[][][][][][][[I]][[II]]
Deutſches Leben.

Eine Sammlung abgeſchloſſener Schilderungen
aus der
deutſchen Geſchichte
mit beſonderer Berückſichtigung der Culturgeſchichte und der Beziehungen zur
Gegenwart.

Erſter Band.
Die deutſche Trachten- und Modenwelt.

Leipzig,:
Verlag von Guſtav Mayer.
1858.

[[III]]
Die deutſche
Trachten- und Modenwelt.

Ein Beitrag
zur
deutſchen Culturgeſchichte.


Erſter Theil.
Die alte Zeit und das Mittelalter.

Leipzig,:
Verlag von Guſtav Mayer.
1858.

[[IV]][[V]]

Vorwort.


Gegenüber dem Reichthum der Bilderwerke, welche das
Coſtüm behandeln — ich ſelbſt habe die Summe derſelben um
eines vermehren helfen —, ſchien es mir an der Zeit zu ſein,
dem Worte wieder zu ſeinem Rechte zu verhelfen und, den anti-
quariſchen Standpunkt verlaſſend, dieſen Gegenſtand in ſeiner
Entwicklung als ein Glied der deutſchen Culturgeſchichte darzu-
ſtellen. Der Grundgedanke, der mich dabei leitete, iſt, den Zu-
ſammenhang zwiſchen den Wandlungen der äußeren menſchlichen
Erſcheinung und des innern Culturlebens in der Geſchichte der
Deutſchen nachzuweiſen. Denn wie eine jede Nation einen Na-
tionalcharakter mit Recht für ſich in Anſpruch nimmt, der ſie als
ein einheitliches, einziges Ganze gleichſam mit einer Seele em-
pfinden und handeln läßt, ſo iſt auch in der Geſchichte der Civi-
liſation oder des Bildungsganges des einzelnen Volks wie der
ganzen Menſchheit, ſoweit ſie im Strom der Cultur vorwärts
ſchreitet, einer jeden Stufe ein ſolcher Geſammtcharakter, ein zur
Einheit gewordener Complex bewegender und leitender Ideen zu-
zuſchreiben. Dieſe Seele der Zeiten kryſtalliſirt alle ihre Lebens-
äußerungen in ihr eigenthümliche und darum nothwendige For-
men, an denen ein geübtes Auge alſobald erkennen muß, weß
Geiſtes Kinder ſie ſind. In dieſem Sinn iſt auch das Coſtüm
[VI]Vorwort.
allemal ein Kind ſeiner Zeit, eine Form, welche die Züge des
herrſchenden Geſammtcharakters erkennbar an ſich trägt. Wie
der einzelne Menſch in Kleidung, Haltung und Gang ſein inne-
res Weſen äußerlich offenbart, ſodaß wir aus jenem auf dieſes
nicht bloß ſchließen können, ſondern auch dürfen, ſo iſt es auch
bei der Nation und ſo auch bei einer jeden Geſchichtsperiode in
der ganzen äußeren Erſcheinung. Nicht alſo das Kleid macht den
Mann, ſondern der Mann das Kleid. Und ebenſo müſſen wir
das Wort des Satirikers Logau umkehren; wenn er ſagt:


Alamode-Kleider, Alamode-Sinnen,

Wie ſich’s wandelt außen, wandelt ſich’s auch innen,

ſo liegt das Richtige im Gegentheil:


So ſich’s wandelt außen, wie ſich’s wandelt innen.

Wenn ich nun die deutſchen Trachten und Moden, anſtatt
ſie als bloße Geſchöpfe des Zufalls und der Laune zu betrachten,
vielmehr als mit gewiſſer Nothwendigkeit gebildete Formen des
jedesmaligen Geſammtcharakters darzuſtellen verſuchte, ſo glaubte
ich damit einen Bauſtein zu dem großen Gebäude der deutſchen
Culturgeſchichte zu liefern, von deſſen Vollendung wir wohl noch
eine gute Strecke entfernt ſind. Es iſt bis jetzt weder das Ma-
terial herbeigeſchafft, noch der Plan fertig.


Der Doppelausdruck der Trachten- und Modenwelt, wie er
auf dem Titel ſteht, ſchließt zwar ebenſowohl die allgemeinen und
bleibenden Formen wie das ſcheinbar regellos Wechſelnde ein,
doch erſchöpft er nur im weiteren Sinn genommen das, was ich
darſtellen wollte. Denn es iſt dieſes nicht bloß die Kleidung,
ſondern überhaupt die ganze äußere menſchliche Erſcheinung, wo-
zu die geſammte Toilette, der Schmuck und auch die Begriffe von
Schönheit im Geſchmack des Volkes gehören.


[VII]Vorwort.

Dem Zweck der ganzen Sammlung gemäß, der ſich dieſe
Trachtengeſchichte als Theil einfügt, ſowie in Uebereinſtimmung
mit meinen Abſichten, waren es beſonders Leſer, die ich bei der
Darſtellung vor Augen haben mußte, und nicht, oder doch erſt
in zweiter Linie, ſolche, die das Buch etwa brauchen könnten.
Ich mußte daher zweien Dingen entſagen: einmal der Mitthei-
lung des gelehrten Apparates, der ohnehin in ſeinem ſchriftlichen
Theil unſchwer zugänglich ſein wird, und zweitens der Beigabe
entſprechender Abbildungen. Ich verhehle mir das Mißliche des
letzteren Punktes nicht, indeß dürfte für den, der weiteres In-
tereſſe an der Sache nimmt, das eine oder das andere der größe-
ren Coſtümwerke leicht zur Hand ſein Zur Erleichterung habe
ich in der Darſtellung und in den wenigen Anmerkungen zuwei-
len des Näheren auf die beiden folgenden Werke (mit verkürztem
Titel) hingewieſen:


  • J. H. von Hefner-Alteneck, Trachten des chriſtlichen
    Mittelalters, und
  • A. von Eye und Jacob Falke, Kunſt und Leben der
    Vorzeit.

Das erſtere durch Fleiß, Gediegenheit und Zuverläſſigkeit gleich
ausgezeichnete Werk, welches im Studium der deutſchen Privat-
alterthümer eine Epoche bildet, geht nur bis zum Ende des ſechs-
zehnten Jahrhunderts. Das Fehlende wird durch das zweite
Werk ergänzt, welches, ſo tief als möglich ins Mittelalter zurück-
reichend, erſt mit dem Jahr 1800 abſchließt. Obwohl es ſeinem
Plane gemäß ſich nicht bloß auf Coſtüme, zumal deutſche, be-
ſchränkt, ſo bilden ſie doch den hauptſächlichſten Gegenſtand, und
die Auswahl iſt bereits mit Rückſicht auf die charakteriſtiſchen
Zeitunterſchiede getroffen.


[VIII]Vorwort.

Die ſtete Vergleichung, ich möchte ſagen, die Confrontirung
mannigfacher bildlicher Quellen, wie ſie ſich wohl in ſeltnem
Reichthum im germaniſchen Muſeum finden, mit den ſchriftlichen
wurde mir durch meine hieſige Stellung im Weſentlichen erleich-
tert. — Was ich hier und da aus den Quellen mitgetheilt und
der Darſtellung eingefügt habe, mußte ich ihr in Ueberſetzung
und Ausdruck accommodiren. Ich ſchloß mich, wenn ſie vorhan-
den waren, guten Uebertragungen an, wie z. B. denen von
Simrock und für die ältere Zeit — die lateiniſchen Dichter aus-
genommen — der Pertziſchen Sammlung, indem ich nur da än-
derte, wo Unkunde des Coſtüms ein leicht verzeihliches Mißver-
ſtändniß hatte entſtehen laſſen.


Der zweite und letzte Theil wird die Geſchichte der Trachten
bis in dieſes Jahrhundert herabführen. —


Nürnberg, im April 1858.


Jacob Falke.


[]

Ueberſicht.


  • Seite.
  • Erſtes Buch.
    Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.

    Erſtes Kapitel. Urzeit und Urzuſtände 1
  • Zweites Kapitel. Schwankungen zwiſchen den nationalen und an-
    tiken Elementen in der Zeit der Merovinger und Karolinger 21
  • Drittes Kapitel. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente
    in der Zeit von der Mitte des neunten Jahrhunderts bis gegen den
    Beginn der Kreuzzüge 53
  • Zweites Buch.
    Das Mittelalter, bis zum Jahr 1500.

    Erſtes Kapitel. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht
    unter dem Einfluß des Frauencultus bis zur Höhe plaſtiſcher
    Schönheit. 1100—1350 74
  • Zweites Kapitel. Die Zeit des Luxus und der moraliſchen und
    äſthetiſchen Entartung. 1350—1500.
    a. Der Umſchwung in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts;
    der Realismus, die Mode und die Kleiderordnungen 171
  • b. Die Thorheiten der Mode: Hängeärmel, Schellen, Schna-
    belſchuhe und Farbenallegorie 222
  • c. Die burgundiſche Hoftracht und der Luxus der Niederlande 260
  • d. Die Regelloſigkeit und Willkür in Deutſchland in der zwei-
    ten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts. — Die niedern
    Stände 283

[]

Die deutſche
Trachten- und Modenwelt.


[][[1]]

Erſtes Buch.
Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.


Erſtes Kapitel.
Urzeit und Urzuſtände.


Das ſtolze Rom, das ſo oft mit Zittern und Zagen der
Ankunft der Germanen vor ſeinen Thoren entgegenſah, hatte
allerdings ein Intereſſe dabei, wenn es ihr Land ſo entſetzlich und
die Bewohner ſo außergewöhnlich wie möglich ſchilderte, denn die
Gefährlichkeit und Größe der Gegner entſchuldigte die Furcht
und verringerte die Schmach der Niederlagen. Indeſſen können
wir doch bei der Einſtimmigkeit der Nachrichten nicht umhin, uns
den Anblick Deutſchlands, nicht bloß im Verhältniß zum Garten
Italien, ſondern überhaupt im hohen Grade uncultivirt und
wild vorzuſtellen, hier mit Wäldern bedeckt, ſumpfreich und reg-
neriſch, dort rauh, öde und ſtürmiſch. Bei aller möglichen Ueber-
treibung leuchtet ſelbſt aus Senecas rhetoriſcher Abſichtlichkeit der
Kern der Wahrheit uns entgegen, wenn wir die folgende Stelle
leſen: „Betrachte dir,“ ſagt er in ſeinem Buch von der Vor-
ſehung, „alle die Völker, bei denen der Friede Roms ſeine Gränze
findet, ich meine die Germanen und was ſonſt für Völkerſchaften
jenſeits der Donau wandernd umherſchweifen. Ein beſtändiger
Winter, ein trüber Himmel laſtet auf ihnen, kärglich gewährt
ihnen die Nahrung der unfruchtbare Boden, gegen den Regen
ſchützen ſie ſich durch Schilf und Laub, über die Eisdecken der
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 1
[2]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
Gewäſſer eilen ſie dahin, wilde Thiere erjagen ſie ſich zur Nah-
rung. Keine Wohnungen haben ſie, keine Stätte, außer der,
welche ihnen die Müdigkeit Tag für Tag anbefiehlt; dürftig iſt
ihre Nahrung, und mit eigener Hand müſſen ſie ſich dieſelbe be-
ſchaffen; ſchrecklich iſt die Unfreundlichkeit des Klimas; unbedeckt
ſind ihre Leiber: ſo iſt das tägliche Leben der Völker.“ Der ganze
Charakter der deutſchen Geſchichte in den erſten Jahrhunderten
beſtätigt dieſen Anblick des Landes. In allen Feldzügen waren
Boden und Himmel die gefährlichſten Feinde der Römer. Und
die Germanen wußten dieſe Vortheile zu ſchätzen und trefflich zu
nutzen: ſie zogen ſich unſichtbar in die undurchdringlichen Wäl-
der zurück und ließen die Feinde allein in der unheimlichen, men-
ſchenleeren, ſchweigenden Oede. Da warteten ſie ruhig, bis die-
ſelben in die Sümpfe oder die Schluchten des Gebirgs geriethen,
oder bis der Himmel ſeine Ströme herniederließ und den Boden
erweichte und die Wege verdarb, oder der Sturm die Flotte an
das ſeichte und unwirthliche Geſtade warf.


Wir glauben den Nachrichten der Alten nur zu gern, und
gewiß nicht mit Unrecht, wenn ſie uns verſichern, daß unſre Vor-
fahren all dieſen Widerwärtigkeiten, der Unfreundlichkeit des
Klimas, der Rauheit des Bodens, der Näſſe und der Kälte gleich
freudig getrotzt haben. Galt es die Wanderung, die Jagd, den
Kampf, ſo gab es nichts, was auf ihren abgehärteten Körper
Eindruck gemacht hätte. Auf ihren Schilden wie auf Schlitten
ſitzend — mag immerhin der Römer Furcht die Fabel erſonnen
oder vergrößert haben, ſie deutet die Wahrheit an — ſollen ſie
die Schneeabhänge der Alpen herabgefahren ſein. Nackt oder nur
mit einem leichten Mantel bedeckt, zogen ſie in die Schlacht, ent-
weder um leichter zu ſtreiten oder um zu zeigen, daß ſie die vom
Feinde kommenden Wunden verachteten, jedenfalls aus trotzigem
Uebermuth. „Unbekleidet,“ ſagt der Geograph Pomponius Mela,
„leben ſie bis zur Zeit der Reife; die Männer hüllen ſich in kurze
Gewänder oder in Baumbaſt, mag der Winter auch noch ſo
ſtreng ſein.“ Cäſar ſcheint eigentliche Kleidung kaum bei ihnen
bemerkt zu haben. „Sie haben ſich,“ ſagt er, „der Gewohnheit er-
[3]1. Urzeit und Urzuſtände.
geben, in dem kalten Lande gar keine Kleider zu tragen, außer
Felle, deren Kleinheit einen großen Theil des Körpers bloß läßt,
und in den Flüſſen ſich zu baden.“


Obwohl ſo voll trotziger Abhärtung, waren die Germanen
dennoch ſchon in der Urzeit keineswegs Feinde eines bequemen,
ſelbſt weichlichen Lebens, wenn ſie es haben konnten. Nicht um-
ſonſt lockte ſie das herrliche, reizvolle Italien mit ſeinen Genüſſen
und ſeinem ſüßen Nichtsthun zu immer neuen und neuen Zügen,
obgleich der Untergang ſo vieler ihrer Stammesgenoſſen ſie wie-
derholt hätte belehren können, daß, ſobald ſie die Höhe der Alpen
überſchritten, ſie nur hinabſtiegen in ein offenes, wenn auch la-
chendes Grab. Auch am heimiſchen Herd verſagten ſie ſich den
Genuß nicht, wie ihn derſelbe bot: am Feuer lagen ſie ausge-
ſtreckt, den nackten Körper der Gluth ausſetzend, nichts thuend,
träumend und trinkend. Mit beſonderer Vorliebe waren ſie dem
warmen Bad ergeben. Im Sommer zwar ſuchten ſie auch die
kühlen Ströme auf, und die Römer hatten oft Gelegenheit, ihre
Schwimmergewandtheit zu bewundern, im Winter aber, wenn
ſie es anders im Stande waren, ließen ſie ſich täglich zu Hauſe
ein warmes Bad bereiten, nach welchem ſie ſodann zum Frühſtück
gingen. Wie ſtaunten die Soldaten des Marius, als ſie am
Vortage der großen Vernichtungsſchlacht bei Aquä Sextiä einen
Theil der Germanen überraſchten, wie er ſich in den warmen
Quellen, die dort aus dem Boden ſprudeln, badete und im Ge-
fühl des Wohlſeins laut jubelte vor Freude und Verwunderung
über den herrlichen Ort. —


Ueber die Beſchaffenheit und die Form der Kleidung ſelbſt
erhalten wir nur höchſt ungenügende Nachrichten. Auch Tacitus
beſtätigt noch die verhältnißmäßige Dürftigkeit und Nacktheit.
Nach ſeinem Bericht tragen alle einen Mantel, der durch eine
Spange oder in Ermangelung derſelben durch einen Dorn (spina,
d. h. wohl eine aus Holz geſchnitzte Nadel), auf der Schulter
nämlich, feſtgehalten wird. Aber den meiſten iſt dieſes Kleidungs-
ſtück Ein und Alles, und nur die Reichſten tragen unter dem
Mantel noch ein anderes, welches ſich dem Körper eng anſchließt
1*
[4]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
und die einzelnen Glieder in ihren Formen hervortreten läßt und
nicht, wie bei den Sarmaten und Parthern, weit und faltig den
Körper umfließt. Sagum nennt Tacitus dieſen Mantel und
läßt uns dadurch auf Schnitt und Größe ſchließen, denn dieſer
Ausdruck bezeichnet den kurzen römiſchen Soldatenmantel, der,
ein einziges Stück Tuch, von der linken Schulter her mit beiden
Seiten zur rechten Schulter hinübergelegt, dort mit einer Agraffe
befeſtigt wurde, den rechten Arm und die rechte Seite frei ließ
und bis zum Knie herabfiel. Wir dürfen den germaniſchen Man-
tel ähnlich annehmen, umſomehr als Sagum ſelbſt, Name wie
Sache, dem Gallier entlehnt ſein ſoll. Ueber die Beſchaffenheit
des Unterkleides, über ſeine Länge, ob es Aermel gehabt
oder nicht, würden wir völlig im Unklaren bleiben, wenn es
nicht erlaubt wäre, aus ſpäteren Angaben auf Früheres zurückzu-
ſchließen. Bis ins 10. Jahrhundert hinein geſchieht des engan-
liegenden deutſchen Rockes Erwähnung, und er wird in dieſer
Eigenſchaft öfter der weiten und längeren römiſchen Tunica ent-
gegengeſetzt. Mit Hülfe dieſer Nachrichten vermögen wir ihn auch
auf Bildwerken des 9. und 10. Jahrhunderts zu erkennen, wenn
auch nicht ohne eingetretene Modificationen. Darnach hatte er
enge Aermel bis zum Handgelenk, was übrigens noch aus dem
Umſtande zu ſchließen wäre, daß Tacitus ihm das ärmelloſe
Frauenkleid entgegenſtellt; doch geſchieht auch daneben der Halb-
ärmel ausdrücklich Erwähnung. Am obern Theil des Körpers
ſchmiegte er ſich eng den Formen an, wurde dann auf den Hüften
ein wenig weiter, wo er vielleicht durch einen Gürtel, der öfter
vorkommt, aufgebunden war, ſo daß ein kleiner Bauſch herüber-
fiel. So iſt es wenigſtens ſpäter. Der untere Theil reichte nicht
völlig bis zu den Knieen herab. Da er weder vorn noch auf dem
Rücken eine Längenöffnung hatte, ſo mußte er über den Kopf an-
gezogen werden. Als Stoff diente für ihn wie für den Mantel
wohl urſprünglich eine mehr oder weniger grobe Wolle, doch
ſcheint ſpäter die Leinwand bei ihm herrſchend zu werden. Dieſer
Rock war, wie Tacitus verſichert, urſprünglich die auszeichnende
Tracht des reichen und vornehmen Mannes, dann aber ging er
[5]1. Urzeit und Urzuſtände.
mit ſteigender Civiliſation und mit dem Hereinbrechen römi-
ſcher Formen auf das niedere Volk über, bei dem er noch
lange blieb, wenn auch nicht, ohne ſich ſeinerſeits ein wenig ro-
maniſiren zu laſſen. Indeſſen ſtoßen wir noch in der Zeit der
Völkerwanderung, noch in der Mitte des 6. Jahrhunderts, auf
Völkerſchaften, welche Bruſt und Rücken unbedeckt hatten, alſo
der großen Mehrzahl nach den engen Rock nicht kannten.


Von einer Beinbekleidung oder beſtimmt von Hoſen,
wie ſie Gallier und Dacier trugen und wie ſie von jenen auf die
Römer übergingen, findet ſich in den erſten Jahrhunderten in
Bezug auf die Germanen keine Spur, und es iſt umſomehr an-
zunehmen, daß dieſelben ihnen im Allgemeinen unbekannt wa-
ren, als Tacitus, der am genaueſten von der Kleidung berichtet,
ihrer durchaus nicht gedenkt, und ſpäter noch die Nacktheit ger-
maniſcher Beine aufs beſtimmteſte verſichert wird. Von den Lan-
gobarden ſagt Paulus Diaconus geradezu, daß ſie Hoſen — er
bedient ſich ſchon dieſes Wortes — von den Römern angenom-
men hätten. Doch giebt es auch Ausnahmen, wie z. B. die Go-
then im 4. Jahrhundert in Hoſen und einer eigenen Art von
Stiefeln erſcheinen, aber das war im fernen Oſten an der Mün-
dung der Donau, und als ſie ſich hier zeigten, hatten ſie bereits
an der Nordſeite des ſchwarzen Meeres in langem Verkehr mit
ſarmatiſchen und ſcythiſchen Völkerſchaften geſtanden.


Die dürftige Kleidung germaniſcher Männer erhält eine be-
deutende Ergänzung durch Pelze. Ihr Gebrauch iſt nicht bloß
durch die Nothwendigkeit hervorgerufen, um ſich gegen die Kälte
zu ſchützen, denn ſchon in älteſter Zeit pflegten ſie nur einen klei-
nen Theil des Körpers zu bedecken, und von Anfang an waren
ſie bereits vielfach ein Luxusartikel, wie ſich denn die Vorliebe für
ſie in gleicher Weiſe durch das ganze Mittelalter erhalten hat.
Unbewußt mochte ſich mit dieſer Tracht, wenn die rauhe Seite
nach außen gekehrt war, der Gedanke einſtellen, daß ſie dem
Mann ein kriegeriſches und wilderes Anſehen gäbe, gleich dem
freien Thier des Waldes. Die Völkerſchaften am Rhein legten
[6]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
weniger Werth auf dieſen Gegenſtand, obwohl ſie ſich ebenfalls
der Felle bedienten, die aber weiter nach Oſten hin und im Nor-
den wohnten, verfuhren ſchon wähleriſcher. Sie ſuchten ſich die
Thiere aus und beſetzten die abgezogenen Felle hermelinartig mit
Stücken von andern buntgefleckten, die über die Oſtſee herüber,
aus Schweden, Finnland, vor allem aber ſchon früh aus Ruß-
land auf dem Wege des Binnenhandels zu ihnen kamen. Das
ſogenannte Buntwerk oder Veh war alſo ſchon früh den alten
Germanen bekannt. Bepelzte Männer hießen die Germanen noch
lange im Munde der Römer.


Das Wenige, was wir von der Tracht altgermaniſcher
Frauen erfahren, verdanken wir wieder Tacitus allein. Die
Frauen, ſagt er, kleiden ſich nicht anders wie die Männer, nur
hüllen ſie ſich öfter in leinene Gewänder, die ſie bunt mit Pur-
pur beſetzen, tragen keine Aermel, ſondern laſſen Arme und
Schultern nackt, und auch der nächſte Theil der Bruſt bleibt noch
ſichtbar. Demnach ſind zwei Kleidungsſtücke anzunehmen, ein
unteres, ärmelloſes, welches der römiſchen Frauentunica ähnlich,
doch enger ſein mochte und die Körperformen hervorhob, und ein
Mantel, der von hinten übergelegt und auf der Bruſt mit einer
Spange gehalten wurde. Daß beide länger waren als die ent-
ſprechenden männlichen Kleider, iſt ſelbſtverſtändlich. Leinewand
wurde, wie auch ſpäter noch, weit höher geſchätzt als die Wolle,
und ſie wurde von den germaniſchen Frauen ſelber gewoben.
„In ganz Gallien webt man Leinenzeug,“ ſagt der ältere Plinius,
„jetzt thun es auch ſchon die Feinde jenſeits des Rheins, und kein
ſchöneres Gewand kennen ihre Frauen.“ Die hohe Bedeutung,
welche dieſer Stoff in heidniſchen Zeiten hatte, giebt auch die
Mythologie kund. Frau Bertha, die Göttin, iſt ſehr achtſam auf
den Flachsbau und das Spinnen. Sie ſchaut ſelber nach in den
Spinnſtuben und theilt Spulen aus, die abgeſponnen werden
müſſen; und die Fleißigen, welche zur rechten Zeit fertig werden,
beſchenkt ſie mit ſchönem Flachs, — wehe aber den faulen Mäg-
den! Schon den Cimbern war leinene Kleidung nicht unbekannt.
Man erzählt von ihnen, daß unter den Weibern, welche ſie auf
[7]1. Urzeit und Urzuſtände.
ihrer Heerfahrt begleiteten, weiſſagende Prieſterinnen geweſen
ſeien, grau vor Alter, in weißen Kleidern, darüber Mäntel von
feinſtem Flachs, mit einem ehernen Gürtel, unbeſchuht. Das
ſind die heiligen und reinen Frauen, die gewöhnlich einſam leb-
ten und in dringenden Fällen ihren Rath wie Orakelſprüche er-
theilten, dafür aber die höchſte Verehrung von Seiten des Volks
genoſſen. Die weiße Farbe iſt bei ihren Kleidern nicht ohne tie-
fern Sinn, wie in der Götterlehre die weißen und lichten Gott-
heiten als die ſegenſpendenden, guten den ſchwarzen, dunklen,
böſen entgegengeſetzt werden. Schwarz war auch ſchon damals
die Farbe der Trauer. Als die Teutonen, in der großen Schlacht
auf der raudiſchen Ebene geſchlagen, zurückflohen zur Wagenburg,
da ſtanden ihre Frauen in ſchwarzen Trauergewändern auf den
Wagen und bereiteten den Flüchtigen mit Hohn und Gewalt
einen unwillkommenen Empfang. Ob ſie ſonſt farbige Kleider
getragen, wird zwar nicht ausdrücklich berichtet, es läßt ſich aber
immerhin annehmen, da nicht viel ſpäter ihrer hinlänglich Er-
wähnung geſchieht und Luſt an Putz und heller Farbenpracht
ihnen ſo wenig fehlte, wie andern Völkern, die dem urſprüngli-
chen Zuſtande nahe ſtehen. Die Frauen, wie wir wiſſen, beſetzten
die leinenen Kleider mit Streifen von Purpur, mochte er auch
ſchwerlich ächt ſein, und die Männer bemalten ihre Schilde in
den lebhafteſten Farben.


Auch die Pflege des Körpers aus Rückſichten der Schönheit
war keineswegs etwas Unbekanntes. Die Frauen nahmen die
Bäder vorzugsweiſe aus Sorge für die Hautfarbe und ſcheinen zu
dieſem Zweck auch den Schaum des Bieres benutzt zu haben.
Die verſchiedenen Nachbaren der Germanen, die ſich keineswegs
auf höherer Stufe der Kultur befanden, die Kelten, Sarmaten,
Dacier kannten ſchon die Schminke; ſie wird auch den Germanen
damals ſchwerlich unbekannt geweſen ſein. Die Ausgrabungen
haben uns noch mit einer Menge zur Toilette dienenden Gegen-
ſtände bekannt gemacht; da fand man Kämme von Bein und
Bronce, Ohrlöffel, kleine Zängelchen und andere kleine Inſtru-
mente, oft an einem Ringe ähnlich einem Schlüſſelbund aufgezo-
[8]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
gen. Das alles läßt auf eine ſorgfältige und ins Kleinliche
gehende Pflege der Schönheit ſchließen.


Insbeſondere hatte ſich das berühmte blonde Haar der
höchſten Pflege und Sorgfalt zu erfreuen und wurde einer aus-
geſuchten, ans Raffinement grenzenden Behandlung unterzogen.
Zwar iſt zu allen Zeiten und bei allen Völkern, die ſich über die
erſte Stufe eines blos vegetirenden Daſeins erhoben haben, das
Haar ſtets der Favorit der Toilette geweſen, und iſt es ebenſo
noch heut zu Tage, dennoch iſt die faſt ſtutzerhafte Eitelkeit der
rauhen, halbnackten oder pelzbekleideten Waldesſöhne in dieſer
Beziehung nicht wenig zu verwundern. Und die Männer, ſo
wird ausdrücklich verſichert, zeigen dieſe Leidenſchaft noch mehr
als die Frauen. Die blonde Farbe des Haars ſchätzten nicht
bloß die Römer, ſondern die Germanen ſelbſt liebten ſie ſo ſehr,
daß ſie mit künſtlichen Mitteln einem etwaigen Mangel der Na-
tur zu Hülfe kamen. Dadurch wird uns zugleich dieſe Eigenſchaft
als ein durchgängiges und charakteriſtiſches Stammeszeichen er-
klärlich. Doch dürfen wir annehmen, daß alle Nüancen vom
hellen, weißlichen Blond bis zum röthlichbraunen vorkamen; die
verſchiedenen Ausdrücke, mit denen die Griechen und Römer das
germaniſche Haar bezeichnen, dürften das beweiſen. Es gab eine
Salbe oder Seife, aus Ziegenfett und Buchenaſche gemacht,
flüſſig oder in feſter Geſtalt, welche das Haar gelb zu färben ver-
mochte, wie Martial ſagt, „ein kauſtiſcher Schaum, der das teu-
toniſche Haar in Flammen ſetzt.“ Auch „bataviſchen Schaum“
nennt ſie derſelbe Dichter. Die Germanen bedienten ſich fleißig
dieſes Mittels, und von ihnen erſt lernten es die Römer kennen,
bei denen im erſten Jahrhundert unſrer Zeitrechnung, ſeitdem ſie
die ſchönen Germaninnen geſehen und bewundern gelernt hatten,
das blonde Haar völlig Modeſache geworden war. Diodor von
Sicilien erwähnt einer Lauge von Kalk, welcher ſich die Germa-
nen zu dem gleichen Zweck bedient hätten, und Sidonius Apolli-
naris weiß gar von geronnener Milch (? infundens acido co-
mam butyro
) zu ſprechen, welche die Burgunder ins Haar goſ-
ſen. Die römiſchen Damen aber begnügten ſich nicht mit der
[9]1. Urzeit und Urzuſtände.
Salbe oder den germaniſchen Kräutern, welche Ovid erwähnt,
weil ihr brünettes Haar derſelben vielleicht mehr Widerſtand lei-
ſten mochte, oder auch weil die damalige Mode großer Coiffüren
nicht mit dem zufrieden war, was die Natur in einzelnen Fällen
gewährt hatte; ſie ließen ſich aus dem fremden Haar Perücken
machen, die ſie in vielfachen, oft grotesken Geſtalten trugen.
Manche deutſche Gefangene mußte aus dieſem Grunde ihren
ſchönſten und natürlichſten Schmuck, das blonde Haar, einer rö-
miſchen Dame abtreten, ja vielleicht nur durch den Beſitz dieſes
Schatzes hatte ſie ihr unglückliches Loos ſich zugezogen. Denn an
den Gränzen Germaniens jagten die römiſchen Kaufleute eifrigſt
dieſem Artikel nach; das deutſche Frauenhaar war ein ſtehender
und guten Gewinn tragender Handelsgegenſtand geworden. —
Einigen Kaiſern, wie Commodus, Verus, Gallienus, wird auch
nachgeſagt, daß ſie aus Liebe zum germaniſchen Blond ihr Haar
mit Goldſtaub gepudert hätten. Caracalla trug gar, den Damen
gleich, eine gelbe Perücke nach deutſcher Friſur, ſeiner deutſchen
Leibwache zu Gefallen.


Die deutſchen Männer blieben in ihrer Eitelkeit nicht bei der
Farbe ſtehen, ſie behandelten das Haar ſchon damals in ſo künſt-
licher Weiſe, daß Juvenal ihrer Haarhörner aus geſalbten Locken
ſpotten konnte. Am auffallendſten unter den verſchiedenen Völ-
kerſchaften trugen ſich die Sueven. Sie kämmten ihr Haar aus
Stirn, Schläfen und Nacken nach dem Scheitel zu, banden es
oben in einen Knoten zuſammen und ließen es dann wie eine
Art Zopf nach hinten in den Nacken herunter fallen. Dieſe Sitte
beobachteten ſie bis ins Alter, ſelbſt wenn das Haar grau und
dünn wurde. Und nicht der Liebe zu Gefallen ſchmücken ſie ſich
ſo, ſagt Tacitus, ſondern um dem Feinde ein Schrecken erregen-
des Aeußere zu zeigen. Die Sueven, die ſich für die vorzüglich-
ſten aller Germanen hielten, ſahen dieſe eigenthümliche Tracht
als eine Auszeichnung ihres Stammes an. Als ein Paar Jahr-
hunderte ſpäter die Franken in der Geſchichte auftreten, wird von
ihnen dieſelbe Sitte berichtet; und daneben ſchoren ſie die Wan-
gen und das Kinn, ließen aber den Schnurrbart zu beiden Seiten
[10]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
des Mundes in möglichſter Länge herabfallen. Dieſen behielten
ſie noch längere Zeit, während ſie den Schopf bald aufgegeben
zu haben ſcheinen, da ſie nicht lange nach dem Auftreten Chlod-
wigs kurz gehaltnes Haupthaar tragen.


Wir verzeihen aber dieſe Eitelkeit und lernen ſie verſtehen
aus der höhern Bedeutung, welche der Germane mit dem Haupt-
haar verknüpfte. Daſſelbe war unter den germaniſchen Stämmen,
zuſammt dem Bart, durchweg das Zeichen des freien Mannes;
dieſer ließ es überall wenigſtens bis zu gewiſſer Länge und unter
gewiſſen Bedingungen wachſen, während es der Sklave kurz ge-
ſchoren trug. Zugleich war es ein Unterſcheidungszeichen von
den Römern wie von andern umwohnenden Völkerſchaften. Auch
die Gallier, die ſonſt am meiſten ihren öſtlichen Nachbarn glichen,
trugen es kurz, denn als der ruhmeseitle Kaiſer Caligula einſt
über die unbeſiegten Germanen einen Triumph halten wollte,
und er dazu der Gefangenen bedurfte, die er nicht hatte, ſo ſuchte
er ſich aus den Galliern die größten Leute heraus, über die zu
triumphiren es ſich der Mühe zu lohnen ſchien, und zwang ſie
das Haar wachſen zu laſſen; bis dahin mußte freilich das ſchau-
luſtige Rom des Triumphes warten. Ein freier Mann, der als
Kriegsgefangener oder durch gerichtliches Urtheil oder als Einſatz
des Spiels, denn bis ſoweit herrſchte dieſe Leidenſchaft im alten
Germanien, ſeine Freiheit verlor, büßte zunächſt Haar und Bart
durch das Scheermeſſer ein. Die Handlung ſelbſt hatte ſymboli-
ſche und rechtskräftige Bedeutung. Wer ſich Haar und Bart ab-
ſchneiden ließ, gab ſich damit in die Gewalt desjenigen, der es
abſchnitt.


Nur ſcheinbar macht der freie Franke eine Ausnahme. Er
trug ſpäter namentlich im Nacken das Haar weit kürzer als die
übrigen Germanen, wenn auch nicht dem Sklaven gleich, und
den Bart bis auf den langen Schnurrbart geſchoren, nicht aber,
weil bei ihm dieſer Schmuck weniger Ehre genoß, ſondern weil
ſich ſeine Bedeutung auf die höchſten Freien, den König und ſein
Geſchlecht, concentrirte. Darum führen ſchon früh die Merovin-
ger den Namen der gelockten Könige. In der Schlacht waren ſie
[11]1. Urzeit und Urzuſtände.
weither ſchon den Feinden ſichtbar und leuchteten den Ihrigen
leicht kenntlich voran. Später noch, als ihnen durch die wach-
ſende Macht der Hausmeier nichts geblieben war, als die Würde
und der Name, da ſaßen ſie noch auf dem Thron mit langem,
die Schultern umfließendem Haupthaar und ungeſchorenem Bart,
um den Herrſcher zu ſpielen. Setzten die Hausmeier oder ein
Kronprätendent den ſchwachen König ab, ſo ſchnitt man ihm al-
ſobald Haar und Bart, um ihn einſtweilen für den Thron un-
fähig zu machen. Als aber die Karolinger zur Herrſchaft auch den
königlichen Titel ſich beilegten, nahmen ſie doch das Vorrecht der
Merovinger nicht an; ſie behielten ihr kurzes Haar und den
Schnurrbart, wie die andern Freien und Fürſten ihres Stam-
mes. Fortan hörten die Franken auf „gelockte“ Könige zu haben.


Auch bei den Langobarden nimmt in älteren Zeiten ihr Ge-
ſchichtſchreiber Paulus Diaconus den langen Haarwuchs an
Haupt und Bart an; von dem letzteren, an den kein Scheermeſſer
gekommen ſei, leitet er ihren Namen ab, da ſie urſprünglich Wi-
niler hießen. Auch die alte Erzählung, die ſich hieran knüpft,
von den Frauen, die, das lange Haar um Geſicht und Kinn ge-
bunden, Langbärten gleich, vor das Antlitz Wodans treten, kann
zur Beſtätigung dienen. Später, da die Langobarden ſchon in
Italien ſaßen, trat eine Aenderung ein, denn zur Zeit der Köni-
gin Theudelinde, alſo gleich nach dem Jahre 600, hatten ſie
Nacken und Hinterkopf glatt geſchoren, und die übrigen Haare,
in der Mitte der Stirn geſcheitelt, hingen zu beiden Seiten über
die Wange bis zur Tiefe des Mundes herab. Ein mäßig langes
Haupthaar bis zur angegebenen Tiefe herabreichend, mit einem
Bart, der Kinn und Wangen ziemlich kurz umzieht, die Lippen
aber frei läßt, tragen ſie noch in der zweiten Hälfte des 8. Jahr-
hunderts am Hofe des Arichis, Herzogs von Benevent, während
dieſer ſelbſt, vom griechiſchen Kaiſer der Ehre des römiſchen Pa-
tricius gewürdigt, mit dem Purpurmantel auch Kamm und
Scheere überſchickt erhalten hat, das Haar nach griechiſch-römi-
ſcher Sitte zu verſchneiden.


Die Sachſen ſind noch lange bekannt wegen ihres durch-
[12]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
gängig längeren Haarwuchſes; denſelben aber gänzlich an Haupt
und Bart ungeſchoren zu laſſen, dazu konnten ſie nur beſondere
Gründe bewegen. So geſchah es einſt jenen Sachſen, welche die
Langobarden nach Italien begleitet hatten, und als ſie von die-
ſem Zuge zurückkehrten, ihre alten Wohnſitze von Schwaben ein-
genommen fanden. In einer Schlacht von dieſen geſchlagen, ge-
loben ſie nicht eher Haupthaar noch Bart zu ſcheeren, bis ſie an
ihren Feinden Rache genommen. Sie kamen nicht dazu, denn in
der zweiten Schlacht erlagen ſie gänzlich.


Solche Gelübde finden wir ſchon in den frühſten Zeiten mit
dem Haar verbunden. Von den Chatten erzählt Tacitus, daß,
ſobald ſie herangewachſen ſind, ſie Haar und Bart lang wachſen
laſſen, und dieſe Tracht, die ſie zum Gelübde gemacht und mit
welcher ſie ſich der Tapferkeit geweiht haben, nur dann ablegen,
wenn ſie einen Feind getödtet haben. „Ueber der blutigen Beute
des erſchlagenen Feindes enthüllen ſie wieder ihre Stirn und
glauben, daß ſie dann erſt den Preis für ihre Geburt zurückge-
zahlt und ſich des Vaterlandes und der Aeltern würdig gezeigt
haben.“ So legt auch Claudius Civilis, der kühne und kluge
Führer der Bataver, einem Gelübde zufolge, welches er beim Be-
ginn des Aufſtandes gethan, ſein langes röthliches Haar erſt
dann ab, als die römiſchen Legionen vernichtet ſind. Trauerfälle
konnten Aehnliches veranlaſſen. Beim Tode des Germanicus
legten einige Germanenfürſten zu Ehren des Verſtorbenen den
Bart ab und ſchoren ihren Frauen den Kopf zum Zeichen der
tiefſten Trauer.


Ueber den Schmuck unſerer heidniſchen Vorfahren ſchwei-
gen die Mitlebenden; ſie wiſſen nur zu erzählen, daß die Deut-
ſchen ihn nicht verſchmäht, ja daß ſolche Geſchenke mehr als alles
andre auf ſie Eindruck gemacht hätten. Die Thatſachen aber, die
uns aus der Eröffnung ihrer alten Grabſtätten entgegen treten,
erſetzen uns reichlich, was die Römer verſäumt haben. So müſ-
ſen nun nach faſt zweitauſend Jahren die Todten reden, der
ſtumme Mund der Gräber wird beredt und erzählt uns von man-
cherlei vergangener Herrlichkeit, deren Kunde uns ſonſt ewig ver-
[13]1. Urzeit und Urzuſtände.
ſchloſſen wäre. Freilich iſt dieſe Herrlichkeit bei allem Reichthum
wieder eine ſehr beſcheidene, denn einmal war Gold und Silber
als Erzeugniß des heimiſchen Bodens damals eine unbekannte
Sache, und das Erz, das ärmliche, mußte den Stoff bilden zu
den Waffen wie zum Schmuck. Es war noch die Zeit, wo ſelbſt
die Götter, wie es im Voluspalied der Edda heißt,


„die Aſen
Erbauten Eſſen und ſchmiedeten Erz,
Schufen Zangen und ſchön Gezäh.
Sie warfen im Hofe heiter mit Würfeln
Und kannten die Gier des Goldes noch nicht.“

((Simrock.))

Aber es glänzte damals in ſeiner Neuheit das Erz wie Gold, und
war nicht wie heut zu Tage nach der langen Ruhe in den Grä-
bern von dem „edlen Roſt“ der Alterthümler grünlich und glanz-
los angelaufen. Andrerſeits ſtand die Kunſt der Ornamentik zu
jener Zeit auf einer ſehr niedrigen Stufe, ja faſt auf der unter-
ſten, welche nur der jedem Volke angeborne Verſchönerungstrieb
einnehmen kann. Die einfachſten Elemente, mit denen die Kunſt
beginnt, die grade und die krumme Linie, da angebracht, wo ſie
zur Zweckmäßigkeit nicht in Betracht kommen, finden ſich hier
vor. Denn nichts kann dem ſich in ſeiner Urſprünglichkeit zum
erſten Mal regenden Triebe zur Verzierung näher liegen, als die
Gränzlinien, welche irgend einem Gegenſtand durch ſeine Zweck-
mäßigkeit geſetzt ſind, durch einen Strich zu begleiten. So fängt
in der That die deutſche Kunſt in der heidniſchen Zeit an, wie
uns der Inhalt der Gräber lehrt, und ebenſo auch die Kunſt jedes
andern auf einer niedern Stufe der Civiliſation ſtehenden Volkes.
Die grade Linie alſo, welche eine natürliche Gränze begleitet, iſt
das erſte Ornament; ſie verdoppelt ſich zu parallelen Streifen, zu
Bändern; ſie bricht ſich in regelmäßigen Abſtänden und es ent-
ſteht das Zickzack; in gleicher Weiſe brechen ſich die parallelen
Streifen, verbinden ſich wieder zu Reihen und laufen im Zickzack
neben einander her. Aus der Durchſchneidung der Linien und
der Bänder entſteht netzförmiges Ornament; verbindet ſich mit
einem Band die Zickzacklinie, ſo entſtehen Zacken.


[14]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.

Auf dieſe einfachen und urſprünglichen Motive beſchränkt
ſich die Anwendung der graden Linie auf die Schmuckſachen der
Deutſchen in der Zeit vor allen chriſtlichen und römiſchen Ein-
flüſſen. Ein völlig entſprechender Gebrauch iſt von der krummen
Linie gemacht. Statt des Zickzacks wird ſie zur Wellenlinie, in
ſich zurückkehrend bildet ſie den Kreis, vervielfacht ſich zu concen-
triſchen Kreiſen, windet ſich um einen Cylinder in die Spirale.
Dieſe findet auch auf der Fläche ihre Anwendung. Wenn die
beiden Enden der krummen Linie nach derſelben oder nach entge-
gengeſetzten Seiten gewunden werden, entſteht die ſehr beliebte
Doppelſpirale. Die meiſte Willkür liegt ſchon in der mäandern-
den Bewegung.


Indem man ſich mit dieſer Linienverzierung begnügt, ſei es,
daß man ſie auf ebene oder krumme Flächen einritzt, oder, worin
ſchon ein weiterer Schritt liegt, durch Windungen von Draht
herzuſtellen ſucht, bleibt man doch auf einer untern Stufe der
Verſchönerungskunſt ſtehen, indem man nirgends zum Relief,
zum plaſtiſchen Ornament gelangt. Die Gegenſtände aber, bei
welchen ſie Anwendung finden, ſind ſehr mannigfach, und wir
erkennen daraus, wie weit die Liebhaberei zu Schmuckſachen bei
unſern heidniſchen Vorfahren ging. Der Mantel bedurfte zum
Zuſammenhalten auf der Schulter oder der Bruſt einer Nadel,
die ſich mit Anwendung der Spirale in mannigfacher Weiſe zur
Spange oder Agraffe entwickelte. So z. B. iſt eine gewöhnliche
Form die der entgegengeſetzten, flachen Doppelſpirale, bei welcher
die beiden Enden des Drahtes aus der Mitte der Spiralen her-
ausgehen, die eine ſich zum Haken umbiegt, während die andere
längere als Nadel mit federnder Kraft in jene eingreift. Bei einer
andern Form bildet der Draht einen Bügel, von welchem das
eine Ende einen Haken oder eine kleine Mulde bildet, in welche
das zweite, nachdem es eine kleine Spirale gemacht, als Nadel
elaſtiſch ſich einlegt. Oft ſcheinen ſolche Spangen der Bruſt vor-
geſteckt geweſen zu ſein, wie unſre Brochen blos zum Schmuck,
ohne den Zweck, irgend etwas zu halten. Haarnadeln wurden in
großer Menge getragen; als Knopf dient häufig eine Spirale,
[15]1. Urzeit und Urzuſtände.
aus der Fortſetzung der Nadel gewunden, oder eine mit Linienor-
nament verzierte Scheibe. Auch Reife umſchloſſen das Haar in
Form einfacher Ringe, oder zu Diademen ausgebreitet und mit
derſelben Verzierung reichlich verſehen. Mannigfach finden ſich
Diademe, welche nicht groß genug ſind, den ganzen Kopf zu um-
ſpannen, und daher ſehr künſtlich über der Stirn befeſtigt werden
mußten; vorne pflegen ſie in der Breite bis zu zwei Zoll empor-
zuragen, während ſie nach den Seiten ſchmäler werden und hin-
ten nicht geſchloſſen ſind. Vielleicht deuten ſie auf eine ſehr künſt-
liche Haartracht hin. Die Hals- und Armringe finden ſich beſon-
ders zahlreich, beide ſind nicht geſchloſſen, ſodaß ſie, ſehr elaſtiſch
gearbeitet, ſich ausweiten nach der Stärke des Armes oder des
Halſes. Ihre Formen wachſen an vom einfachſten Drahtring bis
zum breiten Band. Während der Halsring vorn auf der Bruſt
breiter ſein konnte, winden ſich die Armringe in ſchlangenartigen
Spiralen; welche Formen alle wieder von eingeritzten Linien um-
zogen ſind. Die Ohrringe pflegen aus einem einfachen dünnen
Reife, unten mit einem Knopf, zu beſtehen. Aehnlich ſind die
Fingerringe. Auch Gürtelſchnallen werden gefunden.


Von dieſem Schmuck machten die Männer theilweiſe faſt
noch ausgedehnteren Gebrauch, als die Frauen. Von ihnen vor-
züglich wurden die Armringe getragen, und zwar in ſolcher
Menge, daß ſie ſich ſchon zu Dutzenden an einem Arm gefunden
haben. Der Gebrauch, der von denſelben gemacht wurde, und die
Art der Erwähnung in ſpäterer Zeit beweiſen, daß man ſich
ihrer nicht zum Schutze wie einer Rüſtung bediente, ſondern daß
ſie lediglich ein Schmuck waren. Es wurde aber von den Män-
nern ein außerordentlicher Werth auf ſie gelegt, und ſie waren
das wirkſamſte Mittel für den Fürſten und den Geleitsführer,
ſeine Freunde an ſich zu feſſeln. Darum lagen ſie auch in den
königlichen und fürſtlichen Schatzkammern in großer Menge auf-
gehäuft, ſodaß die „rothen Ringe“ oft für den Hort ſelbſt gebraucht
werden. Die Freigebigkeit mit dieſen Ringen oder „Baugen“ (von
biegen) erſtreckte ſich auch auf die Sänger und die Dichter, von
welchen ſolche Tugend hochgeprieſen wird, wie es von Alboin dem
[16]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
Langobarden heißt, daß keines andern Hand ſo leicht, keines an-
dern Herz ſo freigebig an Ringen und leuchtenden Baugen ſei.
Im Gegentheil wird es auch als ſchlechte Eigenſchaft eines Herr-
ſchers getadelt, daß er niemals verdienten Helden Ringe geſchenkt
habe. Freunde oder auch Feinde, die ſich im Kampf tapfer be-
ſtanden, tauſchten zur Erinnerung ihre Armringe mit einander
aus. In dieſen Bedeutungen ſind die Baugen in die Sage über-
gegangen, wenn auch mit Umwandlung des dunklen und bald
feilen Erzes in das ſo hoch geſchätzte leuchtende Gold, und noch
ſpät in chriſtlicher Zeit findet ſich in Lied und Sage die altheid-
niſche Sitte wieder, als ſie längſt aus dem Leben verſchwunden.
Als Walter von Aquitanien dem Hofe des Hunnenkönigs Etzel
entflieht, nimmt er aus deſſen Schatze an Baugen mit, ſo viel er
kann, und ihre Zahl war ſo beträchtlich, daß er dem Burgunden-
könig Gunther ihrer hundert als Geſchenk zu bieten vermochte.
Hildebrand, des Dietrich von Bern Genoſſe und Dienſtmann,
nach langer Abweſenheit wieder heimkehrend, führt Baugen, aus
byzantiniſchen Goldmünzen geſchlagen, mit ſich. Auch im Ni-
belungenliede lebt noch die alte heidniſche Sitte. Als Siegfried
nach Worms zurückkehrt, um die glückliche Gewinnung der Brun-
hilde als Braut Günthers der Chriemhilde zu verkünden, da
reicht ihm die Königstochter als Botenlohn 24 Armringe; und
beim Abſchied der Burgundenhelden von Pechlarn legt die Mark-
gräfin Gotelinde dem trefflichen Spielmann Volker 12 Ringe
um die Hand.


Da gebot die Markgräfin eine Lade herzutragen,

Daraus nahm ſie zwölf Baugen und ſpannte ſie an ſeine Hand:

„Die ſollt ihr mit euch führen von hinnen in Etzels Land,

Und ſollt um meinetwillen ſie zu Hofe tragen,

Wenn ihr wiederkehret, daß man mir möge ſagen,

Wie ihr mir habt gedienet da bei dem hohen Feſt.“

Im Beowulflied erſcheint die Königin ebenfalls als Ringſpen-
derin, indem ſie mit dem Becher noch zwei Armringe von gewun-
denem Golde und einen herrlichen Halsring dem Beowulf unter
holden Worten überreicht. — Als Karl der Große, ſo erzählt die
[17]1. Urzeit und Urzuſtände.
Chronik von Novaleſe, den Deſiderius bezwungen und unſchäd-
lich gemacht, hatte er noch lange an deſſen Sohn, dem ſtarken
Algis, einen gefährlichen Feind. Einſtmals ſaß König Karl in
Pavia zu Tiſch, da hatte ſich an das untere Ende der Tafel ein
Fremder geſetzt, der ließ ſich alle Knochen geben, zerbrach ſie, ſog
wie ein hungriger Löwe das Mark aus und warf ſie dann unter
den Tiſch. Das machte einen tüchtigen Haufen aus, und als
nach Aufhebung der Tafel der König denſelben erblickte, fragte er
ſtaunend nach dem Urheber[.] Es ſaß hier ein ſtarker Degen, hieß
es, der zerbrach alle Hirſch-, Bären- und Ochſenknochen, als wä-
ren es Hanfſtengel. Der König erkannte bald, daß es der ſtarke
Algis geweſen, und es war ihm höchſt ärgerlich, daß er ihn ſo
ungeſtraft davon gelaſſen hatte. Da machte einer den Vorſchlag,
dem Algis, der zu Schiff entkommen, nachzuſetzen und zu tödten.
„„Gieb mir deine goldenen Armſpangen, und ich will ihn damit
berücken.““ Der König gab ſie ihm alsbald und jener eilte ſchnell
dem Algis zu Lande nach, bis er ihn einholte. Als er ihn von
ferne ſah, rief er ihn bei ſeinem Namen, und meldete ihm dann,
daß Karl ihm ſeine goldenen Armſpangen zum Geſchenk ſende, er
ſolle nur mit ſeinem Schiff ans Land fahren. Algis that ſo: wie
er aber näher kam und die Gabe auf der Spitze des Speers ſich
darreichen ſah, ahnete er Verrath, warf ſeinen Panzer über die
Schulter, nahm ſeinen Speer zur Hand und rief: „„Was du mir
mit dem Speer reichſt, will ich auch mit dem Speer empfangen.
Sendet mir übrigens dein Herr betrüglich dieſe Gabe, damit du
mich tödten mögeſt, ſo will ich ihm doch nicht nachſtehen und
ſchicke ihm dafür meine Armſpangen.““ Er reichte ſie jenem hin-
über, der, in ſeiner Erwartung getäuſcht, heimkehrte und dem Kö-
nig Karl des Algis Armſpangen brachte. Wie aber Karl ſie an-
legte, ſo fielen ſie ihm bis auf die Schultern. Da rief Karl aus:
„„Es iſt kein Wunder, daß dieſer Mann Rieſenſtärke hat.““ —
Geſchichtlich begegnen uns noch die Armſpangen am Ende des
9. Jahrhunderts. Liutprand nämlich erzählt in ſeinem Buche der
Vergeltung, daß Arnulf den Grafen von Bergamo, mit Schwert,
Wehrgehenk, Armſpangen und ſeinen koſtbarſten Kleidern ange-
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 2
[18]I. Aelteſte Zeit bis zu den Krenzzügen.
than, vor dem Thore der Stadt habe aufknüpfen laſſen. Doch iſt
es bemerkenswerth, daß dieſer Schmuck auf Abbildungen nicht
zu entdecken iſt, es ſei denn, daß die ringartigen Wülſte dafür zu
halten wären, welche uns auf den Bildern der Angelſachſen und
anderer vor dem Jahre 1000 und noch ſelbſt bei den Soldaten
der Egſterſteine (1115) am Unterarm der Männer ſehr häufig be-
gegnen. Die Unzulänglichkeit der Zeichnung läßt uns nicht zur
Gewißheit kommen. —


Wenn wir einen Blick auf das bisher Mitgetheilte zurück-
werfen, und dem Reſultate nach alle die Aufſchlüſſe überſchlagen,
welche die Schriftſtellen der Alten und die Gräberfunde uns ge-
währt haben, ſo reicht das noch nicht hin, ein vollſtändiges Bild
in uns entſtehen zu laſſen. Es bleiben noch manche Lücken aus-
zufüllen. So iſt über Fußbekleidung und Kopfbedeckung durch-
aus nichts mitgetheilt worden, und daß Schuhe im Gebrauch
waren, vermögen wir, wenn es ſich nicht von ſelbſt verſtände,
nur aus der beſondern Erwähnung unbeſchuhter Frauen zu ſchlie-
ßen. So viel auch das blonde Haar erwähnt und beſprochen
wird, nirgend wird geſagt, in welcher Form es die germaniſchen
Frauen getragen haben. Auch über Form und Länge der Kleider
iſt das Nähere unbekannt. Doch ſtehen die allgemeinen Grund-
züge feſt, und die Hauptunterſchiede von dem römiſchen Coſtüm,
welche für die Folgezeit wichtig werden, ſind leicht anzugeben.
Wenn wir die Tracht der Vornehmen, bei denen ſich die Kleidung
allein in völliger Ausbildung zeigt, als maßgebend annehmen,
ſo beſtand ſie bei Männern wie bei Frauen aus zwei ſich entſpre-
chenden Stücken, einem, welches über den Kopf angezogen, und
einem, welches um die Schultern gehängt wurde; jenes, das
Kleid und bei Männern der Rock, ſchloß ſich dem Oberkörper
eng an, während dieſes, der Mantel, frei und loſe herumſchlug
und auf der rechten Schulter, oder bei Frauen vielleicht auch auf
der Bruſt, mit einer Nadel befeſtigt war. Dazu geſellt ſich noch
Pelzwerk und ein reichlicher Schmuck.


In der Zeit, die hier in Frage kommt, als nämlich die cul-
turhiſtoriſchen Einwirkungen der antiken Welt auf das Germa-
[19]1. Urzeit und Urzuſtände.
nenthum begannen, beſtand die römiſche Kleidung aus denſelben
Grundſtücken, für Männer wie für Frauen, aus einem Kleide,
welches über den Kopf angezogen, und einem Mantel, welcher
um die Schulter gelegt wurde. Damals in der Kaiſerzeit war mit
dem Untergang des ächten Römerthums, mit dem Verfall der
alten Sitten und der alten Bürgertugend auch die Toga, dieſes
bezeichnende Kleidungsſtück des römiſchen Bürgers, welches aller-
dings von jedem fremden nach Schnitt und Umwurf grundver-
ſchieden war, ebenfalls aus dem gewöhnlichen Leben verſchwun-
den und wurde nur bei feierlichen Gelegenheiten angethan. End-
lich blieb es nur die Amtstracht der höchſten Beamten, und iſt ſo
als Kleidung der himmliſchen und irdiſchen Götter in die chriſt-
liche Kunſt des Mittelalters bei Chriſtus und den Apoſteln über-
gegangen, und hat auch hier im mächtigen Faltenwurf den Cha-
rakter der ruhigen und ſtrengen Größe bewahrt. An die Stelle
der Toga trat der eigentlich griechiſche Mantel, welcher, von
der linken Schulter her leicht umgeſchwungen, auf der rechten mit
einer Agraffe befeſtigt und von allen Seiten, die rechte offen laſ-
ſend, leicht und ungezwungen, aber faltenlos und unſchön, faſt
bis auf die Füße herabfiel. Den urſprünglicheren römiſchen Na-
men Lacerna vertauſchte er ſpäter mit dem allgemeineren Pal-
lium
, mit welchem er nach Deutſchland herüberwanderte. Im
Kriege trug der Römer dieſen Mantel kürzer, aber von derſelben
Form, und nannte ihn dann Sagum. Unter dem Mantel
wurde als allgemeines und nothwendiges Stück die Tunica ge-
tragen, ein weiter, nicht aufgeſchlitzter, gewöhnlich gegürteter und
urſprünglich ärmelloſer Rock, welcher über den Kopf angezogen
wurde; er pflegte bis weit unter das Knie herabzufallen. — Die
Kleidung der Römerin entſprach völlig der männlichen. Auch ſie
hatte das charakteriſtiſche Stück, die Stola, welches die römi-
ſche Matrone unterſchied und der Toga entſprach, allmählig ab-
gelegt und mit einem Mantel, Pallium, vertauſcht, der auf
der Bruſt mit einer Agraffe befeſtigt wurde. Ihre Tunica glich
der männlichen, nur war ſie länger und fiel in reichen Falten auf
die Füße herab. — Außer dieſen beiden Hauptkleidungsſtücken
2*
[20]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
konnten der Mann wie die Frau noch Unterkleider tragen, welche
für uns nicht weiter in Frage kommen.


Der Parallelismus zwiſchen der deutſchen und dieſer ſpät-
römiſchen Kleidung zeigt ſich klar. Der deutſche Männerrock und
das Frauenkleid entſprechen der Tunica, nur mochte jener kürzer
ſein, und beide legten ſich zum Unterſchied von dem faltigen rö-
miſchen Stück dem Körper eng an. Noch näher ſtimmen die
Mäntel zuſammen, ſo ſehr, daß, während die römiſchen Schrift-
ſteller für das enge Unterkleid ſich noch nicht alſobald des Aus-
drucks tunica zu bedienen wagen, ſondern bei Männern wie bei
Frauen den allgemeineren vestis, Kleid, gebrauchen, ſie für den
Mantel unbedenklich pallium und ebenſo, wenn er kürzer iſt,
sagum oder sagellum ſetzen. In dieſer Bezeichnungsweiſe blei-
ben ſie ſich völlig gleich und die lateiniſch ſchreibenden Chroniſten
der Deutſchen weichen durchaus nicht ab, nur daß, ſowie das
Unterkleid ſich weitet, auch der Ausdruck tunica häufiger wird.
Zuweilen, zumal bei Dichtern, findet ſich auch der Mantel mit
dem griechiſchen Worte Chlamys bezeichnet, deren Form am
meiſten dem Sagum entſpricht. —


[[21]]

Zweites Kapitel.
Schwankungen zwiſchen den nationalen und anti-
ken Elementen in der Zeit der Merovinger und
Karolinger
.


Erſt ſeit der Zeit der Völkerwanderung machen ſich die Ein-
flüſſe der römiſchen oder überhaupt der antiken Cultur auf die
Lebenszuſtände der Deutſchen dauernd bemerklich. Das Rhein-
land freilich und einige andere Stätten an der Donau, wo das
Römerthum ſeinen bleibenden Sitz aufgeſchlagen und neben dem
Handel auch die Induſtrie und eine gewiſſe Kunſtthätigkeit in
Flor gebracht hatte, machen eine Ausnahme. Wieweit aber das
antike Leben hier ſchon früher Wurzel gefaßt, ob es und wie es
ſich mit deutſchnationalen Sitten, Einrichtungen und Lebensbe-
dingungen verbunden hat, iſt noch eine unaufgehellte Sache.
Die Völkerwanderung, welche dieſe Gegenden aufs Neue mit
deutſchen Elementen überflutete, zerreißt den Faden, an welchem
wir uns rückwärts hätten in dieſe Verhältniſſe hineinfinden kön-
nen. Keineswegs hat ſie jedoch die hier ſchon ſo lange blühende
Cultur, den Handel und die Induſtrie völlig zertrümmert, und
ſie hat namentlich in der Gewerbstechnik die Brücke zur Zukunft
unabgebrochen gelaſſen. Die Nachrichten aber ſind zu zerſtreut,
um dem Gange nachgehen zu können, auf welchem ſich Antikes
und Barbariſches mit einander verbinden. Wir ſehen nur, daß
es überall geſchieht.


So iſt es auch in der Kleidung. Schon früh ſtoßen wir auf
undeutſche Elemente neben ächten und nationalen, aber die Nach-
[22]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
richten ſind zunächſt ſo vereinzelt und zerſtreut, wie die Völ-
ker ſelbſt, über die ſie lauten, nach allen Weltgegenden verſchla-
gen ſind. Daß der Deutſche dort, wo er, völlig vom vaterländi-
ſchen Boden abgeſchnitten, der Uebermacht fremder Einflüſſe aus-
geſetzt war, dieſen nicht abſichtlichen Widerſtand aus patriotiſchem
Stolz entgegengeſetzt hat, iſt aus ſeiner ganzen Geſchichte erklär-
lich; von den Vandalen in Africa wird dieſe Nachgiebigkeit aus-
drücklich verſichert. Feſter hielt er natürlich in der Heimath, wo
das Klima daſſelbe blieb und die Lebensbedingungen nur all-
mählig ſich änderten.


In der Zeit der Völkerwanderung, in der zweiten Hälfte
des fünften Jahrhunderts, macht uns die intereſſanteſte Mitthei-
lung der Biſchof Sidonius Apollinaris, welcher zu Clairmont
unter den Burgundern lebte. In einem Briefe an einen krieglie-
benden Freund ſchildert er als Augenzeuge den Aufzug eines kö-
niglichen Jünglings, wahrſcheinlich von burgundiſchem
Stamm, welcher als Verlobter oder als Bewerber „nach heidni-
ſcher Weiſe“ mit großem Gefolge nach dem Hauſe ſeines künfti-
gen Schwiegervaters zieht. Ihm vorauf werden ſeine Roſſe ge-
führt, mit prächtigem Kopfſchmuck, mit funkelnden Edelſteinen
geziert; dann folgt eine Schaar ſeiner Begleiter in kriegeriſchem
Pomp, eine andere ſchließt den Zug, während er ſelbſt, blond-
haarig und mit friſchrothen Wangen, in der Mitte geht, zu Fuß
wie jene, funkelnd von rothem Golde und leuchtend in milchwei-
ßer Seide und in feurigem Gelb. Seine Begleiter erſcheinen an
den Füßen mit Lederſchuhen bekleidet, welche bis an die Knöchel
reichen und deren Außenſeite noch das volle, rauhe Haar trägt.
Schenkel, Kniee und Waden ſind ohne Bedeckung. Den Körper
umſchließt ein enger, buntfarbiger Rock, der kaum zu den bloßen
Knieen herabreicht und deſſen Aermel nur den Anfang der Arme
verhüllen. Ihre Mäntel ſind grün, mit Purpurrändern um-
ſäumt. Um die Schulter liegt das buckelbeſchlagene Wehrge-
henk, von welchem das Schwert herabhängt. Bewaffnet ſind ſie
mit Lanzen, die Rechte führt die Axt und die Linke wird bedeckt
vom buntfarbigen Schild. — Nach dieſer Beſchreibung erſcheinen
[23]2. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.
die Burgunder noch völlig in altnationaler Tracht, nur der Kö-
nigsſohn kann mit ſeinem weißſeidenen Mantel den fremden Ein-
fluß nicht verleugnen.


Derſelbe Biſchof Sidonius beſchreibt an einer andern Stelle
die Weſtgothen, wie ſie in ihrer gewöhnlichen Kleidung zur
Volksverſammlung kommen, in ſchmutzigen leinenen Kleidern,
über welche Pelze bis zur Wade herabfallen, mit nackten Beinen
und Schuhen von Pferdeleder, die ein ärmlicher Knoten feſtbin-
det. Ihre Kleidung hat alſo noch nichts Fremdes, doch iſt der
leinene Rock, den Tacitus als die beſondere Tracht des Reichen
kennt, allgemein geworden.


Ungefähr ein Jahrhundert ſpäter unterſcheidet ſich die Tracht
der Langobarden von den urſprünglichen Grundzügen in
mehrfach auffallender Weiſe. In der Zeit, als ſie nach Italien
kamen, trugen ſie weiße Strümpfe, die bis zum Knie reichten.
Denn als der junge Alboin, des Königs Sohn, nach der großen
Schlacht auf der Asfeldheide, wo er den älteſten Sohn des Ge-
pidenkönigs getödtet hatte, zu dieſem ſeinem Feinde gekommen
war, um ſich von ihm, wie es der langobardiſche Brauch for-
derte, als von einem fremden Fürſten die Waffen anlegen zu laſ-
ſen, da ſpottete, während ſie beim Mahle ſaßen, des Erſchlagenen
Bruder der Langobarden und rief: „das ſind die fruchtbarſten
Stuten, denen ihr gleicht.“ Er meinte aber diejenigen Stuten,
die bis zum Beine weiße Füße haben, weil die Langobarden von
den Waden abwärts weiße Strümpfe trugen. — Ein wenig ſpä-
ter, als jedoch die Langobarden bereits eine Zeit in Italien an-
ſeſſig waren, giebt Paulus Diaconus der Unterſchiede noch meh-
rere. Die Königin Theudelinde baute als Gemahlin Agilulfs im
Beginn des 7. Jahrhunderts einen Palaſt zu Monza und ließ
ihn mit Gegenſtänden aus der langobardiſchen Geſchichte aus-
malen. Leider ſind dieſelben nicht mehr im alten Zuſtand vor-
handen. „Auf dieſen Gemälden ſieht man deutlich,“ ſagt Pau-
lus, „wie ſich die Langobarden zu der Zeit das Haupthaar ſcho-
ren und wie ihre Tracht und ihr Ausſehen war.“ Nachdem er das
Haar beſchrieben, welche Stelle wir bereits oben haben kennen
[24]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
lernen, fährt er fort: „Ihre Kleidung war weit und meiſt leinen,
wie ſie die Angelſachſen tragen, zum Schmuck mit breiten Strei-
fen von anderer Farbe beſetzt. Ihre Schuhe waren oben faſt bis
zur großen Zehe offen und mit herübergezogenen ledernen Neſteln
zuſammengehalten. Nachher aber fingen ſie an Hoſen zu tragen,
über die ſie beim Reiten wollene Gamaſchen zogen; dieſe Tracht
haben ſie indeß erſt von den Römern angenommen.“ Das muß
aber nicht lange darnach geſchehen ſein, denn es wird von König
Adelwald, dem Sohne Agilulfs und der Theudelinde (616[—]626),
verſichert, daß er es geweſen ſei, der zuerſt Hoſen getragen. Fer-
ner geſchieht noch im 7. Jahrhundert der Hoſe bei den Lango-
barden ausdrückliche Erwähnung, indem erzählt wird, daß ein
Geiſtlicher, der Diaconus Thomas, einſt zum Tyrannen Alahis,
welcher keineswegs der Geiſtlichkeit freundlich geſinnt war, ge-
kommen ſei und um eine Audienz gebeten; dieſer aber habe ihn
nur dann vorlaſſen wollen, wenn er ſaubere Hoſen anhabe, und
erſt auf die Verſicherung, am Morgen friſchgewaſchene angezogen
zu haben, ſei er wirklich vorgelaſſen worden. Aus dieſer Erzäh-
lung können wir zugleich ſchließen, daß der Stoff Leinwand war.


In der obigen Beſchreibung des Paulus tritt der langobar-
diſche Rock als ein weiter in Gegenſatz zu dem engen altgermani-
ſchen; er erſcheint dadurch völlig der römiſchen Tunica ähnlich,
und nicht ohne Grund wird man auf italiſche Einflüſſe, die das
Klima begünſtigte, ſchließen können. Freilich wird auch daſſelbe
von den Angelſachſen ausgeſagt, und anderswo werden die alten
Sachſen aus demſelben Grunde den Franken gegenüber geſtellt.
So ſcheint es in der That, als ob bei dieſem Stamme eine grö-
ßere Weite der Kleidung eine nationale Eigenthümlichkeit gewe-
ſen ſei. In den illuſtrirten Handſchriften der Angelſachſen, die
faſt gleichzeitigen oder doch nicht viel ſpäteren Urſprungs ſind,
trägt das gewöhnliche Volk eine kurze, mäßig weite Aermeltunica
mit kurzem Mantel, der Vornehme aber bei feierlichen Gelegen-
heiten Unter- und Oberkleid lang, weit und wallend. Als die
Sachſen in der Geſchichte auftreten, ſollen ſie, ſpäteren Nach-
richten zufolge, eine weite, doch kurze Tunica getragen haben,
[25]2. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.
hingegen einen langen Mantel. Wenn uns auf ſpäteren Minia-
turen noch Langobarden in engen und kurzen Röcken begegnen,
ſo ſind ſie in ihrer Kriegstracht, welche aus der römiſchen hervor-
gegangen iſt.


Der Aufenthalt der Langobarden in Italien, ihr beſtändiger
freundlicher oder feindlicher Verkehr mit den Griechen und den
damals durch Handel blühenden Städten Unteritaliens hatte bei
ihnen eine große Prachtliebe entwickelt, die ſich auch in reicher
Verzierung der Kleider ausſprach, ohne die Form zu ändern. Als
Karl der Große ſich der Schätze des Deſiderius bemächtigte, fand
er viele mit Gold und Silber durchwobene Gewänder. Noch
nach dem Untergang des eigentlichen Langobardenreichs zeichnete
ſich der Fürſt Arichis[,] obwohl er ſich nicht ohne Mühe im ſüdli-
chen Italien behauptete, durch Pracht und Reichthum aus, die
uns der Mönch von Salerno ausführlich ſchildert. Als der Ge-
ſandte Karls des Großen zu ihm kam, „ſammelte er ein großes
Heer, um denſelben mit Pracht und Ehren zu empfangen, und
ſtellte ſeine Mannen in verſchiedener Kleidung und Bewaffnung
auf. Auf der Treppe des Palaſtes ſtellte er zwei Reihen Knaben
auf, die Sperber oder ähnliche Vögel auf der Hand trugen; als-
dann Jünglinge in der Blüthe des Alters, und dieſe trugen Ha-
bichte oder andere Vögel der Art; einige von ihnen aber ſaßen
am Brettſpiel. Gleich nach ihnen ordnete er Männer, denen
das Haar grau zu werden anfing; zuletzt kamen Greiſe, die im
Kreiſe herum ſtanden und einen Stab in der Hand hielten, und
in deren Mitte ſaß der Fürſt ſelber auf goldenem Stuhle.“ Der
Geſandte, von aller Herrlichkeit in Staunen verſetzt, äußerte:
„Nicht, was wir hörten, haben wir geſehen, ſondern weit mehr
haben wir geſehen, als wir zuvor hörten.“ Am Hofe des Arichis
wurde er bewirthet, und als er am andern Tage „die ganze Weis-
heit des Arichis“ ſah, den Palaſt, den er ſich erbaut hatte, die
Speiſen ſeiner Tafel, die Wohnung ſeiner Sklaven und der gan-
zen Dienerſchaft, und ihre Kleidung und die Mundſchenken, da
ſprach er voll Bewunderung weiter: „„Es iſt wahr, was ich bei
mir zu Lande von deiner Weisheit und Herrlichkeit habe ſagen
[26]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
hören: ich wollte denen, die es mir erzählten, nicht glauben, bis
ich nun ſelbſt gekommen bin und es mit eigenen Augen geſehen
habe und finde, daß mir nicht die Hälfte kund gethan worden
iſt.““ Die ganze Erzählung iſt für das Hofleben und die Hofeti-
kette höchſt intereſſant.


Die Franken bewahrten am treuſten den nationalen engen
Rock, daß er ſpäter ſelbſt den Beinamen des fränkiſchen erhielt;
nur ihren Haarzopf hatten ſie nach Annahme des Chriſtenthums
aufgegeben. Ueber den Hüften lag ein verzierter Schwertgurt.
Der Rock war von Leinwand und wohl nicht ungefärbt. Auch an
den Mänteln liebten ſie das Farbige, und es wird erzählt, daß
ein Hausmeier den Gegner herausgefordert habe, mit ihm vor
der Schlachtreihe in rothen Mänteln einen Zweikampf auszufech-
ten. Die Könige trugen urſprünglich dieſelbe Tracht wie der freie
Franke, und haben ſie auch für gewöhnlich beibehalten. Allein
ſchon Chlodwig erhielt vom griechiſchen Kaiſer mit dem Conſul-
titel auch die Purpurkleider, die Tunica und den Mantel. „Dieſe
legte er in der Kirche des heiligen Martinus an,“ wie Gregor von
Tours erzählt, „und ſchmückte ſein Haupt mit einem Diadem.
Dann beſtieg er ein Pferd und ſtreute unter das gegenwärtige
Volk mit eigener Hand Gold und Silber mit der größten Freige-
bigkeit aus. Von dieſem Tage an wurde er Conſul oder Auguſtus
angeredet.“ Dieſe lange, bis auf die Füße herabwallende Tunica
und der weite, faſt ebenſo lange Mantel ſcheinen noch ſpäter den
königlichen Ornat der Merovinger gebildet zu haben, wenn an-
ders jene Statuen am Portal der Frauenkirche zu Corbeil und
einige andere ihnen ähnliche, die ſich an Kirchen des 12. Jahr-
hunderts befinden, wirklich noch aus jener Zeit ſtammen. Die
gewöhnliche Anſicht ſetzt ſie den Kirchen gleichzeitig, doch wollen
ſie nach Coſtüm und Stil nur wenig zum 12. Jahrhundert ſtim-
men. Die Tradition belegt völlig unbeglaubigter Weiſe die beiden
Statuen zu Corbeil mit den Namen Chlodwigs und der Chlo-
tilde, indeß weiſen uns nicht wenig Merkmale wirklich noch auf
die den Karolingern vorausgehende Periode. Der König trägt
noch zu einem nicht grade lang gehaltenen Vollbart ein in reichen
[27]2. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.
Locken weit über die Schultern wallendes Haupthaar und auf
demſelben einen einfachen mit Perlen und Steinen beſetzten Kro-
nenreif. Eine doppelte Tunica, die obere mit weiten Aermeln,
umhüllt den über das Maß langgeſtreckten Körper und fällt auf
die Füße in Falten, aus denen die Spitzen reichgeſchmückter
Schuhe hervorſehen; um die Tunica herum zieht ſich von der lin-
ken Hüfte ſchräg herab ein breiter, mit Edelſteinen beſetzter, wahr-
ſcheinlich goldener Streif. Von den Schultern herab, auf der
rechten befeſtigt, fällt der Mantel, mit einem Saum umzogen.
Die Verzierung tritt überall breit und mächtig auf, iſt aber in
einer völlig dem Stil dieſer Zeit entſprechenden einfachen Weiſe
gehalten. Die Königin Chlotilde, wie die andere Statue benannt
wird, hat das Haar über der Mitte der Stirn geſcheitelt und dann
zu beiden Seiten in je zwei Zöpfe zuſammengefaßt, welche mit
einem Band verflochten über die Schultern nach vorn bis über
die Kniee herabfallen. Auf dem Haar liegt ein leichter Schleier,
der das Geſicht frei läßt, und darauf ſitzt ebenfalls ein mit Per-
len und Edelſteinen beſetzter einfacher Kronenreif. Das Kleid
ſchließt ſich in deutſcher Weiſe, der römiſchen Tunica völlig un-
gleich, am Körper den Formen eng an, die es markirt hervortre-
ten läßt, nur von den Hüften abwärts fällt es faltig herunter;
die Aermel, reich umſäumt und am Saum mit leichtem krauſem
Stoff eingefaßt, ſind außerordentlich weit und offen. Enge, an-
ſchließende Aermel hat übrigens das nur hier ſichtbare Unterkleid.
Die Hüften umſpannt ein breiter Gürtel, der doppelt umwunden
iſt und deſſen lange Enden, durch einen Knoten zuſammengebun-
den, vorne tief herabfallen. Der Hals iſt mit Schmuck und
Zickzackſtickerei am Saum des Kleides außerordentlich reich ver-
ziert. Die Schuhe ſind von derſelben Art wie die Chlodwigs.
Der Stoff des Kleides iſt, nach dem Faltenwurf zu ſchließen, die
feinſte Leinwand.


Der Reichthum und die ſtolze Pracht dieſer Kleidung neben
ſo viel Barbarismus bringt uns ganz die Zeit in Erinnerung,
als die Franken, bisher arm und dürftig gekleidet, mit unedlem
Bronceſchmuck behängt, Herren des großen und reichen Galliens
[28]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
wurden, nun ihre Schatzkammern mit Gold füllten, goldene Ge-
fäße in Maſſen auf die Tiſche ſetzten, während ſie, den üppigen
Römer nachahmend, mit Roſen Tafel und Gemach beſtreuten und
mit Epheu die Wände bedeckten. Und unter all dieſen Zeichen
eines weichlichen, ſchwelgeriſchen, erſchlafften Lebens ließen ſie in
ungebändigter Kraft ihre barbariſchen Leidenſchaften toben. Dieſe
gewaltigen Frauen, die mit ihrer unbezähmbaren Rachſucht, mit
ihrem Haß, ihrer Sinnlichkeit und ihrer unmenſchlichen Grau-
ſamkeit ſo mächtig in die Geſchichte eingreifen, ſie tragen in ihrem
Aeußern das Bewußtſein ihrer glanzvollen Stellung; ſie prahlen
mit ihrem Stolz; ſie prunken mit ihrem Reichthum; ſie ſchmücken
ſich und überladen ſich mit ihren Schätzen; ſie ſind eitel, aber nie
in kleinlicher Weiſe. So zieht die Gemahlin eines fränkiſchen
Großen über die Straße, wenn ſie geht in der Kirche die Meſſe
zu hören: „hoch zu Roß, mit prächtigem Geſchmeide und koſtba-
ren Edelſteinen geziert und bedeckt mit ſchimmerndem Golde, und
vor ihr her gehen etliche ihrer Diener und andere folgen ihr.“
Als Rigunthe, die Tochter König Chilperichs und Fredegundens,
zu ihrem Verlobten, dem Weſtgothenkönig, geſchickt wurde, gab
ihr die Mutter allein aus ihren eigenen Schätzen eine ungeheure
Menge Gold, Silber und Kleider mit; auch die übrigen Franken
brachten Geſchenke dar, einige Gold, andere Silber, manche
Pferde, ſehr viele auch Kleider; jeder gab nach ſeinem Vermögen
eine Gabe. Die Menge der Sachen war ſo groß, daß es funfzig
Laſtwagen bedurfte, um alles fortzuſchaffen. Als ſie ſich nun mit
ihrem Gefolge der gothiſchen Gränze näherte, wurde Halt ge-
macht, nicht bloß um von der Reiſe auszuruhen, ſondern es ſtell-
ten ihr auch die Ihrigen vor, daß die Kleider ſchmutzig ſeien, die
Schuhe abgeriſſen, der Schmuck für die Pferde und die Wagen
noch auf den Packwagen und nicht zur Stelle; man müſſe erſt
das alles in Ordnung bringen, um die Reiſe fortſetzen und mit
geziemender Eleganz vor ihrem künftigen Gemahl erſcheinen zu
können, denn wenn ſie in ſo abgeriſſenem Zuſtande bei den Go-
then ankämen, würden ſie von denſelben verhöhnt werden. Aber
dieſe Mühe war umſonſt. Wie es in jenen habſüchtigen Zeiten
[29]2. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.
zu gehen pflegte, bei dieſem Halt wurde Rigunthe von ihren eige-
nen Verwandten überfallen und aller Schätze beraubt. — Selbſt
in das ſtille Kloſter der heiligen Radegunde zu Poitiers war zu
allerlei weltlichem Lärm und Streit, der bis zum Blutbade führte,
auch die Putzſucht eingeriſſen, und es hatte großes Aergerniß ge-
geben, daß die Aebtiſſin ihrer Nichte einen purpurbeſetzten Man-
tel von ſchwerſeidenem Stoff, wie man ihn ſonſt zur Altardecke
braucht, hatte machen laſſen, und ein Diadem oder eine Stirn-
binde mit goldenen Blättchen verziert.


Noch einige weitere ergänzende Mittheilungen gewährt uns
aus den Sagen der Frankenkönige die ſchöne Erzählung von der
Brautwerbung Chlodwigs um die burgundiſche Chlotilde, welche
uns mitten in das Leben und die Häuslichkeit einer Königstoch-
ter unter den Gräueln der damaligen Herrſcherfamilien einführt.
König Gundobad, der Oheim der Chlotilde, hatte alle ihre Ge-
ſchwiſter und Verwandte ſeiner Herrſchſucht zum Opfer fallen
laſſen und mußte darum in einem ſo mächtigen Schwager wie
Chlodwig den künftigen Rächer fürchten. Dieſer nahm daher
ſeine Zuflucht zur Liſt und ſchickte im Geheimen ſeinen Getreuen,
den Aurelianus, mit ſeiner Bewerbung an die Prinzeſſin ſelbſt.
„Und als ſie nun an einem Sonntag zur Meſſe ging, legte Aure-
lianus ärmliche Kleider an und ſetzte ſich vor dem Armenhaus bei
der Kirche mitten unter den Bettlern nieder. Als die Meſſe been-
det war, fing Clothilde nach gewohnter Weiſe an unter die Ar-
men Almoſen zu vertheilen und legte auch Aurelian, der ſich wie
ein Bettler ſtellte, als ſie an ihn kam, ein Geldſtück in die Hand.
Er aber küßte die Hand der Jungfrau und zog vorſichtig ihr den
Mantel zurück. Darnach ging ſie in ihr Gemach und ſandte eine
Magd aus, ihr den Fremdling zu rufen. Da nahm er den Ring
und die andern Brautgaben König Chlodwigs und ſteckte ſie
heimlich in einen Sack. Chlotilde ſprach zu ihm: „„Sage mir,
junger Mann, warum ſtellſt du dich wie ein Bettler und zogſt mir
doch den Mantel zurück?““ Er antwortete: „„Laß, ich bitte dich,
deinen Knecht unter vier Augen mit dir reden.““ Sie ſagte:
„„Sprich nur.““ Da hub er an: „„Mein Herr, der Frankenkönig
[30]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
Chlodwig, ſchickt mich zu dir, er wünſcht ſich dir zu vermählen
und dich zu ſeiner Königin zu machen.““ Sie empfing dann den
geſammten Brautſchmuck. Sie nahm auch den Ring, den Chlod-
wig ihr durch Aurelian geſchickt hatte, und verwahrte ihn in der
Schatzkammer ihres Oheims. Sie hieß ihn alsdann König Chlod-
wig ſeinen Gruß erwiedern und ihm ſagen: „„Eine Chriſtin darf
ſich nicht einem Heiden vermählen, ſei daher auf der Hut, daß
Niemand von dieſer Sache erfahre. Aber wie mein Gott und
Herr, den ich vor aller Welt bekenne, es will, ſo ergehe es. Gehe
nun hin in Frieden.““ Da kehrte Aurelian zurück und meldete
dies dem Könige.“ —


In der Zeit der Karolinger begleitete die großen Erfolge
des fränkiſchen Reichs ein ſtets wachſender und allgemeiner wer-
dender Luxus und zunehmender Glanz des Aeußeren. Zwar
Karl der Große ſelbſt ſcheint für ſeine Perſon kaiſerlichen
Prunk verſchmäht zu haben, denn er ging für gewöhnlich in der
Landestracht ſeiner Franken einher. Nach den Mittheilungen ſei-
nes Biographen Einhard trug er, wie ſie, den ſeinem Volke eigen-
thümlichen Schnurrbart bei glatt geſchornen Wangen und Kinn,
und das kurz gehaltene, auf der Stirn meiſt in grader Linie abge-
ſchnittene Haar: mit dem Untergange der Merovinger waren die
einzigen Locken aus der fränkiſchen Nation verſchwunden. Am Leibe
trug er den uns ſchon als fränkiſch bekannten engen, anſchließenden
Rock, doch unter demſelben noch ein leinenes Hemd; der Rock
war ebenfalls von Leinwand, aber am obern und untern Saum
und desgleichen vorn von oben nach unten herunter mit ſeidenen
Streifen beſetzt. Die Beine waren mehrfach geſchützt, erſt durch
leinene Unterkleider, dann durch eine Hoſe, welche von unten her
bis zum Knie mit Binden reichlich umwunden war. Schuhe be-
deckten die Füße. Ueber dem Rock trug er einen meergrünen,
wollenen Mantel von ziemlicher Länge und an der Seite ſtets ein
Schwert mit ſilbernem und goldenem Griff und Gehenk.


In dieſer Weiſe hatte ſich bis dahin die männliche Tracht
der Franken und, einige Abweichungen bei den Sachſen ausge-
nommen, auch des übrigen Deutſchlands entwickelt und wurde
[31]2. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.
in ſolcher Geſtalt von den Zeitgenoſſen gegenüber der römiſch-
italiſchen und beſonders der griechiſchen als eine nationale in
Anſpruch genommen. Sie war es aber nicht mehr völlig, denn
in dem kurzen Haupthaar, in der Beinbekleidung, vielleicht auch
im Schnitt des Mantels ſind römiſche Einflüſſe nicht mehr zu
verkennen, ſodaß der Hauptunterſchied wohl nur noch in der
Enge und Weite, Länge und Kürze der Tunica beſtand. Es hatte
ſich bis ins vorige Jahrhundert in Rom ein Moſaikbild Karls
des Großen erhalten, welches für gleichzeitig gilt und das Ge-
ſagte beſtätigen dürfte. Hier trägt er einen Rock, der ſich wenig
von der römiſchen Tunica unterſcheidet: nur an den Aermeln iſt
er eng, am Körper weit und faltig und über den Hüften in der
Art gegürtet, daß ein kleiner Bauſch über den Gürtel herabfällt;
er reicht nicht völlig bis zum Knie. Der Mantel iſt weit und
fließend, auf der rechten Schulter durch eine Agraffe befeſtigt,
daß die goldbeſäumten Seiten ſenkrecht vorn und hinten herab-
fallen würden, wenn er nicht nach gewöhnlicher Sitte über dem
linken Arm in die Höhe genommen wäre. Um die Schultern legt
ſich eine breite Kette, beſtehend aus quadratiſchen, mit Edelſtei-
nen beſetzten Goldplatten, die wie Glieder an einander geſetzt
ſind; gleiche, doch feinere Ketten umſpannen die Beine unter dem
Knie; die Waden ſind mit Binden umwunden. Der Charakter
der Beinbekleidung und der Schuhe iſt nicht zu beſtimmen. Auf
dem kurzgeſchnittenen Haar trägt er eine breite, etwas ſpitz in die
Höhe gehende Mütze, ungefähr in der Form der älteſten Mitra.
Wangen und Kinn ſind glatt, der Schnurrbart aber ſtark. An
der Seite trägt er ein breites Schwert. — Nur zwei Mal ſoll er
nach Einhards Verſicherung, und zwar in Rom auf Bitten der
Päpſte, die fremdländiſche Kleidung, d. h. wohl den griechiſchen
Kaiſerornat, angelegt haben.


Im Winter legte der Kaiſer über den Rock noch einen an-
dern kürzeren an, der aus Seehunds- und Marderfell zuſammen-
genäht war und Schultern und Bruſt vor Kälte ſchützte. Des
Morgens pflegte er in einem langen und ſchleppenden Gewande,
noch im Negligé, zur Meſſe zu gehen, deren Feier alles zum Hofe
[32]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
gehörige Perſonal von Geiſtlichen und Weltlichen beiwohnen
mußte; und es verlangte die Hofordnung, daß die erſteren in
vollem Ornate in der Vorhalle ſtehend den Kaiſer erwarteten, wie
er in feierlichem Zuge erſchien. Nachdem die Morgenhymnen ge-
ſungen waren, kehrte er in ſeine Zimmer zurück, und während er
ſich dann für den Tag ankleidete, ließ er nicht allein ſeine Freunde
vor, ſondern machte Rechtshändel ab und beſorgte ſonſt in dieſer
Stunde die Aufträge an ſeine Beamten für die Tagesgeſchäfte.
Man ſieht, ſeine Toilette konnte nicht mehr ganz einfach ſein, die
Umſtände erinnern ſogar an das berühmte Lever Ludwigs XIV.


Staat und Prunk und Etikette waren übrigens keineswegs
vom fränkiſchen Hofe verbannt. Wie die kaiſerlichen Pfalzen zu
Aachen, zu Ingelheim, zu Nimwegen wahre Prunkgebäude wa-
ren, barbariſch auferbaut aus zuſammengerafften Denkmälern al-
ter Kunſt, die man mit großer Mühe aus Italien herbeigeſchafft
hatte, von innen und außen mit Marmorſäulen und reich orna-
mentirten Capitälen geſchmückt, mit ſteinernen und ehernen Sta-
tuen und Reliefs geziert, groß und geräumig, mit Höfen und
Hallen: ſo bildeten auch die prächtig gekleideten Diener, die Höf-
linge und die Großen des Reichs die paſſendſte Staffage, in pur-
purnen, goldbordirten, mit feinſtem Pelz verbrämten Kleidern
von den koſtbarſten Stoffen, mit edlen Steinen bedeckt. Und ſo
war der große Kaiſer, wie er an Länge und Hoheit alle überragte,
in ſeiner äußern Erſcheinung der einfachſte am Hofe. Wenn es
aber galt des Reiches Herrlichkeit zu zeigen, wenn fremde Ge-
ſandten Audienz erhielten, oder der Kaiſer an hohen Feſttagen
ſeine Getreuen empfing, da trug er ein mit Gold durchwirktes
Kleid, mit Edelſteinen beſetzte Schuhe, den Mantel mit goldener
Spange und auf dem Haupt eine goldene, mit Edelſteinen be-
ſetzte Krone. Da prunkte er auch gern mit den Großen ſeines
Hofes und ſeines Reiches und vorzüglich mit der Schaar ſeiner
ſchönen und blühenden Kinder. Als einſt die griechiſchen Geſand-
ten zum Kaiſer kamen, ſo berichtet der Mönch von St. Gallen,
da empfing er ſie „ſtrahlend wie die Sonne beim Aufgang, mit
Gold und edlen Steinen geſchmückt. Von allen Seiten umgab
[33]2. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.
es ihn wie die himmliſchen Heerſchaaren, nämlich ſeine drei jun-
gen Söhne, die ſchon am Reiche Theil erhalten hatten, und die
Töchter mit ihrer Mutter, nicht weniger mit Weisheit und Schön-
heit als mit Geſchmeide geziert.“


So ſcheint es, verſtanden auch die Damen des fränkiſchen
Hofes die Kunſt der Repräſentation und wußten den nöthigen
Glanz zu entfalten, wenn auch gewöhnlich der ſtrenge und bür-
gerlich haushälteriſche Vater die königlichen Töchter, die im Reich
der Liebe keineswegs unerfahren waren, nöthigte, ſich mit Woll-
arbeiten abzugeben und mit dem Spinnrocken zu beſchäftigen, da-
mit ſie ſich nicht an Müßiggang gewöhnten. Darum aber waren
ſie keineswegs von den Freuden und Vergnügungen der großen
Welt ausgeſchloſſen, wie denſelben in jener Zeit Prinzeſſinnen
und überhaupt die Damen des Mittelalters oblagen. Es herrſchte
am Hofe Karls ein leichter, ſpäter ſelbſt ein leichtfertiger Ton.
Zwar wurden die Töchter mit ihren Brüdern in den Wiſſenſchaf-
ten unterrichtet, aber ſie lernten auch reiten, waren ſtets bei Tafel
und wie wir geſehen haben, bei den Audienzen fremder Geſand-
ten zugegen; ſie nahmen auch Theil an den großen Hofjagden
und erſchienen dabei zu Pferde, in vollem Staat mit einem Ge-
folge von Damen und Cavalieren, würdig kaiſerlicher Prinzeſſin-
nen. Einen ſolchen Jagdauszug ſchildert Angilbert in ſeinem
Lobgedicht auf Karl den Großen in längeren Verſen, welche für
uns des Intereſſanten ſo viel bieten, daß wir uns nicht verſagen
können, die ganze Stelle hier wieder zu geben, indem wir uns
den pompös geſpreizten Verſen des Originals möglichſt treu an-
ſchmiegen:


Drauf die Königin tritt hervor aus dem hohen Gemache

Endlich nach langem Verzug, umgeben von großem Gefolge,

Lutgard, ſie des erhabenen Karls reizvolle Gemahlin.

Blendend leuchtet der Nacken im Streit mit der Farbe der Roſen,

Und das umwundene Haar weicht nimmer dem Glanze des Purpurs;

Binden, in Purpur gefärbt, umſchlingen die ſchneeigen Schläfen;

Goldene Fäden befeſt’gen den Mantel; vom Haupte erglänzet

Edelgeſtein, und es funkelt mit goldenen Strahlen die Krone,

Und von Linnen das Kleid, in Purpur doppelt getauchet,

Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 3
[34]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
Auch der blendende Hals hell funkelt von mancherlei Steinen.

Mitten im Kranze der Damen, der reizenden, trennt ſie die Schaaren,

Steigt auf das prächtige Roß, und unter dem Adel, dem ſtolzen,

Und der Jünglinge Schaar vorleuchtet der Königin Hoheit.

Draußen den Sprößling des Königs erwartet die übrige Jugend

Männlicher Schönheit voll. Von ſtattlichen Reitern begleitet,

Eilt Karl endlich hervor, der vom Vater den Namen erhalten,

Auch an Antlitz und Geiſt ihm völlig ähnlich geboren,

Steigt auf das muthige Pferd, in gewohnter Weiſe es lenkend.

Dieſem nun folget des Königs Pipin gleichnamiger Enkel,

Der mit Glück und Geſchick für den Vater die Kriege geführet,

Mächtig im Kampf, ein muthiger Held und tapfer in Waffen;

Unter der Schaar der Seinen erglänzt er als ſtattlicher Führer.

Rings von unzähliger Meng’ umgeben, ſo macht er ſich ſichtbar,

Hoch auf ſtattlichem Roß, mit leuchtendem Auge und Antlitz,

Und mit dem röthlichen Golde die glänzende Stirne umwunden.

Schwärmend ergießt ſich die Schaar der Begleiter in wirbelndem Kreiſe

Durch die geöffneten Thore; es müht ſich das hohe Gefolge

Eifernd hinauszugehn mit lautem und wirrem Getöſe.

Dumpf erſchallen die Hörner, das Bellen der gierigen Hunde

Füllet die Luft, und der Lärm ſchlägt ſelbſt an die funkelnden Sterne.

Darauf folget ſogleich nun die blitzende Reihe der Damen.

Hoch auf flüchtigem Pferd vor den andern reitet Rhodrudis

Stolz einher, in der Reihe zuerſt, in ruhigem Schritte;

Herrlich auf blondem Haar glänzt purpurn die Binde der Stirne,

Welche von edlem Geſtein hell funkelt in mancherlei Reihen,

Wie auch die goldene Krone, des Hauptes ſtrahlende Zierde,

Und die Spange der Bruſt, die befeſtigt den herrlichen Mantel.

Unter den Reihen der Damen und unter dem Schwarm des Gefolges

Glänzet Bertha ſodann, zahlreich von Mädchen begleitet,

Völlig an männlichem Geiſt, an Haltung und leuchtendem Antlitz

Wie an Stimme und Aug’ und Charakter vom Vater ein Abbild.

Golden umwindet ein Reif das Haupt von leuchtender Schönheit,

Goldene Schnüre durchſchlingen die blonden, die glänzenden Haare,

Und der ſchneeige Hals trägt ſtolz den köſtlichen Marder.

Auch das Kleid iſt geſchmückt koſtbar mit edlem Geſteine,

Ringsum leuchtend in Reihn, zahllos, mit funkelndem Lichte,

Auch Topaſen darunter, hell blitzend auf goldener Faſſung.

Giſala folget ſodann nach dieſer in blendender Weiße,

Mit jungfräulicher Schaar, goldglänzend, die Tochter des Königs.

Purpurfäden durchziehn des Schleiers zartes Gewebe,

Und das Geſicht und das Haar ſie ſchimmern in ſtrahlendem Lichte,

[35]2. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.
Blendend leuchtet der Hals, erglühend in roſiger Farbe,

Wie von Silber gemacht die Hand, goldglänzend die Stirne,

Selber das Licht der Sonne beſiegen die feurigen Augen.

Fröhlich das hurtige Roß beſteiget die herrliche Jungfrau,

Ob es auch knirſcht in die ſchäumenden Zügel, ſie eilet

Flüchtig dahin, umdränget vom dichten, unzähligen Schwarme,

Hier der Ritter und dort der Damen auf ſtampfenden Roſſen.

So im wackren Gefolge verlaſſend den glänzenden Söller,

Folgt ſie, das züchtige Mädchen, den Spuren des frommen Beherrſchers.

Dann erſcheint Rhodaide, geſchmückt mit edlem Metalle,

Eilend der jubelnden Schaar voraus in flüchtigem Ritte;

Fuß und Nacken und Haar, ſie ſtrahlen von farbigen Steinen,

Und die Schultern umgiebt, die ſchönen, der ſeidene Mantel,

Reich mit Gemmen geziert, geheftet mit goldener Nadel,

Auf dem blühenden Haupte die Krone mit köſtlichen Steinen:

So wird reiten dahin Rhodaide die herrliche Jungfrau,

Wo Schlupfwinkel ſich ſuchen vor Angſt rauhhaarige Hirſche.

Darauf reitet einher Theodrade mit blühendem Antlitz,

Leuchtender Stirn, und es weichet das Gold dem Glanze der Haare;

Auch der blendende Hals, er ſchimmert von ächten Smaragden,

Fuß und Hände, Geſicht und Wangen und Nacken erglänzen,

Gleich dem Gefunkel der Sterne ſo blitzen die feurigen Augen,

Weithin ſcheinet der Mantel, verbrämt mit dunkelem Rauchwerk,

Sophokles ſchöner Kothurn umfängt ihr die zierlichen Füße.

Dicht umrauſcht ſie gedränget die Schaar hochglänzender Damen,

Langhin ſchimmert im Zuge des Adels geſchmückte Cohorte.

Schneeweiß leuchtet das Pferd und feurig trägt es von dannen

Karls des Gebietenden Tochter, die fromme und herrliche Jungfrau,

Fort vom geweihten Palaſt hinaus zu den ſchattigen Wäldern.

Hildrud reitet zuletzt am äußerſten Ende des Zuges,

Wie es das Loos ihr beſtimmt; und unter den Rittern, den letzten,

Glänzet ſie herrlich hervor, die Jungfrau, mitten im Zuge,

Mäßigt den hurtigen Schritt, und lenkt nach der Richtung des Weges.

Das Bild, welches uns der Dichter in dieſen Verſen aus
eigner Anſchauung entworfen hat, iſt gewiß ein glänzendes und
würdig eines kaiſerlichen Hofes; von der altgermaniſchen Ein-
fachheit iſt, trotz Spinnen und Weben, bei den ſchönen Prinzeſ-
ſinnen keine Spur mehr zu erblicken. Auch die Schönheitsbedin-
gungen haben ſich bereits feſtgeſtellt: der blendende, roſig ange-
hauchte Nacken, die leuchtende Stirn, das goldblonde, glänzende
3*
[36]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
Haar, die weiße, blanke Hand, die mit dem Silber verglichen
wird, das blühende Incarnat der Wangen, die feurigen, wie
Sterne funkelnden Augen, alle dieſe Reize möchten in der begei-
ſterten Schilderung des Dichters wenig mehr an die altdeutſchen
Wälder erinnern; übrigens dürfen ſie uns auch an einem Hofe
nicht Wunder nehmen, der bereits in mehr als einer Beziehung
ſeinen Horaz und ſeinen Ovid gefunden hat. Die größte Rolle
in der Toilette ſpielt der Schmuck, der, aus edlen Metallen be-
ſtehend, an Körper und Kleidung überall hin vertheilt iſt. Gold
und Steine blitzen an den Schuhen, goldne Ketten oder Ringe
mit Smaragden oder anderem Geſtein umfaſſen Hände, Arme
und Hals, eine gleiche Spange hält den Mantel auf der Bruſt,
goldene Borten, mit Steinen beſetzt, umſäumen Kleid und Mantel
oder überziehen ſie von oben nach unten, goldne Schnüre ſchlin-
gen ſich durch die Haare, in denen Edelſteine blitzen, goldene
Binden, goldgeſtickte Schleier, goldene Kronen oder Diademe —
alles mit Edelſteinen beſetzt — glänzen darauf, und ſelbſt des
Jünglings Stirne umzieht die goldene Königsbinde. Auch die
Stoffe ſind koſtbar geworden, die Kleider ſind von der feinſten
Leinwand, als welche die byzantiniſche galt, doppelt in Purpur
getaucht, der Mantel von heller Seide, unterfüttert oder verbrämt
mit ſchwarzem Rauchwerk, der Schleier oder das Kopftuch vom
zarteſten Gewebe, mit Purpur oder Goldfäden durchzogen. Als
Bedeckung am Halſe dient das koſtbare Marder- oder Zobelfell.
Wie das alles aber in Form und Schnitt dem Leibe angeſeſſen,
davon iſt ſchwer Rechenſchaft zu geben, da Abbildungen von
Frauen erſt mehr als funfzig Jahr ſpäter unſrer Anſchauung zu
Hülfe kommen. So können wir nicht beſtimmen, ob die Haare
wie ſpäter frei in Locken herunterfielen, oder wie bei der Statue
der Königin Chlotilde durch die goldenen Schnüre zu Zöpfen zu-
ſammengebunden waren. Das Zweite erſcheint nicht wahrſchein-
lich und das Erſte war wenigſtens nicht immer der Fall, da das
Haar der Königin aufgebunden genannt wird; und da der Dich-
ter den Glanz und die Farbe der Haare immer als beſondere
Schönheit hervorhebt, ſo konnten ſie auch von den Binden und
[37]2. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.
Schleiern nicht völlig verdeckt werden. In den Kleidern erkennen
wir die Grundformen wieder, das lange, angezogene Kleid, und
den um die Schultern gelegten Mantel, welcher auf der Bruſt
durch die goldene Spange, einen breiten, brocheähnlichen
Schmuck, mit einer Nadel zuſammengehalten wird. Dadurch daß
noch ein feineres Unterkleid, gleich dem Hemd des Mannes, an-
gezogen werden konnte, tritt keine Aenderung ein, ſo lange das
obere allein ſichtbar blieb. Ob ſchon damals, wie ſpäter, Länge
und Kürze, Weite und Enge, namentlich an den Aermeln, beide
unterſcheiden ließ, iſt aus Mangel bildlicher Quellen nicht zu be-
ſtimmen.


Die Tracht der übrigen Franken war formell keine andere
wie die des königlichen Hauſes, nur die größere oder geringere
Koſtbarkeit der Stoffe, das Mehr oder Weniger des angewandten
Reichthums begründete Unterſchiede unter den Ständen. Karl der
Große ſelbſt trug mit Abſicht die Kleidung ſeines Volks, und
dieſe wird vom St. Galler Mönch in einer den Mittheilungen
Einhards völlig entſprechenden Weiſe geſchildert. „Die Tracht der
alten Franken“ — er meint die zur Zeit Karls des Großen leben-
den — „beſtand in Schuhen, die außen mit Gold verziert und
mit drei Ellen langen Riemen verſehen waren, mit ſcharlachnen
Binden um die Beine und darunter leinenen Hoſen, obwohl von
derſelben Farbe, doch in kunſtreicher Weiſe bunt gemacht (gemu-
ſtert). Ueber dieſe und die Binden verbreiteten ſich kreuzweiſe,
innen und außen, vorn und hinten, jene langen Schuhriemen.
Dann ein Rock von Glanzleinwand und darüber das Wehrge-
henk mit dem Schwerte. Das letzte Stück des Anzugs war ein
grauer oder blauer Mantel, viereckig, doppelt und ſo geformt,
daß, wenn er auf die Schultern gelegt wurde, er vorn und hin-
ten die Füße berührte, an den Seiten aber kaum die Kniee be-
deckte. Dann trugen ſie in der Rechten einen Stab von einem
graden Baumſtamm, mit gleichmäßigen Knoten, ſchön, ſtark und
ſchrecklich, mit einem Handgriff von Gold oder Silber, mit ſchö-
ner, erhabener Arbeit verſehen.“ Dieſe ziemlich langen Mäntel
von dickem Wollſtoff lieferten unter dem Namen „frieſiſche“ die
[38]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
ganzen nördlichen Niederlande. Ihr Ruf, der ſich durch das Mit-
telalter erhielt, war ſo bedeutend, daß ſie ſich unter den Geſchen-
ken befanden, welche Karl der Große an Harun al Raſchid
ſchickte als Vergeltung für die ſchönen und feinen ſarazeniſchen
Stoffe. Auch ſonſt kommen ſie in der Geſchichte vor, und der
Name hat ſich beim dicken, langhaarigen Wollſtoff noch bis auf
den heutigen Tag erhalten. Man hatte ſie von allen Farben. —
Im Verkehr mit den Galliern aber, die mit den Franken im Heere
gemiſcht waren, ſo erzählt der Mönch weiter, „ließen ſie aus
Freude am Neuen von der alten Sitte ab und fingen an jene
nachzuahmen, die mit purpurnen Kriegsmänteln glänzten. Der
ſtrenge Kaiſer ließ das einſtweilen geſchehen, weil ihm jene Klei-
dung für den Krieg zweckmäßiger erſchien. Als er aber bemerkte,
daß die Frieſen, dieſe Nachſicht mißbrauchend, jene kurzen Män-
tel zu demſelben Preiſe verkauften wie früher die ganz großen, da
befahl er, daß niemand von ihnen etwas anderes kaufen ſolle als
jene ganz großen, überaus langen und weiten Mäntel und fügte
noch hinzu: „„Wozu ſind dieſe Lappen gut? Im Bett kann ich
mich nicht mit ihnen zudecken, zu Pferde kann ich mich nicht ge-
gen Wind und Regen ſchützen, und wenn mich ein Bedürfniß
der Natur ankommt, verfrieren mir die Beine.““


Das kurze galliſche Mäntelchen war nicht das Einzige, worin
die tapfern Krieger Karls ihre Nachahmungsſucht und ihre Eitel-
keit zeigten. In Italien hatten ſie ganz andere Dinge kennen
lernen und nicht ermangelt, ſich damit zu ſchmücken, während der
einfache Kaiſer ſich immer treu blieb. Unſer geſchwätzige Mönch
weiß davon eine gar hübſche Geſchichte zu erzählen: „Als einſt
Karl, der rüſtigſte unter den rüſtigen Franken, in einer Gegend
des nördlichen Italiens wegen der Einſetzung eines Biſchofs län-
gere Zeit verweilte, da ſagte er an einem Feſttage nach der Feier
der Meſſe zu den Kriegern: „„Um nicht in Müſſiggang hinlebend
der Trägheit zu verfallen, laßt uns auf die Jagd gehen, bis wir
etwas erbeuten, und laßt uns alle in der Kleidung ausziehen,
die wir jetzt anhaben.““ Es war aber ein kalter Regentag, und
[39]2. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.
Karl ſelbſt hatte einen Schafspelz an von nicht viel größerem
Werth, als jener Mantel des heiligen Martin, mit welchem an-
gethan dieſer mit bloßen Armen Gott das Opfer unter göttlichem
Beifall dargebracht haben ſoll. Die Uebrigen aber gingen, da
Feſttage waren und ſie grade von Padua kamen, wohin eben
Venetianer von jenſeit des Meeres alle Reichthümer des Oſtens
gebracht hatten, gekleidet in Häute phöniziſcher Vögel, — welche
weichen Flaum hatten — mit Seide eingefaßt, dann geziert mit
der Hals- und Rückenhaut und den Schwanzfedern der Pfauen,
und mit tyriſchem Purpur oder orangefarbenen Streifen beſetzt,
andre in Marder- oder Hermelinfelle gehüllt: ſo durchſtreiften ſie
den Wald, und zerfetzt von Baumzweigen und Dornen, vom
Regen durchnäßt, auch durch das Blut der Thiere und die friſch
abgezogenen Häute beſchmutzt, kehrten ſie zurück. Da ſprach der
liſtige Karl: „„Keiner von uns ziehe ſeinen Pelz aus, bis wir
zum Schlafen gehen, damit er auf unſerm Leibe beſſer trocknen
könne.““ Nach dieſem Befehl ſorgte jeder mehr für ſeinen Leib
als ſein Kleid und ſuchte ſich überall ein Feuer, um ſich zu erwär-
men. Bald aber zurückkehrend und im Dienſt des Herrn bis tief
in die Nacht verweilend, wurden ſie endlich nach Haus entlaſſen.
Und da ſie nun anfingen die feinen Felle oder die noch dünneren
Seidenſtoffe auszuziehen, machten ſich die Brüche der Falten und
Nähte weithin hörbar, wie wenn man dürres Holz zerbricht, und
und ſie ſeufzten und jammerten und klagten, daß ſie ſoviel Geld
an einem einzigen Tage verloren hätten. Vom Kaiſer aber erhiel-
ten ſie den Befehl, ſich ihm am nächſten Tage wieder in demſel-
ben Pelze vorzuſtellen. Das geſchah, und da nun alle nicht in
ſchönen Gewändern glänzten, ſondern von Lumpen und farbloſer
Häßlichkeit ſtarrten, ſo ſprach der verſtändige Karl zu ſeinem Käm-
merer: „„Nimm jetzt meinen Pelz und bring’ ihn uns vor
Augen.““ Unverſehrt und glänzend wurde er hereingebracht, und
er nahm ihn in die Hand, zeigte ihn allen Anweſenden und
ſprach: „„O ihr thörichtſten aller Menſchen, welches Pelzwerk iſt
nun koſtbarer und nützlicher, meines hier, das ich für einen Schil-
ling gekauft habe, oder eure da, welche nicht nur Pfunde, ſondern
[40]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
viele Talente gekoſtet haben?““ Da ſchlugen ſie die Augen nieder
und mochten nicht ſeinen ſchrecklichen Blick ertragen.“


Solcher Luxus, den ſeine Großen trieben, hat denn auch
den Kaiſer wohl zu dem erſten Aufwandgeſetz (vom Jahr 808)
veranlaßt, welches in Deutſchland gegeben worden iſt. Dieſes
ſetzte als höchſten Preis für den feineren doppelten, d. h. wohl
gefütterten Mantel 20 Solidus feſt, 10 aber für den einfachen;
ein mit Marder- und Fiſchotterfellen beſter Qualität gefütterter
Rock durfte nicht mehr als 30 Solidus koſten, wenn aber mit
feinerem Zieſelmaus (sismusinus-spermophilus citullus. Leu-
nis.
) gefüttert, nur 10. Für das Uebertreten dieſer Beſtimmun-
gen waren Geldſtrafen feſtgeſetzt: 40 Solidus, welche dem Ge-
richt erlegt werden mußten, und 20, welche der Angeber erhielt.


Als der große Kaiſer ſeinen letzten Gang, den ins Grab,
antrat, folgte ihm dahin ein großer Theil des ſchweren Luxus,
den er im Leben zu meiden geſucht hatte. In all der Pracht und
Herrlichkeit, wie er in die Geſchichte und in die Sage übergegan-
gen iſt, wurde er beſtattet. „Und Karl ward begraben zu Aachen,“
ſo erzählt der Chroniſt, „in der Kirche der heiligen Mutter Got-
tes, die er ſelbſt erbaut hatte. Sein Leib aber wurde einbalſa-
mirt und auf goldenem Stuhle ſitzend im Grabgewölbe beſtattet,
umgürtet mit goldenem Schwerte, ein goldenes Evangelienbuch
auf den Knieen in den Händen haltend, die Schultern rückwärts
in den Stuhl gelehnt, das Haupt ſtattlich erhoben, und mit gol-
dener Kette das Diadem darauf befeſtigt. Und im Diadem war
ein Stück Holz vom heiligen Kreuz eingelegt. Und ſie erfüllten
ſein Grab mit Wohlgerüchen, Spezereien, Balſam, Moſchus und
vielen Schätzen in Gold. Sein Leib ward mit kaiſerlichen Ge-
wändern bekleidet und mit einem Schweißtuch unter dem Diadem
ſein Antlitz bedeckt. Ein härenes Kleid, wie er es heimlich immer
getragen hatte, wurde ihm um den Leib gelegt und über den kai-
ſerlichen Gewändern ihm die goldene Pilgertaſche umgehängt, die
er auf dem Weg nach Rom zu tragen pflegte. Das goldene Scep-
ter und den goldenen Schild, den Papſt Leo geweiht hatte, ſtellte
man ihm zu Füßen; hierauf ward ſein Grab geſchloſſen und ver-
[41]2. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.
ſiegelt. Er ward aber von den Biſchöfen mit dem heiligen Oel
geſalbt, mit dem heiligen Abendmahl verſehen, und nachdem alles
beſorgt war, empfahl er ſeinen Geiſt dem Herrn und ſtarb in
Frieden im Jahr 814 ſeit der Menſchwerdung unſers Herrn Jeſu
Chriſti. Und für ihn regiert ſein Sohn, der glorreiche Ludwig,
unter der Leitung unſeres Herrn Jeſu Chriſti, dem ſei Ehre von
Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“


Dieſer glorreiche Kaiſer Ludwig, genannt der Fromme,
wie wenig er auch ſonſt ſeinem Vater glich, folgte ihm doch in
ſeinen Grundſätzen in Bezug auf Kleidung und äußern Schmuck.
Es ſcheint, als ob ſich hierin am fränkiſchen Hofe zu ſeiner Zeit
nichts geändert habe. Auch er trug ſich einfach in der Weiſe des
Volks, feſtliche Tage und feierliche Gelegenheiten ausgenommen.
Dann aber „trug er außer dem Hemd und der goldgeſtickten Hoſe
noch eine goldgeſchmückte Tunica, einen goldenen Gürtel und an
der Seite ein mit Gold reich verziertes Schwert, und hatte um
die Schultern den golddurchwirkten Mantel hängen; auf dem
Haupt trug er die goldene Krone und in der Hand hielt er einen
goldenen Stab: alles mit Edelſteinen beſetzt.“ Bei ſolchen Gele-
genheiten, namentlich am Oſtertage, theilte der Kaiſer an die
Hofleute und die Dienerſchaft, die ihn für gewöhnlich an Glanz
übertrafen, wie es ſchon am Hofe ſeines großen Vaters geweſen
war, als Geſchenke mancherlei Kleidungsſtücke aus. So erhielten
die Vornehmen Schwertgehenke oder Gürtel oder koſtbare Kleider
fränkiſcher Art; Leute von niederer Stellung frieſiſche Mäntel
von jeder Farbe, die Stallknechte, die Bäcker, die Köche leinene
und wollene Kleider und Meſſer. Auch die Armen wurden dann
bedacht, und ſie zogen in weißen Kleidern durch den weiten Hof
des Aachener Palaſtes. Als Ludwig im Jahr 816 mit dem
Papſt zuſammen kam, ſchenkte er ihm rothe Mäntel und weiße,
leinene Kleider; die Diener deſſelben aber erhielten gefärbte Män-
tel und enge, an den Körper anſchließende Röcke, nach fränkiſchem
Schnitt gemacht.


Eine beſondre Veranlaſſung zu Geſchenken dieſer Art bot
die Taufe heidniſcher Fürſten und Männer, ein Ereigniß, welches
[42]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
am Hofe des frommen Ludwig nichts Seltnes war. Seine
Güte wurde aber arg mißbraucht, denn die Dänen, durch die
reichen Geſchenke und koſtbaren Gewänder gelockt, kamen in gan-
zen Schaaren und unterzogen ſich, dieſelben Perſonen, alljährlich
einmal der Ceremonie. Einer von ihnen hatte das ſchon zwanzig
Jahre getrieben, da ereignete es ſich einmal, daß die Zahl der
Täuflinge zu ſtark war, und der Vorrath der Gewänder nicht
mehr zureichte; man zerſchnitt nun beliebigen Stoff und fügte
daraus in aller Eile die Kleider grob zuſammen. Da ein ſolches
auch jenem Dänen umgelegt wurde, betrachtete er es lange und
ſprach dann zum Kaiſer: „Schon zwanzig Mal bin ich hier geba-
det und jedes Mal mit den beſten weißen Gewändern angethan,
und da erhalte ich jetzt einen ſolchen Sack, der ſich nicht für Rit-
ter, ſondern für Sauhirten paßt, und ſchämte ich mich nicht mei-
ner Blöße, wenn ich, meiner Kleider beraubt, mich mit den von
dir gegebenen nicht bedecken wollte, ſo würde ich dein Gewand
dir und deinem Chriſtus überlaſſen.“ — Zur Taufkleidung ge-
hörte ſtets ein weißes leinenes Kleid, für Männer wie für
Frauen, welches der Pathe oder die Pathin dem Täufling nicht
bloß ſchenkte, ſondern auch ſelbſt anlegte. Nach der Taufe aber
erfolgte im Palaſte die eigentliche Beſcherung, welche Hermoldus
Nigellus in ſeinem Lobgedicht auf Ludwig den Frommen bei Ge-
legenheit der Taufe des Dänenfürſten Herold und ſeiner Ge-
mahlin in einer für uns ſehr intereſſanten Weiſe beſchreibt. Wir
theilen darum die Stelle mit:


Herold, in weißem Gewand und im Inneren wiedergeboren,

Geht in das ſtattliche Haus, ſeines Gevatters Palaſt;

Und der erhabene Kaiſer beſchenkt ihn mit herrlichen Gaben,

Wie ſie das fränkiſche Land nur zu erzeugen vermag,

Schenkt ihm den Mantel, geſchmückt mit Edelgeſtein und mit Purpur,

Welchen im Kreiſe herum golden die Borten umziehn,

Hänget das leuchtende Schwert, das er ſelber, der Kaiſer, getragen,

Ihm an die Seite, geſchmückt fürſtlich mit goldnem Gehenk.

Goldene Spangen darauf umſtricken beide die Arme,

Um die Hüften der Gurt leuchtet von edlem Geſtein.

Setzt auf das Haupt ihm auch, wie ſich ziemt, die goldene Krone,

Und an die Füße ſodann legt er den goldenen Sporn.

[43]2. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.
Ueber den Rücken hinab fällt leuchtend der goldene Mantel,

Handſchuh, weiß und ſchön, hüllen die Hände ihm ein.

Andere Gaben verlieh der Fürſtin die Königin Judith,

Aehnliche, freundlichen Sinns gab ſie das ſchöne Geſchenk,

Nämlich ein Kleid ſo ſtarrend von Gold und edelen Steinen,

Wie Minerva es kaum fertigt mit kundiger Hand.

Golden, mit Steinen beſetzt, umkränzet das Haupt ihr die Binde,

Und ein mächtiger Schmuck decket die chriſtliche Bruſt.

Biegſam legt um den Hals ſich der Ring, von Golde gewunden,

Und die Arme umziehn Spangen, für Frauen gemacht;

Golden, mit Steinen geſchmückt, umſchlinget die Hüften der Gürtel,

Golden, den Rücken hinab fließet der Schleier vom Haupt.

Ebenſo ſchmücket indeß Lothar voll freundlicher Liebe

Herolds Sohn mit Gewand, funkelnd mit Golde verziert.

Auch das Gefolge ſodann legt an nach fränkiſcher Weiſe

Herrliche Kleider, wie ſie gnädig der Kaiſer verliehn.

Dieſe Stelle zeigt uns wieder die übertriebene Anwendung
des Goldes und der edlen Steine, die kein Kleidungsſtück, ja
keinen ſichtbaren Theil des Körpers verſchonen. Beim Fürſten
ſtrahlt davon die Krone, der Purpurmantel, das Schwert, das
Wehrgehenk und der Gürtel, die goldenen Sporen glänzen an
den Füßen und goldene Ringe umziehen die Arme. Der Fürſtin
Schleier und Kopfbinde iſt golddurchwirkt, desgleichen ihr Kleid;
den Mantel hält auf der Bruſt der breite Nadelſchmuck, Ringe
legen ſich um Hals und Arme und die Hüften umgiebt der mit
Gold und Edelſteinen geſchmückte Gürtel.


Auch ſonſt im Leben wurde das Gold bei den fränkiſchen
Großen und namentlich bei der hohen Geiſtlichkeit im ausgedehn-
teſten Luxus angewendet, in Verbindung mit edlen Steinen.
Während herrliche Teppiche und Vorhänge aller Art von mauri-
ſcher Weberei die Zimmer ſchmückten, ſaß man auf vergoldeten
Seſſeln mit weichen Federkiſſen, vom koſtbarſten Seidenſtoff über-
zogen, an Marmortiſchen, auf denen goldene und ſilberne, mit
Edelſtein gezierte Gefäße ſtanden. Desgleichen wurden an Pracht-
geräthen in den Kirchen große Schätze aufgeſpeichert, an Kelchen,
Schalen, Sacramentbehältern, Lampen, Leuchtern u. ſ. w. Aber
damit nicht zufrieden, bekleidete man die heiligen Räume ſelbſt
[44]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
mit edlen Metallen, vergoldete die Altäre, die Eingänge, belegte
ſie mit Goldblech; überdeckte ſelbſt die Thürflügel mit Silberplat-
ten und die Geſimſe und die Fußböden mit Goldplatten von un-
geheurem Werthe. — Dieſe mächtige Bedeutung des „rothen
Goldes“, die Luſt an dem blanken Metall iſt auch in die altdeut-
ſche Sagenwelt eingedrungen, die ja grade in dieſer Periode der
Merovinger und Karolinger ihre Wurzeln treibt. Die Gedanken
aber, die ſich hier damit verknüpfen, haben ſich mythiſch vertieft.
Nicht die Habſucht iſt es, welche wirkt, nicht der Beſitz allein reizt
und treibt zu Kampf und ſchwerem Mord, ein dämoniſcher, tod-
bringender Zauber iſt mit ihm verbunden. So heißt es im Vo-
luspalied:

„Da wurde Mord in der Welt zuerſt,

Da ſie mit Gabeln die Goldkraft ſtießen.“


Von den unheimlichen, unterirdiſchen Mächten iſt es heraufge-
ſandt an das Licht der Sonne, ein unheilvolles Geſchenk, und
wieder nieder muß es, woher es gekommen; in weſſen Beſitz es
aber gelangt, der iſt umſtrickt und mit ihm den Geiſtern der Un-
terwelt, dem Tode geweiht. Dieſe Rolle ſpielt auch der Nibelun-
genhort.

„Das gellende Gold, der glutrothe Schatz,

Dieſe Ringe verderben dich.“


Drei verſchiedenen Beſitzern, erſt Schilbung und Nibelung und
dann Siegfried, bringt der Schatz den Tod, und als ihn Hagen
und die Burgundenkönige, die dritten Beſitzer, hinunter ſchleu-
dern in die Fluten des Rheins zurück, woher er gekommen, da
zieht er auch dieſe nach ſich ins Verderben.


Bei dieſer Luſt an dem puren Glanze des Metalls iſt es na-
türlich, daß die Art der Anwendung nach Form und Verzierung
von roher, barbariſcher Art war. Reichthum erſetzt den feinen
Geſchmack und der blendende Glanz des Stoffes die gefällige
Form. Es war die Zeit, als nach Beruhigung der tobenden
Wellen der Völkerwanderung die entſetzlichen Leidenſchaften in
den Bruder- und Bürgerkriegen der Merovinger ſich ausgetobt
hatten, und nun die ungefüge Natur der Franken von der Civi-
[45]2. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.
liſation, vom Schmuck des Lebens eine Ahnung bekam. Dieſe
Nation ſollte jetzt die Erbſchaft des klaſſiſchen Alterthums antre-
ten. Reichthum aller Art war vorhanden; in Italien hatten
die Römer Jahrhunderte lang die unermeßlichſte Fülle von edlem
Metall aufgeſpeichert, und nicht weniges davon war wieder nord-
wärts gefloſſen in die Schatzkammern ihrer Beſieger; Maſſen von
Kunſtſchätzen fanden ſich zerſtreut über die romaniſirten Länder;
ein Reichthum von Ideen, Muſter des Stils und der Rede wa-
ren in den Schriften der Alten niedergelegt. All das war noch
vorhanden, aber der Deutſche wußte nicht was damit anfangen;
er hatte nur die Ahnung, daß darin ein Höheres verborgen läge;
das feine Verſtändniß wahrer Kunſt entging dem ungebildeten
Geiſte, ihm imponirte nur der Glanz, die Koſtbarkeit des Stof-
fes und die Maſſe. Wenn er lateiniſch verſtand und ſchrieb, blieb
ihm doch die Schönheit verſchloſſen, welche in der claſſiſchen Ein-
fachheit liegt, die Rhetorik ſagte ihm mehr zu mit ihrem Rede-
ſchwall, ihrer Uebertreibung, ihren Floskeln und ihrer Armuth
an tiefen Gedanken. Da in der That damals eine ungekünſtelte
Redeweiſe nicht geſchätzt, ſondern vielmehr für langweilig und
nicht leſenswerth geachtet wurde, ſo glaubte er, wenn er ſich nicht
im Stande fühlte, in ſchwungvoller Weiſe zu ſchreiben, daß ſein
Stil, überhaupt ſeine Kühnheit etwas ſchreiben zu wollen, der
Entſchuldigung bedürfe. Darum war man bemüht, die Rede mit
ſchönen, wenn auch inhaltsleeren Worten aufzuſtutzen. Beſonders
leidet die Poeſie in der Zeit der Karolinger bei innerer Armuth
an der Ueberladung mit tönenden Phraſen und geſuchten Ver-
gleichen, die nicht ſelten zum Unſinn führen, wie wenn in den
oben angeführten Verſen Angilbert das blonde Haar mit dem
Purpur vergleicht, welche Farbe in jener Zeit gewöhnlich ein
dunkles Violett war, oder wenn er die ſchönen Füße der Rho-
daide mit ſophokleiſchem Cothurn bekleidet. Gewiß wirkte auch
zum Vorherrſchen der Moſaik vor der gewöhnlichen Tafel- und
Wandmalerei derſelbe Geſchmack mit, denn dieſe Kunſtart war
theils in Arbeit und Stoff viel koſtbarer, theils hatten die farbi-
gen, durchſichtigen Glasflüſſe, welche in den Gründen durch un-
[46]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
terlegte Folie meiſt vergoldet waren, einen viel wirkungsvolleren
Glanz. Auf Formenbildung kam es dabei nicht an, man hatte
kein Gefühl dafür, und ſie artete daher, mit der feinen Technik
zugleich, alsbald in außerordentliche Roheit aus. Das Erträg-
lichſte in dieſer Zeit ſind der Antike entlehnte Motive. Wo es
möglich war, wie in der bürgerlichen und kirchlichen Baukunſt,
da raffte man die Werkſtücke ſelbſt aus allen Gegenden zuſam-
men, wo nur die antike Kunſt ihre Spuren gelaſſen hatte, und
ſetzte ſie aufs willkürlichſte wieder zuſammen. So finden ſich an
einem und demſelben Gebäude alle Stile vertreten, und die ein-
zelnen Theile, Säulenſchäfte, Capitäle, Baſen, Friesſtücke u. ſ. w.
aus wer weiß wie vielen Stätten alter Kunſt bunt vereinigt und
nothdürftig zuſammengefügt. Gar mancher alter Tempel mag
niedergeriſſen, manche Halle und mancher Marktplatz von ſeinen
Statuen und Reliefs geplündert ſein, bis die Prachtbauten von
Ingelheim, Aachen und Nimwegen vollendet waren. Aber
auf Großartigkeit und äußeren Glanz war es in eminenteſter
Weiſe abgeſehen, die Koſten nicht geſcheut, und Marmor und
Erz und Silber und Gold in Maſſen verſchwendet und alles mit
äußerm Schmuck bedeckt. Die Willkür in der Zuſammenſetzung
und die Schätzung des bloß äußeren Werthes zeigen ſich am klar-
ſten an Kirchengeräthen, von denen manche noch heute erhalten
ſind. So wurden Bruchſtücke antiker Vaſen zu Kelchen benutzt.
Mit antiken Gemmen, auf denen Venus, die Grazien, ſelbſt in-
decente Gegenſtände, Priapen und dergleichen eingeſchnitten wa-
ren, verzierte man, ohne im Geringſten an den Gegenſtänden
Anſtoß zu nehmen, Reliquienkaſten, Hoſtienbehälter, Abendmahls-
kelche und anderes kirchliches Geräth. Den hohen Werth der ge-
ſchnittenen Steine hatte man traditionell übernommen; worin er
beſtand, dafür hatte man kein Gefühl. — Crucifixe, Madonnen
und andere Heiligenbilder waren trotz der ſchönſten, überall noch
vorhandenen antiken Muſter, die man nur nachzuahmen brauchte,
dennoch von der unbeholfenſten Arbeit, ſteif und ungelenk in Hal-
tung und Bewegung, von der abſcheulichſten Häßlichkeit, aber in
Elfenbein geſchnitten oder in edlem Metall gegoſſen, mit Edel-
[47]2. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.
ſteinen überdeckt, genügten ſie völlig dem Bedürfniß des Cultus
und des gläubigen Gemüthes. —


Ein entſprechender Geſchmack herrſcht in der Kleidung. Wie
in die Litteratur und in die Kunſt waren auch in dieſe römiſch-
griechiſche Elemente eingedrungen, wie wir ſchon oben geſehen
haben, und hatten civiliſirend die ererbte Tracht modificirt, ohne
jedoch die volle Herrſchaft erlangt zu haben. Aber von altdeutſcher
Nacktheit und Einfachheit, die ſelbſt dem Bedürfniß den Trotz der
Abhärtung entgegenſetzte, iſt keine Spur vorhanden, ſie iſt viel-
mehr bei den Claſſen der Geſellſchaft, wohin die Noth nicht dringt,
in ihr Gegentheil umgeſchlagen. Der Körper iſt doppelt und drei-
fach von oben bis unten bedeckt und das in einer Weiſe, die,
ſoviel wir ſehen können, weder Gefälliges und Reizendes noch
Großartiges, weder Maleriſches noch Plaſtiſches hat. Die Ge-
wandung läßt weder die Form der Glieder günſtig hervortreten,
noch hat ſie etwas Leichtes, Luftiges, Heiteres, noch bietet ſie
Gelegenheit zum ſchönen Faltenwurf. Die Binden umziehen un-
ſchön die Beine, der enge Leinwandrock iſt größten Theils verbor-
gen, und der Mantel liegt platt und flach um den Leib, wenn er
nicht auf der einen Seite mit dem Arm in die Höhe genommen
iſt, und dann bricht er trockne, faſt parallele, unter ſehr ſpitzen
Winkeln in einen Punkt zuſammenlaufende Falten. Nur bei der
Tracht der Geiſtlichkeit, welche directer die römiſch-griechiſche Ge-
wandung fortſetzt, iſt größerer Fluß der Draperie, aber der vor-
herrſchende Gebrauch der Leinwand, welcher ſie nicht zu groß-
artiger Entfaltung kommen läßt, geſtattet nur die vielen langen,
magern Falten, die parallel eng neben einander herlaufen. Dieſen
Stil im Faltenwurf zeigt auch durchweg die gleichzeitige Kunſt.
— Noch mehr ſpricht ſich die Roheit des Geſchmacks im Orna-
ment der Kleidung aus. Wir kennen ſchon zur Genüge die Ueber-
ladung mit Gold und Edelſteinen: ſie überziehen die ganze Klei-
dung vom Scheitel bis zur Sohle. Die an ſich ſchon wirkungs-
vollen Kleider, die in den hellſten oder kräftigſten Farben prun-
ken, in Purpur, Scharlach, Hellgrün, Gelb, Blau, werden am
Hals und unten, von oben ſenkrecht herab, mehrfach um die
[48]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
Aermel mit breiten Goldſtreifen beſetzt, und dieſen folgen nach
der Schnur die Edelſteine einer hinter dem andern in wohlgeſetzter
Reihe, höchſtens ſtehen ſie im Viereck oder in ſonſt einer einfachen,
regelmäßigen Figur. Von gefälliger Muſterung, vom Wechſel
der Linien iſt keine Rede; es offenbart ſich die ärmlichſte Phan-
taſie, ein roher Geſchmack, der im bloßen Glanz und in der Koſt-
barkeit des Stoffes ſeine Befriedigung findet.


Darüber hinaus iſt auch in dieſer Periode der Schmuck
nach der Form und der Weiſe der Verzierung nicht gekommen.
In beiden Fällen zeigt ſich nur der gute Wille zu geſtalten und
zugleich die Unfähigkeit aus den vorhandenen Elementen etwas
Ganzes zu machen. Es iſt die Zeit, wo römiſch-griechiſche Ein-
flüſſe innerhalb der einfachen, nationalen Formen des Urzuſtan-
des ſich geltend machen, aber nur unverſtanden aufgenommen
und unorganiſch verbunden werden. Dieſe Weiſe der Verbindung
begann ſchon in den Zeiten des Heidenthums, im dritten und
vierten Jahrhundert, ging dann in die chriſtliche Zeit über und
hielt ſich, bis ſich in der romaniſchen Kunſt ein wirklicher, künſt-
leriſche Anforderungen befriedigender Stil ausbildete. Ueberla-
dung, Willkür, Mangel an Ordnung und Phantaſie, und Ro-
heit der Formen ſind die Eigenſchaften der Schmuckverzierung in
der merovingiſch-karolingiſchen Zeit. Die einfache, aber doch zier-
liche Spirale, welche freilich immer wiederkehrte, tritt zurück. Die
eingeritzte Linie wird vertieft, doch nur ſoweit, daß das Ornament
immer noch als flach erſcheint, während das antike im Relief von
allen Seiten Profile bot. Die durch römiſchen Einfluß vervoll-
kommnete Technik im Guß des Erzes erlaubte dieſen Fortſchritt;
das Ornament wurde nicht mehr eingeritzt oder geſchnitten, ſon-
dern es entſtand ſogleich durch den Guß über das geſchnittene
Holzmodell. Ein weiterer Fortſchritt lag darin, daß der Schmuck,
der im Ganzen breitere Formen, alſo größeren Flächenraum bot,
nicht mehr einfach von der Linie in ihren verſchiedenen Richtun-
gen und Windungen bedeckt oder umzogen, ſondern nach ſeiner
Fläche erſt in Felder zerlegt wurde, welche ein Zierrath von regel-
mäßigen oder unregelmäßigen, geometriſchen Figuren in meiſt
[49]2. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.
völlig willkürlicher Weiſe ohne Ordnung und ohne Schönheit
ausfüllte. Antike Elemente des Ornaments, wie elegante Profi-
lirungen, zierliche Palmetten, ſtiliſirtes Laubwerk, Perlſtäbe, zei-
gen ſich im Ganzen mehr an Gefäßen und Geräthen als am
Schmuck. Mäandriſche Motive, Verneſtelungen und Verſchlin-
gungen ſtellen ſich namentlich gegen den Ausgang dieſer Periode
ein; und indem dann Geſetz und Ordnung in ſie einkehrt, bilden
ſie die erſte und anfängliche Grundlage für das Ornament roma-
niſchen Stils. Auch Thier- und Menſchengeſtalten dringen bele-
bend in das Einerlei der Lineamente ein, in meiſt phantaſtiſcher
Weiſe, als die erſten Andeutungen des ſpäter ſo allgemein ver-
breiteten Geſchmacks; Habicht und Drache herrſchen noch vor als
dem Norden beſonders eigenthümlich. Chriſtliches dagegen, wie
das Kreuz, der Fiſch, die Taube, zeigt ſich im Schmuck ſehr ver-
einzelt und erſt ſpät. — In Bezug auf den Stoff verliert das
Erz nicht bloß ſeine Alleinherrſchaft, ſondern es wird auch im
Lauf dieſer Jahrhunderte vor dem alles beſiegenden Einfluß des
Geldes auf ſeinen wahren Werth herabgedrückt, und dient als
Schmuck nur noch der Dürftigkeit. Wie wir in den ſchriftlichen
Denkmälern nur edle Metalle erwähnt finden und daneben den
Beſatz von Edelſteinen, ſo zeigen auch die Gräber im Vergleich zur
vorigen Periode weit reicheren Goldſchmuck entweder in gediege-
ner Geſtalt oder von vergoldetem unedleren Metall, verziert mit
Edelſteinen oder mit farbigen Glasflüſſen. Das Gold herrſcht in
der Weiſe vor, daß man um der Gier willen zu dem rothglühen-
den Golde, die das graue, bleiche Silber verſchmäht, das ganze
Zeitalter das goldene nennen könnte, im Gegenſatz zu der Zeit
des Heidenthums, der „ehernen,“ da noch das Erz, die Bronce,
die Stelle der edlen Metalle ſowohl wie des Eiſens vertrat.


Auch in der äußern Form der Schmuckſachen verſchwindet
die Spirale, oder erſcheint nur noch in veränderter Behandlung
als Ring für Arm und Finger. Statt deſſen werden die Nadeln,
die Bruſtſpangen, die Armringe, der Hals- und Haarſchmuck mit
dicken, plumpen Knöpfen beſetzt. Für die Bruſtſpangen dieſer
Zeit bildet die alte Bogenform die Grundlage, doch ſtatt des zier-
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 4
[50]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
lichen Bügels gewinnt ſie breite Flächen, erſt oben ein viereckiges
oder halbkreisförmiges, mit dicken Knäufen umſetztes Feld, dann
ein breiter Bügel, an den ſich wieder eine noch breitere, nach unten
zu nicht ſelten in einen Schlangenkopf auslaufende Fläche anſetzt.
In der Karolingerzeit weicht dieſe Geſtalt mehr der runden, ſchei-
benförmigen, die ſich ſtern- oder roſettenartig verziert zeigt.


Die Menge und Mannigfaltigkeit des Schmuckes deutet uns
die Stelle aus dem Rudlieb an, wo er, Abſchied nehmend, vom
Könige und der Königin reich beſchenkt wird:


„Das andre der Gefäße ſchied eine Mittelwand:

Die Hälfte mit Beſanten erfüllt er bis zum Rand;

Mit theuern Kleinoden die andre ward beſchwert,

Perlen, Ringen, Spangen und Geſtein vom höchſten Werth.

Ihre Bruſtſpange legte die Königin hinein

Und dreißig Fingerringe mit blitzendem Geſtein

Und ſchöner Ohrringe mit edlen Perlen acht,

Daß bei des Helden Hochzeit ihrer dankbar würde gedacht.“

In dieſe Periode fällt ein ſehr intereſſantes Lied der Edda,
das Rigsmal, welches zwar rein nordiſchen Urſprungs iſt, doch
inſoweit auch auf die ſüdlichen Stammesgenoſſen Anwendung
findet, als es die allgemeinen Anſichten jener Zeit von der äußern
Erſcheinung der verſchiedenen Stände, des unfreien Knechts, des
freien Bauern und des Edelings, zu erkennen giebt. Eines jeden
Beſchäftigung und Stellung thut ſich auch in ſeinem Aeußern
kund, in der Kleidung ſowohl wie in der Häßlichkeit oder Schön-
heit des Körpers. Das Heidenthum liegt dem Lied noch zu Grunde,
aber in chriſtlicher Zeit iſt es wenigſtens umgedichtet und nieder-
geſchrieben.


Heimdall, der Aſe, genannt Rigr, macht ſich auf die Reiſe
und findet zuerſt am Meeresſtrand ein altes Ehepaar am Feuer
ſitzen in üblem Gewand, Ai und Edda. Nach neun Monaten
genas Edda eines Knaben, ſchwarz von Haut und Haaren; der
wuchs heran und gedieh.


„Rauh war das Fell an den Händen dem Rangen,

Die Gelenke knotig (von Knorpelgeſchwulſt),

Die Finger feiſt, das Antlitz fratzig,

Der Rücken krumm, vorragend die Hacken.“

[51]2. Schwankungen zwiſchen den nationalen und antiken Elementen.

Da er nun die Kräfte brauchen lernte, Baſt band und Bür-
den ſchnürte und Reiſer ſchleppte, da kam zu ihm die Dirne, die
Gängelbeinige, mit Schwären am Hohlfuß, die Arme ſonnver-
brannt, mit gedrückter, eingebogener Naſe. Von dieſen beiden ent-
ſprang das Geſchlecht der Knechte, das die Namen ihrer Kinder,
wie z. B. Klump, Klotz, Dickwanſt, Schlappfuß, Krummbuckel,
Langbein oder Klötzin, Klumpwade, Schiefbein, Herdnaſe u. ſ. w.
hinlänglich charakteriſiren.


Rigr ging weiter und fand ein anderes Ehepaar im eigenen
Haus, geſchäftig am Werk, Afi und Amma. Der Mann, mit
enganliegendem Rock, mit freier Stirne und geſträltem Bart,
ſchälte die Weberſtange.


„Das Weib daneben bewand den Rocken,

Und führte den Faden zu feinem Geſpinnſt,

Auf dem Haupte die Haube, am Hals ein Schmuck,

Ein Tuch um den Nacken, Neſteln an der Achſel.“

Rigr blieb drei Nächte bei ihnen, und nach neun Monaten
genas Amma eines Knaben, rothbackig und rothhaarig, mit
hellen, funkelnden Augen. Der wuchs und gedieh, zähmte Stiere,
zimmerte Pflüge, ſchlug Häuſer und Scheunen auf, fertigte Wagen
und beſtellte das Feld. Da kam zu ihm in den Hof die Verlobte,
gekleidet in Ziegenwolle und Linnen, behängt mit Schlüſſeln.
Von dieſen entſprang das Geſchlecht der Bauern.


Rigr ging weiter. Da traf er in einem hohen Saal ein an-
deres Ehepaar, Vater und Mutter. Der Hausherr war beſchäftigt
Bogen und Pfeile herzurichten, die Hausfrau aber ſaß müßig da,
beſah die feinen, arbeitsſcheuen Hände, ebnete die Falten ihres
Kleides und zupfte den Aermel zurecht.


„Im Schleier ſaß ſie, ein Geſchmeid an der Bruſt,

Die Schleppe wallend am blauen Gewand,

Die Braue glänzender, weißer die Bruſt,

Lichter der Nacken als leuchtender Schnee.“

Als nun die Mutter nach neun Monaten eines Knaben ge-
nas, barg ſie ihn in Seide; ſeine Locken waren licht, die Wangen
leuchteten und die Augen waren ſo ſcharf, wie die lauernder
4*
[52]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
Schlangen. Heranwachſend übte er ſich in den Waffen, im Reiten
und Schwimmen, und Rigr lehrte ihn die Runen und hieß ihn
Erb und Eigen und Ahnenſchlöſſer beſitzen. Darauf gewann er
im ſiegreichen Krieg Ruhm und Herrſchaft. In achtzehn Hallen
herrſchte er nun.


„Vertheilte die Güter, alle begabend

Mit Schmuck und Geſchmeide und ſchlanken Pferden,

Er ſpendete Ringe, hieb Spangen entzwei.“

Dann führten ihm die Edlen die Braut zu, in feines Lin-
nen gekleidet, die Gürtelſchlanke, die Adlige, Artige. Von dieſen
beiden ſtammen die Fürſtenſöhne, gewandt in ritterlichen Uebun-
gen, ergeben dem Würfelſpiel, aber auch kundig der Runen. —


[[53]]

Drittes Kapitel.
Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente
in der Zeit von der Mitte des 9. Jahrhunderts bis
gegen den Beginn der Kreuzzüge
.


Die nun folgende Periode der letzten Karolinger und der
ſächſiſchen und fränkiſchen Kaiſer iſt in allen Zweigen der Cultur
die Zeit der letzten Klärung und Läuterung, wo die verſchieden-
artigen Elemente, welche die Völkerwanderung an einander und
durch einander geworfen hatte, ſich ſetzten und zuſammenfloſſen
in ein neues, einheitliches Ganze, auf deſſen Grunde erſt ein
reiches und vor allem originales Leben, das eigentliche Mittel-
alter, erblühen konnte. Bis dahin hatten dieſelben, nämlich das
heidniſch-germaniſche, das chriſtliche und das claſſiſch-antike Ele-
ment, roh und unorganiſch verbunden und unverſchmolzen
neben einander exiſtirt, indem bald dieſes, bald jenes vorherrſchte.
So war man in der kirchlichen Baukunſt, in der Anlage und in
der ganzen Geſtaltung des Aeußern und Innern bei dem ſtehen
geblieben, was die ſpätere Antike überliefert hatte, und nur das
Bedürfniß hatte einige auf die Architektur wenig influirende
Aenderungen nothwendig gemacht. In allen Einzelheiten galten
durchweg ebenfalls die antiken Motive: noch hatte man keinen
Verſuch gemacht, nur ein neues Capitäl oder irgend ein architek-
toniſches Ornament oder ein neues Profil zu erfinden; indem
man aber die Bedeutungen der einzelnen Glieder vielfach ver-
kannte, hatte man häufig Unzuſammengehöriges mit einander ver-
bunden und die verſchiedenen Stile mit einander vermiſcht. Ar-
chitektoniſches, welches heidniſch-germaniſchen Urſprung und Ge-
[54]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
ſchmack verrieth, zeigte ſich höchſtens an den Holzkirchen des Nor-
dens. Auch ſonſt in kirchlichen Dingen, ſoweit ſie von irgend einer
Kunſt abhängig waren, z. B. an Geräthen, Gefäßen, Schnitz-
werken herrſchte die antike Ueberlieferung vor, nur freilich meiſt
unverſtanden und immer roh ausgeführt und in todter, verknöcher-
ter Weiſe angewandt. Dagegen, wo es galt einen weltlichen Ge-
genſtand zu verzieren, wie die hölzernen Wohnhäuſer oder wie
Schmuckſachen, Hausgeräthe, da hatte ſich die Kunſt zwar die
antike Technik zu nutze gemacht, aber die germaniſche Weiſe, wie
wir ſie beim Schmuck haben kennen lernen, herrſchte vor und hat
ſich ferner noch lange, lange erhalten; nur einzelne antike For-
men und Motive wurden als etwas Gleichgültiges mit aufge-
nommen.


So auch in Schrift, Lied und Leben. Die Volksgeſänge der
Deutſchen, die unter den letzten Karolingern und ihren mit Ita-
lien ſo mannigfach verbundenen Nachfolgern, den ſächſiſchen Kai-
ſern, in größerem Maßſtabe auf einige Jahrhunderte in ihrer
Mutterſprache faſt ganz verſtummten, waren urſprünglich nicht bloß
deutſch nach Sprache und Inhalt, man kann ſie mit ihrer Grund-
anſchauung ſelbſt noch als heidniſch bezeichnen. Der Dichter, der
ſeine Zeit poetiſch beſchrieb, that es in lateiniſcher Sprache und
in lateiniſchen Verſen, als ob es ſich von ſelbſt verſtände. Und
derſelben Sprache bediente ſich der Proſaiker unter allen Umſtän-
den, obwohl er weit davon entfernt war, claſſiſch zu reden und
claſſiſch zu denken. Karl der Große, der ſich ſo ſehr bemühte, die
mannigfach vor dem fremden Element erliegende Nationalität zu
heben, mußte doch alle ſeine Bemühungen für Bildung und Volks-
erziehung lediglich auf die antike Welt und ihre Ueberlieferung
gründen, und die chriſtliche Geiſtlichkeit ſpielte dabei den Ver-
mittler, der das claſſiſche Heidenthum den Germanen überlieferte.
Das Volksleben war durchweg deutſch, ſoweit nicht am Hofe, wo
es zu repräſentiren galt, Conſtantinopel und ſein Hofceremoniell
zum Vorbild diente, und ſoweit nicht das Chriſtenthum altheid-
niſche Bräuche verdrängt hatte. Hier aber ſpielen Heidenthum und
Chriſtenthum noch in wunderlicher Miſchung durch einander. Das
[55]3. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente.
letztere war im neunten Jahrhundert ſo ziemlich durch das ganze
Deutſchland eingeführt, Kirchen erhoben ſich überall, Mönche
drangen in die Wildniſſe vor, ein feſtes, chriſtliches Culturleben
zu gründen durch bleibende Anſiedlungen; fleißig und mit Eifer
lagen die Deutſchen den Andachtsübungen ob. Wenn aber der
Neumond gekommen war, oder ſonſt Tage, die durch der Väter
uralten, heidniſchen Brauch geheiligt waren, da ſtiegen ſie, die
vielleicht noch am Morgen den Gekreuzigten knieend und mit auf-
richtiger Andacht verehrt hatten, beim Dunkel der Nacht auf die
Berge, oder gingen ein in das Schweigen des Waldes, zündeten
ein Feuer an unter der heiligen Eiche, ſchlachteten ein Roß, goſ-
ſen das Blut auf den Boden und tranken und ſchmauſeten unter
ſonderbaren Gebräuchen, wie es ihre Vorfahren ſchon vor Jahr-
hunderten gethan hatten, lange bevor der erſte Miſſionar die Axt
an einen heiligen Baum gelegt hatte.


So ſehen wir, wie im neunten Jahrhundert in allen Dingen
das Leben des deutſchen Volkes, ſein ganzer Culturzuſtand, einen
bunt zuſammengeſetzten, widerſpruchsvollen Anblick gewährt. Es
iſt nicht anders mit der Kleidung. Bis dahin hatten die im Kampf
begriffenen germaniſchen und römiſchen Trachten ſich nicht zu einem
Ganzen vereinigen können, ſondern ſich meiſt getrennt gehalten,
wie ſie denn auch von den Schriftſtellern mit Bewußtſein geſchie-
den werden, und nur in Nebendingen hatte die eine die andere
modificiren können. Während im Volk, Einzelheiten ausgenom-
men, die althergebrachten Formen durchweg vorherrſchten, hatten
die römiſchen, wenn auch nur ſtückweiſe, in den höhern Schich-
ten mannigfach Boden gefaßt und waren insbeſondere als cere-
monielle Tracht die vorzugsweiſe gebräuchliche. Wie nun aber auch
in andern Zweigen der Cultur im Verlauf dieſer Periode das
Verſchiedenartige mit einander verſchmolz, und daraus ſich im
elften Jahrhundert ein ſelbſtſtändiges und eigenthümliches Leben
herausbildete, ſo erging es auch dem geſammten Trachtenweſen.
Allmählig gehen die charakteriſtiſchen Eigenſchaften beider Ele-
mente, unter dem Vorwiegen des römiſchen, zu einem neuen
Ganzen zuſammen, und nach allen Schwankungen gewahren wir
[56]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
im elften Jahrhundert ein feſtes Coſtüm, welches die Grundlage
für die reiche Entfaltung der mittelalterlichen Trachten bildet. —


Die Hauptkleidungsſtücke bleiben wie bisher der Rock (oder
das Kleid) und der Mantel, oder mit lateiniſcher Bezeichnung die
Tunica und das Pallium, denn ſowie die germaniſchen Formen
ſich dieſen nähern, gehen auch die Namen mehr und mehr auf ſie
über. Wenn ſchon Karl der Große und ſeine Hofleute ſich nicht
mit einer Tunica begnügten, ſondern wenigſtens ein leinenes
Hemd, alſo eine zweite unter der obern trugen, ſo thut das den
Hauptunterſchieden keinen Eintrag. Dieſe beſtehen noch immer in
der größeren Weite und Länge der römiſchen Tracht. In den
nächſten Jahrhunderten aber giebt die deutſche ihre Enge und
Kürze auf, und damit iſt in den Kreiſen, die der Noth des Lebens
entrückt ſind, die Verſchmelzung vollendet.


Schon Karl der Kahle (geſtorben 877), der jüngſte Sohn
Ludwigs des Frommen, verließ die Sitte ſeines Großvaters und
ſeines Vaters, welche auch in der Tracht die Nationalität aufrecht zu
erhalten bemüht geweſen waren. Von ſeinem Kaiſerzug nach Ita-
lien, ſo erzählen die Jahrbücher aus dem Kloſter Fulda, ein Jahr
vor ſeinem Tode, hatte er neue und ungewöhnliche Tracht mitge-
bracht, „denn mit einem dalmatiſchen Talar bekleidet, der bis zu
den Füßen herabging, und mit einem Gürtel darüber, auch den
Kopf in eine ſeidene Hülle gehüllt und darüber das Diadem ge-
ſetzt, pflegte er an Sonn- und Feſttagen zur Kirche zu ſchreiten.“
Das war die Kleidung, wie ſie die Griechen in Byzanz trugen, welche
von der Tracht der römiſchen Kaiſerzeit völlig in der Richtung des
orientaliſchen Geſchmacks abgewichen waren. Auf einem Minia-
turbild einer in Rom befindlichen Bibelhandſchrift ſitzt er auf dem
Thron in königlichem Ornat, auf dem Haupt die goldene, mit
Edelſteinen beſetzte Krone, in der Hand den Reichsapfel; zu den
Seiten ſtehen ſeine Gemahlin und die Waffenträger. Nach frän-
kiſcher Weiſe trägt er kurzes Haar und einen Schnurrbart, Kinn
und Wangen aber glatt geſchoren. Eine blaue, in vierblattartigen
Muſtern höchſt einfach goldgeſtickte, an den Armen enganliegende
Tunica, deren breite, goldene Säume unten und am Handgelenk
[57]3. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente.
mit Edelſteinen beſetzt ſind, reicht ziemlich tief über die Kniee
herab. Auch der lange rothe Mantel, nach alter Weiſe auf der
rechten Schulter mit einer goldenen Agraffe befeſtigt, hat rings-
herum und am Hals, wo der Rand ein wenig umgelegt iſt, gol-
dene, mit Edelſteinen beſetzte Borten. Die Schuhe, welche faſt den
ganzen Fuß bedecken, ſind vergoldet oder von Goldſtoff. Die eng-
anliegende rothe Beinbekleidung iſt mit feinen goldenen Schnü-
ren im Kreuz umwunden. Nicht vieles iſt in dieſer Tracht, was
ſie noch von der römiſch-italiſchen unterſcheiden dürfte. Uebrigens
iſt zu berückſichtigen, daß es der königliche Ornat iſt, den er trägt;
und darum geben ſeine Begleiter, ſein Schild- und Schwertträ-
ger, die jedenfalls vornehme Franken ſind, noch mehr Nationales
zu erkennen. Das kurzgehaltne Haar iſt unbedeckt, das Geſicht
völlig frei von Bart. Ihr kurzer, hellfarbiger Rock hat jedoch nicht
mehr ganz die alte Enge; er iſt ziemlich weit am Körper und bil-
det auf den Hüften über einen nicht ſichtbaren Gürtel einen klei-
nen Bauſch. Dieſe Form des Rockes findet ſich von jetzt an über-
all, wo wir noch auf altnationale deutſche Tracht ſtoßen, nament-
lich noch in den beiden nächſten Jahrhunderten bei dem niedern
Volk. Auch die Mäntel der Waffenträger von hellleuchtenden Far-
ben, welche mit runder, goldener Agraffe auf der rechten Schulter
gehalten werden, ſind kurz und erreichen hinten kaum die Wade,
während der Mantel des Königs auf die Füße fällt. Die weißen
Beinkleider, welche bei dem Schwertträger unter dem Knie mit
dünner Schnur umbunden ſind, liegen eng und genau an; an-
ſchließende rothe Stiefel, oben umgekrämpt, reichen hinauf bis zur
halben Wade.


Mehr als ein halbes Jahrhundert ſpäter, etwa aus der Zeit
Kaiſer Ottos des Großen giebt uns ein reich mit Miniaturen
verziertes Pſalterium auf der Bibliothek zu Stuttgart mannigfache
Aufſchlüſſe. Wir erkennen daraus, daß damals die lange Tunica
noch keineswegs völlig ein Eigenthum der vornehmen Welt gewor-
den war. Es iſt aber wohl möglich, daß dieſe beſonders kriegeriſche
und ſchwere Zeit, in welcher Deutſchland von Bürgerkriegen man-
nigfach zerriſſen war, während zugleich von der einen Seite die
[58]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
Normannen ihre räuberiſchen Einfälle machten, und von der an-
dern die Ungarn bis zu den jenſeitigen Gränzen, bis über den
Rhein hinüber, alle Gaue verheerend durchzogen, daß dieſe Zeit
der längeren und mehr auf friedliche Verhältniſſe deutenden Tracht
nicht hold war. Wir ſehen daher alle Männer hohen und niedern
Standes, ſelbſt den Fürſten mit Krone und langem Scepterſtabe
nicht ausgenommen, mit der kurzen, ſchon oberhalb des Knies
endigenden Tunica bekleidet, während der Mantel, in gewöhn-
licher Weiſe auf der rechten Schulter befeſtigt, vorne kurz erſcheint,
hinten aber über die Wade herabfällt. Auch der Geſchmack in der
Verzierung ſcheint nicht gewonnen, noch ſich überhaupt geändert
zu haben. Noch umgeben breitere oder ſchmälere goldene Streifen,
denen die Edelſteine nicht fehlen, den untern Rand des Rockes
und ziehen ſich vom Halſe herab nach unten; goldene Faſſung
haben auch die Aermel am Handgelenk und gleiche Streifen und
Zacken umwinden ſie am Oberarm. Die Mantelagraffe gleicht bei
Männern und Frauen einer großen Roſette; die Krone iſt ein
einfacher, breiter, auf der Fläche und am obern Rand mit Edel-
ſteinen beſetzter Goldreif. Eine eigenthümliche Verzierung von
roher Form zeigt mehrfach der Mantel auf der Bruſt in Geſtalt
eines breiten, faſt quadratiſchen Stückes Borte, an welches ſich
ein ſchmales, in ein rundes auslaufendes Stück anſchließt. Im
Uebrigen iſt der Mantel einfach. Aehnliche Art der Verzierung
trägt ſchon das Pallium römiſcher Conſuln im vierten Jahrhundert,
und ſie finden ſich dann wieder als beſondre Auszeichnung der
byzantiniſchen Kaiſer.


Von der alten Enge zeigt der Rock auf dieſen Bildern nichts
mehr. Zwar iſt er wie ſonſt über den Hüften durch einen Gürtel
aufgebunden, aber, die Aermel ausgenommen, ſchließt er nirgends
dem Körper an, ſondern hat zu weiten Falten ſoviel Freiheit, daß
er der Tunica nahe genug kommt. Doch konnte das Hauptſtück
der fränkiſch-deutſchen Nationaltracht in dieſer Periode ſeine Be-
deutung noch nicht verloren haben. Widukind, der ſächſiſche Ge-
ſchichtſchreiber, hält es für wichtig genug, ausdrücklich zu erwäh-
nen, daß Otto der Große zur Krönungsfeierlichkeit den eng anlie-
[59]3. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente.
genden fränkiſchen Rock getragen habe, wahrſcheinlich als Hul-
digung gegen den Stamm, bei welchem bis jetzt die Herrſchaft ge-
weſen war, und von dem ſie nun auf die Sachſen überging. Die
Sachſen aber, wie ſchon oben erwähnt, unterſchieden ſich in ihrer
nationalen Tracht dadurch von den Franken und andern deutſchen
Völkerſchaften, daß ihr Rock, wenn auch ebenſo kurz, doch weiter
war, ihr Mantel aber länger als der fränkiſche.


In einem andern Sinne ſtellt Liutprand, welcher zur Zeit
Ottos des Großen Biſchof von Cremona war und für denſelben
eine Geſandtſchaftsreiſe nach Conſtantinopel machte, die weite
und weibiſche Kleidung der Griechen, die er aus eigener Anſchau-
ung hatte kennen lernen, der fränkiſchen gegenüber. Dieſer Ge-
genſatz paßt völlig zu der Tracht, wie ſie uns in dem Stuttgarter
Pſalterium entgegen tritt. Während vor der Trennung des gro-
ßen römiſchen Reichs Griechen und Römer gleich gekleidet gingen,
waren jene ſeitdem von der gemeinſamen Tracht völlig im Ge-
ſchmack der Orientalen abgewichen. Und ſo konnte Liutprand in
ſeinem Geſandtſchaftsbericht ſagen: „Der Beherrſcher der Griechen
trägt langes Haar, Schleppkleider, weite Aermel und eine Wei-
berhaube“ — wir haben ſie ſchon bei Karl dem Kahlen kennen
lernen — „dagegen trägt der König der Franken ſchön gekürztes
Haar, eine Kleidung, die von der Weibertracht ganz verſchieden
iſt, und einen Hut.“ Wir bemerken hier die Veränderung im Ge-
ſchmack, wonach dem langen Lockenhaar der Urzeit gegenüber jetzt
römiſcher Sitte gemäß das kurze Haar für ſchön gilt. Den Ein-
druck, den die höchſt fremdartige Erſcheinung des griechiſchen
Kaiſers machte, vergegenwärtigt uns Liutprand durch eine Anek-
dote. Er hatte zwei große Hunde aus Deutſchland mitgenommen
als Geſchenk für den Kaiſer; als ſie nun bei der Audienz deſſel-
ben anſichtig wurden, fuhren ſie wüthend auf ihn los. „Denn
ich glaube,“ ſetzt Liutprand hinzu, „daß ſie ihn nicht für einen
Menſchen, ſondern für irgend ein Ungeheuer hielten, als ſie ihn
erblickten, wie er nach Art der Griechen mit einem Weibermantel
und ganz ſeltſamer Kleidung angethan war.“


Die Beinbekleidung auf den Bildern des Stuttgarter Pſal-
[60]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
teriums bildet die enge, anſchließende Hoſe, welche entweder auch
die Füße bedeckt, oder, was gewöhnlicher iſt, in Stiefeln ſteckt,
die bis zur halben Wade hinaufgehen, wo der Rand ein wenig
umgelegt oder zur Zierde ausgezackt iſt. Nur der König und die
Frauen tragen Schuhe, jener goldene. Die Stiefeln ſind von ſehr
mannigfacher und lebhafter Farbe, z. B. roth, grün, blau, ohne
im Uebrigen geſchmückt zu ſein, ja was noch merkwürdiger iſt, es
zeigt ſich hier ſchon an den Stiefeln wie überhaupt an der Bein-
bekleidung die ſpäter ſo beliebte getheilte Anwendung zweier Far-
ben, das ſ. g. mi-parti, wonach die vordere oder die hintere,
die rechte oder die linke Seite eine verſchiedene Farbe tragen. So
ſind die Stiefel eines Kriegers vorn roth und hinten violett;
König David, der auf dieſen Bildern die Harfe ſpielend in der
Tracht der Zeit erſcheint, trägt die Bekleidung des rechten Beines
vorne roth und hinten blau, und die des linken umgekehrt, eine
Theilung, welche ſich, da der König keine Stiefeln trägt, bis auf
die Fußſpitzen fortſetzt. Auch ein anderer König trägt ſich alſo;
ſein rechtes Bein iſt vorne roth und hinten grün, das linke um-
gekehrt.


Das Haar iſt auf denſelben Bildern bei Männern hohen
und niedern Standes auf gleiche Weiſe in mäßiger Kürze gehal-
ten, daß es nie auf die Schultern oder über den Nacken fällt.
Der Kopf iſt übrigens, die gekrönten Häupter ausgenommen,
unbedeckt. Wir wiſſen aber aus Liutprand, daß Kaiſer Otto I.
einen Hut trägt, und er wird auch beim Volke keine Seltenheit
geweſen ſein, wenn es auch immerhin bemerkenswerth bleibt, daß
auf allen Bildern ſich keine andere männliche Kopfbedeckung fin-
det als Kronen und Helme. Auch die ſchriftlichen Quellen geben
keine Anhaltspunkte, nur Widukind weiß von den Strohhüten
ſeiner Sachſen eine wunderliche Geſchichte zu erzählen. Als Kö-
nig Otto I. — es war im Jahr 946 — gegen Frankreich zog,
verhöhnte der Herzog Hugo ihn und die Sachſen, „daß ſie un-
kriegeriſch ſeien, und daß er leicht mit einem einzigen Zuge ſieben
Speere der Sachſen verſchlucken könne. Darob gab der König,“
ſo erzählt Widukind weiter, „die berühmte Antwort: er habe eine
[61]3. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente.
ſolche Menge von Strohhüten, welche er ihm darbieten könne,
wie weder er noch ſein Vater je geſehen. Und wirklich fand ſich,
obgleich das Heer ſehr ſtark war, nämlich 32 Legionen, niemand,
der nicht eine ſolche Kopfbedeckung trug, einige wenige ausge-
nommen.“ Es ſoll dieſe Ausnahme der Abt von Corvey mit
dreien ſeiner Begleiter gemacht haben. Wir wollen uns nicht die
Mühe geben, das Räthſelhafte dieſer Geſchichte aufzulöſen; wir
werden den ſächſiſchen Strohhüten ſpäter wieder begegnen. —
Im elften Jahrhundert geben einzelne Bilder Beiſpiele von Kopf-
bedeckungen. Krieger ſowohl wie Leute des Friedens tragen zu-
weilen eine Mütze, welche dem Kopfe eng anliegt und mit einer
umgebogenen Spitze völlig der bekannten phrygiſchen gleicht, doch
von feſterem Stoffe zu ſein ſcheint und auch, mit Eiſen beſchla-
gen, in dieſer Zeit wirklich als Helm dient, —


Es ſcheint nicht, als ob unter den ſpäteren Ottonen die
mannigfachen Beziehungen, in welchen ſie mit dem griechiſchen
Reiche ſtanden, und durch deren Einfluß man in andern Zwei-
gen der Cultur mancherlei Erſcheinungen zu erklären verſucht,
auf die höfiſchen oder vornehmen Trachten in Deutſchland von
erheblicher Wirkung geweſen ſeien. Denn wie wir dieſelben aus
dem Stuttgarter Pſalterium haben kennen lernen, ſo finden wir
ſie funfzig Jahr ſpäter in einem Evangelienbuche, welches Otto III.
etwa ums Jahr 1000 dem Domſchatz zu Aachen ſchenkte, faſt un-
verändert wieder. Nur den Edelſteinbeſatz vermiſſen wir, der
übrigens noch keineswegs aus der Zeit verſchwunden war. Auf
einem Miniaturbilde dieſer Handſchrift ſitzt Otto III., der Sohn
der griechiſchen Theophanie, auf dem Thron, mit kurzem Haar
und jugendlich bartloſem Geſicht, einen goldenen, mit Perlen be-
ſetzten Kronenreif auf dem Haupt, angethan mit einer bis auf die
Füße herabfallenden Tunica, die nicht enger und nicht weiter iſt,
als wir ſie bisher haben kennen lernen; ſie iſt von blauer Farbe,
einfach und ungegürtet; ein rother Mantel iſt auf der rechten
Schulter befeſtigt, und nach hinten zurückgeſchlagen; die engen
braunen Beinkleider ſtecken in blaßrothen, nicht hoch hinaufrei-
chenden Stiefeln, an welchen eine Reihe weißer Punkte, vielleicht
[62]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
Perlen oder Schmelz, von oben über den Fuß herunterläuft. Zu
den Seiten des Thrones ſtehen zwei deutſche Fürſten, wie ihre
kronenartige Kopfbedeckung erkennen läßt, welche mit Fähnlein
geſchmückte Lanzen in den Händen halten; weiter unten befinden
ſich noch zwei Krieger mit Lanze und Schild. In der Tracht glei-
chen alle vier den oben beſchriebenen Waffenträgern Karls des
Kahlen ohne irgend einen erheblichen Unterſchied. Nur ihre blauen
Stiefel ſind kürzer und zeigen dicke Sohlen.


Die längere Tunica, welche wir bisher vorzugsweiſe bei
Königen, wie Karl dem Kahlen und Otto III., angetroffen ha-
ben, geht im 11. Jahrhundert vom Herrſcher auf den ganzen
Adel über, während bei der Menge des niedern Volks der alte
Rock, weiter und faltiger geworden und über den Hüften aufge-
bunden, völlig erſtarrt und hier und da beim Landvolk oder über-
haupt beim Arbeiter in der Form der Blouſe oder des Polhemdes
ſich durch alle Jahrhunderte erhalten hat, um im neunzehnten
ſelbſt noch eine Rolle zu ſpielen. Schon zu den Zeiten Kaiſer
Heinrichs II. (1002—1024) iſt in der Friedenstracht die längere
Tunica vorherrſchend. Er ſelbſt trägt ſie durchgängig. Es exiſti-
ren mehrere Miniaturbilder von ihm, von denen zwei, in einem
Miſſale befindlich, welches er ſelbſt dem Domſchatz zu Aachen ge-
ſchenkt hat, wie nach der Natur gemacht ſind. Beide Darſtellun-
gen zeigen zwar manche Verſchiedenheiten, aber in leicht erklärli-
cher Weiſe. Die eine, welche ihn auf dem Throne ſitzend in höch-
ſtem Ornat darſtellt, ahmt in der Verzierung die Auszeichnung der
griechiſchen Kaiſerfamilie nach, deren Kleidung mit großen, farbig
verzierten goldenen Scheiben geſchmückt war, ein Vorrecht, deſſen
ſchon oben gedacht wurde. Dieſe Scheiben ſehen wir auch beim
Kaiſer Heinrich auf den Schultern und beiden Knieen. Sonſt
ſind Tunica und Purpurmantel von breiten, mit Edelſteinen be-
ſetzten Streifen umſäumt, und gleiche Vorſtöße haben auch die
Aermel an den Händen. Die Schuhe ſind ebenfalls golden, mit
Edelſteinen beſetzt und mit einem goldenen Riemen gehalten. Die
enge rothe Beinbekleidung iſt mit dunkelrothen Linien carrirt.
Auf dem Haupt ruht eine breite, reich verzierte Krone mit vierfa-
[63]3. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente.
chem Lilienſchmuck auf dem obern Rande, die Linke hält den
Reichsapfel mit dem Kreuz, die Rechte das Scepter. Das Haar
iſt kurz wie bisher, aber neben dem Schnurrbart erblicken wir
zum erſten Mal wieder ſeit der Merovinger Zeit einen Bart auf
Wangen und Kinn. Darin weicht auch das zweite Bild nicht ab,
welches ihn ſtehend darſtellt, das Schwert und die heilige Lanze,
welche den Leib Chriſti berührte, in den Händen. Aber der Man-
tel und die faſt zu den Füßen herabreichende, von einem goldenen
Gürtel faltig zuſammengefaßte Tunica ermangeln ſowohl jener
eigenthümlich byzantiniſchen Verzierung wie des Edelſteinbeſatzes.
Die goldenen Schuhe bedecken den ganzen Fuß. Eine andere
Darſtellung deſſelben Kaiſers aus einem etwas ſpäteren, doch
noch der Zeit vor den Kreuzzügen angehörenden Manuſcript, wel-
ches die Legende von der Anklage und dem Gottesgericht der hei-
ligen Kunigunde, ſeiner Gemahlin, erzählt und mit Miniaturen
begleitet, zeigt, daß das elfte Jahrhundert die gewonnene Grund-
form der langen und weiten Tunica feſthält, obwohl der einfa-
chere und geringere Schmuck, ſowie das Umhängen des Mantels
über die Schultern ohne Agraffe, welche jedoch keineswegs außer
Gebrauch gekommen war, auf neue Aenderungen hindeuten.
Auch das Gefolge trägt die Tunica von derſelben Form und über
den Hüften faltig gegürtet. Der kurze Vollbart, den der Kaiſer
hier wie auf den andern Bildern trägt, iſt ſeit dieſer Zeit wieder
als fürſtliche Auszeichnung zu betrachten; ſein Gefolge oder was
uns ſonſt von nicht fürſtlichen Perſonen in dieſer Zeit begegnet,
iſt völlig bartlos. Die Art, in welcher das Haupthaar getragen
wird, iſt überall gleich: es fällt ein wenig über das Ohr herun-
ter, wo es ſich dann in leichten Locken krümmt. Auch hier iſt
außer der Krone des Kaiſers keine Kopfbedeckung vorhanden.


Wenn wir das im Vorſtehenden über die Männerkleidung
Berichtete in ein kurzes Reſultat zuſammenfaſſen, ſo gehörten zur
vollſtändigen Toilette eines nobeln Mannes im elften Jahrhun-
dert, mit welchem wir die alte Zeit abſchließen, die folgenden
Gegenſtände: ein umgehängter und für gewöhnlich auf der rech-
ten Schulter mit einer Agraffe befeſtigter Mantel, ein langer und
[64]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
weiter, bis gegen die Füße herabreichender Rock von der Form
der römiſchen Tunica, aber mit langen und engen Aermeln, wel-
cher unbehülflicher Weiſe, unſerm Hemd gleich, über den Kopf
angezogen und mit einem Gürtel über den Hüften faltig zuſam-
mengefaßt wurde; ferner eine enge Beinbekleidung und Stiefel
von gewöhnlicher Form, welche bis zur halben Wade über die
Hoſe hinaufreichten, oder Schuhe, welche den ganzen Fuß bedeck-
ten. Eine Kopfbedeckung iſt eine ſeltne Erſcheinung; ſie wird
aber in ſchriftlichen Nachrichten erwähnt als Hut beim Fürſten,
als Strohhut bei den Sachſen, und wo wir derſelben auf bildli-
chen Darſtellungen in der Kriegs- wie in der Friedenstracht be-
gegnen, gleicht ſie einer geſteiften phrygiſchen Mütze; ſie iſt farbig
und unten noch mit einem beſondern Rand verſehen. Auch Hüte
von Pelz und mit Gold verziert kommen vor; und im Rudlieb
wird eine ſchwarze Reiſemütze erwähnt. Ein nicht ſichtbares Un-
terkleid war das Hemd, welches wie die Hoſe vom Anſtand durch-
aus geboten war. Wir ſehen das aus der Erzählung von einem
Biſchof, Eid von Meiſſen, welcher aus ascetiſchen Gründen nie-
mals Hoſe und Hemd getragen hatte, außer wenn er Meſſe gele-
ſen. Auch das niedere Volk trug nur den einfachen kurzen Rock
ohne Hemd, und eine Beinbekleidung findet ſich bei demſelben
ebenſo häufig, wie ſie völlig fehlt; auch kommen Strümpfe vor,
die bis zum Knie heraufreichen. Nackte Beine finden ſich beim
Bauer und Arbeiter noch viel ſpäter.


In dieſer Zeit beſtand, ſoviel ſich ſchließen läßt, die Bein-
bekleidung aus zwei Strümpfen, welche die Füße und die Beine
völlig und in tricotartiger Enge bedeckten, ſodaß ſie wie „ange-
boren“ erſchienen; doch werden auch Hoſen ohne Füßlinge er-
wähnt, und wirklich ſehen wir wohl auf Bildern, wenn auch et-
was ſpäter, die Zehen und einen Theil des Fußes frei. Mit den
Füßen ſteckte die Strumpfhoſe gewöhnlich in Stiefeln oder in
Schuhen, doch fehlen dieſe auch ſo häufig, daß wohl anzunehmen
iſt, es ſeien Sohlen unter den Füßen an den Strümpfen befeſtigt
geweſen. Wann nun aus dieſen langen Strümpfen, für welche
— wenn anders ſie gemeint ſind — das Wort Hoſe ſchon beim
[65]3. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente.
Paulus Diaconus vorkommt, die völlig geſchloſſene Hoſe wurde,
welche den Unterleib mit bedeckte und nur ein einziges Stück bil-
dete, iſt ſchwer zu beſtimmen, da die lange Oberkleidung uns aller
Anhaltspunkte für die Beobachtung beraubt. Uebrigens war das
Beinkleid in der Grundgeſtalt des unſrigen der alten Zeit keines-
wegs unbekannt; die Dacier wie die Gallier trugen ſie alſo, weit
und faltig und über den Füßen gebunden. Einem Abkömmling
von ihr begegnen wir bei den Normannen wie bei den Angelſachſen
auf der Stickerei der Königin Mathilde in der zweiten Hälfte des
elften Jahrhunderts; bei beiden Völkerſchaften werden neben den
engen und langen Strümpfen Hoſen getragen, welche in luftiger
Weite nur bis zu den Knieen heruntergehen; von unter her ſind
die Beine durch Schuhe und Strümpfe geſchützt. Dieſe Form
geht auch in die Ring- und Schuppenrüſtung über. Die Binden,
welche noch unter Karl dem Großen und im neunten Jahrhun-
dert die Beinbekleidung umwickelten, verſchwinden im Lauf des
zehnten mehr und mehr und hören im Beginn des elften ganz auf.
Daß die weite und faltige Hoſe dieſer Zeit nicht unbekannt war,
davon werden wir weiter unten Beweiſe bei der Geiſtlichkeit haben.


In Bezug auf die Frauenkleidung fehlen in der Zeit
Karls des Großen, ſoviel auch von ihrem glänzenden Putze er-
zählt wird, doch für eine nähere Beſtimmung des Schnittes und
des Charakters alle Anhaltspunkte, da uns keine bildlichen Quel-
len zu Gebote ſtehen. Nur von den Angelſachſen gilt nicht das
Gleiche. Auf den Bildern ihrer Handſchriften aus der erſten karo-
lingiſchen Zeit tragen die Frauen bereits die lange, weite und
faltige Tunica unter einem weiten und langen Mantel, und den
Kopf mit einem Schleier oder Tuch dicht umwunden. Locale Ein-
flüſſe ſcheinen in dem romaniſirten England raſcher den altdeut-
ſchen Charakter überwunden zu haben. Für Deutſchland geben
uns die erſten Frauenbilder eine Evangelienhandſchrift auf der
Heidelberger Bibliothek aus dem neunten Jahrhundert und die
Bibel in Rom, welche wir ſchon bei Karl dem Kahlen erwähnten.
Es ſind vornehme elegante Damen, unter welchen ſich auch die
Kaiſerin ſelber befindet. Ihre Erſcheinung entſpricht dem glän-
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 5
[66]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
zenden Bilde, welches die begeiſterten Lobſinger des karolingiſchen
Hauſes in uns haben entſtehen laſſen. Die Kleider, welche in
vollen und lebhaften Farben, in Roth, Blau, Purpur und Weiß
leuchten, ſind überſäet mit Goldſtickerei in freilich einfachen Mu-
ſtern; breite goldene Säume umgeben den Hals und den unteren
Rand, Goldborten ziehen ſich in Streifen von oben nach unten,
golden oder auch farbig ſind die Schuhe, golden die Faſſung am
Handgelenk, ein langer goldener Schmuck, aus ineinander gefüg-
ten Ringen oder Rauten beſtehend und mit Edelſteinen beſetzt,
hängt in den Ohren. Auch umgiebt den Hals ein breites golde-
nes, mit Edelſteinen beſetztes Band, von welchem andere Steine
herabhängen. Eine Agraffe faßt die Tunica unter der Bruſt fal-
tig zuſammen; doch ſcheint dieſelbe gewöhnlicher noch zu fehlen.
Eine Kaiſerin trägt das Haar in der Mitte der Stirn geſcheitelt
und darüber einen reichen, mit Juwelen beſetzten Kronenreif. Dem
Schnitte nach iſt das Hauptkleid ein der römiſchen Frauentunica
ähnlicher Rock, doch weniger weit und faltig, welcher, Hals und
Nacken frei laſſend, mit ſeinem goldnen Saum um Schultern und
Bruſt anſchließend ſich herumlegt, dann abwärts ein wenig wei-
ter wird, ſodaß die Körperformen nicht hervortreten, und endlich
ungegürtet und mit wenigen Falten ohne Schönheit in der Form
bis tief auf die Füße herabfällt, daß nur die Spitzen hervorſehen.
Die Aermel ſind doppelt und andersfarbig als das Kleid, z. B.
weiß zu roth; doch iſt wahrſcheinlich, daß die untern Aermel,
welche eng den ganzen Arm bedecken und an der Hand mit gol-
dener Faſſung endigen, einer untern Tunica angehören, die bei
einigen dieſer Frauen ſichtbar iſt. Die oberen Aermel, weiß wie
die unteren und mit goldenen gemuſterten Streifen verſehen, ſind
kürzer, aber weit und offen. Die Haare bedeckt ſchleierartig ein
weißes oder farbiges, in einfachen Muſtern goldgeſticktes Tuch,
welches faltig und luftig über Schultern und Rücken herabfällt
und mit der Linken aufgenommen iſt, oder wie ein Mantel den
Körper umhüllt. Die Muſterung beſteht in Drei- oder Vierblät-
tern, in kleinen Kreiſen, Kreuzen oder in Netzwerk aus Goldfä-
den. Die Schuhe laufen in eine nicht bedeutende Spitze aus.


[67]3. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente.

Ganz dieſelbe Frauentunica, am Halſe anliegend, dann
weit, ungegürtet, ohne Taille und ohne Falten, mit ähnlicher
goldenen Bortenverzierung und Muſterung, mit weißen Ober-
und Unterärmeln, von denen jene kurz und weit, dieſe lang und
eng ſind, finden wir gegen die Mitte des zehnten Jahrhunderts
auf den Blättern des Stuttgarter Pſalteriums wieder. Auch zei-
gen die den ganzen Fuß bedeckenden Schuhe, golden, farbig oder
ſchwarz, dieſelbe ſich zuſpitzende Form. Das Haar aber, wenn es
von der Krone bedeckt iſt, fällt lang und frei, gelockt oder ſchlicht
über den Nacken herunter, oder es iſt mit weißen Bändern um-
wunden und durch Nadeln mit Knöpfen von Steinen aufgeſteckt.
Der Mantel, wo er vorhanden iſt, einfarbig und ungemuſtert, iſt
über beide Schultern herübergeſchlagen und vorn auf der Bruſt
mit einer Agraffe in Geſtalt einer großen Roſette befeſtigt. —
Es muß aber auch Ausnahmen von der weiten Tracht im zehnten
Jahrhundert gegeben haben, denn Dietmar von Merſeburg be-
richtet von modiſchen Damen, die ihrer Kleidung ſolche Enge ge-
geben hätten, daß die Formen ſcharf herausgetreten ſeien und ſie
ſomit ihren Liebhabern alle Reize dargelegt hätten — „offen, ohne
Scham und ein Schauſpiel für das ganze Volk.“ Er ſetzt aber
hinzu, daß es eine neue und unerhörte Mode geweſen ſei.


Ziemlich das elfte Jahrhundert hindurch bewahrt die Frauen-
kleidung treu den angegebenen Charakter der Formloſigkeit neben
glänzendem Reichthum an Metall und edlen Steinen. Es bleiben
der umgehängte Mantel und die beiden Tuniken von gleichmäßi-
ger, faltenloſer Weite, obwohl am Schnitt im Laufe des Jahr-
hunderts einige Veränderungen eintraten. Das Beſtreben, in ver-
ſchiedenen Farben zu glänzen, die damals auf einem Stück Zeug
nur durch mühſame Stickerei herzuſtellen waren, ließ die untere
Tunica zu größerer Geltung kommen, dadurch, daß die obere von
unten her und an den Aermeln ſich verkürzte. Die letztere, mit
breitem Goldſaum am Hals, an den Aermeln und am untern
Rand, ſchmiegt ſich an Hals und Schultern an, fällt dann aber,
ohne nur eine Andeutung von Taille zu geben oder zum Falten-
wurf die nöthige Entwicklung zu gewähren, in ſenkrechter Linie
5*
[68]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
bis über die Kniee herunter und bedeckt den Oberarm mit gleich-
weiten, offenen Halbärmeln. Dies Kleidungsſtück gleicht völlig
der prieſterlichen Dalmatica derſelben Zeit. Die untere Tunica,
gehemmt und bedeckt von der oberen, iſt nur an den Füßen und
mit ihren engen Aermeln am Unterarm ſichtbar. Bei der Frauen-
kleidung niedern Standes in der Stadt wie auf dem Lande war
die Form die gleiche; den Unterſchied machte nur der weniger koſt-
bare Stoff und der Mangel an Beſatz und Schmuck.


Wenn nun auch die Kleidung dieſer Periode, ſowohl der
Männer wie der Frauen, aller ſchönen Form, welche erſt die fol-
gende Periode des Romanismus bringen ſollte, ermangelte und
deßhalb den äſthetiſchen Geſchmack nicht befriedigt, ſo hatten doch
ihre Träger durchaus nicht auf Putz und Prunk Verzicht geleiſtet,
ſelbſt nicht auf ein gewiſſes Stutzerthum. Sie liebten, wie wir
geſehen haben, den Glanz des Goldes und das Funkeln der edlen
Steine. Vornehme Damen hielten ihre eigenen Schmuckmädchen.
Sie hatten ferner ihre Freude an vollen und leuchtenden Farben,
und brauchten ſie auch da, wo wir jede Farbe möglichſt abweiſen,
wie bei der Fußbekleidung. Zwar kommen auch ſchwarze Schuhe
und Stiefel vor, welche blank gemacht wurden wie bei uns, ge-
wöhnlicher aber ſind ſie farbig, roth, grün, blau, gelb, auch gol-
den, von Seide oder koſtbarer Leinwand, auf dem Fuß mit Per-
len und Steinen beſetzt, umwunden mit feinen Riemen von far-
bigem Corduanleder, das ſchon damals ein Erzeugniß der be-
rühmten ſpaniſchen Sarazenenhauptſtadt war. Der Form nach
ſchloſſen ſie ſich genau dem Fuße an und liefen in eine feine
Spitze aus; jeder Fuß trug ſeinen beſonders für ihn gemachten
Schuh. — In dieſe Zeit einer zwiſchen Barbarismus und Civi-
liſation ſchwankenden Eitelkeit fällt auch die Entſtehung des mi-
parti,
der getheilten Kleidung, wonach beide Hälften des Kör-
pers, von oben nach unten getheilt, verſchiedene Farben tragen.
Wir haben ſie ſchon bei der Beinbekleidung im zehnten Jahrhun-
dert angetroffen; im elften zeigt ſie ſich auch an den Röcken.


Eine ausgezeichnete Pflege erfuhr auch das Haar, der Teint
und die Nägel; für die letzten ſowie zum Kräuſeln der Haare gab
[69]3. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente.
es beſondere Inſtrumente. Ein ſolches von Silber gemacht
ſchenkte einmal König Alfred einem Prieſter. Alle derartigen zur
Toilette gehörenden Verrichtungen ſollten mit beſondern Gebeten
angefangen werden, wenigſtens hatte die Geiſtlichkeit ſolche zu
dieſem Zwecke abgefaßt und vorgeſchrieben. Auch Handſchuhe
kommen bereits vor und nicht bloß zum Schutz gegen des Win-
ters Kälte. Kämme von ſchön geſchnittener Arbeit, von Elfen-
bein, mit Gold und Silber verziert, gehörten zum Schmuck des
Toilettentiſches. Schon in dieſer Zeit führten die Damen kleine
Handſpiegel bei ſich, die auf der Rückſeite mit Elfenbeinſchnitze-
reien verziert waren. Selbſt Geiſtliche, von deren Eitelkeit wir
noch mehr erfahren werden, ſollen ſchon im achten Jahrhundert
oben auf den Schuhen kleine Spiegel getragen haben, um die
eigene reizende Figur ſtets im Auge zu haben. Die warmen Bä-
der beſuchten auch die Männer und zwar aus dem ausdrücklich
angeführten Grunde ihre Haut weiß zu erhalten. Der Lebensbe-
ſchreiber des Erzbiſchofs Bruno weiß es demſelben hoch anzurech-
nen, daß er ſolchen Luxus verſchmähte, „was umſomehr zu be-
wundern iſt, da er, man kann ſagen von den Windeln her, an
größte Sauberkeit und königlichen Glanz gewöhnt war.“ Er ver-
ſchmähte die weichen und feinen Kleider, in denen er erzogen war,
„unter den purpurbekleideten Dienern und den von Gold ſtrotzen-
den Kriegern ging er einher in niedrigem Gewand und bäuerli-
chen Schaffellen.“ Wir ſehen, welche Pracht am Hofe herrſchen
mußte, wenn ſelbſt die Diener Purpur trugen, obwohl dieſe
Nachricht nicht buchſtäblich genommen zu werden braucht. Der
Purpur war außerordentlich beliebt und geſucht, mehr wohl um
ſeines großen Rufes und ſeiner Koſtbarkeit willen als wegen der
Farbe, da ſein dunkles Violett wenig Wirkung hervorzubringen
vermochte; obwohl es daneben noch andere weniger koſtbare Ar-
ten gab in verſchiedenen Farbenabſtufungen bis zum Rothen und
Röthlichgelben. Ueber dieſen häufigen Gebrauch des Purpurs
war der griechiſche Kaiſer ſehr erzürnt, denn er betrachtete ihn als
ſein und ſeiner Familie Vorrecht. Darum enthielt er ſich nicht,
dem deutſchen Geſandten Liutprand bei ſeiner Heimreiſe das Ge-
[70]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
päck durchſuchen zu laſſen und ihm fünf Stück des koſtbarſten
Purpurs zu nehmen. „Welche Schande!“ ruft der erzürnte Ge-
ſandte aus, „weichliche, weibiſche Menſchen, die weite Aermel,
Weiberhauben und Schleier tragen, Lügner, Menſchen von kei-
nerlei Geſchlecht, Faulenzer ſollen ſich in Purpur kleiden, nicht
aber Helden!“


Als Kleiderſtoff war außer der ſo geſuchten, feinen by-
zantiniſchen Leinwand noch zu Kleidern wie zu Mänteln Seide
beliebt und gebraucht; ſie kam ebenfalls aus dem Orient. Nicht
minder war ſchon Sammet im Gebrauch, denn im Gedicht vom
Rudlieb heißt es, daß dieſer Ritter ſeine Hausfrau, da ſie ſeiner
gut gepflegt hatte, mit einem Mantel von Sammet beſchenkte,
ſich damit beim Kirchenbeſuch zu ſchmücken. In Deutſchland
wurde die Seide, wie es auch mit andern Stoffen geſchah, mit
Stickereien verziert. Es war das eine Arbeit der Damen, aber
nicht immer eine freiwillige, denn im zehnten Jahrhundert waren
z. B. die Frauen und Töchter der Dienſtmannen des Erzſtifts
Mainz zu ſolchen Stickereien in Seide verpflichtet. Am berühm-
teſten waren in dieſer Arbeit die engliſchen Damen, und die noch
erhaltene großartige Stickerei der Königin Mathilde und ihrer
Damen, welche die Eroberung Englands durch den Normannen
Wilhelm darſtellt, legt das rühmendſte Zeugniß ab. — Auch mit
fremdem und koſtbarem Pelzwerk wurde der Luxus fortgeſetzt, wie
er den Germanen ſeit älteſter Zeit eigenthümlich zugeſchrieben
wird, und man begnügte ſich nicht mehr mit der natürlichen Fein-
heit und mit dem Zuſammennähen verſchiedenfarbiger Felle, ſon-
dern man färbte ſie ſelbſt. So trugen die Hofleute des Gegenkö-
nigs Rudolf von Schwaben bei ſeiner Krönung in Mainz roth-
gefärbte Pelzverbrämung. Die Feinheit und Koſtbarkeit des Pel-
zes unterſchied ſchon früh die Stände von einander, und Bürgern
und Bauern war der feine ſelbſt rechtlich unterſagt.


Wie ſehr in dieſer Zeit trotz Bürgerkriege und trotz Norman-
nen- und Ungarnnoth Luxus und Putzſucht ſich aller Stände,
die überhaupt derſelben fähig waren, bemächtigt hatten, zeigt am
beſten die Art und die Ausdehnung, in welcher ſie unter die Geiſt-
[71]3. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente.
lichen gekommen waren. Einige Beiſpiele haben wir ſchon oben
kennen lernen. In der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts
hatte die Eitelkeit unter den Kloſtergeiſtlichen, alſo unter denen,
die das Gelübde der Armuth abgelegt hatten, ſo überhand ge-
nommen, daß der Erzbiſchof Adalbero von Rheims ſich genöthigt
ſah, eine Synode der Aebte ſeines Sprengels zuſammenzurufen,
um dem Unweſen geſetzlichen Einhalt zu thun (im Jahre 972).
In ſeiner für uns äußerſt intereſſanten Rede, die ein Streiflicht
wirft auf das, was die andern Stände thun, zählt er die einzel-
nen Gebrechen auf: „Es giebt,“ ſagt er, „einige unſeres Standes,
welche ſich öffentlich das Haupt mit einem goldgeſchmückten Hut
bedecken, welche ausländiſches Pelzwerk der von unſerer Regel
vorgeſchriebenen Kopfbedeckung vorziehen und ſtatt der unſchein-
baren Mönchskleidung koſtbare Gewänder anlegen. Sie tragen
gern um hohen Preis gekaufte Röcke mit weiten Aermeln und
großen Falten und ziehen ſie um den Leib ſo feſt zuſammen, daß
die eingeſchnürten Hüften den Hintern hervortreten laſſen, und
man ſie von hinten eher für unzüchtige Weiber als für Mönche
halten könnte.“ Wir ſehen, daß es den Mönchen dieſer Zeit ſchon
um etwas zu thun iſt, was wenigſtens anſtändige Damen noch
verſchmähen, — um Taille. „Was ſoll ich aber,“ fährt der Erz-
biſchof fort, „von der Farbe ihrer Kleider ſagen? Ihre Verblen-
dung geht ſo weit, daß ſie Verdienſt und Würde nach der Farbe
der Stoffe beurtheilen. Wenn ihnen der Rock nicht durch ſeine
ſchwarze Farbe gefällt, ſo wollen ſie ihn ſchlechterdings nicht an-
legen. Hat der Weber dem ſchwarzen Zeuge weiße Wolle beige-
miſcht, ſo wird auch deswegen der Rock verſchmäht. Auch der
braune Rock wird verſchmäht. Nicht minder iſt ihnen auch die
von Natur ſchwarze Wolle nicht anſtändig genug, ſie muß künſt-
lich gefärbt ſein. So viel von ihrer Kleidung. Was ſoll ich aber
von ihren abenteuerlichen Schuhen ſagen? denn in dieſer Hinſicht
ſind die Mönche ſo unvernünftig, daß ihnen der Nutzen einer
Fußbekleidung großentheils entgeht. Sie laſſen ſich nämlich ihre
Schuhe ſo eng machen, daß ſie darin faſt wie an den Stock ge-
[72]I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
ſchloſſen am Gehen gehindert ſind. Auch ſetzen ſie denſelben vorne
Schnäbel, an beiden Seiten aber Ohren an, und tragen große
Sorge, daß ſie ſich genau dem Fuße anſchließen, halten auch
ihre Diener dazu an, daß ſie mit beſonderer Kunſt den Schuhen
einen ſpiegelhellen Glanz verleihen. Soll ich ſchweigen von ihren
koſtbaren Leintüchern und Pelzkleidern? Da unſre Vorgänger aus
beſonderer Nachſicht den Gebrauch von gemeinem Pelzwerk er-
laubt haben, ſchlich ſich auch hierin das Laſter unnützer Pracht
bei uns ein. Nun umziehen ſie ihre ausländiſchen Pelze mit
einem Saume, der zwei Spannen breit iſt, und überziehen ſie mit
noriſchem Tuche. Sich leinener Betttücher zu bedienen, iſt keines-
wegs erlaubt, und doch haben einige pflichtvergeſſene Mönche
auch dieſes zu ihrem unnützen Aufwand hinzugethan, und da die
Anzahl derſelben in den verſchiedenen Klöſtern ſehr groß war, ſo
haben ſich die wenigen Guten von den zahlreichen Böſen verlei-
ten laſſen. Was aber ſoll ich von ihren unanſtändigen Beinklei-
dern ſagen? Ihre Hoſen haben eine Weite von ſechs Fuß und
entziehen doch wegen der Feinheit des Gewebes nicht einmal die
Schamtheile den Blicken. Ein einziger iſt nicht zufrieden mit
einem Stück Zeug, welches für zwei vollkommen ausreichen
könnte.“


Es iſt wohl anzunehmen, daß die Mönche in dieſem eitlen
Thun nicht der Welt vorangegangen ſind, ſondern von dieſer das
Beiſpiel erhalten haben — wir erinnern an das, was Dietmar
über die Frauen erzählt —, wenn ſie auch aus Veranlaſſung ihrer
beſondern Tracht in Einzelheiten, wie in der Schnürung der Taille
und in der weiten Hoſe, eine mehr originale Erfindungsgabe be-
währen. Die Synode ſetzte ihrer Eitelkeit Schranken. Wahr-
ſcheinlich iſt es anderswo ebenſo gegangen. Noch im Laufe des
zehnten Jahrhunderts ſcheinen ſich dieſe Thorheiten gelegt zu ha-
ben, und es mag von Einfluß darauf das Herannahen des neuen
Jahrtauſends geweſen ſein, mit deſſen Anbruch nach der allge-
meinen Ueberzeugung der Untergang der Welt eintreten ſollte,
den man freilich nur mit Bußübungen erwarten und empfangen
[73]3. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente.
durfte. Das elfte Jahrhundert zeigte in denſelben Formen einen
weit geſetzteren und einfacheren, aber darum nicht ſchöneren Cha-
rakter; es ruhte gleichſam aus von dem langen Kampfe der hei-
miſchen mit den fremden Elementen, um nach dieſem Winter-
ſchlafe ein neues, reicheres und eigenthümlicheres Leben aus ſich
hervorgehen zu laſſen. —


[[74]]

Zweites Buch.
Das Mittelalter.


Erſtes Kapitel.
Entwicklung einer originalen mittelalterlichen
Tracht unter dem Einfluß des Frauencultus bis zur
Höhe plaſtiſcher Schönheit
. 1100—1350.


Die wunderbare und glanzvolle, an Schönheit und blenden-
den Erſcheinungen ſo reiche Zeit der Hohenſtaufen, die Periode
des 12. und 13. Jahrhunderts vom Beginn der Kreuzzüge an,
man kann ſagen im ganzen chriſtlichen Abendlande, verhält ſich
zur vorhergehenden Periode, als noch Barbarismus und Civili-
ſation, Antikes und Germaniſches, Chriſtliches und Heidniſches
in leidenſchaftlichem Kampfe lagen, wie das Nibelungenlied und
dann beſonders das ritterliche Epos und der Minnegeſang zur
Edda; ſie verhalten ſich wie die Freude und die Klage des Lebens,
der Liebe Leid und Luſt zu jenem Weltuntergang, in welchem Sonne
und Mond von Wölfen verſchlungen und die Götter des Himmels
und der Erde von den Ungeheuern der Tiefe zerfleiſcht werden. Die
Barbarei iſt vom Throne geſtürzt, die ungefüge, elementariſche
Kraft gebrochen, die wilden Leidenſchaften mit ihren gewaltſamen
Ausbrüchen und ihrem verzehrenden Feuer haben ausgetobt, und
die Liebe und die Schönheit ſtrecken mit ſanfter Zaubergewalt ihr
ſittigendes Scepter über das ganze Zeitalter.


Man kann die Veränderungen, welche im Völker- und Men-
ſchenleben zur Zeit der Kreuzzüge eintraten, theils durch ſie, theils
[75]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
mit ihnen, denn ſie ſelbſt waren ſchon ein Ausfluß des neuen
Geiſtes, in allen Zweigen der Cultur nicht leicht überſchätzen. Es
entſteht eine völlig andere Zeit; aus den Zweifeln iſt die Welt
befreit, die ſo lange im Kampf begriffenen Elemente haben ſich
verſöhnt, und aus ihrer gegenſeitigen fruchtbaren Durchdringung
erblüht nun, nachdem die ausgeſtreute Saat im 11. Jahrhundert
eine kurze Winterzeit geruht hat, ein neues, trotz aller fremden
Anſtöße und Elemente dennoch originales Leben üppig hervor.
Das ganze Sein und Denken der Menſchen wird allſeitig und im
tiefſten Innern erfaßt.


Das Heidenthum hat ausgeſpielt und verklingt in leiſen
Tönen in Sage und Märchen und Volksgebräuchen. Das Chriſten-
thum hat nun Wurzel geſchlagen in der Tiefe des deutſchen Ge-
müths und ſprießt mit einer Innigkeit des Glaubens und einer
Wahrheit des Gefühls hervor, die bekunden, daß es fortan die
Grundlage des geiſtigen Seins bildet. Statt daß früher der Glau-
benseifer und die Orthodoxie ſich durch Proſelytenmacherei mit
Wort und Schwert und Feuer zu bethätigen ſuchten, ſchlägt die
Gluth der Empfindung zurück in die eigene Seele: es gilt fortan
dieſe zu befreien von den Schlacken des Irdiſchen, das eigene Ge-
wiſſen zu reinigen vom Bewußtſein der Sünde; der Andere iſt
gleichgültig. So verſenkt ſich die Seele in das Denken und Seh-
nen, begierig nach näherer Gemeinſchaft mit ſeinem Herrn und
Freunde; das der Erlöſung bedürftige und zur Entſagung bereite
Gemüth gedenkt ſeines Leidens und ſeines Opfertodes und will
in Demuth jene Stätten beſuchen, wo er wandelte, wo er litt und
ſtarb, und dort anbeten und das ſchuldbeladene Gewiſſen erleichtern.
So zogen die Pilger nach dem gelobten Lande, in Andacht verſunken,
zur Schwärmerei geneigt, und kehrten zurück, entzündet von orien-
taliſcher Glaubensgluth, deren lodernder Fanatismus ſich aber
nach innen kehrte und die Seele der Herrſchaft der Gefühle völlig
unterwarf.


Einmal aus der Welt der Thaten in die der Empfindungen
hineingeworfen, blieb der Menſch mit ſeinem Sehnen und Den-
ken nicht im Gebiet des Religiöſen ſtehen: zu der himmliſchen
[76]II. Das Mittelalter.
Liebe trat die irdiſche, zum religiöſen Cultus der Frauendienſt,
zur Gottesminne die Frauenminne. Früher war es der Mann
geweſen, der in Liebe und Lied den Mittelpunkt abgegeben hatte,
er, der Starke, der Kühne, in ſeinem Heldenthum der Stolz der
Frau, er war der Geliebte geweſen, der in der Seele des liebend
hingegebenen Weibes die Leidenſchaft zur verzehrenden Gluth an-
gefacht hatte. Noch im Nibelungenlied ſpielt die Liebe dieſe Rolle:
um den geliebten Mann geſchieht hier all das höchſte Leid und
Weh, was die Menſchheit treffen und tragen kann; keine Zeit
kann die Klage um den Tod des Geliebten löſen, keine Sühnung
die Luſt der Rache in der weiblichen Bruſt erſticken; ihr wird mit
dem Feinde Volk und Familie zum Opfer gebracht, bis zum eige-
nen Untergange. Jetzt kehrt ſich das Verhältniß um: die Frau
tritt als das geliebte Weſen nicht nur in den Vordergrund, ſie
wird zur Herrin. Sie nimmt Beſitz von allem Sein und Den-
ken des Mannes; all ſeine Thaten und ſeine Beſtrebungen, die
ſonſt dem Ruhme galten, ſind nun ihr geweiht; der Gedanke an
ſie verläßt ihn nicht Tag und Nacht, er begleitet ihn auf ſeinen
Zügen, in die Schranken und in die Schlacht, er ſtählt ihn im
Kampf und führt ihn zum Sieg. Doch bei dieſem immerwähren-
den Denken an die Geliebte wird die Empfindung bald zur
Empfindſamkeit, die Liebe wird zur Minne, die ihr Genüge finden
kann an dem ſteten, innigen Gedenken, an der ſtillen, ſeligen
Sehnſucht, die das holde Bild beſtändig vor Augen hat, ſelbſt
wenn ſie von vornherein ſich die Erfüllung der höchſten Wünſche
verſagen muß. — So wird nun die Frau, die Krone der
Schöpfung, auch die Spitze und die unumſchränkte Gebieterin
alles ſocialen Lebens und Strebens. Die Liebe verkehrt ſich in
Frauen dienſt, der Schönheit wird Verehrung dargebracht.
So ſingt Walther von der Vogelweide:


„Gott hat gehöhet und gehehret reine Frauen,

Daß man ihnen wohl ſoll ſprechen und dienen zu aller Zeit,

Der Welt Hort mit wonniglichen Freuden liegt in ihnen.“

Bei dieſer Stellung der Frau ging die Verehrung, welche
bisher dem Erlöſer zu Theil geworden war und womit die Periode
[77]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
begonnen hatte, nun auf die Jungfrau Maria über. Bis dahin
nur gefeiert als die Gottesmutter, wird ihr jetzt als der Jungfrau,
als der Frau ein völlig ſelbſtſtändiger Dienſt geweiht. Sie wird
zur Himmelskaiſerin, zur Königin der Frauen, zum Ideal aller
irdiſchen Schönheit. Wie das Herz des Mannes auch in weiter
Ferne der Geliebten in beſtändigem Sehnen ſtill gedenkt und ihr
oft ſelbſt erträumtes Bild im Innern unverlöſchlich mit ſich trägt,
ſo gedenket die fromme Seele in ſtiller, verzückter Andacht der
Jungfrau Maria. Der arme geiſtliche Schüler, da er der irdiſchen
Minne entſagen muß, widmet all ſeine Inbrunſt, ſein ſehnendes
Verlangen ihrem wunderſchönen Bilde, das ſeine Seele träume-
riſch erfüllt. Und die hohe Himmelskönigin läßt ſich herab, wie
die frommen Legenden erzählen, gnadenvoll in das Leben des
liebenden Schülers perſönlich einzugreifen. In lichter Schönheit,
die den Wald durchleuchtet und der Sonne den Schein nimmt,
angethan mit koſtbaren, ſtrahlenden Gewändern, erſcheint ſie ihm
und mit ihrer „ſchneeweißen Hand“ — wie die Legende nie zu
ſagen vergißt — ſetzt ſie ihm den Roſenkranz auf das Haupt, oder
führt den Armen vor den Augen der ſtaunenden Gläubigen als
Prieſter an ihren Altar.


In demſelben Sinne wird auch das Ritterthum durch die
veränderte Stellung der Frau umgeſchaffen, ja es erhält durch ſie
erſt ſeine Eigenthümlichkeit, denn der Frauendienſt iſt des ritter-
lichen Lebens edlere, milde und menſchliche Seite, er iſt ſeine
Seele. Im unmittelbaren Dienſt ſchöner und edler Frauen wächſt
der adlige Knabe heran; zum Manne erſtarkt, widmet er ſich und
ſeine Thaten einer auserwählten Geliebten. Beim Ritterſchlag
legt ſie ihm die goldenen Sporen an und umgürtet ihn mit dem
Schwert; er gelobt ſie zu ſchützen und zu ſchirmen, ihren Ruhm
auszubreiten; ihre Farbe trägt er im Kampf, und aus ihrer Hand
empfängt er wieder den Preis ſeiner Siege. Unter ihrem beleben-
den und verfeinernden Einfluß wird das Ritterthum ein luſtiges,
farbenbuntes und poeſiereiches Weſen. Die Schilde, die Helme,
die Waffenröcke, die wallenden Pferdedecken überziehen ſich mit hel-
len Farben und heitern Wappenbildern, Feſte auf Feſte werden
[78]II. Das Mittelalter.
gefeiert, im Grünen leuchten die weißen Zelte, vor denen die
Wappenſchilde prangen und die bunten Fähnlein flattern, und
immer den ſchönſten und edelſten Schmuck im Ganzen bilden die
Frauen. Das nahm wieder ein Ende, da der Frauendienſt ſank;
mit ihm verlor das Ritterthum den Reiz der Poeſie und artete in
Roheit und wüſtes Treiben aus. —


Da die Frauen aus der früheren Zurückgezogenheit, wie ſie
noch im Nibelungenlied herrſcht, hervortreten und im geſelligen
Leben die Herrſchaft übernehmen, ſo bildet ſich in Folge deſſen
eine völlige Anſtandslehre aus. Regeln und Vorſchriften werden
gegeben über das Benehmen der Geſchlechter untereinander, Re-
geln, wie eine feine Dame ſich gebärden und ſich tragen, wie ſie
gehen und ſtehen, wie ſie eſſen und trinken ſoll. Der Umgangs-
ton wird durch die Minne zur Galanterie von Seite der Herren,
welcher die Damen freie Anmuth und Feinheit gegenüber ſtellen.


„Die Minne lehrt die Frauen lieblich grüßen,

Die Minne lehrt der Sprüche viel, der ſüßen,

Die Minne lehret große Milde,

Die Minne lehret große Tugend,

Die Minne lehret, daß die Jugend

Kann ritterlich gebahren unterm Schilde.“

Die Anſtandslehre bildet, namentlich beim weiblichen Ge-
ſchlecht, einen großen Theil der Jugenderziehung; die Mutter ſelbſt
unterrichtet darin, und neben ihr auch beſondere Lehrmeiſter, zu
denen die fahrenden Sänger genommen wurden, welche Gelegen-
heit hatten, ſich an den Höfen der Fürſten im feinen Ton auszu-
bilden. Auch in der Tugend der Milde, der Freigebigkeit, wurden die
fürſtlichen Damen unterrichtet, denn es war ihr ſchönes Vorrecht,
alle die an ihrem Hof erſchienen und zu ſeiner Verherrlichung beitru-
gen, die Ritter, die Sänger, die Spielleute, in fürſtlicher Gnade
reich zu beſchenken, mit Kleidern, Waffen, Schmuck und Geld.


Bei ſolcher Erziehung und ſolchem Hofleben ſtellte ſich der
Trieb nach größerer und tieferer Bildung ein, denn der Geſprächs-
ton an dieſen glänzenden Höfen war ein durchaus geiſtreicher. Die
Dichter ſangen ihre Lieder und machten zu Schiedsrichtern die
[79]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Damen, die alſo vertraut ſein mußten mit der edlen Sangeskunſt.
Bei Tiſche oder ſonſt zur Unterhaltung wurden die alten Sagen,
Erzählungen und Geſchichten vorgetragen. Die Damen wurden
im Geſang und in der Inſtrumentalmuſik unterrichtet, und auch
das Leſen und Schreiben war ihnen geläufiger als den Männern.
Die Folge war, daß ſie ihrerſeits ſich ſelbſtthätig der Litteratur
annahmen und ihren Einfluß auf ſie ausübten.


Durch dieſe directe Einwirkung ſowie durch die veränderte
geſellſchaftliche Stellung der Frauen wurde auch die ganze Poeſie
umgewandelt; ſie wird nun ihrem weſentlichen Charakter nach
eine weibliche. Wie die Lyrik ſelbſt als der vorzugsweiſe weib-
liche Zweig überhaupt erſt neu geſchaffen wird und ſich alſo gleich
überwiegend vordrängt, ſo breitet ſich der lyriſche Geiſt in den
andern Zweigen der Poeſie aus und durchdringt das Epos völlig.
Im alten Volksepos und noch in der überlieferten Form des Ni-
belungenliedes herrſchen die alten Charakterzüge, das Heldenthum
und die Welt der Thaten, die Mannestreue und die Liebe als
leidenſchaftliche Hingebung des liebenden Weibes an den Gelieb-
ten. Er iſt der Herr. Die Liebe des Mannes zur Frau war gewiß
nicht ſchwächer als ſpäter, aber ſie äußerte ſich in anderer Weiſe,
der Mann blieb Mann und hielt ſich unberührt von gefühlvoller
Zärtlichkeit und überſtrömender Empfindung. Im ritterlichen Epos
iſt die Frau bereits die Herrin, welcher die Thaten des Mannes
gelten; ihr wird Verehrung geweiht wie einem andern, höheren
Weſen, gegenwärtig bringt er ihr ſeine Huldigungen dar in zar-
teſter Weiſe nach den Vorſchriften der feinen höfiſchen Sitte, und
abweſend zieht ſie all ſein Denken auf ſich, und macht ihn alle
Noth und Trübſal vergeſſen und alle Dinge um ihn her. So bleibt
Parzival wie bezaubert ſtehen, da er im weißen Schnee drei Bluts-
tropfen findet; die Farben führen ihm das Bild ſeiner ſchönen
Königin vor die Seele; von Minnezauber gefeſſelt, hält er ſein
Pferd an und verſinkt, ſich ſelbſt und alles Andre vergeſſend, in
ſtilles Sehnen und Gedenken. Beſinnungslos bleibt er in dieſem
Zuſtande, als ihn ein Ritter von der Tafelrunde zum Kampf auf-
fordert: er hört ihn nicht und ſieht ihn nicht, bis ſein Pferd ſich
[80]II. Das Mittelalter.
plötzlich umwendet, und er die Blutstropfen aus dem Auge ver-
liert. Da der Ritter vom Roſſe geſtochen, feſſelt ihn aufs Neue
die Macht der Minne durch den blutigen Schnee. Sprachlos hält
er wieder, verſunken und verloren, daß ihn der zweite Ritter erſt
durch einen Schlag aus dem Zauber herausreißen muß. Als auch
dieſer im Kampf erlegen, vermag erſt der dritte den Bann zu
löſen, mit dem der Minne Allgewalt den Helden verſtrickt hält,
indem er ein Tuch über die Blutstropfen deckt: da kehrt Sprache
und Beſinnung zurück.


Die Lyrik, von der Minne geſchaffen, athmet denſelben Geiſt
wie das Epos in noch höherem Grade, ja faſt ausſchließlich. In
dem engen, ewig neuen und ſchönen Kreiſe der Liebe und des
Frühlings drehen ſich faſt alle Gedanken der lyriſchen Dichter und
variiren unermüdlich daſſelbe Thema in unendlicher Weiſe. Sie
ſchwelgen in Gefühlen bis zur Liebeskrankheit, an welcher die
ganze Zeit leidet, ſie wiſſen aber ſehr wohl, daß von der Liebe
nur die Liebe heilt, wie die Worte ſagen:


„Süßer, roſenfarbner Mund,

Komm und mache mich geſund.“

Dieſe verliebte Stimmung weiß auch die Kunſt mit den ge-
ringſten Mitteln aufs ſprechendſte wiederzugeben, ſo vielfach un-
beholfen ſie ſonſt noch iſt, namentlich die Malerei, und es ihr
unendliche Mühe koſtet, Köpfe und Hände und Füße zu zeichnen.
Alle Sentimentalität, alles Schmachten und Sehnen liegt in einer
ſchwanken Haltung und Biegung des Körpers, in dem leiſen Nei-
gen des Kopfes zur Seite, in den langgezogenen Augen mit den
herabhängenden Liedern, oft in einem Blick, der nur durch einen
Druck der Feder hervorgebracht erſcheint.


In dieſe zur geiſtigen Erregung ſo geneigte Zeit brachte der
Verkehr mit dem Orient, der ſich bisher auf die Handelsverbin-
dungen und die Berührungen in Sicilien und Spanien beſchränkt
hatte, durch die Kreuzzüge noch ein eigenthümliches Element.
Schon ohnehin iſt der deutſche Geiſt zur Phantaſtik geneigt und
wird gleich gereizt von abenteuerlichen, wunderſamen Formen.
von ſüdlicher Farbengluth wie von der geheimnißvollen Welt des
[81]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Wunderbaren. Der Orient aber iſt die Heimath der Wundermär-
chen. Die Pilgerfahrten und Kreuzzüge ließen das Geahnte mit
eigenen Augen ſchauen, und die ſarazeniſchen Länder waren aller-
dings dem damals ſo eben aus der Barbarei auftauchenden Abend-
lande eine Zauberwelt. Hier herrſchte überall, in Spanien, Sici-
lien, Africa, im glückſeligen Orient eine überfeinerte Civiliſation,
eine hoch ausgebildete Induſtrie, die das Abendland bisher nur
ahnend aus den koſtbaren, reich und wunderſam verzierten, far-
benglühenden Stoffen hatte kennen lernen. Hier dufteten die Ro-
ſen- und Liliengärten mit den waſſerſpeienden Löwen, den rau-
ſchenden Springbrunnen, eingefaßt von kühlen Bogengängen,
unter ewig heiterem Himmel. Hier blühte eine großartige, phan-
taſtiſche, mit ſeltſamen Verſchlingungen ornamentirte, mit den
brillanteſten Farben geſchmückte Architektur von den ſchlankſten,
kühnſten Formen und Verhältniſſen und den weiteſten, mit Säu-
lenreihen durchzogenen Räumen, in deren fernab verklingendes
Spiel von Licht und Schatten Auge und Seele ſich träumeriſch
ſinnend verloren. Das ganze geſellige Leben war heiter und geiſt-
reich, fein und lebendig und vom zauberiſchen Hauch der Poeſie
und der Liebe durchweht.


So ging auch dem Abendländer die Welt der Wunder und
Märchen, die Welt der phantaſtiſchen Schönheit auf, für die er
eine offene und empfängliche Seele mitbrachte. Heimkehrend wuß-
ten die Pilger von all dem Zauber zu erzählen, von der nie geſehe-
nen Pracht, von der abenteuerlichen Geſtalt der Thier- und Pflan-
zenwelt, und zum Beweiſe davon konnten ſie die koſtbaren Stoffe
vorlegen, durchwirkt mit Einhörnern, Greifen, Drachen, Vögeln
mit Menſchenköpfen, Menſchen mit Thierköpfen und ſonſtigen
willkürlichen Gebilden der orientaliſchen Phantaſie. Wer mochte
da noch Zweifel hegen über die Abenteuer, die Herzog Ernſt auf
ſeinen wunderbaren Fahrten beſtanden hatte! ſtaunend und gläu-
big hing Auge und Ohr des Volks an dem Munde der verzückten
Erzähler.


Dieſer Sinn für das Phantaſtiſche und Wunderſame bemäch-
tigte ſich auch alſobald der Kunſt, aber hier legte das Geſetz der
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 6
[82]II. Das Mittelalter.
Ordnung und Schönheit einer überſchwänglichen Laune Maß und
Zügel an. Aus dem Kirchenbau ſchwand mit der Schwere und
Maſſenhaftigkeit des Mauerwerks die Enge und Finſterniß; die
kleinen, weit geſtellten Fenſter in den dicken Wänden weiteten ſich
und hoben ſich höher mit dem ganzen Lichtgeſchoß; die Gewölbe
legten ſich heiter und frei ſtatt der flachen Decke über die lichtge-
füllten Räume; die Krypten, dieſe dumpfen, unterirdiſchen Kir-
chen der Todten, widerſtrebten nun dem Gefühl, denn


„Man ſoll in lichter Weite

Chriſtenglauben ſehn und Chriſtes Ammet;“

und endlich hob die aus dem Orient überkommene Anwendung
des Spitzbogens die Maſſen und Flächen immer mehr auf, führte
die Gewölbe höher und leichter empor und wies dadurch mit einer
Andeutung auf die unendliche Höhe das andächtige Gemüth des
Gläubigen nach Oben. Gleichzeitig hatte man die ſtarre Leere der
einzelnen architektoniſchen Gliederungen gefühlt. Die Portale,
ſich mannigfacher und lebendiger gliedernd, umzogen ſich in ihren
Archivolten mit reichem Schmuck; das ſchwere Würfelcapitäl
umlegte ſeine ungeſchmückten Flächen mit reizendem und phanta-
ſtiſchem Ornament, Bandſtreifen oder Laubgewinde ſchlangen ſich
durcheinander herum in künſtlicher, aber muſterhafter Ordnung,
und dazwiſchen trieben wieder jene ſeltſamen Thiergeſtalten, bald
frei ſich bewegend, bald in Laubwerk übergehend und ſich verlau-
fend, ihr Spiel der Laune. Erſt farbiger Schmuck, dann Reliefs
und Einzelfiguren belebten die Flächen, die Portale und andere
Stellen; Capitäle und Laubwerk blitzten in Vergoldung; die
Fenſter füllten ſich mit Maßwerk, und durch die bunten, gemalten
Scheiben brach ein magiſches Flimmerlicht, das mit ſeinem unge-
wiſſen, farbigen Lüſtre harmoniſch ſtimmte zur verzückten Andacht
der in ſchwärmeriſches Sinnen verſunkenen Seele. —


Es iſt natürlich, daß die ganze äußere Erſcheinung der
Menſchenwelt, aus deren veränderter geiſtigen Richtung alle dieſe
Umwandlungen vor ſich gingen, in gleichem Maße den Umſchwung
[83]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
zu erkennen gab, umſomehr als die nun zur Herrſchaft gekommene
Frauenwelt ohnehin auf dieſem Gebiet zu allen Zeiten und bei
allen Völkern die größere und bedeutendere Rolle geſpielt hat. Die
Frauen treten daher auch in unſrer Darſtellung dieſer Periode
durchaus in den Vordergrund. Wie ſich in der Geſellſchaft ein
neues, blühendes und farbenglänzendes Leben dem Frühling gleich
entwickelt, wie der Schmuck ſich aus dem Rohen, Schweren und
Ueberladenen zum geläuterten Kunſtſinn herausarbeitet, wie die
Gefühle und Empfindungen, die Sprache und die Weiſe des Um-
gangs ſich verfeinern und in zierliche Formen kleiden: ſo ändert
ſich auch in demſelben Sinne die äußere Erſcheinung des einzel-
nen Menſchen; aus dem Reizloſen und faſt Barbariſchen, wie wir
ſie im elften Jahrhundert verlaſſen haben, gelangt ſie zur Grazie,
zu gefälliger Eleganz, ja entwickelt ſich zu plaſtiſcher Schönheit.


Zunächſt hat ſich, wovon wir nur Andeutungen im Zeitalter
Karls des Großen fanden, eine bis ins Kleinſte gehende Schön-
heitslehre
in der höfiſchen Dichtung herausgebildet, welcher
die Kunſt nach Kräften zu entſprechen ſucht. Das Nibelungenlied,
welches, auf älterer Grundlage ruhend, von einzelnen Stellen
des ſpäteren Bearbeiters abgeſehen, im Ganzen uns einen Cul-
turzuſtand vorführt, den wir ſpäteſtens als den Uebergang zur
Periode der Minne und des höfiſchen Ritterweſens bezeichnen dür-
fen, begnügt ſich mit allgemeinen Vergleichen und der Angabe
des Eindrucks, den die Schönheit auf den Schauenden ausübt.
Gelegentlich ſpricht es auch wohl von Brunhildens weißen Armen,
und von der roſenrothen Farbe und den weißen Händen der
Chriemhilde. Die Hauptſchilderung lautet aber anders. So geht
Chriemhilde einher wie das Morgenroth, das aus trüben Wolken
bricht; ihr Anblick ſcheidet manchen, der ſie im Herzen trägt und
ſie nun in Herrlichkeit ſtehen ſieht, von ſeiner Noth. Oder ſie
wird mit dem Mond verglichen, und wie dieſer in lichter Klarheit
vor den Sternen ſteht und mit lauterem Schein durch die Wolken
bricht, ſo ſteht ſie vor den andern Frauen und erhöhet den Muth
manches Helden. — Zu Schiedsrichtern im Reich des Schönen
macht das Nibelungenlied die Kenner der Frauen und die Weiſen,
6*
[84]II. Das Mittelalter.
jene, welche der blendenden Erſcheinung Brunhildens den Vorzug
geben, und dieſe, welche dem ſtill gewinnenden, aber ewig feſſeln-
den Reiz der Chriemhilde den Preis zugeſtehen.


Es ſind wenige unter den höfiſchen Dichtern, welche den
Weiſen des Nibelungenliedes gleich den dauernden Liebreiz der
äußern Formenſchönheit vorziehen. Nur Walther von der Vogel-
weide meint, daß nach Schönheit nur ein Thor jage, denn auch
der Haß könne in ſchöner Bruſt wohnen; Liebreiz gebe Schönheit
und dem Herzen Luſt zugleich; Schönheit allein mache nie ein
Weib liebenswerth. Andere, wie der ſeltſame Ulrich von Liechten-
ſtein, bemühen ſich an ihrem Ideal beides aufzufinden; ſeine
Frau, die ſchönſte aller Frauen, mit braunen Brauen und weißem
Leib, deren ſüßer und heißer Mund röther blühet denn die Roſe
und ſo keuſchlich lächelt, ſie iſt loſe mit Züchten, ſie iſt gut, keuſch,
fröhlich, ſtet, züchtereich und von weiblichem Gemüth; ihre ſüßen
Gebärden, ihr Mund und ihrer Augen Licht, wenn ihn die an-
lachen, da ſieht man ihn hohen Muthes. Auch Wolfram von
Eſchenbach erhöht den Reiz der äußern Schönheit durch Eigen-
ſchaften der Seele, wie er Demuth wohnen läßt im Herzen der
Repanſe de Schoie, der Trägerin des Grals, die ſo ſchön war,
daß ihre Weiße den Schnee zu ſchwärzen ſchien. Die meiſten Dich-
ter aber, insbeſondere die Epiker der ſpäteren Zeit, laſſen die
äußeren Gaben immer in den Vordergrund treten und ergehen ſich
in der Schilderung derſelben gern in behaglicher Breite. Sie blei-
ben ſich in den Einzelheiten völlig gleich und variiren ſelbſt ſehr
wenig in den Vergleichen ſo daß wir daraus erſehen, wie ſich die
conventionellen Anſichten von der Schönheit im Geſchmack voll-
kommen feſtgeſtellt haben.


Völlig entſprechend der Veränderung, welche, wie wir ſehen
werden, den Fortſchritt in der Entwicklung der Kleidung bezeich-
nete, war für die ganze Figur, um als ſchön zu gelten, Schlank-
heit durchaus erforderlich. Bei einer Fülle der Büſte und der „zart
gedrollenen“ Hüften, die ſich innerhalb der Gränzen der maßvoll-
ſten Schönheit hielt, mußten die Seiten lang ſein, der Leib in der
Taille zart und fein und ſchmal:


[85]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
„Ihr wißt, wie Ameiſen pflegen

Um die Mitte ſchmal zu ſein,

Noch ſchlanker war das Mägdelein,“

ſagt Wolfram von Eſchenbach von der ſchönen Antikonie. Im
Ortnit wird die kaiſerliche Prinzeſſin geſchildert: von rechter
Größe, ſchmal zu beiden Seiten und von den Schultern bis zu den
Füßen gedreht wie eine Kerze. Auf dieſer Schlankheit und Zier-
lichkeit der Taille beruhte die Grazie in Gang und Bewegung,
daher die Damen um die Mitte „ſchwank“ genannt werden, gleich
dem Rohr, das ſich grazios im Waſſer bewegt.


„Die Maget war zu Maße lang,

Inmitten ſchmal und rund und ſchwank,“

das iſt die Frau Abenteuer bei Peter Suchenwirt. Durch den
Schnitt der Kleidung half man der Natur nach. Die Plaſtik, die
ſich in dieſer Periode aus der früheren Roheit raſch zur Höhe ent-
faltet, führt uns alle Frauengeſtalten in dieſem Geſchmack vor:
ſie ſind durchaus ſchlank und in den Hüften leicht und elaſtiſch
bewegt. Den Höhepunkt dürften unter andern die lieblichen klu-
gen und thörichten Jungfrauen an der Brautthür der Nürnberger
Sebalduskirche bezeichnen, deren Entſtehung den Bildern der
Maneſſiſchen Liederhandſchrift gleichzeitig in den erſten Anfang
des vierzehnten Jahrhunderts fällt. —


Für die Hautfarbe wurde in Deutſchland und Frankreich
durchaus Roth und Weiß verlangt. Leib, Arme, Hände und
Schläfen mußten weiß ſein, ſchwanenweiß, weiß wie Elfenbein,
Hermelin, Schnee und Lilien — die Dichter ſind nicht arm an
dieſen Vergleichen. Auf den vollen Wangen aber ſollten die friſchen
Roſen blühen, wie Kondwiramur, Parzivals ſchöne Gemahlin,
von Wolfram geſchildert wird:


„Alſo ſaß des Landes Frau,

Wie erquickt von ſüßem Thau

Die Roſe aus der zarten Hülle

Hebt des Schimmers friſche Fülle,

Der zumal iſt weiß und roth.“

[86]II. Das Mittelalter.

Die Weiße und Röthe ſollten ſich gegenſeitig durchdringen und in
dem Maße gemiſcht ſein, daß die Röthe „den beſſern Theil hat.“
Auf den Miniaturen dieſer Zeit, bei denen die nackten Theile ge-
wöhnlich ungefärbt gelaſſen ſind, finden wir doch auf den Wan-
gen der Frauen nicht leicht den rothen Fleck vergeſſen. Die engliſchen
Damen machten in dieſem Geſchmack eine Ausnahme; ſie liebten ſchon
damals wie noch heute mit ariſtokratiſchem Tick die blaſſen Wangen
und ſuchten ſie künſtlich herbeizuführen, wenn die Natur ſie allzu-
freigebig mit der Farbe der Geſundheit beſchenkt hatte. Mittel
gab es mancherlei, ſowohl in Geſtalt von weißen Schminken, als
Waſſer und Eſſenzen zum Waſchen und zum Trinken. Auch wur-
den Hunger und Aderlaß zu dieſem Zwecke angewandt. Umgekehrt
bediente man ſich in Deutſchland, Frankreich und Italien für die
Wangen der rothen Schminke, und um ſich dauernd zu färben,
fanden es die Franzöſinnen für gut, tüchtig und kräftig zu früh-
ſtücken, während die deutſchen Damen, der Leidenſchaft ihres Lan-
des getreu, dem Weine zuſprachen. Im alten Volkslied heißt es
vom Rheinwein:


„Schenk du ein!

Trink, gut Kätterlein,

Machſt rothe Wängelein.“

Beſonders waren damals die Florentinerinnen berühmt als Mei-
ſter in der Geſichtsmalerei. Die Mittel, wodurch man dem Teint
nachzuhelfen ſuchte, waren ſchon im Nibelungenlied ſo bekannt,
daß der Dichter von den Frauen am Hofe Rüdigers rühmend ſa-
gen konnte, daß man wenig gefälſchte Frauenfarbe dort gefunden
habe. Sie wurden ſammt den Salben, mit denen man die Run-
zeln ausſchmierte, in dieſer Schönheit bedürftigen Zeit ſo zahlreich
— es werden dreihundert angegeben —, und ihr Gebrauch dehnte
ſich in dem Maße aus, daß die Geiſtlichkeit für nöthig hielt, da-
gegen zu Felde zu ziehen. Ihr Grund, den ſie anzuführen pflegt,
iſt etwas eigenthümlicher Art. Die Frau, ſagen ſie, welche eine
fremde Farbe auf ihr Geſicht aufträgt, die will ein Geſicht haben,
wie es der Maler macht, aber nicht, wie es ihr Gott erſchaffen hat:
ſie verleugnet alſo Gott. So ſagt auch Bruder Berthold, der Pre-
[87]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
diger: „Pfui, ihr Färberinnen und ihr Gilberinnen (die das Haar
gelb färben), wie gerne ihr zu dem Himmelreich möchtet kommen!
Ihr ſeid aber fremde Gäſte zu dem Himmelreich. Denn ihr habt
Gottes verleugnet und davon verleugnet er eurer auch.“ Ein ander
Mal ſagte er: „die Gemalten und die Gefärbten, die ſchämen ſich
ihres Antlitzes, das Gott nach ſich gebildet hat; ſo wird auch er ſich
ihrer ſchämen und ſie werfen in den Grund der Hölle.“ Scherz-
hafter Weiſe wurde dieſe Fehde der Geiſtlichen in einem gleichzei-
tigen Gedicht ſo aufgefaßt, als ob die Mönche, bis dahin die
ausſchließlichen Beſitzer der Malerei, in ihrem Privilegium durch
das Bemalen der lebendigen Geſichter Eintrag erlitten. Sie kla-
gen deßhalb vor Gottes Thron, daß die rothangeſtrichenen Frauen
ihre rothwangigen Heiligenbilder in der Kirche überſtrahlten, und
verlangen, Gott ſolle ihnen das verbieten. Die Frauen meinen,
ihr Recht ſei älter als die Heiligenmalerei, und ſie nähmen den
Mönchen nichts, wenn ſie die Runzeln verſtrichen, um die Män-
ner länger am Narrenſeil führen zu können. Gott iſt gnädig ge-
ſinnt und will den Frauen das Recht des Bemalens vom fünf-
undzwanzigſten Jahre an gerechnet noch auf fernere zwanzig zu-
geſtehen. Dieſem Vorſchlage widerſetzen ſich die Mönche und wol-
len nur zehn Jahre gewähren, und auch das nur aus überflüſſiger
Gnade. Durch einen Vergleich werden endlich den Frauen funf-
zehn Jahre zugeſtanden.


Von der Haut verlangte man neben der blanken Glätte, Rein-
heit, Weiße und linden Weichheit noch Feinheit und Durchſich-
tigkeit, daß man am Halſe den rothen Wein durchſchimmern ſehen
konnte, wenn eine ſchöne Dame trank. Dieſe Vorzüge zu erhalten,
brauchte man als Waſchmittel gekochtes und wieder abgekühltes
oder von Lilien, Bohnen und anderm abgezogenes Waſſer; es
gab auch Mittel gegen Narben und Sommerſproſſen und ſonſtige
Flecken und Unreinheiten der Haut. Der Gebrauch der Bäder zu
dieſem Zweck pflanzte ſich durch das ganze Mittelalter fort. Jede
größere Wohnung hatte ihre im Winter geheizte Badeſtube, wäh-
rend die kleineren ſich mit Badewannen begnügen mußten. Wer
keinen eigenen Herd hatte, beſuchte die öffentlichen Badeſtuben
[88]II. Das Mittelalter.
wenigſtens einmal wöchentlich. Der Tannhäuſer that das zwei-
mal, wie er in einem Gedicht erzählt, und das nahm nebſt ſchö-
nen Weibern und leckerem Frühſtück ſeinen Geldbeutel ſtark in
Anſpruch. Gäſten, die von der Reiſe kamen, wurde von ihren
Wirthen zuerſt ein Bad bereitet. Die Bedienung geſchah hier wie
in den öffentlichen Badſtuben von Frauenhänden. Der Badende
wurde erſt mit lauem Waſſer gewaſchen, dann übergoſſen, gerie-
ben und geknetet. —


Den Kopf bildeten die geiſtlichen Künſtler, die Bildhauer
ſowohl wie die Maler, welche letzteren es mit weniger geſchickter
Hand jenen gleichzuthun trachteten, im Ganzen in mehr rundli-
chen und weichen Formen, der deutſchen Natur getreu, der ſie
ſicherlich nachgearbeitet haben. Die Antike iſt völlig von der
neuen, originell auflebenden Kunſt vergeſſen. Das Oval des
Geſichts nähert ſich bedeutend dem Runden, die Stirne iſt hoch
und rund gewölbt, der Stirnknochen über dem Auge rund gear-
beitet, die Naſe, fein und nicht lang, zieht ſich nach einem Anſatz
von leiſer, ſanfter Einſenkung in grader Linie herab, die Wan-
gen ſind voll und rund, der Mund klein, doch voll, das Kinn
fein, gerundet und ſelbſtſtändig, mit gerundeter Vertiefung zwi-
ſchen ihm und der Unterlippe. Die Dichter ſtimmen mit dieſer
Bildung des Kopfes völlig überein, obwohl ſie von der Farbe
gewöhnlich mehr und poetiſcher zu reden wiſſen als von der Form.
Sie beſchreiben die Stirn als weiß, offen, klar und gewölbt,
die Naſe eher klein als lang und nicht oder ein klein wenig ge-
bogen, die Wangen voll, aber „zart gedrenget“ und blühend,
und das Kinn „wohlgeſtellet zu der Minne“, rund und weiß wie
Alabaſter, auch wohl mit einem Grübchen, wie mit dem Finger
gedrückt. Der kleine, ſchwellende, kußliche Mund, der jeden
Kummer vergeſſen macht, ſtand der ſchönen Hero — nach dem
mittelalterlichen Gedicht — wie ein lichter Rubin, als ob er in
Feuer entzündet wäre. Ulrichs von Liechtenſtein geliebten Frau
iſt er heiß und ſüß, röther denn eine Roſe. Glühend und bren-
nend wie ein Rubin, roſenfarben, mit Roſen beſtreut, blutroth,
feuerroth als könne man Feuer daraus ſchlagen, glühend und
[89]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
roth wie keine Blume im Kranz — ſo ſind die gewöhnlichen Be-
zeichnungen des Mundes. Süßer Athem ſollte aus ihm hervor-
gehen. Die Reihe der lichten Zähne ſchildert Wolfram von
Eſchenbach bei Jeſchute, der ſchönen Gemahlin des Herzogs Ori-
lus de Lalander, als „ſchneeweiß, zuſammen dicht gefügt und
klein“; ſonſt werden ſie noch eben und geſund genannt und mit
dem Elfenbein verglichen. Als Eigenſchaften der Ohren gelten
Kleinheit, Weiße und ovale Rundung. Die Brauen und die
Wimpern ſollen braun ſein, um ſich durch den Gegenſatz zu der
lichten Farbe des Geſichts und dem blonden Haare bemerklich zu
machen. Es bekundet das ein feines Gefühl für den geiſtigen
Ausdruck der Schönheit, denn wenn die Brauen hell gegen Stirn,
Wangen und Haare abſtechen, ſo erſcheint das Geſicht todt oder
büßt wenigſtens an lebendigem Ausdruck ein. Die Linie der
Brauen, fein, „wie mit dem Pinſel geſtrichen“, ſteht Anfangs
ziemlich grade über dem Auge, dann verliert ſie ſich nach den
Schläfen zu in einem ſanften, leiſen Bogen. Auf den Malereien
iſt die Linie häufig ein reiner Bogen.


Die Augen ſollen weit geſtellt ſein. Die blaue Farbe hat
in dieſer Zeit ihren Werth verloren; man liebt ſie braun, aber
hell und klar,


„Zwei Augen, braun nach Falkenart,

Darin das Weiße ſich nicht ſpart.“

Wenn die Augen der Frauen mit denen ihres Lieblingsvogels,
des Falken, oder mit denen des Adlers verglichen werden, ſo ſoll
damit außer der Größe und der hellen Farbe, die zu verſchiedenen
Zeiten wie bei verſchiedener Seelenſtimmung des Menſchen an-
dern Charakter anzunehmen vermag, auch das Seeliſche, faſt
Träumeriſche des Blickes angedeutet werden, der aus der Tiefe
kommt und in die Tiefe dringet, hinter welchem man eine ganze
Welt von Gedanken und Gefühlen zu ahnen glaubt. Die Augen
ſollen leuchten wie der Sterne Schein; ihre freundlichen, lachen-
den Blicke machen alles Leid vergeſſen. In den Zeichnungen
ſind die Augen meiſtens lang gezogen, wie lang geſchlitzt, und
die Lieder ein wenig geſenkt — was in der altvenetianiſchen
[90]II. Das Mittelalter.
Schule dieſer Zeit zum vollen Kunſtſtil ausgebildet iſt —, ſodaß
ſie dadurch den Ausdruck des Schmachtens, des Gefühlvollen,
der Hingebung in der Liebe erhalten. Wie es noch heut auf der
Bühne und im Leben geſchieht, liebten und verſtanden es die
Engländerinnen ſchon damals dieſen Ausdruck zu verſtärken.
Selbſt die großäugigen Madonnen der Kunſt, die früheren hohen
Himmelsköniginnen mit dem ſtarren Herrſcherblick der Majeſtät,
ſie werden mit geneigtem Haupt und geſenkten Augenliedern
menſchlich liebende Mütter und — menſchlich ſchmachtende Jung-
frauen.


Das blonde Haar war glücklicher als die blauen Augen,
es behauptete ſich in unvergänglichem Ruhm, ſodaß es nöthigen-
falls, wenn die Natur ungnädig es verſagt hatte, wie in alten
Zeiten durch Färben hergeſtellt wurde. Doch war das braune
nicht daneben verachtet, wie wir im Parzival von Gawans
Schweſter Itonje ſehen:


„Die den rothen Mund, das braune Haar

Ihr ſeht bei hellen Augen tragen.“

Sonſt ſind die Dichter voll vom Lobe des blonden Haares, und
goldfarben, goldglänzend, gleich geſponnenem Gold, ſo und ähn-
lich lauten die Beiwörter. Fein wie Geſpinnſt und lockig ſollte
es ſein,


„Als Gold geſponnen war ihr Haar,

Gedoldet als die Träubel,

Und ſchimmert als die Läubel,

Die reich vor Golde zittern.“

So lang wünſchte man es, daß man ſich drein hüllen konnte.
Die Eigenſchaften eines ſchönen Scheitels ſind Schmalheit und
Weiße. — Auch der Männer Schmuck war das blonde Haar,
der damaligen freien Haartracht entſprechend. Rührend iſt die Scene,
wie die Seeräuber von der Jomsburg, endlich gefangen genommen,
in langer Reihe zum Tode bereit daſitzen, und als die Reihe des
Sterbens an den jüngſten, den blondgelockten, kommt, dieſer
bittet, man möge ſein ſchönes Haar zuvor aufbinden, damit es
nicht blutig werde. — Die Künſtler dieſer Zeit, die Verfertiger
[91]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
der Miniaturen, malen ohne Ausnahme das Haar immer gold-
blond; es ſei denn, daß ſie mit anderer Farbe einen Mangel des
Standes, des Charakters oder die Abkunft von einer fremden,
barbariſchen Nation ausdrücken wollen. —


Welchem Stande jemand angehörte, ſuchte man ſchon da-
mals an den Armen, Händen und Füßen durch unterſchei-
dende Merkmale in der Form oder auch durch größere Sorgfalt
in der Behandlung zu erkennen. Zur vollen und feinen Schön-
heit mußten ſie „hovelich“, ritterlich, oder nach unſerer Ausdrucks-
weiſe ariſtokratiſch ſein. Bei der Hand waren die dazu erforderli-
chen Eigenſchaften außer der Weiße und Weichheit — die weiße,
linde Hand kommt unzählige Male vor — grade wie heute noch
die Kleinheit, die längliche und ſchmale Form, nebſt langen, gra-
den, glatten Fingern mit glänzenden, glühenden, gerötheten Nä-
geln, in denen ſich das Geſicht ſpiegeln konnte. So werden in
einem Gedicht dieſer Zeit — mitgetheilt in von der Hagens Ge-
ſammtabenteuern — die Hände einer ſchönen Meierin geſchildert
als weiß, ariſtokratiſch und lang und darum einer Gräfin wür-
dig. So ſagt auch Peter Suchenwirt von der ſchönen Frau
Abenteuer:


„Sie war geboren von reiner Art,

Ihr Händel weiß, ihr Fingerl lang.“

Daß die Damen Englands ſich ſchon zu jener Zeit durch dieſen
Vorzug vor denen anderer Völker auszeichneten, erfahren wir aus
einem Gedicht Kaiſer Friedrichs II., der dieſe Eigenſchaft an
ihnen rühmt; er konnte hier aus Erfahrung ſprechen, da ſeine
zweite Gemahlin bekanntlich eine Prinzeſſin dieſes Landes war.
— Auch für die Arme ſtellte man die Forderung des Ritterlichen
oder Höfiſchen auf; man verlangte Weiße, Weichheit, Länge,
ſchöne Rundung und gemäßigte Fülle. Eine ariſtokratiſche Eigen-
ſchaft der Füße war außer der Weiße, Kleinheit und Zierlichkeit
die hohe, gebogene Form des Riſtes, ſodaß unter demſelben ſich
eine Höhlung bildete, groß genug, um einen Zeiſig zu verbergen.
So wird im Wigamur der Fuß der Königin Nyfrogar geſchildert,
die ihre hohe Abkunft auch durch weiße Händlein und lange Fin-
[92]II. Das Mittelalter.
ger bekundete, und ebenſo heißt es von den Füßen der griechiſchen
Prinzeſſin Ute, wie ſie dieſelben dem vor ihr ſitzenden König Ro-
ther in den Schooß legt:


„Die Füßlein waren zierlich und in der Mitte hohl.“

Ein platter, flacher Fuß war Zeichen gemeinen Standes, wie er
noch heute in Amerika als eine durchgängige Eigenſchaft des Ne-
gers gilt, der mit der Mitte des Fußes ein Loch in den Boden
drückt, ſtatt mit Ferſe und Ballen. — Hals und Nacken muß-
ten weiß ſein und von vollendeter Rundung, die Brüſte hoch-
ſtehend, weiß, klein, wie gedrechſelt.


„Zwei Brüſtel als zwei Birel

Geſchmieget an ihr Herzel zart.“

Die Beine der ſchönen Phyllis, die den weiſen Ariſtoteles zum
Liebesnarren macht und Morgens in der Frühe durch das thauige
Gras vor das Fenſter Alexanders reitet, werden beſchrieben „wei-
ßer als Schloſſen, grader als eine Kerze und blank ohn’ alle
Schwärze.“ —


Mit dieſer im Detail völlig ausgebildeten und einer feinen
Cultur angehörenden Schönheitslehre ſteht der Eindruck, den die
Dichter die Erſcheinung einer ſchönen Frau auf die Herzen der
Schauenden machen laſſen, in Einklang; die Zeit hat nicht bloß
eine kühle Theorie entwickelt, ſie iſt ſelbſt von der Empfindung
wahrer Schönheit im Innerſten mächtig ergriffen. Keiner hat das
ſchöner ausgeſprochen als Walther von der Vogelweide in ſeinem
Lobgedicht auf die Frauen:


„Durchſüßet und geblümet ſind die reinen Frauen,

Es ward nie nichts ſo Wonnigliches anzuſchauen

In Lüften, auf Erden, noch in allen grünen Auen.

Lilien, Roſenblumen, wo die leuchten

Im Maienthau durch das Gras und kleiner Vögelein Sang,

Das iſt gegen ſolche wonnereiche Freude krank.

Wo man eine ſchöne Frau ſieht, das kann trüben Muth erfeuchten

Und löſchet alles Trauren an derſelben Stund.

So lieblich lachet in Liebe ihr ſüßer, rother Mund,

Und Strahlen aus ſpielenden Augen ſchießen in Mannes Herzens Grund.“

[93]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.

„Was ſind alle Wonnen des Mais,“ ſo ruft derſelbe Dichter aus,
„und der Vögelein Sang gegen eine ſchöne Frau! Wir laſſen alle
Blumen ſtehn, und gaffen an das werthe Weib.“ Und wenn er
zwiſchen beiden wählen ſollte,


„Ahi, wie ſchnell ich dann köre!

Herr Mai, ihr müßtet Märze ſein, eh ich meine Frau da verlöre.“

In dieſem Sinne ſind auch die allgemeinen Ausdrücke von der
Schönheit: wenn die Strahlende, Sonnenweiße, Glänzendar-
mige, deren Antlitz leuchtet wie ein Spiegel, erſcheint, daß die
ganze Halle wiederſtrahlt oder der Sonne ihr Schein genommen
wird, da ſchweigen alle, Vogel und Thier, und Berg und Wald
neigen ſich, und wem ſie giebt ihren Gruß, der iſt ledig aller
ſchlechten Traurigkeit. —


Die männliche Schönheit wird von den Dichtern der hö-
fiſchen Zeit beſtändig im Sinne der weiblichen geſchildert. Es iſt
das höchſt charakteriſtiſch für die Periode des Frauencultus, wo
alles ſociale und geiſtige Leben vom Einfluß der Frau durchdrun-
gen und beherrſcht iſt. Eine männliche Erſcheinung von helden-
mäßigem Wuchs, von hoher Bruſt und ſtrotzender Muskelkraft,
deren Leidenſchaft und Charakter aus den kräftigen, ſtarken,
männlich ſchönen Zügen des Geſichts hervortritt, findet allenfalls
noch im Nibelungenlied Anerkennung, in welchem neben der
ebenſo holden wie ſtarken Sigfriedsgeſtalt noch ein Hagen für
ſchön gilt. Wohlgewachſen, breit an der Bruſt, mit langen Bei-
nen und herrlichem Gang wird er ſchönen Leibes genannt, ob-
wohl ſein Haar ſchon mit Grau gemiſcht iſt und er ſchrecklichen
Geſichts finſter drein ſchaut und mit geſchwinden Blicken ſeinen
grimmen Muth offenbart. Wie anders bei den ritterlichen Epi-
kern! Ihnen gilt nur der weibliche Reiz der friſchen Jugend. Der
junge Triſtan mit roſenrothem Munde, mit lichter Haut, klaren
Augen und hellbraunen Locken, und der junge Parzival, da er in
faſt knabenhafter, unbewußter Jugendſchöne von ſeiner Mutter
zum erſten Mal in die Welt entlaſſen wird, ſind ihre Ideale.
Weiße, blanke, wohlgeformte Hände von adliger Art, glänzende
Nägel, Lilien und Roſen auf den vollen Wangen, ein blühender
[94]II. Das Mittelalter.
Leib, kleine hohle Füße ſind ihnen die Erforderniſſe männlicher
Schönheit. Auch den Mann ſollte ein goldiges, gelocktes Haar
ſchmücken, während das rothe, feuerfarbene von der ſymboliſiren-
den Zeit, die gern vom Aeußern auf das Innere ſchloß, auf ein
falſches Herz gedeutet wurde. Die weißen Hände zeichneten auch
den Mann nach ſeinem Stande aus, und es wurde viel Pflege
und Sorgfalt an ſie gewendet. „Sollte ich vom Pflügen ſchwarze
Hände tragen,“ meint der Meierſohn Helmbrecht, der nach adliger
Art leben will, „ſo hätte ich große Schande, wenn ich tanzte an
Frauen Hand.“ Die provençaliſche Liebeslehre und Liebeskunſt
ſchreibt vor, daß die Hände ſauberer zu halten ſeien, als jeder
andere Theil des Körpers, denn ſie ſeien die Diener der ununter-
brochenen Dienſtesleiſtungen, welche die Liebe ausdrücken, von
der der Liebhaber durchdrungen iſt. — Wolfram beſchreibt des
Königs Vergulacht Lieblichkeit, als ſähe man den Mai blühen in
der Roſenzeit, und ſein Held Parzival bannt mit der Farbe ſeiner
Wangen den Wankelmuth der Frauen und weiß mit ſeinem
Glanz Augen und Herzen feſtzuhalten. Doch geſteht er der blin-
den Liebe Ausnahmen zu und läßt die wunderſchöne Königin des
Grals, Repanſe de Schoie, von Liebe zu dem gefleckten Feirefis
erglühen, wie einſt deſſen Vater Gahmuret in ſeine Mutter, die
ſchwarze Mohrenkönigin von Zazamank, ſich verliebt hatte. —


Die reichen und lockenden Bilder der Schönheit, welche uns
die Dichter vorführen, werden in charakteriſtiſcher Weiſe durch
Bilder der Häßlichkeit ergänzt, wie ein Gegenſatz den andern er-
läutert. Doch geſchieht es in ſparſamer Weiſe, da ſchon die bloße
Schilderung einer häßlichen Frau als Beleidigung des ganzen
ſchönen Geſchlechts angeſehen werden konnte. Wolfram von
Eſchenbach ſchildert mit ſichtlichem Wohlgefallen die Hexe Kon-
drie im Parzival, obwohl er ſich vorher höflichſt gegen die Da-
men entſchuldigt, daß er ſo „wider die Zucht“ von einer Frau
ſprechen müſſe. Dieſes „Hagelſchauer der Freuden“ war denen
nicht gleich, ſo man „beau gens“ nennt; ihr langer, ſchwarzer
und feſter Zopf ſchwang ſich über den Hut bis auf den Rücken
des Maulthiers, das ſie ritt; er war nicht allzuklar und lind wie
[95]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
das Rückenhaar der Schweine. Ihre Naſe glich der eines Hun-
des, und aus dem veilchenblauen Munde ragten ihr zwei ſpan-
nenlange Eberzähne. Ihre Augen hatten die Gelbe des Topaſes,
jede Augenbraue ſchwang ſich nieder in langen Zöpfen. Ohren
hatte ſie wie ein Bär, und ihr rauhes Antlitz, deſſen Haut durch
die Haare hindurch die Sonne nicht zu ſchwärzen vermochte,
ſcheuchte jedes zärtliche Begehren. Die Farbe ihrer Hände glich
der Haut des Affen, und die Nägel waren glanzlos und wie Lö-
wenklauen. Wir glauben dem Dichter gern, daß es ſelten Kampf
und Streit um dieſe „ſchöne Braut“ gegeben. — Sie hatte einen
Bruder, genannt Malkreatür, in allem ihr ähnlich; auch er trug
links und rechts die Hauzähne des Ebers, und ſein Haar glich
Igelsborſten, ſcharf wie Glas, welches die Hand Gawans blutig
machte, als er ihn dabei ergriff und zu Boden warf. — Im
Iwein wird der Bauer, welcher die wilden Thiere hütet, als Bild
abſchreckender Häßlichkeit geſchildert. Auf dem dicken Kopfe hatte
er rußfarbenes, ſtruppiges Haar, welches an Haupt und Bart
ganz und gar mit der dicken Schwarte verwachſen war. Sein
breites Antlitz war mit tiefen und weiten Runzeln bedeckt. Bart-
haar und Brauen waren lang, rauh und greis, ſeine Ohren breit
wie eine Wanne, die Naſe groß wie beim Ochſen, kurz und weit,
das Antlitz dürr und flachgedrückt, das Auge roth, der Mund
weit geſchlitzt und mit langen und weit herausragenden Eberzäh-
nen. Das Haupt hing ihm herunter, als ob das rauhe Kinn in
die Bruſt wüchſe, dagegen war ſein Rücken hinaufgezogen, und
bog ſich mit einem Höcker aus. An Farbe glich er einem Moh-
ren. —


Körperliche Häßlichkeit repräſentirt in dieſer Zeit zugleich
niedrige Geburt und moraliſche Schlechtigkeit. Mit den höfiſchen
Dichtern, denen ein edelgeborner und edelgeſinnter Mann nie
häßlich und ein gemeiner Bauer oder Böſewicht nie ſchön iſt,
ſtimmt die Kunſt überein. Noch in der Malerei und der Sculptur
des funfzehnten Jahrhunderts iſt das Laſter, die Schlechtigkeit
und die Bosheit immer häßlich dargeſtellt. Auch in der Heidel-
berger Handſchrift des Sachſenſpiegels, welche gegen Ende des
[96]II. Das Mittelalter.
13. Jahrhunderts angefertigt worden, hilft ſich der Zeichner der
Bilder in dieſer Weiſe, wenn er die Stände charakteriſirend un-
terſcheiden will. Der Bauer hat kurzes, ſchlichtes oder wollig krau-
ſes Haar und ein häßliches Profil mit einer plumpen, einwärts
gebogenen Naſe, deren dicke Spitze weit heraustritt; auch der
Mund iſt möglichſt unſchön gezeichnet und meiſtens ſteht die
Oberlippe weit vor. Ganz ebenſo wird auch der Sohn eines Ad-
ligen bildlich dargeſtellt, wenn er von ſeiner Mutter her dem
Vater nicht ebenbürtig iſt, um in dieſer ſeiner Eigenſchaft alſo-
gleich erkannt werden zu können. — —


Dem großartigen Umſchwunge gegenüber, der das Leben
und die geſammte Anſchauungsweiſe der abendländiſchen Völker
in dieſer Periode umſchuf, dürfte die Veränderung gering erſchei-
nen, welche das Trachtenweſen, wie es in gleichem Stil und faſt
gleichen Formen die weſtliche Chriſtenwelt beherrſchte, in ebenſo
gleicher Weiſe traf. Denn wohl kein einziges neues Kleidungs-
ſtück wurde erfunden — wie das überhaupt ein ſchweres und
ſeltnes Ding iſt —; jede Umänderung geſchah nur an dem Al-
ten, deſſen Grundform immer erkennbar bleibt. Und dennoch
wandelte ſich der ganze Charakter um. Mit dem Anfang dieſer
Periode beginnt auch das Werden einer ſpezifiſch mittelalterlichen
Tracht, die immer als eine originale zu bezeichnen iſt. Die faſt
barbariſche Rohheit und Formloſigkeit wich in allmähligem Wer-
den der plaſtiſchen Schönheit; an die Stelle der Ueberladung
trat feine Eleganz, an die Stelle gefühlloſen Ungeſchmacks freie
Anmuth und natürlicher Reiz.


Das alles geſchah unter dem ſittigenden und verfeinernden
Einfluß der Frauenherrſchaft. Wo ihre Hände und ihr feinfüh-
lender Sinn regieren, weicht die Rohheit ſcheu zurück. Mit ſich
ſelber fingen ſie die Beſſerung an, um in ihrer Erſcheinung auch
der ſchmachtenden Männerwelt ein der Verehrung würdiges und
die Anſprüche der Schönheit und der Sitte befriedigendes Bild
aufzuſtellen. Im elften Jahrhundert hingen, wie wir geſehen
haben, die untere und obere Tunica, ſenkrecht in ungebrochener
Linie herabfallend, in ſackähnlicher Weite platt und flach um den
[97]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Leib, ohne daß ſie durch ſchönen Faltenwurf dem ſtrengen Schön-
heitsgefühl in claſſiſch-antiker Weiſe Genüge thaten, noch durch
anſchmiegende Umziehung der Körperformen die trunkenen Augen
des Liebhabers an der ſchönen Geſtalt ſich weiden ließen und die
Bewunderung des Kenners zu feſſeln wußten. Dieſe Mängel
ſollten noch durch den Glanz der breiten Goldborten und das
Blitzen der Edelſteine erſetzt werden. Die Frau des elften Jahr-
hunderts war, das Geſicht ausgenommen, in ihrem Aeußern eine
des Reizes und der Anmuth entbehrende Erſcheinung. Das än-
derte ſich nun in beiden Beziehungen. Einerſeits ſchmiegte ſich
nunmehr die Kleidung am Oberkörper den Formen an, daß ſie
in voller Schönheit hervortraten. Andrerſeits wurde nach unten
hin die Kleidung länger und weiter und bot zu plaſtiſcher Ent-
wicklung des Faltenwurfs hinreichende Gelegenheit. Das eine
wie das andre geſchah mit freiem Bewußtſein, denn wie man der
Schlankheit und dem Streben, die Formen zu zeigen, durch
Schnüren zu Hülfe kam, zwar nicht durch eine Schnürbruſt, ſon-
dern durch das Einziehen der aufgeſchnittenen Kleider, ſo halfen
auch die Frauen mit kunſtreicher und kunſtſinniger Hand den
Falten nach. So muß aus dieſem Grunde Ulrich von Liechten-
ſtein, da er auf ſeiner Venusfahrt Frauenkleider anlegt, weibliche
Hülfe in Anſpruch nehmen.


„Ich führt ein Röckel, das war weiß,

Daran die Falten mit großem Fleiß

Von Frauenhänden waren gelegt.“

Ein anderes Mal legte er über den Harniſch ein „weiß gefalten
Röcklein“ an. Wenn die Dichter die ſchlanken und ſchwanken
Frauengeſtalten ſchildern, ſo erwähnen ſie häufig, daß die Ge-
wandung eng um den ſchmalen Leib geſchnürt iſt. Im Winter,
wo die Kleidung ſchwerer war und die Formen mehr verhüllte,
klagen ſie, daß ihnen dadurch der Anblick der Schönheit entzogen
werde. Im Sommer ſtand er alſo frei, während bei der Tracht
der vorigen Periode von demſelben hatte keine Rede ſein können.
Daß die Künſtler, durch den Anblick der Natur in ihrem Ge-
ſchmack gereinigt und in ihrem Formenſinn gebildeter geworden,
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 7
[98]II. Das Mittelalter.
die Frauengeſtalten in Gemäßheit dieſer Kleidung ſchlanker, na-
türlicher und ſchöner bilden, iſt bereits erwähnt. Wie hierin, ſo
iſt der Einfluß des ſie umgebenden Lebens auch in der Ausbil-
dung eines reinen Stils im Faltenwurf zu erkennen, welcher die
Plaſtik dieſer Periode vor der frühern und namentlich auch vor
der des funfzehnten Jahrhunderts auszeichnet und ſie darin, obwohl
in völlig unabhängiger Weiſe, der Antike nahe bringt. Die
nächſte Umgebung, das Leben ſelbſt bot dem künſtleriſchen Auge
Muſter plaſtiſcher Schönheit in Fülle, Muſter, die ungezwunge-
ner Weiſe mit Wahrung aller natürlichen Elaſticität des Körpers
die ſchönen Formen zeigten und zugleich in den ſanft geſchwun-
genen Linien und dem leichten Fluß des Stoffes das Geheimniß
des edlen Faltenwurfs enthüllten. So iſt es kein Wunder, wenn
die plaſtiſche Kunſt aus der oft abſchreckenden Roheit der ältern
Zeit ſich in unerwarteter Raſchheit zu ſolcher Höhe entwickelte,
wie ſie z. B. die Statuen im Naumburger Dom, die Figuren
der goldenen Pforte zu Freiberg und die klugen und thörichten
Jungfrauen an der Sebalduskirche in Nürnberg bekunden, welche
letzteren insbeſondere für den Faltenwurf muſtergültig ſind. Es
wirkte zu demſelben Ziele noch der Umſtand mit, daß als herr-
ſchender Stoff der Kleidung an die Stelle der früher ſo beliebten
und allgemein getragenen Leinwand die Wolle trat. Feine wol-
lene Stoffe bildeten auch die gewöhnliche Kleidung der vorneh-
men Stände, wenn auch die Dichter ihre Helden und Heldinnen
mit allen Koſtbarkeiten von Sammet und Seide zu umhängen
wiſſen, Koſtbarkeiten, die weither über das Mittelmeer aus den
ſarazeniſchen Ländern herbeigeführt wurden. Die ſchmalen, trock-
nen, parallelen Falten ſchwanden mit der Leinwand aus dem
Anblick der Menſchen und damit auch aus der Kunſt, während
mit der Wolle, die je nach ihrer Dicke oder Feinheit großartigen
oder ſanften und fließenden Wurf gewährte, auch in dieſer Be-
ziehung ein guter Geſchmack einkehrte.


Nur langſam folgt die männliche Tracht in ihrer Entwick-
lung der weiblichen. Sie ändert ſich dahin, daß ſie mehr und
mehr die formloſe Weite verliert und ſich den Formen des Kör-
[99]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
pers nähert. Andrerſeits aber unterwirft ſie ſich gewiſſermaßen
der Frauenherrſchaft, indem ſie mit anwachſender Länge, die in
der Höhezeit bis zu den Füßen herabreicht, man möchte ſagen,
weiblichen Charakter offenbart. Es iſt, wie der Ritter ſelbſt mit
ſeiner Hingebung, Schwärmerei und Verſenkung in die Welt der
Gefühle nur zu oft aus der männlichen Sphäre herausfällt und
in die des Weibes ſich begiebt. Wie aber der Frauencultus nur
die höfiſchen und ritterlichen Stände ergriff, und bei ihnen allein
die geiſtige Blüthe der Zeit in voller Ueppigkeit prangte, ſo ge-
langte auch das Trachtenweſen nur bei ihnen zu der angedeuteten
Entwicklung. Erſt am Schluß der Periode wurde das Bürger-
thum hineingezogen, während der Bauerſtand in einzelnen ge-
ſegneten Gegenden eine Carricatur daraus machte. In den un-
tern Schichten der Geſellſchaft blieb die kurze, aufgebundene Tu-
nica, der Rock des Mannes, und in der weiblichen Welt eine
weitere und weniger lange Kleidung herrſchend. Daneben hält
ſich auch bei einzelnen Matronen vornehmen Standes, noch bis in
viel ſpätere Zeit, eine weite und lange Kleidung, welche zwar durch
größere Maſſe und Faltenwurf die frühere Unſchönheit und Form-
loſigkeit vermeidet, die Glieder aber nonnenhaft ehrwürdig ver-
hüllt. Ueber den Hüften lag ein Gürtel, Haar und Kinn waren
durch Schleier oder Tuch verdeckt. Wir finden ſie häufig auf
Grabſteinen.


Die Liebe zum Schmuck, zur Anwendung von Gold und
Edelſteinen nimmt eine ähnliche Entwicklung wie die Kleidung.
Auch hierin verfeinert ſich der Geſchmack. Die alte Ueberladung,
die Luſt am bloßen Glanz und Gefunkel ragt noch ein wenig in
dieſe Periode herein. Vereinzelte Bilder von Männern und Frauen
zeigen ſie noch in der erſten Hälfte des zwölften Jahrhunderts.
Selbſt noch eine bedeutende Rolle ſpielen die Goldborten und der
Edelſteinbeſatz im Nibelungenlied, in welchem, wie der häufige
Gebrauch der Baugen lehrt, noch hier und da die heidniſche Ur-
zeit verklingt, während einzelne Schilderungen der Gewänder und
Stoffe und die Angaben ihres Urſprungs den Bearbeiter der hö-
fiſchen Zeit aufs deutlichſte verrathen. So heißt es z. B.:


7*
[100]II. Das Mittelalter.
„Viel der edlen Steine die Frauen legten in das Gold,

Die ſie mit Borten wollten nähen auf das Kleid

Den jungen ſtolzen Recken.“

Weit ſparſamer ſind die höfiſchen Epiker, und es geſchieht
vorzugsweiſe nur in Gedichten mit fremden Stoffen, daß ſie ihre
Helden und Heldinnen mit dieſem Schmuck begaben. Von dem
Gebrauch der Armſpangen bei Männern wiſſen ſie nichts mehr.
In jedem Falle ſind ſie mit dergleichen noch freigebiger als ihre
Zeit, denn die gleichzeitigen Miniaturen geben nur ſehr wenig
von dieſer Sitte zu erkennen. Schon die Bilder zum Hortus de-
liciarum
der Herrad von Landsberg aus der zweiten Hälfte des
zwölften Jahrhunderts zeigen ſie in beſchränkteſter Weiſe: nur
ein ſchmaler Goldſaum an Hals und Hand, ohne Edelſteinbeſatz,
ziert noch die Frauenkleidung. Etwas reicher iſt die Männerklei-
dung auf denſelben Bildern mit Goldborten beſetzt, und auch am
Königsornat finden ſich die Edelſteine, wie noch viel ſpäter. —


Zu einer vollſtändigen Frauenkleidung gehörten in der
vorigen Periode, im elften Jahrhundert, zwei Kleider, ein unte-
res
und ein oberes, und der Mantel. Das untere war das
nothwendige und ſtets gebotene, welches den ganzen Körper vom
Hals bis zu den Füßen bedeckte. Das obere Kleid war kürzer und
reichte nur etwas über das Knie herunter, ſodaß das untere hier
ſichtbar blieb und mit anderer Farbe wirkte. Aehnlich war es an
den Armen. Das Oberkleid hatte kurze, offene Aermel, mit de-
nen es nur den halben Oberarm in ziemlicher Weite umgab.
Mit ſeiner Kürze ging es noch ins zwölfte Jahrhundert hinüber.
So z. B. erſcheint es noch an der ſitzenden Relieffigur der Kai-
ſerin Beatrix, Gemahlin Friedrichs I., in Freiſing. Auf den be-
reits erwähnten Bildern der Herrad von Landsberg, alſo gegen
das Ende des zwölften Jahrhunderts, iſt es ſchon anders. Hier
reicht das Oberkleid zu den Füßen herunter, und das untere iſt
nur an den Armen ſichtbar, welche es bis zum Handgelenk völlig
umſchließt. Dieſes untere Kleid oder, wie wir daſſelbe mit
den Dichtern nennen wollen, der Rock, bildet auch jetzt das
Hauptkleidungsſtück. Man erkennt das daraus, daß es zuweilen
[101]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
auf Bildern allein vorkommt, ohne Oberkleid und ohne Mantel,
was freilich wenigſtens in der erſten Zeit dieſer Periode kaum ge-
ſchehen durfte, ohne daß ſich der Vorwurf der Leichtfertigkeit da-
mit verband. Es iſt daher die Tracht von Tänzerinnen und loſen
Dirnen, zu denen auch die Tochter der Königin Herodias gerech-
net wird, die auf einer Miniature vom Ende des zwölften Jahr-
hunderts vor dem Könige, ihrer Mutter und dem Hofſtaat wie
eine Gauklerin auf den Händen tanzt; ſie iſt vom Künſtler in
dem anſchmiegenden Rock allein dargeſtellt. Im Wigamur er-
ſcheint eine Dame zu Pferde ohne Oberkleid und ohne Mantel.
In ſolchen Fällen iſt auf den Bildern die Form des Rockes deut-
lich zu erkennen. Wie ſchon oben angedeutet, reicht er bis zum
Halſe hinauf und legt ſich an Arm und Oberkörper aufs engſte
an; in der Seite wird er ſelbſt geſchnürt und gewinnt von der
Hüfte abwärts reiche Faltenmaſſen, mit denen er auf den Boden
fällt, ſich wallend um die Füße legt und dieſe völlig verhüllt.
In der höfiſchen Zeit gebot der Anſtand den Damen durchaus,
die Füße nicht ſehen zu laſſen. Die ganze Periode behält der Rock
dieſe Form bei, wenn auch nicht ohne Widerſpruch, und einzelne
Moden, die an ihm auftreten, zeigen ſich nur in der Taille und
modificiren den Charakter nicht. Es kam darauf an, ob und in
welcher Art er geſchnürt wurde, denn einmal konnte die nöthige
Enge ſchon durch den Schnitt des Kleides hergeſtellt werden, und
zuweilen tritt auch die Schnürung an den andern Kleidungs-
ſtücken auf, am Hemd wie am Oberkleid. Auf einem Bilde der
Herrad von Landsberg iſt der Rock einer leichtfertigen Dirne in
den Seiten von der Achſelhöhle bis herunter auf die Hüften aus-
geſchnitten und die Oeffnung durch eine Schnur ſtraff wieder zu-
gezogen. Aufgeſchnitten und geſchnürt iſt auch auf einem Bilde
ebendort das Kleid der Superbia. Als das Oberkleid mit dem
Rocke die gleiche Länge erhielt, wurde jenes, wie wir ſehen wer-
den, in einer Art getragen, daß dieſes dennoch ſichtbar blieb, und
dadurch wird es erklärlich, wie der Rock immer noch am untern
Rand mit breiten Säumen umzogen werden konnte: denn was
nicht geſehen wird, ſchmückt man nicht. Eben darum, weil es
[102]II. Das Mittelalter.
nicht ſichtbar werden konnte, wird bei dem Rock nie ein beſonde-
res farbiges Unterfutter erwähnt, es ſei denn, daß er ohne Ober-
kleid getragen wurde.


Im Fall der Rock auf die angegebene Weiſe geſchnürt iſt,
muß nothwendig noch ein anderes Kleidungsſtück darunter ſein,
und es wird auch aus der ſittenloſeren Zeit des dreizehnten Jahr-
hunderts erzählt, daß dieſer Stoff ſo dünn geweſen ſei, daß man
die Weiße der Haut habe hindurch ſcheinen ſehen. Dieſes unterſte
Kleidungsſtück hieß das Hemd. Wie aber ſchon in den vorigen
Jahrhunderten theils ſein Gebrauch in der heutigen Bedeutung
ein zweifelhafter und jedenfalls ein nicht nothwendiger war, und
theils ſein Verhältniß zur unteren Haupttunica nicht feſtſtand,
ſodaß dieſe nicht ſelten mit dem Ausdruck Hemd bezeichnet wer-
den konnte, ſo bleiben auch in der gegenwärtigen Periode Ge-
brauch und Bedeutung ſchwankend. Es iſt ſicher, daß das Hemd
in der Weiſe vorkommt, daß die ganze Frauenkleidung außer ihm
noch aus den beiden Kleidern und dem Mantel, alſo aus vier
Stücken, beſtand. Wir finden ſie vollſtändig in der Schilderung
der Kleidung der heiligen Martina von Hugo von Langenſtein,
und wenn ſie hier allegoriſch erklärt wird, ſo ändert das nichts.
„An ihre Haut“ wird ihr ein Hemd gelegt und darüber der Rock,
dann die Sukenie, mit einem Gürtel umſchloſſen, und der Man-
tel mit einem Fürſpann auf der Bruſt. Eben jene ſchon ange-
führte Reiterin im Wigamur trug ein Hemd und darüber einen
Rock, und es wird dann, als ſie vom Pferde ſpringt, ausdrücklich
bemerkt, daß ſie weder Oberkleid noch Mantel angehabt habe.
Beides mußte alſo ſonſt der Fall ſein. Ebenfalls im Wigamur
iſt eine Königstochter bekleidet mit einem Hemd, weiß wie ein
Schwan und eng den Leib umſpannend, und darüber trägt ſie
einen ſeidenen Rock und ein anderes Kleid von demſelben Stoff.
In dieſem Falle, wenn das Hemd und der bereits beſchriebene
Rock auf das engſte geſchieden werden, war jenes kurz, ſeiden
und immer von weißer Farbe. Das weißſeidene Hemd iſt auch in
die Sage übergegangen. Ein ſolches verſpricht die Elbin dem zur
Hochzeit reitenden Oluf; ſie hat es ſelbſt im Mondenſchein ge-
[103]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
webt. Doch nicht ausſchließlich war Seide der Stoff, denn als
Brunhilde zu Bette geht, trägt ſie „ein ſabenweißes Hemde“, Sa-
ben iſt aber die ſchon in früheren Zeiten berühmte und damals
viel mehr gebrauchte feine Leinwand. Vielleicht gehört auch dieſer
Ausdruck noch der ältern Form des Nibelungenliedes an. Spä-
ter wird die Seide wieder vom Linnen erſetzt. Ums Jahr 1300
wird des Hemdes gedacht aus geſponnenem Flachs, der an der
Sonne gebleicht worden. Schwerlich wurde das Hemd irgendwo
ſichtbar, wenigſtens haben wir es auf Abbildungen nicht erkennen
können. Nur bei den engliſchen Königinnen dieſer Zeit, bei Eleo-
nore von Guienne, der Gemahlin Heinrichs II., und Iſabella,
Gemahlin des Königs Johann ohne Land, zeigt ſich auf den
Bildern ihrer Grabmonumente am Halſe unter dem Kleid ein
weißer Stoff, der dem Hemd angehören dürfte. Doch möchte ich
dieſe engliſchen Königinnen nicht ohne Weiteres als für Deutſch-
land maßgebend betrachten, zumal ſie noch die weite gegürtete
Tunica tragen. —


So gewiß wie das Hemd als ſelbſtſtändiges Kleidungsſtück
vorkommt in ähnlicher Bedeutung, wie wir ſie noch heute mit
dieſem Ausdruck verbinden, ebenſo gewiß iſt es auch, daß es die
Rolle des Rockes übernimmt und anſtatt ſeiner getragen wird,
oder dieſen gradezu bezeichnet. Als Ulrich von Liechtenſtein von
ſeiner Frau, der verehrten Dame ſeines Herzens, empfangen wird,
da hatte ſie angelegt ein weißes Hemde und darüber die Su-
kenie, das iſt das Oberkleid, und über dieſe den Mantel. Es iſt
nicht ſelten, daß in dieſer Weiſe in den Beſchreibungen der Dich-
ter nur die drei Stücke, Hemd, Kleid — in dieſem Falle auch
Rock genannt — und Mantel erwähnt werden. Nur wenn das
Hemd auch als Rock gedacht wird, iſt die Beſchreibung einer edlen
Jungfrau im Wigalois erklärlich, wo das feine Hemd von wei-
ßer Seide mit goldener Naht geſchildert wird, lichter denn ein
Spiegelglas. Darüber trägt ſie den Rock als Oberkleid und über
dieſem den Mantel. Auf dieſe Weiſe iſt es auch erklärlich, wie
der Waffenrock, welchen die Ritter über dem Kettenpanzer trugen,
ein Waffen hemd genannt werden kann. So läßt das Nibelun-
[104]II. Das Mittelalter.
genlied Brunhilde ſich rüſten: über das goldene Kettengeflecht,
die Brünne, legt ſie ein ſeidenes Waffenhemd aus libyſchem
Stoffe, welches noch in keinem Streit Waffen durchſchnitten hat-
ten; mit glänzenden Borten iſt es beſetzt. Wenn nun einige
Strophen weiter noch eines beſonderen Waffenrocks aus Seide
von Azagauk gedacht wird, ſo gehört das der ſpäteren Ueberarbei-
tung an, welche die Beſchreibung dieſer Stelle in mehrfacher
Weiſe unklar macht. Einen beſondern Beweis, daß das Hemd
im dreizehnten Jahrhundert die Stelle des untern Kleides ver-
tritt oder vertreten kann und muß, giebt eine Stelle in Ulrich von
Liechtenſteins Frauendienſt, wo er erzählt, daß er ſich in Venedig
habe Frauenkleider machen laſſen, zwölf Röcke, dreißig Frauen-
ärmel für Hemden und drei ſammtne Kappen. Die letzteren ver-
treten die Stelle der Mäntel, die Röcke ſind die Oberkleider, wie
ſie damals ärmellos getragen wurden, und die Hemden die un-
tern Kleider mit den ſichtbaren Aermeln. Da dieſe der Be-
ſchmutzung ſehr ausgeſetzt waren, ſo mußte eine öftere Erneuerung
ſtatt finden. Sie konnten leicht gelöſet und wieder befeſtigt wer-
den. Auch an einer andern Stelle berichtet er, wie er ein weißes
Hemde angelegt habe mit zwei „Frauenärmeln.“


Dieſe Aermel, ſowohl die des Hemdes als des Rockes, falls
jenes für dieſen getragen wurde, ſowie das Hemd ſelbſt ſpielen
im ritterlichen Frauendienſt eine große Rolle. Die damalige Welt
war raffinirt ſinnreich in ihrem idealen Liebesgenuß. So tauſchte
man die Hemden mit einander, wenn man ſie ſchon getragen
hatte: die Ritter legten die der Damen an, ließen ſie im Streit
zerhauen und ſtellten ſie in dieſem Zuſtande ihren urſprünglichen
Beſitzerinnen zurück, die ſie aufs Neue trugen. Als Gawan im
Liebesdienſt der Obilot ſtand, ſo erzählt Wolfram im Parzival,
befeſtigte er den Aermel eines neuen Kleides ſeiner Dame auf den
Schild, und als derſelbe in der Schlacht am Rand und in der
Mitte durchſtochen und zerſchlagen war und er ihn ſo wieder zu-
rückgiebt,


„Da ward des Mägdleins Freude groß,

Ihr blanker Arm war noch bloß,

Darüber ſchob ſie ihn zuhand.“

[105]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.

Gahmuret machte es ſo mit ſeiner Gemahlin Herzeloide. Ein
Hemd, lind und fein, von weißer Seide, das ſie auf dem bloßen
Leib getragen, das legte er über ſeinen Ringpanzer, und wenn es
durchſtochen und zerhauen war, ſo trug es Herzeloide wieder auf
bloßer Haut. So hatten ſie es mit achtzehn Hemden gemacht.
Ja, als ihr Gemahl im Kampfe gefallen, will ſie ſelbſt ſein bluti-
ges und zerfetztes Hemd, in welchem er geſtorben war, an ſich le-
gen, doch hindert man ſie daran und nimmt es ihr fort. Bezeich-
nend iſt in dieſer Beziehung die Geſchichte des Ritters von
Auchenfurt. Eine von ihm verehrte Frau, die ihrem Gemahl treu
bleiben will, verheißt ihm endlich den Lohn ſeines langen Wer-
bens, wenn er ohne Rüſtung in den Kampf gehe. Er thut es,
und obwohl er durchbohrt wird, kommt er dennoch mit dem Le-
ben davon und verlangt nun den verſprochenen Minneſold. Auf
ihr flehentliches Bitten will er ſie ihres Wortes entbinden, wenn
ſie ſich mit demſelben blutigen Hemd, in welchem er verwundet
worden, auf dem bloßen Leib öffentlich in der Kirche vor dem
Altar zeige. Sie erfüllt wirklich dieſe harte Bedingung. Eine
ähnliche Geſchichte hat ein franzöſiſches Gedicht überliefert. Es
war eine ſchöne, hochgefeierte Dame, um deren Gunſt ſich drei
Ritter bewarben. Um ſie zu prüfen, ſendet ſie ihnen durch einen
Knappen eines ihrer Hemden, ſie ſollten es im Turnier des näch-
ſten Tages tragen ohne eine andere Rüſtung. Der erſte Ritter
fühlt ſich hoch geſchmeichelt und nimmt das Hemd, allein nach
kurzem Bedenken ſtellt er die verhängnißvolle Gabe dem Knappen
wieder zurück. Der bringt es zum zweiten, welcher es ebenfalls
ausſchlägt. Der dritte und jüngſte nimmt es mit großer Dankbar-
keit an, und obwohl ihm noch in der Nacht die Furchtſamkeit manche
Qual bereitet, ſiegt doch die Liebe, und er reitet, wie es verlangt
worden, in die Schranken. Todeswund und mit blutbedecktem
Hemde, ſo geht er als Sieger aus dem Kampf hervor. Noch lag
er auf dem Krankenlager, da hört er, daß die verehrte Dame, um
deretwillen er litt, eine große Geſellſchaft gäbe. Er ſchickt ihr das
Hemd und bittet, ſie möge es ſogleich anlegen, ſo blutig und zer-
fetzt wie es ſei. Und die Dame thut es und trotz allem ſpäteren
[106]II. Das Mittelalter.
harten Tadel trägt ſie es, ſo lange ſie die Speiſen und den Wein
an ihre Gäſte austheilt. —


Die Veränderung, welche mit der obern Tunica, dem Ober-
kleid, vorging, haben wir ſchon oben angedeutet. Wie der Rock
erhielt auch ſie Taille und umſchloß anſchmiegend die Formen
des Oberkörpers; nach unten erweiterte und verlängerte ſie ſich
bis über die Füße, und die kurzen Aermel wuchſen und dehnten
ſich zu einer ſolchen Länge und Weite, daß ſie nicht nur über die
Hand fielen, ſondern wenn der Arm herabhing, berührten ſie den
Boden mit ihrem pelzverbrämten Rande. Anfänglich, in der er-
ſten Hälfte des zwölften Jahrhunderts, begann die Weitung
gleich von der Schulter, wo die Naht noch eng die Achſel um-
ſchloß, und wuchs dann allmählig bis zu einer Oeffnung von
zwei bis drei Fuß Durchmeſſer und darüber. Bald aber bedeckten
die Aermel den ganzen Arm anliegend gleich denen des Unter-
kleides und erſt am Ellbogen oder in der Nähe der Handwurzel
öffneten ſie ſich plötzlich zu der angegebenen immenſen Weite.
Die Damen auf den Bildern der Herrad von Landsberg zeigen
meiſtens die Uebergangsform, während die wunderbar gehaltene
Figur der Superbia, welche mit fliegendem Schleier und ge-
ſchwungener Lanze ſtolz zu Roß dahinſprengt, und eine andere
Dame, welche von der Tugendleiter herabſtürzt, ſie in der ausge-
bildetſten Geſtalt zeigen. Es ſcheinen alſo Eitelkeit und Hoffahrt
mit dieſer äußerſten Form ein wenig in Verbindung zu ſtehen.
Dieſe Tracht, welche an die ſonſtige Phantaſtik des zwölften
Jahrhunderts erinnert, iſt an ſich freilich ſehr unbequem und auch
nur vereinbar mit den zu jener Zeit durch den Anſtand gebote-
nen, rückhaltsvollen und gemeſſenen Bewegungen der Damen.
Es wird uns hierdurch erklärt, warum von Brunhilde geſagt
wird, als ſie ſich zum Wettkampf bereitet:


„An ihre weißen Arme ſie die Aermel wand.“

In der Zeit der höfiſchen Dichtung, alſo etwa auf der Gränze
des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts, verſchwinden die
langen und weiten Aermel, und das Oberkleid überläßt die Be-
deckung der Arme dem Unterkleid allein. Es wird ärmellos. —
[107]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Das Oberkleid der vorhin erwähnten Superbia und auch anderer
Damen, bei denen die Eitelkeit ein wenig mehr ins Spiel zu kom-
men ſcheint, iſt, wie wir es früher beim Unterkleid geſehen haben,
an den Seiten aufgeſchnitten und wieder ſtraff zuſammengeſchnürt
und die ganze Oeffnung zu beiden Seiten mit Pelz gefaßt. —


Im Laufe und beſonders in der zweiten Hälfte des dreizehn-
ten Jahrhunderts tritt namentlich an dem Oberkleide eine Art
Reaction zu Tage, welche ſich gegen die vorherrſchende Neigung
erhebt, den Körperformen ihr Recht werden zu laſſen und ſie in
voller Schönheit zu zeigen. Es war das gleichzeitig mit dem
Sinken des ritterlichen Minnedienſtes. Die Ritter vermieden die
Frauen vielmehr, als daß ſie dieſelben aufſuchten; ſie lagen den
ganzen Tag auf der Jagd, und wenn ſie Abends nach Hauſe kamen,
ergaben ſie ſich Trinkgelagen und Würfelſpiel. Es waren die böſen
Zeiten des Interregnums, denen die nüchterne Regierung Ru-
dolfs von Habsburg folgte, über deſſen Mangel an Liberalität
die fahrenden Sänger und Muſiker viel zu klagen haben. Da die
Courtoiſie aus dem Leben verſchwand, fanden auch die Frauen
keine Veranlaſſung, noch denſelben Werth auf ihr Aeußeres zu
legen. Allein gelaſſen und auf ſich ſelbſt gewieſen, ergaben ſie
ſich der Frömmelei, und wie ſie ein nonnenhaftes Leben führten,
ſo kleideten ſie ſich ähnlich, verhüllten mehr die Formen durch
weitere Kleidung und ſuchten auch mehr als ſonſt das Geſicht zu
verdecken. Dieſe Vorwürfe macht ein Ritter in Ulrich von Liech-
tenſteins Frauendienſt der Damenwelt: mit dem Gebende und
dem Schleier, den ſie jetzt alle trügen, verhüllten ſie Mund,
Wangen und Brauen wie die Kloſterſchweſtern, und wenn ſie
gar einmal ein koſtbares Zobelkleid anlegten, ſo ſei daſſelbe auf
der Bruſt mit einem Paternoſter geziert. Die Dame, der gegen-
über dieſe Klagen erhoben werden, vergilt dieſelben mit dem, was
wir oben über das Leben der Männer mitgetheilt haben und noch
viel Aergerem. — Wenn dieſer Hang zur Frömmelei und zu einer
die Formen mehr verhüllenden Kleidung die entgegengeſetzte Rich-
tung auch nicht unterdrücken konnte, wie dieſelbe auch wirklich im
vierzehnten Jahrhundert in viel ſtärkerer Weiſe wieder hervor-
[108]II. Das Mittelalter.
brach, ſo vermögen wir doch ihren Einfluß in der Tracht der Zeit,
namentlich noch auf den Bildern der Weingarter und Maneſſi-
ſchen Liederhandſchrift — beide ungefähr um das Jahr 1300 ge-
macht — nicht zu verkennen. Doch erinnern die Frauengeſtalten
in ihrem Charakter nicht durchaus an die des elften Jahrhun-
derts, ſondern, wenn wir die größere Weite des Oberkleides und
theilweiſe des unteren ausnehmen, mit ihrem ganzen nobeln und
plaſtiſchen Weſen und der freien Haltung vielmehr an die Schil-
derungen der Dichter aus der höfiſchen Zeit. Das Oberkleid,
nur den Hals, aber völlig, freilaſſend, legt ſich mit einem Gold-
ſaum anſchließend um die Schultern, und meiſtens ohne Aermel
und mit weit geſchnittenem Aermelloch fällt es, nirgends ge-
zwungen, in ungehindertem Fluß faltig und wallend über die
Füße. Immer jedoch gewahrt man, wenn auch oft nur ſehr leiſe,
namentlich auf den Bildern der Weingarter Handſchrift, eine ge-
wiſſe Neigung, die Schlankheit des Körpers durch Einziehen über
den Hüften zur Anerkennung zu bringen. — Der Anſtand ver-
langte, daß eine Dame, wenn ſie ging oder ſtand, das obere
Kleid, vorausgeſetzt, daß ſie keinen Mantel darüber trug, an der
linken Seite ein wenig in die Höhe nahm und in dieſer Lage un-
ter dem linken Arm feſthielt. Dadurch wurde zweierlei erreicht:
einmal hob ſich der Faltenwurf, auf den ſoviel Werth gelegt
wurde, zu weit größerer Schönheit, indem das gleichmäßige
Herabfallen aufgehoben wurde, und zweitens wurden der Rock ſo-
wohl wie das Unterfutter des Oberkleides unten an der linken
Seite ſichtbar, ſodaß hier verſchiedene Farben in Wirkung traten.
Dieſe Art, das Oberkleid zu tragen, war ſo allgemein und wurde
ſo eingehalten, daß wir in der Maneſſiſchen Liederhandſchrift auf
dem Bilde, welches Hartmann von Starkenburg vorſtellt, eine
Jungfrau ſehen, die mit dem linken Arm ihr aufgehobenes Kleid
am Leibe feſthält, obwohl ſie in der einen Hand einen Becher
hält und in der andern eine volle Schüſſel, welche ſie dem Waf-
fen ſchmiedenden Dichter bringt. Kokette Frauen benutzten dieſe
Sitte, indem ſie das Kleid ein wenig höher hoben, ihre ſonſt ver-
borgenen Füße gegen alle Schicklichkeit ſichtbar zu machen. Auch
[109]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
auf die Kunſt ſcheint ſie nicht ohne Einfluß geblieben zu ſein.
Weil der aufgehobene Theil des Mantels — oder des Oberklei-
des — mit Arm und Hand auf der einen Hüfte ruhte, ſo mochte
dieſe unwillkürlich ein wenig vortreten, um beſſeren Stützpunkt
zu geben. Das ſah man der Natur ab und übertrug es in die
Kunſt, wo es im vierzehnten und noch mehr im funfzehnten
Jahrhundert zum Stil wurde und in die auffallendſte Manier
ausartete, als die erſte Urſache im Leben längſt nicht mehr exi-
ſtirte. Es ſind nicht bloß Madonnen mit dem Kinde auf dem
Arm, in welchem Falle man hierin den Grund ſuchen könnte,
welche ſo dargeſtellt werden, ſondern eine lange Zeit hindurch iſt
es eine Eigenthümlichkeit der Heiligen ſowohl wie überhaupt faſt
aller Frauen, wenn die Plaſtik, und auch wohl die Malerei, ſie
freiſtehend bildet.


Das Unterfutter des Oberkleides war entweder ein anders-
farbiger gewebter Stoff, wie Sammet, Seide, Wolle, oder, wie
bei vornehmen Damen ritterlichen Standes gewöhnlich anzuneh-
men iſt, irgend eine Art von edlem Pelzwerk, ſei es Hermelin,
Zobel, Marder oder ein anderes koſtbares Rauchwerk. Häufig
waren auch verſchiedene Arten mit einander gemiſcht, ſodaß zum
Beiſpiel ein weißes Hermelinunterfutter noch mit ſchwarzem Zobel
gefaßt war. Am Rand der Aermellöcher und am untern Saum
kommt die Pelzverbrämung ſtets zum Vorſchein. Man trug die
alſo gefütterten Oberkleider gewöhnlich Winter und Sommer;
wenigſtens geben die Dichter keine Andeutung, daß die Jahres-
zeit hierin je einen Unterſchied gemacht hätte. Später geſchah es
allerdings.


Auf denſelben Bildern ſehen wir zuweilen bei der häuslichen
und namentlich jugendlichen Tracht das Oberkleid ganz fehlen;
das Unterkleid erſcheint dann etwas weiter, iſt mit ziemlich regel-
mäßigen, wie künſtlich gelegten Falten über den Hüften gegürtet
und nähert ſich dadurch in etwas der oben angedeuteten matro-
nenhaften Kleidung, die neben der herrſchenden Mode hergeht.
Die Weite mochte der häuslichen Bequemlichkeit mehr zuſagen.
Auch fürſtliche Damen entſagen der Mode, wenn ſie in ihrer
[110]II. Das Mittelalter.
Würde neben dem Gemahl den Thron beſteigen. So die Land-
gräfin von Thüringen auf dem Bilde der Maneſſiſchen Hand-
ſchrift, welches den Sängerkrieg darſtellt: ihr Oberkleid — der
Rock wird nicht ſichtbar — iſt weit, faltig und über den Hüften
gegürtet.


Dieſen Hauptformen des Oberkleides ſtehen im dreizehnten
Jahrhundert noch einige mehr exceptionelle zur Seite. So iſt in
Hefner’s Trachtenbuch (I, 49) eine Dame abgebildet, deren Ober-
kleid einem langen viereckigen Stück gleicht, welches in der Mitte
ein umſäumtes Loch hat, um den Kopf durchzuſtecken, mit ſeinen
beiden Hälften nach vorn und hinten bis auf die Füße herabfällt
und im Uebrigen nur die Schultern und einen Theil der Arme
bedeckt und die Seiten offen läßt. Eine ähnliche Form des Ober-
kleides trägt die Gräfin Beatrix von Botenlauben, welche im
Jahr 1250 ſtarb, auf ihrem gleichzeitig gemachten Grabſtein.
Es ſind zwei lange, faltige, auf die Füße herabwallende Stücke
Zeug, welche nur oben auf den Schultern durch eine goldene,
den Hals umgebende Borte an einander befeſtigt ſind und ſo die
Arme und die Seiten frei laſſen. Aber dieſe Dame war im Orient
geboren, eine Tochter des letzten Grafen von Edeſſa, und ſo
dürfte in dieſem Kleidungsſtuck vielleicht eine Erinnerung an ihre
Heimath zu ſuchen ſein, worauf auch die fremdartige Anordnung
des Schleiers zu deuten ſcheint. *)


Sowie es zuweilen vom Oberkleid heißt, daß es nach fran-
zöſiſchem Schnitt gemacht ſei, ohne daß es uns möglich wäre,
anzugeben, worin die in jedem Fall nicht bedeutende Eigenthüm-
lichkeit deſſelben beſtanden habe, ſo erkennen wir auch in den
Benennungen hier und da fremdartige Einflüſſe, und zwar ſelbſt
bei den Dichtern, welche rein deutſche Gegenſtände behandeln.
Auch hier iſt es ſchwer, die Unterſchiede von der herrſchenden
Form anzugeben, wenn ſie überhaupt vorhanden waren, da die
Trachtenbilder jener Zeit durchweg gleichen oder wenig abweichen-
den Charakter zeigen. Wir erkennen aber daraus den Zuſammen-
[111]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
hang, der ſchon damals im Reich der Mode ſtatt fand und eine
ziemlich allgemeine, im Weſentlichen gleiche Tracht der vorneh-
men Welt herausgebildet hatte. Die meiſten Einflüſſe gingen
ſchon damals von Frankreich aus.


In einer bereits oben angeführten Stelle im Frauendienſt
des Ulrich von Liechtenſtein trägt die verehrte Dame ſeines Her-
zens, als ſie ihn empfängt, über dem weißen Hemde eine Su-
keine
von Scharlach, mit weißem Hermelin gefüttert, ſowie im
Triſtan des Heinrich von Friberg die blonde Iſolde mit Rock,
Sukenie und Mantel bekleidet iſt. Auch in dem Gedicht „Frauen-
treue“, welches in von der Hagen’s Geſammtabenteuern mitge-
theilt wird, iſt dieſes Kleidungsſtückes in lehrreicher Weiſe ge-
dacht. Eine Frau ſteht an der Leiche des Geliebten und opfert
ihm ihre Kleider: erſt legt ſie den Mantel ab, dann entkleidet ſie
ſich der Sukenie und drittens auch des Rockes, „daß ſie vor Leide
gar der Scham vergaß.“ Wir erkennen hier deutlich die Aufein-
anderfolge der Stücke und erfahren zugleich aus dieſen Beiſpielen,
die wir den verſchiedenartigſten und verſchiedenen Gegenden an-
gehörenden Gedichten entnehmen, daß die Sukenie ein überall
verbreitetes, gewöhnliches Oberkleid war, ſelbſt wenn die Ablei-
tung des Wortes von dem altſlaviſchen sukno, Gewand, die
richtige iſt. In jedem Falle war ſie ein, wenn auch am Oberkör-
per eng anliegendes, doch langes, auf die Füße fallendes Ober-
kleid.


Gewiß ähnlich war auch der Sürkot, dem Worte nach
franzöſiſchen Urſprungs und ſchon Oberkleid bedeutend. Später
ändert ſich die Form deſſelben mit der Umwandlung der Mode,
während der Name bleibt. Wenn das Oberkleid den Namen
Corſett — wir müſſen dabei von der heutigen Bedeutung des
Wortes völlig abſehen — oder Kurſit, Kurſat und Kürſen
führt, ſo war es ſtets mit Rauchwerk gefüttert; denn obwohl die
Ableitung des Wortes Kürſch zweifelhaft iſt, ſo iſt doch ſicher,
daß es in dieſer Form von Anfang an Pelz bezeichnet, und von
dem Gegenſtand erſt der Name auf das Kleid und auf das Hand-
werk, Kürſchner, übergegangen iſt. Als eine beſondere Art von
[112]II. Das Mittelalter.
Rauchwerk ſpielt der Kürſch bekanntlich eine wichtige Rolle in der
Heraldik. Im Wigamur trägt eine ſchöne Jungfrau ein mit
lichtem Veh unterfüttertes Corſett von rothem Scharlach über
dem Rock von gleichem Stoff. Helmbrecht, der Bauerſohn, der
uns noch öfter gute Dienſte leiſten wird, zieht bei ſeinem Räu-
berleben den Frauen vom Leibe Pfeit (d. i. Hemd), den Rock,
ihr Kürſen und ihren Mantel.


Die im Mittelalter ſo beliebte Erzählung vom Ritt der ſchö-
nen Phyllis, der Geliebten Alexanders, auf dem Rücken des
weiſen Ariſtoteles, ebenfalls in den Geſammtabenteuern mitge-
theilt, macht uns noch mit einem andern Oberkleid bekannt, wel-
ches an dieſer Stelle Schwanz und Schwänzelein genannt
wird. Die Schöne hat ihre Gründe, nur dieſes allein anzulegen.
Es iſt von Seide und mit weißem Hermelin gefüttert. Sie trägt
es ganz wie ſonſt eine edle Dame das Oberkleid, indem ſie es an
der linken Seite mit dem Arm in die Höhe nimmt „bis über ihre
Kniee,“ welche entblößt wurden, weil ſie wider die Ordnung kein
Unterkleid angelegt hatte. In den durch das Aufnehmen entſtan-
denen Bauſch warf ſie Blumen, die ſie im Gehen pflückte. —


Mit dem untern und dem obern Kleid ſteht zunächſt der
Gürtel in Verbindung. Bei der zunehmenden Enge der Klei-
dung, die ſich namentlich über den Hüften den Formen an-
ſchmiegte, wurde der Gürtel ziemlich überflüſſig. Auf eine über-
mäßig enge Taille hatten es die Damen dieſer Periode nicht ab-
geſehen; es ſollte nur die Schlankheit der ganzen Figur, die
Schönheit des Wuchſes gezeigt und gehoben werden. Es darf
daher nicht auffallen, wenn wir auf den keineswegs dürftigen
bildlichen Quellen dieſer Periode die Damen nur ſelten mit einem
Gürtel angethan finden. Auf den Bildern der Herrad von Lands-
berg trägt ihn keine Dame. Die Bilder der Heidelberger Hand-
ſchrift des Sachſenſpiegels, welche überhaupt norddeutſche, vom
höfiſchen Leben wenig influirte Zuſtände zu erkennen geben, laſ-
ſen ihn mehr vermuthen als erkennen. Die Weingarter Bilder-
handſchrift der Minneſinger zeigt ihn bei Frauen gar nicht und
die Maneſſiſche ſehr ſelten. Und doch mußte er damals getragen
[113]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
werden, nach der häufigen Erwähnung bei den Dichtern und
nach der großen Bedeutung, die ihm im Leben und Glauben bei-
gelegt wurde, zu ſchließen. Es iſt daher wohl anzunehmen, daß
er häufig über dem untern Kleide getragen und ſo vom obern
verdeckt wurde, ebenſo häufig aber auch als überflüſſig ganz weg-
blieb. Auf den Maneſſiſchen Bildern vermögen wir ihn entweder
bei der häuslichen Tracht zu erkennen, wenn das Oberkleid nicht
angelegt worden, oder bei der weiteren, matronenhaften Kleidung
fürſtlicher Damen, deren wir ſchon oben gedachten. Daß der
Gürtel ſo über dem untern Kleide getragen wurde, zeigt die Kö-
nigin Nyfrogar im Wigamur, welche ihn über dem Hemde, wel-
ches hier als Rock zu denken iſt, angelegt hat; darüber liegt das
Oberkleid. So muß auch Brunhilde ihren Gürtel getragen ha-
ben, mit welchem ſie in der Nacht Gunther band. Aus andern
Stellen geht wieder hervor, daß er auch das Oberkleid umſchloß.
So heißt es im Parzival von den Jungfrauen, welche im Schloß
Monſalvage vor dem Gral die Leuchter tragen:


„Das zweite Kleid war affichirt

Mit zweien Gürteln, da wo ſchlank

Die Frauen ſind und ſchmal und ſchwank.“

Aber ſchon der doppelte Gürtel weiſet hier auf eine abweichende
Mode hin, welche auch der Schnitt des Kleides andeutet, denn
es war lang und weit, „ſo will’s der Brauch“, d. h. der auf
Monſalvage geltende. Sonſt wird ausdrücklich bemerkt, daß der
Gürtel das Kleid zuſammenzwänge, welches überdies ſchon ſich
„heimelich“ eng dem Leibe anlege. So wird die Kleidung der
Iſolde in Gottfrieds Triſtan geſchildert. — Der Gürtel, weil
ohnehin mehr zum Schmuck beſtimmt, war nach den Kräften des
Beſitzers von möglichſter Koſtbarkeit. Die Unterlage war von
Seide oder goldgewebtem Stoffe, der aus der heidniſchen Fremde
kam; oben war er mit Gold beſchlagen und mit Perlen und
Edelſteinen beſetzt. Die Dichter wiſſen mancherlei davon zu er-
zählen. Die Schnalle iſt ihnen aus einem großen Edelſtein ge-
ſchnitten, und die Goldarbeit bilden Thierfiguren oder anderes
der Zeit entſprechendes getriebenes Ornament. So trägt im Wi-
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 8
[114]II. Das Mittelalter.
galois eine edle Jungfrau einen Gürtel, „das war eine Borte mit
edlen Steinen geſchmückt, groß und nicht zu klein, die Rinke war
aus einem Smaragd, grün wie Gras, gegraben; darauf war von
Gold ein Adler in erhabener Arbeit mit ſchönem, hartem Schmelz.
Die Spängel waren goldene Thiere, dazwiſchen weiße Perlen.“
Im Allgemeinen war der Gürtel ſchmäler geworden und es wird
dieſe Eigenſchaft öfter bemerkt; auch die Bilder geben das zu er-
kennen. Dagegen trägt Ulrich von Liechtenſtein als Frau Venus
einen Gürtel, welcher drei Finger breit iſt. An dem einen Ende
befand ſich immer ein Ring oder eine Schnalle, durch welche das
andere ſo gezogen wurde, daß es vorn noch mit ziemlicher Länge
herabhing. So trugen den Gürtel damals auch die Ritter.


Die große Bedeutung des Gürtels tritt uns in Lied und
Sage vielfach entgegen. Bekannt iſt der ſymboliſche Sinn, den
er für die Frau ſchon damals hatte, wie noch in der Schillerſchen
Glocke. Dann verknüpfte ſich mit ihm der Glaube an beſondere
Wunderkräfte, die auch im Einzelnen den an ihm befeſtigten Stei-
nen zugeſchrieben wurden. So liegt in dem eben aus dem Wiga-
lois erwähnten Gürtel ein Rubin, der benahm der Trägerin mit
ſüßem Schein ihr Ungemach, wenn ein Leid ihr Gemüth trübte.
In demſelben Gedicht erhält die Königin Ginovra von einem
fremden unbekannten Ritter einen Wundergürtel: als ſie denſel-
ben umlegte, hatte ſie alſobald Weisheit und Stärke, kein Leid
trübte ſie, die Sprachen kannte ſie alle wohl, ihr Herz ward der
Freuden voll; welches Spiel man anfing, ſie glaubte, daß ſie es
könnte; keine Kunſt mangelte ihr. Und wie ſie ihn wieder dem
Ritter zurückgiebt, da beſiegt derſelbe durch des Gürtels Kraft
alle Ritter der Tafelrunde. Am ausführlichſten wird ein ſolcher
Gürtel geſchildert in einem Gedicht des Dietrich von Glatz. Die-
ſer goldbeſchlagene Gürtel trägt funfzig oder mehr Edelſteine,
davon iſt ein Theil über die See gekommen, ein Theil aus Ma-
rokko, einen Theil brachten die Mohren von Indien und das
Volk von Syrien über des Meeres Flut, Chryſopraſſen und
Onyxe und Chryſolithen; beſondere Kraft aber hatte ein Stein,
der theils wolkenfarben, theils dunkelroth war. Wer den Gürtel
[115]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
mit dieſem Stein trägt, der wird nimmer der Ehre ledig, er wird
nimmer erſchlagen, er ſieget zu aller Zeit, für Feuer und Waſſer
iſt er gut. Dieſe Eigenſchaften bewähren ſich in der Erzählung. —


Die doppelte und dreifache Kleidung der Frauen und na-
mentlich auch wohl die Pelzunterfütterung des Oberkleides machte
den Mantel vielfach entbehrlich und überflüſſig. Wenn er
darum kein ſo nothwendiges Kleidungsſtück mehr war, wie er
früher noch bei jeder Gelegenheit außer dem Hauſe getragen
wurde, ſo gehörte er doch noch immer zu einer vollſtändigen no-
beln Tracht. Namentlich konnten fürſtliche Perſonen ſeiner nicht
entbehren. Wie bei den Dichtern in den Beſchreibungen von Da-
mentoiletten häufig keine Erwähnung deſſelben geſchieht, ſo er-
ſcheint er auch ſeltner auf den bildlichen Quellen. Auf den Bil-
dern der Herrad von Landsberg begnügen ſich alle gewöhnlichen
Frauen mit dem Rocke und dem weitärmeligen Oberkleide, nur
die Heiligen und die Frauen der Bibel, die Königinnen ſowie
eine Braut im Putz und die Perſonificationen der Tugend und
der Luxuria im höchſten Staat tragen den Mantel. Auf den Bil-
dern der Liederhandſchriften, der Maneſſiſchen wie der Weingar-
ter, iſt ſein Gebrauch grade kein ſeltner, doch ſehen wir die Da-
men häufiger noch ſich mit Oberkleid und Rock begnügen. Dage-
gen dürfte er ſich ausnahmslos auf den Grabſteinen vornehmer
Damen finden. In Bezug auf ſeine äußere Erſcheinung änderte
er ſich in zweierlei Weiſe. Einmal warf er allmählig [die] breiten
Goldborten und den Perlen- und Edelſteinbeſatz ab, von dem
die Dichter in vereinzelten Quellen noch mehr zu erzählen wiſſen
als die Bilder. Andrerſeits nahm er, der allgemeinen Zeitſtrö-
mung folgend, nach heutiger Ausdrucksweiſe, Façon an: er
wurde länger, maſſiger, faltiger und erhielt eleganteren Schnitt,
während er früher mehr einem viereckigen Stück Zeug geglichen
hatte. Damit änderte ſich auch ſeine Befeſtigung auf der Bruſt.
Statt der einzigen Nadelagraffe, welche ihn früher von beiden Seiten
hier zuſammengefaßt hatte, hielt ihn nun ein Riemen, eine Schnur
oder eine Borte. Sie konnte von Gold- oder weniger koſtbarem
Stoffe ſein und war entweder auf beiden Seiten befeſtigt, oder
8*
[116]II. Das Mittelalter.
nur auf der einen in der Art, daß das andere Ende beweglich
durch ein Loch lief; dadurch war es möglich, durch Anziehen oder
Nachlaſſen den Mantel in beliebiger Enge zuſammenzuziehen oder
lockerer und weiter zu machen. Da wo die Enden des Riemens
befeſtigt waren, ſaßen wohl als Schmuck zwei goldene Scheiben
oder Roſetten, Taſſel oder Teſſel genannt. Die noble Dame
pflegte dieſen Mantel ſo zu tragen, daß ſie mit dem einen Arm
einen Theil in die Höhe hielt, während ſie mit derſelben Hand
die beiden Seiten vorn zuſammenfaßte und ebenfalls etwas in
die Höhe hob, die beiden vordern Finger aber oder den Daumen
der andern Hand in die Borte legte, welche ſie mit denſelben ein we-
nig herabzog. In dieſer Geſtalt ſind die Frauen häufig auf ihren
Grabſteinen abgebildet; daß es auch die Sitte des Lebens war,
erfahren wir aus einer Schilderung der Iſolde in Gottfrieds
Triſtan, auf welche wir weiter unten noch des Näheren zurückkom-
men werden. Ihr Mantel, wie er hier geſchildert wird, „weder
zu kurz noch zu lang und, da er niederſank, weder zur Erde ſchwe-
bend noch empor,“ ſoll nach franzöſiſchem Schnitt gemacht ſein.
Der Ausdruck kommt öfter beim Mantel vor; ob aber damit die
eben beſchriebene Form gemeint iſt, in welcher nichts Abweichen-
des zu liegen ſcheint, vermögen wir nicht zu beſtimmen. Beim
Sitzen wurden die beiden Seiten des Mantels auf den Schooß
über einander gelegt; die Beine darunter zu kreuzen, war wider
den Anſtand. Die Frauengeſtalten unter den berühmten Statuen
im Naumburger Dom tragen denſelben Mantel, nur hat er am
Hals einen kleinen umgelegten Kragen gleich dem des heutigen
Männerrockes. Den Mantel in der mehr alterthümlichen Form,
wie er auf der Bruſt mit der einzigen Agraffe, die auch wohl in
dieſem Falle Taſſel heißt, geheftet wird, geben die Künſtler wie
die Dichter ſtets der Jungfrau Maria und andern Heiligen. Oft
auch bleibt bei Perſonen jeden Standes der Schmuck völlig fort,
und es fallen die beiden Seiten ſchlicht über die Schultern herab.
Dieſe Form allein kennen die Bilder der Weingarter Handſchrift
und die in der Heidelberger Handſchrift des Sachſenſpiegels,
welche letzteren überhaupt die Kleidung einfacher halten. — Der
[117]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Stoff des Mantels war Wolle, Seide und Sammet; das Unter-
futter ein ähnlicher, andersfarbiger Stoff oder beim ritterlichen
Stande gewöhnlich koſtbares Rauchwerk. —


An der Stelle des Mantels und als völliger Erſatz für ihn
wurde häufig die Kappe getragen, ein Gewand, welches insbe-
ſondere noch der Männerwelt als Reiſekleidung diente. Im vier-
zehnten Jahrhundert kam ſie in häufigeren Gebrauch, doch be-
diente ſich ihrer ſchon Ulrich von Liechtenſtein auf ſeiner Venus-
fahrt beim Reiten ſtatt des viel unbequemeren Mantels. Es war
ein Gewand mit offenen Halbärmeln, welches angezogen wurde
und ſomit in ſeiner Form mehr dem Oberkleide als dem Mantel
glich. In der erſten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts — auch
wohl ſchon einige Jahrzehnte früher — war die Kappe mit Kra-
gen und Kaputze verſehen, in welcher ſie auf einem Elfenbein-
ſchnitzwerk von Damen getragen wird, welche zu Pferde einer
Hirſchjagd folgen. *)


Zu erwähnen ſind noch ein Paar beſondere Kleidungsſtücke,
deren temporärer und localer Gebrauch ein ſehr beſchränkter ge-
weſen iſt. Dahin gehört der Kurzabold oder Kurzibald,
deſſen ſchon im elften Jahrhundert gedacht wird. Wahrſcheinlich
war er ein kurzes, rund geſchnittenes, ärmelloſes Gewand, wel-
ches mit der ganzen Entwicklungsgeſchichte des Coſtüms wenig in
Verbindung geſtanden zu haben ſcheint. Im dreizehnten Jahr-
hundert verſchwindet er wieder völlig. Das zweite iſt ein breiter
Zobelpelz, deſſen im Wigalois Erwähnung geſchieht, wo ihn eine
Jungfrau um die Schultern legt und dadurch ihren Hals größ-
tentheils verdeckt. —


Dieſe Periode, welche ſo mannigfach, ohne zu entblößen,
die Schönheit aus ihrer formenloſen Verhüllung befreite und zu
einer durch Wohlanſtändigkeit gemäßigten Wirkung kommen
ließ, löſete auch mehr und mehr das Haar aus Feſſeln und ver-
bergender Hülle. Im Lauf des zwölften und dreizehnten Jahr-
[118]II. Das Mittelalter.
hunderts wurde es in der höfiſchen Damenwelt faſt durchgängige
Sitte, mit Aufgebung aller gebundenen Friſuren, das auf der
Mitte über der Stirn geſcheitelte Haar in voller Länge und Schön-
heit mit reicher wogender Lockenfülle über Nacken und Schultern
den Rücken hinab fließen zu laſſen. Nur in Trauerfällen ſchnitt
man, wie bei der Einkleidung einer Nonne, das Haar ab. Schon
auf den Bildern der Herrad von Landsberg iſt dies faſt aus-
nahmsloſe Tracht, doch liegt zuweilen ein Schleier darauf. Die
ſpätere, unterſcheidende Sitte, nach welcher Jungfrauen den
Kopf bloß tragen, Verheirathete aber mit Schleier oder Haube be-
deckt, iſt im zwölften Jahrhundert noch nicht durchgeführt, wäh-
rend in der zweiten Hälfte des folgenden die Bilder des Heidel-
berger Sachſenſpiegels dieſen Unterſchied genau feſthalten. Ehr-
würdige Matronen und die heiligen Frauen der Bibel, nament-
lich Maria, damals noch mehr die ſchmerzbewußte Mutter als die
gefeierte und liebend verehrte Jungfrau, tragen bei der Herrad
gleich den Nonnen das Haar dicht verhüllt; eine geſchmückte
Braut läßt es in voller Pracht herabfließen. Grade ſo trägt es
auch die Perſonification der Tugend, während die junge Freun-
din eines Soldaten, die von der Tugendleiter herabſtürzt, es mit
dem Schleier bedeckt hat. Von den Frauen, welche die ſieben
freien Künſte darſtellen, haben vier das Haar frei und aufgelöſet,
drei aber den Schleier darüber. Man ſieht, welche Willkür noch
damals herrſchte. Die freie, wogende Lockenfülle, wie ſie dann zur
allgemeinen Herrſchaft kam, erſcheint im höchſten Grade natürlich
und kunſtlos, muß aber doch viel Mühe und Zeit gekoſtet haben,
denn Bruder Berthold, der Landprediger, wirft den Frauen vor,
daß ſie das halbe Jahr an ihre Locken verwendeten. So großen
Geſchmack hierin die Frauen beweiſen, ebenſo große Geſchicklich-
keit zeigen auch die Künſtler in der Darſtellung mit ewig wech-
ſelndem Schwung der Linien.


Um das Geſicht vor dem Herüberfallen der Locken zu ſchützen
und dieſe trotz Wind und Bewegung zuſammen zu halten, trug
man mehrfachen Schmuck und verſchiedenartige Hauben. Die
Mannigfaltigkeit derſelben war nicht gering und ſcheint häufig
[119]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
durch Landesſitte bedingt worden zu ſein, wie aus der Schilderung
von Artus Hof im Parzival zu ſchließen iſt:


„— — — Man ſah

Hohen, niedern Kopfputz auch,

Wie es in jedem Land Gebrauch;

Sie kamen her aus manchen Reichen,

Die ſich in Sitt’ und Schnitt nicht gleichen.“

Der einfachſte Kopfſchmuck war ein ſchmaler, goldener oder
ſilberner Reif, welcher über der Stirn das Haar umſchloß und
zuſammenhielt. Derſelbe wurde im Frühling und in der Som-
merzeit viel und gern durch einen natürlichen Blumenkranz er-
ſetzt, am liebſten von rothen und weißen Roſen, den ſinnvollen
Blumen der Verſchwiegenheit in der Liebe, wie z. B. dergleichen
die ſchönen Jungfrauen auf Monſalvage, welche dem Gral vor-
aufgehen, auf dem Haupte führen. Einen ſolchen Goldreif, doch
ſchon mit edlem Beſatz, ſetzt ſich in der poetiſchen Erzählung die
ſchöne Phyllis auf ihr Haar, da ſie ſich bereitet, den weiſen Ari-
ſtoteles zu verlocken: der war ſchmal, wie er ſein ſollte, gearbeitet
mit hoher Kunſt und Gemmen lagen darin zwiſchen dem Ge-
ſteine, Smaragden und Jachande, Sapphire und Chalcedone.
Der ſchmale Reif war ſehr beliebt, doch gab es daneben auch brei-
tere Formen, oder er wurde aufgelöſet in eine Reihe goldener
Scheiben oder Roſetten; endlich wuchs er heran zum Diadem,
zur reichgeſchmückten Krone, welche die Damen ritterlichen Stan-
des trugen, ohne daß ſie Fürſtinnen zu ſein brauchten. Alle dieſe
Formen, die den Namen Schapel führten, und die königliche
Krone ſelbſt, konnten auch über dem Schleier getragen werden.
Die Damen der Weingarter Liederhandſchrift haben das Schapel
wie einen weißen oder goldigen, mit kleinen zinnenartigen Zacken
verſehenen Reif, über den ein anderer ſich quer von einem Ohr
zum andern hinüberlegt.


Eine zweite Art von Kopftracht neben dem Schapel war das
Gebende, welches ſchon mehr einer Haube glich. Auf den Bil-
dern der Herrad von Landsberg findet ſich weder Schapel noch
Gebende, doch kennt beide das Nibelungenlied, und ſo mag ihre
[120]II. Das Mittelalter.
Entſtehung oder ihr Uebergang nach Deutſchland am Ende des
zwölften Jahrhunderts ſtatt gefunden haben. Die Frauen bei
Rüdeger in Pechlaren


„Trugen auf den Häuptern von Golde lichtes Band,

Das waren Schapel reiche, daß ihnen ihr ſchönes Haar

Zerzauſeten nicht die Winde.“

Und als Chriemhild die Brunhilde und ihr Geſinde empfängt,


„Sah man die Schapel rücken mit weißen Händen dann,

Da ſie ſich küßten beide.“

Ein ander Mal, da Chriemhild den König Etzel begrüßt und ihn
küßt, muß ſie das „Gebende“ hinaufrücken, weil es im Wege
ſteht. Wie anderswo beide Ausdrücke mit einander verwechſelt
werden, ſo ſcheinen auch in der zweiten und dritten der angeführ-
ten Stellen Schapel und Gebende daſſelbe zu bezeichnen. Die
urſprüngliche und gewöhnliche Form dieſer letztern Kopftracht war
ein ſteifes Band, etwa von der Breite einer Damenhand, welches
wie ein Reif oder, wenn oben geſchloſſen, wie ein flaches Barett
das Haupt umſchloß; befeſtigt war es durch ein anderes Band,
welches, unten ſchmäler werdend, ſich um Wangen und Kinn
herum legte. In der Zeit der Maneſſiſchen Handſchrift (um 1300)
hat das Gebende oben einen welligen Rand erhalten, den man
für feine Pelzverbrämung halten könnte. Die Farbe iſt am häu-
figſten weiß, doch erſcheinen daneben Roth, Grün u. a. Auch
die Frauenſtatuen im Naumburger Dom tragen dieſes Gebende,
aber von einem edelſteinbeſetzten Goldreif umzogen. Im drei-
zehnten Jahrhundert und im Anfang des vierzehnten ſtellte ſich
das Gebende im ritterlichen Stande im Allgemeinen als die
Tracht der verheiratheten Frauen dem Schapel, als den Jung-
frauen angehörig, entgegen. Beide tragen ſonſt das ungebundene
Lockenhaar. Ein ſeltner Fall dürfte es ſein, wenn eine Frau das
Gebende über dem in ein Goldnetz gefaßten Haar trägt, wie ein
derartiges Beiſpiel Hefner (I, 49) mittheilt. In der Maneſſiſchen
Handſchrift findet ſich nur ein paar Mal das Haar unter einer
Netzhaube zuſammengefaßt, welche in ihrer Form einem breiten
Hute gleicht. In Heinrichs von Friberg Triſtan trägt die blonde
[121]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Iſolde über dem glänzenden Gebende eine Krone von feinem ara-
biſchen Golde mit Edelſteinen. Aehnliches kommt auf Bildern
vor *); ſo trägt z. B. Herodias die Krone auf dem Schleier und
dem Gebende mit dem um das Kinn gehenden Streifen, und
ähnlich iſt ebendaſelbſt die Himmelskönigin Maria dargeſtellt,
nur wallt bei ihr der Schleier über die Krone hinweg.


Als drittes Stück der Kopftracht behauptet ſich der Schleier,
bald in leichterer, loſer Geſtalt frei aufgelegt, bald haubenartig
oder, wie bei der Superbia der Herrad von Landsberg, phanta-
ſtiſch als Turban verſchlungen und mit den Enden herabfallend
und vom Winde bewegt; bald liegt er auch als ſchwererer Stoff
über den Kopf und verhüllt ihn theilweiſe. In dieſer letzten Form
zeigt er ſich auch in der Maneſſiſchen Handſchrift, doch athmen
dieſe Bilder noch zu viel des heitern Rittergeiſtes, als daß er hier
nonnenhaften Eindruck machen könnte. Er iſt nur loſe über den
Kopf gelegt und fällt faltig und frei auf die Schultern, nicht
einmal das reiche, aufgelöſete Haar, viel weniger das Geſicht
verdeckend. Häufig liegt noch über ihm ein reiches, goldenes
Schapel, oder er iſt mit buntem Saum verziert.


Schon in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, zu der
Zeit, als ſich zuerſt die Oppoſition gegen den Frauendienſt und
die Heiterkeit des höfiſchen Ritterlebens geltend machte, geſellte
ſich zu dem haubenartigen Schleier noch die Riſe, ein Tuch,
welches Kinn und Mund verhüllte. Beide zuſammen ſpielen frei-
lich noch im vierzehnten und funfzehnten Jahrhundert als unter-
ſcheidende Tracht verheiratheter Frauen eine bei weitem größere
Rolle. Ulrich von Liechtenſtein aber, da er ſich als Frau Venus
verkleidete und ſomit Urſache hatte, ſein männliches Geſicht zu
verdecken, trug zum Schleier ſtets noch die Riſe und verhüllte mit
beiden ſein Geſicht bis auf die Augen. In dieſer Geſtalt ging er
auch in die Meſſe, wo er ſich aber ebendadurch verrieth. Es war
Sitte, daß man bei den Worten des Prieſters: Pax Domini sit
vobiscum,
ſeinem Nachbar einen Kuß, das Pace, gab. Ganz
[122]II. Das Mittelalter.
dieſer Sitte gemäß bot er nun, als Dame, den Kuß einer neben
ihm ſitzenden ſchönen Gräfin. Aber es war wider die Sitte,
daß er es mit verbundenem Geſichte that. Die Gräfin verlangt
daher, wofern ſie das Pace von ihm nehmen ſolle, daß er zuvor
die Riſe vom Geſicht fortziehe. Er that es. Die Schöne erkannte
ihn lachend als einen Mann, doch erfüllte ſie ſein Begehren, „um
aller guten Weiber willen, weil er Frauenkleider angelegt habe.“


Weil Ulrich von Liechtenſtein das volle aufgelöſete Haar der
Frauen an ſeinem Haupte nur ſchwer hätte herſtellen können, ſo
wählte er eine im Vergleich zu dieſer weit ſeltnere Tracht, die
Zöpfe. In ſolcher Länge ließ er ſie machen, daß ſie herab bis
auf den Sattel reichten, wenn er zu Pferde ſaß, und umflocht ſie
netzartig mit Perlſchnüren. Die Zöpfe in dieſer Geſtalt, mit
Perlen oder farbigen und goldenen Schnüren umwunden, ſind
in jener Zeit in Deutſchland auf bildlichen Quellen eine ſeltne
Erſcheinung. Auf den Bildern der Herrad von Landsberg trägt
ſie die ſchon mehrfach erwähnte Dirne, mit Bänden umflochten,
und weit über den Rücken herabfallend. Die Bilder der Lieder-
handſchriften geben kein Beiſpiel mehr. Häufiger iſt ihre Erwäh-
nung in den epiſchen Gedichten, welche ihren Stoff aus Frank-
reich geholt haben, und namentlich im Wigalois, wo ſie, mit
Gold und Seide bewunden, als gewöhnliche Tracht angenommen
zu ſein ſcheinen. Auch Wolfram kennt ſie im Parzival, aber nur
an jenem Ungeheuer, der oben geſchilderten Kondrie:


„Ueber den Hut ihr Zopf ſich ſchwang

Bis auf das Maulthier; er war lang,

Schwarz und feſt, nicht allzuklar,

Lind wie der Schweine Rückenhaar.“

Oefter ſind auch die langen Locken ſelbſt im uneigentlichen Sinne
Zöpfe genannt, was um ſo eher geſchehen konnte, als ſich die
Spitzen der wallenden Haarmaſſen zuweilen von kleinen Perl-
ſchnüren umſchlungen finden.


Hüte für Frauen werden von den Dichtern mehrfach er-
wähnt. So wird häufiger ein Pfauenhut mit ſeidener Schnur
genannt. Auch die Jungfrau Kondrie trägt einen ſolchen aus
[123]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Lunders, mit Plialt (Seide) gefüttert und mit neuer Schnur ver-
ſehen. Da der Hut aber nur bei beſondern Gelegenheiten getra-
gen wurde, z. B. auf Reiſen, ſo iſt er auf Bildern ſelten und
ſeine Form ſchwer zu beſtimmen. Auf einem Bilde der Maneſſi-
ſchen Handſchrift trägt eine junge Schnitterin bei der Arbeit einen
Strohhut mit rundem Deckel und ziemlich breiter, ſchräg herab-
ſtehender Krämpe und ſchmalem Bande. Bei Männern kommt er
öfter und in vielfacherer Geſtalt vor.


Obwohl der Handſchuhe ſelten gedacht wird, und ſie bei
Frauen auf Bildern uns nicht begegnen, es ſei denn auf der
Jagd oder auf Reiſen oder wenn der Falke auf der Hand ſaß, ſo
dürfen wir doch bei der Pflege, welche die Damen jener Zeit den
Händen zu Theil werden ließen, bei dem Werth, den man auf
eine zarte, weiße Hand legte, immerhin annehmen, daß ſie außer-
halb des Hauſes allgemeine Tracht waren. Nur lebten die Frauen
mehr in ihrer Häuslichkeit, als es heut zu Tage geſchieht. Proven-
çaliſchen Dichtungen zufolge ſoll Ritter Iwein die Mode der
Handſchuhe aufgebracht haben. Ulrich von Liechtenſtein, der uns
bereits mehrfach eine gute Quelle geweſen iſt, hält ſeinen Damen-
anzug nicht für vollſtändig, wenn ſeine Hände nicht mit guten,
ſeidenen und wohlgewirkten Handſchuhen bedeckt ſind. Auch fei-
nes und weißes Leder wird als Stoff erwähnt und wurde noch
mehr geſchätzt als die Seide. Weiß war die feinſte Farbe, wie
heute, doch waren daneben die andern Farben ebenſo in Ge-
brauch; auch mit Stickereien verſehene kommen vor. Die engli-
ſchen Könige des zwölften Jahrhunderts tragen auf ihren Grab-
ſteinen Handſchuhe, auf deren Handfläche ein großer Edelſtein
befeſtigt iſt, eine Sitte, welche ſich bekanntlich lange bei der höhern
Geiſtlichkeit erhalten hat. Da die Aermel des Rockes ſtets bis
zum Handgelenk gingen, ſo waren die Handſchuhe gewöhnlich
kurz; auf Reiſen aber und auf der Jagd bedeckten ſie ſtulpenartig
den halben Unterarm. Aehnlich ſind die Handſchuhe im Heidel-
berger Sachſenſpiegel, wo ſie häufig in rechtlicher Bedeutung ab-
gebildet ſind; ihre Farbe iſt auch hier weiß, aber ſie ſind am
Handgelenk mit zwei gelben oder rothen Streifen umgeben. Noth-
[124]II. Das Mittelalter.
wendig waren dieſe Handſchuhe auf der Falkenjagd für Herren wie
für Damen, wenigſtens für die linke Hand, und auch, wenn der
Falke bloß als Spielzeug bei Beſuchen, bei Feſten oder ſonſtigem
Erſcheinen in der Oeffentlichkeit, ſelbſt, wie es in der Provence
Sitte war, beim Kirchgang mitgeführt wurde. Im Hauſe wur-
den die Handſchuhe nicht getragen und im fremden ſogleich abge-
legt. Im ſkandinaviſchen Norden war es anders. Da zog man
in Geſellſchaft die Handſchuhe nicht aus, und nur, wenn man
vor einen Vornehmen trat, erforderte es die Höflichkeit, mit un-
bedeckten Händen zu erſcheinen. —


Die Füße wurden bei der langen verhüllenden Frauenklei-
dung ſehr ſelten ſichtbar, um ſo mehr, als die Wohlanſtändigkeit
es durchaus verbot. Dennoch wurde auf eine gute Fußbeklei-
dung
viel Werth gelegt, und grade wie heutiges Tages konnte
man daran die Feinheit und Vollendung der Toilette erkennen.
Wie die Füße das Beiwort ritterlich oder höfiſch erhalten, ſo
wird auch von den Schuhen geſagt, daß ſie ritterlich geſtanden,
und von der Königin Nyfrogar heißt es im Wigamur, daß ihre
kleinen Füße „geſchuht ſeien nach Meiſters Liſten.“ Der Schuh
wurde genau nach dem Fuße gemacht und ſo, daß für jeden Fuß
nur einer paßte. Er umſchloß ihn ganz und ſchmiegte ſich aufs
engſte und zierlichſte an. Solche ſtiefelettenartigen, äußerſt zier-
lichen Schuhe trägt die ſchon öfter erwähnte Figur der Superbia,
die wir als das Muſter einer feinen, wenn auch ein wenig hof-
färtig gekleideten Dame aus der zweiten Hälfte des zwölften
Jahrhunderts betrachten können. Sie ſind ſchwarz, aber vom
Fußblatt herauf vierfach mit je zwei weißen Riemchen umzogen,
welche oben eine weiße Perle tragen; vorn endigen ſie in eine
feine, aber nicht weit vortretende Spitze. Eine ähnliche Art von
Schuhen iſt wohl im Wigalois gemeint, wo Frau Larie „Schuhe
von Borten gut“ anhat. Außer Schwarz und Weiß kommen auch
die übrigen Farben vor, z. B. häufig Roth und Gelb, und mit
feinen ſchwarzen Linien rautenförmig oder in anderer Muſterung
überzogen, womit möglicher Weiſe das gepreßte Muſter des Cor-
duanleders angedeutet ſein könnte. Denn von dieſem Stoffe und
[125]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
von anderem feinen Leder waren die Schuhe häufig; desgleichen
auch von Seide und Gold- und Silbergeweben. Die Feinheit
der Stoffe machte es möglich, daß der Schuh, beſtändig nach der
Form des Fußes gemacht, ſich ſeiner Geſtalt leicht und bequem
anſchmiegen konnte.


Die häusliche Erſcheinung einer Dame wurde vollendet
durch eine Taſche von Leder oder gewebtem Stoffe, mit gepreß-
ter oder geſtickter Arbeit. Sie hing an einem langen Riemen oder
einer Borte vom Gürtel tief herab. Häufig war dieſer nur da,
um jene zu tragen, oder er bildete mit ihrem Riemen nur ein
Stück. Dieſe Taſche von ſehr mannigfacher Form diente vorzugs-
weiſe zur Aufbewahrung der Schlüſſel oder anderer Kleinigkeiten
des häuslichen Dienſtes. Außerhalb des Hauſes iſt ihr Gebrauch
in dieſer Zeit weit ſeltner, doch nicht ohne Beiſpiele, da ſelbſt
Königinnen auf ihren Grabſteinen mit derſelben abgebildet ſind. —


Alle die bisher aufgeführten Einzelheiten, welche dazu gehö-
ren, um die äußere Erſcheinung einer höfiſchen Dame dieſer Pe-
riode zu vollenden, vereinigen wir noch in ein Geſammtbild, in-
dem wir die ſchöne Schilderung der blonden Iſolde in Gottfrieds
Triſtan zu Grunde legen, wie ſie von ihrer Mutter, gleich der
Sonne vom Morgenroth, zu König Marke geführt wird. Ihre
ſchlanke und doch volle Geſtalt bewegte ſich in züchtigem Maße.
Das Kleid ſchmiegte ſich „heimelich“ an Hüfte und Oberkörper
den Formen an und fiel dann, in der Taille noch von einem
Gürtel umſchloſſen, in ſchönen und reichen Falten, welche die
Füße verhüllten, auf den Boden herab. Um die Schultern lag
der Mantel von braunem Sammet, gefüttert mit weißem Herme-
lin und bordirt mit ſchwarzem und grauem Zobelrand, der nach
höfiſcher Sitte geſchnitten und weder zu ſchmal noch zu breit war.
Der Mantel hatte zwiſchen Kürze und Länge das rechte Maß, ſo-
daß er das Kleid nicht völlig verdeckte, und war auf der Bruſt
befeſtigt durch ein Schnürlein von weißen Perlen, wohinein die
Schöne den Daumen ihrer linken Hand geſchlagen hatte. Mit
zwei Fingern der rechten Hand hatte ſie zierlich, wie es die Sitte
gebot, weiter unten die beiden Seiten des Mantels zuſammenge-
[126]II. Das Mittelalter.
faßt und ein wenig in die Höhe gehoben, daß der untre Theil
faltig wieder herab fiel. So ſah man den Ueberzug und das
Hermelinunterfutter mit dem Zobelbräm, beides mit einander.
Ihr blondes Haar umſchlang ein ſchmaler goldener Reif von
ſchöner Arbeit und in zierlicher Faſſung mit kleinen leuchtenden
Edelſteinen belegt. Ihr Haar war von ſo ſchönem goldigen Blond,
daß man den Reif nicht hätte von ihm unterſcheiden können,
wenn nicht die lichten Steine darin geweſen wären. So ging
Iſolde neben ihrer Mutter her, grade und ſchlank und frei, aber
gemeſſen und züchtig bewegt, gleich dem ſchwanken Rohr oder dem
leichten, grazioſen Sperber, mit Tritten, die nach höfiſcher Sitte
weder zu kurz noch zu lang waren. Mit ruhig gehaltenem Kopfe
bewegte ſie nur ein wenig die Augen um ſich ſpähend, wie es der
Falke auf dem Aſte thut, und ließ ſie leiſe und ſüß herumweiden,
während denen, die in dieſe Augen, in die zwei Spiegelgläſer
blickten, ſie ein Wunder und eine Wonne däuchten. Ruhig ant-
wortete ſie den Grüßen der Menge. Während die Mutter hierhin
und dahin voll Leutſeligkeit auch ein freundliches Wort hatte,
ſchwieg die Tochter und grüßte nur durch ſanftes Verneigen und
eine leiſe Bewegung der Hand, ohne den Mantel loszulaſſen.


Die Carricatur einer ſolchen ächt weiblichen Erſcheinung,
gleich ausgezeichnet durch Anmuth, Adel und züchtiges Weſen,
giebt Ulrich von Liechtenſtein, da er als Frau gekleidet, von
Frauen begleitet, zur Meſſe ſich begab. Da er den Gang anfing
mit ſanftem Auftreten und Schritte machte, die kaum Hände breit
waren, da er das ſanfte Neigen und die natürlich zurückhaltenden
Bewegungen, wie ſie Anmuth und Schicklichkeit gebieten, in über-
triebenem Maße und affectirter Ziererei nachahmte, da erhob ſich
um ihn her ein allſeitiges Gelächter. — —


In welcher Weiſe ſich im Allgemeinen der Charakter der
männlichen Kleidung auf Grundlage der vorhandenen For-
men änderte, haben wir ſchon oben geſehen. Er geht in ſeinen
Wandlungen der weiblichen Tracht parallel und nähert ſich ihr in
Einzelheiten in auffallender Weiſe. Die Anzahl und die Bedeu-
tung der Kleidungsſtücke, welche zur vollſtändigen und gewöhn-
[127]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
lichen Erſcheinung eines nobeln Mannes gehören, lernen wir aus
der Erzählung vom bloßen Ritter kennen, welche von der Hagen
in der Sammlung der Geſammtabenteuer mittheilt. Einſt kehrte
bei ſchlechtem Wetter ein armer Ritter bei einem andern als Gaſt
ein. Kalt und naß, wird er ans Feuer geſetzt, mitten zwiſchen die
beiden Töchter des Wirths. Das Feuer brennt ſtark, und als die
Hitze zu arg wird, entkleidet ſich der Wirth ſeines Rockes, ſodaß
er im Hemde daſitzt, und bittet den Gaſt völlig ungenirt ſeinem
Beiſpiel zu folgen. Dieſer widerſtrebt und entſchuldigt ſich mit der
Unſchicklichkeit, ſo etwas im fremden Hauſe unter Damen zu
thun. Der Wirth, welcher dieſen Grund für aufrichtig gemeint
hält, wird dringender und will endlich, voll guten Willens, es
ſeinem Gaſt ſo bequem wie möglich zu machen, dieſen mit Ge-
walt von dem in der Hitze läſtigen Kleidungsſtück befreien. Er
giebt ſeinen Dienern einen Wink; plötzlich faſſen dieſe den Rock
und ziehen ihn über das Haupt des Ritters, der auf einmal völlig
nackt zwiſchen den beiden Damen ſitzt.


„Da war der Gaſt beraubt durch die viel Minne

Der Ehren und der Sinne;

Er ſaß, da er ward ohne Rock,

Recht als ein beſchälter Stock,

Ohne Hoſe und ohne Hemd,

Die waren ihm beide fremd.“

Wir erkennen aus dieſer Erzählung, daß Hemd, Rock und Bein-
kleid die Kleidungsſtücke waren, welche beim anſtändigen Mann
als durchaus nothwendig vorausgeſetzt wurden, wozu dann noch
ergänzend der Mantel kam, und ferner, daß in dieſer Zeit, im
dreizehnten Jahrhundert, der Rock ſo lang war, daß er den gan-
zen Mann bedeckte. Dieſelbe Zahl der Kleider findet auch anders-
wo, z. B. im Parzival, ihre Beſtätigung. Als Gawan, von
Wunden und Kampf erſchöpft, ausgeruht hat und vom Bette ſich
erhebt, findet er zum Austauſch für ſeine blutige und von Eiſen-
roſt befleckte Kleidung auf ſeinem Stuhl einen vollſtändigen An-
zug. Derſelbe beſteht aus Hoſe und Hemd, einem Rock, mit
Marderpelz gefüttert, und einem Mantel nebſt Marderhut und
[128]II. Das Mittelalter.
Stiefeln. So wird auch Parzival beim alten Gurnemans, ſeinem
Lehrer in ritterlichen und höfiſchen Dingen, gekleidet, als er die
Narrengewandung abgethan. Mit roth ſcharlachnen Hoſen wur-
den ſeine Beine bedeckt, Rock und Mantel legte er an von brau-
nem Scharlach, ſchön geſchnitten und mit weißem Hermelin ge-
füttert und mit Zobel verbrämt, und gürtete den Rock mit reichem
Gürtel und befeſtigte an die Bruſt einen theuren Fürſpann.
Hemd und Rock gehören auch im Nibelungenlied zuſammen. Als
Günther und Hagen mit Sigfried in die Wette laufen, entklei-
den ſie ſich des Rockes —


„Günther zog und Hagen vom Leibe nun das Kleid,

In zwei weißen Hemden ſtanden ſie alle beid.“

Der Rock, oder die alte Tunica, muß als das Hauptſtück
des männlichen Anzugs betrachtet werden, welches durchaus von
allen getragen wurde, wenn auch nicht in derſelben Form. Das
Hemd bezeichnet ſchon eine höhere Stufe der Geſellſchaft; dem
Arbeiter, dem Bauer war es nicht nothwendig. Beim Manne
war es gewöhnlich von weißer Leinwand, obwohl auch im Ni-
belungenlied ſeidene Männerhemden vorkommen. In ſeiner Be-
deutung geht das Wort weiter und findet ſich bisweilen für den
Männerrock gebraucht, wie wir Aehnliches bei der Frauenkleidung
geſehen haben. So in der Erzählung von einem frommen Schü-
ler, der einſt ein Bild der Maria dem Wetter ausgeſetzt findet;
da zerreißt er mitleidsvoll ſein Hemd, bedeckt das Bild damit und
muß ſich dann feſter in ſeinen Mantel hüllen.


Der Rock folgte auch darin der allgemeinen Richtung der
Zeit, daß er einerſeits länger wurde und faſt in weiblicher Weiſe
die Beine umwallte, andrerſeits ſich mehr den Körperformen
fügte und ſie enger umzog, ohne jedoch hierin der Frauenkleidung
gleich zu kommen. Wenigſtens ſcheint dieſe Mode bei Männern
in Deutſchland damals noch nicht zur allgemeinen Sitte gewor-
den zu ſein. Auf den Bildern der Herrad bewahrt der Rock noch
ſo ziemlich den Charakter des elften Jahrhunderts, prunkt jedoch
nicht mehr in gleicher Weiſe mit Edelſteinen und Gold. Die
ausgebildete höfiſche Sitte verlangte durchaus Maßhaltigkeit in
[129]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
der Anwendung des Schmuckes auf die Kleider; denn als Triſtan
ein Kleid trägt von fremdem, goldgewirktem Stoffe, deſſen ſeidene
Streifen kaum erkannt werden, da ſie „überall in Gold ertränkt
und in Gold verſenket“ waren, ſo wird ausdrücklich vom Dichter
bemerkt, daß es nicht „in der Maße des Hofes“ geweſen ſei. Der
Rock legt ſich eng um die Arme und, am Körper weit, iſt er faltig
in der Taille gegürtet. Bei vornehmen Leuten reicht er tiefer, bis
über die Wade, bei Fürſten und Weiſen ſelbſt bis auf die Füße
herunter. Am Handgelenk und um die Mitte des Oberarms um-
ziehen die Aermel bunte, oft wohl goldene oder mit goldener
Stickerei verſehene Streifen, und ein breiterer von derſelben Art
läuft unten am Rande herum. Leute geringeren Standes tragen
ihn weit kürzer. Der Rock iſt immer gegürtet, wenn auch der
Gürtel oft nicht ſichtbar iſt. Auf der Reiſe wurde er beim Wan-
dern durch den Gürtel ſoweit in die Höhe gezogen, daß die Kniee
frei waren. So tragen die heiligen drei Könige ihre Röcke, da ſie
dem Sterne nachgehen. So macht es auch Triſtan auf der Wan-
derung: unter ſeinem Gürtel zog er ſeinen Rock ein wenig höher
und wand zugleich den Mantel zuſammen und legte ihn auf ſeine
Achſel, um ungehinderter durch den Wald gehen zu können. Ein
ander Mal, da er ſich bereitete, den Hirſch jagdgerecht zu zerlegen,
legte er den Mantel ab, zog ſeinen Rock höher, ſein ſchönes Haar
ſtrich er nieder und legte es hinter das Ohr. Eitle Leute, ſtutzer-
hafte Soldaten, phantaſtiſche Gaukler und dergleichen zacken den
untern Saum des Rockes mit kürzeren oder tieferen Einſchnitten
aus, was der ehrbare Mann damals noch verabſcheute.


Der Schmuck des Rockes, der bis dahin aus aufgenähten
Borten beſtanden hatte, erlitt in Folge des geſteigerten Verkehrs
mit den Sarazenen eine Aenderung. Dieſe allein verſtanden es,
ſtatt der Stickerei im Abendlande Muſter, namentlich mit Gold-
fäden, in die Stoffe hineinzuwirken. Von jetzt an erhielten dieſe
goldgewebten, fremden Stoffe den Vorzug vor den geſtickten und
bordirten, welche mehr und mehr aus dem Gebrauch verſchwan-
den und ſich faſt nur bei fürſtlicher Kleidung erhielten. Doch
werden wir ihnen ſpäter wieder begegnen. — Den Fürſten blieb
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 9
[130]II. Das Mittelalter.
auch noch die weite und faltige Tunica mit der größten Länge,
als ſich ſchon allgemein dieſelbe verengerte. Triſtan trägt einen
Rock, der nach ſeinem Leibe wohl geſchnitten iſt, woraus man
ſieht, daß man nunmehr nach der Form des Leibes anmißt. Ein
ander Mal ſchmiegt ſich ihm die Seide des Rockes ſo glatt an
den Körper, „wie ein ſolcher Stoff am beſten ſoll.“ Im Wigalois
trägt ein Knappe ſogar einen Rock, „der mit großem Fleiß ge-
ſchnürt iſt.“ Auf deutſchen Bildern begegnet uns dergleichen
nicht. Die Bilder der Heidelberger Handſchrift des Sachſenſpie-
gels, die für höfiſches Ritter- und Modeweſen freilich nicht auf
der Höhe der Zeit ſtehen, zeigen doch den männlichen Rock der
herrſchenden Richtung gemäß bedeutend verändert. Faſt erreicht
er die Füße und wirft, über den Hüften gegürtet, am Oberkörper
nur wenige, leichte Falten. In der Weingarter Liederhandſchrift,
deren Bilder ein wenig älteren Charakter tragen als die der Maneſ-
ſiſchen, ſind die Figuren am ſchlankſten. Selbſt da, wo ein Ober-
rock oder ein Mantel den Körper größtentheils verdeckt, iſt doch
aus dem Schnitt deſſelben und der Art, wie er dem Körper an-
ſitzt, zu erkennen, daß der Rock ſich dem Oberkörper möglichſt an-
ſchmiegen muß. Er fällt völlig auf die Füße herab. Dieſe beiden
Eigenſchaften, die Länge der Kleidung und die ſchlank gehobene
Figur, nebſt der Bartloſigkeit des Geſichts geben den Männern
dieſer Zeit einen ſo weiblichen Charakter, daß, wenn man nicht
eine Frau daneben ſieht, und ſelbſt dann noch, dem ungeübten
Auge die Unterſcheidung ſchwer wird. So zieht ſich durch die
kunſtgeſchichtlichen Werke noch bis auf den heutigen Tag ein der-
artiger Irrthum, indem die beiden mittleren Statuen an der lin-
ken Seite der goldenen Pforte in Freiberg für zwei Fürſtinnen
gehalten werden, während die zweite von ihnen, die dritte in der
Reihenfolge, eine männliche Figur iſt; nur die unverhüllten Füße
und das Haar geben das zu erkennen.


Die Maneſſiſche Handſchrift weicht wie bei der weiblichen
Tracht, ſo auch bei der männlichen in demſelben Geiſte, den wir
oben haben kennen lernen, von der herrſchenden Richtung ab;
daß es aber nur eine zeitweilige Oppoſition iſt, wird die Folgezeit
[131]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
lehren, wo die Enge wieder mit ſolcher Gewalt hervortritt, daß
ſie raſch die Gränzen der Schönheit überſchreitet. Auf den zahl-
reichen Bildern der genannten Handſchrift iſt der Rock ſelten
ſichtbar; wenn aber, ſo iſt er faltig gegürtet und fällt lang und
weit bis auf die Füße herab. Gewöhnlich wird über ihm ein zweiter
Rock getragen, deſſen auch von den Dichtern ebenſo häufig Er-
wähnung geſchieht. So trägt der ſchon erwähnte Knappe im Wi-
galois über einem ſeidenen Rock noch einen koſtbaren Oberrock,
Schapperun genannt. Als der Bauerſohn Helmbrecht ſeines
Vaters Haus verlaſſen will, um als ritterlicher Abenteurer ſein
Glück zu machen, bedarf er zu ſeiner Ausrüſtung außer dem fei-
nen weißen Linnenhemd noch einen Rock von feinem Wollſtoff,
mit weißem Pelz gefüttert, und endlich einen Oberrock, War-
kus
, wozu die Mutter das feinſte blaue Tuch kauft. In ſolchen
Fällen pflegte der Oberrock den Mantel zu erſetzen, doch nicht im-
mer. So trägt Graf Otto von Botenlauben (geſtorben 1244)
auf ſeinem Grabſtein über dem engärmeligen Rock noch einen
weiten, faltig gegürteten, mit kurzen offenen Aermeln, und darü-
ber hängt ihm auf den Schultern der offene Mantel. Die Bilder
der Weingarter und der Maneſſiſchen Handſchrift weichen davon
ab: ſie zeigen nie Mantel und Oberrock beiſammen und auch den
letzteren nie gegürtet. Den Hals frei laſſend, aber unter demſel-
ben ſich eng herumlegend, fließt der Oberrock luftig und faltig
und ohne Taille bis zu den Füßen herab. An den Aermeln zeigt
er manche Verſchiedenheiten. Gewöhnlich — und ſo immer in der
Weingarter Handſchrift — hat er nur weit ausgeſchnittene Schul-
terlöcher, an denen das Rauchwerk des Unterfutters oder Zobel-
bräm hervortritt; zuweilen auch längere oder kürzere, mehr oder
weniger offene Aermel; ſeltner legen ſich dieſelben knapp, wenn
auch nicht in gleicher Länge, über die unteren.


In dieſer weiten und langen Form führte der Oberrock ge-
wöhnlich den Namen Kappe, wenn er die Stelle des Mantels
vertrat, entſprechend der Frauenkappe. Namentlich beim Reiten,
auf Reiſen, auf der Jagd, auch bei der Arbeit war er bequemer
als dieſer, da er eine freiere Bewegung der Arme geſtattete. Auf
9*
[132]II. Das Mittelalter.
Bildern kommt er in allen dieſen Fällen häufig vor, nicht ſelten
noch mit einer Kaputze verbunden, Gugel genannt, welche über
den Kopf aufgezogen werden konnte und ſo als Bedeckung deſſel-
ben diente. So mit der Gugel verſehen, erhielt auch wohl das
ganze Gewand dieſen Namen. Im Laufe des vierzehnten Jahr-
hunderts, wie wir ſpäter ſehen werden, gelangte die Gugel noch
zu größerer Anwendung und gezierterem Schnitt, während ihr
Gebrauch im dreizehnten mehr auf die genannten Fälle und die
Tracht der niedern Stände beſchränkt blieb. In der häuslichen
Tracht des Ritters iſt die Kappe äußerſt ſelten mit der Kaputze
verſehen. Auch bildete die letztere nicht ſelten ein beſonderes Klei-
dungsſtück, verbunden mit einer Art Halsberge, einem Stück
Zeug, welches ſich um Hals und Schultern herumlegte, ohne
weiter auf Arme und Bruſt herabzufallen. Es hieß ebenfalls Gu-
gel und wurde gleich einem Helm über den Kopf zu jedem belie-
bigen Rock angezogen.


In der Form dieſer mit oder ohne Gugel verſehenen Kappe
hat man ſich die Tarnkappe Sigfrieds zu denken, ein Ober-
kleid, welches ihn jedem andern unſichtbar machte, ihn bewahrte
vor Schlägen und Stichen und ihm zugleich die Kräfte von zwölf
Männern verlieh. Wildes Gezwerg hatte das wunderſame Werk
in hohlen Bergen gewebt und trug es ſelbſt zum Schirm. Es
war ein weites, langes Gewand, das den ganzen Mann von
Kopf zu Fuß verhüllte und über den Kopf angezogen wurde.
Sigfried kann darum, wie der Ausdruck des Liedes lautet, „hin-
einſchlüpfen.“


Auf der Jagd kommt noch ein anderer Oberrock vor, wel-
chen auf einem Bilde der Maneſſiſchen Handſchrift der Markgraf
Heinrich von Meiſſen zu Pferde auf der Reiherbeize trägt. Er be-
ſteht aus zwei breiten Pelzſtücken, die, Bruſt und Rücken ſchützend,
bis auf den Sattelknopf und den Rücken des Pferdes herabfallen,
und auf den Schultern durch beſonders eingeſetzte dreieckige
Schulterſtücke vereinigt ſind. Uebrigens wurde auch auf der Jagd
der gewöhnliche Rock hochgegürtet getragen; am Gürtel hängt
das Jagdmeſſer und eine Taſche. Sigfrieds Rock, den er auf der
[133]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
letzten Jagd trug, da er ermordet wurde, und der ausdrücklich
als Pirſchgewand bezeichnet wird, war von ſchwarzer Seide, aber
reich mit Luchsfell beſetzt und noch nach alter Weiſe mit Gold
verziert.


Wie an dem Mantel der Frauen, ſo können wir auch an
dem männlichen zwei entſprechende Hauptformen bezeichnen: die
eine, welche von der bekannten und anfänglichen Art der Be-
feſtigung durch eine Agraffe ausgeht, und die zweite, welche eine
ſolche Schließung auf Bruſt oder Schulter ganz aufgiebt und ſich
in großer faltiger Maſſe von hinten her über beide Schultern
legt und vorn unverbunden herabfällt. Es giebt vereinzelte Bei-
ſpiele — wir begegnen ihnen ſchon im elften Jahrhundert —,
wo ein Mantel von der zweiten Form ſelbſt togaähnlich mit der
einen Seite von rechts her über die linke Schulter geſchlagen iſt.
Auf den Bildern der Herrad, alſo in der zweiten Hälfte des zwölf-
ten Jahrhunderts, finden wir noch faſt unverändert die Form der
vorigen Periode wieder. Der Mantel reicht gewöhnlich nicht weit
über das Knie herunter, iſt auf der rechten Schulter mit einer
ſcheibenförmigen Agraffe gehalten und mit dem linken Arm in
die Höhe genommen. Der Schmuck und der Goldbortenbeſatz,
der Edelſteine nicht zu gedenken, iſt aber bei weitem geringer ge-
worden. Es gilt in dieſer Beziehung auch vom Mantel, was eben
bei Gelegenheit des Rockes geſagt iſt. Dennoch erſcheint auf
gleichzeitigen Bildern, wie z. B. auf einem von Hefner (I, 69)
mitgetheilten, welches den Grafen Siboto und ſeine Familie dar-
ſtellt, auch bereits die zweite Form; ja wir ſehen, daß beide Ar-
ten von Mänteln unmittelbar neben einander exiſtirt haben müſ-
ſen, denn während der Graf ſelbſt und der eine Sohn die zweite
tragen, zeigt der andre die alte Form. Das Steinbild Kaiſer
Friedrich Rothbarts im Kloſter Zeno bei Salzburg trägt ebenfalls
noch einen verhältnißmäßig kurzen Mantel mit ſchmaler Rand-
borte, welcher vor der Bruſt auf eine nicht erkennbare Weiſe be-
feſtigt iſt. Dieſer Mantel legt auch einen kleinen Kragen um.


Die Befeſtigung des Mantels auf der rechten Schulter
weicht derjenigen auf der Bruſt. Auch dieſe wird im Lauf des
[134]II. Das Mittelalter.
dreizehnten Jahrhunderts, wenn auch nicht völlig aufgegeben,
doch mehr und mehr zurückgedrängt durch eine dritte Form, bei
welcher die Agraffe durch eine Schnur oder einen geſchmückten
Riemen befeſtigt wird. Es iſt ganz dieſelbe Veränderung, wie
die, welche mit dem Frauenmantel geſchah. Jenachdem die
Schnur angezogen oder nachgelaſſen wurde, deckte der Mantel
völlig die Bruſt oder lag nur loſe auf den Schultern. In dieſer
Geſtalt konnte er mit ſeiner Länge auf die Füße herabfallen, wie
ihn Graf Otto von Botenlauben auf ſeinem Grabſtein trägt, oft
aber auch reichte er nicht weit über die Kniee herab.


Wie völlig der Mantel der Männer dem der Frauen glich,
zeigt der Umſtand aufs deutlichſte, daß nach den Erzählungen der
Dichter der eine für den andern zum wirklichen Gebrauch dienen
mußte. So erhält Parzival, als er zum erſten Mal auf Monſal-
vage, dem Schloß des Grals, iſt, einen tadelloſen Mantel von
arabiſcher Seide, den die Königin Repanſe de Schoi ſelber ge-
tragen hat, weil noch kein anderer fertig ſei. Aehnliches kommt
öfter vor. Auch dem Stoffe nach waren die Mäntel ſich gleich;
beide waren von feiner Wolle, Seide oder Sammet, und mit
Seide, Wolle oder gewöhnlicher noch mit koſtbarem Rauchwerk
gefüttert.


Im dreizehnten Jahrhundert und namentlich in der erſten
Hälfte des vierzehnten wurde der Gebrauch des Mantels vor der
zunehmenden Bedeutung des Oberrocks ein verhältnißmäßig ge-
ringer, wie die Bilder der Liederhandſchriften zu erkennen geben.
Doch gilt er hier als vorzugsweiſe noble und namentlich fürſt-
liche Tracht: Kaiſer Heinrich VI. und König Wenzel von Böh-
men ſelbſt und andre Dichter ſind mit demſelben bekleidet. Seine
Form iſt meiſtens von der zweiten Art, die weder Schnur noch
Agraffe hat; er zeichnet ſich durch große Länge und Weite aus.
So trägt ihn Heinrich VI. auf ſeinem Bilde der Maneſſiſchen
Handſchrift; König Wenzel aber, der Landgraf von Thüringen
auf dem Bilde des Sängerkrieges, mit ihnen noch andere und
Kaiſer Heinrich ſelbſt in der Weingarter Handſchrift tragen eine
von den übrigen theilweiſe abweichende Form. Zu Grunde liegt
[135]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
der mit der Agraffe entweder auf der Schulter oder auf der Bruſt
befeſtigte Mantel, pelzgefüttert und bis auf die Füße herabrei-
chend; oben aber iſt er mit einem breiten, die Schultern und den
obern Theil der Bruſt ringsum deckenden Kragen von edlem
Rauchwerk umgeben. — Den weißen Mantel des Kreuzritters
mit dem rothen Kreuz auf der rechten Seite der Bruſt trägt der
Tannhäuſer. Vorne offen, legt er ſich um die Schultern, iſt auf
der Bruſt mit den beiden Seiten an einander befeſtigt oder genäht
und reicht bis auf die Füße herunter. Dem König Gramoflanz
läßt Wolfram von Eſchenbach beim Reiten den Mantel mit der
Zier des Hermelinbeſatzes rechts und links auf den Boden herab-
fallen. —


Die Nothwendigkeit der Beinbekleidung für den an-
ſtändigen Mann trotz der langen Kleidung iſt ſchon oben durch
die Erzählung vom bloßen Ritter nachgewieſen worden. Es ſind
auch in dieſer Periode zwei Formen des Beinkleides zu unter-
ſcheiden, die weite und die enge, obwohl die erſtere im Ver-
gleich zu dieſer als die bei weitem ſeltnere bezeichnet werden muß.
Sie wurde nur im unterſten Stande getragen. Auf den Bildern
der Herrad trägt ſie ein Wahnſinniger, und im Parzival ein als ent-
ſetzlich geſchilderter Bauer. Als zuſammenhängendes Kleidungs-
ſtück bedeckte ſie Unterleib und Beine, nicht aber die Füße. Von
dieſer Art mögen auch die Leinwandhoſen geweſen ſein, welche
Wallfahrer in Gottfrieds Triſtan tragen: ſie ließen die Füße frei,
welche auf der frommen Büßerfahrt entblößt ſein mußten, und
waren über den Knöcheln ſtraff an das Bein gebunden. Von der
engen Beinbekleidung ſind wieder mehrere Arten zu unterſchei-
den, deren Verhältniß ſich freilich ſchwer beſtimmen läßt. Nach
der gewöhnlichen Form, wie ſie im ritterlichen Stand getragen
wurde, legte man an jedes Bein ein beſonderes Stück an, wel-
ches einem langen, anſchließenden Strumpf zu vergleichen iſt
und aus Wollſtoff oder gewebtem Seidenzeuge beſtand — denn
geſtrickte Beinkleider gab es damals noch nicht. So zieht Wiga-
lois, als er die Rüſtung abgelegt hat und ſich umkleidet, „zwei
Scharlachhoſen mit großer Sorgfalt über die Beine.“ Der Dom-
[136]II. Das Mittelalter.
vogt von Wien, welcher dem auf ſeiner Venusfahrt befindlichen
Ulrich von Liechtenſtein entgegenkommt, hat „zwei ſchwarze Hoſen
an ſeine beiden Beine gelegt.“ Ob dieſe Strumpfhoſen auch den
Unterleib mit bedeckten und hier mit Neſteln oder Bändern an
einander befeſtigt waren, läßt ſich nicht entſcheiden, da bei dem
langen Rock des Mannes Abbildungen nicht zu Hülfe kommen.
Es iſt aber glaublich, da nie mit den ritterlichen Strumpfhoſen
der ſogenannten Bruche zugleich Erwähnung geſchieht. Dieſe
war die allgemeine Volkstracht, eine kurze, weite Hoſe, welche in
die langen, die Beine bedeckenden Strümpfe hineingeſteckt wurde.
In dieſem Falle führten ebendieſe Strümpfe den Namen Hoſe,
den ſie auch in einzelnen Gegenden Deutſchlands noch behalten
haben. Es kommen aber auch ſchon damals Verwechslungen die-
ſer Ausdrücke in der Art vor, daß z. B. die ganze Beinbekleidung
des Mannes, von aller Form abgeſehen, Bruch genannt wird.
Bruch und Hoſe als Volkstracht erſcheinen häufiger auf den Bil-
dern der Herrad. Hier ziehen Räuber einem Juden, den ſie plün-
dern, die farbigen langen Strümpfe ab, welche mit weißen
Bändern über der weiten weißen Bruch befeſtigt waren, wie es
ſcheint, am Gürtel; auch die Räuber und andere Leute niedern
Volks ſind ſo gekleidet. Nirgends aber läßt ſich Aehnliches bei
noblen Ständen erkennen. Vielmehr exiſtirte ſchon am Ende des
zwölften Jahrhunderts das Beinkleid als ein einziges zuſammen-
hängendes Stück, welches Unterleib, Beine und Füße zugleich be-
deckte, eine Form, welche im vierzehnten Jahrhundert mit der zu-
nehmenden Kürze des Rockes die alleinherrſchende wurde. Als
das Grab Kaiſer Heinrichs VI. geöffnet wurde, fand man ihn
mit einer Hoſe dieſer Art bekleidet; über dem Rock von gelbem
Stoff lag ein ſeidener, in Knoten geſchlungener Gürtel, von wel-
chem mehrere grüne und rothe ſeidene Schnüre ausgingen, die
erſt durch den Rock, dann durch die Löcher der Hoſe durchgezogen
und zugebunden waren. Aehnlich wird es zu denken ſein, wenn
der junge Parzival bei Gurnemans zu ſeiner neuen Kleidung auch
einen „Hoſengürtel von Gold und edler Seide“ erhält, den man
in das ſchöne Gewand zog. Auch bei gemeinen Kriegern im
[137]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Sachſenſpiegel kommt lange und enge Beinbekleidung vor, aber
die Füße ſtehen bloß heraus, und nur die Ferſe iſt mit bedeckt.
Die Hoſe vornehmer Leute, von welcher Form ſie ſonſt ſein mag,
iſt immer eng, ſodaß ſie damals, was ſpäter noch auffälliger wird,
zum Zerplatzen mannigfach Gefahr lief. Wolfram läßt daher im
Parzival die ſchöne, aber boshafte Orgeluſe ihren Spott über Ga-
wan ergießen, als er verliebten und ſchmachtenden Sinnes auf
einer elenden Mähre neben ihr ritt und der drohenden Gefahr ent-
gegenging, im nah bevorſtehenden Kampf mit ſammt dem Roß
niedergeworfen zu werden:


„Platzt euch davon das Niederkleid,

Das ſei euch um die Frauen leid,

Die, droben ſitzend, niederſpäh’n:

Wie, wenn die eure Schande ſäh’n?“ —

Der Wollſtoff vertrug ſich für die Beinbekleidung am beſten
mit der Enge. In den Farben hatte man die Wahl durch die
ganze damals gebräuchliche Scala, doch, wenn nicht die getheilte
Tracht ſich auf die Beinbekleidung erſtreckte, trug man ſie immer
nur von einer Farbe. In ſeltenen Fällen war die Hoſe durch Strei-
fen oder einfache Linienverzierung gemuſtert. Namentlich im drei-
zehnten und vierzehnten Jahrhundert fehlen Schuhe oder Stiefel
faſt ganz, und die Füße ſind dann nur von der Hoſe allein bedeckt;
in dieſem Falle kann man annehmen, daß unter den Füßen lederne
Sohlen befeſtigt waren, was die Zeichnungen zuweilen andeuten.
Die Bilder der Heidelberger Handſchrift des Sachſenſpiegels zeigen
bei allen Leuten nicht gemeinen Standes keine andere Fußbe-
deckung als die Hoſe.


Wo eine ſelbſtſtändige Fußbekleidung erſcheint, wie z. B.
immer beim gemeinen Volk, ausgenommen den Fall, wenn die
Füße ganz entblößt ſind, da iſt der Schuh vor dem Stiefel
als gewöhnliche Tracht vorherrſchend. Der Stiefel begegnet uns
überhaupt nicht häufig, und bei Perſonen vornehmen Standes ge-
ſchieht ſeiner, ſelbſt auf der Reiſe und der Jagd, nur äußerſt ſel-
ten Erwähnung. Doch kommt er vor. Wolfram läßt Gahmuret
z. B. mit Stiefeln an den Beinen bekleidet ſein. Auf dem Bilde
[138]II. Das Mittelalter.
der Maneſſiſchen Handſchrift, welches dem Nithart gewidmet iſt,
trägt ein Bauer Stiefel, welche das Bein bis zur Wade hinauf
eng umſchließen. — Der Schuh bedeckt der Hauptform nach den
ganzen Fuß und reicht bis an die Knöchel. Nicht ſelten geht er
ſtiefelettenartig noch eine Handbreit höher, entweder mit einem
Einſchnitt an der Seite, wie an der oben erwähnten Reliefſtatue
Kaiſer Friedrichs I., oder ohne denſelben. Auf den Bildern der
Herrad hat er häufig oben auf dem Fuß einen Ausſchnitt oder
Einſchnitt, welcher vom obern Rande anfangend mehr oder weni-
ger tief und in verſchiedener Form bis gegen die Fußſpitze herab-
läuft und farbig eingefaßt iſt. Gewöhnlich iſt dieſer Einſchnitt
ungeſchnürt, doch trägt in Wigalois ein Knappe Schnürſchuhe.
Bauern und andere Leute niedern Standes haben das Bein zu-
nächſt über den Schuhen noch mit Riemen und Binden umwun-
den. So immer auf den Bildern zum Sachſenſpiegel. Im drei-
zehnten Jahrhundert, namentlich gegen Ende, bedecken die Schuhe
wieder mehr in geſchloſſener Form den ganzen Fuß, während im
Lauf des vierzehnten der Ausſchnitt aufs Neue eintritt und ein
breiter Riemen, von der Ferſe kommend, ſich über den Spann
des Fußes legt und auf der Außenſeite geſchnallt wird. — Was
die Farbe betrifft, ſo wurden am häufigſten ſchwarze Schuhe ge-
tragen, einfach oder mit weißer Randverzierung, oder weiße und
lederfarbene mit ſchwarzer Faſſung; daneben fehlen auch die
übrigen Farben, Roth, Gelb, Blau u. ſ. w. nicht. Zum Stoff
brauchte man außer dem gewöhnlichen Leder oder Zeug auch far-
bigen Korduan und Goldbrokat. Von dem letzteren Stoff ſind die
Schuhe, welche Kaiſer Heinrich VI. im Sarge trug; die Maneſ-
ſiſche Handſchrift giebt ihm ſchwarze, dem König Wenzel aber
goldfarbene. —


An der Haartracht vor allem äußert ſich am klarſten der
Bildungstrieb der Zeit, wie er einer maßvollen, äſthetiſch befrie-
digenden Schönheit und feiner Eleganz zuſtrebt. Kurzes Haar und
ein glattgeſchornes Geſicht waren in der Höhezeit der vorigen
Periode das Erkennungszeichen der von römiſcher Cultur über-
tünchten Germanen geweſen, und nur die Herrſcher hatten den
[139]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
barbariſchen Schnurrbart noch eine Zeitlang bewahrt. Schon bei
Heinrich II., dem Freund der Kirche, haben wir den gekürzten
Vollbart unter die Rangeszeichen aufnehmen ſehen. Er war ur-
ſprünglich das Vorrecht oder Abzeichen der Geiſtlichkeit, aber in
der römiſchen Kirche ſeit Papſt Leo II. (816) abgelegt worden.
Nun folgte im neuen Jahrtauſend auch die höhere Geiſtlichkeit
wieder dem weltlichen Herrn, während die ganze übrige Welt,
etwa die Würde des Alters ausgenommen, Laien und Prieſter,
Ritter und Bürger und Bauer, das Geſicht glattgeſchoren trugen.
Alle Kreuzfahrer, die Helden Gottfried von Bouillon, Raimund
von Toulouſe, Boemund und der ſchöne Tankred und ihre Ge-
noſſen und Nachfolger, ſie zogen alle völlig bartlos in den heiligen
Krieg; auf gleichzeitigen Bildern blickt aus der eng umſchließen-
den Kaputze des Panzerhemdes immer ein glattes Geſicht uns
entgegen. So iſt’s auch faſt hundert Jahre ſpäter auf den Bildern
der Herrad. Nur diejenigen, die wir bezeichnet haben, alſo die
höchſten Häupter der Chriſtenheit, tragen den verkürzten Vollbart.
Ihnen geſellt ſich aber ſeltſamer Weiſe noch eine ſonderbare Ge-
noſſenſchaft zu: es ſind die verachteten Juden und ſolche Leute,
deren Lebensweiſe verhinderte, daß ſie ihrem Geſicht irgend eine
Sorgfalt zuwenden konnten, wie die Räuber und Mörder von
Profeſſion. Auch die Wallfahrer, die ihrem Körper nur die noth-
wendigſte Pflege angedeihen laſſen durften und in linnenen Ge-
wändern und mit bloßen Füßen gingen, ließen Bart und Haar
wachſen. Ein Schnurrbart allein kommt nicht vor und iſt dem
Geſchmack dieſer Zeit eine Unmöglichkeit. Friedrich I. trägt ſeinen
rothen Bart in gekürzter Fülle ringsherum, wie uns das Stand-
bild von St. Zeno lehrt. Grade ſo trug ihn hundert Jahre früher
Rudolf von Schwaben, der Gegenkönig, nach der gleichzeitigen
Grabplatte zu ſchließen. Wieder hundert Jahre ſpäter zeigen die
Bilder der Liederhandſchriften dieſelbe Sitte: das glatte Geſicht
iſt die allgemeine Regel; nur bei einzelnen, wie es ſcheint, älteren
Sängern umzieht ein leichter Bart Wangen und Kinn; die Königs-
bilder von Heinrich VI. und Wenzel von Böhmen haben dazu
noch einen leiſen Schnurrbart aufzuweiſen. Auch dieſer verſchwin-
[140]II. Das Mittelalter.
det bald; ſchon die etwas früheren, oft genannten Bilder zum
Sachſenſpiegel laſſen nicht einmal den Kaiſer bärtig ſein, wohl
aber den Papſt und geiſtliche Churfürſten.


Nur ſcheinbar ſchlug das Haupthaar einen anderen Weg
ein. Die römiſche Kürze ſteht keineswegs mit natürlicher Schön-
heit in Einklang. Schon im elften Jahrhunderte hatte man An-
griffe dagegen gemacht, und nicht ohne Erfolg; im zwölften war
die Schranke durchbrochen, das Haar erhielt größere Freiheit zu
wachſen, aber, das rechte Maß verfehlend, ſchwankte es noch hin
und her. Die männlichen Perſonen auf den Bildern des Herrad
tragen durchweg ein nicht mehr in alter Weiſe, doch ziemlich kur-
zes Haar, welches die Ohren frei läßt. Man glaubt es den Köpfen
anzuſehen, daß es ihren Trägern noch nicht zum rechten Bewußt-
ſein gekommen, welch ein ſchönes Ding das menſchliche Haar
iſt, und welche Pflege es um der ganzen übrigen Erſcheinung
willen verdient. Es macht den Eindruck der Vernachläſſigung.
Auch Friedrich Rothbart trägt ſein Haar über Stirn und Ohren
ziemlich kurz in grader Linie verſchnitten. Gleichzeitig können wir
das völlige Extrem bemerken. Auf einem ſchon oben erwähnten
Bilde, welches Hefner (I, 69) mittheilt, tragen ein Graf Siboto
und ſeine Söhne das Haar ſo lang, daß es frauenmäßig über
Schultern und Nacken tief den Rücken hinabfällt. Auch bei dieſem
Uebermaß konnte ein Zeitalter nicht bleiben, welches, unter der
Herrſchaft weiblichen Geſchmackes ſtehend, im eigenen Aeußeren
nach äſthetiſcher Befriedigung ſchmachtete. Zugleich war dieſe Tracht
bei der Art des Kettenhemdes, von dem eine Kaputze unter dem
Helm das Haupt eng umſchloß, unmöglich oder doch wenigſtens
höchſt unbequem. Schon mit dem Ende des zwölften oder im
Anfang des dreizehnten Jahrhunderts, alſo in der höchſten Blüthe-
zeit der Dichtkunſt und der Frauenherrſchaft, wird das Maß ge-
funden, welches von da an die ganze Periode durch ſich erhielt
und mit der ausgebildeten Tracht in vollem Einklang ſtand. Man
ließ das Haar im Nacken und auf den Seiten frei wachſen, bis
es über die Ohren herunter fiel und ſie verdeckte, und ſchnitt es
dann rund umher ab, in einer Höhe, daß es die Schultern nicht
[141]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
erreichte. Ueber der Stirn verſchnitt man es Anfangs mehr in
grader Linie, dann aber ſtrich man es aus Schläfen und Stirn
zurück, daß das ganze Geſicht frei und offen war, oder ſcheitelte
es von der Mitte nach beiden Seiten, oder kräuſelte die vordre
Partie mitten über der Stirn. Durchweg mußte das Haar gelockt
ſein, denn ſchlicht gelaſſen, hätte es bei dieſer Länge wieder ſeines
Zweckes verfehlt. Wo die Natur ſolchen Schmuck verſagt hatte,
half die Kunſt nach und ſtellte durch Salben und Brennen große,
wellige, ſchwunghafte Locken her. Den Stutzern wurde das Haar
des Nachts, wie Nithart ſagt, „wohl geſchnüret,“ alſo wohl in
eine Art Papillotten eingewickelt. Kleines, wolliges Gekräuſel
entſprach nicht der Geſchmacksrichtung.


Dieſe Art das Haar zu tragen ſtimmt völlig zu dem freien,
ungehinderten Lockenfluß der Frauenwelt; es iſt derſelbe Schön-
heitsſinn und derſelbe Stil der Behandlung, nur dem männlichen
Charakter gemäß beſchränkt, denn die Frauen ſind es, welche
„langes Haar und kurzen Sinn“ haben, wie ein damaliges Sprich-
wort ſagt. Aber nur der freie, der feine und edle Mann trägt ſich
ſo; der gemeine, der Bauer wie der Wende und Slave haben das
Haar über den Ohren kurz verſchnitten. Nur Helmbrecht, der
Bauerſohn, der adlige Art und Sitte affectirt, ſpricht von ſeinem
langen, gelben Haar und ſeinen ſchönen Locken, und Nithart, der
Dichter, macht ſeinen Feinden, den üppigen Bauern Niederöſter-
reichs, denſelben Vorwurf. Auch der Narr muß ſein Haar ver-
ſchneiden, und wer als Thor gelten will, ſchwärzt ſich wie ein
Mohr und kürzt das Haar. Andre Veranlaſſung dazu boten
Trauerfälle den Männern wie den Frauen. Auch der Minnedienſt
konnte dies Opfer verlangen. Beim Eintritt in denſelben, wie es
beim Eintritt in den Ritterſtand geſchah, ſchnitt man das Haar
ab zu Ehren der geliebten oder gefeierten Dame. So legten um
die ſchöne Gräfin Guida von Rodes hundert Ritter ihre Locken-
fülle ab und machten ſich dadurch gewiſſermaßen zu ihren Sclaven,
denn es erinnert an die alte Sitte, wonach dem freien Mann, der
in Knechtſchaft kam, das Haupt geſchoren wurde. Endlich wurden
auch beim Kampfgericht den Kämpfern die Haare kurz geſchnitten.


[142]II. Das Mittelalter.

Wie bei den Frauen wurde auch das lockige Haar des Man-
nes, damit es nicht in das Geſicht fiel, durch ein Schapel zu-
ſammengefaßt. Es konnte das ein einfacher, ſchmaler, runder oder
gewundener Reif ſein, oder ein Reif mit goldenen Blumen oder
mit erhabener Arbeit von Vögeln und andern Thieren und mit
edlen Steinen beſetzt, wie im Wigamur dem Ritter Segramors
ein ſolches von der Iſopey geſchenkt wird; es konnte auch ein
Perlenreif ſein oder ein aus kleinen, goldenen Scheiben oder Ro-
ſetten zuſammengeſetzter oder kronenähnlich mit ſtumpfen Zacken
verzierter Ring. Oft war es nur ein Kranz natürlicher, duftender
Blumen, Roſen oder Veilchen, die auch wohl um einen goldenen
Ring geſchlungen waren. Oft ſetzte denſelben die Dame ſelbſt auf
das Haupt ihres Verehrers. Auf den Bildern findet ſich nur höchſt
ſelten der unbedeckte Kopf eines Ritters ohne irgend einen der-
artigen Schmuck.


Die eigentliche Kopfbedeckung zerfiel in zwei Hauptarten
nach der Form der Hüte und der Mützen; von beiden ſind ver-
ſchiedene Geſtalten zu bemerken, die öfter Rangunterſchiede zu er-
kennen geben. Der wichtigſte von jenen iſt der Herzogshut, welcher
ſich nach Form und Bedeutung am längſten im Hut des Dogen
von Venedig erhalten hat. Die Bilder der Heidelberger Hand-
ſchrift des Sachſenſpiegels, die in ſolchen Dingen juriſtiſch genau
ſind, geben ſeine Form zu erkennen; darnach war er zuckerhutför-
mig ſpitz, mit breitem, aufrecht ſtehendem, hinten auch wohl nie-
dergeſchlagenem Rande, um den ein gezackter Goldreif lief, und
von gelber Farbe. Auf dem Bilde der Maneſſiſchen Handſchrift,
welches den König Wenzel von Böhmen darſtellt, finden wir den
Spitzhut wieder, aber ohne Reif und vielleicht nicht mehr als aus-
ſchließliches Eigenthum der Herzöge. Denn es erging ihm, wie es
auch ſonſt das Schickſal von Rangeszeichen und Modeſachen iſt:
er ſtieg allmählig von der Höhe des Lebens hinunter in die unteren
Schichten der Geſellſchaft. Er bedeckt auf dem genannten Bilde
das Haupt des königlichen Marſchalls, der jedenfalls ein hoher
Würdenträger und ſehr vornehmen Standes war. Sein auf-
gekrämpter Rand beſteht aus koſtbarem Rauchwerk, dem ſ. g.
[143]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Veh. Von Zobel iſt Sigfrieds Hut auf ſeiner letzten Jagd. Eine
Art Spitzhut von andrer Form tragen im Sachſenſpiegel die
Schultheißen als Zeichen ihrer Würde. Aehnlich dem Herzogshut
geſtaltet trägt auf der Jagd der Markgraf Heinrich von Meißen
den ſ. g. Pfauenhut, deſſen in den epiſchen Gedichten ſehr häufig
Erwähnung geſchieht. Rand und Hut ſind ganz überdeckt mit den
obern Theilen der Schwanzfedern von Pfauen, den Augen. Im
Parzival trägt König Gramoflanz einen Hut aus Pfauenfedern
von Sinzeſter und ein Page des Königs Artus einen weißen
Pfauenhut. Zur Befeſtigung dienten zwei Schnüre, welche unter
dem Kinn zuſammengebunden werden konnten: gewöhnlich aber
ſieht man ſie leicht geknotet hinten im Nacken frei und loſe hän-
gen. Der Pfauenhut war auch, wie wir geſehen haben, weibliche
Tracht. — Einen ähnlich geformten Hut, doch von ſchlafferer
Form, oben mehr abgerundet und mit einem Rande, der nach
vorn ein wenig über die Stirn hereingebogen iſt, und deſſen
Schnur im Nacken hängt, trägt ein Ritter auf der Falkenjagd. Noch
eine andere Form glich mehr unſerem heutigen ſchlaffen Filzhut
mit rundem Deckel, aber mit mehr herabhängendem, breitem
Rande, welcher das Ablaufen des Regenwaſſers erleichterte. Aehn-
lich, mit niedrigem Deckel und breitem, ſchräg herabhängendem
Rande, iſt der Strohhut des ſächſiſchen Bauern, deſſen ſchon in
der vorigen Periode gedacht wurde. Der Sachſenſpiegel giebt ſeine
Geſtalt zu erkennen; daß ihn auch Frauen tragen, wenn ſie im
Freien arbeiten, z. B. Schnitterinnen, iſt ſchon oben bei der
Frauentracht bemerkt. Endlich iſt noch des Judenhutes zu geden-
ken, welcher im zwölften und dreizehnten Jahrhundert in Deutſch-
land dieſem Stamme ſo ſehr allgemeine Vorſchrift war, daß die
Künſtler ſelbſt die heiligen Perſonen der Bibel, nicht bloß des
alten Teſtaments, ſondern z. B. auch den heiligen Joſeph mit
dieſem Hut abbildeten, indem ſie ſich von der Erſcheinung der
Gegenwart nicht losmachen konnten. Er war zuckerhutförmig ſpitz,
mit mäßig breitem, herabſtehendem Rande; ſeine vorgeſchriebene
Farbe war weiß oder orange, letztere entweder für den ganzen
Hut oder nur für den Rand.


[144]II. Das Mittelalter.

Noch mannigfaltigere und verſchiedener geſtaltete Formen
weiſet die Mütze auf. In der Maneſſiſchen Handſchrift tritt uns
am häufigſten eine Form entgegen, welche auf dem Bilde des
Sängerkriegs auch der Landgraf von Thüringen und einige der
bedeutenderen Dichter tragen: es iſt eine runde, den Scheitel
deckende Kappe, welche mit einem hochaufſtehenden, nach oben
ſich erweiternden Rande von acht viereckigen Platten umſchloſſen
iſt und darin dem Rand der Kaiſerkrone gleicht. Kappe und Rand
ſind von verſchiedenen Farben, z. B. roth und grün, und der
letztere zuweilen oben mit feinem Pelz verbrämt. Statt der acht
Platten beſteht der Rand oft aus einem breiten Streifen Rauch-
werk, Veh, von derſelben Höhe. Hiervon ſehr verſchieden iſt eine
andere Form, welche bei Sängern, z. B. beim Tannhäuſer und
Reinmar von Zweter in der Maneſſiſchen Handſchrift vorkommt.
Es iſt eine barettförmige Mütze, aus deren Mitte oben ein Tuch
hervorgeht und ſchleierartig nach hinten bis zur Schulterhöhe her-
abfällt; der Rand iſt Pelz, ein breiter Goldſtreif oder auch ein
weniger koſtbarer Stoff. — Die Bilder zeigen noch manche andere,
mehr oder weniger ſelten vorkommende Formen, z. B. eine kleine
runde, eng anliegende Kappe, umgeben mit einem Goldſtreif,
welcher in älteren Zeiten noch mit Edelſteinen beſetzt war; oder
eine weiche, der Frauennachthaube ähnliche Kopfbedeckung, welche
das Haar bis auf den Rand am ganzen Kopf völlig einſchließt
und mit zwei Bändern unter dem Kinn gebunden iſt; ſie wird
von Herren wie von Dienern getragen. — Auf welche dieſer For-
men die Beſchreibungen der Dichter paſſen, und ob dieſelben noch
andere vor Augen gehabt haben, dürfte ſchwer zu entſcheiden ſein.
So wenn es im Parzival von König Anfortas, dem Hüter des
Grals heißt:


„Um das Haupt des Wirthes ſah

Man die geſtreifte Mütze gehn

Von Zobel, theuer zu erſtehn.

Von arabiſchem Golde ſchwer

Lief eine Borte rings umher,

Von deren Mitte niederſchien

Als Knopf ein leuchtender Rubin.“

[145]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.

Die auffallendſte Beſchreibung wird in der ſchon öfter erwähnten
Erzählung vom eitlen Bauerſohn Helmbrecht gemacht. Derſelbe
trug ein Haar, gelockt und gelb, das hing über die Achſeln herab.
Er fing es in einer Haube, die mit ſchönen Bildern in Seide
durchnäht war; darunter waren Papageien, Tauben und anderes
Gevögel, als wenn es aus dem Speſſart käme, mitten auf dem
Kopfe, hinten und oben. Am rechten Ohr hinab ſah man die Be-
lagerung und Zerſtörung Trojas mit der Flucht des Aeneas; an
der linken Seite waren König Karl, Roland, Turpin und Olivier
im Kampf mit den Heiden in der Provence, Arles und Galizien.
Hinten zwiſchen den Ohren ſah man, wie die beiden Söhne der
Frau Helke und Diether von Bern durch Wittich vor Ravenna
erſchlagen wurden. Vorn war ein Kranz, genäht mit glänzender
Seide; zwiſchen zwei Frauen ſtand, wie ſie auch beim Tanze
thun, ein Ritter an ihren Händen, und ihnen gegenüber am an-
dern Ende zwiſchen zwei Mädchen je ein Knappe, der ihre Hände
hielt; dabei ſtanden Fideler. Eine Nonne, die ihrer Zelle ent-
nommen war, hatte dieſes Wunderwerk der Stickerei genäht, wo-
für ihr Helmbrechts Schweſter ein Rind und die Mutter Käſe und
Eier gegeben. —


Wenn an dieſer Beſchreibung auch die Phantaſie des Dich-
ters den weitaus größten Antheil haben mag, ſo darf doch der
Schluß geſtattet ſein, daß ähnliche Stickereien auf Kleidungs-
ſtücken öfter vorgekommen ſind. Es iſt zudem nicht das einzige
Mal, daß freie figurative Gegenſtände auf Gewändern
wirklich erwähnt werden. Doch ſind es auch hier viel ſeltner
menſchliche als Thiergeſtalten, zu denen die Phantaſie mehr Nei-
gung und die Kunſt mehr Geſchick zeigte. Die bildlichen Quellen
zwar laſſen nichts von dieſer Sitte erkennen, mit Ausnahme des
Ritters, wenn er in vollſtändigem ritterlichen Schmuck in die
Schranken des Turniers ritt. Dann zeigten nicht bloß Schild
und Helm ſeine Farben, auch die wehende Pferdedecke und ſein
langer Waffenrock, den er über dem Panzerhemd trug, waren mit
dem Zeichen ſeines Wappens, mochte es ein Thier oder was ſonſt
vorſtellen, in ſeinen Farben mannigfach verziert. Auch ſeine Deviſe
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 10
[146]II. Das Mittelalter.
oder ihre Anfangsbuchſtaben ließ er ſchon damals hineinſticken.
Solche Arbeit kam den Damen zu. Ulrich von Liechtenſtein belehrt
uns, daß eine ähnliche Tracht auch bei den Frauen vorgekommen
ſein muß. Als ihn in Treviſo auf ſeiner Venusfahrt die Damen
dieſer Stadt beſuchten, kleidete er ſich in die koſtbarſten Frauen-
gewänder. Dazu gehörte auch eine Kappe (Oberrock) von weißem
Sammet, worin von Gold manch ſchönes Thier hineingearbeitet
war. Wie die Ritter ſelbſt konnten auch ihre Diener und Herolde
die Wappenfiguren auf den Kleidern tragen, und unter Umſtän-
den auch die Frauen als Dienerinnen. So werden die Templeiſen
(Templer) im Parzival an ihren mit Tauben beſtickten Kleidern
als Hüter des Grals erkannt, und an demſelben Zeichen auch
Kondrie als Dienerin dieſes Heiligthums. — Dergleichen Stoffe
mit hineingewirkten Thierbildern von phantaſtiſcher Geſtalt, wie
wir ſie ſchon oben beſprochen haben, kamen aus mohammedaniſchen
Ländern und wurden am meiſten zu kirchlichen Zwecken benutzt,
zu Rücklaken, Altardecken, Vorhängen oder zu den Prieſterkleidern
ſelbſt. Noch mancherlei dieſer Art hat ſich in Kirchenſchätzen bis
auf den heutigen Tag erhalten.


Wenn ſolche figurirte Stoffe auch zu weltlicher Kleidung
benutzt worden ſind, wie man aus den Worten des Liechtenſteiners
ſchließen möchte, ſo iſt das jedenfalls nur in verhältnißmäßig
ſeltenen Fällen geſchehen. Als Regel gilt durchaus, daß die Klei-
derſtoffe ungemuſtert ſind und jedes Stück nur eine oder mit
dem Unterfutter zwei Farben hat. Die Wirkung mehrfacher Far-
ben, welche ſehr wohl in der Abſicht der Toilette lag, entſtand
nur durch die verſchiedenen Kleidungsſtücke, welche man ſo trug,
daß ſie neben einander ſichtbar wurden. Ein Fall iſt aber ausge-
nommen, der des ſ. g. mi-parti, deſſen Urſprung im zehnten
Jahrhundert wir ſchon kennen lernten.


Die urſprüngliche Form dieſer getheilten Tracht war die
Halbirung in ſenkrechter Linie vom Halſe abwärts, ſei es, daß ſie
bloß den Rock durchſchnitt, oder auch die geſammte Bein- und
Fußbekleidung mit hineinzog. Wir dürfen dieſen Geſchmack, wo-
nach die rechte und die linke Seite des Menſchen in genauer Thei-
[147]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
lung zwei verſchiedene Farben zeigen, wie grün und roth, gelb
und weiß u. ſ. w., als einen barbariſchen bezeichnen. Daß er im
feinen Zeitalter des Frauencultus auch mit ſolchen Augen betrach-
tet wurde, kann man aus verſchiedenen Urſachen ſchließen. Ein-
mal tragen die getheilte Tracht nie die Frauen aus freier Wahl;
die in Wolframs Parzival ſo gekleideten Jungfrauen auf Mon-
ſalvage — vielleicht das einzige Beiſpiel — ſind eben Dienerinnen
des Grals und tragen deſſen Farben. Und ſo werden auch die
Männer mit dieſer Tracht ſtets als Diener oder wenigſtens Va-
ſallen bezeichnet, ſelbſt wenn ſie den höhern Claſſen der Geſellſchaft
angehören, wie auf den Bildern zum Sachſenſpiegel die Grafen
von Wernigerode und Regenſtein vor ihrem Lehnsherrn, dem
Fürſten und dem Biſchof, erſcheinen. Die getheilte Tracht iſt
Livrée, wenn ſie auch nicht immer die ſpecielle Farbe des Herren
führt. Anderes beſagen auch die ſchriftlichen Quellen nicht, es ſei
denn, daß ein Ritter im Turnier ſich mit ſeinen eigenen Farben
bedeckt hat.


Statt der bloß ſenkrechten Halbirung treten in dieſer Periode
noch mannigfache Modificationen ein. Die meiſten und verſchie-
denartigſten Beiſpiele geben die Bilder des Sachſenſpiegels.
Selten iſt der Fall, wo noch eine zweite Theilung quer über die
Hüften gemacht wird, und die beiden Farben ſo über Kreuz aus-
getheilt werden, wie es bei der Quadrirung eines Wappenſchildes
geſchieht. Häufiger iſt es, daß die eine Hälfte — auf den Bildern
iſt es durchweg die rechte — einfarbig bleibt, während die andere
wieder von zwei Farben in regelmäßig wechſelnden, breiteren oder
ſchmäleren Streifen, die bis zu funfzig anwachſen, quer getheilt
wird. Häufig wird die ſenkrechte auch ganz durch die Quertheilung
erſetzt. Der gewöhnliche Fall iſt dann, daß zwei Farben in vier
gleich breiten Streifen abwechſeln. Es können aber dieſelben auch
wieder durch ſchmale, weiße Streifen, welche als Faſſung erſchei-
nen, getrennt werden. Die Theilung überſchneidet ſtets die Arme
in grader Linie mit. Auch in dieſer Geſtalt kann die Zahl der
Streifen zu der oben angegebenen Höhe anwachſen. Dadurch daß
Weiß ſich zwiſchen die andern Streifen ſchiebt, verbinden ſich drei
10*
[148]II. Das Mittelalter.
Farben, die aber nicht immer gleich ausgetheilt ſind. Eine vierte
Hauptmodification, welche auch mit den andern vereinigt auftre-
ten kann, iſt die, daß die Streifen nicht horizontal den Körper
umſchneiden, ſondern ſchräg herablaufen, ſei es von der Rechten
zur Linken oder von der Linken zur Rechten. Noch andere unbe-
deutendere Abweichungen giebt es, z. B. wenn bei horizontaler
Viertheilung von Grün und Gelb die gelben Streifen durch hori-
zontale rothe der Länge nach durchſchnitten ſind, oder wenn die
Streifen wellenförmig laufen, wie es in der Maneſſiſchen Hand-
ſchrift vorkommt. In dieſer ganzen Farbenvertheilung läßt ſich
unſchwer eine Parallele finden mit den Heroldſtücken der Wappen-
kunſt, daher auch die Franzoſen dieſe Tracht vêtement blasonné
nennen. — Bemerkenswerth iſt noch die Kleidung der Wenden
im Sachſenſpiegel, deren kurze, bäuriſche Röcke blaßroth ſind,
während ihre weiße, vermuthlich linnene Beinbekleidung von
ſchrägen, ebenfalls blaßrothen Streifen umzogen iſt.


Dieſe Stücke kunſtvoll zuſammenzuſetzen, daß die Naht mög-
lichſt wenig bemerklich war und ſich nur durch den Gegenſatz der
Farben ſichtbar machte, war eine Hauptaufgabe der Schneider
und Lohnnäherinnen dieſer Zeit. Es wurde auch ſonſt bei der
Kleidung viel darauf gegeben, und es wird von einer Jungfrau
im Wigalois ausdrücklich bemerkt, daß ihr Hemd meiſterlich ge-
näht geweſen ſei.


Ihre eigentliche Blüthezeit erlebte die getheilte Tracht erſt in
viel ſpäterer Zeit, in der Periode der Ausartung, und wurde
dann vielmehr Zeichen eines verdorbenen als eines ungebildeten
Geſchmacks. Die Zeit der höfiſchen Dichtkunſt hielt ſich in den
höhern Kreiſen faſt durchgängig von allen Auswüchſen frei, und
nur in vereinzelten Fällen laſſen uns ſtutzerhafte Perſönlichkeiten
die Keime jener barocken Sonderbarkeiten erkennen, welche die
folgende Periode charakteriſiren. So ſtoßen wir bereits auf die
Schellentracht. Daß der Gebrauch, die Kleider mit klingen-
den Schellen zu behängen, einen fremden, außerdeutſchen Ur-
ſprung hat, iſt ſicher. Im zehnten Jahrhundert trugen die An-
führer der ungariſchen Reiterſchaaren, welche in der Schlacht bei
[149]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Augsburg gefangen genommen wurden, an den Säumen ihrer
Kleider goldene Schellen. Wohl ſchon gleichzeitig ſtand der Ge-
brauch bei der Geiſtlichkeit feſt. Biſchof und Abt trugen ſie an
ihren Meßgewändern, und im Jahr 1103 erhielten die Mönche
vom Kloſter des heil. Antonius in Mailand die Erlaubniß, ſie
an ihren Kappen (Kutten) zu tragen. Es wird dieſer Gebrauch
bei der Geiſtlichkeit auf den jüdiſchen Hohenprieſter zurückgeführt.
In der höfiſchritterlichen Zeit beſchränkte ſich ihre gewöhnliche
Anwendung auf die Pferde. „Klingende Schellen am Sattelbo-
gen,“ wo ſie gewöhnlich angebracht waren, werden namentlich im
Parzival ſehr häufig erwähnt. Auch das Nibelungenlied kennt
ſie in dieſer Sitte. Als Gunther und ſeine Begleiter in höchſtem
Schmuck vor Brunhildens Saal aufreiten, ſind mit Geſtein die
Sättel und die Fürbügen ihrer Pferde geſchmückt, und an denſel-
ben hingen auch „Schellen von lichtem Golde roth.“ Im Wiga-
mur erſcheint eine Schaar reitender Mädchen, deren Pferde ſämmt-
lich mit Schellen behängt ſind. In der That aber finden wir die-
ſen Schmuck ſchon damals auch an dem Manne ſelbſt, wenn er
auch als eine ausnahmsweiſe und ſtutzerhafte Tracht anzuſehen
iſt und die Beiſpiele ſehr ſelten ſind. Ein ſolcher Stutzer iſt der
junge Ritter Segramors, der jüngſte der Helden von Artus Ta-
felrunde. Wie er hinreitet zum Kampf gegen Parzival, läßt er
ſein Roß courbettiren und über die Stauden Sprünge machen:


„Manche goldne Schelle klang
An der Decke und an dem Mann:
Man hätt’ ihn wohl nach dem Faſan
Geworfen in ein Dornicht —
Wer ihn zu ſuchen wär erpicht,
Der fänd ihn wieder am hellen
Klang der läutenden Schellen.“

((Parzival.))

Desgleichen heißt es in Ulrich von Liechtenſteins Frauendienſt
bei Tieck: „Da kam auf dem Felde wohl gezimirt gegen mich ein
Mann, Herr Ilſung von Scheuflich, der immer nach Ehren und
Ritternamen rang. Er führte wohl fünfhundert Schellen an ſich.
Sein Roß ſprang in kleinen Sprüngen, laut erklang ſein Zimir.
[150]II. Das Mittelalter.
Gold und Silber war auf roth und grünem Zendal geſchlagen,
und glänzte ſo licht, daß um den Rhein kein Mann ſchöner zimi-
ret war als mein Landsmann. Er führte in der Hand einen
Speer, daran viel kleiner Schellen hingen.“ —


Wie, von ſolchen einzelnen Fällen abgeſehen, die Richtung
der Zeit zu allem Excentriſchen in Gegenſatz tritt, iſt auch aus
dem Gange zu erkennen, den der Schmuck in Anwendung und
Formen nahm. Gleich dem Gold- und Edelſteinbeſatz der Kleider
nimmt auch der Gebrauch des Schmuckes am Körper ab, oder
verfeinert ſich wenigſtens, während zugleich ſein Ornament zier-
licher und geſchmackvoller wird. Die Halsringe verſchwinden ganz
und Armſpangen tragen fortan nur noch die Damen und auch
dieſe keineswegs in der übermäßigen Zahl wie früher, ſondern
nur eine oder zwei derſelben an jedem Arm. Auch die Zahl der
Ringe an den Fingern wird beſchränkt. Gewöhnlich tragen die
Ritter wie die Damen nur ein kleines goldenes „Fingerlein,“
dem die Liebe noch eines aus den Haaren geliebter Perſonen hin-
zufügt. Im niedern Stand werden Ringe von Glas getragen,
doch hat auch des Walther von der Vogelweide verehrte Frau mit
einem ſolchen ihre Hand geſchmückt. Den meiſten Raum geſtattete
man der Schmuckliebe am Gürtel und am Kopfputz, wo goldene,
mit Edelſteinen beſetzte Reife, Kränze und Diademe, deren wir
bereits oben näher gedachten, angebracht wurden, und an Man-
telſpangen und Vorſtecknadeln auf der Bruſt. Der Gebrauch der
Mantelſpangen, der bei Männern und Frauen gleich iſt,
richtet ſich nach den Formen dieſes Kleidungsſtückes. Wurde der-
ſelbe nach alter Weiſe, wie bei den männlichen Figuren auf den
Bildern der Herrad von Landsberg, auf der Schulter oder auf der
Bruſt mit beiden Enden zuſammengefaßt, ſo bildete die ihn hal-
tende Spange eine Platte über einer Nadel. Ihrer Form nach
konnte ſie viereckig ſein, mit verzierten Ecken, oder eine runde
Scheibe oder eine Roſette in der Geſtalt eines Vier- oder Sechs-
paſſes, oder wie in der romaniſchen Zeit ein Quadrat, an deſſen
Seiten ſich kleinere Bogen anlegten. Dieſe Form findet die häu-
figſte Anwendung bei den biſchöflichen Mantelſpangen. War der
[151]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Mantel nur einfach von hinten über die Schultern gehängt, ſo
trugen die Damen am Halsſaum des Kleides auf der Bruſt eine
Vorſtecknadel oder Fürſpann von ähnlicher Form. Zuweilen
war dieſe Fürſpange nur ein großer, verzierter Ring, hinter wel-
chem eine Nadel befeſtigt war. Wenn aber der Mantel durch
einen Riemen oder eine Borte auf der Bruſt zuſammengezogen
und gehalten wurde, ſo pflegte dort, wo der Riemen an jeder
Seite am Kleidungsſtücke befeſtigt war, eine roſettenartige Scheibe,
die Taſſel, zu ſitzen. — Ohrgehänge ſind ebenfalls eine Sel-
tenheit geworden; jede edle Dame verſchmäht ſie. Bei der Her-
rad von Landsberg werden ſie nur von einer Magd und eitlen
Perſonen getragen, welche in ihrer Putzſucht die Gränzen des
feinen Geſchmacks überſchreiten. Sie beſtehen ihrer Form nach
aus einer roſettenartigen Scheibe, die mit einem dünnen, grauen
Schnürchen im Ohr befeſtigt iſt, und von welcher wieder zwei
oder drei kleinere herabhängen.


Das Ornament des Schmuckes richtet ſich völlig nach dem
herrſchenden Kunſtgeſchmack, dem romaniſchen, der hier ſpäter als
bei der Architektur in den gothiſchen überzugehen ſcheint. Darum
trägt das Blattwerk noch länger den romaniſchen Charakter und
weicht erſt langſam dem mehr naturaliſtiſchen der gothiſchen Pe-
riode. Zwiſchen den Ranken und Verſchlingungen finden ſich
noch lange die Thiergeſtalten, deren auch bei den Dichtern Er-
wähnung geſchieht. Der Fortſchritt gegen früher beſteht vorzugs-
weiſe in dem weiteren Eindringen der Plaſtik, indem ſtatt der
eingeritzten oder eingeſchnittenen Linien und Figuren das Orna-
ment in wirklichem Relief herausgetrieben wird. Edelſteinbeſatz
fehlt hier natürlich nicht, um ſo weniger als der abergläubiſche
und Wunder und Geheimniß liebende Geiſt der Zeit gewiſſen
Steinen heilende, ſtärkende oder abwehrende Kraft zuſchrieb, und
ſo der Schmuck häufig die Bedeutung eines Amulets oder Talis-
mans erhielt. —


Mehr Werth als auf die Einzelheiten des Schmuckes
legte man auf den Adel und die Harmonie der ganzen Erſchei-
nung von Kopf zu Fuß: ſie mußte ſtets den Anforderungen des
[152]II. Das Mittelalter.
Standes und des höchſten Geſchmacks entſprechen. Der Ritter
wie die Dame mußten, wo ſie erſchienen, ſtets wohlgekleidet ſein,
und überhaupt in ihrer ganzen Erſcheinung die äußerſte Reinlich-
keit, Nettigkeit und Wohlanſtändigkeit zur Schau tragen. Es
hatten ſich in dieſer Beziehung beſtimmte Meinungen und Vor-
ſchriften über das Geziemende feſtgeſtellt. So unterrichtet ein
alter provençaliſcher Ritter, ein Kenner des weiblichen Geſchlechts,
jüngere Genoſſen, wie ſie ſich nach ihrem Vermögen zu kleiden
haben: wenn ſie nicht Kleider von gutem Tuch haben können, ſo
möchten ſie ihre Aufmerkſamkeit verdoppeln, daß ſolche wenig-
ſtens nach ihrem Wuchſe gut gemacht werden; daß ſie namentlich
gut friſirt und mit guter Fußbekleidung verſehen ſeien, auch daß
ſie ſich durch die Reinlichkeit ihres Gürtels, ihres Dolchs und
ihrer Börſe auszeichnen ſollen; insbeſondere möchten ſie eher
durchſchnittene und zerriſſene als aufgetrennte Kleider tragen,
„denn dieſe zeugen von Nachläſſigkeit, welche ein Fehler iſt, jene
beweiſen bloß Armuth, welche das nie geweſen iſt.“ In Deutſch-
land hatte man folgende Verſe über Dinge, die einem Ritter zur
Schande gereichen:


„Welch Ritter bei einer Meſſe ſteht

Und nicht zu dem Opfer geht,

Und Schüſſeln ſpült und ſpielt mit Schälken,

Und beginnt die Kühe zu melken,

Und geflickte Schuh anträgt,

Und einen Armen verſchmäht,

Und ſeine Kleider ſchickt, daß man ſie ihm wend’t —

Der hat ſein Ritterſchaft geſchänd’t.“

Schöne Kleider waren überall erſehnte Dinge und daher ein be-
liebter Gegenſtand des Schenkens, ſowohl von Seiten der Da-
men an die Ritter, welche ſie zu Turnieren und andern Feſtlich-
keiten mit neuen und ſchönen, von ihnen ſelbſt gearbeiteten oder
geſtickten Gewändern ausrüſteten, als auch von Seiten der Für-
ſten an die Gäſte und Angehörigen ihres Hofes und von Seiten
der Herren an ihre Diener. Dieſe Freigebigkeit war daher ein
ganz beſonderes Lob im Munde der Dichter, wie Peter Suchen-
wirt von König Ludwig von Ungarn ſagt:


[153]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
„Viel manchen Ritter auserkoren,

Und viel der Helden wohlgeboren,

Die liebet er mit gebender Hand;

Gold, Silber, Roß und reich Gewand,

Giebt er mit edelicher Art.“

Nach der Hofſitte gingen dieſe Geſchenke gewöhnlich durch die
Hand der Fürſtinnen und Prinzeſſinnen. Es veranlaßte die Aus-
gabe für dergleichen keine geringe Belaſtung der Hofhaltskaſſe,
und Dichter und Sänger mußten ſich daher an kargen Höfen
nicht ſelten mit abgetragenen Kleidern begnügen. Wenn Jemand
ſelbſt ein ritterliches Feſt geben wollte, oder wenn er ſich an-
ſchickte, an fremdem Herrenſitze einen Beſuch zu machen, ſo wurde
ſchon Wochen lang vorher eine große Schaar von Mädchen zu-
ſammengebracht, um die nöthige Kleidung bis zum Tage der Ab-
reiſe herzuſtellen. Chriemhilde bot dreißig Mädchen auf, da ſie
ihren Bruder und ſeine Genoſſen ausrüſten will zur Werbung
um die ſchöne Brunhilde, an deren Hof man glänzende Kleider
trägt. Sieben Wochen arbeitete ſie mit dieſer Schaar, indem ſie
ſelber zuſchnitt und die Mädchen nähten. Wie viel es zu thun
gab, ſehen wir daraus, daß auf 4 Tage — ſo lange ſollte der
Aufenthalt dauern — dreierlei neue Kleider kommen ſollten


— „und alſo gut Gewand,

Daß wir ohne Schande heimkehren aus Brunhildens Land.“

Dieſes Vergnügen an der äußern Erſcheinung ſpiegelt ſich in der
Poeſie wieder ab. Die Dichter legen denſelben Werth auf die
Eleganz und Harmonie der Kleidung wie ihre Helden und Hel-
dinnen, und ſie ſchildern daher deren Aeußeres mit Behagen und
mit eingehender Sachkenntniß und behandeln daſſelbe als eine
äußerſt wichtige und der poetiſchen Beſchreibung durchaus wür-
dige Sache.


Wenn auch die eigentliche Putzſucht, das Behängen mit
nichtigem Tand, die Ueberladung mit Koſtbarkeiten, ein luxuriö-
ſer Aufwand, welcher Stand und Vermögen überſtieg, den vor-
nehmen und gebildeten Kreiſen fern lag, ſo fehlt doch dergleichen
nicht ganz in dieſer Zeit. Im dreizehnten Jahrhundert wenig-
[154]II. Das Mittelalter.
ſtens führt der öſterreichiſche Sänger und Ritter Nithart in ſeinen
Gedichten immer auf’s Neue Klage über den Uebermuth und
Aufwand der Bauern, die es in Sitte und Tracht den Rittern
gleich thun wollen. Wenn hier ein ſolches Gelüſte des Bauern-
ſtandes auch nicht zu verkennen oder hinwegzuleugnen iſt, ſo iſt
doch wohl anzunehmen, daß es zu jener Zeit nur in vereinzelten,
vorzugsweiſe geſegneten Gegenden Deutſchlands ſtatt gefunden
habe, wie in der glücklichen Donauebene bei Wien, dem Schau-
platz der Thaten Nitharts des Bauernfeindes, im Allgemeinen aber
dürften ſeine Vorwürfe den deutſchen Bauernſtand nicht treffen.


Der eigentlichen Bauerntracht iſt bereits oben Erwäh-
nung geſchehen und namentlich ihre Bein- und Fußbekleidung
und Kopfbedeckung näher beſchrieben worden. Die unterſcheidende
Eigenthümlichkeit beſtand ihrerſeits in der Form ihres einzigen
Rockes, welcher, urſprünglich ein und derſelbe mit dem der
höhern Stände, die Wandlungen des letzteren nicht mitgemacht
hatte. Ihm war daher ſowohl die größere Weite wie Kürze ge-
blieben, und namentlich an der letzteren Eigenthümlichkeit ſind
auf den Bildern die Leute niedern Standes alſogleich zu erkennen.
Denſelben kurzen, kaum bis ans Knie reichenden Rock, über den
Hüften mit einem kleinen überhängenden Bauſch gegürtet, tragen
auch die Geſchäfts- und Gewerbsleute in den Städten. Einen
Mantel legten ſie nur im Winter oder auf einer Reiſe an; auf
dem Lande wurde dieſes Kleidungsſtück für gewöhnlich ſchon durch
die Arbeit verboten. Bergleute und wohl noch andere, nament-
lich ſolche, deren Geſchäft ſie viel auf Reiſen führte, trugen auch
um Schultern und Kopf die bereits oben beſchriebene Gugel in
derſelben Weiſe, wie ſie in der Jägertracht häufig vorkommt. So
erſcheinen auch die Waffenſchmiede, die Knappen und die ſonſti-
gen Diener im Gefolge der Ritter, und ebenfalls die vagirenden
Leute, die Schüler, die Spielleute und anderes heimathloſes Volk
— alle diejenigen, denen das Herkommen gebot, kurzgeſchornes
Haar zu tragen. Die Spielleute und ihres Gleichen von dem
fahrenden Volk, leicht, eitel und phantaſtiſch wie ſie ſind, ſchnit-
ten häufig den untern Saum ihres bunt zuſammengeſetzten Rockes
[155]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
in lange Zacken aus, die von natürlichen Fetzen oft wenig zu un-
terſcheiden ſein mochten. — Der Gürtel war beim Bauer wie bei
allen jenen Kurzhaarigen nicht nothwendig und diente höchſtens
dazu, um zur bequemeren Arbeit den weiten Rock zuſammenzu-
faſſen und noch höher hinaufzuziehen.


Ganz in ähnlicher Weiſe unterſchied ſich die weibliche Tracht
bei den Bauern und den niedern Ständen der Städte von der
höfiſchen. Das Oberkleid kennen auch ſie ſo wenig wie den Man-
tel. Wie es die Arbeit gebot, mußten ſie das Kleid oder den
Rock kürzer tragen, ſodaß er nirgends den Boden erreichte, ſon-
dern einige Handbreit davon abſtand und die Füße ſichtbar ließ;
über den Hüften war er weiter und in der Taille viel höher ge-
gürtet, als es die höfiſche Sitte verlangte. Das Haar wurde in
Zöpfe geflochten, aufgebunden und mit einem Tuche bedeckt.


Die Stoffe, aus denen die Kleider der Bauern gemacht
wurden, waren Linnen und Wolle, von denen das erſtere mehr
von den Frauen gebraucht wurde. In Oeſterreich trugen die
Männer ſchon damals wie noch heute den dicken, rauhhaarigen
Loden.


Ganz andere Dinge aber erzählt von den einfachen „Dör-
pern“ der Dichter Rithart, der ſeine öſterreichiſche Bauerſchaft in
Zank und Liebe allerdings hatte aus dem Grunde kennen lernen.
Er kennt Bauern, die tragen nach der Sitte des Hofes enge
Röcke von öſterreichiſchem Tuch; andere beſetzen dieſelben vorn
auf der Bruſt herab und um den Kragen mit Knöpfen, verbrämen
und füttern ſie mit koſtbarem Rauchwerk, außen ſchwarz und in-
nen weiß, und tragen lange Aermel, wie dieſelben ſpäter allge-
meine Mode werden. Ihre Hüte verſehen ſie mit ſeidenem, vor
dem Geſicht herabhängendem und flatterndem Unterfutter, mit
Schnüren wohl durchzogen, an deren Enden ſie duftende Mus-
catnüſſe befeſtigen. Wie das auch ſonſt in jener Zeit geſchah,
tragen ſie auch noch andere Gewürze in häufig goldgeſtickten Beu-
teln als Parfüm bei ſich. Mit Pfauenfedern ſchmücken ſie ſich am
Körper,


„Pfauenſpiegel, das iſt der Dörper Glanz.“

[156]II. Das Mittelalter.

Von feiner Leinwand laſſen ſie ſich Hemden und Hoſen machen,
welche letzteren ſie gleich den Röcken mit Seide wohl durchnähen.
Um die Schultern wallen ihnen neue buntverzierte Mäntel. Ihr
Haar laſſen ſie lang wachſen und in ſchönen, geringelten Locken
breit um die Schultern fließen. Zu alledem tragen ſie an der
Seite lange Schwerter, an den Füßen Sporen und an den
Händen Handſchuhe, die ſie ritterlich gegen den Ellbogen zu dem
Arm hinaufziehen. Die koſtbare Haube des Meierſohns Helm-
brecht iſt ſchon oben beſchrieben worden. Die Heimath dieſes
Stutzers war dieſelbe Gegend, deren Ueppigkeit Nithart ſchildert.
Da er hinauszieht zu ſeinem vermeintlich adeligen Räuberleben,
läßt er ſich von Mutter und Schweſter in geckenhaft höfiſcher
Weiſe ausrüſten. „Seine Leinwand war von der feinſten Art;
ſieben Weber waren dem Gewebe entronnen, ehe es fertig war,
ſo fein war es. Sein Rock vom beſten Wollſtoff war mit weißem
Pelzwerk gefüttert; der Oberrock vom feinſten blauen Tuch war
am Rückgrat vom Nacken bis zum Gürtel mit dicht an einander
gereihten, roth vergoldeten Knöpfen beſetzt, und ebenſo ſtand eine
gleiche Reihe ſilberner vorn auf der Bruſt vom Halſe bis zur
Gürtelſchnalle herab. Sein Rock war oben mit drei Kryſtallknö-
pfen geſchloſſen und ganz mit Knöpfen aller Farben beſäet, gelb,
braun, grün, blau, roth, ſchwarz und weiß, die leuchteten, daß
er von Frauen und Mädchen gar minniglich angeſehen wurde,
wenn er beim Tanze ging. Die Naht, womit die Aermel an den
Schultern befeſtigt waren, war um und um behangen mit Schel-
len, die hörte man laut erklingen, wenn er im Reihen ſprang;
den Frauen drang es durch die Ohren.“ Die ſchön geſtickte Haube
auf dem langen blonden Lockenhaar, feine Beinkleider und Stie-
fel von Korduanleder vollendeten das Bild. Man erkennt we-
nigſtens aus dieſer, wie immer auch übertriebenen Schilderung,
in welcher Art und in welchem Sinne ein ungebildeter Stutzer
jener Zeit den „Löwen“ zu ſpielen ſuchte.


Mit der Anſchuldigung Nitharts ſtimmt das Bild überein,
welches in der Maneſſiſchen Handſchrift den Liedern dieſes Dich-
ters beigefügt iſt. Der ritterliche Sänger iſt umdrängt von vier
[157]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Bauern, deren höhniſche Angriffe er von ſich abzuwehren ſucht.
Sie tragen das Haar in langen Locken, am Leibe geſteppte und
geſtreifte Wämmſer, wie ſie die Ritter unter dem Harniſch anzu-
legen pflegten, und darüber kurze weite Oberröcke, die in verſchie-
dener Weiſe quer geſtreift ſind; Ritterſchwerter und Dolche füh-
ren ſie an der Seite und eine runde Kopfbedeckung mit anliegend
aufgekrämptem Rande, an den Füßen Schuhe oder Stiefeln.
Man ſieht, ihre Tracht iſt ritterlich und auch wieder nicht, wie
Jemandes, der ſich über ſeinen Stand kleidet, den aber geſchmack-
loſe Eitelkeit die rechte und feine Sitte verfehlen läßt.


Auch die Bäuerinnen folgen in ihrer Weiſe dem Beiſpiel
der Männer. Sie legen ihre Röcke von koſtbarer Leinwand in
eine Menge kleiner Falten und ſchnüren ſie eng um die Hüften.
Die Gürtel tragen ſie ſchmal nach höfiſcher Art, aber koſtbar ver-
ziert, und das Haar bedecken ſie, anſtatt des ſchleierartigen Tu-
ches, mit ſeidenen Hüten und ſeidenen Gebenden. An der Seite
führen ſie an einer langen ſeidenen Schnur oder an einer reich
verzierten, mit erhabener goldenen Arbeit verſehenen Borte einen
kleinen Handſpiegel.


Ein ſolcher Spiegel gehörte damals ziemlich allgemein
zur Toilette der Damen, und daß ſie großen Werth darauf leg-
ten, zeigt die reiche Verzierung, mit welcher ſie ihn verſahen. Die
Rückſeite beſtand oft aus der koſtbarſten Elfenbeinſchnitzerei mit
figürlichen Darſtellungen, die dem Reich der Liebe entnommen
waren. Es haben ſich noch mehrere dergleichen erhalten. Eines
derſelben ſtellt z. B. eine Liebesburg dar, welche von den Damen
unter Anführung der Frau Minne ſelbſt vertheidigt wird, wäh-
rend die Ritter von allen Seiten heranſtürmen, die Burg zu er-
obern. Roſen werden von den Vertheidigerinnen auf die Köpfe
der Stürmenden herabgeworfen, Roſen ſchießen dieſe wieder mit
Armbrüſten hinauf, Roſenzweige dienen als Lanzen und Schwer-
ter; nur allein Frau Minne führt Bogen und ſcharfen Pfeil.
Während einige Damen zu Pferde aus dem geöffneten Thor noch
einen Ausfall machen, und ihnen Ritter in derſelben Weiſe mit
eingelegten Roſenzweigen entgegenreiten, haben andere Ritter
[158]II. Das Mittelalter.
ſchon die Zinnen erſtiegen und nehmen, wie es ſcheint, in gern
gewährten Küſſen und Liebkoſungen den Preis der Tapferkeit und
das Zeichen der Ergebung in Empfang. *)


Bei dem ausgebildeten und feinen Geſchmack, der ſich prü-
fend auf alle Gegenſtände der Kleidung oder der ſonſtigen Toi-
lette erſtreckte, durfte die Farbe nicht weniger Berückſichtigung
erhalten. Schon im Nibelungenlied finden wir die Damen in
dieſer Beziehung ſehr wähleriſch.


„Sie trugen reiche Stoffe, die beſten, die man fand,

Vor den fremden Recken; auch manches gut Gewand,

Wie’s zu ihrer Farbe ſich grad’ am beſten nahm.“

Sie beſtimmen alſo die Kleider nach der Farbe ihres Haars, ihres
Geſichts, ihrer Augen u. ſ. w. und zeigen damit, daß ſie mit der
Kenntniß des Hauptgrundgeſetzes bereits tief in das Geheimniß
der Toilette eingedrungen ſind. — Im Allgemeinen hatte jeder
Stoff und alſo auch jedes Kleidungsſtück nur eine Farbe. Mit
Thieren oder Laubwerk gemuſterte Stoffe, ſeien ſie geſtickt oder
gewirkt, gehören zu den Ausnahmen und werden zu Staatsklei-
dern, Ornaten, oder gleich der getheilten Tracht nur in beſtimm-
ter Bedeutung getragen. Davon war ſchon oben die Rede. Die
Einfarbigkeit wurde dadurch aufgehoben, daß bei Männern wie
bei Frauen mehrere Kleider getragen wurden, welche in verſchie-
denen Farben wirkten. Mit dieſer Mannigfaltigkeit konnte erſt
Harmonie eintreten und war die Möglichkeit zur Entfaltung des
Geſchmacks gegeben. Da das Oberkleid und der Mantel noch
mit andersfarbigem Stoffe gefüttert und häufig mit dem ſoge-
nannten Bunt- oder Schönwerk, dem hermelinartig oder anders
gemuſterten, bunt zuſammengeſetzten Pelz unterlegt oder ver-
brämt waren, ſo konnten ſich mit Hinzufügung des Goldes we-
nigſtens ſechs Farben am Anzug einer Dame ſichtbar vereinigt
finden. Die Art und Weiſe, wie man die Kleider trug, indem
der Mantel oder das Oberkleid mit Arm und Hand in die Höhe
[159]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
genommen wurde, daß es ſich faltig umlegte und ſein eignes
Unterfutter ſowie das Unterkleid ſichtbar werden ließ, dieſe Sitte
machte es möglich, daß alle Farben zugleich zur Wirkung gelan-
gen konnten. Es iſt auch darin gewiß der Grund zu ſuchen,
warum die Damen die Oberkleider in der angegebenen Weiſe be-
ſtändig trugen. Durch goldene oder farbige Säume am Hand-
gelenk, am Hals und am Fußrande, ſowie in der früheren Zeit
auch um den Oberarm wurde die Mannigfaltigkeit noch größer,
damit freilich auch die Herſtellung der Farbenharmonie in der
ganzen Toilette für die Damen eine ſchwierigere Aufgabe. Indeß
dürfen wir ihrem Geſchmack wohl mehr Feinheit zutrauen, als
den Kloſterkünſtlern, die, in ihrer einſamen Zelle dem Leben der
großen Welt und dem Anblick feiner Damen fern bleibend, kei-
neswegs einen gebildeten Farbenſinn verrathen und grelle und
ſchreiende Mißklänge, wie z. B. Grün und Blau, in den Anzü-
gen vornehmer Frauen unvermittelt zuſammenſtellen. Im Allge-
meinen wurden die ganzen und lebhaften Farben den gebrochenen
vorgezogen. Roth mit ſeinen verſchiedenen Nüancen vom Hoch-
roth und Purpur bis zum blaſſen Roſa, Blau, Hellgrün, Gelb
finden ſich am häufigſten in Gebrauch; daneben ſcheinen Schwarz
und Weiß für beſonders fein gegolten zu haben. So erblickten
König Gunther und ſeine Genoſſen die Brunhilde zuerſt am Fen-
ſter ſtehen in ſchneeweißem Kleide, und ſie ſelbſt trugen bei ihrer
erſten Auffahrt an ihrem Hofe, wo ſie ſich im höchſten Glanz zei-
gen wollten, reiche Kleider, die einen von ſchneeblanker, die an-
dern von rabenſchwarzer Farbe. Alle mehr in Grau, Braun und
Violett gebrochenen Farben blieben noch vorzugsweiſe dem nie-
dern Stande, obwohl Braun ſelbſt nicht unelegant war. Dieſe
Miſchfarben tragen auch die Bauern auf den Bildern der Heidel-
berger Handſchrift des Sachſenſpiegels durchgängig. — Für die
ſymboliſche Bedeutung, welche man ſpäter in der Liebe mit den
Farben verband, und die wir in der nächſten Periode werden
kennen lernen, findet ſich in der eigentlich höfiſchen Zeit noch kein
Beiſpiel. Man ließ den guten Geſchmack in der Wahl der Farben
walten. Nur Grau, für gewöhnlich den niedern Ständen eigen,
[160]II. Das Mittelalter.
erhielt noch eine beſondere Anwendung, indem es neben Schwarz
die Trauer bezeichnete und zugleich die Farbe der Narrentracht
wurde. Eine ſolche legt Triſtan an, da er den Narren ſpielt, hier
und da mit Narrenbildern aus rothem Zeug beſetzt. —


In Anbetracht der Stoffe, welche zu den Kleidern der
Männer wie der Frauen angewendet wurden, haben wir bereits
bemerkt, daß die im erſten Jahrtauſend vor allem geſchätzte Lein-
wand durch wollene Stoffe in den Hintergrund gedrängt worden;
daß Wolle in dieſer Periode die gewöhnliche Tracht jedes Stan-
des war, und Sammet und Seide, die Erzeugniſſe der Fremde,
wenn auch bei den höheren Ständen in keineswegs ſeltenem Ge-
brauche, doch nicht in dem Maße Anwendung fanden, wie die
glänzenden Bilder der Dichter vermuthen laſſen.


Die Wollſtoffe waren größtentheils heimiſches Erzeug-
niß, von der feinſten Qualität bis zum dicken Fries und zum
Lodenſtoff des öſterreichiſchen Aelplers und Bauern. Wie früher
die Niederlande das frieſiſche Tuch ausführten, ſo gelangten ſchon
in der Zeit der Kreuzzüge die ſüdlichen Provinzen derſelben, na-
mentlich die Städte Arras, Brüſſel, Mecheln, Gent, Brügge,
Antwerpen, Ypern u. a. in der Verfertigung von Wollſtoffen
aller Art, ſowie in ihrer Färbung zu hohem Ruhme. Noch andere
deutſche Städte, wie Regensburg im Süden, Lüneburg im ſäch-
ſiſchen Norden, zeichneten ſich hierin aus. Die Wolle als Roh-
ſtoff kam ihnen größtentheils von England und Ungarn. Eng-
land ſelbſt verbeſſerte ſeine Manufacturen zu wiederholten Malen
durch niederländiſche Weber.


Der feinſte Wollſtoff war der Scharlach. Seine gewöhn-
lichen Farben waren Roth und Braun; doch werden, wenn auch
ſeltner, daneben andere, wie Grün, Blau, Weiß erwähnt. Es
ſcheint daher faſt, als ob der Name vom Stoff auf die Farbe
übergegangen ſei. Der Scharlach war in den höfiſchen und ritter-
lichen Kreiſen, ſowie auch wohl beim reicheren Bürgerſtande der
vorzugsweiſe gebräuchliche Kleiderſtoff, bei Männern wie bei
Frauen. Und nicht etwa diente er bloß zu Hauskleidern, ſondern
er mußte im höchſten Anſehen ſtehen, da er zu Oberkleidern ver-
[161]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
wandt wurde, die mit dem feinſten Hermelin gefüttert waren.
Man würde nicht das edle Rauchwerk mit gemeinem Stoffe ver-
bunden haben. „Scharlach iſt ein reich Gewand und kleidet
wohl die Leute.“ So wird Parzival bei Gurnemans gekleidet:


„Scharlachbraun *) von ſchönem Schnitte

Und wohlgefüttert nach der Sitte,

Waren Rock und Mantel lang,

Von Hermelin inwendig blank,

Schwarz und grauer Zobel ſtand

Als Beſatz vor jedem Rand.“

Zu der Beinbekleidung war Scharlach der feinſte und der dama-
ligen Mode am meiſten entſprechende Stoff, indem er, fein und
elaſtiſch, die Glieder tricotartig zu umſchließen vermochte und
nachgiebig der freien Bewegung kein Hemmniß war. Von ihm
haben ſich die Künſtler, beſonders die Bildhauer, die reinen Mu-
ſter für den Stil des Faltenwurfs geholt; ſie hatten darum nicht
nöthig, die Antiken zu ſtudiren. Der Scharlach war einheimi-
ſchen Fabrikates.


Neben dem Scharlach gab es eine Menge anderer Wollſtoffe
in den verſchiedenartigſten Abſtufungen bis zu den bereits er-
wähnten gröbſten Arten, Fries und Loden: ſo die leichte
Serge, der Fritſchal, welcher mit dem Scharlach und den
koſtbarſten fremdländiſchen Seidenſtoffen zuſammen getragen
wurde, der Barragan (Bergan), den man in vorzüglicher Güte
zu Regensburg fabricirte, der Buckeram aus Ziegenhaaren, der
Schürbrant, die Sei und der Seit (von sagum und sage-
tum
abzuleiten und daher urſprünglich wohl vorzugsweiſe Man-
telſtoff), der Kamelot, aus Kamelhaaren und Wolle, der, ſchon
damals viel gebraucht, nach Namen und Stoff ſich bis auf die
Gegenwart erhalten hat.


Weit mehr als von den Wollſtoffen wiſſen die Dichter von
der Seide zu erzählen und zu — fabeln, da ſie in damaliger Zeit
noch kein einheimiſches und mit Ausnahme des griechiſchen Ori-
ents kaum ein Fabrikat der Chriſtenheit war. Die Sarazenen
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 11
[162]II. Das Mittelalter.
aber webten ſie in allen ihren Ländern: ſo waren in Spanien die
Seidenſtoffe von Almeria hochberühmt, Marokko lieferte Seide,
die Nordküſte Afrikas, die unter muſelmänniſcher Herrſchaft ſtehen-
den griechiſchen Inſeln, Kleinaſien und die ferneren Länder, Ara-
bien, das Land am Euphrat und Tigris, Hochaſien und Indien
als das berühmte Land der Serer, der Seide alte und urſprüng-
liche Heimath. Nur die normänniſchen Könige und ihre hohen-
ſtaufiſchen Nachfolger hatten eine große und weitberühmte Mu-
ſterfabrik in Palermo, aber die Arbeiter ſelbſt, die zeichnenden
Künſtler wie die Weber, waren Sarazenen; die Ornamente, die
eingewebten arabiſchen Sprüche und die hiſtoriſchen Zeugniſſe
geben das genugſam zu erkennen. Aus dieſer Fabrik ſtammt ein
großer Theil der noch erhaltenen, zum Krönungsornat der deut-
ſchen Kaiſer gehörenden Gewänder. Die Anſtalt von Palermo
wurde die Muſterſchule für Lucca und die Fabriken Oberitaliens,
von wo aus dieſe Kunſt nach den Niederlanden kam. Hier ge-
langte ſie aber erſt im fünfzehnten Jahrhundert zu der außeror-
dentlichen Blüthe und kunſtfertigen Vollendung. Die höfiſchen
Dichter, bedacht den Glanz ihrer Helden und Heldinnen durch
den Reiz des Fernen, Unbekannten und Wunderbaren zu erhöhen,
führen uns eine Menge fremdartig und ſeltſam klingender Namen
als Fabrikſtätten vor, die theilweiſe wirklichen Städten und Län-
dern angehören, theils aber auch, wenn nicht grade der Willkür
der Dichter, doch dem Mißverſtändniß und dem phantaſtiſchen
Sinn der Reiſenden und der Aufſchneiderei der Kaufleute ent-
ſprungen ſein mögen. Da giebt es neben der Seide aus Ninive
und Bagdad und Alexandrien auch Seide aus Adramaut und
Aſſagauk im Mohrenland, aus Alamanſura (Manſora), aus
Agathyrſiente, Ecidemonis, Ethniſe, Neuriente, Pelpiunte,
Seide aus Tabronit im Lande Tribalibot, Seide aus Thasme,
erfunden von Sarant, einem Bürger dieſer Stadt und daher Sa-
ranthasme genannt, aus Zazamank und vielen andern Städten
räthſelhaften Namens. In ähnlicher Weiſe kommen für die ver-
ſchiedenen Arten von Seidenſtoffen auch eine Menge ſchwerer
oder leichter zu erklärende Namen vor: Achmardi, Baldachin,
[163]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Blialt oder Plialt, Cyclat oder Siglat, Palmat, Pfawin, ſo ge-
nannt, weil er gleich Pfauenfedern ſchillerte, Pfellel, Pfeller oder
Pfelle, Sureiner Seidentuch, Taft, Triblat, Tyras und Tymit,
Zendal oder Sendal, auch Sindel und Sendel genannt. Die
Stoffe waren von allen Farben, konnten gemuſtert ſein, mit ſtili-
ſirtem Laubwerk, Thieren und figürlichen Darſtellungen, über
deren Gebrauch wir oben geſprochen haben, und waren auch nicht
ſelten mit Gold durchwirkt, was die Sarazenen vor allem ver-
ſtanden, während die abendländiſchen Frauen es hineinſtickten.


„Das Gold vom Kaukaſus iſt roth,
Daraus die Heiden ſchön Gewand
Wirken; mit Kunſtverſtand
Legen ſie das Gold in Seiden.“ (Parzival.)
()

Zu den koſtbarſten und den am meiſten genannten dieſer
Stoffe gehört der Pfellel. Der Name iſt von pallium
Mantel — abzuleiten, wohl weil er urſprünglich zu dieſem Ge-
wand, dem weltlichen wie dem geiſtlichen Pallium, beſonders ge-
braucht wurde; ſeine Heimath aber iſt die wunderbare Fremde,
das ferne Morgenland, Libyen, Arabien, Babylon u. ſ. w.
Dort wird er, wie auch von anderm Seidenſtoff erzählt wird, in
einem fabelhaften Berge zu Agremontein von Salamandern im
heißen Brand des Feuers unvergänglich gewirkt. Eine andere
Sage läßt im weiten Indien einen Baum wachſen bei der Burg
Grarimort, der trägt die feinſte Seide von einem Glanze, ge-
ſponnenem Golde gleich, und wer dieſen koſtbaren Pfellel trägt,
der gewinnt durch ihn unendliche Pracht.


Neben dem Pfellel war der Baldachin beſonders ange-
ſehen. Das alte Bagdad — Baldek — hat ihm Namen und
Urſprung gegeben. Er war ſo koſtbar und ſtand in ſo hohen
Ehren, daß ſelbſt Maria, die Himmelskönigin, von ihm ein
Kleid tragen konnte, „durchwirkt mit lauterm Golde.“ Auch der
Cyclat oder Siglat kommt in reichſter Weiſe mit Gold durch-
wirkt vor. Triſtan trägt daraus ein Kleid, „das Gold war darin
gewoben nicht in der Maße des Hofes; die ſeidenen Streifen ſah
man kaum, ſie waren alle mit Gold ertränket und in Gold ver-
11*
[164]II. Das Mittelalter.
ſenket.“ Der Sendal war ein leichterer und mehr gewöhnlicher
Seidenſtoff, der noch ſpäter viel getragen und zu Helmdecken, wie
zu Kopfbedeckungen, die daher Sendelbinden hießen, gebraucht
wurde.


In gleicher und faſt noch größerer Ehre als die Seide ſtand
der Sammet, wie jener nur ein fremdes Erzeugniß aus be-
kannten wie fabelhaften Fabrikſtätten und nur die Tracht der
Bevorzugten auf Erden. Angewendet wurden beide, Sammet
wie Seide, zum Rock, zum Mantel und zum Oberkleid und zwar
ſowohl als Ueberzug wie als Futter, die Seide auch zum Hemd,
zu den Schuhen, zu den Hüten der Frauen und den Mützen der
Männer und ſonſt zu all der mannigfachen Kopfbedeckung in
Geſtalt von Hauben, Schleiern und Tüchern. Auch die Hand-
ſchuhe waren häufig von Seide.


Die Leinwand blieb in dieſer Periode größtentheils den
niedern Ständen überlaſſen; und wenn ihr Gebrauch auch von
den vornehmeren nicht ausgeſchloſſen war, ſo diente ſie doch nur
zur Unterkleidung wie heut zu Tage; man redete nicht viel von
ihr und trieb noch wenig Luxus damit. Im Wigalois kleidet ſich
nach einem Bade Herr Gawein zuerſt mit weißer Leinwand, dann
legt ihm eine Jungfrau einen Rock darüber von Pfellel, gefüttert
mit Hermelin, und von demſelben Pfellel noch einen Mantel.
Natürlich war die Feinheit der Leinwand nach den Ständen ver-
ſchieden, ſodaß man dieſe daran zu erkennen vermochte, wie es
einmal dem Ulrich von Liechtenſtein geſchah, da er ſich unter die
Kranken gemiſcht hatte, um ſeine verehrte Frau ſehen zu können.
Für den Bürger und den Bauer war es ein Zeichen der Wohlha-
benheit, Laden und Schränke mit guter Leinwand angefüllt zu
haben. Männer wie Frauen dieſes Standes trugen auch wohl
die ganze Kleidung von Leinwand.


Die reiche Pelzverbrämung und das Unterfutter des Man-
tels und des Oberrocks, welches im Winter wie im Sommer ge-
tragen wurde, haben uns ſchon bei gelegentlicher Erwähnung er-
kennen laſſen, daß das Rauchwerk in dieſer Periode nicht ge-
ringerer Liebe ſich erfreute wie in den vorhergehenden Zeiten, als
[165]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
man der koſtbaren gewirkten Stoffe noch mehr entbehren mußte.
Helmold, der Slavengeſchichtſchreiber, klagt ſehr über ſolche, nach
ſeiner Meinung ſo eitle Thorheit. „Ueberfluß haben die Preußen
an Fellen, die bei uns nicht vorkommen, und deren Duft unſrer
Welt das todtbringende Gift der Hoffahrt eingeflößt hat. Jene
freilich achten dieſes nicht höher denn Miſt, und damit, glaube
ich, iſt zugleich auch über uns, die wir nach einem Marderfelle
wie nach der höchſten Glückſeligkeit jagen, das Urtheil geſprochen.
Darum bieten ſie für linnene Gewänder, die wir Faldonen nen-
nen, die ſo koſtbaren Marderfelle aus.“ — Das edle Rauchwerk
war im Mittelalter durchaus Vorrecht des ritterlichen Standes,
an welchem auch die höhere Geiſtlichkeit Theil nahm. Bürgern
und Bauern war es gradezu verboten, und es konnte ihnen nur
durch ein beſonderes Privilegium geſtattet werden. Ein ſolches
ertheilte Kaiſer Heinrich V. im Jahr 1111 den Rathsherren von
Bremen, nach einer Urkunde, deren Aechtheit freilich bezweifelt
wird. Die Verkehrsſtraßen, auf denen es aus Rußland, Polen,
Preußen und Ungarn herbeigeführt wurde, waren theils zu Lande
und zu Waſſer nach den nördlichen Hanſeſtädten, theils die Do-
nau herauf nach Regensburg, dem Hauptſtapelplatz des ſüdlichen
Pelzhandels. Von dieſen Städten aus ging es weſtwärts und
ſüdlich nach Spanien und Italien, wo aber nur die feinſten und
koſtbarſten Arten getragen wurden. Zu dieſen gehörten Hermelin
und Zobel, auch Marder und ſchwarzer Fuchs, denen ſich wohl
noch Fiſchotter, Biber und Zieſelmäuſe in geringerem Werthe
anſchloſſen. Dann folgten die Eichhörnchen, der gewöhnliche
Fuchs, die Katze, der Luchs, Dachs, Wolf, Bär und der See-
hund.


Die Bearbeitung und Anwendung des Rauchwerks war eine
doppelte, indem man entweder nur Pelz von derſelben Art nahm
oder Felle verſchiedener Thiere und von verſchiedener Farbe mit
einander verband. Mit Rückſicht darauf unterſchied man zwiſchen
Schönwerk, Buntwerk, Grauwerk und Buntgrau.
Zu Schönwerk wurden die koſtbarſten Felle benutzt, doch ſank
ſpäter ſeine Bedeutung, und es wurde von Hermelin und Veh
[166]II. Das Mittelalter.
unterſchieden und beiden nachgeſetzt. Vom Hermelin hatte man
zwei Arten, die gewöhnliche des weißen Grundes mit eingelegten
ſchwarzen Schwänzchen oder umgekehrt mit dunklem Grund von
ſchwarzem Zobel oder ſchwarzem Fuchs und ausgeſchnittenen
weißen Schwänzchen. An den Kleidern umfaßte oder verbrämte
man häufig das aus weißem Hermelin beſtehende Unterfutter mit
einem Rand von ſchwarzem Zobel oder machte es auch hier um-
gekehrt. Buntwerk, Grauwerk und Buntgrau (varium — ital.
varo, vajo und daher Veh —, griseum und varium griseum)
wurden vorzugsweiſe aus den verſchiedenfarbigen Fellen der Eich-
hörnchen, der braunen, grauen und ſchwarzen, zuſammengeſetzt,
die wieder mit Fellen anderer Thiere in mehrfacher Zeichnung
verbunden werden konnten. Eine beſonders koſtbare Art des
bunten Rauchwerks war auch der Kleinſpalt. — Die Bilder
der Handſchriften laſſen uns öfter dieſe verſchiedenen Arten erken-
nen, und wir finden ihren Gebrauch fortgepflanzt in der Heraldik,
wo ſie mit verſchiedenen Namen und verſchiedener Zeichnung
Wappenzeichen bilden. Ihre Anwendung geſchah hier in der
Weiſe, daß urſprünglich die Schilde ſelbſt mit den Pelzſtoffen
überzogen, ſpäter aber ihre Muſter darauf gemalt wurden. Im
Allgemeinen beſchränkte ſich die Anwendung des Pelzwerkes bei
der Kleidung auf Unterfutter und Verbrämung. Man trug ſie,
wie wir geſehen haben, im Winter wie im Sommer. Mantel
und Oberkleid wurden in gleicher Weiſe mit Pelz verſehen, doch
wenn beide zuſammen getragen wurden, ſo hatte immer nur eines
den Schmuck des Rauchwerks. Ausnahme iſt es, wenn im Par-
zival Anfortas, der König des Grals, einen Mantel trägt, wel-
cher innen und außen Pelz iſt; ſein Krankheitszuſtand bedurfte
ſo außerordentlicher, warmer Kleidung. Auch ein pelzgefütterter
Rock, als Unterkleid, iſt Ausnahme. Verbrämt ſind auch häufig
die Kopfbedeckungen der Männer, und die Bilder der Handſchrif-
ten lehren uns noch einen beſondern breiten Pelzkragen von ver-
ſchieden gezeichnetem Buntwerk kennen, der ſich um die Schultern
über den Mantel legt. — —


Wir haben bis hierher die Kleidung in ihren einzelnen
[167]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Theilen und überhaupt die ganze äußere Erſcheinung der deutſchen
Menſchenwelt bis in den Anfang des vierzehnten Jahrhunderts
hinein verfolgt, bis auf einen Punkt, wo ſie, wenn auch dem
kundigen Auge römiſchen Urſprung oder Einfluß nicht verleug-
nend, doch als eine ſelbſtſtändig ausgebildete und mittelalterlich
originale daſteht, und zugleich in ruhiger Schönheit und einfacher
Eleganz dem fein gebildeten Geſchmack hohe Befriedigung ge-
währt. Genau um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts ge-
ſchieht der Umſchwung zu anderen Formen in der Trachtenwelt,
wenn auch nicht plötzlich und mit einem Male, doch in ſo aus-
geſprochener Weiſe, daß er den Mitlebenden ſelbſt ins Bewußt-
ſein tritt. Der Schönheitſinn fühlt ſich nicht mehr befriedigt an
plaſtiſch würdevollen Erſcheinungen; die durch Ueberfeinerung
irre geleitete Phantaſie will erfinderiſch ſein und gefällt ſich bald
in Bizarrerieen und Ausgeburten; der Menſch mit ſeiner äußeren
Erſcheinung wird in Formen und Farben ein unruhig buntes
Weſen, das oft nur ein Zerrbild iſt. Er iſt nur ein Abglanz
einer Zeit, welcher die großen, leitenden Ideen abgehen, ſtatt de-
ren Zerſplitterung und endlich die Auflöſung der Grundlagen des
mittelalterlichen Lebens eintritt. Die drei oder vier letzten Jahr-
zehnte vor der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts bildeten die
Vorbereitungszeit, in welcher die neue Richtung in Einzelheiten
andeutend zu Tage tritt, und ebenſo in gleichem Maße die Tracht
der höfiſchen Zeit ſtufenweiſe von ihrem Charakter einbüßt. Die-
ſes allmählige Hinübergehen des Einen in das Andere wollen
wir am Schluß dieſer Periode noch in den einzelnen Hauptmo-
menten nachweiſen. Da hier ein weſentlich Neues nicht mit einem
Male auftritt, ſondern nur eine Wandlung an uns nunmehr
bekannten Dingen vor ſich geht, ſo läßt ſich das Nöthige auf we-
nige Worte beſchränken. Das Neugewordene, Fertige findet im
nächſten Kapitel ſeine Beſprechung.


Die Neigung zur Enge und Einſchnürung des Körpers,
welche eine Zeitlang Oppoſition erhalten hatte, tritt wieder mit
voller Gewalt auf und ſteigert ſich ſodann in der folgenden Pe-
riode bei der Männerwelt auf das höchſt mögliche Maß. Der
[168]II. Das Mittelalter.
Rock des Mannes, wie er ſich dem Leibe anzuſchmiegen ſucht,
zieht ſich auch in ſeiner Länge zuſammen und erreicht, von den
Füßen zurücktretend, gegen das Jahr 1350 kaum noch das Knie.
An ſeinen Säumen, ſowohl unten wie an dem Kaputzenkragen
oder Goller (Gugel), der in dieſen Jahrzehnten ſehr häufig ge-
tragen wird — ſeine Eigenthümlichkeit iſt ſchon oben beſchrieben
worden — wird er in Zacken ausgeſchnitten, eine Mode, die bis
dahin nur von dem vagabundirenden Volk der Spielleute und
Jongleurs gepflegt worden. Wenn im dreizehnten Jahrhundert
unſer wohlbekannte reiche Meierſohn Helmbrecht ſeinen Rock aufs
reichſte mit metallenen, vergoldeten oder farbigen Glasknöpfen
beſetzt hatte, ſowohl hinten am Rückgrat herab wie vorne vom
Hals bis zum Gürtel, ſo war das eine bäuriſche Uebertreibung
einer an ſich ſchon ſtutzeriſchen und damals aus dem Kreiſe der
Vornehmen vom guten Ton verbannten Sitte; jetzt aber wird
dieſer Knopfbeſatz, wenn auch noch in beſcheidener Weiſe, zur
feinen Mode. Die zunehmende Enge machte das Anziehen des
Rockes unbequem, welches nach wie vor über den Kopf geſchah;
man ſuchte dadurch nachzuhelfen, daß man den Rock auf der
Bruſt vom Halſe herab und desgleichen die Aermel am Handge-
lenk eine Strecke aufſchnitt und den Schlitz mit Knöpfen beſetzte,
wodurch man größere Enge und Bequemlichkeit zugleich erhielt.
Ganz in derſelben Weiſe wandelte ſich gleichzeitig in der Kriegs-
tracht der Waffenrock um, der mit dem Kettenhemd ſeine Länge
und Weite einſchränkte und ſo allmählig mit Umänderung des
Stoffes aus Wollenzeug in Leder zum Lendner wurde, als
welcher er der ausgebildeten Form des Rockes in der zweiten
Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts genau entſprach. Der Zipfel
der Kaputze wuchs und fiel noch vor dem Jahr 1350 weit auf
den Rücken herunter, ungefähr wie, um an ein bekanntes, wenn
auch als italieniſch etwas früheres Beiſpiel zu erinnern, bei dem
vielverbreiteten Reliefkopf Dantes. — Der Gürtel hat mit der
Kleidung nichts mehr zu thun; er beſchränkt ſich daher entweder
auf den Kriegsgebrauch, obwohl auch hier eine andere Art,
Schwert und Dolch zu tragen, eingeführt wurde, oder er wird
[169]1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
ein bloßer Schmuck, und hängt als ſolcher bei Männern wie bei
Frauen loſe auf den Hüften. Wir beſprechen ihn näher in der
folgenden Periode, welcher er in dieſer Form vorzugsweiſe ange-
hört. — Der Mantel des Mannes tritt mit einer neuen Form
auf. Dieſe iſt nicht mehr völlig offen, ſondern oben vor der rech-
ten Schulter ſind die beiden Seiten, die hier ſonſt mit einer
Agraffe befeſtigt wurden, eine kleine Strecke zuſammengenäht.
An dieſer Stelle erſcheinen dann als Schmuck kleine Wappen-
ſchildchen gleich Agraffen, oder eine Reihe Knöpfe von geſchliffe-
nen Steinen oder anderer Schmuck. Im Uebrigen iſt der Mantel
offen von oben bis unten, ſodaß der rechte Arm zum Gebrauch
völlig frei iſt. In dieſer Form, die übrigens keineswegs zur aus-
ſchließlichen Herrſchaft kam, wurde er über den Kopf angezogen,
und hing dadurch ungleich feſter als früher am Körper. — Die
Schuhe geben ſchon aufs deutlichſte die Neigung zur verlängerten
Spitze zu erkennen, während ſie im dreizehnten Jahrhundert zwar
nicht abgeſtumpft ſind, ſich aber doch nach der Länge des Fußes
richten.


In der Frauenwelt iſt es vorzüglich das Haar, welches
die Aenderung der Zeit andeutet. Die langen, wallenden Locken,
die frei gelöſet über die Schultern herabfloſſen, werden in Flech-
ten geſammelt und um die Ohren oder ſonſt am Kopf aufgebun-
den, daß Hals und Nacken frei ſind. Nur ſelten ſieht man gegen
die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts noch Jungfrauen mit
aufgelöſetem Haar. Das Frauengebende verliert ſeine einfach
ſchöne Form und macht bereits leiſe Andeutungen auf den ſpäte-
ren bizarren Kopfputz. An Nacken, Schultern und Bruſt ſtellt
ſich zum erſten Mal durch Ausſchneiden des Kleides eine bald zu-
nehmende Entblößung ein, während Matronen, die Luſt der
Welt fliehend, ſich um ſo mehr nonnenhaft durch Schleier, Hau-
ben und Riſe (Kinntuch) verhüllen. — Ober- und Unter-
kleid
ſchließen ſich am Oberkörper überall in gleichmäßiger
Enge an und laſſen die Körperformen aufs deutlichſte hervortre-
ten; erſt abwärts werden ſie weit und faltig und legen ſich lang
und wallend um die Füße. Die Aermel des Oberkleides ſind
[170]II. Das Mittelalter.
entweder völlig weggeſchnitten, ſo ſehr, daß ein großer Ausſchnitt
die vom Unterkleid bedeckten Schultern und die Seiten bis auf
die Hüften zeigt, oder ſie umfaſſen Schulter und Oberarm ganz
kurz und hängen dann mit einem ſchlichten, ſchmalen Stück, wie
aufgeſchnitten, lappenähnlich herunter in einer Länge, welche die
des ganzen Armes noch kaum übertrifft. Das iſt der Anfang der
Hängeärmel, mit welchen 50 Jahre ſpäter ein ſo großer Luxus
getrieben wurde. Auch bei der männlichen Kleidung finden ſich
bereits vereinzelte Beiſpiele dieſer Aermel. Ebenfalls tritt bei den
Frauen der Beſatz mit Knöpfen ein, doch in noch beſcheidnerer
Anwendung. Wie der Rock des Mannes wird auch das Kleid
der Frau auf der Bruſt herab und desgleichen vom Handgelenk
zum Ellbogen aufgeſchnitten und mit Knöpfen verſehen. Dadurch
wird das Anziehen erleichtert und möglichſte Enge erreicht. —
Die Taſſeln des Mantels erhalten oft Schildform und werden
mit den Familienwappen geſchmückt, wie Aehnliches ſchon bei
den Männern erwähnt wurde. —


Wir ſehen ſo mannigfach in den Einzelheiten die Neigung
zur Uebertreibung, zur Sonderbarkeit und auch zur Sittenloſig-
keit andeutungsweiſe hervortreten, Eigenſchaften, welche im funf-
zehnten Jahrhundert ſich über alles Maß ſteigern ſollten. Einige
verdeutlichende Beiſpiele für die genannte Vorbereitungszeit ge-
währen die im 16. Heft von „Kunſt und Leben“ abgebildete
Hirſchjagd und die Miniaturen bei Hefner II, 28. —


[[171]]

Zweites Kapitel.
Die Zeit des Luxus und der moraliſchen und
äſthetiſchen Entartung
. 1350—1500.


a. Der Umſchwung in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts;
der Realismus und die Kleiderordnungen; die Mode.

Es war genau in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts,
als die ſociale Ordnung der damaligen civiliſirten Welt in Frage
ſtand, ja faſt der Auflöſung nahe ſchien. Die furchtbare Peſt
des ſchwarzen Todes, „das große Sterben“, durchzog die Länder
und jagte die Gemüther in Angſt und Verzweiflung. Vernunft
und Menſchlichkeit wurden zugleich mit Füßen getreten. Die
einen klagten die Juden des Unheils an, und ſuchten Rache in
der ſchrecklichſten Verfolgung derſelben; die andern, tolle Schwär-
mer, erkannten ein Strafgericht Gottes und vermeinten abzubü-
ßen, indem ſie ſingend, betend und den eigenen Körper geiſſelnd
von einem Ort zum andern wanderten. Ruhigere Gemüther zo-
gen ſich ſcheu von der Welt zurück und verſenkten die Seele in
myſtiſche Betrachtungen. „Darnach aber,“ ſo erzählt der Schreiber
der Limburger Chronik, „da das Sterben, die Geiſſelfahrt, Rö-
merfahrt, Judenſchlacht ein End hatten, da hub die Welt wieder
an zu leben und fröhlich zu ſein.“ Die Bedeutung dieſer Worte
iſt eine viel größere als ſie der Chroniſt im Sinne hat, und wenn
er hinzufügt: „und machten die Leute neue Kleidung“, ſo iſt das
nur eine Seite dieſes neuen Geiſtes, der ſich nach allen Seiten
hin in einem fröhlichen, aber auch üppigen Leben offenbarte.


[172]II. Das Mittelalter.

In der That ſtehen wir mit der Mitte des vierzehnten Jahr-
hunderts an einem der großen Wendepunkte der Culturgeſchichte.
Die Blüthe des eigentlichen Mittelalters iſt vorüber: die Poeſie
iſt verklungen, die Fackel der Schwärmerei iſt erloſchen, die Gluth
des Glaubens und der Feuereifer verglommen; mit dem Herab-
ſteigen der Frau von ihrem heiligen Thron und dem Aufhören
ihres Cultus iſt die Minne in Wort und Begriff zum gemeinen
Genuß geworden; die feinen und natürlichen Formen höfiſch
ritterlicher Geſelligkeit haben ſich in romantiſche, an Aberwitz
ſtreifende Galanterie und Etiquette verwandelt, und das Sehnen
in die unbeſtimmte Ferne, das Aufgehen in Gefühle und die
Entſagung ſind dem realen Vollgenuß des unmittelbaren Lebens
gewichen. Es iſt der Schritt aus dem Ueberſinnlichen in die
Sinnlichkeit, vom Himmel auf die Erde, aus der Phantaſie zur
Natur. In alle Sphären des Lebens und der Kunſt dringt ein
gewiſſer Realismus ein, der in der ſocialen Welt zwar vielfach
zur Auflöſung der ſittlichen Ordnung führt, in der Kunſt jedoch,
noch in Verbindung mit der früheren Ueberſinnlichkeit oder der
tiefen Auffaſſung alles Geiſtigen, grade die reichſten und üppig-
ſten Blüthen treibt. Die derbe Lebensluſt, die ſich mit allen Or-
ganen an das materielle Daſein, an dieſe Welt, klammert, läßt
kaum ahnen, daß darüber eine andere Welt ins Grab ſinkt — ſo
luſtig, ſo bunt und reich bewegt ſich die Menſchheit im Behagen
an ſich ſelbſt, im Vollgenuß des Daſeins.


Dieſe Luſt des Lebens führt, wie eben angedeutet, zu einem
denkwürdigen Reſultat in der Kunſt, das zwar alle Zweige er-
greift, allein vorzugsweiſe in der Malerei ſich glänzend und glück-
lich bethätigt. Die Architektur und die Plaſtik haben beide ſchon
in der vorigen Periode ihre Blüthezeit gefeiert; das bewegte,
bunte, leidenſchaftliche Drängen und Treiben, welches nun der
mehr dramatiſchen Kunſt, der Malerei, zu Gute kommt, ſtört
jene in dem Gleichgewicht ihrer Geſetze, in ihrer ſteinernen Ruhe.
Die Architektur, unantaſtbaren Geſetzen unterworfen und auf
große Formen angewieſen, ſoll ſich in die Fülle des Kleinen zer-
gliedern und ſich bedecken mit einer unendlichen Maſſe krauſer,
[173]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
bunter Ornamentik, die nicht organiſch aus ihr hervorwächſt. Die
Plaſtik, wenn ſie auch an Kraft des Ausdrucks, an Reichthum
des Dargeſtellten gewinnt, verliert durch Anſprüche, die außer-
halb ihrer Gränzen liegen; mit den Farben in Verbindung ge-
ſetzt, ſoll ſie eine Malerei im Relief werden, eine Malerei in Stein
und Holz, alſo die treuſte Nachahmerin der Natur. Ganz anders
die Kunſt der Malerei. Im Gegenſatz zur maleriſchen Plaſtik des
funfzehnten Jahrhunderts war ſie im vierzehnten noch eine ſta-
tuariſche Malerei geweſen. Wie man am liebſten Einzelfiguren,
durch architektoniſche Einfaſſungen getrennt, darſtellte, ſo hatte
man auch figurenreichen Gegenſtänden durch den Mangel alles
natürlichen Hintergrundes einen reliefartigen Charakter aufge-
drückt. Der goldene Grund, in welchen die Figuren hineinge-
ſtellt waren, hatte den Schein des wirklichen Lebens vollends ge-
nommen; es war bereits gleichſam der Himmel geweſen, in den
dieſe Heiligen als der Erde entrückte Weſen getaucht waren.


Die Gebrüder van Eyck waren es nun, welche ſo die Kunſt
gewiſſermaßen vom Himmel auf die Erde herabzogen. Groß ge-
worden in dem üppigen Leben der reichen Niederlande, Zeugen
der Koſtbarkeiten, wie ſie dort der Gewerbfleiß in aller Farben-
pracht zu Tage förderte, in engſter Verbindung mit dem glänzend-
ſten aller damaligen Höfe, dem burgundiſchen, zeigen ſie in ihren
Werken zum erſten Mal in voller energiſcher Weiſe dieſe realiſti-
ſche Richtung der Zeit, die irdiſche Lebensfreudigkeit. Statt des
goldenen Hintergrundes verſetzen ſie den Schauplatz ihrer Gegen-
ſtände auf dieſe Erde, mitten hinein in die ſchöne Welt, der ſie
mit fröhlicher Liebe zugethan erſcheinen. Saftig grüne Wälder,
friſche, blumige Wieſen, Berge und Städte, mit hingebender
Vorliebe behandelt, bilden die Localität. Alles Nebenſächliche,
das Haar, der Boden, die Gräſer, werden mit geduldigſtem Fleiße
ausgeführt, das menſchliche Incarnat mit beſonderer Rückſicht
auf Geſchlecht, Alter und Charakter behandelt. Prachtgewänder,
Purpurmäntel, die großgemuſterten Sammet- und Seidenſtoffe
und der ſchimmernde Goldbrokat, Kronen, Ketten und blanke
Rüſtungen glänzen uns aus ihren Werken entgegen. Hohen Sinn
[174]II. Das Mittelalter.
offenbaren ſie für die Schönheit und die Leuchtkraft der Farben,
welchen ſie nur mit ihrer neu ins Leben gerufenen Oelmalerei be-
friedigen konnten. Statt der herkömmlichen typiſchen Bildung
der Köpfe führten ſie das Individuelle, das Charakteriſtiſche in
die Darſtellung des Menſchen und auch der Heiligen ein, und
ſchufen damit erſt als einen neuen und ſelbſtſtändigen Zweig der
Malerei das Portrait. Sie zuerſt ſtellten auch Gegenſtände der
profanen Geſchichte und des Lebens in größerem Maßſtabe dar.
Dieſe Richtung war ſo die allgemeine der Zeit, daß ſelbſt Fieſole,
der Zeitgenoſſe der van Eycks, in welchem die ganze Ueberſinn-
lichkeit des Mittelalters mit der vollen, kindlichnaiven Hingebung
und der unergründlichen Glaubensinnigkeit noch einmal im höch-
ſten Maße aufflammt, ſich ihr nicht entziehen kann. Fieſole gilt
als derjenige, der zuerſt das Individuelle, Portraitartige in die
italieniſche Kunſt eingeführt hat. Doch fehlte auch den van Eycks
und ihren Nachfolgern in den Niederlanden und in Deutſchland
und überhaupt dem funfzehnten Jahrhundert noch keineswegs die
Fähigkeit, dieſe Seelenzuſtände mit aller Energie und aus der
Unmittelbarkeit des künſtleriſchen Schaffens darzuſtellen. In
merkwürdiger Weiſe finden ſich dieſe beiden Richtungen mit ein-
ander vereinigt.


Wir finden denſelben Gegenſatz in der ſittlichen Welt. Der
wachſende Reichthum der Städte, das bewegtere Leben der Bür-
ger, ihre Unabhängigkeit und oft ihr Uebermuth hatten dem Rea-
lismus oder dem Materialismus Thür und Thor geöffnet; mit
ihm aber war die alte ſittliche Ordnung über den Haufen geſto-
ßen, Ehrbarkeit, Scham und Zucht verſchwanden aus dem Leben,
und eine Sittenloſigkeit trat ein in ſo abſchreckender, ſchamloſer
Geſtalt, daß man ſich entſetzt von den Schilderungen abwendet.
Nach der einen Seite betrachtet, haben wir es durchaus mit einer
Zeit der Entartung zu thun. Die Dichter, die Chroniſten, die
Prediger ſind gleich voll der Klagen über das allgemeine Ver-
derbniß, und die Geſetze, die ihm hemmend entgegen treten ſoll-
ten, ſind mit ihren ſchaudererregenden Strafen ein gleicher Be-
weis, daß das menſchliche Gefühl erſtickt iſt. Das iſt die eine
[175]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Seite. Die Kehrſeite iſt leicht begreiflich: der Pietismus, die
Neigung zur Bußfertigkeit, welche die Klöſter der Büßerinnen,
der Reuerinnen und Magdalenenſchweſtern hervorrief. Andere
fromme Seelen, welche ſich der Weltluſt abwandten, fanden ſich
zu ſtillem, beſchaulichem Leben in den Beghinenhäuſern zuſam-
men; andere, welche die erbarmende Liebe trieb, ſtifteten Anſtal-
ten zur Aufnahme und Unterhaltung gebeſſerter Frauen, andere
auch ſetzten ihnen Heirathsgut aus, damit ſie auf immer zu einem
beſſeren Leben zurückkehren konnten.


Die Oppoſition fand noch poſitiveren Halt und Ausdruck
als an dieſen paſſiven Tugenden. In keiner Zeit hatte die Di-
daktik wärmere und tüchtigere Vertreter; aus ihr wuchs die Sa-
tire hervor, als alle Schranken und natürlichen Formen maßlos
überſchritten waren und die Lebenszuſtände als Carricatur er-
ſchienen. Mit gleichem Eifer rührten ſich die Geiſtlichen gegen
den Luxus und das Verderben. Ihr Erfolg war aber nirgends
ein bleibender, und es iſt gewiß manchem ähnlich gegangen wie
dem Johann de Capiſtrano, da er in Ulm gegen die ſchlechten
Sitten der Frauen und ihre Kleidermoden predigte. Drei Frauen,
welche ſeiner Predigt ſpotteten, wurden ſogleich vom Volke be-
ſtraft, aber der Rath warf ihn ins Gefängniß und verwies ihn
der Stadt. Das größte Hinderniß war ihren Bemühungen der
eigene Stand, der durch ſeine Theilnahme an der allgemeinen
Sittenloſigkeit in Verachtung gefallen war. Sie verleugneten auch
in ihrem Aeußern die geiſtliche Würde und trugen nur zu gern
die Kleidung der Laien. In Ulm gingen ſie auf den Straßen im
Silberſchmuck einher, und liefen mit Sporen und Meſſern herum.
Von Rathswegen wurde den Gaſſenknechten aufgegeben, alle
Prieſter einzufangen und zum Bürgermeiſter zu führen, die ſie
auf der Gaſſe in unprieſterlichem Gewand und mit langer Wehre
antreffen würden.


Indeß hörte der beſſere Theil der Geiſtlichkeit nicht auf, in
mannigfacher Weiſe, von der Kanzel wie im Beichtſtuhl, ſowie
durch angedrohte Strafen, ſelbſt der Hölle, namentlich gegen die
ausgelaſſenen und ſchamloſen Kleidertrachten Oppoſition zu ma-
[176]II. Das Mittelalter.
chen. In Frankreich bedrohte ſie ſelbſt die Schneider und Putz-
macherinnen mit dem Kirchenbann. Die Zuſtände waren überall
gleich. Ehrbare und liebevolle Väter waren bemüht, durch War-
nungen ihre Kinder vor den Gefahren der Zeit zu ſchützen. So
ſah ſich etwa um das Jahr 1400 ein alter franzöſiſcher Ritter de
la Tour-Landry veranlaßt, durch beſondere Aufzeichnungen ſeine
Töchter mit dem Verderben der Welt bekannt zu machen; er fügt
ſeinen Lehren Beiſpiele hinzu, die er ſelbſt erlebt haben will. Wir
theilen ein ſolches mit, welches uns wieder die Geiſtlichkeit in
Oppoſition zeigt. Ein Ritter, ſo erzählt er, habe nach einander
drei Frauen gehabt. Als ihm die erſte geſtorben, beſuchte er wei-
nend einen Onkel, der Einſiedler war, und bat ihn, ſich im Ge-
bet an Gott zu wenden, damit er erfahre, welches Loos der Ge-
ſtorbenen zu Theil geworden ſei. Nach einem langen Gebet fiel
der Einſiedler in tiefen Schlaf. Dann ſah er im Traum St. Mi-
chael auf der einen und den Teufel auf der andern Seite, welche
ſich um den Beſitz der armen Seele ſtritten. Die ſchönen, herme-
linverbrämten Kleider laſteten ſchwer in der Wage zu Gunſten
des Teufels: „He, St. Michael,“ ſagte der letztere, „dieſe Frau
hatte zehn Paar Kleider, ebenſoviel lange wie kurze, und ebenſo-
viele Oberröcke. Ihr wißt, daß ſchon die Hälfte davon ihr hätte
genügen können. Ein langes Kleid, zwei kurze und ebenſoviele
Oberröcke ſind genug für eine einfache Dame; und wenn ſie ſich
gottgefällig mit weniger begnügt hätte, ſo hätten noch funfzig
Arme mit dem Preis einer einzigen ihrer Roben gekleidet werden
können.“ Und der Teufel brachte dieſe Kleider herbei und warf ſie
in die Wagſchale mit Schmuckſachen aller Art, was ein ſo großes
Gewicht machte, daß der Teufel gewann; und dann bedeckte er
die arme Seele mit dieſen Kleidern, die in Feuer gerathen waren
und ſie unaufhörlich brannten. Solches ſah der Einſiedler im
Traum und beeilte ſich, es ſeinem Neffen zu erzählen. — Als nun
dem Ritter nach fünf Jahren auch die zweite Frau geſtorben war,
kam er noch einmal zum Einſiedler, der wieder betete, entſchlief
und die Verſtorbene wegen eines einzigen Fehltritts auf hundert
Jahre zum Fegefeuer verurtheilt ſah. Nach dem Tode der dritten
[177]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Frau aufs neue befragt, ſah der Einſiedler nach ſeinem Gebet
auch dieſe im Traum. Ein Teufel hatte ſie bei den Haaren in
ſeinen Krallen, wie ein Löwe ſeine Beute hält, und dann brachte
er glühende Nadeln an ihre Schläfen, ihre Augenbrauen und ihre
Wangen. Die arme Seele ſchrie. Der Einſiedler fragte den Teu-
fel, warum er ſie ſo leiden laſſe. Weil ſie ihre Schläfen raſirte,
war die Antwort, ihre Augbrauen bemalte und die Haare von
der Stirne riß, um ſchöner zu ſein und mehr Bewunderung zu
erwecken. Ein anderer Teufel kam nun und verbrannte ihr das
Geſicht dermaßen, daß der Eremit darüber zitterte: „Sie hat
dieſe Strafe verdient,“ ſagte der Teufel, „weil ſie ſich geſchminkt
und das Geſicht bemalt hat, um ſchöner zu ſein; keine Sünde
mißfällt Gott ſo ſehr.“ — So lautet die Erzählung des Ritters
de la Tour.


Den beſten und wirkſamſten Widerſtand fanden die Aus-
ſchweifungen in Sitten und Moden an dem geſunden Sinn des
Volkes ſelbſt. In den Städten ſowohl wie beim Adel auf den
Schlöſſern hielt ein guter Theil an edler Einfachheit, an Ehrbar-
keit und Anſtand feſt, wie auch die Maſſe der niedern Stände
und des Landvolks unverdorben blieb. Was die Kleidung be-
trifft, ſo läßt ſich an vielfachen Abbildungen nachweiſen, wie ne-
ben den tollſten und ſchamloſeſten Ausgeburten der Mode ſich
eine edle einfache Tracht beſtändig erhielt.


Aus eben dieſem altehrbaren Sinn, der auf Anſtand in
allen Dingen hält, ſind auch die ſchon erwähnten Ermahnungen
des Ritters de la Tour hervorgegangen, denen die Franzoſen noch
andere an die Seite zu ſtellen haben. Ihre Sorge läßt ſie ganz
in ſpecielle Vorſchriften gegen die Modeſitten eingehen. So ſagt
der alte Ritter zu ſeinen Töchtern: „Wenn ihr in der Meſſe eure
Gebete ſprecht, ſo gleicht nicht dem Kranich, der den Kopf bald
nach der einen, bald nach der andern Seite dreht; ſondern ſeht
grade vor euch hin und mit Würde. Denn man hält ſich nicht
mit Unrecht über Frauen auf, welche unbeſcheiden das Geſicht
hierhin und dorthin wenden.“ Etwas ſpäter macht ein reicher
Bürger von Paris ſeiner jungen Frau ähnliche Vorſchriften:
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 12
[178]II. Das Mittelalter.
„Wiſſet, daß Ihr in der Wahl Eurer Kleider immer die Lage
Eurer Aeltern und die meinige, ſowie den Stand meines Vermö-
gens vor Augen haben müßt. Seid anſtändig gekleidet, nicht
affectirt noch modeſüchtig. Bevor Ihr Euer Zimmer verlaſſet,
habt Acht, daß der Saum Eures Hemdes und Eures Kleides
wohl in Ordnung ſei und nicht ſchief ſitze. Laßt Eure Haare,
Eure Haube, Euren Hut immer einfach und reinlich ſein.“ …
„Wenn Ihr geht, haltet den Kopf grade, die Augenlieder geſenkt,
und den Blick in beſtimmter Entfernung — (die Vorſchrift lautet
auf 4 Toiſen) — zur Erde gerichtet. Betrachtet nicht zur Rechten
und zur Linken die Männer und die Frauen, dreht nicht den
Kopf bei jeder Veranlaſſung, lacht nicht, noch bleibt auf der
Straße ſtehen, um zu plaudern. Einmal in der Kirche, wählt
Euch einen verborgenen, einſamen Platz vor einem Altar, behaltet
ihn und verändert ihn nicht mehrere Male. Haltet den Kopf
grade, ſprecht ohne Unterlaß Eure Gebete, indem Ihr den Blick
auf das Buch oder das Bild, das vor Euch ſteht, gerichtet habt,
indeß ohne Ziererei und Mienenſpiel; laßt Euer Herz am Him-
mel hängen und verehrt Gott aus allen Euren Kräften.“ Das
ſind Vorſchriften eines Bürgers und Ehemannes aus dem funf-
zehnten Jahrhundert, heute ſo gültig wie damals. Leider können
wir ihm nichts ähnliches in Deutſchland aus derſelben Zeit zur
Seite ſtellen; wir haben hier nur die bittern Worte des Satiri-
kers, wie Sebaſtian Brant, die klagenden der Chroniſten, die
ſtrafenden der Dichter. Die ſchlimmſten Schilderungen der Mode-
ſitten finden ſich wohl im Gedicht Kittel, in welchem der Dichter
der Königin Venus Bericht erſtattet über die ſchändliche Liebe
ſeiner Zeit, über die ſchamloſe Tracht, und das Benehmen der
Männer und Frauen gegen einander. Die Stelle iſt als Ganzes
nicht mitzutheilen, auf Einzelnes werden wir zurückkommen.


Ebenfalls als Ausflüſſe dieſes in der Sitte conſervativen
Bürgerſinns, welcher den Ausſchweifungen, den Zuchtloſigkeiten
im Leben, dem Aufwand und den barocken und übertreiben-
den Lauuəu der Mode entgegentrat, ſind die vielen Luxus-
und Kleiderordnungen zu betrachten, wenn auch an vielen
[179]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Stellen ariſtokratiſche Eiferſucht mitwirken mochte, welche die
Stände fortwährend auch im Aeußern erkennbar von einander
geſchieden wiſſen wollte. Von der Mitte des vierzehnten Jahr-
hunderts an bilden ſie eine unvermeidliche Rubrik in der Geſetz-
gebung jedes einzelnen größeren oder kleineren Gemeinweſens,
wovon nur die Niederlande eine Ausnahme machen dürften, da
ſie als die Fabrikſtätten der Luxusgegenſtände mit ſolcher Geſetz-
gebung zu ſehr wider ihr eigenes Fleiſch gehandelt hätten, auch
wohl einen zu hohen weltpolitiſchen Geſichtskreis beſaßen, um
ſich auf ſo kleinbürgerliche Beſtimmungen einzulaſſen. Faſt
alle Städtechroniken enthalten die eine oder die andere dieſer
Ordnungen, und noch immer neue werden aus den Archiven her-
vorgezogen. Wir haben ſomit an ihnen von der genannten Zeit
an bis in den Anfang des ſiebzehnten Jahrhunderts eine beſtän-
dige Controlle der übrigen Quellen für die Trachtengeſchichte.
Ihr Inhalt iſt aber, mit geringen Modificationen, die oft nur in
dem Mehr oder Weniger der Strafbeſtimmungen beſtehen, in
einer Periode immer derſelbe, ſodaß eine vollſtändige Zuſammen-
ſtellung für die Wiederholung nicht entſchädigt. Wir begnügen
uns mit einer geringen Reihenfolge vom Beginn unſerer Periode,
die in Deutſchland auch ihr Anfang iſt, bis zum Schluß derſelben.


Wenn man von einer ſo iſolirten Verordnung abſieht, wie
ſie Karl der Große in Bezug auf den Pelz erließ oder von einzel-
nen Verfügungen der Geiſtlichkeit, ſo war es Frankreich, welches
wie in der Mode ſelbſt, ſo auch in der darauf bezüglichen Geſetz-
gebung voranging. Schon Ludwig der Heilige hatte geglaubt,
dieſem Gegenſtand beſondre Aufmerkſamkeit widmen zu müſſen,
das erſte allgemeine Geſetz ging aber von Philipp dem Schönen
aus und wurde im Jahr 1294 erlaſſen, lange bevor wir ein ähn-
liches in Deutſchland finden. Obwohl es vorzugsweiſe gegen den
wachſenden Stolz der Bürger gerichtet war und den Unterſchied
der Stände feſtſtellen ſollte, ſo ging es doch weiter und beſtimmte
für alle, den höchſten Adel und die höchſte Geiſtlichkeit bis auf
ihre Diener herab, die Zahl und den Werth der Kleider je nach
der Größe des Einkommens. Daß es nichts half mitſammt den
12*
[180]II. Das Mittelalter.
öftern Erneuerungen und Verbeſſerungen, iſt bei dem ſchon da-
mals ausgeprägten Charakter der Franzoſen nicht zu verwundern.
Schon Karl VII. konnte eine Verordnung, die ſich auf denſelben
Gegenſtand bezog, mit den folgenden Worten beginnen: „Es iſt
dem Könige vorgeſtellt worden, daß von allen Nationen der Erde
keine ſo entartet iſt, keine ſo veränderlich, ſo anmaßend, ſo maß-
los und unbeſtändig in der Kleidung wie die franzöſiſche, und
daß man vermittelſt der Kleider nicht mehr den Stand und Beruf
der Leute erkennt, ob ſie Prinzen ſind oder Edelleute oder Bürger
oder Handwerker, weil man es duldet, daß jeder nach ſeinem
Vergnügen ſich kleidet, Mann wie Frau, in Gold- oder Silber-
ſtoff, in Seide oder Wolle, ohne Rückſicht auf ſeinen Stand zu
nehmen.“


Schon gleichzeitig mit Frankreich drängte ſich auch in Ita-
lien die Nothwendigkeit auf, gegen den Luxus und Putz der
Frauen geſetzlich einzuſchreiten. Bereits im Jahre 1299 erließ die
Regirung von Florenz eine Verordnung, welche das Tragen von
Gold, Silber und Edelſteinen dadurch zu beſchränken ſuchte, daß
die Erlaubniß dazu mit jährlich 50 Lire bezahlt werden ſollte.
Das bewirkte weiter nichts, als daß die Florentinerinnen für
ihren Putz noch jährlich 50 Lire mehr ausgaben. Als die Regi-
rung zur Einſicht ihres Fehlers gekommen war, wozu ſie 7 Jahre
gebraucht hatte, glaubte ſie darin ein Heilmittel zu finden, wenn
ſie die Ehemänner oder die ſonſtigen verantwortlichen Verwand-
ten der Frauen, welche verbotenen Schmuck trugen, mit einer
Geldſtrafe belegte. Es wird aber erzählt, daß die Florentinerin-
nen in Sachen des Putzes alle hochgelehrten Doctoren des Rechts
und die ſtrengen Gerichtsherren überliſtet hätten. Das ſcheint
durch die Thatſache bewieſen zu werden, daß dieſe Ordnung im
Lauf des vierzehnten Jahrhunderts ſechsmal erneuert und ver-
mehrt wurde. — Das funfzehnte Jahrhundert iſt in Italien reich
an eingehenden Kleiderordnungen, von denen die Mailänder
ſelbſt den Aufwand in der Kleidung des Todten und der Trau-
ernden beſchränken mußten.


In Deutſchland beginnt dieſe Geſetzgebung faſt ein halbes
[181]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Jahrhundert ſpäter als in Frankreich und Italien, um die Zeit
und namentlich gleich nach dem ſchwarzen Tode. Freilich hatte
das üppige Leben, das mit dem Aufhören der Peſt ſofort in auf-
fälliger Weiſe ſich bemerkbar macht, nicht von ihm erſt ſeinen
Ausgang genommen; es knüpft aufs beſtimmteſte an die vorher
herrſchende Richtung an. Wir finden daher auch bereits im Jahr
1343 eine Nürnberger Verordnung gegen den Schmuck der Frauen
gerichtet. In den Niederlanden wurde ſchon länger von den Bür-
gern und Bürgerinnen ein luxuriöſer Gebrauch ihrer Reichthümer
gemacht. Es wird erzählt, daß, als die Königin Johanna von
Frankreich mit ihrem Gemahl Philipp dem Schönen auf einer
Reiſe in die Städte Gent und Brügge kam, ſie beim Anblick der
reich gekleideten Bürgerinnen geſagt habe: „Ich glaubte die ein-
zige Königin hier zu ſein, aber ich ſehe mehr als ſechshundert.“
Dennoch gewahren wir, wenn wir die zahlreichen bildlichen Quel-
len aus der erſten und zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhun-
derts vergleichend zuſammen ſtellen, ſeit der Mitte des Jahrhun-
derts einen bedeutenden Unterſchied, welcher ſowohl in Bezug
auf Sittlichkeit und Schicklichkeit, wie in Rückſicht auffälliger,
barocker Moden die zweite Hälfte von der erſten ſcheidet. Wir er-
innern zugleich an die oben mitgetheilten Worte des Limburger
Chroniſten, daß nach dem ſchwarzen Tode die Welt zu neuem
Leben erwacht ſei. Dazu mochte kommen, daß die jüngſt überſtan-
dene Noth den ängſtlichen Gemüthern ins Gewiſſen gepredigt
hatte und ihnen Dinge, die früher für erlaubt gegolten, auf
einmal im Licht der Sündhaftigkeit zeigte. So ſpricht es auch der
Rath von Speier aus, der im Jahr 1356, nachdem ihm der
Frankfurter bereits vorausgegangen war, eine ausführliche Klei-
derordnung erließ, welche dieſe Zuſtände allſeitig erfaßte und zu
heilen meinte. In der Einleitung derſelben heißt es: „Wir, der
Rath zu Speier, bekennen an dieſem Briefe, daß wir großen
Breſten gemerket haben, der jetzt iſt, in Städten und auf dem
Lande, an Uebermuth und Hoffart, die auch die Todſünde gewe-
ſen iſt, die je beſchah, und aus welcher alle Sünden gewurzelt
ſind, wie dieſe Sünde auch wider Gott und den Leuten ſchädlich
[182]II. Das Mittelalter.
iſt, was nun auch landſichtig und augenſcheinlich geworden iſt an
Erdbeben und großen Plagen, damit Städte und Leute geplaget
und an Leib und Gut verdorben ſind. Darum, da wir unſerer
Städte und unſerer Bürger Ehre, Nutz und Frommen und Se-
ligkeit gar theuer geſchworen haben und unſere Bürger billig vor
Schaden und Ungemach behüten ſollen, ſo ſehr wir können oder
vermögen, ſo haben wir mit Gottes Hülfe und mit guter Berath-
niß darüber geſeſſen und haben ſolche Stücke als hiernach benannt
und beſchrieben ſind, die Hoffart und Uebermuth verurſachen,
verboten, Gott zu Lob und zu Ehren und den Leuten zu Nutz
und Frommen.“ Nun folgen die eingehendſten Beſtimmungen,
den Kleiderluxus beider Geſchlechter betreffend. Da heißt es: die
Hauben der Frauen ſollen nicht mehr als vier Reihen von Krau-
ſen haben; keine ſoll ihre gewundenen Haarzöpfe oder Haar-
ſchnüre hinten herabhängen laſſen oder vorne Locken, ſondern ihr
Haar ſoll aufgebunden ſein; aber den Unverheiratheten iſt das ge-
ſtattet. „Eine Jungfrau, die nicht Mannes hat, die mag wohl
ein Schapel tragen und ihre Zöpfe und Haarſchnüre laſſen hän-
gen, bis daß ſie berathen wird und einen Mann nimmt.“ Kein
Kleid, unteres oder oberes, ſoll vorne zugeknöpft, an den Seiten
geſchnürt oder „durch Engniſſe eingezwungen“ werden. Keine ſoll
die Lappen an den Aermeln länger tragen, denn eine Elle lang,
von dem Ellbogen an gerechnet. Die Verbrämung des Rockes
und des Mantels, ſei ſie einfach Pelzwerk oder Buntwerk, von
Seide oder Sendel, ſoll nicht breiter ſein denn zweier Zwerch-
finger, und zwar nur oben, denn unten ſollen ſie gar nicht ver-
brämet ſein. Die Mäntel ſollen oben zugemacht ſein, ohne Gold,
Silber und Perlen und ſollen nur mäßige, nicht zu weite Haupt-
löcher haben, „wie es von Alters gewöhnlich war.“ Letztere Be-
ſtimmung richtet ſich gegen die wachſende Entblößung an Schul-
tern und Bruſt. So heißt es auch im Folgenden: „Keine ſoll ein
Hauptloch an den Röcken tragen, da die Achſeln ausgehen, ſon-
dern ihre Achſeln ſollen bedeckt ſein mit den Hauptlöchern, alſo
daß ſie auf den Achſeln liegen ſollen.“ Verboten werden auch ge-
ſtreifte oder geſtückte Röcke, auch Verzierung an Hüten oder Röcken
[183]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
von Buchſtaben, Vögeln oder andern Dingen, die mit Seide auf-
genäht ſind. Keine Frau ſoll Gold, Silber, Edelſtein, Perlen
tragen an ihren Mänteln, Röcken oder Hüten, noch an Bändern,
Fürſpangen oder an Gürteln in keiner Weiſe. So wird auch der
Schmuck der Männer beſchränkt. Kein Mann ſoll Federn oder
Metallröhrchen (ein damals beliebter Schmuck) oder Geſchmelz
(Email) auf den Gugelhüten tragen; keiner, der nicht Ritter iſt,
goldene oder ſilberne Borten oder Bänder, noch Gold, Silber,
Perlen, weder an den Gugelhüten, Röcken, Mänteln, noch an
Gürteln, Taſchen, Scheiden oder Spitzmeſſern. Dann wird die
Länge des Rockes beſtimmt: kein Mann ſoll ihn kürzer tragen
denn bis zu den Knieen herab, es ſei denn bei der Rüſtung oder
als Reitrock. Kein Mann ſoll einen Bart noch Scheitel tragen —
man ſieht, die Sorgfalt der Väter nimmt es ſehr genau mit der
Eitelkeit — und der Zipfel ſeiner Gugel (Kaputze) ſoll weder ge-
wunden noch zerſchnitten ſein, noch ſoll er eine größere Länge ha-
ben denn anderthalb Ellen, und dieſe Gugel ſoll vor dem Ge-
ſicht in keiner Weiſe gezackt oder ausgeſchnitten ſein. Endlich
wird noch beſonders eingehend die Fußbekleidung geordnet. Nie-
mand ſoll einen ſpitzen Schnabel an ſeinen Schuhen oder Leder-
hoſen tragen, und kein Schuhmacher ſoll dieſe Schuhe oder Leder-
hoſen machen, für niemanden, es ſeien Männer oder Frauen,
die zu Speier wohnen, ſie ſeien Bürger oder nicht. Und kein
Mann, der nicht Ritter iſt, ſoll einen Schuh tragen, zerhauen
oder zerſchnitten, „wie die Schnitte ſind, die aus Hoffart und
nicht der Geſundheit wegen gemacht ſind.“ Für jede Uebertre-
tung dieſer detaillirten Beſtimmungen wird eine Geldſtrafe von
2 Pfund Heller feſtgeſetzt von einem beſtimmten Termin an, wo-
nach die Männer ſich richten ſollen, daß bis dahin „ihre Röcke
lang genug werden, oder ſollen darnach die Pön geben, wie vor-
geſchrieben ſteht.“ —


Weniger ausführlich iſt die Kleiderordnung, welche Bürger-
meiſter und Rath von Zürich im Jahr 1371 erließen. Sie
richtet ſich gegen dieſelben Gebrechen, iſt aber ein wenig nachſich-
tiger gegen die Jungfrauen. Keine Frau heißt es zunächſt, ſoll
[184]II. Das Mittelalter.
weder Tuch noch Schleier mit „Enden“ — d. h. mit beſondern
Borten oder Säumen — beſetzen ſondern ſoll beide laſſen, wie
ſie zuerſt gewoben werden; auch ſoll keine Frau an ihrer Kappe
oder ihren Gewändern Seide, Gold oder Edelſtein tragen. „Aber
Töchter mögen wohl auf ihrem Gewand tragen Gold, Silber,
Perlen und Seide, wie ſie bisher gethan haben.“ Auch die Ent-
blößung an Schultern und Bruſt und die enge Einſchnürung
wird als anſtößig befunden, und es ſoll darum das Hauptloch
zweier Finger breit auf der Achſel liegen und kein Gewand mehr,
weder vorn noch an den Seiten zugeknöpft oder geſchnürt ſein.
Keine Frau ſoll den Zipfel der Gugelhaube länger denn eine Elle
machen, noch einen Rock tragen, der aus mehreren Farben zu-
ſammengeſetzt iſt; keine auch, ſei ſie Frau oder Wittwe oder
Jungfrau, ſoll einen Gürtel tragen, der mehr koſtet denn 5 Pfund
Denare. — Auch den Männern von Zürich wird die Länge des
Rockes und des Zipfels der Gugelhaube beſtimmt: jener muß
wenigſtens bis an die Kniee herabreichen, und dieſer darf nicht
länger ſein, denn der Rock lang iſt. Niemand ſoll geſtreifte oder
getheilte Hoſen tragen, ſondern nur von einer Farbe. Für beide
Geſchlechter werden die ſpitzen Schuhe verboten und den Frauen
ſelbſt die geſchnürten.


Der Züricher ungefähr gleichzeitig oder doch nur ein paar
Jahre ſpäter, iſt die erſte Kleiderordnung, welche zu Straß-
burg
gegeben wurde. Sie iſt milder in ihren Beſtimmungen,
aber ſtrenger in den Strafen. Den männlichen Rock erlaubt ſie
ſchon ein wenig kürzer zu tragen: er darf ſchon eine Viertelelle
über der Knieſcheibe enden, und beim Reiten mag man ihn ſo
kurz tragen, wie man will. Der Reiter konnte auch die Schuhe
und Stiefel tragen wie er wollte, ſonſt durften ſie nur eine Spitze
haben von der Länge eines Querfingers. Schuhe mit längeren
Spitzen zu machen, ſei es für Bürger oder auf das Land hinaus,
war den Schuſtern bei einer Strafe von 30 Schilling verboten.
Keine Frau, wer ſie auch ſei, ſoll ſich hinfort mehr ſchürzen mit
ihren Brüſten, ſei es durch das Hemd oder durch geſchnürte Röcke
oder durch irgend ein anderes „Gefängniß“; keine ſoll ſich „färben
[185]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
oder Locken von todtem Haar anhängen.“ Und insbeſondere ſoll
das Hauptloch ſoweit auf die Achſeln gehen, daß man die Brüſte
nicht ſehen könne. Keine Frau ſoll einen Rock tragen, der mehr
koſtet als 30 Gulden — das iſt ein ſehr hoher Preis, wenn wir
den damaligen Werth des Geldes in Anſchlag bringen und die
Zahl etwa verfünffachen —, auch keine Landfrau in dieſer Stadt,
zu dem Tanze oder ſonſt, einen der theurer iſt. „Nur die freien
Frauen ſoll dies Geſetz nicht angehen.“ Keine Frau endlich ſoll
einen kurzen Mantel tragen noch einen „Knabenmantel“, er ſei
denn ſo lang, bis ein viertel Elle über den Knieen, „länger mö-
gen ſie ſie wohl tragen.“


Die älteſte Kleiderordnung von Ulm iſt ebenfalls noch aus
dem vierzehnten Jahrhundert. Darnach durfte keine Frau, ſei ſie
von den Geſchlechtern oder den Handwerkern, an ihren Kleidern
Perlen, Gold, Borten, vielfarbige oder ſeidene Bänder oder
Schnüre tragen; verboten waren ſammtene und ſeidene Mäntel.
In Hinſicht der Schleier erhielten die Damen aus den Geſchlech-
tern einen Vorzug vor den Handwerksfrauen: ſie durften ſie brei-
ter tragen, doch waren beiden, gleich den Zürcherinnen, die lan-
gen und zarten Enden verboten.


Auf der Scheide des vierzehnten und funfzehnten Jahrhun-
derts machte das Kleiderweſen den Geſetzgebern von Ulm ſehr
viel zu ſchaffen. Vom Jahr 1406 iſt eine Ordnung, welche die
Kleidung der Männer von den anhängenden Lappen (Zatteln) zu
befreien ſucht. An Mänteln, Röcken und Trapperten, heißt es,
ſollen keine Lappen mehr getragen werden, noch an jedem Ge-
wand mehr als acht Einſchnitte ſein. Nur Reitröcke dürfen mit
Lappen getragen werden, aber auch nur außerhalb der Stadt.
Wenn aber Mäntel, Röcke und Trapperte nicht mit Veh gefüttert
ſeien, dann dürfe man unten ein Gefränz von Lappen anbringen,
doch nur ¼ Elle lang. Zu den Kappen oder Gugeln ſollen nicht
mehr als 4 Ellen Tuch genommen werden, die aber könne man
zerſchneiden, wie man wolle. Federkränze, Glocken und Schellen,
ſo heißt es am Schluß, ſollen nie mehr in der Kirche getragen
werden, wohl aber möge man ſie außerhalb derſelben haben.


[186]II. Das Mittelalter.

Eine andere Ordnung der genannten Stadt vom Jahr 1411
trifft die Frauen. Darnach ſollen auch ſie, Frauen wie Jung-
frauen, zu einer Kappe oder Gugel nicht mehr Tuch brauchen und
verſchneiden als 4 Ellen, und nur einen Perlenkranz ſollen ſie
tragen. Verſilberte und vergoldete Gürtel mögen ſie haben, aber
Glocken und Schellen daran werden ihnen verboten. Wer aber
vor der Abfaſſung dieſer Verordnung theurere Kränze und Gürtel
gehabt habe, denen ſei das Tragen derſelben auch fortan geſtattet
— gewiß eine gern und vielfach benutzte Hinterthür. Die Röcke
und Trapperte, heißt es weiter, ſoll man mit Flügeln oder offe-
nen Aermeln tragen, doch unzerhauen und ohne Schlitz; und
dieſe Aermel dürfen getragen werden mit Veh, mit Ruggen oder
Schinſchen (den Rücken- und Bauchſtücken, vermuthlich der Eich-
hörnchen), aber Hermelin und Marder bleiben daran verboten.
Die genannten Kleidungsſtücke ſelbſt wie die langen und weiten
Aermel dürfen nicht länger ſein, als bis ſie den Boden erreichen,
und Sammet und Seidenſtoff iſt für ſie verboten, wie aller Be-
ſatz von Perlen, Edelſteinen, goldnen und ſilbernen Borten, nebſt
goldenen Ringen.


Allmählig wird die Ulmer Geſetzgebung dem Zeitgeſchmack
gegenüber nachgiebiger. So durften nach der Ordnung von 1420
die Mäntel und Kleider der Frauen und Jungfrauen bereits
¼ Elle auf der Erde nachſchleppen. Im Jahr 1426 wurde den
Frauen auch das Tragen von Perlen auf Kreuzen und Halsbän-
dern im Werth von 40 Gulden erlaubt, nicht aber an der Klei-
dung. Die ſilbernen und vergoldeten Gürtel durften 4 Mark
ſchwer ſein. Ferner wurde ehrbaren Frauen und Jungfrauen auch
der Marderpelz erlaubt, entweder am Hut oder um den Hals,
desgleichen ſammtne und ſeidene Aermel, nicht aber ein ſammtnes
oder ein ſeidenes Preis (worunter ein geſchnürtes Leibchen zu
verſtehen iſt) unter den Röcken zu keinem Kleid. Auch wurde
mannigfacher Silberſchmuck im Werth von 4 Mark erlaubt, und
kleine Heftlein, die früher nur zu 10 Gulden getragen werden
ſollten, konnten jetzt den Werth von 20 haben. Verbrämung von
Marder oder Hermelin wurde in der ganzen Breite des Balges
[187]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
geſtattet. Seidene Borten waren bis 6 Gulden erlaubt, die
Schleppen aber auf ¼ Elle beſchränkt. Was den Ulmerinnen bei
dieſen Beſtimmungen übrig blieb, war immer noch ein ſehr Be-
deutendes und iſt ein Beweis von dem damaligen Reichthum der
Ulmer, der mit dem bekannten Vers: „Ulmer Geld geht durch
alle Welt,“ ſprichwörtlich geworden war. Was eine Dame an
ſich tragen durfte und auch gewiß an ſich trug, konnte immer
noch einen Werth von 100 Gulden und darüber nach damaligem
Gelde haben, 500 nach heutigem. Faſt lächerlich kommen uns
dabei die Strafen vor, welche auf den Uebertretungsfall ausge-
ſetzt waren: die Geſchlechterin hatte 2 Gulden zu zahlen, die
Handwerksfrau nur einen. Mit Recht fand daher der Rath in
dieſen Strafbeſtimmungen keine Gewähr und er machte deßhalb
die Schuſter und Schneider verantwortlich. Beide mußten die
Ordnung beſchwören und bei einer Strafe von 5 Gulden und
vierteljähriger Verbannung ſich verpflichten, kein Stück zu ma-
chen, welches der Ordnung zuwiderlief.


Die Münchner Verordnung vom Jahr 1405, welche ſtren-
ger in ihren Beſtimmungen war, macht wieder die Väter und die
Männer für die Uebertretungen der Töchter und Frauen verant-
wortlich. Der Rath zu München ſchrieb auch den Schneidern eine
Taxordnung vor, worin für jedes Kleidungsſtück ein beſtimmter
Machlohn feſtgeſetzt war. Es ſcheint, ſie haben den allgemeinen
Kleiderluxus zu ſtark zu eigenem Vortheil ausgebeutet. Die
Preiſe, zu welchen ſie berechtigt wurden, ſind im Verhältniß nicht
gering, was bei der künſtlichen, bunten Zuſammenſetzung der
Kleider, den vielen Nähten und dem reichen Beſatz nicht anders
möglich war.


Das funfzehnte Jahrhundert war vorzugsweiſe reich an
Kleiderordnungen und beſonders die zweite Hälfte deſſelben, in
welcher neben der Verſchwendung und den barocken Moden als
Hauptgeſichtspunkt die Schamloſigkeit in den Vordergrund tritt.
Ein Geſetz folgt dem andern in derſelben Stadt und beweiſet ſo
durch die That die Fruchtloſigkeit des früheren. Es iſt daſſelbe in
allen Städten, in Augsburg, Nürnberg, Bern, Breslau, Lübeck,
[188]II. Das Mittelalter.
Hildesheim, Hannover, Lüneburg u. ſ. w., wenn auch der eine
Rath mit mehr, der andere mit weniger Strenge ſeine Beſtim-
mungen aufrecht zu erhalten ſuchte. In der erſteren Beziehung
zeichneten ſich die von Nürnberg und Augsburg aus. Gegen den
letzteren verſuchte es einſt ein Krämer, der mit Seide, Damaſt
und gewäſſerten Tüchern handelte, ſich aufzulehnen und klagte
ohne Unterlaß über die ſcharfe Kleiderordnung (1441) und „warf
böſe Karten aus.“ Da ließ ihn der Rath einen ganzen Monat
gefangen ſetzen, und ſtrafte ihn um eine namhafte Summe Gelds
zum Beſten der Armen, und zur Erbauung der Stadtmauern
mußte er 5000 Ziegelſteine und 20 Faß ungelöſchten Kalk liefern.


Aber alle dieſe Beſtimmungen ſind in Deutſchland verein-
zelt und nur auf ein mehr oder weniger kleines Gebiet beſchränkt.
Seltner ſind damals noch fürſtliche Verordnungen, von denen
wir einer gedenken wollen, welche der Kurfürſt Ernſt und der
Herzog Albert zu Sachſen im Jahr 1482 erließen. Danach ſoll
keine Frau oder Jungfrau vom Ritterſtande ein Kleid tragen,
das über zwei Ellen auf der Erde nachgeht. Keine ſoll mehr als
einen ſeidenen und zwei geſtickte Röcke beſitzen, auch nur eine ſei-
dene Schaube, und kein Kleid ſoll über anderthalbhundert Gul-
den werth ſein — das dürfte nach heutigem Werthe bis gegen
1000 Gulden ſein. Dieſe außerordentlich weite Beſtimmung, die
doch eine Beſchränkung iſt, zeigt, bis zu welcher Höhe der Luxus
damals angewachſen war.


Erſt gegen das Ende des Jahrhunderts regt ſich ein gemein-
ſamer Geiſt. Es war der Adel, der freiwillig, an ſich und ſein
Heil denkend, ſich zu gemeinſamem Entgegenwirken verband.
Der Luxus und Aufwand an Putz und Kleidern hatte namentlich
bei Turnieren als den höchſten feſtlichen Gelegenheiten in der
Art überhand genommen, daß ein großer Theil des Adels ſich
ganz von ihnen fern hielt, ein anderer bereits in ſeinen Vermö-
gensumſtänden ſich zerrüttet hatte. Schlöſſer und Güter wurden
verpfändet, um mit der nöthigen Pracht erſcheinen zu können.
Ohnehin ſchon war es keinem zweifelhaft, daß gegenüber dem
Emporblühen des Bürgerſtandes der Adel im raſchen Sinken be-
[189]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
griffen war. Das Uebel wurde klar erkannt, und darum vereinigte
ſich die Ritterſchaft von Franken im Jahr 1479 vor dem großen
Turnier zu Würzburg zu einer allgemeinen für die Tage des Tur-
niers gültigen Ordnung. Einem jeglichen Ritter wurde zwar er-
laubt, guten Sammet und Perlen zu tragen, dagegen war Gold-
ſtoff und geſtickter Sammet, ſei es zu Röcken oder Schauben,
durchaus verboten, ſowie goldene Pferdedecken. Im Uebrigen
wurde jedoch ein Unterſchied gemacht zwiſchen dem Ritter von
hohem Adel und dem gewöhnlichen Edelmann. Dieſer ſollte
Sammet nur zum Wamms tragen und von Perlen nur eine ein-
fache Schnur um die Kappe oder den Hut; auch kein Goldge-
ſchmeide an Ketten, Schnüren oder auf die Kleider geſtickt, „er
trage es denn verdeckt und unſichtlich als die Alten gethan und
hergebracht haben.“ Ferner ſollte er weder Decke noch Wappenrock
von Sammet oder Damaſt führen. Ebenſo wurde der Aufwand
der Frauen beſchränkt. Keine Dame ritterlichen Standes, Frau
oder Fräulein, durfte mehr als vier Prachtkleider mitbringen,
nur zwei von Sammet, die beiden andern geſtickt oder ſonſt ver-
ziert, geziemend und wohlanſtändig. Da der Adel dieſe Ordnung
freiwillig über ſich ſelbſt feſtſtellte, ſo konnten auf Uebertretungen
nur Ehrenſtrafen geſetzt ſein. Es ſollte demnach jeder, der dieſen
Beſtimmungen zuwider handelte, von allen Rittern „verachtet und
verſchmäht“ ſein und im Turnier zu keinem Vortanz oder zu irgend
einem Dank zugelaſſen werden, er konnte ſelbſt ganz vom Tur-
nier ausgeſchloſſen bleiben. Desgleichen ſoll eine Frau, welche
die Verordnung nicht hält, von gemeiner Ritterſchaft, Frauen
und Jungfrauen, verachtet und der Vortänze und des Rechts die
Dänke auszutheilen beraubt ſein. Es ſoll aber auch eine Frau,
ſo wurde ehrenhafter Weiſe hinzugeſetzt, die nicht in Schmuck
oder Sammet ſo reich wie die andern gekleidet ſei, deſſenungeach-
tet doch zu allen Ehren, die ihr nach ihrem Stand gebühren, hin-
zugezogen werden.


Ein paar Jahre ſpäter entwarfen die Ritterſchaften der vier
Lande, Bayern, Franken, Schwaben und Rheinland, ein ganz
ähnliches Geſetz für das Turnier zu Heilbronn (1485). In dem-
[190]II. Das Mittelalter.
ſelben verboten ſie ganz beſonders die Brokatkleider und den Per-
lenbeſatz.


In den letzten Jahren des funfzehnten Jahrhunderts ſah
ſich auch das Reich als ſolches genöthigt, von dem wachſenden
Uebel Notiz zu nehmen. Im Jahr 1496 hatte man in Worms
beſchloſſen, die Angelegenheit auf dem nächſtjährigen Reichstag
in Lindau vorzunehmen. Das geſchah denn auch. Man einigte
ſich über die Grundſätze und ſtellte dieſe den Fürſten und Städ-
ten zur Nachahmung und detaillirteren Beſtimmung anheim.
Das Hauptaugenmerk dabei war, die verſchiedenen Stände in
ſtrenger Sonderung zu halten. Dem Bauer und der arbeitenden
und dienenden Claſſe in den Städten wurde der Preis des Tu-
ches vorgeſchrieben: die Elle ſollte nicht über einen halben Gul-
den koſten. Gold, Perlen, Sammet, Seide, bunt zuſammenge-
ſetzte Kleider waren weder ihnen noch ihren Frauen und Kindern
geſtattet. Die Diener des Adels wurden davon ausgenommen:
ſie trugen fremde Kleidung und der Herr konnte ſie kleiden nach
ſeiner Gewohnheit, wie er wollte. Was zweitens die Handwerker
betrifft — die Verordnung geht alle Stände durch —, ſo ſolle es
jeder Obrigkeit überlaſſen ſein, darüber geziemend zu beſtimmen.
Auch die Bürger in den Städten, wenn ſie nicht von Adel oder
Ritter ſind, ſollen weder Gold, Perlen, Sammet, Scharlach,
Seide, noch Zobel- oder Hermelinunterfutter tragen, zum Wamms
iſt aber Sammet und Seide, wie Schamlot oder Camelot zur
Kleidung erlaubt; auch ihren Frauen und Kindern iſt Beſatz von
Sammet und Seide geſtattet, doch nicht von Gold- oder Silber-
ſtoff. Im Adel wurde zwiſchen denen, die Ritter, und denen, die
nicht Ritter ſind, ein Unterſchied gemacht. Die letzteren dürfen
weder Perlen noch Gold offen tragen und ſollen ſich in Farbe
und Zuſammenſetzung der Kleider in geziemendem Maße halten.
Den adligen Rittern wird der Goldſtoff auch nur zum Wamms
erlaubt. In Bezug auf die Frauen und Kinder wird einem jeden
Fürſten anheimgeſtellt, darüber mit ſeinen Rittern näher zu be-
rathen. Was dieſe mit einander beſchließen, ſoll auf dem nächſten
Reichstag wieder vorgebracht werden. Was die Geiſtlichkeit be-
[191]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
trifft, ſo begnügte man ſich, den höhern Würdenträgern der
Kirche zu empfehlen, daß ſie die ihnen untergebenen Geiſtlichen
anhalten, ſich ihrem Stande gemäß zu kleiden und alle ungezie-
mende Koſtbarkeit abzuſtellen. Man enthielt ſich weiter ins Ein-
zelne einzugehen, nur die Kürze des Rockes und des Mantels traf
eine ſpecielle Beſtimmung: beide ſollen in der Länge gemacht
werden, daß ſie hinten und vorn ziemlich wohl decken mögen.


Im nächſten Jahr 1498 wurden auf dem Reichstag zu
Freiburg im Breisgau dieſe Artikel noch einmal vorgenommen,
beſtätigt und ihnen noch einiges hinzugefügt. Auch für den
Handwerksmann ſollte der Stoff zu Röcken und Mänteln nur
½ Gulden koſten und zwar ſollte er inländiſches Fabrikat ſein,
für Kappen und Hoſen war der Stoff zu ¾ Gulden erlaubt.
Aller Schmuck, Sammet, Seide, Schamlot und buntgeſtickte
Kleidung wurde ihm verboten. „Reiſigen Knechten“, wie die Ver-
ordnung ſie bezeichnet, wurde Gold, Silber und Seide verboten;
auch ſollten ſie kein „Bruſttuch“ tragen, noch goldene oder ſilberne
Hauben — die einzelnen Gegenſtände und Bezeichnungen finden
ſpäter ihre Erklärung —, nicht einmal beſetzen durften ſie ihre
Kleider mit Seide. Ein in Falten gelegtes, mit Gold und Sil-
ber geſticktes Hemd blieb den Fürſten und ihren Angehörigen
nebſt den Grafen und dem niedern Adel, falls es Ritter oder
Doctoren waren, vorbehalten. Der Doctor ſtand damals an
Rang und Ehren dem Ritter gleich. Adligen, die nicht Ritter
oder Doctoren ſind, waren Perlen und Gold in den Bruſttüchern
und Hemden verboten.


Die Durchführung dieſer Beſchlüſſe hing von dem guten
Willen der einzelnen Fürſten und Städte ab. Es ſcheint ſich aber
kein Eifer darin gezeigt zu haben, und ſo mußte die Angelegen-
heit im Jahr 1500 auf dem Reichstag zu Augsburg zum dritten
Mal vorgenommen werden. Nun wurde „den Kurfürſten, Fürſten
oder andern Obrigkeiten, weß Würden, Weſen oder Standes ſie
ſeien, bei Vermeidung kaiſerlicher Ungnade und Strafe“ aufgege-
ben, daß ſie die Reichstagsbeſchlüſſe in Betreff der „Ueberflüſſig-
keit der Kleider“ in ihren Landen in Ausführung zu bringen
[192]II. Das Mittelalter.
hätten, und zwar bis Sonntag Lätare des Jahres 1501. Mit
der ausdrücklichen Beſtimmung, daß die Verordnung für die
Handwerker auch für deren Frauen und Kinder gelten ſolle, und
mit der Erlaubniß für die ſtädtiſchen Bürgerfräulein Perlenhaupt-
bänder zu tragen, wenn es in geziemendem Maße geſchehe, blieb
im Uebrigen das Geſetz das alte. Daß auch ſo nicht erreicht
wurde, was beabſichtigt war, werden uns die ſpäteren Verord-
nungen lehren. —


Schon an ſich iſt leicht einzuſehen, wie eine derartige Ge-
ſetzgebung, welche allgemeinen Uebeln, die der ganzen Zeit eigen-
thümlich ſind, mit kleinen und kleinlichen Mitteln und Beſtim-
mungen, mit Geldſtrafen oder höchſtens Gefängniß abhelfen will,
nicht von dauernder oder durchgreifender Wirkung ſein kann.
Die ununterbrochene Aufeinanderfolge der Kleiderordnungen, die
ſich von localer Beſchränktheit bis zu wiederholten Reichsgeſetzen
ſteigert, ſpricht ihre eigene Nichtigkeit aus. Die Geſetzgeber, mit-
ten in der Zeit lebend, erkannten nur die Aeußerungen des
Uebels, nicht aber die Quelle, das allgemeine Sittenverderbniß.
Ein Sturm mußte durch die Welt gehen, ein Gewitter, welches
die Luft reinigte, eine Bewegung, ſtark genug, eine vollkommene
Umwandlung der Sittenzuſtände und des Geſchmacks hervorzu-
bringen. Dieſe führte in der That das erſchütternde Ereigniß der
Reformation mit ſich, und erſt da fuhr ein neuer Geiſt in die
Trachtenwelt und geſtaltete die äußere Erſcheinung der Menſchen
völlig um. Bis zu dieſem Ereigniß aber, alſo bis in den Beginn
des ſechszehnten Jahrhunderts, entwickelte ſich der Geſchmack,
wie er ſich im Laufe des vierzehnten herausgebildet hatte, in im-
mer üppigerer und ausgelaſſnerer Weiſe und erzeugte einen Reich-
thum von phantaſtiſchen, bunten, bizarren und widernatürlichen
Formen, welcher ſeitdem nie wieder übertroffen iſt.


Es war etwas Neues, dieſe Ueberfülle der Formen, als ſie
in die Welt trat, und es iſt bemerkenswerth, daß genau mit die-
ſem Moment, alſo der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, auch
das zuerſt eintritt, was wir ſeitdem unter Mode verſtehen, der
ewige, ſcheinbar zufällige Wechſel in der Tracht mit ſeiner unbe-
[193]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
dingten Herrſchaft über alle Claſſen der civiliſirten Menſchheit,
die ſich über das bloße Daſein, die einfache Friſtung des Lebens
erhoben haben. Wir ſchließen das nicht bloß aus den Zuſtänden
ſelbſt, nicht bloß aus der Art der Entſtehung beſtimmter Mode-
formen durch perſönliche Laune oder durch Einführung aus der
Fremde, ſondern die Zeugniſſe geben beſtimmt an, wie die Mode
in dem gedachten Sinn als eine Macht den Zeitgenoſſen ins Be-
wußtſein tritt. So konnte die in dieſer Beziehung ſo intereſſante
Limburger Chronik ſeit 1350 faſt von Jahr zu Jahr journalmä-
ßig den Wechſel der Moden berichten. Die Veränderung geſchah
ſchon uns Jahr 1380, wie ſie berichtet, ſo ſchnell und ſo durch-
greifend, daß auch die Schneider ſelbſt, wie die Moden wechſel-
ten. „Wer heuer war ein guter Schneider, der taugt jetzt nicht
eine Fliege mehr, alſo hatte ſich der Schnitt verwandelt in dieſen
Landen und in ſo kurzer Zeit.“ Das übertrifft ſelbſt die heutigen
Zuſtände, wo die Modeſchneider doch immerhin ein paar Jahr-
zehnte aushalten. — Der Ritter de la Tour, den wir bereits
kennen, warnt ſeine Töchter vor der Mode. „Ahmt nicht die
Frauen nach, welche, wenn ſie ein Kleidungsſtück von neuem
Schnitt ſehen, zu ihrem Manne ſagen: O wie ſchön! Mein Lie-
ber, ich bitte dich, laß mich es haben! Wenn der Mann entgeg-
net: Meine Theure, die Frauen, welche für verſtändig gelten,
die und die tragen es nicht, — ſo antworten ſie hartnäckig:
Was macht das? wenn Eine es trägt, kann ich es auch wohl
haben.“ Derſelbe Ritter erzählt auch von einer Dame, die, aus
dem engliſchen Frankreich mit neuen Moden zurückgekommen,
eine andere getadelt habe, daß ſie nicht „nach der laufenden Mode“
gekleidet ſei. Der Gemahl antwortet für ſie, daß ſeine Frau nicht
der Mode der Fremden folge, ſondern der Mode franzöſiſcher
Damen aus der guten Geſellſchaft, nicht aber der engliſchen. —
Schon konnte die Phantaſie des Einzelnen erfinderiſch eingreifen,
was früher eine völlige Unmöglichkeit geweſen wäre. Der Ritter
de la Tour giebt uns darüber eine Erzählung, die wie aus den
Tagen Ludwigs XV. und XVI., aus der Zeit der hohen Coiffü-
ren, lautet. „Es war im Jahr 1392 beim St. Margarethenfeſt,“
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 13
[194]II. Das Mittelalter.
ſo erzählt ihm eine angeſehene Dame, „eine junge und hübſche
Frau ganz verſchieden von den andern gekleidet; ein jeder be-
trachtete ſie, als ob ſie ein wildes Thier wäre. Ich näherte mich
ihr und ſagte: Meine Liebe, wie nennen Sie dieſe Mode? —
Sie antwortete mir, man nenne ſie die Galgencoiffüre. — O
mein Gott! antwortete ich, der Name iſt nicht ſchön. — Die
Neuigkeit verbreitete ſich alſobald im Saal, jeder wiederholte den
Namen ‚Galgencoiffüre‛, und alle lachten viel über die arme
Dame.“ —


Der Weg, den die Moden in dieſer Periode, die wir jetzt
ſchildern, einſchlugen, vorbereitet ſchon in der erſten Hälfte des
vierzehnten Jahrhunderts, führt ſie überall ins Extrem, ohne
Rückſicht auf Schönheit, Natur, Zweckmäßigkeit, Sitte und Sitt-
lichkeit. Das wird unſre Darſtellung im Einzelnen ergeben. —


Vergegenwärtigen wir uns zunächſt die Kleidung, wie ſie
ſich um die Mitte des genannten Jahrhunderts geſtaltet hat.
Der vornehme Mann, der mit der Mode ging, trug wie ge-
wöhnlich ein Hemd, — wenn es auch damals Sitte wurde, des
Nachts völlig unbekleidet im Bette zu liegen, — über dem Hemd
einen anliegenden Rock, der über den Kopf angezogen wurde,
und darüber einen um die Schultern gehängten Mantel oder
häufiger einen weiten Oberrock mit langen, mäßig weiten Aer-
meln; das Beinkleid bedeckte, eng anſchließend, die Beine in
einem Stück, und an den Füßen ſaßen Schuhe, welche den gan-
zen Fuß umſchloſſen oder oben einen Ausſchnitt hatten. An die-
ſen Kleidungsſtücken zeigen ſich nun die Veränderungen im Geiſt
der neuen Richtung, die ſich zunächſt in wachſender Enge und
Kürze ausſpricht. Der Rock, welcher noch im Anfange des
Jahrhunderts bei Rittern und Herren bis gegen die Füße herab-
reichte und bei der dienenden Claſſe, auch wohl noch im Bürger-
ſtande nur eben noch die Kniee bedeckte, wechſelt auf einmal in
dieſem Verhältniß. Der Herr will ihn jetzt kurz haben, und den
Diener ſoll der längere kennzeichnen. Die Limburger Chronik be-
richtet davon ſogleich nach dem Aufhören des ſchwarzen Todes:
„Die Röcke waren abgeſchnitten um die Lenden und waren einer
[195]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Spannen nahe über die Kniee. Darnach machten ſie die Röcke
alſo kurz, eine Spanne unter den Gürtel.“ Alle damaligen Klei-
derordnungen, die Speierer von 1356 an der Spitze, ſchreiten
ſchon gegen dieſe Mode ein, welche ſofort vollkommen ſtädtiſch
und bürgerlich geworden war.


Faſt noch größere Aufmerkſamkeit hat die zunehmende Enge
erregt. Schon früher, wie wir am Schluß des vorigen Capitels
geſehen haben, hatte man ſie durch Aufſchlitzen, Ausſchneiden,
Wiederzuſchnüren und Beſatz von Knöpfen zu erzielen geſucht.
Bisher hatte ſich dies aber mehr auf die Arme und die Bruſt der
Damen beſchränkt, wo das Oberkleid mit einer Reihe von Knö-
pfen bis auf den Gürtel herab beſetzt geweſen war. Jetzt ging es
in vollſter Weiſe auf die Männer über. Man kann ſagen, dieſem
zunehmenden Geſchmack an der Enge verdanken wir die Ent-
ſtehung des modernen Rockes. Die Hauptunbequemlichkeit des
alten und mittelalterlichen beruhte darauf, daß er über den Kopf
angezogen werden mußte, eine Eigenſchaft, die der Tunica wie
dem altgermaniſchen Rock in gleicher Weiſe anklebte. Dieſe Art
des Anzugs erforderte immer noch eine gewiſſe Weite für den
Durchlaß der Schultern und Arme. Indem man nun aufzu-
ſchneiden begann, an den Armen ſowohl, wie vorn auf der Bruſt
von oben herab und wieder von unten herauf, und die Oeffnung
in größerer Enge wieder zuknöpfte, kam man auf den Gedanken,
den vordern Einſchnitt ganz durchgehen zu laſſen und den Rock
von oben bis unten zu ſpalten. Damit erhielt er, obwohl es
eigentlich nur auf größere Enge abgeſehen war, eine bequemere
Art des Anzugs und zugleich eine ſo durchgreifende Veränderung,
welche die Grundlage ſeiner folgenden Entwicklung bis auf den
gegenwärtigen Zuſtand wurde; und damit auch ging die letzte
Erinnerung ſeines claſſiſchen Urſprungs verloren. Nur in der
Blouſe erhielt ſich die alte Form erkennbar bis auf unſere Zeiten.


Die Enge des Rockes beſchränkte ſich nicht auf Arme, Bruſt
und Taille; ſelbſt um die Hüften und die Oberſchenkel hatte er
die höchſte Spannung. Nirgends zeigte ſich nur die kleinſte Falte.
Natürlich litt darunter die freie Bewegung des Körpers. „Da
13*
[196]II. Das Mittelalter.
ging auch an, daß ſich die Männer hinten, vorn und neben zu-
neſtelten und gingen hart geſpannt.“ Viel ſchärfer als dieſe
Worte der Limburger Chronik ſpricht ſich mit hartem Vorwurf die
böhmiſche Chronik des Hagecius darüber aus: „Im Jahr 1367
kamen in Böhmen wieder neue Trachten auf. Manche trugen
fünf oder ſechs Schock Knöpfe und die Kleider ſo enge angepaßt,
daß ſie ſich nicht bücken und bewegen konnten. Gottes Greuel
über die kurzen Röcklein und die ſpitzen Schnabelſchuhe!“ Am
allerhärteſten verdammt der öſterreichiſche Dichter Peter Suchen-
wirt dieſe Mode. In dem didactiſchen Gedicht „von der Verle-
genheit“ leitet er gradezu die Ungeſchicklichkeit des jungen Ritters
ſeiner Zeit, die Vernachläſſigung der ritterlichen Tugenden und
Uebungen von der „verſchamten Kleidung“ her. Laufen, Sprin-
gen, Schießen und Steinwerfen, alle Uebungen der Arme und der
Beine ſeien unmöglich, wenn die jungen Ritter ſich vorn und
hinten mit Riemen bänden, daß ſie ſtarr und ſteif wären wie
Holzſcheite. Wenn einer mit dem andern ſich in ein Kampfſpiel
einlaſſen wolle, ſo heiße es gleich: „Hör auf, mir iſt dahinten
ein Neſtel zerriſſen.“ So, meint er, müſſe ritterliche Geſchicklich-
keit ſchwinden vor der „läſterlichen Kleidung, die ſo ſchändlich
ſtehe.“


Mehr von der komiſchen Seite faßt derſelbe Dichter dieſe
Tracht in einem andern Gedicht auf: „von der Minne Schlaf.“
Frau Minne hat einſtmals eine einſchläfernde Wurzel in den
Mund genommen und darüber zehn volle Jahre verſchlafen, bis
ihre Dienerin, Frau Scham, die Urſache gemerkt und die Wurzel
wieder aus dem Mund genommen. Da ſie erwacht iſt, erkundigt
ſie ſich nach dem edlen Volk, das ihr früher in Zucht und Scham
gedient habe. Da bringt man ihr einen Ritter dar, der diente ihr
früher mit Treue wie ein geſchworner eigener Mann.


„Die Minne ſah ihn lachend an;

Der kurzen Kleider ſie verdroß:

Seid willkommen, Herr Hintenbloß!

Laßt ihr euch alſo ſchauen

Vor minniglichen Frauen?

[197]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Hinten bloß und vor verſchamt —

Zwar! das ziert nicht Ritters Amt;

Ein edel Herz ſich ſchämen ſoll,

Scham ziert alle Tugenden wohl.

Ich hab’ zu lang geſchlafen;

Mein’ Diener, die ſind Affen

Worden, das ſei Gott geklagt!

Den Ritter ſie mit Zorn jagt

Aus dem Garten ganz allein.“

Wir ſehen, die Mode hat nicht bloß Schönheit und Anſtand,
auch alle Zweckmäßigkeit und Bequemlichkeit weit überwunden.
Die Bilder zeigen uns dieſe enge Tracht bereits im vierzehnten
Jahrhundert nicht bloß an Fürſtenſitzen oder an provençaliſchen
Liebeshöfen, ſondern überall, ſelbſt beim Reiter und auf der Jagd.
Wir mögen daher noch weiter gehen als Peter Suchenwirt und
noch andere Folgen aufſuchen als die Vernachläſſigung ritterlicher
Tugenden; wir glauben ſie auch in der Kunſt zu entdecken. Es
iſt bekannt, wie die deutſchen Bilder des funfzehnten Jahrhun-
derts uns beim erſten Eindruck ſo unangenehm berühren durch
die verdrehte Haltung des Körpers, durch die Verrenkungen der
Glieder, die eckigen Bewegungen der Arme und Beine, durch wi-
dernatürliche Stellungen, was wir alles nicht der Ungeſchicklich-
keit des Künſtlers zuſchreiben dürfen, ſondern was entſchieden
Abſicht iſt und aus einem, freilich falſchen, Schönheitsgefühl her-
vorgeht. Woher dieſes? Nicht anders als aus der Natur ſelbſt.
Was der realiſtiſche Künſtler dieſes Jahrhunderts ſeiner ihn um-
gebenden Welt abſah, bildete er in Gewohnheit und Uebertrei-
bung zur Manier aus. Nicht jeder — kaum einer — vermochte
es, ſich über den Schönheitsſinn ſeiner Zeit zu erheben. — Die-
ſelbe Urſache hat auch gewiß einen andern nahe liegenden Fehler
der damaligen Kunſt hervorgerufen, die übertriebene Magerkeit.
Es war eben Modegeſchmack, möglichſt dünn und ſchlank von
Körper zu ſein, und man ſuchte es an ſich ſelbſt durch die Enge
der Kleider, ſelbſt bei Männern, durch Schnüren zu erreichen;
der Künſtler, befangen in ſeiner Zeit, übertrieb das ebenſo wie
die erzwungenen Bewegungen und Stellungen des Körpers. Be-
[198]II. Das Mittelalter.
günſtigt wurde dieſer Geſchmack durch den allgemeinen Modegeiſt,
den ganzen Charakter des damaligen Culturzuſtandes, namentlich
der Ritterſchaft, und findet in ihm ſeine Erklärung. Wir müſſen
uns hineindenken in den Geiſt, der die Allegorie — das Gegen-
bild der Natur — in die Poeſie und aus der Poeſie in den Scherz
und die Spiele des Lebens einführte; wir müſſen uns hineinver-
ſetzen in die Zeit der Galanterie und der irrenden Ritter, in die
Zeit, da die Ritterſchaft, arm an poetiſchen Großthaten, die aus-
gebrannte Phantaſie und die erloſchene Ehrbegierde an den Hel-
denbildern der Amadis aus Gallia und der Lanzelot vom See
wieder zu erhitzen ſuchte, in die Zeit, da die Ritter Romane
laſen, aber nicht mit ihren Thaten machten oder erlebten.
Eine gewiſſe geiſtige Verſchrobenheit klebte dazumal dem ganzen
Ritterthum an, wo es nicht, wie leider ſo vielfach in Deutſchland,
ſeinen edlen und geiſtigen Inhalt durch Rauf- und Raubweſen
erſtickt hatte. Dieſe Zeit iſt der Beginn der Donquichoterie. Und
das iſt genau derſelbe Geiſt, der die ehrſamen Meiſter des Hand-
werks zu ihren verkünſtelten, ernſt-komiſchen Poeſieen veranlaßte,
nur mußte er ſich freilich beim Bürger, der Hobel, Nadel oder
den Schuſterpfriem handhabte, anders ausſprechen als beim Rit-
ter, der Schwert und Lanze führte, den Damen den Hof machte,
und eine Periode der höchſten und feinſten Bildung unmittelbar
hinter ſich hatte. Aber grade ſo wie der ernſthafte Unſinn des
irrenden Ritterthums gemahnt es uns, wenn wir leſen von der
„überkurtz Abend-Rötweis“, von der „abgeſchiedenen Vielfraß-
Weis“, der „geſtreift Safran-Blümleinweis“ und den andern bit-
terernſt gemeinten Namen der Versarten oder Strophen des Mei-
ſtergeſangs. —


Es war ſchon damals, in der Mitte des vierzehnten Jahr-
hunderts, als für den kurzen und engen Rock ein Name aufkam,
der ſich ſeitdem in ähnlicher Bedeutung erhalten hat, nämlich
Jacke. Nach der Meinung jener Zeiten war zwar nicht das
Wort, wohl aber die Sache deutſchen Urſprungs, obwohl ſich
die Ausbildung der kurzen Tracht bei allen abendländiſchen Völ-
kern, Deutſchen, Franzoſen, Italienern, Engländern, Spaniern,
[199]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
mit merkwürdiger Uebereinſtimmung gleichzeitig nachweiſen läßt.
Froiſſart, freilich ein ſpäterer Geſchichtſchreiber, erzählt, daß
Heinrich (IV.) von Lancaſter bei ſeinem Einzug in London (1399)
eine courte jacque von Goldſtoff à la fachon d’Almayne ge-
tragen habe. Der kurze Rock, Röcklein, daher bei den Franzoſen
roquette und bei den Engländern rocket genannt, ſei, ſo meint
man, aus Deutſchland nach England gekommen unter dem volks-
thümlichen Namen „Hanſelein“, welche Bezeichnung Chaucer in
ſeinen Canterbury tales giebt. Hanſelein hätten nun die Eng-
länder in das ihnen mundgerechtere Jack (Jacob) umgetauft,
woraus denn bei den Franzoſen jacque geworden, obwohl ſie den
gewöhnlichen Namen cote-hardie (cotardia) dafür haben. Dieſe
Benennung des kurzen Rockes iſt wieder nach Deutſchland zurück-
gekommen als Schecke oder Scheckenrock, worin wir die eng-
liſche Ausſprache erkennen. Unwahrſcheinliches dürfte nicht darin
liegen. Die Limburger Chronik erwähnt ihrer zum Jahr 1389,
früher aber noch die Straßburger Chronik des Jakob Twinger
von Königshofen. Es iſt bekannt, wie im Jahr 1365 aus den
franzöſiſch-engliſchen Kriegen ein Haufe Engländer plündernd ins
Elſaß eindrang. Von dieſen wird geſagt, ſie hätten lange Kleider
und Schecken getragen, was wohl ſo zu verſtehen iſt, daß ſie
den kurzen Rock unter langen Oberkleidern trugen. Wenn der
Chroniſt hinzufügt: davon kam die Sitte aus zu Straßburg, daß
man lange Kleider und Schecken und Beingewand und ſpitze
Hauben gerieth zu machen, das vorher zu Straßburg ungewöhn-
lich war,“ — ſo mag das theils local ſein, theils iſt es ungenau:
denn die frühere Kleidung war im Elſaß lang wie überall.


Neben der Schecke, der Friedenstracht des Ritters wie des
Bürgers, finden ſich noch zwei andere Namen im Gebrauch,
Wamms und Lendner. Der letztere gehört der Rüſtung an
und wird nur aus der Aehnlichkeit auf den Scheckenrock übertra-
gen, das erſtere verdankt ihr wenigſtens ſeinen Urſprung. So
lange man das Kettenhemd trug, bedurfte man, um ſich vor dem
Druck der Ringe und der Schwere des Eiſens zu ſchützen, eines
dicken, feſten Kleidungsſtückes unter demſelben, das wohl durch-
[200]II. Das Mittelalter.
gängig kurz und geſteppt war. Obwohl es ſomit zur Rüſtung
gehörte, war doch nicht ausgeſchloſſen, daß es der Ritter auch
ohne das Kettenhemd tragen konnte, wenn er der Ruhe pflegte.
In der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts aber, alſo in einer
Zeit, wo das Kettenhemd noch immer das Hauptſtück der Rüſtung
war, findet ſich das Wamms als ſelbſtſtändiges Stück in den
Kleiderordnungen neben dem Rock erwähnt. Die Speierer Ord-
nung (1356) ſtellt es noch zu der Kleidung des Ritters und Rei-
ters und will es als ſolches in ſeiner Kürze nicht beſchränken; der
Rath von Straßburg aber (1370) behandelt es als eine gewöhn-
liche Tracht des Bürgers und unterwirft es mit dem Rock denſel-
ben Beſtimmungen. Doch unterſcheidet er ein „reiſiges Wamms“,
das er gleich dem Reitrock des Ritters vom Geſetz ausnimmt.
Wodurch das Wamms von der Schecke des Bürgers verſchieden
war, dürfte ſich ſchwer beſtimmen laſſen.


Der Lendner, deſſen wir ſchon am Schluß des vorigen Ka-
pitels in Kürze gedacht haben, verdankt ſeine Entſtehung dem
Waffenrock und blieb, was er war, ein Stück der Kriegstracht.
Wie unter dem Kettenhemd das Wamms, ſo lag über demſelben
ſchon in ſehr früher Zeit der Waffen- oder Wappenrock, ein lan-
ges, weites Gewand, mit den Farben oder dem Wappen ſeines
ritterlichen Trägers geſchmückt. Der Wappenrock mußte mitſammt
dem Panzerhemd die Wandlungen der Mode mitmachen. Seit
dem Beginn des vierzehnten Jahrhunderts verkürzte ſich das letz-
tere nicht bloß, ſondern legte ſich auch immer enger um die Hüf-
ten. Grade daſſelbe geſchah auch mit dem Wappenrock; es läßt
ſich genau verfolgen, wie beide allmählig Taille gewinnen. Nun
kamen aber andre Dinge hinzu, die mitwirkend in den Gang der
Mode eingriffen, das war die Einführung des Schießpulvers in
das Kriegsweſen, und vielleicht im Anfange noch mehr die eng-
liſche Armbruſt. Den ſcharfen Bolzen oder den kurzen, eiſenge-
ſpitzten Pfeilen leiſtete das Kettengeflecht zu wenig Widerſtand,
und man ſah ſich daher nach weiterem Schutze um. In Folge
deſſelben erlitt der Wappenrock eine durchgreifende Veränderung:
er wurde aus der bloßen Zierde, aus einem Luxuskleid eine
[201]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Schutzwehr, ein nothwendiger Theil der Rüſtung. Anfangs wurde
er dick mit Wolle geſteppt, dann mit hart in Oel geſottenem Le-
der überzogen oder ganz daraus gebildet und endlich noch an be-
ſtimmten Stellen mit Eiſenplatten belegt, aus denen er ſchließlich
ganz zuſammengeſetzt wurde, um gegen die Kugeln des Feuer-
rohrs zu ſchützen. So entſtand der Plattenharniſch oder der
Krebs. Das geſchah aber erſt im Lauf des funfzehnten Jahrhun-
derts. In der Form, welche der Wappenrock zuerſt bei ſeiner
Umwandlung in ein Stück der Rüſtung annahm, erhielt er den
Namen Lendner. Mit dem Kettenhemd legte er ſich ſo eng um
die Glieder wie der Rock und hielt auch in der Länge oder Kürze
die Mode ein; er war eng zugeſchnürt, hinten oder vorn, hart
geſteppt, beinahe in der Dicke eines Fingers.


Mit dem Rock zugleich, oder vielmehr durch deſſen Schick-
ſale veranlaßt, erlitt auch der Gürtel eine bemerkenswerthe Ver-
änderung, die wir bereits ebenfalls angedeutet haben. Da der
Scheckenrock ſchon für ſich allein die Schlankheit des Körpers in
möglichſter Weiſe hob, ſo war der Gürtel, wo er nicht der ritter-
lichen Würde diente, zwecklos und überflüſſig geworden, und
zwar ſo völlig, daß ihn auch der gerüſtete Ritter entbehrte, und
ſein kurzes Schwert und ſeinen Dolch an Ketten hing, die mit
dem andern Ende auf der Bruſt am Lendner befeſtigt waren. Es
iſt daher nichts Seltnes in dieſer Zeit, auf Bildern Ritter wie
Bürger in civiler Kleidung ungegürtet zu finden. Aber die ſtutzer-
hafte Eitelkeit, eine faſt allgemeine Eigenſchaft damals, entbehrte
nicht gern eines ſo prunkenden Schmuckes. Was geſchieht? Da
der Gürtel ſeinen Zweck verloren hat, ändert er auch ſeine Form.
Nunmehr eine bloße Zierde geworden, dem Ring oder dem Hals-
band ähnlich, läßt er mit ſich machen, was der Laune oder der
Mode gefällt. Statt einengend die Taille zu umſchließen, wird
er erweitert, daß er loſe und locker über die Lenden herunterfällt,
oder unten am Rock angenäht wird; ſtatt aus biegſamem Stoff,
ſetzt man ihn nun aus breiten und dicken viereckigen Metallplat-
ten zuſammen, die gleich den Gliedern einer Kette beweglich an
einander geheftet ſind und hinlänglich Raum bieten für Edelſteine
[202]II. Das Mittelalter.
und Perlen. Waren nun gar die Glieder aus edlem Metall, ſo
bildete ein ſolcher Gürtel den reichſten nur denkbaren Schmuck.
Daher unterwarfen ihn auch gleich die erſten Luxusgeſetze ihren
beſchränkenden Beſtimmungen. Die Limburger Chronik bezeichnet
ihn mit dem Worte Dupfing; wenn daſſelbe von dupfen, mit
der Nadel ſticken, abgeleitet werden ſoll, ſo muß es ſchon eine
ältere Art des Gürtels bezeichnet haben, denn die damalige war
von Metall.


Als herrſchende Form des Beinkleids in den nobeln
Ständen iſt für dieſe Periode die zu betrachten, welche als ein
Stück die ganze untere Hälfte des Mannes deckt, von den Füßen
an, die mit umſchloſſen ſind, bis zur Hüfte herauf. Hier war die
Hoſe durch Neſteln, Schnüre oder Schleifen befeſtigt. Obwohl
nur in den ſeltneren Fällen aus Leder beſtehend und gewöhnlich
aus Wollſtoff gemacht, ſchloß ſie ſich in geſchicktem Schnitt in
allen Theilen aufs vollkommenſte eng an, daß die Männer hart
geſpannt gingen und, wie wir oben geſehen haben, bei raſcher
und plötzlicher Bewegung nicht ſelten die Neſteln ſprengten. Es
findet ſich für die Art des Beinkleides öfter die Bezeichnung
„ganze Hoſen“ im Gegenſatz zu den in den niedern Ständen ge-
bräuchlichen langen Strümpfen. Auch dieſe wurden wohl noch
fortgetragen, doch nur ſelten, denn es berichtet die Limburger
Chronik zum Jahr 1362, daß damals die „großen, weiten Plo-
derhoſen“ vergangen ſeien, worunter nichts anderes verſtanden ſein
kann als jene alten weiten, leinenen Beinkleider, welche Bürger
und alle Leute niedern Standes in der Art trugen, daß ſie dieſel-
ben von oben her in die langen Strümpfe hineinſteckten. Wir
kennen ſie von den Bildern der Herrad von Landsberg und haben
ſie oben näher beſchrieben. „Lange Lederſen“ nennt auch die Lim-
burger Chronik wegen des Stoffes die ganzen Hoſen und ſagt
von ihnen, ſie hätten lange Schnäbel gehabt und Krabben, eine
bei der andern von der großen Zehe bis oben hinaus, und ſeien
hinten aufgeneſtelt geweſen halb bis auf den Rücken. Die jeden-
falls vorübergehende Mode des Beſatzes mit „Krabben“ — ein
Name, der ohne Zweifel von dem bekannten gothiſchen Ornament
[203]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
hergenommen iſt — war damals neu, nicht aber dieſe Form des
Beinkleides, es ſei denn höchſtens für den Bürger. — Fehlen
konnte die Beinbekleidung damals nur dem Bauer allein, und
auch das dürfte nur als Ausnahme zu betrachten ſein, wenn auch
der Fall kein ſeltner war. Häufig haben Leute niedern Standes,
Boten zumal, über die Hoſe noch Strümpfe gezogen, welche bis
ans Knie reichen und hier gebunden und umgekrämpt ſind.


Da die lange Hoſe auch die Füße mitbedeckte und dann ge-
wiß mit Lederſohlen verſehen war, ſo konnte auch im vierzehnten
und funfzehnten Jahrhundert eine beſondere Fußbekleidung dem
ritterlichen Stande überflüſſig ſein, und wir ſehen ſie deßhalb
nicht ſelten fehlen. Der Schnitt der Hoſe an den Füßen richtet
ſich ganz nach der herrſchenden Mode, d. h. ſie war hier lang und
zugeſpitzt. Die Mode der langen Spitzen, die wir weiter unten
im Zuſammenhang beſprechen werden, fing damals an die allge-
meine Aufmerkſamkeit zu erregen. Wo ſich eine beſondere Fuß-
bekleidung findet — und bei den Bürgern iſt es gewöhnlich ſo —,
ſind es Schuhe oder ganz kurze, oben über die Knöchel gehende
Stiefeletten. Stiefel, die ſich ausnahmsweiſe erwähnt finden,
tragen nur Boten oder reiſige Leute. Stiefeletten meint auch die
Limburger Chronik, wenn ſie berichtet, daß im Jahr 1362 mit
den Pluderhoſen auch die Stiefeln vergangen ſeien, „die oben
roth Leder hatten und verhauen — d. h. gezackt — waren.“ Auf
den Bildern der Kölner Schule vom vierzehnten und auch vom
funfzehnten Jahrhundert tragen ritterliche Perſonen hohe, weite,
zum Knie hinaufgehende Stiefeln von rother Farbe, mit einem
breiten Goldſtreif von oben bis unten und am Rande mit Gold
gefaßt. Die Schuhe waren von allen Farben und bedeckten den
ganzen Fuß, doch hatten ſie auch oben einen offenen oder zuge-
ſchnürten Ausſchnitt.


Die ganze Kleidung des Mannes war in ihrer kurzen, an-
ſchließenden Enge darauf angelegt, die Geſtalt nach allen Theilen
und Gliedern in ihren Formen markirt zu zeigen. In ſcheinbarem
Widerſpruch damit ſteht die Kopftracht, welche es auf Vermum-
men abgeſehen zu haben ſcheint. Denn in dieſer Zeit bemächtigt
[204]II. Das Mittelalter.
ſich die verhüllende Gugel, früher eine Tracht der Knappen und
niederen Leute, aller Köpfe. Schon um das Jahr 1320 etwa
tragen ſie edle Jäger und Jägerinnen auf der Hirſchjagd, und
beim Waidmann überhaupt hat ſie ſich zuletzt noch lange erhal-
ten, als ſie bereits aus dem gewöhnlichen Leben verſchwunden
war. In der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts zeigt ſie ſich in
allen Lebensverhältniſſen in beſtimmt ausgeprägter Form. Vom
lateiniſchen cucullus, welches ebenfalls ſchon eine verhüllende
Kopfbedeckung iſt, kommt das Wort Gugel mit allen ſeinen Ne-
benformen her, als: Kugel, Kogel, Gogel, Gugler,
Kugelhut
und daraus zuſammengezogen Kulhut. Unſern
Begriff von Hut müſſen wir davon fern halten, denn die Gugel,
wie wir ſchon im vorigen Abſchnitt ausgeführt haben, iſt nichts
als die bekannte Kaputze, an einen Kragen deſſelben Stoffes, Goller,
befeſtigt, welcher Schultern und Hals rings umſchließt. Sie
mußte entweder über den Kopf gezogen werden, oder ſie war vom
Kinn herab aufgeſchnitten und durch eine Reihe Knöpfe zuſam-
mengehalten. Wenn die Kaputze übergezogen war, ſo blieb vom
ganzen Kopf nichts zu ſehen als das rings umrahmte Geſicht:
Haar, Hals, Ohren und ſelbſt das Kinn waren völlig verhüllt.
In Böhmen trieb man die Vermummung noch weiter, indem
man die Gugel vor dem ganzen Geſicht zuknöpfte, und nur die
Augen ſahen aus Löchern heraus; zum Geſpräch, zum Eſſen und
Trinken mußte das Geſicht aufgeknöpft werden.


Dadurch, ſo ſcheint es, hätte die ganze äußere Erſcheinung
des Menſchen einen finſtern, mönchiſchen Charakter erhalten müſ-
ſen — und es war auch die Zeit des Myſticismus, da man ſich
ſcheu vor den Sünden der Welt in ſich ſelbſt zurückzog —, allein
dieſer Charakter verſchwindet wieder, indem wir wahrnehmen,
wie zu der Gugel immer die hellſten oder am kräftigſten wirken-
den Farben gewählt werden. Wir ſehen Gelb, Hellgrün, Roſa
und alle Nüancen von Purpur und leuchtendem Hochroth, weiß
mit Gold, oder auch den farbigen Stoff am Geſicht von weißem
Rauchwerk umfaßt. Wenn wir dazu noch einen langen, gleich-
farbigen oder buntgedrehten Schwanz von der Spitze der Kaputze
[205]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
bis auf die Wade oder ſelbſt bis auf den Boden herabfallen
ſehen, ſo ſchließen wir auf eine phantaſtiſch ſeltſame Zeit, die ihre
Köpfe in eine ſo ſonderbare, man möchte ſagen, luſtig-ernſte
Verhüllung ſchließen konnte. Der übermäßig lange Zipfel erregte
früh die Aufmerkſamkeit der Obrigkeiten. Die zu Speier geſtattet
gewiß ein bedeutendes Maß mit 1½ Ellen, aber er ſoll weder
gewunden noch zerſchnitten ſein. Noch anderes haben die Obrig-
keiten dabei zu verbieten. Keiner ſoll Federn darauf tragen noch
Schmelzwerk, noch goldene oder ſilberne Borten, noch überhaupt
Gold, Silber oder Perlen, ſo will es der Rath zu Speier; „kei-
ner ſoll ihn unter den Augen zerſchnitzeln, in keiner Weiſe.“ Der
Ulmer Rath erlaubt das im Jahr 1406: der Handwerksmann
wie der Geſchlechter dürfe ſeine Kappe zerhauen wie er wolle.


Die Gugel umſchloß ein völlig bartloſes Geſicht, wie
früher. Außer dem Vollbart fürſtlicher oder hochbejahrter Perſo-
nen giebt es aber noch eine Ausnahme. Es iſt auffallend, wie
etwa ſeit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, oder ſchon
etwas früher, bis in den Anfang des funfzehnten hinein eine
große Menge Ritter auf ihren Grabſteinen mit dem Schnurrbart
erſcheinen, im Uebrigen aber ein glattes Geſicht zeigen. Wir ver-
folgen Beiſpiele die ganze Zeit hindurch, z. B. König Günther
von Schwarzburg (1349), Graf Rudolf von Sachſenhauſen
(1370), zwei Grafen von Werthheim von 1407. Die Erklärung
für dieſe dem ganzen germaniſchen und romaniſchen Mittelalter
ſeit den Zeiten der Karolinger durchaus fremdartige Sitte dürfte
die böhmiſche Chronik des Hagecius geben. Dieſelbe erzählt, daß
die Böhmen bereits im Jahr 1329 mit ſeltſamen Kleidern und
mancherlei Farben zu ſtolziren angefangen hätten. „Da fingen
auch die Ritter an lange Bärte zu tragen, da man ſich vorher
glatt trug, auch trugen etliche Knebel, den Hunden und
Katzen gleich nach heidniſcher Art.“ Damals ſtand Böhmen un-
ter dem Scepter der Luxemburger, und ſo mag es nicht unwahr-
ſcheinlich ſein, daß ihre deutſchen Ritter die böhmiſch-ſlaviſche
Sitte annahmen und in der Ritterſchaft Deutſchlands weiter ver-
breiteten. Die Sitte muß noch tiefer gedrungen ſein, denn im
[206]II. Das Mittelalter.
Jahr 1356 verbot der Rath von Speier alle Bärte, gewiß ein
Zeichen, wie ſehr der Bart dem Geiſt des Mittelalters wider-
ſpricht.


Die genannte Chronik fährt dann fort: „Andere aber, da-
mit ſie ihre Mannheit läſterten, nahmen weibiſchen Gebrauch an,
trugen lange Haare, kämmten und bleichten daſſelbe naß an der
Sonne. Etliche, die vor andern berufen und ſchön ſein wollten,
nahmen dann ein heißes Eiſen, welches ſie calanistrum nann-
ten, brannten und drehten ihr Haar daran, und je ſchöner einer
das konnte, je ſchöner er ſich zu ſein bedünkte.“ Wir haben dieſe
ſtutzerhafte Pflege des Haars bei den Deutſchen ſchon von früh
an verfolgt; im funfzehnten Jahrhundert erkennt man ſie auf
allen Bildern. Die Form, in welcher man das Haar im vierzehn-
ten Jahrhundert trug, unterſcheidet ſich von der gemäßigt langen
und gelockten des dreizehnten nicht, und es iſt als Ausnahme,
locale oder doch beſchränkte und vorübergehende Mode zu ver-
ſtehen, wenn die Limburger Chronik zum Jahr 1380 berichtet:
„Da ging es an, daß man nicht Haarlocken und Zöpfe trug, ſon-
dern die Herren, Ritter und Knechte trugen gekürte (gekürzte)
Haare oder Krullen, über die Ohren abgeſchnitten, gleich den
Conversbrüdern; da das die gemeinen Leute ſahen, thaten ſie es
auch.“ Von den Bauern aber iſt gewiß, daß ſie das kurze Haar
als Standesunterſchied das ganze Mittelalter hindurch getragen
haben. — Da die Gugel nicht immer getragen wurde, nament-
lich nicht im Hauſe, und die Kaputze gewöhnlich auf dem Rücken
lag, ſo blieb für die lockige Tracht des männlichen Haars auch
noch der Schmuck der früheren Periode, Ringe, Reife, Kränze,
Diademe, welche die Lockenfülle umfaßten und verhinderten, daß
ſie läſtig ins Geſicht fiel.


Der Mantel oder der Oberrock, welcher die männliche
Tracht vervollſtändigt, konnte freilich nicht ſo der engen und kur-
zen Mode folgen. Lange und weite Oberkleider blieben daher
fortwährend in Gebrauch, nicht bloß bei den ehrbaren Leuten, die
der Mode Oppoſition machten, ſondern ſelbſt bei Stutzern und
insbeſondere als Feierkleidung. Der Rittermantel blieb noch
[207]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
immer das Ehrenkleid des Standes. Im Allgemeinen aber trat
der Mantel ſchon ſeit dem dreizehnten Jahrhundert mehr und
mehr vor dem Oberrock zurück, endlich faſt bis zum völligen Ver-
ſchwinden. Seine nahende Niederlage kündigte er dadurch an,
daß er ſeinen eigentlichen Charakter zu ändern anfing, indem die
Seiten auf der Schulter und ſpäter ganz herunter zugenäht wur-
den, und er nunmehr glockenförmig über den Kopf gezogen oder
geworfen werden mußte. Er wurde dadurch ein Mittelding zwi-
ſchen Rock und Mantel. In dieſer Form erhielt er den Namen
Hoike; ſo trugen ihn Männer wie Frauen. Die Limburger
Chronik erwähnt ihrer nach dem Jahre 1351: „Auch trugen ſie
Hoiken, die waren all um rund und ganz. Das hieße man
Glocken, die waren weit, lang und kurz.“ Gleichzeitig ſpricht ſie
von einer Art von Hoiken, die bis auf die Füße herabreichten und
vorn von oben bis unten herab zugeknöpft waren. Hier war die
Entfernung vom Mantel ſchon wieder um einen Schritt vergrö-
ßert. Gefüttert waren die Mäntel und Hoiken mit aller Art von
feinem Pelz, nach Stand, Vermögen und nach Zulaß der Klei-
derordnungen, oder mit andersfarbigem Stoff von Wolle oder
Seide. Das Wort Hoike iſt arabiſchen Urſprungs.


Mehr noch als der Mantel und ſein Stellvertreter, die
Hoike, war ſeit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts der
Trappert als Oberkleid in Gebrauch. Es war aber eigentlich
nur ein neuer Name für die alte Sache, obwohl auch dieſe ſich
formell geändert hatte. Der Trappert ſetzt den alten Oberrock fort,
um ſpäter wieder der Schaube zu weichen. Das Wort ſelbſt wird
aus dem Celtiſchen hergeleitet und hat im Franzöſiſchen, wo es
ſchon früher als ein langes Obergewand vorkommt, ſeine ſpätere
Form erhalten. Im Deutſchen ſagte man zu jener Zeit Trapp-
hart, Trappert und Tappert. Alle Formen des Oberrocks wur-
den damals mit dieſem Wort bezeichnet, obwohl ſich local auch
ſchon die Schaube als Joppe und Juppe findet. Er iſt von mä-
ßiger Weite, über den Hüften gegürtet und — wenigſtens am
Ausgang des Jahrhunderts — bis zu den Füßen herabfallend,
aber von hier aufwärts bis zum Gürtel geſpalten, um das koſtbare
[208]II. Das Mittelalter.
Unterfutter zu zeigen. Der Rath von Ulm verbot ſogar (1406)
ihn noch länger zu tragen. Hier fällt die Stutzerhaftigkeit mit der
Oberkleidung in das entgegengeſetzte Extrem. In England war es
damals unter der Regierung Richards II. und Heinrichs IV. ganz
ähnlich: es wird geklagt, daß man die Männer nicht mehr in
ihrem Aeußern von den Frauen unterſcheiden könne. Aber es
findet ſich auch der Trappert kurz bis zum Knie und noch kürzer,
ferner mit langen, weiten, bis auf den Boden fallenden Aermeln,
und mit engeren, die bis zum Ellbogen zugeknöpft ſind. Die
Mannigfaltigkeit dieſes Kleidungsſtücks iſt noch in beſtändigem
Wachſen.


Was der männlichen Kleidung dieſer Zeit vor allem den
Charakter des Phantaſtiſchen und Geckenhaften verleiht, das ſind
die ſ. g. Zatteln, eine Zerſchneidung der Ränder in lange
Zacken oder Lappen, oder ein Beſatz mit denſelben. Man begeg-
net ihnen in Deutſchland, wie wir geſehen haben, ſchon im drei-
zehnten Jahrhundert, aber damals nur als einer Eigenthümlichkeit
aller fahrenden Leute des Komödiantenweſens, der vagirenden
Muſiker, Jongleurs und andrer heimathloſer Leute ihrer Art.
Der Ritter und der Bürger verachtete dieſe Sitte. Allein ſchon
in der erſten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts ſind in der
Provence, der Heimath der Romantik und der Liebesthorheiten,
die Zatteln beim Ritterſtande vollkommen eingebürgert. Die
Herren der Liebeshöfe — wir haben eine Miniature vor uns —
tragen die Gugel um die Schultern, von deren unterem Rand die
Zatteln, lang und ſpitz, bis zum Gürtel herabfallen; ſelbſt der
Rand der Kaputze, wo er das Geſicht umfaßt, iſt tief ausgezackt.
Der kurze, enge Rock reicht kaum auf die Oberſchenkel, aber die
gezackten Lappen fallen bis gegen die Kniee herab. Von den
Ellbogen reichen die Doppelärmel in langen, ſchmalen Schwänzen
bis nahe auf den Boden. Ebenſo zeigt ſich die Mode in Deutſch-
land bei den vornehmen Ständen ſeit der Mitte des vierzehnten
Jahrhunderts, und der Rath zu Speier verbietet (1356) „die
unter den Augen zerſchnitzelten Kugelhüte“. Aber die Zatteln
beſchränken ſich nicht auf die Gugeln und kurzen Röcke; Mäntel,
[209]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Trapperte, Hoiken, alle Arten der Oberkleidung werden von ihr
ergriffen. Doch feierten ſie ihre eigentliche Blüthezeit erſt fünfzig
Jahre ſpäter. Mit den Zatteln kamen auch die langen Aermel
oder Flügel, auch geflügelte Aermel genannt, in Aufnahme und
wuchſen mit ihnen im Uebermaß. Schon 1351 ſagt die Lim-
burger Chronik von dieſer Tracht in Deutſchland: „Herren, Ritter
und Knechte, wenn ſie hoffarten, ſo hatten ſie lange Lappen an
ihren Armen bis auf die Erde, gefüttert mit Kleinſpalt oder mit
Bunt (zwei edle Arten von Rauchwerk), als den Herren und Rit-
tern zugehört und den Knechten als ihnen zugehört.“ Und weiter
heißt es zum Jahr 1389: „Fürder trugen die Männer Aermel an
Wammſen und an den Schauben und anderer Kleidung, die hat-
ten Stauchen (Hängeärmel) beinahe auf die Erde. Und wer die
allerlängſten trug, der war der Mann.“


Mit dieſen Dingen iſt die Zahl der Excentricitäten noch
keineswegs erſchöpft. Die böhmiſche Chronik erzählt noch von
dem übermäßigen Knopfbeſatz, von Halsbändern und ausgeſtopf-
ten Bruſtlätzen der Männer, gleich Weiberbuſen. Auch Peter
Suchenwirt ſpricht davon als Gegenſtänden der Hoffart in dem
Gedicht von den ſieben Todſünden: „Baumwolle legſt du dir
vor,“ ſagt er, „und ziehſt dich ein in den Seiten, daß du ſchlank
biſt; du thuſt dir ſelbſt weh und biſt ein Spott, und machſt dich
anders als dich Gott nach ſeinem Bilde erſchaffen hat. Früh
und ſpät ſchmierſt du dein Antlitz ein; deine Stirn glitzert und
Salben durchziehen deine Wangen, daß du falſcher Farbe Schein
giebſt. Auch fremdes Haar bindeſt du ein und machſt deine
Zehen anders, als ſie dir Gott gegeben hat, lang, ſpitz und krumm
wie des Teufels Naſe.“ Damals fing man auch wieder an, den
Schmuck in aller Geſtalt am ganzen Körper zu tragen, an Haar,
Hals, Hand wie an den Kleidern, an Gürteln, Taſchen und
Meſſern. Dann kamen zu den ſpitzen Schuhen auch noch die
Schellen.


Die Kleidung der Frauen unterliegt demſelben Modegeſetz;
in völlig entſprechender Weiſe wie bei den Männern gehen die
Veränderungen an den alten Stücken vor ſich. „Wenn ſie zu
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 14
[210]II. Das Mittelalter.
Hof und Tänzen gingen,“ ſagt die Limburger Chronik von ihnen
in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, „dann trugen ſie zwei
Kleider und das Unterkleid mit engen Aermeln.“ Gerade ſo war
es im dreizehnten Jahrhundert. Nach einem Göttinger Geſetz
durften nur die Frauen, welche der höchſten Vermögensclaſſe an-
gehörten, die volle Kleidung tragen, und dazu gehörten ein Ober-
kleid, ein Unterkleid und ein langer Mantel. Wenn wir noch
das Hemd hinzurechnen, ſo haben wir damit die Hauptbeſtand-
theile der weiblichen Kleidung.


„Das oberſte Kleid,“ ſo erzählt die Limburger Chronik weiter,
„hieß ein Sorkett und war bei den Seiten von unten herauf-
geſchliſſen und gefüttert, im Winter mit Buntwerk oder im Som-
mer mit Sendel, das da ziemlich einem jeglichen Weib war.“
Dieſe Aufſchlitzung iſt eine neue Mode, die aber zu den vorüber-
gehenden Erſcheinungen gehört; ſie ſollte mehr Gelegenheit geben
für die koſtbare Pelzverbrämung und zugleich das untere Kleid
ſichtbar machen. Die Mäntel hielten ſich in der alten Form
mit der Schnur auf der Bruſt, welche die beiden Enden zuſam-
menhielt, bei den Frauen häufiger noch als bei den Männern,
namentlich im bürgerlichen Stande, doch kommen daneben auch
für jene die Hoiken und Trapperte in Gebrauch, von denen
die letzteren, eine Umwandlung des Oberkleides, ein wenig ſpäter
eintraten. Beide waren kürzer als die gewöhnlichen Mäntel,
und dieſe Eigenſchaft wahrſcheinlich machte ſie beliebt. Selbſt
den Mantel wollten die Damen kürzen und thaten es ſo ſehr, daß
der Rath von Straßburg ihnen verbot, ihn kürzer zu tragen denn
¼ Elle über den Knieen; auch den Gebrauch der Knabenmäntel
unterſagte er ihnen, wie ſchon früher der von Speier den Gebrauch
der Männermäntel ihnen verboten hatte. Beides kann ſich nur
auf die beliebte Kürze beziehen.


Im Uebrigen machte ſich gerade das Beſtreben zu langen
Kleidern, oder vielmehr zu Schleppen geltend, welche damals
in Mode kamen und noch heute nicht außer allen Gebrauch
gekommen ſind, ſondern zu Zeiten, wie bekannt, Hofdienſte
zu verrichten haben. Die Schleppe iſt ein Erzeugniß des extra-
[211]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
vaganten Geiſtes im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert,
und es kann daher ziemlich gleichgültig ſein, von wo man ihren
Urſprung herleitet. Sie iſt nicht auf einmal in voller Größe als
ein fertiges Geſchöpf der Laune in’s Daſein gerufen worden —
ſo kühn iſt die Mode nicht —, ſondern allmählig aus dem reichen
Stoff, der weit und faltig ſchon im dreizehnten Jahrhundert die
Füße der Damen umfloß, hervorgewachſen. Aber bereits im
Anfang des vierzehnten muß ſie in Frankreich durch ihre Größe
auffallend geweſen ſein, denn als ſich Kaiſer Heinrichs VII. Sohn
Johann, der nachherige König von Böhmen, mit der franzöſiſchen
Prinzeſſin Eliſabeth im Jahr 1310 zu Speier vermählte, trug ſie
„ein ſehr langes Kleid nach franzöſiſcher Mode.“ In Deutſchland
aber erregte ſie erſt im Beginn des fünfzehnten die Aufmerkſamkeit
der über das Wohl ihrer Bürgerinnen eifrigſt wachenden ſtädti-
ſchen Lenker. Selbſt fürſtliche Damen ſcheinen noch längere Zeit
dieſer Mode ſich entzogen zu haben. Die Damen z. B., welche
der Familie des Burggrafen Friedrich V. von Nürnberg angehö-
ren (um 1400), wie ſie auf dem Wandgemälde im Kloſter Heils-
bronn in knieender Stellung abgebildet ſind, haben offenbar
Kleider ohne Schleppen; man ſieht die Füße mit ſpitzen Schnür-
ſchuhen und noch einen Theil der weißen Strümpfe.


Der Rath von München iſt der erſte, welcher der Schleppe
eine beſtimmte Länge vorſchreibt; nur die Breite eines Fingers
erlaubt er. Der Rath zu Ulm geſtattet einige Jahre ſpäter doch
ſchon ein viertel Elle, die er freilich ſechs Jahre darauf wieder auf
die Hälfte beſchränkte. Die Obrigkeit von Modena geſtattete da-
mals ein ganze Elle, aber ſie hielt hierauf mit ſolcher Strenge,
daß ſie ein in Stein gehauenes Modell zu dem Ende öffentlich
aufſtellte, damit die verdächtigen Schleppen der Damen ſofort
daran gemeſſen würden. In Frankreich exiſtirte die Schleppe
ſchon um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts in ihrer aus-
gebildetſten Geſtalt, wonach ſie einer beſondern Perſon zum Tra-
gen bedarf. Eine Miniature zeigt eine Dame, die ihr langes
Oberkleid an den Seiten von unten auf in zwei Theile geſpalten
hat: die vordere Hälfte trägt ſie ſelbſt auf dem linken Arm, die
14*
[212]II. Das Mittelalter.
hintere eine Dienerin oder Hofdame. Die bekannte bayriſche
Iſabella, Karl’s VI. Gemahlin, ſoll vorzugsweiſe dieſe Mode
in Frankreich allgemein gemacht haben. Das geſchah ſo weit,
daß der Ritter de la Tour ſchon Klage führt, wie Dienerinnen
und Frauen von niederm Stande das mit Pelzwerk beſetzte
Schleppkleid angenommen haben, freilich ſehr unpaſſender und
unzweckmäßiger Weiſe, denn, ſagt er, „ſie haben ſich hinten be-
ſchmutzt, gerade wie die Schafe ihre Schwänze.“ In England
ſchrieb unter Richard II. bereits ein Geiſtlicher eine Abhandlung
gegen die Schleppen der Damen. Zu ihrer Hofrolle kamen ſie
durch die burgundiſche Etiquette. Endlich konnte auch Deutſch-
land nicht zurückbleiben. Im Städtchen Kreuzburg ſollen ſchon
im Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts die adligen Damen ge-
ſchwänzte Röcke getragen haben, vier bis fünf Ellen lang, ſo daß
Knaben die Schleppen nachtragen mußten. In dieſem Städtchen
ſcheint die Obrigkeit weniger von Polizeimoral erfüllt geweſen zu
ſein. Uebrigens erlaubten der Kurfürſt Ernſt und der Herzog
Albrecht von Sachſen in ihrem Erlaß von 1482 ordnungsmäßig
allen Ritterfrauen und Ritterfräulein zwei volle Ellen.


Wenn die Frauenkleidung mit der Schleppe in Vergleich zu
der männlichen eine entgegengeſetzte Tendenz zu verfolgen ſcheint,
ſo ſtimmt ſie um ſo mehr in der Enge überein. Neu iſt das bei
den Frauen nicht, denn wir wiſſen, wie gerade dieſe Neigung die
Frauenkleidung im zwölften und dreizehnten Jahrhundert von
der alten Formloſigkeit befreit. Was aber damals Grazie und
freie Beweglichkeit verlieh, das führte jetzt, in’s Extrem getrieben
und mit andern Uebertreibungen vereinigt, zu Mißgeſtalten, ver-
hinderte die Leichtigkeit, Elaſticität und Freiheit und raubte die
Anmuth, abgeſehen von dem Anſtand und der Sittlichkeit, wel-
chen Punkt die Weisheit und das Gewiſſen der ſtädtiſchen Behör-
den vor allem in’s Auge faßten.


Wenn damals eine vornehme Dame oder eine wohlhabende
Bürgerin zu Hauſe nur ein einziges Kleid trug, ſo lag dieſes am
ganzen Leibe und ſelbſt noch um den Unterleib in voller Enge an.
Der Körper zeigte ſich in ſeiner natürlichen Form. Erſchien ſie
[213]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
öffentlich, oder ging ſie zum Beſuch, zum Tanz, zum Turnier oder
zu einem andern Feſt, ſo ſaß auch das in dieſem Fall nothwen-
dige Oberkleid in gleicher Enge um den Körper, mit Ausnahme
der Aermel, welche weit geöffnet ſind und, mit Zatteln verſehen,
tief herunterfallen. Dieſe Enge konnte ſchon durch den bloßen
Schnitt des Kleides hergeſtellt werden, wodurch freilich das An-
ziehen eine ſchwierige und unbequeme Sache wurde; es wird ver-
ſichert, daß eine Dame allein nicht dazu im Stande geweſen ſei:
ſie bedurfte der Hülfe, was im ähnlichen Fall auch von den Män-
nern gilt. Um dieſer Unbequemlichkeit auszuweichen, war der
Knopfbeſatz erfunden worden. Die Frauen bedienten ſich deſſel-
ben in ausgedehntem Maße. Sie ſchnitten die Aermel des untern
Kleides bis zum Ellbogen auf und engten ſie mit Knöpfen wieder
ein; ſie ſchlitzten das Kleid vorn von oben an bis tief herunter
auf den Leib und ſetzten längs des Ausſchnittes Knopf an Knopf.
Das allein ſchien nicht zu genügen, und man nahm die ſchon
bekannten Schnürſenkel zu Hülfe, oder erſetzte die Knöpfe ganz
dadurch. Vorzugsweiſe aber wurden ſie an den Seiten angewen-
det, und weder das untere noch das obere Kleid noch das Hemd
waren davon ausgenommen. Ja es ſcheinen bereits beſondere
Leibchen, gleich der ſpätern Schnürbruſt, zu dieſem Zweck in Ge-
brauch geweſen zu ſein. „Hinfüro ſoll ſich keine Frau mehr ſchürzen
mit ihren Brüſten, weder mit Hemden noch gebriſen (geſchnürten)
Röcken, noch mit irgend einem andern Gefängniß,“ ſo ſchreibt
der Rath zu Straßburg vor (1370). Die Ulmer Ordnung von 1426
verbietet ſammtene oder ſeidene „Preiſe“ (von briſen, ſchnüren).


Dieſe Einengung der Kleider hatte für den Frauengürtel
dieſelbe Folge, wie für den der Männer: er wurde überflüſſig und
dann als ein über die Hüften herabhängender Schmuck getragen
in derſelben Weiſe, wie wir oben bei den Männern den Dupfing
beſchrieben haben. Dieſen Namen führte er auch bei den Frauen.


Die gleiche Sorge wie die Einengung des Körpers machte
den Geſetzgebern die immer ſtärker werdende Decolletirung. Das
ganze Mittelalter hindurch hatten die Frauenkleider Bruſt und
Schultern verhüllt und nur den Hals unbedeckt gelaſſen; mit
[214]II. Das Mittelalter.
andern Moden war auch dieſe ein Erzeugniß des vierzehnten Jahr-
hunderts. Schon in der Mitte deſſelben trugen die Frauen den
Ausſchnitt ſo tief, daß man die halben Brüſte ſah. Die Kleider-
geſetze, eines nach dem andern, ſuchen umſonſt das wachſende
Uebel zu beſchränken und vergebens ſchreiben ſie aufs genauſte die
Größe des Hauptloches vor und auf Fingerbreite, wie weit das
Kleid auf den Achſeln aufliegen ſoll. Es war ein Kampf wider
Wind und Strom.


Mit dieſer Neigung zu decolletiren, iſt die Umwandlung, welche
gleichzeitig die Haartracht erlitt, in Verbindung zu ſetzen. Um
die blendende Weiße des Nackens und Rückens zur vollen Geltung
zu bringen, mußten die langen, wallenden Locken, wie ſie noch
im Beginn des vierzehnten Jahrhunderts, ſelbſt bei verheiratheten
Damen, über die Schultern und den Rücken herabfloſſen, ihrer
Freiheit beraubt werden. Der einen Schönheit wurde die andere
zum Opfer gebracht. Es wurde, wie wir ſchon am Schluß des
vorigen Capitels angedeutet haben, allgemeine Sitte, das Haar
aufzubinden; nur Jungfrauen vornehmſten Standes, unverhei-
rathete Prinzeſſinnen und zuweilen auch verheirathete Fürſtinnen
machen eine Ausnahme zu Gunſten der alten Mode des langen
Lockenfluſſes. Gewöhnlich iſt das Haar über der Stirn geſcheitelt
und in zwei Zöpfe geflochten, welche zu beiden Seiten um die
Ohren gelegt ſind. Jungfrauen ließen auch wohl die Flechten
herunterhängen; Frauen war das z. B. vom überſorgſamen Rath
zu Speier ausdrücklich verboten worden. In der Art, wie die
Flechten gelegt, wie ſie auf dem Kopfe befeſtigt oder mit einigen
kleinen Locken an der Wange verbunden, namentlich aber, wie ſie
mit Schmuck verſehen wurden, blieb dem individuellen Geſchmack
der Frauen noch vieles überlaſſen. Zuweilen konnten auch ge-
gründete Zweifel über die Aechtheit der Zöpfe entſtehen, denn der
Rath von Straßburg ſieht ſich gar genöthigt, das falſche Haar zu
verbieten. Ein ſchöner, ächter Frauenzopf konnte aber hoch gefeiert
werden, wie es jenem geſchah, den ſich einſt eine ſchöne Frau für
einen Herzog von Oeſterreich abſchnitt. Der Herzog ſtiftete ihm
zu Ehren eine ritterliche Geſellſchaft, genannt „vom Zopf.“


[215]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.

Mit ſolcher Haartracht konnte auch erſt die Haube zu
größerer Bedeutung gelangen, und ſie verdrängt daher in mannig-
facher Geſtalt allmählig den alten, ſchönen Kopfputz, und die
kleinliche Weisheit und das beſondere Schönheits- und Anſtands-
gefühl der Geſetzgeber trug durch ausdrückliche Verbote dazu bei.
Die Schapel aller Geſtalt, die goldenen Reife und Kronen und
Diademe, die Juwelen- und Perlenkränze, die früher den freien,
fliegenden Locken zum Zügel gedient hatten, weichen den ver-
hüllenden Hauben oder den andern abenteuerlich mißgeſtalteten
Kopfbedeckungen. Die Kronen, früher ein allgemein ritterlicher
Schmuck, werden allmählig ein Vorrecht fürſtlicher Damen, von
denen die verheiratheten ſie über Schleier und Haube tragen.
Vor allen iſt es die Gugel, welche in ihrer ganzen Unform auf
die Frauenwelt übergeht. Früher legte ſie eine noble Dame wohl
auf der Jagd um oder auf Reiſen oder beim Reiten, um vor
ſchlechtem Wetter ſich zu ſchützen; bald aber wurde ſie ihre ge-
wöhnliche Tracht, wenn ſie ſich öffentlich zeigte. Die Kaputze hing
nicht bloß auf dem Rücken des Scheins wegen und bunt gefüttert,
wie wir heute die alte Mode als vorübergehenden Einfall erneuert
geſehen haben, ſondern es heißt in der Limburger Chronik (1389):
„Die Kogeln ſtürzte eine Frau auf ihr Haupt und ſtunden ihnen
vorn auf zu Berg über das Haupt, als man die Heiligen malet
mit den Diademen.“ Die Gugeln der Damen wurden ebenfalls
um das Geſicht ausgezackt und mit Zatteln verſehen; ſie waren
buntfarbig, aus verſchiedenen Streifen zuſammengeſetzt, mit
Gold, Silber, Edelſteinen und Perlen verziert, und hinten hin-
gen die langen, bunten Schwänze ein, zwei Ellen herab.


Nächſt der Gugel wurde von verheiratheten Frauen beſon-
ders häufig der „Kruſeler“ oder die „Hulle“ getragen, eine Haube,
deren Namen ſich aus ihrer Beſchaffenheit erklärt. Sie verhüllte
den ganzen Kopf und umſchloß das Geſicht mit mehrfach über
einander gelegten, zackig eingebrannten Krauſen von feinem, viel-
leicht klarem Stoff, der ſich noch mit beſondern Wülſten auf
die Schultern herabſenkte oder ſie rings der Gugel ähnlich um-
ſchloß. Man kann ſie überhaupt ſich aus der Gugel in der Weiſe
[216]II. Das Mittelalter.
entſtanden denken, daß die Kaputze, mit Aufgebung von Schwanz
und Spitze, ſich eng um den Kopf anſchloß. Der Rath von
Speier verbot (1356), daß der Kruſeler mehr als vier ſolcher
Striche über einander haben ſollte; der zu Frankfurt erlaubte
ihrer ſechs. Auch Fürſtinnen trugen dieſe Hauben und Kronen
darüber, auch mehr in Art eines in Krauſen eingebrannten
Schleiers.


In beſonders hoher Gunſt ſtand der Schleier, ſei es, daß
er für ſich allein den Kopf umhüllt, oder mit Haube und Kinn-
tuch in Verbindung ſteht. Auf Feinheit und Güte des Stoffs
wurde ein großer Werth gelegt. Ob er von Seide oder Baum-
wolle war, ob von ſo oder ſoviel Fäden in der Breite, ob ſein
Endbeſatz lang und zart, oder kurz und dick gewirkt war — das
konnte die Geſchlechterin von der Handwerksfrau unterſcheiden.


Neben den langen Hängeärmeln, die einfach gezattelt auf
den Boden fielen, neben den ſpitzen Schuhen und andern Din-
gen konnte die Eitelkeit einer Dame noch Befriedigung finden an
dem nun in reichlichem Maße wieder auflebenden Schmuck.
Was in alten Zeiten ein Zeichen einer niedern, noch ringenden
Civiliſation geweſen war, das kann jetzt als Merkmal der Ueber-
feinerung, eines verbildeten Geſchmacks betrachtet werden. Den
Schmuck faßten die Kleiderordnungen zuerſt ins Auge, weil die
bürgerliche Exiſtenz, der Vermögensſtand des Einzelnen dadurch
am erſten gefährdet werden konnte. Ueberall auch, am Körper
wie an der Kleidung, wußten die Frauen Schmuck anzubringen.
Perlenkränze ſchlangen ſie nicht bloß durch das Haar, ſie um-
wanden ſelbſt die ungeſtalteten Gugeln damit, deren weiterer
Schmuck aus edlem Metall, Juwelen, ſilbernen und goldenen
Schnüren beſtand. Der freie Hals mit der Bruſt wurde ein Fa-
voritplatz für Perlen und Metallbänder; golden und ſilbern
waren auch die Schnürſenkel; Ringe trug man in großer Zahl,
freilich auch oft nur ſoviel die Obrigkeit erlaubte. Die langen
Aermel, die Kleider wurden ober- und unterhalb des Gürtels,
deſſen wir als koſtbarſten Schmuck ſchon oben gedachten, mit
Perlen und Juwelen, deren Aechtheit freilich vielfach Zweifeln
[217]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
unterlag, übernäht und mit edlen Metallen geſchmückt. Auch die
zahlreichen Knöpfe waren nicht immer gemeinen Stoffes und
dienten ebenſo zum Schmuck wie zur Einengung.


Die ſonſtige, außer dem reichen Pelzwerk zum Futter und
zur Verbrämung oft weniger koſtbare Verzierung der Kleider ver-
räth ſchon mehr den ſich an Seltſamkeiten erfreuenden Modeſinn.
Die großgemuſterten Stoffe beginnen in Aufnahme zu kommen;
man ſtickte mit Seide oder mit Gold die Muſter hinein, Vögel
und andere Thiere, auch Buchſtaben mit beſtimmtem Sinn, z. B.
in vielfacher Wiederholung das beliebte Wort amor. Wir wer-
den auch dieſe Liebhaberei ſpäter geſteigert wieder antreffen.


Im Gebrauch der Schönheitsmittel ſtand dieſe Pe-
riode nicht hinter der vorhergehenden zurück. Die oben mitge-
theilte Erzählung des Ritters de la Tour-Landry giebt das Nähere
darüber. Aus Peter Suchenwirt wiſſen wir, daß auch die jungen
Herren es damals machten wie die Damen. —


Um den ganzen Zuſtand des Modeweſens, wie er ſich in
Deutſchland etwa ſeit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts
bis gegen das Jahr 1380 mit ſeiner bunten Mannigfaltigkeit,
auch mit ſeinen Thorheiten herausgebildet hatte, in einem Ge-
ſammtbilde zuſammenzufaſſen, theilen wir ein paar gleichzeitige
Schilderungen mit. Die ältere derſelben hat das glückliche Wien
und ſeine Umgegend vor Augen, wo ſchon ein Jahrhundert früher
der Bauernſtand in ſeltſamer Geckenhaftigkeit einherſtolzirt war.
Die Stelle lautet: „Jeder kleidete ſich nach ſeinem Eigendünkel;
einige trugen Röcke von zweierlei Tuch. Bei andern war der
linke Arm weiter als der rechte, ja ſogar bei manchen weiter als
der ganze Rock lang war. Andere hatten beide Aermel von ſolcher
Weite, und wieder manche zierten den linken Aermel auf ver-
ſchiedene Weiſe, theils mit Bändern von allerlei Farben, theils
mit ſilbernen Röhrlein an ſeidenen Schnüren. Dann trugen
einige auf der Bruſt einen Tuchfleck von verſchiedener Farbe, mit
ſilbernen und ſeidenen Buchſtaben geziert. Wieder andere trugen
verſchiedene Bildniſſe auf der linken Seite der Bruſt, und endlich
wickelten ſich andere ganz mit ſeidenen Ringen um die Bruſt ein.
[218]II. Das Mittelalter.
Wieder andere ließen ſich die Kleider ſo eng machen, daß ſie ſolche
nicht anders als mit Hülfe anderer oder mittelſt Auflöſung einer
Menge kleiner Knöpflein, womit die ganzen Aermel bis auf die
Schultern, dann die Bruſt und der Bauch ganz beſetzt waren,
an- und ausziehen konnten. Andere trugen Kleider, die um den
Hals ſoweit ausgeſchnitten waren, daß man ihnen einen ziem-
lichen Theil von der Bruſt und dem Rücken ſehen konnte. Einige
faßten den Saum der Kleider mit andersfarbigem Tuch ein; an-
dere machten ſtatt der Einfaſſung viele Einſchnitte in die Enden
der Kleider (Zatteln). Man fing durchgehends an, Kaputzen an
den Kleidern zu tragen, und deßwegen hörte damals die vorhin
gewöhnliche Haubentracht der Männer auf, woraus man unter
den Weltlichen die Juden und die Chriſten unterſcheiden konnte.
Manche trugen weniges Haar, andre theilten daſſelbe wie die
Juden oder flochten es wie die Ungarn oder Cumanen. Die
Mäntel wurden ſo kurz gemacht, daß ſie kaum auf die Hüften
reichten. Man verkürzte an den Oberröcken die Aermel um ſo
viel, daß ſie nur bis an die Ellbogen reichten, von da aber ließen
ſie einen Lappen wie ein Fähnlein herunterhängen.“


Die andere Stelle, deren wir ſchon oben gedachten, iſt die
Schilderung der böhmiſchen Trachten im Jahre 1367. „Zu der
Zeit haben die Böhmen anderer fremder Nationen ſchändlichen
Gebrauch in der Kleidung und Gemüthe an ſich genommen und
ſind von dem Wege ihrer Vorfahren gar weit geſchritten. Denn
nachdem ſie zuvorhin feine, ehrliche, lange Kleidung bis unter
die Kniee oder von den Knieen bis halb an die Erden zu tragen
gepflogen, ließen ſie ſich dazumal gar kurze und abſcheuliche Röck-
lein machen, darinnen ſich keiner mit Ehren bücken mögen, und
alſo enge, daß man darinnen kaum den Athem haben konnte.
Etliche trugen dieſelbigen Leibröcklein mit Senkeln zuſammenge-
knüpft und vorne mit ſehr vielen Knöpfen zuſammengeknäffelt.
Desgleichen ſind die Aermel ſehr eng und alſo voller Knöpfe ge-
weſen, daß an der ganzen Länge eines Aermels ein Knopf an dem
andern befeſtigt war. Etzliche aber und beſonders diejenigen, ſo
etwas Vornehmes ſein wollen, hatten an einem Kleid in die fünf,
[219]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
auch wohl ſechs Schock Knöpf und dermaßen eingepreßt, daß ſie
ſich nicht bücken oder die Erden mit der Hand berühren mögen.
Die Rittermäßigen ließen ſich auf gemeldte Röcklein über die
Lenden von Tuch anderer Farben Sträme, gleich als Rittergürtel
aufziehen. Etzliche trugen auch auf der Bruſt mit Baumwollen
gefütterte und ausgefüllte Bruſtlätze, auf daß es ein Anſehen ha-
ben müßte, gleich als wenn der Mann ſo wohl gebrüſt wäre als
eine Weibsperſon, und pflegten alſo dieſelbigen falſchen Brüſte,
Bäuche gar ſehr einzuſchnüren. Kurz vor dieſem pflegte man
eine ehrliche Kappe oder Gugel von ſechs oder ſieben Ellen Tuchs
zu tragen, aber dazumal trugen die Böhmen feine geſchmeidige
Käpplein oder Guglichen, alſo daß aus einer Ellen Tuch mehre
werden konnten. Um den Hals herum trugen die Reichen einen
ſilbernen Text und die Armen einen zinnernen, und hatten alſo
beſchlagene Krägen nicht anders als die engliſchen oder Schaaf-
hunde, damit ihnen die Wölfe nicht Schaden thun ſollten. Ein
Theil trugen dieſelbigen Hauptkäpplein ganz zugeknäffelt von der
Unterkehle an über die Naſe bis an das Geſicht ganz zugemacht
oder mit ſilbernen Spangen zuſammengeheftelt, gingen alſo
herum, machten das Antlitz nicht eher auf, bis ſie eſſen und trin-
ken ſollten. Darnach pflegten ſie auch dieſelbigen Käpplein zu
tragen, oben auf dem Kopf über ſich mit Trollern. Die Schuhe,
ſo ſie antrugen, waren von rothem Leder, mit langen Spitzen
gleich den Storchsſchnäbeln gemacht, daß man nicht geraum da-
rinnen gehen können. Alſo iſt dazumal das Böhmerland mit der
fremden und ſchändlichen Tracht häßlich verderbt worden, und
hatte eine unerhörte Hoffart überhand genommen.“


Daß dieſe Thorheiten der Mode, welche um das Jahr 1380
noch lange nicht ihren Höhepunkt erreicht hatten, auch in mehr-
facher Weiſe Oppoſition gefunden, haben wir bereits oben darge-
legt. Es beſtand aber dieſelbe nicht bloß in der väterlichen, ſitten-
meiſternden Fürſorge der Stadtobrigkeiten oder in den gelegent-
lichen Strafpredigten der Geiſtlichkeit, wie in den Ergüſſen didac-
tiſch-ſatiriſcher Dichter, ſondern ſie iſt ebenſowohl an den Trachten
ſelbſt und vorzugsweiſe auch bei den höheren Ständen erkenn-
[220]II. Das Mittelalter.
bar. Nicht ehrwürdige Matronen ſind es, die wir vor Augen
haben, ſolche, welche, der Welt- und Jugendluſt entſagend, ſich
nonnenhaft in weite, faltig gegürtete Kleider hüllen, und den
Kopf mit Haube und Kinntuch bis auf das Geſicht dem Anblick
entziehen und keinerlei Form des Körpers erkennen laſſen; nicht
Greiſe, die mit dem Leben abgeſchloſſen haben und vor dem frie-
renden Alter ſich mit warmen, langen Gewändern decken: ſon-
dern Damen, Fürſtinnen und Edelfrauen, die noch in der Blüthe
der Schönheit und der Fülle des Lebens ſtehen und dem Schmuck,
dem Reichthum und einem reizend anmuthigen Aeußern nicht ent-
ſagen wollen, aber allen Thorheiten und Extravaganzen wider-
ſtreben. Sie folgen der Mode in ihren Hauptrichtungen; wenn
ſie ſich decolletiren, ſo wahren ſie die Gränzen des Anſtandes;
wenn ſie die Kleider ſich den Formen des Körpers anſchmiegen
laſſen, ſo preſſen ſie denſelben nicht ein und verderben nicht mit
der Freiheit die Anmuth zugleich; ſie heben und zeigen nur die
Schönheit des Wuchſes. Wir haben viele Bilder dieſer Art vor
Augen, mehr noch engliſche und franzöſiſche als deutſche, denn
in Deutſchland war es von jeher ſo, daß man gern die aus der
Fremde gekommenen Moden ins Uebermaß verkehrte. Aber auch
hier ſind ſie häufig zu finden. *) Auf dem Haar, das nach alter
Weiſe in aufgelöſeten Locken über den unverhüllten Nacken herab-
wallt, ſitzt eine keineswegs ſteife Krauſe mit dem Schleier, der
nach hinten herabfällt; auf beiden ruht die Krone. Das Kleid,
mit mäßigem Ausſchnitt rund umher Nacken, Schultern und
einen Theil der Bruſt entblößend, ſchmiegt ſich dem Oberkörper
an, aber unterwärts fällt es in reichen Falten herab. Ein breiter
Streifen, meiſt goldgewirkter Stoff oder Hermelin, zieht ſich vorn
von der Bruſt herab, und quer darüber legt ſich um die Hüften
der reiche Gürtel von geſchlagenem, gegliedertem Metall. Ein
weiter Mantel, deſſen beide Haften auf der Bruſt durch eine breite
Borte verbunden ſind, hängt loſe um die Schultern und fällt
auf den Boden herab; ein koſtbarer Hermelinſtreif, der unten
[221]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
fußbreit iſt, bildet die Säume. Denken wir uns auch mit Her-
melin oder anderem edelen Rauchwerk, Zobel oder Veh oder
Kleinſpalt, den goldbrokatnen Stoff unterfüttert, den Hals von
Perlſchnüren umwunden, und andere ſich durch das Haar ſchlin-
gen — dann haben wir in einer ſolchen Dame ein Muſterbild,
das an Reichthum und nobler Eleganz eine würdige Vertreterin
des höchſten Standes iſt, und eine Tracht, die an wahrer Schön-
heit nicht leicht zu übertreffen iſt.


Noch reicher und doch ohne eine Spur von Ueberladung
wußten damals die engliſchen und franzöſiſchen Damen dieſen
Anzug zu machen, indem ſie über dem Kleid noch ein koſtbares
Leibchen trugen, welches, halb hängend, halb anſchmiegend, ge-
eignet war die Schönheit des Wuchſes zu heben, indem es in
gleicher Weiſe zeigte und errathen ließ. Dieſes Leibchen, das
nicht höher zum Halſe hinaufging als das Kleid und eben über
die Hüften ſich herabſenkte, war gewöhnlich ohne Aermel und
meiſt an den Seiten unter den Achſeln tief ausgeſchnitten. Häufig
beſtand es ganz aus Hermelin, oder aus Gold- und Silberſtoff,
an allen ſchön geſchweiften Säumen von Hermelin umzogen. Oft
ſcheint es nur das Gerippe eines Kleidungsſtückes zu ſein, indem
dieſe Pelzſtreifen allein daſſelbe bilden, welche, auf der Bruſt mit
einander befeſtigt, von den Schultern herab um die Hüften und
wieder aufwärts zum Rücken laufen. In Deutſchland erſcheint
dieſes Leibchen ohne Vergleich ſeltner, und kaum je im Bürger-
ſtande.


Aber angeſehene Geſchlechterinnen der deutſchen Städte hul-
digen ähnlichem Geſchmack, und vermeiden die Uebertreibungen,
ohne der Mode zu entſagen. So die Gudela von Holzhauſen,
eine vornehme Frankfurterin *), die auf ihrem Grabſtein gleich
einfach und natürlich mit Mantel und Rock bekleidet iſt, von de-
nen ſich der letztere ohne ſteifmachende Einengung dem Oberkör-
per anlegt. Ihr Gemahl repräſentirt den vornehmen Städter in
gleichem Sinne. Er trägt den anliegenden Rock, der von oben
[222]II. Das Mittelalter.
bis unten geſpalten und mit kleinen Knöpfen geſchloſſen iſt.
Ebenſo die Unterarme. Aber der Rock reicht bis zum Knie und
die Enge erſcheint nicht übertrieben. Der lange Mantel iſt auf
der rechten Schulter geknöpft und hängt bis auf die Füße herab;
eine Gugel liegt locker um die Schultern. Von ähnlichem Geiſte
getragen erſcheinen zwei Mitglieder des Lübecker Patriziats, der
Rathmann Johannes Klingenberg (geſtorben 1356) und der
Bürgermeiſter Bruno von Warendorp (geſtorben 1369), deren
Bilder, in koſtbare Bronceplatten lebensgroß eingegraben, ſich in
der Petri- und Marienkirche zu Lübeck befinden. Ihnen reichen
die Röcke faſt bis auf die Füße herab. Von unten her ſind ſie in
der Länge des Beines vorn aufgeſchnitten und nicht ohne Schmuck;
am Oberkörper liegen ſie in ziemlicher Enge an, beim Bruno von
Warendorp ſelbſt mit Knopfbeſatz bis zum hängenden Gürtel
herab. Die Gugel, die der ältere Klingenberg trägt, hat ſich bei
dem andern in einen kleinen Schulterkragen mit kurzen Zacken,
den Goller, verwandelt. Die Schuhe, oben mit einem Ausſchnitt
und mit einem an der Seite feſtgeſchnallten Riemen, bedecken den
Fuß in natürlicher Form ohne Spitze. —


b. Die Thorheiten der Mode: Hängeärmel, Schellen,
Schnabelſchuhe und Farbenallegorie.

Während die in Letzterem geſchilderte reiche, noble und doch
einfache Kleidung noch länger unter den höchſten Schichten der
Geſellſchaft, an Fürſtenhöfen mehr noch als beim ſtädtiſchen Pa-
triziat, Freunde und insbeſondere Freundinnen findet, ſelbſt ſo
lange, bis ſie mit den Trachten der Reformationszeit zuſammen-
fließt, — währenddeß wächſt die Luſt am Barocken, am Narren-
haften ſelbſt, auf Koſten der Schönheit, der Bequemlichkeit und
des geſunden Menſchenverſtandes noch ununterbrochen. Solche
Zuſtände, wie ſie oben von Wien und Böhmen geſchildert wor-
den ſind, ſtehen noch lange nicht auf der Höhe des Zeitgeſchmacks.
Ehe wir aber zu den feinſten und charakteriſtiſchſten Blüthen deſ-
ſelben, Schellen und Schnabelſchuhen, übergehen, wollen wir die
[223]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Veränderungen ſelbſt darlegen, welche an den Trachten in derſel-
ben Zeit vor ſich gingen, als jene Moden culminirten, gegen das
Jahr 1400 und in den nächſtfolgenden Jahrzehnten.


Von vorn herein müſſen wir darauf Verzicht leiſten, dieſe
bunte Welt in ihrem ganzen Reichthum erſchöpfend darſtellen zu
wollen. Wie in allen Dingen der Einzelne dem Althergebrachten
und Allgemeingültigen entgegentrat und ſich vom Geſetz loszu-
ringen ſuchte, ſo ſchien auch auf dieſem Gebiet, der unerbittlichen
Mode zum Trotz, die individuelle Laune allein die Herrſchaft zu
führen. Dem erfinderiſchen Kopf des einzelnen Modenarren —
es iſt das eben der Charakter dieſer Zeit — blieb alles überlaſſen.
Und ſo ſchoß eine ſo außerordentliche Menge verſchiedenartiger
Formen hervor — „als vor niemals iſt gehört worden“, ſagt die
Chronik —, daß allein noch die nächſtfolgende Zeit, die zweite
Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts, ſiegreich damit zu wetteifern
vermag. Der Verſuch würde vergeblich ſein, ein Bild derſel-
ben in Worten zu geben, da ſie eben wegen ihrer Abſonderlich-
keit, man kann oft ſagen wegen ihrer Formloſigkeit, ſich aller
Beſchreibung entziehen. Indeſſen wie willkürlich auch immer er-
ſonnen, wie widerſpruchsvoll dem Anſcheine nach, ſind und blei-
ben ſie doch Kinder ihrer Zeit, aus demſelben Geiſte geboren und
folgen ſeinen Geſetzen. Dieſe bilden den Ariadnefaden, an wel-
chem wir uns in dieſem Labyrinth des funfzehnten Jahrhunderts
zurecht finden wollen. —


In der Männerwelt blieb bei der gewöhnlichen Kleidung
die Enge und Kürze das allgemeine Beſtreben wie bisher in mög-
lichſt geſteigertem Maße. Denn der vorn zugeknöpfte Schecken-
rock, der nach wie vor die gewöhnliche Tracht des Mannes blieb
und ohne Oberkleid getragen wurde, wenn nicht die Kälte oder
beſondere Veranlaſſung dazu nöthigte, erreichte in den beiden
letzten Jahrzehnten des vierzehnten Jahrhunderts nicht mehr die
Oberſchenkel. Da ſich nun das lange Beinkleid aufs allerengſte
anlegte und jedes Glied zwar verdeckte, aber in ſeiner Form aufs
genauſte markirte, ſo lag einer ehrbaren Obrigkeit damaliger Zeit
eine Verordnung nicht fern, wie ſie im Jahr 1390 zu Conſtanz
[224]II. Das Mittelalter.
erlaſſen wurde, daß „wer in einem bloßen Wamms zum Tanz
oder auf der Straße gehe, der ſolle es erbarlich machen und ſeine
Scham hinten und vorne decken, daß man die nicht ſehe.“ Nur
an den Aermeln erlitt die Schecke alsbald eine Veränderung, in-
dem ſich dieſelben von den Schultern ab erweiterten, und offen
und weit um die Arme flatterten. Unter ihnen aber erſcheinen
andere völlig enge Aermel, welche am Handgelenk ſchließen und
mit einem oft gezackten Vorſtoß die Hände bis zu den Fingern
bedecken. Dieſer Vorſtoß konnte manſchettenartig zurückgeklappt
werden. Es iſt möglich, daß die offenen Oberärmel nur ein über-
flüſſiger Behang des Rockes waren, aber es erſcheinen auch die
untern einer weſtenartigen Jacke, dem Wamms, zugehörig, an
welches das Beinkleid auf den Hüften mit Neſteln und Bändern
befeſtigt war — eine Tracht, wie ſie an Werkleuten bei der Ar-
beit, bald aber auch bei vornehmen Leuten zum öftern ſichtbar
wird.


Die weiten, offenen Aermel, zunächſt noch der Schecke,
dann dem Trappert angehörig, machen in den nächſten Jahr-
zehnten, gleichmäßig an Männern wie an Frauen, eine ganze
Reihe von Lebensſchickſalen durch. Zuerſt erweitert ſich die Oeff-
nung in dem Maße, daß die Ränder auf den Boden fallen. Mit
dieſer Maſſe von Stoff, nicht ſelten noch ſchwer mit Pelz gefüt-
tert, die vom Arm herunterhing, war jede Bewegung deſſelben ſo
gehindert, daß ein Auskunftsmittel nöthig war. Man fand es,
indem man den Aermel vorn der Länge nach aufſchnitt, ſodaß die
Maſſe nunmehr von der Schulter herabfiel. So war es aber
eigentlich nur ein breiteres oder ſchmäleres Stück, auf der einen
Seite Sammet, Seide oder Wolle, auf der andern Hermelin oder
ſonſtiges Rauchwerk, welches von der Schulter herab nach hinten
auf den Boden fiel und nachſchleppen konnte, ſoweit es nicht
vom Geſetz beſchränkt war. Beider Formen, der offenen Aermel
wie der hängenden, bemächtigte ſich die Zattelluſt, indem die
Ränder mit tieferen oder kürzeren Einſchnitten verſehen oder mit
blatt- oder federartig umzackten Bändern beſetzt wurden. Von
ſolchen Bändern wurde oft eine Reihe über die andere geſetzt.
[225]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Sie waren von Seide, gewöhnlich von anderer Farbe als das
Kleid, zuweilen mit Pelz gefüttert und mit kleinem Schmelzwerk,
mit Perlen und anderm Zierrath benäht. So ſehr wurden die
Zatteln ein Liebling der Mode, daß ſie ſelbſt der Ritter in der
Rüſtung nicht entbehren mochte; nicht ſelten ſehen wir ſie hell-
farbig zu allen Fugen herausdringen und bis auf den Boden hin
den Eiſenmann umwallen.


Seit dem Jahr 1420 etwa bildete ſich noch eine andere Art
von Hängeärmeln aus, die man Sackärmel nennen könnte. In
der That ſind es vollkommene Säcke, welche von den Schultern
bis gegen den Boden herabreichen. Die Arme ruhten verborgen
in ihnen; nur oben hatten ſie ein kleines farbig oder mit Pelz-
werk gefaßtes Loch, aus welchem bloß die Hände, höchſtens auch
die Unterarme ſich ſehen ließen. Bei heftigen Bewegungen, wie
z. B. bei dem unter Männern und Frauen beliebten Ballſpiel,
wurden die hängenden Säcke oben am Körper befeſtigt. — Alle
drei Formen der Hängeärmel, obwohl nach einander entſtanden,
wurden noch neben einander getragen.


Die Sackärmel trug der Mann nicht mehr am Scheckenrock,
denn dieſer war zu derſelben Zeit, in der erſten Hälfte des funf-
zehnten Jahrhunderts, unter den mannigfachen Formen des Trap-
perts eine kurze Zeit verſchwunden, um in neuen Geſtalten wieder
aufzuleben. Gegen das Jahr 1400 hatten ſich die langen und
weiten Oberkleider wieder mehr Geltung verſchafft, und wie man
einerſeits ſich möglichſt kurz, knapp und geſpannt kleidete, prunkte
man andrerſeits wieder mit einer Ueberfülle von Stoff. Wenn
wir aber vom Gebrauch des Trapperts in ſeiner Bedeutung als
Paletot abſehen, ſo galt die Mode mehr an Fürſtenhöfen und im
Hofceremoniell, denn im gewöhnlichen Leben. Wenigſtens war
es in Deutſchland ſo. Dagegen ſcheint die lange Kleidung in
England namentlich unter der Regierung des weiblich ſchwachen
und eitlen Richard II. allgemein geweſen zu ſein. Der ganze
Körper mitſammt Armen und Händen iſt von einer Maſſe bun-
ten Stoffes in abenteuerlichem Schnitt weit umhüllt; ringsum
zackig eingeſchnitten, fällt er nachſchleppend auf den Boden. Am
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 15
[226]II. Das Mittelalter.
Halſe ſtößt ein hochaufgerichteter ſteifer Kragen unter das Kinn
und geht im Nacken hoch hinauf, in Folge deſſen das Haar rings-
um über den Ohren kurz abgeſchnitten iſt. So trägt ſich Ri-
chard II., ſo auch noch Heinrich V., der Sieger von Azincourt
und der Freund Falſtaffs. Ein ähnliches Obergewand finden
wir in Deutſchland, aber eigentlich nur als ceremonielle Fürſten-
tracht. Es iſt ein weiter Oberrock oder Trappert, über den Hüf-
ten faltig gegürtet, meiſtens mit weiten, offenen Aermeln und
bis zu den Füßen herabreichend; an den Rändern iſt er gezattelt
oder ſchlicht, mit Rauchwerk verbrämt oder buntgefaßt. Auf Bil-
dern dieſer Zeit unterſcheidet er den Herrſcher von ſeinen Rittern.
Dieſe tragen über der Jacke oder dem Scheckenrock gewöhnlich
einen kürzeren Trappert bis zu den Knieen, von ziemlicher Weite
und ebenfalls über der Hüfte gegürtet. Ungezattelt und pelzver-
brämt ſehen wir ihn nicht ſelten auf Bildern der kölner Schule.
Auf den Bildern zum Ritter von Stauffenberg (1430) hat er
einen kleinen, den Hals bedeckenden Stehkragen, mit weiten, an
den Händen geſchloſſenen Aermeln, über den Hüften zuſammen-
geſchnürt und unten mit langen, gefiederten Zatteln. Oft gleicht
er nur einem langen, pelzgefaßten Stück Tuch mit einem Haupt-
loch in der Mitte, ſodaß die Seiten vorn und hinten herabfallen:
es iſt der Urſprung des ſpätern Heroldshemdes — ein Beiſpiel,
wie überhaupt Amtstrachten entſtanden ſind, gleich den Volks-
trachten ſtehen gebliebene Ueberreſte einer früheren allgemeinen
Mode. Beim ehrbaren Handwerksmann iſt der Trappert um das
Jahr 1430 eine weite, am Halſe eng anſchließende Glocke, an
den weiten Aermellöchern und am untern Rande mit Fuchspelz
verbrämt.


Eine bedeutende Veränderung ging mit der Kopftracht
vor ſich, indem ſich die Gugel gegen das Ende des vierzehnten
Jahrhunderts aus der nobeln Welt zurückzog und in ſehr man-
nigfacher Weiſe erſetzt wurde. Der Mangel aller und jeder Ele-
ganz, der ihr anklebte, gleichſam als Erbtheil ihres gemeinen Ur-
ſprungs, trotz bunten Schwänzen, Perlſchnüren und Goldborten,
ſtürzte ſie ſchon nach wenigen Jahrzehnten ihrer Herrſchaft. Aber
[227]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
um der großen Bequemlichkeit willen und wegen ihrer unläugba-
ren praktiſchen Vorzüge blieb ſie noch längere Zeit beim Bürger,
namentlich aber dem Bauer und dem Jägersmann eine beliebte
Tracht: Falkeniere tragen ſie im funfzehnten Jahrhundert, die
mit dem Falken auf der Fauſt ihre Herren oder die Damen zur
Reiherbeize begleiten, der Bauer hinterm Pflug und der Handels-
mann auf der Reiſe, doch alle als praktiſche Leute ohne den lan-
gen Luxusſchwanz. Der Städter, auch wohl der Bauer veränderte
noch ein wenig ihre Geſtalt, indem er ſie oben abſtumpfte
und noch den Filzhut darauf ſetzte. — Der vornehme Mann be-
hielt mit Hinweglaſſung der Kaputze noch eine Zeit lang den
Kragen um die Schultern, den er auch wohl mit dem Rock ver-
band. „Auch hatten die Männer Wämmſer von Parchent,“ heißt
es in einer Beſchreibung der Kreuzburger Trachten dieſer Zeit,
„mitten waren dopple Krägen von Tuch, mit Teig zuſammenge-
kleiſtert.“ Aber die Mode war nicht von langer Dauer. Die
Schecken oder Lendner wurden immer ſo getragen, daß der Hals
frei war, und nur der Trappert reichte zu Zeiten unter das Kinn.


Die Gugel bedurfte aber eines Erſatzes. Er wurde durch
Mützen und Hüte gegeben, die beide gleiche Anſprüche auf
Eleganz machten. Die Mützen hatten einen mehr oder weniger
ſteifen Rand, aus welchem oben eine Maſſe überflüſſigen Stoffes
nach vorn, nach hinten oder ſeitwärts loſe oder ſackförmig herab-
fiel. Es war ein tauſendfach geſtaltiges Ding, dieſe Mütze; ein
Griff der Hand, der den Stoff herein oder herauszog, nur eine
geringe Veränderung im Aufſetzen konnte der Mütze und dem
Geſicht zugleich einen ganz anderen Ausdruck geben. Dann kam
noch die Zattelluſt hinzu, und dieſe Zacken oder blätterartigen
und gefiederten Bänder umflatterten kindlich-fröhlich den Kopf.
Dieſe Mode hielt in Deutſchland lange an, ſelbſt bis zum Aus-
gang dieſer Periode, da ſich die Mütze in das Barett verwan-
delte.


Auch die Filzhüte ſtiegen herauf aus den niederen Sphä-
ren der Geſellſchaft, aus der Praxis des Lebens, um ſpäter vor
der Alleinherrſchaft der Barette wieder dahin zurückzutauchen und
15*
[228]II. Das Mittelalter.
ſo noch öfter dieſen Weg auf und ab zu machen. In der erſten
Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts aber und am burgundiſchen
Hofe hatten ſie entſchieden den Vorrang. Damals verleugneten
ſie ihren Urſprung noch nicht. Der Filzhut erſcheint um das Jahr
1400 in der höhern Geſellſchaft ganz in derſelben Grundform,
wie ſie ihm zu allen Zeiten und noch heute geblieben iſt: ein
mäßig hoher gerundeter Deckel mit etwa handbreitem Rande, oder
etwas mehr, in ſeiner allbekannten grauen Farbe. Die Form
blieb dieſelbe, wenn der Filz durch Marder oder Wolfspelz erſetzt
wurde. So lange dieſer Hut noch neue Mode war, konnte er
in ſolcher Geſtalt dem geckenhaften Geſchlecht zuſagen, wie vor-
dem die Gugel, aber die Einförmigkeit mußte bald langweilig
werden, da die Erfindungsgabe wenig mit ihm anfangen konnte.
Was half es viel, daß man den Rand mehr hinaufbog, ihn ein
wenig breiter oder ſchmäler machte, ihn halbirte und die eine
Hälfte hinauf, die andere herunterkrämpte? was half es, daß
man den Hut färbte und ſogar bunt in getheilter Weiſe, die eine
Hälfte blau, die andere gelb, oder den Rand grün, den Deckel
roth? was half es, daß man ihn mit Federn beſetzte, mit Gold-
ſchmuck, ſelbſt mit Kronen den Rand umzog? — er blieb eben
der alte Filzhut, geſchmeidig und nachgiebig auch dem eckigſten
Kopf, aber allen Launen der Mode, allen willkürlichen Erfindun-
gen paſſiven Widerſtand entgegenſetzend. Da gab man es auf,
ihn viel zu beſſern, und was an ihm ſelbſt verlorne Mühe ſchien,
Befriedigung der phantaſtiſchen Eitelkeit, gelang um ſo beſſer an
der Zierde, mit der man ihn verſah, an der Sendelbinde.


Dieſe Binde hat ihren Namen von dem leichten, ſeidenen
Stoff, Sendel oder Zendal, aus welchem ſie meiſtens gemacht
wurde. Es war ein ſchmaler Streif, gewöhnlich von leuchtend
heller Farbe, hochroth, gelb oder hellgrün. Mit dem einen Ende
am Rande des Hutes befeſtigt, war ſie ſo lang, daß ſie mit dem
andern wenigſtens den Boden erreichen konnte. Aber man trug
ſie nicht in dieſer Weiſe. Man wand ſie erſt einmal um den
Hut, ließ ſie dann auf die Schulter fallen und legte ſie vorn über
die Bruſt und die andere Schulter, von wo ſie hinten herab fiel
[229]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
bis gegen die Beugung des Knies. In dieſer Manier trug man
ſie vorzugsweiſe um das Jahr 1430, aber grade ſo tragen ſie
ehrbare Krämer und Handwerksleute von Hamburg, die in jener
luxuriöſen Zeit eines beſcheidenen Schmuckes nicht entbehren
wollten, noch gegen das Jahr 1500. Andere wanden ſie mehr-
mals um Hals und Kopf, oder legten ſie an die Mütze, oder
drehten ſelbſt eine daraus. Später umwickelte man auch die be-
liebte Turbanmütze damit. Aber an dieſen und ſo vielen andern
Weiſen hatte ſich die Erfindungsgabe und Modelaune noch nicht
erſchöpft. Man begnügte ſich nicht mit einer Sendelbinde, man
verband mehrere bis zu einem Dutzend, man zattelte ſie und hing
an die Enden allerlei curioſe Dinge, als da ſind: ausgeſchnittene
Sterne, Blumen, Blätter, Kreuze u. ſ. w.


Wenn die jungen Ritter und die Elegants der Stadt ſich
in Geſellſchaft der Damen befanden, ſei es zu Hauſe oder ſom-
merlich im Freien bei heitern, geſelligen Spielen, oder auch im
eigenen Hauſe, ſo hatten ſie noch einen beſondern Schmuck für
das Haar. Wir wiſſen ſchon, daß ſie Pomade und Brenneiſen
nicht ſchonten, um das lange Haar im zierlichſten Lockengebäude
zu friſiren. Oft war der Kopf mit lauter kleinen, aufgerollten
Locken umlegt, oft ſenkten ſich vom Scheitel her die ſchön gewickel-
ten Spiralrollen, eine an der andern ſenkrecht bis gegen die
Schulter; zuweilen ſtrebten dieſe Herren auch wie Roués nach
ſcheinbarer Nachläſſigkeit, ja Wildheit, indem ſie die Haare kraus
durch einander weit vom Kopfe abſtehen ließen. Um die Locken-
friſur zuſammenzuhalten und das Geſicht vor ihnen zu ſchützen,
behielt man den alten Gebrauch der Reife und Ringe bei, aber
veränderte ſie vielfach in Form und Anwendung, indem man
z. B. ſtatt des Metalls farbige, ſeidene Bänder oder bunte ge-
wundene Schnüre herumlegte. Suchenwirt erzählt von einem
jungen Ritter, der das Glück hatte, eine reiche Wittwe zu hei-
rathen: ſie giebt ihm Silbergürtel, reich Gewand und „in den
Zopf ein ſeiden Band.“ Der Zopf bedeutet hier nichts weiter als
das lange Lockenhaar. Dieſe Bänder und Reife hatten gewöhn-
lich über der Stirn eine ſilberne oder goldene Agraffe, in welcher
[230]II. Das Mittelalter.
eine hohe Straußfeder oder ein Reiherbuſch oder die Schwanzfeder
des Pfaus, das ſogenannte Auge, ſteckte. Man nannte ſie daher
Federkränze.


Das Geſicht glatt zu tragen blieb die vorherrſchende Mode
des ganzen funfzehnten Jahrhunderts. Es gab ſelbſt Fälle, wo
der Bart für eine Schande galt. So lautete ein Paragraph bei
Vollziehung des Ritterkampfgerichts in Schwäbiſch-Hall: wer
verwundet werde und ſich dem andern ergebe, der ſolle hinfort
geachtet ſein erblos, auf keinem Pferd mehr ſitzen, ſeinen Bart
nicht ſcheren
, weder Wehr noch Waffen tragen und zu allen
Ehren untauglich ſein. In Frankreich herrſchten ähnliche Be-
griffe. Da gelobte einſt ein Ritter, der von dem mächtigen Gra-
fen von der Mark ſchwer beleidigt war, in der Meinung, daß er
nun ehrlos ſei, bei allen Heiligen, daß er ſich nicht „nach Ritter-
mode“ wollte ſcheren laſſen, bis er würde gerächt ſein. Er hielt
ſein Gelübde, bis daß er einſt ſeinen Feind gedemüthigt mit
Gemahlin und Kindern vor dem Könige auf den Knieen liegen
und um Gnade flehen ſah. Da ließ er ſich ſogleich den Bart ab-
nehmen, in Gegenwart des Königs, des Grafen von der Mark
und aller derer, welche grade zugegen waren. — Ausnahmen je-
doch machten auch jetzt wie früher, ſeitdem der oben erwähnte
Schnurrbart wieder verſchwand, die Würde und das Alter. In
dieſen Regionen iſt der Vollbart, kurz gehalten und faſt immer
mit glattraſirter Oberlippe, keine Seltenheit. Nur Kaiſer Sig-
mund trägt dazu noch einen mächtigen hängenden Schnurrbart,
nach Weiſe ſeiner ſlaviſchen Unterthanen. Die franzöſiſchen und
engliſchen Könige bis auf Karl VIII. und Heinrich VII. zeigen
immer ein gänzlich glattes Geſicht. Auch die burgundiſchen Her-
zoge folgen dieſer Mode und Kaiſer Friedrich III. und Maximi-
lian. Miniaturen aber und andere Gemälde zeigen die Häupter
der Erde nicht ſelten mit Kinn- und Backenbart. —


Die Frauenkleidung ging in dieſen Jahrzehnten, was
Pracht, Ueppigkeit und widerſinnige, entſtellende Formen betrifft,
ſowie in vielen Einzelheiten, denſelben Weg wie die der Männer.
Wir haben ſchon oben geſehen, wie ſich die langen Aermel bei
[231]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Männern und Frauen ganz gleich entwickelt hatten. Die offenen,
weiten Aermel und die engen darunter mit dem Handvorſtoß,
die langen aufgeſchnittenen Schleppärmel, die Sackärmel, ſie wa-
ren beiden gemeinſam, doch ſtanden ſie den Frauen naturgemä-
ßer, weil langſame, abgemeſſene Bewegungen, wie ſie dadurch
geboten waren, von ſelbſt und durch Sitte ihrem Geſchlecht mehr
zuſtehen als der raſch geſchäftigen Männerwelt.


Aehnlich war es mit der Kopftracht. Auch die Frauen
gaben die ihnen vor allen unkleidſame Gugel auf und trugen
ſtatt derſelben die verhüllende Haube, den Kruſeler oder die Hulle
mit dem Schulterkragen, die ſchon oben beſchrieben iſt. Nur das
Geſicht blieb frei. Aber dieſe höchſt ehrbare, wenn auch unſchöne
Tracht war keineswegs die allgemeine auch nur aller verheirathe-
ten Frauen. Die Jungfrauen waren von ſelber ausgenommen,
und von fürſtlichen Damen, die der Verhüllung widerſtrebten,
trugen ſie nur ältere in vereinzelten Fällen. Auch den Ehefrauen
geſtattete die willkürliche und vielgeſtaltige Mode jener Zeit noch
manche Formen, bei denen ſie mit ſchönem Haar, mit weißem
Hals und Schultern glänzen konnten. Den Schleier und die
Krone darauf, das Haar in Flechten zur Seite aufgebunden und
in ein goldenes Netzwerk gefaßt, oder in freien Locken herabgelaſ-
ſen, ſo finden wir die Kopftracht der Fürſtinnen um das Jahr
1400. Bei jüngeren Damen fürſtlichen Standes fällt das Haar
noch öfter aufgelöſet herab, umſchlungen von einem Stirnband,
ſei es Seide, ein Goldreif oder eine Perlenſchnur. Aber ſeit dem
Beginn des funfzehnten Jahrhunderts verſchwindet dieſe ſchöne
Tracht auch aus dem kleinen Kreiſe, in welchem ſie ſich noch ge-
halten hatte: die Locken weichen den aufgebundenen Flechten, ſo-
daß auch der Nacken frei wird. Reicher Schmuck war damit ver-
bunden, nach Maßgabe des Vermögens und Standes und ſoweit
das Geſetz es erlaubte oder nicht zu hindern vermochte. Die
Kränze, einfache und mit Roſetten und Steinen geſchmückte Gold-
reife, Perlſchnüre, Bänder mit Federn und Blumen waren der
Damen urſprüngliches Eigenthum, und nur eine weibiſche Putz-
ſucht hatte ſie damals auch zur Tracht der Männer gemacht. Den
[232]II. Das Mittelalter.
größten Luxus hierin trieben wohl die Damen Piacenzas. Sie
gingen gern in bloßem Kopfe und bedeckten ihr Haar mit gewun-
denen Gold- und Silberblättchen, mit Perlen und Edelſteinen
im Werth von 70 bis 100 Ducaten, und durchſchlangen es mit
Perlſchnüren im Werth von 100 bis 125 Ducaten. Wie neidiſch
mögen die ſchönen und doch ſo reichen Ulmerinnen geweſen ſein,
die nur mit einer einzigen und nicht koſtbaren Perlſchnur das
Haar ſchmücken durften!


Mehr und mehr wurde es ſeit dem Beginn des funfzehnten
Jahrhunderts Sitte, das in ſtarken Flechten um die Ohren ge-
legte Haar mit rothen oder goldenen Säckchen haubenartig zu be-
decken und dieſelben netzförmig mit Perlen und Steinen zu be-
ſetzen. Mit koſtbarer Nadel war dann ein feiner, auch goldgeſtick-
ter Schleier vorn über der Stirn befeſtigt. Er war ſo lang, daß
er auf den Boden herabfallen konnte, doch die Damen drappirten
ihn um ſich gleich der Sendelbinde. So iſt der Kopfputz der
ſchönen Fee auf den Bildern zum Ritter von Stauffenberg und
auch der, den des Königs Nichte trägt, da ſie nach dem Tode
ihres jungen Gemahls zum Kloſter reitet, während beim feſtlichen
Turnier und beim Hochzeitsmahl eine goldene Krone über ihrem
Schleier ruht. An ſeinem Sterbebett aber hat ſie den Kopf mit
einem langen weißen Tuch ſchleierartig verhüllt. Es iſt die alte
„Riſe“, welche bei ehrbaren Frauen fort und fort das ganze funf-
zehnte Jahrhundert hindurch in mancherlei Geſtalt eine Rolle
ſpielt. Oft mag es ſo fein geweſen ſein, daß es einem Schleier
gleichkam. In der Drappirung dieſes weißen, bisweilen goldge-
ſäumten und feingezackten Tuches, wie es um das Haupt gelegt
wurde, verhüllend und andeutend, wie es von der Schulter ſanft
herabfloß, konnten die Damen wie die Künſtler, allen Ungeſtal-
ten jener Zeit zum Trotz, wirklichen und hohen Schönheitsſinn
offenbaren. Ich erinnere hier an den ſchönen Grabſtein der Agnes
Bernauer (geſt. 1435), der dem Tode und dem Leben zugleich
nachgebildet iſt *): das liebliche im Tode entſchlafene Geſicht iſt
[233]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
von einem derartigen feinen Tuche mit geſticktem und gekrauſtem
Rande umzogen, welches am geneigten Haupt herunter über die
Bruſt und die linke Schulter gelegt iſt. Solche einfache Schön-
heit vermochte den bizarren Geſchmack aber nur ſelten zu befrie-
digen, und ſo ſtellten ſich auch an dieſem Kopftuch die Zatteln
und Zacken in reichlichem Maße ein und umflatterten buntfarbig
das Geſicht.


Die hohen franzöſiſchen Coiffüren fanden damals in Deutſch-
land noch wenig Eingang. Auch die turbanartigen Hauben, die
aus runden, um den Kopf gelegten und mit Seide oder dem
Schleier umwundenen farbigen Wülſten beſtehen und vorn mit
Agraffe und Feder verziert ſind, zeigen ſich nur vereinzelt in der
erſten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts. Erſt ſeit der Mitte
werden ſie häufiger und nehmen auch phantaſtiſche Formen an.
Um dieſelbe Zeit bedeckt auch zuweilen der buntfarbige Männer-
filzhut den Frauenkopf, auf das geflochtene Haar geſetzt und mit
hoher Feder geſchmückt. Seine Form iſt coloſſal an Rand und
Deckel, eine Mißgeſtalt für einen lieblichen Frauenkopf. Aber
was iſt dem Geſchmack dieſer Zeit unmöglich! —


Die bedeutungsvollſte Veränderung, welche die Frauenklei-
dung am Ende des vierzehnten Jahrhunderts traf und der gan-
zen Erſcheinung einen abweichenden Charakter aufdrückte, ge-
ſchah dadurch, daß das, was wir Taille nennen, hoch unter den
Buſen hinaufrückte. Früher war das Beſtreben geweſen, die
Länge des Leibes bis über die Hüften herab gleichmäßig einzu-
ſchnüren; man hatte die Schlankheit des Wuchſes, auf die man
ſtolz war, in möglichſter Weiſe zu heben geſucht. Jetzt hat es
Mode, Eitelkeit und Demoraliſation darauf abgeſehen, die Fülle
des Buſens zu verſtärken und ſie den Augen erſchreckter Morali-
ſten zum Trotz unverhüllt bloßzulegen. Der Ausſchnitt des Klei-
des, der vorn die halben Brüſte umzieht, geht noch tief den
Rücken hinunter. Statt des hängenden Gürtels, des Dupfings,
der jetzt aufgegeben wird oder nur als Schellengürtel bleibt, tritt
der gewöhnliche wieder in ſeine Rechte ein, rückt aber aufwärts
dicht unter die Bruſt. An reichem Schmuck von Metall, Steinen
[234]II. Das Mittelalter.
und Perlen verliert er dadurch nichts. Die Mode der hohen
Taille herrſcht ſo ziemlich durch das ganze funfzehnte Jahrhun-
dert, namentlich auch am franzöſiſchen und burgundiſchen Hofe;
nur die ſchlankgebauten Damen Albions, ihres Reizes ſich wohl
bewußt, wollen ſich den ſchönen Wuchs noch lange nicht verun-
ſtalten laſſen: ſie ſind die letzten, bei denen die hohen Gürtel
Eingang finden, und die erſten, welche ſie wieder aufgeben.


Der Mantel kam auch jetzt nicht ganz außer Gebrauch,
im Gegentheil erſcheint er als Hoike für die Frauen außerhalb
des Hauſes, auf öffentlicher Straße, auch wohl in der Kirche,
als von einer gewiſſen Nothwendigkeit geboten. Die Obrigkeit
von Hildesheim (1422) verlangte es ſogar ausdrücklich, daß die
Frauen, wenn ſie bei Tage in die Kirche gingen, oder zu Kind-
betten, zu Hochzeiten und dergleichen, daß ſie über ihre ſchönen
Kleider und all ihren Putz die Hoike anlegen ſollten. Mehr und
mehr rückt die Oeffnung des Mantels von der Schulter zurück
auf die Bruſt, und im funfzehnten Jahrhundert wird er wieder
wie früher unter dem Halſe befeſtigt. Die tolle Modelaune drückt
aber auch ihm das Gepräge der Zeit auf. So heißt es in der
Beſchreibung der Moden des Städtchens Kreuzburg um das
Jahr 1400: „Die Weiber trugen auch lange Mäntel mit Falten,
unten weit mit einem zwiefachen Saum, handbreit oben mit
einem dicken, geſtärkten Kragen, anderthalb Schuh lang, und
hießen Kragenmäntel.“ Die Damen von Piacenza, deren Schmuck-
liebe uns ſchon bekannt iſt, bedurften ſogar dreier Mäntel, abge-
ſehen von der Jahreszeit, die für den Winter ein Unterfutter von
Pelzwerk und im Sommer von Sendel erforderten. Es heißt, ſie
beſaßen einen blauen, einen rothen und einen leichteren bunten.
Junge Damen trugen ein kurzes Mäntelchen.


Natürlich brauchten die Damen der Kleider noch mehr als
der Mäntel, zumal da ſie nach wie vor immer zwei trugen. Die
Erzählung des alten de la Tour von dem Ritter und dem Ein-
ſiedler mag uns ungefähr das Maß der Garderobe angeben. Der
Teufel macht St. Michael gegenüber zum Nachtheil der Frau gel-
tend, daß ſie zehn Paar Kleider beſeſſen habe, zehn lange und
[235]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
zehn kurze und noch zehn Oberkleider; die Hälfte, meint er, habe
ihr genügt. Das mag alſo der gewöhnliche Beſitzſtand einer
Dame von Stande geweſen ſein. Wenn der Teufel hinzufügt,
ein langes Kleid, zwei kurze und zwei Oberkleider ſeien genug
für eine einfache Dame, ſo mag das von ſeinem Standpunkt aus
richtig ſein, eine einigermaßen vermögende Frau wird ſich aber
ſchwerlich damit befriedigt haben.


Zur Menge der Kleider kam noch insbeſondere die Koſtbar-
keit der Stoffe hinzu, denn ſeitdem die Seidenmanufactur von
den Sarazenen nach Oberitalien, insbeſondere Lucca, und von
da nach den Niederlanden gekommen war, wurde faſt zur Regel,
was früher Ausnahme geweſen war. Seidene Kleider, ſeidene
Mäntel u. ſ. w. konnten die Obrigkeiten ſelbſt den Bürgerinnen
nicht mehr verbieten. Der Sammet muß immer aufs Neue un-
terſagt werden. Selbſt der Goldſtoff iſt in die Städte zu den
Bürgerinnen gekommen; eine Münchner Schneidertaxordnung
nimmt ausdrücklich Bezug auf ihn und beſtimmt den Lohn für
„einen ganz goldenen Frauenrock.“ Der Goldſtoff hatte farbigen
Grund und darin große Pflanzenmuſter hineingewirkt. Daneben
blieben auch die geſtickten überaus koſtbaren Stoffe in Gebrauch.
Als die franzöſiſche Prinzeſſin Iſabella, Tochter Karls VI., mit
Richard II. von England vermählt wurde, befanden ſich unter
ihrer Ausſteuer ein Kleid und ein Mantel von rothem ächten
Sammet, beſtickt mit goldenen Vögeln von getriebener Gold-
ſchmiedsarbeit, die auf Zweigen von Perlen und grünen Sma-
ragden ſitzen. Ein anderes Kleid, ebenfalls von ächtem rothen
Sammet, war mit Zweigen von Frauenblumen und Ginſter in
Perlen geſtickt und mit Grauwerk gefüttert. — Die deutſchen
Bürgerfrauen bemühten ſich, das nach Kräften nachzuahmen,
doch mochten namentlich über die Aechtheit der Zweifel viele
mannigfach aufkommen. Denn was z. B. die Perlen betrifft,
mit denen ein ſo außerordentlicher Luxus getrieben wurde, ſo war
für deren Fabrication eine eigene Zunft der Perlenmacher ent-
ſtanden. —


Von allen Sonderbarkeiten dieſer Zeit ſind die höchſten
[236]II. Das Mittelalter.
Spitzen die Schellentracht und die Schnabelſchuhe. Die
einen wie die andern ſind zwar für dieſe Periode ihrem Urſprung
nach nicht etwas völlig Neues und Originelles, aber ſie ſind es
doch ſowohl in Bezug auf die Größe, Ausdehnung und Allge-
meinheit, ſowie in Anbetracht der Art und Weiſe, in welcher ſie
getragen wurden.


Wir haben der Schellentracht bereits in der vorigen
Periode zu gedenken gehabt, und wir haben dort einige Beiſpiele
mitgetheilt, wo ſie wirklich an der ritterlichen Tracht erſcheinen,
aber nur als eine außergewöhnliche und ſtutzerhafte Mode. Bei
der Geiſtlichkeit hatte ſie ſich jedoch als zur Tracht ihres Dienſtes
gehörend gefunden. Mag ſie nun ihren Urſprung und ihre Ein-
führung in Deutſchland auf Umwegen von dem jüdiſchen Hohen-
prieſter oder von den Ungarn herleiten, ſo iſt doch für den ſpätern
Gebrauch die Mode durchaus als eine deutſche, Deutſchland eigen-
thümliche zu bezeichnen. Es iſt ſelten, daß man in der Geſchichte
der Moden und Trachten von deutſcher Originalität zu reden hat;
man findet faſt immer, wenn auch die directe Nachahmung nicht
nachgewieſen werden kann, die Vorbilder ein oder mehrere Jahr-
zehnte früher in Frankreich oder Italien. Es iſt nicht ſchade
darum; denn ſtößt man wirklich einmal in dieſem Gebiet auf et-
was, was deutſches Eigenthum iſt, oder bei dem Deutſchen wenn
auch nicht ſeinem erſten Urſprung nach, ſo doch eine in ſeinem
Geiſte originale Entwicklung genommen hat, wie z. B. die mäch-
tige Pluderhoſe des Landsknechts und leider auch der Zopf des
achtzehnten Jahrhunderts, ſo möchte man auch hier den Ruhm
der Erfindung oder des Eigenthums nur zu gern von ſich ab-
wälzen und den Fremden überlaſſen. Die Originalität und
Stärke des deutſchen Geiſtes liegt nicht auf dieſer Seite; wir
können ſolche Geiſtesarbeit ruhig fremden Köpfen überlaſſen.
Nationale Beſtrebungen dieſer Art haben uns nie gelingen wol-
len, und werden es jetzt weniger als je. Wie ſehr auch im vier-
zehnten und funfzehnten Jahrhundert Franzoſen wie Engländer,
der allgemeinen Zeitſtrömung folgend oder vorangehend, ſich in
Extravaganzen gefielen, die Schellentracht wollte keinen Eingang
[237]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
bei ihnen finden. Die Trachtengeſchichte der Engländer kennt ſie
nicht und auch bei den Franzoſen dürfte kaum ein Beiſpiel zu ent-
decken ſein. Wohl aber gab es im funfzehnten Jahrhundert ita-
lieniſche Stutzer, junge Elegants, welche am Geklingel der Schel-
len oder Glöckchen an ihren Kleidern ihre Freude hatten. In der
Fremde galten ſie ſchon früh als deutſche Mode. Ausdrücklich
ſpricht in dieſem Sinne davon ein alter ſchwediſcher Reimchroniſt
bei Gelegenheit, da der mecklenburgiſche Herzog Albrecht, der
ſpätere König, nach Schweden gekommen war (1360):


„Käm’ einer auch noch ſo arm aus deutſchem Land,

So hat er doch ein Schwert in ſeiner Hand,

Er kann tanzen, hüpfen und ſpringen,

Und müſſen ſeine vergoldeten Glöcklein klingen.“

Den Schweden ſcheint aber die deutſche Mode gefallen zu haben.
So ſoll Karl Ulffon einen Hermelinmantel getragen haben, an
welchem jedes Schwänzchen ſeine Schelle hatte, und der Unions-
könig Erich XIII. (um 1400) hat ſich, wie das Bild auf ſeinem
Siegel zeigt, mit Schellen in doppelter Reihe, am hängenden
Gürtel und um die Hüften herum, geſchmückt.


Wenn wir von den vereinzelten Beiſpielen des dreizehnten
Jahrhunderts abſehen, was um ſo mehr geſchehen kann, als ſeit-
dem hundert Jahre hindurch der Schellen keinerlei Erwähnung
geſchieht, ſo begegnen wir ihnen als einer wohl noch auffallenden,
aber nicht ganz ungewöhnlichen Tracht in der Nürnberger Ord-
nung von 1343, in welcher ſie Männern wie Frauen verboten
werden: „kein Mann noch Frau ſoll keinerlei Glocken, Schellen,
noch keinerlei von Silber gemacht hangend Ding an einer Kette
noch an Gürteln tragen.“ Ob dies Geſetz, glücklicher als andere,
Erfolg gehabt hat, iſt ſchwer zu ſagen, doch iſt zu bemerken, daß
die ganze zweite Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts hindurch
die Schellen in keiner ſtädtiſchen Kleiderordnung berückſichtigt
werden. Sie ſcheinen in dieſer Zeit wenn nicht ein Vorrecht, doch
eine Auszeichnung der fürſtlichen und ritterlichen Stände geweſen
zu ſein, bei denen ſie zum öftern erwähnt werden. Wir kennen
ſchon die Stelle des ſchwediſchen Chroniſten. In den Jahren
[238]II. Das Mittelalter.
1370 und 1376 gab der Herzog Otto zu Göttingen große Feſte;
dabei erſchienen die Ritter, die Frauen und Jungfrauen mit gro-
ßer Pracht in Purpurkleidern und „mit klingenden, ſilbernen und
güldenen Gürteln, mit langen Röcken und Kleidern, die gingen
alle ſchurr, ſchurr und kling, kling.“ So erzählt die Göttinger
Chronik, dat olde book genannt. Es exiſtiren noch mancherlei
Standbilder und andere Abbildungen von fürſtlichen Perſonen,
von Kaiſern herab, oft von viel früher lebenden Perſonen, welche
Schellen in verſchiedener Weiſe tragen, aber alle ſind um das
Jahr 1400 oder nicht viel ſpäter gemacht. Man ſetzte damals in
der allgemeinen Volksmeinung den lärmenden Klang der Schel-
len, das Geklingel der Glocken entſchieden mit Hoheit, Würde,
Ruhm und vornehmem Stand in Verbindung. Aeußerer Lärm
für das Ohr und Lärm in der Welt, als Ruf und viel Gerede,
miſchten ſich im Begriff mit einander. Die Urſache lag darin, daß
die Augen des Volks die Schellen zuerſt bei hochgeſtellten oder
hochgebornen Leuten ſah. „Wo die Herren ſein, da klingeln die
Schellen“, lautet daher das alte Sprichwort. Als einmal dieſe
Gedankenverbindung ſtatt gefunden hatte, kümmerte man ſich
dann wenig mehr um den Unterſchied der Zeiten und um hiſtori-
ſche Wahrheit. So giebt es in Braunſchweig ein Standbild
Heinrichs des Löwen aus dieſer Zeit, einen mit Schellen behäng-
ten Gürtel tragend, und ein anderes ſeiner Gemahlin Mathilde
ſcheint ſie an einem Reifen oder Gehenk über die Schulter zu ha-
ben. Es giebt Bilder Kaiſer Heinrichs VI., Ottos IV. und ſeines
Bruders, des Pfalzgrafen Heinrich, und mancher Damen dieſes
erlauchten Geſchlechts der Welfen; es giebt eine ganze Reihe von
Abbildungen der Grafen von Holland, welche im Jahr 1586
Chriſtoph Plantinus zu Antwerpen im Kupferſtich herausgegeben
hat, und viele andere noch — alle mit Schellen behängt: es iſt
aber kein Zweifel, daß ſie ſämmtlich der angegebenen Zeit ent-
ſtammen, der Blüthezeit der Schellen, oder wenigſtens einer nicht
viel ſpäteren, als die Erinnerung noch wach und lebendig, aber
die Sache ſo veraltet war, daß man mit dieſem Schmuck ein
gewiſſes Gepräge des Alters aufdrücken konnte. Zwar haben wir
[239]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
mit Schellen kein Bild der damals lebenden Kaiſer, weder
Karls IV. noch Wenzels, Ruprechts oder Sigmunds, wohl aber
anderer Fürſten, wie des Kurfürſten Rudolf I. von Sachſen (geſt.
1356), welcher ein Wehrgehenk mit birnenförmigen Schellen auf
der Schulter trug. Auch pflegte die Herzogin Anna von Braun-
ſchweig (um 1410) einen Schellengürtel um den Leib zu tragen.
Eine alte Chronik ſagt: „Anno 1400 bis man ſchrieb 1430 war
ſo ein großer Ueberfluß an prächtigem Gewand und Kleidungen
der Fürſten, Grafen und Herren, Ritter und Knechte, auch der
Weiber, als vordem niemals iſt gehört worden; da trug man
Ketten von 4 oder 6 Mark, ſammt köſtlichen Halsbändern, gro-
ßen ſilbernen Gürteln und mancherlei Spangen, auch ſilberne
Faſſungen oder Bänder mit großen Glocken von 10, 12, 15 und
bisweilen von 20 Mark.“ Als Herzog Friedrich von Sachſen
(1417) in Konſtanz feierlichſt ſeinen Einzug hielt, ging ſein gan-
zes Gefolge, Knappen, Ritter und Barone, mit glockenbehängten
Gürteln einher. Es mag ein ſtattliches Geklingel geweſen ſein
und ſeinen Eindruck auf die Ohren der ſtaunenden Menge nicht
verfehlt haben!


Die Schellentracht drängt ſich dem Bewußtſein der Zeit ſo
ſehr als etwas Herrliches, Erhabenes auf, daß man ſie auch my-
thiſchen und heiligen Perſonen umhängte, um ihnen eine rechte
Ehre zu erweiſen — wie man im ſiebzehnten Jahrhundert den
Göttern des Olymps und den Apoſteln Perrücken aufſetzte, ja
ſelbſt den Chriſtuskopf ſich nicht ohne dieſelbe denken wollte. So
prangt in Zerbſt die Rolandſtatue mit Schellen, und das ſteinerne
Standbild des heiligen Mauritius in ſeiner Kirche zu Halle, von
Meiſter Konrad von Eimbeck im Jahr 1411 gefertigt, hat die
Schellen vom Gürtel herab an kleinen Kettchen hängen. Der
„Schellenmoriz“ heißt er davon noch heute. Selbſt die Freuden
des Himmels kann ſich die fromme Seele des Dichters Peter von
Dresden (um 1410) nicht anders denken, als mit Schellenge-
klingel zum Geſang der Engel:


Ubi sunt gaudia?

Nirgend mehr denn da,

[240]II. Das Mittelalter.
Da die Engel ſingen

Nova cantica

Und die Schellen klingen

In regis curia

Eia, wer wir da!

Eia, wer wir da!“

Die lärmende, überfröhliche Feſtluſt, der ausgelaſſene Jubel, der
in jener Zeit an den Höfen wie in den Städten herrſchte und wie
ein Rauſch in toller Weinlaune weder Geſetz noch Sitte und
Sittlichkeit kannte und achtete — die Sittengeſchichte weiß viel
davon zu erzählen, auch ohne der Mummereien und Narrenfeſte
zu gedenken —, dieſes Uebermaß der Luſt war es, was die Schel-
lentracht hervorrief und zur üppigen Blüthe trieb, nicht aber, wie
man glaubt, die Abſicht der hohen Herren, von fern ſchon ihre
Ankunft durch lautes Geklingel anzumelden, um im Gedränge
Platz zu finden. Allerdings war es ſo, daß ſie ſich ſchon weither
hörbar machten, und es iſt daher der Ausdruck entſtanden: „mit
Schall kommen.“


Noch ſpäter finden ſich Anklänge, daß der Gedanke, welcher
die Schellen mit königlicher Pracht in Verbindung ſetzt, fortlebt.
So beſchreibt Rollenhagen im Froſchmeufeler die Tracht des
Mäuſekönigs:


„Der König aber inſonderheit

Hatt’ angethan ein Wunderkleid,

Eines kohlſchwarzen Maulwurfs Haut,

Dafür den Mäuſen ſelber graut.

Zu ſchürzen er ſich auch anfing

Mit einem ſilbernen Gürtelring,

Daran viel ſchöner Glöcklein hingen,

Die prächtig konnten einher klingen.“

Nach dem Jahr 1410 wird die Schellentracht auch in den
Städten nichts Seltnes mehr geweſen ſein. In Ulm, wo ſie bis-
her verboten war, wird ſie im Jahr 1411 ausdrücklich überall er-
laubt, nur mit Ausnahme der Kirche, wo allerdings das lärmende
Geklingel der Gehenden und Kommenden ſich ſchwer mit dem
Gottesdienſt und der Andacht vereinigen ließ. Auch in Lübeck
[241]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
wurde ſie zu der Zeit von Patriziern getragen. Immer aber blie-
ben ſie in der erſten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts noch
bei den Vornehmeren, ſei es an Fürſtenhöfen, auf Edelſitzen oder
in den Städten. Die ganze Zeit hindurch haben wir an Bild-
werken Beiſpiele genug, auf ritterlichen Grabſteinen, auf alten
Zeichnungen, Siegeln, Teppichen und Wandmalereien. Noch
auf dem berühmten Lübecker Todtentanz, der bald nach der Mitte
des Jahrhunderts gemacht worden, tragen der Herzog und der
Edelmann dieſen Schmuck, aber weder der Bürgermeiſter noch
der Amtmann oder der Kaufmann. Von da aber geht der Be-
griff der Auszeichnung davon; die Mode wird eine alte, ſinkt
herab, ohne eigentlich die niedern Stände hereinzuziehen, und
bleibt am Schluſſe ſtehen bei den Narren und Schlittenpferden.
Kürzere oder längere Zeit blieb ſie auch ein nothwendiges Erfor-
derniß zu beſtimmten Trachten und Feſten, verſchwand dann aber
mit den Feſten ſelbſt. So tragen ſie die berühmten Nürnberger
Schönbartläufer vom erſten Jahr 1449 an, ſoweit die Abbildun-
gen zurückgehen, bis zum letzten 1539 am Hals, am Gürtel oder
am Knie. Auch beim Fackeltanz wurden ſie noch im ſechszehnten
Jahrhundert angelegt, beim Reiftanz und beſonders beim Schwert-
tanz der Vornehmen wie der Zünfte. In Heſſen war noch lange
die Sitte, daß die Schwerttänzer Schellen an die Kniee banden,
und dann ſangen ſie:


„Alſo ſollen meine Geſellen

Ihre Schellen

Laſſen klingen,

Wie die Engel im Himmel ſingen.“

Länger noch ſpielen ſie ihre Rolle im Kinderleben als Schmuck
und Zeichen feſtlich-fröhlicher Luſt. Zwar wird ſich ſchwer ſagen
laſſen, wie alt das Liedchen iſt:


„Die Mutter gab mir Glöckchen

Und hing ſie an mein Röckchen.“

Vielleicht reicht es noch ins funfzehnte Jahrhundert hinauf. Aber
noch heute gebrauchen ſie die Kinder im Weſtphäliſchen zu ihrer
Feier des Palmſonntags. Dann machen ſie ſich einen Buſch aus
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 16
[242]II. Das Mittelalter.
Weidenzweigen, an welchen ſie die Rinde in Streifen theilweiſe
löſen und ringeln, behängen ihn mit Flitter und Schellen, ſchüt-
teln ihn und ſingen dazu:


„Palmen, Palmen-Buſchen,

Laat den Kukuk ruſchen,

Laat de Vögelein ſingen,

Laat de Glöcklein klingen.“ —

Es iſt höchſt bemerkenswerth, daß die Schelle als Narren-
zeichen faſt grade ſo früh vorkommt, wie als Auszeichnung der
höchſten Stände. Es iſt, als ob den Leuten die eigene Thorheit
ins Bewußtſein gekommen wäre. Im Jahr 1381, alſo in einer
Zeit, wo dieſe Tracht kaum in Blüthe ſtand, ſtiftete Graf Adolf
zu Cleve die Geckengeſellſchaft. Jedes Mitglied mußte bei den
feierlichen Zuſammenkünften mit einer Gugel von gelber und
rother Farbe erſcheinen, an welcher wie auch am Aermel viele
Schellen hingen, und mußte auf dem Ordenskleide einen von
Silber geſtickten Narren mit Schellen tragen. Schon in der erſten
Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts gehören ſie zu den Narren-
feſten faſt nothwendig. In Dijon trugen die Mitglieder der Ge-
ſellſchaft der Narrenmutter Mützen von grüner, rother und gelber
Farbe, mit zwei Spitzen oder Eſelsohren und an jedem derſelben
eine Schelle. Auch die Narren bei Turnieren trugen damals die
Schellen, nachdem dieſelben kurz zuvor oder vielleicht noch gleich-
zeitig die Ritter und die edlen Damen geziert hatten. Bald kam
das Sprichwort auf: Je größer der Narr, je größer die Schelle.


Bei der älteſten Art die Schellen zu tragen hingen ſie an
kleinen Ketten beweglich am Gürtel, an dem ſowohl, welcher die
Taille umſchloß und Dolch, Schwert und die Taſche zu tragen
hatte, wie an dem weiten, hängenden, dem Dupfing. Die mit
Schellen und Glocken behängten Gürtel aber nannte man Du-
ſing
. Man leitet das Wort vom alten duz, dos, thus, dus
ab, welches mit dem Worte toſen, Getöſe daſſelbe iſt, wonach die
Sache alſo von dem Klange den Namen erhalten hätte. Das
Wort Duſing dürfte vor der Entſtehung des Schellengürtels
kaum aufzuweiſen ſein. Soviel mir bekannt, kommt es zum erſten
[243]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Mal in einem Lübecker Teſtament vom Jahr 1369 vor und dann
öfter in andern Teſtamenten dieſer Stadt. Hier iſt es allemal der
Name eines ſilbernen Gürtels, ohne daß der Schellen dabei je-
mals Erwähnung geſchieht. Im Jahr 1474 wird der Gebrauch
des Duſings den Lübecker Frauen von Rathswegen verboten,
doch iſt er nicht näher beſchrieben; ſchwerlich aber hatte er damals
noch Schellen.


Schon im vierzehnten Jahrhundert wurde die Form der
Schellen eine ſehr mannigfache; wir finden ſie einfach rund wie
heute, oder birnenförmig, oder ſchneckenhausartig gewunden, oder
ſtatt ihrer auch kleinere oder größere offene Glocken gebraucht.
Oft waren ſie aus edlem Metall gefertigt, weil ſie zugleich als
Schmuck dienten. Ebenſo war auch die Art und Weiſe ſie zu
tragen eine ſehr verſchiedene. Uns liegt die Abbildung eines höchſt
intereſſanten Teppichs im germaniſchen Muſeum vom Schluß des
vierzehnten Jahrhunderts vor, worauf ſich eine zahlreiche Geſell-
ſchaft der vornehmen Welt befindet, beſchäftigt im Freien mit
einem allegoriſchen Spiel im Geſchmack der Zeit. Die meiſten
Herren wie Damen tragen Schellen. Die Königin Minne ſelbſt,
die auf dem Throne ſitzend dem Spiel präſidirt, hat in Form
eines Wehrgehenks ein breites Band über die Schulter hängen,
deſſen Ränder ringsum mit Schellen beſetzt ſind; andere von
größerer Geſtalt hängen ihr am hochſitzenden Gürtel. Noch an-
dere Damen tragen ein ſolches Gehenk, Hornfeſſel genannt,
urſprünglich der Name für die Kuppel, an welcher das Hifthorn
hing; andere wieder ein Halsband mit einer großen Glocke, in der
Art, wie man ſie den Kühen anhängt. Herren haben den Dupfing
mit Glocken beſetzt oder Schellen mit Kettchen rundum am engen
Gürtel oder an einem um die Schultern liegenden Band befeſtigt.
— Was hier vereinzelt erſcheint, zeigt ein anderer etwa zehn bis
zwanzig Jahr jüngerer Teppich, welcher Scenen aus dem Wille-
halm darſtellt, vereinigt. Da findet ſich ein Ritter zu Roß, der
hat den untern Saum ſeines Rockes mit Glocken behängt und
dicht darüber noch eine zweite Reihe; am Gürtel hat er zwar nur
eine einzige große Glocke hinten im Rücken, aber um Schultern
16*
[244]II. Das Mittelalter.
und Bruſt hängt eine dritte vollſtändige Reihe. Der König ſelbſt
trägt hier eine lange Kette aus eckigen Gliedern, welche wie ein
Gehenk um die Schulter liegt, aber bis auf die Wade herabgeht.
Hier iſt ſie durch einen Ring gezogen, in welchem vier gewaltige
birnförmige Glocken hängen. Ein ſehr ſeltſames Beiſpiel iſt das
des Ritters Heinrich von Werthern, welcher im Jahr 1397 ſtarb
und zu Nordhauſen begraben liegt. Nach dem Bilde ſeines Grab-
ſteins trägt er über die eine Schulter und unter den andern Arm
durch ein aus zwei Hirſchgeweihen zuſammengeſetztes Gehenk, von
deſſen Zacken Glocken herabhängen. Gewiß war er ein fröhlicher
Weidmann und trug zum Zeichen deſſen als höchſten Staat bei
feſtlichen Gelegenheiten dieſen ſonderbaren und ſicherlich nicht be-
quemen Schmuck. So wollte er auch ſein Bild der Nachwelt
überliefern, und ließ ſich darum auf ſeinem Grabſtein in dieſem
Schmuck darſtellen. — Der Ritter von Stauffenberg trägt (in
dem bereits erwähnten Manuſcript um 1430) eine ſchwere gol-
dene, ganz mit Schellen behängte Kette um Schultern und Bruſt,
deren Enden hinten auf dem Rücken weit hinabfallen. Aber er
iſt der einzige, der ſie auf den Bildern dieſes Manuſcripts hat.
Auch an Rüſtungen erſcheinen die Schellen vielfach in der erſten
Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts am Gürtel hängend. Um
das Jahr 1450 werden ſie gewöhnlich am Gürtel oder um die
Schultern getragen. Das letzte Beiſpiel vornehmer fürſtlicher
Schellentracht dürfte ſich auf dem Wandgemälde in Lüneburg
finden, welches die Belehnung Ottos des Kindes durch Fried-
rich II. darſtellt. Nach den Trachten zu ſchließen, muß es zwiſchen
1480 und 1490 angefertigt ſein. Es iſt aber möglich, daß der
Künſtler durch eben dieſen Schmuck eine ältere Zeit hat andeuten
wollen.


Zum Schluß dieſer überſichtlichen Geſchichte der Schellen-
tracht theilen wir noch eine Stelle aus des Fauſt von Aſchaffen-
burg Chronik der Geſellſchaft Limburg mit: „Die Mannsperſonen
haben noch vor hundert Jahren eine Zierd getragen, welches man
Hornfeſſel geheißen. A. 1466 kaufte Job Rhorbach von Enge
Froſchin ein Hornfeſſel pro 145 fl. — iſt ein Borten, ein Hand-
[245]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
breit von Sammet oder Guldenſtück gemacht, auf einer Achſel
hinten und vornen unter dem andern Arm zugeſchleift worden.
Dieſes iſt mit ſchönen Perlen oder blümichten Fliedern und voller
Silber, auch vergulter Schellelein voll gehenkt geweſen, wobei
man von weitem ihre Zukunft hat hören können. Es hat ſolche
Zierd herrlich und anſehnlich geſtanden, wie auch ein Sprichwort
davon entſtanden: Wo die Herren ſein, da klingeln die Schellen.
Und ſind die Schellen vor alter Zeit eine beſondere Zierd vor-
nehmlicher, ſtattlicher Leut und Perſonen geweſen, wie aus dem
Hohenprieſter des jüdiſchen Volks Rock zu erkennen, aber als
ſolche Pracht und Tracht in ein Mißbrauch gerathen, alſo daß
ſolche Herren ihre Schellen den kurzweiligen und Schalksnarren
allein gelaſſen und zur ſtummen Zierde gegriffen.“ —


Die Schuhe mit langen Spitzen, die ſ. g. Schnabel-
ſchuhe
, haben das mit der Schellentracht gemein, daß ſie im
vierzehnten Jahrhundert, da ſie beginnen in ſo hohem Grade
die Aufmerkſamkeit der Welt zu erregen, nicht als eine völlig
neue Erſcheinung auftreten. Auch ihrer Blüthezeit geht eine ſpo-
radiſche Geſchichte vorauf, die ſelbſt bis ins zehnte Jahrhundert
hinaufreicht. Die anekdotiſche Hiſtorie kennt mehrere Erfinder
derſelben zu verſchiedenen Zeiten, ein Beweis, daß es eben keiner
iſt, ſondern daß auch hier ein allmähliges Werden, Vergehen und
Wiederkommen wie in allen Moden anzunehmen iſt. Die einen
nennen den Grafen Fulco IV. von Anjou (um 1087), der auf
den glücklichen und folgenreichen Gedanken gekommen ſei, um
ſeiner kranken oder mißgeſtalteten Füße willen. Dann habe um
die weitere Verbreitung ſich beſonders ein Hofmann König Wil-
helms II. von England viele Verdienſte erworben und ſich da-
durch den ehrenden Beinamen Cornadu oder Cornutus, d. i. der
Gehörnte, verſchafft, weil er die Spitzen mit Werg ausſtopfte
und wie ein Horn aufwärts krümmte. Andere nennen den Gra-
fen Gottfried Plantagenet um dieſelbe Zeit, andere erſt den Kö-
nig Heinrich II. von England (geſtorben 1189). So viel iſt er-
ſichtlich, daß dieſe Mode im elften und zwölften Jahrhundert in
England ziemliches Aufſehen erregt hat. Es iſt auch inſofern
[246]II. Das Mittelalter.
nichts Unwahrſcheinliches dabei, als überhaupt die Regierungszeit
Wilhelms des Rothen durch den Kleiderluxus der neuen Eroberer
ſich auszeichnet. Man verglich dieſe Schuhe ſchon damals mit
den Schiffsſchnäbeln, und die lateiniſchen Chroniſten nennen ſie
ocreae rostratae. Auch dieſſeits des Canals geſchieht ihrer im
elften Jahrhundert Erwähnung, und als Anna Comnena, die
ſchriftſtellernde Kaiſerstochter, die fränkiſchen Kreuzfahrer in Con-
ſtantinopel ſah, findet ſie an ihnen die ſpitzen Schuhe zu bemer-
ken. Die Mode ſetzt ſich fort, ſodaß im zwölften Jahrhundert die
Geiſtlichkeit mehrere Male dawider eifert als eine Sünde wider
die Natur und als eine Ketzerei. Ihr ſelbſt mußten ſie für Frank-
reich im Jahr 1212 auf dem Concil zu Paris verboten werden.
Noch um das Jahr 1250 erhalten die Engländer deßhalb den
Beinamen der „Geſchwänzten.“ Dieſe Mode muß aber nirgends,
und namentlich nicht in Deutſchland, zu einer allgemeinen ge-
worden ſein, denn die Bilder dieſer Zeiten zeigen wohl immer
eine ſpitz zulaufende Form der Fußbekleidung, die ſich aber nur
an dem reich verzierten, eleganten Schuh der Superbia, der Hof-
fart, bei der Herrad von Landsberg zu einer etwas unnöthigen
Länge ausdehnt. Sie ſind daher in der Art und in der allgemei-
nen Verbreitung, wie ſie im vierzehnten Jahrhundert auftreten,
als eine neue Mode zu betrachten.


Frankreich ging auch diesmal und zwar um eine beträchtliche
Zeit voran. Es wird berichtet, wie ſchon unter der Regierung
Philipps IV. (1285—1314) die Länge den Stand unterſchieden
habe; die Spitze hatte zwei Fuß Länge für die Damen und die
großen Barone, einen Fuß für die Reichen und einen halben Fuß
für die gewöhnlichen Leute. In der Mitte des Jahrhunderts wie-
derholen ſich die Klagen in England und nun auch in Deutſch-
land zugleich. In England nannte man ſie unter der Regierung
Richards II. (1377—1399) crackowes, offenbar von der Stadt
Krakau. Wollte man eine Beziehung ſuchen, ſo müßte man an
die Königin Anna denken, Richards Gemahlin, eine Tochter von
Kaiſer Karl IV., Johanns von Böhmen Sohn. In Frankreich war
die Sitte wieder ſo allgemein und auffällig geworden, daß ſie das
[247]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Concil zu Angers 1365 wieder den Geiſtlichen verbot. Man
nannte ſie damals sotulares de polena oder franzöſiſch poulaines,
d. i. Schiffsſchnäbel. Wenig annehmbar erſcheint die Ableitung
von einem neuen Erfinder, Namens Poulain. Franzöſiſche Bil-
der des vierzehnten Jahrhunderts zeigen ſie häufig bei Herren
und Damen, aber nie in der übertriebenen Länge, welche die
deutſche Mode charakteriſirt. Deutſchland ſcheint auch hier den
Vorrang zu behaupten, mit dem höchſtens die Engländer wett-
eifern mögen. Der Widerſtand war überall umſonſt. Vergebens
verbot Karl VI. (1422) den Schuhmachern von Paris ſie zu ma-
chen und den Krämern ſie zu verkaufen, vergebens ſuchte Edu-
ard IV. (1464) ſie auf das geſetzliche Maß von zwei Zoll Länge
zu beſchränken; grade unter ſeiner Regierung blühten ſie noch
1482 in außerordentlicher Weiſe.


In Deutſchland ſucht ſie eine Stadt nach der andern mehr
als ein Jahrhundert hindurch geſetzlich zu unterdrücken. Schon
die Frankfurter Ordnung von 1350 und die Speierer von 1356
verbieten ſie ganz, und andere erlauben nur die Breite eines oder
zweier Querfinger. Später in der zweiten Hälfte des funfzehnten
Jahrhunderts werden ſie bloß den niedern Claſſen, dem arbeiten-
den und dienenden Stand, gänzlich unterſagt, und nur die Re-
gensburger Obrigkeit (1485) hat die Freundlichkeit, mit den
fremden Handwerksburſchen inſofern eine Ausnahme zu machen,
als ſie ein Paar mitgebrachte Schnabelſchuhe erſt auftragen dür-
fen — doch ſollen ſie bis dahin ſich keine neuen machen laſſen.
Anderthalb Jahrhunderte dauern dieſe Verordnungen; ob die
Strafen gegen die Eigenthümer oder die Schuſter gerichtet wa-
ren, blieb gleich umſonſt, bis eine andere Zeit kam und die Mode
umſchlug. Die Böhmiſche Chronik klagt, daß nicht einmal die
Strafe des Himmels Eindruck gemacht habe. Es war im Jahr
1372, ſo erzählt ſie, da lag ein Gewitter über dem Städtlein
Trebnitz und dem Schloß Koſchtialow, und der Donner ſchlug in
das Schloß und ſchlug dem Burggrafen Albrecht von Slawietin
und ſeinem Weibe beiden die Spitzen von den Schuhen hinweg,
ohne daß den Füßen ein Schade geſchah. „Solches war deſſelben
[248]II. Das Mittelalter.
Tages an andern Orten mehr geſchehen, nichtsdeſtoweniger ward
aber die verdrießliche Hoffart nicht abgelegt, ſondern ein jeglicher
trug ſein Haupt empor und thät in ſeinem kurzen Röcklein und
langſpitzigen Schuhen als wie ein Storch einhertreten.“


Mehr noch als unter den Städtern, die in ihrer Modeſucht
mit den Geſetzen zu kämpfen hatten, wurde dieſe Tracht unter den
Fürſten und dem Adel allgemein, in dem Grade, daß ſie ſelbſt
auf die Rüſtung überging, als die Lendner und die Bein- und
Fußbedeckung ſich mit Platten belegten. Die völlige Unbequem-
lichkeit, von der ſchon die böhmiſche Chronik zum Jahr 1367
ſpricht, „daß man nicht geraum darinnen gehen können,“ war
kein Hinderniß. Im Nothfall wußten ſich die Ritter der Schnä-
bel zu entledigen. So machten es die öſterreichiſchen Herren in
der Schlacht bei Sempach (1386), da ſie mit dem Bauernvolk
zu Fuß fechten wollten: ſie hieben die Schnäbel von den Schuhen,
„man hätte gefüllt einen Wagen,“ heißt es im Lied des Halb
Suters von dieſer Schlacht. In demſelben Jahr 1386 ereignete
es ſich vor Kaſſel, daß die Heſſen, als die Belagerer abgezogen
waren, „etliche Wagen voll der ſpitzigen Schnäbel, ſo die Kriegs-
leute des Sturmes halber abgeſchnitten hatten,“ in die Stadt
fuhren.


Die Unbequemlichkeit wußte man noch in außerordentlicher
Weiſe durch Unterſchuhe zu erhöhen. Nach der anfänglichen Mode
hatte man die Schuhe ſelbſt oder an ihrer Stelle die Füßlinge der
Hoſe mit den langen, ausgeſtopften Spitzen verſehen. Sie konn-
ten unter Umſtänden die dreimalige Länge des Fußes erreichen.
Sie waren entweder ſo ſchlaff, daß ſie beim Gehen willkürlich
umherflogen und der Träger ſich aufs höchſte vor dem Darauf-
treten und Niederfallen in Acht nehmen mußte, oder ſie hatten
durch den hineingeſtopften Werg oder darunter gelegte Sohlen
inſoweit eine gewiſſe Steife erhalten, daß ſie bei der Biegung
des Fußes ſich ebenfalls einbogen; oder ſie ſtanden, noch mehr
geſteift, vorn aufwärts gekrümmt. In der übermäßigen Länge
war es faſt unmöglich mit ihnen zu gehen, und ſo wird erzählt,
ſeien ſich mit kleinen Kettchen, die am Knie, auch wohl am Gür-
[249]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
tel befeſtigt waren, in die Höhe gehalten. So werden die oben
genannten crackowes der Engländer beſchrieben, bei denen ſie
auch einige Male bildlich vorkommen ſollen, z. B. bei König
Jakob I. von Schottland. In Deutſchland iſt mir kein Beiſpiel
dieſer Art bekannt geworden.


Vielleicht um den langen Spitzen einen größeren Halt zu ſchaf-
fen, vielleicht auch um ſie auf den ungepflaſterten Straßen vor Staub
und Schmutz zu bewahren, gab man ihnen eine ſteife, harte Un-
terlage von Schuhen oder vielmehr Pantoffeln. Hölzerne Unter-
ſchuhe waren in gewiſſen Gegenden, wo ſie die Beſchaffenheit des
Bodens nothwendig machte, ſchon lange gebräuchlich. In Soeſt
z. B. war es im dreizehnten Jahrhundert Sitte, daß der Bräu-
tigam zur Verlobung der Braut ein Paar Schuhe und ein Paar
Holzſchuhe ſchenkte. In Göttingen wurden ums Jahr 1350 auch
die Brautjungfern mit den einen wie mit den andern vom Bräu-
tigam beſchenkt. In dem letztern Falle dürften die Holzſchuhe
ſchon mit den langen Spitzen in Verbindung ſtehen.


Urſprünglich waren nun die Unterſchuhe ein langes, nach
der Form des Fußes zugeſchnittenes Stück Holz, das mit ſeiner
Spitze die Länge des Schuhes oder des Fußſchnabels noch zu
übertreffen pflegte. Befeſtigt wurden ſie zuerſt nur mit einem
Riemen und dann mit zweien, die kreuzweiſe über den Fuß lie-
fen. Der Fuß ſteckte beweglich darin und jeder Schritt erzeugte
das Klappern der Pantoffeln. Einen Begriff von der Beſchwer-
lichkeit eines ſolchen Gehens kann man ſich etwa machen, wenn
man ſich zwei ſchmale Brettchen loſe unter ſeine Füße befeſtigt
denkt. Dann begann man dieſe Bretter zu erhöhen, indem man
ein Paar ein bis zwei Zoll hohe Klötzchen unter der Ferſe und
unter dem Ballen des Fußes daran anbrachte, oder den Holz-
pantoffel gleich in dieſer Form ausſchnitt. Der Schnabel reichte
nun weit in die Luft hinaus, und über ihm bog ſich die Spitze
des Schuhes oder des Füßlings der Hoſe in die Höhe. Das
künſtleriſche Gefühl des Schuſters ſchweifte die Linie des Holz-
ſchuhs in mannigfacher Weiſe aus, auf welche Variationen wir
nicht eingehen wollen. Die Verzierungskunſt bemächtigte ſich aber
[250]II. Das Mittelalter.
noch weiter dieſer ſeltſamen Fußbekleidung. Die Füßlinge muß-
ten ohnehin alle Sonderbarkeiten in der Farbe des Beinkleides
mitmachen: wie die Beine ſelbſt waren auch ſie zuweilen von
verſchiedener Farbe, z. B. der eine roth, der andre weiß, oder
buntfarbige Streifen liefen der ganzen Länge nach bis in die
Spitzen hinein. Es war auch wohl der eine um das Doppelte
oder Dreifache länger als der andere. Für die Schuhe war Roth
die Lieblingsfarbe jener Zeit, daher damals das Sprichwort ent-
ſtand: Es gehört mehr zum Tanz als rothe Schuhe. Aber es
war nicht die einzige Farbe, wie auch ein Paar, den Hoſen und
Füßlingen gleich, deren mehrere oder auch an jedem Schuh
verſchiedene haben konnte. Der Stoff war feines Leder oder
Seide, Sammet oder Goldſtoff. Sie wurden vielfach reich be-
ſtickt und mit Perlen beſetzt und die gekrümmten oder ſchlaffen,
umherfliegenden Spitzen hatten nicht ſelten eine klingende Schelle
zu tragen. Oben am Knöchel wurden die Schuhe mit Ohren oder
Flügeln von farbigem Zeug und Leder beſetzt. In England trug
man Schuhe, die ganz in gothiſchem Maßwerk durchbrochen wa-
ren, mit Vierpäſſen, Dreiblättern, Roſetten u. ſ. w. Die Unter-
ſchuhe wurden mit Meſſing beſchlagen, oder mit Silber und Gold
in getriebener Arbeit. Statt des Holzes nahm man ſpäter dickes,
doppeltes und dreifaches Leder, mit eingepreßten Verzierungen
und mit Metall beſchlagen und geſteift. Als in der erſten Hälfte
des funfzehnten Jahrhunderts hier und da kleine Stiefeletten mit
weiten Krämpen getragen wurden, blieb die Mode im Uebrigen
gleich; auch ſie erhielten ihre Spitzen und Pantoffeln.


Das alles war nicht bloß ſtutzeriſche Tracht; ein einziges
Beiſpiel wird uns leicht vom Gegentheil überzeugen. Das alte
Manuſcript von Reichenthals Chronik in Konſtanz enthält eine
Abbildung davon, wie Burggraf Friedrich von Nürnberg die
hohen Stufen des Thrones hinaufſteigt, um vom Kaiſer Sig-
mund die Belehnung mit der Mark Brandenburg zu erhalten.
Dieſe Begebenheit ereignete ſich bekanntlich beim Concil in Kon-
ſtanz im Jahr 1417. Das Bild iſt gleichzeitig und an Ort und
Stelle gefertigt. Der Künſtler konnte Augenzeuge geweſen ſein,
[251]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
und war er es nicht, ſo iſt wenigſtens die Wahrſcheinlichkeit und
Möglichkeit ſeiner Darſtellung nicht in Zweifel zu ziehen. Der
Burggraf, mit langem Haar und, die Oberlippe ausgenommen,
mit vollem Bart, trägt über der engen Kleidung einen Trappert
von Goldſtoff mit rothem Grund und reich mit Pelz verbrämt.
Die Schuhe ruhen in hölzernen, mit doppelten Klötzchen darunter
verſehenen und, wie es ſcheint, vergoldeten Unterſchuhen, an de-
nen die langen goldenen Ritterſporen ſitzen; die Länge der
Schnäbel übertrifft die des Fußes um das Doppelte. So ange-
than und die Arme ſtolz auf der Bruſt gekreuzt, iſt er im Begriff
die hohe Stiege hinaufzuſteigen, deren Stufen an Breite der
Länge ſeiner Schuhe weitaus nicht gleichkommen. Wie das mög-
lich war, wie er bei ſo gefährlichem Gang Anſtand und Würde
zu der feierlichen Handlung hat bewahren können, iſt ſchwer zu
ſagen. Aber die Augen des Publikums waren an ſolchen Anblick
gewöhnt, und der Künſtler hat gewiß nur ein Bild voll erhabe-
ner, ſtolzer Würde und Majeſtät dem Beſchauer vorführen wol-
len. Das war im Jahr 1417. Es iſt gegen das Ende des Jahr-
hunderts noch ähnlich. Bei Hefner (II, 142) findet ſich eine Mi-
niature mit der Jahreszahl 1480, auf welcher ein Schriftſteller
ſein Werk dem Pfalzgrafen Philipp überreicht. Der Pfalzgraf
trägt noch ganz die ſpitzen Schnabelſchuhe in langen ſteifen Un-
terſchuhen oder Pantoffeln, die nur mit Kreuzriemen über dem
Fuß ſitzen.


So wenig gelten die ſpitzen Schuhe und die pantoffelartigen
Unterſchuhe für ſtutzeriſche Tracht, daß ſie von den Künſtlern auch
den Heiligen und Chriſtus und Gott ſelbſt beigelegt werden.
Auf einem prachtvollen franzöſiſch-burgundiſchen Teppich in der
Abtei la Chaise-Dieu vom Ende des funfzehnten Jahrhunderts,
welcher die Krönung der Maria darſtellt, tragen alle drei, Gott,
Chriſtus und Maria dieſe Unterſchuhe, wenn auch ſchon von we-
niger ſpitzer Form. So hat ſie auch die heilige Jungfrau bei der
Verkündigung auf einem Bild des Hugo van der Goes, welches
früher zur Boiſſeréeſchen Sammlung gehörte. Dieſe giebt noch
mehrere Beiſpiele. Namentlich iſt es Quintin Meſſys, der ſie
[252]II. Das Mittelalter.
ſeinen heiligen Frauen anlegt, wie er es denn überhaupt liebt,
die hohen und ſchönen Geſtalten mit aller ſtolzen Pracht ſeiner
Zeit zu umkleiden. Selbſt der heilige Joſeph, der einfachſte und
anſpruchsloſeſte Mann von allen Heiligen, hat an ſeinem Ehren-
tage der Vermählung mit Maria an ſeinen Füßen große, vor-
ſtehende Holzpantoffel mit den Klötzchen darunter; ſie ſind nur
mit Kreuzriemen klappernd an die Schuhe gelegt. Auf einem
Bilde des ſ. g. Meiſters der Lyversberger Paſſion in der Moriz-
kapelle zu Nürnberg, welches die Geburt Mariä darſtellt, wobei
die Frauen in hülfreich geſchäftiger Thätigkeit ſind, ſtehen ein
Paar ſolcher ledernen, langſpitzigen Unterſchuhe neben dem Bett.
Als Maria ihren Kirchgang macht, läßt ſie derſelbe Künſtler
darin die hohen Stufen des Tempels hinaufſteigen.


Um das Jahr 1480 berichtet Stolle’s Erfurter Chronik das
Abkommen der langen Schnäbel, was in Frankreich unter Karl VIII.
(1483—1498) eintrat. Die Zeit zwiſchen 1480 und 1490 iſt
allerdings überall der Wendepunkt in dieſer Mode. Aber ſo we-
nig wie ſie plötzlich eingetreten war, ebenſowenig verſchwindet ſie
auch wieder zu gleicher Zeit oder auf einmal. Schwerlich wird
auch die päpſtliche Bannbulle von 1480 allein die Umwandlung
bewirkt haben. In England verſchwinden ſie wirklich ſeit dieſer
Zeit, und auch anderswo wird ihr Vorkommen mehr und mehr
ſporadiſch. 1501 verbietet eine Stuttgarter Schulordnung noch
den Schülern „die ſpitzigen Schneppeterſchuhe.“ Damals aber
waren ſie bei den modiſchen Leuten ſchon entſchieden in das Ge-
gentheil, die breiten „Kuhmäuler“ oder „Entenſchnäbel“, umge-
ſchlagen. In dem Nürnberger Schönbartbuch, in welchem ſich die
Wandlung einzelner Kleidungsſtücke trefflich verfolgen läßt, er-
ſcheinen die Schuhe im Jahr 1493 zum erſten Mal breit, wäh-
rend ſie in den vorhergehenden Jahren noch zugeſpitzte Form hat-
ten. Auf einem Bilde der Münchner Pinakothek, welches dem
Lucas von Leyden (geboren 1494) zugeſchrieben wird, trägt die
heilige Agnes noch ſpitze Unterſchuhe mit Kreuzbändern. Aber
das Bild iſt ältern Datums, ein Werk vom ſ. g. Meiſter des
Bartholomäus, und gehört dem funfzehnten Jahrhundert an. —


[253]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.

Weniger tief als Schellen und Schuhſchnäbel drang in das
Volk noch eine andere Eigenthümlichkeit ein, welche aber geeignet
iſt, uns die ſeltſame Phantaſie dieſer Zeiten von einer neuen
Seite zu zeigen. Wir meinen die Bedeutung, welche man mit
den Farben der Kleider verknüpfte, indem man ſie in beſtimmte
Beziehungen zu der Liebe ſetzte. Man könnte fragen, ob denn
eine ſolche allegoriſche Anwendung wirklich im Leben ſtattgefun-
den habe und nicht bloß eine Erfindung der Dichter ſei, die unſre
Quelle bilden. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß hier nicht von der
Maſſe des Volks die Rede ſein kann, ſondern nur von den Krei-
ſen, die, auf der Höhe des Lebens und der Bildung ſtehend, die
geiſtige Fähigkeit hatten, ihr geſelliges Thun und Treiben in das
Gewand der Poeſie zu kleiden. Davon war nun, trotz großer
Verſunkenheit des Adels, trotz Rauf- und Raubluſt, immer noch
ein gut Theil aus der alten Zeit übrig geblieben, wenn wir auch
dieſe Art von Poeſie nicht auf eine beſonders hohe Stufe ſtellen
wollen. Sie erhielt ſich fort und fort, namentlich auch am bur-
gundiſchen Hof, bis auf Kaiſer Maximilian, der in dieſer Be-
ziehung vor allen „der letzte Ritter“ iſt. So gut wie in der Dicht-
kunſt ſelbſt die Allegorie die Form war, in welche alles gegoſſen
wurde, wie nicht die Liebenden ſelbſt die Helden waren und der
Liebe Leid und Luſt der Gegenſtand, ſondern Frau Minne, Frau
Maße, Frau Treue, Frau Stete, Frau Ehre und die lehrreichen
Geſpräche mit ihnen, eben ſo war ſie auch in die Luſt des wirk-
lichen Lebens eingedrungen und umkleidete Spiele und Feſtlich-
keiten mit geiſtreich poetiſchem Gewand. Unter fremder Maske,
unter den Namen von Heroen und Heroinnen oder irrender Ritter
und ihrer berühmten Damen, unter dem Vorſitz der Königin
Minne ſelbſt als Feſteskönigin wurden ſchon an den reicheren
Höfen des vierzehnten und funfzehnten Jahrhunderts Turniere
und leichtere Spiele abgehalten. Wenn die Dame des Turniers
nicht unter ihrem Namen den Dank ertheilte und der ſiegreiche
Ritter ihn etwa als Pyrrhus, des Achilles Sohn, empfing, ſo
konnte dieſes Spiel oder dieſe Spielerei auch noch weiter ausge-
dehnt werden, und Herren und Damen in beſonderer Kleidung
[254]II. Das Mittelalter.
erſcheinen, mit deren Farbe ſie eine ſinnvolle Bedeutung verban-
den, wie das die Gedichte melden. Dieſelben ſcheinen auch anzu-
deuten, wie das zu gehen pflegt, daß man den anmuthigen Scherz
des Farbenſpiels auch über das Feſt hinaus fortgeſetzt und auf
das wirkliche, geſellige Leben übertragen habe.


Es giebt der Nachweiſe genug, daß man im ganzen Mittel-
alter, wie es zu allen Zeiten war, mit gewiſſen Farben gewiſſe
Bedeutung verbunden oder für dieſe oder jene eine dauernde Vor-
liebe gezeigt habe. Schwarz z. B. war immer die Farbe der
Trauer, und es iſt nur ein widerſpruchsvoller Fehler unſrer im
Coſtümweſen zerfahrenen Zeit, wenn es zugleich die Farbe der
Feſtfreude männlicherſeits geworden iſt. So trauerte auch das
Mittelalter (mit wenigen localen Abweichungen in Weiß oder
Grau) faſt ausnahmlos. Wenn aber der König von Frankreich
allein in Roth trauerte und ſelbſt die Königin gleich der Bürger-
frau Schwarz anlegen mußte, ſo iſt das eine Ausnahme von ſo
vorragender Bedeutung, wie ſie nur die allen Vergleich ausſchlie-
ßende Stellung des franzöſiſchen Königs im Sinne des ſpätern
Mittelalters rechtfertigt oder erklärlich macht. Es iſt, als ob es
heißen ſolle, der König ſtehe ſo hoch, daß Leid und Freude ihn
nicht erreichen könne, denn Roth iſt die vor allen bevorzugte
Farbe des Mittelalters, die Farbe der Freude wie der Ehre. Von
dem Purpur und ſeiner Bedeutung abgeſehen, die wir ſchon früher
haben kennen lernen, war Roth, insbeſondere Scharlach, vielfach
eine Auszeichnung der höchſten Stände. In Bologna z. B. war
Carmoiſin und Roſenroth dem alten Adel vorbehalten, und in
Soeſt durfte eine Braut an ihrem Ehrentage kein ſcharlachrothes
Kleid tragen, wenn ſie nicht einen Brautſchatz von beſtimmter
Größe mitbrachte. Es iſt bekannt, welche Bedeutung die rothe
Farbe beim Gericht hatte, wovon der rothe Mantel des Scharf-
richters und der rothe Talar der Juriſtenfacultäten noch lange
übrig blieb. Wer nicht den Blutbann hatte, durfte nicht mit ro-
them Wachs ſiegeln. Man mag auch dabei der heiligen Vehme
auf der rothen Erde gedenken. — Roth und Gelb waren die
Lieblingsfarben des Mittelalters; Brokat mit goldenem Muſter
[255]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
auf rothem Grund oder umgekehrt war von allen der koſtbarſte
Stoff im vierzehnten und funfzehnten Jahrhundert. Gelb war
beſonders für den Kopfputz bei den Frauen beliebt, ſo ſehr, daß
ſelbſt die Prediger gegen die gelben Schleier und Gebende zu
Felde ziehen. „O we, gele gebende!“ klagt Maria Magdalena in
einem Paſſionsſpiel, da ſie von der Reue ergriffen wird. Weiß
iſt die Farbe der Jungfrauen, der Unſchuld und Reinheit des
Herzens. In Weiß waren die Novizen der Ritterſchaft gekleidet,
am Abend bevor ihnen das erforderliche Gelübde abgenommen
und die Zeichen der neuen Würde angelegt wurden. Ebenſo klei-
deten ſich die Könige und Königinnen von England am Vorabend
ihrer Krönung. Weiß war auch, wie wir ſchon früher bei Ludwig
dem Frommen geſehen, die Farbe des Täuflings; auch den Glocken,
die man taufen wollte, legte man ein weißes Hemd über. In
Frankreich gab es einen Ritterorden von der weißen Dame, ge-
gründet die Rechte aller artigen und züchtigen Damen zu be-
ſchützen. Weiß konnte auch die Freude bezeichnen. So zogen ein-
mal ſieben Franzoſen des Hauſes Orleans, die ihre Gegner ſieg-
reich beſtanden hatten, in weißen Kleidern in Paris ein. Eine
ſinnige Bedeutung der weißen Farbe hat ſich noch vielfach bis
auf unſre Tage erhalten. Auch unter den Farben der Meßgewän-
der, wie ſie mit den kirchlichen Jahreszeiten abwechſeln, bedeutet
Weiß Unſchuld und Freude, Roth aber Liebe und Opfer, Grün
die Hoffnung, Blau Demuth und Buße, Schwarz Tod und
Trauer. —


Die poetiſchen Kreiſe der Höfe nun beziehen alle Farben auf
die Liebe. Dichter des vierzehnten und funfzehnten Jahrhunderts,
welche mehr oder minder ausführlich von ihnen berichten, bleiben
in der Angabe der Bedeutungen ſo ziemlich gleich, doch finden
auch einige Abweichungen ſtatt.


Grün iſt der Liebe Anfang. Wer zum erſten Mal von der
Macht der Minne bezwungen oder wer noch frei von ihr iſt, den
ſoll man in Grün ſchauen. Grün iſt aber auch die Farbe der
irrenden Ritter, vermuthlich weil ſie, auf der ewigen, zielloſen
Wanderung begriffen, immer ſo gut wie noch im Beginn ihrer
[256]II. Das Mittelalter.
Liebesbahn ſtehen. Wie derjenige, welcher ſeine Laufbahn beginnt,
noch des Hoffens voll iſt, ſo mag Grün auch die Bedeutung der
Hoffnung erhalten haben, die man ebenfalls, wie noch heute,
dieſer Farbe zuſchreibt; in jenen Zeiten bedeutete Weiß den hof-
fenden, aber auch den glücklichen und den reinen Liebhaber.


Roth außen, das ſoll innen

ein brünſtig Herze haben.“

Roth, das iſt die brennende Liebe; wer ſie trägt, der deutet da-
mit an, daß er brennt nach ſeinem Lieb, wie die Glut in dem
Feuer. Aber Roth trägt auch, wer fröhlich iſt in glücklicher, treuer
Liebe, und wer trauert um ihretwillen, kleidet ſich in Grau.
Einſt kamen, wie ein altes Lied ſagt, zwei Jungfrauen zuſam-
men, die eine in Roth, die andere in Grau gekleidet. Von denen
ſprach die Rothe:


„Ich brenn auf der Minne Roſt

Und hab Freud und Lieb und Troſt

Von einem Knaben minniglich,

Der liebet mich ganz inniglich

Zu aller Zeit im Herzen.“

Und die Graue ſpricht:


„Du freuſt dich Lieb, der traure ich.

Ich hab einen Knaben auserwählt,

Der mir vor aller Welt gefällt,

Den ſeh ich gern und iſt mein Freud.

Hör dawider manches Leid.

Wann ich ihn ſeh, ſo darf ich nicht

Fröhlich ſtellen mein Geſicht,

Und muß die Freud vermeiden,

Von der falſchen Zungen ſchneiden.“

Wer aber ganz in der Liebe unglücklich iſt, wen ſein Lieb
verlaſſen hat, der trägt Schwarz, die Farbe der Trauer, „des
Leides Anfang und der Freuden Ende,“ denn ſeine Liebe iſt zu
Leid geworden, darum er trauern muß. Den Gegenſatz, die Ste-
tigkeit, die treue Liebe bezeichnet Blau.


„Und da ich meinen Buhlen het,

Da trug ich Blau, bedeutet ſtet.

[257]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Die Farb iſt mir benommen,

Nun muß ich tragen ſchwarze Farb,

Die bringt mir keinen Frommen.“

„Schwarze Farb, die will ich tragen,

Darin will ich meinen Buhlen klagen;

Ich hoff, es wär’ nicht lange,

Schneide ich mir eine grüne Farb;

Die iſt mit Lieb umfangen.“

Gelb oder Gold iſt die Gewährung der Liebe, der Minne
Sold. Darum iſt auch das Kleid der Frau Minne golden, oder
auch feuerroth als die brennende Liebe. Frau Stete oder Frau
Treue trägt ein blaues Kleid, Frau Maße ein perlweißes, Frau
Liebe ein grünes. Aber auch Frau Ehre erſcheint mit einem ro-
then und Frau Treue gar mit einem ſchwarzen Kleide.


Sinnig werden nun wieder die einzelnen Farben mit einan-
der verbunden. Grün und Blau, ein edles Gewand, ſind An-
fang in der Stetigkeit; Weiß und Blau iſt ſtetes, gutes Geden-
ken und beſſer als der Anfang. Bei Grün und Schwarz iſt das
Leiden viel zu hart, denn es folgt gleich auf den Anfang. Blau
und Schwarz iſt eine ſtete Reue, die ſich alle Tage erneuert.
Schwarz und Roth iſt der grimme Mord der ſchönſten Liebe.
Der Gegenſatz iſt Blau und Roth: Treue und rechte, inbrünſtige
Liebe; wer die beſitzt, der ſoll immer fröhlich ſein. Bunt gemengt
in verſchiedenen Farben iſt Falſchheit und Unbeſtändigkeit.


In dem Gedicht „der Widertheil“ erzählt der öſterreichiſche
Dichter Peter Suchenwirt, wie er einſt zwei Frauen in einem
Garten angetroffen und ihrer Rede heimlich gelauſcht habe. Die
eine habe „Blau in Stetigkeit“ getragen mit vielen Sapphiren in
blauem Schmelz, die andere aber gar unſtet ſechs Farben durch
einander gemengt, Grün, Roth, Weiß, Gelb, Schwarz und
Blau. Die Blaue ſei die treue, ſtetige Liebe geweſen, die Bunte
aber Frau Venus ſelbſt, welche ſich das Kleid der Falſchheit ange-
zogen habe, um die andere zu erproben. Sie habe nach dem Ge-
liebten derſelben gefragt und zuerſt den ihrigen geſchildert als
einen freudenreichen Held bei Tiſch, der freventlich mit Schalkes-
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 17
[258]II. Das Mittelalter.
worten von keiner Dame gut ſpreche; er liebe den Wein gut und
viel; gehe ſpät zu Bett und ſtehe Mittags mit ſchwerem Kopfe
auf. Dagegen hebt die Stete des ihrigen Tugenden hervor, ſeine
Züchtigkeit in Worten, ſeine Mäßigkeit, Wachſamkeit, Frömmig-
keit, Treue und Tapferkeit. Der ſolle ins Kloſter gehen, meint
die Bunte; ihr Liebſter diene hundert Frauen; wie der Wolf
den Schafen, ſo ſtelle er ihrer Ehre nach; beim Turnier ſei er wie
eine kranke Frau; ſeinen Speer werfe er weg, aber er komme heil
nach Hauſe, noch nie habe er eine Wunde erhalten, auch in der
Schlacht nicht, denn er ſei immer der letzte, immer hinten an;
aber niemals käme er müde zur Liebe. Endlich merkt die Blaue,
daß die andere wohl nicht ganz aufrichtig ſpreche. Sie hebt ihr
die bunten Kleider auf, Mantel und Rock, und ſieht darunter
rothe Kleider, die Farbe der Frau Minne. Da freute ſich die
Stetigkeit und Venus mit ihr, daß ſie in der Prüfung beſtanden
und es noch treue Liebe gäbe in der zuchtloſen Zeit. —


Es giebt ein längeres Gedicht in dem Liederbuch der Clara
Hätzlerin „von der Auslegung der ſechs Farben“, welches zeigt,
daß mit ihrer Bedeutung mancherlei Mißbrauch getrieben ſein
muß, und ſie andrerſeits auch Oppoſition fand in dem Gedan-
ken, daß man die Liebe nicht zur Schau tragen ſolle. Eine Frau
läßt ſich vom Dichter die Farben auslegen und antwortet ihm in
dieſem Sinne, indem ſie den alten Standpunkt der Minnezeit,
das Geheimniß, feſthält.


„Sie heißen wohl Läſterer,

Die mit Röcken laſſen ſehn,

Was ihnen Gutes iſt geſchehn.“ —

Und am Schluß ſagt ſie:


… „der Sitte trag ich Haß.

Er ſollt es verſchweigen baß,

So ein minnigliches Weib

Ihr Herz und ihren Leib

Ihrem Diener giebt zu eigen,

Das ſoll er Niemand zeigen,

Und ſoll das in ſeines Herzens Grund

Senken, daß es nimmer kund

[259]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Wird einem Mann oder Weib.

Wann ihn Glückes Scheib

Trüg’ auf der Selden Bahn,

Das ſoll er allein ha’n,

Und ſollt’ das feſt verhehlen,

Als ein Dieb, der da will ſtehlen.

Das war vor Alters recht.

Es wär Ritter oder Knecht,

Er ſollt ſeiner Minne

Niemand bringen inne,

Denn daß er’s wüßt’ allein.

Dieſelbe Sitte, die war rein!“

Und gewiß hat ſie auch für die Zeit des Dichters recht, wenn ſie
auf das Zurſchautragen von Roth und Blau, der brennenden
Liebe und der Treue, erwidert, ſie kenne manchen, der ſich in
Roth ſehen laſſe, und ſei ihm doch von Liebe ſelten weder kalt
noch heiß geſchehen; manchen auch ſäh man Blau tragen, wenn
aber der Rock die Wahrheit ſagen könne, er würde ganz andere
Mähre erzählen.


Aehnlich ſpricht ſich Peter Suchenwirt aus, deſſen Gedichte
immer eine directe Beziehung auf ſeine Zeit haben. In dem Ge-
dicht, welches die Ueberſchrift führt: „Eine Rede von der Minne“,
findet er, ſpazieren gehend, drei Frauen zuſammen, die Minne,
die Stete und die Gerechtigkeit. Frau Stete klagt den beiden an-
dern ihre Noth über die falſche Liebe, die überall herrſche, und
ſetzt dann hinzu:


„Noch eines mehr, das muß ich klagen,

Daß manche Blau durch Stete tragen,

Davon ſie meinen ſtet zu ſein,

Wenn ſie in blauer Farbe Schein

Erzeigen ſich den Frauen gut.

Mich dünket das in meinem Muth:

Und wär die Farb’ alſo man gicht,

Es wär’ ein’ Ell’ vergolten nicht

Mit hundert Gulden und baß.

Stet’ wohnt im Herzen; wiſſet das,

Daß ſie nicht von der Farbe kommt,

Daß manchem alſo wenig frommt,

Der ſich von Unſtet läßt beſiegen,

Des er von Frauen wird geziehen.“ —

17*
[260]II. Das Mittelalter.
c. Die burgundiſche Hoftracht und der Luxus der Niederlande.

Um die Mitte des funfzehnten Jahrhunderts war es der
Hof von Burgund, welcher in allen Angelegenheiten der
Mode und der höfiſchen Sitte den Ton angab. Sein Einfluß er-
ſtreckte ſich nicht bloß auf die mit ihm verbundenen Niederlande,
ſondern von hier aus durch ganz Deutſchland, in den Trachten
ſowohl wie in Kunſt und Induſtrie. „Heutiges Tages,“ ſagt eine
damalige Chronik, „muß alles der niederländiſchen, welſchen
Pracht und Unmäßigkeit gleich geſchehen.“


Eigentlich iſt Burgund hierin nur der Nachfolger von Frank-
reich, das ſchon vor der bayriſchen Iſabella, der Gemahlin
Karls VI. (vermählt 1385) eine nicht unbedeutende Herrſchaft
auf dieſem Gebiete behauptet hatte. Iſabella ſelbſt, die pracht-
liebende Königin, erhöhte noch die Putzſucht und war ſelbſt erfin-
deriſch in der Mode. Damals glichen die franzöſiſchen Ritter ihren
Nachkommen, den Helden von Roßbach, indem ſie ins Feld zo-
gen, ausgerüſtet mit allem Putz, der nothwendig iſt, vor den
Damen am königlichen Hof zu erſcheinen, mit perlgeſtickten Ge-
wändern, mit allen Kleinigkeiten und Utenſilien, um die voll-
ſtändige Toilette, namentlich auch des Haares, ſtets in ſchönſter
Ordnung zu erhalten. Da brach das Unglück der langen engliſchen
Kriege herein, und endlich kam die reiz- und glanzloſe Regirung
Ludwigs XI., des Bürgerkönigs, der allem ritterlich-höfiſchen
Prunk abhold war. Hiermit gingen Frankreichs Lorbeeren und
ſeine Hegemonie auf dieſem Gebiete für zwei Jahrhunderte ver-
loren.


Burgund war der erſte Erbe. Der Glanz ſeines Hofes, der
Reichthum der niederländiſchen Provinzen und das hohe geiſtige
Leben, welches in ihnen blühte, ſind bekannt genug. Die lange
und kluge Regirung Philipps des Guten rief alle Kräfte wach,
die kurze Herrlichkeit Karls des Kühnen, den die vornehmſten
Höfe der Welt beneideten und den ſie doch nicht zu erreichen ver-
mochten, bezeichnet den Höhepunkt, aber auch den raſchen Sturz.
[261]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Mit ſeinem jähen Untergang war auf einmal alles zu Ende.
Sein Nachfolger Maximilian, der nur halb dem Lande angehörte,
fand mehr Vergnügen an den ſteilen Felſen der Alpen, wenn er
einſam der Gemſe nachging, als an dem prunkenden Ceremoniell
auf dem glatten Parquet der Paläſte; immer unruhig und immer
geldarm, wußte er den Glanz nicht zu feſſeln an den Hof von
Burgund und wollte es auch nicht. Frankreich und Spanien
ſtritten ſich dann nach dem Tode Ludwigs XI. eine Zeitlang um
dieſes Erbe Burgunds, die Herrſchaft in Mode- und Hofweſen,
bis für das ſechszehnte Jahrhundert Spanien den Sieg davon
trug.


Glanz und Etiquette ſind die beiden vorragendſten Eigen-
ſchaften des burgundiſchen Hofes; ſie zeigen ſich äußerlich als
Pracht in Stoff und Farbe und als Steifheit der Formen in der
Kleidung wie im Umgang. Wenn wir die zahlreichen Bilder mit
Darſtellungen des höfiſchen Lebens betrachten, namentlich aber
die koſtbaren und überaus feinen, nie wieder übertroffenen Mi-
niaturen, welche Herzog Philipp machen ließ, und die, mögen ſie
auch die fernſten Zeiten und fremdeſten Völker illuſtriren — Ro-
mane, Gedichte, Geſchichtswerke —, immer ein Spiegel ſeines
eigenen Glanzes ſind, ſie werfen uns mit dem Gefunkel von
Gold und Edelſteinen, mit der Maſſenverſchwendung des koſtbar-
ſten Stoffes, mit der glühenden, ſatten Farbenpracht ein Bild
entgegen, das zu allen Zeiten ſeines Gleichen ſucht. Wir gewin-
nen daſſelbe Bild, im Frieden wie im Krieg, wenn wir leſen,
was uns die Augenzeugen überliefert haben. Laſſen wir uns
z. B. von der Hofdame, Madame de Poitiers, zur Taufe der
Maria von Burgund führen. Die ganze Kirche iſt von innen mit
den koſtbarſten Teppichen bedeckt, Goldbrokatſtoffe hängen um
den Taufſtein, liegen auf Tiſchen und auf dem Boden; darüber
erheben ſich ſammtene Himmel. Sechshundert Fackeln ſind auf-
geboten, vierhundert davon der Bürger, alle gleich gekleidet, hun-
dert der Hausoffizianten in der Kirche, hundert der Hofjunker,
die auf dem kurzen Wege vom Palaſt zur Kirche vor dem Kinde
hergehen. Dazu die Staffage der reichgeſtickten Livreen unzähli-
[262]II. Das Mittelalter.
ger Hofbeamten, der Dauphin von Frankreich und alle Glieder
des Hauſes Burgund, Herren und Damen, in langen Gewän-
dern von Gold- und Silberſtoff, bedeckt mit Geſchmeide und Ju-
welen, die hohe Geiſtlichkeit in ihrem ſtrahlenden Ornat. —
Werfen wir einen Blick auf das Schlachtfeld von Granſon, wo
der Glanz von Burgund erloſch. Da ſtanden über vierhundert
koſtbare ſeidene Zelte mit Fähnlein und anderem Schmuck, unter
ihnen vorragend das herzogliche, mit Sammet inwendig ausge-
ſchlagen, mit Gold und Perlen beſetzt. Im Zelte ſtand des Her-
zogs goldener Stuhl, daneben lag der reiche Hut, das goldene
Vließ und ſein Prachtſchwert, deſſen Griff mit großen Diaman-
ten, Rubinen und andern Edelſteinen beſetzt war. In der Capelle
fand ſich der goldene Roſenkranz, deſſen Kugeln Edelſteine waren,
das mit Perlen und Rubinen geſchmückte Reliquienkäſtchen und
andere Heiligthümer, das in rothem Sammet und Gold gebun-
dene Gebetbuch mit den feinſten Miniaturen, die große, goldene
Monſtranz. Im Speiſezelt ſtanden hochaufgethürmt die goldenen
und ſilbernen Pokale, Schüſſeln und Teller und anderes Geräth.
In 400 Kiſten lagen die ſilbernen und goldenen Stoffe, darunter
allein hundert geſtickte goldene Röcke, die der Herzog für ſich mit-
genommen hatte; die feinſte Leinwand und Seide in Ueberfluß
— alles eine unnütze Beute für ſolche Sieger, die keinen Begriff
von ihrem Werth hatten. Der größte damals bekannte Diamant,
den Karl nebſt andern bei ſich führte, wurde vom Finder erſt ver-
ächtlich weggeworfen und dann für einen Gulden verkauft. Alle
Großen Karls, die Blüthe des burgundiſchen und niederländi-
ſchen Adels, waren im Verhältniß ähnlich ausgerüſtet in dieſen
Krieg gegangen — der koſtbaren Waffen und Rüſtungen nicht
einmal zu gedenken. Nie hatte ſich im Mittelalter ſoviel Pracht
und Koſtbarkeit auf einem Schlachtfeld vereinigt gefunden. Der
Herzog ſchätzte den Verluſt ſeines Eigenthums auf eine Million.
Es mag nicht übertrieben erſcheinen, wenn man bedenkt, daß ſein
Prachtgewand, welches er zu Hof bei feſtlichen Gelegenheiten
trug, allein auf 200,000 Ducaten geſchätzt wurde. Der Beſatz
mit Perlen und Edelſteinen ermöglichte dieſe enorme Summe.
[263]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Dagegen erſcheint es noch ein Kleines, wenn berichtet wird, daß
die Hofdamen ſeiner Gemahlin für ihren Putz jährlich 40,000
Brabanter Thaler erhielten.


In den Niederlanden ſtrömten damals nicht bloß die Schätze
der Welt zuſammen; dort waren auch die Fabrikſtätten für die
feinſten und koſtbarſten Stoffe, dort blühte eine Kunſt, die ſie
mit den ſchönſten und prachtvollſten Muſtern verſah. Die Nie-
derlande hatten die vorzüglichſten Färbereien, die gleich Ausge-
zeichnetes leiſteten in der Aechtheit, wie in der Kraft und Schön-
heit der Farben. Sie webten die großen Muſter mit ſtiliſirten
Pflanzenformen, in Goldbrokat, in Silberſtoff, in Sammet, At-
las, Seide und Wolle. So trugen ſie die Herren wie die Damen,
Gold in Roth, in Grün, in leuchtendem oder dunklem Blau,
in tiefem Violett und Carmoiſin, mit Hermelin verbrämt oder
gefüttert; die ſchweren Stoffe fielen herabhängend auf den Boden
und ſchleppten bei den Damen nach in ellenlanger Maſſe. Alle
dieſe Brokat- und Damaſtſtoffe brechen ſich in eckige, aber groß-
artige Falten, die noch den Eindruck des Pomphaften erhöhen.
Die Kunſt dieſer Zeit, die Schule der van Eyck’s, iſt das treuſte
Abbild der weltlichen Herrlichkeit. Ihre Bilder leuchten in früher
ganz unbekannter Farbenpracht; ihre Heiligen, obwohl von tief-
ſter Frömmigkeit erfüllt, ſind mit den koſtbarſten Gewändern an-
gethan, geſchnitten nach der Mode der Zeit. Die heiligen Frauen,
St. Katharina, St. Agnes, St. Margaretha, St. Urſula, St.
Barbara, ſie gleichen alle den beſtgekleideten Damen von Herzog
Philipps Hof, nur die Zeichen an ihrer Seite, Rad und Schwert
und Lamm, und die ergreifendſte Demuth und Unſchuld auf ihren
Geſichtern entrücken ſie dieſer weltlichen Sphäre. Goldgeſchmückte
und mit Perlen benähte hohe Hauben von den barocken, damals
modiſchen Formen ruhen auf den ſchönen Köpfen, Brokatgewän-
der und Hermelinmäntel bedecken ihre hohen, vollen Geſtalten,
die Hände zieren feine, farbige Handſchuhe, und um die Füße
lagert ſich maſſenhaft der ſchwere Stoff mit dem gebrochenen Fal-
tenwurf. Die Künſtler arbeiteten hierin offenbar der Natur nach:
ſie zeichneten, was ſie ſahen, und componirten frei, wie ſich ihr
[264]II. Das Mittelalter.
Auge an die Formen gewöhnt hatte. So erhob ſich zum Stil,
was Natur geweſen war, und als die Mode wechſelte und dieſe
Wirklichkeit verſchwand, wurde bei ihren Nachfolgern der Stil
zur Manier und Manierirtheit in den kleinknittrigen Gewändern
der Düreriſchen Schule.


Außer dieſen Prachtſtoffen wurden auch in den Niederlan-
den die feinſten Gewebe fabrizirt, die faſt nicht minder geſucht
waren. Die holländiſche Leinwand, ſchon damals durch Feinheit
und Güte berühmt, war zu Hemden, Betten und Tiſchtüchern
erforderlich. Man legte großen Werth auf ſie am burgundiſchen
Hofe. Zu den langen und breiten Schleiern, die von den Spitzen
der hohen Hauben bis auf den Boden herabfielen, lieferten die
Niederlande die feinſten ſeidenen Florgewebe.


In Bezug auf den Schnitt der Kleider und die Formen des
Putzes zeigt ſich keine Rückwirkung der Kunſt auf den burgundi-
ſchen Hof. Die Pracht blendet, aber edlen Geſchmack, Anmuth,
ſchöne Linien, Reiz ſuchen wir vergebens in der äußern Erſchei-
nung dieſer Menſchenwelt. Lasciv und kokett nach der einen
Seite, ſind dieſe Trachten nach der andern ſteif und formlos, ja
mißgeſtaltet und barock. Es iſt ganz wie mit der Etiquette. Wer
ſich mit Ueberzeugung, mit Wohlgefallen in ihre Feſſeln fügen
konnte, der trug auch mit Leichtigkeit, ohne den Zwang zu füh-
len, ja mit Koketterie oder vermeintlicher Würde die enggeſpannte
Kleidung, und ebenſo die Damen ihre ungeheuren Hauben und
langen Schleppen. Keine Bewegung in ſolcher Tracht war völlig
frei, aber die Freiheit war überflüſſig, wo Schritt und Tritt den
gemeſſenſten Vorſchriften folgen mußten.


Es bleibt bemerkenswerth, wie Karl der Kühne ſelbſt ſich in
die Feſſeln der Kleidung und der Etiquette fand, die er von ſei-
nem Vater ererbt hatte. Man ſollte denken, ſein lebhafter, leiden-
ſchaftlicher Geiſt, ſein feuriges Temperament, das Eigenwillige
ſeines Weſens habe alle dieſe Schranken durchbrochen; immer in
angeſtrengter Thätigkeit, ein Freund der Jagd, des Kampfes in
Ernſt und Scherz, der kühnſte Ritter, hochfahrenden Geiſtes und
voll kühner, großer Pläne, habe er alles Hofweſen, allen Zwang
[265]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
und leeres Gepränge verachten müſſen. Aber er liebte die Pracht
und den Glanz und hielt das alles für nothwendig mit ſeiner
Würde verbunden, die er noch durch die Königskrone erhöhen
wollte. Er fügte ſich darum in Zwang und Formen und erhöhte
ſie eher, als er ſie verringerte. Es hat Fürſten gegeben wie Karl
den Großen, die den glänzendſten Hofſtaat hielten und inmitten
deſſelben an ſich ſelbſt die größtmögliche Einfachheit liebten;
Karl der Kühne gehörte nicht zu ihnen: er war der Prächtigſte
unter den Prächtigen ſeines Hofes.


Ein glücklicher Zufall hat uns über das burgundiſche Hof-
ceremoniell die Aufzeichnungen einer Dame dieſes Hofes, Alienor
von Poitiers, Vicomteſſe de Furnes, hinterlaſſen. Sie beſchreibt,
was ſie geſehen und erfahren hat, und ſetzt die Vorſchriften aufs
genauſte auseinander mit der vollſten Ueberzeugung ihrer unfehl-
baren Zweckmäßigkeit. Das ganze ſpätere Hofweſen findet hier
bereits ſein bis ins kleinſte ausgearbeitetes Muſter. Ein Beiſpiel
wird genügen, um die Detaillirung der Vorſchriften zu zeigen.
Daß Gräfinnen und Baroneſſen zur Verbrämung keinen gefleck-
ten Hermelin oder ſchwarzen Zobel tragen ſollen, noch Kleidungs-
ſtücke von gekräuſeltem Goldſtoff, noch in ihrem Hauſe ſich dieſes
Stoffes bedienen, ſondern ſich mit Sammet und Seide begnügen
ſollen, dergleichen ſelten eingehaltene Vorſchriften, beſtimmt den
Unterſchied der Stände aufrecht zu halten, finden ſich auch an-
derswo. Dann heißt es weiter: „Bei Tiſch können ſie von Edel-
leuten bedient werden, aber dieſelben dürfen die Serviette nicht
auf der Schulter, ſondern nur einfach unter dem Arm tragen;
ihr Brot darf nicht eingewickelt ſein, ſondern wird neben das
Meſſer auf eine untergebreitete Serviette gelegt; ihr Haushofmei-
ſter darf keinen Stock führen, noch ihre Tafel mit doppelten
Tiſchtüchern bedeckt ſein; auch dürfen ſie die Schleppe ihrer Röcke
nicht von Frauen tragen laſſen, ſondern nur von einem Junker
oder Pagen.“


Wo ſolche Beſtimmungen das geſellige Leben regeln, da
paßt allerdings nicht eine anmuthige, leichte und gefällige Klei-
dung; ſie würde nur dazu verleiten, übermüthig die Schranken
[266]II. Das Mittelalter.
zu durchbrechen. Aber die Tournüre, wie wir ſie jetzt kennen ler-
nen werden, ſteht völlig damit in Harmonie. Uebrigens entfernt
ſie ſich durchaus nicht von dem allgemeinen Charakter des funf-
zehnten Jahrhunderts, denn wie gewöhnlich die engſten geſell-
ſchaftlichen Schranken, die ſteifſten Umgangsformen mit größter
und unverhüllteſter Sittenloſigkeit gepaart ſind, ſo finden ſich
auch in der Kleidung die ſchon oben angedeuteten Gegenſätze. —


Die Tracht der Männer oder vielmehr der Herren
denn unſre Beſchreibung bezieht ſich zunächſt auf die höchſten
Stände — iſt eine doppelte, eine gewöhnliche und eine ceremo-
nielle. Das Unterſcheidende der letzteren beſteht vornämlich in
dem langen und weiten Oberrock von verſchiedener Form. Es
war das ſchon franzöſiſche Mode geweſen, und ſo hatten z. B.
bei der Vermählung der Iſabella von Bayern mit Karl VI. die
Herren ſämmtlich über ihrer kurzen und knappen Kleidung den
langen Rock als Hofkleid getragen. In Bezug auf Burgund er-
litt das eine Einſchränkung, denn wir finden bei Hofſcenen im-
mer manche der Hofleute in kürzerer Kleidung. Die Herzoge ſelbſt
aber, Philipp wie Karl, tragen bei Audienzen und anderen feſt-
lichen Gelegenheiten den langen Rock. Es iſt eine ſehr weite,
vorn offene, aber zugeknöpfte Schaube, einfach, wie z. B. blau,
oder von Goldbrokat, mit Zobel oder Hermelin verbrämt und ge-
füttert, und herabreichend bis auf die Füße, daß nur die langen
Spitzen hervorragen. Die Aermel ſind weit und pelzverbrämt,
und häufig doppelt in der Art, daß das eine Paar angezogen iſt,
das andere aber von der Schulter herabfällt. Dieſes Ceremonie-
oder Galakleid findet ſich bei allen chriſtlichen Fürſten jener Zeit.
Tragen es aber andere vornehme Perſonen von minder hohem
Range, ſo muß freilich der Hermelin fortgelaſſen und durch ein
weniger koſtbares Rauchwerk oder durch Sammet erſetzt werden.
Bei dieſen ſehen wir ihn dann auch zuweilen auf den Hüften fal-
tig eingeſchnürt. — Andere Hofleute, jüngere wie ältere, na-
mentlich die erſteren, tragen am Hofe einen Oberrock, der ſich von
dem eben beſchriebenen nur durch eine auffallende Kürze und Ein-
ſchnüren der Taille unterſcheidet. Im Uebrigen iſt er eben ſo
[267]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
weit und in gleicher Weiſe mit Pelz ausgeſchlagen. Seine Kürze
iſt gewöhnlich von der Art, daß er kaum mehr als Handbreit auf
die Hüften reicht, doch tragen ihn auch andere bis zu den Knieen.
Seine weiten Aermel hatten eine doppelte Oeffnung, die gewöhn-
liche am untern Ende und einen langen Schlitz an der Seite,
welche beide benutzt werden konnten. An den Schultern erhielt
dieſer Galarock, der lange wie der kurze, die ſogenannten ma-
hoîtres
*), wulſtartige, künſtliche Anſätze oder Auswattirungen
alſo falſche Schultern, welche den Mann breiter in der Bruſt er-
ſcheinen laſſen ſollten. Der Herzog wie der Junker trug dieſelben,
auch König Karl VII. von Frankreich. Man beachtete nicht, daß
dadurch der Körper unſchön aus allem Verhältniß kam, da nach
unten zu bei kurzem Rock und engem Beinkleid die ganze Figur
bis zum langen Schnabel in die Spitze auslief. — Der gewöhn-
liche Oberrock gleicht mehr oder weniger dem kurzen ceremo-
niellen. Er iſt ebenſo weit an Aermeln, Schultern und am Leib,
in der Taille geſchnürt oder ohne alle Einengung frei und offen;
in der Länge aber reicht er gewöhnlich kaum eine Handbreit auf
die Hüften. — Der Mantel iſt mehr ein Stück des fürſtlichen
oder königlichen Ornats, bis in den letzten Jahrzehnten des funf-
zehnten Jahrhunderts das ganz kurze, ſpäter ſ. g. ſpaniſche Män-
telchen aufkam. Wir werden es im eigentlichen Deutſchland wie-
der finden.


Im Uebrigen, wenn wir von dem weiten Oberrock abſehen,
war die Kleidung des Mannes nach wie vor in immer ſteigendem
Grade auf Enge angelegt. Das Beinkleid, welches mit Neſteln
an die Jacke befeſtigt wurde, ſchloß ſo eng an, daß es alle For-
men zeigte, ſelbſt diejenigen, welche man immer verdeckt. Der
Rock konnte es nicht verhindern, weil er nicht immer getragen
wurde, vor allem aber ſeiner Kürze wegen, da ſie, wie Monſtrelet
zum Jahr 1467 ſagt, ſo zunahm, que l’on veoit la façon de
leurs culs et de leurs génitoires comme l’on souloit vestir
les singes.
Ebenſo war es mit der Jacke oder Schecke. Bei brei-
[268]II. Das Mittelalter.
ten Schultern gehört eine ſchmale Taille den Stutzern von Bur-
gund zum Ideal männlicher Schönheit. Um ſie herzuſtellen, be-
diente man ſich eines auch heute noch bei jungen Herren nicht un-
bekannten Mittels — wir brauchen keine Parallele zu ziehen —:
man ſchnürte ſich. Eine intereſſante burgundiſche Miniature, zu
einem Manuſcript des Romans von der ſchönen Helena gehörig,
macht uns mit ſolchen Interieurs der männlichen Toilette be-
kannt. Sie ſtellt — in allen Einzelheiten genau der Gegenwart
des Künſtlers entſprechend — eine Taufe vornehmer Heiden durch
einen chriſtlichen Biſchof dar. Die Ceremonie geſchieht durch Un-
tertauchen in ein großes Baſſin. Einige Täuflinge ſind nackt,
andre entkleiden ſich grade. Einer von ihnen hat ſich bereits des
Beinkleids entledigt und ſteht im Hemde, welches, den Schnitt
am Halſe ausgenommen, ganz dem unſrigen gleicht. Ueber dem
Hemde liegt aber noch eine Jacke mit engen Aermeln, welche auf
der Bruſt von oben bis unten geſchnürt iſt. Ihr Träger iſt grade
im Begriff den Schnürſenkel zu löſen, was bereits theilweiſe ge-
ſchehen iſt.


Die Fußbekleidung iſt die gewöhnliche dieſer Zeit mit
mehr oder weniger ausſchweifender Spitze: entweder nur die mit
Sohlen verſehenen Füßlinge des Beinkleids oder farbige Schuhe,
welche den ganzen Fuß bedecken, oder pantoffelartige Unterſchuhe.
Alle drei Arten waren gleich elegant.


Eigenthümlicher iſt die Kopftracht. Kein nobler Herr,
alt oder jung, trägt einen Bart; alle Geſichter ſind glatt. Umſo-
mehr ſtand das Haupthaar in voller Pracht; man liebte es, daſ-
ſelbe in breiten Maſſen auf die Schultern fallen zu laſſen, oder
wenigſtens mit ſchönem Lockengekräuſel den Kopf zu umgeben.
Die Mittel dazu waren kein Geheimniß und wurden fleißig be-
nutzt. Den Scheitel trug man auf der Mitte des Kopfes, an der
Seite wie wir, oder man ſtrich die Haare über die Stirn herein
und verſchnitt ſie hier in grader Linie, ließ ſie aber auch, wie
Monſtrelet klagt, ſoweit herunter hängen, daß ſie die Augen be-
läſtigten. Herzog Philipp ſah ſich einmal genöthigt in Folge einer
heftigen Krankheit auf den Rath der Aerzte das Haar ganz kurz
[269]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
ſchneiden zu laſſen, und um der Lächerlichkeit zu entgehen, befahl
er ſeinen Hof- und Edelleuten daſſelbe zu thun. Sie wurden
ſämmtlich ausgelacht. Karl der Kühne aber und die niederländi-
ſchen Herren waren nicht dazu zu bewegen. Es war die Zeit des
kurzen Haares noch nicht gekommen.


Die gewöhnliche Kopfbedeckung iſt der Filzhut oder Caſtor,
den wir ſchon in ſeiner Vielfältigkeit und Zähigkeit zugleich haben
kennen lernen. In der gewöhnlichen Form mit breitem oder
ſchmälerem Rande, flach oder aufgekrämpt, mit höherem oder nie-
derem Deckel, von allen Farben, weiß, roth, blau, ſchwarz und
grün, trägt ihn der Fürſt wie der Bürger. Wer aber das Recht
dazu hatte, der umgab ſeinen Rand mit einem gezierten Kronen-
reif und verband auf dieſe Weiſe Krone und Hut; ein anderer
umſchlang ihn mit goldenen Schnüren oder anderem Schmuck
von edlem Metall und mit Edelſteinen und Perlen, wenn er an
Federn und Farben kein Genüge fand. Der koſtbarſte Hut von
allen war der hiſtoriſch berühmte Karls des Kühnen, den er in
der Schlacht bei Granſon verlor. In der Form hatte er nichts
Auffallendes: ein runder, ziemlich hoher, oben abgeſtumpfter
Deckel, mit mäßig breitem, einfachem Rande. Der Stoff war
gelber Sammet. Wo der Rand an den Deckel ſtößt, umgab ihn,
anſtatt des heutigen Bandes, ein Kronenreif aus einer Reihe
gleich großer Sapphire und Rubine, die je von einander durch
drei große orientaliſche Perlen getrennt waren. Bis oben hinauf
umzog ihn eine ſechsfache Reihe der koſtbarſten Perlen. Vorn war
ein Schmuck von Diamanten, Rubinen und Perlen, in welchem
zwei krauſe Federn ſteckten, die eine weiß, die andere roth. Dieſer
Hut wurde mit einem der berühmten Diamanten von Jacob
Fugger um 4700 Gulden erſtanden; derſelbe zerſchnitt ihn, und
die bedeutendſten Edelſteine daran kamen in den Beſitz Maximi-
lians.


Eine Eigenthümlichkeit hatte ſich mit dem Hut am burgun-
diſchen Hofe herausgebildet. Wie man ſchon damals bedeutende
Perſonen durch Abnehmen des Hutes zu begrüßen pflegte, ſo er-
forderte es auch die Etiquette, in Gegenwart des Fürſten unbe-
[270]II. Das Mittelalter.
deckten Hauptes zu bleiben. Man hatte aber ein Mittel gefunden,
ohne Verletzung der Heiligkeit des Hofceremoniells dieſe Vor-
ſchrift zu umgehen. Wir haben mehrfach Abbildungen von
Audienzen des Herzogs Philipp und andere Darſtellungen dieſer
Art. Da giebt es Herren, die tragen bei ſolcher Gelegenheit eine
hohe Mütze von abgeſtumpfter Kegelform ohne Rand, auch oben
mit einer Quaſte verſehen, gleich dem Fez, aber von höherer und
ſpitzerer Form; den geränderten Hut aber, der grade die Geſtalt
und Größe hat, daß er auf dieſe Mütze paßt, tragen ſie in der
Hand oder unter Umſtänden an einer Binde auf dem Rücken
hängend. Die Sitte ſcheint am Hofe allgemein geweſen zu ſein.
Der Herzog ſelbſt legt in ſolchem Falle den Hut nie ab; es war
ſein Vorrecht. Weit ſeltner erſcheinen am burgundiſchen Hof ne-
ben dem Hut noch andere Formen der Kopfbedeckung, wie z. B.
runde, wulſtige Mützen mit Sendelbinden oder Mützen mit über-
hängendem Stoff und ähnliches. Erſt gegen Ende des Jahrhun-
derts tritt der Hut vor dem Barett zurück. —


Zu der Tracht einer vornehmen Dame, wenn ſie in
vollſtändiger Toilette erſchien, gehörten noch wie früher zwei
Kleider, von denen das obere damals in Frankreich cotte-hardie
oder in beſonderem Sinne Robe genannt wurde. Es war ebenſo
bei den Damen des burgundiſchen Hofes, und nur zum fürſtlichen
Ornat kommt noch der Mantel hinzu. Von dem unteren Kleid iſt
wenig zu ſehen, da es die Robe mit ihrer Maſſenhaftigkeit faſt
völlig zudeckte. Nur auf der Bruſt wurde es ſichtbar und unten
an den Füßen, wenn die Robe mit dem Arm in die Höhe genom-
men war. An dieſen Stellen wurde es nicht vernachläſſigt, denn
obwohl es nur ſo weit herabreichte, daß es den Fuß nicht ver-
deckte — wodurch einer Dame die Möglichkeit gegeben war, den
ſchönen Fuß und den zierlichen geſpitzten Schuh zu zeigen —,
hatte es hier doch einen breiten, prachtvoll geſtickten Saum. Auch
an der Bruſt, ſoviel ſichtbar blieb, denn die Mode verlangte ſtarke
Decolletirung, war es ähnlich verziert. Zu größerer Enge und zu
bequemerem Anziehen hatte es von oben herab eine tiefgehende
Oeffnung, welche durch goldene oder ſonſt farbige Schnürſenkel
[271]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
wieder zuſammengezogen war. Doch erſcheint das nicht als allge-
meine Mode.


Aller Prunk und alle Pracht war eigentlich auf die Robe
verwendet. Hier vereinigt ſich Farbenglanz mit der Koſtbarkeit
und Schwere des Stoffs und mit der Großartigkeit der Drappi-
rung. In der Taille, aber ziemlich hoch, umfaßte ſie ein breiter
Gürtel von Goldſtoff, mit Perlen, Edelſteinen und getriebenem
Golde beſetzt. Vom Gürtel lief der Schnitt mit koſtbarem Pelz-
ausſchlag über die Schultern nach hinten; abwärts fiel der Stoff
maſſenhaft herab auf die Erde und ſchleppte hinten ellenlang
nach. Der ganze Saum um die Füße und der Rand der Schleppe
war wieder mit edelſtem Rauchwerk beſetzt, wenn nicht das Geſetz
weniger vornehme Damen zwang, ſich mit Sammet zu begnügen.
Die Hauptſchleppe war hinten; eine vordere, welche die Dame
ſelbſt auf dem Arm tragen mußte, war am burgundiſchen Hofe
nicht Sitte. Man darf die Schleppe einer Fürſtin in Gala von
drei, vier Ellen und mehr noch annehmen. Wir haben ſchon ge-
ſehen, daß die Etiquette den Damen, die nicht fürſtlichen Stan-
des waren, gebot, ihre Schleppe nicht von Frauen, ſondern nur
von einem Junker oder einem Edelknaben tragen zu laſſen. Je-
nes war das höchſte Vorrecht und ſcheint immer nur bei der erſten
Dame ſtatt gefunden zu haben. Die Hofdame, welche ihre
Schleppe trug, war ebenfalls vornehmen Standes und an ihrer
Robe mit einer Schleppe verſehen, mußte dieſelbe aber nachſchlei-
fen laſſen. Es waren noch andere Vorſchriften damit verbunden,
z. B. bei Begegnungen und Begrüßungen mit hohen Perſonen.
So erzählt die Vicomteſſe von Furnes in ihren Aufzeichnungen
Folgendes. Es war bei Gelegenheit, als der Dauphin von
Frankreich, der nachherige Ludwig XI., vor ſeinem Vater flüchtig,
an den Hof Philipps des Guten kam, wo er nur die Damen an-
traf. „Es iſt zu bemerken,“ ſagt unſre Berichterſtatterin, „daß,
als die Herzogin dem Dauphin entgegen ging, eine von den Da-
men oder ein Fräulein ihre Schleppe und ein Ritter oder Junker
die der Frau von Charolais, ihrer Schwiegertochter (Gemahlin
Karls des Kühnen), trug. Frau von Ravenſtein (Herzogin von
[272]II. Das Mittelalter.
Cleve) trug die ihrige ſelbſt; aber als die Herzogin den Dauphin
gewahr wurde, ließ diejenige, welche ihre Schleppe trug, ſolche
fahren und ebenſo derjenige, welcher die Schleppe der Frau von
Charolais trug, und als der Dauphin und die Herzogin mit ein-
ander gingen, nahm dieſe ihren Rock ſelbſt mit ihrer Hand, und
ihr Ehrenritter oder irgend ein anderer half ihr denſelben tragen;
doch hielt ſie immer die Hand daran, und Frau von Charolais
trug den ihrigen.“ Aehnlich geſchah es ein ander Mal, als die
Herzogin von Burgund der Königin von Frankreich ihre Aufwar-
tung machte. Die erſte Hofdame nahm die Schleppe der Herzo-
gin, der Herzog von Bourbon führte ſie, und alle übrigen Ritter
und Edelleute traten voraus. So ging der Zug bis vor das
Zimmer der Königin. Nach geſchehener Anmeldung ging die
Herzogin bis an die Thürſchwelle. Alle ihre Ritter und Edelleute
traten vor ihr hinein, und als ſie ſelbſt an die Schwelle des Zim-
mers gekommen war, nahm ſie die Schleppe ihres Kleides aus
der Hand, die ſie getragen hatte, in die ihrige. Als ſie über die
Schwelle ſchritt, ließ ſie die Schleppe fallen, und neigte ſich faſt
bis auf die Erde. Die Höflichkeit, welche hier die Herzogin der
Königin erweiſet, beſteht darin, daß ſie ſelbſt ihr gegenüber einer
ihr zukommenden Ehre entſagt. Die lange, getragene Schleppe
verwuchs ſo völlig mit dem Hofweſen und der Etiquette, daß ſie
damals des Künſtlers Phantaſie nicht zu trennen vermochte. Ein
Beiſpiel dieſer innigen Verbindung giebt ein großer franzöſiſch-
burgundiſcher Teppich, welcher Scenen aus dem trojaniſchen
Kriege darſtellt. Die Königin der Amazonen, Pentheſilea, kniet
hier in feierlicher Audienz vor Priamus. Obwohl ſie an Haupt
und Bruſt ritterlich gerüſtet iſt, trägt ſie doch ein langes Ober-
kleid von großgemuſtertem Brokat mit einer langen Schleppe,
welche von einer ähnlich gerüſteten Amazone hinter ihr getragen
wird. —


Bei den höchſten Hoffeierlichkeiten wurde auch der Mantel
angelegt und dann ebenfalls mit einer außerordentlichen Schleppe.
Der Mantel war damals nicht ganz aus dem Gebrauche ver-
drängt, aber er hatte ſich in mancherlei Formen mehr in den
[273]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Bürgerſtand zurückgezogen, wo wir ihn wiedertreffen werden. Als
Zeichen des höchſten Staates nähert er ſich der Form des drei-
zehnten Jahrhunderts; er legt ſich um Schultern und Nacken und
iſt vorn auf der Bruſt durch ein breites, reich geſchmücktes Band
gehalten. Sein Stoff iſt der koſtbarſte, ſein Unterfutter Herme-
lin; Perlen und Edelſteine bedecken ihn. So trägt ihn Maria
von Burgund auf einer Miniature, mit einer Schleppe in ſolcher
Länge und Breite, daß zwei Hofdamen neben einander ſie tragen.
Das Kleid, vorn mit der linken Hand in die Höhe gehalten,
ſchleppt darunter nach, denn es iſt des Mantels wegen nicht ver-
kürzt. — Es giebt ein gleichzeitiges Bild der Agnes Sorel, das
ſie als die Mutter Gottes darſtellt, ſitzend, mit dem Kinde an
der Bruſt, dem ſie dieſelbe reicht. Ihr tief ausgeſchnittenes Kleid
iſt darum geöffnet und der Schnürſenkel halb gelöſet; darunter
erſcheint das Hemd; das Haar iſt aufwärts geſtrichen von Schlä-
fen und Nacken, und darauf liegt ein weit herabfallender Schleier
und eine reiche goldene Krone. Um die Schultern, an den Saum
des Kleides angenäht, hängt ein ſilbergrauer Hermelinmantel, der
in reichen, faltigen Maſſen über ihre Kniee gelegt iſt. So ſtellt
auch die Kunſt jener Zeit die heiligen Frauen dar. Der fromme
Sinn dieſer Künſtler ſtattet ſie aus nicht bloß mit körperlicher
Schönheit, ſondern auch mit dem Reichſten und Höchſten, was
die Erde zu bieten hat; ein in Farben glänzender und mit allen
Schätzen überladener Königsmantel fällt von den Schultern
herab, wallt ſchleppend um die Füße, oder iſt, wenn ſie ſitzen,
mit verſchwenderiſcher Maſſe über die Kniee gelegt. Auf dem
Haupt ruht die goldene Krone und der geſtickte Schleier. — Der
Mantel gehörte auch noch zur Trauerkleidung. Obwohl eine
Dame von höchſtem Stande beim Tode ihres Gemahls eine Zeit-
lang das Zimmer nicht verlaſſen durfte, mußte ſie doch einen
ſchwarzen Mantel mit langer Schleppe tragen, welche mit grauem
Pelz gefüttert und ausgeſchlagen war.


Im Jahr 1467, berichtet Monſtrelet, gaben die Damen
und Fräulein die langen Schleppen, welche getragen werden
mußten, auf und machten ſtatt deſſen unten an den Kleidern
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 18
[274]II. Das Mittelalter.
einen außerordentlich breiten Pelzbeſatz. Die Vicomteſſe de Fur-
nes weiß etwas Aehnliches ſchon vom Jahr 1456 zu erzählen,
daß nämlich die Herzogin ſelbſt bei der Taufe der Maria ein ganz
kurzes Kleid getragen und die andern Damen ihre Schleppen
ſelbſt in die Hand genommen hätten. In der That zeigen die
Bilder ſeitdem die Damen häufig ohne Schleppen und mit dem
breiten Hermelin- oder Marderſaum des Kleides. Die Schleppe
jedoch verſchwand nicht; in der Länge freilich, in welcher ſie getra-
gen werden mußte, blieb ſie mehr feierlichen Gelegenheiten, wie
Krönungen und Vermählungen, vorbehalten; als nachſchleppen-
des Kleid aber ſpielt ſie noch grade in den letzten Jahrzehnten des
funfzehnten Jahrhunderts in der Damenwelt der Niederlande
eine große Rolle.


Der burgundiſchen Damenwelt war auch jenes Hermelin-
leibchen nicht unbekannt, welches wir oben als noble Tracht der
Franzöſinnen und Engländerinnen beſchrieben haben. Es ſcheint
bei beſtimmten Gelegenheiten von der Etiquette geboten worden
zu ſein und findet ſich namentlich bei dem nachſchleppenden Man-
tel ſtatt des langen Oberkleides. Auch bei der Trauerkleidung
wurde es, jedoch von anderm Stoff, getragen.


Das Eigenthümlichſte und Barockſte zugleich an der Damen-
tracht waren die hohen Hauben, und ſie vorzugsweiſe mögen
einen Gradmeſſer des Geſchmackes und der Sinnesrichtung ihrer
Trägerinnen abgeben. Ganz im Gegenſatz gegen das frühere
Mittelalter, welches auf das Haar einen außerordentlichen Werth
legte und es in freier Lockenfülle über Schultern und Nacken
herabfallen ließ, ſtrichen es die burgundiſchen Damen aufwärts
und ſuchten es unter hohen Gebäuden zu verbergen. Nicht ein-
mal die deutſche Mode, welche es in goldene Netzhauben an bei-
den Ohren eingeſchloſſen trug, fand Gnade. Nichts ſollte ſichtbar
werden und was ſich vordrängte, wurde abgeſchnitten, ausgeriſ-
ſen oder abgebrannt. Es iſt, als ob Damen und Herren ihre
Rolle vertauſcht hätten und den letzteren Locken und Pomaden
und Haarſchmuck zugefallen ſeien. Die Mode war keine neue:
der burgundiſche Hof hatte ſie von Frankreich erhalten. Hier war
[275]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
es vorzugsweiſe die Königin Iſabella, Gemahlin Karls VI.,
welche zur Vergrößerung der Hauben das meiſte beigetragen hatte.
Ihr Ruf in dieſer Beziehung iſt ſo groß, daß die übertreibende
Tradition ihr nachſagt, es hätten die Thore des Palaſtes zu Vin-
cennes für ſie und ihre Damen um der gewaltigen Coiffüren
willen geändert werden müſſen. Es giebt eine wohl gleichzeitige
Miniature, welche dieſe Königin mit einigen Damen in ihrem
Gemache, alſo keineswegs in höchſter Toilette, darſtellt. Wir
haben dieſelbe bereits oben erwähnt. Die Königin trägt das
Haar aus dem Geſicht und dem Nacken herausgeſtrichen und un-
ter einer großen Haube verborgen. Dieſe baut ſich von den
Schläfen aus ſchräg in die Höhe um mehr als die Länge des
Kopfes; quer darüber liegt ein mächtiger, dicker Wulſt, etwa in
der Breite von drei Geſichtslängen mit einer Einſenkung über dem
Scheitel und rundum mit Schmuck und goldenen Nadeln beſteckt.


Um dieſelbe Zeit, welcher die genannte Miniature angehö-
ren mag, warnt der Ritter de la Tour ſeine Töchter vor ſolchem
Uebermaß. „Die Frauen,“ ſagt er, „gleichen den gehörnten Hir-
ſchen, welche den Kopf ſenken, wenn ſie in den Wald hinein-
gehen. Wenn ſie an der Thüre der Kirche ankommen, betrachtet
ſie euch: man bietet ihnen geweihtes Waſſer — ſie nehmen keine
Rückſicht darauf, wohl aber auf ihre Hörner, die ſie abzubrechen
fürchten, und welche ſie zwingen ſich zu bücken.“ Faſt auffallen-
der noch coiffirten ſich damals die engliſchen Damen: auf dicken
Wülſten ruhte ein Drahtgeſtell, welches einen Schleier oder ein
leichtes farbiges Tuch nach beiden Seiten weit ausgeſpannt hielt.
Es mochte oft Schwierigkeit haben, mit denſelben in gradem
Schritt durch enge Thüren zu gehen, und es bedurfte nicht ſelten
zur glücklichen Paſſage einer Seitenbewegung. Engliſche ſitten-
richternde Prediger hatten damals unter der Regirung der Hein-
riche dieſe hohen Hauben gar oft zum Thema und verglichen die
Damen mit den horntragenden Thieren, mit Hirſchen, Einhör-
nern und den Schnecken. In dieſe Kategorie gehört auch die
Galgenhaube in der oben mitgetheilten Erzählung des Ritters de
la Tour.


18*
[276]II. Das Mittelalter.

So vielgeſtaltet nun auch dieſe Kopftracht war und ſoviel
dabei von der beſondern Laune und dem Geſchmack erfinderiſcher
Damen abhing, ſo laſſen ſich doch drei Grundformen herausfin-
den, welche ſich am burgundiſchen Hofe feſtgeſtellt hatten. Freilich
wird es ein vergebliches Beginnen ſein, durch Worte ein Bild
davon geben zu wollen, und wir müſſen deßhalb auf die mancher-
lei Abbildungen verweiſen. Die erſte und vielleicht älteſte Form
iſt die, welche wir ſo eben bei der Königin Iſabella beſchrieben
haben. Der untere Theil pflegt einfacher oder gemuſterter Gold-
ſtoff zu ſein, der obere Wulſt iſt farbig. Er ſenkt ſich in der
Mitte bald mehr, bald minder tief. Sehr häufig wird er durch
einen runden Pelzſtreif von Buntwerk erſetzt, welcher mehrere
Mal auf- und abläuft. Oft fällt auch ein Schleier tief herab oder
iſt als Sendelbinde loſe um die Schultern gelegt. Ueber dieſer
Haube, welche die Länge des Geſichts doppelt übertreffen kann,
trägt die Fürſtin bei feierlichen Gelegenheiten eine Krone, die ſich
nach ihrer Form richten muß und daher nicht ſelten ſchief iſt.


Die zweite Form erſcheint einfacher und leichter, übertrifft
aber die erſte bei weitem an Ausdehnung. Ueber dem Kopf er-
hebt ſich ein hohes Drahtgeſtell, mit einer tiefen Einſenkung in
der Mitte, welches mit einem farbigen, leichten Stoffe luftig um-
ſpannt iſt. Seine Geſtalt, immer grotesk, iſt ſehr verſchieden.
Noch barocker erſcheint die dritte Haube, die wohl als die belieb-
teſte bezeichnet werden kann. Am Scheitel iſt ein kegelförmiger,
ſehr ſpitz zulaufender Aufſatz befeſtigt; ein breiter Schleier windet
ſich darum und fällt ſchlaff und loſe oder in voller, geſteifter
Breite hinten bis auf den Boden herunter. Die Haare über der
Stirn, welche nicht von dem Aufſatz eingeſchloſſen ſind, bedeckt
ein breites, ſchlichtes Band, welches zu beiden Seiten ſich auf die
Schultern legt. Die Länge der kegelförmigen Spitze iſt verſchie-
den bis zu einer Elle, wonach ſich die Breite des Schleiers richtet.
Das Ganze iſt farbig, das breite Band wie die Spitze, wenn ſie
nicht von Goldſtoff iſt, und auch der geſtickte und mit Spitzen be-
ſetzte Schleier in verſchiedenen Abſätzen.


Dieſe drei Formen, die freilich mancherlei Modificationen
[277]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
unterworfen ſind, behaupten ſich mit bemerkenswerther Conſe-
quenz die lange Regirung Philipps des Guten und Karls des
Kühnen im Beſitz aller Damenköpfe, wenn ſie auch einzelnen
mehr oder minder abweichenden Haubenarten eine Exiſtenz neben
ſich gewähren müſſen. Es iſt grade ſo mit der übrigen geſamm-
ten Tracht der Herren und der Damen; bei ſo vielerlei kleinen
Verſchiedenheiten iſt im Grundcharakter und in den Hauptformen
eine große Stetigkeit wahrzunehmen. Wir wollen nicht behaup-
ten, daß es in den bürgerlichen Kreiſen der Niederlande in dem-
ſelben Grade ebenſo geweſen ſei, doch war es ähnlich. Der bur-
gundiſche Hof erſcheint hier gewiſſermaßen als der Regulator der
Moden, und wie die Etiquette ſelbſt, deren Begriff ſchon die un-
veränderliche, erſtarrte Form iſt, aller Entwicklung und Fortbil-
dung widerſtrebt, ſo mußte auch die Kleidung ſtet bleiben, da die
Geſetze der Etiquette vielfach an beſtimmte Formen derſelben ge-
bunden ſind. Ganz daſſelbe wiederholt ſich im ſiebzehnten Jahr-
hundert mit Ludwig XIV.


Mit dem Fall Karls des Kühnen und dem Sturz des bur-
gundiſchen Hofes ändert ſich auf einmal die ganze Sache. Nie-
mand iſt mehr da, der vorſchreibt, was nobel und vornehm iſt;
ein jeder erſcheint ſeinen Launen und ſeinen Einfällen überlaſſen,
mit denen er freilich nicht aus dem allgemeinen Geſchmack her-
austreten kann. Auch war die Zeit noch nicht gekommen, wo die
Sittenzuſtände ſich gebeſſert hätten: alles war noch in der Auf-
löſung begriffen, und die reichen Niederlande, der Mittelpunkt
des Weltverkehrs, ſtanden nicht hinter andern zurück. Die Folge
iſt, daß nun in kürzeſter Friſt eine unglaubliche Menge der ver-
ſchiedenartigſten Moden auftaucht, die, wenn auch weniger barock
und unſinnig als Schnabelſchuhe, Schellen und Zattelverſchwen-
dung, an Charakterloſigkeit alles übertrifft, was bisher dagewe-
ſen iſt. Es ſcheint unmöglich hier beſtimmte Hauptformen heraus-
greifen zu wollen, um welche ſich die übrigen gruppirten. Jede
ſcheint der andern zu widerſprechen und leidet zugleich an eignem
Widerſpruch. Die geſpannteſte Enge, die jedes Auge beleidigt,
Jacken und Mäntelchen, die auf ein paar winzige Lappen reducirt
[278]II. Das Mittelalter.
ſind, ſtehen neben dem ſtolzen, prachtvollen Pelzüberwurf, der
die ſtattliche, ſelbſtbewußte Geſtalt des reichen Kauf- und Raths-
herrn in verſchwenderiſcher Weite bedeckt. Den Frauen liegen die
Kleider anſchmiegend am Leibe von oben bis unten, und andern
ſchlottern ſie formlos an allen Gliedern; von oben her ſind ſie
ausgeſchnitten, daß die Brüſte völlig Jedermanns Augen bloß
liegen, und um die Füße wallt das Kleid maſſenhaft und ſchleppt
ellenlang nach. Hier haben wir oft den prachtvollſten Faltenwurf
des ſchweren Stoffes und oben hört ob des unſchönen Schnittes,
ob der Mißgeſtalten aller Reiz und alle Anmuth auf. Frauen
ſehen wir nonnenhaft verhüllt in weite dunkle Gewänder, den
Kopf von dichten Tüchern umſchlungen, und wir leſen von den
dünnen, durchſichtigen Florkleidern, die Farbe und Formen des
Leibes erkennen laſſen. Ja man legte auch die Kleider ab, um
andern eine feſtliche Freude zu machen. Schon etwas früher war
dergleichen vorgekommen. So veranſtaltete das üppige Paris im
Jahr 1461, als Ludwig XI. dort ſeinen Einzug hielt, daß drei
der ſchönſten Mädchen der Stadt dieſen bekannten Freund der
ſchönen Bürgerinnen ganz nackend mit Gedichten empfangen
mußten. Die Stadt Lille machte es ähnlich mit Karl dem Küh-
nen im Jahr 1468. Unter den Schauſpielen, die vor ihm aufge-
führt wurden, befand ſich auch das Urtheil des Paris, wobei die
drei Göttinnen ganz der Mythe gemäß völlig nackt erſchienen.
Noch Dürer weiß bei ſeiner niederländiſchen Reiſe (1520) von
ähnlichen Dingen zu erzählen, die er ſelbſt mit angeſehen hatte.
Der Magiſtrat von Antwerpen, ſo ſchreibt er an ſeinen Freund
Melanchthon, veranſtaltete bei dem Einzug Karls V. auf der
Straße allerlei Schauſpiele, und dabei befanden ſich die ſchönſten
und vornehmſten Mädchen der Stadt, faſt ganz nackt, ohne Hemd
und nur mit einem dünnen Florkleide bedeckt. Der ernſte junge
Kaiſer ſah nicht hin, wohl aber geſteht Dürer, ſich dieſelben ge-
nau betrachtet zu haben, „weil er ein Maler ſei.“


Das war noch dieſelbe Zeit, in welcher die alten Meiſter der
niederländiſchen Kunſt, Hans Memling, Rogier von der Weide,
Hugo van der Goes und ihre Genoſſen und Schüler ihre from-
[279]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
men, tiefbeſeelten Geſtalten ſchufen, Marien mit einer Welt von
Liebe und Schmerzen und die wunderſchönen heiligen Frauen
mit dem gottergebenen Geſicht und den demüthig geſenkten Au-
gen, mit der königlichen Haltung und den prachtvollen noblen
Gewändern. Die Zeit mußte ſtarke Gegenſätze ertragen können
und ertrug ſie in höchſt naiver Weiſe, wenn ſie auch hart im
Raum an einander ſtießen. So will ich hier einer Miniature ge-
denken, einer für viele, denn ſie ſteht nicht iſolirt. Es iſt ein
Blatt eines kleinen Gebetbuches niederländiſcher Arbeit, deſſen
Hauptdarſtellung die Verkündigung bildet. Sie iſt mit dem feinen
Pinſel und der unendlichen Geduld, mit all der innigen Liebe
und der aus der Tiefe der Seele kommenden Frömmigkeit gemalt,
wie ſie dieſen Künſtlern eigenthümlich iſt. Das kaum ein paar
Zoll große Bildchen umgiebt eine farbige Randverzierung, in de-
ren Laubgewinde ſich der derbſte Humor in ebenſo aufrichtiger
Weiſe ergeht. Da iſt ein Affe, der als Jäger gekleidet mit der
Armbruſt auf einen zweiten zielt, welcher ihm das Kehrgeſicht zur
Zielſcheibe zeigt. An abſichtliche Verſpottung des Heiligen iſt hier
nicht zu denken. Ein Gebet, die Verkündigung und dieſer Hu-
mor — das vertrug ſich zuſammen im Gemüth des Künſtlers,
wahrſcheinlich auch in dem der frommen Beterin, welche Beſitzerin
dieſes Büchleins war.


Wir ſehen den Widerſchein dieſer bunten Welt in der gan-
zen niederländiſchen Kunſt der letzten Jahrzehnte des funfzehnten
Jahrhunderts und im Anfange des ſechszehnten. Nehmen wir ſo
ein figurenreiches Bild wie die große Paſſion von Hans Mem-
ling im Dom zu Lübeck oder ſo viele andere Altarbilder dieſer
Art. Wie ſtrotzt das Alles von bunten Trachten! Hier die aben-
teuerlichen Kopfbedeckungen, die ſpitzen Mützen mit Goldquaſten
und Goldſchnüren, zerſchnitten, aufgekrämpt und niedergekrämpt,
in allen Farben, in allen Formen, ſo ſinnreich und ſinnlos zu-
gleich, daß man nicht begreift, wie man darauf verfallen konnte;
dieſe Turbane, mit Binden von Goldſtoff umwunden, mit ge-
ſpitzten Hörnern; Mützen mit herabwallendem oder umgebunde-
nem Stoff; Spitzhüte mit halber Krämpe und Kronenreif. Be-
[280]II. Das Mittelalter.
trachtet die Oberkleider, die brokatnen Prachtgewänder mit Gold
auf rothem, ſchwarzem, grünem, blauem Grunde, mit den hän-
genden, zerſchlitzten, offenen, verbrämten Aermeln, bald weit,
bald eng, lang oder kurz; dieſe zerſchlitzten und zerſchnittenen
Jacken, von denen, um das feine Hemd zu zeigen, nichts übrig
geblieben ſcheint als ein paar farbige Bänder und Streifen, die
faltige, bauſchige Maſſe der Leinwand zu halten! Seht dieſe
Magdalena an, wie ſie, auf die Kniee geſunken, im bitterſten
Schmerz mit thränenden Augen das Kreuz umklammert, an wel-
chem der Heiland hängt! Eine rothſammetne Haube mit reichem
Goldſchmuck umgiebt das blonde ſchöne Geſicht; zu grünem,
goldgeſäumtem Rocke trägt ſie ein Leibchen von rothem Goldbro-
kat, weit ausgeſchnitten an Bruſt und Schultern, eng die Fülle
des Leibes umſpannend; mit breiten, perlbeſetzten Goldſtreifen
am obern Rand und um die Oberarme; vom Ellbogen fallen die
abgeſchnittenen, nur eben anhängenden Aermel in doppelter
Länge, in rother und goldner Pracht herab; die Unterarme um-
giebt das feine weiße Hemd, das an der Hand von goldnen und
farbigen Säumen und Bändchen umzogen iſt. Das iſt Magda-
lena, die bekehrte, im höchſten Schmerz um den verlornen Freund,
den der Künſtler nicht tiefer hätte ausdrücken können. Es iſt eine
niederländiſche Schöne um das Jahr 1500 im reichſten, koſtbar-
ſten Putz. Als ſolche hat ſie der Künſtler dargeſtellt, unbeküm-
mert darum, daß ſie die Eitelkeit der Welt bei Seite legte, da ſie
ſich bekehrte. Neben dieſer prachtvollen Magdalena ſteht die
Mutter, die Hände ringend in ihrem Schmerz, in großartiger
Einfachheit, verhüllt, im weiten ſchwarzen Gewand und Mantel,
den Kopf bis auf das Geſicht von einem weißen Tuch umſchlun-
gen, das auf die Schultern herabfällt. — Aber faſt iſt Maria die
einzige, welche die niederländiſchen Künſtler ſo darſtellen, und
auch das nur in der Paſſion, wo ihr als der Matrone, der ſchmer-
zensvollen Mutter, die nonnenhafte Verhüllung geziemt. Als
Mutter mit dem Kinde kommt ihr der blaue Mantel über einfach
rothem Kleide zu, und die Zierde pflegen höchſtens goldene Säume
zu ſein. Wenn ſie aber als Königin des Himmels gedacht wird,
[281]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
da ſtrahlt ſie wie eine irdiſche in großgemuſtertem Goldbrokat
und Hermelin, mit den zarten ſpitzen Schuhen und pantoffelarti-
gen Unterſchuhen, und auf dem lichtumfloſſenen, langwallenden
Haar ruht die goldene, mit Edelſteinen und Perlen verzierte
Krone. Immer ſo reich iſt Magdalena geputzt, mag ſie das Kreuz
umfaſſen oder der Beerdigung beiwohnen, mag ſie mit der Sal-
benbüchſe am leeren Grabe ſtehen oder ihr Chriſtus im Garten
erſcheinen. Erſt die Künſtler des ſechszehnten Jahrhunderts und
namentlich die ſpäteren, welche es lieben, ſie in der Wüſte büßen
zu laſſen, hingeſunken auf die Erde über dem Buch, entkleiden ſie
ihrer Eitelkeit, was Dürer und die Deutſchen ſchon früher thaten.
Neben der Magdalena erſcheinen alle die andern heiligen Frauen
in der niederländiſchen Prachtkleidung, und ſie wiſſen ſich darin
zu tragen mit königlichem Anſtand, mit Haltung und Würde wie
die ſtolzeſten Damen der Zeit. Auch von den Männern gilt viel-
fach daſſelbe, namentlich von St. Mauritius und St. Hubertus
wegen ihres urſprünglichen Standes, vor allen von den heiligen
drei Königen, die immer in dem größten Glanz und mit königli-
chem Gefolge kommen. Bei der Krönung Mariä erſcheinen ſelbſt
Gott und Chriſtus in höchſter weltlicher Pracht, der eine mit der
päpſtlichen, der andere mit der kaiſerlichen Krone, in Brokatge-
wändern und Hermelinmänteln. —


Treffender noch als die Bilder zeigen uns Sitte und Tracht
die Kupferſtiche der alten niederländiſchen Meiſter mit ihren freie-
ren und mehr genrehaften Gegenſtänden. Freilich der bunte Reiz
der Farben geht verloren; wir müſſen ihn mitbringen und hinzu-
denken, wenn wir z. B. den großen Kupferſtich des Israel von
Mecken „das Feſt des Herodes“ von dieſem Standpunkt aus be-
trachten. Der Titel führt uns zwar anderthalb Jahrtauſende zu-
rück in die jüdiſche Welt, aber was wir ſehen, iſt genau ein nie-
derländiſches Tanzfeſt vom Ende des funfzehnten Jahrhunderts
mit all der Ueppigkeit und der widerſpruchsvollen Mannigfaltig-
keit der Trachten. In der Mitte auf breitem, pfeilerartigem Po-
ſtament ſtehen die Muſikanten und blaſen, und herum bewegen
ſich tanzend die Paare. Aber welch einen Tanz mögen wir uns
[282]II. Das Mittelalter.
vorſtellen mit der eng geſpannten Kleidung der Männer, ihren
ſpitzen Schuhen oder breiten Pantoffeln, oder mit den langen
Schleppen der Damen, die den Herren zwiſchen die Füße gera-
then! Alle Bewegungen und Attitüden, da ſie nicht frei ſind,
erſcheinen affectirt. Es iſt nicht ein Fehler des Künſtlers, er ſah
es dem Leben ſo ab. Er fand es auch in der Wirklichkeit ſo, wie
die einen der Damen frei und keck umherſehen mit übertriebenen
Bewegungen, andere aber ſcheu und züchtig den Blick zu Boden
ſenken und die eine Hand auf der ihres Begleiters leiſe ruhen
laſſen, die andere über den Schooß gelegt halten. Alle Damen
tragen außerordentlich lange Schleppen, daß der ganze Boden des
Saales bedeckt iſt; einige haben noch nicht genug daran, ſie laſ-
ſen auch die Aermel von den Schultern herabfallen und auf dem
Boden nachſchleppen. Dieſe ſind züchtig verhüllt, jene decolletirt
bis unter die Brüſte und mit tiefem Ausſchnitt im Rücken faſt
bis zum Gürtel herab. Dieſen ſchmiegt ſich das Kleid um den
Leib in ſtraffer Enge, jenen ſchlottert es locker und loſe herum,
wie im höchſten Negligé. Die einen tragen noch die ſpitze, zucker-
hutförmige Haube, von denen die Schleier bis auf den Boden
fallen; andere die turbanähnliche, andere eine flachere Haube, mit
Kränzen und Bändern, oder wie ein keineswegs gefällig drappir-
tes Tuch. Die einen tragen die Aermel eng, die andern weit, die
dritten geſchlitzt mit heraustretendem Hemd, oder haben den Un-
terarm entblößt. Was den Herren am Leibe ſitzt, das Beinkleid
und die Jacke, iſt eng bis zur höchſten Unanſtändigkeit. Ueber
der engen ſitzt eine andere weite Jacke, offen oder über der Bruſt
mit Schnüren verſehen, oder ſtatt derſelben ein weiter geſchnürter
Oberrock, der ſelbſt bis auf den Boden fällt, oder ein kurzes dem
ſpaniſchen ähnliches Mäntelchen. Alle Geſichter ſind bartlos, aber
von langem Lockenhaar umwallt, das auf die Schultern herab-
fällt; darauf ſitzt ein buntes Band, ein Reif mit Federn, mit
Reiherbuſch, ein Barett mit Federn oder eine Mütze gleich einem
zuſammengefalteten Tuch. Hals und Schultern — wir reden von
den Männern — ſind bloß und der Ausſchnitt geht noch tief den
Rücken hinunter. —


[283]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.

So bunt und barock haben wir uns allerdings die Moden-
welt in den Niederlanden am Ausgang des funfzehnten Jahrhun-
derts zu denken, bis im Anfang des ſechszehnten einige Ordnung
und Form wieder in dieſe Zerfahrenheit hineinkam. Es war aber
nicht in den Niederlanden allein ſo, obwohl man glauben könnte,
daß hier der Conflux von Menſchen aus allen Ländern, darunter
die bunten und phantaſtiſchen Trachten der Morgenländer, eine
beſonders eigenthümliche Welt hervorgerufen hätten. Wir werden
nun aber ſehen, wenn wir die Entwicklung zu derſelben Zeit im
eigentlichen Deutſchland verfolgen, wie auch dort am Schluß des
Jahrhunderts daſſelbe Reſultat uns vor Augen liegt. —


d. Die Regelloſigkeit und Willkür in Deutſchland in der zweiten
Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts. — Die niedern Stände.

In der Mitte des funfzehnten Jahrhunderts ſtanden noch
die Zatteln, die Schnabelſchuhe und ſelbſt noch die Schellen in
voller Blüthe. Seidene Zatteln umflatterten das lockige Haupt
des Mannes, die aufgebundenen Flechten und die entblößten
Schultern der Frau, Zatteln fielen von den Schultern an den
langen Aermeln herab auf den Boden oder umwallten unten den
breiten, lang nachſchleppenden Saum des Kleides; unter den
zarten, rothſeidenen Schuhen klapperten die langgeſchnäbelten,
pantoffelartigen Unterſchuhe, und um die Schultern oder am
Gürtel konnte man noch die Glöcklein klingen hören. Wie das
rauſchte von der auf dem Boden liegenden Maſſe des ſchweren
Seiden-, Damaſt-, Sammet- oder Brokatſtoffes, wenn eine ſo
geſchmückte Dame ſich in Bewegung ſetzte! wie das flatterte und
wehte von den bunten, farbigen, eingezackten Bändern, wie das
klingelte und klapperte! So war die damalige Eleganz in Deutſch-
land. Allein dieſe Herrlichkeit verſchwand bald; nicht lange nach
der Mitte des Jahrhunderts fallen die Zatteln und Schellen in
Ungnade bei der modiſchen Welt; jene verſchwinden ganz und
dieſe bleiben den Narren und der Feſtluſt, und auch die Schuhe
gehen zurück auf ein beſcheidneres Maß.


[284]II. Das Mittelalter.

Aber darum wurde es nicht beſſer. Die Welt wurde nicht
ernſter, wenn auch grade zu derſelben Zeit die Kunſt und die
Wiſſenſchaft ſich in raſchem Flug zu völlig ungeahnter Höhe em-
porſchwangen, wenn auch die Buchdruckerkunſt, kaum erfunden,
die Geiſter mit ernſteren Dingen zu erfüllen ſuchte, wenn eine
Erfindung der andern folgte, und das ſtädtiſche Gewerbe überall
zu künſtleriſcher Bedeutung erblühte. Es war ein luſtiges, leicht-
fertiges, eitles, phantaſtiſch aufgeregtes Geſchlecht, und alle war-
nenden Stimmen, die ſtrafenden Worte der Prediger, die beißen-
den Verſe der Satiriker ſchlugen vergebens ans ſorgloſe Gewiſſen.
Es war nicht aufzuſchrecken aus dem Sinnentaumel. Die Mode
trieb es immer toller, indem ſie alle Form und alle Sitte zugleich
verachtete. Da in Deutſchland kein Hof war, der die Formen der
Eleganz vorſchrieb und beherrſchte, wie in Frankreich und Bur-
gund, ſo ſchien alles der individuellen Laune und Erfindungs-
gabe überlaſſen, und das ſo ſehr, daß die Obrigkeit hier und da
ausdrücklich das Erfinden neuer Moden verbot. Das Herein-
brechen burgundiſcher Trachten und niederländiſcher Stoffe ver-
mehrte das Uebel, anſtatt es einzuſchränken, da ſie die Willkür
nicht zu unterdrücken vermochten.


Schlimmer noch war mit der allgemein zunehmenden Sit-
tenloſigkeit aller Stände die wachſende Schamloſigkeit der Klei-
dung in Bezug auf Enge, Kürze und Entblößung. Die Chro-
niſten, die Dichter, die Prediger ſind des Entſetzens in gleicher
Weiſe voll und ſchildern zuweilen mit ſo harten und offenkun-
digen Worten, daß wir ſie hier nicht wiedergeben können. Die
weiſen Väter in den Städten mühten ſich vergebens ab, auf ge-
ſetzlichem Wege dem Uebel zu ſteuern. Noch am Ende des Jahr-
hunderts bricht Sebaſtian Brant in die Worte aus:


„Pfui Schand der deutſchen Nation!

Was die Natur verdeckt will ha’n,

Daß man das blößt und ſehen läßt.“

Schon um die Mitte des Jahrhunderts wird die Decolletirung
der Frauen im Gedicht Kittel mit vollſter Entrüſtung geſchildert.
Der Dichter erzählt, die Hauptlöcher ſeien ſo weit, daß die Achſel
[285]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
herausliege und man unter dem Arm die Gruben ſähe; die
Brüſte würden aufgeſchürzet, daß man wohl einen Lichtſtock dar-
auf ſetzen könne. Die gleichzeitigen Bilder beſtätigen das vollkom-
men. Wir finden den Gürtel hoch und hart unter der Bruſt lie-
gen und das Kleid in horizontaler Linie ſo tief weggeſchnitten,
wie es der Dichter angiebt. Häufig ſind die Schultern mehr be-
deckt, aber der Ausſchnitt ſenkt ſich vorn bis unter die Bruſt und
hinten im Rücken bis faſt auf den Gürtel herab. Was ausge-
ſchnitten iſt, liegt entblößt, und erſt gegen Ende des Jahrhun-
derts verhüllte man wieder theilweiſe mit dem geſtickten oder fein-
gefalteten Hemd. Es iſt ſehr bezeichnend, daß die Sitte der blo-
ßen Arme in dieſer Zeit zuerſt in der chriſtlichen Welt entſtand,
ohne aber bereits eine bleibende zu werden. Zu allen Zeiten wa-
ren vorher die Arme bis zum Handgelenk bedeckt geweſen; gegen
die Mitte des funfzehnten Jahrhunderts etwa zeigen ſich die erſten
Beiſpiele. Der Aermel ſcheint langſam bis zum Ellbogen zurück-
zuweichen. Die Mode iſt nicht vereinzelt geblieben, aber auch
nicht zur allgemeinen Herrſchaft gekommen; mit der Reformation
verliert ſie ſich wieder auf lange Zeit. Noch merkwürdiger iſt,
daß auch „die weibiſchen Männer“, wie Seb. Brant gradezu ſagt,
dieſer in der ganzen civiliſirten Welt ausſchließlichen Frauenmode
der bloßen Arme und des Decolletirens folgen.


„Sie thun entblößen ihren Hals,

Viel Ring’ und große Ketten dran.“

Die jungen Stutzer zeigen ihre entblößten Arme und mit tief
ausgeſchnittener Jacke ihre nackten Schultern und den freien Hals
trotz der koketteſten Dame. In der Weiße und Rundung ſuchen
ſie ihre Eitelkeit zu befriedigen, nicht durch ſtrotzende Muskeln
und Herculesſchultern und ſehnigen Nacken, wie wir es in unſern
Tagen geſehen haben. Die Sitte der entblößten Schultern fand
auch damals bei den alten und ehrbaren Leuten viel Anſtoß,
nichts deſtoweniger wurde ſie ziemlich allgemein unter der ſtutzer-
haften Jugend aller Stände. Noch Albrecht Dürer, der Gold-
ſchmiedsſohn, trug ſich in ſeiner Jugend ſo. Auf ſeinem jetzt in
Florenz befindlichen, von W. Hollar geſtochenen Portrait, das er
[286]II. Das Mittelalter.
im 26. Jahre machte, hat er Jacke und Hemd weit ausgeſchnit-
ten, und die langen, ſchöngepflegten Locken, auf die er ſo ſtolz
war, wallen über den freien Nacken und die blanken Schultern.
Ebenſo trugen ſich aber auch Fürſtenſöhne, der junge Adel und
das Patriziat der Städte. Wer ein Muſter ſehen will, der be-
trachte das Portrait des Hieronymus Tſcheckenbürlin bei Hefner
II, 29. Es war ein junger und reicher Patrizier von Baſel, der
in Paris den Rechtsſtudien obgelegen hatte. In die Heimath zu-
rückgekehrt, kam ihm alsbald die Ueberzeugung von der Eitelkeit
der Welt. 26 Jahre alt, entſagte er ihr und trat in den Orden
der Karthäuſer. Zum Andenken aber ließ er ſich in der Feſtklei-
dung portraitiren, in welcher er das Kloſter betreten hatte, um
ſie auf immer abzulegen. Eine leichte Mütze ſitzt auf dem fein ge-
kräuſelten Lockenhaar, das die Stirne bedeckt und in reicher Maſſe
den nackten Hals umfließt; auf der linken Schulter liegt das
kurze Mäntelchen; die ausgeſchnittene Jacke iſt ohne Aermel, und
der des Hemdes bedeckt nur den Oberarm, der Unterarm iſt bloß.


Die außerordentliche Pflege, welche die Männerwelt dem
Haar angedeihen ließ, war durch alle Stände verbreitet. Man
ließ es um ſo länger wachſen, weil man noch keinen Bart trug.
Das höchſte Haupt der Chriſtenheit, Kaiſer Maximilian ſelbſt,
giebt ein glänzendes Beiſpiel. Sein jugendlicher Kopf, wie er auf
vielen Portraits erhalten iſt, kann als Muſter aufgeſtellt werden,
ſo wohlgeordnet, ſo zierlich und kokett fallen die langen, blonden
Haare in ſanften Wellenlinien herab bis auf die Schultern. Erſt
ſpäter beſchnitt er ſie in mäßiger Kürze, wie es auch Dürer that.
Man trug den graden Scheitel auf der Mitte des Kopfes oder
auch die vorderen Haare über die Stirn hereingeſtrichen und über
den Augen in grader Linie verſchnitten. Wer ſtutzerhaft die ganze
Maſſe in kleinen Locken kräuſelte, oder ſie in ſpiral gewundenen
Schmachtlocken um den Kopf herumhängen ließ, der kräuſelte ſie
auch über der Stirn, die er damit bedeckte. Kein Mittel dazu
war dieſen Herren unbekannt, die, wie Geiler von Kaiſersberg
klagt, ſich mit Roſenwaſſer beſtreichen und mit Balſam ſalben.
Oele, Pomade, Färbemittel, Brenneiſen, falſche Haare, alles
[287]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
wurde angewandt. „Sie ſchmieren ſich mit Affenſchmalz,“ ſagt
Seb. Brant im Narrenſchiff, „ſie büffen das Haar mit Schwefel
und Harz, und ſteifen es in feſte Formen durch eingeſchlagenes
Eiweiß; ſie ſtrecken den Kopf zum Fenſter hinaus, um es an der
Sonne zu bleichen.“ Das letztere geſchah aus der alten angeerb-
ten Vorliebe für das blonde Haar, für welches merkwürdiger
Weiſe die Damen Italiens vor allen ſchwärmten, mehr aber noch
im ſechszehnten als im funfzehnten Jahrhundert. Wir werden in
der nächſten Periode wieder hierauf zurückkommen. — Wie früher
ſchon umſchloß dieſe Lockenfülle ein farbiger Reif mit zierlicher
Goldagraffe und darin eine Blume, ein Reiherbuſch oder ein Fe-
derſchmuck, auch wohl ein natürlicher Epheu- oder Blumenkranz,
womit der junge Herr in Geſellſchaft erſchien. Es war eine kokette
Tracht, die den jungen Damen ſehr wohl angeſtanden hätte; aber
dieſe hatten in mehrfacher Beziehung ihre Rechte an die Herren
abgetreten.


Alle Damen, alt und jung, hatten ihrem ſchönſten Schmuck,
dem langen, freien Lockenhaar entſagt, ja ſie ſuchten es möglichſt
unter Hauben zu verbergen, die ſich an abenteuerlicher Ungeſtalt
überbieten. Nöthigenfalls raſirten ſie auch das Haar von Schlä-
fen und Stirn weg, oder riſſen es aus. Nur ſelten ſuchen ein
paar vereinſamte Locken oder ein leichtes Gekräuſel darunter ans
Tageslicht zu kommen. Häufiger wohl ſind dicke, zuweilen mit
Goldfäden durchwundene Flechten, welche um die Ohren gelegt
ſind. Aber ihrer Aechtheit iſt nicht immer zu trauen; es ſind der
Klagen, ſelbſt obrigkeitliche, zu viele. „Die Frauen nehmen todtes
Haar und binden es ein und tragen es mit ſich zu Bett,“ ſagt ein
altes Druckwerk von 1472, „das guldin ſpil.“ Den Verſtorbenen
wurde das Haar abgeſchnitten und zu dieſem Gebrauch hergerich-
tet. Selten mochten es damals ſchon vollſtändige Perrücken ſein,
ſondern wohl nur eine Vermiſchung des todten Haars unter das
lebendige. Die Sittenprediger wiſſen ſonderbare Geſchichten da-
von zur Warnung der Frauen zu erzählen. So heißt es bei Gei-
ler von Kaiſersberg: „O Weib, erſchrickeſt du nicht, wann du
fremd Haar zu Nacht auf deinem Kopf haſt, und etwan von einer
[288]II. Das Mittelalter.
todten Frau zu Schaden deiner Seelen? Zu Paris war eine
große Proceſſion, da ward ein Aff ledig, der that niemand nichts,
denn einer Frauen ſprang er auf das Haupt und zog ihr den
Schleier ab und die Hauben. Da ſahe jedermann, daß ſie kahl
war, und kein Haar auf dem Haupt hatte, die hatt Todtenhaar
aufgemacht und trieb Hoffart damit: das geſchah von rechtem
Urtheil Gottes.“


Eine außerordentlich luxuriöſe Anwendung wurde vom
Schmuck gemacht. In der Fülle deſſelben weicht dieſe entartete
und verweichlichte Zeit kaum jener frühern Periode, als noch die
bloße Luſt am Golde, die Freude an dem Glanz des edlen Me-
talls die noch einfachen Seelen der Menſchen erfüllte. Ueber den
ganzen Körper vom Kopf bis zum Fuß verbreitete ſich der Schmuck.
Die Herren trugen ihn am Hut, an der Mütze oder im Haar, ſie
trugen große Ketten um den Hals und Ringe an den Händen.
Die Damen beſäten, wo es ihnen nicht verboten war, alle Klei-
der mit Edelſteinen und Perlen; wer das Recht dazu hatte, trug
eine reiche Krone über dem Haar oder auf der Haube; um die
Wulſthauben flochten ſie goldne Schnüre und Perlenreihen und
umwanden die Haarflechten damit und ſteckten Nadeln und an-
dern reicheren Schmuck hinein. Reiche Heftel (Brochen) wurden
auf der Bruſt getragen, vielfach umſchlang noch ein reicher Gür-
tel die Hüften; um den freien Hals und die nackten Schultern
lagen oft ſechs- und ſiebenfach die vielgeſtalteten goldenen Ketten
oder Korallenſchnüre mit Amuletten und kleinen geweihten Hei-
ligthümern daran und die reichverzierten Roſenkränze. Die Arm-
bänder waren wieder in Gebrauch gekommen, und Ringe trug
man am erſten und zweiten Glied der Finger in übertriebener
Zahl. Oft hatte freilich die Obrigkeit darin ein Maß vorgeſchrie-
ben, wie die von Bologna, nach Ständen unterſcheidend, den
Damen vom alten Adel ſechs Ringe erlaubt hatte, denen vom
jungen vier, und den Frauen und Töchtern der Künſtler und
Handwerker nur zwei. Die von Hannover aber hatte Ringe zu
tragen erlaubt, ſoviel die Frauen wollten. Des Herrn Georg
Winter Ehgemahlin in Nürnberg hinterließ bei ihrem Tode (1485)
[289]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
außer anderm Schmuck über dreißig Ringe. Eine Breslauerin,
Jungfrau Margarethe, des Niklas von Brige Tochter, erhielt
1470 von ihren Vormündern als Erbtheil von Seiten ihrer Mut-
ter nebſt Gürteln und Hefteln und Ketten noch 36 goldene Ringe
ausgeliefert. Eine andere Breslauerin, Dorothea Frank, hinter-
ließ zwanzig goldene Ringe, die ſie an einem größeren Ring
gleich einem Schlüſſelbund aufbewahrt hatte. Als Kaiſer Al-
brechts II. Tochter Anna den Herzog Wilhelm von Sachſen hei-
rathete, befand ſich an Schmuck unter ihrer Ausſteuer: zwei
Halsbänder, 12 Heftel, 32 Ringe, vier Mark Perlen und drei
Gürtel.


Aber darin zeichnete ſich dieſe Periode vor der früheren aus,
daß ſie auf die Form, auf die Façon oder Faſſung des Schmuckes,
auf die künſtleriſche Arbeit einen außerordentlichen Werth legte.
Oft übertraf der Preis der Arbeit den Werth des Metalls um
das Doppelte und Dreifache. Es ſtand aber auch damals das
Goldſchmiedegewerk in hoher Blüthe und wurde von der gleich-
zeitigen Kunſt weſentlich unterſtützt und gefördert. Der Stil der
Verzierung entſprach natürlich der reichen gothiſchen Ornamentik
des funfzehnten Jahrhunderts. Zunächſt waren es Blätter, Blü-
then und Ranken, die frei ins Metall getrieben wurden. Aber
man blieb dabei nicht ſtehen: wo es der Raum zuließ, brachte
man allerlei Figürliches an, Thiergeſtalten, Frauenbilder, pro-
fane oder religiöſe Gruppen, die man entweder in Metall trieb
oder in Perlmutter ſchnitt oder auch emaillirte. Die Schmelzkunſt
fand dabei vielfache und ausgezeichnete Anwendung: man email-
lirte z. B. Pfauen mit den ſchillernden Schwänzen, Frauenge-
ſtalten mit farbigen, bunten Kleidern, mit goldenen Kronen auf
dem Haar, und ſetzte zu weiterer Verzierung noch Perlen und
Edelſteine hinein. — Die Preiſe, die man ſelbſt im bürgerlichen
Stande für dergleichen zahlte, waren nach den damaligen Ver-
hältniſſen nicht gering. So befand ſich auch unter der Ausſteuer,
welche in dieſer Zeit ein Bürger zu Breslau ſeiner Tochter mit-
gab, ein mit Perlen beſetztes Leibchen im Werth von 24 Gulden,
ein Gürtel von 20 und ein Trauring von 25 fl. Werth. Die
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 19
[290]II. Das Mittelalter.
gemachten Perlen freilich konnte man billig haben; zu Breslau
wurde das Skot (d. i. Karat) um 3 fl. verkauft. Daſelbſt war
den Frauen verboten ſich einen Gürtel machen zu laſſen, der über
40 fl. koſtete. Ebendort ſtahl einmal ein Dieb eine grünſeidene
Haube mit Goldſtreifen und verkaufte ſie für 18 fl.


Zum Schmuck iſt auch die Stickerei auf den Kleidern
zu rechnen, denn es wurde oft ein bedeutender Werth darauf ge-
wendet. Die Sitte iſt älter, wie wir geſehen haben, fand aber in
dieſer Zeit die ausgedehnteſte und die am meiſten phantaſtiſche
Anwendung. Das Koſtbarſte war es freilich, wenn das Kleid
mit kleinen Vögeln oder andern Figuren oder Ranken und Laub-
werk in getriebenem Golde beſetzt wurde, aber es war auch das
Seltnere und blieb wohl meiſtens dem Staate fürſtlicher Perſo-
nen vorbehalten, wenn auch nicht rechtlich, doch in der Wirklich-
keit. Das Benähen mit Seide aber war ſo häufig, daß es eine
eigene Zunft dafür gab, die der Seidennater, welchen auch
wohl die Stickerei mit Gold- und Silberfäden zukam. Die Art,
in welcher es geſchah, war eine ſehr willkürliche und lediglich der
Laune und den Einfällen des Einzelnen überlaſſen. Die Kleider
wurden dadurch ſo koſtbar, daß der Machlohn gewöhnlich den
Preis des Stoffes übertraf. Ein Beiſpiel davon giebt uns die
Chronik der Frankfurter Geſellſchaft Limpurg, in welcher Bern-
hard Rhorbach von ſich erzählt: „Anno 1464 uf Montag nach
Corporis Christi hat Henne Cemmerer Hochzeit, und hatten wir
drei, Er, Hert Stralberg und ich Bernhard Rhorbach uns gleich
gekleidt, hatten kurze graue Mentelgin mit geſtickten Schloſſen uf
den Achſeln, was ein iglich ein wicken Aſt; koſten die drei Schloß
am Silber und zu ſticken 24 fl.“ Derſelbe Bernhard Rhorbach
hatte einmal den Aermel eines Rockes ſo ſchwer beſticken laſſen,
daß das Silber 11½ Mark wog; die Stickerei ſtellte einen Berg
vor. Die Gegenſtände, die man gewöhnlich hineinſtickte, waren
Laub und Aeſte und ganze Bäume, bunte Blumen, Flammen,
ja auch Figuren und Landſchaften, beſonders aber auch Buchſta-
ben und Sinnſprüche mit beſtimmter Beziehung auch irgend Ge-
genſtände, mit denen man eine beſondere Bedeutung verknüpfte,
[291]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
namentlich in politiſchen, religiöſen oder Herzensangelegenheiten.
Bernhard Rhorbach, der ſeiner Zeit ein „Löwe“ in Frankfurt ge-
weſen zu ſein ſcheint, hatte einſt auf das rechte Bein ſeiner Hoſe
einen ſilbernen Skorpion geſtickt und vier ſilberne M herum, und
auf ſeine Mütze ebenfalls einen ſilbernen Skorpion und vier V
darum, die ſollten bedeuten: Mich Mühet Mannich Male Vnglück,
Vntreu Vnd Vnfall. Die Kaiſerin Maria Blanca, Maxens zweite
Gemahlin, trägt auf einem Portrait in dem breiten Bruſtſaum
ihres Kleides ihre und ihres Gemahls Namenszüge hineingeſtickt.
Dergleichen ſieht man öfter an fürſtlichen Damen; Buchſtaben
mit frommer Beziehung auch auf den Kleidern heiliger Frauen.
— Man beſtickte wohl die ganzen Kleider, vorzugsweiſe aber den
obern Theil des Körpers, die Hauben und Mützen, die Aermel
und die Bruſt; die Männer auch das Beinkleid. Symmetrie
wurde nicht geſucht, eher vermieden, indem man z. B. nur den
einen Aermel oder das eine Bein beſtickte. Später, als gegen
Ende des Jahrhunderts die Jacke oder das Wamms des Mannes
den weiten Ausſchnitt auf der Bruſt erhielt, wurde beſonders das
hier eingeſetzte Stück oder das Hemd beſtickt.


In gleichem Maße mit dem Schmuck nahm die Menge der
Kleider zu, welche man im Vorrath hatte, ſowie die Koſtbarkeit
des Stoffes. Wir haben in Bezug auf das Erſtere ſchon früher
einiges gelegentlich beigebracht. Was eine deutſche Bürgerfrau
der wohlhabenden Stände an Kleidungsgegenſtänden in Beſitz
hatte, zeigt die Hinterlaſſenſchaft der Nürnberger Frau Winter,
geſtorben im Jahre 1485. *) Darunter befanden ſich vier Mäntel
von Arras und Mechliſchem Tuch, zwei davon mit Seide gefüt-
tert; an Oberkleidern ſechs Röcke, eine Schaube und drei ſoge-
nannte Trapperte; ferner drei Unterkleider, ſechs weiße Schürz-
hemden und ein ſchwarzes (die wohl bei der häuslichen Arbeit
umgelegt wurden), zwei weiße Baderöcke, auch Trapperte genannt,
fünf Unterhemden, zwei Halshemden, ſieben Paar Aermel und
neunzehn Schleier. Zu der ſchon oben erwähnten Ausſteuer,
19*
[292]II. Das Mittelalter.
welche ein Bürger in Breslau (1490) ſeiner Tochter mitgab, ge-
hörte ein pelzgefütterter Mantel und gleiches Oberkleid, vier
Röcke von verſchiedenem Werth, mehrere Hauben, Gürtel und
Aermel. Die ganze Ausſteuer hatte den Werth von 470 fl. da-
maligen Geldes. — Wer an Höfen lebte, mußte auch in Deutſch-
land auf eine koſtbare Garderobe bedacht ſein. So erzählt der
Ritter Georg von Ehingen von ſeinem Oheim Wolf, der ein
Diener des Herzogs Ernſt von Oeſterreich geweſen war, er habe
bei ſeinem Tode ſoviel an Kleidern und dazu gehörigen Koſtbar-
keiten hinterlaſſen, daß nur von einem Theil derſelben, welcher in
Frankfurt verkauft worden, 1500 fl. erlöſet ſeien. Die Ehinger
waren aber ein ſchwäbiſches Rittergeſchlecht von nichts weniger
als großem Reichthum. Der größte Aufwand in dieſer Art wurde
bei ritterlichen Feſten und Turnieren gemacht, daß der Adel ſich
endlich ſelbſt, wie wir ſchon oben mitgetheilt haben, durch ein
Geſetz beſchränken mußte.


Der Luxus in den Stoffen war völlig allgemein gewor-
den trotz aller Prohibitivmaßregeln von Seiten des Reiches, der
einzelnen Fürſten und der ſtädtiſchen Obrigkeiten, die mit allem
Eifer bemüht waren, die Stände unterſchieden zu halten. Nach
altem Adelsrecht waren die koſtbareren Pelzarten, Hermelin, Zo-
bel, Grauwerk und Veh, Anfangs den Fürſten oder wenigſtens
den adligen Rittern und mit ihnen auch wohl den Rittern der
Wiſſenſchaft, den Doctoren, bewahrt geblieben. Allein ſchon früh
finden ſich Beiſpiele, daß auch Bürgerfrauen Hermelin tragen,
wenn auch noch mißbräuchlicher Weiſe, und in Kaiſer Sigmunds
Zeit klagt ein Volkslied von den Städten über ihren Gebrauch
von Veh.


„Die Weiber ſind mit Veh beſchnitten,

Gezieret wohl nach edeln Sitten,

Wer kann ſie unterſcheiden?“

und dann heißt es:


„Es ſtund viel baß vor alter Zeit,

Da füchſen war ihr beſtes Kleid.“

In Bern ſind den adligen Bürgerinnen Hermelin, Veh und
[293]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Marder erlaubt, den gemeinen aber verboten, „damit ein Unter-
ſchied gehalten und die Hoffart ausgereutet werde.“ Auch der
Breslauer Rath hält es für nöthig, ſeinen Bürgerinnen den Zo-
bel zu verbieten. Seb. Brant ſagt ſchon gradezu, „der Adel habe
keinen Vortheil mehr.“


„Es kommt daher eines Bürgers Weib

Viel ſtolzer, denn eine Gräfin thut.

Wo jetzt Geld iſt, da iſt Hochgemuth.

Was eine Gans von der andern ſicht,

Darauf ohn’ Unterlaß ſie dicht’t,

Das muß man haben, es thut ſonſt weh.

Der Adel hat keinen Vortheil meh.

Man findt eines Handwerksmannes Weib

Die beſſers werth trägt an dem Leib

Von Röck’, Ring’, Mänteln, Borten ſchmal,

Denn ſie im Haus hat überall.“

Auch in Bezug auf die gewebten Stoffe ſollte der Standes-
unterſchied feſtgehalten werden und wurde auch im ganzen rit-
terlichen Leben inſoweit beobachtet, als die Kleidung der Ritter
und der Knappen immer um einen Grad verſchieden war. Am
höchſten in Werth und Achtung ſtand der Sammet, und darun-
ter der goldſtoffige Sammetdamaſt, d. i. ein gemuſtertes oder
figurirtes Gewebe aus Sammet und Goldfäden; dieſem ſehr
nahe ſtand der carmoiſinroth gefärbte. Darauf kamen die Sei-
dendamaſtſtoffe, der figurirte und gemuſterte Atlas, dann der
einfache Atlas oder Taffet und die verſchiedenen Arten der Sei-
denzeuge; endlich alle Wollengewebe namentlich der niederländi-
ſchen Manufacturen, die zur Kleidung meiſt einfarbig waren, das
Tuch von Mecheln und Arras (Raſch), das lündiſche, von Leiden,
und ſchließlich als das billigſte die einheimiſchen Gewebe. Dane-
ben aber gelangte gegen das Ende des funfzehnten Jahrhunderts
die feine Leinwand durch den Luxus der Bruſthemden zu ganz
außerordentlichem Anſehen. Die feinſte kam aus Holland. Von
der deutſchen Leinwand hieß es damals, daß ſie nie weiß werde,
„weil die deutſchen Frauen die Gewohnheit hätten, am Samſtag
den Faden am Rocken zu laſſen.“ Wenigſtens ſagten ihnen dies
[294]II. Das Mittelalter.
die Franzöſinnen nach. — In Frankreich und gewiß auch bei der
deutſchen Ritterſchaft — die Geſetze deuten darauf hin — war es
Sitte, daß, wenn der Ritter z. B. ſich in Seidendamaſt kleidete,
der Knappe Atlas trug; hatte er aber Sammetkleidung, ſo
durfte der Knappe ſich mit ſeidenem Damaſt zieren. Als Herzog
Philipp von Burgund im Jahr 1454 ein Feſt in Lille gab, wa-
ren die Ritter, welche bei dem Banquet aufwarteten, in Damaſt
gekleidet, die Knappen und Edelleute in Atlas, die Knechte und
Diener aber in wollenes Tuch. Der Sammet war hier vermuth-
lich den fürſtlichen Perſonen vorbehalten. Oefter kommen auch
Ritter in Sammet vor. So empfiehlt der König Renatus von
Sicilien in ſeiner Abhandlung über das Turnier für einen jeden
der aus den Rittern erwählten Turnierrichter ein langes Kleid
von Sammet, und für die beiden andern, die aus den Knappen
genommen wurden, lange Kleider von Damaſt. — Matthias
von Couci erzählt in der Geſchichte Karls VII. von einem Kampf,
der zwiſchen drei Burgundern und drei Schotten ſtatt gefunden
habe. Auf jeder Seite ſeien es zwei Ritter und ein Knappe ge-
weſen, und die Ritter hätten lange Kleider von ſchwarzem Sam-
met getragen, mit reichem Zobel gefüttert, die Knappen aber einen
Rock von ſchwarzem Atlas mit einem Unterfutter, dem der an-
dern gleich. Auch die Reichsordnungen von 1497 und 1498
mühen ſich ab, die koſtbareren Stoffe dem Adel zu bewahren,
Sammet und Seide den Rittern und Doctoren, Goldſtoff aber
den Fürſten und ihrem Haus. Wir haben oben geſehen, wie der
letztere ſchon früher in die Städte gedrungen war. Seide trugen
ſelbſt die Bauern nach Seb. Brant, und den Dienſtboten zu
Breslau wurde ſie nebſt Perlen, Sammet, Atlas und andern
Luxusartikeln „bei Strafe des Stockſitzens“ verboten.


Eine andere Art von Luxus wurde mit der Farbe getrie-
ben: die üppige, phantaſtiſche Welt konnte ſich nicht bunt genug
ſehen. Die ſeltſame, verſchiedenfarbige Zuſammenſetzung der
Kleider hatte in Beziehung auf die Austheilung der Farben eines
Wappens und in Verbindung mit dem Lehnsweſen im früheren
Mittelalter einen gewiſſen Sinn gehabt; aus der feinen höfiſchen
[295]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Sitte war ſie immer verbannt geweſen. Seit der Mitte des vier-
zehnten Jahrhunderts eignete ſich der junge Stutzer das bunte
Kleid des Dienenden an und bildete es im funfzehnten zur rein-
ſten Geckentracht aus. Hierbei iſt nicht im geringſten mehr an
allegoriſche Bedeutung, an eine Beziehung zur Galanterie oder
zur Liebe oder ſonſt an irgend einen untergelegten Sinn zu den-
ken: es iſt das geckenhafte, eitle Stutzerthum, das alle Welt vom
Fürſten bis zum Handwerksgeſellen und ſelbſt zum Bauern herab
ergriffen hatte. Noch im vierzehnten Jahrhundert werden die
Klagen laut über getheilte und geſtreifte Kleidung und in der
zweiten Hälfte des funfzehnten können wir alle Regenbogenfarben
an derſelben Perſon bunt vertheilt finden. Wir müſſen aber ſo-
gleich bemerken, daß die Frauen, wie in früheren Jahrhunderten,
ſo auch jetzt von dieſer Mode ſich frei erhalten haben. Ausgenom-
men davon ſind freilich die erſten Jahrzehnte nach 1350, wo
einige Kleiderordnungen auch in dieſer Beziehung Verbote enthal-
ten. Wenn die Frauen auch durchaus nicht einer lebhaften Far-
benpracht entgegen waren, ſo vertheilten ſie dieſelbe doch nicht
willkürlich. Es iſt für das funfzehnte Jahrhundert als eine außer-
ordentlich ſeltne Ausnahme zu betrachten, wenn die Töchter des
Markgrafen Albrecht Achilles von Brandenburg (auf dem Altar
in der St. Gumpertskirche zu Ansbach) in getheilter, von oben
herab geſpaltener Kleidung erſcheinen, die eine Hälfte blau, die
andere ſchwarz. *) Bei der Frauenkleidung entſtehen Farbencom-
poſitionen nur durch die verſchiedenen Kleider und durch den Be-
ſatz und das Futter, es ſei denn, daß der Stoff Damaſt wäre.
Ganz anders bei den Männern. Mit raffinirter Grübelei gehen
die jungen Herren darauf aus — aus Bernhard Rhorbachs Tage-
buch ſehen wir, welch ein wichtiges Ding das damals war, viel
wichtiger als heut zu Tage —, alle Harmonie und Symmetrie der
Farben an ihrer Kleidung aufzuheben. Sie laſſen z. B. die ganze
eine Hälfte von Kopf zu Fuß einfarbig und ſetzen die andere re-
genbogenmäßig bunt aus kleinen Stücken, Streifen, Quadraten,
[296]II. Das Mittelalter.
Dreiecken u. ſ. w. zuſammen. Sie vertheilen auch die Farben in
die Quere und laſſen die obere rechte Hälfte der unteren linken,
und die obere linke der unteren rechten correſpondiren, und ver-
theilen noch dazu an Kopfbedeckung und Schuhen die Farben
über Kreuz. Auf einem Altar in Heilsbronn findet ſich ein jun-
ger Mann, der ein Beinkleid trägt, deſſen eine Hälfte gelb iſt,
die andere aber dreifach getheilt. Von oben her bis zur Mitte
des Oberſchenkels laufen Streifen neben einander herunter, weiß,
roſa, grün, gelb, zinnoberroth u. ſ. w. Dann läuft ein hand-
breiter Streif herum aus lauter kleinen Quadraten beſtehend, die
wieder durch Diagonalen in kleine Dreiecke zerlegt ſind: jedes
dieſer kleinen Dreiecke iſt andersfarbig. Der untere Theil des
Beinkleides iſt wieder gelb. Es läßt ſich denken, daß auf dieſe
Weiſe der Machlohn den Preis des Stoffes, wie erzählt wird,
doppelt übertreffen konnte. Es waren nicht bloß die jungen Her-
ren der Städte, welche ſich ſo kleideten, die jungen Fürſten mach-
ten keine Ausnahme. *) Das grauhaarige Alter aber, der geſetzte
Mann, der Rathsherr und der ſolide Handwerker bleiben ehrbar.
Nur die Schneider, das leichteſte Blut im Gewerbeſtand, trachte-
ten ſich dieſe eitle Mode der vornehmen Jugend anzueignen, und
brachten dadurch unter anderm den wohlweiſen Rath des Städt-
leins Friedberg in der Wetterau in große Verlegenheit. Es war
im Jahr 1468, da entſtand ein Streit zwiſchen den Schneider-
geſellen einerſeits und den Bäcker- und Schuſtergeſellen andrer-
ſeits, weil die erſteren anfingen, getheilte Schuhe zu tragen, den
einen weiß, den andern ſchwarz. Die Bäcker und Schuſter wider-
ſetzten ſich dieſer Neuerung. Der Rath legte ſich ins Mittel und
verbot die Schuhe. Aber ein Schneidermeiſter meinte, ihm als
Bürger der Stadt könne ſo etwas nicht verboten werden, und er-
laubte ſich auch ferner die getheilten Schuhe zu tragen. Dieſe
kühne Oppoſition brachte wirklich den Rath der guten Stadt
Friedberg in die äußerſte Verlegenheit, und nicht wiſſend, was zu
[297]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
thun, wandte er ſich an ſeine Collegen in der großen Stadt
Frankfurt, um zu erfahren, was bei ihnen Rechtens ſei in dieſem
Falle. Der Rath zu Frankfurt antwortete mit großer Würde:
„man wiſſe bei ihnen nichts von einem Recht, das die Schneider-
knechte hätten, getheilte Schuhe zu tragen; wenn ſie es züchtig
und friedlich thäten, hätten ſie nichts dagegen; nähmen ſie es
aber widerwärtig und unfriedlich gegen einander vor, ſo wüßte
man es zu verbieten und zu beſtrafen.“ —


Den bunten Trachten gegenüber capricirten ſich zuweilen die
jungen Stutzer auf nicht weniger raffinirte Einfachheit. So er-
zählt Bernhard Rhorbach, daß er ſich einmal mit drei andern
ganz in Weiß gekleidet habe, Hut, Schuh, Hoſen, Wamms,
Mantel und Kragen. Ein anderes Mal hatten ſie ſich faſt ganz
in eine changirende Farbe gekleidet, „die ſah aus als ob ſie grau,
grün, roth und gelb wäre.“ Es iſt auch nicht ſelten, daß wir auf
Bildern dieſer Zeit jungen Leuten begegnen, die von Kopf zu
Fuß ſich in Roth tragen. —


Wie die Farben, ſo die Formen. Noch nie war der eigen-
willigen Laune eine ſolche Willkür der Erfindung geſtattet wor-
den wie damals, nie die Mode ſo mannigfach geweſen, obwohl
ſie dennoch gewiſſe Gränzen noch nicht überſchreiten konnte. Es
war die letzte Zeit vor dem ſiegreichen Auftreten der Ideen, welche
die Neuzeit ſchufen; noch lag der Geiſt in Feſſeln, gebannt in die
erſtarrten Formen des Mittelalters; Sinnenluſt, der leichtfertige
Lebensgenuß verdeckten den Ernſt und den Drang nach Freiheit,
der unter dieſer Hülle zu gähren begann. Noch konnte ſich die
Kleidung von der unbequemen Enge nicht los machen; die Be-
wegungen der Beine und Arme waren gehemmt, der Schritt ge-
ſpannt: die ganze Erſcheinung des modiſchen Mannes mehr oder
weniger Carricatur. Jacke und Beinkleid umſchloſſen zuweilen
den ganzen Körper tricotmäßig gleich einer oberen Haut, aber
ohne die Elaſticität derſelben; darüber deckte dann ein kurzes
Mäntelchen ſehr ungenügend die nackten Schultern und den
Rücken. Es war ein Gräuel allen ehrbaren Leuten, und eine
Menge Verordnungen waren dagegen gerichtet. Die Straßburger
[298]II. Das Mittelalter.
von 1493 ſchildert das Uebel mit folgenden Worten: „Als ſich
yetz begit das ettlich mannes perſonen die gotsvorcht nit habent
unerbere ſchampere Kleider tragent, die oben tieff ußgeſchnytten
ſinnt biß uff die ſchultern oder unten ſo kurtz, daß ſie jme voran
und hinden ſin ſchamme nit bedecken mögent mit anderer ſchent-
licher ungeſtalt, das doch in erberer perſonen ougen leſterlich zu
ſehen und nit zu leiden iſt.“ Es waren auch Vorboten der Refor-
mation, als endlich der Mann ſich der läſtigen Enge bewußt
wurde, und die Bruſt ſich öffnete und die Ellbogen, die Schul-
tern und dann die Kniee den geſpannten Stoff durchbrachen.


Der enge Lendner oder die Schecke, in alten Zeiten der un-
tere Rock, hatte ſich zur bloßen Jacke oder zum Wamms, wie
er nun häufig genannt wurde, verkürzt. Den Namen Rock ver-
dient er nicht mehr. Es war noch viel, wenn die Schöße eine
Hand breit waren, und auch dann war es zumeiſt nur vorn und
hinten, die Hüften aber waren herausgeſchnitten. Auch dieſe
Schöße von kleinſter Geſtalt fielen ganz fort, und nun fügte ſich
das Beinkleid auf der Hüfte mit Bändern oder Neſteln unmittel-
bar an die Jacke. Mit dieſer gingen dann noch weitere Verän-
derungen vor. Als Nacken und Schultern weit genug entblößt
waren und die Aermel auch gewöhnlich den Unterarm nackt lie-
ßen, da ſchnitt man das ganze Bruſtſtück von einer Schulter zur
andern und in der ganzen Tiefe heraus (ſeit 1470). Man erſetzte
den Ausſchnitt Anfangs durch einen andersfarbigen Einſatz, der
für alle Stickereien von Blumen, Flammen, Sonnen, Sinnſprü-
chen u. ſ. w. die Lieblingsſtätte wurde. Als dann aber die Vor-
liebe für feine Leinwand aufkam, ließ man dieſen Einſatz weg
und zeigte in ganzer Breite das Hemd, ſei es, daß ein reicher und
vornehmer Mann, den täuſchenden Schein des Wollens und
Nichtkönnens verachtend, es ganz von der feinſten holländiſchen
Leinwand trug, oder ein ärmerer ſich mit dem Vorhemd begnügte
oder in den gröberen Stoff einen feineren als Bruſtſtück eingeſetzt
hatte. Ganz wie heutiges Tages. Dabei blieb man nicht ſtehen.
Die Erfurter Chronik ſagt zum Jahr 1480: „die Männer trugen
breite große Hemden mit großen breiten Bruſtliſten (Streifen)
[299]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
und vorne gericket.“ Man legte das Bruſthemd alſo zunächſt in
kleine Falten und umzog den oberen Rand, der übrigens nicht
höher als die Jacke ging, mit breitem Saum. Dieſer Saum war
buntfarbig, von Seide, Sammet, von Goldſtoff oder in Gold
und Silber geſtickt und mit Perlen beſetzt. Aehnliche Streifen
liefen abwärts und wurden von anderen wieder quer überſchnit-
ten, ſodaß man oft vor Gold, Silber und bunter Farbenpracht
von dem weißen Hemdſtoff nur wenig ſah. Es war umſonſt, daß
ein Reichsgeſetz dergleichen Bruſttücher allen Bürgerlichen und
Adligen, die nicht Ritter oder Doctoren waren, verbot.


Was war nun von der Jacke übrig geblieben? Zwei halbe
Aermel und ein ſtark ausgeſchnittenes Rückenſtück, das auf der
Bruſt von einer Seite zur andern mit goldenen oder buntfarbigen
Schnüren gehalten wurde. Das war noch zu viel. Um das Hemd
noch weiter zu zeigen, ſchnitt man faſt den ganzen Aermel weg
und ließ nur einen ſchmalen bandartigen Streifen übrig, der von
der Schulter an bis in die Beugung des Arms oder ein wenig
weiter auf der innern Seite herablief; goldene oder buntfarbige
Schnüre, die den Arm über dem faltig vorquellenden Aermel des
Hemds an verſchiedenen Stellen umzogen, hielten ihn feſt. Auch
dieſer Ueberreſt des Aermels beſtand noch aus mehrfarbig zuſam-
mengeſetzten Streifen.


Doch war das nicht die einzige Form des Wammſes. Viele
verſchmähten noch lange den Bruſtausſchnitt und das Bruſthemd,
und bewahrten die ringsum geſpannte Enge, ſtopften ſich auch
wohl eine Bruſt faſt zu weiblicher Höhe aus. Andere ſchnitten
die Ellbogen auf, oder um das ganze Gelenk herum den Aermel
in zwei Theile; andere ſchlitzten ihn der Länge nach vom Rücken
bis zum Handgelenk, und aus der Oeffnung drang der faltig
weite Hemdſtoff hervor; andere wieder ſchafften der Schulter Luft.
Alle dieſe Formen und viele andere noch fanden neben einander
ſtatt.


Dem Stutzer — den wir in allen Ständen finden, ſelbſt
auf dem Thron, wenn er noch ein Jüngling iſt —, ihm ſchrumpft
auch der Oberrock und der Mantel gleich der Jacke zuſammen.
[300]II. Das Mittelalter.
Der Oberrock wird zur weiten, ungegürteten Jacke mit offener
Bruſt und aufgeſchnittenen Aermeln, und vom Mantel bleibt
nichts als ein Stück Tuch, das, um die linke Schulter gelegt und
auf der rechten mit einer Schnur gehalten, auf den Ueberreſten
der Jacke und dem buntverzierten Hemd liegt, ohne doch nur die
Hüften zu erreichen. Es iſt der Vorfahr des ſpaniſchen Mäntel-
chens, das ſchon im funfzehnten Jahrhundert in Deutſchland ein-
heimiſch war, aber wieder verſchwand, um als ſpaniſche Mode
ein Jahrhundert ſpäter eine neue Blüthe zu erleben. Auch ehrbare
Bürger trugen ihn in dieſer Geſtalt, aber weit länger und ver-
hüllender.


Wenn wir zu dieſem kurzen Mäntelchen, der verſchnittenen
bunten Jacke und dem goldverzierten Hemd darunter noch das
eng anliegende buntſcheckige Beinkleid nehmen, langſpitzige Schuhe
mit farbigen Ausſchlägen, und oben das bartloſe Geſicht, um-
floſſen von einer Fülle duftender, ſchöngebrannter Locken, die auf
die nackten Schultern wallen, und auf dem Haar einen bunten
Reif mit hoher Feder oder einen goldenen Blumenkranz, goldene
Ketten um den entblößten Hals und die halben Arme nackt — ſo
iſt das Bild eines Stutzers vom Ende des funfzehnten Jahrhun-
derts fertig.


Anders freilich ſah der ehrbare Mann aus, wenn ihn Alter
und Würde vor den Thorheiten der Jugend ſchützten oder ihm
ein ſtrenges Regiment, wie es der Nürnberger Rath in dieſer Zeit
führte, unwilligen Zwang auflegte. Zwar trug er am Leibe das
enge Beinkleid und die kurze Jacke nicht ohne einen mäßigen Aus-
ſchnitt am Hals, oder ſtatt derſelben einen kurzen Rock, und ſpä-
ter öffnete auch er Ellbogen und Bruſt und ließ das Hemd her-
austreten, aber er pflegte das alles mit einem verhüllenden Klei-
dungsſtück zu bedecken. Seltner war das, wie der Lübecker Todten-
tanz und die Miniaturen des Hamburger Stadtrechts zeigen, ein
Mantel, welcher auf der rechten Schulter befeſtigt wurde und
etwa bis zum Knie herabreichte. Weit gewöhnlicher und ſeit dem
Beginn des ſechszehnten Jahrhunderts ausſchließlich war es der
Oberrock. Seine Geſtalt war im funfzehnten noch eine doppelte,
[301]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
die des Trapperts und der Schaube; jener war nach der
alten Weiſe vorn geſchloſſen und mußte über den Kopf angezogen
werden, während dieſe die ſenkrechte Oeffnung von oben bis un-
ten hatte. Beide waren gewöhnlich mit Pelz gefüttert oder ver-
brämt. Der Trappert, als die ältere Mode, ſtieg herab zu den
Bürgern und den Handwerkern der Städte, wo er ſich am läng-
ſten hielt und auch wohl noch das neue Jahrhundert erlebte. Auf
den Miniaturen des Hamburger Stadtrechts von 1497 iſt er noch
ſehr häufig in verſchiedener Geſtalt, oft an den Schultern mit
weitausgezacktem Kragen verſehen. Auch der Lübecker Bürgermei-
ſter Johannes Lüneborch trägt ihn noch auf ſeiner Grabplatte
von 1493 in faſt mittelalterlicher Geſtalt, faſt bis zu den Füßen
herabreichend, reich mit Pelz verbrämt und von ſchwerem, groß-
gemuſtertem Damaſtſtoff, gegürtet um die Hüften. Aber die
Schaube (Joppe, Juppe) verdrängte ihn völlig. Sie war be-
quemer anzuziehen, und mit breit ausgelegtem Pelzkragen und
den weit über einander geſchlagenen Seiten gab ſie ein viel ſtatt-
licheres Anſehen. Die höchſten Stände trugen ſie daher zuerſt,
und die Fürſten in einer Länge bis zu den Füßen; aber ſie ſtieg
auch bald zum Bürger herab, doch pflegte ſie bei dieſem nur etwa
das Knie zu erreichen. Der vornehme ſtädtiſche Patrizier liebte
ſie von dunkler Farbe, ſchwarz und braun, und giebt damit zu
erkennen, daß nun ein ſoliderer Geſchmack einzutreten beginnt.
Es war das aber ſchon auf der Scheide der beiden Perioden um
das Jahr 1500. Die Schaube hatte in dieſer Zeit entweder nur
Löcher an den Schultern, durch welche die Arme geſteckt wurden,
oder lange und weite Aermel mit der gewöhnlichen Oeffnung
unten und einem Schlitz an der Seite, welche beide benutzt
wurden.


Aehnlich verhielten ſich die Gelehrten weltlichen Stan-
des, die Aerzte, Doctoren, Schriftſteller und Rechtsgelehrten.
Sie ſtehen immer in Oppoſition gegen die kurze und bunte Klei-
dung: ein langer und weiter, bis auf die Füße herabreichender
Talar, offen wie die Schaube oder geſchloſſen gleich dem Trap-
vert, gegürtet oder ungegürtet, meiſt dunkelfarbig oder auch roth,
[302]II. Das Mittelalter.
verhüllt die ganze Geſtalt, eine einfache barettartige Kopfbedeckung
ruht auf dem kürzeren Haar.


Den mannigfaltigſten Anblick gewähren die Formen der
Hüte und Mützen, wenn wir z. B. einen Blick auf die Minia-
turen des Hamburger Stadtrechts (herausgegeben von Lappen-
berg) werfen, und ſie mit andern Bildern zuſammenſtellen. Da
finden ſich hohe und niedere Hüte, mit breitem und mehr noch
ſchmalem Rand; mit vorn aufgeſtülpter, hinten heruntergelaſſener
Krämpe oder umgekehrt; mit ausgezacktem Rande oder ohne den-
ſelben; rauhhaarige Hüte von Pelzwerk — z. B. Marder —,
oder von Filz und Tuch; Hüte von allen Farben, halbirt und ge-
ſtreift, mit Federn, Schnüren, Goldſchmuck und Binden, die bis
auf den Boden fallen. So giebt es auch Mützen aller Art von
Pelz, Filz und Tuch; mit Rand und Ohrenklappen; viereckig,
rund und ſpitz und kaputzenartig mit einer oder mehreren bunt-
farbigen Troddeln; Mützen mit ſchleierartig in den Nacken fallen-
dem Stoff, mit Goldſchmuck, Kronenreif und Federn; turban-
artige Mützen von lang herabfallender rother oder gelber Sendel-
binde umwunden, mit Schmuck und Feder. Die hellfarbige Sen-
delbinde war bis zum Ende des funfzehnten Jahrhunderts noch
immer eine beliebte Tracht in den Städten und namentlich auch
beim Handwerker. Sie verſchwindet erſt, als alle dieſe verſchie-
denartigen Formen von Hut und Mütze mit dem Anfang des
ſechszehnten Jahrhunderts vor dem allein herrſchenden Barett
mit der dazu gehörigen Haarhaube, der Calotte, zurücktreten.
Wir werden beide im nächſten Abſchnitt näher kennen lernen. —


Die gleiche Formenfülle zeigen die Kopftrachten der
Frauen
. Wie ſchon oben erwähnt, ſpielt das Haar dabei die
geringſte Rolle; ſelbſt junge unverheirathete Mädchen verbergen
es unter hohen Hauben, um den weißen Hals und den blenden-
den Nacken möglichſt unverhüllt zu zeigen. Faſt die einzige Form,
in welcher es gezeigt wird, ſind Flechten, die ſie um die Ohren
gelegt haben. Auch dieſe ſind häufig in goldene Netze eingeſchloſ-
ſen oder in kleine Säckchen, die dick und feſt an beiden Ohren
ſitzen; ſie ſind von goldenem oder von farbigem Stoff, z. B.
[303]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
roth, mit einem Netz von Goldfäden und Perlen umzogen, mit
Edelſteinen beſetzt und behängt mit kleinen Goldplättchen, dem
ſ. g. Flinder. Auf dem Haupt iſt dabei ein Schleier befeſtigt
und darüber ruht ein anderes wulſtiges Gebäude oder bei fürſt-
lichen Damen eine Krone. Es finden ſich in Deutſchland die ver-
ſchiedenen Arten der Hauben, die wir beim burgundiſchen Hof
beſchrieben haben, namentlich auch die ellenhohe Spitzhaube mit
dem zum Boden herabfallenden Schleier. Die größte Mannigfal-
tigkeit herrſcht in der Art, wie die Frauen aus einem länglichen
Wulſt die Haube bereiten. Zuweilen liegt er quer in ganzer
Breite auf dem Kopf; rundum gelegt und mit Schleier, zuweilen
auch mit Kinntuch umwunden, gleicht er aufs genauſte einem
Turban; von hinten her herumgelegt, ſteht er mit den beiden
Enden vorn über der Stirn in die Höhe — das ſind die Hörner,
von denen Seb. Brant ſagt:


„Groß Hörner machen ſie auf die Köpff’,

Als ob es wär’ ein großer Stier.“

Dieſer Wulſt iſt farbig, wird beſtickt, mit Perlſchnüren umwun-
den, mit Gold und Steinen beſetzt und mit Blumen und Federn
beſteckt. Andere Hauben, mit derſelben Zierde verſehen, gleichen
Kugeln, aus denen nur ein Loch für den Kopf ausgeſchnitten iſt.
Auch Hüte werden noch getragen, denen der Männer gleich, mit
breitem Rand. So mag der Hut beſchaffen geweſen ſein, den
Maria Magdalena im Alsfelder Paſſionsſpiel von ihrer Magd
verlangt:


„Nun gieb mir her den Scheibenhut,

Der iſt mir vor der Sonnen gut.“

Auch giebt es Mützen, welche ganz den oben beſchriebenen der
Männer gleichen. Es iſt mehrfach Klage darüber in dieſer Zeit,
wie die Frauen tragen, was den Männern zukommt, und umge-
kehrt. Der Stoff, aus dem die verſchiedenartigen Hauben gemacht
wurden, war Goldgewebe oder farbiger Sammet und Seide,
oder auch von minderm Werth; doch wurde auch feiner Pelz
verwandt, Zobel, Marder und Veh. Hoher Werth wurde auf die
langen farbigen, namentlich gelben, mit Gold und Silber geſtick-
[304]II. Das Mittelalter.
ten Schleier gelegt; ſelbſt Handwerksfrauen und Bäuerinnen
kauften ſich Schleier, die 5 oder 6 fl. koſteten.


Am unſchönſten von allen waren die Hauben verheiratheter
ſtädtiſcher Damen, welche ſie aus weißen Tüchern in ſteifer Form
zuſammenlegten. Oft waren ſie ziemlich einfach und verhüllten in
wenig bemerkenswerther Form die Haare und einen Theil des
Geſichts; oft aber waren ſie über ein hohes und breites, eckiges
Drahtgeſtell ausgeſpannt, und unter dem Kinn zuſammengebun-
den: das Geſicht erſchien darin winzig klein. Dieſe Haube wurde
ums Jahr 1500 bei den verheiratheten Frauen der Städte, ſelbſt
den jüngeren, ſehr allgemein, bei ihrer wahrhaft grotesken Unge-
ſtalt gewiß nicht zum Vortheil des guten Geſchmacks. Gar ſelt-
ſam paart ſich hier zuweilen die vermeintliche Ehrbarkeit mit den
freien Moden. Wir ſehen z. B. eine Dame (Hefner II, 162),
welche mit einer weißen Haube von der einfacheren Art Haar,
Stirn und Schläfen, und vermöge einer Binde, die von Ohr zu
Ohr geht, auch Mund, Kinn und den größten Theil der Wangen
verhüllt hat: nicht viel mehr iſt ſichtbar als Augen und Naſe;
dabei aber hat ſich die Dame ſo ſtark decolletirt, daß nicht bloß
Hals, Buſen und Nacken, ſondern auch der Rücken bis zum Gür-
tel hinab entblößt ſind.


Im Allgemeinen bleibt die Kleidung der Frauen auf
den früheren Grundformen ſtehen. Eine Dame in vollkommener
Toilette brauchte ihre zwei Kleider, ein unteres und ein oberes.
Daran aber gehen mancherlei Variationen vor ſich, indem der
Modelaune hinlänglich Spielraum überlaſſen blieb. Das untere
Kleid wurde am Bruſtausſchnitt, an den Armen oder unten ſicht-
bar, wenn das Oberkleid mit der linken Hand in die Höhe ge-
nommen war. Zu dieſem Zweck hatte das Kleid einen ſehr brei-
ten Beſatz von Seide, Sammet, Perlſtickerei und in höhern Stän-
den von Veh und Hermelin. Dieſe Sitte, das Kleid mit der lin-
ken Hand in die Höhe zu nehmen, war um ſo nothwendiger, als
die ſteif geſpitzten Schuhe mit dem auch vorn lang herabfallenden
Stoff in beſtändigen Conflict kommen mußten. Wir ſehen daher
die Hand der Dame, mit welcher ſie das Kleid hebt, immer vorn
[305]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
ruhen, während ſie heutiges Tages, wo eine ähnliche, doch weni-
ger nothwendige Sitte den weißen Unterrock mit feingeſticktem
Saum ſichtbar macht, mehr zurück liegt. Die Fülle der hinteren
Schleppe ließ man unbekümmert auf dem Boden nachſchleifen,
wenn nicht die Etiquette des Hofes einen Ritter oder eine Hof-
dame zum Tragen verlangte, oder die Schleppe ſo lang war, daß
die Dame ſie über den Arm nehmen konnte. Das war aber da-
mals in deutſchen Städten nicht bloß etwas Seltnes, ſondern
ganz Ungewöhnliches.


Beide Kleider lagen, ſoviel der tiefe Ausſchnitt noch übrig
ließ, dem Oberkörper eng an. Der Gürtel gehörte nicht mehr zur
nothwendigen Tracht, obwohl er als Schmuck noch in den Klei-
derordnungen eine bedeutende Rolle ſpielt; auf Bildern iſt er
ziemlich ſelten. Die Taille ſitzt im Allgemeinen noch ſehr hoch.
Die Enge der Kleider wurde durch den Schnitt hergeſtellt und
war darauf berechnet, die Fülle des Buſens möglichſt hervortreten
zu laſſen. Zu dieſem Zwecke wurde hart unter demſelben das
Kleid ſehr häufig in mehrere ſenkrechte Falten zuſammengelegt.
Der Ausſchnitt des Kleides, faſt immer gefaßt von Seide, Sam-
met, Goldſtoff oder Rauchwerk, hatte verſchiedene Geſtalt: ent-
weder er lief in grader Linie über Bruſt und Schultern, beide
ganz oder theilweiſe entblößend, oder er ſenkte ſich vorn und hin-
ten mehr oder weniger tief bis zum Gürtel herab. Zuweilen war
die ganze Bruſt ausgeſchnitten und der Schlitz ſenkte ſich noch
viel tiefer, ſodaß die Ränder in einiger Entfernung von einander
durch einen Schnürſenkel gehalten wurden. Dann zeigte ſich
darunter entweder das untere Kleid oder auch nur das Hemd,
das unter Umſtänden auch von durchſichtigem Stoff ſein konnte.


In den letzten Jahrzehnten des funfzehnten Jahrhunderts
wurde auch bei den Frauen, wie wir das ſchon bei den Männern
geſehen haben, der tiefe Bruſtausſchnitt wenigſtens theilweiſe mit
dem feinen Hemd oder an deſſen Stelle mit einem beſondern
Bruſtſtück von feinſter weißer Leinwand wieder ausgefüllt.
Stolle’s Erfurter Chronik ſagt zum Jahr 1480: „Item die
Frauen und die Mädchen trugen köſtliche Bruſttücher, auch vorn
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 20
[306]II. Das Mittelalter.
mit breiten köſtlichen Säumen geſtickt, mit Seide, mit Perlen
oder Flitter, und ihre Hemde hatten Säcke, darin ſie die Brüſte
ſteckten, das alles vor nicht geweſen war.“ Wir ſehen die Frauen
denſelben Luxus mit dem Bruſthemd treiben, mit buntfarbigen
Streifen, Gold- und Silberſtickerei, mit Perlen und Flinder und
Schmuck. Obwohl dieſe Verhüllung allmählig aus der Tiefe des
Ausſchnittes herauswuchs, konnte ſie in dieſer Zeit kaum ſchon
als Zeichen wachſender Sittlichkeit dienen. Es mußten erſt die
moraliſirenden Eiferer der Reformation das Schamgefühl ins
Gewiſſen predigen, da wuchs das Hemd raſcher empor.


Die mannigfaltigſte Geſtalt zeigt die Tracht der Aermel.
Bei zwei Kleidern kommen doppelte in dem früheren Sinne nicht
mehr vor: entweder es hat ſie nur das untere oder das obere
Kleid. Die einfachſte Form iſt die, daß die Arme bis herab zum
Handgelenk in faltenloſer Enge umſchloſſen waren. Es war ein
ſolcher Schnitt des Kleides damit verbunden, daß man aufs deut-
lichſte erkennt, wie es nur darauf ankommt, die Formen in voller
Rundung zu zeigen. An ſolcher Einfachheit aber fand der Ge-
ſchmack der Zeit keinen Gefallen, der dahin drängte, die läſtige
Enge zu durchbrechen und mit nackter Schönheit zu glänzen.
Zwar blieben noch manche verhüllende Formen. Dahin gehört
über meiſt langem und engem Unterärmel ein ganz kurzer, etwa
handbreiter des oberen Kleides, an den ſich unter einem Saum
von Goldfranzen, Goldſtoff, Pelzwerk oder Sammet ein weit of-
fener, faltig herumfallender Stoff, der meiſtens dünne und hell-
farbige Seide iſt, anſchloß. Aehnliches kommt beim Oberrock des
Mannes vor. Es werden auch ſolche Aermel erwähnt von Taffet
und von Sammet im Werth von 14 fl. Oft ſcheint es nur der
heraustretende weite Aermel des Hemdes zu ſein. Gewöhnlich
wurde er jedesmal beſonders angeſetzt, und es finden ſich derglei-
chen Aermel in den Garderoben der Frauen immer mit aufgezählt.
Aber es gab auch andere, einfachere und dunkelfarbige, welche die
bürgerliche Frau bei häuslicher Arbeit über die koſtbareren oder
die feine Leinwand des Hemdes zog. Man nannte dieſe Ueber-
ziehärmel, die koſtbaren wie die einfachen, in Süddeutſchland
[307]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Stauchen oder Steuchlein, womit ſchon früher die Hängeärmel
bezeichnet worden.


Die Entblößung der Arme und die Aufſchlitzung der Aermel
haben wir bereits bei den Männern beſchrieben; dieſe an ſich
ſchon der weiblichen Natur mehr gemäße Mode herrſcht auch bei
den Frauen ganz in derſelben Weiſe. Wie wir ſchon beim Bruſt-
hemd geſehen haben, iſt ein merkwürdiger Parallelismus in der
männlichen und weiblichen Kleidung des Oberkörpers zu bemer-
ken. Auch bei den Frauen weicht der Aermel zurück bis zum Ell-
bogen, und wird endlich ſo verſchnitten, daß nur ein ſchmaler
Bandſtreif übrig bleibt, von der Schulter bis zur Beugung, wel-
cher durch einige Bänder gehalten wird. Nicht immer tritt dann
das Hemd vor die Oeffnung, ſondern oft iſt auch dieſes ärmellos,
und ſomit faſt der ganze Arm entblößt. Auch die übrigen Moden
der Männerärmel treten hier ein, der Schnitt um den Ellbogen,
und der Längenſchnitt den ganzen Arm herunter mit dem aus den
Schlitzen faltig herausbauſchenden Hemd.


Nur eine Veränderung, die in der zweiten Hälfte des funf-
zehnten Jahrhunderts an der weiblichen Kleidung eintrat, blieb
für alle Zeiten, die kurze Exiſtenz einer Mode überdauernd. Bis-
her beſtanden die vordere und die hintere Seite eines Kleides von
oben bis unten jede für ſich inſofern aus einem Stück, als ſie
nicht in der Taille zuſammengeſetzt waren. Das blieb auch noch
eine Zeitlang, aber daneben trat auch die Trennung des Kleides
in Leibchen oder Obermieder und den Rock ein, ſodaß jedes ſelbſt-
ſtändig von verſchiedenem Stoff und verſchiedener Farbe ſein
konnte, oder es wurde der Rock an das Leibchen angenäht. Es
iſt bekannt, wie dieſe Umänderung zur herrſchenden Form gewor-
den iſt. Sie erſt erſetzte den Gürtel völlig, ermöglichte die Wes-
pentaille — nicht zum Vortheil weder der Geſundheit noch der
Schönheit — und führte im Laufe der Zeiten die falſchen culs,
die Reifröcke und Schnürbrüſte und in neueſter Zeit die Crino-
lines als paraſitiſches Gefolge mit ſich. Erſt ſeit dieſer Verän-
derung geſchieht der Mieder und Leibchen in Deutſchland eine
ſelbſtſtändige Erwähnung; ſie ſind aber wohl zu unterſcheiden
20*
[308]II. Das Mittelalter.
von jenem engliſch-franzöſiſchen Hermelinleibchen, welches auf die
Hüften herabreichte, und mit welchem ſie keine Aehnlichkeit haben.


Die weite Decolletirung rief bei den Frauen noch ein neues
Stück der Kleidung hervor, den Koller oder Goller, ein
Wort, welches wir ſchon in ähnlicher Bedeutung aus den Zeiten
der Gugel kennen. Es war ein Kragen, welcher, um den Hals
gelegt, Schultern, Rücken und Bruſt vor dem Einfluß der Kälte
ſchützen ſollte. Auch Damen der höheren Stände trugen ihn zu
Hauſe zum Schutze des Teints, oder wo er ſonſt zu dieſem Zwecke
nöthig war. Sein Stoff war meiſt Wolle oder Sammet, und der
Luxus verſah auch ihn mit geziertem Saum. Als ſpäter Hemd
und Leibchen zum Halſe hinaufrückten, wurde er überflüſſig, und
von da an trugen ihn nur Frauen der niederſten Stände, bei de-
nen er als zur Volkstracht gehörig ſtehen geblieben war.


Der Mantel iſt bei den deutſchen Bürgerfrauen keine Sel-
tenheit, aber ſie legten keinen Werth darauf, da er die eigentliche
Toilette ganz verhüllte; man trug ihn auch nur im Winter oder
bei ſchlechtem Wetter. Ihn zu drappiren, daß er der Schönheit
und namentlich einer nobeln Eleganz dienen konnte, verſtanden
die deutſchen Frauen nicht mehr. Der Geſchmack war ein anderer
geworden, und mit ihm hatte der Mantel ſtatt des freien Fluſſes
im Faltenwurf eine ſteife Form angenommen. Ein großes Stück
Tuch, oben in regelmäßige Falten zuſammengefaßt, die vom Halſe
in graden Linien eine neben der andern bis zum Boden herablie-
fen, ſo glich er einem cannelirten Kegel. Stand noch ein ſteifer
Kragen aufrecht im Nacken, ſo erinnerte nichts mehr an die
menſchliche Figur. Es war ein wandelnder voller Sack. Nur
Frauen trugen den Mantel, Jungfrauen nicht, „bis daß ſie
Bräute wurden,“ wie die Erfurter Chronik ſagt. Als Ehrenkleid
ſpielte er an deutſchen Höfen ſeine Rolle wie in Burgund und
Frankreich. —


Da wir bereits mehrfach des Hemdes gedacht, welches,
von Leinwand oder in niedern Ständen zuweilen auch von Wolle,
allgemeine Tracht geworden war, und die Schuhe und ihre Um-
wandlung auf der Gränzſcheide des funfzehnten und ſechszehnten
[309]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Jahrhunderts aus den ſpitzen in die ſtumpfen ſchon oben bei Ge-
legenheit der Schnabelſchuhe beſprochen haben, ſo ſind zur Ver-
vollſtändigung der weiblichen Toilette nur noch die Hand-
ſchuhe
übrig. Wir wiſſen ſchon aus der vorigen Periode, wie
nothwendig ſie den höfiſch-ritterlichen Damen waren; ſie waren
es noch mehr im vierzehnten und funfzehnten Jahrhundert, wo
mit der romantiſchen Galanterie auch die Pflege der Schönheit
zugenommen hatte. Für die große Sorgfalt, mit welcher die
Hände behandelt wurden, dürften nicht bloß die dichteriſchen
Ausdrücke ſprechen, die feinen „ſubtilen Händlein,“ „die Händlein
ſchmal und dazu blank,“ ſondern wohl auch der Umſtand, daß
die ſpaniſchen Damen ſchon im vierzehnten Jahrhundert lange
Nägel trugen. Selbſt das Paſſionsſpiel läßt die reuige Magda-
lena über ihre weißen Hände klagen. Daß die ritterlichen Damen
außerhalb des Hauſes beſtändig Handſchuhe trugen, geht aus der
Erzählung vom ſtreitbaren ſpaniſchen Ritter Quinnones hervor,
der ſich in einem Paſſe aufſtellte und jeden vorüberkommenden
Ritter zum Kampf aufforderte. Unter den Bedingungen, die er
deßhalb bekannt machte, lautete die eine, daß jede Dame von
Stande, die in einem Umkreis von einer halben Stunde vorbei-
paſſiren würde, ihren rechten Handſchuh verlieren ſolle, wenn ſich
nicht ein Ritter für ſie zum Kampfe fände; nur ſeine eigene
Dame, der er angehört, falls ſie zufällig vorbeikäme, ſolle vor
der Gefahr, ihren Handſchuh zu verlieren, geſichert ſein. Am
burgundiſchen Hof trug man immer Handſchuhe; aber bei großer
Trauer um den Vater oder Gatten entſagte man ihnen ganz für
die Trauerzeit. Den verliebten Rittern gehörte ein Handſchuh
von ihrer Herrin zu den koſtbarſten Liebesgaben, vor dem Turnier
war er eine Ermuthigung, nach demſelben eine Belohnung des
Sieges. Ein alter Troubadour erzählt, er habe Zeiten geſehen,
wo eine kleine Schnur, ein Ring, ein Paar Handſchuhe einen
Liebenden für ein ganzes Jahr bezahlten für alle Merkmale und
Verſicherungen ſeiner Liebe, für ſeine Reime und Liebesgedichte.
Das war freilich im funfzehnten Jahrhundert anders. — Die
Handſchuhe gehörten zur feinen, nobeln Tracht, und daher geben
[310]II. Das Mittelalter.
ſie die alten niederländiſchen Maler ihren heiligen Frauen, wenn
ſie dieſelben im höchſten Putz darſtellen. So läßt der ſ. g. Mei-
ſter des Bartholomäus ſeine ſchöne St. Agnes, deren ſpitze Schuhe
wir ſchon oben erwähnten, feine grüne Handſchuhe tragen; hell-
blaue trägt die heil. Margaretha auf einer burgundiſchen Minia-
turmalerei, und die heil. Helena des Hubert van Eyck hat ſie mit
Edelſteinen geſchmückt. Sonſt kommen ſie ſelten auf Bildern des
funfzehnten Jahrhunderts vor, häufiger aber ſchon im Anfang
des ſechszehnten, wo es, mehr als heute, feine Sitte geweſen zu
ſein ſcheint, ſie loſe in der Hand zu halten. So auf einem Por-
trait der Kaiſerin Maria Blanca, Maximilians zweiter Gemahlin.
Junge italieniſche Herren trugen ſie in der erſten Hälfte des funf-
zehnten Jahrhunderts ſehr weit um das Handgelenk und mit
einem Quäſtchen verſehen. Damals mußte der Rath von Ber-
gamo ſchon den Luxus mit Handſchuhen einſchränken. Weiße
Handſchuhe waren, wie früher ſchon, bei den Richtern gebräuch-
lich; ſo ſaßen ſie zu Soeſt zu Gericht. Zwei weiße Handſchuhe
mußten die nürnbergiſchen Kaufleute in Heilsbronn, wenn ſie
zur Meſſe kamen, dem ſtädtiſchen Zöllner feierlichſt auf dem Rath-
haus überreichen, und noch zu Goethe’s Zeiten erhielt ſie alljähr-
lich — ein Reſt des Mittelalters — der Bürgermeiſter von Frank-
furt. — Dem Stoffe nach waren die Handſchuhe aus Seide und
feinem Leder; im Winter trug man auch Pelzhandſchuhe. — —


Obwohl die niedern Stände, die arbeitende und die-
nende Claſſe in den Städten und das Landvolk, von dem all-
gemeinen Luxus und der Putzſucht ſich nicht völlig rein erhalten
konnten, kümmerten ſie ſich doch der großen Maſſe nach wenig
um die wandelbaren Formen der launiſchen Mode. Sie kleideten
ſich, wie ſie es von ihren Vätern überkommen hatten, und wie
die Bequemlichkeit zur Arbeit es ihnen gebot. Jedoch, was wir
heutiges Tages Volkstrachten zu nennen gewohnt ſind, dieſe Ver-
ſteinerungen der Mode, exiſtirten damals noch nicht. Volkstrachten
können erſt entſtehen, wenn die Formen der Mode, von Stufe
zu Stufe die Leiter der menſchlichen Geſellſchaft herabſteigend und
auf der unterſten angekommen, hier ſtehen bleiben und erſtarren.
[311]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Die Trachten des funfzehnten Jahrhunderts in ihrem ewigen
Fluß vermochten noch nicht ſo tief zu dringen. Es war daher der
Bauer und der Arbeitsmann dieſer Zeit in ſeiner Kleidung ſo
einfach wie früher, und häufig grade wie heut in den Gegenden,
wo er eine Volkstracht nicht angenommen oder ſchon wieder ab-
geſtreift hat. Die Glasmalereien, die mit Vorliebe genrehafte
Gegenſtände behandeln, geben uns der Beiſpiele genug. Dieſe
Leute tragen einen kurzen, zur Arbeit bequemen Rock in Blouſen-
form — die alte Tunica und das linnene Polhemd —, engere
oder weitere Beinkleider, welche in kurzen oder längeren Stiefeln
oder in Schuhen ſtecken, oder wie heute darüber hängen; andere
haben nach alter Weiſe die kurze Hoſe in die langen Strümpfe
geſteckt, welche bis ans Knie reichen; wieder andere ſind noch
ohne Hoſen und zeigen die nackten Beine. Den Kopf mit kurzem
Haar bedeckt eine einfache niedere Mütze oder ein gewöhnlicher
Filzhut, mit der alten Gugel oder häufiger ohne dieſelbe. Am
Gürtel vor dem Leib hängt eine breite Ledertaſche. Was ſie aber
in ihrem Aeußern des modernen Eindrucks beraubt und ſie als
der luſtigen Zeit des funfzehnten Jahrhunderts angehörend cha-
rakteriſirt, das ſind die Farben. Während in den frühern Zeiten
des Mittelalters dem niedern Volk die gleichgültigen, in Grau
gebrochenen, unſcheinbaren Farben zufallen, die wir wieder in
der heutigen Männerwelt herrſchend finden, kleidet es ſich im
funfzehnten Jahrhundert in die lebhafteſten Farben. Wenn uns
einmal in ſeltnen Fällen eine Miniature oder eine Glasmalerei
einen Blick geſtattet in eine Straße oder auf einen ſtädtiſchen
Wochenmarkt dieſer Zeit, ſo ſehen wir z. B. den Steinmetz oder
den Zimmermann arbeiten in rothen Röcken mit blauen Mützen
und Beinkleidern, einen andern im gelben Rock mit rother Mütze
und rother Hoſe, ein dritter iſt in Hellblau und Grün mit Gelb
und Roth gekleidet. In denſelben lebhaften Farben ſtehen die
Verkäufer hinter dem Ladentiſch; ein Bauer, der ſein Schwein
auf den Markt bringt, trägt wohl einen grünen Rock, rothen Hut
und braune Hoſe; ein Kärner oder ein Weinbauer, der ein Faß
auf der Karre vor ſich herſchiebt, erſcheint im rothen Rock mit
[312]II. Das Mittelalter.
grünem Futter, in rother Mütze und blauer Hoſe mit kurzen,
lederfarbnen Stiefeln. Dagegen der Bürgersmann, der kommt
um die Waare zu beſehen und zu kaufen, trägt ſtattlich der ſoli-
den ſtädtiſchen Mode gemäß das Ehrenſtück, die dunkle pelzge-
fütterte Schaube oder den verbrämten Trappert, ſollte das Rauch-
werk daran auch nur von gemeiner Art ſein. Andere Arbeiter,
die bei der Arbeit beſchäftigt ſind, Bierbrauer z. B. tragen auch
Jacken, unſeren Weſten gleich, ohne Aermel, und die Hemdsär-
mel bis zur Schulter hinaufgeſtreift. — Auch die Mädchen und
Frauen, die auf dem Markte ſitzen und ihre Waare feil bieten,
weißes Brot in den Körben, Butter und Eier, und Milch in den
Krügen, andere, die Tauben und junge Hühner in vergitterten
Körben auf dem Kopf herbeitragen — es iſt faſt ganz ein Bild
aus unſern Tagen. Die Kleider, einfarbig blau, roth, grün, ſind
vom einfachſten Schnitt. Dem Oberkörper liegen ſie an, alles
verhüllend bis zum Hals, mit mäßig engen Aermeln, in beque-
mer Enge um den Leib und fallen weit bis auf die Füße herab,
ohne durch zu große Länge hinderlich zu werden. Eine weiße
Schürze iſt vorgebunden, und das Haar, auf der Stirn geſchei-
telt, fällt den jungen Mädchen vom Lande frei herunter, während
es ältere oder die aus der Stadt mit einem weißen, gelben oder
rothen Tuch verhüllt haben, welches ſie entweder loſe herabfallen
laſſen oder unter dem Kinn zuſammengebunden haben. Nur zu-
weilen verräth ſich die Mode durch einen kleinen Zug, z. B. durch
eine Oeffnung des Kleides vorn von der Taille aufwärts, ſodaß
ein geſchnürtes Leibchen und ein wenig von der Bruſt ſichtbar
wird; oder es ſind die Aermel von anderer Farbe als das Kleid;
oder die Vorſtöße an den Händen, welche damals bei engen Aer-
meln, namentlich nach burgundiſcher Mode, bis auf die Finger
reichten, ſind im Gelenk zurückgeſchlagen und gleichen mit weißem
Unterfutter zierlich aufgelegten Manſchetten. Langgeſchnäbelte
Schuhe, koſtbare Unterſchuhe ſieht man bei dieſen Frauen und
Mädchen nicht.


Dies Bild der niedern Stände iſt jedoch nicht überall rich-
tig. Es finden ſich auch Beiſpiele vom Gegentheil, von große
[313]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Ueppigkeit der Bauern und der Modeſucht der dienenden Claſſe,
und das erſtere grade in den Gegenden, wo man den Bund-
ſchuh,
den über dem Fuß zuſammengebundenen Schuh, des
Bauern uraltes Erbſtück, auf die Stange erhob und zum Zeichen
des Aufruhrs machte. Es war im geſegneten Thale des Rheins,
im Breisgau und im Elſaß, wo ſich die Vorboten des großen
Bauernkriegs zeigten. Dort ſah auch Sebaſtian Brant mit eigenen
Augen ihren Uebermuth und ihr üppiges Leben, welches er im
Narrenſchiff geiſſelt. Früher, ſagt er, war Gerechtigkeit bei den
Bauern; da ſie aus den Städten geflohen war, wollte ſie einkeh-
ren in die Strohhütten. Nun aber ſtecken ſich die Bauern in
große Schulden, nehmen auf Borg und wollen nicht zahlen, ob-
wohl Wein und Korn theuer ſind. Den groben Zwilch mögen
ſie nicht mehr, ſondern es muß lündiſch oder mechliſch Tuch ſein,
und zerſchnitten nach der Mode,


„Mit aller Farb, wild über wild,

Und auf dem Aermel eines Narren Bild.“

Und weiter ſagt er:


„Die Bauern tragen ſeiden Kleid

Und goldne Ketten an dem Leib.“

Der Reichstagsabſchied zu Lindau (1497) hält es ſogar für nö-
thig, ohne Unterſchied „dem gemeinen Bauersmann und den ar-
beitenden Leuten in den Städten oder auf dem Lande“ Gold,
Perlen, Sammet, Seide zu verbieten; noch ſollen ſie geſtückte
Kleider tragen dürfen, noch ihren Weibern und Kindern derglei-
chen geſtatten. — In der großherzoglichen Sammlung zu Wei-
mar findet ſich eine Federzeichnung aus dieſer Zeit, ſtutzerhafte
Bauern im Tanz mit ihren Dorfſchönen darſtellend, die, wenn ſie
wirklich von der Hand Martin Schongauers wäre, dem ſie zuge-
ſchrieben wird, ebenfalls dem Elſaß angehören würde. Es iſt
vortrefflich wiedergegeben, wie dieſe eitlen, geckenhaften Burſchen,
die ſelbſt über die Jugend ſchon hinaus ſind, die modiſchen Ele-
ganten ſpielen wollen und doch den plumpen Bauer nicht verber-
gen können. Was hilft es, daß ſie das Haar lang tragen und
wohl friſiren und mit dem Weinlaubkranz umwinden? — ſchlicht
[314]II. Das Mittelalter.
und pomadenglatt liegt es am gemeinen Geſicht, nicht feingekräu-
ſelt oder wellig gelockt, wie es die Eleganz verlangt. Das Bein-
kleid iſt eng, die Jacke tief ausgeſchnitten, Nacken und Schultern
bloß, wovon das kurze Mäntelchen nichts verhüllt; ſelbſt die Un-
terarme ſind bloß, und die Aermel aufgeſchnitten, daß das Hemd
weit und faltig heraustritt. Aber alles ſitzt ſo ſchlottrig und un-
manierlich am Körper, und entbehrt ſo aller Eleganz, daß der an-
geborne Stand ſich ſogleich verräth, ſelbſt ohne auf den Teint der
Arme und Schultern und die plumpen Bewegungen Rückſicht zu
nehmen. Die derben Dirnen, auf ihren Vortheil bedacht, geizen
weniger nach der unbequemen Mode feiner Damen; ein Tuch
flattert um ihren Kopf, die Röcke liegen zwar eng an mit ſtarkem
Ausſchnitt, aber ſie ſind ganz kurz, und dennoch nehmen die Dir-
nen ſie hoch auf, wie edle Frauen ihre nachſchleppenden Kleider.
Das Bildchen iſt mit Meiſterſchaft gemacht und vergegenwärtigt
uns den damaligen Zuſtand elſäſſiſcher Bauern lebhafter als eine
lange Beſchreibung. *)


Wir haben im Verlauf unſerer Darſtellung ſchon mehrfach
Gelegenheit gehabt, auf den Luxus der dienenden Claſſe in den
Städten hinzuweiſen. Wie hätte ſie auch von aller Anſteckung
ſich frei erhalten ſollen, da ſie das allgemeine Verderbniß beſtän-
dig vor Augen und an der eigenen Herrſchaft darunter zu leiden
hatte? Wenn die Knechte und die Mägde ſich nun auch putzen
wollten, Sammet und Seide und Goldſchmuck und Perlen tra-
gen, ſpitze, gebogene Schuhe, den einen von dieſer, den andern
von jener Farbe, wenn die Mägde auch ſich decolletirten und
lange Kleider tragen wollten, ſo gab das freilich ein groß Aerger-
niß bei der Herrſchaft, die das alles als Vorrecht betrachtete. Wil-
lig ſchritt daher die Obrigkeit ein und drohte mit ſtrengen Stra-
fen, der Rath zu Breslau ſogar den ſeidetragenden Mägden mit
dem Stockſitzen. Wir ſehen aber, die Klagen in dieſen Dingen
ſind alt, Jahrhunderte alt, und nicht von heute.


Nun gab es aber noch eine andere Claſſe in den Städten,
[315]2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
das arbeitsſcheue, nichtsthueriſche, tagediebende Volk der Lumpen
und Bettler, dankbare Geſtalten für den alten Künſtler, an de-
nen es damals in den deutſchen Städten bei leichterem Leben und
den guten Suppen an der Kloſterpforte noch weniger fehlte als
heut zu Tage. Die alten Meiſter des Kupferſtichs geben uns
prächtige Exemplare davon. Man werfe nur einen Blick auf die
große Kreuztragung Schongauers. Dies ſanscülottiſche Geſin-
del, welches den Herrn zum Tode ſchleppt, häßlich-gemein in jeder
Bewegung, im Ausdruck, in den rohen Zügen und den knotigen
Gelenken, iſt ſicherlich dem unmittelbarſten Leben nachgeſchaffen.
Sie umhüllen ihren Körper mit dem, was der Zufall, das Glück
oder die Mildthätigkeit ihnen in die Hände ſpielt, doch nicht ohne
Koketterie, wie der Lazzaron, der ſtolz die Lumpen um den brau-
nen Körper ſchlägt, aber ohne deſſen frei bewegte Schönheit. Der
trägt einen elegant geweſenen Oberrock — vielleicht war er beim
erſten Beſitzer von rothem Sammet — eng anliegend dem Körper
und nicht lang, mit kurzen, handbreiten Aermeln an den Schul-
tern und Franzenbeſatz herum, aber die Arme und die Beine ſind
nackt. Ein anderer hat wieder ein enges Beinkleid, aber keine
Schuhe an den Füßen, eine kurze Jacke mit tiefem Ausſchnitt an
Bruſt und Rücken, woraus ein gefaltetes Hemd zu Tage tritt;
nackte Schultern und auf dem Kopf eine Zipfelmütze, unter wel-
cher ein langer geflochtener Haarzopf im Nacken heraushängt.
Der hat ein Tuch turbanartig um das Haupt gebunden, der an-
dere einen formloſen Filz, der vielleicht einmal ein Hut war, auf
den kurz geſchorenen Kopf geſetzt, ein dritter läßt barhäuptig das
lange, ſtruppig wüſte Haar im Winde flattern. Da iſt aber auch
ein Stutzer, der trägt zwar keine Hoſe, aber Pantoffeln, mit Rie-
men an die Füße gebunden, und einen engen Rock ohne Aermel,
der an allen Säumen mit Franzen oder Bandſchleifen beſetzt iſt;
auch ein Hemd trägt er darunter und die Hemdsärmel bis oben
aufgekrämpt. Da iſt ein Alter, der auch nicht zurückbleiben will,
dem ſchlottert eine alte Karthäuſerkutte um den nackten Leib.
Einer geizt nach ritterlicher Ehre und trägt zu Bundſchuhen und
nackten Beinen einen Schafpelz um ſeine Schultern geſchlagen,
[316]II. Das Mittelalter.
als ob es königlicher Hermelin ſei. — Ueberall in der Kunſt, bei
den Kupferſtechern wie bei den Malern, den Niederländern wie
den Deutſchen, begegnen wir dieſem Geſindel: es iſt immer daſ-
ſelbe in ſeinem Aeußern, und es iſt zu ſehr die Carricatur der
ausgelaſſenen, bunten Modenwelt, als daß wir an der Wirklich-
keit ſeiner Exiſtenz Zweifel hegen wollten. — —


Ueber dieſe tolle Welt bricht die Reformation herein, aber
nicht wie ein Erdbeben alles ſogleich zertrümmernd oder ins Ge-
gentheil verkehrend. Nicht ohne weiteres wird die Ueppigkeit zur
Demuth, die Entblößung zur Verhüllung, nicht ſogleich kehrt die
Scham und Ehrbarkeit zurück oder verſchwindet der Reiz zur
Phantaſtik und zur Uebertreibung. Die Reformation trieb auch
in den Kleidern ihre tollen Auswüchſe, dem wiedertäuferiſchen
Wahnſinn vergleichbar. Aber Einheit, Charakter, ſelbſt ein ge-
wiſſer Ernſt dringt in die leichtfertige, zerfahrene Welt. Es kommt
das Bewußtſein, daß es noch andere Dinge zu bedenken giebt,
als den Putz des Körpers und ein luſtiges Leben. —

Appendix A

Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.


[][][]
Notes
*)
Hefner I, 60.
*)
Kunſt und Leben der Vorzeit. Heft 16. Hirſchjagd.
*)
Hefner I, 64.
*)
Siehe die Abbildung dieſer Elfenbeinſchnitzerei in Kunſt und Le-
ben
. 2. Heft. „Erſtürmung einer Minneburg.“
*)
d. i. von braunem Scharlach.
*)
S. Kunſt und Leben, Heft 11. Bl. 3. „Katharina von Oeſterreich.“
*)
S. Kunſt und Leben, Heft 2. Bl. 1.
*)
Hefner II, 113.
*)
Von mahot, Baumwolle?
*)
Das Inventar darüber befindet ſich im germaniſchen Muſeum.
*)
Abgebildet iu Stillfried, Denkm. des Hauſes Hohenzollern.
*)
S. die Söhne des Markgr. Albrecht Achilles v. Brandenburg bei
Stillfried l. l. und Kunſt und Leben, Heft 14, Bl. 3.
*)
S. Hefner II, 145.

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CC-BY-4.0
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Falke, Jakob von. Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bj98.0