[][][][][]
Abhandlung
uͤber den Urſprung
der
Sprache,

welche den
von der Koͤnigl. Academie der Wiſſenſchaften
fuͤr das Jahr 1770
geſezten Preis
erhalten hat.



Auf Befehl der Academie herausgegeben.

Vocabula ſunt notae rerum.  (Cic.)


Berlin,:
bey Chriſtian Friedrich Voß,1772.
[][[1]]

Erſter Theil.

Haben
die Menſchen,
ihren Naturfaͤhigkeiten uͤberlaſſen,
ſich ſelbſt
Sprache
erfinden koͤnnen?


A
[[2]][[3]]
[figure]

Erſter Abſchnitt.



Schon als Thier, hat der Menſch
Sprache.
Alle heftigen und die hef-
tigſten unter den heftigen, die ſchmerzhaften Em-
pfindungen ſeines Koͤrpers, alle ſtarke Leidenſchaf-
ten ſeiner Seele aͤußern ſich unmittelbar in Ge-
ſchrei, in Toͤne, in wilde, unartikulirte Laute.
Ein leidendes Thier ſowohl, als der Held Philok-
tet, wenn es der Schmerz anfaͤllet, wird wim-
mern! wird aͤchzen! und waͤre es gleich verlaſſen,
auf einer wuͤſten Jnſel, ohne Anblick, Spur und
Hoffnung eines huͤlfreichen Nebengeſchoͤpfes —
Es iſt, als obs freier athmete, indem es dem bren-
nenden, geaͤngſtigten Hauche Luſt giebt: es iſt,
als obs einen Theil ſeines Schmerzes verſeufzte,
A 2und
[4] und aus dem leeren Luftraum wenigſtens neue
Kraͤfte zum Verſchmerzen in ſich zoͤge, indem es
die tauben Winde mit Aechzen fuͤllet. So wenig
hat uns die Natur, als abgeſonderte Steinfelſen,
als egoiſtiſche Monaden geſchaffen! Selbſt die
feinſten Saiten des thieriſchen Gefuͤhls (ich muß
mich dieſes Gleichniſſes bedienen, weil ich fuͤr die
Mechanik fuͤhlender Koͤrper kein beſſeres weiß!) —
ſelbſt die Saiten, deren Klang und Anſtrengung
gar nicht von Willkuͤhr und langſamen Bedacht
herruͤhret, ja deren Natur noch von aller forſchen-
den Vernunft nicht hat erforſcht werden koͤnnen,
ſelbſt die ſind in ihrem ganzen Spiele, auch ohne
das Bewuſtſeyn fremder Sympathie zu einer
Aeußerung auf andre Geſchoͤpfe gerichtet. Die ge-
ſchlagne Saite thut ihre Naturpflicht: — ſie klingt!
ſie ruft einer gleichfuͤhlenden Echo; ſelbſt wenn kei-
ne da iſt, ſelbſt wenn ſie nicht hoffet und wartet,
daß ihr eine antworte.


Sollte die Phyſiologie je ſo weit kommen, daß
ſie die Seelenlehre demonſtrirte, woran ich aber
ſehr zweifle, ſo wuͤrde ſie dieſer Erſcheinung man-
chen Lichtſtrahl aus der Zergliederung des Nerven-
baues
[5] baues zufuͤhren; ſie vielleicht aber auch in Einzelne,
zu kleine und ſtumpfe Bande vertheilen. Laſſet ſie
uns jezt im Ganzen, als ein helles Naturgeſetz
annehmen: „Hier iſt ein empfindſames We-
„ſen, das keine ſeiner lebhaften Empfindun-
„gen in ſich einſchließen kann; das im erſten
„uͤberraſchenden Augenblick, ſelbſt ohne Will-
„kuͤhr und Abſicht jede in Laut aͤußern muß.

Das war gleichſam der lezte, muͤtterliche Druck,
der bildenden Hand der Natur, daß ſie allen das
Geſetz auf die Welt mitgab: „empfinde nicht
„fuͤr dich allein: ſondern dein Gefuͤhl toͤne!

und da dieſer lezte ſchaffende Druck auf alle von
Einer Gattung Einartig war: ſo wurde dies Ge-
ſetz Segen: „deine Empfindung toͤne deinem
„Geſchlecht Einartig, und werde alſo von
„Allen, wie von Einem mitfuͤhlend vernom-
„men!
„ Nun ruͤhre man es nicht an, dies
ſchwache, empfindſame Weſen! ſo allein und ein-
zeln und jedem feindlichen Sturme des Weltalls
es ausgeſetzt ſcheinet; ſo iſts nicht allein: es ſteht
mit der ganzen Natur im Bunde! zartbeſaitet;
aber die Natur hat in dieſe Saiten Toͤne verbor-
A 3gen,
[6] gen, die, gereizt und ermuntert, wieder andre
gleich zart gebaute Geſchoͤpfe wecken, und wie
durch eine unſichtbare Kette, einem entfernten Her-
zen Funken mittheilen koͤnnen, fuͤr dies ungeſehene
Geſchoͤpf zu fuͤhlen — Dieſe Seufzer, dieſe
Toͤne ſind Sprache. Es giebt alſo eine Spra-
che der Empfindung, die unmittelbares Na-
turgeſetz iſt.


Daß der Menſch ſie urſpruͤnglich mit den
Thieren gemein habe,
bezeugen jezt freilich
mehr gewiſſe Reſte, als volle Ausbruͤche; allein
auch dieſe Reſte ſind unwiederſprechlich. — Unſre
kuͤnſtliche Sprache mag die Sprache der Natur ſo
verdraͤnget, unſre buͤrgerliche Lebensart und geſell-
ſchaftliche Artigkeit mag die Fluth und das Meer
der Leidenſchaften ſo gedaͤmmet, ausgetroknet und
abgeleitet haben, als man will; der heftigſte Au-
genblick der Empfindung, wo? und wie ſelten er
ſich finde? nimmt noch immer ſein Recht wieder,
und toͤnt in ſeiner muͤtterlichen Sprache unmittel-
bar durch Accente. Der auffahrende Sturm einer
Leidenſchaft, der ploͤzliche Ueberfall von Freude oder
Frohheit; Schmerz und Jammer, wenn ſie tiefe
Fur-
[7] Furchen in die Seele graben; ein uͤbermannendes
Gefuͤhl von Rache, Verzweiflung, Wuth, Schre-
cken, Grauſen u. ſ. w. alle kuͤndigen ſich an, und
jede nach ihrer Art verſchieden an. So viel Gat-
tungen von Fuͤhlbarkeit in unſrer Natur ſchlum-
mern, ſo viel auch Tonarten — — Jch merke
alſo an, daß je weniger die menſchliche Natur
mit einer Thierart verwandt; je ungleichar-
tiger ſie mit ihr am Nervenbaue iſt: deſto-
weniger iſt ihre Naturſprache uns verſtaͤnd-
lich.
Wir verſtehen als Erdenthiere, das Erden-
thier beſſer, als das Waſſergeſchoͤpf, und auf der
Erde das Heerdethier beſſer, als das Waldgeſchoͤpf;
und unter den Heerdethieren die am meiſten, die
uns am naͤchſten kommen. Nur daß freilich auch
bei dieſen Umgang und Gewohnheit mehr oder
weniger thut. Es iſt natuͤrlich, daß der Araber,
der mit ſeinem Pferde nur Ein Stuͤck ausmacht,
es mehr verſteht, als der, der zum Erſtenmal ein
Pferd beſchreitet; faſt ſo gut, als Hektor in der
Jliade mit den Seinigen ſprechen konnte. Der
Araber in der Wuͤſte, der nichts lebendiges um
ſich hat, als ſein Kameel, und etwa den Flug um-
A 4irren-
[8] irrender Voͤgel, kann leichter jenes Natur verſtehen
und das Geſchrei dieſer zu verſtehen glauben, als
wir in unſern Behauſungen. Der Sohn des Wal-
des, der Jaͤger, verſteht die Stimme des Hirſches,
und der Lapplaͤnder ſeines Rennthiers — Doch
alles das folgt oder iſt Ausnahme. Eigentlich iſt
dieſe Sprache der Natur eine Voͤlkerſprache
fuͤr jede Gattung unter ſich, und ſo hat auch
der Menſch die Seinige
— —


Nun ſind freilich dieſe Toͤne ſehr einfach;
und wenn ſie artikulirt, und als Jnterjektionen
aufs Papier hinbuchſtabiert werden; ſo haben die
entgegengeſezteſten Empfindungen faſt Einen Aus-
druck. Das matte Ach! iſt ſowohl Laut der zer-
ſchmelzenden Liebe, als der ſinkenden Verzweif-
lung; das feurige O! ſowohl Ausbruch der ploͤz-
lichen Freude, als der auffahrenden Wuth; der ſtei-
genden Bewunderung, als des zuwallenden Bejam-
merns; allein ſind denn dieſe Laute da, um als
Jnterjektionen aufs Papier gemahlt zu werden?
Die Thraͤne, die in dieſem truͤben, erloſchnen,
nach Troſt ſchmachtenden Auge ſchwimmt — wie
ruͤhrend iſt ſie im ganzen Gemaͤlde des Antlitzes
der
[9] der Wehmuth; nehmet ſie allein und ſie iſt ein
kalter Waſſertropfe! bringet ſie unters Mikroſcop
und — ich will nicht wiſſen, was ſie da ſeyn mag!
Dieſer ermattende Hauch, der halbe Seufzer, der
auf der vom Schmerz verzognen Lippe ſo ruͤhrend
ſtirbt — ſondert ihn ab von allen ſeinen lebendi-
gen Gehuͤlfen und er iſt ein leerer Luftſtoß. Kanns
mit den Toͤnen der Empfindung anders ſeyn? Jn
ihrem lebendigen Zuſammenhange, im ganzen
Bilde der wuͤrkenden Natur, begleitet von ſo vie-
len andern Erſcheinungen ſind ſie ruͤhrend und
gnugſam; aber von allen getrennet, herausgeriſſen,
ihres Lebens beraubet, freilich nichts als Ziffern.
Die Stimme der Natur iſt gemahlter, verwill-
kuͤhrter Buchſtabe. — — Wenig ſind dieſer
Sprachtoͤne
freilich; allein die empfindſame Na-
tur, ſo fern ſie blos Mechaniſch leidet, hat auch
weniger Hauptarten der Empfindung, als unſre
Pſychologien der Seele, als Leidenſchaften, anzaͤh-
len oder andichten. Nur jedes Gefuͤhl iſt in ſol-
chem Zuſtande, je weniger in Faͤden zertheilt, ein
um ſo maͤchtiger anziehendes Band: die Toͤne re-
den nicht viel, aber ſtark. Ob der Klageton uͤber
A 5Wun-
[10] Wunden der Seele oder des Koͤrpers wimmern?
Ob dieſes Geſchrei von Furcht oder Schmerz aus-
gepreßt werde? ob dies weiche Ach ſich mit einem
Kuß oder einer Thraͤne an den Buſen der Gelieb-
ten druͤcke? — alle ſolche Unterſchiede zu beſtim-
men, war dieſe Sprache nicht da. Sie ſollte zum
Gemaͤlde hinruffen; dies Gemaͤlde wird ſchon vor
ſich ſelbſt reden! ſie ſollte toͤnen, nicht aber ſchil-
dern! — Ueberhaupt graͤnzen nach jener Fabel
des Sokrates Schmerz und Wolluſt: die Natur
hat in der Empfindung ihre Ende zuſammenge-
knuͤpft, und was kann alſo die Sprache der Em-
pfindung anders, als ſolche Beruͤhrungspunkte
zeigen? — — — Jezt darf ich anwenden.


Jn allen Sprachen des Urſprungs toͤnen
noch Reſte dieſer Naturtoͤne;
nur freilich ſind
ſie nicht die Hauptfaͤden der menſchlichen Spra-
che. Sie ſind nicht die eigentlichen Wurzeln, aber
die Saͤfte, die die Wurzeln der Sprache beleben.


Jn einer feinen, ſpaͤt erfundnen Metaphyſi-
ſchen Sprache, die von der urſpruͤnglichen wilden
Mutter des menſchlichen Geſchlechts eine Abart
vielleicht im vierten Gliede, und nach langen Jahr-
tauſen-
[11] tauſenden der Abartung ſelbſt wieder Jahrhunderte
ihres Lebens hindurch, verfeinert, civiliſirt und
humaniſirt worden: eine ſolche Sprache, das Kind
der Vernunft und Geſellſchaft, kann wenig oder
nichts mehr von der Kindheit ihrer erſten Mutter
wiſſen; allein die alten, die wilden Sprachen, je
naͤher zum Urſprunge, enthalten davon deſto mehr.
Jch kann hier noch nicht von der geringſten
menſchlichen Bildung der Sprache reden: ſon-
dern nur rohe Materialien betrachten — Noch
erſiſtirt fuͤr mich kein Wort: ſondern nur Toͤne
zum Wort einer Empfindung; aber ſehet! in den
genannten Sprachen, in ihren Jnterjektionen, in
den Wurzeln ihrer Nominum und Verborum wie
viel aufgefangene Reſte dieſer Toͤne! Die aͤlteſten
Morgenlaͤndiſchen Sprachen ſind voll von Aus-
ruͤfen, fuͤr die wir ſpaͤtergebildeten Voͤlker oft nichts
als Luͤcken, oder ſtumpfen, tauben Mißverſtand
haben. Jn ihren Elegien toͤnen, wie bei den
Wilden auf ihren Graͤbern, jene Heul- und Kla-
getoͤne, eine fortgehende Jnterjektion der Natur-
ſprache; in ihren Lobpſalmen das Freudengeſchrei
und die wiederkommenden Hallelujahs, die Schaw
aus
[12] aus dem Munde der Klageweiber erklaͤret, und
die bei uns ſo oft feierlicher Unſinn ſind. Jm
Gang, im Schwunge ihrer Gedichte und der
Geſaͤnge andrer alten Voͤlker toͤnet der Ton, der
noch die Krieges- und Religionstaͤnze, die Trauer-
und Freudengeſaͤnge aller Wilden belebet, ſie moͤ-
gen am Fuße der Cordilleras, oder im Schnee der
Jrokoͤſen, in Braſilien oder auf den Karaiben
wohnen. Die Wurzeln ihrer einfachſten, wuͤrk-
ſamſten, fruͤheſten Verben endlich ſind jene erſten
Ausruͤfe der Natur, die erſt ſpaͤter gemodelt wur-
den, und die Sprachen aller alten und wilden
Voͤlker ſind daher in dieſem innern, lebendigen
Tone fuͤr Fremde ewig unausſprechlich!


Jch kann die meiſten dieſer Phaͤnomene im Zu-
ſammenhange erſt ſpaͤter erklaͤren; hier ſtehe nur
Eins. Einer der Vertheidiger des goͤttlichen Ur-
ſprunges der Sprache *) findet darinn goͤttliche
Ordnung zu bewundern, „daß ſich die Laute
„aller uns bekannten Sprachen auf etliche
„zwanzig Buchſtaben bringen laſſen.
„ Allein
das
[13] das Faktum iſt falſch, und der Schluß noch un-
richtiger. Keine einzige lebendigtoͤnende Sprache
laͤßt ſich vollſtaͤndig in Buchſtaben bringen, und
noch weniger in zwanzig Buchſtaben: dies zeugen
alle Sprachen ſaͤmtlich und ſonders. Die Artiku-
lationen unſrer Sprachwerkzeuge ſind ſo viel; Ein
jeder Laut wird auf ſo mannichfaltige Weiſe ausge-
ſprochen, daß z. E. Herr Lambert im zweiten
Theil ſeines Organon mit Recht hat zeigen koͤn-
nen, „wie weit weniger wir Buchſtaben, als Laute
„haben,„ und „wie unbeſtimmt alſo dieſe von je-
„nen ausgedruͤckt werden koͤnnen.„ Und das iſt
doch nur aus der deutſchen Sprache gezeiget, die
die Vieltoͤnigkeit und den Unterſchied ihrer Dialekte
noch nicht einmal in eine Schriftſprache aufgenom-
men hat; vielweniger wo die ganze Sprache nichts
als ſolch ein lebendiger Dialekt iſt? Woher ruͤhren
alle Eigenheiten und Sonderbarkeiten der Ortho-
graphie, als wegen der Unbehuͤlflichkeit zu ſchrei-
ben, wie man ſpricht? Welche lebendige Sprache
laͤßt ſich, ihren Toͤnen nach, aus Buͤcherbuchſtaben
lernen? Und welche todte Sprache daher aufwe-
cken? — — Je lebendiger nun eine Sprache iſt,
je
[14] je weniger man daran gedacht hat, ſie in Buchſta-
ben zu faſſen, je urſpruͤnglicher ſie zum vollen,
unausgeſonderten Laute der Natur hinaufſteigt,
deſto minder iſt ſie auch ſchreibbar, deſto minder
mit zwanzig Buchſtaben ſchreibbar; ja oft fuͤr
Fremdlinge ganz unausſprechlich. Der P. Rasles,
der ſich zehn Jahr unter den Abenakiern in Nord-
amerika aufgehalten, klagt hieruͤber ſo ſehr, daß er
mit aller Aufmerkſamkeit doch oft nur die Haͤlfte
des Worts wiederholet und ſich laͤcherlich gemacht —
wie weit laͤcherlicher haͤtte er mit ſeinen franzoͤſi-
ſchen Buchſtaben beziffert? Der P. Chaumont,
der 50 Jahr unter den Huronen zugebracht, und
ſich an eine Grammatik ihrer Sprache gewagt,
klagt dem ohngeachtet uͤber ihre Kehlbuchſtaben und
ihre unausſprechlichen Accente: „oft haͤtten zwei
„Woͤrter, die ganz aus einerlei Buchſtaben beſtuͤn-
„den, die verſchiedenſten Bedeutungen.„ Gar-
cilaſſo di Vega,
beklagt ſich uͤber die Spanier,
wie ſehr ſie die Peruaniſche Sprache im Laute der
Woͤrter verſtellet, verſtuͤmmelt, verfaͤlſcht und aus
bloßen Verfaͤlſchungen den Peruanern das ſchlimm-
ſte Zeug angedichtet. De la Condamine ſagt von
einer
[15] einer kleinen Nation am Amazonenfluß: „ein Theil
„von ihren Woͤrtern koͤnnte nicht, auch nicht ein-
„mal ſehr unvollſtaͤndig geſchrieben werden. Man
„muͤſte wenigſtens neun oder zehn Sylben dazu
„gebrauchen, wo ſie in der Ausſprache kaum drei
„auszuſprechen ſcheinen.„ La Loubere von der
Siamſchen Sprache: „unter zehn Woͤrtern, die der
„Europaͤer ausſpricht, verſteht ein gebohrner Sia-
„mer vielleicht kein einziges; man mag ſich Muͤhe
„geben, ſo viel man will, ihre Sprache mit un-
„ſern Buchſtaben auszudruͤkken.„ Und was brau-
chen wir Voͤlker aus ſo entlegenen Enden der Erde?
Unſer kleine Reſt von Wilden in Europa, Eſthlaͤn-
der und Lappen u. ſ. w. haben oft eben ſo halb ar-
tikulirte und unſchreibbare Schaͤlle, als Huronen
und Peruaner. Ruſſen und Polen, ſo lange ihre
Sprachen geſchrieben und ſchriftgebildet ſind,
aſpiriren noch immer ſo, daß der wahre Ton ihrer
Organiſation nicht durch Buchſtaben gemahlt wer-
den kann. Der Englaͤnder, wie quaͤlet er ſich
ſeine Toͤne zu ſchreiben, und wie wenig iſt der noch,
der geſchriebnes Engliſch verſteht, ein ſprechender
Englaͤnder? Der Franzoſe, der weniger aus der
Kehle
[16] Kehle hinaufholet, und der Halbgrieche, der Jta-
liener, der gleichſam in einer hoͤhern Gegend des
Mundes, in einem feinern Aether ſpricht, behaͤlt
immer noch lebendigen Ton. Seine Laute muͤſſen
innerhalb der Organe bleiben, wo ſie gebildet wor-
den: als gemahlte Buchſtaben ſind ſie, ſo bequem
und einartig ſie der lange Schriftgebrauch gemacht
habe, immer nur Schatten!


Das Faktum iſt alſo falſch, und der Schluß
noch falſcher: er kommt nicht auf einen goͤttlichen,
ſondern gerad umgekehrt, auf einen thieriſchen Ur-
ſprung. Nehmet die ſo genannte goͤttliche erſte
Sprache, die hebraͤiſche, von der der groͤßte Theil
der Welt, die Buchſtaben geerbet: daß ſie in
ihrem Anfange ſo lebendigtoͤnend, ſo unſchreibbar
geweſen, daß ſie nur ſehr unvollkommen geſchrie-
ben werden konnte, — dies zeigt offenbar der ganze
Bau ihrer Grammatik, ihre ſo vielfachen Verwech-
ſelungen aͤhnlicher Buchſtaben, ja am allermeiſten
der voͤllige Mangel ihrer Vokale. Woher kommt
die Sonderbarkeit, daß ihre Buchſtaben nur Mit-
lauter ſind, und daß eben die Elemente der Worte,
auf die alles ankommt, die Selbſtlauter, urſpruͤng-
lich
[17] lich gar nicht geſchrieben wuͤrden? Dieſe Schreib-
art iſt dem Lauf der geſunden Vernunft ſo entge-
gen, das Unweſentliche zu ſchreiben, und das We-
ſentliche auszulaſſen, daß ſie den Grammatikern
unbegreiflich ſeyn muͤſte, wenn Grammatiker zu
begreifen gewohnt waͤren. Bei uns ſind die Vo-
kale das Erſte und Lebendigſte und die Thuͤrangeln
der Sprache; bei jenen werden ſie nicht geſchrie-
ben — Warum? — Weil ſie nicht geſchrieben
werden konnten. Jhre Ausſprache war ſo lebendig
und feinorganiſirt, ihr Hauch war ſo geiſtig und
aetheriſch, daß er verduftete, und ſich nicht in
Buchſtaben faſſen ließ. Nur erſt bei den Grie-
chen wurden dieſe lebendige Aſpirationen in foͤrm-
liche Vokale aufgefaͤdelt, denen doch noch Spiri-
tus u. ſ. w. zu Huͤlfe kommen muſten; da bei den
Morgenlaͤndern die Rede gleichſam ganz Spiritus,
fortgehender Hauch und Geiſt des Mundes war,
wie ſie ſie auch ſo oft in ihren malenden Gedichten
benennen. Es war Othem Gottes, wehende Luft,
die das Ohr aufhaſchete, und die todten Buchſta-
ben, die ſie hinmaleten, waren nur der Leichnam,
der leſend mit Lebensgeiſt beſeelet werden muſte.
BWas
[18] Was das fuͤr einen gewaltigen Einfluß auf das
Verſtaͤndniß ihrer Sprache hat, iſt hier nicht der
Ort zu ſagen; daß dies Wehende aber den Urſprung
ihrer Sprache verrathe, iſt offenbar. Was iſt
unſchreibbarer, als die unartikulirten Toͤne der
Natur? Und wenn die Sprache, je naͤher ihrem
Urſprunge deſto unartikulirter iſt — was folgt,
als daß ſie wohl nicht von einem hoͤhern Weſen
fuͤr die vier und zwanzig Buchſtaben, und
dieſe Buchſtaben gleich mit der Sprache erfun-
den, daß dieſe ein weit ſpaͤterer nur unvoll-
kommener Verſuch geweſen, ſich einige Merkſtaͤbe
der Erinnerung zu ſetzen, und daß jene nicht aus
Buchſtaben der Grammatik Gottes, ſondern aus
wilden Toͤnen freier Organe entſtanden ſey *).
Es waͤre doch ſonſt artig, daß eben die Buchſtaben,
aus denen und fuͤr die Gott die Sprache erfunden,
mit Huͤlfe derer er den erſten Menſchen die Spra-
che beigebracht, eben die allerunvollkommenſten
in
[19] in der Welt waͤren, die gar nichts vom Geiſt der
Sprache ſagten und in ihrer ganzen Bauart
offenbar bekennen, daß ſie nichts davon ſagen
wollen — —


Es verdiente dieſe Buchſtabenhypotheſe freilich
ihrer Wuͤrde nach nur Einen Wink: aber ihrer
Allgemeinheit und mannichfaltigen Beſchoͤnigung
wegen, muſte ich ihren Ungrund entbloͤßen, und
in ihm ſie zugleich erklaͤren, wie mir wenigſtens
keine Erklaͤrung bekannt iſt. Zuruͤck auf unſre
Bahn:


Da unſre Toͤne der Natur zum Ausdrucke der
Leidenſchaft beſtimmt ſind, ſo iſts natuͤrlich, daß
ſie auch die Elemente aller Ruͤbrung werden!

Wer iſts, dem bei einem zuckenden, wimmern-
den Gequaͤlten, bei einem aͤchzenden Sterbenden,
auch ſelbſt bei einem ſtoͤhnenden Vieh, wenn ſeine
ganze Maſchiene leidet, dies Ach, nicht zu Herzen
dringe? — Wer iſt der fuͤhlloſe Barbar? Je
harmoniſcher das empfindſame Saitenſpiel ſelbſt
bei Thieren mit andern Thieren gewebt iſt: deſto
mehr fuͤhlen ſelbſt dieſe mit einander; ihre Nerven
kommen in eine gleichmaͤßige Spannung, ihre
B 2Seele
[20] Seele in einen gleichmaͤßigen Ton, ſie leiden wuͤrk-
lich mechaniſch mit. Und welche Staͤhlung ſeiner
Fibern! — Welche Macht, alle Oeffnungen ſei-
ner Empfindſamkeit zu verſtopfen gehoͤrt dazu, daß
ein Menſch hiegegen taub und hart werde! — —
Diderot*) meint, daß ein blindgebohrner ge-
gen die Klagen eines leidenden Thiers unempfind-
licher ſeyn muͤſte, als ein Sehender; allein ich glau-
be, unter gewiſſen Faͤllen, das Gegentheil. Freilich
iſt ihm das ganze ruͤhrende Schauſpiel dieſes elenden
zuckenden Geſchoͤpfs verhuͤllet; allein alle Beiſpiele
ſagen, daß eben durch dieſe Verhuͤllung das Gehoͤr
weniger zerſtreut, horchender und maͤchtig eindrin-
gender werde. Da lauſchet er alſo im Finſtern,
in der Stille ſeiner ewigen Nacht, und jeder Kla-
geton geht ihm, um ſo inniger und ſchaͤrfer, wie
ein Pfeil, zum Herzen! Nun nehme er noch das
taſtende, langſam umſpannende Gefuͤhl zu Huͤlfe,
taſte die Zuckungen, erfuͤhle den Bruch der leiden-
den Maſchiene ſich ganz, — Grauſen und Schmerz
faͤhrt durch ſeine Glieder: ſein innrer Nervenbau
fuͤhlt
[21] fuͤhlt Bruch und Zerſtoͤhrung mit: der Todeston toͤ-
net. Das iſt das Band dieſer Naturſprache!


Ueberall ſind die Europaͤer, Trotz ihrer Bil-
dung und Mißbildung! von den rohen Klagetoͤnen
der Wilden heftig geruͤhrt worden. Leri erzaͤhlt
aus Braſilien, wie ſehr ſeine Leute von dem herz-
lichen, unfoͤrmlichen Geſchrei der Liebe und Leut-
ſeligkeit dieſer Amerikaner bis zu Thraͤnen ſeyn er-
weicht worden. Charlevoix und andre wiſſen
nicht gnug den grauſenden Eindruck auszudruͤcken,
den die Krieges- und Zauberlieder der Nordameri-
kaner machen. Wenn wir ſpaͤter Gelegenheit ha-
ben werden zu bemerken, wie ſehr die alte Poeſie
und Muſik von dieſen Naturtoͤnen ſey belebet wor-
den: ſo werden wir auch die Wuͤrkung philoſophi-
ſcher erklaͤren koͤnnen, die z. E. der aͤlteſte griechi-
ſche Geſang, und Tanz, die alte griechiſche Buͤhne,
und uͤberhaupt Muſik, Tanz und Poeſie noch auf
alle Wilde machen. Und auch ſelbſt bei uns, wo
freilich die Vernunft oft die Empfindung und die
kuͤnſtliche Sprache der Geſellſchaft die Toͤne der
Natur aus ihrem Amt ſetzet, kommen nicht noch
oft die hoͤchſten Donner der Beredſamkeit, die maͤch-
B 3tigſten
[22] tigſten Schlaͤge der Dichtkunſt, und die Zauber-
momente der Aktion, dieſer Sprache der Natur,
durch Nachahmung nahe? Was iſts, was dort
im verſammleten Volke Wunder thut, Herzen
durchbohrt und Seelen umwaͤlzet? — Geiſtige
Rede und Metaphyſik? Gleichniſſe und Figuren?
Kunſt und kalte Ueberzeugung? So fern der Tau-
mel nicht blind ſeyn ſoll, muß vieles durch ſie ge-
ſchehen, aber Alles? und eben dies hoͤchſte Mo-
ment des blinden Taumels, wodurch wurde das? —
durch ganz eine andre Kraft! — Dieſe Toͤne, dieſe
Gebehrden, jene einfachen Gaͤnge der Melodie,
dieſe ploͤzliche Wendung, dieſe dammernde Stim-
me, — was weiß ich mehr? Bei Kindern, und
dem Volk der Sinne, bei Weibern, bei Leuten
von zartem Gefuͤhl, bei Kranken, Einſamen, Be-
truͤbten, wuͤrken ſie tauſendmal mehr, als die
Wahrheit ſelbſt wuͤrken wuͤrde, wenn ihre leiſe,
feine Stimme vom Himmel toͤnte. Dieſe Worte,
dieſer Ton, die Wendung dieſer grauſenden Ro-
manze u. ſ. w. drangen in unſrer Kindheit, da wir
ſie das erſtemal hoͤrten, ich weiß nicht, mit wel-
chem Heere von Nebenbegriffen des Schauders,
der
[23] der Feier, des Schreckens, der Furcht, der Freu-
de, in unſre Seele — Das Wort toͤnet, und
wie eine Schaar von Geiſtern ſtehen ſie alle mit
Einmal in ihrer dunkeln Majeſtaͤt aus dem Grabe
der Seele auf: ſie verdunkeln den reinen, hellen
Begriff des Worts, der nur ohne ſie gefaßt wer-
den konnte — Das Wort iſt weg und der Ton
der Empfindung toͤnet. Dunkles Gefuͤhl uͤberman-
net uns: der Leichtſinnige grauſet und zittert —
nicht uͤber Gedanken, ſondern uͤber Sylben, uͤber
Toͤne der Kindheit und es war Zauberkraft des
Redners, des Dichters, uns wieder zum Kinde
zu machen. Kein Bedacht, keine Ueberlegung,
das bloße Naturgeſetz lag zum Grunde: „Ton
„der Empfindung ſoll das ſympathetiſche
„Geſchoͤpf in denſelben Ton verſetzen!


Wollen wir alſo dieſe unmittelbaren Laute der
Empfindung Sprache nennen; ſo ſinde ich ihren
Urſprung allerdings ſehr natuͤrlich. Er iſt nicht
blos nicht uͤbermenſchlich: ſondern offenbar thie-
riſch: das Naturgeſetz einer empfindſamen
Maſchiene.



B 4Aber
[24]

Aber ich kann nicht meine Verwunderung ber-
gen, daß Philoſophen, das iſt, Leute, die deut-
liche Begriffe ſuchen, je haben auf den Gedanken
kommen koͤnnen, aus dieſem Geſchrei der Empfin-
dungen den Urſprung menſchlicher Sprache zu er-
klaͤren: denn iſt dieſe nicht offenbar ganz etwas an-
ders? Alle Thiere, bis auf den ſtummen Fiſch,
toͤnen ihre Empfindung; deswegen aber hat doch
kein Thier, ſelbſt nicht das vollkommenſte, den ge-
ringſten, eigentlichen Anfang zu einer menſchlichen
Sprache. Man bilde und verfeinere und organi-
ſire dies Geſchrei, wie man wolle; wenn kein
Verſtand dazu kommt, dieſen Ton mit Abſicht zu
brauchen: ſo ſehe ich nicht, wie nach dem vorigen
Naturgeſetz je menſchliche, willkuͤhrliche Sprache
werde? Kinder ſprechen Schaͤlle der Empfindung,
wie die Thiere; iſt aber die Sprache, die ſie von
Menſchen lernen, nicht ganz eine andre Sprache?


Der Abt Condillac*) iſt in dieſer Anzahl.
Entweder er hat das ganze Ding Sprache ſchon
vor der erſten Seite ſeines Buchs erfunden vor-
aus-
[25] ausgeſezt: oder ich finde auf jeder Seite Dinge,
die ſich gar nicht in der Ordnung einer bildenden
Sprache zutragen konnten. Er ſezt zum Grunde
ſeiner Hypotheſe: „zwei Kinder, in eine Wuͤſte,
„ehe ſie den Gebrauch irgend eines Zeichens ken-
„nen.„ Warum er nun dies alles ſetze: „zwei
„Kinder,„ die alſo umkommen, oder Thier wer-
den muͤſſen, „in eine Wuͤſte,„ wo ſich die
Schwuͤhrigkeit ihres Unterhalts und ihrer Erfin-
dung noch vermehret: „vor dem Gebrauch jedes
„natuͤrlichen Zeichens, und gar vor aller Kaͤnnt-
„niß deſſelben,„ ohne welche doch kein Saͤugling
nach wenigen Wochen ſeiner Geburt iſt — warum,
ſage ich, in einer Hypotheſe, die dem Naturgange
menſchlicher Kaͤnntniß nachſpuͤhren ſoll, ſolche un-
natuͤrliche, ſich wiederſprechende Data zum Grunde
gelegt werden muͤſſen, mag ihr Verfaſſer wiſſen;
daß aber auf ſie keine Erklaͤrung des Urſprungs der
Sprache gebauet ſey, getraue ich mich zu erweiſen.
Seine beiden Kinder kommen ohne Kaͤnntniß je-
des Zeichens zuſammen, und — ſiehe da! im er-
ſten Augenblicke (§. 2.) „ſind ſie ſchon im gegenſei-
„tigen Commerz.„ Und doch blos durch dies ge-
B 5genſei-
[26] genſeitige Commerz lernen ſie erſt, „mit dem Ge-
„ſchrei der Empfindungen die Gedanken zu ver-
„binden, deren natuͤrliche Zeichen jene ſind.„
Natuͤrliche Zeichen der Empfindung durch das Com-
merz lernen? Lernen, was fuͤr Gedanken damit
zu verbinden ſind? Und doch gleich im erſten Au-
genblick der Zuſammenkunft, noch vor der Kaͤnnt-
niß deſſen, was das dummſte Thier kennet, Com-
merz haben? Lernen koͤnnen, was mit gewiſſen
Zeichen fuͤr Gedanken zu verknuͤpfen ſind? — da-
von begreiffe ich nichts. „Durch das Wiederkom-
„men aͤhnlicher Umſtaͤnde (§. 3.) gewoͤhnen ſie ſich,
„mit den Schaͤllen der Empfindungen, und den
„verſchiednen Zeichen des Koͤrpers Gedanken zu
„verbinden. Schon bekommt ihr Gedaͤchtniß
„Uebung. Schon koͤnnen ſie uͤber ihre Einbil-
„dung walten und ſchon — ſind ſie ſo weit, das
„mit Reflexion zu thun, was ſie vorher blos durch
„Jnſtinkt thaten„ (und doch, wie wir eben geſe-
hen, vor ihrem Commerz nicht zu thun wuͤ-
ſten.) — Davon begreiffe ich nichts. „Der Ge-
„brauch dieſer Zeichen erweitert die Wuͤrkungen
„der Seele (§. 4.) und dieſe vervollkommen die
„Zeichen
[27] „Zeichen: Geſchrei der Empfindungen wars alſo
„(§. 5.) was die Seelenkraͤfte entwickelt ha[t]: Ge-
„ſchrei der Empfindungen, das ihnen die Gewohn-
„heit gegeben, Jdeen mit willkuͤhrlichen Zeichen
„zu verbinden (§. 6.) Geſchrei der Empfindun-
„gen, das Jhnen zum Muſter diente, ſich eine
„neue Sprache zu machen, neue Schaͤlle zu arti-
„kuliren, ſich zu gewoͤhnen, die Sachen mit Na-
„men zu bezeichnen„ — Jch wiederhole alle dieſe
Wiederholungen, und begreiffe von ihnen nichts.
Endlich, nachdem der Verfaſſer auf dieſen kindi-
ſchen Urſprung der Sprache, die Proſodie, Dekla-
mation, Muſik, Tanz und Poeſie der alten Spra-
chen gebauet, und mit unter gute Anmerkungen
vorgetragen, die aber zu unſerm Zwecke nichts thun:
ſo faßt er den Faden wieder an: „um zu begreiffen
„(§. 80.) wie die Menſchen unter ſich uͤber den
„Sinn der erſten Worte Eins geworden, die ſie
„brauchen wollten, iſt genug, wenn man bemerkt,
„daß ſie ſie in Umſtaͤnden ausſprachen, wo jeder
„verbunden war, ſie mit den nemlichen Jdeen zu
„verbinden u. ſ. w.„ Kurz es entſtanden Worte,
weil Worte da waren ehe ſie da waren — mich
duͤnkt,
[28] duͤnkt, es lohnt nicht, den Faden unſres Erklaͤrers
weiter zu verfolgen, da er doch — an nichts ge-
knuͤpft iſt.


Condillac, weiß man, gab durch ſeine hole
Erklaͤrung von Entſtehung der Sprache Gelegen-
heit, daß Rouſſeau*) in unſerm Jahrhundert
die Frage nach ſeiner Art in Schwung brachte, das
iſt bezweiffelte. Gegen Condillacs Erklaͤrung
Zweifel zu finden, war eben kein Rouſſeau noͤ-
thig; nur aber deswegen ſogleich alle menſchliche
Moͤglichkeit der Spracherfindung zu leugnen — da-
zu gehoͤrte freilich etwas Rouſſeauſcher Schwung
oder Sprung, wie mans nennen will. Weil Con-
dillac
die Sache ſchlecht erklaͤrt hatte; ob ſie alſo
auch gar nicht erklaͤrt werden koͤnne? Weil aus
Schaͤllen der Empfindung nimmermehr eine menſch-
liche Sprache wird, folgt daraus, daß ſie nirgend
anderswoher hat werden koͤnnen?


Daß es nur wuͤrklich dieſer verdekte Trugſchluß
ſey, der Rouſſeau verfuͤhret, zeigt offenbar ſein
eigner Plan: **) „wie, wenn doch allenfalls
„Spra-
[29] „Sprache haͤtte menſchlich entſtehen ſollen, wie ſie
„haͤtte entſtehen muͤſſen?„ Er faͤngt, wie ſein
Vorgaͤnger, mit dem Geſchrei der Natur an, aus
dem die menſchliche Sprache werde. Jch ſehe nie,
wie ſie daraus geworden waͤre, und wundre mich,
daß der Scharfſinn eines Rouſſeau ſie einen Au-
genblick daraus habe koͤnnen werden laſſen?


Maupertuis kleine Schrift iſt mir nicht bei
Haͤnden; wenn ich aber dem Auszuge eines Man-
nes *) trauen darf, deſſen nicht kleinſtes Ver-
dienſt Treue und Genauigkeit war, ſo hat auch
er den Urſprung der Sprache nicht gnug von die-
ſen thieriſchen Lauten abgeſondert, und gehet alſo
mit den vorigen auf einer Straße.


Diodor endlich und Vitruv, die zudem den
Menſchenurſprung der Sprache mehr geglaubt als
hergeleitet, haben die Sachen am offenbarſten ver-
dorben, da ſie die Menſchen, erſt Zeitenlang, als
Thiere, mit Geſchrei in Waͤldern ſchweifen, und
ſich nachher, weiß Gott, woher? und weiß Gott!
wozu? Sprache erfinden laſſen — —.


Da
[30]

Da nun die meiſten Verfechter der menſchli-
chen Sprachwerdung aus einem ſo unſichern Ort
ſtritten, den andre, z. E. Suͤßmilch, mit ſo vie-
lem Grunde bekaͤmpften: So hat die Akademie
dieſe Frage, die alſo noch ganz unbeantwortet iſt,
und uͤber die ſich ſelbſt einige ihrer geweſnen Mit-
glieder getheilt, einmal außer Streit wollen ge-
ſezt ſehen.


Und da dies große Thema ſo viel Ausſichten
in die Pſychologie und Naturordnung des menſch-
lichen Geſchlechts, in die Philoſophie der Spra-
chen und aller Kaͤnntniſſe, die mit Sprache erfun-
den werden, verſpricht — Wer wollte ſich nicht
daran verſuchen?


Und da die Menſchen fuͤr uns die einzigen
Sprachgeſchoͤpfe ſind, die wir kennen, und ſich eben
durch Sprache von allen Thieren unterſcheiden:
wo finge der Weg der Unterſuchung ſicherer an,
als bei Erfahrungen uͤber den Unterſchied der Thiere
und Menſchen? — Condillac und Rouſſeau
mußten uͤber den Sprachurſprung irren, weil ſie
ſich uͤber dieſen Unterſchied ſo bekannt und verſchie-
den
[31] den irrten: da jener *) die Thiere zu Menſchen,
und dieſer **) die Menſchen zu Thieren machte.
Jch muß alſo etwas weit ausholen.



Daß der Menſch den Thieren an Staͤrke
und Sicherheit des Jnſtinkts weit nachſtehe,
ja daß er das, was wir bei ſo vielen Thier-
gattungen angebohrne Kunſtfaͤhigkeiten und
Kunſttriebe nennen, gar nicht habe,
iſt ge-
ſichert; nur ſo wie die Erklaͤrung dieſer Kunſt-
triebe bisher den meiſten und noch zulezt einem
gruͤndlichen Philoſophen ***) Deutſchlands mißgluͤ-
cket iſt, ſo hat auch die wahre Urſach von der Ent-
behrung dieſer Kunſttriebe in der menſchlichen Na-
tur noch nicht ins Licht geſezt werden koͤnnen.
Mich duͤnkt, man hat einen Hauptgeſichtspunkt
verfehlt, aus dem man, wo nicht vollſtaͤndige Er-
klaͤrungen, ſo wenigſtens Bemerkungen in der Na-
tur
[32] tur der Thiere machen kann, die, wie ich fuͤr ei-
nen andern Ort hoffe, die menſchliche Seelenlehre
ſehr aufklaͤren koͤnnen. Dieſer Geſichtspunkt iſt
die Sphaͤre der Thiere.


Jedes Thier hat ſeinen Kreis, in den es
von der Geburt an gehoͤrt, gleich eintritt, in dem
es lebenslang bleibet, und ſtirbt: nun iſt es aber
ſonderbar, „daß je ſchaͤrfer die Sinne der
„Thiere, und je wunderbarer ihre Kunſt-
„werke ſind, deſto kleiner iſt ihr Kreis: de-
„ſto einartiger iſt ihr Kunſtwerk
„ Jch habe
dieſem Verhaͤltniſſe nachgeſpuͤhret und ich finde
uͤberall eine wunderbare beobachtete „umgekehrte
„Proportion zwiſchen der mindern Extenſion
„ihrer Bewegungen, Elemente, Nabrung,
„Erhaltung, Paarung, Erziehung, Geſell-
„ſchaft
und ihren Trieben und Kuͤnſten.„ Die
Biene in ihrem Korbe, bauet mit der Weisheit,
die Egeria ihrem Numa nicht lehren konnte;
aber außer dieſen Zellen und außer ihrem Beſtim-
mungsgeſchaͤft in dieſen Zellen, iſt ſie auch Nichts.
Die Spinne webet mit der Kunſt der Minerve;
aber alle ihre Kunſt iſt auch in dieſem engen Spinn-
raum
[33] raum verwebet; das iſt ihre Welt! Wie wunder-
ſam iſt das Jnſekt, und wie enge der Kreis ſei-
ner Wuͤrkung!


Gegentheils. „Je vielfacher die Verrich-
„tungen, und Beſtimmung der Thiere; je
„zerſtreuter ihre Aufmerkſamkeit auf mehrere
„Gegenſtaͤnde, je unſtaͤter ihre Lebensart,

„kurz je groͤßer und vielfaͤltiger ihre Sphaͤre
„iſt; deſto mehr ſehen wir ihre Sinnlichkeit
„ſich vertheilen und ſchwaͤchen.
„ Jch kann
es mir hier nicht in Sinn nehmen, dies große
Verhaͤltniß, was die Kette der lebendigen Weſen
durchlaͤuft, mit Beiſpielen zu ſichern; ich uͤberlaſſe
jedem die Probe, oder verweiſe auf eine andre Ge-
legenheit und ſchließe fort:


Nach aller Wahrſcheinlichkeit und Analogie
laſſen ſich alſo „alle Kunſttriebe und Kunſtfaͤ-
„higkeiten aus den Vorſtellungskraͤften der
„Thiere erklaͤren
„, ohne daß man blinde Deter-
minationen annehmen darf. (Wie auch noch ſelbſt
Reimarus angenommen, und die alle Philoſophie
verwuͤſten.) Wenn unendlich feine Sinne in einen
kleinen Kreis, auf ein Einerlei eingeſchloſſen wer-
Cden,
[34] den, und die ganze andre Welt fuͤr ſie nichts iſt:
wie muͤſſen ſie durchdringen! Wenn Vorſtellungs-
kraͤfte in einen kleinen Kreis eingeſchloſſen, und
mit einer analogen Sinnlichkeit begabt ſind, was
muͤſſen ſie wuͤrken! Und wenn endlich Sinne und
Vorſtellungen auf Einen Punkt gerichtet ſind,
was kann anders, als Jnſtinkt daraus werden?
Aus ihnen alſo erklaͤret ſich die Empfindſamkeit,
die Faͤhigkeiten und Triebe der Thiere nach ihren
Arten und Stuffen.


Und ich darf alſo den Satz annehmen: „die
„Empfindſamkeit, Faͤhigkeiten und Kunſt-
„triebe der Thiere nehmen an Staͤrke und
„Jntenſitaͤt zu, im umgekehrten Verhaͤltniſſe
„der Groͤße und Mannichfaltigkeit ihres
„Wuͤrkungskreiſes.
„ Nun aber —


Der Menſch hat keine ſo einfoͤrmige und enge
Sphaͤre, wo nur Eine Arbeit auf ihn warte: —
eine Welt von Geſchaͤften und Beſtimmungen liegt
um ihn —


Seine Sinne und Organiſation ſind nicht auf
Eins geſchaͤrft: er hat Sinne fuͤr alles und natuͤr-
lich
[35] lich alſo fuͤr jedes Einzelne ſchwaͤchere und ſtumpfere
Sinne —


Seine Seelenkraͤfte ſind uͤber die Welt ver-
breitet; keine Richtung ſeiner Vorſtellungen auf
ein Eins: mithin kein Kunſttrieb, keine
Kunſtfertigkeit
— und, das eine gehoͤrt hier
naͤher her, keine Thierſprache.


Was iſt doch das, was wir, außer der vorher-
angefuͤhrten Lautbarkeit der empfindenden Ma-
ſchine, bei einigen Gattungen Thierſprache nen-
nen, anders, als ein Reſultat der Anmerkungen,
die ich zuſammen gereihet? ein dunkles ſinnli-
ches Einverſtaͤndniß einer Thiergattung un-
ter einander uͤber ihre Beſtimmung, im
Kreiſe ihrer Wuͤrkung.


Je kleiner alſo die Sphaͤre der Thiere iſt: deſto
weniger haben ſie Sprache noͤthig. Je ſchaͤrfer
ihre Sinne, je mehr ihre Vorſtellungen auf Eins
gerichtet, je ziehender ihre Triebe ſind; deſto zu-
ſammengezogner iſt das Einverſtaͤndniß ihrer et-
wanigen Schaͤlle, Zeichen, Aeußerungen. — Es
iſt lebendiger Mechaniſmus, herſchender Jnſtinkt,
C 2der
[36] der da ſpricht und vernimmt. Wie wenig darf er
ſprechen, daß er vernommen werde!


Thiere von dem engſten Bezirke ſind alſo ſogar
gehoͤrlos; ſie ſind fuͤr ihre Welt ganz Gefuͤhl, oder
Geruch, und Geſicht: ganz einfoͤrmiges Bild,
einfoͤrmiger Zug, einfoͤrmiges Geſchaͤfte; ſie haben
alſo wenig oder keine Sprache.


Je groͤßer aber der Kreis der Thiere: je unter-
ſchiedner ihre Sinne — doch was ſoll ich wieder-
holen? mit dem Menſchen aͤndert ſich die
Scene ganz.
Was ſoll fuͤr ſeinen Wuͤrkungs-
kreis, auch ſelbſt im duͤrftigſten Zuſtande die Spra-
che des redendſten, am vielfachſten toͤnenden Thie-
res? Was ſoll fuͤr ſeine zerſtreuten Begierden,
fuͤr ſeine getheilte Aufmerkſamkeit, fuͤr ſeine ſtumpfer
witternden Sinne auch ſelbſt die dunkle Sprache
aller Thiere? Sie iſt fuͤr ihn weder reich, noch deut-
lich: weder hinreichend an Gegenſtaͤnden, noch
fuͤr ſeine Organe — alſo durchaus nicht ſeine
Sprache:
denn was heißt, wenn wir nicht mit
Worten ſpielen wollen, die eigenthuͤmliche Spra-
che eines Geſchoͤpfs,
als die ſeiner Sphaͤre von
Beduͤrfniſſen und Arbeiten, der Organiſation ſei-
ner
[37] ner Sinne, der Richtung ſeiner Vorſtellungen und
der Staͤrke ſeiner Begierden angemeſſen iſt — Und
welche Thierſprache iſt ſo fuͤr den Menſchen?


Jedoch es bedarf auch die Frage nicht. Wel-
che Sprache,
(außer der vorigen mechaniſchen),
hat der Menſch ſo inſtinktmaͤßig, als jede
Thiergattung die Jhrige in und nach ihrer
Sphaͤre?
— die Antwort iſt kurz: keine! und
eben dieſe kurze Antwort entſcheidet.


Bei jedem Thiere iſt, wie wir geſehen, ſeine
Sprache eine Aeußerung ſo ſtarker ſinnlicher Vor-
ſtellungen, daß dieſe zu Trieben werden: mithin
iſt Sprache, ſo wie Sinne, und Vorſtellungen
und Triebe angebohren und dem Thier unmit-
telbar natuͤrlich.
Die Biene ſumſet, wie ſie
ſauget; der Vogel ſingt wie er niſtet — aber wie
ſpricht der Menſch von Natur? Gar nicht!

ſo wie er wenig oder nichts durch voͤlligen Jnſtinkt,
als Thier thut. Jch nehme bei einem neugebohr-
nen Kinde das Geſchrei ſeiner empfindſamen Ma-
ſchine aus; ſonſt iſts ſtumm; es aͤußert weder
Vorſtellungen noch Triebe durch Toͤne, wie doch
jedes Thier in ſeiner Art; blos unter Thiere ge-
C 3ſtellet,
[38] ſtellet, iſts alſo das verwaiſetſte Kind der Natur.
Nackt und bloß, ſchwach und duͤrftig, ſchuͤchtern
und unbewaſnet: und was die Summe ſeines Elen-
des ausmacht, aller Leiterinnen des Lebens be-
raubt. — Mit einer ſo zerſtreuten geſchwaͤchten
Sinnlichkeit, mit ſo unbeſtimmten, ſchlafenden
Faͤhigkeiten, mit ſo getheilten und ermatteten
Trieben gebohren, offenbar auf tauſend Beduͤrf-
niſſe verwieſen, zu einem großen Kreiſe beſtimmt —
und doch ſo verwaiſet und verlaſſen, daß es ſelbſt
nicht mit einer Sprache begabt iſt, ſeine Maͤngel
zu aͤußern — Nein! ein ſolcher Wiederſpruch iſt
nicht die Haushaltung der Natur. Es muͤſſen
ſtatt der Jnſtinkte andre verborgne Kraͤfte in ihm
ſchlafen! ſtummgebohren; aber —



Zwei-
[39]

Zweiter Abſchnitt.



Doch ich thue keinen Sprung. Jch gebe dem
Menſchen, nicht gleich ploͤzlich neue Kraͤfte,
keine Sprachſchaffende Faͤhigkeit,„ wie eine
wilkuͤhrliche Qualitas occulta. Jch ſuche nur in
den vorherbemerkten Luͤcken und Maͤngeln weiter.


Luͤcken und Maͤngel koͤnnen doch nicht
der Charakter ſeiner Gattung ſeyn:
oder die
Natur war gegen ihn die haͤrteſte Stiefmutter,
da ſie gegen jedes Jnſekt die liebreichſte Mutter
war. Jedem Jnſekt gab ſie, was und wie viel
es brauchte: Sinne zu Vorſtellungen, und Vor-
ſtellungen in Triebe gediegen; Organe zur Spra-
che, ſo viel es bedorfte, und Organe, dieſe Spra-
che zu verſtehen. Bei dem Menſchen iſt alles in
dem groͤßten Mißverhaͤltniß — Sinne und Beduͤrf-
niſſe, Kraͤfte und Kreis der Wuͤrkſamkeit, der auf
ihn wartet, ſeine Organe und ſeine Sprache —
Es muß uns alſo „ein gewiſſes Mittelglied feh-
C 4„len,
[40]„len, die ſo abſtehende Glieder der Verhaͤlt-
„niß zu berechnen.


Faͤnden wirs: ſo waͤre nach aller Analogie der
Natur „dieſe Schadloshaltung ſeine Eigen-
„heit, der Charakter ſeines Geſchlechts:

und alle Vernunft und Billigkeit foderte, dieſen
Fund fuͤr das gelten zu laſſen, was er iſt, fuͤr Na-
turgabe,
ihm ſo weſentlich als den Thieren der
Jnſtinkt.


Ja faͤnden wir, „eben in dieſem Charakter
„die Urſache jener Maͤngel; und eben in der
„Mitte dieſer Maͤngel
„ in der Hoͤle jener groſ-
ſen Entbehrung von Kunſttrieben den Keim zum
Erſatze:
ſo waͤre dieſe Einſtimmung ein genetiſcher
Beweis, daß hier „die wahre Richtung der
„Menſchheit
„ liege, und daß die Menſchengat-
tung uͤber den Thieren nicht an Stuffen des
Mehr oder Weniger ſtehe, ſondern an Art.


Und faͤnden wir in dieſem neugefundnen Cha-
rakter der Menſchheit ſogar „den nothwendigen
„genetiſchen Grund zu Entſtehung einer
„Sprache fuͤr dieſe neue Art Geſchoͤpfe,

wie wir in den Jnſtinkten der Thiere den unmit-
telba-
[41] telbaren Grund zur Sprache fuͤr jede Gattung
fanden; ſo ſind wir ganz am Ziele. Jn dem Falle
wuͤrde die „Sprache dem Menſchen ſo we-
„ſentlich, als — er ein Menſch iſt.
„ Man
ſiehet, ich entwikle aus keinen willkuͤhrlichen, oder
geſellſchaftlichen Kraͤften, ſondern aus der allge-
meinen thieriſchen Oekonomie.



Und nun folgt, daß wenn der Menſch Sinne
hat, die fuͤr Einen kleinen Fleck der Erde, fuͤr die
Arbeit und den Genuß einer Weltſpanne den Sin-
nen des Thiers, das in dieſer Spanne lebet, nach-
ſtehen an Schaͤrfe:
ſo bekommen ſie eben dadurch
Vorzug der Freiheit; „Eben weil ſie nicht
„fuͤr einen Punkt ſind, ſo ſind ſie allgemeinere
„Sinne der Welt.„


Wenn der Menſch Vorſtellungskraͤfte hat,
die nicht auf den Bau einer Honigzelle und eines
Spinngewebes bezirkt ſind, und alſo auch den
Kunſtfaͤhigkeiten der Thiere in dieſem Kreiſe
nachſtehen:
ſo bekommen ſie eben damit „wei-
tere Ausſicht.
„ Er hat kein einziges Werk, bei
C 5dem
[42] dem er alſo auch unverbeſſerlich handle; aber er
hat freien Raum, ſich an vielem zu uͤben, mithin
ſich immer zu verbeſſern. Jeder Gedanke iſt nicht
ein unmittelbares Werk der Natur, aber eben da-
mit kanns ſein eigen Werk werden.


Wenn alſo hiermit der Jnſtinkt wegfallen
muß, der blos aus der Organiſation der Sinne
und dem Bezirk der Vorſtellungen folgte, und
keine blinde Determination war; ſo bekommt eben
hiemit der Menſch, „mehrere Helle.„ Da er
auf keinen Punkt blind faͤllt und blind liegen bleibt:
ſo wird er freiſtehend, kann ſich eine Sphaͤre der
Beſpiegelung ſuchen, kann ſich in ſich beſpiegeln.
Nicht mehr eine unfehlbare Maſchine in den
Haͤnden der Natur, wird er ſich ſelbſt Zweck und
Ziel der Bearbeitung.


Man nenne dieſe ganze Diſpoſition ſeiner Kraͤf-
te, wie man wolle, Verſtand, Vernunft, Beſin-
nung u. ſ. w. Wenn man dieſe Namen nicht fuͤr
abgeſonderte Kraͤfte, oder fuͤr bloße Stuffenerhoͤ-
hungen der Thierkraͤfte annimmt: ſo gilts mir
gleich. Es iſt die „ganze Einrichtung aller
„menſchlichen Kraͤfte; die ganze Haushal-

„tung
[43]tung ſeiner ſinnlichen und erkennenden, ſei-
„ner erkennenden und wollenden Natur;

oder vielmehr — Es iſt „die Einzige poſitivs
„Kraft des Denkens, die
mit einer gewiſſen
Organiſation des Koͤrpers verbunden bei den
„Menſchen ſo Vernunft heißt, wie ſie bei den
„Thieren Kunſtfaͤhigkeit wird: die bei ihm Frei-
„heit
heißt, und bei den Thieren Jnſtinkt wird.„
Der Unterſchied iſt nicht in Stuffen, oder Zugabe
von Kraͤften, ſondern in einer ganz verſchieden-
artigen Richtung
und Auswickelung aller
Kraͤfte.
Man ſei Leibnitzianer oder Lockianer,
Search oder Leowall, *) Jdealiſt oder Materialiſt,
ſo muß man bei einem Einverſtaͤndniß uͤber die
Worte, zu Folge des Vorigen, die Sache zugeben,
einen eignen Charakter der Menſchheit,
der hierinn und in nichts anders beſtehet.


Alle die dagegen Schwuͤrigkeit gemacht, ſind
durch falſche Vorſtellungen und unaufgeraͤumte
Begriffe hintergangen. Man hat ſich die Ver-
nunft des Menſchen als eine neue, ganz abgetrennte
Kraft
[44] Kraft in die Seele hinein gedacht, die dem Men-
ſchen als eine Zugabe vor allen Thieren zu eigen
geworden, und die alſo auch, wie die vierte Stuffe
einer Leiter nach den drei unterſten, allein betrach-
tet werden muͤſſe; und das iſt freilich, es moͤgen
es ſo große Philoſophen ſagen, als da wollen,
Philoſophiſcher Unſinn. Alle Kraͤfte unſrer und
der Thierſeelen ſind nichts als Metaphyſiſche Ab-
ſtraktionen, Wuͤrkungen! ſie werden abgetheilt,
weil ſie von unſerm ſchwachen Geiſte nicht auf ein-
mal betrachtet werden konnten: ſie ſtehen in Ka-
piteln, nicht, weil ſie ſo Kapitelweiſe in der Na-
tur wuͤrkten, ſondern ein Lehrling ſie ſich vieleicht
ſo am beſten entwickelt. Daß wir gewiſſe ihrer
Verrichtungen unter gewiſſe Hauptnamen ge-
bracht haben z. E. Witz, Scharfſinn, Phantaſie,
Vernunft, iſt nicht, als wenn je eine einzige
Handlung des Geiſtes moͤglich waͤre, wo der Witz
oder die Vernunft allein wuͤrkt: ſondern nur, weil
wir in dieſer Handlung am meiſten von der Ab-
ſtraktion entdecken, die wir Witz oder Vernunft
nennen, z. E. Vergleichung oder Deutlichmachung
der Jdeen: uͤberall aber wuͤrkt die ganze unabge-
theilte
[45] theilte Seele. Konnte ein Menſch je eine einzige
Handlung thun, bei der er voͤllig wie ein Thier
dachte: ſo iſt er auch durchaus kein Menſch mehr,
gar keiner menſchlichen Handlung mehr faͤhig.
War er einen einzigen Augenblick ohne Vernunft:
ſo ſaͤhe ich nicht, wie er je in ſeinem Leben
mit Vernunft denken koͤnne: oder ſeine ganze
Seele, die ganze Haushaltung ſeiner Natur ward
geaͤndert.


Nach richtigern Begriffen iſt die Vernunft-
maͤßigkeit
des Menſchen, der Charakter ſeiner
Gattung, etwas anders, nemlich, „die gaͤnzli-
„che Beſtimmung ſeiner denkenden Kraft im
„Verhaͤltniß ſeiner Sinnlichkeit und Triebe.

Und da konnte es, alle vorigen Analogien zu Huͤlfe
genommen, nichts anders ſeyn, als daß —


Wenn der Menſch Triebe der Thiere haͤtte,
er das nicht haben koͤnnte, was wir jezt Vernunft
in ihm nennen; denn eben dieſe Triebe riſſen ja
ſeine Kraͤfte ſo dunkel auf einen Punkt hin, daß
ihm kein freier Beſinnungskreis ward. Es mußte
ſeyn, daß —


Wenn
[46]

Wenn der Menſch Sinne der Thiere, er keine
Vernunft haͤtte; denn eben die ſtarke Reizbarkeit
ſeiner Sinne, eben die durch ſie maͤchtig andrin-
genden Vorſtellungen muͤſten alle kalte Beſonnen-
heit erſticken. Aber umgekehrt mußte es auch nach
eben dieſen Verbindungsgeſetzen der haushaltenden
Natur ſeyn, daß —


Wenn thieriſche Sinnlichkeit und Eingeſchloſ-
ſenheit auf einen Punkt wegfiele: ſo wurde ein
ander Geſchoͤpf, deſſen poſitive Kraft ſich in
groͤßerm Raume, nach feinerer Organiſation,
heller,
aͤußerte: das abgetrennt und frei nicht blos
erkennet, will und wuͤrkt, ſondern auch weis, daß
es erkenne, wolle und wuͤrke. Dies Geſchoͤpf iſt
der Menſch und dieſe ganze Diſpoſition ſeiner Na-
tur wollen wir, um den Verwirrungen mit eignen
Vernunftkraͤften u. ſ. w. zu entkommen, „Beſon-
nenheit
„ nennen. Es folgt alſo nach eben dieſen
Verbindungsregeln, da alle die Woͤrter Sinnlichkeit
und Jnſtinkt, Phantaſie und Vernunft, doch nur
Beſtimmungen einer einzigen Kraft ſind, wo Ent-
gegenſetzungen einander aufheben, daß —


Wenn
[47]

Wenn der Menſch kein Jnſtinktmaͤßiges
Thier
ſeyn ſollte, er vermoͤge der freierwuͤrkenden
poſitiven Kraft ſeiner Seele ein beſonnenes Ge-
ſchoͤpf ſeyn mußte.
— — — Wenn ich die Kette
dieſer Schluͤße noch einige Schritte weiter ziehe,
ſo bekomme ich damit vor kuͤnftigen Einwendungen
einen den Weg ſehr kuͤrzenden Vorſprung.


Jſt nemlich die Vernunft keine abgetheilte,
einzelnwuͤrkende Kraft, ſondern eine ſeiner Gat-
tung eigne Richtung aller Kraͤfte: ſo muß der
Menſch ſie im erſten Zuſtande haben, da er
Menſch iſt.
Jm erſten Gedanken des Kindes
muß ſich dieſe Beſonnenheit zeigen, wie bei dem
Jnſekt, daß es Jnſekt war. — — Das hat
nun mehr als ein Schriftſteller nicht begreifen
koͤnnen, und daher iſt die Materie, uͤber die ich
ſchreibe, mit den roheſten eckelhafteſten Einwuͤrfen
angefuͤllet — aber ſie konnten es nicht begreifen,
weil ſie es mißverſtanden. Heißt denn vernuͤnftig
denken, mit ausgebildeter Vernunft denken?
Heißts, der Saͤugling denke mit Beſonnenheit,
er raiſonnire wie ein Sophiſt auf ſeinem Catheder
oder der Staatsmann in ſeinem Cabinett? Gluͤck-
lich
[48] lich und dreimal gluͤcklich, daß er von dieſem ermat-
tenden Wuſt von Vernuͤnfteleien noch nichts wuͤſte!
Aber ſiehet man denn nicht, daß dieſer Einwurf
blos einen ſo und nicht anders, einen mehr oder
minder gebildeten Gebrauch
der Seelenkraͤfte,
und durchaus kein Poſitives einer Seelenkraft ſelbſt
laͤugne? Und welcher Thor wird da behaupten,
daß der Menſch im erſten Augenblick des Lebens
ſo denke, wie nach einer vieljaͤhrigen Uebung; es
ſei denn daß man zugleich das Wachsthum aller
Seelenkraͤfte laͤugne, und ſich eben damit ſelbſt fuͤr
einen Unmuͤndigen bekenne? — So wie doch aber
dies Wachsthum in der Welt nichts bedeuten kann,
als einen leichtern, ſtaͤrkern, vielfachern Gebrauch;
muß denn das nicht ſchon da ſeyn, was gebraucht
werden?
Muß es nicht ſchon Keim ſeyn, was
da wachſen ſoll? Und iſt alſo nicht im Keime
der ganze Baum enthalten. So wenig das Kind
Klauen, wie ein Greif, und eine Loͤwenmaͤhne
hat: ſo wenig kann es wie Greif und Loͤwe den-
ken; denkt es aber menſchlich, ſo iſt Beſonnenheit
das iſt, die Maͤßigung aller ſeiner Kraͤfte auf
dieſe Hauptrichtung
ſchon ſo im erſten Augen-
blicke
[49]blicke ſein Loos, wie ſie es im lezten ſeyn wird.
Die Vernunft aͤußert ſich unter ſeiner Sinnlichkeit
ſchon ſo wuͤrklich, daß der Allwiſſende, der dieſe
Seele ſchuff, in ihrem erſten Zuſtande ſchon das
ganze Gewebe von Handlungen des Lebens ſahe,
wie etwa der Meßkuͤnſtler nach gegebner Claſſe
aus einem Gliede der Progreßion das ganze Ver-
haͤltniß derſelben findet.


„Aber ſo war doch dieſe Vernunft damals mehr
„Vernunftfaͤhigkeit (Réflexion en puiſſance) als
„wuͤrkliche Kraft?„ Die Ausnahme ſagt kein
Wort. Bloße, nackte Faͤhigkeit, die auch ohne
vorliegendes Hinderniß keine Kraft, nichts als
Faͤhigkeit ſey, iſt ſo ein tauber Schall, als Plas-
tiſche Formen, die da formen, aber ſelbſt keine
Formen ſind. Jſt mit der Faͤhigkeit nicht das ge-
ringſte Poſitive zu einer Tendenz da: ſo iſt nichts
da — ſo iſt das Wort blos Abſtraktion der Schule.
Der neuere franzoͤſiſche Philoſoph, *) der dieſe
réflexion en puiſſance, dieſen Scheinbegrif ſo blen-
dend gemacht, hat, wie wir ſehen werden, immer
nur
D
[50] nur eine Luftblaſe blendend gemacht, die er eine
Zeitlang vor ſich hertreibt, die ihm ſelbſt aber unver-
muthet auf ſeinem Wege zerſpringt. Und iſt in
der Faͤhigkeit nichts da; wodurch ſoll es denn je in
die Seele kommen? Jſt im erſten Zuſtande nichts
Poſitives von Vernunft in der Seele, wie wirds
bei Millionen der folgenden Zuſtaͤnde wuͤrklich wer-
den? Es iſt Worttrug, daß der Gebrauch eine
Faͤhigkeit, in Kraft, etwas blos Moͤgliches, in ein
Wuͤrkliches verwandeln koͤnne — iſt nicht ſchon
Kraft da, ſo kann ſie ja nicht gebraucht und ange-
wandt werden. Zudem endlich, was iſt beides,
eine abgetrennte Vernunftfaͤhigkeit und Vernunft-
kraft in der Seele? Eines iſt ſo unverſtaͤndlich, als
das Andre. Setzet den Menſchen, als das Weſen
was Er iſt, mit dem Grade von Sinnlichkeit, und
der Organiſation ins Univerſum: von allen Sei-
ten, durch alle Sinne ſtroͤmt dies in Empfindun-
gen auf ihn los; durch menſchliche Sinne? Auf
menſchliche Weiſe? So wird alſo, mit den Thie-
ren verglichen, dies denkende Weſen weniger uͤber-
ſtroͤhmt? Es hat Raum, ſeine Kraft freier zu aͤuſ-
ſern, und dieſes Verhaͤltniß heißt Vernunftmaͤßig-
keit
[51] keit — Wo iſt da bloße Faͤhigkeit? Wo abgeſonderte
Vernunftkraft? Es iſt die poſitive einzige Kraft
der Seele, die in ſolcher Anlage wuͤrket — mehr
ſinnlich, ſo weniger vernuͤnftig: vernuͤnftiger, ſo
minder lebhaft: heller, ſo minder dunkel — das
verſteht ſich ja alles! Aber der ſinnlichſte Zuſtand
des Menſchen war noch Menſchlich, und alſo wuͤrkte
in ihm noch immer Beſonnenheit, nur im minder
merklichen Grade: und der am wenigſten ſinnliche
Zuſtand der Thiere war noch thieriſch, und alſo
wuͤrkte bei aller Klarheit ihrer Gedanken nie Be-
ſonnenheit eines menſchlichen Begrifs. Und wei-
ter laſſet uns nicht mit Worten ſpielen! —


Es thut mir leid, daß ich ſo viele Zeit verloh-
ren habe, erſt bloße Begriffe zu beſtimmen und
zu ordnen; allein der Verluſt war noͤthig, da die-
ſer ganze Theil der Pſychologie in den neuern Zei-
ten ſo jaͤmmerlich verwuͤſtet da liegt: da franzoͤſi-
ſche Philoſophen uͤber einige anſcheinende Sonder-
barkeiten in der thieriſchen und menſchlichen Na-
tur, alles ſo uͤber- und untereinander geworfen,
und deutſche Philoſophen die meiſten Begriffe die-
ſer Art mehr fuͤr ihr Syſtem, und nach ihrem Se-
D 2hepunkt
[52] hepunkt, als darnach ordnen, damit ſie Verwir-
rungen im Sehepunkt der gewoͤhnlichen Denkart
vermeiden. Jch habe auch mit dieſem Aufraͤumen
der Begriffe keinen Umweg genommen: ſondern
wir ſind mit einemmal am Ziele! Nemlich:



Drer Menſch in den Zuſtand von Beſonnen-
heit geſezt, der ihm eigen iſt, und dieſe Beſon-
nenheit (Reflexion) zum erſtenmal frei wuͤrkend,
hat Sprache erfunden. Denn was iſt Reflexion?
Was iſt Sprache?


Dieſe Beſonnenheit iſt ihm Charakteriſtiſch ei-
gen, und ſeiner Gattung weſentlich: ſo auch Spra-
che und eigne Erfindung der Sprache.


Erfindung der Sprache iſt ihm alſo ſo natuͤr-
lich, als er ein Menſch iſt! Laſſet uns nur beide
Begriffe entwickeln! Reflexion und Sprache —


Der Menſch beweiſet Reflexion, wenn die
Kraft ſeiner Seele ſo frei wuͤrket, daß ſie in dem
ganzen Ocean von Empfindungen, der ſie durch
alle Sinnen durchrauſchet, Eine Welle, wenn ich
ſo ſagen darf, abſondern, ſie anhalten, die Auf-
merkſamkeit auf ſie richten, und ſich bewußt ſeyn
kann,
[53] kann, daß ſie aufmerke. Er beweiſet Reflexion,
wenn er aus dem ganzen ſchwebenden Traum der
Bilder, die ſeine Sinne vorbeiſtreichen, ſich in ein
Moment des Wachens ſammlen, auf Einem Bilde
freiwillig verweilen, es in helle ruhigere Obacht
nehmen, und ſich Merkmale abſondern kann, daß
dies der Gegenſtand und kein andrer ſey. Er be-
weiſet alſo Reflexion, wenn er nicht blos alle Ei-
genſchaften, lebhaft oder klar erkennen; ſondern
Eine oder mehrere als unterſcheidende Eigenſchaf-
ten bei ſich anerkennen kann: der erſte Aktus die-
ſer Anerkenntniß *) giebt deutlichen Begriff; es iſt
das Erſte Urtheil der Seele — und —


Wodurch geſchahe die Anerkennung? Durch
ein Merkmal, was er abſondern muſte, und was,
als Merkmal der Beſinnung, deutlich in ihn fiel.
Wohlan! laſſet uns ihm das ἕυρηκα zuruſſen! Dies
Erſie Merkmal der Beſinnung war Wort
der Seele! Mit ihm iſt die menſchliche
Sprache erfunden.


D 3Laſſet
[54]

Laſſet jenes Lamm, als Bild ſein Auge vorbei-
gehn: ihm wie keinem andern Thiere. Nicht wie
dem hungrigen, witternden Wolfe! nicht wie dem
blutleckenden Loͤwen — die wittern und ſchmecken
ſchon im Geiſte! die Sinnlichkeit hat ſie uͤberwaͤl-
tigt! der Jnſtinkt wirft ſie daruͤber her! — Nicht
wie dem bruͤnſtigen Schaafmanne, der es nur als
den Gegenſtand ſeines Genuſſes fuͤhlt, den alſo
wieder die Sinnlichkeit uͤberwaͤltigt, und der Jn-
ſtinkt daruͤber herwirft; nicht wie jedem andern
Thier, dem das Schaaf gleichguͤltig iſt, daß es
alſo klar dunkel vorbeiſtreichen laͤßt, weil ihn ſein
Jnſtinkt auf etwas anders wendet — Nicht ſo
dem Menſchen! ſo bald er in die Beduͤrfniß
kommt, das Schaaf kennen zu lernen: ſo ſtoͤret
ihn kein Jnſtinkt: ſo reißt ihn kein Sinn auf daſ-
ſelbe zu nahe hin, oder davon ab: es ſteht da,
ganz wie es ſich ſeinen Sinnen aͤußert. Weiß,
ſanft, wollicht — ſeine beſonnen ſich uͤbende Seele
ſucht ein Merkmal, — das Schaaf bloͤcket!
ſie hat Merkmal gefunden. Der innere Sinn
wuͤrket. Dies Bloͤcken, das ihr am ſtaͤrkſten Ein-
druck macht, das ſich von allen andern Eigenſchaf-
ten
[55] ten des Beſchauens und Betaſtens losriß, hervor-
ſprang, am tiefſten eindrang, bleibt ihr. Das
Schaaf kommt wieder. Weiß, ſanft, wollicht —
ſie ſieht, taſtet, beſinnet ſich, ſucht Merkmal —
es bloͤckt, und nun erkennet ſies wieder! „Ha!
„du biſt das Bloͤckende!„ fuͤhlt ſie innerlich, ſie
hat es Menſchlich erkannt, da ſies deutlich, das
iſt mit einem Merkmal erkennet, und nennet.
Dunkler? So waͤre es ihr gar nicht wahrgenom-
men, weil keine Sinnlichkeit, kein Jnſtinkt zum
Schaafe ihr den Mangel des Deutlichen durch ein
lebhafteres Klare erſezte. Deutlich unmittelbar,
ohne Merkmal? So kann kein ſinnliches Geſchoͤpf
außer ſich empfinden: da es immer andre Gefuͤhle
unterdruͤcken, gleichſam vernichten, und immer
den Unterſchied von zween durch ein drittes erken-
nen muß. Mit einem Merkmal alſo? und was
war das anders, als ein innerliches Merkwort?
„Der Schall des Bloͤckens von einer menſchlichen
„Seele, als Kennzeichen des Schaafs, wahrge-
„nommen, ward, kraft dieſer Beſtimmung, Na-
„me
des Schaafs, und wenn ihn nie ſeine Zunge
„zu ſtammeln verſucht haͤtte.„ Er erkannte das
D 4Schaaf
[56] Schaaf am Bloͤcken: es war gefaßtes Zeichen,
bei welchem ſich die Seele an eine Jdee deut-
lich beſann
— Was iſt das anders als Wort?
Und was iſt die ganze menſchliche Sprache,
als eine Sammlung ſolcher Worte? Kaͤme er
alſo auch nie in den Fall, einem andern Geſchoͤpf
dieſe Jdee zu geben, und alſo dies Merkmal der Be-
ſinnung ihm mit den Lippen vorbloͤcken zu wollen,
oder zu koͤnnen; ſeine Seele hat gleichſam in ihrem
Jnwendigen gebloͤckt, da ſie dieſen Schall zum Er-
innerungszeichen waͤhlte, und wiedergebloͤckt, da
ſie ihn daran erkannte — die Sprache iſt erfunden!
eben ſo natuͤrlich und dem Menſchen nothwendig
erfunden, als der Menſch ein Menſch war.


Die meiſten, die uͤber den Urſprung der Spra-
che geſchrieben, haben ihn nicht da, auf dem einzi-
gen Punkt geſucht, wo er gefunden werden konn-
te; und vielen haben alſo ſo viel dunkle Zweifel vor-
geſchwebt: ob er irgendwo in der menſchlichen
Seele zu finden ſey? — — Man hat ihn in
der beſſern Artikulation der Sprachwerkzeuge
geſucht; als ob je ein Ourang-Outang mit eben
den Werkzeugen eine Sprache erfunden haͤtte?
Man
[57] Man hat ihn in den Schaͤllen der Leidenſchaft
geſucht; als ob nicht alle Thiere dieſe Schaͤlle be-
ſaͤßen, und irgend ein Thier aus ihnen Sprache
erfunden haͤtte? Man hat ein Principium ange-
nommen, die Natur und alſo auch ihre Schaͤlle
nachzuahmen; als wenn ſich bei einer ſolchen
blinden Neigung, was gedenken ließe? Und als
wenn der Affe mit eben dieſer Neigung, die Am-
ſel, die die Schaͤlle ſo gut nachaͤffen kann, eine
Sprache erfunden haͤtten? Die meiſten endlich
haben eine bloße Convention, einen Einvertrag,
angenommen, und dagegen hat Rouſſeau am
ſtaͤrkſten geredet; denn was iſts auch fuͤr ein dunk-
les, verwickeltes Wort ein natuͤrlicher Einvertrag
der Sprache? Dieſe ſo vielfache unertraͤgliche
Falſchheiten, die uͤber den menſchlichen Urſprung
der Sprache geſagt worden: haben endlich die ge-
genſeitige Meinung beinahe allgemein gemacht —
ich hoffe nicht, daß ſie es bleiben werde. Hier iſt
es keine Organiſation des Mundes, die die Spra-
che machet: denn auch der Zeitlebens Stumme
war er Menſch: beſann er ſich; ſo lag Sprache in
ſeiner Seele! Hier iſts kein Geſchrei der Em-
D 5pfin-
[58]pfindung: denn nicht eine athmende Maſchine,
ſondern ein beſinnendes Geſchoͤpf erfand Sprache!
Kein Principium der Nachahmung in der
Seele; die etwannige Nachahmung der Natur
iſt blos ein Mittel zu Einem und dem Einzigen
Zweck, der hier erklaͤrt werden ſoll. Am we-
nigſten iſts Einverſtaͤndniß; willkuͤhrliche Con-
vention der Geſellſchaft; der Wilde, der Einſame
im Walde haͤtte Sprache fuͤr ſich ſelbſt erfinden
muͤſſen; haͤtte er ſie auch nie geredet. Sie war
Einverſtaͤndniß ſeiner Seele mit ſich, und ein ſo
nothwendiges Einverſtaͤndniß, als der Menſch
Menſch war. Wenns andern unbegreiflich war,
wie eine menſchliche Seele hat Sprache erfinden
koͤnnen; ſo iſts mir unbegreiflich, wie eine menſch-
liche Seele, was ſie iſt, ſeyn konnte, ohne eben
dadurch, ſchon ohne Mund und Geſellſchaft, ſich
Sprache erfinden zu muͤſſen.


Nichts wird dieſen Urſprung deutlicher ent-
wickeln, als die Einwuͤrfe der Gegner. Der
gruͤndlichſte, *) der ausfuͤhrlichſte Vertheidiger
des goͤttlichen Urſprunges der Sprache, wird eben
weil
[59] weil er durch die Oberflaͤche drang, die nur die an-
dern beruͤhren, faſt ein Vertheidiger des wahren
menſchlichen Urſprunges. Er iſt unmittelbar am
Rande des Beweiſes ſtehen geblieben; und ſein
Haupteinwurf, blos etwas richtiger erklaͤret, wird
Einwurf gegen Jhn ſelbſt und Beweis von ſeinem
Gegentheile der Menſchenmoͤglichkeit der Sprache.
Er will bewieſen haben „daß der Gebrauch der
„Sprache zum Gebrauch der Vernunft nothwen-
„dig ſei!„ Haͤtte er das: ſo wuͤſte ich nicht, was
anders damit bewieſen waͤre, „als daß, da der
„Gebrauch der Vernunft dem Menſchen natuͤrlich
„ſei, der Gebrauch der Sprache es eben ſo ſein
„muͤſte!„ Zum Ungluͤck aber hat er ſeinen Satz
nicht bewieſen. Er hat blos mit vieler Muͤhe dar-
gethan, daß ſo viel feine verflochtne Handlungen,
als Aufmerkſamkeit, Reflexion, Abſtraktion u. ſ. w.
nicht fuͤglich ohne Zeichen geſchehen koͤnnen, auf
die ſich die Seele ſtuͤtze; allein dies nicht fuͤglich,
nicht leicht, nicht wahrſcheinlich,
erſchoͤpfet noch
nichts. So wie wir mit wenigen Abſtraktionskraͤf-
ten, nur wenige Abſtraktion ohne ſinnliche Zeichen
denken koͤnnen: ſo koͤnnen andre Weſen mehr dar-
ohne
[60] ohne denken; wenigſtens folgt daraus noch gar
nicht, daß an ſich ſelbſt keine Abſtraktion ohne
ſinnliches Zeichen moͤglich ſey. Jch habe erwieſen,
daß der Gebrauch der Vernunft nicht etwa blos
fuͤglich, ſondern daß nicht der mindeſte Gebrauch
der Vernunft, nicht die einfachſte, deutliche Aner-
kennung, nicht das ſimpelſte Urtheil einer menſch-
lichen Beſonnenheit ohne Merkmal moͤglich ſey:
denn der Unterſchied von zween laͤßt ſich nur immer
durch ein drittes erkennen. Eben dies dritte, dies
Merkmal, wird mithin inneres Merkwort; alſo folgt
die Sprache aus dem erſten Aktus der Vernunft
ganz natuͤrlich. — Hr. Suͤßmilch will darthun, *)
daß die hoͤhern Anwendungen der Vernunft nicht
ohne Sprache vor ſich gehen koͤnnten, und fuͤhrt
dazu Wolfs Worte an, der aber auch nur von
dieſem Falle in Wahrſcheinlichkeiten redet. Der
Fall thut eigentlich nichts zur Sache: denn die hoͤ-
hern Anwendungen der Vernunft, wie ſie in den
ſpekulativen Wiſſenſchaften Platz finden, waren
ja nicht zu dem erſten Grundſtein der Sprachenle-
gung noͤthig — Und doch iſt auch dieſer leicht zu
er-
[61] erweiſende Satz von Hr. S. nur erlaͤutert; da
ich erwieſen zu haben glaube, daß ſelbſt die
erſte, niedrigſte Anwendung der Vernunft nicht
ohne Sprache geſchehen konnte. Allein wenn er
nun folgert: Kein Menſch kann ſich ſelbſt Sprache
erfunden haben, weil ſchon zur Erfindung der
Sprache Vernunft gehoͤret, folglich ſchon Sprache
haͤtte da ſeyn muͤſſen, ehe ſie da war: ſo halte ich
den ewigen Kreiſel an, beſehe ihn recht, und nun
ſagt er ganz was anders: Ratio et Oratio! Wenn
keine Vernunft dem Menſchen ohne Sprache moͤg-
lich war: wohl! ſo iſt die Erfindung dieſer dem
Menſchen ſo natuͤrlich, ſo alt, ſo urſpruͤnglich, ſo
charakteriſtiſch, als der Gebrauch jener.


Jch habe Suͤßmilchs Schlußart einen ewi-
gen Kreiſel genannt: denn ich kann ihn ja eben
ſowohl gegen ihn, als er gegen mich drehen: und
das Ding kreiſelt immer fort. Ohne Sprache hat
der Menſch keine Vernunft, und ohne Vernunft
keine Sprache. Ohne Sprache und Vernunft
iſt er keines goͤttlichen Unterrichts faͤhig: und ohne
goͤttlichen Unterricht hat er doch keine Vernunft
und Sprache — wo kommen wir da je hin? Wie
kann
[62] kann der Menſch durch goͤttlichen Unterricht Spra-
che lernen, wenn er keine Vernunft hat? Und er
hat ja nicht den mindeſten Gebrauch der Vernunft
ohne Sprache. Er ſoll alſo Sprache haben, ehe
er ſie hat und haben kann? Oder vernuͤnftig wer-
den koͤnnen ohne den mindeſten eignen Gebrauch
der Vernunft? Um der erſten Sylbe in goͤttlichen
Unterricht faͤhig zu ſeyn, mußte er ja, wie Hr.
Suͤßmilch ſelbſt zugiebt, ein Menſch ſeyn, das iſt,
deutlich denken koͤnnen, und bei dem erſten deut-
lichen Gedanken war ſchon Sprache in ſeiner Seele
da; ſie war alſo aus eignen Mitteln und nicht
durch goͤttlichen Unterricht erfunden. — — Jch
weis wohl, was man bei dieſem goͤttlichen Unter-
richt meiſtens im Sinne hat, nehmlich den Sprach-
unterricht der Eltern an die Kinder; allein man
beſinne ſich, daß das hier gar nicht der Fall iſt.
Eltern lehren die Kinder nie Sprache, ohne daß
dieſe nicht immer ſelbſt mit erfaͤnden: jene machen
dieſe nur auf Unterſchiede der Sachen, mittelſt ge-
wiſſer Wortzeichen, aufmerkſam, und ſo erſetzen
ſie ihnen nicht etwa, ſondern erleichtern und be-
foͤrdern
ihnen nur den Gebrauch der Vernunft
durch
[63] durch die Sprache. Will man ſolche uͤbernatuͤr-
liche Erleichterung aus andern Gruͤnden annehmen:
ſo geht das meinen Zweck nichts an; nur alsdenn
hat Gott durchaus fuͤr die Menſchen keine Spra-
che erfunden, ſondern dieſe haben immer noch mit
Wuͤrkung eigner Kraͤfte, nur unter hoͤherer Ver-
anſtaltung, ſich ihre Sprache finden muͤſſen. Um
das erſte Wort, als Wort, d. i. als Merkzeichen
der Vernunft auch aus dem Munde Gottes empfan-
gen zu koͤnnen, war Vernunft noͤthig; und der
Menſch mußte dieſelbe Beſinnung anwenden, dies
Wort, als Wort zu verſtehen, als haͤtte ers ur-
ſpruͤnglich erſonnen. Alsdenn fechten alle Waffen
meines Gegners gegen ihn ſelbſt; er mußte wuͤrk-
lichen Gebrauch der Vernunft haben, um goͤttliche
Sprache zu lernen: den hat immer ein lernendes
Kind auch, wenn es nicht, wie ein Papagay, blos
Worte ohne Gedanken ſagen ſoll — Was waͤren
aber das fuͤr wuͤrdige Schuͤler Gottes, die ſo lern-
ten? Und wenn die ewig ſo gelernt haͤtten, wo haͤt-
ten wir denn unſre Vernunftſprache her?


Jch ſchmeichle mir, daß wenn mein wuͤrdiger
Gegner noch lebte, er einſaͤhe, daß ſein Einwurf
etwas
[64] etwas mehr beſtimmt, ſelbſt der ſtaͤrkſte Beweis
gegen ihn werde, und daß er alſo unwiſſend in
ſeinem Buche ſelbſt Materialien zu ſeiner Wieder-
legung zuſammengetragen. Er wuͤrde ſich nicht
„hinter das Wort „Vernunftfaͤhigkeit, die aber
„noch nicht im mindſten Vernunft iſt„ verſtecken:
denn man kehre wie man wolle, ſo werden Wieder-
ſpruͤche! Ein vernuͤnftiges Geſchoͤpf ohne den mind-
ſten Gebrauch der Vernunft; oder ein vernunft-
gebrauchendes Geſchoͤpf ohne Sprache! Ein ver-
nunftloſes Geſchoͤpf, dem Unterricht Vernunft ge-
ben kann; oder ein unterrichtfaͤhiges Geſchoͤpf, was
doch ohne Vernunft iſt! Ein Weſen ohne den
mindſten Gebrauch der Vernunft; — und doch
Menſch! Ein Weſen, das ſeine Vernunft aus na-
tuͤrlichen Kraͤften nicht brauchen konnte, und doch
beim uͤbernatuͤrlichen Unterricht natuͤrlich brauchen
lernte! Eine menſchliche Sprache, die gar nicht
menſchlich war, d. i. die durch keine menſchliche
Kraft entſtehen konnte; und eine Sprache, die
doch ſo menſchlich iſt, daß ſich ohne ſie keine ſeiner
eigentlichen Kraͤfte aͤußern kann! Ein Ding, ohne
das er nicht Menſch war, und doch ein Zuſtand,
da
[65] da er Menſch war, und das Ding nicht hatte, das
alſo da war, ehe es da war ſich aͤußern mußte, ehe
es ſich aͤußern konnte, u. ſ. w. — — alle dieſe
Wiederſpruͤche ſind offenbar, wenn Menſch, Ver-
nunft und Sprache fuͤr das wuͤrkliche genom-
men werden, was ſie ſind, und das Geſpenſt
von Worte Faͤhigkeit (Menſchenfaͤhigkeit, Ver-
nunftfaͤhigkeit, Sprachfaͤhigkeit) in ſeinem Un-
ſinn entlarvt wird.


„Aber die wilden Menſchenkinder unter den
„Baͤren, hatten die Sprache? Und waren ſie nicht
Menſchen?„ *) Allerdings! nur zuerſt Menſchen
in einem wiedernatuͤrlichen Zuſtande! Menſchen in
Verartung! Legt den Stein auf dieſe Pflanze;
wird ſie nicht krumm wachſen? und iſt ſie nicht
demungeachtet ihrer Natur nach eine aufſchießende
Pflanze? und hat ſich dieſe geradſchießende Kraft
nicht ſelbſt da geaͤußert, da ſie ſich dem Steine
krumm umſchlang? Alſo zweitens ſelbſt die Moͤg-
lichkeit dieſer Verartung zeigt menſchliche Natur:
EEben
[66] Eben weil der Menſch keine ſo hinreißende Jn-
ſtinkte hat, als die Thiere: weil er zu ſo Man-
cherlei und zu Allem ſchwaͤcher faͤhig — kurz! weil
er Menſch iſt: ſo konnte er verarten. Wuͤrde er
wohl ſo baͤraͤhnlich haben brummen, und ſo baͤr-
aͤhnlich haben kriechen lernen, wenn er nicht gelenk-
ſame Organe, wenn er nicht gelenkſame Glieder
gehabt haͤtte? Wuͤrde jedes andre Thier, ein
Affe und Eſel es ſo weit gebracht haben? Wuͤrkte
alſo nicht wuͤrklich ſeine menſchliche Natur dazu,
daß er ſo unnatuͤrlich werden konnte? Aber drit-
tens
blieb ſie deßwegen noch immer menſchliche
Natur: denn brummte, kroch, fraß, witterte er
voͤllig wie ein Baͤr? Oder waͤre er nicht ewig
ein ſtrauchelnder ſtammlender Menſchenbaͤr, und
alſo ein unvollkommenes Doppelgeſchoͤpf geblieben?
So wenig ſich nun ſeine Haut und ſein Antlitz,
ſeine Fuͤße und ſeine Zunge in voͤllige Baͤrengeſtalt
aͤndern und wandeln konnten: ſo wenig, laſſet uns
nimmer zweifeln! konnte es die Natur ſeiner
Seele. Seine Vernunft lag unter dem Druck der
Sinnlichkeit, der baͤrartigen Jnſtinkte begraben:
aber ſie war noch immer menſchliche Vernunft,
weil
[67] weil jene Jnſtinkte nimmer voͤllig baͤrmaͤßig wa-
ren. Und daß das ſo geweſen, zeugt ja endlich die
Entwicklung der ganzen Scene. Als die Hinder-
niſſe weggewaͤlzet, als dieſe Baͤrmenſchen zu ihrem
Geſchlecht zuruͤkgekehrt waren, lernten ſie nicht
natuͤrlicher aufrechtgehen und ſprechen, als ſie
dort, immer unnatuͤrlich, kriechen und brummen
gelernt hatten? Dies konnten ſie immer nur baͤr-
aͤhnlich; jenes lernten ſie in weniger Zeit ganz
Menſchlich.
Welcher ihrer vorigen Mitbruͤder
des Waldes lernte das mit ihnen? Und weil es
kein Baͤr lernen konnte, weil er nicht Anlage des
Koͤrpers und der Seele dazu beſaß, mußte der
Menſchenbaͤr dieſe nicht noch immer im Zuſtande
ſeiner Verwilderung erhalten haben? Haͤtte ſie
ihm blos Unterricht und Gewohnheit gegeben,
warum nicht dem Baͤren? Und was hieße es doch,
jemand durch Unterricht, Vernunft und Menſch-
lichkeit geben, der ſie nicht ſchon hat? Vermuth-
lich hat alsdenn dieſe Nadel dem Auge die Seh-
kraft gegeben, dem ſie die Staarhaut wegſchaffet —
Was wollen wir alſo aus dem unnatuͤrlichſten Falle
von der Natur ſchließen? Geſtehen wir aber ein,
E 2daß
[68] daß er ein unnatuͤrlicher Fall ſei, — wohl! ſo be-
ſtaͤtigt er die Natur!


Die ganze Rouſſeauſche Hypotheſe von Un-
gleichheit der Menſchen iſt, bekannter Weiſe, auf
ſolche Faͤlle der Abartung gebauet, und ſeine Zwei-
fel gegen die Menſchlichkeit der Sprache betreffen
entweder falſche Urſprungsarten, oder die beregte
Schwuͤrigkeit, daß ſchon Vernunft zur Spracher-
findung gehoͤrt haͤtte. Jm erſten Fall haben ſie
recht; im zweiten ſind ſie wiederlegt, und laſſen ſich
ja aus Rouſſeaus Munde ſelbſt wiederlegen. Sein
Phantom, der Naturmenſch; dieſes entartete Ge-
ſchoͤpf, das er auf der einen Seite mit der Ver-
nunftfaͤhigkeit abſpeiſet, wird auf der andern mit
der Perfectibilitaͤt und zwar mit ihr als Charak-
tereigenſchaft, und zwar mit ihr in ſo hohem Gra-
de belehnet, daß er dadurch von allen Thiergat-
tungen lernen koͤnne — und was hat nun Rouſ-
ſeau
ihm nicht zugeſtanden! Mehr, als wir
wollen, und brauchen! Der erſte Gedanke „ſiehe!
„das iſt dem Thier eigen! der Wolf heult! der
„Baͤr brummt! ſchon der iſt (in einem ſolchen
Lichte
[69] Lichte gedacht, daß er ſich mit dem zweiten ver-
binden koͤnnte „das habe ich nicht!„) wuͤrkliche
Reflexion; und nun der dritte und vierte „wohl!
„das waͤre auch meiner Natur gemaͤß! das koͤnnte
„ich nachahmen! das will ich nachahmen! da-
„durch wird mein Geſchlecht vollkommner!„ wel-
che Menge von feinen, fortſchließenden Reflexio-
nen! da das Geſchoͤpf, das nur die Erſte ſich
auseinander ſezzen konnte, ſchon Sprache der
Seele haben mußte! ſchon die Kunſt zu denken be-
ſaß, die die Kunſt zu ſprechen ſchuf. Der Affe
aͤffet immer nach, aber nachgeahmt hat er nie:
Nie mit Beſonnenheit zu ſich geſprochen „das will
„ich nachahmen, um mein Geſchlecht vollkomm-
„ner zu machen!„ Denn haͤtte er das je, haͤtte
er eine Einzige Nachahmung ſich zu Eigen gemacht,
ſie in ſeinem Geſchlecht, mit Wahl und Abſicht
verewigt; haͤtte er auch nur ein einzigesmal eine
Einzige ſolche Reflexion denken koͤnnen — Den-
ſelben Augenblick war er kein Affe mehr! Jn aller
ſeiner Affengeſtalt, ohne einen Laut ſeiner Zunge,
war er inwendig ſprechender Menſch, der ſich uͤber
kurz oder lang ſeine aͤußerliche Sprache erfinden
E 3mußte
[70] mußte — welcher Ourang-Outang aber hat je
mit allen menſchlichen Sprachwerkzeugen ein Ein-
ziges menſchliches Wort geſprochen?


Es giebt freilich noch Negerbruͤder in Europa,
die da ſagen „ja vielleicht — wenn er nur ſprechen
wollte! — oder in Umſtaͤnden kaͤme! — — oder
„koͤnnte!„ — ‒ ‒ Koͤnnte! das waͤre wohl das
beſte, denn die beiden vorigen Wenn ſind durch
die Thiergeſchichte gnugſam wiederlegt- und durch
die Werkzeuge wird, wie geſagt, bei ihm das Koͤn-
nen nicht aufgehalten! Er hat einen Kopf von
auſſen und innen, wie wir; hat er aber je gere-
det? Papagei und Staar haben gnug menſchliche
Schaͤlle gelernt; aber auch ein menſchliches Wort
gedacht? — Ueberhaupt gehen uns hier noch die
aͤuſſern Schaͤlle der Worte nicht an; wir reden
von der innern, nothwendigen Geneſis eines
Worts, als das Merkmal einer deutlichen Beſin-
nung — wenn aber hat das je eine Thierart, auf
welche Weiſe es ſei, geaͤußert? Abgemerkt mußte
dieſer Faden der Gedanken, dieſer Diſcours der
Seele, immer werden koͤnnen, er aͤußere ſich, wie
er
[71] er wolle, wer hat das aber je? Der Fuchs hat
tauſendmal ſo gehandelt, als ihn Aeſop handeln
laͤßt; er hat aber nie in Aeſops Sinne gehandelt,
und das Erſtemal daß er das kann, wird Meiſter
Fuchs ſich ſeine Sprache erfinden, und uͤber Aeſop
ſo fabeln koͤnnen, als Aeſop jezt uͤber ihn. Der
Hund hat viele Worte und Befehle verſtehen ge-
lernt; aber nicht als Worte, ſondern als Zeichen,
mit Gebehrden, mit Handlungen verbunden; ver-
ſtuͤnde er je ein Einziges Wort im menſchlichen
Sinne, ſo dienet er nicht mehr, ſo ſchaffet er ſich
ſelbſt Kunſt und Republick und Sprache. Man
ſieht, wenn man einmal den Punkt der genauen
Geneſe verfehlt, ſo iſt das Feld des Jrrthums zu
beiden Seiten unermeßlich groß! da iſt die Spra-
che bald ſo uͤbermenſchlich, daß ſie Gott erfinden
muß, bald ſo unmenſchlich, daß jedes Thier ſie er-
finden koͤnnte, wenn es ſich die Muͤhe naͤhme.
Das Ziel der Wahrheit iſt nur ein Punkt! auf
den hingeſtellet, ſehen wir aber auf alle Seiten-
warum kein Thier Sprache erfinden kann? kein
Gott, Sprache erfinden darf? und der Menſch,
als Menſch, Sprache erfinden kann und muß?


E 4Weiter
[72]

Weiter mag ich aus der Metaphyſik die Hypo-
theſe des goͤttlichen Sprachenurſprunges nicht ver-
folgen; da pſychologiſch ihr Ungrund darinn ge-
zeigt iſt, daß um die Sprache der Goͤtter im
Olymp zu verſtehen, der Menſch ſchon Vernunft,
folglich ſchon Sprache haben muͤſſe. Noch weni-
ger kann ich mich in ein angenehmes Detail der
Thierſprachen einlaſſen: da ſie doch alle, wie wir
geſehen, total und incommenſurabel von der
menſchlichen Sprache abſtehen. Dem ich am un-
gernſten entſage, waͤren hier die mancherlei Aus-
ſichten, die von dieſem genetiſchen Punkt der Spra-
che in der menſchlichen Seele, in die weiten Fel-
der der Logik, Aeſthetik und Pſychologie, inſon-
derheit uͤber die Frage gehen: wie weit kann
man ohne? — — Was muß man mit der
Sprache denken?
— eine Frage, die ſich nach-
her in Anwendungen faſt uͤber alle Wiſſenſchaften
ausbreitet. Hier ſei es gnug die Sprache, als
den wuͤrklichen Unterſcheidungscharakter unſrer
Gattung von außen zu bemerken, wie es die Ver-
nunft von innen iſt.


Jn
[73]

Jn mehr als einer Sprache hat alſo auch
Wort, und Vernunft, Begriff und Wort,
Sprache
und Urſache einen Namen, und dieſe
Synonymie enthaͤlt ihren ganzen genetiſchen Ur-
ſprung. Bei den Morgenlaͤndern iſts der gewoͤhn-
lichſte Jdiotismus geworden, das Anerkennen
einer Sache Namengebung zu nennen: denn
im Grunde der Seele ſind beide Handlungen Eins.
Sie nennen den Menſchen das redende Thier,
und die unvernuͤnftigen Thiere die Stummen:
der Ausdruck iſt ſinnlich Charakteriſtiſch: und das
griechiſche ἄλογος faſſet beides. Es wird ſo nach
die Sprache ein natuͤrliches Organ des Ver-
ſtandes,
ein ſolcher Sinn der menſchlichen
Seele,
wie ſich die Sehekraft jener ſenſitiven Seele
der Alten das Auge, und der Jnſtinkt der Biene
ſeine Zelle bauet.


Vortreflich daß dieſer neue, ſelbſt gemachte
Sinn des Geiſtes gleich in ſeinem Urſprunge wie-
der ein Mittel der Verbindung iſt — Jch kann
nicht den erſten menſchlichen Gedanken denken,
nicht das erſte beſonnene Urtheil reihen, ohne daß
E 5ich
[74] ich in meiner Seele dialogire, oder zu dialogiren
ſtrebe; der erſte menſchliche Gedanke bereitet alſo
ſeinem Weſen nach, mit andern dialogiren zu koͤn-
nen! Das erſte Merkmal, was ich erfaſſe, iſt
Merkwort fuͤr mich, und Mittheilungswort
fuͤr andre!


‘— Sic verba, quibus voces ſenſusque notarent
Nominaque invenere — —
Horat.
()


Drit-
[75]

Dritter Abſchnitt.



Der Brennpunkt iſt ausgemacht, auf welchem
Prometheus himmliſcher Funke in der
menſchlichen Seele zuͤndet — Beim erſten Merk-
mal ward Sprache; aber welches waren die erſten
Merkmale zu Elementen der Sprache?


I.Toͤne.


Cheſelden’s Blinder *) zeigt, wie langſam ſich
das Geſicht entwikle? Wie ſchwer die Seele zu
den Begriffen, von Raum, Geſtalt, und Farbe
komme? Wie viel Verſuche gemacht, wie viel
Meßkunſt erworben werden muß, um dieſe Merk-
male deutlich zu gebrauchen: das war alſo nicht
der fuͤglichſte Sinn zu Sprache. Zudem waren
ſeine Phaͤnomene ſo kalt und ſtumm: die Empfin-
dungen
[76] dungen der grobern Sinne wiederum ſo undeutlich
und in einander, daß nach aller Natur entweder
Nichts, oder das Ohr der erſte Lehrmeiſter
der Sprache wurde.


Da iſt z. E. das Schaaf. Als Bild ſchwebet
es dem Auge mit allen Gegenſtaͤnden, Bildern
und Farben auf Einer großen Naturtafel vor —
wie viel, wie muͤhſam zu unterſcheiden! Alle Merk-
male ſind fein verflochten, neben einander —
alle noch unausſprechlich! Wer kann Geſtalten
reden? Wer kann Farben toͤnen? Er nimmt das
Schaaf unter ſeine taſtende Hand — Das Gefuͤhl
iſt ſicherer und voller; aber ſo voll, ſo dunkel in
einander — Wer kann, was er fuͤhlt, ſagen?
Aber horch! das Schaaf bloͤcket! Da reißt ſich ein
Merkmal von der Leinwand des Farbenbildes,
worinn ſo wenig zu unterſcheiden war, von ſelbſt
los: iſt tief und deutlich in die Seele gedrungen.
„Ha! ſagt der lernende Unmuͤndige, wie jener
„blind geweſene Cheſelden’s: nun werde ich dich
„wieder kennen — Du bloͤckſt!„ Die Turtel-
taube girrt! der Hund bellet! da ſind drei Worte,
weil er drei deutliche Jdeen verſuchte, dieſe in
ſeine
[77] ſeine Logik, jene in ſein Woͤrterbuch! Vernunft
und Sprache thaten gemeinſchaftlich einen furcht-
ſamen Schritt und die Natur kam ihnen auf hal-
bem Wege entgegen durchs Gehoͤr. Sie toͤnte
das Merkmal nicht blos vor, ſondern tief in die
Seele hinein! es klang! die Seele haſchte — da
hat ſie ein toͤnendes Wort!


Der Menſch iſt alſo als ein horchendes, mer-
kendes Geſchoͤpf zur Sprache natuͤrlich gebildet,
und ſelbſt ein Blinder und Stummer, ſiehet man,
mußte Sprache erfinden, wenn er nur nicht fuͤhl-
los und taub iſt. Setzet ihn gemaͤchlich und be-
haglich auf eine einſame Jnſel: die Natur wird
ſich ihm durchs Ohr offenbaren: tauſend Geſchoͤpfe,
die er nicht ſehen kann, werden doch mit ihm zu
ſprechen ſcheinen, und bliebe auch ewig ſein Mund
und ſein Auge verſchloſſen, ſeine Seele bleibt nicht
ganz ohne Sprache. Wenn die Blaͤtter des Bau-
mes, dem armen Einſamen Kuͤhlung herabrau-
ſchen, wenn der vorbeimurmelnde Bach ihn in den
Schlaf wieget, und der hinzuſaͤuſelnde Weſt ſeine
Wangen faͤchelt — das bloͤckende Schaaf giebt
ihm Milch, die rieſelnde Quelle Waſſer, der rau-
fchende
[78] ſchende Baum Fruͤchte — Jntereſſe gnug, die
wohlthaͤtigen Weſen zu kennen, Dringniß gnug,
ohne Augen und Zunge in ſeiner Seele ſie zu nen-
nen.
Der Baum wird der Rauſcher, der Weſt
Saͤuſler, die Quelle Rieſler heißen — Da liegt
ein kleines Woͤrterbuch fertig, und wartet auf das
Gepraͤge der Sprachorgane. Wie arm, und ſon-
derbar aber muͤßten die Vorſtellungen ſeyn, die
dieſer Verſtuͤmmelte mit ſolchen Schaͤllen ver-
bindet? *)


Nun laſſet dem Menſchen alle Sinne frei; er
ſehe und taſte und fuͤhle zugleich alle Weſen, die
in ſein Ohr reden — Himmel! Welch ein Lehr-
ſaal der Jdeen und der Sprache! Fuͤhret keinen
Merkur und Apollo, als Opernmaſchinen von den
Wolken herunter — Die ganze, vieltoͤnige goͤtt-
liche Natur iſt Sprachlehrerinn und Muſe! Da
fuͤhret ſie alle Geſchoͤpfe bei ihm vorbei; jedes traͤgt
ſeinen Namen auf der Zunge, und nennet ſich,
dieſem verhuͤlleten ſichtbaren Gotte! als Vaſall
und
[79] und Diener. Es liefert ihm ſein Merkwort ins
Buch ſeiner Herrſchaft, wie einen Tribut, damit
er ſich bei dieſem Namen ſeiner erinnere, es kuͤnf-
tig rufe und genieße. Jch frage, ob je dieſe
Wahrheit: „eben der Verſtand, durch den der
„Menſch uͤber die Natur herrſchet, war der Va-
„ter einer lebendigen Sprache, die er aus Toͤnen
„ſchallender Weſen zu Merkmalen der Unterſchei-
„dung ſich abzog!„ Jch frage, ob je dieſe trokne
Wahrheit auf morgenlaͤndiſche Weiſe edler und
ſchoͤner koͤnne geſagt werden, als „Gott fuͤhrte
„die Thiere zu ihm, daß er ſaͤhe, wie er ſie nen-
„nete! und wie er ſie nennen wuͤrde, ſo ſollten
„ſie heißen!„ Wo kann es auf morgenlaͤndiſche,
poetiſche Weiſe beſtimmter geſagt werden: der
Menſch erfand ſich ſelbſt Sprache! — aus Toͤnen
lebender Natur! — zu Merkmalen ſeines herr-
ſchenden Verſtandes! — und das iſt, was ich
beweiſe.


Haͤtte Engel oder himmliſcher Geiſt die Spra-
che erfunden: wie anders als daß ihr ganzer Bau
ein Abdruck von der Denkart dieſes Geiſtes ſeyn
muͤßte? Denn woran koͤnnte ich ein Bild von
einem
[80] einem Engel gemahlt kennen, als an dem Engli-
ſchen, Ueberirrdiſchen ſeiner Zuͤge? Wo findet
das aber bei unſrer Sprache ſtatt? Bau, und
Grundriß, ja ſelbſt der erſte Grundſtein dieſes Pal-
laſts verraͤth Menſchheit!


Jn welcher Sprache ſind himmliſche, geiſtige
Begriffe die Erſten? Jene Begriffe, die auch
nach der Ordnung unſres denkenden Geiſtes die
Erſten ſeyn mußten — Subjekte, notiones com-
munes,
die Saamenkoͤrner unſrer Erkenntniß, die
Punkte, um die ſich alles wendet und alles zuruͤck-
fuͤhrt — ſind dieſe lebende Punkte Elemente der
Sprache? Die Subjekte mußten doch natuͤrli-
cher Weiſe vor dem Praͤdlkat, und die einfachſten
Subjekte vor den zuſammengeſezten, was da thut
und handelt, vor dem, was es handelt, das We-
ſentliche und Gewiſſe vor dem Ungewiſſen Zufaͤlli-
gen, vorhergegangen ſeyn — Ja, was man
nicht alles ſchließen koͤnnte, und — in unſern ur-
ſpruͤnglichen Sprachen findet durchgaͤngig das
offenbare Gegentheil ſtatt. Ein hoͤrendes, aufhor-
chendes Geſchoͤpf iſt kennbar, aber kein himmli-
ſcher Geiſt: denn — toͤnendeVerbaſind die er-
ſten
[81]ſten Machtelemente. Toͤnende Verba? Hand-
lungen, und noch nichts, was da handelt? Praͤ-
dikate und noch kein Subjekt? Der himmliſche
Genius mag ſich deſſen zu ſchaͤmen haben, aber
nicht das ſinnliche menſchliche Geſchoͤpf: denn was
ruͤhrte dies, wie wir geſehen, inniger, als dieſe
toͤnenden Handlungen? Und was iſt alſo die
ganze Bauart der Sprache anders, als eine Ent-
wickelungsweiſe ſeines Geiſtes, eine Geſchichte
ſeiner Entdeckungen! der goͤttliche Urſprung erklaͤrt
nichts und laͤßt nichts aus ſich erklaͤren; er iſt, wie
Bako von einer andern Sache ſagt, heilige Ve-
ſtalin — Gott geweihet aber unfruchtbar, fromm,
aber zu nichts nuͤtze!


Das erſte Woͤrterbuch war alſo aus den Lauten
aller Welt geſammelt. Von jedem toͤnenden We-
ſen klang ſein Name; die menſchliche Seele praͤgte
ihr Bild drauf, dachte ſie als Merkzeichen, — wie
anders, als daß dieſe toͤnenden Jnterjektionen die
erſten wuͤrden, und ſo ſind z. E. die morgenlaͤndi-
ſchen Sprachen voll Verba als Grundwurzeln der
Sprache. Der Gedanke an die Sache ſelbſt
ſchwebte noch zwiſchen dem handelnden und der
FHand-
[82] Handlung: der Ton mußte die Sache bezeichnen,
ſo wie die Sache den Ton gab; aus den Verbis
wurden alſo Nomina und Nomina aus den Verbis.
Das Kind nennet das Schaaf, als Schaaf nicht:
ſondern als ein bloͤckendes Geſchoͤpf, und macht alſo
die Jnterjektion zu einem Verbo. Jm Stuffen-
gange der menſchlichen Sinnlichkeit wird dieſe Sa-
che erklaͤrbar, aber nicht in der Logik des hoͤhern
Geiſtes.


Alle alte, wilde Sprachen ſind voll von dieſem
Urſprunge, und in einem „philoſophiſchen
„Woͤrterbuch der Morgenlaͤnder
waͤre jedes
Stammwort mit ſeiner Familie, recht geſtellet,
und geſund entwickelt, eine Charte vom Gange
des menſchlichen Geiſtes, eine Geſchichte ſeiner
Entwicklung, und ein ganzes ſolches Woͤrterbuch
die vortreflichſte Probe von der Erfindungskunſt
der menſchlichen Seele — ob aber auch von der
Sprach- und Lehrmethode Gottes? ich zweifle!


Jndem die ganze Natur toͤnt: ſo iſt einem
ſinnlichen Menſchen nichts natuͤrlicher, als daß ſie
lebt, ſie ſpricht, ſie handelt.
Jener Wilde
ſahe den hohen Baum mit ſeinem praͤchtigen Gi-
pfel
[83] pfel und bewunderte: der Gipfel rauſchte! das iſt
webende Gottheit! der Wilde faͤllt nieder und be-
tet an! ſehet da die Geſchichte des ſinnlichen Men-
ſchen, das dunkle Band, wie aus denVerbis
Nomina
werden — und den leichteſten Schritt
zur Abſtraktion!
Bei den Wilden von Nord-
amerika z. B. iſt noch alles belebt: jede Sache
hat ihren Genius, ihren Geiſt, und daß es bei
Griechen und Morgenlaͤndern eben ſo geweſen,
zeugt ihr aͤlteſtes Woͤrterbuch und Grammatik —
ſie ſind wie die ganze Natur dem Erfinder war,
ein Pantheon! ein Reich belebter, handelnder
Weſen!


Jndem der Menſch aber alles auf ſich bezog:
indem alles mit ihm zu ſprechen ſchien, und wuͤrk-
lich fuͤr oder gegen ihn handelte: indem er alſo
mit oder dagegen Theil nahm, liebte oder haßte,
und ſich alles Menſchlich vorſtellte; alle dieſe
Spuren der Menſchlichkeit drukten ſich auch in
die erſten Namen! Auch ſie ſprachen Liebe oder
Haß, Fluch oder Seegen, Sanftes oder
Wiedrigkeit
und inſonderheit wurden aus dieſem
Gefuͤhl in ſo vielen Sprachen die Artikel! Da
F 2wurde
[84] wurde alles menſchlich, zu Weib und Mann per-
ſonificirt: uͤberall Goͤtter, Goͤttinnen, handelnde,
boͤsartige oder gute Weſen! der brauſende Sturm,
und der ſuͤße Zephyr, die klare Waſſerquelle und
der maͤchtige Ocean — ihre ganze Mythologie liegt
in den Fundgruben, den Verbis und Nominibus
der alten Sprachen und das aͤlteſte Woͤrterbuch
war ſo ein toͤnendes Pantheon, ein Verſammlungs-
ſaal beider Geſchlechter, als den Sinnen des erſten
Erfinders die Natur. Hier iſt die Sprache jener
alten Wilden ein Studium in den Jrrgaͤngen
menſchlicher Phantaſie und Leidenſchaften, wie
ihre Mythologie. Jede Familie von Woͤrtern
iſt ein verwachſnes Gebuͤſche um eine ſinnliche
Hauptidee, um eine heilige Eiche, auf der noch
Spuren ſind, welchen Eindruck der Erfinder von
dieſer Dryade hatte. Die Gefuͤhle ſind ihm zu-
ſammengewebt: was ſich beweget, lebt: was da
toͤnet, ſpricht — und da es fuͤr oder wieder dich
toͤnt, ſo iſts Freund, oder Feind: Gott oder Goͤt-
tinn: es handelt aus Leidenſchaften, wie du!


Ein menſchliches, ſinnliches Geſchoͤpf liebe ich
uͤber dieſe Denkart: ich ſehe uͤberall den ſchwachen,
ſchuͤch-
[85] ſchuͤchternen Empfindſamen, der lieben, oder haſ-
ſen, trauen oder fuͤrchten muß, und dieſe Empfin-
dungen aus ſeiner Bruſt uͤber alle Weſen ausbrei-
ten moͤchte. Jch ſehe uͤberall das ſchwache und
doch maͤchtige Geſchoͤpf, das das ganze Weltall
noͤthig hat, und alles mit ſich in Krieg und Frie-
den verwickelt; das von allem abhaͤngt, und doch
uͤber alles herrſchet — — Die Dichtung, und
die Geſchlechterſchaffung der Sprache, ſind alſo
Jntereſſe der Menſchheit, und die Genetalien der
Rede gleichſam das Mittel ihrer Fortpflanzung.
Aber nun — wenn ſie ein hoͤherer Genius aus den
Sternen hinunter gebracht — wie? wuͤrde dieſer
Genius aus den Sternen auf unſerer Erde unter
dem Monde in ſolche Leidenſchaften von Liebe und
Schwachheit, von Haß und Furcht verwickelt?
daß er alles in Zuneigung und Haß verflocht, daß
er alle Worte mit Furcht und Freude bezeichnete,
daß er endlich alles auf Begattungen bauete?
Sahe und fuͤhlte er, wie ein Menſch ſiehet, daß
ſich ihm die Nomina in Geſchlechter und Artikel
paaren mußten, daß er die Verba thaͤtig und lei-
dend zuſammen gab, ihnen ſo viel aͤchte und Dop-
pelkinder
[86] pelkinder zuerkannte, kurz, daß er die ganze
Sprache auf das Gefuͤhl menſchlicher Schwach-
heiten bauete? — ſahe und fuͤhlte er ſo?


Einem Vertheidiger des uͤbernatuͤrlichen Ur-
ſprunges iſts goͤttliche Ordnung der Sprache, „daß
„die meiſten Stammwoͤrter einſylbig, die Verba
„meiſtens zweiſylbig ſind, und alſo die Sprache
„nach dem Maaße des Gedaͤchtniſſes eingetheilt
„ſey.„ Das Faktum iſt nicht genau und der
Schluß unſicher. Jn den Reſten der fuͤr die aͤlteſte
angenommenen Sprache ſind die Wurzeln alle
zweiſylbige Verba, welches ich nun aus dem vorigen
ſehr gut erklaͤren kann, da die Hypotheſe des Ge-
gentheils keinen Grund findet. Dieſe Verba nem-
lich ſind unmittelbar auf die Laute und Jnterjek-
tionen der toͤnenden Natur gebauet, die oft noch
in ihnen toͤnen, hie und da auch noch als Jnterjek-
tionen aufbehalten ſind; meiſtens aber mußten ſie,
als halbinartikulirte Toͤne, verlohren gehen,

da ſich die Sprache formte. Jn den morgenlaͤn-
diſchen Sprachen fehlen alſo dieſe erſten Verſuche
der ſtammelnden Zunge; aber, daß ſie fehlen, und
nur ihre regelmaͤßigen Reſte in den Verbis toͤnen,
das
[87] das eben zeigt von der Urſpruͤnglichkeit und —
Menſchlichkeit der Sprache. Sind dieſe Staͤmme
Schaͤtze und Abſtraktionen aus dem Verſtande
Gottes, oder die erſten Laute des horchenden
Ohrs? Die erſten Schaͤlle der ſtammelnden
Zunge? Das Menſchengeſchlecht in ſeiner Kind-
heit hat ſich ja eben die Sprache geformet, die
ein Unmuͤndiger ſtammlet: es iſt das lallende
Woͤrterbuch der Ammenſtube — wo bleibt das
im Munde der Erwachſnen?


Was ſo viele Alten ſagen und ſo viel Neuere
ohne Sinn nachgeſagt, nimmt hieraus ſein ſinn-
liches Leben: „daß nemlich Poeſie aͤlter gewe-
„ſen, als Proſa!
„ Denn was war dieſe erſte
Sprache als eine Sammlung von Elementen der
Poeſie? Nachahmung der toͤnenden, handelnden,
ſich regenden Natur! Aus den Jnterjektionen
aller Weſen genommen, und von Jnterjektion
menſchlicher Empfindung belebet! Die Natur-
ſprache aller Geſchoͤpfe vom Verſtande in Laute
gedichtet, in Bilder von Handlung, Leidenſchaft
und lebender Einwuͤrkung! Ein Woͤrterbuch der
Seele, was zugleich Mythologie und eine wun-
F 4der-
[88] derbare Epopee von den Handlungen und Reden
aller Weſen iſt! Alſo eine beſtaͤndige Fabeldichtung
mit Leidenſchaft und Jntereſſe! — Was iſt Poeſie
anders? —


Ferner. Die Tradition des Alterthums ſagt;
die erſte Sprache des menſchlichen Ge-
ſchlechts ſei Geſang geweſen,
und viele gute
muſikaliſche Leute haben geglaubt, die Menſchen
koͤnnten dieſen Geſang wohl den Voͤgeln abgelernt
haben — das iſt freilich viel geglaubt! Eine große
wichtige Uhr mit allen ihren ſcharfen Raͤdern, und
neugeſpannten Federn, und Centnergewichten kann
wol ein Glockenſpiel von Toͤnen machen; aber
den neugeſchafnen Menſchen mit ſeinen wuͤrkſa-
men Triebfedern, mit ſeinen Beduͤrfniſſen, mit
ſeinen ſtarken Empfindungen, mit ſeiner faſt blind
beſchaͤftigten Aufmerkſamkeit, und endlich mit
ſeiner rohen Kehle dahinſetzen, um die Nachtigall
nachzuaͤffen, und ſich von ihr eine Sprache zu er-
ſingen, iſt, in wie vielen Geſchichten der Muſik
und Poeſie es auch ſtehe, fuͤr mich unbegreiflich.
Freilich waͤre eine Sprache durch muſikaliſche Toͤne
moͤg-
[89] moͤglich, (wie auch Leibnitz* auf den Gedanken
gekommen!) Aber fuͤr die erſten Naturmenſchen
war dieſe Sprache nicht moͤglich, ſo kuͤnſtlich und
fein iſt ſie. Jn der Reihe der Weſen hat jedes
Ding ſeine Stimme und eine Sprache nach ſei-
ner Stimme. Die Sprache der Liebe iſt im Neſt
der Nachtigall ſuͤßer Geſang, wie in der Hoͤle des
Loͤwen Gebruͤll: im Forſte des Wildes wiehernde
Brunſt, und im Winkel der Katze Zettergeſchrei;
jede Gattung redet die ihrige, nicht fuͤr den Men-
ſchen, ſondern fuͤr ſich, und fuͤr ſich ſo angenehm
als Petrarchs Geſang an ſeine Laura! So wenig
alſo die Nachtigall ſingt, um den Menſchen, wie
man ſich einbildet, vorzuſingen: ſo wenig wird
der Menſch ſich dadurch je Sprache erfinden wol-
len, daß er der Nachtigall nachtrillert — Und
was iſts doch fuͤr ein Ungeheuer, eine menſchliche
Nachtigall in einer Hoͤle, oder im Walde der
Jagd? —


War alſo die erſte Menſchenſprache Geſang:
ſo wars Geſang, der ihm ſo natuͤrlich, ſeinen Or-
F 5ganen,
[90] ganen, und Naturtrieben ſo angemeſſen war, als
der Nachtigallen Geſang ihr ſelbſt, die gleichſam
eine ſchwebende Lunge iſt, und das war — eben
unſre toͤnende Sprache. Condillac, Rouſſeau
und andre ſind hier halb auf den Weg gekommen,
indem ſie die Proſodie und den Geſang der aͤlte-
ſten Sprachen vom Geſchrei der Empfindung her-
leiten, und ohne Zweifel belebte Empfindung frei-
lich die erſten Toͤne und erhob ſie; ſo wie aber aus
den bloßen Toͤnen der Empfindung nie menſchliche
Sprache entſtehen konnte, die dieſer Geſang doch
war; ſo fehlt noch etwas, ihn hervorzubringen:
und das war eben die Namennennung eines jeden
Geſchoͤpfs nach ſeiner Sprache. Da ſang und
toͤnte alſo die ganze Natur vor: und der Geſang
des Menſchen war ein Concert aller dieſer Stim-
men, ſo fern ſie ſein Verſtand brauchte, ſeine Em-
pfindung faßte, ſeine Organe ſie ausdruͤcken konn-
ten — Es ward Geſang, aber weder Nachtigal-
lenlied, noch Leibnitzens muſikaliſche Sprache,
noch ein bloßes Empfindungsgeſchrei der Thiere:
Ausdruk der Sprache aller Geſchoͤpfe, innerhalb der
natuͤrlichen Tonleiter der menſchlichen Stimme!


Selbſt
[91]

Selbſt da die Sprache ſpaͤter mehr regelmaͤßig,
eintoͤnig und gereihet wurde, blieb ſie noch immer
eine Gattung Geſang, wie es die Accente ſo
vieler Wilden bezeugen; und daß aus dieſem Ge-
ſange, nachher veredelt und verfeinert, die aͤlteſte
Poeſie und Muſik entſtanden, hat jezt ſchon mehr,
als Einer bewieſen. Der philoſophiſche Englaͤn-
der,
*) der ſich in unſerm Jahrhunderte an dieſen
Urſprung der Poeſie und Muſik gemacht, haͤtte
am weitſten kommen koͤnnen, wenn er nicht den
Geiſt der Sprache von ſeiner Unterſuchung ausge-
ſchloſſen und minder auf ſein Syſtem ausgegan-
gen waͤre, Poeſie und Muſik auf Einen Vereini-
gungspunkt einzuſchließen, auf welchem keine ſich
recht zeigen kann, als auf den Urſprung von bei-
den aus der ganzen Natur des Menſchen. Ueber-
haupt da die beſten Stuͤcke der alten Poeſie Reſte
dieſer ſprachſingenden Zeiten ſind; ſo ſind die Miß-
kaͤnntniſſe, die Veruntreuungen, und die ſchiefen
Geſchmacksfehler ganz unzaͤhlig, die man aus dem
Gange der aͤlteſten Gedichte, der griechiſchen
Trauerſpiele, und Deklamationen herausbuchſta-
birt
[92] birt hat. Wie viel haͤtte hier noch ein Philoſoph
zu ſagen, der unter den Wilden, wo noch dies Zeit-
alter lebt, den Ton gelernt haͤtte, dieſe Stuͤcke zu
leſen! Sonſt und gewoͤhnlich ſieht man immer nur
Gewebe des verkehrten Teppichs! disjecti membra
poetae!
— — Doch ich verloͤhre mich in ein un-
ermeßliches Feld, wenn ich mich in Einzelne
Sprachanmerkungen einlaſſen wollte — alſo zu-
ruͤck auf den erſten Erfindungsweg der Sprache!



Wie aus Toͤnen zu Merkmalen vom Verſtande
gepraͤgt, Worte wurden, war ſehr begreiflich;
aber nicht alle Gegenſtaͤnde toͤnen; woher
nun fuͤr dieſe Merkworte, bei denen die Seele ſie
nenne? woher dem Menſchen die Kunſt, was
nicht Schall iſt, in Schall zu verwandeln? Was
hat die Farbe, die Rundheit mit dem Namen ge-
mein, der aus ihr ſo entſtehe, wie der Name
Bloͤcken aus dem Schaafe? — Die Vertheidi-
ger des uͤbernatuͤrlichen Urſprungs wiſſen hier
gleich Rath, „willkuͤhrlich! Wer kanns begreiffen
„und im Verſtande Gottes nachſuchen, warum
„gruͤn,
[93] „gruͤn, gruͤn und nicht blau heißt? Ohne Zweifel
„hats ihm ſo beliebt!„ und damit iſt der Faden
abgeſchnitten! Alle Philoſophie uͤber die Erfin-
dungskunſt der Sprache ſchwebt alſo willkuͤhrlich in
den Wolken, und fuͤr uns iſt jedes Wort eine
Qualitas occulta, etwas willkuͤhrliches! — Nur
mag mans nicht uͤbel nehmen, daß ich in dieſem
Falle das Wort willkuͤhrlich nicht begreiffe. Eine
Sprache willkuͤhrlich und ohne allen Grund der
Wahl aus dem Gehirn zu erfinden, iſt wenigſtens
fuͤr eine menſchliche Seele, die zu Allem einen,
wenn auch nur einigen Grund haben will, ſolch
eine Quaal, als fuͤr den Koͤrper ſich zu Tode ſtrei-
cheln zu laſſen. Bei einem rohen ſinnlichen Na-
turmenſchen uͤberdem, deſſen Kraͤfte noch nicht
fein gnug ſind, um ins Unnuͤtze hinzuſpielen, der,
ungeuͤbt und ſtark, nichts ohne dringende Urſache
thut, und nichts vergebens thun will, bei dem iſt
die Erfindung einer Sprache aus ſchaler leerer
Willkuͤhr, der ganzen Analogie ſeiner Natur ent-
gegen: und es iſt uͤberhaupt der ganzen Analogie
aller menſchlichen Seelenkraͤfte entgegen, eine aus
reiner Willkuͤhr ausgedachte Sprache.


Alſo
[94]
  • Alſo zur Sache. Wie hat der Menſch, ſeinen
    Kraͤften uͤberlaſſen, ſich auch

II. eine Sprache, wo ihm kein Ton
vortoͤnte,


  • erfinden koͤnnen? Wie haͤngt Geſicht und
    Gehoͤr, Farbe und Wort, Duft und Ton
    zuſammen?
  • Nicht unter ſich in den Gegenſtaͤnden; aber
    was ſind denn dieſe Eigenſchaften in den Ge-
    genſtaͤnden? Sie ſind blos ſinnliche Em-
    pfindungen in uns, und als ſolche fließen ſie
    nicht Alle in Eins? Wir ſind Ein denkendes
    ſenſorium commune, nur von verſchiednen
    Seiten beruͤhrt — Da liegt die Erklaͤrung.

Allen Sinnen liegt Gefuͤhl zum Grunde, und
dies gibt den verſchiedenartigſten Senſationen ſchon
ein ſo inniges, ſtarkes, unausſprechliches Band,
daß aus dieſer Verbindung die ſonderbarſten Er-
ſcheinungen entſtehen. Mir iſt mehr als Ein
Beiſpiel bekannt, da Perſonen natuͤrlich, vielleicht
aus einem Eindruck der Kindheit nicht anders
konnten, als unmittelbar durch eine ſchnelle An-
wande-
[95] wandelung mit dieſem Schall jene Farbe, mit die-
ſer Erſcheinung jenes ganz verſchiedne, dunkle Ge-
fuͤhl verbinden, was durch die Vergleichung der
langſamen Vernunft mit ihr gar keine Verwand-
ſchaft hat: denn wer kann Schall und Farbe, Er-
ſcheinung und Gefuͤhl vergleichen? Wir ſind voll
ſolcher Verknuͤpfungen der verſchiedenſten Sinne;
nur wir bemerken ſie nicht anders, als in An-
wandlungen, die uns aus der Faſſung ſetzen, in
Krankheiten der Phantaſie, oder bei Gelegenhei-
ten, wo ſie außerordentlich merkbar werden. Der
gewoͤhnliche Lauf unſrer Gedanken geht ſo ſchnell;
die Wellen unſrer Empfindungen rauſchen ſo dun-
kel in einander: es iſt auf Einmal ſo viel in unſrer
Seele, daß wir in Abſicht der meiſten Jdeen wie
im Schlummer an einer Waſſerquelle ſind, wo
wir freilich noch das Rauſchen jeder Welle hoͤren,
aber ſo dunkel, daß uns endlich der Schlaf alles
merkbare Gefuͤhl nimmt. Waͤre es moͤglich, daß
wir die Kette unſrer Gedanken anhalten, und an
jedem Gliede ſeine Verbindung ſuchen koͤnnten —
welche Sonderbarkeiten! welche fremde Analogien
der verſchiedenſten Sinne, nach denen doch die
Seele
[96] Seele gelaͤufig handelt! Wir waͤren alle, fuͤr ein
blos vernuͤnftiges Weſen, jener Gattung von Ver-
ruͤkten aͤhnlich, die klug denken, aber ſehr unbe-
greiflich und albern verbinden!


Bei ſinnlichen Geſchoͤpfen, die durch viele ver-
ſchiedne Sinne auf Einmal empfinden, iſt dieſe
Verſammlung von Jdeen unvermeidlich; denn
was ſind alle Sinne anders, als bloße Vorſtel-
lungsarten Einer poſitiven Kraft der Seele? Wir
unterſcheiden ſie; aber wieder nur durch Sinne;
alſo Vorſtellungsarten durch Vorſtellungsarten.
Wir lernen mit vieler Muͤhe ſie im Gebrauche
trennen — in einem gewiſſen Grunde aber wuͤr-
ken ſie noch immer zuſammen. Alle Zergliederun-
gen der Senſation bei Buffons, Condillacs und
Bonnets empfindendem Menſchen ſind Abſtrak-
tionen: der Philoſoph muß Einen Faden der Em-
pfindung liegen laſſen, indem er den andern ver-
folgt — in der Natur aber ſind alle die Faͤden Ein
Gewebe! — je dunkler nun die Sinne ſind, deſto
mehr fließen ſie in einander; und je ungeuͤbter, je
weniger man noch gelernet hat, einen ohne den
andern zu brauchen, mit Adreſſe und Deutlichkeit
zu
[97] zu brauchen; deſto dunkler! — Laßt uns dies
auf den Anfang der Sprache anwenden! Die
Kindheit und Unerfahrenheit des menſchlichen Ge-
ſchlechts hat ſie erleichtert!


Der Menſch trat in die Welt hin; von wel-
chem Ocean wurde er auf Einmal beſtuͤrmt! mit
welcher Muͤhe lernte er unterſcheiden! Sinne er-
kennen! erkannte Sinne allein gebrauchen! Das
Sehen iſt der kaͤlteſte Sinn, und waͤre er immer
ſo kalt, ſo entfernt, ſo deutlich geweſen, als ers
uns durch eine Muͤhe und Uebung vieler Jahre ge-
worden iſt: ſo ſehe ich freilich nicht, wie man, was
man ſieht, hoͤrbar machen koͤnne? Allein die
Natur hat dafuͤr geſorgt, und den Weg naͤher an-
gezogen: Denn ſelbſt dies Geſicht war, wie Kin-
der und Blindgeweſene zeugen, Anfangs nur Ge-
fuͤhl. Die meiſten ſichtbaren Dinge bewegen ſich;
viele toͤnen in der Bewegung: wo nicht, ſo liegen
ſie dem Auge in ſeinem erſten Zuſtande gleichſam
naͤher, unmittelbar auf ihm und laſſen ſich alſo
fuͤhlen. Das Gefuͤhl liegt dem Gehoͤr ſo nahe:
ſeine Bezeichnungen z. E. hart, rauh, weich, wol-
ligt, ſammet, haarigt, ſtarr, glatt, ſchlicht, bor-
Gſtig
[98] ſtig u. ſ. w. die doch alle nur Oberflaͤchen betreffen,
und nicht einmal tief einwuͤrken, toͤnen alle, als
ob mans fuͤhlte: Die Seele, die im Gedraͤnge ſol-
cher zuſammenſtroͤmenden Empfindungen und in
der Beduͤrfniß war, ein Wort zu ſchaffen, griff
und bekam vielleicht das Wort eines nachbarlichen
Sinnes, deſſen Gefuͤhl mit dieſem zuſammenfloß, —
ſo wurden fuͤr alle und ſelbſt fuͤr den kaͤlteſten
Sinn Worte. Der Blitz ſchallet nicht: wenn er
nun aber ausgedruͤkt werden ſoll, dieſer Bote der
Mitternacht!


Der jezt im Nu enthuͤllet, Himm’l und Erd
Und eh ein Menſch noch ſagen kann: ſieh da!
Schon in den Schlund der Finſterniß hin-
ab iſt —


natuͤrlich wirds ein Wort machen, das durch Huͤlfe
eines Mittelgefuͤhls dem Ohr die Empfindung des
Urploͤzlichſchnellen gibt, die das Auge hatte —
Blitz! — Das Wort: Duft, Ton, ſuͤß, bitter,
ſauer u. ſ. w. toͤnen alle, als ob man fuͤhlte: denn
was ſind urſpruͤnglich alle Sinne, anders, als
Gefuͤhl? — Wie aber Gefuͤhl ſich in Laut aͤuſ-
ſern koͤnne, das haben wir ſchon im erſten Ab-
ſchnitte
[99] ſchnitte als ein unmittelbares Naturgeſetz der em-
pfindenden Maſchine angenommen, das wir wei-
ter nicht erklaͤren woͤgen!


Und ſo fuͤhren ſich alle Schwierigkeiten auf fol-
gende zwo erwieſene deutliche Saͤtze zuruͤck. 1) Da
alle Sinne nichts als Vorſtellungsarten der
Seele ſind:
ſo habe ſie nur deutliche Vorſtel-
lung:
mithin Merkmal, mit dem Merkmal hat
ſie innere Sprache.


2) Da alle Sinne, inſonderheit im Zuſtande
der menſchlichen Kindheit nichts als Gefuͤlhsarten
einer Seele
ſind: alles Gefuͤhl aber nach einem
Empfindungsgeſetz der thieriſchen Natur unmittel
bar ſeinen Laut hat;
ſo werde dies Gefuͤhl nur
zum Deutlichen eines Merkmals erhoͤht: ſo iſt
das Wort zur aͤußern Sprache da. Hier kom-
men wir auf eine Menge ſonderbarer Betrachtun-
gen, „wie die Weißheit der Natur den Menſchen
„durchaus dazu organiſirt hat, um ſich ſelbſt Sprache
„zu erfinden.„ Hier iſt die Hauptbemerkung.


  • „Da der Menſch blos durch das Gehoͤr die
    „Sprache der lehrenden Natur empfaͤngt, und
    „ohne das die Sprache nicht erfinden kann:
    G 2ſo
    [100] „ſo iſt Gehoͤr auf gewiſſe Weiſe der Mittlere
    „ſeiner Sinne, die eigentliche Thuͤr zur Seele,
    „und das Verbindungsband der uͤbrigen Sin-
    „ne geworden„ Jch will mich erklaͤren!

1) Das Gehoͤr iſt der Mittlere der menſchli-
chen Sinne, an Sphaͤre der Empfindbarkeit
von Außen.
Gefuͤhl empfindet alles nur in ſich,
und in ſeinem Organ; das Geſicht wirft uns große
Strecken weit aus uns hinaus: Das Gehoͤr ſteht
an Grad der Mittheilbarkeit in der Mitte. Was
das fuͤr die Sprache thut? Setzet ein Geſchoͤpf,
ſelbſt ein vernuͤnftiges Geſchoͤpf, dem das Gefuͤhl
Hauptſinn waͤre (im Fall dies moͤglich iſt!) wie
klein iſt ſeine Welt! und da es dieſes nicht durchs
Gehoͤr empfindet, ſo wird es ſich wohl vielleicht wie
das Jnſekt ein Gewebe, aber nicht durch Toͤne
eine Sprache bauen! Wiederum ein Geſchoͤpf,
ganz Auge — wie unerſchoͤpflich iſt die Welt ſei-
ner Beſchauungen! wie unermeßlich weit wird es
aus ſich geworfen! in welche unendliche Mannich-
faltigkeit zerſtreuet! Seine Sprache, (wir haben
davon keinen Begriff!) wuͤrde eine Art unendlich
feiner Pantomime; ſeine Schrift eine Algebra
durch
[101] durch Farben und Striche werden — aber toͤnende
Sprache nie! Wir hoͤrende Geſchoͤpfe ſtehn in der
Mitte: wir ſehen, wir fuͤhlen; aber die geſehene,
gefuͤhlte Natur toͤnet! Sie wird Lehrmeiſterinn
zur Sprache durch Toͤne! wir werden gleichſam
Gehoͤr durch alle Sinne!


Laſſet uns die Bequemlichkeit unſrer Stelle fuͤh-
len — dadurch wird jeder Sinn ſprachfaͤhig.
Freilich gibt Gehoͤr nur eigentlich Toͤne, und
der Menſch kann nicht erfinden, ſondern nur fin-
den, nur nachahmen; allein auf der einen Seite
liegt das Gefuͤhl neben an: auf der andern iſt
das Geſicht der nachbarliche Sinn: Die Empfin-
dungen vereinigen ſich und kommen alſo alle der
Gegend nahe, wo Merkmale zu Schaͤllen werden.
So wird, was man ſieht, ſo wird, was man
fuͤhlt, auch toͤnbar. Der Sinn zur Sprache iſt
unſer Mittel- und Vereinigungsſinn geworden;
wir ſind Sprachgeſchoͤpfe.


2) Das Gehoͤr iſt der Mittlere unter den Sin-
nen an Deutlichkeit und Klarheit; und alſo wie-
derum Sinn zur Sprache. Wie dunkel iſt das Ge-
fuͤhl!
es wird uͤbertaͤubt! es empfindet alles in ein-
G 3an-
[102]ander. Da iſt mit Muͤhe ein Merkmal der An-
erkennung abzuſondern: es wird unausſprechlich!


Wiederum das Geſicht iſt ſo helle und uͤber-
glaͤnzend,
es liefert eine ſolche Menge von Merk-
malen, daß die Seele unter der Mannichfaltigkeit
erliegt, und etwa Eins nur ſo ſchwach abſondern
kann, daß die Wiedererkennung daran ſchwach
wird. Das Gehoͤr iſt in der Mitte. Alle in
einander fallende dunkle Merkmale des Gefuͤhls
laͤßts liegen. Alle zu feine Merkmale des Geſichts
auch! aber da reißt ſich vom betaſreten, betrach-
teten Objekt ein Ton los? Jn den ſammeln ſich
die Merkmale jener beiden Sinne — der wird
Merkwort! das Gehoͤr greift alſo von beiden Sei-
ten um ſich: macht klar, was zu dunkel; macht
angenehmer, was zu helle war: bringt in das
Dunkelmannichfaltige des Gefuͤhls mehr Ein-
heit, und in das Zuhellmannichfaltige des Ge-
ſichts auch: und da dieſe Anerkennung des Man-
nichfaltigen durch Eins, durch ein Merkmal,
Sprache wird, iſts Sprache.


3) Das Gehoͤr iſt der mittlere Sinn in Anſe-
bung der Lebhaftigkeit
und alſo Sinn der
Spra-
[103] Sprache. Das Gefuͤhl uͤberwaͤltigt: das Geſicht
iſt zu kalt und gleichguͤltig: jenes dringt zu tief
in uns, als daß es Sprache werden koͤnnte; dies
bleibt zu ruhig vor uns. Der Ton des Gehoͤrs
dringt ſo innig in unſre Seele, daß er Merkmal
werden muß; aber noch nicht ſo uͤbertaͤubend, daß
er nicht klares Merkmal werden koͤnnte — Das iſt
Sinn der Sprache.


Wie kurz, ermuͤdend und unausſtehlich waͤre
die Sprache jedes groͤbern Sinnes fuͤr uns? Wie
verwirrend und kopfleerend fuͤr uns die Sprache
des zu feinen Geſichts? Wer kann immer ſchme-
cken, fuͤhlen und riechen, ohne nicht bald, wie
Pope ſagt, einen aromatiſchen Tod zu ſterben?
Und wer immer mit Aufmerkſamkeit ein Farben-
clavier begaffen, ohne nicht bald zu erblinden?
Aber hoͤren, gleichſam hoͤrend Worte denken, koͤn-
nen wir laͤnger und faſt immer — das Gehoͤr iſt
fuͤr die Seele, was die Gruͤne, die Mittelfarbe,
fuͤrs Geſicht iſt. Der Menſch iſt zum Sprachge-
ſchoͤpfe gebildet.


4) Das Gehoͤr iſt der mittlere Sinn in be-
tracht der Zeit in der es wuͤrkt,
und alſo Sinn
G 4der
[104] der Sprache. Das Gefuͤhl wirft alles auf Ein-
mal in uns
hin: es regt unſre Saiten ſtark, aber
kurz, und ſpringend; das Geſicht ſtellt uns alles
auf Einmal vor, und ſchrekt alſo den Lehrling
durch die unermeßliche Tafel des neben einander
ab. Durchs Gehoͤr ſehet! wie uns die Lehrmeiſte-
rinn der Sprache ſchonet! ſie zaͤhlt uns nur einen
Ton nach dem andern in die Seele, gibt und er-
muͤdet nie, gibt und hat immer mehr zu geben —
ſie uͤbet alſo das ganze Kunſtſtuͤck der Methode; ſie
lehret progreßiv!
Wer koͤnnte da nicht Spra-
che faſſen, ſich Sprache erfinden?


5) Das Gehoͤr iſt der mittlere Sinn in Ab-
ſicht des Beduͤrfniſſes ſich auszudruͤcken,
und
alſo Sinn der Sprache. Das Gefuͤhl wuͤrkt un-
ausſprechlich dunkel; allein um ſo weniger darfs,
ausgeſprochen werden — es geht ſo ſehr unſer
Selbſt an! es iſt ſo eigennuͤtzig und in ſich ge-
ſenkt! ‒ ‒ das Geſicht iſt fuͤr den Spracherfinder
unausſprechlich; allein was brauchts ſogleich,
ausgeſprochen zu werden? Die Gegenſtaͤnde blei-
ben! ſie laſſen ſich durch Winke zeigen! die Gegen-
ſtaͤnde des Gehoͤrs aber ſind mit Bewegung ver-
bunden:
[105] bunden: ſie ſtreichen vorbei; Eben dadurch aber
toͤnen ſie auch. Sie werden ausſprechlich, weil
ſie ausgeſprochen werden muͤſſen und dadurch, daß
ſie ausgeſprochen werden muͤſſen, durch ihre Be-
wegung, werden ſie ausſprechlich — Welche Faͤ-
higkeit zur Sprache!


6) Das Gehoͤr iſt der mittlere Sinn in Abſicht
ſeiner Entwiklung
und alſo Sinn der Sprache.


Gefuͤhl iſt der Menſch ganz: der Embryon in
ſeinem erſten Augenblick des Lebens fuͤhlet wie der
junggebohrne: das iſt Stamm der Natur, aus
dem die zaͤrtern Aeſte der Sinnlichkeit wachſen und
der verflochtne Kneuel, aus dem ſich alle feinere
Seelenkraͤfte entwickeln. Wie entwickeln ſich dieſe?
Wie wir geſehen, durchs Gehoͤr, da die Natur
die Seele zur erſten deutlichen Empfindung durch
Schaͤlle wecket — Alſo gleichſam aus dem dunkeln
Schlaf des Gefuͤhls wecket: und zu noch feinerer
Sinnlichkeit reifet. — Waͤre z. B. das Geſicht
ſchon vor ihm entwickelt da, oder waͤre es moͤglich,
daß es anders als durch den Mittelſinn des Gehoͤrs
aus dem Gefuͤhl erwecket waͤre — welche weiſe
Armuth! welche hellſehende Dummheit! Wie
G 5ſchwuͤ-
[106] ſchwuͤrig wuͤrde es einem ſolchen Geſchoͤpf, ganz
Auge! Wenn es doch Menſch ſeyn ſollte, das
was es ſaͤhe zu benennen! Das kalte Geſicht mit
dem waͤrmern Gefuͤhl, mit dem ganzen Stamme
der Menſchheit zu einverbinden! — Doch die
Jnſtanz ſelbſt wird wiederſprechend: der Weg zu
Entwiklung der menſchlichen Natur — iſt beſſer und
Einzig! Da alle Sinne zuſammen wuͤrken, ſind wir,
durchs Gehoͤr, gleichſam immer in der Schule der
Natur, lernen abſtrahiren, und zugleich ſprechen;
das Geſicht verfeinert ſich mit der Vernunft: Ver-
nunft und die Gabe der Bezeichnung, und ſo wenn
der Menſch zu der feinſten Charakteriſtik ſichtli-
cher Phaͤnomene kommt — Welch ein Vorrath
von Sprache und Sprachaͤhnlichkeiten liegt ſchon
fertig! Er nahm den Weg aus dem Gefuͤhl in
den Sinn feiner Phantaſmen nicht anders als
uͤber den Sinn der Sprache, und hat alſo gelernt
toͤnen, ſowohl was er ſiehet, als was er fuͤhlte.


Koͤnnte ich nun hier alle Enden zuſammen neh-
men, und mit Einmal das Gewebe ſichtbar ma-
chen, was menſchliche Natur heißt: durchaus ein
Gewebe zur Sprache. Dazu, ſahen wir, war
dieſer
[107] dieſer poſitiven Denkkraft Raum und Sphaͤre er-
theilet: dazu ihr Stoff und Materie abgewogen:
dazu Geſtalt und Form geſchaffen: dazu endlich
Sinne organiſirt und gereihet — zu Sprache!
Darum denkt der Menſch nicht heller, nicht dunk-
ler; darum ſieht und fuͤhlt er nicht ſchaͤrfer, nicht
laͤnger, nicht lebhafter: darum hat er dieſe, nicht
mehr und nicht andre Sinne — alles wiegt gegen-
einander! iſt ausgeſpart und erſezt! Mit Abſicht
angelegt und vertheilt! Einheit und Zuſammen-
hang! Proportion und Ordnung! Ein Ganzes!
Ein Syſtem! ein Geſchoͤpf von Beſonnenheit
und Sprache, von Beſinnung und Sprach-
ſchaffung!
Wollte jemand nach allen Beobach-
tungen, noch dieſe Beſtimmung zum Sprachge-
ſchoͤpfe laͤugnen, der muͤßte aus dem Beobachter
der Natur erſt ihr Zerſtoͤrer werden! Alle ange-
zeigte Harmonien in Mißtoͤne zerreißen: das ganze
Prachtgebaͤude der menſchlichen Kraͤfte in Truͤm-
mern ſchlagen, ſeine Sinnlichkeit verwuͤſten und
ſtatt des Meiſterſtuͤks der Natur ein Geſchoͤpf fuͤh-
len, voll Maͤngel und Luͤcken, voll Schwaͤchen
und Convulſionen! Und wenn denn nun auf der
an-
[108] andern Seite „die Sprache auch genau ſo iſt,
„wie ſie nach dem Grundtiß, und der
„Wucht des vorigen Geſchoͤpfes hat entſte-
„hen muͤſſen?„


— — — Jch gehe das lezte zu beweiſen, ob
gleich hier mir noch ein ſehr angenehmer Spatzier-
gang vorlaͤge, es nach den Regeln der Sulzer-
ſchen Theorie des Vergnuͤgens
zu berechnen,
„was eine Sprache durchs Gehoͤr fuͤr uns fuͤr
„Vorzuͤge und Annehmlichkeiten fuͤr der Sprache
„andrer Sinne haͤtte?„ — — Der Spatzier-
gang fuͤhrte aber zu weit: und man muß ihm ent-
ſagen, wenn noch die Hauptſtraſſe zu ſichern und
zu berichtigen weit vorliegt. — Alſo Erſtlich


  • I. „Je aͤlter, und urſpruͤnglicher die Sprachen
    „ſind: deſto mehr wird dieſe Analogie der
    „Sinne in ihren Wurzeln merklich!„

Wenn wir in ſpaͤtern Sprachen den Zorn
ſchon als Phaͤnomenon des Geſichts, oder als Ab-
ſtraktum in den Wurzeln charakteriſiren: z. E.
durch das Funkeln der Augen, das Gluͤhen der
Wangen u. ſ. w. und ihn alſo nur ſehen oder den-
ken:
[109] ken: ſo hoͤret ihn der Morgenlaͤnder! Hoͤret ihn
ſchnauben! Hoͤret ihn brennenden Rauch, und
ſtuͤrmende Funken ſpruͤhen! Das ward Namen
des Worts: die Naſe Sitz des Zorns: das ganze
Geſchlecht der Zornwoͤrter und Zornmetaphern
ſchnauben ihren Urſprung.


Wenn uns das Leben ſich durch Pulsſchlag,
durch Wallen und feine Merkmale auch in der
Sprache aͤuſſert: ſo offenbahrte es ſich jenem Laut
othmend, der Menſch lebte, da er hauchte; ſtarb,
da er aushauchte: und man hoͤrt die Wurzel des
Worts, wie den erſten belebten Adam hauchen.


Wenn wir das Gebaͤren nach unſrer Art cha-
rakteriſiren: ſo hoͤrt jener auch in den Benennun-
gen Geſchrei der Mutterangſt, oder bei Thieren
das Ausſchuͤtteln eines Fruchtſchlauches: um dieſe
Mittelidee wenden ſich ſeine Bilder!


Wenn wir im Wort Morgenroͤthe etwa das
Schoͤne, Glaͤnzende, Friſche, dunkel hoͤren: ſo
fuͤhlt der harrende Wandrer in Orient auch in der
Wurzel des Worts den erſten, ſchnellen, erfreu-
lichen Lichtſtral, den unſer Einer vielleicht nie ge-
ſehen, wenigſtens nie mit dem Gefuͤhl gefuͤhlet. —
Die
[110] Die Beiſpiele aus den alten und wilden Sprachen
werden unzaͤlig, wie herzlich und ſtarkempfindend
ſie aus Gehoͤr und Gefuͤhl charakteriſiren, und
„ein Werk von der Art, was ſo recht das Grund-
„gefuͤhl ſolcher Jdeen bei verſchiednen Voͤlkern auf-
„ſuchte,„ waͤre eine voͤllige Demonſtration fuͤr
meinen Satz, und fuͤr die menſchliche Erfindung
der Sprache.


  • II. „Je aͤlter und urſpruͤnglicher die Sprachen
    „ſind, deſto mehr durchkreutzen ſich auch die
    „Gefuͤhle in den Wurzeln der Woͤrter!„

Man ſchlage das erſte, beſte morgenlaͤndiſche
Woͤrterbuch auf, und man wird den Drang ſehen,
ſich ausdruͤcken zu wollen! Wie der Erfinder Jdeen
aus Einem Gefuͤhl hinaus riß und fuͤr ein anderes
borgte! wie er bei den ſchwerſten, kaͤlteſten, deut-
lichſten Sinnen am meiſten borgte! wie Alles,
Gefuͤhl und Laut werden mußte, um Ausdruck zu
werden! Daher die ſtarken kuͤhnen Metaphern
in den Wurzeln der Worte! daher die Uebertra-
gungen aus Gefuͤhl in Gefuͤhl, ſo daß die Bedeu-
tungen eines Stammworts, und noch mehr ſeiner
Ab-
[111] Abſtammungen gegen einander geſezt, das bunt-
ſchaͤckigſte Gemaͤlde werden. Die genetiſche Urſa-
che liegt in der Armuth der menſchlichen Seele,
und im Zuſammenfluß der Empfindungen eines
rohen Menſchen: Man ſieht ſein Beduͤrfniß ſich
auszudruͤcken ſo deutlich: Man ſiehts in immer
groͤßerm Maaß, je weiter die Jdee vom Gefuͤhl
und Ton in der Empfindung weglag, daß man
nicht mehr an der Menſchlichkeit des Urſprungs der
Sprache zweifeln darf. Denn wie wollen die
Verfechter einer andern Entſtehung dieſe Durch-
webung der Jdeen
in den Wurzeln der Woͤrter
erklaͤren? War Gott ſo Jdeen- und Wortarm,
daß er zu dergleichen verwirrendem Wortgebrauch
ſeine Zuflucht nehmen mußte? Oder war er ſo
ſehr Liebhaber von Hyperbolen, ungereimten Me-
taphern, daß er dieſen Geiſt bis in die Grundwur-
zeln ſeiner Sprache praͤgte?


Die ſo genannte goͤttliche Sprache, die Ebraͤi-
ſche, iſt von dieſen Kuͤhnheiten ganz gepraͤgt, ſo
daß der Orient auch die Ehre hat, ſie mit ſeinem
Namen zu bezeichnen; Allein, daß man doch ja
nicht dieſen Metapherngeiſt Aſiatiſch nenne, als
wenn
[112] wenn er ſonſt nirgend anzutreffen waͤre! Jn allen
wilden Sprachen lebt er; nur freilich in jeder nach
Maaß der Bildung der Nation und nach Eigenheit
ihrer Denkart. Ein Volk, das ſeine Gefuͤhle nicht
viel und nicht ſcharf unterſchied: Ein Volk, das
nicht Herz gnug hatte, ſich auszudruͤcken, und
Ausdruͤcke maͤchtig zu rauben — wird auch wegen
Nuancen des Gefuͤhls weniger verlegen ſeyn, oder
ſich mit ſchleichenden Halbausdruͤcken behelfen.
Eine feurige Nation offenbart ihren Muth in ſol-
chen Metaphern, ſie mag in Orient, oder Nord-
amerika wohnen: die aber in ihrem tiefſten Grun-
de die meiſten ſolcher Verpflanzungen zeigt; deren
Sprache iſt voraus die aͤrmſte, die aͤlteſte, die ur-
ſpruͤnglichſte geweſen, und die war ohne Zweifel
in Orient.


Man ſiehet wie ſchwer bei einer ſolchen Spra-
che „ein wahres Etymologikon„ ſeyn muͤſſe?
Die ſo verſchiedne Bedeutungen eines Radicis, die
in einer Stammtafel abgeleitet und auf ihren
Urſprung zuruͤkgefuͤhrt werden ſollen, ſind nur
durch ſo dunkle Gefuͤhle, durch fluͤchtige Neben-
ideen, durch Mitempfindungen verwandt, die
aus
[113] aus dem Grunde der Seele ſteigen, und wenig in
Regeln gefaſſet werden koͤnnen! Jhre Verwand-
ſchaften ſind ferner ſo National, ſo ſehr nach der
eignen Denk- und Sehart des Volks, des Erfin-
ders, in dem Lande, in der Zeit, in den Umſtaͤn-
den, daß ſie von einem Nord- und Abendlaͤnder
unendlich ſchwer zu treffen ſind, und in lan-
gen, kalten Umſchreibungen unendlich leiden muͤſ-
ſen. Da ſie ferner von der Noth erzwungen,
und im Affekt, im Gefuͤhl, in der Verlegenheit
des Ausdruks erfunden wurden — welch ein
Gluͤck gehoͤrt dazu, daſſelbe Gefuͤhl zu treffen?
Und endlich da im Woͤrterbuche von der Art die
Woͤrter, und die Bedeutungen eines Worts aus
ſo verſchiednen Zeiten, Anlaͤſſen und Denkarten
geſammlet werden ſollen, und ſich alſo dieſe augen-
blikliche Beſtimmungen ins Unendliche vermeh-
ren — wie vervielfaͤltigt ſich da die Muͤhe! welch
ein Scharfſinn in dieſe Umſtaͤnde und Beduͤrfniſſe
einzudringen, und welche Maͤßigung, bei den Aus-
legungen verſchiedner Zeiten darinn Maaß zu hal-
ten! welche Kaͤnntniß und Biegſamkeit der Seele
gehoͤrt dazu, ſich ſo ganz dieſen rohen Witz, dieſe
Hkuͤhne
[114] kuͤhne Phantaſie, dies Nationalgefuͤhl fremder
Zeiten zu geben, und es nach den unſrigen zu mo-
derniſiren! Aber eben damit wurde auch „nicht
„blos in die Geſchichte, Denkart und Litte-
„ratur des Landes,
ſondern uͤberhaupt in die
dunkle Gegend der menſchlichen Seele eine
„Fackel getragen, wo ſich die Begriffe durch-
„kreutzen
und verwickeln! Wo die verſchie-
„denſte Gefuͤhle
einander erzeugen; wo eine
dringende Gelegenheit alle Kraͤfte der Seele
„aufbietet
und die ganze Erfindungskunſt,
„der ſie faͤhig iſt, zeiget.„
Jeder Schritt waͤre
in einem ſolchen Werk Entdeckung! und jene neue
Bemerkung der vollſtaͤndigſte Beweis von der
Menſchlichkeit des Urſprungs der Sprache.


Schultens hat ſich an der Entwiklung eini-
ger ſolchen Originumder hebraͤiſchen Sprache
Ruhm erworben: jede Entwiklung iſt eine Probe
meiner Regel: ich glaube aber vieler Urſachen we-
gen, nicht, daß die Origines der erſten menſchlichen
Sprache, wenn es auch die hebraͤiſche waͤre, je
vollſtaͤndig
entwickelt werden koͤnnen — —


Jch
[115]

Jch folgre noch eine Anmerkung, die zu allge-
mein und wichtig iſt, um uͤbergangen zu werden.
Der Grund der kuͤhnen Wortmetaphern lag in der
erſten Erfindung; aber wie? wenn ſpaͤt nachher,
wenn ſchon alles Beduͤrfniß weggefallen iſt, aus
bloßer Nachahmungsſucht, oder Liebe zum Alter-
thum dergleichen Wort- und Bildergattungen blei-
ben? Und gar noch ausgedehnt und erhoͤhet wer-
den? Denn, o denn wird der erhabne Unſinn,
das aufgedunſne Wortſpiel daraus, was es im
Anfang eigentlich nicht war. Dort wars kuͤhner,
maͤnnlicher Witz, der denn vielleicht am wenigſten
ſpielen wollte, wenn er am meiſten zu ſpielen
ſchien! es war rohe Erhabenheit der Phantaſie,
die ſolch Gefuͤhl in ſolchem Worte herausarbeitete;
aber nun im Gebrauche ſchaaler Nachahmer, ohne
ſolches Gefuͤhl, ohne ſolche Gelegenheit — Ach!
Ampullen von Worten ohne Geiſt! und das iſt
„das Schikſal aller derer Sprachen in ſpaͤ-
„tern Zeiten geweſen, deren erſte Formen
„ſo kuͤhn waren.„
Die ſpaͤtern franzoͤſiſchen
Dichter koͤnnen ſich nicht verſteigen, weil die erſten
Erfinder ihrer Sprache ſich nicht verſtiegen haben:
H 2ihre
[116] ihre ganze Sprache iſt Proſe der geſunden Ver-
nunft, und hat urſpruͤnglich faſt kein poetiſches
Wort, das dem Dichter eigen waͤre; aber die
Morgenlaͤnder? die Griechen? die Englaͤnder?
und wir Deutſchen?


Daraus folgt: daß je aͤlter eine Sprache iſt,
je mehr ſolcher Kuͤhnheiten in ihren Wurzeln iſt,
hat ſie lange gelebt, ſich lange fortgebildet; um ſo
weniger muß man auf jede Kuͤhnheit des Ur-
ſprungs losdringen,
als wenn jeder dieſer ſich
durchkreuzenden Begriffe auch jedesmal in jedem
ſpaͤten Gebrauch mit gedacht worden waͤre. Die
Metapher des Anfangs war Drang zu ſprechen;
nimmt mans nachher in jedem Fall, wo das Wort
ſchon gelaͤufig geworden war, und ſeine Schaͤrfe
abgenuzt hatte, fuͤr Fruchtbarkeit und Energie,
alle ſolche Sonderbarkeiten zu verbinden — was
fuͤr klaͤgliche Beiſpiele wimmeln da in ganzen
Schulen der morgenlaͤndiſchen Sprachen!


Noch Eins. Wenn gar an ſolchen kuͤhnen
Wortkaͤmpfen, an ſolchen Verſetzungen der Gefuͤhle
in Einen Ausdruck, an ſolchen Durchkreuzungen
der Jdeen ohne Regel und Richtſchnur — gewiſſe
feine
[117]feine Begriffe Eines Dogma, Eines Sy-
ſtems kleben
— oder daran geheftet werden
oder daraus unterſucht werden ſollen; — Him-
mel! wie wenig waren dieſe Wortverſuche einer
werdenden oder fruͤh gewordnen Sprache Defini-
tionen eines Syſtems, und wie oft kommt man in
den Fall Wortidole zu ſchaffen, an die der Erfin-
der, oder der ſpaͤtere Gebrauch nicht dachte! — —
Doch ſolche Anmerkungen waͤren unendlich: ich
gehe zu einem neuen Canon:


  • III. „Je urſpruͤnglicher eine Sprache iſt, je haͤu-
    „figer ſolche Gefuͤhle ſich in ihr durchkreu-
    „zen; deſto weniger koͤnnen dieſe ſich genau
    „und logiſch untergeordnet ſeyn. Die
    „Sprache iſt reich an Synonymen: bei al-
    „ler weſentlichen Duͤrftigkeit hat ſie den
    „groͤßten unnoͤthigen Ueberfluß.„

Die Vertheidiger des goͤttlichen Urſprunges,
die in allem goͤttliche Ordnung zu finden wiſſen,
koͤnnen ihn hier ſchwerlich finden, und laͤugnen*)
die Synonyme. — Sie laͤugnen? wohlan nun,
H 3laß
[118] laß es ſeyn, daß unter den 50 Woͤrtern, die der
Araber fuͤr den Loͤwen, unter den 200, die er fuͤr
die Schlange, unter den 80, die er fuͤr den Honig,
und mehr als 1000, die er fuͤrs Schwerdt hat, ſich
feine Unterſchiede finden, oder gefunden haͤtten,
die aber verloren gegangen waͤren — warum wa-
ren ſie da, wenn ſie verloren gehen mußten?
Warum erfand Gott einen unnoͤthigen Wortſchatz,
den nur, wie die Araber ſagen, ein goͤttlicher Pro-
phet in ſeinem ganzen Umfange faſſen konnte?
Erfand er ins Leere der Vergeſſenheit? — — —
Vergleichungsweiſe aber ſind dieſe Worte doch
immer Synonymen, in Betracht der vielen
andern Jdeen, fuͤr die Woͤrter gar mangeln

Nun entwikle man doch darinn goͤttliche Ordnung,
daß Er, der den Plan der Sprache uͤberſahe, fuͤr
den Stein 70 Woͤrter erfand, und fuͤr alle ſo noͤ-
thige Jdeen, innerliche Gefuͤhle, und Abſtraktio-
nen keine? daß Er dort mit unnoͤthigem Ueberfluß
uͤberhaͤufte, hier in der groͤßten Duͤrftigkeit ließ,
zu ſtehlen, Mataphern zu uſurpiren, halben Un-
ſinn zu reden u. ſ. w.


Menſch-
[119]

Menſchlich erklaͤrt ſich die Sache von ſelbſt.
So uneigentlich ſchwere, ſeltne Jdeen ausgedruͤkt
werden mußten: ſo haͤufig konntens die vorlie-
genden
und leichten. Je unbekannter man
mit der Natur war; von je mehrern Seiten man
ſie aus Unerfahrenheit anſehen und kaum wieder
erkennen konnte; je weniger man a priori ſon-
dern nach ſinnlichen Umſtaͤnden erfand: deſto
mehr Synonyme! Je Mehrere erfanden, je
umherirrender und abgetrennter ſie erfanden,
und doch nur meiſtens in Einem Kreiſe fuͤr Ei-
nerlei
Sachen erfanden; wenn ſie nachher zuſam-
men kamen, wenn ihre Sprachen in einen Ocean
von Woͤrterbuch floſſen: deſto mehr Synonyme!
Verworfen konnten alle nicht werden; denn welche
ſolltens? ſie waren bei dieſem Stamm, bei dieſer
Familie, bei dieſem Dichter braͤuchlich; es ward
alſo, wie jener Arabiſche Woͤrterbuchſchreiber ſagt,
da er 400 Woͤrter von Elend aufgezaͤhlt hatte, das
vierhundertſte Elend, die Woͤrter des Elends auf-
zaͤhlen zu muͤſſen. Eine ſolche Sprache iſt reich,
weil ſie arm iſt, weil ihre Erfinder noch nicht Plan
gnug hatten, arm zu werden — und der muͤſ-
H 4ſige
[120] ſige Erfinder eben der unvollkommenſten Sprache
waͤre Gott?


Die Analogien aller wilden Sprachen beſtaͤti-
gen meinen Satz: jede iſt auf ihre Weiſe ver-
ſchwenderiſch und duͤrftig: nur jede auf eigne Art.
Wenn der Araber fuͤr Stein, Cameel, Schwerdt,
Schlange, (Dinge, unter denen er lebt!) ſo viel
Woͤrter hat; ſo iſt die Ceylamiſche Sprache, den
Neigungen ihres Volks gemaͤß, reich an Schmei-
cheleien, Titeln und Wortgepraͤnge. Fuͤr das
Wort „Frauenzimmer„ hat ſie nach Stand und
Range zwoͤlferlei Namen, da ſelbſt wir unhoͤfliche
Deutſche z. E. hierinn von unſern Nachbarn bor-
gen muͤſſen. Nach Stand und Range wird das
Du und Jhr auf achterlei Weiſe gegeben, und das
ſo wohl vom Tageloͤhner, als vom Hofmanne:
der Wuſt iſt Form der Sprache. Jn Siam gibt
es achterlei Manieren Jch und Wir zu ſagen,
nachdem der Herr mit dem Knechte, oder der
Knecht mit dem Herrn redet. Die Sprache der
wilden Kariben iſt beinahe in zwo Sprachen der
Weiber und Maͤnner vertheilt, und die gemein-
ſten Sachen: Bette, Mond, Sonne, Bogen, be-
nennen
[121] nennen beide anders — welch ein Ueberfluß von Sy-
nonymen! Und doch haben eben dieſe Kariben nur
vier Woͤrter fuͤr die Farben, auf die ſie alle andre
beziehen muͤſſen — welche Armuth! Die Huro-
nen
haben jedesmal ein doppeltes Verbum fuͤr eine
beſeelte und unbeſeelte Sache: ſo daß Sehen bei
„einen Stein ſehen„ und Sehen bei „einen Men-
„ſchen ſehen!„ immer zween verſchiedne Ausdruͤcke
ſind — man verfolge das durch die ganze Natur —
welch ein Reichthum! „Sich ſeines Eigenthums
„bedienen, oder des Eigenthums deſſen, mit dem
„man redet„ hat immer zwei verſchiedne Woͤr-
ter — welch ein Reichthum! — Jn der Peruani-
ſchen Hauptſprache nennen ſich die Geſchlechter ſo
ſonderbar abgetrennt, daß die Schweſter des Bru-
ders und die Schweſter der Schweſter, das Kind
des Vaters und der Mutter ganz verſchieden heißt,
und doch hat eben dieſe Sprache keinen wahren
Pluralis! — Jede dieſer Synonymien haͤngt ſo
ſehr mit Sitte, Charakter und Urſprung des
Volks zuſammen; uͤberall aber charakteriſirt ſich
der erfindende menſchliche Geiſt. — Ein
neuer Canon:


H 5IV. „So
[122]
  • IV. „So wie die menſchliche Seele ſich keiner
    „Abſtraktion aus dem Reiche der Geiſter
    „erinnern kann, zu der ſie nicht durch Ge-
    „legenheiten und Erweckungen der Sinne
    „gelangte: ſo hat auch keine Sprache ein
    „Abſtraktum, zu dem ſie nicht durch Ton
    „und Gefuͤhl gelangt waͤre. Und je ur-
    „ſpruͤnglicher die Sprache, deſto weniger Ab-
    „ſtraktionen, deſto mehr Gefuͤhle.„ Jch
    kann in dieſem unermeßlichen Felde wieder
    nur Blumen brechen:

Der ganze Bau der morgenlaͤndiſchen Spra-
chen zeuget, daß alle ihre Abſtrakta voraus Sinn-
lichkeiten geweſen: Der Geiſt war Wind, Hauch,
Nachtſturm! Heilig
hieß abgeſondert, ein-
ſam:
die Seele hieß der Othem: der Zorn das
Schnauben der Naſe u. ſ. w. Die allgemeinern
Begriffe wurden ihr alſo erſt ſpaͤter durch Abſtrak-
tion, Witz, Phantaſie, Gleichniß, Analogie u. ſ. w.
angebildet — im tiefſten Abgrunde der Sprache
liegt keine Einzige!


Bei allen Wilden findet daſſelbe nach Maaß
der Cultur ſtatt. Jn der Sprache von Baran-
tola
[123]tola wuͤßte man nicht heilig und bei den Hotten-
totten
nicht das Wort Geiſt zu finden. Alle
Mißionarien in allen Welttheilen klagen uͤber die
Schwuͤrigkeit, chriſtliche Begriffe den Wilden in
ihren Sprachen mitzutheilen, und doch doͤrften
dieſe Mittheilungen ja nimmer eine ſcholaſtiſche
Dogmatik, ſondern nur die gemeinen Begriffe des
gemeinen Verſtandes ſeyn. Wenn man hie und
da Proben dieſes Vortrages unter den Wilden,
auch nur unter den ungebildeten Sprachen Euro-
pens
z. E. der Lapplaͤndiſchen, Finniſchen,
Eſthniſchen
uͤberſezt lieſet, und die Sprachlehren
und Woͤrterbuͤcher dieſer Voͤlker ſiehet: ſo werden
die Schwuͤrigkeiten offenbar.


Will man den Mißionarien nicht glauben: ſo
leſe man die Philoſophen, de la Condamine in
Peru und am Amazonenſtrome, Maupertuis
in Lappland u. ſ. w. Zeit, Dauer, Raum,
Weſen, Stoff, Koͤrper, Tugend, Gerechtig-
keit, Freiheit, Erkaͤnntlichkeit
— ſind im
Munde der Peruaner nicht, wenn ſie gleich mit
ihrer Vernunft oft zeigen, daß ſie nach dieſen
Begriffen ſchließen, und mit ihren Thaten zeigen,
daß
[124] daß ſie die Tugenden haben. So lange ſie die
Jdee nicht als Merkmal ſich deutlich gemacht:
ſo haben ſie dazu kein Wort.


„Wo alſo ſolche Worte in die Sprache hinein-
„gekommen;
ſiehet man ihnen offenbar ihren
„Urſprung an.„ Die Kirchenſprache der Rußi-
ſchen Nation iſt meiſtens Griechiſch: die chriſtli-
chen Begriffe der Letten ſind deutſche Worte,
oder deutſche Begriffe lettiſirt. Der Mexicaner,
der ſeinen armen Suͤnder ausdruͤcken will, mahlt
ihn, wie einen Knienden, der Ohrenbeicht able-
get, und ſeine Dreieinigkeit, wie drei Geſichte
mit Scheinen. Man weiß, auf welchen Wegen
die meiſten Abſtraktionen „in unſre wiſſenſchaft-
„liche Sprache„
gekommen ſind, in Theologie
und Rechtsgelehrſamkeit, in Philoſophie und
andre. Man weiß, wie oft Scholaſtiker und Po-
lemiker nicht einmal mit Worten ihrer Sprache
ſtreiten konnten und alſo Streitgewehr (Hypoſtaſis
und Subſtanz, ὀμοόȣσιος und ὀμοίȣιος) aus denen
Sprachen heruͤberholen mußten, in denen die Be-
griffe abſtrahirt, in denen das Streitgewehr ge-
ſchaͤrft
[125] ſchaͤrft war! Unſre ganze Pſychologie ſo verfeinert
und beſtimmt ſie iſt, hat kein eigentliches Wort.


Dies iſt ſo wahr, daß es ſo gar Schwaͤrmern
und Entzuͤkten nicht moͤglich iſt, ihre neue Ge-
heimniſſe aus der Natur, aus Himmel und Hoͤlle
anders, als durch Bilder und ſinnliche Vor-
ſtellungen zu charakteriſiren. Schwedenborg
konnte ſeine Engel und Geiſter nicht anders als
aus allen Sinnen zuſammen wittern und der er-
habne Klopſtok, Jenem die groͤßeſte Antitheſe!
ſeinen Himmel und Hoͤlle nicht anders als aus
ſinnlichen Materialien bauen. Der Neger wit-
tert ſich ſeine Goͤtter vom Gipfel der Baͤume her-
unter, und der Chinguleſe erhoͤrt ſich ſeinen Teu-
fel aus dem Geklatſche der Waͤlder Jch bin eini-
gen dieſer Abſtraktionen unter verſchiednen Voͤl-
kern, in verſchiednen Sprachen nachgeſchlichen,
und habe „die ſonderbarſten Erfindungskunſt-
„griffe des menſchlichen Geiſtes„
wahrgenom-
men; der Gegenſtand iſt viel zu groß; der Grund
iſt immer derſelbe. „Wenn der Wilde denkt,
„daß dies Ding einen Geiſt hat: ſo muß ein
„ſinnliches Ding da ſeyn, aus dem er ſich

„den
[126]„den Geiſt abſtrahirt.„ Nur hat die Abſtrak-
tion ihre ſehr verſchiedne Arten, Stuffen, und
Methoden — — Das leichteſte Beiſpiel, daß
keine Nation in ihrer Sprache mehr, und andre
Woͤrter habe, als ſie abſtrahiren gelernt, ſind die
ohne Zweifel ſehr leichte Abſtraktionen, die Zah-
len.
Wie wenige haben die meiſten Wilden, ſo
reich, vortreflich und ausgebildet ihre Sprachen
ſeyn moͤgen! Nie mehr, als ſie brauchten. Der
handelnde Phoͤnicier war der erſte, der die Re-
chenkunſt erfand; der ſeine Heerde uͤberzaͤhlende
Hirte lernt auch zehlen: die Jagdnationen, die
nie vielzaͤhlige Geſchaͤfte haben, wiſſen eine Armee
nicht anderſt zu bezeichnen, als wie Haare auf
dem Haupt! Wer mag ſie zaͤhlen? Wer, der
nie ſo weit hinauf gezaͤhlet hat, hat dazu Worte?


Jſts moͤglich, von allen dieſen Spuhren des
wandelnden, ſprachſchaffenden Geiſtes wegzuſe-
hen, und Urſprung in den Wolken zu ſuchen?
Was hat man fuͤr einen Beweis von einem „Ein-
„zigen Worte, was nur Gott erfinden konnte?

Exſiſtirt in irgend einer Sprache nur ein Einziger
reiner allgemeiner Begriff, der dem Menſchen vom
Him-
[127] Himmel gekommen? Wo iſt er auch nur moͤg-
lich? *) — „Und was fuͤr 100000 Gruͤnde, und
„Analogien, und Beweiſe von der Geneſis
„der Sprache in der menſchlichen Seele, nach
„den menſchlichen Sinnen, und Seharten!
„Was fuͤr Beweiſe von der Fortwandrung der
Sprache mit der Vernunft, und ihrer Ent-
„wiklung
aus derſelben unter allen Voͤlkern,
„Weltguͤrteln
und Umſtaͤnden!„ Welches
Ohr iſt, das dieſe allgemeine Stimme der Natio-
nen nicht hoͤre?


Und doch ſeh ich mit Verwundrung, daß Hr.
Suͤßmilch ſich wieder mit mir begegne und auf
dem Wege Goͤttliche Ordnung finde, wo ich die
allermenſchlichſte entdecke. **) „daß man noch zur
„Zeit keine Sprache entdekt hat, die ganz zu Kuͤn-
„ſten und Wiſſenſchaften ungeſchikt geweſen„ was
zeugt denn das anders, als daß keine Sprache
viehiſch,
[128] viehiſch, daß ſie alle Menſchlich ſind? Wo hat
man denn einen Menſchen entdekt, der ganz zu
Kuͤnſten und Wiſſenſchaften ungeſchikt waͤre, und
war das ein Wunder? Oder nicht eben die ge-
meinſte Sache, weil er Menſch war? „Alle
„Mißionarien haben mit den wildeſten Voͤlkern
„reden und ſie uͤberzeugen koͤnnen: das konnte
„ohne Schluͤſſe und Gruͤnde nicht geſchehen: ihre
„Sprachen mußten alſo Terminos abſtractos ent-
„halten u. ſ. w.„ und wenn das, ſo wars goͤtt-
liche Ordnung? Oder war es nicht eben die menſch-
lichſte Sache, ſich Worte zu abſtrahiren, wo man
ſie brauchte? Und welches Volk hat je eine einzige
Abſtraktion in ſeiner Sprache gehabt, die es ſich
nicht ſelbſt erworben? Und waren denn bei allen
Voͤlkern gleichviel? Konnten die Mißionarien ſich
uͤberall gleich leicht ausdruͤcken, oder hat man
nicht das Gegentheil aus allen Welttheilen geleſen?
Und wie drukten ſie ſich denn aus, als daß ſie
ihre neuen Begriffe der Sprache nach Analogie
derſelben anbogen? Und geſchahe dies uͤberall auf
gleiche Art? — Ueber das Faktum waͤre ſo viel,
ſo viel zu ſagen! der Schluß ſagt gar das Gegen-
theil.
[129] theil. „Eben weil die menſchliche Vernunft nicht
„ohne Abſtraktion ſeyn kann, und jede Ab-
„ſtraktion
nicht ohne Sprache wird: So muß
„die Sprache auch in jedem Volk Abſtraktionen
„enthalten, das iſt, ein Abdruck der Vernunft
„ſeyn, von der ſie ein Werkzeug geweſen.„
„Wie aber jede nur ſo viel enthaͤlt, als das Volk
„hat machen koͤnnen, und keine einzige, die
„ohne Sinne gemacht waͤre, als welches ihr
„urſpruͤnglich ſinnlicher Ausdruck zeigt: ſo iſt nir-
„gends goͤttliche Ordnung zu ſehen, als ſo fern
„die Sprache durchaus Menſchlich iſt.


  • V. Endlich „da jede Grammatik nur eine Phi-
    „loſophie uͤber die Sprache, und eine Me-
    „thode ihres Gebrauchs iſt: ſo muß je ur-
    „ſpruͤnglicher die Sprache, deſto weniger
    „Grammatik in ihr ſeyn, und die aͤlteſte iſt
    „blos das vorangezeigte Woͤrterbuch der Na-
    „tur!„ Jch reiße einige Steigerungen ab.

1) Deklinationen und Conjugationen ſind
nichts anders, als Verkuͤrzungen und Beſtimmun-
gen des Gebrauchs der Nominum und Verborum nach
Zahl, Zeit und Art, und Perſon? Je roher alſo
Jeine
[130] eine Sprache, deſto unregelmaͤßiger iſt ſie in die-
ſen Beſtimmungen, und zeigt bei jedem Schritte den
Gang der menſchlichen Vernunft. Hintenan ohne
Kunſt des Gebrauchs, iſt ſie ſimples Woͤrterbuch.


2) Wie Verba einer Sprache eher ſind, als
die von ihnen rund abſtrahirten Nomina: ſo auch
Anfangs um ſo mehr Conjugationen, je we-
niger man Begriffe unter einander zu ordnen
gelernt hat.
Wie viel haben die Morgenlaͤnder!
und doch ſinds eigentlich keine, denn was giebts
noch immer fuͤr Verpflanzungen und Umwerfungen
der Verborum aus Conjugation in Conjugation!
Die Sache iſt ganz natuͤrlich. Da nichts den
Menſchen ſo angeht, und wenigſtens ſo ſprachar-
tig ihn trift, als was er erzaͤhlen ſoll, Thaten,
Handlungen, Begebenheiten: ſo muͤſſen ſich ur-
ſpruͤnglich eine ſolche Menge Thaten und Bege-
benheiten
ſammeln, daß faſt fuͤr jeden Zuſtand
ein neues Verbum wird. „Jn der huroniſchen
„Sprache wird alles conjugirt. Eine Kunſt,
„die nicht kann erklaͤret werden, laͤßt darinn von
„den Zeitwoͤrtern, die Nenn- die Fuͤr- die Zu-
„woͤrter unterſcheiden. Die einfachen Zeitwoͤrter
„haben
[131] „haben eine doppelte Conjugation, Eine fuͤr ſich
„und Eine, die ſich auf andre Dinge beziehet.
„Die dritten Perſonen haben die beiden Geſchlech-
„ter. Was die Tempora anbetrift, findet man
„die feinen Unterſchiede, die man z. E. im Grie-
„chiſchen bemerket; ja wenn man die Erzaͤhlung
„einer Reiſe thun will, ſo druͤkt man ſich verſchie-
„den aus, wenn man ſie zu Lande und zu Waſſer
„gethan hat. Die Activa vervielfaͤltigen ſich ſo
„oft als es Sachen giebt, die unter das Thun
„kommen: das Wort Eſſen veraͤndert ſich mit je-
„der eßbaren Sache. Das Thun einer beſeelten
„Sache wird anders ausgedruͤkt: als einer un-
„beſeelten. Sich ſeines und des Eigenthums deſ-
„ſen bedienen, mit dem man redet, hat zweierlei
„Ausdruck u. ſ. w.„ Man denke ſich alle dieſe
Vielheit von Verbis, Modis, Temporibus, Per-
ſonen, Zuſtaͤnden, Geſchlechtern u. ſ. w. welche
Muͤhe und Kunſt, das einigermaßen unter ein-
ander zu bringen? Aus dem was ganz Woͤrterbuch
war, einigermaßen Grammatik zu machen? —
Des P. Leri Grammatik der Topinambuer
in Braſilien zeigt eben daſſelbe! — denn „wie
J 2das
[132] „das erſte Woͤrterbuch der menſchlichen Seele
„eine lebendige Epopee der toͤnenden, handeln-
„den Natur
war: ſo war die erſte Grammatik
„faſt nichts, als ein philoſophiſcher Verſuch,
„dieſe Epopee zur regelmaͤßigern Geſchichte
„zu machen;„ Sie zerarbeitet ſich alſo mit lauter
Verbis, und arbeiter in einem Chaos, was fuͤr die
Dichtkunſt unerſchoͤpflich, mehr geordnet, ſehr reich
fuͤr die Beſtimmung der Geſchichte; am ſpaͤtſten aber
fuͤr Axiome und Demonſtrationen brauchbar iſt.


3) Das Wort, was unmittelbar auf den
Schall der Natur, nachahmend, folgte: folgte
ſchon einem Vergangnen:Praeteritaſind alſo
„die Wurzeln derVerborum, aber Praeteri-
„ta,
die noch faſt fuͤr die Gegenwart gelten.„
A priori iſt das Faktum ſonderbar und unerklaͤrlich,
da die gegenwaͤrtige Zeit die erſte ſeyn muͤßte,
wie ſie es auch in allen ſpaͤtergebildeten Sprachen
geworden; nach der Geſchichte der Sprachenerfin-
dung konnte es nicht anders ſeyn. „Die Gegen-
„wart zeigt man; aber das Vergangne muß man
erzaͤhlen.„ Und da man dies auf ſo viel Art
erzaͤhlen konnte, und Anfangs im Beduͤrfniß
Worte
[133] Worte zu finden es ſo vielfaͤltig thun mußte: ſo
wurden „in allen alten Sprachen viel Praeterita,
„aber nur ein oder kein Praeſens.„ Deſſen hatte
ſich nun in den gebildetern Zeiten Dichtkunſt und
Geſchichte ſehr; die Philoſophie aber ſehr wenig
zu erfreuen, weil die keinen verwirrenden Vorrath
liebt — Hier ſind wieder Huronen, Braſilianer,
Morgenlaͤnder,
und Griechen gleich: uͤberall
Spuren vom Gange des menſchlichen Geiſtes!


4) Alle neuere philoſophiſche Sprachen haben
das Nomenfeiner, das Verbumweniger, aber re-
gelmaͤßiger
modificirt; denn die Sprache erwuchs
mehr „zur kalten Beſchauung deſſen, was da iſt,
„und was geweſen iſt, als daß ſie noch ein unre-
„gelmaͤßig ſtammelndes Gemiſch von dem, was
etwa geweſen iſt, geblieben waͤre.„ Jenes ge-
woͤhnte man ſich nach einander zu ſagen, und
alſo durch Numeros und Artikel und Caſus u. ſ. w.
zu beſtimmen; die alten Erfinder wollten Al-
„les auf Einmal ſagen
*) nicht blos, was ge-
„than waͤre, ſondern wer es gethan? Wenn?
J 3Wie?
[134] „Wie? und wo es geſchehen? Sie brachten alſo
„in die Nomina gleich den Zuſtand: in jede Per-
„ſon
des Verbi gleich das Genus: ſie unterſchieden
„gleich durch prae- und afformativa, durch af- und
„ſuffixa: Verbum und Adverbium, Verbum und
„Nomen und alles floß zuſammen.„ Je ſpaͤter,
deſto mehr wurde unterſchieden und hergezaͤhlt:
aus den Hauchen wurden Artikel, aus den An-
ſaͤtzen Perſonen, aus den Vorſaͤtzen Modi oder
Adverbia: die Theile der Rede floſſen aus einan-
der: nun ward allmaͤhlig Grammatik. So iſt
dieſe Kunſt zu reden, dieſe Philoſophie uͤber die
Sprache erſt langſam und Schritt vor Schritt, Jahr-
hunderte und Zeiten hinab gebildet, und der erſte
Kopf, der an „eine wahre Philoſophie der
„Grammatik,
an die Kunſt zu reden!„ denkt,
muß gewiß erſt „die Geſchichte derſelben durch
Voͤlker und Stuffen hinab„
uͤberdacht haben.
Haͤtten wir doch eine ſolche Geſchichte! ſie waͤre
mit allen Fortgaͤngen und Abweichungen eine Charte
von der Menſchlichkeit der Sprache.


5) Aber wie hat eine Sprache ganz ohne
Grammatik beſtehen koͤnnen? Ein bloßer Zuſam-
men-
[135] menfluß von Bildern und Empfindungen ohne Zu-
ſammenhang und Beſtimmung? Fuͤr beide war
geſorgt: es war lebende Sprache. Da gab die
große Einſtimmung der Geberden gleichſam den
Takt, und die Sphaͤre, wohin es gehoͤrte; und der
große Reichthum der Beſtimmungen, der im Woͤr-
terbuch ſelbſt lag, erſezte die Kunſt der Grammatik.
Sehet die alte Schrift der Mexicaner! ſie mahlen
lauter Einzelne Bilder; Wo kein Bild in die Sinne
faͤllt, haben ſie ſich uͤber Striche vereinigt, und den
Zuſammenhang zu allem muß die Welt geben, in
die es gehoͤrt, aus der es geweiſſagt wird. Dieſe
„Weiſſagungskunſt, aus einzelnen Zeichen Zu-
„ſammenhang zu errathen„
— wie weit koͤn-
nen ihn noch nur Einzelne Stumme und Taube
treiben! und wenn dieſe Kunſt ſelbſt mit zur Spra-
che gehoͤrt, von Jugend auf, als Sprache, mit
gelernt wird; wenn ſie ſich mit der Tradition von
Geſchlechtern immer mehr erleichtert und vervoll-
kommnet: ſo ſehe ich nichts unbegreifliches — — —
Je mehr ſie aber erleichtert wird, deſto mehr
nimmt ſie ab; deſto mehr wird Grammatik
und das iſt Stuffengang des menſchlichen Geiſtes!


J 4Pro-
[136]

Proben davon ſind z. E. des la Loubere Nach-
richten von der Siamiſchen Sprache: wie aͤhnlich
iſt ſie noch dem Zuſammenhange der Morgenlaͤn-
der, inſonderheit ehe durch ſpaͤtere Bildung noch
mehr von ihm hineinkam. Der Siamer will
ſagen: „waͤre ich zu Siam, ſo waͤre ich vergnuͤgt!„
und ſagt: „Wenn ich ſeyn Stadt Siam; ich wohl
„Herz viel! — Er will das Vater Unſer beten:
und muß ſagen; „Vater, uns ſeyn Himmel! Na-
„men Gottes wollen heiligen aller Ort u. ſ. w. —
wie morgenlaͤndiſch und urſpruͤnglich iſt das? ge-
rade ſo zuſammenhangend, als eine mexikaniſche
Bilderſchaft! oder das Stammeln der Ungelehri-
gen aus fremden Sprachen!


6) Jch muß hier noch eine Sonderbarkeit er-
klaͤren, die ich auch in Herrn Suͤßmilchs goͤttlicher
Ordnung mißverſtanden ſehe: „nemlich die Man-
„nichfaltigkeit der Bedeutungen eines Worts nach
„dem Unterſchiede kleiner Artikulationen!„ Jch
finde dieſen Kunſtgriff faſt unter allen Wilden, wie
ihn z. E. Garcilaſſo di Vega von den Perua-
nern, Condamine
von den Braſilianern,
la Loubere
von den Siameſen, Reſoel von
den
[137] den Nordamerikanern anfuͤhrt. Jch finde ihn
eben ſo bei den alten Sprachen, z. E. der Chine-
ſiſchen
und den Morgenlaͤndiſchen, vorzuͤglich
der Hebraͤiſchen, wo ein kleiner Schall, Accent,
Hauch die ganze Bedeutung aͤndert, und ich finde
doch nichts als etwas ſehr Menſchliches in ihm,
Duͤrftigkeit und Bequemlichkeit der Erfinder!
Sie hatten ein neues Wort noͤthig; und da das
muͤſſige Erfinden aus leerem Kopf ſo ſchwer iſt:
ſo nahmen ſie ein Aehnliches mit der Veraͤnde-
rung vielleicht nur Eines Hauchs.
Das war
Geſetz der Sparſamkeit ihnen Anfangs bei ihren
ſich durchwebenden Gefuͤhlen ſehr natuͤrlich
und bei ihrer maͤchtigern Ausſprache der Woͤr-
ter
noch ziemlich bequem; aber fuͤr einen Frem-
den, der ſein Ohr nicht von Jugend auf daran
gewoͤhnt hat, und dem die Sprache jezt mit Phleg-
ma, wo der Schall halb im Munde bleibt, vorge-
ziſcht wird, macht dies Geſetz der Sparſamkeit und
Nothdurft die Rede unvernehmlich und unaus-
ſprechlich. Je mehr eine geſunde Grammatik in
die Sprachen Haushaltung eingefuͤhrt; deſto min-
der wird dieſe Kargheit noͤthig — alſo gerade das
J 5Ge-
[138] Gegentheil, als Kennzeichen goͤttlicher Erfindung,
wo der Erfinder ſich gewiß ſehr ſchlecht zu helfen
gewußt, wenn er ſo etwas noͤthig hatte.


7) Am offenbarſten wird endlich der Fortgang
der Sprvche durch die Vernunft
und der Ver-
nunft
durch die Sprache, „wenn dieſe ſchon
„einige Schritte gethan,
wenn in ihr ſchon
„Stuͤcke der Kunſt
z. B. Gedichte, exſiſtiren,
„wenn Schrift erfunden iſt, wenn ſich eine
Gattung der Schreibart nach der andern aus-
„bildet.„ Da kann kein Schritt gethan, kein
neues Wort erfunden, keine neue gluͤkliche Form
in Gang gebracht werden, wo nicht Abdruck der
menſchlichen Seele
liege. Da kommen durch
Gedichte, Sylbenmaaße, Wahl der ſtaͤrkſten
Worte und Farben, Ordnung und Schwung der
Bilder: da kommt durch Geſchichte, Unterſchied
der Zeiten, Genauigkeit des Ausdrucks: da kommt
endlich durch die Redner die voͤllige Rundung des
Perioden in die Sprache. So wie nun vor je-
dem ſolchen Zuſatz, Nichts dergleichen vorher in
der Sprache da lag, aber alles durch die menſch-
liche Seele hineingebracht
wurde und hineinge-
bracht
[139] bracht werden konnte: wo will man dieſer Her-
vorbringung, dieſer Fruchtbarkeit Graͤnzen ſetzen?
wo will man ſagen: hier fing die menſchliche Seele
zu wuͤrken an, aber eher nicht? Hat ſie das Fein-
ſte, das Schwerſte erfinden koͤnnen, warum nicht
das Leichteſte? Konnte ſie zu Stande bringen,
warum nicht Verſuche machen, warum nicht an-
fangen? Denn was war doch der Anfang, als die
Produktion eines Einzigen Worts, als Zeichen der
Vernunft, und das mußte ſie, blind und ſtumm
in ihrem Jnnern, ſo wahr ſie Vernunft beſaß.



Jch bilde mir ein, das Koͤnnen der Erfindung
menſchlicher Sprache ſei mit dem, was ich geſagt,
von Jnnen aus der menſchlichen Seele; von
Außen aus der Organiſation des Menſchen,
und aus der Analogie aller Sprachen und Voͤl-
ker, theils
in den Beſtandtheilen aller Rede,
theils im ganzen großen Fortgange
der Spra-
che mit der Vernunft ſo bewieſen, daß wer dem
Menſchen nicht Vernunft abſpricht, oder was eben
ſo viel iſt, wer nur weiß, was Vernunft iſt: wer
ſich
[140] ſich ferner je um die Elemente der Sprache Philo-
ſophiſch
bekuͤmmert; wer dazu die Beſchaffenheit
und Geſchichte der Sprachen auf dem Erdboden
mit dem Auge des Beobachters in Ruͤckſicht ge-
nommen; der kann nicht Einen Augenblick zwei-
feln, wenn ich auch weiter kein Wort mehr hinzu-
ſezte. Die Geneſis in der menſchlichen Seele iſt
ſo demonſtrativ, als irgend ein philoſophiſcher
Beweis, und die aͤußere Analogie aller Zeiten,
Sprachen und Voͤlker, ſolch ein Grad der Wahr-
ſcheinlichkeit,
als bei der gewiſſeſten Sache der
Geſchichte moͤglich iſt. Jndeſſen um auf immer
allen Einwendungen vorzubeugen, und den Satz
gleichſam auch aͤußerlich ſo gewiß zu machen, als
eine philoſophiſche Wahrheit ſeyn kann: ſo laſſet
uns noch aus allen aͤußern Umſtaͤnden und aus der
ganzen Analogie der menſchlichen Natur beweiſen:
„daß der Menſch ſich ſeine Sprache hat erfinden
muͤſſen? und unter welchen Umſtaͤnden er ſie
„ſich am fuͤglichſten habe erfinden koͤnnen?



Zwei-
[[141]]

Zweiter Theil.

Auf
welchem Wege der Menſch
ſich am fuͤglichſten hat
Sprache
erfinden koͤnnen

und muͤſſen?


[[142]][[143]]

Die Natur gibt keine Kraͤfte umſonſt. Wenn
ſie alſo dem Menſchen nicht bloß Faͤhig-
keiten gab, Sprache zu erfinden, ſondern
auch dieſe Faͤhigkeit zum Unterſcheidungscharakter
ſeines Weſens, und zur Triebfeder ſeiner vorzuͤg-
lichen Richtung machte: ſo kam dieſe Kraft nicht
anders als lebend, aus ihrer Hand, und ſo konnte
ſie nicht anders, als in eine Sphaͤre geſezt ſeyn,
wo ſie wuͤrken mußte. Laſſet uns einige dieſer
Umſtaͤnde und Anliegenheiten genauer betrachten,
die ſogleich den Menſchen, da er mit der naͤchſten
Anlage ſich Sprache zu bilden, in die Welt trat,
ſogleich zur Sprache veranlaßten, und da dieſer
Anliegenheiten viel ſind, ſo bringe ich ſie unter
gewiſſe Hauptgeſetze ſeiner Natur und ſeines
Geſchlechts:


Erſtes
[144]

Erſtes Naturgeſetz.



  • Der Menſch iſt ein freidenkendes, thaͤtiges We-
    ſen, deſſen Kraͤfte in Progreſſion fortwuͤrken;
    darum ſei er ein Geſchoͤpf der Sprache!

Als naktes, inſtinktloſes Thier betrachtet, iſt
der Menſch das elendeſte der Weſen. Da iſt
kein dunkler, angebohrner Trieb, der ihn in ſein
Element, und in ſeinen Wuͤrkungskreis, zu
ſeinem Unterhalt und an ſein Geſchaͤfte zeucht.
Kein Geruch und keine Witterung, die ihn auf
die Kraͤuter hinreiße, damit er ſeinen Hun-
ger ſtille! Kein blinder, mechaniſcher Lehrmei-
ſter, der fuͤr ihn ſein Neſt baue! Schwach
und unterliegend, dem Zwiſt der Elemente, dem
Hunger, allen Gefahren, den Klauen aller ſtaͤr-
kern Thiere, einem tauſendfachen Tode uͤberlaſſen,
ſtehet er da! einſam und Einzeln! ohne den unmit-
telbaren Unterricht ſeiner Schoͤpferinn, und ohne
die ſichere Leitung ihrer Hand, von allen Seiten
alſo verloren — — —


Doch
[145]

Doch ſo lebhaft dies Bild ausgemahlt werde:
ſo iſts nicht das Bild des Menſchen — es iſt nur
Eine Seite ſeiner Oberflaͤche und auch die ſtehet
im falſchen Licht. Wenn Verſtand und Beſon-
nenheit die Naturgabe ſeiner Gattung iſt:

ſo muͤßte dieſe ſich ſogleich aͤußern, da ſich die ſchwaͤ-
chere Sinnlichkeit und alle das klaͤgliche ſeiner Ent-
behrungen aͤußerte. Das Jnſtinktloſe, elende
Geſchoͤpf, was ſo verlaſſen aus den Haͤnden der
Natur kam, war auch vom erſten Augenblicke an,
das freitbaͤtige vernuͤnftige Geſchoͤpf, das ſich
ſelbſt helfen ſollte, und nicht anders, als konnte.
Alle Maͤngel und Beduͤrfniſſe, als Thier, waren
dringende Anlaͤße, ſich mit allen Kraͤften, als
Menſch zu zeigen: ſo wie dieſe Kraͤfte der Menſch-
heit nicht etwa blos ſchwache Schadloshaltungen
gegen die ihm verſagten groͤßern Thiervollkommen-
heiten waren, wie unſre neue Philoſophie, die
große Goͤnnerinn der Thiere! will: ſondern ſie wa-
ren, ohne Vergleichung und eigentliche Gegenein-
andermeſſung ſeine Art. Der Mittelpunkt ſeiner
Schwere, die Hauptrichtung ſeiner Seelenwuͤrkun-
gen fiel ſo auf dieſen Verſtand, auf menſchliche
KBe-
[146]Beſonnenheit hin, wie bei der Biene ſogleich
aufs Saugen und Bauen.


Wenn es nun bewieſen iſt, daß nicht die min-
deſte Handlung ſeines Verſtandes, ohne Merk-
wort, geſchehen konnte: ſo war auch das erſte
Moment der Beſinnung, Moment zu innerer
Entſtehung der Sprache.


Man laſſe ihm zu dieſer erſten deutlichen Be-
ſinnung ſo viel Zeit, als man will: Man laſſe,
nach Buffons Manier (nur philoſophiſcher,
als er) dies gewordne Geſchoͤpf ſich allmaͤhlig
ſammlen:
Man vergeſſe aber nicht, daß gleich
vom erſten Momente an kein Thier, ſondern ein
Menſch, zwar noch kein Geſchoͤpf von Beſinnung
aber ſchon von Beſonnenheit ins Univerſum er-
wache. Nicht wie eine große, ſchwerfaͤllige, un-
behuͤlfliche Maſchine, die gehen ſollte, und mit
ſtarren Gliedern nicht gehen kann: die ſehen, hoͤ-
ren, koſten ſollte, und mit ſtarren Saͤften im Auge,
mit verhaͤrtetem Ohr und mit verſteinter Zunge
nichts von alle dieſem kann — Leute, die Zwei-
fel der Art machen, ſollten doch bedenken, daß
dieſer Menſch nicht aus Platons Hoͤle, aus Ei-
nem
[147] nem finſtern Kerker, wo er von ſeinem erſten Au-
genblick des Lebens eine Reihe von Jahren hin,
ohne Licht und Bewegung ſich mit ofnen Augen
blind, und mit gefunden Gliedern ungelenk geſeſſen,
ſondern daß er aus den Haͤnden der Natur, im
friſcheſten Zuſtande, ſeiner Kraͤfte und Saͤfte, und
mit der beſten, naͤchſten Anlage kam vom erſten
Augenblicke ſich zu entwickeln.
Ueber die er-
ſten Momente der Sammlung, muß freilich die
ſchaffende Vorſicht, gewaltet haben ‒ ‒ doch das iſt
nicht Werk der Philoſophie das Wunderbare in
dieſen Momenten zu erklaͤren; ſo wenig ſie ſeine
Schoͤpfung erklaͤren kann. Sie nimmt ihn im
erſten Zuſtande der freien Thaͤtigkeit, im erſten
vollen Gefuͤhl ſeines geſunden Daſeyns, und
erklaͤrt alſo dieſe Momente nur Menſchlich.


Nun kann ich mich auf das vorige beziehen.
Da hier keine metaphyſiſche Trennung der Sinne
ſtatt findet, da die ganze Maſchine empfindet,
und gleich vom dunklen Gefuͤhl heraufarbeitet zur
Beſinnung, da dieſer Punkt, die Empfindung
des erſten deutlichen Merkmals, eben auf das
Gehoͤr, den mittlern Sinn zwiſchen Auge und
K 2Ge-
[148] Gefuͤhl trift: ſo iſt die Geneſis der Sprache ein
ſo inneres Dringniß,
wie der Drang des Em-
bryons zur Geburt bei dem Moment ſeiner Reife.
Die ganze Natur ſtuͤrmt auf den Menſchen, um
ſeine Sinne zu entwiklen, bis er Menſch ſei.
Und wie von dieſem Zuſtande die Sprache anfaͤngt,
ſo „iſt die ganze Kette von Zuſtaͤnden in
„der menſchlichen Seele von der Art,
„daß jeder die Sprache fortbildet,

Dies große Geſetz der Naturordnung will ich ins
Licht ſtellen.


Thiere verbinden ihre Gedanken, dunkel, oder
klar, aber nicht deutlich. So wie freilich die
Gattungen, die nach Lebensart und Nervenbau
dem Menſchen am naͤchſten ſtehen, die Thiere
des Feldes, oft viel Erinnerung, viel Gedaͤcht-
niß,
und in manchen Faͤllen ein ſtaͤrkeres als
der Menſch zeigen: ſo iſts nur immer ſinnliches
Gedaͤchtniß; und keines hat die Erinnerung je
durch eine Handlung bewieſen, daß es fuͤr ſein
ganzes Geſchlecht ſeinen Zuſtand verbeſſert,

und Erfahrungen generaliſiret haͤtte, um ſie
in der Folge zu nutzen.
Der Hund kann frei-
lich
[149] lich die Geberde erkennen, die ihn geſchlagen, und
der Fuchs den unſichern Ort, wo ihm nachgeſtellt
wurde, fliehen; aber keins von beiden ſich eine
allgemeine Reflexion aufklaͤren, wie es dieſer
ſchlagdrohenden Geberde und dieſer Hinterliſt der
Jaͤger je auf immer entgehen koͤnnte. Es blieb
alſo nur immer bei dem Einzelnen ſinnlichen
Falle hangen,
und ſein Gedaͤchtniß wurde eine
Reihe dieſer ſinnlichen Faͤlle, die ſich produ-
ciren und reproduciren
— aber nie „durch Ue-
„berlegung„ verbunden:
ein Mannichfaltiges
ohne deutliche Einheit: ein Traum ſehr ſinnlicher,
klarer, lebhafter Vorſtellungen, ohne ein Hauptge-
ſetz des hellen Wachens, das dieſen Traum ordne.


Freilich iſt unter dieſen Geſchlechtern und Gat-
tungen noch ein großer Unterſchied. Je enger der
Kreis, je ſtaͤrker die Sinnlichkeit und der Trieb,
je einfoͤrmiger die Kunſtfaͤhigkeit, und das Werk
des Lebens iſt; deſto weniger iſt, wenigſtens fuͤr
uns, die geringſte Progreßion durch Erfahrung
merklich. Die Biene bauet in ihrer Kindheit ſo,
wie im hohen Alter, und wird zu Ende der Welt
ſo bauen, als im Beginn der Schoͤpfung. Sie
K 3ſind
[150] ſind einzelne Punkte, leuchtende Funken aus dem
Licht der Vollkommenheit Gottes, die aber immer
einzeln leuchten. Ein erfahrner Fuchs hingegen,
unterſcheidet ſich ſchon ſehr von dem erſten Lehrlinge
der Jagd: er kennet ſchon viele Kunſtgriffe voraus,
und ſucht ihnen zu entweichen ‒ ‒ aber woher kennt
er ſie? und wie ſucht er ihnen zu entweichen?
Weil unmittelbar aus ſolcher Erfahrung das Geſetz
dieſer Handlung folget. Jn keinem Falle wuͤrkt
deutliche Reflexion, denn werden nicht immer
die kluͤgſten Fuͤchſe noch jezt ſo beruͤkt, wie vom
erſten Jaͤger in der Welt? Bei dem Menſchen
waltet offenbar ein andres Naturgeſetz uͤber die
Succeßion ſeiner Jdeen, Beſonnenheit: ſie wal-
tet noch ſelbſt im ſinnlichſten Zuſtande, nur min-
der merklich, das unwiſſendſte Geſchoͤpf, wann er
auf die Welt kommt: aber ſogleich wird er Lehr-
ling der Natur auf eine Weiſe wie kein Thier:
Ein Tag nicht blos lehrt den andern: ſondern jede
Minute des Tages die andre: jeder Gedanke den
andern. Der Kunſtgriff iſt ſeiner Seele weſent-
lich, nichts fuͤr dieſen Augenblick zu lernen, ſon-
dern alles, entweder an das zu reihen, was ſie
ſchon
[151] ſchon wußte, oder fuͤr das, was ſie kuͤnftig daran
zu knuͤpfen gedenkt: ſie berechnet alſo ihren Vor-
rath, den ſie geſammlet, oder noch zu ſammlen
gedenkt: und ſo wird ſie eine Kraft unverruckt
zu ſammlen.
Solch eine Kette gehet bis an den
Tod fort. Gleichſam nie der ganze Menſch:
immer in Entwiklung, im Fortgange, in Ver-
vollkommung. Eine Wuͤrkſamkeit hebt ſich durch
die andre: eine baut auf die andre: eine entwi-
ckelt ſich aus der andren. Es werden Lebensalter,
Epochen, die wir nur nach den Stuffen der Merk-
lichkeit benennen, die aber, weil der Menſch nie
fuͤhlt, wie er waͤchſet: ſondern nur immer wie er
gewachſen iſt, ſich in ein unendlich kleines theilen
laſſen. Wir wachſen immer aus einer Kindheit,
ſo alt wir ſeyn moͤgen, ſind immer im Gange, un-
ruhig, ungeſaͤttigt: Das Weſentliche unſers Le-
bens iſt nie Genuß ſondern immer Progreßion,
und wir ſind nie Menſchen geweſen, bis wir —
zu Ende gelebt haben; dahingegen die Biene,
Biene war, als ſie ihre erſte Zelle bauete. Zu
allen Zeiten wuͤrkt freilich dies Geſetz der Vervoll-
kommung, der Progreßion durch Beſonnenheit,
K 4nicht
[152] nicht gleich merklich: iſt aber, das minder merk-
liche, deßwegen nicht da? im Traume, im Ge-
dankentraume, denkt der Menſch nicht ſo ordentlich
und deutlich, als wachend, deßwegen aber denkt
er noch immer als ein Menſch — als Menſch in
einem Mittelzuſtande; nie als ein voͤlliges Thier.
Bei einem Geſunden muͤſſen ſeine Traͤume ſo gut
eine Regel der Verbindung haben, als ſeine wa-
chenden Gedanken; nur daß es nicht: dieſelbe Re-
gel ſeyn, oder dieſe ſo einfoͤrmig wuͤrken kann; ſelbſt
dieſe Ausnahmen zeugten alſo von der Guͤltigkeit
des Hauptgeſetzes, und die offenbaren Krankheiten
und unnatuͤrlichen Zuſtaͤnde, Ohnmachten, Ver-
ruͤckungen, u. ſ. w. zeugen es noch mehr. Nicht
jede Handlung der Seele iſt unmittelbar eine Fol-
ge der Beſinnung;
jede aber eine Folge der
Beſonnenheit:
Keine, ſo wie ſie beim Menſchen
geſchiehet, koͤnnte ſich aͤußern, wann der Menſch
nicht Menſch waͤre, und nach ſolchem Naturge-
ſetz daͤchte.


„Konnte nun der erſte Zuſtand der Beſin-
„nung des Menſchen nicht ohne Wort der Seele
„wuͤrklich werden: ſo werden alle Zuſtaͤnde der
Be-
[153]Beſonnenheit in ihm Sprachmaͤßig: ſeine
„Kette von Gedanken wird eine Kette von
„Worten.


Will ich damit ſagen, daß der Menſch jede
Empfindung ſeines dunkelſten Gefuͤhls zu einem
Worte machen? oder ſie nicht anders, als mit-
telſt eines Worts empfinden koͤnne? Unſinn waͤre
es, dies zu ſagen, da gerade umgekehrt bewieſen
iſt: „was ſich blos durchs dunkle Gefuͤhl empfin-
„den laͤßt, iſt keines Worts fuͤr uns faͤhig, weil
„es keines deutlichen Merkmals faͤhig iſt.„ Die
Baſis der Menſchheit iſt alſo, wenn wir von will-
kuͤhrlicher Sprache reden, unausſprechlich. — —
Aber iſt denn Baſis die ganze Figur? Fußgeſtelle
die ganze Bildſaͤule? Jſt der Menſch ſeiner gan-
zen Natur nach, denn eine blos dunkel fuͤhlen-
de Auſter?
Laſſet uns alſo den ganzen Faden
ſeiner Gedanken nehmen — da er von Beſonnen-
heit
gewebt iſt: da ſich in ihm kein Zuſtand fin-
det, der im Ganzen genommen, nicht ſelbſt Be-
ſinnung
ſei, oder doch in Beſinnung aufgeklaͤrt
werden koͤnne: da bei ihm das Gefuͤhl nicht herr-
ſchet,
ſondern die ganze Mitte ſeiner Natur auf
K 5feinere
[154]feinere Sinne, Geſicht und Gehoͤr, faͤllt, und
dieſe ihm immer fort Sprache geben: ſo folgt,
daß im Ganzen genommen. „Auch kein Zuſtand
„in der menſchlichen Seele ſey, der nicht
„wortfaͤhig oder wuͤrklich durch Worte der
„Seele beſtimmt werde.
„ Es muͤßte der dun-
kelſte Schwaͤrmer oder ein Vieh — der abſtrakteſte
Goͤtterſeher, oder eine traͤumende Monade ſeyn, der
ganz ohne Worte daͤchte. Und in der menſchlichen
Seele iſt, wie wir ſelbſt in Traͤumen und bei Ver-
ruͤkten ſehen, kein ſolcher Zuſtand moͤglich. So
kuͤhn es klinge ſo iſts wahr — der Menſch em-
pfindet mit dem Verſtande und ſpricht, in-
dem er denket,
— — und indem er nun im-
mer ſo fortdenket, und, wie wir geſehen, jeden
Gedanken in der Stille mit dem vorigen und der
Zukunft zuſammen haͤlt: ſo muß


Jeder Zuſtand, der durch Reflexion ſo
„verkettet iſt, beſſer denken, mithin auch
„beſſer ſprechen.
„ Laſſet ihm den freien Ge-
brauch ſeiner Sinne: da der Mittelpunkt dieſes
Gebrauchs in Geſicht und Gehoͤr faͤllt, wo jenes
ihm Merkmal und dieſes Ton zum Merkmale gibt:
ſo
[155] ſo wird mit jedem leichtern, gebildetern Gebrauch
dieſer Sinne, ihm Sprache fortgebildet. Laſſet
ihm den freien Gebrauch ſeiner Seelenkraͤfte. Da
der Mittelpunkt ihres Gebrauchs auf Beſonnen-
heit
faͤllt, mithin nicht ohne Sprache iſt, ſo wird
mit jedem leichtern, gebildetern Gebrauch der Be-
ſonnenheit, ihm Sprache mehr gebildet. Folg-
lich wird „die Fortbildung der Sprache dem
„Menſchen ſo natuͤrlich, als ſeine Natur
„ſelbſt.


Wer iſt nun, der den Umfang der Kraͤſte einer
Menſchenſeele kenne, wenn ſie ſich zumal in aller
Anſtrengung gegen Schwuͤrigkeiten und Gefahren
aͤußern? Wer iſt, der den Grad der Vollkom-
menheit abwiege, zu dem ſie durch eine beſtandige,
innig verwickelte, ſo vielfache Fortbildung gelan-
gen kann? Und da alles auf Sprache hinaus laͤuft,
wie anſehnlich, was ein Einzelner Menſch zur
Sprache ſammlen muß! Mußte ſich ſchon der
Blinde und Stumme, auf ſeinem einſamen Ei-
lande eine duͤrftige Sprache ſchaffen; der Menſch,
der Lehrling aller Sinne! der Lehrling der ganzen
Welt! wie weit reicher muß er werden! Was ſoll
er
[156] er genießen? — Sinne, Geruch, Witterung fuͤr
die Kraͤuter, die ihm geſund; Abneigung fuͤr die,
ſo ihm ſchaͤdlich ſind, hat die Natur ihm nicht ge-
geben; er muß alſo verſuchen, ſchmecken, wie die
Europaͤer in Amerika den Thieren abſehen, was
eßbar ſey? — Sich alſo Merkmale der Kraͤuter,
mithin Sprache ſammlen! Er hat nicht Staͤrke
genug, um dem Loͤwen zu begegnen; er entweiche
alſo ferne von ihm, kenne ihn von fern an ſeinem
Schalle, und um ihm menſchlich und mit Bedacht
entweichen zu koͤnnen, lerne ihn und hundert an-
dre ſchaͤdliche Thiere deutlich erkennen, mithin ſie
nennen! Je mehr er nun Erfahrungen ſammlet,
verſchiedne Dinge und von verſchiednen Sei-
ten
kennen lernt, deſto reicher wird ſeine Spra-
che! Je oͤfter er dieſe Erfahrungen ſiehet und die
Merkmale bei ſich wiederholet, deſto feſter und
gelaͤufiger wird ſeine Sprache. Je mehr er un-
terſcheidet
und unter einander ordnet, deſto
ordentlicher wird ſeine Sprache! Dies Jahre
durch, in einem muntern Leben, in ſteten Abwech-
ſelungen, in beſtaͤndigem Kampf, mit Schwuͤrig-
keiten und Nothdurft, mit beſtaͤndiger Neuheit der
Gegen-
[157] Gegenſtaͤnde fortgeſezt: iſt der Anfang zur Spra-
che: unbetraͤchtlich? Und ſiehe! es iſt nur das
Leben eines Einzigen Menſchen!


Ein ſtummer Menſch, in dem Verſtande, wie
es die Thiere ſind, der auch nicht in ſeiner Seele
Worte denken koͤnnte, waͤre das traurigſte, ſinn-
loſeſte, verlaſſenſte Geſchoͤpf der Schoͤpfung: und
der groͤßſte Wiederſpruch mit ſich ſelbſt! Jm
ganzen Univerſum gleichſam allein; an nichts ge-
heftet und fuͤr alles da, durch nichts geſichert, und
durch ſich ſelbſt noch minder, muß der Menſch ent-
weder unterliegen, oder uͤber alles herrſchen, mit
Plan einer Weißheit, deren kein Thier faͤhig iſt,
von allem deutlichen Beſitz nehmen, oder umkom-
men! Sey nichts, oder Monarch der Schoͤpfung
durch Verſtand! Zertruͤmmere, oder ſchaffe dir
Sprache. Und wann ſich nun in dieſem andrin-
genden Kreiſe von Beduͤrfniſſen alle Seelenkraͤſte
ſammlen: wenn die ganze Menſchheit, Menſch
zu ſeyn, kaͤmpfet — wie viel kann erfunden,
gethan, geordnet werden!


Wir geſellſchaftlichen Menſchen denken uns in
einem ſolchen Zuſtand nur immer mit Zittern hin-
ein:
[158] ein: „ei, wenn der Menſch ſich gegen alles auf
„ſo langſame, ſchwache, unhinreichende Art erſt
„retten ſoll — Durch Vernunft, durch Ueberle-
„gung? wie langſam uͤberlegt dieſe! und wie
„ſchnell, wie andringend ſind ſeine Beduͤrfniſſe?
„ſeine Gefahren! ‒ ‒ Es kann dieſer Einwurf
freilich mit Beiſpielen ſehr ausgeſchmuͤkt werden;
er ſtreitet aber immer gegen eine ganz andre
Spitze. — ‒ Unſre Geſellſchaft, die viele Menſchen
zuſammengebracht, daß ſie mit ihren Faͤhigkeiten
und Verrichtungen Eins ſeyn ſollen, muß alſo von
Jugend auf Faͤhigkeiten vertheilen und Gelegen-
heiten ausſpenden, daß Eine fuͤr der andern gebil-
det werde. So wird der Eine Menſch fuͤr die
Geſellſchaft gleichſam ganz Algebra, ganz Ver-
nunft; ſo wie ſie am andern blos Herz, Muth
und Fauſt braucht: der nuzt ihr, daß er kein Ge-
nie und viel Fleiß: jener, daß er Genie in Einem
und in allem andern nichts habe. Jedes Trieb-
rad muß ſein Verhaͤltniß und Stelle haben: ſonſt
machen ſie kein Ganzes einer Maſchine — Aber
daß man dieſe Vertheilung der Seelenkraͤfte, da
man alle andre merklich erſtikt, um in Einer an-
dre
[159] dre zu uͤbertreffen, nicht in den Zuſtand eines
natuͤrlichen Menſchen uͤbertrage. Setzet einen
Philoſophen, in der Geſellſchaft geboren und er-
zogen, der nichts als ſeinen Kopf zu denken und
ſeine Hand zum Schreiben geuͤbet, ſetzet ihn mit
Einmal aus allem Schutz und gegenſeitigen Be-
quemlichkeiten, die ihm die Geſellſchaft fuͤr ſeine
einſeitigen Dienſte leiſtet, hinaus: er ſoll ſich
ſelbſt in einem unbekannten Lande Unterhalt ſuchen,
und gegen die Thiere kaͤmpfen, und in allem eigner
Schutzgott ſeyn — wie verlegen! Er hat dazu we-
der Sinne noch Kraͤfte, noch Uebunng in beiden!
Vielleicht hat er in den Jrrgaͤngen ſeiner Abſtrak-
tion, Geruch und Geſicht und Gehoͤr, und raſche
Erfindungsgabe — und gewiß jenen Muth, jene
ſchnelle Entſchließung verlohren, die ſich nur unter
Gefahren bildet und aͤußert, die in ſteter, neuer
Wuͤrkſamkeit ſeyn will, oder ſie entſchlaͤft. Jſt er
nun in Jahren, wo der Lebensquell ſeiner Geiſter
ſchon ſtille ſteht, oder zu vertroknen anfaͤngt: ſo
wird es freilich ewig zu ſpaͤt ſeyn, ihn in dieſen
Kreis hineinbilden zu wollen — aber iſt denn das
der gegebne Fall? Alle die Verſuche zur Sprache,
die
[160] die ich anfuͤhre, werden durchaus nicht gemacht,
um philoſophiſche Verſuche zu ſeyn: die Merkmale
der Kraͤuter nicht ausgefunden, wie ſie Linne claſ-
ſificiret: die erſten Erfahrungen, ſind nicht kalte,
vernunftlangſame, ſorgſam abſtrahirende Experi-
mente, wie ſie der muͤßige, einſame Philoſoph
macht, wenn er der Natur in ihrem verborgnen
Gange nachſchleicht, und nicht mehr wiſſen will,
daß, ſondern wie ſie wuͤrke? Daran war eben
dem erſten Naturbewohner am wenigſten gelegen.
Mußte es ihm demonſtrirt werden, daß das oder
jenes Kraut giftig ſey? War er denn ſo mehr als
viehiſch, daß er hierinn nicht einmal dem Vieh
nachahmte? und wars noͤthig, daß er vom Loͤwen
angefallen wuͤrde, um ſich vor ihm zu fuͤrchten?
Jſt ſeine Schuͤchternheit mit ſeiner Schwachheit,
und ſeine Beſonnenheit mit aller Feinheit ſeiner
Seelenkraͤfte verbunden, nicht gnug, ihm einen
behaglichen Zuſtand von ſelbſt zu verſchaffen, da
die Natur ſelbſt ſie dazu fuͤr gnugſam erkannt?
Da wir alſo durchaus keinen ſchuͤchternen, abſtrak-
ten Stubenphiloſophen zum Erfinder der Sprache
brauchen; da der rohe Naturmenſch, der noch ſeine
Seele
[161] Seele ſo ganz, wie ſeinen Koͤrper, aus Einem
Stuͤck fuͤhlet, uns mehr, als alle ſprachſchaffende
Akademien, und doch nichts minder, als ein Ge-
lehrter iſt — Was wollen wir dieſen denn zum
Muſter nehmen? Wollen wir einander Staub
in die Augen ſtreuen, um bewieſen zu haben, der
Menſch koͤnne nicht ſehen?


Suͤßmilch iſt hier wieder der Gegner, mit
dem ich kaͤmpfe. Er hat einen ganzen Abſchnitt*)
darauf verwandt um zu zeigen, „wie unmoͤglich
„ſich der Menſch eine Sprache habe fortbilden
„koͤnnen, wenn er ſie auch durch Nachahmung er-
„funden haͤtte!„ Daß das Erfinden durch bloße
Nachahmung ohne menſchliche Seele Unſinn ſey,
iſt bewieſen, und waͤre der Vertheiger des goͤttli-
chen Urſprungs dieſer Sache demonſtrativ gewiß
geweſen, daß es Unſinn ſey; ſo traue ich ihm zu,
daß er gegen ihn nicht eine Menge von halbwah-
ren Gruͤnden zuſammen getragen haͤtte, die jezt
gegen eine menſchliche Erfindung der Sprache durch
Verſtand ſaͤmmtlich nichts beweiſen. Jch kann
unmoͤglich den ganzen Abſchnitt, ſo verflochten mit
Lwill-
[162] willkuͤhrlich angenommenen Heiſcheſaͤtzen und fal-
ſchen Axiomen uͤber die Natur der Sprache er iſt,
hier ganz auseinander ſetzen, weil der Verfaſſer
immer in einem gewiſſen Licht erſchiene, in dem
er hier nicht erſcheinen ſoll — ich nehme alſo nur
ſo viel heraus, als noͤthig iſt: nemlich, „daß in
„ſeinen Einwuͤrfen die Natur einer ſich fort-
„bildenden menſchlichen Sprache und einer
„ſich fortbildenden menſchlichen Seele durch-
„aus verkannt ſey.


„Wenn man annimmt, daß die Einwohner
„der erſten Welt nur aus etlichen tauſend Familien
„beſtanden haͤtten, da das Licht des Verſtandes
„durch den Gebrauch der Sprache ſchon ſo helle ge-
„ſchienen, daß ſie eingeſehen, was die Sprache
„ſey und daß ſie alſo an die Verbeſſerung dieſes herr-
„lichen Mittels haben koͤnnen anfangen zu denken:
ſo ‒ ‒*)„ aber von allen dieſen Vorderſaͤtzen nimmt
niemand nichts an. Mußte mans erſt in tauſend
Generationen einſehen, was Sprache ſey? Der
erſte Menſch ſahe es ein, da er den erſten Gedan-
ken
[163] ken dachte. Mußte man erſt in tauſend Genera-
tionen ſo weit kommen es einzuſehen, daß die
Sprache zu verbeſſern gut ſey? Der erſte Menſch
ſahe es ein, da er ſeine erſten Merkmale beſſer ord-
nen, berichtigen, unterſcheiden und zuſammenſetzen
lernte, und verbeſſerte jedesmal unmittelbar die
Sprache, da er ſo etwas von neuem lernte. Und
denn wie haͤtte ſich doch durch tauſend Genera-
tionen hin das Licht des Verſtandes durch die
Sprache ſo helle aufklaͤren koͤnnen, wenn im Ab-
lauf dieſer Generationen ſich nicht ſchon Sprache
aufgeklaͤhrt
haͤtte. Alſo Aufklaͤrung ohne Ver-
beſſerung!
und hinter einer Verbeſſerung tauſend
Familien hinunter noch der Anfang zu einer Ver-
beſſerung unmoͤglich? das iſt gerade zu wieder-
ſprechend. — — —


„Wuͤrde aber nicht alſo ein ganz unentbehrlich
„Huͤlfsmittel dieſes Philoſophiſchen und Philologi-
„ſchen Collegii Schrift muͤſſen angenommen wer-
den?„ Nein! denn es war durchaus kein Philoſo-
phiſch und Philologiſch Collegium, dieſe erſte natuͤr-
liche, lebendige, menſchliche Fortbildung der Spra-
che: und was kann denn der Philoſoph und Philo-
L 2log
[164] log in ſeinem todten Muſeum an einer Sprache
verbeſſern, die in aller ihrer Wuͤrkſamkeit lebt?


„Sollen denn nun alle Voͤlker auf gleiche
„Weiſe mit der Verbeſſerung zu Werke gegangen
„ſeyn?„ Ganz auf gleiche Weiſe, denn ſie gien-
gen alle menſchlich: ſo daß wir uns hier in den
weſentlichen Rudimenten der Sprache einen fuͤr
alle anzunehmen getrauen. Wann das aber das
groͤßte Wunder ſeyn ſoll, *)daß alle Sprachen
acht
partes Orationis,haben: ſo iſt wieder das Fak-
tum falſch, und der Schluß unrichtig. Nicht alle
Sprachen haben von allen Zeiten herunter achte ge-
habt: ſondern der erſte philoſophiſche Blick in die
Bauart einer Sprache zeigt, daß dieſe achte ſich aus-
einander entwickelt. Jn den aͤlteſten ſind Verba
eher geweſen, als Nomina, und vielleicht Jnter-
jektionen eher, als ſelbſt regelmaͤßige Verba. Jn
den ſpaͤtern ſind Nomina mit Verbis gleich zuſam-
men abgeleitet; allein ſelbſt von der griechiſchen
ſagts Ariſtoteles, daß auch in ihr dies Anfangs
alle Redetheile geweſen, und die andere ſich nur
ſpaͤ-
[165] ſpaͤter durch die Grammatiker aus jenen entwi-
ckelt. Von der Huroniſchen habe ich eben daſ-
ſelbe geleſen, und von den Morgenlaͤndiſchen iſts
offenbar — — ja was iſts denn endlich fuͤr ein
Kunſtſtuͤck, die willkuͤhrliche und zum Theil un-
philoſophiſche Abſtraktion der Grammatiker in acht
partes Orationis? Jſt die ſo regelmaͤßig und goͤtt-
lich, als die Form einer Bienenzelle? Und wenn
ſies waͤre, iſt ſie nicht durchaus aus der menſchli-
chen Seele erklaͤrbar und als nothwendig gezeigt?


„Und was ſollte die Menſchen zu dieſer hoͤchſt-
„ſauren Arbeit der Verbeſſerung gereitzet haben?„
O durchaus keine ſaure, ſpekulative Stubenarbeit!
durchaus keine abſtrakte Verbeſſerung a priori! und
alſo auch gewiß keine Anreizungen dazu, die nur
in unſerm Zuſtande der verfeinerten Geſellſchaft
ſtatt finden. Jch muß hier meinen Gegner ganz
verlaſſen. Er nimmt an, daß „die erſten Ver-
„beſſerer recht gute philoſophiſche Koͤpfe geweſen
„ſeyn muͤßten, die gewiß weiter und tiefer geſehen,
„als die meiſten Gelehrte jezt in Anſehung der
„Sprache und ihrer innern Beſchaffenheit zu
„thun pflegen.„ Er nimmt an, daß „dieſe Ge-
L 3„lehrte
[166] „lehrte uͤberall erkannt haben muͤßten, daß ihre
„Sprache unvollkommen, und daß ſie einer Ver-
„beſſerung nicht nur faͤhig, ſondern auch beduͤrftig
ſey.„ Er nimmt an, daß „ſie den Zweck der
„Sprache haben gehoͤrig beurtheilen muͤſſen u. ſ. w.
„daß die Vorſtellung dieſes zu erlangenden Gutes
„hinlaͤnglich, ſtark und lebhaft gnug geweſen ſeyn
„muͤſſe, um ein Bewegungsgrund zur Ueberneh-
„mung dieſer ſchweren Arbeit zu werden„ Kurz
der Philoſoph unſres Zeitalters wollte ſich nicht
einen Schritt auch aus allem Zufaͤlligen deſſelben
hinauswagen, und wie konnte er denn nach ſolchem
Geſichtspunkt von der Entſtehung einer Sprache
ſchreiben? Freilich in unſerm Jahrhundert haͤtte
ſie ſo wenig entſtehen koͤnnen, als ſie entſtehen
darf?


Aber kennen wir denn nicht jezt ſchon die
Menſchen in ſo verſchiednen Zeitaltern, Gegen-
den und Stuffen der Bildung, daß uns dies ſo ver-
aͤnderte große Schauſpiel nicht ſicherer auf die erſte
Scene ſchließen lehrte? Wiſſen wir denn nicht,
daß eben in den Winkeln der Erde, wo noch die
Vernunft am wenigſten in die feine, geſellſchaft-
liche,
[167] liche, vielſeitige, gelehrte Form gegoſſen iſt, noch
Sinnlichkeit, und roher Scharfſinn, und Schlau-
heit, und muthige Wuͤrkſamkeit, und Leidenſchaft
und Erfindungsgeiſt — die ganze ungetheilte
menſchliche Seele am lebhafteſten wuͤrke? Am
lebhafteſten wuͤrke, weil ſie noch auf keine lang-
weilige Regeln gebracht, immer in einem Kreiſe
von Beduͤrfniſſen, von Gefahren, von andringen-
den Erforderniſſen ganz lebt, und ſich alſo immer
neu und ganz fuͤhlt. Da, nur da zeigt ſie Kraͤfte,
ſich Sprache zu bilden und fortzubilden! da hat
ſie Sinnlichkeit und gleichſam Jnſtinkt gnug, um
den ganzen Laut und alle ſich aͤußernde Merkmale
der lebenden Natur ſo ganz zu empfinden, wie
wir nicht mehr koͤnnen: und wenn die Beſinnung
alsdenn Eins derſelben lostrennet, es ſo ſtark und
innig zu nennen, als wirs nicht nennen wuͤrden.
Je minder die Seelenkraͤfte noch entwickelt und
jede zu einer eignen Sphaͤre abgerichtet iſt: deſto
ſtaͤrker wuͤrken alle zuſammen: deſto inniger
iſt der Mittelpunkt ihrer Jntenſitaͤt; nehmet aber
dieſen großen unzerbrechlichen Pfeilbund auseinan-
der und ihr koͤnnt ſie alle zerbrechen, und denn
L 4laͤßt
[168] laͤßt ſich gewiß nicht mit einem Stabe das Wun-
der thun, gewiß nicht mit der Einzigen kalten
Abſtraktionsgabe der Philoſophen
je Sprache
erfinden — war das aber unſre Frage? Drang
jener Weltſinn nicht tiefer? Und waren bei dem
beſtaͤndigen Zuſammenſtrom aller Sinne, in deſſen
Mittelpunkt immer der innere Sinn wachte, nicht
immer neue Merkmale, Ordnungen, Geſichts-
punkte, ſchnelle Schlußarten gegenwaͤrtig, und
alſo immer neue Bereicherungen der Sprache?
Und empfing alſo zu dieſer, (wenn man nicht auf
acht partes Orationis rechnen will,) die menſchliche
Seele nicht ihre beſten Eingebungen, ſo lange ſie
noch ohne alle Anreitzungen der Geſellſchaft ſich
nur ſelbſt deſto maͤchtiger anreizte, ſich alle die
Thaͤtigkeit der Empfindung und des Gedankens
gab, die ſie ſich nach innerm Drang und aͤußern
Erforderniſſen geben mußte — da gebar ſich
Sprache mit der ganzen Entwiklung der
menſchlichen Kraͤfte.


Es iſt fuͤr mich unbegreiflich, wie unſer Jahr-
hundert ſo tief in die Schatten, in die dunkeln
Werkſtaͤten des Kunſtmaͤßigen ſich verlieren kann,
ohne
[169] ohne auch nicht einmal das weite, helle Licht der
uneingekerkerten Natur erkennen zu wollen. Aus
den groͤſſeſten Heldenthaten des menſchlichen Gei-
ſtes, die er nur im Zuſammenſtoß der lebendigen
Welt thun und aͤußern konnte, ſind Schuluͤbungen
im Staube unſrer Lehrkerker; aus den Meiſter-
ſtuͤcken menſchlicher Dichtkunſt und Beredſamkeit
Kindereien geworden, an welchen greiſe Kinder und
junge Kinder Phraſes lernen und Regeln klauben.
Wir haſchen ihre Formalitaͤten und haben ihren
Geiſt verloren; wir lernen ihre Sprache und fuͤh-
len nicht die lebendige Welt ihrer Gedanken. Der-
ſelbe Fall iſts mit unſern Urtheilen uͤber das Mei-
ſterſtuͤck des menſchlichen Geiſtes, die Bildung der
Sprache uͤberhaupt. Da ſoll uns das todte Nach-
denken Dinge lehren, die blos aus dem lebendigen
Hauche der Welt, aus dem Geiſte der großen
wuͤrkſamen Natur den Menſchen beſeelen, ihn auf-
rufen und fortbilden konnten. Da ſollen die
ſtumpfen, ſpaͤten Geſetze der Grammatiker das
Goͤttlichſte ſeyn, was wir verehren, und vergeſſen
die wahre goͤttliche Sprachnatur, die ſich in ihrem
Herzen mit dem menſchlichen Geiſte bildete: ſo
L 5unregel-
[170] unregelmaͤßig ſie auch ſcheine. Die Sprachbil-
dung iſt in die Schatten der Schule gewichen,
aus denen ſie nichts mehr fuͤr die lebendige Welt
wuͤrket: drum ſoll auch nie eine helle Welt gewe-
ſen ſeyn, in der die erſten Sprachenbilder leben,
fuͤhlen, ſchaffen, und dichten mußten. — Jch be-
rufe mich auf das Gefuͤhl derer, die den Menſchen
im Grunde ſeiner Kraͤfte, und das Kraͤftige, Maͤch-
tige, Große in den Sprachen der Wilden, und
Weſen der Sprache uͤberhaupt nicht verkennen —
Daher fahre ich fort:


Zweites Naturgeſetz.



  • Der Menſch iſt in ſeiner Beſtimmung ein Ge-
    ſchoͤpf der Heerde, der Geſellſchaft: die Fort-
    bildung einer Sprache wird ihm alſo natuͤr-
    lich, weſentlich, nothwendig.

Das menſchliche Weib hat keine Jahrszeit der
Brunſt, wie die Thierweiber: Und die Zeugungs-
kraft des Mannes iſt nicht ſo ungebaͤndigt, aber
fort-
[171] fortwaͤhrend. Wenn nun Stoͤrche und Tauben
Ehen haben; ſo wuͤßte ich nicht, warum ſie der
Menſch aus mehrern Urſachen nicht haͤtte?


Der Menſch gegen den ſtruppichten Baͤr und
den borſtigen Ygel geſezt, iſt ein ſchwaͤcheres,
duͤrftigeres, nakteres Thier: es hat Hoͤlen noͤthig,
und dieſe werden, mit den vorigen Veranlaſſungen
ſehr natuͤrlich gemeinſchaftliche Hoͤlen.


Der Menſch iſt ein ſchwaͤcheres Thier, was in
mehrern Himmelsgegenden ſehr uͤbel den Jahrs-
zeiten ausgeſezt waͤre: das menſchliche Weib hat
alſo als Schwangere, als Gebaͤrerinn, einer ge-
ſellſchaftlichen Huͤlfe
mehr noͤthig, als der
Straus, der ſeine Eier in die Wuͤſte leget.


Endlich inſonderheit das menſchliche Junge,
der auf die Welt geſezte Saͤugling, wie ſehr iſt
er ein Vaſall menſchlicher Huͤlfe und geſelliger Er-
barmung. Aus einem Zuſtande, wo er als Pflanze
am Herzen ſeiner Mutter hing, wird er auf die
Erde geworfen — das ſchwaͤchſte huͤlfloſeſte Ge-
ſchoͤpf unter allen Thieren, wenn nicht muͤtterli-
che Bruͤſte da waͤren, ihn zu naͤhren, und vaͤter-
liche Knie entgegen kaͤmen, ihn als Sohn aufzu-
neh-
[172] nehmen. Wem wird hiemit nicht „Haushaltung
der Natur zur Geſellung der Menſchheit

vorleuchtend? und zwar die ſo unmittelbar, ſo
nahe am Jnſtinkt, als es bei einem beſonne-
nen
Geſchoͤpf ſeyn konnte! —


Jch muß den lezten Punkt mehr entwickeln,
denn in ihm zeigt ſich das Werk der Natur am au-
genſcheinlichſten, und mein Schluß wird hieraus
um deſto ſchneller. Wenn man alles, wie unſre
groben Epikuraͤer, aus blinder Wolluſt oder unmit-
telbarem Eigennutz erklaͤren will — wer kann das
Gefuͤhl der Eltern gegen Kinder erklaͤren? Und
die ſtarken Bande, die dadurch bewuͤrkt werden?
Siehe! dieſer arme Erdbewohner kommt elend
auf die Welt, ohne zu wiſſen, daß er elend ſey:
er iſt der Erbarmung beduͤrftig, ohne daß er ſich
ihrer im mindſten werth machen koͤnnte: er wei-
net — aber ſelbſt dies Weinen mußte ſo beſchwehr-
lich werden, als das Geheul des Philoktet, der
doch ſo viel Verdienſte hatte, den Griechen, die
ihn der wuͤſten Jnſel uͤbergaben. Hier muß-
ten alſo eben, nach unſrer kalten Philoſophie die
Bande der Natur am eheſten reißen, wo ſie am
ſtaͤrk-
[173] ſtaͤrkſten wuͤrken! Die Mutter hat ſich der Frucht,
die ihr ſo viel Ungemach machte, endlich mit
Schmerzen entledigt: kommts blos auf Vergnuͤ-
gen und neue Wolluſt an: ſo wirft ſie ſie weg.
Der Vater hat in wenigen Minuten ſeine Brunſt
gekuͤhlet — was ſoll er ſich weiter um Mutter und
Kind, als Gegenſtaͤnde ſeiner Muͤhe, bekuͤm-
mern: er laͤuft wie Rouſſeaus Mannthier, in
den Wald und ſucht ſich einen andern Gegenſtand
ſeines thieriſchen Vergnuͤgens. Wie ganz um-
gekehrt iſt hier die Ordnung der Natur, bei Thie-
ren und Menſchen und wie weiſer. Eben die
Schmerzen und Ungemaͤchlichkeiten vermehren die
muͤtterliche Liebe! eben das Bejammerns- und nicht
Liebenswuͤrdige des Saͤuglings, das Schwache,
Hinfaͤllige ſeines Temperaments, die beſchwerliche,
verdrießliche Muͤhe der Erziehung verdoppelt die
Regungen ſeiner Eltern! die Mutter ſieht den
Sohn mit waͤrmerer Wallung an, der ihr die
meiſten Schmerzen gekoſtet, der ihr am oͤfter-
ſten mit ſeinem Abſchiede gedrohet, auf den ihre
meiſten Zaͤhren des Kummers floſſen. Der Va-
ter ſieht den Sohn mit waͤrmerer Wallung an,
den
[174] den er fruͤhe aus einer Gefahr riß, den er mit
der groͤßten Muͤhwaltung erzog, der ihm in Unter-
richt und Bildung das meiſte koſtete. Und ſo weiß
auch „im Ganzen des Geſchlechts die Natur
„aus der Schwachheit Staͤrke zu machen.„
Eben deswegen kommt der Menſch ſo ſchwach, ſo
duͤrftig, ſo verlaſſen, von dem Unterricht der Na-
tur, ſo ganz ohne Fertigkeiten und Talente auf
die Welt, wie kein Thier, damit er, wie kein
Thier, „eine Erziehung genieße, und das
„menſchliche Geſchlecht, wie kein Thiergeſchlecht,
ein innigverbundenes Ganze werde!„


Die jungen Enten entſchlupfen der Henne,
die ſie ausgebruͤtet, und hoͤren, vergnuͤgt in dem
Elemente plaͤtſchernd, in das ſie der Ruf der muͤt-
terlichen Natur hinzog, die warnende rufende
Stimme ihrer Stiefmutter nicht, die am Ufer
jammert. So wuͤrde es das Menſchenkind auch
machen, wenn es mit dem Jnſtinkt der Ente auf
die Welt kaͤme. Jeder Vogel bringt die Ge-
ſchiklichkeit Neſter zu bauen, aus ſeinem Ei, und
nimmt ſie auch, ohne fortzupflanzen, in ſein
Grab
[175] Grab: die Natur unterrichtet fuͤr ihn. Alles
bleibt alſo Einzeln, das unmittelbare Werk der
Natur und ſo wird „keine Progreßion der Seele
„des Geſchlechts,
„ kein Ganzes, wie es die
Natur am Menſchen wollte. Den band ſie alſo
durch Noth und einen zuvorkommenden Eltern-
trieb, fuͤr den die Griechen das Wort ςοργὴ hat-
ten, zuſammen, und ſo wurde „ein Band des
Unterrichts und der Erziehung„ ihm weſentlich.
Da hatten Eltern den Kreis ihrer Jdeen nicht
fuͤr ſich geſammlet; er war zugleich da, um mit-
getheilt
zu werden, und der Sohn hat den Vor-
theil, den Reichthum ihres Geiſtes ſchon fruͤhe,
wie im Auszuge zu erben. Jene tragen die
Schuld der Natur ab, indem ſie lehren; dieſe
fuͤllen das ideenloſe Beduͤrfniß ihrer Natur aus,
indem ſie lernen: ſo wie ſie nachher wieder ihre
Schuld der Natur abtragen werden, dieſen Reich-
thum mit Eignem zu vermehren und ihn wieder
weiter fortzupflanzen. Kein einzelner Menſch iſt
fuͤr ſich da: „er iſt, in das Ganze des Ge-
„ſchlechts eingeſchoben,
er iſt nur Eins fuͤr
„die fortgehende Folge.


Was
[176]

Was dies auf die ganze Kette fuͤr Wuͤrkung
thue, ſehen wir ſpaͤter; hier ſchraͤnken wir uns
nur auf den Zuſammenhang der erſten zween
Ringe ein! auf „die Bildung einer Familien-
„denkart durch den Unterricht der Erzie-
„hung
„ und —


Da der Unterricht der eignen Seele, der
Jdeenkreis der Elternſprache iſt: ſo wird „die
Fortbildung des menſchlichen Unterrichts
„durch den Geiſt der Familie, durch den die
„Natur das ganze Geſchlecht verknuͤpft hat, auch
Fortbildung der Sprache.


Warum haͤngt dieſer Unmuͤndige ſo ſchwach
und unwiſſend an den Bruͤſten ſeiner Mutter, an
den Knien ſeines Vaters? Damit er lehrbegierig
ſey und Sprache lerne. Er iſt ſchwach, damit
ſein Geſchlecht ſtark werde. Nun theilt ſich ihm
mit der Sprache, die ganze Seele, die ganze
Denkart ſeiner Erzeuger mit; aber eben deswegen
theilen ſie es ihm gerne mit, weil es ihr Selbſtge-
dachtes, Selbſtgefuͤhltes, Selbſterfundenes iſt,
was ſie mittheilen. Der Saͤugling, der die erſten
Worte ſammlet, ſtammlet die Gefuͤhle ſeiner El-
tern
[177] tern wieder, und ſchwoͤrt mit jedem fruͤhen
Stammlen, nachdem ſich ſeine Zunge und Seele
bildet, dieſe Gefuͤhle zu verewigen, ſo wahr er ſie
Vater- oder Mutterſprache nennet. Lebenslang
werden dieſe erſten Eindruͤcke ſeiner Kindheit,
dieſe Bilder aus der Seele und dem Herzen ſeiner
Eltern in ihm leben und wuͤrken: mit dem Wort
wird das ganze Gefuͤhl wiederkommen, was da-
mahls fruͤhe ſeine Seele uͤberſtroͤmte: mit der Jdee
des Worts alle Nebenideen, die ihm damals bei
dieſem, neuen fruͤhen Morgenausblick in das
Reich der Schoͤpfung vorlagen — ſie werden wie-
derkommen und maͤchtiger wuͤrken, als die reine,
klare Hauptidee ſelbſt. Das wird alſo Familien-
denkart,
und mithin Familienſprache. Da
ſteht nun der kalte Philoſoph*) und fraͤgt „durch
„welches Geſetz denn wohl die Menſchen ihre
„willkuͤhrlich erfundne Sprache einander haͤtten
„aufdringen, und den andern Theil haͤtten
„veranlaſſen koͤnnen, das Geſetz anzunehmen?„
Dieſe Frage, uͤber die Rouſſeau ſo pathetiſch,
und ein andrer Schriftſteller ſo lange predigt, be-
Mant-
[178] antwortet ſich, wenn wir einen Blick in „die
Oekonomie der Natur des menſchlichen
„Geſchlechts
„ thun, von ſelbſt, und wer kann
nun die vorigen Predigten aushalten?


Jſts denn nicht Geſetz, und Verewigung gnug,
dieſe Familienfortbildung der Sprache? Das
Weib, in der Natur ſo ſehr der ſchwaͤchere Theil,
muß es nicht von dem erfahrnen, verſorgenden,
ſprachbildenden Manne Geſetz annehmen? Ja
heißt Geſetz, was blos milde Wohlthat des Unter-
richts iſt? Das ſchwache Kind, das ſo eigentlich
ein Unmuͤndiger heißt, muß es nicht Sprache an-
nehmen, da es mit ihr die Milch ſeiner Mutter
und den Geiſt ſeines Vaters genießet? Und muß
dieſe Sprache nicht verewigt werden, wenn etwas
verewigt wird? O die Geſetze der Natur ſind maͤch-
tiger, als alle Conventionen, die die ſchlaue Po-
litik ſchließet, und der weiſe Philoſoph aufzaͤhlen
will! Die Worte der Kindheit — dieſe unſre fruͤ-
hen Geſpielen in der Morgenroͤthe des Lebens!
mit denen ſich unſre ganze Seele zuſammen bil-
dete — wenn werden wir ſie verkennen? Wenn
werden wir ſie vergeſſen? Unſre Mutterſprache
war
[179] war ja zugleich die erſte Welt, die wir ſahen,
die erſten Empfindungen, die wir fuͤhlten, die
erſte Wuͤrkſamkeit und Freude, die wir genoſſen!
Die Nebenideen von Ort und Zeit, von Liebe und
Haß, von Freude und Thaͤtigkeit, und was die
feurige, heraufwallende Jugendſeele ſich dabei
dachte, wird alles mit verewigt — nun wird die
Sprache ſchon Stamm!


Und je Kleiner dieſer Stamm iſt, deſto mehr
gewinnt er an innerer Staͤrke. Unſre Vaͤter,
die nichts ſelbſt gedacht, nichts ſelbſt erfunden;
die alles mechaniſch gelernt haben — was be-
kuͤmmern ſich die um Unterricht ihrer Soͤhne?
um Verewigung deſſen, was ſie ja ſelbſt nicht
beſitzen? Aber der erſte Vater, die erſten duͤrfti-
gen Spracherfinder, die faſt an jedem Worte die
Arbeit ihrer Seele hingaben, die uͤberall in der
Sprache noch den warmen Schweiß fuͤhlten, den
er ihrer Wuͤrkſamkeit gekoſtet — welchen Jnfor-
mator konnten die beſtellen? Die ganze Sprache
ihrer Kinder war ein Dialekt ihrer Gedanken,
ein Loblied ihrer Thaten,
wie die Lieder Oßi-
ans
auf ſeinen Vater Fingal.


M 2Rouſ-
[180]

Rouſſeau und andre haben ſo viel Paradoxien
uͤber den Urſprung und das Anrecht des erſten
Eigenthums gemacht; und haͤtte der erſte nur die
Natur ſeines geliebten Thiermenſchen befragt: ſo
haͤtte der ihm geantwortet. Warum gehoͤrt dieſe
Blume der Biene, die auf ihr ſauget? Die Biene
wird antworten: weil mich die Natur zu dieſem
Saugen gemacht hat! mein Jnſtinkt, der auf
dieſe und keine andre Blume hinfaͤllt, iſt mir
Diktator gnug, der mir ſie und ihren Garten
zum Eigenthum anweiſe! Und wenn wir nun
den erſten Menſchen fragen: „Wer hat dir das
„Recht, auf dieſe Kraͤuter gegeben?„ Was kann
er antworten, als: die Natur, die mir Beſin-
nung
gab! dieſe Kraͤuter habe ich mit Muͤhe ken-
nen gelernt! mit Muͤhe habe ich ſie mein Weib
und meinen Sohn kennen gelehrt! Wir alle leben
von ihnen! ich habe mehr Recht daran, als die
Biene, die darauf ſummet, und das Vieh, das
darauf weidet; denn die haben alle die Muͤhe des
Kennenlernens und Kennenlehrens nicht gehabt!
Jeder Gedanke alſo, den ich darauf gezeichnet,
iſt ein Siegel meines Eigenthums, und wer mich
davon
[181] davon vertreibet, der nimmt mir nicht blos
mein Leben, wenn ich dieſen Unterhalt nicht
wieder finde; ſondern wuͤrklich auch den Werth
meiner verlebten Jahre,
meinen Schweiß,
meine Muͤhe, meine Gedanken, meine Spra-
che — ich habe ſie mir erworben! und ſollte fuͤr
den Erſtling der Menſchheit eine ſolche Signatur
der Seele auf eine Sache, durch Kennenlernen,
durch Merkmal, durch Sprache, nicht mehr Recht
des Eigenthums ſeyn, als ein Stempel in der
Muͤnze?


„Wie viel Ordnung und Ausbildung be-
„kommt die Sprache alſo ſchon eben damit, daß
„ſie vaͤterliche Lehre wird! wer lernt nicht,
indem er lehret? Wer verſichert ſich nicht ſeiner
Jdeen, wer muſtert nicht ſeine Worte, indem
er ſie andern mittheilt, und ſie ſo oft von den Lip-
pen des Unmuͤndigen ſtammlen hoͤret? Hier ge-
winnt alſo ſchon die Sprache eine Form der
Kunſt,
der Methode! hier wuͤrde die erſte
Grammatik, die ein Abdruck der menſchlichen
Seele, und ihrer natuͤrlichen Logik war, ſchon
durch eine ſcharfpruͤfende Cenſur berichtigt.


M 3Ronſ-
[182]

Rouſſeau, der hier, wie gewoͤhnlich nach ſeiner
Art, aufruft: „was hatte denn die Mutter ih-
„rem Kinde, viel zu ſagen? hatte das Kind
„nicht ſeiner Mutter mehr zu ſagen? woher lernte
„denn dies ſchon Sprache, ſie ſeine Mutter zu
„lehren?„ macht aber auch hier, wie nach ſeiner
Art gewoͤhnlich, ein paniſches Feldgeſchrei. Aller-
dings hatte die Mutter mehr das Kind zu lehren
als das Kind die Mutter — weil jene es mehr
lehren konnte, und der muͤtterliche Jnſtinkt,
Liebe und Mitleiden, den Rouſſeau aus Barm-
herzigkeit den Thieren zugibt und aus Großmuth
ſeinem Geſchlecht verſagt, ſie zu dieſem Unterricht,
wie der Ueberfluß der Milch zum Saugen zwang.
Sehen wir denn nicht ſelbſt an manchen Thieren,
daß die Aeltere ihre Jungen zu ihrer Lebensart
gewoͤhnen? und wenn denn nun ein Vater ſeinen
Sohn von fruͤher Jugend an zur Jagd gewoͤhnte,
ging dies ohne Unterricht und Sprache ab? „Ja!
„ein ſolches Woͤrterdiktiren zeigt ſchon eine gebil-
„dete Sprache an, die man lehrt; nicht eine,
„die ſich erſt bildet!„ Und iſt das wieder ein
Unterſchied, der Ausnahme mache? Freilich war
die
[183]die Sprache ſchon im Vater und in der Mutter
gebildet, die ſie die Kinder lehrten, aber dorfte
deswegen ſchon die Sprache ganz gebildet ſeyn,
auch ſelbſt die, die ſie ſie nicht lehrten? Und konn-
ten denn die Kinder in einer neuern, weitern,
feinern Welt nichts mehr dazu erfinden? und iſt
denn eine zum Theil gebildete, ſich weiter fort-
bildende
Sprache ein Wiederſpruch? Wenn iſt
die Franzoͤſiſche, durch Akademien und Autoren
und Woͤrterbuͤcher ſo gebildete Sprache, denn ſo
zu Ende gebildet, daß ſie ſich nicht mit jedem
neuen originalen Autor, ja mit jedem Kopfe, der
neuen Ton in die Geſellſchaft bringt, neu bilden,
oder mißbilden muͤßte? — Mit ſolchen Para-
logiſmen ſind die Verfechter der gegenſeitigen
Meinung behangen — man urtheile, ob es
lohne, ſich auf jede Kleinigkeit ihrer Einwuͤrfe
einzulaſſen.


Ein andrer z. B. ſagt: „wie doch die Men-
„ſchen wohl je aus Nothdurft ihre Sprache haͤtten
„fortbilden wollen, wenn ſie Lukrezens Mutum et
„turpe pecus
geweſen waͤren?„ und laͤßt ſich auf
eine Menge halbwahrer Jnſtanzen der Wilden
M 4ein.
[184] ein. Jch antworte blos: Niemals! Niemals
haͤtten ſie es wollen und koͤnnen, wenn ſie ein
Mutum pecus geweſen: denn da hatten ſie ja keine
Sprache? Sind aber die Wilden von der Art?
iſt denn die barbariſchſte menſchliche Nation ohne
Sprache? Und iſts denn je der Menſch, als in
der Abſtraktion der Philoſophen und alſo in ihrem
Gehirn geweſen?


Er fragt: „ob denn wohl, da alle Thiere
„Zwang ſcheuen, und alle Menſchen Faulheit lie-
„ben, es je von den Orenocks des Condamine
„erwartet werden koͤnne, daß ſie ihre langgedehnte,
„achtſylbige, ſchwere und hoͤchſtbeſchwerliche
„Sprache aͤndern und verbeſſern ſollten?„ Und
„ich antworte: zuerſt iſt wieder das Faktum un-
„richtig, wie faſt alle, die er anfuͤhrt. *)„ Jhre
„langgedehnte, achtſylbige Sprache?„ das iſt ſie
nicht. Condamine ſagt blos: ſie ſei ſo unausſprech-
lich und eigen organiſirt, daß wo ſie drei oder
vier Sylben ausſprechen, wir 7 biß 8 ſchreiben
muͤßten, und doch haͤtten wir ſie noch nicht ganz
ge-
[185] geſchrieben — heißt das: ſie iſt lang gedehnt,
achtſylbigt? Und „ſchwer, hoͤchſtbeſchwerlich?„
Fuͤr wen iſt ſie dies anders als fuͤr Fremde? Und
fuͤr die ſollen ſie ſie ausbeſſern? Fuͤr einen kom-
menden Franzoſen, der je kaum eine Sprache als
die ſeinige, ohne ſie zu verſtuͤmmeln, lernt, ſie ver-
beſſern, ſie alſo franziſiren? Haben aber deßwe-
gen die Orenoker noch nichts in ihrer Sprache
gebildet? ja ſich noch gar keine Sprache gebil-
det:
weil ſie nicht den Genius, der ihnen ſo eigen
iſt, fuͤr einen herabſchiffenden Fremdling vertau-
ſchen moͤgen? Ja geſezt, ſie bildeten auch nichts
mehr
in ihrer Sprache, auch nicht fuͤr ſich —
iſt man denn nie gewachſen wenn man nicht mehr
waͤchſt? und haben denn die Wilden nichts ge-
than, weil ſie nichts gern ohne Noth thun? —


Und welcher Schatz iſt Familienſprache fuͤr
ein werdendes Geſchlecht! Faſt in allen kleinen
Nationen aller Welttheile, ſo wenig gebildet ſie
auch ſeyn moͤgen, ſind Lieder von ihren Vaͤtern,
Geſaͤnge von den Thaten ihrer Vorfahren der
Schatz ihrer Sprache, und Geſchichte, und
Dichtkunſt; ihre Weißheit und ihre Aufmunte-
M 5rung;
[186] rung; ihr Unterricht und ihre Spiele und Taͤnze.
Die Griechen ſangen von ihren Argonauten, von
Herkules und Bacchus, von Helden und Troja-
bezwingern: und die Celten von den Vaͤtern ihrer
Staͤmme, von Fingal und Oßian! unter Perua-
nern und Nordamerikanern, auf den Caraibiſchen
und Marianiſchen Jnſeln herrſcht noch dieſer Ur-
ſprung der Stammesſprache in den Liedern ihrer
Staͤmme und Vaͤter, ſo wie faſt in allen Theilen
der Welt Vater und Mutter aͤhnliche Namen
haben. Nur laͤßt ſich auch eben hier anmerken,
warum unter ſo manchen Voͤlkern, von denen wir
Beiſpiele angefuͤhrt, das maͤnnliche und weibli-
che
Geſchlecht faſt zwo verſchiedene Sprachen ha-
ben, nemlich weil beide nach den Sitten der Na-
tion, als das edle und unedle Geſchlecht, faſt zwei
ganz abgetrennte Voͤlker ausmachen, die nicht
einmal zuſammenſpeiſen. Nachdem nun die Er-
ziehung Vaͤterlich oder Muͤtterlich war: ſo mußte
auch die Sprache Vater- oder Mutterſprache
werden, ſo wie nach der Sitte der Roͤmer es gar
lingua vernacula wurde.


Drit-
[187]

Drittes Naturgeſetz.



  • So wie das ganze menſchliche Geſchlecht un-
    moͤglich Eine Heerde bleiben konnte: ſo konn-
    te es auch nicht Eine Sprache behalten. Es
    wird alſo eine Bildung verſchiedner National-
    ſprachen.

Jm eigentlichen metaphyſiſchen Verſtande iſt ſchon
nie eine Sprache bei Mann und Weib, Vater und
Sohn, Kind und Greis moͤglich. Man gehe z. E.
unter den Morgenlaͤndern die langen und kurzen
Vocale, die mancherlei Hauche und Kehlbuchſtaben,
die leichte und ſo mannichfaltige Verwechſelung der
Buchſtaben von einerley Organ, die Ruhe, und
Sprachzeichen, mit allen Verſchiedenheiten, die
ſich ſchriftlich ſo ſchwer ausdruͤcken laßen, durch:
Ton und Accem: Vermehrung und Verringerung
deßelben und hundert andere zufaͤllige Kleinigkeiten
in den Elementen der Sprache: und bemerke auf
der andern Seite die Verſchiedenheit der Sprach-
werk-
[188] werkzeuge bei beiderlei Geſchlecht, in der Jugend
und im Alter, auch nur bei zween gleichen Men-
ſchen nach ſo manchen Zufaͤllen und Einzelnheiten,
die den Bau dieſer Organe veraͤndern, bei ſo man-
chen Gewohnheiten, die zur zweiten Natur wer-
den u. ſ. w. „So wenig als es zween Menſchen
„ganz von einerlei Geſtalt und Geſichtszuͤgen: ſo
„wenig kann es zwo Sprachen, auch nur der
„Ausſprache nach,
im Munde zweener Men-
„ſchen geben, die doch nur eine Sprache waͤren.


Jedes Geſchlecht wird in ſeine Sprache Haus
und Familienton
bringen: das wird, der Aus-
ſprache nach, verſchiedene Mundart.


Clima, Luft und Waſſer, Speiſe und Trank,
werden auf die Sprachwerkzeuge und natuͤrlich auch
auf die Sprache einfließen.


Die Sitte der Geſellſchaft und die maͤchtige
Goͤttinn der Gewohnheit werden bald nach Geber-
den und Anſtand dieſe Eigenheiten und jede Ver-
ſchiedenheit einfuͤhren — ein Dialekt. — —
Ein philoſophiſcher Verſuch uͤber die ver-
„wandten Spracharten der Morgenlaͤnder

waͤre der angenehmſte Beweis dieſer Saͤtze.


Das
[189]

Das war nur Ausſprache. Aber Worte
ſelbſt, Sinn, Seele der Sprache — welch ein
unendliches Feld von Verſchiedenheiten. Wir ha-
ben geſehen, wie die aͤlteſten Sprachen voller Sy-
nonyme haben werden muͤſſen, und wenn nun von
dieſen Synonymen dem Einen dies, dem andern
jenes gelaͤufiger, ſeinem Sehepunkt angemeſſner,
ſeinem Empfindungskreiſe urſpruͤnglicher, in ſeiner
Lebensbahn oͤfter vorkommend, kurz von mehrerm
Eindruck auf ihn wurde; ſo gabs Lieblings-
worte, eigne Worte, Jdiotiſmen, ein Jdiom
der Sprache.


Bei jenem ging jenes Wort aus; das blieb.
Jenes ward durch einen Nebengeſichtspunkt von
der Hauptſache weggebogen; hier veraͤnderte ſich
mit der Zeitfolge der Geiſt des Hauptbegrifs
ſelbſt — da wurden alſo eigne Biegungen, Ab-
leitungen, Veraͤnderungen, Vor-
und Zu-
ſaͤtze
und Verſetzungen und Wegnahmen von
ganzen und halben Bedeutungen — ein neues
Jdiom! und das alles ſo natuͤrlich, als Sprache
dem Menſchen Sinn ſeiner Seele iſt.


Je
[190]

Je lebendiger eine Sprache; je naͤher ſie
ihrem Urſprunge, und alſo noch in den Zeiten
der Jugend und des Wachsthums iſt: deſto ver-
aͤnderlicher. Jſt ſie nur in Buͤchern da, wo ſie
nach Regeln gelernt, nur in Wiſſenſchaften und
nicht im lebendigen Umgange gebraucht wird, wo
ſie ihre beſtimmte Zahl von Gegenſtaͤnden und von
Anwendungen hat, wo alſo ihr Woͤrterbuch ge-
ſchloſſen, ihre Grammatik geregelt, ihre Sphaͤre
fixirt iſt — eine ſolche Sprache kann noch eher
im Merklichen unveraͤndert bleiben, und doch auch
da nur im Merklichen — —. Allein eine im wil-
den freien Leben, im Reich der großen, weiten
Schoͤpfung, noch ohne foͤrmlich gepraͤgte Regeln,
noch ohne Buͤcher und Buchſtaben und angenom-
mene Meiſterſtuͤcke; ſo duͤrftig und unvollendet,
um noch taͤglich bereichert werden zu muͤſſen, und
ſo jugendlich gelenkig um es noch taͤglich auf den
erſten Wink der Aufmerkſamkeit, auf den erſten
Befehl der Leidenſchaft und Empfindung werden
zu koͤnnen — ſie muß ſich veraͤndern in jeder
neuen Welt, die man ſieht, in jeder Methode,
nach der man denkt und fortdenkt. Aegyptiſche
Ge-
[191] Geſetze der Einfoͤrmigkeit koͤnnen hier nicht das
Gegentheil bewuͤrken.


Nun iſt offenbar der ganze Erdboden fuͤr das
Menſchengeſchlecht und dies fuͤr den ganzen Erd-
boden gemacht — (ich ſage nicht jeder Bewoh-
ner der Erde, jedes Volk iſt ploͤzlich durch den
raſcheſten Ueberſprung fuͤr das entgegengeſeztteſte
Clima und ſo fuͤr alle Weltzonen: ſondern das
ganze Geſchlecht fuͤr den ganzen Erdkreis.) Wo
wir uns umher ſehen, da iſt der Menſch ſo zu
Hauſe, wie die Landthiere, die urſpruͤnglich fuͤr
dieſe Gegend beſtimmet ſind. Er dauret in Groͤn-
land unter dem Eiſe und bratet ſich in Guinea un-
ter der ſenkrechten Sonne; iſt auf ſeinem Felde,
wenn er in Lappland mit dem Rennthier uͤber den
Schnee ſchluͤpft, und wenn er die arabiſche Wuͤſte
mit dem duͤrſtigen Kameel durchtrabet. Die Hoͤle
der Troglodyten und die Bergſpitzen der Kabylen,
der Rauchcamin der Oſtiaken und der goldne Pal-
laſt des Moguls enthaͤlt — Menſchen. Fuͤr
die iſt die Erde am Pol geplaͤttet und am Aequa-
tor erhoͤhet: fuͤr die waͤlzt ſie ſich ſo und nicht an-
ders um die Sonne: fuͤr die ſind ihre Zonen und
Jah-
[192] Jahreszeiten und Veraͤnderungen — und dieſe
ſind wieder fuͤr die Zonen, fuͤr die Jahreszeiten
und Veraͤnderungen der Erde. Das Naturgeſetz
iſt alſo auch hier ſichtbar: „Menſchen ſollen
„uͤberall auf der Erde wohnen, da jede Thier-
„gattung blos ihr Land und engere Sphaͤre ha-
ben:„ der Erdbewohner wird ſichtbar. Und
iſt das, ſo wird auch ſeine Sprache Sprache
der Erde.
Eine neue in jeder neuen Welt;
Nationalſprache
in jeder Nation — ich kann
alle vorige Beſtimmungsurſachen der Veraͤnde-
rung nicht wiederholen — die Sprache wird
ein Proteus auf der runden Oberflaͤche der
Erde.


Manche neue Modephiloſophen haben dieſen
Proteus ſo wenig feſſeln und in ſeiner wahren
Geſtalt erblicken koͤnnen, daß es ihnen wahrſchein-
licher vorgekommen, daß die Natur in jeden groſ-
ſen Erdſtrich ſo gut ein Paar Menſchen, zu
Stammaͤltern habe hinſchaffen koͤnnen, wie in je-
des Clima eigne Thiere. Dieſe haͤtten ſich ſo dann
ſolch eine eigne Land- und Nationalſprache erfun-
den, wie ihr ganzer Bau nur fuͤr dies Land ſei
ge-
[193] gemacht worden. Der kleine Lapplaͤnder mit ſei-
ner Sprache und mit ſeinem duͤnnen Bart, mit
ſeinen Geſchiklichkeiten und ſeinem Temperament
ſei ein ſo urſpruͤnglich lapplaͤndiſches Menſchenthier
als ſein Rennthier; und der Neger mit ſeiner
Haut, mit ſeiner Tintblaſſenſchwaͤrze, mit ſei-
nen Lippen, und Haar und Truthuͤnerſprache,
und Dummheit und Faulheit ſei ein natuͤrlicher
Bruder der Affen deſſelben Climas. Es ſei ſo
wenig Aehnlichkeit zwiſchen den Sprachen der
Erde auszutraͤumen, als zwiſchen den Bildungen
der Menſchengattungen; und es hieße ſehr un-
weiſe von Gott gedacht, nur ein Paar Menſchen
als Stammeltern fuͤr die ganze Erde ſo ſchwach
und ſchuͤchtern, zum Raube der Elemente und
Thiere in einen Erdewinkel dahingeſezt und ei-
nem tauſendfachen Ungefaͤhr von Gefahren uͤber-
laſſen zu haben — —


Wenigſtens, faͤhrt eine weniger behauptende
Meinung fort, waͤre die Sprache eine natuͤrliche
Produktion des menſchlichen Geiſtes, die ſich nur
allmaͤhlig mit dem Menſchengeſchlecht nach fremden
Climaten hingezogen haͤtte: ſo muͤßte ſie ſich auch
Nnur
[194] nur allmaͤhlig veraͤndert haben. Man muͤßte die
Abaͤndrung, den Fortzug, und die Verwand-
ſchaft der Voͤlker im Verhaͤltniſſe fortgehen ſehen,
und ſich uͤberall nach kleinen Nuancen von Denk-
und Mund- und Lebensart genaue Rechenſchaft
geben koͤnnen. Wer aber kann das? Findet man
nicht in demſelben Clima, ja dicht an einander
in allen Welttheilen kleine Voͤlker, die in einerlei
Kreiſe ſo verſchiedne und entgegengeſezte Sprachen
haben, daß alles ein Boͤhmiſcher Wald wird?
Wer Reiſebeſchreibungen von Nord- und Suͤdame-
rica, von Africa und Aſien geleſen, dem doͤrfen
nicht die Staͤmme dieſes Waldes vorgerechnet wer-
den — hier, ſchließen dieſe Zweifller, hoͤrt alſo
alle menſchliche Unterſuchung auf.


Und weil dieſe lezten blos zweifeln, ſo will ich
verſuchen, zu zeigen, daß hier die Unterſuchung
nicht aufhoͤre, ſondern daß ſich dieſe „Verſchie-
„denheit dicht an einander
eben ſo natuͤrlich er-
„klaͤren laſſe, als die Einheit der Familien-
„ſprache
in Einer Nation.„


Die Trennung der Familien in abgeſonderte
Nationen geht gewiß nicht nach den langweiligen
Ver-
[195] Verhaͤltniſſen von Entfernung, Wanderung,
neuer Beziehung und dergl., wie der muͤßige
kalte Philoſoph, den Cirkel in der Hand, auf der
Landkarte abmißt, und wie nach dieſem Maaße
große Buͤcher „von Verwandſchaften der Voͤl-
ker
„ geſchrieben worden, an denen alles, nur
die Regel nicht, wahr iſt, nach der alles berechnet
wurde. Thun wir einen Blick in die lebendige,
wuͤrkſame Welt, ſo ſind Triebfedern da, die die
Verſchiedenheit der Sprache unter den nahen Voͤl-
kern ſehr natuͤrlich veranlaſſen muͤſſen, nur man
wolle den Menſchen nach keinem Lieblingsſyſtem
umzwingen. Er iſt kein Rouſſeauſcher Wald-
mann: er hat Sprache. Er iſt kein Hobbeſi-
ſcher
Wolf: er hat eine Familienſprache. Er
iſt aber auch in andern Verhaͤltniſſen kein unzei-
tiges Lamm:
Er kann ſich alſo entgegengeſezte
Natur, Gewohnheit und Sprache bilden —
Kurz! „der Grund von dieſer Verſchiedenheit ſo
„naher kleiner Voͤlker in Sprache, Denk- und
Lebensart iſt — gegenſeitiger Familien- und
„Nationalhaß.


N 2Ohne
[196]

Ohne alle Verſchwaͤrzung und Verketzerung
der menſchlichen Natur koͤnnen zween oder meh-
rere nahe Staͤmme, wenn wir uns in ihre Fami-
liendenkart ſetzen, nicht anders, als bald Gegen-
ſtaͤnde des Zwiſtes finden. Nicht blos, daß aͤhn-
liche Beduͤrfniſſe ſie bald in einen Streit, wenn
ich ſo ſagen darf, des Hungers und Durſtes ver-
wickeln, wie ſich z. E. zwo Rotten von Hirten
uͤber Brunnen und Weide zanken, und nach Be-
ſchaffenheit der Weltgegenden oft ſehr natuͤrlich
zanken doͤrfen; ein viel heißerer Funke glimmt
ihr Feuer an — Eiferſucht, Gefuͤhl der Ehre,
Stolz auf ihr Geſchlecht
und ihren Vorzug.
Dieſelbe Familienneigung, die in ſich ſelbſt ge-
kehret, Staͤrke der Eintracht Eines Stammes
gab, macht außer ſich gekehrt, gegen ein an-
dres Geſchlecht, Staͤrke der Zwietracht, Fami-
lienhaß!
dort zogs viele zu Einem deſto veſter
zuſammen; hier machts aus zwei Partheien gleich
Feinde. Der Grund dieſer Feindſchaft und ewi-
gen Kriege iſt in ſolchem Falle mehr edle menſch-
liche Schwachheit, als niedertraͤchtiges Laſter.


Da
[197]

Da die Menſchheit auf dieſer Stuffe der Bil-
dung mehr Kraͤfte der Wuͤrkſamkeit als Guͤter
des Beſitzes hat: ſo iſt auch der Stolz auf jene
mehr Ehrenpunkt, als das leidige Beſitzthum der
lezten wie in ſpaͤtern nervenloſen Zeiten. Ein
braver Mann zu ſeyn, und einer braven Familie
zu gehoͤren war aber im damaligen Zeitalter faſt
Eins, da der Sohn in vielem Betracht noch ei-
gentlicher als bei uns ſeine Tugend und Tapferkeit
vom Vater erbte, lernte, und der ganze Stamm
uͤberhaupt bei allen Gelegenheiten fuͤr einen bra-
ven Mann ſtand. Es ward alſo bald das Wort
natuͤrlich: wer nicht mit und aus uns iſt, der
iſt unter uns!
der Fremdling iſt ſchlechter,
als wir, iſt barbar. Jn dieſem Verſtande war
Barbar das Loſungswort der Verachtung: ein
fremder und zugleich ein unedlerer, der uns an
Weißheit oder Tapferkeit, oder was der Ehren-
punkt des Zeitalters ſei, nicht gleich kommt.


Nun iſt dies freilich, wie ein Englaͤnder rich-
tig anmerkt, wenn es blos auf Eigennutz und Si-
cherheit des Beſitzes ankommt, kein Grund zum
Haße, daß der Nachbar nicht ſo tapfer als wir
N 3iſt:
[198] iſt: ſondern wir ſollten uns in der Stille dar-
uͤber freuen. Allein, eben weil dieſe Meinung
nur Meinung und von beiden Theilen, die glei-
ches Gefuͤhl des Stammes haben, gleiche Mei-
nung iſt: ſo iſt eben damit die Trompete des Krie-
ges geblaſen! Das gilt die Ehre; das wekt den
Stolz und Muth des ganzen Stammes! Von
beiden Seiten Helden und Patrioten! Und weil
jeden die Urſache des Kriegs traf; und jeder ſie ein-
ſehen, und fuͤhlen konnte; ſo wurde der Na-
tionalhaß
in ewigen, bittern Kriegen verewigt;
und da war die zweite Synonyme fertig: wer
nicht mit mir iſt, iſt, gegen mich. Barbar

und Gehaͤßiger! Fremdling, Feind! wie bei
den Roͤmern urſpruͤnglich das Wort hoſtis!*)


Das dritte folgte unmittelbar, voͤllige Tren-
nung
und Abſonderung. Wer wollte mit einem
ſolchen Feinde, dem veraͤchtlichen Barbar was ge-
mein haben? Keine Familiengebraͤuche, kein An-
denken an Einen Urſprung, und am wenigſten
Sprache: Da Sprache eigentlich „Merkwort
„des Geſchlechts, Band der Familie, Werk-

zeug
[199]zeug des Unterrichts, Heldengeſang von
„den Thaten der Vaͤter,
und die Stimme der-
„ſelben aus ihren Graͤbern
„ war. Die konnte
alſo unmoͤglich Einerlei bleiben, und ſo ſchuf daſ-
ſelbe Familiengefuͤhl, das Eine Sprache gebildet
hatte, da es Nationalhaß wurde, oft Verſchie-
denheit, voͤllige Verſchiedenheit
der Sprache.
Er iſt Barbar, er redet eine fremde Sprache
die dritte, ſo gewoͤhnliche Synonyme.


So umgekehrt die Etymologie dieſer Worte
ſcheine, ſo beweiſet doch die Geſchichte aller kleinen
Voͤlker und Sprachen, uͤber die die Frage gilt,
voͤllig ihre Wahrheit; die Abſaͤtze der Etymologie
ſind auch nur Abſtraktionen, nicht Trennungen in
der Geſchichte. Alle ſolche nahen Polyglotten ſind
zugleich die grimmigſten, unverſoͤhnlichſten Feinde:
und zwar alle nicht aus Raub und Habſucht, da
ſie meiſtens nicht pluͤndern, ſondern nur toͤdten
und verwuͤſten, und dem Schatten ihrer Vaͤ-
ter opfern.
Schatten der Vaͤter ſind die Gott-
heiten, und die einzigen unſichtbaren Maſchinen
der ganzen blutigen Epopee, wie in den Geſaͤn-
gen Oſſians. Sie ſinds, die den Anfuͤhrer in
N 4Traͤu
[200] Traͤumen wecken und beleben, und denen er ſeine
Naͤchte wacht: ſie ſinds, deren Namen ſeine Be-
gleiter in Schwuͤren und Geſaͤngen nennen: ſie
ſinds, denen man die Gefangnen in allen Mar-
tern weihet, und ſie ſinds auch gegentheils, die
den gemarterten in ſeinen Geſaͤngen und Todeslie-
dern ſtaͤrken. „Verewigter Familienhaß„ iſt
alſo die Urſache ihrer Kriege, ihrer ſo eiferſuͤchtigen
Abtrennungen in Voͤlker, die oft kaum nur Fami-
lien gleichen, und nach aller Wahrſcheinlichkeit
auch der „voͤlligen Unterſchiede ihrer Gebraͤu-
„che und Sprachen.


Eine morgenlaͤndiſche Urkunde uͤber die Tren-
nung der Sprachen
*) (die ich hier nur als ein
poetiſches Fragment zur Archaͤologie der Voͤlkerge-
ſchichte betrachte) beſtaͤtigt durch eine ſehr dichte-
riſche Erzaͤhlung, was ſo viel Nationen aller
Welttheile durch ihr Beiſpiel beſtaͤtigen. „Nicht
„allmaͤhlig verwandelten ſich die Sprachen,„ wie
ſie der Philoſoph durch Wanderungen vervielfaͤl-
tigt; „die Voͤlker vereinigten ſich, ſagt das Poem,
„zu
[201] „zu einem großen Werke; da floß uͤber ſie der Tau-
„mel der Verwirrung, und der Vielheit der Spra-
„chen — daß ſie abließen und ſich trennten„ —
was war dies, als eine ſchnelle Verbittrung und
Zwietracht, zu der eben ein ſolches großes Werk
den reichſten Anlaß gab? Da wachte der vielleicht
bei einer kleinen Gelegenheit beleidigte Familien-
geiſt auf: Bund und Abſicht zerſchlug ſich: der
Funke der Uneinigkeit ſchoß in Flammen: ſie
flogen aus einander: und thaten „das jezt
„um ſo heftiger,
dem ſie durch ihr Werk
„hatten zuvor kommen wollen: ſie verwirr-
„ten das Eine ihres Urſprungs, ihre Spra-
„che.
So wurden verſchiedne Voͤlker und da,
„ſagt der ſpaͤtere Bericht, heißen noch die Truͤm-
„mer: Verwirrung der Voͤlker!„ — Wer den
Geiſt der Morgenlaͤnder in ihren oft ſo umherge-
holten Einkleidungen und epiſchwunderbaren Ge-
ſchichten kennet, (ich will hier fuͤr die Theologie
keine hoͤhere Veranſtaltung ausſchließen) der wird
vielleicht den ſinnlich gemachten Hauptgedanken
nicht verkennen, daß „Veruneinigung uͤber einer
„großen gemeinſchaftlichen Abſicht,„ und nicht
N 5blos
[202] blos die Voͤlkerwandrung mit eine Urſache zu ſo
vielen Sprachen geworden.


Dies morgenlaͤndiſche Zeugniß, (was ich doch
uͤberdem hier nur als Poem anfuͤhren wollte,)
dahingeſtellet: ſiehet man, daß die Vielheit der
Sprachen keinen Einwurf gegen das natuͤrli-
che und menſchliche der Fortbildung einer
Sprache
abgeben koͤnne. Hier und da koͤnnen
freilich Berge durch Erdbeben hervorgehoben
eyn; allein folgt denn daraus, daß die Erde im
Ganzen mit ihren Gebuͤrgen und Stroͤmen und
Meeren nicht ihre Geſtalt aus Waſſer koͤnne ge-
wonnen haben? ‒ ‒ Nur freilich wird auch eben
damit den Etymologiſten und Voͤlkerforſchern ein
nuͤzlicher Stein der Behutſamkeit auf die Zun-
ge gelegt, „aus den Sprachunaͤhnlichkeiten
„nicht zu deſpotiſch auf ihre Abſtammung
zu
„ſchließen.„ Es koͤnnen Familien ſehr nahe ver-
wandt ſeyn, und doch Urſache gehabt haben, die
Verwandſchaft der Wapen zu unterdruͤcken. —
Der Geiſt ſolcher kleinen Voͤlker gibt dazu Ur-
ſache gnug.


Vier-
[203]

Viertes Naturgeſetz.



  • „So wie nach aller Wahrſcheinlichkeit das
    „menſchliche Geſchlecht Ein progreſſives Ganze
    „von Einem Urſprunge in Einer großen
    „Haushaltung ausmacht: ſo auch alle Spra-
    „chen, und mit ihnen die ganze Kette der
    „Bildung.„

Der ſonderbare charakteriſtiſche Plan iſt bemerkt,
der uͤber Einen Menſchen waltet: ſeine Seele iſt
gewohnt, immer das, was ſie ſieht, zu reihen,
mit dem, was ſie ſahe, und durch Beſonnenheit
wird alſo „ein progreſſives Eins aller Zuſtaͤn-
de des Lebens
„ — Mithin Fortbildung der
Sprache.


Der ſonderbare charakteriſtiſche Plan iſt be-
merkt, der uͤber ein Menſchengeſchlecht waltet, daß
durch die Kette des Unterrichts Eltern und Kinder
Eins werden, und jedes Glied alſo nur von der
Natur zwiſchen zwei andre hingeſchoben wird, um
zu
[204] zu empfangen und mitzutheilen — dadurch wird,
Fortbildung der Sprache.


Endlich geht dieſer ſonderbare Plan auch aufs
ganze Menſchengeſchlech
fort; und dadurch
wird „eine Fortbildung im hoͤchſten Verſtande,„
die aus den beiden vorigen unmittelbar folgt.


Jedes Jndividuum iſt Menſch, folglich denkt
er die Kette ſeines Lebens fort. Jedes Jndivi-
duum iſt Sohn oder Tochter: ward durch Unter-
richt gebildet: folglich bekam es immer einen Theil
der Gedankenſchaͤtze ſeiner Vorfahren fruͤhe mit,
und wird ſie nach ſeiner Art weiter reichen —
alſo iſt auf gewiſſe Weiſe „kein Gedanke, keine
Erfindung, keine Vervollkommung, die nicht
weiter, faſt ins Unendliche reiche.
„ So wie
ich keine Handlung thun, keinen Gedanken den-
ken kann, der nicht auf die ganze Unermeßlichkeit
meines Daſeyns natuͤrlich hinwuͤrke; ſo nicht ich
und kein Geſchoͤpf meiner Gattung, was nicht mit
jedem auch fuͤr die ganze Gattung und fuͤr das
fortgehende Ganze der ganzen Gattung wuͤrke.
Jedes treibt immer eine große oder kleine Welle:
jedes veraͤndert den Zuſtand der Einzelnen Seele,
mit-
[205] mithin das Ganze dieſer Zuſtaͤnde; wuͤrkt immer
auf andre; veraͤndert auch in dieſen etwas
der erſte Gedanke in der erſten menſchlichen Seele
haͤngt mit dem lezten in der lezten menſchlichen
Seele zuſammen.


Waͤre Sprache dem Menſchen ſo angebohren,
als den Bienen der Honigban; ſo zerfiele mit Ein-
mal dies groͤßeſte praͤchtigſte Gebaͤude in Truͤm-
mern! Jeder brachte ſich ſein wenig Sprache auf
die Welt, oder da doch das auf die Welt bringen,
fuͤr eine Vernunft nichts heißt, als ſie ſich gleich
erfinden — welch ein trauriges Einzelne wird je-
der Menſch! Jeder erfindet ſeine Rudimente,
ſtirbt uͤber ihnen, und nimmt ſie ins Grab, wie
die Biene ihren Kunſtbau: der Nachfolger kommt,
quaͤlt ſich uͤber derſelben Anfaͤngen, kommt eben
ſo weit, oder eben ſo wenig weit, ſtirbt — und
ſo gehts ins Unendliche. Man ſiehet, „der Plan,
„der uͤber die Thiere geht, die nichts erfinden,
„kann nicht uͤber Geſchoͤpfe gehen, die erfinden
„muͤſſen,„ oder es wird ein planloſer Plan! Er-
findet jedes fuͤr ſich allein, ſo wird unnuͤtze Muͤhe
ins Unendliche verdoppelt, und der erfindende Ver-
ſtand
[206] ſtand ſeines beſten Preiſes beraubt, zu wachſen.
Was fuͤr Grund haͤtte ich um irgendwo in der
Kette ſtille zu ſtehen, und nicht, ſo lange ich den-
ſelben Plan wahrnehme, auch auf die Sprache
hinaufzuſchließen? Kam ich auf die Welt, um
ſogleich in den Unterricht der Meinigen eintreten zu
muͤſſen; ſo mein Vater, ſo der erſte Sohn des
erſten Stammvaters
auch, und wie ich meine
Gedanken um mich und in meine Abfolge breite:
ſo mein Vater, ſo ſein Stammvater; ſo der Erſte
aller Vaͤter. Die Kette reicht fort und ſteht nur
„bei Einem, dem Erſten„ ſtille: ſo ſind wir
alle ſeine Soͤhne: von ihm faͤngt ſich Geſchlecht,
Unterricht, Sprache an: Er hat zu erfinden an-
gefangen; wir alle haben ihm nacherfunden, bil-
den und mißbilden. Kein Gedanke in einer
menſchlichen Seele war verloren; nie aber war
auch Eine Fertigkeit dieſes Geſchlechts auf Einmal
ganz da, wie bei den Thieren: „Zufolge der
„ganzen Oekonomie
„ war ſie immer im Fort-
ſchritte,
im Gange: nichts Erfundnes, wie der
Bau einer Zelle, ſondern alles im Erfinden, im
Fortwuͤrken, ſtrebend. Jn dieſem Geſichtspunkt
wie
[207] wie groß wird die Sprache! „Eine Schatzkam-
„mer menſchlicher Gedanken, wo jeder auf
„ſeine Art etwas beitrug! Eine Summe der
„Wuͤrkſamkeit aller menſchlichen Seelen.


Hoͤchſtens — tritt hier die vorige Philoſophie,
die den Menſchen gern als ein Land- und Domai-
nengut betrachten moͤchte, dazwiſchen — „Hoͤch-
„ſtens duͤrfte dieſe Kette doch wohl nur bis an
„jeden Einzelnen erſten Stammvater Eines Lan-
„des reichen, von dem ſich ſein Geſchlecht, wie
„ſeine Landſprache erzeugte?„*) Jch wuͤſte nicht,
warum ſie nur bis dahin und nicht weiter rei-
chen ſollte? Warum dieſe Landesvaͤter nicht wieder
unter ſich einen Erdenvater koͤnnten gehabt haben,
da „die ganze fortgehende Aehnlichkeit der
Haushaltung dieſes Geſchlechts
„ es ſo fordert.„
Ja, hoͤrten wir den Einwurf „als wenns weiſe
„geweſen waͤre, ein ſchwaches elendes Menſchen-
„paar in einen Winkel der Erde zum Raube der
„Gefahr auszuſtellen?„ Und als wenns weiſer
geweſen waͤre viele ſolche ſchwache Menſchenpaare
einzeln in verſchiedene Winkel der Erde zum Raube
zehn-
[208] zehnfach aͤrgerer Gefahren zu machen? Der Fall
wagender Unvorſichtigkeit, iſt nicht blos uͤberall
derſelbe; ſondern er wird auch mit jeder Verviel-
faͤltigung unendlich vermehrt. Ein Menſchen-
paar, irgendwo, im beſten, bequemſten Clima
der Erde, wo die Jahreszeit ihrer Naktheit am
wenigſten ſtrenge iſt, wo der fruchtbare Boden
den Beduͤrfniſſen ihrer Unerfahrenheit von ſelbſt
zu ſtatten kommt, wo gleichſam alles umhergela-
gert iſt wie eine Werkſtaͤtte, um der Kindheit
ihrer Kuͤnſte zu Huͤlfe zu kommen — iſt dies
Paar nicht weiſer verſorgt, als jedes andre menſch-
liche Landthier, was unter dem unfreundlichſten
Himmel in Lappland oder Groͤnland, mit der
ganzen Duͤrftigkeit der nakten erfrornen Natur
umgeben, den Klauen eben ſo duͤrftiger, hungriger,
und um ſo grauſamerer Thiere, mithin unendlich
mehrern Ungemaͤchlichkeiten ausgeſezt iſt? Die Si-
cherheit der Erhaltung nimmt alſo ab, je mehr die
urſpruͤnglichen Erdemenſchen verdoppelt werden.
Und denn wie lange bleibt das Paar im ſeligern
Clima Ein Paar? Es wird bald Familie, bald
kleines Volk, nnd wenn es ſich nun, als Volk
aus-
[209] ausbreitet: es kommt in ein ander Land — es
kommt ſchon als Volk hinein — wie weiſer! wie
ſichrer! Viel an Anzahl, mit gehaͤrteten Koͤrpern,
mit verſuchten Seelen, ja mit dem ganzen Scha-
tze von Erfahrungen ihrer Vorfahren beerbt —
wie vielfach alſo verſtaͤrkte und verdoppelte Seelen!
Nun ſind ſie faͤhig, ſich bald zu Landgeſchoͤpfen
dieſer Gegend zu vervollkommen! ſie werden in
kurzem ſo eingebohren, als die Thiere des Clima
mit Lebensart, Denkart und Sprache — beweiſet
nicht aber eben dies„ den natuͤrlichen Fortgang
„des menſchlichen Geiſtes, der ſich aus einem
„gewiſſen Mittelpunkt zu allem bilden kann.

Es kommt nie auf eine Menge bloßer Zahlen, ſon-
dern auf die Guͤltigkeit und Progreßion ihrer Be-
deutung: nie auf eine Menge ſchwacher Subjekte,
ſondern auf Kraͤfte an, mit denen ſie wuͤrken.
Dieſe wuͤrken eben im ſimpelſten Verhaͤltniß am
ſtaͤrkſten; und nur die Bande umfangen alſo das
ganze Geſchlecht, die von Einem Punkte der Ver-
knuͤpfung ausgehen.


Jch laſſe mich in keine weitere Gruͤnde dieſes
einſtaͤmmigen Urſprungs ein: daß z. E. noch keine
Owahren
[210] wahren Data von neuen Menſchengattungen, die
dieſen Namen, wie die Thiergattungen, verdien-
ten, aufgefunden ſind; daß die offenbar allmaͤlige
und fortgehende Bevoͤlkerung der Erde gerade das
Gegentheil von eingebohrnen Landthieren zeige;
daß die Kette der Cultur und aͤhnlicher Gewohn-
heiten es auch, nur dunkler, zeige u. ſ. w. ich
bleibe bei der Sprache. Waͤren die Menſchen
Nationalthiere, wo jedes die ſeinige ſich ganz un-
abhaͤngig und abgetrennt von andern ſelbſt erfun-
den haͤtte: ſo muͤßte dieſe gewiß „eine Verſchie-
„denartigkeit
„ zeigen, als vielleicht die Einwoh-
ner des Saturns und der Erde gegen einander ha-
ben moͤgen — und doch geht bei uns offenbar
Alles auf Einem Grunde fort. Auf einem
Grunde, nicht blos was die Form, ſondern was
wuͤrklich den Gang des menſchlichen Geiſtes
betrift: denn unter allen Voͤlkern der Erde iſt die
Grammatik beinahe auf Einerlei Art gebaut.

Die einzige Chineſiſche macht, meines Wiſſens, eine
weſentliche Ausnahme, die ich mir aber als Aus-
nahme ſehr zu erklaͤren getraue „wie viel Chine-
„ſer-Grammatiken,
und wie viele Arten derſel-
„ben muͤßten ſeyn, wenn die Erde voll Sprach-
„erfindender Landthiere
geweſen waͤre!„


Woher kommts, daß ſo viel Voͤlker ein Alpha-
bet
haben, und doch faſt nur ein Alphabet auf dem
Erd-
[211] Erdboden ſey? Der ſonderbare und ſchwere Ge-
danke, ſich aus den Beſtandtheilen der willkuͤhr-
lichen Worte, aus Lauten, willkuͤhrliche Zeichen
zu bilden, iſt ſo ſpringend, ſo verwickelt, ſo ſon-
derbar, daß es gewiß unerklaͤrlich waͤre, wie viele
und ſo viele auf den einen ſo entfernten Gedan-
ken, und alle ganz auf eine Art, auf ihn gefallen
waͤren. Daß ſie alle die weit natuͤrlichern Zei-
chen, die Bilder von Sachen vorbei ließen,
und Hauche mahlten, unter allen moͤglichen die-
ſelben zwanzig
mahlten, und ſich gegen die uͤbri-
gen fehlenden duͤrftig behalfen, daß zu dieſen
zwanzig ſo viele dieſelben willkuͤhrlichen Zei-
chen
nahmen — Wird hier nicht Ueberliefe-
rung
ſichtbar? Die morgenlaͤndiſchen Alphabete
ſind im Grunde eins: Das Griechiſche, Lateini-
ſche, Runiſche, Deutſche u. ſ. w. Ableitungen:
das Deutſche hat alſo noch mit dem Koptiſchen
Buchſtaben gemein und Jrrlaͤnder ſind kuͤhn gnug
geweſen, den Homer fuͤr eine Ueberſetzung aus
ihrer Sprache zu erklaͤren. Wer kann, ſo wenig
oder viel er drauf rechne, im Grunde der Spra-
chen Verwandſchaft ganz verkennen? „Wie
„Ein Menſchenvolk nur auf der Erde wohnet, ſo
„auch nur Eine Menſchenſprache: wie aber dieſe
große Gattung ſich in ſo viele kleine Landarten na-
„tionaliſirt hat: ſo ihre Sprachen nicht anders.


O 2Viele
[212]

Viele haben ſich mit den „Stammliſten die-
„ſer Sprachengeſchlechter
„ verſucht; ich verſu-
che es nicht — denn wie viele, viele Nebenurſa-
chen konnten in dieſer Abſtammung, und in der
Kaͤnntlichkeit dieſer Abſtammung Veraͤnderungen
machen, auf die der etymologiſirende Philoſoph
nicht rechnen kann und die ſeinen Stammbaum
truͤgen. Zudem ſind unter den Reiſebeſchreibern
und ſelbſt Mißionarien ſo wenig wahre Sprach-
philoſophen geweſen, die uns von dem Genius und
dem charakteriſtiſchen Grunde ihrer Voͤlkerſprachen
haͤtten Nachricht geben koͤnnen oder wollen, daß
man im Allgemeinen hier noch in der Jrre gehet.
Sie geben Verzeichniſſe von Woͤrtern — und
aus dem Schaͤllenkrame ſoll man ſchließen! Die
Regeln der wahren Sprachdeduktion, ſind auch
ſo fein, daß wenige ‒ ‒ doch das iſt alles nicht mein
Werk! im Ganzen bleibt das Naturgeſetz ſichtbar:
Sprache pflanze und bilde ſich mit dem
menſchlichen Geſchlechte fort;
in dieſem Ge-
ſetze zaͤhle ich nur Hauptarten auf, die ver-
ſchiedne Dimenſion geben.


I. Jeder Menſch hat freilich alle Faͤhigkeiten,
die ſein ganzes Geſchlecht; und jede Nation die
Faͤhigkeiten, die alle Nationen haben, es iſt in-
deſſen doch wahr, daß eine Geſellſchaft mehr
als
[213]als ein Menſch, und das ganze menſchliche
Geſchlecht
mehr als ein einzelnes Volk er-
finde;
und das zwar nicht blos nach Menge
der Koͤpfe,
ſondern nach vielfach- und innig
vermehrtern Verhaͤltniſſen.
Man ſollte den-
ken, daß ein einſamer Menſch, ohne draͤngende
Beduͤrfniſſe, mit aller Gemaͤchlichkeit der Lebens-
art z. E. vielmehr Sprache erfinden; daß ſeine
Muße ihn dazu antreiben werde, ſeine Seelen-
kraͤfte zu uͤben, mithin immer etwas neues zu er-
denken u. ſ. w. Allein das Gegentheil iſt klar.
Er wird ohne Geſellſchaft immer auf gewiſſe Weiſe
verwildern, und bald in Unthaͤtigkeit ermatten,
wenn er ſich nur erſt in den Mittelpunkt geſezt
hat, ſeine noͤthigſten Beduͤrfniſſe zu befriedigen.
Er iſt immer eine Blume, die aus ihren Wurzeln
geriſſen, von ihrem Stamm gebrochen, da liegt
und welkt — — ſezt ihn in Geſellſchaft und meh-
rere Beduͤrfniſſe: er habe fuͤr ſich und andre zu
ſorgen; man ſollte denken, dieſe neue Laſten neh-
men ihm die Freiheit ſich empor zu heben; dieſer
Zuwachs von Peinlichkeiten, die Muße zu erfin-
den; aber gerade umgekehrt. Das Beduͤrfniß
ſtrengt ihn an: die Peinlichkeit wekt ihn: die
Raſtloſigkeit haͤlt ſeine Seele in Bewegung: er
wird deſto mehr thun, je wunderſamer es wird,
daß ers thue. So waͤchſt alſo die Fortbildung
O 3einer
[214]einer Sprache von einem Einzelnen bis zu
einem Familienmenſchen ſchon in ſehr zuſam-
mengeſeztem Verhaͤltniß:
Alles andre abgerech-
net, wie wenig wuͤrde doch der Einſame, ſelbſt
der einſame Sprachenphiloſoph auf ſeiner wuͤſten
Jnſel erfinden! Wie viel mehr und ſtaͤrker der
Stammvater, der Familienmann. Die Natur
hat alſo dieſe Fortbildung gewaͤhlet.


II. Eine einzelne, abgetrennte Familie,
denkt man, wird ihre Sprache, bei Bequemlichkeit
und Muße mehr ausbilden koͤnnen, als bei Zer-
ſtreuungen, Krieg gegen einen andern Stamm
u. ſ. w. allein nichts weniger. Je mehr ſie gegen
andre gekehrt iſt, deſto ſtaͤrker wird ſie in ſich zu-
ſammengedraͤngt: deſto mehr ſezt ſie ſich auf ihre
Wurzel, macht die Thaten ihrer Vorfahren zu
Liedern, zu Aufrufungen, zu ewigen Denkmalen:
erhaͤlt dieſes Sprachandenken um deſto reiner und
patriotiſcher — die Fortbildung der Sprache,
als Mundart der Vaͤter, geht deſto ſtaͤrker
fort:
darum hat die Natur dieſe Fortbildung
gewaͤhlet.


III. Mit der Zeit aber ſezt ſich dieſer Stamm,
wenn er in eine kleine Nation angewachſen iſt
auch in ſeinem Cirkel feſt. Er hat ſeinen ge-
meßnen
[215] meßnen Kreis von Beduͤrfniſſen und fuͤr dieſe auch
Sprache: weiter gehet er nicht, wie wir an allen
kleinen ſo genannten barbariſchen Nationen ſehen.
Mit ihren Nothwendigkeiten abgetheilt, koͤnnen
ſie, Jahrhunderte lang, in der ſonderbarſten Un-
wiſſenheit bleiben, wie jene Jnſeln ohne Feuer,
und ſo viel andre Voͤlker ohne die leichteſten mecha-
niſchen Kuͤnſte: Es iſt als ob ſie nicht Augen haͤt-
ten, zu ſehen was ihnen vorliegt. Daher als-
denn das Geſchrei andrer Voͤlker auf ſolche, als
auf dumme, unmenſchliche Barbaren; da wir alle
doch vor weniger Zeit eben dieſelben Barbaren
waren, und dieſe Kaͤnntniſſe nur von andern
Voͤlkern bekamen! Daher auch das Geſchrei ſo
mancher Philoſophen uͤber dieſe Dummheit, als
die unbegreiflichſte Sache, da doch nach der Ana-
logie der ganzen Haushaltung mit unſrem Ge-
ſchlecht nichts begreiflicher iſt, als ſie! — Hier
hat die Natur eine neue Kette geknuͤpft, die Ue-
berlieferung von Volk zu Volk! „ſo haben ſich
„Kuͤnſte, Wiſſenſchaften, Cultur und Spra-
„che
in einer großen Progreßion Nationen
„hin verfeinert
„ — das feinſte Band der
Fortbildung, was die Natur gewaͤhlet.


Wir Deutſche wuͤrden noch ruhig, wie die
Amerikaner, in unſern Waͤldern leben, oder viel-
mehr noch in ihnen rauh kriegen und Helden ſeyn,
O 4wenn
[216] wenn die Kette fremder Cultur nicht ſo nah an
uns gedraͤngt, und mit der Gewalt ganzer Jahr-
hunderte uns genoͤthigt haͤtte, mit einzugreifen.
Der Roͤmer holte ſo ſeine Bildung aus Grie-
chenland,
der Grieche bekam ſie aus Aſien und
Aegypten: Aegypten aus Aſien, China viel-
leicht aus Aegypten — ſo geht die Kette von
einem erſten Ringe fort und wird vielleicht einmal
uͤber die Erde reichen. Die Kunſt, die einen grie-
chiſchen Pallaſt bauete, zeigt ſich bei dem Wilden
ſchon im Bau einer Waldhuͤtte; wie die Malerei
Mengs und Dietrichs ſchon im roheſten Grunde
auf dem rothbemalten Schilde Hermanns glaͤnzte.
Der Eskimaux vor ſeinem Kriegsheere hat ſchon
alle Keime zu einem kuͤnftigen Demoſihen, und
jene Nation von Bildhauern am Amazonen-
ſtrome*) vielleicht tauſend kuͤnftige Phidias.
Laſſet nur andre Nationen vor- und jene umruͤ-
cken: ſo iſt alles, wenigſtens in den gemaͤßigten
Zonen, wie in der alten Welt. Aegypter und
Griechen, und Roͤmer, und neuere thaten nichts
als fortbauen; Perſer, Tartaren, Gothen, und
Pfaffen kommen dazwiſchen und machen Truͤm-
mern; deſto friſcher bauet ſichs aus und nach und
auf ſolchen alten Truͤmmern weiter. Die Kette
einer
[217] einer gewiſſen Vervollkommnung der Kunſt geht
uͤber alles fort, (obgleich andre Eigenſchaften der
Natur wiederum dagegen leiden) und ſo auch uͤber
die Sprache. Die arabiſche iſt ohne Zweifel hun-
dertmal feiner, als ihre Mutter im erſten rohen
Anfange: unſer Deutſch ohne Zweifel feiner, als
das alte Celtiſche: die Grammatik der Griechen
konnte beſſer ſeyn und werden, als die morgenlaͤn-
diſche, denn ſie war Tochter: die Roͤmiſche phi-
loſophiſcher als die Griechiſche, die Franzoͤſiſche
als die Roͤmiſche: — iſt der Zwerg auf den
Schultern des Rieſen nicht immer groͤßer, als der
Rieſe ſelbſt?


Nun ſieht man auf einmal, wie truͤglich der
Beweis fuͤr die Goͤttlichkeit der Sprache aus ihrer
Ordnung und Schoͤnheit werde — Ordnung und
Schoͤnheit ſind da, aber wenn? wie und woher
gekommen? Jſt denn dieſe ſo bewunderte Spra-
che, die Sprache des Urſprungs? Oder nicht
ſchon das Kind ganzer Jahrhunderte, und vieler
Nationen? Siche! an dieſem großen Gebaͤude
haben Nationen, und Welttheile und Zeitalter ge-
bauet; und darum konnte jene arme Huͤtte nicht
der Urſprung der Baukunſt ſeyn? Darum mußte
gleich ein Gott die Menſchen ſolchen Pallaſt bauen
lehren? Weil Menſchen gleich ſolchen Pallaſt
nicht haͤtten bauen koͤnnen — welch ein Schluß!
und
[218] und welch ein Schluß uͤberhaupt iſts: Dieſe große
Bruͤcke zwiſchen zwo Bergen begreife ich nicht
ganz, wie ſie gebauet ſey — folglich hat ſie der
Teufel gebauet! Es gehoͤrt ein großer Grad Kuͤhn-
heit oder Unwiſſenheit dazu, zu laͤugnen, daß ſich
nicht die Sprache mit dem menſchlichen Geſchlecht
nach allen Stuffen und Veraͤnderungen fortgebil-
det: das zeigt Geſchichte und Dichtkunſt, Bered-
ſamkeit und Grammatik, ja, wenn alles nicht,
ſo Vernunft. Hat ſie ſich nun ewig ſo fortgebil-
det und nie zu bilden angefangen? oder immer
menſchlich gebildet, ſo daß Vernunft nicht ohne
ſie, und ſie ohne Vernunft nicht gehen konnte —
und mit Einmal iſt ihr Anfang anders? und das
ſo ohne Sinn und Grund anders, wie wir an-
fangs gezeigt? Jn allen Faͤllen wird die Hypo-
theſe eines goͤttlichen Urſprungs in der Sprache —
verſtekter feiner Unſinn!


Jch wiederhole das mit Bedacht geſagte,
harte Wort: Unſinn! und will mich zum Schluß
erklaͤren. Was heißt ein goͤttlicher Urſprung der
Sprache als entweder: „Jch kann die Sprache
„aus der menſchlichen Natur nicht erklaͤren: folg-
„lich iſt ſie goͤttlich„ — Jſt Sinn in dem Schluſſe?
Der Gegner ſagt: „ich kann ſie aus der menſch-
„lichen Natur und aus ihr vollſtaͤndig erklaͤren„ —
wer hat mehr geſagt? Jener verſtekt ſich hinter
eine
[219] eine Decke und ruft hervor: „Hier iſt Gott!„
dieſer ſtellt ſich ſichtbar auf den Schauplatz, han-
delt — „ſehet! ich bin ein Menſch!„


Oder ein hoͤherer Urſprung ſagt: „Weil ich
„die menſchliche Sprache nicht aus der menſchli-
„chen Natur erklaͤren kann: ſo kann durchaus
„keiner ſie erklaͤren — ſie iſt durchaus unerklaͤr-
„bar:„ iſt in dem Schluſſe Folge? Der Gegner
ſagt: „mir iſt kein Element der Sprache in ihrem
„Beginn, und in jeder ihrer Progreſſion aus der
„menſchlichen Seele unbegreiflich: ja die ganze
„menſchliche Seele wird mir unerklaͤrbar, wenn
„ich in ihr nicht Sprache ſetze; das ganze menſch-
„liche Geſchlecht bleibt nicht das Naturgeſchlecht
„mehr, wenns nicht die Sprache fortbildet„ —
Wer hat mehr geſagt? — Wer ſagt Sinn?


Oder endlich die hoͤhere Hypotheſe ſagt gar:
„nicht blos keiner kann die Sprache aus der
„menſchlichen Seele begreifen: ſondern ich ſehe
„auch deutlich die Urſache, warum ſie ihrer Natur
„und der Analogie ihres Geſchlechts nach durch-
„aus fuͤr Menſchen unerfindbar war. Ja ich ſehe
„in der Sprache und im Weſen der Gottheit die
„Urſache deutlich, warum keiner als Gott ſie er-
„finden konnte.„ Nun bekaͤme zwar der Schluß
Folge; aber nun wird er auch der graͤßlichſte Un-
ſinn.
[220] ſinn. Er wird ſo beweisbar, als jener Beweis
der Tuͤrken von der Goͤttlichkeit des Korans:
„wer anders als der Prophet Gottes konnte ſo
„ſchreiben?„ Und wer anders als ein Prophet
Gottes kann auch wiſſen, daß nur der Prophet
Gottes ſo ſchreiben konnte? Niemand, als Gott,
konnte die Sprache erfinden! Niemand als Gott
kann aber auch einſehen, daß niemand, als Gott,
ſie erfinden konnte! und welche Hand kann es wa-
gen, nicht blos etwa Sprache und die menſch-
liche Seele, ſondern Sprache und Gottheit aus-
zumeſſen?


Ein hoͤherer Urſprung hat nichts fuͤr ſich, ſelbſt
nicht das Zeugniß der morgenlaͤndiſchen Schrift,
auf die er ſich beruft: denn dieſe gibt offenbar der
Sprache einen menſchlichen Anfang durch Namen-
nennung der Thiere. Die menſchliche Erfindung
hat alles fuͤr- und durchaus nichts gegen ſich:
Weſen der menſchlichen Seele und Element
der Sprache; Analogie des menſchlichen Ge-
ſchlechts
und Analogie der Fortgaͤnge der
Sprache — das große Beiſpiel aller Voͤlker,
Zeiten und Theile der Welt!


Der hoͤhere Urſprung iſt, ſo fromm er ſcheine,
durchaus ungoͤttlich: Bei jedem Schritte verklei-
nert er Gott durch die niedrigſten, unvollkommen-
ſten
[221] ſten Anthropomorphien. Der menſchliche zeigt
Gott im groͤßeſten Lichte: ſein Werk, eine
menſchliche Seele, durch ſich ſelbſt, eine
Sprache ſchaffend und fortſchaffend, weil
ſie ſein Werk, eine menſchliche Seele iſt.

Sie bauet ſich dieſen Sinn der Vernunft, als
eine Schoͤpferinn, als ein Bild ſeines Weſens.
Der Urſprung der Sprache wird alſo nur auf eine
wuͤrdige Art goͤttlich, ſo fern er menſchlich iſt.


Der hoͤhere Urſprung iſt zu nichts nuͤtze, und
aͤuſſerſt ſchaͤdlich. Er zerſtoͤrt alle Wuͤrkſamkeit der
menſchlichen Seele, erklaͤrt nichts, und macht alles,
alle Pſychologie, und alle Wiſſenſchaften unerklaͤr-
lich — denn mit der Sprache haben ja die Men-
ſchen alle Samen von Kaͤnntniſſen von Gott em-
pfangen? Nichts iſt alſo aus der menſchlichen
Seele? Der Anfang jeder Kunſt, Wiſſen-
ſchaft,
und Kaͤnntniß alſo iſt immer unbegreif-
lich?
Der menſchliche laͤßt keinen Schritt thun
ohne Ausſichten, und die fruchtbarſten Erklaͤrun-
gen in allen Theilen der Philoſophie, und in allen
Gattungen und Vortraͤgen der Sprache. Der
Verfaſſer hat einige hier geliefert und kann da-
von eine Menge liefern — — — —



Wie
[222]

Wie wuͤrde er ſich freuen, wenn er mit dieſer
Abhandlung eine Hypotheſe verdraͤnge, die von
allen Seiten betrachtet, dem menſchlichen Geiſt
nur zum Nebel und zur Unehre iſt, und es zu
lange dazu geweſen! Er hat eben deßwegen das
Gebot der Akademie uͤbertreten und keine Hypo-
theſe geliefert:
denn was waͤr’s, wenn eine
Hypotheſe die andre auf- oder gleich waͤge? und
wie pflegt man, was die Form einer Hypotheſe
hat, zu betrachten, als wie philoſophiſchen Ro-
man, Rouſſeaus, Condillacs und andrer? Er
befließ ſich lieber, „veſte Data aus der menſch-
„lichen Seele, der menſchlichen Organiſation,
„dem Bau aller alten und wilden Sprachen

„und der ganzen Haushaltung des menſchli-
„chen Geſchlechts
zu ſammlen,„ und ſeinen
Satz ſo zu beweiſen, wie die veſteſte philoſophi-
ſche Wahrheit
bewieſen werden kann. Er glaubt
alſo mit ſeinem Ungehorſam den Willen der Aka-
demie eher erreicht zu haben, als er ſich ſonſt er-
reichen ließ — — —

[[223]][[224]][[225]][[226]]
Notes
*)
Suͤßmilchs Beweis, daß der Urſprung der menſchli-
chen Sprache göttlich ſei, Berlin 1766. S. 21,
*)
Die beſte Schrift fuͤr dieſe noch zum Theil unausgear-
beitete Materie iſt Wachteri naturae \& ſcripturae concor-
dia, Hafn.
1752. die ſich von den Kircherſchen und ſo
viel andern Träumen, wie Alterthumsgeſchichte von
Märchen unterſcheidet.
*)
Lettre ſur les Aveugles à l’uſage de ceux qui voyent \&c.
*)
Eſſai ſur l’origine des connoiſſances humaines, Vol. 11.
*)
Sur l’inégalité parmi les hommes \&c. Part. 1.
**)
Eben daſelbſt.
*)
Süßmilch Beweis für die Göttlichkeit ꝛc. Anhang 3.
S. 110.
*)
Traité ſur les animaux.
**)
Sur l’origine de l’inégalité etc.
***)
Reimarus uͤber die Kunſttriebe der Thiere: S. Be-
trachtungen drüber in den Briefen, die neueſte Littera-
tur betreffend ꝛc.
*)
Eine in einem neuen Metaphyſiſchen Werke beliebte
Eintheilung Search’s Light of nature purſued Lond. 68.
*)
Rouſſeau über die Ungleichheit ꝛc.
*)
Eine der ſchönſten Abhandlungen das Weſen der Apper-
ception aus phyſiſchen Verſuchen, die ſo ſelten die Me-
taphyſik der Seele erläutern! ins Licht zu ſetzen, iſt die
in den Schriften der berlinſchen Akademie von 1764.
*)
Suͤßmilch angef. Schr. Abſchn. 2.
*)
Eb. daſ. S. 52.
*)
Suͤßmilch S. 47.
*)
Philoſ. Transact. — Abridgment — auch in Cheſelden’s
Anatomy,
in Smith-Kaͤſtners Optik, in Buffons Natur-
geſchichte, Encyklopädie und zehn kleinen franzöſiſchen
Wörterbüchern unter Aveugle.
*)
Diderot iſt in ſeinem ganzen Briefe ſur les ſourds \&
muets
kaum auf dieſe Hauptmaterie gekommen, da er
ſich nur bei Jnverſionen und hundert andern Kleinig-
keiten aufhält.
*
Oeuvres philoſophiques publiées p. Raſpe p. 232.
*)
Erown.
*)
Süßmilch §. 9.
*)
Die beſte Abhandlung, die ich über dieſe Materie kenne,
iſt eines Engländers: things divine \& ſupernatural con-
ceived by analogy with things natural and human Lond.
1755. by the author of the procedure, extent and limits of
human underſtanding.
**)
Süßmilch §. 11.
*)
Rouſſeau hat dieſen Satz in ſeiner Hypotheſe divinirt,
den ich hier beſtimme und beweiſe.
*)
Abſchnitt 2.
*)
S. 80. 81.
*)
§. 31. 34.
*)
Rouſſeau.
*)
Suͤßmilch.
*)
Voſs. Etymol.
*)
1. Moſ. 11.
*)
Philoſophie de l’hiſtoire \&c. \&c.
*)
de la Condamine.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Herder, Johann Gottfried von. Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bj9d.0