Ächte Ausgabe.
bey Georg Joachim Göſchen,
1787.
Iphigenie auf Tauris.
Ein Schauſpiel.
A
[[2]]
Perſonen.
- Iphigenie.
- Thoas, König der Taurier.
- Oreſt.
- Pylades.
- Arkas.
Schauplatz
Hain vor Dianens Tempel.
[[3]]
Erſter Aufzug.
Erſter Auftritt.
Heraus in eure Schatten, rege Wipfel
Des alten, heil’gen, dichtbelaubten Haines,
Wie in der Göttinn ſtilles Heiligthum,
Tret’ ich noch jetzt mit ſchauderndem Gefühl,
Als wenn ich ſie zum erſtenmal beträte,
A 2
[4]Iphigenie auf Tauris
Und es gewöhnt ſich nicht mein Geiſt hierher.
So manches Jahr bewahrt mich hier verborgen
Ein hoher Wille, dem ich mich ergebe;
Doch immer bin ich, wie im erſten, fremd.
Denn ach mich trennt das Meer von den Ge-
liebten,
Und an dem Ufer ſteh’ ich lange Tage,
Das Land der Griechen mit der Seele ſuchend;
Und gegen meine Seufzer bringt die Welle
Nur dumpfe Töne brauſend mir herüber.
Weh dem, der fern von Eltern und Geſchwiſtern
Ein einſam Leben führt! Ihm zehrt der Gram
Das nächſte Glück vor ſeinen Lippen weg.
Ihm ſchwärmen abwärts immer die Gedanken
Nach ſeines Vaters Hallen, wo die Sonne
Zuerſt den Himmel vor ihm aufſchloß, wo
Sich Mitgeborne ſpielend feſt und feſter
Mit ſanften Banden aneinander knüpften.
Ich rechte mit den Göttern nicht; allein
Der Frauen Zuſtand iſt beklagenswerth.
Zu Hauſ’ und in dem Kriege herrſcht der Mann
Und in der Fremde weiß er ſich zu helfen.
[5]Ein Schauſpiel.
Ihn freuet der Beſitz; ihn krönt der Sieg;
Ein ehrenvoller Tod iſt ihm bereitet.
Wie eng-gebunden iſt des Weibes Glück!
Schon einem rauhen Gatten zu gehorchen,
Iſt Pflicht und Troſt; wie elend, wenn ſie gar
Ein feindlich Schickſal in die Ferne treibt!
So hält mich Thoas hier, ein edler Mann,
In ernſten, heil’gen Sklavenbanden feſt.
O wie beſchämt geſteh’ ich, daß ich dir
Mit ſtillem Widerwillen diene, Göttinn,
Dir meiner Retterinn! Mein Leben ſollte
Zu freyem Dienſte dir gewidmet ſeyn.
Auch hab’ ich ſtets auf dich gehofft und hoffe
Noch jetzt auf dich Diana, die du mich,
Des größten Königes verſtoßne Tochter,
In deinen heil’gen, ſanften Arm genommen.
Ja, Tochter Zevs, wenn du den hohen Mann,
Den du, die Tochter fodernd, ängſtigteſt;
Wenn du den göttergleichen Agamemnon,
Der dir ſein Liebſtes zum Altare brachte,
Von Troja’s umgewandten Mauern rühmlich
Nach ſeinem Vaterland zurückbegleitet,
Die Gattinn ihm, Elektren und den Sohn,
[6]Iphigenie auf Tauris
Die ſchönen Schätze, wohl erhalten haſt;
So gib auch mich den Meinen endlich wieder,
Und rette mich, die du vom Tod’ errettet,
Auch von dem Leben hier, dem zweyten Tode.
Zweyter Auftritt.
Der König ſendet mich hieher und beut
Der Prieſterinn Dianens Gruß und Heil.
Dieß iſt der Tag, da Tauris ſeiner Göttinn
Für wunderbare neue Siege dankt.
Ich eile vor dem König’ und dem Heer’,
Zu melden, daß er kommt und daß es naht.
Wir ſind bereit, ſie würdig zu empfangen,
Und unſre Göttinn ſieht willkomm’nem Opfer
Von Thoas Hand mit Gnadenblick entgegen.
[7]Ein Schauſpiel.
O fänd’ ich auch den Blick der Prieſterinn,
Der werthen, vielgeehrten, deinen Blick
O heil’ge Jungfrau, heller, leuchtender,
Uns allen gutes Zeichen! Noch bedeckt
Der Gram geheimnißvoll dein Innerſtes;
Vergebens harren wir ſchon Jahre lang
Auf ein vertraulich Wort aus deiner Bruſt.
So lang’ ich dich an dieſer Stäte kenne,
Iſt dieß der Blick, vor dem ich immer ſchaudre;
Und wie mit Eiſenbanden bleibt die Seele
In’s Innerſte des Buſens dir geſchmiedet.
Wie’s der Vertriebnen, der Verwaiſ’ten ziemt.
Scheinſt du dir hier vertrieben und verwaiſ’t?
Kann uns zum Vaterland’ die Fremde werden?
Und dir iſt fremd das Vaterland geworden.
[8]Iphigenie auf Tauris
Das iſt’s, warum mein blutend Herz nicht heilt.
In erſter Jugend, da ſich kaum die Seele
An Vater, Mutter und Geſchwiſter band;
Die neuen Schößlinge, geſellt und lieblich,
Vom Fuß der alten Stämme himmelwärts
Zu dringen ſtrebten; leider faßte da
Ein fremder Fluch mich an und trennte mich
Von den Geliebten, riß das ſchöne Band
Mit ehrner Fauſt entzwey. Sie war dahin,
Der Jugend beſte Freude, das Gedeihn
Der erſten Jahre. Selbſt gerettet, war
Ich nur ein Schatten mir, und friſche Luſt
Des Lebens blüht in mir nicht wieder auf.
Wenn du dich ſo unglücklich nennen willſt;
So darf ich dich auch wohl undankbar nennen.
Dank habt ihr ſtets.
Doch nicht den reinen Dank,
Um deſſentwillen man die Wohlthat thut;
[9]Ein Schauſpiel.
Den frohen Blick, der ein zufriednes Leben
Und ein geneigtes Herz dem Wirthe zeigt.
Als dich ein tief-geheimnißvolles Schickſal
Vor ſo viel Jahren dieſem Tempel brachte,
Kam Thoas, dir als einer Gottgegeb’nen
Mit Ehrfurcht und mit Neigung zu begegnen.
Und dieſes Ufer ward dir hold und freundlich,
Das jedem Fremden ſonſt voll Grauſens war,
Weil niemand unſer Reich vor dir betrat,
Der an Dianens heil’gen Stufen nicht
Nach altem Brauch, ein blut’ges Opfer, fiel.
Frey athmen macht das Leben nicht allein.
Welch Leben iſt’s, das an der heil’gen Stäte,
Gleich einem Schatten um ſein eigen Grab,
Ich nur vertrauern muß? Und nenn’ ich das
Ein fröhlich ſelbſtbewußtes Leben, wenn
Uns jeder Tag, vergebens hingeträumt,
Zu jenen grauen Tagen vorbereitet,
Die an dem Ufer Lethe’s, ſelbſtvergeſſend,
Die Trauerſchaar der Abgeſchiednen feiert?
Ein unnütz Leben iſt ein früher Tod;
Dieß Frauenſchickſal iſt vor allen mein’s.
[10]Iphigenie auf Tauris
Den edeln Stolz, daß du dir ſelbſt nicht
g’nügeſt,
Verzeih’ ich dir, ſo ſehr ich dich bedaure:
Er raubet den Genuß des Lebens dir.
Du haſt hier nichts gethan ſeit deiner Ankunft?
Wer hat des Königs trüben Sinn erheitert?
Wer hat den alten grauſamen Gebrauch,
Daß am Altar Dianens jeder Fremde
Sein Leben blutend läßt, von Jahr zu Jahr
Mit ſanfter Überredung aufgehalten,
Und die Gefangnen vom gewiſſen Tod’
In’s Vaterland ſo oft zurückgeſchickt?
Hat nicht Diane, ſtatt erzürnt zu ſeyn
Daß ſie der blut’gen alten Opfer mangelt,
Dein ſanft Gebeth in reichem Maß erhört?
Umſchwebt mit frohem Fluge nicht der Sieg
Das Heer? und eilt er nicht ſogar voraus?
Und fühlt nicht jeglicher ein beſſer Loos,
Seitdem der König, der uns weiſ’ und tapfer
So lang geführet, nun ſich auch der Milde
In deiner Gegenwart erfreut und uns
Des ſchweigenden Gehorſams Pflicht erleichtert.
[11]Ein Schauſpiel.
Das nennſt du unnütz? wenn von deinem
Weſen
Auf Tauſende herab ein Balſam träufelt;
Wenn du dem Volke, dem ein Gott dich brachte,
Des neuen Glückes ew’ge Quelle wirſt,
Und an dem unwirthbaren Todes-Ufer
Dem Fremden Heil und Rückkehr zubereiteſt?
Das Wenige verſchwindet leicht dem Blick,
Der vorwärts ſieht wie viel noch übrig bleibt.
Doch lobſt du den, der was er thut nicht ſchätzt?
Man tadelt den, der ſeine Thaten wägt.
Auch den, der wahren Werth zu ſtolz nicht achtet,
Wie den, der falſchen Werth zu eitel hebt.
Glaub’ mir und hör’ auf eines Mannes Wort,
Der treu und redlich dir ergeben iſt:
Wenn heut der König mit dir redet, ſo
Erleichtr’ ihm, was er dir zu ſagen denkt.
[12]Iphigenie auf Tauris
Du ängſteſt mich mit jedem guten Worte;
Oft wich ich ſeinem Antrag mühſam aus.
Bedenke was du thuſt und was dir nützt.
Seitdem der König ſeinen Sohn verloren,
Vertraut er wenigen der Seinen mehr,
Und dieſen Wenigen nicht mehr wie ſonſt.
Mißgünſtig ſieht er jedes Edeln Sohn
Als ſeines Reiches Folger an; er fürchtet
Ein einſam hülflos Alter, ja vielleicht
Verwegnen Aufſtand und frühzeit’gen Tod.
Der Scythe ſetzt in’s Reden keinen Vorzug,
Am wenigſten der König. Er, der nur
Gewohnt iſt zu befehlen und zu thun,
Kennt nicht die Kunſt, von weitem ein Ge-
ſpräch
Nach ſeiner Abſicht langſam fein zu lenken.
Erſchwer’s ihm nicht durch ein rückhaltend Wei-
gern,
Durch ein vorſetzlich Mißverſtehen. Geh
Gefällig ihm den halben Weg entgegen.
[13]Ein Schauſpiel.
Soll ich beſchleunigen was mich bedroht?
Willſt du ſein Werben eine Drohung nennen?
Es iſt die ſchrecklichſte von allen mir.
Gib ihm für ſeine Neigung nur Vertraun.
Wenn er von Furcht erſt meine Seele löſ’t.
Warum verſchweigſt du deine Herkunft ihm?
Weil einer Prieſterinn Geheimniß ziemt.
Dem König’ ſollte nichts Geheimniß ſeyn;
Und ob er’s gleich nicht fordert, fühlt er’s doch
Und fühlt es tief in ſeiner großen Seele,
Daß du ſorgfältig dich vor ihm verwahrſt.
Nährt er Verdruß und Unmuth gegen mich?
[14]Iphigenie auf Tauris
So ſcheint es faſt. Zwar ſchweigt er auch von dir;
Doch haben hingeworfne Worte mich
Belehrt, daß ſeine Seele feſt den Wunſch
Ergriffen hat, dich zu beſitzen. Laß,
O überlaß ihn nicht ſich ſelbſt! damit
In ſeinem Buſen nicht der Unmuth reife
Und dir Entſetzen bringe, du zu ſpät
An meinen treuen Rath mit Reue denkeſt.
Wie? ſinnt der König, was kein edler Mann,
Der ſeinen Nahmen liebt und dem Verehrung
Der Himmliſchen den Buſen bändiget,
Je denken ſollte? Sinnt er vom Altar
Mich in ſein Bette mit Gewalt zu ziehn?
So ruf’ ich alle Götter und vor allen
Dianen die entſchloßne Göttinn an,
Die ihren Schutz der Prieſterinn gewiß,
Und Jungfrau einer Jungfrau, gern gewährt.
Sey ruhig! Ein gewaltſam neues Blut
Treibt nicht den König, ſolche Jünglingsthat
[15]Ein Schauſpiel.
Verwegen auszuüben. Wie er ſinnt,
Befürcht’ ich andern harten Schluß von ihm,
Den unaufhaltbar er vollenden wird:
Denn ſeine Seel’ iſt feſt und unbeweglich.
Drum bitt’ ich dich, vertrau’ ihm; ſey ihm
dankbar,
Wenn du ihm weiter nichts gewähren kannſt.
O ſage was dir weiter noch bekannt iſt.
Erfahr’s von ihm. Ich ſeh’ den König kommen;
Du ehrſt ihn, und dich heißt dein eigen Herz,
Ihm freundlich und vertraulich zu begegnen.
Ein edler Mann wird durch ein gutes Wort
Der Frauen weit geführt.
Zwar ſeh’ ich nicht,
Wie ich dem Rath des Treuen folgen ſoll.
Doch folg’ ich gern der Pflicht, dem Könige
Für ſeine Wohlthat gutes Wort zu geben,
Und wünſche mir, daß ich dem Mächtigen,
Was ihm gefällt, mit Wahrheit ſagen möge.
[16]Iphigenie auf Tauris
Dritter Auftritt.
Mit königlichen Gütern ſegne dich
Die Göttinn! Sie gewähre Sieg und Ruhm
Und Reichthum und das Wohl der Deinigen
Und jedes frommen Wunſches Fülle dir!
Daß, der du über viele ſorgend herrſcheſt,
Du auch vor vielen ſeltnes Glück genießeſt.
Zufrieden wär’ ich, wenn mein Volk mich
rühmte:
Was ich erwarb, genießen andre mehr
Als ich. Der iſt am glücklichſten, er ſey
Ein König oder ein Geringer, dem
In ſeinem Hauſe Wohl bereitet iſt.
Du nahmeſt Theil an meinen tiefen Schmerzen,
Als mir das Schwert der Feinde meinen Sohn,
Den letzten, beſten, von der Seite riß.
So lang’ die Rache meinen Geiſt beſaß,
Empfand ich nicht die Öde meiner Wohnung;
[17]Ein Schauſpiel.
Doch jetzt, da ich befriedigt wiederkehre,
Ihr Reich zerſtört, mein Sohn gerochen iſt,
Bleibt mir zu Hauſe nichts das mich ergetze.
Der fröhliche Gehorſam, den ich ſonſt
Aus einem jeden Auge blicken ſah,
Iſt nun von Sorg’ und Unmuth ſtill gedämpft.
Ein jeder ſinnt was künftig werden wird,
Und folgt dem Kinderloſen, weil er muß.
Nun komm’ ich heut in dieſen Tempel, den
Ich oft betrat um Sieg zu bitten und
Für Sieg zu danken. Einen alten Wunſch
Trag’ ich im Buſen, der auch dir nicht fremd,
Noch unerwartet iſt: ich hoffe, dich
Zum Segen meines Volks und mir zum Segen,
Als Braut in meine Wohnung einzuführen.
Der Unbekannten bietheſt du zu viel,
O König, an. Es ſteht die Flüchtige
Beſchämt vor dir, die nichts an dieſem Ufer
Als Schutz und Ruhe ſucht, die du ihr gabſt.
B
[18]Iphigenie auf Tauris
Daß du in das Geheimniß deiner Abkunft
Vor mir wie vor dem Letzten ſtets dich hülleſt,
Wär’ unter keinem Volke recht und gut.
Dieß Ufer ſchreckt die Fremden: das Geſetz
Gebiethet’s und die Noth. Allein von dir,
Die jedes frommen Rechts genießt, ein wohl
Von uns empfangner Gaſt nach eignem Sinn
Und Willen ihres Tages ſich erfreut,
Von dir hofft’ ich Vertrauen, das der Wirth
Für ſeine Treue wohl erwarten darf.
Verbarg ich meiner Eltern Nahmen und
Mein Haus, o König, war’s Verlegenheit,
Nicht Mißtrau’n. Denn vielleicht, ach wüß-
teſt du,
Wer vor dir ſteht, und welch verwünſchtes
Haupt
Du nährſt und ſchützeſt; ein Entſetzen faßte
Dein großes Herz mit ſeltnem Schauer an,
Und ſtatt die Seite deines Thrones mir
[19]Ein Schauſpiel.
Zu biethen, triebeſt du mich vor der Zeit
Aus deinem Reiche; ſtießeſt mich vielleicht,
Eh’ zu den Meinen frohe Rückkehr mir
Und meiner Wandrung Ende zugedacht iſt,
Dem Elend zu, das jeden Schweifenden,
Von ſeinem Hauſ’ Vertriebnen überall
Mit kalter fremder Schreckenshand erwartet.
Was auch der Rath der Götter mit dir ſey,
Und was ſie deinem Hauſ’ und dir gedenken;
So fehlt es doch, ſeitdem du bey uns wohnſt
Und eines frommen Gaſtes Recht genießeſt,
An Segen nicht, der mir von oben kommt.
Ich möchte ſchwer zu überreden ſeyn,
Daß ich an dir ein ſchuldvoll Haupt beſchütze.
Dir bringt die Wohlthat Segen, nicht der Gaſt.
Was man Verruchten thut, wird nicht geſegnet.
Drum endige dein Schweigen und dein Wei-
gern;
B 2
[20]Iphigenie auf Tauris
Es fordert dieß kein ungerechter Mann.
Die Göttinn übergab dich meinen Händen;
Wie du ihr heilig warſt, ſo warſt du’s mir.
Auch ſey ihr Wink noch künftig mein Geſetz:
Wenn du nach Hauſe Rückkehr hoffen kannſt,
So ſprech’ ich dich von aller Fordrung los.
Doch iſt der Weg auf ewig dir verſperrt,
Und iſt dein Stamm vertrieben, oder durch
Ein ungeheures Unheil ausgelöſcht,
So biſt du mein durch mehr als Ein Geſetz.
Sprich offen! und du weißt, ich halte Wort.
Vom alten Bande löſet ungern ſich
Die Zunge los, ein langverſchwiegenes
Geheimniß endlich zu entdecken. Denn
Einmal vertraut, verläßt es ohne Rückkehr
Des tiefen Herzens ſichre Wohnung, ſchadet,
Wie es die Götter wollen, oder nützt.
Vernimm! Ich bin aus Tantalus Geſchlecht.
Du ſprichſt ein großes Wort gelaſſen aus.
Nennſt du Den deinen Ahnherrn, den die Welt
[21]Ein Schauſpiel.
Als einen ehmals Hochbegnadigten
Der Götter kennt? Iſt’s jener Tantalus,
Den Jupiter zu Rath und Tafel zog,
An deſſen alterfahrnen, vielen Sinn
Verknüpfenden Geſprächen Götter ſelbſt,
Wie an Orakelſprüchen ſich ergetzten?
Er iſt es; aber Götter ſollten nicht
Mit Menſchen, wie mit ihres Gleichen, wan-
deln;
Das ſterbliche Geſchlecht iſt viel zu ſchwach
In ungewohnter Höhe nicht zu ſchwindeln.
Unedel war er nicht und kein Verräther;
Allein zum Knecht zu groß, und zum Geſellen
Des großen Donn’rers nur ein Menſch. So war
Auch ſein Vergehen menſchlich; ihr Gericht
War ſtreng, und Dichter ſingen: Übermuth
Und Untreu ſtürzten ihn von Jovis Tiſch
Zur Schmach des alten Tartarus hinab.
Ach und ſein ganz Geſchlecht trug ihren Haß!
Trug es die Schuld des Ahnherrn oder eigne?
[22]Iphigenie auf Tauris
Zwar die gewalt’ge Bruſt und der Titanen
Kraftvolles Mark war ſeiner Söhn’ und Enkel
Gewiſſes Erbtheil; doch es ſchmiedete
Der Gott um ihre Stirn ein ehern Band.
Rath, Mäßigung und Weisheit und Geduld
Verbarg er ihrem ſcheuen düſtern Blick;
Zur Wuth ward ihnen jegliche Begier,
Und gränzenlos drang ihre Wuth umher.
Schon Pelops, der Gewaltig-wollende,
Des Tantalus geliebter Sohn, erwarb
Sich durch Verrath und Mord das ſchönſte
Weib,
Des Önomaus Tochter, Hippodamien.
Sie bringt den Wünſchen des Gemahls zwey
Söhne,
Thyeſt und Atreus. Neidiſch ſehen ſie
Des Vaters Liebe zu dem erſten Sohn
Aus einem andern Bette wachſend an.
Der Haß verbindet ſie, und heimlich wagt
Das Paar im Brudermord die erſte That.
Der Vater wähnet Hippodamien
Die Mörderinn, und grimmig fordert er
[23]Ein Schauſpiel.
Von ihr den Sohn zurück, und ſie entleibt
Sich ſelbſt —
Du ſchweigeſt? Fahre fort zu reden!
Laß dein Vertrau’n dich nicht gereuen! Sprich!
Wohl dem, der ſeiner Väter gern gedenkt,
Der froh von ihren Thaten, ihrer Größe,
Den Hörer unterhält und ſtill ſich freuend
An’s Ende dieſer ſchönen Reihe ſich
Geſchloſſen ſieht! Denn es erzeugt nicht gleich
Ein Haus den Halbgott noch das Ungeheuer;
Erſt eine Reihe Böſer oder Guter
Bringt endlich das Entſetzen, bringt die Freude
Der Welt hervor. — Nach ihres Vaters Tode
Gebiethen Atreus und Thyeſt der Stadt,
Gemeinſam-herrſchend. Lange konnte nicht
Die Eintracht dauern. Bald entehrt Thyeſt
Des Bruders Bette. Rächend treibet Atreus
Ihn aus dem Reiche. Tückiſch hatte ſchon
Thyeſt, auf ſchwere Thaten ſinnend, lange
Dem Bruder einen Sohn entwandt und heimlich
[24]Iphigenie auf Tauris
Ihn als den ſeinen ſchmeichelnd auferzogen.
Dem füllet er die Bruſt mit Wuth und Rache
Und ſendet ihn zur Königsſtadt, daß er
Im Oheim ſeinen eignen Vater morde.
Des Jünglings Vorſatz wird entdeckt; der König
Straft grauſam den geſandten Mörder, wähnend
Er tödte ſeines Bruders Sohn. Zu ſpät
Erfährt er, wer vor ſeinen trunknen Augen
Gemartert ſtirbt; und die Begier der Rache
Aus ſeiner Bruſt zu tilgen, ſinnt er ſtill
Auf unerhörte That. Er ſcheint gelaſſen,
Gleichgültig und verſöhnt, und lockt den Bruder
Mit ſeinen beyden Söhnen in das Reich
Zurück, ergreift die Knaben, ſchlachtet ſie
Und ſetzt die ekle ſchaudervolle Speiſe
Dem Vater bey dem erſten Mahle vor.
Und da Thyeſt an ſeinem Fleiſche ſich
Geſättigt, eine Wehmuth ihn ergreift,
Er nach den Kindern fragt, den Tritt, die
Stimme
Der Knaben an des Saales Thüre ſchon
Zu hören glaubt, wirft Atreus grinſend
Ihm Haupt und Füße der Erſchlagnen hin.
[25]Ein Schauſpiel.
Du wendeſt ſchaudernd dein Geſicht, o König:
So wendete die Sonn’ ihr Antlitz weg
Und ihren Wagen aus dem ew’gen Gleiſe.
Dieß ſind die Ahnherrn deiner Prieſterinn;
Und viel unſeliges Geſchick der Männer,
Viel Thaten des verworrnen Sinnes deckt
Die Nacht mit ſchweren Fittigen und läßt
Uns nur in grauenvolle Dämmrung ſehn.
Verbirg ſie ſchweigend auch. Es ſey genug
Der Gräuel! Sage nun, durch welch ein
Wunder
Von dieſem wilden Stamme Du entſprangſt.
Des Atreus ältſter Sohn war Agamemnon;
Er iſt mein Vater. Doch ich darf es ſagen,
In ihm hab’ ich ſeit meiner erſten Zeit
Ein Muſter des vollkommnen Manns geſehn.
Ihm brachte Clytemneſtra mich, den Erſtling
Der Liebe, dann Elektren. Ruhig herrſchte
Der König, und es war dem Hauſe Tantals
Die lang’ entbehrte Raſt gewährt. Allein
[26]Iphigenie auf Tauris
Es mangelte dem Glück der Eltern noch
Ein Sohn, und kaum war dieſer Wunſch erfüllt,
Daß zwiſchen beyden Schweſtern nun Oreſt
Der Liebling wuchs; als neues Übel ſchon
Dem ſichern Hauſe zubereitet war.
Der Ruf des Krieges iſt zu euch gekommen,
Der, um den Raub der ſchönſten Frau zu rächen,
Die ganze Macht der Fürſten Griechenlands
Um Trojens Mauern lagerte. Ob ſie
Die Stadt gewonnen, ihrer Rache Ziel
Erreicht, vernahm ich nicht. Mein Vater führte
Der Griechen Heer. In Aulis harrten ſie
Auf günſt’gen Wind vergebens: denn Diane,
Erzürnt auf ihren großen Führer, hielt
Die Eilenden zurück und forderte
Durch Kalchas Mund des Königs ältſte Tochter.
Sie lockten mit der Mutter mich in’s Lager;
Sie riſſen mich vor den Altar und weihten
Der Göttinn dieſes Haupt. — Sie war verſöhnt;
Sie wollte nicht mein Blut, und hüllte rettend
In eine Wolke mich; in dieſem Tempel
Erkannt’ ich mich zuerſt vom Tode wieder.
Ich bin es ſelbſt, bin Iphigenie,
[27]Ein Schauſpiel.
Des Atreus Enkel, Agamemnons Tochter,
Der Göttinn Eigenthum, die mit dir ſpricht.
Mehr Vorzug und Vertrauen geb’ ich nicht
Der Königstochter als der Unbekannten.
Ich wiederhohle meinen erſten Antrag:
Komm, folge mir und theile was ich habe.
Wie darf ich ſolchen Schritt, o König, wagen?
Hat nicht die Göttinn, die mich rettete,
Allein das Recht auf mein geweihtes Leben?
Sie hat für mich den Schutzort ausgeſucht,
Und ſie bewahrt mich einem Vater, den
Sie durch den Schein genug geſtraft, vielleicht
Zur ſchönſten Freude ſeines Alters hier.
Vielleicht iſt mir die frohe Rückkehr nah;
Und ich, auf ihren Weg nicht achtend, hätte
Mich wieder ihren Willen hier gefeſſelt?
Ein Zeichen bath ich, wenn ich bleiben ſollte.
Das Zeichen iſt, daß du noch hier verweilſt.
Such’ Ausflucht ſolcher Art nicht ängſtlich auf [...]
[28]Iphigenie auf Tauris
Man ſpricht vergebens viel, um zu verſagen;
Der andre hört von allem nur das Nein.
Nicht Worte ſind es, die nur blenden ſollen;
Ich habe dir mein tiefſtes Herz entdeckt.
Und ſagſt du dir nicht ſelbſt, wie ich dem Vater,
Der Mutter, den Geſchwiſtern mich entgegen
Mit ängſtlichen Gefühlen ſehnen muß?
Daß in den alten Hallen, wo die Trauer
Noch manchmal ſtille meinen Nahmen liſpelt,
Die Freude, wie um eine Neugeborne,
Den ſchönſten Kranz von Säul’ an Säulen
ſchlinge.
O ſendeteſt du mich auf Schiffen hin!
Du gäbeſt mir und allen neues Leben.
So kehr’ zurück! Thu’ was dein Herz dich heißt;
Und höre nicht die Stimme guten Raths
Und der Vernunft. Sey ganz ein Weib und gib
Dich hin dem Triebe, der dich zügellos
Ergreift und dahin oder dorthin reißt.
Wenn ihnen eine Luſt im Buſen brennt,
[29]Ein Schauſpiel.
Hält vom Verräther ſie kein heilig Band,
Der ſie dem Vater oder dem Gemahl
Aus langbewährten, treuen Armen lockt;
Und ſchweigt in ihrer Bruſt die raſche Gluth,
So dringt auf ſie vergebens treu und mächtig
Der Überredung goldne Zunge los.
Gedenk, o König, deines edeln Wortes!
Willſt du mein Zutrau’n ſo erwiedern? Du
Schienſt vorbereitet, alles zu vernehmen.
Auf’s Ungehoffte war ich nicht bereitet;
Doch ſollt’ ich’s auch erwarten: wußt’ ich nicht,
Daß ich mit einem Weibe handeln ging?
Schilt nicht, o König, unſer arm Geſchlecht.
Nicht herrlich wie die euern, aber nicht
Unedel ſind die Waffen eines Weibes.
Glaub’ es, darin bin ich dir vorzuziehn,
Daß ich dein Glück mehr als du ſelber kenne.
Du wähneſt, unbekannt mit dir und mir,
[30]Iphigenie auf Tauris
Ein näher Band werd’ uns zum Glück vereinen,
Voll guten Muthes, wie voll guten Willens,
Dringſt du in mich, daß ich mich fügen ſoll;
Und hier dank’ ich den Göttern, daß ſie mir
Die Feſtigkeit gegeben, dieſes Bündniß
Nicht einzugehen, das ſie nicht gebilligt.
Es ſpricht kein Gott; es ſpricht dein eignes
Herz.
Sie reden nur durch unſer Herz zu uns.
Und hab’ Ich, ſie zu hören, nicht das Recht?
Es überbrauſt der Sturm die zarte Stimme.
Die Prieſterinn vernimmt ſie wohl allein?
Vor allen andern merke ſie der Fürſt.
[31]Ein Schauſpiel.
Dein heilig Amt und dein geerbtes Recht
An Jovis Tiſch bringt dich den Göttern näher,
Als einen erdgebornen Wilden.
So
Büß’ ich nun das Vertrau’n, das du erzwangſt.
Ich bin ein Menſch; und beſſer iſt’s wir enden.
So bleibe denn mein Wort: Sey Prieſterinn
Der Göttinn, wie ſie dich erkoren hat;
Doch mir verzeih’ Diane, daß ich ihr
Bisher mit Unrecht und mit innerm Vorwurf
Die alten Opfer vorenthalten habe.
Kein Fremder nahet glücklich unſerm Ufer;
Von Alters her iſt ihm der Tod gewiß.
Nur Du haſt mich mit einer Freundlichkeit,
In der ich bald der zarten Tochter Liebe,
Bald ſtille Neigung einer Braut zu ſehn
Mich tief erfreute, wie mit Zauberbanden
Gefeſſelt, daß ich meiner Pflicht vergaß.
Du hatteſt mir die Sinnen eingewiegt,
[32]Iphigenie auf Tauris
Das Murren meines Volks vernahm ich nicht;
Nun rufen ſie die Schuld von meines Sohnes
Frühzeit’gem Tode lauter über mich.
Um deinetwillen halt’ ich länger nicht
Die Menge, die das Opfer dringend fordert.
Um meinetwillen hab’ ich’s nie begehrt.
Der mißverſteht die Himmliſchen, der ſie
Blutgierig wähnt; er dichtet ihnen nur
Die eignen grauſamen Begierden an.
Entzog die Göttinn mich nicht ſelbſt dem
Prieſter?
Ihr war mein Dienſt willkommner, als mein
Tod.
Es ziemt ſich nicht für uns, den heiligen
Gebrauch mit leicht beweglicher Vernunft
Nach unſerm Sinn zu deuten und zu lenken.
Thu deine Pflicht, ich werde meine thun.
Zwey Fremde, die wir in des Ufers Höhlen
Verſteckt gefunden, und die meinem Lande
Nichts gutes bringen, ſind in meiner Hand.
[33]Ein Schauſpiel.
Mit dieſen nehme deine Göttinn wieder
Ihr erſtes, rechtes, lang’ entbehrtes Opfer!
Ich ſende ſie hierher; du weißt den Dienſt.
Vierter Auftritt.
Du haſt Wolken, gnädige Retterinn,
Einzuhüllen unſchuldig Verfolgte,
Und auf Winden dem ehrnen Geſchick ſie
Aus den Armen, über das Meer,
Über der Erde weiteſte Strecken
Und wohin es dir gut dünkt zu tragen.
Weiſe biſt du und ſieheſt das Künftige;
Nicht vorüber iſt dir das Vergangne,
Und dein Blick ruht über den Deinen
Wie dein Licht, das Leben der Nächte,
Über der Erde ruhet und waltet.
O enthalte vom Blut meine Hände!
Nimmer bringt es Segen und Ruhe;
C
[34]Iphigenie auf Tauris.
Und die Geſtalt des zufällig Ermordeten
Wird auf des traurig-unwilligen Mörders
Böſe Stunde lauern — und ſchrecken.
Denn die Unſterblichen lieben der Menſchen
Weit verbreitete gute Geſchlechter,
Und ſie friſten das flüchtige Leben
Gerne dem Sterblichen, wollen ihm gerne
Ihres eigenen, ewigen Himmels
Mitgenießendes fröhliches Anſchau’n
Eine Weile gönnen und laſſen.
[[35]]
Zweyter Aufzug.
Erſter Auftritt.
Es iſt der Weg des Todes, den wir treten:
Mit jedem Schritt wird meine Seele ſtiller.
Als ich Apollen bath, das gräßliche
Geleit der Rachegeiſter von der Seite
Mir abzunehmen, ſchien er Hülf’ und Rettung
Im Tempel ſeiner vielgeliebten Schweſter,
Die über Tauris herrſcht, mit hoffnungsreichen
Gewiſſen Götterworten zu verſprechen;
Und nun erfüllet ſich’s, daß alle Noth
C 2
[36]Iphigenie auf Tauris
Mit meinem Leben völlig enden ſoll.
Wie leicht wird’s mir, dem eine Götterhand
Das Herz zuſammendrückt, den Sinn betäubt,
Dem ſchönen Licht der Sonne zu entſagen.
Und ſollen Atreus Enkel in der Schlacht
Ein ſiegbekröntes Ende nicht gewinnen;
Soll ich wie meine Ahnen, wie mein Vater
Als Opferthier im Jammertode bluten:
So ſey es! Beſſer hier vor dem Altar,
Als im verworfnen Winkel, wo die Netze
Der nahverwandte Meuchelmörder ſtellt.
Laßt mir ſo lange Ruh’, ihr Unterird’ſchen,
Die nach dem Blut’ ihr, das von meinen Tritten
Hernieder träufend meinen Pfad bezeichnet,
Wie losgelaßne Hunde ſpürend hetzt.
Laßt mich, ich komme bald zu euch hinab;
Das Licht des Tags ſoll euch nicht ſehn, noch mich.
Der Erde ſchöner grüner Teppich ſoll
Kein Tummelplatz für Larven ſeyn. Dort unten
Such’ ich euch auf: dort bindet alle dann
Ein gleich Geſchick in ew’ge matte Nacht.
Nur dich, mein Pylades, dich, meiner Schuld
[37]Ein Schauſpiel.
Und meines Banns unſchuldigen Genoſſen,
Wie ungern nehm’ ich dich in jenes Trauerland
Frühzeitig mit! Dein Leben oder Tod
Gibt mir allein noch Hoffnung oder Furcht.
Ich bin noch nicht, Oreſt, wie du bereit,
In jenes Schattenreich hinabzugehn.
Ich ſinne noch, durch die verworrnen Pfade,
Die nach der ſchwarzen Nacht zu führen ſcheinen,
Uns zu dem Leben wieder aufzuwinden.
Ich denke nicht den Tod; ich ſinn’ und horche,
Ob nicht zu irgend einer frohen Flucht
Die Götter Rath und Wege zubereiten.
Der Tod, gefürchtet oder ungefürchtet,
Kommt unaufhaltſam. Wenn die Prieſterinn
Schon unſre Locken weihend abzuſchneiden
Die Hand erhebt, ſoll dein’ und meine Rettung
Mein einziger Gedanke ſeyn. Erhebe
Von dieſem Unmuth deine Seele; zweifelnd
Beſchleunigeſt du die Gefahr. Apoll
Gab uns das Wort: im Heiligthum der
Schweſter
[38]Iphigenie auf Tauris
Sey Troſt und Hülf’ und Rückkehr dir bereitet.
Der Götter Worte ſind nicht doppelſinnig,
Wie der Gedrückte ſie im Unmuth wähnt.
Des Lebens dunkle Decke breitete
Die Mutter ſchon mir um das zarte Haupt,
Und ſo wuchs ich herauf, ein Ebenbild
Des Vaters, und es war mein ſtummer Blick
Ein bittrer Vorwurf ihr und ihrem Buhlen.
Wie oft, wenn ſtill Elektra meine Schweſter
Am Feuer in der tiefen Halle ſaß,
Drängt’ ich beklommen mich an ihren Schoos,
Und ſtarrte, wie ſie bitter weinte, ſie
Mit großen Augen an. Dann ſagte ſie
Von unſerm hohen Vater viel: wie ſehr
Verlangt’ ich ihn zu ſehn, bey ihm zu ſeyn!
Mich wünſcht’ ich bald nach Troja, ihn bald her.
Es kam der Tag —
O laß von jener Stunde
Sich Höllengeiſter nächtlich unterhalten!
Uns gebe die Erinnrung ſchöner Zeit
[39]Ein Schauſpiel.
Zu friſchem Heldenlaufe neue Kraft.
Die Götter brauchen manchen guten Mann
Zu ihrem Dienſt auf dieſer weiten Erde.
Sie haben noch auf dich gezählt; ſie gaben
Dich nicht dem Vater zum Geleite mit,
Da er unwillig nach dem Orkus ging.
O wär’ ich, ſeinen Saum ergreifend, ihm
Gefolgt.
So haben die, die dich erhielten,
Für mich geſorgt: denn was ich worden wäre,
Wenn Du nicht lebteſt, kann ich mir nicht denken;
Da ich mit dir und deinetwillen nur
Seit meiner Kindheit leb’ und leben mag.
Erinnre mich nicht jener ſchönen Tage,
Da mir dein Haus die freye Stäte gab,
Dein edler Vater klug und liebevoll
Die halb erſtarrte junge Blüthe pflegte;
Da du ein immer munterer Geſelle,
Gleich einem leichten bunten Schmetterling [...]
[40]Iphigenie auf Tauris
Um eine dunkle Blume, jeden Tag
Um mich mit neuem Leben gaukelteſt,
Mir deine Luſt in meine Seele ſpielteſt,
Daß ich, vergeſſend meiner Noth, mit dir
In raſcher Jugend hingeriſſen ſchwärmte.
Da fing mein Leben an, als ich dich liebte.
Sag: meine Noth begann, und du ſprichſt wahr.
Das iſt das Ängſtliche von meinem Schickſal,
Daß ich, wie ein verpeſteter Vertriebner,
Geheimen Schmerz und Tod im Buſen trage;
Daß, wo ich den geſund’ſten Ort betrete,
Gar bald um mich die blühenden Geſichter
Den Schmerzenszug langſamen Tod’s verrathen.
Der nächſte wär’ ich dieſen Tod zu ſterben,
Wenn je dein Hauch, Oreſt, vergiftete.
Bin ich nicht immer noch voll Muth und Luſt?
Und Luſt und Liebe ſind die Fittige
Zu großen Thaten.
[41]Ein Schauſpiel.
Große Thaten? Ja,
Ich weiß die Zeit, da wir ſie vor uns ſahn!
Wenn wir zuſammen oft dem Wilde nach
Durch Berg’ und Thäler rannten, und dereinſt
An Bruſt und Fauſt dem hohen Ahnherrn gleich
Mit Keul’ und Schwert dem Ungeheuer ſo,
Dem Räuber auf der Spur zu jagen hofften;
Und dann wir Abends an der weiten See
Uns an einander lehnend ruhig ſaßen,
Die Wellen bis zu unſern Füßen ſpielten,
Die Welt ſo weit, ſo offen vor uns lag;
Da fuhr wohl einer manchmal nach dem Schwert,
Und künft’ge Thaten drangen wie die Sterne
Rings um uns her unzählig aus der Nacht.
Unendlich iſt das Werk, das zu vollführen
Die Seele dringt. Wir möchten jede That
So groß gleich thun als wie ſie wächſt und wird,
Wenn Jahre lang durch Länder und Geſchlechter
Der Mund der Dichter ſie vermehrend wälzt.
Es klingt ſo ſchön was unſre Väter thaten,
[42]Iphigenie auf Tauris
Wenn es in ſtillen Abendſchatten ruhend
Der Jüngling mit dem Ton der Harfe ſchlürft;
Und was wir thun iſt, wie es ihnen war,
Voll Müh’ und eitel Stückwerk!
So laufen wir nach dem was vor uns flieht,
Und achten nicht des Weges den wir treten,
Und ſehen neben uns der Ahnherrn Tritte
Und ihres Erdelebens Spuren kaum.
Wir eilen immer ihrem Schatten nach,
Der göttergleich in einer weiten Ferne
Der Berge Haupt auf goldnen Wolken krönt.
Ich halte nichts von dem, der von ſich denkt
Wie ihn das Volk vielleicht erheben möchte.
Allein, o Jüngling, danke du den Göttern,
Daß ſie ſo früh durch dich ſo viel gethan.
Wenn ſie dem Menſchen frohe That beſcheren,
Daß er ein Unheil von den Seinen wendet,
Daß er ſein Reich vermehrt, die Gränzen ſichert,
Und alte Feinde fallen oder fliehn;
Dann mag er danken! denn ihm hat ein Gott
Des Lebens erſte, letzte Luſt gegönn [...].
[43]Ein Schauſpiel.
Mich haben ſie zum Schlächter auserkoren,
Zum Mörder meiner doch verehrten Mutter,
Und eine Schandthat ſchändlich rächend, mich
Durch ihren Wink zu Grund’ gerichtet. Glaube,
Sie haben es auf Tantals Haus gerichtet,
Und ich, der Letzte, ſoll nicht ſchuldlos, ſoll
Nicht ehrenvoll vergehn.
Die Götter rächen
Der Väter Miſſethat nicht an dem Sohn;
Ein jeglicher, gut oder böſe, nimmt
Sich ſeinen Lohn mit ſeiner That hinweg.
Es erbt der Eltern Segen, nicht ihr Fluch.
Uns führt ihr Segen, dünkt mich, nicht hierher.
Doch wenigſtens der hohen Götter Wille.
So iſt’s ihr Wille denn, der uns verderbt.
[44]Iphigenie auf Tauris
Thu’ was ſie dir gebiethen und erwarte.
Bringſt du die Schweſter zu Apollen hin,
Und wohnen beyde dann vereint zu Delphis,
Verehrt von einem Volk das edel denkt;
So wird für dieſe That das hohe Paar
Dir gnädig ſeyn, ſie werden aus der Hand
Der Unterird’ſchen dich erretten. Schon
In dieſen heil’gen Hain wagt keine ſich.
So hab’ ich wenigſtens geruh’gen Tod.
Ganz anders denk’ ich, und nicht ungeſchickt
Hab’ ich das ſchon Geſcheh’ne mit dem Künft’gen
Verbunden und im ſtillen ausgelegt.
Vielleicht reift in der Götter Rath ſchon lange
Das große Werk. Diane ſehnet ſich
Von dieſem rauhen Ufer der Barbaren
Und ihren blut’gen Menſchenopfern weg.
Wir waren zu der ſchönen That beſtimmt,
Uns wird ſie auferlegt, und ſeltſam ſind
Wir an der Pforte ſchon gezwungen hier.
[45]Ein Schauſpiel.
Mit ſeltner Kunſt flichſt du der Götter Rath
Und deine Wünſche klug in eins zuſammen.
Was iſt des Menſchen Klugheit, wenn ſie nicht
Auf Jener Willen droben achtend lauſcht?
Zu einer ſchweren That beruft ein Gott
Den edlen Mann, der viel verbrach, und legt
Ihm auf was uns unmöglich ſcheint zu enden.
Es ſiegt der Held, und büßend dienet er
Den Göttern und der Welt, die ihn verehrt.
Bin ich beſtimmt, zu leben und zu handeln;
So nehm’ ein Gott von meiner ſchweren Stirn
Den Schwindel weg, der auf dem ſchlüpfrigen,
Mit Mutterblut beſprengten Pfade f[o]rt
Mich zu den Todten reißt. Er trockne gnädig
Die Quelle, die, mir aus der Mutter Wunden
Entgegen ſprudelnd, ewig mich befleckt.
Erwart’ es ruhiger! Du mehrſt das Übel
Und nimmſt das Amt der Furien auf dich.
[46]Iphigenie auf Tauris
Laß mich nur ſinnen, bleibe ſtill! Zuletzt,
Bedarf’s zur That vereinter Kräfte, dann
Ruf’ ich dich auf, und beyde ſchreiten wir
Mit überlegter Kühnheit zur Vollendung.
Ich hör’ Ulyſſen reden.
Spotte nicht.
Ein jeglicher muß ſeinen Helden wählen,
Dem er die Wege zum Olymp hinauf
Sich nacharbeitet. Laß es mich geſtehn:
Mir ſcheinet Liſt und Klugheit nicht den Mann
Zu ſchänden, der ſich kühnen Thaten weiht.
Ich ſchätze den, der tapfer iſt und g’rad.
Drum hab’ ich keinen Rath von dir verlangt.
Schon iſt ein Schritt gethan. Von unſern
Wächtern
Hab’ ich bisher gar vieles ausgelockt.
Ich weiß, ein fremdes, göttergleiches Weib
[47]Ein Schauſpiel.
Hält jenes blutige Geſetz gefeſſelt;
Ein reines Herz und Weihrauch und Gebeth
Bringt ſie den Göttern dar. Man rühmet hoch
Die Gütige; man glaubet, ſie entſpringe
Vom Stamm der Amazonen, ſey geflohn,
Um einem großen Unheil zu entgehn.
Es ſcheint, ihr lichtes Reich verlor die Kraft
Durch des Verbrechers Nähe, den der Fluch
Wie eine breite Nacht verfolgt und deckt.
Die fromme Blutgier löſ’t den alten Brauch
Von ſeinen Feſſeln los, uns zu verderben.
Der wilde Sinn des Königs tödtet uns;
Ein Weib wird uns nicht retten, wenn er zürnt.
Wohl uns, daß es ein Weib iſt! denn ein Mann,
Der beſte ſelbſt, gewöhnet ſeinen Geiſt
An Grauſamkeit, und macht ſich auch zuletzt
Aus dem, was er verabſcheut, ein Geſetz,
Wird aus Gewohnheit hart und faſt unkenntlich.
Allein ein Weib bleibt ſtät auf Einem Sinn,
[48]Iphigenie auf Tauris
Den ſie gefaßt. Du rechneſt ſicherer
Auf ſie im Guten wie im Böſen. — Still!
Sie kommt; laß uns allein. Ich darf nicht
gleich
Ihr unſre Nahmen nennen, unſer Schickſal
Nicht ohne Rückhalt ihr vertrau’n. Du gehſt,
Und eh’ ſie mit dir ſpricht treff’ ich dich noch.
Zweyter Auftritt.
Woher du ſeyſt und kommſt, o Fremdling,
ſprich!
Mir ſcheint es, daß ich eher einem Griechen
Als einem Scythen dich vergleichen ſoll.
Gefährlich iſt die Freyheit, die ich gebe;
Die Götter wenden ab was euch bedroht!
[49]Ein Schauſpiel.
O ſüße Stimme! Vielwillkommner Ton
Der Mutterſprach’ in einem fremden Lande!
Des väterlichen Hafens blaue Berge
Seh’ ich Gefangner neu willkommen wieder
Vor meinen Augen. Laß dir dieſe Freude
Verſichern, daß auch ich ein Grieche bin!
Vergeſſen hab’ ich einen Augenblick,
Wie ſehr ich dein bedarf, und meinen Geiſt
Der herrlichen Erſcheinung zugewendet.
O ſage, wenn dir ein Verhängniß nicht
Die Lippe ſchließt, aus welchem unſrer Stämme
Du deine göttergleiche Herkunft zählſt.
Die Prieſterinn, von ihrer Göttinn ſelbſt
Gewählet und geheiligt, ſpricht mit dir.
Das laß dir g’nügen; ſage, wer du ſeyſt
Und welch unſelig-waltendes Geſchick
Mit dem Gefährten dich hierher gebracht.
D
[50]Iphigenie auf Tauris
Leicht kann ich dir erzählen, welch ein Übel
Mit laſtender Geſellſchaft uns verfolgt.
O könnteſt du der Hoffnung frohen Blick
Uns auch ſo leicht, du Göttliche, gewähren!
Aus Kreta ſind wir, Söhne des Adraſts:
Ich bin der jüngſte, Cephalus genannt,
Und er Laodamas, der älteſte
Des Hauſes. Zwiſchen uns ſtand rauh und wild
Ein mittlerer, und trennte ſchon im Spiel
Der erſten Jugend Einigkeit und Luſt.
Gelaſſen folgten wir der Mutter Worten,
So lang’ des Vaters Kraft vor Troja ſtritt;
Doch als er beutereich zurücke kam
Und kurz darauf verſchied, da trennte bald
Der Streit um Reich und Erbe die Geſchwiſter.
Ich neigte mich zum Ältſten. Er erſchlug
Den Bruder. Um der Blutſchuld willen treibt
Die Furie gewaltig ihn umher.
Doch dieſem wilden Ufer ſendet uns
Apoll, der Delphiſche, mit Hoffnung zu.
Im Tempel ſeiner Schweſter hieß er uns
[51]Ein Schauſpiel.
Der Hülfe ſegensvolle Hand erwarten.
Gefangen ſind wir und hierher gebracht,
Und dir als Opfer dargeſtellt. Du weißt’s.
Fiel Troja? Theurer Mann, verſichr’ es mir.
Es liegt. O ſich’re du uns Rettung zu!
Beſchleunige die Hülfe, die ein Gott
Verſprach. Erbarme meines Bruders dich.
O ſag’ ihm bald ein gutes holdes Wort;
Doch ſchone ſeiner wenn du mit ihm ſprichſt,
Das bitt’ ich eifrig: denn es wird gar leicht
Durch Freud’ und Schmerz und durch Erin-
nerung
Sein Innerſtes ergriffen und zerrüttet.
Ein ſieberhafter Wahnſinn fällt ihn an,
Und ſeine ſchöne freye Seele wird
Den Furien zum Raube hingegeben.
So groß dein Unglück iſt, beſchwör’ ich dich,
Vergiß es, bis du mir genug gethan.
D 2
[52]Iphigenie auf Tauris
Die hohe Stadt, die zehen lange Jahre
Dem ganzen Heer der Griechen widerſtand,
Liegt nun im Schutte, ſteigt nicht wieder auf.
Doch manche Gräber unſrer Beſten heißen
Uns an das Ufer der Barbaren denken.
Achill liegt dort mit ſeinem ſchönen Freunde.
So ſeyd ihr Götterbilder auch zu Staub!
Auch Palamedes, Ajax Telamons,
Sie ſahn des Vaterlandes Tag nicht wieder.
Er ſchweigt von meinem Vater, nennt ihn nicht
Mit den Erſchlagnen. Ja! er lebt mir noch!
Ich werd’ ihn ſehn. O hoffe, liebes Herz!
Doch ſelig ſind die Tauſende, die ſtarben
Den bitterſüßen Tod von Feindes Hand!
[53]Ein Schauſpiel.
Denn wüſte Schrecken und ein traurig Ende
Hat den Rückkehrenden ſtatt des Triumphs
Ein feindlich aufgebrachter Gott bereitet.
Kommt denn der Menſchen Stimme nicht zu
euch?
So weit ſie reicht, trägt ſie den Ruf umher
Von unerhörten Thaten die geſchah’n.
So iſt der Jammer, der Mycenens Hallen
Mit immer wiederhohlten Seufzern füllt,
Dir ein Geheimniß? — Klytemneſtra hat
Mit Hülſ’ Ägiſthens den Gemahl berückt,
Am Tage ſeiner Rückkehr ihn ermordet! —
Ja du verehreſt dieſes Königs Haus!
Ich ſeh’ es, deine Bruſt bekämpft vergebens
Das unerwartet ungeheure Wort.
Biſt du die Tochter eines Freundes? biſt
Du nachbarlich in dieſer Stadt geboren?
Verbirg es nicht und rechne mir’s nicht zu,
Daß ich der erſte dieſe Gräuel melde.
Sag’ an, wie ward die ſchwere That vollbracht?
[54]Iphigenie auf Tauris
Am Tage ſeiner Ankunft, da der König
Vom Bad’ erquickt und ruhig, ſein Gewand
Aus der Gemahlinn Hand verlangend, ſtieg,
Warf die Verderbliche ein faltenreich
Und künſtlich ſich verwirrendes Gewebe
Ihm auf die Schultern, um das edle Haupt;
Und da er wie von einem Netze ſich
Vergebens zu entwickeln ſtrebte, ſchlug
Ägiſth ihn, der Verräther, und verhüllt
Ging zu den Todten dieſer große Fürſt.
Und welchen Lohn erhielt der Mitverſchworne?
Ein Reich und Bette, das er ſchon beſaß.
So trieb zur Schandthat eine böſe Luſt?
Und einer alten Rache tief Gefühl.
[55]Ein Schauſpiel.
Und wie beleidigte der König ſie?
Mit ſchwerer That, die, wenn Entſchuldigung
Des Mordes wäre, ſie entſchuldigte.
Nach Aulis lockt’ er ſie und brachte dort,
Als eine Gottheit ſich der Griechen Fahrt
Mit ungeſtümen Winden widerſetzte,
Die ältſte Tochter Iphigenien
Vor den Altar Dianens, und ſie fiel
Ein blutig Opfer für der Griechen Heil.
Dieß, ſagt man, hat ihr einen Widerwillen
So tief in’s Herz geprägt, daß ſie dem Werben
Ägiſthens ſich ergab und den Gemahl
Mit Netzen des Verderbens ſelbſt umſchlang.
Es iſt genug. Du wirſt mich wiederſehn.
Von dem Geſchick des Königs-Hauſes ſcheint
Sie tief gerührt. Wer ſie auch immer ſey,
[56]Iphigenie auf Tauris.
So hat ſie ſelbſt den König wohl gekannt
Und iſt, zu unſerm Glück, aus hohem Hauſe
Hierher verkauft. Nur ſtille, liebes Herz,
Und laß dem Stern der Hoffnung, der uns
blinkt,
Mit frohem Muth uns klug entgegen ſteuern.
[[57]]
Dritter Aufzug.
Erſter Auftritt.
Unglücklicher, ich löſe deine Bande
Zum Zeichen eines ſchmerzlichern Geſchicks.
Die Freyheit, die das Heiligthum gewährt,
Iſt wie der letzte, lichte Lebensblick
Des ſchwer Erkrankten, Todesbothe. Noch
Kann ich es mir und darf es mir nicht ſagen,
Daß ihr verloren ſeyd! Wie könnt’ ich euch
Mit mörderiſcher Hand dem Tode weihen?
[58]Iphigenie auf Tauris
Und niemand, wer es ſey, darf euer Haupt,
So lang’ ich Prieſterinn Dianens bin,
Berühren. Doch verweigr’ ich jene Pflicht,
Wie ſie der aufgebrachte König fordert;
So wählt er eine meiner Jungfraun mir
Zur Folgerinn, und ich vermag alsdann
Mit heißem Wunſch allein euch beyzuſtehn.
O werther Landsmann! Selbſt der letzte Knecht,
Der an den Herd der Vatergötter ſtreifte,
Iſt uns in fremdem Lande hoch willkommen;
Wie ſoll ich euch genug mit Freud’ und Segen
Empfangen, die ihr mir das Bild der Helden,
Die ich von Eltern her verehren lernte,
Entgegen bringet und das innre Herz
Mit neuer ſchöner Hoffnung ſchmeichelnd labet!
Verbirgſt du deinen Nahmen, deine Herkunſt
Mit klugem Vorſatz? oder darf ich wiſſen,
Wer mir, gleich einer Himmliſchen, begegnet?
Du ſollſt mich kennen. Jetzo ſag’ mir an,
Was ich nur halb von deinem Bruder hörte,
[59]Ein Schauſpiel.
Das Ende derer, die von Troja kehrend
Ein hartes unerwartetes Geſchick
Auf ihrer Wohnung Schwelle ſtumm empfing.
Zwar ward ich jung an dieſen Strand geführt;
Doch wohl erinnr’ ich mich des ſcheuen Blicks,
Den ich mit Staunen und mit Bangigkeit
Auf jene Helden warf. Sie zogen aus,
Als hätte der Olymp ſich aufgethan
Und die Geſtalten der erlauchten Vorwelt
Zum Schrecken Ilions herabgeſendet,
Und Agamemnon war vor allen herrlich!
O ſage mir! Er fiel, ſein Haus betretend,
Durch ſeiner Frauen und Ägiſthus Tücke?
Du ſagſt’s!
Weh dir, unſeliges Mycen!
So haben Tantals Enkel Fluch auf Fluch
Mit vollen wilden Händen ausgeſät!
Und gleich dem Unkraut, wüſte Häupter ſchüttelnd
Und tauſendfält’gen Samen um ſich ſtreuend,
Den Kindes Kindern nahverwandte Mörder
[60]Iphigenie auf Tauris
Zur ew’gen Wechſelwuth erzeugt! — Enthülle,
Was von der Rede deines Bruders ſchnell
Die Finſterniß des Schreckens mir verdeckte.
Wie iſt des großen Stammes letzter Sohn,
Das holde Kind, beſtimmt des Vaters Rächer
Dereinſt zu ſeyn, wie iſt Oreſt dem Tage
Des Bluts entgangen? Hat ein gleich Geſchick
Mit des Avernus Netzen ihn umſchlungen?
Iſt er gerettet? Lebt er? Lebt Elektra?
Sie leben.
Goldne Sonne, leihe mir
Die ſchönſten Strahlen, lege ſie zum Dank
Vor Jovis Thron! denn ich bin arm und ſtumm.
Biſt du gaſtfreundlich dieſem Königs-Hauſe,
Biſt du mit nähern Banden ihm verbunden,
Wie deine ſchöne Freude mir verräth:
So bändige dein Herz und halt es feſt!
Denn unerträglich muß dem Fröhlichen
[61]Ein Schauſpiel.
Ein jäher Rückfall in die Schmerzen ſeyn.
Du weißt nur, merk’ ich, Agamemnons Tod.
Hab’ ich an dieſer Nachricht nicht genug?
Du haſt des Gräuels Hälfte nur erfahren.
Was fürcht’ ich noch? Oreſt, Elektra leben.
Und fürchteſt du für Klytemneſtren nichts?
Sie rettet weder Hoffnung, weder Furcht.
Auch ſchied ſie aus dem Land der Hoffnung ab.
Vergoß ſie reuig wüthend ſelbſt ihr Blut?
Nein, doch ihr eigen Blut gab ihr den Tod.
[62]Iphigenie auf Tauris
Sprich deutlicher, daß ich nicht länger ſinne.
Die Ungewißheit ſchlägt mir tauſendfältig
Die dunkeln Schwingen um das bange Haupt.
So haben mich die Götter auserſehn
Zum Bothen einer That, die ich ſo gern
In’s klanglos-dumpfe Höhlenreich der Nacht
Verbergen möchte? Wider meinen Willen
Zwingt mich dein holder Mund; allein er darf
Auch etwas ſchmerzlich’s fodern und erhält’s.
Am Tage da der Vater fiel, verbarg
Elektra rettend ihren Bruder: Strophius,
Des Vaters Schwäher, nahm ihn willig auf,
Erzog ihn neben ſeinem eignen Sohne,
Der, Pylades genannt, die ſchönſten Bande
Der Freundſchaft um den Angekommnen knüpfte.
Und wie ſie wuchſen, wuchs in ihrer Seele
Die brennende Begier des Königs Tod
Zu rächen. Unverſehen, fremd gekleidet,
Erreichen ſie Mycen, als brächten ſie
Die Trauernachricht von Oreſtens Tode
[63]Ein Schauſpiel.
Mit ſeiner Aſche. Wohl empfänget ſie
Die Königinn, ſie treten in das Haus.
Elektren gibt Oreſt ſich zu erkennen;
Sie bläſ’t der Rache Feuer in ihm auf,
Das vor der Mutter heil’ger Gegenwart
In ſich zurückgebrannt war. Stille führt
Sie ihn zum Orte, wo ſein Vater fiel,
Wo eine alte leichte Spur des frech-
Vergoßnen Blutes oftgewaſchnen Boden
Mit blaſſen ahndungsvollen Streifen färbte.
Mit ihrer Feuerzunge ſchilderte
Sie jeden Umſtand der verruchten That,
Ihr knechtiſch elend durchgebrachtes Leben,
Den Übermuth der glücklichen Verräther,
Und die Gefahren, die nun der Geſchwiſter
Von einer ſtiefgeword’nen Mutter warteten;
Hier drang ſie jenen alten Dolch ihm auf,
Der ſchon in Tantals Hauſe grimmig wüthete,
Und Klytemneſtra fiel durch Sohnes- Hand.
Unſterbliche, die ihr den reinen Tag
Auf immer neuen Wolken ſelig leber,
[64]Iphigenie auf Tauris
Habt ihr nur darum mich ſo manches Jahr
Von Menſchen abgeſondert, mich ſo nah
Bey euch gehalten, mir die kindliche
Beſchäftigung, des heil’gen Feuers Gluth
Zu nähren, aufgetragen, meine Seele
Der Flamme gleich in ew’ger frommer Klarheit
Zu euern Wohnungen hinaufgezogen,
Daß ich nur meines Hauſes Gräuel ſpäter
Und tiefer fühlen ſollte? — Sage mir
Vom Unglückſel’gen! Sprich mir von Oreſt! —
O könnte man von ſeinem Tode ſprechen!
Wie gährend ſtieg aus der Erſchlagnen Blut
Der Mutter Geiſt
Und ruft der Nacht uralten Töchtern zu:
„Laßt nicht den Muttermörder entfliehn!
Verfolgt den Verbrecher! Euch iſt er geweiht!“
Sie horchen auf, es ſchaut ihr hohler Blick
Mit der Begier des Adlers um ſich her.
Sie rühren ſich in ihren ſchwarzen Höhlen,
Und aus den Winkeln ſchleichen ihre Gefährten,
Der Zweifel und die Reue, leiſ’ herbey.
[65]Ein Schauſpiel.
Vor ihnen ſteigt ein Dampf vom Acheron;
In ſeinen Wolkenkreiſen wälzet ſich
Die ewige Betrachtung des Geſcheh’nen
Verwirrend um des Schuld’gen Haupt umher.
Und ſie, berechtigt zum Verderben, treten
Der gottbeſäten Erde ſchönen Boden,
Von dem ein alter Fluch ſie längſt verbannte.
Den Flüchtigen verfolgt ihr ſchneller Fuß;
Sie geben nur um neu zu ſchrecken Raſt.
Unſeliger, du biſt in gleichem Fall,
Und fühlſt was er, der arme Flüchtling, leidet!
Was ſagſt du mir? Was wähnſt du gleichen Fall?
Dich drückt ein Brudermord wie jenen; mir
Vertraute dieß dein jüngſter Bruder ſchon.
Ich kann nicht leiden, daß du große Seele
Mit einem falſchen Wort betrogen werdeſt.
E
[66]Iphigenie auf Tauris
Ein lügenhaft Gewebe knüpf’ ein Fremder
Dem Fremden, ſinnreich und der Liſt gewohnt,
Zur Falle vor die Füße; zwiſchen uns
Sey Wahrheit!
Ich bin Oreſt! und dieſes ſchuld’ge Haupt
Senkt nach der Grube ſich und ſucht den Tod;
In jeglicher Geſtalt ſey er willkommen!
Wer du auch ſeyſt, ſo wünſch’ ich Rettung dir
Und meinem Freunde; mir wünſch’ ich ſie nicht.
Du ſcheinſt hier wider Willen zu verweilen;
Erfindet Rath zur Flucht und laßt mich hier.
Es ſtürze mein entſeelter Leib vom Fels,
Es rauche bis zum Meer’ hinab mein Blut,
Und bringe Fluch dem Ufer der Barbaren!
Geht ihr, daheim im ſchönen Griechenland
Ein neues Leben freundlich anzufangen.
So ſteigſt du denn, Erfüllung, ſchönſte Tochter
Des größten Vaters, endlich zu mir nieder!
Wie ungeheuer ſteht dein Bild vor mir!
[67]Ein Schauſpiel.
Kaum reicht mein Blick dir an die Hände, die
Mit Frucht und Segenskränzen angefüllt
Die Schätze des Olympus niederbringen.
Wie man den König an dem Übermaß
Der Gaben kennt: denn ihm muß wenig ſcheinen
Was Tauſenden ſchon Reichthum iſt; ſo kennt
Man euch, ihr Götter, an geſparten, lang’
Und weiſe zubereiteten Geſchenken.
Denn ihr allein wißt was uns frommen kann,
Und ſchaut der Zukunft ausgedehntes Reich,
Wenn jedes Abends Stern und Nebelhülle
Die Ausſicht uns verdeckt. Gelaſſen hört
Ihr unſer Flehn, das um Beſchleunigung
Euch kindiſch bittet; aber eure Hand
Bricht unreif nie die goldnen Himmelsfrüchte;
Und wehe dem, der ungeduldig ſie
Ertrotzend, ſaure Speiſe ſich zum Tod’
Genießt. O laßt das lang’ erwartete,
Noch kaum gedachte Glück nicht, wie den
Schatten
Des abgeſchiednen Freundes, eitel mir
Und dreyfach ſchmerzlicher vorübergehn!
E 2
[68]Iphigenie auf Tauris
Rufſt du die Götter an für dich und Pylades,
So nenne meinen Nahmen nicht mit euerm.
Du retteſt den Verbrecher nicht zu dem
Du dich geſell’ſt, und theileſt Fluch und Noth.
Mein Schickſal iſt an deines feſt gebunden.
Mit nichten! Laß allein und unbegleitet
Mich zu den Todten gehn. Verhüllteſt du
In deinen Schleyer ſelbſt den Schuldigen;
Du birgſt ihn nicht vorm Blick der immer
Wachen,
Und deine Gegenwart, du Himmliſche,
Drängt ſie nur ſeitwärts und verſcheucht ſie
nicht.
Sie dürfen mit den ehrnen frechen Füßen
Des heil’gen Waldes Boden nicht betreten;
Doch hör’ ich aus der Ferne hier und da
Ihr gräßliches Gelächter. Wölfe harren
So um den Baum, auf den ein Reiſender
[69]Ein Schauſpiel.
Sich rettete. Da draußen ruhen ſie
Gelagert; und verlaß ich dieſen Hain,
Dann ſteigen ſie, die Schlangenhäupter ſchüt-
telnd,
Von allen Seiten Staub erregend auf
Und treiben ihre Beute vor ſich her.
Kannſt du, Oreſt, ein freundlich Wort ver-
nehmen?
Spar’ es für einen Freund der Götter auf.
Sie geben dir zu neuer Hoffnung Licht.
Durch Rauch und Qualm ſeh’ ich den matten
Schein
Des Todtenfluſſes mir zur Hölle leuchten.
Haſt du Elektren, Eine Schweſter nur?
[70]Iphigenie auf Tauris
Die Eine kannt’ ich; doch die ältſte nahm
Ihr gut Geſchick, das uns ſo ſchrecklich ſchien,
Bey Zeiten aus dem Elend unſers Hauſes.
O laß dein Fragen, und geſelle dich
Nicht auch zu den Erinnyen; ſie blaſen
Mir ſchadenfroh die Aſche von der Seele,
Und leiden nicht, daß ſich die letzten Kohlen
Von unſers Hauſes Schreckensbrande ſtill
In mir verglimmen. Soll die Gluth denn ewig,
Vorſetzlich angefacht, mit Höllenſchwefel
Genährt, mir auf der Seele marternd brennen?
Ich bringe ſüßes Räuchwerk in die Flamme.
O laß den reinen Hauch der Liebe dir
Die Gluth des Buſens leiſe wehend kühlen.
Oreſt, mein Theurer, kannſt du nicht ver-
nehmen?
Hat das Geleit der Schreckensgötter ſo
Das Blut in deinen Adern aufgetrocknet?
Schleicht, wie vom Haupt der gräßlichen Gor-
gone,
[71]Ein Schauſpiel.
Verſteinernd dir ein Zauber durch die Glie-
der?
O wenn vergoßnen Mutterblutes Stimme
Zur Höll’ hinab mit dumpfen Tönen ruft:
Soll nicht der reinen Schweſter Segenswort
Hülfreiche Götter vom Olympus rufen?
Es ruft! es ruft! So willſt du mein Ver-
derben?
Verbirgt in dir ſich eine Rachegöttinn?
Wer biſt du, deren Stimme mir entſetzlich
Das Innerſte in ſeinen Tiefen wendet?
Es zeigt ſich dir im tiefſten Herzen an:
Oreſt, ich bin’s! ſieh Iphigenien!
Ich lebe!
Du!
Mein Bruder!
[72]Iphigenie auf Tauris
Laß! Hinweg!
Ich rathe dir, berühre nicht die Locken!
Wie von Kreuſa’s Brautkleid zündet ſich
Ein unauslöſchlich Feuer von mir fort.
Laß mich! Wie Herkules will ich Unwürd’ger
Den Tod voll Schmach, in mich verſchloſſen,
ſterben.
Du wirſt nicht untergehn! O daß ich nur
Ein ruhig Wort von dir vernehmen könnte!
O löſe meine Zweifel, laß des Glückes,
Des lang’ erflehten, mich auch ſicher werden.
Es wälzet ſich ein Rad von Freud’ und Schmerz
Durch meine Seele. Von dem fremden Manne
Entfernet mich ein Schauer; doch es reiß’t
Mein Innerſtes gewaltig mich zum Bruder.
Iſt hier Lyäens Tempel? und ergreift
Unbändig-heil’ge Wuth die Prieſterinn?
[73]Ein Schauſpiel.
O höre mich! O ſieh mich an, wie mir
Nach einer langen Zeit das Herz ſich öffnet,
Der Seligkeit, dem Liebſten, was die Welt
Noch für mich tragen kann, das Haupt zu küſſen,
Mit meinen Armen, die den leeren Winden
Nur ausgebreitet waren, dich zu faſſen.
O laß mich! Laß mich! Denn es quillet heller
Nicht vom Parnaß die ew’ge Quelle ſprudelnd
Von Fels zu Fels in’s gold’ne Thal hinab,
Wie Freude mir vom Herzen wallend fließt,
Und wie ein ſelig Meer mich rings umfängt.
Oreſt! Oreſt! Mein Bruder!
Schöne Nymphe,
Ich traue dir und deinem Schmeicheln nicht.
Diana fordert ſtrenge Dienerinnen
Und rächet das entweih’te Heiligthum.
Entferne deinen Arm von meiner Bruſt!
Und wenn du einen Jüngling rettend lieben,
Das ſchöne Glück ihm zärtlich biethen willſt;
So wende meinem Freunde dein Gemüth,
[74]Iphigenie auf Tauris
Dem würd’gern Manne zu. Er irr’t umher
Auf jenem Felſenpfade; ſuch’ ihn auf,
Weiſ’ ihn zurecht und ſchone meiner.
Faſſe
Dich, Bruder, und erkenne die Gefund’ne!
Schilt einer Schweſter reine Himmelsfreude
Nicht unbeſonnene, ſtrafbare Luſt.
O nehmt den Wahn ihm von dem ſtarren Auge,
Daß uns der Augenblick der höchſten Freude
Nicht dreyfach elend mache! Sie iſt hier,
Die längſt verlorne Schweſter. Vom Altar
Riß mich die Göttinn weg und rettete
Hierher mich in ihr eigen Heiligthum.
Gefangen biſt du, dargeſtellt zum Opfer,
Und findeſt in der Prieſterinn die Schweſter.
Unſelige! So mag die Sonne denn
Die letzten Gräuel unſers Hauſes ſehn!
Iſt nicht Elektra hier? damit auch ſie
Mit uns zu Grunde gehe, nicht ihr Leben
Zu ſchwererem Geſchick’ und Leiden friſte.
Gut, Prieſterinn! ich folge zum Altar:
[75]Ein Schauſpiel.
Der Brudermord iſt hergebrachte Sitte
Des alten Stammes; und ich danke, Götter,
Daß ihr mich ohne Kinder auszurotten
Beſchloſſen habt. Und laß dir rathen, habe
Die Sonne nicht zu lieb und nicht die Sterne;
Komm, folge mir in’s dunkle Reich hinab!
Wie ſich vom Schwefelpfuhl’ erzeugte Drachen
Bekämpfend die verwandte Brut verſchlingen,
Zerſtört ſich ſelbſt das wüthende Geſchlecht;
Komm kinderlos und ſchuldlos mit hinab!
Du ſiehſt mich mit Erbarmen an? Laß ab!
Mit ſolchen Blicken ſuchte Klytemneſtra
Sich einen Weg nach ihres Sohnes Herzen;
Doch ſein geſchwung’ner Arm traf ihre Bruſt.
Die Mutter fiel! — Tritt auf, unwill’ger
Geiſt!
Im Kreis geſchloſſen tretet an, ihr Furien,
Und wohnet dem willkommnen Schauſpiel bey,
Dem letzten, gräßlichſten, das ihr bereitet!
Nicht Haß und Rache ſchärfen ihren Dolch;
Die liebevolle Schweſter wird zur That
Gezwungen. Weine nicht! Du haſt nicht
Schuld.
[76]Iphigenie auf Tauris
Seit meinen erſten Jahren hab’ ich nichts
Geliebt, wie ich dich lieben könnte, Schweſter.
Ja, ſchwinge deinen Stahl, verſchone nicht,
Zerreiße dieſen Buſen, und eröffne
Den Strömen die hier ſieden einen Weg.
Allein zu tragen dieſes Glück und Elend
Vermag ich nicht. — Wo biſt du, Pylades?
Wo find’ ich deine Hülfe, theurer Mann?
Zweyter Auftritt.
Noch einen! reiche mir aus Lethe’s Fluthen
Den letzten kühlen Becher der Erquickung!
Bald iſt der Krampf des Lebens aus dem Buſen
Hinweggeſpült; bald fließet ſtill mein Geiſt,
[77]Ein Schauſpiel.
Der Quelle des Vergeſſens hingegeben,
Zu euch, ihr Schatten, in die ew’gen Nebel.
Gefällig laßt in eurer Ruhe ſich
Den umgetriebnen Sohn der Erde laben! —
Welch ein Geliſpel hör’ ich in den Zweigen,
Welch ein Geräuſch aus jener Dämmrung ſäu-
ſeln?
Sie kommen ſchon den neuen Gaſt zu ſehn!
Wer iſt die Schaar, die herrlich mit einander
Wie ein verſammelt Fürſtenhaus ſich freut?
Sie gehen friedlich, Alt’ und Junge, Männer
Mit Weibern; göttergleich und ähnlich ſcheinen
Die wandelnden Geſtalten. Ja, ſie ſind’s,
Die Ahnherrn meines Hauſes! — Mit Thyeſten
Geht Atreus in vertraulichen Geſprächen,
Die Knaben ſchlüpfen ſcherzend um ſie her.
Iſt keine Feindſchaft hier mehr unter euch?
Verloſch die Rache wie das Licht der Sonne?
So bin auch ich willkommen, und ich darf
In euern feierlichen Zug mich miſchen.
Willkommen, Väter! euch grüßt Oreſt,
Von euerm Stamm der letzte Mann;
Was ihr geſa’t, hat er geärntet:
[78]Iphigenie auf Tauris
Mit Fluch beladen ſtieg er herab.
Doch leichter träget ſich hier jede Bürde:
Nehmt ihn, o nehmt ihn in euern Kreis! —
Dich, Atreus, ehr’ ich, auch dich Thyeſten;
Wir ſind hier alle der Feindſchaft los. —
Zeigt mir den Vater, den ich nur Einmal
Im Leben ſah! — Biſt du’s, mein Vater?
Und führſt die Mutter vertraut mit dir?
Darf Klytemneſtra die Hand dir reichen;
So darf Oreſt auch zu ihr treten
Und darf ihr ſagen: ſieh deinen Sohn! —
Seht euern Sohn! Heißt ihn willkommen.
Auf Erden war in unſerm Hauſe
Der Gruß des Mordes gewiſſe Loſung,
Und das Geſchlecht des alten Tantalus
Hat ſeine Freuden jenſeits der Nacht.
Ihr ruft, Willkommen! und nehmt mich auf!
O führt zum Alten, zum Ahnherrn mich!
Wo iſt der Alte? daß ich ihn ſehe,
Das theure Haupt, das vielverehrte,
Das mit den Göttern zu Rathe ſaß.
Ihr ſcheint zu zaudern, euch wegzuwenden?
Was iſt es? Leidet der Göttergleiche?
[79]Ein Schauſpiel.
Weh mir! es haben die Übermächt’gen
Der Heldenbruſt grauſame Qualen
Mit ehrnen Ketten feſt aufgeſchmiedet.
Dritter Auftritt.
Seyd ihr auch ſchon herabgekommen?
Wohl Schweſter dir! Noch fehlt Elektra:
Ein güt’ger Gott ſend’ uns die Eine
Mit ſanften Pfeilen auch ſchnell herab.
Dich, armer Freund, muß ich bedauern!
Komm mit! Komm mit! zu Pluto’s Thron.
Als neue Gäſte den Wirth zu grüßen.
Geſchwiſter, die ihr an dem weiten Himmel
Das ſchöne Licht bey Tag und Nacht herauf
Den Menſchen bringet, und den Abgeſchiednen
Nicht leuchten dürfet, rettet uns Geſchwiſter!
[80]Iphigenie auf Tauris
Du liebſt, Diane, deinen holden Bruder
Vor allem, was dir Erd’ und Himmel biethet,
Und wendeſt dein jungfräulich Angeſicht
Nach ſeinem ew’gen Lichte ſehnend ſtill.
O laß den einz’gen ſpätgefundnen mir
Nicht in der Finſterniß des Wahnſinns raſen!
Und iſt dein Wille, da du hier mich bargſt,
Nunmehr vollendet, willſt du mir durch ihn
Und ihm durch mich die ſel’ge Hülfe geben;
So löſ’ ihn von den Banden jenes Fluchs,
Daß nicht die theure Zeit der Rettung ſchwinde.
Erkennſt du uns und dieſen heil’gen Hain
Und dieſes Licht, das nicht den Todten leuchtet?
Fühlſt du den Arm des Freundes und der
Schweſter,
Die dich noch feſt, noch lebend halten? Faß’
Uns kräftig an; wir ſind nicht leere Schatten.
Merk auf mein Wort! Vernimm es! Raffe dich
Zuſammen! Jeder Augenblick iſt theuer,
Und unſre Rückkehr hängt an zarten Fäden,
Die, ſcheint es, eine günſt’ge Parze ſpinnt.
[81]Ein Schauſpiel.
Laß mich zum erſtenmal mit freyem Herzen
In deinen Armen reine Freude haben!
Ihr Götter, die mit flammender Gewalt
Ihr ſchwere Wolken aufzuzehren wandelt,
Und gnädig-ernſt den lang’ erflehten Regen
Mit Donnerſtimmen und mit Windes-Brauſen
In wilden Strömen auf die Erde ſchüttet;
Doch bald der Menſchen grauſendes Erwarten
In Segen auflöſ’t und das bange Staunen
In Freudeblick und lauten Dank verwandelt,
Wenn in den Tropfen friſcherquickter Blätter
Die neue Sonne tauſendfach ſich ſpiegelt,
Und Iris freundlich bunt mit leichter Hand
Den grauen Flor der letzten Wolken trennt;
O laßt mich auch an meiner Schweſter Armen,
An meines Freundes Bruſt, was ihr mir gönnt
Mit vollem Dank genießen und behalten.
Es löſet ſich der Fluch, mir ſagt’s das Herz.
Die Eumeniden ziehn, ich höre ſie,
Zum Tartarus und ſchlagen hinter ſich
Die ehrnen Thore fernabdonnernd zu.
F
[82]Iphigenie auf Tauris.
Die Erde dampft erquickenden Geruch
Und ladet mich auf ihren Flächen ein,
Nach Lebensfreud’ und großer That zu jagen.
Verſäumt die Zeit nicht, die gemeſſen iſt!
Der Wind der unſre Segel ſchwellt, er bringe
Erſt unſre volle Freude zum Olymp.
Kommt! Es bedarf hier ſchnellen Rath und
Schluß.
[[83]]
Vierter Aufzug.
Erſter Auftritt.
Denken die Himmliſchen
Einem der Erdgebornen
Viele Verwirrungen zu,
Und bereiten ſie ihm
Von der Freude zu Schmerzen
Und von Schmerzen zur Freude
Tief-erſchütternden Übergang;
Dann erziehen ſie ihm
In der Nähe der Stadt,
Oder am fernen Geſtade,
F 2
[84]Iphigenie auf Tauris
Daß in Stunden der Noth
Auch die Hülfe bereit ſey,
Einen ruhigen Freund.
O ſegnet, Götter, unſern Pylades
Und was er immer unternehmen mag!
Er iſt der Arm des Jünglings in der Schlacht,
Des Greiſes leuchtend Aug’ in der Verſamm-
lung:
Denn ſeine Seel’ iſt ſtille; ſie bewahr’t
Der Ruhe heil’ges unerſchöpftes Gut,
Und den Umhergetriebnen reichet er
Aus ihren Tiefen Rath und Hülfe. Mich
Riß er vom Bruder los; den ſtaunt’ ich an
Und immer wieder an, und konnte mir
Das Glück nicht eigen machen, ließ ihn nicht
Aus meinen Armen los, und fühlte nicht
Die Nähe der Gefahr die uns umgibt.
Jetzt gehn ſie ihren Anſchlag auszuführen
Der See zu, wo das Schiff mit den Gefährten
In einer Bucht verſteckt auf’s Zeichen lauert,
Und haben kluges Wort mir in den Mund
Gegeben, mich gelehrt was ich dem König’
[85]Ein Schauſpiel.
Antworte, wenn er ſendet und das Opfer
Mir dringender gebiethet. Ach! ich ſehe wohl,
Ich muß mich leiten laſſen wie ein Kind.
Ich habe nicht gelernt zu hinterhalten,
Noch jemand etwas abzuliſten. Weh!
O weh der Lüge! Sie befreyet nicht,
Wie jedes andre wahrgeſprochne Wort,
Die Bruſt; ſie macht uns nicht getroſt, ſie
ängſtet
Den der ſie heimlich ſchmiedet, und ſie kehrt,
Ein losgedruckter Pfeil von einem Gotte
Gewendet und verſagend, ſich zurück
Und trift den Schützen. Sorg’ auf Sorge
ſchwankt
Mir durch die Bruſt. Es greift die Furie
Vielleicht den Bruder auf dem Boden wieder
Des ungeweihten Ufers grimmig an?
Entdeckt man ſie vielleicht? Mich dünkt, ich höre
Gewaffnete ſich nahen! — Hier! — Der Bothe
Kommt von dem Könige mit ſchnellem Schritt.
Es ſchlägt mein Herz, es trübt ſich meine Seele,
Da ich des Mannes Angeſicht erblicke,
Dem ich mit falſchem Wort begegnen ſoll.
[86]Iphigenie auf Tauris
Zweyter Auftritt.
Beſchleunige das Opfer, Prieſterinn!
Der König wartet und es harrt das Volk.
Ich folgte meiner Pflicht und deinem Wink,
Wenn unvermuthet nicht ein Hinderniß
Sich zwiſchen mich und die Erfüllung ſtellte.
Was iſt’s, das den Befehl des Königs hindert?
Der Zufall, deſſen wir nicht Meiſter ſind.
So ſage mir’s, daß ich’s ihm ſchnell vermelde:
Denn er beſchloß bey ſich der Beyden Tod.
Die Götter haben ihn noch nicht beſchloſſen.
Der ältſte dieſer Männer trägt die Schuld
[87]Ein Schauſpiel.
Des nahverwandten Bluts, das er vergoß.
Die Furien verfolgen ſeinen Pfad,
Ja in dem innern Tempel faßte ſelbſt
Das Übel ihn, und ſeine Gegenwart
Entheiligte die reine Stäte. Nun
Eil’ ich mit meinen Jungfraun, an dem Meere
Der Göttinn Bild mit friſcher Welle netzend
Geheimnißvolle Weihe zu begehn.
Es ſtöre niemand unſern ſtillen Zug!
Ich melde dieſes neue Hinderniß
Dem Könige geſchwind, beginne du
Das heil’ge Werk nicht eh’ bis er’s erlaubt.
Dieß iſt allein der Prieſt’rinn überlaſſen.
Solch ſeltnen Fall ſoll auch der König wiſſen.
Sein Rath wie ſein Befehl verändert nichts.
Oft wird der Mächtige zum Schein gefragt.
[88]Iphigenie auf Tauris
Erdringe nicht, was ich verſagen ſollte.
Verſage nicht, was gut und nützlich iſt.
Ich gebe nach, wenn du nicht ſäumen willſt.
Schnell bin ich mit der Nachricht in dem Lager,
Und ſchnell mit ſeinen Worten hier zurück.
O könnt’ ich ihm noch Eine Bothſchaft bringen,
Die alles löſ’te was uns jetzt verwirrt:
Denn du haſt nicht des Treuen Rath geachtet.
Was ich vermochte, hab’ ich gern gethan.
Noch änderſt du den Sinn zur rechten Zeit.
Das ſteht nun einmal nicht in unſret Macht.
Du hältſt unmöglich, was dir Mühe koſtet.
[89]Ein Schauſpiel.
Dir ſcheint es möglich, weil der Wunſch dich
trügt.
Willſt du denn alles ſo gelaſſen wagen?
Ich hab’ es in der Götter Hand gelegt.
Sie pflegen Menſchen menſchlich zu erretten.
Auf ihren Fingerzeig kommt alles an.
Ich ſage dir, es liegt in deiner Hand.
Des Königs aufgebrachter Sinn allein
Bereitet dieſen Fremden bittern Tod.
Das Heer entwöhnte längſt vom harten Opfer
Und von dem blut’gen Dienſte ſein Gemüth.
Ja mancher, den ein widriges Geſchick
An fremdes Ufer trug, empfand es ſelbſt,
Wie göttergleich dem armen Irrenden,
Umhergetrieben an der fremden Gränze,
[90]Iphigenie auf Tauris
Ein freundlich Menſchenangeſicht begegnet.
O wende nicht von uns was du vermagſt!
Du endeſt leicht was du begonnen haſt:
Denn nirgends baut die Milde, die herab
In menſchlicher Geſtalt vom Himmel kommt,
Ein Reich ſich ſchneller, als wo trüb’ und wild
Ein neues Volk, voll Leben, Muth und Kraft,
Sich ſelbſt und banger Ahndung überlaſſen,
Des Menſchenlebens ſchwere Bürden trägt.
Erſchütt’re meine Seele nicht, die du
Nach deinem Willen nicht bewegen kannſt.
So lang’ es Zeit iſt, ſchont man weder Mühe
Noch eines guten Wortes Wiederhohlung.
Du machſt dir Müh’ und mir erregſt du Schmer-
zen;
Vergebens beydes: darum laß mich nun.
Die Schmerzen ſind’s, die ich zu Hülfe rufe:
Denn es ſind Freunde, Gutes rathen ſie.
[91]Ein Schauſpiel.
Sie faſſen meine Seele mit Gewalt,
Doch tilgen ſie den Widerwillen nicht.
Fühlt eine ſchöne Seele Widerwillen
Für eine Wohlthat, die der Edle reicht?
Ja, wenn der Edle, was ſich nicht geziemt,
Statt meines Dankes mich erwerben will.
Wer keine Neigung fühlt, dem mangelt es
An einem Worte der Entſchuld’gung nie.
Dem Fürſten ſag’ ich an, was hier geſcheh’n.
O wiederhohlteſt du in deiner Seele,
Wie edel er ſich gegen dich betrug
Von deiner Ankunft an bis dieſen Tag!
[92]Iphigenie auf Tauris
Dritter Auftritt.
Von dieſes Mannes Rede fühl’ ich mir
Zur ungelegnen Zeit das Herz im Buſen
Auf einmal umgewendet. Ich erſchrecke! —
Denn wie die Fluth mit ſchnellen Strömen
wachſend
Die Felſen überſpült, die in dem Sand’
Am Ufer liegen: ſo bedeckte ganz
Ein Freudenſtrom mein Innerſtes. Ich hielt
In meinen Armen das Unmögliche.
Es ſchien ſich eine Wolke wieder ſanft
Um mich zu legen, von der Erde mich
Empor zu heben und in jenen Schlummer
Mich einzuwiegen, den die gute Göttinn
Um meine Schläfe legte, da ihr Arm
Mich rettend faßte. — Meinen Bruder
Ergriff das Herz mit einziger Gewalt:
Ich horchte nur auf ſeines Freundes Rath;
Nur ſie zu retten drang die Seele vorwärts.
Und wie den Klippen einer wüſten Inſel
Der Schiffer gern den Rücken wendet: ſo
[93]Ein Schauſpiel.
Lag Tauris hinter mir. Nun hat die Stimme
Des treuen Manns mich wieder aufgeweckt,
Daß ich auch Menſchen hier verlaſſe mich
Erinnert. Doppelt wird mir der Betrug
Verhaßt. O bleibe ruhig, meine Seele!
Beginnſt du nun zu ſchwanken und zu zweifeln?
Den feſten Boden deiner Einſamkeit
Mußt du verlaſſen! Wieder eingeſchifft
Ergreifen dich die Wellen ſchaukelnd, trüb’
Und bang verkenneſt du die Welt und dich.
Vierter Auftritt.
Wo iſt ſie? daß ich ihr mit ſchnellen Worten
Die frohe Bothſchaft unſrer Rettung bringe!
Du ſiehſt mich hier voll Sorgen und Erwartung
Des ſichern Troſtes, den du mir verſprichſt.
[94]Iphigenie auf Tauris
Dein Bruder iſt geheilt! Den Felſenboden
Des ungeweihten Ufers und den Sand
Betraten wir mit fröhlichen Geſprächen;
Der Hain blieb hinter uns, wir merkten’s nicht.
Und herrlicher und immer herrlicher
Umloderte der Jugend ſchöne Flamme
Sein lockig Haupt; ſein volles Auge glühte
Von Muth und Hoffnung, und ſein freyes Herz
Ergab ſich ganz der Freude, ganz der Luſt,
Dich ſeine Retterinn und mich zu retten.
Geſegnet ſeyſt du, und es möge nie
Von deiner Lippe, die ſo Gutes ſprach,
Der Ton des Leidens und der Klage tönen!
Ich bringe mehr als das: denn ſchön begleitet,
Gleich einem Fürſten pflegt das Glück zu nah’n.
Auch die Gefährten haben wir gefunden.
In einer Felſenbucht verbargen ſie
Das Schiff und ſaßen traurig und erwartend.
[95]Ein Schauſpiel.
Sie ſahen deinen Bruder, und es regten
Sich alle jauchzend, und ſie bathen dringend
Der Abfahrt Stunde zu beſchleunigen.
Es ſehnet jede Fauſt ſich nach dem Ruder,
Und ſelbſt ein Wind erhob vom Lande liſpelnd,
Von allen gleich bemerkt, die holden Schwin-
gen.
Drum laß uns eilen, führe mich zum Tempel,
Laß mich das Heiligthum betreten, laß
Mich unſrer Wünſche Ziel verehrend faſſen.
Ich bin allein genug der Göttinn Bild
Auf wohl geübten Schultern wegzutragen;
Wie ſehn’ ich mich nach der erwünſchten Laſt!
ten, ohne zu bemerken, daß Iphigenie nicht folgt; end-
lich kehrt er ſich um.
Du ſtehſt und zauderſt — ſage mir — du
ſchweigſt!
Du ſcheinſt verworren! Widerſetzet ſich
Ein neues Unheil unſerm Glück? Sag’ an!
Haſt du dem Könige das kluge Wort
Vermelden laſſen, das wir abgeredet?
[96]Iphigenie auf Tauris
Ich habe, theurer Mann; doch wirſt du ſchel-
ten.
Ein ſchweigender Verweis war mir dein An-
blick!
Des Königs Bothe kam, und wie du es
Mir in den Mund gelegt, ſo ſagt’ ich’s ihm.
Er ſchien zu ſtaunen, und verlangte dringend
Die ſeltne Feier erſt dem Könige
Zu melden, ſeinen Willen zu vernehmen;
Und nun erwart’ ich ſeine Wiederkehr.
Weh’ uns! Erneuert ſchwebt nun die Gefahr
Um unſre Schläfe! Warum haſt du nicht
In’s Prieſterrecht dich weislich eingehüllt?
Als eine Hülle hab’ ich’s nie gebraucht.
So wirſt du, reine Seele, dich und uns
Zu Grunde richten. Warum dacht’ ich nicht
Auf dieſen Fall voraus, und lehrte dich
Auch dieſer Ford’rung auszuweichen!
[97]Ein Schauſpiel.
Schilt
Nur mich, die Schuld iſt mein, ich fühl’ es
wohl;
Doch konnt’ ich anders nicht dem Mann be-
gegnen,
Der mit Vernunft und Ernſt von mir verlangte,
Was ihm mein Herz als recht geſtehen mußte.
Gefährlicher zieht ſich’s zuſammen; doch auch ſo
Laß uns nicht zagen, oder unbeſonnen
Und übereilt uns ſelbſt verrathen. Ruhig
Erwarte du die Wiederkunft des Bothen,
Und dann ſteh feſt, er bringe was er will:
Denn ſolcher Weihung Feier anzuordnen
Gehört der Prieſterinn und nicht dem König.
Und fordert er den fremden Mann zu ſehn,
Der von dem Wahnſinn ſchwer belaſtet iſt;
So lehn’ es ab, als hielteſt du uns beyde
Im Tempel wohl verwahrt. So ſchaff’ uns
Luft,
G
[98]Iphigenie auf Tauris
Daß wir auf’s eiligſte, den heil’gen Schatz
Dem rauh unwürd’gen Volk entwendend, fliehn.
Die beſten Zeichen ſendet uns Apoll,
Und, eh wir die Bedingung fromm erfüllen,
Erfüllt er göttlich ſein Verſprechen ſchon.
Oreſt iſt frey, geheilt! — Mit dem Befreyten
O führet uns hinüber, günſt’ge Winde,
Zur Felſen-Inſel die der Gott bewohnt;
Dann nach Mycen, daß es lebendig werde,
Daß von der Aſche des verloſch’nen Herdes
Die Vatergötter fröhlich ſich erheben,
Und ſchönes Feuer ihre Wohnungen
Umleuchte! Deine Hand ſoll ihnen Weihrauch
Zuerſt aus gold’nen Schalen ſtreuen. Du
Bringſt über jene Schwelle Heil und Leben wieder,
Entſühnſt den Fluch und ſchmückeſt neu die
Deinen
Mit friſchen Lebensblüthen herrlich aus.
Vernehm’ ich dich, ſo wendet ſich, o Theurer,
Wie ſich die Blume nach der Sonne wendet,
[99]Ein Schauſpiel.
Die Seele, von dem Strahle deiner Worte
Getroffen, ſich dem ſüßen Troſte nach.
Wie köſtlich iſt des gegenwärt’gen Freundes
Gewiſſe Rede, deren Himmelskraft
Ein Einſamer entbehrt und ſtill verſinkt.
Denn langſam reift, verſchloſſen in dem
Buſen,
Gedank’ ihm und Entſchluß; die Gegenwart
Des Liebenden entwickelte ſie leicht.
Leb’ wohl! Die Freunde will ich nun geſchwind
Beruhigen, die ſehnlich wartend harren.
Dann komm’ ich ſchnell zurück und lauſche hier
Im Felſenbuſch verſteckt auf deinen Wink —
Was ſinneſt du? Auf einmal überſchwebt
Ein ſtiller Trauerzug die freye Stirne.
Verzeih! Wie leichte Wolken vor der Sonne,
So zieht mir vor der Seele leichte Sorge
Und Bangigkeit vorüber.
G 2
[100]Iphigenie auf Tauris
Fürchte nicht!
Betrüglich ſchloß die Furcht mit der Gefahr
Ein enges Bündniß; beyde ſind Geſellen.
Die Sorge nenn’ ich edel, die mich warnt,
Den König, der mein zweyter Vater ward,
Nicht tückiſch zu betrügen, zu berauben.
Der deinen Bruder ſchlachtet, dem entfliehſt du.
Es iſt derſelbe, der mir Gutes that.
Das iſt nicht Undank, was die Noth gebeut.
Es bleibt wohl Undank; nur die Noth ent-
ſchuldigt’s.
Vor Göttern und vor Menſchen dich gewiß.
[101]Ein Schauſpiel.
Allein mein eigen Herz iſt nicht befriedigt
Zu ſtrenge Ford’rung iſt verborgner Stolz.
Ich unterſuche nicht, ich fühle nur.
Fühlſt du dich recht, ſo mußt du dich verehren.
Ganz unbefleckt genießt ſich nur das Herz.
So haſt du dich im Tempel wohl bewahrt;
Das Leben lehrt uns, weniger mit uns
Und andern ſtrenge ſeyn; du lernſt es auch.
So wunderbar iſt dieß Geſchlecht gebildet;
So vielfach iſt’s verſchlungen und verknüpft,
Daß keiner in ſich ſelbſt, noch mit den andern
Sich rein und unverworren halten kann.
Auch ſind wir nicht beſtellt uns ſelbſt zu richten;
Zu wandeln und auf ſeinen Weg zu ſehen
[102]Iphigenie auf Tauris
Iſt eines Menſchen erſte, nächſte Pflicht:
Denn ſelten ſchätzt er recht was er gethan,
Und was er thut weiß er faſt nie zu ſchätzen.
Faſt überred’ſt du mich zu deiner Meinung.
Braucht’s Überredung wo die Wahl verſagt iſt?
Den Bruder, dich, und einen Freund zu retten
Iſt nur Ein Weg; fragt ſich’s ob wir ihn gehn?
O laß mich zaudern! denn du thäteſt ſelbſt
Ein ſolches Unrecht keinem Mann gelaſſen,
Dem du für Wohlthat dich verpflichtet hielteſt.
Wenn wir zu Grunde gehen, wartet dein
Ein härt’rer Vorwurf, der Verzweiflung trägt.
Man ſieht, du biſt nicht an Verluſt gewohnt,
Da du dem großen Übel zu entgehen
Ein falſches Wort nicht einmal opfern willſt.
[103]Ein Schauſpiel.
O trüg’ ich doch ein männlich Herz in mir,
Das, wenn es einen kühnen Vorſatz hegt,
Vor jeder andern Stimme ſich verſchließt!
Du weigerſt dich umſonſt; die ehrne Hand
Der Noth gebiethet, und ihr ernſter Wink
Iſt oberſtes Geſetz, dem Götter ſelbſt
Sich unterwerfen müſſen. Schweigend herrſcht
Des ew’gen Schickſals unberathne Schweſter.
Was ſie dir auferlegt, das trage; thu’
Was ſie gebeut. Das andre weißt du. Bald
Komm’ ich zurück, aus deiner heil’gen Hand
Der Rettung ſchönes Siegel zu empfangen.
[104]Iphigenie auf Tauris
Fünfter Auftritt.
Ich muß ihm folgen: denn die Meinigen
Seh’ ich in dringender Gefahr. Doch ach!
Mein eigen Schickſal macht mir bang’ und
bänger.
O ſoll ich nicht die ſtille Hoffnung retten,
Die in der Einſamkeit ich ſchön genährt?
Soll dieſer Fluch denn ewig walten? Soll
Nie dieß Geſchlecht mit einem neuen Segen
Sich wieder heben? — Nimmt doch alles ab!
Das beſte Glück, des Lebens ſchönſte Kraft
Ermattet endlich! Warum nicht der Fluch?
So hofft’ ich denn vergebens, hier verwahrt,
Von meines Hauſes Schickſal abgeſchieden,
Dereinſt mit reiner Hand und reinem Herzen
Die ſchwer befleckte Wohnung zu entſühnen.
Kaum wird in meinen Armen mir ein Bruder
Vom grimm’gen Übel wundervoll und ſchnell
Geheilt; kaum naht ein lang’ erflehtes Schiff
Mich in den Port der Vaterwelt zu leiten:
[105]Ein Schauſpiel.
So legt die taube Noth ein doppelt Laſter
Mit ehrner Hand mir auf: das heilige,
Mir anvertraute, viel verehrte Bild
Zu rauben und den Mann zu hintergehn,
Dem ich mein Leben und mein Schickſal danke.
O daß in meinem Buſen nicht zuletzt
Ein Widerwillen keime! der Titanen,
Der alten Götter tiefer Haß auf euch,
Olympier, nicht auch die zarte Bruſt
Mit Geierklauen faſſe! Rettet mich,
Und rettet euer Bild in meiner Seele!
Vor meinen Ohren tönt das alte Lied —
Vergeſſen hatt’ ich’s und vergaß es gern —
Das Lied der Parcen, das ſie grauſend ſangen,
Als Tantalus vom gold’nen Stuhle fiel:
Sie litten mit dem edlen Freunde; grimmig
War ihre Bruſt, und furchtbar ihr Geſang.
In unſrer Jugend ſang’s die Amme mir
Und den Geſchwiſtern vor, ich merkt’ es wohl.
[106]Iphigenie auf Tauris
[107]Ein Schauſpiel.
[108]Iphigenie auf Tauris.
[[109]]
Fünfter Aufzug.
Erſter Auftritt.
Verwirrt muß ich geſtehn daß ich nicht weiß,
Wohin ich meinen Argwohn richten ſoll.
Sind’s die Gefang’nen, die auf ihre Flucht
Verſtohlen ſinnen? Iſt’s die Prieſterinn,
Die ihnen hilft? Es mehrt ſich das Gerücht:
Das Schiff, das dieſe beyden hergebracht,
Sey irgend noch in einer Bucht verſteckt.
Und jenes Mannes Wahnſinn, dieſe Weihe,
Der heil’ge Vorwand dieſer Zög’rung, rufen
Den Argwohn lauter und die Vorſicht auf.
[110]Iphigenie auf Tauris
Es komme ſchnell die Prieſterinn herbey!
Dann geht, durchſucht das Ufer ſcharf und ſchnell
Vom Vorgebirge bis zum Hain der Göttinn.
Verſchonet ſeine heil’gen Tiefen, legt
Bedacht’gen Hinterhalt und greift ſie an;
Wo ihr ſie findet, faßt ſie wie ihr pflegt.
Zweyter Auftritt.
Entſetzlich wechſelt mir der Grimm im Buſen;
Erſt gegen ſie, die ich ſo heilig hielt;
Dann gegen mich, der ich ſie zum Verrath
Durch Nachſicht und durch Güte bildete.
Zur Sklaverey gewöhnt der Menſch ſich gut
Und lernet leicht gehorchen, wenn man ihn
Der Freyheit ganz beraubt. Ja, wäre ſie
In meiner Ahnherrn rohe Hand gefallen,
Und hätte ſie der heil’ge Grimm verſchont:
[111]Ein Schauſpiel.
Sie wäre froh geweſen, ſich allein
Zu retten, hätte dankbar ihr Geſchick
Erkannt und fremdes Blut vor dem Altar
Vergoſſen, hätte Pflicht genannt
Was Noth war. Nun lockt meine Güte
In ihrer Bruſt verweg’nen Wunſch herauf.
Vergebens hofft’ ich, ſie mir zu verbinden;
Sie ſinnt ſich nun ein eigen Schickſal aus.
Durch Schmeicheley gewann ſie mir das Herz;
Nun widerſteh’ ich der: ſo ſucht ſie ſich
Den Weg durch Liſt und Trug, und meine Güte
Scheint ihr ein alt verjährtes Eigenthum.
Dritter Auftritt.
Du foderſt mich! was bringt dich zu uns her?
Du ſchiebſt das Opfer auf; ſag’ an, warum?
[112]Iphigenie auf Tauris
Ich hab’ an Arkas alles klar erzählt.
Von dir möcht’ ich es weiter noch vernehmen.
Die Göttinn gibt dir Friſt zur Überlegung.
Sie ſcheint dir ſelbſt gelegen, dieſe Friſt.
Wenn dir das Herz zum grauſamen Entſchluß
Verhärtet iſt: ſo ſollteſt du nicht kommen!
Ein König, der Unmenſchliches verlangt,
Find’t Diener g’nug, die gegen Gnad’ und Lohn
Den halben Fluch der That begierig faſſen;
Doch ſeine Gegenwart bleibt unbefleckt.
Er ſinnt den Tod in einer ſchweren Wolke,
Und ſeine Bothen bringen flammendes
Verderben auf des Armen Haupt hinab;
Er aber ſchwebt durch ſeine Höhen ruhig,
Ein unerreichter Gott, im Sturme fort.
[113]Ein Schauſpiel.
Die heil’ge Lippe tönt ein wildes Lied.
Nicht Prieſterinn! nur Agamemnons Tochter.
Der Unbekannten Wort verehrteſt du,
Der Fürſtinn willſt du raſch gebiethen? Nein!
Von Jugend auf hab’ ich gelernt gehorchen,
Erſt meinen Eltern und dann einer Gottheit,
Und folgſam fühlt’ ich immer meine Seele
Am ſchönſten frey; allein dem harten Worte,
Dem rauhen Ausſpruch eines Mannes mich
Zu fügen, lernt’ ich weder dort noch hier.
Ein alt Geſetz, nicht ich, gebiethet dir.
Wir faſſen ein Geſetz begierig an,
Das unſrer Leidenſchaft zur Waffe dient.
Ein andres ſpricht zu mir, ein älteres,
Mich dir zu widerſetzen, das Geboth,
Dem jeder Fremde heilig iſt.
H
[114]Iphigenie auf Tauris
Es ſcheinen die Gefangnen dir ſehr nah
Am Herzen: denn für Antheil und Bewegung
Vergiſſeſt du der Klugheit erſtes Wort,
Daß man den Mächtigen nicht reitzen ſoll.
Red’ oder ſchweig’ ich; immer kannſt du wiſſen,
Was mir im Herzen iſt und immer bleibt.
Löſ’t die Erinnerung des gleichen Schickſals
Nicht ein verſchloßnes Herz zum Mitleid auf?
Wie mehr denn meins! In ihnen ſeh’ ich mich.
Ich habe vorm Altare ſelbſt gezittert,
Und feierlich umgab der frühe Tod
Die Knieende; das Meſſer zuckte ſchon
Den lebenvollen Buſen zu durchbohren;
Mein Innerſtes entſetzte wirbelnd ſich,
Mein Auge brach, und — ich fand mich gerettet.
Sind wir, was Götter gnädig uns gewährt,
Unglücklichen nicht zu erſtatten ſchuldig?
Du weißt es, kennſt mich, und du willſt mich
zwingen!
[115]Ein Schauſpiel,
Gehorche deinem Dienſte, nicht dem Herrn.
Laß ab! beſchönige nicht die Gewalt,
Die ſich der Schwachheit eines Weibes freut.
Ich bin ſo frey geboren als ein Mann.
Stünd’ Agamemnons Sohn dir gegenüber,
Und du verlangteſt was ſich nicht gebührt:
So hat auch Er ein Schwert und einen Arm,
Die Rechte ſeines Buſens zu vertheid’gen.
Ich habe nichts als Worte, und es ziemt
Dem edlen Mann, der Frauen Wort zu achten.
Ich acht’ es mehr als eines Bruders Schwert.
Das Loos der Waffen wechſelt hin und her:
Kein kluger Streiter hält den Feind gering.
Auch ohne Hülfe gegen Trutz und Härte
Hat die Natur den Schwachen nicht gelaſſen.
Sie gab zur Liſt ihm Freude, lehrt’ ihn Künſte;
H 2
[116]Iphigenie auf Tauris
Bald weicht er aus, verſpätet und umgeht.
Ja der Gewaltige verdient, daß man ſie übt.
Die Vorſicht ſtellt der Liſt ſich klug entgegen.
Und eine reine Seele braucht ſie nicht.
Sprich unbehutſam nicht dein eigen Urtheil.
O ſäheſt du wie meine Seele kämpft,
Ein bös Geſchick, das ſie ergreifen will,
Im erſten Anfall muthig abzutreiben!
So ſteh’ ich denn hier wehrlos gegen dich?
Die ſchöne Bitte, den anmuth’gen Zweig,
In einer Frauen Hand gewaltiger
Als Schwert und Waffe, ſtößeſt du zurück:
Was bleibt mir nun mein Inn’res zu ver-
theid’gen?
Ruf’ ich die Göttinn um ein Wunder an?
Iſt keine Kraft in meiner Seele Tiefen?
[117]Ein Schauſpiel.
Es ſcheint, der beyden Fremden Schickſal macht
Unmäßig dich beſorgt. Wer ſind ſie? Sprich!
Für die dein Geiſt gewaltig ſich erhebt.
Sie ſind — ſie ſcheinen — für Griechen halt’
ich ſie.
Landsleute ſind es? und ſie haben wohl
Der Rückkehr ſchönes Bild in dir erneut?
Hat denn zur unerhörten That der Mann
Allein das Recht? Drückt denn Unmögliches
Nur Er an die gewalt’ge Heldenbruſt?
Was nennt man groß? Was hebt die Seele
ſchaudernd
Dem immer wiederhohlenden Erzähler?
Als was mit unwahrſcheinlichem Erfolg
Der Muthigſte begann. Der in der Nacht
Allein das Heer des Feindes überſchleicht,
Wie unverſehen eine Flamme wüthend
[118]Iphigenie auf Tauris
Die Schlafenden, Erwachenden ergreift,
Zuletzt gedrängt von den Ermunterten
Auf Feindes Pferden, doch mit Beute kehrt,
Wird der allein geprieſen? der allein,
Der einen ſichern Weg verachtend kühn
Gebirg’ und Wälder durchzuſtreifen geht,
Daß er von Räubern eine Gegend ſäub’re?
Iſt uns nichts übrig? Muß ein zartes Weib
Sich ihres angebornen Rechts entäußern,
Wild gegen Wilde ſeyn, wie Amazonen
Das Recht des Schwerts euch rauben und mit
Blute
Die Unterdrückung rächen? Auf und ab
Steigt in der Bruſt ein kühnes Unternehmen:
Ich werde großem Vorwurf nicht entgehn,
Noch ſchwerem Übel wenn es mir mißlingt;
Allein Euch leg’ ich’s auf die Kniee! Wenn
Ihr wahrhaft ſeyd, wie ihr geprieſen werdet;
So zeigt’s durch euern Beyſtand und verherr-
licht
Durch mich die Wahrheit! — Ja, vernimm,
o König,
Es wird ein heimlicher Betrug geſchmiedet;
[119]Ein Schauſpiel.
Vergebens fragſt du den Gefangnen nach;
Sie ſind hinweg und ſuchen ihre Freunde,
Die mit dem Schiff’ am Ufer warten, auf.
Der ältſte, den das Übel hier ergriffen
Und nun verlaſſen hat — es iſt Oreſt,
Mein Bruder, und der andre ſein Vertrauter,
Sein Jugendfreund, mit Nahmen Pylades.
Apoll ſchickt ſie von Delphi dieſem Ufer
Mit göttlichen Befehlen zu, das Bild
Dianens wegzurauben und zu ihm
Die Schweſter hinzubringen, und dafür
Verſpricht er dem von Furien Verfolgten,
Des Mutterblutes Schuldigen, Befreyung.
Uns beyde hab’ ich nun, die Überbliebnen
Von Tantals Hauſ’, in deine Hand gelegt:
Verdirb uns — wenn du darfſt.
Du glaubſt, es höre
Der rohe Scythe, der Barbar, die Stimme
Der Wahrheit und der Menſchlichkeit, die
Atreus,
Der Grieche, nicht vernahm?
[120]Iphigenie auf Tauris
Es hört ſie jeder,
Geboren unter jedem Himmel, dem
Des Lebens Quelle durch den Buſen rein
Und ungehindert fließt. — Was ſinnſt du
mir,
O König, ſchweigend in der tiefen Seele?
Iſt es Verderben? ſo tödte mich zuerſt!
Denn nun empfind’ ich, da uns keine Rettung
Mehr übrig bleibt, die gräßliche Gefahr,
Worein ich die Geliebten übereilt
Vorſetzlich ſtürzte. Weh! ich werde ſie
Gebunden vor mir ſehn! Mit welchen Blicken
Kann ich von meinem Bruder Abſchied nehmen,
Den ich ermorde? Nimmer kann ich ihm
Mehr in die vielgeliebten Augen ſchaun!
So haben die Betrüger künſtlich-dichtend
Der lang’ Verſchloßnen, ihre Wünſche leicht
Und willig Glaubenden, ein ſolch Geſpinnſt
Um’s Haupt geworfen!
[121]Ein Schauſpiel.
Nein! o König, nein!
Ich könnte hintergangen werden; dieſe
Sind treu und wahr. Wirſt du ſie anders
finden,
So laß ſie fallen und verſtoße mich,
Verbanne mich zur Strafe meiner Thorheit
An einer Klippen-Inſel traurig Ufer.
Iſt aber dieſer Mann der langerflehte,
Geliebte Bruder: ſo entlaß uns, ſey
Auch den Geſchwiſtern wie der Schweſter
freundlich.
Mein Vater fiel durch ſeiner Frauen Schuld,
Und ſie durch ihren Sohn. Die letzte Hoffnung
Von Atreus Stamme ruht auf ihm allein.
Laß mich mit reinem Herzen, reiner Hand,
Hinübergehn und unſer Haus entſühnen.
Du hältſt mir Wort! — Wenn zu den Mei-
nen je
Mir Rückkehr zubereitet wäre, ſchwurſt
Du mich zu laſſen; und ſie iſt es nun.
Ein König ſagt nicht, wie gemeine Menſchen,
Verlegen zu, daß er den Bittenden
[122]Iphigenie auf Tauris
Auf einen Augenblick entferne; noch
Verſpricht er auf den Fall den er nicht hofft:
Dann fühlt er erſt die Höhe ſeiner Würde,
Wenn er den Harrenden beglücken kann.
Unwillig, wie ſich Feuer gegen Waſſer
Im Kampfe wehrt und giſchend ſeinen Feind
Zu tilgen ſucht, ſo wehret ſich der Zorn
In meinem Buſen gegen deine Worte.
O laß die Gnade, wie das heil’ge Licht
Der ſtillen Opferflamme, mir umkränzt
Von Lobgeſang und Dank und Freude lodern.
Wie oft beſänftigte mich dieſe Stimme!
O reiche mir die Hand zum Friedenszeichen.
Du forderſt viel in einer kurzen Zeit.
[123]Ein Schauſpiel.
Um Gut’s zu thun braucht’s keiner Überlegung.
Sehr viel! denn auch dem Guten folgt das
Übel.
Der Zweifel iſt’s, der Gutes böſe macht.
Bedenke nicht; gewähre wie du’s fühlſt.
Vierter Auftritt.
Verdoppelt eure Kräfte! Haltet ſie
Zurück! Nur wenig Augenblicke! Weicht
Der Menge nicht, und deckt den Weg zum
Schiffe
Mir und der Schweſter.
[124]Iphigenie auf Tauris
Komm, wir ſind verrathen.
Geringer Raum bleibt uns zur Flucht. Ge-
ſchwind!
In meiner Gegenwart führt ungeſtraft
Kein Mann das nackte Schwert.
Entheiliget
Der Göttinn Wohnung nicht durch Wuth und
Mord.
Gebiethet euerm Volke Stillſtand, höret
Die Prieſterinn, die Schweſter.
Sage mir!
Wer iſt es, der uns droht?
Verehr’ in ihm
Den König, der mein zweyter Vater ward!
[125]Ein Schauſpiel.
Verzeih’ mir, Bruder; doch mein kindlich Herz
Hat unſer ganz Geſchick in ſeine Hand
Gelegt. Geſtanden hab’ ich euern Anſchlag
Und meine Seele vom Verrath gerettet.
Will er die Rückkehr friedlich uns gewähren?
Dein blinkend Schwert verbiethet mir die Ant-
wort.
So ſprich! du ſiehſt ich horche deinen Worten.
[126]Iphigenie auf Tauris
Fünfter Auftritt.
Arkas, beyde mit bloßen Schwertern.
Verweilet nicht! Die letzten Kräfte raffen
Die Unſrigen zuſammen; weichend werden
Sie nach der See langſam zurückgedrängt.
Welch ein Geſpräch der Fürſten ſind’ ich hier!
Dieß iſt des Königes verehrtes Haupt!
Gelaſſen, wie es dir, o König, ziemt,
Stehſt du den Feinden gegen über. Gleich
Iſt die Verwegenheit beſtraft; es weicht
Und fällt ihr Anhang, und ihr Schiff iſt unſer.
Ein Wort von dir; ſo ſteht’s in Flammen.
Geh!
Gebiethe Stillſtand meinem Volke! Keiner
Beſchädige den Feind, ſo lang’ wir reden.
[127]Ein Schauſpiel.
Ich nehm’ es an. Geh’, ſammle, treuer Freund,
Den Reſt des Volkes; harret ſtill, welch Ende
Die Götter unſern Thaten zubereiten.
Sechſter Auftritt.
Befreyt von Sorge mich, eh’ ihr zu ſprechen
Beginnet. Ich befürchte böſen Zwiſt,
Wenn du, o König, nicht der Billigkeit
Gelinde Stimme höreſt; du, mein Bruder,
Der raſchen Jugend nicht gebiethen willſt.
Ich halte meinen Zorn, wie es dem Älter’n
Geziemt, zurück. Antworte mir! Womit
[128]Iphigenie auf Tauris
Bezeugſt du, daß du Agamemnons Sohn
Und dieſer Bruder biſt?
Hier iſt das Schwert,
Mit dem er Troja’s tapfre Männer ſchlug.
Dieß nahm ich ſeinem Mörder ab, und bath
Die Himmliſchen, den Muth und Arm, das
Glück
Des großen Königes mir zu verleihn,
Und einen ſchönern Tod mir zu gewähren.
Wähl’ einen aus den Edlen deines Heers
Und ſtelle mir den Beſten gegen über.
So weit die Erde [Heldenlöhne] nährt,
Iſt keinem Fremdling dieß Geſuch verweigert.
Dieß Vorrecht hat die alte Sitte nie
Dem Fremden hier geſtattet.
So beginne
Die neue Sitte denn von dir und mir!
[129]Ein Schauſpiel.
Nachahmend heiliget ein ganzes Volk
Die edle That der Herrſcher zum Geſetz.
Und laß mich nicht allein für unſre Freyheit,
Laß mich, den Fremden für die Fremden,
kämpfen.
Fall’ ich, ſo iſt ihr Urtheil mit dem meinen
Geſprochen: aber gönnet mir das Glück
Zu überwinden; ſo betrete nie
Ein Mann dieß Ufer, dem der ſchnelle Blick
Hülfreicher Liebe nicht begegnet, und
Getröſtet ſcheide jeglicher hinweg!
Nicht unwerth ſcheineſt du, o Jüngling, mir
Der Ahnherrn, deren du dich rühmſt, zu
ſeyn.
Groß iſt die Zahl der edeln, tapfern Männer,
Die mich begleiten; doch ich ſtehe ſelbſt
In meinen Jahren noch dem Feinde, bin
Bereit mit dir der Waffen Loos zu wagen.
J
[130]Iphigenie auf Tauris
Mit nichten! Dieſes blutigen Beweiſes
Bedarf es nicht, o König! Laßt die Hand
Vom Schwerte! Denkt an mich und mein
Geſchick.
Der raſche Kampf verewigt einen Mann:
Er falle gleich, ſo preiſet ihn das Lied.
Allein die Thränen, die unendlichen
Der überbliebnen, der verlaßnen Frau,
Zählt keine Nachwelt, und der Dichter ſchweigt
Von tauſend durchgeweinten Tag- und Näch-
ten,
Wo eine ſtille Seele den verlornen,
Raſch-abgeſchied’nen Freund vergebens ſich
Zurückzurufen bangt und ſich verzehrt.
Mich ſelbſt hat eine Sorge gleich gewarnt,
Daß der Betrug nicht eines Räubers mich
Vom ſichern Schutzort reiße, mich der Knecht-
ſchaft
Verrathe. Fleißig hab’ ich ſie befragt,
Nach jedem Umſtand mich erkundigt, Zeichen
Gefordert, und gewiß iſt nun mein Herz.
[131]Ein Schauſpiel.
Sieh hier an ſeiner rechten Hand das Mahl
Wie von drey Sternen, das am Tage ſchon
Da er geboren ward, ſich zeigte, das
Auf ſchwere That mit dieſer Fauſt zu üben
Der Prieſter deutete. Dann überzeugt
Mich doppelt dieſe Schramme, die ihm hier
Die Augenbraue ſpaltet. Als ein Kind
Ließ ihn Elektra, raſch und unvorſichtig
Nach ihrer Art, aus ihren Armen ſtürzen.
Er ſchlug auf einen Dreyfuß auf — Er iſt’s —
Soll ich dir noch die Ähnlichkeit des Vaters,
Soll ich das inn’re Jauchzen meines Herzens
Dir auch als Zeugen der Verſich’rung nennen?
Und hübe deine Rede jeden Zweifel
Und bändigt’ ich den Zorn in meiner Bruſt:
So würden doch die Waffen zwiſchen uns
Entſcheiden müſſen; Friede ſeh’ ich nicht.
J 2
[132]Iphigenie auf Tauris
Sie ſind gekommen, du bekenneſt ſelbſt,
Das heil’ge Bild der Görtinn mir zu rauben.
Glaubt ihr, ich ſehe dieß gelaſſen an?
Der Grieche wendet oft ſein lüſtern Auge
Den fernen Schätzen der Barbaren zu,
Dem goldnen Felle, Pferden, ſchönen Töch-
tern;
Doch führte ſie Gewalt und Liſt nicht immer
Mit den erlangten Gütern glücklich heim.
Das Bild, o König, ſoll uns nicht entzweyen!
Jetzt kennen wir den Irrthum, den ein Gott
Wie einen Schleyer um das Haupt uns legte,
Da er den Weg hierher uns wandern hieß.
Um Rath und um Befreyung bath ich ihn
Von dem Geleit der Furien; er ſprach:
„Bringſt du die Schweſter, die an Tauris
Ufer
Im Heiligthume wider Willen bleibt,
Nach Griechenland; ſo löſet ſich der Fluch.“
[133]Ein Schauſpiel.
Wir legten’s von Apollens Schweſter aus,
Und er gedachte dich! Die ſtrengen Bande
Sind nun gelöſ’t; du biſt den Deinen wieder,
Du Heilige, geſchenkt. Von dir berührt
War ich geheilt; in deinen Armen faßte
Das Übel mich mit allen ſeinen Klauen
Zum letztenmal, und ſchüttelte das Mark
Entſetzlich mir zuſammen; dann entfloh’s
Wie eine Schlange zu der Höhle. Neu
Genieß’ ich nun durch dich das weite Licht
Des Tages. Schön und herrlich zeigt ſich
mir
Der Göttinn Rath. Gleich einem heil’gen
Bilde,
Daran der Stadt unwandelbar Geſchick
Durch ein geheimes Götterwort gebannt iſt,
Nahm ſie dich weg, dich Schützerinn des Hau-
ſes;
Bewahrte dich in einer heil’gen Stille
Zum Segen deines Bruders und der Deinen.
Da alle Rettung auf der weiten Erde
Verloren ſchien, gibſt du uns alles wieder.
[134]Iphigenie auf Tauris
Laß deine Seele ſich zum Frieden wenden,
O König! Hindre nicht, daß ſie die Weihe
Des väterlichen Hauſes nun vollbringe,
Mich der entſühnten Halle wiedergebe,
Mir auf das Haupt die alte Krone drücke!
Vergilt den Segen, den ſie dir gebracht,
Und laß des nähern Rechtes mich genießen!
Gewalt und Liſt, der Männer höchſter Ruhm,
Wird durch die Wahrheit dieſer hohen Seele
Beſchämt, und reines kindliches Vertrauen
Zu einem edeln Manne wird belohnt.
Denk’ an dein Wort, und laß durch dieſe Rede
Aus einem g’raden treuen Munde dich
Bewegen! Sieh’ uns an! Du haſt nicht oft
Zu ſolcher edeln That Gelegenheit.
Verſagen kannſt du’s nicht; gewähr’ es bald.
So geht!
[135]Ein Schauſpiel.
Nicht ſo, mein König! Ohne Segen,
In Widerwillen, ſcheid’ ich nicht von dir.
Verbann’ uns nicht! Ein freundlich Gaſtrecht
walte
Von dir zu uns: ſo ſind wir nicht auf ewig
Getrennt und abgeſchieden. Werth und theuer
Wie mir mein Vater war, ſo biſt du’s mir,
Und dieſer Eindruck bleibt in meiner Seele.
Bringt der Geringſte deines Volkes je
Den Ton der Stimme mir in’s Ohr zurück,
Den ich an euch gewohnt zu hören bin,
Und ſeh’ ich an dem Ärmſten eure Tracht;
Empfangen will ich ihn wie einen Gott,
Ich will ihm ſelbſt ein Lager zubereiten,
Auf einen Stuhl ihn an das Feuer laden,
Und nur nach dir und deinem Schickſal fragen.
O geben dir die Götter deiner Thaten
Und deiner Milde wohlverdienten Lohn!
Leb wohl! O wende dich zu uns und gib
Ein holdes Wort des Abſchieds mir zurück!
[136]Iphigenie auf Tauris.
Dann ſchwellt der Wind die Segel ſanfter an,
Und Thränen fließen lindernder vom Auge
Des Scheidenden. Leb’ wohl! und reiche mir
Zum Pfand der alten Freundſchaft deine Rechte.
Lebt wohl!
[][][]
- Lizenz
-
CC-BY-4.0
Link zur Lizenz
- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Goethe, Johann Wolfgang von. Iphigenie auf Tauris. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bj96.0