BeiL. Brunet.
1834.
[[III]]
BeiL. Brunet.
1834.
[[IV]][[V]]
Inhalt zumVI.Bande.
- Ein und zwanzigſter BriefSeite 1
- Zwei und zwanzigſter Brief15
- Drei und zwanzigſter Brief28
- Vier und zwanzigſter Brief43
- Fünf und zwanzigſter Brief54
- Sechs und zwanzigſter Brief74
- Sieben und zwanzigſter Brief87
- Acht und zwanzigſter Brief106
- Neun und zwanzigſter Brief118
- Dreißigſter Brief135
- Ein und dreißigſter BriefSeite 160
- Zwei und dreißigſter Brief— 179
- Drei und dreißigſter Brief— 197
- Vier und dreißigſter Brief— 201
- Fünf und dreißigſter Brief— 222
- Sechs und dreißigſter Brief— 225
Ein und zwanzigſter Brief.
Heute iſt der Jahrestag der Hinrichtung Lud¬
wig XVI. Es ſind gerade vierzig Jahre. Um
dieſen jour funeste et à jamâis déplo¬
rable, wie vorgeſtern die Pairskammer beſchloſſen,
religiös würdig zu feiern, mit Gebet, Reue, Buße
und Thränen, um zu zeigen wie jede Republik eine
Tiger-Eſſenz iſt, und jede Monarchie eine See von
Mandelmilch und Roſenwaſſer — will ich Ihnen
folgende luſtige und herzbrechende Geſchichte mittheilen.
Ich habe ſie aus einer franzöſiſchen Schweizer-
Zeitung überſetzt. Vorher aber will ich Sie daran
erinnern, was ich Ihnen kürzlich einmal von den
Waſſerſäcken der Welt geſchrieben, und wie das
VI. 1[2] Fürſtenthum Neuſchatel, von dem Könige von
Preußen beherrſcht, der Waſſerſack der Schweitz ſei.
Jetzt leſen Sie.
Die Patrioten
in den
Gefängniſſen von Neufchatel.
„Am 8. December des vorigen Jahrs, begab
„ſich Herr von Perrot, Maire von Neufchatel und
„Präſident des Criminalgerichts in die Gefängniſſe,
„um den wegen politiſchen Vergehen Eingekerkerten,
„die ſogenannte Amneſtie zu verkündigen, mit welcher
„der König von Preußen, in ſeiner unerſchöpflichen
„Güte, ſie zu begnadigen geruhte. Dieſe Magiſtrats¬
„perſon legte den Unglücklichen einen Eid auf, nach
„welchem ſie auf den königlichen Scepter zu ſchwören
„hatten: „daß ſie an der Perſon ihrer Richter ſich
„nicht zu rächen ſuchen; daß ſie keinen Groll, gegen
„wen es auch ſei, bewahren; daß ſie ihrem Gefäng¬
„niſſe Treue hüten, und während der ganzen Zeit
„ihrer Gefangenſchaft kein Mittel zur Flucht ver¬
„ſuchen wollen.“ Alle Gefangenen ſprachen die
„Eidesformel aus: nur Dubois der zum Tode ver¬
[3] „urtheilt, deſſen Strafe aber in lebenslängliche Ge¬
„fangenſchaft mit beſtändiger Zwangsarbeit verwandelt
„worden war, weigerte ſich zu ſchwören; dieſer un¬
„glückliche Patriot, als man ihm den Scepter vorhielt,
„erklärte, daß er ſich ein ſolches Gelöbniß nicht
„auflegen könnte. Auf eine zweite Aufforderung
„wiederholte Weigerung, worauf der Maire befahl
„Dubois in das Gefängniß zurückzuführen.“
„Fünf Minuten ſpäter, fielen auf einen Befehl
„des Maires, zwei Gensd'armes über Dubois her,
„knebelten ihn, legten ihm Handſchellen an, ſchleppten
„ihn die Treppe herunter, zerrten ihn über den
„Gefängnißhof, und warfen ihn in ein Loch, das
„man den Käfig nennt, um vierzehen Tage, bei
„Waſſer und Brod darin zu ſchmachten. Dieſes
„Folter-Inſtrument, ganz genau nach dem Modelle
„desjenigen verfertigt, das der Cardinal de la Belue,
„auf Befehl Ludwig XI. erſonnen, iſt ein Käfig von
„ohngefähr fünf und einem halben Fuß ins Gevierte,
„in dem man weder ſitzen noch ſtehen kann, und in
„einem alten Thurme des Gefängniſſes angebracht.
„Der Unglückliche, den man hineinſperrt, muß ſich
„auf dem Stroh, das man ihm unterlegt nieder¬
„krümmen. Der Käfig iſt aus ſtarken Eichenbohlen
„gezimmert, empfängt nur ein wenig Licht durch die
„Fenſteröffnung einer innern Thüre, und das blos
„wenn eine äußere Thüre von Eiſen, die den Eingang
1*[4] „des Thurms ſchließet, geöffnet wird. Im Sommer
„kann der Unglückliche, den man in dieſes Loch ſperrt,
„es noch aushalten! aber im ſtrengen Winter wird
„es unerträglich, da die Luft von allen Seiten ein¬
„dringt. Auch wurde der unglückliche Dubois,
„nachdem er die Folter des Winterfroſtes acht und
„vierzig Stunden ausgehalten, von dem Gefängniß-
„Wärter in dem erſchrecklichen Zuſtande eines er¬
„frornen Menſchen gefunden. Er hatte keinen Puls
„mehr und war ſteif wie eine Leiche. Der Kerker¬
„meiſter entſetzte ſich über die Folgen dieſer kanni¬
„baliſchen Grauſamkeit, eilte fort, Decken und
„warme Speiſen zu holen, und bemühte ſich mit
„Hülfe ſeines Sohnes, das unglückliche Schlacht¬
„opfer in das Leben zurückzurufen. Gleich darauf
„ſetzte er den Maire von den Folgen ſeines barbari¬
„ſchen Befehls in Kenntniß. Dieſer ließ Dubois
„in ſein altes Gefängniß zurückbringen und forderte
„ihn von neuem auf den verlangten Eid zu leiſten.
„Der Gefangene mußte ſich in ſein ſchmachvolles
„Schickſal finden, doch bei ſich wohl begreifend,
„daß ein ſolcher abgefolteter Eid nur Wort und
„Wind ſei.“
„Dieſes iſt die genaue Darſtellung von der
„Lage des unglücklichen Dubois, die uns einer
„ſeiner Leidensgenoſſen, der glücklicher als er, nach
„Verlauf ſeiner Strafzeit, das Gefängniß verlaſſen
[5] „durfte, mitgetheilt hat. Eidgenoſſen! Nach ſolchen
„Schandthaten dürfen wir nicht mehr allein die
„Henker von Modena und Liſſabon verwünſchen.
„Die Preußiſch-Neufchateller Zwerg-Tyrannen, haben
„ſich zur Höhe jener zu erheben gewußt. Das
„ſind die Qualen, welche unſere Brüder in den
„Gefängniſſen von Neufchatel, und alle die, welche
„die würdige Regierung dort noch hineinführen kann,
„täglich zu erdulden haben! Berner! das iſt das
„Schickſal, welches jeden Augenblick Meuren bedroht.
„Und im Herzen der Schweiz mit ſeinen milden
„und patriarchaliſchen Sitten, und im Herzen der
„republikaniſchen Schweiz werden ſolche monarchiſch-
„ariſtokratiſche Schandthaten geduldet!
Und warum ſie nicht dulden, wenn ſie aus ſo
guten lieben Händen kommen? Der preußiſche
Staat iſt der glücklichſte der Welt, er hat die aller¬
beſten Schulen. Dort wird das Volk gründlich zum
conſtitutionellen Leben erzogen; in den Schulen muß
die Freiheit von der Pike auf, vom a b c an dienen.
Sie halten jetzt ſchon am a, b ab; im zwanzigſten
Jahrhunderte kommen ſie an das b, a ba und nach
eben ſo viel Jahrhunderten als das Alphabet Buch¬
ſtaben hat, werden die Reichsſtände zuſammen¬
gerufen. Was mich aber an dieſer ſchönen Ge¬
ſchichte von dem Menſchenkäfig am meiſten ergötzte,
war der Scepter, dieſes heilige Kreuz worauf man
[6] ſchwören ließ. Das iſt ein Seitenſtück zur Buße
vor dem Bilde des Königs von Baiern. Die Des¬
potie in Deutſchland wird täglich orientaliſcher,
romantiſcher, ſie funkelt wie Smaragden und Rubinen.
Man glaubt den Calderon, oder ein Mährchen aus
tauſend und einer Nacht zu leſen. Es kömmt noch
dahin, daß man die Angeſchuldigten kleiner Ketzereien
in ein Kryſtall-Gefängniß ſperren wird, oder ſie zur
Buße mit nackten Füßen auf Perlen wird gehen
laſſen — und daß man die Angeſchuldigten großer
Ketzereien, an einen Galgen von Sandelholz hängen
wird.
— Schwamm herbei! Die erſte Seite der
deutſchen Eſelshaut iſt ſauber; jetzt zur zweiten.
Ein Eßwaarenhändler in München „a l'honneur
de prévenir la haute noblesse et le respectable
public.“ daß er friſche Trüffeln bekomme. Es iſt
das Erſtemal, daß ich ſo etwas in franzöſiſcher
Sprache leſe und es nimmt ſich ganz gut aus.
Aber nicht gut nimmt es ſich aus, daß das ver¬
ehrungswürdige Publikum ſo entſetzlich einfältig iſt,
ſo etwas zu dulden. Das verehrungswürdige Publi¬
kum ſollte ſich vereinigen, bei keinem Handelsmanne
etwas zu kaufen, der die Frechheit hat in ſeinen
Ankündigungen beſonders von dem hohen Adel zu
ſprechen. Möchten ſie doch endlich einmal zur Be¬
ſinnung, endlich einmal zum Bewußtſein ihrer Macht
[7] kommen! Möchten ſie doch endlich begreifen lernen,
daß die Sitten mächtiger ſind als die Geſetze, und
daß nur die Geſetze in den Ständen des Adels ſind,
die Sitten aber in den Ständen des Volks! Wären
die Sitten nicht mächtiger als die Geſetze, es ſtünde
heute ſchlimm in Frankreich mit Freiheit und Gleich¬
heit. Es giebt keinen entſcheidenden Tag, es giebt
kein Schlachtfeld, keinen großen Sieg der Freiheit.
Iſt eine Seite der Geſchichte herabgeſchrieben,
werden die Zahlen addirt, und dieſe Summe nennt
man eine Revolution. Fällt das Buch wieder in
die Hand des Feindes, glaubt er die Revolution
vernichtet zu haben, wenn er jene Summe nicht
als Transport auf die neue Seite ſetzt. Er meint
die Rechnung von vorn anzufangen, er merkt nicht,
daß die alte Rechnung fortgeht — er iſt ein Eſel.
Aber ſeid Ihr keine Eſel! Ihr werdet nie etwas
zu addiren bekommen, wenn ihr nicht täglich auf¬
ſchreibt, Brüche zu Brüchen, Zahlen zu Zahlen
geſtellt. Es giebt nur Minuten, nur kleine Händel,
kleine Zänkereien der Freiheit. Spottreden, Epigramme,
Prügel, Ohrfeigen, Thüre hinaus, Treppe hinunter
werfen. Aber jeder Tag hat vier und zwanzig
Stunden, jede Familie hat fünf Seelen, und Ihr
glaubt es nicht was fünf Seelen in vier und zwanzig
Stunden verrichten können, wenn ſie ernſtlich und
immer wollen . . . . . Du verehrungswürdiges
[8] Frankfurter Publikum — warum biſt du denn ſo
gar einfältig, dich in deinem Concertſaale auf die
Hinterſtühle zu ſetzen, und dem hohen Adel die
Vordern zu überlaſſen? Thut das nicht, ſetzt euch
ſelbſt mit euren Weibern und Töchtern vorn hin.
Zwar weiß ich wie viel es einem beſcheidenen Manne
koſtet, ſich in einen öffentlichen Kampf mit der Eitel¬
keit einzulaſſen; aber es ſoll auch nicht Einer allein,
alle Bürger ſollen ſich zugleich hervorſtellen. Und
werdet ihr auch verbannt, bringt der guten Sache
das Opfer. Seid nicht demüthig, ſeid nicht blöde,
ſeid nicht ſchwach. Eure Demuth iſt ihr Hochmuth,
eure Blödigkeit iſt ihre Frechheit, eure Schwäche iſt
ihre Stärke. Geht jede Stunde einen Schritt,
aber geht dieſen Schritt jede Stunde und ihr
werdet bald an das Ziel gelangen.
— „Göttliche Gerechtigkeit wie —
lange noch wirſt du deine Blitze ſchlafen
laſſen?“ Sie glauben vielleicht ich hätte das
geſagt? O nein, es ſteht im frankfurter franzöſiſchen
Journale und wird bei einer, ich weiß nicht mehr
welcher, Gelegenheit ausgerufen, wo die Fürſten¬
ſchaft oder der Adel irgend eine Schleppe bekommen.
Das Wort iſt ſchön, aber die ganze hohe deutſche
Bundesverſammlung, mit allen ihren Excellenzen,
Grafen und Baronen, mit allen ihren Legationsräthen
und Geſandtſchafts-Sekretairen, mit dem großen
[9] Heere ihrer beſoldeten Zeitungsſchreiber, hatte ſo etwas
Schönes nicht ſagen können, ſie mußte ſich erſt einen
Franzoſen dazu kommen laſſen. Der verſtehts!
Er ſpricht wie wir, er macht unſere Stimme nach,
er meint Gott wäre blind und harthörig wie der
Patriarch Iſaac, werde ſeinem ſpitzbübiſchen Sohn
Jakob für ſeinen Erſtgebohrnen halten und ihm
ſeinen Segen geben. Wahrhaftig es gefällt mir,
daß ſie ſelbſt die ſchlafenden Blitze der Gerechtigkeit
aufwecken!
Dritte Seite. Noch einmal Preußen. Prussia
for ever. Die Preußiſche Regierung, wie jede
germaniſchen Urſprungs — es iſt des Tacitus
wegen — beſoldet Spione in Paris, um dort auf
ihre geliebten treuen Unterthanen etwas Acht zu
geben. Dagegen läßt ſich nichts ſagen, keine Mon¬
archie kann der Spione entbehren, man lebt ſo lange
man kann. Warum haben Republiken, warum
haben Nordamerika, die Schweiz, die freien deutſchen
Städte keine Spione? Weil dort die Regierungen
nicht zu befürchten brauchen, daß ihre Bürger ein¬
mal den Verſtand verlieren und ihre freie Verfaſſung
gegen einen Fürſten vertauſchen möchten. Die Be¬
wohner einer Monarchie aber wünſchen ſich einen
Freiſtaat ſobald ſie zu Verſtande kommen; je ver¬
nünftiger ſie alſo werden je mehr Spione braucht
ein Fürſt. Das iſt alſo ganz in der Ordnung.
[10] Außerordentlich iſt es aber, eine ſehr außerordentliche
Naivität, daß eine Regierung es eingeſteht und
drucken läßt, ſie treibe Spionerie, wie es die Preu¬
ßiſche gethan.
Da iſt ein gewiſſer Traxler in Cöln, ein
königlich Preußiſcher Paradiesvogel, ich meine: einer
der Seeligen im Preußiſchen Paradieſe, das ſo
herrliche Rüben und Schulen hat — der ließ etwas
in einem Pariſer Blatte von der Seeligkeit aller Rhein¬
preußen drucken und von ihrer Anbetung gegen die
Mark Brandenburg. Die preußiſchen Behörden
entdecken den Namen des Spaßvogels und ſperrten
den Traxler in einen Käfig. Ein Gefängniß iſt
die beſte Widerlegung aller Sophismen, es iſt die
wahre Schule der Logik. Der Temps (darin
ſtanden die Artikel) fragte: wie denn die Preußiſche
Regierung ohne Verletzung des Briefgeheimniſſes
ihren Correſpondenten habe entdecken können? Der
Preußiſche Advokat antwortete: Briefe öffnen! Pfui!
ſo etwas erlaubt ſich ſeine Herrſchaft nicht; aber
„den klugen Maasregeln unſeres Gouvernements
„iſt es zuzuſchreiben, daß man endlich durch Ver¬
„mittlung eines Agenten der Pariſer Poli¬
„zei, die Originalbriefe des Traxlers und
„mehrere von andern ähnlichen unnützen Geſellen,
„für Pariſer ultraliberale Blätter beſtimmt, erhielt ....
„Der deutlichſte Beweis, mit welchem Ver¬
[11] „trauen dieſe Radicalreformers und Lügenver¬
„breiter unſere Regierung verehren, daß ſie
„nicht Scheu trugen ihre Correſpondenzen frank
„und frei durch die Poſt an die vollſtändigen
„Adreſſen der Zeitungs-Büreaus abgehen zu
„laſſen ..... Nur von Traxlers Briefen
„wurde bis jetzt erſt Gebrauch gemacht, die andern
„ſind wohl noch aufgeſpart zur gelegenen
„Zeit ..... Die Landesgeſetze dürften dies
„wahrhaft verbrecheriſche Treiben leicht als lands¬
„verrätheriſch betrachten und eine Strafe be¬
„ſtimmen, welche als Warnung für ähnliche Brief¬
„ſteller, der Strenge und des Ernſtes nicht entbehren
„wird.“
Unnütze Geſellen, Lügenverbreiter — das iſt
der Oden-Styl monarchiſcher Begeiſterung; mit dem
wollen wir nicht rechten; der Preußiſche Correſpon¬
dent als er ſo ſchrieb, kam vielleicht eben vom
Tiſche. Wir wollen uns an die Proſa halten.
Die klugen Maasregeln der Preußiſchen Regierung
ſind bewunderungswürdig! Der große Friedrich mit
ſeinen herrlich blauen Augen ſtand vor mir, aber
ob er lachte oder weinte, konnte ich nicht unter¬
ſcheiden; denn ſchnell verhüllte er ſich das Geſicht,
als ich von ſeinen Enkeln erzählte ... Als einen
Beweis der Verehrung, als ein Zeichen des
Vertrauens ſieht es die Preußiſche Regierung an,
[12] wenn ihre Unterthanen ſie nicht für ſo niederträchtig
halten, daß ſie die Briefe öffne! So ſind alle
Monarchien. Jede monarchiſche Rgierung will für
jedes Unrecht, mit welchem ſie ihre Unterthanen
verſchont, gelobt ſein; dann ſoll man ihre
Gerechtigkeit preiſen. Jedes Gut, das ſie ihren
Unterthanen nicht raubt, will ſie als Geſchenk
betrachtet wiſſen, wofür man Dank ſchuldig ſei.
Wenn ſie den Bürgern erlaubt, jedem ſo gut
er es verſteht, den Weg ſeines Glückes zu verfolgen,
ſeinem Wohlſtande nachzugehen, wenn ſie ja einmal
nicht hindert, rühmt ſie ſich, Wohlſtand über das
Land zu verbreiten und die Selbſthuldigung nimmt
kein Ende. Das iſt wörtlich wahr. War doch
neulich in einem Ruſſiſchen Zeitungsartikel zu leſen:
„Die Polen hatten alle ihre moraliſchen und
„phyſiſchen Kräfte der Regierung zu verdanken,
„die ſie ſchmählich verriethen, ob ſie ihnen gleich
„die Mittel verſchafft hat, mit denen ein
„achtmonatlicher blutiger Krieg geführt ward.“
Wenn ein unglückliches Volk, nachdem es die Ty¬
rannei ausgeſogen, noch ſo viel Kraft behielt, ſich
der Tyrannei zu widerſetzen, wird ihm das als Ver¬
brechen, als Undank angerechnet! Nichts haben ſie
den Polen übrig gelaſſen; aber um für die Freiheit
zu kämpfen braucht es keiner andern Waffe, als
der Liebe zu ihr.
[13]
Iſt das nicht artig, wenn der Preußiſche Advokat
ſagt: nur den Traxler habe man einſtweilen vor¬
genommen, die andern gleichſchuldigen Pariſer
Correſpondenten werden zur gelegenen Zeit
aufgeſpart? Das iſt Gerechtigkeit! Sie ſind
wohl noch nicht fett genug die Andern? Ihr ver¬
wahrt ſie wohl für eueren nächſten Freiheits-Schmaus?
Und: die Geſetze — dürften — leicht — eine
Strafe beſtimmen — die des Ernſtes nicht ent¬
behren wird! Alſo das Geſetz iſt Richter, das
Geſetz wird beſtimmen! O mein Friedrich!
..... Schicken Sie mir Ihre Sachen, ich
werde nicht grob ſein, wenigſtens dieſe Woche nicht
mehr, ich bin ganz erſchöpft.
Ich freue mich, daß dem *** meine Briefe
ſo gut gefallen. Ich will auch auf die Jugend wir¬
ken; wir Alten ſind keines Punkts auf dem i der
Freiheit würdig. Grüßen Sie ihn herzlich von mir
und ſeine Frau, und ſie ſollen der *** mehr Zucker
in den Thee werfen, damit ſie nicht ſo ſauer ſpreche.
— Glauben Sie ja keinem, der ſagt ich wäre kein
Gelehrter; das iſt boshafte Verläumdung.
Zwei und zwanzigſter Brief.
Wenn ich nur den böſen Zauber begreifen könnte,
der die Italiener hier verhindert, den Don Juan ge¬
hörig zu Stande zu bringen. Man ſpielte ihn vor
einigen Tagen wieder und ich habe mich gelangweilt
wie immer. Es iſt Mozarts Muſik; aber ohne ih¬
ren Geiſt. Es iſt die nämliche Geſtalt, Haltung,
Farbe; aber ohne Leben. Es iſt eine Wachsfigur,
es iſt gemaltes Feuer. Ich wollte unſer Guhr käme
einmal hierher und ſuchte dem ungläubigen Orcheſter
etwas Religion beizubringen.
Als ich geſtern über den Boulevard St. An¬
toine, der jetzt Boulevard Beaumarchais heißt,
ſpazieren ging, ſah ich mir genau drei Häuſer an,
die nicht weit von einander liegen. Ich ſah hinein,
hinauf und da es alle drei Eckhäuſer ſind, machte
ich die Runde um ſie, ganz wie ein Dieb, der kund¬
[16] ſchaften will, auf welche beſte Art er in der Nacht
einſteigen könnte. In dieſen Häuſern wohnten einſt
berühmte Menſchen. Solche verödete Wohnſtätten
rühren mich mehr als die Gräber auf dem Kirch¬
hofe. Dort war früher nichts und jetzt lebt da der
Tod, es iſt eine Art Geburt. Hier aber war frü¬
her alles, und jetzt iſt das Leben todt, da iſt die
wahre Vernichtung. Und welches Leben war in die¬
ſen Häuſern! Alle Luſt und aller Schmerz des Da¬
ſeins; alle Weisheit und alle Thorheit des Lebens;
Reichthum, Armuth, die Freuden der Jugend, die
Leiden des Alters, Witz, Geiſt, Aberglaube, Philo¬
ſophie, Edelmuth, Gaunerei, Freundſchaft, Treue
und Verrath, ariſtokratiſche Verderbniß und demo¬
kratiſche Wuth, zwei Jahrhunderte und beide ver¬
raucht, und das ganze Paradies und die ganze Hölle,
die zwiſchen der glücklichen und unglücklichen Liebe
[liegen]. Jetzt wird in allen drei gemeine Krämerei
getrieben!
In dem erſten Hauſe hat Caglioſtro ge¬
wohnt. Es ſieht etwas labyrinthiſch und theatraliſch
aus und iſt ganz geeignet zu einem Schauplatze für
Geiſterbeſchwörungen, Goldmacherei, Somnambuliſti¬
ſchen Spuk und andere Täuſchungen. Göthes ariſto¬
kratiſche Verſtocktheit und beiſpiellos enge Hofbe¬
ſchränkung wurden mir durch nichts klarer als durch
die falſche Anſicht, unter welcher er das Leben des
[17] Caglioſtro und die Halsbandgeſchichte betrachtete.
Er ſah ſie als revolutionaire Erſcheinungen, als die
erſten Blitze an, mit welchen das Weltgewitter be¬
gann. Und ſie waren gerade das Gegentheil: das
helle Aufflackern einer verlöſchenden Zeit. Caglio¬
ſtro's Treiben war eine Parodie der monarchiſchen
Taſchenſchauſpielerkunſt. Ganz wie er, zu gleichen
Zwecken und mit gleichen Mitteln, haben die Für¬
ſten aller Zeiten, die Völker aller Länder betrogen,
ſo oft wegen unzureichender Macht die Liſt nöthig
geworden. Die Halsbandgeſchichte war die Sitten¬
verderbniß aller Höfe, nur daß ſie hier zum erſten¬
male öffentlich geworden. Freilich wenn wahr iſt,
was neulich die Monteskikelchen an der Ilm und der
Saale, die edlen Ritter des Thüringer Waldes,
die Großherzoglich-Sachſen-Weimar-Eisnach-Mos¬
kowitſche Adelskammer behauptet: Daß Oef¬
fentlichkeit der Anfang aller Revolutionen
geweſen — dann war die Halsbandgeſchichte wohl
eine revolutionaire Erſcheinung. Aber an wem die
Schuld, wenn keine Monarchie die Oeffentlichket er¬
tragen kann?
Das andere Haus gehörte einſt der Ninon de
l'Enclos, der ſchönen Magdalene — ohne Reue —
die alle die unendliche Barmherzigkeit Gottes erſchö¬
pfen muß, wenn er ihr ſo viel vergeben will als ſie ge¬
liebt hat. Ihre Zeitgenoſſen wunderten ſich, daß ſie
VI. 2[18] noch im höchſten Alter Bewunderer gefunden. Wie
würden dieſe erſt erſtaunen, wenn ſie heute lebten,
und ſähen, daß noch jetzt, nachdem Ninon länger
als hundert Jahre todt iſt, noch jeder Mann von
Gefühl ſie liebt? Es iſt ein großer Streit unter
den Gelehrten, in welchem Alter Ninon zum letzten
male glücklich geweſen, ob in ihrem ſiebenzigſten oder
in ihrem achtzigſten Jahre. Ich glaube aber weder
das eine noch das andere; denn ſie war neunzig
Jahre alt als ſie ſtarb. Cheſterfield fragte einmal
eine Dame von vierundſiebenzig Jahren, in welchem
Alter die Frauen zu lieben aufhörten? dieſe erwie¬
derte: Mylord, das weiß ich nicht, Sie müſſen eine
ältere fragen. Ninon's Haus hat drei Seiten, die
nach drei verſchiedenen Straßen gehen. Vorn nach
dem Boulevard iſt eine Hofmauer, vielleicht früher
eine Gartenmauer, die zwei Pavillons verbindet.
Den einen garſtig roth angeſtrichen, verunziert eine
Weinſchenke der gemeinſten Art. Zu dem andern,
höher auf einer Terraſſe gelegen, der einen Balkon
hat, davon herunter zu ſpringen, führt von der
Straße aus eine kleine, holde, anliebelnde Treppe,
ſo eng, daß in dunkler Nacht ein gehender und ein
kommender Liebhaber ſich unmöglich hätten ausweichen
können. Doch für ſolche Fälle war geſorgt. Auf
der entgegengeſetzten Seite nach einer andern Straße,
hat das Haus noch eine Thüre. Da iſt der Haupt¬
[19] Eingang, das Thor. Jetzt hängt eine Tafel davor:
Apartementàlouer. Wie würde Ninon dar¬
über lachen, wenn ſie das läſe. Ein nicht-mö¬
blirtes Apartement, alſo nur jahrweiſe zu vermiethen.
Sie hat ihr Haus oft genug vermiethet; aber die
längſte Miethzeit war nicht länger als ein Tag un¬
ſerer Antipoden. Das Haus hat ungewöhnlich viele
Fenſter, welche die ganze Höhe der Zimmer einneh¬
men, und von denen jetzt mehr als die Hälfte ver¬
mauert ſind. Dieſe vielen Fenſter gehören zu dem
Nachruhme der Ninon. Sie heuchelte nicht; in
welchem Zimmer, in welchem Winkel ſie auch war,
es konnte ihr jeder Nachbar in das Herz ſehen.
Sie war ſo edel, daß, ſobald ein Mann ihre Gunſt
erhielt, er das Recht ihr ein Geſchenk zu machen
aus immer verlor. Edel und doch geſtorben — wie
traurig! Aber es ſterben auch gewöhnliche Men¬
ſchen, die nichts haben als das Leben, und das iſt
noch trauriger.
Das dritte Haus war das von Beaumar¬
chais. Dieſes ſuchte ich eigentlich auf, die andern
ſah ich nur im Vorübergehen. Ich hatte eine Wall¬
fahrt dahin gelobt, als ich einige Tage vorher im
Theater Français, Figaro's Hochzeit aufführen
geſehen. Das Haus liegt oder lag vielmehr am
Ende des Boulevards und am Eingang der Vorſtadt
2*[20] St. Antoine, ſehr bezeichnend als Grenze zwiſchen
Monarchie und Republik, wie Beaumarchais ſelbſt
eine war. Das Haus, der Garten, einſt zu den
Merkwürdigkeiten von Paris gehörend, die jeder
Fremde zu ſehen eilte, ſind verſchwunden. Nur die
Gartenmauern ſtehen noch, hoch, mit Frazenmäulern
zum Abfluſſe des Waſſers verſehen; es ſcheint der
Garten lag auf einer Terraſſe. Auch noch ein Luſt¬
häuschen hat ſich erhalten, von launiſcher Bauart,
einen reichen Beſitzer verrathend. Ich trat in den
geräumigen Hof. Dieſer umſchließt jetzt ein neues
Gebäude zur Salzniederlage beſtimmt. Salz —
Beaumarchais — es iſt ein Erbe der ſeiner nicht
ganz unwürdig iſt. Beaumarchais gehörte zum
Salze ſeiner Zeit Unſer heutiges Leben hat kein
Gewürz mehr, es iſt wie ein Kinderbrei. Auch iſt
jetzt die Menſchheit ein Kind, das in die Schule
geht. Nichts trauriger als eine ſolche Zeit der Ent¬
wickelung und der Lehre, wie die unſere und die ſchon
ein halbes Jahrhundert dauert. Man iſt da immer
entweder zu jung oder zu alt. Iſt man zu jung,
iſt man gedankenlos und die Zeit geht einem verlo¬
ren; iſt man zu alt, iſt man ſorgenvoll und man
geht ſelbſt verloren In der ganzen franzöſiſchen
Geſchichte, war das achtzehnte Jahrhundert gewiß
das glücklichſte für alle genußliebenden Menſchen,
Philoſophen und Müſſiggänger. Wer aber von je¬
[21] nen Menſchen, beim Ausbruche der Revolution, ſich
und die Freiheit verſtanden, hätte ſich unter den
Trümmern der Baſtille müſſen begraben laſſen.
Auch unter den Ehen, welche die Liebe geſchloſſen,
giebt es Glückliche, wenn auch ſelten; aber wer die
Freiheit geheirathet, nachdem er ſie als Jungfrau ge¬
liebt, iſt immer unglücklich. Natürlich. Die Wehen
der Zeiten kommen nach den Geburten und man er¬
kauft die Vater- und Mutterfreuden nicht mit Angſt
und Schmerzen, ſondern man bezahlt ſie damit,
nachdem man ſie ſchon genoſſen. Beaumarchais war
nicht ſo glücklich einen Tag nach der Monarchie zu
ſterben. Er lebte lange in die Revolution hin¬
ein, hörte ihre Verſprechungen, erfuhr ihre Täu¬
ſchungen, dann ſtarb er und ſah ihre Erfüllungen
nicht mehr.
Es iſt merkwürdig, wie aller Geiſt der Men¬
ſchen nichts hilft, wenn der Geiſt der Zeiten ſich
ändert. In einer Nacht war Beaumarchais ein
Dummkopf geworden; in einer Nacht hatte er allen
ſeinen ſchönen Muth, ſeine Klugheit, ſeine Ge¬
wandtheit, ſeine ſonſt ſo unerſchütterliche Feſtig¬
keit verloren.
Mit dem Kriege des Lebens hatten ſich die
Rüſtungen des Lebens geändert, und die Revolution
[22] fand Beaumarchais wie im Schlafrocke. Wie wäre
es erſt Voltaire ergangen, der ſo viel waffenreicher
als Beaumarchais, ſich ſo viel wehrloſer gefühlt hätte!
Sie kennen Beaumarchais als Schriftſteller, aber
wiſſen vielleicht nicht, daß er einer der größten und
thätigſten Geſchäftsmänner, einer der unternehmend¬
ſten Köpfe, einer der feinſten Hofleute und gewandt¬
ſten Weltleute geweſen, und daß er in allen Verle¬
genheiten, in allen Gefahren des geſelligen und bür¬
gerlichen Lebens, immer den größten Muth und eine
bewunderungswürdige Geiſtesgegenwart gezeigt. Sein
Abentheuer mit Clavigo in Spanien iſt durch Göthe
bekannt geworden; aber erſt geſtern habe ich aus
ſeinen hinterlaſſenen Briefen erfahren, wie er einſt
ganz allein in einem Walde bei Nürnberg von Räu¬
bern angefallen worden, und, ob zwar ſchwer ver¬
wundet, ſich durch ſeine Unerſchrockenheit und Tapfer¬
keit gerettet hatte, nachdem er einen der Räuber nieder¬
geſtoßen, die andern verjagt. Er war zugleich ein
Ouvrard und ein Voltaire. Durch ſeine kühnen
und glücklichen Handelsunternehmungen ward er einer
der reichſten Männer von Frankreich. Im Amerika¬
niſchen Freiheitskriege, machte er den Inſurgenten,
im Einverſtändniſſe mit der franzöſiſchen Regierung,
große Waffenlieferungen. Da gab es nun, wie im¬
mer bei ſolchen Unternehmungen, Kapereien, Schiff¬
brüche, verzögerte oder verweigerte Bezahlungen.
[23] Beaumarchais, durch ſeine Gewandtheit, wußte aus allen
dieſen Verwicklungen ſich zu ſeinem Vortheile zu ziehen.
Nun, dieſer nämliche Beaumarchais zeigte ſich in der
Revolution unerfahren wie ein Kind, feige wie ein
deutſcher Stubengelehrter. Er unternahm auch für
die revoultionaire Regierung, Gewehrlieferungen;
verlor aber nicht allein ſein Geld, ſondern faſt auch
ſeinen Kopf darüber. Früher hatte er es mit Mi
niſtern einer abſoluten Monarchie zu thun. Die
Cabinetsthüren ſolcher Großen ſchließen und öffnen
ſich jedem leicht und ſanft, der Schlöſſer und An¬
geln zu ölen verſteht. Später hatte es Beaumar¬
chais mit ehrlichen, das heißt mit gefährlichen
Leuten zu thun; das wußte er nicht zu unterſcheiden
und ging zu Grunde darüber.
Man hörte, daß er im Auslande Waffen auf¬
kaufte, und er kam in Verdacht, dieſes für Rechnung
der Feinde zu thun; das Gerücht verbreitet ſich im
Volke. In einer Nacht ſtürmten die Vorſtädter,
Racheglühend, ſein Haus. Sie ſchrien, es wären
Waffen darin verſteckt. Beaumarchais flüchtete ſich
in Todesfurcht. Das ganze Haus wurde umgekehrt,
die Erde des Gartens wurde tief aufgewühlt; man
fand nichts. Beſonders die Weiber des heiligen An¬
tonius waren wie raſend. Man hat ſie oft die Fu¬
rien der Revolution genannt; aber nein, ſie
[24] waren die Rachefurien der Monarchie, ſie ka¬
men hinter der Sünde. Die Feinde der Freiheit
möchten gern die Strafe für das Verbrechen erſchei¬
nen laſſen. Die angſtzitternden Diener Beaumar¬
chais, waren im Hauſe zurückgeblieben und konnten
ſpäter ihrem Herrn von dem Hergange erzählen. In
dem reichen und vollen Hauſe wurde nichts entwendet,
auch nicht von dem Werthe eines Pfennigs. Kein
Glas Wein wurde angenommen, die Wuthentbrann¬
ten löſchten ihren Durſt mit Waſſer. Der zer¬
lumpte Kerl, der die Rotte anführte, erklärte es
würde jeder niedergeſtochen, der nur etwas anrühre.
Eine Frau hatte im Garten eine Nelke abge¬
brochen; ſie bekam dreißig Ohrfeigen, und wäre bei¬
nahe im Springbrunnen erſäuft worden. Als Beau¬
marchais den andern Morgen in ſein Haus zurück¬
kehrte, war er erſtaunt, alle ſeine Schätze wiederzu¬
finden. Er war erſtaunt — ſo wenig verſtand er
die Revolution, er der doch ſelbſt dreißig Jahre
daran gearbeitet! Er ſtarb 1799 in ſeinem ſieben¬
zigſten Jahre, bei ungeſchwächter Kraft des Körpers
und des Geiſtes; nur ſeine Heiterkeit hatte er ver¬
loren. Ein Freund, der ihn noch wenige Stunden
vor ſeinem Tode, ohne das geringſte Zeichen von
Uebelbefinden geſehen, äußerte die Vermuthung, er
möchte ſich freiwillig das Leben geraubt haben.
Beaumarchais ſagte ihm beim Scheiden: „Ich bin
[25] nicht neugierig mehr“ ... Und wo ſich die¬
ſes alles begab, wo ſolch eine Welt von Leben
lebte, wird jetzt Kochſalz verkauft! Ich bin geſtört
worden ſonſt hätte ich Ihnen noch von der Auffüh¬
rung des Figaro geſprochen. Aber ich thue es in
meinem Nächſten.
..... Nun, das iſt ſchön, daß Sie mir
nachkommen und von meiner Weisheit zu erfahren
wünſchen, was von den türkiſchen Angelegenheiten
zu halten ſei. Seit acht Tagen ſuche ich das mit
aller Macht zurückzuſtoßen. Ich habe ſchon an Eu¬
ropa ſchwer zu tragen und jetzt ſoll ich gar noch
den Orient auf mich laden! Das halte ich nicht
aus. Und daß Sie es nur wiſſen: mir hat der Zorn
der Götter, das böſe Geſchick, oder wie man es
nennen will, jetzt eine Herkules-Arbeit zugeworfen,
die alle meine Kraft verzehrt. Ich ſchreibe Ihnen
ein andermal davon; die Geſchichte iſt merkwürdig,
aber weitläufig. Nur ſo viel in der Kürze: Die
eilfte Plage Aegyptens iſt über mich gekommen; ich
habe ſeit einiger Zeit die Pflicht, eine junge ſchöne
Frau, faſt noch ein Kind, die vor einigen Monaten
geheirathet hat, in ihrer ſchrecklichen Eiferſucht über
eine erträumte Geliebte ihres Mannes zu beruhigen,
und ſie nennt mich alle fünf Minuten ihren respec¬
table ami. Augen, roth und naß vor Liebe, und
ich bin ihr ein respectable ami, ein Schnee¬
[27] mann, an dem ſie ihren heißen Schmerz abkühlen
will! Braucht es da noch des halben Mondes
um mich raſend zu machen? Ich verwünſche
Sonne, Mond und Sterne und die ganze dumme
Aſtronomie, die mich zum respectable ami gemacht.
Doch genug für heute.
Drei und zwanzigſter Brief.
In der Hochzeit des Figaro ſpielte die alte
Mars die Suſanna. So etwas kann mich zugleich
betrübt und zornig machen. Wenn ausgezeichnete
Menſchen, von ächten und anerkannten Verdienſten,
ſich ſolche kleine Eitelkeiten erlauben, was bleibt dann
der Gemeinheit übrig? Sechszig Jahre iſt ſie alt
und übernimmt eine Rolle, für die man ſchon im
dreißigſten nicht jung genug mehr iſt. Eine Frau,
welche die ſeltene glückliche Natur einer Ninon hätte,
könnte vielleicht in ihrem ſechszigſten Jahr noch eine
Suſanne ſeyn; aber eine ſpielen — niemals.
Und was mir am ſchlimmſten ſchien, war: daß die
[29] Mars beſonnen genug blieb, ihr Vermögen zu be¬
rechnen, und aus Furcht es zu überſteigen, es nicht
einmal zu erreichen wagte. Sie ſtand nun da in
ihrer edlen Art, wie eine betagte Königin und wagte,
beſorgt die Majeſtät ihrer Würde oder ihres Alters
zu verletzen, nicht die kleinſte jugendlich heitere Be¬
wegung, die ſich doch ſelbſt eine betagte Königin zu¬
weilen erlauben dürfte. Sie hatte ſo eine vornehme
Haltung, daß die Gräfin als Kammermädchen neben
ihr erſchien, und es war ganz wunderlich zu ſehen,
wenn die Dienerin ſaß und die Gebieterin neben ihr
ſtand. Wenn Figaro oder der Page ihr einen Kuß
raubte, ließ ſie es geſchehen, wie ein Spalier von
dem Knaben eine Birn abreißen. Dieſe Nachſicht,
die freilich ein gebildetes Publikum überall mit einer
beliebten Schauſpielerin hat, finde ich kaum löblich.
Gewiß iſt es für Menſchen von Gefühl eine rüh¬
rende Vorſtellung, ſich zu ihrem Vergnügen eine
Künſtlerin bemühen zu ſehen, die einſt ihre Väter
entzückt hat. Aber wir müſſen auch an unſere Kin¬
der denken, und aus Dankbarkeit für den Genuß
den unſere Eltern gehabt, nicht den Enkeln den Ge¬
nuß entziehen. Wenn, wie es an vielen Orten ge¬
ſchieht, eine Schauſpielerin eine jugendliche Rolle zwan¬
zig Jahr zu lange behauptet, ſo werden dadurch die
jungen Künſtlerinnen in ihrer Ausbildung zurückge¬
halten, und oft ſtirbt darüber ein ganzes Theaterge¬
[30] ſchlecht aus, das die bedeutendſten Rollen nie auf
neue würdige Art darſtellen ſah.
Aber wie viel ſtrenger noch als es geſchehen
hätte ich die Mars beurtheilt, hätte nicht eine ge¬
wiſſe Ehrfurcht meinen Tadel beſcheidener gemacht.
An dem nämlichen Tage, da man Figaro aufführte,
war es aus den Zeitungen bekannt geworden, daß
die Mars von einem ihrer ehemaligen Liebhaber un¬
vermuthet eine Erbſchaft von vierzigtauſend Franken
Renten gemacht habe. Das Geld iſt der wahre
Cothurn, die Mars kam mir zuweilen erhaben vor.
Dieſe Erbſchaftsgeſchichte iſt ſehr merkwürdig und voller
Moral und Philoſophie; ſogar etwas Religion kömmt
darin vor. Sollten Sie vielleicht in der Zeitung
dieſe Geſchichte nicht geleſen haben, ſchreiben Sie
mir es, ich erzähle ſie Ihnen dann. Damit Sie
aber während der vierzehn Tage die darüber hinge¬
hen werden, keine üble Meinung von der Mars he¬
gen, will ich Ihnen gleich erklären, was hier unter
Liebhaber zu verſtehen ſei. Der alte Herr der un¬
ſere Suſanna zur Erbin eingeſetzt, war ihr Liebha¬
ber, wie man keinem Bettler wehren kann, der Lieb¬
haber jeder Königin zu ſein. Er hatte ſie, aber ſie
hatte ihn nicht lieb. Sie gab ihm kein Gehör und
nie Zutritt in ihr Haus. Aber ein edler Mann
rächt ſich für weibliche Grauſamkeit nie anders, als
durch ein Geſchenk von vierzig tauſend Franken Renten.
[31]
Die Rolle des Figaro wurde von Mon¬
roſe ganz unleidlich dargeſtellt. Dieſer Monroſe
iſt ſonſt einer der beſten Schauſpieler des Theater
Français, beſonders ausgezeichnet in den ſpitzbübi¬
ſchen Bedienten der Stücke Molieres. Aber eben
die metallene Gefühlloſigkeit und Unverſchämtheit
jener ſpitzbübiſchen Bedienten wußte er nicht los zu
werden, und Figaro's Geiſt, Grazie und Sentimen¬
talität verſtand er nicht aufzufaſſen, oder verſtand ſie
nicht darzuſtellen. Die Melodie ſeines Spiels und
Beaumarchais Worte, paßten gar nicht zuſammen.
So war dieſe Aufführung eine der langweiligſten die
man ſich denken kann, und was die Unluſt noch ver¬
mehrte, war die Schläfrigkeit des Publikums, deſſen
rege Theilnahme durch Lob und Tadel eigentlich die
Pariſer Komödie ſo anziehend macht. Doch eben
dieſe Apathie der Zuſchauer intereſſirte mich auf eine
andere Art und beſchäftigte mich den ganzen Abend.
Man beſucht einen Freund in ſeiner Krankheit oder
in den Tagen ſeiner Wiedergeneſung, da hört er
nicht auf von ſeinen Schmerzen oder von ſeiner Er¬
leichterung zu ſprechen, zu jammern oder zu lächeln;
man beſuche ihn vier Wochen ſpäter und frage ihn
wie er ſich befindet — er verſteht die Frage nicht
mehr. Ganz ſo erſchien mir das heutige Frankreich,
wenn ich es mit dem des achtzehnten Jahrhunderts,
mit dem Frankreich Beaumarchais verglich. Es hat
[32] ſeine Schmerzen, ſeine Geneſung, ſeinen Arzt und
ſeine Geſundheit vergeſſen. Jener Figaro, jenes
große Zeughaus voll Spott, Tadel, Witz, Humor
und Satyre, daß einſt eine Welt gegen eine Welt
bewaffnete, was iſt aus ihm geworden? verſchmäh¬
tes Kinderſpielwerk; das erwachſene Volk hat keine
Freude mehr daran. Wo ſonſt der Sturm des Bei¬
falls tobte, da war es ſtill; man klatſchte nicht,
man lächelte kaum. 1785 kam das Stück auf die
Bühne, 1789 wurde es unter freiem Himmel aufge¬
führt. Beaumarchais hatte die Möbels der Monar¬
chie mit zarter Pfauenfeder leicht abgeſtäupt; fünf
Jahre ſpäter zerſchlug die Nationalverſammlung die
Möbels, und bald ſtürzte das leere Haus zuſammen.
Staub iſt die Schminke jeder alten Monarchie; den
fort, und man ſieht ihre Runzeln, ihr garſtiges Per¬
gament, und ſie wird ein Spott der Jugend.
Figaro's Hochzeit war eine Welt-Komödie, bil¬
dete Epoche in der großen und majeſtätiſchen Geſchichte
Frankreichs. Und kömmt mir einer und kauderwelſcht
von Demagogen, von Volksverführern, von Zeitungs¬
ſchreibern, von Lügenverbreitern, von Revolutios-Fa¬
brikanten: ſo will ich ihm beweiſen, bis er roth
wird, daß Ludwig XIV. indem er die Aufführung
des Tartüffe, und Ludwig XVI. indem er die Auf¬
führung des Figaro geſtattete — jener der Geiſtlich¬
keit, dieſer dem Adel die erſte Wunde beigebracht,
[33] und daß es alſo zwei franzöſiſche Könige geweſen,
welche die franzöſiſche Revolution herbeigeführt. Denn
Adel und Geiſtlichkeit ſind die beiden Enden des Ba¬
lancier-Baumes der Fürſten, da jede Regierung die
nicht auf dem Boden des Volkes ruht, jede monar¬
chiſche Regierung nur Seiltänzerei iſt; fort die
Stange, Plautz der König!
Und hierin iſt wieder etwas, das meine deutſche
Hoffnung bis zur Unſichtbarkeit entfernt, und meine
Ungeduld und Verzweiflung vermehrt. Wir haben
keinen Figaro auf der deutſchen Bühne, wir werden
nie einen bekommen, denn man wird nie ſeine Auf¬
führung erlauben. Und kömmt einmal die Zeit, daß
man zu einem ſolchen Stücke keine Erlaubniß mehr
gebraucht, braucht man auch das Stück nicht mehr.
Um gerecht zu ſein, muß man ſagen: die Könige
aus dem Hauſe Bourbon hatten Alle etwas könig¬
liches; in einer verdorbenen Zeit gingen ihnen Ge¬
rechtigkeit und Menſchlichkeit nie ganz verloren; der
Hof hatte ſie, ſie hatten nicht den Hof verdorben,
und ſie blieben immer die beſten unter den Hofleu¬
ten. Um gerechter zu ſein muß man ſagen; der
franzöſiſche Adel des achtzehnten Jahrhunderts war
gebildet, geiſtreich, von milden Sitten und weit ent¬
fernt von dem düſtern Hochmuthe des deutſchen
Adels. Darum aber weil ſie ſo geweſen, ſahen ſie
die Revolution nicht kommen und gingen ihrem Ver¬
Vl. 8[34] derben entgegen. Unſere Fürſten und unſere Edel¬
leute ſpotten jetzt über ſolche Verblendung und über¬
heben ſich ihrer eigenen Weisheit. Sie mögen ſpot¬
ten. Wenn ſich ein Erdbeben naht, das wittert der
tiefſinnigſte Naturforſcher nicht; aber die Hunde wer¬
den gleich unruhig und heulen.
Es iſt noch etwas Anders was die deutſchen
Verhältniſſe ſo mißlich macht, weil es der Freiheit
ihre beſten Waffen raubt: die Kunſt und die Wiſſen¬
ſchaft. Unſere Gelehrten, Schriftſteller und Dichter
haben keinen Zutritt in die höhern Stände; weil
unſer hochmüthiger und geiſtloſer Adel ſie zugleich
verachtet und fürchtet. Und geſchieht es ſelten ein¬
mal; daß man ſie nicht zurückſtößt, ſind ſie blöde
und unbeholfen, weil ſie arm ſind, und ſie den Muth
und den Stolz nicht gewinnen können, den nur die
Unabhängigkeit giebt. Beaumarchais, der Sohn eines
bürgerlichen Uhrmachers, ſeinen Geiſt zum Paſſe,
den damals kein Miniſter, keine Exzellenz, kein Edel¬
mann das Viſa zu verweigern die Unverſchämtheit
hatte, drang durch ſeine Gewandheit bis zu den
Stufen des Thrones vor, und erhob ſich zu einem
der reichſten Männer Frankreichs. Als Figaro er¬
ſchien, ſagte man: es habe dem Dichter weniger
Geiſt gekoſtet das Stück zu ſchreiben, als es auf die
Bühne zu bringen. Was hat Beaumarchais nicht
Alles gethan und geduldet, um ſeinen Zweck zu er¬
[35] reichen! Unſer Raupach hielte ſolch ein ſchleichend
Nervenfieber keine vier Wochen aus. Zuerſt las
Beaumarchais ſeine Komödie in allen Salons, Bou¬
doirs und Kabinetten vor und bettelte ſich einen
Reichthum von den ſchönſten, mächtigſten und galan¬
teſten Stimmen zuſammen. Die Kabale war um¬
garnt, ehe ſie ſich deſſen verſah. Dann legte er
das Stück der Prüfung von neun verſchiedenen Cen¬
ſoren vor, die es Alle einer nach dem andern prüften,
und nach den vollzogenen Aenderungen, die ſie zur
Bedingung machten, genehmigten. Aber noch ſtan¬
den hohe Berge von Hinderniſſen im Wege. Beau¬
marchais wandte ſich an die Miniſter und bat, ſie
möchten ein Tribunal von Akademikern, Cenſoren,
Schriftſtellern, Welt- und Hofleuten errichten, die
das Luſtſpiel leſen und prüfen möchten. Das ge¬
ſchah. Es wurde geleſen, geprüft, berathſchlagt,
wieder verbeſſert und endlich genehmigt. Er war
noch weit vom Ziel. Da wandte er ſich an den
König. Dieſer beſchloß, zu beſſerer Prüfung das
Stück auf einem Hoftheater vor einem Ausſchuſſe
von Zuſchauern, an welchen nichts mehr zu verder¬
ben iſt, ſpielen zu laſſen. Der Tag der Aufführung
war ſchon beſtimmt, die Zuſchauer waren eingeladen,
die Schauſpieler angekleidet, die Lichter brannten,
die Straßen waren mit Equipagen bedeckt — da
kommen neue königliche Skrupel, und es wurde Alles
3 *[36] wieder abbeſtellt. Endlich kam der Krönungstag
[ſeiner] Beharrlichkeit und Figaro betrat die Bühne.
Der Grund ihrer Widerſetzlichkeit den damals
die Gegner Beaumarchais anführten, oder der Vor¬
wand den ſie gebrauchten, war weniger die politiſche
Bedeutung der Komödie, als ihre ſittliche Ausgelaſſen¬
heit. So urtheilten leichtſinnige Franzoſen. Aber
ein nordiſcher Fürſt der damals in Paris war, eine
deutſch-ſolide, edelmänniſche Natur, die zu abgehärtet
in jeder Tugend iſt, um das verbuhlte Lüftchen eines
unſittlichen Wortes nur zu fühlen, fand gleich den
wahren gefährlichen Punct auf. Der König von
Schweden der damals in Paris war, ſagte zu Ma¬
ria Antoinette: „cette. comédie n'est pas indé¬
cente, mais insolente,“ Er meinte die Keckheit,
mit welcher darin die Schwächen der Regierungen
und des Adels verſpottet wurden. Der weiſe Fürſt
hatte es genau errathen. Sechs Jahre ſpäter lernte
er in ſeinem eignen Lande die Beſcheidenheit des
Adels, der Unverſchämtheit des Bürgerſtandes gegen¬
über, kennen und ſchätzen. Auf einem Hof-Masken¬
balle, unter fröhlich rauſchender Muſik, unter Tanz,
Scherz und Lachen, umwölkt von dem Dampfe des
Punſchnapfs, fiel Guſtav III. meuchelmörderiſch von
den Händen ſeines treuen und inſolenzwidrigen Adels.
Gift, Dolch, Kugel und Schnur, ſind freilich be¬
ſcheidenere Wege als Figaro's Monologen, eine Re¬
[37] gierung zurecht zu weiſen. Heinrich IV., Guſtav III.,
Paul I. fielen von edlen Mörderhänden; kaum ein
Land das nicht einen Fürſten gehabt, der das Rache¬
opfer des Adels oder der Geiſtlichkeit geworden.
Aber ſolche Tage ſind keine jours funestes et à
jamais déplorables, die man bei jedem Wie¬
derkehr mit Trauer und Buße begeht. Wenn Adel
und Pfaffheit einen König meuchelmorden, ſo iſt
das ehrwürdiger Richter Spur; wenn aber, wie
es nur zweimal geſchehen nach tauſendjähriger Ge¬
duld, ein Volk ſeinen König richtet, iſt das ſchnö¬
der Meuchelmord, ein jour funeste et à
jamais déplorable! Das ſagen Adel und
Geiſtlichkeit, die ihre Privelegien klug zu wahren
wiſſen.
Ein Abbe Chatel in Paris hat ſeit der letzten
Revolution eine neue Kirche unter den Namen Eglise
catholique française primaticale gegründet.
Sie erklärt ſich unabhängig von dem Papſte und
führt nach und nach wichtige Verbeſſerungen in die
Glaubenslehre und den Gottesdienſt ein. Die An¬
hänger dieſer Kirche vermehren ſich täglich. Kürzlich
wurde darin eine muſikaliſche Meſſe zum Andenken Mo¬
liere's, Talma's, Philipp's der Raucourt und aller an¬
dern Schauſpieler und Schauſpielerinnen gefeiert, wel¬
chen zur Zeit ihres Todes, die katholiſche Kirche ein
chriſtliches Begräbniß verweigert hatte. Der Teufel
mag ſich freuen über eine ſolche ſpäte [Genugthuung], mich
macht das immer toll. Die Freunde und Anver¬
wandte Moliere's und der Andern, jetzt ſelbſt todt
— erfahren ſie denn von der heutigen Wiederher¬
ſtellung giebt ſie ihnen Troſt, lindert ſie den alten
Schmerz den ſie gefühlt, als die ewig tückiſche und
Liebe heuchelnde katholiſche Kirche, die Leiche eines
guten Menſchen beſchimpfte und hinaus in den Koth
der Gaſſe warf? Jetzt kommen ſie und das iſt
mein ewiger Jammer! Seit drei Jahrhunderten
[39] peinigen ſich die Völker ab, ihre unwiſſenden und
entarteten Fürſten und Regierungen zur Weisheit,
Menſchlichkeit und Gerechtigkeit zu erziehen, und jetzt
ſitzen wir ſchon da Jahrhunderte lang in Schmerzen
und Ungeduld, ſehen den Schneckengang der Ausbil¬
dung mit an und ſchmachten und dulden, bis es der
lieben Jugend, die uns beherrſcht endlich einmal ge¬
fallen wird, leſen zu lernen im Buche der Weisheit
und Gerechtigkeit und ſich die erſten Grundſätze der
Sittenlehre einzuprägen. Man ſage nicht das Volk
wäre einverſtanden geweſen mit der Excommunikation
der Schauſpieler; das war es nicht, wenigſtens nicht
im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert. Ob
es zu Molieres Zeit noch ſo tief ſtand, weiß ich
nicht, doch ich zweifle; doch wäre es auch geweſen
— wann hat ſich denn je Ludwig XIV. um die
Stimme und Meinung des Volks bekümmert? Es
hätte ihm nur ein Wort gekoſtet und keiner hätte zu
murren gewagt, wenn Moliere auch mit dem Ge¬
pränge eines Papſtes wäre beerdigt worden. Jede
Thorheit, jeder Aberglaube des Volkes, wenn ſie
dazu dienen, die Tyrannei der Fürſten und die Macht
der Regierungen zu verſtärken, wird geachtet und ge¬
liebkoſet; da iſt des Volkes Stimme, Gottes Stimme.
Wenn aber die öffentliche Meinung das Gute, das
Gerechte will, verſpottet man ſie, und verlangt ſie
mit Beharrlichkeit, antwortet man ihr mit Flinten¬
[40] ſchüſſen! Die Unverſchämten! Man höre doch wie
ſie jetzt über neue Ereigniſſe, wo dumme verführte
Völker Tyrannei begehren, ſprechen, wie ſie ihrem
Bruder Sultan Mahmud und ihrer Schweſter der
Königin von Spanien, den Text leſen. Was! Ihr
trotzt dem Volke? Ihr wollt ihm liberale Inſtitu¬
tionen aufdringen, die es verabſcheut? Iſt das
menſchlich, iſt das gerecht, iſt das königlich? Könnt
Ihr das vor Gott und ſeinen Propheten verantwor¬
ten? Das Volk iſt gut, das Volk iſt weiſe, das
Volk iſt gerecht, das liebe Volk weiß immer was es
will, was ihm gut iſt; das Volk iſt das Land; das
Volk iſt Alles. Wer es mit dem Volke verdirbt
geht zu Grunde. . . .
So reden ſie. Hat doch neulich Euer monsieur
Durand in Frankfurt, der franzöſiſche Advokat des
deutſchen Bundes, als er von der mißlichen Lage des
Sultans ſprach, ausgerufen: ces réformes ré¬
pugnaient à son peuple, et c'est de son
peuple qu'il aurait besoin aujourd'hui.“
O mein ſehr weiſer, mein ſehr bundestäglicher Herr
Durand — wenn ſie wieder einmal den Berg Sinai
hinaufſteigen, wenn ſie wieder eine Zuſammenkunft
mit Egeria haben, wenn ihnen Mahomeds Taube
wieder einmal in das Ohr flüſtert, dann fragen Sie
doch Ihr Orakel: wie es denn mit den Reformen
wäre, welche die Bundestagbeſchlüſſe dem Widerwil¬
[41] len des deutſchen Volkes aufgedrungen, und ob nicht
eine Zeit kommen könnte, wo dieſes üble Folgen
hätte? Laſſen Sie an dem Thore des taxiſchen
Hauſes, an den Palläſten des Königs von Baiern,
des Großherzogs von Baden, des Großherzogs von
Darmſtadt, des Kurfürſten von Heſſen, und aller
übrigen weintrinkenden Sultane Ihre goldenen Worte
mit goldenen Buchſtaben in Marmor graben: „ces
réformes répugnaient à son peuple, et
c'est de son peuple qu'il aurait besoin
aujourd'hui.“ Unten drunter laſſen Sie einſt¬
weilen 183 ... ſetzen; die vierte Jahreszahl und
der Monatstag, ſind dann ſchnell hinzugethan.
Ein Profeſſor Wolf in Jena, ſagt in ſeinem
Buche über die ſchöne Litteratur: „Börne hat es in
„ſeiner letzten Zeit mit dem Publikum verdorben
„durch ſeine Briefe aus Paris, weil er den Spaß
„zuweit trieb und die Menge zu beſchränkt war um ein¬
„zuſehn, daß jene Uebertreibungen wirklich nichts ſind,
„als etwas grober und zu Zeiten unziemlicher Spaß.“
Dieſer unbeſchränkte Wolf iſt auch einer von un¬
ſern Leuten, die es in der chriſtlich deutſchen
Bildung bis zur blonden Philiſterei gebracht. Einer
der einmal eine Ohrfeige bekam, fragte: mein Herr
iſt das Spaß oder Ernſt? — völliger Ernſt. —
Nun das iſt Ihr Glück, denn ſolchen dummen Spaß
kann ich nicht ertragen. — Der ſchrankenloſe Profeſſor,
wenn er jetzt meine neuen Briefe lieſt, wird auch
ſagen: Nun das iſt ſein Glück, daß er Alles für
Ernſt erklärt, denn ſolchen dummen Spaß können
wir nicht vertragen. Adieu!
Vier und zwanzigſter Brief.
Berenger, die Nachtigall mit der Adlerklaue,
hat wieder geſungen. Geſtern wurde ein neuer Band
Lieder von ihm ausgegeben. Ich hatte noch nicht
Zeit ſie zu leſen; aber in meinem nächſten Briefe
ſchreibe ich Ihnen darüber und dann ſchicke ich Ihnen
das Buch durch die erſte Gelegenheit.
Ein Reiſender der aus Deutſchland kam, hat
mir meine Briefe geliehen, die hier immer noch nicht
angekommen ſind. Der erſte Band kam mir unbe¬
deutend vor, im zweiten habe ich einige gute Sachen
gefunden! Es ſcheint, daß ich im Januar und Fe¬
bruar am meiſten Verſtand habe. Das kann aber
[44] nicht immer ſo geweſen ſein; denn in einem dieſer
Monate habe ich Sie einſt kennen gelernt. Als
Conrad das Buch liegen ſah, rief er aus: „Sind
„das Ihre neuen Briefe! Das wird wieder große
„Freude im Lande ſein.“ Schöne Freude! In
der Münchner Hofzeitung ſoll ſtehen: wenn Deutſch¬
land noch einen Galgen übrig hat, verdiente ich wegen
meiner radikalen Niederträchtigkeit daran gehangen zu
werden. Ich werde mich aber um das Hofpöbel-
Geſchwätz und um das ganze monarchiſche Geſindel
nicht mehr bekümmern. Nicht die geringſte Luſt habe
ich ein Wunder zu wiederholen und meine Rezenſen¬
ten zum zweitenmal aus dem Tode zu erwecken.
Friede ſei mit ihren Gebeinen. Einmal war nöthig,
aber einmal iſt auch genug.
Uebermorgen wird im Theater der Porte-St.-
Martin, ein neues Drama von Victor Hugo aufge¬
führt. Ich war eben dort mir einen Platz zu neh¬
men; es war aber keiner mehr zu haben. Schon
auf acht Tage hinaus ſind alle Plätze beſtellt. So
ungeſchickt bin ich immer, ich komme jedesmal zu
ſpät, und ſeit ich Paris beſuche, iſt es mir noch nie¬
mals gelungen einer erſten Vorſtellung beizuwohnen,
welche immer die intereſſanteſte iſt. Das wird be¬
ſonders diesmal der Fall ſein; denn wegen der Ver¬
[45] folgung die Victor Hugo neulich von den Miniſtern
zu erdulden hatte, werden ſeine Freunde und die
Feinde der Regierung gewiß Rache zu nehmen ſuchen.
Ohne dies ſpielt das neue Drama in dem Hauſe
Borgia, dieſem bekannten Italieniſchen Fürſtenge¬
ſchlechte, deſſen Blut von der Sünde ſchwarz ge¬
worden war. Da werden Dichter und Zuhörer dem
monarchiſchen Prinzip wohl wieder etwas auf den
Fuß treten. Das unglückliche monarchiſche Prinzip!
Aus Angſt und Verzweiflung, daß man ihm einen
Theil ſeiner Schätze geraubt hat, packt er ſich gleich
Molieres Geizigen, an der eignen Bruſt und ſchreit:
halt den Spitzbuben! Mein Geld heraus! So
weh thut ihm keiner ſeiner Feinde, als er ſich ſelbſt
thut. Sie werden aus den Pariſer Zeitungen
halb errathen haben, welche neue Thorheiten und
Schändlichkeiten die Regierung wegen der Her¬
zogin von Berry begangen hat. Sie ſchickte zwei
hieſige Aerzte nach Blaye. Daran wäre nun weiter
nichts auffallendes geweſen, da die Legitimiſten ſelbſt
laut gejammert hatten, die Berry ſei krank und
würde dem dortigen Klima unterliegen. Aber die
Miniſter des Königs — es kam darauf an, die Ge¬
burt des Herzogs von Bordeaux verdächtig zu ma¬
chen — ließen drucken: die Aerzte hätten eine ganz
beſondere wichtige Sendung, ſie hätten den Auftrag
[46] einen Punkt der gerichtlichen Medizin in das
Reine zu bringen. Darauf ſchreiben die legetimiſti¬
ſchen Blätter von Gift, ſprachen von Vergiftung.
Natürlich war das Verläumdung. Die Aerzte kamen
von Blaye zurück und die Legitimiſten, dieſe dummen
Pfaffen des monarchiſchen Prinzips, erzählten den
wahren Hergang der Sache, wie ſie ihn zu wiſſen
glaubten. Die Aerzte wären verlegen, ſchamroth,
ſtotternd vor der Herzogin erſchienen und hätten kein
Wort hervorzubringen gewußt. Sie aber, wie es
der Wittwe eines Märtyrers, der Mutter des
Wunderkindes gezieme, wäre ſtolz vor die armen
Doktoren hingetreten und hätte erhaben, erhaben,
ſehr erhaben über alle weiblichen Schwächen, ihnen
ſelbſt den Mund geöffnet und geſagt: „Ich weiß,
„warum Ihr gekommen; jetzt ſeid Ihr hier, jetzt un¬
„terſucht Ihr alles gehörig, und nicht eher ſollt Ihr
„das Zimmer verlaſſen, bis Ihr alles gehörig unter¬
„ſucht habt. Man ſoll wiſſen, woran man iſt:“
Die mediziniſchen Richter unterſuchten alles gehörig
und fanden alles gehörig, und gingen darauf mit
rother Stirne fort. Mich ärgert die Geſchichte.
Jetzt wird nun Jarke mit dem ganzen monarchiſchen
Troſſe frohlockend ausrufen: „Seht Ihr, ſeht Ihr,
was von einer repräſentativen Verfaſſung heraus¬
kömmt, welche ſchöne Folgen Oeffentlichkeit und
[47] Preßfreiheit haben? Hat man in einem Lande
das nicht mit der Preßfreiheit verflucht iſt, je von
der Mütterlichkeit einer Prinzeſſin Wittwe reden ge¬
hört?“ Ganz Recht hat Herr Jarke. In ſolch
einem glücklichen Lande erfährt man dergleichen nie.
Nichts iſt [abſcheulicher] und furchtbarer als die Pre߬
freiheit; ſogar einer fürſtlichen verwittweten Unſchuld
kann ſie einen böſen Leumund machen.
Was das elend kranke monarchiſche Prinzip im¬
merfort an ſich kurirt! wahrhaftig man muß Mitleid
mit ihm haben. Da es ſieht, daß ihm Aerzte und
Apotheker nicht helfen können, nimmt es zu alten
Weibern ſeine Zuflucht, und gebraucht ſympathetiſche
Mittel. Vorgeſtern war ein Ball bei Hofe und da
erſchienen mehrere Damen „die presque jolies et
„à peu près jeunes“ waren, zum allgemeinen Er¬
ſtaunen mit Puder in den Haaren, und gekleidet nach
der Mode aus der tugendhaften Zeit der Regentſchaft.
Die königliche Familie überhäufte dieſe tugendhaften ge¬
puderten, loyalen, monarchiſchen, faſt ſchönen
und ungefähr jungen weiblichen Köpfe, mit Gunſt¬
bezeugungen aller Art. Der Herzog Decazes machte
ihnen den Hof im Namen der Camarilla. Thiers
ſagte ihnen im Namen der Doktrinairs die ſchönſten
Schmeicheleien. Im Namen des diplomatiſchen Corps
überreichte ihnen der päpſtliche Nuncius Confect und
[48] Eis. Herr Pasquier im Namen der Pairs, erklärte
dieſen Tag für einem jour heureux et à jamais
mémorable. Aber im Namen des Volks wurden
ſie von allen übrigen ausgelacht. Von Thiers wun¬
dert es mich, da er doch eine Geſchichte der franzö¬
ſiſchen Revolution geſchrieben und wiſſen mußte, daß
Mirabeau und Robespierre ſehr gepudert waren und
daß Madame Rolland eine ſteife Schnürbruſt getra¬
gen. Den andern Tag ſchickten drei Geſandte Cou¬
riere an ihre Höfe und man glaubt, dieſer Puder
werde ſehr viel zur Schlichtung der Belgiſchen Angele¬
genheit beitragen, weil die heilige Allianz an dem
ernſten Willen Louis Philipps, das reine monarchi¬
ſche Princip herzuſtellen und die ungepuderte und un¬
geſchminkte Preßfreiheit zu vertilgen, nun nicht län¬
ger mehr zweifeln könnte.
Aus Spanien blüht uns wieder eine neue Hoff¬
nung entgegen. Es iſt dort in mehreren Provinzen
eine bedeutende Revolution ausgebrochen; zwar eine
Carliſtiſche, aber die hilft auch. Sie unterſcheidet
ſich von einer liberalen nicht mehr als Kreuz-Aß von
Herz-Aß; der Werth iſt der nämliche [und] die Farbe
des Trumpfes kann allſtündlich ändern. Auf keine
Weiſe iſt zu fürchten daß ſich die Spanier in den
Schlaf protokolliren laſſen. Eine diplomatiſche Con¬
[49] ferenz verdaut nimmermehr ſolch ein hartes Volk.
Wenn das dort Beſtand hat, werden wir es in
Deutſchland bald an den friſchen Ohrfeigen ſpüren,
die man uns geben wird, wir ſind die Menins
aller ungezogenen Völker — ſie die Unarten, wir
die Schläge.
Die Hefte von Rießer mögen Sie mir ſchicken.
Was ich früher von ihm geleſen, deutet auf ein
vorzügliches Talent; aber mit ſeinem Journale iſt
es ein großer Mißverſtand. Wer für die Juden
wirken will, der darf ſie nicht iſoliren; das thun ja
eben deren Feinde zu ihrem Verderben. Was nützt
ein eignes Journal für die Juden? Ihre Freunde
brauchen es nicht, denn ſie bedürfen keiner Zuſprache;
ihre Gegner nehmen es gar nicht in die Hand.
Um ihnen zu helfen, muß man ihre Sache mit dem
Rechte und den Anſprüchen der allgemeinen Freiheit
in Verbindung bringen. Man muß nur immer
gelegentlich, unerwartet von ihnen ſprechen, damit
der ungeneigte Leſer gezwungen werde ſich damit zu
beſchäftigen, weil es auf ſeinem Wege liegt. Ich
meine auch, es wäre auf dieſe Weiſe leichter die
Juden zu vertheidigen, jedem der keine blinde Liebe
für ſie hat. Ich habe oft und warm für ſie ge¬
ſprochen! hätte ich ſie aber iſolirt, wäre mir die
Gerechtigkeit gar zu ſauer geworden. Es ſcheint,
Rießer möchte die Nationalität der Juden gewahrt
ſehen. Aber die Nationalität der Juden iſt auf
[51] eine ſchöne und beneidenswerthe Art zu Grunde
gegangen; ſie iſt zur Univerſalität geworden. Die
Juden beherrſchen die Welt, wie es ihnen Gott
verheißen; denn das Chriſtenthum beherrſcht die
Welt, dieſer ſchöne Schmetterling, der aus der
garſtigen Raupe des Judenthums hervorgegangen.
Die ſcheinbeherrſchte Menge, hier und dort, mag
das verkennen, aber der denkende Mann begreift es.
Die Juden ſind die Lehrer des Cosmopolitismus,
und die ganze Welt iſt ihre Schule. Und weil ſie
die Lehrer des Cosmopolitismus ſind, ſind ſie auch
die Apoſtel der Freiheit. Keine Freiheit iſt möglich,
ſo lang es Nationen giebt. Was die Völker trennt,
vereinigt die Fürſten; der wechſelſeitige Haß, der
die Einen trennt und ſchwach läßt, verbindet die
Andern zu wechſelſeitiger Liebe und macht ſie ſtark.
Die Könige werden Brüder bleiben und verbündet
gegen die Völker, ſo lange ein thörichter Haß dieſe
auseinander hält. Auch die Edelleute ſind ſtark,
weil ſie kein Vaterland kennen. Deutſche! Fran¬
zoſen! Ihr zumal, Schiedsrichter der Welt, laßt
euch nicht länger thöricht von euren Herrſchern zum
wahnſinnigen Patriotismus entflammen. Weil man
euere Vereinigung fürchtet, ſoll wechſelſeitiges Mi߬
trauen euch ewig getrennt halten. Was ſie als
Vaterlandsliebe preiſen iſt die Quelle eures Ver¬
derbens. Verſtopft ſie, werfet Kronen und Scepter
4*[52] und zerſchlagene Throne hinein, und ebnet den Boden
mit dem Pergament-Schutte eures Adels. Dann
bringt die Freiheit, Ihr Deutſche dem Norden, Ihr
Franzoſen dem Süden, und dann iſt überall wo ein
Menſch athmet euer Vaterland, und Liebe eure
Religion.
Sie ſind neugierig? Das iſt merkwürdig.
So etwas habe ich von einem Frauenzimmer nie
gehört. In Diderots Encyclopädie, in der von
Krünitz im Converſationslexicon, in der Biographie
universelle, im Bayle, in der großen engliſchen
Weltgeſchichte, im Büffon, in der Bibel, im Koran,
in meinen geſammelten Schriften, in keinem dieſer
Werke iſt auch nur ein Wort zu finden das auf die
Exiſtenz weiblicher Neugierde hindeutet. Es iſt die
merkwürdigſte Entdeckung ſeit der Sündfluth. Aber
es thut mir leid, ich muß Sie ſchmachten laſſen.
Aufrichtig zu ſprechen, es iſt etwas in dieſer Ge¬
ſchichte, daß ich nicht mittheilen darf. So habe ich
reiflich zu überlegen, wie ich ſie Ihnen erzählen ſoll,
ohne etwas hinzuzulügen, und doch zugleich zu ver¬
ſchweigen, was geheim bleiben muß. Die halbe
Wahrheit zu ſagen, das iſt eine künſtliche Drechsler¬
arbeit; ganz zu lügen iſt viel leichter. Uebrigens
kann ich Sie verſichern, daß die Geſchichte gar nicht
ſo romantiſch iſt, als Sie ſich vielleicht vorſtellen.
Ich habe mehr wiſſentſchaftliches als Kunſtintereſſe
[53] daran, und wäre ich nicht ſo wißbegierig, hätte ich
mich ſchon längſt dabei gelangweilt, doch das kann
ich Ihnen mittheilen, daß jetzt die Tochter nicht mehr
allein eiferſüchtig iſt, ſondern auch die Mutter, und
daß erſtere mich ſeit vierzehn Tagen nicht mehr re¬
spectable nennt, ſondern aimable; einmal ſagte ſie
ſogar adorable. Ich weiß nicht was ſie mit mir
vor hat, aber ſie abelt mich in einem fort. Bald
wird ihr nichts mehr übrig bleiben, als mich exé¬
crable zu nennen. Jetzt ſchmachten Sie ruhig fort
und laſſen Sie ſich durch nichts ſtören. Es wird
nicht lange dauern — vier Wochen, ſechs Wochen,
vielleicht zehn, höchſtens ein Jahr oder anderthalb.
Fuͤnf und zwanzigſter Brief.
Berangers neue Lieder haben nicht das jugend¬
liche Herz der frühern, in welchem reines Quellblut
ſprudelte. Wir aber die den Dichter lieben, leſen
ſie wieder friſch. So blühen verwelkte Blumen neu
auf, wenn man ſie in warmes Waſſer ſtellt. Be¬
ranger fühlt es ſelbſt, daß er ſchwächer geworden;
aber er ſagt: nicht ſein Alter allein, ſondern auch
der Ernſt der Zeit, hätte ſeine Sangesweiſe ſchwer
und nachdenklich gemacht. Mir aber ſcheint, daß
ſeine Verachtung nicht mehr ausgereicht für die Ver¬
ächtlichkeit, ſein Spott nicht mehr für die Lächerlich¬
keit der jetzigen Machthaber und ihres Treibens und
[55] daß darum ſein ſonſt ſo ſiegsfroher Kampf alle Freu¬
digkeit verloren. Er hat die Gedichte Lucian
Bonaparten zugeeignet, der ihn einſt in ſeiner Jugend
von der Armuth rettete und ihm wieder forthalf.
Die Worte der Zueignung ſind würdig und rührend.
Da ſagt er [unter] andern: J'ai toujours penché à
„croire qu'a certaines les lettres et les
„arts ne doivent pas être des simples objets de
luxe.“ Das mögen ſich unſere deutſchen gelehrten
Zeug-Fabrikanten und unſere poetiſchen Goldarbeiter
merken, die, in der Schule Göthes gebildet, ihre
Wiſſenſchaft und Kunſt und ihr edles Gewerbe her¬
abzuwürdigen glauben, wenn ſie je auf etwas anders
als auf neue Erfindungen für die Luſt der Reichen
und Vornehmen ſinnen, wenn ſie je an etwas anderm,
als an Kronen und Ordensſternen arbeiten. In der
Vorrede ſagt Beranger: das wären ſeine letzten Lie¬
der und er wolle den Reſt ſeines Lebens verwenden,
die Denkwürdigkeiten ſeiner Zeit aufzuſchreiben.
Dieſe Drohung braucht uns keine Sorge zu machen;
Dichter und Liebende ſchwören oft falſch.
„Das Glück der Menſchheit war der
„Traum meines Lebens.“ Hätte Beranger nur
das nicht geſagt! Das ſagen ja eben die Andern
auch, die das Glück der Menſchheit nicht wollen.
Sie ſpotten: Ihr träumt, Ihr ſchwärmt! Nein, es
iſt kein Traum; aber freilich wenn man ſchläft iſt alles
[56] Traum. Schlummert nicht, wachet auf! Es giebt
jetzt zehntauſendmal mehr glückliche Menſchen, als es
vor vierhundert Jahren gab. Aber gewiß lebten da¬
mals auch Dichter und Philoſophen, welche von dem
Glücke der Menſchheit träumten, und gewiß wurden
ſie von den Weltleuten auch verhöhnt wegen ihrer
Schwärmereien. Und doch iſt alles beſſer geworden,
und ohne Zweifel überſteigt die Wohlfahrt der heuti¬
gen Welt, weit die Hoffnung jener Gutgeſinnten,
weit die Furcht jener Schlechtgeſinnten. Was hat
ſich geändert? Hat das Glück der Menſchheit ſich
vermehrt? Nein. Die Summe des Glücks iſt im¬
mer die nämliche, nur kömmt es darauf an wie ſie
vertheilt iſt. In jenen frühen Jahrhunderten war
alles Land und Gut, aller Reichthum und alle Luſt
des Lebens, waren alle Waffen zur Vertheidigung
der Güter des Lebens in alleinigem Beſitze der Edel¬
leute und alle Kunſt und Wiſſenſchaft und göttliche
Erkenntniß waren Eigenthum der Geiſtlichkeit. Sie
hatten alles, wußten alles, konnten alles; das Volk
war arm, dumm und wehrlos. Der Frühling kam,
der Adel und Geiſtlichkeit aufgelöſt und da floſſen
Reichthum und Wiſſen von ſelbſt auf das Land herab.
Vollendet jetzt das Werk, mit eures Geiſtes, mit eurer
Hände Kraft, und wartet nicht auf die Zeit die lang¬
ſam zerſtört und noch langſamer bildet. Die Zeit
iſt eine Seidenraupe; wollt ihr Seide ſpinnen, dürft
[57] Ihr nicht warten, bis ſich der Schmetterling entfal¬
tet. Gott gab dem Menſchen die Zukunft, daß er
ſie zur Gegenwart mache; aber wir ſind zu faul
und niederträchtig feige, daß wir die Gegenwart zur
Zukunft werden laſſen. Die Vergangenheit iſt unſere
Gegenwart, und wir Narren ſind zufrieden wenn wir
altbacken Brod eſſen. Jeder Fürſt eines großen
Landes verzehrt das Glück von hunderttauſend ſeiner
Unterthanen, jeder kleine Fürſt nach Verhältniß noch
mehr. Jede Univerſität macht das Land zehn Mei¬
len in der Runde dumm. Wenige ſollen Alles
wiſſen, damit Alle nichts wiſſen. Unſere Gelehrten
ſind die Schatzmeiſter der Aufklärung. Dieſe Nar¬
ren bilden ſich ein, ſie würden von den Regierungen
gut bezahlt, damit ſie den Schatz in Ruhe und Frie¬
den genießen. O nein; man ſtellt ſie an daß ſie den
Schatz wohl verſchloſſen halten, damit nichts davon
unter das Volk komme. Mit dem allein was die
Göttinger Bibliothek gekoſtet, könnte man in ganz
Deutſchland Dorfbibliotheken errichten. Wenn man
dreißig Fürſten in zwanzig Millionen Bürger und
Bauern, wenn man dreißig Profeſſoren in dreißig
tauſend Schulmeiſter zerſchlüge — in jedem gehei¬
men Hofrath ſtecken ihrer tauſend — wäre ein gan¬
zes Volk wohlhabend, gebildet, ſittlich und glücklich.
Dann würde das Unglück der Menſchheit, der Traum
der Schlechten ſein.
[58]
Wonach ich in dieſen Liedern am begierigſten
ſah, können Sie ſich leicht denken. Nach den Ge¬
ſinnungen und Aeußerungen Berangers über den Zu¬
ſtand Frankreichs. Mit wahrer Angſt ſuchte ich das
auf; denn ich habe ſeit zwei Jahren oft flüſtern hö¬
ren: nicht aus Mangel an Stoff ließ Beranger ſei¬
nen Zorn ſchweigen, ſondern aus einem andern Man¬
gel. Ich glaubte das halb und es machte mir Kum¬
mer. Ich glaubte es — denn die ſchöne Zeit iſt
nicht mehr, wo nur die Verläumdung edle Menſchen
beſchädigen konnte; das thut auch jetzt der Argwohn
der Guten, der wie ein Roſt das reinſte Gold der
Tugend verzehrt. Der Wein, welchen die Macht in
großen Strömen fließen läßt, die Vernunft und das
Herz der Welt zu überſchwemmen, daß ſie ihr Mit¬
ſchuldige werde, hat auch viele der Edelſten berauſcht
und die Regierungen haben es in ihrer geheimen
Scheidekunſt ſo weit gebracht, daß ſie ſelbſt aus Ro¬
ſenwaſſer das ſtärkſte Gift deſtilliren können Dank
dem Himmel, das fand ich nicht in den Liedern;
ich fand aber auch nicht Alles was ich ſuchte.
Den Stoff den ihm die Regierung Louis Philipp's
angeboten, der viel ſchöner und reicher iſt, als
der der frühern Zeit, hat Beranger träge bear¬
beitet. Aber es giebt außer der Beſtechung durch
Geld, noch eine andere; die durch Worte und
Schmeicheleien. Viele von den alten Freunden Be¬
[59] rangers theilen jetzt den Gewinnſt und die Sünden
der Macht. Es kann ihm wohl einer derſelben vor¬
geſtellt haben: er möge bedenken, welchen großen
Einfluß ſeine Lieder auf das Volk hätten und daß
ſie am meiſten die Revolution vorbereitet. Er möge
bedenken, in welcher gefährlichen Lage der König den
Partheien und dem Lande gegenüber ſtehe — das
bedenken und darum ſchonen. Vielleicht zeigte man
ihm auch in einiger Entfernung ein Endchen von ir¬
gend einem Geheimniſſe der heiligen Allianz. Da
ließ ſich der gute Beranger überliſten und verſprach
zu ſchweigen. Später ſah er wohl ein, daß er ge¬
täuſcht worden, aber er hatte einmal ſein Wort ge¬
geben.
So zielen Berangers politiſchen Lieder, zwar
auf die Scheibe, aber nicht mehr wie früher auf
das Schwarze. Das was ich in meinen vorjährigen
Briefen mittheilte, la paix, und das deutlich den
Stempel des Dichters trägt, iſt nicht gedruckt
worden. Die Miniſter und die Kammer und die
unhandgreifliche Regierung beſpöttelt er etwas
in dem Liede la restauration de la chan¬
son. In den erſten Tagen nach der Revolution
hatte Beranger geſagt, „on vient de détrôner
„Charles X et la chanson.“ Darauf bezieht ſich
das Lied, von welchem hier die zwei erſten Stro¬
phen folgen.
[60]
Dieſem Liede unmittelbar vorher geht ein an¬
deres, dem es gleichſam als Beweis folgt. Der
Miniſter Sebaſtiani wollte, ſo zart wie möglich, den
Dichter reich machen. Er antwortete ihm in dem
ſchönen Liede: Le refus, darin ſagt er:
Aus einem philoſophiſchen Gedichte Les Fous
ſind folgende ſchöne Verſe:
Ob Sie zwar die Gedichte bald erhalten wer¬
den, habe ich mir doch die große Mühe gegeben,
zwei derſelben worin Beranger ſeine Liebe zu den
Königen herrlich tönen ließ, ganz für Sie abzuſchrei¬
ben. Ich weiß welche Freude es Ihnen macht in
meinem armen ausgetrockneten Mühlbache wieder
etwas Waſſer zu ſehen.
Conseil aux Belges.
Prédiction de Nostradamus
pour l'an deux mil.
Weiber heraus! Herbei mit Stecknadeln, mit
Nähnadeln, mit Haarnadeln, mit Stricknadeln, mit
ſcharfen Zungen, mit Fiſchbeinen, mit Zwirnknäulen,
mit Haarflechten! Es gilt eure Ehre; ich führe
euch an. Die Darmſtädter wollen euch den Zutritt
in ihre Kammer verweigern. Sie haben euch gelä¬
ſtert deutſch und franzöſiſch. Sie haben geſprochen
von Arioviſt von Cäſar, von den Römern, von den
Germanen, von Montesquieu, vom Orient, vom
Occident, von den Spartaniſchen Frauen, von Göthe,
Schiller, von den ſchätzbaren Winken, welche die phi¬
loſophiſchen Schriften des Königlich-Preußiſchen
Staatsminiſters Ancillon über dieſen Punkt enthalten.
Von Himmel und Erden, von Gott und Teufel.
Sie haben geſprochen von dem dröhnenden Ge¬
heule der germaniſchen Weiber und wie Cä¬
ſar vier Wochen gebraucht, ſeine Soldaten an den
Graus zu gewöhnen und wie er früher die Schlacht
nicht gewagt. Zwar hat eure Sache durch eine
kleine Stimmenmehrheit geſiegt; aber das hilft euch
5 *[68] nichts. Die Regierung dort wird euch nie in die
Kammer laſſen, denn ſie zittert vor euch. Sie fürch¬
tet, manchem würde euer Lächeln mehr ſein als das
gnädige Lächeln des Fürſten, euer Händedruck ſchmei¬
chelnder als das Achſelzucken eines Miniſters und
euer Spott gefährlicher als die Unzufriedenheit des
Preußiſchen Geſandten. Darum ſammelt euch! In
Ordnung! Die Häßlichſten im erſten Gliede! Vor¬
wärts! .... Was iſt? Ihr zaudert? Habt ihr
Furcht? .. Ja ſo! ... Die Schönſten voraus!
Marſch! ... Halt! Kehrt wieder um und gehet
nach Hauſe. Es fällt mir eben ein, daß ſie
Recht haben; es ſind ſchon Weiber genug in allen
deutſchen Kammern.
Von den Duellen welche in dieſen Tagen zwi¬
ſchen carliſtiſchen und liberalen Journaliſten Statt
gefunden, werden Sie in den Zeitungen geleſen ha¬
ben. Aber bei euch mag man wohl die Bedeutung
dieſes Ereigniſſes nicht ganz fühlen. Es war ſehr
wichtig, es hat die Regierung aus ihrem ſüßen Traum
geweckt. Man dachte, das Volk wäre todt, weil es
nicht mehr brüllte, und da kam mancher Eſel, wenn
auch zitternd, herangeſtolpert, um durch einen Fu߬
tritt ſeine Tapferkeit und ſeine treue Anhänglichkeit
für die doktrinäre Eſelei zu beweiſen. Da brüllte
der Löwe wieder einmal und ſie bekamen Angſt. Die
unverſchämte Herausforderung der Legitimiſten, die
[69] doch ſo ſchwach ſind wegen ihrer geringen Zahl,
wurde ſo gedeutet: daß dieſe Parthei durch den ge¬
heimen Schutz der Regierung ſich ſtark fühle. Hat
doch der Miniſter Broglie in der Kammer erklärt,
die Vertreibung Carls X., die ganze Revolution,
ſei keine Handlung des Rechts geweſen, ſondern
nichts als eine That der Gewalt, die man achten
müſſe, weil man müſſe. So erkannte die öffent¬
liche Meinung in dem Trotze der Carliſten nichts
als die Argliſt der Regierung, und ſie ſprach ſich ſo
ſtark aus, daß die Doktrine ihre Fühlhörner er¬
ſchrocken in ihr Schneckenhaus zurückzog. Carrel,
der Redakteur der National, der ſich für die liberale
Parthei hervorgeſtellt, iſt lebensgefährlich verwundet
worden. Jetzt iſt er außer Gefahr. Wäre er ge¬
blieben, hätte er vielleicht ein rieſengroßes Grab be¬
kommen. Auch haben der Hof, das Miniſterium und
die Geſandtſchaften ſich öffentlich oder im Stillen,
ſo ängſtlich um das Befinden dieſes Republikaners
erkundigen laſſen, als wäre es ein legitimer Prinz.
Von den amis des droits de l'homme
allein haben ſich achttauſend gemeldet, um, je zwan¬
zig, es mit den Carliſten auszufechten. Ein Freund
der geſtern auf dem Büreau der Tribüne war,
erzählte mir, die Zimmer wären alle von gemei¬
nen Arbeitsleuten voll geweſen, die gekommen wa¬
ren ſich unter die Duellanten einſchreiben zu laſſen.
[70]
Ich billige ſonſt Duelle bei gewöhnlichen Belei¬
digungen nicht. Die ſogenannte Ehre iſt nichts, als
die falſche Münze der Tugend, ein kindiſches und
nichtswürdiges Ordensbändchen, das ſich der Hoch¬
muth der Ariſtokratie erfunden, damit ihre Verdienſt¬
loſigkeit zu ſchmücken. Aber Duelle aus politiſchen
Gründen preiſe ich. Man ſtirbt für die Freiheit ſo
ehrenvoll in einem Zweikampfe und auf dem Schaf¬
fotte, als auf dem Schlachtfelde.
— So will ich Ihnen denn die Erbſchaftsge¬
ſchichte der Mars erzählen. Bei dieſer Gelegenheit
aber muß ich die Künſtlerin um Verzeihung bitten;
ich habe ihr großes Unrecht gethan. Wie ich geſtern
in einer Biographie geleſen, iſt ſie 1778 geboren,
alſo gegenwärtig erſt 55 Jahre alt und nicht 60,
wie ich neulich gewiß nicht aus Bosheit, aber aus
jugendlichem Leichtſinne behauptet hatte. Es geſchah
vor vielen Jahren, daß ein alter reicher Marquis
ſich in die Mars verliebte. Aber ſie erbarmte ſich
ſeiner nicht. Er ſchrieb ihr ſeidne Liebesbriefe, hoch
und weich ausgepolſtert mit Bankzetteln; die Edle
ſchickte ihm den Flaum ſammt dem Ueberzuge zu¬
rück. Kürzlich befreite der Tod den armen Marquis
von ſeinen Liebesleiden. Einmal fuhr er über den
Platz Vendome der Wagen wurde umgeworfen, und
der Marquis brach ein Bein. Man eilte herbei
ihm zu helfen und ihn nach Hauſe zu tragen. Aber
[71] er erklärte mit feſter Stimme den Umſtehenden: hier
liege ich und hier bleibe ich liegen und laſſe mich nicht
anrühren, bis der Wundarzt der Demoiſelle Mars
kömmt und mich in ſeine Behandlung nimmt. Man
ſchickte zur Mars. Dieſe, zwar aufgebracht aber
doch betrübt über den alten Narren, fuhr gleich zu
ihrem Freunde und Arzt Düpuytrin und bat ihn, die
Heilung des Marquis zu übernehmen. Nahe Ver¬
wandte hinterließ er nicht. Als ſeine vermuthlichen
Erben das Inventarium machen ließen, und über die
vielen ſchönen Sachen ſich freueten, fanden ſie unter
der reichen Verlaſſenſchaft ein Bild der Mars von
Gerard gemalt. Die Erben dachten, die Mars
werde dieſes Bild wohl gern an ſich bringen, und
ließen ſie das wiſſen. Sie eilte auch gleich in das
Sterbehaus, ihr Bild in Augenſchein zu nehmen.
Während ſie mit den Erben um den Preis des Bild¬
niſſes unterhandelte, kamen aus dem Nebenzimmer
die Notare mit einem Teſtamente heraus, das ſie
eben erſt unvermuthet gefunden und gleich geöffnet
hatten und ſagten der Mars: ſie möge nur das
Bild und alles behalten, es gehöre alles ihr, ſie
wäre Univerſal-Legatarin. Die Mars ſtand mit
einem Suſanne-Lächeln, die Erben ſtanden mit Ba¬
zile-Mäulern da. So belohnt der Himmel weibliche
Tugenden.
[72]
Noch eine andere Denkwürdigkeit ereignete ſich
bei dieſem Anlaſſe. Als die Bücher des Marquis
verſteigert wurden, kam eine alte Bibel an die Reihe,
vielleicht dreißig Sous im Kaufwerthe. Der Auc¬
tionator durchblätterte das Buch, ehe er es losſchlug,
um zu ſehen, ob es nicht defekt ſei, und der Käu¬
fer damit betrogen werde. Da fielen Bankzettel,
nach und nach funfzig Stück, heraus, die als Papier¬
ſtreifen zur Bezeichnung kräftiger und erbaulicher
Stellen in der Bibel lagen. Denken Sie nur, wäre
dieſe heilige Schrift nicht zufällig unterſucht worden
und ein armer frommer Teufel hätte ſie gekauft für
dreißig Sous, und zu Hauſe fünf und zwanzig viel¬
leicht funfzig Tauſend Franken darin gefunden —
das hätte vielleicht das Chriſtenthum über ganz Pa¬
ris verbreiten können! Nutzanwendung: 1) Man
weiſe alte Marquis zurück; ihr Tod iſt einträglicher
als ihr Leben. 2) Man kaufe alte Bibeln.
— Es ſchrieb mir heute einer aus Stuttgart:
der König habe darum die Kammer nicht ſelbſt eröffnet,
weil Pfitzer (Verfaſſer der Briefe zweier Deutſchen)
unter den Abgeordneten wäre, und den Schwur eines
ſolchen Mannes könne er nicht annehmen. Ach!
was habe ich wieder eine volle und ſchmutzige Eſels¬
haut! Das iſt meine wahre Peau de chagrin;
aber eine ganz andere als Balzac's ſeine. Dieſe
wurde kleiner nach jeder Thorheit und Sünde: meine
[73] wächſt nach jeder. Doch heute ſtill davon. Lud¬
wig XIV. ſchrieb ein ſtaatsrechtliches Buch zur Be¬
lehrung ſeines Nachfolgers. Darin iſt der Grund¬
ſatz aufgeſtellt: „Die Nation iſt nichts für ſich,
ſie iſt ganz in der Perſon des Königs auf¬
gelöſt.“ (La nation ne fait pas corps, elle ré¬
side toute entière dans la personne du roi.)
Ludwig der letzte wird einſt ſprechen wie Ludwig
XIV. geſprochen. Der letzte Wilhelm, der letzte
Friedrich, der letzte Franz, der letzte Carl werden ge¬
ſinnt ſein, wie der erſte Wilhelm, der erſte Friedrich,
der erſte Franz, der erſte Carl geſinnt waren. Es
giebt keine andere Hülfe, als daß uns der letzte von
allen befreie.
Fuͤnf und zwanzigſter Brief.
Der Journaliſt Traxler aus Cöln, von dem
ich Ihnen neulich geſchrieben, hat ſich gerettet und
iſt glücklich in Paris angekommen. Geſtern beſuchte
er mich. Als er Abends, da es ſchon dunkel war,
von dem Gerichte zurückkam, wo er ſein Urtheil em¬
pfangen, bat er den Gerichtsdiener, der ihn in das
Gefängniß führen ſollte, ihn vorher in ſeine Woh¬
nung zu begleiten, wo er einiges Nöthige zu beſtellen
habe. Dem Verlangen wurde nachgegeben. Als der
Huiſſier in das Zimmer eingetreten war, ſprang
Traxler hinaus, verſchloß die Thüre hinter ſich,
[75] ſtürzte auf die Straße hinunter, lief ohne Hut und
Mantel zum Thore hinaus und kam ſo glücklich über
die Grenze. Auch iſt in dieſen Tagen ein Bier¬
brauer aus Leipzig hier angekommen, der zu fünf¬
zehnjähriger Zuchthausſtrafe verurtheilt war. Er
ſaß ſchon lange in Pirna feſt, als es ihm gelang
ſeinen Kerker zu durchbrechen um den weiten Weg
durch Deutſchland nicht unerkannt, aber unverrathen
zurückzulegen. So haben ſich ſchon ſehr viele Patrio¬
ten gerettet, von welchen ich ſechs in Frankreich be¬
gegnet und geſprochen habe. Wenn man die Er¬
zählung von ihrer oft wunderbaren Rettung anhört,
gewahrt man leicht und mit großer Freude, daß die¬
jenigen welche ſie zu bewachen hatten, mit ihrer
Flucht einverſtanden waren, ſo, daß wenn ſie auch
nicht behülflich dabei geweſen, ſie doch die Augen zu¬
gedrückt. Die Flüchtlinge dürfen zwar aus Klugheit
und Dankbarkeit von einem ſolchen Einverſtändniſſe
nicht ſprechen, doch aus den angegebenen Umſtänden
erräth man es bald. Einer dieſer Patrioten aber,
der das Vertrauen zu mir unbedenklich fand, geſtand
es, daß ein Polizei-Beamter, und zwar ein ſolcher,
der ſich ſeit mehreren Jahren durch ſeine blinde Folg¬
ſamkeit gegen die Tyrannei ausgezeichnet hat, und darum
in der ganzen Stadt verhaßt iſt, ihm, ob er ihn früher
zwar gar nicht gekannt, zu ſeiner Flucht behülflich ge¬
weſen. Wie erfreulich iſt es nicht warzunehmen,
[76] daß die Karyaditen der Throne mit Menſchengeſich¬
tern und ſteinerner Bruſt, endlich auch warm werden
und ſich beklagen.
Der gute Geiſt in Deutſchland breitet ſich im¬
mer mehr aus, auch unter den Offizieren und Un¬
ter-Offizieren. Und was dann? Die deutſchen
Fürſten werden bald keine andere Macht haben, als
der Gerechtigkeit nachzugeben oder unterzugehen, und
ſelbſt dieſe Wahl bleibt ihnen nicht lange mehr.
Sie brüten jetzt über die Wiederherſtellung der
alten deutſchen Reichsgerichte, aber in den alten Keſſel
ſoll neues Gebräu kommen. Man ſpricht von deut¬
ſchen National-Gefängniſſen, von hohen deutſchen
Bundesthürmen die gebaut werden ſollen. Ich weiß
das Nähere noch nicht, werde es aber bald erfahren.
In den Blättern die Sie mir geſchickt, habe
ich von Weitzels „Politiſche Anſichten der Ge¬
genwart“ nur noch einige Bruchſtücke gefunden;
ich hätte aber wahrſcheinlich aus dem ganzen nicht
klug werden können. Wer hieß aber auch den Mann
ſchreiben in dieſer Zeit und in ſeinen Verhältniſſen?
Wenn er ſagt: „Der Gedanke aber, jetzt in Europa
„der Monarchie, die ſich mit der Ariſtokratie verbun¬
„den, ein Gegengewicht zu geben, kömmt um manche
„Jahrzehente zu früh“ — ſo will ich mich auf¬
[77] knüpfen laſſen, wenn das ſein Ernſt war. Weitzel iſt
einer der beſten und klarſten politiſchen Köpfe Deutſch¬
lands und ſein Rath mit der Ausbeſſerung des Hau¬
ſes zu warten, weil es noch manche Jahrzehente dau¬
ern könnte, bis uns das Dach über den Kopf zu¬
ſammenſtürzt, war gewiß nicht aufrichtig. Wenn
einmal Ariſtokratie und Monarchie zuſammenfallen,
dann bleibt uns nichts mehr zu thun übrig. Man
verliert alle Geduld. Da bitten ſie uns täglich, wir
möchten doch ſo gut ſein, die Wirkung der Zeit ab¬
zuwarten. Als wenn Zeit und Natur zu etwas aus
nichts ſchaffen! Als wenn ſie nicht ſelbſt vorher zer¬
ſtören müßten, um Neues zu bilden! Für ſolche
Dummköpfe halten ſie uns, daß ſie uns unaufhörlich
vorpredigen, wir möchten, ehe wir das verhaßte Alte
zerſtören, das beliebte Neue vorher aufführen. Wo
wir aber Bauplätze herbekommen ſollen, wenn wir
nicht vorher den alten Schutt wegräumen; wo wir
Zimmerholz hernehmen ſollen, wenn wir keine Bäume
umhauen — das Geheimniß predigen ſie uns nicht.
Und wenn ſie zanken: Der Liberalismus könne
nur zerſtören, finden ſich in Deutſchland gutmü¬
thige, aber einfältige Menſchen genug, die vor dem
Schrecken dieſes Vorwurfs zuſammenfahren, und, aus
Furcht für Mordbrenner gehalten zu werden, nach
Hause ſchleichen, die Nachtmütze aufſetzen und in den
Andachtsſtunden leſen.
[78]
Es iſt etwas in den Deutſchen, auch in den
Freiſinnigen, was ich nicht verſtehe, wozu, mir es
begreiflich zu machen, meine Pſychologie nicht aus¬
reicht. Ich erſtaune täglich über die Gefühlloſigkeit,
mit welcher die liberalen Deputirten der Kammer die
unverſchämten Reden der Miniſter anhören. Ich
ſage nicht ſie ſollen der Gewalt, Gewalt entgegen
ſetzen; denn ſie haben keine. Ich ſage nicht: ſie
ſollen der Frechheit wie es ſich gebührt antworten
und der Pflicht und Ehre ihren perſönlichen Vortheil
aufopfern; aber ich ſage: ſie ſollen ihr antworten
müſſen. Ich bin auch kein Held, weder der Tapfer¬
keit noch der Tugend; ich würde vielleicht auch zahm
ſeyn der Macht gegenüber; ich wäre wohl auch nicht
aufopfernd genug für das Wohl des Volkes, das bei
uns ſolche Aufopferung ſelten vergütet, mit Weib
und Kindern zu verhungern; ſtünde ich der Anma¬
ßung eines Mächtigen gegenüber, würde ich vielleicht
auch überlegen und ſchweigen. Es gäbe aber Ver¬
hältniſſe in denen ich unfähig bliebe zu überlegen, in
denen mein Herz den Verſtand verdunkelte, und in
ſolchen Verhältniſſen ſtünde ich auch der Anmaßung
eines Königs gegenüber, würde ich ſeine Krone,
ſeine Kerker, ſeine Henker vergeſſen, und ihm begeg¬
nen wie es ſich gebührt. Ich könnte mich wie ein
Knecht, wie ein Verbrecher, wie ein Dummkopf ge¬
[79] duldig behandeln laſſen; aber wie einen Schulbuben
— nie.
Und warum ſind ſie Schulbuben, wo ſie ſich
die Schwächeren fühlen? Weil ſie Schulmeiſter ſind
wo die Stärkeren; der ganze Unterſchied beſteht nur
in den Jahren. Ihre Frömmigkeit, ihre Sentimen¬
talität richtet ſie zu Grunde. Vor lauter Begeiſte¬
rung für das Gute, verlieren ſie den Geiſt es zu
Stande zu bringen. Thränen der Menſchenliebe und
Rührung verdunkeln ihnen den Blick, und der dümmſte
Jäger kann ſie dann mit Händen fangen. So ein
edler Deputirter ſitzt, ohne es zu merken, wie ein
Falk auf der Fauſt ſeines gnädigen Herrn und zeigt
ſich etwas hoch oben in der Luft, was der gnädige
Herr mit ſeinem Geſchoſſe nicht erreichen kann,
nimmt er ihm die Kappe ab und läßt ihn ſteigen.
Das edle Thier ſteigt, ſteigt, ſteigt, holt aus den
Wolken ein Täubchen herab, und den Blick von der
Sonne geblendet, gewahrt er gar nicht, daß er wieder
zur alten Fauſt zurückkehrt und man ihm die Kappe
von neuem über die Augen gezogen. Dann lachen
die Junker verſtohlen.
In Caſſel feierten ſie den Jahrestag der Ver¬
faſſung und ſchrieben am folgenden Tage: „Tau¬
ſend ſtille Gebete und Wünſche für ſie ſtei¬
gen zu dem Ewigen.“ Aber der Ewige ſelbſt,
[80] iſt nicht ewig genug, mit eurer ewigen Geduld ewige
Geduld zu haben, und laute Flüche wären ihm wohl¬
gefälliger, als ſtille Gebete. Der Eröffnung der
Würtemberger Stände ging ein feierlicher Gottesdienſt
voraus, und ein Prälat — verſteht ſich ein Haas
— predigte über den Pſalmen-Vers „daß die
Furcht des Herrn Ehre und Heil in das
Land bringe“ und ging dann geſchickt von dem
Könige David auf den König Wilhelm über und nä¬
ſelte „von der Treue gegen unſern verehr¬
ten König.“ Und die Deputirten fürchten die Furcht
und laufen nicht zur Kirche hinaus! Und dann wird
die Sitzung eröffnet, „nachdem der Präſident
in einer kurzen Anrede den Segen des Him¬
mels erfleht für den bevorſtehenden Land¬
tag!“ Und dann erhebt ſich ein hochherziger Depu¬
tirter, den ganz gewiß irgend ein loſer Schelm von
Staatsrath heimlich an ſeiner Großmuth gewitzelt,
und macht den Vorſchlag: man ſolle die Diäten der
Deputirten von 5 auf 4 Gulden herabſetzen.
Taumelnd ſtand gleich alles auf, was Edles auf den
Bänken ſaß, und alle, einer nach den Andern, ſchrien
wie die Kinder: „ich auch, ich auch!“ Es war
eine Rührung zum Erſaufen, und die Junker im
Trocknen lachten wieder. Darauf nahm ein anderer
Deputirter das Wort und ſprach: „Ich verzichte nicht
[81] „auf meine fünf Gulden dreißig Kreuzer; ich werde
„aber einen Gulden täglich den Armen zukommen
laſſen.“ Auch dieſe ſchönen Worte hatten vielſtimmi¬
gen Widerhall. Endlich ſtand einer auf und rief:
„Wenn man mich zum Präſidenten der Kammer er¬
„wählen ſollte, werde ich mich, ſtatt der feſtgeſetzten
„fünftauſend Gulden, mit dreitauſend begnügen.“
Und jetzt hielt die Tugend eine herzallerliebſte Ver¬
ſteigerung und Einer forderte immer weniger als der
Andere. Dieſesmal aber als die Junker ſahen, wie
ſich die Moral in Tauſende verſtieg, lachten ſie nicht
mehr, ſondern ſie murrten ....... Und ſolchen
unverſtändigen Menſchen iſt das Wohl des Landes
anvertraut! So laſſen ſie ſich von ihrem Her¬
zen zum Beſten haben! Sie ſehen nicht ein,
daß ſie für einige tauſend Gulden die ſie durch
Verminderung der Taggelder dem Volke erſparen,
ihm vielleicht Millionen an andern Laſten auflegen.
Denn wenn die Diäten ſo gering ſind, daß ſie den
Deputirtenden Verluſt ihrer Zeit nicht mehr vergüten,
müſſen ſie zurücktreten und ihre Stellen den Reichen
und den Staatsbeamten überlaſſen. Dieſe aber
werden wie immer die Auflage ſo viel als möglich
auf die untern Volksklaſſen wälzen. Es iſt ſchön
wenn einer edel iſt; aber das ſei er im Geheim.
Edelleuten und Miniſtern gegenüber, ſoll ein Bürger
Vl. 6[82] ſeine Tugend verſtecken. So bald dieſe merken, daß
ſie es mit einem edlen Deputirten zu thun haben,
übervortheilen ſie ihn um ſo mehr, und betrügen in
ihm das ganze Volk. Im Gegentheile, wir müſſen
ſtets Eigennutz heucheln, damit ſie Achtung vor uns
bekommen.
Der Spott, den jetzt die deutſchen Fürſten mit
ihren Ständen treiben, empört mich nicht; ich bin
deſſen ſchadenfroh. Ein edler Mann kann oft der
Gewalt unterliegen und immer unverdient; aber der
Liſt unverdient, nur das Erſtemal. Wen ſie zum
zweitenmale täuſcht, der hat ſein Geſchick verſchuldet,
und es iſt das zweite Mal, daß ſich die deutſche
Freiheit bethören läßt. Wieder einmal haben die
konſtitutionellen Fürſten die Schranken der Verfaſſung
durchbrochen, die uns gegen ihren Uebermuth ge¬
ſchützt; wieder einmal jubeln ſie wie die entſprunge¬
nen Sklaven. Die Gitterſtangen die ſie einge¬
ſchränkt, dienen ihnen jetzt zu Waffen dieſe [Einſchrän¬
kung] zu rächen, und mit den Geſetzen die ſie aus
den Boden geriſſen, zerſtören ſie die Geſetze, die
noch aufrecht ſtehen. Und nicht mehr wie früher,
begnügen ſie ſich ihre Widerſacher die ihnen in die
Hände fallen, einzeln zu beſtrafen; nein: ſie beſtra¬
fen die Städte, die Gemeinden, in welchen ſich Wi¬
derſacher gegen ſie hervorgeſtellt. Der König von
6 *[84] Baiern hat die Stadt Würzburg, durch Verpflanzung
mehrerer Aemter, durch Entfernung der berühmte¬
ſten Univerſitätslehrer zu Grunde gerichtet. Die
Garniſon, der heilige Biſchof, die allerheiligſten
Edelleute verlaſſen die kleine gewerbloſe Stadt Frei¬
burg, um die Bürger zu züchtigen, daß ſie Rotteck
zum Bürgermeiſter gewählt. Der König von Wür¬
temberg, aus Unzufriedenheit, daß die Bevölkerung
der Hauptſtadt ſich ſo freiſinnig zeigt, will mit ſei¬
nem Hofe und mit ſeiner Leibgarde nach [Ludwigsburg]
ziehen. Der Magiſtrat von Stuttgart um das große
Unheil von dem Wohlſtande der Gemeinde abzuwen¬
den, haben dem Könige einige von der Bürgerſchaft
unterzeichnete Adreſſe überreicht, worin dieſe den Kö¬
nig bittet nicht von Stuttgart wegzuziehen.
So liegen jetzt alle Deutſchen an einer gemein¬
ſchaftlichen Kette, und ſie haben doch wenigſtens eine
Galeere zum Vaterlande. In Baiern ſoll es nicht
mehr zu ertragen ſein. Ich habe heute drei ange¬
ſehene und reiche Gutsbeſitzer aus Rheinbaiern ge¬
ſprochen, die nach Amerika reiſen, um für eine große
Menge ihrer Landsleute eine Niederlaſſung auszu¬
mitteln. In Rheinbaiern, erzählen ſie, ſteige die
Tyrannei täglich, und ſie wollten ſich retten, wäh¬
rend ihnen noch Kraft zur Rettung bliebe. Das ſind
[85] keine Advokaten, keine Demagogen, keine Schrift¬
ſteller, keine Journaliſten, keine Freiheits-Theoretiker,
keine ſchwärmenden Jünglinge; es ſind Gutsbeſitzer,
ſchlichte Landbauern — und doch können ſie es nicht
ertragen!
Die Erklärung von Alexis in der Nürnberger
Zeitung hat mich ſehr ergötzt. Ich hatte es noch
nicht geleſen. Sie haben das nicht verſtanden wenn
Sie jene Erklärung als einen Verſuch anſehen,
den Spott abzuwenden der den armen Häring in
Berlin wahrſcheinlich getroffen hat. Das nicht.
Gegen die Beſchuldigungen der Demagogie, die ich
aus Scherz und Satyre gegen ihn vorgebracht, ſucht
er ſich zu vertheidigen, und die Regierung dort hat
vielleicht darauf Rückſicht genommen. In ſolchen
Sachen verſtehen ſie keinen Spaß, wie man zu ſa¬
gen pflegt. Ich habe kaum gehofft, daß ſie ſo dumm
ſein werden. Uebrigens können Sie ſich leicht den¬
ken, daß ich nichts darauf antworten werde, über¬
haupt keinem.
Sieben und zwanzigſter Brief.
Den König von Griechenland, den Sohn des
Baieriſchen Großbüttels, vor dem, wie die Zeitungen
erzählen, von München an bis Brindiſi, eine Rauch¬
wolke von den köſtlichſten deutſchen und italieniſchen
Schmeichelgewürzes herzog — nennt ein hieſiges
Blatt: einen roitelet idiot, sourd et bossu.
Ich habe kein franzöſiſches Wörterbuch bei der
Hand, und weiß nicht was idiot heißt. Ich ver¬
muthe es heißt dumm oder gar einfältig. Das
wäre ein Unglück. Die Buckligkeit hätte nichts zu
ſagen: auch Sokrates war bucklig. Die Taubheit
aller Könige wäre eine Wonne des Menſchengeſchlechts;
[88] denn bei ihnen fielen dann alle akuſtiſchen Täuſchun¬
gen weg, es blieben nur noch die optiſchen übrig;
ihre Höfe könnten ſie um die Hälfte weniger betrügen,
und ihre Völker wären um die Hälfte weniger un¬
glücklich. Aber dumm, wäre dumm. Man braucht
mehr Verſtand die Griechen zu regieren, als das
ganze übrige Europa zuſammengenommen. Dieſe
Entdeckung von den ſchönen Eigenſchaften des Kö¬
nigs Otto, hat viel dazu beigetragen die franzöſiſche
Kammer bedenklich zu machen, ob ſie die Garantie
bewilligen ſolle, welche die Regierung für den drit¬
ten Theil des griechiſchen Anleihens zu übernehmen
verſprochen. Der Zeitungsredakteur ging mit dem
Briefe, den er von einem baieriſchen geflüchteten Pa¬
trioten aus Straßburg erhielt, zu Düpin, wo an
dem Tage die Deputirten verſammelt waren; dort
theilte er ſeine Nachrichten mit, von welchen er den
wichtigſten Theil, ich weiß nicht warum, nicht drucken
ließ, und ſie machten einen großen Eindruck, der auf
die Kommiſſion der Kammer über ging. Aber was
liegt daran? Sowohl die alt- als die neubaieriſchen
Herzen, die von München wie die aus dem Speſſart,
ſind, ſeit ihnen der Profeſſor Thierſch erzählt, das
Sophokles und Aechylus mit dichteriſcher Begeiſte¬
rung vom Bier geſprochen, ſo entzückt über die He¬
leneſirung ihres Ottos, daß ſie die noch fehlenden
zwanzig Millionen gern hergeben werden und ſollten
[89] ſie darüber verarmen und mit einer Hopfenſtange in
der Hand die Welt durchbetteln müſſen.
Die Baiern begreifen recht gut die unermeßlich
heilſamen Folgen, die der Staatsvertrag, den der
Baieriſche Vater mit dem Griechiſchen Sohne ge¬
ſchloſſen für Bier und Vaterland haben muß. Beide
Majeſtäten verbürgen ſich darin wechſelſeitig ihre Länder
und Unterthanen. Sollte einmal der König von Baiern,
von Oeſterreich oder ſeinem eigenen treuen Volke ange¬
griffen werden, muß ihm der König von Griechen¬
land Hülfe ſchicken. Sollte dieſer einmal von Oe¬
ſterreich, Rußland, Frankreich, England, den Türken,
dem Paſcha von Aegypten oder von ſeinen eignen
geliebten Unterthanen, die ihn anbeten, bedroht wer¬
den: dann muß ihm der König von Baiern Hülfe
leiſten. Wenn ein Baieriſches Regiment in Franken,
mit den Leiden des Volks zu ſympathiſiren anfängt,
ſchickt man es ſchnell nach Griechenland. Mögen
immerhin die Soldaten ſich verzweiflungsvoll auf die
Erde werfen, und ſich die Stirne auf dem Pflaſter
zerſchmettern; mögen ſie immerhin bei der Einſchif¬
fung ſich empören — man weiß ſie zu zwingen.
Wenn ein griechiſches Regiment in Nauplia ſich mer¬
ken läßt, daß es ſeinen König doch gar zu bucklig
finde — ſchickt man es nach München. Die Grie¬
chen in Baiern und die Baiern in Griechenland ver¬
ſtehen das Volk nicht unter dem ſie leben, und haſſen
[90] und mishandeln es zum Heile und Segen des mo¬
narchiſchen Prinzips. Der Kaiſer von Oeſterreich
übt auch dieſe ſchöne Regierungskunſt. Die Ungari¬
ſchen Soldaten werden nach Italien, die Italieniſchen
nach Ungarn geſchickt. Der Ungar verſteht kein
italieniſch außer dem Wenigen was ihm Abends in
der Kaſerne beigebracht wird. Es wird ihm aber
nichts gelehrt als caro amico, und man ſagt
ihm caro amico hieße Hundsfott. Wenn nun
der gutmüthige Ungar in einer Weinſchenke ſitzt, und
ein gutmüthiger Italiener reicht ihm die Hand und
ſagt fratello mio, caro amico! — ſtößt ihm der
Ungar ſeinen Degen in den Leib. Wenn ein junger
italieniſcher Offizier an den Ufern der Donau gedan¬
kenvoll hinſchleicht, und weint Sehnſuchtsthränen nach
ſeinem unglücklichen Vaterlande, tritt ein edler Un¬
gar zu ihm und ſagt in ſeiner Sprache: Nicht wei¬
nen Bruder, du wirſt dein ſchönes Vaterland bald
wiederſehen! Der ſchmerzbetäubte Italiener glaubt
der Ungar ſpotte ſeiner und ſchlägt ihm ins Geſicht.
Sie duelliren ſich, der Ungar bleibt tod, und das
monarchiſche Prinzip giebt am nämlichen Abende dem
italieniſchen Offizier-Corps einen Champagnerpunſch.
Wollen Sie nächſten Sommer mit mir eine
Wallfahrt zur Madonna di bacio machen. Der
Baieriſche Volksfreund hat neulich den Vorſchlag
gemacht: „an der Stelle wo die betrübte königliche
[91] „Mutter, ihrem vielleicht auf immer ſcheidenden in¬
„nigſt geliebten Sohne, dem Könige von Griechen¬
„land den letzten Abſchiedskuß gegeben, vermittelſt
„Beiträge patriotiſcher Baiern eine Kapelle zu bauen.“
Die Patrioten werden beitragen, die Kapelle wird
gebaut werden, Cornelius wird eine küſſende Mut¬
tergottes, den griechiſchen Jeſus auf den Armen,
malen und wir — nun wir bewundern Cornelius.
Aber ſo ein Teufel von Volksfreund hat kein Herz
in der Bruſt. Was hat er nöthig eine betrübte
Mutter noch mehr zu betrüben? Wäre nicht ſchö¬
ner geweſen er hätte der königlichen Mutter geſagt:
„Betrübe dich nicht, königliche Mutter! Du haſt
„deinen Sohn nicht zum letztenmale geküßt, du wirſt
„ihn bald wiederſehen — ?“
Sollte die Ottoläſterliche Correspondenz jenes
Königs-, Biers- und Vaterlandsvergeſſenen baieriſchen
Journaliſten in Straßburg, die Folge haben, daß die
franzöſiſche Regierung ihren Theil des griechiſchen
Anleihens übernimmt: ſo hätte ich wohl ein Mittel,
die Garantie für die noch fehlenden zwanzig Millio¬
nen, ja eine größere herbeizuſchaffen. Aber ich theile
es nicht mit. Nicht als fehlte es mir an ſchuldiger
Liebe und Verehrung für den König von Baiern;
aber mein Herz treibt keinen Detailhandel Ich kann
nicht jeden deutſchen Fürſten beſonders lieben, ſondern
ich liebe den deutſchen Bund für alle. In Frank¬
[92] furt habe ich ein großes Kommiſſionslager von Liebe
und Anbetung und jede Geſandtſchaft kann ſich dort
für ihren Herrn ſoviel davon holen, als ihm nach
Verhältniß ſeiner Civilliſte zukömmt. Steht aber
wieder einmal ein baieriſcher Patriot unter dem Bilde
ſeines Königs, das er anzubeten verurtheilt worden,
werde ich ihn mit meinem Geheimniſſe von ſeiner
Schande loskaufen. Mein Finanzplan geht in's Rie¬
ſenhafte, und iſt ſo groß als das was ich damit zu
bezahlen gedenke. Ihnen will ich ihn gleich anver¬
trauen.
Im menſchlichen Blute iſt wie bekannt, Eiſen
enthalten. Jetzt hat ſich neulich ein hieſiger Chemi¬
ker zu dem Verſuche angeboten, aus dem Blute ei¬
nes verſtorbenen Menſchen ſo viel Eiſen zu ziehen,
daß man daraus eine Denkmünze von der Größe
eines Vierzigfrankenſtücks prägen könne ... Ich
ſehe vorher, ein Spitzbube von königlichem geheimen
Finanzrathe fällt mir hier in das Wort und ſagt:
der Vertrag gilt nichts, wir wiſſen Ihr Geheimniß
ſchon .... Das iſt Betrug, Herr Geheimer Fi¬
nanzrath! Freilich wiſſen Sie jetzt mein Geheim¬
niß, aber haben Sie es früher gewußt? Es iſt
das Ei des Columbus. Nein, der Vertrag gilt;
Ihr ſollt jenem armen blaſſen Jüngling dort, nicht
das Herz brechen; er ſoll nicht das Götzenbild eines
[93] wahnſinnigen Tyrannen anbeten. Ihr laßt ihn frei
und nehmt meinen Plan.
Iſt es nicht eine Schande von lüderlicher Eu¬
ropäiſcher Staatshaushaltung, daß in allen Ländern
ſo vieles koſtbare Blut der Unterthanen, ganz ohne
perſönlichen Vortheil ihrer Fürſten vergoſſen wird?
Man antworte mir nicht: Das Blut welches die Sol¬
daten für die Fürſten vergießen, ſei doch nicht ohne
Nutzen. Nein. Nützt denn ein Soldat in der Schlacht
durch ſein eigenes Blut das er vergießt? Er nützt
blos durch das Blut des Feindes das er vergießt.
Sein eignes bringt dem Fürſten keinen Vortheil;
denn ſobald er todt hingeſtreckt oder verwundet wird,
iſt er kampfunfähig. Nun, warum ſammelt man
dieſes Blut nicht in Spitälern und auf dem Schlacht¬
felde und bereitet Eiſen daraus? Man bedenke nur
welches Meer von Blut allein in Europa, nur allein
im achtzehnten Jahrhunderte, nur allein in den Krie¬
gen vergoſſen wurde, die der franzöſiſchen Revolution
vorhergingen! Da iſt der nordiſche Krieg, der öſter¬
reichiſche Erbfolgekrieg, der polniſche Krieg, der ſchle¬
ſiſche Krieg, der ſiebenjährige Krieg, der baieriſche
Erbfolgekrieg, der Krieg den in Europa der ameri¬
kaniſche Freiheitskampf zur Folge hatte, der Türken¬
krieg. Rußland und Schweden haben nicht ſoviel
Eiſen, als man aus all dieſem Blute hätte ziehen
[94] können. Daraus hätte man Geld, Flinten, Säbel,
Bomben, Kanonen bereitet. Und lacht nicht verächt¬
lich und ſagt: das ſei doch nur Eiſen! Iſt denn
eine Kanone von Eiſen? Sie iſt vom reinſten Golde,
denn damit holt man's. Ein Potoſi habt ihr ver¬
ſchleudert! und das iſt noch gar nichts .... O!
Herr geheimer Finanzrath, ich war ein Dummkopf.
Mit meinem Plane hätte ich den ganzen Rheinkreis,
Siebenpfeifer, Wirth, Behr, Kurz, Wiedemann und
die hundert von andern Schlachtopfern Eurer monar¬
chiſch-ariſtokratiſch-jeſuitiſchen Tyrannei loskaufen
können. Ich habe mich übereilt, doch es iſt zu ſpät;
ein ehrlicher Mann muß auch dem Teufel Wort
halten.
Nicht blos das Blut der Soldaten im Kriege,
ſondern auch das Blut aller Bürger in Friedenszei¬
ten, kann zur Metallbereitung benutzt und können
dadurch die Fürſtlichen Kaſſen unerſchöpflich gemacht
werden. Wie viele Millionen Bauern giebt es nicht
in Europa, die ihre Steuern nicht mehr bezahlen
[k]önnen. Man lege ihnen eine Blutſteuer auf, man
laſſe ſie zur Ader. Wenn ein Bürger ſeine Geld¬
buße nicht entrichten kann, laſſe man ihm zur Ader.
Wie herrlich könnte man das Aderlaſſen benutzen,
Preßvergehen zu verhindern oder zu beſtrafen. Ein
deutſcher Journaliſt hat gewöhnlich weder Gut noch
Geld um Caution zu leiſten. Man ſetze tauſend
[95] Unzen Blut als Caution für jeden Journaliſten feſt.
Kann ein Preßverbrecher ſeine Geldbuße nicht abtra¬
gen, verurtheile man ihn zu einem täglichen Ader¬
laſſe, auf drei, fünf, ſieben, neun, vierzehn Jahre,
oder nach der Baieriſchen Criminalpraxis auf unbe¬
ſtimmte Jahre. Man laſſe den Journaliſten Blut,
bis die Europäiſchen Verhältniſſe ſich gebeſſert haben,
bis die belgiſche, irländiſche, franzöſiſche, deutſche,
portugieſiſche, ſpaniſche, amerikaniſche, griechiſche,
türkiſche, ägyptiſche Frage entſchieden iſt. Dann
braucht auch ein deutſcher Fürſt nicht mehr den Kai¬
ſer von Rußland um ſein herrliches Sibirien zu be¬
neiden. Er kann dann auch ſeine Unterthanen zu
den Bergwerken verurtheilen; denn ein reiches Berg¬
werk iſt das menſchliche Blut.
Jetzt habt Ihr meinen Finanzplan, jetzt habt Ihr
Euer griechiſch Anleihen vollſtändig. Komm nun mit
mir du elender armer Jüngling! Du weinſt? Sehe
dieſe Thräne da, die aus deinem Auge auf deine
Hand geſtürzt! Brennt ſie dich nicht wie Scheide¬
waſſer? Nicht einmal die Kraft, nicht einmal den
Muth hatteſt du, deine Hand bis an die Augen zu
erheben, um ſie zu trocknen! Du weinſt? Du fleheſt
Gott an? Gott ſpottet deiner. Gott iſt voll un¬
endlicher Lieb' und Barmherzigkeit. Er hilft jedem
Unglücklichen in ſeinen Schmerzen, er tröſtet ſelbſt
den Schuldigen in ſeiner Herzenspein; aber er hilft
[96] und tröſtet nur, wenn der Unglückliche ſich zu retten
alle ſeine Kraft verbraucht und ihm keine mehr übrig
geblieben. Dem Trägen und Feigen aber, leiht Gott
nicht ſeine Kraft, ſondern er verläßt ihn. Hilf dir
ſelbſt, dann wird dir der Himmel helfen!
Hilf dir ſelbſt, dann wird dir der Him¬
mel helfen! Das iſt mein Triolet. Aber das
Triolet der achtzeiligen deutſchen Liberalen heißt:
Mußt kräftig proteſtiren, ſchlägt man dir
in's Geſicht. Und ſchlägt man ſo einen Pour¬
ceaugnac in's Geſicht, thut er noch groß damit und
frohlockt überall herum: il ma donné un soufflet,
ma is je lui dis bien son fait. Wie wehe macht
mir dieſer deutſche Proteſtantismus: Damals zu Lu¬
thers Zeiten, fingen ſie auch mit proteſtiren an;
aber endlich mußten ſie zuſchlagen, und da ſiegten
ſie. Es liegt in ihrer Natur, daß bei ihnen Jahre
lang das kalte Fieber dem hitzigen vorſchleicht, und
daß, was bei andern Völkern Geneſung iſt, bei den
Deutſchen zu neuer Krankheit wird. Was wird bei
uns nicht alles noch geſchehen, welche Leiden werden
erduldet werden müſſen, bis ſie es zu einer Revolu¬
tion bringen. Die Franzoſen ſtanden mit einem
Sprunge darin. Hundertmal im Tage wünſche ich:
hole ſie der Nicolas! Wahrlich ſie werden nicht
eher ſpüren daß es Winter geworden, daß die Erde
VI. 7[98] kahl iſt, daß die Bäume abgeſtorben, die Lüfte ver¬
ſtummt ſind und die Leiche des Vaterlandes in ih¬
rem Schneehemde unbegraben unter freiem Himmel
liegt — nicht eher, bis man ſie nach Sibirien ſchickt,
und ſie dort für den kaiſerlichen Leib Fuchspelze er¬
jagen müſſen und jeder Wunſch der warm aus dem
Herzen kam, zwiſchen den Lippen gefriert, und als
Eiszapfen aus dem Munde hängt. Es wird nicht
beſſer, ehe es ärger wird.
Da war wieder einmal ein freiſinniger deutſcher
Mann edel geweſen, und hat durch ſeinen Edelmuth
der guten Sache mehr geſchadet, als ihr hundert
Schurkenſtreiche hätten ſchaden können. Ich meine
Rotteck. Die Bürger von Freiburg haben Rotteck,
nachdem die Regierung die erſte Wahl verworfen,
zum zweitenmal, und wenn wieder gehindert zum
drittenmal zu ihrem Bürgermeiſter wählen wollen.
Aber da ſtellte ſich der edle Mann auf einen Sche¬
mel der Tugend und rief ſeinen Mitbürgern zu:
ſie möchten doch wegen ſeiner, die väterliche Rache
des Landesvater nicht ihrer Stadt zuziehen, und lie¬
ber nachgeben und die Bürgermeiſterwahl einem an¬
dern zuwenden. Das liberale deutſche Philiſterthum
wurde von ſolcher Hochherzigkeit bis zu Thränen ge¬
rührt, und iſt heimlich ſchadenfroh, daß die hohe
deutſche Bundesverſammlung erröthen müſſe, von
[99] ſolcher Großmuth beſchämt worden zu ſein. Solch'
einen Mann zu verfolgen! Und daß ja nichts fehle
an der vollſtändigen deutſchen Reichsgeſchichte, hat
Rotteck — proteſtirt. Die Regierung möge ſich alles
nehmen was ihr beliebt, nur Recht ſoll man ihr
nicht geben! So laſſen ſich dieſe edlen Menſchen
zum Beſten haben, und Rotteck ein Meiſter der
Weltgeſchichte, der alle Gewaltthätigkeiten kennt,
welche von Nimrod bis zu Nicolas die Herrn der
Erde geübt, der alle ihre Schelmereien, alle ihre
liſtigen Wege kennt: glaubt einem ſchönen Triebe
ſeines Herzens zu folgen, während er nur ei¬
nem Stoße nachgab den man an einer elektriſchen
Kette von Carlsruhe bis nach Freiburg zu lei¬
ten wußte. War denn hier an Rotteck, an Frei¬
burg gelegen? Darauf kam es an, daß das
Volk ſein Recht behaupte, ſeinen Willen und ſeine
Kraft geltend mache, und zeige, daß es der Naſe¬
weisheit der Badiſchen Junker zu begegnen wiſſe.
Ja ſie werden nicht eher warm werden als bis
ſie nach Sibirien kommen. Der Kaiſer Nikolaus
allein verſtände es, das träge deutſche Blut in ra¬
ſchere Bewegung zu ſetzen. Unſere inländiſche Ty¬
rannei bringt uns nicht weiter. Wir werden auch
gefoltert, aber der Arzt ſteht uns zur Seite und
fühlt uns von Minute zu Minute den Puls, und
7 *[100] ſo oft das Leben zu entweichen droht, ſpannt man
uns ab, und bringt uns nicht eher wieder auf die
Folter, bis wir neue Kräfte geſammelt. Aber in
Rußland iſt man ſo weichherzig nicht. Befahl doch
neulich ein kaiſerlicher Ukas: Alle Zöglinge aller
Schulen im Reiche, dieſichſchlecht aufführ¬
ten, ſollten unter die Soldaten geſteckt,
oder, wenn wegen körperlicher Mängel
dienſtunfähig, nach Sibirien verpflanzt
werden! Was man in einem despotiſchen Lande
wie dort, unter ſchlechter Aufführung der Jugend
verſteht, kann man ſich leicht denken. Das heißt
nicht: Schulden machen, ſpielen, trinken, die Lehr¬
ſtunden verſäumen, Liebſchaften haben — ſondern
das heißt: freiſinnige Meinungen offenba¬
ren. Und darum Knaben nach Sibirien verbannen!
Und darum die heiligen Bande der Mutterliebe zer¬
reißen! Und darum das Fundament der Welt un¬
tergraben! Das würde bei uns wirken. Aber was
geſchieht in Deutſchland? Höchſtens wird ein frei¬
ſinniger Mann zur Abbitte vor einem goldenen Rah¬
men und zur Zuchthausſtrafe auf unbeſtimmte Zeit
verurtheilt. Die deutſchen Höfe ſollten ihre Junker
nach Petersburg ſchicken, daß ſie dort regieren lernten.
Es iſt wirklich eine Schande, wie ſehr die deut¬
ſchen Junker noch zurück ſind. Die in Sachſen ha¬
[101] ben es unter allen am weiteſten gebracht; doch was
iſt's? In der erſten Kammer dort, in der Pago¬
den-Kammer — ſo oft in einer miniſteriellen Mit¬
theilung, des Namen des Königs oder des Prinzen
Mitregenten Erwähnung geſchieht, oder ſo oft ein
Miniſter in den Saal tritt, ſtehen die Edelleute auf
und verneigen ſich. Das iſt alles. Ich bin nicht
unbillig, ich ſage nicht: das iſt nichts. Es iſt
freilich eine Adelsperle, gegen welche die Perle,
welche Kleopatra in ihrem Weine auflöſte, nur eine
Linſe war. Aber ich ſage: es iſt wenig. Eine
Perle! Schickt die edlen Pagoden nach Peters¬
burg. Iſt es nicht abſcheulich, wie man im kö¬
niglich mitregentlichen Sachſen den Bürgerſtand
verzärtelt? Die Biene enthielt eine Petition worin
man um die Abſchaffung des Lehnweſens bat — ein
im neunzehnten Jahrhundert unerhörtes Verbrechen.
Nun freilich hat man dieſer Biene nicht blos den
Stachel, ſondern auch den Honig genommen; man
hat ſie zertreten, das Blatt unterdrückt, und den
Redakteur, der mit der Zeitung ſeine zahlreiche Fa¬
milie ernährte, an den Bettelſtab gebracht. Das iſt
etwas, aber lange nicht genug. In Rußland hätte
man dem Bienen-Vater Naſe und Ohren abgeſchnit¬
ten und ihn nach Sibirien verbannt. Schickt die
Junker nach Petersburg!
[102]
— Von deutſchen politiſchen Monatsſchriften
kenne ich nur ein einziges, das zu loben wäre: das
welches der Profeſſor Pölitz in Leipzig herausgiebt.
Es war früher ſchon ſehr gut, da der Mann nur erſt
Cenſor und Hofrath war; jetzt aber hat ihn der
Großherzog von Darmſtadt auch zum geheimen
Rathe ernannt, und da wird das Journal noch viel
beſſer werden. Dieſe Auskunft geben Sie einſtwei¬
len *** in meinem Namen Ueber das Andere
werde ich ihm bald ſelbſt ſchreiben.
— Heine's Franzöſiſche Zuſtände habe ich
erſt vor wenigen Tagen bekommen, auch ſchon darin
zu leſen angefangen, ich will aber meine Bemerkun¬
gen zuſammen kommen laſſen Das Buch kömmt
mir ſehr gelegen. Es ſoll mir dienen mich, vielleicht
auch Heine zu ergänzen. Das iſt bequem und an¬
genehm; es iſt wie ein Treppengeländer. Man legt
die Hand darauf und gleitet mit geſchloſſenen Augen
ſicher hinab. Heine, mir gegenüber kommt mir vor
wie Melanchthon gegenüber Luther. (Ach was wäre
das für eine ſchöne Tonne für unſere lieben dummen
Wallfiſche!) Ich kann wie Luther ſagen: „Ich bin
„dazu geboren, daß ich mit Rotten und Teufeln
„muß kriegen, und zu Felde liegen, darum meiner
„Bücher viele ſtürmiſch und kriegeriſch ſind. Ich
„muß die Klötze und Steine ausrotten, Dornen und
[103] „Hecken weghauen, Pfützchen ausfüllen, Bahn machen
„und zurichten; aber Melanchthon fährt ſäuberlich und
„ſtill daher, bauet und pflanzet, ſäet und begeußt
„mit Luſt, nachdem ihm Gott ſeine Gaben reichlich
„gegeben hat. Soll ich aber einen Fehl haben, ſo
„iſt es mir lieber, daß ich zu hart rede und die
„Wahrheit zu heftig herausſtoße, denn daß ich irgend
„einmal heuchelte und die Wahrheit inne behielte.“
Geſtern waren laue Frühlingslüfte in den Tui¬
lerien und man ging und ſaß viel ſpazieren. An
ſolchen Tagen ſproſſen plötzlich die Stühle aus der
Erde und prangen mit den ſchönſten Blumen. Blu¬
men — Weiber. Schon werde ich dichteriſch und
habe das ganze Herz voll Veilchen. Wie freue ich
mich auf den Frühling! Wie will ich lieben! Auch
will ich ſobald ich meinen letzten Brief aus Paris
geſchrieben, eine Frühlingskur gebrauchen; Brunnen¬
kreſſe, den Werther oder was ſonſt das Blut rei¬
nigt. Das war ein harter Winterfeldzug! Ach!
und das weiße Blut der Augen, was die Menſchen
Thränen nennen, wird für keine Wunde, weinen nicht
für kämpfen angerechnet! Doch es ſei; glücklich wer
das nicht kennt. Wie freue ich mich auf die Seen,
die Berge und auf das Schellengeläute der Heerden,
das mich einlullt wie ein Wiegenlied.
..... Ich fange an Mitleiden mit Ihnen
zu haben und kann Ihren Schmerz nicht länger ohne
Rührung wahrnehmen. Sie ſollen Alles erfahren
aber heute iſt es zu ſpät. In meinem nächſten oder
nachnächſten Briefe werde ich die Geſchichte zu er¬
[105] zählen anfangen. Ich führe Sie von Fortſetzung zu
Fortſetzung bis ich Paris verlaſſe und Sie wieder¬
ſehe. Dann iſt das Geheimniß gerettet. Mündlich
kann ich lügen wie gedruckt, gedruckt aber oder ſchrift¬
lich lüge ich nie. Das iſt mein Amt und mir hei¬
lig. Ich unterſcheide mich hierin ſehr von allen Mi¬
niſtern, von welchen man mehrere Beiſpiele hat, daß
ſie in geſelligen Verhältniſſen nicht gelogen, in amt¬
lichen aber kein einziges Beiſpiel — ausgenommen in
dem ſeltenen Falle wo ſie die Wahrheit ſagten, daß
man ſie nicht glaube. Alſo noch acht Tage warten.
Acht und zwanzigſter Brief.
Menzels Artikel über Saphir iſt wunderſchön,
gemüthlich und geiſtreich. Ich hatte ähnliche Gefühle
als ich erfuhr, Saphir wäre ein Hofmann geworden,
und gar unentgeltlich. Sich den Höfen zu verſchen¬
ken, das heißt ſie verächtlich machen, das heißt ſie
ganz zu Grunde richten. Es giebt keine gefährlichere
Feindin des monarchiſchen Prinzips als die Uneigen¬
nützigkeit. Schöne Augen hat es nicht, wie bekannt,
und ſeine Gehalte ſind ſein ganzer Gehalt. Aus
einem Theater-Kritiker ein Theater-Intendant zu
werden! Adam war ſo dumm, ſich aus dem Para¬
dieſe verjagen zu laſſen; aber ſo dumm war er nicht,
[107] daß er ſich ſelbſt mit dem flammenden Schwerdte
vor das Paradies ſtellte, um die verbotenen Früchte
darin gegen ſich ſelbſt zu bewachen. Vor einigen
Jahren, als ich in Berlin war, ließ man mich dort
ausforſchen, ob ich nicht geneigt wäre, eine miniſte¬
rielle Theater-Zeitung zu ſchreiben. Zu wie viele
Thaler courant man mein äſthetiſches Gewiſſen ab¬
geſchätzt, erfuhr ich nicht; man wollte wahrſcheinlich
meiner Phantaſie keine Schranken ſetzen. Ich kann
Sie verſichern, daß ich in meinem Herzen die größte
Luſt hatte, mich in ſolchen Künſten etwas zu ver¬
ſuchen. Es hätte mir Freude gemacht, eine Weile
lang das monarchiſche Prinzip der Oper zu verthei¬
digen und den Jarke des Ballets zu ſpielen. Aber
ich lehnte das Anerbieten ab, denn mit dem Teufel
iſt nicht gut zu ſpaßen.
Ich hätte Saphir für klüger gehalten. Von
rechtlicher Geſinnung mag ich nicht ſprechen, man
macht ſich damit nur lächerlich; ich rede nur von der
Klugheit. Saphir hätte bedenken ſollen, daß man
jede Achtung der Menſchen, wie jede Herrſchaft, nur
durch die nehmlichen Mittel behauptet, durch die
man ſie erworben. Dieſen Weg zu verlaſſen und
abtrünnig zu werden, kann durch alle Schätze der
Welt nicht vergütet werden. Um zehen Kronen ver¬
rieth Napoleon die Freiheit die ihn emporgehoben;
er verlor alles und die Freiheit ſelbſt erbte den Lohn
[108] den er empfangen ſie zu verrathen. Ich höre, Sa¬
phir wundert ſich daß man ihn nicht bezahlt, und
daß man ihn nicht einmal gebraucht. Wenn man
ihn alſo bezahlte und doch nicht gebrauchte, würde
er ſich um ſo mehr wundern. Begreift er denn
nicht, daß wenn die Höfe einen unabhängigen Geiſt
kaufen, dieſes gar nicht geſchieht um ihn zu verwenden?
Was haben ſie ſolchen nöthig? Es fehlt ihnen an
Knechten nicht. Sie kaufen ihn nur, um ihn zu
zerſtören, um die menſchliche Würde zu entheiligen,
und frohlocken zu können: „Seht, ſo ſind euere Op¬
poſitionshelden, euere Liberalen, euere Republikaner!
Für Gold ſind ſie alle zu haben.“ Die Royaliſten
möchten die Anſicht geltend machen, ein wahrhaft
Liberaler müſſe uneigennützig, ein Republikaner tu¬
gendhaft ſein. Es iſt Schelmerei; ſie möchten dem
Liberalismus und dem Republikanismus den Handel
verderben; denn mit ſo großen Aufopferungen, wird
ſich ihnen ſelten einer ergeben wollen. Ich kann
aber meinen Glaubensgenoſſen, den Liberalen, zu
ihrer Beruhigung die Verſicherung geben, daß unſere
politiſche Religion uns gar nicht verbietet, nach Her¬
zensluſt Egoiſten zu ſein. Es giebt ſehr viele edle
Menſchen unter den Royaliſten und ſehr viele Schufte
unter den Republikanern. Aber das beweiſt weder
für die Monarchie noch gegen die Republik. Viel¬
leicht fragen Sie mich: wenn das aber ſo iſt, wenn
[109] der Liberalismus und die Republikaniſche Verhaftung
die Menſchen nicht beſſer macht, was wird dabei ge¬
wonnen? Darauf erwidere ich Ihnen; der Repu¬
blikanismus macht die Menſchen nicht beſſer aber
den Menſchen. Der Egoismus in einer republika¬
niſchen Sphäre, iſt weder ſo breit im Raume, noch
ſo lang in der Zeit, als der [Egoismus] in einer mo¬
narchiſchen Sphäre. Nicht ſo breit — durch Kor¬
porations-Geiſt; nicht ſo lang — durch Erb¬
lichkeit. Er beginnt und endet mit dem Leben, und
tritt nicht über den Kreis der Familie hinaus. In¬
dividuel wie er iſt, hat er nicht Raum genug unge¬
heuer, nicht Zeit genug troſtlos zu werden für die
bürgerliche Geſellſchaft. Die Perſon hat die
Verantwortlichkeit aller ihrer Handlungen auf ſich
allein zu nehmen, und dieſes Gefühl wird auch der
laſterhafteſten Natur Schranken ſetzen. Aber der Adel
hat kein Gewiſſen; denn er theilt die Schuld mit
den Tauſenden ſeines Standes. Aber der ſchlechteſte
Fürſt kann ſich gerecht dünken; denn er betrachtet
ſich als einen treuen Verwalter, der ein Gut,
das ihm von ſeinen Vorfahren anvertraut worden,
ungeſchmälert ſeinen Nachkommen überliefern will.
Ich werde Ihnen das ein andersmal, deutlicher
und umſtändlicher auseinander ſetzen. Wenn Sie
wißbegierig ſind erinnern Sie mich daran; meine
[110] liberale Spitzbubenſchule ſteht Ihnen zu jeder Zeit
offen.
Es wird jetzt von ſämmtlichen Regierungen ein
allgemeines Europäiſches Treibjagen auf die ehrlichen
Leute gehalten, und ein edles Thier weiß gar nicht
mehr, wo es ſich vor all den Hunden und Jägern
verſtecken ſoll. Sehen Sie, wenn ein Thor einmal
von einem Weiſen etwas lernt, ein unwiſſender Menſch
aus einem guten Buche eine Lehre zieht: können
Sie ſich darauf verlaſſen, daß es gerade eine Thor¬
heit und etwas Falſches ſein wird, was ſie ſich an¬
eignen. Vor vielen Jahren hat Montesqieu in ſei¬
nem berühmten Werke: von dem Geiſte der Ge¬
ſetze, den Grundſatz aufgeſtellt: Die Tugend ſei
das Prinzip der Republiken, wie die Ehre
das der Monarchie. Die ganze Weltgeſchichte
ſpricht dagegen. Doch glaubte man es wie ein
Evangelium. Nun war in früherer Zeit von repu¬
blikaniſchen Geſinnungen in Europa nichts zu ſpüren;
die Tugend, wo ſie ſich zeigte, flößte alſo keine Be¬
ſorgniſſe ein und die Fürſten trugen kein Bedenken
einem ehrlichen Manne ein wichtiges Staatsamt an¬
zuvertrauen. Jetzt aber, da ſich die republikaniſchen
Neigungen täglich ſtärker ausſprechen, erinnert man
ſich, daß die Tugend ihre einzige Nahrung ſei, und
man ſucht die ehrlichen Leute wie die Wölfe auszu¬
rotten. Auch werden die Staatswälder täglich ſiche¬
[111] rer und man wird bald mit der größten Ruhe bei
Tage und bei Nacht darin reiſen können. Ein frei¬
ſinniger Mann nach dem andern fällt ab, durch Be¬
ſtechung oder andere Verführung. Das traurigſte
hierbei iſt nun, nicht daß die Feinde der Freiheit dar¬
über frohlocken, ſondern daß deren Freunde ſich dar¬
über betrüben und in ihrem Glauben wankend ge¬
macht werden. Das iſt nun auch eine Thorheit und
zugleich eine Ungerechtigkeit. Wer die Tugend zer¬
ſtören will, braucht nur an ihr zu verzweifeln. Als
der ſterbende Cato ſprach; es giebt keine Tu¬
gend! — von dem Augenblicke an gab es keine
mehr. Die Schande und das Verbrechen fallen auf
die, welche verführen, nicht auf die welche ſich ver¬
führen laſſen. Der geſündeſte, der ſtärkſte, der blü¬
hendſte Mann — iſt er, darum, weil er ſo iſt, der
Wirkung des Giftes weniger ausgeſetzt? Er un¬
terliegt ihm wie der ſchwächſte. Wie mit der Ge¬
ſundheit des Körpers iſt es auch mit der Geſund¬
heit der Seele. Auch der edelſte Menſch hat Au¬
genblicke in ſeinem Leben, in welchen er ſich dem
Teufel verſchreiben möchte. Es ſind Augenblicke der
Noth, des Mangels, des Zorns, der Scham, der
Liebe, des Haſſes oder was es ſonſt iſt, was einen
guten Menſchen aus ſeiner Bahn werfen kann. In
ſolchen Augenblicken ruft er den Teufel an; aber
[112] zum Glücke kömmt der Teufel nicht. Die mitter¬
nächtliche Stunde geht vorüber, der Morgen däm¬
mert und die Seele iſt gerettet. Doch die Polizei
kömmt, ſobald man ſie ruft, bei Tage und bei Nacht,
zu jeder Stunde durch den Schornſtein und durch das
Schlüſſelloch. Ja ſie kömmt auch ungerufen, denn
ſie kennt die Noth jedes Menſchen, und wo keine
iſt, weiß ſie ſolche herbeizuführen. Keiner ent¬
geht ihr, auf deſſen Verderben ſie es beharrlich an¬
gelegt. So fängt die Polizei die armen verlornen
Seelen, welche die gebildete Welt in Frankreich:
Freunde der Regierung, in Oeſterreich gute
Patrioten, in Preußen: Preußen, in Spanien:
Freunde des Thrones und des Altars, in
Rußland: Alt-Ruſſen, in Baiern: Jeſuiten nennt;
welche aber der grobe Pöbel überall Spione heißt.
Gegen das Gift der geheimen Regierung giebt es
nur ein Gegengift; das wirkſam iſt: der Stolz.
Zwar iſt der Stolz auch ein Laſter und vielleicht
das größte unter allen. Aber eben weil es das
größte und mächtigſte iſt, beherrſcht es die andern
Schwächen als Despot und unterdrückt ſie alle. Den
einzigen Rath den man ehrlichen Leuten geben kann,
ſich zu wahren, iſt: ſeid ſtolz! Bedenkt, daß ihr
es mit Menſchen zu thun habt, die ihr verachtet,
und die euch verächtlich machen wollen, damit ihr
[113] das Recht verliert ſie zu verachten. Bleibt fern von
ihnen. Und weil man euch nur für ſtark hält; ſo
lange ihr brüllt wie die Löwen — ſo brüllt! Knurrt,
beißt, krazt den ganzen Tag, daß euch keiner nahe
komme; ihr ſeid verloren ſobald ihr liebenswür¬
dig ſeid.
„Guten Morgen, Kammerherr. — Ihr Hoheit
„geruhen wohl geruht zu haben. — Waren geſtern
„bei Hofe? — Unterthänigſt. — Was Neues? —
„Die Gräfin Amalie war en extase über das ſchöne
„Wort, das Ihre Hoheit in der Kammer ausgeſpro¬
„chen — Erinnere mich nicht. — Ihr Hoheit ge¬
„ruhten, als die Rede von der Oeffentlichkeit der
„Sitzungen und dem Drucke der Verhandlungen war,
„zu ſagen: Thaten ſind beſſer als Worte. —
„Weiter? — der Graf bemerkte: vraiment le prince
„Jean est un mirabeau. Die kleine gelbe Baro¬
„nin Julie trat hinzu und ſagte: oui monsieur le
„Comte, le prince est une mire — à — beau.
„Darauf erwiederte die Gräfin: Et vous, madame,
„vous êtes une mirabelle. — c'est divin: Meine
„Chocolade. Um eilf Uhr der graue Wagen vor.
„Sie melden mich bei der Gräfin. Der Hofrath
„Böttiger, Aufſeher im Japaniſchen Palais, bittet
[115] „Ihre Hoheit unterthänigſt einen Blick auf dieſe la¬
„teiniſche poetiſche Zeilen zu werfen. — Der Ja¬
„paniſche Narr ſoll mich in Frieden laſſen mit ſei¬
„nem Latein. Was will er? — Es iſt eine Ode
„Horace — vorace, Kammerherr! — an Ihre Ho¬
„heit, über deren männlich-fürſtlich-edel-hoch parle¬
„mentariſches Betragen. — Was iſt's? — Wie
„Ihre Hoheit zu ſagen geruhten. Thaten ſind
„beſſer als Worte. — Schicken Sie dem Hof¬
„rath zwei Dukaten und ich ließe danken. In der
„allgemeinen Zeitung ſtehen Berichte über die Stände-
„Verſammlungen. — Worte, nichts als Worte;
„Thaten ſind beſſer als Worte. Ich werde
„mit dem Miniſter ſprechen. Es darf keinem Un¬
„terthanen erlaubt ſein, Berichte in eine auswärtige
„Zeitung zu ſchicken, ohne ſie vorher der inländiſchen
„Cenſur vorgelegt zu haben. Wozu all das Ge¬
„ſchwätz? Thaten ſind beſſer als Worte.
„Meine Reitgerte! — Hoheit, dieſesmal ſind ſie in
„guten Händen. Der Hofrath Böttiger läßt mer¬
„ken: er ſei Correspondent der allgemeinen Zeitung.
„ — Was ſchreibt er? Bonbonnière! — Er
„ſpricht von der neulichen Sitzung, wo Ihr Hoheit
„zu ſagen geruhten: Thaten ſind beſſer als
„Worte. — Drei Dukaten bringen ſie ihm. —
„Ein junger Künſtler wagt es Ihrer Hoheit dieſe
[116] „Skizze zu einem Gemälde vorzulegen. Es iſt die
„Kammerſitzung, in welcher Ihre Hoheit zu ſagen
„geruhte: Thaten ſind beſſer als Worte.
„Sämmtliche hohen Stände-Glieder ſind porträtirt.
„— Mais Diable! man ſieht ja ihre Geſichter nicht.
„Nichts als Rücken; man meint ja es wäre der
„Grundriß zu einem Brückenbau. — Delicieux!
„Altesse. Der Maler wählte den Augenblick wo
„der Miniſter in die Kammer tritt und ſämmtliche
„Mitglieder aufſtehen und ſich verneigen. — Hut!
„Kammerherr, Sie erwarten mich bei der katholi¬
„ſchen Kirche, und wenn Sie mich bei der Gräfin
„wieder einſteigen ſehen, kommen Sie mir entgegen,
„Prenez cette Tabatière. A dio. — Thaten
„ſind beſſer als Worte.“ — — Mit Ausnahme
Ihrer Worte die beſſer ſind als alle Thaten. Dieſer
Brief iſt kurz und bleibt kurz. Am mehr ſchreiben
verhindert mich Viktor Hugos neues Drama, das
vor einigen Tagen im Drucke erſchienen und wor¬
über ich zwei Tage, mit Leſen und Notiren zuge¬
bracht.
— Den *** habe ich immer als liberalen
Mann gekannt. Ueberhaupt iſt er brav und hat
einen tüchtigen Charakter. Schade, daß ſeine Ver¬
hältniße ihn von politiſcher Thätigkeit, entfernt hal¬
[117] ten. In unſerm verkrüppelten deutſchen Philiſter¬
walde, würde er als hohe Eiche hervorragen und
man würde ihn aus den Fenſtern der fürſtlichen
Palläſte erkennen.
Neun und zwanzigſter Brief.
Lucrecia Borgia habe ich geſtern aufführen
ſehen, nachdem ich das Drama geleſen, und ich kann
jetzt gründlich davon ſprechen, ob die Dame ſchön
oder häßlich ſei, denn ich habe ſie am Tage und
beim Kerzenlichte betrachtet. Ich muß wieder den
Brutus machen. So oft ich Victor Hugo richte,
iſt es mir als ſollte ich meinen Sohn verurtheilen.
Ich liebe den Rebellen: denn nur mit ſolcher Kraft
und ſolcher Kühnheit kann man ſich ſo weit und ſo
hoch verirren und ich hoffe, daß wenn er erſt ganz
die Beſinnung verloren, er zur Beſonnenheit zurück¬
kehren wird.
[119]
Zu beſſerm Verſtändniß ſollte ich Ihnen vorher
einiges aus der wahren Geſchichte der fürſtlichen
Familie Borgia mittheilen, wenn auch nur mit un¬
leſerlicher Hand, daß Sie ſo von der Hälfte der
Wahrheit, die ich Ihnen erzählte, nur die Hälfte
verſtünden. Doch ich fürchte, noch ſo unleſerlich,
möchte das dem monarchiſchen Prinzip ſchaden, das
jetzt kränklich und reizbar iſt und das man ſchonen
muß. Auch könnte dann geſchehen, daß Sie vor
Marat wie vor einem Heiligen niederfielen, und ſie
ſollten keinen andern Mann anbeten, als den Einen.
Nach reiflicher diätetiſcher Ueberlegung, habe ich
beſchloſſen, Sie mit der [letzten] Scene der Tragödie
zuerſt bekannt zu machen. Wenn Sie es dort oben,
auf dem Gipfel der Greuel ausgehalten, iſt weiter
unten ein wahres Vergnügen. Einige Schritte den
Berg hinab und Sie werden glauben in einer tugend¬
haften Region zu ſein, und auf der Mitte des Ber¬
ges wo man nur wenig mordet, könnte Ihnen die
moraliſche Hitze vielleicht läſtig fallen. Wenn in dem
Drama Perſonen vorkommen die nur den Dolch
gebrauchen, wird man gerührt, und man möchte ihnen
um den Hals fallen. Mir erging es ganz im Ernſte
ſo. Ein Bandit, Vertrauter der Lucrecia, der alle
ihre Miſſethaten ausführt oder einleitet, aber nur des
Geldes willen, ohne Bosheit, erſchien mir wie ein
[120] edler Ifländiſcher Juſtizrath und bei ſeinem Anblick
ward mir ganz weinerlich zu Muthe.
Alſo in der letzten Scene befinden wir uns
in Ferrara, wo damals Herzog Alphons von Eſte
herrſchte. Seine Gemahlin war Lucrecia Borgia.
Eine junge ſchöne Prinzeſſin, eine der Nympfen der
Circe Borgia, hatte in ihrem Palaſte eine Anzahl
venetianiſcher Edelleute zu einem Abendmahle einge¬
laden. Die Ritter tragen Roſenkränze in den Haa¬
ren, die ſchönſten jungen Mädchen verherrlichen das
Feſt, und eine Schaar aufwartender Mohren,
erhöhen durch ihr Nachtgeſicht den Glanz der Blu¬
men, der Edelſteine und der goldenen Gefäße, die
auf dem Tiſche prangen. Man lacht, man ſcherzt,
man trinkt, man küßt, es ging gar nicht ſteif da zu
und ich möchte wohl dabei geweſen ſein. Beim De¬
ſert tritt ein artiger Page mit goldenen Flaſchen her¬
ein und fragt: Meine gnädigen Herren, Syrakuſer
oder Cyperwein? Die Ritter wählen Syrakuſer.
Unter den Gäſten waren auch ein Ritter im ſchwar¬
zen Mantel der ſich mitten im Taumel durch ſeine
Ruhe und Beſonnenheit auszeichnet, ob er ſich zwar
auch Weintrunken anſtellt. Das iſt aber mein
wackerer Ifländiſcher Menſch, den ich ſo ſehr liebe,
weil er mit Juſtizräthlichem Pflichtgefühle ſeinen be¬
ſten Freunden die Hälſe abſchneidet, da es ſein Amt
[121] iſt, und er dafür bezahlt wird. Wenn ihn ſeine
Gebieterin Lucrecia Borgia etwas Gutes thun heißt,
thut er es auch. Kurz er iſt ein Muſter von treuem
Staatsdiener, und er hat zu ſeinem fünfzigjährigen
Amts-Jubiläum ganz gewiß einen Orden vierter Klaſſe
mit einem allerhöchſten Belobungsſchreiben erhalten.
Dieſer ſchwarze Edelmann fängt plötzlich Streit
an. Es war Schelmerei, es war verabredet. Die
jungen Damen ſtellen ſich erſchrocken und verlaſſen
den Saal. Die Händel werden beigelegt und man
trinkt und lacht wie vor. Ein Weinlied wird an¬
geſtimmt. Da miſchen ſich unſichtbare Geiſterſtimmen
in den Chor, erſt fern dann näher, erſt leiſe dann
ſtärker. Die luſtigen Edelleute horchen auf, kehren
aber bald zum Taumel der Vergeſſenheit zurück.
Aber der wunderliche Geſang wird immer vernehm¬
barer. Es war ein Kirchenlied, ein Mönchsgemurmel,
ein Grabgeläute. Die Ritter werden nüchterner.
Da ſchlagen plötzlich große Flügelthüren auf, und
man ſieht im Hintergrunde, durch eine Eſtrade von
dem Saale geſchieden, ein ſchwarz behangenes von
Kirchenlichtern erhelltes Zimmer, das Mönche in
ſchwarzen und weißen Kutten, Fackeln in den Händen
tragend, ausfüllen. Sie trugen Larven. Die weißen
Geſtalten ſteigen in den Saal hinab, und die Edel¬
leute in der Mitte nehmend, ſtellen ſie ſich in zwei
Reihen, und ſingen ihr ſchauerlich Latein. Die
[122] Ritter lachen noch immer, ſie meinen, die jungen
Damen hätten ſich einen Scherz machen wollen und
ſich als Mönche verkleidet. Darum hätten ſie auch
ſo ſchnell den Saal verlaſſen. Es tritt einer der
Ritter zu den weißen Geſtalten hin und reißt ihr
die Maske ab. Da ſieht er das wahrhaftige feuchte
und bleierne Geſicht eines Mönchs. Den armen
jungen Edelleuten gerinnt das Blut in den Adern.
Jetzt kömmt aus dem Hintergrunde des Trauer¬
zimmers eine erhabene weibliche Geſtalt hervor.
Ihr weites ſchwarzes Sammtkleid, die goldene
Schärpe um den Leib, das goldene Diadem in den
Haaren, deſſen Spitzen wie Irrlichter hin und her
funkeln, gaben ihr das Anſehen einer Zauberin.
Sie tritt an die Stufen der Eſtrade, und ruft mit
Grimm und Spott in den Saal hinab: Du da!
Ich habe Deinen Vater vergiftet. Nicht wahr, Du
weißt das noch? Du da! Ich habe Deinen Bruder
erwürgt. Du haſt das gewiß nicht vergeſſen. Du
dort! Ich habe Deinen Vetter erſäufen laſſen, wie
Dir wohl bekannt iſt. So nennt ſie fünf beim
Namen. Jetzt müßt Ihr auch ſterben, Ihr ſeid
vergiftet. Aber beruhigt Euch, Ihr werdet chriſtlich
bedient werden. Mein Vater, der Papſt, hat dieſe
guten Mönche, für alle ſolche meine Angelegenheiten,
gehörig ordinirt und dispenſirt. Sie empfangen
Euere Beichte und geben Euch die Abſolution und
[123] ein chriſtliches Begräbniß wird Euch zu Theil. Seht
dort! Auf ihren Wink treten die ſchwarzen Kutten
zurück, die im Hintergrund des Trauerzimmers bis
jetzt verborgen und man ſieht fünf Särge neben
einander, mit ſchwarzen Tüchern und weißen Kreuzen
behängt und von Wachskerzen umſtellt. Ueber jedem
Sarge iſt der Name ſeines künftigen Bewohners
geſchrieben. Die vergifteten jungen Leute, von den
ſingenden Mönchen umgeben, wankten zu ihren Särgen
hinab. Das Trauerzimmer ſchließt ſich.
Lucrecia Borgia bleibt allein im Saale zurück;
da gewahrt ſie einen Jüngling und ruft entſetzt:
Gennaro! Daß der auch beim Mahle geweſen, daß
er auch vergiftet worden, das wußte ich nicht. Sie
liebt ihn leidenſchaftlich, er iſt alles in der Welt
was ſie liebt. Sie fleht ihn an, er möchte ſein
Leben erhalten, er beſitze ja noch das Gegengift.
Gennaro zieht ein Fläſchchen aus der Taſche und
fragt, ob das hinreiche alle ſeine Freunde zu retten?
Lucrecia jammert: nein. Da wirft er das Fläſchchen
weg und ſagt: ſo wolle er ſterben, aber ſie ſterbe
vorher. Er greift nach einem Meſſer und zückt es
nach ihr. Lucrecia wehklagt zu ſeinen Füßen: tödte
mich nicht! Du nicht. Gennaro bleibt entſchloſſen.
Da geſteht Lucrecia, ſie wäre ſeine Tante; deſto
ſchlimmer! ſchreit Gennaro und ſtößt ihr das
Meſſer in die Bruſt. Lucrecia röchelt: ich bin
[124]deine Mutter! und ſtirbt. Sie war ſeine wirk¬
liche Mutter; ſie war aber auch ſeine Tante; ſie
war aber auch ſeine Großmutter. Die Genealogie
der päpſtlichen und fürſtlichen Familie Borgia, war
ein wunderliches, verwirrtes und künſtliches Räthſel¬
ſpiel. Aber der Teufel konnte daraus klug werden.
Was der letzten Scene alles vorhergeht, iſt
jetzt für Sie von keiner großen Bedeutung mehr,
doch will ich es kurz erzählen. Der erſte Act
ſpielt in Venedig, auf der Gartenteraſſe hinter dem
Palaſte eines Nobile, der ein [Nachtfeſt] gab. Einige
der Ballgäſte, junge Ritter, ſind im Freien und
erzählen ſich ihre Abentheuer. Es ſind die nämlichen
Edelleute, die ſpäter in Ferrara von Lucrecia ver¬
giftet worden. Unter ihnen zeichnet ſich durch ſein
ſtilles und ſchwärmeriſches Weſen der junge Gennaro
aus, den wir als Sohn der Borgia auch ſchon
kennen. Er iſt in venetianiſchen Kriegsdienſten, kennt
ſeine Herkunft nicht, und ſchwärmt liebevoll mit
dem Gedankenbilde ſeiner Mutter, die er nie geſehen.
Er ſetzt ſich auf eine Bank und ſchläft ein. Da
naht ſich eine maskirte Dame. Man hat vor uns
keine Geheimniſſe mehr: es iſt Lucrecia Borgia.
Dieſe hat ihren geliebten Sohn ſeit ſeiner Geburt
nicht aus ihren mütterlichen Augen verloren. Sie
ſorgte im Stillen für ihn, ließ ihn bewachen, ihre
Späher folgten ihm auf allen ſeinen Lebenswegen.
[125] Von dieſen erfuhr ſie, Gennaro ſei jetzt in Venedig.
Sie eilte ihm nach, ſich an ſeinem Angeſichte zu er¬
freuen. Sie findet ihn ſchlafend, betrachtet ihn lange
mit Entzücken und weckt ihn endlich durch einen Kuß.
Gennaro ſchlägt die Augen auf und ſieht angenehm
überraſcht eine ſchöne Frau zu ſeiner Seite. Zwar
hat er ſchon eine Liebe, aber das im Schlafe zu¬
gefallene Glück mag er darum doch nicht verſchmähen.
Er iſt artig gegen die Schöne und das Heilige ihrer
zärtlichen Erwiederung ahndet der Jüngling nicht.
Er geſteht ihr, er fühle ſich durch eine wunderbare
Gewalt zu ihr hingezogen, ihr könne er alle ſeine
Geheimniſſe vertrauen. Er erzählt ihr von ſeiner
unbekannten Mutter, liest ihr die Briefe vor, die
er durch fremde Hand von ihr erhalten. Lucrecia
Borgia vergißt alle ihre Verbrechen und iſt einmal
glücklich, weil ſie ſich ſchuldlos fühlt. Aber von
dem Balkon des Pallaſtes herab, hat einer der
Edelleute Lucrecia Borgia erkannt. Er theilt das
Geheimniß ſeinen Freunden mit. Sie alle hatten
eine Blutſchuld an ihr zu rächen. Sie ſtürzen mit
Fackeln in den Garten hinab und wie die Rachegötter
umringen ſie Lucrecia. Einer tritt nach dem Andern
hervor, einer ſchreit nach dem Andern: du haſt
meinen Vater, du haſt meinen Oheim ermordet.
Lucrecia, ſonſt abgehärtet gegen ſolchen Vorwurf,
fühlt ſich jetzt zerſchmettert von ihm. Sie kann
[126] den Schimpf nicht in Gegenwart ihres Sohnes er¬
tragen, vor dem allein ſie rein erſcheinen möchte,
an deſſen Achtung unter allen Menſchen ihr allein
gelegen iſt. Die Unglückliche ringt die Hände, bittet
um Schonung und Erbarmen. Aber die Zornent¬
brannten ſetzten ihr Strafgericht fort, und donnern
der Sünderin alle ihre Schandthaten ins Geſicht.
Da tritt Gennaro als Ritter der Dame hervor und
gebietet bei ſeinem Schwerdte Ruhe und Stille.
Seine Freunde fragen ihn: kennſt du ſie denn? Sie
reißen ihr die Maske vom Geſichte. Es iſt Lu¬
crecia Borgia! ſchreien ſie. Gennaro, unter den
wilden leichtſinnigen Geſellen der einzige tugendhafte
und ſittliche Menſch, haßt um ſo ſtärker als ſie
den weiblichen Teufel Lucrecia Borgia, deren
Schreckensnamen durch ganz Italien zitterte. Er
verhüllt ſich das Geſicht, und wendet ſich entſetzt
von ihr ab.
In dem folgenden Akte kommen die Ritter nach
Ferrara. Lucrecia ſich zu rächen, lockt ſie zu einem
Gaſtmahle und läßt ſie vergiften, wie wir erfahren.
Auch Gennaro kömmt nach Ferrara und wird von
den Sbirren des Herzogs von Eſte gefangen genommen.
Dieſer nämlich, der das Leben ſeiner Gemahlin Lu¬
crecia nur zu gut kennt, läßt ſie auf allen ihren
Wegen beobachten, und ſo hatte er von ſeinen
Spionen erfahren, daß Lucrecia in Venedig mit
[127]Gennaro, einem ihrer Liebhaber, eine heimliche
Zuſammenkunft gehabt. Der Jüngling wird von
dem beleidigten Fürſten und dem eiferſüchtigen Gatten,
dem Tode geweiht. Vorher, als er noch frei war,
ging er mit ſeinen Kriegsgeſellen vor dem herzoglichen
Pallaſte auf und ab. Der weiche tugendhafte Jüngling
in ſeinem glühenden Haſſe gegen die verruchte Lucrecia,
verflucht die Mauern, verflucht die Steine des Pallaſtes,
flucht ſeiner hölliſchen Bewohnerin. Unter dem Thore
war der Name Borgia eingehauen. Gennaro in ſeiner
Leidenſchaft ſpringt hinauf und ſticht mit ſeinem
Dolche den Buchſtaben B ab, ſo daß nur Orgia
bleibt. Dieſen Schimpf erfahren Lucrecia und der
Herzog. Lucrecia kennt den Thäter nicht; aber der
Herzog kennt ihn. Er hat ihn in ſeiner Gewalt.
Der Herzog ſitzt allein in ſeinem Zimmer.
Da ſtürzt Lucrecia wuthentbrannt herein, da iſt ſie
eine Furie wie in der Geſchichte, keine liebende
Mutter wie in der Fabel des Dichters. Und es
blitzt aus ihren Augen, und donnert aus ihrem
Munde. Und ſie ſagt ihrem Gemahl, welch ein
Schimpf ihr geſchehen, und ſein Bettelvolk von
Ferrara nähme ſich gar zu viel heraus, und es ſei
doch ſonderbar, daß er für ihre Ehre ſo wenig
Sorge trage, daß er den Miſſethäter nicht aufſuchen
laſſen. Der Herzog hört ſie kalt, ruhig und
höhniſch an, und als ſie ausgewüthet, ſagt er: der
[128] Miſſethäter iſt gefunden. Wie! gellt Lucrecia —
er iſt gefunden und noch frei? Er iſt gefangen,
erwiedert der Herzog. Er iſt gefangen und lebt
noch? frägt Lucrecia in ihrem Grimme. Er wird
ſterben, erwiedert der Herzog eiskalt. Lucrecia läßt
ihren Gemahl bei ſeiner fürſtlichen Würde ſchwören,
den Verbrecher hinzurichten, wer er auch ſei. Der
Herzog giebt ſein Fürſtenwort höhniſch lächelnd.
Er winkt, der Verbrecher wird hereingeführt, und
Lucrecia erkennt mit Entſetzen ihren Gennaro. Das
iſt der Thäter nicht, ſpricht Lucrecia. Gennaro
tritt hervor und ſagt: ich bin der Thäter. Lucrecia
bittet ihren Gemahl um ein heimliches Geſpräch.
Gennaro wird abgeführt. Jetzt bittet ſie ihren
Gemahl um das Leben des jungen Mannes. Sie
wolle großmüthig ſein, es ſei nur eine Laune geweſen
als ſie ſeinen Tod gefordert. Der Herzog erinnert
ſie, daß er ihr ſein Fürſtenwort gegeben, den Ver¬
brecher zu beſtrafen. Lucrecia erwiedert lächelnd:
Eide ſind für das Volk, nicht für uns Für¬
ſten. Das ganze Haus beklatſcht dieſes Wort.
Aber der Herzog läßt ſich nicht erbitten. Alle Künſte
des Himmels und der Hölle ruft ſie auf; Liebe und
Haß, Wehmuth und Zorn, Lächeln und Thränen,
Schmeicheleien und Drohungen. Alles umſonſt.
Sie droht ihrem Gemahle mit der Rache ihres
Vaters des Papſtes, mit ihrer eignen; ſie erinnert
[129] ihn daran, daß er ihr vierter Mann ſei. Der
Herzog ſpottet ihrer. Sie iſt erſchöpft, ihr Köcher
iſt ausgeleert. Ganz matt frägt ſie ihren Gemahl,
warum er ihr das Leben des Jünglings nicht ſchenken,
ihr nicht den kleinen Gefallen thun wolle? Jetzt
fängt der beſchneite Herzog zu rauchen an, und ein
Feuerſtrom des Zorns ſtürzt aus ſeinem Munde.
Er donnert: „weil er dein Liebhaber iſt“ und jetzt
hält er ihr alle Schandthaten ihres Lebens vor und
endet: „Deine geliebten Männer können auch künftig
durch jede Thüre zu dir kommen; aber die Thüre,
durch welche ſie wieder herausgehen, werde ich be¬
wachen laſſen — von dem Henker.“ Gennaro
müßte ſterben, ſie ſolle ſelbſt wählen zwiſchen Gift
und Schwerdt. Lucrecia wählet Gift. Der Herzog
läßt zwei Flaſchen holen, eine ſilberne und eine
goldene. In der goldenen ſei der zubereitete Wein,
den ſie recht gut kenne. Daraus ſolle ſie dem Gennaro
einſchenken, ſich aber ja hüten, die Flaſchen zu ver¬
wechſeln, denn geſchehe es, ſtünde draußen ein Mann
mit einem nackten Schwerdte bereit, der auf einen
Wink hereinſtürzen und den geliebten Jüngling unter
ihren Augen niederhauen werde.
Gennaro wird zurückgeführt. Der Herzog
ſtellt ſich gnädig, verzeiht ihm, trinkt ihm zu. Er
trinkt aus der ſilbernen Flaſche, Lucrecia füllt mit
angſtzitternder Hand einen Becher aus der goldenen
VI. 9[130] Flaſche, und überreicht ihn ihrem Sohne. Der
Herzog verläßt höhniſch das Zimmer. Lucrecia
ſchreit ihrem Sohne zu: Ihr ſeid vergiftet; um
Gotteswillen trinkt ſchnell aus dieſem Fläſchchen;
es iſt Gegengift, ein Tropfen und ihr ſeid gerettet.
Aber Gennaro weigert ſich zu trinken. Er ſagt
ihr: es ſei ihm wohl bekannt, wie ſie einſt einen
Fürſten vergiftet, indem ſie ihm glauben gemacht, er
ſei es ſchon, und ihm im Gegengift ein Gift gegeben.
Lucrecia verzweifelt über dieſes verſchuldete Mistrauen;
aber die Mutterliebe giebt ihr Beredſamkeit, Gennaro
glaubt und trinkt. Jetzt ſolle er ſchnell aus Ferrara
eilen. Aber der unglückliche Jüngling läßt ſich von
ſeinen Freunden aufhalten und ſich Abends zu dem
Giftmahle verlocken. Dort, wie wir erfahren, ſtirbt
er, nachdem er ſeine Mutter getödtet.
Und wozu, wozu alle dieſe Greuel? Außer
den Schandthaten, die auf der Bühne unter unſern
Augen geſchehen, werden auch alle die erzählt, welche
die Borgias ſeit jeher begangen. Warum die Kunſt
zur Schinderin, die Bühne zu einem Schindanger
machen? Victor Hugo ſagt in der Vorrede zum
Drama: „La paternité sanctifiant la difformité
„physique, violà le roi s'amuse: la maternité
„purifiant la difformité morale, voilàLucrece
„Borgia... à la chose la plus hideuse
„mêlez une idée réligieuse, elle deviendra
[131] „sainte et pure. Attachez Dieu au gibet, vous
„avez la croix.“ Unvergleichlicher Unſinn! Freilich
bleibt Gott auch noch am Kreuze Gott, aber das
Kreuz macht ihn nicht zum Gotte, und die Anbetung
findet ihn dort nur mit Schmerz. Freilich behält
der Edelſtein auch noch im Kothe ſeinen Werth, und
wer ihn da findet mag ihn aufheben; aber den Edel¬
ſtein in ſolcher Faſſung ſuchen und ihn darum vor¬
ziehen — käme das je Einem in den Sinn? Konnte
uns der Dichter den Adel und die Macht der Mutter¬
liebe nur in einer Lucrecia Borgia zeigen? Und
ihre Mutterliebe iſt keine Perle im Schmutze, ſie
iſt Schmutz in Schmutz. Ihr Sohn iſt eine Frucht
der Blutſchande, es iſt der Sohn ihres Bruders.
Ich hätte noch gar manches zu ſagen; aber
mit einem guten Bruder Liberalen muß ich einige
Nachſicht haben. Victor Hugo bemerkt in der Vor¬
rede: die Miniſter möchten ſich ja nicht ſchmeicheln,
er habe ſie vergeſſen. Keineswegs. Er werde zwar
ſeine Kunſt mit allem Eifer forttreiben, aber darum
die Politik nicht vernachläſſigen. „L'homme a deux
mains.“ Schön geſagt! In Baiern bekäme er
dafür ein doppeltes Urtheil. Fünf Jahr in's Zucht¬
haus für die rechte Hand und fünf Jahr in's Zucht¬
haus für die linke Hand. Doch hat unſer gelehrter
Frankfurter Feuerbach, in ſeinem unvergleichlich
baieriſchen Criminal-Geſetzbuche für das Königreich
9 *[132] Baiern, dieſes, wie noch manches andere vergeſſen.
Wenn die rechte Hand beſtraft wird, daß ſie geſchrieben,
verdient die linke Hand dafür beſtraft zu werden, daß
ſie das Papier feſtgehalten. Ueberhaupt könnte ich das
baieriſche Criminalgeſetzbuch mit vielen aſtronomiſchen
Neuigkeiten bereichern. Erſt kürzlich entdeckte ich
einen ſehr fernen entfernten Verſuch zum Verſuche
eines Hochverraths-Verſuchs. Es iſt ein kleiner
Nebelſtern, aber zwei Jahr Zuchthaus wären immer
dabei zu verdienen.
Geſtern Abend im Bette fing ich die Leidens¬
geſchichte eines Italiäniſchen Staatsgefangenen zu
leſen an. Nach dem Kapitel worin er von den
ſchrecklichen Gefühlen ſpricht, mit welchen man am
erſten Morgen in einem Gefängniſſe erwacht, ſchlief
ich ein. Und als ich dieſen Morgen erwachte, war
mein erſter froher Gedanke: Du biſt frei! Und
mein zweiter froher Gedanke war: Du biſt nicht
frei! Denn wäreſt du frei, würdeſt du nicht ſo froh
ſein, daß heute Samſtag iſt, der dir einen Brief
bringt. Aber ich Glücklicher! Das iſt kein carcero
duro, und ich will es gern ertragen mein Leben
lang. Ich erzähle Ihnen noch aus dem Buche.
Es heißt: Le mie prigioni, memorie di Silvio
Tellico da Saluzzo. Es iſt ein Dichter aus Pie¬
mont, der zehen Jahre ſeines Lebens, von 1820
bis 1830, von ſeinem dreißigſten bis zu ſeinem
vierzigſten Jahre, in verſchiedenen Oeſtreichiſchen
Staatsgefängniſſen geſchmachtet. Ich bringe das
Buch mit. Künftigen Sommer, an ſolchen Abenden,
wo die Lüfte trunken von den Bergen kommen, leſe
ich Ihnen daraus vor, Ihre Pulſe zu ſtillen. Ich
lernte Wilhelm Tell verſtehen, und wie ihm vor dem
[134] Kerker eines Oeſtreichiſchen Landtags ſchaudern
mußte. Wer an ſolche Luft gewöhnt, hat keine
Tyrannei zu fürchten — er erträgt ſie nicht.
Ich hätte Ihnen noch einige Worte von der
Demoiſelle Georges ſagen ſollen, welche die
Lucrecia Borgia ganz herrlich geſpielt. Sie war
ein Vulkan und alles was in dem dunklen Buſen
eines ſolchen Weibes kocht, kam donnernd und in
Feuergüſſen an den Tag. Das war freilich das
Verdienſt des Dichters, zugleich aber ſeine Schuld.
Statt uns an den reinlichen gedeckten Tiſch der
Leidenſchaft zu ſetzen, bringt er uns in ihre Küche,
und dieſes Mal war es des Teufels Küche. In
mehreren Ecken des Saals wurde einigemal geziſcht,
bei ſolchen Stellen, wo alles zu nackt, zu roh, zu
blutig erſchien, wo einen das rothe Fleiſch anekelte.
Victor Hugo kömmt mir wie ein unmündiger reicher
Erbe vor, der Wucherern in die Hände gefallen,
und Schulden auf Schulden häuft. Wenn er es
ſo forttreibt, kann er, bis er volljährig und ver¬
ſtändig wird, ſich arm gelebt haben. Man ſoll von
den Zinſen ſeines Geiſtes leben ... Und wie
gefalle ich Ihnen als ſolider Menſch?
Dreißigſter Brief.
Soll ich über Heines franzöſiſche Zuſtände
ein vernünftig Wort verſuchen? Ich wage es nicht.
Das Fliegenartige Misbehagen, das mir beim Leſen
des Buches um den Kopf ſummte, und ſich bald
auf dieſe bald auf jene Empfindung ſetzte, hat mich
ſo ärgerlich geſtimmt, daß ich mich nicht verbürgen
kann — ich ſage nicht für die Richtigkeit meines
Urtheils, denn ſolche anmaßliche Bürgſchaft übernehme
ich nie — ſondern nicht einmal für die Aufrichtigkeit
meines Urtheils. Dabei bin ich aber beſonnen
genug geblieben, um zu vermuthen, daß dieſe Ver¬
ſtimmung nicht Heines Schuld iſt. Wer ſo große
[136] Geheimniſſe wie er beſitzt, als wie: in der dreihundert¬
jährigen Unmenſchlichkeit der Oeſterreichiſchen Politik
eine erhabene Ausdauer zu finden, und in dem
Könige von Baiern einen der edelſten und geiſt¬
reichſten Fürſten, die je einen Thron geziert;
den König der Franzoſen, als hätte er das kalte
Fieber, an dem einen Tage für gut, an dem andern
für ſchlecht, am dritten wieder für gut, am vierten
wieder für ſchlecht zu erklären; wer es kühn und
großartig findet, daß die Herren von Rothſchild,
während der Cholera ruhig in Paris geblieben, aber
die unbezahlten Mühen der deutſchen Patrioten
lächerlich findet; und wer bei aller dieſer Weich¬
müthigkeit ſich ſelbſt noch für einen gefeſteten
Mann hält — Wer ſo große Geheimniſſe beſitzt,
der mag noch größere haben, die das Räthſelhafte
ſeines Buches erklären; ich aber kenne ſie nicht.
Ich kann mich, nicht blos in das Denken und Fühlen
jedes Andern, ſondern auch in ſein Blut und ſeine
Nerven verſetzen, mich an die Quellen aller ſeiner
Geſinnungen und Gefühle ſtellen, und ihrem Laufe
nachgehen mit unermüdlicher Geduld. Doch muß
ich dabei mein eigenes Weſen nicht aufzuopfern haben,
ſondern nur zu beſeitigen auf eine Weile. Ich kann
Nachſicht haben mit Kinderſpielen, Nachſicht mit
den Leidenſchaften eines Jünglings. Wenn aber an
[137] einem Tage des blutigſten Kampfes ein Knabe, der
auf dem Schlachtfelde nach Schmetterlingen jagt,
mir zwiſchen die Beine kömmt; wenn an einem
Tage der höchſten Noth, wo wir heiß zu Gott beten,
ein junger Geck uns zur Seite, in der Kirche nichts
ſieht als die ſchönen Mädchen, und mit ihnen lieb¬
äugelt und flüſtert — ſo darf uns das, unbeſchadet
unſerer Philoſophie und Menſchlichkeit, wohl ärgerlich
machen.
Heine iſt ein Künſtler, ein Dichter, und zur
allgemeinſten Anerkennung fehlt ihm nur noch ſeine
eigne. Weil er oft noch etwas anders ſein will
als ein Dichter, verliert er ſich oft. Wem wie ihm,
die Form das höchſte iſt, dem muß ſie auch das
einzige bleiben; denn ſobald er den Rand überſteigt
fließt er in's Schrankenloſe hinab, und es trinkt
ihn der Sand. Wer die Kunſt als ſeine Gottheit
verehrt, und je nach Laune auch manches Gebet an
die Natur richtet, der frevelt gegen Kunſt und Natur
zugleich. Heine bettelt der Natur ihren Nektar und
Blüthenſtaub ab, und bauet mit bildendem Wachſe
der Kunſt ihre Zellen. Aber er bildet die Zelle
nicht, daß ſie den Honig bewahre, ſondern ſammelt
den Honig, damit die Zelle auszufüllen. Darum
rührt er auch nicht wenn er weint; denn man weiß,
[138] daß er mit den Thränen nur ſeine Nelkenbeete begießt.
Darum überzeugt er nicht, wenn er auch die Wahr¬
heit ſpricht, denn man weiß, daß er an der Wahr¬
heit nur das Schöne liebt. Aber die Wahrheit iſt
nicht immer ſchön, ſie bleibt es nicht immer. Es
dauert lange bis ſie in Blüthe kömmt, und ſie muß
verblühen ehe ſie Früchte trägt. Heine würde die
deutſche Freiheit anbeten, wenn ſie in voller Blüthe
ſtände; da ſie aber wegen des rauhen Winters, mit
Miſt bedeckt iſt, erkennt er ſie nicht und verachtet
ſie. Mit welcher ſchönen Begeiſterung hat er nicht
von dem Kampfe der Republikaner in der St. Mery
Kirche und von ihrem Heldentode geſprochen! Es
war ein glücklicher Kampf, es war ihnen vergönnt
den ſchönen Trotz gegen die Tyrannei zu zeigen und
den ſchönen Tod für die Freiheit zu ſterben. Wäre
der Kampf nicht ſchön geweſen, und dazu hätte es
nur einer andern Oertlichkeit bedurft, wo man die
Republikaner hätte zerſtreuen und fangen können —
hätte ſich Heine über ſie luſtig gemacht. Was
Brutus gethan würde Heine verherrlichen ſo ſchön
er nur vermag; würde aber ein Schneider den
blutigen Dolch aus dem Herzen einer entehrten
jungen Rähterin ziehen, die gar Bärbelchen hieße und
damit die dummträgen Bürger zu ihrer Selbſt¬
befreiung ſtacheln — er lachte darüber. Man ver¬
[139] ſetze Heine in das Ballhaus, zu jener denkwürdigen
Stunde, wo Frankreich aus ſeinem tauſendjährigen
Schlafe erwachte und ſchwur, es wolle nicht mehr
träumen — es wäre der tollheißeſte Jakobiner, der
wüthendſte Feind der Ariſtokraten und ließe alle
Edelleute und Fürſten mit Wonne an einem Tage
niedermetzeln. Aber ſähe er aus der Rocktaſche der
feuerſpeienden Mirabeau, auf deutſche Studenten-
Art eine Tabackspfeife mit roth-ſchwarz-goldener
Quaſte hervorragen — dann Pfui Freiheit! und er
ginge hin und machte ſchöne Verſe auf Marie-An¬
toinettens ſchöne Augen. Wenn er in ſeinem Buche
die heilige Würde des Abſolutismus preißt, ſo ge¬
ſchah es, außer daß es eine Rede-Uebung war, die
ſich an dem Tollſten verſuchte, nicht darum, weil er
politiſch reinen Herzens iſt, wie er ſagt; ſondern
er that es, weil er Athemreines Mundes bleiben
möchte, und er wohl an jenem Tage als er das
ſchrieb einem deutſchen Liberalen Sauerkraut mit
Bratwurſt eſſen geſehen.
Wie kann man je dem glauben, der ſelbſt
nichts glaubt? Heine ſchämt ſich ſo ſehr etwas zu
glauben, daß er Gott den „Herrn,“ mit lauter
Initialbuchſtaben drucken läßt, um anzuzeigen, daß
es ein Kunſtausdruck ſei, den er nicht zu verantworten
[140] habe. Den verzärtelten Heine bei ſeiner Sybariti¬
ſchen Natur kann das Fallen eines Roſenblattes im
Schlafe ſtören; wie ſollte er behaglich auf der Frei¬
heit ruhen, die ſo knorrig iſt? Er bleibe fern von
ihr. Wen jede Unebenheit ermüdet, wen jeder
Widerſpruch verwirrt macht, der gehe nicht, denke
nicht, lege ſich in ſein Bett und ſchließe die Augen.
Wo giebt es denn eine Wahrheit, in der nicht etwas
Lüge wäre? Wo eine Schönheit, die nicht ihre
Flecken hätte? Wo ein Erhabenes, dem nicht eine
Lächerlichkeit zur Seite ſtünde? Die Natur dichtet
ſelten, und reimet niemals; wem ihre Proſa und
ihre Ungereimtheiten nicht behagen, der wende ſich
zur Poeſie. Die Natur regiert republikaniſch, ſie
läßt jedem Dinge ſeinen Willen, bis zur Reife der
Miſſethat, und ſtraft dann erſt. Wer ſchwache
Nerven hat und Gefahren ſcheut, der diene der
Kunſt, der abſoluten, die jeden rauhen Gedanken
ausſtreicht, ehe er zur That wird, und an jeder
That feilt, bis ſie zu ſchmächtig wird zur Miſſethat.
Heine hat in meinen Augen ſo großen Werth,
daß es ihm nicht immer gelingen wird ſich zu über¬
ſchätzen. Alſo nicht dieſe Selbſtüberſchätzung mache
ich ihn zum Vorwurfe, ſondern daß er überhaupt
die Wirkſamkeit einzelner Menſchen überſchätzt, ob
[141] er es zwar in ſeinem eigenen Buche ſo klar und
ſchön dargethan, daß heute die Individuen nichts
mehr gelten, daß ſelbſt Voltaire und Rouſſeau von
keiner Bedeutung wären, weil jetzt die Chöre handelten
und die Perſonen ſprächen. Was ſind wir denn,
wenn wir viel ſind? Nichts als die Herolde des
Volks. Wenn wir verkündigen und mit lauter ver¬
nehmlicher Stimme, was uns, jedem von ſeiner
Parthei aufgetragen, werden wir gelobt und belohnt;
wenn wir unvernehmlich ſprechen, oder gar verräthe¬
riſch eine falſche Botſchaft bringen, werden wir
getadelt und gezüchtigt. Das vergißt eben Heine,
und weil er glaubt, er wie mancher Andere auch, könnte
eine Parthei zu Grunde richten, oder ihr aufhelfen,
hält er ſich für wichtig; ſieht umher wem er gefalle,
wem nicht; träumt von Freunden und Feinden, und
weil er nicht weiß wo er geht und wohin er will,
weiß er weder wo ſeine Freunde noch wo ſeine
Feinde ſtehen, ſucht ſie bald hier, bald dort, und
weiß ſie weder hier noch dort zu finden. Uns an¬
dern miſerabeln Menſchen, hat die Natur zum Glücke
nur einen Rücken gegeben, ſo daß wir die Schläge
des Schickſals nur von einer Seite fürchten; der
arme Heine aber hat zwei Rücken, er fürchtet die
Schläge der Ariſtokraten und die Schläge der Demo¬
[142] kraten, und um beiden auszuweichen, muß er zugleich
vorwärts und rückwärts gehen.
Um den Demokraten zu gefallen ſagt Heine:
Die Jeſuitiſch-Ariſtokratiſche-Parthei in Deutſchland
verläumde und verfolge ihn, weil er dem Abſolutismus
kühn, die Stirne biete. Dann um den Ariſtokraten
zu gefallen ſagt er: er habe dem Jakobinismus kühn
die Stirne geboten; er ſei ein guter Royaliſt und
werde ewig monarchiſch geſinnt bleiben; in einem
Pariſer Putzladen, wo er vorigen Sommer bekannt
war, ſei er unter den acht Putzmachermädchen mit
ihren acht Liebhabern — alle ſechszehen von höchſt
gefährlicher republikaniſcher Geſinnung — der einzige
Royaliſt geweſen, und darum ſtünden ihm die Demo¬
kraten nach dem Leben. Ganz wörtlich ſagt er:
„Ich bin bei Gott! kein Republikaner, ich weiß
„wenn die Republikaner ſiegen, ſo ſchneiden
„ſie mir die Kehle ab.“ Ferner. „Wenn die
„Inſurrektion vom 5. Juni nicht ſcheiterte, wäre
„es ihnen leicht gelungen, mir den Tod zu be¬
„reiten, den ſie mir zugedacht: Ich verzeihe
„ihnen gerne dieſe Narrheit.“ Ich nicht. Republi¬
kaner die ſolche Narren wären, daß ſie Heine
glaubten aus dem Wege räumen zu müſſen um ihr
Ziel zu erreichen, die gehörten in das Tollhaus.
[143]
Auf dieſe Weiſe glaubt Heine bald dem Abſo¬
lutismus, bald dem Jakobinismus kühn die Stirne
zu bieten. Wie man aber einem Feinde die Stirne
bieten kann, indem man ſich von ihm abwendet, das
begreife ich nicht. Jetzt wird zur Wiedervergeltung,
der Jakobinismus durch eine gleiche Wendung auch
Heine kühn die Stirne bieten. Dann ſind ſie quitt
und ſo hart ſie auch auf einander ſtoßen mögen,
können ſie ſich nie ſehr wehe thun. Dieſe weiche Art
Krieg zu führen iſt ſehr löblich und an einem bla¬
ſenden Herolde, die Heldenthaten zu verkündigen, kann
es keiner der Kämpfenden Stirne in dieſem Falle fehlen.
Gab es je einen Menſchen, den die Natur be¬
ſtimmt hat, ein ehrlicher Mann zu ſein, ſo iſt es
Heine und auf dieſem Wege könnte er ſein Glück
machen. Er kann keine fünf Minuten, keine zwan¬
zig Zeilen heucheln, keinen Tag, keinen halben Bo¬
gen lügen. Wenn es eine Krone gälte, er kann kein
Lächeln, keinen Spott, keinen Witz unterdrücken, und
wenn er ſein eignes Weſen verkennend, doch lügt,
doch heuchelt, ernſthaft ſcheint wo er lachen, demü¬
thig wo er ſpotten möchte; ſo merkt es jeder gleich,
und er hat von ſolcher Verſtellung nur den Vor¬
wurf, nicht den Gewinn. Er gefällt ſich den Je¬
ſuiten des Liberalismus zu ſpielen. Ich habe
[144] es ſchon einmal geſagt, daß dieſes Spiel der guten
Sache nützen kann; aber weil es eine einträgliche
Rolle iſt, darf ſie kein ehrlicher Mann ſelbſt übernehmen,
ſondern muß ſie Andern überlaſſen. So, ſeiner
beſſern Natur zum Spotte, findet Heine ſeine Freude
daran zu diplomatiſiren, und ſeine Zähne zum Ge¬
fängnißgitter ſeiner Gedanken zu machen, hinter wel¬
chem ſie jeder ganz deutlich ſieht und dabei lacht.
Denn zu verbergen, daß er etwas zu verbergen habe,
ſo weit bringt er es in der Verſtellung nie. Wenn
ihn der Graf Moltke in einen Federkrieg über den
Adel zu verwickeln ſucht, bittet er ihn es zu unter¬
laſſen; „denn es ſchien mir gerade damals bedenklich,
„in meiner gewöhnlichen Weiſe, ein Thema öffentlich
„zu erörtern, das die Tagesleidenſchaften ſo furchtbar
„anſprechen müßte.“ Dieſe Tagesleidenſchaft gegen
den Adel, die ſchon funfzig mal dreihundert fünf und
ſechszig Tage dauert, könnte weder Herr von Moltke
noch Heine, noch ſonſt einer noch furchtbarer machen,
als ſie ſchon iſt. Um von etwas warm zu ſprechen,
ſoll man alſo warten, bis die Leidenſchaft, der er
Nahrung geben kann, gedämpft iſt, um ſie dann von
neuen zu entzünden? Das iſt freilich die Weisheit
der Diplomaten. Heine glaubt etwas zu wiſſen, daß
Lafayette gegen die Beſchuldigung der Theilnahme
an der Juni-Inſurrektion vertheidigen kann; aber
[145] „eine leicht begreifliche Diskretion“ hält ihn
ab ſich deutlich auszuſprechen. Wenn Heine auf die¬
ſem Wege Miniſter wird, dann will ich verdammt
ſein, ſein geheimer Sekretair zu werden, und ihn
von Morgen bis Abend anzuſehen, ohne zu lachen.
Sie fragten mich neulich, was das für eine
dumme Geſchichte mit den Würtemberger Ständen
wäre? Dumme Geſchichte iſt ein Pleonasmus.
Die Geſchichte der Menſchheit iſt nichts als eine
Geſchichte der Dummheit. Was aber dieſe beſondere
dumme Geſchichte bedeute, will ich Ihnen erklären.
Ich will Ihnen die Sache ſo klein und weich wie
durchgeſchlagene Erbſen machen, und wenn Sie meine
durchgeſchlagenen Stände noch nicht genießen können,
ſo iſt das nicht meine Schuld.
Als man auf dem Wiener Kongreſſe den deut¬
ſchen Bund bildete, gaben ſich Oeſterreich und Preu¬
ßen die größte Mühe, die kleinen Fürſten dahin zu
bringen, ihren Staaten repräſentative Verfaſſungen
zu geben. Die großen Mächte hatten gut berechnet,
daß dieſes die kleinen Mächte von ihnen abhängig
machen würde. Auch kam es wirklich ſo. Baiern,
Würtemberg, Baden und die Uebrigen wären nicht
zu Vaſallen von Oeſterreich und Preußen herabge¬
ſunken, wenn ſie unbeſchränkte Regierungen gehabt
[147] hätten. Um die kleinen Fürſten leichter in das Garn
zu locken, ſtellte ſich Preußen damals an, als wolle
es auch eine repräſentative Verfaſſung einführen.
Die kleinen Fürſten merkten die Liſt nicht und alle
die Angſt, die ſie bei der Sache hatten, kam von
ihren eigenen Völkern; die andern größern Gefahren
ſahen ſie nicht. Aber dieſe Angſt vor Conſtitutionen
war fürchterlich. Schon ſahen ſie eine demokratiſche
Sündfluth über ihre Throne zuſammenſtürzen und
ſie dachten gleich an Noah's Arche, in welcher ſie
ſich im Falle der höchſten Noth mit all ihrem Viehe
retten könnten. Wie es ſich mit dieſen Archen ver¬
halte, an welchen die kleinen deutſchen Fürſten zim¬
mern, will ich Ihnen ein andersmal erklären. Ehe
ſie es nun wagten, ein kleines ſeichtes Wäſſerchen
von Volksfreiheit durch ihre Ländchen ſchleichen zu
laſſen, zogen ſie aus Furcht vor Ueberſchwemmungen,
Kanäle ſo breit und ſo tief, daß der Rhein, die
Donau, und die Elbe zugleich darin Platz hätten.
Und ſie baueten Rieſenwerke von Dämmen aus mäch¬
tigen Quaderſteinen und gewaltigen Schleußen. Un¬
ſere Conſtitutionen ſind nichts anders als Gefäng¬
niſſe der Freiheit: daß die Freiheit nicht frei im
Lande herumlaufe, wird ſie in eine Kammer geſperrt.
In dieſe Conſtitutionen, beſonders aber in das
Wahlſyſtem der Volks-Deputirten und in der Ge¬
ſchäfts-Ordnung der Kammern, wurden hundert Be¬
10 *[148] ſtimmungen eingeführt, die alle den Zweck hatten,
die kräftige Entwicklung eines wahren repräſentativen
Syſtems zu verhindern. Bald darf man nicht ſpre¬
chen, bald darf man nicht hören, die Einen werden
ſtumm, die Andern werden taub gemacht. Iſt ein
Bischen friſcher Wind in der Kammer, werden gleich
alle Segel eingezogen. Wird etwas verhandelt was
das Volk nahe angeht, wird es aus der Kammer
gejagt, es darf den Sitzungen nur beiwohnen, ſo oft
ſie langweilig ſind. Man meint freilich das wäre
oft genug. In Baiern müſſen die Deputirten, die
auf ſechs Jahre gewählt werden, in der erſten Sitzung
um die Plätze in der Kammer looſen. Dieſen nume¬
rirten Platz muß jeder Deputirte wie ein Schulbube
behalten, er darf ihn nicht wechſeln. Dadurch wollte
man verhindern, daß die Gleichgeſinnten ſich nicht
neben einander ſetzen, ſich verabredeten und Parthei
machten. Die liebe deutſche Schuljugend läßt ſich
auch das alles gefallen.
Eine andere Beſtimmung iſt faſt in alle Con¬
ſtitutionen übergegangen. Paſſen Sie auf! Jetzt
kömmt Ihre dumme Geſchichte. Keiner darf als
Deputirter gewählt werden, der irgend
einmal eine Criminalſtrafe ausgeſtanden
hat. Hier dachte man aber keineswegs daran, ge¬
wöhnliche Spitzbuben aus der Kammer entfernt zu
halten, Räuber, Mörder, Diebe, ſolche Fälle kommen
[149] bei den höhern Ständen ſelten vor, und Menſchen
die nur etwas weniges geſtohlen, würde man gern
als miniſterielle Deputirte ſehen, damit ſie lernen
ſich vernünftiger zu betragen. Sondern es kam dar¬
auf an, ausgezeichnete Patrioten, Männer welche den
Regierungen beſonders gefährlich, beſonders unlenk¬
ſam ſchienen, von der Deputirten-Wahl auszuſchlie¬
ßen. Mit einem ſolchen Geſetze war das eine Klei¬
nigkeit. Nichts iſt in Deutſchland leichter, als jeden
ehrlichen Mann eine Criminal-Unterſuchung, das heißt
eine [Criminalſtrafe] an den Hals zu werfen Und
glauben Sie ja nicht daß hierbei die Regierungen
willkürlich verführen; ſo glücklich ſind wir nicht ein¬
mal; ſo glücklich ſind wir nicht, daß unſere Fürſten,
um Tyrannen zu ſein, nöthig hätten, geſetzwidrig zu
handeln. Die Tyrannei liegt ſchon in den Geſetzen.
Alle deutſche Criminalgeſetze wurden vor Einführung
der repräſentativen Verfaſſungen, alſo ohne Mitwir¬
kung der Stände, von den Fürſten allein, alſo im
Geiſte der unbeſchränkten Herrſchaft und nicht im
Geiſte der Freiheit gemacht. Mit dieſen Geſetzen
können die unſchuldigſten Handlungen als Verbrechen
erklärt und als ſolche beſtraft werden. Unſere guten
deutſchen Hofräthe und Profeſſoren, die Gott ſegnen
möge ich meine mit Verſtand — kennen keinen
andern Liberalismus als auf Legalität zu halten.
Wenn einer von ihnen legal ins Zuchthaus kömmt,
[150] weil er etwas drucken laſſen, was die Geſetze als
Majeſtäts-Verbrechen erklärt, ſind ſie es zufrieden
und wenn ſie als Deputirte um den Despotismus
herumſchleichen, und irgendwo einen Eingang ſuchen,
und an allen Wegen ſteht ein Plakat mit den Wor¬
ten: Legaler Weg, nämlich verbotener — keh¬
ren ſie wieder um und glauben das ihrige gethan zu
haben.
Jeder eifrige Volksfreund und Vertheidiger der
Freiheit muß irgend einmal etwas thun, wodurch er
ſeine Geſinnung öffentlich beurkundet. Er wird et¬
was freiſinniger ſchreiben, etwas drucken laſſen, an
einer politiſchen Verſammlung Theil zu nehmen, eine
Proteſtation gegen eine Maßregel der Tyrannei un¬
terzeichnen, oder etwas anders ſolcher Art. Alle
dieſe Handlungen werden von den deutſchen peinlichen
Geſetzen als Majeſtäts-Verbrechen, Staatsverbrechen,
Hochverrath angeſehen und beſtraft. Alſo alle Bür¬
ger, die ſich ſolcher Verbrechen ſchuldig gemacht,
fallen einer Criminal-Unterſuchung und einer peinli¬
chen Strafe zu, und ſind daher auf ihr ganzes Leben
von der Volksrepräſentation ausgeſchloſſen. Nun ge¬
ſchah es, daß für die jetzige Sitzung der Würtem¬
berger Kammer, vier Männer zu Deputirten gewählt
wurden, die viele Jahre vorher beim Demagogiſchen
Umtriebe in Criminal-Unterſuchung waren. Die Re¬
gierung erklärte, dieſe Wahl ſei nach den Geſetzen
[151] ungültig! die Oppoſition erwiderte; ſie wäre gültig,
denn obzwar jene Deputirten wirklich in einer Cri¬
minal-Unterſuchung geweſen, ſo hätten ſie doch keine
Criminalſtrafe ausgeſtanden, weil ſie damals von dem
Könige begnadigt wurden. Darauf entgegneten die
Miniſter: das Recht der königlichen Gnade
ſei beſchränkt und ihre Folgen erſtrecken
ſich nicht ſo weit, einem Bürger ſeine
bürgerliche Ehre wiederzugeben. Miniſter,
Diener des Königs, die ſonſt Himmel und Erde in
Bewegung ſetzen, wenn einer nur mit dem kleinen
Finger die Rechte der Krone anrührt, beſchränken
ſelbſt dieſe Rechte! Das einzige Recht, welches die
Freiheit ſelbſt den Fürſten laſſen würde, das Recht
der Begnadigung, läßt ſich der König gern be¬
ſchränken, nur um in der Kammer vier freiſinnige
Männer weniger zu haben! Aber die Würtember¬
giſchen Miniſter könnten es einmal bitter bereuen,
das Recht der Begnadigung, das doch von den Für¬
ſten auch auf jede andere höchſte Regierungsgewalt
überginge, beſchränkt zu haben.
In Darmſtadt iſt etwas Aehnliches vorgefallen.
Ein Advokat Hofmann, der vor vierzehn Jahren in
Demagogiſchen Umtrieben verwickelt war, wurde zum
Deputirten gewählt. Hofmann wurde damals aber
nicht verurtheilt, ſondern der Prozeß wurde niederge¬
ſchlagen, und der Angeſchuldigte, wie die Juriſten
[152] ſagen: ab instantia abſolvirt. Hören Sie was
ab instantia abſolviren heißt, es iſt etwas ſehr
ſchönes. Wenn nach dem ſehr chriſtlichen und ſehr
menſchlichen deutſchen Criminalrechte, man einem An¬
geſchuldigten ſein Verbrechen nicht beweiſen und ihn
alſo auch nicht verurtheilen kann, die Richter aber
haben Luſt das Schwerdt der Geſetze ihm ſein gan¬
zes Leben lang über dem Haupte hängen zu laſſen,
ſprechen ſie ihn nicht frei, ſondern ſie abſolviren ihn
ab instantia, ſo daß ſie nach zwanzig Jahren den
Prozeß wieder anknüpfen können. Hofmann wurde
zum Deputirten gewählt. Die Regierung erklärte
dieſe Wahl für ungültig, weil er in einer Criminal-
Unterſuchung verwickelt geweſen. Die Oppoſition
erwiederte, aber Hofmann wäre doch nicht verurtheilt
worden. Darauf entgegneten die Miniſter: aber
Hofmann ſei nicht freigeſprochen worden, und wenn
er es übrigens wünſche, würde man die unterbro¬
chene Unterſuchung fortſetzen. Hofmann wurde ver¬
worfen. Da habe ich nun vor einigen Tagen aus
einem Briefe aus Darmſtadt erfahren, mit welchem
Eifer und mit welcher Schelmerei, die Ausſtoßung
Hofmann's von der Regierung betrieben wurde.
Hofmann war in Preußiſche, das heißt in Original-
Patent-Demagogiſche Umtriebe verwickelt. Preußen
verfolgte ihn am meiſten. Nun müſſen Sie wiſſen,
daß ſeit den Bundestagsbeſchlüſſen, Deutſchland in
[153] zwei Polizei-Diſtrikte eingetheilt iſt. Das nördliche
Deutſchland hat den König von Preußen, das ſüd¬
liche den Kaiſer von Oeſterreich zum Polizei-Com¬
miſſair. Ueber Beiden ſteht der Kaiſer von Ru߬
land als Polizei-Direktor. Darmſtadt gehört zum
Preußiſchen Diſtrikte. Daher war es die Obliegen¬
heit der Preußiſchen Regierung, Hofmann's Eintritt
in die Kammer zu verhindern. Was geſchieht alſo?
Einem Edelmanne, Mitglied der Kammer, gab man
ein Schreiben in die Hand, welches der Preußiſche
Geſandte in Darmſtadt von ſeiner Regierung erhal¬
ten haben ſollte. Darin hieß es: Hofmann habe
ſich im Jahr 1819 noch ganz anderer, noch ſchwe¬
rerer Verbrechen ſchuldig gemacht, als die wegen
welcher er damals in Unterſuchung war. Und wenn
er nach Preußen käme, würde er von neuem einge¬
ſteckt, und Preußen würde es durchaus nicht dulden,
daß Hofmann in die Darmſtädter Kammer trete.
Dieſen Brief zeigte jener Edelmann einigen bürger¬
lichen Deputirten im Vertrauen, und ſagte ihnen —
— wir wiſſen ja wie Edelleute mit Bürgern ſpre¬
chen: — „Lieber Heyer — und wie ſonſt die An¬
„dern heißen — Sie kennen mich ja, Sie wiſſen,
„daß ich liberal bin. Glauben Sie mir auf mein
„Wort, unſer Großherzog hat den beſten Willen.
„Aber was wollen wir thun? Haben wir eine Ar¬
„mee von zweimalhunderttauſend Mann? Können
[154] „wir uns Preußen widerſetzen? Der Großherzog
„hat mir geſtern geſagt: vor dem Heyer iſt mir am
„meiſten bange der wird Lärm machen.“ Dabei rieb
ſich der Baron die Hände, dabei zuckte er die Ach¬
ſeln, dabei klopfte er mit freiherrlichen Fingern auf
die bürgerliche Schulter, und ſagte in einer Viertel¬
ſtunde dreißig Mal: Lieber Heyer! Der liebe Heyer,
ſonſt ein braver, liberaler, verſtändiger Mann, ließ
ſich bereden, einſchüchtern, und ſtimmte mit ſeinen
Freunden gegen Hofmann.
Jetzt nach Caſſel, wo die Wahlfreiheit auf eine
andere Art verletzt worden. Wenn Sie dieſen
Brief gehörig ſtudiren, werden Sie eine der vor¬
züglichſten Publiziſtin von Deutſchland, und können
Profeſſorin des Staatsrechts auf einer deutſchen
Univerſität werden, und wenn Sie loyale College
leſen gar geheime Hofräthin. Was ich Ihnen aber
folgend mittheile, geſchieht nicht zu Ihrer Belehrung,
ſondern zu meiner eignen. Vielleicht können Sie
mir über etwas Aufklärung geben, worin ich ganz
im Dunkeln bin. In Frankreich und England ſind
die Regierungen froh, wenn Staatsbeamte zu Depu¬
tirten gewählt werden! natürlich, weil dieſe von ih¬
nen abhängen und ihnen alſo am meiſten anhängen:
In Deutſchland findet das Gegentheil ſtatt. Wenn
ein Staatsbeamter zum Deputirten gewählt wird:
muß er, das Recht auszuüben, dazu die Erlaubniß
[155] ſeiner Vorgeſetzten haben und dieſe Erlaubniß wird
oft verweigert. Welche Feinheit dahinter ſteckt begreife
ich nicht. Nun wurde Jordan, Profeſſor in Mar¬
burg, einer der edelſten und muthigſten freiſinnigen
Männer Deutſchlands, zum Deputirten in die Heſſi¬
ſchen Stände gewählt. Die Miniſter erklärten, ſie
erlaubten Jordan nicht ſeine Stelle anzutreten, und
ſie verboten ihm nach Caſſel zu kommen. Jordan
ſagte: nach der Verfaſſung brauche ein gewählter
Staatsbeamter nur die Erlaubniß ſeines unmittel¬
baren Vorgeſetzten. Dieſer ſein Vorgeſetzter ſei die
Univerſität die ihn gewählt habe; die Erlaubniß des
Miniſters brauche er nicht. Jordan reiſte nach
Caſſel, und die Mehrheit der Kammer entſchied ſich
für ihn. Der Miniſter ließ Jordan den Befehl zu¬
kommen, binnen 24 Stunden bei 20 Thaler
Strafe Caſſel zu verlaſſen ... Stellen Sie
ſich vor: wenn hier ein Miniſter die Frechheit hätte,
einem Deputirten bei 50 Franken Strafe den Be¬
fehl zukommen zu laſſen, binnen 24 Stunden Paris
zu verlaſſen! In Anklage-Zuſtand verſetzte man den
Narren nicht; aber man ſchickte ihn augenblicklich
in einer Zwangsweſte gekleidet nach Charenton.
Aber unſere deutſchen Philiſter hören ſo etwas
erzählen, ohne daß ſie ſich darüber echauffiren, ja
nicht einmal die Pfeife geht ihnen darüber aus.
Gott erhalte mir meinen König Louis Philipp!
[156]
Wahrhaftig ich mache mir Vorwürfe, daß ich je ein
Wort gegen ihn geſchrieben; ich thue es aber auch
nicht mehr ... Jordan ging nicht aus Caſſel
und klagte bei den Gerichten. Dieſe verboten den
Miniſtern bei fünfzig Thaler Strafe, Jordan
nicht zu beunruhigen. Dieſes war auch wieder ein
Deutſches Temperier-Pulver! Die Gerichte hätten
erklären ſollen! Jordan als Deputirter wäre unver¬
letzlich, und die Miniſter die ihn antaſteten, machten
ſich des Hochverraths ſchuldig. Wegen dieſes Streits
haben die Sitzungen ihre Kammern noch nicht er¬
öffnen können, und man iſt begierig, was die preußiſche
Regierung, zu deren Inſpection auch Heſſen gehört,
in dieſer Sache verfügen wird.
Heiland der Welt! Das monarchiſche Prinzip
iſt guter Hoffnung. Welch' ein Donnerſchlag für
mich! Die Herzogin von Berry, unſere liebe
Frau von Blaye, die Enkelin Maria Thereſiens,
die gebenedeite Mutter des Wunderkindes, iſt in ge¬
ſegneten Umſtänden, durch den heiligen Geiſt in Ge¬
ſtalt eines Italieniſchen Prinzen, und wird in zwei
Monaten ein neues Wunderkind gebähren. Die Her¬
zogin hat es dem Gouverneur von Blaye zu wiſſen
gethan: ſie könne nicht länger ſchweigen, es ſei ihr
zu eng im Schloſſe; ſeit ſieben Monaten ſei ſie heim¬
lich an einen Italiäniſchen Prinzen verheurathet, den
ſie aus Schamhaftigkeit nicht nennen wolle, und ge¬
ſtern ſtand dieſes Evangelium groß im Moniteur ge¬
druckt, und es wurde im Reichs-Archive niedergelegt
zum ewigen Angedenken. Alſo war es doch wahr,
was man neulich gemurmelt, als die Regierung zwei
Aerzte ſo geheimnißvoll nach Blaye geſendet. Doch
Verläumdung war es, was viele damals erzählten:
[158] der Jude Dautz ſei der heilige Geiſt der Berry ge¬
weſen, und er habe nicht des Geldes wegen, ſondern
in einem Anfalle von eiferſüchtiger Wuth, ſeine
Freundin verrathen. Schade das es Verläumdung
war! Wahrlich es wäre ein Glück für die Welt,
wenn einmal jüdiſches Blut in chriſtlich-monarchiſche
Adern käme. Vielleicht ſtiege dann wieder ein wei¬
ſer König Salomo auf den Thron, der die Sprache
der Thiere verſtände, und ſeinen Hofleuten in das
Herz ſehen könnte ...
Du gute Karoline! ich wäre Dir zugethan,
wenn Du keine Fürſtin wäreſt. Du haſt viel geliebt
und es wird Dir viel vergeben werden. Aber Du
biſt ein thörichtes Weib! Dein Sohn iſt noch ein
Knabe, noch ſiebenzig Male kann er den Kreislauf
der Sonne erleben — ein Tag für das Glück, eine
Ewigkeit für den Schmerz — und Du ſuchſt eine
Krone für ihn? Laß ihn eine Lazarone werden!
Laß ihn ſich ſonnen unter dem ſchönen Himmel Dei¬
nes Vaterlandes! Laß ihn Muſcheln ſuchen am
Strande des blauen Meeres. Und ein Tag kann
kommen, ein Tag des Schreckens und der Trauer,
wo das wildtobende Volk durch die Straßen von
Neapel braußt und man einen jammervollen König
richtet. Dann ſchwankt Dein Sohn zu Deinem
Grabe, kniet nieder und dankt es Deiner Aſche mit
heißen Thränen, daß Du ihn ein Bettler werden
[159] ließeſt! Du erfährſt es jetzt: Deine nächſten Bluts¬
verwandten häufen Schmach auf Dein Haupt, und
machen Dich zum Geſpötte der Welt. Das iſt das
Loos der Könige! Opferprieſter oder Schlachtopfer,
ſind ſie ſchuldig oder unglücklich.
Ein und dreißigſter Brief.
Die Frankfurter Ober-Poſt-Amts-Zeitung hatte
neulich, da ſie etwas dumm monarchiſches erzählte,
hinter der Dummheit ein Fragezeicheu aufzuſtellen
gewagt. Was iſt das? Schon bei jeder anderen
deutſchen Zeitung ſind [Fragezeichen] Generalbeichten,
Roußeauſche und Auguſtiniſche Bekenntniſſe, und ver¬
rathen eine tugendhafte Reue und eine große innere
Zerknirſchung. Aber gar bei der Poſtzeitung, einem
der Feigenblätter der deutſchen Bundesverſammlung!
Das muß etwas bedeuten. Sollte ſie vielleicht den
Reſt ihrer Abonnenten verlohren haben und durch die
[161] Heldenthat des Fragezeichens ſie zurückzuführen ſuchen?
Erkundigen Sie ſich darnach.
Was mir mein Michel für Verdruß macht, der
deutſche Michel, der Dickkopf, ach! liebe Frau Ge¬
vatterin, das kann ich Ihnen gar nicht genug klagen.
Der Junge bringt mich noch unter die Erde. Alle
meine Vorſtellungen, all' mein Bitten, mein Züchti¬
gen — es hilft alles nichts. Hören Sie, was er
wieder gethan hat. In Freiburg wurde Michel zum
Bürgermeiſter gewählt, denn Michel iſt liberal.
Aber die Regierung verwehrte die Wahl, denn un¬
ſere Regierungen — und darüber muß ich lachen
trotz meiner großen Betrübniß — haben Furcht vor
Michel. Die Freiburger Bürger die Courage haben,
nicht blos einen Tag, ſondern zwei Tage lang, neh¬
men ſich vor, Michel zum zweitenmale zu wählen.
Was thut Michel? Auf ſeine gewohnte Art wird
er gerührt, ſentimental, großmüthig, tugendhaft, er¬
haben romantiſch, und bittet ſeine guten Mitbürger
ſich wegen ſeiner in keine Ungelegenheiten zu
ſetzen, und einen andern Bürgermeiſter zu wählen.
Die Bürger deren zweitägiges Heldenfieber ohne dies
vorüber war, ließen ſich das nicht zweimal ſagen,
und aus Dankbarkeit gegen Michel, daß er ſie von
dem Drucke ihrer eignen Größe befreiet hat, wähl¬
ten ſie ſeinen Neffen, den jungen Michel zum Bür¬
germeiſter. Die Regierung war das herzlich gern
VI. 11[162][zufrieden] und froh, daß ſie ſo wohlfeil wegkam. Sie
dachte, wie jede Regierung: das Volk iſt ein Kind.
Das eigenſinnige [Kind] will Wein haben; Mama
gießt zwei Tropfen Wein in's Waſſerglas, es ſieht
gelb aus — da haſt du Wein, jetzt ſei ruhig. Das
Volk will Michel haben; die Regierung giebt ihm et¬
was, das eine Farbe wie Michel hat, und ſagt: da
haſt du Michel, jetzt weine nicht mehr. Das alles
verſteht ſich von ſelbſt.
Nun hören Sie aber was mein Michel weiter
that. Nach geſchehener Bürgermeiſterwahl zogen die
Freiburger Bürger mit Fackeln und Freudengeſchrei
vor das Michelſche Haus und riefen: es leben beide
Michels hoch! Der junge Michel konnte vor Rüh¬
rung nicht ſprechen, aber der alte Michel war
leider nicht in ſolchem Grade gerührt; ſondern
er ſchrie zum Fenſter hinaus: „Hoch lebe unſer
„vielgeliebter Großherzog Leopold, der Wiederher¬
„ſteller der Verfaſſung und des freien
„Wahlrechts!“ Und die Bürger auf der Gaſſe
ſchrien: „Hoch lebe unſer vielgeliebter Großherzog
„Leopold, der Wiederherſteller der Verfaſ¬
„ſung und des freien Wahlrechts!” Und hoch
und abermals hoch! Und der alte ernſte Münſter,
den man noch niemals lächeln geſehen, lachte daß er
wackelte, ſo daß ihm eine ſteinerne Trottel von ſei¬
ner Mütze herabfiel.
[163]
Was that mein Michel in Stuttgard? Aber
ich bin des Spaßes müde. In Stuttgart wurde
Herr von Wangenheim, ein geiſtreicher und freiſinni¬
ger Mann zum Deputirten gewählt. Die Regierung
erkannte die Wahl nicht an wegen einer verletzten
Förmlichkeit, die ſie zum Vorwande eines Vorwan¬
des nahm — Um Deputirter ſeyn zu können muß
man im Lande wohnen; nun wohne zwar Herr von
Wangenheim im Lande, aber er habe nicht erklärt
daß er im Lande wohne. So ohngefähr habe ich die
Sache verſtanden. Der eigentliche Grund der Wider¬
ſetzlichkeit war aber: Oeſterreich und Preußen hätten
den Herrn von Wangenheim mit Zorn in der Kam¬
mer geſehen, denn er ſtand früher ſelbſt hinter den
Couliſſen der deutſchen Bundes-Komödie, und war
der erſte jener Geſandten, von welchen, weil ſie
Liebelei mit der öffentlichen Meinung trieben,
und die deutſchen Völklein in ihrem Traume, daß
ſie ein Volk werden könnten, nicht ſtören hal¬
fen, die Bundesverſammlung epurirt wurde. Uebri¬
gens hatte Herr von Wangenheim eine Schrift gegen
die Bundestags-Beſchlüſſe herausgegeben. Dieſer von
der Regierung vorgeſchützte Mangel der Form wurde
aber von Herrn von Wangenheim gehoben, und die
Bürger nahmen ſich vor, ihn zum zweitenmale zu
wählen. Was thut nun Herr von Wangenheim?
ganz das nehmliche was Herr von Rotteck in Frei¬
11*[164] burg gethan. Er war großmüthig, gerührt, roman¬
tiſch, empfindlich. Er ſchmollte mit der Regierung
wie mit einem Liebchen. Er ſchrieb ſeinen Commit¬
tenten einen gerührten Brief: er entſage ihrer Wahl;
denn durch deren Annahme würde er einen falſchen
Grundſatz, den die Miniſter geltend machen wollen,
anerkennen und das wolle er nicht. Er verlaſſe
Stuttgart, wünſche ihnen wohl zu leben, danke ihnen
noch einmal herzlich und vertraue übrigens auf Gott.
Wäre Herr von Wangenheim in die Kammer getre¬
ten, hätte er der Oppoſition die wenigen Stimmen
die ihr zur Majorität noch fehlen, durch ſeinen Ein¬
fluß zuführen können. Aber um eines Paragraphs
ſeines moraliſch-politiſchen Kompendiums willen, ver¬
läßt er das Schlachtfeld, mögen Volk und Freiheit
darüber ganz zu Grunde gehen. Möchte man ſich
da nicht die Haare aus dem Kopfe reißen? Ein
Edelmann und doch edel! Ein Miniſter und doch
großmüthig! Ein Diplomat und doch romantiſch!
So oft ich mit Schmerz und Unwillen wahrnahm,
daß unſere deutſchen bürgerlichen Deputirten, der
Macht der Regierungen, die ein ungeheures Zeug¬
haus von Liſten und Schelmereien beſitzen, worin
alle Waffen aufgehäuft liegen, welche geiſtliche und
weltliche Tyrannei ſeit dreitauſend Jahren geſchmie¬
det haben, von den Leviten bis zu den Jeſuiten, von
dem Römiſchen Senate bis zu dem Venetianiſchen,
[165] von Kaiſer Auguſtus bis Louis Philipp, von Mäcen
bis Metternich — nichts entgegenſetzen als ihren
Gradſinn, ihre Aufrichtigkeit, ihre Treue, ihre Be¬
ſcheidenheit — ſo oft ich dieſes wahrnahm, tröſtete
es mich in meinem Kummer, daß wenigſtens der
deutſche Adel noch Spitzbüberei beſitze, und daß er
einmal zu uns herüber kommen würde und dann wäre
uns geholfen. Da kam nun wirklich einmal ein
Edelman zu uns herüber und — er war ein ehrli¬
cher Mann!
Ich weiß gar nicht mehr was ich thun ſoll.
Der einzige Troſt, der mich noch aufrecht hält und
mich vor gänzlicher Verzweiflung ſchützt, iſt, daß der
Hofrath Böttiger in Weimar den Großherzoglichen
Weimariſchen Falkenorden bekommen hat, und daher
meine Unſterblichkeit geſichert iſt, die mich für alle
Leiden die ich in dieſem irdiſchen Jammerthale er¬
trage, entſchädigen wird. Wenn ich es Ihnen nicht
erkläre, begreifen Sie in Ihrem Leben nicht, wie
meine Unſterblichkeit mit dem Weimariſchen Falken¬
orden und einem Sächſiſchen Hofrathe, den ſterblich¬
ſten Dingen von der Welt zuſammenhänge. Dieſe
Dinge hatten früher nicht den geringſten Zuſammen¬
hang; aber indem ich ſie neben einander ſtelle, be¬
kommen ſie einen. Schon in einem frühern Briefe
[166] hatte ich etwas gegen den Hofrath Böttiger geſchrie¬
ben; aber ſo wenig als heute geſchah es aus Bos¬
heit; ja was ich dort von ſeinen lateiniſchen Verſen
an eine höchſte Erhabenheit erzählte, war wenigſtens
dieſesmal gelogen. Die Sache iſt: ich will ihn
ärgern, damit ich unſterblich werde. Sie
werden erſtaunen über die Schelmereien die ich
im Kopfe habe und welch' ein großer Staatsmann
ich bin.
Herr von Cotta erzählte mir einmal, daß der
Hofrath Böttiger Verfaſſer der Nekrologien ſei, die
ſeit vielen Jahren die allgemeine Zeitung enthalte.
Nekrologie heißt die Lebensbeſchreibung einer ge¬
ſtorbenen Perſon und kömmt aus dem Griechiſchen,
von nekros, der Todte und logos, die Erzählung.
Merken Sie ſich das et embrassez-moi pour l'a¬
mour du grec. So oft ein berühmter Mann ſein
vierzigſtes Jahr erreicht habe, — erfuhr ich — fange
Böttiger deſſen Nekrologie zu ſchreiben an und ſetze
ſie, von Jahr zu Jahre und Tag zu Tage gelaſſen
fort; ſo daß ſobald der berühmte Mann den Geiſt
aufgiebt und noch vor ſeiner Beerdigung die Nekro¬
logie fertig iſt und in die Zeitung geſchickt wird, ſo
daß kein anderer Nekrolog dem Hofrathe zuvor kom¬
men kann. Er, Cotta, ſei einmal gefährlich krank ge¬
[167] weſen und man habe ihn in Deutſchland todt geſagt.
Gleich mit der nächſten Poſt, nachdem ſich das falſche
Gerücht verbreitet, wäre ſein Nekrolog, von Böttiger
verfaßt, für die allgemeine Zeitung eingegangen. Sie
kam aber zu früh und brauchte glücklicher Weiſe nicht
honorirt zu werden.
Da überlegte ich nun bei mir, daß, weil ich
auch ein berühmter Mann bin und mein vierzigſtes
Jahr zurückgelegt habe, ich ganz ohne Zweifel in
des Hofraths nekrologiſchem Schranke in der B-
Schublade eingeſargt liege. Zwar iſt Böttiger viel
älter als ich; da er aber einen Orden, nicht blos
erhalten, ſondern auch verdient hat und er überhaupt
ein Mann iſt, der nicht blos fünf grade ſein läßt,
ſondern auch vier, wenn es ein großer Herr haben
will: ſo gehört er zu denjenigen Menſchen, die ein
hohes Alter erreichen. Er kann mich daher leicht
überleben und meine Nekrologie ſchreiben. Nun muß
von zwei Dingen nothwendig eins geſchehen: entwe¬
der er lobt mich oder er tadelt mich. Lobt er mich,
ſo wird das auf Europa einen ungeheuern Einfluß
haben; denn da es bekannt iſt, daß ich ſein Feind
bin, wird jedermann begreifen, daß nur das große
Gewicht meiner Verdienſte ihn zur Gerechtigkeit zwin¬
gen konnte. Tadelt er mich aber, glaubt ihm keiner
[168] und er [wird] ausgelacht, weil man weiß daß ich ihn
geärgert habe. Auf dieſe Weiſe hängt meine Un¬
ſterblichkeit, und die Gemüthsruhe mit welcher ich
meine Leiden ertrage, mit dem Weimariſchen Falken¬
orden und dem Hofrathe Böttiger zuſammen.
Ueber die neue Preußiſche Judenordnung habe
ich nicht geſprochen, weil ich gleich anfänglich ver¬
muthete, was ſich auch jetzt zu beſtätigen ſcheint,
daß es damit kein Ernſt geweſen. Aber ganz gewiß,
war es nicht der Zufall oder die Tücke eines deutſch¬
chriſtlichen Narren, die dieſen wahnſinnigen Geſetz¬
entwurf bekannt gemacht. Er ſtand zuerſt in der
Leipziger Zeitung in einem Blatte, das ganz unter
abſolutiſtiſcher Eingebung ſteht. Auch hätte weder
die Leipziger noch eine andere Zenſur verſtattet, daß
eine Zeitung das Geheimniß einer deutſchen Regie¬
rung bekannt mache, wäre die Mittheilung nicht
von einer Hand geſchehen, die aller Verantwortlich¬
keit überhebe. Ich zweifle nicht, daß der Artikel
von einem der Helfershelfer der Preußiſchen oder
einer andern Regierung eingeſendet worden iſt.
Auch war der Geſetzentwurf in der allgemeinen
Zeitung mit Bemerkungen begleitet, die den bekannten
föditen Lobgeruch haben, mit welchen alle Handlungen
der deutſchen Fürſten beweihraucht zu werden pflegen.
[170] Es hieß dort nach Anführung der unerhörteſten Gräuel:
„Durch das ganze Geſetz blinkt ein Geiſt
„der Milde und der Verſöhnung durch,
„vorzüglich aber das Beſtreben des Staats,
„die Juden wieder zu dem alten Satze zurück¬
„zuführen: im Schweiße deines Angeſichts
„ſollſt du dein Brod eſſen.“ Dieſe Schwei߬
treibende Eigenſchaft der Judenordnung iſt das
wahre Kennzeichen jeder ächt deutſchen Geſetzgebung.
Was man aber mit dieſem Carnewals-Spaße
bezweckte: ob es ein kleiner Luftballon war, den
man, um den Wind zu erforſchen dem großen vor¬
ausſteigen ließ? Ob man in Preußen oder einem
andern Staate wirklich daran denkt, die Juden in
den Status quo des fünfzehnten Jahrhunderts zurück¬
zuſchnellen, und man vorher verſuchen wollte, ob ſie
noch Elaſtizität genug haben ſich das gefallen zu
laſſen? Ob man die Juden, und aus welchem
Grunde nur ängſtigen wollte? Ob es eine Wacht¬
parade war, das deutſche Volk überhaupt in Schrecken
zu ſetzen? Ob der Entwurf, wie ich mich früher
einmal ausgedrückt, ein Ochſe war, den man
der Boa-Schlange der deutſchen Revolution
in den Rachen jagen wollte, um ſie wehrlos
zu machen und dann zu tödten? Oder was
es ſonſt ſein möchte — das kann ich nicht errathen.
Doch es wird kund werden früher oder ſpäter.
[171]
Uebrigens könnte Preußen eine ſolche Juden¬
ordnung einführen und es würde gar nichts dabei ver¬
lieren, außer daß dann auch die Kurzſichtigſten vorher¬
ſehen würden, welche Zukunft dem ganzen Volke
droht. Der alleinige Unterſchied bliebe dann, daß
man dem jüdiſchen Hunde mit einem Schnitte die
Ohren kurz machte, während man ſie dem chriſtlichen
nur nach und nach abſchneiden würde „um dem
armen Viehe nicht auf einmal zu wehe zu thun,“ wie
jener Bediente ſagte. Wenn man die Preußiſche
Regierung beurtheilen will, muß man nicht blos
auf das achten, was ſie thut — denn das zeigt
nur an was ſie kann, ſondern auch auf das, was
ſie ſpricht — welches anzeigt was ſie will. Wenn
ich das Berliner politiſche Wochenblatt leſe,
weiß ich gar nicht was ich denken ſoll. Ich ſage
denken — denn glauben Sie mir: ich drücke nie
eine Empfindung aus, ehe ich von der heißen Dach¬
kammer des Gefühls, in den Eiskeller der ruhigſten
Beſonnenheit hinabgeſtiegen bin, und dort die Probe
gehalten habe, ob der Kopf mit dem Herzen über¬
einſtimmt. Und ſo oft dieſe Uebereinſtimmung fehlt,
löſche ich meine Empfindung aus. In dem Berliner
Wochenblatte werden despotiſche Grundſätze gelehrt,
die mit dem Prinzipe des Proteſtantismus gar nicht
zu vereinigen ſind. Und wenn Preußen dieſes
Prinzip, ſeine Hauptſtütze, erſchüttert, ſinkt es zum
[172] Vaſallen Oeſterreichs hinab, um ſpäter von ihm wie
ein Wurm zertreten zu werden. Wenn Preußen
ſeine Zwecke erreicht, wird es die letzte unter den
despotiſchen Mächten, ſtatt daß es die erſte unter
den Freiſinnigen könnte ſein. Herr von Ancillon,
der einzige dirigirende Miniſter in ganz Deutſchland,
der gut und ſchön ſchreiben kann — warum ver¬
theidigt er nicht einmal die Vernunftmäßigkeit des
Preußiſchen Regierungsſyſtems gegen die Unvernunft
der revolutionären Schriftſteller? Wir verlangen
nicht, daß er, ein deutſcher Miniſter, ſelbſt, unter
ſeinem eignen Namen mit uns Erdenwürmern ſpreche.
Wir wiſſen recht gut, daß Gott nur wenig Auser¬
wählten erſcheint, und Angeſicht in Angeſicht mit
ihnen redet. Aber Herr von Ancillon kann uns ja
ſeine eigenhändigen Geſetztafeln durch einen ſeiner
Moſes ſchicken und verſuchen ob wir dem goldenen
Kalbe nicht abwendig zu machen wären. Aber er
rede kalt, ruhig, vernünftig mit uns, und ohne alle
Grobheit. Er nehme einmal auf eine Stunde an,
daß wir es gut meinten, und nur in unwillkührlichen
Irrthümern befangen wären. Wenn wir mit Worten
wüthen, ſo iſt das ſo natürlich als verzeihlich. Was
ſollten wir denn anders thun, da wir keine Macht,
ſondern nur Recht haben, und doch der Geiſt einen
Körper haben muß, daß ihn auch die erkennen, die
keine Sonntagskinder ſind? Wenn aber die Organe
[173] der Regierung zornig reden, ſo iſt das der lächer¬
lichſte und zugleich der grauſamſte Pleonasmus.
Ihre Gewehre, ihre Kanonen, ihre Kerker — was
ſind ſie denn anders als plaſtiſche Grobheiten von
Stein, Eiſen und Stahl, während die unſern ganz
unſchädlich nur von Luft ſind? —
In Preußen geht man damit um, die Juſtiz¬
beamte für abſetzbar zu erklären. Vielleicht wiſſen
Sie nicht was das bedeutet. In den Staaten, wo
der Despotismus nicht alle Schaam von ſich geworfen,
wo ihm noch ein kleiner Reſt, ich ſage nicht von
Tugend, aber von Ehre geblieben, ſind die Gerichts¬
perſonen unabſetzbar, das heißt: wenn ſie einmal
ihre Stelle erhalten, darf ſie die Regierung ihnen
nicht wieder nehmen. Dieſes iſt der letzte Anker
der Ruhe für jeden Bürger, der nun nicht zu be¬
fürchten braucht, daß ſein Richter in die traurige
Lage kommen könnte, entweder ſeine Stelle zu ver¬
lieren und mit Weib und Kinder zu verhungern,
oder einen Angeklagten zum Tode, zum Kerker, zu
Geldbußen zu verurtheilen, ſobald es einem Wahn¬
ſinnigen, oder ruchloſen Miniſter beliebt. Dieſer
Schutz ſoll jetzt dem Preußiſchen Volke geraubt
werden. Ich will es noch nicht glauben. Was
bliebe denn jenen guten Preußen, die ich im Aus¬
lande ſo oft habe in die Enge treiben ſehen, indem
[174] man ihnen die Verderblichkeit ihres vaterländiſchen
Regierungsſyſtems unwiderleglich klar machte, und
die dann immer auf das Wort zurückkamen: aber
wir haben doch eine unabhängige Juſtiz — was
bliebe ihnen noch für ein Vorwand übrig, ihre
Loyalität, der ſie ſich ſchon halb ſchämen, nothdürftig
zu vertheidigen? Freilich blieben ihnen dann noch
ihre gerühmten Abc-Schulen übrig. Ich möchte
ſie aber fragen: Ob man denn ihren gelehrten Abc-
Bauren etwas anders zu leſen verſtattet als die
Befehle der Regierung?
Nun freilich, wenn man anfängt, ſogar in der
Stadt Berlin ſelbſt Verſchwörungen zu entdecken,
und ſelbſt ein Cavallerie-Offizier und ein Regierungs¬
rath ſich des Hochverraths verdächtig gemacht haben,
dann ſcheint es Zeit, die Richter unter der Zucht¬
ruthe der Polizei zu bringen. Aber was wird es
ſie helfen? Sie werden höchſtens einige junge Leute
und dunkle Perſonen ſchuldig finden, aber nie einen
Menſchen von Bedeutung bis zur Straffälligkeit
überführen können. Denn in Berlin reichen ſich die
freiſinnigen Männer bis zu den erſten Stufen des
Thrones die Hände und ſie laſſen ſich nicht fallen.
Ich freilich traute jenen Menſchen nie, die ſeit fünf¬
zehen Jahren ihren guten Willen zu verheimlichen
und dem Despotismus, ihn zu verderben, Vertrauen
[175] einzuflößen wußten; doch giebt es andere ehrliche
Leute, die ihnen trauen. Mögen ſie ſich nicht
täuſchen! Ich war immer der Meinung, daß wer
faul wartet, bis die Früchte reif herabfallen, nur
faule Früchte leſen wird. Man muß die Freiheit
von den Bäumen brechen.
— Herr von Rotteck hat aus dem Sächſiſchen
wieder einen liberalen Becher bekommen; es iſt der
zehente. Durch das neuliche Betragen des Herrn
von Rotteck iſt mir erſt recht klar geworden, warum
ſo viele deutſche Patrioten von 65 Pulsſchlägen
an dieſem Manne hängen. Er treibt ſein Becher¬
ſpiel mit einer Vollkommenheit, wie ich es auf den
Boulevards noch nie geſehen. Er hat eine Art,
Einem den Liberalismus ſo bequem zu machen, daß
es eine Luſt iſt. An ſchönen Mai-Tagen, wo es
weder zu kalt noch zu warm iſt, geht er mit ſeinen
politiſchen Freunden ſpazieren, und macht ſich über
die faulen Bäuche luſtig, die bei ſo herrlichem
Wetter im Zimmer eingeſchloſſen bleiben. Kömmt
aber der Sommer der Freiheit und das Volk fängt
zu donnern und zu blitzen an, wird, ſobald der erſte
Tropfen fällt, der Regenſchirm der Legalität auf¬
geſpannt, man eilt in die Stadt zurück und wimmert:
bleibt nur immer auf dem geſetzlichen Wege!
Nahen die Weihnachten der Tyrannei und Bundes¬
[176] tagsbeſchlüſſe ſchneien vom Himmel herab, zieht
Herr von Rotteck den Fuchspelz der Loyalität an,
und er ſchreit zum Fenſter hinaus: Hoch lebe
unſer vielgeliebter Großherzog, der Wieder¬
herſteller der freien Verfaſſung und des
freien Wahlrechts? Dabei iſt man ſicher, ſich
weder zu erhitzen, noch zu erkälten, und ein Jubel¬
ſenior zu werden und ein Belobungsſchreiben zu
erhalten. „Wenn ich nur was davon hätt“
— ſagt Staberl.
..... Die öffentliche Meinung iſt zu ihrer
frühern Anſicht von dem Vater des Wunderkindes
von Blaye zurückgekehrt. Die drei Könige welche
die gebenedeite Prinzeſſin begrüßten, kamen wirklich
aus dem Morgenlande, und der heilige Geiſt war
ihr Landsmann. Als der ſchändliche Deutz die
Herzogin verrieth, rief ſie, ſich ſelbſt noch ſchlimmer
verrathend aus: Le misérable! Je lui ai donné
plus que ma vie! Seine Wohlthäterin, ſeine
Freundin, die Mutter ſeines Kindes, ein unglückliches,
wehrloſes Weib zu verrathen! Aber nur den
kleinſten Theil meines Grolls wende ich einem
ſolchen Niederträchtigen zu. Den größten Theil
ſpare ich für die Niederträchtigkeit der Regierungen
auf, die Verbrechen, welche [tauſendfachen] irdiſchen
Tod, und ſelbſt den Fluch des allbarmherzigen
Gottes verdienen, wie die ſchönſte Tugend belohnen.
Das iſt aber das Verderben jeder fürſtlichen Herr¬
ſchaft: ſie kann ſich nicht erhalten ohne Verrätherei;
ſie kann nicht ruhig leben, wenn nicht wechſelſeitiges
Vl. 12[178] Mistrauen die Bürger aus einander hält. Man
trete zu jeder Stunde in das geheime Kabinett jedes
Königs, und findet man einen ſeiner Unterthanen
bei ihm, mit dem er ſich liebreich und freundlich,
wie ein Bruder unterhält — iſt es ein Weib, wird
es eine Sängerin, iſt es ein Mann, wird es ein
Spion ſein. Und ſelbſt die Operſängerin hat nur
den zweiten Platz in dem Herzen des Königs.
Zwei und dreißigſter Brief.
Von dem aus dem Engliſchen überſetzten Werke:
Mémoires d'un Cadet de famille par Trelawney,
von dem ich Ihnen ſchon geſprochen, iſt jetzt der
dritte Theil erſchienen. Ich kann Ihnen nichts
ſchöneres zum Leſen empfehlen. Es wird Einem
dabei, als wäre man früher blind, taub und von
tauſend Banden feſtgehalten, regungslos geweſen; und
jetzt plötzlich frei geworden mit allen Sinnen und
Gliedern, erfahre man erſt, was die Welt ſei,
was leben heiße. Was der keckſte Romanenſchreiber
in ſeinem Uebermuthe nur je erdichtet, iſt Blödigkeit
gegen das, was dieſer Corſar wirklich gethan und
12*[180] gelitten. Und doch iſt nichts außerordentliches in
ihm, als daß er ſich außerordentlich viel Freiheit
genommen. Nichts Ungewöhnliches iſt ihm begegnet;
aber er iſt den gemeinen Dingen auf eine ungewöhn¬
liche Art begegnet und das hat ihn groß gemacht.
Man ſieht: es iſt in jedem Menſchen eine Kraft
gleich der des Dampfes, und wer dieſe zu finden
und zu gebrauchen verſteht, kann mehr vollbringen
als tauſend andere vereinte Menſchen.
Aber nicht bloß ein Held iſt Trelawney, er iſt
auch ein Meiſter im Malen und im Dichten.
Nichts herrlicher als ſeine Beſchreibungen von jener
zauberhaften indiſchen Welt; nichts epiſcher und
dramatiſcher als ſeine Schilderungen der Ereigniſſe
und der Menſchen und Völkerſchaften die daran
Theil genommen. Es begleiten ihn zwei komiſche
Charaktere auf ſeinem abentheuerlichen Leben, der
Koch und der Wundarzt des Schiffes, die Shakespear
nicht ſchöner hätte darſtellen können. Sie leben
beide mit Geiſt und Herz nur in ihrer Kunſt.
Auf dem Meere und in der Sandwüſte, bei Sturm
und Sonnenſchein, in der Schlacht und im luſtigen
Uebermuthe des Hafens, denken ſie nur an kochen
und heilen. Und auch hier ſieht man was die Frei¬
heit vermag. Der Koch wagt Gerichte, vor denen
Vatel gezittert, der Wundarzt Heilungen, vor
[181] welchen ſich Dupüytrin verſteckt hätte — und es
gelingt beiden. Die unerhörteſten Speiſen werden
ſchmackhaft, die verzweiflungsvollſten Krankheiten und
Wunden werden geheilt.
Wie herrlich iſt die Beſchreibung einer Tiger¬
jagd! Die Schlachten von Marengo, Auſterlitz
und Eylau, ſind, was der gezeigte Muth betrifft,
Poſſenſpiele [dagegen]. Der Corſar ſchließt dieſe
Schilderung mit den Worten: „Wie ſchön und
glorreich wäre dieſe Jagd, wenn man in den
Tigern, die Seelen aller Tyrannen der Erde ver¬
tilgen könnte!“
Denken Sie ſich einen Helden in der Schlacht
mit einer Roſe vor der Bruſt; denken Sie ſich eine
Harfe, die durch den heulenden Sturm ſpielt, und
einen Löwen, an ſeidner Schnur von einem ſchönen
Kinde geführt — das war Zela dem Corſaren.
Sie theilte alle ſeine Gefahren, und verſchönte und
belohnte ſie. Da verlohr er ſie durch den Tod.
Am Strande des Meeres verbrannte er ihre Leiche,
und wollte ſich auf den Scheiterhaufen ſtürzen, den
ihn aber ſeine Schwäche nicht erreichen ließ. Man
entfernte den Bewußtloſen von der Jammerſtätte.
Mit Zela endeten die Träume ſeines Lebens, er
erwachte und ſein Glück war dahin. Er kehrte nach
[182] England zurück, begrub ſich lebendig in dem Schooße
monarchiſcher Erde und wehrte mit grimmiger Hand
den Würmern, die an den Sarg ſeiner Freiheit
herankrochen. Trelawney haßte die ganze Welt, und
ſein Herz, groß genug die ganze Welt zu lieben,
theilte er zwiſchen Zela und van Ruyter, ſeinem
Freunde und Seegenoſſen. Van Ruyter war der
edlere von beiden. Auch er kehrte nach Europa
zurück, gerieth in die Sonnenbahn des Kaiſers
Napoleon, der ihn hoch hielt und ihn verwenden
wollte. Aber Ruyter ließ ſich nur von Napoleon
gebrauchen, ſo lange er ihn gebrauchen wollte, und
wußte im Helden den Kaiſer zu verachten. In
einem Treffen gegen ein engliſches Schiff verlohr er
das Leben. Sie werden gern erfahren, wie van
Ruyter von Napoleon dachte.
„Er hat einige Dummköpfe von alten legitimen
„Königen, von ihren wurmſtichigen Thronen herab¬
„geworfen; er hat ihnen den Purpur vom Leibe
„geriſſen und ſie dann wieder aufgerichtet, um mit
„der Menſchheit ſeinen Spott zu treiben. Indem
„er dieſes that, dachte er freilich die Tyrannei ver¬
„ewigen zu können, wenn er an die Stelle
„der zernichteten Mächte Militair-Despoten ſetzte,
„Aber er hoffte vergebens hierdurch ſeine Macht zu
„befeſtigen, und die Ehrgeizigen durch die Bande
[183] „der Erkenntlichkeit an ſich zu feſſeln. Als wenn
„ſich ein Ehrgeiziger je um ein anderes Glück als
„nur ſein eignes bekümmern könnte! Napoleon kann
„freilich für die Welt gute Folgen haben; doch ſind
„wir ihm keinen Dank dafür ſchuldig, denn er hat
„bei allem ſein Thun nicht das Gute beabſichtigt,
„ſondern das Böſe. Ein verroſteter Riegel iſt
„ſchwer zurückgeſchoben; iſt es aber einmal geſchehen
„und es gelingt einem ihn wieder vorzuſchieben,
„wird er nie mehr ſo gut als früher ſchließen.
„Was ein Meiſter zu ſeinem Vortheile ſeine Arbeiter
„lehrt, das wenden dieſe ſpäter zu ihrem eignen an.
„Napoleon hat unſern Kindern die Taſchenſpieler-
„Künſte mit Päpſten, Fürſten, Königen und andern
„ſolchen Gliedermännern gezeigt. Wir Alten hängen
„noch zu ſehr an unſerem Schaukelpferde und Blei¬
„ſoldaten; aber unſere Söhne werden die Puppen
„unſerer Zeit verachten, ſie auf immer wegwerfen
„und ein Männerſpiel ſpielen.“
„Der Kaiſer wollte mir, als ein Zeichen ſeiner
„großmüthigen Geſinnung etwas ſchenken, das keinen
„Schilling werth war — das Band der Ehren¬
„legion. Er hätte mich entehrt durch meine
„Ernennung zum Ritter; ich wäre lieber Glücksritter
„und Gauner geworden.
[184]
Trelawney verſpricht in der Folge auch ſein
ſpäteres Leben zu beſchreiben. Um ſich aus der
verpeſteten monarchiſchen Luft der europäiſchen
Staaten zu retten, nahm er an allen jenen
Kämpfen Theil, die, ſeit dem Sturze Napoleons,
in allen Ländern für die Freiheit verſucht worden
ſind. Von der Geſinnung und der Schreibart
unſeres Helden, mögen folgende Stellen zeugen.
„Die Gicht, der Schlagfluß, die Waſſerſucht
„und der Stein ſind meine lieben Freunde und
„Freundinnen. Ich verehre ſie, ich grüße ſie mit
„dem Hute in der Hand, als die mächtigſten unter
„den unverſöhnlichen Feinden der Könige und Prieſter.
„Das ſind unbeſtechliche Jakobiner. Wenn der
„Pfaff das Saatkorn eines armen Pächters geſtohlen,
„und ſeine Zehenten-Schweine verſchlungen hat,
„fühlt er freilich keine Biſſe des Gewiſſens; aber
„oft fühlt er ihre Qualen in den großen Zehen
„ſeines Fußes, und das Schwein hört nicht auf
„in ſeinem Bauche zu grunzen, als bis es ſich an
„ſeine Rippen und an ſeinem Halſe feſt gefreſſen
„hat; dann erſtickt es ihn, mit allen Anzeichen eines
„gerechten Schlagfluſſes.
„Ich beſchäftige mich, die Geſchichte meines
„Lebens zu vollenden. Die Folge wird zeigen, daß
[185] „ich kein geduldiges Werkzeug in den Händen der
„despotiſchen Willkühr war und mich nie zu jenen
„niederträchtigen Sklaven geſellt habe, die in Haufen
„zu den Füßen der Reichen und Mächtigen krochen.
„Nach meiner Rückkehr in Europa hatten alle Ty¬
„rannen ihre Gladiatoren verſammelt, um die ver¬
„maledeite Dynaſtie der Bourbons wieder auf den
„Thron zu ſetzen. Das Kriegsgeſchrei in Europa
„war die Unverletzlichkeit und Machtvollkommenheit
„der legitimen Tyrannen, und alle Dummköpfe,
„Schwärmer und Narren, wurden gleich Jagdhunden
„hinter die Freiheit gehetzt. Ueberall wurden Preiſe
„auf die Köpfe der Patrioten geſetzt; man beraubte,
„man verfolgte, man ermordete ſie mit gerichtlichen
„Floſkeln. Dann wurden ſie gleich Indiſchen
„Parias aus der Gemeinde gejagt, und wer ſie
„berührte, war, wie ſie, der Schmach verfallen.
„Ich, der ich ſo viel von der Tyrannei gelitten,
„haßte aus der tiefſten Seele jede Unterdrückung.
„Ich ſtand dem Schwachen gegen den Starken bei;
„ich ſchwur mich mit Leib und Seele dem Kriege
„zu weihen, und in dem heiligen Kampfe gegen die
„gekrönten Betrüger, ihre Miniſter und Pfaffen,
„auch den Dolch nicht zu verſchmähen. Als die
„Tyrannei ſiegte, theilte ich das Geſchick jener
„unüberwindlichen Geiſter, die durch die ganze
„Erde in der Verbannung umherſchweiften, und ich
[186] „lieh' ihnen meine ſchwache Hülfe, die Betrügereien
„jener von Motten zerfreſſenen Legenden, welche
„das Menſchengeſchlecht ſo lange betrogen haben,
„an den hellen Tag zu bringen.“ (O! hätten wir
ſtatt Rotteck und Welcker, den einzigen Trelawney
auf unſerer Seite.)
„Ach! dieſe edlen und hochherzigen Menſchen
„ſind nicht mehr! Sie fielen als Schlachtopfer
„jener erhabenen Sache, die ſie mit einer bewunde¬
„rungswürdigen Kraft vertheidigt; doch dauernde
„Denkmäler haben ſie zurückgelaſſen, und ihre
„Namen werden ewig leben. Ach! lebten ſie jetzt,
„hätten ſie den Baum, den ſie pflanzen halfen
„blühen geſehen! — — — hätten ſie das Jahr
„1830 und dann das ihm ſo glorreich folgende
„Jahr 1831 erlebt, wie würden ſie gejauchzt haben,
„die Reihe der Tyrannen durchbrochen, ihre Dumm¬
„gläubigen gemaulkorbt, und die Verſchwörung,
„welche die Freiheit der Völker erſticken ſollte, ver¬
„eitelt zu ſehen.
„Ja! die Sonne der Freiheit, erhebt ſich über
„den feilen Sklaven Europens, ſie wird ſie aus
„ihrem langen Todesſchlafe erwecken. Der Geiſt
„der Freiheit ſchwebt wie ein Adler über der Erde,
„und die Seelen der Menſchen ſtrahlen den Glanz
[187] „ſeiner goldenen Flügel zurück. Möge Frankreich,
„dem Adler gleich, den es früher wie zum Spotte
„zu ſeinem Sinnbilde genommen, jetzt aber im
„Ernſte annehmen muß — möge es ſeinen Kindern
„ſeinen erhabenen Flug lehren; möge es ſie lehren,
„das Geſtirn der Welt, in den Mittagsſtrahlen
„ſeines Ruhms, ohne geblendet zu werden anzu¬
„ſchauen. Die Hoffnungen und die Blicke aller
„edlen Menſchen ſind jetzt auf Frankreich gerichtet,
„und jedes Herz, das nur ein Hauch großherziger
„Geſinnungen belebt, wird bei dem Klange dieſes
„ſchönen Namens, das reinſte Mitgefühl wieder¬
„klingen“ ... Auch wir! Auch uns! Wir
wollen mächtig rufen, und der Ruf ſteige von Ort
zu Ort bis er zum Donner anwachſe, bis der
Taxiſche Pallaſt davon erbebe — es lebe die
Freiheit! es lebe Frankreich!
Wie ich heute in der Zeitung geleſen, haben die
Preußiſchen Miniſter das neue Judengeſetz verworfen.
Mit welcher Schadenfreude habe ich das ſo kommen
ſehen! Wie ſchlau iſt der hohe deutſche Adel! das
monarchiſche Prinzip iſt in den Talmud gefahren und
hat ihn geheiligt, und heilig ſind alle die an ihn
glauben. Bald wird der Meſſias der Juden geboren
werden, bald wird das Wunderkind von Blaye das
Licht der Welt erblicken. Der Jude Deutz, eines
frommen Rabbiners glorreicher Sohn, iſt jetzt
Stiefvater des Herzogs von Bordeaux, Schwager
des Königs von Neapel, noch verwandt mit dem
Franzöſiſchen, Spaniſchen, Portugieſiſchen Hauſe;
verwandt mit Oeſterreich, Preußen, Baiern, Ru߬
land, Hohenzollern-Sigmaringen und hundert andern
ehrlichen und natürlichen Vettern. Und er wird ſein
Volk erheben und es großmachen, und die Juden
werden zwar fortan, wie früher außer dem Geſetze
leben; aber nicht wie früher unter dem Geſetze,
ſondern, Fürſten gleich, über dem Geſetze. Die
[189] ſchönen Tage Zions kehren zurück und das hohe
Lied Salamonis wird ein allerhöchſtes Lied werden.
Dem armen Magiſtrate zu Freiberg in Sachſen,
der erſt kürzlich verordnete, es ſoll kein Jude ohne
Begleitung eines Polizeidieners durch die Stadt
reiſen, wird es am Halſe jucken, denn er wird ſehr
fürchten den Galgen verdient zu haben. Wehe nun
allen, die je einen Juden gehaßt, verfolgt und ge¬
läſtert, ſie finden keinen Stein in Europa, auf dem
ſie ihr müdes Haupt niederlegen können. Zwiſchen
Sibirien und der Haus-Vogtei, zwiſchen Köpenik
und Spielberg, lauert auf ſie alle zehen Schritte ein
Hochverrath, alle zehen Schritte ein Majeſtätsver¬
brechen. Schon hat ſich Deutz bei Gerard ſein
Porträt beſtellt, vor dem jeder, der ihn einmal mit
nicht gehöriger Ehrfurcht angeſehen, knieend Abbitte
thun muß. Der Bundestag wird eine Bundeslade,
das Taxiſche Haus eine [Stiftshütte] werden, und der
rothe Adler-Orden wird erbleichen vor dem Juwelen-
Glanze der Urim und Thumim. Ihr Töchter
Israels, lernt die Naſe rümpfen, Knixe machen und
Franzöſiſch ſprechen! denn Ihr werdet hoffähig
werden. Und Ihr, meine guten Deutſchen, aller
Fürſten treues Volk ruft: es lebe unſer viel¬
geliebter DeutzI., der Wiederherſteller der
weiblichen Verfaſſung in ihrer urſprüng¬
[190] lichen Geſtalt und des freien Herzens-
Wahlrechts hoch! Halleluja! Halleluja!
— Nichts iſt ſchwerer im menſchlichen Leben
— ausgenommen einen Zitronenkern herausfiſchen,
wenn er am Boden eines vollen Glaſes Limonade
liegt — als es mit den Deutſchen acht Tage hinter
einander gut zu meinen, ſo ſehr ſie es auch verdie¬
nen und ſo unglücklich ſie auch ſind. So oft ich
über ſie weine, haben meine Thränen nicht Zeit zu
trocknen, und ich muß ſchon wieder lachen. So oft
ich über ſie lache — nun freilich das kann niemals
lange dauern. Es iſt nicht meine Schuld. Auch
der beſte Menſch, der doch jedes Kind, ſo oft es
hinfällt mitleidig aufhebt, obzwar keine Gefahr dabei
iſt, muß doch lachen, wenn er einen erwachſenen
Menſchen fallen ſieht, der ſich doch ſo leicht beſchä¬
digen kann. Das deutſche Volk iſt ein ſolch erwach¬
ſener Menſch mit Kindesbeinen, und man muß la¬
chen ſo oft es auf den Kopf fällt. Es iſt gar zu
ungeſchickt, zu zerſtreut, zu gelehrt. Da ſind Rotteck
und Welcker, Männer die es gewiß gut meinen,
und auf welche ſonſt ſo viele als auf ihre Erretter
ſagen. Sie haben der guten Sache mehr geſchadet
als deren ſchlimmſte Feinde. Sie haben ſich und ihre
Leidensgenoſſen aus der Sklaverei befreiet, ließen aber
[191] ihrem Tyrannen die Pferde im Stalle zurück, waren
ehrlich und flüchteten ſich zu Fuße und wurden bald
von den verfolgenden Reitern wieder eingeholt und
mit Schimpf zurückgeführt. Sie haben das Volk
mitten auf ſeiner Siegesbahn aufgehalten, ja es oft
zurückgehen heißen und jetzt ſteht es da, weiter vom
Ziele als je, denn es kennt den Weg nicht mehr und
hat die Richtung verlohren. Wo ſie handeln ſollten,
ſprechen ſie, und wo ſie reden ſollten, die ſchlafenden
Herzen aufzuwecken, ſprachen ſie ſo lange und viel,
bis die wachen Herzen vor Müdigkeit wieder ein¬
ſchliefen. Da wurde Welcker wegen eines Preßver¬
gehens zu zweimonatlichem Gefängniſſe verurtheilt.
Der ſchuldige Artikel ſtand vor der Sündfluth, nehm¬
lich vor den Bundestagsbeſchlüſſen, im Freiſinnigen.
Ich erinnere mich nicht mehr was er ſtrafwürdiges
enthalten; ich glaube man fand darin ein Majeſtäts¬
verbrechen, daß Welcker ausgerufen hat: O du un¬
glücklicher Fürſt! Welcker appellirte an das Ge¬
richt zu Mannheim, und neulich kam die Sache dort
vor. Zwei Tage dauerten die Verhandlungen,
täglich ſieben Stunden. Welkers Vertheidigungrede
dauerte fünf Stunden. Wäre die Sitzung öffentlich
geweſen, dann könnte ich wohl begreifen, wie er
ſeine Vertheidigung benutzen wollte, dem Volke
Dinge mitzutheilen, die ihm zu wiſſen gut ſind.
Wären Geſchworne da, die man zu bewegen hat,
[192] könnte ich das auch begreifen. Aber in einem
heimlichen Gerichte, vor Richtern, vor gelehrten und
gebildeten Männern, die das alle eben ſo gut wiſſen
als Welcker, aber es entweder nicht beachten wollen
oder nicht beachten dürfen, fünf Stunden zu ſprechen,
das zeigt große Schwäche an. Fünf Stunden!
Erinnern Sie ſich noch, was ich Ihnen vorigen
Winter geſchrieben: wie hier einer der Geſchwornen,
auch bei einem unbedeutenden Preßprozeße, nach
dem der Advokat des Angeſchuldigten ſchon
anderthalb Stunden geſprochen, plötzlich aufſtand
und rief: haltet ein, ſonſt rührt mich der Schlag,
und wie er nach Hauſe ging und ihn wirklich der
Schlag gerührt? Nun wahrlich, wäre ich einer von
Welckers Richtern geweſen und der Schlag hätte
mich verſchont, hätte ich fromm die Hände gefaltet,
die Augen zur Erde gerichtet und gebetet: „o du
heiliger Rhadamantus da unten ſtärke mich, daß ich
gerecht bleibe, denn es gelüſtet mich ſehr, den armen
unſchuldigen Mann der da vor mir ſteht, für jede
Stunde die er geſprochen, auf ein Jahr zum Ge¬
fängniß zu verurtheilen!
So heimlich wurde das Gericht gehalten, daß
man Wachen außen vor die Fenſter ſtellte, aus
Furcht es möchte jemand horchen. Welcker wurde
freigeſprochen und Abends brachten die Bürger
[193] Muſik im Fackelzuge, um die Unpartheilichkeit
der Gerichte zu feiern. Die Freude galt
Welcker, aber ſo mußte gedruckt werden. Ließen
ſich hier in Paris Menſchen einfallen, einem Richter,
zu Danke für ſeine Unpartheilichkeit eine Nachtmuſik
zu bringen, würde er dieſen Unverſchämten ſeinen
Code Napoleon mit allen Kommentaren auf die
Köpfe werfen, oder er klagte den andern Tag wegen
Amtsbeleidigung. Aber bei uns iſt keine Ehre, weder
im Volke noch in der Regierung.
Ich denke heute wie ich geſtern dachte: es giebt
keine Ehre mehr, weder im Volke noch in den
Regierungen. Dieſe Münze der Tugend iſt ganz
verſchwunden und dahin iſt es gekommen, daß wer
noch einen Theil von ihr beſitzt, ſie verſtecken muß,
daß er nicht beraubt und mishandelt werde. Das
Verderben iſt alt, nur ſeine Offenbarung iſt neu;
früher ſchlich es im Dunkeln, jetzt wandelt es frech
am hellen Tage umher. So lange das monarchiſche
Prinzip ſeine tägliche Sättigung fand, war es zahm
und mild; jetzt da ihm oft die Nahrung mangelt,
zeigt es ſeine angeborne wilde Natur, und geht wie
ein reißendes Thier auf Beute aus. Die Fürſten
ſind eine Art hölliſche Berggeiſter, die in den Schacht
des menſchlichen Herzens hinabſteigen, dort das Erz
vom Golde reinigen, das Gold mit Füßen treten
und die Schlacke zu Tage fördern. Wo ſie einen
Gang der Tugend finden, wird er verſchüttet, wo
eine Ader der Leidenſchaft, wird ſie bearbeitet und
[195] zum Laſter ausgebrannt. Nicht blos einzelne
Menſchen, ganze Provinzen, Städte, Gemeinden,
werden verführt, beſtochen, beſoldet, zum ſchnödeſten
Knechtdienſte angeworben. Weil der einzelne Menſch,
ſo ſchwach und lüſtern er auch iſt, doch nicht immer
das Herz hat, um ſeines eignen Vortheils willen
ein Verbrechen auf ſich allein zu nehmen, giebt man
ihm den willkommenen Vorwand, ſeine Tugend für
das beſte ſeiner Gemeinde zu verkaufen; ſo beſchwich¬
tigt er ſein Gewiſſen, ſo vergißt er, daß ein Theil
des Sünderlohns ihm ſelbſt zukömmt. Der König
von Baiern, von Oeſterreich und den Jeſuiten belehrt
und gegängelt, übt dieſe Regierungskunſt mit einer
ſchauderhaften Unbedenklichkeit. Die Aqua Toffana
der Machiavelliſten-Politik wird in das reine deutſche
Blut getröpfelt, daß es ſchwarz werde wie die Seele
des Giftmiſchers. Die Aemter, die Behörden, die
Gerichtshöfe, die der Stadt in welcher ſie wohnen,
Geldvortheile bringen, werden verſteigert und den¬
jenigen Gemeinden zugeſchlagen, die am meiſten
Niederträchtigkeit dafür bieten. So wurde Aſchaffen¬
burg und Würzburg, Zweibrücken und Kaiſerslautern
hinter einander gehetzt. Die Bürgerſchaft, die
Magiſtrate ſchickten Deputationen nach München.
Dieſe verſprachen alles, verleugneten alles,
verriethen alles was man wollte, und bettelten
13 *[196] um einen Panisbrief. Der König empfing
ſie gnädig. Und das ſind die Fürſten, die ſich
Stellvertreter Gottes nennen! Ein Glück für die
Welt, daß es die Welt nicht glaubt — wer
glaubte ſonſt noch an Gott?
Drei und dreißigſter Brief.
Liebe Getreue!... Wenn Sie jetzt erwarten,
ich würde Ihnen hierauf etwas Schönes ſagen,
haben Sie ſich jammervoll verrechnet. Liebe Getreue
bedeutet nichts anders als lieber Hund. Sie
ſind mein Stand und als ſolcher den deutſchen
Ständen gleich, mit welchen die Fürſten und Miniſter,
ſo ſehr ſie Stände ſind, nicht mehr Umſtände machen
als mit Hunden. Alſo: liebe Getreue! Lieber Hund!
Du .... Du iſt die einfache Zahl von Ihr,
wie Ihr die Mehrzahl iſt von Du. Die deutſchen
Fürſten und Miniſter reden ihre Stände mit Ihr
an. Wäre nur ein Deputirter in der Kammer, der
[198] im Namen des Volks da ſäße, würden ſie, weil er
das Volk vorſtellt, Du zu ihm ſagen. Du iſt der
Kraftausdruck der Väterlichkeit und Schulmeiſterlich¬
keit, das Band, welches Vater mit Kind, Schul¬
meiſter mit Schulbuben vereinigt .... Alſo:
Liebe Getreue! Lieber Hund! Du haſt in Deinem
heutigen Briefe uns einen Antrag Deines Mannes
mitgetheilt, des Inhalts: wir ſollten erſt im Mai
zuſammenkommen, ſtatt wie es früher verabredet war,
ſchon im März. Und hoffe er, daß, ob dies zwar
unſern neueſten Bundesbeſchlüſſen entgegen ſei, wir
doch geneigt ſein könnten, von unſerer legislativen
Machtvollkommenheit ein klein wenig nachzulaſſen. Dar¬
auf thun wir Dir zu wiſſen: Dieſer Antrag iſt eine
Vermeſſenheit, welche Staunen erregen
muß. Das monarchiſche Prinzip iſt unſer Glaubens¬
artikel, wir werden uns niemals ändern, ſondern
fort und fort mit unſern getreuen Hunden verfahren
wie uns beliebt. Wir erwarten demnach, daß Du,
ſollte ſie wiederkehren, dieſe Motion mit ver¬
dientem Unwillen aufnehmen werdeſt. Uebri¬
gens liebe Getreue, lieber Hund, bleiben wir Dir in
Gnaden gewogen.
— Fragt mich Einer: aber was ſollten ſie
thun? Sie ſind Beamte, von der Regierung ab¬
hängig; ſollten ſie, die Ehre des deutſchen Volks
[199] zu retten, mit ihren Weibern und Kindern Hunger
ſterben? Ich ſage nein, das fordere ich nicht, ich
erwarte das nicht immer. Aber wie vergißt man
ſich nie, wie iſt man auf ſeinen Vortheil, bei Tage
und bei Nacht immer ſo wachſam, daß Einem nie¬
mals die Tugend überraſcht, und man mit Aufopferung
eine ſchmachvolle Beleidigung abwehrt? Erſt vor
einigen Tagen wurden hier zwei Staats-Beamte,
weil ſie den Tag vorher als Deputirte gegen die
Miniſter geſtimmt, ihrer Stellen entſetzt. Gleich in
der folgenden Sitzung erhoben ſich darauf eine Menge
miniſterieller Deputirten, die auch Beamte waren,
und eiferten auf das heftigſte gegen jene Abſetzungen,
gegen jenen ſchändlichen Seelenverkauf, den die Re¬
gierung von den Staatsbeamten fordert. Vielleicht
bereuten alle dieſe Männer ihre edle Aufwallung
ſchon eine Stunde ſpäter; vielleicht als ſie nach
Hauſe kamen, mit ihrer Familie um den vollen Tiſch
ſaßen, riefen ſie ſchmerzlich aus: morgen müſſen wir
hungern! und verwünſchten dann ihre Uebereilung.
Vielleicht war es kein ruhiges Pflichtgefühl, das ſie
ſo handeln ließ, ſondern nur eine Phantaſie des
Tugendrauſches. Doch genug, ſie vergaßen ſich.
Wehe aber denen die nie vergeſſen, daß ſie ſchwache
Menſchen ſind — Gott wird ſie vergeſſen!
Und die beſſern unter den deutſchen Volksver¬
tretern, die Unglückſeligen! — ſie verſtehen den
[200] böſen Zauber mancher Worte nicht; ſie vergeſſen,
daß es ein Spott iſt, mit ihrer Freiheit, ſo lange
ſie dulden, daß ſie ihre Fürſten mit liebe Getreue
und mit Ihr anreden! Wie aufmerkſam iſt man
hier auf ſolche Wort-Despotie! Die mauvais ſujets
unter den franzöſiſchen Miniſtern, ſteifen ſich, ihre
Berichte an den König mit fidelsujet zu unter¬
zeichnen. Niemals laſſen die Oppoſitionsblätter dieſes
ungerügt hingehen. Und bekümmert ſich auch ein
Miniſter nicht um den Tadel, und kehrt zu ſeiner
Kriecherei zurück, ſo wird doch durch die beharrliche
Oppoſition, der tägliche Straßenkoth knechtiſcher
Geſinnung weggekehrt, und er kann ſich nicht Berges
hoch anhäufen wie in Deutſchland.
Vier und dreißigſter Brief.
Die gerichtliche Unterſuchung wegen des Tumults,
der im Oktober 1831 in Frankfurt am Allerheiligen¬
thore ſtattgefunden, iſt im Februar dieſes Jahres
beendigt worden. Alſo ſchmachten die der ver¬
brecheriſchen Theilnahme angeſchuldigten Bürger ſchon
ſechszehen Monate lang im Kerker und wiſſen ihr
Schickſal noch nicht. Jetzt hat man erſt die Akten
zum Richterſpruche auf die Univerſität geſchickt und
es iſt bekannt, welche lange Zeit der Verſtand
deutſcher Gelehrten braucht, bis er zur Reife kömmt.
Iſt es nicht unerhört, iſt es nicht ſchauderhaft, zwiſchen
der Schuld und der Buße, oder zwiſchen der Un¬
[202] ſchuld und der Freiſprechung, eine Ewigkeit der
Qual zu ſetzen, die entweder die verdiente Strafe
grauſam erhöht oder die Freiſprechung ganz trügeriſch
macht? Das iſt aber der Fluch unſeres Vaterlandes,
daß ſelbſt die ſchlechteſten Regierungen keinen Platz
mehr zur Willkühr finden, weil ſchon die böſe Laune
der Geſetze allen Raum einnimmt. Selbſt der
boshafteſte Richter, wenn er einen Angeſchuldigten,
der in ſeine Hände gefallen, aus Rache peinigen
wollte, vermöchte dies nicht, ſobald die Anſchuldigung
ein Staatsverbrechen betrifft. Da hören alle
Schranken zum Schutze des Unſchuldigen, zum
Troſte des Schuldigen auf; der Richter hat keine
zu übertreten. Jeder eines Staatsverbrechens An¬
geklagter, iſt vogelfrei in ſeinem Kerker. Glücklich
wenn er einem gewiſſenloſen Richter in die Hände
fällt: Dann hat er doch Hoffnung ihn mit Gold zu
beſtechen. Iſt aber der Richter ein ehrlicher Mann,
ein ſogenannter treuer Staatsdiener, iſt der Unglück¬
liche verloren. Ein ſolcher treuer Staatsdiener ſieht
die Bäume vor dem Walde nicht; der Menſch iſt
ihm nichts, der Staat iſt ihm alles, und — was
noch unheilbringender: er ſieht den ganzen Staat in
der Regierung, und ſieht die ganze Regierung in
dem Fürſten. Auf dieſe Weiſe ſind dreißig Millionen
Deutſche nichts, und ihre dreißig Fürſten ſind alles.
Fragen Sie einen ſolchen wahnſinnigen deutſchen
[203] Staatsgelehrten: was bezweckt denn der Staat? Er
antwortet Ihnen: die Sicherheit des Eigenthums,
der Freiheit und des Lebens der Bürger. Lachen
Sie wenn Sie nicht weinen müſſen. Das Eigen¬
thum wird ſo ſehr geſichert, daß die Abgaben um
die Koſten des Staatsſchutzes zu decken, den größten
Theil der Nation zu Bettlern machen. Die Freiheit
wird ſo ſehr geſichert, daß die Bürger darüber zu
Sklaven werden. Das Leben wird ſo ſehr geſichert,
daß man es hinter den Riegeln eines Kerkers bewahrt
und man ſein Bischen Leben, was ſie Einem in der
Freiheit laſſen, zehen Male im Tage verwünſcht.
Was bleibt nun übrig, das verdiente geſichert zu
werden? Jede Monarchie ohne Theilnahme des
Volkes an der Regierung — in der Geſetzgebung
durch Deputirte, in den Gerichten durch Geſchworne,
in der bewaffneten Macht durch Nationalgarden —
iſt nichts als eine organiſirte Räuberei; ich ziehe
die im Walde vor, wo man mit Muth ſich oft
retten kann, wo einem wenigſtens die Wahl bleibt,
ſich in die Räuberbande aufnehmen zu laſſen.
Sicherheit! Denken Sie ſich einen Geizigen, der
immer beſorgt wäre, man möchte ihm ſeine Schätze
ſtehlen. Er baut ſich ein großes mächtiges Haus,
ſie darin zu verwahren, und bringt tauſend künſtliche
Befeſtigungen darin an. Die Baukoſten verſchlingen
ſein ganzes Vermögen, jetzt hat er ein Schatzgebäude,
[204] aber keinen Schatz mehr. So haben wir einen
Staat aber keine Menſchen darin.
Die deutſchen Strafgeſetze gegen Staatsver¬
brechen, und beſonders die Art und Weiſe auf welche
mit einem Angeklagten die gerichtliche Unterſuchung
geführt, und die Geſetze auf einzelne Fälle angewen¬
det werden — das alles iſt fürchterlich! Sie ſind
ein Frauenzimmer und brauchten dieſe Schändlichkei¬
ten nur zu fühlen, nicht zu verſtehen; aber die Sache
iſt ſo klar, daß ſie ſelbſt ein Kind begreift und ſich
davor entſetzt. In einem monarchiſchen Staate wer¬
den Staat und Fürſt für Eines angeſehen, und ſo
wird jedes Staatsverbrechen zur Beleidigung des
Fürſten, und jede Beleidigung des Fürſten zum Staats¬
verbrechen. Und dieſer Fürſt der beleidigt worden,
beſtimmt ſelbſt die Strafe der Beleidigung, beſtraft
ſelbſt den Beleidiger; denn die Richter, die Geſetz¬
geber ſind des Fürſten Beamte, werden von ihm ein¬
geſetzt und abgeſetzt, und ihr Schickſal und das
ihrer Familie hängt von ihrer Folgſamkeit gegen die
Wünſche und Launen des Fürſten ab. So nimmt jede
fürſtliche Rache den Schein des Rechts und, was noch
gefährlicher iſt, ſelbſt die verdienteſte Strafe nimmt
den Schein der Rache an. Bei aller Rechtspflege
kömmt es nicht blos darauf an, daß Recht geſprochen
werde, ſondern auch daß jeder Bürger im Staate
[205] die Zuverſicht habe, daß Recht geſprochen werde.
Was hilft alle Sicherheit, wenn man nicht das Ge¬
fühl dieſer Sicherheit hat? Der Traum einer Ge¬
fahr kann Einen im warmen, weichen Bette ſo ſehr
ängſtigen, als dieſe Gefahr ſelbſt. Aber dieſes Ge¬
fühl der Sicherheit, dieſe Zuverſicht auf ſtrenge
Rechtlichkeit kann ein deutſcher Bürger nicht haben,
in allen Fällen wo es ein Staatsverbrechen betrifft.
Tiefe Nacht umgiebt den Kerker, die Unterſuchung
wird geheim geführt, der Richterſpruch wird geheim
gefällt, die Vertheidigung bleibt verborgen, der erſte
Strahl des Tages fällt auf das Blutgerüſt, ein blei¬
ches, gramgefurchtes Haupt fällt — ob ſchuldlos oder
ſchuldig, das wird Gott einſt richten. Wie wird ein
armer deutſcher Staatsgefangener im Kerker behan¬
delt? Mit Menſchlichkeit? Oder wird er gefoltert?
Wer kann es wiſſen? Kömmt er endlich frei, haben
oft lange Leiden die Kraft ſeiner Seele gebrochen,
oder er hat wohl in ſeinem heißen Gebete um Ret¬
tung, den Himmel gelobt, wenn er ihn befreie, wolle
er allen ſeinen Feinden vergeben, jede Kränkung ver¬
geſſen er ſchweigt und klagt nicht. Vielleicht
hat man ihm auch einen Schwur der Verſchwiegen¬
heit als Preis ſeiner Befreiung aufgelegt
In freien Staaten, wie in Frankreich und Eng¬
land, werden die gerichtliche Unterſuchung und die
[206] Vertheidigung öffentlich geführt, und das Urtheil wird
öffentlich gefällt. Nicht die Beamten des Königs
richten einen Angeſchuldigten, ſondern das Volk ſelbſt
richtet ihn, durch ſeine Geſchwornen. Der Einge¬
kerkerte iſt keiner Willkühr Preis gegeben, denn die
freie Preſſe bringt jede ſeiner Klage zur öffentlichen
Kunde. Minder gefahrlos iſt es unter reißenden
Thieren wohnen, als in einem Lande ohne Oeffent¬
lichkeit der Gerichte, ohne Geſchworne und ohne
Preßfreiheit. Ein Tiger verurtheilt ſein Schlacht¬
opfer zum augenblicklichen Tode, niemals zu lebens¬
länglicher Pein. Sie werden die Leidensgeſchichte zweier
unglücklichen Jünglinge in den Oeſtreichiſchen Staats¬
gefängniſſen leſen, und dann werden Sie begreifen,
wie die Zunge eines Tigers zur Liebkoſung werden
kann.
Die Tugend und Gerechtigkeit eines deutſchen
Fürſten, wo ſie noch gefunden wird, hilft hier gar
nicht. Iſt nicht der Kaiſer von Oeſterreich ein
tugendhafter und ein gerechter Fürſt? Wem hat
das noch gefrommt? Die Bosheit, Leidenſchaft und
Grauſamkeit liegen ſchon in den Geſetzen; aber dieſe
ſtammen nicht von der Bosheit, Leidenſchaft und
Grauſamkeit der Geſetzgeber, ſondern von ihrer Ver¬
rücktheit. Sie vergeſſen, daß eine Regierung der
Menſchen willen da iſt, und glauben der Menſch
[207] wäre geboren um regiert zu werden. Darin iſt der
Wahnſinn. Sie können täglich in der Zeitung leſen
was in Baiern geſchieht. Baiern in der Schule
Oeſterreichiſcher, Preußen in der Schule Ruſſiſcher
Tyrannei unterrichtet, jagen uns von Süd und Nord
ihre unglücksſchwangern Wolken zu, und bald wird
das Verderben auf das Herz des Vaterlandes nieder¬
fahren und der Haſelſtock wird die Knute küſſen und
jeden treffen der ſich ſeiner Zärtlichkeit in den Weg
ſtellt. Ein Baieriſcher Handelsmann, der außer Lan¬
des iſt, wird vorgeladen, ſich „gegen die Anſchul¬
„digung der Hülfsleiſtung zum entfernten
„Verſuche des Hochverraths“ zu verantworten!
Wäre das nicht ſo ſchrecklich, ſollte man nicht glau¬
ben, eine Scene aus den femmes savantes oder den
Précieuses ridicules zu leſen? Ein Anderer, ein
Zeitungsredakteur, der ſich geflüchtet, wurde wegen
eines Preßvergehens, außer der knienden Abbitte vor
dem Bilde des Königs und einer dreijährigen Zwangs¬
arbeitshaus-Strafe, noch verurtheilt: während ſeiner
dreijährigen Strafzeit jedes Jahr den Tag vom drit¬
ten Juli in einem einſamen Gefängniſſe zuzubringen,
und während vierzehen Tage im Monat Juli, ab¬
wechſelnd 3 Tage bei Waſſer und Brod zu faſten.
Als ich das deutſch las, hatte ich es ganz mißver¬
ſtanden und ſo gedeutet: Der Gefangene bekomme
drei Tage blos Waſſer ohne Brod und drei Tage
[208] blos Brod ohne Waſſer. Ich wunderte mich gar
nicht darüber, denn ich dachte, es ſei eine ſinnreiche
deutſche Rache gegen die franzöſiſche Juli-Revolution.
Aber aus dem Conſtitutionnel, der das Urtheil in
ſeiner ganzer Ausdehnung mit den Unterſchriften der
Richter enthielt, erfuhr ich erſt ſeinen wahren Sinn.
Es heißt dort: verurtheilt ... „à observer un
jeûne de quinze jours chaque mois de Juillet
de chaque année de son enprisonnement, de
manière qu'il ne doit recevoir pendant trois
jours que du pain et de l'eau, pendant les
trois jours suivant la nourriture dûe aux pri¬
sonniers, et ainsi da suite et alternativement
pendant la quinzaine.“ Was wird es dem Herrn
Oeſtreicher (ſo heißt der verurtheilte Zeitungs-
Redakteur) in der Freiheit gut ſchmecken! Er komme
jedesmal im Juli zu uns, und wir wollen ihn vier¬
zehen Tage lang abwechſelnd drei Tage mit Cham¬
pagner und Auſtern, und drei Tage mit Burgunder
und Trüffelpaſteten bewirthen und dabei auf die Ge¬
ſundheit des Herrn Staatsrathes Feuerbach trinken
— nämlich auf die Geſundheit ſeines Kopfes. Ich
habe Ihnen ſchon früher geſagt, daß dieſe ſchönen
Baieriſchen Kriminalgeſetze keineswegs aus einer
alten barbariſchen Zeit herſtammen, ſondern daß ſie
im neunzehnten Jahrhundert, zwanzig Jahr nach
der franzöſiſchen Erklärung der Menſchenrechte ver¬
[209] faßt worden ſind, und daß ſie größtentheils der
Staatsrath Feuerbach ſo herrlich erſonnen. Glauben
Sie aber ja nicht, daß dieſer unſer berühmte Lands¬
mann darum ein boshafter oder einfältiger Menſch
ſein müſſe. Ich kenne ihn zwar nicht, doch mag er
der beſte Menſch, der zärtlichſte Gatte, der liebe¬
vollſte Vater, der großmüthigſte Freund ſein. Das
hilft aber hier alles nichts. Sobald einem deutſchen
Rechtsgelehrten Staatsverbrechen auf den Kopf fallen,
wird er wie vom Schlage gerührt, alle ſeine Geiſtes¬
kräfte werden gelähmt, und er ſinkt ganz zu dem
irren Zuſtande eines kindiſch und unmündig gewor¬
denen Geiſtes herab. Er iſt dann kein Menſch
mehr, er iſt nur noch ein Thier das ißt und trinkt
und — ein Staatsdiener.
Das Wenigſte von den bisher geſagten findet
zwar auf Frankfurt eine Anwendung. Da dort keine
monarchiſche, ſondern eine republikaniſche Verfaſſung
herrſcht, konnte die Regierung nie zu dem Wahne
kommen, daß ſie den Staat ausmache. Aber doch
ſind unſere Geſetzgeber, Richter und Regenten noch
in den Irrthümern einer alten Zeit gebildet. Sie
haben immer noch von der Heiligkeit des Staats
und der beſtehenden Einrichtungen eine abergläubiſche
Vorſtellung. Wenn das nicht wäre, hätte nie ge¬
ſchehen können, daß man angeſchuldigte Bürger
VI. 14[210] ſechszehen Monate lang proviſoriſch im Gefängniſſe
ſchmachten ließ. Wäre nicht die unſelige Verehrung
alles Beſtehenden, hätte man längſt bei Criminal-
Verbrechen das mündliche Verfahren eingeführt und
der Schneckengang ſchriftlicher Vertheidigung hätte
nicht länger die Qual eines Eingekerkerten zur Un¬
erträglichkeit ausgedehnt. In Frankfurt iſt nur ein
einziger Criminalrichter, und dieſer konnte bei den
vielen andern Geſchäften, die ihm oblagen, auch mit
dem beſten Willen und dem angeſtrengteſten Fleiße,
jene Unterſuchung nicht ſchneller fördern. Hätte man
aber nur die geringſte Vorſtellung, daß nicht blos
der Staat an den Bürger, ſondern daß auch der
Menſch an den Staat Anſprüche zu machen habe:
Dann hätte man ſich keinen Tag beſonnen und hätte
die Zahl der Unterſuchungsrichter vermehrt und die
Bedenklichkeit eine alte Gerichtsordnung umzuändern,
und die Staatsausgaben um einige tauſend Gulden
zu vermehren, wäre hier, wo es auf die Freiheit
mehrerer Bürger und die Ruhe ihrer Familien ankam,
gar nicht in Betracht gekommen. Wie ich aber er¬
fahren, hat man ſich erſt kürzlich beſonnen, und dem
Criminalrichter, erſt auf ſein eignes Verlangen, einen
Gehülfen gegeben.
Die gerichtliche Unterſuchung jenes Frankfurter
Tumults, an dem nur wenige hundert Menſchen
[211] Theil genommen, und wobei nur ein einziger das
Leben verloren, hat ſich durch ſechszehen Monate
hingeſchleppt, und die Pariſer Inſurrektion im Juni,
die den Umſturz der Monarchie bezweckte, woran
viele tauſend Menſchen Theil genommen, wobei
mehrere hundert das Leben verloren, war ſchon nach
vier Monaten gerichtet! Und gewiß könnte ſich
weder der Staat beſchweren, daß dem Geſetze nicht
völlige Genugthuung widerfahren, noch einer der
Angeſchuldigten, daß er mit Unrecht verurtheilt
worden ſei. Viele wurden zum Tode verurtheilt
und verdanken die Erhaltung ihres Lebens nur der
königlichen Begnadigung. Viele Schuldige, die dem
unerbittlichen Buchſtaben des Geſetzes verfallen waren,
wurden von der Barmherzigkeit der Geſchwornen,
die den Geiſt der Verhältniſſe berückſichtigen, frei
geſprochen. So fanden Strenge und Milde den
ihnen gebührenden Platz, und vier Monate waren
genug, alle dieſe Verwirrungen zu ſchlichten.
Siebenpfeifer und Wirth, des Hochverraths
durch Preßvergehen beſchuldigt, ſchmachten ſchon
zehen Monate im Gefängniſſe, und ihr Urtheil iſt
noch nicht geſprochen, und die Unterſuchung wegen
des Piſtolenſchuſſes auf den König von Frankreich
war ſchon nach zwei Monaten und einigen Tagen
14 *[212] geendigt. Wenn dieſe Sache ſich bis jetzt verzögert
hat, ſo daß erſt in dieſer Woche die Angeklagten
vor den Aſſiſen erſcheinen, ſo lag das an den An¬
geklagten ſelbſt, die um Aufſchub baten. Und die
Beſchuldigung eines Königsmordes iſt doch ganz etwas
Anderes, als die Anklage wegen Hülfsleiſtung
zu dem entfernten Verſuche eines Hoch¬
verraths — durch die Preſſe! Ich mußte
lachen, als ich vor einigen Wochen in einem Oppo¬
ſitionsblatte las: „Enfin, aprèsdeux mois et
„plus d'instruction, a paru l'acte d'accusation
„dressé à l'occasion du coup de pistolet tiré
„sur le roi le 19 Novembre dernier.“ Endlich
nach zwei Monaten und länger — welche eine
närriſche Ungeduld! Wenn in Deutſchland Einer
um jeden Preis ein hohes Alter erreichen wollte,
könnte er nichts zweckmäßigeres thun, als eine blind¬
geladene Piſtole auf einen Fürſten abzudrücken. In
ſeinem Leben würde er nicht gerichtet werden.
Nicht etwa als zweifle man einen Augenblick an
ſeiner Schuld und ſeinem böſen Vorſatz! dieſer
Zweifel könnte dem Thäter keinen Tag ſeinen Kopf
ſichern. Aber man würde ſo lang und ſo weit
den Fäden der Verſchwörung nachgehen, man
würde ſo tief nach der letzten Wurzelfaſer des
Geiſtes der Zeit graben, daß, ehe man von dem
[213] Ende der Welt und den Antipoden, wohin man zur
Entdeckung der Mitſchuldigen gereiſt, zurückkäme,
ein ganzes Menſchengeſchlecht ausſterben müſſe.
Millionen Deutſche würde man konfrontiren, das
ganze Volk würde man zu Protokoll nehmen. Hat
man doch den unglücklichen Sand, der ſein Ver¬
brechen faſt öffentlich beging, der mit blutigem Dolche
auf die Straße ſtürzte, und die That augenblicklich
eingeſtand, trotz ſeiner ſchmerzlichen Wunde, ein
ganzes Jahr lang im Gefängniſſe ſchmachten laſſen!
Man wollte damals alle Patrioten hinein verflechten,
und die edelſten des Volkes zu Meuchelmördern
brandmarken.
Woher kömmt nun dieſer Unterſchied zwiſchen
Frankreich und Deutſchland? In Frankreich herrſcht
die öffentliche Meinung, die man wohl irre zu
führen ſucht, der man aber nicht zu trotzen wagt.
Sie iſt mächtiger als die Regierung und weit mächtiger
als der König. In Frankreich iſt das Volk der
Staat. In Deutſchland hat die öffentliche Meinung
ſich noch nich geltend zu machen verſtanden, darum
iſt das Volk nichts; der Fürſt iſt der Staat, der
Fürſt iſt alles. Wenn unſere Fürſten noch nicht,
wie einſt Ludwig XIV. mit der Reitpeitſche in der
Hand, ihre Stände auseinander gejagt, ſo geſchah
[214] es nur darum nicht, weil ſie noch niemals bei ihren
Ständen ſolchen Widerſpruch gefunden, als ihn
Ludwig XIV. in ſeinen erſten Regierungsjahren bei
ſeinem Parlamente fand. Aber das wird noch
kommen.
Zwar — Sie werden nicht begreifen, wie hier
das zwar herkömmt, ich ſelbſt verſtehe es nicht,
aber es wird ſich ſchon ein Zuſammenhang finden
und wo nicht, iſt es auch kein Unglück. Zwar
1. Hat der Commerzienrath Hofmann in Darm¬
ſtadt, der einſt den Griechen zu ſeinem Schaden
ſechszigtauſend Flinten geliefert und ſpäter auch zu
ſeinem Schaden den Preußen ſich ſelbſt, neulich in
der Kammer darauf angetragen: man möchte das
häufige Tanzen auf dem Lande unterſagen, denn
wenn die armen Bauern noch von dem Tanzen erhitzt,
am Morgen nach der Kirchweihe nach Amerika aus¬
wanderten, ſo möchte das ihrer koſtbaren ſteuer¬
pflichtigen Geſundheit ſchaden — worauf ein Bauer,
Mitglied der heſſiſchen Kammer und obzwar ſehr
vernünftig über dieſe Sache geſprochen, nämlich
dagegen, worüber ſich die andern Mitglieder ſehr
gewundert, da doch der Mann nicht ſtudirt habe.
Zwar
[216] 2. Weigert ſich der Zeitungsredakteur Wiede¬
mann, vor dem Bilde des Königs von Baiern kniend
Abbitte zu thun, wozu er verurtheilt worden; denn
er meint, es ſei ihm ganz gleichgültig, daß man
ſeine fünf Jahre Zuchthausſtrafe, wozu er auch ver¬
urtheilt worden, erſt von dem Tage an zählen werde,
wo er gekniet, da er von den fünf Jahren, während
welcher er ſeiner Freiheit beraubt bleiben ſoll, nur
die zwei erſten bedauere, die übrigen rechne er nicht.
Zwar
3. Frägt der jämmerliche Hofrath Krug, was
man denn ſo viel Weſens aus den Bundestags-Be¬
ſchlüſſen mache, da ſie doch vor der Hand nur
auf ſechs Jahre — im Leben eines Volkes
weniger als ſechs Tage im Leben eines
Menſchen beſtehen und dann über deren
Fortdauer von neuem berathſchlagt werden
ſoll? Zwar
4. Ließ die Wiener Cenſur ein Gedicht Grill¬
parzers auf die Geneſung des Kronprinzen von
Oeſterreich, darum nicht paſſiren, weil der Dichter
zu viel von der Herzensgüte des Prinzen geſprochen,
zu wenig aber von ſeinem Verſtande, und dieſe
Nachricht durfte nicht allein in allen zenſirten
Blättern gedruckt werden, ſondern ſie ſtand in den
[217] abſolutiſtiſchen Blättern zuerſt — wie man über¬
haupt ſeit achtzehen Jahren, ſowohl in Wien ſelbſt,
als in ganz Deutſchland, von nichts ungenirter und
weniger ſpricht als von dem Verſtande des Kron¬
prinzen von Oeſtreich — worüber ſehr nachzudenken
iſt. Ich habe ſehr darüber nachgedacht und halte
den Kronprinz von Oeſtreich für einen zweiten
Joſeph den Zweiten. Zwar
5. Werden in Deutſchland die Fürſten als
Oberſtallmeiſter, ihre Beamten als Reitknechte,
ihre Staaten als Ställe, und ihre Unterthanen als
Pferde betrachtet — weswegen auch, ſo oft ein
Kronprinz den Thron beſteigt, man zu ſagen pflegt:
er habe die Zügel der Regierung ergriffen.
Zwar.
6. Eifert das Berliner politiſche Wochenblatt
dagegen, daß die Penſion der Baſtillhelden ſo ſtark
ſei wie die der Ritter der Ehrenlegion, obzwar die
Baſtillhelden eine wahre Schandlegion wäre. Zwar
7. Hat der König Otto von Griechenland auf
dem Schiffe mit engliſchen Offizieren eine Quadrille
getanzt und ſowohl in Neapel als in Corfu: nicht
geringe Senſation bei dem ſchönen Ge¬
ſchlechte erregt — und hat der König von
[218] Baiern auf unterthänigſte Bitte der Grenzpatrioten
erlaubt, daß an der Stelle, wo König Otto die
baieriſch-tyroliſche Grenze überſchritten, und wohin
er den folgenden Tag zurückgekehrt war, um Abſchied
von ſeinem lieben Vaterlande zu nehmen, welches er
den vorigen Tag zu thun vergeſſen, weil er vor
Rührung eingeſchlafen war — hat erlaubt, daß zum
ewigen Andenken dieſer Rührung, dieſes Schlafes
und dieſes Abſchieds, an der dreimal geſegneten
Stelle durch freiwillige Beiträge dem jungen Wittels¬
bacher eine Kapelle erbaut werde — jetzt ſchon die
zweite — ſo daß ſehr zu vermuthen iſt, das neue
Baierthum werde bald das alte Chriſtenthum ver¬
drängen. Zwar
8. Pflegen die deutſchen Volksdeputirten, wenn
ſie von dem Kammer-Präſidenten ſprechen, nicht zu
ſagen: der Präſident, ſondern das Präſidium
— weil ſie denken, Präſident wäre ein leichtes Ding,
das der Wind fortwehen könne, Präſidium aber
etwas gründlich-ſchweres, das feſt hafte — welches
ſehr deutſche Art iſt. Zwar
9. Wurde der Buchhändler Franckh in Stutt¬
gard, im Theater, alſo nach Sonnenunter¬
gang, citirt, gleich vor dem Criminalgerichte zu
erſcheinen, und als er ſich deſſen weigerte, beim
[219] Austritte aus dem Theater arretirt — die Nacht
trägt die Livree der Könige. Zwar
10. Betragen die Staatsausgaben des Kur¬
fürſtenthums Heſſen 2,700,000 Thaler, und der
Kurfürſt mit ſeiner Familie koſtet dem Lande nur
467,420 Thaler, alſo nicht mehr als den fünften
bis ſechsten Theil aller Staatsausgaben — welches
ganz erſtaunlich iſt. Zwar
11. Wurde ein Berliner Polizei-Rath, den
man nach Poſen geſchickt, dort nach Verſchwörungen
zu jagen, im Walde vor Poſen von maskirten
Reitern aus der Diligence geriſſen, gezwungen,
ſeine Papiere herauszugeben und dann fürchterlich
durchgeprügelt — welche ſchöne Geſchichte man aus
dem Polniſchen in das Deutſche überſetzen wollte.
Zwar
12. Hat Herr von Gagern in der Darmſtädter
Kammer bewieſen, die unruhige Stimmung in Rhein¬
baiern käme von drei Urſachen her. Erſtens,
weil keine Reſidenzen im Lande wären. Zweitens,
weil kein hoher Adel im Lande wäre. Drittens,
weil keine Oper im Lande wäre; denn würde in
Zweibrücken die Stumme von Portici aufgeführt,
werde keiner aus Langerweile, Kunſtliebe und Chanſo¬
[220] manie den Maſaniello machen — und die Kammer
hat nicht gelacht — ſo traurig iſt ſie! Aber ....
da ſitze ich nun mit meinem Aber und weiß nicht
was ich damit machen ſoll. Sie ſehen was dabei
herauskömmt, wenn man leichtſinnig in den Tag
hineinſchreibt und nicht das Ende bedenkt. Laſſen
Sie ſich das zur Warnung dienen. Aber ....
Ich will es Ihnen offen geſtehen, es war mir
nur darum zu thun, ſo ſchnell als möglich Kehraus
zu machen. Mein Taſchenbuch iſt voll und ich habe
mir heute ein neues gekauft — in dieſem Winter
das dritte.
Und nachdem ich das letzte Wort heraus¬
geſchrieben, warf ich das Buch und den verfluchten
Bleiſtift mit — er ſollte mir zu keinem ſchuldloſen
Worte dienen — in den Kamin, und ſtieß es mit
der Zange in die Gluth. Garſtig roch der Saffian
und das Pergament und da lachte ich. Es ſei ein
Fett-Opfer den unterirdiſchen Göttern gebracht! ..
Als mir aber durch die Seele ging, was ich ſeit
zwei Monaten hineingeſchrieben; die unerhörte
Schmach, den unerträglichen Schmerz des Vater¬
landes, und dachte: und das Alle dem treueſten,
dem edelſten, dem geiſtreichſten unter den Völkern
der Erde — dem Volke, das unter allen Kindern
[221] Gottes, dem Vater am ähnlichſten geworden; all¬
liebend wie er, allgegenwärtig wie er, allwiſſend wie
er; und darum, weil es ihm ſo gleicht, wie Gott
ſelbſt von den Teufeln der Welt am meiſten ge¬
ſchändet — — da mußte ich weinen. Dann dachte
ich wieder: ſie frohlocken über unſern Jammer, ſie
hören ihn für den Schrei der Verzweiflung, für das
Röcheln ſterbender Hoffnung — und es ergrimmte
in mir und als könnte ich Geiſter beſchwören, rief
ich: Trelawney!
Fünf und Dreißigſter Brief.
Schon zweitauſend Süd-Deutſche ſind dieſen
Winter nach Amerika ausgezogen, und das waren
„nicht verarmte heimathloſe Leute, nein
wohlhabende, tüchtige und rüſtige Männer.“
Dieſer Stimme darf man glauben, ſie iſt keine
liberalen Unwillens, denn ſie kömmt aus dem
Hanöveriſchen, wo die Freiheit taubſtumm iſt. Und
zur Bekräftigung ihrer Hanöverlichkeit kann es dienen,
daß jene Auswanderungen eine Modekrankheit
genannt werden. Eine Modekrankheit! Noch ein
Glück, daß unſere Fürſten ſich nicht, wie einſt die
Prieſter, gelüſten laſſen, auch die Aerzte ihrer Unter¬
[223] thanen zu ſein; ſonſt dürfte man ohne ihre aller¬
gnädigſte Erlaubniß nicht krank werden und ſterben,
und ſie hätten vielleicht, wie jetzt die Auswanderungen,
auch die Cholera eine Modekrankheit genannt.
Aber es iſt darüber zu verzweifeln! Und doch kenne
ich Kinder von freiſinnigen Männern, die über dieſe
Auswanderungen frohlockten, weil ſie meinen, die
Fürſten müſſen ſich darum ſchämen. Die ſich ſchämen!
Eher würde die Nacht roth als ein König. Unſere
Fürſten, die ſich jetzt Alles erlauben, weil die Furcht
vor ihrem Adel ſie gegen das Volk beherzt macht
würden ſie denn die Auswanderung der deutſchen
Patrioten dulden, wenn ſie ihrer Tyrannei keinen
Vortheil brächte? Wer wandert aus? Der, dem die
Knechtſchaft am unerträglichſten iſt, der die Freiheit
am herzlichſten liebt und darum am tüchtigſten wäre
für ſie zu kämpfen. Dieſe Thorheit kann uns um
zehen Jahre zurückwerfen. Wenn man alle die
Auswanderungen überdenkt, die ſeit Jahrhunderten,
wegen religiöſen oder politiſchen Druckes, in vielen
Staaten unternommen wurden, ſo findet man, daß
ſie immer zu ſpät geſchehen und alſo ohne Noth.
Man wartete bis das Uebel den höchſten Grad
erreicht, das heißt, bis es der Heilung nahe kam.
So geſchah es immer, daß bald darauf der böſe
Geiſt der Regierungen ſich beſſerte, entweder durch
freiwillige oder durch gezwungene Bekehrung. Iſt
[224] es nicht eine bejammerswerthe Thorheit, daß Deutſche
mit Mühen und Gefahren Amerika hinter dem Meere
ſuchen, ſtatt, bequemer und ſicherer ſich Amerika in
das Haus zu ſchaffen? Mit der Hälfte des Geldes,
das ihnen ihre Ueberſiedlung koſtet, mit der Hälfte
der Beſchwerden und Gefahren, die ſie daran ſetzen,
könnten ſie in ihrem eignen Vaterlande die Freiheit
erwerben. Warum ſich nicht noch wenige Jahre
gedulden — wenige Jahre, welche die Begeiſterung
des Kampfes und die Freude mannigfaltiger Siege
zu einer Stunde verkürzen werden? Denn wahrlich,
nicht Jahre, nur Frühlinge werden wir zu zählen
haben, bis das Jahr der Freiheit kömmt. Amerika
überlaſſe man den Fürſten, ihnen bleibe es eine Frei¬
ſtätte, und dort werden ſie einſt die Freiheit lieben
lernen, wenn ſie erfahren, daß ſie ſelbſt Tyrannen
noch in ihrem verdienten Unglücke ſchützt.
Sechs und dreißigſter Brief.
Swift wollte eine Geſchichte von England
ſchreiben, gab aber ſein Vorhaben wieder auf. Als
ihn ein Freund um die Urſache ſeiner Sinnesänderung
fragte, antwortete er ihm: alle meine Könige und
Helden ſind ſolche Schufte, daß ich nichts mehr mit
ihnen zu thun haben will. — — Obiges ſchrieb
ich geſtern, als mich ein Beſuch unterbrach, und
heute habe ich vergeſſen, was ich damit in Ver¬
bindung ſetzen wollte .... Was ich in Ver¬
bindung damit ſetzen wollte? Ach, wie dumm!
Ich hörte einmal meinen Freund ſeine Frau bitten:
ſie möchte ſeinen abgefallenen Rock wieder an
den Knopf nähen.
VI. 15[226]
Die kurzen Tage der langen Briefe ſind jetzt
vorüber. Ich danke Euch, Ihr Götter! Wie ich
es ſatt bin! Uebermorgen iſt der 20. März, an
welchem, Morgens 8 Uhr 16 Minuten der Frühling
beginnt. Von da an will ich lieben, ſelbſt den Teufel,
und lieben bis der Senne heimkehrt und die Blätter
fallen. Nach der Traubenleſe beginne ich meinen
Kampf von neuen. Ach! Ich trinke ja keinen Wein
mehr und wenn es nicht die Freiheit wäre, was
ſollte mein altes Herz erwärmen in den kalten
Wintertagen? Die Freiheit liebte ich immer; aber
als ich noch jung war und den Becher liebte, da
träumte ich von ihr, und da vermißte ich ſie ſelten,
denn ich trank oft. Jetzt wache ich und bin nüchtern
wie ein Bach, und wenn ich dampfe, iſt es nur
weil die Luft noch kälter iſt als ich.
Den Tag meiner Abreiſe kann ich noch nicht
beſtimmen, das hängt von meinem Holze ab. Ja
wahrhaftig von meinem Brennholze; das iſt mein
Kerbholz, mein Kalender. Ich habe geſchworen, kein
friſches mehr kommen zu laſſen, ſondern in den
Wagen zu ſteigen, ſobald der letzte Scheit im Kamin
liegt. Nein was ich dieſen Winter Holz verbrannt
habe, wage ich Ihnen nicht zu ſagen; es möchte
Ihrer Geſundheit ſchaden. Es iſt gräulich!
Zehen brave deutſche Hausfrauen hätte das unter
[227] die Erde gebracht. Zum Glücke bin ich weder eine
Frau, noch häuslich, noch brav, und ich habe es
ausgehalten Aber länger könnte ich es auch nicht
ertragen. Was zu arg iſt, iſt zu arg!
Holz, [Philoſophie], Geld, Freiheit — malé¬
diction! O das ſchöne malédiction! Wie ich
mich gefreut habe, als Heine gleich in ſeinem
erſten Artikel über die deutſche Literatur, gleich in
dem erſten Blatte der Europe littéraire —
in dem frommen heiligen Blatte welches das
Gelübde der Keuſchheit, der Armuth und des
Gehorſams abgelegt, und in ſeiner Vignette, die
Raubthiere aller fürſtlichen Wappen Europens, als
ſeine Herren zur Anbetung aufgeſtellt — daß Heine
gleich in den erſten Zeilen, einen gefährlichen politiſchen
Anfall bekommen und malédiction geſchrien hat über
die ewige Armuth der deutſchen Schriftſteller! malé¬
diction und doch . . . . Darum eben iſt ja der
hohe deutſche Adel uns Liberalen ſo entgegen, weil
er fürchtet, bei einer liberalen Staatsverfaſſung,
ſein Monopol der Verkäuflichkeit zu verlieren. Er
wäre alſo thörigt, wenn er uns kaufte, um uns zu
gewinnen, denn dieſes Mittel eine Revolution zu
verhüten, wäre ja die Revolution ſelbſt, die verhütet
werden ſoll. Keiner von uns wird es, auch nicht
mit der allerlegationsräthlichſten Geſinnung, je dahin
15 *[228] bringen, daß man ihm für ſeine Ehre auch nur das
nöthige Brennholz liefere. Der Ehren-Handel iſt
kein freies bürgerliches Gewerbe; er iſt ein Regal
wie das Salz und wird nur wenigen General-
Pächtern überlaſſen. Unſere vornehmen Freunde,
und hätten ſie auch „Gedanken groß wie die
Welt“ theilen doch nur ihre überirdiſchen Ge¬
danken mit uns; ihre unterirdiſchen, die mit
Metallen vermiſcht ſind behalten ſie für ſich allein.
Ich ſagte einmal gegen Heine: wenn ich nicht ehrlich
wäre aus Dummheit, wäre ich ehrlich aus Klugheit.
Er hat das nicht verſtanden. Später wird er es
verſtehen lernen und meine Erfahrung theuer [bezahlen]
müſſen, die ihm von mir unentgeldlich angeboten
wurde .... Ich hätte die größte Luſt wieder
einmal zu ſagen: „ich bin der einzige geſcheidte
Menſch in Deutſchland“ aber ich fürchte mich vor
den Rezenſenten.
Es giebt noch mehrere ſolcher geiſtreichen Ochſen
in Deutſchland, die gar nicht begreifen, wie die
Vollblütigkeit des monarchiſchen Prinzips mit ihr
eigner Bleichſucht, und wie die häufigen Indigeſti¬
onen der Diplomaten mit dem ſchriftſtelleriſchen
Hunger zuſammenhängen. Ich wollte wetten, es
iſt dem dramatiſchen Dichter Raupach in Berlin
noch nie durch den Sinn gegangen, daß wenn in
[229] Preußen eine Staatsverfaſſung gleich der franzöſiſchen
wäre, er eine jährliche Rente von zehntauſend Thaler
hätte, ſtatt daß jetzt vielleicht, ſein ganzes Vermögen,
die Erſparniß dreißigjähriger Arbeit, nicht mehr
beträgt! Und dabei könnte er dichten wie es ihm
ſein Herz eingiebt und nicht wie es der Hof ver¬
langt .... malédiction!
Die zwei jungen Leute, welche eines Mordver¬
ſuches gegen den König angeklagt waren, ſind geſtern
Abend frei geſprochen worden. Ich müßte noch
Holz auf vier Wochen haben, um mich gehörig über
alle die Schändlichkeiten der geheimen Polizei aus¬
zuſprechen, die bei dieſer Gelegenheit wieder an den
Tag gekommen. Sie werden die Verhandlungen in
den Zeitungen leſen. Wie wohl muß ſich ein
Deutſcher in einem Lande fühlen, wo er unter dem
Schutze des Volkes ſteht, und wo ihn weder die
giftigen Blicke noch die Fußtritte eines erboßten
Königs erreichen können! Wahrlich in Frankreich
fühlt ſich ſelbſt ein Verbrecher im Kerker freier,
als in Baiern ein Unſchuldiger ſelbſt in der Freiheit.
Der franzöſiſchen Regierung war es natürlich nicht
darum zu thun, zwei unſchuldige junge Leute auf
das Schaffot zu bringen — von dieſer Grauſamkeit
iſt ſie weit entfernt, und noch entfernter iſt ſie von
jener Pedanterie, die in Deutſchland den Despo¬
tismus ſo furchtbar macht. Die Angeklagten wären,
[231] ſelbſt ſchuldig befunden, ganz gewiß mit dem Leben
begnadigt worden. Es lag der Regierung nur daran,
der öffentlichen Meinung die Anſicht aufzudringen,
daß man wirklich den König ermorden wollte, und
daß der Piſtolenſchuß keine Polizeikomödie war,
aufgeführt, um bei Eröffnung der Kammern dem
Miniſterium eine ſchwankende Majorität feſt zu
machen. Aber ſelbſt nur dieſe Ehrenrettung zu
erlangen, verlohr die Regierung alle Hoffnung, und
ſie gab den Kampf freiwillig auf. Gewöhnlich
werden den Geſchwornen zwei Fragen vorgelegt.
Erſtens: Iſt das Verbrechen begangen worden?
Zweitens: Sind die Angeklagten des begangenen
Verbrechens ſchuldig? Dieſe erſtere Frage wurde
geſtern gar nicht vorgelegt, ſondern blos die Andere:
Sind die Angeklagten des Mordverſuchs gegen den
König ſchuldig?
Es iſt bewunderungswürdig, mit welcher Kühn¬
heit, Geiſtesgegenwart und mit welcher Zuverſicht
des Rechts, die Angeklagten vor dem Gerichte geſprochen
haben. Der königliche Prokurator, um die Ange¬
ſchuldigten den Geſchwornen verdächtig zu machen,
wies auf deren bekannte republikaniſche Geſinnung
hin. Sie aber ſuchten dieſe Geſinnung gar nicht
zu verbergen, ſondern bekannten ſich laut und froh¬
lockend zu ihr. Der eine ſagte: „Wir Republi¬
[232]kaner achten den König viel zu wenig, um
ihn zu tödten. Haben wir ihn einmal vom
Throne geſtürzt, dann ſchicken wir ihn zum
Lande hinaus und das iſt alles.“ Solche
Aeußerungen ſind nach den franzöſiſchen Geſetzen
nicht ſtrafbar, denn es darf jeder ſeine Meinung
haben und ausſprechen. Wenn ſich einmal in
Deutſchland ein Republikaner gelüſten ließe, ſich auf
ſolche Weiſe vor einem Criminal-Gerichte zu ver¬
theidigen — ich glaube, er würde auf der Stelle
mit dem Federmeſſer des Aktuars geköpft werden.
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- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Börne, Ludwig. Briefe aus Paris. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bj8j.0