ÜBER
GASTHEORIE
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ÜBER
GASTHEORIE
THEORIE DER GASE MIT EINATOMIGEN MOLEKÜLEN,
DEREN DIMENSIONEN GEGEN DIE MITTLERE WEGLÄNGE
VERSCHWINDEN.
VERLAG VON JOHANN AMBROSIUS BARTH
(ARTHUR MEINER)
1896.
[[IV]]
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Druck von Metzger \& Wittig in Leipzig.
[[V]]
Vorwort.
Ist nur ein Gleichniss!“’
Schon oft wurde mir nahe gelegt, ein Lehrbuch über Gas-
theorie zu schreiben. Speciell erinnere ich mich der energischen
Aufforderung Prof. Wroblewski’s hierzu bei der Wiener Welt-
ausstellung 1873. Als ich diesem gegenüber wenig Lust zeigte,
ein Lehrbuch zu schreiben, da ich ohnedies nicht wisse, wie
bald mir die Augen den Dienst versagen würden, antwortete
er trocken: „Ein Grund mehr, sich zu beeilen!“ Jetzt, da ich
diese Rücksicht nicht mehr nehme, scheint der Zeitpunkt für ein
solches Lehrbuch weniger geeignet, als damals. Denn erstens ist
in Deutschland die Gastheorie, ich möchte sagen, aus der Mode
gekommen; zweitens erschien soeben O. E Meyer’s bekanntes
Lehrbuch in zweiter Auflage und widmet Kirchhoff in seinen
Vorlesungen über Wärmelehre einen längeren Abschnitt der
Gastheorie. Jedoch verfolgt das Meyer’sche Buch, so an-
erkannt vortrefflich es für Chemiker und Studirende der
physikalischen Chemie ist, völlig andere Zwecke. Das Kirch-
hoff’sche Werk aber verräth zwar in Auswahl und Darstellung
den Meister, doch ist es nur ein posthum gedrucktes Vor-
lesungsheft über Wärmetheorie, das die Gastheorie als An-
hang behandelt, kein einigermaassen [um]fassenderes Lehrbuch.
Ja ich gestehe offen, dass gerade einerseits das Interesse,
welches Kirchhoff der Gastheorie entgegenbringt, andererseits
die vielen Lücken, die er bei der Kürze seiner Darstellung
lässt, mich zur Publication des vorliegenden Werkchens, das
ebenfalls aus Vorlesungen an der Münchener und Wiener
Universität entstanden ist, ermunterten.
Ich habe darin vor Allem die bahnbrechenden Arbeiten
von Clausius und Maxwell übersichtlich wiederzugeben ge-
[VI]Vorwort.
sucht. Man wird mir wohl nicht übelnehmen, dass ich auch
meinen eigenen Arbeiten einigen Platz gegönnt habe. Diese
werden in Kirchhoff’s Vorlesungen über Wärmetheorie und
Poincaré’s Thermodynamique am Schlusse achtungsvoll citirt,
aber selbst, wo es sehr nahe gelegen wäre, nicht verwerthet.
Ich schloss daraus, dass eine kurz gefasste, möglichst leicht-
verständliche Darstellung einiger Hauptresultate derselben nicht
überflüssig sei. Von grossem Einflusse auf Inhalt und Dar-
stellung war das, was ich auf der unvergesslichen Versamm-
lung der British Association in Oxford und aus den darauf
folgenden theils privaten, theils in der „Nature“ publicirten
Briefen von zahlreichen englischen Forschern gelernt habe.
Ich beabsichtige, dem I. Theile einen II. folgen zu lassen,
wo ich die van der Waals’sche Theorie, die Gase mit mehr-
atomigen Molekülen und die Dissociation zu behandeln gedenke.
Daselbst wird auch der ausführliche Beweis der Gleichung 110a,
der in § 16, um Wiederholungen zu vermeiden, nur angedeutet
ist, nachgetragen werden.
Etwas weitschweifige Formeln waren zum Ausdrucke com-
plicirter Gedankenreihen leider manches Mal nicht zu ver-
meiden und ich kann mir lebhaft vorstellen, dass Manchem,
der das Ganze nicht überschaut, die Resultate vielleicht wieder
der aufgewandten Mühe nicht zu entsprechen scheinen werden.
Abgesehen von vielen Resultaten der reinen Mathematik, die,
wenn auch anfangs unfruchtbar scheinend, später doch der
praktischen Wissenschaft immer nützlich werden, sobald sie
den Kreis unserer Denkformen und inneren Anschauung wesent-
lich erweitern, wurden sogar die complicirten Formeln der
Maxwell’schen Elektromagnetik vor den Hertz’schen Ver-
suchen vielfach für unfruchtbar gehalten. Möge auch bezüg-
lich der Gastheorie diese Ansicht nicht die allgemeine sein!
Wien, im September 1895.
Ludwig Boltzmann.
[[VII]]
Inhaltsverzeichniss.
- Seite
- Einleitung 1
- § 1. Mechanische Analogie für das Verhalten der Gase 1
- § 2. Berechnung des Druckes eines Gases 9
- I. Abschnitt.
- Die Moleküle sind elastische Kugeln. Aeussere Kräfte und sichtbare
Massenbewegungen fehlen15 - § 3. Maxwell’s Beweis des Geschwindigkeitsvertheilungsgesetzes;
Häufigkeit der Zusammenstösse 15 - § 4. Fortsetzung; Werthe der Variabeln nach dem Stosse; Stösse
entgegengesetzter Art 24 - § 5. Beweis, dass die Maxwell’sche Geschwindigkeitsvertheilung
die einzig mögliche ist 32 - § 6. Mathematische Bedeutung der Grösse H38
- § 7. Das Boyle-Charles-Avogadro’sche Gesetz. Ausdruck
für die zugeführte Wärme 47 - § 8. Specifische Wärme. Physikalische Bedeutung der Grösse H54
- § 9. Zahl der Zusammenstösse 61
- § 10. Mittlere Weglänge 69
- § 11. Grundgleichung für den Transport irgend einer Grösse durch
die Molekularbewegung 74 - § 12. Elektricitätsleitung und innere Reibung der Gase 79
- § 13. Wärmeleitung und Diffusion in sich selbst 86
- § 14. Zwei Arten von Vernachlässigungen; Diffusion zweier ver-
schiedener Gase 93 - II. Abschnitt.
- Die Moleküle sind Kraftcentra. Betrachtung äusserer Kräfte und
sichtbarer Bewegungen des Gases98 - § 15. Entwickelung der partiellen Differentialgleichung für f und F98
- Seite
- § 16. Fortsetzung. Discussion des Einflusses der Zusammenstösse 104
- § 17. Differentialquoti [...]en nach der Zeit von über alle Moleküle
eines Bezirkes erstreckten Summen 115 - § 18. Allgemeinerer Beweis des Entropiesatzes. Behandlung der
Gleichungen, welche dem stationären Zustande entsprechen 124 - § 19. Aerostatik. Entropie eines schweren, ohne Verletzung der
Gleichungen 147 bewegten Gases 134 - § 20. Allgemeine Form der hydrodynamischen Gleichungen 141
- III. Abschnitt.
- Die Moleküle stossen sich mit einer der fünften Potenz der Ent-
fernung verkehrt proportionalen Kraft ab153 - § 21. Ausführung der Integration in den von den Zusammenstössen
herrührenden Gliedern 153 - § 22. Relaxationszeit. Die auf innere Reibung corrigirten hydro-
dynamischen Gleichungen. Berechnung von B5 durch
Kugelfunctionen 164 - § 23. Wärmeleitung. Zweite Methode der Annäherungsrechnung 176
- § 24. Entropie, wenn die Gleichungen 147 nicht erfüllt sind.
Diffusion 190
Einleitung.
§ 1. Mechanische Analogie für das Verhalten der Gase.
Schon Clausius unterschied strenge zwischen der all-
gemeinen mechanischen Wärmelehre, welche im Wesentlichen
auf den beiden, nach seinem Vorgange als die Hauptsätze der
Wärmelehre bezeichneten Theoremen basirt, und der speciellen
Wärmelehre, welche erstens die bestimmte Annahme macht,
dass die Wärme eine molekulare Bewegung sei, und zweitens
sich sogar von der Art dieser Bewegung eine genauere Vor-
stellung zu bilden sucht.
Auch die allgemeine Wärmetheorie bedarf gewisser, über
die nackten Thatsachen der Natur hinausgehender Hypothesen.
Trotzdem ist sie offenbar von willkürlichen Voraussetzungen
viel unabhängiger als die specielle und es hiesse nur die be-
kannten Principien, welche schon Clausius klar darlegte und
worauf er die Eintheilung seines Buches in zwei Theile basirte
unnütz wiederholen, wollte man nochmals ausführen, wie
wünschenswerth und nothwendig die Trennung ihrer Lehrsätze
von denen der speciellen Wärmelehre und der Nachweis der
Unabhängigkeit der ersteren von den subjectiven Annahmen
der letzteren ist.
In neuerer Zeit hat nun das gegenseitige Verhältniss dieser
beiden Zweige der Wärmelehre in gewisser Hinsicht eine Ver-
schiebung erfahren. Durch die Verfolgung der äusserst inter-
essanten Analogien und Verschiedenheiten, welche das Verhalten
der Energie in den verschiedenen Erscheinungsgebieten der
Physik zeigt, wurde die sogenannte Energetik geschaffen, welche
der Vorstellung abhold ist, dass die Wärme eine Molekular-
Boltzmann, Gastheorie. 1
[2]Einleitung.
bewegung sei. Diese Vorstellung ist in der That für die all-
gemeine Wärmelehre nicht erforderlich und wurde bekanntlich
schon von Robert Mayer nicht getheilt. Sicher ist die weitere
Ausbildung der Energetik für die Wissenschaft hochbedeutend;
allein bisher sind die Begriffe derselben noch viel zu unklar
und ihre Lehrsätze noch viel zu wenig eindeutig ausgesprochen,
als dass sie die scharf definirten, auf neue specielle Fälle, wo
man das Resultat noch nicht voraus weiss, immer klar anwend-
baren Theoreme der alten Wärmelehre verdrängen könnten.
Nun hat auf dem Gebiete der Elektricitätslehre die alte,
besonders in Deutschland übliche mechanische Erklärung der
betreffenden Erscheinungen aus Fernkräften Schiffbruch ge-
litten; ja obwohl Maxwell selbst mit der grössten Hoch-
achtung von Wilhelm Weber’s Theorie spricht, der durch
die Bestimmung der Umrechnungszahl der elektrostatischen
und elektromagnetischen Maasseinheit und durch die Ent-
deckung ihrer Beziehung zur Lichtgeschwindigkeit sogar den
ersten Stein zum Gebäude der elektromagnetischen Licht-
theorie geliefert hatte, so verstieg man sich bis zur Behaup-
tung, dass die mechanische Hypothese Wilhelm Weber’s
über die Wirksamkeit der elektrischen Kräfte für den Fort-
schritt der Wissenschaft sogar schädlich gewesen sei.
In England blieben die Ansichten über die Natur der
Wärme, sowie über die Atomistik hiervon ziemlich unberührt.
Aber gerade am Continente, wo man früher die in der Astro-
nomie so nützliche Annahme von Centralkräften zwischen mate-
riellen Punkten zu einer erkenntnisstheoretischen Forderung
generalisirt und deshalb noch vor anderthalb Decennien die
Maxwell’sche Elektricitätstheorie kaum beachtet hatte (nur
diese Generalisation war schädlich), generalisirte man nun
wieder den provisorischen Charakter jeder speciellen Hypo-
these und schloss, dass auch die Annahme, die Wärme sei
eine Bewegung der kleinsten Theile, mit der Zeit als falsch
erkannt und bei Seite geschoben werden würde.
Dem gegenüber muss erinnert werden, dass die Ver-
quickung der kinetischen Theorie mit der Lehre von den
Centralkräften eine bloss zufällige ist. Die Gastheorie zeigt
insofern sogar besondere Verwandtschaft mit der Maxwell’-
schen Elektricitätstheorie, dass sie die sichtbare Bewegung
[3]§ 1. Mechanische Analogie.
eines Gases, die innere Reibung und die Wärme als Phänomene
auffasst, die bloss im stationären und angenähert stationären
Zustande wesentlich verschieden scheinen, während in gewissen
Uebergangsfällen (sehr rasche Schallschwingungen mit Wärme-
entwickelung, Reibung oder Wärmeleitung in sehr verdünnten
Gasen1)) eine scharfe Scheidung nicht mehr möglich ist, was
sichtbare, was Wärmebewegung ist (vgl. § 24), gerade so,
wie in Maxwell’s Elektricitätstheorie in den Uebergangs-
fällen die Trennung der elektrostatischen und elektrodyna-
mischen Kräfte u. s. w. nicht mehr durchgeführt werden kann.
Gerade in diesen Uebergangsgebieten hat die Maxwell’sche
Elektricitätstheorie völlig Neues hervorgebracht; ebenso führt
die Gastheorie in diesen Uebergangsfällen auf ganz neue
Gesetze, welche die gewöhnlichen, auf Reibung und Wärme-
leitung corrigirten hydrodynamischen Gleichungen als blosse
Annäherungsformeln erscheinen lassen (vgl. § 23). Auf völlig
neue Gesetze wurde zum ersten Male hingewiesen in Maxwell’s
vor 16 Jahren erschienenen Abhandlung „On stresses in rarefied
Gases“. Den Phänomenen, zu denen eine sich auf Beschreibung
der alten hydrodynamischen Erscheinungen beschränkende
Theorie niemals führen konnte, sind namentlich auch die
Radiometerwirkungen beizuzählen. Versuche, sie unter ganz
anderen Bedingungen und quantitativ zu beobachten, würden
sicher den Beweis liefern, dass die Anregung und Anleitung
in einem gewissen, bisher unbeachteten Gebiete der experimen-
tellen Forschung nur von der Gastheorie ausgehen kann;
blieb doch auch die enorme Fruchtbarkeit der Maxwell’-
schen Elektricitätstheorie für die experimentelle Forschung
durch mehr als 20 Jahre fast unbemerkt.
Während im Folgenden jede qualitative Verschiedenheit
von Wärme und mechanischer Energie ausgeschlossen wird,
soll bei Betrachtung der Zusammenstösse der Moleküle die
alte Unterscheidung zwischen potentieller und kinetischer
Energie beibehalten werden. Allein dieselbe trifft durchaus
nicht das Wesen der Sache. Die Annahmen über die Wechsel-
wirkung der Moleküle während eines Zusammenstosses haben
ganz den Charakter des provisorischen und werden sicher
1*
[4]Einleitung.
einmal durch andere ersetzt werden. Ich war sogar versucht,
eine Gastheorie anzudeuten, wo an Stelle der während der
Zusammenstösse wirkenden Kräfte blosse Bedingungsgleichungen
im Sinne der posthumen Mechanik Hertz’ treten sollten, die
allgemeiner sind, als die des elastischen Stosses; ich unterliess
es aber, da ich doch nur wieder neue willkürliche Annahmen
hätte machen müssen.
Die Erfahrung lehrt, dass man zu neuen Entdeckungen
fast ausschliesslich durch specielle mechanische Anschauungen
geleitet wurde. Maxwell selbst hat die Mängel der Weber’-
schen Elektricitätstheorie auf den ersten Blick erkannt; da-
gegen die Gastheorie aufs Eifrigste gepflegt und die Methode
der mechanischen Analogien der der reinen mathematischen
Formeln (wie er sich ausdrückt) weit vorgezogen.
So lange daher nicht anschaulichere und bessere Vor-
stellungen gewonnen sind, werden wir neben der allgemeinen
Wärmetheorie und unbeschadet ihrer Wichtigkeit die alten
Hypothesen der speciellen Wärmetheorie zu cultiviren haben.
Ja, wenn die Geschichte der Wissenschaft zeigt, wie oft
sich erkenntnisstheoretische Generalisationen als falsch er-
wiesen haben, kann da nicht auch einmal die augenblicklich
moderne jeder speciellen Vorstellung abholde Richtung, sowie
die Unterscheidung qualitativ verschiedener Energieformen als
Rückschritt erkannt werden? — Wer sieht in die Zukunft?
Darum freie Bahn für jede Richtung, weg mit jeder Dogmatik
in atomistischem und antiatomistischem Sinne! Indem wir
obendrein die Vorstellungen der Gastheorie als mechanische
Analogien bezeichnen, drücken wir schon durch die Wahl
dieses Wortes deutlich aus, wie weit wir von der Vorstellung
entfernt sind, als träfen sie in allen Stücken die wahre Be-
schaffenheit der kleinsten Theile der Körper.
Wir wollen uns zunächst auf den modernsten Standpunkt
der reinen Beschreibung stellen und die bekannten Differential-
gleichungen für die inneren Bewegungen der festen und flüssigen
Körper acceptiren. Aus denselben folgt, dass in vielen Fällen,
z. B. beim Stosse zweier fester Körper, bei Bewegung von
Flüssigkeiten in geschlossenen Gefässen etc., sobald die Form
der Körper nur im mindesten von einer geometrisch ein-
[5]§ 1. Mechanische Analogie.
fachen Gestalt abweicht, Wellen entstehen müssen, die immer
mehr durcheinanderlaufen, so dass sich die lebendige Kraft
der ursprünglichen sichtbaren Bewegung endlich in die
einer unsichtbaren Wellenbewegung auflösen muss. Diese
mathematische Consequenz der die Erscheinungen beschreiben-
den Gleichungen führt gewissermaassen von selbst zur Hypo-
these, dass jene Schwingungen der kleinsten Theilchen, in
welche die immer kleiner werdenden Wellen schliesslich über-
gehen müssen, mit der erfahrungsmässig entstehenden Wärme
identisch seien, und dass die Wärme überhaupt eine Bewegung
in kleinen, uns unsichtbaren Dimensionen ist.
Hierzu kommt nun die uralte Ansicht, dass die Körper
den von ihnen eingenommenen Raum nicht im mathematischen
Sinne continuirlich erfüllen, sondern aus discreten, wegen ihrer
Kleinheit einzeln für die Sinne vollkommen unwahrnehmbaren
Körperchen, den Molekülen, bestehen. Für diese Ansicht
sprechen philosophische Gründe. Denn ein wirkliches Con-
tinuum muss aus mathematisch unendlich vielen Theilen be-
stehen; eine im mathematischen Sinne wirklich unendliche
Zahl aber ist undefinirbar. Ferner muss man bei Annahme
eines Continuums die partiellen Differentialgleichungen für das
Verhalten desselben als das ursprünglich gegebene auffassen.
So wünschenswerth es nun auch ist, die partiellen Differential-
gleichungen als das erfahrungsmässig am vollständigsten Con-
trolirbare streng von deren mechanischer Begründung zu
scheiden (wie Hertz dies speciell für die Elektricitätslehre
betont), so erhöht doch eine mechanische Begründung der
partiellen Differentialgleichungen aus den durch das Kommen
und Gehen kleiner Körperchen bedingten Mittelzahlen ausser-
ordentlich deren Anschaulichkeit, und es ist bisher keine
andere mechanische Erklärung der Naturerscheinungen ge-
funden worden als die Atomistik.
Eine gewisse Discontinuität der Körper ist übrigens durch
zahlreiche, sogar quantitativ übereinstimmende Thatsachen er-
fahrungsmässig festgestellt. Besonders unentbehrlich ist die
Atomistik zur Versinnlichung der Thatsachen der Chemie und
Krystallographie. Die mechanische Analogie zwischen den
Thatsachen jener Wissenschaften und den Gruppirungsverhält-
nissen discreter Theilchen gehört sicher zu denjenigen, deren
[6]Einleitung.
wesentlichste Momente alle etwaigen Umwälzungen unserer
Anschauungen überdauern werden, ja welche möglicher Weise
einst noch als feststehende Thatsachen gelten werden, wie
schon heute die Hypothese, dass die Sterne riesige, Millionen
von Meilen abstehende Körper sind, die ja consequenter Weise
auch nur als mechanische Analogie zur Versinnlichung der
Wirkungen der Sonne und der durch die anderen Himmels-
körper erzeugten spärlichen Gesichtswahrnehmungen, aufzu-
fassen ist, der man auch vorwerfen könnte, dass sie eine ganze
Welt eingebildeter Dinge neben der Welt unserer Sinneswahr-
nehmungen construire und von der doch kaum irgend Jemand
annehmen wird, dass sie je durch eine andere verdrängt werden
könnte.
Ich hoffe, im Folgenden den Beweis liefern zu können,
dass auch die mechanische Analogie zwischen den dem so-
genannten zweiten Hauptsatze der Wärmelehre zu Grunde
liegenden Thatsachen und den Wahrscheinlichkeitsgesetzen in
den Bewegungen der Gasmoleküle weit über eine blosse äussere
Aehnlichkeit hinausgeht.
Die Frage nach der Zweckmässigkeit der atomistischen
Anschauungen ist natürlich völlig unberührt durch die von
Kirchhoff betonte Thatsache, dass sich unsere Theorien zur
Natur wie die Zeichen zum Bezeichneten, also wie die Buch-
staben zu den Lauten oder die Noten zu den Tönen verhalten
und durch die Frage, ob es nicht zweckmässig sei, die Theorien
als blosse Beschreibungen zu bezeichnen, um an dieses ihr
Verhältniss zur Natur stets zu erinnern. Es handelt sich eben
darum, ob sich die blossen Differentialgleichungen oder die
atomistischen Ansichten einst als vollständigere Beschreibungen
der Phänomene herausstellen werden.
Gibt man einmal zu, dass die Erklärung des Scheines
des Continuums durch die Anwesenheit ausserordentlich vieler
nebeneinander gelagerter discontinuirlicher Moleküle die An-
schauung fördert und denkt man sich dieselben den Gesetzen
der Mechanik unterworfen, so wird man zur weiteren Annahme
gedrängt, dass die Wärme eine fortdauernde Bewegung der
Moleküle sei. Denn diese müssen in ihrer relativen Lage that-
sächlich durch Kräfte festgehalten werden, deren Ursprung
man sich freilich denken mag, wie man will. Alle Kräfte aber,
[7]§ 1. Mechanische Analogie.
welche die sichtbaren Körper angreifen und nicht gleichmässig
auf alle Moleküle wirken, müssen eine relative Bewegung der
Moleküle gegeneinander erzeugen, die wegen der Unzerstörbar-
keit der lebendigen Kraft nicht aufhören kann, sondern ins
Unendliche fortdauern muss.
In der That lehrt die Erfahrung, dass, sobald die Kräfte
vollkommen gleichmässig auf alle Theile eines Körpers ein-
wirken, wie z. B. beim sogenannten freien Falle, alle lebendige
Kraft sichtbar zum Vorscheine kommt. In allen anderen Fällen
haben wir einen Abgang von sichtbarer lebendiger Kraft und
dafür Auftreten von Wärme. Es bietet sich die Anschauung
von selbst, dass dies die entstandene Bewegung der Moleküle
gegeneinander ist, welche wir nicht sehen können, da wir die
einzelnen Moleküle nicht sehen, welche sich aber bei Berührung
den Molekülen unserer Nerven mittheilt und so das Wärme-
gefühl erzeugt. Sie wird immer von dem Körper, dessen Mole-
küle lebhafter bewegt sind, zu dem übergehen, dessen Moleküle
sich nur langsam bewegen und wird sich dabei wegen der
Unzerstörbarkeit der lebendigen Kraft wie ein Stoff verhalten,
solange sie nicht aus sichtbarer lebendiger Kraft oder Arbeit
entsteht oder in solche übergeht.
Wir wissen nun nicht, wie die Kräfte beschaffen sind,
welche die Moleküle eines festen Körpers in ihrer relativen
Lage festhalten, ob es Fernkräfte sind, oder ob sie durch ein
Medium vermittelt werden, und wie sie durch die Wärme-
bewegung beeinflusst werden. Da sie aber sowohl der An-
näherung (Compression) als auch der weiteren Entfernung
(Dilatation) widerstreben, so erhalten wir offenbar ein ganz
rohes Bild, wenn wir annehmen, dass im festen Körper jedes
Molekül eine Ruhelage hat. Wird es den
Nachbarmolekülen genähert, so wird es von
diesen abgestossen, wird es aber entfernt, so
erfolgt umgekehrt eine Anziehung. In Folge
der Wärmebewegung wird nun ein Molekül
zunächst etwa in pendelartige Oscillationen in
geraden oder ellipsenähnlichen Bahnen um
seine Ruhelage A versetzt (in der symbolischen
Fig. 1 sind die Schwerpunkte der Moleküle gezeichnet). Kommt
es hierbei nach A', so wird es von den Nachbarmolekülen B und C
[8]Einleitung.
abgestossen, von D und E aber angezogen und daher gegen
seine ursprüngliche Ruhelage zurückgetrieben. Schwingt jedes
Molekül um eine derartige Ruhelage, so hat der Körper eine
fixe Gestalt; er befindet sich im festen Aggregatzustande. Die
einzige Folge der Wärmebewegung wird sein, dass dadurch
die Ruhelagen der Moleküle etwas auseinandergedrängt, daher
der Körper etwas ausgedehnt wird. Werden aber die Wärme-
bewegungen immer lebhafter, so gelangt man endlich zu einem
Punkte, wo ein Molekül zwischen seine beiden Nachbarmoleküle
hindurchgedrängt wird von der Ruhelage A bis nach A″ (Fig. 1).
Es wird dann nicht mehr zu seiner alten Ruhelage zurück-
getrieben, sondern verlässt dieselbe bleibend. Findet dies bei
vielen Molekülen statt, so müssen dieselben wie Regenwürmer
nebeneinander hindurchkriechen, der Körper ist geschmolzen.
Mag man diese Vorstellung auch vielleicht roh und kindlich
finden, mag dieselbe vielleicht später bedeutend modificirt
werden und namentlich die scheinbare Abstossungskraft viel-
leicht eine blosse Folge der Bewegung sein, jedenfalls wird
man zugeben, dass, wenn die Bewegung der Moleküle über
eine gewisse Grenze gewachsen ist, einzelne Moleküle von der
Oberfläche des Körpers ganz abgerissen werden und frei in
den Raum hinausfliegen müssen; der Körper verdunstet. Be-
findet er sich in einem geschlossenen Gefässe, so füllt sich
dasselbe mit frei fliegenden Molekülen, und diese dringen hier
und da wieder in den Körper ein; sobald die Anzahl der
wiedereindringenden im Durchschnitte gleich der Anzahl der
sich abreissenden ist, sagt man, dass der Raum des Gefässes
mit dem Dampfe des betreffenden Körpers gesättigt ist.
Ein genügend grosses geschlossenes Gefäss, in welchem
sich ausschliesslich derartige frei herumfliegende Moleküle
befinden, liefert das Bild eines Gases. Wirken keine äusseren
Kräfte auf die Moleküle, so fliegen diese während der
weitaus grössten Zeit ihrer Bewegung wie abgeschossene
Flintenkugeln in geradlinigen Bahnen mit constanter Geschwin-
digkeit. Nur wenn ein Molekül zufällig sehr nahe an ein
anderes oder an die Gefässwand gelangt, wird es aus seiner
geradlinigen Bahn abgelenkt. Der Druck des Gases erklärt
sich aus der Stosswirkung dieser Moleküle auf die Wand des
Gefässes.
[9]§ 2. Druck eines Gases.
§ 2. Berechnung des Druckes eines Gases.
Derartige Gase wollen wir nun einer näheren Betrachtung
unterziehen. Da wir annehmen, dass die Moleküle den all-
gemeinen Gesetzen der Mechanik unterworfen sind, so muss
sowohl bei den Zusammenstössen der Moleküle untereinander,
als auch bei den Stössen an die Wand das Princip der Er-
haltung der lebendigen Kraft und der Bewegung des Schwer-
punktes erfüllt sein. Wir können uns noch die verschiedensten
Vorstellungen über die innere Beschaffenheit der Moleküle
machen; sobald nur diese beiden Principe erfüllt sind, werden wir
ein System erhalten, welches eine gewisse mechanische Analogie
mit den wirklichen Gasen zeigt. Die einfachste derartige
Vorstellung ist die, dass die Moleküle vollkommen elastische,
unendlich wenig deformirbare Kugeln und die Gefässwände
vollkommen glatte, ebenso elastische Flächen sind. Wir können
aber, wo es uns bequemer ist, ein anderes Wirkungsgesetz
voraussetzen. Es wird dasselbe, wofern es wieder mit den
allgemeinen mechanischen Principien im Einklange steht, nicht
mehr, aber auch nicht weniger berechtigt als die Annahme
elastischer Kugeln sein, die wir zuvörderst adoptiren.
Wir denken uns nun ein übrigens beliebig gestaltetes, mit
einem Gase gefülltes Gefäss vom Volumen Ω, an dessen Wänden
die Gasmoleküle genau wie vollkommen elastische Kugeln reflectirt
werden sollen. Ein Theil der Gefässwand A B vom Flächeninhalte φ
soll eben sein. Wir legen senkrecht zu demselben von innen nach
aussen die positive Abscissenaxe. Der Druck auf A B wird
offenbar nicht verändert, wenn wir uns hinter diesem Flächen-
stücke einen senkrechten Cylinder von der Basis A B denken,
in welchem das Flächenstück A B wie ein Kolben parallel
zu sich selbst verschiebbar ist. Dieser Kolben würde dann
durch die Molekularstösse in den Cylinder hineingetrieben.
Wirkt jedoch darauf von aussen eine Kraft P in der negativen
Abscissenrichtung, so kann deren Intensität so gewählt werden,
dass sie den Molekularstössen das Gleichgewicht hält und der
Kolben nur unsichtbare Schwankungen bald in einem, bald im
entgegengesetzten Sinne macht.
Während irgend eines Zeitmomentes d t werden vielleicht
einige Moleküle gerade mit dem Kolben A B im Zusammen-
[10]Einleitung. [Gleich. 1]
stosse begriffen sein, und wird das erste derselben die Kraft q1,
das zweite die Kraft q2 u. s. w. in der positiven Abscissen-
richtung auf den Kolben ausüben. Bezeichnen wir mit M die
Masse des Kolbens, mit U dessen Geschwindigkeit in der
positiven Abscissenrichtung, so hat man also für das Zeit-
element d t die Gleichung:
Multiplicirt man mit d t und integrirt über eine beliebige
Zeit t, so folgt:
.
Soll nun P gleich sein dem Drucke des Gases, so darf der
Kolben, abgesehen von unsichtbaren Schwankungen, nicht in
merkliche Bewegung gerathen. In der obigen Formel ist U0
der Werth seiner Geschwindigkeit in der Abscissenrichtung
zu Anfang der Zeit, U1 der Werth derselben Grösse nach
Verlauf der Zeit t. Beide Grössen werden sehr klein sein; ja
man kann die Zeit t leicht so wählen, dass U1 = U0 wird, da
der Kolben bei seinen kleinen Schwankungen periodisch immer
dieselbe Geschwindigkeit annehmen muss. Jedenfalls kann
U1 — U0 nicht mit wachsender Zeit wachsen, muss sich also
der Quotient (U1 — U0)/t mit wachsender Zeit der Grenze Null
nähern. Daher folgt:
1) .
Der Druck ist also der Mittelwerth der Summe aller der
kleinen Drucke, welche die einzelnen stossenden Moleküle zu
den verschiedenen Zeiten auf den Kolben ausüben. Wir wollen
nun ∫ q d t für irgend einen Stoss, den der Stempel während
der Zeit t von einem Moleküle erfährt, berechnen. Die Masse
des Moleküls sei m, die Geschwindigkeitscomponente desselben
in der positiven Abscissenrichtung sei u. Der Stoss beginne
zur Zeit t1 und ende zur Zeit t1 + τ; dann übt das Molekül
vor der Zeit t1 und nach der Zeit t1 + τ überhaupt keine Kraft
auf den Kolben aus. Es ist also:
[11][Gleich. 2] § 2. Druck eines Gases.
.
Während der Zeit des Stosses aber ist die Kraft, welche das
Molekül auf den Kolben ausübt, gleich aber entgegengesetzt
gerichtet der Kraft, welche umgekehrt der Kolben auf das
Molekül ausübt, daher:
.
Bezeichnen wir daher im Folgenden mit ξ die Geschwin-
digkeitscomponente des stossenden Moleküls vor dem Stosse in
der Richtung der positiven Abscissenaxe, so wird dieselbe nach
dem Stosse — ξ sein, und wir erhalten:
.
Da dasselbe für alle anderen stossenden Moleküle gilt, so
folgt aus der Gleichung 1):
2) ,
wobei die Summe über alle Moleküle zu erstrecken ist, welche
zwischen den Zeitmomenten 0 und t den Kolben treffen. Nur
diejenigen, welche gerade in dem Zeitmomente 0 oder t mit
dem Kolben im Zusammenstosse begriffen sind, sind dabei
vernachlässigt, was erlaubt ist, wenn das ganze Zeitintervall t
sehr gross gegenüber der Dauer eines einzigen Zusammen-
stosses ist.
Wir werden sogleich sehen (§ 3), dass, selbst wenn ein
einziges Gas im Gefässe vorhanden ist, keineswegs alle Moleküle
desselben gleiche Geschwindigkeit haben können. Um die grösste
Allgemeinheit zu umfassen, nehmen wir an, dass sich im Ge-
fässe verschiedenartige Moleküle befinden, die aber sämmtlich
wie elastische Kugeln an den Gefässwänden abprallen sollen.
n1Ω Moleküle sollen je die Masse m1 und die Geschwindig-
keit c1 mit den Componenten ξ1, η1, ζ1 in den Coordinaten-
richtungen haben. Dieselben sollen im Innenraume Ω des
Gefässes durchschnittlich gleichmässig vertheilt sein, so dass
n1 auf die Volumeneinheit entfallen. Ferner sollen n2Ω Mole-
küle ebenso vertheilt sein, welche jedenfalls eine andere Ge-
[12]Einleitung. [Gleich. 3]
schwindigkeit c2 mit anderen Componenten ξ2, η2, ζ2, vielleicht
auch eine andere Masse m2 haben. Eine analoge Bedeutung
kommt den Grössen n3, c3, ξ3, η3, ζ3, m3 u. s. w. bis ni, ci, ξi,
ηi, ζi, mi zu. Der Zustand des Gases im Gefässe soll während
der Zeit t stationär bleiben, so dass, wenn auch während irgend
einer Zeit τ einige der n1Ω Moleküle durch Stösse mit anderen
Molekülen oder mit der Gefässwand die Geschwindigkeits-
componenten ξ1, η1, ζ1 verlieren, doch wieder durchschnittlich
während derselben Zeit gleichviel gleichbeschaffene Moleküle
dieselben Geschwindigkeitscomponenten durch die Stösse ge-
winnen.
Wir müssen nun zunächst berechnen, wie viele unserer
n1Ω Moleküle in dem Zeitintervalle t durchschnittlich auf den
Stempel stossen. Alle n1Ω Moleküle legen während einer sehr
kurzen Zeit d t den Weg c1d t in einer solchen Richtung zu-
rück, dass dessen Projectionen auf die Coordinatenaxen ξ1d t,
η1d t und ζ1d t sind. Ist ξ1 negativ, so können die betreffenden
Moleküle nicht auf den Kolben stossen. Ist es dagegen positiv,
so construiren wir im Gefässe einen schiefen Cylinder, dessen
Basis der Kolben A B, dessen Seite aber gleich und gleich-
gerichtet mit dem Wege c1d t ist. Alsdann werden diejenigen
und nur diejenigen von unseren n1Ω Molekülen, die sich zu
Anfang des Zeitmomentes d t in diesem Cylinder befanden, und
deren Anzahl wir mit d v bezeichnen wollen, während der
Zeit d t mit dem Kolben zusammenstossen. Die n1Ω Moleküle
sind durchschnittlich gleichförmig im ganzen Gefässe vertheilt
und es reicht diese gleichmässige Vertheilung bis unmittelbar
an die Gefässwände, da die von diesen reflectirten Moleküle
sich gerade so zurückbewegen, als ob die Gefässwände nicht
vorhanden wären und jenseits derselben ein gleichbeschaffenes
Gas wäre. Daher verhält sich n1Ω zu d v, wie Ω zum Volumen
des schiefen Cylinders1); letzteres aber ist gleich φ ξ1d t,
woraus folgt:
3) .
Da nun der Zustand im Gefässe stationär bleibt, so werden
während einer beliebigen Zeit t von unseren n1Ω Molekülen
[13][Gleich. 4] § 2. Druck eines Gases.
auf den Kolben n1φ ξ1t Moleküle stossen. Sie haben alle die
Masse m1 und vor dem Stosse in der Abscissenrichtung die
Geschwindigkeitscomponente ξ1 und liefern daher in die Summe
Σ m ξ der Gleichung 2 das Glied:
,
und da dasselbe von allen übrigen Molekülen gilt, so er-
halten wir:
,
wobei die Summe über alle im Gefässe enthaltenen Moleküle,
deren Geschwindigkeitscomponente in der Abscissenrichtung
positiv ist, zu erstrecken ist. P / φ = p ist der Druck bezogen
auf die Flächeneinheit. Die Formel wird auch gelten, wenn
φ unendlich klein ist, also wenn die Gefässwand nirgends eine
endliche ebene Stelle besitzt. Unter der Voraussetzung, deren
Richtigkeit wir später (§ 19) beweisen werden, dass in ruhenden
Gasen für die Bewegungsrichtung eines Moleküls keine Rich-
tung im Raume bevorzugt sein kann, müssen sich von jeder
Molekülgattung gleichviel Moleküle in der positiven, wie in
der negativen Abscissenrichtung bewegen, so dass Σ mh nh ξh2
über alle Moleküle mit negativem ξh erstreckt ebenso gross
sein muss, wie über alle Moleküle mit positivem ξh erstreckt
und man erhält daher:
4) ,
wobei die Summirung jetzt auf alle im Gefässe enthaltenen
Moleküle, also über alle ganzen Zahlenwerte des h von h = 1
bis h = i zu erstrecken ist.
Wenn nun irgend eine Grösse g für n1 Moleküle den
Werth g1, für n2 Moleküle den Werth g2 u. s. f., endlich für
die letzten noch vorhandenen ni Moleküle den Werth gi hat,
so wollen wir den Ausdruck:
mit g̅ bezeichnen und den Mittelwerth von g nennen, wobei
[14]Einleitung. § 2. Druck eines Gases. [Gleich. 8]
die Gesammtzahl aller Moleküle ist. Dann können wir schreiben:
5)
Haben alle Moleküle dieselbe Masse, so ist:
.
Da das Gas nach allen Richtungen gleich beschaffen ist, so
ist jedenfalls . Da ferner für jedes Molekül
c2 = ξ2 + η2 + ζ2 ist, so ist auch und
. Wir erhalten daher:
6) ;
n m ist die gesammte in der Volumeneinheit des Gases ent-
haltene Masse also die Dichte ρ des Gases; man hat also:
7)
Da p und ρ experimentell bestimmbar sind, so kann hieraus
berechnet werden. Man findet für 0° C. für Sauer-
stoff = 461 m·sec-1, für Stickstoff = 492 m·sec-1, für Wasser-
stoff = 1844 m·sec-1. Es ist dies diejenige Geschwindigkeit,
deren Quadrat gleich dem mittleren Geschwindigkeitsquadrate
der Moleküle ist; sie ist auch die Geschwindigkeit, mit welcher
sich alle Moleküle bewegen müssten, um den im Gase herr-
schenden Druck zu erzeugen, wenn alle Moleküle gleiche Ge-
schwindigkeit hätten und entweder gleichmässig nach allen
Richtungen im Raume flögen, oder wenn ein Drittel der Mole-
küle in der zur gedrückten Fläche senkrechten Richtung hin
und her, die übrigen zwei Drittel aber parallel der gedrückten
Fläche flögen. Dagegen ist zwar von derselben Grössen-
ordnung, wie die mittlere Geschwindigkeit eines Moleküls, aber
durch einen numerischen Factor davon verschieden (vgl. § 7).
Wenn mehrere Gase im Gefässe vorhanden sind, so seien
n', n″ u. s. w. die Zahlen der Moleküle in der Volumeneinheit,
m', m″ u. s. w. die Massen je eines Moleküls, u. s. w.
die mittleren Geschwindigkeitsquadrate eines Moleküls für die
verschiedenen Gase und ρ', ρ″ u. s. w., deren Partialdichten, d. h.
die Dichten, welche je ein Gas hätten, wenn dasselbe allein im
Gefässe vorhanden wäre. Aus Formel 4 und 5 ist dann sofort
ersichtlich, dass
8)
[15][Gleich. 8] I. Abschnitt. § 3. Geschwindigkeitsvertheilungsgesetz.
der Gesammtdruck des Gasgemenges ist; derselbe ist also
gleich der Summe der Partialdrücke, d. h. der Drücke, welche
je ein Gas ausüben würde, wenn es ganz allein im Gefässe
vorhanden wäre.
Die Kräfte, welche zwei Moleküle während eines Zusammen-
stosses aufeinander ausüben, können dabei ganz beliebige sein,
wenn nur deren Wirkungssphäre klein gegen die mittlere Weg-
länge ist. Dagegen wurde angenommen, dass die Moleküle an
den Wänden wie elastische Kugeln reflectirt werden. Von der
letzteren beschränkenden Annahme werden wir uns in § 20
unabhängig machen. Eine zweite allgemeine Ableitung der
Gleichungen dieses Paragraphen aus dem Virialsatze werden
wir im zweiten Theile kennen lernen.
I. Abschnitt.
Die Moleküle sind elastische Kugeln. Aeussere Kräfte und
sichtbare Massenbewegungen fehlen.
§ 3. Maxwell’s Beweis des Geschwindigkeits-
vertheilungsgesetzes; Häufigkeit der Zusammenstösse.
Wir wollen nun einen Augenblick annehmen, dass sich
in dem Gefässe ein einziges Gas mit lauter gleichbeschaffenen
Molekülen befindet. Die Moleküle sollen sich von nun an, bis
wir ausdrücklich das Gegentheil sagen, auch im Zusammen-
stosse untereinander genau wie vollkommen elastische Kugeln
verhalten. Gesetzt selbst alle Moleküle hätten zu Anfang
der Zeit dieselbe Geschwindigkeit, so würden bald unter den
nun folgenden Zusammenstössen der Moleküle solche vor-
kommen, wo die Geschwindigkeit des stossenden Moleküls nahe
die Richtung der Centrilinie hat, die des gestossenen aber nahe
darauf senkrecht ist. Dadurch würde das stossende Molekül
nahe die Geschwindigkeit Null, das gestossene nahe eine
mal so grosse Geschwindigkeit erhalten. Im weiteren Ver-
laufe der Stösse würden bald, wenn die Anzahl der Moleküle
eine sehr grosse ist, alle möglichen Geschwindigkeiten von Null
bis zu einer Geschwindigkeit vorkommen, die erheblich grösser
[16]I. Abschnitt. [Gleich. 11]
ist, als die ursprünglich gleiche Geschwindigkeit aller Moleküle,
und es handelt sich darum, zu berechnen, nach welchem Ge-
setze in dem schliesslich sich bildenden Endzustande die ver-
schiedenen Geschwindigkeiten unter den Molekülen vertheilt
sein werden, oder, wie man kurz sagt, es handelt sich darum,
das Geschwindigkeitsvertheilungsgesetz zu kennen. Um dieses
zu finden, wollen wir jedoch den Fall sogleich wieder ver-
allgemeinern. Wir nehmen an, wir hätten zwei Gattungen
von Molekülen im Gefässe. Jedes Molekül der einen Gattung
habe die Masse m, jedes der anderen die Masse m1. Wir
nennen sie kurz die Moleküle m, resp. m1. Die Geschwindig-
keitsvertheilung, welche zu irgend einer Zeit t unter den
Molekülen m herrscht, versinnlichen wir uns dadurch, dass wir
vom Coordinatenursprunge aus soviele Gerade ziehen, als Mole-
küle m in der Volumeneinheit enthalten sind. Jede dieser Ge-
raden soll gleich und gleichgerichtet mit der Geschwindigkeit
des betreffenden Moleküls sein. Ihren Endpunkt nennen wir
kurz den Geschwindigkeitspunkt des betreffenden Moleküls.
Es sei nun zur Zeit t
9)
die Anzahl der Moleküle m, für welche die Geschwindigkeits-
componenten in den drei Coordinatenrichtungen zwischen den
Grenzen
10)
liegen, für welche also der Geschwindigkeitspunkt in dem
Parallelepipede liegt, dessen eine Ecke die Coordinaten ξ, η, ζ
hat und dessen den Coordinatenaxen parallele Kanten die
Längen d ξ, d η, d ζ haben. Wir wollen dasselbe immer als
das Parallelepiped d ω bezeichnen. Wir schreiben Kürze halber
auch d ω für das Produkt d ξ d η d ζ und f für f (ξ, η, ζ, t). Wäre
d ω ein irgendwie anders gestaltetes (natürlich unendlich kleines)
Volumenelement, welches den Punkt mit den Coordinaten ξ, η, ζ
enhält, so wäre selbstverständlich die Anzahl der Moleküle m,
deren Geschwindigkeitspunkt innerhalb d ω liegt, ebenfalls gleich
11) ,
wie man sofort sieht, wenn man das Volumelement d ω in
noch weit kleinere Parallelepipede zerlegt. Ist die Function f
für einen Werth von t bekannt, so ist damit die Geschwindig-
[17][Gleich. 14a] § 3. Geschwindigkeitsvertheilungsgesetz.
keitsvertheilung unter den Molekülen m zur Zeit t bestimmt.
Ganz analog stellen wir auch die Geschwindigkeit jedes der
Moleküle m1 durch einen Geschwindigkeitspunkt dar und be-
zeichnen mit
12)
die Anzahl der Moleküle m1, deren Geschwindigkeitscomponenten
zwischen irgend welchen anderen Grenzen
13)
liegen, für welches also der Geschwindigkeitspunkt in einem
analogen Parallelepipede d ω1 liegt. Ebenso ist d ω1 für d ξ1d η1d ζ1
und F1 für F(ξ1, η1, ζ1, t) gesetzt. Wir wollen äussere, auf das
Gas wirkende Kräfte zunächst vollständig ausschliessen und
die Wände als vollkommen glatt und elastisch voraussetzen.
Dann werden sich die von den Wänden reflectirten Moleküle
gerade so bewegen, als ob sie von einem Gase kämen, welches
das Spiegelbild unseres Gases ist (die Gefässwand als spiegelnde
Fläche gedacht), welches also mit unserem Gase vollkommen
gleichbeschaffen ist. (Da nur die in der unmittelbaren Nähe
der Gefässwand befindlichen Moleküle in Betracht kommen, so
ist der Spiegel überall als plan zu betrachten.) Unter dieser
Voraussetzung befindet sich dann das Gas an allen Stellen im
Innern des Gefässes unter den gleichen Bedingungen, und wenn
zu Anfang der Zeit die auf die Volumeneinheit entfallende Zahl
von Molekülen, deren Geschwindigkeitscomponenten zwischen
den Grenzen 10) liegen, durchschnittlich an allen Stellen im
Gase dieselbe war und analoges auch für die zweite Gasart
galt, so wird dies auch für alle folgenden Zeiten gelten. Wir
nehmen dies an, dann folgt, dass die Anzahl der Moleküle m
innerhalb irgend eines Volumens Φ, welche den Bedingungen 10
genügen, proportional dem Volumen Φ, also gleich
14)
ist; ebenso ist die Anzahl der im Volumen Φ befindlichen
Moleküle m1, welche den Bedingungen 13 genügen:
14a) .
Unter diesen Voraussetzungen wird an Stelle der Moleküle,
welche in Folge ihrer progressiven Bewegung aus irgend einem
Raume austreten, immer durchschnittlich aus der Nachbar-
Boltzmann, Gastheorie. 2
[18]I. Abschnitt. [Gleich. 15]
schaft oder durch Reflexion an den Gefässwänden eine gleiche
Zahl gleichbeschaffener Moleküle wieder eintreten, so dass die
Geschwindigkeitsvertheilung nur durch die Zusammenstösse,
nicht durch die progressive Bewegung der Moleküle verändert
wird. Wir werden uns übrigens später in §§ 15—18, wo wir
auch den Einfluss der Schwerkraft und anderer äusserer Kräfte
berücksichtigen werden, von diesen beschränkenden Voraus-
setzungen unabhängig machen, welche wir jetzt nur behufs
Vereinfachung der Rechnung gemacht haben.
Wir wollen nun zunächst bloss Zusammenstösse eines
Moleküls m mit einem Moleküle m1 betrachten, und zwar
wollen wir von allen Zusammenstössen, welche während der
Zeit d t in der Volumeneinheit geschehen, bloss diejenigen her-
vorheben, für welche folgende 3 Bedingungen erfüllt sind:
1. Die Geschwindigkeitscomponenten des Moleküls m sollen
vor dem Stosse zwischen den Grenzen 10, sein Geschwindig-
keitspunkt also im Parallelepipede d ω liegen.
2. Die Geschwindigkeitscomponenten des Moleküls m1 sollen
vor dem Stosse zwischen den Grenzen 13, sein Geschwindig-
keitspunkt also im Parallelepipede d ω1 liegen. Alle Moleküle m,
für welche die erste Bedingung erfüllt ist, nennen wir die
„Moleküle m von der hervorgehobenen Art“ und im analogen
Sinne sprechen wir von den „Molekülen m1 von der hervor-
gehobenen Art“.
3. Wir construiren eine Kugel vom Radius Eins, deren
Centrum der Coordinatenursprung ist, und auf derselben ein
Oberflächenelement d λ. Die von m gegen m1 gezogene Centri-
linie der stossenden Moleküle soll im Momente des Stosses
irgend einer Geraden parallel sein, die man vom Coordinaten-
ursprunge gegen irgend einen Punkt des Flächenelementes d λ
ziehen kann. Der Inbegriff dieser Geraden heisse der Kegel d λ.
15) Richtung mm1 in Kegel d λ.
Alle Zusammenstösse, welche so geschehen, dass diese
drei Bedingungen erfüllt sind, wollen wir wieder kurz die
„Zusammenstösse von der hervorgehobenen Art“ nennen, und
wir haben die Aufgabe die Zahl d ν der Zusammenstösse der
hervorgehobenen Art zu bestimmen, welche während eines
Zeitdifferentials d t in der Volumeneinheit stattfinden. Wir
[19][Gleich. 15] § 3. Variabeln vor dem Stosse.
wollen uns diese Zusammenstösse durch Figur 2 versinnlichen.
O sei der Coordinatenursprung, C und C1 seien die Geschwin-
digkeitspunkte der beiden Moleküle m und m1 vor dem Stosse,
so dass also die Geraden O C und O C1 in Grösse und Rich-
tung deren Geschwindigkeiten vor dem Stosse darstellen. Der
Punkt C muss innerhalb des Parallelepipedes d ω, der Punkt C1
innerhalb des Parallelepipedes d ω1 liegen.
Die beiden Parallelepipede sind in der
Figur nicht gezeichnet. O K sei eine Ge-
rade von der Länge Eins, welche dieselbe
Richtung wie die von m gegen m1 gezogene
Centrilinie der beiden Moleküle im Momente
des Zusammenstosses hat. Der Punkt K
muss also innerhalb des Flächenelementes d λ
liegen, welches ebenfalls in der Figur nicht
gezeichnet ist. Die Gerade C1C = g stellt
in Grösse und Richtung die relative Geschwindigkeit des
Moleküls m gegen das Molekül m1 vor dem Stosse dar,
da ihre Projectionen auf die Coordinatenaxen gleich ξ — ξ1,
η — η1, resp. ζ — ζ1 sind. Die Häufigkeit der Zusammen-
stösse hängt aber offenbar bloss von der relativen Geschwindig-
keit ab. Wir können uns daher, wenn wir die Anzahl der
Zusammenstösse von der hervorgehobenen Art finden wollen,
die Moleküle m1 von der hervorgehobenen Art in Ruhe, da-
gegen die Moleküle m von der hervorgehobenen Art mit der
Geschwindigkeit g bewegt denken. Wir denken uns ferner
mit jedem der letzteren Moleküle eine Kugel vom Radius σ
(die Kugel σ) derartig fest verbunden, dass das Centrum der
Kugel immer mit dem Centrum des Moleküls zusammenfällt.
σ soll gleich der Summe der Radien der beiden Moleküle m
und m1 sein. Jedes Mal wenn die Oberfläche einer derartigen
Kugel das Centrum eines Moleküls m1 erreicht, findet ein
Zusammenstoss zwischen einem Moleküle m und einem Mole-
küle m1 statt. Wir ziehen nun vom Centrum jeder der Kugeln σ
einen zum Kegel d λ ähnlichen und ähnlich gelegenen Kegel.
Dadurch wird aus der Oberfläche jeder dieser Kugeln ein
Flächenelement vom Flächeninhalte σ2d λ ausgeschnitten. Da
alle Kugeln σ mit den betreffenden Molekülen fest verbunden
sind, legen alle diese Flächenelemente σ2d λ während der Zeit d t
2*
[20]II. Abschnitt. [Gleich. 17]
den Weg g d t relativ gegen die Moleküle m1 von der hervor-
gehobenen Art zurück. Ein Zusammenstoss der hervorgehobe-
nen Art erfolgt jedes Mal, wenn eines dieser Flächenelemente
σ2d λ das Centrum eines Moleküls m1 von der hervorgehobenen
Art erreicht, was natürlich nur möglich ist, wenn der Winkel ϑ
zwischen den Richtungen der Geraden C1C und O K ein spitzer
ist. Jedes dieser Flächenelemente durchstreift bei seiner Re-
lativbewegung gegen die Moleküle m1 von der hervorgehobenen
Art einen schiefen Cylinder von der Basis σ2d λ und der
Höhe g cos ϑ d t. Da sich in der Volumeneinheit f d ω Mole-
küle m von der hervorgehobenen Art befinden, so haben alle
schiefen Cylinder, welche in dieser Weise von allen Flächen-
elementen σ2d λ durchstrichen werden, das Gesammtvolumen
16) .
Alle Centra von Molekülen m1 der hervorgehobenen Art, welche
innerhalb dieses Volumens Φ liegen, werden während der
Zeit d t von einem Flächenelemente σ2d λ erreicht, und es ist
daher die Anzahl d ν der Zusammenstösse der hervorgehobenen
Art, welche in der Volumeneinheit während der Zeit d t ge-
schehen, gleich der Anzahl ZΦ der Centra von Molekülen m1
der hervorgehobenen Art, die sich zu Anfang der Zeit d t im
Volumen Φ befanden; nach Formel 14 a aber ist
17) .
In dieser Formel liegt, wie namentlich Burbury1) klar
hervorhebt, eine besondere Annahme. Vom Standpunkte der
Mechanik ist natürlich jede Anordnung der Moleküle im Gefässe
möglich; auch eine solche, wobei gewisse, die Bewegung der
Moleküle bestimmende Variabeln in einem endlichen Theile
des vom Gase erfüllten Raumes andere Mittelwerthe haben als
in einem anderen Theile, wo z. B. die Dichte oder mittlere
Geschwindigkeit eines Moleküls in der einen Hälfte des Ge-
fässes grösser ist als in der anderen, oder noch allgemeiner,
wo irgend ein endlicher Theil des Gases sich anders verhält
als irgend ein anderer. Eine derartige Vertheilung soll eine
molar-geordnete heissen. Die Formeln 14 und 14 a sind also
[21][Gleich. 17] § 3. Variabeln vor dem Stosse.
der Ausdruck dafür, dass eine Vertheilung molar-ungeordnet
ist. Wenn die Anordnung der Moleküle auch keine Regel-
mässigkeiten aufweist, die von einem endlichen Raume zu
einem anderen endlichen wechseln, wenn dieselbe also molar-
ungeordnet ist, so können trotzdem bestimmte Gruppen von je
zwei Nachbarmolekülen, (oder Gruppen, die, ohne endlich aus-
gedehnt zu sein, etwas mehr Moleküle umfassen), bestimmte
Regelmässigkeiten zeigen. Eine Vertheilung, welche Regel-
mässigkeiten dieser Art zeigt, wollen wir eine molekular-
geordnete nennen. Wir hätten (um aus der unendlichen
Mannigfaltigkeit der möglichen Fälle nur zwei Beispiele her-
auszugreifen) eine molekular-geordnete Vertheilung, wenn jedes
Molekül auf das von ihm am wenigsten entfernte central
zuflöge, oder wenn jedes Molekül, dessen Geschwindigkeit unter
einer gewissen Grenze liegt, noch 10 auffallend langsame Mole-
küle zu unmittelbaren Nachbarn hätte. Wenn diese speciellen
Gruppirungen nicht auf gewisse Stellen im Gefässe beschränkt
wären, sondern sich durchschnittlich überall im ganzen Gefässe
gleich häufig vorfänden, so wäre die Vertheilung trotzdem molar-
ungeordnet. Es gälten dann die Formel 14 und 14 a noch immer
für einzelne Moleküle, nicht aber die Formel 17, da die Nach-
barschaft des Moleküls m von Einfluss auf die Wahrscheinlich-
keit wäre, dass das Molekül m1 im Raume Φ liegt. Die An-
wesenheit des Moleküls m1 im Raume Φ kann dann bei der
Wahrscheinlichkeitsberechnung nicht als ein von der Nach-
barschaft des Moleküls m unabhängiges Ereigniss betrachtet
werden. Die Gültigkeit der Formel 17 und der beiden analogen
für die Zusammenstösse der Moleküle m untereinander, sowie
der Moleküle m1 untereinander kann daher als Definition des
Ausdruckes betrachtet werden: die Zustandsvertheilung ist
molekular-ungeordnet.
Sobald in einem Gase die mittlere Weglänge gross im
Vergleiche mit der mittleren Distanz zweier nächster Moleküle
ist, werden in kurzer Zeit ganz andere Moleküle als früher
einander nahe sein. Es wird daher eine molekular-geordnete,
aber molar-ungeordnete Vertheilung höchst wahrscheinlich in
kurzer Zeit auch in eine molekular-ungeordnete übergehen.
Jedes Molekül fliegt von einem Zusammenstosse bis zum nächsten
so weit, dass an der Stelle, wo es wiederum zusammenstösst,
[22]I. Abschnitt. [Gleich. 17]
das Vorkommen eines anderen Moleküls von bestimmtem Be-
wegungszustande als ein vom Orte, wo das erste Molekül aus-
ging (und daher auch von dem Bewegungszustande des ersten
Moleküls) für die Wahrscheinlichkeitsberechnung vollkommen
unabhängiges Ereigniss aufzufassen ist. Wenn wir aber nach
Vorausberechnung der Bahn jedes einzelnen Moleküls die An-
fangsgruppirung passend wählen, also die Wahrscheinlichkeits-
gesetze absichtlich stören, so können wir natürlich lang an-
dauernde Regelmässigkeiten bewirken oder eine fast molekular-
ungeordnete Vertheilung so construiren, dass sie nach einiger
Zeit molekular-geordnet wird. Auch Kirchhoff1) steckt die
Annahme, dass der Zustand molekular-ungeordnet sei, schon
in die Definition des Wahrscheinlichkeitsbegriffs.
Dass es zur Exactheit des Beweises erforderlich ist,
diese Annahme ausdrücklich vorauszuschicken, wurde zuerst
bei Discussion des Beweises meines sogenannten H-Theorems
oder Minimumtheorems bemerkt. Es wäre aber ein grosser
Irrthum, zu glauben, dass diese Annahme nur zum Beweise
dieses Theorems erforderlich ist. Wegen der Unmöglichkeit,
die Positionen aller Moleküle zu jeder Zeit zu berechnen, wie
der Astronom die Position aller Planeten berechnet, ist ohne
diese Annahme überhaupt der Beweis keines Lehrsatzes der
Gastheorie möglich. Bei Berechnung der Reibung, Wärme-
leitung u. s. w. wird diese Annahme gemacht. Auch der Beweis,
dass das Maxwell’sche Geschwindigkeitsvertheilungsgesetz ein
mögliches ist, d. h. dass es, wenn einmal unter den Molekülen
hergestellt, sich ins Unendliche erhält, ohne diese Annahme nicht
möglich. Denn man kann nicht beweisen, dass die Vertheilung
auch immer molekular ungeordnet bleiben wird. In der That
würde, wenn der Maxwell’sche Zustand aus irgend einem
anderen entstanden ist, die exacte Umkehrung des ersteren
nach genügend langer Zeit wieder den anderen liefern (vgl.
2. Hälfte des § 6). Es könnte also anfangs mit beliebiger
Annäherung der Maxwell’sche Zustand bestehen und end-
lich in einen ganz anderen übergehen. Es ist nicht etwa
als ein Gebrechen aufzufassen, dass gerade das Minimum-
theorem an die Voraussetzung der molekularen Ungeordnet-
[23][Gleich. 18] § 3. Variabeln vor dem Stosse.
heit gebunden ist, sondern eher als ein Vorzug, dass gerade
dieses Theorem die Ideen so geklärt hat, dass man die Noth-
wendigkeit dieser Voraussetzung erkannte.
Wir wollen nun ausdrücklich die Annahme machen, dass
die Bewegung molar- und molekular-ungeordnet ist und auch
in aller Folgezeit bleibt. Es gilt dann die Formel 17 und
wir erhalten:
18) .
Dies ist die gesuchte Zahl der Zusammenstösse hervorgehobe-
ner Art, welche in der Volumeneinheit in der Zeit d t er-
folgen. Vernachlässigen wir die unendlich nahe streifenden
Zusammenstösse, deren Anzahl jedenfalls unendlich klein
höherer Ordnung ist, so wird durch jeden Zusammenstoss
mindestens eine Geschwindigkeitscomponente sowohl des einen
als auch des anderen der stossenden Moleküle um ein End-
liches geändert. Daher wird durch jeden Zusammenstoss der
hervorgehobenen Art sowohl die Anzahl f d ω der Moleküle m
in der Volumeneinheit, deren Geschwindigkeitscomponenten
zwischen den Grenzen 10 liegen, und welche wir immer die
Moleküle m der hervorgehobenen Art nannten, als auch die auf
die Volumeneinheit entfallende Anzahl F1d ω1 der Moleküle m1
der hervorgehobenen Art um eine Einheit vermindert. Um die
gesammte Abnahme ∫ d ν zu finden, welche die Zahl f d ω
während d t durch alle Zusammenstösse von Molekülen m mit
Molekülen m1 (ohne Beschränkung der Grösse und Richtung
der Geschwindigkeit der letzteren Moleküle oder der Richtung
der Centrilinie) erleidet, haben wir in dem Ausdrucke 18
ξ, η, ζ, d ω und d t constant zu betrachten, dagegen bezüglich
d ω1 und d λ über alle möglichen Werthe zu integriren, d. h.
bezüglich d ω1 über alle Volumenelemente des Raumes, bezüg-
lich d λ aber über alle Flächenelemente, für welche der Winkel ϑ
ein spitzer ist. Wir wollen das Resultat dieser Integration
mit ∫ d ν bezeichnen.
Die Abnahme dn, welche die Zahl f d ω durch die ent-
sprechenden Zusammenstösse der Moleküle m untereinander er-
fährt, wird offenbar durch eine ganz analoge Formel ausgedrückt,
nur bezeichnen dann ξ1, η1, ζ1 die Geschwindigkeitscomponenten
eines anderen der Moleküle m vor dem Zusammenstosse. Alle
[24]I. Abschnitt. [Gleich. 19]
anderen Grössen haben dieselbe Bedeutung, doch hat man statt
m1 ebenfalls m, statt der Function F ebenfalls die Function f
und statt σ den Durchmesser s eines Moleküls m zu setzen.
Dadurch tritt an die Stelle von d ν der Ausdruck:
19) ,
wobei f1 eine abgekürzte Bezeichnung für f(ξ1, η1, ζ1t) ist. Bei
Bildung von ∫ dn, d. h. der gesammten Abnahme, welche die
Zahl f d ω während d t durch die Stösse der Moleküle m unter-
einander erfährt, sind selbstverständlich wieder ξ, η, ζ, d ω
und d t constant zu betrachten und ist bezüglich d ω1 und d λ
über alle möglichen Werthe zu integriren. Die gesammte Ab-
nahme der Zahl f d ω während der Zeit d t ist also gleich
∫ d ν + ∫ dn. Soll der Zustand stationär sein, so muss die-
selbe genau gleich sein der Anzahl der Moleküle m in der
Volumeneinheit, deren Geschwindigkeit zu Beginn des Zeit-
differentials d t die Bedingungen 10 nicht erfüllte, aber während
dieses Zeitdifferentials durch die Zusammenstösse so verändert
wurde, dass sie ihnen jetzt genügt, welche also während der
Zeit d t durch Zusammenstösse eine Geschwindigkeit erhalten,
die zwischen den Grenzen 10 liegt, d. h. gleich der gesammten
Zunahme, welche die Zahl f d ω durch die Zusammenstösse
erfährt.
§ 4. Fortsetzung; Werthe der Variabeln nach dem
Stosse; Stösse entgegengesetzter Art.
Um diese Zunahme zu finden, wollen wir zunächst für
einen der hervorgehobenen Zusammenstösse die Geschwindig-
keiten beider Moleküle nach dem Zusammenstosse aufsuchen.
Vor dem Stosse hat das eine der stossenden Moleküle, dessen
Masse m ist, die Geschwindigkeitscomponenten ξ, η, ζ, das
andere, mit der Masse m1 die Componenten ξ1, η1, ζ1. Die
von m gegen m1 gezogene Centrilinie bildet im Momente des
Stosses mit der Relativgeschwindigkeit des Moleküls m gegen
m1 den Winkel ϑ. Ist noch der Winkel ε zwischen der Ebene
dieser beiden Geraden und irgend einer gegebenen Ebene,
z. B. der der beiden Geschwindigkeiten vor dem Stosse ge-
geben, so ist der Zusammenstoss vollkommen bestimmt. Die
Geschwindigkeitscomponenten ξ', η', ζ' und ξ'1, η'1, ζ'1 der
[25][Gleich. 21] § 4. Variabeln nach dem Stosse.
beiden Moleküle nach dem Stosse können also als eindeutige
Functionen der 8 Variabeln ξ, η, ζ, ξ1, η1, ζ1, ϑ, ε ausgedrückt
werden:
20) .
Wir ziehen aber die geometrische Construction der algebrai-
schen Entwickelung der Functionen 20 vor und kehren daher zu
Fig. 2, S. 19 zurück. Wir theilen durch den Punkt S die
Strecke C1C derart in zwei Theile, dass wir erhalten:
C1S: C S = m : m1.
Dann stellt die Gerade O S die Geschwindigkeit des gemein-
samen Schwerpunktes beider Moleküle dar; denn man sieht
sofort, dass ihre drei Projectionen auf die Coordinatenaxen
die Werthe haben:
21) .
Dies sind aber in der That die Geschwindigkeitscomponenten
des gemeinsamen Schwerpunktes. Genau wie wir bewiesen haben,
dass C1C die relative Geschwindigkeit des Moleküls m gegen
das Molekül m1 ist, folgt auch, dass S C und S C1 vor dem Zu-
sammenstosse die relativen Geschwindigkeiten beider Moleküle
gegen den gemeinsamen Schwerpunkt sind. Die Componenten
dieser relativen Geschwindigkeiten senkrecht zur Centrilinie O K
werden durch den Zusammenstoss nicht verändert. Die Com-
ponenten in der Richtung O K sollen vor dem Zusammenstosse p
und p1, nach dem Zusammenstosse p' und p'1 sein. Dann ist nach
dem Principe der Erhaltung der Bewegung des Schwerpunktes:
m p + m1p1 = m p' + m1p'1 = 0,
und nach dem Principe der Erhaltung der lebendigen Kraft:
.
Hieraus folgt entweder:
p' = p, p'1 = p1,
oder:
p' = — p, p'1 = — p1
und man sieht sofort, da die Moleküle nach dem Stosse wieder
auseinander gehen müssen, dass nur die letztere Lösung die
[26]I. Abschnitt. [Gleich. 21]
richtige ist, dass also die beiden Componenten der relativen
Geschwindigkeiten gegen den Schwerpunkt, welche in die Rich-
tung K1K2 ∥ O K fallen, durch den Zusammenstoss einfach um-
gekehrt werden.
Daraus ergibt sich folgende Construction der Geraden O C'
und O C'1, welche die Geschwindigkeiten der beiden Moleküle
nach dem Stosse in Grösse und Richtung darstellen. Man
zieht durch S die Gerade K1K2 parallel O K, ferner in der
Ebene der Geraden K1K2 und C1C die beiden Geraden S C'
und S C'1, welche mit den Geraden S C und S C1 gleich lang
und nach der anderen Seite gegen K1K2 gleich geneigt sind.
Die beiden Endpunkte C' und C'1 der letzteren beiden Geraden
sind zugleich die Endpunkte der gesuchten Geraden O C' und O C'1.
Wir können sie auch die Geschwindigkeitspunkte der beiden
Moleküle nach dem Stosse nennen. Die Projectionen von O C'
und O C'1 auf die drei Coordinatenaxen sind also die Geschwin-
digkeitscomponenten ξ', η', ζ', ξ'1, η'1, ζ'1 der beiden Moleküle
nach dem Zusammenstosse. Diese geometrische Construction
ersetzt uns die algebraische Entwickelung der Functionen 20
vollständig. Die Punkte C'1, S und C' fallen selbstverständlich
in eine Gerade. Diese Gerade C'1C' stellt die relative Ge-
schwindigkeit des Moleküls m gegen das Molekül m1 nach dem
Zusammenstosse dar, und man sieht aus der Figur, dass ihre
Länge gleich C1C ist, wogegen der Winkel, den sie mit der
Geraden O K bildet, 180° — ϑ ist.
Wir haben bisher nur einen der hervorgehobenen Zu-
sammenstösse betrachtet und für denselben die Geschwindig-
keiten nach dem Stosse construirt. Wir betrachten nun alle
die hervorgehobenen Zusammenstösse und fragen, zwischen
welchen Grenzen die Werthe der Variabeln nach dem Stosse
für alle diese Zusammenstösse liegen, d. h. also für alle
Stösse, für welche vor dem Stosse die Bedingungen 10, 13
und 15 erfüllt sind. Da wir die Zeitdauer des Stosses un-
endlich klein voraussetzen, so ist die Richtung der Centri-
linie im Momente des Endes des Stosses dieselbe, wie im
Momente des Anfanges und es handelt sich nur noch um die
Grenzen, zwischen denen die Geschwindigkeitscomponenten ξ',
η', ζ', ξ'1, η'1, ζ'1 nach dem Stosse eingeschlossen sind. Hätten
wir die Functionen 20 berechnet, so hätten wir in denselben
[27][Gleich. 21] § 4. Variabeln nach dem Stosse.
einfach ϑ und ε als constant, ξ, η, ζ, ξ1, η1, ζ1 aber als in-
dependent variabel zu betrachten und mittelst der bekannten
Jacobi’schen Functionaldeterminante d ξ' d η' d ζ' d ξ'1d η'1d ζ'1
durch d ξ d η d ζ d ξ1d η1d ζ1 auszudrücken. Wir ziehen aber
wieder die geometrische Construction vor und haben daher die
Frage zu beantworten: welche Volumenelemente werden von
den Punkten C' und C'1 beschrieben, wenn bei unveränderter
Richtung der Geraden O K die Punkte C und C1 die Volumen-
elemente d ω und d ω1 beschreiben? Zunächst soll nebst der
Richtung der Geraden O K auch die Lage des Punktes C un-
verändert bleiben und bloss der Punkt C1 das gesammte
Parallelepiped d ω1 bestreichen. Aus der vollkommenen Sym-
metrie der Figur folgt dann unmittelbar, dass C'1 ein con-
gruentes Parallelepiped d ω'1 beschreibt, welches das Spiegelbild
von d ω1 ist. Ebenso beschreibt, sobald der Punkt C1 fest-
gehalten wird und der Punkt C das Parallelepiped d ω be-
schreibt, der Punkt C' ein mit d ω congruentes Parallel-
epiped d ω'. Für alle Zusammenstösse, welche wir im Früheren
die Zusammenstösse der hervorgehobenen Art genannt haben,
liegt daher der Geschwindigkeitspunkt des Moleküls m nach
dem Stosse im Parallelepipede d ω', der des Moleküls m1 aber
im Parallelepipede d ω'1 und es ist immer d ω' d ω'1 = d ω d ω1.
Dasselbe Resultat wurde wiederholt durch explicite Berechnung
der Functionen 20 und Bildung der Functionaldeterminante
nachgewiesen.1)
Wir wollen nun ausser den bisher hervorgehobenen Zu-
sammenstössen noch eine andere Klasse von Zusammenstössen
eines Moleküls m mit einem Moleküle m1 betrachten, welche
wir die „Zusammenstösse von der entgegengesetzten Art“
nennen wollen. Sie sollen durch folgende Bedingungen charak-
terisirt sein:
[28]I. Abschnitt. [Gleich. 21]
1. Der Geschwindigkeitspunkt des Moleküls m soll vor
dem Zusammenstosse im Volumenelemente d ω' liegen; die An-
zahl der Moleküle m in der Volumeneinheit, für welche diese
Bedingung erfüllt ist, ist analog der Formel 9 gleich f' d ω',
wobei f' den Werth der Function f, wenn darin statt ξ, η, ζ
die Werthe ξ', η', ζ' gesetzt werden, also die Grösse f (ξ', η', ζ', t)
bedeutet.
2. Der Geschwindigkeitspunkt des Moleküls m1 soll vor
dem Zusammenstosse im Volumenelemente d ω'1 liegen. Die An-
zahl der Moleküle m1 in der Volumeneinheit, für welche diese
Bedingung erfüllt ist, ist F'1d ω'1, wobei F'1 eine Abkürzung
für F (ξ'1, η'1, ζ'1, t) ist.
3. Die Centrilinie der beiden Moleküle im Momente des
Zusammenstosses, aber jetzt vom Moleküle m1 gegen das Mole-
kül m gezogen, soll irgend einer vom Coordinatenursprunge
innerhalb des Kegels d λ gezogenen Geraden parallel sein. (In
denjenigen Integralen, welche sich auf die Zusammenstösse
gleichbeschaffener Moleküle beziehen, tritt natürlich an Stelle
des Moleküls von der Masse m1 dasjenige, dessen Geschwindig-
keitscomponenten mit ξ1, η1, ζ1 bezeichnet werden).
Die Fig. 3 stellt möglichst unter Beibehaltung der Lage
aller Linien denselben Zusammenstoss dar, auf welchen sich
auch die schematische Fig. 2, S. 19 bezieht. Die Fig. 4 stellt
den dazu entgegengesetzten Zusammenstoss dar. Die gegen das
Centrum der Moleküle gerichteten Pfeile stellen immer die
Geschwindigkeiten vor, die vom Centrum weggerichteten Pfeile
die Geschwindigkeiten nach dem Stosse dar. In allen Zu-
[29][Gleich. 23] § 4. Verkehrte Stösse.
sammenstössen von der entgegengesetzten Art ist die relative
Geschwindigkeit des Moleküls m gegen das Molekül m1 vor
dem Zusammenstosse durch die Gerade C'1C' der Fig. 2 in
Grösse und Richtung dargestellt. Ihre Grösse ist also wieder
gleich g und sie bildet auch mit der von m gegen m1 gezogenen
Centrilinie wieder den Winkel ϑ, da wir ja die Richtung der
Centrilinie ebenfalls umgekehrt haben. Der Winkel ϑ muss
natürlich wieder ein spitzer sein, wenn der betreffende Zu-
sammenstoss möglich sein soll. Die Anzahl der Zusammen-
stösse von der entgegengesetzten Art, welche während der
Zeit d t in der Volumeneinheit geschehen, ist daher ganz analog
der Formel 18 gegeben durch:
22) d ν' = f' F'1d ω' d ω'1σ2g cos ϑ d λ d t.
Wir haben diese Zusammenstösse die von der entgegengesetzten
Art genannt, weil sie genau den entgegengesetzten Verlauf
nehmen, als die ursprünglich hervorgehobenen, so dass also
für dieselben nach dem Stosse die Geschwindigkeiten der beiden
Moleküle zwischen den Grenzen 10 und 13 liegen, zwischen
denen sie für die ursprünglich hervorgehobenen Zusammen-
stösse vor dem Stosse lagen.
Durch jeden der entgegengesetzten Zusammenstösse nimmt
also sowohl die Zahl f d ω, als auch die Zahl F1d ω1 um eine
Einheit zu. Um die gesammte Zunahme zu finden, welche
die Zahl f d ω durch alle Zusammenstösse von Molekülen m
mit Molekülen m1 während der Zeit d t überhaupt erfährt, hat
man in dem Differentialausdrucke 22 zunächst ξ', η', ζ', ξ'1, η'1, ζ'1
vermöge der Gleichungen 20 durch die Variabeln ξ, η, ζ, ξ1, η1, ζ1, ϑ
und ε auszudrücken, was wegen d ω' d ω'1 = d ω d ω1 liefert:
23) d ν' = f' F'1d ω d ω1σ2g cos ϑ d λ d t.
Wir belassen die Buchstaben f', F' und d λ in der Formel,
erinnern aber nochmals, dass man sich die darin enthaltenen
Variabeln ξ', η', ζ', ξ'1, η'1, ζ'1 als Functionen von ξ, η, ζ, ξ1,
η1, ζ1, ϑ, ε und auch d λ durch die Differentiale der letzteren
Winkel ausgedrückt zu denken hat. Man würde, wie bekannt,
finden d λ = sin ϑ · d ϑ d ε (vgl. Anfang des § 9). In dem Differen-
tialausdrucke 23 ist nun ξ, η, ζ, d ω und d t als constant zu be-
trachten, dagegen ist über alle möglichen Werthe von d ω1 und d λ
zu integriren. Dadurch werden alle Zusammenstösse umfasst,
[30]I. Abschnitt. [Gleich. 26]
welche zwischen Molekülen m und Molekülen m1 überhaupt so
geschehen, dass für die ersteren die Geschwindigkeitscomponenten
nach dem Stosse zwischen den Grenzen 10 liegen, wogegen sonst
keine beschränkenden Bedingungen bestehen. Das Resultat dieser
Integration ∫ d ν' gibt uns also die Zunahme von f d ω durch
alle Zusammenstösse der Moleküle m mit Molekülen m1 wäh-
rend der Zeit d t an. Ganz analog finden wir für die Zu-
nahme, welche dieselbe Zahl durch die Zusammenstösse der
Moleküle m untereinander erfährt, den Werth ∫ dn', wobei
24) dn' = f' f'1d ω d ω1s2g cos ϑ d λ d t
ist. f'1 ist dabei wieder eine Abkürzung für f (ξ'1, η'1, ζ'1, t).
ξ', η', ζ', ξ'1, η'1, ζ'1 sind hier insofern andere Functionen von
ξ, η, ζ, ξ1, η1, ζ1, ϑ und ε, als sie die Geschwindigkeitscom-
ponenten nach einem Stosse darstellen, der wieder durch die
Anfangsbedingungen 10, 13 und 15 bestimmt ist, in welchem
aber beide Moleküle die Masse m haben.
Ziehen wir von der gesammten Zunahme der Zahl f d ω
die gesammte Abnahme ab, so finden wir die Veränderung
,
welche die Zahl f d ω überhaupt während der Zeit d t erfährt.
Es ist also:
.
In den Integralen ∫ d ν und ∫ d ν' sind sowohl die Integrations-
variabeln als auch die Grenzen derselben identisch, ebenso in
den Integralen ∫ dn und ∫ dn'.
Ziehen wir daher diese Integrale je in eines zusammen
und dividiren die ganze Gleichung durch d ω · d t, so folgt mit
Rücksicht auf die Gleichungen 18, 19, 23 und 24:
25) .
Die Integration ist über alle möglichen d ω1 und d λ zu er-
strecken. Ebenso erhält man für die Function F die Gleichung:
26) .
[31][Gleich. 27] § 4. Verkehrte Stösse.
Dabei ist s1 der Durchmesser eines Moleküls m1; in Formel 26
sind ξ1, η1, ζ1 beliebige, in den Integralen constant zu be-
trachtende Werthe, während nach ξ, η, ζ über alle möglichen
Werthe zu integriren ist. ξ', η', ζ', ξ'1, η'1, ζ'1 sind im ersten
Integrale die Geschwindigkeitscomponenten nach einem Zu-
sammenstosse der hervorgehobenen Art in dem Falle, dass das
eine der stossenden Moleküle die Masse m, das andere die
Masse m1 hat, in dem zweiten Integrale aber in dem Falle,
dass beide Moleküle die Masse m1 haben; ∂ F1 / ∂ t, F und F'
sind abgekürzte Bezeichnungen für ∂ F (ξ1, η1, ζ1, t) / ∂ t, F (ξ, η, ζ, t)
und F (ξ', η', ζ', t).
Soll der Zustand stationär bleiben, so müssen die Grössen
∂ f / ∂ t und ∂ F1 / ∂ t für alle Werthe der Variabeln verschwinden.
Dies tritt sicher ein, wenn in allen Integralen die Grösse unter
dem Integralzeichen für alle Werthe der Integrationsvariabeln
verschwindet, wenn man also für alle möglichen Zusammen-
stösse der Moleküle m untereinander, der Moleküle m1 unter-
einander und eines Moleküls m mit einem Moleküle m1 die
drei Gleichungen hat:
27) f f1 = f' f'1, F F1 = F' F'1, f F1 = f' F'1.
Da die Wahrscheinlichkeit der ursprünglich hervorgehobenen
Zusammenstösse durch Gleichung 18, die der entgegengesetzten
durch Gleichung 23 gegeben ist, so ist die allgemeine Gültig-
keit der dritten der Gleichungen 27 gleichbedeutend mit der
Behauptung, dass, wie immer d ω, d ω1 und d λ gewählt werden
mögen, die ursprünglich hervorgehobenen (kürzer directen)
Zusammenstösse ebenso wahrscheinlich als die entgegengesetzten
sind, oder dass es ebenso wahrscheinlich ist, dass zwei Moleküle
in gewisser Weise auseinander gehen, als dass sie gerade in
der entgegengesetzten Weise zusammenstossen. Dasselbe folgt
aus den beiden anderen der Gleichungssysteme 27 für die
Zusammenstösse der Moleküle m untereinander und der Mole-
küle m1 untereinander. Man sieht aber sofort ein, dass sich
eine Zustandsvertheilung stationär erhalten muss, wenn es
für dieselbe allgemein gleich wahrscheinlich ist, dass zwei Mole-
küle in gewisser Weise nach dem Zusammenstosse auseinander
gehen, als dass sie in genau entgegengesetzter Weise zusammen-
stossen.
[32]I. Abschnitt. [Gleich. 27]
§ 5. Beweis, dass die Maxwell’sche Geschwindigkeits-
vertheilung die einzig mögliche ist.
Wir werden uns mit der Auflösung der Gleichungen 27,
welche keine besondere Schwierigkeit bietet, später beschäftigen.
Sie führen mit Nothwendigkeit auf das bekannte Maxwell’sche
Geschwindigkeitsvertheilungsgesetz. Für dasselbe verschwinden
also die beiden Grössen ∂ f / ∂ t und ∂ F / ∂ t, weil für sämmt-
liche Integrale die Grösse unter dem Integralzeichen identisch
verschwindet. Es ist somit bewiesen, dass die Maxwell’sche
Geschwindigkeitsvertheilung, wenn sie einmal unter den Mole-
külen besteht, durch die Zusammenstösse nicht weiter ver-
ändert wird. Dagegen ist noch nicht der Beweis geliefert,
dass nicht auch noch durch andere Functionen die beiden
Ausdrücke 25 und 26 zum Verschwinden gebracht werden
können, ohne dass in allen Integralen die Grösse unter dem
Integralzeichen für alle Werthe der Integrationsvariabeln ver-
schwindet. Man mag derartigen Bedenken so wenig Gewicht
beilegen, als man will, ich fand mich veranlasst, sie durch
einen besonderen Beweis zu widerlegen. Da nun derselbe
eine, wie mir scheint, nicht uninteressante Beziehung zum
Entropieprincipe hat, so will ich ihn hier in der Form, die
ihm durch H. A. Lorentz gegeben wurde, wiedergeben.
Wir betrachten dasselbe Gasgemisch wie früher und be-
halten auch alle früher gebrauchten Bezeichnungen bei. Ferner
bezeichnen wir mit l f und l F die natürlichen Logarithmen
der Functionen f und F. Das Resultat, welches wir erhalten,
wenn wir in l f für ξ, η, ζ die Geschwindigkeitscomponenten
einsetzen, welche einem bestimmten Gasmoleküle von der
Masse m zu einer bestimmten Zeit t zukommen, bezeichnen
wir als den Werth der Logarithmusfunction, welche dem be-
treffenden Moleküle zur betreffenden Zeit entspricht. Ganz
analog erhalten wir den Werth der Logarithmusfunction, wel-
cher irgend einem Moleküle m1 zu irgend einer Zeit entspricht,
indem wir in l F1 die Geschwindigkeitscomponenten ξ1, η1, ζ1
des betreffenden Moleküls m1 zur betreffenden Zeit einsetzen.
Wir wollen nun die Summe H aller Werthe der Logarithmus-
function berechnen, welche zu einer bestimmten Zeit allen in
[33][Gleich. 30] § 5. H-Theorem.
der Volumeneinheit enthaltenen Molekülen m und m1 entsprechen.
Zur Zeit t sollen sich wieder in der Volumeneinheit f d ω Mole-
küle m der hervorgehobenen Art befinden, d. h. Moleküle m,
deren Geschwindigkeitscomponenten zwischen den Grenzen 10
liegen. Dieselben liefern offenbar in die Summe H das Glied
f · l f · d ω. Bilden wir den analogen Ausdruck für die Mole-
küle m1 und integriren wir über alle möglichen Werthe der
Variabeln, so folgt:
28) H = ∫ f · l f · d ω + ∫ F1 · l F1 · d ω1.
Wir suchen nun die Veränderung, welche H während einer
sehr kleinen Zeit d t erfährt. Dieselbe wird durch zwei Ur-
sachen bewirkt1):
Boltzmann, Gastheorie. 3
[34]I. Abschnitt. [Gleich. 31]
1. Ursache: Jedes der Moleküle m der hervorgehobenen
Art lieferte zur Zeit t in dem Ausdrucke 28 das Glied l f.
Nach der Zeit d t hat die Funktion f den Zuwachs erfahren:
.
Daher hat l f den Zuwachs erfahren:
,
1)
[35][Gleich. 31] § 5. H-Theorem.
und es liefert jedes der Moleküle m der hervorgehobenen Art
in den Ausdruck 28 das Glied:
.
Alle Moleküle m der hervorgehobenen Art zusammen liefern
daher in den Ausdruck 28 nach Verlauf der Zeit t den Betrag:
.
Stellt man dieselbe Betrachtung für alle übrigen Moleküle m
und m1 an, so findet man für den gesammten Zuwachs, welchen
H in Folge der Veränderung der Grössen l f und l F unter
den Integralzeichen der Formel 28 erfährt, den Werth:
.
Dies ist aber nichts Anderes, als die Veränderung der Ge-
sammtzahl der Moleküle m und m1 in der Volumeneinheit,
welche gleich Null sein muss, da weder die Grösse des Ge-
fässes, noch die gleichmässige Vertheilung der Moleküle in
demselben eine Veränderung erfahren soll.
2. Ursache: In Folge der Zusammenstösse verändern nicht
nur die Grössen l f und l F in dem Ausdrucke 28, sondern
auch die Factoren f d ω und F1d ω1 während der Zeit d t ihre
Werthe, d. h. die Anzahl der Moleküle der hervorgehobenen
Art ändert sich ein wenig. Die durch diese zweite Ursache
bewirkte Veränderung d H der Grösse H wird nach dem Obigen
gleich der gesammten Veränderung sein, welche die Grösse H
überhaupt während der Zeit d t erfährt. Um sie zu finden,
bezeichnen wir wieder mit d ν die Anzahl der Zusammen-
stösse der hervorgehobenen Art in der Volumeneinheit wäh-
rend der Zeit d t. Durch jeden derselben nimmt die Zahl f d ω
der Moleküle m der hervorgehobenen Art und ebenso die
Zahl F1d ω1 der Moleküle m1 der hervorgehobenen Art um
eine Einheit ab.
Da jedes der ersteren Moleküle in den Ausdruck 28 den
Addenden l f, jedes der letzteren den Addenden l F1 liefert,
so nimmt durch die hervorgehobenen Zusammenstösse die
Grösse H im Ganzen um
(l f + l F1) d ν
3*
[36]I. Abschnitt. [Gleich. 31 a]
ab. Durch jeden dieser Zusammenstösse nimmt aber auch die
Zahl f' d ω' der Moleküle m, deren Geschwindigkeitspunkt im
Parallelepipede d ω' liegt, um eine Einheit zu, und da jedes
dieser letzteren Moleküle in den Ausdruck 28 den Addenden l f'
liefert, so nimmt H um den Betrag l f' d ν zu. Endlich wird
durch jeden der hervorgehobenen Zusammenstösse auch die
Zahl F'1d ω'1 der Moleküle m1, deren Geschwindigkeitspunkt
im Parallelepipede d ω'1 liegt, um eine Einheit, und daher durch
alle hervorgehobenen Zusammenstösse während der Zeit d t die
Grösse H um l F'1 · d ν vermehrt. Der Gesammtzuwachs, wel-
chen die Grösse H durch die hervorgehobenen Zusammenstösse
während der Zeit d t erfährt, ist daher:
.
(vgl. Gleichung 18).
Lassen wir in diesem Ausdrucke d t constant und integriren
bezüglich aller anderen Differentiale über alle möglichen Werthe,
wobei natürlich ξ', η', ζ', ξ'1, η'1, ζ'1 als Functionen der Integrations-
variabeln ξ, η, ζ, ξ1, η1, ζ1 ausgedrückt zu denken sind, so
erhalten wir den Gesammtzuwachs d1H, welchen H durch alle
Zusammenstösse eines Moleküls m mit einem Moleküle m1
überhaupt erfährt. Wir wollen denselben symbolisch in der
Form schreiben:
31a) d1H = d t ∫ (l f' + l F'1 — l f — l F1) f · F1 · d ω · d ω1σ2g cos ϑ d λ.
Wir können dieselbe Grösse aber auch durch Betrach-
tung derjenigen Zusammenstösse berechnen, welche wir als
die Zusammenstösse von der entgegengesetzten Art bezeich-
neten und deren Anzahl in der Volumeneinheit während der
Zeit d t gleich d ν' war. Durch jeden dieser letzteren Zu-
sammenstösse werden die Zahlen f' d ω' und F'1d ω'1 der Mole-
küle m resp. m1, deren Geschwindigkeitspunkt im Parallel-
epipede d ω' resp. d ω'1 liegt, je um eine Einheit vermindert,
dagegen die Zahlen f d ω und F1d ω1 der Moleküle m resp. m1,
deren Geschwindigkeitspunkt im Parallelepipede d ω resp. d ω1
liegt, je um eine Einheit vermehrt, und da jedes der ersten
Moleküle in den Ausdruck 28 den Summanden l f', jedes der
F'1d ω'1 Moleküle den Summanden l F'1, jedes der f d ω Moleküle
den Summanden l f, jedes der F1d ω1 Moleküle den Summanden
[37][Gleich. 32] § 5. H-Theorem.
l F1 liefert, so wächst H durch alle entgegengesetzten Zusammen-
stösse während der Zeit d t um
(l f + l F1 — l f' — l F'1) d ν'
= (l f + l F1 — l f' — l F'1) f' F'1d ω d ω1σ2g cos ϑ d λ d t
(vgl. Gleichung 23).
Lassen wir hier wieder d t constant und integriren be-
züglich aller anderen Variabeln, so erhalten wir für dieselbe
Grösse, welche soeben mit d1H bezeichnet wurde, den Werth:
d1H = d t ∫ (l f + l F1 — l f' — l F'1) f' F'1d ω d ω1σ2g cos ϑ d λ.
Es ist daher auch d1H gleich dem arithmetischen Mittel des
zuletzt gefundenen Werthes und des Werthes 31a, also:
32) .
Dies ist der gesammte Zuwachs, den die Grösse H während
der Zeit d t durch sämmtliche Zusammenstösse eines Moleküls m
mit einem Moleküle m1 erfährt. Der Zuwachs d2H, welchen
dieselbe Grösse während derselben Zeit durch die Zusammen-
stösse der Moleküle m unter einander erfährt, wird offenbar
ganz analog gefunden. Wir haben da nur in dem Ausdrucke 32
statt der Masse m1 und der Function F ebenfalls die Masse m
und die Function f und statt σ den Durchmesser s eines Mole-
küls m zu setzen. Dabei ist aber zu beachten, dass, sobald
beide stossenden Moleküle gleichbeschaffen sind, bei Ausführung
aller Integrationen jeder Zusammenstoss doppelt gezählt wird,
dass daher das Schlussresultat nochmals durch 2 dividirt werden
muss. (Analog wie bei Berechnung des Selbstpotentials und
des Selbstinductionscoëfficienten). Wir finden daher, wenn wir
unter f1 und f'1 dieselben Grössen wie im vorigen Paragraphen
verstehen,
.
Berechnen wir in derselben Weise auch noch den Zuwachs,
welchen die Grösse H durch die Zusammenstösse der Mole-
küle m1 unter einander erfährt, so erhalten wir für den durch
[38]I. Abschnitt. [Gleich. 33]
d t dividirten Gesammtzuwachs d H der Grösse H während der
Zeit d t:
33) .
Da der Logarithmus stets wächst, wenn die Grösse unter
dem Logarithmenzeichen wächst, so hat in jedem der drei
Integrale der erste eckig eingeklammerte Factor stets das-
selbe Vorzeichen, wie der danebenstehende zweite. Da ferner
g wesentlich positiv und der Winkel ϑ immer ein spitzer
ist, so sind auch alle übrigen Grössen unter dem Integral-
zeichen wesentlich positiv und verschwinden nur für voll-
kommen streifende Zusammenstösse oder für Zusammenstösse
mit der relativen Geschwindigkeit Null. Es stellen also die
obigen drei Integrale lauter Summen von wesentlich positiven
Gliedern dar und die von uns mit H bezeichnete Grösse kann
nur abnehmen; höchstens kann sie constant sein, letzteres
aber nur, wenn alle Glieder aller drei Integrale verschwinden,
d. h. wenn für alle Zusammenstösse die Gleichungen erfüllt
sind, welche wir als die Gleichungen 27 bezeichnet haben.
Da sich nun für den stationären Zustand die Grösse H un-
möglich mit der Zeit ändern kann, so ist hiermit bewiesen,
dass für den stationären Zustand die Gleichungen 27 für
sämmtliche Zusammenstösse erfüllt sein müssen. Die einzige
hierbei gemachte Voraussetzung ist die, dass die Geschwindig-
keitsvertheilung zu Anfang molekular ungeordnet war und es
auch blieb. Unter dieser Voraussetzung ist also der Beweis
geliefert, dass die von uns mit H bezeichnete Grösse nur ab-
nehmen kann, sowie dass sich die Geschwindigkeitsvertheilung
nothwendig immer mehr der Maxwell’schen nähern muss.
§ 6. Mathematische Bedeutung der GrösseH.
Wir werden die Auflösung der Gleichungen 27 abermals
verschieben und zunächst einige Bemerkungen bezüglich der
Bedeutung der mit H bezeichneten Grösse einschalten. Diese
[39][Gleich. 34] § 6. Math. Bedeutung der Grösse H.
Bedeutung ist eine doppelte. Erstens eine mathematische,
zweitens eine physikalische. Wir wollen die erstere nur in
dem einfachen Falle erörtern, dass sich ein einziges Gas in
einem Gefässe vom Volumen Eins befindet. Natürlich hätten
wir durch diese Annahme auch die bisherigen Schlüsse be-
deutend vereinfachen können, aber dabei auf den gleichzeitigen
Beweis des Avogadro’schen Gesetzes verzichten müssen.
Zunächst müssen einige Bemerkungen über die Principien
der Wahrscheinlichkeitsrechnung vorausgeschickt werden. Aus
einer Urne, in der sich sehr viele schwarze und gleichviel weisse,
im Uebrigen gleichbeschaffene Kugeln befinden, sollen 20 rein
zufällige Züge gemacht werden. Der Fall, dass lauter schwarze
Kugeln gezogen wurden, ist nicht um ein Haar unwahrschein-
licher als der, dass man auf den ersten Zug eine schwarze,
auf den zweiten Zug eine weisse, auf den dritten Zug wieder
eine schwarze und so abwechselnd fort gezogen hätte. Dass
es wahrscheinlicher ist, auf 20 Züge 10 schwarze und 10 weisse
Kugeln als lauter schwarze zu ziehen, kommt bloss daher,
dass der ersteren Eventualität weit mehr gleichmögliche Fälle
günstig sind, als der letzteren. Die relative Wahrscheinlich-
keit der ersteren Eventualität gegenüber der letzteren ist also
die Zahl 20! / 10! 10!, welche angibt, wie oft sich die Glieder
einer Reihe von 10 weissen und 10 schwarzen Kugeln per-
mutiren lassen, in welcher die verschiedenen weissen Kugeln
als untereinander gleichbeschaffen betrachtet werden, ebenso
die verschiedenen schwarzen Kugeln. Denn jede dieser Per-
mutationen stellt einen mit dem Zuge von lauter schwarzen
Kugeln gleichmöglichen Fall dar. Wären in der Urne sehr
viele, sonst gleichbeschaffene Kugeln, von denen eine bestimmte
Zahl weiss, eine gleiche Zahl schwarz, eine gleiche Zahl blau,
eine gleiche Zahl roth u. s. w. gefärbt wären, so wäre die
Wahrscheinlichkeit, a weisse, b schwarze, c blaue Kugeln u. s. w.
zu ziehen,
34)
mal so gross, als die Wahrscheinlichkeit, lauter Kugeln von
einer bestimmten Farbe zu ziehen.
Gerade so wie in diesem einfachen Beispiele, ist auch in
einem Gase der Fall, dass alle Moleküle genau die gleiche,
[40]I. Abschnitt. [Gleich. 35]
gleichgerichtete Geschwindigkeit haben, um kein Haar unwahr-
scheinlicher als der Fall, dass jedes Molekül genau die Ge-
schwindigkeit und die Geschwindigkeitsrichtung hat, die es
wirklich in einem bestimmten Momente im Gase hat. Ver-
gleichen wir aber die erstere Eventualität mit der, dass im
Gase die Maxwell’sche Geschwindigkeitsvertheilung herrscht,
so finden wir wieder, dass zu Gunsten der letzteren Even-
tualität viel mehr gleichmögliche Fälle sprechen.
Um die relative Wahrscheinlichkeit dieser beiden Even-
tualitäten durch eine Permutationszahl auszudrücken, verfahren
wir wie folgt: Für alle Zusammenstösse, für welche der Ge-
schwindigkeitspunkt des einen der stossenden Moleküle vor dem
Zusammenstosse in einem unendlich kleinen Volumenelemente
lag, befindet sich derselbe, wie wir sahen, bei Constanz aller
anderen, den Zusammenstoss charakterisirenden Variabeln nach
dem Stosse wieder in einem Volumenelement von genau gleicher
Grösse. Theilen wir daher den ganzen Raum in sehr viele (ζ),
gleichgrosse Volumenelemente ω (Zellen), so ist die Anwesenheit
des Geschwindigkeitspunktes eines Moleküls in jedem solchen
Volumenelemente mit der Anwesenheit in jedem anderen Volumen-
elemente als ein gleichmöglicher Fall zu betrachten, gerade so,
wie früher der Zug einer weissen oder einer schwarzen oder einer
blauen Kugel. An die Stelle von a, der Zahl der Züge weisser
Kugeln, tritt jetzt die Zahl n1ω der Moleküle, deren Ge-
schwindigkeitspunkt in dem ersten unserer Volumenelemente
liegt, an Stelle der Zahl b der Formel 34 tritt die Zahl n2ω
der Moleküle, deren Geschwindigkeitspunkt in dem zweiten
Volumenelemente ω liegt u. s. w. An Stelle der Formel 34
erhalten wir daher:
35)
für die relative Wahrscheinlichkeit, dass der Geschwindigkeits-
punkt von n1ω Molekülen in dem ersten Volumenelemente ω,
von n2ω Molekülen in dem zweiten Volumenelemente ω u. s. w.
liegt. n = (n1 + n2 + n3 …) ω ist die gesammte Anzahl aller
Moleküle des Gases. So würde z. B. der Fall, dass alle Mole-
küle gleiche und gleichgerichtete Geschwindigkeit haben, dem
Falle entsprechen, dass alle Geschwindigkeitspunkte in der-
selben Zelle liegen. Hier wäre Z = n! / n! = 1, es wäre keine
[41][Gleich. 35] § 6. Math. Bedeutung der Grösse H.
andere Permutation möglich. Viel wahrscheinlicher schon wäre
der Fall, dass die Hälfte der Moleküle eine bestimmte, be-
stimmt gerichtete, die andere Hälfte eine andere, wieder für
alle gleiche und gleichgerichtete Geschwindigkeit hätten. Dann
wäre die Hälfte der Geschwindigkeitspunkte in einer, die andere
Hälfte in einer zweiten Zelle; es wäre also:
u. s. w.
Da nun die Anzahl der Moleküle eine überaus grosse ist,
so sind n1ω, n2ω u. s. w. ebenfalls als sehr grosse Zahlen zu
betrachten.
Wir wollen die Annäherungsformel:
benützen, wobei e die Basis der natürlichen Logarithmen und
p eine beliebige grosse Zahl ist.1)
Bezeichnen wir daher wieder mit l den natürlichen Loga-
rithmus, so folgt:
l [(n1ω)!] = (n1ω + ½) l n1 + n1ω (l ω — 1) + ½ (l ω + l 2 π).
Vernachlässigt man hier ½ gegen die sehr grosse Zahl n1ω
und bildet den analogen Ausdruck für (n2ω)!, (n3ω)! u. s. f.,
so ergibt sich:
l Z = — ω (n1l n1 + n2l n2 …) + C,
wobei
für alle Geschwindigkeitsvertheilungen denselben Werth hat,
also als Constante zu betrachten ist. Denn wir fragen ja bloss
nach der relativen Wahrscheinlichkeit der Eintheilung der ver-
schiedenen Geschwindigkeitspunkte unserer Moleküle in unsere
Zellen ω, wobei selbstverständlich die Zelleneintheilung, daher
auch die Grösse einer Zelle ω, die Anzahl der Zellen ζ und
die Gesammtzahl n der Moleküle und deren gesammte leben-
dige Kraft als unveränderlich gegeben betrachtet werden
müssen. Die wahrscheinlichste Eintheilung der Geschwindig-
[42]I. Abschnitt. [Gleich. 35]
keitspunkte der Moleküle in unsere Zellen wird daher die-
jenige sein, für welche l Z ein Maximum, daher der Aus-
druck:
ω [n1l n1 + n2l n2 + …]
ein Minimum wird. Schreiben wir wieder d ξ d η d ζ für ω und
f (ξ, η, ζ) für n1, n2 u. s. f., so verwandelt sich die Summe in
ein Integral und es wird
ω (n1l n1 + n2l n2 + …) = ∫ f (ξ, η, ζ) l f (ξ, η, ζ) d ξ d η d ζ.
Dieser Ausdruck ist aber vollkommen identisch mit dem
Ausdrucke, in welchen die durch Formel 28 gegebene Grösse H
für ein einzelnes Gas übergeht. Das Theorem des vorigen
Paragraphen, dass H durch die Zusammenstösse abnimmt, be-
sagt also nichts Anderes, als dass durch die Zusammenstösse
die Geschwindigkeitsvertheilung unter den Gasmolekülen sich
immer mehr und mehr der wahrscheinlichsten nähert, sobald
der Zustand molekular ungeordnet ist, also die Wahrschein-
lichkeitsrechnung Platz greift. Ich muss mich hier mit dieser
ganz beiläufigen Andeutung begnügen und verweise auf die
Sitzungsberichte der Wiener Akademie, Bd. 76, 11. October 1877.
Damit im Zusammenhange steht folgende, schon längst
einmal von Loschmidt gemachte Bemerkung. Gesetzt ein Gas
sei von absolut glatten, elastischen Wänden umschlossen. Zu
Anfang herrsche irgend eine unwahrscheinliche, aber molekular
ungeordnete Zustandsvertheilung, z. B. alle Moleküle haben
gleich grosse Geschwindigkeit c. Nach Verlauf einer gewissen
Zeit t wird sich nahezu die Maxwell’sche Geschwindigkeits-
vertheilung hergestellt haben. Wir denken uns nun zur Zeit t
die Richtung der Geschwindigkeit jedes Moleküls genau um-
gekehrt, ohne Veränderung der Grösse derselben. Das Gas
wird jetzt alle Zustände wieder rückwärts durchlaufen. Wir
haben also hier den Fall, dass eine wahrscheinlichere Ge-
schwindigkeitsvertheilung durch die Zusammenstösse in immer
unwahrscheinlichere übergeführt wird, dass also die Grösse H
durch die Zusammenstösse zunimmt. Es widerspricht dies
keineswegs dem im § 5 bewiesenen; denn die dort gemachte
Annahme, dass die Zustandsvertheilung eine molekular un-
geordnete sei, ist hier nicht erfüllt, da nach genauer Um-
kehrung aller Geschwindigkeiten jedes Molekül nicht den Wahr-
[43][Gleich. 35] § 6. Math. Bedeutung der Grösse H.
scheinlichkeitsgesetzen gemäss mit anderen zusammenstossen
wird, sondern gerade so aufgestellt ist, dass es in vorher be-
rechneter Weise zusammenstossen muss. In dem angeführten
Beispiele, in welchem wir die Masse aller Moleküle als gleich
voraussetzen wollen, hatten zu Anfang alle Moleküle dieselbe
Geschwindigkeit c. Nachdem durchschnittlich jedes Molekül
einmal zum Zusammenstosse gelangt ist, werden viele Moleküle
eine andere Geschwindigkeit γ haben, aber abgesehen von den
wenigen, die mehrmals zum Zusammenstosse gelangten, kommen
alle diese Moleküle von einem Zusammenstosse, durch welchen
das andere stossende Molekül die Geschwindigkeit
erhielt. Kehren wir daher jetzt alle Geschwindigkeiten genau
um, so gelangen fast alle Moleküle, deren Geschwindigkeit γ
ist, gerade nur mit Molekülen von der Geschwindigkeit
zum Zusammenstosse, es ist also das für eine molekular ge-
ordnete Vertheilung Charakteristische vorhanden.
Die Thatsache, dass nun H zunimmt, widerspricht auch
nicht den Wahrscheinlichkeitsgesetzen; denn aus diesen folgt
nur die Unwahrscheinlichkeit, nicht die Unmöglichkeit einer
Zunahme von H, ja im Gegentheile, es folgt ausdrücklich, dass
jede, wenn auch noch so unwahrscheinliche Zustandsvertheilung
eine, wenn auch kleine, so doch von Null verschiedene Wahr-
scheinlichkeit hat. Selbst wenn die Maxwell’sche Geschwin-
digkeitsvertheilung herrscht, ist der Fall, dass das erste Molekül
gerade die Geschwindigkeit hat, die es zur Zeit wirklich hat,
ebenso das zweite u. s. w., nicht im Mindesten wahrscheinlicher
als der Fall, dass alle Moleküle dieselbe Geschwindigkeit haben.
Nur wäre es offenbar ein Fehlschluss, wenn man daraus,
dass jede Bewegung, wobei H abnimmt, durch Umkehr aller
Geschwindigkeiten in eine solche übergeht, bei welcher H
zunimmt, schliessen würde, beides sei gleich wahrscheinlich.
Habe für irgend eine Bewegung H von der Zeit t0 bis zur
Zeit t1 abgenommen. Wenn man alle zur Zeit t0 herrschenden
Geschwindigkeiten umkehrt, würde man keineswegs zu einer
Bewegung kommen, für welche H zunehmen muss; im Gegen-
theile, es würde H wahrscheinlich wieder abnehmen. Nur
wenn man die zur Zeit t1 herrschenden Geschwindigkeiten um-
kehrt, erhält man eine Bewegung, bei welcher H während der
Zeit t1 — t0 zunimmt, dann aber wahrscheinlich wieder ab-
[44]I. Abschnitt. [Gleich. 35]
nimmt, so dass also Bewegungen, für welche H fortwährend
sehr nahe seinem Minimumwerthe ist, die weitaus wahrschein-
lichsten sind. Bewegungen, für welche es zu einem weit
grösseren Werthe zunimmt oder von einem solchen wieder zu
seinem Minimumwerthe herabsinkt, sind gleich unwahrschein-
lich; weiss man aber, dass H zu einer bestimmten Zeit einen
viel grösseren Werth hat, so wird es höchst wahrscheinlich
abnehmen.1)
Auf dieses Umkehrungsprincip sucht Herr Planck einen
Beweis zu gründen, dass die Maxwell’sche Geschwindigkeits-
vertheilung die einzig mögliche stationäre ist. Aus dem Hamil-
ton’schen Principe hat er zwar den Beweis, dass durch die
Umkehrung jede stationäre Zustandsvertheilung wieder in eine
solche übergehen müsse, meines Wissens noch nicht geliefert.
Doch kann man Folgendes behaupten: Wenn man, nachdem eine
(mit beliebiger Annäherung) stationäre Zustandsvertheilung A
beliebig lange gedauert hat, plötzlich alle Geschwindigkeiten
umkehrt, so wird man eine Bewegung B erhalten, die wieder
ebenso lange (mit dem gleichen Annäherungsgrade) stationär
bleibt. Wir sahen, dass eine molekular ungeordnete Vertheilung
nach Umkehrung aller Geschwindigkeiten in eine molekular ge-
ordnete übergehen kann; man könnte daher glauben, dass die
Bewegung B molekular geordnet sein wird. Nun sind zwar
jedenfalls für gewisse Gefässformen molekular geordnete Be-
wegungen möglich, die sich beliebig lange stationär erhalten.
Es scheint jedoch, dass dieselben jedes Mal durch beliebig kleine
Aenderungen der Gefässform zerstört werden können. Nehmen
wir daher an, die Zustandsvertheilung B könne nicht während
ihrer ganzen Dauer molekular geordnet bleiben, ferner für die
Zustandsvertheilung A sei jede Geschwindigkeit ebenso wahr-
scheinlich, wie die gleiche, aber entgegengesetzt gerichtete.
Dann muss die Zustandsvertheilung B identisch mit A sein, da
vermöge der zweiten Annahme die Grösse und Richtung jeder
Geschwindigkeit bei B die gleiche Wahrscheinlichkeit, wie bei
A hat, und vermöge der ersten Annahme die Zusammenstösse
den Wahrscheinlichkeitsgesetzen gemäss erfolgen. In der Zu-
standsvertheilung B muss aber jeder verkehrte Zusammenstoss
[45][Gleich. 35] § 6. Math. Bedeutung der Grösse H.
genau ebenso oft erfolgen, als in der Zustandsvertheilung A
der betreffende directe, da beide Zustandsvertheilungen genau
entgegengesetzt verlaufen. Daher muss in B jeder verkehrte
Zusammenstoss genau ebenso wahrscheinlich sein, als in A
der betreffende directe. Da aber beide Zustandsvertheilungen
identisch sind, so folgt daraus weiter, dass in jeder derselben
jeder directe Zusammenstoss ebenso wahrscheinlich, als der
betreffende verkehrte ist, woraus sofort die Gleichungen 27
folgen, deren nothwendige Consequenz die Maxwell’sche Zu-
standsvertheilung ist.
Auf die Fälle, wo man die gleiche Wahrscheinlichkeit
jeder Geschwindigkeit mit der genau entgegengesetzt gerich-
teten nicht a priori behaupten kann, z. B. auf den Fall, wo
die Schwerkraft wirkt, scheint der Planck’sche Beweis nicht
anwendbar zu sein, wogegen das Minimumtheorem gültig bleibt.1)
Eine Bemerkung soll hier noch Platz finden. Die früher
mit d ω = d ξ d η d ζ, jetzt mit ω bezeichneten Raumgrössen
sind Volumenelemente, also eigentlich nur Differentiale. Die
Anzahl n der Moleküle in der Volumeneinheit ist eine zwar
sehr grosse, aber doch endliche Zahl. (Wenn wir den Cubik-
centimeter als Volumeneinheit wählen, so ist sie für Luft unter
gewöhnlichen Bedingungen einige Trillionen.) Es mag daher
[46]I. Abschnitt. [Gleich. 35]
befremden, dass wir die Ausdrücke n1ω, n2ω, f (ξ, η, ζ, t) d ξ d η d ζ
als ganze, ja sogar als sehr grosse Zahlen betrachten. Man
könnte auch dieselben Rechnungen durchführen unter der Vor-
aussetzung, dass dies Brüche sind; sie würden dann einfach
Wahrscheinlichkeiten darstellen. Allein eine wirkliche Anzahl
von Dingen ist immer ein viel anschaulicherer Begriff als eine
blosse Wahrscheinlichkeit, und namentlich die zuletzt angeführ-
ten Betrachtungen würden weitschweifiger Ergänzung bedürfen,
da man nicht von der Permutationszahl eines Bruches sprechen
kann. Derartigen Bedenken gegenüber sei erinnert, dass wir
ja die Volumeneinheit so gross wählen können als wir wollen.
Wir können eine so grosse Menge gleichbeschaffenen Gases als
in der Volumeneinheit vorhanden annehmen, dass in der That,
selbst wenn ω sehr klein gewählt wird, immer noch die Ge-
schwindigkeitspunkte sehr vieler Moleküle darin liegen. Die
Grössenordnung des als Volumeneinheit gewählten Volumens
ist vollkommen unabhängig von der Grössenordnung der Volumen-
elemente ω und d ξ d η d ζ.
Fast bedenklicher ist die Annahme, die wir später machen
werden, dass nicht bloss die Anzahl der Moleküle in der
Volumeneinheit, deren Geschwindigkeitspunkt in einem Volumen-
differentiale liegt, sondern auch die Zahl der Moleküle, deren
Centra sich in einem Volumenelemente befinden, unendlich
gross ist. Letztere Annahme ist auch nicht mehr gerecht-
fertigt, sobald es sich um Erscheinungen handelt, wo endliche
Unterschiede der Eigenschaften des Gases in Strecken vor-
kommen, die nicht mehr gross gegen die mittlere Weglänge
sind. (Schallwellen von 1/100 mm Länge, Radiometer-Erschei-
nungen, Gasreibung im Sprengel’schen Vacuum u. s. w.) Alle
übrigen Erscheinungen spielen sich in so grossen Räumen ab,
dass man Volumenelemente construiren kann, welche für die
sichtbare Bewegung als Differentiale angesehen werden können,
aber noch immer sehr viele Moleküle enthalten. Diese Ver-
nachlässigung von kleinen Gliedern, deren Grössenordnung von
der Grössenordnung der im Schlussresultate auftretenden
Glieder vollkommen unabhängig ist, muss wohl unterschieden
werden von der Vernachlässigung von Gliedern, die von der-
selben Grössenordnung sind, wie diejenigen, aus denen das
Schlussresultat abgeleitet wird (vgl. den Anfang des § 14).
[47][Gleich. 35] § 7. Boyle-Charles-Avogadro’sches Gesetz.
Während die letztere Vernachlässigung Fehler des Resultates
bedingt, ist die erstere bloss eine nothwendige Folge der
atomistischen Anschauung, welche die Bedeutung der erhaltenen
Resultate charakterisirt und umsomehr erlaubt ist, je kleiner
die Dimensionen der Moleküle gegen die der sichtbaren Körper
gedacht werden. In der That sind vom Standpunkte der Atomistik
die Differentialgleichungen der Elasticitätslehre und Hydro-
dynamik nicht exact giltig, sondern dieselben sind blosse An-
näherungsformeln, welche um so genauer gelten, je grösser
die Dimensionen, innerhalb deren sich die betrachteten sicht-
baren Bewegungen abspielen, gegenüber den Dimensionen der
Moleküle sind. Ebenso ist das Vertheilungsgesetz der Ge-
schwindigkeiten unter den Molekülen nicht mathematisch exact
giltig, solange die Anzahl der Moleküle nicht mathematisch
unendlich gross gedacht wird. Der Nachtheil, dass man die
prätendirte exacte Giltigkeit der hydrodynamischen Differential-
gleichungen aufgibt, wird aber wieder durch den Vortheil
grösserer Anschaulichkeit aufgewogen.
§ 7. Das Boyle-Charles-Avogadro’sche Gesetz.
Ausdruck für die zugeführte Wärme.
Wir wollen nun zur Auflösung der Gleichungen 27 schreiten.
Dieselben sind nur ein specieller Fall der Gleichungen 147,
welche wir in § 18 behandeln werden. Aus diesen Gleichungen
folgt, wie wir dort ausführlich beweisen werden, dass die
Functionen f und F von der Richtung der Geschwindigkeit
unabhängig sein müssen und nur von der Grösse derselben
abhängen. Wir könnten diesen Beweis in derselben Weise
hier schon im speciellen Falle führen. Lediglich um uns nicht
zu wiederholen, setzen wir hier ohne Beweis voraus, dass weder
die Gestalt des Gefässes, noch sonst ein specieller Umstand
die Zustandsvertheilung beeinflusst. Da alsdann alle Richtungen
im Raume gleichberechtigt sind, müssen die Functionen f und F
unabhängig von der Richtung, und können nur Functionen
der Grösse der betreffenden Geschwindigkeiten c und c1 sein.
Setzen wir und , so geht die letzte
der Gleichungen 27 über in
Hier sind offenbar die beiden Grössen m c2, m1 voll-
kommen von einander unabhängig, und auch die dritte Grösse
m c'2 kann noch, unabhängig von den beiden ersten, alle Werthe
von Null bis annehmen. Bezeichnen wir daher
diese drei Grössen mit x, y, z, so erhalten wir, indem wir die
letzte Gleichung einmal partiell nach x, dann partiell nach y,
dann partiell nach z differentiiren, zunächst:
,
woraus folgt:
φ' (x) = Φ' (y) = φ' (z).
Da der erste dieser Ausdrücke kein y und z enthält, und
der zweite und dritte ihm gleich sind, so darf auch der zweite
kein y, der dritte kein z enthalten. Andere Variable enthalten
sie aber auch nicht; daher müssen sie Constante sein; da sie
zudem einander gleich sind, so sind also die Ableitungen der
beiden Functionen φ und Φ gleich derselben Constanten — h,
woraus sofort folgt:
36) .
Die Anzahl d nc der Moleküle m in der Volumeneinheit,
für welche bei beliebiger Richtung ihrer Geschwindigkeit, deren
Grösse zwischen c und c + d c liegt, ist offenbar gleich der
Anzahl derjenigen, für welche der Geschwindigkeitspunkt
zwischen den beiden vom Coordinatenursprunge aus mit den
Radien c und c + d c gezogenen Kugelflächen, also in einem
Raume vom Volumen d ω = 4 π c2d c, liegt. Man hat daher
nach Formel 11:
37) .
Die Moleküle, für welche die Grösse der Geschwindigkeit
zwischen c und c + d c liegt und ausserdem noch deren Rich-
tung mit einer fixen Geraden (z. B. der Abscissenaxe) einen
Winkel bildet, der zwischen ϑ und ϑ + d ϑ liegt, sind iden-
tisch mit denjenigen, deren Geschwindigkeitspunkt in einem
Ringe liegt, der von den obigen beiden Kugelflächen von den
Radien c und c + d c und von den beiden Kegelflächen, deren
Spitze im Coordinationsursprunge liegt, deren Axe die Abscissen-
[49][Gleich. 43] § 7. Boyle-Charles-Avogadro’sches Gesetz.
richtung hat und deren Erzeugende mit der Axe die Winkel ϑ
und ϑ + d ϑ bildet, begrenzt wird. Da dieser Ring das
Volumen 2 π c2 sin ϑ · d c d ϑ hat, so ist die Anzahl d nc, ϑ der
zuletzt beschriebenen Moleküle durch folgenden Ausdruck ge-
geben:
38) .
Integriren wir den Ausdruck 37 über alle möglichen Ge-
schwindigkeiten, also bezüglich c von 0 bis ∞, so erhalten
wir die Gesammtanzahl n der Moleküle in der Volumeneinheit.
Diese und die folgenden Integrationen werden leicht mit Hilfe
der beiden bekannten Integralformeln:
39)
gefunden.
Es ergibt sich dann:
40)
und daher kann statt Gleichung 36 und 37 geschrieben werden:
41) ,
42) ,
43) .
Multipliciren wir die Anzahl d nc mit dem Geschwindig-
keitsquadrate c2 derjenigen Moleküle, deren Anzahl gleich d nc
ist, integriren über alle möglichen Geschwindigkeiten und divi-
diren schliesslich durch die Gesammtanzahl n aller Moleküle
in der Volumeneinheit, so erhalten wir die Grösse, welche wir
das mittlere Geschwindigkeitsquadrat nannten und mit be-
zeichneten. Es ist also:
Boltzmann, Gastheorie. 4
[50]I. Abschnitt [Gleich. 47]
44) .
Analog findet man für die mittlere Geschwindigkeit den
Werth:
45) .
Es ist also:
46) …
Wir wollen nun auf der Abscissenaxe die verschiedenen
Werthe von c und darüber Ordinaten auftragen, deren Länge
der Grösse , also der Wahrscheinlichkeit proportional
ist, dass die Geschwindigkeit zwischen c und c + d c liegt,
wobei d c für alle c denselben Werth haben soll. Wir erhalten
so eine Curve, deren grösste Ordinate zur Abscisse
47)
gehört. Diese Abscisse cw nennt man gewöhnlich die wahr-
scheinlichste Geschwindigkeit.
Trägt man die Geschwindigkeitsquadrate x = c2 auf der
Abscissenaxe auf und macht die Ordinaten proportional der
Wahrscheinlichkeit, dass c2 zwischen x und x + d x liegt, wobei
man für alle x dem Differentiale d x den gleichen Werth er-
theilt, so werden die Ordinaten proportional . Die
grösste Ordinate gehört dann zu x = 1 / 2 h m, was nicht der
Geschwindigkeit c = cw, sondern entspricht. c2w / 2
könnte also in gewissem Sinne als das wahrscheinlichste Ge-
schwindigkeitsquadrat bezeichnet werden.
Betrachtet man im Gase eine Fläche vom Inhalte Eins
und sucht unter den Geschwindigkeiten aller Moleküle, die
in der Zeiteinheit darauf stossen, das Mittel oder die wahr-
scheinlichste, so erhält man wieder Grössen, die von dem ver-
schieden sind, was wir als mittlere und wahrscheinlichste Ge-
schwindigkeit definirt haben.
[51][Gleich. 50] § 7. Boyle-Charles-Avogadro’sches Gesetz.
Alle diese Ausdrücke sind also ohne genauere Definition,
wie das Mittel zu nehmen ist, noch keineswegs eindeutig be-
stimmt. Aehnlichen Vieldeutigkeiten werden wir bei Definition
der mittleren Weglänge wieder begegnen.
Da
48) .
In gleicher Weise könnten noch die mannigfaltigsten Mittel-
werthe berechnet werden. So wäre z. B.:
49) .
Analoges gilt natürlich auch für das zweite Gas, und da
h für beide Gase eines Gemisches denselben Werth haben muss,
so ist nach Formel 44 für zwei gemischte Gase, wie gross
immer die Dichte jedes einzelnen derselben sein mag:
50) .
Wenn zwei Arten von Gasmolekülen in einem Raume ge-
mischt sind, werden im Allgemeinen die der einen Art denen
der anderen oder umgekehrt lebendige Kraft mittheilen. Die
obige Gleichung besagt, dass weder das eine noch das andere
stattfindet, dass sich also beide Gasarten, welches immer ihre
Dichte und sonstige Beschaffenheit sein mag, im Wärmegleich-
gewichte befinden, wenn beide den Maxwell’schen Zustand
haben und die mittlere lebendige Kraft eines Moleküls für
jede der beiden Gasarten denselben Werth hat.
Um zu beurtheilen, ob zwei Gase gleiche Temperatur
haben, oder ob ein Gas von grösserer Dichte dieselbe Tem-
peratur wie ein gleichbeschaffenes von kleinerer Dichte hat,
müssen wir uns die betreffenden Gase durch eine die Wärme
4*
[52]I. Abschnitt. [Gleich. 50]
leitende Wand getrennt denken und nach dem Wärmegleich-
gewichte in diesem Falle fragen. Die molekularen Vorgänge
in einer solchen wärmeleitenden festen Wand können nicht
nach so klaren Principien der Rechnung unterzogen werden,
doch ist von vornherein wahrscheinlich und kann auch (aller-
dings nur unter gewissen Voraussetzungen) durch Rechnung be-
kräftigt werden, dass dabei die soeben gefundene Bedingung
des Wärmegleichgewichtes fortbesteht (vgl. die von Bryan er-
sonnene mechanische Vorrichtung in § 19). Experimentell
wird durch die Thatsache, dass die Expansion eines Gases in
ein Vacuum und die Diffusion zweier Gase ohne erhebliche
Wärmetönung vor sich gehen, der Fortbestand dieser Be-
dingung bewiesen. Unter Annahme desselben muss überhaupt,
wenn zwei Gase, sei es von gleicher Beschaffenheit, aber ver-
schiedener Dichte, sei es von verschiedener Beschaffenheit im
Wärmegleichgewichte sind, also dieselbe Temperatur haben, die
mittlere lebendige Kraft eines Moleküls für das eine Gas die-
selbe sein, wie für das andere. Die Temperatur kann also nur
eine für alle Gase gleiche Function der mittleren lebendigen
Kraft eines Moleküls sein. Aus der Formel 6 folgt dann sofort,
dass für zwei Gase von gleicher Temperatur, wenn auch noch
der Druck auf die Flächeneinheit derselbe ist, n = n1, also die
Anzahl der Moleküle in der Volumeneinheit dieselbe ist, das
bekannte Avogadro’sche Gesetz. Da ferner für ein und das-
selbe Gas m constant ist, so folgt, dass für ein Gas bei gleicher
Temperatur, aber wechselndem Drucke constant, und daher
nach Formel 7 der Druck p proportional der Dichte ρ ist, das
Boyle’sche oder Mariotte’sche Gesetz.
Wir wollen nun ein bestimmtes möglichst vollkommenes
Gas, etwa Wasserstoffgas, als Normalgas wählen. Für das
Normalgas sollen Druck, Dichte, Masse und Geschwindigkeit
eines Moleküls mit P, ρ', M, C bezeichnet werden. Auf ein
beliebiges anderes Gas sollen sich die kleinen Buchstaben be-
ziehen. Das Normalgas bei constantem Volumen, also con-
stanter Dichte, wählen wir als thermometrische Substanz, d. h.
wir wählen das Temperaturmaass so, dass die Temperatur T
dem Drucke des Normalgases auf die Flächeneinheit bei con-
stanter Dichte proportional ist. Dann muss in der Formel
bei constantem ρ, die Temperatur T proportional P,
[53][Gleich. 52] § 7. Boyle-Charles-Avogadro’sches Gesetz.
also auch proportional sein. Bezeichnen wir den Proportio-
nalitätsfactor mit 3 R, so ist also für diese Dichte:
51) .
Hat das Normalgas eine andere Dichte, so ist die Tem-
peratur T dieselbe, wenn denselben Werth hat. Es ist
daher R auch unabhängig von der Dichte und die Formel
geht über in P = R ρ' T. Die Constante R kann
willkürlich z. B. so gewählt werden, dass der Unterschied
zwischen der Temperatur, welche das Gas in Berührung mit
schmelzendem Eise und der, die es in Berührung mit kochen-
dem Wasser annimmt, gleich 100 wird. Dadurch ist aber
dann der Absolutwerth der Temperatur des schmelzenden Eises
bestimmt. Denn dieser muss sich zur Temperaturdifferenz (100)
zwischen kochendem Wasser und schmelzendem Eise verhalten,
wie der Druck des Wasserstoffes bei letzterer Temperatur zur
Druckdifferenz desselben zwischen beiden Temperaturen (alle
Drucke bei derselben Dichte genommen). Diese Proportion
ergibt die Temperatur des schmelzenden Eises etwa gleich 273.
Für ein anderes Gas, auf welches sich die kleinen Buch-
staben beziehen, ergibt sich in derselben Weise ,
und da bei gleicher Temperatur , so folgt aus
Gleichung 51:
51 a) ,
wobei μ = m / M das sogenannte Molekulargewicht, d. h. das
Verhältniss der Masse oder des Gewichtes eines Moleküls (eines
für sich frei fliegenden Körperchens) des betreffenden Gases
zur Masse eines Moleküls des Normalgases ist. Setzen wir
diesen Werth von in die Gleichung ein, so er-
halten wir für ein beliebiges anderes Gas:
52) ,
wobei r die Gasconstante des betreffenden Gases, R aber eine
für alle Gase gleiche Constante ist. Die Gleichung 52 ist be-
kanntlich der Ausdruck für das vereinigte Boyle-Charles-
Avogadro’sche Gesetz.
[54]I. Abschnitt. [Gleich. 52]
§ 8. Specifische Wärme. Physikalische Bedeutung
der GrösseH.
Wir denken uns nun ein einfaches Gas von beliebigem
Volumen Ω. Wir führen demselben die Wärmemenge d Q (im
Arbeitsmaasse gemessen) zu, wodurch seine Temperatur um d T,
das Volumen um d Ω wachsen soll. Wir setzen d Q = d Q1 + d Q4,
wobei d Q1 die auf Erhöhung der Molekularenergie verwen-
dete, d Q4 aber die auf äussere Arbeitsleistung verwendete
Wärme darstellt. Wenn die Gasmoleküle vollkommen glatte
Kugeln sind, so treten beim Stosse keine Kräfte auf, welche
drehend auf dieselben wirken. Wir nehmen an, dass solche
Kräfte überhaupt nicht existiren. Dann würde, wenn die
Moleküle etwa eine drehende Bewegung hätten, diese bei Zu-
fuhr der Wärmemenge d Q jedenfalls nicht verändert werden
können. Es würde also die gesammte Wärmemenge d Q1 auf
Erhöhung der lebendigen Kraft verwendet werden müssen, mit
welcher die Moleküle herumfliegen, und welche wir als die
lebendige Kraft der progressiven Bewegung derselben bezeich-
nen. Wir haben diesen Fall bisher allein betrachtet; um aber
nicht später dieselben Rechnungen wiederholen zu müssen, wollen
wir die nun folgenden Rechnungen für den allgemeineren Fall
durchführen, dass die Moleküle andere Gestalt haben, oder aus
mehreren, gegeneinander bewegten Theilen, den Atomen, bestehen.
Dann ist ausser der progressiven Bewegung derselben noch eine
andere, die intramolekulare, und eine Arbeitsleistung gegen die die
Atome zusammenhaltenden Kräfte, die intramolekulare Arbeit,
denkbar. In diesem Falle setzen wir d Q1 = d Q2 + d Q3 und
bezeichnen mit d Q2 die Wärme, welche auf Erhöhung der
lebendigen Kraft der progressiven Bewegung, mit d Q3 aber
die Wärme, welche auf Erhöhung der lebendigen Kraft der
intramolekularen Bewegung und auf intramolekulare Arbeits-
leistung verwendet wird. Unter lebendiger Kraft der progressiven
Bewegung eines Moleküls ist immer die lebendige Kraft der
in seinem Schwerpunkte concentrirt gedachten Gesammtmasse
des Moleküls zu verstehen.
Wir haben bewiesen, dass, wenn das Volumen eines Gases
bei constanter Temperatur vergrössert wird, die lebendige Kraft
der progressiven Bewegung und auch das Vertheilungsgesetz
[55][Gleich. 52] § 8. Specifische Wärme.
der verschiedenen progressiven Geschwindigkeiten unter den
Molekülen unverändert bleibt. Dieselben treten bloss weiter
auseinander, resp. sie legen zwischen zwei Zusammenstössen
eine grössere Strecke zurück. Hierdurch werden bloss die
Zusammenstösse seltener, aber der ganze Charakter derselben
bleibt vollkommen unverändert. Wenn wir daher auch die
innere Bewegung noch nicht untersucht haben, so können wir
doch als wahrscheinlich annehmen, dass durch eine blosse
Ausdehnung bei constanter Temperatur im Mittel weder die
innere Bewegung während der Zusammenstösse, noch die während
der Bewegung von einem Zusammenstosse zum nächsten durch
das blosse Seltenerwerden der Zusammenstösse verändert wird.
Die Dauer eines Zusammenstosses wird dabei immer als ver-
schwindend gegen die Zwischenzeit zwischen zwei folgenden
Zusammenstössen betrachtet. So wie die lebendige Kraft der
progressiven Bewegung kann also auch die der intramolekularen
Bewegung und die potentielle intramolekulare Energie nur
Function der Temperatur sein. Der Zuwachs jeder dieser
Energien ist daher gleich dem Temperaturzuwachse d T mul-
tiplicirt mit je einer Function der Temperatur und wenn wir
d Q3 = β d Q2 setzen, so kann auch β bloss Function der Tem-
peratur sein. Wir können jeden Moment wieder zu dem bisher
betrachteten Falle absolut glatter, kugelförmiger Moleküle zurück-
kehren, wenn wir β = 0 setzen. Die Zahl der Moleküle im
Volumen Ω unseres Gases ist n Ω, und da die mittlere lebendige
Kraft der Progressivbewegung eines Moleküls ist, so ist die
gesammte lebendige Kraft der Progressivbewegung aller Moleküle
,
oder, wenn man die ganze Masse des Gases mit k bezeichnet,
gleich
,
da offenbar k = ρ Ω = n m Ω ist.
Da ferner durch die Wärmezufuhr die Gesammtmasse k
des Gases nicht verändert wird, so ist der Zuwachs der leben-
digen Kraft der progressiven Bewegung der Moleküle
,
[56]I. Abschnitt. [Gleich. 53]
Messen wir die Wärme im Arbeitsmaass, so ist dies also
gleich d Q2. Nun ist aber nach Gleichung 51 a
,
und daher wird
,
.
Die äussere Arbeit eines Gases ist bekanntlich gleich
p·d Ω; dies ist also auch die auf sie verwendete Wärme d Q4
im Arbeitsmaasse gemessen. Nun bleibt bei der Erwärmung
die gesammte Masse k = ρ Ω des Gases unverändert, daher ist
und nach Gleichung 52 ist obendrein
.
daher
.
Substituirt man alle diese Werthe, so erhält man für die ge-
sammte zugeführte Wärme den Werth:
53) .
Ist das Volumen constant, so ist d Ω / k = d (1 / ρ) = 0,
dann wird also die zugeführte Wärme:
.
Ist dagegen der Druck constant, so ist d (T / p) = (d T) / p
und die zugeführte Wärme wird:
.
Dividirt man d Q durch die gesammte Masse k, so erhält
man die der Masseneinheit zugeführte Wärmemenge. Dividirt
man noch durch d T, so erhält man die zur Temperatur-
erhöhung Eins erforderliche Wärmemenge, die sogenannte
[57][Gleich. 57] § 8. Specifische Wärme.
specifische Wärme. Es ist also die specifische Wärme der
Masseneinheit eines Gases bei constantem Volumen:
54) .
Dagegen ist die specifische Wärme der Masseneinheit bei
constantem Drucke:
55) .
In beiden Ausdrücken sind alle Grössen bis auf β con-
stant. Letzteres kann eine Function der Temperatur sein. Da
ferner R sich nur auf das Normalgas bezieht und daher für
alle Gase denselben Werth hat, so hat sowohl das Product γp · μ,
als auch das Product γv · μ, also das Product der specifischen
Wärme in das Molekulargewicht für alle diejenigen Gase den-
selben Werth, für welche β denselben Werth hat (z. B. speciell
für alle Gase, für welche β gleich Null wäre). Die Differenz
der in mechanischem Maasse gemessenen specifischen Wärmen
γp — γv ist für jedes Gas gleich der Gasconstante desselben
Es ist
55a) .
Das Product dieser Differenz in das Molekulargewicht μ ist
für alle Gase constant gleich R. Das Verhältniss der speci-
fischen Wärmen ist:
56) .
Umgekehrt ist:
57) .
In dem Falle, dass die Moleküle vollkommene Kugeln
sind, welchen wir bisher allein betrachtet haben, ist β = 0,
daher κ = 1⅔. Dieser Werth wurde in der That von Kundt
und Warburg für das Quecksilbergas und in neuester Zeit
von Ramsay auch für Argon und Helion gefunden, für alle
anderen bisher untersuchten Gase ist κ kleiner, muss daher
intramolekulare Bewegung existiren. Wir werden auf dieselbe
erst im zweiten Theile zurückkommen.
Der allgemeine Ausdruck 53 für d Q ist kein vollständiges
Differential der darin enthaltenen Variabeln T und ϱ; dividirt
[58]I. Abschnitt. [Gleich. 58]
man aber durch T, so wird er, da β nur Function von T ist,
ein vollständiges Differential. Ist β constant, so hat man
.
Dies ist also die sogenannte Entropie des Gases.
Sind mehrere Gase in getrennten Gefässen vorhanden, so
ist selbstverständlich die gesammte zugeführte Wärme gleich
der Summe der den einzelnen Gasen zugeführten Wärmemengen,
daher auch, ob sie gleiche oder verschiedene Temperatur haben,
ihre Gesammtentropie gleich der Summe der Entropien jedes
Gases. Sind mehrere Gase, deren Massen k1, k2 …, deren
Partialdrücke p1, p2 … und deren Partialdichten ϱ1, ϱ2 … seien,
in einem Gefässe vom Volumen Ω gemischt, so ist die gesammte
Molekularenergie immer gleich der Summe der Molekularenergien
der Bestandtheile. Die Gesammtarbeit ist (p1 + p2 + …) d Ω,
wobei
ist. Daher folgt sofort für das Differential der dem Gemische
zugeführten Wärme der Werth:
.
Daraus folgt weiter, dass die Gesammtentropie mehrerer
Gase, wenn β für jedes derselben constant ist, gleich
58) .
ist, wobei einige in verschiedenen Gefässen, andere beliebig
gemischt sein können; nur ist im letzteren Falle ϱ die Partial-
dichte und müssen natürlich alle gemischten Gase dieselbe
Temperatur haben. Die Erfahrung lehrt, dass die Constante
durch die Mischung keine Veränderung erfährt, sobald T und
die p und ϱ sich nicht ändern.
Da wir nunmehr die physikalische Bedeutung aller übrigen
Grössen kennen gelernt haben, wollen wir uns zum Schluss
noch mit der physikalischen Bedeutung der in § 5 mit H be-
zeichneten Grösse beschäftigen, wobei wir uns natürlich vor-
läufig auf den im § 5 allein betrachteten Fall zu beschränken
[59][Gleich. 58] § 8. Phys. Bedeutung der Grösse H.
haben, dass die Moleküle vollkommene Kugeln, daher das Ver-
hältniss der specifischen Wärmen κ = 1⅔ ist.
Wir erhalten nach Formel 28 für die Volumeneinheit eines
einzigen Gases H = ∫ f l f d ω; für den stationären Zustand ist
,
daher
H = l a ∫ f d ω — h m ∫ c2f d ω.
Nun ist aber ∫ f d ω gleich der Gesammtzahl n der Mole-
küle, ferner
,
daher wird
H = n (l a — 3/2).
Ferner ist nach den Gleichungen 44 und 51 a
,
daher
,
und nach Gleichung 40
.
Daher wird, abgesehen von einer Constanten,
.
Wir sahen, dass — H, abgesehen von einer Constanten,
den Logarithmus der Wahrscheinlichkeit des betreffenden Zu-
standes des Gases darstellt.
Die Wahrscheinlichkeit des Zusammentreffens mehrerer
Ereignisse ist das Product der Einzelwahrscheinlichkeiten der
betreffenden Ereignisse, der Logarithmus der ersteren Wahr-
scheinlichkeit also die Summe der Logarithmen der einzelnen
Wahrscheinlichkeiten. Daher ist der Logarithmus der Zustands-
wahrscheinlichkeit für ein Gas vom doppelten Volumen — 2 H,
vom dreifachen Volumen — 3 H, vom Volumen Ω aber — Ω H.
Der Logarithmus der Wahrscheinlichkeit W der Anordnung
der Moleküle und der Zustandsvertheilung unter denselben in
mehreren Gasen aber ist
,
[60]I. Abschnitt. [Gleich. 58]
wobei die Summe über alle vorhandenen Gase zu erstrecken
ist. Diese additive Eigenschaft des Logarithmus der Wahr-
scheinlichkeit ist für ein Gasgemisch schon durch Formel 28
ausgedrückt.
Multipliciren wir mit der für alle Gase gleichen Constanten
R M (unter M die Masse eines Wasserstoffmoleküls verstanden),
so erhalten wir
.
In der Natur wird immer die Tendenz des Ueberganges
von unwahrscheinlicheren zu wahrscheinlicheren Zuständen be-
stehen. Wenn daher für einen Zustand W kleiner ist als für
einen zweiten, so wird es zwar zur Auslösung des Ueberganges
von dem ersten zum zweiten Zustande vielleicht der Einwir-
kung fremder Körper bedürfen, aber dieser Uebergang wird
doch möglich sein, ohne dass bleibende Veränderungen in jenen
fremden Körpern eintreten. Ist hingegen für den zweiten Zu-
stand W kleiner als für den ersten, so kann der Uebergang
nur eintreten, wenn dafür andere fremde Körper wahrschein-
lichere Zustände annehmen. Da die Grösse R M lW, welche
ihrerseits wieder nur durch einen constanten Factor und Ad-
denden von — H verschieden ist, mit W zu- und abnimmt, so
können wir von ihr dasselbe wie von W behaupten. Die
Grösse R M lW ist aber in unserem Falle, wo das Verhältniss
der specifischen Wärme gleich 1⅔ ist, in der That die ge-
sammte Entropie aller Gase.
Man sieht dies sofort, wenn man in dem mit der Er-
fahrung übereinstimmenden Ausdrucke 58 β = 0 setzt. Die
Thatsache, dass in der Natur die Entropie einem Maximum
zustrebt, beweist, dass bei jeder Wechselwirkung (Diffusion,
Wärmeleitung u. s. w.) wirklicher Gase die einzelnen Moleküle
den Wahrscheinlichkeitsgesetzen gemäss in Wechselwirkung
treten oder wenigstens, dass sich die wirklichen Gase stets
wie die von uns fingirten molekular ungeordneten Gase ver-
halten.
Der zweite Hauptsatz erweist sich sonach als ein Wahr-
scheinlichkeitssatz. Wir haben dies freilich, um nicht durch
zu grosse Allgemeinheit schwer verständlich zu werden, bisher
nur in einem ganz speciellen Falle nachgewiesen und auch
[61][Gleich. 58] § 9. Zahl der Zusammenstösse.
den Beweis, dass für ein Gas von beliebigem Volumen Ω die
Grösse Ω H, für mehrere Gase die Grösse Σ Ω H durch die
Zusammenstösse nur vermindert werden kann, also als Maass der
Zustandswahrscheinlichkeit zu betrachten ist, nur angedeutet.
Doch lässt sich dieser Beweis leicht ausführlicher geben und
wird am Schlusse des § 19 noch in extenso gegeben werden.
Auch lassen sich unsere Schlussfolgerungen noch bedeutend
verallgemeinern und vertiefen.
Wenn man auch die Gastheorie nur als mechanisches
Bild gelten lässt, so glaube ich doch, dass gerade diese Auf-
fassung des Entropieprincips, zu welcher sie geführt hat, allein
den Kern der Sache in richtiger Weise trifft. In einer Hin-
sicht haben wir hier sogar das Entropieprincip verallgemeinert,
indem wir auch die Entropie eines nicht im stationären Zu-
stande befindlichen Gases zu definiren vermögen.
§ 9. Zahl der Zusammenstösse.
Wir wollen nun wieder dasselbe Gemisch zweier Gase wie
im § 3 betrachten und auch alle dort gebrauchten Bezeich-
nungen beibehalten. Wir gehen zunächst nochmals von der
durch Formel 18 gegebenen Zahl der Zusammenstösse aus,
welche zwischen einem Moleküle m (also einem Moleküle der
ersten Gasart von der Masse m) und einem Moleküle m1
(Molekül der zweiten Gasart von der Masse m1) in der Volumen-
einheit während der Zeit d t so geschehen, dass die drei Be-
dingungen 10, 13 und 15 erfüllt sind.
Wir betrachten gegenwärtig ausschliesslich den Zustand
des Wärmegleichgewichtes, für welchen wir im § 7 die Glei-
chungen 41 und 42 fanden.
Wir wollen nun zunächst fragen, wie viel Zusammenstösse
im Ganzen ohne jede Beschränkung zwischen einem Moleküle m
und einem Moleküle m1 in der Volumeneinheit während der
Zeit d t stattfinden. Diese letztere Zahl erhalten wir, wenn
wir von den drei beschränkenden Bedingungen, denen die Zu-
sammenstösse bisher unterworfen waren, eine nach der anderen
fallen lassen, d. h. nach den betreffenden Differentialen in-
tegriren. Um die Integrationsgrenzen zu finden, stellen wir
[62]I. Abschnitt. [Gleich. 59]
in Fig. 5 durch die Geraden O C und O C1 die Geschwindig-
keiten c und c1 der beiden Moleküle vor dem Stosse in Grösse
und Richtung dar. Die Gerade O G soll parallel der relativen
Geschwindigkeit C1C des Moleküls m gegen das Molekül m1
vor dem Stosse sein, und die Kugel vom Centrum O und
Radius 1 (Kugel E) im Punkte G treffen. Die Gerade O K
soll gleichgerichtet mit der von m gegen m1 gezogenen Centri-
linie sein und die Kugel E im Punkte K
treffen. K O G ist daher der mit ϑ be-
zeichnete Winkel. Wir lassen die Lage
der Geraden O K so variiren, dass der
Winkel ϑ um d ϑ, sowie der Winkel ε
der beiden Ebenen K O G und C O C1 um
d ε wächst. Der in Fig. 5 gezeichnete Kreis
soll der Durchschnitt der Kugel E mit der
letzteren Ebene sein, welche wir als Ebene
der Zeichnung wählen können, wenn wir
uns die Coordinatenaxen, von denen wir jetzt ganz unabhängig
sind, irgendwie schief liegend denken. Wenn ϑ und ε alle
Werthe zwischen ϑ und ϑ + d ϑ sowie ε und ε + d ε annehmen,
so beschreibt der Punkt K auf der Kugel E ein Flächenelement
vom Flächeninhalte sin ϑ · d ϑ · d ε, das wir, wie wir schon
S. 29 andeuteten, als das Flächenelement d λ wählen können,
so dass wir nach Formel 18 erhalten:
d ν = f d ω F1d ω1g σ2 cos ϑ sin ϑ d ϑ d ε d t.
Wir lassen nun die beiden Volumenelemente d ω und d ω1,
innerhalb deren die Punkte C und C1 liegen, vorläufig noch
unverändert, integriren aber den Ausdruck d ν bezüglich ϑ
und ε über alle möglichen Werthe, d. h. vermöge der S. 20
erwähnten Bedingung, welcher der Winkel ϑ genügen muss,
bezüglich ϑ von 0 bis π / 2, bezüglich ε von 0 bis 2 π. Das
Resultat der Integration bezeichnen wir mit d ν1 und erhalten
somit
59) d ν1 = f d ω F1d ω1g σ2π d t1).
[63][Gleich. 60] § 9. Zahl der Zusammenstösse.
Dies ist also die gesammte Zahl der Zusammenstösse, die
zwischen einem Moleküle m und einem Moleküle m1 in der
Volumeneinheit während der Zeit d t so geschehen, dass vor
dem Stosse:
1. der Geschwindigkeitspunkt des Moleküls m im Volumen-
elemente d ω,
2. der Geschwindigkeitspunkt des Moleküls m1 im Volumen-
elemente d ω1 liegt.
Dagegen ist die Bedingung 15 fallen gelassen, die Rich-
tung der Centrilinie also keiner beschränkenden Bedingung
mehr unterworfen. Wir wollen nun den Winkel C O C1 der
Figur 5 mit φ bezeichnen, den Punkt C festhalten, dagegen
den Punkt C1 so variiren, dass die Gerade O C1 alle Werthe
zwischen c1 und c1 + d c1, und der Winkel φ alle Werthe
zwischen φ und φ + d φ annimmt. Dadurch erhalten wir das
in Fig. 5 mit d σ bezeichnete Flächenelement vom Flächen-
inhalte c1d c1d φ in der Distanz C1A = c1 sin φ von der Ge-
raden O C. Lassen wir dieses Flächenelement bei unver-
änderter Lage gegen die Gerade O C um diese Gerade als
Axe rotiren, so durchsetzt es einen Ring R vom Volumen
sin φ d c1d φ. Die beiden Integrationen nach φ und c1
können jedes Mal in gleicher Weise durchgeführt werden, wo
immer der Geschwindigkeitspunkt C1 des Moleküls m1 inner-
halb des Ringes R liegen mag. Die Gesammtzahl d ν2 der
Zusammenstösse, welche in der Volumeneinheit während der
Zeit d t zwischen einem Moleküle m und einem Moleküle m1
so geschehen, dass dabei der Geschwindigkeitspunkt des Mole-
küls m wie früher im Volumenelemente d ω, der des Moleküls m1
aber irgendwo im Innern des Ringes R liegt, finden wir, wenn
wir den Ausdruck d ν1 bezüglich d ω1 über alle Volumen-
1)
[64]I. Abschnitt. [Gleich. 63]
elemente des Ringes R integriren, d. h. indem wir in d ν1
einfach setzen
,
wodurch sich ergibt
61) .
Um nun auch jede beschränkende Bedingung bezüglich
der Grösse und Richtung der Geschwindigkeit c1 fallen zu lassen,
brauchen wir bloss bei constantem c bezüglich φ und c1 über
alle möglichen Werthe zu integriren, d. h. bezüglich φ von 0
bis π, bezüglich c1 von 0 bis ∞, wodurch wir erhalten:
62) .
Wegen ist
.
Die Relativgeschwindigkeit gπ für φ = π ist c + c1. Die
Relativgeschwindigkeit g0 für φ = 0 aber ist c — c1, für c1 \< c,
dagegen c1 — c, für c1 \> c. Man hat daher
,
dagegen
.
Man muss daher in Formel 62 die Integration bezüglich c1
in zwei Theile spalten und erhält:
63) .1).
[65][Gleich. 67] § 9. Zahl der Zusammenstösse.
Die obige Grösse d ν3 stellt also die Gesammtzahl der
Zusammenstösse dar, welche die in der Volumeneinheit be-
findlichen Moleküle m, deren Geschwindigkeitspunkt im Volumen-
elemente d ω liegt und deren Anzahl f d ω ist, während der
Zeit d t mit irgend welchen Molekülen m1 ohne jede weitere
Beschränkung erleiden. Dividiren wir daher diese Zahl d ν3
durch die Zahl f d ω, welchen Quotienten wir mit vc d t be-
zeichnen wollen, so erhalten wir die Wahrscheinlichkeit, dass
ein Molekül m, dessen Geschwindigkeit c ist, während der
Zeit d t mit einem Moleküle m1 zusammenstösst, d. h. der eben
definirte Quotient
64)
gibt an, welcher Bruchtheil von einer sehr grossen Anzahl A
von Molekülen m, die sich alle mit der Geschwindigkeit c im
1)
Boltzmann, Gastheorie. 5
[66]I. Abschnitt. [Gleich. 70]
Gasgemische bewegen, während der Zeit d t mit Molekülen m1
zusammenstösst.
Wir können auch so sagen: wir denken uns ein Molekül m
fortwährend mit derselben Geschwindigkeit c durch das Gas-
gemisch bewegt. Nach jedem Zusammenstosse soll seine Ge-
schwindigkeit durch irgend eine äussere Ursache sofort wieder
auf den Werth c gebracht werden, und auch die Geschwindig-
keitsvertheilung im Gasgemische soll durch dieses eine Molekül
nicht gestört werden. Dann wäre νc d t die Wahrscheinlich-
keit, dass dieses Molekül während der Zeit d t mit einem
Moleküle m1 zusammenstösst, νc würde also angeben, wie oft
es in der Zeiteinheit durchschnittlich mit einem Moleküle m1
zusammenstösst. Die beiden Gleichungen 63 und 64 liefern,
wenn man für F1 seinen Werth aus Gleichung 42 substituirt:
69) ,
daher wegen
70) .
[67][Gleich. 71] § 9. Zahl der Zusammenstösse.
Setzen wir statt der auf die zweite Molekülgattung be-
züglichen Grössen ebenfalls die auf die erste Molekülgattung
bezüglichen, also statt n1, m1 und σ die Grössen n, m und s
ein, so geht die obige Grösse νc über in
71) .
Die Zahl nc gibt an, wie oft das soeben betrachtete
Molekül m, welches sich mit der constanten Geschwindig-
keit c durch das Gasgemisch bewegt, in der Zeiteinheit
durchschnittlich mit einem anderen Moleküle m zusammen-
stösst.
Die durch Gleichung 43 gegebene Grösse d nc gibt an,
wie viel von den n in der Volumeneinheit befindlichen Mole-
külen m durchschnittlich eine Geschwindigkeit haben, welche
zwischen c und c + d c liegt; d nc / n ist also die Wahrschein-
lichkeit, dass die Geschwindigkeit eines der Moleküle m zwischen
diesen Grenzen liegt, und wenn man ein Molekül m durch
eine genügend lange Zeit T verfolgt, so wird derjenige Bruch-
theil der Zeit T, während dessen die Geschwindigkeit des
Moleküls zwischen c und c + d c liegt, gleich T d nc / n sein.
Während dieser Zeit T d nc / n stösst das Molekül m nach dem
oben gefundenen νc T d nc / n mal mit einem Moleküle m1 und
nc T d nc / n mal mit einem anderen Moleküle m zusammen.
Daher wird jedes Molekül m während seiner durchschnittlichen
Bewegung im Verlaufe der Zeit T im Ganzen (T / n) ∫ νc d nc mal
mit einem Moleküle m1 und (T / n) ∫nc d nc mal mit einem
anderen Moleküle m zusammenstossen. In der Zeiteinheit
wird daher jedes Molekül m im Ganzen durchschnitt-
lich ν = (1 / n) ∫ νc d nc mal mit einem Moleküle m1 und
n = (1 / n) ∫nc d nc mal mit einem Moleküle m, also überhaupt
(ν + n) mal zum Zusammenstosse gelangen.
Die Integration der Formel 69 liefert:
,
wobei
5*
[68]I. Abschnitt. [Gleich. 73]
.
Im letzteren Integrale hat c alle Werthe von Null bis
Unendlich, c1 aber alle Werthe, die kleiner als das gegebene c
sind, zu durchlaufen. Vertauscht man daher die Integrations-
ordnung, so hat c1 alle Werthe von Null bis Unendlich, bei
gegebenem c1 aber c alle Werthe, die grösser als c1 sind, an-
zunehmen. Daher wird
.
Da man im bestimmten Integrale die Integrationsvariabeln
bezeichnen kann, wie man will, so dürfen hier die Buchstaben c
und c1 vertauscht werden. Dadurch erhält man aber für J2
einen Ausdruck, der sich von dem ersten für J1 gegebenen
nur dadurch unterscheidet, dass die Buchstaben m und m1
vertauscht sind. Man erhält also J2, wenn man in J1 die
Buchstaben m und m1 vertauscht, wodurch sich ergibt:
,
daher
72) .
Schreibt man n, m, s für n1, m1, σ1, so folgt:
73) .
[69][Gleich. 75] § 10. Mittlere Weglänge.
Da in der Volumeneinheit n Moleküle m enthalten sind,
deren jedes in der Zeiteinheit ν mal mit einem Moleküle m1
zusammenstösst, so erfolgen im Ganzen innerhalb der Volumen-
einheit in der Zeiteinheit:
74)
Zusammenstösse zwischen einem Moleküle m und einem Mole-
küle m1. Da dagegen zu einem Zusammenstosse zwischen zwei
Molekülen m immer zwei derartige Moleküle erforderlich sind,
so erfolgen innerhalb der Volumeneinheit während der Zeit-
einheit
75)
Zusammenstösse zweier Moleküle m. Genau das Analoge gilt
für die Zusammenstösse der Moleküle m1 untereinander.
§ 10. Mittlere Weglänge.
Seien wieder n Moleküle m in der Volumeneinheit; davon
soll das erste die Geschwindigkeit c1, das zweite die Geschwin-
digkeit c2 u. s. f. haben. Dann ist die mitt-
lere Geschwindigkeit. Wir wollen sie jetzt das Zahlmittel
nennen. Da alles stationär ist, ändert sich nicht mit der
Zeit. Multipliciren wir daher die letzte Gleichung mit d t und
integriren über eine sehr lange Zeit T, so folgt:
Da sich während einer sehr langen Zeit alle Moleküle gleich
verhalten, sind rechts alle Summanden gleich und es folgt
wobei
das Zeitmittel der Geschwindigkeit irgend eines Moleküls ist.
[70]I. Abschnitt. [Gleich. 78]
ist die Summe aller Wege, welche es während der Zeit T
zurücklegt. Da es aber während der Zeit T T (ν + n) mal mit
einem anderen Moleküle zum Zusammenstosse gelangt, so ist
der mittlere Weg, den es zwischen je zwei aufeinanderfolgenden
Zusammenstössen zurücklegt (das arithmetische Mittel aller
Wege zwischen je zwei aufeinanderfolgenden Zusammenstössen):
76) .
Die Unterscheidung zwischen Zeit- und Zahlmittel lassen
wir wieder fallen, da beide gleich sind. Denselben Werth für λ
erhalten wir natürlich, wenn wir aus allen Wegen, welche alle
in der Volumeneinheit befindlichen Moleküle m während der
Zeiteinheit zwischen je zwei benachbarten Zusammenstössen
zurücklegen, das Mittel nehmen. Für ein einfaches Gas ist:
77) .
Dieser Werth ist mal so gross, als der von Clausius
berechnete Werth λClaus. (vgl. Formel 60 und 67).
Das früher fingirte Molekül, welches sich mit fortwährend
gleichbleibender Geschwindigkeit c durch das Gasgemisch be-
wegt, würde in der Zeiteinheit den Weg c zurücklegen, und
da es während dieser Zeit (νc + nc) mal mit anderen Molekülen
zusammenstösst, so legt es von einem Zusammenstosse bis
zum nächsten im Mittel den Weg
78)
zurück.1) Da sich unter denselben Bedingungen jedes Mole-
kül m befindet, welches zu irgend einem bestimmten Zeit-
momente im Gasgemische die Geschwindigkeit c hat, so ist λc
[71][Gleich. 78] § 10. Mittlere Weglänge.
auch der Weg, den im Mittel ein solches Molekül von jenem
Zeitmomente bis zu seinem nächsten Zusammenstosse zurück-
legt. Wenn wir zu einem bestimmten Zeitmomente sehr viele
Moleküle m, alle mit der Geschwindigkeit c im Gasgemische
haben und aus allen Wegen, welche jedes derselben von jenem
Zeitmomente an bis zum nächsten Zusammenstosse zurücklegt,
das Mittel nehmen, so wird dasselbe wieder gleich λc sein.
Dasselbe gilt natürlich auch, wenn wir in der Zeit nach
rückwärts gehen. In einem bestimmten Zeitmomente t sollen
sehr viele Moleküle m im Gasgemische die Geschwindigkeit c
haben. Fragen wir nun, wie gross die Strecke ist, welche sie
im Mittel seit ihrem letzten Zusammenstosse bis zum frag-
lichen Zeitmomente t zurückgelegt haben, so erhalten wir hier-
für wieder den Werth λc.
Es hat sich hieran ein Fehlschluss geknüpft, welchen
Clausius aufgeklärt hat, und welcher Erwähnung verdient.
Wir wollen wieder ein Molekül m betrachten, welches sich
während einer sehr langen Zeit fortwährend mit der Geschwin-
digkeit c im Gasgemische bewegt. In irgend einem Zeit-
momente t befinde es sich in B. Wir suchen den Abstand
des Punktes B von der Stelle, wo das Molekül vor dem Zeit-
momente t zum letzten Male zusammenstiess und nehmen aus
allen diesen Abständen für alle möglichen Lagen des Punktes B
das Mittel. Dasselbe wird gleich λc sein.
Ebenso können wir den Abstand des Punktes B von der
Stelle suchen, wo das Molekül nach dem Zeitmomente t
wieder zum ersten Male zusammenstiess. Das Mittel der
letzteren Abstände wird wieder gleich λc sein. Da aber die
Summe der Abstände des Punktes B von der nächstvorher-
gehenden und von der nächstfolgenden Zusammenstossstelle
gleich dem Wege zwischen jenen beiden Zusammenstössen
ist, so könnte man meinen, der mittlere Weg zwischen
je zwei benachbarten Zusammenstössen wäre gleich 2 λc.
Dieser Schluss ist aber unrichtig, da die Wahrscheinlichkeit,
1)
[72]I. Abschnitt. [Gleich. 79]
dass der Punkt B auf einer längeren Strecke liegt, grösser ist,
als dass er auf einer kürzeren liegt. Nimmt man daher das
Mittel zwischen allen Wegen, die zwischen je zwei benach-
barten Zusammenstössen liegen, so zählen die kürzeren Weg-
strecken verhältnissmässig häufiger mit, als wenn man dem
Punkte B alle möglichen Lagen auf der gesammten Bahn des
Moleküls m gibt und aus den verschiedenen Distanzen des
Punktes B von der nächsten Zusammenstossstelle nach vor-
oder rückwärts das Mittel nimmt.
Ein triviales Beispiel wird dies vielleicht besser illustriren,
als eine lange Auseinandersetzung. Wir wollen mit einem un-
gefälschten Würfel der Reihe nach sehr viele Würfe machen;
zwischen je zwei Einserwürfen (Würfen, wo die Eins oben liegt)
werden durchschnittlich fünf andere liegen. Betrachten wir
irgend ein Intervall J zwischen zwei sich folgenden Würfen.
Zwischen dem Intervall J und dem nächstfolgenden Einserwurfe
werden im Mittel nicht etwa 2½, sondern natürlich wieder
fünf andere Würfe liegen. Ebenso zwischen dem Intervall J
und dem nächstvorausgehenden Einserwurfe.
Herr Tait hat die mittlere Weglänge λ in etwas ab-
weichender Weise definirt. Wir sahen soeben, dass sich in
einem bestimmten Zeitmomente t in der Volumeneinheit d nc
Moleküle befinden, deren Geschwindigkeit zwischen c und c + d c
liegt, und dass alle diese Moleküle im Mittel den Weg λc von
jenem Zeitmomente bis zu ihrem nächsten Zusammenstosse
zurücklegen. Betrachten wir daher alle n Moleküle m, welche
sich zu jenem Zeitmomente überhaupt in der Volumeneinheit
befinden, und nehmen wir aus allen Wegen, welche jedes der-
selben von jenem Zeitmomente an bis zu seinem nächsten
Zusammenstosse zurücklegt, das Mittel, so finden wir dafür
den Werth:
79) .
Dies liefert nach Substitution der Werthe 70 und 71 und
einigen ganz leichten Reductionen:
[73][Gleich. 82] § 10. Mittlere Weglänge.
80) ,
wobei
81) .
Der Ausdruck 80 reducirt sich, wenn die Gasart mit den
Molekülen m allein vorhanden ist, auf:
.
Den Werth des bestimmten Integrales fand ich gleich
0 · 677464.1)Tait erhielt einen in den ersten drei Decimalen
übereinstimmenden Werth.2) Es ist also:
82) .
Man sieht leicht, dass die Grösse λT etwas kleiner sein
muss, als der früher mit λ bezeichnete Mittelwerth. Denn λ
war das Mittel aller Wege, welche alle in der Volumeneinheit
befindlichen Moleküle m während der Zeiteinheit zurücklegen.
Dabei werden von jedem Moleküle so viele Wege in das arith-
metische Mittel einbezogen, als es in der Zeiteinheit Zusammen-
stösse macht. Bei der Methode Tait’s dagegen wird von
jedem Moleküle nur ein einziger Weg gezählt. Da nun die
rascheren Moleküle häufiger zusammenstossen und auch durch-
schnittlich von einem Zusammenstosse bis zum nächsten längere
Wege zurücklegen als die langsameren, so werden bei der
ersteren Methode die längeren Wege verhältnissmässig öfter
gezählt; daher muss auch das Mittel grösser ausfallen als bei
der zweiten Methode.
Tait macht endlich darauf aufmerksam, dass man den
mittleren Weg auch noch als das Product der im Mittel
zwischen zwei Zusammenstössen verstreichenden Zeit in die
mittlere Geschwindigkeit definiren könnte, was liefern würde:
[74]I. Abschnitt. [Gleich. 82]
,
woraus für ein einzelnes Gas folgt:
0 · 734 / π n s2.
Auch die mittlere Zeitdauer zwischen zwei Zusammen-
stössen lässt in ähnlicher Weise verschiedene Definitionen zu;
doch verweilten wir bei diesen minder wichtigen Begriffen
vielleicht schon zu lange, was nur das Bestreben nach mög-
lichster Klarlegung der Grundbegriffe entschuldigen mag.
Wenn wir verschiedene Werthe für die mittlere Weglänge
erhielten, so ist daran selbstverständlich nicht etwa eine Un-
genauigkeit der Rechnung schuld. Jeder Werth ist bei Zu-
grundelegung der betreffenden Definition exact. Führt irgend
eine exact durchgeführte Rechnung auf eine Schlussformel,
welche die mittlere Weglänge enthält, so wird aus der Rech-
nung selbst ersichtlich sein, welche Definition derselben in
diesem Falle gemeint ist. Nur wenn die Rechnung, durch
welche man zur Formel gelangte, unexact war, kann sie hier-
über im Zweifel lassen.
§ 11. Grundgleichung für den Transport irgend einer
Grösse durch die Molekularbewegung.
Wir betrachten nun eine verticale cylindrische Säule eines
einfachen Gases, dessen Moleküle die Massen m haben. Wir
ziehen vertical nach aufwärts die z-Axe, die Ebene z = z0 soll
der Boden, die Ebene z = z1 der Deckel der Gassäule heissen.
Wir denken uns gewöhnlich die Entfernung dieser beiden
Ebenen klein gegen den Querschnitt der Gassäule, so dass der
Einfluss der Wände, welche die Gassäule seitlich begrenzen,
vernachlässigt werden kann. Sei Q eine beliebige Grösse,
welche einem Gasmoleküle in verschiedener Menge zukommen
kann. Der Deckel des Gefässes soll nun die Eigenschaft haben,
dass jedes Molekül, wie immer es vor dem Stosse beschaffen
sein mag, beim Abprallen vom Deckel durchschnittlich die
Menge G1 von der betrachteten Grösse Q besitzt. Ebenso soll
jedes Molekül vom Boden durchschnittlich mit der Menge G0
von dieser Grösse zurückprallen. Wären z. B. die Moleküle
[75][Gleich. 82] § 11. Transport durch die Moleküle.
Kugeln vom Durchmesser s, welche die Elektricität leiten und
Deckel und Boden wären zwei Metallplatten, welche constant
auf den Potentialen Eins und Null erhalten würden, so würde
jedes Molekül vom Boden unelektrisch, vom Deckel dagegen
mit der Elektricitätsmenge s / 2 geladen zurückprallen. Es
wäre also dann die Grösse Q eine Elektricitätsmenge und man
hätte den Vorgang der Elektricitätsleitung. Wäre der Boden
in Ruhe und der Deckel würde sich in der Richtung der
Abscissenaxe in seiner eigenen Ebene fortbewegen, so hätte
man den Vorgang der inneren Reibung und Q wäre das in
der Abscissenrichtung geschätzte Bewegungsmoment. Würden
Deckel und Boden constant auf zwei verschiedenen Tempera-
turen erhalten, so hätte man Wärmeleitung im Gase.
Wir wollen, um die Ideen zu fixiren, G1 grösser als G0
voraussetzen. Für irgend ein z, also in irgend einer zwischen
Decke und Boden gelegten, der x y-Ebene parallelen Schicht
des Gases, welche wir immer die Schicht z nennen wollen,
soll jedes Molekül durchschnittlich die Menge G (z) dieser
Grösse Q haben.
Wir denken uns in dieser Schicht ein Stück A B vom
Flächeninhalte Eins; die von oben nach unten durch A B
gehenden Moleküle werden in einer höheren Schicht zum letzten
Male vor ihrem Durchgange durch A B zum Zusammenstosse
gelangt sein.
Wir sagen kurz, sie kommen aus jener höheren Schicht.
Daher werden sie durchschnittlich von der Grösse Q eine
Menge haben, die grösser als G (z) ist. Die durch A B um-
gekehrt von unten nach oben hindurchgehenden Moleküle
bringen durchschnittlich eine kleinere Menge dieser Grösse
mit, so dass im Ganzen in der Zeiteinheit eine bestimmte
Menge Γ der Grösse Q mehr von oben nach unten als von
unten nach oben getragen wird und die Bestimmung dieser
Menge Γ ist unsere nächste Aufgabe. Wir betrachten da von
allen unseren Gasmolekülen bloss diejenigen, deren Geschwin-
digkeit zwischen c und c + d c liegt. Es sollen deren d nc in
der Volumeneinheit enthalten sein. Von ihnen werden sich
nach Formel 38
[76]I. Abschnitt. [Gleich. 82]
so bewegen, dass die Richtung ihrer Geschwindigkeit mit der
Richtung der negativen z-Axe einen Winkel bildet, der zwischen
ϑ und ϑ + d ϑ liegt. Jedes dieser Moleküle legt während der
Zeit d t einen Weg von der Länge c d t zurück, der mit der
negativen z-Axe den Winkel ϑ bildet.
Daher werden durch A B während der Zeit d t von den
betrachteten Molekülen genau so viele hindurchgehen, als zu
Beginn der Zeit d t in einem schiefen Cylinder liegen, dessen
Basis A B, dessen Höhe und daher auch dessen Volumen
c cos ϑ d t ist. Die letztere Anzahl ist aber
(vgl. die Ableitung der Formel 3 in § 2).
Während der Zeiteinheit werden also, wenn der Zustand
stationär ist,
dN = ½ d nc c sin ϑ cos ϑ d ϑ
Moleküle durch die Flächeneinheit A B von oben nach unten hin-
durchgehen, für welche die Grösse der Geschwindigkeit zwischen c
und c + d c, der Winkel zwischen ihrer Richtung und der negativen
z-Axe aber zwischen ϑ und ϑ + d ϑ liegt. Betrachten wir irgend
eines dieser Moleküle, welches in dem Zeitmomente t durch
A B hindurchtritt, und bezeichnen den Weg, den es von seinem
letztvorhergegangenen Zusammenstosse bis zum Zeitmomente t
zurückgelegt hat, mit λ', so kommt es offenbar aus einer Schicht
mit der z-Coordinate z + λ' cos ϑ, wo jedes Molekül durch-
schnittlich von der Grösse G die Menge G (z + λ' cos ϑ) besitzt;
es wird also diese Menge durch A B hindurchtragen, welche wir
setzen können, da λ' klein ist.
Alle die oben betrachteten dN Moleküle werden also die
Menge
durch A B von oben nach unten hindurchtragen, wobei Σ λ'
die Summe der Wege aller dN Moleküle ist. Wir können
Σ λ' gleich dem Producte aus der Anzahl dN dieser Moleküle
in den mittleren Weg eines derselben setzen. Dieser mittlere
Weg ist aber nach der Bemerkung, welche unmittelbar nach
[77][Gleich. 85] § 11. Transport durch die Moleküle.
Entwickelung der Formel 78 im Texte folgt, gleich der Grösse,
die wir immer mit λc bezeichneten. Es ist also Σ λ' = λc dN
und für die Menge der Grösse Q, welche durch die dN Mole-
küle in der Zeiteinheit durch die Flächeneinheit von oben nach
unten getragen wird, folgt:
.
Substituiren wir für dN seinen Werth, beachten, dass
d nc, λc, G und ∂ G / ∂ z nicht Functionen von ϑ sind und
integriren bezüglich ϑ von 0 bis π / 2, so erhalten wir für die
gesammte Menge der Grösse Q, welche von den Molekülen,
deren Geschwindigkeit zwischen den Grenzen c und c + d c
liegt, in der Zeiteinheit durch die Flächeneinheit von oben
nach unten getragen wird, den Werth:
83) .
Ganz analog finden wir, dass die Moleküle, deren Ge-
schwindigkeit zwischen denselben Grenzen liegt, in der Zeit-
einheit durch die Flächeneinheit von unten nach oben die
Menge
84)
hindurchtragen. Durch alle Moleküle überhaupt, deren Ge-
schwindigkeit zwischen c und c + d c liegt, wird also in der
Zeiteinheit durch die Flächeneinheit von der Grösse Q die
Menge
85)
mehr von oben nach unten als in der umgekehrten Richtung
hindurchgetragen. Machen wir die vereinfachende Annahme,
dass alle Moleküle die gleiche Geschwindigkeit c haben, so
liegt die Geschwindigkeit aller überhaupt vorhandenen Moleküle
zwischen den Grenzen c und c + d c. Es ist also für d nc
die Anzahl n der Moleküle in der Volumeneinheit und für
λc einfach die mittlere Weglänge jedes dieser Moleküle zu
setzen. Dann wird auch d Γ identisch mit der gesammten
Menge Γ der Grösse Q, welche in der Zeiteinheit durch die
Flächeneinheit von den Molekülen mehr von oben nach unten
[78]I. Abschnitt. [Gleich. 88]
als in der umgekehrten Richtung hindurchgetragen wird. Wir
erhalten also
86) ,
da hier die Clausius’sche mittlere Weglänge anzuwenden
sein wird.
Machen wir nicht die vereinfachende Annahme, dass alle
Moleküle dieselbe Geschwindigkeit haben, so erhalten wir Γ,
indem wir den oben für d Γ gefundenen Werth bezüglich c
über alle möglichen Werthe integriren. Die Gleichung 78
liefert, da nur eine Gasart existirt,
.
Substituiren wir für nc und d nc deren Werthe aus den
Gleichungen 71 und 43, so folgt nach einigen leichten Re-
ductionen:
87) ,
wobei ψ (x) die durch die Gleichung 81 definirte Function
von x ist.
Für das bestimmte Integral fand ich durch mechanische
Quadratur den Werth 0,838264.1)Tait berechnete es später
nochmals auf drei Decimalstellen genau, welche mit meinem
Werthe übereinstimmen.2)
Aus den Gleichungen 44, 45 und 47 folgt:
.
Ebenso folgt aus den Gleichungen 67, 77 und 82:
.
Wenn wir für und 1 / π s2 einen beliebigen dieser
Werthe substituiren, so erhalten wir jedes Mal eine Gleichung
von der Form:
88) ,
[79][Gleich. 89] § 12. Elektricitätsleitung.
wobei c entweder die wahrscheinlichste oder die mittlere Ge-
schwindigkeit oder die Quadratwurzel aus dem mittleren Ge-
schwindigkeitsquadrate, λ die mittlere Weglänge nach der
Maxwell’schen, Tait’schen oder Clausius’schen Definition
und k einen jedes Mal anderen Zahlencoëfficienten bedeutet.
Verstehen wir unter c die mittlere Geschwindigkeit und unter λ
die Maxwell’sche mittlere Weglänge, so folgt:
89) .
Der Coëfficient unterscheidet sich also nur wenig von dem
Coëfficienten ⅓ der Formel 86.
§ 12. Elektricitätsleitung und innere Reibung
der Gase.
Wir wollen zuerst absichtlich ein Beispiel betrachten, wo
die Grösse Q keine rein mechanische Eigenschaft der Moleküle
ist. Es seien Boden und Deckel des Gefässes zwei die Elek-
tricität gut leitende Platten, welche constant auf den Poten-
tialen 0 und 1 erhalten werden. Die Distanz zwischen Boden
und Deckel soll gleich Eins sein. Der Einfluss der Seiten-
wände soll wie immer zu vernachlässigen sein. Wir wollen
diese Aufgabe als blosses Uebungsbeispiel betrachten und
können daher annehmen, dass die kugelförmig gedachten Gas-
moleküle gute Leiter der Elektricität sind, sowie dass diese
elektrische Ladung ihre Molekularbewegung nicht beeinflusst,
ohne dass wir natürlich behaupten, dass diese Bedingungen
auch in der Natur realisirt seien. G ist dann die auf einem
Moleküle aufgehäufte Elektricität. Dieselbe hat für die vom
Boden reflectirten Moleküle den Werth G0 = 0, für die vom
Deckel reflectirten dagegen den Werth G1 = s / 2. Denn für
die letzteren muss das elektrische Potential im Innern und an
der Oberfläche gleich Eins sein. Dieses elektrische Potential
ist aber gleich der Elektricitätsmenge G1, dividirt durch den
Radius s / 2. Soll der Zustand stationär sein, so muss Γ für
jeden Querschnitt denselben Werth haben. Da wir annahmen,
dass die Molekularbewegung durch die Elektrisirung nicht
[80]I. Abschnitt. [Gleich. 90]
gestört wird, so haben auch die anderen, in Gleichung 88 vor-
kommenden Grössen für jeden Querschnitt denselben Werth
und es folgt aus dieser Gleichung, dass ∂ G / ∂ z unabhängig
von z ist. Ist zudem die Distanz zwischen Deckel und Boden
gleich Eins, so folgt:
.
Die Elektricitätsmenge, welche in der Zeiteinheit durch
die Flächeneinheit von den Molekülen mehr von oben nach
unten als in umgekehrter Richtung getragen wird, ist also
nach Formel 88:
90) .
Dies wäre unter unseren freilich nicht bewiesenen Annahmen
die elektrische Leitungsfähigkeit des Gases.
Wir wollen nun ein anderes Beispiel behandeln. Der
Boden soll in Ruhe sein, der Deckel sich aber in der Abscissen-
richtung in sich selbst mit constanter Geschwindigkeit ver-
schieben. Dadurch werden die Gasmoleküle in der Nähe des
Deckels in der Abscissenrichtung mitgezogen, in der Nähe des
Bodens aber zurückgehalten. Die mittlere Geschwindigkeits-
componente eines Moleküls in der Abscissenrichtung, d. h. die
sichtbare Geschwindigkeit des Gases in dieser Richtung wird
also mit wachsender z-Coordinate zunehmen. Sie soll für die
Schicht z den Werth u haben. Wir verstehen jetzt unter G
das durchschnittliche Bewegungsmoment m u eines Moleküls
in der Abscissenrichtung und erhalten daher:
.
Bezeichnen wir die ganze Gasmasse zwischen dem Boden
und der Schicht z mit M, die Geschwindigkeit ihres Schwer-
punktes in der Abscissenrichtung mit x, so ist
,
wobei Σ m ξ die Summe der Bewegungsmomente aller Massen-
theilchen in der Abscissenrichtung ist. Durch die Molekular-
[81][Gleich. 91] § 12. Innere Reibung.
bewegung im Gase wird in der Zeiteinheit durch die Flächen-
einheit das Bewegungsmoment Γ mehr nach abwärts als nach
aufwärts getragen. Daher wird während der Zeit d t die
Grösse Σ m ξ durch die Molekularbewegung um den Betrag
Γ ω d t
vermehrt, während M unverändert bleibt. ω ist dabei der
Flächeninhalt des Querschnittes unseres Gascylinders. Daher
wird x durch die Molekularbewegung um
vermehrt. Dieselbe Vermehrung würde eintreten, wenn die
Kraft M dx / d t auf das Gas wirken würde. Soll der Zustand
stationär sein, so muss eine gleich grosse aber entgegengesetzt
gerichtete Kraft von aussen auf die Gasmasse M wirken.
Diese kann nur vom Boden ausgehen, und da Wirkung und
Gegenwirkung gleich sind, wird umgekehrt das Gas auf den
Boden in der positiven Abscissenrichtung die Kraft
ausüben. Diese Kraft heisst die Gasreibung. Sie ist der
Fläche ω und dem Differentialquotienten der tangentialen
Geschwindigkeit u nach der Normalen z proportional.
Der Proportionalitätsfactor heisst der Reibungscoëfficient.
Er hat den Werth:
91) R = k ϱ c λ.
Für Luft von 15° C. und dem Normalbarometerstand er-
gaben die Experimente von Maxwell1), O. E. Meyer2) und
Kundt und Warburg3) fast übereinstimmend
.
Da sich Sauerstoff und Stickstoff ziemlich ähnlich verhalten
und die Formel ohnedies nur angenähert richtig ist, können
wir dies auch gleich der Reibungsconstante des Stickstoffes
setzen. Für diesen fanden wir bei . Da man hat
Boltzmann, Gastheorie. 6
[82]I. Abschnitt. [Gleich. 91]
und da c̅ der Wurzel aus der absoluten Tem-
peratur proportional ist, so folgt für Stickstoff bei 15°:
c̅ = 467 m.
Versteht man in Formel 91 unter c die mittlere Geschwindig-
keit, so ist endlich k = 0,350271 zu setzen und man erhält etwa:
λ = 0,00001 cm.
Für die Anzahl der Zusammenstösse aber, welche in Stick-
stoff von 15° C. und dem Drucke des Normalbarometerstandes
ein Molekül in der Secunde erfährt, folgt:
Millionen.
Da nach Formel 77
ist, so können hieraus die beiden Grössen n und s nicht einzeln
bestimmt werden. Es gelingt dies jedoch, sobald noch eine
Relation zwischen diesen Grössen angegeben werden kann.
Dies kann nach Loschmidt1) durch folgende Ueberlegungen
geschehen, deren Erlaubtheit er durch Betrachtung der Molekular-
volumina der verschiedensten Substanzen rechtfertigt. Es ist
π s3 / 6 das Volumen eines als massive Kugel gedachten Moleküls.
Denkt man sich die Moleküle nicht unter einem so einfachen Bilde,
so ist dies das Volumen einer Kugel, deren Durchmesser gleich der
Distanz wäre, bis zu welcher sich die Schwerpunkte zweier Mole-
küle beim Zusammenstosse durchschnittlich nähern. π n s3 / 6 ist
also jener Bruchtheil des gesammten (gleich Eins gesetzten)
Gasvolumens, welcher von den Molekülen ausgefüllt wird, wenn
man sich jedes derselben als Kugel von obiger Grösse denkt,
während der Raum 1 — π n s3 / 6 zwischen denselben leer bleibt.
Nehmen wir an, das Gas könne verflüssigt werden und
im flüssigen Zustande sei das gesammte Volumen ε mal grösser
als der von den kugelförmigen Molekülen ausgefüllte Raum;
dann ist ε π n s3 / 6 das Volumen der aus dem Gase ent-
standenen Flüssigkeit, und da das Volumen des Gases gleich
Eins war, so ist
,
[83][Gleich. 91] § 12. Innere Reibung.
wobei υg das Volumen einer beliebigen Quantität des Gases
bei derjenigen Dichte ist, wo sich n Moleküle in der Volumen-
einheit befinden, wogegen υf das Volumen derselben Gasmenge
im tropfbar flüssigen Zustande ist. Durch Multiplication dieser
letzten Gleichung mit Gleichung 77 folgt:
.
Nun wird das Volumen einer tropfbaren Flüssigkeit weder
durch Druck, noch durch Temperatur sehr bedeutend verändert,
ferner sind die Kräfte, welche zwei Gasmoleküle beim Zu-
sammenstosse aufeinander ausüben, wahrscheinlich grösser als
die, welche auf tropfbare Flüssigkeiten in unseren Laboratorien
drückend wirken.1) Daher können wir wohl annehmen, dass
das Volumen einer tropfbaren Flüssigkeit nicht grösser als
zehnmal so gross und überhaupt nicht kleiner ist, als es wäre,
wenn sich zwei Nachbarmoleküle in jener Distanz befänden,
welche im Gase beim Zusammenstosse im Mittel ihre Minimal-
distanz ist, dass also ε zwischen 1 und 10 liegt. Die Dichte
des flüssigen Stickstoffes wurde von Wroblewsky nicht viel
verschieden von der des Wassers gefunden. Auch aus dem
Atomvolumen folgt, dass der Unterschied beider Dichten nicht
so gross sein kann, dass er für diese Annäherungsrechnung
in Betracht käme. Setzen wir daher beide gleich, so finden
wir für Stickstoff von 15° und dem Normalbarometerstande
(υg / υf) = 813 und wir erhalten, wenn wir ε = 1 setzen,
s = 0,0000001 cm = 1 mm / 1 Million. Wir können daher als
wahrscheinlich annehmen, dass die mittlere Distanz der Schwer-
punkte zweier Nachbarmoleküle im flüssigen Stickstoffe, sowie
die kleinste Entfernung, in welche zwei zusammenstossende
Moleküle des gasförmigen Stickstoffes durchschnittlich ge-
langen, zwischen diesem Werthe und dem zehntel Theile des-
selben liegt.
Für die Anzahl der Moleküle in 1 ccm
Stickstoff von 25° C. beim Drucke des Normalbarometerstandes
gibt sich eine Zahl, die jedenfalls zwischen 2½ und 250 Tril-
lionen liegt.
6*
[84]I. Abschnitt. [Gleich. 91]
Die Substitution dieser Werthe in den Ausdruck 90 liefert:
Γ = (23·109 / sec). Dies wäre die absolute Leitfähigkeit elektro-
statisch gemessen. Der elektromagnetisch gemessene specifische
Widerstand wäre also: (9 · 1020 cm2 / Γ sec2) = (4 · 1010 cm2 / sec).
Ein Würfel Stickstoff von 1 cm Seite hätte den Widerstand
(4 · 1010 cm / sec) = (40 Ohm), während ein gleicher Quecksilber-
würfel 1/10600 Ohm Widerstand hat. Da Stickstoff jedenfalls noch
viel schlechter im Vergleiche mit Quecksilber leitet, folgt, dass
die Hypothese unberechtigt ist, dass die Moleküle leitende
Kugeln seien.
Die Grössenordnung des Durchmessers eines Moleküls
wurde später durch Lothar Meyer1), Stoney)2, Lord Kelvin3),
Maxwell4) und van der Waals5) und nachher noch vielfach
auf gänzlich verschiedenem Wege gefunden, wobei sich immer
eine mit dieser beiläufig übereinstimmende Zahl ergab.
Um die Abhängigkeit des Reibungscoëfficienten von der
Natur und dem Zustande des betreffenden Gases zu finden,
ersetzen wir ϱ wieder durch n m, λ durch seinen Werth nach
Gleichung 77. Es folgt:
,
und vermöge der Gleichungen 46 und 51 a:
.
Es ist daher die Reibungsconstante von der Dichte des
Gases unabhängig und der Quadratwurzel aus der absoluten
Temperatur proportional. Die Unabhängigkeit von der Dichte,
welche natürlich nur so lange gilt, als die Voraussetzung unserer
Rechnung erfüllt ist, dass die mittlere Weglänge klein gegen
die Distanz zwischen Decke und Boden ist, wurde durch Ex-
perimente besonders von Kundt und Warburg bestätigt.
Was die Abhängigkeit von der Temperatur betrifft, so ergaben
Maxwell’s Experimente die Reibungsconstante der ersten
[85][Gleich. 91] § 12. Innere Reibung.
Potenz derselben proportional (l. c.), was sich nur für die
leichter coërcibeln Gase, besonders Kohlensäure, bestätigte.
Bei den am schwersten coërcibeln Gase fanden einzelne spätere
Beobachter für den Temperaturcoëfficienten der Reibungs-
constante nahe Uebereinstimmung mit der hier entwickelten
Formel, die meisten aber einen zwischen dem hier durch
Rechnung und dem von Maxwell experimentell gefundenen
etwa in der Mitte liegenden Werth.1)
Es ist da zunächst zu bemerken, dass eine raschere Zu-
nahme der Reibungsconstante mit wachsender Temperatur als
die Quadratwurzel der absoluten Temperatur nicht aus der Un-
genauigkeit unserer Rechnung erklärt werden kann, denn man
sieht sofort Folgendes ein: Wenn ohne Aenderung der Dichte
bloss die Temperatur erhöht wird, so bleibt unter Voraussetzung
elastischer, unendlich wenig deformirbarer Moleküle die Mole-
kularbewegung im Mittel sonst ganz unverändert, nur wird
deren Geschwindigkeit der Quadratwurzel aus der absoluten
Temperatur proportional vermehrt. Es erscheint gewisser-
maassen bloss die Zeit in diesem Verhältnisse verkürzt, und
daraus folgt sofort, dass auch das in der Zeiteinheit über-
tragene Bewegungsmoment im selben Maasse zunehmen muss.
Dagegen könnte nach Stefan2)s mit wachsender Temperatur
abnehmen. Dies würde folgende Bedeutung haben. Die Mole-
küle sind nicht absolut starr, sondern platten sich beim Stosse
etwas ab, wodurch ihre Durchmesser verkleinert erscheinen,
und zwar um so mehr, je höher die Temperatur des Gases ist.
Maxwell nahm sogar an, dass die Moleküle Kraftcentra sind,
welche in grosser Entfernung eine nicht erhebliche, bei sehr
bedeutender Annäherung aber eine mit der Annäherung sehr
rasch wachsende abstossende Kraft auf einander ausüben,
welche also eine passend zu wählende Function der Entfernung
ist. Um gerade den von ihm gefundenen Temperaturcoëfficienten
der inneren Reibung zu erklären, setzt er diese Function gleich
der reciproken fünften Potenz der Entfernung. Ich bemerkte
einmal, dass man alle wesentlichen Eigenschaften der Gase
[86]I. Abschnitt. [Gleich. 91]
auch erhält, wenn man statt dieser Abstossungskraft eine in
passender Weise von der Entfernung abhängige lediglich an-
ziehende Kraft setzt, wobei dann auch die Dissociationserschei-
nungen und der bekannte Joule-Thomson’sche Versuch er-
klärt werden können. Bei unserer Unbekanntschaft mit der
Natur der Moleküle sind natürlich alle diese Anschauungen
als blosse mechanische Analogien zu betrachten, welche man,
so lange das Experiment nicht entschieden hat, als gleich-
berechtigt ansehen muss. Jedenfalls aber ist es wahrschein-
lich, dass der Durchmesser eines Moleküls keine scharf definirte
Grösse ist. Aber trotzdem müssen sich die Nachbarmoleküle im
flüssigen Zustande stets in solchen Distanzen befinden, wo sie
schon stark auf einander wirken, so dass das Zusammenwirken
von mehr als zweien nicht mehr ein Ausnahmefall ist, also in
Distanzen, die von derselben Grössenordnung sind, wie die-
jenigen, in denen bei Gasmolekülen schon eine bedeutende
Ablenkung von der geradlinigen Bahn eintritt. Die im Vor-
hergehenden mit s und σ bezeichneten Grössen stellen bei
dieser Anschauungsweise nichts anderes dar, als die Grössen-
ordnung dieser Distanzen. Wir wollen, um uns in der Rech-
nung consequent zu bleiben, zunächst wieder zur Annahme
zurückkehren, dass die Moleküle fast undeformirbare elastische
Kugeln seien. Dann folgt aus der letzten Formel für den
Reibungscoëfficienten, dass derselbe für verschiedene Gase bei
gleicher Temperatur der Quadratwurzel aus der Masse eines
Moleküls direct und dem Quadrate seines Durchmessers ver-
kehrt proportional ist.
§ 13. Wärmeleitung und Diffusion der Gase.
Um aus Formel 88 die Wärmeleitung zu berechnen, haben
wir anzunehmen, dass die beiden als Deckel und Boden be-
zeichneten Ebenen auf zwei verschiedenen constanten Tempe-
raturen erhalten werden. G ist dann die in einem Moleküle
im Mittel enthaltene Wärmemenge. Die mittlere lebendige
Kraft der fortschreitenden Bewegung eines Moleküls ist
.
[87][Gleich. 92] § 13. Wärmeleitung.
Die gesammte Energie der inneren Bewegung eines Moleküls
setzten wir im Mittel gleich
,
also ist die gesammte Energie der Molekularbewegung eines
Moleküls durchschnittlich
,
oder vermöge der Gleichung 57
.
Da nach unserer Hypothese die Wärme nichts anderes
ist als die gesammte Energie der Molekularbewegung, so ist
dies die einem Moleküle zukommende Wärmemenge G im
mechanischen Maasse gemessen. Setzen wir, was wenigstens
für die am schwersten coërcibeln Gase wahrscheinlich nahezu
zutrifft, das Verhältniss κ der specifischen Wärmen als constant
voraus, so ist also
.
Nun ist weiter nach Gleichung 51 a
,
wobei wie früher μ = (m / M) das Molekulargewicht des Gases
ist. Wir erhalten daher
,
daher nach Formel 88
.
Der Coëfficient von ∂ Τ / ∂ z ist das, was man die Wärme-
leitungsfähigkeit L des Gases nennt. Es folgt also
92) .
Die Abhängigkeit der Wärmeleitungsfähigkeit von der
Dichte und der Temperatur ist also, so lange κ constant ist,
dieselbe wie die des Reibungscoëfficienten. Namentlich ist,
da κ für schwer coërcible Gase bei constanter Temperatur
[88]I. Abschnitt. [Gleich. 93]
jedenfalls nur sehr wenig von der Dichte abhängt, auch die
Wärmeleitungsfähigkeit von der Dichte unabhängig, was durch
Versuche von Stefan und Kundt und Warburg bestätigt
wurde. Die Versuche über die Abhängigkeit der Wärme-
leitungsfähigkeit von der Temperatur haben noch kein sicheres
Resultat ergeben.
Für verschiedene Gase, für welche κ nahezu denselben
Werth hat, ist bei gleicher Temperatur die Wärmeleitungs-
constante dem Quotienten des Reibungscoëfficienten dividirt
durch das Molekulargewicht oder, wie der letzte Ausdruck in
Formel 92 zeigt, dem Quadrate des Durchmessers und der
Quadratwurzel aus dem Molekulargewichte verkehrt proportio-
nal, also für die kleineren und leichteren Moleküle bedeutend
grösser, als für die grösseren. Dies wird durch die Erfahrung
bestätigt.
Bezeichnen wir mit γp und γv die auf die Masseneinheit
bezogenen specifischen Wärmen des Gases bei constantem
Drucke und constantem Volumen, wobei die Wärme wieder im
mechanischen Maasse zu messen ist, so hatten wir (Formel 55a)
,
daher
93) .
In der letzten Formel ist das Wärmemaass willkürlich.
Setzt man für Luft von 0° C. und dem Normalbarometerstande
und für R den soeben angenommenen Werth, so folgt:
.
In den obigen Maasseinheiten ausgedrückt, wurden für
die Wärmeleitungsfähigkeit der Luft von den verschiedenen
Beobachtern Werthe gefunden, die zwischen 0,000048 und
0,000058 liegen.1) In Anbetracht des Umstandes, dass auch
[89][Gleich. 93] § 13. Diffusion in sich selbst.
unsere Rechnung nur eine angenäherte ist, ist diese Ueber-
einstimmung eine genügende.
Um die Diffusion zweier Gase zu berechnen, wollen wir
wieder zu dem im § 11 betrachteten Gascylinder zurückkehren.
Das Gas sei jedoch eine Mischung zweier einfacher Gase.
Ein Molekül der ersten Gasart habe die Masse m und den
Durchmesser s, ein Molekül der zweiten die Masse m1 und
den Durchmesser s1. In der Schicht z sollen auf die Volumen-
einheit n Moleküle der ersten, n1 Moleküle der zweiten Gas-
art entfallen, wobei n und n1 Functionen von z sein sollen.
Es soll daher auch die Anzahl d nc der auf die Volumeneinheit
entfallenden Moleküle erster Art, für welche die Grösse der
Geschwindigkeit zwischen c und c + d c liegt, eine Function
von z sein. Man findet dann durch ähnliche Betrachtungen,
wie wir sie in § 11 angestellt haben, dass in der Zeiteinheit
durch die Flächeneinheit von oben nach unten
Moleküle der ersten Gasart so hindurchgehen, dass die Grösse
ihrer Geschwindigkeit zwischen c und c + d c, der Winkel
zwischen ihrer Geschwindigkeitsrichtung und der negativen
z-Axe zwischen ϑ und ϑ + d ϑ liegt. Dieselben kommen
durchschnittlich aus einer Schicht, deren z-Coordinate den
Werth z + λc cos ϑ hat, für welche also statt d nc geschrieben
werden kann:
.
Integrirt man bezüglich ϑ von 0 bis π / 2, so folgt für
die Zahl der Moleküle der ersten Gasart, welche in der Zeit-
einheit durch die Flächeneinheit unter beliebigen Winkeln,
aber mit einer Geschwindigkeit, die zwischen c und c + d c
liegt, von oben nach unten hindurchgehen, der Werth:
;
ebenso folgt für die Anzahl der Moleküle, welche von unten
nach oben hindurchgehen, der Werth:
[90]I. Abschnitt. [Gleich. 95]
.
Es gehen also in der Zeiteinheit durch die Flächeneinheit
94)
Moleküle der ersten Gasart mehr von oben nach unten, als
von unten nach oben in der Zeiteinheit durch die Flächen-
einheit. Unter der vereinfachenden Annahme, dass die Ge-
schwindigkeiten aller Moleküle gleich sind, hätte an die Stelle
von dNc einfach die Gesammtzahl N aller Moleküle erster
Gattung, die in der Zeiteinheit durch die Flächeneinheit mehr
von oben nach unten als umgekehrt treten, an die Stelle von
d nc einfach die Gesammtzahl n der Moleküle erster Gattung,
die in der Schicht z auf die Volumeneinheit entfallen, zu treten.
Man hätte also:
95) .
Das Vorkommen verschiedener Geschwindigkeiten unter
den Molekülen einer und derselben Gattung wollen wir nur
in dem einfachsten Falle berücksichtigen, wo für beide Gas-
arten sowohl die Masse, als auch der Durchmesser eines
Moleküls gleich ist. In diesem Falle, welchen Maxwell die
Diffusion in sich selbst nennt, setzen wir voraus, dass auch
während der Diffusion unter den Molekülen jeder Gasart in
jeder Schicht die Maxwell’sche Geschwindigkeitsvertheilung
besteht, dass also die Formel 43
unverändert besteht, nur mit dem Unterschiede, dass n eine
Function von z ist, wodurch sich ergibt:
.
Ferner hat λc denselben Werth, als ob eine einzige Gas-
art vorhanden wäre, in welcher aber n + n1 Moleküle in der
Volumeneinheit enthalten sind. Es ist also λc durch die
Gleichung 78 gegeben, in welcher vc = 0, nc aber durch
Gleichung 71 gegeben ist. In letzterer Gleichung ist zudem
n + n1 für n zu substituiren und bedeutet s den für beide
[91][Gleich. 96] § 13. Diffusion in sich selbst.
Gasarten gleichen Durchmesser eines Moleküls. Die Sub-
stitution aller dieser Werthe in die Formel 94 und die In-
tegration bezüglich c von 0 bis ∞ liefert für die Gesammt-
zahl der Moleküle erster Gattung, die in der Zeiteinheit durch
die Flächeneinheit mehr von oben nach unten als umgekehrt
wandern, den Werth:
96) ,
eine Formel, die man auch unmittelbar aus Gleichung 87
durch Vertauschung von Γ und G mit N und n / (n + n1) hätte
erhalten können. Denn die Wahrscheinlichkeit, der ersten
Gasart anzugehören, kann genau so behandelt werden, wie
die in § 11 eingeführte, einem Moleküle zukommende Grösse Q
und bedeutet dann Γ die Anzahl der Moleküle erster Gattung,
die in der Zeiteinheit durch die Volumeneinheit mehr von
oben nach unten als umgekehrt hindurchtreten. Die Diffusion
in sich selbst geschieht also nach unseren Annäherungsformeln
genau so, wie wir uns in § 12 die Elektricitätsleitung dachten;
nur tritt an die Stelle der elektrischen Ladung jetzt die Eigen-
schaft des Moleküls, der einen oder anderen Gasart anzu-
gehören. Hierbei ist freilich ein wesentlicher Unterschied,
wenn man annimmt, dass beim Zusammenstosse die elektrische
Ladung der beiden stossenden Moleküle sich ausgleicht. Da
jedoch unsere Formeln so gebildet sind, als ob nach dem
Zusammenstosse für jedes Molekül jede Richtung im Raume
gleich wahrscheinlich wäre, so müsste nach denselben die
Elektricitätsleitung ebenso schnell erfolgen, wenn sich die
Moleküle beim Zusammenstosse untereinander als vollkommene
Nichtleiter und bloss beim Stosse auf Decke oder Boden als
vollkommene Leiter verhielten. Dann aber wäre die Elek-
tricitätsleitung vollkommen analog der Diffusion in sich selbst.
Führt man in Gleichung 96 die durch Gleichung 89 definirte
Grösse k ein, so ergibt sich:
.
Multiplicirt man beiderseits mit der Constanten m, so folgt:
.
[92]I. Abschnitt. [Gleich. 96]
Nm ist die in der Zeiteinheit durch die Flächeneinheit
mehr von oben nach unten als umgekehrt hindurchgehende
Masse des ersten Gases, n m aber die in der Schicht z auf
die Volumeneinheit entfallende Masse des ersten Gases, daher
∂ (n m) / ∂ z deren Gefälle in der z Richtung. Der Factor dieses
Ausdruckes in der letzten Gleichung ist also das, was man
den Diffusionscoëfficienten nennt. Derselbe ergibt sich für Luft
von 15° C. beim Normalbarometerstande unter Zugrunde-
legung des obigen Werthes für R gleich 0,155 cm2 / sec, während
Loschmidt1) unter ähnlichen Bedingungen für die verschiedenen
Combinationen der Gase, die sich angenähert wie Luft ver-
halten, Werthe fand, die zwischen 0,142 und 0,180 liegen.
Berücksichtigt man die Abhängigkeit der Grösse ϱ von Tem-
peratur und Druck, so findet man, dass der Diffusionscoëfficient
der 3/2ten Potenz der absoluten Temperatur direct und dem
Gesammtdrucke beider Gase verkehrt proportional ist. Bei
gleicher Temperatur und gleichem Gesammtdrucke ist die
Diffusionsconstante für die Diffusion in sich selbst gerade so,
wie die Wärmeleitungsconstante der Grösse verkehrt
proportional, wie sich aus Formel 96 ergibt, da dann h und
n + n1 constant sind.
In diesem einfachsten Falle der Diffusion, wo Masse und
Durchmesser eines Moleküls für beide Gase gleich sind, ver-
hält sich der Inbegriff beider Gase sicher wie ein ruhendes
Gas. Bezeichnen wir daher mit d Nc, ϑ, d nc, ϑ und die
Gesammtzahl der Moleküle beider Gase, resp. die Zahl der
Moleküle der ersten oder zweiten Gasart, für welche die Ge-
schwindigkeit zwischen den Grenzen c und c + d c liegt und
ihre Richtung mit der positiven z-Axe einen Winkel bildet,
der zwischen ϑ und ϑ + d ϑ liegt, so ist sicher gemäss der
Formel 38:
.
Man könnte meinen, dass deshalb wenigstens in diesem
einfachen Falle unsere Rechnungen exact richtig wären. Wir
werden aber sehen, dass, wenn die Moleküle elastische Kugeln
sind, die rascheren Moleküle schneller, die langsameren minder
[93][Gleich. 96] § 14. Ueber Vernachlässigung.
schnell diffundiren.1) Wo also n klein ist, d. h. wo die soeben
durch die andere Gasart diffundirten Moleküle vorherrschen,
wird für grössere Werthe von c die Grösse d nc, ϑ grösser, als
,
für kleinere Werthe von c aber kleiner als diese Grösse sein.
An derselben Stelle muss für das andere Gas das Umgekehrte
gelten. Daher wird die Exactheit der von uns angenommenen
Gleichung
zweifelhaft. Ebenso ist es zweifelhaft, ob unter den in einer
Schicht zum Zusammenstosse gelangenden (nach Clausius von
ihr ausgesandten) Molekülen alle Geschwindigkeitsrichtungen
im Raume gleich wahrscheinlich sind.
§ 14. Zwei Arten von Vernachlässigungen; Diffusion
zweier verschiedener Gase.
Man könnte überhaupt nach der bisherigen Darstellung
meinen, dass die Formel 87 und die daraus abgeleitete
Formel 88 mit dem Coëfficienten 89 streng richtig ist; allein
dies wäre ein Irrthum. Wir machten nämlich bei ihrer Ab-
leitung die Annahme, dass die Geschwindigkeitsvertheilung
durch die den Molekülen mitgetheilte Grösse Q nicht alterirt
wird. In vielen Fällen, z. B. bei innerer Reibung, wenn die
sichtbare Geschwindigkeit klein ist gegenüber der mittleren
Geschwindigkeit eines Moleküls, wird freilich die Geschwindig-
keitsvertheilung nur wenig verändert; allein es ist doch immer
der Werth der Grösse d nc in Formel 83 ein anderer als der
Werth d n'c dieser Grösse in Formel 84. Es kommt daher
zum Ausdrucke 85 noch ein Glied von der Form
dazu, welches von derselben Grössenordnung wie der Aus-
druck 85 selbst ist. Auch wird die von uns gemachte An-
[94]I. Abschnitt. [Gleich. 96]
nahme zweifelhaft, dass für die Geschwindigkeitsrichtung eines
Moleküls jede Richtung im Raume gleich wahrscheinlich ist.
Wir nahmen endlich an, dass jedes Molekül durch die
Fläche A B diejenige Menge G (z + λ' cos ϑ) der Grösse Q
hindurchträgt, welche in der Schicht, in der es zum letzten
Male zum Zusammenstosse gelangte, im Mittel einem Moleküle
zukommt. Auch diese Annahme ist willkürlich. Jene Menge
kann ja für Moleküle, die in verschiedenen Richtungen und
mit verschiedenen Geschwindigkeiten von der Schicht ausgehen,
verschieden, also irgend eine Function Φ von c und ϑ sein,
weshalb ∂ G / ∂ z bei den folgenden Integrationen nach ϑ und c
nicht vor das Integralzeichen gesetzt werden darf. Es wäre
dann für die von dem Moleküle durch A B hindurchgetragene
Menge der Grösse Q nicht bloss die Schicht, wo das Molekül
zum letzten Male zusammenstiess, maassgebend, sondern auch
die Orte, wo der vorletzte, vielleicht auch der drittletzte
Zusammenstoss stattfand.
Hiermit hängt ein schon beim Vergleiche der Diffusion
und Elektricitätsleitung besprochener Umstand zusammen. Es
kann sein, dass beim Zusammenstosse jedes der stossenden
Moleküle die Menge von der Grösse Q behält, die es vor dem
Stosse hatte; aber auch, dass beim Zusammenstosse ein Aus-
gleich stattfindet. Verstehen wir unter Q Elektricität, so wäre
ersteres der Fall, wenn jedes der Moleküle zwar leitend, aber
mit einer nicht leitenden Schicht überzogen wäre, die beim
Stosse auf Deckel und Boden, nicht aber beim Zusammen-
stosse zweier Moleküle durchbrochen würde; letzteres, wenn die
Moleküle bis zur Oberfläche aus leitender Substanz bestünden.
In diesen beiden Fällen könnte die soeben mit Φ be-
zeichnete Function von c und ϑ verschieden, daher auch der
Transport der Grösse Q ungleich ausfallen, obwohl der Mittel-
werth der Grösse G in jeder Schicht z in beiden Fällen der-
selbe wäre nämlich
.
In der That ist es wahrscheinlicher, dass ein Molekül nach
dem Stosse annähernd in derselben als in der entgegengesetzten
Richtung weitergeht. Man findet dies aus den später vor-
kommenden Formeln 201 und 203. Daher wird der Transport
[95][Gleich. 96] § 14. Allgemeine Diffusion.
der Grösse Q mehr aufgehalten, findet daher langsamer statt,
wenn sich ihr Betrag zwischen zwei zusammenstossenden
Molekülen ausgleicht, als wenn dies nicht der Fall ist.
Es wurden zahlreiche Versuche gemacht, den durch alle
diese Annahmen vernachlässigten Gliedern theilweise Rechnung
zu tragen, besonders durch Clausius, O. E. Meyer, Tait.
Allein unter Beibehaltung der Annahme, dass die Moleküle
elastische Kugeln seien, gelang es bisher nicht, die Verände-
rung der Geschwindigkeitsvertheilung durch innere Reibung,
Diffusion und Wärmeleitung exact zu berechnen, weshalb in
allen betreffenden Formeln noch Glieder von derselben Grössen-
ordnung wie die Ausschlag gebenden vernachlässigt sind, so
dass dieselben nicht wesentlich besser sind, als die hier in
einfacherer Weise gewonnenen.
Solche Vernachlässigungen, durch welche die erhaltenen
Resultate mathematisch incorrect werden, so dass sie nicht
mehr logische Consequenzen der gemachten Annahmen sind,
sind (wie schon am Schlusse von § 6 auseinandergesetzt wurde)
wohl zu unterscheiden von physikalisch nur angenähert rich-
tigen Annahmen, z. B. dass die Dauer eines Zusammenstosses
klein ist gegen die Zwischenzeit zwischen zwei Zusammen-
stössen u. s. w. In Folge der letzteren Annahme werden die
Resultate zwar auch physikalisch ungenau, d. h. ihre exacte
Bestätigung durch das Experiment ist nicht zu erwarten; aber
sie bleiben mathematisch richtig, sie bilden mit logischer Noth-
wendigkeit den Grenzfall, dem sich die Gesetze um so mehr
nähern müssten, je genauer jene Annahmen realisirt wären.
Wir wollen hier noch die Diffusion zweier Gase, falls
Masse und Durchmesser eines Moleküls für beide Gase ver-
schieden ist, jedoch nur unter der die Rechnung vereinfachenden
Annahme berechnen, dass die Geschwindigkeiten c aller Mole-
küle der ersten Gasart unter sich gleich sind, ebenso die
Geschwindigkeiten c1 aller Moleküle der zweiten Gasart.
Dann gilt für die erste Gasart die Formel 95. Die mitt-
lere Weglänge würden wir dann freilich consequenter aus
Formel 68 berechnen. Wir wollen aber, da die ganze Rechnung
ohnedies nur eine angenäherte ist, hier das Vorkommen ver-
schiedener Geschwindigkeiten berücksichtigen, weil dies hier die
[96]I. Abschnitt. [Gleich. 96]
Rechnung vereinfacht und daher die Formel 76 benützen und
erhalten so für die Anzahl der Moleküle der ersten Gasart,
welche in der Zeiteinheit durch die Flächeneinheit mehr von
oben nach unten als umgekehrt wandern:
,
wobei
.
Analog findet man für die Zahl N1 der Moleküle der
zweiten Gasart, welche in der Zeiteinheit durch die Flächen-
einheit mehr von unten nach oben als umgekehrt wandern,
den Werth:
,
da (n + n1) im ganzen Gase constant ist. Hier ist:
.
Es tritt nun die Schwierigkeit ein, dass die Diffusions-
constante D nicht für beide Gase gleich herauskommt, d. h.
dass nach den Formeln durch jeden Querschnitt im Ganzen
mehr Gasmoleküle in der einen als in der anderen Richtung
hindurchgehen. Dies tritt bei Diffusion durch einen sehr engen
Canal oder eine poröse Wand wirklich ein. Allein in unserem
Falle, wo wir das Gemisch als anfangs ruhend voraussetzten,
und den Einfluss der Seitenwand vernachlässigten, muss sich
der Druck immer sofort ausgleichen, es müssen also nach dem
Avogadro’schen Gesetze immer gleich viel Moleküle in der
einen wie in der anderen Richtung wandern.
Unsere Formel gibt ein falsches Resultat. Aehnlich gaben
die zuerst von Maxwell für die Wärmeleitung aufgestellten
Formeln eine sichtbare Massenbewegung des wärmeleitenden
Gases. Clausius und O. E. Meyer haben andere Formeln
für die Wärmeleitung aufgestellt, wo diese sichtbare Massen-
bewegung entfällt, dafür aber der Druck an den verschiedenen
Stellen des wärmeleitenden Gases verschieden ausfällt. Ob-
wohl dies nun, wie die Rechnung und die Experimente am
[97][Gleich. 96] § 14. Allgemeine Diffusion.
Radiometer übereinstimmend zeigen, für sehr verdünnte Gase
in der That zutrifft, sind doch so grosse Druckunterschiede,
wie sie aus jenen Formeln folgen würden, unzulässig.1) Es
sind dies also lauter Beweise für die Unexactheit aller dieser
Rechnungen.
In dem Falle der Diffusion, der uns jetzt beschäftigt, hat
O. E. Meyer den Widerspruch dadurch beseitigt, dass er der
hier berechneten Molekularbewegung, bei welcher N — N1 Mole-
küle beider Gase mehr von oben nach unten als umgekehrt
in der Zeiteinheit durch die Flächeneinheit wandern, einen
gleichen aber entgegengesetzt gerichteten Strom des Gemisches
superponirt. Da im Gemische auf n + n1 Moleküle n Moleküle
der ersten Gasart und n1 Moleküle der zweiten Gasart ent-
fallen, so ist der Strom des Gemisches so zu denken, dass von
der ersten Gasart n (N1 — N) / (n + n1), von der zweiten aber
n1 (N1 — N) / (n + n1) Moleküle in der Zeiteinheit mehr von oben
nach unten als umgekehrt wandern. Daher wandern nach
dieser Superposition
Moleküle der ersten Gasart mehr von oben nach unten als
umgekehrt und gleich viel Moleküle der zweiten Gasart wandern
in der entgegengesetzten Richtung. Der Diffusionscoëfficient
ist also jetzt
wo D1 und D2 die soeben gefundenen Werthe haben. Nach
diesen Formeln würde der Diffusionscoëfficient von dem
Mischungsverhältnisse abhängen, also in den verschiedenen
Schichten des Gasgemisches nicht denselben Werth haben,
so dass für den stationären Zustand n und n1 nicht lineare
Functionen von z wären. Stefan2) hat nach anderen Prin-
cipien eine ebenfalls angenähert richtige Theorie der Diffusion
entwickelt, nach welcher der Diffusionscoëfficient nicht vom
Mischungsverhältnisse abhängig wäre. Experimentell ist diese
Boltzmann, Gastheorie. 7
[98]II. Abschnitt. [Gleich. 96]
Frage noch eine offene. Doch scheint eine so starke Ver-
änderlichkeit des Diffusionscoëfficienten, wie sie obige Formel
gibt, ausgeschlossen.
Auf die verschiedenen, zum Theil sehr umständlichen Um-
arbeitungen, welche alle diese Theorien der inneren Reibung,
Diffusion und Wärmeleitung erfahren haben, auf die Ver-
gleichung mit den an verschiedenen Gasarten angestellten
Experimenten, sowie auf die Schlüsse, welche daraus auf die
Molekularbeschaffenheit der verschiedenen Gase gezogen wurden,
kann ich hier nicht näher eingehen. Sie finden sich ziemlich
erschöpfend zusammengestellt in O. E. Meyer’s „Kinetischer
Theorie der Gase“. Von später erschienenen Arbeiten sind
noch die Tait’s1) zu erwähnen.
II. Abschnitt.
Die Moleküle sind Kraftcentra. Betrachtung äusserer Kräfte
und sichtbarer Bewegungen des Gases.
§ 15. Entwickelung der partiellen Differential-
gleichung für f und F.
Wir gehen nun über zur Betrachtung des Falles, dass
auch äussere Kräfte wirken und die Wechselwirkung während
des Zusammenstosses eine beliebige ist. Um der Nothwendig-
keit einer späteren Verallgemeinerung der Formeln enthoben
zu sein, betrachten wir sofort wieder ein Gemisch zweier Gase,
deren Moleküle die Massen m, resp. m1 haben. Wir nennen
sie wieder kurz die Moleküle m, resp. m1. Jedes Molekül soll
wieder während des grössten Theiles seiner Bewegung von den
anderen Molekülen fast unbeeinflusst sein; nur wenn zwei
Moleküle derselben oder verschiedener Gattung sich ungewöhn-
lich nahe kommen, soll Grösse und Richtung ihrer Geschwin-
digkeit bedeutend geändert werden. Der Fall, dass drei Mole-
küle gleichzeitig bemerkbar auf einander wirken, soll so selten
[99][Gleich. 96] § 15. Differentialgleichung für f und F.
vorkommen, dass er unberücksichtigt bleiben kann. Um eine
präcise Vorstellung zu gewinnen, denken wir uns die Moleküle
als materielle Punkte. So lange die Distanz r eines Moleküls m
von einem Moleküle m1 grösser ist als eine gewisse sehr kleine
Länge σ, soll keine Wirkung stattfinden; sobald aber r kleiner
als σ geworden ist, sollen beide Moleküle eine beliebige Kraft
auf einander ausüben, deren Intensität ψ (r) eine Function
ihrer Entfernung r ist, und ausreicht, sie erheblich aus ihrer
geradlinigen Bahn abzulenken. Sobald die Entfernung r eines
Moleküls m und eines Moleküls m1 gleich σ wird, sagen wir,
es beginnt zwischen beiden ein Zusammenstoss. Wir schliessen
solche Wirkungsgesetze, wo die Moleküle dauernd beisammen
bleiben können, obwohl dieselben besonders interessant sind,
da sie auch Anlass zur Erklärung der Dissociationserschei-
nungen geben, doch einfachheitshalber gegenwärtig aus; es wird
dann nach kurzer Zeit r wieder gleich σ werden, in diesem
Momente, den wir das Ende des Zusammenstosses nennen,
hört die Wechselwirkung wieder auf. Für die Zusammenstösse
der Moleküle m, resp. m1, unter einander sollen bloss an Stelle
von σ und ψ (r) die Grössen s und Ψ (r), resp. s1 und Ψ1 (r)
treten. Der Fall, dass die Moleküle elastische Kugeln sind,
ist nur ein specieller Fall hiervon, welchen wir erhalten, wenn
wir annehmen, dass die Functionen ψ, Ψ und Ψ1 abstossende
Kräfte darstellen, deren Intensität, sobald r nur im mindesten
kleiner als σ (resp. s oder s1) geworden ist, sogleich ins Un-
gemessene ansteigt. Alles bisher Vorgebrachte ist also als
specieller Fall in den jetzt zu entwickelnden Gleichungen ent-
halten. Ausser diesen Molekularkräften sollen noch irgend
welche Kräfte auf die Moleküle wirken, welche von ausser-
halb des Gases liegenden Ursachen herstammen und kurz die
äusseren Kräfte heissen sollen. Wir zeichnen im Gase ein
beliebiges fixes Coordinatensystem. Die Componenten m X,
m Y, m Z der auf irgend ein Molekül m wirkenden resultirenden
äusseren Kraft sollen von der Zeit und den Geschwindig-
keitscomponenten unabhängige für alle Moleküle m gleiche
Functionen der Coordinaten x, y, z des betreffenden Moleküls sein.
X, Y, Z sind also die sogenannten beschleunigenden Kräfte. Die
entsprechenden Grössen für die Moleküle zweiter Gattung sollen
den Index 1 erhalten. Die äusseren Kräfte können zwar an
7*
[100]II. Abschnitt. [Gleich. 98]
verschiedenen Stellen des Gases verschieden sein, sollen aber
nicht merklich variiren, so lange die Coordinaten nicht um
Strecken variiren, die gross gegenüber der Wirkungssphäre
(der soeben mit σ, s und s1 bezeichneten Strecken) sind.
Endlich schliessen wir auch den Fall nicht aus, dass das Gas
in sichtbarer Bewegung begriffen ist. Es kann jetzt weder
a priori die Annahme gemacht werden, dass alle Geschwindig-
keitsrichtungen gleich wahrscheinlich sind, noch dass die Ge-
schwindigkeitsvertheilung oder die Anzahl der Moleküle in der
Volumeneinheit an allen Stellen des Gases dieselbe, oder dass
sie von der Zeit unabhängig ist.
Wir fassen das Parallelepiped ins Auge, welches den In-
begriff aller Raumpunkte darstellt, deren Coordinaten zwischen
den Grenzen
97) x und x + d x, y und y + d y, z und z + d z
liegen. Wir setzen d o = d x d y d z und nennen dieses Parallel-
epiped immer das Parallelepiped d o.
Wir nehmen den früher erwähnten Principien gemäss an,
dass dieses Parallelepiped zwar unendlich klein ist, aber doch
noch sehr viele Moleküle enthält. Die Geschwindigkeit jedes
Moleküls m, das sich zur Zeit t in diesem Parallelepipede
befindet, wollen wir vom Coordinatenursprunge an auftragen
und den anderen Endpunkt C der betreffenden Geraden wieder
den Geschwindigkeitspunkt des betreffenden Moleküls nennen.
Seine rechtwinkligen Coordinaten sind gleich den Componenten
ξ, η, ζ der Geschwindigkeit des betreffenden Moleküls in den
Coordinatenrichtungen.
Wir wollen nun ein zweites rechtwinkliges Parallelepiped
construiren, welches alle Punkte umfasst, deren Coordinaten
zwischen den Grenzen
98) ξ und ξ + d ξ, η und η + d η, ζ und ζ + d ζ
liegen. Wir setzen sein Volumen
d ξ d η d ζ = d ω
und nennen es das Parallelepiped d ω. Die Moleküle m, welche
zur Zeit t im Parallelepipede d o, und deren Geschwindigkeits-
punkte gleichzeitig im Parallelepipede d ω liegen, für welche
also die Coordinaten zwischen den Grenzen 97 und die Ge-
schwindigkeitscomponenten zwischen den Grenzen 98 liegen,
[101][Gleich. 101] § 15. Differentialgleichung für f und F.
wollen wir wieder kurz die hervorgehobenen Moleküle oder
noch charakteristischer die „d n Moleküle“ nennen. Ihre An-
zahl ist offenbar proportional dem Producte d o · d ω. Denn
alle dem Parallelepipede d o unmittelbar benachbarten Volumen-
elemente befinden sich nahe unter den gleichen Umständen,
so dass also in einem doppelt so grossen Parallelepipede auch
doppelt so viele Moleküle liegen würden. Wir können daher
diese Anzahl
99) d n = f (x, y, z, ξ, η, ζ, t) do d ω
setzen. Analog sei die Anzahl der Moleküle m1 der zweiten
Gasart, welche zur Zeit t denselben Bedingungen 97 und 98
genügen:
100) d N = F (x, y, z, ξ, η, ζ, t) d o d ω = F d o d ω.
Die beiden Functionen f und F charakterisiren den Be-
wegungszustand, das Mischungsverhältniss und die Geschwindig-
keitsvertheilung an allen Stellen des Gasgemisches vollständig.
Wenn sie für den Zeitanfang t = 0 gegeben sind, wenn also
die Functionswerthe f (x, y, z, ξ, η, ζ, 0) und F (x, y, z, ξ, η, ζ, 0) für
alle Werthe der Variabeln und ausserdem noch die äusseren
Kräfte, die Molekularkräfte und die an der Grenze des Gases
zu erfüllenden Bedingungen gegeben sind, so ist das Problem
vollständig bestimmt und es ist vollständig gelöst, wenn man
die Werthe der Functionen f und F für alle Werthe von t
gefunden hat. Vorausgesetzt ist hierbei immer, dass der Zu-
stand molekular-ungeordnet ist. Hier wird es sich natürlich
zunächst darum handeln, für die Veränderung der Function f
während einer sehr kleinen Zeit eine partielle Differential-
gleichung zu gewinnen.
Wir wollen daher eine sehr kleine Zeit d t verstreichen
lassen und während derselben Grösse und Lage der Parallel-
epipede d o und d ω vollkommen unverändert erhalten. Die An-
zahl der Moleküle m, welche zur Zeit t + d t die Bedingungen 97
und 98 erfüllen, ist nach Formel 99
d n' = f (x, y, z, ξ, η, ζ, t + d t) d o d ω
und der gesammte Zuwachs, welchen die Zahl d n während der
Zeit d t erfährt, ist
101)
[102]II. Abschnitt. [Gleich. 101]
Die Zahl d n erfährt in Folge von vier verschiedenen Ur-
sachen einen Zuwachs.
1. Sämmtliche Moleküle m, deren Geschwindigkeitspunkt
im Parallelepipede d ω liegt, was wir die Bedingung 98 nannten,
bewegen sich in der x-Richtung mit der Geschwindigkeit ξ, in
der y-Richtung mit der Geschwindigkeit η, in der z-Richtung
mit der Geschwindigkeit ζ.
Daher treten durch die linke der negativen Abscissen-
richtung zugewandte Seitenfläche des Parallelepipedes d o wäh-
rend der Zeit d t so viele, die Bedingung 98 erfüllende Mole-
küle m ein, als sich zu Anfang der Zeit d t in einem Parallel-
epipede von der Basis d y d z und der Höhe ξ d t befinden, also
x = ξ · f (x, y, z, ξ, η, ζ, t) d y d z d ω d t
Moleküle (vgl. S. 12 [und] 76). Denn da das letztere Parallelepiped
unendlich klein und unendlich nahe am Parallelepipede d o ist,
so verhalten sich die Zahlen x und f d o d ω der in beiden Parallel-
epipeden enthaltenen Moleküle hervorgehobenen Art wie die
Volumina ξ d y d z d t und d o der Parallelepipede. Ebenso findet
man für die Zahl der durch die vis à vis liegende Seitenfläche
des Parallelepipedes d o während der Zeit d t austretenden, die
Bedingung 98 erfüllenden Moleküle m den Werth:
ξ f (x + d x, y z, ξ, η, ζ, t) d x d z d ω d t.
Stellt man analoge Betrachtungen für die vier anderen
Seitenflächen des Parallelepipedes d o an, so ergibt sich, dass
im Ganzen während der Zeit d t
die Bedingung 98 erfüllende Moleküle m in das Parallelepiped d o
mehr ein- als austreten. Dies ist also die Vermehrung V1,
welche die Anzahl d n in Folge der Wanderung der Moleküle
während der Zeit d t erfährt.
2. In Folge der Wirksamkeit der äusseren Kräfte werden
sich die Geschwindigkeitscomponenten sämmtlicher Moleküle
mit der Zeit ändern, es werden also die Geschwindigkeits-
punkte der im Parallelepipede d o befindlichen Moleküle, welche
wir allein gezeichnet haben, wandern. Einige Geschwindig-
keitspunkte werden aus dem Parallelepipede d ω austreten,
[103][Gleich. 101] § 15. Differentialgleichung für f und F.
andere in dasselbe eintreten, und da wir zur Zahl d n immer
nur jene Moleküle hinzuzählen, deren Geschwindigkeitspunkt
im Parallelepipede d ω liegt, so wird sich die Zahl d n in Folge
dieser Ursache ebenfalls verändern.
ξ, η, ζ sind die rechtwinkligen Coordinaten der Geschwin-
digkeitspunkte. Obwohl diese nur gedachte Punkte sind, so
werden sie doch ganz analog wie die Moleküle selbst im Raume
wandern. Da X, Y, Z die Componenten der beschleunigenden
Kraft sind, so ist:
Es wandern also sämmtliche Geschwindigkeitspunkte mit
der Geschwindigkeit X in der Richtung der x-Axe, mit der
Geschwindigkeit Y in der Richtung der y-Axe und mit der
Geschwindigkeit Z in der Richtung der z-Axe, und man kann
bezüglich der Wanderung der Geschwindigkeitspunkte durch
das Parallelepiped d ω vollkommen analoge Betrachtungen an-
stellen, wie bezüglich der Wanderung der Moleküle selbst
durch das Parallelepiped d o. Man findet so, dass von den
Geschwindigkeitspunkten, welche im Parallelepipede d o liegenden
Molekülen m angehören, durch die linke der y z-Ebene parallele
Seitenfläche des Parallelepipedes d ω während der Zeit d t
X · f (x, y, z, ξ, η, ζ, t) d o d η d ζ d t
in das Parallelepiped eintreten, während durch die vis à vis
liegende Fläche
X · f (x, y, z, ξ + d ξ, η, ζ, t) d o d η d ζ d t
daraus austreten. Stellt man wieder analoge Betrachtungen
für die vier anderen Seitenflächen des Parallelepipedes d ω
an, so findet man, dass im Ganzen
Geschwindigkeitspunkte von (im Parallelepipede d o befindlichen)
Molekülen m mehr in das Parallelepiped d ω ein- als daraus
austreten.
Da, wie bemerkt, ein Molekül immer nur zur Zahl d n
hinzugezählt wird, wenn es nicht nur selbst in d o, sondern auch
sein Geschwindigkeitspunkt in d ω liegt, so stellt dies den
[104]II. Abschnitt. [Gleich. 102]
Zuwachs der Zahl d n in Folge der Wanderung der Geschwin-
digkeitspunkte dar. Dabei sind diejenigen Moleküle, welche
während der Zeit d t in das Parallelepiped d o eintreten, wäh-
rend im Verlaufe derselben Zeit d t auch ihr Geschwindigkeits-
punkt in das Parallelepiped d ω eintritt, nicht berücksichtigt,
ebensowenig diejenigen, für welche der Eintritt in d o und der
Austritt des Geschwindigkeitspunktes aus d ω während der
Zeit d t erfolgt, dagegen sind diejenigen, welche selbst während
dieses Zeitdifferentials aus d o austreten und für welche im
Verlaufe desselben Zeitdifferentials der Geschwindigkeitspunkt
in d ω ein- oder daraus austritt, sowohl in V1 als auch in V2,
also im Ganzen doppelt gezählt. Allein dies bedingt keinen
Fehler, da die Anzahl aller dieser Moleküle unendlich klein
von der Ordnung d t2 ist.
§ 16. Fortsetzung. Discussion des Einflusses der
Zusammenstösse.
3. Alle diejenigen von unseren d n Molekülen, welche
während der Zeit d t zum Zusammenstosse gelangen, werden
offenbar nach dem Stosse im Allgemeinen ganz andere Ge-
schwindigkeitscomponenten haben. Ihr Geschwindigkeitspunkt
wird also gewissermaassen durch den Stoss aus dem Parallel-
epipede d ω herausgeworfen, und in ein ganz anderes Parallel-
epiped versetzt. Dadurch wird also die Zahl d n vermindert.
Dagegen werden die Geschwindigkeitspunkte anderer im Parallel-
epipede d o befindlicher Moleküle m durch Zusammenstösse in
das Parallelepiped d ω hineinversetzt und dadurch die Anzahl
d n vermehrt. Es handelt sich nun darum, die gesammte Ver-
mehrung V3 zu finden, welche die Zahl d n während der Zeit d t
durch die zwischen irgend einem Moleküle m und irgend einem
Moleküle m1 stattfindenden Zusammenstösse erfährt.
Zu diesem Zwecke heben wir von der Gesammtzahl v1
der Zusammenstösse, welche unsere d n Moleküle während der
Zeit d t mit Molekülen m1 überhaupt erleiden, wieder nur einen
sehr kleinen Bruchtheil hervor. Wir construiren noch ein
drittes Parallelepiped, welches alle Punkte umfasst, deren
Coordinaten zwischen den Grenzen
102) ξ1 und ξ1 + d ξ1, η1 und η1 + d η1, ζ1 und ζ1 + d ζ1
[105][Gleich. 103] § 16. Einfluss der Zusammenstösse.
liegen. Sein Volumen ist d ω1 = d ξ1d η1d ζ1, es heisse das
Parallelepiped d ω1. Analog der Formel 100 ist die Anzahl
der im Parallelepipede d o befindlichen Moleküle m1, deren
Geschwindigkeitspunkte zur Zeit t innerhalb des Parallelepipedes
d ω1 liegt:
103) d N1 = F1d o d ω1.
F1 ist eine Abkürzung für F (x, y, z, ξ1, η1, ζ1, t).
Wir fragen nun zunächst nach der Zahl v2 der Zusammen-
stösse, welche während der Zeit d t zwischen einem unserer
d n Moleküle m und einem Moleküle m1 so geschehen, dass
vor dem Zusammenstosse der Geschwindigkeitspunkt C1 des
letzteren Moleküls im Parallelepipede d ω1 liegt. Wir wollen
wiederum die Geschwindigkeitspunkte der beiden Moleküle vor
dem Stosse mit C und C1 bezeichnen, so dass die vom Co-
ordinatenursprunge nach C und C1 gezogenen Geraden O C und
O C1 in Grösse und Richtung die Geschwindigkeiten beider
Moleküle vor dem Stosse darstellen. Die Gerade C1C = g gibt
also in Grösse und Richtung die relative Geschwindigkeit der
Moleküle m gegen die Moleküle m1; die Anzahl der Zusammen-
stösse hängt offenbar bloss von der Relativbewegung ab. Ferner
nehmen wir an, dass zwischen einem Moleküle m und einem
Moleküle m1 immer ein Zusammenstoss stattfindet, sobald die-
selben in eine Entfernung kommen, die kleiner als σ ist. Das
Problem, die Zahl v2 zu finden, ist daher auf folgende rein
geometrische Aufgabe reducirt. In einem Parallelepipede d o
ruhen d N1 = F1d o d ω1 Punkte. Wir nennen sie wieder die
Punkte m1. Ausserdem bewegen sich darin f d o d ω Punkte
(die Punkte m) mit der Geschwindigkeit g in der Richtung C1C,
welche wir kurz die Richtung g nennen. Die oben mit v2 be-
zeichnete Zahl ist gleich der Anzahl, welche angibt, wie oft
während der Zeit d t ein Punkt m einem Punkte m1 so nahe
kommt, dass ihre Distanz kleiner als σ wird. Natürlich ist
dabei wieder eine molekular ungeordnete, d. h. ganz regellose
Vertheilung der Punkte m und m1 vorausgesetzt. Um nicht
diejenigen Molekülpaare berücksichtigen zu müssen, welche im
Moment des Beginnes oder des Endes der Zeit d t gerade im
Zusammenstosse, also gerade in Wechselwirkung begriffen sind,
nehmen wir noch an, dass d t zwar sehr klein, aber doch gross
[106]II. Abschnitt. [Gleich. 104]
gegenüber der Zeitdauer eines Zusammenstosses ist, gerade so
wie d o zwar sehr klein ist, aber doch sehr viele Moleküle
enthält.
Um die soeben ausgesprochene rein geometrische Aufgabe
zu lösen, kann man von der Wechselwirkung der Moleküle
ganz absehen. Von dem Gesetze dieser Wechselwirkung hängt
natürlich die Bewegung dieser Moleküle während und nach
dem Zusammenstosse ab. Die Häufigkeit der Zusammenstösse
aber könnte durch diese Wechselwirkung nur insofern geändert
werden, als ein Molekül, nachdem es schon einmal während
der Zeit d t zum Zusammenstosse gelangt war, nun mit seiner
geänderten Geschwindigkeit nochmals während desselben Zeit-
differentials d t zusammenstiesse, wodurch aber sicher nur un-
endlich kleines von der Ordnung d t2 geliefert würde.
Definiren wir daher als einen Vorübergang eines Punktes m
an einem Punkte m1 denjenigen Zeitmoment, wo die Distanz
der betreffenden Punkte den kleinsten Werth haben, also m
die durch m1 senkrecht zur Richtung g gelegte Ebene passiren
würde, wenn gar keine Wechselwirkung zwischen den Molekülen
stattfinden würde, so ist v2 gleich der Zahl der Vorübergänge
eines Punktes m an einem Punkte m1, die während der Zeit d t
so stattfinden, dass dabei die kleinste Distanz beider Moleküle
kleiner als σ ist. Um die Anzahl aller Vorübergänge von
Punkten m an Punkten m1 zu finden, legen wir durch jeden
Punkt m1 eine sich mit m1 mitbewegende Ebene E senkrecht
zur Richtung g und eine Gerade G parallel dieser Richtung.
Sobald ein Punkt m die Ebene E passirt, findet zwischen ihm
und dem betreffenden Punkte m1 ein Vorübergang statt. Wir
ziehen durch jeden Punkt m1 noch eine der positiven Abscissen-
axe parallele und gleichgerichtete Gerade m1X. Die von G
begrenzte Halbebene, welche letztere Gerade enthält, schneide
die Ebene E in der Geraden m1H, welche sich natürlich bei
jedem Punkte m1 wiederholt. Ferner ziehen wir von jedem
Punkte m1 in jeder der Ebenen E eine Gerade von der Länge b,
welche den Winkel ε mit der Geraden m1H bildet. Alle Punkte
der Ebene E, für welche b und ε zwischen den Grenzen
104) b und b + d b, ε und ε + d ε
liegen, bilden ein Rechteck vom Flächeninhalte R = b d b d ε.
[107][Gleich. 104] § 16. Einfluss der Zusammenstösse.
In Fig. 6 sind die Durchschnittspunkte aller dieser Geraden
mit einer um m1 geschlagenen Kugel gezeichnet. Der als ganze
Ellipse gezeichnete grösste Kreis liegt in der Ebene E, der
grösste Kreisbogen G X H in der oben definirten Halbebene.
In jeder der Ebenen E wird sich ein gleiches und gleich-
gelegenes Rechteck R befinden. Wir betrachten vorläufig nur
jene Vorübergänge eines Punktes m an
einem Punkte m1, wo der erstere Punkt
eines der Rechtecke R durchsetzt.1) Da
in der Relativbewegung gegen m1 jeder
der Punkte m während der Zeit d t den
Weg g d t senkrecht zur Ebene aller dieser
Rechtecke zurücklegt, so werden während
der Zeit d t alle diejenigen Punkte m durch
die Fläche irgend eines dieser Rechtecke
hindurchgehen, welche zu Anfang der Zeit d t sich in irgend
einem der Parallelepipede befanden, dessen Basis eines dieser
Rechtecke, dessen Höhe aber gleich g d t ist. (Vgl. S. 12, 76
und 102. Der Zustand soll wieder molekular-ungeordnet sein).
Das Volumen jedes dieser Parallelepipede ist also:
Π = b d b d ε g d t,
und da die Anzahl der Punkte m1 und folglich auch der
Parallelepipede gleich F1d o d ω1 ist, so ist das Gesammt-
volumen aller dieser Parallelepipede:
Σ Π = F1d o d ω1g b d b d ε d t.
Da dieses Volumen unendlich klein ist und unendlich
nahe dem Punkte mit den Coordinaten x, y, z liegt, so ist
analog der Formel 99 die Anzahl der Punkte m (d. h. der
Moleküle m, deren Geschwindigkeitspunkt in d ω liegt), die
[108]II. Abschnitt. [Gleich. 107]
sich zu Anfang der Zeit d t in dem Volumen Σ Π befinden,
gleich:
105) v3 = f d ω Σ Π = f F1d o d ω d ω1g b d b d ε d t.
Dies ist zugleich die Anzahl der Punkte m, welche in der
Zeit d t an einem Punkte m1 in einer Entfernung, die zwischen
b und b + d b liegt, so vorübergehen, dass dabei der Winkel ε
zwischen ε und ε + d ε liegt.
Unter v2 verstanden wir die Anzahl der Punkte m, welche
während der Zeit d t an einem Punkte m1 im Ganzen in einer
Entfernung vorübergehen, die kleiner als σ ist. Wir finden
daher v2, indem wir den Differentialausdruck v3 bezüglich ε
von 0 bis 2 π, bezüglich b von 0 bis σ integriren. Obwohl
die Integration leicht ausgeführt werden könnte, ist es doch
für das Folgende besser, sie bloss anzudeuten. Wir schreiben
daher:
106)
Wie wir sahen, ist v2 zugleich die Anzahl der Zusammen-
stösse, welche unsere d n Moleküle während der Zeit d t mit
solchen Molekülen m1 erleiden, deren Geschwindigkeitspunkt
innerhalb des Parallelepipedes d ω1 liegt. Die schon früher mit
v1 bezeichnete Anzahl aller Zusammenstösse, welche unsere
d n Moleküle während der Zeit d t überhaupt mit Molekülen m1
erleiden, findet man also, indem man den Ausdruck v2 über
alle Volumenelemente d ω1, d. h. bezüglich der drei Variabeln
ξ1, η1, ζ1, deren Differentiale in d ω1 vorkommen, von — ∞
bis + ∞ integrirt; deuten wir dies durch ein einziges Integral-
zeichen an, so erhalten wir also:
107)
Durch jeden dieser Zusammenstösse wird, wenn er nicht
ein ganz streifender ist, der Geschwindigkeitspunkt des be-
treffenden Moleküls m aus dem Parallelepipede d ω heraus-
geworfen, daher die Anzahl, welche wir immer mit d n be-
zeichneten, um eine Einheit vermindert.
Um zu finden, für wie viel Moleküle m nach beendetem
Zusammenstosse mit einem Moleküle m1 der Geschwindigkeits-
[109][Gleich. 108] § 16. Einfluss der Zusammenstösse.
punkt im Parallelepipede d ω liegt, brauchen wir bloss zu
fragen, wie viele Zusammenstösse gerade in umgekehrter Weise
erfolgen, als die soeben betrachteten.
Wir wollen da nochmals diejenigen Zusammenstösse
zwischen Moleküle m und m1 betrachten, deren Anzahl mit v3
bezeichnet wurde und durch den Ausdruck 105 gegeben ist.
Es sind dies diejenigen Zusammenstösse eines Moleküls m
mit einem Moleküle m1, welche in der Zeiteinheit im Volumen-
elemente d o so geschehen, dass folgende Bedingungen er-
füllt sind:
1. Die Geschwindigkeitscomponenten der Moleküle m und
m1 liegen vor dem Beginne der Wechselwirkung zwischen den
Grenzen 98, resp. 102.
2. Wir bezeichnen mit b die kleinste Distanz, in welche
die Moleküle gelangt wären, wenn sie, ohne dass Wechsel-
wirkung eingetreten wäre, die Geschwindigkeit und Geschwin-
digkeitsrichtung beibehalten hätten, die sie vor der Wechsel-
wirkung hatten, mit P und P1 die Punkte, wo sie sich dann
im Momente ihrer kleinsten Entfernung befunden hätten, und
mit g die Relativgeschwindigkeit vor der Wechselwirkung.
Dann liegt b und der Winkel der beiden durch g parallel
P1P, resp. der Abscissenaxe gelegten Ebenen zwischen den
Grenzen 104 (vgl. die Anmerkung auf S. 107).
Wir nennen alle diese Zusammenstösse kurz die directen
Zusammenstösse von der betrachteten Art. Für dieselben
sollen nach dem Stosse die Geschwindigkeitscomponenten der
beiden Moleküle zwischen den Grenzen
108)
liegen.
Bezeichnen wir ferner mit P1P' die kleinste Entfernung,
in welche beide Moleküle gelangt wären, wenn sie immer die
Geschwindigkeiten und Geschwindigkeitsrichtungen gehabt
hätten, mit denen sie nach dem Stosse auseinandergehen und
mit g' die relative Geschwindigkeit nach dem Stosse, so soll
für alle Zusammenstösse, welche wir eben die directen von
der betrachteten Art nannten, die Länge des Stückes P1P'
und der Winkel der durch g' einerseits parallel P1P', anderer-
[110]II. Abschnitt. [Gleich. 109]
seits parallel der Abscissenaxe gelegten Ebenen zwischen den
Grenzen
109) b' und b' + d b', ε' und ε' + d ε'
liegen.
Wir bezeichnen nun alle Zusammenstösse, welche während
der Zeit d t im Volumenelemente d o so geschehen, dass die
Werthe der Variabeln vor dem Stosse zwischen den Grenzen
108 und 109 liegen, als die inversen Zusammenstösse. Dabei
ist noch die Richtung von g' zu verkehren. Dieselben haben
offenbar gerade den umgekehrten Verlauf als die directen Zu-
sammenstösse der hervorgehobenen Art, und es werden für
sie umgekehrt nach dem Zusammenstosse die Werthe der
Variabeln zwischen den Grenzen 98, 102 und 104 liegen.
Da wir das Wirkungsgesetz der beim Zusammenstosse
thätigen Kräfte als gegeben voraussetzen, so können die Werthe
ξ', η', ζ', ξ'1, η'1, ζ'1, p' und ε' sämmtlicher Variabeln nach dem
Zusammenstosse als Functionen der Werthe derselben Variabeln
ξ, η, ζ, ξ1, η1, ζ1, p und ε vor dem Zusammenstosse berechnet
werden. Ganz analog wie wir für die Anzahl der directen
Zusammenstösse die Formel 105 fanden, ergibt sich für die
Anzahl der inversen Zusammenstösse der Werth:
i3 = d o d ω' d ω'1d t f' F'1g' b' d b' d ε'.
Hier wurde geschrieben: d ω' für d ξ' d η' d ζ', d ω'1 für
d ξ'1d η'1d ζ'1, f' und F'1 für f (x, y, z, ξ', η', ζ', t) und F (x, y, z, ξ'1, η'1, ζ'1, t).
Um die Integration ausführen zu können, müssen sämmtliche
Variabeln als Functionen von ξ, η, ζ, ξ1, η1, ζ1b und ε aus-
gedrückt werden.
Wir werden die Bewegung während der Wechselwirkung
später (in § 21) ausführlich studiren. Hier mag nur Folgendes
bemerkt werden. Die Bewegung von m relativ gegen m1 (d. h.
relativ gegen drei den fixen Coordinatenaxen immer parallele,
aber stets durch m1 gehende Coordinatenaxen, von welcher
allein die Grössen g, g', b, b', ε und ε' abhängen), nennen wir
die relative Centralbewegung. Sie ist genau dieselbe Central-
bewegung, welche man bei gleichem Wirkungsgesetze erhielte,
wenn m1 festgehalten würde und m sich anfänglich mit der
relativen Geschwindigkeit g in einer Geraden bewegt hätte,
welche den senkrechten Abstand b von m1 hat. Der letztere
[111][Gleich. 110a] § 16. Einfluss der Zusammenstösse.
materielle Punkt müsste ausserdem die Masse m m1 / (m + m1)
statt seiner wirklichen Masse haben. g' ist nichts anderes
als die Geschwindigkeit von m am Schlusse der relativen
Centralbewegung, b' ist der senkrechte Abstand der Geraden,
welche m am Schlusse der relativen Centralbewegung be-
schreibt, von m1. Aus der vollkommenen Symmetrie jeder
Centralbewegung folgt sofort g' = g, b' = b (vgl. Fig. 7, § 21).
Die Symmetrieaxe der Bahn von m bei der relativen Central-
bewegung, welche wir deren Apsidenlinie nennen, ist die Ver-
bindungslinie von m1 mit jener Stelle, wo m in der ganzen
relativen Centralbewegung die kleinste Entfernung von m1 hat.
Sie spielt für die Centralbewegung dieselbe Rolle, wie die
Centrilinie für den elastischen Stoss. Die Ebene der relativen
Centralbewegung nennen wir die Bahnebene. Sie enthält die
vier Geraden g, g', b und b'. Man sieht, dass auch d ε = d ε'
ist, wenn man für d ε die Winkeldrehung d ϑ der Apsidenlinie
einführt, hierauf ξ, η, ζ, ξ1, η1, ζ1 in ξ', η', ζ', ξ'1, η'1, ζ'1 trans-
formirt und dann wieder d ε' für d ϑ einführt; denn der Aus-
druck von d ε durch d ϑ und die Werthe der Variabeln vor
dem Stosse muss genau gleich dem von d ε' durch d ϑ und
die Werthe der Variabeln nach dem Stosse sein.
Den Beweis, dass d ω = d ω', d ω1 = d ω'1 ist, haben wir
für elastische Kugeln schon geführt. Da wir damals bloss den
Satz der lebendigen Kraft und die Schwerpunktssätze zum
Beweise benützten und da diese Sätze jetzt unverändert gelten,
so bleibt der Beweis auch hier unverändert anwendbar; an
Stelle der Centrilinie des Stosses hat natürlich wieder die
Apsidenlinie zu treten. Mit Rücksicht auf alle diese Gleichungen
kann man auch schreiben:
110) i3 = f' F'1d o d ω d ω1d t g b d b d ε.
Wir werden übrigens im zweiten Theile ein allgemeines
Theorem beweisen, von dem der Satz, dass hier
110a) d ω' d ω'1g' b' d b' d ε' = d ω d ω1g b d b d ε
ist, nur ein specieller Fall ist. Lediglich um nicht Alles,
was dort allgemein durchgerechnet werden wird, hier im
Speciellen weitschweifig und unnütz wiederholen zu müssen,
haben wir hier den Beweis dieses unzweifelhaft richtigen Satzes
nur kurz angedeutet.
[112]II. Abschnitt. [Gleich. 112]
Durch jeden der Zusammenstösse, welche wir als die
inversen bezeichnet haben, wird die Zahl d n der Moleküle m,
welche im Parallelepipede d o und deren Geschwindigkeits-
punkt im Parallelepipede d ω liegt, um eine Einheit vermehrt.
Die gesammte Vermehrung i1, welche die Zahl d n durch Zu-
sammenstösse von Molekülen m mit Molekülen m1 überhaupt
erleidet, findet man wieder durch Integration bezüglich ε von 0
bis 2 π, bezüglich b von 0 bis σ und bezüglich ξ1, η1, ζ1 von
— ∞ bis + ∞. Wir wollen das Resultat dieser Integration
einfach in der Form schreiben:
111)
Hier kann die Integration nach b und ε natürlich nicht
mehr sofort ausgeführt werden, da die in f' und F'1 vorkom-
menden Variabeln ξ', η', ζ' und ξ'1, η'1, ζ'1 Functionen von
ξ, η, ζ, ξ1, η1, ζ1, b und ε sind, welche nur berechnet werden
können, wenn das Wirkungsgesetz der während eines Zusammen-
stosses wirksamen Kräfte gegeben ist. Die Differenz i1 — v1
gibt an, um wie viel die Zahl d n während der Zeit d t durch
die Zusammenstösse der Moleküle m mit Molekülen m1 mehr
zu- als abnimmt. Sie ist also die gesammte Vermehrung V3,
welche die Zahl d n in Folge der Zusammenstösse von Mole-
külen m mit Molekülen m1 während der Zeit d t erleidet, und
man hat:
112)
Es ist zu bemerken, dass es bei ganz streifenden Zu-
sammenstössen vorkommen kann, dass sowohl vor als auch
nach dem Stosse der Geschwindigkeitspunkt des Moleküls m
im Parallelepipede d ω liegt. Die Anzahl dieser streifenden
Zusammenstösse ist in den Differentialausdruck 105 und daher
auch in das Integrale v1 aufgenommen und von V3 abgezogen,
obwohl durch dieselben der Geschwindigkeitspunkt des Mole-
küls m nicht aus dem Parallelepipede d ω herausgeworfen,
sondern bloss innerhalb dieses Parallelepipedes von einer Stelle
an eine andere versetzt wird. Allein dies bedingt keinen Fehler.
[113][Gleich. 112] § 16. Einfluss der Zusammenstösse.
Denn gerade weil der Geschwindigkeitspunkt des Moleküls m
auch nach dem Zusammenstosse innerhalb d ω liegt, so ist die
Zahl dieser Zusammenstösse auch in den Ausdruck 110 für i3
und daher auch in i1 aufgenommen und zu V3 wieder hinzu-
addirt worden.
Diese Zusammenstösse werden einfach als solche auf-
gefasst, wo der Geschwindigkeitspunkt des Moleküls m zwar
durch den Beginn des Zusammenstosses aus dem Parallel-
epipede d ω herausgeworfen, aber durch das Ende wieder in
dasselbe Parallelepiped hineinversetzt wird. Ja wir können
in dem Integrale 112 die Integration bezüglich b sogar über
Werthe erstrecken, die grösser als σ sind. Dadurch würden
wir die Anzahl einiger Vorübergänge noch in v1 aufnehmen,
also von V3 abziehen, bei denen keine Veränderung der Ge-
schwindigkeiten und Geschwindigkeitsrichtungen der Moleküle
mehr stattfindet. Aber gerade deshalb würde die Zahl der-
selben Zusammenstösse auch im Ausdrucke i1 mitgezählt und
zu V3 wieder hinzuaddirt. Selbstverständlich dürfen die In-
tegrationsgrenzen in den beiden Ausdrücken 107 für v1 und
111 für i1 nicht verschieden gewählt werden. In der Formel 112,
wo i1 — v1 in ein einziges Integral vereinigt ist, dagegen, kann
die Integration bezüglich b so weit ausgedehnt werden, als
man nur immer will, da, sobald b grösser als σ ist, ξ', η', ζ',
ξ'1, η'1, ζ'1 identisch mit ξ, η, ζ, ξ1, η1, ζ1 werden, daher
f' F'1 = f F1 wird, und die Grösse unter dem Integralzeichen
der Formel 112 verschwindet. Diese Bemerkung ist in allen
Fällen, wo die Wechselwirkung der Moleküle mit wachsender
Entfernung nur ganz allmählich aufhört und daher keine
scharfe Grenze für die Wirkungssphäre angegeben werden kann,
von Wichtigkeit. Man kann in solchen Fällen in Formel 112
bezüglich b einfach von 0 bis ∞ integriren, und da diese
Integrationsgrenzen auch in allen anderen Fällen zulässig sind,
so wollen wir sie in Zukunft beibehalten. Wenn auch keine
Entfernung angegeben werden kann, bei welcher die Wechsel-
wirkung zweier Moleküle exact auf Null herabsinkt, so setzen
wir doch selbstverständlich voraus, dass die Wechselwirkung
mit wachsender Entfernung so rasch abnimmt, dass die Fälle,
wo mehr als zwei Moleküle gleichzeitig in bemerkbare Wechsel-
wirkung treten, vernachlässigt werden können.
Boltzmann, Gastheorie. 8
[114]II. Abschnitt. [Gleich. 114]
Die Anzahl der Moleküle, welche während d t zum Zu-
sammenstosse gelangen und sich gleichzeitig so bewegen, dass
auch ohne Zusammenstoss während d t sie selbst aus d o oder
ihr Geschwindigkeitspunkt aus d ω ausgetreten wäre, ist natür-
lich wieder unendlich kleiner von der Ordnung d t2.
4. Die Vermehrung V4, welche die von uns mit d n be-
zeichnete Zahl während der Zeit d t durch die Zusammen-
stösse der Moleküle m unter einander erfährt, findet man aus
Formel 112 durch eine einfache Vertauschung. Man versteht
nämlich jetzt in dieser Formel unter ξ1, η1, ζ1, resp. ξ'1, η'1, ζ'1
die Geschwindigkeitscomponenten des anderen Moleküls m vor,
resp. nach dem Stosse und schreibt f1 und f'1 für
f (x, y, z, ξ1η1, ζ1, t)
und
f (x, y, z, ξ'1η'1, ζ'1, t)
Dann wird
113)
Da nun V1 + V2 + V3 + V4 gleich ist dem Zuwachse d n' — d n
der Zahl d n während der Zeit d t und dieser nach Formel 101
wieder gleich (∂ f / ∂ t) d o d ω d t ist, so erhält man nach Sub-
stitution aller Werthe und Division durch d o d ω d t folgende
partielle Differentialgleichung für die Function f:
114)
Analog ergibt sich für die Function F die partielle
Differentialgleichung:
[115][Gleich. 118] § 17. Ueber alle Moleküle erstreckte Summen.
115)
Dabei ist analog mit unseren sonstigen Abkürzungen F'
für F (x, y, z, ξ', η', ζ', t) gesetzt.
§ 17. Differentialquotienten nach der Zeit von über
alle Moleküle eines Bezirkes erstreckten Summen.
Ehe wir weiter gehen, wollen wir einige allgemeine, für
die Gastheorie nützliche Formeln entwickeln. Sei φ eine ganz
beliebige Function von x, y, z, ξ, η, ζ, t. Den Werth, welchen
wir erhalten, wenn wir darin für x, y, z, ξ, η, ζ die Coordinaten
und Geschwindigkeitscomponenten irgend eines Moleküls zur
Zeit t substituiren, wollen wir als den Werth des φ bezeichnen,
welcher jenem Moleküle zur Zeit t entspricht. Die Summe
aller Werthe des φ, welche allen Molekülen m entsprechen,
die zur Zeit t im Parallelepipede d o und deren Geschwindig-
keitspunkte im Parallelepipede d ω liegen, erhalten wir, indem
wir φ mit der Anzahl f d o d ω jener Moleküle multipliciren.
Wir bezeichnen sie mit
116) Σ d ω, d oφ = φ f d o d ω.
Analog wählen wir auch für die zweite Gasart eine be-
liebige andere Function Φ von x, y, z, ξ, η, ζ, t und bezeich-
nen mit
117) = Φ1F1d o d ω1
die Summe der Werthe von Φ, welche allen in d o liegenden
Molekülen m1, deren Geschwindigkeitspunkt in d ω1 liegt, ent-
sprechen. Φ1 ist die Abkürzung für Φ (x, y, z, ξ1, η1, ζ1, t).
Lassen wir in diesen Ausdrücken d o constant und in-
tegriren bezüglich d ω, resp. d ω1 über alle möglichen Werthe,
so erhalten wir die Ausdrücke:
118) Σω, d oφ = d o ∫ φ f d ω und = d o ∫ Φ1F1d ω1,
8*
[116]II. Abschnitt. [Gleich. 123]
welche uns für das erste, resp. zweite Gas die Summe aller
Werthe von φ, resp. Φ darstellen, die zur Zeit t allen in d o
liegenden Molekülen entsprechen, ohne dass die Geschwindig-
keiten irgend einer Beschränkung unterworfen wären.
Integriren wir auch noch bezüglich d o über alle Volumen-
elemente unseres Gases, so erhalten wir die Ausdrücke:
119) Σω, oφ = ∫ ∫ φ f d o d ω und = ∫ ∫ Φ1F1d o d ω1
für die Summe aller Werthe von φ, resp. Φ, welche über-
haupt allen unseren Gasmolekülen erster, resp. zweiter Art
entsprechen.
Wir wollen nun zuerst den Zuwachs (∂ Σ d ω, d o φ/ / ∂ t) d t
berechnen, welchen die Summe Σd ω, d oφ während einer un-
endlich kleinen Zeit d t erfährt, ohne dass dabei die beiden
Volumenelemente d o und d ω sich in Grösse, Gestalt und Lage
ändern. Wegen der letzteren Bedingung, welche durch Be-
nutzung des Zeichens ∂ / ∂ t ausgedrückt ist, ist nur nach der
Zeit zu differentiiren, und da während der Zeit d t φ um
(∂ φ / ∂ t) d t und f um (∂ f / ∂ t) d t wächst, so erhalten wir aus
Formel 116:
Wenn wir hier für ∂ f / ∂ t seinen Werth aus Gleichung 114
substituiren, so erscheint der obige Ausdruck als eine Summe
von fünf Gliedern, von denen jedes eine besondere physika-
lische Bedeutung hat. Setzen wir demzufolge:
120)
so entspricht
121)
dem durch das explicite Vorkommen von t in der Function φ
bewirkten,
122)
dem durch das Wandern der Moleküle bewirkten,
123)
dem durch die äusseren Kräfte bewirkten,
[117][Gleich. 129] § 17. Ueber alle Moleküle erstreckte Summen.
124)
dem durch die Zusammenstösse von Molekülen m mit Mole-
külen m1 und
125)
dem durch die Zusammenstösse der Moleküle m unter einander
bewirkten Zuwachse.
Um (∂ / ∂ t) Σω, d o φ zu finden, haben wir einfach
(∂/∂ t) Σd ω, d o φ bezüglich d ω über alle möglichen Werthe zu
integriren. Wir wollen wieder schreiben:
126) .
Jedes B erhält man, wenn man das mit gleichem Index
versehene A mit d ω = d ξ d η d ζ multiplicirt und bezüglich
aller dieser Variabeln von — ∞ bis + ∞ integrirt, was wir
durch ein einziges Integralzeichen ausdrücken. So ist also:
127)
128) .
Das dritte Glied B3, welches dem Zuwachse in Folge der
Wirksamkeit der äusseren Kräfte entspricht, können wir auch
auf einem anderen Wege berechnen. Da wir alle Elemente d ω
einzubegreifen haben, so wollen wir nicht die f d o d ω Mole-
küle, deren Geschwindigkeitspunkte zu Beginn des Zeitdifferen-
tials d t in d ω lagen, gerade mit denjenigen vergleichen, deren
Geschwindigkeitspunkt im Momente des Endes des Zeitdiffe-
rentials d t wieder in demselben Volumenelemente d ω liegt.
Wir wollen vielmehr die ersteren f d o d ω Moleküle ein-
fach in ihrer Bewegung während des Zeitdifferentials d t verfolgen.
Für jedes derselben sind während dieses Zeitdifferentials die
Geschwindigkeitscomponenten ξ, η ζ um X d t, Y d t, Z d t ge-
wachsen; daher ist für jedes der ihm entsprechende Werth
von φ in Folge der Wirksamkeit der äusseren Kräfte um
129)
[118]II. Abschnitt. [Gleich. 131]
gewachsen. Der Einfluss der äusseren Kräfte besteht also
bloss darin, dass jedes dieser Moleküle noch diesen Betrag
mehr in die Summe Σω, d o φ liefert. Den Gesammtzuwachs
B3(φ) d o d t dieser Summe in Folge der Wirksamkeit der äusseren
Kräfte finden wir also, indem wir den Ausdruck 129 mit
f d o d ω multipliciren und über alle Werthe von d ω integriren,
wodurch sich ergibt:
130) .
Nach der Methode, nach welcher die Ausdrücke 127
und 128 gefunden wurden, d. h. durch Multiplication des
Ausdruckes 123 mit d ω und Integration über alle Werthe
dieses Differentials ergibt sich für dieselbe Grösse der Werth:
131) .
Da X, Y, Z die Variabeln ξ, η, ζ nicht enthalten, da
ferner d ω bloss eine Abkürzung für d ξ d η d ζ ist und das
Integralzeichen der Formeln 130 und 131 eine Integration
bezüglich ξ, η, ζ von — ∞ bis + ∞ bedeutet, so sieht man
leicht, dass durch partielle Integration des ersten Gliedes
rechts nach ξ, des zweiten nach η, des dritten nach ζ die
Identität der beiden Ausdrücke 130 und 131 erwiesen werden
kann. Denn für unendliche Werthe von ξ, η oder ζ muss f
verschwinden und sich auch das Product f φ der Grenze 0
nähern, wenn Σ ω, d o φ überhaupt einen Sinn haben soll.
Auch den Zuwachs B4(φ) d o d t, welchen die Grösse Σω, d o φ
durch die Zusammenstösse eines Moleküls m mit einem Mole-
küle m1 erfährt, wollen wir direct berechnen.
Wir bezeichnen da wieder alle Zusammenstösse, die zwischen
einem Moleküle m und einem Moleküle m1 während der Zeit d t
im Volumenelemente d o so geschehen, dass vor dem Stosse die
Variabeln zwischen den Grenzen 98, 102 und 104 liegen, als
die directen Zusammenstösse von der betrachteten Art. Die
gesammte Wirkung jedes dieser Zusammenstösse besteht darin,
dass ein Molekül m die Geschwindigkeitscomponenten ξ, η, ζ
verliert und dafür die Geschwindigkeitscomponenten ξ', η', ζ'
erhält. Während es also vor dem Zusammenstosse in Σω, d o φ
das Glied φ lieferte, so liefert es nach demselben das Glied φ',
wobei φ' eine Abkürzung für φ (x, y, z, ξ', η', ζ', t) ist.
[119][Gleich. 134 a] § 17. Ueber alle Moleküle erstreckte Summen.
Durch jeden dieser Zusammenstösse erfährt daher diese
Summe den Zuwachs φ' — φ und da die Anzahl dieser als
directe bezeichneten Zusammenstösse die durch die Formel 105
gegebene Grösse v3 ist, so erhält man den gesammten Zuwachs
B4(φ)d o d t, den die Summe Σω, d o φ durch die Zusammenstösse
eines Moleküls m mit einem Moleküle m1 überhaupt erfährt,
indem man das Product (φ' — φ) v3 bei constantem d o und d t
über alle Werthe aller anderen Differentiale integrirt. Man
erhält so:
132) .
Man hätte aber bei Berechnung von B4(φ) ebenso gut von
der Betrachtung derjenigen Zusammenstösse ausgehen können,
welche zwischen einem Moleküle m und einem Moleküle m1
während der Zeit d t in d o so geschehen, dass vor dem Stosse
die Variabeln zwischen den Grenzen 108 und 109 liegen und
welche wir wiederum als die inversen Zusammenstösse be-
zeichnen wollen. Für jeden derselben entsprach dem Mole-
küle m vor dem Stosse der Functionswerth φ', nach demselben
aber φ. Jeder derselben vermehrt also die Summe Σω, d o φ
um φ — φ', alle zusammen daher um (φ — φ') i3, wobei i3 die
durch Formel 110 gegebene Anzahl der inversen Zusammen-
stösse ist.
Integriren wir bei unverändertem d o und d t über alle
übrigen Differentiale, so müssen wir wieder die mit B4(φ)d o d t
bezeichnete Grösse erhalten. Es ergibt sich aber dann:
133) .
Wir können daher auch B4(φ) gleich dem arithmetischen
Mittel der beiden eben gefundenen Werthe setzen und erhalten so:
134) .
Die Integration der Formel 124 dagegen würde liefern:
134a) .
[120]II. Abschnitt. [Gleich. 139]
Man sieht leicht, dass die Möglichkeit aller dieser ver-
schiedenen Formen von B4 (φ) aus den beiden Gleichungen folgt:
Σ φ' v3 = Σ φ i3,
Σ φ' i3 = Σ φ v3,
wobei das Summenzeichen eine Integration über alle in i3 oder
v3 enthaltenen Differentiale bis auf d o und d t ausdrückt.
Diese beiden Gleichungen ergeben sich aber unmittelbar;
denn sowohl bei der Summirung aller v3, als auch bei der
Summirung aller i3 werden alle Zusammenstösse umfasst,
φ und φ' aber vertauschen sich, wenn man an Stelle der
ersteren Summe die letztere oder umgekehrt setzt.
Nimmt man in Formel 132 oder 133 beide Moleküle
gleichbeschaffen an, so folgt:
135)
136) .
Dabei ist noch zu bedenken, dass auch die beiden zu-
sammenstossenden Moleküle dieselbe Rolle spielen, dass man
also in jeder der beiden letzten Formeln die unten mit dem
Index 1 versehenen Buchstaben mit den Buchstaben ohne
unteren Index vertauschen kann, ohne den Werth von B5(φ) zu
verändern. Nimmt man jedes Mal aus dem ursprünglichen und
dem durch Vertauschung gewonnenen Werthe von B5(φ) das
arithmetische Mittel, so folgt aus 135:
137) ,
und aus 136:
138) .
Das arithmetische Mittel dieser beiden Werthe liefert
wiederum:
139) .
[121][Gleich. 140] § 17. Ueber alle Moleküle erstreckte Summen.
Dasselbe Resultat erhält man, wenn man bedenkt, dass
durch jeden Zusammenstoss, welcher die Bedingungen 98, 102
und 104 erfüllt, der Werth des φ für das eine der stossenden
Moleküle von φ in φ', für das andere von φ1 in φ'1 über-
geführt wird, dass also durch jeden derartigen Zusammen-
stoss Σω, d o φ um φ' + φ'1 — φ — φ1 wächst. φ1 und φ'1 sind
Abkürzungen für φ (x, y, z, ξ1, η1, ζ1, t) und φ (x, y, z, ξ'1, η'1, ζ'1, t).
Nun geschehen f f1g b d o d ω d ω1d b d ε d t derartige Zusammen-
stösse während d t. Durch alle diese Zusammenstösse wird
Σω, d o φ um (φ' + φ'1 — φ — φ1) f f1g b d o d ω d ω1d b d ε d t ver-
mehrt. Integriren wir bezüglich d ω, d ω1, d b und d ε, so
erhalten wir den durch die Zusammenstösse der Moleküle m
untereinander bewirkten Zuwachs von Σω, d o φ, also die Grösse
B5 (φ) d o d t. Wir müssen aber noch durch 2 dividiren, da wir
jeden Zusammenstoss doppelt gezählt haben, und erhalten also
sofort die Formel 137. Hätte man nur die verkehrten Zu-
sammenstösse betrachtet, so hätte man ebenso die Formel 138
erhalten.
Derjenige specielle Fall der Gleichung 126, welchen man
erhält, wenn man die Function φ von der Zeit und den
Coordinaten x, y, z unabhängig annimmt, wird uns noch in
§ 20 beschäftigen.
Wir wollen jetzt noch setzen:
140) .
Da in Σω, o φ über alle in d o und d ω vorkommenden
Werthe integrirt ist, so ist diese Grösse nun mehr Function
der Zeit. Es ist daher die Anwendung des Zeichens ∂/∂ t
überflüssig und wir können die Differentiation durch die ge-
wöhnlichen lateinischen d ausdrücken.
Jedes C ergibt sich wieder, wenn man das B mit gleichem
Index mit d o multiplicirt und über alle Volumenelemente des
vom Gase erfüllten Raumes integrirt, oder auch, wenn man
das A mit gleichem Index mit d o d ω multiplicirt und über
alle d o und d ω integrirt.
Da jetzt auch die Gesammtzahl der Moleküle unverändert
bleibt (sie ist einfach gleich der Zahl der Moleküle unseres
Gases), so können wir die Summe [C1 (φ) + C2 (φ) + C3 (φ)] d t
[122]II. Abschnitt. [Gleich. 141]
der Zuwächse, welche während d t durch das explicite Vor-
kommen von t in φ, durch das Fortwandern der Moleküle
und die Wirksamkeit der äusseren Kräfte zusammen entstehen,
also die Summe aller Zuwächse mit Ausnahme der durch die
Zusammenstösse bewirkten, berechnen, indem wir einfach die
f d o d ω Moleküle, die zur Zeit t in d o und deren Geschwin-
digkeitspunkte in d ω liegen, auf ihrem Wege während der
Zeit d t verfolgen. Während dieser Zeit wachsen ihre Coordi-
naten um ξ d t, η d t, ζ d t, ihre Geschwindigkeitscomponenten
um X d t, Y d t, Z d t. Jedes dieser Moleküle liefert also in die
Summe Σω, o φ zur Zeit t den Betrag:
φ (x, y, z, ξ, η, ζ, t),
zur Zeit t + d t aber einen um
grösseren Betrag, und da die Anzahl dieser Moleküle gleich
f d o d ω ist, so hat man hiermit zu multipliciren und bei con-
stanten d t über alle möglichen Werthe aller anderen Diffe-
rentiale zu integriren. Es folgt also nach Division durch d t:
141) .
Dieser Werth stellt den durch d t dividirten Zuwachs von
Σω, o φ, der aus den betrachteten drei Ursachen entsteht, auch
dann noch richtig dar, wenn die Wände des das Gas um-
schliessenden Gefässes in Bewegung begriffen sind. Würde
man dagegen für C2 (φ) einfach das Integrale der Grösse
B2 (φ) d o schreiben, so würde man die Lage sämmtlicher
Volumenelemente d o als unveränderlich betrachten. Man
müsste also, wenn die Wände beweglich wären, noch besondere
Glieder hinzufügen, die den während der Zeit d t neu zum
Volumen des Gases hinzugekommenen oder von demselben
hinweggenommenen Volumentheilen Rechnung tragen. Dieselben
entsprechen den Oberflächenintegralen, welche bei partieller
Integration des Ausdruckes 141 nach den Coordinaten zum
Vorschein kommen.
[123][Gleich. 143] § 17. Ueber alle Moleküle erstreckte Summen.
Die beiden Grössen C4 (φ) und C5 (φ) erhält man, indem
man die Ausdrücke B4 (φ) und B5 (φ) mit d o multiplicirt und
über alle Volumenelemente des von den Gasen erfüllten Raumes
integrirt, wodurch sich ergibt:
142) .
Ein etwaiger Zuwachs neuer Volumenelemente durch Be-
wegung der das Gas umschliessenden Wände braucht hier nicht
berücksichtigt zu werden, da die Moleküle, welche in solchen zu-
gewachsenen Volumenelementen zum Zusammenstosse gelangen,
nur Glieder von der Grössenordnung d t2 liefern. Da die Aus-
drücke für die nach der Zeit genommenen Differentialquotienten
derjenigen Grössen, welche wir mit und
bezeichneten, ganz analog gebaut sind, sollen sie hier
nicht weiter angeschrieben werden.
Die A, B, C sind lediglich die durch gewisse Ursachen
bewirkten Zuwächse bestimmter Grössen, weshalb sie von den
meisten Autoren durch diesen Grössen vorgesetzte Differential-
zeichen ausgedrückt werden. Maxwell schreibt (∂/∂ t) Σω, d o φ,
Kirchhoff (D / D t) Σω, d o φ für B5 (φ) u. s. w. Deshalb ist,
wie bei allen Differentialen, das A einer Summe zweier Func-
tionen gleich dem A der Addenden, also
143)
für jeden Index k. Diese Gleichungen folgen übrigens auch
sofort aus dem Umstande, dass φ in allen den Integralen A,
B und C nur linear vorkommt.
[124]II. Abschnitt. [Gleich. 145]
§ 18. Allgemeinerer Beweis des Entropiesatzes.
Behandlung der Gleichungen, welche dem stationären
Zustande entsprechen.
Wir wollen nun den speciellen Fall betrachten, dass
φ = l f und Φ = l F ist, wobei l den natürlichen Logarithmus
bedeutet. Dann wird
Σω, o φ = Σω, o l f = ∫ ∫ f l f d o d ω,
,
und wir wollen setzen:
144) .
Man hat nach Gleichung 141:
145) .
Integrirt man das fünfte Glied des Ausdruckes in der
Klammer bezüglich ξ, das sechste bezüglich η, das letzte be-
züglich ζ, so erhält man jedes Mal Null, da X, Y, Z nicht
Functionen von ξ, η, ζ sind und f für die Grenzen (— ∞, + ∞)
verschwindet. Integrirt man das zweite, dritte und vierte Glied
nach x, resp. y und z, so erhält man ein über die gesammte
Oberfläche des Gases erstrecktes Integral J. Ist d S ein Flächen-
element dieser Oberfläche und N die normal zu d S nach
aussen gerichtete Geschwindigkeit eines Moleküls m, so wird
J = ∫ ∫ d S d ω N f.
Man sieht leicht, dass J d t die Gesammtzahl K der Mole-
küle darstellt, welche durch die ganze Fläche S mehr aus- als
eintreten, während das mit d t multiplicirte erste Glied
der rechten Seite der Gleichung 145 die gesammte Zunahme L
darstellt, welche die Anzahl der innerhalb jener Fläche S
liegenden Moleküle m während der Zeit d t erfährt.
Dabei ist zu bedenken, dass wir die Volumenelemente d o
nicht als fix betrachteten, sondern mit den Molekülen mit-
[125][Gleich. 145] § 18. Allgem. Beweis des Entropiesatzes.
wandern liessen. Ist daher das Gas von Vacuum umgeben,
so wird sich die Fläche S, und zwar für die Moleküle von
verschiedener Geschwindigkeit oder Geschwindigkeitsrichtung
in verschiedener Weise, immer mit ihnen mitbewegen. Daher
werden nirgends Moleküle durch S aus- oder eintreten und es
ist L = K = O. Ist das Gas von ruhenden Wänden ein-
geschlossen, an denen die Moleküle gleich elastischen Kugeln
reflectirt werden 1), so tritt an Stelle jedes an der Wand in
Folge der gegen sie gerichteten Bewegung der Moleküle ver-
schwindenden Volumenelementes d o ein gleiches mit gleich-
beschaffenen Molekülen erfülltes, bei denen nur das Zeichen
der zur Wand normalen Geschwindigkeit N umgekehrt ist.
Es ist also auch L = K = O.
Dies wird, sobald die Wand ruht, wegen der Symmetrie
und gleichen Wahrscheinlichkeit entgegengesetzter Bewegungen
wohl auch noch gelten, wenn man sich die Wirkung der Wand
irgendwie anders denkt, sobald dieselbe nur ruht und dem
Gase weder lebendige Kraft zuführt, noch entzieht.2) In allen
[126]II. Abschnitt. [Gleich. 145 a]
diesen Fällen reducirt sich daher (d / d t) Σω, o l f auf die durch
die Zusammenstösse gelieferten Glieder C4 (l f) + C5 (l f) und
die Gleichungen 140 und 142 liefern:
2)
[127][Gleich. 146] § 18. Gleichungen für den stationären Zustand.
.
Analog ist:
.
Daher wird nach Gleichung 144:
146) .
Wie die Integrale der Formel 33, so sind auch diese
Integrale Summen von lauter Gliedern, von denen keines negativ
sein kann. Es kann also H niemals zunehmen. Wir hätten
den Beweis in derselben Weise auch führen können, wenn wir
die Anwesenheit beliebig vieler Gase in beliebiger molekular
ungeordneter Anfangsvertheilung unter der Wirkung beliebiger
äusserer Kräfte angenommen hätten. Es ist somit der am
Schlusse des § 8 nur angedeutete Beweis des Clausius-
Gibbs’schen Satzes, dass bei constantem Volumen und Aus-
schluss von Energiezufuhr die Grösse H nur abnehmen kann,
für einatomige Gase vollständig erbracht.
Die Grösse d H / d t kann nur verschwinden, wenn in allen
Integralen die Grösse unter den Integralzeichen verschwindet.
Für den stationären Endzustand aber, welchen das Gasgemisch
[128]II. Abschnitt. [Gleich. 149]
bei vollkommen ruhenden Gefässwänden annimmt, kann un-
möglich H immerfort abnehmen, da ja schliesslich Alles con-
stant wird. Es muss daher die Grösse unter den Integral-
zeichen der Formel 146 für alle Werthe der Variabeln ver-
schwinden, d. h. es müssen für alle möglichen Zusammenstösse
die drei Gleichungen gelten:
147) f f1 = f' f'1, F F1 = F' F'1, f F1 = f' F'1.
Für den Gleichgewichtszustand kann natürlich die Variable t
nicht mehr in den Functionen enthalten sein; wir wollen jedoch
diese Bedingung erst später einführen und vorläufig alle
Lösungen der Gleichungen 147 suchen mit Einschluss jener,
welche noch die Zeit enthalten.
Wir behandeln zunächst die letzte dieser Gleichungen,
betrachten darin x, y, z, t constant und suchen vorläufig bloss
die Abhängigkeit der Functionen f und F von den Variabeln
ξ, η und ζ. Wir setzen wieder
φ = l f (x, y, z, ξ, η, ζ, t), φ' = l f (x, y, z, ξ', η', ζ', t),
Φ1 = l f (x, y, z, ξ1, η1, ζ1, t), Φ'1 = l F (x, y, z, ξ'1, η'1, ζ'1, t);
dann geht die letzte der Gleichungen 147 über in
148) φ + Φ1 — φ' — Φ'1 = 0.
Durch die Zusammenstösse sollen jedenfalls die Gleichungen
der lebendigen Kraft und die drei Schwerpunktsgleichungen
nicht verletzt werden. Man hat also jedenfalls
149) .
Von den acht Variabeln ξ, η, ζ, ξ1, η1, ζ1, b und ε kann
offenbar jede, unabhängig von den übrigen, eine unendliche
Mannigfaltigkeit von Werthen annehmen: es sind sogenannte
independente Veränderliche. Die sechs Grössen ξ', η', ζ', ξ'1,
η'1 und ζ'1 werden durch sechs Gleichungen als Functionen
derselben ausgedrückt.
[129][Gleich. 150] § 18. Gleichungen für den stationären Zustand.
Alle Gleichungen, welche zwischen den zwölf Variabeln
150) ξ, η, ζ, ξ1, η1, ζ1, ξ', η', ζ', ξ'1, η'1, ζ'1
bestehen, können nur durch Elimination von b und ε aus
diesen sechs Gleichungen hervorgehen. Durch diese Elimination
können aber nur vier Gleichungen erhalten werden. Daraus
folgt, dass die vier Gleichungen 149 die einzigen sind, welche
zwischen jenen zwölf Variabeln bestehen. Die Gleichungen 147
und 148 müssen also für alle Werthe jener zwölf Variabeln
bestehen, welche den vier Bedingungen 149 genügen. Wir
bemerken noch, dass diese Gleichungen bezüglich der drei
Coordinatenaxen vollkommen symmetrisch sind, dass man also
in jeder Gleichung, welche aus denselben folgt, ohne Weiteres
die Coordinaten cyklisch vertauschen kann, ohne die Richtig-
keit der Gleichung zu beeinträchtigen.
Wir können nach der bekannten Methode der unbestimmten
Multiplicatoren alle zwölf Differentiale der zwölf Grössen 150
von einander abhängig machen, wenn wir zu dem totalen
Differentiale der Gleichung 148 die totalen Differentiale der
vier Gleichungen 149 mit vier verschiedenen Factoren A,
B, C, D multiplicirt, addiren. Diese Factoren lassen sich
dann immer so wählen, dass die Coëfficienten sämmtlicher
Differentiale verschwinden. Wir erhalten so:
.
Bei passender Wahl der vier Factoren verschwinden die
Coëfficienten aller zwölf Differentiale, daher folgt:
oder
.
Boltzmann, Gastheorie. 9
[130]II. Abschnitt. [Gleich. 153]
Ebenso folgt:
.
Die Elimination von A, das als unbestimmter Factor
jedenfalls nicht identisch gleich Null sein kann, liefert:
151) .
Diese Gleichung enthält ausser den Variabeln x, y, z, t,
die wir immer als constant betrachten, nur noch die sechs
vollkommen independenten Variabeln ξ, η, ζ, ξ1, η1, ζ1. Diffe-
rentiirt man sie partiell nach ζ, so folgt:
.
Die weitere partielle Differentiation dieser Gleichung nach
η1 liefert:
.
Die nach ξ1 aber liefert:
,
durch cyklische Vertauschung folgt:
.
Diese drei Gleichungen drücken bekanntlich aus, dass φ in
drei Summanden zerfallen muss, von denen der erste nur ξ,
der zweite nur η, der dritte nur ζ enthält.
Ganz analog würde sich auch für die Function Φ er-
geben:
152) .
Weiter liefert die Differentiation der Gleichung 151 nach ξ:
153) ,
da ja
ist. Die weitere Differentiation der Gleichung 153 nach η1
liefert aber:
.
[131][Gleich. 155] § 18. Gleichungen für den stationären Zustand.
Da hier in den beiden Ausdrücken links und rechts ganz
andere Variabeln vorkommen, so können diese Ausdrücke nur
gleich sein, wenn sie beide von allen Variabeln unabhängig,
also gleich einer von ξ, η, ζ, ξ1, η1, ζ1 unabhängigen Grösse sind.
Da die y- und z-Axe in den zu lösenden Gleichungen
ganz in derselben Weise vertreten sind, so hätte man ebenso
gut die Gleichung
beweisen können oder auch, dass der letzte Ausdruck wieder
gleich
sein muss. Es sind also alle diese zweiten Differentialquotienten
gleich einer und derselben von ξ, η, ζ, ξ1, η1 und ζ1 unab-
hängigen Grössen — 2h. Man zieht aus allen diesen Gleichungen
leicht die Consequenz, dass φ = — h m (ξ2 + η2 + ζ2) mehr
einer linearen Function von ξ, η, ζ sein muss. Die Coëfficienten
der letzteren kann man ohne Beschränkung der Allgemeinheit
in einer solchen Form schreiben, dass man erhält:
φ = — h m [(ξ — u)2 + (η — v)2 + (ξ — w)2] + l f0,
wobei u, v, w und f0 die neuen Constanten sind, die aber
natürlich ebenso wie h noch Functionen von x, y, z, t sein
können. Daraus folgt also weiter:
154)
und ebenso erhält man:
155) .
Diese Form müssen die Functionen f und F jedenfalls
haben, wenn die drei Gleichungen 147 für alle Werthe der
Variabeln erfüllt sein sollen. Man sieht leicht, dass auch um-
gekehrt, sobald f und F diese Form haben, die Gleichungen 147
in der That erfüllt sind, sobald nur u1 = u, v1 = v, w1 = w ist.
Im Uebrigen können die Grössen f0, F0, u, v, w, h beliebige
Functionen von x, y, z und t sein.
Diese Functionen sind noch so zu bestimmen, dass die
beiden Gleichungen:
9*
[132]II. Abschnitt. [Gleich. 159]
156)
und
157)
erfüllt sind; denn hierauf reduciren sich die Gleichungen 114
und 115, da deren rechte Seite identisch verschwindet.
Die Zahl der Moleküle m, welche sich zur Zeit t in d o
und deren Geschwindigkeitspunkte sich in d ω befinden, ist:
.
Setzt man
158) ,
so erhält man genau die Formel 36, nur dass x, y, z an die
Stelle von ξ, η, ζ treten.
Daraus sieht man sofort, dass alle an die Formel 36 geknüpften
Betrachtungen unverändert gelten, nur dass alle Gasmoleküle
nebst der durch jene Formel dargestellten Bewegung noch eine
gemeinsame fortschreitende Bewegung im Raume haben, deren
Geschwindigkeitscomponenten u, v, w sind. Wenn u = u1,
v = v1, w = w1 ist, so sind dies die Componenten der sichtbaren
Geschwindigkeit, mit welcher sich das ganze in d o befindliche
Gasgemenge fortbewegt. Wäre u von u1, resp. v von v1 oder
w von w1 verschieden, so wären u, v, w die Componenten der
Geschwindigkeit, mit der sich die gesammte, in d o befindliche
Gasmenge erster Gattung durch die Gasmenge zweiter Gattung
hindurch zu bewegen scheint.
Man sieht alles dies auch in folgender Weise ein. Die
Anzahl der Moleküle m, die zur Zeit t in d o liegen, ist:
.
Durch die Substitutionen 158 folgt:
159) .
[133][Gleich. 162] § 18. Gleichungen für den stationären Zustand.
Multiplicirt man dies mit m und dividirt durch d o, so
erhält man die Partialdichte der ersten Gasart gleich
160) .
Der Mittelwerth ξ̅ der nach der Abscissenrichtung ge-
schätzten Geschwindigkeitscomponente aller in d o liegenden
Moleküle m ist:
161) .
Dies ist offenbar auch die x-Componente der Geschwindigkeit
des Schwerpunktes der in d o befindlichen Gasmenge erster Art.
Würde sich ein der y z-Ebene paralleles Flächenelement mit
dieser Geschwindigkeit in der Abscissenrichtung fortbewegen,
so würden durch dasselbe gleich viel Moleküle nach der einen
wie nach der anderen Seite hindurchgehen, wie unmittelbar
aus dem Begriffe der mittleren Geschwindigkeit folgt. Man
kann also ξ̅ als die Geschwindigkeit bezeichnen, mit welcher
sich die in d o enthaltene Menge des ersten Gases in der
Abscissenrichtung fortbewegt.
Durch die Substitutionen 158 verwandelt sich der Zähler
des Ausdruckes 161 in
.
Man sieht sofort, dass das erste Glied verschwindet, das
zweite aber sich auf u d n reducirt. Es ist also
162) .
Da x die relative Geschwindigkeit eines Gasmoleküls gegen
ein mit der Geschwindigkeit u bewegtes Flächenelement und f
eine gerade Function von x ist, so sieht man sofort, dass
durch jenes Flächenelement, wenn es ⊥ zur x-Axe steht,
durchschnittlich von der ersten Gasart ebensoviel ein-, als
austritt.
[134]II. Abschnitt. [Gleich. 164]
§ 19. Aerostatik. Entropie eines schweren, ohne Ver-
letzung der Gleichungen 147 bewegten Gases.
Die Gleichung 156 lässt nach Substitution des Werthes 154
noch viele Auflösungen zu, unter denen jedenfalls eine den
Zustand des Gasgemenges liefern muss, wenn dasselbe unter dem
Einflusse der gegebenen äusseren Kräfte in einem ruhenden
Gefässe, dessen Wände die bei Ableitung der Gleichung 146
gemachten Voraussetzungen erfüllen, also dem Gase nicht fort-
während Wärme entziehen oder zuführen, nach Aufhören aller
Wärmeleitung und Diffusionserscheinungen ruht. Diese Lösung
wollen wir zuerst aufsuchen. Für sie kann offenbar keine
der vorkommenden Grössen Function der Zeit sein.
Ausserdem muss u = v = w = u1 = v1 = w1 = 0 sein. Es
wird daher nach den Gleichungen 154 und 155:
163) ,
wobei f0, F0 und h noch Functionen der Coordinaten sein
können. Substituiren wir dies in die Gleichung 156, so folgt:
.
Da diese Gleichung für alle Werthe von ξ, η, ζ gelten
soll, so folgt:
.
h muss also eine im ganzen Raume constante Grösse sein.
Ferner müssen die Coëfficienten von ξ, η, ζ in den fol-
genden Gliedern separat verschwinden. Dies kann nur statt-
finden, wenn X, Y und Z die partiellen Differentialquotienten
einer und derselben Function — χ nach den Coordinaten sind.
Ist diese Bedingung nicht erfüllt, so kann das Gas überhaupt
nicht zur Ruhe gelangen. Ist sie erfüllt so wird:
164)
[135][Gleich. 166] § 19. Aerostatik.
wo a eine reine Constante ist. Da in jedem Volumen-
elemente d o die Grösse f0 constant ist, so ist die Formel 163
vollkommen gleich gebaut wie die Formel 36. Die Geschwindig-
keitsvertheilung ist also in jedem Volumenelemente genau so,
wie sie wäre, wenn die eine Gasart allein vorhanden wäre und
wenn bei gleicher Partialdichte derselben keine äusseren Kräfte
wirken würden. Namentlich bleibt trotz der Wirksamkeit der
äusseren Kräfte für die Bewegungsrichtung eines Moleküls jede
Richtung im Raume gleich wahrscheinlich. Da die Aufgabe,
auf welche sich die zu Anfang des § 7 behandelten Gleichungen
beziehen, nur ein specieller Fall des hier behandelten Problems
ist, so ist hiermit auch die dort ohne Beweis gemachte An-
nahme, dass für die Bewegungsrichtung eines Moleküls jede
Richtung im Raume gleich wahrscheinlich sein muss, nach-
träglich bewiesen. Wegen der Uebereinstimmung der Form
der Gleichungen sind auf jedes Volumenelement die im § 7
entwickelten Gleichungen und die daran geknüpften Schlüsse
unverändert anwendbar. Es ist also wieder entsprechend der
Formel 44 das mittlere Geschwindigkeitsquadrat eines Mole-
küls m
,
d. h. auch bei Wirksamkeit von äusseren Kräften ist die
mittlere lebendige Kraft jedes Moleküls dieselbe; denn auch
für die zweite Gasart ist
und die Constante h muss für beide Gasarten denselben Werth
haben. Sei ρ die Partialdichte der ersten Gasart im Volumen-
elemente d o, p der Partialdruck, den diese Gasart bei gleicher
Beschaffenheit, wie sie im Volumenelemente d o gegeben ist,
auf die Einheit der Wandfläche ausüben würde, so ist nach
Formel 160 und 164
165) .
Da ferner d n / d o die Anzahl der Moleküle in der Volumen-
einheit ist, so ist nach Formel 6:
166) .
[136]II. Abschnitt. [Gleich. 168]
Daher hat p / ρ an allen Stellen des Gases denselben Wert.
Da nun das Gas in jedem Volumenelemente genau so be-
schaffen ist, als ob bei gleicher Partialdichte und gleicher
Energie keine äusseren Kräfte darauf wirken würden, so ist
wie im letzteren Falle p / ρ = r T. Die Gasconstante r ist,
wie früher (S. 59), gleich 1/2 h m T. Da ferner p / ρ an allen
Stellen denselben Werth hat und gleich r T ist, so ist auch
die Temperatur T trotz der Wirksamkeit der äusseren Kräfte
überall dieselbe.
Für die zweite Gasart findet man ganz unabhängig von
der Anwesenheit der ersten
,
wobei
χ1 = — ∫ (X1d x + Y1d y + Z1d z)
ist. Beide Gase stören sich daher im Falle des Gleichgewichtes
nicht. So würde für den Fall vollkommener Ruhe und voll-
kommenen Wärmegleichgewichtes jeder der verschiedenen Be-
standtheile der Luft für sich eine Athmosphäre bilden ganz
nach den Gesetzen als ob die übrigen nicht vorhanden wären;
nur müsste für jeden h, also die Temperatur denselben Werth
haben. Nach Formel 165 ist:
167) ,
ebenso nach 166
168) .
Hierbei sind p, ρ und χ die Werte dieser Grössen an einer
beliebigen Stelle mit den Coordinaten x, y, z und P0, ρ0, χ0
die Werte derselben Grössen an irgend einer anderen Stelle
mit den Coordinaten x0, y0, z0. Es sind dies die bekannten
Formeln der Aerostatik (barometrisches Höhenmessen).
Wir wollen nun nach dem Vorgange Herrn Bryans
noch den folgenden in der Natur zwar nicht vorkommenden,
aber theoretisch interessanten Fall betrachten. Das beide Gase
enthaltende Gefäss werde durch eine beliebige gedachte Fläche S1
in zwei Theile (einen linken T1 und einen rechten) getheilt.
Rechts von der Fläche S1 und ihr überall sehr nahe verlaufe
eine zweite Fläche S2. Der Raum des Gefässes zwischen S1
[137][Gleich. 168] § 19. Aerostatik.
und S2 heisse τ, der rechts von S2 heisse T2. Es sei nun χ
im ganzen Raume T1 constant gleich Null, zwischen S1 und S2
nehme es positive Werthe an, die bei genügender Annäherung
an S2 ins unendliche wachsen. Es heisst dies nichts anderes,
als dass auf die Moleküle m im ganzen Raume T1 keine Kräfte
wirken, innerhalb τ aber beginnen Kräfte, welche diese Moleküle
von der Fläche S2 gegen S1 hintreiben und bei genügender
Annäherung an S2 über alle Grenzen wachsen. Umgekehrt
sollen in T2 keine Kräfte auf die Moleküle m1 wirken; wenn
aber diese in den Raum τ gelangen, sollen Kräfte auftreten,
welche sie von S1 gegen S2 treiben und welche wieder bei ge-
nügender Annäherung an S1 unendlich werden, d. h. χ1 soll
in T2 gleich Null, in τ aber positiv und unendlich nahe an S1
gleich ∞ sein. Wenn zu Anfang kein Molekül m in T2 war,
wird auch niemals eines dahin gelangen; wären anfangs
Moleküle m in T2 gewesen, wo keine äusseren Kräfte auf
sie wirken sollen, so würde jedes Molekül, welches die
Fläche S2 erreicht, nach T1 hinübergeschleudert und könnte
nicht mehr zurückgelangen. Wir können daher jedenfalls an-
nehmen, dass der Raum T2 kein Molekül m und ebenso der
Raum T1 kein Molekül m1 enthält. Dies zeigt auch die Formel;
denn man hat
.
Im Raume T1 ist nun χ1 = ∞, daher F = 0, im Raume T2
aber χ = ∞, daher f = 0. Auch die Formel 167 gibt, wo χ
unendlich ist, für die Partialdichte den Werth Null. In den
beiden Räumen T1 und T2 ist daher je eines der Gase rein
vorhanden; nur im Raume τ, wo χ und χ1 endlich ist, sind
beide Gase vermischt. Unsere Formel liefert nur Wärme-
gleichgewicht, wenn die Constante h für beide Gase denselben
Wert hat, was nach Formel 44 besagt, dass die mittlere
lebendige Kraft eines Moleküls für beide Gase denselben Werth
haben muss. Es ist dies genau dieselbe Bedingung, die wir
auch für das Wärmegleichgewicht zweier gemischter Gase
fanden. Die mechanischen Bedingungen, welche wir soeben
discutirten, sind freilich noch keineswegs dieselben, unter denen
sich zwei durch eine feste den Wärmeaustausch vermittelnde
Wand getrennte Gase befinden; allein sie haben damit schon
[138]II. Abschnitt. [Gleich. 168]
eine gewisse Aehnlichkeit. Wir könnten auch eine dritte
Fläche S3 rechts von S2 und überall nahe daran fingiren.
Durch passende Wahl von χ für drei verschiedene Gasarten
könnte bewirkt werden, dass Moleküle der ersten nur links
von S2, solche der zweiten nur rechts von S2, solche der
dritten nur zwischen S1 und S3 vorhanden sind. Links von S1
ist dann die erste, rechts von S3 die zweite Gasart rein vor-
handen, während die dritte den Wärmeaustausch vermittelt;
auch dann ist die Gleichheit der mittleren lebendigen Kraft
für jede der drei Gasarten die Bedingung des Wärmegleich-
gewichts. Da nun erfahrungsmässig die Bedingung des Wärme-
gleichgewichtes zweier Körper unabhängig von der Natur des
Körpers ist, welcher den Wärmeaustausch vermittelt, so muss
die in § 7 gemachte Annahme, dass die Gleichheit der mitt-
leren lebendigen Kraft eines Moleküls auch dann noch die
Bedingung des Wärmegleichgewichtes ist, wenn der Wärme-
austausch irgendwie anders z. B. durch eine feste die Gase
trennende Wand vermittelt wird, als sehr wahrscheinlich be-
zeichnet werden.
Die in dem gegenwärtigen Paragraph gefundene Lösung
der [Gleichungen] 156 und 157 ist die einzig mögliche, falls
u = v = w = u1 = v1 = w1 = 0
ist, und alles von der Zeit unabhängig ist. Nimmt man aber
diese Grössen von Null verschieden an, so lassen jene Glei-
chungen noch mannigfache Lösungen zu, welche lauter Be-
wegungen darstellen, bei denen H nicht ab- also die Gesammt-
entropie nicht zunimmt. Die einfachste besteht darin, dass
man u = u1, v = v1, w = w1 gleich drei beliebigen Constanten
setzt. Dann erhält man ein Gasgemisch, welches mit con-
stanter Geschwindigkeit in constanter Richtung im Raume
fortwandert. Es giebt aber auch noch viele andere Lösungen.
So sieht man sofort, dass, wenn die Gefässwand eine absolut
glatte Rotationsfläche ist, an welcher die Moleküle wie voll-
ständig elastische Kugeln reflectirt werden, sich
ebenfalls auf C4 (l f) + C5 (l f) reducirt. Dann tritt also eben-
falls Entropie weder aus dem Gase aus, noch in dasselbe ein.
[139][Gleich. 168] § 19. Entropie eines schweren Gases.
Es muss für den stationären Zustand d H / d t = 0 sein, daher
müssen die Gleichungen 147 und auch die Gleichung 156 und 157
bestehen. Ein solcher möglicher stationärer Zustand besteht
aber darin, dass sich das ganze Gasgemenge wie ein starrer
Körper um die Rotationsaxe der Umhüllung mit gleichförmiger
Geschwindigkeit dreht. Dieser Zustand muss daher ebenfalls
durch die Formel 154 und 155 dargestellt werden. Ist die
z-Axe Rotationsaxe, so wird in diesem Falle
u = u1 = — b y, v = v1 = + b x, w = w1 = 0.
Man kann dann die beiden Gleichungen 156 und 157 er-
füllen, fo und Fo werden Functionen von und drücken
so die durch die Centrifugalkraft im Gase erzeugten Dichtig-
keitsunterschiede aus. Ueber andere Lösungen dieser Glei-
chungen, in denen auch t explicit vorkommen kann, siehe
Sitzungsber. d. Wien. Akad. Bd. 74, II, S. 531, 1876. Bemerkens-
werth ist z. B. jene Lösung, wo das Gas von einem Centrum nach
allen Richtungen gleichmässig so abfliesst, dass erstens nirgends
Reibung stattfindet und zweitens die Temperatur zwar in Folge
der Expansion stetig sinkt, aber an allen Stellen des Raumes
um gleich viel, so dass auch keine Wärmeleitung stattfindet.
Wir wollen uns auf diesen Gegenstand nicht weiter einlassen
und nur noch suchen, welchen Wert die Grösse H in allen
diesen Fällen annimmt.
Bezeichnen wir dasjenige Glied in dem durch die Glei-
chung 144 gegebenen Ausdrucke von H, welches von der ersten
Gasart herrührt mit H', so ist:
H' = ∫ ∫ d o d ω f l f.
In allen Fällen, wo die Gleichungen 147 nicht verletzt
werden, ist f durch die Gleichung 154 gegeben. Setzt man
darin gemäss der Gleichung 160
,
so wird:
.
[140]II. Abschnitt. [Gleich. 170]
Die Integration nach d ω = d ξ d η d ζ kann ohne weiteres
durchgeführt werden; sie ist bezüglich ξ, η und ζ von — ∞
bis + ∞ zu erstrecken und man erhält nach Ausführung
derselben:
,
oder nach Gleichung 159:
169) .
Es ist nun m d n = d m die im Volumenelemente ent-
haltene gesammte Masse des ersten Gases. Multipliciren wir
daher die Gleichung 169 mit der Masse M eines Moleküls des
Standardgases (Wasserstoff), ferner mit der Gasconstante R
dieses Gases und noch mit — 1 und bezeichnen wieder mit
μ = m / M das Molekulargewicht unseres Gases bezogen auf das
Standardgas, so wird:
.
Da nach Gleichung 44 und 51 a
ist, so wird:
,
der letzte Logarithmus ist aber eine Constante. Ferner ist
ebenfalls eine Constante. Vereint man alle Constanten, so
folgt also
170) .
Nach Formel 58 ist dies aber genau die Summe der
Entropien aller in allen Volumenelementen enthaltenen
Massen d m, also die Gesammtentropie der ersten Gasart und
man sieht aus Formel 144, dass sich im Gasgemische einfach
die Entropien beider Bestandteile addiren. Weder eine pro-
gressive Bewegung des Gases noch die Wirkung der äusseren
[141][Gleich. 171] § 20. Hydrodyn. Gleichungen im Allgemeinen.
Kräfte ist auf die Entropie von Einfluss, solange die Glei-
chungen 147 bestehen, also die Geschwindigkeitsvertheilung in
jedem Volumenelemente durch die Formeln 154 und 155 ge-
geben ist. Damit ist also der in § 8 nur mangelhaft geführte
Beweis ergänzt, dass die von uns eingeführte Grösse H, welche
niemals zunehmen kann, bis auf den constanten für alle Gas-
arten gleichen Factor — R M und einen constanten Addenden
mit der Entropie identisch ist.
§ 20. Allgemeine Form der hydrodynamischen
Gleichungen.
Ehe wir auf Betrachtung weiterer specieller Fälle ein-
gehen, wollen wir noch einige allgemeine Formeln entwickeln.
Da u, v, w die Componenten der Geschwindigkeit sind, mit
welcher die Masse des Gases erster Art als Ganzes fortwandert,
so sieht man leicht in bekannter Weise, dass während der
Zeit d t durch die beiden zur Abscissenaxe senkrechten Seiten-
flächen des Elementarparallelepipedes d x d y d z die Gasmasse
ϱ u d y d z d t, respective
einströmt.
Die Summe dieser Grössen vermehrt um die gesammte
Gasmasse, die durch die vier anderen Seitenflächen einströmt,
ist der gesammte Zuwachs
der im Parallelepipede enthaltenen Gasmasse erster Art,
woraus folgt
171) ,
die bekannte sogenannte Continuitätsgleichung. Denkt man
sich ein gleiches Parallelepiped d o = d x d y d z im Raume mit
einer Geschwindigkeit fortbewegt, deren Componenten u, v, w
sind, so wachsen während der Zeit d t für die darin enthaltenen
Moleküle die Coordinaten durchschnittlich um u d t, v d t, w d t.
Die Beschleunigung derselben ist also im Mittel
.
[142]II. Abschnitt. [Gleich. 172]
Ist daher
Σ m = ϱ d x d y d z
die gesammte Masse dieser Moleküle, so wächst ihr gesammtes
in der Abscissenrichtung geschätztes Bewegungsmoment um
172) .
Diese Vermehrung des Bewegungsmomentes wird zum Theil
durch die äusseren Kräfte erzeugt, die auf die gesammte Gas-
masse Σ m wirken und deren Componenten
X Σ m, Y Σ m, Z Σ m
sind.
Ist nur eine Gasart vorhanden, so wird das gesammte
Bewegungsmoment wegen der Erhaltung der Bewegung des
Schwerpunktes bei den Zusammenstössen durch diese nicht
verändert; wohl aber wird es durch den Ein- und Austritt
der Moleküle in und aus d o verändert. Bezeichnen wir wieder
mit ξ, η, ζ die Geschwindigkeitscomponenten irgend eines
Moleküls und setzen wieder (s. Gleichung 158): ξ = u + x,
η = u + y, ζ = u + z, so sind x, y, z die Componenten der
Relativgeschwindigkeit des Moleküls gegen das Volumen-
element d o. Entfallen ferner auf die Volumeneinheit f d ω
Moleküle, deren Geschwindigkeitspunkt innerhalb d ω liegt, so
treten durch die linke der negativen Abscissenrichtung zuge-
wandte Seitenflächen des Parallelepipedes d o während der
Zeit d t
xf d ω d t d y d z
Moleküle ein, deren Geschwindigkeitspunkt innerhalb d ω liegt;
dieselben tragen das Bewegungsmoment
mx (u + x) f d ω d t d y d z
in das Parallelepiped hinein. Da wegen ξ = ξ̅ + x
ist, so ist das gesammte durch die linke Seitenfläche des
Parallelepipedes d o hineingetragene Bewegungsmoment
m d y d z d t ∫x2f d ω = P,
wo die Integration über alle Volumenelemente d ω zu er-
strecken ist.
[143][Gleich. 173] § 20. Hydrodyn. Gleichungen im Allgemeinen.
∫ f d ω ist die Gesammtzahl der auf die Volumeneinheit
entfallenden Moleküle, daher
m ∫ f d ω = ϱ
die Dichte des Gases. Die Grösse
bezeichnen wir als den Mittelwert x2 aller x2. Daher ist:
.
Durch die vis-à-vis liegende Seitenfläche von d o wird
das Bewegungsmoment:
hineingetragen. Analog findet man, dass durch die beiden zur
y-Axe senkrechten Seitenflächen des Parallelepipedes d o das
in der Abscissenrichtung geschätzte Bewegungsmoment
ϱx y̅ d x d z d t
respective
hineingetragen wird. Stellt man dieselben Betrachtungen auch
noch für die beiden letzten Seitenflächen an, und setzt schliess-
lich den gesammten Zuwachs 172 des in der Abscissenrichtung
geschätzten Bewegungsmomentes gleich der Summe des im
Ganzen hineingetragenen Bewegungsmomentes und des durch
die äusseren Kräfte bewirkten Zuwachses desselben, so folgt:
173)
mit zwei analogen Gleichungen für die y- und z-Axe. Diese
Gleichungen sowie die Gleichung 171 sind nur ganz specielle
Fälle der allgemeinen mit 126 bezeichneten Gleichung und
wurden auch von Maxwell und nach dessen Vorgang von
Kirchhoff aus dieser abgeleitet. Man sieht dies folgender-
maassen ein.
Sei ψ eine beliebige Function von x, y, z, ξ, η, ζ, t,
welche gleich der früher mit φ bezeichneten Function oder
[144]II. Abschnitt. [Gleich. 176]
davon verschieden sein kann. Dann ist das Mittel aller
Werte, welche die Grösse ψ für alle zur Zeit t im Volumen-
elemente d o enthaltenen Moleküle annimmt
174) .
Ferner ist
m d o ∫ f d ω = ϱ d o
die gesammte in einem Volumenelemente d o enthaltene Masse
des ersten Gases, so dass man also hat
175) m ∫ ψ f d ω = ϱ ψ̅.
Mit Benutzung dieser Bezeichnungsweise ist
176) .
Bezeichnet man noch mit den Mittelwerth von ψ in allen
Volumenelementen des Gases und mit m die gesammte Masse
des ersten Gases, so ist
,
daher
.
Man kann daher schreiben:
,
wobei Z und Z1 die Gesammtzahl der Moleküle der ersten,
resp. zweiten Gasart ist.
Im Folgenden soll nun ψ bloss Function von ξ, η, ζ
sein, dann ist nach Gleichung 127 ·
B1 (φ) = 0.
Da ferner ψ auch die Coordinaten nicht enthält, so wird
nach Gleichung 128 und 175:
,
da X, Y, Z nicht Functionen von ξ, η ζ sind, so folgt aus
Gleichung 130
.
[145][Gleich. 178] § 20. Hydrodyn. Gleichungen im Allgemeinen.
Fasst man alles dies zusammen, so geht die Gleichung 126
in diesem speciellen Falle über in:
177) .
Aus dieser Gleichung berechnet Maxwell die Reibung,
Diffusion und Wärmeleitung und Kirchhoff bezeichnet sie
deshalb als die Grundgleichung dieser Theorie. Setzt man zu-
nächst φ = 1, so erhält man sofort die Continuitätsgleichung 171;
denn es folgt aus den Gleichungen 134 und 137, dass
B4 (1) = B5 (1) = 0 ist. Die Subtraction der mit φ̅ multi-
plicirten Continuitätsgleichungen von 177 liefert unter An-
wendung der Substitutionen 158
178 .1)
Hat man nur eine Gasart, so verschwindet B4 (φ) immer.
Setzt man zudem in obige Gleichung:
φ = ξ = u + x,
so ist:
φ + φ1 = φ' + φ'1
Boltzmann, Gastheorie. 10
[146]II. Abschnitt. [Gleich. 180]
wegen des Schwerpunktsprincips. Daher verschwindet auch B5 (φ).
Ferner ist
und man erhält genau die Gleichung 173.
Bezeichnet man die sechs Grössen
179) ,
so geht die Gleichung 173 über in:
180) ;
zwei analoge Gleichungen gelten natürlich für die beiden
anderen Coordinatenaxen.
Genau dieselben Gleichungen würde man in einem Falle
erhalten, dessen mechanische Bedingungen von den jetzt be-
trachteten völlig verschieden sind. Es sollen die in jedem
Volumenelemente enthaltenen Moleküle ausser der Bewegung
mit den Geschwindigkeitscomponenten u, v, w sonst keine
andere Bewegung haben, dafür aber sollen wie dies in einem
festen elastischen Körper angenommen wird, sobald man ein
Flächenelement d S senkrecht zur Abscissenaxe im Gase con-
struirt, die Moleküle, die demselben links (der negativen
Abscissenrichtung zugewandt) anliegen, auf die rechts anliegenden
1)
[147][Gleich. 180] § 20. Hydrodyn. Gleichungen im Allgemeinen.
Moleküle eine Kraft ausüben, deren Componenten Xx d S, Xy d S,
Xz d S sind. Aehnliches soll natürlich auch für ein zu einer
anderen Coordinatenaxe senkrechtes Flächenelement gelten.
Unter Berücksichtigung jener Molekularkräfte würde man
in bekannter Weise wieder die Bewegungsgleichung 180 sammt
den beiden analogen für die y- und z-Axe erhalten. Im Gase
verhält sich daher jedes Volumenelement gerade so, als ob
diese Kräfte zwischen den Molekülen links und rechts eines
Flächenelementes thätig wären. Durch die Molekularbewegung
wird der Schein jener Kräfte hervorgerufen; jene Kräfte werden,
wie man sagt, durch die Molekularbewegung im Gase dynamisch
erklärt. Wenn z. B. die Moleküle links von d S eine grössere,
die rechts davon eine kleinere Geschwindigkeit haben, so dif-
fundiren nach links langsamere, nach rechts schnellere Moleküle;
die mittlere Geschwindigkeit der Moleküle in einem Volumen-
elemente rechts von d S wird erhöht, die links vermindert, der
Effect ist derselbe, als ob die links liegenden Moleküle auf die
rechts eine Kraft in der positiven, die rechts aber auf die links
eine entgegengesetzte Kraft ausüben würden.
Die Molekularbewegung erzeugt also den Schein derartiger
Molekularkräfte und es ist im bewegten Gase weder der Druck
nach allen Richtungen exact derselbe noch auch exact normal
zur gedrückten Fläche.
Wir wollen uns nun das Gas von einer für die Moleküle
undurchdringlichen Fläche umschlossen denken und die Kräfte
aufsuchen, welche es auf ein Flächenelement derselben ausübt.
Sei d S ein solches, seine Ebene sei senkrecht zur x-Axe
und es bewege sich mit den Geschwindigkeitscomponenten u, v, w
des Gases an der betreffenden Stelle. Soll die Bewegung des
Gases daselbst keine plötzliche Störung erfahren, so stossen
während der Zeit d t gerade xf d ω d t Moleküle auf d S, deren
Geschwindigkeitspunkt in d ω liegt, wenn x positiv ist, oder
werden davon reflectirt, wenn x negativ ist.
Das gesammte während d t allen reflectirten Molekülen
mitgetheilte und von allen Stossenden aufgenommene in
der Abscissenrichtung geschätzte Bewegungsmoment ist also:
, ebenso das nach den beiden
anderen Coordinatenrichtungen geschätzte und
10*
[148]II. Abschnitt. [Gleich. 180]
. Xx, Yx und Zx sind daher auch die Componenten
der auf die Flächeneinheit bezogenen Kraft, welche das Stück d S
der Wand auf das Gas und daher auch umgekehrt das Gas auf
d S ausübt, sobald daselbst keine Discontinuität der Bewegung
auftritt. Ebenso kann man aus der kinetischen Theorie auch
den bekannten Ausdruck für die Kraft finden, die auf ein
beliebig gerichtetes Flächenelement der Wand wirkt.
Speciell für den Fall, dass das Gas in einem ruhenden
Gefässe ruht, folgen die Gesetze des Druckes unmittelbar aus
dem Principe der Erhaltung des Schwerpunktes. Wendet man
z. B. dieses Princip auf die Gasmasse an, welche in einem
cylindrischen Gefässe, dessen Axe parallel der Abscissenrichtung
ist, zwischen zwei beliebigen Querschnitten enthalten ist, so
folgt, dass der Druck auf die Mantelfläche keine Componente
in der Abscissenrichtung hat. Bei Anwendung auf die Gas-
masse zwischen einer Endfläche und einem Querschnitte folgt,
dass der Druck auf die Endfläche normal und pro Flächen-
einheit gleich dem durch die Einheit des Querschnittes ge-
tragenen Bewegungsmomente in derselben Richtung, also gleich
sein muss, oder auch gleich , da in
diesem Falle ist.
In allen Fällen, wo die Gleichungen 147 für alle Werthe
der Variabeln erfüllt sind, ist die Anzahl der Moleküle, im
Volumenelemente d o, für welche die Componenten der relativen
Geschwindigkeit gegen die Gesammtbewegung des Gases in
demselben Volumenelemente zwischen den Grenzen x und
x + dx, y und y + dy, z und z + dz liegen, gleich
,
wobei f0 bloss Function von x, y und z ist. Es ist also die
Wahrscheinlichkeit dieser relativen Bewegung genau durch
dieselbe Formel gegeben, wie im ruhenden Gase die der ab-
soluten Geschwindigkeiten. Nur kommt noch die sichtbare
Geschwindigkeit hinzu, welche die Componenten u, v, w hat.
Diese fortschreitende Geschwindigkeit des Gases als Ganzes
ist offenbar ohne Einfluss auf den inneren Zustand, also auf
Temperatur und Druck des Gases, welche sich in derselben
Weise durch x, y, z ausdrücken, wie im ruhenden Gase durch
ξ, η, ζ. Es ist also entsprechend unseren alten Formeln:
[149][Gleich. 183] § 20. Hydrodyn. Gleichungen im Allgemeinen.
181) .
Wie wir später sehen werden, nähern sich jedesmal wenn
keine äusseren Einflüsse wirksam sind, die Grössen
182)
durch die Wirkung der Zusammenstösse sehr rasch dem Werthe
Null. Wenn äussere Einflüsse dies verhindern, so können,
sobald diese Einflüsse nicht enorm plötzlich und heftig wirken,
diese Grössen niemals erheblich von Null verschieden sein.
Vorläufig nehmen wir es als Erfahrungsthatsache an, dass in
Gasen der normale Druck immer nahezu nach allen Richtungen
gleich, die tangentialen elastischen Kräfte aber sehr klein sind,
daher die Gleichungen 181 angenähert bestehen. Die Sub-
stitution der durch sie gegebenen Werthe in die Gleichung 173
liefert:
183)
mit zwei analogen Gleichungen für die y- und z-Axe. Es
sind dies die bekannten hydrodynamischen Gleichungen ohne
Berücksichtigung der inneren Reibung und Wärmeleitung; die-
selben sind daher als erste Annäherung aufzufassen.
Wir bezeichnen nun mit Φ irgend eine Function von
x, y, z und t. (∂ Φ / ∂ t) d t ist der Zuwachs, den der Werth
dieser Function in einem unveränderlichen Punkt A des
Raumes während der Zeit d t erfährt. Nun soll aber der
Punkt A sich mit einer Geschwindigkeit, welche die Com-
ponenten u, v, w hat, welche also gleich der Gesammt-
geschwindigkeit der ersten Gasart im Volumenelemente d o ist,
fortbewegen. Er komme während d t von A nach A'. Sub-
trahirt man jetzt von dem Werthe, den die Function Φ zur
Zeit t + d t in A' hat, denjenigen, den sie zur Zeit t in A hat
und dividirt die Differenz durch die verflossene Zeit, so er-
hält man
,
welchen Werth wir kurz mit d Φ / d t bezeichnen wollen. Man
kann dann die Continuitätsgleichung und die erste der hydro-
dynamischen Gleichungen in folgender Form schreiben:
[150]II. Abschnitt. [Gleich. 187 c]
184) ,
185) .
Letztere Gleichung lautet in erster Annäherung:
186) .
Die vollkommen exact richtige Gleichung 178 aber können
wir in der Form schreiben:
187) .1)
Es soll nun wiederum nur eine Gasart vorhanden sein.
Dann ist
187 a) B4 (φ) = 0.
φ sei eine ganze Function von ξ, η ζ. Dann ist
187 b) ,
wobei f eine Abkürzung für φ (x, y, z) ist und Qn eine ganze
Function von u, v, w bedeutet, die kein Glied enthält, dessen
Grad bezüglich u, v, w niederer als n ist. Die Coëfficienten
von Q2 sind Functionen von x, y, z. Wegen Gleichung 143 ist
187 c)
Ferner ist
,
[151][Gleich. 188] § 20. Hydrodyn. Gleichungen im Allgemeinen.
daher
187 d)
Die Coëfficienten von Q1 sind Mittelwerthe von Functionen
von x, y und z. Analoge Gleichungen folgen für und
Substituirt man in die Gleichung 187 für
B4 (φ) und B5 (φ) die Werthe 187 a … 187 d,
so folgt:
.
Dazu kommen freilich noch Glieder, welche die erste und
höhere Potenzen von u, v, w enthalten. Allein diese müssen
identisch verschwinden, da der innere Zustand ungeändert bleibt,
wenn man dem Gase als Ganzes im Raume noch eine con-
stante Geschwindigkeit ertheilt. Letztere kann immer so ge-
wählt werden, dass u = v = w = 0 werden. Mit Rücksicht
auf 185 kann man die letzte Gleichung auch schreiben:
188) .
[152]II. Abschnitt. § 20. Hydrodyn. Gleich. im Allgem. [Gleich. 191]
Setzt man hier f = x2, so wird wegen x̅ = 0:
189) .
Setzt man ferner f = x y, so wird
190) ,
welche Gleichung exact richtig ist.
Machen wir nun wieder die Voraussetzung, dass die Zu-
standsvertheilung annähernd dem Maxwell’schen Gesetze ent-
spricht, dass also annähernd die Gleichungen 181 bestehen.
Dazu kommt noch , denn in Folge der
Zusammenstösse wird die Zustandsvertheilung stets rasch der
Maxwell’schen zustreben. Jeder Mittelwerth, der nach letzterer
verschwindet, wird also nur klein sein können, worauf wir im
nächsten Paragraphen bei Betrachtung der Wirkung der Zu-
sammenstösse noch ausführlicher zurückkommen. In dieser
Annäherung verwandelt sich die Gleichung 189 unter Berück-
sichtigung der Gleichung 186 in
191) .
Wir bilden nun die analoge Gleichung für die y- und
z-Axe, addiren alle drei und bedenken, dass
B5 (x2) + B5 (y2) + B5 (z2) = B5 (x2 + y2 + z2) = 0
ist, da ja die gesammte lebendige Kraft beider Moleküle durch
den Stoss nicht verändert wird. Dadurch ergibt sich:
,
oder unter Berücksichtigung der Continuitätsgleichung 184:
.
[153][Gleich. 191] III. Abschnitt. § 21. Integration nach b und ε.
Die Integration liefert, wenn man die in einem Volumenele-
mente befindliche Gasmasse in ihrer Bahn verfolgt: = const.,
die bekannte Poisson’sche Relation zwischen Druck und
Dichte. Die Wärmeleitung ist hierbei vernachlässigt. Wärme-
strahlung kennen wir natürlich überhaupt nicht. Das Verhält-
niss der Wärmecapacitäten ist in dem von uns betrachteten
Falle 5/3. Da der innere Zustand des Gases nahe gleich dem
eines im Gleichgewichte befindlichen, mit den Geschwindigkeits-
componenten u, v, w sich gleichförmig bewegenden Gases ist,
so gilt das Boyle-Charles’sche Gesetz. Es ist p = r ϱ T,
daher = const. Jede Verdichtung ist mit adiabatischer
Temperatursteigerung, jede Verdünnung mit Temperatur-
erniedrigung verbunden.
III. Abschnitt.
Die Moleküle stossen sich mit einer der fünften Potenz der
Entfernung verkehrt proportionalen Kraft ab.
§ 21. Ausführung der Integration in den von den
Zusammenstössen herrührenden Gliedern.
Wir gehen nun zur Berechnung von Fällen über, wo die
Gleichungen 147 nicht erfüllt sind, und müssen da, um die
Werthe ξ', η', ζ' der Variabeln nach dem Zusammenstosse als
Functionen der den Zusammenstoss bestimmenden Variabeln
berechnen zu können, den Vorgang eines Zusammenstosses
eingehender betrachten.
Wir denken uns ein Molekül von der Masse m (das Mole-
kül m) mit einem anderen von der Masse m1 (dem Moleküle m1)
im Zusammenstosse, d. h. in Wechselwirkung begriffen. Zu
irgend einer Zeit t seien x, y, z die Coordinaten des ersten,
x1, y1, z1 die des zweiten Moleküls. Die Kraft, welche beide
aufeinander ausüben, sei eine in die Richtung ihrer Verbin-
dungslinie r fallende Abstossung, deren Intensität ψ (r) irgend
eine Function von r sei. Die Bewegungsgleichungen lauten
dann bekanntlich wie folgt:
[154]III. Abschnitt. [Gleich. 191 a]
191 a)
mit vier analogen für die übrigen Coordinatenaxen.
Um die Relativbewegung beider Moleküle zu finden, legen
wir durch m1 ein Coordinatensystem, dessen Axen fortwährend
den fixen Coordinatenaxen parallel bleiben, aber sich so parallel
mit sich selbst verschieben, dass sie immer durch das Molekül m1
gehen, welches also zu jeder Zeit der Coordinatenanfangspunkt
des zweiten Coordinatensystems ist. Die Coordinaten des Mole-
küls m bezüglich dieses zweiten Coordinatensystems, also die
Coordinaten relativ gegen das Molekül m1 sind:
a = x — x1, b = y — y1, c = z — z1.
Setzt man
,
so findet man leicht aus den Gleichungen 191 a
mit zwei analogen für die beiden anderen Coordinatenaxen.
Da auch r2 = a2 + b2 + c2 ist, so stellen diese Gleichungen
genau die Centralbewegung dar, welche das Molekül m aus-
führen würde, wenn seine Masse gleich M wäre und es von
dem stets fix bleibenden Moleküle m1 mit derselben Kraft ψ (r)
abgestossen würde. Wir brauchen also bloss diese letztere
Centralbewegung, welche wir die relative Centralbewegung, oder
die Centralbewegung Z nennen, zu discutiren. Sie geschieht
jedenfalls in der durch m1 und die
Anfangsgeschwindigkeit von m ge-
legenen Ebene, welche wir schon im
§ 16 (S. 111) die Bahnebene nannten.
Als Anfangsgeschwindigkeit des Mole-
küls m ist da diejenige zu betrachten,
die es noch in grosser Entfernung
von m1, also vor dem Stosse relativ
gegen m1 hatte und welche wir
schon in demselben Paragraphen mit g bezeichneten. Die von
dem fix gedachten Moleküle m1 aus gezogene Gerade g der
Fig. 7 soll dieselbe in Grösse und Richtung darstellen. Ihre
[155][Gleich. 193] § 21. Integration nach b und ε.
Verlängerung nach der entgegengesetzten Richtung hiesse m Θ.
Wir bestimmen die Position von m zu irgend einer Zeit t
durch dessen Entfernung r von m1 und durch den Winkel β,
den dieselbe mit m Θ bildet. Die vom Beginne des Zusammen-
stosses bis zur Zeit t von der Kraft ψ (r) geleistete Arbeit ist:
.
Die Integration kann bei r = ∞ beginnen, da für Ent-
fernungen, die grösser als die Wirkungssphäre sind, ohnedies
ψ (r) = 0 ist. Wir betrachten gegenwärtig bloss die Central-
bewegung Z, bei welcher dem Moleküle m die Masse M bei-
zulegen ist und wissen, dass die wirkliche Bewegung von m
relativ gegen m1 genau in derselben Weise vor sich geht. Für
diese Centralbewegung Z ist die lebendige Kraft vor dem Zu-
sammenstosse Mg2 / 2, die zur Zeit t aber ist:
.
Die Gleichung der lebendigen Kraft lautet also für die
Centralbewegung Z:
192) .
Wir bezeichnen, wie im § 16, mit b die kleinste Ent-
fernung vom Moleküle m1, welche das Molekül m erreichen
würde, wenn keine Wechselwirkung stattfinden würde, also
wenn sich beide Moleküle immer in denjenigen Geraden fort-
bewegen würden, in denen sie sich vor dem Stosse bewegen
Die Bahn, welche das Molekül m bei der Centralbewegung Z
beschreibt, wird also die Gestalt der in Fig. 7 gezeichneten
krummen Linie haben, welche sich beiderseits ins Unendliche
erstreckt; beide Asymptoten derselben haben die Entfernung b
von m1. Da zudem vor dem Stosse das Molekül m die relative
Geschwindigkeit g gegen m1 hat, so ist bei der Central-
bewegung Z vor dem Stosse der doppelte in der Zeiteinheit
vom Radius vector r beschriebene Flächenraum gleich b g; zur
Zeit t aber ist derselbe r2d β / d t; daher nach dem Flächen-
satze:
193) .
[156]III. Abschnitt. [Gleich. 196]
Aus dieser und der Gleichung 192 folgt nach bekannten
Methoden:
,
wobei ϱ = b / r ist. Da anfangs β und ϱ wachsen, so ist jeden-
falls so lange das positive Zeichen der Wurzel zu wählen, bis
diese einmal verschwindet. Wir specialisiren nun die Function ψ,
um die Integration ausführen zu können, indem wir setzen:
194) .
Dies ist die Abstossung zwischen einem Moleküle m und
einem Moleküle m1 in der Entfernung r. In gleicher Ent-
fernung sei die zweier Moleküle m gleich K1 / rn + 1, die zweier
Moleküle m1 aber K2 / rn + 1.
Dann wird:
.
Setzen wir daher:
195) ,
so wird:
.
Um alle Discussionen über die Werthe, welche die Grösse
unter dem Wurzelzeichen anzunehmen vermag, zu ersparen,
setzen wir voraus, dass die Kraft immer eine abstossende,
also ψ (r) immer positiv ist, dann ist auch R und folglich
auch 2 ϱn / n an positiv. Da wegen der Gleichung 193 mit
wachsender Zeit β immer wächst und auch die Wurzel ihr
Zeichen nicht wechseln kann, wenn sie nicht durch Null geht,
so muss auch ϱ so lange wachsen, bis
196)
wird. Die kleinste positive Wurzel dieser Gleichung bezeichnen
wir mit ϱ (α). Sie kann bei gegebenem n nur Function von α
sein. Wenn n positiv ist, was wir annehmen, so kann übrigens
[157][Gleich. 197] § 21. Integration nach b und ε.
ρ2 + 2 ρn / n an nur für ein einziges positives ρ gleich Eins
werden; also die Gleichung 196 keine andere positive Wurzel
haben. Für ρ = ρ (a) erreicht das Bewegliche denjenigen
Punkt A (Perihel) der Bahn, welcher am nächsten an m1 liegt
und ist seine Geschwindigkeit senkrecht zu r. Da die Grösse
unter dem Wurzelzeichen bei wachsendem ρ negativ würde,
constantes ρ aber einer Kreisbahn entspräche, die bei einer
abstossenden Kraft unmöglich ist, so muss nun ρ wieder ab-
nehmen, daher die Wurzel ihr Zeichen wechseln. Wegen der
völligen Symmetrie wird ein congruenter Curvenast beschrieben,
welcher das Spiegelbild des bisher beschriebenen ist (bezüg-
lich der durch m1A senkrecht zur Bahnebene gelegten Ebene).
Der Winkel zwischen dem Radius vector ρ (a) = m1A und den
beiden Asymptotenrichtungen der Bahncurve ist:
197) .
Er kann also als Function von a berechnet werden, sobald
n gegeben ist. 2 ϑ ist der Winkel zwischen den beiden
Asymptoten der Bahncurve, also zwischen der Geraden, auf
welcher sich (in der Relativbewegung gegen m1) das Molekül m
vor dem Stosse dem Molekül m1 näherte und der Geraden, in
welcher es sich nach dem Stosse von m1 entfernt; (erstere
Gerade der Bewegungsrichtung des Moleküls vor dem Stosse
entgegengesetzt, letztere der nach dem Stosse gleichgerichtet
gezogen).
Der Winkel zwischen den beiden Geraden g und g', welche
die Relativgeschwindigkeit vor und nach dem Stosse auch der
Richtung nach darstellen (der Geraden D C und der Ver-
längerung der Geraden B D der Fig. 7 von D über D hinaus)
ist π — 2 ϑ.
Falls jedes der beiden stossenden Moleküle eine elastische
Kugel ist, tritt in Fig. 7, wenn m1D = σ die Summe der beiden
Radien ist, bloss die folgende Modification ein. Das Mole-
kül m bewegt sich relativ gegen m1 nicht in der Curve B A C,
sondern in der geradgebrochenen Linie B D C und es ist
für b ≦ σ:
[158]III. Abschnitt. [Gleich. 199]
198)
für grössere Werthe von b aber ϑ = π/2.
Wir denken uns nun in Fig. 8 eine Kugelfläche vom
Centrum m1 und Radius 1 construirt; dieselbe soll von zwei,
von m1 parallel g und g' aufgetragenen Geraden in den
Punkten G und G', von einer durch m1 der fixen Abscissen-
axe parallel gezogenen Geraden aber im Punkte X durch-
stochen werden. Dann ist der grösste Kreisbogen G G' auf
dieser Kugel gleich π — 2 ϑ.
Den Winkel ε hatten wir im § 16 folgendermaassen
definirt. Wir legten durch m1 eine Ebene E senkrecht zu g.
Ferner legten wir durch m1G zwei
Halbebenen, von denen eine die Ge-
rade b, die andere die positive Ab-
scissenaxe enthält. Die erstere nannten
wir die Bahnebene. ε war dann der
Winkel der beiden Geraden, in denen
diese beiden Halbebenen die Ebene E
durchschneiden; also auch der Winkel
jener beiden Halbebenen selbst oder
auch der Winkel der beiden grössten
Kreise G X und G G' auf unserer
Kugel, wobei immer diejenigen grössten Kreisbogen zu ver-
stehen sind, die kleiner als π sind.
Aus dem sphärischen Dreiecke X G G' folgt:
199) cos (G' X) = cos (G X) cos (G G') + sin (G X) sin (G G') cos ε.
Nun ist aber:
,
wobei das positive Zeichen der Wurzel zu nehmen ist, da
G X \< π ist.
Multipliciren wir daher die Gleichung 199 mit dem Grössen-
werthe g = g' der relativen Geschwindigkeit vor oder nach
dem Stosse, so folgt:
.
[159][Gleich. 203] § 21. Integration nach b und ε.
Multipliciren wir diese Gleichung mit m1 und addiren
sie zur Gleichung:
m ξ' + m1ξ'1 = m ξ + m1ξ1 = (m + m1) ξ + m1ξ1 — m ξ,
so folgt weiter:
200) .
Sei zunächst nur die Gasart m vorhanden, so haben wir
m1 = m, K = K1 zu setzen. Es wird
201) .
Bezeichnen wir wieder ξ — u, ξ' — u, η — v … mit x, x', y …,
so erhalten wir für x, y, z eine gleichlautende Gleichung:
202) .
Um B5 (x2) zu finden, haben wir die Grösse
nach ε von Null bis 2 π zu integriren. Dabei bleibt die ganze
Bahncurve unverändert. Dann haben wir nach b zu integriren,
wobei noch x, y, z, x1, y1, z1 constant zu betrachten sind. Dann
folgen erst die Integrationen nach diesen Grössen. Da die
Gleichungen 201 und 202 gleichlautend sind, so folgt der Aus-
druck für B5 (ξ2), indem man in B5 (x2) einfach ξ, η, ζ für
x, y, z schreibt.
Es ist unter Weglassung der die erste Potenz von cos ε
enthaltenden Glieder
Dabei wurden die Componenten der relativen Geschwindig-
keit nach den Coordinatenrichtungen mit p, q, r bezeichnet,
so dass
203) .
[160]III. Abschnitt. [Gleich. 205 a]
Bildet man auch noch den Ausdruck , der einfach
durch Vertauschung von x und x1 aus x'2 — x2 entsteht, so folgt:
.
Da wir gegenwärtig nur eine Gasart betrachten, ist m1 = m,
K = K1 zu setzen, und man hat nach 195:
204) .
Da x, y, z, x1, y1, z1, daher [auch]g bei der Integration nach b
und ε, die uns jetzt beschäftigt, constant betrachtet werden,
folgt hieraus:
205) .
Daher
205 a) .
Substituirt man dies in den Ausdruck B5 (x2), so erhält man
daselbst unter den Integralzeichen g1 — (4/n), also da n jedenfalls
positiv sein muss, im Allgemeinen eine negative oder gebrochene
Potenz von g, was die Integration ausserordentlich erschwert.
Nur für n = 4 fällt g ganz aus und die Durchführung der
Integrationen wird verhältnissmässig leicht. Da wir die Ab-
stossung zwischen zwei Molekülen = K / rn + 1 gesetzt haben,
so besagt dies, dass sich je zwei Moleküle mit einer der fünften
Potenz der Entfernung verkehrt proportionalen Kraft abstossen.
Man erhält dann, wie wir sehen werden, ein Gesetz der Ab-
hängigkeit des Reibungs-, Diffusions- und Wärmeleitungs-
coëfficienten von der Temperatur, das für zusammengesetztere
Gase (Wasserdampf, Kohlensäure) gut mit der Erfahrung zu
stimmen scheint, nicht aber für die gewöhnlichsten (Sauerstoff,
Wasserstoff, Stickstoff). Andere Phänomene, aus denen man
[161]Gleich. 205 a] § 21. Integration nach b und ε.
auf dieses Wirkungsgesetz schliessen könnte, sind kaum be-
kannt. Wir sind daher weit entfernt, behaupten zu wollen,
dass sich die Gasmoleküle wirklich wie Massenpunkte verhalten,
zwischen denen eine der fünften Potenz der Entfernung ver-
kehrt proportionalen Abstossung wirksam ist. Da es sich hier
aber bloss um ein mechanisches Modell handelt, so nehmen
wir jenes zuerst von Maxwell eingeführte Wirkungsgesetz an,
für welches die Rechnung am einfachsten ist.1) Uebrigens
nimmt unter Annahme dieses Gesetzes die Abstossung mit
abnehmender Entfernung so rasch zu, dass sich die Bewegung
der Moleküle ausser bei den ganz streifenden Zusammenstössen,
welche kaum in Betracht kommen, wenig von derjenigen unter-
scheidet, welche einträte, wenn die Moleküle elastische Kugeln
wären. Um dies zu versinnlichen, hat Maxwell seiner Ab-
handlung2) eine sehr anschauliche Figur beigegeben, in welcher
die Bahnen der Centra einer Anzahl von Molekülen gezeichnet
sind, die in parallelen Richtungen gegen ein festgehaltenes
Molekül mit der mittleren Geschwindigkeit eines Moleküls an-
fliegen und von demselben nach seinem Gesetze abgestossen
werden. Um diese Bahnen mit den Bahnen zu vergleichen,
welche aus dem Gesetze der elastischen Kugeln folgen, kann
man folgendermaassen verfahren: Man denkt sich in die Max-
well’sche Figur einen Kreis eingezeichnet, dessen Centrum S
ist und dessen Radius die von Maxwell punktirte Linie, also
die kleinste Distanz ist, bis zu welcher sich die Centra zweier
direct aufeinander zufliegender Moleküle nach seinem Gesetze
nähern. Wären jetzt die Moleküle elastische Kugeln, deren
Durchmesser jene kleinste Distanz ist, und würde man sich
wieder eines festgehalten, die anderen in parallelen Richtungen
Boltzmann, Gastheorie. 11
[162]III. Abschnitt. [Gleich. 208]
darauf zugeschleudert denken (natürlich nicht gleichzeitig,
sondern nach einander, damit sie sich nicht untereinander
stören), so würde die Maxwell’sche Figur folgende Modifi-
cation erfahren. Das Centrum des festgehaltenen wäre wieder
in S. Die Centra der beweglichen würden aus denselben Rich-
tungen kommen, wie in Maxwell’s Figur, aber gleich sehr
kleinen elastischen Kugeln von dem eingezeichneten Kreise
reflectirt werden.
Man sieht, dass die aus dem Gesetze der elastischen
Kugeln sich ergebenden Bahnen zwar quantitativ, aber nicht
wesentlich qualitativ von den aus dem neuen Maxwell’schen
folgenden abweichen.
Wir setzen daher im Folgenden mit Maxwelln = 4.
Dann folgt nach Gleichung 205 a:
206) ,
wobei
207)
ein numerischer Werth ist.1)
Es ist nämlich nach Formel 197:
.
Die obere Grenze ist der einzige positive Werth, für
welchen die Grösse unter dem Wurzelzeichen verschwindet.
ϑ ist also durch ein vollständiges elliptisches Integral aus-
drückbar und Function von a. Das Integral 207 wurde von
[163][Gleich. 213] § 21. Integration nach b und ε.
Maxwell durch mechanische Quadraturen ausgewerthet, wobei
sich ergab:
209) A2 = 1 · 3682 …
Nun hatten wir nach Formel 137:
210) .
Die Substitution von 206 liefert:
211) .
Es ist:
.
Bei der Integration nach d ω1 können ξ, η, ζ oder x, y, z,
bei der nach d ω aber ξ1, η1, ζ1 oder x1, y1, z1 vor das Integral-
zeichen gesetzt werden. Nach Formel 175 ist:
212)
Da aber beide zusammenstossenden Moleküle gleich be-
schaffen sind, oder wenn man lieber will, da man in einem
bestimmten Integrale die Variabeln, nach denen integrirt wird,
bezeichnen kann, wie man will, ist auch
und da noch x̅ = y̅ = z̅ = 0 ist, so wird
213)
ist die gesammte Geschwindigkeit eines Mole-
küls relativ gegen die mittlere Bewegung aller Moleküle des
Volumenelementes.
Die Grösse B5 (x y) berechnet Maxwell durch Coordinaten-
transformation. Wir denken uns die neue x- und y-Axe da-
11*
[164]III. Abschnitt. [Gleich. 214]
durch entstanden, dass die alte x- und y-Axe in der x y-Ebene
um den Winkel λ gedreht wurden. Bezeichnen wir dann die
auf die neuen Coordinatenaxen bezüglichen Grössen mit den
entsprechenden grossen Buchstaben, so wird
x = X cos λ — Y sin λ, y = Y cos λ + X sin λ,
p = P cos λ — Q sin λ u. s. w.
Substituiren wir diese Werthe in die Gleichung 206, so
erhalten wir daselbst Glieder mit cos2λ, mit cos λ sin λ und
sin2λ. Setzen wir λ = 0, so sehen wir, dass die ersteren für
sich gleich sein müssen; setzen wir λ = π / 2, so sehen wir,
dass die letzteren ebenfalls für sich gleich sein müssen; daher
müssen auch die mit sin λ cos λ multiplicirten Glieder rechts
und links vom Gleichheitsszeichen für sich gleich sein. Ihre
Gleichsetzung liefert:
.
Da die neuen Coordinatenaxen so gut wie die alten voll-
kommen willkürlich sind, so kann man nun statt der grossen
wieder die kleinen Buchstaben schreiben. Führt man dann
die weiteren Integrationen genau wie beim Ausdrucke 206
durch, so folgt:
214) .
§ 22. Relaxationszeit. Die auf innere Reibung cor-
rigirten hydrodynamischen Gleichungen. Berechnung
von B5 durch Kugelfunctionen.
Wir haben diese Werthe nun in die allgemeine Gleichung 187
einzusetzen. Wir betrachten da zunächst einen speciellen voll-
kommen idealen Fall. Es soll nur eine einzige Gasart den
ganzen unendlichen Raum erfüllen. Aeussere Kräfte sollen
nicht vorhanden sein. Die Anzahl der Moleküle in irgend
[165][Gleich. 215] § 22. Relaxationszeit.
einem Volumenelemente d o, deren Geschwindigkeitscomponenten
zwischen den Grenzen ξ und ξ + d ξ, η und η + d η, ζ und ζ + d ζ
liegen, sei zur Zeit t = 0 gleich f (ξ, η, ζ, o) d o d ξ d η d ζ, wobei
die Function f für alle Volumenelemente dieselbe sein soll. Für
irgend eine spätere Zeit t sei diese Zahl gleich f (ξ, η, ζ, t) d o d ξ d η d ζ.
Da sich alle Volumenelemente unter den gleichen Verhältnissen
befinden, so hat auch f (ξ, η, ζ, t) für alle Volumenelemente den-
selben Werth. Wäre
,
wo a, h, u, v, w Constanten sind, so hätten wir ein Gas, in
dem die Maxwell’sche Zustandsvertheilung herrscht, das aber
mit den constanten Geschwindigkeitscomponenten u, v, w sich
im Raume fortbewegt. Dann wäre
und die Zu-
standsvertheilung würde, abgesehen vom Fortströmen des Gases,
sich nicht mit der Zeit ändern. Ist f (ξ, η, ζ, o) irgend eine
andere Function von ξ, η, ζ, so herrscht zu Anfang der Zeit
eine von der Maxwell’schen verschiedene, aber wieder in
jedem Volumenelemente dieselbe Geschwindigkeitsvertheilung.
Diese ändert sich mit der Zeit, aber die Componenten der
sichtbaren Geschwindigkeit des Gases
ändern sich wegen des Schwerpunktsprincips natürlich nicht
mit der Zeit. Setzen wir wieder ξ — u = x, η — υ = y, ζ — w = z,
so ist im Allgemeinen jetzt
von Null verschieden und wir fragen uns, wie sich diese
Grössen mit der Zeit verändern. Zunächst folgt, da keine
Grösse Function von x, y oder z ist, aus 188:
215) .
Setzt man nun ſ = x2 oder ſ = x y, so folgt mit Hilfe von
213 und 214:
.
[166]III. Abschnitt. [Gleich. 116]
Analog der ersten dieser Gleichungen folgt:
und folglich
.
Da Alles von x, y, z unabhängig ist, sind die Differential-
quotienten nach t im gewöhnlichen Sinne zu nehmen. Da
sich ferner alle Volumenelemente gleich verhalten, so treten
durch jede Seitenfläche eines jeden genau so viele Moleküle
ein, als durch die vis à vis liegende aus. Es muss also die
Dichte ρ constant bleiben. Daher gibt die Integration dieser
Gleichungen, wenn man die Werthe zur Zeit Null durch einen
an der noch freien Stelle angehängten Index Null charakterisirt:
.
Die Multiplication mit ρ liefert mit Rücksicht auf die
Bezeichnungen 179:
.
Aehnliche Gleichungen folgen natürlich auch für die
anderen Coordinatenaxen. In dem jetzt betrachteten einfachen
Specialfalle nehmen also sowohl die Unterschiede der Normal-
drucke in zwei verschiedenen Richtungen (z. B. Xx — Yy), als
auch die Tangentialkräfte (z. B. Xy) einfach mit wachsender
Zeit in geometrischer Progression ab. Die Zeit, innerhalb
welcher sie emal kleiner werden, ist für alle dieselbe und gleich
216) .
Maxwell nennt dieselbe die Relaxationszeit. Wir werden
sehen, dass sie ausserordentlich kurz ist.
Wir kehren nun wieder zu dem vollkommen allgemeinen
Falle zurück. Es wird wieder im Allgemeinen nicht mehr
sein, aber diese Grössen sind noch angenähert
gleich. Es sind daher ihre Unterschiede von einer ihnen nahe
[167][Gleich. 118] § 22. Allgem. Gleichungen für innere Reibung.
gleichen Grösse zu berechnen. Als solche wählen wir ihr
arithmetisches Mittel. Da dasselbe unter den Vernachlässigungen,
welche zur Gültigkeit der Gleichungen 181 nöthig sind, gleich
der dort mit p bezeichneten Grösse ist, so bezeichnen wir es
wieder mit p, setzen also
217) .
Bezeichnen wir die rechte Seite der Gleichung 189 mit r
und substituiren links für B5 (x2) den Werth 213 so folgt
zunächst
218) .
Wir suchen gerade den kleinen Unterschied der beiden
Grössen und 3 auf. Derselbe und daher
auch die rechte Seite der obigen Gleichung 218 ist für uns
klein erster Ordnung; daher brauchen wir in jener rechten
Seite nur die Glieder von der höchsten Grössenordnung bei-
zubehalten. Die Glieder von niederer Grössenordnung sind
auch von niederer Grössenordnung als . Wir können
also im Ausdrucke r setzen
.
Wir sahen, dass dann (siehe Gleichung 191)
wird. Wir wollen und daraus Xx und zwar dessen Ab-
hängigkeit vom augenblicklichen Zustande finden; wir müssen
daher noch das Glied eliminiren, welches einen nach der Zeit
genommenen Differentialquotienten enthält. Dies ist leicht, da
wir mit demselben Grade der Genauigkeit fanden
.
Es ist also in erster Annäherung
.
[168]III. Abschnitt. [Gleich. 120]
Die nun folgenden Glieder im Ausdrucke von r liefern in
Glieder von geringerer Grössenordnung, welche wir
vernachlässigen. Daher ist nach 218
,
also da gesetzt wurde
.
Wir wollen nun in Gleichung 190 den Werth 214 für
B5 (x y) substituiren. In der rechten Seite dieser Gleichung
können wir aus demselben Grunde wie früher
und die Mittelwerthe, welche unter dem Querstriche ungerade
Potenzen von x, y oder z enthalten gleich Null setzen. Da-
durch ergibt sich:
218a) .
Setzt man daher zur Abkürzung
219) ,
so erhält man folgende definitiven Werthe:
220) .
Diese Gleichungen sind natürlich wieder nicht vollkommen
exact; aber sie sind um einen Grad genauer als die Gleichungen
Xx = Yy = Zz = p, Xy = Yx = Xz = Zx = Yz = Zy = 0. Die Substi-
tution dieser Werthe in die Bewegungsgleichungen 185 liefert
[169][Gleich. 221] § 22. Allgem. Gleichungen für innere Reibung.
221) .
Dabei wurde R als constant betrachtet, was auch nicht
strenge richtig ist, da R eine Function der Temperatur ist
und diese durch Verdichtung oder Verdünnung sich ändert.
Da aber gerade die Abhängigkeit des R von der Temperatur
noch streitig ist und die Gase bei minder lebhafter Bewegung
sich fast, wie incompressible Flüssigkeiten, also ohne erhebliche
Verdichtung und Verdünnung bewegen, so ist diese Vernach-
lässigung nicht von Belang. Die Gleichungen 221 sind die
bekannten auf innere Reibung corrigirten hydrodynamischen
Gleichungen. Diese Gleichungen sind befriedigt, man erhält
also eine mögliche Bewegung, wenn man p constant, X = Y = Z = 0,
v = w = 0, u = a y setzt. Jede der x z-Ebene parallele Schicht
des Gases bewegt sich dann mit der Geschwindigkeit a y in
sich selbst fort und zwar in der x-Richtung. a ist die Ge-
schwindigkeitsdifferenz zweier solcher um die Längeneinheit
voneinander abstehender Schichten. Eine dieser Schichten
muss selbstverständlich künstlich festgehalten, eine zweite künst-
lich in ihrer constanten Bewegung erhalten werden. Die
Tangentialkraft auf die Flächeneinheit dieser Schichten hat
nach den Formeln 220 den Werth aR, R ist also die Grösse,
welche wir schon in § 12 den Reibungscoëfficienten nannten.
Aus Formel 219 folgt, dass sie p / ρ also der absoluten Tem-
peratur proportional ist, bei gegebener Temperatur aber von
Druck und Dichte unabhängig ist. Letzteres trifft auch zu,
wenn die Moleküle elastische Kugeln sind; dann ist aber R
der Quadratwurzel aus der absoluten Temperatur proportional.
Aus dem numerischen Werthe von R kann natürlich jetzt
nicht die mittlere Weglänge berechnet werden, da ja das Ende
eines Zusammenstosses nicht scharf definirt ist; derselbe liefert
nur eine Gleichung zwischen der Masse m eines Moleküls und
der Constante K1 des Kraftgesetzes. Er gestattet auch die
Berechnung der Relaxationszeit τ = R / p. Aus dem in § 12
für Stickstoff benutzten Werthe von R folgt für dieselbe
[170]III. Abschnitt. [Gleich. 223]
bei 76 cm Barometerstand und 15º C. Temperatur etwa
τ = 2.10 — 10 Secunden.
Wir gehen nun zur Berechnung von B5 (x3), B5 (x y2) u. s. w.
über. Es hat keine Schwierigkeit den Ausdruck 201 zur dritten
Potenz zu erheben und dann die Integrationen auszuführen,
wie wir es bei Berechnung von B5 (x2) gethan haben. Dieselbe
Coordinatentransformation wie damals liefert dann die Werthe
von B5 (x y2) und B5 (x y2), die übrigen B5, welche unter dem
Functionszeichen Glieder von der dritten Ordnung bezüglich
x, y und z enthalten, folgen dann nach der Symmetrie. B5 (x y z)
müsste durch eine räumliche Coordinatentransformation ge-
funden werden. Wir wollen jedoch hier einen anderen Weg
einschlagen, den Maxwell in drei seiner Abhandlung „On
stresses in rarified gases“ 1) in seinen letzten Lebensmonaten
beigefügten durch eckige Klammern gekennzeichneten Noten
angedeutet hat.
Eine beliebige ganze Function nten Grades p von x, y, z,
welche der Gleichung
genügt, nennen wir eine (körperliche) Kugelfunction nten Grades.
Setzen wir darin x = cos λ, y = sin λ cos ν, z = sin λ sin ν, so
geht sie über in eine Kugelflächenfunction nten Grades p(n) (λ, ν).
Ferner bezeichnen wir den Coëfficienten von xn in der Potenz-
reihe, die durch Entwickelung von
222) (1 — 2 μ x + x2)—½
entsteht, mit P(n) (μ). (Zonale Kugelfunction, Kugelfunction
eines Argumentes.) Seien nun G und G' zwei beliebige
Punkte einer Kugelfläche mit den Polarcoordinaten λ, ν und
λ', ν' und Gi der Repräsentant von n + 1 beliebigen anderen
Punkten derselben Kugelfläche. Die Polarcoordinaten von Gi
seien λi und νi. Dann ist2)
223) ,
[171][Gleich. 224] § 22. Berechnung von B5 durch Kugelfunctionen.
wobei s'i der Cosinus des sphärischen Winkels G' Gi ist. Die
ci sind jedesmal bestimmbare constante Coëfficienten. Es
sollen nun die Punkte G und Gi constant gelassen werden;
dagegen soll G' derart einen Kreis beschreiben, dass der
sphärische Winkel G G' immer constant bleibt. Sein Cosinus
heisse μ. Endlich werde mit ε der Winkel des grössten
Kreises G G' und eines durch G gezogenen fixen grössten
Kreises bezeichnet. Dann ist zunächst
.
Ferner ist1)
,
wobei si der Cosinus des sphärischen Winkels G Gi ist. Man
hat also
.
Letztere Summe hat aber analog der Gleichung 223 den
Werth pn (λ, ν). Man erhält also die definitive Formel:
224) .2)
Wir wollen nun die Anwendung dieses Lehrsatzes auf die
Berechnung von B5 zunächst in speciellen Fällen zeigen und
zwar zuerst nochmals B5 (x y) berechnen.
Es seien wie früher ξ, η, ζ, ξ1, η1, ζ1, ξ', η', ζ', ξ'1, η'1, ζ'1
die Geschwindigkeitscomponenten zweier Moleküle vor und nach
dem Stosse; x, y, z, x1, y1, z1, x' y', z', x'1, y'1, z'1 dieselben Ge-
schwindigkeiten relativ gegen die mittlere Bewegung aller
im Volumenelemente enthaltenen Moleküle m, so dass also
[172]III. Abschnitt. [Gleich. 225]
ξ — x = u, η — y = v … u. s. w., wenn u, v, w die Com-
ponenten der mittleren Geschwindigkeit aller im Volumen-
elemente enthaltenen Moleküle m sind. Ferner seien vor resp.
nach dem Stosse
die Componenten der relativen Geschwindigkeit g resp. g' des
Moleküls, das vor dem Stosse die Geschwindigkeitscomponenten
ξ, η, ζ hatte, gegen das andere mit den Geschwindigkeitscom-
ponenten ξ1, η1, ζ1. Letzteres nennen wir wieder das Molekül m1,
obwohl es ebenfalls die Masse m hat. Endlich bezeichnen wir
nun mit
u = x + x1 = x' + x'1, v = y + y1 = y' + y'1, w = z + z1 = z' + z'1
die doppelten Geschwindigkeitscomponenten des Schwerpunktes
des von beiden stossenden Molekülen gebildeten Systemes, bei
dessen Relativbewegung gegen die mittlere Bewegung aller im
Volumenelemente enthaltenen Moleküle m. Dieselben sind vor
und nach dem Stosse gleich. Dann ist:
4 x y = p q + u q + v p + u v
4 x1 y1 = p q — u q — v p + u v
4 x' y' = p' q' + u q' + v p' + u v
4 x'1 y'1 = p' q' — u q' — v p' + u v
daher
225) 2 (x' y' + x'1 y'1 — x y — x1 y1) = p' q' — p q.
Wir construirten nun wieder um m1 eine Kugel mit dem
Radius 1. Die durch m1 parallel der Abscissenaxe, resp. den
Relativgeschwindigkeiten g und g' gezogenen Geraden sollen
diese Kugel in den Punkten X, G und G' treffen (Fig. 8, S. 158).
λ, v und λ', v' sollen die Polarcoordinaten der Punkte G und G'
sein (d. h. λ und λ die Winkel X m1G und X m1G', ν und ν'
die Winkel der Ebenen G m X und G' m X mit der x y-Ebene.
Da p, q, r und p', q', r' die Projectionen von g und g' auf die
Coordinatenrichtungen sind, so ist
p = g cos λ, q = g sin λ cos ν, r = g sin λ sin ν,
p' = g cos λ', q' = g sin λ' cos ν', r' = g sin λ' sin ν',
[173][Gleich. 226] § 22. Berechnung von B5 durch Kugelfunctionen.
daher ist
p q = g2p(2) (λ, ν), p' q' = g2p(2) (λ', ν'),
wobei p(2) (λ, ν) die Kugelflächenfunction cos λ sin λ cos ν ist.
Wir bezeichnen wie früher mit ε den sphärischen Dreiecks-
winkel X G G' und mit π — 2 ϑ den Winkel G m1G'. Dann
ist nach dem angeführten Lehrsatze über Kugelfunctionen
226) ,
wobei μ = cos (π — 2 ϑ). Durch Entwickelung von 222
findet man
.
Daher wird:
.
Daraus folgt mit Rücksicht auf Gleichung 208
,
woraus sich endlich nach den Formeln 212 ergibt:
.
Da nun die Gleichung 226 für jede Kugelfunction zweiten
Grades gilt, so folgt allgemein
.
[174]III. Abschnitt. [Gleich. 230]
Wenn f nicht Function von x, y, z ist und X = Y = Z = 0
ist (und der Elnfluss der Wände verschwindet) folgt aus
Gleichung 188
227) .
Ist daher ſ eine beliebige Kugelfunction zweiten Grades,
so folgt allgemein
228) .
Es ist also
229)
der reciproke Werth der Relaxationszeit für alle Kugel-
functionen zweiten Grades von x, y und z, d. h. der Zeit, in
welcher durch Wirkung der Zusammenstösse allein der Mittel-
werth einer derartigen Kugelfunction auf den e-ten Theil
seines ursprünglichen Betrages herabsinkt, was wir übrigens
schon auf anderem Wege fanden.
Wir gehen nun zu Kugelfunctionen dritten Grades,
z. B. x3 — 3 x y2 über. Analog wie 225 finden wir
.
Bezeichnen wir den Ausdruck in der eckigen Klammer
mit Φ, so ist also nach dem Kugelfunctionensatze:
.
Nun ist μ2 — 1 = — 4 sin2ϑ cos2ϑ. Setzt man ferner
u = x + x1, v = y + y1, p = x — x1, q = y — y1, wendet die
Formeln 212 an und bedenkt, dass x̄ = ȳ = z̄ = 0 ist, so folgt
unter Rücksicht auf Gleichung 208
230) .
[175][Gleich. 233] § 22. Berechnung von B5 durch Kugelfunctionen.
Das Gleiche gilt für jede Kugelfunction dritten Grades.
Es ist allgemein
231) .
Die reciproke Relaxationszeit einer Kugelfunction dritten
Grades ist daher
.
Jede ganze Function dritten Grades von x, y, z kann als
Summe von Kugelfunctionen dritten Grades und den drei mit
Constanten multiplicirten Functionen x (x2 + y2 + z2), y (x2 + y2 + z2)
und z (x2 + y2 + z2) dargestellt werden. Letztere drei Functionen
sind die Producte der Kugelfunctionen ersten Grades in den
Ausdruck x2 + y2 + z2. Die Relaxationszeit dieser letzteren
Producte ist daher noch zu finden.
Es ist
.
Bezeichnen wir den Ausdruck in der eckigen Klammer
mit Ψ, so ist also
.
231 a)
daher
232) .
Es ist also:
233) .
[176]III. Abschnitt. [Gleich. 233]
Die reciproke Relaxationszeit des Productes von x2 + y2 + z2
in eine Kugelfunction ersten Grades ist
.
§ 23. Wärmeleitung. Zweite Methode der
Annäherungsrechnung.
Wir wollen nun in die Gleichung 188 setzen: ſ = x3
und zunächst wieder nur die Glieder von der höchsten Grössen-
ordnung beibehalten, also die Abweichung der Zustandsver-
theilung von derjenigen vernachlässigen, welche für ein Gas
gilt, das mit constanter Geschwindigkeit fortströmt, so dass
u. s. w. wird. Dadurch erhalten wir aus
Gleichung 188:
.
Da die gegenwärtige Annäherungsrechnung wieder darauf
hinausläuft, dass wir die betreffenden Glieder so berechnen,
als ob die Maxwell’sche Zustandsvertheilung gälte, wenn man
x, y, z für ξ, η, ζ schreibt, so kann Formel 49 angewendet
werden, wenn man darin ebenfalls x, y, z statt ξ, η, ζ schreibt.
Es ist also
.
Daher
.
Setzt man in Gleichung 188 ſ = x y2, so folgt unter den-
selben Vernachlässigungen:
.
Da nun
,
so wird
.
[177][Gleich. 235] § 23. Wärmeleitung.
Ebenso ist
,
daher
m B5 (x3 — 3 x y2) = 0
und nach den Gleichungen 230 und 232
234) .
Daraus folgt:
235) .
Diese Werthe können benutzt werden, um die Annäherung
bei Auflösung der Gleichung 189 und 190 um einen Grad
weiter zu treiben, als dies bisher geschah.
Wir addiren zunächst zur Gleichung 189 die analogen
für die y- und z-Axe geltenden Gleichungen. Nun ist
B5 (x2) + B5 (y2) + B5 (z2) = 0. Berücksichtigt man die Glei-
chung 234 und die beiden durch cyklische Vertauschung
daraus entstehenden, sowie die Continuitätsgleichung 184 und
substituirt man endlich auch noch für ρx2 = Xx, ρx y = Xy u. s. w.
die Werthe 220, so folgt:
Boltzmann, Gastheorie. 12
[178]III. Abschnitt. [Gleich. 236]
236) .
ist das mittlere Geschwindigkeitsquadrat
der Wärmebewegung eines der im Volumenelemente d o ent-
haltenen Moleküle. Unter Wärmebewegung verstehen wir da
die relative Bewegung des Moleküls gegen die sichtbare Be-
wegung der in d o enthaltenen Gasmasse, welche letztere die
Geschwindigkeitscomponenten u, v, w hat. ρ d o ist die Masse
aller in d o enthaltenen Moleküle.
ist also der im Arbeitsmaass gemessene Wärmezuwachs, d. h. der
Zuwachs der lebendigen Kraft der Wärmebewegung aller in
d o enthaltenen Moleküle während der Zeit d t. Dabei darf
aber das Volumenelement d o nicht fix im Raume bleiben,
sondern muss während der Zeit d t diejenige Deformation und
Progressivbewegung im Raume erleiden, welche dadurch be-
dingt ist, dass sich jeder Punkt desselben mit den Geschwindig-
keitscomponenten u, v, w fortbewegt, die selbst Functionen von
x, y, z sind. Es bleiben also dieselben Moleküle in d o, ab-
gesehen von dem durch die Molekularbewegung bewirkten Aus-
tausch. Die durch letztere zugeführte Wärmemenge wird dann
als geleitete und durch innere Reibung erzeugte in Rechnung
gezogen.
Auf Seite 56 fanden wir für die während der Zeit d t
in ein Gas hineingesteckte Compressionsarbeit den Werth
— p d Ω = — p k d (1 / ρ). In unserem Falle ist k = ρ d o,
d (1 / ρ) = — (1 / ρ2) (d ρ / d t) d t. Daher stellt das Glied
[179][Gleich. 236] § 23. Wärmeleitung.
der Gleichung 236 die durch den äusseren Druck p während
d t auf d o übertragene Arbeit, also die durch den Druck p
erzeugte Compressionswärme dar. Stellt man ganz dieselben
Betrachtungen an, durch welche die Arbeit bei Deformation
eines elastischen Körpers berechnet wird, so findet man, dass
das letzte mit dem Factor R ausserhalb der Differentialzeichen
behaftete Glied der Gleichung 236, wenn es noch mit d o d t
multiplicirt wird, die gesammte während d t in d o von jenen
Zusatzkräften geleistete Arbeit ausdrückt, welche man zum
Drucke p noch hinzufügen muss, um die durch die Glei-
chungen 220 gegebenen Kräfte Xx Xy … zu erhalten.1) Dieses
Glied entspricht also der durch die innere Reibung entwickelten
Wärme. Das vorletzte mit dem Factor 15/4 behaftete Glied der
Gleichung 236 muss also, wenn man es mit d o d t multiplicirt,
die im Arbeitsmaass gemessene Wärme darstellen, welche durch
Wärmeleitung in das Volumenelement hineingeführt wird. Denken
wir uns das Volumenelement als Parallelepiped von den Kanten
d x d y d z, ziehen die x-Axe von links nach rechts, die y-Axe
von hinten nach vorn, die z-Axe von unten nach oben und
bezeichnen mit T die Temperatur, mit L die Wärmeleitungs-
constante, so sind nach der alten durch die Erfahrung
(wenigstens annähernd) bestätigten Fourrier’sche Theorie der
Wärmeleitung
und
die Wärmemengen, welche aus dem Parallelepipede links, rück-
wärts resp. unten austreten;
und
aber die Wärmemengen, welche vis-à-vis eintreten. Der ganze
durch Wärmeleitung im Parallelepipede d o während d t be-
wirkte Wärmezuwachs ist daher
12*
[180]III. Abschnitt. [Gleich. 239]
237) .
Das den Factor 15/4 tragende Glied der Gleichung 236
ist ohnedies klein. Wir können daher in demselben Kleines
höherer Ordnung vernachlässigen und das Gas so betrachten,
als ob u, v, w constant, x, y, z aber durch Maxwell’s Ge-
schwindigkeitsvertheilungsgesetz bestimmt wären. Sein innerer
Zustand wird dann nur durch x, y, z bestimmt und wir können
die Formeln der §§ 7 und 8 wie auf ein ruhendes Gas an-
wenden. Ist r die Gasconstante unseres Gases, R die des
Normalgases, m / μ die Masse eines Moleküls des letzteren, so
ist nach Formel 52
.
Daher schreibt sich das Product des mit dem Factor 15/4
behafteten Gliedes der Gleichung 236 in d o d t folgendermaassen:
.
Es stimmt dies vollständig mit dem erfahrungsmässigen
Ausdruck 237 überein, wenn man setzt
238) .
Um vom Wärmemaasse unabhängig zu sein, führen wir
statt R die specifische Wärme ein. Da wir keine intramolekulare
Bewegung annahmen, so ist hier die Grösse β der Gleichung 54
gleich Null; diese Gleichung liefert also
,
daher
239) .1)
Dieser Werth ist 5/2 mal so gross, als der durch Formel 93
gegebene und gegenüber den Beobachtungen ungefähr um eben-
soviel zu gross, als letzterer zu klein. Eine numerische Ueber-
[181][Gleich. 239] § 23. Wärmeleitung.
einstimmung in Fälle, wo die gemachten Voraussetzungen
(z. B. β = 0) offenbar nicht erfüllt sind, kann billiger Weise
nicht erwartet werden. Da R, μ und daher auch γv Con-
stanten sind, so hängt L in derselben Weise wie R von
Temperatur und Druck ab.
Wir haben so sämmtliche Formeln erlangt, welche auch
die sogenannte beschreibende Theorie acceptirt hat, nur dass
ein Coëfficient in den die Reibung darstellenden Gliedern,
welcher in der beschreibenden Theorie willkürlich bleibt, hier
einen speciellen Werth hat. In der beschreibenden Theorie
ist (p — Xx) · (3 / 2 R) gleich
,
während es hier gleich
.
ist. Es ist also in der beschreibenden Theorie im Ausdrucke
für Xx — p der von der Verdichtung abhängige Ausdruck
mit einem Coëfficienten multiplicirt, der von dem Coëfficienten
von ∂ u / ∂ x unabhängig ist, während in der vorliegenden
Theorie der letztere Coëfficient gerade dreimal so gross als der
erstere ist. Dasselbe gilt für Yy und Zz. Der letztere Coëfficient
muss sowohl hier als auch in der beschreibenden Theorie das
doppelte des Coëfficienten von
im Ausdrucke für Yz also das doppelte des experimentell be-
stimmbaren Reibungscoëfficienten sein.
Im Lichte unserer Theorie sind alle diese Formeln An-
näherungsformeln. Es hat keine Schwierigkeit die Annäherung
weiter zu treiben. Die so erweiterten Gleichungen werden
sicher nicht in allen Punkten mit der Erfahrung stimmen, da
ja unsere Hypothesen viel willkürliches enthalten, aber sie
werden wahrscheinlich brauchbare Wegzeiger sein, wo das
[182]III. Abschnitt. [Gleich. 239 a]
Experiment einzusetzen hat. Ihre Prüfung durch das Experiment
dürfte schwierig aber nicht völlig aussichtslos sein und es steht
zu erwarten, dass sie uns neue über die alten hydrodynamischen
Gleichungen hinausgehende Thatsachen lehren würde. Um nur
kurz anzudeuten, wie die Annäherung weiter zu treiben ist,
wollen wir in die Gleichungen 189 und 190 die jetzt ge-
fundenen Werthe substituiren. Aus letzterer folgt gemäss der
Gleichungen 214, 235, 220, 52 und 238:
239 a) .
Macht man in der Gleichung 188 die Substitution f = x y z,
so erhält man lauter Glieder, die bei dem jetzt angestrebten
Genauigkeitsgrade verschwinden. Es kann also jetzt
gleich Null gesetzt werden, also auch
.
Für Xx, Xy … sind rechts die Werthe 220 zu substituiren.
Ferner ist nach 218 a
,
und da man hier nur die Glieder der höchsten Grössenordnung
braucht
.
Analog wären Xx, Xz … zu berechnen. Man würde so
recht complicirte Ausdrücke erhalten, die namentlich den
Physikern des Continents sicher ebenso fremdartig scheinen
[183][Gleich. 239 a] § 23. Wärmeleitung.
werden, wie es anfangs bei der Maxwell’schen Elektricitäts-
theorie der Fall war. Ob nicht noch manches Glied dieser
Gleichungen einmal eine Rolle spielen wird? Wir wollen hier
nur auf folgenden schon von Maxwell betrachteten Specialfall
hinweisen. 1. Im Gase seien weder Massenbewegungen noch
äussere Kräfte; es sei also überall u = v = w = X = Y = Z = 0.
2. Es finde eine beliebige stationäre Wärmeströmung statt.
Dann verschwinden auch die Differentialquotienten nach t,
daher wird nach 239 a
.
In demselben Specialfalle liefert die Gleichung 189
.
Also mit Rücksicht auf die Gleichungen 235
,
daher wegen Xx + Yy + Zz = 3 p
,
da für die stationäre Wärmeströmung
ist. In diesem Falle ist daher auch
;
es sind also die Volumenelemente im Innern des Gases im
Gleichgewichte. Allein die landläufige Ansicht (vgl. die letzte
Seite der citirten Kirchhoff’schen Vorlesungen über Wärme-
theorie, wo übrigens das über die alten Wärmeleitungstheorien
gesagte sehr richtig ist), dass bei stationärer Wärmeströmung
der Druck an allen Stellen gleich sein könne, erweist sich als
[184]III. Abschnitt. [Gleich. 239 a]
falsch. Derselbe variirt von Punkt zu Punkt, ist an einer und
derselben Stelle in verschiedenen Richtungen verschieden und
nicht genau normal auf der gedrückten Fläche.
Wenn daher ein fester Körper ganz von dem wärme-
leitenden Gase umgeben ist, so wird er im Allgemeinen in
Bewegung gerathen, da auf seine Oberfläche nicht überall der
gleiche Druck wirkt. Maxwell hat wohl recht, wenn er hierin
die Ursache der Radiometererscheinungen erblickt. Auch kann
das Gas, wenn es einer festen Wand anliegt, nicht in Ruhe
bleiben, wenn diese nicht im Stande ist, auf das ruhende Gas
eine endliche Tangentialkraft auszuüben. Diese durch Druck-
verschiedenheiten im Innern des Gases erzeugten Bewegungen
sind nicht mit denjenigen zu verwechseln, welche durch Wirkung
der Schwere in Folge der verschiedenen Dichte des wärmeren
und kälteren Gases entstehen. Letztere Bewegungen können
bei Radiometern keine Rolle spielen, da bei denselben die
Drehungsaxe vertikal ist. Auch unsere Formeln beziehen sich
nicht auf die letzteren Bewegungen, da wir X = Y = Z = 0
setzten.
Wir haben im Bisherigen die geniale von Maxwell er-
sonnene und von Kirchhoff und anderen ebenfalls angewandte
Methode befolgt. Das Wesen derselben besteht darin, dass
sie sich von der Berechnung der Function f (x, y, z, ξ, η, ζ, t),
welche die Geschwindigkeitsvertheilung bestimmt, ganz unab-
hängig macht. Es gibt noch eine andere Methode, welche in-
sofern den entgegengesetzten Weg einschlägt, dass sie gerade
von der Berechnung dieser Function ausgeht. Obwohl letztere
Methode gar keine Beachtung gefunden hat, will ich doch
hier in wenigen Worten auf dieselbe eingehen, da wir zur
Berechnung der Entropie gerade die Function f brauchen
werden.
Ausgangspunkt derselben ist die allgemeine Gleichung 114,
in welcher, da wir es nur mit einer Gasart zu thun haben, das
vorletzte Glied verschwindet. Schreiben wir statt der früher
benutzten Constanten a, h, u, v, w nun
,
[185][Gleich. 244] § 23. Zweite Methode der Rechnung.
so wissen wir, dass die Gleichung befriedigt wird, wenn wir
setzen
240) ,
so lange a, k, u0, v0, w0 Constanten sind. Dann sind u0, v0, w0
die Geschwindigkeitscomponenten des Gases als Ganzes.
Es sollen nun k, a, u0, v0, w0 Functionen von x, y, z, t
sein; ihre Veränderlichkeit (d. h. ihre Differentialquotienten
nach diesen Variabeln) soll jedoch so klein sein, dass nur
kleine Correctionsglieder zum Ausdrucke 240 hinzugefügt zu
werden brauchen, um die Gleichung 114 wieder zu erfüllen.
Wir wollen dieselben in Form einer Potenzreihe darstellen.
Da a, k, u0, v0, w0 willkürlich sind, so können wir ihre Werthe
immer so wählen, dass die mit ξ, η und ζ multiplicirten Glieder
der Potenzreihe verschwinden. Diese können daher ohne Be-
einträchtigung der Allgemeinheit weggelassen werden. Auch
die Coëfficienten von ξ2, η2 und ζ2 können wir so wählen, dass
ihre Summe gleich Null ist. Wir führen lieber die Variabeln
241) x0 = ξ — u0, y0 = η — v0, z0 = ζ — w0
ein, und setzen also
242) ,
wobei
243)
und
244) b11 + b22 + b33 = 0
ist. Die linke Seite der Gleichung 114 verwandelt sich nun in
.
Da alle Differentialquotienten ohnedies klein sind, können
wir darin f mit f(0) vertauschen und finden, wenn wir für
[186]III. Abschnitt. [Gleich. 245]
und d0 / d t für ∂ / ∂ t + u0∂ / ∂ x + v0∂ / ∂ y + w0∂ / ∂ z
schreiben:
245) .
Die rechte Seite der Gleichung 114 aber verwandelt sich,
wenn man die Coëfficienten b als klein betrachtet und daher
ihre Producte und Quadrate vernachlässigt, in
.
Um eine Häufung der Indices zu vermeiden, ist an den
Grössen x, y, z bis zur Gleichung 246 der Index Null fort-
gelassen, d. h. es ist nicht besonders ausgedrückt, dass sie
durch Subtraction der Grössen u0, v0, w0, nicht den Grössen
u, v, w von den betreffenden ξ, η, ζ entstanden sind. Da in
f(0) und ebenfalls u0, v0, w0 nicht u, v, w von den ξ, η, ζ
substrahirt erscheint, so findet man genau wie früher:
.
Daraus:
.
Dasselbe gilt für die Producte x z und y z. Da nun
und b11 + b22 + b33 = 0
[187][Gleich. 246] § 23. Zweite Methode der Rechnung.
ist, so folgt, dass sich b11x2 + b22y2 + b33z2 als eine Summe von
Kugelfunctionen zweiten Grades darstellen lässt und es wird
,
wobei zur Abkürzung X für geschrieben
wurde. Y und Z haben analoge Bedeutung.
Setzt man weiter:
,
so findet man ebenso nach den Principien der vorigen Para-
graphen (vgl. die Gleichung 231 a):
,
daher schliesslich:
246) .
Die Gleichung 114 muss identisch erfüllt sein. Es müssen
also die Ausdrücke 245 und 246 für alle Werthe von x0, y0
[188]III. Abschnitt. [Gleich. 249]
und z0 gleich sein. Es müssen erstens die von x0, y0, z0 freien
Glieder gleich, es muss also:
247)
sein.
Da b11 + b22 + b33 = 0, so liefern die Glieder zweiter Ord-
nung bezüglich x0, y0 und z0:
248) .
Die Gleichsetzung der die ersten Potenzen von x0, y0 und z0
enthaltenden Glieder liefert endlich mit Rücksicht auf die ge-
fundenen Werthe von c1, c2 und c3:
249) .
Da b11 + b22 + b33 = 0 ist und jedes Glied, welches eine
ungerade Potenz von x0, y0, oder z0 enthält, bei der Integration
[189][Gleich. 249] § 23. Zweite Methode der Rechnung.
verschwindet, so folgt, wenn man d ω und d ω0 für d ξ d η d ζ
und dx0dy0dz0 schreibt:
.
Daher ist
,
wenn wir die Annäherung nicht noch weiter treiben, auch jetzt
noch ohne Correction die Dichte des Gases. Ebenso ist
.
Daher ist das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Relativ-
bewegung der Moleküle gegen einen Punkt, der die Geschwin-
digkeitscomponenten u0, v0, w0 hat, gleich 3 / 2 k.
Dagegen sind u0, v0, w0 nur angenähert die Componenten
der sichtbaren Geschwindigkeit des im Volumenelemente d o
befindlichen Gases. Als solche definirten wir nämlich die
Grössen ξ, η, ζ. Nun ist ξ = u0 + x0, ferner
.
Bezeichnen wir daher die exacten Componenten
der sichtbaren Bewegung des Gases mit u, v, w, die der Re-
lativbewegung eines Moleküls gegen die sichtbare Bewegung
mit x, y, z, so erhalten wir mit Rücksicht auf den Genauig-
keitsgrad, den wir jetzt anstreben:
.
Weiter ist
.
Man hat daher in erster Annäherung
.
[190]III. Abschnitt. [Gleich. 249]
Daher nach Gleichung 247
.
das Poisson’sche Gesetz. Ferner ist
,
daher
.
Daher liefern die Gleichungen 249:
.
Wollen wir die Annäherung um einen Schritt weiter
treiben, so können wir aber obige Substitutionen in den an
sich kleinen Gliedern machen und finden so
.
Ebenso folgen die übrigen der Gleichungen 220 und es
hat wieder keine Schwierigkeit, den Grad der Annäherung
noch weiter zu treiben.
§ 24. Entropie, wenn die Gleichungen 147 nicht er-
füllt sind. Diffusion.
Wir haben die Grösse H bisher nur unter der beschrän-
kenden Bedingung berechnet, dass die Gleichungen 147 erfüllt
sind. Wir wollen dieselbe jetzt unter der allgemeinen An-
nahme berechnen, dass f durch die Gleichung 242 gegeben
ist, dass also innere Reibung und Wärmeleitung im Gase auf-
tritt. Wir setzen ein einfaches Gas voraus. Es ist also
H = ∫ ∫ f l f d o d ω.
Da f durch die Gleichung 242 gegeben ist, so wird angenähert,
wenn man den in dieser Gleichung in der runden Klammer
stehenden Ausdruck mit 1 + A bezeichnet:
.
[191][Gleich. 249] § 24. Verallgemeinerte Entropie.
Wir wollen nun den Ausdruck H bloss für die in einem
Volumenelemente d o enthaltene Gasmasse bilden. Den so
gefundenen Werth multipliciren wir mit — R M und dividiren
durch d o. Die so gebildete Grösse sei
J = — R M ∫ fl f d ω.
J d o ist dann die Entropie der in d o enthaltenen Gasmasse.
Substituiren wir nun für f und l f obige Werthe, so er-
halten wir erstens ein Glied, welches von den Coëfficienten b
und c frei ist. Dasselbe ist die durch d o dividirte Entropie,
welche der in d o enthaltenen Gasmasse zukäme, wenn in der-
selben bei gleichem Energie-(Wärme-)Inhalte und bei gleicher
fortschreitender Bewegung im Raume das Maxwell’sche Ge-
schwindigkeitsvertheilungsgesetz herrschen würde. Es kann wie
in § 19 berechnet werden und hat, wie dort gezeigt, abgesehen
von einer Constanten, den Werth
.
Zweitens erhalten wir Glieder, welche bezüglich der Coëfficienten
b und c linear sind. Dieselben verschwinden jedoch sämmtlich.
Da nämlich ist, wenn eine der
Zahlen a, b, c ungerade ist, so verschwinden die Coëfficienten
von b12, b13, b23, c1, c2 und c3. Sind aber alle drei Zahlen a, b, c
gerade, so ändert das Integrale durch cyklische Vertauschung
von x0, y0 und z0 seinen Werth nicht. Es erhalten also b11,
b22 und b33 denselben Coëfficienten und die Summe der be-
treffenden Glieder verschwindet ebenfalls, wegen
b11 + b22 + b33 = 0.
Da wir die Glieder von noch höherer Grössenordnung ver-
nachlässigen, so bleiben im Ausdrucke für J noch die Glieder
zweiter Ordnung bezüglich der Coëfficienten b und c. Ihre
Summe ist:
.
Von derselben Grössenordnung sind freilich die nächsten
Glieder, welche zum Ausdrucke 242 hinzukommen sollten und
[192]III. Abschnitt. [Gleich. 250]
welche wir nicht berechnet haben; doch ist nicht unwahr-
scheinlich, dass auch sie nach Durchführung der Integration
verschwinden.
Wir fanden nun:
und man findet leicht:
.
Wegen
ist also
.
Nach Substitution der Werthe für die b findet man, wenn
man θ für
schreibt, für die Gesammtentropie des im Volumenelemente d o
enthaltenen einfachen Gases den Werth:
250) .
[193][Gleich. 250] § 24. Verallgemeinerte Entropie.
Der Inbegriff aller die Differentialquotienten von u, v, w
nach x, y, z enthaltenden Glieder ist das, was Lord Rayleigh
die Dissipationsfunction der inneren Reibung nannte. Der In-
begriff der letzteren drei Glieder wurde von Herrn Ladis-
laus Natanson die Dissipationsfunction der Wärmeleitung
genannt.
Die Energetik hält die verschiedenen Energieformen für
qualitativ verschieden, eine Energie, die zwischen lebendiger
Kraft und Wärme die Mitte hält, ist ihr fremd. Daher das oft
betonte Princip der Superposition der Eigenschaften der ver-
schiedenen, in einem Körper enthaltenen Energien. Dies
Princip gilt für den statischen Zustand und für vollkommen
stationäre sichtbare Bewegung, wo sich die Energieformen
gewissermaassen streng gesondert haben. Ist dagegen die obige
Gleichung richtig, so wäre für den Fall der inneren Reibung
und Wärmeleitung die Entropie des in einem Volumenelemente
enthaltenen Gases nicht dieselbe, als ob sich dieses bei
gleicher Temperatur mit gleicher Geschwindigkeit constant
fortbewegte. Wir hätten da gewissermaassen eine lebendige
Kraft, welche halb noch als sichtbare lebendige Kraft zu be-
trachten, halb schon in Wärmebewegung übergegangen ist und
daher in den Ausdruck für die Entropie in einer Weise ein-
geht, die aus den Gesetzen der statischen Erscheinungen nicht
vorherzusehen ist. Deformiren wir durch äussere Kräfte einen
vollkommen elastischen Körper, so erhalten wir bei dessen
Rückkehr in die alte Form die ganze hineingesteckte Energie
wieder in Form von Arbeit. Erzeugen wir durch äussere
Kräfte innere Reibung in einem Gase, so verwandelt sich die
aufgewandte Arbeit in Wärmeenergie. Dies geschieht voll-
ständig, wenn nach Aufhören der äusseren Kräfte noch eine
erheblich grössere Zeit als die Relaxationszeit verstrichen ist.
Während der Wirkung der äusseren Kräfte ist jedoch, wenn
unsere Gleichungen richtig sind, die Entropie in jedem Augen-
blicke etwas kleiner, als sie wäre, wenn die für die sichtbare
Bewegung verloren gegangene Energie gewöhnliche Wärme wäre.
Dieselbe steht in der Mitte zwischen gewöhnlicher Wärme und
sichtbarer Energie, und ein Theil davon ist noch in Arbeit
verwandelbar, da das Maxwell’sche Geschwindigkeitsverthei-
lungsgesetz noch nicht genau gilt. Dieses strenge Analogon
Boltzmann, Gastheorie. 13
[194]III. Abschnitt. [Gleich. 151]
für die Dissipation der Energie an einem rein mechanischen
Modelle scheint mir besonders beachtungswerth.
Es sollen nun zwei Gasarten vorhanden sein. m sei die
Masse eines Moleküls der ersten, m1 die eines Moleküls der
zweiten Gasart. Den Mittelwerth u der Geschwindigkeitscom-
ponenten ξ aller in einem Volumenelemente befindlichen Mole-
küle der ersten Gasart nennen wir die x-Componente der Ge-
sammtgeschwindigkeit der ersten Gasart in diesem Volumen-
elemente. Sie braucht nicht gleich zu sein dem Mittelwerth u1
der Geschwindigkeitscomponenten ξ1 aller Moleküle der anderen
Gasart im selben Volumenelemente. u1 wäre als x-Componente
der Gesammtbewegung der zweiten Gasart im Volumenelemente
d o zu bezeichnen. Analoge Bedeutung haben v, w, v1, w1.
ρ und ρ1 seien die Partialdichten beider Gasarten, d. h. ρ ist
die durch d o dividirte Gesammtmasse aller in d o enthaltenen
Moleküle der ersten Gasart, analog ρ1. p und p1 seien die
Partialdrucke, d. h. die Drucke, welche jede Gasart, wenn die
andere nicht vorhanden wäre, auf die Flächeneinheit ausüben
würde. P = p + p1 sei der Gesammtdruck. Endlich seien x,
y, z und x1, y1, z1 die Ueberschüsse der Geschwindigkeitscom-
ponenten eines Moleküls je einer Gasart über die Gesammt-
geschwindigkeitscomponenten der betreffenden Gasart, also:
ξ = u + x, η = v + y, ζ = w + z
ξ1 = u1 + x1, η1 = v1 + y1, ζ1 = w1 + z1.
Dann gilt für jede Gasart die Continuitätsgleichung, welche
wir ja bewiesen haben, bevor wir die Annahme machten, dass
nur eine Gasart vorhanden ist. Es ist also:
251) .
Wir wollen uns nun das Volumenelement d o während der
Zeit d t mit den Gesammtgeschwindigkeitscomponenten u, v, w
der ersten Gasart in diesem Volumenelemente fortbewegt denken.
[195][Gleich. 252] § 24. Diffusion.
Die durch d t dividirte Differenz der Werthe, welche irgend
eine Grösse Φ zur Zeit t + d t im Volumenelemente in dessen
neuer Lage und zur Zeit t im Volumenelemente in seiner alten
Lage hat, bezeichnen wir mit d Φ / d t, so dass also
ist. Eine analoge Bedeutung hat:
.
Bei Bildung der letzteren Grösse denkt man sich das
Volumenelement mit den Geschwindigkeitscomponenten u1, v1, w1
fortwandernd. Dann können die beiden Continuitätsgleichungen
auch so geschrieben werden:
252) .
Wir vernachlässigen die Abweichungen vom Maxwell’-
schen Geschwindigkeitsvertheilungsgesetze. Dann ist:
.
Die mittlere lebendige Kraft eines Moleküls kann eben-
falls für beide Gasarten nur wenig verschieden sein. Es ist
also nahe:
.
Da wir bei dem jetzigen Grade der Annäherung überhaupt
Quadrate der kleinen Geschwindigkeitscomponenten u, v, w,
mit welchen die Gase durcheinander hindurchdiffundiren gegen
ξ2, η2 … vernachlässigen können, so ist auch:
.
Wir setzen diese Grösse wieder (Gleichung 51 a) gleich
3 R M T und nennen T die in d o herrschende Temperatur.
13*
[196]III. Abschnitt. [Gleich. 254]
Dabei ist M die Masse eines Moleküls eines beliebigen dritten
Gases (des Normalgases) und R eine dem Temperaturmaass
entsprechend zu wählende Constante (die Gasconstante des
Normalgases). Da sich jedes der beiden zuerst betrachteten
Gase wie ein ruhendes verhält, so ist
253) ,
wobei r und r1 die Gasconstanten der beiden ersteren Gase
sind und μ = m / M, μ1 = m1 / M ist.
Nun wollen wir in Gleichung 187 setzen φ = ξ = u + x.
Dann wird
.
B5 (φ) = 0. Es ergibt sich also:
254) ,
wobei nach Gleichung 132
ist. Wir hatten nun (s. Gleichung 200):
,
daher
.
Wir setzten ferner (Gleichung 195):
[197][Gleich. 257 a] § 24. Diffusion.
und nachher n = 4. Es wird also:
.
Maxwell bezeichnet das bestimmte Integral mit A1
und fand
255) A1 = 2 · 6595.
Wir setzen noch
256)
und erhalten
.
Daraus folgt weiter:
m B4 (ξ) = A3 [m ∫ f d ω · m1∫ ξ1F1d ω1 — m ∫ ξ f d ω · m1∫ F1d ω1].
Nun ist nach Formel 175:
und da offenbar dasselbe auch für die zweite Gasart gilt:
m1∫ F1d ω1 = ρ1, m1∫ ξ1F1d ω1 = ρ1u1,
daher
m B4 (ξ) = A3ρ ρ1 (u1 — u)
und die Formel 254 geht über in
257) .
Ebenso erhält man für die zweite Gasart:
257 a) .
Es sind dies die uns geläufigen hydrodynamischen Glei-
chungen. Reibung und Wärmeleitung kann bei den Vernach-
lässigungen, die wir uns erlaubten, nicht zur Geltung kommen.
Nur das letzte Glied ist der Wechselwirkung der beiden Gas-
arten zuzuschreiben. Diese Wechselwirkung hat also unter den
zugelassenen Vernachlässigungen genau denselben Effect, als
ob zur Kraft X · ρ d o, welche von aussen auf die in d o be-
findlichen Mengen der ersten Gasart ausgeübt würde, noch der
Betrag — A3ρ ρ1 (u — u1) d o hinzukäme. Wir können uns die
[198]III. Abschnitt. [Gleich. 257 a]
Sache so vorstellen, als ob diese Gasmenge unbeschadet der
übrigen Kräfte, die darauf wirken, bei ihrer Bewegung durch die
zweite Gasart noch diesen Widerstand fände. Einen gleichen
in entgegengesetzter Richtung wirkenden Widerstand findet die
in d o befindliche Menge der zweiten Gasart. Da dasselbe von
der y- und z-Axe gilt, so ist dieser Widerstand gleich dem
Producte der Partialdichten der beiden Gasarten, ihrer rela-
tiven Geschwindigkeit , dem
Volumen d o des Volumenelementes und der Constanten A3.
Er hat die Richtung dieser relativen Geschwindigkeit und wirkt
auf jede Gasart der relativen Bewegung derselben entgegen.
Setzen wir in Gleichung 187 φ = ξ2 + η2 + ζ2, so finden wir,
dass unter Zulassung der gegenwärtigen Vernachlässigung
ist, sobald anfangs war. Die
Temperatur erfährt also durch den Diffusionsvorgang keine
Aenderung.
Wir wollen diese Gleichungen nur auf die Gasdiffusions-
versuche Prof. Loschmidt’s anwenden. Diese Versuche wurden
so angestellt: Ein verticales cylindrisches Gefäss war durch
einen dünnen Schieber in zwei Theile getheilt. Der untere
Raum wurde mit dem schwereren, der oberen mit dem leichteren
Gase angefüllt. Druck und Temperatur wurde in beiden Gasen
gleich gemacht und wenn alle Massenbewegungen aufgehört
hatten, plötzlich der Schieber möglichst ruhig weggezogen.
Nachdem die Gase durch eine gewisse Zeit diffundirt hatten,
wurde der Schieber wieder vorgeschoben und nun der Inhalt
beider Theile des Gefässes analysirt. Hier kann zunächst der
Einfluss der Schwere vernachlässigt, also X = Y = Z = 0 ge-
setzt werden. Ferner geschieht die Bewegung ausschliesslich
in der Richtung der Axe des Cylinders. Wählen wir diese
als Abscissenaxe, so ist also
.
Endlich geschieht die Bewegung so langsam, dass sie an jeder
Stelle fast als stationär betrachtet, dass also d u / d t vernach-
lässigt werden kann.
[199][Gleich. 261] § 24. Diffusion.
Wir können dies auch so motiviren: Wir hatten für die
reciproke Relaxationszeit:
,
ferner nach Gleichung 256:
.
A1 ist eine Zahl, die weniger als doppelt so gross als A2 ist.
ρ wird von derselben Grössenordnung wie ρ1, m von derselben
wie m1 sein. Wir setzen voraus, dass auch die beiden Con-
stanten K1 und K des Kraftgesetzes für die Wechselwirkung
einestheils zweier Moleküle m, anderntheils eines Moleküls m
auf ein Molekül m1 von derselben Grössenordnung sind. Dann
verhält sich also in Gleichung 257 die Grössenordnung des
ersten zu der des letzten Gliedes wie d u / d t zu (u — u1) / τ.
Dieses Verhältniss kann gleich Null gesetzt werden, da bei der
Langsamkeit des Diffusionsvorganges die Zeit τ1, innerhalb
welcher u den Zuwachs u — u1 erfahren könnte, enorm gross
gegenüber der Relaxationszeit τ sein müsste. d u / d t ist aber
offenbar von der Grössenordnung (u — u1) / τ1. Wir können daher
in Gleichung 257 auch das erste Glied vernachlässigen und
erhalten:
258) .
Ebenso:
259) .
Aus den beiden Continuitätsgleichungen aber folgt:
260) .
Die Temperatur T soll während des ganzen Versuches
constant erhalten werden. Es ist also nach den Gleichungen 253
p dem ρ und p1 dem ρ1 proportional, und man kann die
Gleichungen 260 auch so schreiben:
261) .
[200]III. Abschnitt. [Gleich. 263]
Setzen wir p + p1 = P, so dass also P der Gesammtdruck
ist, so folgt aus 258 und 259:
.
Ferner aus 261:
und bei nochmaliger Differentiation der letzten Gleichung
nach x:
,
also:
p u + p1u1 = C1x + C2.
Nun kann aber weder am Deckel, noch am Boden der
cylindrischen Röhre eine Gasart ein- oder ausströmen. Sowohl
für die Abscisse des Deckels, als auch des Bodens ist daher
u = u1 = 0, daher auch p u + p1u1 = 0.
Daraus folgt C1 = C2 = 0 und
262) p u + p1u1 = 0.
Eliminirt man mittelst dieser Gleichung u1 aus Gleichung 258,
so folgt:
,
also nach 253:
263) .
Differentiirt man nochmals nach x und berücksichtigt die
Gleichung 261, so folgt also:
,
wobei
.
Diese Gleichung hat dieselbe Form wie die von Fourrier
für die Wärmeleitung aufgestellte. Beide Naturvorgänge be-
folgen also dieselben Gesetze. In unserem speciellen Falle
geschieht die Diffusion genau so, als ob an Stelle der cylin-
drischen Gasmasse ein homogener Metallcylinder vorhanden
[201][Gleich. 265] § 24. Diffusion.
wäre, dessen obere Hälfte anfangs die Temperatur 100°C.,
dessen untere anfangs die Temperatur Null hatte und durch
dessen gesammte Oberfläche weder durch Leitung, noch Strahlung
Wärme ein- oder austreten kann. D heisst die Diffusionsconstante.
Sie ist dem Quadrate der absoluten Temperatur T direct und
dem Gesammtdrucke P verkehrt proportional. Vom Mischungs-
verhältnisse ist sie unabhängig, also während der Diffusion zu
allen Zeiten für alle Gefässquerschnitte constant. Würden sich
die Moleküle wie elastische Kugeln verhalten, so wäre D der
3/2ten Potenz von T proportional und vom Mischungsverhält-
nisse abhängig. Die Abhängigkeit von P bliebe dieselbe.
Eine einfache Definition der Diffusionsconstante D erhalten
wir in folgender Weise. Wir multipliciren die Gleichung 263
mit — μD / R T und erhalten:
.
ρ u ist offenbar die gesammte Gasmasse, welche in der
Zeiteinheit durch die Einheit des Querschnittes geht. Dieselbe
ist dem Gefälle ∂ ρ / ∂ x der Partialdichte des betreffenden
Gases in der Richtung der Axe des Gefässes proportional.
Der Proportionalitätsfactor ist eben die Diffusionsconstante.
Stellen wir uns consequent auf den Standpunkt der der
fünften Potenz der Entfernung proportionalen Abstossung, so
können wir aus den Kraftconstanten K1 und K2 keinen Schluss
auf K, also von der Beschaffenheit des ersten und zweiten Gases
keinen Schluss auf die Wechselwirkung beider Gase ziehen.
Dies ändert sich aber, wenn wir uns die Abstossung z. B.
durch comprimirbare Aetherhüllen vermittelt denken. Wir
können dann der Aetherhülle eines Moleküls m den Durch-
messer s, der eines Moleküls m1 den Durchmesser s1 zuschreiben.
Die Centra zweier Moleküle m werden sich beim Zusammen-
stosse durchschnittlich bis zur Distanz s nähern. Denken wir
uns daher eines dieser Moleküle festgehalten und das andere
mit der mittleren lebendigen Kraft l eines Moleküls direct
darauf zufliegend, so wird die Geschwindigkeit des letzteren
in der Entfernung s erschöpft sein. Dies liefert:
264) .
[202]III. Abschnitt. [Gleich. 265]
Ebenso folgt:
.
Ein Molekül m1 wird aber einem Moleküle m sich durch-
schnittlich bis zu einer Distanz nähern, welche gleich der
Summe der Radien (s + s1) / 2 der beiden Aetherhüllen ist.
Halten wir daher wieder das eine Molekül fest und lassen das
andere mit der gemeinsamen mittleren lebendigen Kraft aller
Moleküle direct darauf zufliegen, so wird seine Geschwindig-
keit in der Entfernung (s + s1) / 2 erschöpft sein, was liefert:
.
Aus diesen Gleichungen folgt:
.
Nun war (Gleichung 256):
.
Die Reibungsconstante des ersten Gases war (Gleichung 219):
.
Ebenso ist die Reibungsconstante der zweiten Gasart:
,
daher
265) .
[203][Gleich. 265] § 24. Diffusion.
Diese Formel gestattet aus den Molekülgewichten und
Reibungsconstanten zweier Gase deren Diffusionscoëfficienten
zu berechnen. Sie stimmt angenähert mit der Erfahrung.
Daran, dass sie exact richtig wäre, ist sicher gar nicht zu
denken. Aber sie dürfte doch von allen zu gleichem Zwecke
bisher entwickelten noch am rationellsten begründet sein.
Setzen wir in Formel 264
,
so wird
,
daher
.
Nun ist
,
daher
.
Nach Formel 91 war
R = k n m c λ,
dabei war
.
Ferner nach Formel 89:
k = 0,350271,
wenn
.
Es war also:
.
Man sieht, dass der numerische Coëfficient nur unbedeutend
verschieden ist.
Nur der Begriff der mittleren Weglänge und der Anzahl
der Zusammenstösse passen nicht in die Theorie der der
fünften Potenz der Entfernung verkehrt proportionalen Ab-
stossung. Um dieselben definiren zu können, müsste man eine
[204]III. Abschnitt. [Gleich. 265]
neue willkürliche Annahme machen. Man müsste z. B. festsetzen,
dass ein Zusammentreffen zweier Moleküle dann als Zusammen-
stoss aufgefasst wird, wenn die relative Geschwindigkeit um
einen Winkel gedreht wird, der grösser als 1° ist, sonst aber
nicht zählt.
Von dem grössten Interesse wäre es, den Grad der An-
näherung auch bei Berechnung der Diffusion weiter zu treiben,
sowie die Entropie zweier diffundirender Gase zu berechnen.
Im ersteren Falle würden sich wahrscheinlich Schwankungen
der Temperatur und des Gesammtdruckes während der Dif-
fusion ergeben, deren Berechnung nach den aufgestellten Prin-
cipien keine Schwierigkeit mehr hat; ebenso leicht wäre die
Berechnung einer neuen Dissipationsfunction, der der Diffusion
durch Bestimmung der Entropie zweier diffundirender Gase.
Doch wollen wir uns hierauf nicht näher einlassen.
vgl. § 3.
Boltzmann, Weitere Bemerkungen über Wärmetheorie. Wiener Sitzungs-
berichte Bd. 78. Juni 1878, drittletzte und vorletzte Seite.
Wied. Ann. Bd 29. S. 153. 1886. Dass die Winkel ϑ und ε auch von der
Lage von c und c1 abhängen, beeinträchtigt die Beweiskraft der De-
ductionen des Textes nicht. Man könnte ja zuerst statt ϑ und ε zwei
Winkel einführen, welche die absolute Lage von O K im Raume be-
stimmen, dann ξ, η … ζ1 in ξ', η' … ζ'1 transformiren und zuletzt ϑ
und ε wiedereinführen.
mehr analytischer Form darstellen. Wir werden sicher alle Werthe um-
fassen, wenn wir in den beiden Integralen, deren Summe gleich H ist,
bezüglich aller Variabeln von — ∞ bis + ∞ integriren. Geschwindig-
keiten, welche im Gase nicht vorkommen sollten, fallen dann ohnedies
aus den Integralen wieder heraus, da für dieselben f oder F verschwindet.
Dann sind die Grenzen unveränderlich und man findet d H / d t, indem
man unter dem Integralzeichen nach t differentiirt, was liefert:
.
Man sieht sofort, dass die beiden ersten Glieder den durch diejenige
Ursache bedingten Zuwachs von H darstellen, welche im Texte als die
erste bezeichnet wurde und dass sie aus den im Texte angeführten
Gründen verschwinden. Die beiden anderen Glieder stellen den durch
die zweite Ursache bewirkten Zuwachs von H dar und liefern nach Sub-
stitution der Werthe von ∂ f / ∂ t und ∂ F / ∂ t aus den Gleichungen 25
und 26:
29) ,
wobei d ϱ, d r, d r1 für σ2g cos ϑ d ω d ω1d λ, resp. s2g cos ϑ d ω dω1d λ und
cos ϑ dω d ω1d λ geschrieben wurde. Alle Integrationen erstrecken
sich über alle möglichen Werthe der Differentiale.
Man sieht sofort, dass die Summe ∫ f' l f' d ω' + ∫ F'1l F'1d ω'1,
wenn man nur wieder über alle möglichen Werthe integrirt, ebenfalls
gleich H ist. Ihre Differentiation liefert:
30) .
∂ F / ∂ t finden können, wenn man statt eines Zusammenstosses, in wel-
chem die Geschwindigkeitscomponenten vor dem Stosse ξ, η, ζ, ξ1, η1, ζ1
nach demselben ξ', η', ζ', ξ'1, η'1, ζ'1 waren, einen solchen betrachtet
hätte, wo sie vor dem Stosse ξ', η', ζ', ξ'1, η'1, ζ'1, nach demselben aber
ξ, η, ζ, ξ1, η1, ζ1 sind. Schon die blosse Symmetrie gibt:
;
ähnlich ∂ F' / ∂ t. Die Substitution dieser Werthe in die Gleichung 30
liefert unter Berücksichtigung, dass die beiden ersten Integrale der rechten
Seite dieser Gleichung verschwinden und dass d ω' d ω'1 = d ω d ω1 ist:
31) .
Da beim Zusammenstosse zweier Moleküle m oder zweier Moleküle m1
die beiden stossenden Moleküle dieselbe Rolle spielen, folgt noch
∫ l f (f' f'1 — f f1) d r = ∫ l f1 (f' f'1 — f f1) d r,
∫ l f' (f f1 — f' f'1) d r = ∫ l f'1 (f f1 — f' f'1) d r
mit zwei analogen Gleichungen für F. Berücksichtigt man dies und
nimmt aus den beiden Werthen 30 und 31 für d H / d t das Mittel, so
folgt der im Texte gegebene Werth:
.
Dieser Beweis ist etwas kürzer, scheint aber von gewissen mathe-
matischen Bedingungen (der Erlaubtheit der Differentiation unter dem
Integralzeichen u. s. w.) abhängig, welche thatsächlich nur auf seine Be-
weiskraft, nicht auf die Richtigkeit des Satzes, in dem es sich ja eigentlich
nur um sehr grosse, nicht unendliche Zahlen handelt, von Einfluss sind.
Ganz ohne Einführung bestimmter Integrale wurde der Satz bewiesen
Wiener Sitzungsber. Bd. 66. October 1872. Abschn. II.
3. Aufl.
nicht möglich sind: 1. Ausser der Maxwell’schen existirt noch eine
zweite, molekular-ungeordnete, stationäre Zustandsvertheilung, wobei nicht
jede Geschwindigkeit genau so wahrscheinlich ist, wie die gerade ent-
gegengesetzt gerichtete und noch eine dritte, die durch Umkehrung der
zweiten entsteht. 2. Ausser der Maxwell’schen (wahrscheinlichsten) Ver-
theilung, (welche nicht allgemein durch Umkehrung in eine molekular-
geordnete übergehen kann, da sonst ein molekular-geordneter Zustand
ebenso wahrscheinlich, wie ein ungeordneter wäre), existirt noch eine seltene,
molekular-ungeordnete, stationäre Zustandsvertheilung, welche durch Um-
kehr in eine molekular-geordnete übergeht. 3. Es gibt auch stationäre,
molekular-geordnete Zustandsvertheilungen. Punkt 2 und 3 beziehen sich
auch auf den Fall der Abwesenheit äusserer Kräfte. Die Unmöglichkeit
des Falles 3 kann auch durch das Minimumtheorem nicht erwiesen werden
und lässt sich wahrscheinlich ohne gewisse Einschränkungen überhaupt
nicht beweisen. Selbstverständlich ist der Begriff „molekular-ungeordnet“
nur ein Grenzfall, dem sich eine ursprünglich molekular-geordnete Be-
wegung theoretisch erst nach unendlich langer Zeit, praktisch aber sehr
rasch nähert.
c für g, Eins für d t, so liefert sie
für die Zahl der Zusammenstösse, welche ein Molekül in der Zeiteinheit
keit c unter ruhenden, unter sich gleichbeschaffenen Molekülen, von
denen n auf die Volumeneinheit entfallen, bewegen würde. σ ist die
Summe der Radien des bewegten und eines der ruhenden Moleküle. Der
Weg, welchen das bewegte Molekül von einem Zusammenstosse bis zum
nächsten durchschnittlich zurücklegen würde, wäre
60) .
statt f d ω und führt die Integration nach φ von Null bis π genau wie im
Texte durch, so findet man die Anzahl ν' der Zusammenstösse, welche ein
Molekül m mit Molekülen m1 in der Zeiteinheit erleiden würde, wenn es
vorausgesetzt, dass sich in der Volumeneinheit n1 Moleküle m1 befinden, die
sich alle mit derselben Geschwindigkeit c1, aber gleichmässig nach allen
möglichen Richtungen im Raume bewegen. Die Ausführung der In-
tegrationen liefert
65) .
Sind obendrein die Moleküle m1 mit den Molekülen m gleich-
beschaffen und entfallen n davon auf die Volumeneinheit, ist ferner auch
c = c1 und s der für alle Moleküle gleiche Durchmesser, so erhält man
für die Anzahl der Zusammenstösse, die ein Molekül unter lauter gleich-
beschaffenen, mit derselben Geschwindigkeit nach allen Richtungen be-
wegten Molekülen in der Zeiteinheit erfährt, den Werth:
66) ν″ = 4/3 π n s2c,
der mittlere Weg (von einem Zusammenstosse zum nächsten) wird
67) .
Dies ist der von Clausius berechnete Werth für die mittlere Weg-
länge, welcher numerisch etwas verschieden von dem im Texte an-
geführten, von Maxwell berechneten ist.
Hat man in der Volumeneinheit n Moleküle mit dem Durchmesser s
und n1 mit dem Durchmesser s1 = 2 σ — s und bewegen sich alle
n Moleküle mit derselben Geschwindigkeit c, alle n1 Moleküle mit einer
Geschwindigkeit c1 nach allen möglichen Richtungen, so erfährt eines
der n Moleküle in der Secunde ν' + ν″ Zusammenstösse und der mittlere
Weg desselben ist:
68) .
dass sich die Grösse λc mit wachsendem c der Grenze λr (Gleichung 60)
nähert. In der That müssen sich, sobald das betrachtete Molekül sehr
grosse Geschwindigkeit besitzt, alle übrigen Moleküle nahezu so ver-
halten, als ob sie in Ruhe wären. Die mittlere Weglänge wird natür-
vergrössert oder verkleinert werden, ohne dass sich sonst etwas ver-
ändert; λ ist also für ein einfaches Gas bei gleichbleibender Dichte nicht
für verschiedene Temperaturen verschieden, solange die Moleküle als
unendlich wenig deformirbare elastische Körper betrachtet werden.
Berendt. 1877. S. 157 u. f.
Winkelmann’s fand Herr Kutta nach einer verbesserten Annäherungs-
formel den Werth 0,000058 (Münchn. Dissert. 1894. Wied. Ann. Bd. 54.
S. 104. 1895).
gleiche §§ 18 und 21).
Max Planck. Leipzig, B. G. Teubner, 1894. S. 210.
Moleküle in ihrer absoluten Bewegung im Raume gelangt wären, wenn
sie sich, ohne dass Wechselwirkung eingetreten wäre, geradlinig und
gleichförmig mit ihren Geschwindigkeiten vor dem Stosse fortbewegt
hätten, d. h. b ist die Gerade P1P, wenn wir die beiden Punkte, wo
sich unter Voraussetzung keiner Wechselwirkung m1 und m im Momente
ihrer kleinsten Entfernung befunden hätten, mit P1 und P bezeichnen.
ε ist also der Winkel der beiden durch die Richtung der relativen Ge-
schwindigkeit, einerseits parallel P1P, andererseits parallel der Abscissen-
axe gelegten Ebenen.
einer vollkommen ebenen, sich in sich selbst fortbewegenden Wand keine
Reibung erfahren würde.
laufende geschlossene Fläche, die auch überall, so nahe als man will, an
den Wänden angenommen werden kann und erstreckt das Integral nach
d o nur über alle Volumenelemente innerhalb dieser Fläche, das nach d S
über alle Oberflächenelemente derselben, und bezeichnen mit K' d t die
Anzahl der Moleküle, die in der Zeit d t durch die Fläche S mehr aus-
als eintreten, mit L' d t aber die Vermehrung der Zahl der innerhalb der
Fläche S liegenden Moleküle, so ist also immer K' + L' = O. Aber K'
und L' sind nicht mit den im Texte mit K und L bezeichneten Grössen
identisch, da wir bei Berechnung von (d / d t) Σω, o l f jedes Molekül auf
seinem Wege während der Zeit d t verfolgten, die Summe also am An-
fange und am Ende des Zeitdifferentials d t immer über dieselben Mole-
küle erstreckt und die Differenz dieser beiden Summen durch d t dividirt
haben. Wir setzen also voraus, dass die Volumenelemente d o mit den
betreffenden Molekülen fortwandern, dass also innerhalb der Fläche S
immer dieselben Moleküle bleiben. Dies ist nicht der Fall, sobald die
Fläche S sich nicht mit den Molekülen mitbewegt. Wollen wir die
Summe zu Anfang und Ende des Zeitdifferentials d t immer über die-
selben Raumelemente erstrecken, so ist (d/d t) Σω, o l f einfach das Integral
des durch Gleichung 120 gegebenen Ausdruckes nach d o und d ω, in
stitution der Werthe 121—125 incl.:
145 a) .
C4 (l f) + C5 (l f) sind dieselben Grössen wie früher. Das erste Glied
des Doppelintegrals ist ebenfalls dasselbe wie in Formel 145, also gleich K.
Auch die letzten drei Glieder können durch partielle Integration nach
ξ, η, ζ in die Form gebracht werden, welche die entsprechenden Glieder
der Gleichung 145 haben. Durch directe Integration des fünften nach ξ,
des sechsten nach η und des siebenten nach ζ können sie auch sofort
auf Null reducirt werden, da f l f für unendliche ξ, η oder ζ verschwinden
muss, da endlich ist. Die Summe des zweiten, dritten und vierten
Gliedes des Doppelintegrals 145 a liefert wegen d (f l f — f) = l f d f durch
Integration nach x, resp. y und x die beiden Oberflächenintegrale
∫ ∫ d o d S f N — ∫ ∫ d o d S N f l f, beide über die jetzt fix zu denkende
Fläche S zu erstrecken. Das erste ist die früher mit K bezeichnete
Grösse, das zweite aber stellt, nachdem es mit d t multiplicirt wurde,
gemäss der Definitionsgleichung 144 der Grösse H den während der
Zeit d t durch die Bewegung der Moleküle m mehr innerhalb die Fläche S
hinein- als daraus hinausgetragenen Betrag der Grösse H dar. Es kann
also im Innern des Gases ebensowenig, wie in dem im Texte betrachteten
Falle eine Schöpfung der Grösse H stattfinden. Der gesammte, innerhalb
der Fläche S enthaltene Betrag der Grösse H kann nur um weniger,
höchstens um gleich viel zunehmen, als von dieser Grösse ins Innere
der Fläche S von aussen hineingetragen wurde.
Die Grösse — H, welche der Entropie proportional ist, wird niemals
geändert, wenn sichtbare Bewegungen durch äussere Kräfte erzeugt
werden, oder ihre Richtung ändern, oder sich auf andere Massen über-
tragen, so lange nicht durch Stösse Molekularbewegung daraus entsteht.
Selbst wenn anfangs ein Gas die eine, das andere die zweite Hälfte
eines Gefässes inne gehabt hätte, wird durch die in Folge der Progressiv-
bewegung eintretende Mischung die Entropie nicht geändert. Die
Mischung liefert zwar einen wahrscheinlicheren Zustand. dafür wird aber
die Geschwindigkeitsvertheilung unwahrscheinlicher, da jedes Gas eine
Durchschnittsbewegung in einer bestimmten Richtung annimmt. Erst
sobald diese Durchschnittsbewegung durch die Zusammenstösse vernichtet
(in ungeordnete Molekularbewegung verwandelt) wird, nimmt H ab, also
die Entropie zu.
hoff’s über Wärmetheorie sei hier Folgendes bemerkt:
Da φ bloss Function von ξ, η, ζ ist, verwandelt es sich durch die
Substitution 158 in eine Function von x + u,y + v, z + w und es wird
,
wenn in den letzten beiden Differentialquotienten φ als Function von
u + x, v + y, w + z betrachtet wird. Es ist also:
.
Kirchhoff bezeichnet nun mit (∂φ̅)/(∂u) den Differentialquotienten,
den man erhält, wenn man in φ (u + x, v + y, w + z) die Grössen u, v, w
explicit lässt und unter Constanthaltung der Mittelwerthe der x, y und z
enthaltenden Coëfficienten derselben nach u partiell ableitet; diese
oder deren Differentialquotienten nach den Coordinaten betrachtet werden.
Ebensowenig sind u, v, w als Functionen von x, y, z anzusehen. Dann ist
,
daher auch
.
Gleiches gilt natürlich für die beiden anderen Coordinaten.
bemerkt, darf in dieser Gleichung ihrer Ableitung gemäss φ nur eine
Function von ξ, η, ζ oder u + x, v + y, w + z, nicht eine beliebige
Function von u, v, w,x, y, z sein. In den nun folgenden Gleichungen
dagegen ist f eine Function von x, y, z und B5 (f) ist der Ausdruck, den
man erhält, wenn man in den Ausdruck 137 für φ, φ1, φ' und φ'1 sub-
stituirt f = φ (x, y, z), f1 = φ1 (x1, y1, z1) u. s. w. Da x', y', z', x'1, y'1, z'1
gegebene Functionen von x, y, z, x1, y1, z1, b und ε sind, so können die
Integrationen nach den letzteren acht Variabeln ohne Weiteres ausgeführt
werden.
proportionalen Anziehung gestattet eine ähnliche Vereinfachung der
Rechnung (vgl. Wien. Sitzungsber. Bd. 89. S. 714. Mai 1884). Doch muss
man dann annehmen, dass für Entfernungen, die noch klein gegen die
Distanz sind, bei der schon starke Wirkung stattfindet, die Kraft ein
anderes Gesetz befolgt, nach welchem die Anziehung endlich bleibt oder
in Abstossung übergeht, weil sonst die Moleküle beim Zusammenstosse
sich nicht mehr in endlicher Zeit trennen. Im Texte wollen wir jedoch
immer eine der fünften Potenz verkehrt proportionale Abstossung an-
nehmen.
208) .
Prof. Gegenbauer.
S. 118.
4. ser. vol. 35. März 1868. S. 216, scient pap. II. S. 77 Formel 149) für L
nur ⅔ des obigen Werthes, worauf ich schon Sitzungsber. d. Wien. Ac.
II. Abth. Bd. 66. 1872. S. 332 aufmerksam machte. Poincaré machte
dieselbe Bemerkung C. r. d. Paris. Acad. Bd. 116. S. 1020. 1893.
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- Citation Suggestion for this Edition
- TextGrid Repository (2025). Boltzmann, Ludwig. Vorlesungen über Gastheorie. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bjbw.0