei gegangen
iſt, der zu entfernt war, um von uns geſehen zu werden. So nahe
ſeine Vorherſagung auch eintraf, da ſie nur einen Monat von der
Wahrheit entfernt war, ſo würde er die Wiederkehr des Kometen
zu ſeinem Perihel noch genauer, nämlich auf den 24. März, nur
12 Tage zu ſpät, haben anſagen können, wenn er die wahre Maſſe
Saturns, wie ſie uns erſt ſpäter bekannt geworden iſt, hätte
anwenden können, ſelbſt ohne eine weitere Rückſicht auf die großen
Wirkungen des Planeten Uranus, von deſſen Exiſtenz man zu
Clairaut’s Zeiten noch nichts ahnden konnte.


Dieſe Erſcheinung zeichnete ſich dadurch aus, daß ſie von
einem doppelten Verſchwinden des Kometen begleitet war. Der
[266]Kometen.
Komet wurde gegen das Ende des Jahres 1758, alſo vor ſeinem
Perihelium, entdeckt. Um die Mitte Februars näherte er ſich,
von der Erde geſehen, der Sonne ſo ſehr, daß er endlich in den
Strahlen derſelben verſchwand. Gegen das Ende des März trat
er aus derſelben wieder mit neuem Glanze hervor und verſchwand
am 22. April zum zweitenmal, wenigſtens für die europäiſchen
Aſtronomen, weil er ſo tief unter den Aequator herabſtieg, daß er
von der nördlichen Hemiſphäre der Erde nicht mehr geſehen werden
konnte. Am 28. April fing er wieder an, ſich aus ſeinen ſüdlichen
Regionen gegen den Aequator zu erheben und für uns neuerdings
ſichtbar zu werden, bis er endlich in den erſten Tagen des Junius
völlig verſchwand und ſich in die fernen Gegenden des Himmels
verlor, wo kein Fernrohr ihn mehr erreichen kann. Der erſte, der
den Kometen bei dieſer Erſcheinung bemerkte, war ein Bauer,
Palitſch, bei Dresden, der ihn am 25. Dezember 1758 entdeckt
hatte. In Paris fand ihn der ſpäter als Kometenſucher berühmte
Meſſier gegen die Mitte des Januars 1759, der ihn auch eben ſo
fleißig als gut beobachtete. Nach den Nachrichten Meſſiers hatte
er einen beträchtlichen Schweif und einen bedeutenden Kern von
weißem, der Venus ähnlichem Lichte. Uebrigens hat man auch
Beobachtungen dieſer Erſcheinung von Caſſini de Thury, Maraldi,
Lacaille, Lalande und beinahe allen damals lebenden Aſtronomen.
De la Nux, der ihn auf der Inſel Bourbon ſehr eifrig beobachtete,
giebt den Schweif deſſelben, zur Zeit ſeiner ſchönſten Erſcheinung,
Anfangs Mai, auf 47 Grade Länge an, aber derſelbe wurde gegen
Ende dieſes Monats ſchon wieder ſehr klein und beinahe unmerklich.


Erſt ſpät nach dieſer Erſcheinung, erſt in unſeren Tagen
wurde dieſelbe einer genauen Berechnung, mit Berückſichtigung
aller planetariſchen Störungen, unterworfen, durch welche Arbeiten
ſich Burckhardt, und ſpäter Damoiſeau in Paris und zuletzt Pon-
tecoulant und Roſenberger ausgezeichnet haben. Pontecoulant hat
die Elemente dieſes Kometen, wie ſie für die Zeit der nächſtkünf-
tigen Erſcheinung (im November 1835) ſtatt haben ſollen, auf
folgende Weiſe angegeben:
Länge des Perihels 304° 31′ 43″
Durchgang des Kometen durch das Perihel 7. November 1835

[267]Kometen.
Länge des aufſteigenden Knotens der Bahn 55° 30′ 0″
Neigung gegen die Ecliptik 17° 44′ 24″
Excentricität in Theilen der halben großen Axe 0,96752
Richtung des Laufes retrograd.


Auf dieſe Elemente hat Hr. Hauptmann Boguslavsky in
Breslau eine Ephemeride gebaut, welche den Ort des Kometen
vom 14. Auguſt bis 12. Nov. 1835 angibt. Man ſieht daraus,
daß dieſer Komet gegen Ende Auguſts dieſes Jahres Morgens in
dem Sternbilde des Stiers erſcheint, wo aber ſeine Diſtanz von
der Erde noch 40 Millionen Meilen betragen, alſo auch ſein Licht
noch ſehr ſchwach ſeyn wird. Da zu dieſer Zeit ſein Lauf gegen
die Erde zu gerichtet iſt, ſo nimmt er ſchnell an Licht zu. Bald
darauf wird er in den Zwillingen erſcheinen und immer früher
aufgehen. Im September wird er am größten und hellſten
glänzen. Am erſten October ſteht er bei den Vorderfüßen des
großen Bären und geht einige Tage nicht mehr auf und unter.
Wenn der Komet ſelbſt ſich ſeit ſeiner letzten Erſcheinung nicht
ſehr verändert hat, ſo wird ſich ſein Schweif um dieſe Zeit vom
Haupthaar der Berenice bis in das bekannte Viereck des großen
Bären erſtrecken. Von dem 5. October an geht er immer früher
unter und erſt nach Sonnenaufgang auf; er entfernt ſich dabei
immer mehr von der Erde und wird bald darauf in den Strahlen
der Sonne verſchwinden. (Nähere Nachrichten über dieſe Er-
ſcheinung und den Kometen ſelbſt findet man in den „Beiträgen
„zu einer Monographie des Halley’ſchen Kometen von C. L. Littrow,
„Wien 1834“.)


§. 174. (Komet von Olbers.) Bis zum Jahre 1815 konnte
man nur von dieſem Halley’ſchen Kometen die Wiederkunft mit
Sicherheit angeben. Allein am 6. März dieſes Jahres entdeckte
Olbers einen andern, kleinen und unanſehnlichen Kometen, und
erkannte auch zugleich aus ſeinen Beobachtungen, daß die Umlaufs-
zeit deſſelben nahe 75 Jahre betrage. Sein größter Abſtand von
der Sonne beträgt 33,98 und ſein kleinſter nur 1,22 Halbmeſſer
der Erdbahn. Seine halbe große Axe iſt 17,6 Halbmeſſer der
Erdbahn, und ſeine Excentricität 0,931 ſeiner eigenen Halbaxe, oder
16,38 Halbmeſſer der Erdbahn. Die Neigung ſeiner Bahn gegen
[268]Kometen.
die Ecliptik beträgt 44 Grade, und die Länge ſeines aufſteigenden
Knotens 83, ſo wie die Länge ſeines Perihels 149 Grade. Die
Richtung ſeiner Bewegung iſt direct oder von Weſt gen Oſt.
Auch dieſe Bahn hat eine ſolche Lage gegen die Erdbahn, daß der
Komet der Erde nie nahe kommen, ihr alſo auch nie gefährlich
werden kann. Daß er früher noch nie geſehen worden iſt, rührt
ohne Zweifel daher, weil man den kleinen, ſchwachbeleuchteten
Körper nicht bemerkte. Sein nächſter Beſuch wird erſt auf
das Jahr 1887 fallen, wo er am 9. Februar durch ſeine Sonnen-
nähe gehen wird. Wir wünſchen, daß ihn dann, von heute über
52 Jahre, noch recht viele unſerer Leſer ſehen und beobachten
mögen.


§. 175. (Komet von Encke.) Der dritte Komet, deſſen Um-
lauf uns bekannt iſt, wurde von dem berühmten Kometenjäger
Pons in Marſeille am 26. November 1818 entdeckt. Encke, der
ihn einer ſehr genauen Rechnung unterwarf, erkannte der erſte
ſeine Umlaufszeit von nahe 3 Jahren und 115 Tagen. Er wurde
ſchon früher dreimal, in den Jahren 1786, 1795 und 1805 geſehen
und beobachtet, aber ohne daß man ſeine für einen Kometen doch
ſo auffallende kurze Umlaufszeit bemerkte. Die halbe große Axe
ſeiner Bahn beträgt 2,2 und die halbe kleine 1,2 Halbmeſſer der
Erdbahn. Die Excentricität derſelben iſt 0,849 Halbmeſſer ſeiner
eigenen Bahn oder 1,87 Halbmeſſer der Erdbahn. Demnach beträgt
ſeine größte Entfernung von der Sonne 4,07, und ſeine kleinſte
0,33 Halbmeſſer der Erdbahn. Die Neigung ſeiner Bahn iſt 13,
die Länge des aufſteigenden Knotens 335 und die ſeines Perihels
157 Grade. Seine Bewegung endlich iſt direct, wie die aller
Planeten.


Dieſer Komet gehört zu den kleinen und ſchwachen Kometen
und er hat eine kugelförmige Geſtalt ohne merklichen Schweif.
Auch er kann der Erde nie nahe kommen und noch weniger mit
ihr zuſammenſtoßen, daher wir von ihm nichts zu fürchten haben.
Encke fand durch ſeine Berechnungen, daß die große Axe ſeiner
Bahn, alſo auch, nach dem dritten Keplerſchen Geſetze (I. S. 288)
ſeine Umlaufszeit immer kleiner wird, eine ſehr auffallende Er-
ſcheinung, da dieſe Elemente, wie man weiß, bei allen Planeten
[269]Kometen.
durchaus beſtändig und auch nicht der geringſten Veränderung
unterworfen ſind. Encke ſucht die Urſache davon in dem Wider-
ſtande, welchen der durch den ganzen Weltraum verbreitete Aether,
ſeiner großen Feinheit ungeachtet, einem ſo lockern und wenig
dichten Körper entgegen ſetzt, während derſelbe auf die viel dichteren
Planeten keinen für uns merkbaren Einfluß ausübt.


Auf den erſten Blick könnte es ſonderbar ſcheinen, daß der
Widerſtand eines ſolchen Mittels, in welchem ſich ein Körper
bewegt, die Geſchwindigkeit deſſelben beſchleunigen ſoll, denn
das thut ſie, wenn dadurch der Halbmeſſer der Bahn kleiner, oder
wenn der Komet der Sonne näher gerückt wird, allein man wird
ſich erinnern, daß auf einem um die Sonne gehenden Himmels-
körper immer zwei Kräfte wirken: die anziehende Kraft dieſer
Sonne und die Tangentialkraft, die von einem urſprünglichen
Stoße herrührt, welchen der Komet im Anfange ſeiner Bewegung
erhalten hat. Nach der letzten Kraft beſtrebt ſich der Komet, in
jedem Augenblicke nach der geradlinigen Tangente ſeiner Bahn
fortzugehen, von welcher er, durch die erſte Kraft, immer wieder
gegen die Sonne abgelenkt oder der Sonne genähert wird. Die
Geſammtwirkung beider Kräfte macht ihn dann in der krummen
Bahn fortgehen, die er in der That um die Sonne beſchreibt.
Durch den Widerſtand jenes Mittels wird nun ihre Tangential-
kraft offenbar vermindert, und das iſt, da es ſich hier nur um
die Verhältniſſe beider Kräfte handelt, ganz eben ſo viel, als ob
die Attractionskraft der Sonne vermehrt worden wäre, ſo daß
alſo die Sonne, wegen jenes Mittels, ihn ſtärker anziehen, ihn
näher zu ſich ziehen und eben dadurch auch ſeine Geſchwindigkeit
vermehren oder ſeine Umlaufszeit vermindern muß. Wenn die
Bahn des Kometen eine feſte, Kanal-ähnliche Bahn wäre, wenn
z. B. eine Kugel von Metall oder Elfenbein ſich in irgend einer
krummen Röhre bewegte, ſo iſt kein Zweifel, daß ſie ſich in dem
leeren Raume dieſer Röhre ſchneller, als in einer mit Luft oder
Waſſer gefüllten Röhre bewegen würde, ſo daß alſo hier der
Widerſtand des Waſſers in der That eine Verzögerung, und
nicht, wie dort, eine Beſchleunigung der Geſchwindigkeit des
Körpers hervorbringen würde. Allein die himmliſchen Körper
[270]Kometen.
bewegen ſich in keinen ſolchen feſten Kanälen, ſondern bloß in
imaginären Bahnen, die nachgeben oder ſich ändern, ſobald irgend
eine äußere Kraft auf den Körper einwirkt, welcher in dieſer
Bahn einhergeht.


Außer den vier bereits erwähnten Erſcheinungen haben wir
dieſen Kometen auch ſchon in den Jahren 1822, 1825, 1828, 1832
geſehen, in welchem letzten Jahre er am 4. Mai durch ſein Peri-
helium gegangen iſt. Wir werden ihn im folgenden Jahre 1835
zu Ende Auguſts und dann 1838 gegen den 20. Dezember wieder
durch ſein Perihelium gehen ſehen.


§. 176. (Komet von Biela.) Der vierte und letzte Komet,
deſſen Umlauf wir bisher mit Gewißheit angeben können, iſt der,
welchen Biela, ein öſterreichiſcher Offizier, am 28. Februar 1826
zu Joſephsſtadt in Böhmen entdeckt und auch zugleich ſeine Um-
laufszeit zu 6 Jahren und 270 Tagen beſtimmt hat. Seine halbe
große Axe beträgt 3,6 und ſeine halbe kleine 2,4 Halbmeſſer der
Erdbahn. Die Excentricität ſeiner Bahn iſt der 0,74 ſte Theil ſeiner
Halbaxe oder gleich 2,66 Halbmeſſer der Erdbahn, ſo daß alſo
ſeine größte Entfernung von der Sonne 6,26 und ſeine kleinſte
nur 0,94 Halbmeſſer der Erdbahn beträgt. Die Neigung ſeiner
Bahn gegen die Ecliptik iſt 13, die Länge ſeines aufſteigenden
Knotens 249 und die ſeines Perihels 108 Grade. Auch dieſer
Komet wurde bereits in den Jahren 1772 und 1805 beobachtet,
aber damals nicht als einer von ſo kurzer Umlaufszeit erkannt.
Er erſchien uns bisher nur als ein kleiner, runder, matt erleuch-
teter Nebel ohne Schweif mit einem feinen Lichtpunkte in ſeiner
Mitte. Der Durchmeſſer dieſes kugelförmigen Nebels ſoll, nach
Schröters Meſſungen im Jahre 1805, nahe 5 ½ Erddurchmeſſer
oder 9460 d. Meilen betragen haben. Der eigentliche Kern des
Kometen aber ſoll, nach demſelben Beobachter, kaum 20 Meilen
im Durchmeſſer enthalten. Das letztemal iſt er uns i. J. 1832
erſchienen, wo er am 27. Nov. durch ſein Perihelium gegangen
iſt. Bei ſeiner nächſten Wiederkunft i. J. 1838 werden wir ihn
gegen Ende Octobers wieder ſehen.


§. 177. (Gefährliche Lage von Biela’s Kometenbahn.) Wenn
man in der Zeichnung der Fig. 15, in welcher alle die vier bisher
[271]Kometen.
erwähnten Kometenbahnen ſammt jenen der Planeten dargeſtellt
ſind, die Lage zweier Planetenbahnen, z. B. die des Jupiter und
der Erde mit einander vergleicht, ſo ſieht man auf den erſten
Blick, daß dieſe beiden Bahnen in allen ihren Punkten ſehr weit
von einander entfernt ſind, und daß daher eine Begegnung oder
auch nur eine ſtarke Annäherung dieſer beiden Planeten für alle
künftige Zeiten ganz unmöglich iſt, ſo lange nicht eine oder beide
Bahnen eine völlige Aenderung erleiden. Eben ſo verhalten ſich
auch die meiſten Kometenbahnen unter ſich ſowohl, als auch gegen
die Planetenbahnen. Noch vor wenig Jahren kannte man keine
einzige Kometenbahn, welche der eines andern Planeten oder
Kometen ſo nahe gekommen wäre, daß man einen Durchſchnitt
beider Bahnen befürchten könnte. Zwar ſcheint es in derſelben
Zeichnung, als ob die erwähnten vier Kometenbahnen mehrere
Planetenbahnen durchſchnitten. Aber in dieſer Zeichnung iſt die
Neigung dieſer Kometenbahnen gegen die Ebene der Ecliptik, der
größeren Einfachheit wegen, nicht ausgedrückt worden, ſo daß
daher die Linien, welche hier einander zu durchſchneiden ſcheinen,
weit über oder unter einander liegen, und daher noch ſehr weit
von einander entfernt ſind. Um ſich davon zu überzeugen, ziehe
man nur die geraden Linien durch die Sonne, welche die oben
bei dieſen Kometen angezeigten Knotenlinien ihrer Bahnen angeben.
Bei Encke’s Kometen z. B. fällt der aufſteigende Knoten in die
Länge von 335 Graden, alſo ſehr nahe in ſein Aphelium. Dieſes
letzte liegt aber, wie die Zeichnung zeigt, mitten zwiſchen der
Mars- und Jupitersbahn, und ſelbſt weit jenſeits von den Bahnen
der vier neuen Planeten. Da nun die Planeten beinahe alle ſich
nahe in der Ebene der Ecliptik bewegen, ſo kann ein Komet den-
ſelben nur dann im Allgemeinen nahe kommen, wenn ſein Knoten,
der ebenfalls in der Ecliptik liegen muß, der Planetenbahn nahe
liegt. Da dieß hier nicht der Fall iſt, ſo kann auch kein Zu-
ſammenſtoßen des Kometen mit einem Planeten zu befürchten
ſeyn, indem die übrigen Punkte der Bahn, außer den beiden
Knoten, ſämmtlich ſchon zu weit über oder unter der Planetenbahn
liegen. In dem abſteigenden Knoten der Bahn des Encke’ſchen
Kometen iſt eine ſolche Annäherung ſchon eher zu befürchten. Er
[272]Kometen.
kömmt nämlich in ſeinem abſteigenden Knoten, der nahe in ſein
Perihelium fällt, wie die Zeichnung zeigt, der Bahn des Merkur
ſehr nahe. Wenn daher einmal in der Folge der Zeiten der
Komet eben durch ſein Perihelium geht, während Merkur zugleich
in dem dieſem Punkte nächſten Theile ſeiner Bahn ſich aufhält,
ſo iſt, zwar kein Zuſammenſtoßen, wie man ſieht, aber doch eine
beträchtliche Annäherung beider Weltkörper vorauszuſehen, und
die Aſtronomen, die dieſes ſchon längſt bemerkt haben, wünſchen
ein ſolches Ereigniß recht bald zu ſehen, weil ſie eben dadurch
Gelegenheit zu erhalten hoffen, die noch immer nicht genau be-
kannte Maſſe Merkurs durch die Störungen beſſer zu beſtimmen,
welche dieſer Planet dann auf dem ihm ſo nahen Kometen aus-
üben wird.


Ganz anders verhält ſich aber die Sache mit Biela’s Kometen-
bahn. Zieht man auch hier die Knotenlinie durch die Sonne, die
nach dem Vorhergehenden, durch die beiden Punkte 69° und 249°
der Länge geht, ſo ſieht man, daß der abſteigende Knoten dieſer
Bahn, der in die Länge von 69 Graden fällt, ſehr nahe an die
Erdbahn zu liegen kömmt, woraus folgt, daß dieſer Komet ſelbſt
einmal der Erde ſehr nahe kommen kann, wenn er nämlich zu
derſelben Zeit durch ſeinen abſteigenden Knoten geht, während
welcher die Erde in demjenigen Theile ihrer Bahn ſich aufhält,
der dieſem Knoten ſo ungemein nahe liegt. Es fehlt, wie die
Zeichnung, und noch genauer die Rechnung zeigt, nicht viel, daß
in dieſem Punkte beide Bahnen einander ſchneiden. Wenn daher
einmal der Komet und die Erde zu gleicher Zeit in dieſem
ihren beiden Bahnen gemeinſchaftlichen Punkte eintreffen ſollten,
ſo würden ſie ſich daſelbſt begegnen, ſie würden an einander ſtoßen
und die Folgen eines ſolchen Conflictes, ja ſchon die einer ſehr
ſtarken Annäherung, würden wahrſcheinlich für uns nicht die er-
freulichſten ſeyn.


Um dieß noch beſſer zu überſehen, hat man in Fig. 19 die
Bahn der Erde a b c, die des Encke’ſchen Kometen d e f, und
endlich die des Biela’ſchen Kometen a e g in ihrer wahren gegen-
ſeitigen Lage verzeichnet. Die Brennpunkte aller drei Bahnen
gehen durch die Sonne S. Die beiden Kometenbahnen ſind gegen
[273]Kometen.
die Ecliptik, welche hier durch die Erdbahn oder durch die Ebene
des Papiers dargeſtellt wird, unter dem Winkel von 13 Graden
geneigt, und man ſieht von dieſen zwei Kometenbahnen denjenigen
Theil, der über der Ebene der Ecliptik liegt; der aufſteigende
Knoten der Encke’ſchen Bahn iſt in f, der abſteigende in d,
während der aufſteigende Knoten der Biela’ſchen Bahn in h und
der abſteigende in a liegt.


Man ſieht aus dieſer Zeichnung, daß die Bahn des Biela’ſchen
Kometen die Erdbahn in ihrem abſteigenden Knoten a ſchneidet,
und daß daher, wenn in der Folge der Zeiten dieſer Komet und
die Erde zu gleicher Zeit in dieſem Punkte a ankommen ſollten,
ein Zuſammenſtoß beider Weltkörper herbeigeführt werden würde.
In dem aufſteigenden Knoten h der Biela’ſchen Bahn iſt der-
gleichen offenbar nicht zu beſorgen, da dieſer Punkt h der Kometen-
bahn ſehr weit von allen Punkten der Erdbahn a b c entfernt iſt.
Daſſelbe gilt auch von den beiden Knoten d und f der Encke’ſchen
Bahn, von welcher der eine d wohl innerhalb der Erdbahn, aber
doch auch, ſo wie der andere f, immer ſehr weit von der Peri-
pherie
a b c der Erdbahn abſteht, in welcher letzten allein ſich
die Erde bewegt.


Allein nicht bloß mit der Erde kann der Biela’ſche Komet
einmal zuſammentreffen, ſondern auch, wie ſchon der bloße An-
blick der Zeichnung zeigt, mit dem Encke’ſchen Kometen; dieſe
beiden Kometenbahnen ſchneiden ſich nämlich in dem Punkte e,
der beiden Bahnen gemeinſchaftlich iſt. Wenn man auf die oben
angeführten Elemente dieſer beiden Kometenbahnen die Rechnung
anwendet, ſo findet man für die gemeinſchaftliche Durchſchnitts-
linie S e dieſer zwei Bahnen den Winkel d S e = 47° 15′,9 und
h S e = 132° 2′,4. Daraus folgt, daß die Entfernung dieſer
beiden Kometen von der Sonne, wenn ſie durch jenen gemein-
ſchaftlichen Punkt e gehen, für den Encke’ſchen 1,599 und für den
Biela’ſchen 1,532 Halbmeſſer der Erdbahn beträgt. Eine geringe
Veränderung dieſer Elemente, wie ſie durch die Störungen der
benachbarten Planeten leicht herbeigeführt werden kann, würde
dieſe beiden nabe gleichen Entfernungen völlig gleich und dadurch
ein Zuſammenſtoßen derſelben möglich machen. Der Punkt des
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 18
[274]Kometen.
Himmels, in welchem dieſe Begegnung der zwei Kometen ſtatt
finden kann, hat, von der Sonne aus geſehen, die Länge 21°,0
und die nördliche Breite 9°,8 und er iſt von dem ihm nächſten
Puncte der Erdbahn nur 0,635 Halbmeſſer dieſer Bahn oder nur
15300 Erdhalbmeſſer verſchieden, ſo daß unſere Nachkommen, wenn
jene Begegnung der beiden Kometen um die Mitte des Octobers
ſich ereignen ſollte, das ſeltene, ja bisher noch nie geſehene Schau-
ſpiel des Kampfes und vielleicht der gegenſeitigen Zerſtörung dieſer
Himmelskörper erblicken würden.


§. 178. (Starke Annäherung des Biela’ſchen Kometen zur Erd-
bahn i. J. 1832.) Aber ſo intereſſant auch ein ſolches Schauſpiel
ſeyn mag, ſo liegt doch der Conflict des Biela’ſchen Kometen mit
unſerer eigenen Erde uns und unſerem eigenen Intereſſe noch viel
näher, als daß wir uns nicht vorzugsweiſe mit dieſem beſchäftigen
und vor allem zuſehen ſollten, was wir für uns ſelbſt von ihm
zu fürchten haben.


Dieſer fatale Komet war ſchon im Jahre 1826 der Erdbahn
ziemlich nahe gekommen, indem er nur etwa doppelt ſo weit, als
der Mond, von derſelben abſtand. Allein am 29. Oetober 1832
war dieſer Komet nur mehr 2 ⅓ Erddurchmeſſer oder dreizehnmal
weniger, als der Mond, von der Erdbahn entfernt und vielleicht
noch bedeutend weniger, da die Elemente deſſelben noch keineswegs
ſo genau bekannt ſind, um die Diſtanz des Planeten von der Erde
mit großer Schärfe angeben zu können. Von der Erdbahn,
ſage ich, aber nicht von der Erde ſelbſt, welche letzte zu jener
Zeit noch ſehr weit von dem Punkte ihrer Bahn, wo der Komet
dieſer Bahn am nächſten kam, und zwar über dreizehn Millionen
Meilen entfernt war. Eine ſolche Zuſammenkunft der Erde ſelbſt
mit dem Kometen kann immer nur, wenn ſie ſich je ereignen
ſollte, in den letzten Tagen des Novembers ſtatt haben und zu
dieſer Zeit war i. J. 1832 der Komet ſchon wieder der Erde
ſehr weit vorausgeeilt. Die Furcht, welche ſich damals vor dieſem
Kometen verbreitete, war daher durchaus grundlos, wie auch der
Erfolg zeigte.


Ueberhaupt iſt ein ſolches Zuſammentreffen dieſes Kometen
mit der Erde nur in ſolchen Jahren möglich, wo der Komet erſt
[275]Kometen.
in den letzten Tagen des Dezember durch ſein Perihelium geht.
Dieß geſchieht aber nicht während dem ganzen Laufe des gegen-
wärtigen Jahrhunderts. Erſt i. J. 1933 fällt das Perihel des
Kometen auf den letzten, und i. J. 2115 auf den 26. Dezember,
allein dann können die Aenderungen und Störungen, welche ſeine
Bahn in einer ſo langen Zwiſchenzeit erlitten hat, leicht alle Ge-
fahr für die Erde vermindert oder auch wohl ganz entfernt haben.
Da übrigens nicht nur die ganze Nebelhülle, ſondern ſelbſt der
ſehr kleine Kern deſſelben nur ein mattes Licht hat und ſehr
ſchlecht begränzt iſt, ſo ſcheint der ganze Körper dieſes Kometen
bloß aus einem leichten Dunſtgewebe zu beſtehen, das kaum mit
unſern Wolken zu vergleichen ſeyn möchte, ſo daß wir ein Zuſam-
mentreffen mit denſelben vielleicht nicht einmal bemerken würden.
Von dem Schweife aber und den verderblichen Dünſten deſſelben,
von welchen man uns, ich weiß nicht welche ſchädlichen Folgen,
vorerzählt hatte, haben wir durchaus nichts zu fürchten, aus dem
einfachen, aber hier wohl hinreichenden Grunde, weil er gar kei-
nen Schweif hat.


§. 179. (Was hat die Erde überhaupt von den Kometen zu
fürchten?) Aber wenn wir nun auch der Beſorgniß vor dieſen
Kometen überhoben ſeyn ſollten, was haben wir von den andern
zu hoffen oder zu fürchten? — Ihrer ſind, wie wir oben geſehen
haben, ſehr viele, und ſie ſchwärmen in allen Richtungen um die
Erde herum. Wie leicht wäre es da möglich, daß einer derſelben
der Erde begegnete, und daß er dann, wenn ſeine Maſſe beträcht-
lich iſt, große Verwüſtungen auf ihr erzeugen, ja am Ende die
ganze Erde ſelbſt zerſtören, oder mit ſich in die ungemeſſenen Räume
des Himmels fortreißen könnte. Wenn ein ſolcher der Erde be-
gegnende Komet, oder wenn auch nur ſein Kern eine feſte Maſſe
und von einer, in Beziehung auf unſere Erde, beträchtlichen
Größe iſt, ſo muß man allerdings geſtehen, daß ein Zuſammen-
ſtoßen deſſelben mit der Erde für uns ſehr verderbliche Folgen
haben könnte, beſonders wenn ſie ſich in entgegengeſetzten Rich-
tungen begegnen, und wenn die Richtung ihres Stoßes auf die
Oberfläche der beiden Körper ſenkrecht ſtehen ſollte.


Hören wir, was Laplace, einer der größten Geometer unſerer
18 *
[276]Kometen.
Zeit, über die Folgen eines ſolchen Zuſammentreffens ſagt. „Dem
Schrecken, welchen früher die Erſcheinung eines Kometen in aber-
gläubiſchen Gemüthern verbreitete, folgte in unſern Tagen die
Beſorgniß, daß einer dieſer zahlloſen Himmelskörper, welche in
allen Richtungen das Planetenſyſtem durchkreuzen, an die Erde
ſtoßen und die Lage ihrer Axe verändern möchte. Es iſt nicht ſchwer,
ſich die Folgen eines ſolchen Zuſammenſtoßes vorzuſtellen. — Die
Axe und die Umwälzungszeit der Erde (die Länge des Tages) würden
allerdings eine Aenderung erleiden; die Meere würden ihr altes Lager
verlaſſen, um ſich gegen den neuen Aequator hinzuſtürzen; ein gro-
ßer Theil der Menſchen und Thiere würden in dieſer allgemeinen
Waſſerfluth oder auch durch den heftigen Stoß, den die Erde er-
halten hat, zu Grunde gehen; ganze Geſchlechter von lebenden
Weſen würden ihren Untergang finden und alle Denkmäler des
menſchlichen Fleißes und Kunſtſinnes würden vernichtet werden u. ſ. f.“


Dieſes Gemälde iſt finſter genug, aber nicht übertrieben. Wer
von uns hat nicht ſchon ſelbſt die Erfahrung gemacht, daß man,
in einem ſchnell fahrenden Wagen, wenn die Pferde plötzlich ſtille
ſtehen, oder wenn der Wagen an ein nicht zu überwindendes Hin-
derniß ſtößt, von ſeinem Sitze gleichſam vorwärts geſtoßen
wird, und zwar deſto heftiger, je größer die Geſchwindigkeit des
Wagens war, die durch jenes Hinderniß aufgehoben oder geſtört
worden iſt. Ganz dieſelbe Erfahrung, nur in einem viel größern
Maaßſtabe, würden wir auch zu machen Gelegenheit haben, wenn
wir einmal mit einem Kometen zuſammenſtoßen ſollten. Unſere
Erde iſt in der That einem Wagen zu vergleichen, in welchem wir
alle um die Sonne herum fahren, und zwar mit einer ſo großen
Schnelligkeit, daß wir in jeder Stunde gegen 17000 Meilen, alſo
120 mal mehr als eine Kanonenkugel zurücklegen, wenn ſie eben
aus der Mündung des Geſchützes tritt. Wenn nun dieſe Erde an
einen Kometen von ſolider Maſſe anſtoßen ſollte, ſo würden wir
und alles, was in dem großen Wagen Bewegliches iſt, die
Gewäſſer der Flüſſe und Meere, unſere Häuſer ſelbſt und unſere
Felſen, gegen den geſtoßenen Punkt der Erde hinſtürzen und
gleichſam vorwärts fallen; der ganze Ocean würde ſein Geſtade
verlaſſen und von allen Seiten an jenen Ort hineilen, auf ſei-
[277]Kometen.
nem Wege alle Menſchen und Thiere verſchlingen, unſere Städte
und Wälder niederreißen, alle Länder überſchwemmen und ſelbſt
die höchſten Gegenden mit ſeinen ſchäumenden Fluthen bedecken.
Die wahrhaft gräßlichen Folgen einer ſolchen Kataſtrophe mögen
die Leſer ſich ſelbſt zu ſchildern ſuchen.


§. 180. (Gründe gegen dieſe Beſorgniſſe.) Alle die fürchter-
lichen Ereigniſſe, denen wir entgegen gehen ſollen, beruhen aber
auf der Vorausſetzung, daß der Komet, welcher die Erde treffen
werde, ein dichter, feſter und in Beziehung auf die Erde auch
ein beträchtlich großer Körper ſey. Wir haben aber bereits im
Vorhergehenden mehr als einmal Gelegenheit gehabt, zu bemer-
ken, daß die Kometen mit eigentlich feſten Körpern ganz und gar
keine Aehnlichkeit zu haben ſcheinen. Wir ſehen ſie alle nur
als leichte Wolken, als ſchwache, mattbeleuchtete Dünſte, als
bloße Luftgebilde, von welchen, jene fürchterlichen Folgen abzulei-
ten, durchaus kein Grund vorhanden iſt.


Wenn aber ſelbſt ein Zuſammentreffen mit dieſen Körpern für
uns wahrſcheinlich ohne alle verderbliche Folgen ſtatt haben kann,
ſo wird von einem bloßen näheren Vorübergange eines Ko-
meten noch weniger zu beſorgen ſeyn, ſchon aus der Urſache,
weil die Bewegung dieſer Himmelskörper ſo äußerſt ſchnell iſt,
daß ſie, ſelbſt wenn ſie uns einige Augenblicke ſehr nahe kommen
können, ſchon nach wenigen Stunden ſehr weit von uns entfernt
ſeyn müſſen, und daß daher auch ihre Einwirkung auf uns, we-
gen der ungemein kurzen Dauer ihrer größeren Anziehung, dadurch
ſehr verringert werden muß. Ein Komet, deſſen kürzeſte Entfer-
nung von der Sonne gleich dem Halbmeſſer der Erdbahn iſt und
der daher in ſeinem Perihelium die Erde treffen könnte, hat in
dieſem Punkte ſeiner Bahn eine Geſchwindigkeit, die ihn in einer
Stunde ſchon durch 21000 Meilen treiben würde, eine Geſchwin-
digkeit, welche die einer Kanonenkugel ſchon 230 mal übertrifft.
Aber noch viel größer iſt, wie wir ſchon oben geſehen haben,
die Geſchwindigkeit mancher anderen Kometen, die in ihrem
Perihelium der Sonne viel näher kommen.


§. 181. (Aeltere Meinungen von den Kometen.) Unſere Vor-
gänger, welche die Bahnen der Kometen, die ſie, gleich den Pla-
[278]Kometen.
neten, nach denſelben Geſetzen zurücklegen, nicht kannten, und ſie
daher auch weder beobachten, noch berechnen konnten, unterhielten
ſich größtentheils damit, ihre Meinungen von der Entſtehung und
Bedeutung derſelben aufzuſtellen; — Meinungen, die zuweilen, was
ſehr viel iſt, noch etwas abgeſchmackter ausfielen, als die, welche
einige unſerer Naturphiloſophen erſt in unſeren Tagen aufgeſtellt
haben. Wir wollen hier nur einige derſelben mit der Kürze, die
ſie ſo ſehr verdienen, näher anführen.


Plinius, der Büffon des Alterthums, zählt zwölf Gattun-
gen von Kometen auf, deren jede ihre beſondere Eigenſchaft hat:
die mähnenförmigen ſollen ſehr geſchwind laufen, die lanzenförmi-
gen ſehr blaſſen Anſehens ſeyn, die Haarkometen am längſten
ſichtbar bleiben und was dergleichen ſinnreiche Bemerkungen mehr
ſind.


Ariſtoteles brachte, nach ſeiner bekannten Präciſion, dieſe
zwölf Klaſſen auf zwei zurück: die bärtigen und die geſchwänzten
Kometen, wodurch die Wiſſenſchaft allerdings ſehr viel gewinnen
mußte.


Der gelehrte Plutarch, der auch über Aſtronomie ſchrieb,
obſchon er nichts davon verſtand, behauptete ganz dreiſt, daß die
Kometen nichts Reelles, ſondern bloß ein Reflex des Sonnen-
lichts, von anderen Himmelskörpern zurückgeworfen, ſind. Einige
andere griechiſche Philoſophen hielten die Kometen für eine Art
von Coagulation der Fixſterne, die, wenn ſie ſich zufällig nahe
kommen, wie geronnene Milch in einander fließen. Der bereits
erwähnte Stagyrit erklärte ſie für bloße Ausdünſtungen der Erde,
für Exhalationen der Klüfte und Höhlen, die in unſerer Luft auf-
ſteigen, ſich eine Zeit lang daſelbſt herumtreiben und dann wieder
verſchwinden.


Nachdem man im Anfange des 17ten Jahrhunderts mit dem
neuerfundenen Fernrohre nebſt andern himmliſchen Erſcheinungen
auch die Sonnenflecken entdeckt hatte, wurden die Kometen ſo-
fort für einerlei Urſprunges mit dieſen Flecken, für bloße Aus-
dünſtungen der Sonne gehalten, welche ſie, wie unbrauchbare
Schlacken von ſich würfe. Hevel in Danzig, der das Fernrohr
[279]Kometen.
für ein ſehr trügeriſches Inſtrument hielt und es auch aus dieſer
Urſache nie gebrauchen wollte, eiferte gewaltig gegen dieſe Anſicht,
die er als ſehr thöricht verſchrie, und wollte dafür die Kometen
als bloße Ausdünſtungen der Planeten betrachtet wiſſen. Kepler
hielt ſie, wohl nur in einer jener Stunden, in welchen er ſich ſo
gern den lebhaften Spielen ſeiner Phantaſie zu überlaſſen pflegte,
für Ungeheuer, die in den oberen Regionen der Luft, wie die Wall-
fiſche im Meere, herumſchwimmen und ſich von den böſen Dün-
ſten nähren, welche zuweilen die Sonne verfinſtern und unſere At-
moſphäre vergiften ſollen, daher ſie denn auch, wenn ſie ſich der
Erde zuweilen nähern, dieſe Dünſte über ſie ausathmen und Miß-
wachs und peſtartige Krankheiten verurſachen. Andere ſogenannte
Aſtronomen behaupteten, daß die Kometen böſe Dünſte ſeyen, die
ſich im Weltraume ſammeln und dann von der Sonne angezogen
werden, wo ſie, wie in einem Keſſel ausgekocht, nach ihrer Rei-
nigung, als Planeten am Himmel glänzen. Claudius Comirs
läßt ſie im Gegentheile aus der Sonne entſtehen, und von derſelben
wie Schaumblaſen aus einem Schmelzofen, in die Höhe ſteigen,
wo ſie ſich dann ſo lange erhalten, bis ſie platzen. Fromond ſah
ſie als Vorboten des Untergangs der Ariſtoteliſchen Philoſophie
an, die damals, am Ende des 16ten Jahrhunderts, bereits in ih-
ren letzten Zügen lag. Licetus war der Anſicht, daß die Feuer-
ſäule, welche die Juden durch das rothe Meer führte, ein Komet
geweſen ſey, der dem iſraelitiſchen Volke als Fackelträger zugege-
ben wurde. Damaſcenus ſagt, cometas a Deo creari et mo-
veri, quo libuerit, per angelos ad terrendos mortales,
eine
Meinung, die Tannerus eine opinionem christiano philosopho
perquam dignissimam
nennt. Auf eine analoge Weiſe läßt der
ſpaniſche Mönch Valderama die Kometen durch eigene böſe Geiſter
aus dem Höllenpfuhle herauf treiben, um dem ſündigen Menſchen-
geſchlechte einen heilſamen Schrecken einzujagen.


Ich könnte leicht noch eine gute Anzahl dergleichen Dinge an-
führen, wenn nicht zu beſorgen wäre, daß die Leſer bereits eben
ſo müde ſind, ſie anzuhören, als ich ſie zu erzählen. Die meiſten
dieſer Abſurditäten vereinigen ſich dahin, daß die Kometen Un-
glückspropheten ſind und daß ſie ſich vorzüglich gern mit dem
[280]Kometen.
Schickſale der großen Herren, das heißt Derjenigen abgeben, die
ſich von jeher um ſie am wenigſten bekümmert haben. Der Glau-
be, daß die Kometen Unglück bedeuten, ſcheint ſo alt zu ſeyn, als
das Menſchengeſchlecht ſelbſt. Wo immer Krieg, Krankheit, Erd-
beben, Ueberſchwemmungen u. dgl. ſtatt hatten, da waren es auch
die Kometen, welche die Schuld daran tragen mußten. Beſonders
ſtark in dieſem Glauben waren die Römer, die überhaupt zu den
abergläubiſchſten Völkern der Erde gezählt werden müſſen. Ihre
Schriftſteller, ſelbſt die berühmteſten, ſind voll von den Vorbedeu-
tungen, welche die Kometen mit ſich führen ſollen. Cicero, der
ſich doch ſonſt ſo klug dünkte, verſichert ganz ernſthaft, daß alle Ko-
meten Kriege und Bürgerzwiſte bedeuten. Auch Plinius d. A.
nennt ſie terrifica et non leviter saeva sidera und meint, daß
beſonders die dreieckigen nicht viel taugen und ſehr boshafter Na-
tur ſind. Seneca, der an einem andern Orte (Nat. Hist.
Lib. VII.
13) ſo richtige und für ſeine Zeiten in der That ganz
unerwartete Ideen von ihnen mittheilt, erklärt doch, daß ſie alle
ſehr tückiſche Weſen ſeyen, da ſogar derjenige, der laetissimo
Neronis imperio
erſchien, und der alſo unter einem ſo guten und
vortrefflichen Fürſten nichts als Wohlthaten hätte bringen ſollen,
cum ne hic quidem Cometis veterem detraxerit infamiam.
Noch bezeichnendere Stellen findet man in den römiſchen Dichtern,
Virgil, Claudian, Tibull, u. a., die alle die Bosheit der Kome-
ten nicht nachdrücklich genug beſchreiben können. Aber auch die
eigentlichen Geſchichtſchreiber wollten nicht hinter jenen zurückblei-
ben, und Thucydides, Sueton, Joſephus Flavius u. a. erzählen
uns eine Menge Unglücksfälle, die durch Kometen angezeigt oder
ſelbſt bewirkt worden ſeyn ſollen. Wer Luſt an ſolchen Mähr-
chen hat, kann ſie in des berühmten Jeſuiten Riccioli’s Werke
(Almagestum novum) oder in des bereits oben erwähnten Lu-
bienietz Theatrum cometicum
ſelbſt nachſehen.


Aber auch ſelbſt die eigentlichen und unter ihnen ſehr aus-
gezeichnete Aſtronomen haben ſich von dieſen, die Menſchen ſo lange
beherrſchenden Vorurtheilen nicht ganz frei halten können, wie der
folgende Auszug aus einem Aufſatze zeigt, den D’Alembert in der
Encyclopédie française eingerückt und die erſt im Jahr 1815
[281]Kometen.
ein nicht minder geſchätzter deutſcher Aſtronom in dem von ihm
herausgegebenen Almanache wieder aufgenommen hat. Die Rede
iſt von dem großen, ſchon oben erwähnten Kometen des Jahres
1680, von welchem noch zu Newtons Zeiten der berühmte Whiſton
in einem eigenen, nicht kleinen Werke die Noachiſche Sündfluth
abgeleitet hat. Beide oben erwähnte Aſtronomen ſetzen mit Whi-
ſton voraus, daß die Umlaufszeit dieſer Kometen 575 Jahre be-
trage und auf dieſe Vorausſetzung bauen ſie ihre ganze Hypotheſe.
Geht man, ſagen ſie, von dem Jahre 1680 um acht ſeiner Perio-
den, d. h. um 4600 Jahre zurück, ſo fällt man auf das Jahr 2916
vor Chr., auf welche Zeit die meiſten unſerer Chronologen die
Sündfluth ſetzen. Von da zwei Perioden vorwärts, gelangt man
zu dem Jahre 1767 v. Ch., wo uns neuerdings eine große Ueber-
ſchwemmung begegnet, nämlich die des Ogyges, des Urvaters der
alten Griechen, von dem ſeine Nachfolger deſto mehr erzählen
konnten, je weniger ſie von ihm wußten. Die dritte Erſcheinung
dieſes Kometen fällt auf das Jahr 1192 vor Chr., in welchem
nach der, allerdings noch ganz unverbürgten Rechnung einiger un-
ſerer Chronologen, der trojaniſche Krieg angefangen haben ſoll.
Die vierte Erſcheinung trifft in das Jahr 617 vor unſerer Zeit-
rechnung oder in die Zeit der Zerſtörung Ninive’s, wo der große
Komet geſehen wurde, von welchem in den ſibylliniſchen Büchern
geſchrieben ſteht — was meine Leſer ſelbſt darin nachſchlagen mögen.
Die fünfte fällt auf d. J. 43 v. Chr., alſo in das Todesjahr des
C. J. Cäſar, von deſſen Zuſammenhang mit den Kometen wir
ſchon oben geſprochen haben. Die ſechste i. J. 531 nach Chr.
beleuchtete den Anfang der thatenreichen Regierung Juſtinians I.
des Geſetzgebers. Die Kriege, Erdbeben und die verheerenden
Seuchen, welche er dießmal mit ſich brachte, ſind umſtändlich ge-
nug in den Werken des Procopius, des Secretärs des großen
Beliſar, zu leſen. Die ſiebente Erſcheinung fiel in das Jahr 1106,
in dem Anfange der Kreuzzüge, wo Chriſten und Türken ihn mit
gleichem Rechte als den Vorboten des Untergangs der Ungläubi-
gen anſahen. Die achte fiel in das Jahr 1680, in die Zeit, die
Newton mit dem Lichte ſeines Geiſtes erhellte, ohne übrigens die
althergebrachten Vorurtheile von der Bedeutung dieſer Himmels-
[282]Kometen.
körper zerſtören zu können, da Milton, Newtons Zeitgenoſſe, in
ſeinem verlorenen Paradieſe, von dem Kometen ſagen konnte:


From its horrid hair


Shakes pestilence and war.


Der neunte Beſuch endlich ſoll in das Jahr 2255 fallen, wo viel-
leicht der Genius der Kultur ſeine Fackel über Europa ausgelöſcht
haben wird und wo wir nähere Nachrichten über ihn von den
Geſchichtſchreibern und Aſtronomen der jetzigen Wilden in Reu-
holland oder in Nukahiba erhalten werden.


Und was ſollen wir indeſſen von allen dieſen artigen Zuſam-
menſtellungen des Kometen mit den Ueberſchwemmungen, Kriegen,
Kreuzzügen u. ſ. w. halten? — Sie ſind, wie geſagt, auf die
Vorausſetzung gebaut, daß die Umlaufszeit des Kometen 575
Jahre beträgt. Und wie ſteht es mit dieſer Vorausſetzung, die
man, der Himmel weiß, woher abgeleitet hat? — Wenige
Worte werden genügen, dieſen Tändeleien, denn anders ſind
ſie nichts, ein Ende zu machen. Erſt in unſeren Tagen
hat einer der geſchickteſten deutſchen Aſtronomen die ſämmtlichen
Beobachtungen des großen Kometen von 1680 einer ſtrengen und
ſehr genauen Rechnung unterworfen und gefunden, daß ſeine Um-
laufszeit, nicht 575, ſondern volle 8800 Jahre beträgt. Mit die-
ſer einzigen Bemerkung verſchwindet daher die Baſis, auf der
man das ganze luftige Gebäude errichtet hat und mit ihr alſo
auch das Gebäude ſelbſt:


And all, which it inherit, shall dissolve,
And like the baseless fabric of a vision
Leave not a wrak behind. (Shak.)
()

§. 182. (Einfluß der Kometen auf die Temperatur der Witte-
rung.) Wenn aber dieſe Himmelskörper mit Kriegen und Ueber-
ſchwemmungen nichts gemein haben ſollen, ſo könnten ſie vielleicht
doch auf unſere Witterung und dadurch auf die Temperatur und
Fruchtbarkeit der Erde ihre Wirkungen äußern? — Dieſer Glaube
iſt in der That nicht minder allgemein, als jener. Wir wollen
ſehen, ob er auch eben ſo gut begründet iſt.


Erfahrungen müſſen hier entſcheiden. Hier ſind ſie. In dem
folgenden Zeitraume von 153 Jahren ſind diejenigen angegeben,
[283]Kometen.
in welchen ein Komet erſchien und in welchen zugleich der Sommer
ſehr warm oder der Winter beſonders kalt war.


Heißer Sommer
oder
Warmer Winter


  • 1632
  • 1682
  • 1689
  • 1701
  • 1702
  • 1704
  • 1718
  • 1723
  • 1737
  • 1748
  • 1764
  • 1769
  • 1774
  • 1781
  • 1783

Kalter Sommer
oder
Strenger Winter


  • 1665
  • 1680
  • 1683
  • 1684
  • 1695
  • 1699
  • 1706
  • 1718
  • 1729
  • 1744
  • 1766
  • 1771
  • 1784
  • 1785

Dieſe Tafel zeigt alſo in 153 Jahren 15, wo die Kometen
große Wärme und 14, wo ſie große Kälte gebracht haben. Und
was folgt daraus? — Doch wohl, daß ſie weder Wärme noch
Kälte bringen, oder daß der Einfluß der Kometen auf unſere Tem-
peratur, wenn er überhaupt beſteht, für uns ganz unmerkbar iſt.


Wir haben bereits oben (I. S. 209) von der mittleren
Temperatur
der verſchiedenen Orte der Oberfläche der Erde
geſprochen und geſagt, wie man dieſelbe durch die Beobachtungen
am Thermometer finden könne. Sehen wir nun zu, ob dieſe
mittlere Temperatur mit der Erſcheinung der Kometen in irgend
einem Zuſammenhange ſteht.


Auf der Sternwarte in Wien beobachtet man ſeit nahe ſechzig
Jahren täglich dreimal den Stand des Thermometers, woraus
man dann, nach dem oben Geſagten, die mittlere Temperatur
jedes Jahrs durch Rechnung ableitet. Ich gebe hier der Kürze
wegen nur die letzten 28 Jahre mit ihren mittleren Temperaturen
[284]Kometen.
nach Reaumür und mit der Anzahl der in dieſen Jahren erſchie-
nenen Kometen.


Im Mittel aus allen an dieſer Sternwarte angeſtellten Beobach-
tungen iſt die jährliche mittlere Temperatur Wiens gleich + 8,6.
Nimmt man nun die Jahre unter 8,2 für kalte und die über 9,0
für heiße Jahre an, ſo findet man aus der vorhergehenden Tafel


  • 7 beiße Jahre mit 10 Kometen
  • 5 kalte — — 8 —
  • 6 mittl. — — 12 —

oder mit anderen Worten, man findet


  • auf 10 heiße Jahre 14 Kometen
  • — 10 kalte — 16 —
  • — 10 mittlere — 20 —

woraus alſo, gegen die bisherige Vorausſetzung, folgen würde,
daß die Kometen mehr Kälte als Wärme bringen und daß die
mittleren Jahre die an Kometen fruchtbarſten ſind. Allein auch
dieſer Schluß iſt offenbar nicht ſicher. Die Jahre 1805 und 1808
waren ſehr kalt und hatten doch, das erſte 2 und das andere ſogar
4 Kometen. Die Jahre 1822 und 1827 waren im Gegentheile
ſehr heiß und doch hatte jedes 3 Kometen. Das heißeſte von
allen, das Jahr 1822, hatte 3, und das kälteſte 1805, hatte 2 Ko-
meten. Kurz, zwiſchen Kometen und Temperatur iſt kein Zuſam-
menhang. Man könnte übrigens leicht von anderen Sternwarten
noch viele ähnliche Zuſammenſtellungen anführen, wenn es der
Raum erlaubte, und man würde ſehen, daß ſie alle das hier ge-
fundene Reſultat beſtätigen.


[285]Kometen.

§. 183. (Einfluß der Kometen auf die Reinheit der Witterung.)
Wenn aber die Kometen keinen Einfluß auf die Temperatur ha-
ben, ſo können ſie doch Trockenheit oder Näſſe, dichte Nebel, Un-
gewitter, Hagel, Meteore u. dgl. erzeugen. Sie können: ſie können
aber auch vielleicht nicht. — Soll man nun alle dieſe Dinge nach
einander auf die Kapelle bringen, um ſie zu unterſuchen? Wohin
würde uns das führen? Ich habe es in der That verſucht, die beiden
letzten Jahrhunderte in Beziehung auf ihre Näſſe oder Trockenheit
durchzugehen; aber ich kann es nicht wagen, die Langeweile, wel-
che mir dieſe Arbeit machte, meine Leſer entgelten zu laſſen. Sie
werden mir vielleicht lieber auf’s Wort glauben, daß ich auch zwi-
ſchen dieſen Dingen und den Kometen keinen weiteren, auch nicht
den geringſten Zuſammenhang gefunden habe. Aus allen dieſen
mühſeligen Unterſuchungen folgt nun eben — daß nichts daraus folgt.


§. 184. (Einfluß der Kometen auf Krankheiten.) Daß die
Kometen auf die Krankheiten der Menſchen und Thiere und ſelbſt
auf die der Pflanzenwelt einwirken, iſt ſo lange und ſo feſt geglaubt
worden, daß man kaum anſtehen kann, ſich auch ein wenig auf
dieſelbe Seite zu neigen. Eigentlich ſollten die Aerzte über dieſen
Gegenſtand gefragt werden, vorausgeſetzt, daß ſie die Natur der
Kometen beſſer kennen, als die der Krankheiten, welche ſie heilen
wollen. Einer der neueſten hat es in ſein Werk: Illustrations
of the atmospherical origin of epidemic diseases, Chilms-
ford
1829 übernommen, den Zuſammenhang der Kometen mit
großen Epidemien mit mathematiſcher Genauigkeit, wie er glaubt,
nachzuweiſen und er ſchließt dieſes voluminöſe Werk mit folgenden
Worten: „Es iſt daher ganz gewiß, daß ſeit dem Anfange unſerer
Zeitrechnung die ungeſundeſten Zeiten auch immer zugleich die an
Kometen reichſten geweſen ſind, und daß die Erſcheinung dieſer
Himmelskörper ſtets von Erdbeben, vulkaniſchen Ausbrüchen und
atmoſphäriſchen Revolutionen begleitet waren, während man im
Gegentheile in geſunden Zeiten nie einen größeren Kometen ge-
ſehen hat.“


Und wie fängt Forſter es an, dieſen ſeinen Satz zu beweiſen?
— Er geht von Chriſti Geburt auf den heutigen Tag alle Jahre
und alle Chroniken durch und bringt alle Leiden und Unfälle,
[286]Kometen.
welche in dieſer langen Zeit das arme Menſchengeſchlecht betroffen
haben, in eine lange Liſte zuſammen. Auf dieſelbe Weiſe ſpürt er
auch den Kometen nach, die ſeit jener Epoche erſchienen ſind, und
deren er gegen 500 zuſammentreibt, die er alle neben den Krank-
heiten ſeines erſten Regiſters einträgt, wodurch denn endlich ein
gar herrliches und für den geneigten Leſer wahrhaft erbauliches
Inventarium von Noth und Elend und zugleich von Kometen ent-
ſtanden iſt, die an allen jenen Drangſalen ſchuld ſeyn ſollen.


Es ſcheint, daß ihm dieſe Arbeit nicht eben viel Nachdenken
gemacht haben kann. Wie wir bereits oben geſehen haben, gibt
es ſo viele Kometen, daß man beinahe auf jedes Jahr zwei der-
ſelben zählen kann. Unglücksfälle aller Art aber, die das arme
Menſchenvolk heimſuchen, gibt es wohl noch mehr, als zwei in
jedem Jahre. Da es ſonach am Himmel nicht an Kometen und
auf Erden nicht an Noth und Elend fehlt, ſo wird es keine be-
ſondere Anſtrengung erfordern, zu jeder Calamität auch einen Ko-
meten als Sündenbock aufzufinden, da es im Gegentheile ſehr
ſchwer, wo nicht unmöglich ſeyn wird, auch nur ein einziges Jahr
zu treffen, wo nicht das Eine oder das Andere dieſer beiden Dinge
eingetroffen wäre.


Ohne Zweifel würde dieſes traurige Inventarium des menſch-
lichen Elends dieſe zweite Auflage einer „Reiſe durch die Höhlen
des Unglücks und die Gemächer des Jammers“ unſeres engliſchen
Karls von Karlsberg eine ganz andere Geſtalt erhalten haben,
wenn es ihm beliebt hätte, ohne Vorurtheile und ohne vorgefaßte
Meinung an ſein Werk zu gehen, und wenn er nicht, was er in
unſeren Geſchichtbüchern erſt ſuchen ſollte, ſchon zuvor als fixe
Idee in ſeinem eigenen Kopfe gefunden hätte. Was ſoll es uns
frommen, wenn wir z. B. bei dem Jahre 1665 leſen: „Großer
Komet und Peſt in London.“ — Alſo doch eine Peſt, aber warum
nur in London? War der Komet nicht auch an andern Orten der
Erde eben ſo gut, war er bloß in London ſichtbar? Warum brachte
derſelbe Komet, der die Peſt nach London führte, ſie nicht auch
nach Paris, nach dem nahen Hamburg, nicht einmal nach Schott-
land oder Irland? Dann hätte alſo wohl jene Dame recht, die,
als ſie hörte, daß man den gefürchteten Kometen im nächſtfolgen-
[287]Kometen.
den Jahre 1832 in Paris erwarte, entgegnete, daß ſie das wenig
kümmere, weil ſie das nächſte Jahr nicht in Paris, ſondern bei
ihren Verwandten in Neapel zubringen werde. — Was ſollen uns
ferner folgende lächerliche Zuſammenſtellungen: „Anno 1668 er-
ſchien ein Komet und in Weſtphalen war ein großes Sterben unter
den Katzen. Anno … war ein Komet und ein großes Unge-
witter in Thüringen, das mehrere Bauern auf der Wieſe erſchlug.
Anno … Komet, und Klauenſeuche des Hornviehes in Oſtfries-
land. Anno … Komet und ein Aerolith in Schottland, welcher
letzte eine Dorfkirche traf und das Räderwerk der Thurmuhr be-
ſchädigte u. ſ. w.“ Wohl hundertmal liest man in dem Buche:
„Komet und Heuſchrecken in Kalabrien; Komet und Ueberſchwem-
mung in England; Komet und Erdbeben in Kleinaſien; Komet
und Feuersbrunſt in Conſtantinopel;“ und was dergleichen Dinge
mehr ſind. Scheint es doch, als wollte der Verfaſſer ab-
ſichtlich darauf ausgehen, die unverträglichſten Dinge mit einander
zu paaren und Sachen zuſammen zu koppeln, die himmelweit von
einander liegen. Wenn es ihm, wie man glauben muß, nur
darum zu thun iſt, bei ſeinen Leſern Aufſehen zu erregen, ſo hätte
er ſeine Kometen ganz gewiß auch eben ſo gut und eben ſo leicht
noch ganz andere Verbindungen eingehen laſſen können, z. B. Ko-
meten und Hundegebell; Kometen und Hühneraugen; Kometen
und lächerliches Geſchwätz oder Kometen und alberne Bücher,
zu welchen letzteren beſonders er die Beiſpiele ganz in der Nähe
hätte finden können.


Wohl wäre es zu wünſchen, dieſen Gegenſtand mit dem Ernſte
behandeln zu können, den die Wichtigkeit der Sache, den die Be-
freiung von jedem Vorurtheile überhaupt verdient, wenn nicht
eben jene ſonderbare Bearbeitung deſſelben durch die Vorgänger
einen ganz andern Ton gleichſam nothwendig gemacht hätte, und
wenn es nicht, ſelbſt unter den ſogenannten gebildeten Ständen,
noch gar zu viele gäbe, die keinen Anſtand nehmen, ſich dieſen
Thorheiten hinzugeben, während ſie auf viel geringere und verzeih-
lichere mit einer Art von Selbſtgefühl herabzuſehen pflegen,
das oft nur zu wohl verrathet, daß auch hier ihre ſcheinbar beſſere
Kenntniß nicht ſowohl auf Gründen und auf Ueberzeugung, als
[288]Kometen.
vielmehr nur auf Gewohnheit und auf einer Art von Mode be-
ruht, für welche ſie ſelbſt nichts weiter anzuführen haben. Ueber-
haupt möchte es wohl mit dem, was man Bildung und Aufklä-
rung zu nennen beliebt, wenn man es etwas näher beſieht, eine
ganz andere Bewandtniß habe, als die Leute gewöhnlich und die
am meiſten glauben, welche dieſe Worte immerdar im Munde zu
führen pflegen. Um aber den Vorwurf der Unartigkeit, die man
unſeren Landsleuten ſo gern Schuld gibt, zu vermeiden, wollen
wir einen der artigſten unſerer artigen Nachbarn jenſeits des Rhei-
nes, von dem ich das Vorhergebende über Forſter entlehnte, für
uns ſprechen laſſen, der ſich bei derſelben Gelegenheit auf folgende
Weiſe ausdrückt: J’aurais vivement desiré, ſchreibt Arago, da-
mals Präſident der Academie der Wiſſenſchaften in Paris, pour
l’honneur des sciences et de la philosophie moderne, pou-
voir me dispenser de prendre au sérieux les idées bizarres,
dont je viens de faire justice: mais j’ai acquis personnelle-
ment la certitude, que cette refutation ne sera pas inutile
et que ces Messieurs ont parmi nous bon nombre d’adeptes.
Au surplus, prêtez l’oreille un seul instant, même dans ces
réunions, qu’il est d’usage d’appeller le grand monde, aux
longs discours, dont les comètes, les éclipses etc. four-
nissent le texte, et decidez ensuite, si l’on peut se glorifier
de cette prétendue diffusion des lumières, que tant d’opti-
mistes se complaisent à signaler comme le trait caractéri-
stique de notre siècle. — Quant à moi, je suis revenu depuis
long-tems de ces illusions. Sous le vernis brillant et su-
perficiel, dont les études purement littéraires de nos col-
lèges et académies revêtent à peu près uniformement toutes
les classes de la société, on trouve presque toujours, tran-
chons le mot, une ignorance complète de ces beaux
phénomènes, de ces grandes lois de la nature, qui sont
notre meilleure sauvegarde contre les préjugés.


§. 185. (Vergleichung der Erſcheinungen der Kometen mit je-
nen der Epidemien.) Da Forſter und ſo mancher Andere ſich eine
Art Geſchäft daraus machten, diejenigen Jahre herauszuſuchen,
an welchen größere Kometen mit allerlei Calamitäten zuſammen-
[289]Kometen.
trafen, ein Geſchäft, das ihnen, wie wir geſehen haben, keine be-
ſondere Schwierigkeiten machen konnte, ſo wollen wir einmal im
Gegentheile, ohne alle Rückſicht auf Kometen, diejenigen Perioden
unſerer Menſchengeſchichte kurz anführen, die ſich durch verheerende
und weiter verbreitete Epidemien bemerkbar machten, und dann
erſt zuſehen, welche größere Kometen ſich etwa in derſelben Zeit
gezeigt haben mögen. Zu dem erſten werden wir uns die vor-
treffliche „Chronik der Seuchen“ unſeres braven und fleißigen
Schnurrer’s und zu dem letzten des ſchönen Kometenverzeich-
niſſes (Altona 1823) bedienen, mit dem uns der berühmte Olbers
beſchenkt hat.


Schon die erſten drei Jahrhunderte nach dem Anfange unſerer
Zeitrechnung waren durch ſchwere und beinahe über das ganze rö-
miſche Reich (von anderen Ländern fehlen uns die Nachrichten),
verbreitete Epidemien ausgezeichnet. Im Jahre 42 nach Chr. G.,
unter der Regierung des Kaiſers Claudius, ergoß ſich das Men-
tagra, eine Art von Elephantiaſis, die den ganzen Körper des
Erkrankten mit Geſchwüren und Borken bedeckte, aus Aegypten
über das geſammte römiſche Reich. — Im Jahre 154 erſchien
eben daſelbſt die Lycanthropie und verbreitete allgemeines Ent-
ſetzen unter die geängſtigten Menſchen. Die von ihr Ergriffenen
irrten, von unſäglichen Schmerzen bis zur Verzweiflung getrieben,
wie Wölfe (daher die Benennung) bei Nacht unter den Gräbern
und an einſamen Orten umher. Die heutigen Aerzte glauben, daß
aus dieſer Krankheit unſere, jetzt ſchon viel gemilderte Katalepſis
entſtanden iſt, wie man denn auch bei vielen anderen, anfangs ſehr
heftigen Krankheiten dieſen endlichen Uebergang in zwar noch immer
ähnliche, aber doch auch viel mildere Formen bemerkt. — Im J. 165
unter K. Antonin herrſchte eine über Kleinaſien, Nordafrika und ganz
Europa verbreitete peſtartige Seuche durch volle ſieben Jahre. —
Im Jahr 182 wurde ganz Italien von einer Epidemie verheert,
die nahe ein Drittheil der Einwohner hinraffte und an der durch
mehrere Wochen in Rom täglich gegen 2000 Menſchen ſtarben.
In der Mitte des dritten Jahrhunderts, unter K. Valerian,
brach eine Seuche aus, die über 15 Jahre im römiſchen Reiche
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder II. 19
[290]Kometen.
wüthete und wegen welcher die noch jetzt unter uns beſtehende
Sitte aufkam, zur Trauer über den Verluſt ſeiner Freunde und
Verwandten ſchwarzgefärbte Kleider zu tragen. — Im Jahre 312
kam der Anthrax aus Aegypten nach Italien und Griechenland,
wo er epidemiſch wurde und ſo heftig um ſich griff, daß von
mehreren Inſeln des mittelländiſchen Meeres die Bewohner ganz
ausſtarben. — Und in allen den genannten Jahren, ja ſelbſt
zehn Jahre vor- oder rückwärts von ihnen, findet man auch
nicht die geringſte Spur
von irgend einem Kometen bei den
alten Schriftſtellern.


Das Jahr 542 war der Anfang einer der verheerendſten Seu-
chen, von der Europa je heimgeſucht wurde. Sie dauerte über
50 Jahre und fing mit allgemeinem Mißwachs und großen Zügen
von Heuſchrecken an. Sie ſcheint das erſte Auftreten der orien-
taliſchen oder eigentlichen Bubonenpeſt geweſen zu ſeyn, und
in der ganzen Periode wird von einem größern Kometen
nichts erwähnt
, wenn man nicht etwa den, vier Jahre
früher i. J. 538 erſchienenen, für den Stifter dieſes Unheils hal-
ten will, der aber nur ſehr klein und unanſehnlich geweſen ſeyn
ſoll. Auch von dieſer Calamität des Menſchengeſchlechtes hat ſich
eine Gewohnheit bis auf unſere Zeiten erhalten. Da die von der
Peſt Ergriffenen von heftigem Gähnen und Nieſen geplagt wurden,
ſo befahl Papſt Gregor der Große, beim Gähnen das Zeichen
des Kreuzes über den Mund zu machen und beim Nieſen dem
Kranken: „Helf’ dir Gott,“ zu ſagen.


Im Jahre 717 fing eine dreijährige Peſt im Oriente an, an
welcher bloß zu Conſtantinopel 300000 Menſchen geſtorben ſeyn
ſollen. Von Kometen aber war um dieſe Zeit keine Spur. Im
Jahre 874 und 875 war ein großes Sterben in Europa, das durch
die zahlloſen Heuſchreckenzüge veranlaßt wurde. Der Moder ihrer
Leichen ſoll in vielen Ländern den Boden mehrere Zolle hoch be-
deckt haben. Auch war ein großer Komet zu ſehen, aber erſt im
Jahre 876, alſo ein Jahr nach dem Ende der Krankheit.


Im Jahre 996 erſchien das ſogenannte heilige Feuer das
erſtemal in Europa. Dieſe verheerende, ſchnell verlaufende und
äußerſt anſteckende Krankheit ergriff ſchnell den ganzen Organis-
[291]Kometen.
mus des Menſchen, den ſie oft ſchon nach einigen Stunden durch
den Brand zerſtörte. Oft ergriff ſie auch nur einzelne Glieder,
Arme oder Beine, die nach wenig Tagen ſchwarz wurden und ab-
fielen. Aus ihr ſoll das ſpätere Antoniusfeuer, das noch ſehr
verheerend war und aus dieſem endlich unſer milderes, ſogenann-
tes Rothlauf entſtanden ſeyn. Damals kamen unter den geäng-
ſtigten Menſchen die Wallfahrten nach dem heiligen Lande auf,
aus welchen ſpäterhin, gegen Ende des eilften Jahrhunderts die
Kreuzzüge entſtanden. Größere Kometen ſah man nur zwei um
dieſe Zeit, den erſten i. J. 983, alſo 13 Jahre zu früh, und den
zweiten 1005, alſo 9 Jahre zu ſpät.


Im Jahre 1092 begann ein allgemeines Sterben der Men-
ſchen und Thiere, das über fünf Jahre währte. Viele Länder ver-
loren die Hälfte ihrer Einwohner und andere verödeten gänzlich.
Es war der allgemeine Glaube, daß der jüngſte Tag bevorſtehe.
Alle Hausthiere flohen in die Gebirge und Wälder, wo ſie wieder
verwilderten. In den letzten Jahren kam dieſe Peſt auch nach
Paläſtina unter die Kreuzfahrer. Zu Jeruſalem ſtarben durch
mehrere Wochen täglich 500 Menſchen, unter ihnen auch Gottfried
von Bouillon. Antiochien ſtarb beinahe ganz aus und von dem
Heere des erſten Kreuzzuges gingen in dieſer Stadt allein in zwei
Monaten über 200000 Menſchen zu Grunde. Ein im November
1097 ihnen aus Europa nachgeſchicktes Hülfscorps von 25000
Mann wurde ſogleich bei ſeiner Ausſchiffung an der aſiatiſchen
Küſte von der Krankheit ergriffen und beinahe gänzlich aufgerie-
ben. — Größere Kometen ſah man aber nur i. J. 1071 und 1097,
alſo 21 Jahre zu früh und 5 Jahre zu ſpät.


Das verderblichſte Jahrhundert unſerer ganzen Menſchenge-
ſchichte war das vierzehnte. Schon i. J. 1310 brach eine große,
ſiebenjährige Peſt über ganz Europa aus. In Straßburg ſtarben
13000, in Baſel 14000, in Mainz 16000, in Köln 30000 Men-
ſchen und viele andere Städte Europa’s ſtarben beinahe gänzlich
aus. Ein großer Komet wurde bloß i. J. 1305, alſo fünf Jahre
zu früh geſehen, was aber doch den Chronikſchreiber Prätorius
nicht hinderte, ihn als den Vorboten jener Peſt anzuſehen.


Im Jahre 1347 begann die fürchterliche Peſt, die ſpäterhin
19 *
[292]Kometen.
allgemein unter der Benennung des ſchwarzen Todes bekannt
wurde. Sie kam von dem nordöſtlichen Aſien, wie einſt die Völ-
kerwanderung, und überzog bald alle bekannten Länder der Erde.
Im erſten Jahre hielt ſie ſich vorzüglich an den Meeresküſten auf,
aber im Jahre 1348 drang ſie auch ſchon in das Innere der Län-
der und wüthete unter Menſchen und Thieren. Die allzuvielen
Todten blieben meiſtens unbegraben auf den Straßen liegen; die
Aecker wurden nicht mehr beſorgt und die Hausthiere irrten auf
den Feldern umher. Bis auf den wildeſten Trieb der Selbſter-
haltung und einer gränzenloſen Furcht ſchienen alle andern Leiden-
ſchaften der Menſchen gänzlich erloſchen zu ſeyn. Bagdad, Diarbekir
und Damask ſtarben beinahe ganz aus; in Guza ſtarben in einem
Monate 22000 Menſchen, in London 80000, in Paris nahe der
vierte Theil der Einwohner; in Lübek während einer einzigen
Nacht 1600, in Wien ſtarben während drei Monaten täglich gegen
700 bis 800 und zur Zeit der größten Höhe der Krankheit einmal
an einem einzigen Tage 1400 Menſchen. Selbſt die Kaiſer und
Könige dieſer Zeit, ſo ſehr ſie ſich auch ſchützten, wurden nicht
verſchont. Unter den Opfern dieſer Peſt zählte man den Kaiſer
Andronicus in Conſtantinopel, König Alfons XI. in Spanien, die
Königin Joanna in Portugal und den Zar Iwanowitſch in Mos-
kau mit ſeinem Bruder und allen ſeinen ſieben Kindern. Dieſe
Peſt dauerte bis 1351 durch fünf Jahre. — Die Chroniken erwäh-
nen einen größeren Kometen für 1347 und 1351, alſo einen für
den Anfang und den andern für das Ende der Krankheit. Es
mag daher auch wohl Kometen geben, welche die Krankheiten wie-
der heilen, die andere gemacht haben.


Im Jahre 1356 brach derſelbe ſchwarze Tod durch neue fünf
Jahre zum zweitenmale aus, und richtete, wie die Geſchichtsſchrei-
ber jener Zeit erzählen, noch größere Verheerungen, als das erſte-
mal an. Nach Petrarca, der auch ſeine Laura daran verlor, und
der ſie, ſo wie Boccaccio, mit den lebhafteſten Farben beſchrieben
hatte, ſollen in Italien von je 1000 Menſchen kaum 10 übrig ge-
blieben ſeyn. In Köln ſtarben 20000, in Avignon 17000, unter
welchen 5 Kardinäle und 100 Biſchöfe, die ſich eben daſelbſt zu
einem Concilium verſammelt hatten, und die auch, wie alle an-
[293]Kometen.
dere, unbegraben auf den Gaſſen liegen blieben, auf die man da-
mals die Leichname durch die Fenſter zu werfen pflegte. Von
Kometen in dieſer Zeit findet man keine Spur. Zum drittenmale
brach dieſe verheerende Krankheit i. J. 1367 aus, wo ſie bis 1374
wüthete. Sie nahm jetzt die Geſtalt des ſogenannten Johannis-
tanzes an, unter welcher ſie, obſchon auch in milderer Form, bis
zu uns unter der Benennung des Veitstanzes gelangte. Die von
der Krankheit Ergriffenen liefen, tanzten und raſeten, bis ſie
ſchäumten und leblos zur Erde ſtürzten, wo dann der hochaufge-
ſchwollene Unterleib der Leichen zerplatzte. Bei den häufigen To-
desfällen ſeit 1347, alſo durch beinahe 20 Jahre, erwartete man
den Untergang des ganzen Menſchengeſchlechts und vermachte alle
ſeine Einkünfte an Kirchen und Klöſter, ſo zwar, daß dieſe Ver-
mächtniſſe durch eigene Geſetze unterſagt werden mußten, um den
rechtmäßigen Erben doch nicht alles zu entziehen. Auch in dieſen
ſieben Jahren erwähnen die Chroniken keines größeren Kometen
bis 1375, alſo ein Jahr nach der Beendigung der Krankheit, daher
auch, nach dem großen Kometendeuter Prätorius, derſelbe keine
weitere Beziehung auf jene Peſt, ſondern bloß auf den Tod
Karls IV. haben ſollte.


Doch es wird unnöthig ſeyn, dieſes traurige Verzeichniß des
menſchlichen Elendes noch weiter fortzuſetzen. Wenn man auf-
richtig mit ſich ſelbſt und ohne Vorurtheil zu Werke geht, ſo wird
man in allen Jahrhunderten eben ſo viel Belege für, als gegen
jene Meinung finden, daß die Kometen Krankheiten oder andere
Unglücksfälle entweder vorher verkündigen, oder ſelbſt verurſachen
ſollen, d. h. man wird finden, daß jene Himmelskörper mit dieſen
Calamitäten des Menſchengeſchlechtes in keiner, oder doch in kei-
ner für uns merkbaren Verbindung ſtehen. Unſere eigenen Er-
fahrungen an der Cholera ſeit dem Jahre 1830 werden dieſes Re-
ſultat beſtätigen. Uebrigens iſt es betrübend zu ſehen, wie lange
die Menſchen mitten unter den Unglücksfällen, die ſie betreffen
und die ſie nicht vermeiden können, ſich noch mit ſelbſtgeſchaffenen
Uebeln plagen, durch grundloſe Beſorgniſſe ängſtigen und die ihnen
verliehene Vernunft durch Vorurtheile und Aberglauben verdun-
keln. Wie nützlich, ja wie nothwendig iſt es daher, das Licht der
[294]Kometen.
Wiſſenſchaften, das uns von allen Seiten umgibt und mit dem
allein wir jene Vorurtheile beſiegen können, zu unſerer wahren
Bildung mit allem Fleiße zu benützen, und uns dadurch in eine
Lage zu verſetzen, wo wir keinen Rückfall mehr in jene finſteren
Jahrhunderte der Unwiſſenheit und des Aberglaubens zu befürch-
ten haben. Erhalten wir daher mit der innigſten Sorgfalt dieſe
Fackel der wahren Aufklärung unſeres Geſchlechtes, dieſen köſtlichen,
von unſeren Vorgängern ererbten Schatz, dieſe den Menſchen zu-
gleich ſchützenden und veredelnden Kenntniſſe, ces hautes con-
naissances, les délices des êtres pensans, dont le plus
grand bienfait pour le genre humain est, d’avoir dissipé les
craintes, les vaines terreurs, les superstitions et tous les
maux, qui accompagnent les erreurs nées de l’ignorance de
nos vrais rapports avec la nature, erreurs et craintes, qui
renaîtraient promptement, si le flambeau des sciences ve-
nait à s’éteindre. (Lapl. Expos.).


§. 186. (Bewohner der Kometen.) Da wir, ſo weit unſere
Erfahrungen reichen, alles in der Natur von lebenden Weſen be-
wohnt finden, ſo können wir nicht gut zweifeln, daß die Kome-
ten, dieſe großen Weltkörper, deren Anzahl, wie wir geſehen
haben, viele Tauſende übertrifft, ganz ohne alle lebenden Geſchöpfe
ſeyn ſollten. Da aber auch dieſe Kometen von allen anderen Him-
melskörpern in ihrem Aeußern ſowohl, als auch wahrſcheinlich in
ihrer inneren Structur ſo ſehr verſchieden ſind, ſo wird ohne Zwei-
fel der Unterſchied derjenigen Weſen, welche ſie bewohnen, von
dem der Erde und der übrigen Planeten ebenfalls ganz verſchieden
ſeyn. Aber welcher Art ſollen ſie nun ſeyn? — Als Fontenelle
von ſeiner neugierigen Marquiſe über die Bewohner der Planeten
befragt wurde, antwortete er: „Madame, ich kenne ſie nicht und
weiß nichts von ihnen zu ſagen.“ — Unſere Leſer werden es uns
nicht übel deuten, wenn wir ihnen auf ihr Fragen von den Be-
wohnern der Kometen, mit noch größerem Rechte, wie wir glau-
ben, dieſelbe Antwort geben. Gibt es doch in der Aſtronomie
nicht bloß, ſondern in beinahe allen andern Wiſſenſchaften noch
gar manche, für uns in der That um Vieles wichtigere Frage, auf
die wir alle keine beſſere Antwort haben, und wobei wir uns da-
[295]Kometen.
her noch mit der althergebrachten Sokratiſchen Weisheit begnügen
müſſen, die da wenigſtens weiß, daß ſie nichts weiß, obſchon man,
wie Lichtenberg ſagte, für eine ſolche Weisheit heut zu Tage nicht
einmal mehr einen Magiſtertitel an unſeren Univerſitäten geben
würde.


Welcher Art aber auch die Bewohner der Kometen ſeyn mö-
gen: wenn ſie an dem Höchſten, was dem Menſchen hienieden
dargeboten wird, wenn ſie an der Betrachtung der Natur und an
der Kenntniß der Werke ihres über alles erhabenen Schöpfers
Sinn und Freude haben — welche hohe Genüſſe müſſen ihnen
vorbehalten ſeyn, Genüſſe, von denen wir uns, auf dem uns an-
gewieſenen Standpunkte, keine weitere Vorſtellung machen können,
wir, die wir auf einem kleinen, beinahe unbeweglichen Punkte,
wie Raupen auf ihrem Kohlblatte, leben, während ſie mit der
Schnelligkeit des Blitzes auf ihren weitgeſtreckten, auf ihren pa-
raboliſchen oder hyperboliſchen Bahnen von einer Sonne, von ei-
ner Welt zur andern fliegen.


Für uns allerdings, für Weſen unſerer Art, ſind dieſe Ge-
nüſſe nicht beſtimmt. Wer von uns könnte jene Extreme von
Licht und Finſterniß, von Hitze und Kälte ertragen, denen ſie auf
ihren weiten Bahnen ausgeſetzt ſind. Die Bewohner der Kometen
von 1680 kamen der Oberfläche der Sonne ſo nahe, daß die Hitze,
welche dadurch entſtand, nach Newtons Berechnung, unſere höchſte
Sonnenhitze 26000 mal und ſelbſt die Hitze des weißglühenden Ei-
ſens noch 2000 mal übertreffen müßte, und dieſelben Weſen ſind
wieder, zur Zeit ihres Apheliums, ſo weit von der Sonne entfernt,
daß ſie ihnen nur mehr als einer der kleinſten Fixſterne erſcheint,
und daß die in jenen Diſtanzen herrſchende Kälte ſelbſt unſere
Atmoſphäre in einen dem Eiſe ähnlichen feſten Körper verwandeln
würde. Welche Organiſation müſſen jene Weſen haben, wenn ſie
dieſe Wechſel ertragen, wenn ſie ſich ihrer vielleicht ſogar erfreuen
können, wie wir uns an der Abwechslung unſerer Tages- und
Jahreszeiten ergötzen. Welche Augen müſſen es ſeyn, die jenes
blendende Licht der Sonne ohne Schmerz ertragen können, wo auch
ſchon der erſte Blick in dieſelbe unſere Geſichtsorgane nicht nur
blenden, ſondern ſogleich in Aſche verwandeln würde, während jene
[296]Kometen.
wieder in einer beinahe völligen Abweſenheit des Lichts, in einer
Finſterniß, gegen welche unſere ſchwärzeſten Nächte nur ſchwache
Dämmerungen ſind, doch noch ſehen und die Wunder ihrer immer
neuen Himmel betrachten können.


Doch vielleicht ſind alle dieſe Extreme nur ſcheinbar und die
Natur, der ein unerſchöpflicher Reichthum von Mitteln zu Gebote
ſteht, ihre Zwecke zu erreichen, wird auch dort Wege gefunden ha-
ben, dieſe Hinderniſſe zu beſiegen, oder ihnen in dem Bau und
der Einrichtung ihrer Geſchöpfe entgegen zu arbeiten. Es iſt
möglich, daß die ungemein zarten Stoffe, aus welchen die Kome-
ten gewebt ſind, auch feiner organiſirten, höheren geiſtigen Weſen
zum Aufenthalte und zum Verbindungsmittel mit der ſie umge-
gebenden Welt dienen. Vielleicht ſind ihre Geiſter an intellec-
tuellen Kräften den unſeren weit überlegen, da ſie ſich in ihren
ätheriſchen Körpern freier bewegen, in Körpern, welche, einer höhe-
ren Ordnung der Sinnenwelt angehörend, für Hitze und Kälte
und für alle andere thieriſche Empfindungen weniger Empfäng-
lichkeit haben. Wiſſen wir doch, daß nicht die größere Nähe der
Sonne es iſt, welche die höhere Temperatur unſerer Sommer er-
zeugt, da uns die Sonne im Winter in der That näher iſt, als
im Sommer (I. S. 302). Sehen wir doch die Möglichkeit ein, daß
dieſe Sonne kein eigentliches Feuer ſeyn muß, und daß die Be-
wohner derſelben, wenn es deren gibt, ſich mehr über Kälte, als
über eine zu große Hitze beklagen können. (Vergl. II. S. 37.)
Ihre Strahlen wenigſtens, ſo nothwendig ſie auch zur Hervor-
bringung der Wärme auf unſerer Erde ſeyn mögen, ſcheinen ſelbſt
nicht zu wärmen, ſondern nur die in den Körpern verborgene und
ihnen eigenthümliche Wärme zu erwecken. Dieſe Erregbarkeit der
Körper für den Wärmeſtoff durch die Sonnenſtrahlen kann bei den
Kometen eine ganz andere ſeyn, als bei uns und ſie kann dort
ſelbſt gänzlich wegfallen. Warum hat man an dem ſchon öfter er-
wähnten großen Kometen von 1680 nach ſeinem Durchgange durch
das Perihelium keine Aenderung bemerkt, da er doch (II. S. 254)
der Sonne ſo nahe kam, daß er beinahe die Oberfläche der-
ſelben ſtreifte? Könnte nicht eben die ungeheuere Ausdehnung,
welche die Maſſe der Kometen bei ihrer Annäherung zur Sonne
[297]Kometen.
erleidet, und wodurch ſie größtentheils nur in eine äußerſt lockere
Dunſtmaſſe aufgelöst werden, könnte dieſe gewaltige Ausdehnung
nicht zugleich ein mächtiges Schutzmittel gegen die dort herrſchende
Hitze ſeyn und eine wahre Abkühlung deſſelben erzeugen? Dieſe
Ausdehnung wird offenbar am ſtärkſten auf der der Sonne
zugekehrten Seite des Kometen ſeyn, nach welcher daher die
dichtere und kältere Luft der andern Seite mit Gewalt hinſtrö-
men und dadurch einen immer kühlenden Lufzug erregen wird.
Dieſe Ausdehnbarkeit, dieſe ungemeine Elaſticität der Kometen-
maſſe mag ſie ſelbſt ganz beſonders gegen die Extreme der Tem-
peratur beſchützen, welchen ſie auf ihrer weiten Reiſe ausgeſetzt
ſind. Wir wiſſen, daß auf den Gipfeln unſerer Berge, wegen der
dort ſchon ſehr verdünnten Luft, die Kälte wieder größer iſt, als in
den Thälern, wo die dichtere Luft die Wärme ſo ſtark befördert.
Ganz eben ſo, nur in einem viel höheren Grade, mag es auch
mit den Kometen gehen. Wenn ihre Maſſe, zur Zeit der Peri-
helien, durch die Sonnenhitze ſehr verdünnt und beinahe in eine
bloße Luftart ausgedehnt wird, muß eben dieſe Verdünnung wie-
der Kühle erzeugen und wenn im Gegentheile, in ihren Aphelien,
dieſelbe Maſſe durch die dort herrſchende Kälte vielleicht zu der
Dichtigkeit unſerer Steine und Metalle zuſammengepreßt wird,
muß durch eben dieſe Verdichtung wieder eine große Menge Wär-
meſtoffes frei werden. Auf dieſe Weiſe mag den Kometen jene
wunderbare, veränderliche Dunſthülle als ein für alle Fälle beque-
mer Reiſemantel, als ein warmer Pelz im Winter und als ein
kühlender Sonnenſchirm im Sommer dienen. Wenn dieſe Him-
melswanderer aus der Tiefe des Weltalls, aus jenen eiſigen Re-
gionen zu uns heran kommen, ſehen wir ſie, am Ende ihrer lan-
gen Winterreiſe, noch enge in ihr dichtes Gewand gehüllt; aber
wie ſie allmählig der wärmenden Sonne näher treten, lüften ſie
dieſes Gewand und breiten es endlich, wie ein kühlendes Zelt,
um ſich aus, um in dem Schatten deſſelben, der nahen Sonne
ungeachtet, einer ihnen ſehr angenehmen Temperatur zu genießen,
ſo daß ſie die Tage, welche wir für ſie als die gefahrvollſten hal-
ten, vielleicht als die fröhlichſten Feſte ihrer langen Jahre zu feiern
pflegen. Iſt es doch, ſelbſt durch eine große Anzahl von Erfah-
[298]Kometen.
rungen des gemeinen Lebens, bekannt genug, daß bei jedem Ueber-
gange eines feſten Körpers in einen flüſſigen, ſo wie eines flüſſi-
gen in einen luftartigen, immer eine große Menge Wärme von
dieſen Körpern abſorbirt oder gebunden, und daher gleichſam Kälte
erzeugt wird, während im Gegentheile bei dem Rückgange der
luftförmigen Körper in tropfbare, oder dieſer in feſte, ſtets viel
Wärme frei und dadurch die Temperatur in der Nähe dieſer Kör-
per erhöht wird. Aus dieſer Urſache werden unſere Zimmer im
Sommer kühler, wenn der Boden derſelben mit Waſſer beſprengt
wird, welches bei ſeiner Verdünſtung, d. h. bei ſeinem Ueber-
gange aus dem tropfbaren in den luftförmigen Zuſtand Kühle
erzeugt; ſo wird das zum Verkaufe auf der Straße ausge-
legte Obſt durch daſſelbe Mittel friſch erhalten; ſo belegen
die Schnitter ihre Waſſerkrüge mit feuchten Tüchern, wozu man
in Aegypten noch vortheilhaftere Trinkgefäße von ſehr poröſem
Thone braucht, durch welche das Waſſer in kleinen Tropfen ſickert
und an der Außenſeite der Krüge ſchnell verdünſtet u. f. Wenn
daher, wie es ſehr wahrſcheinlich iſt, der die Kometen umgebende
Nebel bloß das Reſultat der Verdünſtung ihrer Maſſe durch
die Sonnenhitze iſt, ſo muß auch, eben durch dieſe größere Aus-
dehnung ihrer Maſſe im Perihelium eine große Kälte, ſo wie
durch die Verdünſtung derſelben im Aphelium eine beträchtliche
Wärme entſtehen. Dieſe Wechſelwirkung mäßigt ſowohl die große
Hitze ihrer Sonnennähe, als auch die ungemeine Kälte, welche
ſonſt in ihren Sonnenfernen herrſchen würde, und macht dadurch
einen Aufenthalt, den wir ohne dieſe Wechſelwirkung für uner-
träglich halten müßten, für jene, ihren Verhältniſſen angemeſſenen
Geſchöpfe brauchbar und vielleicht ſelbſt ſehr angenehm.


[[299]]

KapitelXII.
Anzahl, Entfernung und Größe der Fixſterne.


§. 187. (Scheinbare Größe der Fixſterne.) Bei dem erſten
Anblicke des Himmels bemerken wir ſchon eine große Verſchieden-
heit unter den Sternen, mit welchen er bedeckt iſt. Einige unter
ihnen ſind ſo hell und erſcheinen uns ſo groß, daß wir ſie gleich
nach dem Untergange der Sonne erblicken, während andere,
ſchwächere oder kleinere, erſt ſpäter, wenn die Nacht mehr vor-
gerückt iſt, ſichtbar werden, und andere, noch kleinere, ſelbſt unter
den günſtigſten Umſtände nur durch Fernröhre geſehen werden
können.


Wir würden uns aber wohl ſehr irren, wenn wir dieſe ſo
auffallenden Abſtufungen der Fixſterne ihrer wahren Größe, oder
auch nur ihrer Entfernung von uns zuſchreiben, d. h. wenn wir
ſagen wollten, daß diejenigen Sterne, welche uns als die größten
erſcheinen, auch in der That, die größten ſind oder daß ſie
wenigſtens näher bei uns ſtehen, als die anderen.


Es iſt bereits oben (I. Cap. V.) geſagt worden, daß wir
über dieſe Entfernung, alſo auch über die abſolute Größe aller
Fixſterne ſo viel als nichts wiſſen, und daß wir auch nicht einen
einzigen derſelben kennen, von dem wir ſagen könnten, daß er an
Größe oder Entfernung unſere Sonne, auch nur in runder Zahl,
hundert- oder tauſend- oder ſelbſt millionen-mal übertreffe. Auch
[300]Anzahl, Entfernung und Größe der Fixſterne.
ſehen wir die ſcheinbar größten dieſer Himmelskörper, wenn wir
ſie durch unſere Fernröhre betrachten, nur als untheilbare, und
zwar deſto kleinere, reinere Punkte, ohne allen merkbaren Durch-
meſſer, je beſſer das Fernrohr iſt, welches wir zu dieſem Zwecke
gebrauchen.


Wenn wir alſo doch noch von der Größe dieſer Fixſterne
ſprechen wollen, ſo kann dieß nur von der ſcheinbaren Größe,
oder von dem größeren oder geringeren Eindrucke gemeint ſeyn,
welchen ihre Lichtſtärke auf unſer Auge hervorbringt. In dieſem
Sinne nennen wir Sterne der erſten Größe diejenigen, deren
Eindruck auf unſer Auge am ſtärkſten iſt, und ſo heißen dann
ſtufenweiſe abwärts die immer kleineren, Sterne der zweiten,
dritten, bis zur ſechsten Größe, unter welchen wir diejenigen zu
verſtehen pflegen, die man unter günſtigen Umſtänden noch mit
freiem Auge ſehen kann. Die dieſem Bande beigefügte Stern-
karte wird hinreichen, die vorzüglichſten dieſer Sterne durch Alig-
nements kennen zu lernen, obſchon, wie bereits oben (I. S. 41),
geſagt wurde, der Globus das beſte und bequemſte Mittel zu
dieſem Zwecke iſt.


§. 188. (Nähere Beſtimmung der Klaſſen der Sterne.) Man
ſieht, wie unbeſtimmt dieſe Eintheilung iſt und wie ſehr die
Gränzen der einzelnen Klaſſen von der Individualität der Beob-
achter und von äußeren Verhältniſſen abhängig ſeyn mag. Man
hat es nicht an Vorſchlägen fehlen laſſen, dieſem Uebelſtande ab-
zuhelfen, aber die meiſten ſcheiterten an der Schwierigkeit, die
eigentliche Größe jenes Eindruckes auf unſer Auge mit Sicherheit
zu beſtimmen. Einer der einfachſten dieſer Vorſchläge war der,
wo man diejenigen Sterne, deren Glanz nur ½, ¼, ⅛ des Glanzes
der Sterne von der erſten Größe iſt, zur 2ten, 3ten, 4ten Klaſſe
zählen wollte, wo dann die Sterne der 6ten Klaſſe nur den 32ſten
Theil des Glanzes der erſten Klaſſe haben würden.


Schon der ältere Herſchel fühlte das Bedürfniß einer genauen
Eintheilung der Himmelskörper in dieſer Rückſicht und ſuchte dieſelbe
auf photometriſche Gründe zu bauen. Zu dieſem Zwecke bedeckte er
den Spiegel ſeines Teleſcops, der 18 Zolle im Durchmeſſer hatte, mit
[301]Anzahl, Entfernung und Größe der Fixſterne.
einer in ihrem Mittelpunkte ausgeſchnittenen Scheibe, deren kreis-
förmige Oeffnung er ſo lange verminderte, bis der ſcheinbar größte
aller Fixſterne, Sirius, durch den ſo bedeckten Spiegel nur mehr
in dem Glanze eines Sterns der ſechsten Größe erſchien. Er
fand für dieſen Fall den Durchmeſſer der Oeffnung ſeiner Scheibe
gleich einem Zolle und zog daraus den Schluß, daß, wenn die
Lichtſtärke eines Sterns der ſechsten Größe gleich der Einheit iſt,
die des Sirius gleich 18 mal 18 oder gleich 324 ſeyn ſoll. Da
aber dieſer ungemein helle Stern wenigſtens dreimal heller leuchtet,
als die übrigen Sterne der erſten Größe im Mittel genommen,
ſo wird das Verhältniß der Lichtſtärke eines Sternes der erſten
Größe zu dem der ſechsten nahe wie 100 zu 1 ſeyn. Nimmt man
dann noch an, daß für die übrigen Klaſſen die Lichtſtärke ſich wie
verkehrt das Quadrat der Zahlen dieſer Klaſſen verhalte, ſo hat die


  • I Klaſſe die Lichtſtärke 100
  • II — — 100/4 oder 25
  • III — — 100/9 oder 12
  • IV — — 100/16 oder 6

Endlich nahm er, etwas willkührlich, für die


  • V Klaſſe die Lichtſtärke 2 und für die
  • VI — — — 1 an.

Alle dieſe Annahmen ſind, wie man ſieht, bloße Convention,
die nicht einmal allgemein angenommen iſt und auch nicht gut an-
genommen werden kann, weil es ſchwer, wenn nicht unmöglich iſt,
zu beſtimmen, wann die Lichtſtärke eines Sternes nur den fünften,
zehnten, zwanzigſten Theil der Lichtſtärke eines anderen beträgt.


§. 189. (Veränderungen dieſer Größe der Fixſterne.) Man
muß dieſen Mangel an Genauigkeit bei der Eintheilung der Fix-
ſterne ſehr beklagen, weil uns dadurch die Mittel entgehen, die
Veränderungen zu beſtimmen, welche, den älteren Beobachtungen
zufolge, an dieſen Himmelskörpern vorgegangen zu ſeyn ſcheinen.
So hatten z. B. die alten Griechen den Sirius roth genannt, da
er doch uns in einem entſchieden blendend weißen Lichte erſcheint.
[Caſtor] galt ihnen als der größere von den beiden Zwillingen, da
[302]Anzahl, Entfernung und Größe der Fixſterne.
er doch jetzt offenbar kleiner als Pollux iſt. Der Stern α in der
Waſſerſchlange (Hydra) wurde von den ältern Beobachtern zur
erſten Klaſſe gezählt, da er doch jetzt nur mehr zur zweiten gerechnet
werden kann. Die ſieben ſchönen Sterne im Sternbilde des großen
Bären ſcheinen ihr Licht immerfort zu ändern, ſo daß bald dieſer
bald jener als der größte von allen erſcheint. So gehört jetzt der
Stern δ in dem bekannten Vierecke dieſes Sternbildes nur mehr
zur vierten Klaſſe, da ihn doch Tycho Brahe noch in die zweite
ſetzte.


Wenn aber die Fixſterne, wie es ſcheint, ihr Licht in der
That mit der Zeit ändern, könnte dieß nicht auch mit unſerer
Sonne, die doch ebenfalls nur ein Fixſtern iſt, der Fall ſeyn?
Welchen Einfluß würde aber eine ſolche Ab- oder Zunahme des
Sonnenlichtes auf unſere Vegetation und auf alle lebenden Weſen
haben? Vielleicht werden unſere Geologen einmal aus dieſer
Quelle die Veränderungen erklären, welche unſere Erde in der
Vorzeit ohne Zweifel erlitten hat, da wir jetzt, vielleicht nach
Myriaden von Jahren, noch ſo viele unverkennbare Spuren dieſer
Veränderungen auf der Oberfläche der Erde finden.


§. 190. (Eintheilung der kleineren Sterne.) Die ſechs er-
wähnten Klaſſen ſollen nur die mit freien Augen noch ſichtbaren
Sterne in ſich begreifen. Allein außer ihnen giebt es noch eine
ungleich größere Menge von Sternen, die man nur durch Fern-
röhre ſehen kann. Geübte, mit guten Teleſcopen verſehene Beob-
achter pflegen dieſe letztern noch in zehn neue Klaſſen zu theilen,
ſo daß man im Allgemeinen ſechszehn Klaſſen von Fixſternen hat,
deren ſcheinbare Größe immer abnimmt, wie die Zahl ihrer Klaſſen
zunimmt. Daß bei den höhern Klaſſen die Unbeſtimmtheit der
Begränzung noch zunehmen muß, iſt wohl für ſich klar, ſo wie,
daß man mit der letzten oder ſechszehnten Klaſſe noch nicht den
ganzen geſtirnten Himmel erſchöpft zu haben meinen kann. In
der That finden ſich auch jenſeits dieſer kleinſten Sterne noch
andere Gegenſtände, die wahrſcheinlich wieder aus Sternen, aber
aus ſo kleinen und ſo nahe gedrängten Sternen beſtehen, daß auch
unſere ſtärkſten Fernröhre nicht mehr hinreichen, ſie als ſolche
deutlich erkennen zu laſſen.


[303]Anzahl, Entfernung und Größe der Fixſterne.

§. 191. (Anzahl der Sterne in den ſechs erſten Klaſſen.) Die
Zahl der Fixſterne der erſten Klaſſe iſt 14, die der zweiten 70,
und die der dritten nahe 300. Mit der vierten Klaſſe aber nimmt
die Anzahl der in jeder Klaſſe enthaltenen Fixſterne ſehr ſchnell
zu. Man nimmt gewöhnlich an, daß die Summe der in den
erſten ſechs Klaſſen enthaltenen, oder daß die Anzahl der noch
mit freien Augen ſichtbaren Sterne nahe 5000 betrage. Mit der
ſiebenten aber ſteigt dieſe Anzahl bereits in einem ſolchen Grade,
daß die vollſtändige Aufzählung der Sterne der erſten zehn Klaſſen
wohl ein ſehr verdienſtliches, aber auch eines der beſchwerlichſten
Geſchäfte ſeyn würde, dem ſich ein Beobachter unterziehen könnte.


§. 192. (Aus den Stern-Katalogen geſchloſſene Anzahl.) Unſere
reichſten Sternverzeichniſſe ſind: Bode’s Monographie, die 17240
und Lalande’s Histoire céleste, die 50000 Sterne enthält, nebſt
den nahe eben ſo reichen Zonenbeobachtungen Beſſels. Alle dieſe
Beobachtungen wurden in den Breitenkreiſen von 48 bis 55 Gra-
den angeſtellt, wo die von dem ſüdlichen Wendekreiſe einge-
ſchloſſenen Sterne ſchon bald alle unſichtbar ſind. Theilt man
die Oberfläche des Himmels in 100 gleiche Theile, ſo nimmt
davon die heiße Zone 40, jede der gemäßigten 26 und jede der
beiden kalten Zonen 4 Theile ein, daher verhält ſich in den
genannten Gegenden der ſichtbare Theil des Himmels zu dem
unſichtbaren, wie 70 zu 30, und da in jenen, nach der Hist.
céleste,
noch 50000 Sterne gezählt werden, ſo können wir in
dieſer nahe 20000 annehmen, ſo daß daher, dieſem Stern-Kataloge
zufolge, die ganze Sphäre des Himmels nahe 70000 Sterne bis
zur 9ten oder 10ten Größe enthalten würde.


§. 193. (Andere Beſtimmung der Anzahl der Sterne.) Man hat
verſchiedene Verſuche gemacht, dieſen Zweck, nicht ſowohl durch
unmittelbare Beobachtungen, als durch Schlüſſe und Rechnungen
zu erreichen. Daß dieſes Verfahren zu keinem ganz genauen
Reſultate führen kann, darf wohl nicht erſt erläutert werden.


Nehmen wir an, daß alle Sterne im Mittel gleich groß oder
gleich lichtſtark ſind, und daß ſie uns nur wegen ihrer verſchiedenen
Entfernungen ſo ungleich groß erſcheinen. Setzen wir überdieß
[304]Anzahl, Entfernung und Größe der Fixſterne.
voraus, daß ſie alle unter einander eine nahe gleiche Entfernung
haben und daß dieſe Entfernung ſo groß iſt, wie die Diſtanz des
nächſten Fixſternes von der Sonne, die wir oben (I. Cap. V)
200000 größer, als die Entfernung der Sonne von der Erde, alſo
gleich vier Billionen Meilen gefunden haben. Der Kürze wegen
wollen wir dieſe letzte Diſtanz künftig eine Sternweite nennen.


Da nun die Sterne der erſten Größe unter einander ſowohl,
als auch von der Sonne, um eine ſolche Sternweite abſtehen ſollen,
ſo müſſen ſie alle auf der Oberfläche einer Kugel liegen, deren
Mittelpunkt die Sonne, und deren Halbmeſſer eine Sternweite
iſt. In der That kann man auch auf einer Kugel nahe 14 Punkte
angeben, deren jeder von dem ihm nächſten um den Halbmeſſer
der Kugel entfernt iſt. Haben ferner, der vorhergehenden Voraus-
ſetzung gemäß, die Sterne der zweiten Größe die doppelte, die
der dritten die dreifache Entfernung u. f. von der Sonne, während
ſie doch unter ſich ſelbſt wieder nur um eine Sternweite abſtehen,
ſo müſſen die Sterne der zweiten Größe auf einer Kugelfläche
verſtreut ſeyn, die viermal größer iſt, als die vorhergehende Kugel-
fläche, daher alſo auch die Anzahl der Sterne der zweiten Größe
4 mal 14 oder 56 iſt. Eben ſo werden die der dritten Größe
auf einer neunmal größeren Kugelfläche liegen und ihre Anzahl
wird daher 9 mal 14 oder 126 ſeyn u. f. Von den Sternen der
4ten Größe würden wir 224, von denen der 5ten aber 350 u. f.
erhalten. Allein dieß ſtimmt nicht mit den Beobachtungen überein,
nach welchen wir, wie oben geſagt, für die Sterne der 2ten Größe
70, für die der dritten 300 u. f. gefunden haben. Zählt man die
nach dieſer Hypotheſe erhaltenen Sterne der neun erſten Klaſſen
zuſammen, ſo erhält man für ihre Anzahl 3990, während wir doch
oben durch unmittelbare Beobachtungen gegen 70000 gefunden
haben.


§. 194. (Geometriſche Beſtimmung dieſer Anzahl der Sterne.)
Da die vorige Methode nicht zum Zwecke führt, ſo wollen wir
ſie etwas abändern, um ſie den Beobachtungen mehr anzupaſſen.
Betrachtet man auf irgend einer der vorhergehenden concentriſchen
Kugeln, z. B. auf der erſten, drei einander nächſte Sterne, ſo liegen
ſie in einem gleichſeitigen Dreiecke, deſſen Seiten alle gleich der
[305]Anzahl, Entfernung und Größe der Fixſterne.
Einheit oder gleich einer Sternweite ſind. Nennt man dann α
jeden der drei gleichen Winkel eines ſolchen ſphäriſchen Dreiecks,
ſo findet man, daß der Coſinus dieſes Winkels gleich 2 r2 — 1,
dividirt durch 4 r2 — 1 iſt. Kennt man aber dieſen Winkel in
Graden ausgedrückt, ſo erhält man die Anzahl der Fixſterne der
1ſten Größe, welche auf dieſer Kugelfläche des Halbmeſſers r
enthalten ſind, wenn man die Zahl 2 α durch die Größe α — 60
dividirt.


Berechnet man dieſe Ausdrücke für r = 1, 2, 3…, ſo findet man


  • r = 1, α = 70°,5 und Zahl der Sterne der I Größe 13
  • r = 2, α = 62°,2 — — — — — II — 57
  • r = 3, α = 60°,9 — — — — — III — 130
  • r = 4, α = 60°,5 — — — — — IV — 231
  • r = 5, α = 60°,3 — — — — — V — 362
  • r = 6, α = 60°,2 — — — — — VI — 521 u. f.

Dieſe Zahlen ſind wohl etwas größer, als die durch die vor-
hergebende einfache Rechnung gefundenen, allein ſie ſind gegen
die durch unmittelbare Beobachtungen erhaltenen Zahlen doch noch
immer viel zu klein, um zugelaſſen werden zu können.


§. 195. (Anzahl der Sterne aus ihren Entfernungen geſchloſſen.)
Setzt man, wie zuvor, voraus, daß im Mittel alle Sterne gleich
weit, nämlich eine Sternweite oder 4 Billionen Meilen von ein-
ander entfernt, und daß ſie überdieß alle nahe von gleicher Größe
ſind, eine Vorausſetzung, die die natürlichſte und einfachſte iſt,
welche wir annehmen können, ſo werden offenbar die Sterne der
2., 3., 4ten Größe auch 2, 3, 4 Sternweiten oder 2, 3, 4 mal
weiter, als die Sterne der erſten Größe, von uns abſtehen. Man
wird alſo auch auf demſelben Raume des Himmels, auf welchem
man im Durchſchnitte nur einen Stern der erſten Größe, oder
nur einen der uns nächſtſtehenden Sterne ſieht, von ſolchen, die
2 mal weiter entfernt ſind, 23 oder 8, und eben ſo von den
Sternen der 3ten Größe 33 oder 27, von denen der 4ten Größe
43 oder 64 u. f. ſehen können.


Wenn daher von dem Fernrohre, welches Herſchel zu dieſem
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 20
[306]Anzahl, Entfernung und Größe der Fixſterne.
Zwecke angewendet hat, nach ſeinen darüber angeſtellten Beob-
achtungen erſt auf 70000 Geſichtsfelder deſſelben ein Stern der
erſten Größe kömmt, ſo folgt daraus, daß, wenn er mit demſelben
Fernrohr in jeder Gegend des Himmels, wo er daſſelbe aufſtellt,
auch nur immer einen einzigen Stern in ſeinem Felde ſieht, daß
jeder dieſer Sterne im Mittel 41 Sternweiten von uns entfernt
ſeyn müſſe, weil nämlich der Würfel von 41 nahe 70000 iſt.
Allein er ſah mit dieſem Fernrohre, wo er es auch am Himmel
hinwandte, nicht nur immer einen, ſondern Hunderte, ja ſelbſt oft
Tauſende auf einmal in ſeinem Felde, woraus folgt, daß die
weiteſten von jenen gegen 190, und die von dieſen gegen 410
Sternweiten von uns entfernt ſeyn müſſen.


Denken wir uns nun einen Kegel, deſſen Scheitel im Auge
des Beobachters, oder was hier daſſelbe iſt, in dem Mittelpunkte
der Sonne ruht, und deſſen Winkel am Scheitel volle neunzig
Grade beträgt. Dieſer Kegel umfaßt daher den vierten Theil des
ganzen Himmels und ſeine Axe bildet mit den Seitenlinien des-
ſelben einen Winkel von 45 Graden.


Es werde nun dieſer Kegel durch mehrere ſenkrecht auf ſeiner
Axe ſtehende Ebenen geſchnitten. Die erſte dieſer Ebenen ſoll von
dem Scheitel des Kegels um eine, die zweite um zwei, die dritte
um drei Sternweiten u. f. abſtehen. Dieß vorausgeſetzt, wird die
erſte Ebene die Oberfläche des Kegels in einem Kreiſe ſchneiden,
deſſen Halbmeſſer gleich einer Sternweite iſt, und in deſſen Peri-
pherie man daher 6 Sterne annehmen kann, die alle unter ſich
um eine Sternweite entfernt ſind. Dieß giebt daher 6, und mit
dem Sterne in dem Mittelpunkte des Kreiſes, 7 Sterne in der
erſten Ebene.


Die zweite Ebene ſchneidet den Kegel in einem Kreiſe, deſſen
Halbmeſſer zwei Sternweiten beträgt, und in deſſen Peripherie
ſich daher 12 gleich weit von einander ſtehende Sterne annehmen
laſſen. Allein um den Mittelpunkt dieſes Kreiſes läßt ſich auch
noch ein anderer, mit jenem concentriſcher Kreis ziehen, der genau
ſo groß iſt, wie jener auf der erſten Ebene, und der daher ebenfalls
wieder 6 Sterne in ſeine Peripherie aufnehmen kann. Dieß gibt
[307]Anzahl, Entfernung und Größe der Fixſterne.
zuſammen 12 und 6, oder ſammt dem Sterne in dem Mittel-
punkte dieſer beiden Kreiſe, 19 Fixſterne in der zweiten Ebene.


In der dritten Ebene wird man eben ſo drei concentriſche
Kreiſe ziehen, deren Halbmeſſer 1, 2, 3 Sternweiten betragen,
und von welchen der erſte oder kleinſte 6, der zweite 12 und der
dritte 18 Sterne enthält, ſo daß alſo dieſe dritte Ebene in allem
37 Sterne aufnehmen kann.


Eben ſo wird die vierte Ebene 61, die fünfte 91, die ſechste
127 Sterne enthalten u. ſ. w.


Läßt man daher die Sonne im Scheitel dieſes Kegels auch
für einen Stern gelten, ſo erhält man, wenn man dieſe Zahlen
addirt, in dem ganzen Kegelraume von dem Scheitel


bis zum


  • I. Schnitte 8 Sterne
  • II. — 27
  • III. — 64
  • IV. — 125 u. ſ. w.

Dieſe Zahlen ſind aber, wie man ſogleich ſieht, die Würfel
der natürlichen Zahlen 2, 3, 4, 5, alſo folgt, daß man überhaupt
in dem Kegelraume von dem Scheitel bis zu dem n ten Schnitte
n3 Sterne erhält, wenn man den Scheitel ſelbſt für die erſte
ſchneidende Ebene rechnet.


Legt man nun in die Axe dieſes Kegels ein Fernrohr, ſo
wird man damit ebenfalls einen kreisförmigen Raum des Himmels
überſehen, und wenn man dann von allen Punkten der Peripherie
dieſes Kreiſes gerade Linien nach dem Auge des Beobachters zieht,
ſo wird man einen anderen, obgleich viel kleineren Kegel erhalten,
der mit jenem großen einerlei Scheitel und dieſelbe Axe hat.


Der Halbmeſſer dieſes kreisförmigen Feldes des Fernrohrs,
d. h. der Halbmeſſer der Baſis dieſes kleinen Kegels betrug bei
dem von Herſchel gebrauchten Teleſcope 0° 13,095′ und von dieſem
Winkel iſt das Quadrat ſeiner Tangente gleich 0,00001451. Der
Halbmeſſer der Baſis des großen Kegels aber beträgt 45 Grade,
und von dieſem Winkel iſt die Tangente bekanntlich gleich der
Einheit. Da aber beide Kegel dieſelbe Höhe haben, ſo verhalten
ſich ihre Räume, wie die Quadrate der Halbmeſſer ihrer Grund-
flächen, d. h. wie die Zahlen 1 und 0,00001451.


20 *
[308]Anzahl, Entfernung und Größe der Fixſterne.

Allein dieſelben Kegelräume verhalten ſich auch, wie die An-
zahl der in ihnen enthaltenen, von einander gleich weit abſtehenden
Sterne. In dem großen Kegel giebt es aber, wie wir geſehen
haben, n3 Sterne, wenn man ihn bis zu dem nten Schnitte fort-
ſetzt. Nimmt man daher an, daß man durch das Feld jenes
Fernrohrs auf einmal a Sterne am Himmel erblicke, ſo erhält
man die Proportion n3: a = 1: 0,00001451. Daraus folgt alſo,
daß die geſuchte Größe n gleich iſt der Kubikwurzel aus der Zahl
a dividirt durch 0,00001451, oder was daſſelbe iſt, aus der Zahl
68918 a.


Es kömmt alſo nur noch darauf an, wie viel Sterne man
durch das Fernrohr im Mittel an jedem Orte des Himmels ſieht.
Geſetzt man ſieht zehn derſelben, ſo iſt a = 10 und daher
n = 88. Das heißt: wenn man durch jenes Fernrohr im
Durchſchnitte an jedem Punkte des Himmels zehn Sterne auf
einmal erblickt, ſo ſind die weiteſten derſelben 88 Sternweiten oder
352 Billionen Meilen von uns entfernt und jener große Kegel,
der den vierten Theil des Himmels umfaßt, enthält 883 oder
681472 ſolcher Sterne, von welchen die weiteſten 88 mal weiter
als Sirius von uns entfernt ſind. Der ganze Himmel enthält
daher viermal ſo viel oder im Mittel 2726000 ſolcher Fixſterne.
Allein Herſchel zählte nicht 100, ſondern oft mehr als 1000 Sterne,
die er auf einmal in dem Flecken ſeines Fernrohrs erblickte,
woraus folgt, daß die weiteſten derſelben 409 Sternweiten von
uns entfernt ſind, und daß der ganze Himmel über 273 Millionen
ſolcher Sterne enthält.


§. 196. (Sternreiche Gegenden des Himmels.) Die vorher-
gehende Annahme, daß man mit einem guten Fernrohre, deſſen
Geſichtsfeld 26 Minuten im Durchmeſſer hat, ſo viele Sterne auf
einmal überſieht, wird weniger befremden, wenn man weiß, daß
ſie an manchen Gegenden des Himmels ſo gedrängt ſtehen, daß
an ein eigentliches Zählen derſelben nicht mehr gedacht werden
kann. Herſchel erzählt, daß er in der Gegend der Keule Orions,
in einem Streifen des Himmels von 15 Grad Länge und 2 Grad
Breite mehr als 50000 Sterne, die er alle noch deutlich erkennen
konnte, durch das Feld ſeines Fernrohrs gehen ſah. Da aber die
[309]Anzahl, Entfernung und Größe der Fixſterne.
ganze Oberfläche des Himmels 41252 Quadratgrade enthält, ſo
nimmt jener Streifen nur den 1375ſten Theil der Himmelsfläche
ein, ſo daß alſo die letzte über 68 Millionen ſolcher Sterne
enthalten müßte, wenn ſie überall gleich dicht bei einander ſtünden.
Sie ſind aber in manchen Gegenden noch viel dichter an einander
gedrängt. Schon Huygens ſah mit ſeinem noch unvollkommenen
Fernrohre, deſſen Feld ſehr klein war, in dem Schwerte Orions
über 2000 Sterne auf einmal in ſeinem Fernrohre, und Herſchel
ſah am 22. Auguſt 1792 in ſeinem zwanzigfüßigen Reflector,
während 41 Zeitminuten, nach ſeiner Schätzung, nicht weniger
als 258000 Sterne in der Nähe der Milchſtraße durch das Feld
ſeines Teleſcops ziehen. Nimmt man daher, was wahrſcheinlich
noch viel zu wenig iſt, an, daß jede Quadratminute des Himmels
auch nur einen einzigen Stern enthalte, ſo würde die Anzahl aller
Sterne des Himmels 41252 mal 3600 oder über 148 Millionen
betragen, und ſollte endlich jede Quadratſecunde einen Fixſtern
enthalten, ſo würde die Anzahl aller Sterne des Himmels gegen
534600 Millionen betragen.


§. 197. (Die Milchſtraße.) Allein, ſo groß auch dieſe Zahlen
erſcheinen mögen, ſo ſind ſie doch wahrſcheinlich noch ſehr weit
von der wahren Anzahl der Fixſterne entfernt. Wahrſcheinlich iſt
alles, was wir von dem Himmel ſehen, nur der uns zunächſt
liegende Theil deſſelben, und alle die für uns ſchon zahlloſen
Sterne, die wir erblicken, gehören nur einem iſolirten Syſteme
an, von welchem wir und unſer ganzes Planetengebäude nur einen
ſehr kleinen Theil ausmachen.


Wenn wir in einer ſternhellen Nacht unſer Auge zum Himmel
erheben, ſo ſehen wir uns zwar nach allen Seiten von Sternen
umgeben, aber wir bemerken auch ſogleich, daß ſie nicht an allen
Orten gleich dicht ſtehen. Vorzüglich ſcheinen ſie ſich in der
Nähe eines breiten lichten Streifens, der jedem unter der Be-
nennung der Milchſtraße bekannt iſt, immer enger an einander
zu drängen. Dieſer Streifen umzieht in der Geſtalt eines größten
Kreiſes, von ungleicher Breite, den ganzen Himmel. Herſchel
war der erſte, dem es gelang, durch ſeine lichtſtarken Fernröhre,
dieſen Streifen, wenigſtens in den meiſten Theilen deſſelben, in
[310]Anzahl, Entfernung und Größe der Fixſterne.
kleine und äußerſt dicht gedrängte Sterne aufzulöſen. Er hat es
ſehr wahrſcheinlich gemacht, daß dieſe ganze Sammlung von
Sternen die Geſtalt einer Linſe habe, und daß wir, oder unſer
Planetenſyſtem, nicht eben ſehr weit von dem Mittelpunkte dieſes
ungeheuren, linſenförmigen Gebäudes ſtehen, wodurch es uns eben
in der Geſtalt erſcheint, in welcher wir es am Himmel erblicken.
Wenn wir nämlich unſer Auge gegen die ſcharfe Kante dieſer
Linſe erheben, ſo ſehen wir unzählige, dicht gedrängte Sterne
hinter einander, während wir, wenn wir den Blick gegen die
Mitte der beiden großen Seitenflächen der Linſe, d. h. gegen die
beiden Pole derſelben richten, nur wenigen und weit auseinander
ſtehenden Sternen begegnen. Dort ſehen wir von dem tiefen,
dichten Walde des Himmels ſehr viele und auch ſehr weit ent-
fernte, dicht an einander ſtehende Bäume, während wir hier, bei
der geringen Breite des Waldes, nur die wenigen, uns zur Seite
ſtehenden Bäume deſſelben erblicken. Jene beiden Pole der Milch-
ſtraße ſind in der Nähe des Haupthaares der Berenice, und der
Bildhauerwerkſtätte, und es iſt ſelbſt einem unerfahrenen Beob-
achter ſehr auffallend, wenn er zufällig mit ſeinem Fernrohre dieſe
beiden Gegenden des Himmels trifft und ſie beinahe ganz ſtern-
leer findet.


Alle dieſe unzählbaren Sterne, welche die Milchſtraße bilden,
gehören alſo wahrſcheinlich zu einem für ſich beſtehenden, abge-
ſchloſſenen Syſteme, von dem unſer ganzer Sonnenhaushalt nur
einen ſehr kleinen Theil ausmacht. Die Sterne der erſten Größe
ſind wahrſcheinlich diejenigen jenes großen Syſtems, die uns noch
am nächſten ſtehen und wahrſcheinlich ſind alle Sterne, die wir
überhaupt ſehen, nur noch die Sonnen dieſes Syſtems, da alle
andern viel zu weit entfernt ſind, um ſie auch durch unſere beſten
Fernröhre noch erreichen zu können.


§. 198. (Andere Milchſtraßen.) Da wir, wie geſagt, nahe
in der Mitte dieſes linſenförmig aufgeſtellten Sternenheeres uns
befinden, ſo ſcheint uns die Kante, oder der hellſte Theil deſſelben,
in der Geſtalt eines größten Kreiſes um den Himmel zu ziehen.
Wenn aber unſer Auge von dem Mittelpunkte dieſer Bahn oder
dieſes größten Kreiſes um den ganzen Durchmeſſer dieſes Kreiſes
[311]Anzahl, Entfernung und Größe der Fixſterne.
entfernt wäre, ſo würden wir die Milchſtraße nur mehr als einen
Ring oder als eine Scheibe von 60 Graden im Durchmeſſer
ſehen. In der Entfernung von 100 Durchmeſſern würden wir
die ganze Milchſtraße nur mehr unter einem Winkel von 36
Minuten im Durchmeſſer erblicken, alſo kleiner, als der bekannte
Nebelfleck in der Andromeda, der ebenfalls eine linſenförmige
Geſtalt hat.


Wie alſo, wenn dieſer Nebel ſelbſt wieder eine, aber eine ſo
weit von uns entfernte Milchſtraße wäre, daß wir die einzelnen
Sterne derſelben nicht mehr unterſcheiden können und daß uns
das Ganze nur mehr als eine ſchwache Lichtwolke erſcheint?
Solcher Nebel giebt es aber noch ſehr viele am Himmel und die
Muthmaßung, welche wir hier von ihm aufgeſtellt haben, hat
wenigſtens ſehr viel Wahrſcheinlichkeit. In der That hat auch
Herſchel mehrere dieſer wunderbaren Gebilde des Himmels noch
als ſehr gedrängte Sternhaufen erkannt; ſeine mächtigen Fernröhre
haben eine große Menge von ſehr kleinen und äußerſt dicht ge-
drängten Sternchen in ihnen erkennen laſſen, während andere,
wahrſcheinlich noch viel weiter entfernte, ſich nicht in Sterne
auflöſen ließen, und ſelbſt in ſeinen ſtärkſten Teleſcopen immer
noch die frühere Nebelgeſtalt beibehielten. Er hat daraus den
Schluß gezogen, daß dieſe letzten wenigſtens noch 10000 Stern-
weiten von uns entfernt ſeyn müſſen. In einer ſolchen Entfernung
würde aber unſere eigene Milchſtraße kaum mehr eine Secunde
am Himmel bedecken und uns daher ganz unſichtbar ſeyn. Wie
viel größer müſſen aber dann viele von jenen Milchſtraßen ſeyn,
da ſie uns, jener Entfernung ungeachtet, doch noch oft unter
einem Durchmeſſer von mehreren Minuten erſcheinen.


§. 199. (Daraus folgende Anzahl der Fixſterne.) Wenn aber
dieß alles ſich in der That ſo verhält, wer wird es dann noch
unternehmen, die Sterne des Himmels zu zählen? — Offenbar
führen uns die vorhergehenden Betrachtungen dahin, die Anzahl
der Fixſterne als ganz unzählbar, als wahrhaft unendlich groß
anzunehmen. Wir ſind gleichſam gezwungen, den Weltenraum
nach allen Richtungen hin als unbegränzt und überall und ohne
[312]Anzahl, Entfernung und Größe der Fixſterne.
Ende alle Gegenden deſſelben von Himmelskörpern eingenommen
vorauszuſetzen. Zwar iſt es uns, bei unſerer Beſchränktheit, un-
möglich, einen nach allen Seiten gränzenloſen Raum zu denken,
aber iſt es uns weniger unmöglich, die Natur und die ſchaffende
Kraft derſelben in irgend einer Beziehung, der Zeit oder des
Raumes, beſchränkt zu denken? Können wir eine Urſache angeben,
welche dieſe Kraft in ihrer Thätigkeit aufzuhalten im Stande iſt?
Wenn wir uns einen Raum, der keine Gränzen, alſo auch keine
Geſtalt hat, nicht mehr vorſtellen können, ſo begreifen wir eben
ſo wenig, wie der Urheber aller Dinge, nachdem er Myriaden
von Weltſyſtemen ihr Daſeyn gegeben hatte, nun plötzlich in den
Aeußerungen ſeiner ſchaffenden Allmacht aufgehalten werden, oder
wie er ſich ſelbſt ein, wenn auch noch ſo entferntes, doch immer
endliches Ziel ſeiner Wirkſamkeit geſetzt haben ſollte.


§. 200. (Einwurf gegen die unendliche Anzahl der Fixſterne.)
Aber, könnte man einwenden, wenn die Zahl der Sterne des
Himmels in der That, und im eigentlichen Sinne des Wortes
unendlich ſeyn ſoll, ſo müßte auch jeder unſerer Geſichtsſtrahlen
auf einen, ja ſelbſt wieder auf unendlich viele hinter einander
ſtehende Sterne ſtoßen und die Folge davon müßte ſeyn, daß uns
der Himmel in allen ſeinen Punkten mit Sternen ganz bedeckt,
daß uns jeder Punkt deſſelben ganz eben ſo hell, als die Sonne
ſelbſt, erſcheinen würde. Da dieß nun offenbar gegen alle Er-
fahrungen iſt, ſo kann auch jene Vorausſetzung einer wahrhaft
unendlichen Zahl von Fixſternen nicht zugelaſſen werden.


Da wir, ebenfalls unſeren Erfahrungen zufolge, noch nirgends
in der ganzen Natur einen völlig leeren Raum angetroffen haben,
ſo iſt es auch nicht wahrſcheinlich, daß die großen Räume, welche
unſere Planeten, und die noch viel größeren, welche die Sonnen-
ſyſteme unſerer Milchſtraße und welche dieſe Milchſtraßen ſelbſt
von einander trennen, ganz leer und von keiner Materie ausgefüllt
ſeyn ſollten. Wir haben erſt in den neueſten Zeiten eine Art von
directem Beweis für die Exiſtenz eines ſolchen Aethers, oder wie
man dieſe Materie ſonſt nennen mag, an dem Kometen von 3 3/10
Jahren Umlaufszeit erhalten, von dem wir oben (I. S. 269.) ge-
[313]Anzahl, Entfernung und Größe der Fixſterne.
ſprochen haben. Welcher Art dieſer Aether, wie groß auch ſeine
Feinheit und Durchſichtigkeit ſeyn mag, ſo wird er doch das Licht
der Fixſterne, das ſich in dem Mittel dieſes Aethers bewegt,
ſchwächen müſſen und die Folge dieſer Schwächung wird endlich
ſeyn, daß dieſes Licht nicht mehr bis zu uns vordringen kann,
oder doch einen ganz unmerklichen Eindruck auf unſer Auge
machen muß. Nehmen wir mit Olbers, dem wir die Unterſuchung
dieſes Gegenſtandes verdanken, an, daß von 800 Strahlen, die
uns Sirius oder überhaupt jeder Stern der erſten Größe, der
eine Sternweite (4 Bill. Meilen) von uns entfernt iſt, zuſendet,
auch nur ein einziger durch den Widerſtand des Aethers verloren
geht, ſo wird, wie man durch eine einfache Rechnung findet, die
Helligkeit eines Sternes, wenn ſie in der Entfernung einer Stern-
weite gleich der Einheit geſetzt wird, in der Entfernung von 84
Sternweiten nur mehr 9/10 ſeyn, alſo bereits 1/10 ihrer frühern
Helligkeit verloren haben. In der Diſtanz von 554 Sternweiten
wird dieſe Helligkeit nur mehr ½, in der Diſtanz von 5500 Stern-
weiten aber bloß 1/1000 ihrer urſprünglichen Größe betragen.


Nach Bouguers Meſſungen iſt das Licht des Vollmonds
nahe 300000 mal ſchwächer, als das der Sonne. Sucht man,
jenen Rechnungen zufolge, die Diſtanz eines Sterns, deſſen Licht
nur mehr mit dem 300000ſten Theile ſeiner urſprünglichen Größe
zu uns kömmt, ſo findet man ihn gleich 10080 Sternweiten. Es
würden daher ſchon ſehr viele und dicht gedrängte Sterne erfordert
werden, um einen ſo ungemein weit von uns entfernten Stern-
haufen, ſelbſt in der dunkelſten Nacht, noch als einen matten,
blaſſen Nebelfleck erkennen zu laſſen.


Der oben erwähnte Einwurf hindert uns alle nicht, die An-
zahl der Sterne in der That als unendlich, und den Weltenraum
nach allen Richtungen als völlig unbegränzt anzunehmen. Auch
ſtimmt dieß ganz mit den Vorſtellungen überein, denen wir uns
nicht entziehen können, wenn wir uns, wenn gleich nur aus un-
endlicher Ferne, im Gedanken bis zu dem Urheber der Natur zu
[314]Anzahl, Entfernung und Größe der Fixſterne.
erheben wagen. Um den Raum der Schöpfung in einem Ver-
hältniſſe mit der unendlichen Macht des Schöpfers zu denken,
müſſen wir, mit Kant, dem höchſten Weſen eine doppelte Ewigkeit
beilegen, denn die Ewigkeit der Zeit allein iſt noch nicht hin-
reichend, die Zeugniſſe dieſes Weſens zu umfaſſen; ſie muß noch
mit der Ewigkeit des Raumes verbunden werden, mit der
gränzenloſen Unendlichkeit der Wirkungsſphäre, deren Dauer und
Ausdehnung gleich unbeſchränkt gedacht wird.


§. 201. (Größe der Fixſterne.) Wenn man den ſcheinbaren
Halbmeſſer Δ eines Fixſterns oder den Winkel kennt, unter
welchem dieſer Halbmeſſer unſerem Auge erſcheint, und wenn
überdieß die Entfernung a dieſes Sterns von uns bekannt iſt, ſo
findet man daraus leicht auch die abſolute Größe dieſes Halb-
meſſers r in irgend einem uns gewöhnlichen Maaße ausgedrückt.
Wird z. B. der ſcheinbare Halbmeſſer Δ in Secunden und die
Entfernung a in Erdweiten, deren jede nahe 20 Millionen Meilen
beträgt, ausgedrückt, ſo iſt der wahre Halbmeſſer r des Sternes
gleich a multiplicirt in dem Sinus von Δ oder auch, der wahre
Halbmeſſer r iſt gleich dem Produkte von a und Δ multiplicirt
in die Zahl 0,000004848.


Dieſe Entfernung a aber findet man aus der jährlichen
Parallaxe π des Sternes (I. §. 68) das heißt, aus dem Winkel,
unter welchem von einem Auge in dem Fixſterne der Halbmeſſer
der Erdbahn oder die Erdweite geſehen wird. Es iſt nämlich
immer die Entfernung a gleich der Zahl 206260 dividirt durch die
Parallaxe π, wenn dieſer Winkel π auch in Secunden ausgedrückt
wird.


Daraus folgt zugleich, daß wenn der ſcheinbare Halbmeſſer Δ
und die Parallaxe π gegeben ſind, man auch die Diſtanz a als
gegeben anſehen kann, da immer a gleich Δ dividirt durch π iſt.


Die vorhergehenden Gleichungen reichen hin, je zwei der vier
Größen a, r, π und Δ zu finden, wenn die zwei anderen gegeben
ſind. Allein unſere Kenntniſſe der Fixſterne ſind noch ſo unvoll-
kommen, daß auch von keinem einzigen derſelben ſelbſt nur eine
dieſer vier Größen mit Verläßlichkeit als bekannt angenommen
[315]Anzahl, Entfernung und Größe der Fixſterne.
werden kann. Es bleibt uns daher nichts übrig, als willkührliche
Vorausſetzungen zu wagen, und zuzuſehen, welche Folgen ſie
haben würden.


Ich habe bereits oben geſagt, daß alle Fixſterne in guten
Fernröhren nur als untheilbare Punkte ohne alle Dimenſionen er-
ſcheinen. Nehmen wir aber z. B. an, daß der ſcheinbare Halb-
meſſer der Sterne gleich 1/10 Secunde ſey und daß man von mehre-
ren derſelben die Parallaxe von 2, 1, ½ Secunde u. f. gefunden
habe. Die folgende kleine Tafel gibt dann unter der Voraus-
ſetzung von Δ = 1/10, für verſchiedene Parallaxen π die Ent-
fernungen a ſowohl, als auch die wahren Halbmeſſer dieſer Sterne
in Erdweiten ausgedrückt.


Multiplicirt man dieſe Zahlen durch 20000000, ſo erhält man
die Entfernungen und Halbmeſſer der Sterne in d. Meilen aus-
gedrückt. Da aber die Erdweite gleich 214 Sonnenhalbmeſſern
iſt, ſo wird man die Halbmeſſer r der Tafel in Sonnenhalbmeſſern
erhalten, wenn man die Zahlen derſelben mit 214 multiplicirt.
So ſieht man, daß ein Fixſtern, deſſen Parallaxe 2″, und deſſen
ſcheinbarer Halbmeſſer 1″/10 iſt, den wahren Halbmeſſer r = 11
haben, oder daß ſein Halbmeſſer 11 mal größer als der der Sonne
ſeyn muß. Ein Fixſtern aber, für den man Δ = π = 1/10
Secunde hat, wird einen Halbmeſſer haben, der ſo groß als der
[316]Anzahl, Entfernung und Größe der Fixſterne.
Halbmeſſer der Erdbahn oder 214mal größer, als der Halbmeſſer
der Sonne iſt.


Der ältere Herſchel glaubte aus ſeinen Beobachtungen folgern
zu können, daß bei dem großen Stern Wega in der Leyer der
ſcheinbare Halbmeſſer Δ den ſechsten Theil einer Secunde betrage.
Nimmt man an, daß er 200000 Erdweiten, oder daß er eine
Sternweite von uns entfernt iſt, ſo findet man r = 0,16. Dann
würde alſo ſein wahrer Halbmeſſer 0,16 Erdweiten betragen, oder
er würde 34 mal größer ſeyn, als der Halbmeſſer der Sonne.
Sollte aber umgekehrt Wega an Größe unſerer Sonne gleich,
alſo r gleich 1/214 Erdweiten ſeyn, und Δ doch noch den ſechsten
Theil einer Secunde betragen, ſo würde man für die Parallaxe π
deſſelben 36″ finden, was nicht möglich iſt, da man eine ſo große
Parallaxe an dieſem ſo oft beobachteten Fixſtern längſt entdeckt
haben würde. — Würde bei einem Fixſtern Δ ſowohl als auch π
gleich einer Secunde ſeyn, ſo würde dieſer Stern 206260 Erd-
weiten alſo nahe eine Sternweite oder 4 Billionen Meilen von
uns entfernt ſeyn, und ſein wahrer Halbmeſſer würde gleich der
Erdweite, das heißt, dieſer Fixſtern würde ſo groß ſeyn, daß er
den ganzen Raum der Erdbahn mit ſeinem Volum ausfüllen
würde. Wir haben oben von andern Himmelskörpern geſprochen,
die aus der Tiefe des Weltraums nur mit einem matten Lichte
zu uns herüberſchimmern, und deren Entfernung Herſchel auf
10000 Sternweiten, alſo auf 2000 Millionen Erdweiten geſchätzt
hat. Welche Ausdehnung müſſen dieſe Körper haben, da ſie auch
in dieſer ungeheuren Entfernung öfter noch einen ſcheinbaren
Halbmeſſer von mehreren Minuten haben. Nimmt man aber
dieſen Halbmeſſer auch nur zu zehn Secunden an, ſo folgt
daraus durch unſere Gleichungen, wenn man in ihnen Δ = 10
und a = 2000 Millionen ſetzt, daß π gleich 0,000103 Secunden
und r gleich 96960 Erdweiten ſeyn muß, d. h. der wahre Halb-
meſſer derſelben iſt nahe 21 Millionenmal größer, als der der
Sonne, oder der Durchmeſſer dieſer Körper beträgt 4 Billionen
Meilen oder eine Sternweite und aus dieſer Entfernung erſcheint
der Halbmeſſer der Erdbahn, eine Diſtanz von mehr als 20 Mil-
[317]Anzahl, Entfernung und Größe der Fixſterne.
lionen Meilen, nur mehr unter dem Winkel von dem zehn-
tauſendſten Theil einer Secunde. Wenn alſo auch unſere Sonne
ſo groß wäre, daß ſie den ganzen Raum der Erdbahn mit ihrem
Körper ausfüllte, ja wenn ſie ſelbſt noch im Durchmeſſer 10000mal,
alſo im Volum ein Billionenmal größer wäre, ſo würde ſie doch
in jener Ferne nur mehr unter dem Winkel von einer Secunde,
alſo nahe von einem Durchmeſſer erſcheinen, der ſchon von dem
zehnten Theile der Dicke eines gewöhnlichen Menſchenhaares
bedeckt wird.


Dieſe unſere Sonne könnte daher plötzlich erlöſchen und unſer
ganzes Planetenſyſtem könnte wieder in die alte Nacht, aus der
es hervorgegangen iſt, zurückſinken, ohne auf jenen Himmelskörpern
auch nur vermißt zu werden. Wie klein erſcheint hier jede
menſchliche Größe! Wie klein ſelbſt dieſes ganze Sonnenſyſtem
gegen jenes unzählbare Heer von Syſtemen; dieſer Waſſertropfen,
der an einer Nadelſpitze hängt, gegen jenes unendliche Meer
von Welten.


§. 202. (Größe der Sterne in Beziehung auf ihr Licht.) Da
wir auf die eigentliche Größe oder auf das Volum der Sterne
nur aus dem Lichte, welches ſie uns zuſchicken, ſchließen können,
ein Schluß, der oft ſehr unrichtig ſeyn mag, da das Licht der
Sterne ſehr verſchieden ſeyn kann, ſo wollen wir noch ſehen, was
wir über dieſes Licht der Sterne in Vergleichung mit dem unſerer
Sonne ſagen können.


Wollaſton hat durch directe photometriſche Unterſuchungen
(Phil. Trans. 1829. S. 24), gegen deren Richtigkeit ſich nichts
Bedeutendes einwenden läßt, gefunden, daß das Licht, welches
uns Sirius zuſchickt, zu dem der Sonne ſich verhalte, wie 1 zu
20000 Millionen. Da nun dieſe Zahl das Quadrat von 141400
iſt, ſo folgt, daß die Sonne erſt in einer Entfernung von 141400
Erdweiten (nahe 3 Billionen Meilen) uns ſo groß wie Sirius
erſcheinen würde. Nimmt man nun die Parallaxe dieſes Sterns
gleich einer Secunde oder ſeine Entfernung gleich 200000 Erd-
weiten an, ſo muß das Licht des Sirius an ſich wenigſtens zwei-
mal ſo groß ſeyn, zweimal ſo viel Glanz oder Intenſität haben,
als das unſerer Sonne. Allein die Parallaxe des Sirius iſt
[318]Anzahl, Entfernung und Größe der Fixſterne.
gewiß viel kleiner, als eine Secunde, und daher auch ſein Licht
viel größer, als wir ſo eben gefunden haben. Vielleicht wird es
unſern Nachfolgern gegönnt ſeyn, dieſe und ähnliche Unterſuchungen
weiter fortzuführen; wir müſſen uns noch mit bloßen Conjecturen
und mit frommen Wünſchen begnügen, und da wir derſelben in
dieſem Kapitel ſchon ſo viele vorgebracht haben, ſo wird es beſſer
ſeyn, auch ſie nicht weiter fortzuführen, und, was etwa noch dazu
gethan werden könnte, unſern Leſern zu überlaſſen.


[[319]]

KapitelXIII.
Doppelſterne.


§. 203. (Sternreiche Gegenden des Himmels.) Schon dem
bloßen Auge begegnen auf den erſten Blick mehrere Stellen des
Himmels, die viel dichter mit Sternen beſät ſind, als andere. So
zeigt ſich der größte Theil des ſchönen Sternbildes Orion, die
Leier, die Gegend zwiſchen β und ζ im Stier u. f. ſehr ſternreich,
während wieder andere, wie das Sternbild des Luchſes, des Ca-
melopards u. ſ. w. nur ſehr wenige und kleine Sterne enthalten.
Zu den letzten gehören auch die ganz dunklen Stellen des Him-
mels nahe am Scorpion, am Fuchſe, mitten in dem großen Licht-
nebel Orions, und endlich die ſogenannten Kap’ſchen Wolken oder
die Kohlenſäcke beim ſüdlichen Kreuze in der andern Hemiſphäre.


Auch ſieht man häufig einzelne Sterngruppen oder Stellen,
wo mehrere größere Sterne in einem kleinen Raume zuſammen
gedrängt erſcheinen. Die Plejaden, am Halſe des Stiers, die
unter dem Namen der Gluckhenne bekannt ſind, enthalten auf dem
Raume eines Kreiſes, deſſen Halbmeſſer kaum einen Grad beträgt,
einen Stern vierter, ſechs fünfter, fünf ſechster und zwei und
dreißig ſiebenter Größe, nebſt vielen andern noch kleineren, alſo
44 mit freien Augen noch erkennbare Sterne. Die bekannte
Krippe im Sternbilde des Krebſes (AR = 8h 29′, Poldist. =
69° 30′) enthält auf der Fläche eines halben Quadratgrades über
[320]Doppelſterne.
40 deutlich erkennbare Sterne, vieler anderer kleinerer nicht zu er-
wähnen.


Es iſt nicht wahrſcheinlich, daß dieſes Zuſammendrängen der
Sterne an beſonderen Stellen des Himmels bloß von dem Zufalle
oder von der Stellung unſeres Auges kommen ſollte. Wenn man
die aus den Beobachtungen bekannte Anzahl der Sterne der ſie-
benten Größe mit den 44 Sternen der Plejaden vergleicht, ſo
zeigt die Wahrſcheinlichkeitsrechnung, daß man viele Millionen
gegen eins wetten kann, daß die enge Nachbarſchaft der letzteren
nicht zufällig iſt.


§. 204. (Doppelſterne.) Daſſelbe gilt aber auch von denje-
nigen Sternen, die man ſo häufig am Himmel paarweiſe und in
ſehr geringen Entfernungen von einander ſtehen ſieht. Sie ſind
öfter nur durch wenige Secunden von einander getrennt und kem-
men ſo häufig vor, daß wir ihrer ſchon über 6000 beobachtet ha-
ben. Dieſe Nähe und noch mehr dieſe große Anzahl der Dop-
pelſterne
macht es äußerſt unwahrſcheinlich, daß ſie dieſe Dupli-
cität nur ihrer Stellung gegen unſer Auge verdanken, daß ſie nur
optiſch doppelt ſeyn, daß ſie nämlich für uns bloß auf derſelben
Geſichtslinie ſtehen und demungeachtet doch durch ſehr große Di-
ſtanzen von einander getrennt ſeyn ſollten. Wir ſind alſo veran-
laßt, dieſe Sterne für phyſiſch doppelt anzunehmen, für Ster-
nenpaare, die in der That nahe an einander ſtehen, die zuſammen
gehören und die durch irgend ein gemeinſchaftliches Band zu einem
Ganzen, zu einem eigenen, iſolirten Syſteme verbunden ſind. Wir
werden dieſe Annahme bald noch mehr beſtätiget finden.


§. 205. (Klaſſen der Doppelſterne). Der ältere Herſchel, der
die Doppelſterne zuerſt zu einem Gegenſtande ſeiner beſondern
Aufmerkſamkeit machte, und der ſie gegen das Jahr 1780 zu
beobachten anfing, fand bald eine ſo große Anzahl derſelben, daß
er es für nöthig fand, ſie in Klaſſen einzutheilen. Als Einthei-
lungsgrund nahm er die verſchiedenen Diſtanzen derſelben an und
ſetzte in die erſte Klaſſe alle diejenigen, deren Diſtanz kleiner als
4 Secunden war; zur zweiten Klaſſe zählte er die, deren Di-
ſtanzen zwiſchen 4 und 8, zur dritten, die zwiſchen 8 und 16 Se-
cunden, und zur vierten endlich, die zwiſchen 16 bis 32 Secunden.
[321]Doppelſterne.
Von den 6000 Doppelſternen, die wir jetzt kennen, gehören nahe
1930 in die erſte, 1310 in die zweite, nahe eben ſo viel in die
dritte und 1450 in die vierte Klaſſe.


In den neueren Zeiten hat man dieſe Eintheilung wieder ver-
laſſen, vorzüglich aus dem Grunde, weil dieſe Diſtanzen, wie wir
bald ſehen werden, veränderlich ſind und daher kein gutes Mittel
zur Eintheilung geben können. Man führt ſie jetzt gewöhnlich ſo,
wie alle anderen Sterne auf, indem man von den größeren der
beiden Sterne die Rectaſcenſion und Poldiſtanz (I. Einl. §. 22. 29)
in dem Sternenverzeichniſſe angibt, was hinreichend iſt, ſeinen
Ort am Himmel zu jeder Zeit zu finden. Dieſen beiden Angaben
wird dann noch die Diſtanz Δ der beiden Sterne in Secunden
und der Poſitionswinkel Π beigefügt, d. h. der Winkel, welchen
dieſe Diſtanz mit dem Declinationskreiſe (I. Einl. 13) des grö-
ßern Sterns bildet.


§. 205. (Verhältniß der doppelten Sterne zu den einfachen.)
Nach den Unterſuchungen, die man über die Anzahl der Doppel-
ſterne, indem man ſie aus den einfachen heraus ſuchte, angeſtellt
hat, findet man, daß von den Sternen der erſten bis ſechsten
Größe auf je 10 ſolcher Sterne ſchon ein Doppelſtern kömmt.
Von den Sternen der ſechsten bis neunten Größe aber findet man
nur auf je 25 und von noch kleineren erſt unter je 42 einfachen
Sternen einen Doppelſtern. Die Doppelſterne werden alſo ſelte-
ner, je kleiner die Sterne ſelbſt ſind. Dieß und die oben bemerkte
größere Anzahl der Doppelſterne der erſten Klaſſe iſt ſehr merk-
würdig. Wenn die Doppelſterne nur optiſch oder bloß ſcheinbar
doppelt wären, ſo müßten die der vierten Klaſſe die häufigſten
und die der erſten im Gegentheile die ſeltenſten ſeyn. Da die
Flächen der Kreiſe von 4, 8, 16 und 32 Secunden ſich wie die
Zahlen 1, 4, 16 und 64 verhalten, ſo müßten ſich die Zahlen der
Doppelſterne, wenn ſie bloß optiſch wären, in den vier Klaſſen
wie 1, 3, 12 und 48 verhalten, ſo daß alſo von 64 optiſchen Dop-
pelſternen nur ein einziger von der erſten, 3 von der zweiten, 12 von
der dritten und 48 von der vierten Klaſſe ſeyn müßten. Wir hat-
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 21
[322]Doppelſterne.
ten aber oben 1450 Doppelſterne der vierten Klaſſe gefunden, ſo
daß, wenn dieſe alle optiſche Doppelſterne wären, der drit-
ten Klaſſe 362, der zweiten 91 und der erſten nur 30 zukommen
könnten. Allein nach dem Vorhergehenden gaben die Beobachtun-
gen für die dritte Klaſſe nicht 362, ſondern 1310, für die zweite
nicht 91, ſondern 1310 und für die erſte Klaſſe nicht 30, ſondern
1930. Dieſer gänzliche Mangel an Uebereinſtimmung, den zuerſt
Struve bemerkte, zeigt, daß die Doppelſterne der erſten Klaſſe
beinahe alle wahre oder phyſiſch doppelte Sterne ſeyn müſſen,
und daß derſelbe Schluß auch noch von den meiſten Sternen der
zweiten und dritten Klaſſe gilt.


§. 206. (Verſchiedenheit der Doppelſterne.) Gewöhnlich iſt
der eine dieſer beiden Sterne viel kleiner als der andere, wie z. B.
bei dem Polarſtern, wo der eine der zweiten und der andere der
eilften Größe iſt. Oft ſind aber auch beide Sterne an Größe
einander ſehr nahe gleich. Dahin gehören γ Widder, die beide
der V. Größe ſind; Caſtor der III. und IV.; γ Löwe der II. und
IV.; γ Jungfrau der III. und III.; β großer Bär der III. und IV.
u. ſ. f. Wenn ſolche Sterne, wie die erwähnten, beide ſchon zu
den größeren gehören und überdieß einander ſehr nahe ſtehen, ſo iſt
es offenbar noch viel wahrſcheinlicher, daß ſie phyſiſch doppelt ſind
und in der That zu einander, zu einem gemeinſchaftlichen Ganzen
gehören. Dieß iſt der Fall bei Caſtor, wo die Diſtanz nur 4 Se-
cunden, bei γ Löwe und γ Jungfrau, wo ſie nur Secunden be-
trägt u. f.


§. 207. (Eigene Bewegung der Fixſterne.) Es wurde bereits
(oben I. Kap. XII.) erwähnt, daß jeder Fixſtern, außer den ihnen
allen gemeinſchaftlichen Bewegungen der Präceſſion, Aberration
und Nutation, noch eine eigene Bewegung habe, deren Grund
die Aſtronomen bisher nicht auffinden konnten. Dieſe Bewegung
iſt bei mehreren derſelben nicht unbedeutend, wie folgende kleine
Tafel zeigt, welche die Ortsveränderung der darin enthaltenen Ster-
ne während einem Jahrhunderte enthält:


[323]Doppelſterne.

Dieſelbe eigene Bewegung bemerkt man auch bei den Dop-
pelſternen. Nehmen wir an, daß einer derſelben ſich während
einem Jahrhunderte durch 300 Secunden bewege, ſo würde er ſeit
dem Anfange unſerer Zeitrechnung oder ſeit 18 Jahrhunderten ſchon
einen Weg von 1½ Grad am Himmel zurückgelegt haben. Dieſer
Weg beträgt dreimal ſo viel, als der Durchmeſſer des Mondes,
und in der That kann er, wegen der ſehr großen Entfernung des
Sterns, viele Billionen von Meilen betragen. Und doch wurde
er auf dieſer ſo großen Bahn ſtets von ſeinem andern Stern be-
gleitet! Beide zogen mit einander und der Stern, der zur Zeit
vor Chriſti Geburt ein Doppelſtern war, erſcheint auch in unſeren
Tagen noch als ein ſolcher, wenn gleich ſein Ort am Himmel um
Billionen Meilen von dem Orte, den er in früheren Zeiten ein-
genommen hat, verſchieden ſeyn mag. Kann man hier noch zwei-
feln, daß die Doppelſterne in der That zu einander gehören?


§. 208. (Vertheilung der Doppelſterne am Himmel.) Die
Doppelſterne ſind nicht in allen Gegenden des Himmels gleich
zahlreich. Gewöhnlich ſind diejenigen Gegenden, die überhaupt
nur wenig einfache Sterne enthalten, auch an Doppelſternen ſehr
arm, z. B. die der Jagdhunde, der Drachen, der Bildhauerwerk-
ſtätte, alſo überhaupt in der Nähe der beiden Pole der Milch-
ſtraße. Wie man ſich aber dieſer Milchſtraße nähert, nimmt die
Zahl der einfachen ſowohl, als auch der doppelten Sterne ſchnell
zu. Aber auch außer der Milchſtraße gibt es einzelne Gegenden,
die an Doppelſternen ſehr reich ſind, wie das Sternbild des Per-
ſeus, des Widders, der Fliege, der Zwillinge und beſonders des
Orion.


Nicht ſelten ſieht man auch zwei ſolche Doppelſterne, alſo vier
21 *
[324]Doppelſterne.
Sterne, deren je zwei einander ſehr nahe ſtehen, auf einmal in
dem Felde des Fernrohrs. Dieß iſt z. B. der Fall bei β Leier
und im Sternbilde des Schwans (AR = 20h, Pold. = 54° 42′).


§. 209. (Drei- und mehrfache Sterne.) Zuweilen bemerkt
man auch drei Sterne in einer großen Nähe bei einander. Ein ſol-
cher iſt z. B. im Orion (AR = 4h 49′, Pold. = 75° 45′), von de-
nen zwei der VII. und der dritte der X. Größe iſt. Andere ſieht
man im Luchſe (AR = 6h 30′, Pold. = 30° 23′) bei ζ Krebs,
ξ Waage, 7 Stier u. f. Im Stier findet ſich ein Doppelſtern
der vierten Klaſſe, wo der größere Stern ſelbſt wieder ein Dop-
pelſtern der erſten Klaſſe iſt. Ein ähnlicher dreifacher Stern
iſt ψ in der Caſſiopeia. In den Trippelſternen von π Ein-
horn, ζ Krebs, ψ Waage gehören alle drei Sterne zu den
größeren.


Auch vier- und mehrfache Sterne ſind nicht ſelten am Him-
mel zu finden. Ein ſolcher vierfacher Stern iſt Θ im Orion. Er
ſteht nahe in dem dunkelſten Theile des merkwürdigen Nebels im
Orion und die vier Sterne deſſelben bilden ein nahe regelmäßiges
Viereck. Obſchon dieſer ſchöne Gegenſtand ſeit langer Zeit von
den Aſtronomen mit den beſten Fernröhren beobachtet worden iſt,
ſo entdeckte doch Struve i. J. 1825 in der Mitte dieſes Vierecks
noch einen kleinen fünften Stern, der ſeitdem ſo hell geworden
iſt, daß ihn jetzt jeder, mit einem guten Fernrohr verſehene
Beobachter ohne Anſtand bemerken kann. Es ſcheint daher, daß
dieſer neue Stern erſt in den letzten Zeiten entſtanden, und daß
er jetzt im Wachſen begriffen iſt. Oft ſieht man auch zwei Ster-
nenpaare, nahe bei einander, zugleich im Felde des Fernrohrs, wie
bei ε Leier, über σ Orion, in AR = 7h 48′ und Pold. = 34° 9
oder in AR = 16h 24′ und Pold. = 70° 33, u. f.


Ohne die übrigen vielfachen Sterne hier noch weiter zu ver-
folgen, bemerken wir nun, daß Struve den Stern σ im Orion,
unmittelbar unter dem tiefſten der drei Sterne, die unter dem
Namen des Jacobsſtabes bekannt ſind, als einen ſechszehnfa-
chen
Stern erkannt hat.


§. 210. (Bewegung der Doppelſterne um einander.) Wir haben
bereits oben geſagt, daß die Doppelſterne, ſo wie überhaupt alle
[325]Doppelſterne.
Sterne des Himmels, eine eigene fortſchreitende Bewegung im
Raume haben, und daß ſie, dieſer Bewegung ungeachtet, nicht
aufhören doppelt zu bleiben daß alſo dieſe Sternpaare ihren gro-
ßen Weg im Weltraume wie zwei eng verbundene Wanderer ge-
meinſchaftlich zurücklegen. Der merkwürdigſte unter dieſen Zwil-
lingsſternen iſt der oben erwähnte Doppelſtern 61 im Schwan.
Man findet ihn am Himmel zwiſchen den beiden größeren, aber
einfachen Sternen ν und τ dieſes Sternbildes beinahe in der Mitte
derſelben oder in der Rectaſcenſion 21h 0′ und Poldiſtanz 52° 3′.
Dieſer Stern hat eine ſehr große eigene Bewegung, nämlich in
100 Jahren durch 503″ in Rectaſcenſion und durch 339″ in Decli-
nation. Sie ſind alle beide nahe von der ſechsten Größe und
ihre Diſtanz beträgt nahe 15 Secunden. Aus den angeführten
zwei Bewegungen dieſes Doppelſterns folgt, daß er ſich, während
einem Jahrhundert, in der Richtung ſeiner Bahn durch 607 Se-
cunden bewegt. Dieſer Stern hat alſo ſeit Chr. G. über drei
Grade, d. h. über ſechs Monddurchmeſſer am Himmel zurückgelegt,
ohne von ſeinem Begleiter auch nur einen Augenblick verlaſſen
worden zu ſeyn.


Wenn aber eine ſo große, gemeinſchaftliche Bewegung der
beiden Sterne eines Doppelgeſtirns ſchon ſo deutlich für ihr in-
neres Zuſammengehören ſpricht, ſo wird dafür durch eine andere
Bewegung, die man an ihnen bemerkt hat, dieſe Vermuthung zu
einer nicht weiter zu bezweifelnden Gewißheit erhoben. Man hat
nämlich ſchon bei ſehr vielen dieſer Sternenpaare eine Bewegung
des einen um den anderen dieſer Sterne bemerkt. Der Be-
gleiter beſchreibt um ſeinen Centralſtern, als um einen Mittelpunkt,
eine kreisförmige oder elliptiſche Bahn, ganz eben ſo, wie die
Planeten um die Sonne, oder die Satelliten um ihre Hauptplane-
ten Bahnen beſchreiben.


Wenn man nämlich bei dieſen Doppelſternen die Diſtanz Δ
derſelben, und den Poſitionswinkel Π zu zwei oder mehr verſchie-
denen Zeiten beobachtet, ſo findet man, daß ſich dieſe Größen re-
regelmäßig ändern, und daß der Winkel Π insbeſondere ſchon in
wenig Jahren beträchtlich zu- oder abgenommen hat, woraus folgt,
daß ſich der eine dieſer Sterne um den andern bewegen muß.


[326]Doppelſterne.

Was zuerſt die Diſtanz Δ der beiden Sterne betrifft, ſo
nimmt ſie bei einigen Sternen regelmäßig zu, wie z. B. bei dem
merkwürdigen Stern Mira Ceti (AR = 2h 10′, Pold. = 93° 48′);
bei andern im Gegentheile wird ſie immer kleiner, wie bei ζ Orion,
γ Jungfrau, σ Krone u. f. Bei einigen endlich, wie bei Caſtor,
ζ großer Bär u. a. ſcheint dieſe Diſtanz immer dieſelbe zu blei-
ben. Bei dieſen letzten ſcheint daher die Bahn des Begleiters
nahe kreisförmig zu ſeyn und ſenkrecht auf unſere Geſichtslinie zu
ſtehen, daher wir gleichſam den ganz geöffneten Ring dieſer
Bahn ſehen, während bei dem erſten die elliptiſche Bahn ſehr ſchief
gegen die Geſichtslinie liegt und wir gleichſam nur die ſcharfe
Kante derſelben erblicken.


Wichtiger aber, oder doch auffallender ſind die Veränderungen
des Poſitionswinkels Π der Diſtanz Δ mit dem Deklinationskreiſe
des Centralſterns. In dem Doppelgeſtirn ζ Krebs ändert ſich dieſer
Winkel in hundert Jahren ſchon um 60 Grade, in η Caſſiopeia
um 12, in Caſtor ſogar um 142 Grade, und zwar ſehr regelmäßig,
während wieder bei anderen, wie in γ Jungfrau, die Veränderung
dieſes Winkels bald langſam, bald wieder ſehr ſchnell vor ſich geht,
woraus man mit Recht auf eine ſehr excentriſche Bahn dieſes
Doppelſterns ſchließen kann. Es gibt ſogar mehrere Doppelſterne,
deren Poſitionswinkel ſich, ſeit der erſten Beobachtung deſſelben
durch Herſchel, ſchon um volle 360 Grade verändert, bei
welchen demnach der Begleiter ſchon einen ganzen Umlauf um ſei-
nen Centralkörper vollendet hat. Bei anderen endlich iſt dieſe
Veränderung des Poſitionswinkels ſo groß und ſo regelmäßig,
daß man ſchon aus den Beobachtungen einiger Jahrzehnte mit
Sicherheit auf die ganze Zeit der Revolution derſelben ſchließen
kann. So fand man


  • für η Krone die Umlaufszeit 43 Jahre
  • ξ großer Bär — — 61 —
  • 70 Ophiuchus — 80 —
  • Caſtor — — 253 —
  • σ Krone — — 287 —
  • 61 Schwan — — 452 —
  • γ Jungfrau — — 513 —

[327]Doppelſterne.

Es iſt kein Zweifel, daß wir bald noch mehrere Doppelſterne
kennen lernen werden, deren Umlaufszeit wir nicht angeben können,
da es erſt 50 Jahre iſt, ſeitdem ſich die Aſtronomen mit ihnen be-
ſonders beſchäftiget haben, ſo daß dieſer intereſſante Gegenſtand
noch zu den neuen gezählt werden muß, deren weitere Ausbildung
erſt erwartet wird.


§. 211. (Bedeckungen der Fixſterne unter einander.) Wir be-
merken öfter, daß der Mond vor der Sonne oder vor den Fix-
ſternen vorübergeht und uns dadurch den Anblick dieſer Geſtirne
auf einige Zeit raubt. Dieſe Sonnenfinſterniſſe und Stern-
bedeckungen
(I. 175) beobachten die Aſtronomen mit beſonderem
Fleiße, weil ſie die beſten Mittel zur Beſtimmung der geographi-
ſchen Längen der Beobachtungsorte auf der Oberfläche der Erde
darbieten. Auch ſieht man zuweilen dieſe Sterne durch die Pla-
neten, oder ſelbſt, obwohl ſelten genug, einen Planeten durch den
andern bedecken; aber daß auch die Fixſterne ſich unter einander
bedecken ſollten, dieß würde man noch vor wenig Jahren für un-
möglich gehalten haben.


Wenn aber die Ebene der Bahn des Doppelſterns ſo ſchief
gegen unſere Geſichtslinie liegt, daß uns dieſelbe nur mehr nahe
wie eine gerade Linie erſcheint, und ſolcher Bahnen gibt es, wie
wir oben geſehen haben, mehrere, ſo wird uns eine ſolche Erſchei-
nung nicht mehr wunderbar vorkommen können. In dieſem Fall
ſcheint nämlich der Begleiter um ſeinen Centralſtern eine gerade,
durch dieſen Stern gehende Linie zu beſchreiben, und wenn er
demſelben auf dieſem Wege nahe genug kömmt, ſo wird er ihn
entweder bedecken oder von ihm bedeckt werden, je nachdem er, in
Beziehung auf uns, vor oder hinter ſeinem Centralkörper vorüber-
geht. Dieß iſt z. B. der Fall mit dem Doppelſtern τ im Schlan-
genträger (AR = 17h 53′, Pold. = 98° 10′). Der ältere Herſchel
ſah ihn i. J. 1781 noch als einen, obſchon bereits ſehr nahen
Doppelſtern. Sein Sohn und Struve ſahen ihn i. J. 1828 nur
mehr einfach, aber doch noch in einer länglichen Geſtalt. Jetzt
aber erſcheint er, ſelbſt durch die beſten Fernröhre, als ein voll-
kommen einfacher, runder Stern. Nach einigen Jahren werden
wir ihn ohne Zweifel wieder doppelt ſehen.


[328]Doppelſterne.

Der Doppelſtern ζ Orion im Gegentheile wurde von dem
älteren Herſchel vor 50 Jahren als ein beſtimmt einfacher Stern
bemerkt, während er jetzt zu den Doppelſternen gehört, deſſen Di-
ſtanz wohl noch ſehr klein iſt, aber doch deutlich mit der Zeit
wächst. Daſſelbe iſt der Fall mit ζ Hercules und δ Schwan, die
früher ebenfalls einfach waren und jetzt doppelt geſehen werden,
Auch die Bahn von γ Jungfrau liegt ſehr ſchief gegen uns und
die Diſtanz dieſes Doppelſterns wurde in den letzten Zeiten ſo
klein (ſie war i. J. 1830 nur mehr 1,5″), daß man ſchon einer
Bedeckung deſſelben entgegen ſah, allein ſeitdem wächst dieſe. Di-
ſtanz wieder, und die Ebene der Bahn geht daher nicht genau durch un-
ſere Sonne, daher der Begleiter über dem Centralſtern vorbeiging.


§. 212. (Erſte Meinung von den Doppelſternen.) Als Herſchel
i. J. 1780 ſich mit dieſen Geſtirnen zu beſchäftigen anfing, hatte
er die Anſicht, daß ſie alle, oder doch meiſtens nur optiſch doppelt
wären, daß ſie alſo, wenn gleich vielleicht in ſehr großen Entfer-
nungen hinter einander, doch für uns nahe auf derſelben Geſichts-
linie ſtehen. Er ſah bald, daß ſie, wenn anders dieſe Meinung
gegründet iſt, ein ſehr gutes Mittel zur Beſtimmung der Parallaxe
des näheren Sterns geben würde und dieß war auch der Zweck,
welchen er durch die Beobachtung dieſer Geſtirne zu erreichen
ſuchte. Wenn wir nämlich einen ſolchen Doppelſtern von den
entgegengeſetzten Punkten der jährlichen Bahn der Erde um die
Sonne, alſo zu zwei um ein halbes Jahr von einander entfernten
Zeiten, beobachten, ſo wird der nächſte von beiden ſeinen Ort gegen
den weitern unbeweglichen, zu ändern ſcheinen, und aus dieſen
Aenderungen wird ſich die Entfernung deſſelben von der Erde um
ſo ſicherer ableiten laſſen, als die Vergleichung der Diſtanz der
beiden Sterne ſich hier mit der größten Schärfe anſtellen läßt.
Allein, wie es öfter zu gehen pflegt, er fand nicht, was er ſuchte,
die Parallaxe der Fixſterne, aber er fand dafür etwas anderes,
was nicht minder intereſſant war, die Bewegung des einen der-
ſelben um den anderen, und dieſe Entdeckung mit allen ihren Fol-
gen mußte ihn wohl nicht weniger überraſchen, als ihn die Er-
füllung ſeines erſten Wunſches erfreut haben würde.


Den Leſern iſt die Methode, die Entfernung der Geſtirne aus
[329]Doppelſterne.
ihrer Parallaxe zu finden, ſchon aus I. Kap. V. bekannt. Da es
ſich aber hier um die ſehr großen Entfernungen handelt, um welche
die Fixſterne von uns abſtehen, ſo wird es nicht unzweckmäßig
ſeyn, den Zuſammenhang zwiſchen der Parallaxe und der Entfer-
nung eines Fixſterns unter verſchiedenen Vorausſetzungen der er-
ſten durch eine kleine Tafel gleichſam mit einem Blicke überſehen
zu laſſen.


Nehmen wir alſo an, daß der Durchmeſſer der Erdbahn, der
zu den beiden, ein halbes Jahr von einander entfernten Beobach-
tungen gehört, ſo gewählt worden iſt, daß er auf der Geſichtslinie
von dem Stern nach der Sonne ſenkrecht ſteht, und nennen wir
α den Winkel, unter welchem ein Auge in der Sonne dieſen Halb-
meſſer der Erdbahn, der 20658000 d. Meilen beträgt, ſehen wird,
ſo wie R die daraus folgende Entfernung des Sterns von der
Sonne und endlich, um die hier für R enthaltenen großen Zahlen
leichter zu überſehen, T die Zeit, in welcher das Licht dieſe Ent-
fernung R zurücklegt, vorausgeſetzt, daß das Licht in einer Se-
cunde 41900, alſo in einem Tage 3620 Millionen und in einem
gemeinen Jahre 1322263 Millionen Meilen durchläuft.


[330]Doppelſterne.

Dieſe Tafel zeigt alſo, wie ſchnell die Diſtanz eines Sterns
von uns zunimmt, wenn der Winkel α oder die jährliche Parallaxe
deſſelben kleiner wird. Iſt dieſer Winkel gleich einer Secunde,
d. h. erſcheint der Halbmeſſer der Erdbahn, von dem Stern ge-
ſehen, nur mehr unter dem Winkel von einer Secunde, ſo beträgt
die Diſtanz des Sterns von der Sonne, oder was hier daſſelbe
iſt, von der Erde, vier Billionen Meilen oder eine Sternweite,
wie wir ſie oben genannt haben, und dieſe Diſtanz iſt ſo groß,
daß ſelbſt das Licht, ſeiner ungeheuern Geſchwindigkeit ungeachtet,
ſie erſt in vollen drei Jahren zurücklegen kann. Wäre aber die
Parallaxe eines Fixſterns nur der hundertſte Theil einer Secunde,
ſo würde die Diſtanz deſſelben 412, genauer 412½ Billion Mei-
len betragen, wozu das Licht die Zeit von 310 Jahren gebrauchen
würde. So kleine Winkel können wir aber ſelbſt mit unſeren
feinſten Inſtrumenten nicht mehr meſſen, daher es uns unmöglich
iſt, über die Diſtanz der Fixſterne, deren Parallaxe, wie es ſcheint,
durchaus beträchtlich kleiner, als eine Secunde iſt, etwas Verläß-
liches zu beſtimmen.


Man kann es übrigens nur mit Bedauern ſehen, daß die
Bemühungen der Aſtronomen, die Diſtanz der Fixſterne, wenig-
ſtens einiger derſelben, zu finden, bisher alle vergebens geweſen
ſind, und daß auch die Hoffnung, welche die Doppelſterne für
dieſen Zweck gewährten, wieder vereitelt worden iſt, wenn wir an-
ders nicht einmal zufällig einen ſolchen bloß optiſchen Doppelſtern
auffinden ſollten, der ſich zu jener Abſicht beſonders eignet. In-
deſſen könnten ſelbſt die phyſiſchen Doppelſterne uns einmal ein
Mittel darbieten, dieſe ſo lange vergebens gewünſchte Diſtanz
der Fixſterne zu erhalten. Wir verdanken dieſes Mittel dem ge-
ſchickten Geometer Savary, der ſich auch zuerſt mit der ſchwie-
rigen Bahnberechnung der Doppelſterne beſchäftiget hat und es
wird, wie ich hoffe, den Leſern nicht unangenehm ſeyn, ſeine ſinn-
reiche Idee hier kurz entwickelt zu finden.


§. 213. (Entfernung der Doppelſterne von der Erde.) Wenn
die Ebene der Bahn, die wir hier der Kürze wegen als kreisförmig
annehmen, auf der Geſichtslinie ſenkrecht ſteht, welche den Cen-
tralkörper S (Fig. 20) mit der Erde T verbindet, ſo werden alle
[331]Doppelſterne.
Punkte der Peripherie Am Bn dieſes Kreiſes gleichweit von der
Erde T entfernt ſeyn. Liegt aber, wie wir hier vorausſetzen wol-
len, die Ebene dieſer Bahn ſo ſchief gegen die Geſichtslinie, daß
ſie mit derſelben beinahe zuſammenfällt, oder daß die Erde gleich-
ſam nur die Kante dieſer Bahnen ſieht, ſo werden diejenigen
Punkte der Peripherie mBn, die hinter dem Centralſtern liegen,
durchaus eine größere Entfernung von der Erde haben, als die
Punkte der vordern Hälfte mAn dieſer Bahn, und der Sternſa-
tellit wird, von der Erde geſehen, nicht in dieſer krummen Bahn,
ſondern in der geraden Linie mSn oder in demjenigen Durchmeſſer
des Kreiſes auf und ab zu gehen ſcheinen, welcher jene beiden
Hälften mAn und nBn des Kreiſes von einander trennt. Eben
ſo wird aber auch die Geſichtslinie TS die kreisförmige Bahn des
Satelliten in einen Durchmeſſer ASB ſchneiden. Nehmen wir an,
der Satellit bewege ſich von A nach m, B, n, ſo wird dieſer
Durchmeſſer ASB den Kreis in zwei Hälften theilen, in deren
einer Am B der Satellit ſich in der That von der Erde entfernt,
während er ſich in der andern Hälfte BmA der Erde wieder nä-
hert. Wir wollen, der Kürze wegen, jene die erſte und dieſe die
zweite Hälfte nennen.


Obſchon nun in einem Kreiſe die Bewegung nicht anders, als
gleichförmig ſeyn kann, und daher der Satellit in der Peripherie
Am Bn ſeiner Bahn immer mit derſelben Geſchwindigkeit fortgeht,
ſo wird er uns doch die Linie mSn hin und zurück mit einer ver-
änderlichen Geſchwindigkeit zurück zu legen ſcheinen. Wenn er
für uns in der Nähe der Mitte S dieſer Linie erſcheint, wenn er
alſo in der That in dem Punkte A oder B ſeiner Bahn iſt, ſo
wird die Richtung ſeiner Geſchwindigkeit ſenkrecht auf die Geſichts-
linie TS ſtehen, und daher dieſe Geſchwindigkeit ſelbſt am größten
erſcheinen. Wenn er aber in der Nähe der beiden Endpunkte m
und n dieſer Linie ankömmt, ſo iſt die Richtung ſeiner Bewegung
nahe dieſelbe mit der Richtung der Geſichtslinie TS, daher uns
hier ſeine Geſchwindigkeit am kleinſten erſcheinen wird. Allein
dieſe Verſchiedenheit der bloß ſcheinbaren Geſchwindigkeiten wird
ihn nicht hindern, die Hälfte dieſer Linie Sm hin und zurück doch
in derſelben Zeit zu durchlaufen, mit welcher er die andere
[332]Doppelſterne.
Hälfte Sn zurück zu legen ſcheinen wird. Dieſe Unterſchiede der
Geſchwindigkeiten werden alſo auf die Zeiten, in welchen der Sa-
tellit die beiden Hälften Am B und Bn A ſeiner Bahn zurück
legt, keinen Einfluß haben.


Allein wenn dieſer Halbmeſſer der Bahn ſo groß ſeyn ſollte,
daß ſelbſt das Licht noch mehrere Tage und vielleicht Monate
brauchte um ihn zu durchlaufen, dann würden die beiden beobach-
teten Zeiten der halben Revolutionen durch die erſte Hälfte AmB
der Bahn und durch die zweite BnA derſelben uns nicht mehr
gleich, ſondern die erſte würde uns größer, als die zweite er-
ſcheinen.


Um dieß beſſer zu überſehen, wollen wir annehmen, der Stern-
ſatellit brauche genau 1000 Tage, ſeine ganze Umlaufszeit um den
Centralſtern S zu vollenden und der Halbmeſſer SA oder SB ſei-
ner Bahn betrage 36200 Millionen Meilen, die das Licht in
10 Tagen zurücklegt. Wenn wir ihn heute in dem Punkte A ſei-
ner Bahn, alſo bei dem Centralſtern S ſehen, ſo wird er von heute
in 250 Tagen den vierten Theil ſeines Umkreiſes zurückgelegt ha-
ben und daher in dem Punkte m ſeyn. Allein dieſer zweite Punkt
m iſt nahe um den Halbmeſſer der Bahn von der Erde T weiter
entfernt, als der erſte Punkt A, und da das Licht 10 Tage braucht,
dieſen Halbmeſſer zu durchlaufen, ſo würden wir ihn nicht nach
250 Tagen, ſondern um 10 Tage ſpäter, alſo erſt in 260 Tagen
nach jener Epoche in dem Punkte m ankommen ſehen, weil näm-
lich das von ihm in dem Augenblicke, wo er in m ankömmt, aus-
geſendete Licht erſt in 10 Tagen nach der Ankunft des Sterns
in m bei der Erde in T ankommen kann, weil wir die Botſchaft
dieſer Ankunft des Sterns in m erſt in 10 Tagen nach derſelben
durch das Licht erhalten können. Daſſelbe wird auch von dem
Punkte B gelten, von welchem das Licht bis zu uns zu kommen,
10 Tage mehr, als von m, alſo auch 20 Tage mehr als von A
brauchen wird. Die Folge davon iſt, daß der Satellit die erſte
Hälfte ſeiner Bahn Am B, oder daß er die gerade Linie Sm hin
und zurück, nicht in 500 Tagen, wie er in der That thut, ſondern
für uns erſt in 520 Tagen zurück zu legen ſcheinen wird.


Der umgekehrte Fall wird in der zweiten Hälfte Bn A ſei-
[333]Doppelſterne.
ner Bahn eintreten. Wenn wir nämlich den Satelliten am 520ſten
Tage nach der erſten Beobachtung in dem entfernteſten Punkte B
ſeiner Bahn, oder wieder bei ſeinem Centralſtern S erblicken, ſo
wird er nach weiteren 250 Tagen zwar in der That genau den
vierten Theil ſeiner Bahn zurückgelegt haben, aber für uns wird
er in derſelben Zeit einen größeren Bogen zu durchlaufen ſcheinen,
weil nämlich das Licht, ſo wie der Satellit von B nach n vor-
rückt, immer einen kürzeren Weg, bis zu uns zu gelangen, ha-
ben, alſo auch immer eine kürzere Zeit dazu verwenden wird. Er
wird uns daher wieder in 10 Tagen früher in n und 20 Tage
früher in A erſcheinen, als dieß geſchehen würde, wenn entweder
der Durchmeſſer der Bahn viel kleiner, oder wenn die Geſchwin-
digkeit des Lichtes noch vielmal größer wäre, als ſie in der
That iſt.


Wir werden alſo den Satelliten die erſte Hälfte ſeiner Bahn
in 520 und die zweite in 480 Tagen durchlaufen ſehen. Die
Summe beider Zahlen beträgt tauſend Jahre, oder die wahre Um-
laufszeit des Satelliten, wie dieß ſeyn muß, weil dieſe von der
Langſamkeit des Lichtes verurſachten Ungleichheiten zu beiden Sei-
ten der Geſichtslinie TB ſich wieder aufheben. Jene beobachteten
Hälften der Umlaufszeiten ſind daher um 20 Tage, d. h. um eben
ſo viel Tage verſchieden, als das Licht braucht, um den Durch-
meſſer AB der Bahn zu durchlaufen. Da aber das Licht, wie be-
kannt, in jedem Tage 3620 Millionen Meilen durchläuft, ſo be-
trägt die wahre Größe des Durchmeſſers dieſer Bahn 72400 Mill.
Meilen.


Wenn man aber einmal zu der Kenntniß der abſoluten Größe
des Halbmeſſers Sm der Bahn eines Doppelſterns gekommen iſt,
ſo iſt es ſehr leicht, auch die Diſtanz ST des Centralſterns S von
der Erde T zu finden. Zu dieſem Zwecke braucht man nur, wenn
anders der Durchmeſſer mn, in welchem der Satellit einher zu
gehen ſcheint, ſenkrecht auf die Geſichtslinie TS ſteht, den Winkel
STm zu meſſen, welchen die Diſtanz Sm des Satelliten in ſeiner
größten Entfernung von dem Centralkörper in dem Auge des Beob-
achters macht, und dann den bereits gefundenen Halbmeſſer Sm durch
den Sinus dieſes Winkels zu dividiren, um ſofort auch die ge-
[334]Doppelſterne.
ſuchte Diſtanz ST des Centralſterns zu erhalten. Iſt dieſer Winkel
STm in unſerem Beiſpiele gleich 10 Secunden, ſo erhält man ſo-
fort TS = 74668000 Millionen oder 747 Billionen Meilen, eine
Diſtanz, welche das Licht erſt in 566 Jahren zurücklegen würde.


In den meiſten Fällen wird zwar die Bahn des Satelliten
kein Kreis, ſondern eine Ellipſe ſeyn, und die zweite Axe dieſer
Ellipſe wird nur ſelten nahe ſenkrecht auf die Geſichtslinie ſtehen.
In ſolchen Fällen wird es nöthig ſeyn, die Lage dieſer großen Axe
gegen die Geſichtslinie auf dieſelbe Art zu beſtimmen, wie man
bei den Planetenbahnen die Lage ihrer Axen beſtimmt. Geſetzt,
man hätte den Winkel der großen Axe mit der Geſichtslinie gleich
44° 26′ gefunden, ſo wird man nur die vorhin gefundene Entfer-
nung, von 747 Billionen Meilen durch den Sinus dieſes Winkels
multipliciren, um die wahre Diſtanz ST des Centralkörpers von
der Erde zu finden, die hier 523 Billionen Meilen beträgt.


§. 214. (Bahnbeſtimmung der Doppelſterne.) Zur vollſtändi-
gen Kenntniß eines Sterns, deſſen Bewegung um einen anderen
man bereits erkannt hat, iſt es nothwendig, die Elemente ſeiner
Bahn (vergl. I. §. 142) aus den Beobachtungen zu beſtimmen,
ein Geſchäft, das ſchon bei den Planeten und Kometen nicht leicht,
hier aber mit ſo vielen Schwierigkeiten verbunden iſt, daß man,
ohne den Gebrauch mathematiſcher Formeln, keine Anzeige davon
geben kann. Um nämlich den Ort des Sternſatelliten am Him-
mel für jeden vorhergegangenen oder künftigen Augenblick zu be-
ſtimmen, muß man die ſechs unterſcheidenden Kennzeichen ſeiner
Bahn, die wir die Elemente deſſelben nennen, aus den Beobach-
tungen abzuleiten wiſſen. Dieſe ſind I. die große Axe ſeiner El-
lipſe, d. h. hier die Anzahl Secunden, unter welchen uns dieſe
Axe erſcheinen würde, wenn ſie ſenkrecht auf der Geſichtslinie
ſtünde. II. Die Excentricität dieſer Ellipſe (I. §. 136); III. die
Neigung der Ebene der Bahn und IV. die Länge der Knotenlinie
(I. 117) derſelben in der Ecliptik, V. die Lage des Periheliums
oder der Winkel, welchen die große Axe der Bahn mit jener Kno-
tenlinie bildet, und VI. die Epoche, oder die Zeit, wann der Stern-
ſatellit durch die große Axe ſeiner Bahn geht.


Eigentlich gibt es aber noch zwei andere Elemente, die bei
[335]Doppelſterne.
der Beſtimmung der Planetenbahnen als außerweſentlich wegfallen
und hier im Gegentheile die intereſſanteſten, obſchon auch zugleich
diejenigen ſind, deren Beſtimmung den meiſten Schwierigkeiten
unterworfen iſt. Dieſe Elemente ſind: die Maſſe des Central-
körpers in Beziehung auf die Maſſe unſerer Sonne und die Ent-
fernung
dieſes Centralkörpers von uns. Wir haben im Vor-
hergehenden eine Methode angezeigt, dieſe Entfernung zu finden,
wenn uns die dazu nöthigen Mittel durch die Beobachtungen ge-
geben werden, was aber wahrſcheinlich noch lange nicht geſchehen
wird.


Der erſte, der dieſes mit vielen Schwierigkeiten verbundene
Geſchäft einer Bahnbeſtimmung der Doppelſterne ausgeführt hat,
iſt der ſchon oben erwähnte Savary, der ſeine ſchöne Methode
in der Connoiss. des temps für d. J. 1830 mitgetheilt und die-
ſelbe auch ſogleich auf den merkwürdigen Doppelſtern ξ Ursae
majoris
mit viel Glück angewendet hat. Einen ähnlichen Verſuch
hat nach ihm Encke in ſeinem aſtron. Jahrbuche f. d. J. 1832
bekannt gemacht und ſeine ſehr eleganten Ausdrücke auf den Dop-
pelſtern 70 p Ophiuchi angewendet. Beide haben ihre Rechnun-
gen nur eben ſo vielen Diſtanzen Δ und Poſitionswinkel Π aus den
Beobachtungen zu Grunde gelegt, als zu ihrem Zwecke unmittelbar
nöthig ſind. Der jüngere Herſchel hat dafür in dem 5ten Bande
der Mem. of the Astron. Society ein anderes, ſinnreiches Ver-
fahren gegeben, die Bahnen dieſer Geſtirne zu beſtimmen, in wel-
chen er die beobachteten Diſtanzen Δ als zu unverläſſig völlig
ausſchließt und dafür alle Poſitionswinkel, welche man bisher
beobachtet hat, ſeiner Rechnung oder vielmehr ſeiner graphiſchen,
durch Rechnung unterſtützten Methode zu Grunde legt. Sie
ſcheint für den gegenwärtigen Zuſtand unſerer Kenntniſſe dieſer
Himmelskörper die ſicherſte und anwendbarſte zu ſeyn.


§. 215. (Elemente der vorzüglichſten Doppelſterne.) Die fol-
gende Tafel enthält die merkwürdigſten Elemente derjenigen Dop-
pelſterne, deren Bahnen uns bisher bekannt geworden ſind. Die
Folgezeit wird uns ohne Zweifel bald über mehrere dieſer Bahnen
belehren. Indeß können wir auch ſchon die Früchte der bisherigen
Arbeiten der Aſtronomen als im höchſten Grade intereſſant anſehen,
[336]Doppelſterne.
beſonders wenn wir bedenken, daß ſie dieſem Gegenſtande ihre
Aufmerkſamkeit erſt ſeit 50, und ihren fortgeſetzten Fleiß erſt ſeit
kaum 20 Jahren zugewendet haben.


§. 216. (Bemerkungen über einzelne Doppelſterne dieſer Tafel.)
Die in dieſer Tabelle zuſammengeſtellten Doppelſterne ſind diejenigen,
die wir unter den 6000 bisher beobachteten am beſten kennen. Es
wird daher nicht unangemeſſen ſeyn, ihnen noch einige Bemerkun-
gen beizufügen.


Der erſte dieſer Sterne, oder γ Jungfrau, beſteht aus zwei
gleich großen Sternen, deren jeder nahe der dritten Größe iſt.
Schon Bradley, der berühmte Aſtronom der k. Sternwarte zu
Greenwich bei London, hat ihn im Jahr 1718 und ſpäter auch
T. Mayer in Göttingen i. J. 1756 beobachtet. Zu der letzten
Zeit betrug ſeine Diſtanz 7 Secunden, ſo daß man mit jedem
guten Fernrohre ſeine Duplicität leicht erkennen konnte. Aber
dieſe Diſtanz hat ſeitdem immer abgenommen, und jetzt iſt ſie ſo
klein, kaum eine Secunde, daß man ſelbſt mit ſehr guten Fernröhren
ihn nur mehr einfach, obgleich etwas länglich ſieht. Im Jahre
1834 ging der Satellit durch ſein Perihelium oder durch den ſeiner
Centralſonne nächſten Punkt ſeiner Bahn. Merkwürdig iſt die
große Geſchwindigkeit dieſes Satelliten zur Zeit ſeines Perihe-
liums, da er in fünf Tagen ſchon einen Grad, alſo in einem Jahre
65 Grade um ſeinen Centralkörper zurücklegt. Wenn er eine
[337]Doppelſterne.
Billion Meilen von demſelben entfernt iſt, ſo geht er in einem
Tage 3490 Millionen Meilen, während unſere Erde in jeder
Secunde 4 Meilen, alſo in einem Tage 345600 Meilen zurücklegt,
demnach gegen 10000 mal langſamer geht.


Caſtor, oder der weſtlichere der beiden Sterne, die unter
dem Namen der Zwillinge bekannt ſind, iſt ein Doppelſtern, deſſen
Diſtanz jetzt nahe fünf Secunden beträgt. Beide Sterne ſind nahe
gleich groß. Dieſes Sternenpaar iſt es, das den ältern Herſchel, der
daſſelbe vorzüglich eifrig beobachtete, zuerſt auf die Idee brachte,
daß dieſe Geſtirne zuſammen gehören und abgeſonderte Sonnen-
ſyſteme bilden. Wir beſitzen noch ältere Beobachtungen deſſelben,
die Bradley i. J. 1720 und Maskelyne i. J. 1760 angeſtellt hat.
Der jüngere Herſchel hat die Bahn dieſes Doppelſterns be-
ſtimmt und uns auch eine Ephemeride für die nächſtfolgenden
Jahre berechnet. Das erſte Beiſpiel dieſer Art, nach welchem
man hat


Daraus folgt, daß wir gegen das Jahr 1860 wahrſcheinlich
die Bedeckung dieſer beiden Sterne ſehen werden, die wir bei
γ Jungfrau eben jetzt beobachten. Im Jahre 1856 wird der Sa-
tellit Caſtors durch ſein Perihelium gehen.


Man bemerke noch die ſehr große Excentricität dieſer beiden
erſten Bahnen. In unſerem Planetenſyſtem hat die Junobahn die
größte Excentricität, die aber doch nur den vierten Theil der hal-
ben großen Axe beträgt, während ſie bei dieſen Sternenbahnen
8 und 9 Zehntheile der Halbaxe ausmacht.


Der Doppelſtern σ nördl. Krone iſt der V. und VII. Größe;
die Diſtanz Δ beträgt nur eine Secunde, daher er ſchwer zu meſ-
ſen iſt. Die Excentricität ſeiner Bahn iſt etwas über die Hälfte
ſeiner großen Halbaxe. Im Jahre 1836 wird der Satellit durch
ſein Perihelium gehen.


Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 22
[338]Doppelſterne.

Der Doppelſtern ξ großer Bär iſt in der unterſten Spitze des
hinteren rechten Fußes dieſes Sternbildes, und er beſteht aus zwei
Sternen der V. und VI. Größe, die drei Secunden von einander
abſtehen. Die Winkelbewegung des Satelliten iſt ungemein ſchnell.
Seit dem Jahre 1785 bis auf unſere Tage hat er ſchon über
300 Grade um ſeinen Centralſtern zurück gelegt, ſo daß man ſeine
Umlaufszeit ſchon ſehr nahe kennt, wodurch die Berechnung ſeiner
übrigen Elemente ſehr erleichtert wird. Im Jahre 1817 ging der
Satellit durch ſein Perihelium. Die ſehr kurze Umlaufszeit die-
ſes Sternſatelliten iſt merkwürdig, da ſie 23 Jahre kürzer iſt, als
die des Planeten Uranus, welcher letzte 84 Jahre beträgt.


Der Doppelſtern 70 p Schlangenträger beſteht aus zwei Ster-
nen der VII. und VIII. Größe, deren Diſtanz 4 Secunden beträgt.
Die oben angegebenen Elemente werden wahrſcheinlich noch eini-
ger Correctionen bedürfen, da die bisherigen Beobachtungen nicht
geeignet ſind, die Bahn mit Genauigkeit zu beſtimmen.


Von dem merkwürdigen Sternenpaar 61 Schwan, nach Flam-
ſtead’s Verzeichniß ſo genannt, iſt für das Jahr 1834 die Recta-
ſcenſion 314° 51′,7 und die Poldiſtanz 52° 3′,6. Er ſteht daher
nahe ſüdöſtlich bei dem ſüdlichen Fuß des Schwans in der Nach-
barſchaft der Milchſtraße. Die Rectaſcenſion nimmt jährlich um
39″,9 zu und die Poldiſtanz um 17″,4 ab. Von dieſen Verän-
derungen gehört ein Theil der Präceſſion (I. Kap. XII.), die allen
Sternen gemein iſt. Dieſe beträgt für ihn 34″,9 in Rectaſcenſion
und 14″,0 in Poldiſtanz. Alſo iſt die eigene Bewegung die-
ſes Sterns in Rectaſcenſion 5″,0 und in Poldiſtanz 3″,4, grö-
ßer, als ſie noch bei irgend einem Fixſterne gefunden wurde.
Während alſo der Satellit ſich um ſeinen Centralkörper bewegt,
gehen beide Sonnen zugleich unter den anderen Sternen des
Himmels fort. Dieſe beiden merkwürdigen Sterne ſind der VI.
und VII. Größe und ihre Diſtanz iſt 15 Secunden. Obſchon wir
eine ältere Beobachtung derſelben von Bradley aus dem Jahre
1753 haben, ſo ſind doch die Elemente der Bahn noch nicht mit
hinlänglicher Genauigkeit beſtimmt worden.


Der Doppelſtern ζ Krebs beſteht aus zwei Sternen der V. und
[339]Doppelſterne.
VI. Größe, deren Diſtanz 6 Secunden beträgt. Die Bahn ſcheint
nahe kreisförmig mit einer Umlaufszeit von 55 Jahren zu ſeyn.


Der Doppelſtern η nördl. Krone endlich beſteht aus zwey
Sternen der V. und VI. Größe mit der ſehr kleinen Diſtanz von
kaum einer Secunde. Auch die Bahn dieſes Sterns ſcheint ſehr
nahe kreisförmig zu ſeyn und die große Axe ſenkrecht auf der
Geſichtslinie zu ſtehen.


Noch erwähnen wir hier des Doppelgeſtirns ξ Bootes (Größe
V. und VIII. mit der Diſtanz von 9 Secunden), deſſen Bahn
unter allen bisher bekannten am ſchiefſten gegen uns liegt, daher
wir ſie nur als eine gerade Linie ſehen. Die Umlaufszeit beträgt
nahe 117 Jahre.


§. 217. (Das allgemeine Geſetz der Schwere wird auch von den
Doppelſternen befolgt.) Es läßt ſich mit geometriſcher Schärfe
beweiſen, daß wenn ein Körper um einen andern in einer Ellipſe
einhergeht, in deren einem Brennpunkte der andere Körper
liegt, die Anziehungskraft des letzteren ſich wie verkehrt das
Quadrat der Entfernung des angezogenen Körpers von dem an-
ziehenden verhält. Dieß iſt, wie die Beobachtungen zeigen, der
Fall bei allen Planeten und Satelliten unſeres Sonnenſyſtems,
woraus wir den Schluß gezogen haben, daß die Sonne auf die
Planeten, und daß dieſe Planeten auf ihre Satelliten nach dem
von Newton entdeckten Geſetze der allgemeinen Schwere wirken.
Allein daſſelbe iſt auch, wie wir ſo eben geſehen haben, der Fall
bei den Doppelſternen, die ebenfalls in Ellipſen ſich um ihren
Centralkörper bewegen, der immer den einen Brennpunkt dieſer
Ellipſe einnimmt. Wir werden daher berechtigt ſeyn, anzunehmen,
daß daſſelbe Geſetz, welches alle Bewegungen unſeres Planetenſy-
ſtems regelt, auch jenſeits der Gränze dieſes Syſtems ſtatt habe,
und daß es daher wahrſcheinlich das allgemeine Geſetz der
ganzen Natur iſt.


§. 218. (Farben der Doppelſterne.) Noch haben wir einer
Eigenthümlichkeit dieſer Sternenpaare zu erwähnen, die ſelbſt für
den bloßen Anblick derſelben zu auffallend iſt, als daß ſie hier
übergangen werden dürfte.


Unter den einfachen Sternen des Himmels ſieht man gewöhn-
22 *
[340]Doppelſterne.
lich nur ſolche, die in einem weißen Lichte glänzen, das mehr
oder weniger der gelben Farbe ſich nähert und nur ſelten in das
Röthliche übergeht. Unter den letzten oder den rothen Sternen
zählten die Alten ſchon den Arctur, Aldebaran, Pollux, Antares
und α Orion auf, die uns auch jetzt noch in derſelben Farbe er-
ſcheinen. Aber auch Sirius wird von ihnen als röthlich beſchrie-
ben, da er uns doch durch ſeine blendend weiße Farbe auffällt.


Allein blaue oder grüne Sterne hat man, unter den ein-
fachen Fixſternen, bisher nicht entdeckt. Alle Farben derſelben
ſind, wenn ſie nicht weiß ſind, von dem unteren Ende des bekann-
ten Sonnenſpectrums genommen, wo die rothe und beſonders die
gelbe Farbe vorherrſcht, keine aber von dem obern Ende, wo die
blaue und grüne Farbe überwiegt.


Nicht ſo iſt es bei den Doppelſternen. Bei dieſen hat ge-
wöhnlich der größere oder der Centralſtern eine weiße Farbe, die
aber auch ſehr oft ins Gelbe, ſeltener jedoch ins Rothe fällt, ganz
wie bei den einfachen Sternen, während im Gegentheile der ihn
begleitende Satellit in den allermeiſten Fällen blau oder grün
oder blaugrün iſt. Doch gibt es auch andere, obgleich ſeltenere
Fälle, wo der große weiß oder gelb und der kleine roth, oder
wo der große orange und der kleine grün, oder wo auch beide zu-
gleich blau ſind, und nicht ſelten erſcheinen dieſe Farben ſo aus-
geſprochen und lebhaft, daß ſie ſchon auf den erſten flüchtigen
Anblick derſelben auffallend hervortreten.


§. 219. (Complementäre Farben.) Jedermann kennt das Son-
nenſpectrum oder das längliche Farbenbild, das man erhält, wenn
man durch eine enge Oeffnung eines verſchloſſenen Zimmers die
Sonnenſtrahlen eintreten läßt, und ſie, nachdem man ſie durch ein
Glasprisma geleitet hat, auf einer der Oeffnung gegenüberſtehen-
den Tafel auffängt. In dieſem Spectrum unterſcheidet man ge-
wöhnlich ſieben Farben, obſchon es angemeſſener wäre, deren nur
ſechs zu bezeichnen, von welchen die eine in die andere durch all-
mählige Abſtufungen übergeht. Der unterſte Theil deſſelben iſt
nämlich roth und dann folgen aufſteigend die orange, gelbe, grüne,
blaue, indigo und violete Farbe. Die beiden letzten ſollte man
unter der gemeinſchaftlichen Benennung „violet“ zuſammenfaſſen,
[341]Doppelſterne.
da ſie doch beide nur Abſtufungen der in das Rothe ſpielenden
blauen Farbe ſind. Newton, der zuerſt ſieben Hauptfarben an-
nahm, ſcheint dieſe Zahl einer kleinen Schwärmerei zu Liebe vor-
gezogen zu haben, indem er ſie mit den ſieben Tönen der Octave,
mit den ſieben Planeten, und mit andern myſtiſchen Eigenſchaften
dieſer für heilig gehaltenen Zahl in Verbindung bringen wollte.


Von dieſen ſechs Farben, roth, orange, gelb, grün, blau und
violet, nennt man nun die drei: roth, gelb und blau, primäre
und die drei anderen: orange, grün und violet ſecundäre Farben.
Jene heißen primär, weil man aus ihnen durch Miſchung alle
andern Farben erzeugen kann.


Theilt man nun die Peripherie eines Kreiſes in ſechs gleiche
Theile, und nennt den erſten Theil roth, den zweiten angränzenden
orange, den dritten gelb, dann grün, blau und violet, ſo liegt in
der ſo bezeichneten Figur jeder primären Farbe diejenige ſecundäre
gegenüber, die aus der Miſchung der beiden anderen primären
Farben entſteht. So liegt z. B. der primären rothen Farbe die
ſecundäre grüne gegenüber, und die grüne Farbe entſteht, wie
allgemein bekannt, aus der Miſchung der beiden primären Farben
gelb und blau. Man nennt aber dieſe den drei primären Farben
gegenüberſtehenden ſecundären Farben die complementären von
jenen primären Farben. So iſt alſo


  • grün die complem. Farbe von roth,
  • violet — — — — gelb, und
  • orange — — — — blau.

Man will bemerkt haben, daß je zwei complementäre Farben
einen gefälligern Eindruck auf das Auge machen, als z. B. grün
und gelb, etwa wie zwei um eine Terze oder Octave entfernte
Töne den Ohren angenehmer ſind, als andere. Auch ſollen die
complementären Farben entgegengeſetzte chemiſche Eigenſchaften
beſitzen, indem die einen eine oxydirende und die andern eine
desoxydirende Kraft auf die Körper äußern.


Wie es aber auch mit dieſen und andern Eigenſchaften der
complementären Farben beſchaffen ſeyn mag, ſo wollen wir hier
nur einer andern Eigenthümlichkeit derſelben erwähnen, die bereits
[342]Doppelſterne.
durch Beobachtungen conſtatirt iſt, und ganz beſonders zu unſerm
gegenwärtigen Zwecke gehört.


Wenn man nämlich einer ſchwach erleuchteten weißen Fläche
ein von den drei primären Farben ſtark gefärbtes, intenſives Licht
nahe bringt, ſo erſcheint dieſe weiße Fläche ſogleich in der com-
plementären Farbe jenes primären Lichtes. Wird z. B. einem
matt erleuchteten weißen Papiere ein ſtarkes rothes Licht genähert,
ſo erſcheint das Papier nicht roth, ſondern grün, und war jenes
Licht gelb, ſo erſcheint das Papier violet, war endlich jenes Licht
blau, ſo wird das Papier orangefarb erſcheinen. Aus dieſer
Urſache erblickt man eine weiße Wand voll violeter Flecken, wenn
man kurz zuvor das Auge gegen die Sonne gerichtet hat, oder
man ſieht dieſe Wand grün oder orange, wenn man kurz zuvor
eine rothe oder eine blaue Fläche durch längere Zeit angeſehen hat.


§. 220. (Sind die Farben der Doppelſterne aus dieſem Grunde
zu erklären?) Man hat die Meinung geäußert, daß die zwei
Farben, in welchen man gewöhnlich die Doppelſterne ſieht, aus
dieſen complementären Farben zu erklären ſeyn können, und daß
daher dieſe Farben der Sterne nicht reel, ſondern nur optiſche
Illuſionen unſers Sehorgans ſind. Der kleine Stern hat ge-
wöhnlich nur ein ſchwaches Licht im Verhältniſſe zu den größern.
Wenn alſo jener auch an ſich ſelbſt von weißer Farbe iſt, ſo wird
er uns doch violet oder bläulich erſcheinen, ſobald er einem großen
und intenſiven gelben Sterne, oder grünlich, falls er einem großen
rothen Stern nahe ſteht. Beiſpiele für eine ſolche Zuſammen-
ſtellung gibt es genug. So iſt bei α Herkules und η Caſſiopeia
der große roth und der kleine grün; bei ζ Orion, ι Cancer,
β Cygnus, Θ Centaurus der große gelb und der kleine blau u. ſ. w.


Allein auch an zahlreichen Ausnahmen von dieſer ſogenannten
Regel fehlt es nicht. So findet man ſehr oft einen kleinen blauen
Stern neben einem großen weißen, wie in λ Aries, ε Perſeus,
β Orion, δ Gemini, α Leo, α Serpens u. f. Da hier weder roth
noch gelb iſt, woher ſoll die complementäre blaue Farbe kommen?
— Bei andern Doppelſternen ſind ſogar beide blau, wie bei
δ Serpens, ν Draco, 28 und 59 Andromeda u. f. Bei γ Andro-
meda iſt der große orange und der kleine ſmaragdgrün; bei
[343]Doppelſterne.
δ Orion iſt der große weiß und der kleine purpurroth; bei ε Ein-
horn iſt der große gelb und der kleine blutroth; bei κ im ſüdlichen
Schiffe Argo iſt umgekehrt, der große blau und der kleine dunkel-
roth; auch findet man mehrere Doppelſterne, wo beide tief gelb,
oder beide ſtark roth ſind u. ſ. w.


Alle dieſe und viele andere Beiſpiele zeigen deutlich, daß die
vorhergehende Muthmaßung nicht gegründet iſt, und daß wenigſtens
bei ſehr vielen, wo nicht bei den meiſten Doppelſternen dieſer
Unterſchied der Farben keine optiſche Täuſchung, ſondern eine
dieſen Sternen ſelbſt zukommende Eigenthümlichkeit iſt.


Auch gibt es ein einfaches Mittel, ſich von dieſer Eigen-
thümlichkeit der Farben der Doppelſterne zu überzeugen. Man
darf nur den größeren im Brennpunkte des Fernrohrs mit einem
daſelbſt ausgeſpannten dicken Faden bedecken und zuſehen, ob dann
der kleine, wenn er auf dieſe Weiſe allein im Fernrohr erſcheint,
noch immer ſeine frühere blaue oder grüne Farbe behält. Dieß
iſt in der That der Fall mit den Beobachtungen, die man bisher
darüber angeſtellt hat, zum Beweiſe, daß dieſe blaue oder grüne
Farbe den kleineren Sternen eigenthümlich iſt.


Indeß behauptet der jüngere Herſchel, der doch ſo viele Er-
fahrungen über dieſe Doppelgeſtirne geſammelt hat, daß ihm
durchaus noch kein Fall vorgekommen ſey, wo der eine der beiden
Doppelſterne grün oder blau erſchienen wäre, wenn er nicht zu-
gleich ſehr nahe bei einem größeren rothen oder gelben Sterne
ſtand, wo alſo jene Farbe des kleinen Sternes allerdings aus der
complementären Farbe erklärt werden könnte. Ihm erſcheinen,
wie er verſichert, alle Sterne weiß, deren Farbe ſich nicht gegen
gelb oder roth neigt, vorausgeſetzt, daß keine Lampe in der Nähe
des Beobachters iſt. Nach ſeiner Behauptung ſind alle Farben
der Sterne nur aus dem unteren Ende des Spectrums genommen,
wo das rothe und gelbe Licht iſt und durchaus keine von dem
oberen Ende, wo die blaue und grüne Farbe vorherrſcht. Da
aber andere Beobachter dieſe blaue und grüne Farbe ſo oft ſchon
geſehen haben, ſo glaubt er den Grund davon in der grünlichen
Farbe des Kronglaſes zu finden, die man bei den achromatiſchen
Fernröhren ſo oft antrifft. Allein die neueren Fernröhre von
[344]Doppelſterne.
Fraunhofer haben dieſe grüne Färbung ihrer Objectivgläſer nicht.
Vielleicht daß umgekehrt die Abweſenheit der blauen und grünen
Farbe bei Herſchels Teleſcopen in den Metallſpiegeln derſelben zu
ſuchen iſt, die bekanntlich, der höhern Politur wegen, viel Kupfer
enthalten, welches den rothen und gelben Lichtſtrahlen ein Ueber-
gewicht geben und die blauen und grünen Farben beträchtlich
ſchwächen mag.


Wir wollen die Entſcheidung dieſes Gegenſtandes unſern
Nachkommen überlaſſen, da uns noch die zweckmäßigen Beobach-
achtungen dazu fehlen. Es iſt möglich und ſelbſt ſehr wahr-
ſcheinlich, daß ſie durch dieſe Unterſuchungen auf ſehr intereſſante
Reſultate geführt werden können, wenn anders der Gegenſtand
nicht auch für ſie noch mit zu großen Schwierigkeiten verbunden
ſeyn wird, um ihn ins Reine zu bringen.


§. 221. (Doppelſterne als Prüfungsmittel der Fernröhre.)
Wenn man mit zwei oder mehreren Fernröhren denſelben irdiſchen
Gegenſtand, z. B. eine entfernte Thurmſpitze, beobachtet, ſo ſteht
man oft an, zu ſagen, mit welchem von dieſen Fernröhren man
beſſer ſieht. Sicherer iſt es ſchon, zu dieſem Zwecke ein gedrucktes
Blatt in einiger Entfernung vor den Fernröhren aufzuſtellen und
für jedes Fernrohr das Blatt ſo lange zu entfernen, bis man
aufhört, daſſelbe deutlich leſen zu können. Die Aſtronomen aber,
die ſchon gewohnt ſind, die Gegenſtände des Himmels auch zu
dieſem Zwecke anzuwenden, pflegen die Güte ihrer Fernröhre da-
durch anzugeben, daß ſie ſagen, daſſelbe zeige die Phaſen der
Venus, die Streifen Jupiters, den Schatten des Saturnringes
u. dgl ſehr deutlich. Allein man ſieht, wie viel dabei noch Un-
beſtimmtes zurückbleibt, und daß ſolche Ausſagen keine Baſis zu
einer eigentlichen Claſſification der Fernröhre abgeben können.


Anders verhält ſich dieß mit den Doppelſternen. Da es ſich
bei der Unterſuchung der Güte eines Fernrohres vorzüglich darum
handelt, ob die Strahlen, die von irgend einem Punkte eines
Gegenſtandes außer ihm kommen, durch das Objectiv wieder
genau in einen einzigen Punkt vereiniget werden, oder mit andern
Worten, ob die Bilder, welche die Fernröhre von den Gegenſtän-
den machen, ganz rein und vollkommen deutlich ſind, worin
[345]Doppelſterne.
eben der Hauptvorzug eines jeden guten Fernrohrs beſteht, ſo
werden die Doppelſterne ein ganz vorzügliches Mittel ſeyn, das
Daſeyn oder den Mangel dieſes Vorzugs zu beweiſen. Es iſt
bereits oben geſagt worden, daß die Fixſterne alle, in guten Fern-
röhren, nur als eben ſo viele untheilbare Punkte, ohne allen
merklichen Durchmeſſer erſcheinen. Zwar ſieht man ſie öfter als
Scheibchen von beträchtlicher Dimenſion, die nicht einmal immer
ganz rund und noch überdieß mit Strahlen verſehen ſind. Aber
eben dieſe Erſcheinungen ſind nur eben ſo viele Fehler des Fern-
rohres, von welchen aber auch ein Theil in der Aberration des
Auges liegen mag. Ein geſundes Auge ſoll durch ein vollkommen
gebautes Fernrohr alle Sterne, auch die hellſten, als reine Punkte
zeigen, und überhaupt alle von jedem einzelnen Punkte eines
Gegenſtandes kommende Strahlen, nach der Brechung derſelben,
genau wieder in einen einzigen ſcharfen Punkt vereinigen. Die
Doppelſterne ſind ſolche Gegenſtände, die nur aus zwei Punkten
beſtehen, die überdieß hellglänzend auf dem dunklen Hintergrunde
des Himmels ſtehen und daher ganz beſonders geeignet ſind, zu
entſcheiden, ob dieſe beiden Punkte ſich auch in ihrem Bilde, in
dem Fernrohre, wieder genau als ſolche zeigen. Wenn die beiden
Sterne ſehr hell und z. B. beide wenigſtens zu der I. bis V.
Größe gehören, und wenn ſie überdieß ſehr nahe bei einander
ſtehen, wie Caſtor, γ Jungfrau, ξ großer Bär, ſo wird eine ſehr
große Reinheit des Bildes nöthig ſeyn, um dieſe zwei hellen
Punkte auf ihrem dunklen Grunde ſcharf abgeſondert und in ihren
nächſten Gränzen nicht verwaſchen oder in einander laufend zu
ſehen, und im Gegentheile, wenn beide Sterne oder auch nur der
eine derſelben ſehr klein iſt, ſo wird eine große raumdurchdringende
Kraft des Fernrohrs, wie ſie Herſchel zu nennen pflegte, erforderlich
ſeyn, um ſo feine und lichtſchwache Punkte, ſelbſt wenn ſie einzeln
am Himmel ſtünden, überhaupt noch ſehen zu können, ſo daß alſo
durch die Doppelſterne ſowohl die Kraft, als auch die Richtigkeit
der Conſtruction des Fernrohrs ſehr vortheilhaft und ſicher unter-
ſucht werden kann, und daß man dadurch gleichſam ein beſtimmtes
Maaß erhält, nach welchem man dieſe Inſtrumente unter ſich
vergleichen kann.


[346]Doppelſterne.

Zu dieſem Zwecke folgen hier einige dieſer Doppelſterne, die
ſowohl für ſchwächere, als auch für ſtärkere Fernröhre als Prü-
fungsmittel gebraucht werden können.


I. Sehr leicht und ſchon durch gewöhnliche achromatiſche
Fernröhre von etwa zwei Fuß Focallänge und zwei Zoll Oeffnung
laſſen ſich die folgenden Doppelſterne erkennen:


  • ζ Ursae majoris, Diſtanz Δ = 14″ und ſcheinbare Größe III
    und IV.
  • γ Andromedae, Δ = 11″, Größe III. V.
  • Θ Serpentis, Δ = 22″, Größe IV. IV.
  • κ Herculis, Δ = 31″, Größe V. VI.
  • ζ Lyrae, Δ = 44″, Größe III. IV.

II. Schon ſtärkere Fernröhre, etwa von 4 Fuß Brennweite und
3 oder 3½ Zoll Oeffnung erfordern die folgenden:


  • Castor, Δ = 5″, Größe III. IV.
  • π Bootis, Δ = 7″, Größe V. VI.
  • ι Trianguli, Δ = 4″, Größe V. VI.
  • ζ Cancri, Δ = 6″, Größe V. VI.
  • ω Piscium, Δ = 6″, Größe VII. VII.
  • α Ursae minoris, oder der Polarſtern, Δ = 19″, Größe II u. XI,
    iſt bloß deßhalb ſchwerer zu ſehen, weil der Satellit ſo klein iſt.

III. Fernröhre der beſten Art werden für die folgenden
Doppelſterne erfordert:


  • γ Virginis, Δ = 3″, Größe III. III.
  • η Herculis, Δ = 2″, Größe IV. VIII.
  • ε Bootis, Δ = 2″, Größe VI. VI.
  • ω2Leonis, Δ = 1″, Größe VI. VII.
  • β Orionis (Rigel), Δ = 9″, Größe I und X.
  • η Pleiadum (Atlas), Δ = 1″, Größe V und XII.
  • η Coronae, Δ = 1″, Größe V. VI.
  • γ Coronae, Δ = 2″, Größe IV. VII.
  • σ Coronae, Δ = 1″, Größe V. VII.

IV. Als vorzüglich feine und nur durch ausgezeichnete Fern-
röhre erkennbare Doppelſterne können die zwei folgenden gelten:


  • Bei β Capricorni (AR = 20″ 11′, Pold. = 105° 19′),
    Δ = 3″, Größe XVII. XVIII.

[347]Doppelſterne.
  • Bei β Equulei (AR = 21′’ 14′, Pold. = 83° 54′), Δ = 2″,
    Größe XIV. XV.

Bei dem letzten dieſer Doppelſterne iſt der Begleiter ſelbſt
wieder doppelt. Ein Fernrohr, welches dieſe zwei Doppelſterne
deutlich zeigt, iſt zu den ſchwierigſten Unterſuchungen geeignet,
und kein Fernrohr ſoll, nach Herſchels Meinung, die Satelliten
des Uranus zeigen, wenn es dieſe Prüfung nicht beſteht. So viel
mir bekannt, ſind dieſe beiden Doppelſterne nur durch Herſchels
zwanzigfüßige Spiegelteleſcope geſehen worden. Fraunhofer gab
den Refractoren den Vorzug vor den Reflectoren unter ſonſt
gleichen Verhältniſſen, weil, nach ſeiner Aeußerung, die Spiegel
viel mehr Licht abſorbiren ſollen, als bei dem Durchgange der
Strahlen durch das Objectiv eines achromatiſchen Fernrohrs ver-
loren geht. Herſchel iſt der entgegengeſetzten Anſicht, da, nach
ihm, die Metallſpiegel nur den dritten Theil des auf ſie fallenden
Lichtes abſorbiren. Nach dem letztern ſind unſere Refractoren den
Spiegelteleſcopen erſt dann gleich zu achten, wenn die Oeffnung
der erſten gleich dem achtzehnten Theile der Oeffnung der Spiegel
bei den zweiten iſt, ſo daß z. B. ſeinem 20füßigen Reflector mit
einem Spiegel von 18 Zoll im Durchmeſſer, ein Refractor erſt
dann gleichgeſetzt werden könnte, wenn die Oeffnung oder der
Durchmeſſer der Objectivlinſe des letztern 15 3/10 Zolle oder nahe
1 3/10 Fuß beträgt, eine Größe, die noch keines unſerer Objective
erreicht hat. Der größte Refractor, den wir näher kennen, iſt
der, den Fraunhofer für die Sternwarte in Dorpat verfertiget
hat. Er hat, ſo wie der von demſelben Künſtler nach Berlin
gebrachte, 9 Par. Zoll Oeffnung und 13⅓ Fuß Focallänge.
Die dabei angebrachten Vergrößerungen gehen bis 600 mit einem
Durchmeſſer des Geſichtsfeldes von 2 3/10 Minuten. Von den
Herſchel’ſchen Reflectoren hat das von 20 Fuß Focallänge, mit
welchem er ſeine meiſten Entdeckungen gemacht hat, einen Spiegel
von 18 Zoll im Durchmeſſer; das von 25 Fuß Focallänge hat
einen Spiegel von 24 Zoll Oeffnung, und das größte, welches
Herſchel verfertigte, das aber, da der Spiegel deſſelben bald matt
wurde, nicht lange gebraucht wurde, hat 40 Fuß Focallänge mit
einem Spiegel von 48 Zoll oder 4 Fuß Oeffnung. Bei dem
[348]Doppelſterne.
20 füßigen konnte er die Vergrößerung bis 2000 und bei dem
40 füßigen bis 7000 treiben, ohne das Inſtrument zu überladen.


§. 222. (Planeten der Doppelſterne.) Da die Doppelſterne
ohne Zweifel unſerer Sonne ähnliche Körper ſind, ſo kann man
nicht wohl zweifeln, daß auch ſie mehreren Planeten und Kometen,
die ſich um dieſe Sonnen bewegen, Licht und Wärme geben
werden. Es kann nicht unſere Abſicht ſeyn, die Leſer mit der
nähern Beſchaffenheit dieſer ſecundären Himmelskörper bekannt zu
machen. Da ſie wahrſcheinlich ihr Licht nur von ihren beiden
Sonnen erhalten, ſo werden ſie uns, ihrer großen Entfernung
wegen, wohl immer unbekannt bleiben. Indeſſen ſey es uns doch
erlaubt, einige Muthmaßungen über die Bahnen dieſer Planeten
der Doppelſterne vorzutragen, die ohne Zweifel von den Bahnen
unſerer Planeten und Kometen ſehr verſchieden ſeyn werden.


Dieſe letzten bewegen ſich nämlich nur um einen einzigen
Centralkörper, die Sonne, und da ſie von dieſer nach dem von
Newton entdeckten Geſetze angezogen werden, ſo können ſie nur,
wie ſich durch Rechnung mit der größten Evidenz zeigen läßt,
entweder Ellipſen oder Hyperbeln beſchreiben; der Kreis und
die Parabel ſind zwar auch möglich, aber unendlich weniger
wahrſcheinlich, als jene beiden, an ſich ſehr einfachen, krummen
Linien.


Allein viel verwickelter werden dieſe Bahnen, wenn die Pla-
neten von zwei Sonnen, deren übrigens jede nach demſelben
Newton’ſchen Geſetze wirkt, angezogen werden. Wenn man auch
die unzähligen Fälle unbeachtet läßt, wo dieſe Bahnen förmliche
Schraubenlinien oder Spiralen werden, deren kein Theil mit dem
nächſtfolgenden in derſelben Ebene liegt, ſo giebt es doch noch
immer unendlich viele andere krumme Linien, deren jede ganz in
derſelben Ebene liegt, und die doch unter einander völlig verſchieden
und oft auf das ſonderbarſte geſtaltet ſind.


Euler und nach ihm Legendre haben einige der hier ſtatt
habenden Fälle näher unterſucht, und ſehr überraſchende Reſultate
gefunden, von welchen wir hier nur einige der vorzüglichſten kurz
anführen wollen.


Wenn die Maſſen der beiden Sonnen gleich groß ſind, ſo
[349]Doppelſterne.
beſchreibt der Planet eine Ellipſe, in deren Brennpunkte jene zwei
Sonnen liegen und zwar ſo, daß die Geſchwindigkeiten des Pla-
neten in den beiden Endpunkten der großen Axe dieſer Ellipſe
gleich groß und daß auch die Zeiten durch die vier Quadranten,
d. h. von dem Endpunkte der einen bis zu dem der andern Axe
der Ellipſe, von gleicher Größe ſind.


Wenn die Maſſen der beiden Sonnen gleich groß ſind, aber
die erſte S' eine anziehende und die andere S'' eine eben ſo große
abſtoßende Kraft hat, ſo beſchreibt der Planet wieder eine Ellipſe,
aber nur die eine Hälfte derſelben. Iſt nämlich AmBn (Fig. 20)
dieſe Ellipſe, ſind mn und AB die große und kleine Axe derſelben,
und liegt die abſtoßende Sonne auf der Seite von n, ſo wird der
Planet von m, wo er ſeine größte Geſchwindigkeit hat, nach dem
Punkte A gehen, während ſeine Geſchwindigkeit immer abnimmt,
bis ſie in dem Punkte A gänzlich verſchwindet. Von da geht der
Planet nicht in derſelben Richtung nach n weiter, ſondern wieder
zurück durch denſelben Bogen Am, in welchem er gekommen iſt.
Wenn er ſo in m mit ſeiner größten Geſchwindigkeit ankömmt,
ſo geht er von da weiter bis an den Endpunkt B ſeiner kleinen
Axe, wo ſeine Geſchwindigkeit wieder verſchwindet. Von dem
Punkte B geht er dann wieder durch den Bogen BmA zurück,
um, wenn er in A ankömmt, ſeine vorige Bewegung durch den
Bogen AmB zu wiederholen, in welchem er alſo, gleich einem
Pendel, ſeine Schwingungen auf- und abwärts immerwährend
fortſetzt, ohne je in die übrige Hälfte AnB ſeiner Ellipſe zu
kommen.


Unter beſtimmten andern Verhältniſſen der anziehenden Kräfte
der beiden Sonnen, in Verbindung mit der Wurfkraft, welche der
Planet bei ſeiner Entſtehung erhalten hat, wird er zwar wieder
eine Ellipſe, aber eine veränderliche Ellipſe beſchreiben. Wenn er
z. B. von dem Punkte A (Fig. 21) der großen Axe A'' B'' aus-
geht, ſo wird er den Bogen ADB beſchreiben, aber dann auf der
andern Seite von A'' B'' einen ſolchen Weg nehmen, daß er, am
Ende ſeiner erſten Revolution die Linie A'' B'' nicht mehr in A,
ſondern in dem Punkte A' ſchneidet; von da geht er durch den
Bogen A' D' B' und unter der Linie A'' B'' in einem neuen
[350]Doppelſterne.
Bogen ſo weiter, daß er jetzt, am Ende der zweiten Revolution,
jene Linie in dem Punkte A'' ſchneidet. Von dem Punkte A''
geht er nun durch den Bogen A'' D'' B'' und durch den ihm
entſprechenden unteren Bogen ſo, daß er, am Ende der dritten
Revolution wieder nach A', und am Ende der vierten Revolution
endlich wieder nach dem Punkt A gelangt, von welchem er aus-
gegangen iſt. In andern beſondern Fällen gelangt er erſt nach
fünf, ſechs oder mehr Revolutionen zu ſeinem Anfangspunkte, oder
er durchſchneidet in den auf einander folgenden Revolutionen die
Linie AA'' und BB'' allmählig in allen auf einander folgenden
Punkten derſelben, ſo daß die Bahn deſſelben immer zwiſchen den
beiden Gränzellipſen ADB und A'' D'' B'' enthalten iſt, zwiſchen
welchen die wahre Bahn des Planeten allmählig gleichſam an-
ſchwillt und ſich dann wieder contrahirt.


Wieder in andern Fällen wird eine Art von in ſich ſelbſt
zurückkehrender Doppellinie beſchrieben, wie man Fig. (22) ſieht.
Hier geht der Planet von dem Punkte A ſeiner großen Axe aus
durch den Halbkreis AaB der kleinen ellipſenartigen Linie; in B
tritt er in die große Ellipſe BCD; in D hat er die Hälfte ſeiner
Revolution zurückgelegt, und geht dann durch den Bogen DeBbA
wieder zu ſeinem Anfangspunkt A zurück.


Noch zuſammengeſetzter erſcheint die Planetenbahn in Fig. (23),
wo drei Ellipſen unter einander verſchlungen ſind, in welchen der
Planet nach der Ordnung der Zahlen 1, 2, 3 … 13, 14 wieder
zu ſeinem Anfangspunkt 1 fortſchreitet. Wenn er zum zweitenmal
in den Punkt 3 der großen Axe kömmt, hat er die erſte Hälfte
ſeiner Revolution geendet, daher dieſer Punkt als der Mittelpunkt
der ganzen Bahn betrachtet werden kann, die vier ſogenannte,
Knoten in dem Punkte 1, 3 und zwiſchen den Punkten 7, 8 und
13, 14 hat, u. ſ. w.


So mannigfaltig ſind alſo die Bahnen der Planeten der
Doppelſterne, ſelbſt wenn man nur diejenigen betrachtet, die, wie
unſere Planetenbahnen, ganz in einer einzigen Ebene liegen, und
wenn man die Attraction der beiden Sonnen dem Geſetze der
allgemeinen Schwere gemäß vorausſetzt. Man ſieht ohne meine
Erinnerung, daß ohne dieſe doppelte Beſchränkung die Anzahl und
[351]Doppelſterne.
die Complication dieſer krummen Linien noch ungleich größer ſeyn
und daß es unſerer mathematiſchen Analyſis, ſo vollkommen dieſe
auch ſeyn mag, ganz unmöglich fallen würde, dieſe äußerſt zu-
ſammengeſetzten Bewegungen auch nur annähernd zu beſtimmen.


§. 223. (Anblick des Himmels von dieſen Planeten.) Wir
haben bereits oben geſehen, welchen ſonderbaren Anblick der Himmel
von der Oberfläche des Mondes oder der Satelliten Jupiters und
Saturns gewährt. Noch viel auffallender werden aber die Er-
ſcheinungen ſeyn, welche derſelbe den Bewohnern der Planeten der
Doppelſterne darbietet. Die mannigfaltig verwickelten und in
einander geſchlungenen Bahnen der andern Planeten, die wir ſo
eben betrachtet haben, werden die Bewohner derſelben, welche dieſe
Bahnen wieder von immer geändertem Standpunkte aus betrachten,
über die wahre Beſchaffenheit derſelben wahrſcheinlich noch viel
ungewiſſer machen, als wir ſelbſt über die Bahnen unſerer Plane-
ten Jahrtauſende hindurch geweſen ſind, bis es endlich dem Scharf-
ſinne zweier ſeltener Männer, Copernicus und Kepler, gelungen
iſt, uns dieſelben näher kennen zu lehren. Denken wir uns noch
dazu die Satelliten, die Ringe dieſer Planeten und ein ganzes
Heer von Kometen, welche ſie nach jeder Richtung umſchwärmen,
alle in einen verhältnißmäßig ſehr kleinen Raum zuſammengedrängt,
— ſo wird es ſchwer, ſich von dieſem Schauſpiele eine nur einiger-
maßen getreue Vorſtellung zu machen. Welchen Eindruck würde
nur auf unſer Auge, welche Veränderungen in der ganzen uns
umgebenden Natur würde überdieß eine rothe, eine grüne, eine
blaue Sonne erzeugen! — Wenn auch nur unſer eigenes Sonnen-
licht bloß aus weißen Strahlen beſtünde, die ſich nicht in einzelne
gefärbte Strahlen zerlegen ließen: wie ganz anders würde uns die
ganze Welt erſcheinen. Wir haben bereits oben (II. S. 9.) Gelegen-
heit gehabt, die Wirkungen der gefärbten Sonnenſtrahlen auf die
Körper der Natur näher anzugeben.


Wenn wir aber dieſe wunderbaren Farbenſpiele der Natur
ſchon unſerer einzigen Sonne verdanken, — welch’ ein ganz anderes
Schauſpiel mögen in jenen Regionen zwei und mehrere Sonnen
von verſchiedenen Farben erzeugen. Eine rothe Sonne erhebt ſich
dort über den Horizont des erſtaunten Beobachters und Erde und
[352]Doppelſterne.
Himmel ſchwimmt in ihrem Purpurlichte. In wenig Stunden
ſchon folgt ihr eine andere, eine blaue, eine grüne Sonne, und
plötzlich ändert ſich der Anblick der ganzen Natur. Neue Welten
ſcheinen mit dieſen neuen Sonnen vor uns aufzugehen; Erde und
Himmel ſind in ſtetem Wechſel begriffen und in Mitten aller
dieſer Verwandlungen würden wir die Welt, würden wir uns
ſelbſt nicht mehr erkennen. So lange die rothe Sonne ſcheint,
wird unſere ganze Erde mit ihrem Roſenlichte übergoſſen ſeyn;
wenn ſie untergegangen iſt, und die blaue oder grüne Sonne ſich
erhebt, wird wieder alles, ſelbſt die Wüſte und das Meer mit
einem azurnen oder ſmaragdenen Teppiche überzogen, und wenn
endlich beide Sonnen zugleich über dem Horizonte ſtehen, und die
ganze Natur von zwei complementären Farben beleuchtet wird, ſo
werden alle Gegenſtände ihr früheres, buntes Kleid ablegen und
in einer einförmigen, aſchgrauen Farbe zu trauern ſcheinen. Nicht
mehr würden wir, wie bisher, die Dinge um uns an ihren Farben
erkennen, da jeder Gegenſtand abwechſelnd in allen Farben er-
ſcheinen muß, je nachdem er von dieſer oder von jener Sonne,
oder von beiden zugleich beleuchtet wird. Der Himmel würde
nicht mehr blau, die Wieſe nicht mehr grün, der Schnee nicht
mehr weiß ſeyn, ſondern alles würde, je nach der Tageszeit, in
allen Farben ſpielen. Wie ganz anders mag die Optik dieſer
guten Leute, und die Farbengebung ihrer Maler beſchaffen ſeyn!
Ja ſelbſt die Zeitrechnung derſelben wird von der unſeren verſchieden
ſeyn müſſen, da ſie nicht mehr nach Tagen und Jahren zählen
können. Vielleicht rechnen ſie nur nach rothen und grünen Zeiten,
oder nach gelben und blauen Tagen; vielleicht — doch es iſt beſſer,
der Imagination meiner Leſer nicht weiter vorzugreifen und ihnen
die Vollendung dieſes Gemäldes ſelbſt zu überlaſſen, was ihnen
keine Mühe machen kann, da ſie ihrer Einbildungskraft keine
Zügel anzulegen brauchen und da ſie zu ihrem Bilde die Farben
kaum zu lebhaft nehmen können.


§. 224. (Geſchichte der Entdeckung der Doppelſterne.) Wenn
das, was wir bisher über dieſe ſonderbaren Geſtirne mitgetheilt
haben, in Beziehung auf den Reichthum, der in dieſen Minen
wahrſcheinlich noch verborgen liegt, nur gering erſcheint, ſo mag
[353]Doppelſterne.
man bedenken, daß kaum ein halbes Jahrhundert verfloſſen iſt,
ſeitdem ſich die Aſtronomen mit dieſem Gegenſtande zu beſchäftigen
angefangen haben. Wenn unſere Nachfolger in dem nächſten
Jahrhunderte eben ſo fleißig und eben ſo vom Glücke begünſtiget
ſeyn werden, als ihre Vorgänger waren, ſo werden ſie wahrſcheinlich
den geſtirnten Himmel mit ganz anderen Augen betrachten, als
es ihren Vorfahren möglich geweſen iſt.


Es war i. J. 1778, daß der ältere Herſchel (Sir William)
zuerſt auf die Doppelſterne aufmerkſam wurde. Er hielt ſie anfangs,
wie ſchon oben erwähnt worden iſt, für bloß optiſch doppelte
Sterne und wollte ſie demnach zur Beſtimmung der Entfernung
derſelben von der Erde benützen. Allein ſchon in den erſten
Jahren erkannte er ſeinen Irrthum. Zwar fand er Bewegungen
an dieſen Doppelſternen, aber keine ſolchen, die mit der Theorie
der Parallaxe (I. Cap. V) übereinſtimmten. Dieſe Bemerkung
brachte ihn auf die Idee, daß jene Bewegungen der Doppelſterne
von einer Verrückung der Sonne und unſers ganzen Sonnen-
ſyſtems kommen mögen, und er glaubte einige Zeit lang, jene
Erſcheinungen durch eine Bewegung des Sonnenſyſtems erklären
zu können, deren Weg jetzt gegen das Sternbild des Hercules
hin gerichtet ſey. Allein auch dieſe Idee wurde bald unrichtig
gefunden. Statt weitern Hypotheſen nachzuhängen, zog er es
vor, ſeine Beobachtungen mit verdoppeltem Eifer fortzuſetzen, und
er lieferte i. J. 1782 und 1785 der k. Academie in London
bereits ein Verzeichniß von 702 ſolcher Sternenpaare, die er
wiederholt beobachtet hatte.


Erſt nach dem Jahre 1785, alſo mehr als ſieben Jahre nach
ſeinen erſten Arbeiten über dieſen Gegenſtand verſuchte er einmal
zufällig, den Weg eines dieſer Doppelſterne, ſeinen Beobachtungen
gemäß, auf dem Papiere, in Geſtalt einer kleinen Karte, zu ver-
zeichnen, und war nicht wenig erſtaunt, zu ſehen, daß der eine
dieſer Sterne um den andern, wie ein Planet um die Sonne, ſich
bewege. Allein er wagte es nicht, ſeine Entdeckung bekannt zu
machen, bis er ſich von der Wahrheit derſelben an mehreren
andern Sternen überzeugt hatte. Erſt i. J. 1801 nahm er dieſe
Beobachtungen wieder mit neuem Eifer vor, und jetzt erſt, 24 Jahre
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 23
[354]Doppelſterne.
nach dem Anfange ſeiner Unterſuchungen, ſtellte er, in zwei Ab-
handlungen (Philos. Transact. 1802 und 1804) die poſitive Be-
hauptung auf, „daß es eigene Sternſyſteme gebe, die aus zwei
„Fixſternen zuſammen geſetzt ſind, von welchen der eine ſich in
„einer regelmäßigen Bahn um den andern bewege.“ Er führte
in dieſen beiden Memoiren gegen fünfzig Doppelſterne an, bei
welchen dieſe Bewegung des einen um den andern durch die
Beobachtungen außer Zweifel geſetzt wurde, ja er wagte es ſogar
ſchon, von einigen derſelben die Umlaufszeit zu beſtimmen.


Um das Jahr 1815 fing auch Struve in Dorpat an, ſich mit
dieſem intereſſanten Gegenſtande zu beſchäftigen. Anfangs beob-
achtete er ſie bloß mit ſeinem Mittagsrohre, als aber ſpäter der
große 13füßige Refractor Fraunhofers in ſeine Hände kam (und
er konnte nicht wohl in beſſere kommen), nahm er dieſe ganze
Arbeit nach einem neuen, größeren Plane wieder vor und verfolgte
denſelben mit einem Eifer, der von dem ſchönſten Erfolge gekrönt
wurde.


Beinahe um dieſelbe Zeit begann der jüngere Herſchel (John
Fred. William) vereint mit John South ſeine Beobachtungen der
Doppelſterne. Sie machten dieſelben meiſtens gemeinſchaftlich
an zwei Aequatorialen, deren Fernröhre 5 und 7 Fuß Brennweite
und 3¾ und 5 Zoll Oeffnung hatten, wovon das letztere von
dem berühmten Optiker Tully verfertiget, ſelbſt eine Vergrößerung
von 600 noch ſehr gut ertragen ſoll. Die erſten Reſultate ihrer
Arbeiten gaben ſie in dem Werke: Observations of 380 double
stars, London
1825, heraus. Seitdem haben beide dieſen Gegen-
ſtand eifrig verfolgt und Herſchel beſonders gab in den ſechs erſten
Bänden der k. aſtron. Geſellſchaft in London mehrere ſehr reiche und
ſchätzbare Memoiren über dieſe Doppelſterne heraus. Erſt vor Kurzem
iſt er nach dem Cap der guten Hoffnung gereiſt, um ſich dort mit
der Beobachtung der Doppelſterne des ſüdlichen Himmels zu be-
ſchäftigen, von welchen bereits früher Dunlop, Aſtronom in Port
Jackſon in Neuholland, Mehreres bekannt gemacht hat.


Auch Prof. Amici in Modena ſoll mit den von ihm ſelbſt
verfertigten Spiegelteleſcopen mehrere Beobachtungen von Doppel-
ſternen gemacht haben, die aber bisher noch nicht bekannt geworden
[355]Doppelſterne.
ſind. Beſſel hat bei ſeinen Zonenbeobachtungen ebenfalls eine
nicht geringe Anzahl von Doppelſternen durch ſeinen Meridiankreis
gefunden und in ſeinen Sammlungen der Königsberger Beobach-
tungen bekannt gemacht. Auch iſt er der erſte, der bei Gelegenheit
ſeiner Unterſuchung des Doppelſterns 61 Schwan mit Beſtimmtheit
darauf aufmerkſam gemacht hat, daß die Bewegungen dieſer Ge-
ſtirne nach dem von Newton entdeckten Geſetze der allgemeinen
Schwere vor ſich gehen. Savary, Encke und der jüngere Herſchel
entwarfen, wie bereits oben geſagt wurde, Methoden, die Elemente
der Bahnen dieſer Geſtirne aus den Beobachtungen zu berechnen.


Noch muß hier der früheren Verdienſte John Michel’s er-
wähnt werden, der ſchon i. J. 1767 darauf aufmerkſam machte,
daß die Doppelſterne höchſt wahrſcheinlich nicht optiſch, ſondern
phyſiſch doppelt ſeyen. Er war davon bereits ſo überzeugt, daß
er in ſeinem Memoir ſchon von der Möglichkeit der Bewegung
eines dieſer Sterne um den andern, von eigentlichen Sternſatelliten,
ſpricht, die er daher der Aufmerkſamkeit der Aſtronomen ganz
beſonders empfiehlt. Hätten dieſe zu den, allerdings bloß theo-
retiſchen, aber darum nicht minder begründeten Speculationen des
engliſchen Phyſikers mehr Vertrauen gehabt, ſo würden ſie ſchon
i. J. 1767 angefangen haben, ſich mit dieſem Gegenſtande zu be-
ſchäftigen, und ſelbſt der ältere Herſchel würde ſich ſeine früheren,
unrichtigen Hypotheſen erſpart und ſich der Wahrheit, die er
durch volle vier und zwanzig Jahre ſuchen mußte, viel ſchneller
genähert haben.


23 *
[[356]]

KapitelXIV.
Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.


§. 225. (Verſchiedenheit der Körper des Himmels.) Der ge-
ſtirnte Himmel iſt nicht, wie es wohl auf den erſten Blick ſcheint,
nur mit einer einzigen Art von Körpern, mit lichten, runden
Sternen bedeckt, ſondern die Natur, deren Mannigfaltigkeit in
ihren Erzeugniſſen wir ſchon auf der Erde ſo oft zu bewundern
Gelegenheit haben, hat dieſen Reichthum ihrer Schöpfungskraft
und dieſe Abwechslung von Formen in einem noch viel höheren
Grade in dem endloſen Weltraume entwickelt.


Wir haben bereits im vorhergehenden Kapitel von den dop-
pelten, von den drei- und vierfachen Sternen geſprochen, von welchen
man beſonders die erſten ſo häufig am Himmel trifft. Allein die
Fernröhre haben uns noch viel mehr zuſammengeſetzte und offenbar
innig zuſammengehörende Syſteme von Fixſternen kennen gelehrt.
Sie zeigen uns überdieß noch andere Gegenſtände, die nur
mehr als lichte Wolken erſcheinen, die wir aber, wenn unſere Te-
leſcope einmal noch mehr vervollkommnet ſeyn werden, wahrſchein-
lich auch als ſolche Sternenſyſteme ſehen würden, ſo daß wenigſtens
die meiſten derſelben nichts als ungemein entfernte Aggregate von
Fixſternen ſind, die uns aber durch unſere, für ihre Auflöſung noch
zu ſchwachen Inſtrumente, nur noch unter der Geſtalt von mehr
oder weniger lichten Rebeln erſcheinen.


[357]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.

§. 226. (Einzelne ſternreiche Gegenden des Himmels.) Selbſt
der erſte Anblick des Himmels, mit unbewaffneten Augen, zeigt
uns ſchon, daß die Sterne, mit welchen er bedeckt iſt keineswegs
gleichförmig auf ihm vertheilt ſind. Wer kennt nicht die ſchöne
Gruppe von Sternen am Halſe des Stiers, die unter dem Namen
der Pleiaden oder der Gluckhenne bezeichnet wird. Das Haar
der Berenice, die Krippe im Krebſe u. f. ſind ähnliche dichtge-
drängte Sammlungen von Fixſternen, die zu ſehr von den anderen
in ihrer Nähe verſchieden ſind, als daß man ſie nicht als zuſam-
men gehörend und gleichſam für ein familienweiſe verbundenes,
für ſich abgeſchloſſenes Syſtem von Himmelskörpern zu halten
veranlaßt werden ſollte.


§. 227. (Die Milchſtraße.) Was ſollen wir aber erſt von
der bereits oben betrachteten Milchſtraße ſagen, von jenem ſchö-
nen, hellen Bogen, der in der Geſtalt eines größten Kreiſes durch
den Himmel zieht? Einzelne Theile dieſer lichten Zone ſind durch
einen ganz beſonders hellen Glanz ausgezeichnet, in anderen Ge-
genden derſelben aber ſieht man gleichſam dunkle Oeffnungen und
Spalten und ſeitwärts auslaufende Aeſte. Schon mäßige Fern-
röhre löſen uns die hellſten Gegenden dieſer Zone in unzählige
kleine, dichtgedrängte Fixſterne auf und mit guten Teleſcopen ſieht
man, daß dieſe Stellen immer deſto ſternreicher ſind, je heller ſie
dem bloßen Auge erſcheinen, zum Beweiſe, daß das Licht dieſer
Straße bloß von den in ihr gehäuften und dicht gedrängten Ster-
nen kommt, obſchon in der That mehrere Stellen derſelben auch
durch unſere beſten Inſtrumente ſich nicht mehr in einzelnen Ster-
nen auflöſen laſſen, wahrſcheinlich, weil ſie dort zu entfernt von
uns und zu nahe neben einander ſtehen, um noch einzeln von uns
erkannt zu werden.


§. 228. (Geſtalt der Milchſtraße.) Der ganze regelmäßige
Bau dieſer wunderbaren Zone von wahrhaft unzähligen Sternen
zeigt uns, daß ſie ein iſolirtes Syſtem von Sonnen am Himmel
bildet, ein Syſtem, zu welchem auch unſere eigene Sonne als
ein zwar kleiner, aber doch integrirender Theil deſſelben gehört.
Wahrſcheinlich ſind wir nicht eben weit von dem Mittelpunkte
dieſes ungeheuern Sonnengebäudes entfernt, weil wir ſonſt,
[358]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
wenn wir weit außer demſelben wären, daſſelbe nicht mehr
unter der Geſtalt eines größten, ſondern nur als einen kleinern
Kreis am Himmel erblicken würden. Auch kann dieſes Gebäude
nicht die Geſtalt einer regelmäßigen Kugel haben, weil wir ſonſt,
nahe aus dem Mittelpunkte derſelben, die Sterne, aus welchem
die Milchſtraße zuſammengeſetzt iſt, nach jeder Seite des Him-
mels gleich vertheilt oder gleich dicht neben einander ſehen müßten,
was doch gegen die Erfahrung iſt. Wir ſind vielmehr veranlaßt,
die Geſtalt dieſes Sonnenlagers linſenförmig anzunehmen.
Wenn wir nämlich unſer Auge nach der ſcharfen Kante dieſer Linſe
richten, ſo ſehen wir die Sterne dicht gedrängt hinter einander
ſtehen, während ſie im Gegentheile, je weiter ſie von dieſer Kante
entfernt ſind, deſto ſeltener und weiter von einander ſtehend ge-
troffen werden, ganz eben ſo, wie wir in der Mitte eines ſchmalen,
aber langen Waldes, die Bäume deſſelben in der Richtung der
Länge des Waldes ſehr zahlreich und dicht, in der Richtung der
Breite aber nur ſparſam und weit von einander entfernt erblicken.


Wenn aber unſer Sonnenſyſtem nicht in der Nähe dieſes gro-
ßen linſenförmigen Sternengebäudes, ſondern wenn es weit ſeit-
wärts von demſelben entfernt läge, ſo würden wir die ganze Milch-
ſtraße auch nicht mehr unter der Geſtalt eines größten Kreiſes
des Himmels, ſondern wir würden ſie als einen kleineren Kreis,
oder vielmehr als eine Ellipſe ſehen, die aber einem ſolchen kleineren
Kreiſe deſto näher kömmt, je mehr unſere Geſichtslinie auf der
großen Fläche dieſer Linſe ſenkrecht ſteht. Wenn wir z. B. um
den größten Durchmeſſer der Linſe ſenkrecht von ihr abſtünden, ſo
würden wir ſie als eine kreisförmige Scheibe von 60 Graden im
ſcheinbaren Durchmeſſer, alſo nahe ſo groß ſehen, als uns jetzt das
Sternbild des großen Bären erſcheint. In einer Entfernung von
zehn Durchmeſſern aber würde dieſe Linſe nur 5½ Grade, und in
einer Entfernung von hundert ſolchen Durchmeſſern, nur mehr ei-
nen halben Grad betragen. In dieſer letzten Entfernung würden
wir aber, ſelbſt mit unſeren beſten Fernröhren, die einzelnen Sterne
der Milchſtraße nicht mehr erkennen, und das Ganze würde uns
nur mehr als eine kleine, matt beleuchtete Wolke erſcheinen.


§. 229. (Andere, ähnliche Gegenſtände des Himmels.) Allein
[359]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
ſolcher kleinen, matten Lichtwolken ſehen wir mit unſeren Fern-
röhren in der That ſehr viele am Himmel. Daß ſie aber keine
Wolken ſind, daß ſie nicht unſerer Atmoſphäre, ſondern dem Him-
mel ſelbſt angehören, folgt ſchon daraus, daß ſie, ſeit Jahrtauſen-
den, weder ihre Geſtalt, noch ihren Ort am Himmel ändern, ſon-
dern vielmehr, gleich den eigentlichen Fixſternen, immer dieſelbe
Stelle einnehmen.


Der ältere Herſchel hat bereits über dreitauſend ſolcher Him-
melswolken entdeckt, und es gelang ihm auch mit Hülfe ſeiner
vortrefflichen Teleſcope, viele derſelben in einzelne Sterne aufzu-
löſen, zum Beweiſe, daß ſie in der That nichts anderes, als eben
ſolche Aggregate von Fixſternen, wie unſere Milchſtraße, ſind.
Allein viele derſelben behalten auch in den beſten Fernröhren noch
immer ihre frühere Geſtalt von Wolken oder Nebeln bei und dieſe
müſſen daher, wenn ſie anders noch aus Sternen beſtehen, noch
ungleich weiter, als jene von uns entfernt ſeyn. Doch iſt es auch
möglich, daß mehrere von ihnen in der That nur bloße Licht-
nebel, alſo Himmelskörper von einer ganz andern Art ſind, als
diejenigen, welche wir bisher kennen gelernt haben.


§. 230. (Aeltere Eintheilung dieſer Gegenſtände in Klaſſen.)
Derſelbe vortreffliche Beobachter bemerkte bald, daß dieſe Gegen-
ſtände, deren er eine ſo bedeutende Anzahl am Himmel gefunden
hatte, große Verſchiedenheiten unter ſich zeigten, und er fand es
daher für nöthig, zur beſſern Ueberſicht derſelben ſie in acht Klaſ-
ſen einzutheilen.


Die erſte Klaſſe enthielt die ſehr hellglänzenden Nebel, die
ſich, auch durch ſeine beſten Teleſcope, nicht in Sterne auflöſen
laſſen. Herſchel führt derſelben 288 an. Die zweite enthielt 907
lichtſchwache, die dritte 978 ſehr matt ſchimmernde, ebenfalls
unauflösbare Nebel. Die meiſten Gegenſtände dieſer drei Klaſſen
haben eine völlig unregelmäßige Geſtalt und meiſtens noch ein-
zelne Theile, die ſich durch ein helleres Licht von den übrigen un-
terſcheiden. In der vierten Klaſſe führt er die ſogenannten
planetariſchen Nebel auf, die eine ganz kreisförmige Geſtalt,
in allen ihren Theilen durchaus dieſelbe Lichtſtärke und meiſtens
noch einen beträchtlichen Durchmeſſer von fünf, zehn und mehr
[360]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
Secunden haben. In dieſe Klaſſe nahm er auch die ſogenannten
Nebelſterne und Sternnebel auf (nebulous stars und stellar ne-
bulae
), von welchen die erſten eigentliche, hellleuchtende Fixſterne
mit kreisrunden, nebligen Atmoſphären ſind, deren Gränzen ſich
allmählig verlieren, während die anderen aus Fixſternen beſtehen,
die mit Nebeln von beſonderer Geſtalt, von der eines Pinſels,
eines Fächers, einer Locke, einer Wulſt u. dgl. in Verbindung
ſtehen. Die fünfte Klaſſe enthält 52 ſehr große und oft meh-
rere Quadratgrade ausgebreitete Nebelſtellen mit auslaufenden
Zweigen oder Armen. Die ſechste, ſiebente und achte Klaſſe
endlich enthält die eigentlichen Sterngruppen (clusters of
stars
), oder reiche und dicht gedrängte Sammlungen kleinerer
Sterne. Die der ſechsten Klaſſe ſind ſehr ſternreiche, die der ſie-
benten dicht gedrängte und meiſtens kreisrunde, und die der achten
endlich mehr unordentlich zerſtreute Sammlungen von kleinen Fix-
ſternen, deren erſter Anblick aber ſchon zeigt, daß ſie zuſammen
gehören und gleichſam ein eigenes Syſtem von Fixſternen am
Himmel bilden.


§. 231. (Bemerkungen über dieſe Eintheilung.) Dieſe Son-
derung jener Gegenſtände in acht Klaſſen, deren Gränzen, wie
man ſieht, nicht ſcharf geſchieden ſind, enthält zu viel Willkührli-
ches, als daß ſie lange hätte beibehalten werden ſollen. Sie war
um ſo unbequemer, da der ältere Herſchel den Ort derſelben am
Himmel nicht unmittelbar, ſondern nur durch ihre Abſtände von
bekannten Sternen angegeben hatte. Sein Sohn, der Erbe ſeiner
vorzüglichen Teleſcope und ſeines ausgezeichneten Beobachtungsta-
lentes, hat es daher vorgezogen, dieſe Gegenſtände ganz ſo, wie
wir es bisher mit den Planeten und Fixſternen zu thun pflegten,
durch die Rectaſcenſion und Declination derſelben (Einl. S. 31.).
anzugeben, was offenbar zweckmäßiger und bequemer zugleich iſt.


§. 232. (Verzeichniſſe dieſer Gegenſtände.) Die älteſten Ver-
zeichniſſe dieſer Nebel und Sterngruppen, die des älteren Herſchel,
ſind in den Philos. Transact. für die Jahre 1786, 1789 und
1802 enthalten. Aus ihnen hat Bode in ſeinen berl. Jahrbüchern
für 1791 und 1794, ſo wie J. W. Pfaff in ſeinem Werke:
„Schriften Herſchels, Dresden 1826,“ Ueberſetzungen und Auszüge
[361]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
gegeben. Der jüngere Herſchel hat erſt in den letzten Jahren die
meiſten dieſer Gegenſtände revidirt und nach ſeinen eigenen Beob-
achtungen ein Verzeichniß von 2306 Nebeln und Gruppen in den
Phil. Transact. für d. J. 1833 gegeben. Noch beſitzen wir ein
anderes, kleineres Verzeichniß dieſer Art von Messier (Mém. de
l’Acad. de Paris
1771 und Conn. des temps 1783 und 1784),
welches aber nur diejenigen Gegenſtände enthält, die noch mit
Fernröhren von 3 bis 4 Zoll Oeffnung geſehen werden können.


§. 233. (Nothwendigkeit guter Fernröhre zur Beobachtung
dieſer Himmelskörper.) Viele dieſer Gegenſtände ſind nämlich
ſo lichtſchwach, daß ſie nur durch unſere beſten Fernröhre gut ge-
ſehen werden können, und die meiſten derſelben erfordern auch dann
noch die zur Beobachtung vortheilhafteſten Umſtände, eine durchaus
reine, wolkenleere Atmoſphäre, Entfernung von Dämmerung,
Mondlicht, Beleuchtung durch Lampen u. f. Wie verſchieden viele
dieſer Himmelskörper durch verſchiedene Fernröhre erkannt wer-
den, kann man ſehen, wenn man die Beſchreibungen vergleicht,
die Herſchel und Meſſier von denſelben Nebeln in ihren Katalogen
gegeben haben.


§. 234. (Vertheilung derſelben am Himmel.) Wenn man die er-
wähnten Kataloge näher betrachtet, ſo ſieht man, daß einige Gegenden
des Himmels ſehr reich an dieſen Gegenſtänden ſind, während andere
beinahe nichts von ihnen enthalten. Gewöhnlich trifft man ſie in ganzen
Lagern neben einander geſchichtet an. Ja man kann ſogar ſagen, daß
die meiſten derſelben eine Art Zodiacus, eine Zone bilden, die in der
Geſtalt eines größten Kreiſes, wie die der Milchſtraße, über den
ganzen Himmel zieht. Dieſe Nebelzone durchſchneidet die eigentliche
Milchſtraße unter rechten Winkeln und geht nahe durch die beiden
Nachtgleichen-Punkte, oder durch 0h und 12h der Rectaſcenſion.
In dieſer Zone findet man ſie am häufigſten, und zwar am meiſten
gedrängt in den Sternbildern der Jungfrau, der Berenice und
des großen Bären.


Gewöhnlich iſt die äußerſte Gränze dieſer Nebellager ſcharf
abgeſchnitten und unmittelbar an dieſen Nebeln iſt der Himmel
ſehr rein. Der ältere Herſchel fand dieſe Bemerkung ſo allgemein,
daß er immer, ſo oft er auf eine ſolche ganz nebelleere Stelle des
[362]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
Himmels kam, bald darauf ein neues Lager von Nebeln erwartete,
und er wurde nur ſehr ſelten in dieſer Erwartung getäuſcht.


§. 235. (Nähere Betrachtung dieſer Gegenſtände.) Da es ohne
Zweifel eine ganz vergebliche Mühe ſeyn würde, die Eigenſchaften oder
die Beſtimmungen dieſer wunderbaren Himmelsweſen zu erforſchen, in-
dem die Kenntniß derſelben noch viel zu neu iſt (Herſchel fing die Be-
obachtungen derſelben erſt i. J. 1784 an), um Fragen dieſer Art jetzt
ſchon beantworten zu wollen, ſo wird es beſſer und angemeſſener
ſeyn, vorerſt noch mehr Beobachtungen über dieſe Weltkörper zu
ſammeln. Wir wollen uns begnügen, hier dasjenige kurz zuſam-
men zu ſtellen, was aus den bisherigen Beobachtungen der beiden
Herſchel als das Vorzüglichſte betrachtet werden kann. Zu dieſem
Zwecke wollen wir ſie, nach ihren verſchiedenen Geſtalten abge-
ſondert, näher betrachten.


§. 236. (Eigentliche Sterngruppen.) Sterngruppen, oder auch
Sternhaufen nennt man diejenigen iſolirten, lichten Stellen des
Himmels, die ſich, wenigſtens durch beſſere Fernröhre, durchaus
in einzelne Sterne auflöſen laſſen, während ſie mit freien Augen
entweder nur als matte Lichtwolken, oder auch, im gewöhnlichſten
Falle, gar nicht ſichtbar ſind. Einige derſelben kann man ſchon
mit Fernröhren von 3 bis 4 Zoll Oeffnung ſehen, und wir werden
dieſe beſonders bemerken, damit die Leſer, die wenigſtens mit ſol-
chen Inſtrumenten verſehen ſind, dieſe Gegenſtände am Himmel
ſelbſt nachſehen und näher kennen lernen mögen.


Die in den folgenden Angaben aufgeführten Rectaſcenſionen
A R und Poldiſtanzen P gehören durchaus für das Jahr 1830
und können daher, da die Durchmeſſer dieſer Gegenſtände
meiſtens ſehr bedeutend ſind, auch für 30 Jahre vor- und rück-
wärts von dieſer Epoche gelten. Daß zu ihrer Aufſuchung am
Himmel ein parallactiſch aufgeſtelltes Fernrohr nothwendig iſt, be-
darf keiner weiteren Erläuterung.


Zu dieſen Sterngruppen gehören alſo vorerſt jene, die man
ſchon mit freien Augen oder doch mit ſehr ſchwachen Fernröhren,
als eigentliche Sammlungen von Sternen, erkennt. Hieher ge-
hören:


[363]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
  • AR = 3h 39′, P = 66° 30′ die bekannten Pleiaden oder die
    Gluckhenne am Halſe des Stiers, mit freien Augen
    ſchon auflösbar.
  • AR = 2h 6′, P = 33° 38′ im Wehrgehenke des Perſeus, dem
    unbewaffneten Auge als eine lichte Wolke auffallend.
    Die Gruppe bildet eine Ellipſe, in deren Mitte ein
    Doppelſtern iſt.
  • AR = 8h 29′, P = 69° 30′ die ſogenannte Krippe im Stern-
    bilde des Krebſes.
  • AR = 11h 50′, P = 64° 0′ das Haupthaar der Berenice, mit
    freien Augen ſchon auflösbar.

§. 237. (Teleſcopiſche Gruppen.) Aber ohne uns weiter bei
dieſen und ähnlichen bekannten Gruppen aufzuhalten, gehen wir
ſofort zu den eigentlich teleſcopiſchen Sterngruppen über, deren
man ſo viele am Himmel bemerkt. Ihre Geſtalt iſt beinahe
durchaus rund und oft genau kreisförmig; die Sterne, aus wel-
chen ſie zuſammengeſetzt ſind, ſcheinen alle gleich groß zu ſeyn,
und nur zuweilen findet man einen oder einige größere Sterne in
der Mitte dieſer Gruppen. Dieſe größeren Sterne ſind dann oft
auch durch eine rothe Farbe ausgezeichnet oder auch eigentliche
Doppelſterne. Dieſe Kugelform findet man vorzüglich bei allen
jenen Gruppen, deren Sterne ſehr klein und gedrängt ſind, gleich-
ſam als wären dieſe in ihrer Ausbildung ſchon weiter vorgeſchrit-
ten, während die anderen an ihren Gränzen noch unregelmäßig ſind
und oft ſelbſt in Zweige und Arme auslaufen. Die Anzahl der
Sterne in den ſehr gedrängten Gruppen iſt oft wahrhaft außeror-
dentlich. An ein eigentliches Zählen läßt ſich da nicht mehr
denken, aber nach Herſchels Schätzungen ſind oft zehn und ſelbſt
zwanzig tauſend Sterne in einem kugelförmigen Raume zuſammen
gepreßt, deſſen Durchmeſſer kaum 8 bis 10 Minuten hat, deſſen
Oberfläche alſo kaum den zehnten Theil der Oberfläche des Voll-
monds beträgt. Gegen die Mitte dieſer Gruppen nimmt die Helle
derſelben meiſtens ſtufenweiſe zu, weil dieſe Sterne, wie die Fern-
röhre zeigen, immer enger an einander ſtehen, je weiter ſie zum
Mittelpunkte vordringen, ſo daß alſo dieſe Centralhelle nicht bloß
optiſch iſt, wie ſie auch jede andere, aus völlig gleich weit ab-
[364]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
ſtehenden Sternen gebildete Kugel zeigen würde, ſondern daß die-
ſelben gegen den Mittelpunkt der Kugel in der That näher an
einander rücken, was wahrſcheinlich die Folge einer größeren At-
traction dieſes Mittelpunktes iſt.


§. 238. (Größe und Entfernung dieſer Gruppen.) Es ſcheint
gewagt zu ſeyn, dieſe zahlloſen Sterne, aus welchen jene Gruppen
beſtehen, für eben ſo viele Sonnen, gleich der unſerer Sonne, an-
zunehmen. Aber wer mag uns widerſprechen, wenn wir behaupten
wollten, daß ſie vielleicht noch viel größer ſind, und daß, ſo nahe
ſie uns auch an einander gedrängt erſcheinen, ihre wahren Di-
ſtanzen doch eben ſo bedeutend ſeyn können, als diejenigen, welche
die einzelnen Fixſterne von einander trennen, daß ſie alle Millio-
nen, ja Billionen von Meilen von einander entfernt ſeyn mögen.
Wenn uns ſolche Behauptungen übertrieben erſcheinen, ſo folgt
daraus noch nicht, daß ſie es auch in der That ſind. Für jene
Fernen fehlt uns aller Maaßſtab und unſere bloß relativen Be-
griffe von Größe finden dort keine Anwendung mehr. Wenn das
Licht von zehntauſend Sonnen zuſammen genommen uns doch nur
wie das eines Sterns der fünften oder ſechsten Größe erſcheint,
ſo muß wohl ihre Entfernung von uns ganz außerordentlich und
noch viel größer ſeyn, als ſelbſt die Diſtanz der anderen Fixſterne
unter ſich, ſo groß auch dieſe letzte uns erſcheinen mag.


— — Who can satiate sight
In such a scene, where depht, height, breadth
Are lost in their extremes, and where, to count
The thick-sown glories in this ocean of Suns,
Perhaps a Seraph’s computation fails.
Young.
()

§. 239. (Natur dieſer Gruppen.) Wie ſich dieß übrigens
auch verhalten mag, die Kugelform, die ſcharfe Begränzung und
die auffallende Symmetrie des inneren Baues dieſer wundervollen
Sonnengebäude zeugt von Einheit des Zwecks und von einer be-
ſtimmten, in ſich ſelbſt abgeſchloſſenen Natur dieſer Himmels-
körper. Ihr ganzes geheimnißvolles Weſen ſcheint von einer ein-
zigen Kraft der Anziehung durchdrungen, von einem eigenen,
[365]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
gemeinſamen Bande des Zuſammenhangs umſchlungen zu ſeyn,
deſſen innere Einrichtung und Organiſation uns wohl immer un-
bekannt bleiben wird.


§. 240. (Vorzüglichſte Sterngruppen.) Hier folgen die aus-
gezeichnetſten dieſer Gruppen, von denen man mehrere ſchon mit
mäßigen Fernröhren erkennen kann.


  • AR = 13h 4′, P = 70° 56′. Eine ſehr ſchöne und ſtark ge-
    drängte Gruppe, in der Mitte ungemein hell, am
    Rande etwas ausgezackt. Durchmeſſer der nahe run-
    den Geſtalt 5 Minuten. Die Sterne ſind ſehr klein,
    der XII. bis XX. Größe und die Anzahl derſelben un-
    gemein groß.
  • AR = 13h 34′, P = 60° 46′. Sehr ſchöne, runde Gruppe von
    6 Min. Diameter. Sie enthält wenigſtens tauſend
    Sterne der XI. Größe und darunter. Sie bilden eine
    helle Stelle gegen den Mittelpunkt, aus welchen gleich-
    ſam Lichtſtrahlen gegen den Umkreis ausſtrömen.
  • AR = 13h 58′, P = 60° 40′. Sehr große, reiche Gruppe von
    10 Min. Diameter. Die Sterne ſind der XII. und
    XVIII. Größe. Die Gruppe hat keinen lichten Kern
    und die Sterne ſind gegen die Mitte der Gruppe un-
    gemein gedrängt und ſelbſt für ſtarke Fernröhre unauf-
    lösbar.
  • AR = 15h 10′, P = 87° 16′. Sehr ſchöne und gedrängte ku-
    gelförmige Gruppe. Die Beleuchtung derſelben wächst
    ſtark gegen die Mitte, wo die Sterne nicht mehr ge-
    trennt werden können. Der Durchmeſſer des Ganzen iſt
    2 ½ Minuten. Die ganze Nachbarſchaft um dieſe Gruppe
    iſt ſternenleer.
  • AR = 16h 35′, P = 53° 12′. Sehr reiche Gruppe von unregelmä-
    ßiger Geſtalt ohne eigentlichen Kern, der Rand gleich-
    ſam behaart. Die Sterne der X. und XV. Größe
    ſehr dicht ſtehend. Diameter 8. Min. Dieſe Gruppe
    ſteht zwiſchen η und ζ Hercules und iſt am Ende die-
    ſes Werkes abgebildet.

[366]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
  • AR = 16h 48′, P = 93° 50′. Eine runde Gruppe von zerſtreut
    ſtehenden Sternen, 10 Min. Durchmeſſer, ohne eigent-
    lichen Kern.
  • AR = 17h 47′, P = 108° 58′. Große, reiche, nicht ſehr ge-
    drängte Gruppe von 60 bis 80 Sternen, die größten-
    theils in regelmäßigen krummen Linien zu liegen ſcheinen.
  • AR = 18h 26′, P = 114° 1′. Sehr ſchöne, kugelförmige Gruppe,
    allmählig heller gegen die Mitte, aber ohne eigentlichen
    Kern. Die Sterne der XII. bis XX. Größe ſcheinen
    durchaus gleich vertheilt und die Gränze des Ganzen
    verwaſchen.
  • AR = 18h 43′, P = 96° 28′. Schöne, aber unregelmäßige
    Gruppe von nahe 12 Min. Diameter. Die Sterne
    alle der XII. Größe mit einem größeren der IX. Größe
    in der Mitte. Das ganze Bild ſcheint in fünf oder
    ſechs verſchiedene Gruppen gebrochen zu ſeyn.
  • AR = 19h 10′, P = 60° 7′. Schöne, gedrängte Gruppe, die nahe
    die Geſtalt eines Dreiecks hat. Reich, ohne Kern. Größter
    Durchmeſſer 3 Minuten. Die Sterne von verſchiedener
    Größe.
  • AR = 19h 23′, P = 81° 7′. Sehr reich und gedrängt. Im
    ſüdlichen Theile der Gruppe iſt ein Doppelſtern. Dia-
    meter 40 Secunden.
  • AR = 21h 22′, P = 78° 34′. Groß, licht, unregelmäßig rund,
    gegen die Mitte heller, als wenn hier die Gruppe eine
    wulſtige Erhöhung hätte. Aus dem Mittelpunkte ſchei-
    nen Lichtſtreifen gegen die Peripherie zu gehen.
  • AR = 21h 25′, P = 91° 34′. Schön, groß, rund, auflösbar.
    Gegen die Mitte ſehr hell, gleichſam flammend, ob-
    ſchon hier die Sterne nicht dichter ſtehen. Der An-
    blick der Gruppe gleicht dem eines Haufen Goldſandes.
    Der hellſte Theil des Ganzen beträgt 6 Secunden im
    Durchmeſſer, und das Licht deſſelben gleicht dem eines
    Sterns der VI. Größe.
  • AR = 23h 48′, P = 34° 14′. Sehr ſchöne, große, runde Gruppe
    von 15 Min. Diameter, ſehr reich an dicht gedrängten
    [367]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
    Sternen. Das Ganze wird allmählig lichter gegen die
    Mitte, aber ohne Verdichtung zu einem eigentlichen
    Kern. Die Sterne ſind der X. bis XVIII. Größe.

Von denjenigen Gruppen, die einen ausgezeichnet gefärbten
Stern in ihrer Mitte haben, kann man bemerken:


  • AR = 2h 10′, P = 33° 38′. Groß und ſchön, gegen die Mitte
    heller. Dieſe Gruppe ſteht nahe bei der oben erwähn-
    ten großen Gruppe des Perſeus. Mit einem rothen
    Stern in der Mitte.
  • AR = 5h 8′, P = 50° 51′. Eine reiche Gruppe mit einem
    Stern der VII. Größe, der orangefarb iſt.
  • AR = 21h 25′, P = 39° 10′. Schöne, runde Gruppe von Ster-
    nen der XV. bis XX. Größe, 8 Minuten Diameter.
    In der Mitte ein röthlicher Stern der X. Größe.
  • AR = 21h 38′, P = 37° 5′. Ein ſehr merkwürdiger Gegenſtand,
    nämlich ein ovaler Ring von kleinen, nahe an einander
    ſtehenden Sternen gebildet und in der Mitte des Rings
    ein Stern der IX. Größe von rother Farbe.

Gruppen, mit Doppelſternen in ihrer Mitte, finden ſich eben-
falls mehrere am Himmel, z. B.


  • AR = 2h 31′, P = 47° 57′. Eine ſchöne Gruppe von nahe
    zwanzig Sternen der IX. bis XI. Größe und vielen
    andern kleineren. In der Mitte derſelben ein Doppel-
    ſtern.
  • AR = 4h 57′, P = 52° 51′. Gut begränzte Gruppe von nahe
    30 Sternen mit einem Doppelſtern.
  • AR = 6h 43′, P = 89° 21. Eine reiche, gleichſam in drei Aeſte
    geſpaltene Gruppe, in deren Hauptſtelle ein Doppel-
    ſtern.
  • AR = 8h 5′, P = 95° 16. Schöne, große, reiche Gruppe von
    Sternen der IX. bis XIII. Größe, zwiſchen welchen
    aber der Hintergrund des Himmels mit unzähligen, klei-
    nen, lichten Punkten wie beſäet erſcheint. In der
    Mitte des ganzen Gebäudes ein Doppelſtern.
  • AR = 19h 59′, P = 54° 42′. In einer Gruppe von 5 hellen
    und vielen andern kleineren Sternen iſt ein Doppelſtern.

[368]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
  • AR = 20h 1′, P = 69° 23′. Eine Gruppe von vielen Sternen
    der X. bis XIII. Größe. Der größte unter ihnen iſt
    ein Doppelſtern.
  • AR = 21h 2′, P = 39° 50′. Eine ſonderbare, zerſtreute Gruppe,
    in welcher mehrere dreifache Sterne.
  • AR = 23h 48′, P = 29° 44′. Sehr reiche Gruppe von 4 Min.
    Durchmeſſer. Die Sterne der XII. Größe; einer unter
    ihnen iſt ein Doppelſtern.

Hieher gehört auch die bereits erwähnte Gruppe, die Krippe
im Krebs, in deren Mitte ebenfalls ein Doppelſtern ſteht, ſo
wie in der Gruppe des Wehrgehenkes im Sternbilde des Perſeus.


Die angeführten Doppelſterne ſind meiſtens, aber nicht immer,
in der Mitte der ganzen Gruppe und gewöhnlich größer, als alle
übrigen Sterne. Doch trifft man auch zuweilen andere Gruppen,
in welchen die kleinen, oft ſehr dicht ſtehenden Sterne um einen
großen, lichten Centralſtern gelagert und gleichſam angereiht ſind,
wie z. B. in AR = 8h 38′ und P = 76° 47′.


Einer dreieckigen Gruppe haben wir ſchon oben erwähnt.


Eine andere von derſelben Geſtalt findet man in AR = 23h
56′ und P = 111° 40′. Auch eine viereckige Gruppe ſieht man in
AR = 19h 23′, P = 70° 5′; ſie iſt 3 Min. lang und 2 Min.
breit und beſteht aus ſehr gedrängten Sternen der XIV. bis XVIII.
Größe.


In AR = 23h 4′, P = 30° 21′ ſieht man eine andere helle
Gruppe, die aus zwei geraden Linien von dicht an einander ge-
ſtellten Sternen beſteht, zwiſchen welchen mehrere andere, kleinere
ausgeſtreut ſind.


Das Vorhergehende wird genügen, dem Leſer von dem Reich-
thume dieſer Sterngruppen einen angemeſſenen Begriff zu geben.


§. 241. (Nebelmaſſen des Himmels.) Es wurde bereits oben
bemerkt, daß auch die eigentlichen Sterngruppen, durch mäßige
Fernröhre beſehen, nur wie mehr oder weniger lichte Nebel erſchei-
nen, während ſie doch durch ſtärkere Inſtrumente in die einzelnen
Sterne aufgelöst werden, aus welchen ſie in der That zuſammen-
geſetzt ſind. Wahrſcheinlich iſt dieß auch der Fall mit den meiſten
derjenigen Himmelskörper, die uns, auch durch unſere beſten
[369]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
Teleſcope beſehen, immer noch als Nebel erſcheinen, während ſie
doch in noch viel beſſeren Fernröhren, als diejenigen ſind, zu
welchen es die Kunſt bisher gebracht hat, ſich ohne Zweifel eben-
falls in Sterne auflöſen würden. Dieſe ſind daher nur wieder
als eigentliche Sterngruppen zu betrachten, deren Sterne aber
entweder zu klein, oder zu lichtſchwach, oder endlich zu weit von
uns entfernt ſind, um noch deutlich unterſchieden zu werden. Doch
mögen auch viele unter dieſen wundervollen Weſen des Himmels
ſeyn, welche nicht mehr aus eigentlichen Sternen zuſammen-
geſetzt ſind: Weſen eigener Art, die als wahre Lichtnebel für ſich
beſtehen und keineswegs als bloße optiſche Erſcheinungen betrachtet
werden können.


Es gibt in der That ganze große Gegenden des Himmels
von mehreren Quadratgraden, die völlig mit dieſer Nebelmaſſe
überzogen ſind. Dieſe Gegenden zeichnen ſich nicht bloß durch
ihr helleres Licht vor dem übrigen dunklen Rande des Himmels,
ſondern auch durch ein eigenes ſchuppen- oder flockenartiges An-
ſehen aus, und es erfordert nur eine geringe Uebung des Auges,
um zu ſehen, daß ſie keineswegs bloß die Wirkung ſehr dicht
ſtehender, entfernter Sterne ſeyn können. Ja oft ſieht man dieſe
Nebel in einer ſo unmittelbaren Verbindung mit eigentlichen
hellen Fixſternen, daß man den weſentlichen Unterſchied zwiſchen
dieſen beiden Gattungen von Himmelskörpern nicht weiter ver-
kennen kann, wie wir weiter unten bald näher ſehen werden.


Wir wollen uns hier wieder darauf beſchränken, die vorzüg-
lichſten dieſer eigentlichen Nebel zur beſſern Ueberſicht, nach ihrer
äußern Form in Klaſſen geordnet, näher anzuführen.


§. 242. (Sehr große und weit verbreitete Nebel.) Dieſe ſind
gewöhnlich ſehr lichtſchwach und in ihren Gränzen ſehr unbeſtimmt
und verwaſchen, daher man ſie nur mit ſehr ſtarken Fernröhren
ſehen kann. Bei den folgenden iſt die Ausdehnung derſelben in
Quadratgraden angegeben, wobei man bemerken kann, daß die
Oberfläche der Sonne oder des Mondes für uns nahe den vierten
Theil eines Quadratgrades beträgt. Wenn es daher von einem
ſolchen Nebel heißt, daß er fünf Quadratgrade einnimmt, ſo heißt
dieß, daß er in ſeiner Oberfläche zwanzigmal größer, als die
Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 24
[370]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
Sonne, erſcheint. Ein Nebel von acht Quadratgraden wird eben
ſo eine 32mal größere ſcheinbare Fläche haben, als die Sonne.
Wenn alſo in dem letzten Falle ein ſolcher Himmelskörper auch
nur ſo weit, wie der nächſte Fixſtern, das heißt, wenn er vier
Billionen Meilen (I. S. 166.) von uns entfernt iſt, ſo wird der
wahre Durchmeſſer deſſelben ſchon gegen 200000 Millionen Meilen
betragen, alſo 500mal größer ſeyn, als der Umfang der ganzen
Uranusbahn, deren Durchmeſſer 840 Mill. Meilen beträgt. Eine
Ausdehnung, von welcher auch die lebhafteſte Phantaſie ſich keinen
angemeſſenen Begriff mehr zu machen im Stande iſt.


Herſchel hat die Flächenräume aller von ihm beobachteten
Nebel dieſer Art in eine Summe gebracht und dieſe über 200
Quadratgrade groß gefunden, ſo daß daher die Menge des in dem
Weltraume zerſtreuten Nebels in der That an das Ungeheure zu
gränzen ſcheint.


§. 243. (Größere, unregelmäßige Nebel.) Dieſe Gattungen
von Nebeln ſind zwar kleiner, als die vorhergehenden, übertreffen
aber doch die Oberfläche der Sonne oder des Mondes oft noch
vielmal; ſie ſind überdieß an ihrem Rande meiſtens ſchärfer be-
gränzt und haben eine noch ſehr unregelmäßige Form. Oefter
entdeckt man an ihnen auffallend hellere Stellen, in welchen das
Licht gleichſam concentrirt erſcheint, und dieſe Stellen ſind meiſtens
abgerundet oder nahe kreisförmig.


Einen ſolchen Nebel ſieht man z. B. in AR = 12h 5′,
P = 74° 9′. Er hat die Geſtalt eines langen, an ſeinen Enden
unregelmäßigen Streifens von 10 Min. Länge und nahe bei ſeiner
Mitte eine helle, kernartige Stelle. Einen noch viel größeren
ſieht man in AR = 20h 53′, P = 46° 20′, deſſen Gränzen aber
ſehr ſchwach und unbeſtimmt ſind. In AR = 8h 30′ und P =
[371]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
119° 21′ iſt ein, vielleicht durch ſtärkere Fernröhre auflösbarer
Nebel, der die Geſtalt des Buchſtabens X hat und ſich über ſechs
Minuten im größten Durchmeſſer erſtreckt. In AR = 18h 11′,
P = 106° 15′ iſt ein anderer großer Nebel, der die Geſtalt eines
Ω hat. Einige Stellen deſſelben ſind in der That in Sterne
auflösbar. Auch hat er zwei andere große, runde und lichte
Stellen, deren Beleuchtung gegen die Mitte ſehr zunimmt.
AR = 20h 39′, P = 59° 54′ bei κ Schwan; ein langer, gewundener
Streifen, milchfarbig, 30 Min. lang; nahe nördlich über ihm ein
anderer ſchwächerer und ſchlangenförmiger Nebel. In AR = 20h
49′, P = 58° 57′ endlich iſt ein über einen Grad langer Nebel,
deſſen eine Hälfte gabelförmig geſpalten iſt. An der Stelle, wo
dieſe Spaltung beginnt, ſieht man vier Sterne, die ein Trapez
unter ſich bilden. Dieſer ſonderbare Himmelskörper iſt nur ohne
Beleuchtung mit den beſten Fernröhren ſichtbar und die ihn be-
gränzende Umgegend iſt ganz mit einem ſchuppenartigen Nebel
überzogen.


§. 244. (Nebel mit helleren Theilen.) In ſehr vielen Nebeln
bemerkt man einen, oft beträchtlich großen lichten Theil, der ſich
durch ſeine hellere Farbe von den übrigen ſehr unterſcheidet.
Gewöhnlich iſt dieſer hellere Theil, dieſer Kern des Nebels, nahe
kreisrund, beſonders bei jenem, wo das Licht in demſelben ſehr
ſtark iſt und gegen den Mittelpunkt des Kerns ſchnell zunimmt.
Man trifft dieſe Kernnebel ſelten allein, ſondern gewöhnlich in
ganzen Heerden am Himmel an, gleichſam als wenn ſie aus den
Nebeln der vorigen Arten durch Zerreißung, durch Trennung oder
durch eine theilweiſe Condenſation des Nebelſtoffes entſtanden
wären. Herſchel ſah oft in einer halben Stunde über dreißig
ſolcher Nebel durch das Feld ſeines unverrückten Teleſcops ziehen.
Eines der größten Lager derſelben geht durch das Haar der
Berenice, durch den großen Bären, die Andromeda und durch den
nördlichen Fiſch bis zu dem Kopf des Centaurs und iſt in dieſer
ganzen gewaltigen Ausdehnung überall reich an ſolchen Kernnebeln.
Einige unter ihnen haben auch zwei und ſelbſt mehr ſolche lichte
Kerne, wie wir ſchon kurz zuvor bei jenem von der Geſtalt des
Ω angeführt haben. Ein anderer iſt in AR = 9h 22′, P = 67°
24 *
[372]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
45′, elliptiſch gebaut und über drei Minuten lang, der ent-
weder zwei hart an einander ſtehende Kerne hat, oder ſelbſt ein
Doppelnebel iſt. Auch der in AR = 12h 7′, P = 52° 44′ hat
einen doppelten hellen Kern.


§. 245. (Nebel von regelmäßiger Geſtalt.) Dieſe ſind beinahe
durchaus nahe kreisrund oder elliptiſch geſtaltet. Jene haben
meiſtens einen hellen Kern in der Mitte, deſſen Umfang mit dem
des ganzen Nebels concentriſch iſt. Sie zeichnen ſich vor allen
vorhergehenden durch ihre hellere Farbe und durch ihre kleineren
Dimenſionen aus, wahrſcheinlich, weil das Licht in dieſen Himmels-
körpern ſchon mehr verdichtet iſt und die Bildung derſelben ſchon
eine höhere Stufe erreicht hat. Mit dieſen Nebeln ſcheint die
bisher bloß ſchaffende Kraft der Natur bereits in eine mehr vor-
herrſchende formbildende Kraft überzugehen. Solche Nebel findet
man in


  • AR = 1h 16′, P = 81° 21′, rund, licht, gegen die Mitte ſchnell
    zunehmend — Diameter 1 Min.
  • AR = 5h 24′, P = 68° 7′. Elliptiſch, 4 Min. lang, 3 Min.
    breit; ein ſchönes Bild.
  • AR = 8h 31′, P = 39° 11. Elliptiſch, hell und noch viel heller
    in der Mitte. 30 Sec. lang, 20 Sec. breit.
  • AR = 9h 41′, P = 20° 8′. Sehr licht und elliptiſch, in der
    Mitte viel heller. Von dem Mittelpunkte gehen mehrere
    Strahlen aus, die 3 und 4 Minuten lang ſind.
  • AR = 11h 10′, P = 76° 0′. Hell und rund, allmählig heller
    gegen die Mitte mit einem runden Kern.
  • AR = 11h 43′, P = 44° 56′, ein ſehr ſchöner, kugelförmiger,
    ſcharf begränzter Nebel mit einem runden Kern. Der
    Durchmeſſer des Ganzen beträgt drei Minuten.
  • AR = 17h 9′, P = 108° 20′. Rund, allmählig heller gegen die
    Mitte, 4 Minuten Durchmeſſer.
  • AR = 18h 4′, P = 83° 11′. Schöne, runde, ſcharf begränzte
    helle Scheibe über acht Minuten im Durchmeſſer.
    Schon im Zwielichte ſichtbar.
  • AR = 22h 29′, P = 56° 29′, hell, elliptiſch, 90 Sec. lang,
    30 Sec. breit; plötzlich heller gegen die Mitte. Hart
    [373]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
    an ihm ein anderer ſchwacher Nebel von 16 Sec.
    Durchmeſſer.

§. 246. (Doppelnebel.) Wie oben bei den Fixſternen, ſo
ſehen wir auch hier bei den Nebeln häufig zwei derſelben ſo nahe
ſtehen, daß wir an ihrem Zuſammengehören, an ihrer innigen
Verbindung nicht wohl zweifeln können. In der That kommen
dieſe Doppelnebel zu oft vor, als daß ihre ſcheinbare Duplicität
bloß optiſch ſeyn ſollte. Auch ſieht man ſie öfter durch Nebel-
bänder mit einander unmittelbar verbunden, während einige an
ihren nächſten Gränzen in einander fließen, oder während
der eine derſelben an ſeinem Rande eine Vertiefung, eine Bucht
zeigt, in welche die gegenüberſtehende Hervorragung des an-
dern der Größe und Form nach genau zu paſſen ſcheint u. ſ. w.
Solche Nebel ſind in


  • AR = 7h 15′, P = 60° 11′; die Kerne der beiden ſich berühren-
    den Nebel ſind ſo hell, daß ſie beinahe ſternartig
    glänzen.
  • AR = 9h 22′, P = 67° 45′. Die beiden Nebel bilden ein
    elliptiſches Ganze, deſſen große Axe 3 Min. lang iſt.
  • AR = 11h 53′, P = 107° 55′, zwei in einander fließende Nebel,
    die beide gegen ihre Mitte viel heller ſind.
  • AR = 12h 17′, P = 55° 32′, nahe wie der Vorhergehende, nur
    größer. Das Ganze der beiden Nebel iſt 10 Min.
    lang und 3 Min. breit.
  • AR = 12h 28′, P = 77° 52′. Ein ſehr ſchöner Doppelnebel;
    beide ſind hell, rund und gegen die Mitte lichter.
    Ihre Durchmeſſer ſind 45 und 60 Sec.
  • AR = 15h 0′, P = 69° 58′. Beide Nebel ſind elliptiſch und
    gränzen beinahe an einander.

§. 247. (Planetariſche Nebel.) Dieſe ſonderbaren Himmels-
körper erſcheinen uns, ganz ſo wie die Planeten, als kreisrunde,
nur ſelten etwas ovale, ſcharf begränzte Scheiben von mehreren
Secunden im Durchmeſſer, die durchaus daſſelbe, gleich ſtarke
Licht haben, ohne gegen ihren Mittelpunkt, wie die vorhergehenden,
an Helle zuzunehmen. Zuweilen jedoch iſt auch ihr Umkreis noch
mit einem concentriſchen nebeligen Rande, gleich einer ringförmigen
[374]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
Atmoſphäre, umgeben. Die Oberfläche dieſer Körper iſt mit einem
leichtſchuppigen oder flockigen Lichte überzogen, wodurch aber das
Charakteriſtiſche ihres Anblicks, die Gleichförmigkeit der Beleuchtung
aller ihrer Theile, nicht weſentlich geſtört wird. Die Natur und
Beſtimmung dieſer Weſen ſcheint ſehr räthſelhaft zu ſeyn. Sind
ſie, wie man kaum zweifeln kann, ſelbſtleuchtende Körper, ſo muß
der Glanz ihres Lichts weit unter dem unſerer Sonne ſtehen.
Eine Kreisfläche unſerer Sonnenſcheibe von zwanzig Secunden im
Durchmeſſer würde ſchon ein Licht geben, gleich dem von hundert
vereinigten Vollmonden, während doch jene Nebel mit freien
Augen noch nicht einmal bemerkt werden können, und während ein
Körper von dieſer Ausdehnung, wenn er auch nur eben ſo weit
als der nächſte Fixſtern von uns entfernt wäre, die Bahn des
Uranus an Größe übertreffen müßte. Vielleicht iſt ihr Licht von
einer ganz andern Art, etwa bloß phosphorescirend oder nur der
äußerſten Oberfläche dieſer Körper angehörend; vielleicht ziehen ſie,
eben durch ihre ungeheure Maſſe, ihr eigenes Licht mit einer
ſolchen Kraft an ſich, daß daſſelbe nicht mehr ungehindert aus-
ſtrömen kann; vielleicht beſtehen ſie ſelbſt nur aus hohlen, durch-
ſichtigen, mit Gasarten gefüllten Kugelſchaalen und was dergleichen
Vermuthungen mehr ſeyn mögen, die wir beſſer der Phantaſie der
Leſer überlaſſen wollen. Häufig ſieht man ſie von kleinen, ihnen
ſehr nahe ſtehenden Fixſternen umgeben, die vielleicht die Satelliten
dieſer außerordentlichen Weltkörper ſind. Künftige Beobachtungen
werden uns dieſe wunderbaren Weſen näher kennen lehren.


  • AR = 5h 33′, P = 81° 0′. Ein planetariſcher, etwas elliptiſcher
    Nebel, am Rande etwas unbeſtimmt.
  • AR = 7h 34′, P = 104° 20′, ein runder plan. Nebel von 50 Sec.
    Durchmeſſer, von ſchwachem, aber durchaus gleich-
    förmigem Lichte, mit einem feinen Sternchen in der
    Mitte.
  • AR = 12h 44′, P = 16° 12′. Rund, ſchwach beleuchtet, 30 Sec.
    im Durchmeſſer, mit einer regelmäßigen, ſchwachen
    Atmoſphäre von 10 Sec. Höhe.
  • AR = 14h 59′, P = 70° 54′. Ein runder plan. Nebel von un-
    gewöhnlicher Größe; ſein Diameter beträgt volle ſechs
    [375]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
    Minuten. Er iſt mit einem concentriſchen, gut be-
    gränzten Nebel umgeben. Das ganze Bild ſcheint im
    ſchwachen, ſternartigen Lichte zu ſcintilliren.
  • AR = 18h 4′, P = 83° 11′. Schöne, runde, ſcharf begränzte,
    hell glänzende Scheibe über 8 Minuten im Durch-
    meſſer; das Licht iſt weiß und durchaus gleich ſtark
    und ſchwach ſternartig.
  • AR = 19h 34′, P = 104° 33′. Trüblichte, runde Scheibe von
    10 Sec. Durchmeſſer. Das gleichförmige Licht der-
    ſelben iſt nicht ſternig und von ſonderbarem Anſehen.
    Sehr nahe bei dieſem Stern ſtehen zwei Sternchen.
  • AR = 20h 9′, P = 59° 58′. Einer der größten planetariſchen
    Nebel von 15 Min. Diameter; vollkommen rund und
    gleichförmig beleuchtet. Da er in der Mitte etwas
    dunkler ſcheint, ſo iſt er vielleicht ein ringförmiger Körper.
  • AR = 20h 15′, P = 70° 26′. Schön, hell, vollkommen rund,
    durchaus gleichförmig beleuchtet. Durchmeſſer von zwei
    Secunden. Vier kleine Sterne umgeben ihn, wie
    Satelliten.
  • AR = 20h 55′, P = 102° 2′. Vollkommen runde, gleich lichte
    Scheibe, Durchmeſſer fünf Minuten.
  • AR = 23h 18′, P = 48° 24′. Ein planetariſcher, ganz runder
    Nebel von 12 Sec. Diameter. Sein Licht erſcheint
    nicht ſowohl nebelartig, ſondern wie ein Stern außer
    dem Brennpunkte des Fernrohrs. Die Farbe des
    Lichtes iſt weißblan und in der Nähe des Nebels be-
    findet ſich ein Doppelſtern.

§. 248. (Sternnebel.) Unter dieſer Benennung verſteht man
eigentliche, bell glänzende Fixſterne, die aber mit kreis- oder kugel-
förmigen Nebeln umgeben ſind. Sie ſind vielleicht in ihrer Bil-
dung weiter vorgerückte, runde Kernnebel, in welchen ſich der
früher noch matte und weit verbreitete Lichtkern zu einem hellen
Lichtpunkte, zu einem eigentlichen Fixſtern gebildet hat.


  • AR = 0h 4′, P = 18° 25′. Ein Stern der X. Größe mit
    einer runden, gut begränzten Atmoſphäre von 20 Sec.
    Durchmeſſer umgeben.

[376]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
  • AR = 5h 49′, P = 59° 40′. Ein Stern der IX. Größe mit
    einem ſchwachen kreisförmigen Nebel von 75 Sec.
    Durchmeſſer umgeben. Mehrere ſehr nahe liegende
    Sterne ſind ganz nebelfrei.
  • AR = 5h 28′, P = 91° 19′. Ein ſchöner Fixſtern in einem ſehr
    großen Nebel von 24 Min. Durchmeſſer eingehüllt. In
    der Nähe von ε Orionis.
  • AR = 6h 23′, P = 79° 44′. Ein Stern der XI. Größe, von
    einem runden, milchigen Nebel, deſſen Rand verwaſchen,
    umgeben. Das Licht des Sterns ſelbſt iſt trüb.
  • AR = 7h 19′, P = 68° 45′. Ein Stern der VIII. Größe genau
    in der Mitte eines runden, lichten Nebels von 25 Sec.
    Durchmeſſer. Man ſehe Figur (4).
  • AR = 10h 16′, P = 71° 59′. Ein Stern der IX. Größe in
    einem elliptiſchen Nebel. Der Stern iſt nicht in dem
    Mittelpunkte des Nebels.
  • AR = 12h 16′, P = 84° 7′. Ein Stern der IX. Größe mit
    einer hellen, runden Atmoſphäre umgeben. Schon im
    Zwielichte ſichtbar.
  • AR = 12h 29′, P = 75° 17′. Ein heller Stern der IX. Größe
    mit mehreren kleineren, alle in einen feinen Nebel
    eingehüllt.
  • AR = 12h 42′, P = 63° 34′. Ein Stern oder doch ein ſehr
    kleiner und hell glänzender Kern in einer großen ovalen
    Atmoſphäre. (M. ſ. Fig. 1.)
  • AR = 19h 40′, P = 39° 54′. Ein Stern der XI. Größe in
    einer runden, lichten Atmoſphäre von 4 Sec. Durch-
    meſſer.
  • AR = 23h 13′, P = 29° 45′. Ein Stern der IX. Größe mit
    einem runden, lichtſchwachen Nebel umgeben.

Mehrere von den hieher gehörenden, meiſt runden oder
elliptiſchen Nebeln erſcheinen auch als Hüllen von doppelten und
ſelbſt mehrfachen Sternen. Dergleichen ſind


  • AR = 1h 8′, P = 32° 34′. Ein Doppelſtern; der größere X.
    Größe; die Diſtanz beider 12 Sec. Er ſteht in der
    Mitte eines großen, runden Nebels.

[377]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
  • AR = 1h 43′, P = 50° 7′. Ein feiner Doppelſtern mit einer
    runden Atmoſphäre von 20 Sec. Durchmeſſer.
  • AR = 5h 20′, P = 55° 53′. Ein dreieckiger Nebel, der in
    ſeiner Mitte einen dreifachen Stern (Tripelſtern) um-
    ſchließt. Die drei Sterne ſind der XI., XII. und XIV.
    Größe, und die drei Seiten des Dreiecks betragen jede
    nahe 4 Sec.
  • AR = 6h 56′, P = 101° 4′. Ein Doppelſtern in der Mitte
    eines runden Nebels.
  • AR = 12h 48′, P = 67° 23′. Ein Doppelſtern von einem hellen,
    runden, großen Nebel von 6 Min. Durchmeſſer um-
    ſchloſſen. Neben dem Stern iſt eine ſchwarze Stelle,
    vielleicht eine Oeffnung im Nebel.
  • AR = 21h 39′, P = 24° 41′. Ein Tripelſtern in der Mitte
    eines ſchwachen, ſchlecht begränzten Nebels.

Oefter ſieht man auch vier, fünf und mehrere zerſtreute Sterne
ſämmtlich in einem Nebel eingehüllt, wie Fig. 7 und ſelbſt,
ſchon eigentliche Sterngruppen von einem kugelförmigen Nebel
umſchloſſen, wie Fig. 8. Oft zieht dieſer Nebel wie ein ſchmales,
langes Band über mehrere Sterne hin und verbindet ſie zu einem
gemeinſchaftlichen Ganzen. Zuweilen ſtehen zwei helle Sterne an
den beiden Scheiteln oder auch nahe bei den beiden Brennpunkten
eines elliptiſchen Nebels, wie in Fig. 5 und 6. In den meiſten
Fällen zeigt ſchon der bloße Anblick dieſer ſonderbaren Gebilde,
daß Nebel und Sterne zuſammen gehören und gleichſam ein ab-
geſchloſſenes Syſtem für ſich bilden. Wo dieſe Sterne in der
Mitte eines kreisförmigen Nebels liegen, wie in den meiſten vor-
hergehenden, kann dieſe innigere Verbindung beider Gegenſtände
nicht mehr bezweifelt werden. Aber auch dann, wenn die Sterne
von den Nebeln abgeſondert ſtehen, iſt doch ihre Stellung oft ſo
auffallend, daß ſie nicht ohne die größte Unwahrſcheinlichkeit dem
bloßen Zufalle oder einer optiſchen Täuſchung zugeſchrieben werden
kann, wie wir ſogleich näher ſehen werden.


§. 249. (Sterne mit Nebelſtrahlen.) Bei dieſen Himmels-
körpern ſteht der Fixſtern meiſtens ſehr nahe an der einen Gränze
[378]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
des Nebels, welcher letzte oft die verſchiedenſten Geſtalten annimmt,
wie folgende Beiſpiele zeigen:


  • AR = 1 h 40′, P = 84° 56′. Ein Fixſtern IX. Größe an dem
    äußerſten Ende eines ſehr feinen, geradlinigen, ſchmalen
    Nebelſtreifens.
  • AR = 6 h 30′, P = 81° 7′. Ein Stern XII. Größe mit einem
    lichten Nebelſchweif von 60 Sec. Länge, dem eines
    Kometen ähnlich. (M. ſ. Fig. 2.)
  • AR = 8 h 26′, P = 105° 34′. Ein Stern der XIV. Größe mit
    einem Nebelpinſel von 15 Sec. Länge.
  • AR = 8 h 47′, P = 35° 35′. Ein Stern XI. Größe mit einem
    lichten Nebelanhang. In dem Nebel ſelbſt iſt noch ein
    feines Sternchen ſichtbar.
  • AR = 10 h 54′, P = 70° 57′. Ein Stern IX. Größe mit einem
    ſchwachen Nebelſtreifen von 30 Sec. Länge.
  • AR = 11 h 11′, P = 75° 28′. Ein ſehr langer, ſchmaler Nebel-
    ſtreifen, 15 Min. lang, 1 Min. breit. In der Mitte
    heller mit einem feinen Stern. Man ſehe Fig. 3.
  • AR = 12 h 7′, P = 75° 54′. Ein ſehr heller elliptiſcher Nebel;
    in ſeinem lichten Kern iſt ein kleiner Fixſtern. Aus
    dem Kern fließt ein Lichtſtrahl von 7 Min. Länge.
  • AR = 12 h 28′, P = 63° 4′. Ein ſehr langer Streifen mit
    einem ſchwachen Kern, in deſſen Mitte ein Stern der
    XI. Größe. Länge 15 Min., Breite ½ Min.
  • AR = 12 h 36′, P = 56° 31′. Ein ſehr langer, elliptiſcher oder
    ſpindelförmiger Streifen mit einem ſchwachen Kern,
    in deſſen Mitte ein helles Sternchen. Der Streifen
    iſt 15 Min. lang und an dem einen Ende gekrümmt.
  • AR = 12 h 52′, P = 86° 35′. Ein Stern der X. Größe, an
    welchem das Ende eines kleinen ovalen Nebels hängt.
  • AR = 12 h 36′, P = 56° 54′. Zwei lange Nebelſtreifen, die ſich
    an ihren Enden beinahe ſenkrecht ſchneiden.
  • AR = 12 h 51′, P = 54° 13′. Ein ſchwacher, kleiner elliptiſcher
    Nebelſtrahl, der zwei Sterne der X. Größe an ſeinen
    Endpunkten verbindet. (M. ſ. Fig. 6.)

§. 250. (Ringförmige Nebel.) Dieſe ſonderbaren Gebilde
[379]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
gehören vielleicht zu den wunderbarſten Gegenſtänden des Himmels,
aber keineswegs zu den ſeltenſten. In unſerm Planetenſyſtem er-
blicken wir ſie nur ein Beiſpiel, bei Saturn; denn die Muth-
maßung des doppelten Rings, den der ältere Herſchel bei Uranus
gefunden hatte, iſt zu ungewiß und von ſeinen Nachfolgern gänzlich
unbeſtätiget geblieben. In der Sternenwelt aber ſind bereits
mehrere ſolcher Ringe aufgefunden worden, an deren Exiſtenz nicht
weiter gezweifelt werden kann.


  • AR = 2 h 12′, P = 48° 26′ iſt ein ſehr feiner, ſtark elliptiſcher
    Nebelſtrahl von 4 Min. Länge und 40 Sec. Breite.
    In der Mitte deſſelben bemerkt man eine längliche
    dunkle Stelle und in derſelben zwei kleine Sterne.
    Wahrſcheinlich iſt dieſe Stelle eine Oeffnung des Ringes,
    deſſen Ebene ſehr ſchief gegen die Sonne liegt, daher
    er mehr unter der Geſtalt eines elliptiſchen Streifens
    erſcheint.
  • AR = 13 h 22′, P = 41° 55′; ein ſehr merkwürdiger Gegen-
    ſtand. Ein runder lichter Kern iſt in einiger Ent-
    fernung von ſeinem Rande mit einem concentriſchen
    Nebelringe umgeben. Die Ebene dieſes Ringes ſcheint
    um einen ſeiner Durchmeſſer umgebogen, ſo daß die
    beiden Ebenen einen Winkel von nahe 45 Graden
    unter einander bilden.
  • AR = 18 h 47′, P = 57° 11′; der ſchöne Ringnebel im Stern-
    bilde der Leyer. Der äußere Durchmeſſer des Ringes
    beträgt 6½ Secunden. Die innere Oeffnung deſſelben
    iſt nicht ganz dunkel, wie der äußere Hintergrund des
    Himmels, ſondern ſelbſt wieder von einem andern,
    ſchwächeren Nebel erfüllt. Das Ganze hat das Anſehen
    eines über einen Reifen geſpannten Schleyers. Er iſt
    zwiſchen den großen Sternen β und γ der Leyer.

Hieher gehören wohl auch jene Nebel, die in ihrem Innern
dunkle Stellen haben, welche Stellen wahrſcheinlich Oeffnungen
des Nebels ſind, durch welche man den Himmel ſehen kann.


  • AR = 12 h 31′, P = 100° 40′. Ein heller, elliptiſch gebauter
    Nebel, 5 Min. lang, ½ Min. breit. Der lichtere Kern
    [380]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
    ſcheint von dem eigentlichen Nebel geſondert zu liegen,
    da er von ihm durch eine dunkle Kluft getrennt iſt.
    Ueber das ganze ſonderbare Gebilde iſt ein elliptiſch
    geformter Nebel feinerer Art verbreitet.
  • AR = 12 h 48′, P = 67° 23′. Ein heller, wenig elliptiſcher Nebel
    von 6 Min. Länge, 5 Min. Breite. Der lichte Kern
    enthält einen Doppelſtern und neben dem Kern iſt eine
    ſchwarze Höhle, eine dunkle Oeffnung im Nebel.
  • AR = 17 h 52′, P = 113° 1′. Ein gabelförmig dreigeſpaltener
    Nebel mit einem Doppelſtern in ſeiner Hauptſtelle,
    neben welchem eine dunkle, unregelmäßige Oeffnung.
  • Hieher gehört auch der merkwürdige große Nebel im Orion
    (AR = 5 h 27′, P = 95° 30′), von welchem wir ſo-
    gleich beſonders ſprechen werden.

Nachdem wir auf dieſe Weiſe die verſchiedenen Gattungen
der Nebelmaſſen des Himmels nach ihren Geſtalten im Allgemeinen
betrachtet haben, iſt uns noch übrig, einige andere beſonders merk-
würdige einzeln anzuführen, da ſie ſich nicht wohl unter eine der
vorhergehenden Klaſſen bringen laſſen und auch wegen ihrer be-
ſondern Wichtigkeit eine eigene Betrachtung verdienen.


§. 251. (Die Gruppe im Haupthaar der Berenice.) Dieſes
Sternbild enthält ſehr viele Sterngruppen und Nebel, aber der
merkwürdigſte unter ihnen iſt wohl der in AR = 13 h 4′, P =
70° 56′. Dieſe Gruppe iſt vollkommen rund, hat 5 Min. Durch-
meſſer, und enthält eine unzählige Menge von ſehr dicht gedrängten
Sternen der XII bis XX. Größe. Sie iſt einer der ſchönſten
Gegenſtände des geſtirnten Himmels. Hier mag ſie noch als
Beiſpiel dienen, wie verſchieden die Beſchreibungen eines und des-
ſelben Gegenſtandes ſind, wenn er mit ſchwachen oder mit ſehr
lichtſtarken Fernröhren beobachtet worden. Meſſiers, der die Gruppe
mit einem ſonſt ſchon guten Fernrohre von 3 ½ Zoll Oeffnung be-
trachtete, ſagt von ihr, daß ſie ein ſternleerer Nebelfleck ſey,
Nebuleuse sans étoiles, der ihm rund und ziemlich hell erſcheine.
Der ältere Herſchel aber, der dieſe Gruppe mit ſeinem zwanzig-
füßigen Teleſcope beobachtete, ſetzt ihr in ſeinem Tagebuche folgende
Note bei: „Eine Gruppe von äußerſt dicht gedrängten Sternen
[381]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
„und einer der prachtvollſten Gegenſtände, die ich je am Himmel
„geſehen habe. Ich ſehe ſie unter der Geſtalt einer gediegenen
„Kugel, zuſammengeſetzt aus ſehr kleinen, beinahe an einander
„liegenden Sternen, deren Glanz in einander fließt und ſich wie
„ein Lichtmeer über das Ganze ergießt.“ Der jüngere Herſchel
machte zwanzig Jahre ſpäter zu ſeiner Beobachtung dieſer Gruppe
die Bemerkung: „Ein ungemein ſchöner Gegenſtand, die Sterne
„in ihm ſind ſehr klein von der XII bis XX. Größe und ſtehen
„ſehr nahe an einander. Das Ganze iſt mehr unregelmäßig rund,
„als kugelartig und der Rand deſſelben iſt mit auslaufenden An-
„ſätzen verſehen, die wie Füße und Scheeren eines Krebſes von
„dem Hauptkörper austreten. Die Sterne in dieſer Gruppe ſind
„in der That unzählbar.“ — Welche Beſchreibungen dieſer Him-
melskörper werden unſere Nachkommen zu erwarten haben, wenn
einmal ihre Fernröhre einen noch höhern Grad der Vervoll-
kommnung erreicht haben werden.


§. 252. (Zwitternebel.) Man wird ſchon bei der vorher-
gehenden Aufzählung der einzelnen Klaſſen von Nebeln bemerkt
haben, daß einige von ihnen auf der Gränze von zwei benachbarten
Gattungen ſtehen. In der That iſt bei einer ſo großen Ver-
ſchiedenheit der Formen eine genaue Sonderung derſelben, beinahe
unmöglich. Einen recht auffallenden Beweis dazu gibt der
Nebel, AR = 6 h 32′, P = 79° 58′ im Kopfe des Einhorns
oder unter den Füßen der Zwillinge. Dieſer Gegenſtand ſtellt
ſich dem Auge auf den erſten Blick als einen Nebelſtern dar;
ein heller Stern der V. Größe in einen runden Nebel eingehüllt.
Allein ein beſſeres Fernrohr und eine aufmerkſamere Betrachtung
des Gegenſtandes zeigt noch 15 andere kleine und eine Anzahl
noch viel feinerer Sterne, die alle von jenem Nebel umſchloſſen
werden. Einer jener 15 Sterne iſt zugleich ein Doppelſtern.
Dieſer Himmelskörper iſt alſo zugleich ein Nebel, ein Nebelſtern,
eine Sterngruppe und ein Doppelſtern.


Ein anderer nicht minder räthſelhafter Gegenſtand iſt in
AR = 20 h 50′, P = 60° 26′, ein Nebel von nahe 30 Min.
Länge und 2 Min. Breite; einzelne Stellen des Nebels ſind dicht
mit ſehr kleinen Sternen beſäet, der Nebel hängt offenbar mit
[382]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
dieſen Sternen zuſammen und ſieht doch durchaus nicht ſternig
aus. Das Ganze gleicht einem feinen Netze von Sternen, über
das ein dünner Schleyer gezogen iſt.


Eine der merkwürdigſten Nebelgeſtalten iſt die in AR = 19 h
52′, P = 67° 43′. Wenn man in einer Ellipſe, deren große und
kleine Axe ſich nahe wie 4 zu 3 verhalten, aus den beiden End-
punkten der großen Axe als aus Mittelpunkten Kreiſe zieht, deren
Durchmeſſer gleich drei Viertheilen der großen Axe ſind, ſo werden
die Bogen dieſer Kreiſe um den Mittelpunkt der Ellipſe einen
Theil derſelben begränzen, der in jenem Himmelskörper mit einem
ſehr hellen und durchaus gleichförmigen Nebel ausgefüllt iſt,
während die beiden übrigen äußeren Theile der Ellipſe mit einem
ſchwachen, matt dämmernden Nebel angefüllt ſind. Das Ganze
hat die Geſtalt dieſer Ellipſe, durch deren Mitte jener lichte Nebel
in der Form eines ) ( zieht. Beide Nebel ſind, ſo wie das ganze
Bild, zu beiden Seiten des Mittelpunktes der Ellipſe ſehr ſym-
metriſch gebaut.


§. 253. (Nebel in der Andromeda.) Dieſer große und merk-
würdige Nebel iſt in AR = 0 h 33′, P = 49° 40′. Er wurde
zuerſt von Simon Marius i. J. 1612 bemerkt und hat die Geſtalt
einer Raute, deren größte Diagonale 30 Min. und deren kleinſte
15 Min. beträgt. Marius vergleicht, nicht unangemeſſen, ſein
Licht mit dem einer Kerze, das durch ein dünnes Hornblatt ſcheint.
Dieſes Licht nimmt gegen den Mittelpunkt zu, anfangs langſam,
dann ſchnell, doch iſt es auch im Mittelpunkte ſelbſt noch nicht
ſternig, ſondern offenbar ein nur ſtärker condenſirtes Nebellicht, das
die Vermuthung, daß das Ganze nur aus ſehr entfernten Sternen
beſtehe, ſehr unwahrſcheinlich macht. Dieſer Nebel iſt vollkommen
milchig, gänzlich unauflösbar und ohne alle Spuren von Schuppen
oder Flocken. Man kann ihn ſchon mit unbewaffneten Augen
bemerken. M. ſ. Fig. am Ende dieſes Theils.


§. 254. (Der große Nebel im Orion.) Dieſer merkwürdigſte
aller Nebel iſt in AR = 5 h 27′, P = 95° 30′ bei Θ Orion,
vier Grade unter dem mittleren der drei in einer geraden Linie
liegenden Sterne δ, ε und ζ, die unter dem Namen des Jakobs-
ſtabes bekannt ſind. Er wurde zuerſt von Huygens i. J. 1659
[383]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
beſchrieben und abgebildet. Spätere Beſchreibungen und Zeich-
nungen deſſelben Gegenſtandes haben wir von Derham, Godin,
Mairan, Picard, Legentil und Meſſiers. In den neuern Zeiten
hat ſich Schröter und zuletzt der jüngere Herſchel vorzugsweiſe
damit beſchäftiget, und der Letztere hat in den Mem. of the astron.
Society
eine Zeichnung dieſes Nebels gegeben, die alle andern
an Genauigkeit und Schönheit der Ausführung weit hinter ſich
zurückläßt. Man ſieht davon eine verkleinerte Abbildung in
Fig. am Ende dieſes Theils.


Dieſer Nebel iſt durch die Schönheit ſeines Anblicks, durch
die Eigenthümlichkeit ſeiner Geſtalt, durch die ſonderbare Ab-
wechslung des auf ihm vertheilten Lichtes, durch ſeine große Aus-
breitung und durch das Unerklärbare ſeines ganzen Weſens vor
allen anderen ausgezeichnet. Legentil vergleicht ſeine Geſtalt nicht
unangemeſſen mit der des geöffneten Rachens eines Thiers. Ein
Theil dieſes Nebels iſt ungemein hell, ein anderer ſehr blaß und
matt, und wieder ein anderer ganz dunkel bis zur völligen
Schwärze. Der hellſte Theil ſcheint nicht ſowohl in einem ſtetigen
Lichte zu glänzen, als vielmehr in beweglichen Flammen zu lodern.
Die dunklen Stellen ſind von den hellen, ohne Abſtufung des
Lichtes, ſcharf getrennt. Die in dieſem Nebel, ſelbſt in den helleren
Theilen deſſelben ſtehenden Fixſterne zeichnen ſich alle durch einen
beſonders lebhaften Glanz aus und ihre Stellung ſcheint eine
beſondere Beziehung auf den Nebel ſelbſt zu haben. Im Gegen-
theile findet man zur Seite dieſes Nebels nach allen Seiten eine
Menge größerer und kleinerer Sterne, die ſämmtlich nur in einem
düſtern Lichte ſchimmern und mit eigenen Nebelatmoſphären
umgeben ſind, wie denn überhaupt dieſe ganze Gegend des Himmels
an Nebeln ungemein reich iſt.


Um einige der vorzüglichſten Theile dieſes großen Nebels
näher anzugeben, bemerken wir zuerſt das ſogenannte Trapez,
ein faſt regelmäßiges Viereck, von vier Sternen gebildet, von
welchen der eine, θ Orion, der IV., und die drei anderen der
VI., VII. und VIII. Größe ſind. Dieſer vierfache Stern iſt von
einem ſehr hellen Nebel umgeben, der aber nicht bis zu dieſen
Sternen ſelbſt vordringt, ſondern ſich vielmehr von ihnen nach
[384]Sterngruppen und Nebeimaſſen des Himmels.
allen Seiten zurückgezogen zu haben ſcheint, ſo daß dieſes Trapez
ſelbſt, in ſeinen nächſten Gränzen, mit Dunkel eingeſchloſſen iſt,
auf welche dann erſt jene helle Umgebung folgt. Es ſcheint, als
ob der Nebel durch die Attraction oder Abſorbtion der Sterne zu
dieſem letzteren übergegangen wäre. Eine ähnliche Erſcheinung
gab uns auch der bereits oben erwähnte Nebel im Schützen (AR
= 17 h 52′, P = 113° 1′), der in drei Theile geſpalten iſt,
deren Trennungslinien einen leeren Raum einſchließen, in deſſen
Mitte ein Doppelſtern ſteht.


In dieſem Trapez hat man vor einigen Jahren einen kleinen,
feinen Stern entdeckt, der jetzt in ſtarken Fernröhren ſehr gut zu
ſehen iſt, während er früher gewiß unſichtbar war, da kein Aſtro-
nom deſſelben erwähnte, obſchon ohne Zweifel alle dieſes Trapez
wiederholt und mit Aufmerkſamkeit betrachtet hatten. Iſt dieſer
Stern an jenem Orte neu entſtanden oder iſt er ſeitdem an Licht
gewachſen?


Die Huygeniſche Region dieſes Nebels liegt ſüdweſtlich
vom Trapez; eine helle Stelle in der Form eines rechtwinkligen
Dreiecks. Die Erleuchtung dieſer Stelle iſt nicht gleichförmig,
ſondern ſchuppen- oder flockenartig, nahe wie die Oberfläche der
Sonne in guten Fernröhren erſcheint, nur iſt in dem Nebel die
Körnung gröber, und die Flocken ſind nicht rund, ſondern länglich
und büſchelartig. Ein geübtes Auge bemerkt bald, daß dieſes
Licht nicht von vereinten, ſehr weit entfernten Sternen kommen
kann, aber man wird auf die Vermuthung geleitet, als ob der
Nebel hier aufgebrochen und in mehrere Theile getrennt ſey.


Die ſchwachneblige Region ſteht an der Südgränze der
vorigen; eine Stelle, ganz mit ſchwachem Nebel bedeckt, der ſich
ſtufenweiſe in Dunkel verliert. Nahe bei ſind drei Sternchen, die
nach den früheren Beſchreibungen ehedem noch ganz innerhalb dieſes
Nebels lagen, ſo daß es ſcheint, als habe der letzte ſich auch von
dieſen Sternen zurückgezogen.


Legentils Bucht, eine ganz finſtere krumme Einbeugung
die in den frühern Zeichnungen eine andere Geſtalt hatte, als jetzt.


Meſſiers Arm, ein weitauslaufender Nebelaſt, der ſich
[385]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
gegen Südoſt erſtreckt. Ein zweiter Arm liegt nördlicher und geht
gerade nach Oſten.


Mairans Nebel, ein abgeſonderter Nebel neben dem Großen.
Er liegt nördlich von den beiden Armen Meſſiers.


Picards Region liegt nördlich vom Trapez und gränzt an
dieſes und an die große Bucht, zeichnet ſich durch die ſonderbaren
Faſern und durch einen kleinen, nahe ſtehenden, iſolirten Nebel
aus, der ſich in einen Stern zuſammen zu ziehen ſcheint.


Derhams Region, weſtlich vom Trapez. Von dem Trapez
gehen Strahlen gleich Kometenſchweifen aus, die ſich allmählig
in die zarte Nebelgegend verlieren, welche, noch weiter weſtlich,
Fouchy’s Region ausfüllt. In dieſer letzten verwäſcht ſich der
Nebel allmählig bis zur völligen Dunkelheit.


In der beigegebenen Zeichnung, dieſe als das Bild eines
geöffneten Thierrachens betrachtet, und den nördlichen Theil des
Nebels als den unteren angeſehen, ſteht das Trapez dicht an
dem durch die große Bucht gebildeten Rachen; die Huygeniſche
Region
bildet die Stirn und den Hinterkopf; der letztere iſt
durch den Einſchnitt, Legentils Bucht, ausgezeichnet. Als
untere Kinnlade des Rachens erſcheint die Region Picards und
gerade hinter dem Rachen liegt Derhams Region. Oberhalb
des Rachens erſtreckt ſich der Schnabel des Thiers in zwei
lange Rüſſel weit nach Oſten vorwärts. Der obere oder größere
Rüſſel iſt ſtärker gekrümmt. Unterhalb des Schnabels endlich,
in ziemlicher Entfernung von ihm, liegt Mairans Nebel.


In dem dunkelſten Theile dieſes Nebels ſah Schröter öfter
ein feines Sternchen ſchimmern, und ein andermal bemerkte er in
ihm einen früher und ſpäter nicht mehr ſichtbaren, pyramidaliſchen
Lichtnebel. Im Jahre 1800 ſah derſelbe Beobachter eine große,
helle Lichtkugel auf einer Stelle, wo er früher nichts dieſer Art
geſehen hatte, aber ſchon nach wenigen Tagen war auch dieſe
Kugel wieder verſchwunden. Wenn dieſe Beobachtungen, der-
gleichen wir von Herſchel keine erwähnt finden, gegründet ſind,
welche Veränderungen müſſen in dieſen Himmelskörpern vor ſich
gehen, daß ſie uns, in einer ſo großen Entfernung, noch ſo be-
deutend erſcheinen!


Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. II. 25
[386]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.

§. 255. (Magellans Flecken oder Kohlenſäcke.) Auch in der
ſüdlichen Hemiſphäre des Himmels gibt es mehrere ſehr merk-
würdige Gegenſtände dieſer Art, die aber bisher noch weniger
bekannt ſind, da es in den Gegenden jenſeits des Aequators un-
ſerer Erde bisher noch zu ſehr an Beobachtern fehlte. Lacaille im
vorigen und Dunlop im gegenwärtigen Jahrhunderte haben uns
bereits mehrere derſelben mitgetheilt, aber eine noch weit reichere
Ernte wird ohne Zweifel der jüngere Herſchel zurückbringen, der
erſt in dem Jahre 1834 eine Reiſe nach dem Cap der guten
Hoffnung gemacht hat, um dort durch längere Zeit mit ſeinen
vortrefflichen Inſtrumenten den ſüdlichen Himmel zu unterſuchen.


Hier erwähnen wir nur der ſogenannten Magellansflecken,
die auch die Kap-Wolken oder die ſchwarzen Wolken und von
den brittiſchen Seeleuten die Kohlenſäcke genannt werden. Sie
haben ihre Benennung von der dunklen Farbe, die wahrſcheinlich
von der gänzlichen Sternleerheit dieſer Gegenden kömmt. Sie ſind
ſehr auffallend und ihre Oberfläche nimmt mehrere Quadratgrade
ein. Ihrer ſind zwei. Die große ſchwarze Wolke geht von
AR = 12 h 21′ bis 13 h 5′ und von P = 151° bis 154° und liegt an
der Oſtſeite des ſüdlichen Kreuzes. Die kleine ſchwarze Wolke
iſt in AR = 10 h 40′ und P = 152° nahe bei der Karlseiche. Beide
dunkle Flecken ſtehen mitten in einem ſehr hellen Theile der Milch-
ſtraße.


Mit dieſen ſchwarzen Wolken dürfen nicht verwechſelt
werden die beiden ſüdlichen Wolken (nubecula major et mi-
nor
), die beide helle, ausgebreitete Nebel ſind und weit von der
Milchſtraße abſtehen. Die große ſüdliche Wolke geht von
AR = 5 h 7′ bis 6 h 0′ und von P = 159° bis 161° und liegt
ganz nahe an dem Südpole der Ecliptik; die kleine ſüdliche
Wolke
aber iſt in AR = 1 h 50′ und P = 163° 10′. Dieſe
beiden hellen Stellen des Himmels ſind, ſo wie die meiſten hellen
Theile der Milchſtraße, durch eine große Anzahl von teleſcopiſchen
Sternen ausgezeichnet.


Unter den eigentlichen Nebelmaſſen des ſüdlichen Himmels iſt
der merkwürdigſte in AR = 10 h 36′, P = 148° 40′ bei dem
[387]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
Stern η in der Karlseiche. Lacaille hat ihn entdeckt und erſt in
unſeren Tagen hat Dunlop in den Phil. Transact. für 1827 eine
Beſchreibung und Zeichnung deſſelben gegeben. Von der letzten
ſieht man eine verkleinerte Darſtellung in der Figur am Ende
dieſes Theiles.


§. 256. (Entſtehung und Ausbildung dieſer Himmelskörper.)
Es wird uns wohl immer unmöglich ſeyn, die Entſtehung und die
Beſtimmung dieſer wundervollen Körper des Himmels zu ergrün-
den. Aber man kann ſich, ſchon bei dem erſten Anblicke derſelben,
der Vermuthung kaum entziehen, daß ſie auf verſchiedenen Stufen
ihres Wachsthums und ihrer Ausbildung ſtehen. Und wie ein
aufmerkſamer Beobachter, wenn er einen Garten betritt, in wel-
chem er Tauſende von Pflanzen jeder Art und jeden Alters mit
einem Blicke überſieht, wie er in dieſen Abſtufungen ihres Wachs-
thumes ſelbſt die allmählige Entwicklung dieſer Pflanzen erkennt,
ohne eben jede einzelne derſelben von ihrer Entſtehung bis zu ih-
rem Untergange mühſam verfolgt zu haben, eben ſo werden auch
wir, wenn wir den endloſen Garten des Himmels und die unzäh-
ligen Gewächſe deſſelben in den verſchiedenen Graden ihrer Ent-
wickelung erblicken, aus eben dieſen Mannigfaltigkeiten ſelbſt uns
ein Bild von dem allmähligen Wachsthume dieſer Körper ent-
werfen können. Denn auch dieſes Sternenheer iſt doch wohl eben
ſo wenig, wie jener Garten und wie alle Werke der Natur, ur-
plötzlich in derſelben Geſtalt entſtanden, in welcher wir es jetzt vor
uns ſehen. Dieſe Himmelskörper bedürfen vielleicht Millionen
von Jahren, um ſich zu einer beſtimmten und geregelten Form
auszubilden — aber ſie ſind demungeachtet nicht weniger Kinder
der Zeit, und was in ihr entſtanden iſt muß auch ihr Gepräge
tragen, muß der allmähligen Entwickelung, und ſelbſt wenn dieſe
vollendet und ihre Beſtimmung erfüllt iſt, dem Untergange unter-
worfen ſeyn.


Auf welche Weiſe dieſe Entwickelung vor ſich geht, und durch
welche Kraft ſie bewirkt wird — wir wiſſen es nicht von den Kör-
pern unſerer Erde, die uns zunächſt umgeben, wir wiſſen es von
uns ſelbſt nicht — wie ſollten wir es von jenen ſo weit entfern-
ten und uns in allen Beziehungen ſo fremden Körpern des Him-
25 *
[388]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
mels ergründen wollen? Dieſe Kraft, durch welche die an ſich
todte, ſtarre Maſſe belebt wird, ſich ſelbſt durch alle Stufen ihrer
Verwandlungen fortbildet und auf ihre eigenen Elemente, die wir
mit keinem Mikroſcope mehr verfolgen können, ſo wie auf die
entfernteſten Körper einwirkt, die auch kein Teleſcop mehr erreicht, —
dieſe Kraft, dieſe Seele der ganzen Natur wird uns ewig ein Ge-
heimniß bleiben und unſer Auge wird nie den dichten Schleier durch-
dringen, welchen die große Mutter aller Dinge vor die beiden
äußerſten, dunklen Kammern ihrer Werkſtätte gezogen hat, in de-
ren einer ſie die Entſtehung, und in der andern den Untergang,
in einer die Geburt und in der andern den Tod aller ihrer Ge-
ſchöpfe bereitet.


Uns genüge es, dieſe Stufenfolgen zwiſchen jenen beiden
äußerſten Endpunkten des Lebens aller Weſen, der Erde und des
Himmels, mit unſeren eigenen Augen geſehen und uns von dem
unbeſtreitbaren Daſeyn von Ereigniſſen, zu deren Evolutionen viele
Jahrtauſende, vielleicht Millionen von Jahren, nöthig waren, wäh-
rend der kurzen Zeit unſeres eigenen Lebens überzeugt zu haben.
Von jenem erſten, formloſen, weit verbreiteten Urnebel, von jenem
altergrauen Chaos, aus dem die Himmelskörper hervorgehen, haben
wir beinahe alle auf einander folgenden Metamorphoſen derſelben
geſehen, bis zur letzten und höchſten Stufe, bis zu dem eigentlichen,
abgerundeten, nebelloſen, im reinſten Lichte ſtrahlenden Sterne,
bis zu jenen wundervollen Gruppen, wo Tauſende von dieſen vol-
lendeten Sternen in einem verhältnißmäßig engen, abgeſchloſſenen
Raume ſich in ewig ungeſtörter Harmonie um einander bewegen.
Wir haben geſehen, wie aus jenem chaotiſchen Urnebel durch Zer-
reißung, oder vielmehr durch Anziehung überwiegender Stellen
deſſelben, geſonderte Theile entſtehen, deren Geſtalt zwar noch un-
beſtimmt, deren Licht aber ſchon kräftiger erſcheint. Wenn in die-
ſen kleinen Nebeln, die man immer, ihrem Urſprunge gemäß, in
ganzen, großen Lagern beiſammen findet, die Condenſation ein-
zelner Punkte und die Anziehung der benachbarten Nebelmaſſe
weiter fortgeſchritten iſt, finden wir dieſe iſolirten Nebel ſchon klei-
ner, von ihren Nachbarn durch größere Zwiſchenräume getrennt
[389]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
und gegen ihren Mittelpunkt an Helligkeit zunehmend. Hier hat
ſich die Lichtmaſſe des Ganzen bereits um eine Centralſtelle an-
gehäuft, aber dieſe Stelle ſelbſt iſt noch Nebel, ausgebreitet und
an ihren Gränzen unbeſtimmt. Wieder andere, die vielleicht Mil-
lionen von Jahren in ihrer Bildung jenen anderen voraus geeilt
ſind, haben ſich ſchon zu einer nahe kugelförmigen Geſtalt abge-
rundet und ihr mehr verdichteter, daher kleinerer und hellerer Mit-
telpunkt nähert ſich bereits dem eigentlichen Sternenlichte, aber
dieſer Kern iſt mit einer dichten Atmoſphäre umgeben, die bis-
her noch nicht von jenem Centralpunkte aufgenommen und ab-
ſorbirt werden konnte. In jenem anderen ſieht man zwei und
ſelbſt mehrere ſolcher vorherrſchenden Stellen, welche ſich das Gleich-
gewicht halten, welche die ſie umgebende Nebelmaſſe unter ſich
theilen, oder auch einander ſelbſt aufzehren werden. Hier ſind
zwei dieſer im Kampfe begriffenen Streiter noch durch ein Nebel-
band mit einander verbunden, durch welches, wie durch einen Ka-
nal, der Schwächere in den mächtigen Gegner hinüber zu fließen
ſcheint; dort iſt jener bereits vernichtet, aber dieſer trägt noch die
Spuren ſeines langen Kampfes und zieht den noch nicht völlig
aufgezehrten Nebel in der Geſtalt eines Schweifes, eines Fächers
oder einer Spindel nach ſich — und kurz, überall bemerken wir
bei jenen Himmelskörpern, wie bei denen auf unſerer Erde, das
Princip der Anziehung und ihre beiden Folgen, die Verdichtung
und Abrundung, dieſe beiden immer wiederkehrenden Erſcheinun-
gen der ganzen Natur, die vereinigende und die formge-
bende
Kraft, die im Kleinen, wie im Großen, durch den ganzen
endloſen Weltraum zu herrſchen ſcheint. Wie durch Verdichtung
aus der Regenwolke der Waſſertropfen entſteht, und wie er,
das Gleichgewicht ſeiner Theile herzuſtellen, ſich abzurunden ſtrebt,
eben ſo und wahrſcheinlich durch dieſelbe Kraft getrieben, hat ſich
auch unſere Erde, eben ſo die Sonne mit ihren Planeten, und
eben ſo auch jenes zahlloſe Heer von Sonnen gebildet und abge-
rundet: jene in einer Sekunde und dieſe in Millionen von Jah-
ren. So entſteht der Thau, der auf dem Blumenblatte perlt,
und eben ſo entſtand unſere Milchſtraße und alle die anderen
unzähligen Milchſtraßen, die nur als Nebelfleck oder Stern-
[390]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
gruppen aus den Tiefen des Himmels zu uns herüberſchimmern:
aus bloßem Dunſt, der ſich verdichtet, wo es dann, wie bei uns
Waſſertropfen, dort Sonnen regnet.


Uebrigens liegen die meiſten dieſer wundervollen Gegenſtände
weit außer dem Bereiche unſerer eigentlichen Beobachtungen, und
der Phantaſie iſt noch ein unendliches Feld für ihre Spiele
eröffnet. Vielleicht exiſtirt eine Urmaterie, das alte Chaos, das
nach allen Seiten in dem Weltraume ausgegoſſen iſt, das ſich in
unüberſehbaren Gefilden gleich einem Nebel lagert, ſich ſtellenweiſe
in Wolken ſammelt und verdichtet, und gleich den letzten, wenn ſie
vom Winde getrieben werden, verſchiedene phantaſtiſche Geſtalten
annimmt, oder ſich bis zur Lichterzeugung condenſirt, oder ſich an
Sterne hängt u. dgl. Vielleicht iſt es dieſer Stoff, aus dem die
eigentlichen Geſtirne ſich entwickeln, wenn in der That die letzten, wie
Herſchel meint, nichts als verdichtete Lichtwolken ſind. Vielleicht auch,
daß dieſer Urnebel bloß die Nahrung der eigentlichen Sonnen iſt,
aus dem ſie Licht und Wärme ziehen. Dieß war wenigſtens die
Anſicht Newtons, die er ſeinem Freunde Conduit in einem
vertraulichen Geſpräche mitgetheilt hat. Der ehrwürdige Greis
feierte eben ſeinen dreiundachtzigſten Geburtstag. Er hatte vor
Kurzem eine heftige Krankheit überſtanden und fühlte ſich heute
ſtärker und munterer, als lange Zeit vorher. Sein Freund be-
fragte ihn über dieſe Gegenſtände, bei denen er ſonſt nur ungern
verweilte, weil ſie der Rechnung nicht unterworfen werden können.
Aber in dieſer Stunde, wo er ſich ſo wohl fühlte, ſchien ihm die
Kraft der Jugend wieder zu kehren, da ihn doch vielleicht nur die
Redſeligkeit des Alters beſchlich. Die Leſer werden vielleicht nicht un-
gern hören, was ein Mann dieſer Art von jenen Dingen dachte.
Ich bemerke nur noch, daß Brewſter in ſeinem Life of Newton
uns erſt kürzlich (London 1831) aus einem Manuſcripte Conduits
dieſe Nachricht mitgetheilt hat.


„Newton ſagte mir darüber Folgendes, mehr geſprächsweiſe
und in Antwort auf mehrere meiner Fragen, als in fortlaufender
Rede: Es iſt meine Muthmaßung, denn behaupten könnte ich
es nicht, daß es eine Art von Revolution oder Umwälzung unter
den himmliſchen Körpern gebe. Vielleicht gehen von der Sonne
[391]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
eigene Dünſte aus, die ſich mit anderen Materien verbinden und
nach und nach in einen Körper ſammeln, wodurch die untergeord-
neten Planeten oder die gegenwärtigen Satelliten entſtehen. Auch
dieſe, deren vielleicht eine große Zahl geweſen iſt, ſammeln ſich
ſpäter wieder zu einem Hauptplaneten oder zu einem Kometen.
Dieſe letzten kommen, nach mancherlei Umläufen, der Sonne im-
mer näher, verdichten dadurch ihre flüchtigen Theile und ſtürzen
endlich in die Sonne, um ihr den Verluſt wieder zu erſetzen, den
ſie durch den beſtändig von ihr ausgehenden Licht- und Wärme-
Stoff erleidet. Es iſt möglich, daß ein großer, auf dieſe Art
mit der Sonne ſich verbindender Komet die Hitze der Sonne ſo
ſehr vermehren könnte, daß dieſe unſere Erde verbrennen und da-
her kein lebendes Weſen mehr auf ihr getroffen würde. Es iſt
möglich, daß die wunderbaren neuen Sterne, die Hipparch, Tycho
und Kepler an Stellen des Himmels, wo früher kein Stern ſichtbar
war, plötzlich aufflammen ſahen, auf dieſe Weiſe in Brand gera-
then ſind, und daß es einſt mit unſerer Sonne eben ſo gehen werde.
Ich glaube, daß es Weſen von viel höheren Geiſteskräften, als
die unſeren, gebe, welche dieſe Revolutionen der himmliſchen
Körper unter der Lenkung des höchſten Weſens beaufſichtigen. Die
gegenwärtigen Bewohner unſerer Erde ſcheinen nur erſt ſeit einer
kurzen Zeit da zu ſeyn. Zum Beweiſe dieſer Meinung führe ich
nur an, daß alle Künſte, die Schrift, die Schifffahrt, die Malerei,
die Magnetnadel u. f. erſt ſeit dem Gedenken unſerer Menſchenge-
ſchichte entdeckt worden ſind, was nicht der Fall ſeyn könnte, wenn
die Erde ſchon von jeher da geweſen wäre. Auch ſieht man auf
der Oberfläche derſelben Zeichen von Zerſtörungen, die nicht durch
eine bloße Waſſerfluth bewirkt werden konnten. Ueberhaupt ſehe ich
alle Planeten als aus derſelben Materie beſtehend an, wie unſere Erde,
nämlich aus Erde, Waſſer, Steinen, Metallen u. ſ. w., aber ver-
ſchiedentlich vermengt. — Auf die Frage, warum er dieſe ſeine Muth-
maßungen nicht bekannt gemacht habe, wie es Kepler und ſo viele
Andere gethan haben, antwortete er: Ich ſetze keinen Werth auf
bloße Muthmaßungen; auch habe er in ſeinen Werken darüber
genug geſagt, um ſeine Meinung erkennen zu laſſen.“


Wie es aber auch mit dieſen und mit allen anderen darüber
[392]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
aufgeſtellten Meinungen beſchaffen ſeyn mag, ſo viel ſcheint gewiß,
daß das Prinzip der Anziehung und deſſen Folge, der Verdich-
tung
der Materie bei der Bildung jener himmliſchen Weſen
überall vorherrſchend iſt. In allen Nebeln, die einen eigent-
lichen Kern oder auch nur eine entfernte Annäherung zu einem
ſolchen zeigen, nimmt das Licht, alſo auch wohl die Dichtigkeit
gegen den Kern regelmäßig zu, ſo daß jede den Kern umgebende,
concentriſche Schichte auch ihre eigene Beleuchtung hat. Wo im-
mer dieſer Kern ſehr hell erſcheint, iſt auch die ihn noch umge-
bende Atmoſphäre ſehr ſchwach. Ueberdieß erblickt man überall
den Hang zu einer regelmäßigen, meiſtens kugelförmig abgerun-
deten Geſtalt, und Helligkeit und Verdichtung ſcheint durchaus
gleichen Schritt zu halten. Dieſe Verdichtungen der urſprünglich
ſo weit ausgedehnten Nebelmaſſen ſcheinen in jenen Himmelskör-
pern ungewöhnlich groß zu ſeyn. Wenn ein Nebel, der früher
zehn Minuten Durchmeſſer nach allen drei Dimenſionen hatte,
nach vielen Jahrtauſenden ſich bis zu einer Kugel von einer Mi-
nute verdichtet hat, ſo iſt er dadurch tauſendmale dichter, als zu-
vor, geworden, und dieß iſt mehr, als das Verhältniß der Dich-
tigkeit des Waſſers zu jener der Luft. Wenn aber derſelbe Kör-
per nur mehr unter dem Durchmeſſer von 15 Sek. erſcheint, ſo
hat ſeine Dichtigkeit 640000 mal zugenommen, und er, der in
ſeinem erſten Zuſtande an loſem Zuſammenhange ſeiner Theile
vielleicht mit unſeren Luftarten noch in keinen Vergleich gebracht
werden konnte, wird jetzt die härteſten Körper der Erde, die wir
kennen, an Dichte weit übertreffen.


Aber genug, und vielleicht ſchon mehr als genug von dieſen
Gegenſtänden, von welchen wir — warum ſollten wir es nicht ge-
ſtehen? — eigentlich gar nichts wiſſen, da ſie viel zu groß ſind,
um von uns begriffen zu werden. In der That, wie klein, wie
nichtig erſcheint uns alles, was wir bisher groß genannt haben,
wenn wir es mit dieſen ätheriſchen Weſen vergleichen, die den
Weltenraum bewohnen. Wir ſelbſt verſchwinden gegen dieſe Erde;
dieſe Erde verſchwindet gegen das Sonnenſyſtem und ſelbſt dieſes —
was iſt es gegen jenen unendlichen Wald von Himmelskörpern,
vor dem ſo eben unſer Blick vorüber geeilt iſt.


[393]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.

Wir haben den Himmel und ſeine Wunder, und in ihnen den
Abglanz der unendlichen Allmacht des Schöpfers in ſeinen Wer-
ken geſehen. Aber vermeſſen wir uns nicht, dieſe Werke auch ſchon
nach ihrer ganzen Größe erkannt zu haben. Was wir ſahen, ſo
groß es auch erſcheinen mag, iſt doch vielleicht nur ein ſehr kleiner
Theil von dem, was noch keinem menſchlichen Auge erreichbar war;
iſt nur der Vorhof des unendlichen Tempels der Natur, den noch
kein Sterblicher, auch nicht mit den höchſten Mitteln der Kunſt und
Wiſſenſchaft, durchdrungen hat, oder je durchdringen wird. Wer mag
uns ſagen, wie viele Welten noch jenſeits von denen ſtehen, die wir,
ſelbſt durch unſere ſtärkſten Teleſcope, nur mehr als ſchwache, däm-
mernde Wolken erblicken? Es iſt möglich, es iſt ſogar wahrſcheinlich,
daß wir die größten Himmelskörper noch gar nicht kennen, weil ſie,
wegen ihrer ungeheuern Maſſe, das Licht nicht mehr von ihrer
Oberfläche ausſtrömen laſſen. Vielleicht braucht dieſes Licht, ſei-
ner entſetzlichen Geſchwindigkeit ungeachtet, Jahrtauſende, um von
anderen Geſtirnen bis zu uns zu kommen; und vielleicht konnte
es von vielen derſelben ſeit der Zeit, die unſere Erde ſteht, noch
nicht bis zu uns gelangen. Wer weiß es, ob auch nur zu Alexan-
ders oder zu Moſes Zeiten dort oben alles ſo geweſen iſt, wie wir
jetzt es ſehen, oder ob, nach anderen Jahrtauſenden, der ganze
Himmel ſich mit neuen Sonnen überziehen wird, die ſchon längſt
da ſind, aber noch nicht Zeit genug gehabt haben, uns ihr Licht
zuzuſchicken, ſo wie vielleicht andere Syſteme eben ſo lange ſchon
erloſchen und in ihr Nichts zurückgekehrt ſind, obgleich wir ſie
noch immer am Himmel glänzen ſehen, bis endlich auch der letzte
Strahl, den ſie ausgeſendet haben, zu uns gelangt. So ſehen wir,
wohin wir unſere Blicke wenden, Himmelskörper ohne Zahl und ſelbſt
in jenen Fernen, wohin unſere Fernröhre nicht mehr dringen,
ſelbſt dort, wo alles Licht erliſcht, wo auch das ſchärfſte Auge
nichts als Nacht erblicken würde — auch dieſe Räume ſind höchſt
wahrſcheinlich wieder von neuen Welten, von neuen Zeugen der
Allmacht ihres Schöpfers erfüllt.


Bientôt à mes regards des cieux inconnus s’ouvrent,
Des régions sans fin devant moi se découvrent;

[394]Sterngruppen und Nebelmaſſen des Himmels.
Carrière illimitée où, par les mêmes lois,
Mille Univers flottans se meuvent à la fois.
Je vois de tout cotés, dans ces plaines profondes
Autour d’autres soleils, graviter d’autres mondes,
Et lorsque, pour peupler les espaces deserts,
Je suis las, d’enfanter de nouveaux univers,
Le Vide encore s’étend et, dans son sein immense,
Par-delà l’Infini, l’Infini recommence.

Lebrun.


Ende des zweiten Theils.

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Notes
*)
Zur Vergleichung verſchiedener Geſchwindigkeiten mögen fol-
gende Angaben der in einer Stunde zurückgelegten Wege, in
deutſchen Meilen ausgedrückt, dienen.
  • Schnellſegelnde Schiffe . . . . . . . . . 4,0 Meilen.
  • Die ſchnellſten Brieftauben . . . . . . . 5,7
  • Heftige Stürme . . . . . . . . . . . . . 7,0
  • Schnelle Dampfwagen . . . . . . . . . . 8,0
  • Der Schall . . . . . . . . . . . . . . . 163 „
  • Aequator der Erde in ſeiner täg-
    lichen Bewegung . . . . . . . . . . 227 „
  • Mittelpunkt der Erde in ſeiner
    jährlichen Bewegung . . . . . . 14,800 „
  • Das Licht . . . . . . . . . . . 151,000,000 „
*)
Bekanntlich ſind unſere Flammen nichts als brennende Luft,
als Theile unſerer Atmoſphäre, die durch die Hitze weißglühend
gemacht werden.
*)
Man kannte damals noch nicht die gefärbten Plangläſer, die
man jetzt vor die Oculare der Fernröhre ſtellt, um das Licht
der Sonne zu dämpfen. Scheiner bediente ſich um dieſelbe
Zeit zu ſeinen Sonnenbeobachtungen eines eigenen Fernrohrs,
deſſen Objectiv und Ocular aus gefärbtem Glaſe gemacht war.
Andere ſchlugen mehrfach über einander gelegte Spinnengewebe
vor, die man nach Art eines Schleiers über das Objectiv
breitete. Auf jene gefärbten Plangläſer ſcheint man erſt ſpät
gekommen zu ſeyn, da man ſie nicht ſatt genug zu färben ver-
ſtand, da man nicht darauf dachte, mehrere derſelben über ein-
ander zu legen, und da man auch fürchtete, daß dadurch die
Bilder der Gegenſtände verzogen werden. Huyghens ſchlug
einfache Spiegelgläſer dazu vor, die man auf der einen Seite
mit Lampenruß ungleich beräucherte, und dann mit einem
zweiten ähnlichen Glaſe bedeckte, um die berußte Seite des
andern ungeſtört zu erhalten.
*)
K. Friedrich II. wollte dieſen Mond der Venus, zu Ehren
ſeines gelehrten Freundes, d’Alembert genannt wiſſen. Allein
dieſer zog ſich vor dieſer königlichen Gunſtbezeugung mit den
Worten zurück: „Je ne suis ni assez grand pour devenir au
ciel le satellite de Venus, ni assez jeun, pour l’être sur la
terre, et je me trouve trop bien du peu de place, que je
tiens de ce bas monde, pour en ambitionner une au firmament.

— Dieſe Sucht, den Geſtirnen die Namen merkwürdiger Per-
ſonen zu geben, war in frühern Zeiten ſehr groß, und ging
zuweilen in das Lächerliche über. Galilei nannte die
von ihm entdeckten Satelliten Jupiters die Mediceiſchen
Geſtirne, zu Ehren der damals in Florenz regierenden Familie
der Medici. Der Jeſuit Schiller hat ſogar den ganzen geſtirnten
Himmel umgetauft, und die ſeit Jahrtauſenden eingeführten
Namen der Sternbilder in die Heiligennamen ſeines Kalenders
verwandelt, wie man in ſ. Stellatum Coelum Christianum v.
J. 1627 ſehen kann. Am weiteſten hat man dieſe Sache bei
dem Monde getrieben. Der berühmte Bürgermeiſter Hevel in
Danzig, der uns i. J. 1647 die erſten guten Mondkarten gab,
legte den vielen Flecken deſſelben die Namen unſerer Gebirge,
Länder und Meere bei. Ein ſpäterer Aſtronom in Spanien
fand dieſe Benennungen ſehr unpaſſend und ſubſtituirte ihnen
dafür die Heiligennamen ſeines Kalenders. So wurde ſtatt der
Appeninen der h. Michael mit ſeinem flammenden Schwerte,
ſtatt des ägäiſchen Meeres mit ſeinen vielen Inſeln, die h. Ur-
ſula mit ihren 10,000 Jungfrauen, ſtatt Spanien der blinde
*)
Tobias u. dgl. geſetzt. Allein bald darauf kam der bekannte
Jeſuit Riccioli, der ſich ſehr viel mit dem Monde und überhaupt
mit der ganzen Aſtronomie beſchäftigte, ohne dadurch dieſe Wiſ-
ſenſchaft eben viel weiter zu bringen; dieſer fand wieder jene
Heiligennamen unpaſſend, und führte dafür die Namen berühm-
ter Aſtronomen und anderer Gelehrten ein, unter welchen er ſich,
wahrſcheinlich aus bloßer Beſcheidenheit, die oberſte Stelle
vorbehielt. Auf dieſe Weiſe mußte der h. Athanaſius dem
alten Plato; die h. Margareth dem Ptolemäus, der h. Anton
der Einſiedler dem jüngeren Plinius, und die h. Genovefa dem
ketzeriſchen Galilei ihren Platz abtreten, und nur die h. Katha-
rina blieb, aus beſonderer Anhänglichkeit Riccioli’s an eine
Frau dieſes Namens, ungekränkt an ihrer Stelle. Indeß, das
Unternehmen Ricciolis war vom Glücke begünſtigt, und wir
ſehen noch in unſern Tagen auf dem Monde, oder wenigſtens
auf unſern Karten von dem Monde, zwar noch viele Seen und
Meere aus den guten Zeiten des alten Hevel, aber wir ſehen
auch hier dieſen Hevel ſelbſt mit Grimaldi, dort den König
Alphons von Caſtilien mit Ptolemäus, und an einem dritten
Orte ſogar den alten Ariſtipp aus Cyrene mit Herrn Caſſini
aus Paris, friedlich und Arm in Arm miteinander ſpatzieren
gehen, ja ſelbſt Riccioli glänzt noch in ſeiner früheren Glorie
ganz auf dem oberſten Punkte des Mondrandes. — Uebrigens
verſtanden ſich ſelbſt die alten Römer ſchon auf dieſe, wie es
ſcheint, ſehr leichten Künſte, und ſie wußten ſich dieſelben ſogar
noch etwas bequemer zu machen. Nachdem ſie ihren Impera-
toren, ſie mochten es verdienen oder nicht, Tempel und Altäre,
Statuen und Triumphbogen ohne Zahl gewidmet, und dieſe
Apotheoſen den Reiz der Neuheit verloren hatten, mußte das
erſte Volk der Erde ſeiner Kriecherei auf eine andere Weiſe
aufzuhelfen ſuchen. Allein die römiſchen Senatoren waren keine
Weltumſegler, um die von ihnen entdeckten Länder mit den
Namen ihrer Beherrſcher zu beehren; ſie waren auch keine
Aſtronomen, um für ſie neue Sternbilder an dem Himmel auf-
zuſuchen, und eben ſo wenig konnten ſie die Länder und Meere
des Mondes an ſie verſchenken, da ſie dieſelben noch gar nicht
kannten. Sie wählten ſich daher die Plünderung oder vielmehr
die Verſtümmlung ihres ohnehin ſehr ſchlechten Kalenders, zu
welchem Geſchäfte ſie weder vorzüglicher Inſtrumente, noch
beſonderer Kenntniſſe, an denen es ihnen fehlte, ſondern nur
ein gutes Maaß von kriechender Schmeichelei bedurften, an der
ſie Ueberfluß hatten. So erhielt, durch einen förmlichen Senats-
*)
beſchluß der Monat Julius und Auguſtus, den beiden erſten
Imperatoren zu Ehren, ihren noch heute gebräuchlichen Namen,
da ſie früher Quinctilis und Sextilis hießen. Da aber die
feine Courtoiſie dieſer Höflinge befürchtete, daß Auguſtus es
übel nehmen könnte, wenn ſein Monat, wie es bei dem Sextilis
der Fall war, nur 30 Tage hätte, da doch der dem J. Cäſar
früher gewidmete Monat Julius 31 Tage zählte, ſo wurde
durch einen zweiten Senatconſult beſchloſſen, dem Februar, der
ohnehin nur 29 Tage hatte, noch einen Tag zu rauben, und
ihn dafür dem Auguſtus beizulegen. Auf dieſelbe feierliche
Weiſe erhielt ſpäter der Monat April den Beinamen des
Ungeheuers Nero, und der Monat Mai den des Claudius, ja
Domitian, der aus zu großer Beſcheidenheit nicht erſt die De-
crete ſeines knechtiſchen Senats abwarten wollte, geruhte
höchſtſelbſt, und zwar unter Androhung der Todesſtrafe, zu
befehlen, den Monat October künftighin, und für immer-
währende Zeiten Domitianus zu nennen. Allein alle dieſe
Thorheiten überlebten ihre Urheber nicht, und ſelbſt Auguſtus
mußte es ſich gefallen laſſen, ſein Ehrendenkmal ſpäter an den
elenden Commodus abzutreten.
*)
Wohl dürfte man in Beziehung auf dieſe Frage von Halley
noch mit Plinius ſagen: Incomperta haec et inextricabilia, nec
ut mensura, id enim velle pene dementis est, sed ut tantum
aestimatio conjectandi constet animo (H. N. II. Cap. 23).
**)
Die Parallaxe Merkurs iſt bei ſeinen untern Conjunctionen 17″
und die Parallaxe der Sonne ſetzte Halley noch gleich 12″ vor-
aus. Die Differenz beyder iſt 5″, alſo mehr als die Hälfte
kleiner als die angenommene Sonnenparallaxe. Bei der Venus
aber nahm er die Parallaxe 43″ und 43 weniger 12, oder 31″
iſt nahe dreimal größer als jene Sonnenparallaxe.
*)
Es iſt ſchwer, den ſchlichten Vortrag des biedern Mannes in
einer andern Sprache getreu wieder zu geben. Der Schluß
deſſelben heißt: I recommend it therefore again and again
to those Astronomers, who may have an opportunity of
observing these things, when I am dead, that they would
remember these admonitions and diligently apply themselves,
with all their might to the making of the necessary observa-
tions, in which I wish them earnestly all imaginable success:
in the first place, that they may not, by the unseasonable
obscurity of a clauded sky, be deprived of this most desi-
rable sigh; and then, that having ascertained with more ex-
actness the magnitude of the planetary orbits, it may re-
dound to their immortal fame and glory.
*)
Da der Zweck dieſer Schrift alle ſogenannten mathematiſchen
Formeln ausſchließt, ſo mußte manche gute Gelegenheit, den
Vortrag ſo kurz und zugleich ſo allgemein, als möglich, ein-
zurichten, unbenutzt gelaſſen werden. Es mag uns daher wenigſtens
einmal erlaubt ſeyn, die großen Vortheile dieſer analytiſchen
Sprache durch ein hieher gehörendes Beiſpiel zu zeigen. —
Alles, was ſich über die Geſtalt des Saturnringes, wie er von
der Sonne oder auch von der Erde geſehen wird, ſagen läßt,
iſt in dem folgenden kurzen Ausdrucke enthalten
b = Sin n Sin m.
In demſelben bezeichnet b die ſcheinbare kleine Halbaxe der Ellipſe
des Ringes, wenn die große gleich der Einheit angenommen wird;
n = 28° 22′ iſt die Neigung der Ringebene gegen die Ecliptik,
und m iſt gleich der Länge des Knotens 166° 50′ weniger der
heliocentriſchen Länge Saturns, wenn man die von der Sonne
geſehene Geſtalt der Ellipſe ſucht oder gleich 166° 50′ weniger
der geocentriſchen Länge Saturns, wenn man die von der Erde
geſehene Geſtalt der Ellipſe kennen lernen will. Iſt im
erſten Falle b = o, ſo verſchwindet der Ring, oder er erſcheint
nur als eine gerade Linie, weil ſeine erweiterte Ebene durch
die Sonne geht. Iſt aber b negativ, alſo m größer als 180°,
ſo wird die Nordſeite des Ringes von der Sonne beleuchtet
und umgekehrt. — Iſt im zweiten Falle b = o, ſo ver-
ſchwindet der Ring für uns, weil die erweiterte Ebene deſſelben
durch die Erde geht. Iſt aber b negativ, ſo bedeutet dieß, daß
die Nordſeite des Ringes gegen die Erde gekehrt iſt. Endlich
iſt auch für die verſchiedenen Werthe von m der Ring für die
Erde auch dann noch unſichtbar, wenn der Werth von b im
erſten Falle ein anderes Zeichen hat, als im zweiten, weil
dann die von der Sonne beleuchtete Seite des Ringes von der
Erde weggewendet iſt. Man ſieht ſonach, daß man durch jene
einfache Gleichung die von der Sonne oder auch von der Erde
geſehene Geſtalt des Ringes für jede Zeit angeben kann, für
welche man nur die heliocentriſche oder geocentriſche Länge des
Saturn kennt, die man nach dem Vorhergehenden (I. S. 251)
leicht finden kann. Die obige Tafel iſt nach dieſer Gleichung
berechnet worden, wobei auf die Breite Saturns keine Rück-
ſicht genommen wurde, da dieſe immer ſehr klein iſt und die
Reſultate jener Tafel nicht beträchtlich ändern kann.
*)
Deinde cum siderum scientias et observationes apud eos
exerceri ostenderimus, sequitur, ut et corpora nacti sint
lignis metallisque tractandis, inque instrumenta machi-
nasque adoptandis idonea. At homunciones, muribus
non majores, non possent siderum animadversiones in-
stituere, nec instrumenta parare aut disponere etc.
*)
Fontenelle hat hier, wie ſonſt öfter, übertrieben, und ſeine Farben
etwas ſtärker aufgetragen. Auf Merkur iſt die Beleuchtung und
alſo vielleicht auch die Temperatur, nur ſechsmal größer, als bei
uns, allein zum Schmelzen des Goldes und Silbers müßte die
Hitze einige tauſendmal größer ſeyn.
**)
Sie ſind aber nahe ſo lang, als die Tage der Erde.
***)
Der Ueberſetzer Fontenelle’s, Bode, macht dazu ganz ernſthaft
die Bemerkung: „Sonderbar! Man findet doch ſonſt bei uns, in
„Berlin, daß eine große Hitze den Geiſt eher ſchläfrig und träge,
„als lebhaft mache.“
*)
Die Erde erſcheint dem Jupiter nur unter einem Durchmeſſer
von 3 Secunden und immer ſehr nahe bei der Sonne, von der
ſie ſich nie über eilf Grade entfernt, ſo daß ſie, wenn ſie ja dort
ſichtbar iſt, immer nur kurz vor dem Aufgange oder gleich nach
dem Untergange der Sonne an dem Horizonte des Beobachters
bemerkt werden kann.
*)
Nennt man den ſcheinbaren Halbmeſſer des Mondes die Ein-
heit, ſo iſt die größte Breite des beleuchteten Theiles deſſelben
für jeden Tag des Mondmonats gleich dem Sinus versus des
Winkels, den man erhält, wenn man die Länge der Sonne für
dieſen Tag von der Länge des Mondes ſubtrahirt.
*)
In Oſtindien iſt der Glaube noch heut zu Tage ſehr verbreitet,
daß bei einer Mondsfinſterniß ein böſer Geiſt ſeine rabenſchwar-
zen Fittige über den Mond ausbreite, um ihn vom Himmel
herabzuziehen, daher die Indier den Flüſſen zueilen und ſich bis
an den Kopf ins Waſſer ſtecken, um ſich dadurch vor den An-
griffen des böſen Geiſtes zu ſchützen. Noch ſinnreicher ſtellen
ſich die Bewohner der Weſtküſte von Afrika vor, daß die Fin-
ſterniſſe von einer großen ſchwarzen Katze verurſacht werden, die
ihre Pfoten auf die Sonne oder den Mond legt. Die Tala-
poinen oder Mönche in Siam geben vor, daß die europäiſchen
Aſtronomen nur deßhalb die Zeit, die Dauer und Größe der
Finſterniſſe ſo ſcharf vorherſagen können, weil ſie den Appetit
eines großen Drachen genau kennen, der zur Zeit einer Finſter-
niß die Sonne oder den Mond verſchlingen will. Die ſonſt ſo
gebildeten Griechen glaubten lange Zeit, daß der Mond zur Zeit
der Finſterniſſe von boshaften Magiern bezaubert werde, die ihn
durch ihre Künſte vom Himmel herab ziehen und dann mit ſei-
nem Schaume die Kräuter vergiften und die Thiere tödten. Wir
mögen uns immerhin in Acht nehmen, über dieſe Völker zu laut
zu lachen, da unſere eigenen Väter vor noch nicht gar langer
Zeit es nicht viel beſſer machten. Manche meiner Leſer haben
vielleicht einige von den vielen Schriften geleſen, die zur Zeit
der totalen Sonnenfinſterniß des 12. Mai 1706 in allen Theilen
unſeres auch damals ſchon ſehr ſchreibſüchtigen Deutſchlands er-
ſchienen ſind. Dieſe Finſterniß war in der That eine der größ-
ten, die ſeit langer Zeit in Europa erſchienen waren. Der
Schatten des Mondes zog beinahe über dieſen ganzen Welttheil
hin, und diejenigen Gegenden, welche die Finſterniß total ſahen,
hatten mitten am Tage eine ſtockfinſtere Nacht von beinahe fünf
Minuten. Während dieſer Zeit konnte man weder leſen noch
arbeiten und kaum erkannte man ſich neben einander. Die Nacht-
vögel kamen aus ihren Klüften und die Thiere des Feldes ſuch-
ten ihre Nachtlager auf. Man konnte neben der verfinſterten
Sonne die Planeten Merkur, Venus, Jupiter und Saturn und
ſelbſt alle größeren Fixſterne deutlich ſehen. Dafür war aber
auch dieſe Finſterniß der Gegenſtand des Geſpräches, ſelbſt in
den ſogenannten aufgeklärten Zirkeln und die Gelehrten auf un-
ſeren Univerſitäten lieferten tiefſinnige Betrachtungen über die
*)
giftigen Nebel, die bei dieſer und überhaupt bei jeder Finſterniß
auf die Erde fallen, daher man die Brunnen ſorgſam zudecken
und das Vieh in ihre Ställe treiben ſoll, und was dergleichen
Dinge mehr ſeyn mochten, die man in Kindermann’s Reiſen in
die eröffneten Himmelskugeln 1779 nachſehen kann, welches Werk
damals in Jedermanns Händen war und mit einer Art von Heiß-
hunger geleſen wurde, obſchon es auch geſcheutere Leute gab, die
ihre Mitbürger eines Beſſern belehren wollten, die aber nicht
gehört, wohl gar als Freigeiſter verſchrieen wurden.
*)
Da wir, wie wir aus dem Vorhergehenden wiſſen, keine Hoff-
nung haben, je eine Reiſe in den Mond zu machen, ſo bleibt
uns, mit den Bewohnern deſſelben Bekanntſchaft zu machen,
kein anderes Mittel übrig, als eine Art von Correſpondenz
zwiſchen dieſen beiden Schiffen zu etabliren. Aber auf welche
Art? — An Poſten und Paketboote iſt nicht zu denken. Aber
vielleicht an Telegraphen? — Sie müßten etwas groß ſeyn,
um in der Entfernung von 50000 Meilen noch geſehen zu
werden. Allein dieſe Schwierigkeit ließe ſich vielleicht, wenn man
weder Mühe noch Koſten ſcheut, noch beſeitigen. Die größere
und ſchwerer zu beſiegende, würde die Wahl der Zeichen
*)
und der Sprache ſeyn, die man für dieſe telegraphiſche Cor-
reſpondenz beſtimmen ſoll. So viel auch Sprachen auf unſerer
Erde angetroffen werden, ſo ſind ſie doch alle auf dem Monde
unbekannt, und es iſt ſehr möglich, daß die Leute dort gar keine
eigentliche Sprache haben und ſich auf ganz andere Art unter
einander verſtändlich machen. Und die Zeichen? — Dieſe ſind
allerdings willkührlich, aber dafür muß auch eine vorläufige
Verabredung vorausgegangen ſeyn, wenn man anders ſich gegenſei-
tig verſtehen will. Wie ſoll man aber dieſe Verabredung treffen,
da uns auch dazu alle Mittel fehlen? — In dieſer Verlegenheit
hat einer unſerer ausgezeichnetſten Geometer einen Vorſchlag
gemacht, der manchem auf den erſten Blick ſehr ſonderbar, der
aber, genauer beſehen, doch als der einzig mögliche erſcheinen
wird, und der, der Sonderheit der Sache wegen, hier eine kurze
Erwähnung verdient, wenn gleich Niemand, und am wenigſten
der Erfinder des Vorſchlags ſelbſt, an eine Ausführung deſſelben
denkt.
Er ging von der Vorausſetzung aus, daß die Leute im
Monde, wie ſie auch übrigens beſchaffen ſeyn mögen, mit Ver-
ſtand begabte Weſen ſind. Wer dieß nicht annehmen will,
muß es auch überflüſſig und ſelbſt thöricht finden, mit dieſen
Geſchöpfen eine Correſpondenz irgend einer Art zu etabliren.
Wenn ſie alſo, ſchloß er weiter, in der That verſtändige We-
ſen ſind, ſo werden ſie, da der Verſtand überall derſelbe ſeyn
muß, die eigentliche Verſtandes-Wiſſenſchaft, d. h. die Mathematik
treiben. Wenn ſie ſich aber mit Mathematik beſchäftigen, ſo
können ihnen, da ſie ſchon ſo lange zur Schule gehen, wenig-
ſtens die erſten Hauptſätze der Geometrie nicht unbekannt ſeyn.
Wenn man ihnen daher eine der ſprechendſten Figuren der Ele-
mentargeometrie, z. B. die bekannte des ſogenannten Quadrats
der Hypotenuſe, im großen Maaßſtabe, etwa auf einer weiten
Ebene der Erde verzeichnet, vorlegte, ſo daß ſie dieſelben erkennen
könnten, ſo würden ſie wahrſcheinlich dadurch aufmerkſam gemacht
werden und uns vielleicht mit der Zeit durch eine ähnliche Figur,
die ſie auf der Mondsfläche ausführen, eine Antwort und ein
Zeichen geben können, daß ſie uns [verſtanden] haben. Dadurch
würden wir alſo wenigſtens die Ueberzeugung erhalten haben,
daß es dort oben Weſen gibt, die mit Verſtand begabt ſind und
mit denen zu correſpondiren es der Mühe werth iſt. Sonach
wäre der erſte Schritt zu einer näheren Bekanntſchaft mit den
Mondsbürgern gemacht und die andern — werden folgen, wenn
erſt dieſer ins Reine gebracht ſeyn wird.
*)
Noch viel mehr verſchieden ſind dieſe Geſchwindigkeiten bei
denjenigen Kometen, die in ſehr excentriſchen Bahnen einher-
gehen. Der große Komet von 1680 zum Beiſpiel hat, nach
Encke’s Unterſuchungen, eine halbe große Axe von 426,774 Halb-
meſſern der Erdbahn und eine Diſtanz der Brennpunkte von
den Scheiteln, die 0,00615 Halbmeſſer der Erdbahn oder nur
128260 Meilen beträgt. Nimmt man den Halbmeſſer der Sonne
zu 93900 Meilen an, ſo iſt im Perihelium die Entfernung
des Mittelpunktes des Kometen vor der Oberfläche der Sonne
nur 34360 Meilen oder nahe ſieben Zehntheile der Diſtanz des
Mondes von der Erde. Im Aphelium aber iſt ſeine Entfernung
von der Sonne über 17590 Millionen Meilen, alſo über 830
mal größer als der Halbmeſſer der Erdbahn. Die Umlaufszeit
dieſes Kometen beträgt, wie aus der angeführten großen Axe
ſeiner Bahn, nach dem dritten Geſetze Kepler’s folgt, 8817 Ju-
lianiſche Jahre, deren jedes 365¼ Tage hat. Seine Winkel-
geſchwindigkeit im Perihelium, wie ſie von der Sonne geſehen
wird, iſt ſo groß, daß er in einer Stunde ſchon 1183/10 Grade,
alſo in zwei Stunden ſchon mehr als die ſichtbare Hälfte des
Himmels zurücklegt, und hier iſt er der Sonne ſo nahe, daß
man von ſeinem Mittelpunkte aus den Durchmeſſer der Sonne
unter dem Winkel von 94 Graden ſehen würde, ſo daß alſo
die Sonne mehr als den vierten Theil des Himmels einnimmt.
In ſeinem Aphelium aber, wo ihm die Sonne nur mehr unter
dem kleinen Winkel von zwei Secunden erſcheint, iſt ſeine
Winkelgeſchwindigkeit ſo langſam, daß er 1840 Tage braucht,
um, von der Sonne geſehen, den Winkel von einer einzigen
*)
Secunde vorzurücken, ſo daß er alſo hier für die Sonne, die
in dieſer außerordentlichen Entfernung nicht mehr beträchtlich
auf ihn wirken kann, durch mehrere Jahre in einer abſoluten
Ruhe ſtille zu ſtehen ſcheint. Aus dieſen Winkelgeſchwindigkeiten,
verbunden mit den Entfernungen von der Sonne, laſſen ſich
auch leicht die abſoluten Geſchwindigkeiten des Kometen in
jenen beiden äußerſten Punkten ſeiner Bahn berechnen. Man
findet ſo, daß er im Perihelium, wo die Erde nur 4 Meilen
in einer Secunde zurücklegt, in derſelben Zeit durch 73,58 Meilen
von der dort ſehr ſtarken Kraft der Sonne fortgeriſſen wird,
während er im Aphelium in einer Secunde nur 0,00054 Meilen,
d. h. nur 12⅕ Par. Fuß zurücklegt.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

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TextGrid Repository (2025). Collection 1. Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bjc9.0