für die
reine und angewandte Mathematik.
In vier Heften.
Druck und Verlag von Georg Reimer.
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Inhalts-Verzeichniss des sieben und funfzigsten Bandes.
- Theorie der Luftschwingungen in Röhren mit offenen Enden. Von Herrn
H. Helmholtz zu Heidelberg. Seite 1 - Zur Theorie der Trägheitsmomente und der Drehung um einen Punkt. Von Herrn
A. Clebsch zu Carlsruhe. — 73 - Note über die Differentialgleichung der hypergeometrischen Reihe. Von Herrn
S. Spitzer zu Wien. — 78 - Bemerkung zu vorstehender Note. Vom Herausgeber. — 81
- Ueber die Integration der Differentialgleichung x^m\frac{d^ny}{dx^n} = \pm y durch bestimmte
Integrale. Von Herrn S. Spitzer zu Wien. — 82 - Ueber einige geometrische Sätze. Von Herrn von Staudt zu Erlangen. — 88
- Zwei Sätze über das gröſste Product aus ganzen Zahlen von gegebener Summe.
Von Herrn Oettinger zu Freiburg i. Br. — 90 - Ueber die Gleichgewichtsfigur eines biegsamen Fadens. Von Herrn A. Clebsch
zu Carlsruhe. — 93 - Ueber eine der Interpolation entsprechende Darstellung der Eliminations-Resul-
tante. (Aus dem Monatsbericht der Akademie der Wissenschaften zu Berlin.)
Von C. W. Borchardt. — 111 - Ueber eine mit der Gammafunction verwandte Transcendente und deren Anwen-
dung auf die Integralrechnung. Von Herrn Kinkelin früher zu Aarburg
gegenwärtig zu Bern. — 122 - Sur l’Invariant le plus simple d’une fonction quadratique bi-ternaire, et sur le
Résultant de trois fonctions quadratiques ternaires. Par M. A. Cayley. . — 139
Ueber das Gleichgewicht schwimmender Körper. Von Herrn A. Clebsch zu
Carlsruhe. — 149 - Ueber eine symbolische Formel, die sich auf die Zusammensetzung der binären
quadratischen Formen bezieht. Von Herrn L. Schläfli zu Bern. — 170 - Neue Eigenschaften der linearen Substitutionen, welche gegebene homogene
Functionen des zweiten Grades in andere transformiren, die nur die Qua-
drate der Variabeln enthalten. Von Herrn O. Hesse zu Heidelberg. — 175 - Vergleichung zweier Formen der Eliminations-Resultante. Von C. W. Borchardt. Seite 183
- Ueber den biquadratischen Character der Zahl „Zwei“. Aus einem Briefe
Dirichlets an Herrn Stern zu Göttingen. — 187 - Allgemeine Theorie der gradlinigen Strahlensysteme. Von Herrn E. E. Kummer. — 189
- Ueber die Zähler und Nenner der Näherungswerthe von Kettenbrüchen. Von
Herrn E. Heine zu Halle. — 231 - Ueber die Anzahl der verschiedenen Classen quadratischer Formen von nega-
tiver Determinante. Von Herrn Kronecker. — 248 - Von den Gammafunctionen und einer besonderen Art unendlicher Producte. Von
Herrn G. Bauer zu München. — 256 - Démonstration d’un théorème de Jacobi par rapport au problème de Pfaff. Par
M. A. Cayley. — 273 - Ueber den Grad der abwickelbaren Fläche, die einer Fläche mter Ordnung dop-
pelt umschrieben ist. Von Herrn Joh. Nik. Bischoff zu München. — 278 - Zur Theorie der Elasticität. Von Herrn C. Neumann zu Halle. — 281
- Theorie der circularpolarisirenden Medien. Von Herrn A. Clebsch zu Carlsruhe. — 319
- Ueber eine Gattung von Curven vierten Grades, welche mit den elliptischen
Functionen zusammenhängen. Von Herrn Siebeck zu Liegnitz. . — 359 - Sur le résultant de trois formes quadratiques ternaires, extrait d’une lettre à
M. Borchardt. Par M. Ch. Hermite à Paris. — 371 - Zum Gedächtniſs Gustav Lejeune Dirichlets. Vom Herausgeber. — 91
Theorie der Luftschwingungen in Röhren mit
offenen Enden.
(Von Herrn H. Helmholtz zu Heidelberg.)
Die mathematische Theorie der Orgelpfeifen ist von den bedeutend-
sten mathematischen Physikern vielfältig behandelt worden, aber seit den ersten
Schritten, welche D. Bernoulli und Euler gethan haben, und durch welche
die Hauptzüge der Erscheinung eine annähernde Erklärung fanden, um keinen
wesentlichen Schritt vorgerückt. Der Grund davon hat hauptsächlich darin
gelegen, daſs die Mathematiker es nicht wagten, die Annahme aufzugeben,
daſs die Bewegung der Lufttheilchen im Innern der Röhre überall ihrer Axe
parallel gerichtet, und sowohl die Geschwindigkeit wie der Druck in allen Punk-
ten desselben Querschnitts der Röhre gleich groſs sei. Diese von den ersten
Bearbeitern der Einfachheit wegen gemachte Annahme ist ganz unbedenklich für
die von offenen Enden entfernteren Theile einer cylindrischen oder prismati-
schen Röhre, aber in der Nähe offener Enden, wo die ebenen Wellen der Röhre
in den freien Raum überzugehen anfangen, um sich dort in Form kugeliger
Wellen auszubreiten, ist jene Annahme nicht mehr zulässig, da es klar ist,
daſs ein solcher Uebergang nicht sprungweise geschehen kann. Bernoulli,
Euler und Lagrange hatten angenommen, daſs die Verdichtung am offenen
Ende der Röhre stets gleich Null sei. Daſs sie sehr viel kleiner sein müsse
als bei den gleichen Wellenphasen im Innern der Röhre, wo die bewegte
Luft von den Röhrenwänden gehindert wird, sich seitlich auszudehnen, ist
leicht einzusehen, da am offenen Ende kein anderes Hinderniſs ihrer Aus-
dehnung besteht als die Trägheit der benachbarten Luftmassen. In so fern
nähert sich jene Annahme und die darauf basirte Theorie allerdings sehr der
Wahrheit, aber sie ist nicht vollständig richtig. Denn die Dichtigkeit am
Ende der Röhre muſs allerdings gleich gesetzt werden der Dichtigkeit der
anstoſsenden Luft im freien Raume, aber nicht der constanten Dichtigkeit der
ruhenden Luft, sondern der veränderten Dichtigkeit dieser selbst in Vibration
gerathenen Luft. Deshalb widersprechen die Folgerungen aus jener Annahme
auch in mancher anderen Beziehung der Erfahrung. So folgt daraus, wie
Journal für Mathematik Bd. LVII. Heft 1. 1
[2]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
schon Poisson hervorgehoben hat, daſs bei gewissen Röhrenlängen die Schwin-
gungen im Innern, welche eine endliche Kraft oder eine endliche mitgetheilte
Bewegung erregt, unendlich groſs werden, und einmal erregt, nicht wieder
erlöschen, weil sie nichts von ihrer lebendigen Kraft der äuſseren Luft mit-
theilen. Euler*) selbst hatte diese Abweichungen dadurch erklären wollen,
daſs die Erschütterung sich zum Theil den Wänden der Röhre mittheilte und
dadurch der Luftmasse verloren ginge. Poisson**) suchte den Grund rich-
tiger in dem Umstande, daſs die Verdichtung am offenen Ende der Röhre
nicht vollständig gleich Null, sondern nur sehr klein sei. Aber er wuſste
ihren wirklichen Werth nicht zu finden, sondern baute seine Theorie auf eine
neue Hypothese, welche sich in unserer Untersuchung als im Allgemeinen
unrichtig erweisen wird. Er machte nämlich die Annahme, daſs die Verdich-
tung am Ende der Röhre proportional der Geschwindigkeit sei, wie sie es
bei ebenen fortschreitenden Wellen ist. Wenn die Geschwindigkeit v, die
Verdichtung s, die Schallgeschwindigkeit a ist, so setzte er
kv = as.
Die Constante k nimmt er an geschlossenen Enden als sehr klein, an offenen
als sehr groſs an; ihr wirklicher Werth bleibt unbestimmt. Dieser Annahme
gemäſs müſsten am offenen Ende der Röhre die Maxima der Geschwindigkeit
mit den Maximis der Verdichtung der Luft der Zeit nach zusammenfallen. Im
Gegentheil wird die von uns anzustellende vollständigere Analyse zeigen, daſs
beide nahehin um ein Viertel der Schwingungsdauer auseinanderfallen. Poissons
Annahme beseitigt die genannten Uebelstände der früheren Theorien, indem
bei seiner Hypothese allerdings Schall in den freien Raum übergeht, und des-
halb die Schallschwingungen in der Röhre schnell erlöschen, sobald die er-
regende Kraft aufgehört hat zu wirken. Wie viel Schall aber in den freien
Raum bei jeder Reflexion der Schallwellen übergeht, hängt von dem unbe-
kannten Werthe der Constante k ab, und bleibt deshalb selbst unbekannt.
Andrerseits folgt aus Poissons wie aus der älteren Annahme, daſs
die Flächen kleinster Bewegung (Knotenflächen) genau um eine Viertelwellen-
länge vom offenen Ende der Röhre abstehen, was allen älteren und neueren
Erfahrungen über die Höhe der durch Anblasen erzeugten Töne und der
[3]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
durch die Resonanz der Röhre verstärkten Töne widerspricht und durch die
directen Versuche von Hopkins über die Lage der Knotenflächen widerlegt
wird. Diese Flächen sind in offenen cylindrischen und prismatischen Röhren
vom Ende der Röhre etwas weniger entfernt, als die Viertelwellenlänge be-
trägt. Gegen Poissons Versuch zu erklären, warum beim Anblasen beider-
seits offener Röhren tiefere Töne entstehen, als seine Theorie erwarten läſst,
haben schon Quet und Zamminer gegründete Bedenken erhoben. Poissons
Formeln ergeben nämlich, daſs, wenn eine Bewegung von bestimmter Ampli-
tude der Luft der Röhre in einem Knotenpunkte mitgetheilt wird, die Am-
plitude in den Schwingungsbäuchen sehr groſs wird, nämlich von derselben
Ordnung wie Poissons Constante k. Daraus schlieſst er, daſs für diesen Fall
die Amplituden der Schwingung gröſser würden, als es die bei der Ableitung
der Bewegungsgleichungen gemachte Annahme unendlich kleiner Vibrationen
erlaubte. Unter diesen Umständen sei also Schallbewegung unmöglich, und
es könnten deshalb beim Anblasen der Röhre nur Töne entstehen, die sich
dieser Grenze der Tonhöhe näherten, wirklich aber immer tiefer bleiben
müſsten. Mathematisch ist dieser Schluſs unzulässig, denn wie groſs auch die
übrigens durchaus unbekannt bleibende Gröſse k sein mag, so würde doch
immer die Gröſse der mitgetheilten Amplituden so klein gewählt werden kön-
nen, daſs die Bewegungsgleichungen der Schallbewegung anwendbar bleiben,
und auch der Erfahrung widerspricht diese Darstellung. Allerdings tritt in
den Versuchen von Hopkins die Schwierigkeit, der Luft der Röhre in einer
Knotenfläche eine gegebene Bewegung mitzutheilen, deutlich in die Erschei-
nung, weil nämlich hier der Widerstand der Luft den Schwingungen der von
Hopkins angewendeten schwingenden Platten am meisten hinderlich wird.
Die lebendige Kraft der Bewegung, welche der schwingende Körper an die
Luft abgeben muſs, um die starke Resonanz der Röhre zu unterhalten, wird
hier am bedeutendsten, und wenn also der schwingende Körper nicht ge-
nügend viel lebendige Kraft erzeugen und abgeben kann, hört er auf zu
schwingen. Wendet man dagegen Platten an, die von Stimmgabeln erschüttert
werden, deren Vibrationen zu kräftig sind, um durch den Luftwiderstand er-
heblich verändert zu werden, so erhält man gerade in den Fällen die vollste
und schönste Resonanz, wo die Platte in einer Knotenfläche der Röhre liegt,
und nach Poisson die Resonanz unmöglich wäre. Auſserdem zeigt sich in
den Versuchen von Hopkins die Schwierigkeit des Tönens der Platten gerade
bei solchen Tönen, wie sie das Anblasen der Röhre giebt, aber nicht bei
1 *
[4]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
den etwas höheren Tönen, welche Poisson als unmöglich betrachtet; diese
kommen ohne Schwierigkeit zu Stande.
Es hat übrigens Quet*) diese Unzulänglichkeiten von Poissons Theorie,
die nicht nothwendig aus seiner Fundamentalhypothese flieſsen, verbessert,
während er sich übrigens dieser Hypothese anschlieſst und ihre Richtigkeit
wahrscheinlich zu machen sucht.
Hopkins**) hat die Beschränkung, welche in Poissons Grenzbedin-
gung für das offene Ende der Röhre liegt, weggelassen und nur die Be-
dingung festgehalten, daſs der Druck am offenen Ende klein sein müsse, und
dadurch die Möglichkeit offen behalten, in seinen Formeln die Uebereinstimmung
mit den Thatsachen vollständig zu bewahren, aber freilich bleiben die Con-
stanten, von denen die Lage der Knotenflächen und die Phasenunterschiede in
den einzelnen Theilen der Röhre abhängen, in der Theorie unbekannt. Da-
gegen hat Hopkins eine Reihe wichtiger Versuche über die Lage der Knoten-
punkte und die Tonhöhe ausgeführt, um eine jener Constanten wenigstens
empirisch zu bestimmen.
Duhamel†) stellte sich zur Aufgabe, den Einfluſs der der Axe nicht
parallelen Bewegungen in Röhren zu ermitteln. Da er aber für das offene
Ende sich mit der einfachen Annahme begnügt, daſs hier der Druck gleich
Null sei, verschwindet der Einfluſs, den die seitlichen Bewegungen der Luft-
theile hier haben aus seiner Rechnung, und er kommt zu dem Schlusse, daſs
die Differenz zwischen Theorie und Erfahrung nicht von dem Vorkommen
solcher Bewegungen abhängt.
Masson††) endlich vertheidigt die Theorie von Poisson im Ganzen
und sucht die Uebereinstimmung zwischen ihr und der Erfahrung durch eine
neue Hypothese über die Bewegungsart der Luft in dem der Anblaseöffnung
nächsten Abschnitte der Luftsäule herzustellen.
Uebrigens ist es klar, daſs, sobald die Gestalt des ganzen Luftraums,
sowohl des inneren der Pfeife als des äuſseren, gegeben ist — wir nehmen
ihn im Folgenden immer als von festen Wänden begrenzt an — und wenn
ferner die den Schall erregenden Kräfte gegeben sind, die Aufgabe mathe-
[5]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
matisch vollständig bestimmt ist, und keine weitere Hypothese über den Zu-
stand der Luft am offenen Ende einer Pfeife zu machen ist. Eine richtig
angestellte Analyse der Aufgabe muſs darüber vollständigen Aufschluſs geben.
Akustische Untersuchungen, bei denen ich über die bisher unerledigten
Punkte der Theorie Auskunft brauchte, waren für mich die Veranlassung, die
Untersuchung aufzunehmen, in welcher Weise sich ebene Schallwellen, die in
der Tiefe einer cylindrischen Röhre erregt worden sind, bei ihrem Ueber-
gange in den freien Raum erhalten, und ich habe gefunden, daſs die gegen-
wärtigen Hülfsmittel der Analysis ausreichen über die wesentlichen hier in
Betracht kommenden Fragen genügende Auskunft zu geben, ohne daſs es
nöthig ist irgend eine Hypothese zu machen.
Die Kräfte der Analyse sind in den bisherigen Arbeiten über Theorie
des Schalles hauptsächlich darauf hin angespannt worden, den Verlauf einer
ursprünglich vorhandenen Gleichgewichtsstörung in einer Luftmasse, die übri-
gens keiner Einwirkung fremder Kräfte unterliegt, zu bestimmen. Bei den
Tönen der Pfeifen ist aber dieses Problem von verhältniſsmäſsig unterge-
ordneter Wichtigkeit. Es handelt sich hauptsächlich darum, die Schwingungs-
form zu ermitteln, welche schlieſslich sich dauernd herstellt, wenn die die
Schwingungen erregende Ursache dauernd und gleichmäſsig fortwirkt. Es ist
ferner unnöthig, daſs wir die Analyse durch Beibehaltung der willkürlichen
Functionen verwickelter machen, welche die Form der ursprünglich erregten
Schwingung ausdrücken. Wir werden vielmehr voraussetzen, daſs diese
Vibrationen denen eines einfachen Tones von n Schwingungen in der Secunde
entsprechen, also von der Form cos(2πnt + c) sind. Die Willkürlichkeit der
Form würde sich ja auch nach erfolgter Auflösung des Problems immer leicht
herstellen lassen durch Zusammensetzung einer gröſseren Zahl von solchen
einfachen Tönen.
Da somit die Form der Aufgabe etwas anders gefaſst wird, als es in
den akustischen Untersuchungen bisher geschehen war, ist es nöthig, in den
ersten fünf Paragraphen einige allgemeine Untersuchungen über die Natur der
hier vorkommenden Functionen vorauszuschicken. Es zeigt sich, daſs wir
es dabei mit Functionen zu thun haben, die, wenn die Wellenlänge unend-
lich groſs wird, übergehen in die Formen der electrischen (oder magnetischen)
Potentialfunctionen und daſs eine ganze Reihe der interessanten Eigenschaf-
ten, die für diese Functionen bekannt sind, auch für jene gelten. Da ich
schon in einer früheren Arbeit für die Function, deren Differentialquotienten
[6]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
nach drei rechtwinkeligen Coordinatenaxen genommen die drei entsprechenden
Componenten der Geschwindigkeit geben, den Namen des Geschwindigkeits-
potentials vorgeschlagen habe, so läſst sich diese Analogie auch weiter in der
Bezeichnung festhalten. Den electrischen Massenpunkten entsprechen die
Erregungspunkte des Schalls, der Masse der ersteren die Intensität der
letzteren. Sind die letzteren continuirlich im Raume oder auf einer Fläche
vertheilt, so läſst sich der Begriff der Dichtigkeit auf sie übertragen, und es
lassen sich in beiden Fällen Beziehungen ganz analoger Art zwischen ihrer
Dichtigkeit und den Differentialquotienten des Geschwindigkeitspotentials auf-
stellen, wie sie für die electrische Dichtigkeit und die Differentialquotienten
der electrischen Potentialfunctionen gelten.
Den Hauptnutzen gewährt aber die Uebertragung des Theorems von
Green*) auf die hier vorliegenden Verhältnisse, welches sich schon für die
Theorie der Electricität und des Magnetismus so auſserordentlich fruchtbar ge-
zeigt hat. Von allgemeinen Sätzen, die daraus herflieſsen, sollen nur folgende
hervorgehoben werden: 1) Die Schallbewegung in jedem allseitig begrenz-
ten Raume, welcher keine Erregungspunkte enthält, kann stets dargestellt
werden als ausgehend von Erregungspunkten, die nur längs der Ober-
fläche des Raumes in einer oder zwei einander unendlich nahen Schich-
ten ausgebreitet sind. 2) In jedem Raume, dessen sämmtliche Dimensio-
nen verschwindend klein gegen die Wellenlänge sind, können für das
Geschwindigkeitspotential der Luftbewegung die analytischen Formen der
electrischen Potentialfunctionen gesetzt werden, welche von jenem nur
unendlich wenig unterschieden sind. 3) Wenn in einem theils von end-
lich ausgedehnten festen Wänden begrenzten, theils unbegrenzten Raume
Schall im Punkte a erregt wird, so ist das Geschwindigkeitspotential in
einem anderen Punkte b so groſs, als es in a sein würde, wenn dieselbe
Schallerregung in b stattfände.
Speciell werden in §. 1 die Bewegungsgesetze der Luft für die vor-
liegende Aufgabe umgeformt, in §. 2 die allgemeinen Formen des Geschwin-
digkeitspotentials für einen von Erregungspunkten freien Raum untersucht,
in §. 3 die Beziehungen zwischen der Dichtigkeit continuirlich verbreiteter
Erregungspunkte und dem Geschwindigkeitspotential festgestellt, in §. 4 die-
[7]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
selben für Erregungspunkte, die continuirlich über eine Fläche verbreitet sind,
und das Theorem von Green auf die Schallbewegung übertragen, in §. 5
endlich werden die Grenzbedingungen für weit von den Erregungspunkten
entfernte Flächen aufgestellt, durch welche die Wellen in den unendlichen
freien Raum hinauslaufen.
Nachdem so die wichtigsten allgemeinen Gesetze der electrischen Po-
tentialfunctionen für die Lehre von den Schallwellen anwendbar gemacht
worden sind, werden die allgemeinen Gesetze der Bewegung der Luft in
Röhren mit offenen Mündungen durch wiederholte Anwendung des Greenschen
Satzes in §. 6 abgeleitet. Es wird hier zunächst vorausgesetzt, daſs die
Röhren unendlich lang und cylindrisch von beliebigem Querschnitte seien. Nur
in einer so kleinen Entfernung von ihrer Mündung, daſs deren Gröſse gegen
die Wellenlänge vernachlässigt werden kann, darf die Röhre in beliebiger
Weise von der cylindrischen Form abweichen, und z. B. trompetenförmig er-
weitert oder verengt sein. Ebenso werden die Dimensionen der Oeffnung als
sehr klein gegen die Wellenlänge betrachtet. Da auch die Gestalt des äuſseren
Luftraums bestimmt sein muſs, wird angenommen, derselbe sei durch eine
gegen die Axe der Röhre senkrechte Ebene einseitig begrenzt mit welcher
auch die Ebene der Mündung zusammenfällt. Ueber die Bewegung wird vor-
ausgesetzt, daſs Vibrationen, die einem einfachen Tone von n Schwingungen
angehören, irgendwo in der Röhre dauernd erregt werden, und daſs zwischen
der Erregungsstelle und der Mündung ein Abschnitt der Röhre existire, in
welcher die Bewegung nicht merklich von der ebener Wellen unterschieden
sei. Mittelst des Greenschen Satzes kann man nun, ohne die specielle Form
der Mündung und der Luftbewegung in der Mündung zu kennen, gewisse
Beziehungen herleiten zwischen diesen ebenen Wellen und den sich halb-
kugelförmig ausbreitenden Wellen in den entfernten Theilen des freien Raumes,
und dadurch die bisher offen gebliebenen Fragen über den Einfluſs des offenen
Endes auf die ebenen Wellen beantworten, so weit sie allgemein beantwortet
werden können.
Nehmen wir die Axe der Röhre als Axe der x, und die Ebene der
Mündung als Ebene der yz, so daſs der freie Raum den positiven x, die
Röhre den negativen entspricht, so ist bei passender Festsetzung des Anfangs-
punktes der Zeit t die allgemeine Form des Geschwindigkeitspotentials in dem
Theile der Röhre, wo die Wellen eben sind, wenn wir die Wellenlänge
[8]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
gleich \frac{2\pi}{k} setzen,
\psi = \left(\frac{A}{k}\sin kx + B\cos kx\right)\cos(2\pi nt)+\mathfrak{B}\cos kx.\sin(2\pi nt).
In den unendlich entfernten Theilen des freien Raumes dagegen, wo r die
Entfernung vom Anfangspunkte der Coordinaten bezeichnet, ist
\psi = M\frac{\cos(kr - 2\pi nt)}{r}.
Nach Eulers Theorie würde B = B = 0 sein, nach Poissons B = 0, B
eine unbestimmte kleine Gröſse, nach Hopkins sowohl B wie B unbestimmte
kleine Gröſsen, M bleibt in allen dreien unbekannt. Wir finden folgende
Beziehungen, wenn wir unter Q die Gröſse des Querschnitts der Röhre ver-
stehen, und die Fläche der Oeffnung gegen das Quadral der Wellenlänge als
verschwindend klein betrachten,
AQ = -2\pi M,
kAQ = -2\pi \mathfrak{B}.
Zwischen A und B läſst sich keine allgemeine, von der Form der Mündung
unabhängige Beziehung aufstellen. Nur läſst sich nachweisen, daſs, wenn der
Querschnitt der Röhre zur Fläche der Oeffnung ein endliches Verhältniſs hat,
\frac{B}{A} eine kleine Gröſse von derselben Ordnung wie die Dimensionen der Oeff-
nung ist, die aber jeden beliebigen Werth annehmen kann, wenn die Oeffnung
sehr klein gegen den Querschnitt ist.
Wir setzen das Verhältniſs
\frac{B}{A} = -k\operatorname{tang}k\alpha
und nennen dann die Gröſse α — x0 die reducirte Länge des Stücks der
Röhre, welches zwischen x = 0 und x = — x0 liegt, die Gröſse α selbst
die Differenz der wahren und reducirten Länge der Röhre.
Nachdem diese Beziehungen zwischen den Coefficienten ermittelt sind,
wird in §. 7 die Form der Wellen in der Röhre näher bestimmt. Knoten-
flächen, d. h. Flächen kleinster Bewegung liegen, wo die reducirte Länge
der Röhre gleich einem ungeraden Vielfachen der Viertelwellenlänge ist,
Schwingungsbäuche oder Maxima der Bewegung, wo die reducirte Länge
ein gerades Vielfache der Viertelwellenlänge ist. Die Phasen der Bewegung
sind am Orte der Maxima um die Zeit einer Viertel-Undulation von denen
am Orte der Minima verschieden.
[9]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
Die Knotenflächen sind zugleich Stellen des gröſsten Wechsels der
Dichtigkeit, die Bäuche Stellen des kleinsten Wechsels der Dichtigkeit. In
nächster Nähe der Knotenflächen und der Flächen stärkster Bewegung fällt
die stärkste nach der Mündung gerichtete Geschwindigkeit der Zeit nach zu-
sammen mit der stärksten Verdichtung. In den zwischenliegenden Abtheilun-
gen der Röhre aber liegen beide um eine Viertel-Schwingungsdauer aus-
einander.
Wenn man die Lage des Geschwindigkeitsmaximum und die des Verdich-
tungsmaximum für einen jeden einzelnen Zeitmoment bestimmt, so findet man
für die fortschreitenden Wellen in den entfernteren Stellen des freien Raumes
bekanntlich, daſs beide mit der constanten Fortpflanzungsgeschwindigkeit der
Wellen fortschreiten, und dabei allmälig an Gröſse abnehmen. Auch in der
Röhre bewegt sich das Geschwindigkeitsmaximum vorwärts gegen die Mün-
dung hin, aber so daſs sein absoluter Werth am Ort der Bäuche sehr groſs,
in den Knotenflächen sehr klein ist, und ferner so daſs die Geschwindigkeit
seiner Fortbewegung in den Bäuchen sehr klein, in den Knoten sehr groſs
ist, so daſs es überall, wo sich ein Bauch befindet, während einer halben
Schwingungsdauer fast ganz still steht, um zu Ende dieser Zeit schnell auf
den Ort des nächsten Bauches fortzuschreiten, an dem es dann wieder eben
so lange fast stillsteht. Ebenso bewegt sich das Verdichtungsmaximum, nur
daſs es in den Knotenflächen anhält und groſs ist, während es am Ort der
Bäuche klein ist und schnell vorwärts eilt.
Die gewonnenen Resultate können weiter benutzt werden, um die
Stärke der Resonanz und die Phasen der in der Luft erregten Schwingungen
bei verschiedenen Erregungsweisen des Schalls genau zu bestimmen.
Wenn die Röhre in irgend einem Querschnitte durch eine feste Platte
begrenzt ist, welche durch eine äuſsere Kraft (z. B. eine aufgesetzte Stimm-
gabel) in eine schwingende Bewegung versetzt wird, deren Gröſse durch den
Widerstand der Luft nicht merklich verändert werden kann, so ist die Re-
sonanz am stärksten, wenn die reducirte Länge der Röhre ein unge-
rades Vielfache der Viertelwellenlänge ist, am schwächsten, wenn sie ein
gerades Vielfache ist. Im ersteren Falle, also beim Maximum der Resonanz,
verhalten sich die Amplituden in den Schwingungsbäuchen zur Amplitude der
schwingenden Schluſsplatte der Röhre, wie das durch 2π cos kα dividirte Qua-
drat der Wellenlänge zum Querschnitt der Röhre. Bei Röhren mit wenig
verengter Mündung ist cos k α nicht merklich von 1 unterschieden, die Gröſse
Journal für Mathematik Bd. LVII. Heft 1. 2
[10]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
des Maximums der Resonanz also von der Form der Mündung ziemlich un-
abhängig, und die Stärke des Schalls im freien Raume ist bei solchen Röhren
sowohl vom Querschnitt als von der Form der Mündung unabhängig. Bei stark
verengter Mündung steigt die Resonanz in der Röhre und auch die Stärke
des Schalls im freien Raume. Bei stärkster Resonanz ist die Phase der Be-
wegung in den Schwingungsbäuchen von den entsprechenden Phasen der
mitgetheilten Bewegung der Zeit nach um eine Viertel-Schwingungsdauer
verschieden.
Aehnliche Ergebnisse finden sich, wenn der Schall in der Röhre von
einem in den entfernteren Theilen des freien Raumes befindlichen tönenden
Punkte erregt wird, und für eine jede beliebige Lage des tönenden Punktes
im freien Raume vor der Mündung der Röhre läſst sich durch das unter No. 3
als Folgerung des Greenschen Theorems oben aufgeführte Reciprocitätsgesetz
wenigstens das Verhältniſs der Stärke der Resonanz für verschiedene Röhren-
längen angeben. Auch in diesem allgemeinsten Falle findet sich, daſs die
Resonanz der einerseits geschlossenen Röhre am stärksten ist, wenn ihre
reducirte Länge ein ungerades Vielfache der Viertelwellenlänge ist.
Auf offene Röhren, deren beide Mündungen denselben Bedingungen
unterliegen, wie die eine Mündung der bisher betrachteten Röhren, lassen
sich die Resultate leicht übertragen. Ihre Resonanz ist am stärksten, wenn
ihre reducirte Länge gleich einem Vielfachen der halben Wellenlänge ist.
In §. 8 werden Röhren betrachtet, welche Rotationskörper sind, und
die Methoden aufgesucht, um Formen der Mündung zu finden, für welche die
Bewegung der Luft vollständig angegeben werden kann.
In §. 9 werden die Rechnungen für die einfachsten Formen der
Functionen, welche die Form der Mündung bestimmen, durchgeführt. Unter
diesen Formen kommt eine vor, bei welcher die Differenz zwischen reducirter
und wahrer Länge verschwindet. Ihre Mündung ist schwach trompetenförmig
erweitert, so daſs die Fläche der Mündung doppelt so groſs ist als der Quer-
schnitt des Cylinders. Eine andere dieser Formen, bei welcher die Weite
der Oeffnung gleich der des Cylinders ist, weicht so auſserordentlich wenig
von einem vollständigen Cylinder ab, daſs man für die meisten practischen
Anwendungen die Differenz wird vernachlässigen dürfen. Der Abstand ihrer
Wandung von der eines reinen Cylinders ist berechnet und in einer Tabelle
zusammengestellt; mehr als 1/100 des Radius beträgt diese Abweichung nur auf
einem Streifen dicht an der Mündung, dessen Breite 0,54 des Radius beträgt,
[11]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
und die gröſste Abweichung, die überhaupt vorkommt, ist 1/50 des Radius.
Die Differenz zwischen der reducirten und wahren Länge dieser Röhre be-
trägt π/2 = 0,785 des Radius. Die eines vollständigen Cylinders muſs ein
wenig gröſser sein. Die neuesten und sorgfältigsten experimentellen Bestim-
mungen der Gröſse dieser Differenz von Wertheim*) und Zamminer**)
zeigen noch keine sehr groſse Uebereinstimmung unter einander, was vielleicht
darin seinen Grund hat, daſs die Röhren durch Anblasen zum Tönen gebracht
sind, wobei man zwar, wie die Erfahrung lehrt, im Allgemeinen Töne der-
selben Höhe bekommt, wie die Töne der stärksten Resonanz der Röhre, aber
doch nicht genau weiſs, wie weit die Tonhöhe durch kleine Modificationen des
Anblasens verändert werden kann. Auch ist die Länge der Schallwellen nur
schwer so genau zu bestimmen, daſs auch die verhältniſsmäſsig kleine Differenz
der wahren und reducirten Länge der Röhren genau gefunden wird. Wert-
heim findet den Werth dieser Differenz, wenn sie in Theilen des Radius aus-
gedrückt wird, ziemlich unabhängig von dem Verhältniſs des Durchmessers
zur Wellenlänge, und zwar bei beiderseits offenen Röhren für jedes Ende
zwischen 0,560 und 0,819, Mittel 0,663 R, für einerseits gedeckte Röhren
zwischen 0,638 und 0,862, Mittel 0,746 R, so daſs der theoretisch gefundene
Werth 0,785 R zwar gröſser ist als seine Mittelwerthe, aber doch noch inner-
halb der Grenzen der Beobachtungsdifferenzen liegt. Zamminer findet da-
gegen einen stärkeren Einfluſs der Tonhöhe. Bei offenen Röhren variirt der
Werth der Differenz von 0,848 bis 0,493 R, während die Viertelwellenlänge
von 20,9 R auf 3,9 R sich ändert, und bei geschlossenen Röhren variirt die
Differenz zwischen 1,304 und 0,376 R, während die Viertelwellenlänge von
40,1 R auf 7,03 R sinkt. Dies stimmt nicht so gut mit der Theorie, welche
so starke Aenderungen des Werthes 0,785 R, der für die tiefsten Töne gilt,
bei veränderter Tonhöhe nicht erwarten läſst. Indessen sind bei den Röhren,
deren Länge mehr als 30 R beträgt, auch hier die Differenzen so gering, daſs
Aenderungen der Schwingungszahl um ein Procent genügen würden, die Ueber-
einstimmung herzustellen, und bei verschiedener Stärke des Anblasens können
leicht viel gröſsere Aenderungen eingetreten sein.
Endlich ist in §. 10 noch eine Aufgabe in ihren allgemeinen Zügen
hehandelt, welche bisher der theoretischen Bearbeitung unzugänglich gewesen
2 *
[12]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
war, nämlich die Bestimmung der Luftschwingungen in solchen Hohlräumen,
deren drei Dimensionen gleichmäſsig als verschwindend klein gegen die Wellen-
länge betrachtet werden können, und die durch eine Oeffnung, deren Fläche
selbst gegen die Oberfläche des Hohlraums verschwindend klein ist, mit der
äuſseren Luft communiciren. Es läſst sich die Höhe der Töne, für welche
solche kugel- und flaschenförmige Pfeifen stärkste Resonanz geben, allgemein
bestimmen. Ist die Oeffnung kreisförmig, und ihr Flächeninhalt s, das Volumen
des Hohlkörpers S, die Schallgeschwindigkeit a, und die Schwingungszahl des
Tones n, so ist nach der Theorie
n = \frac{a}{\sqrt{2}\sqrt[4]{\pi^5}}\frac{\sqrt[4]{s}}{\sqrt{S}}.
Wählen wir als Längeneinheit das Millimeter, und setzen a = 332260, so ist
n = 56174\frac{\sqrt[4]{s}}{\sqrt{S}}.
Sondhauſs*) hat aus Versuchen die Schwingungszahl der durch Anblasen
solcher Hohlkörper erhaltenen Töne in die Formel gebracht:
n = 52400\frac{\sqrt[4]{s}}{\sqrt{S}}.
Noch besser stimmt die Theorie mit den Versuchen von Wertheim, bei wel-
chen das Verhältniſs der Fläche der Oeffnung zur Oberfläche des Hohlraums
noch kleiner ist, als bei Sondhauſs, und die Uebereinstimmung ist desto
gröſser, je kleiner jenes Verhältniſs ist.
Für elliptische Oeffnungen läſst sich der Werth von n ebenfalls be-
stimmen. Er wird etwas kleiner als für kreisförmige.
Auch für Hohlkörper mit zwei Oeffnungen läſst sich dieselbe Aufgabe
lösen; das theoretische Gesetz stimmt auch hier mit den empirischen Formeln
von Sondhauſs und seinen Versuchen überein.
§. 1.
Es sei innerhalb einer Luftmasse in dem Punkte, der durch die rechtwinkligen
Coordinaten x, y, z bestimmt ist, zur Zeit t der Druck gleich p,
die den drei Coordinatenaxen parallelen Componenten der Geschwindigkeit u,
v, w, die Dichtigkeit h, und die Componenten der auf die Einheit der gasigen
[13]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
Masse wirkenden äuſseren Kräfte X, Y und Z seien auszudrücken als Diffe-
rentialquotienten einer Potentialfunction P, so daſs
X = \frac{dP}{dx}, Y = \frac{dP}{dy}, Z = \frac{dP}{dz}.
Die bekannten Bewegungsgleichungen für die inneren Punkte der Luftmasse
sind demgemäſs:
- (1.)
- \frac{dP}{dx} - \frac{1}{h}\cdot \frac{dp}{dx} = \frac{du}{dt} + u\frac{du}{dx} + v\frac{du}{dy} + w\frac{du}{dz},
- \frac{dP}{dy} - \frac{1}{h}\cdot \frac{dp}{dy} = \frac{dv}{dt} + u\frac{dv}{dx} + v\frac{dv}{dy} + w\frac{dv}{dz},
- \frac{dP}{dz} - \frac{1}{h}\cdot \frac{dp}{dz} = \frac{dw}{dt} + u\frac{dw}{dx} + v\frac{dw}{dy} + w\frac{dw}{dz},
- - \frac{dh}{dt} = \frac{d(hu)}{dx} + \frac{d(hv)}{dy} + \frac{d(hw)}{dz}.
Wenn Luft, ohne Wärme abzugeben, ihre Dichtigkeit ändert, ist
(1a.) p = b^2h^v
wo b eine Constante und v = 1,42 ist. Daraus folgt
- (1b.)
- \frac{dp}{dx} = b^2vh^{v-1}\frac{dh}{dx} und
- \frac{1}{h}\frac{dp}{dx} = b^2vh^{v-2}\frac{dh}{dx} = \frac{b^2v}{v-1}\frac{d(h^{v-1})}{dx},
und ähnlich für die Differentialquotienten nach y und z.
Die Schallbewegung gehört zu denjenigen Bewegungen, denen ein Ge-
schwindigkeitspotential zukommt, welches mit Φ bezeichnet werde, so daſs wir
haben:
(1c.) u = \frac{d\psi}{dx}v = \frac{d\psi}{dy}, w = \frac{d\psi}{dz}.
Setzt man die Werthe aus (1b.) und (1c.) in die Gleichungen (1.), so haben
die drei ersten derselben eine gemeinschaftliche Integralgleichung, nämlich:
(1d.) P - \frac{b^2v}{v-1}(h^{v-1}-h_0^{v-1}) = \frac{d\psi}{dt} + \tfrac{1}{2}\left\{\left(\frac{d\psi}{dx}\right)^2 + \left(\frac{d\psi}{dy}\right)^2 + \left(\frac{d\psi}{dz}\right)^2 \right\},
wo h0 eine Function der Zeit sein kann, und die vierte Gleichung läſst sich
auf die Form bringen:
(1e.) 0 = \frac{d(h^{v-1})}{dt} + (v-1)h^{v-1}\left[\frac{d^2\psi}{dx^2} + \frac{d^2\psi}{dy^2} + \frac{d^2\psi}{dz^2}\right] + \frac{d\psi}{dx}\cdot\frac{dh^{v-1}}{dx} + \frac{d\psi}{dy}\cdot\frac{dh^{v-1}}{dy} + \frac{d\psi}{dz}\cdot\frac{dh^{v-1}}{dz}
[14]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
In dem Folgenden nehmen wir an, daſs die Geschwindigkeiten und Aenderun-
gen der Dichtigkeit verschwindend klein seien. Setzen wir
h = h_0(1 + \mathfrak{h}),
so betrachten wir also P,h, sämmtliche Differentialquotienten von h, P und Φ
als unendlich kleine Gröſsen, und vernachlässigen ihre höheren Potenzen. Dann
werden die beiden Gleichungen (1d.) und (1e.), indem man b^2vh_0^{v-1}=a^2 setzt,
(1f.) P - a^2\mathfrak{h} = \frac{d\Phi}{dt},
(1g.) 0 = \frac{d\mathfrak{h}}{dt} + \frac{d^2\Phi}{dx^2} + \frac{d^2\Phi}{dy^2} + \frac{d^2\Phi}{dz^2}.
Indem man die erste Gleichung nach t differentiirt, kann man h aus beiden
eliminiren *) und erhält
(2.) 0 = \frac{dP}{dt}-\frac{d^2\Phi}{dt^2} + a^2\left[\frac{d^2\Phi}{dx^2} + \frac{d^2\Phi}{dy^2} + \frac{d^2\Phi}{dz^2}\right].
Wir wollen im Folgenden nur Fälle behandeln, wo wir es mit einem
einzigen gleichmäſsig anhaltenden Tone von n Schwingungen in der Zeitein-
heit zu thun haben, und also Φ von der Form ist:
(2a.) \Phi = \Psi'\cos (2\pi nt) + \Psi''\sin (2\pi nt),
wo Ψ' und Ψ″ Functionen von x, y, z sind. Dabei kann die Gleichung (2.)
nur bestehen, wenn auch P von der Form ist:
(2b.) \frac{n}{2a^2}P = -q''\cos (2\pi nt) + q'\sin (2\pi nt).
Es zerfällt dann die Gleichung (2.) in die folgenden beiden:
- (3.)
- 0 = 4\pi q' + k^2\Psi' + \frac{d^2\Psi'}{dx^2} + \frac{d^2\Psi'}{dy^2} + \frac{d^2\Psi'}{dz^2},
- 0 = 4\pi q'' + k^2\Psi'' + \frac{d^2\Psi''}{dx^2} + \frac{d^2\Psi''}{dy^2} + \frac{d^2\Psi''}{dz^2},
wo
(3a.) k = \frac{2\pi n}{a} = \frac{2\pi}{\lambda},
und λ die Wellenlänge ist.
[15]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
Zunächst werden wir uns mit der Integration dieser Differentialglei-
chungen zu beschäftigen haben. Aus ihrer Ableitung geht hervor, daſs q'
und q″ Functionen der Coordinaten sind, welche sich nur an solchen Stellen
des Raumes von 0 unterscheiden, wo veränderliche Kräfte auf die Luftmasse
einwirken und Schallschwingungen erregen. In allen anderen Theilen der
Luftmasse ist q = 0, und es sind daher die Functionen Ψ der Bedingung un-
terworfen
(3b.) 0 = k^2\Psi + \frac{d^2\Psi}{dx^2} + \frac{d^2\Psi}{dy^2} + \frac{d^2\Psi}{dz^2}.
Ich werde im Folgenden den immer wiederkehrenden Ausdruck
\frac{d^2\Phi}{dx^2} + \frac{d^2\Phi}{dy^2} + \frac{d^2\Phi}{dz^2}
nach dem Vorgang von Green mit ∇ x Φ, oder wo es unzweideutig ist, mit
∇Φ bezeichnen.
§. 2.
Wir beginnen mit der Integration der einfacheren Gleichung
(3b.) 0 = k^2\Psi + \nabla_x\Psi.
Ein bekanntes particulares Integral derselben ist
(4.) \Psi = \frac{A\cos (kr+g)}{r},
wenn wir mit A und g Constanten bezeichnen, mit r aber die Entfernung
des Punktes x, y, z von einem festen Punkte α, β, γ, also
r^2 = (x-\alpha)^2 + (y-\beta)^2 + (z-\gamma)^2.
Es ist nämlich
(4a.) \frac{d\Psi}{dx} = -\frac{A(x-\alpha)}{r^3}[\cos(kr+g)+kr\sin(kr+g)],
- (4b.)
- \frac{d^2\Psi}{dx^2} = -A\left[\frac{1}{r^3}-\frac{3(x-\alpha)^2}{r^5}\right][\cos(kr+g)+kr\sin(kr+g)]-\frac{Ak^2(x-\alpha)^2}{r^3}\cos(kr+g),
- \frac{d^2\Psi}{dy^2} = -A\left[\frac{1}{r^3}-\frac{3(y-\beta)^2}{r^5}\right][\cos(kr+g)+kr\sin(kr+g)]-\frac{Ak^2(y-\beta)^2}{r^3}\cos(kr+g),
- \frac{d^2\Psi}{dz^2} = -A\left[\frac{1}{r^3}-\frac{3(z-\gamma)^2}{r^5}\right][\cos(kr+g)+kr\sin(kr+g)]-\frac{Ak^2(z-\gamma)^2}{r^3}\cos(kr+g).
[16]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
Wenn man die drei Gleichungen (4b.) addirt, so erhält man:
\nabla_x\Psi = -Ak^2\frac{\cos(kr+g)}{r} = -k^2\Psi,
vorausgesetzt, daſs nicht r = 0 und dabei die Werthe von \frac{d^2\Psi}{dx^2}, \frac{d^2\Psi}{dy^2},
\frac{d^2\Psi}{dz^2} und Ψ unendlich werden. Mit Ausnahme des Punktes α, β, γ ist also
dann die Diffentialgleichung (3b.) mittelst des in Gleichung (4.) angenommenen
Werthes von Φ durch den ganzen unendlichen Raum erfüllt.
Indem wir in Gleichung (4.) g entweder gleich Null oder gleich — ½π
machen, erhalten wir zwei verschiedene Formen des particularen Integrals.
1) Wenn g = — ½π, wird
(4c.) \Psi = A\frac{\sin kr}{r},
und erhält für r = 0 den endlichen Werth Ak. Auch die Differentialquotien-
ten bleiben endlich, es wird nämlich für r = 0
\frac{d^2\Psi}{dx^2} = \frac{d^2\Psi}{dy^2} = \frac{d^2\Psi}{dz^2} = -\frac{1}{3}Ak^3,
wie man leicht sieht, wenn man cos kr und sin kr nach Potenzen der ver-
schwindenden Gröſse r entwickelt. Daraus ergiebt sich für r = 0
\nabla_x\Psi + k^2\Psi = 0.
Die Function \Psi = A\frac{\sin kr}{r} ist also ein solches particulares Integral der Glei-
chung (3b.), welches im ganzen Raume und auch im Punkte α, β γ gültig ist.
2) Wenn wir g = 0 setzen, wird
(4d.) \Psi = A\frac{\cos kr}{r}
und für r = 0 unendlich groſs, ebenso wie seine Differentialquotienten. Die
Gleichung (3b.) wird also im ganzen Raume erfüllt, mit Ausnahme des Punk-
tes α, β, γ.
Daraus ergiebt sich ferner leicht, daſs wenn wir setzen:
(4e.) \Psi = \Sigma_{\alpha,\beta,\gamma}\left[A_{\alpha,\beta,\gamma}\frac{\sin kr}{r}\right],
wo bei den einzelnen Gliedern der Summe die Werthe von α, β, γ und A
verschieden sind, die Gleichung (3b.) erfüllt ist im ganzen Raume, ohne Aus-
nahme der Punkte α, β, γ.
[17]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
Wenn wir aber setzen
(4f.) \Psi = \Sigma_{\alpha,\beta,\gamma}\left[A_{\alpha,\beta,\gamma}\frac{\cos kr}{r}\right]
so ist die Gleichung (3b.) im ganzen Raume erfüllt mit Ausnahme derjenigen
Punkte, deren Coordinaten α, β, γ in der Summe vorkommen.
Denken wir uns die Punkte α, β, γ continuirlich neben einander im
Raume vertheilt, so werden aus den Summen Integrale, und wir schlieſsen,
daſs die Function
(4g.) \int\int\int h_{\alpha,\beta,\gamma}\frac{\sin kr}{r}d\alpha d\beta d\gamma
im ganzen Raume der Gleichung (3b.) genügt, dagegen die Function
(4h.) \int\int\int h_{\alpha,\beta,\gamma}\frac{\cos kr}{r}d\alpha d\beta d\gamma
nur in denjenigen Theilen des Raumes, für welche h = 0. In beiden soll
h eine willkürliche Function von α, β und γ bedeuten.
Wenn wir in der Gleichung (3b.) k = 0 setzen, verwandelt sie sich in
(3c.) \nabla_x \Psi = 0,
die bekannte Differentialgleichung für die Potentialfunctionen solcher Massen,
welche in die Ferne mit anziehenden oder abstoſsenden Kräften wirken, deren
Intensität dem Quadrate der Entfernung umgekehrt proportional ist. Die ver-
schiedenen Formen für das Integral Ψ der Gleichung (3b.), welche wir auf-
gestellt haben, verwandeln sich, wenn sie \frac{\sin kr}{r} enthalten, in
Ψ = Constans,
welches Integral im ganzen Raume ohne Ausnahme eines Punktes der Glei-
chung (3c.) genügt, oder, wenn sie \frac{\cos kr}{r} enthalten, in
\Psi = \Sigma\left[\frac{A}{r}\right]
oder
\Psi = \int\int\int \frac{h}{r}d\alpha d\beta d\gamma,
welche beiden Formen in denjenigen Punkten des Raumes nicht genügen,
in denen anziehende oder abstoſsende Masse vorhanden ist, in denen also A
oder h nicht gleich Null ist.
Da die Gleichung
0 = k^2\Psi + \nabla_x \PsiJournal für Mathematik Bd. LVII. Heft 1. 3
[18]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
im ganzen mit Luft gefüllten Raume erfüllt sein muſs mit Ausnahme solcher
Stellen, wo veränderliche Kräfte auf die Luft wirken, schlieſsen wir, daſs in
den Formen des Integrals (4d.), (4f.), (4h.) diejenigen Punkte und Theile des
Raumes, in denen die Gleichung (3b.) nicht erfüllt ist, Erregungspunkte
des Schalls sind. Wir wollen sie auch als solche bezeichnen. Es mag in
den Formen des Integrals (4d.) und (4f.) die Constante A die Intensität
des betreffenden Erregungspunktes heiſsen, und in (4h.), wo die Erregungs-
punkte continuirlich durch den Raum vertheilt gedacht sind, nennen wir die Con-
stante h ihre Dichtigkeit. Bei electrischen Problemen, wo k = 0, würden die
Erregungspunkte den Massenpunkten, die Intensität der Masse, die Dichtigkeit
der Dichtigkeit entsprechen. Da die Functionen Ψ die Bedeutung von Geschwindigkeitspotentialen
haben, wollen wir, entsprechend dem Sprachgebrauch
in der Lehre von der Electricität und dem Magnetismus, eine solche Summe
wie (4f.), welche sich auf eine bestimmte Zahl von Punkten α, β, γ bezieht,
das Geschwindigkeitspotential dieser bestimmten Erregungspunkte nennen.
Die Gleichung (3b.) wird also erfüllt durch die ganze Ausdehnung eines ge-
gebenen Raumes S, wenn Ψ das Geschwindigkeitspotential auſserhalb S
gelegener Erregungspunkte ist.
§. 3.
Wenn wir nun zur Betrachtung der Differentialgleichung
(3.) \nabla_x\Psi + k^2\Psi = -4\pi q
übergehen, so ist zunächst zu bemerken, daſs für k = 0, diese Gleichung in
(3d.) \nabla_x\Psi = -4\pi q
übergeht, deren Integral bekanntlich ist:
\Psi = \int\int\int \frac{q_{\alpha,\beta,\gamma}}{r}d\alpha d\beta d\gamma + \Phi,
worin Φ eine Function bezeichnet, für welche in dem ganzen Theile des
Raumes, wo die Gleichung (3d.) erfüllt sein soll, ∇Φ = 0 ist.
Wir wollen jetzt zeigen, daſs in ganz analoger Weise das Integral
der Gleichung
(3.) \nabla_x\Psi + k^2\Psi = -4\pi q
ist:
(5.) \Psi = \int\int\int q_{\alpha,\beta,\gamma}\frac{\cos kr}{r}d\alpha d\beta d\gamma + \Psi,
wo Φ eine Function bezeichnet, für welche in den Theilen des Raumes, wo
[19]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
die Gleichung (4.) gültig sein soll,
\nabla_x\Phi + k^2\Phi = 0.
Um die durch das Zeichen ∇xΨ vorgeschriebenen Differentiationen
unter dem Integralzeichen in (5.) vornehmen zu können, denke ich mir den
ganzen Raum durch eine den Punkt α, β, γ in unendlich kleiner Entfernung
umgebende rings geschlossene Fläche getheilt, und nenne den unendlich klei-
nen inneren Raum S0, den umgebenden äuſseren S1. Das in dem Werthe
von Ψ (Gleichung (5.)) enthaltene Integral zerlege ich dem entsprechend in
zwei Theile, von denen der eine Ψ0 der Integration über S0, der andere Ψ1
der über S1 entspricht.
Es ist also
(5a.) \Psi = \Psi_0 + \Psi_1 + \Phi.
Da Ψ1 ein Potential von Erregungspunkten, die auſserhalb S0 liegen, für einen
innerhalb S0 enthaltenen Punkt ist, so ist
\nabla_x\Psi_1 + k^2\Psi_1 = 0,
ebenso
\nabla_x\Phi + k^2\Phi = 0,
also
(5b.) \nabla_x\Psi + k^2\Psi = \nabla_x\Psi_0 + k^2\Psi_0.
Nun setze ich
f_r = \frac{\cos kr}{r}-\frac{1}{r},
welche Gröſse fr für r = 0 auch gleich Null wird, während aus den Gleichun-
gen (4b.) sich ergiebt, daſs für sehr kleine Werthe von r\frac{d^2f}{dx^2}, \frac{d^2f}{dy^2} und
\frac{d^2f}{dz^2} sich auf Gröſsen von der Dimension \frac{1}{r} reduciren, und für r = 0
\nabla_x f_r = -\frac{k^2}{r}
wird. Ferner setze ich
\Psi' = \int\int\int q_{\alpha,\beta,\gamma}f_rd\alpha d\beta d\gamma,
\Psi'' = \int\int\int q_{\alpha,\beta,\gamma}\frac{1}{r}d\alpha d\beta d\gamma,
beide Integrale über den unendlich kleinen Raum S0 ausgedehnt, so daſs
(5c.) \Psi_0 = \Psi' + \Psi''.
Um zu ermitteln, von welcher Gröſsenordnung Ψ', Ψ″ und ∇Ψ' sind, führe
3 *
[20]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
man statt der rechtwinkligen Coordinaten α, β und γ Kugelcoordinaten ein,
indem man setzt:
x-\alpha = r\cos \omega,
y-\beta = r\sin\omega\cos\theta,
z-\gamma = r\sin\omega\sin\theta,
dann wird
d\alpha d\beta d\gamma = r^2\sin\omega d\omega d\theta dr.
Ist also die mit dα dβ dγ unter dem Integrationszeichen multiplicirte Gröſse
für r = 0 entweder endlich, wie qfr, oder von der Ordnung \frac{1}{r}, wie \frac{q}{r} und
∇xfr, welches gleich -\frac{k^2}{r} ist, so wird die zu integrirende Gröſse unendlich
klein und über einen unendlich kleinen Raum integrirt. Daher werden die
Gröſsen Ψ' Ψ″, Ψ0 (wegen (5c.)) und ∇x Ψ' unendlich klein. Dagegen ist
∇xΨ″ endlich und hat den bekannten Werth
\nabla_x\Psi'' = -4\pi q.
Folglich wird aus (5b.) und (5c.)
\nabla_x\Psi + k^2\Psi = \nabla_x\Psi' + \nabla_x\Psi'' + k^2\Psi' + k^2\Psi''
und, indem wir die unendlich kleinen Gröſsen gegen die endliche vernach-
lässigen,
(3.) \nabla_x\Psi + k^2\Psi = -4\pi q,
was zu erweisen war.
§. 4.
Es läſst sich für die hier untersuchten Formen von Geschwindigkeits-
potentialen ferner dieselbe Relation erweisen, welche für die Potentialfunctionen
electrischer Massen an solchen Flächen stattfindet, die mit endlichen Massen
in unendlich dünner Schicht belegt sind.
Setzen wir
(6.) \Psi = \int p\frac{\cos kr}{r}d\omega,
wo dω das Flächenelement einer beliebigen Fläche Ω bezeichnet und p eine
Function, die sich in der Fläche continuirlich ändert, und untersuchen die er-
sten Differentialquotienten von Ψ für solche Punkte x, y, z des Raumes,
welche der Fläche Ω unendlich nahe liegen.
[21]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
Wir setzen wieder
\frac{\cos kr}{r} = f_r + \frac{1}{r},
\Psi = \Psi' + \Psi'',
\Psi' = \int pf_rd\omega,
\Psi'' = \int p\frac{1}{r}d\omega.
Ψ' ist jedenfalls endlich, wenn p und die Gröſse der Fläche Ω endlich sind,
da fr immer endlich ist. Daſs Ψ″ unter denselben Bedingungen endlich ist,
ist aus der Theorie der electrischen Potentialfunctionen bekannt, ebenso daſs
Ψ″ auf beiden Seiten dicht an der Fläche dieselben Werthe hat. Daſs letz-
teres auch mit Ψ' und also auch mit Ψ der Fall sei, ist leicht zu ersehen,
da fr, auch wenn man durch die Schicht selbst hindurchgeht, sich immer nur
continuirlich ändern kann. Dagegen wissen wir, daſs die Differentialquotienten
von Ψ″ an der Fläche einen endlichen Sprung ihres Werthes erleiden, wäh-
rend leicht zu erkennen ist, daſs die von Ψ' an der Fläche continuirlich sein
müssen. Denken wir uns durch eine geschlossene Linie, die in unendlich
kleiner Entfernung den Fuſspunkt des von x, y, z auf die Fläche Ω gefällten
Lothes umgiebt, ein Stück Ω0 aus der Fläche herausgeschnitten und das Integral
\int pf_rd\omegagetheilt in \Psi'_0, welches über die Fläche Ω0, und \Psi'_1, welches über
den Rest der Fläche ausgedehnt ist, so daſs
\Psi' = \Psi'_0 + \Psi'_1.
Nun ist die Gröſse
\frac{df_r}{dx} = -\frac{k^2}{2}\frac{x-\alpha}{r}
für unendlich kleine Werthe von r, bleibt also endlich, macht aber einen
Sprung, wenn man von positiven Werthen von x — a durch r = 0 nach ne-
gativen übergeht, ist dagegen continuirlich, wenn man nicht durch r = 0 hin-
durchgeht. Letzteres geschieht nun keinenfalls, wenn man in \Psi'_1 die Werthe
von x, y, z sich ändern läſst. Dagegen ist \frac{d\Psi'_0}{dx}, wo allerdings ein Sprung
eintreten würde, unendlich klein als das Integral einer endlichen Gröſse über
eine unendlich kleine Fläche genommen, und wir können deshalb seinen Werth
gegen \frac{d\Psi'_1}{dx} und \frac{d\Psi''}{dx} vernachlässigen. Folglich sind die Differentialquotienten
von Ψ', welches gleich \Psi'_0 + \Psi'_1 ist, continuirlich, und die von Ψ müssen an
[22]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
der Fläche Ω einen Sprung von derselben Gröſse wie die von Ψ″ machen.
Bezeichnen wir die von der Fläche ab nach beiden Seiten hingehenden Nor-
malen mit n͵ und n͵͵, so ist bekanntlich
\frac{d\Psi''}{dn_\prime} + \frac{d\Psi''}{dn_{\prime\prime}} = -4\pi p,
und daraus folgt, daſs auch
(6a.) \frac{d\Psi}{dn_\prime} + \frac{d\Psi}{dn_{\prime\prime}} = -4\pi p
sei, was zu beweisen war.
Man kann ferner den für die Lehre von den electrischen und magne-
tischen Potentialfunctionen so äuſserst fruchtbaren Lehrsatz von Green*) auch
auf die hier vorliegenden Functionen mit dem gröſsten Vortheil anwenden.
Wenn Ψ und Φ zwei Functionen sind, welche innerhalb eines abge-
grenzten Raumes S eindeutig und stetig sind, d. h. überall endliche erste
Differentialquotienten haben, so ist nach jenem Satze von Green
\int\Psi\frac{d\Phi}{dn}d\omega + \int\int\int\Psi\nabla\Phi dxdydz = \int\Phi\frac{d\Psi}{dn}d\omega + \int\int\int\Phi\nabla\Psi dxdydz,
wo dω ein Flächenelement der Oberfläche von S, n die nach innen gerichtete
Normale bedeutet, und die Integrationen nach dω über die ganze Oberfläche
von S, die nach dx dy dz durch das ganze Innere von S auszudehnen sind.
Wenn wir auf beiden Seiten dieser Gleichung addiren k2 ∫∫∫ΨΦdx dy dz, so
bringen wir den Satz in die Form, welche wir hier brauchen
(7.) \int\Psi\frac{d\Phi}{dn}d\omega + \int\int\int\Psi(\nabla\Phi + k^2\Phi)dxdydz
= \int\Phi\frac{d\Psi}{dn}d\omega + \int\int\int\Phi(\nabla\Psi + k^2\Psi)dxdydz.
Sind Ψ und Φ dargestellt als Geschwindigkeitspotentiale von Erregungspunk-
ten, die theils innerhalb, theils auſserhalb des Raumes S continuirlich mit der
Dichtigkeit q und p verbreitet sind, so ist nach Gleichung (3.), (5.) und (7.)
(7a.)\int\Psi\frac{d\Phi}{dn}d\omega - 4\pi\int\int\int\Psi pdxdydz
= \int\Phi\frac{d\Psi}{dn}d\omega - 4\pi\int\int\int\Phi qdxdydz.
[23]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
Sind Ψ und Φ Geschwindigkeitspotentiale von auſserhalb S gelegenen Er-
regungspunkten, so wird
(7b.) \int\Psi\frac{d\Phi}{dn}d\omega = \int\Phi\frac{d\Psi}{dn}d\omega.
Green hat bewiesen, daſs eine solche Gleichung wie (7a.) auch richtig bleibt,
wenn in einem unendlich kleinen Raumelement ds des Raumes S die Dichtig-
keit p einen so groſsen constanten Werth annimmt, daſs p ds einer endlichen
Gröſse A gleich wird, obgleich dann Φ an dieser Stelle nicht stetig bleibt,
sondern unstetig wird, wie \frac{A}{r}. Nehmen wir an, daſs Φ das Geschwindig-
keitspotential der in dem unendlich kleinen Raumelemente ds, dessen Coor-
dinaten α, β, γ seien, mit der gleichmäſsigen Dichtigkeit p vertheilten Er-
regungspunkte sei, während p überall sonst gleich Null ist, so daſs also Φ
in endlicher Entfernung vom Punkte α, β, γ den Werth habe:
\Phi = A\frac{\cos kr}{r},
so reducirt sich das dreifache Integral der linken Seite der Gleichung (7a.),
indem wir den Werth, welchen Ψ im Punkte α, β, γ hat, mit Ψa bezeich-
nen, auf
\Psi_\alpha\int p ds = A\Psi_\alpha.
Die Gleichung (7.) wird also
(7c.) -4\pi\Psi_\alpha = \int\frac{d\Psi}{dn}\frac{\cos kr}{r}d\omega - \int\Psi\frac{d}{dn}\left(\frac{\cos kr}{r}\right)d\omega + \int\int\int(\nabla_x\Psi + k^2\Psi)\frac{\cos kr}{r}dxdydz.
Somit ist die Function Ψ, welche wir nur der Bedingung unterworfen hatten,
eindeutig und stetig zu sein, die übrigens ganz beliebiger Art sein kann, auf
die Form unserer Geschwindigkeitspotentiale gebracht. Ist übrigens innerhalb
des ganzen Raumes S
\nabla_x\Psi + k^2\Psi = 0,
so wird die Gleichung (7c.):
(7d.) \int\Psi\frac{d}{dn}\left(\frac{\cos kr}{r}\right)d\omega - \int\frac{d\Psi}{dn}\frac{\cos kr}{r}d\omega = 4\pi\Psi_\alpha.
Nun ist das Integral \int\frac{d\Psi}{dn}\frac{\cos kr}{r} das Potential einer Schicht von Erre-
gungspunkten, welche an der Oberfläche von S ausgebreitet ist und die
Dichtigkeit \frac{d\Psi}{dn} hat. Das andere Integral können wir aber betrachten als das
[24]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
Potential einer Doppelschicht von Erregungspunkten, die derselben Fläche an-
liegen. Denken wir die eine Schicht mit der Dichtigkeit -\frac{1}{\epsilon}\Psi auf der
äuſseren Seite der Oberfläche von S in der unendlich kleinen Entfernung ½ε
von dieser Oberfläche ausgebreitet, die andere mit der Dichtigkeit +\frac{1}{\epsilon}\Psi auf
der inneren Seite der Oberfläche von S auch in der unendlich kleinen Ent-
fernung ½ε von dieser Oberfläche entfernt, so wird das Potential dieser Schich-
ten sein: \int\Psi\frac{d}{dn}\left(\frac{\cos kr}{r}\right)d\omega. Somit läſst sich jede stetige und eindeutige
Function Ψ, welche in allen Theilen des Raumes S der Gleichung genügt:
\nabla\Psi+k^2\Psi = 0,
als Geschwindigkeitspotential von Erregungspunkten ausdrücken, die blos
längs der Oberfläche von S ausgebreitet sind.
Hier aber hört die Aehnlichkeit mit den electrischen Potentialfunctionen
auf, indem diese letzteren sich stets ausdrücken lassen als Potentialfunctionen
einer einfachen Schicht von Electricität an der Oberfläche des Raumes, was
bei unseren Potentialen zwar im Allgemeinen auch der Fall ist, aber für eine
unendlich groſse Zahl von bestimmten Werthen von k für eine jede gegebene
geschlossene Oberfläche Ausnahmen erleidet. Es sind dies nämlich diejenigen
Werthe von k, die den eigenen Tönen der eingeschlossenen Luftmasse ent-
sprechen.
Man kann sich davon leicht an einem Beispiele überzeugen, indem man
das Potential für eine gleichmäſsig und continuirlich mit Erregungspunkten be-
legte Kugelschaale berechnet.
Wenn sämmtliche Dimensionen des Raumes S sehr klein gegen die
Wellenlänge sind, kann kr gegen 1 vernachlässigt werden, so oft r die Ent-
fernung zweier innerhalb S gelegener Punkte ist. Unter diesen Umständen
wird die Gleichung (7d.)
4\pi\Psi_\alpha = \int\Psi\frac{d}{dn}\left(\frac{1}{r}\right)d\omega - \int\frac{d\Psi}{dn}\frac{d\omega}{dr}.
Bei dieser Weglassung unendlich kleiner Gröſsen wird also Ψ eine Function,
welche der Gleichung ∇Ψ = 0 im Raume S genügt, und es folgt daraus,
daſs man in Räumen, deren Dimensionen gegen die Wellenlänge verschwin-
dend klein sind, statt der Functionen, die der Gleichung ∇Ψ + k2 Ψ = 0 ge-
nügen, stets unendlich wenig davon unterschiedene Functionen finden kann,
die der Gleichung ∇Ψ = 0 genügen.
[25]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
Wendet man die Gleichung (7d.) auf theilweis zusammenstoſsende
Räume S͵ und S͵͵ an, indem man die Elemente ihrer nicht gemeinsamen
Oberfläche mit dω͵ und dω͵͵, die des gemeinsamen Stückes ihrer Oberfläche
mit dω0 bezeichnet, unter n͵ die nach dem Inneren von S͵, unter n͵͵ die
nach dem Inneren von S͵͵ gerichteten Normalen dieser Flächenelemente ver-
steht, so hat man,
wenn innerhalb S͵\nabla\Psi_\prime + k^2\Psi_\prime,
und innerhalb S͵͵\nabla\Psi_{\prime\prime} + k^2\Psi_{\prime\prime}
der Punkt α, β, γ, von dem die Entfernungen r gerechnet werden, aber
innerhalb S͵ liegt, und wir unter dem Integralzeichen [dω͵ + dω0] schreiben,
wo die Integration über sämmtliche Elemente dω͵ und sämmtliche dω0 aus-
gedehnt werden soll,
4\pi\Psi_{\prime\alpha} = \int\Psi_\prime\frac{d}{dn_\prime}\left(\frac{\cos kr}{r}\right)[d\omega_\prime + d\omega_0] - \int\frac{d\Psi_\prime}{dn_\prime}\frac{\cos kr}{r}[d\omega_\prime + d\omega_0],
0 = \int\Psi_{\prime\prime}\frac{d}{dn_{\prime\prime}}\left(\frac{\cos kr}{r}\right)[d\omega_{\prime\prime} + d\omega_0] - \int\frac{d\Psi_{\prime\prime}}{dn_{\prime\prime}}\frac{\cos kr}{r}[d\omega_{\prime\prime} + d\omega_0].
Wenn nun an der gemeinsamen Trennungsfläche beider Räume
\Psi_\prime = \Psi_{\prime\prime}, \frac{d\Psi_\prime}{dn_\prime} = \frac{d\Psi_{\prime\prime}}{dn_\prime} = - \frac{d\Psi_{\prime\prime}}{dn_{\prime\prime}}
ist, so giebt die Addition beider Gleichungen, da dn͵ = — dn͵͵,
4\pi\Psi_{\prime\alpha} = \int\Psi_\prime\frac{d}{dn_\prime}\left(\frac{\cos kr}{r}\right)d\omega_\prime - \int\frac{d\Psi_\prime}{dn_\prime}\frac{\cos kr}{r}d\omega_\prime + \Psi_{\prime\prime}\frac{d}{dn_{\prime\prime}}\left(\frac{\cos kr}{r}\right)d\omega_{\prime\prime} - \int\frac{d\Psi_{\prime\prime}}{dn_{\prime\prime}}\frac{\cos kr}{r}d\omega_{\prime\prime}.
Die Function Ψ͵ erscheint also hier als Potential von Punkten ausgedrückt, die
an der nicht gemeinsamen Oberfläche der Räume S͵ und S͵͵ liegen, während
die Punkte der gemeinsamen Trennungsfläche ganz aus dem Integral ver-
schwinden. Genau denselben Ausdruck erhält man aber für Ψ͵͵, wenn man
den Punkt α, β, γ in den Raum S͵͵ verlegt. Es sind also in diesem Falle
Ψ͵ und Ψ͵͵ Potentiale derselben auſserhalb des gemeinsamen Raumes S͵ und
S͵͵ liegenden Erregungspunkte, und beide Functionen müssen continuirlich in
einander übergehen.
Wenn wir also im Folgenden für das Geschwindigkeitspotential in ver-
schiedenen Theilen eines zusammenhängenden Luftraumes verschiedene Aus-
drücke Ψ͵ und Ψ͵͵ werden wählen müssen, wird die Continuität an der Grenz-
Journal für Mathematik Bd. LVII. Heft 1. 4
[26]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
fläche hergestellt sein, wenn in allen Punkten derselben
\Psi_\prime = \Psi_{\prime\prime} und \frac{d\Psi_\prime}{dn_\prime} = \frac{d\Psi_{\prime\prime}}{dn_\prime} oder -\frac{d\Psi_{\prime\prime}}{dn_{\prime\prime}}.
§. 5.
Wir müssen noch die Grenzbedingungen aufstellen für solche unendlich
entfernt gedachte Oberflächen, durch welche Schallwellen in den unendlichen
Raum hinauslaufen, und jenseits welcher es keine Erregungspunkte mehr giebt.
Wenn von einem einzelnen Punkte aus in der vorher unbewegten Luft eine
Erschütterung ausgeht, so hat das Geschwindigkeitspotential bekanntlich die
Form \frac{1}{r}F_{(r-at)}, wo F eine willkührliche Function, a die Schallgeschwindig-
keit, r die Entfernung vom Erregungspunkte α, β, γ bezeichnet. Soll F
einer einfach periodischen Bewegung von n Perioden in der Secunde ent-
sprechen, so müssen wir ihm die Form geben \frac{1}{r}\cos[kr - 2\pi nt + c], wo
2πn = ak, wie in (3a.) festgesetzt ist. Haben wir nun eine beliebige Anzahl
Schall erregender Punkte in endlicher Entfernung vom Anfangspunkte der
Coordinaten, so daſs das Geschwindigkeitspotential Ψ von der Form wird:
(8.) \Psi = \sum \left\{A_\mathfrak{a}\frac{\cos[kr_\mathfrak{a} - 2\pi nt + g_\mathfrak{a}]}{r_\mathfrak{a}}\right\}
wo ra die Entfernung vom Punkte a, Aa und ga Constanten bezeichnen, die
für die verschiedenen Punkte verschieden sind, und setzen wir die Coor-
dinaten x, y, z des Punktes, in dem die Schallbewegung bestimmt werden
soll, gleich
ϱcos ω, ϱ sin ω cos ϑ, ϱ sin ω sin ϑ,
für den Punkt a aber gleich
αa, βa, γa,
so ist
r = \sqrt{\rho^2-2\rho(\alpha\cos\omega + \beta\sin\omega\cos\theta + \gamma\sin\omega\sin\theta) + \alpha^2 + \beta^2 + \gamma^2},
und für unendlich groſse Werthe von ϱ wird
r = \rho - \alpha\cos\omega - \beta\sin\omega\sin\theta - \gamma\sin\omega\sin\delta,
indem wir die weiteren Glieder vernachlässigen, welche ϱ im Nenner ent-
halten und deshalb unendlich klein werden. Danach wird nun der Werth
von Ψ, wenn wir nur die Glieder von der Ordnung \frac{1}{\rho} beibehalten,
[27]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
(8a.) \Psi = \frac{\cos(k\rho - 2\pi nt)}{\rho}\sum\left\{A_\mathfrak{a}\cos[k(\alpha_\mathfrak{a}\cos\omega + \beta_\mathfrak{a}\sin\omega\cos\theta+\gamma_\mathfrak{a}\sin\omega\sin\theta)-g_\mathfrak{a}]\right\}
+ \frac{\sin(k\rho - 2\pi nt)}{\rho}\sum\left\{A_\mathfrak{a}\sin[k(\alpha_\mathfrak{a}\cos\omega + \beta_\mathfrak{a}\sin\omega\cos\theta+\gamma_\mathfrak{a}\sin\omega\sin\theta)-g_\mathfrak{a}]\right\}.
Die beiden Summen in diesem Ausdruck sind von ϱ unabhängig, dagegen
Functionen von ω und ϑ. Wir können also schlieſslich für unendlich groſse
Werthe von ϱ Ψ auf die Form bringen:
(8b.) \Psi = \mathfrak{A}\frac{\cos[k\rho - 2\pi nt + c]}{\rho},
wo A und c Functionen von ω und ϑ sind.
Dieselbe Betrachtung läſst sich auch anwenden, wenn in der Nähe der
Schall erregenden Punkte begrenzte feste Körper vorhanden sind in endlicher
Entfernung vom Anfangspunkte der Coordinaten, insofern man an der Ober-
fläche dieser Körper periodisch wirkende Kräfte annehmen kann, welche die
Bewegung der Lufttheilchen senkrecht gegen ihre Oberfläche zu vernichten
im Stande sind. Ist der Raum durch irgend eine unendlich ausgedehnte
Fläche nach einer Richtung begrenzt, so ist diese Betrachtung nicht unmittel-
bar anwendbar, weil man dann periodisch wirkende Kräfte an dieser Fläche
bis in unendliche Entfernung hinaus haben würde. Wohl aber läſst sich ein-
fach der Fall behandeln, wo der Raum durch eine unendliche Ebene begrenzt
ist, die durch den Anfangspunkt der Coordinaten geht. Man braucht sich zu
den Erregungspunkten nur noch ihre Spiegelbilder hinter der Ebene hinzu zu
denken, von beiden zusammen das Geschwindigkeitspotential zu nehmen, so
erfüllt dies die Bedingung, daſs an der Ebene \frac{d\Psi}{dn} = 0 sei, und es lassen
sich auf ein solches Geschwindigkeitspotential dieselben Betrachtungen an-
wenden, als wenn nur endliche feste Körper in der Nähe wären.
Unter diesen Umständen ist also die Grenzbedingung, welche für die
unendlich entfernten Theile des freien Raumes aufzustellen ist, die, daſs das
Bewegungspotential Ψ dort die in Gleichung (8b.) angegebene Form habe.
Setzen wir jetzt voraus, daſs Ψ das Geschwindigkeitspotential eines
Schallwellenzuges sei, der in dem Punkte a erregt wird, in dessen Nachbar-
schaft sich eine beliebige Anzahl fester begrenzter Körper befinden möge, so
daſs nur an dieser Stelle Ψ unendlich werde, wie
A\frac{\cos kr_\alpha}{r_\alpha}\cos(2\pi nt)
sonst überall endlich und stetig bleibe, und in der unendlich groſsen Entfernung ϱ
4 *
[28]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
von derselben Form wie in Gleichung (8b.) sei. Auſserdem möge an der Ober-
fläche der festen Körper die Gleichung \frac{d\Psi}{dn} = 0 stattfinden. Es sei ferner Φ
das Geschwindigkeitspotential einer Schallbewegung, die im Punkte b erregt wor-
den ist, so daſs in unendlich kleiner Entfernung von b Φ unendlich wird, wie
\Phi = A\frac{\cos kr_b}{r_b}\cos(2\pi nt),
in unendlicher Entfernung ϱ dagegen
\Phi = \mathfrak{B}\frac{\cos[k\rho - 2\pi nt + \delta]}{\rho}
sei, wo B und d nach verschiedenen Richtungen vom Anfangspunkte der Coor-
dinaten aus verschiedene Werthe haben; übrigens muſs Φ wie Ψ überall
sonst endlich sein, und an der Oberfläche der festen Körper \frac{d\Psi}{dn} = 0.
Wir wenden nun die Gleichung (7.) auf einen Raum S an, der durch
eine mit dem unendlich groſsen Radius ϱ um den Anfangspunkt der Coordinaten
beschriebene Kugelschaale umschlossen ist, von welchem wir nur ausschlieſsen
alle die Theile, welche durch die festen Körper eingenommen sind. Für die
Integration an den Punkten a und b, wo Ψ und Φ unendlich groſs werden,
findet dieselbe Betrachtung wie bei Gleichung (7c.) statt. Wir erhalten
(9.) \int\Psi\frac{d\Psi}{dn}d\omega - \int\Phi\frac{d\Psi}{dn}d\omega = 4\pi A[\Psi_b\cos(2\pi nt) - \Phi_a\cos2\pi nt],
wo Ψb den Werth von Ψ im Punkte b, und Φa den von Φ im Punkte a
bezeichnet. Die Integration nach dω ist sowohl über die Oberflächen der vor-
handenen festen Körper auszudehnen, an denen aber \frac{d\Phi}{dn} = \frac{d\Psi}{dn} = 0, so daſs
diese Theile wegfallen, als auch über die Oberfläche der Kugel. Hier wird nun
\Psi\frac{d\Phi}{dn} - \Phi\frac{d\Psi}{dn} = \mathfrak{A}\mathfrak{B}k\sin(\delta - c).
Wenn wir nun bedenken, daſs Ψ und Φ von der Form sein müssen:
\Psi = \Psi'\cos(2\pi nt) + \Psi''\sin(2\pi nt),
\Phi = \Phi'\cos(2\pi nt) + \Phi''\sin(2\pi nt),
wo Ψ', Φ', Ψ″ und Φ″ von der Zeit unabhängige Gröſsen sind, so wird
\Psi_b\cos(2\pi nt)-\Phi_a\cos(2\pi nt)
= \tfrac{1}{2}[\Psi'_b - \Phi'_a] + \tfrac{1}{2}[\Psi'_b - \Phi'_a] \cos(4\pi nt) + \tfrac{1}{2}[\Psi''_b - \Phi''_a]\sin(4\pi nt).
Da nun die Gleichung (9.) für jeden Werth von t erfüllt sein muſs, so muſs
[29]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
einzeln gleich sein:
\Psi'_b - \Phi'_a = 0,
\Psi''_b - \Phi''_a = 0,
\int\mathfrak{A}\mathfrak{B}\sin(\delta - c)d\omega = 0,
also auch
(9a.) \Psi_b = \Psi'_b\cos(2\pi nt) + \Psi''_b\sin(2\pi nt) = \Phi'_a\cos(2\pi nt) + \Phi''_a\sin(2\pi nt) = \Phi_a.
Daraus geht der wichtige Satz hervor: Wenn in einem mit Luft gefüllten
Raume, der theils von endlich ausgedehnten festen Körpern begrenzt theils
unbegrenzt ist, im Punkte a Schallwellen erregt werden, so ist das Ge-
schwindigkeitspotential derselben in einem zweiten Punkte b ebenso groſs,
als es in a sein würde, wenn nicht in a, sondern in b Wellen von der-
selben Intensität erregt würden. Auch ist der Unterschied der Phasen
des erregenden und erregten Punktes in beiden Fällen gleich.
Aus der nach der Gleichung (8b.) gemachten Bemerkung geht hervor,
daſs dasselbe noch gilt, wenn der Raum von einer unendlichen Ebene theil-
weise begrenzt ist. Ist Φ das Geschwindigkeitspotential von Schallwellen,
die eine gröſsere Zahl von Erregungspunkten b1, b2 etc. bm haben, also von
der Form
\Phi = \Phi_1 + \Phi_2 + \cdots + \Phi_m,
wo Φm das Potential der in bm erregten Schallwellen ist, so wird
(9b.) \sum[\Psi_{b_m}] = \sum[\Phi_{m,a}].
In dem Falle, wo die durch Ψ dargestellte Schallbewegung nicht da-
von herrührt, daſs ein tönender Punkt a sich im freien Raume befindet, sondern
daſs an irgend einem Oberflächenelemente der Begrenzung des Luftraumes, das
wir mit da bezeichnen wollen, \frac{d\Psi}{dn} nicht Null, sondern
\frac{d\Psi_a}{dn} = B\cos2\pi nt
ist, so wird aus der Gleichung (9.)
(9c.) 4\pi A\Psi_b = -B\Phi_ada.
Dieser Satz kann dazu dienen, um in solchen Fällen, wo man die
Schallbewegung der Luft vollständig nur für gewisse besondere Lagen des
schallerregenden Punktes bestimmen kann, doch wenigstens für alle anderen
Lagen eines oder beliebig vieler schallerregender Punkte die Erregung in
[30]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
jenen ersten Stellen des Raumes zu bestimmen. Namentlich ist der Satz
wichtig, wenn man die Schallbewegung für eine jede entfernte Lage des
tönenden Punktes bestimmen kann, weil man dann rückwärts auch für jede
andere Lage des tönenden Punktes die Fernwirkung bestimmen kann, auf die
es bei den akustischen Versuchen meistens allein ankommt.
§. 6.
Wir gehen nun zu unserer eigentlichen Aufgabe über, die Bewegung
der Luft am offenen Ende einer cylindrischen Röhre zu bestimmen, wenn im
Innern der Röhre durch irgend eine Ursache ebene Wellen, die einem ein-
fachen Tone von n Schwingungen in der Secunde entsprechen, zu Stande
gekommen sind, und sich die Bewegung durch die Mündung der Röhre der
äuſseren Luft mittheilt, welche übrigens zunächst durch keine anderen Schall
erregenden Kräfte afficirt sein möge.
Die Form der Röhre sei im Allgemeinen cylindrisch von beliebigem
Querschnitte; nur in geringer Entfernung von der Mündung möge dieselbe
von der cylindrischen Form abweichen dürfen. Wir schlieſsen also Röhren
mit trompetenförmigen oder halb gedeckten Mündungen in unsere Untersuchung
ein. Uebrigens setzen wir voraus, daſs sowohl die Dimensionen der Oeffnung,
wie auch die Länge des nicht cylindrischen Theils der Röhre gegen die
Wellenlänge verschwindend klein seien. Den äuſseren Raum denken wir uns
der Einfachheit wegen nach einer Seite begrenzt durch eine unendliche Ebene,
welche senkrecht gegen den cylindrischen Theil der Röhrenwand gerichtet ist,
und in welcher die Röhrenmündung selbst liegt. Diese Ebene sei die yz-
Ebene, die Röhre befinde sich auf Seite der negativen x, deren Axe im In-
nern der Röhre liegen und dem cylindrischen Theile ihrer Wand parallel sein
soll. Auf Seite der positiven x sei der Luftraum unbegrenzt. Nach der ge-
machten Annahme betrachten wir ky und kz als verschwindend klein gegen
1, wenn y und z Coordinaten eines Punktes der Röhrenmündung sind, und
ebenso kx, wenn x einem Punkte des nicht cylindrischen Theils der Röhren-
wand angehört.
Unsere Voraussetzungen über die Natur der Bewegung, welche wir
untersuchen wollen, drücken sich nun in folgenden Gleichungen aus. Erstens
nehmen wir an, daſs irgendwo in der Röhre sich ein Abschnitt befinde,
zwischen welchem und der Mündung keine äuſseren Kräfte auf die Luftmasse
einwirken, und in welchem das Geschwindigkeitspotential Ψ unendlich wenig
[31]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
verschieden sei von der Form
\Psi = \left(\frac{A}{k}\sin kx + B\cos kx\right)\cos(2\pi nt) + \left(\frac{\mathfrak{A}}{k}\sin kx + \mathfrak{B}\cos kx\right)\sin(2\pi nt).
Dies ist die allgemeinste Form, welche ebene Wellen, die einem einfachen
Tone von n Schwingungen angehören, haben können. Zur weiteren Verein-
fachung wollen wir gleich den Anfang der Zeit t so festsetzen, was offenbar
immer möglich ist, daſs A = 0 wird, und somit Ψ in dem besagten Abschnitte
der Röhre die Form erhält:
(10.) \Psi = \left(\frac{A}{k}\sin kx + B\cos kx\right)\cos(2\pi nt) + \mathfrak{B}\cos kx\sin(2\pi nt).
Auf Seite der positiven x denke man sich zwei halbe Kugelflächen von sehr
groſsem Radius construirt, deren Mittelpunkt im Anfangspunkte der Coordinaten
liegt. Zwischen beiden soll Ψ die Form kugeliger Wellen haben, die in den
unendlichen Raum hinauslaufen, nämlich, wenn wir wie früher die Entfernung
vom Anfang der Coordinaten mit ϱ bezeichnen,
(10a.) \Psi = M\frac{\cos(k\rho-2\pi nt)}{\rho}-M_1\frac{\sin(k\rho-2\pi nt)}{\rho},
wo M und MI unabhängig von ϱ, aber möglicher Weise abhängig von den
Winkeln sind, die ϱ mit den Coordinatenaxen bildet.
Jenseits der äuſseren jener beiden Kugelflächen mag noch ein Raum
liegen, wo die Schallbewegung erst beginnt, aber zwischen der Region der
ebenen Wellen in der Röhre, deren Bewegung in der Gleichung (10.) gegeben
ist, und der Region der Kugelwellen von der Form (10a.) soll die Stärke
und Phase der Luftschwingungen stationär geworden sein, also Ψ hier überall
von der Form sein:
(10b.) \Psi = \Psi'\cos(2\pi nt) + \Psi''\sin(2\pi nt),
worin Ψ' und Ψ″ Functionen der Coordinaten, aber unabhängig von der
Zeit sind und in diesem ganzen Theile des Luftraumes die Bedingung erfüllen:
(3b.) 0 = k^2\Psi + \nabla\Psi.
Endlich muſs noch längs der ganzen Wand der Röhre und an dem Theile der
yz-Ebene, welcher nicht von der Röhrenmündung eingenommen ist, sein:
(10c.) \frac{d\Psi}{dn} = 0.
Wir wollen nun die Beziehungen zwischen den Coefficienten A, B, B, M
und M1 der Gleichungen (10.) und (10a.) mittelst des erweiterten Greenschen
Theorems aufsuchen.
[32]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
Die erste Anwendung der Gleichung (7.) machen wir auf den inneren
Raum der Röhre, dieser von der Ebene der Mündung bis zu einer damit
parallelen Ebene genommen, welche in der Region der ebenen Wellen liegt.
Die Function Φ der Gleichung (7.) setzen wir hier:
\Psi = \cos kx.
Da sowohl Φ wie Ψ die Gleichung (3b.) erfüllen innerhalb des hier betrach-
teten Raumes, so reducirt sich Gleichung (7.) auf
(7b.) \int\Psi\frac{d\Phi}{dn}d\omega - \int\Phi\frac{d\Psi}{dn}d\omega = 0.
Nun ist \frac{d\Psi}{dn} nur an der Mündung und in dem Querschnitte der Röhre von Null
verschieden, dort ist es gleich -\frac{d\Psi}{dx}, hier gleich +\frac{d\Psi}{dx}. Es wird also
\int\Phi\frac{d\Psi}{dn}d\omega = -\cos2\pi nt\int\frac{d\overline{\Psi'}}{dx}d\omega - \sin 2\pi nt\int\frac{d\overline{\Psi''}}{dx}d\omega
+ Q(A\cos kx - Bk\sin kx)\cos kx\cos(2\pi nt) - Q\mathfrak{B}k\sin kx\cos kx\sin(2\pi nt).
Durch den Horizontalstrich \overline{\Psi} oder \frac{d\overline{\Psi}}{dx} sollen hier und fortan die Werthe
bezeichnet werden, welche die betreffenden Functionen in der Ebene der
Röhrenmündung haben. Mit Q ist die Gröſse des Querschnitts des cylindri-
schen Theils der Röhre bezeichnet. Dagegen ist \frac{d\Phi}{dn} am cylindrischen Theile
der Röhrenwand und in der Oeffnung der Röhre gleich Null. Von Null ver-
schieden ist es nur in dem Querschnitte der Röhre, wo es den Werth —ksinkx
hat, und in dem nicht cylindrischen Theile der Röhrenwand. Nennt man den
Winkel, den die nach innen gerichtete Normale der Röhrenwand mit den po-
sitiven x bildet, β, so ist, da \frac{d\Phi}{dy} = \frac{d\Phi}{dz} = 0,
\frac{d\Phi}{dn} = \cos\beta\frac{d\Phi}{dx} = -k\sin kx\cos \beta.
Wir haben also
\int\Psi\frac{d\Phi}{dn}d\omega = -Q (A\sin kx + kB\cos kx)\sin kx\cos (2\pi nt)
-Qk\mathfrak{B}\cos kx\sin kx\sin(2\pi nt)
+k\cos(2\pi nt)\int\Psi'\sin kx\cos\beta d\omega
+k\sin(2\pi nt)\int\Psi''\sin kx\cos\beta d\omega.
Wenn man diese Werthe der Integrale in die Gleichung (7b.) einführt, und
[33]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
einzeln die mit cos (2π nt) und die mit sin (2π nt) multiplicirten Glieder gleich
Null setzt, so erhält man
(11.) AQ = \int\frac{d\overline{\Psi'}}{dx}d\omega + k\int\Psi'\sin kx\cos\beta d\omega,
(11a.) 0 = \int\frac{d\overline{\Psi''}}{dx}d\omega + k\int\Psi''\sin kx\cos\beta d\omega.
In beiden Gleichungen ist das erste Integral über die ganze Oeffnung der
Röhre zu nehmen, das zweite über die Wand der Röhre, doch wollen wir
gleich bemerken, daſs an allen Stellen, wo cos β von Null verschieden ist, kx
nach unserer Annahme eine verschwindend kleine Gröſse wird. In rein cy-
lindrischen Röhren mit ganz offener oder theilweis gedeckter Mündung fallen
diese letzteren Integrale ganz weg.
Die zweite Anwendung des Theorems (7.) machen wir auf den freien
Raum auf Seite der positiven x, der einerseits begrenzt gedacht wird durch
die yz-Ebene, andererseits durch eine um den Anfangspunkt der Coordinaten
als Mittelpunkt construirte halbe Kugelfläche, welche in die Region der kuge-
ligen Wellen fällt. Innerhalb dieses Raumes liege der Punkt, dessen Coor-
dinaten α, β, γ sind. Die Entfernung des Punktes x, y, z von ihm sei r͵,
während r͵͵ die Entfernung von dem Punkte sei, dessen Coordinaten — α,
β, γ sind, und der auſserhalb des hier betrachteten Raumes liegt. Die Function
Φ der Gleichung (7.) setzen wir
\Phi = \tfrac{1}{2}\frac{\cos(kr_\prime-2\pi nt)}{r_\prime}+\tfrac{1}{2}\frac{\cos(kr_{\prime\prime}-2\pi nt)}{r_{\prime\prime}}.
Indem wir nun die Gleichung (7.) anwenden mit Beachtung des in (7c.) be-
rücksichtigten Umstandes der Unstetigkeit von Φ im Punkte α, β, γ, erhal-
ten wir:
(11b.) \int\Psi\frac{d\Phi}{dn}d\omega - \int\Phi\frac{d\Psi}{dn}d\omega = 2\pi\cos(2\pi nt)\Psi_a,
wo Ψα den Werth von Ψ im Punkte α, β, γ bezeichnet.
Wie im Falle der Gleichung (9.) wird die Gröſse \Phi\frac{d\Psi}{dn} - \Psi\frac{d\Phi}{dn} an
der weit entfernten Kugelfläche eine von der Zeit unabhängige Gröſse, ebenso
natürlich auch das Integral dieser Gröſse über die Kugelfläche, welches wir
mit C bezeichnen wollen. An der yz-Ebene dagegen ist \frac{d\Phi}{dn} überall gleich
Null, ebenso \frac{d\Psi}{dn} überall mit Ausnahme der Oeffnung, wo es gleich \frac{d\overline{\Psi}}{dx} ist;
Journal für Mathematik Bd. LVII. Heft 1. 5
[34]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
Φ aber bekommt den Werth
\overline{\Phi} = \frac{\cos(kr_\prime-2\pi nt)}{r_\prime},
weil an der yz-Ebene r͵ = r͵͵ ist. So erhalten wir die Gleichung
(11c.) \mathfrak{C} - \int\frac{d\overline{\Psi}}{dx}\frac{\cos(kr_\prime-2\pi nt)}{r_\prime}d\omega = 2\pi\cos(2\pi nt)\Psi_a.
Setzen wir nun nach Gleichung (10b.)
(10b.) \Psi = \Psi'\cos(2\pi nt) + \Psi''\sin(2\pi nt),
so können wir in der Gleichung (11c.), welche für alle Werthe von t erfüllt
sein muſs, die Quadrate und Producte von cos(2π nt) und sin (2π nt) durch
cos(4π nt) und sin (4π nt) ausdrücken und dann einzeln gleich Null setzen:
1) die Glieder, welche nach der Zeit constant sind, 2) die Glieder, welche
mit cos(4π nt) multiplicirt sind und 3) die mit sin (4π nt) multiplicirten, und
erhalten dadurch folgende drei Gleichungen:
- (11d.)
- \mathfrak{C} = \pi\Psi'_\alpha + \tfrac{1}{2}\int\left(\frac{d\overline{\Psi'}}{dx}\frac{\cos kr_\prime}{r_\prime} + \frac{d\overline{\Psi''}}{dx}\frac{\sin kr_\prime}{r_\prime}\right),
- 0 = \pi\Psi'_\alpha + \tfrac{1}{2}\int\frac{d\overline{\Psi'}}{dx}\frac{\cos kr_\prime}{r_\prime}d\omega - \tfrac{1}{2}\int\frac{d\overline{\Psi''}}{dx}\frac{\sin kr_\prime}{r_\prime}d\omega,
- 0 = \pi\Psi''_\alpha + \tfrac{1}{2}\int\frac{d\overline{\Psi'}}{dx}\frac{\sin kr_\prime}{r_\prime}d\omega + \tfrac{1}{2}\int\frac{d\overline{\Psi''}}{dx}\frac{\cos kr_\prime}{r_\prime}d\omega.
Die Integrationen sind über die Oeffnung der Röhre auszudehnen. Durch
die beiden letzten Gleichungen ist der Werth der Functionen Ψ' und Ψ″ für
alle Punkte des Raumes auf Seite der positiven x gegeben, wenn die Werthe
von \frac{d\overline{\Psi'}}{dx} und \frac{d\overline{\Psi''}}{dx} in der Oeffnung der Röhre bekannt sind. Die erste Glei-
chung folgt aus den beiden anderen mittelst des Theorems (7d.). Der Werth
von Ψα wird demnach:
(11e.) \Psi_\alpha = -\frac{1}{2\pi}\int\frac{d\overline{\Psi'}}{dx}\frac{\cos(kr_\prime-2\pi nt)}{r_\prime}d\omega + \frac{1}{2\pi}\int\frac{d\overline{\Psi''}}{dx}\frac{\sin(kr_\prime - 2\pi nt)}{r_\prime}d\omega.
Wenn wir statt der rechtwinkligen Coordinaten Polarcoordinaten ein-
führen, nämlich
α = ϱ cos ω, β = ϱ sin ω cos ϑ, γ = ϱ sin ω sin ϑ,
so wird in unendlich groſser Entfernung ϱ vom Anfangspunkte der Coordinaten
mittelst einer ähnlichen Umformung, wie sie in (8a.) ausgeführt ist,
(10a.) \Psi = M\frac{\cos(k\rho - 2\pi nt}{\rho}-M_1\frac{\sin(k\rho - 2\pi nt)}{\rho},
[35]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
wo
- (11f.)
- M = -\frac{1}{2\pi}\int\int\left(\frac{d\overline{\Psi'}}{dx}\cos k\epsilon + \frac{d\overline{\Psi''}}{dx}\sin k\epsilon\right)dy dz,
- M = -\frac{1}{2\pi}\int\int\left(\frac{d\overline{\Psi''}}{dx}\cos k\epsilon - \frac{d\overline{\Psi'}}{dx}\sin k\epsilon\right)dy dz,
\epsilon = y\sin\omega\cos\theta + z\sin\omega\sin\theta,
und wo die Integrationen über die Oeffnung der Röhre auszudehnen sind.
Eine dritte Anwendung des erweiterten Greenschen Satzes machen
wir auf den Raum, welcher zwischen einem Querschnitte der Röhre in der
Region der ebenen Wellen und einer halben Kugelfläche in der Region der
kugeligen Wellen liegt. Für die Functionen Ψ und Φ der Gleichung (7.)
setzen wir Ψ' und Ψ″ und haben wie in (7b.)
(7b.) \int\Psi'\frac{d\Psi''}{dn} d\omega - \int\Psi''\frac{d\Psi'}{dn}d\omega = 0.
Da längs der ganzen festen Wand des Raumes \frac{d\Psi'}{dn} = \frac{d\Psi''}{dn} = 0, so ist die
Integration nur über den Querschnitt der Röhre und die Halbkugel auszu-
dehnen. Im Querschnitt ist:
\Psi' = \frac{A}{k}\sin kx + B\cos kx,
\Psi'' = \mathfrak{B}\cos kx,
\Psi'\frac{d\Psi''}{dx} - \Psi''\frac{d\Psi'}{dx} = -A\mathfrak{B}.
An der Kugelfläche ist:
\Psi' = M\frac{\cos k\rho}{\rho} + M_1\frac{\sin k\rho}{\rho},
\Psi'' = M\frac{\sin k\rho}{\rho} - M_1\frac{\cos k\rho}{\rho},
-\Psi'\frac{d\Psi''}{d\rho} + \Psi''\frac{d\Psi'}{d\rho} = - \frac{k(M^2 + M_1^2)}{\rho^2}.
Wenn man die Integrale nimmt, wird:
(11g.) 0 = A\mathfrak{B}Q + k\int_0^{\tfrac{1}{2}\pi}d\omega\int_0^{2\pi}d\theta(M^2 + M_1^2)\sin\omega.
5 *
[36]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
Endlich wenden wir noch das Theorem (7.) auf den inneren Raum
der Röhre an von der Ebene der Mündung bis zu einem Querschnitt in der
Region der ebenen Wellen für die Function Ψ' und
\Phi = \sin kx,
(7b.) \int\Psi'\frac{d\Phi}{dn}d\omega - \int\Phi\frac{d\Psi'}{dn} = 0
Am Querschnitte der Röhre wird
\Psi'\frac{d\Phi}{dx} - \Phi\frac{d\Psi'}{dx} = kB.
An der Wand der Röhre wird \frac{d\Psi'}{dn} = 0, an ihrer Mündung Φ = 0, so daſs
das zweite Integral der Gleichung (7b.) verschwindet. Im ersten wird an der
Wand der Röhre:
\frac{d\Phi}{dn} = k\cos kx\cos\beta,
an der Mündung \frac{d\Phi}{dn} = -k. Also haben wir:
(11h.) QB + \int\Psi'\cos kx\cos\beta d\omega - \int\overline{\Psi'}d\omega = 0,
wo das erste Integral über den nicht cylindrischen Theil der Röhrenwand
auszudehnen ist, so weit cosβ sich von Null unterscheidet, das zweite über
die Oeffnung der Röhre.
Wir haben jetzt in den Gleichungen (11.), (11a.), (11d.), (11f.),
(11g.), (11h.) die Werthe der Coefficienten A, B,B, M, M1 und der
Functionen Ψ' und Ψ″ im freien Raume zurückgeführt auf Integrale, in denen
nur die Werthe vorkommen, welche Ψ', Ψ″ und ihre Differentialquotienten
theils in der Mündung der Röhre selbst, theils an dem nicht cylindrischen
Theile ihrer Wand haben. Wir wollen jetzt die Vereinfachungen dieser Aus-
drücke einführen, welche daraus herflieſsen, daſs die Dimensionen der Mün-
dung und die Länge des nicht cylindrischen Theiles der Röhre unserer Annahme
nach gegen die Wellenlänge verschwindend klein sein sollen. Vernachlässigen
wir Gröſsen von der Ordnung kε gegen 1, so nehmen unsere Gleichungen
(11.), (11a.) und (11f.) folgende Gestalt an
(12.) AQ = \int\frac{d\overline{\Psi'}}{dx}d\omega,
[37]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
(12a.) 0 = \int\frac{d\overline{\Psi''}}{dy}d\omega + k^2\int\Psi''x\cos\beta d\omega,
(12b.) M = -\frac{1}{2\pi}\int\frac{d\overline{\Psi'}}{dx}d\omega = -\frac{1}{2\pi}AQ.
Für den Werth von M1 ist zu bemerken, daſs das von k unabhängige Glied
desselben \int\frac{d\overline{\Psi''}}{dx}d\omega nach (11a.) selbst eine verschwindend kleine Gröſse ist,
daſs ferner auch das mit der ersten Potenz von k multiplicirte \int\frac{d\overline{\Psi'}}{dx}\epsilon d\omega der
Null gleich gemacht werden kann, wenn man den Anfangspunkt der Coor-
dinaten, über den bisher nur bestimmt ist, daſs er in der Oeffnung der Röhre
liegen solle, in den Schwerpunkt einer Masse verlegt, welche mit der Dich-
tigkeit \frac{d\overline{\Psi'}}{dx} über die Fläche der Oeffnung verbreitet ist, also reducirt sich der
Werth von M1 auf verschwindend kleine Gröſsen, nämlich
(12c.) M_1 = \frac{k^2}{2\pi}\int\Psi'' x\cos\beta d\omega + \frac{k^2}{4\pi}\int\frac{d\overline{\Psi''}}{dx}\epsilon^2 d\omega.
Wir werden also M1 gegen M vernachlässigen und letzteres als unabhängig
von den Winkeln ω und ϑ betrachten dürfen, also aus (11g.) erhalten
A\mathfrak{B}Q = -2\pi kM^2,
oder mit Berücksichtigung von
(12b.) AQ = -2\pi M,
(12d.) \mathfrak{B} = kM = -\frac{k}{2\pi}AQ,
endlich
(12e.) QB = \int\overline{\Psi'}d\omega - \int\Psi'\cos\beta d\omega.
Da nun übrigens nach (11e.) in der Ebene der Mündung mit Vernachlässigung
kleiner Gröſsen
\overline{\Psi'}= -\frac{1}{2\pi}\int\frac{d\overline{\Psi'}}{dx}\frac{d\omega}{r}
und
(12b.) M = -\frac{1}{2\pi}\int\frac{d\overline{\Psi'}}{dx}d\omega = -\frac{1}{2\pi}AQ,
so sind M oder AQ und \epsilon\overline{\Psi'} Gröſsen von gleicher Ordnung. Nun können
wir die Gleichung (12e.) schreiben
QB = \pm\int\int\Psi'dy dz,
[38]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
wo die Integration über alle Werthe von z und y auszudehnen ist, welche
der Oeffnung und Wand der Röhre angehören, und das + Zeichen sowohl
an der Oeffnung als an denjenigen Theilen der Wand zu nehmen ist, deren
Normale mit den negativen x einen spitzen Winkel bildet, das — Zeichen
an den Theilen, deren Normale mit den positiven x einen spitzen Winkel
bildet. QB ist also gleich den Werthen von Ψ' in der Nähe der Oeffnung
integrirt über eine Fläche von der Gröſse Q, also ist B von der Gröſsen-
ordnung \overline{\Psi'} oder \frac{AQ}{\epsilon}. Wenn also der Querschnitt der Röhre von derselben
Ordnung kleiner Gröſsen wie die Oeffnung, d. h. von der Ordnung ε2 ist, ist
B von der Ordnung Aε. Genauer läſst sich bei der Allgemeinheit unserer
Annahmen das Verhältniſs \frac{B}{A} nicht bestimmen. Wir werden später bei den
Beispielen sehen, daſs es von der Form der Mündung abhängt, von welcher
wir das Verhältniſs \frac{\mathfrak{B}}{A} unabhängig gefunden haben, und daſs es nicht merklich
von dem Werthe von k abhängt, so lange der Querschnitt der Röhre und
die Länge des nicht cylindrischen Theiles als verschwindend gegen die Wellen-
länge zu betrachten sind. Ist übrigens die Oeffnung der Röhre sehr klein gegen
den Querschnitt, so kann \frac{B}{A} jeden beliebigen gröſseren Werth erreichen.
Innerhalb der tieferen Theile der Röhre ist also, wenn wir setzen
(12f.) \frac{kB}{A} = -\operatorname{tang}k\alpha,
(12g.) \Psi = \frac{A}{k\cos k\alpha}\sin k(x-\alpha)\cos(2\pi nt)-\frac{AkQ}{2\pi}\cos kx\sin(2\pi nt),
und dazu gehört die Bewegung in den entfernten Stellen des freien Raumes,
indem wir M1 gegen M vernachlässigen,
(12h.) \Psi = -\frac{AQ}{2\pi}\frac{\cos(k\rho - 2\pi nt)}{\rho},
in welchen beiden Gleichungen A eine willkührliche Constante ist, und α für
jede besondere Röhrenform besonders bestimmt werden muſs.
Die Natur des hier behandelten Problems wird noch klarer, wenn man
auf den Grenzfall übergeht, wo k = 0 wird. Dann werden die beiden Functio-
nen Ψ' und Ψ″ von einander unabhängig, und es entstehen aus unserem
Problem folgende zwei Aufgaben:
[39]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
1) Es ist eine Function Ψ' zu suchen, welche in dem ganzen be-
trachteten Raume der Bedingung genügt, daſs
\nabla\Psi' = 0,
welche für groſse negative x übergeht in Ax + B, für groſse positive in
-\frac{AQ}{2\pi\rho}, und für die längs der ganzen festen Wand \frac{d\Psi'}{dn} = 0 ist. Es ist dies
mathematisch dieselbe Aufgabe, als hätten wir einen homogenen electrischen
Leiter von der Gestalt unseres Luftraumes, welchen ein electrischer Strom von
bestimmter Intensität (AQ, wenn das Leitungsvermögen des Stoffes gleich 1
ist) durchflieſst, der aus dem cylindrischen Theile in den unendlichen Raum
übergeht. Wir nennen bekanntlich den Leitungswiderstand zweier Leiter
gleich, wenn bei gleicher Intensität des Stromes ihre Endflächen Flächen con-
stanten Potentials sind und dieselbe Differenz des Potentials zeigen. Nun ist
in irgend einem Querschnitte des cylindrischen Theiles die Potentialfunction
Ax + B für unendliche Entfernung im freien Raume Null. Denken wir uns
dagegen den cylindrischen Leiter cylindrisch fortgesetzt und überall die Po-
tentialfunction gleich Ax + B, so wird sie Null, wenn x = -\frac{B}{A} = \alpha. Es ist
also — (x — α) die Länge eines cylindrischen Leiters von demselben Material,
welcher denselben electrischen Widerstand bietet wie der Leiter von Gestalt
unseres Luftraumes, gerechnet von einem Querschnitt des cylindrischen Theiles
in der Entfernung — x von der Mündung bis in unendliche Entfernung im
freien Raume. Nach der in der Electricitätslehre gebräuchlichen Terminologie
würde also — (x — α) die reducirte Länge jenes Leiters genannt werden
können, und wir wollen dieselbe Benennung auch hier brauchen. Die Con-
stante B oder α verschwindet also nicht mit k zugleich, obgleich andererseits
einzusehen ist, daſs sie meistens nicht groſs sein kann, da der Widerstand
unendlich ausgedehnter Leiter, wie der der Erde, immer sehr klein ist ver-
glichen mit dem Widerstande cylindrischer Leiter von demselben Material, aus
denen die Electricität in den unendlichen Leiter ausströmt, und es folgt auch
weiter aus den bekannten Theoremen über Electricitätsleitung, daſs α desto
gröſser werden muſs, je enger die Mündung der Röhre gemacht wird, was
sich auch in den akustischen Versuchen durch die Veränderung des Tons der
Röhren zeigt, dessen Abhängigkeit vom Werthe von α wir unten feststellen
werden.
Wenn die Oeffnung sehr klein und kreisförmig ist, während die den
Cylinder schlieſsende Wand in ihrer Nähe nahehin eben ist, läſst sich anneh-
[40]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
men, daſs der Widerstand hauptsächlich nur von den dicht bei der Oeffnung
gelegenen Theilen herrührt, wo die Bahn der Strömung am engsten ist. Der
Widerstand einer kreisförmigen Oeffnung vom Radius R in einer isolirenden
Ebene, welche zwei unendlich ausgedehnte Leiter von einander trennt, ist
aber ausgedrückt durch die Länge l eines Cylinders vom Querschnitt Q:
(12i.) l = \frac{Q}{2R},
und dies würde in diesem Falle auch der Werth von -\frac{B}{A} sein.
2) Es ist eine Function \frac{1}{k}\Psi'' zu suchen, welche im ganzen betrach-
teten Raume der Bedingung genügt, daſs ∇ Ψ″ = 0, welche für groſse Ent-
fernungen von der Mündung sowohl auf Seite der negativen wie der positi-
ven x wird:
\frac{1}{k}\Psi'' = -\frac{AQ}{2\pi}
und längs der ganzen festen Wand des Luftraumes \frac{d\Psi}{dn} = 0. Offenbar ist
unter diesen Umständen Ψ″ im ganzen Raume constant. Hierbei wird dann
ersichtlich, daſs in der Oeffnung nicht blos, wie wir schon gesehen, die Gröſse
\int\frac{d\overline{\Psi''}}{dx}d\omega, sondern auch \frac{d\overline{\Psi''}}{dx} selbst mit k zugleich verschwindet.
§. 7.
Die bisher gewonnenen Sätze lassen nun eine Reihe allgemeiner Fol-
gerungen ziehen nicht blos über die Lage der Schwingungs-Minima und Maxima
(Knoten und Bäuche der Schwingungen) und die davon abhängende Höhe der
natürlichen Töne der Röhre, die wir als Töne stärkster Resonanz cha-
racterisiren können, welche Aufgaben schon die bisherigen Theorien mehr
oder weniger genügend behandelt haben, sondern sie geben uns für eine Reihe
besonderer Erregungsweisen der Töne auch bestimmte Auskunft über die
Stärke und Phasen der in der Röhre erregten Schwingungen.
Die Geschwindigkeit der Lufttheilchen ist aus (12a.) berechnet
(13.) \frac{d\Psi}{dx} = \frac{A}{\cos k\alpha}\cos k(x-\alpha)\cos(2\pi nt)+\frac{Ak^2Q}{2\pi}\sin kx\sin(2\pi nt)
oder
[41]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
- (13a.)
- \frac{d\Psi}{dx} = J\cos(2\pi nt + \tau),
- wenn
- J = A\sqrt{\frac{\cos^2k(x-\alpha)}{\cos^2k\alpha} + \frac{k^4Q^2}{4\pi^2}\sin^2kx},
- \operatorname{tang}\tau = -\frac{k^2Q\sin kx\cos k\alpha}{2\pi\cos k(x-\alpha)}.
Die Werthe von x, für welche J2 ein Maximum oder Minimum wird, werden
gefunden durch die Gleichung
(13b.) \operatorname{tang}2k(x-\alpha) = \frac{k^4Q^2\sin k\alpha\cos^2k\alpha}{2\pi^2\left(1-\frac{k^4Q^2}{4\pi^2}\cos^3k\alpha\right)}.
Wenn x0 ein Werth ist, der für x gesetzt diese Gleichung erfüllt, so wird
sie auch erfüllt durch
x = x_0 +\mathfrak{a}\frac{\lambda}{4} = x_0 + \frac{\mathfrak{a}\pi}{2k},
worin a eine beliebige positive oder negative ganze Zahl bezeichnet. Die
Maxima und Minima der Schwingung liegen also in der Röhre um Viertel-
wellenlängen von einander entfernt. Sie liegen aber nicht nothwendig um
ein genaues Vielfache einer Viertelwellenlänge von der Oeffnung der Röhre
entfernt. Wenn, wie wir im Folgenden immer annehmen wollen, k2Q eine
unendlich kleine Gröſse ist, so wird mit Vernachlässigung der kleinen Gröſsen
zweiter Ordnung die Gleichung (13b.):
\operatorname{tang}2k(x-\alpha) = 0.
Dann wird J2 ein Maximum J^2_\prime, wenn
k(x-\alpha)=\mathfrak{a}\pi, also \cos k(x-\alpha)=\pm 1,
J^2_\prime = \frac{A^2}{\cos^2k\alpha},
und J2 wird ein Minimum J^2_{\prime\prime}, wenn
k(x-\alpha) = (\mathfrak{a} + \tfrac{1}{2})\pi, also \cos k(x-\alpha) = 0,
J^2_{\prime\prime} = A^2\frac{k^4Q^2}{4\pi^2}\cos^2k\alpha.
Denken wir uns die ebenen Wellen bis zur Mündung der Röhre fortgesetzt, so würde
in der kleinen Entfernung α vor der Oeffnung ein Maximum der Schwingung lie-
gen. Denken wir uns die Entfernungen der Querschnitte der Röhre von diesem
um die Länge α vor der Oeffnung in der Axe der Röhre gelegenen Punkte ge-
Journal für Mathematik Bd. LVII. Heft 1. 6
[42]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
zählt und nennen diese Entfernungen die reducirten Längen des betreffenden
Röhrenstücks, so erhalten wir Maxima der Schwingung überall, wo die re-
ducirte Länge gleich einem geraden Vielfachen der Viertelwellenlänge
und Minima der Schwingung (Knotenflächen), wo die reducirte Länge der
Röhre einem ungeraden Vielfachen der Viertelwellenlänge gleich ist. In
den Knotenflächen herrscht aber nicht absolute Ruhe, sondern die Bewegung
wird nur sehr klein.
Am Orte der Maxima der Schwingung wird tang τ, gleich einer unendlich
kleinen Gröſse, also τ = aπ, am Orte der Minima wird tang τ = ∞, also
τ = (a + ½)π, folglich sind die Phasen der Bewegung am Orte der Maxima
und Minima um eine Viertelschwingungsdauer verschieden.
Nach Gleichung (1f.) ist die Verdichtung der Luft, wo keine äuſseren
Kräfte wirken,
\mathfrak{h} = -\frac{1}{a^2}\frac{d\Psi}{dt},
also in unserem Falle:
(14.) \mathfrak{h} = \frac{A}{a\cos k\alpha}\sin k(x-\alpha)\sin(2\pi nt)+\frac{Ak^2Q}{2\pi a}\cos kx\cos(2\pi nt)
oder:
- (14a.)
- \mathfrak{h} = L\sin(2\pi nt + \tau_\prime),
- wenn
- L = \frac{A}{a}\sqrt{\frac{\sin^2k(x-\alpha)}{\cos^2k\alpha}+\frac{k^4Q^2\cos^2kx}{4\pi^2},
- \operatorname{tang}\tau_\prime = \frac{k^2Q\cos kx\cos k\alpha}{2\pi\sin k(x-\alpha)}.
Die Bedingungsgleichung, welche die Werthe von x giebt, für welche L2 ein
Maximum oder Minimum wird, ist dieselbe wie (13b.), welche oben für die
Grenzwerthe von J2 aufgestellt ist, aber wo letzteres ein Maximum ist, wird
L2 ein Minimum, und umgekehrt. Wo L ein Maximum, wird tang τ͵ = 0 (oder
vielmehr gleich einer verschwindend kleinen Gröſse), also:
\mathfrak{h} = \pm\frac{A}{a\cos k\alpha}\sin(2\pi nt), \frac{d\Psi}{dx} = \pm\frac{Ak^2Q\cos k\alpha}{2\pi}\sin(2\pi nt),
wo L2 ein Minimum ist, wird tang τ͵ = ∞,
\mathfrak{h} = \pm\frac{Ak^2Q\cos k\alpha}{2\pi a}\cos(2\pi nt), \frac{d\Psi}{dx} = \pm \frac{A}{\cos k\alpha}\cos(2\pi nt).
An diesen Stellen also fällt das Maximum der Verdichtung mit dem Maximum
der Geschwindigkeit in der Zeit zusammen, nicht aber an den zwischenliegen-
[43]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
den Stellen. Denn wo weder sin k(x — α) noch cos k(x — α) der Null nahe
sind, sind sowohl tang τ als tang τ͵ sehr kleine Gröſsen, und es wird also
nahehin
\mathfrak{h} = L\sin(2\pi nt), \frac{d\Psi}{dx} = J\cos(2\pi nt),
so daſs hier die Maxima des Druckes und der Geschwindigkeit nahehin um
eine Viertel-Undulationszeit auseinanderfallen.
Denkt man sich die ebenen Wellen bis zur Oeffnung der Röhre, wo
x = 0, fortgesetzt, so wird dort tang τ = 0, dagegen
\operatorname{tang}\tau_\prime = -\frac{k^2Q}{2\pi}\operatorname{cotang}k\alpha.
Nun ist im Allgemeinen tang kα eine kleine Gröſse erster Ordnung, k2Q eine
solche zweiter Ordnung, also tang τ͵ sehr klein und τ͵ nahe an Null. Aber es
kann auch für besondere Röhrenformen α = 0 werden, dann würde τ͵ = ½π.
Im ersteren Falle würden in der Oeffnung die Maxima der Geschwindigkeit
und der Verdichtung um eine Viertelundulation der Zeit nach aus einander
liegen, im zweiten Falle zusammenfallen. Poissons Voraussetzung, daſs die
Verdichtung in der Oeffnung gleich der Geschwindigkeit multiplicirt mit einer
sehr kleinen Constanten sei, ist also nur in einem besonderen Falle richtig,
den er allerdings als den allgemeinen betrachtete. Auch in diesem Falle ist
sie übrigens nur richtig, wenn man sich erlaubt, die ebenen Wellen bis zur
Mündung der Röhre fortgesetzt zu denken, aber nicht, wenn man die wirklich
in der Oeffnung stattfindenden mittleren Werthe der Geschwindigkeit und Ver-
dichtung nimmt.
Was die Lage der einzelnen Wellenphasen in einem gegebenen Augen-
blicke betrifft, so finden wir die Lage der Geschwindigkeitsmaxima in der
Region der ebenen Wellen, indem wir \frac{d^2\Psi}{dx^2} = 0 setzen, oder auch Ψ = 0,
da hier \frac{d^2\Psi}{dx^2} + k^2\Psi = 0. Also:
0 = \frac{A}{k}\cos(2\pi nt)\sin kx + [B\cos(2\pi nt) + \mathfrak{B}\sin(2\pi nt)]\cos kx;
daraus folgt als Bedingung (s. (12f.) und (12g.))
(14b.) \operatorname{tang}kx = \operatorname{tang}k\alpha+\frac{k^2Q}{2\pi}\operatorname{tang}(2\pi nt).
Wenn t = 0, wird
\operatorname{tang}kx = \operatorname{tang}k\alpha,
die Maxima der Geschwindigkeit liegen dann, wo — (x — α) = aλ, die Minima,
6 *
[44]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
wo — (x — α) = (a + ½) λ. Wenn nun t wächst, so bleibt, weil k2Q eine
verschwindend kleine Gröſse ist, doch immer noch tang kx unmerklich wenig
verschieden von tang kα, also die Lage der Maxima und Minima unverändert,
so lange tang (2π nt) endliche Werthe hat. Wenn aber t sich dem Werthe
einer Viertel-Schwingungsdauer nähert, wird auch tang kx gleichzeitig mit
tang (2π nt) erst + ∞, dann — ∞, dann aber, so wie tang (2π nt) endliche
negative Werthe erreicht hat, wird tang kx wieder gleich tang kα, und so
bleibt es wieder während beinahe einer halben Schwingungsdauer stationär,
so lange tang (2π nt) endlich bleibt. So oft nun tang kx vom Werthe tang kα
auf + ∞ wächst, dann von — ∞ durch die negativen Werthe bis 0 und wie-
der auf tang kα übergeht, muſs kx um π wachsen und x selbst um ½λ. So
wird also ein Maximum, welches zur Zeit t = 0 da liegt, wo die reducirte
Länge aλ beträgt, um die Zeit t = \frac{1}{4n} schnell übergehen auf die reducirte
Länge (a — ½) λ, hier beinahe stillstehen bis t = \frac{3}{4n}, dann schnell fortschrei-
ten auf (a — 1) λ u. s. w.
Im freien Raume dagegen bewegen sich die Maxima der Geschwindig-
keit mit der gleichmäſsigen Fortpflanzungsgeschwindigkeit a vorwärts. In
den entfernteren Theilen des freien Raumes liegen sie zur Zeit t = 0, wo
ϱ = (b + ¼) λ. Der Abstand zweier Maxima der Geschwindigkeit, von denen
eines im freien Raume in der x-Axe, das andere in der Röhre gelegen ist,
zur Zeit t = 0 ist (a + b + ¼) λ — α. Da bis zur Zeit t = \frac{1}{4n} das Maximum in
der Röhre fast ganz still steht, das im freien Raume um ¼λ fortschreitet, so
wächst die Entfernung beider Maxima bis auf nahehin (a + b + ½) λ — α, geht
dann ziemlich schnell zurück auf (a + b) λ — α, um während der nächsten halben
Schwingungsdauer wieder auf (a + b + ½) λ — α zu steigen, und bewegt sich
so immer zwischen den genannten Grenzen.
Mit der Verdichtung verhält es sich ähnlich. Ihre Maximalwerthe wer-
den gegeben durch die Gleichung:
(14c.) \operatorname{cotang}kx = -\operatorname{tang}k\alpha + k^2Q\operatorname{cotg}(2\pi nt).
Zur Zeit t = \frac{1}{4n} ist cotg(2π nt) = 0, und die Maxima der Verdichtung lie-
gen, wo die reducirte Länge der Röhre (a — ¼) λ beträgt. Diese Lage be-
halten sie auch unverändert bis nahehin t = \frac{2}{4n}, wo cotg(2π nt) unendlich
groſs wird. Dann rücken sie schnell vorwärts bis (a — ¾) λ. In den entfern-
[45]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
teren Theilen des freien Raumes liegen sie, wenn t = \frac{1}{4n}, da, wo ϱ = (b + ½) λ.
Ihr Abstand von denen in der Röhre beträgt also dann (a + b + ¼) λ — α,
wächst allmälig auf (a + b + ½) λ — α, sinkt schnell auf (a + b) λ — α, wächst
dann wieder allmälig u. s. w. Sowohl die Maxima des Druckes wie der Ge-
schwindigkeit haben ihren gröſsten Werth in der Röhre, wenn sie stillstehen,
ihren kleinsten, wenn sie vorwärts eilen. Uebrigens eilen die Maxima der Ge-
schwindigkeit vorwärts zu den Zeiten und an den Orten, wo die des Druckes
stillstehen, und umgekehrt.
Stärke der Resonanz in der Röhre. Denkt man sich die Röhre
nur bis x = — l reichend und ihr Ende im Bereiche der ebenen Wellen ge-
legen, so kann die Erschütterung der Luft in der Röhre entweder an diesem
Ende mitgetheilt werden oder von der vorderen Oeffnung der Röhre her,
indem ein Schallwellenzug gegen die Mündung der Röhre schlägt. Was zu-
nächst den ersten Fall betrifft, so kann nach Feststellung der Form der ebenen
Wellen leicht der Fall behandelt werden, wo die Röhre durch irgend eine
Platte von beliebiger Masse geschlossen ist, welche durch irgend eine elastische
Kraft (z. B. einer über die Mündung der Röhre ausgespannten Membran) in
ihrer Lage gehalten und durch eine beliebige periodisch wirkende Kraft in
Erschütterung versetzt wird. Es läſst sich dann für jede Röhrenform und
Tonhöhe, für welche der Werth der Constanten α bekannt ist, sowohl die Form
der ebenen Wellen als der Kugelwellen in den entfernteren Theilen des freien
Raumes vollständig angeben. Hier genüge es, nur kurz den Fall zu erwäh-
nen, wo eine Bewegung von bestimmter Geschwindigkeit mitgetheilt wird, der
also practisch etwa dem Falle entspricht, wo eine Stimmgabel die Schluſsplatte
der Röhre erschüttert.
Die Geschwindigkeit der der Schluſsplatte mitgetheilten Bewegung sei
G\cos(2\pi nt+\tau_{\prime\prime}),
wo wir unter τ͵͵ eine willkürliche Constante verstehen, mittelst deren wir den
Anfang von t passend bestimmen. Dann muſs sein für x = — l
\frac{d\Psi}{dx} = J\cos(2\pi nt + \tau) = G\cos(2\pi nt + \tau_{\prime\prime}),
also
(15.) G = J = A\sqrt{\frac{\cos^2k(l + \alpha)}{\cos^2k\alpha}+\frac{k^4Q^2}{4\pi^2}\sin^2kl},
(15a.) \operatorname{tang}\tau_{\prime\prime} = \operatorname{tang}\tau = \frac{k^2Q\sin kl\cos k\alpha}{2\pi\cos k(l+\alpha)}.
[46]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
Das Geschwindigkeitspotential in den ferneren Theilen des freien Raumes ist
\Psi = M\frac{\cos(k\rho-2\pi nt)}{\rho},
wo
(12b.) M = -\frac{AQ}{2\pi}.
Es läſst sich also A und M aus G und l bestimmen. A, das Schwingungs-
maximum in der Röhre, und ebenso M, die Intensität der Kugelwellen im
freien Raume, wird bei constantem G, also bei constanter Bewegung der
Schluſsplatte der Röhre, am gröſsten, wenn der Factor von A in (15.) am
kleinsten ist, d. h. wenn
\cos k(l + \alpha) = 0, k(l + \alpha) = (\mathfrak{a} + \tfrac{1}{2})\pi.
Dann ist
A = \frac{2\pi}{k^2Q\cos k\alpha}G = \frac{\lambda^2}{2\pi Q\cos k\alpha}G,
M = -\frac{\lambda^2}{\cos k\alpha}G,
\tau = (-1)^\mathfrak{a}\tfrac{1}{2}\pi.
Die stärkste Resonanz der Röhre und der stärkste Schall im freien
Raume findet also statt, wenn die Bewegung der Luft am Orte einer
Knotenfläche mitgetheilt wird. Die Stärke der Schallwellen wird dabei
sehr groſs, aber keinesweges unendlich. Denn damit der im Nenner der
Werthe von A und M stehende cos kα Null werde, müſste die Fläche der
Oeffnung gleich Null werden. Dabei zeigt sich zugleich, daſs die Resonanz
sowohl in der Röhre als auch im freien Raume desto mächtiger wird, je
enger die Oeffnung der Röhre ist. Wenn wie gewöhnlich kα klein ist, kann
cos kα = 1 gesetzt werden. Dann ist die Wirkung im freien Raume un-
abhängig von der Form der Röhre. Die Vibrationen der Schwingungs-
maxima in der Röhre und der um ganze Wellenlängen von der Oeffnung
entfernten Wellen im freien Raume unterscheiden sich dabei von denen
der mitgetheilten Bewegung um eine Viertel-Undulation.
Das Minimum der Resonanz tritt ein, wenn der Factor von A im
Werthe von G in (15.) sein Maximum erreicht, d. h. wenn
\cos k(l + \alpha) = 1, k(l + \alpha) = \mathfrak{a}\pi;
dann wird mit Weglassung kleiner Gröſsen
G\cos k\alpha = A, \tau = \mathfrak{a}\pi, M = \frac{QG\cos k\alpha}{2\pi}. [47]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
Die Wirkung im freien Raume ist also, je nach dem Werthe von α, gleich
oder kleiner, als wenn gar keine Röhre vorhanden wäre, und die erschütterte
Schluſsplatte der Röhre einen Theil der übrigens festen yz-Ebene bildete.
Die groſse Verschiedenheit der Schallstärke in der Luft bei gleicher
Excursionsweite der schwingenden Endplatte der Röhre, von der die Wellen
erregt werden, kann überraschen. Sie beruht darauf, daſs, wenn auch die
Excursion der Schwingungen dieselbe bleibt, doch die Arbeit, die die schwin-
gende Platte durch die Bewegung der Luft leistet, eine auſserordentlich ver-
schiedene ist, je nachdem sie gegen verdichtete oder nicht verdichtete Luft
sich vorwärts bewegen muſs. Bei stärkster Resonanz findet am Ende der
Röhre auch der stärkste Wechsel von Verdichtung und Verdünnung statt.
Gehen wir jetzt über zu dem anderen Falle, wo der Schall im freien
Raume in gröſserer Entfernung von der Oeffnung der Röhre erregt wird,
letztere aber an der Stelle x = — l fest geschlossen ist. Da die in dem
tönenden Punkte, dessen Coordinaten α, β, γ seien, erregten Wellen von der
festen yz-Ebene reflectirt werden, müssen wir uns die Bewegung im freien
Raume zusammengesetzt denken aus den Wellen, welche der tönende Punkt
erregt, und denen, welche sein Spiegelbild, dessen Coordinaten — α, β, γ
sind, erregen würde. Setzen wir das Geschwindigkeitspotential Φ dieser Be-
wegung auf Seite der positiven x im freien Raume
(16.) \Phi = H\left[\frac{\cos(kr_\prime-2\pi nt +c)}{r_\prime}+\frac{\cos(kr_{\prime\prime}-2\pi nt+c)}{r_{\prime\prime}}\right],
wo r͵ die Entfernung von Punkte α, β, γ und r͵͵ die von seinem Spiegel-
bilde — α, β, γ bedeutet, so ist an der ganzen yz-Ebene
\frac{d\Phi}{dx} = 0.
Ist der tönende Punkt weit von der Oeffnung der Röhre entfernt und diese klein
gegen die Wellenlänge, so können wir die kleinen Verschiedenheiten des Werthes
von Φ in verschiedenen Punkten der Oeffnung vernachlässigen und hier setzen:
\overline{\Phi} = G\cos(2\pi nt+\tau_{\prime\prime}),
wo
G = \frac{2H}{r_\prime},
\operatorname{tang}\tau_{\prime\prime} = -\operatorname{tang}(kr_\prime+c).
[48]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
Innerhalb der Röhre setzen wir dann
(16a.) \Phi = G\cos kx\cos(2\pi nt + \tau_{\prime\prime}).
Dann ist Φ an der Oeffnung continuirlich und \frac{d\Phi}{dx} innen und auſsen eben da
gleich Null. Innerhalb der Röhre können wir bei dieser Annahme \frac{d\Phi}{dn} = 0
setzen, indem wir die verschwindend kleinen Werthe, welche es am nicht
cylindrischen Theile der Röhre annimmt, vernachlässigen. Nur am ver-
schlossenen Ende ist \frac{d\Phi}{dx} im Allgemeinen nicht gleich Null. Hier müssen wir
setzen:
\frac{d\Phi}{dx}+\frac{d\Psi}{dx} = 0
und das Geschwindigkeitspotential im ganzen Raume gleich Φ + Ψ, wo Ψ das
von uns früher bestimmte Bewegungspotential der ebenen Wellen in der Röhre,
die in den freien Raum übergehen, ist. Dadurch ist allen Bedingungen der
Aufgabe genügt. Wir haben also für x = — l
(16b.) -kG\sin kl\cos(2\pi nt+\tau_{\prime\prime}) = J\cos(2\pi nt + \tau).
also
- (16c.)
- \tau_{\prime\prime} = \tau + \pi,
- kG\sin kl = J = A\sqrt{\frac{\cos^2k(l+\alpha)}{\cos^2k\alpha}+\frac{k^4Q^2}{4\pi^2}\sin^2kl}.
Das Minimum von A bei gleichen Werthen von G tritt offenbar ein, wenn
sin kl = 0; dann wird A = 0, und die Bewegung im freien Raume so, als
wäre die Mündung der Röhre gar nicht in der yz-Ebene vorhanden. Das
Maximum aber tritt ein, wenn cos k (l + α) = 0; dann wird
A = kG \frac{2\pi}{k^2Q\cos k\alpha},
und wieder wird beim Maximum der Resonanz der Phasenunterschied von
einer Viertel-Undulation zwischen den erregenden Wellen und den erregten ein-
treten. Das Maximum der Resonanz in der an einem Ende geschlossenen
Röhre tritt also in beiden Fällen, sowohl wenn der Schall vom geschlossenen
als wenn er vom offenen Ende her der Luft der Röhre mitgetheilt wird, ein,
wenn die reducirte Länge der Röhre ein ungerades Vielfache der Viertel-
wellenlänge ist. Aus dem Reciprocitätsgesetz des Schalles, welches in (9a.)
ausgesprochen ist, läſst sich nun dasselbe Gesetz auch für jede andere Lage
des tönenden Punktes ableiten. Es paſst auf unseren Fall direct die Form,
welche wir dem Gesetz in (9c.) gegeben haben. Die dortige Constante A,
[49]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
welche der Intensität des tönenden Punktes b entspricht, indem dort Φ unend-
lich wird, wie
\Phi = A\frac{\cos kr_b}{r_b}\cos(2\pi nt),
wollen wir gleich 1 setzen. Der Werth von \frac{d\Psi}{dn} ist in (9c.) an der er-
schütterten Stelle da der Wand gleichgesetzt worden:
\frac{d\Psi_a}{dn} = B\cos(2\pi nt).
Am Grunde der Röhre ist \frac{d\Psi_a}{dn} = \frac{d\Psi_a}{dx}, und in dem Falle, wo der Boden
der Röhre erschüttert wird, von uns in den Gleichungen (15.) und (15a.)
gesetzt worden:
\frac{d\Psi_a}{dx} = G\cos(2\pi nt + \tau_{\prime\prime});
wir haben also die Constante B der Gleichung (9c.) mit G zu vertauschen
und im Ausdrucke für Ψ statt 2πnt zu schreiben 2πnt — τ͵͵. Auſserdem ist
in dem Falle unserer Anwendung nicht blos ein einziges Flächenelement da
erschüttert worden, sondern der ganze Boden der Röhre; wir müssen also
über diesen integriren, und erhalten so
(17.) 4\pi\Psi_b = -G\int\Phi_ad\omega
wo die Integration über den Boden der Röhre auszudehnen ist. Ist nun der
tönende Punkt vom Boden der Röhre nur weit genug entfernt, daſs hier ebene
stehende Wellen entstehen können, also Φ hier von der Form ist:
\Phi = f\cos k(l + x)\cos(2\pi nt+c),
so wird aus (17.)
4\pi\Psi_b = -fGQ\cos(2\pi nt + c),
4\pi[\Psi'_b\cos(2\pi nt-\tau_{\prime\prime} + \Psi''_b\sin(2\pi nt - \tau_{\prime\prime})] = -fGQ\cos(2\pi nt+c),
- (17a.)
- 4\pi(\Psi'_b\cos\tau_{\prime\prime}-\Psi''_b\sin\tau_{\prime\prime}) = -fGQ\cos c,
- 4\pi(\Psi'_b\sin\tau_{\prime\prime}+\Psi''_b\cos\tau_{\prime\prime}) = fGQ\sin c,
4\pi\sqrt{(\Psi'_b)^2+(\Psi''_b)^2} = fGQ.
Nun ist der Werth der Functionen Ψ' und Ψ″ für jeden Punkt b proportional
der in den Gleichungen (10.) bis (16.) vorkommenden Constanten A, deren
Verhältniſs zu G für eine bestimmte Röhrenlänge gegeben ist in Gleichung (15.).
Also ist bei wechselnder Röhrenlänge auch f proportional dem Verhältniſs \frac{A}{G}.
Journal für Mathematik Bd. LVII. Heft 1. 7
[50]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
Dies Verhältniſs wird, wie aus (15.) hervorgeht, ein Maximum, wenn
l + \alpha = (2\mathfrak{a} + 1)\tfrac{1}{4}\lambda.
Daraus folgt also, daſs auch bei einer beliebigen Lage des tönenden
Punktes die ebenen Wellen im Innern der Röhre, wenn dergleichen über-
haupt entstehen, das Maximum ihrer Intensität erreichen, wenn die Länge
der Röhre ein ungerades Vielfaches der Viertelwellenlänge ist.
Die ebenen Wellen im Innern einer an beiden Seiten offenen Röhre
lassen sich mittelst der aufgestellten Probleme behandeln, wenn die Mündungen
der Röhre nach der von uns gemachten Annahme in zwei parallelen festen
Ebenen liegen, die den Luftraum in zwei Theile trennen, und der Schall auf
der einen Seite von einem weit entfernten tönenden Punkte ausgeht. Auf der
einen Seite dieser Wand setzt man das Geschwindigkeitspotential gleich der in
den Gleichungen (10.) bis (12.) gebrauchten Function Ψ, auf der anderen
Seite gleich der in den Gleichungen (16.) bis (16e.) vorkommenden Form
Φ + Ψ, welche der Resonanz einer Röhre entspricht, in welche der Schall
von der offenen Mündung eintritt. Man hat dann nur die Coefficienten der
ebenen Wellen in der Röhre in diesen beiden Ausdrücken des Geschwindig-
keitspotentials so zu bestimmen, daſs hier beide Functionen identisch werden.
Da das weiter keine Schwierigkeiten macht, möge das Gesagte genügen. Die
Resonanz in der Röhre wird am stärksten, wenn die reducirte Länge der
Röhre, an welcher man die Correctionen für beide Mündungen anzubringen
hat, ein Vielfaches der halben Wellenlänge ist.
§. 8.
Wir wollen schlieſslich noch eine Reihe von Röhrenformen aufsuchen,
für welche mit den bis jetzt bereiten Hülfsmitteln der Analysis sich die Luft-
bewegung in der Mündung und die reducirte Länge vollständig wenigstens
für Schallwellen von so groſser Wellenlänge bestimmen läſst, daſs gegen diese
die Dimensionen der Röhrenöffnung ihres Querschnitts und des von der Cy-
lindergestalt abweichenden Theiles der Mündung verschwinden. Die Wand
der Röhre sei übrigens eine Rotationsfläche, welche in kleiner Entfernung
von der kreisförmigen Mündung, deren Radius R sei, übergeht in einen Cy-
linder von kreisförmigem Querschnitt, dessen Radius wir R1 nennen wollen.
Wir setzen ferner voraus, daſs auch die Bewegung der Luft überall sym-
metrisch um die Axe der Röhre vor sich gehe. Wir können nun im All-
[51]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
gemeinen nicht so zu Werke gehen, daſs wir eine bestimmte Röhrenform
annehmen und dazu die Potentiale der Bewegung suchen, sondern wir müssen
umgekehrt von der Potentialfunction ausgehen und die dazu gehörige Röhrenform
bestimmen, was sich in jedem Falle ausführen läſst. Nur müssen wir eben
solche Formen der Potentialfunction suchen, welche Röhren geben, die in
kleiner Entfernung von der Mündung in Cylinder übergehen.
Dem Bewegungspotentiale der Luft haben wir die Form gegeben:
\Psi = \Psi'\cos(2\pi nt) + \Psi''\sin(2\pi nt).
Für die tieferen Theile der Röhre haben wir in (12g.) gefunden:
(12k.) \Psi'' = -\frac{AkQ}{2\pi}\cos kx.
Im freien Raume ist aber, wenn wir \frac{d\overline{\Psi''}}{dx} = 0 setzen, welches, wie wir
oben schon gefunden haben, mit k verschwindet, nach (11d.)
\Psi'' = -\frac{1}{2\pi}\int\frac{d\overline{\Psi'}}{dx}\frac{\sin kr_\prime}{r_\prime}d\omega,
welches innerhalb der Mündung, wo wir kr͵ verschwinden lassen dürfen, wird
(12l.) \overline{\Psi''} = -\frac{k}{2\pi}\int\frac{d\overline{\Psi'}}{dx}d\omega = -\frac{AkQ}{2\pi}.
Sowohl (12k.) wie (12l.) giebt innerhalb der Mündung den gleichen Werth
von \overline{\Psi''} und den Werth Null für \frac{d\overline{\Psi''}}{dx}. Sie gehen also an der Mündung der
Röhre continuirlich in einander über. Längs der festen Wände des Luft-
raumes geben beide \frac{d\overline{\Psi''}}{dn} = 0, nur an dem nicht cylindrischen Theile der
Röhrenwand wird dieser Differentialquotient nicht genau Null aber verschwin-
dend klein. Es ist also Ψ″ unter dieser Annahme eine continuirliche Function,
die den Bedingungen der Aufgabe Genüge leistet, und kann unmittelbar be-
rechnet werden, nachdem Ψ' gefunden ist.
Die Function Ψ' hat im freien Raume die Form:
- (18.)
- \Psi' = \int h\frac{\cos kr}{r}d\omega,
- wo h = -\frac{1}{2\pi}\frac{d\overline{\Psi'}}{dx}.
Im Innern der Röhre werden wir ihr eine andere analytische Form Ψi geben
müssen, welche die Eigenschaft haben muſs:
1) im Innern der Röhre die Bedingung zu erfüllen:
(18a.) \nabla\Psi_i+k^2\Psi_i = 0,
7 *
[52]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
2) für groſse negative Werthe von x folgende Form anzunehmen:
(18b.) \Psi_i = \frac{A}{k}\sin kx + B\cos kx,
3) an der Fläche der Oeffnung den Bedingungen zu genügen:
(18c.) \overline{\Psi_i} = \overline{\Psi'} und \frac{d\overline{\Psi_i}}{dx} = \frac{d\overline{\Psi'}}{dx} = -2\pi h.
Dann wird die Form der Röhre gefunden durch die Bedingung, daſs an der Wand
(18d.) \frac{d\Psi_i}{dn} = 0,
welche Form aber noch der Bedingung genügen muſs, daſs nur für solche
Werthe von x, welche gegen die Wellenlänge λ verschwindend klein sind,
die Fläche eine merkliche Neigung gegen die x - Axe haben darf, weil wir
vorher auch
\frac{d\cos kx}{dn} = 0
gesetzt haben längs der ganzen Ausdehnung der Röhrenwand, und weil nur
unter dieser Bedingung die Form der Röhrenwand von der Wellenlänge un-
abhängig gefunden wird. Indem wir setzen:
\rho\cos\omega = y, \rho\sin\omega = z,
und berücksichtigen, daſs nach der Voraussetzung Ψ nur eine Function von
ϱ und x, nicht von ω sein soll, wird Gleichung (18a.)
(18e.) \frac{d^2\Psi_i}{dx^2}+\frac{d^2\Psi_i}{d\rho^2}+\frac{1}{\rho}\frac{d\Psi_i}{d\rho} + k^2\Psi_i = 0.
Wir setzen:
(19.) \Phi = \frac{A}{k}\sin kx + B\cos kx + \sum[E_me^{+x\sqrt{m^2+k^2}}U_{(m_\rho)}],
wo Em beliebige Constanten, U(mϱ) folgende Function bedeutet:
(19a.) U_{(m_\rho)} = 1 - \frac{m^2\rho^2}{2.2}+\frac{m^4\rho^4}{2.2.4.4}-\frac{m^6\rho^6}{2.2.4.4.6.6} u. s. w.,
und unter dem Summenzeichen für m diejenigen Werthe zu setzen sind, welche
\frac{dU_{(m_rho)}}{d\rho} = 0 machen, wenn ϱ = R1. Dann ist Φ eine Function, welche der
Differentialgleichung (18e.) Genüge leistet und an der Wand einer cylin-
drischen Röhre vom Radius R1 auch der Bedingung genügt, daſs \frac{d\Phi}{dn} = 0.
In dem Exponenten von e muſs der Wurzel immer das positive Vorzeichen
gegeben werden, wenn die Röhre unendlich lang ist, damit Φ für unendliche
negative x endlich bleibt. Ist die Röhre aber irgendwo abgeschlossen, so sind
[53]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
auch negative Vorzeichen der Wurzel zu nehmen, und die Coefficienten der-
selben so zu bestimmen, daſs die Grenzbedingungen an dem geschlossenen
Ende erfüllt werden. Da übrigens der kleinste Werth von mR1, der die Be-
dingung \frac{dU}{d\rho} für ϱ = R1 erfüllt, 3,83171, der zweite 7,01751 ist, während
die folgenden sich allmälig der Gröſse (a + ¼) π nähern, so nehmen alle diese
Exponentialfunctionen schnell ab, wenn man sich von dem Ende der Röhre
entfernt, an welchem sie einen merklichen Werth haben, und so oft die Länge
der Röhre beträchtlich groſs gegen den Durchmesser ist, werden sie in der
Mitte oder am anderen Ende derselben zu vernachlässigen sein. Es wird also
im Allgemeinen genügen, daſs wir uns auf die Glieder beschränken, für welche
die Wurzel im Exponenten ein positives Vorzeichen hat. Da übrigens mR1
nach dem Gesagten eine endliche, kR1 aber eine verschwindend kleine Zahl
ist, so können wir in dem Exponenten k2 gegen m2 vernachlässigen und setzen
(19b.) \Phi = \frac{A}{k}\sin kx + B\cos kx + \sum\left\{E_me^{mx}U_{(m_\rho)}\right\}.
Diese Function erfüllt also allerdings die Forderung der Gleichungen (18a.)
und (18b.), welche wir oben für die Function Ψi aufgestellt haben, sie wird
aber im Allgemeinen nicht der dritten Bedingung (18c.) entsprechen, daſs,
wenn wir setzen:
\frac{d\overline{\Phi}}{dx} = \frac{d\overline{\Psi'}}{dx},
auch sei:
\overline{\Phi} = \overline{\Psi'} = -\frac{1}{2\pi}\int\frac{d\overline{\Psi'}}{dx}\frac{\cos kr}{r}d\omega,
oder, da innerhalb der Oeffnung kr unendlich klein ist, kann man diese Be-
dingung auch darauf reduciren, daſs sein müſste:
\overline{\Phi} = -\frac{1}{2\pi}\int\frac{d\overline{\Phi}}{dx}\frac{d\omega}{r}.
Wäre diese letztere Bedingung durch besondere Annahmen über die Gröſse
der Coefficienten erfüllt, so würde die Gestalt der Röhre einfach cylindrisch
sein. Ich habe aber keine Methode finden können, um die Coefficienten dieser
Bedingung gemäſs zu bestimmen und somit die Aufgabe für ganz cylindrische
Röhren streng zu lösen. Auch läſst sich einsehen, daſs die Convergenz der
Reihe für Φ in Gleichung (19.) für diesen Fall eine sehr langsame sein
würde, da die Geschwindigkeit der Lufttheilchen \frac{d\Phi}{dx} am Rande der Oeffnung,
die durch eine scharfe rechtwinklige Kante begrenzt sein würde, unendlich
[54]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
groſs wie (R — ϱ)— ⅓ werden müſste, und daher die Reihe für \frac{d\Phi}{dx} für den
Werth ϱ = R und x = 0 überhaupt nicht convergiren kann.
Wir fügen deshalb zu Φ noch eine andere Function hinzu, die in
gröſserer Entfernung von der Oeffnung verschwindet, also auch nur in der
Nähe der Oeffnung Einfluſs auf die Gestalt der Röhre ausübt, aber die Con-
tinuität an der Oeffnung herstellt.
Bezeichnen wir der Einfachheit wegen die Potentialfunction einer auf
der Kreisfläche der Oeffnung mit der Dichtigkeit h verbreiteten Masse mit
Ph, also
(20.) P_h = \int h\frac{\cos kr}{r}d\omega,
dieses Integral über die ganze Fläche der Oeffnung genommen. Wenn die
Distanz des Punktes, für welchen wir Ph bestimmen, von der Oeffnung klein
ist, so ist cos kr = 1 und
(20a.) P_h = \int\frac{hd\omega}{r}.
Setzen wir ferner
(21.) h = i + l,
(21a.) i = -\frac{1}{4\pi}\frac{d\overline{\Phi}}{dx},
und bestimmen wir l so, daſs in der Fläche der Oeffnung
(21b.) \overline{P_l} = \tfrac{1}{2}\overline{\Phi},
was sich immer ausführen läſst, weil die Vertheilung einer Masse auf einer
Kreisscheibe, die an der Oberfläche dieser Scheibe eine Potentialfunction von
gegebener Gröſse giebt, nach bekannten Methoden gefunden werden kann.
Setzen wir ferner auf Seite der positiven x, wie schon oben geschehen,
(21c.) \Psi' = P_h = P_i + P_l
in der Röhre, also für negative x
(21d.) \Psi_i = \Phi + P_i - P_l,
so genügen die Functionen Ψ' und Ψi allen für sie gestellten Bedingungen.
Daſs nämlich Ψ' im freien Raume und Ψi im Innern der Röhre der Bedin-
gung genügen:
(18a.) \nabla\Psi + k^2\Psi = 0,
ist aus der Bildungsweise dieser Functionen klar. Daſs Ψi für groſse Werthe
[55]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
von — x übergeht in
\Psi_i = \frac{A}{k}\sin kx + B\cos kx,
erhellt daraus, daſs Pi und Pl in einer gegen die Oeffnung der Röhre groſsen
Entfernung unendlich klein werden, Φ aber wirklich in jene Form übergeht.
Da ferner in der Fläche der Oeffnung
(21b.) \overline{P_l} = \tfrac{1}{2}\overline{\Phi},
wird
(21e.) \overline{\Psi'} = \overline{\Psi_i} = \overline{P_i} + \overline{P_l}.
Da ferner an der Fläche der Oeffnung
\frac{dP_i}{dn} = -2\pi i = \tfrac{1}{2}\frac{d\overline{\Phi}}{dx}
und auf Seite der positiven x
\frac{dP}{dn} = \frac{d\overline{P}}{dx},
auf Seite der negativen aber
\frac{dP}{dn} = -\frac{d\overline{P}}{dx}.
so ist
(21f.) \frac{d\overline{\Psi'}}{dx} = \frac{d\overline{\Psi_i}}{dx} = \frac{dP_i}{dn} + \frac{dP_l}{dn} = -2\pi(i+l).
Somit sind die gestellten Bedingungen (18a.), (18b.) und (18c.) erfüllt.
Die Form der Röhrenwand wird endlich durch die Gleichung gegeben:
(18d.) \frac{d\Psi_i}{dn} = 0.
Da wir die Bedingung gemacht haben, daſs, wenn r eine innerhalb des nicht
cylindrischen Theiles der Röhre liegende Entfernung ist, k2r2 gegen 1 zu ver-
nachlässigen sei, können wir entsprechend der zur Gleichung (7d.) gemachten
Bemerkung in dieser Gleichung der Röhrenwand k = 0 setzen, werden dann
aber natürlich auch die Aufgabe nur für solche Werthe von k als gelöst be-
trachten dürfen, für welche diese Bedingung erfüllt ist. Dann ist also für
diesen Zweck in der Nähe der Röhrenmündung zu setzen statt (19b.):
(22.) \Phi = Ax + B + \sum\left\{E_me^{mx}U_{(m_\rho)}\right\},
(20a.) P_i = \int\frac{id\omega}{r}, P_l = \int\frac{ld\omega}{r},
(21a.), (21b.) i = -\frac{1}{4\pi}\frac{d\overline{\Phi}}{dx}, \overline{P_l} = \tfrac{1}{2}\overline{\Phi},
(21d.) \Psi_i = \Phi + P_i - P_l.
[56]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
In der That sind dann auch alle diese Functionen von einer solchen Form,
daſs sich ihr Werth in der Nähe der Mündung nicht ändert dadurch, daſs man
k = 0 setzt. Die Bedingung (18d.) ergiebt, daſs die Röhrenwand eine zu allen
Flächen, deren Gleichung Ψi = Const. ist, orthogonale Rotationsfläche sein muſs,
oder wenn wir die Gleichung der Röhrenwand (und überhaupt der Strömungs-
curven) ausdrücken durch
\rho\chi = \operatorname{Const.},
so muſs sein:
(22a.) \frac{d\Psi_i}{dx}\frac{d(\rho\chi)}{dx} + \frac{d\Psi_i}{d\rho}\frac{d(\rho\chi)}{d\rho} = 0.
Zu bemerken ist noch, daſs man, um die Form der Function Φ
festzustellen, die Gröſse des Radius des cylindrischen Theiles der Röhre R1
bestimmen muſs, weil von dessen Gröſse die in der Summe vorkommenden
Werthe von m abhängen. Um Pi und Pl zu finden, muſs wiederum die
Gröſse des Radius der Oeffnung R festgestellt sein, und schlieſslich, wenn
man die Röhrenform aus der Gleichung \frac{d\Psi_i}{dn} = 0 bestimmt, wird die Stromes-
curve, welche von dem Rande der Oeffnung ausgeht, nicht nothwendig in
einen Cylinder vom Radius R1 übergehen. Um dies nun zu bewirken, muſs
man eine der Constanten von Φ durch die oben gefundene Gleichung
(12b.) AQ = -2\pi M
bestimmen, worin in unserem Falle Q der Querschnitt der Röhre
Q = \pi R^2_1,
M = -\frac{1}{2\pi}\int\frac{d\overline{\Psi'}}{dx}d\omega = \int(i + l)d\omega.
Daraus folgt:
(22b.) AR^2_1 = -2\int(i+l)d\omega.
Wenn R und R1 gegeben sind, giebt diese Gleichung eine Bedingung, welche
durch die Coefficienten des Ausdrucks für Φ in (22.) erfüllt werden muſs,
so daſs einer von ihnen durch die anderen bestimmt werden kann.
§. 9.
Wir wollen endlich noch die Röhrenformen berechnen, welche den
einfachsten Annahmen über die Function Φ entsprechen. Setzen wir
(23.) \Phi = \frac{A}{k}\sin kx + B\cos kx,
[57]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
so wird nach (21a.)
(23a.) i = -\frac{A}{4\pi}, \int id\omega = -\tfrac{1}{4}AR^2
und in der Ebene der Mündung nach (21b.)
(23b.) \overline{P_l} = \tfrac{1}{2}B,
woraus nach bekannten Sätzen über Electricitätsvertheilung auf einer leiten-
den Kreisscheibe folgt, daſs
(23c.) l = \frac{B}{2\pi^2\sqrt{R^2-\rho^2}}, \int ld\omega = \frac{BR}{\pi}.
Somit folgt aus Gleichung (22b.)
(23d.) AR^2_1 = \tfrac{1}{2}AR^2-\frac{2}{\pi}BR.
Den Unterschied α der wahren und reducirten Röhrenlänge haben wir oben
(12a.) definirt durch die Gleichung:
(12f.) -\frac{kB}{A} = \operatorname{tang}k\alpha.
Da kα eine sehr kleine Gröſse ist, so oft das Verhältniſs R1 : R endlich ist,
können wir in diesem Falle annähernd setzen:
(23e.) \alpha = -\frac{B}{A} = \frac{\pi}{2}\frac{R^2_1}{R}-\frac{\pi}{4}R,
wodurch für die hier in Betracht kommenden Röhrenformen der Unterschied
zwischen wahrer und reducirter Länge gegeben ist, wenn die Radien des
Cylinders und seiner Mündung bestimmt sind. Die reducirte Länge der Pfeife
ist gleich der wahren, also α = B = 0, wenn R = R_1\sqrt{2}.
Wenn die Mündung ebenso weit ist wie der Cylinder, also R = R1,
wird \alpha = \frac{\pi}{4}R und B = -\frac{\pi}{4}RA. Wenn R sehr klein gegen R1 ist, wird
annähernd
\frac{B}{A} = -\frac{\pi R^2_1}{2R} = -\frac{Q}{2R},
wie es schon oben für diesen Fall in (12i.) gefunden ist. Unter diesen Um-
ständen kann natürlich nicht die abgekürzte Form (23e.) für die Gleichung (12f.)
angewendet werden.
Die Bedeutung der Function χ der Gleichung (22a.), welche zur Be-
stimmung der Strömungscurven dient, setzen wir durch folgende Gleichung fest:
(24.) \rho\chi = \int_0^\rho\frac{d\Psi_i}{dx}\rho d\rho,
Journal für Mathematik Bd. LVII. Heft 1. 8
[58]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
worin unter dem Integralzeichen x einen constanten Werth behält. Daraus
folgt zunächst:
(24a.) \frac{d}{d\rho}(\rho\chi) = \rho\frac{d\Psi_i}{dx},
\frac{d}{dx}(\rho\chi) = \int_0^\rho\frac{d^2\Psi_i}{dx^2}\rho d\rho.
Da wir nun für unseren jetzt vorliegenden Zweck uns erlauben durften in
den Functionen Φ, Pi und Pl (s. (22.) und (20a.)), aus denen Ψi zusammen-
gesetzt ist, k = 0 zu setzen, so reducirt sich die Gleichung (18e.) in der
Nähe der Mündung auf
\frac{d^2\Psi_i}{dx^2} = -\frac{d^2\Psi_i}{d\rho^2}-\frac{1}{\rho}\frac{d\Psi_i}{d\rho},
und wir erhalten also
\frac{d}{dx}(\chi\rho) = -\int_0^\rho\left(\rho\frac{d^2\Psi_i}{d\rho^2}+\frac{d\Psi_i}{d\rho}\right)d\rho,
(24b.) \frac{d}{dx}(\chi\rho) = -\rho\frac{d\Psi_i}{d\rho};
aus (24a.) und (24b.) folgt, daſs die Function χ der Bedingung genügt:
(22a.) \frac{d(\chi\rho)}{d\rho}\frac{d\Psi_i}{d\rho} + \frac{d(\chi\rho)}{dx}\frac{d\Psi_i}{dx} = 0,
und daſs in einer durch die x - Axe gelegten Ebene die Curven
ϱχ = Const.
orthogonal sind zu den Curven
Ψi = Const.,
erstere also Stromescurven sind.
Wenn wir in die Gleichung (24.) für Ψi setzen:
(21d.) \Psi_i = \Phi + P_i - P_l,
so können wir auch χ ähnlich zerfällen
(25.) \chi = \chi_0 + \chi_\prime - \chi_{\prime\prime},
- (25a.)
- \rho\chi_0 = \int_0^\rho\frac{d\Phi}{dx}\rho d\rho,
- \rho\chi_\prime = \int_0^\rho\frac{dP_i}{dx}\rho d\rho,
- \rho\chi_{\prime\prime} = \int_0^\rho\frac{dP_l}{dx}\rho d\rho.
Da sich Φ hier reducirt auf
\Phi = Ax + B,
[59]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
so ist
(25b.) \chi_0 = \tfrac{1}{2}A\rho.
Um die Berechnung von χ͵ abzukürzen, bemerke ich Folgendes. Es sei W
eine Potentialfunction, die auf Seite der negativen x der Differentialgleichung
genügt:
\frac{d^2W}{dx^2}+\frac{d^2W}{d\rho^2}+\frac{1}{\rho}\frac{dW}{d\rho} = 0,
und ferner sei
(25c.) P_i = \frac{dW}{dx},
so ist
(25d.) \rho\chi_\prime = \int_0^\rho\frac{d^2W}{dx^2}\rho d\rho = -\int_0^\rho\frac{d}{d\rho}\left(\rho\frac{dW}{d\rho}\right)d\rho = -\rho\frac{dW}{d\rho}.
Nun ist Pi die Potentialfunction einer Masse, die mit der constanten Dichtigkeit
-\frac{A}{4\pi} auf einer Kreisscheibe vom Radius R ausgebreitet ist. Die Gleichung
(25c.) erfüllen wir, wenn wir W zur Potentialfunction eines soliden Cylinders
machen, dessen Basis die kreisförmige Röhrenmündung ist, und der von x = 0
bis x = + ∞ reicht und mit Masse von der constanten Dichtigkeit -\frac{A}{4\pi} ge-
füllt ist. Man braucht sich nur den Cylinder um ein unendlich kleines Stück
in der Richtung der positiven x verschoben zu denken und die neue Dichtigkeit
so wie die neue Potentialfunction von der früheren abzuziehen, so erhält man
das angegebene Resultat. Die Gleichung (25d.) kann man aber schreiben,
weil y = ϱ cos ω:
(25e.) \chi_\prime\cos\omega = -\frac{dW}{d\rho}\cos\omega = -\frac{dW}{dy}.
Es ist aber -\frac{dW}{dy} die Potentialfunction der Oberfläche des Cylinders, die
mit Masse von der Dichtigkeit -\frac{A}{4\pi}\cos\omega bedeckt ist, wie sich wieder leicht
ergiebt, wenn man den Cylinder in Richtung der negativen y unendlich wenig
verschoben denkt. Also läſst sich χ͵ unmittelbar finden:
(26.) \chi_\prime = -\frac{A}{4\pi}\int_0^\infty da\int_0^{2\pi}\frac{R\cos\omega d\omega}{\sqrt{(x-a)^2+(\rho-R\cos\omega)^2+R^2\sin^2\omega}}.
Der Werth mit Hülfe elliptischer Integrale ausgedrückt ist folgender:
(26a.) \chi_\prime = \frac{AR}{\pi}\left\{\frac{\chi_\prime\cos\theta}{\chi^2\sqrt{1-\chi^2_\prime\sin^2\theta}}(K-E)-\frac{\chi_\prime\sin\theta}{1-\chi^2_\prime\sin^2\theta}[\tfrac{1}{2}\pi + (K-E)F'_\theta-KE'_\theta]\right\}-c,
8 *
[60]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
worin gesetzt ist:
\chi^2 = \frac{4R\rho}{x^2+(R+\rho)^2}, \chi^2_\prime = 1-\chi^2, \chi_\prime\sin\theta = \pm\frac{R-\rho}{R+\rho},
K = \int_0^{\tfrac{1}{2}\pi}\frac{d\omega}{\sqrt{1-\chi^2\sin^2\omega}}, E = \int_0^{\tfrac{1}{2}\pi}\sqrt{1-\chi^2\sin^2\omega}d\omega,
F'_\theta = \int_0^\theta\frac{d\omega}{\sqrt{1-\chi_\prime^2\sin^2\omega}}, E'_\theta = \int_0^\theta\sqrt{1-\chi^2_\prime\sin^2\omega}d\omega,
c = \frac{AR^2}{4\rho}, wenn \rho \> R,
c = \frac{A\rho}{4}, wenn R \> \rho,
oder in beiden Fällen:
c = \frac{AR}{4}\frac{1-\chi_\prime\sin\theta}{1+\chi_\prime\sin\theta}.
Uebrigens ist für sin ϑ, für cos ϑ, wie für κ͵ immer der positive Werth zu
nehmen, der sich aus den obigen Formeln ergiebt.
Endlich ergiebt sich χ͵͵ leicht aus den bekannten Sätzen über Potential-
functionen, die durch elliptische Coordinaten ausgedrückt sind. Setzen wir
x = R\mu s,
\rho = R\sqrt{1-\mu ^2}\sqrt{1+s^2},
so ist die Potentialfunction Pl einer Scheibe, auf welcher selbst die Potential-
function constant gleich ½B ist,
P_l = \frac{B}{\pi}\operatorname{arctang}\frac{1}{s}.
Die Linien μ = C sind confocale Hyperbeln und orthogonal gegen die Linien
s = C, welche confocale Ellipsen sind. Da die letzteren in unserem Falle
Curven gleichen Potentials sind, sind die Linien μ = C Strömungscurven, und
wir brauchen die Gröſse ϱχ͵͵ nur für den Scheitelpunkt derselben in der Scheibe
zu bestimmen, so muſs sie denselben Werth in der ganzen Länge haben.
An der Scheibe selbst wird s = 0, für sehr kleine Werthe von s und
— x wird
\mu = \sqrt{1-\frac{\rho^2}{R2}}, s = -\frac{x}{\sqrt{R^2-\rho^2}},
P_l = -\frac{B}{\pi}\operatorname{arctang}\frac{\sqrt{R^2-\rho^2}}{x},
\frac{d\overline{P_l}}{dx} = +\frac{B}{\pi}\frac{1}{\sqrt{R^2-\rho^2}},
[61]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
(27.) \rho\chi_{\prime\prime} = \int_0^\rho\frac{d\overline{P_l}}{dx}\rho d\rho = \frac{BR}{\pi}(1-\mu).
Um μ in den bei den elliptischen Integralen gebrauchten Hülfsgröſsen auszu-
drücken, dient, wenn ϑ für ϱ \> R negativ genommen wird, die Gleichung
\mu = \sqrt{\frac{2\chi_\prime(1+\sin\theta)}{(1+\chi_\prime)(1+\chi_\prime\sin\theta)}}.
Somit haben wir denn in den Gleichungen (25b.), (26.) und (27.) die Werthe
von χ0, χ͵ und χ͵͵, und die Gleichung der Strömungscurven wird:
\rho(\chi_0+\chi_\prime+\chi_{\prime\prime}) = \operatorname{Const.}
Soll die Strömungscurve der Röhrenwand entsprechen, so muſs sie durch den
Rand der Oeffnung gehen, und die Constante ist:
\operatorname{Const.} = \int_0^R\frac{d\Psi'}{dx}\rho d\rho = \tfrac{1}{2}AR^2_1;
folglich wird die Gleichung der Röhrenwand
(27b.) \rho(\chi_0 + \chi_\prime + \chi_{\prime\prime}) = \tfrac{1}{2}AR^2_1.
Um die Röhrenform zu erhalten, für welche die Differenz zwischen der wahren
und reducirten Länge verschwindet, müssen wir B = 0, R = R_1\sqrt{2} setzen,
dann verschwindet auch χ͵͵, und die Gleichung der Röhrenwand reducirt sich auf
\rho\chi_\prime = \tfrac{1}{2}A(R^2_1-\rho^2).
Es giebt dies eine Röhre mit trompetenförmigem, schwach erweitertem Ende.
Die Krümmung der Wand ist überall nach innen convex, und ihr Krümmungs-
halbmesser, der vom cylindrischen Theile an gegen die Mündung allmälig ab-
nimmt, wird am Rande der Oeffnung zuletzt unendlich klein.
Macht man den Radius der Oeffnung gleich dem der Röhre, so nähert
sich die Form der Röhre am meisten einem reinen Cylinder. Es wird dann
die Differenz zwischen der reducirten und wahren Länge der Röhre, wie
schon oben bemerkt, gleich ¼πR. Da in diesem Falle die Gröſse
\chi^2_\prime\sin^2\theta = \frac{(R-\rho)^2}{(R+\rho)^2}
immer sehr klein bleibt, und also auch sin ϑ für alle nicht zu kleinen Werthe
von κ͵ sehr klein bleibt, kann man zur Berechnung der Röhrenform von κ = 0
bis κ = sin 890 die höheren Potenzen als die erste von κ͵ sin ϑ und als die
zweite von sin ϑ vernachlässigen. Die so vereinfachte Gleichung für die
Röhrenwand, aus der man sin ϑ für eine Reihe von Werthen von κ͵ leicht
[62]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
mit Hülfe der Tafeln von Legendre berechnen kann, ist:
0 = \frac{4\chi_\prime}{\pi\chi^2}(K-E)-\sqrt{\frac{2\chi_\prime}{1+\chi_\prime}}+\chi_\prime\sin\theta\left\{\frac{8\chi_\prime}{\pi\chi^2}(K-E)+6+\frac{1-\chi_\prime}{\sqrt{2\chi_\prime(1+\chi_\prime)}}\right\}
-\chi_\prime\sin^2\theta\left\{\frac{2\chi_\prime}{\pi\chi^2}(K-E)-\frac{4E}{\pi}-\frac{1}{4\sqrt{2\chi_\prime(1+\chi_\prime)}}\right\}.
Aus den zusammengehörigen Werthen von κ͵ und ϑ lassen sich endlich x
und ϱ berechnen, deren Werthe in diesem Falle sind:
\frac{\rho-R}{R} = \frac{2\chi_\prime\sin\theta}{1+\chi_\prime\sin\theta},
\frac{x}{R} = -\frac{2\chi_\prime\cos\theta}{\chi(1-\chi_\prime\sin\theta)}.
In der folgenden Tabelle bedeutet demnach \frac{\rho - R}{R} den Abstand zwischen der
Wand unserer Pfeifenform und der des Cylinders, ausgedrückt in Theilen des
Radius, und ebenso \frac{x}{R} den Abstand der betreffenden Stelle von der Oeffnung,
ausgedrückt in Theilen des Radius.
In gröſserer Entfernung von der Scheibe findet man
\frac{\rho-R}{R} = \tfrac{1}{32}\left(\frac{2R-x}{2R+x}\right)^2.
[63]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
Am schnellsten ändert die Curve ihre Natur dicht an der Oeffnung. Zwischen
κ͵ = 0 und κ͵ = sin 10 kann man folgende annähernd richtige Gleichung brauchen:
0 = \log\left(\frac{4}{\chi_\prime}\right) - 1 + \operatorname{tang}\theta(\tfrac{3}{2}\pi + \theta)-\frac{\pi}{4\sqrt{\chi_\prime}\sin(\tfrac{1}{4}\pi+\tfrac{1}{2}\theta)}.
Wenn κ͵ sehr klein wird, verschwindet log κ͵ gegen \frac{1}{\sqrt{\chi_\prime}} und tang ϑ muſs
sehr groſs, ϑ nahe gleich ½π werden, dann ist
0 = \operatorname{tang}\theta - \frac{1}{8\sqrt{\chi_\prime}},
oder \frac{\rho-R}{x} = \frac{\sqrt{2R}}{8\sqrt[4]{(\rho-R)^2+x^2}},
oder, da x auch sehr klein gegen ϱ — R werden muſs,
(\rho-R)^3 = \tfrac{1}{32}Rx^2.
Aus dieser letzten Gleichung folgt, daſs die Wandfläche die verlängerte Ebene
der Oeffnung an deren Rande tangirt und hier einen unendlich kleinen Krüm-
mungshalbmesser hat.
§. 10.
Das verallgemeinerte Theorem von Green liefert uns auch einige all-
gemeine Gesetze der Schallbewegung für solche Hohlkörper, deren sämmt-
liche Dimensionen verschwindend klein gegen die Wellenlänge sind, und die
mit einer oder mehreren Oeffnungen versehen sind, deren Flächeninhalt sehr
klein gegen die ganze Oberfläche des Hohlraumes ist. Da solche Hohlkörper
mit kleinen Oeffnungen beim Anblasen oder durch Resonanz sehr tiefe Töne
geben, so ist die erstere Bedingung für diese ihre tiefsten Töne immer erfüllt.
Wenn Ψ das Geschwindigkeitspotential im Innern des überall begrenz-
ten Raumes S darstellt, der keine tönenden Punkte enthalten soll, und der
Punkt α, β, γ, von welchem ab die Entfernung r gerechnet wird, innerhalb
des Raumes S liegt, so ist nach (7b.)
\int\frac{\sin kr}{r}\frac{d\Psi}{dn}d\omega = \int\Psi\frac{d}{dn}\left(\frac{\sin kr}{r}\right)d\omega.
Wenn nun alle Dimensionen des Raumes S gegen die Wellenlänge ver-
schwindend klein sind, so können wir kr gegen 1 vernachlässigen, so oft r,
wie hier der Fall ist, die Entfernung zweier Punkte, die innerhalb S gelegen
sind, bezeichnet. Wir setzen also
\frac{\sin kr}{r} = k - \frac{k^3r^2}{2.3}.
[64]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
Dies in die obige Gleichung eingeführt giebt:
(28.) \int\frac{d\Psi}{dn}d\omega = \frac{k^2}{2.3}\int\frac{d\Psi}{dn}r^2d\omega-\frac{k^2}{3}\int\Psi r\frac{dr}{dn}d\omega.
Nehmen wir jetzt an der Raum S sei von einer festen Wand umgeben, in
der nur eine oder einige Oeffnungen seien, an der festen Begrenzung sei
überall \frac{d\Psi}{dn} = 0, in den sämmtlichen Oeffnungen aber habe \frac{d\Psi}{dn} endliche posi-
tive Werthe. Das Verhältniſs der Fläche sämmtlicher Oeffnungen zur ganzen
Oberfläche des Raumes S sei η2:1, und η eine verschwindend kleine Gröſse,
so ist das Integral \int\frac{d\Psi}{dn}d\omega von derselben Ordnung kleiner Gröſsen wie η2,
das erste Integral rechts \frac{k^2}{2.3}\int\frac{d\Psi}{dn}r^2d\omega aber von der Ordnung k2r2η2, also
zu vernachlässigen. Lassen wir nun k immer mehr sich der Null nähern, so
muſs dabei offenbar das Integral \int\Psi r\frac{dr}{dn}d\omega und also auch die Function Ψ
selbst immer gröſser und gröſser werden. Bezeichnen wir k2Ψ mit χ, so
würde χ eine Function sein, die bei abnehmendem k von constanter Gröſsen-
ordnung bleibt, und in eine Function übergeht, welche der Differentialgleichung
∇χ = 0 in ganzer Ausdehnung des Raumes S genügt, und für welche an der
ganzen Oberfläche des Raumes S\frac{d\chi}{dn} = 0. Daraus folgt nach den bekannten
Sätzen über electrische Potentialfunctionen, daſs χ im ganzen Raume S con-
stant sein müsse.
Dem entsprechend wollen wir nun zeigen, daſs, wenn die Dimensionen
des Raumes S überall endlich sind, d. h. wenn man den Raum S nicht durch
eine unendlich kleine Schnittfläche in zwei Theile von endlicher Gröſse zer-
legen kann, daſs dann Ψ höchstens in unendlich kleinen Theilen des Raumes S
von der Ordnung η2 sich um endliche Theile seiner Gröſse von einer Con-
stanten C unterscheiden könne. Wenn Ψ und seine ersten Differentialquo-
tienten nämlich, wie es hier sein soll, innerhalb S überall continuirlich und
eindeutig sind, so ist, wie bekannt:
\int\int\int\left[\left(\frac{d\Psi}{dx}\right)^2+\left(\frac{d\Psi}{dy}\right)^2+\left(\frac{d\Psi}{dz}\right)^2\right]dx dy dz = -\int\Psi\frac{d\Psi}{dn}d\omega - \int\int\int\Psi\nabla\Psi dx dy dz,
wo die dreifachen Integrale über den ganzen Raum S auszudehnen sind.
Berücksichtigt man, daſs k2Ψ + ∇Ψ = 0, und denkt man sich weiter beide
Seiten der Gleichung mit einer constanten Gröſse ε2 multiplicirt, die so ge-
wählt sein soll, daſs ε2 Ψ eine endliche Gröſse ist, wozu nach Gleichung (28.)
[65]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
ε2 von gleicher Ordnung mit \frac{k^2r}{\eta^2} sein muſs, so erhält man:
(28a.) \epsilon^2\int\int\int\left[\left(\frac{d\Psi}{dx}\right)^2 + \left(\frac{d\Psi}{dy}\right)^2+\left(\frac{d\Psi}{dz}\right)^2\right]dx dy dz
= -\epsilon^2\int\Psi\frac{d\Psi}{dn}d\omega + k^2\epsilon^2\int\int\int\Psi^2 dx dy dz.
Da nun die Integrale auf der rechten Seite dieser Gleichung verschwindend
klein von der Ordnung η2 sind, so ist es auch das dreifache Integral links.
Da hier aber unter dem Integralzeichen eine überall positive Gröſse steht, so
können die Werthe von \epsilon\frac{d\Psi}{dx}, \epsilon\frac{d\Psi}{dy} und \epsilon\frac{d\Psi}{dz} im Allgemeinen selbst nur
von derselben Ordnung kleiner Gröſsen wie η sein, oder wenigstens nur in
Theilen des Raumes S, welche selbst von der Ordnung η2 sind, endlich werden.
Nun denke man die Flächen construirt, welche der Gleichung
Ψ = Const.
entsprechen, und für den Theil des Raumes S, welcher zwischen zwei be-
liebigen solchen Flächen liegt, bilde man das Integral
(28b.) \epsilon\int\int\int\sqrt{\left(\frac{d\Psi}{dx}\right)^2+\left(\frac{d\Psi}{dy}\right)^2+\left(\frac{d\Psi}{dz}\right)^2} dx dy dz = \Xi.
Nach dem Vorausgesagten kann dies Integral nur von derselben Ordnung
kleiner Gröſsen wie η sein. Man kann nun die Integration so ausführen, daſs
man zuerst diejenigen Theile des Integrals zusammennimmt, welche zwischen
zwei unendlich nahen Potentialflächen liegen. Es sei dω ein Flächenelement
einer solchen Fläche, in der das Potential den Werth Ψ hat, dn die Ent-
fernung zwischen dω und der nächsten Fläche, an der der Werth des Po-
tentials Ψ + dΨ ist, dann ist dω dn ein Element des Volumens und
\sqrt{\left(\frac{d\Psi}{dx}\right)^2+\left(\frac{d\Psi}{dy}\right)^2+\left(\frac{d\Psi}{dz}\right)^2} d\omega dn = d\Psid\omega,
also
\Xi = \epsilon\int_{\Psi_0}^{\Psi_1}d\Psi\int d\omega,
wenn Ψ0 und Ψ1 die Werthe von Ψ an den äuſsersten Potentialflächen sind,
zwischen denen man integrirt. Für jeden Werth von Ψ ist nun ∫dω gleich
Journal für Mathematik Bd. LVII. Heft 1. 9
[66]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
dem Flächeninhalt Q desjenigen Theiles der betreffenden Potentialfläche, der
innerhalb des Raumes S liegt. Also wird
\Xi = \epsilon\int_{\Psi_0}^{\Psi_1}Qd\Psi,
worin Q als Function des Werthes von Ψ anzusehen ist. Wenn nun Q überall
endlich ist, darf die Differenz εΨ0 — εΨ1, innerhalb deren die Variable sich
ändert, nur von der Ordnung η sein, da der Werth von Ξ von der Ordnung η
ist. Oder es muſs, wenn εΨ0 — εΨ1 endlich ist, innerhalb dieses Intervalles Q
von der Ordnung η sein. Da nun nach unserer Voraussetzung der Raum S
nicht eine solche Gestalt haben darf, daſs man ihn durch eine unendlich kleine
Schnittfläche in zwei Theile von endlichem Volumen theilen kann, wie das
z. B. der Fall sein würde, wenn er aus zwei durch ein röhrenförmiges Stück
verbundenen Hohlräumen bestände, so folgt aus dem Gesagten, daſs nur in un-
endlich kleinen Theilen desselben, und namentlich auch nur in unendlich klei-
nen Theilen seiner Oberfläche, der Werth von εΨ um eine endliche Gröſse
von einem constanten Werthe C abweichen könne.
Nach diesen Bemerkungen reducirt sich die Gleichung (28.) auf
(28c.) \int\frac{d\Psi}{dn}d\omega = -\frac{k^2C}{3}\int r\frac{dr}{dn}d\omega = k^2CS.
Wenn wir nämlich die vom Punkte α, β, γ auf die Tangentialebene von dω
gefällte Normale n nennen, ist \frac{dr}{dn} = -\frac{n}{r}, und -\tfrac{1}{3}r\frac{dr}{dn}d\omega = \frac{nd\omega}{3} gleich
dem Volumen eines Kegels, dessen Grundfläche dω und dessen Spitze α, β, γ
ist. Deshalb ist:
-\tfrac{1}{3}\int r\frac{dr}{dn}d\omega = S.
Setzen wir jetzt voraus, der Raum S habe eine Oeffnung, die in einem nahe-
hin ebenen Theile der Wand gelegen sei, dessen Ebene wir äuſserlich un-
endlich verlängert und den freien Raum nach einer Seite begrenzend voraus-
setzen, wählen wir wie früher diese Ebene als Ebene der yz und verlegen den
Anfangspunkt der Coordinaten in die Oeffnung selbst. Nehmen wir ferner an,
daſs die Vibrationen des Hohlraumes erregt werden durch einen Schallwellen-
zug, der gegen die Oeffnung schlägt. Wir müssen nun an der Oeffnung den
Werth von Ψ so bestimmen, daſs er auſsen und innen continuirlich wird und
[67]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
im Innern in einer gegen die Dimensionen der Oeffnung groſsen Entfernung
in den constanten Werth Ccos (2πnt) übergeht.
Es sei h eine Gröſse, welche in verschiedenen Punkten der Oeffnung
der Röhre verschiedene Werthe hat Wir setzen, indem wir die Integration
über die Fläche der Oeffnung ausdehnen, für den freien Raum
(29.) \Psi = \int h\frac{\cos(kr - 2\pi nt)}{r}d\omega + H\cos kx\cos(2\pi nt) + J\cos kx \sin(2\pi nt).
Dieses Geschwindigkeitspotential stellt einen Zug ebener Wellen dar, die an
der yz-Ebene reflectirt sich in stehende verwandeln, und ein System fort-
schreitender Wellen, welche von der Oeffnung ausgehen. Statt der unendlich
ausgedehnten ebenen Wellen läſst sich übrigens ebenso gut die etwas allge-
meinere Voraussetzung der Gleichung (16.) hier anwenden, daſs nämlich die
Wellen von einem weit von der Oeffnung entfernten tönenden Punkte aus-
gehen, dann bekommen sie, wie dort gezeigt, dicht vor der Oeffnung die in
(29.) angenommene Form.
An der yz-Ebene ist auſserhalb der Oeffnung \frac{d\Psi}{dx} = 0, in der Oeffnung
(29a.) \frac{d\overline{\Psi}}{dx} = -2\pi h\cos(2\pi nt)
und annähernd
(29b.) \overline{\Psi} = \left[\int\frac{h}{r}d\omega+H\right]\cos(2\pi nt) + \left[k\int hd\omega + J\right]\sin(2\pi nt).
Innerhalb des Raumes S setzen wir dagegen
(29c.) \Psi = \left[C-\int\frac{h\cos kr}{r}d\omega\right]\cos(2\pi nt).
Dann ist in der Oeffnung
(29d.) \frac{d\overline{\Psi}}{dx} = -2\pi h\cos(2\pi nt),
(29e.) \overline{\Psi} = \left[C-\int\frac{hd\omega}{r}\right]\cos(2\pi nt).
Die Werthe von \frac{d\overline{\Psi}}{dx} aus (29a.) und (29d.) sind identisch. Damit auch die
von Ψ̄ aus (29b.) und (29e.) identisch seien, muſs sein:
(29f.) J + k\int hd\omega = 0,
(29g.) C - H = 2\int\frac{hd\omega}{r}.
9 *
[68]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
Es muſs also die Gröſse h für die einzelnen Punkte der Oeffnung so bestimmt
werden, daſs ihre Potentialfunction innerhalb der Oeffnung constant wird. Die
Bedingung endlich, daſs \frac{d\Psi}{dn} = 0 ist längs der Oberfläche von S mit Ausnahme
der Mündung, wird durch die Gleichung (29c.) erfüllt, wenn die Wand, in der
die Oeffnung sich befindet, so weit merklich eben ist, als das Potential von h
nicht gegen C verschwindet.
Endlich wird für diesen Fall die Gleichung (28c.)
(29h.) 2\pi\int hd\omega = k^2CS.
Aus (29f.) und (29h.) folgt
(29i.) J = -\frac{k^3CS}{2\pi}
Nennen wir nun M die Masse, welche nöthig ist, um, auf der Fläche der
Oeffnung passend vertheilt, in dieser die Potentialfunction constant gleich 1
zu machen, so ist
(29k.) \int hd\omega = \tfrac{1}{2}(C-H)M,
da die Dichtigkeit h nach (29g.) den Potentialwerth ½ (C — H) hervorbringt.
Wir haben also nach (29f.)
(29l.) J + \tfrac{1}{2}k(C-H)M = 0.
Das Maximum des Potentials der stehenden Wellen im freien Raume ist \sqrt{H^2+J^2},
das Maximum in dem Hohlkörper S ist C. Aus (29i.) und (29l.) folgt
\frac{H^2+J^2}{C^2} = \left(1-\frac{k^2S}{\pi M}\right)^2+\left(\frac{k^3S}{2\pi}\right)^2.
Dieses Verhältniſs erreicht seinen Minimalwerth, die Resonanz wird also am
stärksten, wenn das erste der beiden Quadrate, gegen welches im Allgemeinen
das zweite verschwindend klein ist, gleich Null wird. Die Bedingung für das
Maximum der Resonanz ist also:
(30.) \pi M = k^2S,
oder wenn wir statt k seinen Werth setzen durch die Schwingungszahl n und
die Schallgeschwindigkeit a ausgedrückt
(3a.) k = \frac{2\pi n}{a},
[69]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
so ist:
(30a.) n^2=\frac{a^2M}{4\pi S}.
Ist die Oeffnung kreisförmig, so ist (s. (23b.) und (23c.))
M = \frac{2R}{\pi},
oder, wenn wir die Fläche der Oeffnung mit s bezeichnen,
s = \pi R^2, M=\frac{2}{\pi}\sqrt{\frac{s}{\pi}},
n = \frac{a\sqrt[4]{s}}{\sqrt{2}\sqrt[4]{\pi^5}\sqrt{S}}.
Wenn wir für die Schallgeschwindigkeit den Werth 332260mm (entsprechend
00 und trockner Luft) nehmen, so wird
n = 56174\frac{\sqrt[4]{s}}{\sqrt{S}},
während Sondhauſs aus seinen Versuchen für n die empirische Formel für
kreisförmige und quadratische Oeffnungen herleitet:
n = 52400\frac{\sqrt[4]{s}}{\sqrt{S}},
worin nur der von Sondhauſs gegebene Zahlencoefficient halbirt ist, weil
Sondhauſs nach der Art der französischen Physiker die Schwingungszahlen der
Töne doppelt so hoch nimmt, als es nach unserer Bezeichnungsweise geschieht.
Noch besser stimmt die Berechnung für einige Versuche von Wertheim,
bei denen das Verhältniſs der Oeffnung zum Volumen des Hohlkörpers noch
kleiner ist, als bei den Versuchen von Sondhauſs. Ich habe aus den Ver-
suchen, welche er mit drei verschiedenen Glaskugeln angestellt hat *), deren
Volumen durch Eingieſsen von Wasser verkleinert wurde, diejenigen nach
der theoretischen Formel berechnet, bei welchen der Durchmesser der Oeffnung
weniger als 1/10 des Durchmessers einer Kugel war, deren Volumen dem des
Hohlraumes gleich ist, und setze die Zahlen hierher, um zu zeigen, wie gut
die theoretische Formel mit den Versuchen übereinstimmt.
[70]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
Zur Erleichterung der Vergleichung sind in der letzten Rubrik unter ∆
die Logarithmen des berechneten n dividirt durch das beobachtete n hinzu-
gefügt. Der Logarithmus des halben Tones 16/15 beträgt 0,028. Die Werthe
von ∆ zeigen, daſs nur bei den verhältniſsmäſsig zur Oeffnung kleineren Wer-
then des Volumens die Differenz zwischen Rechnung und Beobachtung sich
einem halben Tone nähert.
Für Ellipsen von der Excentricität ε und der groſsen Axe R ist die
Masse M, welche, auf der Fläche passend vertheilt, in dieser das constante
[71]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
Potential 1 giebt *),
M=\frac{R}{K_\epsilon},
worin Kε das ganze elliptische Integral erster Gattung für den Modul ε be-
zeichnet. Es wird also nach (30a.) für Hohlräume mit einer elliptischen
Oeffnung
n^2 = \frac{a^2R}{4\pi KS},
oder wenn man den Flächeninhalt s der elliptischen Oeffnung einführt und setzt:
\epsilon_1 = \sqrt{1-\epsilon^2},
s = \pi R^2\epsilon_1,
so wird
n = \sqrt{\frac{\pi}{2K\sqrt{\epsilon_1}}}\cdot\frac{a\sqrt[4]{s}}{\sqrt[4]{\pi^5}\sqrt{2S}}.
Der Werth von n2 ist also von dem für eine kreisförmige Oeffnung gültigen
durch den Factor \frac{\pi}{2K\sqrt{\epsilon_1}} verschieden, und da dieser Factor gröſser ist als 1,
so wird der Ton einer elliptischen Oeffnung von gleicher Fläche etwas höher
als der einer kreisförmigen.
Hat der Hohlraum noch eine zweite Oeffnung, die ebenfalls in einem
nahehin ebenen Theile der Wand liegt, so setze man für den äuſseren vor
ihr liegenden Raum
\Psi = \int h_1\frac{\cos(kr - 2\pi nt + \tau)}{r}d\omega,
in dem ihr benachbarten Theile des inneren Raumes
\Psi = \left[ C_1 - \int\frac{h_1\cos kr}{r}d\omega\right]\cos(2\pi nt - \tau) + k\int h_1d\omega . \sin(2\pi nt - \tau).
Es sind wie vorher an der Oeffnung die Werthe von \frac{d\overline{\Psi}}{dn} übereinstimmend,
die Werthe von \overline{\Psi} werden:
\overline{\Psi} = \int\frac{h_1d\omega}{r}\cdot \cos(2\pi nt - \tau) + k\int h_1d\omega\sin(2\pi nt - \tau),
\overline{\Psi} = \left[ C_1-\int\frac{h_1d\omega}{r}\right]\cos(2\pi nt - \tau) + k\int h_1d\omega\sin(2\pi nt - \tau).
Es muſs also sein:
C_1 = 2\int\frac{h_1d\omega}{dr},
[72]Helmholtz, über Luftschwingungen in offenen Röhren.
und setzen wir wie bei der ersten Oeffnung in (29k.)
\int h_1d\omega = \tfrac{1}{2}C_1M_1,
so wird in den von der Oeffnung entfernteren Stellen des inneren Raumes
\Psi = C_1\cos(2\pi nt-\tau)+\tfrac{1}{2}kC_1M_1\sin(2\pi nt - \tau).
Dies muſs aber gleich werden dem früher festgesetzten Werthe von Ψ im
Innern der Kugel:
\Psi = C\cos(2\pi nt).
Daraus folgt, daſs
C_1[\cos \tau - \tfrac{1}{2}kM_1\sin\tau] = C,
\sin\tau + \tfrac{1}{2}kM_1\cos\tau = 0.
Aus der zweiten Gleichung folgt, daſs τ sehr klein ist, und demgemäſs aus
der ersten, daſs mit Vernachlässigung kleiner Gröſsen
C = C1.
Nun wird aus Gleichung (28c.)
\int\frac{d\Psi}{dn}d\omega = 2\pi\int hd\omega + 2\pi\int h_1d\omega = k^2CS
oder
(31.) \pi M(C-H)+\pi M_1C = k^2CS,
dazu
J = -\frac{k^3CS}{2\pi},
(31a.) \frac{H^2J^2}{C^2} = \frac{(\pi(M+M_1)-k^2S)^2}{\pi^2M^2} + \frac{k^3S}{2\pi}.
Damit \frac{H^2J^2}{C^2} ein Minimum werde, und die stärkste Resonanz ein-
trete, setzen wir
(31b.) \pi(M+M_1) = k^2S,
durch welche Gleichung die Tonhöhe der stärksten Resonanz bestimmt ist,
wie es in (30.) für eine Oeffnung geschehen war. Diese Gleichung stimmt,
wenn die Oeffnungen geometrisch ähnlich sind, mit dem von Sondhauſs aus
den Versuchen abgeleiteten Gesetze. Sind beide Oeffnungen congruent, so
verhält sich die Schwingungszahl des Körpers zu der desselben Körpers mit
einer Oeffnung, wie \sqrt{2}:1. Der Ton ist also im ersten Falle um eine ver-
minderte Quinte höher als im zweiten Falle, was genau mit einigen Ver-
suchen von Sondhauſs*) übereinstimmt.
Heidelberg, im März 1859.
Bd. XLIV, p. 246.
satze die Bezeichnungsweise der französischen Physiker gebraucht, wonach die Schwin-
gungszahlen der Töne doppelt so groſs werden als nach der deutschen Bezeichnung.
Gleichungen (1d.) und (1e.) vollzogen werden kann, und daſs man die Eliminationsglei-
chung, welche von der dritten Dimension in Bezug auf Φ und seine Differentialquotienten
ist, ebenfalls mit Hülfe der hier folgenden Theoreme durch eine nach Sinus und Cosinus
der Zeit fortlaufende Reihe integriren kann, deren Glieder von nter Dimension der kleinen
Gröſsen den Combinationstönen nter Ordnung der primär angegebenen Töne entsprechen.
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- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Helmholtz, Hermann von. Theorie der Luftschwingungen in Röhren mit offenen Enden. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bjc7.0