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(R: del. 1738. C. Fritzsch sculp
Da, ſo im Thier-als Pflantzen-Reich, euch alles Gottes Wunder weiſe [...]
Ach! das ihr Gott darin nicht findet, euch Sein nicht freut, u. Ihn nicht pre[iſ] [...]


[]
Jrdiſches
Vergnuͤgen

in
GOTT,
beſtehend
in Phyſicaliſch- und Moraliſchen
Gedichten
.
Sechſter Theil.
Nebſt einer Vorrede zum Druck befoͤrdert
von
E. N. Brockes.

Hamburg,:
Verlegts Chriſtian Herold, 1740.
[][]

Vorrede.


Eine Schrift, welche den Gruͤn-
den unſerer Religion, oder dem
Beſten der menſchlichen Geſell-
ſchaft zuwiderlaufende Dinge enthaͤlt, wird
nur denen gefallen, welche mit dem Verfaſſer
gleiche ſchlimme Meynungen hegen; oder
in dem ungluͤckſeligen Wahn ſtehen, man
koͤnne das Licht ſeines Verſtandes in nichts
ſo ſehr leuchten laſſen, als in Beypflicht- und
Vertheidigung ſolcher Dinge, welche der ver-
nuͤnftigſte Theil der Menſchen verabſcheuet,
oder vielleicht denen, welche nicht vermoͤgend
)( 2ſind,
[]Vorrede.
ſind, den Zuſammenhang einer Wahrheit
einzuſehen, und das Gute von dem Boͤſen zu
unterſcheiden.


An Buͤchern, worin man keine andere,
als ſolche Sachen findet, deren Jnhalt weder
zur Beſſerung des Verſtandes, noch des
Willens, Anleitung giebt, werden nur dieje-
nigen Vergnuͤgen finden, denen an keiner
von beyden gelegen.


Vernuͤnftige Menſchen aber, welche ſich
ein Geſetz gemacht, nichts anzunehmen, als
was ſie, nach genauer Unterſuchung, den un-
umſtoͤßlichen Wahrheiten der Religion, und
denen Pflichten eines redlichen Weltbuͤrgers
nicht entgegen zu ſeyn, erkennen, werden
dergleichen Buͤcher zu keinem andern End-
zweck leſen, als etwan um noch mehr einzuſe-
hen, wozu Menſchen faͤhig ſind, die ſich eine
Bewundrung zuzuziehen ſuchen, ſollte es
auch mit Hindanſetz- und Verſaͤumung aller
dieſer Pflichten geſchehen. Sie werden bey
Leſung derſelben wuͤnſchen, daß Verſtand
und Zeit zu nuͤtzlichern Dingen angewendet
worden: Ja ſie werden ſich kaum enthalten
koͤn-
[]Vorrede.
koͤnnen, mit Ueberſchlagung vieler Blaͤtter
das Ende zu ſuchen, oder ſie halb ungeleſen
aus den Haͤnden zu legen.


Hingegen hoͤren dergleichen vernuͤnftige
Leſer nicht auf, ſolche Werke hochzuachten,
die uns Wahrheiten entdecken oder bekraͤfti-
gen, durch welche wir auf Pflichten gefuͤhret
werden, die wir dem hoͤchſten Weſen, dem ge-
meinen Beſten, unſerm Naͤchſten und uns
ſelber ſchuldig ſeyn.


Die Wirklichkeit der Exiſtenz des Schoͤp-
fers uns zu zeigen, und zugleich deſſen Ei-
genſchaften, benebſt den Pflichten, wozu uns
dieſe Erkenntniß fuͤhret, auf eine unlaͤugbare
Weiſe aus ſeinen Werken-anbey zugleich vor-
zuſtellen, wie genau unſer Vergnuͤgen ſelbſt
damit verbunden ſey, heißt ja wohl mit Recht,
uns einen zugleich ſichern und angenehmen
Weg zum wahren Gottesdienſt anweiſen;
Und iſt unſtreitig eine ſo nuͤtzliche als noͤthige
Bemuͤhung.


Leſer von dieſer Claſſe, welche ſolche be-
traͤchtliche, nuͤtzliche und noͤthige Vorwuͤrfe
lieben, haben theils in oͤffentlichen Schriften,
)( 3theils
[]Vorrede.
theils durch die begierige Aufnahme der fuͤnf
erſten Theile des Jrdiſchen Vergnuͤgens in
Gott, ihren beſondern Gefallen, und dadurch
zugleich bezeuget, daß es unter diejenigen
Werke zu rechnen, deren Vorwurf und Ab-
ſicht ſie wuͤrdig macht, mit Nutzen geleſen zu
werden.


Nun wird zwar bey einem Buche die
gute Abſicht allein, wenn deren Ausfuͤhrung
unſern Verſtand nicht zugleich ruͤhret, folg-
lich auch unſern Willen nicht aͤndert, weiter
nichts erhalten, als daß man das Verlangen
des Verfaſſers, Nutzen zu ſtiften, billiget;
zugleich aber wuͤnſchet, daß ein anderer, der
auch Geſchicklichkeit genug beſeſſen, demſelben
ein Genuͤge zu leiſten, dieſes Verlangen ge-
heget haͤtte.


Daß nun nicht allein die gute Abſicht
dieſes Werks gebilliget werde, ſondern auch
zugleich die Ausfuͤhrung gerathen ſey: Da-
von giebt obermeldeter Beyfall ſo vieler Le-
fer auch in dieſem Stuͤcke einen zuverlaͤßigen
Beweis.


Eine
[]Vorrede.

Eine nuͤtzliche Wahrheit, die jemand zu
bekraͤftigen verſpricht, aber dazu keine Gruͤn-
de vortraͤgt, die uns mehr bewegten, ihm bey-
zupflichten, als wir vorher dazu geneigt ge-
weſen, wird zwar an und fuͤr ſich Wahrheit,
aber auch der Leſer eben derjenige verbleiben,
der er vorher geweſen.


Je deutlicher, je leichter und angenehmer
eine Sache vorgetragen wird, je eher darf
ſich ein Verfaſſer verſprechen, daß er ſeinen
Endzweck erhalten werde. So noͤthig dieſes
uͤberhaupt, ſo unentbehrlich iſt es denen, die
das Herze ihrer Leſer ruͤhren, und in ihnen
eine Neigung, ſeinen Abſichten gemaͤß, erwe-
cken wollen.


Eine Lehre, die uns bloß zeiget, was wir
thun und unterlaſſen ſollen, heißt eine trocke-
ne Moral. Werden Gruͤnde hinzugefuͤget,
die tuͤchtig genug ſind, an der einen Seite, ei-
ne Neigung zu einer Sache, die wir als uns
nuͤtzlich und noͤthig anſehen, an der andern
Seite einen Abſcheu fuͤr einer andern zu er-
regen, die wir uns ſchaͤdlich, und unſerm
wahren Beſten hinderlich zu ſeyn erkennen:
)( 4So
[]Vorrede.
So iſt die Sache ihrer Natur gemaͤß ausge-
fuͤhret. Geſchicht dieſes auf eine ordentliche
und angenehme Weiſe: So hat man ſich da-
bey nach den Neigungen derer bequemt, die
man unterrichten will, durch einen Vortrag,
der uns lebhaft vor Augen ſtellet, was wir
daraus lernen ſollen; ſodann iſt das Ange-
nehme mit dem Nuͤtzlichen und Gruͤndlichen
verbunden, und wird die Sache ſelbſt um ſo
viel ſtaͤrker und leichter in unſer Gemuͤthe
Eindruck verurſachen.


Dem irdiſchen Vergnuͤgen wird man
auch dieſe Vortheile verhoffentlich nicht ab-
ſprechen koͤnnen


Ein Verfaſſer, der endlich alle ſeine Le-
ſer auf gleiche Weiſe unterhaͤlt, wird das Mis-
vergnuͤgen haben, zu ſehen, daß wenige davon
ſein Werk zum zweytenmale leſen, und noch
weniger ſeines Unterrichtes ſich bedienen
werden. Jhre Gemuͤthsneigungen ſind ſo
unterſchiedlich, als die Bildungen der Geſich-
ter, und folglich wird einer anders beweget,
als der andere.


Daß
[]Vorrede.

Daß auch die Beobachtung dieſer Regel
zur Aufnahme des Jrdiſchen Vergnuͤgens
vieles beygetragen, iſt als unlaͤugbar von
vielen vorgeſtellet. Sie geben zum Grun-
de davon an, den Vorzug, welchen faſt ein je-
der dem angenehmen Wohlklang der Poeſie
vor dem ungebundenen verſtattet, naͤchſt dem,
die unerſchoͤpflichen Veraͤnderungen der Ge-
genſtaͤnde dieſer Betrachtung, und der daher
genommenen Bewegungsgruͤnde, da, wie ſie
ſagen, ein jedes Gedichte auf eine andere
Weiſe uns zu dem loͤblichen Endzweck fuͤhre;
daß wir Gott aus ſeinen Werken erkennen
lernen ſollen, wodurch diejenigen, welche mit
vielem Nachſinnen ſich nicht behelfen koͤnnen,
eine Sache aus dem erſten Anſchauen, als
eine ſolche, die uns zu dieſer Erkenntniß fuͤh-
ret, anſehen lernen; andere aber, durch
Schluͤſſe und Ueberlegung dieſe Wahrheit
noch ſicherer zu erkennen, Gelegenheit haben.
Sie ſchreiben es endlich denen, wie ſie es nen-
nen, lebhaften, natuͤrlichen und angenehmen
Ausdruͤckungen, Beſchreibungen und gan-
zem Vortrage dieſes Werkes zu, daß es ſolchen
Beyfall gefunden.


)( 5Eben
[]Vorrede.

Eben dieſe gute Aufnahme nun, und das
Verlangen, auch andere, ſo viel moͤglich, im-
mermehr von der Wahrheit, von der Noth-
wendigkeit, von dem Nutzen und dem Vergnuͤ-
gen zu uͤberfuͤhren, womit dergleichen Be-
trachtungen verbunden, haben meinem Vater
hauptſaͤchlich beweget, ſeine fortgeſetzte Be-
trachtungen herauszugeben, ſo wie das wirk-
liche Vergnuͤgen, welches er fuͤr ſich darinnen
findet und die niemals mangelnden Vorwuͤrfe,
daß er daran fuͤr ſich arbeitet.


Bin ich nun als ein Sohn des Verfaſ-
ſers, durch die oͤftere Auflagen dieſes
Werks, zum oͤftern erfreuet worden: So
kann ich dennoch nicht bergen, daß ich nicht
ſelten eine unertraͤgliche Unempfindlich-
keit, auch von ſolchen Leuten, denen man
es nicht zutrauen ſollte, bemerket habe:
Woruͤber ich denn zuweilen meinem Vater
mein Misvergnuͤgen zu entdecken, mich
nicht enthalten koͤnnen; welcher mir aber
insgemein darauf zu antworten pflegte:
Daß man daruͤber, daß die Copie ihnen
nicht anſtaͤnde, ſich nicht verwundern koͤnn-
te,
[]Vorrede.
te, da ja das herrliche Original ihres An-
ſchauens nicht gewuͤrdiget wuͤrde.


Es giebt mir nunmehro die Erlaubniß
meines Vaters Gelegenheit, die Fortſetzung
dieſes Werks, welche den 6ten Theil des
Jrdiſchen Vergnuͤgens in Gott ausmacht,
dem geneigten Leſer durch eine Vorrede zu
uͤberliefern.


Hiebey kann ich nicht umhin, oͤffentlich
zu bezeugen, wie ſehr ich dieſe Freude ſowohl
deswegen beſonders ſtatt finden laſſe, weil ich
mich einen Sohn des Verfaſſers nennen
darf, als auch deswegen, welches ich mit
andern gemein habe, weil ich zugleich ein
Werk ſeinen Endzweck erreichen ſehe, wel-
ches ein jeder von ungemeinem Nutzen zu ſeyn
erkennet.


Um nun von dem Nutzen, der Abſicht
und dem Jnhalt ſowohl dieſes als anderer
auf gleichen Endzweck abzielender Buͤcher,
(unter welchen nebſt Herrn Zellen erbauli-
chem Buche, des beruͤhmten Herrn Doct.
Trillers vortreffliches Werk vor andern
nicht genug zu ruͤhmen) noch etwas zu er-
waͤh-
[]Vorrede.
waͤhnen; wird der geneigte Leſer mir erlau-
ben, meine eigentliche Meynung mit wenigen
anzuzeigen.


Jſt es wahr, wie es denn wohl nicht
wird koͤnnen geleugnet werden, daß alle
Dinge zwo Seiten haben? Jſt es ferner
wahr, wie man ebenfalls zugeſtehen wird,
daß in der Welt gutes und boͤſes auf eine
bewundernswerthe Art verbunden; ſo iſt es
nicht weniger an dem, daß es nicht zu be-
greifen, wie eine ſolche Menge Buͤcher in
der Welt vorhanden, welche alles Bittere,
Beſchwerliche, Traurige, Widrige, Laſter-
hafte, Gottloſe, was auf unſerer Erden in
der That vorhanden, mit einem andaͤchti-
gen Fleiß heraus zu klauben, zuſammen zu
ſetzen, und eine ſo ſchreckhafte Abbildung von
der Welt zu machen, ſich bemuͤhen, daß, wo-
fern der Menſchen Seelen vor ihrer Geburt
derſelben anſichtig wuͤrden, und es in ihrer
Willkuͤhr ſtuͤnde, hinein zu treten oder nicht,
ſie ſich vermuthlich alle ſtraͤuben, und keine
mit gutem Willen in eine ſolche Moͤrderhoͤle,
zu kommen, ſich entſchlieſſen wuͤrde.


Wann
[]Vorrede.

Wann es nun aber eben ſo wenig zu
leugnen, daß das wunderſame Gebaͤude der
Welt ein Geſchoͤpf ſey, nicht allein einer all-
maͤchtigen und weiſen, ſondern auch einer
liebreichen Gottheit; wann es ferner nie-
mand in Zweifel ziehet, ſie ſey zu Gottes Eh-
re geſchaffen; wann es endlich eben ſo un-
leugbar, daß es eine der weſentlichſten Eigen-
ſchaften unſrer Seelen ſey, ſich nach einem
Vergnuͤgen zu ſehnen, und, deſſen theilhaf-
tig zu werden, ſich begierig zu beſtreben, ja
man von dieſer Eigenſchaft zugeben muß,
daß ſolche nicht anders, als eine von der Gott-
heit ſelbſt in ſie geſenkte Faͤhigkeit, anzuſehen:
So iſt es am unbegreiflichſten: Warum
nicht mehrere Menſchen ſich vorlaͤngſt be-
muͤhet, auch das, nach Beſchaffenheit der
Welt, in derſelben ſo haͤufig ſich mit befin-
dende weſentliche Gute, ebenfalls heraus zu
ziehen, es zuſammen zufuͤgen, und eine
nicht weniger als jene nach dem Leben ge-
malte Schilderey, zu Gottes Ehren, vorzuſtel-
len; indem dadurch die menſchlichen Seelen,
Gottes Allmacht, Weisheit und Liebe, zu be-
wun-
[]Vorrede.
wundern, ſich ſelbſt zu vergnuͤgen, Gott zu
danken, und durch ſo ungezaͤhltes Gute geruͤh-
ret, aus einer kindlichen Liebe und Erkennt-
lichkeit, ſich von Laſtern abzuziehen, ohne
Furcht der Strafe, Gott zu lieben, und ihm
nach Vermoͤgen gefaͤllig zu leben, angefuͤhret,
und zu den uͤbrigen Pflichten des Gottesdien-
ſtes, nemlich einem wahren Glauben, deſto-
mehr zubereitet werden koͤnnten.


Die Abwartung meines Studirens haͤlt
mich gegenwaͤrtig von meinem Vater entfer-
net. Jch habe alſo nicht Gelegenheit gehabt,
dieſen ſechſten Theil ſelbſt, ehe zu ſehen, als
diejenigen, denen ich ihn uͤberliefern ſoll. Ein
Fremder in dieſen Umſtaͤnden wuͤrde vielleicht
ſagen, daß es auch deſſen, imgleichen einer
weitlaͤuftigen Vorrede, nicht gebraucht. Er
wuͤrde den Leſer auf die fuͤnf erſten Theile
des Jrdiſchen Vergnuͤgens verweiſen, und
behaupten, daß ſie ihm Erlaubniß geben, den-
ſelben in dem ſechſten ſehr viel Gutes zu ver-
ſprechen; wenn, zumal die beſtaͤndige Unter-
ſuchung dieſer Wahrheiten, dem Verfaſſer
immer geſchickter machen, darinn mehr zu
ent-
[]Vorrede.
entdecken, als andere, die um dergleichen Be-
trachtungen ſich nicht ſehr bemuͤhen.


Jch weis nicht, ob es mir als ein wirkli-
ches Verbrechen koͤnnte ausgeleget werden,
wenn ich dabey bliebe, und zugleich glaubte, be-
haupten zu koͤnnen, daß der Character eines
Sohnes mich in ſo weit nicht hindern duͤrfe,
auch oͤffentlich als wahr zu erkennen, was ich
fuͤr mich ſo einſehe, wenn ich dem Urtheile
ſo vieler großen Leute folge, die nicht gewohnt
ſind, was anders zu ſagen, als was ſie glau-
ben, und die ſelbſt nicht Urſache gehabt, et-
was anders zu ſagen; verhoffe einfolglich
nicht zu irren, wenn ich dem Leſer in der
Fortſetzung dasjenige verſpreche, was dieſel-
ben von den fuͤnf erſten Theilen bereits ge-
meldet.


Worinn ſich indeſſen hauptſaͤchlich dieſer
Theil von denen andern unterſcheidet, iſt die-
ſes: Daß ein merkliches Stuͤcke deſſelben ei-
nige Vorwuͤrfe aus dem Thierreich beſchrei-
ben und zeigen wird, wie wir auch da-
durch Anleitung uͤberkommen, die mit ſo vie-
ler Guͤte verbundene Weisheit eines ſo maͤch-
)( )(tigen
[]Vorrede.
tigen Schoͤpfers zu erkennen, zu bewundern,
und zu verehren. Jch ſchreibe mit Fleiß ei-
nige Vorwuͤrfe, weil ich mich erinnere, ein ei-
genes großes Werk unter den Haͤnden mei-
nes Vaters geſehen zu haben, worinn er die
drey Reiche der Natur ins beſondere zu be-
trachten, den Anfang gemacht, auch bey mei-
ner Abreiſe ſchon ziemlich weit damit gekom-
men war. Hier geſchicht es bey Gelegenheit
eines vortrefflichen Werks, worinnen der be-
ruͤhmte Ridinger einen Theil von den uns
bekannten vierfuͤßigen Thieren, in uͤberaus
ſchoͤnen Kupfern, aus Licht geſtellet, wovon
er die Originalzeichnungen meinem Vater
geſchenket hat ꝛc.


Wer die Wahrheit und den Nutzen ſol-
cher Betrachtungen einſiehet, wer ein Ver-
langen hat, durch eine vernuͤnftige Zueignung
irdiſcher Vergnuͤglichkeiten, ſich zum Schoͤp-
fer zu machen, der wird ohne Zweifel ein Ver-
gnuͤgen daruͤber empfinden, daß dieſelben fort-
geſetzet werden, und zugleich wuͤnſchen: Daß
durch ein langes Leben und bey erwuͤnſchter
Geſundheit erhaltenen Kraͤften des Leibes
und
[]Vorrede.
und des Gemuͤthes, der Verfaſſer in den
Stand geſetzet werden moͤge, die darinn ent-
haltene Wahrheit noch ferner, ſo viel moͤglich,
in ihr Licht zu ſetzen. Mit dieſem herzlichen
Wunſch, mit welchem der geneigte Leſer den
ſeinigen verhoffentlich zugleich verbinden
wird, empfehle ich mich deſſen
Gewogenheit.


E. N. Brockes.




[]

Eilfertige,
doch wohlgemeynte poetiſche Gedanken,
uͤber den ſechſten Theil
des Brockeſiſchen
Jrdiſchen Vergnuͤgens in
GOTT.



nemesianvs, Eclog. I.
Namque fuit dignus ‒ quem Carmine Phoebus,
Pan Calamis, fidibusque Linus, modulatibus Orpheus
Concinerent, atque acta Viri laudesque ſonarent.
()

NUn faͤhrſt Du, großer Brocks, in Deinem
Fleiße fort,

Noch hoͤreſt Du nicht auf, die Menſchen zu erbauen,

Da wir den ſechſten Theil von Deinen Liedern ſchauen,

(Denn ein beſondres Werk iſt noch Dein Kindermord,)

Fuͤnf Theile hat man ſchon vom irdiſchen Vergnuͤgen,

Zu dieſen willſt Du noch den ſechſten ruͤhmlichſt fuͤgen.

WIe unerſchoͤpflich reich iſt Dein begabter Geiſt!

Du kannſt mit allem Recht hier einem Brunnen gleichen,

Je mehr man Waſſer ſchoͤpft; je mehr pflegt er zu reichen,

So, daß der Ueberfluß ſich taͤglich ſtaͤrker weiſt,

Und weil er dergeſtalt ſich immer zu vergroͤßert,

Zuletzt ins Freye ſtroͤmt, und Feld und Auen waͤſſert.

Zwar
[]
Zwar manche ſchreiben viel, und doch nicht gut dabey;

Sie fangen feurig an, und pflegen matt zu enden.

Doch bey Dir iſts nicht ſo; das Werk von Deinen Haͤnden

Jſt unveraͤnderlich, bleibt immer einerley.

Du kannſt, dem Caͤſar gleich, nichts ſchlecht u. niedrig ſagen,

Denn alles iſt voll Geiſt, was Du uns vorgetragen.

Es iſt ſtets ein Gedicht von Dir dem andern gleich,

Erhaben, praͤchtig, ſtark, ſcharfſinnig, auserleſen,

Voll Andacht, Geiſt und Kraft, und ungemeinem Weſen,

An Worten ſchoͤn geſchmuͤckt, und an Erfindung reich.

Man laß den Namen weg: So will ich doch faſt ſchwoͤren,

Daß ich die Lieder weis, die Brockſen zugehoͤren.

Der Nutzen, den bisher Dein trefflich Werk geſtift,

Jſt unbeſchreiblich groß. Von den erhabnen Thronen

Zum Adel, Buͤrgerſtand, und niedrigern Perſonen,

Von beyderley Geſchlecht lieſt jedes Deine Schrift.

Noch mehr, man hat ſie gar der zarten Jugend wegen

Jn Schulen eingefuͤhrt, die Andacht einzupraͤgen.

Gewißlich, ſaͤhe man der Leſer große Schaar;

Man wuͤrde fuͤr der Zahl beynah erſtaunen muͤſſen,

Und wegen Vielheit kaum ſie auszurechnen wiſſen,

Vornemlich, da Dein Buch oft aufgeleget war.

Viel tauſend, tauſend ſind durch Dich erweckt, belehret,

Getroͤſtet, aufgericht, erbauet und bekehret.

)( )( 3Jn
[]
Jn Schweden, Daͤnnemark, in Holl- und Engeland,

Jn Ungarn, Schleſien, und wo die Liljen glaͤnzen,

Ja in Siberien, und Rußlands weiten Graͤnzen,

Jſt Deine Poeſie, beruͤhmter Brocks, bekannt.

Und was? Jſt ſie doch gar nach Jndien gekommen,

Wenn mancher Reiſender ſie mit zu Schiff genommen.

Wo Alexander zog, da war auch ſtets Homer;

So pfleget auch Dein Buch der tapfre Prinz von Heſſen,

Wenn er zu Felde geht, nicht leichtlich zu vergeſſen;

Er fuͤhrt mit einer Hand ſein Sieg-gewohntes Heer;

Doch in der andern liegt dein irdiſches Vergnuͤgen,

Und Du begleiteſt ihn auf ſeinen Heldenzuͤgen.

Dahero bleibet Dir die ganze Chriſtenheit,

So fern ſie ſich erſtreckt, hoͤchſt dankbarlich verbunden,

Daß Du die Dir von Gott geſchenkten Nebenſtunden

Der Andacht bis anher ſo heilſamlich geweiht:

Viel Prieſter haben nicht ſo viel, als Du, erbauet,

Hat Dir die Vorſicht gleich kein geiſtlich Amt vertrauet.

Ein Tadler trete her, und ſchelte meinen Satz!

Die Wahrheit ſpricht fuͤr mich, drum darf ich nicht erroͤthen,

Du biſt der chriſtlichſte und beſte der Poeten,

Und Deine Lieder ſind ein unſchaͤtzbarer Schatz.

Nie hat noch ein Poet, mit ſeiner deutſchen Zungen,

Den Schoͤpfer der Natur ſo ſchoͤn, als Du, beſungen.

Jch
[]
Jch ſchreibe, was ich weis, und was mein Herze meynt,

Und was auch neben mir viel hundert ſagen muͤſſen.

Sind viel auch ſtumm vor Neid, bejaht doch ihr Gewiſſen

Von innen, was der Mund von auſſen frech verneint.

So ſind die Feinde ſelbſt, durch ihr gezwungnes Schweigen,

Von Deinem Werth und Ruhm, auch ſtum̃, beredte Zeugen.

Du weiſt, ich ruͤhm Dich nicht, von Dir gelobt zu ſeyn,

(Haſt Du mein ſchlecht Verdienſt gleich guͤtig oft erhaben,)

Viel minder ruͤhm ich Dich, aus Abſicht deiner Gaben,

Dieß waͤr vor Dich und mich zu niedrig und gemein.

Denn bin ich ſchon nicht reich: So kann doch niemand ſagen,

Daß ich ein hungrig Lob ums Geld je feil getragen.

Von langen Zeiten her erheb ich Deinen Werth,

Doch funfzehn Jahre ſinds, ſeitdem wir uns vereinet;

Von dar an haſt Du es mit mir ſtets treu gemeynet,

Und mir Dein edles Herz in manchem Brief erklaͤrt;

Jch hab auch mich beſtrebt, daß ich ſo großer Ehre,

Ein Freund von Dir zu ſeyn, nicht ganz unwuͤrdig waͤre.

So lange ſich in mir ein lauer Athem regt,

Werd ich Dein groß Verdienſt mit Ehrfurcht ſtets betrachten.

Die Spoͤtter moͤgen Dich beneiden, mich verachten;

Bleibt Dein Gedaͤchtniß mir doch heilig eingepraͤgt.

O wollt es mir nur auch ein einzigmal noch gluͤcken,

Dich ſelbſten von Perſon dereinſten zu erblicken!

Wer
[]
Wer weis, was noch geſchicht; zum mindſten wuͤrde mir

Ein ſo gewuͤnſchter Tag die groͤßte Freude geben,

Und Deine Gegenwart mich gleichſam neu beleben;

Waͤr ich, beruͤhmter Brocks, nur kurze Zeit bey Dir,

Wie wuͤrde denn mein Geiſt erweckt und aufgerichtet,

Den weiſen Mann zu ſehn, der ſo viel Guts gedichtet!

Jndeſſen ruf ich Dir viel Gluͤcks von Herzen zu,

Bey dieſem abermal begluͤckt-vollbrachten Werke;

Der Himmel ſchenke Dir in Zukunft Kraft und Staͤrke,

Geſundheit, Freudigkeit, Trieb, Muße, Zeit und Ruh,

Daß Du im Stande ſeyſt, durch noch viel ſolche Schriften

Dir und der Chriſtenheit ſo Ruhm, als Nutz, zu ſtiften.

Er, welcher Dich allhier zum Werkzeug auserſehn,

Um die verſtockte Welt vom Schlafe zu erwecken,

Laß Deines Lebens Ziel ſich weit hinaus erſtrecken,

Und Deinen Todesfall noch lange nicht geſchehn;

Deñ ſchwerlich wird die Welt, wenn man Dich ſpaͤt begraben,

(Ach irrt ich dieſesmal!) einſt Deines gleichen haben.

Dieſes ſchrieb in beſſerer Herzensmeynung,
als Verſen, des hochberuͤhmten Herrn
Verfaſſers getreueſter Freund und gehor-
ſamſter Diener,

Daniel Wilhelm Triller.
Phil. ac Med. D. \& Archiatr. Naſſov.

[[1]]

Jrdiſches
Vergnuͤgen
in
GOTT.
Sechſter Theil.


[[2]][[3]]

Gottes Tempel.


Mein und aller Dinge Schoͤpfer! Da ich hier im
Garten gehe,

Und, im Feld, in Fluth, und Luft ungezaͤhlte Wun-
der ſehe,

Auch, daß ihrer aller Weſen bloß aus dir entſteht, verſtehe:

Trifft mich dein darinn erblickter Weisheit, Lieb’ und Allmacht
Stral,

Es entſteht in meiner Seelen Luſt und Ehrfurcht auf einmal.

Jch ſeh unſer Weltgebaͤude, und zugleich den Sternaltan,

Als ein wuͤrdigs Haus des Hoͤchſten, und als einen Tempel an,

Welchen Gottes Majeſtaͤt, ob gleich unſerm Blick verhuͤllet,

Und nicht ſichtbar unſern Augen, dennoch weſentlich erfuͤllet.

Dieſes Tempels Groͤß allein, kann der Gottheit Groͤß erheben,

Und, von dem, der ihn bewohnt, einen wuͤrdgen Eindruck geben.

Jn dem Wundertempel ſeh ich, dem, der ihn gebaut, zur Ehre,

Jn den Millionen Sonnen, Millionen Lob-Altaͤre,

Die zum Ruhm des Schoͤpfers brennen.

Da der Zwiſchenſtand von ihnen ſo entſetzlich groß und weit:

Zeigt es uns des Tempels Groͤß und deſſelben Herrlichkeit.
A 2Waͤr
[4]Gottes Tempel.
Waͤr ein’ abgeſchoßne Kugel mehr, als 24 Jahren,

Ungehemmt und unveraͤndert, in geradem Strich, gefahren;

Waͤre ſie doch an den Ort, wo der Sonnen Feuer prangt,

Von dem Kreiſe dieſer Erde, lange noch nicht hingelangt.

Welch ein Abſtand! welch ein Raum! zu dem naͤheſten Altare!

Aber laßt uns in dem Tempel noch im Geiſte weiter gehn,

Und den ungemeßnen Abſtand zu der andern Sonne ſehn!

Waͤr es moͤglich, daß die Kugel ſechsmal hundert tauſend Jahre,

Jn beſtaͤndger Schnelligkeit, ſtets gerade vor ſich floͤge;

Wuͤrde ſie (o! aller Groͤße uͤbergehnder Wunderraum)

Dennoch zu dem erſten Fixſtern, als der andern Sonne, kaum,

Hin- und angelanget ſeyn. Kaum erlaubt mir hier der Schrecken,

Daß es ſeit- und unterwerts, ja ſo weit ſey, zu entdecken.

Großer Gott! von deiner Groͤße wird, durch kein ſo wuͤrdig
Bild,

Als durch dieſes Tempels Groͤße, die erſtaunte Seel erfuͤllt.

Dieſer ſoll mein Tempel ſeyn, hier will ich, Dich anzubethen,

Mit Erſtaunen, Luſt und Ehrfurcht, mich bemuͤhn, vor Dich zu
treten.

Heilige Bewunderung will ich Dir zum Weihrauch ſtreun,

Und voll Lob, in Lieb entbrannt, will ich ſelbſt das Opfer ſeyn.


Lieb-
[5]Liebliche Fruͤhlings-Vorwuͤrfe.

Liebliche Fruͤhlings-Vorwuͤrfe.


Wie iſt von allem, was wir ſehn,

Das Schoͤne doch ſo wunderſchoͤn!

Was man an allen Orten ſchaut,

Bey dem entwoͤlkten Fruͤhlings-Wetter,

Jſt glaͤnzend Laub, durchlaͤuchtigs Kraut,

Sind hell illuminirte Blaͤtter,

Jſt bunte, ganz durchſtralte, Bluͤht,

Sind Blumen, die ſich, wie Opalen,

Mit Schimmer mehr, als Farben, malen,

Worauf der Thau des Morgens gluͤht,

Als waͤr, von Demant und Kryſtallen,

Ein ungezaͤhltes Heer von Kugeln drauf gefallen.

Das Feld, ſo weit der Blick ſich ſtreckt,

Hat ein ſmaragdnes Gruͤn bedeckt,

Der Hoffnung ſchoͤnſte Liberey:

Sie zeigt vorher, was fuͤr ein Schatz,

Von dem ſo weit-als ſchoͤnen Platz

Jm Weizen, zu gewarten ſey.

Da denn, von zarter Halmen Spitzen,

Worauf der Sonnen Blicke blitzen,

Das Spielen faſt nicht anders laͤßt,

Als ob der Zephyr und der Weſt,

Um ihren Halm hervor zu ziehn,

Recht in die Wette ſich bemuͤhn,

Es hin und wieder ſanft zu wiegen,

Es oͤfters hin und her zu biegen.

A 3Dieß
[6]Liebliche Fruͤhlings Vorwuͤfe.
Dieß nuͤtzliche Bemuͤhen iſt zugleich

Fuͤr uns an Lieblichkeit und Anmuth reich,

Da, wenn ſich ihr beſtralter Schmelz beweget,

Es unſerm Blick beſondre Luſt erreget;

Wodurch, indem das reine Licht

Auf ihnen wallt, und ſtets ſich bricht,

Durch ein beſtaͤndig ſanftes Spielen,

Wir eine Luſt, durchs Auge, fuͤhlen,

Die uns dabey zugleich verſpricht,

Jm bald’gen Raſcheln reifer Aehren,

Die Luſt, durchs Ohr, noch zu vermehren.

Man ſieht itzt uͤberall mit Freuden,

Jn gruͤnem Sammt, ſich Thal und Huͤgel kleiden.

Es ſchmuͤcket ſich das niedre Land;

Es kraͤnzen ſich der Berge Gipfel;

Es zieret ſich der duͤrre Sand;

Es kroͤnen ſich der Baͤume Wipfel;

Es bricht ein allgemeiner Flor,

Bebluͤmt, itzt uͤberall hervor;

Und wo wir gehen, wo wir ſtehen;

Wohin wir hoͤren oder ſehen,

Trifft Ohr und Auge Vorwuͤrf an,

Wodurch man unſern Gott erhoͤhen,

Und ſeiner Huld ſich freuen kann.

Faͤllt jetzt von ungefaͤhr ein Regen,

Mein Gott! was faͤllt darinn vor Seegen!

Was vor ein Trank, der das ernaͤhrt,

Was uns hernach die Koſt beſchehrt.

Wie fließt, in ſolchem Ueberfluß,

So Thier als Pflanzen zum Genuß,

Das Seegens-Naß jetzt uͤberall!

Wenn
[7]Liebliche Fruͤhlings-Vorwuͤrfe.
Wenn nun darauf des Himmels Licht

Durch die zerſtuͤckten Wolken bricht;

So ſcheint von glaͤnzendem Kryſtall,

Worinn die Sonne Farben praͤget,

Laub, Garten, Wald und Feld beleget,

Wodurch man alles, was da bluͤhet,

Jm faſt durchlaucht’gen Schimmer ſiehet.

Jſt es denn moͤglich, daß die Welt

Dem, der ſich vor vernuͤnftig haͤlt,

Jn ſolchem Stande nicht gefaͤllt,

Und er den, der ihm alles giebet,

Nicht ehret, preiſet, lobet, liebet?


A 4Man-
[8]Mancherley Vergnuͤgen an Blumen.

Mancherley Vergnuͤgen an Blumen.


Die guͤtige Natur, damit der Kreis der Erden

Dem Menſchen moͤcht ein lieblich Wohnhaus werden,

Beſchloß, um ihn recht herrlich auszuzieren,

Zu ſeiner Augen Luſt, die Blumen zu formiren.

Ein’ ungezaͤhlte Zahl Figuren ward erdacht,

Und all’ in anderer gefaͤrbten Zierlichkeit,

Jn unterſchiedlicher Vollkommenheit,

Gebildet und hervorgebracht.

Sie war noch nicht vergnuͤgt; ſie wollte mehr noch ſchenken;

Und, um noch einen Sinn der Menſchen zu vergnuͤgen,

Noch eine Wundergab in ihre Blumen ſenken,

Und den balſamiſchen Geruch, zur Schoͤnheit, fuͤgen.

Noch mehr, auch zum Gefuͤhl, ward von ihr auserleſen

Ein Stoff, der uns vergnuͤgt. Ein holdes kuͤhles Wefen

Ward dieſem lieblichen Geſchoͤpf noch einverleibt,

Das ſich an unſre Haut, nicht ſonder Anmuth, reibt,

Und eine kuͤhle Kraft in Hirn und Lunge treibt.

Es ſey im Sommer noch ſo ſchwuͤhl;

So ſind der Blumen Blaͤtter kuͤhl.

Und ſo vergnuͤgt ſie uns Geſicht, Geruch, Gefuͤhl.

Ja, wenn man weiter geht; ſo wird man noch entdecken,

Daß wir in vielen gar was wirklich ſuͤſſes ſchmecken,

Ohn was in ihr annoch fuͤr Honig-Schaͤtze ſtecken.

So iſt denn offenbar, daß durch der Blumen Heer

Die Seelen, nicht durch einen Sinn allein,

Annoch durch mehr,

Und gar durch ihrer vier vergnuͤget ſeyn.

Jſt jedes Sinnes Luſt denn wenigſtens nicht werth,

Daß man durch ein Gott-Lob davor den Schoͤpfer ehrt?

Auf-
[9]Aufmunterung zum Vergnuͤgen ꝛc.

Aufmunterung zum Vergnuͤgen
im Fruͤhling.


Du haſt mich, Herr, die ſchoͤne Zeit,

Da alles voller Lieblichkeit,

Die nicht zu zaͤhlen, nicht zu faſſen,

Jetzt abermal erleben laſſen.

Jch lobe dich und danke Dir,

O aller Gnaden Quell! dafuͤr.

Da ich die Wunder deiner Werke,

Mit Luſt, aufs neue ſehen kann:

So beth ich Dich in ihnen an;

Weil ich, in ihnen, Dich bemerke.

Du zeigſt, in der Geſchoͤpfe Pracht,

Nicht nur die Groͤße deiner Macht;

Du zeigeſt deiner Weisheit Licht,

Und auch die Flammen deiner Liebe.

Wer ruͤhmet, lobt und preiſet nicht

Des Schoͤpfers vaͤterliche Triebe,

Da er, nicht unſern Seelen nur,

Empfindung von der Creatur,

Auf eine Weiſ’ allein, geſchenket:

Fuͤnf Arten hat er unſern Seelen,

Sich mit denſelben zu vermaͤhlen,

Voll ſuͤſſer Wolluſt, eingeſenket,

Und jeder (moͤcht man es doch faſſen)

Hat er, o Wunder! aller Orten

Von Vorwuͤrf’ hundert tauſend Sorten,

Auf dieſer Erde werden laſſen.

A 5Die
[10]Aufmunter. zum Vergnuͤgen im Fruͤhling.
Die alle werden noch im Lenzen,

Durch der jetzt nahen Sonne Glaͤznen,

Verjuͤngt, verſchoͤnert und vermehrt,

Jndem ſie uͤberall entſprieſſen:

Uns wird ſo gar, ſie zu genieſſen,

Jm Fruͤhling neue Kraft beſchehrt.

Jſt alles dieſes denn nicht werth,

Daß, da wir ſo viel ſchoͤne Gaben

Von ihm, zur Luſt, empfangen haben,

Man Gott in unſrer Luſt verehrt?

Und kann wohl was betruͤbters ſeyn,

Als daß wir, eh’ wir, wie wir ſollen,

Dem Schoͤpfer unſre Freude zollen,

Wir lieber fuͤhllos, wie ein Stein,

Als froh ſeyn, und Gott ehren wollen!


An-
[11]Anmuthige Vorwuͤrfe der Sinnen ꝛc.

Anmuthige Vorwuͤrfe der Sinnen
im Fruͤhling.


Das Tſchwitſchern der Voͤgel, das Sumſen der Bienen

Vergnuͤgt die Seele, durchs Gehoͤr.

Das Schmelzwerk der Blumen, im glaͤnzenden Gruͤnen,

Vergnuͤgt ſie durchs Geſicht noch mehr.

Durch riechen erquicket ein achtſam Gemuͤthe,

Mit einem recht ambrirten Duft,

Der Baͤume theils weiſſe, theils roͤthliche Bluͤhte,

Und ziert zugleich die heitre Luft.

Sie werden, durch liebliches Blaſen der Winde,

Bald ſanft erhoͤht, bald ſanft geſenkt,

Und als ein gefuͤlletes Rauchfaß gelinde,

Voll Anmuth, hin und her geſchwenkt.

Es netzen die Zungen fuͤß-ſaͤurliche Saͤfte

Von mancher Frucht, die jetzt ſchon reift,

Jn welchen der kuͤhlend- und naͤhrenden Kraͤfte

Verband ſo Nutz als Anmuth haͤuft.

Das lieblich gemilderte ſpielende Streicheln

Der Luft, die jetzt bald lau, bald kuͤhl,

Erwecket mit wallendem Saͤuſeln und Schmeicheln,

Der Haut ein angenehm Gefuͤhl.

Da ſich nun im froͤlichen Fruͤhling hienieden

So manche Freude zu uns lenkt,

Die uns der allmaͤchtige Schoͤpfer beſchieden:

So danket Gott, der ſie uns ſchenkt.


Die
[12]Die Froͤſche.

Die Froͤſche.


Juͤngſt hoͤrt ich von neuen dem lauten Gewaͤſche,

Dem quarrenden Knarren geſchwaͤtziger Froͤſche,

Jn ihrer ungeſtoͤhrten Ruh,

Mit einiger Betrachtung zu.

Mich deucht, daß ihr verwirrt und mancherley Geſchrey,

Jn etwan fuͤnf bis ſechſerley,

Und mehr Veraͤndrungen nicht, einzutheilen ſey.

Der groͤßte Haufe ſcheint, auf Menſchen Art, zu murren,

Und, uͤm ein Nichts, zu laͤrmen und zu knurren.

Verſchiedne ſagen: Merks. Und dieſe kommen mir

Als Philoſophen fuͤr.

Mit unbeſcheidnem Trotz, ſchien mancher, als ein Lehrer,

Mit einem ſchaͤrfern Ton, ſich uͤber ſeine Hoͤrer,

Durch nichts, als ſtrengern Schall, ſich eifrig zu beſtreben,

Hervor zu thun und zu erheben;

Sie ſchienen mit Gewalt, die andern zu belehren,

Und mit der Lungen mehr, als des Verſtandes Kraft,

Verſchiedner Sachen Eigenſchaft,

Mit gruͤndlichem Bericht, den Hoͤrern zu erklaͤren;

Wovon doch, wie es ließ, verſchiedne laͤngſt gefunden,

Daß die ſo wohl, als ſie, von allem nichts verſtunden.

Ein kurz, doch hell Gequick, als ein Gepfeif, entfuhr

Verſchiednen hier und dort. Dieß ließ, als wenn ſie nur

Mit jenen, daß ſie ſich zu ſehr erhuͤben,

Ein laut Geſpoͤtte trieben.

Noch andre ſchienen mir, mit unbeſorgtem Lachen,

Jm warmen Sonnenſtral, recht luſtig ſich zu machen.

Und dieſe Saͤnger kamen mir,

Von allen, als die Kluͤgſten, fuͤr.

Die
[13]Die weiſſe Hyacinth.

Die weiſſe Hyacinth.


Mich deucht, daß ich, bey deinem Schnee;

Annoch ein Ueberbleibſel ſeh

Vom Schnee, der nun Gottlob vorbey.

Es ſcheint, du wollſt, im neuen Gruͤnen,

Uns zur Erinnerung noch dienen,

Daß Plag und Froſt vergangen ſey;

Jndem uns die Erfahrung lehrt,

Daß ein vergangener Verdruß

Jm Gegenſatz noch den Genuß

Des gegenwaͤrtgen Guten mehrt.


Die
[14]Die blaue Hyacinth.

Die blaue Hyacinth.


Jch ſtell, in meiner Farben Zier,

Die Himmel-blau, den Himmel fuͤr.

Jn meiner Form, da ſie ſo ſchoͤn,

Laß ich die Stern auf Erden ſehn.

Ach moͤchtet ihr, in meinen Sternen,

Den Herrn der Sternen kennen lernen!

Wenn du auf mich die Blicke lenkeſt,

Wie daß du nicht an den gedenkeſt,

Der mich fuͤr dich hervorgebracht!

Euch zeigt unſtreitig meine Pracht,

Die richtige Beſchaffenheit

Von meinem Bau, die Lieblichkeit

Der Farben, des Geruchs, die bloß fuͤr dich bereit;

Daß ich mich ſelber nicht erdacht,

Daß ich mich ſelber nicht gemacht.


Kaͤi-
[15]Die Kaiſer-Krone.

Kaiſer-Krone.


Jch ſehe dich Gottlob zuſammt dem neuen Lenzen,

Geliebte Blum, aufs neue glaͤnzen,

Dich, die dein’ auserleſene Pracht

Zur Blumen Kaiſerin, dem Namen nach, gemacht.

Jch habe dich zwar, daß du ſchoͤn

Vom Finger der Natur formiret,

Mit vieler Luſt oft angeſehn;

Jch hab auch, uͤber dich, moraliſiret:

Doch hab ich dich, wie ich dich jetzo ſehe,

Und worinn deine Pracht denn eigentlich beſtehe,

Wie du ſo ſonderlich geſchmuͤckt,

Noch nicht mit Achtſamkeit, gebuͤhrend angeblickt;

Noch wie dich die Natur ſo hoch empor getrieben,

Nicht deinen Bau, nicht Farb und Form beſchrieben,

Die doch faſt mehr, als andre Blumen, werth,

Daß man, in ihrer Zier, und praͤchtigen Figur,

Von einem weiſen Zweck, ein’ Abſicht der Natur,

Ganz uͤberzeuglich merkt, und den bewundernd ehrt,

Der, in ſo zierlichen Geſchoͤpfes Schmuck und Pracht,

Ein uͤberzeuglichs Stuͤck, ein Merkmaal ſeiner Macht,

Und ſeiner weiſen Lieb, an uns zugleich gewieſen.

Der Schoͤpfer wird demnach in dir mit Recht geprieſen.

Was man an dir erblickt, erhabne, ſchoͤne Blume,

Gereicht dem, der dich ſchuf, und bildete, zum Ruhme.

Wenn man die Augen auf dich ſchlaͤgt,

Die ſchoͤne Symmetrie von deinem Bau erwegt,
Die-
[16]Die Kaiſer-Krone.
Dieſelbige des Denkens wuͤrdig achtet,

Und, da du ſo betraͤchtlich, dich betrachtet,

Mit einer billigen und ſchuldgen Achtſamkeit;

Erblicket unſer Geiſt, in der Vollkommenheit

Der Farben und Figur, die dein Gewaͤchſe zieren,

Pracht, Ordnung, Abſicht, Zweck, die voͤllig uͤberfuͤhren,

Dein Weſen ſtamm’ aus keinem Ungefehr,

Von keinem blinden Fall, ohn Ueberlegung, her.

Nein, daß ein maͤchtiges und weiſes Weſen

Dich, nebſt ſo vielen Blumen mehr,

Zur Abſicht unſrer Luſt, und ſeiner Ehr,

Als ein ſchoͤn Werkzeug hab erleſen.

Nun wuͤnſcht ich, daß ich faͤhig waͤr,

Die Art, wie ſie ſich aufwerts treiben,

Wie jede ſich, mit allem, was ſie ziert,

Allmaͤhlig aus der Erd’, und in die Hoͤhe fuͤhrt,

Recht uͤberzeuglich zu beſchreiben!

Doch will ich, daß ich nichts, als was ich ſeh,

Daran recht eigentlich verſteh,

Bekennen und geſtehn, und die Materie

An denen, die es beſſer faſſen,

Zu unterſuchen uͤberlaſſen.

Jch will, wie ich gewohnt, an euren aͤuſſern Schaͤtzen,

Die ſinnlich, Gott zum Ruhm, mich bloß allein ergoͤtzen.

Am Fuß von deines Stiels ſo hoch erhabner Stangen,

Die an ſich ſo betraͤchtlich, ſiehet man

Der breiten Blaͤtter glaͤnzend Prangen,

Jn Regel-rechter Symmetrie,

Und netter Ordnung abwerts hangen,

Wodurch ich ſie,

Jn einer ſanft-gebognen Ruͤnde,
Daß
[17]Kaiſerkrone.
Daß ſie, am Form dem Palmbaum gleichen, finde,

Aufs mindſt in ihr ein Bild, das einer Aloe,

Die Jndien uns ſchenkt, recht praͤchtig aͤhnlich ſeh.

Sehr zierlich iſt ein jedes Blatt,

Sehr ſchoͤn von Farben, und ſo glatt,

Daß, wenn zumal der Sonnen Licht

Darauf mit ſeinen Stralen ſcheinet,

Man anders nicht,

Als ob ſie ganz verſilbert, meynet.

Der Blaͤtter Rang iſt recht verwunderlich,

Sie heben wechſelsweiſ, uͤm ihren Stengel ſich,

Woran er anfangs feſt, wodurch wir ihn,

Da er ſonſt roͤthlich braun, in ſeiner Mitte gruͤn,

Vergnuͤgt gefaͤrbet ſehn, nachher ſich abwaͤrts biegen,

Bis das die oberſten ſo ordentlich ſich fuͤgen,

Daß ſie, um ihren Stamm noch deſto mehr zu zieren,

Recht einen netten Kranz formiren.

Aus dieſes Kranzes gruͤnen Mitten,

Sieht man den roͤthlich braun, polirten, glatten Stiel,

Als waͤr er aus Agat geſchnitten,

Von neuen wiederum in ſchlanker Hoͤhe ſteigen,

Und oben eine Kron, von rothen Blumen zeigen,

Die Tulpen gleich, nur daß ſie nicht erhaben auf der Stangen,

Wie jene, ſondern all’ herabwerts hangen,

Und zwar auf eine nette Weiſe,

Jn einem zirkelrunden Kreiſe.

Da ſelbſt der Rang, den ſie dadurch formiret,

Sie, ja ſo wohl an Form, als Farben, zieret.

Die Farb an dieſer Blum iſt zwar nicht brennend ſchoͤn,

Wie wir auf vielen Blumen ſehn,
Br.VI.Th. BJn-
[18]Kaiſerkrone.
Jndem ihr gelb- und roͤthliches Gepraͤnge,

Von einer dunklen Adern Menge

Durchflochten, uns ſich zeigt, in nett gedaͤmpfter Pracht,

Wodurch der Farben, ſonſt vermuthlich, heller Licht

Sich zwar in etwas bricht,

Doch eine ſuͤſſe Miſchung macht.

Sechs lange gelb-beſtaͤubte Staͤnglein ſitzen

Jn ihrer Mitt, um ihrer Samen Spitzen,

Die oben dreyfach ſich getheilet zeigt,

Und laͤnger, als die ander’, aufwerts ſteigt.

Was das Bewunderns-wuͤrdigſte,

So man an dieſer Blum erblicket,

Jſt, daß ich halb erſtaunet ſeh,

Wie ſich ihr Jnnerſtes mit Perlen ſchmuͤcket,

Da, auf der innern Seit, ein jedes Blatt,

An Glanz, Figur und Farb, ein’ eigne Perle hat.

Was dieſes nun bedeuten muͤſſe,

Und was derſelben Endzweck ſey,

Geſteh ich frey,

Daß ich daſſelbige nicht wiſſe.

Es koͤmmt mir ihre weiſſ- und runde Zier,

Wie Perlen bald, und bald als Thraͤnen fuͤr.

Als Perlen ſchien derſelben helle Ruͤnde,

Als ob in ſchwarzem Schmelz, ſie eingefaſſet ſtuͤnde.

Dieß ſchien mir, von gekroͤnter Haͤupter Leben,

Ein lehrend Sinnbild abzugeben,

Daß ſelber ihrer Kronen Pracht,

Gar oft in ſchwarzer Sorgen Nacht,

Und einem Trauerflore ſtecket.

Seh ich ſie denn, als Thraͤnen, an:

So deucht mich, daß man ſchlieſſen kann,
So
[19]Kaiſerkrone.
(Jndem man, daß ſie ſuͤß ſind, ſchmecket)

Daß man Luſt, Truͤbſal, Freud und Leid,

Jn ihrer bittern Suͤßigkeit,

Und Luſt und Laſt, in ihrem Stand’ entdecket.

Noch iſt die Blumenkron aufs neu,

Mit einen gruͤnen Buſch, gezieret und bekraͤnzet,

Wodurch ſie ſchoͤner prangt und glaͤnzet,

Als jede Blum in Floren-Reich,

Und iſt gewiß, an Pracht, ihr keine Blume gleich.

Jch habe dich denn nun, geliebte Blume,

Nach deinem aͤuſſern Schmuck, betrachtet,

Und abermal, zu unſers Schoͤpfers Ruhme,

Sein’ Abſicht, Weisheit, Macht und Lieb, in dir, beachtet.

Gott-Lob! daß ich dich ſo geſehn!

Gott Lob! daß der, der dich ſo wunderſchoͤn,

Gefaͤrbet und formiret,

Durch dich, mich ſelbſt, zu ſich, gefuͤhret!

Ach moͤcht ich, ihm zum Ruhm, jemehr und mehr geruͤhret,

Durch froͤhliche Betrachtung ihn,

Und ſeine Lieb und Macht, die ſich darin verbinden,

Jn ſeiner Creatur zu fuͤhlen und zu finden,

Durch alle Sinnen mich bemuͤhn!


B 2Zwo
[20]Zwo lehrende Bienen.

Zwo lehrende Bienen.


Neulich ſah ich, mit Vergnuͤgen,

Eine kleine Biene fliegen,

Die ſich auf ein Bluͤmchen ſetzte,

Und in ſeinem ſuͤßen Saft,

Voller Balſamreichen Kraft,

Jhre kleine Zunge netzte.

Jhrer Arbeit dacht ich nach,

Bis ich zu mir ſelber ſprach:

Mich deucht, daß ich in deinem Werke

Und deinem Weſen, kleines Thier,

Ein Wunder der Natur verſpuͤr,

Ja ſelbſt den Schoͤpfer in dir merke.

Drauf nun duͤnkte mich, ich hoͤrte,

Wie von ihr, in ſanftem Brummen,

Ein nicht unverſtaͤndlich Summen

Mich ermahnet’, und belehrte,

Welches mir faſt ja ſo klar,

Und faſt ja ſo deutlich klunge

Als wenn es, von einer Zunge,

Ordentlich geſprochen war.

Du thuſt ſehr wohl, daß du mich achteſt

Und, in mir, deſſen Macht betrachteſt,

Der dich, und mich erſchaffen hat.

Wie viel in der Natur verborgen,

So ihr, mit allen euren Sorgen,

Nicht findet, zeig ich in der That.

Wem
[21]Zwo lehrende Bienen.
Wem wird es wohl von euch gelingen,

Nur zu dem Denken zu gelangen,

Aus Blumen Honigſeim zu bringen,

Noch minder, wie es anzufangen?

Hieraus nun koͤnnt ihr deutlich ſehn,

Daß alle menſchliche Gedanken,

Jn ſehr viel eingeſchraͤnktern Schranken,

Als ihr euch uͤberredet, ſtehn.

Jhr wuͤßtet, ohne meine Lehre,

Nicht, ja nicht die geringſte Spur,

Daß uͤberall, in der Natur,

Ein Honigſeim verborgen waͤre.

Wie viel euch unbekannte Saͤfte;

Wie viele Millionen Kraͤfte,

Die euren Witz verborgen ſeyn,

Schließt die Natur vermuthlich ein!

Drum lernet wenigſtens, von mir,

Trotz eurem Uebermuth, daß ihr,

Euch ja nicht uͤberheben muͤſſet,

Und, wo nicht nichts, doch wenig wiſſet,


Ein’ andre Biene ſaß dabey,

Und ſchien in ein vertieftes Denken,

Sich recht mit Vorſatz, zu verſenken.

Jndem ich ſie nun ernſtlich fragte,

Was ihrer Sorgen Urſach ſey:

So deucht mich, daß ſie zu mir ſagte:

„Jch weis, ich bin ein kluges Thier,

„Das muͤßt ihr Menſchen ſelbſt geſtehen,

„Und darum eben ſitz ich hier,
B 3„Und
[22]Zwo lehrende Bienen.
„Und ſuch, aus edler Ehrbegier,

„Das, was du denkeſt, einzuſehen.

Jch lacht, und ſagte dieß zu ihr:

Liebe Biene, laß es bleiben,

Deinen Witz ſo weit zu treiben,

Es iſt nur vergebne Muͤh.

Darauf, deucht mich, ſagte ſie:

„Hoͤr, ſo laß auch du es bleiben,

„Deinen Witz ſo weit zu treiben,

„Wenn, mit eitlem Stolz erfuͤllt,

„Du, was Gott ſey, wiſſen willt;

„Weil es lang ſo thoͤricht nicht,

„Was durch mich, von euch, geſchicht,

„Als wenn ihr vermeynt zu finden,

„Was des Schoͤpfers Weſen ſey,

„Und, voll eitler Schwaͤrmerey,

„Thorheit und Vermeſſenheit,

„Jhr euch wollet unterwinden,

„Was in aller Ewigkeit

„Unergruͤndlich, zu ergruͤnden.


Auſ-
[23]Auſſerordentliche Kaiſerkrone.

Auſſerordentliche Kaiſerkrone.


Vor allen andern Kaiſerkronen, beſonders reiche Kaiſer-
krone,

Du biſt ja wohl bewunderns-werth! Da aller andern Schmuck
und Pracht,

Jn einer Zahl gefaͤrbten Blumen, von etwan ſieben oder acht,

Wenns hoch koͤmmt neun bis zehn beſteht; ſieht man an deines
Stengels Throne,

Auf eine nie geſehne Art, derſelben ſechs und dreyßig hangen.

Anſtatt daß andrer Stengel Blaͤtter, wenns hoch koͤmmt,
an die vierzig gehn,

Hab ich an dir und deinem Stengel, zweyhundert und noch mehr
geſehn!

Anſtatt daß an dem obern Buſch, bey andern, hoͤchſtens dreyßig
prangen;

Sah ich auf deinem ebenfalls zweyhundert u. noch druͤber ſtehn.

Dein Stengel, der zween Zoll im Durchſchnitt, doch ſtatt der
Ruͤnde, flach und platt,

Jſt, wie vor allen andern bunt, ſo auch vor allen andern glatt.

Jch ſehe, mit geruͤhrtem Herzen, und voll Verwunderung,
dich an,

Weil ich die Urſach deines Reichthums und Vorzugs nicht be-
greifen kann.

So ſchrieb ich, als von ungefaͤhr Chryſander in das Zim-
mer trat,

Und, wie er die ſo ſonderlich, ſo ſchoͤn formirte Blum im
Glaſe,
B 4Be-
[24]Auſſerordentliche Kaiſerkrone.
Betrachtet und zugleich dabey, was ich geſchrieben, uͤberlaſe;

Mit einem ſpitzigen Gelaͤchter, mich meine Muͤh zu ſparen bat.

Jch ſahe ja, an dieſer Blum, ſprach er, ein’ unleugbare
Spur,

Sie ſey ein Fehler, eine Schwaͤche, und bloß ein Jrrthum
der Natur,

Den ſie, indem ſie blindlings wirkte, und oft ſich von der
Richtſchnur trennte,

Aus Mangel einer klugen Einſicht, wie hier, gar leicht bege-
hen koͤnnte.

Jch ſtutzte; nicht ſo ſehr darum, daß er ſo frech mir wider-
ſprach,

Und unverhofft mich luͤgen hieß, mich einer Schwaͤch und Thor-
heit zeihte,

Und, durch ſolch unverſchaͤmt Betragen, mir die Gedanken ganz
zerſtreute.

Jch dachte ſeinen wilden Schluͤſſen und ſeinem Unfug ernſtlich
nach,

So viel der Unmuth mirs erlaubte; bezwang mein Feuer,
das ſchon brannte;

Und fieng mit aller Sanftmuth an: Kann es wohl moͤglich
ſeyn, mein Freund!

Daß du dich nicht entſiehſt, des Schoͤpfers, der Menſchen, ja dein
eigner Feind,

So ganz unuͤberlegt zu werden? Was dir ein Fehl und Jrr-
thum ſcheint,

Und was, aus uͤbereiltem Sinn, dein Geiſt erſt Schwaͤch und
Mangel nannte,

Zeigt, in dem ſo genannten Jrrthum, den allerzierlichſten Verband,

Und weiſt, in ſeiner Symmetrie, nicht minder Ordnung und
Verſtand,
Als
[25]Auſſerordentliche Kaiſerkrone.
Als in der Ordnung aller andern, und ihre Schoͤnheit, wo
nicht mehr.

Es ſtehet alles Regel-recht, das Kraut, die Blumen und der
Stengel

Jn einem wunderns-werthen Rang, ohn allen Fehler, ohne
Maͤngel,

Und nicht verwirrt, zerſtreut, zerriſſen, als es ein blindes Un-
gefaͤhr,

Wenns bilden koͤnnte, bilden wuͤrde. Beſiehe doch, wie or-
dentlich

Die Theile von der ganzen Blume, an ihren rechten Stel-
len, ſich

Befinden, zeigen und ſich fuͤgen. Jch ſeh ſie, als ein Muſter an,

Daß die Natur zuweilen ſcherze, und ſpielend gleichfam dann
und wann,

Uns, in auch auſſerordentlicher, Formirung zeige, was ſie kann,

Und wie ihr Reichthum unerſchoͤpflich. Chryſanders Hoch-
muth konnte zwar

Sein Unrecht nicht ſo gleich geſtehn: Allein es ſchienen die
Gedanken,

Durch die fuͤr ihn zu helle Wahrheit, dennoch zu ſtutzen, und
zu wanken.

Jch werde, was du mir gewieſen, mit etwas mehrem Ernſt
erwegen,

Sprach er, indem er Abſchied nahm. Jch wuͤnſcht ihm zu
dem Ueberlegen

Von Herzen Gluͤck,

Und eilte, meine ſchoͤne Blume noch etwas anzuſehn, zuruͤck,

Ergoͤtzte mich an ihrer ſchoͤnen ganz auſſerordentlichen Zier,

Und dankte Dem, der mich und ſie, und alle Dinge ſchuf, dafuͤr.

B 5Die
[26]Die Schonkilje ſpricht.

Die Schonkilje ſpricht.


Derſelbige, der meine Pracht,

Und des Geruches Eigenſchaft

Geſchaffen hat, und mir geſchenket,

Der hat auch des Geruches Kraft

Jn deine Seel, o Menſch, geſenket.

So laß uns unſre Kraft verbinden!

Genieß mich voller Dank und Luſt!

So wird, in deiner frohen Bruſt,

Der Schoͤpfer ſeinen Endzweck finden.

Denn eben, wie er mich fuͤr dich,

So hat er dich und mich fuͤr ſich,

Zu ſeiner Ehr, aus Lieb, erſchaffen.

Ach ſchaͤme dich, inskuͤnftge, mich

So unempfindlich anzugaffen.

Erwege, welche Wunderwerke

Der Schoͤpfer ſelbſt in mich gelegt,

Die unbegreiflich ſind. Bemerke

Der Duͤnſte Suͤßigkeit, und Staͤrke,

Die mein Behaͤltniß in ſich hegt!

Aus meiner guͤldnen Quelle quillet

Ein’ unſichtbare trockne Fluth,

Die, da ſie deine Naſe fuͤllet,

Der Seelen ſelber ſanfte thut.

Du willſt ja ſonſten alles faſſen,

So ſage mir, wo koͤmmt es her,

Daß ich, von Duͤnſten nimmer leer,

Und ſie ſich nicht erſchoͤpfen laſſen?
Sprich,
[27]Die Schonkilje ſpricht.
Sprich, wo mein edler Balſam ſtecke;

Woher ſein Duft ſo mancherley,

So ſuͤß, ſo wohl gemiſcht. Entdecke,

Wo in mir ſein Behaͤlter ſey.

Denn daß mein Balſam, aus der Erde,

So wie man unbedachtſam meynt,

Mir nicht bloß eingefloͤſſet werde,

Und ihre Frucht iſt, dieß erſcheint

Aus dieſem: Bin ich gleich gepfluͤcket,

So dauret meine Lieblichkeit,

Die, im Geruch, euch faſt entzuͤcket,

Hernach noch eine gute Zeit.

Doch, ſoll ich ernſtlich mit dir ſprechen,

Bemuͤh dich nur, mit Denken, nicht:

Du wirſt gewiß, wie dieß geſchicht,

Uemſonſt nur deinen Kopf zerbrechen.

Du wirſt aufs neu geſtehen muͤſſen,

Wie deine Weisheit Prahlerey;

Wie es, mit allem deinen Wiſſen,

Nichts, als ein bloßes Stuͤckwerk, ſey.

Drum wende deines Geiſtes Kraͤfte

Vielmehr mit Fleiß, und Freuden an,

Zu dem vergnuͤglichen Geſchaͤffte,

Das er verrichten ſoll, und kann.

Dieß iſt nun: in des Schoͤpfers Werken,

Mit innrer Regung deiner Bruſt,

Und mit bewundrungs-voller Luſt,

Sein’ Allmacht, Lieb und Weisheit merken.


Die
[28]Die roͤthliche weiſſe Hyacinthe.

Die roͤthliche weiſſe Hyacinthe.


Da ich auf deinem weiſſen Schnee,

Mit Luſt, und Anmuth meiner Seele,

Und innigem Vergnuͤgen ſeh,

Wie ſuͤß aus der gefuͤllten Hoͤhle,

Solch eine ſuͤſſe Roͤthe ſtralet,

Und deiner Blaͤtter weißlich Licht,

Mit roſenfarbnem Glanze malet;

Wenn ich den zarten Schein betrachte,

Die ſanfte roſenfarbne Gluht,

Die, auch das allerſchoͤnſte Blut

Der ſchoͤnſten Haut, beſchaͤmt, beachte,

Da weiß und roth ſo ſuͤß ſich fuͤgt:

Wird mein geruͤhrter Geiſt vergnuͤgt.

Wenn nun nachhero deine holde Zier

Sich ſanft an meine Naſe druͤcket:

So wird, durch neue Luſt, in mir,

Der Geiſt auf neue Weiſ erquicket:

Jſt denn des Schoͤpfers Huld nicht werth,

Der dopple Luſt in dir verbunden,

Daß, wenn man dopple Luſt empfunden,

Man, durch ein froh Gott Lob! Jhn ehrt?

Ja ich werde, liebſte Blume, durch das Prangen, das dich
zieret,

So zu dein-als meiner Quell, unſern Schoͤpfer, hingefuͤhret.

Sonderlich ruͤhrt mich dein freundlich-kuͤhl- und ſaͤurlich ſuͤſ-
ſer Duft,

Der, aus deinen kleinen Kelchen, unaufhoͤrlich in die Luft,
Als
[29]Die roͤthliche weiſſe Hyacinthe.
Als aus ſo viel Muͤnden haucht, als aus ſo viel Quellen ſteiget;

Der ſich unſern Seelen, zwar durch die Augen, und durchs Licht,

So wie andre Koͤrper, nicht,

Sondern ihr, nur im Geruch, durch die Naſe bloß, ſich zeiget.

Wenn wir Amber mit Zibeth, und mit Balſam Rauchwerk
miſchen:

Wird es doch den Geiſt ſo ſehr nicht, durch den Geruch, erfriſchen,

Als wir, durch die holden Duͤnſte, von den Kinderchen der Erden,

Den geſchmuͤckten Hyacinthen, im Geruch, erquicket werden.

Denn ob unſre Seele gleich Anmuth auch von jenen fuͤhlt;

Und ein liebliches Empfinden, einen holden Eindruck, ſpuͤret:

Wird ſie, durch der Blumen Duft, doch auf ſolche Art geruͤhret,

Daß die ſaͤurlich-ſuͤſſe Miſchung ſie zugleich ergoͤtzet, kuͤhlt,

Labt, erfreut und recht ermuntert. Will man denn ein ernſt-
lich Denken,

Wodurch wir uns eigentlich nur geſchickt ſind zu vergnuͤgen,

Nicht, in unſrer eignen Luſt, zu des Gebers Ehren fuͤgen,

Und uns lieber nicht vergnuͤgen, als ihm Dank und Andacht
ſchenken?


Neue
[30]Neue Fruͤhlings-Gedanken.

Neue Fruͤhlings-Gedanken.


Gott Lob! wir naͤhern uns aufs neu der Sonnen Stral,

Der Licht und Waͤrme Quell, dem Born der Fruchtbarkeit,

Und es erſcheinet abermal

Die angenehme Fruͤhlingszeit.

Des ſtrengen Froſts noch nicht verſchwundnes Angedenken

Vermehret, durch den Gegenſatz,

Den allbereit erhaltnen Schatz,

Den uns der fruͤhe Lenz bereits beginnt, zu ſchenken,

Wozu zugleich die Troͤſterinn der Welt,

Die Hoffnung, ſich annoch geſellt,

Und unſrer aufgeweckten Bruſt

Jm kuͤnftigen noch immer groͤßre Luſt,

Mit wahrer Schmeicheley, verſpricht,

Drey Zeiten ſcheinen ſich auf die Art zu beſtreben,

Euch mannigfaltge Luſt zu geben,

Und, durch verſchiedne Seltenheit,

Die jeder eigen iſt, euch die Vergnuͤglichkeit,

Und eure Luſt noch zu erheben.

Ach laßt das ſchoͤnſte Theil von eurem Leben nicht

So ungepruͤft, wie ſonſt, und nicht vergebens,

Ohn ihrer Reizung zu genießen,

Vergehn, verſchwinden und verfließen!

Ach ſeyd doch nicht ſo gar verkehrt,

Den Winter, als noch nicht vergangen,

Die Fruͤhlingszeit, als noch nicht angefangen,

Und als noch nicht Betrachtungs-werth,

Auf noch was beſſeres ſtets hoffend, anzuſehn;

Ja obſchon viele Ding euch, in dem Garten,

Und
[31]Neue Fruͤhlings Gedanken.
Und uͤberall, bereits zu eurer Luſt entſprießen,

Anſtatt derſelben zu genießen,

Noch immer auf das Kuͤnftige zu warten,

Da doch ſo dann Gewohnheit, wie bisher,

Euch alle Luſt unfehlbar raubet,

Und, euch verblendend, mehr und mehr,

Euch ſelbſt zur Luſt, und Gott zur Ehr,

Die Welt zu brauchen, nicht erlaubet.

Wie mancher Lenz iſt euch, auf dieſe Weiſ, entgangen,

Eh ihr, durch Aufſchub erſt, verfuͤhrt,

Nachhero durch Gewohnheit ungeruͤhrt,

Jhn zu genießen, angefangen.

Soll euch denn der Erfahrung Licht

Nicht einmal euren Fehler zeigen?

Wollt, ihr ſo oft Betrogne, nicht

Aus eurem Pfuhl des Ungluͤcks ſteigen?

Auf! laßt uns, wie, in allen Dingen,

Sich alle Kraͤfte jetzt verjuͤngen,

Wie Himmel, Erd und Meer ſo ſchoͤn,

Jn neuem Glanz und Schimmer ſtehn;

Durch ihre Pracht geruͤhrt, beſehn!

Und die darob, in unſrer Bruſt,

Verſpuͤrte neue Freud und Luſt

Dem Geber, im vergnuͤgten Leben,

Zum angenehmen Opfer geben.

Es faͤnget jetzt zu dieſer Zeit,

Nicht nur allein der Knospen Menge,

Jn faſt zu ſpuͤrendem Gedraͤnge,

Ja faſt ſichtbarer Aemſigkeit,

An viel- und ungezaͤhlten Stellen,

Sich zu vergroͤßern und zu ſchwellen,

Zu berſten, zu gebaͤhren an.

Es
[32]Neue Fruͤhlings-Gedanken.
Es dringt, nicht nur ſo weit man ſehen kann,

Des Graſes gruͤner Schmelz, ſammt ihrer Kraͤuter Zier,

Sich uͤberall mit Macht herfuͤr;

Man ſieht, nicht nur der Blumen Prangen,

Jm Garten ſchoͤn hervorgegangen;

Man hoͤrt nicht nur ein gurgelnd Singen

Von Voͤgeln in der Luft erklingen.

Man ſpuͤrt, von tauſend fuͤſſen Duͤften,

Zibeth und Balſam in den Luͤften.

Es hat, nebſt dieſer Sinnen Weide,

Zumal wer auf dem Lande lebt,

Zu dieſer Zeit noch andre Freude.

Man erndtet gleichſam jetzt, erhebt

Und uͤberkoͤmmt, von ſeines Viehes Zucht,

Zu dieſer Zeit, die junge Frucht.

Da wir mit Kaͤlbern, Laͤmmern, Pferden,

Zur Fruͤhlingszeit, bereichert werden.

Wie angenehm iſt, wenn uns fruͤh

Die Kinderchen, mit frohem Springen,

Die angenehme Zeitung bringen:

Es haben dieſe Nacht zwo Kuͤh

Gekalbt, wir haben ſchon die Kaͤlberchen geſehn,

Das ein’ iſt roth und weiß, des einen Kopf iſt ſchoͤn

Mit einem großen weißen Flecken.

Bald faͤngt ein andrer an, noch zu entdecken:

Die große Stut hat, dieſe Nacht,

Uns einen jungen Fohlen bracht;

Er iſt ſo niedlich und ſo klein;

Er ſpringt und ſchlaͤgt ſchon aus mit einem Bein,

Unmuͤglich kann ein Fohlgen ſchoͤner ſeyn.

Auch werden wir, ruft Garlieb mit Vergnuͤgen,

Schon morgen kleine Ferken kriegen.

Pa-
[33]Neue Fruͤhlings-Gedanken.
Papa, ich hab anietzt von unſrer Trin vernommen,

Wir haben dieſe Nacht vier Laͤmmerchen bekommen,

O! ſoll ich ſie nicht ſehn?

Ruft oft die kleine Mitilen,

Voll muntrer, geiſtiger, voll holder Freundlichkeit.

Und dergeſtalt geht es, zu dieſer Zeit,

Faſt jeglichem in ſeinem Stande,

Faſt jedem Hauswirth auf dem Lande.

Die Milch faͤngt uͤberall itzt an zu qvillen,

Daß man ſie kaum verbrauchen kann.

Die Huͤhner, Endt- und Tauben fangen an,

Die Reſter uͤberall zu fuͤllen,

Und kurz, es iſt anjetzt die Zeit

Voll Anmuth und voll Fruchtbarkeit.

Ach! laßt uns ſolches doch bedenken!

Ach laßt uns doch, fuͤr ſo viel Gaben,

Die wir von unſerm Gott empfangen haben,

Jhm wenigſtens doch unſre Freude ſchenken!

Zumal er anders nichts von uns begehrt,

Als daß man Jhn, ohn ſich, zu ſeiner Ehr, zu qvaͤlen,

Mit langem Wort-Geplaͤrr, nur mit geruͤhrter Seelen,

Empfinde, ſchmeck und ſehe,

Wie wohl durch ihn uns hier geſchehe!

Daß man in unſrer Luſt nur dieß gedenke:

Daß Gott, der alles ſchuff, uns dieſes alles ſchenke.


Br.VI.Th. CUber
[34]Ueber eine Menge

Ueber
Eine Menge ſchoͤner, gefuͤllten,
und mir geſchenkten Hyacinthen.


Jhr Bilder der irrdiſchen Schoͤnheit und Fluͤchtigkeit,

Jhr Blumen, worin die Natur,

Durch Formen und Farben, in hoͤchſter Vollkommenheit,

Die allerlieblichſte Figur,

Mit kraͤftigem Balſam begeiſtert, hervorgebracht,

Wie bald verſchwindet eure Zier!

Wie ſchleunig verwelket der glaͤnzenden Blaͤtter Pracht!

Jhr kommt, bald ſeyd ihr nicht mehr hier!

Doch lehrt ihr uns billig, da ihr ſo vergaͤnglich ſeyd,

Daß man mit groͤßerem Bedacht,

Die fluͤchtgen Minuten von eurer ſo ſchnellen Zeit,

Euch zugenießen, nehm in Acht.


Dieß will ich, werthſter Ehlers, nun

Bey deinem lieblichen Geſchenke

Der ſchoͤnen Hyacinthen thun,

Wobey ich dein zugleich gedenke.

Jm weiſſen Glanz, worin ſie bluͤhen,

Sieht mein bemerkendes Geſicht

Ein lieblich roͤthlich Feuer gluͤhen,

Als wie ein lieblich roͤthlich Licht,

Aus welchem Glanz und Schimmer bricht.

Da ich auf ſie die frohen Blicke lenke

Und ſeh, wie ſie ſo groß, ſo ſchoͤn, ſo reich gefuͤllt:

Verſpuͤr ich, daß aus ihrer Menge,

Ein recht balſamiſches Gedraͤnge

Ambrirt- und ſuͤſſer Duͤfte quillt,

Und meinen Geiſt mit ſolchem Nectar traͤnket,
Daß
[35]ſchoͤner gefuͤllten Hyacinthen.
Daß, da die Seele, durchs Geſicht,

Der Blumen Pracht recht zu beſehn gedenket,

Erlaubt es der Geruch noch nicht.

Der mit des Riechens Kraft begabten Seelen

Zum Labſal, bricht ein angewuͤrzter Schwall

Aus ihren klein und tiefen Hoͤhlen,

Erfuͤllet in der Luft, den Luftkreis uͤberall, (gemiſcht

Und iſt aus ſo viel Lieblichkeiten, die nicht beſchreiblich ſind,

Und aus ſo vielen holden Theilchen in ſolcher Harmonie gefuͤgt;

Wie man, wenn mans betrachtet, wirklich fuͤhlet,

Daß der Geruch die Lunge wirklich kuͤhlet,

Daß er das Herz, durch unſre Lung, erfriſcht,

Ja, durchs Gehirn, die Seele ſelbſt vergnuͤgt.

Will man bey ſolcher ſuͤſſen Luſt, die wir, ſo wie wir alle
Gaben,

Von dem, aus welchem alles ſtammt, erhalten haben,

Sich nun, als wie ein Menſch, betragen: So muß die Seele ſich
bemuͤhn,

Und, aus den andern Sinnen, gleichſam ſich in ſich ſelbſt zuſam-
men ziehn,

Bey oͤftern Oeffnungen der Lunge auf das ſo ſuͤß Gemiſche denken,

Das aus der ſchoͤnen Blumen fließt,

Um dem, der ihr ſo Geiſt als Werkzeug, wodurch ſie ſolcher Luſt
genießt,

Geſchenkt, zu einem ſuͤſſen Opfer, ein ihn bewundernd Herz zu
ſchenken.


Beherrſcher der Himmel, Regierer der Erden,

Dein Name muͤß ewig verherrlichet werden!

Ach laß doch, zu deinen unendlichen Ehren,

Die Pracht der Geſchoͤpfe die Menſchheit belehren,

Jn ihnen dein herrliches Lob zu vermehren.

C 2Aber-
[36]Abermalige Betrachtung der Roſe.

Abermalige Betrachtung
der Roſe.


Ach! ſo ruͤhrſt du abermal

Recht durch einen rothen Stral,

Holde Roſe, meine Seele?

Ja, es ſinkt ſo Blick als Geiſt

Jn die purpurreiche Hoͤhle,

Die mir ſo viel Liebreiz weiſt.

Hab ich gleich von deiner Pracht,

Wodurch wir recht angelacht,

Schoͤn Geſchoͤpfe, viel geſchrieben:

Find ich, halb durch dich entzuͤckt,

Da ich dich aufs neu erblickt,

Daß noch vieles uͤberblieben.

Heiß von Luſt, von Anmuth froh,

Und erqvicket von Vergnuͤgen,

Seh ich jetzt, wie ihrer zwo

Lieblich bey einander liegen;

Eine zeigt ihr guͤldnes Herz

Recht in Tiefen von Rubinen;

Und die ander unterwerts

Macht, recht in ſmaragdnem Gruͤnen,

Den ſo ſchoͤn bekraͤnzten Stiel

Ja ſo ſchoͤn zum Augen-Ziel,

Jene gluͤht, dem Purpur gleich;

Dieſes Blatt iſt roͤthlich bleich;

Beyde ſind verſchiedlich ſchoͤn.
Von
[37]Abermalige Betrachtung der Roſe.
Von der einen zu der andern

Fuͤhl ich meine Blicke wandern.

Wann ich, auf der auͤſſern Ruͤnde

Dieſer hier, Vergnuͤgen finde:

Fuͤhl ich, wie ſo Blick als Geiſt

Jene auf und in ſich reißt.

Jn die Roſe, die von innen

Jhr Rubinen-Schatzhaus weiſt,

Senkt ſich mein vergnuͤgter Geiſt;

Sie vergnuͤgt verſchiedne Sinnen.

Es wird, da ſie ſchoͤn, auch kuͤhl

Und an ſuͤßem Duft ſo reich,

Und ſo lieblich riecht, zugleich,

Durchs Geſicht, Geruch, Gefuͤhl,

Jn vereinter Lieblichkeit,

Dreyfach unſre Seel erfreut.

Der geweſnen Knoſpe Reſt,

Das in fuͤnf getheilten Spitzen,

Wie ein gruͤnes Sternchen laͤßt,

Wie ſie um das Koͤlbchen ſitzen,

Kann man an der andern ſehn,

Von denſelbigen an zween

Siehet man acht gruͤne Hoͤhn,

Recht als Neben-Stralen, ſtehn.

Zween hingegen haben keinen

Aber wiederum an einen

Sind derſelben zween zu ſehn.

Alles iſt ſo nett formiret,

An dem gruͤnenden Gehaͤuſe,

Daß es auf beſondre Weiſe

Die gezierte Roſe ziert.

Lieblich ſtehet roth und gruͤn,
C 3Wie
[38]Abermalige Betrachtung der Roſe.
Wie Smaragd und wie Rubin,

Jn der ſchoͤnſten Miſchung hier,

Jn beſonders holder Zier.

Seht, wie ſichs ſo lieblich miſcht,

Daß es Blick und Herz erfriſcht!

Doch iſt dieß noch nicht genug;

An durchdringendem Geruch,

Welcher edlen Myrrhen gleich,

Jſt dieß gruͤne Sternchen reich.

Dieſe Bitterkeit, gemiſchet

Mit der Suͤßigkeit der Roſen,

Dient, da ſie uns recht erfriſchet,

Unſern Naſen liebzukoſen,

Wie ich denn von der Mixtur

Die geheime Kraft erfuhr,

Und den holden Einfluß fuͤhlte,

Als ich ſie beym Stiel ergriff,

Sanfte vor die Naſe hielte,

Da ich gleich vor Anmuth rief,

Und dieß Loblied hoͤren ließ:

O mein Gott! wie wunderſuͤß

Sind, durch deinen Gnaden-Willen,

Dieſe Kraͤfte, die hier quillen!

Ob uns mehr die zarte Fluht,

Die zwar kuͤhlet, doch nicht netzet,

Oder die Rubinen-Gluht,

Die zwar brennt, doch nicht verletzet,

Oder aber obs Gefuͤhl,

Da ſo Duft als Blaͤtter kuͤhl,

Unſre Seele mehr ergoͤtzet,

Weis die Seele ſelber nicht.

Aber ſie erblickt ein Licht,
Da
[39]Abermalige Betrachtung der Roſe.
Da ſie ſo viel Anmuth ſpuͤret,

Welches ſie, o Herr, zu dir,

Als den Urſprung aller Zier,

Aller Kraft und Anmuth, fuͤhret.

Es erregt die Balſam-Fluht

Dieſer Roſ’ in ihr ein Wallen,

Dem, der ſolche Wunder thut,

Wuͤnſcht ſie innig zu gefallen.

Es entſteht in meinem Blut,

Durch die Flammen, wie Rubin,

Die in dieſer Roſe gluͤhn,

Einer reinen Andacht Gluht.

Durch den bunten Schein geruͤhrt,

Fuͤhl ich meinen frohen Geiſt

Hoͤher noch empor gefuͤhrt,

Wo er mir noch mehrers weiſt.

Da des großen Schoͤpfers Macht

Unerſchoͤpflich, welcher Schein,

Welcher Schmuck, und welche Pracht,

Muß in andern Welten ſeyn!

Jhrer Blumen Glanz und Zier

Stell ich billig, von Figur,

Farben, Kraͤften und Natur,

Mir ganz unterſchiedlich fuͤr.

Hier erſtaunt mach’ ich den Schluß,

Daß das, was Fabricius,

Hamburgs Ruhm und Ehre, meynt,

Mehr noch, als wahrſcheinlich, ſcheint;

Wann er glaubt: was an Figur

Und an Farben moͤglich ſey,

Sey auch wirklich.

Da uns nun, in einer Welt,
C 4So
[40]Abermalige Betrachtung der Roſe.
So unzaͤhlig vielerley

Schon den Sinnen vorgeſtellt;

Was wird, in ſo vielen Erden,

Nicht noch angetroffen werden!

Weil nun der Gedank in mir

Ehrfurcht, Lob und Dankbegier,

Wodurch man den Schoͤpfer ehret,

Gegen meinen Schoͤpfer mehret:

Glaub ich es, und bleib dabey,

Daß es ſo wahrhaftig ſey.

Fall daher in Demuth nieder,

Singe dem, der alles ſchafft,

Der die Brunnquell aller Kraft,

Neue Dank- und Freudenlieder.


Schoͤpfer, deſſen Macht unendlich,

So wie deine Weisheit iſt,

Der du uns am meiſten kenntlich

Jn den ſchoͤnen Werken biſt.

Dieſe Vielheit, ſonder Schranken,

Stellet mir dich, in Gedanken,

Groͤßer und gewaltiger,

Weiſer, liebreich, herrlicher,

Wuͤrdiger und beſſer fuͤr.

Ach wie wird derſelben Zier,

Wenn wir ſie, nach dieſer Erden,

Sehen und genießen werden,

Uns, zu deinem Ruhm ergoͤtzen,

Da wir uns, an ihrem Schein,

Uns in Hoffnung ſchon ergoͤtzen,

Und ſchon hier halb ſelig ſeyn.

Noch
[41]Noch einige Gedanken uͤber die Roſe.

Noch einige Gedanken
uͤber die Roſe.


Unmoͤglich kann ich mich entbrechen,

O wunderſchoͤne Roſ, in dir

Von deiner holden Blaͤtter Zier,

Noch etwas mit Bedacht zu ſprechen;

Ob gleich von dir, als Gottes Gabe,

Jch vieles ſchon gelallet habe.

Man heißt die Roſe roth; allein

Betrachtet man der Blaͤtter Bau:

So ſcheint ein blaulicht weiſſer Schein

Der ſchoͤnen Miſchung Grund zu ſeyn,

Und daß der Roͤthe zarte Gluht,

Als wie ein junges ſchoͤnes Blut,

Mit einer zarten Haut bedecket,

Allein in feinen Adern ſtecket.

Hierdurch nun ſcheint allein das Roth erzielet,

Das in den holden Schatten ſpielet,

Wenn das dadurch gefaͤrbte Licht

Durch eines Blatts Gewebe bricht.

Doch iſt, mit ſolchem rothen Schatten,

Die Hoͤhle, worinn ſie ſich gatten,

Und wo ein Bach von Balſam quillt,

Jn groͤßerm Ueberfluß erfuͤllt.

Es hat die bildende Natur

Faſt keine lieblicher und nettere Figur,

Die, nebſt der holden Farben Pracht,

Den Augen ſolchen Eindruck macht,
C 5Und
[42]Noch einige Gedanken uͤber die Roſe.
Und nebſt dem Blick, den Geiſt erfriſchet,

Als wenn man an der Roſe ſieht,

Wie auswerts weis und roth ſich miſchet,

Jn ihr die ſchoͤnſte Roͤthe gluͤht.

Es ſenkt, mit Luſt, ſelbſt unſre Seele

Sich in den Zirkel dieſer Hoͤhle;

Es ſcheint, als ob in dieſer Ruͤnde,

Jn einer rothen Dunkelheit,

Gluht, Kuͤhlung, Balſam, Lieblichkeit,

Zu ihrer Anmuth, ſich verbinde.

Nun brauchet zwar ein ſolcher Schatz

Von Schoͤnheit, keinen Gegenſatz,

Um ihn noch hoͤher zu erheben:

Allein in einem dunklen Gruͤnen

Muß ihr ihr dunkles Laub noch dienen,

Jhr noch erhoͤhtern Glanz zu geben.

Es weis ein achtſames Gemuͤth,

Vor Anmuth, oft nicht, was es ſieht,

Wenn, bey dem ſchoͤnen gruͤnen Dunkeln,

Die Roſen mehr, als irdiſch, funkeln;

Und doch hab ich das, was ſo ſchoͤn,

Einſt noch verſchoͤnerter geſehn.

Nachdem ich juͤngſt der Roſen Pracht erwegte,

Durch die faſt uͤberirdſche Zier

Halb auſſer mir.

Und ſie von ungefehr

Jn eine ſilberne polirte Schuͤſſel legte:

Erhellte ſich ihr Glanz noch einſt ſo ſehr.

Es fiel, durch meinen Blick, in meinen Geiſt hinein

Ein roͤthlich-ſuͤſſes Licht; die glatten dunklen Stellen

Des Silbers fingen an ſich ploͤtzlich zu erhellen;

Die Roſe faͤrbete des Silbers holde Glaͤtte.
Hin-
[43]Noch einige Gedanken uͤber die Roſe.
Hingegen ließ es anders nicht,

Als wenn ſie ſelbſt ein neues Licht

Vom Silber uͤberkommen haͤtte.

Jhr herrlich Roth, ihr ſchoͤnes Gruͤn

Schien nun noch mehr, als vor, Smaragden und Rubinen,

Jndem der Roſen Pracht, in holdem Wiederſchein,

Sich nicht nur nach dem Leben malte,

Nein da ſo gar darin ein roͤthlich Feuer ſtralte,

Das faſt Auroren Glanz

An Schimmer uͤbertraf, und man nicht bilden kann.

Jch ſtutzt hieruͤber ganz;

Es fachten ſich in mir geweihter Andacht Flammen,

Durch dieſe Roſen-Gluth, in mir erreget, an,

Und faßt ich meine Luſt in dieſes Lied zuſammen.


Gelobet ſey das große Weſen, durch deſſen Weisheit, Lieb und

Hier dieſer ſchoͤnen Creatur (Macht,

Solch eine liebliche Figur,

So purpur-rother Farben Pracht,

Und uns die Augen ſind geſchenket;

Ja welcher ſolche Balſam-Kraft

Den zarten Blaͤttern eingeſenket,

Und uns des Riechens Eigenſchaft,

Zum Labſal und zur Luſt gegeben.

Ach! moͤchten wir uns doch beſtreben,

So oft wir Roſen bluͤhen ſehn,

Durch ſie zu Gott uns zu erheben!

Ach moͤchten wir, da ſie ſo ſchoͤn,

Daß ſie des Schoͤpfers Werk, verſtehn,

Und ſeinen Ruhm im Dank erhoͤhn!

Ro-
[44]Roſen-Gedanken.

Roſen-Gedanken.


Wie man mir in der Roſenzeit,

(Da jeglichem bekannt, wie hoch daß ich ſie achte:)

Voll aufgebluͤhter Herrlichkeit,

Juͤngſt eine Menge Roſen brachte,

Die alle ausgeſucht; ergoͤtzt’ an ihrem Licht,

Und roͤthlich-hellen Glanz, ſo tauſendfach gemiſchet,

Sich meine Seele, durchs Geſicht,

Und ward zugleich, durch den Geruch, erfriſchet.

Jch naͤherte ſie meiner Naſen,

Und ward, von einem Balſam-Duft, recht angehaucht und ange-
blaſen.

So wohl die Lung, als das Gehirn, ward durch das, was aus
ihnen quillt,

Erquickt, gekuͤhlet und erfuͤllt.

Der mich denn inniglich durchdrang,

So, daß ich froͤhlich alſo ſang:


„Suͤſſe Duͤfte, die ihr hier,

„Aus den holden Roſen, flieſſet;

„Jn den Luftkreis euch ergieſſet,

„Und ſo, wie die Luft, auch mir,

„Jm Geruch, das Hirn erfuͤllt,

„Wenn euch meine Seele ſpuͤret,

„Daß ihr, ihr zur Luſt, entſprieſſet,

„Und zugleich erblickt, daß ihr

„Aus ſo ſchoͤnen Quellen quillt,

„Wird ihr Jnnerſtes geruͤhret.

„Eine bruͤnſtige Begier
„Macht
[45]Roſen-Gedanken.
„Macht in mir ein Wuͤnſchen rege,

„Daß ich, dieſer Roſen Zier,

„Aller Dinge Schoͤpfer! dir

„Recht zum Ruhm, gebrauchen moͤge.

Durch den Geruch und was die Blaͤtter mit ſolcher holden
Schoͤnheit ziert,

Ward ich noch ferner, Herr, zu dir, in dieſem Lobgeſang, gefuͤhrt:

„Der du die Theilchen ſo gefuͤgt,

„Daß ſie mich, im Geruch, vergnuͤgt,

„Und noch dazu, daß ich mein Denken,

„Als meiner Seelen beſte Kraft,

„Auf die erquickend’ Eigenſchaft

„Sich koͤnnen und ſich wollen ſenken,

„Auch durch den Sinn zugleich ſich lenken,

„Zu dir, der mir ſo vaͤterlich

„Aus Gnaden alles wollen ſchenken,

„Jch ruͤhme, lob und preiſe dich.

Aus dieſer Roſen ſchoͤnen Menge,

Die all, in kuͤhlem Feuer, flammen,

Sucht ich die ſchoͤnſten noch zuſammen.

Fuͤnf Centifolien, die an der Oeffnung Enge,

Vor andern, noch betraͤchtlicher mir ſchienen,

Und die an lieblicher Figur,

An Groͤße, Feſtigkeit, und an geſpitzter Ruͤnde,

Jch faſt den Zwiebeln aͤhnlich finde,

Erwaͤhlt ich mir, um an derſelben Schaͤtzen

Mich ins beſondre zu ergoͤtzen.

Die andern ließ ich etwas pflegen,

Und ſie in eine zinnerne,

Mit Waſſer angefuͤllete,

Polirte große Schuͤſſel legen.

Jn
[46]Roſen-Gedanken.
Jndem ich nun, mit einigem Erwegen,

Die meinigen beſchau, ſeh ich die Ordnung an

Der Blaͤtter, welche man nicht gnug bewundern kann,

Jndem ſie all im Grund, an keinen Spitzen,

Nachhero breit und etwas ausgehoͤhlt,

Recht ſchuppenweiſe, zierlich ſitzen.

Ein jedes Blaͤttchen iſt ſo zart, daß faſt das Licht

Der Sonnen, durch die Blaͤschen, bricht,

Wo zwiſchen denn, in Regel-rechter Laͤnge

Von Purpur-Aederchen ſich eine große Menge,

An Form, wie kleine Herzen, zeigen,

Die gleichſam aus einander ſteigen.

Jch ſenkte meinen Blick, und mit ihm meine Seele,

Hierauf in die Rubinen-gleiche Hoͤhle

Der einen Roſe tief hinein,

Um, in der rothen Daͤmmrung Schein,

Der Blaͤtter Rang und Ordnung zu beſehn,

Und fand die innerſten gekruͤmmet, umgebogen,

Und alle rund, um ihr klein Centrum ſtehn,

So daß von jedem Blatt die beyden Ecken

Sich gleichſam recht fuͤr uns verſtecken.

Um nun noch ferner zu entdecken,

Wie es denn eigentlich um ihre Stellung ſtuͤnde,

Nam ich ein Meſſerchen zur Hand,

Da ich denn, wie ich ſie, zuſamt den Kelch, durchſchnitten,

Nicht ohn es zu bewundern fand,

Daß alle Blaͤtterchen, bis in des Kelches Mitten,

Mit ihren Spitzen feſt. Wie ſie ſich alſo trennen,

Und wie ſie ſich daraus entwickeln koͤnnen,

Begriff und faßt ich nicht. Jch dachte zwar dabey,

Ob es zu dieſem Zweck vielleicht geordnet ſey,

Daß der Geruch in den verſchloſſnen Falten,
Sich
[47]Roſen-Gedanken.
Sich etwa koͤnne laͤnger halten.

Jedoch geſteh ich gern, daß ichs nicht voͤllig faſſe,

Und es daher an witzigern, als ich,

Beſcheidentlich

Zu unterſuchen uͤberlaſſe.

Wie ich nachher, und zwar bey Licht,

Das mannigfaltige Gepraͤnge

Der Roſen, die in ſolcher Menge,

(O wunderſchoͤnes Schaugericht)

Jn einer großen Schuͤſſel lagen,

Fuͤr Luſt halb auſſer mir, beſah,

Und gar, um mein Geſicht dadurch zu ſtaͤrken,

Und ſie noch beſſer zu bemerken,

Die offne Hand zum Lichte nah,

Doch mit gefuͤgten Fingern, ſtreckte,

Wodurch ich ſelbiges bedeckte,

Daß aller Stralen Schein

Nicht in mein Aug, auf ſie allein,

Jn voller Fuͤlle fiel;

Mein Gott! welch eine Gluht, und welch ein Farben-Spiel,

Von lieblich funkelnden Rubinen,

So wohl als von Smaragden-gleichem Gruͤnen,

Ward ich auf ihnen,

Vor Luſt erſtaunt, gewahr!

So roth als gruͤn ſchien hundermal ſo klar,

Als wie vorhin. Ein faſt nicht irdſcher Glanz

Erfuͤllte meine Schuͤſſel ganz,

Und, durch die Augen, mein Gemuͤthe,

Daß ich mich nicht enthalten kunnt,

O Schoͤpfer, dir, der ſolche Pracht,

Aus lauter Liebe, Huld und Guͤte,

Fuͤrs menſchliche Geſchlecht hervor gebracht,
Nebſt
[48]Roſen-Gedanken.
Nebſt ſo viel tauſend andern Dingen,

Zu Ehren, folgend Lied zu ſingen.

Es ſang demnach mein froher Mund:


Unendlicher Abgrund unendlicher Herrlichkeit!

Du zeigſt, in allen deinen Creaturen,

Anbethungs-wuͤrdge Wunderſpuren

Von deiner ſelbſtaͤndigen ewgen Vollkommenheit!

Was muͤſſen nicht vor Anmuths-Meere,

Und welche Tiefen von Ergoͤtzen

Jn deinen unendlichen himmliſchen Schaͤtzen,

Jn ſeeligem Ueberfluß, dorten vorhanden ſeyn;

Da ſchon in Roſen, hier auf Erden,

Von deines Lichtes Wunderſchein,

So ſchoͤne Schatten ſichtbar ſeyn?


Der
[49]Der Flieder.

Der Flieder.


Juͤngſt ging ich auf das Feld, wie ich zuweilen pflag,

An einem angenehm-jedoch bedeckten Tag.

Es ſtralete das helle Sonnenlicht

Jn der gewohnten Klarheit nicht,

Doch war es zum ſpatzieren ſehr bequem.

Die ſanfte Luft war kuͤhl und angenehm;

Es ſchien, als ob ſich Licht und Schatten,

Die ſonſt ſo ſehr getrennt, vermiſchet hatten.

Man kunnte faſt von ihnen beyden

Nicht eines eigentlich vom andern unterſcheiden.

Man ſahe keinen Sonnenſchein,

Man kunnt auch keinen Schatten ſehen;

Ein gruͤnlich Daͤmmrungslicht war allgemein,

Man ſah es uͤberall entſtehen.

Es ſtund, bey dem bedeckten Wetter,

Das ſchoͤne Gruͤn der Pflanzen und der Blaͤtter

Jn ſo harmoniſchem Zuſammenhang,

Daß ihre lichte Dunkelheit,

Mit ungemeiner Lieblichkeit,

Durch mein Geſicht, in mein Gemuͤthe drang,

Den gar zu ſchnellen Lauf des Bluts allmaͤhlig ſtillte,

Jn meinem Geiſt ein Gleichgewicht erregte,

Mit einem ſittſamen und ſanften Trieb ihn fuͤllte,

Und mich zu einer Art Gelaßenheit bewegte.

Jch ſetzte mich, in dick verwachsnen Buͤſchen,

Wo vielerley Gewaͤchs ihr vielfach Prangen miſchen,

Und ſahe, zwiſchen Schwarz- und Weißdorn, Asp und Schlehen,

Auch Brombeer, Stachelkraut und Schilf, als wie ein Licht,

Br.VI.Th. DDen
[50]Der Flieder.
Den weiſſen Fliederbaum in voller Bluͤhte ſtehen.

Sein weiſſer Schimmer fiel ſo ſtark mir ins Geſicht,

Daß ich ſein ſonderbar Gewaͤchſe zu beſehen,

Und auch, in ſeiner Zier, den Schoͤpfer zu erhoͤhen,

Mich nicht enthalten kunnt. Jch brach ein Bluͤmchen ab,

Das mir zu folgender Betrachtung, Anlaß gab.

Billig biſt du, holder Flieder,

Auch ein Vorwurf meiner Lieder,

Da du ja ſo nuͤtz als ſchoͤn.

Deine Frucht, Laub, Zweig und Bluͤhte

Laſſen Weisheit, Macht und Guͤte

Eines Schoͤpfers, klaͤrlich ſehn.

Ein Auge, das, wenns ſiehet, wirklich ſiehet,

Erblickt am Fliederbaum, der bluͤhet,

Verſchiednes, das ihn ruͤhrt und ihn vergnuͤget.

Es laͤßt das dunkle Gruͤn der Blaͤtter, da es ſich

So lieblich, als verwunderlich,

Zur weiſſen Bluͤhte lieblich fuͤget,

Mit ſchoͤnen weiſſen Roſenſtraͤuchen

Von weiten recht natuͤrlich ſich vergleichen.

Wenn ich der Fliederblume Bau,

Und Bildung, in der Naͤhe, ſchau:

So find ich, daß auch ſie, auf eine neue Weiſe,

Dem, der ſie werden hieß, zum Preiſe,

Bewunderns-werth gebildet und formiert,

Bewunderns-werth gefaͤrbet und geziert.

Faſt einem Sonnenſchirm ſieht ſie an Bildung gleich;

An Blumen iſt die Blum unglaublich reich,

Die alle ſich, an fuͤnf getheilten Zweigen,

(Woran wir unterwerts fuͤnf gruͤne Blaͤtter ſehn,

Die an dem ganzen Baum ſtets fuͤnffach ſtehn,)

Jn einer ſolchen Ordnung zeigen,

Daß
[51]Der Flieder.
Daß jeder Zweig ſich wieder fuͤnffach ſpitzt,

So man denn allemal bey jedem Abſatz ſpuͤrt,

Daß er ſich immer mit fuͤnf Nebenzweiglein ziert,

Woran der Blumen Meng in ſolcher Ordnung ſitzt,

Daß, da ſie aus fuͤnf petalis beſtehn,

Sich aus denſelben noch fuͤnf ſtamina erhoͤhn.

Man ſieht, nach dieſem Rang, an allen Seiten

Der Blumen Buͤſche ſich auf eine Art verbreiten,

Daß ſie faſt alle rund, und oben alle flach,

Wodurch ſie dann, da ſie in ſolcher Ordnung bluͤhn,

Die Augen auf ſich ziehn.

Man denke bloß allein nur dieſer Ordnung nach,

So wird man, daß ſich nicht von ungefaͤhr,

Ein faſt unzaͤhlbar Blumen-Heer,

Jn ſolcher Ordnung muͤſſen ſchicken,

Gar leicht erblicken.

Weil dieſer Blumenbaum nun ſehr gemein,

Und in dem Blumenreich

Derſelben viele ſeyn:

So wird ſo Bluͤht als Frucht, wie nuͤtz und ſchoͤn ſie gleich,

Doch leider wenig nur geachtet,

Und von den wenigſten betrachtet.

Mir aber koͤmmt er ſtets, als eine Zier,

Und ſonderbarer Schmuck von einer Landſchaft fuͤr.

Da wir nun uͤberdem an dieſer Blume Gaben,

Jn Arzeneyen, uns ſo ſehr zu freuen haben;

So iſt es billig, unſerm Gott das Opfer unſrer Luſt zu bringen;

Und ihn, als einen weiſen Schoͤpfer, auch bey dem Flieder, zu
beſingen.


D 2Fuͤr
[52]Fuͤr junge Leute

Fuͤr junge Leute,
ſich auf dem Lande zu erluſtigen.


Von dieſen Verſen muͤſſen erſt zweene Solo geſungen, her-
nach vom Chor wiederholet, und bey Endigung einer jeden
Strophe in einem Reihen entweder nach der bloſſen Me-
lodie oder nach Jnſtrumenten im Kreiſe herum getanzet
werden.
Jm Ton: Wundervoller Saft der Reben.

Laſſet uns, im friſchen Gruͤnen,

Da die Mayenblumen bluͤhn,

Unſrer Jugend uns bedienen!

Laßt uns Schmerz und Kummer fliehn!

Laßt uns tanzen, laßt uns ſingen,

Laßt uns ſcherzen, laßt uns ſpringen,

Und uns allem Gram entziehn!

Wer will, in vergoͤnnten Freuden,

Und erlaubter Froͤlichkeit,

Nicht ſein muntres Auge weiden,

An den Schaͤtzen dieſer Zeit?

Laßt uns tanzen, laßt uns ſpringen,

Und, in unſrer Luſt, beſingen,

Den, der unſre Luſt bereit!

Laßt uns an des Fruͤhlings Schaͤtzen,

Mit, durch ſie, geruͤhrter Bruſt,

Uns erfreuen, uns ergoͤtzen!

Und in unverbothner Luſt,

Froͤlich tanzen, froͤlich ſpringen,

Munter ſcherzen, lieblich ſingen!

Trauren ſey uns unbewußt.

Noch
[53]ſich auf dem Lande zu erluſtigen.

Noch zwo dergleichen Arien,
von Mr. Teleman componiret.


Jn den bunt bebluͤhmten Feldern,

Jn den ſchattenreichen Waͤldern,

Herrſcht, in ſtiller Einſamkeit,

Unſchuld und Zufriedenheit.

Fern vom ſtaͤdtiſchen Getuͤmmel,

Als in einem irdſchen Himmel,

Find ich hier die guͤldne Zeit.

Da Capo.

Die Stille, die den Wald erfuͤllt,

Der holden Unſchuld ſanftes Bild,

Jſt nicht von froher Anmuth leer.

Der kleinen Voͤgel muntres Heer

Laͤßt tauſend ſuͤſſe Toͤn erklingen,

So kann auch ein gelaßnes Herz,

Mit Recht, bey zugelaßnem Scherz,

Geſellig lachen, froͤlich ſingen,

Weil ſonſt die Tugend graͤmlich waͤr.


D 3Der
[54]Der gefluͤgelte Lehrer.

Der gefluͤgelte Lehrer.


Mir ward ein liebliches Geſchenk, in dieſer holden Fruͤh-
lingszeit,

Von auserleſnen ſchoͤnen Blumen, voll bunt- und holder Zier-
lichkeit,

Aus Hamburg neulich zugeſandt, die ich mit großer Luſt erwog,

So wie ich ſie im Mooß gepackt, aus der geraumen Schach-
tel zog,

Und ſie in große Schuͤſſeln legte, in ſelbe ſo viel Waſſer goß,

Daß es die Ende von den Stielen nur eben decket und befloß.

Wobey ich denn verſchiedene in ein erhabnes Glas noch ſetzte,

Und mich an allen, mehr als einmal, zu ihrer Quelle Ruhm,
ergetzte.

Jch roch, und ſahe wechſelsweiſe, die wunderbare Mi-
ſchung an,

So wohl von Farben als Geruch, die kein Verſtand beſchrei-
ben kann.

Was duͤnſteten vor Ambra-Nebel, was walleten vor Balſam-
Wellen!

Wie nahm ihr ſaͤurlich-ſuͤſſer Duft, durch den Geruch, das
Hirn nicht ein!

Mit wie viel Anmuth ruͤhrte mich, auch durchs Geſicht, ihr
bunter Schein!

Der weiſſen Hyacinthen Silber, der blauen glaͤnzender
Saphier;

Das guͤldne Gelbe der Schonkiljen; der Tulpen feuerrei-
che Zier;
Der
[55]Der gefluͤgelte Lehrer.
Der Primulen gebrochner Schim̃er, die neben den Aurickeln ſchoͤn,

Jn einer angenehmen Miſchung, von ungezaͤhlten Farben, ſtehn!

Ein ſuͤſſer Glanz bedeckte ſie, ein buntes Feuer glimmt in
ihnen,

So daß ſie mehr in feurigem, als in gefaͤrbtem, Schimmer
ſchienen.

Durchleuchtig war ihr bunter Koͤrper, wodurch das Licht ſo
lieblich fiel,

Es glich faſt einer bunten Lohe, und dennoch iſt ihr Koͤrper kuͤhl.

Jndem ich dieſen bunten Glanz beſchaue, ſah ich, mit Ergetzen,

Ein kleines zahmes Voͤgelchen ſich auf das Glas voll Blu-
men ſetzen,

Es drehte ſeinen kleinen Kopf; es huͤpfte, freute ſich, und ſprang

Von einer Blum auf eine andre; ſein lieblich ſchwitzernder
Geſang

Schien Luſt und Dank zugleich zu zeigen. Es fand der Blu-
men Pracht ſo ſchoͤn;

Es ſchien, es kunnte ſich an ſie, mit Luſt, nicht ſatt, nicht muͤde
ſehn.

Sein kleines Schnaͤblein hackt’ und pickte, jedoch ſo ſanfte
hier und dar,

Daß weder an dem Stiel noch Blume, nichts, ſo verſehrt, zu
ſehen war.

Jch dachte: Kann der Blumen Prangen ſo gar auch un-
verſtaͤndgen Thieren

Den lang nicht ſo vollkommnen Geiſt, als unſrer iſt, durchs
Auge, ruͤhren:

So ſollten Menſchen ja wohl billig der Unempfindlichkeit ſich
ſchaͤmen,
D 4Und
[56]Der gefluͤgelte Lehrer.
Und von demſelben hin und wieder ein ſie belehrend Beyſpiel
nehmen.

Es ſcheint, dieß kleine Voͤgelein woll euch, des Schoͤpfers Huld
zu preiſen,

Und euch an Blumen zu vergnuͤgen, den Weg durch ſein Be-
tragen weiſen.

Aufs wenigſt haſt du, liebes Thierchen, da ich auf dein
Betrieb gemerkt,

Jn meinem Vorſatz, mich zu freuen, und Gott zu loben, ſehr
geſtaͤrkt.

Du ſollſt noch ferner oftermals, bey mir, das Lehreramt ver-
walten.

Druͤm hab ich dich, fuͤr meine Lieder, zu einem Verwurf,
werth gehalten,

Jn Hoffnung, daß noch andre mehr die ſuͤſſe Lehre werden
faſſen,

Und ſich, nebſt mir, zu Gottes Preiſe, und eigner Luſt, beleh-
ren laſſen.


Erbau-
[57]Erbauliche Betrachtung der Blumen.

Erbauliche Betrachtung
der Blumen und Pflanzen.

Als S. T. Hr. P. E. mir eine Menge ſchoͤner
Tulpen zugeſchickt.


Unendliches, allgegenwaͤrtigs Seyn,

Laß mich, nur bloß vor dir, die Knie beugen!

Laß mich, o Herr, zu dir allein,

Mit meiner Seelen Kraͤften, ſteigen!

Zu dir, durch deſſen Wunder-Macht,

Der Himmel Heer entſtand, die Welt hervorgebracht!

Der du der Pflanzen Reich ſo kuͤnſtlich zugericht,

Daß ſich der Fiebern Meng in ſolcher Ordnung flicht!

Durch deſſen Weisheit wir, in Haͤuten und in Rinden,

Sie kluͤglich eingeſchloſſen finden!

Durch deſſen weiſe Macht die Blumen, wenn ſie bluͤhn,

Mit ſolcher zierlichen Figur,

Sich lieblich bilden und formiren,

Und mit der Farben Schmuck nicht nur

Sich unbeſchreiblich lieblich zieren;

Mit nicht zu zaͤhlenden Veraͤndrungen ſich ſchmuͤcken,

Auf ungezaͤhlte Weiſ, uns unſer Aug erquicken,

Und um auf tauſend Art den Geiſt uns zu erfriſchen,

So Farb als Zeichnungen in ſolcher Meng auch miſchen,

Wie auch den Stiel und ihre Blaͤtter ganz,

Noch uͤber dem mit einem ſolchen Glanz,

Und Silber-Schimmer uͤberziehn,

Daß kein Sineſer-Lack an ihren Schmelz nicht reichet,

Kein Firniß ihrer Glaͤtte gleichet.

Der
[58]Erbauliche Betrachtung der Blumen.
Der du mit gruͤnem Laub ſie kleideſt und ſie ſchmuͤckeſt,

Der du die duͤnne Luft in ihre Roͤhren druͤckeſt,

Mit Regen und mit Thau ſie naͤhreſt und ſie traͤnkeſt,

Und uns, in ihrem Bau, ſo Luſt, als Nahrung, ſchenkeſt.

Durch dich empfangen ſie die wunderbare Kraft,

Daß ſie, was ihnen dient, den Saft,

Durch ſo geſchlungner Roͤhren Klumpen,

Aus Elementen gleichſam pumpen,

Aus Waſſer, Luft und Erde ſaugen.

Durch deine maͤchtige Befehle,

Erweckt des Fruͤhlings Licht der Luft und Erden Seele,

Die ſtarren Saͤfte, daß ſie gaͤhren,

Und alles, was die Erde ziert,

Und uns ſo Nutz als Luſt gebiert,

Laub, Blumen, Kraut und Fruͤchte naͤhren.

Es ruͤhmt denn mein erquickt Gemuͤthe,

Jn der bebluͤhmten Erden Pracht,

Die Weisheit und die Wundermacht,

Sammt deiner vaͤterlichen Guͤte,

Herr! der du ſie hervorgebracht.


Der
[59]Der durch Gott gezierte Luftkreis.

Der
durch Gott, ſo wohl, als die Erde,
gezierte Luftkreis.


Jch ſahe juͤngſt, zur Fruͤhlingszeit,

Nicht nur mit vieler Lieblichkeit,

Des Erdreichs flache Schooß gezieret;

Jch ſah von ihr die gruͤne Pracht,

Womit ſie alles lieblich macht,

Hoch in der Luft empor gefuͤhret.

Jch ſah der Baͤume Wipfel praͤchtig,

Von gruͤnem Laub und Bluͤhte traͤchtig,

Es war die Luft nicht minder ſchoͤn,

Als wie das Land, ſelbſt anzuſehn.

Jch dachte dieſer Augenluſt,

Mit innrer Regung meiner Bruſt,

Woher ſie doch wohl komme, nach,

So daß ich bey mir ſelber ſprach:

Jſt dieſes unſrer Erden Kraft,

Die den ſonſt leeren Luftkreis ſchmuͤcket?

Jſt es des Samens Eigenſchaft,

Der ſeinen Trieb ſo ferne ſchicket?

Wie? oder ſteckt es in dem Saft

Des Waſſers, der ſich aufwerts druͤcket?

Doch es ſey endlich, was es ſey,

So bleibet es dennoch dabey,

Da alle Dinge, die ſo ſchoͤn,
Jn
[60]Der durch Gott gezierte Luftkreis.
Jn ungeſtoͤhrter Ordnung gehn,

Und in den Werken, die geſchehn,

Ein heller Weisheitsſtral zu ſehn,

Daß Gott dem Werkzeug, das es treibet,

Die Kraͤfte dazu einverleibet.

Durch Gott iſt das, was leicht iſt, leicht,

Das Feuer heiß, das Waſſer feucht,

Das Schoͤne ſchoͤn, das Schwere ſchwer.

Nun ihm allein ſey Preis und Ehr!


Die
[61]Die Roſe.

Die Roſe.


Fabel.


Wie ein kleiner Roſenknopf immer bliebe, wie er war,

Und ſich krumm zuſammen zog, ſprach der andern Roſen
Schaar:

„Oeffneſt du, geliebte Schweſter, bey dem warmen Sonnenlicht,

„Bey der ſanften Fruͤhlingsluft, bey dem angenehmen Wetter,

„Aus dem noch geſchloßnen Knopf, deine friſch- und holden Blaͤtter

„Auch ſo, wie wir andern, nicht?

„Willſt du dich nicht auch entſchlieſſen,

„Und des holden Sonnenlichts

„Auch nicht ſo, wie wir, genießen?

„Soll von deinem Balſam nichts

„Jn die lauen Luͤfte flieſſen?

Nein. Weil unſre Zeit ſo kurz, ſo vergaͤnglich ſchnell und fluͤchtig,

Alles, was ich um mich ſeh, eitel, wandelbar und nichtig;

Jſt es nicht der Muͤhe werth, daß ich mich eroͤffne, bluͤhe,

Daß ich warme Sonnenſtralen in mich ziehe,

Daß ich mich daran ergetze, daß mich ſchoͤne Farben ſchmuͤcken,

Daß ich, andere zu reizen, faͤhig bin, und zu erquicken.

Da ich kaum drey Tage waͤhre, und ſo bald verwelken muß:

So iſt dieß mein feſter Schluß:

Jch will lieber nichts genießen, da ich nicht beſtaͤndig bleiben

Und nicht laͤnger dauren kann, als die mir beſtimmte Zeit

Mich vergnuͤgen, andern nuͤtzen; es iſt alles Eitelkeit.

Wenn ein Roſenknopf ſo ſpraͤche, und verwelkt’ unaufgebrochen,

Haͤtte ſolcher wohl gethan, und nach ſeiner Pflicht geſprochen?

Eben ſo hat keiner recht, viel von Aenderung zu ſagen,

Und, mit einem bittern Murren, uͤber Eitelkeit zu klagen.
Es
[62]Die Roſe.
Es heißt eitel, was vergaͤnglich, wandelbar, veraͤnderlich.

Aber iſt denn dieß was boͤſes? Nein. Wenn wir es recht
betrachten,

Und auf das, was in der Welt, ſich veraͤndert, redlich achten,

Und vernuͤnftig uͤberlegen, zeiget, in der Aendrung, ſich

Eine Weisheit, welche man

Nimmer gnug bewundern kann.

Waͤren auf dem Erdenkreis alle Ding unwandelbar;

Aenderte ſich nichts bey uns, weder Tage, Zeit noch Jahr;

Wuͤrden wir, und wenn auch gleich alles, im bebluͤhmten Lenzen,

Sonder Wechſel, herrlich bluͤhn, lieblich prangen ſollt, u. glaͤnzen,

Dennoch nicht vergnuͤget ſeyn, auf der noch ſo ſchoͤnen Erden.

Durch ein traͤges Einerley, wuͤrd uns alles widrig werden.

Warum will man uͤberall, mit betruͤbtem Murren, klagen:

Daß ſo wir, als alles eitel? Kann die Ordnung ſtraͤflich ſeyn,

Die der weiſe Gott geſetzt? Ja wodurch wir ſelbſt entſtanden?

Denn, wenn alles unvergaͤnglich, wird von allem, was vorhanden,

Wirklich nichts vorhanden ſeyn. Haͤtten wohl, weñ nichts verginge

So viel Millionen Menſchen, Millionen andre Dinge

Kommen und entſtehen koͤnnen?

Wer dieß tadeln will, muß wiſſen,

Daß er ſelber auf der Welt auch nicht haͤtte kommen muͤſſen,

Auch nicht haͤtte kommen koͤnnen, wenn nicht andre ſeines gleichen,

Nach der Ordnung der Natur, ihm erſt haͤtten muͤſſen weichen.

Mit dem regen Fluß der Zeit, laßt uns denn gelaſſen fließen,

Aller uns erlaubten Luͤſte, mit Bedachtſamkeit, genießen.

Dem, der ſie uns goͤnnet, danken, ſelbſt vergnuͤget, uns beſtreben,

Andern, zur Vergnuͤglichkeit, auch Gelegenheit zu geben.

Daß, ſo viel an uns, auf Erden,

Gott von uns, von andern auch, froͤlich mag geprieſen werden.


Fruͤ-
[63]Fruͤhes Blumen-Geſchenke.

Fruͤhes
Blumen-Geſchenke.


Jch ward, zur fruͤhen Fruͤhlingszeit,

Und zwar im Merzen allbereit,

Mit einem Blumenſchatz erfreut,

Den, in faſt uͤberirdſcher Zier,

Womit ihn die Natur geſchmuͤckt,

Mein einſt geweſner Gaͤrtner mir,

Von Hamburg aus, hieher geſchickt.

Jch kunnte, mit vergnuͤgten Freuden,

Mein Aug an ſolchen Farben weiden,

Die man ſo fvuͤh faſt nirgend ſieht.

Terzetten, Roſen, Judenkirſchen,

Die Oſterblume, nebſt der Bluͤht,

Von Pfeffer, Apricoſen, Pfirſchen,

Die Hyacinth, die Primula,

Die Anemon, Hepatica,

Violen, Crocos, Oſterblume,

Sah ich, in ihrer fruͤhen Pracht,

Zu ihres großen Schoͤpfers Ruhme,

Zum Preiſe des, der ſie gemacht,

Mit unausdruͤcklichem Vergnuͤgen,

Jn einem bunten Haufen liegen.

Es lief mein Blick daruͤber her,

Bald in die Laͤng, bald in die Quehr,
Jch
[64]Fruͤhes Blumen-Geſchenke.
Jch waͤhlt, ich nahm, ich roch, ich ſah,

Jch ſtellte ſie bald fern, bald nah,

Sah ſie bald einzeln, bald zuſammen,

Jhr Schein, ihr Glanz war wunderſchoͤn

Und faſt nicht anders anzuſehn,

Als waͤrens bunt gefaͤrbte Flammen,

Jhr ſuͤß-gemiſchtes lieblich Licht,

Als ſo viel farbenreiche Kerzen,

Drang mir, durch mein geruͤhrt Geſicht,

Und der Geruch zugleich, zum Herzen.

Und endlich ließ ich ſie, der laͤngern Dauer wegen,

Jn eine flache Schuͤſſel legen,

Mit kuͤhlem Waſſer angefuͤllt.

Jch ſahe ſie zum oͤftern an,

Und dachte froͤlich dann und wann:

„Mein Gott! fuͤr dieſer Blumen Zier,

„Verehr ich dich, und danke dir.


Mor-
[65]Morgen-Gedanken im Fruͤhling.

Morgen-Gedanken
im Fruͤhling.


Herr, mein Gott! was muß ich ſehn!

Herr, mein Gott! wie wunderſchoͤn

Jſt, nach itzt verſchwundner Nacht,

Des bebluͤhmten Fruͤhlings Pracht!

Alles glaͤnzet, alles bluͤhet,

Alles funkelt, alles gluͤhet,

Jn der Sonnen Lebens-Stral;

Felder, Waͤlder, Berg, und Thal,

Schimmern, in gefaͤrbten Flammen,

Alles dieß zeigt mir zuſammen,

Daß die Wunder allzumal

Bloß aus dir, o Sonne, ſtammen:

Doch auch dieß; der Sonnenſchein

Stamme bloß aus Gott, allein.


Br.VI.Th. ESin-
[66]Sinnen-Luſt im Lenzen.

Sinnen-Luſt
im Lenzen.


Jetzt ſieht man hoher Berge Gipfel,

Man ſieht der Baͤume runde Wipfel,

Zuſamt dem Ufer, ſich bekraͤnzen,

Und, durch den holden Wiederſchein,

Die Fluthen, die ſo klar, ſo rein,

Jn einem gruͤnen Schimmer, glaͤnzen.

Man ſieht bewundernd uͤberall,

Aus dunkler Erden, Blumen quillen.

Man hoͤret, wie vom ſuͤſſen Schall

Der Voͤgel, ſich die Luͤfte fuͤllen,

Vermiſchet mit der feuchten Froͤſche

Wreckeckeckechſendem Gewaͤſche.

Man fuͤhlt, durch lauer Winde Schmeicheln,

Geſicht und Haͤnde lieblich ſtreicheln;

Man fuͤhlet, wie ſelbſt unſerm Blut

Jhr lindes Hauchen ſanfte thut.

Man riecht den ausgedampften Duft

Der Blumen, in der lauen Luft.

Er ſtaͤrket und erfriſcht die Lunge,

Durch die geſunde Lieblichkeit.

Die angenehme Fruͤhlingszeit

Erquickt zugleich uns, durch die Zunge;
Man
[67]Sinnen-Luſt im Lenzen.
Man ſchmeckt ſchon mancherley Gerichte

Von Kraͤutern, Baͤum- und Gartenfruͤchte.

Und kurz; durch aller Sinnen Thuͤren,

Kann jeder itzt Vergnuͤgen ſpuͤren.

So laßt, durch ſolch ein Wunder-Heer,

Auch dem, der alles ſchuf, zur Ehr,

Die ungeruͤhrten Seelen ruͤhren,

Und uns zum Denken mehr und mehr,

Zum Loben und zum Danken fuͤhren!


E 2Er-
[68]Erbauliche Gedanken bey den Blumen.

Erbauliche Gedanken
bey den Blumen.


Jn dieſer Blumen holden Bluͤhte,

Jn ihrer Form und Farben Pracht,

Erkenn ich deſſen Wunder-Macht,

Beſing ich deſſen weiſe Guͤte,

Der ſie, fuͤr mich, hervorgebracht.

Ach! nimm in ihnen, mein Gemuͤthe!

Mit Luſt und Dank und mit Bedacht,

Des Schoͤpfers Weisheit, Macht und Guͤte,

Die ſie uns zeigen, oft in Acht.


Schoͤn-
[69]Schoͤnheit eines Gefildes mit Korn.

Schoͤnheit
Eines Gefildes mit Korn nebſt
genauer Betrachtung der Aehren.


Wir koͤnnen fuͤr ſo viele Gaben,

Die wir von Gott empfangen haben,

Als Menſchen, ihm nichts anders ſchenken,

Als unſer Beſtes, unſer Denken,

Durch welches wir ja bloß allein

Von Thieren unterſchieden ſeyn.

Doch muͤſſen wir, nach unſern Pflichten,

Solch Denken ſuchen einzurichten.

Es muͤſſen nemlich unſre Seelen

Zum Vorwurf ihres Denkens waͤhlen,

Nicht ſich (wie meiſt geſchicht) ſo ſehr,

Als, wie des wahren Gottes Ehr

Sich auf das herrlichſte vermehr.

Es ſcheint das noͤthigſte Geſchaͤffte

Unwiderſprechlich, alle Kraͤfte,

Von unſern Sinnen und dem Denken,

Zufoͤrderſt auf den Zweck zu lenken,

Die herrlichen Vollkommenheiten

Der Schoͤpfung froͤlich auszubreiten,

Und ein durch ſie vergnuͤgtes Leben

Dem Schoͤpfer, zum Geſchenk, zu geben.

Dieß einzige ſcheint mir allein,

Ein reicher Gottesdienſt zu ſeyn.

Jch will denn itzt mein Auge lenken,

Auf einen ſchoͤnen Theil der Welt,

E 3Und
[70]Schoͤnheit eines Gefildes mit Korn,
Und ein mit Aehren traͤchtig Feld

Beſehen, und dabey bedenken,

Wie alles, was wir darauf ſehn,

Nicht nur ſo nuͤtzlich iſt, als ſchoͤn,

Und einen großen Meiſter weiſet;

Wie alles ſeinen Schoͤpfer preiſet.

Es iſt nunmehr die ſchoͤne Zeit,

Da, wie, in warmer Heiterkeit,

Die helle Fruͤhlings-Sonne gluͤhet,

Und man die Aeren ſchieſſen ſiehet.

Wann nun der Schoͤpfer in die Saat,

Jn uns ernaͤhrendes Getreyde,

So Nahrung, Schoͤnheit, Nutz, als Freude,

Geſenkt und uns geſchenket hat:

So laßt uns, unſerm Gott zu Ehren,

Jn der anjetzt ſo ſchoͤnen Welt,

Auf ein bald bluͤhend Aehren-Feld,

Die Augen und das Denken kehren!

Erſt, wie das ganze Feld ſo ſchoͤn,

Dann einer Aehren Bau, beſehn!

Jn beyden uns des Schoͤpfers freuen;

Jn beyden Luſt und Dank erneuen;

Jn beyden Gottes Ruhm erhoͤhn!

Wenn wir, in der Fruͤhlingszeit, einſam durchs Getreyde gehen,

Und darin der flachen Felder beſt und ſchoͤnſte Zierde ſehen:

Sieht man, in der gruͤnen Schoͤnheit, worin unſre Blicke
ſchwimmen,

Durch den hellen Sonnenſtral, recht ein gruͤnlich Feuer glimmen.

Dieſes Gruͤn ſcheint allgemein

Und beſchaut mans oben hin, bloß nur einerley zu ſeyn.

Aber wenn man es betrachtet,

Und, mit mehrerem Bedacht, auf die Quell der Schoͤnheit achtet,

Die
[71]nebſt genauer Betrachtung der Aehren.
Die das Herz durchs Aug ergetzet, wird man bald darin gewahr,

Wie, durchs helle Sonnenlicht, es bald mehr, bald minder klar,

An verſchiednen Stellen iſt. Mehr und minder ſchoͤn gemalet

Sind die Blaͤtter, wenn das Licht an ſie, oder durch ſie ſtralet.

Erſtre laſſen Silber-gruͤn; letztere nicht minder ſchoͤn,

Durch das ſchon gefaͤrbte Licht, faſt ein guͤldnes Gruͤn uns ſehn.

Da denn ein, mit guͤldnen Faͤden, durchgewirktes Stuͤcke Sammt

Kaum in einem holdern Glanz, kaum in ſchoͤnerm Gruͤnen flammt.

Wann zu ſolcher Zeit im Korn, das wie gruͤne Waͤnde ſtehet,

Man bedachtſam reitet, faͤhrt, oder aus ſpatziren gehet:

Wird von uns, an einer Seite, da das guͤldne Sonnenlicht,

Durch der gruͤnen Halm und Blaͤtter zart Gewebe, ſtralt u. bricht,

Wie ein Gruͤn, mit Gold gemiſcht, des Gefildes Flaͤche ſchmuͤcket,

Und zur andern, Gruͤn und Silber, im gemiſchten Glanz, er-
blicket;

Weil das Licht, nicht durch die Blaͤtter, ſondern an dieſelben
ſtralt.

Hier ſcheint alles Gruͤn und Silber, dorten Gruͤn und Gold
gemalt.
Wie lieblich wallſt du hin und her,
Dem Schoͤpfer der Natur zur Ehr,
Du ſanft bewegtes Aehren-Meer!
Du ſpielſt gelinde hin und wieder;
Du hebſt und ſenkſt dich auf und nieder,
Und wirſt dadurch vom Segen ſchwer.

Wenn zumal die dichten Aehren etwan auf erhabnen Hoͤhen,

Gegen die verklaͤrte Luft, als auf hellem Grunde, ſtehen:

Siud ſie, zwar wie Heeresſpitzen, doch nicht ſchrecklich, anzuſehen.

Das auf ungezaͤhlte Arten hier gebrochne Sonnenlicht,

Ruͤhret billig, Gott zu Ehren, unſre Geiſter, durchs Geſicht.

Jn der jungen Aehren Spitzen, zeigt ſich noch ein andrer Schein,

E 4Denn
[72]Schoͤnheit eines Gefildes mit Korn,
Denn es ſenket ſich das Licht,

Das ſich durch die Blaͤtter bricht,

Jn den purpurfarbnen Spitzen, ohne Ruͤckſchlag, tief hinein,

Und erzeuget dadurch oben eine ſanfte Dunkelheit,

Aber die auch, wenn ſie wallen, durch ein Weiß, das Aug
erfreut.

Oefters ſieht man auf den Aehren, wenn die Luft mit ihnen
ſpielet,

Wie bald gruͤn, bald weiß, bald purpur, lieblich durch einander
wuͤhlet.

Bald im Licht, und bald im Schatten, ſcheint der Aehren re-
ges Heer,

Und, voll nimmer ſtillen Wellen, ein licht-gruͤnlich wallend
Meer

Sehr natuͤrlich vorzuſtellen. Wenn der Aehren Purpur ſinket:

Sieht man, wie, auf gruͤnen Halmen, ein hell gruͤner Schimmer
hlinket.

Durch dieß liebliche Gemiſch, da gelb, gruͤn und weiß ſich gatten,

Bald mit wandelbarem Glanz, bald mit wandelbarem Schatten,

Die ſich unaufhoͤrlich aͤndern, bald ſich trennen, bald ſich fuͤgen,

Ruͤhrt den Geiſt, durch unſer Aug, ein empfindliches Vergnuͤgen.

Dieſes waren die Gedanken, die der Felder gruͤne Schein

Mir, durch ihren Schmuck, erregte: Aber dacht ich, ſoll der Bau

Des uns naͤhrenden Getreydes, welches ich von weiten ſchau,

Auch nicht billig in der Naͤhe, Gott zum Ruhm, beſchauet ſeyn?

Rupfte drauf verſchiedne aus, die vor andern aufrecht ſtunden,

Worin viele Seltenheiten, mehr als man gedenkt, ſich funden.

Die ich zwar ſchon einſt beſchrieben,

Aber mit Verwundrung finde, daß noch vieles uͤberblieben,

Die, in dem Bewundrungs-werthen, nett-formirten Bau der
Aehren,

Wenn ein Geiſt ſie recht beſieht, unſers Gottes Ruhm vermehren.

Es
[73]nebſt genauer Betrachtung der Aeren.
Es beſtehet, an der Aehre, die ſo zierliche Structur

Bloß aus einerley Gehaͤuſe, einer netten Huͤlſe, nur,

Die, wo ſich der obre Theil ihres Halms gemaͤhlich ſpitzet,

Als ein eigenes Gewaͤchs, in ſo netter Ordnung ſitzet,

Daß es nett die eine Seite von der Aehren Bau beſchlaͤgt,

Da die andre Seite gleichfalls eine ſolche Huͤlſe traͤgt,

Die ein wenig hoͤher ſitzet; dieß geht wechſelsweiſe fort,

Bis zu ihres Halmes Spitze, an dem allerhoͤchſten Ort.

Dieß Gehaͤuſ iſt ſonderlich, und bewunderns-werth formirt.

Es beſtehet aus zwey Theilen, die ſich unterwerts vereinen,

Und, weñ ſie ſich etwan oͤffnen, gleichſam Tulpen-foͤrmig ſcheinen.

Unten iſts, an beyden Seiten, mit zwey Zaͤſerchen geziert,

Welche purpurfaͤrbig ſind; und da ſie, zu beyden Seiten,

Recht der Aehren Mitte treffen, wird ein ſchoͤner rother Strich,

Durch dieſelbigen, formiret, welcher mit dem Gruͤnen ſich

Gleichſam einzuflechten ſcheinet, und, ſo lang die Aehre gruͤn,

Jhr ein lieblich Anſehn giebt. Von der aͤuſſern Huͤlſen Ecken,

Die von auſſen hart und rauch, da die innre Seite platt,

Und, wo ſie am Haͤlmchen ſitzet, faſt durchſichtig, weich und glatt)

Sieht man, ſich ein gruͤnes Staͤnglein voller zarten Spitzen
ſtrecken,

Welche fuͤhlbar zwar genug, aber kaum zu ſehen ſeyn.

Jede von den aͤuſſern Huͤlſen ſchließt ein’ ander’ in ſich ein,

Welche weichlicher und zarter, die die Bluͤhten in ſich heget,

Deren ſechs, da jede drey wohl verwahret in ſich traͤget.

Welche drey ein Korn erzielen, wie ich es nachher geſehn,

Daß auf einem jeden Korn allemal drey Bluͤhten ſtehn.

Dieſe wachſen, bis dieſelben ihr Gehaͤuſe ganz erfuͤllen,

Dann aus ſeiner offnen Seiten dringen, ploͤtzlich ſich enthuͤllen,

Und aus ihrem Sitze fallen, da ſie, an ſehr zarten Stielen,

Lange Zeit noch haͤngen bleiben, und beweglich ſchwebend
ſpielen.

E 5Aber
[74]Schoͤnheit eines Gefildes mit Korn,
Aber recht indem dieſelben aus dem Schooß der Huͤlſe fallen,

Siehet man, nicht ohn Erſtaunen, etwas ſonderlichs an allen;

Daß ſie nemlich einen Staub, den ſie in zwo Roͤhren faſſen,

Die an beyden Seiten liegen, ſichtbar von ſich fallen laſſen.

Jede Bluͤht hat ſo viel Staub, daß man es nicht leicht be-
greift,

Wie ſich eine ſolche Menge an ſo kleinem Ort gehaͤuft.

Aus der Bluͤht und Aehren Menge koͤnnen wir nun leicht-
lich ſehn,

Daß, ſo weit man ſehen kann, rechte Nebelduͤft entſtehn,

Und die Felder fuͤllen muͤſſen, ſo das Landvolk ſtuͤhmen nennt.

Und es, wenn das Wetter gut, als ein gutes Zeichen kennt.

Alles ſcheint, zu ſolcher Zeit, an der Aehre ſich zu regen,

Und, wie ichs bey Licht einſt ſah, durch die Waͤrm ſich zu
bewegen,

Da ſo Bluͤht als Staub zugleich, als durch innerlichen Drang,

Und, als wenn es alles lebte, ſichtlich aus der Huͤlſe ſprang.

Ehe nun die Aehre bluͤhet, wird man, als ein duͤnnes Haar,

Recht in beyder Huͤlſen Mitten, eines kleinen Stiels gewahr,

Deſſen Nutzen ich nicht wußte, bis ich es nachher entdecket,

Daß ſich dieſes kleine Stielchen ploͤtzlich in die Hoͤhe ſtrecket,

Und zu einer Huͤlſe wird, welche noch drey Bluͤhten traͤgt.

Dieſe ſcheint, o großes Wunder! wenn man es genau erwegt,

Mit beſonders weiſer Abſicht, von dem Schoͤpfer ſo formirt,

Daß, wenn etwan eine Wittrung wo der erſten Bluͤht der Aehre,

Durch die Rauhigkeit, zuwider, oder ſonſten ſchaͤdlich waͤre,

Letztere, da ſie ſich ſpaͤter mit der Bluͤht empor gefuͤhrt,

Doch noch Fruͤchte tragen koͤnnte, das denn, in dem Korn zumal,

So die Armuth ſpeiſen muß, einen holden hellen Stral

Einer weiſen Lieb und Vorſicht uns recht uͤberzeuglich weiſet,

Welcher wuͤrdig, daß man innigſt unſern Schoͤpfer davor
preiſet.

Wann
[75]nebſt genauer Betrachtung der Aehren.
Wann ich nun nachher des Weizens meiſtens ſo formirte
Aehre,

Ob vielleicht ein Unterſcheid, der darin beſonders waͤre,

Ebenfalls mit Fleiß beſehn: Fand ich die Gehaͤuſe ſitzen,

Eben faſt, als bey dem Rocken, auſſer daß ſie keine Spitzen,

Wie der Gerſt und Rocken, haben. Eine zierliche Figur

Zeigen ſie, da in der Mitten ſie ſich allgemach erhoͤhn,

Und, gleich einer gruͤnen Blumen, mit getheilten Blaͤttern ſtehn.

Jn derſelben ſind zwoͤlf Huͤlſen, da man in dem Rocken nur

Solcher Huͤlſen ſechs erblickt; achtzehn Bluͤhten, da nur neun

Jn dem Rocken, und ſechs Koͤrner, da im Rocken drey nur ſeyn.

Nun iſt noͤthig, daß wir hier, von des Schoͤpfers Wunder-
werken,

Einen ganz beſondern Ausbruch in der Frucht Vermehrung
merken.

Nur in einer Weizen Aehre, ſo daß keins daran gefehlt,

Hab ich hundert funfzig Koͤrner, mit Verwunderung, gezaͤhlt,

Und aus dieſer Aehren Wurzel, waren ſieben andre Stangen,

Nebſt der einen, folglich acht auf einmal, hervor gegangen,

Dieſe geben nun zwoͤlf hundert. Saͤete man nun dieſe Zahl;

Koͤnnten ſchon im andern Jahr eine Million, und ferner

Vier und vierzig hundert tauſend vollenkommne Weizenkoͤrner,

Davon eingeerndtet werden. Welche reiche Fruchtbarkeit

Hat das einzge Wort des Schoͤpfers, das die Frucht gebenedeyt,

Jn das liebe Korn geleget, und dem Samen eingeſenket!

Wer erſtaunt nicht, der dieß Wunder, recht betrachtend, uͤber-
denket!

Und doch hat des Schoͤpfers Segen, obs gleich aus der Maſ-
ſen viel,

Wie ein jeder wird geſtehen, hier noch lange nicht ſein Ziel,

Da ich nemlich auf einmal einen Rockenbuſch gefunden,

Woran, bloß aus einer Wurzel, fuͤnf und ſiebzig Halmen ſtunden.

Hier
[76]Schoͤnheit eines Gefildes mit Korn.
Hier erſchrickſt du, liebſter Leſer, und mit Recht, ja glaubſt es
kaum.

Aber wie? wenn ich dir zeigte, daß ſolch Wunder tauſendmal

Von dir ſey geſehen worden, ſonder daß dein Augenſtral

Es beachtet und bewundert? Zeiget dir nicht jeder Baum

Einen Halm in jedem Zweig, der dir Bluͤht und Fruͤchte bringet,

Eben ſo, wie Halm und Aehre? Anders iſt kein Unterſcheid,

Als das jeder Halm im Korn, aus der Wurzel ſelbſt entſpringet,

Da der Zweig nur mittelbar, durch den Stamm, hervor ſich
dringet,

Und doch aus der Wurzel ſtammt. Liebſte Menſchen! ach er-
weget,

Welch ein Macht- und Weisheit-Wunder in den Pflanzen, uns
zu naͤhren,

Der, der alles ſchuf und ſchafft, durch ſein Segenswort, geleget.

Ach eroͤffnet doch die Augen, eine Gottheit zu verehren,

Die ihr undurchdringlich Licht, das der Himmel Himmel fuͤllt,

Zu der Creaturen Beſten, in die Creatur verhuͤllt.

Preiſet ihn, ſpannt alle Kraͤfte der vernuͤnftgen

Seelen an,
Sehet, fuͤhlet, riechet, ſchmeckt, hoͤrt, bewundert,
uͤberleget,
Denkt, vergleicht, erſtaunt fuͤr Andacht, wenn ihr
Ehrfurchts-voll erweget,
Bey den irdſchen Wundertropfen, die man nicht
begreifen kann,
Was das tiefe Meer der Gottheit ſelber wohl vor
Wunder heget.


Beym
[77]Beym Pfluͤgen.

Beym Pfluͤgen.


Seh ich den regen Pflug, auf dunklem Grunde, ziehn:

Scheint mir der Ackersmann, ſich gleichſam zu bemuͤhn,

Der milden Mutter dunkles Kleid,

Mit einer neuen Zierlichkeit,

Und in der That mit ſchoͤnen gruͤnen Schnuͤren,

Jn der geraden Furchen Strichen, durch die bald gruͤne Saat,
zu zieren.

Die gruͤnen Schnuͤre werden endlich, durch den recht guͤldnen
Stral der Sonnen,

Mit Golde gleichſam uͤberſponnen,

Wodurch ein guͤldnes Tuch zuletzt die Mutter ſchmuͤckt,

Bis endlich, wenn der Schmuck der Erden,

Jn unſre Scheunen eingefuͤhrt,

Die Koͤrner, die vorhin das Feld geziert,

Fuͤr uns zu wirklichem und wahrem Golde werden.


Nutz
[78]Nuͤtzliche Blumen-Betrachtung.

Nuͤtzliche Blumen-Betrachtung,
nach Anleitung des Spectacle de la Nature.


Wo koͤmmt es her,

Wenn wir ein Gartenſtuͤck, das bunte Blumen ſchmuͤcken,

Von ungefehr

Und unverhofft erblicken;

Daß uns, auch wenn man nicht daran gedenket,

Ein’ Art von Luſt, durchs Aug, ins Herz ſich ſenket?

Daß ein geſchwindes Anmuths-Bild,

Wenn auch der Kopf von Schwermuths-Dunſt erfuͤllt,

Als wie ein kurzer Blitz, uns ruͤhret,

Und man den Schimmer, der ſie zieret,

Als wie ein ſchnelles Licht verſpuͤret,

Das uns ergetzet und durchdringt,

Und ein geheim Vergnuͤgen bringt?

Was noch abſonderlich von Gottes weiſen Werken,

Jn Blumen, zu bemerken,

Jſt, daß ſie allezeit,

Von Samen und der Fruchtbarkeit,

Unfehlbare Behaͤlter ſeyn.

Wo keine Blumen ſtehn,

Wird man auch nimmer Fruͤchte ſehn.

Da, wenn der Same reift, die Blumen bald vergehn:

So ſcheinet klar daraus zu flieſſen,

Daß ſie, zum Nahrungsſaft dem Samen dienen muͤſſen,

Man kann demnach mit Recht von Blumen ſagen,

Daß ſie, nicht nur das Aug uns zu erfreuen,
Nein
[79]Nuͤtzliche Blumen-Betrachtung.
Nein, daß durch ſie die Pflanzen Samen tragen,

Und alle Jahre ſich erneuen,

So, daß ſie uns, mit ihren bunten Schaͤtzen,

Auf einmal nuͤtzen und ergetzen.

Es ſcheinet ein geheim Vergnuͤgen

Jn unſrer Bruſt verſteckt,

So uns ſelbſt nicht bekannt, zu liegen,

Das, durch der Blumen Glanz, erweckt,

Und angefachet wird, das aber bald verlodert,

Wenn der Betrachtung Weihrauch nicht,

Den dieſe ſchoͤne Gluht zur Nahrung fodert,

Jhr zugereichet wird, und ihr gebricht.

Es ſcheint der Blumen holde Pracht,

Fuͤr uns, und bloß allein gemacht,

Jndem ſie, bey den Thieren,

So wenig den Geruch, als ihre Blicke, ruͤhren;

Sie werden anders nicht, als wie das Gras und Kraut,

Von ihnen angeſchaut;

Sie treten ſie mit Fuͤſſen. Uns allein

Scheint ihre Zier zu gut gemacht zu ſeyn.

Es haͤtte die Unſterblichkeit den Pflanzen koͤnnen eingefloͤßt

Und ihnen mitgetheilet werden,

Ohn alle Zierlichkeit in Formen, von aller Farben Glanz entbloͤßt,

Als wie den Wurzeln in der Erden.

So aber zeigt ſich klar: Die Wunderhand

Des Weſens, welcher ſie gefaͤrbet und formiret,

Hab, uns zu gut, daran ſo viele Kunſt verwandt,

Und ſie, nur bloß fuͤr uns, ſo ſchoͤn gezieret,

Zum ſchoͤnſten Vorwurf unſern Blicken,

Um unſern Aufenthalt mit ihnen auszuſchmuͤcken.

Ver-
[80]Nuͤtzliche Blumen-Betrachtung.
Verſchiedne Blumen findet man,

Worin man ſonſt nichts merken kann,

Als daß ſie, bloß zu unſern Freuden,

So angenehm und bunt ſich kleiden;

Jnzwiſchen daß von andern, ihr Gepraͤnge,

Und bunter Schmuck, uns Fruͤcht in großer Menge,

(Zu einem unfehlbaren Zeichen,

Daß ſie fuͤr uns erſchaffen) reichen.

Sie zeigen beyd, in ihrer Nettigkeit,

Und niedlicher Vollkommenheit,

(Wobey ſie den Geruch dazu noch zollen)

Daß ſie, nur uns, gefallen wollen.

Es faͤllt uns ſchwer, vollkommen zu begreifen,

Wie weit des Schoͤpfers Vorſicht geht,

Jn Blumen, unſre Luſt zu haͤufen,

Wie ſehr derſelben Farb und Zahl

Deſſelben weiſe Lieb erhoͤht.

Der Blumen Menge ſcheint zumal

Ein wirklich Wunderwerk; ſie ſcheinen, ſeinen Willen,

Der lauter Liebe, zu erfuͤllen,

Faſt unter unſerm Fuß hervor zu quillen.

Wir ſehen ihre ſchoͤne Spur,

An allen Orten faſt in der Natur;

Wir ſehen ſie auf hohen Baͤumen,

Und auch auf niedern Kraͤutern keimen.

Sie ſind auf Bergen, in den Gruͤnden,

An feuchten Baͤchen, und auf Feldern,

Auf Heyden, in den dunklen Waͤldern,

Ja ſelber in der Fluth zu finden.

Noch mehr; ſo gar in duͤrren Wuͤſteneyen

Hat man ſich ihrer zu erfreuen.
Und
[81]Nuͤtzliche Blumen-Betrachtung.
Und kurz, die Erde ſcheint, von Blumen mancher Arten,

Faſt uͤberall ein Blumengarten.

Ja, daß ſie uns an keinem Orte fehlen,

Auch wenn wir uns in unſre Haͤuſer ſchlieſſen:

So ſcheinen ſie bey uns am ſchoͤnſten zu entſprieſſen,

Und unſre Gaͤrten recht zu ihrem Thron zu waͤhlen.

Es iſt unwiderſprechlich wahr,

Daß ihre bunt gefaͤrbte Schaar,

Jn uns ein Anmuths-Feur erreget,

Und recht zu ſuͤſſer Luſt beweget.

Dieß iſt ſo wahr, daß alle Kuͤnſte ſie,

Jhr kuͤnſtlich Werk recht auszuzieren,

Auch mit der allergroͤßten Muͤh!

Gebrauchen, und bald dort, bald hie,

Mit Blumen, Bau- und Malwerk ausſtaffiren.

Auch auf den ſchoͤnſten Broderien,

Dem allerreichſten Stoff, auf Drap d’argent, Drap d’or,

Sieht man der Blumen bunten Flor,

Jn nachgeahmten Zuͤgen, bluͤhen,

Und werden die, an Vollenkommenheit,

Fuͤr die vortrefflichſten genommen,

Die an der Blumen Aehnlichkeit

Am allernaͤchſten kommen.

Die Blumen ſind, zu allen Zeiten,

Ein Sinnbild holder Froͤlichkeiten,

Ein Zeichen froher Luſt, geweſen.

Man hat derſelben holdes Schimmern

Zum Ausputz in den Hochzeitzimmern,

Zu Freudenfeyern ſtets erleſen.
Br.VI.Th. FWie
[82]Nuͤtzliche Blumen-Betrachtung.
Wie wir denn noch, zur Anmuth unſern Blicken,

Mit Blumen, unſern Nachtiſch ſchmuͤcken.

Es ſcheinet ihre bunte Pracht

So ſehr zur Froͤlichkeit allein gemacht,

Daß wir, bey uns ſo wohl, als bey den Alten,

Bey aller Trauer, ſie fuͤr unanſtaͤndig halten.

Der Wohlſtand, welcher es von der Natur gelernt,

Hat Blumen allezeit von Traur und Gram entfernt.

Auch Koͤniginnen ſelbſt, in ihrer groͤßten Pracht,

Mit Diamant- und Perlen ganz behangen,

Verſchmaͤhen nicht der Blumen Prangen,

Um, bey dem Ausbruch ihrer Macht,

Bey ihren ſchimmernden und ſtralnden Edelſteinen,

Auch liebreich, gnaͤdig, hold und angenehm zu ſcheinen.

Jn Kirchen kann man gar, zu Gottes Ruhme,

(Ach moͤcht es doch nur oͤfter noch geſchehn)

Bey Mayenbaͤumen, manche Blume

Zuweilen lieblich ſpielen ſehn.

Vergehn ſie nun gleich ſchnell: So ſcheinet ihr Vergehen,

Zu dieſem Zweck nur zu geſchehen,

Und daß ſie bloß darum ſo ploͤtzlich ſcheiden,

Durch ihre Daur ſich uns nicht zu verleiden,

Und andern, die ſo bald ſie fort, entſtehn,

Nur aus dem Wege bloß zu gehn.

Der Blumen groͤßte Zahl,

Dem gleichſam anbefohlen ſcheinet,

Der Menſchen Wohnung auszuzieren,

Erſcheinet uns nicht auf einmal,

Zu einer Zeit, zuſammen und vereint;

Die mehreſten von ihnen,
Die
[83]Nuͤtzliche Blumen-Betrachtung.
Die ſcheinen ſich bey uns, bald auf bald abzufuͤhren,

Um, nach einander uns zu dienen.

Es laͤßt, ob haͤtten ſie ſich unter ſich verbunden,

Damit kein Theil von Jahr von ihnen leer,

Noch gaͤnzlich ungeſchmuͤckt gefunden,

Und ſonder alle Blumen waͤr;

Sich gleichſam Ketten-weiſ einander anzufaſſen,

Kein Leeres zwiſchen ſich zu laſſen.

Es pranget nicht nur jede Jahreszeit

Mit Blumen von beſonderm Unterſcheid;

Auch die, ſo mit einander bluͤhen,

Sieht man, ganz unterſchiedlich ſchoͤn,

Jn mancherley Figuren ſtehn,

Jn ganz verſchiednen Farben gluͤhen,

Wodurch ſie, wie die weiſe Kraft

Des großen Meiſters, der ſie ſchafft,

So ungezaͤhlt, ſo mancherley,

Und an Erfindungen ſie lieblich zu formiren,

Auch mit ſo manchem Glanz und Farben ſie zu zieren,

Unendlich, unerſchoͤpflich ſey.

Man ſiehet faſt kein einzig mal,

Jn ihren Zeichnungen, Copien.

Von allen Sorten, welche bluͤhen,

Jſt ieglich ein Original.

Wie lieblich iſt an einigen zu ſpuͤren,

Wie ſanft die Farben ſich in ſich verlieren,

Wie ſuͤß und lieblich ſie ſich allgemaͤchlich ſchwaͤchen,

Wie| unvermerkt gelinde ſie ſich brechen.

Sie ſchmelzen, ſonder Haͤrtigkeit,

Und ſenken ihren zarten Schein

Unſichtbar in einander ein.
F 2Man
[84]Nuͤtzliche Blumen-Betrachtung.
Man ſieht die meiſten mit Vergnuͤgen,

Auf eine nicht zu ſehnde Art,

Sich miſchen, in einander fuͤgen,

Wie jede Nachbarinn ſo angenehm ſich paart

Mit ihrer Nachbarinn.

Jnzwiſchen ſieht man auch, bey vielen, ſchnelle Grenzen,

Die aber doch darum nicht minder ſchoͤn,

Wie ſonderlich bey Tulpen zu erſehn,

Jn wohlgemiſchter Schoͤnheit, glaͤnzen.

Es iſt noch ungewiß, ob Blumen ſchoͤner ſcheinen,

Wann wir ſie einzeln ſehn,

Wie oder wenn ſie ſich vereinen,

Und ihrer viel beyſammen ſtehn.

Es zeiget ſich, in ihrer Menge,

Ein angenehm gemiſcht Gepraͤnge,

Jn welchem alles wohl zuſammen ſtimmet,

Jn welchem nichts dem Augen wehe thut,

Und worin eine ſuͤſſe Gluht,

Jn ſuͤſſem Schimmer, gluͤht und glimmet.

Sieht man dieſelbigen hingegen einzeln an:

So iſt kein’ einzige | von ihnen allen,

Die nicht vor ſich allein gefallen,

Und, durch beſondern Schmuck, ſich gelten machen kann,

Ja die nicht gleichſam, in der That,

Perſoͤnliche Verdienſte hat.

Wenn unſers Schoͤpfers Weisheit Licht,

Jn wunderbaren Stralen ſtralet,

Dadurch daß er der Blumen Kleid,

Mit ungezaͤhltem Unterſcheid,

Von angenehmen Farben, malet;
Wie
[85]Nuͤtzliche Blumen-Betrachtung.
Wie herrlich ſtralt es gleichfalls nicht,

Jn ihrer Formen und Figur

So unterſchiedner Pracht nicht nur,

Auch in derſelbigen Statur,

Und aͤuſſerlichem Anſtand, den er ihnen,

So wunderwuͤrdig dargereicht,

Daß auch darin ſie unterſchieden ſchienen,

Wie denn kein’ einzige der andern gleicht.

Verſchiedne heben ſich vor andern hoch empor,

Ein majeſtaͤtiſch Weſen ſcheint,

Mit ihrem praͤchtigen Gewaͤchs vereint,

Jhr Anſtand bringt ſie mehr, als ihre Hoͤh, hervor.

Wenn andre gegentheils in holder Niedrigkeit,

Sich, gleichſam voller Demuth, neigen,

Und doch nicht weniger Vollkommenheit,

Jn ihrem ſittſamen und ſanften Weſen zeigen.

Was fuͤr ein adlicher und praͤchtger Anſtand ſchmuͤckt,

Die Tulpen, Lilgen, Kaiſerkronen!

Wogegen man, am Fuß von ihren Thronen,

Der niedern Veilchen Zier, nicht minder ſchoͤn, erblickt,

Die nicht allein,

Jn einem purpurfarbnen Schein,

Den Balſamreichen Geiſt, der aus ihr quillet,

Und rings um ſie die Luft erfuͤllet,

Auf eine Art, die nicht begreiflich, huͤllet;

Nein, die ſo zart gewebt, daß aller Sammt ihr weicht,

Und, im Vergleich mit ihr, faſt haͤrnem Tuche gleicht.

Wie ſehr wir die Veraͤndrung lieben,

So ſind die Blumen doch ſo ſchoͤn,

Daß, ob ſie gleich dieſelben ſtets geblieben,

Verlangt man ſie doch anders nicht zu ſehn.
F 3Die
[86]Nuͤtzliche Blumen-Betrachtung.
Die Roſ’ iſt, wie ſie war, vom Anbeginn der Welt,

Und wer iſt, dem nicht noch die Roſe wohlgefaͤllt?

Die menſchlichen Erfindungen vergehn,

Und dauren nicht, weil wir das wahre Weſen

Des Stoffs, und die Beſchaffenheit

Von der Materie nicht kennen, nicht verſtehn.

Der Schoͤpfer zeigt in dem, was er erleſen,

Zur Richtſchnur deſſen, welches ſchoͤn,

Ein’ unveraͤnderlich und feſte Richtigkeit.

Was er gemacht, gefaͤllt uns allezeit.

Man findet uͤberall die Spur,

Daß Er der Herr und Meiſter der Natur,

Daß Er, was Er in ſie geſenket,

Nach Seinem Willen kehrt und lenket.

Der weiche Stoff iſt fertig und bereit,

Des großen Schoͤpfers weiſen Willen,

Ohn allen Widerſtand und Sperren, zu erfuͤllen,

Nimmt alle Formen an, ſo bald er es befiehlt.

Er weis in ihnen zu vereinen,

Beſchaffenheiten, welche ſich

Faſt widerſprechen innerlich,

Und welche nicht vereinbar ſcheinen.

Er weis, des Tiegerthiers und Leuen Blicken

So freche Miſchungen von Zuͤgen einzudruͤcken,

Daß auch die Tapferſten in ihnen Grimm und Schrecken,

Von Furcht erfuͤllt, entdecken.

Wann aber ſeine weiſe Hand,

Aus eben dieſem Stoff, die Blumen will formiren,

Um unſern Blick, durch ihren Schmuck, zu ruͤhren:
Weis
[87]Nuͤtzliche Blumen-Betrachtung.
Weis Er, durch ganz verſchiedenen Verband,

Dieſelben lieblich auszuzieren;

Er weis denſelbigen ſo holde Form zu ſchenken;

Er weis ſo ſuͤſſen Glanz und Reiz darein zu ſenken,

Daß wir, in ihrem ſchoͤnen Kleide,

Von einer angenehmen Freude,

Und Anmuth tauſend Quellen ſpuͤren.

Ja da er, fern von uns, in wuͤſte Waͤlder,

Die ſchreckenden Figuren treibt:

So ſchafft Er, daß auf unſre Felder,

Und naher Gaͤrten Gegenden, der Blumen Schmuck rings um
uns bleibt.

Es ſiehet ſich demnach der Menſch, in ſeinem Leben,

Mit Gegenwuͤrfen rings umgeben,

Die bald in buntem Schmuck und bald im gruͤnen,

Zum Troſt in ſeiner Arbeit dienen,

Und die, mit ihren holden Schaͤtzen,

Ohn ſein Gewiſſen zu verletzen,

Jn lauter Unſchuld, ihn ergetzen.

Die Blumen ſcheinen dergeſtalt beſtimmt, durch ihrer Far-
ben Zier,

Den Erdkreis uͤberall zu ſchmuͤcken, und uns auf ſelben zu
vergnuͤgen;

Daß noch die meiſten, damit uns des Feſtes Schoͤnheit mehr
noch ruͤhr,

Gewuͤrzte Duͤfte von ſich hauchen, aus ihrem bunten Schooſſe
fliegen,

Und in den Luftkreis duͤnſten laſſen. Als wie ein unſichtba-
rer Schwall,

Dampft, aus derſelben ſchoͤnen Koͤrpern, ein edles Raͤuchwerk
uͤberall.
F 4Sie
[88]Nuͤtzliche Blumen-Betrachtung.
Sie ſcheinen ins beſondre noch, die Balſam-Kraͤfte zu beſparen,

Und ſie, am meiſten fuͤr den Morgen, und fuͤr den Abend zu
bewahren,

Zu welcher Zeit die Menſchen nemlich, am haͤufigſten ſpa-
tziren gehn,

Da, weilen wir den Reſt des Tages dieſelben ſelten nur zu ſehn,

Und minder ihnen uns zu naͤhern pflegen,

Sie auch zur ſelben Zeit ſo viel von ihrer Balſam-Kraft nicht
hegen.

Wie? hat der bunten Blumen Zunft,

Um uns ſo ordentlich zu dienen, denn Vernunft?

Wenn die Sonn im Mittag gluͤht,

Und, durch ausgeſpannte Luͤfte,

Die verduͤnnten Blumen-Duͤfte

Kraͤftig in die Hoͤhe zieht;

Da ſie uns ſo ſtark nicht ruͤhren!

Koͤnnen wir ſie minder ſpuͤren.

Und hingegen, wenn ſie ſteigt,

Oder ſich des Abends neigt:

Mehrt, zu unſerem Gebrauch,

Sich der Blumen ſuͤſſer Hauch.

Siehet man der Blumen Flor,

Jn ſo holder Ordnung an:

Koͤmmt es mir von ihnen vor,

Daß man billig ſagen kann,

Wie der Menſch, als Herr der Erde,

Von der Blumen ſchoͤnem Heer,

Koͤniglich bedienet werde;

Da ſie ſich, ihn zu erfreuen,

Nicht auf ſeinen Weg nur ſtreuen,
Son-
[89]Nuͤtzliche Blumen-Betrachtung.
Sondern, mit geſundem Duft,

Balſamiren ſie die Luft;

Ja ſie laſſen, durch ihr Hauchen,

Jhm ein ſtetes Rauchwerk rauchen.

Wo er gehet, wo er ſtehet,

Wird ihm Ambra zugewehet,

Und zwar ſcheinen ſie am meiſten,

Jhren Dienſt ihm denn zu leiſten,

Wenn zur Abendzeit ſein Schritt,

Nach getragner Tageslaſt,

Mit ſpatziren ſich befaßt,

Und er zwiſchen ihnen tritt.

Ja es dient der Blumen Heer, mit den ſuͤß- und bunten
Schaͤtzen,

Das Geſicht, und den Geruch nicht allein uns zu ergetzen;

Sie vergnuͤgen, dienen, nuͤtzen, in verſchiedlichem Gebrauch,

Uns, durch andre Sinnen auch.

Zu Confect, in Arzeneyen, Waſſern, die man diſtilliert,

Wird von ihnen mancher Nutzen, manche Heilungskraft geſpuͤrt;

So daß man in ihnen noch, wenn die Blume laͤngſt vorbey,

Angenehm empfinden kann, daß ſie da geweſen ſey.

Jch habe Blumen zwar geliebet,

Doch lange ſie nur obenhin beſehn,

Der Meynung, daß ſie hie und da, und nur von ungefaͤhr,
entſtehn.

Doch da mir die Erfahrung immer, von ihrem Werth mehr
Nachricht giebet,

Und finde, daß ſie, mir zu gut, ſollieblich, angenehm und ſchoͤn:

Seh ich ſie mit Bewunderung, mit Anmuth und mit Andacht, an,

Und danke dem, der ſo viel Wunder ſo wunderbar bereiten kann.

F 5Ja
[90]Nuͤtzliche Blumen-Betrachtung.
Ja, wo uns etwas auf der Welt das Weſen einer Gottheit
zeiget;

Wo man durch etwas ſich erhebt, und durchs Geſchoͤpf zum
Schoͤpfer ſteiget:

So ſind es in der That die Blumen. Sie machen nicht die Pflan-
zen nur

Unſterblich, im geheimen Samen, verſchoͤnern nicht nur die
Natur;

Sie leiten uns mit ſanftem Zwang, und lehren uns ein We-
ſen kennen,

Das ſie ſo wunderſam formiren, ſie faͤrben und ſie ſchmuͤcken
koͤnnen.

Was muß der Urſprung ihrer Schoͤnheit, an Herrlichkeit,
an hellem Schein,

An Pracht, an Majeſtaͤt und Glanz, nicht ſelbſt fuͤr eine Schoͤn-
heit ſeyn?

Was fuͤr ein unbegreiflich Meer von Liebreiz muß das We-
ſen fuͤllen,

Aus welchem ſo viel Schoͤnheit Baͤche, und ungezaͤhlte Stroͤ-
me quillen,

Die er annoch in ſelbem Schmuck, und in derſelben Pracht
erhaͤlt,

Womit er ſie zuerſt erſchuf und ſchmuͤckt im Anbeginn der
Welt.

Ja, da er, mit ſo holder Liebe, ſo fluͤchtige Geſchoͤpfe
ſchmuͤckt,

Die heute ſind und Morgen nicht, die wir zertreten mit den
Fuͤſſen;

Was kann man nicht von ſeiner Huld, von ſeiner ewgen Lie-
be ſchlieſſen,
Das
[91]Nuͤtzliche Blumen-Betrachtung.
Das uns, durch ihn, geſchehen wird, da er uns ſelber zuge-
ſchickt,

Zu Gegenwuͤrfen ſeiner Guͤte! Was kann und wird, nach die-
ſer Erden,

Wenn er Verlangen und Begierden, die er dem Geiſt ſelbſt
eingepraͤgt,

Erfuͤllen und vergnuͤgen will, uns nicht fuͤr Reichthum zu-
gelegt,

Und, wenn Gott Geiſter ſchmuͤcken will, fuͤr Herrlichkeit ge-
ſchenket werden!


Som-
[92]Sommer-Betrachtung.

Sommer-Betrachtung.


Laßt uns, in dieſer ſchoͤnen Zeit, um unſern Schoͤpfer zu erheben,

Uns auf das reifende Gefilde, wo Nutz und Luſt vereint,
begeben!

Seht dort die Wolken-gleichen Kreiſe, in jener Baͤume Wip-
fel, an,

Die ſich in halbe Zirkel woͤlben, und ſich einander uͤberſteigen,

Wodurch ſich ſchoͤne gruͤne Lichter, und ſchoͤne gruͤne Schat-
ten zeigen!

Seht dort das Feld im guͤldnen Stuͤck, ſo weit das Auge tra-
gen kann,

Ach! ſeht von den ſchon trocknen Halmen, im Sonnenſtral,
das ſuͤſſe Blitzen!

Die bald auf einem halben Grunde, des Himmels, und bald
ja ſo ſchoͤn,

Auf einem ſchoͤnen dunkelgruͤnen des Waldes, noch verſchoͤ-
nert ſtehn,

Der Segen-ſchwangern, weißlich-gelben, und gleichſam guͤld-
ner Aehren Spitzen!

Seht, wie von ihrer großen Menge, die, ſo vor andern ſich
erhoͤhn,

Und uͤber der gemeinen Aehren vereintem Heer erhaben ſitzen,

Durch ihrer Gruͤnde Gegenſatz, ſehr deut- und zierlich anzuſehn,

Von welchen einige, gebogen, Gott in dem ſchweren Segen
preiſen;

Wenn die geraden ihn uns, gleichſam mit aufgerecktem Finger,
weiſen,

Man ſieht mit Luſt, wenn oftermal gelinde Winde ſaͤuſelnd
kuͤhlen,
Die
[93]Sommer-Betrachtung.
Die allervberſten am meiſten, ſich ſenken, heben, ſcherzen, ſpielen,

Auf tauſend Arten ſich bewegen, in deutlicher Figur, inzwi-
ſchen

Die andern, faſt als Unterthanen, ſich in ein gelbes Ganz ver-
miſchen.

Doch! ſeh ich dort nicht allbereit, der ſchoͤnen Felder Schmuck
und Segen,

Durch die beſchwitzte Fauſt der Schnitter, ſich kruͤmmen und
zu Boden legen?

Ja! ſehet, wie die Senſen blitzen, wie aͤmſig hier die Binder
binden,

Und um die gelben Rocken-Garben, von Rocken-Stroh, die
Kraͤnze winden,

Wie kuͤnſtlich ſie des Segens Huͤgel, die Hocken, uͤberall erhoͤhn,

Und wie ſie, in ſo ſchoͤner Ordnung, in ſolchen langen Reihen
ſtehn,

Als wie das ſchoͤnſte Perſpectiv. Die allerzierlichſten Alleen

Sind zierlicher nicht anzuſehen.

Jndem ich nun, mit ernſtem Blick, das Maͤhn und Binden
hier betrachte,

Auf eines Landmanns Fleiß und Ordnung, beſonders auf ſein
Werkzeug, achte:

So faͤllt mir, und gewiß mit Recht, der ſinnende Gedanken bey,

Daß es Bewunderung verdien, und alles mehr zu ſchaͤtzen ſey,

Als wir es, ja ſie ſelber, thun. Es ſcheute ſich Aegypten
nicht,

Dem, der die große Kunſt erfand, zu ſaͤen, zu pfluͤgen und zu
egen,

Altaͤr und Tempel zu erbaun, ja Goͤtter Namen beyzulegen:

Wir aber, die wir, durch Gewohnheit, fuͤr alles wundernswuͤrdge
blind,
Und
[94]Sommer-Betrachtung.
Und das nicht nur fuͤr Menſchen Werke, fuͤr Gottes Werke
ſelber ſind,

Vergeſſen, in des Landmanns Werken, der uns verliehnen Gottes-
Gaben,

Ob wir von ihnen, bloß durch Gott, faſt nicht zu zaͤhlnden
Nutzen haben.

Der Gott, der durch die Faͤhigkeiten, die er in unſern Geiſt
geſenkt,

Wodurch der Menſch erfindet, wirkt, und einzig denket, was
er denkt,

Ja bloß als wie ein Werkzeug wird, ſo wunderbar in dieſer
Welt,

Zu ſeiner Ehr, und unſerm Nutzen, ſo Pracht als Ordnung
unterhaͤlt,

Verdient ja wohl, daß wir, in ihnen,

Den uͤberall verborgnen Glanz von ſeiner Weisheit ſehn und
achten,

Jndem wir ihm mit nichts ſo ſehr allhier vermoͤgend ſind zu
dienen,

Als wenn, auch in den kleinſten Dingen, wir einen weiſen Gott
betrachten.

Nimm einem Landmann ſeinen Pflug; wie will er doch die Er-
de trennen,

Und ſie zum Samen zubereiten, einfolglich dich ernaͤhren
koͤnnen?

Beſchau deſſelbigen Figur, ob ſie dir grob und plump gleich
ſcheint,

Jſt dennoch eines Pfluges Form weit mehr betraͤchtlich, als
man meynt,

Und folglich der, der unſern Geiſt, ſo viele Faͤhigkeit be-
ſchehrt,
Solch
[95]Sommer-Betrachtung.
Solch nutzbar Werkzeug zu erfinden, Lob, Ehre, Preis und
Dankens werth.

Der Stoff, aus welchem er beſteht, iſt anders nichts, als Holz
und Eiſen:

Allein erweg, ob Holz und Stal nicht einen weiſen Schoͤpfer
weiſen;

Wie vielerley Bequemlichkeit und Nutzen wir entbehren
muͤßten,

Wenn wir von dieſem Werkzeug nichts, und nichts von Holz
und Eiſen wuͤßten.


Som-
[96]Sommer-Vorwuͤrfe.

Sommer-Vorwuͤrfe.


Laßt uns ein wenig ſtille ſtehn,

Und ſchauen, voller innren Freude,

Wie doch das ſchoͤnſte Weltgebaͤude,

Zur Sommerszeit, ſo wunderſchoͤn!

Das rege Wallen ſchwerer Aehren

Laͤßt uns ein Meer von Seegen ſehn;

Jhr liſpelnd Rauſchen laͤßt uns hoͤren,

Jn lieb- und deutlichem Getoͤn:

„Der Schoͤpfer ſchuf uns, euch zu naͤhren,

„So freut euch unſrer, ihm zu Ehren!

„Laßt eure Luſt ſein Lob erhoͤhn!

Jn der bebluͤhmten Felder Flaͤchen,

Hoͤr ich, von regen klaren Baͤchen,

Jn ſanftem Murmeln, gleichſam ſprechen:

„Es ſtellet euch, in holder Zier,

„Mein heller Erd- und Himmels-Spiegel,

„Bebuͤſchte Berge, Thal und Huͤgel,

„Ja ſelbſt den himmliſchen Saphier,

„Jm Wiederſchein, gedoppelt fuͤr,

„Um deſto minder zu vergeſſen,

„Um deſto mehr noch zu ermeſſen,

„Wie groß und liebreich deſſen Macht,

„Der alle Ding hervor gebracht.

Der Blumen ſchimmerndes Gepraͤnge,

Die Balſam-reiche bunte Menge,

Der Voͤgel zwitſchernde Geſaͤnge,
Der
[97]Sommer-Vorwuͤrfe.
Der guͤldnen Sonne Lebensſtral,

Die gruͤnen Schatten kuͤhler Waͤlder,

Der faſt ſmaragdne Klee der Felder,

Die Luft, das Waſſer, Berg und Thal,

Sind voller Wunder ohne Zahl.

Wenn wir nun alle Wunder ſehn:

So laß uns, Herr! mit froher Seelen,

Jn einer dir ergebnen Freude,

Zu deinen Ehren, oft erzaͤhlen:

„Wie iſt das ſchoͤne Weltgebaͤude,

„Dein herrlich Werk, ſo wunderſchoͤn!

Ja, da wir, wo wir ſtehn und gehn,

Sonſt nichts, als Wunderwerk, entdecken;

So laßt uns hoͤren, fuͤhlen, ſchmecken,

Daß alle Ding aus Dir entſtehn,

Und Dich, iu unſrer Luſt, erhoͤhn!


Br.VI.Th. GZur
[98]Zur Wieſe.

Zur Wieſe.
Tom. II.


Jndem ich juͤngſt, im bunt-bebluͤhmten Graſe,

Mein auf die Wieſen einſt verfertigtes Gedicht,

Bey dem Original, bedachtſam uͤberlaſe:

Gefiel mir die Copey, bey ihrem Urbild, nicht.

Jch bin gewiß, daß mancher, der allein,

Und ohn Original, daſſelbige geleſen,

Vielleicht der Meynung ſey geweſen,

Das Malwerk ſey zu ſehr geziert.

Doch, ſollt er ſie zuſammen ſehn:

Wird er gewißlich uͤberfuͤhret,

Das Urbild ſey noch tauſendmal ſo ſchoͤn.

Ob nun zu Anfang gleich mich eine Art von Schaam

Hieruͤber uͤbernahm;

Jedoch, dieweil ich bald entdeckte,

Daß Eigen-Ehr,

Dem Anſehn nach, in dieſem Schaͤmen, mehr,

Als wie Vernunft und Andacht ſteckte:

Vertrieb ich bald den ungerechten Gram,

Durch die Betrachtungen, daß, durch die Malerey,

Die bildende Natur nicht nachzuahmen ſey.

Jch wandt indeß die faſt entzuͤckten Blicke,

Auf dieſer ſchoͤnen Flur, bald vorwerts, bald zuruͤcke,

Und fand, im bunten Glanz, faſt alle Stellen glimmen.

Ein tauſendfach gefaͤrbter Schein

Nam meiner Seelen Jnnres ein,
Sie
[99]Zur Wieſe.
Sie ſchien, im fuͤhlbaren Genuß,

Von einem Anmuth-Ueberfluß,

Als wie in einem Meer, zu ſchwimmen.

Zumal vom Thau annoch viel tauſend bunte Blitze

Aufs bunte Blumen-Heer, an jedes Graſes Spitze,

Mit ſchnellem Funkeln gluͤhn.

Man erblickt ſaphirne Schaͤtze,

Wenn man oͤfters ganze Plaͤtze,

Von vergiß mein nicht, erblickt.

Gold iſt hier in ſolcher Menge,

Daß es nicht zu zaͤhlen iſt.

Doch dieweil es nicht zu zaͤhlen,

Jſt es von dem Cacopiſt,

Und Chryſanders eitlen Seelen,

Unbetrachtet,

Ungeachtet.

Von aller dieſer Pracht, die uͤberhaͤufte Fuͤlle

Bracht anfangs mein Gemuͤth, zu einer ſanften Stille,

Darauf zu einer Luſt, die der allein empfindet,

Der, mit des Koͤrpers Luſt, der Seelen Luſt verbindet,

Und der, in dem Geſchoͤpf, den Schoͤpfer ſelber findet.


G 2Be-
[100]Beſondere ſchoͤne Abend-Vorwuͤrfe.

Beſondere
Schoͤne Abend-Vorwuͤrfe.


Nachdem die ſchwuͤhlen Mittagsſtunden bereits den kuͤhlen
Abend wichen,

Und die geſenkten Sonnenſtralen flach uͤber Feld und Wieſen
ſtrichen:

Fiel, bey dem niedrig ſcheinenden, faſt roſenrothen Sonnen-
licht,

Mir eine Menge Gegenwuͤrfe, die neu, in mein geruͤhrt Geſicht.

Es ſchien der Luftkreis voller Gold; es ſchienen angeſtralte
Hoͤhen

Jn einem roͤthlich guͤldnen Schimmer, und purpurfarbnem Glanz
zu ſtehen.

Hingegen faͤrbten allgemach, die allgemach verlaͤngten Schatten,

(Wodurch das Licht noch ſchoͤner ward) die Flaͤchen unſrer Wieſ
und Matten,

Doch ſahe man, vom langen Kraut, die obern noch beſtralten
Spitzen,

Bey der ſchon dunkel gruͤnen Helft, um deſto lieblicher noch
blitzen,

Worunter denn, auf dunkelgruͤnem, faſt den Smaragden
gleichem Grunde,

Ein helles kaum zu zaͤhlend Heer durchſichtger Blumenkugeln,
ſtunde,

So die verbluͤhte Graſeblum, in einer neuen Blume, zeuget,

Und die, wenn ihre Mutter todt, aus ihrer Aſche gleichſam ſteiget,

Jndem ein jedes Samenkoͤrnchen, ein eignes Bluͤmchen
ſich gebiert,
Und
[101]Beſondre ſchoͤne Abend-Vorwuͤrfe.
Und aus viel Kuͤgelchen, ein groͤßers; von lauter Zaͤſercher,
formirt.

An, und durch dieſe fiel die Sonne ſo hell, daß, auf dem dunkel-
gruͤnen,

Sie noch viel heller, reiner, weiſſer, als waͤren ſie aus Sil-
ber, ſchienen.

Jch ſahe ferner auf dem Felde, mit noch vermehretem Ver-
gnuͤgen,

Den rothen Abendſtral der Sonnen, auf jungen Rocken-
Aehren liegen,

(Der Rocken, der daſelbſt ſo dicht, als eine ſchoͤne gruͤne Wand,

Mit purpur-untermiſchten Aehren, gezieret und gekroͤnet ſtand,)

Und durch deſſelben guͤldne Roͤthe, den rothen Glanz der jun-
gen Spitzen,

Die unterm untergehnden Koͤrper der Sonnen ſtunden, lieb-
lich blitzen.

Noch ward ich, auf derſelben Stelle, ein’ angeſtralte Muͤcken-
Schaar,

Die wie lebendge Funken ſchienen, und als ein guͤldner Staub,
gewahr.

Die denn, mit ihren Gaukeleyen, im Steigen, Sinken, Spielen,
Schweben,

Als wie Johannis Wuͤrmerchen, den Augen auch Vergnuͤgen geben.

Die Majeſtaͤt der Sonnen ſelber, in roſ-und purpurfarbnem
Licht,

Beſaͤnftigte den ſtarken Schein, und blendet’ unſer Augen nicht,

So, daß von ihrem Born des Lichts, von ihrer hellen Wun-
derpracht,

Man mehr, als ſonſten, ſehen kunnt, zum Preiſe des, der ſie
gemacht.

G 3Jn-
[102]Beſondre ſchoͤne Abend-Vorwuͤrfe.
Jndem ſich nun, an dieſem Vorwurf, ſo Herz als Aug erſtau-
net laben,

Kam ich, im Gehen ungefaͤhr, an meines Schloſſes breiten
Graben,

Auf deſſen Spiegel-glatten Fluth, die ganz bepurpert und
verguͤldet,

Der große himmliſche Rubin ſich ſelbſt, als wie im Spiegel, bildet.

Jch dachte dem verdoppelten, bewunderns-werthen Wunder
nach;

Mein allbereit geruͤhrter Geiſt ward hier nach mehr geruͤhrt.
Jch ſprach:

„Ach welch ein feurig Roſenroth ſeh ich am hellen Himmel
glimmen!

„Ach welche purpurfarbne Gluht ſeh ich, auf glatten Fluthen,
ſchwimmen!

„Wie wird mein Herz durchs Aug ergetzt! da ich hier in der
Tief und Hoͤh,

„Ein herrlich doppelt Abendroth, und auch zugleich zwo Son-
nen ſeh.

Jch ſehe ſie, zu deinen Ehren, o unſer aller Schoͤpfer, an;

Bewundre deine Wunderwerke, und danke, daß ich ſehen kann.


Waſ-
[103]Waſſergraben.

Waſſergraben.


Da wir anjetzo auf dem Felde, worauf noch viele Dinge
ſchoͤn,

Und die mehr als zu wohl verdienen, daß wir ſie mit Bedacht
beſehn:

So laßt uns, mit vergnuͤgtem Schritt, bedachtſam etwas wei-
ter gehn.

An jedem Ort, an allen Enden,

Wohin wir unſre Blicke wenden,

Jſt was wir hoͤren, was wir ſehn,

Voll Anmuth, lieblich, wunderſchoͤn.

Seht dort die kuͤhlen Waſſergraben, in einer gruͤnen Klarheit,
glaͤnzen,

Seht von Smaragden-gleichem Schilf ihr ſettes Ufer rings
umkraͤnzen,

Und ſich, nebſt hundert tauſend Blumen, die ſich bepurpern und
verguͤlden,

Jn unbeſchreiblich holdem Glanz, im klaren Waſſer-Spiegel
bilden,

Es druͤcket ſolche bunte Klarheit und ein ſo ſuͤß gefaͤrbter
Schein,

Mit ungezaͤhlten Miſchungen den Augen tauſend Anmuth ein.

Jch fuͤhl, den kuͤhl- und gruͤnen Glanz mir ſo durch Aug und
Herze dringen,

Daß ich mich nicht enthalten kann, zu Gottes Ruhm, noch
mehr zu ſingen.

G 4Jn
[104]Waſergraben.
Jn der klaren Fluthen Spiegel,

Jſt der Schmuck bebuͤſchter Huͤgel,

Durch den gruͤnen Wiederſchein,

So natuͤrlich, deutlich, rein

Vorgeſtellt, nicht minder ſchoͤn,

Als das Urbild ſelbſt zu ſehn.

Ja es ſcheint dieß klare Gruͤn

Faſt dem Urbild vorzuziehn,

Da die holde Schilderey,

Vom Gebuͤſche, Laub und Gras,

Durch des Waſſers klare Glaͤtte,

Anders nicht den Blicken ſchien,

Als wenn man ein klares Glas

Ueber ſie geleget haͤtte,

Deſſen Klarheit ihre Pracht

Schoͤner, als das Urbild, macht[.]

Dieſe Schoͤnheit ruͤhrte mich,

So daß ich mich inniglich

Zu der Schoͤnheit Schoͤpfer lenkte,

Und ihm dankte, daß er mir,

Zu Betrachtung dieſer Zier,

So Vertand, als Augen, ſchenkte.


Schat-
[105]Schatten.

Schatten.


Damit, bey kuͤnftiger ſich bald vermehrnder Hitze,

Zugleich auch etwas, welches kuͤhl,

Und, gegen ihr zu fchwuͤhl- und ſtrenges Brennen, ſchuͤtze:

So wachſen (uns zur Luſt, und Anmuth im Gefuͤhl)

Die Schatten mit dem Laub. Ein kuͤhles Blaͤtter-Zelt

Wird uͤber das zu heiß beſtralte Land,

Von einer unſichtbaren Hand,

Ohn unſer Zuthun, ausgeſpannt.

Es decket, hier und dort, die ſonſt zu heiſſe Welt,

Und ſteigt von ſelbſten aus der Erden,

Ein Schirmdach, das ſo nuͤtzlich iſt, als ſchoͤn,

Wie wir, auf einem Schauplatz, ſehn,

Daß Scenen vorgeſchoben werden:

So ſcheinet jetzt, durch uns verborgne Kraft,

Der Erden jetzt zu Laub gewordner Saft,

Von unten in die Hoͤh getrieben,

Und in ſo ungezaͤhlt-als wohlgefuͤgter Zahl,

Dem gar zu ſtrengen Sonnenſtral,

Zu unſerm Schutz, im Laub, ſich vorzuſchieben.

Wenn wir, bey heiſſer Zeit, und ſchwuͤlem Wetter,

Die Kuͤhlung und die Luſt, ſo aus der gruͤnen Blaͤtter,

Von Fingern der Natur, gefuͤgtem Bau, entſprieſſet,

Die Anmuth des Gefuͤhls, die Freude des Geſichts,

Die mannichfache Fuͤg-und Trennungen des Lichts,

So ein belaubter Wald uns haͤufig ſchenkt, genieſſet,
G 5Mit
[106]Schatten.
Mit Augen der Vernunft betrachten:

So muͤſſen wir je mehr und mehr,

Zu unſers Gottes Ruhm und Ehr,

Es als ein wirkliches betraͤchtlichs Wunder achten.

Es iſt wahrhaftig dieſes Wunder, ſo bloß fuͤr uns gewirkt
wird, werth,

Daß man, in froͤlicher Betrachtung, auch darin unſern Schoͤp-
fer ehrt.

Wer wuͤrde doch der nahen Sonnen, und der geraden Stra-
len Brennen,

Ohn ein faſt gaͤnzliches Verſchmachten, das nicht ertraͤglich,
dulden koͤnnen!

Wenn nun, von uns erbaute Haͤuſer, uns zwar in ſolchen Zei-
ten nuͤtzen:

So ſieht man, ſonder Muͤh und Koſten, und beſſer noch, die
Baͤum uns ſchuͤtzen.

Der dicht belaubten Waͤlder Wipfel ſind nicht nur gruͤn,
ſind nicht nur ſchoͤn;

Sie ſind als aufgefuͤhrte Daͤcher, uns zu beſchirmen, anzuſehn.

Es iſt derſelben dunkle Frucht, der kuͤhle Schatten, anders
nichts,

Als eine Milderung der Hitze, als eine Linderung des Lichts,

Den Gott, in ſchwuͤhler Sommerszeit,

Zu unſrer Kuͤhlung, Luſt, Vergnuͤgung, Bequemlichkeit und
Nutzbarkeit,

Zugleich zuſamt der Blaͤtter Pracht,

Mit ihnen gleichſam wachſen laͤßt. O angenehme gruͤne
Nacht,

Wie lieblich laͤßt ſichs in dir ruhn! wie ſanfte laͤßt ſichs in dir
ſchlafen!
So
[107]Schatten.
So oft, aus deinem holden Dunkeln, wo alles lieblich iſt und
kuͤhl,

So wohl im Blick als im Gefuͤhl,

Uns Kuͤhlung, Labſal, Luſt entſprieſſen;

So oft, in deinem Blaͤtter-Zelt, wir einer ſuͤſſen Ruh genieſſen:

So denkt: Bis auf den Schatten ſelbſt, iſt alles, uns
zum Nutz erſchaffen,

Und wenn ihr, ſonderlich im Lenzen, bey Waͤldern, Buͤſch- und
Baͤumen ſteht,

Und, in dem Laub, ihr Schatten-Heer ſich mehren, ſich vergroͤſ-
ſern ſeht:

So ſucht, daß, auch in dieſem Werk, was recht betraͤchtlichs
ſey, zu faſſen,

Und danket dem, der euch zum Beſten, im Laub, auch Schat-
ten wachſen laſſen!


Fer-
[108]Betrachtung der Sonne.

Fernerweitige
Betrachtung der Sonne.


Jch ſahe juͤngſt das guͤldne Feuer der untergehnden Son-
nen an,

Die meine Seele nur bewundern, nie wuͤrdiglich beſchreiben
kann.

Jch ſenkte mich, mit Aug und Herzen, in dieſen uͤberirdſchen
Schein,

Jn dieſer guͤldne Himmels-Gluht, von Andacht angeflammt,
hinein,

Die, da ſie eben unterging, die dann von Blendung ſichern
Augen,

Durch die dort dickre Luft geſtaͤrkt, faſt unverwandt zu ſehen
taugen.

So wohl von Licht als Luſt erfuͤllet, und faſt verklaͤrt, in
tauſend Freuden,

Fing, an dem Schatz des hellen Lichts,

Sich in den Kraͤften des Geſichts,

Der auch beſtralte Geiſt, ſich innig an zu weiden,

So daß er ſich in ihre Pracht,

Zu Ehren dem, der ſie ſo wunderſchoͤn gemacht,

Mit allen ſeinen Kraͤften ſenkte,

Und ſich, in ihr, zum Schoͤpfer lenkte.

Jch nam ein Perſpectiv zur Hand,

Da ich denn, an der Sonnen Koͤrper, ein nie geſehnes Wun-
der fand.

Jch ſahe, faſt erſtaunt, derſelben aͤuſſern Rand,

Nicht feſte, ſtet und ſtill, wie es den Augen ſcheint,
Und
[109]Betrachtung der Sonne.
Und wie auch ich bisher gemeynt,

Jch ſah ein wunderwuͤrdigs Regen,

Ein heftig wallendes Bewegen,

Das einem Feuer-Meere glich.

Ein flammend Lodern zeigte ſich.

Sie aͤnderte ſo gar recht ſichtbarlich,

Nicht ihren innern Zuſtand nur,

Es aͤnderte ſich gar die aͤuſſere Figur.

Oft fuhren Flammen-gleiche Spitzen,

Bald ſeit-bald oberwerts. Bald macht ein reger Stral,

Mit bald vermindertem und bald vermehrtem Blitzen,

Der Sonnen Zirkel ſpitz, und bald Oval,

Vor allen nam, von vielen Stellen,

Das rege Wallen mich recht mit Erſtaunen ein.

Mein Gott! was muͤſſen das vor Wellen,

Vor Flammen, dieſe Flammen ſeyn!

Da von derſelbigen, in einer Ferne,

Von ſo viel Millionen Meilen,

Die wirkliche Figur von ihnen, klar zu ſehn!

Von welchen ungemeßnen Theilen,

Muß dieſes Feuer-Meer beſtehn!

So rief ich ganz erſtarrt. O! fuhr ich ferner fort,

Welch einen Ocean von Gluht erblick ich dort.

Ein gluͤend ſprudlend Erzt ſcheint gegen die Gewalt,

Jn welcher hier ein ſolcher Koͤrper gluͤhet,

Die hier der Geiſt annoch mehr, als das Auge, ſiehet,

Nicht gluͤhend, wirklich kalt.

Seht eine rege Loh, ſeht einen ſchnellen Glanz,

Aus einem Feuer-Born, der kaum zu meſſen, quillen,

Und den unmeßbarn Raum der weiten Tiefen, ganz

Mit immer blitzenden geſchwungnen Wirbeln, fuͤllen.

Mich
[110]Betrachtung der Sonne.
Mich brachte dieß Geſicht zu einem tiefen Denken;

Jch fing mein Seelen Aug, auf dieſes Feur-Gefaͤſſe,

Zumal auf dieſer Gluht recht ungeheure Groͤße,

Nicht ohne Schrecken, an zu lenken.

Welch eine Laſt von Gluht, welch eine Feuer-Welt!

Welch eine Flammen-See! die Millionen Meilen

Jn ihrer Ruͤnd enthaͤlt!

Da an der Sonnen Groͤß, an Groͤßen unſrer Erden,

Auf viert’ halb Millionen faſt, gefunden werden.

Die Groͤße ſchrecket mich, rief ich von neuen aus,

Was muͤſſen doch, in dieſen Feuer-Gruͤnden,

Vor rege Feuer-Theil, fuͤr Hitz und Licht ſich finden!

Welch eine Heftigkeit und ſchnelles Regen!

Man ſtelle ſich nur fuͤr, als ob man in der Naͤhe,

Bey einem Kreis von Gluht, bey einer Feuer-Ruͤnde,

Von etwan einer Meil an Groͤße, ſtuͤnde,

Und in ein ſolches Meer, von Loh, und Flammen, ſaͤhe,

Welch ein Erſtaunen, welch ein Schrecken,

Wuͤrd eine ſolche Gluht dem ſtarren Aug erwecken!

Wer wuͤrde ſolch ein Licht, wer wuͤrde ſolch ein Brennen,

Am Koͤrper und Geſicht, ertragen koͤnnen!

Der ewgen Weisheit Wunderhand

Hat uns jedoch in einen ſolchen Stand,

Von ihrer Gluht entfernt, geſetzt,

Daß ein unmeßlich Feur uns dennoch nicht verletzt,

Wenn ich ein Feur, von einer ſolchen Groͤße,

Mit Ernſt und Achtſamkeit ermeſſe:

Entſetzt, ob ſolcher Gluht entſetzliche Gewalt,

Sich meine Seele dergeſtalt,
Daß
[111]Betrachtung der Sonne.
Daß bey der Gottheit bloß allein,

(Als gegen welcher alles klein,)

Sie gegen ihr unfehlbares Erblinden,

Kann Huͤlf und Beyſtand finden.

Es fiel vor andern ihr der Zweifel ein,

Worzu ein ſolches Feur und eine Hitze,

Von ſolcher grauſen Groͤße, nuͤtze?

Da, wenn ein jeglicher Planet ihr etwas naͤher ſaͤſſe,

Es einer ſolchen Gluht ſo ungemeßnen Groͤße

Ja nicht gebraucht: Allein der Entwurf fiel, verſchwand,

Und macht, in ſeiner Schwaͤch, um deſto mehr bekannt,

Des Schoͤpfers aller Welt allmaͤchtigen Verſtand,

Der alle wunderbare Sterne,

Jn einer ſo gemeßnen Ferne,

Jn ſolchen Stand vom Sonnenfeur geſetzt,

Daß wie entſetzlich groß und heftig gleich ihr Brand,

Von aller Heftigkeit, ſie dennoch nicht verletzt,

Vielmehr von ſanfter Waͤrm, und mildem Licht ergetzt,

Belebt und fruchtbar wird. Wo etwas auf der Welt

Der Gottheit Goͤttlichkeit uns hier vor Augen ſtellt:

So iſt es ja, vor allen andern, dieß,

Was er, im Sonnenfeur, fuͤr Macht und Weisheit wieß,

Aus deſſen Born von Licht, ein ſolches Licht-Meer quillet,

Daß es die tiefe Tief, in einem Raume, fuͤllet,

Der, im geraden Strich allein,

Bis zu Saturnus Kreis und Schein,

Wie die Aſtronomie uns laͤngſt entdecket,

Auf hundert ſiebzig Millionen,

Von teutſchen Meilen ſich erſtrecket,

Und, in des Raumes ganzer Weite,

Sich eine Breite,
Von
[112]Betrachtung der Sonne.
Von ſechſthalb hundert Millionen,

Befindet, welche durch den Schein

Der Sonnen all erfuͤllt, erwaͤrmt, erleuchtet ſeyn.

Man ůberleg hiernaͤchſt einmal,

Wie heftig doch der Sonnen Feur und Stral,

Jn ſeinem Urſprung, muͤſſe brennen,

Da wir ganz richtig rechnen koͤnnen,

Durch uͤberzeuglich wahre Schluͤſſe,

Daß, im Saturn, der Sonnen Kraft ſich lindern,

Und fuͤnf und neunzig mal ſich muͤſſe,

An Waͤrme mehr, als auf der Erden, ſich vermindern.

Verhaͤlt ſich nun der Sonnen Kraft,

Auf uns, zu des Saturnus Eigenſchaft,

Faſt wie zehn tauſend gegen hundert: So folgt, wie ſehr, von un-
ſrer Erden,

Zur Sonnen, ihre Kraͤft annoch ſich mehren werden.

O Gott! wen dieſe Groͤß, in der man dich verſpuͤrt,

Mit Ehrerbietigkeit nicht ruͤhrt;

Wie kann doch der mit Recht verlangen,

Er hab ein menſchlich Herz, und einen Menſchen-Geiſt,

Jn welchem ſich Vernunft, des Schoͤpfers Bildniß, weiſt,

Und nicht vielmehr ein thieriſch Herz empfangen?

Zumal wenn er annoch, in noch viel groͤßern Werken,

Die wahre Groͤß und Macht des Schoͤpfers zu bemerken,

Gelegenheit bekoͤmmt, da in den holen Gruͤnden

Des tiefen Firmaments, ſich Sonnen ohne Zahl,

Jn ungezaͤhlten Sternen, finden,

Von derer Menge man,

Zu ihres Schoͤpfers Preiſe,

Auf dieſe Weiſe,

Sich einigen Begriff noch machen kann.

Man
[113]Betrachtung der Sonne.
Man ſtelle ſich den Raum, in welchem ſich die Kreiſe

Der Jrrſtern um die Sonne drehn,

Als eine Kugel vor, von welchen wir dergleichen Sonnen Welt,

Jn Fixſtern erſter Groͤß, (wie es ſich denn verhaͤlt)

Nicht mehr, als dreyzehn ſehn.

Wenn wir nun weiter gehn:

So werden ſich, in den noch tiefern Gruͤnden,

An ſolchen Sonnen-Welt-und Planetarſchen Ruͤnden,

Die ſich um ihre Sonn, als wie die unſre, drehn,

Schon mehr, als hundert, finden,

Die wir denn wirklich ſehen koͤnnen,

Und Stern’ der andern Groͤße nennen.

Nachher, wo ſelbſt der tiefe Raum,

Noch immer weiter ausgeſpannt,

Wird ihrer, in fuͤr uns verkleintem Stral,

Schon eine Zahl,

Von tauſend und noch mehr bekannt,

Jn Sternen von der dritten Groͤße,

Wie wir denn, mit den bloßen Augen,

Eilf hundert ſchon zu zaͤhlen taugen.

Geht man, mit unſeren Gedanken,

Aus dieſen ungemeßnen Schranken,

Noch weiter fort, wird man, in der ſtets tiefern Weite,

Und der faſt unumſchraͤnkten Breite,

Derſelbgen ſchon zehn tauſend ſehn,

Ja hundert tauſend ſchon, wenn wir noch weiter gehn;

Und endlich werden wir, da in des Schoͤpfers Werken,

Fuͤr uns aufs wenigſte, kein Ziel zu merken,

Nach unumſtoͤßlichen und ordentlichen Schluͤſſen,

Viel hundert Ziefern nach einander,

Jn einer Reihe ſetzen muͤſſen.
Br.VI.Th. HJn
[114]Betrachtung der Sonne.
Jn welchen wir denn leichtlich ſpuͤren,

Daß wir, mit allem Witz, uns ganz darin verliehren.

O Gott! o wahrer Gott! hier ruͤhret mich ein Stral,

Von deiner Goͤttlichkeit! Jm Reiche der Natur,

Jſt keine ſolche groß und klare Spur,

Von deiner Majeſtaͤt! Jn dieſer Groͤße glaͤnzt

Allein ein goͤttlich Licht, das ewig, unbegraͤnzt,

Unendlich, deſſen Tief die Engel ſo, wie wir,

Mit einem heiligen Bewundrungs-vollen Grauen,

Jn Demuth, voller Andacht ſchauen,

Und dem, da alle Ding aus ihm allein gequollen,

Sie, wenn ſie ſeine Lieb, mit ſeligem Entzuͤcken,

Und ſeine weiſe Macht, fuͤr Luſt erſtaunt, erblicken,

Den ewigen Tribut des Danks und Lobes zollen.


Ueber
[115]Ueber eine große Schachtel,

Ueber eine große Schachtel mit
auserleſenen Blumen,
So mein geweſener Gaͤrtner in Ham-
burg mir von daher uͤberbrachte.


Als wenn, aus dieſer offnen Schachtel, ein buntes Feuer lo-
dernd ſpruͤnge,

Und mir, mit Farben reichen Stralen, durchs Aug, in meine
Seele druͤnge:

So nahm der tauſendfach vermengte, der dicht vereinte Glanz
und Schein,

Mit tauſend kleinen bunten Blitzen, die angeſtralten Augen ein.

Jch ſtund, beym erſten Anblick, ſtarr; der Farben Glanz, der
Blumen Menge,

Jhr theils entdeckt, theils halb verſteckt, vermiſchtes ſchim-
merndes Gepraͤnge

Fiel, recht mit freundlicher Gewalt, mit einem lieblichen Ge-
draͤnge,

Mir, durch den Blick, in mein Gehirn. Jch wußt, aus ploͤtz-
lichem Behagen,

Vor uͤberhaͤufter Luſt und Anmuth, zuerſt faſt nicht ein Wort
zu ſagen,

Bis vom zuruͤckgehaltnen Othem der Ausbruch dieſe Stille
brach,

Und ich ein froͤliches Gottlob! mit recht geruͤhrter Seele, ſprach.

Worauf ich ſie, mit ſpitzen Fingern, aus ihrem gruͤnen Kerker
zog,

H 2Was
[116]Ueber eine große Schachtel,
Was etwan ſich gekruͤmmet hatte, daran gemach zu rechte bog,

Und zween damit belegte Tiſche, mit Anmuth und mit Ernſt,
erwog.

Jch ſah ſie faſt mehr gluͤhn, als bluͤhn; ich ſahe durch ein-
ander funkeln,

Leucojen, Anemonen, Roſen von vielen Sorten, gelben
Mah,

Violen, Tuberoſen, Liljen, Geranium, Acacia,

Orangen-Bluͤthe, Flos Adonis, auch Nelken, Jrides, Ra-
nunkeln,

Die alle, durch den ſchoͤnen Grund des mannigfaltig-ſchoͤnen
Gruͤnen

Der gleichfalls ſchoͤn formirten Kraͤuter, erhoͤht, und noch ver-
ſchoͤnert ſchienen.

Woher entſteht der holde Glanz? rief ich, woher die bunte
Pracht?

Aus kleinen Blaͤslein iſt ihr Leib geweht, gefuͤget und gemacht:

Doch ſind die eigentlich die Quell und Urſprung ihrer Schoͤn-
heit nicht;

Sie brechen und ſie mildern nur der ſchoͤnen Farben Quell,
das Licht,

Es zeigt uns zwar der Sonnen Stral der wunderſchoͤnen
Blumen Heer:

Doch zeigen die geſchmuͤckten Blumen den Schmuck des, der ſie
ſchmuͤckt, noch mehr,

Da ja die allerſchoͤnſten Farben, auf dieſer Erden, anders nichts,

Als Kinder des noch ſchoͤnern Vaters, des all er freunden Son-
nenlichts.

Und weil auch die von ſelbſt nicht iſt: So zeigt ſie uns ein goͤtt-
lich Licht,

Aus welchem ſie und alle Schoͤnheit, als wie ein Strom, be-
ſtaͤndig bricht.

So
[117]mit auserleſnen Blumen.
So fuͤhren Blumen uns zum Licht; das Licht zu dem, der ſeine
Pracht

So ſchoͤn, ſo wunderwuͤrdig ſchoͤn, ihm anerſchaffen und gemacht.

Den laßt uns, wenn wir Blumen ſehn, als aller Schoͤnheit
Quell erheben,

Und ſeine weiſe Macht und Liebe recht zu verehren, uns be-
ſtreben.

Ein ſolch Erheben kann nicht beſſer, durch unſre Schwach-
heit, hier geſchehn,

Nicht beſſer ausgeuͤbet werden, als wenn wir, da wir Blu-
men ſehn,

Sie, und in ihnen, ihres Schoͤpfers Anbethungs-werthe Macht
erhoͤhn!

Jndem wir, wenn wir ſie betrachten, und als ein goͤttlich
Werk erblicken,

Wir in Bewundrung unſern Geiſt, mit geiſtgen Blumen,
gleichſam ſchmuͤcken,

Und, um dem Schoͤpfer zu gefallen, wenn wir ſein Werk in
Blumen ruͤhmen,

Zum ſchoͤnſten Putz, als eine Braut, die Seele gleichſam ſelbſt
bebluͤmen.


H 3Ber-
[118]Vergnuͤgte Gedanken.

Vergnuͤgte Gedanken.


Jch geh im Garten hin und her,

Um, an des großen Schoͤpfers Werken

Mit Luſt, und Ehrfurcht, zu bemerken,

Wie nichts von ſeinen Wundern leer.

Da ich denn, mit Vergnuͤgen ſchau,

Wie, durch der Hecken holdes Gruͤn,

Des glatten Waſſers holdes Blau,

Voll kleiner Silberblitze, ſchien.

Dieß machte nun, in dem Gebuͤſche,

Ein ſolch anmuthiges Gemiſche,

Daß meine Seele, durchs Geſicht,

Recht angeſtralt von Farb und Licht,

Dem, der ſie, fuͤr ſo manche Pracht

Der Creatur, empfindlich macht,

Und ihr ſo manch Vergnuͤgen ſchenket,

Mit frohem Dank, zu Ehren, folgends denket.

„Schoͤpfer! den allein die Liebe,

„Um mit den erſchaffnen Schaͤtzen,

„Creaturen zu ergetzen,

„Und ſie inniglich zu ruͤhren,

„Creaturen zu formiren,

„Die betrachten koͤnnen, triebe!

„Laß mich, da dein gnaͤdigs Wollen

„Will, daß wir uns freuen ſollen,

„Dich, in Freuden zu erheben,

„Mich, nach Moͤglichkeit, beſtreben!


Der
[119]Der himmliſche Garten.

Der himmliſche Garten.


Bey dieſer holden Felder Zier,

Jn ihrer gruͤn- und bunten Pracht,

Denk ich an dich, Herr! der ſie macht,

Erfreue mich, und danke dir,

Daß du ſie mir, in dieſem Leben,

Und Augen, ſie zu ſehn, gegeben.

Sollt ich den Schoͤpfer nicht beſingen,

Da ich, mit frohen Blicken, ſchau

Die Blumen auf der gruͤnen An,

Faſt unter meinem Fuß, entſpringen?

Es waͤchſet, unter meinen Fuͤſſen,

Ein weiches buntgeſticktes Kuͤſſen,

Das Ranken-Laub-und Blumen-reich,

Und als ein gruͤner Sammt ſo weich.

Jch ſcheue mich faſt, auf den Schaͤtzen,

Die jetzt aus allen Stellen ſteigen,

Und ſich in ſolchem Schimmer zeigen,

Den faſt beſchaͤmten Fuß zu ſetzen.

Er haͤlt, bey einem jeden Blick,

Faſt jeden Tritt aus Furcht zuruͤck.

Jch weis faſt nicht, wie ſie entſtehn,

Da ich ſie fruͤh noch nicht geſehn.

Es ſcheint, als ob ihr buntes Heer

Gewachſen weniger, als drauf geregnet waͤr.

Das gruͤne Gras, der Blumen Glanz und Schein,

Nahm mich, mit ſuͤſſen Freuden, ein.
H 4Gan
[120]Der himmliſche Garten.
Ganz uͤberhaͤufet von Vergnuͤgen,

Geh ich im bunten Graſe liegen,

Auf welchem, recht als wenn ſie guͤlden,

Sich Millionen Blumen bilden,

Worin ein gelbes Feuer flammt,

Das aus der guͤldnen Sonnen Licht,

So in den Spitzen, die ſo dicht,

Als wie die Faͤden, in dem Sammt,

Jn welchen es ſich ſenket, ſtammt.

Man glaubt faſt in der Form, da ſie ſo ſchoͤn,

Ein kleines Sonnenbild zu ſehn,

Da ſich die Blaͤtterchen ſo ſuͤß vereinen,

Und gleichſam in der Ruͤnd, als kleine Stralen, ſcheinen.

Es kam, in Silber-weiſſem Schein,

Der Mayenbluͤmchen Glanz und Menge,

Jn einem ſchimmernden Gepraͤnge,

Auf der Smaragden-gleichen Flur,

An Glanz, an Farben, und Figur,

Zumal ihr weiſſer Schimmer, mir,

Als lauter kleine Monden, fuͤr.

Mir fiel hierbey ein großes Gleichniß ein:

Wie dieſe Sonnenbilder hier im Kleinen,

Auf Feldern und in Gaͤrten, ſcheinen:

So koͤmmt der tiefe Raum des blauen Himmels mir,

Als wie ein Garten Gottes, fuͤr,

Jn deſſen unumſchraͤnkten Graͤnzen,

Viel wahre Sonnen-Heere glaͤnzen,

Jn tauſendfachem Schimmer gluͤhn,

Und, Gott zum Ruhm, als Blumen, bluͤhn.

O welch
[121]Der himmliſche Garten.
O welch ein Garten, der allein,

Jn ſeiner unbegraͤnzten Pracht,

Ein wuͤrdger Garten ſcheint zu ſeyn,

Deß, deſſen Weisheit, Lieb und Macht,

Was worden iſt, hervorgebracht!

Worauf ich ganz erſtaunt, ſo Blick als Seele hefte!

O welche Blumen! woraus Kraͤfte,

Die ſtatt des Riechens herrlich glaͤnzen,

Und, recht als holde Jnfluenzen,

Zu aller Creatur Erſprieſſen,

Beſtaͤndig duͤnſten, quillen, flieſſen!

O wahre Sonnenblumen! ihr

Erweiſt, da ihr faſt Graͤnzen-lo!,

Nicht nur, daß eures Gartens Zier

Und Raum faſt unermeßlich groß;

Jhr ſtellt zugleich den Schoͤpfer mir

Recht wuͤrdig, recht unendlich fuͤr.


H 5Tape-
[122]Tapeten der Natur.

Tapeten der Natur.


Mir ruͤhrte geſtern meine Bruſt,

Durch eine neue Augenweide,

Noch eine neue Sommer-Luſt,

Als ich nach einem Dorfe fuhr,

Und viel gemaͤhetes Getreyde,

Auf einer allgemach erhoͤhten Flur,

An Huͤgeln, die ſich aufwerts ſtreckten,

Und mir dadurch vom Korn, das abgemeiht,

Der Garben Meng und Hocken Zierlichkeit,

Weit mehr und deutlicher entdeckten,

Als in der ebnen Flaͤche mar,

Wo alles ſich verkuͤrzt, erblicken kann.

Wir ſehr in einer großen Menge,

Und faſt nicht abzuſehnder Laͤnge,

Brel Segens-ſchwangere Alleen,

Von zierlich aufgethuͤrmten Hocken,

Von Gerſten, Habern, und von Rocken.

Vor allen fielen die, ſo auf den aͤuſſern Hoͤhen,

Wo eine große Meng, in langer Reihe, ſtunde,

Am Horizont in blaner Luft, zu ſehen,

Als wie auf dunklem Grunde,

Von einer Seiten hell durchs Sonnenlicht

Sehr angenehm mir ins Geſicht:

Die ſag ich, die des Huͤgels aͤußern Ruͤcken,

Jn einer deutlichen geſetzten Reihe ſchmuͤcken,

Wobey die Stoppeln noch, in langen gelben Strichen,

Beſtralet glaͤnzeten, und faſt dem Golde glichen.
Jch
[123]Tapeten der Natur.
Jch ſahe dieſer Felder Zier,

Mit inniglicher Luſt; und im Erwegen,

Was dieſe Zier zugleich auch vor ein Segen;

So dankt ich meinem Gott dafuͤr.

Nachhero kamen wir im Dorf, dem Ziel der Reiſe,

Gleich nach dem Mittag an. Wir ließen Tiſch und Speiſe,

Weil es im Hauſe warm, und es beſonders ſchwuͤhl,

Jn Schatten vieler Baͤume ſetzen,

Woſelbſt, auch bey dem heiſſen Wetter,

Es dennoch friſch und kuͤhl.

Da mir der Anblick denn der angeſtralten Blaͤtter,

Wodurch bald hie, bald da, das Gruͤn

Verſilbert und verguͤldet ſchien,

Beſonders wohlgefiel,

Und ich beſahe ſie, mit froͤlichem Ergetzen.

Sie kamen mir,

Jn ungemeiner Pracht und Zier,

Als recht lebendige Tapeten fuͤr.

Hieruͤber fielen mir, bey dieſem Schein,

Die folgenden Gedanken ein.

Wer laͤßt nicht, wenn wir dieß erwegen,

Den reichen und den großen Herrn

Gewirkete Tapeten gern,

Die uns ſonſt nichts vor Augen legen,

Als von nicht kuͤhl- und friſchen Waͤldern,

Als nur von Segen-leeren Feldern,

Voll Vieh, und dennoch leer vom Vieh,

Ein’ Augen blendende Copie?

Hier iſt vom wahren Wald hingegen,

Von einem wahren Feld voll Segen,
Jn
[124]Tapeten der Natur.
Jm warmen wahren Sonnenſtral,

Ein wirkliches Original.

Wo etwas, hier auf dieſer Erden,

Kann ein Beweis gefunden werden,

Der aller Menſchen Schwachheit weiſt:

So iſt es, daß wir die Copien

Stets zu bewundern, uns bemuͤhen,

Und goͤnnen dem Original

Die Augen kaum ein einzigs mal.

Jch weis nicht, ob auf dieſer Erden,

So, wie Eliſa Knaben dort,

Der Menſchen Augen fort und fort,

Nach Adams Fall, gehalten werden,

Daß ſie, was wirklich wunderſchoͤn,

(Ob ſie davon im ganzen Leben,

An allen Orten gleich umgeben)

Dennoch nicht merken oder ſehn.


Nuͤtz-
[125]Betrachtung uͤber Bienen.

Nuͤtzliche
Betrachtungen uͤber Bienen.


Von Blumen ſaugt die Bien, im warmen Sonnenſchein,

Und ſammlet ſuͤſſen Honig ein.

Ach moͤchten doch auch unſrer Seelen Augen,

Aus einer jeden ſchoͤnen Blume,

Dem, welcher ſie ſo ſchoͤn erſchuf, zum Ruhme,

Den Honig der Bewundrung ſaugen,

Der in den Blumen wirklich ſteckt!

Welch eine ſuͤſſe Seelen-Speiſe,

Wuͤrd, im Geruch und Blick, geſchmeckt,

Wenn man, derſelben Herrn zum Preiſe,

Der großen Wahrheit Glanz entdeckt,

Daß Blumen, von der Gottheit Weſen,

Zu unbetruͤglichem Beweiſe,

Und Zeugen ſeiner Lieb erleſen.


Es laſſen ſich, auf allen Blaͤttern,

Jn nett gezognen Strich- und Lettern,

Die Weisheits-vollen Schriften ſehn.

Derſelben Zuͤge, die ſo ſchoͤn,

Die geben deutlich zu verſtehn,

Wenn ſie den Geiſt, durchs Auge, laben.

„Unmoͤglich koͤnn ein Ungefehr,

„Von Abſicht, Geiſt und Ordnung leer,

„So regelrecht, geſchrieben haben.


Ach moͤchten wir,

Nie muͤßigs Bienlein, doch von dir,
Zur
[126]Betrachtung uͤber Bienen.
Zur Nachfolg, ein Exempel nehmen!

Ach moͤchte, nebſt dem Blick, ſich unſer Geiſt bequemen,

Mit Emſigkeit auf Blumen Acht zu geben!

Bedachtſam um ſie her, wie du, zu ſchweben.

Mit einem aufgeweckten Denken,

Den regen Blick oft in ſie zu verſenken!

Oft froͤlich wieder zu erheben;

Sie aller Orten zu beſehen;

Die kuͤnſtliche Geheimniß aus zu ſpaͤhen,

Die nett- und zierlichen Geſtalten,

Die wundervoll darinn enthalten,

Zu ſehn, bewundernd zu betrachten,

Und, wenn man ſo viel herrliches geſpuͤrt,

Durch Riechen, und durch Sehen, recht geruͤhrt,

Zum rechten Gegenſtand gefuͤhrt,

Auf den verborgnen Gott zu achten,

Der uͤberall vorhanden, deſſen Licht

Der Liebe, Macht und Weisheit nirgend nicht!

Sieh doch, geliebter Menſch, wie dir ſo Blum, als Biene,

Wenn du mit ihnen recht verfaͤhreſt, nuͤtz und diene,

Die Biene, damit ſie dir Leib und Geiſt ergetze,

Zeigt dir, in Blumen, geiſt-und koͤrperliche Schaͤtze,

Man kann durch ſie, in jener bunten Gruͤnden,

Nebſt Honigſeim, der fuͤr den Leib bereit,

Voll unausdruͤcklicher und ewger Suͤßigkeit,

Der Seelen wahren Nectar finden.


Waſ-
[127]Waſſergedanken.

Waſſergedanken.


Hier ſeh ich, durch der Luͤfte Regen,

Die Fluth ſich angenehm bewegen,

Auf ſtets veraͤnderlichen Stellen,

Die Wellen uͤber andre Wellen,

Mit halben Zirkeln, ſanft ſich legen,

Und wie es ſcheinet, ohn Verweilen,

Nach dem bebluͤmten Ufer eilen,

Mit feuchten Lippen es zu kuͤſſen,

Und, in der, von der Baͤume Pracht,

Daſelbſt vorhandnen Schatten-Nacht,

An ihren weich bemoſten Fuͤſſen,

Ein kurzes Ruhen zu genieſſen.

Auch um, nach nun mehr ſtillem Wallen,

Mit ihren glaͤnzenden Kryſtallen,

Jm glatten Spiegel, ihrem Gruͤnen,

Zum holden Wiederſchein, zu dienen.

Ja, nach dem, von des Himmels Zier,

Getragnen Schimmer von Saphier,

Gefaͤrbt vom gruͤnen Schmuck der Erden,

Zum glaͤnzenden Smaragd zu werden.

So ſcheint es. Aber dieß iſt wahr,

Daß, da die Fluth ſo glatt und klar,

Jhr Weſen bloß dazu gemacht,

Des Himmels und der Erden Pracht,

Zu unſrer Luſt, und Gott zu Ehren,

Jn der Verdopplung zu vermehren.

So laſſet uns, wenn wir erblicken,

Wie ſich ſo Fluth, als Erde, ſchmuͤcken,

Und daß ſie beyde doppelt ſchoͤn,

Es doch mit Dank und Freude ſehn!

Ver-
[128]Vergnuͤgung bey regnichtem Wetter

Vergnuͤgung
bey regnichtem Wetter im Sommer.


Uns Menſchen kann ſo gar der Regen,

Wenn wir nur auf denſelben achten,

Und die genetzte Welt betrachten,

Zur Luſt und auch zum Dank bewegen.

Es wird die heiße Luft, wenns regnet, lau und kuͤhl,

Und wirkt, auf unſre Haut, ein ſchaudrigtes Gefuͤhl.

Die Duͤft, indem ſie um uns fliegen,

Erregen unſrer Bruſt

Zwar eine, doch nicht oft gefuͤhlte, Luſt,

Und leider! meiſtentheils ein unvermerkt, Vergnuͤgen.

Das eine zeitlang her, beſtaubte, welke Gras

Wird, durch das reine Naß,

Gereinigt und getraͤnkt. Ein lieblich Dunkelgruͤn

Scheint Laub und Kraut ſo dann zu uͤberziehn;

Ein ſchwaͤrzlich Dunkelbraun faͤrbt Acker, Feld und Land;

Die Kloͤſſe kleben jetzt; es ſteht der rege Sand;

Es leget ſich der fluͤchtge Staub;

Die Blumen, die erfriſcht, ſind jetzt noch eins ſo ſchoͤn,

Durch ihren dunklen Grund, erhoͤhet, anzuſehn;

Es rollen hier und dort, auf ihr geſteiftes Laub,

Die runden Troͤpfgen, wie Kryſtallen,

Darin ſpielt eine weiſſe Gluht,

Ein Schimmer, der, wie Silber, rein,

Ein Diamanten-gleicher Schein.

Auf der ſonſt glatt- und ebnen Fluth,

Erregt der Tropfen rauſchend Fallen,

Ein
[129]im Sommer.
Ein aͤmſiges Gehuͤpf, da Blaſen ſich erhoͤhn,

Die ſchnell entſtehen, ſchnell vergehn,

Und dadurch unſern Blick vergnuͤgen.

Man ſieht bald hier, bald dort, im Gruͤnen,

Wo niedre Stellen ſind, verſchiedne kleine Seen,

Jn gruͤnen Ufern, und in ihnen,

Viel kleine gruͤne Jnſeln liegen.

Dieſelben gruͤn’ oft ſchoͤn bebluͤmte Huͤgel

Sind, in des Waſſers klarem Spiegel,

Jm Wiederſchein gedoppelt ſchoͤn,

Wenn man drauf achtet, anzuſehn.

Kurz, alles zeigt uns, wenn, wie wir billig ſollten,

Wir alles nur beachten wollten,

Daß, auch in feuchter Regenszeit,

Es einer aufmerkſamen Seele,

An Anlaß zur Vergnuͤglichkeit,

Und Vorwuͤrf, uns zur Luſt, nicht fehle.

Ach ſo gewoͤhnt doch euren Sinn,

Daß er, zu aller Zeit, des Schoͤpfers Wunderwerke

Nicht, wie bisher, nur uͤberhin;

Nein! erſtlich euch zur Luſt, darauf zu Gottes Ehr,

Zu ſeinem Preis und Lob und Dank je mehr und mehr,

Mit froher Achtſamkeit bemerke!

So gar des Regens truͤbe Zeit

Giebt euch dazu Gelegenheit.

Ach laß uns doch fuͤr alle Gaben,

O Herr! die wir von dir allein,

Jn ſolcher Fuͤll, empfangen haben,

Erkenntlich und dir dankbar ſeyn!


Br.VI.Th. JDie
[130]Die Muͤcke.

Die Muͤcke.


Jch fuͤhlte mich, am linken Bein, von einer Muͤcken juͤngſt
geſtochen,

Und zwar ſo ſpitzig, daß michs ſchmerzte. Der Stich ward durch
den Tod gerochen:

Doch dacht ich bey dem Zufall weiter: Wie weit iſt dieß von
meiner Stirn,

Und dem daſelbſt vorhandenen, allein nur fuͤhlenden Gehirn,

Dem Sitz der Seelen, die nur fuͤhlet! wie muß die Nerve doch
ſo klein,

So zart, ſo fein,

Und doch von ſolcher Laͤnge ſeyn,

Daß ſie bis ans Gehirn ſich ſtrecket,

So kleinen Stich der Seel entdecket,

Der in die aͤuſſre Haut kaum dringet,

Und ſie gleich in Bewegung bringet.


Dieß ſcheint ſeltſam, doch begreiflich. Da der Geiſt den Leib
regiert:

Muß er ihn auch ganz erfuͤllen; und daher begreifet man,

Wie er allenthalben fuͤhlet, allenthalben folglich ſpuͤret,

Was ihm wohlthut, was ihn ſchmerzt, wenns gleich nur die
Haut beruͤhret.

Aber hieraus ſcheinet ferner, daß man deutlich ſpuͤren kann,

Wo der Seelen Graͤnzen ſind. Weiter als die aͤußre Haut,

Die man epidermis nennt, wird von aller ihrer Kraft,

Jhrer Wirkung, Sinnlichkeit, Ueberlegen, Eigenſchaft,
Nichts
[131]Die Muͤcke.
Nichts bemerket, nichts empfunden, nichts gefuͤhlet, nichts
geſchaut.

Auſſer, was ſie, da ſie bloß, durch Geberden, Red und
Schriften,

Weiter, als ſie ſelber reicht, vor Veraͤnderung kann ſtiften,

Als wodurch ſie ſich, mit andern, und mit ihr auch andre
Seelen,

Bleiben ſie gleich all in Koͤrpern, doch geſchickt ſind, zu ver-
maͤhlen.

Denn, wie wir ſchon einſt erwieſen, laͤßt uns die Erfah-
rung lernen,

Daß ſich ſelber die Gedanken nie aus unſerm Kopf entfernen.

Faͤllt dir dieſes ſchwer zu faſſen: faͤllt mir der Beweis nicht
ſchwer,

Und die Probe wird dirs zeigen. Schicke der Gedanken Heer

Nach der Africaner Kuͤſten; ruf ſie widerum zuruͤck;

Laß ſie, weil ſie dort geweſen, dir doch eigentlich erzaͤhlen,

Was ſie dort geſehen haben. Dieß kann ihnen ja nicht
fehlen,

Und doch fehlen ſie gewiß. Was ſie einſt davon geleſen,

Oder was von ſolchem Ort etwan einſt erzaͤhlt geweſen,

Sagen ſie dir; anders nichts. Zeigt nun dieß nicht klaͤrlich an,

Daß die Seel aus ihrem Koͤrper nimmer ſich begeben kann?

Sie verbleibet allezeit in des Koͤrpers engen Schranken,

Und hat alles, nebſt den Sinnen, dem Gedaͤchtniß bloß zu danken,

Wenn ſie ſo geſchwinde ſcheint. Doch es rufet mich die Muͤcke

Noch zu einer Ueberlegung, eh ich weiter geh, zuruͤcke.

Wie iſt ihres Stachels Spitze, und die Stelle doch ſo klein,

Wo ſie mich verletzt und ſtach! Hiebey faͤllt mir billig ein:
J 2Wie
[132]Die Muͤcke.
Wie viel Millionen Stellen doch an unſerm Koͤrper ſeyn,

Die uns alle ſchmerzen koͤnnen! folglich, wie ſo groß die
Guͤte

Deſſen, der mit ſolcher Weisheit (da doch alle Elementen,

So viel Millionen Zufaͤll uns ſo leicht verletzen koͤnnten,)

Uns beſchuͤtzet und erhaͤlt. Lob ihn denn, o mein Gemuͤthe!

Dank Jhm herz- und inniglich! Fleh Jhn an, um Seinen
Segen,

Daß nicht nur ſo manche Plagen ferner uns nicht ſchaden
moͤgen;

Sondern daß wir Seine Liebe oft mit Freuden uͤber-
legen.


Boh-
[133]Bohnen-Felder.

Bohnen-Felder.


Da die kaum abzuſehnden Flaͤchen, von den ſchon reifen-
den Gefilden,

Jn einem lieblich-gelben Schmuck, ſich ſchon beginnen zu
verguͤlden:

Sieht man dennoch, bald hier bald dort, ein unvergleichlich
lieblich Gruͤn,

Jn langen Strichen, zwiſchen ihnen, den Schmuck noch zu
erhoͤhn, ſich ziehn.

Dieß ſind nun Felder gruͤner Bohnen, die, wenn ſie, wie
ſie jetzo bluͤhn,

Mit ſo balſamiſchem Geruch die Luft, durch ihre Menge,
fuͤllen;

Daß unſer Hirn und unſre Lunge, vor großer Anmuth faſt
gedruͤckt,

Und durch den faſt zu ſtarken Schwall, zugleich gepreßt wird
und erquickt.

Zumal, wenn von gemachtem Heu, von bluͤhndem Flieder und
Camillen,

Woraus, in ſolchem Ueberfluß, die Duͤft, itzt aller Orten,
quillen,

Die Ambra-reich-und gleichen Theilchen ſich mit der Bluͤhte
Balſam miſchen.

Durch die ſo ſuͤß vermengten Duͤnſte, fuͤhlt man das hitzige
Gebluͤte,

Nicht nur ſich gleichſam recht erhohlen, nicht nur ſich kuͤhlen
und erfriſchen,
J 3Es
[134]Bohnen-Felder.
Es fuͤhlt ein, durch ſo ſuͤſſe Luſt, durch Gott getriebenes Ge-
muͤthe

Ein innerlich erquickend Feuer, ein faſt entzuͤckendes Em-
pfinden,

Und durch den holden Hauch in ihr, ein’ Andacht-Flamme ſich
entzuͤnden,

Ein’ unausdruͤcklich angenehme, ein’ innigliche ſuͤſſe Luſt.

Es oͤffnet ſich daher die Naſe; es dehnt ſich die gewoͤlbte Bruſt,

Jn einem widerhohlten Schnaufen, wo moͤglich, immer mehr
zu faſſen,

Und ſucht, was ſie einſt eingeſogen, nicht gerne wieder weg
zu laſſen.

Die Bluͤhten nun ſind, an ſich ſelber, ſo Farb-und Form-als
Wunder-reich;

Sie ſehn an Farben ſchoͤnem Purpur, an Form den Som-
mervoͤgeln gleich.

Die Wunder, die in ihr befindlich, ſind, daß ſie in der Frucht
uns nuͤtzen.

Die Ordnung nun, auf welche Weiſe ſie zierlich um den
Stengel ſitzen,

Jſt ebenfalls Betrachtungs-werth. Der Stengel, welcher vom
Quadrat,

Und nicht, wie ſonſten andre Stengel, die Bildung eines Zir-
kels hat,

Zeugt angenehme Blaͤtter-Zweige, wovon man mit Vergnuͤ-
gen ſieht,

Wie jeder Zweig, von denen Ecken, drey ſtets nach einer Sei-
ten zieht,

So daß, bey einem jeden Abſatz, von den vier Ecken einer
frey,
Und
[135]Bohnen-Felder.
Und wechſelsweiſe ledig ſteht. Daß nun, von einer Garten-
Bluͤhte,

Die Feldbluͤht unterſchieden ſey,

Beſteht nur darin bloß allein,

Daß dieſe hinten uͤberall, auch alle Adern purpur ſeyn.

Da jene lange nicht ſo roth. Noch hab ich an der Bluͤht
entdecket,

Daß ſie, wenn man es unterſucht, zur Haͤlft in einer Huͤlſe
ſtecket,

Die vier und eine Spitze hat. Das obre Blatt kruͤmmt ſich
zuruͤcke,

Dem folgen zwey, die oben zu und unterwerts geoͤffnet ſtehn,

Auf welchen wir zwey ſchwarze Flecken, als waͤr es ſchwarzer
Sammet, ſehn,

(Da ſie ſonſt an ſich ſelber weiß) ſo man ſonſt nicht auf Blu-
men findet.

Hierin, als einem Futteral,

Steckt abermal

Ein oberwerts geoͤffnet Blatt,

Worin, als in der Ritterſporn, ein Spitzchen ſich nach oben
ruͤndet.

Dergleichen Blumen fuͤllen nun, in einer ungemeinen
Menge,

Von unten bis faſt oben aus, des hohen Stengels ganze
Laͤnge,

Bis das ein gruͤner Buſch von Blaͤttern deſſelben Gipfel zier-
lich ſchmuͤckt,

Wodurch man, auf den Bohnen-Feldern, ein ſchoͤnes Gruͤn al-
lein erblickt,

Das doch zuweilen, hie und da, ein angenehmes weiſſes
Licht,
J 4Von
[136]Bohnen-Felder.
Von weiß-und ſchimmernden Camillen, nicht minder lieblich,
unterbricht.

Die bey dem Dunkelgruͤnen denn, in ſchnellen Blicken hin und
wieder,

Wie weiſſe Sommervoͤgel laſſen, die mit ſanft flatterndem
Gefieder,

Und regem Schwaͤrmen in der Luft, ſich oͤfters pflegen zu ergetzen,

Und bald auf dieſe, bald auf jene gefaͤrbte Blume ſich zu ſetzen.

Nicht anders ſcheint ein Bohnen-Feld, in ſeiner angenehmen
Bluͤhte.

Es ward, ſo wohl durch ihren Nutzen, als ihre Lieblichkeit
und Pracht,

Jn meinem ſie betrachtenden, und ſich vergnuͤgenden Gemuͤthe,

Zu Ehren dem, der ſie uns ſchenkt, ein Andacht-Feuer angefacht.

Herr! ich ſeh, wie jedes Kraut, Herr! ich ſeh, wie, Dir zum
Ruhme,

Alles Laub, wie jedes Blatt lieblich gruͤnt, wie jede Blume,

Bloß durch Dich, ſo ſchoͤn ſich faͤrbt! Schmeckt und ſeht, wie
Gottes Ehre

Jede Frucht in ihrer Huͤlſe, jedes Korn in ſeiner Aehre,

Zeig, erhebe, preiſe, ruͤhme und ſie uͤberall vermehre.

Meine Seele, die die Prach dieſer Wunder innig ruͤhrt,

Wird, in Ehrfurcht, Dank und Andacht, großer Gott, zu
Dir gefuͤhrt;

Sie erkennt, da ſie in ſich eine ſolche Regung ſpuͤrt,

Daß nur Dir, o Herr! allein Preis und Ruhm davor gebuͤhrt.


Ge-
[137]Gedanken bey einer froͤlichen Geſellſchaft.

Gedanken
bey einer froͤlichen Geſellſchaft
auf dem Lande.


Wie luſtig iſt es hier! wie angenehm und ſchoͤn!

Faſt alles, was die Augen ſehn,

Das lachet uns ja gleichſam an!

So hoͤrte man,

Der blendenden Gewohnheit unerachtet,

Faſt einen jeglichen aus der Geſellſchaft ſprechen,

Und, als aus einem Schlaf erwacht,

Vermochte, ſich zu freun, kein einzger ſich entbrechen.

Doch, ohne weiter nach zu denken,

War dieß von ihrer Luſt der Anfang und der Schluß.

Jch ſah, mit innigem Verdruß,

Sie wieder ſich in vorgen Schlaf verſenken,

Die Blicke maͤhlig abwerts lenken,

Und ihres Geiſtes Augen ſchlieſſen.

Es ſchien, ob fuͤrchteten ſie ſich,

Zu vieler Freude zu genieſſen,

Und Gott zu ſehr verpflicht’t zu ſeyn.

Jch ſetzte mich demnach, darob betruͤbt, allein,

Jn kuͤhlen Schatten einer Buchen,

Die Urſach dieſer Laͤßigkeit,

Mit mehrerm Ernſt, zu unterſuchen.

Jndem ich nun im Wald, im friſchen Graſe,

Jn angenehmer Einſamkeit, itzt uͤberlegt, itzt ſchrieb, itzt laſe,
J 5Und
[138]Gedanken bey einer froͤlichen Geſellſchaft.
Und ich, ſo viel mir moͤglich war, der Menſcheu Seelen Eigen-
ſchaft,

Mit allen angeſpannten Kraͤften, und ihren ſchnellen Geiſt
erwegte:

So fand ich, wenn ich recht ihr Weſen, ſamt ihrer Abſicht,
uͤberlegte,

Nach langem Denken, anders nichts, als ſie ſey eine rege Kraft,

Zu dieſem Endzweck bloß erſchaffen, um in des Schoͤpfers
Wunderwerken,

Sein’ Allmacht, Seine weiſe Liebe, mit Luſt und Andacht, zu
bemerken.

Wie aber, dacht ich, koͤmmt es dann, daß, da ſie ſonſt ſo ſchnell,
ſo rege,

Jn allem ihren Thun und Laſſen; ſie doch zu dieſem Werk
ſo traͤge?

So dacht ich, als ich hinter mir ein Raſcheln in dem Buſch
vermerkte,

Das ſich, nach einer kurzen Zeit, mir naͤhert und ſich ſtets ver-
ſtaͤrkte.

Gleich ſah ich, aus dem dicken Strauch, des Jaͤgers muntern
Spuͤrhund dringen,

Und mit geſenkter Stirn und Schnauze, geſchaͤfftig rennen, tra-
ben, ſpringen,

Mit einem eifrigen Bemuͤhn, durch Hecken, Bruͤch und Pfuͤ-
tzen laufen,

Sich aͤmſig wenden, kriechen, ſuchen, geſchwind und unauf-
hoͤrlich ſchnaufen.

Jch dachte lieber Gott! wie aͤmſig, mit welcher feurigen Begier,

Mit welchem ungehemmten Trieb und Fleiß, gebrauchet die-
ſes Thier

Die rege Kraft, ſo die Natur, zu ſuchen, ihm hat eingepraͤget!

Da wir hingegen unſern Geiſt, mit allen Kraͤften, die er heget,
Jn
[139]Gedanken bey einer froͤlichen Geſellſchaft.
Jn eine traͤge Schlafſucht ſenken, die regen Triebe gar nicht
brauchen,

Zum Preiſe des, der ſie uns ſchenkt; vielmehr ſein edles Feur
verrauchen,

Und ungenuͤtzt verſchwinden laſſen. Ach! wuͤnſcht ich, daß
doch dieſe Lehre,

Zu einem billigern Betragen, ſo mir, als andern, dienlich waͤre!

Ach daß wir doch von dieſer Quelle des ſchnoͤden Undanks uns
entfernten,

Und ein geſchaͤfftiger Betrachten, ſo gar von einem Hunde,
lernten!


Schoͤn
[140]Schoͤn Wetter.

Schoͤn Wetter.


Ein Geſpraͤch vom ſchoͤnen Wetter

Pflag wohl ehe manchem Spoͤtter

Stoff zu ſeinem Spott zu ſeyn.

Aber, wie faſt insgemein

Jedes Ding zwo Seiten hat:

So erfahr ich in der That,

Daß, will man ſich nur bequemen,

Und dieß Wort vernuͤnftig nehmen,

Solch Erinnern jedermann,

Mehr, als glaublich, nuͤtzen kann.

Keiner ſollte ſich entbrechen,

Daß das Wetter ſchoͤn, zu ſprechen,

Wenn daſſelbe wirklich ſchoͤn.

Weil die allerſchoͤnſte Zeit

Ungeſpuͤrt pflegt zu vergehn.

Und ich pfleg, in ſchoͤnen Tagen,

Meinen Freunden oft zu ſagen:

„Will denn keiner von euch heut

„Mir ein ſchoͤnes Wetter ſchenken?

Spricht man von der Lieblichkeit:

So erregt man uns ein Denken;

Und durch Denken bloß allein

Kann, was angenehm und ſchoͤn,

Was wir hoͤren, was wir ſehn,

Uns nur zugeeignet ſeyn.

Denkt man nun nicht; er ſey ſchoͤn:

Wird der ganze Tag vergehn,
Als
[141]Schoͤn Wetter.
Als wenn er ſich nicht gewieſen,

Ohne daß wir ihn geſehn,

Ohne daß wir Gott davor geprieſen.

Und hingegen jede Stunde,

Ja faſt jegliche Secunde,

Worin wir mit Luſt erblicket,

Wie ſich Welt und Himmel ſchmuͤcket,

Jſt weit beſſer zugebracht,

Angewendet und genoſſen,

Als ein Tag, der ohn Bedacht,

Ohne Luſt und Dank, verfloſſen.


Ca-
[142]caprifolivm.

CAPRIFOLIVM.


Jch kann, von deiner Zier und Farh, und deiner Balſam-
Kraft, zu ſprechen,

O holdes Caprifolium, durch dich geruͤhrt, mich nicht ent-
brechen.

Es bildete von fremdrer Form, von ſonderlicherer Figur,

Und von ſo ſchoͤn gebrochnen Farben, die alles bildende Natur

Faſt kein ſo ſeltenes Gewaͤchs. Aus einem Stengel, der zu-
gleich

Gerade, krumm, geſtreckt und biegſam, halb gruͤn, halb trucken,
hart und weich,

Daß er ſich gleich um alles ſchrenkt, was er beruͤhrt, bald in
die Hoͤhe,

Bald unter ſich, bald ſeitenwerts, ſich ſchlaͤngelt, ſteiget, dreht
und bieget,

Um Staͤmme, Zweig und Laub ſich ſchlingt, und oft entfernte
Zweige fuͤget,

Bald hohe Gipfel uͤberſteiget,

Ja bald ſich wieder unter ſie hinab, bis zu der Wurzel, neiget,

Und, recht als wie das Herz der Menſchen, auf einmal Hoch-
und Demuth zeiget.

Aus ſolchem Stengel wachſen Blaͤtter, die dunkelgruͤn und
lieblich-glatt,

Wodurch das zierliche Gewaͤchs ein recht beſondres Anſehn
hat.

An vielen Orten drenget ſich ein gruͤn-ſehr netter Knopf
heraus,
Der
[143]caprifolivm.
Der aus verſchiednen kleinen Knoͤpfen, die all gekroͤnet ſind,
beſtehen,

Aus welchen wir, in netter Ruͤnde, vollkommen einen Blumen-
ſtrauß,

Von gelb- und roth- und weiſſen Blumen, in einer jeden Blu-
me, ſehen.

Die Ordnung iſt bewunderns-werth, die ſeltſam zierliche
Figur,

Von einer ganz beſondern Art, fcheint von der bildenden Natur,

Ein neu-und nettes Meiſterſtuͤck. Man ſieht oft vier und zwan-
zig Sproſſen,

Von langen bunt gefaͤrbten Kolbchen, aus ihrem Knopf, her-
vorgeſchoſſen,

Dem Horn des Ueberfluſſes gleich, das anfangs rund und zu-
geſchloſſen,

Aus einem einzgen Blatt beſteht, das aber, wenn es offen geht,

Sich in zwey Theile zierlich theilet, wovon ſich eins im Zir-
kel dreht,

Das groͤßer, zierlich eingekerbt, recht gegen jenen uͤber ſteht.

Die Farb iſt aus der Maßen ſanft, gebrochen und bald roͤth-
lich-bleich,

Bald gelblich-roth, bald roͤthlich-gelb, bald weiß und roth
und gelb zugleich.

So ſanft nun ſeine Farben ſind, ſo ſanft iſt der Geruch von
ihnen,

Jndem ſie minder ſtreng und ſtark, als wie die Lilien, Jes-
minen,

Und doch, weil, auf der großen Staud, es eine ſolche Blumen
Menge,

Die meiſtens nicht zu zaͤhlen, giebt; entſtehet gleichſam ein
Gedraͤuge,
Von
[144]caprifolivm.
Von lieblich angenehmen Duͤnſten, in Luft und Wald und
uͤberall,

Von angenehm gemiſchten Theilen, von ſuͤſſem Duft ein rech-
ter Schwall,

Der in ſo ſuͤßer Harmonie, von holden Koͤrperchen gemiſcht,

Daß es, mit einer ſanften Macht, zugleich uns ſtaͤrket und er-
friſcht.

Wer nun in einer gruͤnen Laube, von Caprifolium bedeckt,

Derſelben Farben, Form und Balſam, erblicket, riecht, ja
gleichſam ſchmeckt,

Jſt ſchuldig, mit Vernunft zu riechen, und auch zu ſehn. Das
heißt nun, denken,

Es zu genieſſen, und davor dem Geber ein Gottlob! zu
ſchenken.


Be-
[145]Betrachtung uͤber den Schilf.

Betrachtung
uͤber den Schilf.


Ach ſaͤh doch jetzo jedermann

Das reif- und glaͤnzende Getreyde,

Nicht ohne Luſt, nicht ſonder Freude,

Jn ſeinem blonten Schimmer an!

Laͤßt nicht das wallende Gefilde,

Als wenn es wirklcih ſich verguͤlde,

Wenn man daſſelbige, zumal

Jm hell entwoͤlktem Sonnenſtral,

Wodurch es mehr als ſonſten glihet,

Mit aufmerkſamen Augen ſiehet.

Wenn nun der Felder gruͤne Graͤnzen,

Die dicht, beſchilften Waſſergraben,

Was liebliches auch an ſich haben,

Und jenes Glanz noch mehr erhoͤhn:

So laßt uns doch ihr gruͤnes Glaͤnzen,

Mit welchem ſie das Feld bekraͤnzen,

Beym gelben Glantz zugleich beſehn.

Es ſcheint, mit ſeiner Blaͤtter Spitzen,

Das Schilf den guͤldnen Schatz zu ſchuͤtzen,

Den er, als wie ein Zaun, umſchraͤnkt.

Sein fluͤſterndes Geraͤuſch, ſein ſuͤſſes Ziſchen,

Wenn es ſich bald erhebt, bald ſenkt,

Bemuͤht ſich ſo durchs Ohr den Geiſt uns zu erfriſchen;

Wie ſein Smaragden Gruͤn, beym Golde gelber Aehren,

Den Augen eine Luſt bemuͤht iſt zu gewaͤhren.

Br.VI.Th. KSo
[146]Betrachtung uͤber den Schilf.
So zierlich die Figur des ſchlanken Schilfs; ſo ſchoͤn

Kann man noch uͤberdem in ihm den Reichthum ſehn,

Den die formirende Natur an Bildungskraͤften heget,

Da ſie uns manche Sort von Schilf vor Augen leget.

Bald ſieht man, wie ſein Blatt den Stengel feſt umſchraͤnkt,

Hernach ſich auf einmal herab und abwerts ſenkt,

Platt, breit und ſpitzig wird; und da es anfangs laͤßt,

Als waͤr es nicht allein an ſeinem Stengel feſt,

Nein, daß der Stengel gar aus Blaͤttern bloß beſtehe,

So weichen ſie jedoch auf einmal von ihm ab.

Verſchiedne richten ſich recht aufwerts in die Hoͤhe,

Verſchiedne ſeitenwerts, viel biegen ſich herab,

Und ſtellen uns dadurch ein’ unterſchiedne Zier,

Jn ungezaͤhlter Art, von Form und Stellung fuͤr.

Noch ſieht ein’ Art von Schilf wie platte Degenklingen,

Und breite Schwerdter aus; daher mans Schwerdt-Gras heißt.

Noch ſind verſchiedene, die rauhe Kolben bringen,

Da manches auf der Spitz ein zierlich Buͤſchel weiſt.

Wie jener Farbe nun dem braunen Sammt nicht weicht:

Sieht man, daß dieſes hier dem ſchoͤnſten Purpur gleicht.

Der Blaͤtter ſproͤdes, hart, rauh, dicht und feſt Gewebe,

Das gruͤnen Baͤndern gleicht, ſcheint recht dazu gemacht,

Daß es nicht nur dem Aug in ſeiner gruͤnen Pracht,

Daß es auch dem Gehoͤr ein’ Art von Anmuth gebe,

Wenn nemlich, da ſie ſich einander oft beruͤhren,

Durch die bewegte Luft, wir oft ein Fluͤſtern ſpuͤren,

Daß, wenn ihr raſchelndes Getoͤn, ihr lispelnd Ziſchen,

Sich oͤfters mit des Bachs gelindem Murmeln miſchen,

Es eine ſanfte Luſt, durchs Ohr, in uns erregt,

Und uns zur Ruhe reizt, auch oftermals bewegt,

Daß man ins kuͤhle Gras ſich, zwiſchen Blumen, legt,
Jn
[147]Betrachtung uͤber den Schilf.
Jn ſuͤſſen Schlummer ſinkt. Gedenkt man nun dabey,

Daß Gott allein die Quell von allem Guten ſey,

Daß alle Schoͤnheit bloß aus Gott, dem hoͤchſten Gut,

Entſtehe, ſtamm, entſprieſſe,

Daß alles, wie aus ihm, ſo wieder in ihn flieſſe;

Schlaͤft, ſag ich, jemand nun mit ſolchem Denken ein;

(Da er ſo dann im Schoͤpfer gleichſam ruht:)

So gebe man mir doch Bericht:

Sollt eine ſolche Ruhe nicht

Ein faſt halb ſeelger Schlaf mit Recht zu nennen ſeyn?


K 2Herbſt
[148]Herbſt-Betrachtung.

Herbſt-Betrachtung.


Da wir nunmehr den kuͤhlem Herbſt, mit ſeinen Schaͤtzen,
wieder ſehn;

Da uns, um ſeine Pracht zu ſchauen, annoch die Augen offen ſtehn:

So laßt uns doch, wie itzt die Welt, auf eine neue Weiſe, ſchoͤn,

Mit ſchuldiger Aufmerkſamkeit, und aufgewecktem Sinn, be-
trachten,

Und deſſen Weisheit, der die Welt in ſolcher Ordnung fuͤhrt,
erachten!

Jetzt laſſen die bereits veraͤnderten Gebuͤſche,

Jm Schmuck, der minder nicht, als wie im Sommer, ſchoͤn,

Ein angenehm und liebliches Gemiſche,

Von ſanft gebrochnen Farben ſehn.

Gelb, roͤthlich, dunkelroth, hellgruͤn, und dunkelgruͤn,

Formiret, wenn zumal auf ſie die Sonne ſchien,

Bald da, bald hie,

Zu unſrer Augenluſt, ein’ holde Harmonie.

Nicht nur die Wipfel, Buͤſch und Hecken,

So gar den Boden ſelbſt, bedecken

Gefaͤrbte Blaͤtter, die ſie ſchmuͤcken,

Wie der Tapeten Pracht, ſo uns die Serer ſchicken.

Die mehrentheils im Herbſt bedeckte Luft

Erfuͤllet, wenn es ſtill, ein falber Duft,

Und eben dieſer dient der Baͤume bunten Pracht,

Durch klare Dunkelheit, zu einem ſchoͤnen Grunde,

Der durch den Gegenſatz ſie dennoch mehr erhoͤht,

Und, durch die Schwaͤrze, ſchoͤner macht.
Wo-
[149]Herbſt-Betrachtung.
Wodurch, ſo wie wenn Licht und Schatten,

Jn manchen Miſchungen, ſich gatten,

Der Landſchaft ſchoͤnſter Schmuck entſteht.

So wohl dem Aug, als dem Gefuͤhl,

Scheint jeder Vorwurf jetzo kuͤhl,

Doch machet auch hingegen manche Stelle

Die gelben Baͤume nicht nur helle,

Es ſcheint, durch ihren hell-und gelblich rothen Schein,

Die kuͤhle Landſchaft warm zu ſeyn.

Ein durch die truͤbe Luft gebrochnes ſanftes Licht

Regieret uͤberall. Zwar Schatten ſieht man nicht,

Doch ſcheint ihr ſchwarzes Heer, in dem geſchwaͤchten Schein,

Der nunmehr allgemein,

Zugleich mit eingemiſcht zu ſeyn.

Man ſieht, ſo weit man ſieht, ein truͤbes Ganz,

Jn einem bunten zwar, doch ſehr gedaͤmpften Glanz.

Es kam mir vor, als ob dieß gruͤnlich klare Grau,

So ich nunmehr an allen Orten ſchau,

Auf meinem Geiſt, auch einen Eindruck machte,

Und ihn zu einer ſtill- und ſuͤſſen Schwermuth brachte.

Er ſchien, ſchon zum voraus, das Kuͤnftge zu bedauren,

Und den bald nahen Raub der Blaͤtter zu betrauren.

Ein ſanfter Schauer druͤckt die Haut, und in den Sehnen,

Fing eine ſanfte Widrigkeit

Allmaͤhlig an ſich auszudehnen.

Allein ich munterte, durch dieſen Troſt, mich auf:

Genieß der Gegenwart des Guten; laß den Lauf

Der regen Zeiten, ohn Verdrieſſen,

Gelaſſen flieſſen.

Es reißt das ſchoͤne Laub der nahe Froſt zwar nieder,

Doch bringt der Winter uns den Lenzen,
K 3Jn
[150]Herbſt-Betrachtung.
Jn welchem neue beſſer glaͤnzen,

Jm angenehmen Wechſel, wieder.

Jndem ich alſo ſteh und denke,

Und meinen Blick bald hie, bald dortwerts lenke:

Erhebet ſich ein Wind; es faͤllt ein dicker Regen;

Jch ſpuͤret in der Luft ein ſchleuniges Bewegen;

Es fiel das bunte Laub, der Schmuck der bunten Buͤſche,

Mit einem raſchelnden Geziſche,

Recht Schaarenweiſ herab;

Das mir, wie folgt, zu denken Anlaß gab:

Man wird, ſelbſt in dem Fall der Blaͤtter,

Von Gottes Ordnungen belehret,

Der zu dem Endzweck, der Natur ſolch eine weiſe Richtſchnur gab,

Da in dem Herbſt, ſo wohl der Wind, als viele Feuchtigkeit
ſich mehret.

Durch Regen muß der Stengel faulen; dann ſtreift der Wind
ſie fertig ab,

Da ſonſt, durch ihre Zaͤhigkeit, ſie ſich vom Baum nicht leicht-
lich trennen,

Und folglich denen folgenden nicht ihren Platz verſchaffen
koͤnnen.


Nach
[151]Nach der Erndte.

Nach der Erndte.


Wohin iſt jetzt das Segens-Meer,

Das auf dem Felde wallete?

Jch ſehe ja, ſo weit ich ſeh,

Ein ungewohntes großes Leer.

Die ſcharfen Blicke ſchauen nichts;

Sie moͤgen noch ſo weit ſich ſtrecken.

Die vorge Freude des Geſichts

Jſt nirgend weiter zu entdecken.

Doch o geſegnet Leer! wie ſchoͤn

Jſt dein erwuͤnſchtes Nichts zu ſehn!

Die ſchoͤne Frucht, des Blicks Ergetzen,

Der reiche Schatz, der nichts zu ſchaͤtzen,

Der uns ſo lange Zeit erfreut,

Jſt nicht nur gluͤcklich abgemeyt;

Man kunnt ihn, ohne Sturm und Regen,

Gottlob in unſre Scheuren legen!

Daher das Feld, auch ohne Pracht,

Den Augen neue Freude macht.

Was unſer Gott uns nun beſcheert,

Jſt fernern Denkens ja wohl werth.

Auf recht bewundernswerthe Weiſe,

Jſt aus der Erde Korn, die Speiſe,

Wodurch wir uns ernaͤhren ſollen,

Dem Schein nach recht hervor gequollen.

Der Saft iſt, durch ſo manche Roͤhre,

Von unten auf bis zu der Aehre,

Jm holen Halm, empor gefuͤhrt.

Er hat beſtaͤndig zirkulirt,

K 4Wie
[152]Nach der Erndte.
Wie man, nachdem man es ergruͤndet,

Den Trieb in allen Pflanzen findet.

Erwege denn, vernuͤnftge Seele!

Sprich, wer formirte die Canaͤle,

Von wem iſt dieſer zarte Saft,

Voll Segens-reicher Nahrungskraft,

Fuͤr uns, auch fuͤr das Vieh bereitet?

Wer hat es dergeſtalt geleitet?

Wer ließ es in den Zaͤſerlein

Der Wurzel, die kaum ſichtbar ſeyn,

Jm finſtern Schooß der feuchten Erden,

Zertheilt und als verdauet werden?

Wer bildete die ſchoͤnen Aehren,

Das nette Korn, die zarte Bluͤhte?

Durch weſſen unumſchraͤnkte Guͤte

Konnt es ſo reichlich ſich vermehren,

Daß auch die ſtaͤrkſten Leiterwagen

Nur kaum die ſchweren Laſten tragen?

Da doch nur wenig Zeit zuvor,

Der Saͤmann alles Samenkorn,

Woraus nun ſolch Gewicht entſproſſen,

Jn wenig Saͤcken eingeſchloſſen.

Je minder wir nun alles faſſen,

Je minder muß man unterlaſſen,

An den, in Ehrfurcht, zu gedenken,

Der uns, durch ſeine weiſe Fuͤhrung,

Durch ſeine gnaͤdige Regierung,

Die Koͤrperchen ſo wohl zu lenken,

Und, uns dadurch viel guts zu ſchenken,

So liebreich uns gewuͤrdigt hat.

Allein wo koͤmmt das Elend her?

Jch dacht, ich wuͤrd unglaublich mehr

Ver-
[153]Nach der Erndte.
Vergnuͤgen, Andacht, Dankbegier,

Zur Erndtezeit, in mir befinden?

So aber find ich faſt in mir

Den Trieb zur Dankbarkeit verſchwinden.

Es wird das Feur der Freude kalt,

Und will, wie ich gehofft, nicht gluͤhen;

Jch muß mein Herz, faſt mit Gewalt,

Zum Lobe meines Schoͤnpfers ziehen.

Es iſt betruͤbt, daß im Genuß,

Wir einen ſolchen Ueberfluß

Von Segen und ſo vielen Gaben,

Die unſer Schoͤpfer uns gegoͤnnt,

Man lange nicht ſo viel erkennt,

Als wir vorher gehoffet haben;

Daß von ſich ſelbſt man wenig kann.

Jch ſeh, und merke wohl hiebey,

Dao auch der Dank kaum unſer ſey.

Du mußt, o Herr, in dieſem Leben,

Um dich im Dank auch zu erheben,

Das Wollen und Vollbringen geben.

Ach gieb denn Wollen und Vollbringen

So andern Menſchen, als auch mir,

Damit wir recht vergnuͤget dir

Von Herzen Freudenlieder ſingen.


K 5Fra-
[154]Fragen.

Fragen.


Fuͤr wen bebluͤmen ſich die Felder?

Fuͤr wen belauben ſich die Waͤlder?

Fuͤr wen ſprießt, durch der Sonnen Stral,

Der Kraͤuter Menge ſonder Zahl?

Fuͤr wen hoͤrt man der Voͤgel Singen

So lieblich und ſo ſuͤß erklingen?

Fuͤr wen erfuͤllt die laue Luft,

Aus Blumen, ſolch ein Balſam-Duft?

Fuͤr wen ſieht man, durch tauſend Roͤhren,

Sich Gras in Milch und Fleiſch verkehren?

Fuͤr wen traͤgt, ſonder unſre Muͤh,

Zur Kleidung, Woll und Haar das Vieh?

Fuͤr wen entſprieſſen ſo viel Fruͤchte?

So viel und mancherley Gerichte?

Und wem zu gut waͤchſt Holz und Stein?

Fuͤr dich, o Menſch, nur bloß allein;

Und kannſt ſo unempfindlich ſeyn?

Von wem entſtehn denn alle Gaben,

Die dich ernaͤhren, kleiden, laben?

Von Gott, dem Schoͤpfer, bloß allein,

Und kannſt ſo gar undankbar ſeyn!


Eine
[155]Eine Viole Matronal im Herbſt.

Eine Viole Matronal
im Herbſt.


Wie ein kleiner weiſſer Stral,

Der durch gruͤne Zweige bricht,

Fiel mir juͤngſt ein nettes Spaͤtling der Violen Matronal,

Spaͤt im Herbſt, noch im October, unvermuthet ins Geſicht.

Stutzt ich nun den Glanz zu ſehen: Stutzt ich wirklich ja ſo ſehr,

Und vergnuͤgt, ergetzt, erquickte mich, an ſelbe faſt noch mehr,

Durch den Balſam des Geruchs, den ich wunderſtark verſpuͤrte,

Da er mir, nicht nur die Naſe, wirklich Hirn und Seele, ruͤhrte,

So daß ich, vor Gott, im Geiſte, ehrerbietig niederſank,

Alle Kraͤfte meiner Seelen auf Jhn, als den Schoͤpfer, lenkte,

Und ein von vergnuͤgter Andacht angefuͤlltes Herz Jhm ſchenkte,

Nebſt dem Ausbruch meiner Lippen: Herr dir ſey Lob,

Preis und Dank.


Eini-
[156]Jagd-Cantata.

Einige Betrachtungen
uͤber das
Jagen, Fiſchen und Vogelſtellen, zum
Beweis, daß diejenigen, ſo auf dem Lande leben, vor
andern eines beſondern Vorrechts zum irdiſchen
Vergnuͤgen in Gott ſich zu erfreuen haben,
und daß es nur an ſie lieget, ſolches
zu erkennen.


Jagd-Cantata.


ARIA

Chor.
Auf auf! es faͤngt ſchon an zu tagen.

Der Berge Gipfel gluͤhen ſchon;

Es ſchallt des Waldhorns muntrer Ton.

Auf! auf! zur Luſt! auf! auf! zum Jagen!

Recit.

So ſang Silvanders muntrer Sohn,

Nebſt Cervamir, der mit den Hunden,

Und ſeiner frohen Jaͤger Schaar,

Nit Netzen, Flinten, Pferd und Wagen,

Sich fruͤh zum Jagen eingefunden.

Und weil dieß edle Paar

Nicht, wie die Jaͤger insgemein,

Die bloß nur um zu jagen jagen,

Die Jagd begunnten, nein zugleich,

Wie die Natur an Schmuck ſo reich,

Mit
[157]Jagd-Cantata.
Mit Luſt beſahe:

Fing Cervamir gleich folgends an:

ARIOSO.

Wie ſchoͤn iſt die bethaute Welt,

Durch den entwoͤlkten Morgenſtral!

Wie funkelt das getraͤnkte Feld!

Wie glaͤnzt und ſchimmert Berg und Thal!

Recit.

Ey ſehet dort die angeſtralte Wieſe,

So gleichſam ganz bedeckt, mit Demant und Rubin!

Vergleicht ſich ihr beflammtes buntes Gruͤn

Nicht einem hellen Paradieſe?

Ein ſchimmernd Weiß bedeckt das gruͤne Gras,

Das, durch gefallnen Nachtthau, naß,

Woran ein Jaͤger-Blick beſonders ſich ergetzer,

Wenn er, wo hie und dort das Gras gedruͤckt,

An einer dunklen Spur, erblickt,

Wo hie, und dort, das Wild den Fuß geſetzet,

ARIA.

Da Luft und Erde wunderſchoͤn:

So laßt uns den, der alle Pracht

Zu unſrer Luſt, und ſeiner Ehre macht,

Auch bey der Jagd,

Zu unſrer Luſt, zu ſeinen Ehren, ſehn!

Silvand.

Jn den bebuͤſchten feuchten Gruͤnden,

Springt jetzt manch ſchneller Hirſch, ſammt ſeinen Hinden,

Mit leichtem Fuß, und aufgerecktem Ohr,

Aus dem belaubten Wald, hervor.

Sieh
[158]Jagd-Cantata.
Sieh da! dort rennt in dem bebluͤmten Graſe,

Ein fluͤchtiger, geſchwinder Haaſe;

Seht! wie er ploͤtzlich ſtutzt, ſich ſetzt;

Ein Maͤnnchen macht,

Und da es niemand ſieht, an des Gefildes Pracht,

Mit tauſend Spruͤngen, ſich ergetzet.

ARIA.

Te! Melampus! Hector! Te!

Te! dort laͤuft er! Loͤſt die Winde!

Stoßt ins Waldhorn! eilt geſchwinde!

Jetzo rennt er nach der Hoͤh!

Da Capo.

Sie haben ihn! o welche Freude!

Wie groß iſt doch, in unſrer Bruſt,

Mit recht die jetzt genoßne Luſt,

Ob der vergoͤnnten Augenweyde!

Drauf ward, in einem kuͤhl-und ſchattenreichen Wald,

Das Morgenbrodt mit Luſt verzehrt.

Wobey man denn, daß Echo wiederhallt,

Dieß ihr gewohntes Jagdlied hoͤrt:

ARIA.

Wir verehren deſſen Guͤte,

Mit erkenntlichem Gemuͤthe,

Der die Waͤlder und Gefilde,

Uns zur Luſt, mit ſchnellem Wilde

Fuͤllt, ſie, und durch ſie uns, naͤhrt.

Jſt nicht Gott, fuͤr ſo viel Gaben,

Die wir, bloß durch Jhn nur, haben,

Dankens- und bewunderns-werth?

Fiſche-
[159]Fiſcherey.

Fiſcherey.
Segenfeld zu Hirtenau.


Dein lieblich Jagdgedicht hab ich mit Luſt geleſen,

Um ſo viel mehr, als dieſes mich

Jn meiner Meynung ſtaͤrkt, vom Land- und Hirten-Weſen,

Daß, ſo wie jeder Menſch, in ſeinem Stande,

Abſonderlich

Auch Edelleute auf dem Lande,

Jhr bis daher faſt nicht gefuͤhlt Vergnuͤgen,

Auf tauſend Arten zu vermehren,

Ja ſolche Luſt zugleich, ſelbſt mit der Gottheit Ehren,

Geſchickt und faͤhig ſind zu fuͤgen,

Faſt ſonder alle Muͤh! Man darf nur ſchmecken, hoͤren,

Empfinden, ſehn und riechen lernen:

So wird der groͤßte Feind, woruͤber jeder klagt,

Der manchen Edelmann, mit Zentnerbuͤrde, plagt,

Die Langeweile, ſich von uns entfernen,

Der ſchwere Muͤßiggang, von unſern Graͤnzen ziehn,

Und manche Laſterbrut, zugleich mit ihm, entfliehn.

Hingegen wird ein Heer von Lieblichkeiten,

So uns bisher nicht ſichtbar war,

Auf allen Seiten,

Uns ſichtbar werden, uns begleiten.

Recht abſonderlich fuͤr euch, die ihr auf dem Lande lebet,

Scheinet die Natur zu wirken. Ein vernuͤnftger Edelmann

Sieht, wenn er vernuͤnftig ſieht, beſſer, als kein Koͤnig kann,

Wie die Werke Gott entdecken, uͤberall mit Freuden an.

Selig! wenn er, Gott zum Ruhm, ſich zu freuen, ſich beſtrebet.

Ach!
[160]Fiſcherey.
Ach! moͤchte beyderley Geſchlecht doch dieſes faſſen,

Und ſich, zu unſres Gottes Ehr,

Die große Wahrheit zeigen laſſen!

Der Jnhalt dieſer unſrer Lehr

Jſt ja ſo ſuͤß und nuͤtzlich, als nicht ſchwer.

Wir duͤrften nur in Gottes ſchoͤnen Werken,

Mit inniglich geruͤhrter Bruſt,

Daß er ſie ſchuf zu unſrer Luſt,

Durch Weisheit, Lieb und Allmacht, merken.

Ergetzt euch denn, genieſſet und erkennet,

Die ihr auf euren Guͤtern lebt,

Die Guͤter, die euch Gott in ſolcher Menge goͤnnet!

Er will, o Wunderhuld, fuͤr alle ſeine Gaben,

Die Er, allein zu eurer Luſt, beſtimmt,

Jn deren Meng ihr gleichſam ſchwimmt,

Nur ein erkenntlichs Herz, nur eure Freude, haben.

Um nun zu dieſem Zweck uns mehr noch zu bereiten,

Will ich, wie, auf dem Land, auch uns die Fiſcherey,

Nicht minder als die Jagd, zu tauſend Lieblichkeiten,

Viel Anlaß geben koͤnn, und ſehr betraͤchtlich ſey,

So wie du von der Jagd gethan, mich auch bemuͤhn,

Um, durch die Fiſcherey, uns auch zu Gott zu ziehn.

Drauf las er Hirtenau, in dick gewachsnen Buͤſchen,

Worin ein ganzes Voͤgel Chor,

Die ihre zarte Toͤn in ſeine Lieder miſchen,

Sein juͤngſt verfertigtes Gedicht, von Fiſchen,

Zu beyderſeitigem Vergnuͤgen vor:


An einem ſanft erhabnen Huͤgel,

Der Blumen-Klee-und Kraͤuter-reich,
Liegt,
[161]Fiſcherey.
Liegt, als ein großer Himmels-Spiegel,

Ein rings umher beſchilfter Teich,

Der, wie ein flieſſend Silber, ſcheinet,

Und, ſo den himmliſchen Saphier,

Als ſeines Rands ſmaragdne Zier,

Jn holdem Wiederſchein, vereinet.

Nach dieſem Sammelplatz der Fluth,

Die in bemoſten Ufern ruht,

Worin ſie, wie Kryſtallen, glaͤnzt,

Mit Blumen, Gras und Kraut bekraͤnzt,

Begab ſich Segenfelds Geſellſchaft neulich hin,

Zu Pferde theils, und theils zu Wagen,

Um, mit auf andre Art vergnuͤgtem Sinn,

Auch Wild, im Waſſer, zu erjagen,

Das, in dem Wiederſchein, von hoher Baͤume Kronen,

Wie Wild in Waͤldern, auch im Gruͤnen, ſchien zu wohnen.

Man ſah in ihm bereits, mit aͤmſigem Bemuͤhn,

Die Bauren ſchwere Netz, in hellen Zirkeln, ziehn,

Hier, mit behaͤglichem Gewuͤhl,

Sich mitten in das Waſſer wagen,

Und oͤfters halb nur aus dem Waſſer ragen,

Dort Eimmer, Zuber, Ketſcher tragen.

Es war das Wetter warm und ſchwuͤhl;

Ein falbes zwar, doch klares, Grau

Verhuͤllete der Luͤfte heitres Blau,

Und faͤrbte folglich auch zugleich,

Mit klarer Dunkelheit, den Teich,

Der die Geſtalt des Himmels an ſich nahm,

So daß ein dunkles Licht, auf ſeiner Flaͤche, ſchwam.

Br.VI.Th. LDie
[162]Fiſcherey.
Die Augen waren all, auf den gedehnten Rand,

Und Saum des Netzes hingewandt,

Wovon man bloß die leichten Hoͤlzer ſah,

So auf des Waſſers Flaͤche ſchwommen.

So bald die erſten nun, gemaͤhlig nah,

Ans Ufer kommen,

Und man das Netz an beyden Seiten legte,

Sah man, wie hinterwerts, gewaltiglich,

Das truͤbe Waſſer ſich,

Jn Kreis und Wirbeln, ſtark bewegte,

Wovon die Urſach noch nicht ſichtbar war,

Bis ſie ſich allgemaͤhlig wies,

Da eine große Schaar

Gefangner Fiſche ſich im Netze ſpuͤren ließ.

Ein klatſchendes Geraͤuſch, ein lauter Schall,

Erhub ſich uͤberall,

Ein wimmelndes Gewuͤhl war uͤberall zu ſehn.

Hier ſah man einige ſich aus der Fluth erhoͤhn,

Um ihrem Kerker, noch durch ſpringen, zu entgehn,

Jndem der groͤßte Theil ſich, in den Gruͤnden,

Umſonſt beſchaͤfftigte, die Sicherheit zu finden.

Kaum war der ſchwere Schwarm, mit Muͤh und Macht,

Aus ſeinem Element aus Land gebracht;

Da theilte ſich, von ungefehr,

Der ſchweren Wolken dunkles Heer.

Der hellen Sonne guͤldne Gluht

Brach durch, und fiel auf Erd und Fluth,

Wodurch, indem ſie ſie, mit vollem Licht beſtralte,

Sie alles, was man ſah, bewundernswuͤrdig malte.

Des Ufers Schilf, das recht ſinaragdne Gruͤn,

Vom weichen Silber angefeuchtet,
Wo-
[163]Fiſcherey.
Worin der guͤldne Stral der Sonne ſchien,

Glaͤnzt auſſerordentlich und leuchtet,

Ja lacht, im Wiederſchein, uns ſo erfreulich an,

Daß man nichts lieblichers erdenken kann.

Nicht minder war das aͤmſige Gewuͤhl,

Von Wagen, Pferden und Livreen,

Worauf der Stral der Sonne fiel,

Faſt feurig, bunt und lieblich anzuſehen.

Doch was das herrlichſte von allen annoch, war

Der auf das gruͤne Gras gegoßnen Fiſche Schaar,

Die, mit viel tauſend krummen Spruͤngen,

Nach ihrem vorgen feuchten Sitz,

Sich wiederum beſtrebten hin zu ſchwingen.

Es zeugt manch hell- und ſchnellen Blitz

Der Schuppen ſilberner und guͤldner Glanz, zumal

Jm ſchnell entwoͤlkten Sonnenſtral.

Des friſchen Graſes feuchtes Gruͤn,

Jn deſſe Naͤſſe ſich die Sonne ſelber bildet,

Schien, durch der Schuppen Gold, bald hie, bald dort verguͤldet.

Man kann nicht ſonder Luſt erblicken,

Hier Baͤuche, gelb wie Gold, die rothe Federn ſchmuͤcken.

Hier ſieht man, auf den ſchluͤpfrig-glatten Seiten

Der unten liegenden, die obern hin und her,

Bald in die Laͤng, bald in die Queer,

Mit Schlangen-formiger Bewegung, gleiten,

Dort unter ſich die Koͤpfe ſtecken,

Um ſich, wo moͤglich, zu verdecken.

Es ſuchen viele dort, mit krummen Spruͤngen,

Um zu entfliehen, hoch ſich in die Hoͤh zu ſchwingen;

Allein ſie fallen ploͤtzlich wieder,

Mit klatſchendem Geraͤuſch, hernieder.
L 2Man
[164]Fiſcherey.
Man kann, von Farb und Glanz, kein lieblicher Gemiſche,

Als feucht-beſtraltes Gras, voll reger Fiſche,

Mit ſilbernen und guͤldnen Schuppen, ſehn.

Sie huͤpfen, laͤrmen, ſchlagen, drehn,

Erhoͤhn und kruͤmmen ſich. Ein klatſchendes Geziſche,

Ein ſchmatzend Schnappen nach der Luft,

Wird uͤberall gehoͤrt.

Hierdurch ward Segenfeld recht inniglich bewegt.

Er dachte, wie er meiſtens pflegt,

So wohl der Luſt, als auch dem Segen nach,

Woruͤber er, wie folgt, zu der Geſellſchaft ſprach:

Wenn man dieß alles ſieht;

Was hindert uns daran,

Daß ein dadurch vergnuͤgt Gemuͤth,

Bey ſeiner Freude, nicht den großen Schoͤpfer ehret?

Was hindert uns, daß nicht ein jedermann,

Da Gott, in Fiſchen, uns ſo manchen Segen ſchenket,

Auch wenn er fiſchen ſieht, am großen Geber denket?

Wir wollen wenigſtens, zu Seinen Ehren,

Das uns bekannte Lied, vom Waſſer, laſſen hoͤren.

ARIA.
Die ſchuppichten Buͤrger der wallenden Fluth,

Die glaͤnzenden Schaaren im ſchluͤpfrigen Grunde,

Erheben, auch mit ſtummem Munde,

Die Wunder, die der Schoͤpfer thut.

Jhr Menſchen! wenn ſie euch ergetzen und ſpeiſen,

Vergeſſet doch nimmer den Schoͤpfer zu preiſen!

Worauf der Jaͤger gleich ins muntre Waldhorn ſtieß,

Wobey der Widerhall ſich deutlich hoͤren ließ.

Das
[165]Das Vogelſtellen.

Das Vogelſtellen.


Nicht das Fiſchen nur und Jagen

Schaffet unſrer muntren Bruſt,

Auf dem Lande, Freud und Luſt;

Noch ein angenehm Behagen,

Das, ſo wohl als Fiſch und Jagen,

Auch betracht- und dankens-werth,

Goͤnnet uns der Vogelheerd.

Dieß ergetzliche Geſchaͤffte

Giebt uns, nebſt des Schoͤpfers Werken,

Unſers Geiſtes Schaͤrf und Kraͤfte

Wunderwuͤrdig zu bemerken.

Daß nicht nur auf Land und Meer,

Sondern ſich ſo gar erſtrecken

Auf der Luͤfte ſchnelles Heer,

Kann der Vogler uns entdecken.

Unſerm Witz iſts nicht genug,

Wild im Wald, in Feld und Kluͤften,

Zu erhaſchen, ſelbſt in Luͤften

Hemmen wir der Voͤgel Flug.

Laßt uns denn daran, mit Freuden,

Jetzt im Herbſt, die Augen weiden.

Seht! wie jetzt die bunten Blaͤtter, recht als waͤren ſie gereift,

Theils annoch die Luͤfte zieren, theils von Zweigen abgeſtreift,

Den bebraͤhmten Boden ſchmuͤcken. Man ſieht faſt mit frohem
Schrecken

Die entfaͤrbte Landſchaft an. Halb entlaubte bunte Hecken

Zeigen uns verſchiedne Voͤgel, die man ſonſten nicht geſehn,

Und erinnern uns dadurch, daß, zu neuer Froͤlichkeit,
L 3Die
[166]Das Vogelſtellen
Die ſo auf dem Lande leben, dieſe Segens-reiche Zeit

Zu dem Vogelſtellen lockt. Seht den angenehmen Ort,

Seht, bey ſtill bedecktem Wetter,

Jn den bunten Buͤſchen dort,

Den gelb-gruͤnen Reſt der Blaͤtter.

Auch der Boden iſt geſchmuͤckt,

Und, wohin das Auge blickt,

Siehet man, nicht ohn Vergnuͤgen,

Blaͤtter, bunt wie Blumen, liegen,

So daß gleichſam jetzt die Hecken,

Tiefen, Hoͤhen, Wald und Feld,

Ja ſo weit man ſieht, die Welt

Zierliche Tapeten decken.

Seht, in dieſes Waldes Mitte,

Die mit Laub bedeckte Huͤtte.

Laßt uns doch geſchwinde gehn. Laßt uns durch die Buͤſche dringen,

Und den Vogelheerd beſuchen! auf! zu ſehn, ob ſich in Schlingen,

Und in Dohnen, dieſe Nacht keine Kramets-Voͤgel fingen.

Gleich war jedermann bereit,

Alt und jung fing an zu laufen,

Hier ein Haufen, dort ein Haufen,

Lief mit muntrer Hurtigkeit,

Nach dem angezeigten Ort,

Was er laufen konnte, fort.

Selbſt die ſchwaͤchliche Beliſe

Gieng mit mir, durch eine Wieſe,

Bis wir an die Huͤtte kamen,

Die mit Laub und Mooß bedeckt,

Und, nachdem wir uns verſteckt,

Unſern Sitz bequemlich nahmen,
Da
[167]Das Vogelſtellert.
Da ich ihr denn alles wies,

Wie bald das, bald dieſes hieß,

Und wie ſie nach mehrern fragte,

Jhr zuletzt noch dieſes ſagte:

Hoͤr die kleinen Saͤnger ſingen;

Sieh die loſen Voͤgel ſpringen,

Und verraͤthriſch ſich bemuͤhn,

Um in die geſtellten Schlingen

Andre Voͤgel auch zu ziehn.

Still! da kommen ganze Schaaren;

Jſt mir recht, ſo ſind es Staren;

O! ſie fliegen ja vorbey!

Sachte! nein, ſie kehren wieder.

He! mit einem Sturz hernieder!

Sie ſind feſt, das Netz faͤllt zu.

Laßt uns laufen! laßt uns ſehn,

Welche Sorten, ob ſie ſchoͤn;

Sieheſt du,

Wie es unterm Netze lebet,

Wie es flattert, wie es ſchwebet?

Welche Menge, welche Luſt!

Aber welch ein graͤulich Morden!

Sprach Beliſa hier zu mir;

Jch entſetze mich dafuͤr.

Solch ein allerliebſtes Thier

Jſt, o Schad, erwuͤrget worden.

Seht den ſchoͤnen Kopf, die Bruſt!

Seht das glaͤnzende Gefieder,

Die gebrochnen Augenlieder,

Nebſt dem ſchlaffen Haͤlschen an!

Sprecht, was haben ſie gethan?
L 4Es
[168]Das Vogelſtellen.
Es betruͤbet ſich mein Geiſt,

Und mich deucht, ein Vogelheerd

Sey mit allem Rechte werth,

Daß man ihn der Sanftmuth Schwerdt,

Und der Unſchuld Schlachtbank heißt.

Darauf aber ſtellt ich hier

Meine Antwort folgends fuͤr:

Deine Klage ſcheint gerecht. Aber iſt der Voͤgel Orden

Weniger, als andre Thier, uns zum Nutz erſchaffen worden?

Sollten ſie denn uns nicht nuͤtzen? Sollten ſie vielleicht allein

Des ergrimmten Habichts Klauen und der Sperber Beute ſeyn?

Oder ſich zu haͤufig mehren? Muͤſſen ſie nicht alle ſterben,

Und vermuthlich klaͤglicher, und empfindlicher verderben?

Alſo troͤſte dich daruͤber!

Willſt du aber dennoch lieber

Einigen die Freyheit ſchenken,

Thu es, damit dein Vergnuͤgen

Ja nicht unterbrochen ſey.

Laß die allerſchoͤnſten fliegen,

Oder gieb ſie alle frey.

Doch wirſt du dich mir hingegen

Zu gefallen nicht entlegen,

Und, ſo bald wir ruͤckwerts kehren,

Einen, auf den Vogelfang,

Juͤngſt verfertigten Geſang,

Beym Clavir, mir laſſen hoͤren.

Dieß verſprach ſie mir und ſang,

Daß es mir durchs Herze drang.

Kann auf Erden wohl ein Leben

Wirkliches Vergnuͤgen geben,
Braucht
[169]Das Vogelſtellen.
Braucht man es nur mit Verſtande;

Als das Leben auf dem Lande?

Jagen, Fiſchen, Vogelſtellen,

Sind dem lauter Anmuths-Quellen,

Der dabey mit Luſt bedenket:

Daß es Gott ſey, der ſie ſchenket;

Daß er nichts davor begehret,

Als daß man Jhn froͤlich ehret,

Jhm zum Ruhm, mit Luſt und Freude,

Alle Sinnen froͤlich weide.


Berge, Thaͤler, Wieſen, Waͤlder,

Aecker, Wieſen, flache Felder,

Sind fuͤr uns vergnuͤgens-voll,

Braucht man ſie nur, wie man ſoll.

Wenn man, im Genuß, nur denket:

Daß der Schoͤpfer alles ſchenket;

Daß nur Er ergetzt und naͤhrt;

Daß, im ſchoͤnen Weltgebaͤude,

Man allein in unſrer Freude,

Jhn am allermeiſten ehrt.


L 5Herbſt
[170]Herbſt-Blaͤtter.

Herbſt-Blaͤtter.


Man ſieht mit Luſt, im frohen Lenzen,

Die jungen Blaͤtter lieblich glaͤnzen.

Sie ſcheinen ſelbſt vergnuͤgt, von lauer Luft geſtreichelt,

Getraͤnkt, erfriſchet, und geſchmeichelt.

Doch wenn die Luft nachher ſie widriger begegnet,

Sie, bald durch Duͤrre ſchwaͤcht, bald ſie zu ſtark beregnet,

Bald durch die Stuͤrme neckt, bald durch die Kaͤlte quaͤlt,

Und nimmer ruhen laͤßt: Scheint jedes, halb entſeelt,

Als ob ſichs, laͤnger ſo zu leben, abgewoͤhnte,

Als wenn ſichs wiederum nach ſeinem Urſprung ſehnte,

Und, nach der Mutter Schooß.

Dahero wurden nun die Zweige ploͤtzlich bloß,

Jndem ein jegliches, von ſeinem Sitz herab,

Sich nach der Mutter Schooß in aller Eil begab,

Und ſich mit ihr vereint.

Der Blaͤtterchen Betragen ſtellte mir,

Wie ich es uͤberlegt, ein nuͤtzlichs Beyſpiel fuͤr,

Wenn wir in unſrer Lebenszeit,

Von Alter, Krankheit, Gram und Widerwaͤrtigkeit,

Recht muͤrb und matt gemacht: Wie, daß wir auch, wie ſie

Ohn allerley Bekuͤmmerniß und Muͤh,

Den irdſchen Theil nicht gern zu ſeinem Urſprung ſenken,

Damit der andere, von allem Kummer frey,

Entfernt von Noth, Gefahr und Kraͤnken,

Jn einer ewgen Ruhe ſey!


Roſe
[171]Roſe im October.

Roſe im October.


Es ruͤhret mich, o ſpaͤtes Roͤsgen, dein roͤthlicher Rubinen-
Schein,

Nicht durch die ſchoͤne Farb und Form, auch lieblichen Geruch
allein;

Jch werde, da dein edler Balſam, und ſchoͤner Schmuck mich
innig ruͤhret,

Zu dem der dich ſo ſchoͤn erſchaffen, und dich fuͤr mich hervor-
gebracht,

Auch mir die Kraft, an ihn zu denken, geſchenket, ſeine Lieb,
und Macht,

Und Weisheit froͤlich zu bewundern, und Jhn zu preiſen, an-
gefuͤhret.


Zierliche Waſſer-Bilder.


Kein Silber iſt von Glanz ſo hell und rein,

Als die, vom hellen Sonnenſchein,

Beſtralte feuchte Gaſſen ſeyn.

Wenn nun, mit dieſem Glanz, die Schatten

Der Baͤume, die die Gaſſen zieren,

Mit holder Dunkelheit ſich gatten,

Und tauſend Bilderchen formiren:

Erregt dieß Licht- und Schattenſpiel

Dem Geiſt, durchs Aug, ein angenehm Gefuͤhl.

Jch habe, wenn ſich dieß ſo zierlich fuͤget,

Mich wenigſtens gar oft daran vergnuͤget.


Der
[172]Der geſtirnte Amaranth.

Der geſtirnte Amaranth.


Welche neue Zierlichkeit, ſo an Farb, als an Figur,

Zeugt, in zubewundernder Pracht und Schoͤnheit, die
Natur,

Jm geſtirnten Amaranth! welch ein Purpur! welch ein Glanz!

Welche nett geformte Ruͤnde! die dennoch aus lauter Spitzen,

So nach einem klugen Rang, und beſondrer Ordnung, ſitzen,

Recht bewunderns-werth beſtehn!

Aber ſeht ihr, zwiſchen ihnen, in dem Purpur, der ſo ſchoͤn,

Jn ganz unverhofftem Schim̃er, Silber-weiſſe Sternchen blitzen?

Jſt es moͤglich? das iſt rar! aber laßt uns weiter gehn,

Und die weiſſe Blume dort, ob auch die geſtirnt, beſehn,

Ja wahrhaftig, ebenfalls. Und noch mehr, die ſind verguͤldet.

Lieber Gott! ſo Farb als Formen zeigen, in dem Bluͤm-
chen hier,

Dir zu deinen heilgen Ehren, eine neue Wunder-Zier.

Jch bewunderte den Rang, ſo der Blaͤtter, als der Sternen,

Und betrachtete ſie naͤher, um, wie ſie formirt, zu lernen.

Da ich denn, nicht ohn ein billig Stutzen und Erſtaunen, fand,

Daß ein jedes Sternchen immer, mitten in zwey Blaͤttern, ſtand,

Welche eine nette kleine Huͤlſe dergeſtalt vereint,

Daß es nur ein einzigs Blatt, ſo ſich oben theilet, ſcheint,

Ob nun gleich die ganze Huͤlſe, wie an einer Aehre, platt,

Jſt dennoch, wenn mans betrachtet, jedes kleine ſchmale Blatt

Jn ſich an den Seiten hohl, und verſchraͤnkt ein wolligt
Weſen,

Dieſes, ſechs geſteifte Spitzen,

Welche das ſo nette Sternchen rings um gleichſam unterſtuͤtzen.

Letzlich iſt das Sternchen ſelbſt, in der Mitten, hell und ſchoͤn,

Jn dem Purpur, weis, wie Silber, und ſo gelb, als Gold, zu ſehn,

Jn
[173]Der geſtirnte Amaranth.
Jn dem weiſſen Amaranth. Was man ferner an ihr ſieht,

Jſt, daß ſie, wie andre Blumen, nicht verwelkt; nein, lange
bluͤht.

Durch der Blaͤtter Feſtigkeit, die in ihren engen Roͤhren,

Deren Theilchen dicht- und feſter, weil ſie wenig Saͤfte naͤhren,

Dauren ſie, auch ſonder Waſſer. Eben dieſer Unterſcheid

Zeigt aufs neu uns offenbar, auch in der Verſchiedenheit,

Daß es Gott nicht minder moͤglich, auch von feſterem Ver-
band

Blumen uns hervor zu bringen.

Machſt demnach du, liebſte Blume, auch durch deinen Bau
bekannt,

Da auch du, nach Maaß und Ordnung, eingerichtet und ge-
macht;

Daß ein weiſes Weſen dich wunderbar hervorgebracht,

Auch, daß wir dich wohl beſchauen, ja in dir auch finden
ſollen,

Den allgegenwaͤrtgen Schoͤpfer, und Jhm Dank und Ehre
zollen.

Da ich denn, Qvell aller Blumen, Schoͤpfer der geſtirnten
Hoͤhe,

Jn der kleinen Sternen Bildern, in der ſchoͤnen Blumen hier,

Deiner wunderſchoͤnen Werke Lieblichkeit und Pracht und Zier,

Ja, durch meiner Seelen Auge, Dich, Herr, gleichſam ſelber ſehe;

So erfreut ſich meine Seele; es ergetzt ſich mein Gemuͤth;

Jch verehre deine Liebe, deine Weisheit, deine Macht,

Jn Betrachtung aller Schoͤnheit, Ordnung, Anmuth, Farb
und Pracht,

Die dich ſelbſt zum Urſprung hat, die nur du hervorgebracht.


Herbſt
[174]Herbſt-Ueberlegungen.

Herbſt-Ueberlegungen.


So wie, wenn mans erwegt, jedwede Jahreszeit,

Jn einer eignen Pracht, und eigner Lieblichkeit,

Zu unſern Freuden, prangt: So wird jetzt wunderſchoͤn

Die Welt im Herbſt, auf eine neue Weiſe,

Zu unſrer Luſt, und Gott zum Preiſe,

Jn einer eignen Art geſchmuͤckt geſehn;

Jndem ich jetzt, in ſtark vermehrter Pracht,

Durch der nunmehro laͤngern Nacht

Vermehrte Feuchtigkeit im Thau,

Des Feldes gruͤne Gras, wie Silbertuch von weiten,

Und nahe bey, mit Glanz, der gruͤn und roth und blau,

Und der des Diamants gepriesne Koſtbarkeiten,

An Feur und Fluth, beſchaͤmt, weit mehr als ſonſten ſchau.

Jch ſtutze vor Vergnuͤgen jedesmal,

Wenn ich den wunderſchoͤn gefaͤrbten Sonnenſtral,

Jn Millionen runden Spiegeln,

Zumal an dicht-begraſt- und hell-beſtralten Huͤgeln,

Nachdem ich meine Blicke drehe,

Auf Millionen Art gebrochen ſehe.

Jch brach ein Spierchen Gras, woran ein Tropfen hing,

Das viele Theilchen Licht vor andern noch empfing,

Mit ſpitzen Fingern ab,

So mir zu folgender Betrachtung Anlaß gab:

Jch ſeh in dieſem Troͤpfchen hier,

Von Demant und Rubin, Smaragd und von Saphier,

Jn weiß- und roth-in gruͤn- und blauer Zier,

Die Flammen-reichen Farben ſcheinen,

So eben insgeſammt, wie Neuton ſpricht,

Die Farben ſind, die ſich im Sonnenlicht

Befinden und darin vereinen.

Wenn
[175]Herbſt-Ueberlegungen.
Wenn ich hierbey nun weiter gehe,

Und da ich oͤfters, in der Nacht,

Die tauſendfach gefaͤrbte Pracht,

Von ſo viel tauſend Sonnen, ſehe;

So deucht mich, daß dieß glaublich ſey:

So viel als Sonnen ſind, daß auch ſo vielerley

Veraͤndrungen von Glanz, von Farben, und von Stralen,

Jn einer jeglichen vorhanden ſeyn,

Und daß ſie wiederum, mit ganz verſchiednem Schein,

Die Welte, welche ſie erleuchten, auch bemalen,

So uns, wenn mans erwegt, zur Ehre Gottes leitet,

Und ſeine Herrlichkeit in uns aufs neu verbreitet,

Da, in der Unerſchoͤpflichkeit,

Der Grad- und Art- und Wechslungen des Lichts,

Zur Luſt des nie zufuͤllenden Geſichts,

Ein Art von Vollenkommenheit,

So einem Schoͤpfer wuͤrdig, glaͤnzt,

Die, wie er ſelber, unbegraͤnzt.

Ein jedes Troͤpfchen auf dem Anger

Scheint jetzo gleichſam ſchwanger,

Von lauter Licht, und bloß von Glanz und Schein

Ganz angefuͤllt, und traͤchtig recht, zu ſeyn.

Es faͤllt das bunt und helle Licht,

Durch ſeines Zirkels obre Ruͤnde;

Wobey ich denn bewundernd finde,

Daß es ſich an der untern Ruͤnde bricht,

Und, voller Schimmer ruͤckwerts ſtralet,

Wodurch es ſich um deſto heller malet.

Nachhero ward ich auch ſo gar,

Auf dem gepfluͤgten Land, und deſſen dunklem Grunde,

Noch einen ſchoͤnen Glanz, und bunten Schein gewahr.
Jn-
[176]Herbſt-Ueberlegungen.
Jndem der Acker uͤberall,

Bedecket und beleget ſtunde,

Recht als mit glaͤnzendem Kryſtall.

Viel Millionen Spinnenweben,

Die ſich bald ſenken und bald heben,

Und durch der Faͤden Glanz und die Bewegung, eben

Jn einem wandelbaren Schein,

Als wie der Tauben Hals, und Schweif an einem Pfauen,

Jn ja ſo bunt-als hellem Glanz zu ſchauen,

Und gleichfalls zu bewundern ſeyn.

Woraus ſich denn von neuen uns entdecket,

Daß aller Farben Pracht, im Sonnenſchein allein,

Und nicht, wie man geglaubt, in irdſchen Koͤrpern ſtecket.

Es laͤßt, wenn man dieß alles uͤberſieht,

Als wenn ſich, auch ſo gar das braune Land, bemuͤht,

So wie das Kraut und Gras, im Thau nicht minder,

Durch das Geſpinſt und Arbeit ihrer Kinder,

Sich ebenfalls zu zieren,

So unſer Aug, als unſer Herz zu ruͤhren,

Und in der Luſt, zu Gott zu fuͤhren,

Der aller Schoͤnheit Quell und Pracht,

Die Sonn, und ihre Farb und Licht hervorgebracht.

Jch ſah darauf, mit Luſt und mit Vergnuͤgen,

Das ganze Feld, ſo weit man ſehen kunnt,

Mit mehr, als zwanzig Pfluͤgen, pfluͤgen.

Es ſchien, da alles hin und her,

Bald einer in die Laͤng, ein andrer in die Queer,

Mit ſanften Schritten trieb, daß alles gleichſam ſchwebte,

Und recht als wenn der Acker lebte.

Es mehrte ſich der dunkle braune Grund,

Und er vergroͤſſerte ſich ſichtbarlich,

Jndem, bey aller Pfluͤger Schritten,
Vom
[177]Herbſt-Ueberlegungen.
Vom gruͤnen Gras ein breiter Strich,

Durch den geſchaͤrften Pflug getrennet, abgeſchnitten,

Und umgeſtuͤrzet ward. Ein jeder Pflug, von weiten,

Schien einem Wagen gleich, das Feld ein allgemein,

Und nur ein einzger Weg zu ſeyn.

Die Treiber ſahe man,

Mit weiſſen Kitteln angethan,

Auf ſchwarzen Pferden meiſtens reiten.

Das Pflugwerk ſchien ſanft hinterher zu gleiten,

Und der, ſo es regiert, ging immer Schritt vor Schritt,

Jn immer gleichem Abſtand, mit.

Auf dieſem Acker bald, und bald auf einem andern,

Sah man, noch zwiſchen her, ſo manchen Saͤmann wandern,

Mit feſtem Tritt, mit reg- und milder Hand.

Sie ſtreueten, als einen trocknen Regen,

Die Saat, auf das geruͤhrte Land;

Auch waren hie und da die Egen,

Jn großer Menge angeſpannt.

Man ſah auch die, bald hie, bald daher ziehn.

Durch dieſes zackigte beſondre Werkzeug ſchien,

Als ob dadurch, mit fleißigem Bemuͤhn,

Der milden Mutter, unſrer Erde,

Der Samen eigentlich recht einverleibet werde.

„Das große Werk iſt nun vollbracht;

„Der Landmann hat nunmehr ſein Feld

„Auf guter Zuverſicht beſtellt;

„Ein mehrers ſtehet nicht in ſeiner Macht.

„Das uͤbrige muß er vom Himmel heben,

„Das uͤbrige muß ihm der Schoͤpfer geben.

Dieß dacht ich, da ich hier, ſo in der Fern als Naͤhe,

Die dunklen Felder uͤberſehe.

Br.VI.Th. MJch
[178]Herbſt-Ueberlegungen.
Jch ward dabey gewahr, wie eine ſanfte Stille,

Nunmehr das ebne Feld, zuſamt der Luft, erfuͤlle,

Und daß die ſtille Macht zugleich mein Jnnres ruͤhre,

So daß ich eine Art von Ehrfurcht ſpuͤre.

Es gleitet Aug und Blick, ſo weit es reichen kann,

Auf einer Ebne fort, wo weder Tiefen, Hoͤhen,

Noch etwas hoͤckrichtes zu ſehen.

Schien erſt das Feld voll Furchen, wie ein Meer,

Voll aufgethuͤrmter kleiner Wellen:

So ſchien es nun, von allen Wellen leer,

Ein ſtilles Meer, an Ebne, vorzuſtellen,

Worauf ich doch, zu rechter Zeit,

Nicht ſtille Wellen, wie vorhin,

So gar in wirklicher Beweglichkeit,

Ein reges Wellen-Heer aufs neu vermuthen bin,

Und zwar ein Wellen-Heer voll Segen,

Von dem, der im erwaͤrmnden Sonnenſchein,

Und im erweichenden, ernaͤhrnden Regen,

Von aller Fruchtbarkeit die Segensquell allein.

Ach! rief ich hier, voll Hoffnung und Vertrauen,

„Ach! ewger Urſprung aller Dinge,

„Von dem, was iſt, ſein Weſen bloß empfinge!

„Ach! laß mich dieß gewuͤnſchte Wallen ſchauen,

„Ach! laß mich an den guͤldnen Schaͤtzen,

„Die dieſes guͤldne Meer uns reichen kann und zeigen,

„Zu Deiner Ehr, o Herr! mich oft ergetzen,

„Und, voll von frohem Dank, von Deinem Ruhm nicht ſchweigen!


Die
[179]Die Stoppeln.

Die Stoppeln.


Auf dem gemaͤhten Reſt der Halmen, auf den Stoppeln,

Seh ich mit Luſt den Glanz der Sonnen ſich verdoppeln.

Es glaͤnzet faſt kein Gold ſo ſchoͤn, ſo gelb, ſo glatt,

Wie jetzt das Feld ein Gold, in gelben Stoppeln, hat.

Es iſt, mit neuem Glanz, die neue Flaͤch erfuͤllt,

Es blitzt auf jedem Halm ein kleines Sonnenbild.

Wie ich mich nun daran, zu Gottes Ruhm, vergnuͤgte,

Und man nicht lang hernach die Stoppeln unterpfluͤgte:

Sah ich, im Augenblick, das gelbe Feld ſich ſchwaͤrzen.

Jch fing mit meiner Kinder Chor

Hieruͤber laͤchelnd an zu ſcherzen,

Und legt ihm dieſes Thun, in einem Raͤthſel, vor:

Raͤtzel.


Hat jemand wo die Welt geſehn, mit einiger Aufmerkſamkeit,

Und iſt vor andern weit gereiſet,

Der nenne mir, nebſt Ort und Art und Volk, abſonderlich die
Zeit,

Jn welcher jeder ſeine Mutter, mit ihrer Kinder Fuͤßen,
ſpeiſet.


M 2Herbſt.
[180]Herbſt.

Herbſt.


Man ſah, auf den ſonſt gruͤnen Buͤſchen,

Ein lieblich Roth und gelblich Gruͤn,

Das oft ſo bunt, als Blumen, ſchien,

Jn ſanfter Harmonie ſich miſchen,

So, daß im Rothen, Gelb- und Gruͤnen,

Zumal, im hellen Sonnen-Glanz,

Verſchiedne bunte Baͤume ganz

Als bunter Amaranthus ſchienen;

Auf deſſen Blaͤttern, wunderſchoͤn,

Wir Roth und Gruͤn und Gelb, in hellem Schimmer, ſehn.

Ja ſelber die verſchrumpften Blaͤtter,

Jndem ſie das, was hell und ſchoͤn,

Durch ihren Gegenſatz erhoͤhn,

Sind ſchoͤn, zumal bey heiterm Wetter.

Man ſieht die roͤthlich-braunen Stellen

Der Aeſte, die entblaͤttert ſeyn,

Der Blaͤtter bunten Schein,

Durch ihre Nachbarſchaft, im Gegenſatz erhellen;

Daher ein bunt Gemiſch, das ſich durch ſich erhoͤht,

Jm Herbſt, zu unſrer Luſt, faſt uͤberall entſteht.

Der Baͤume Form iſt ſelbſt, zu dieſer Zeit,

Noch ſchoͤner, als vorhin, bey minderm Laub; ſie ſtehn

Jn maleriſcher Zierlichkeit,

Da ſie durchſichtiger und luckrer, als vorhin.

Doch muß man ihr, in Form und Farben, ſchoͤnes Prangen,

Mit aufmerkſamem Blick und Sinn,

Noch heute ſehn; weil ſie leicht Morgen ſchon vergangen.

Blaͤt-
[181]Blaͤtter im Herbſt.

Blaͤtter im Herbſt.


Wir haben dir,

Geliebter Menſch, ſo lange wir,

Jn unſerm Sommer-Schmuck, gegruͤnet,

Zu deiner Augenluſt gedienet.

Doch kannſt du noch an uns dein Auge weiden,

Wir ſind noch ſchoͤn, auch da wir ſcheiden.

Was vormals bloß im gruͤnen Schimmer ſchien,

Jſt jetzo gelb, wie Gold, iſt roth, faſt wie Rubin,

Ja glaͤnzet in der Sonnen Stralen,

Jn buntem Glanz, faſt wie Opalen.

Doch dauret unſer buntes Kleid

Nur kurze Zeit.

Drum nimm, zum Ruhm des Schoͤpfers, unſre Pracht,

Mit Luſt in Acht!

Uns reißt vielleicht der rauhe Nord

Noch heute mit ſich fort.

Gebrauche dich demnach, wie ehedem der Stunden,

Bey uns nunmehro der Secunden.


M 3Win-
[182]Winter-Betrachtung.

Winter-Betrachtung.


Ein ſtarker Nebel fiel, und ein verdickter Duft

Erfuͤllte dergeſtalt die Luft,

Daß unſer Blick faſt nichts, als was ſehr nah,

Und einen Schritt kaum von ſich, ſah.

Drauf fiel ein ſtarker Froſt, mit ſtrengem Wuͤten ein;

Es fror die ganze Nacht.

So Fluth als Erde glich, an Haͤrte, Stal und Stein.

Fruͤh ſahe man darauf, in ſeiner wilden Pracht,

Den Winter uͤberall. Der rauhe Reif erfuͤllte

Faſt alles, was man ſah, bedeckt, umgab, verhuͤllte,

Das Feld, den Wald, das Land, die Haͤuſer, Berg und Thal,

Der Baͤume Wipfel, Zweig und Straͤucherchen, zumal

Sich mit dem Reiffen noch ein dicker Schnee gehaͤuft,

Daher denn, was man ſah, beſchneyt war und bereift.

Es war der kleinſte Zweig ſo dick faſt, als ein Daum;

Daher in jedem Baum

Solch eine Dichtigkeit entſtand,

Daß man den Wipfel rund, und gleichſam noch belaubet,

Jedoch, anſtatt in gruͤn-in weißer Zierde fand.

Die Baͤume ſcheinen jetzt aus Silber recht gebildet,

Wovon (wenn ſie zumal

Der Sonnen fruͤh-und ſpaͤter Stral,

Mit roͤthlich-gelbem Licht, zu treffen pflegt,)

Die eine Haͤlfte laͤßt, als waͤre ſie verguͤldet,

Da denn ein achtſames Gemuͤth,

Nicht ohne Luſt, nicht ſonder Freude,
Jn
[183]Winter-Betrachtung.
Jn einer fremden Augenweide,

Halb ſilberne, halb guͤldne Baͤume ſieht.

Das Buſchwerk war nicht minder rauh und dicht,

Man ſah durch ſie die Luft (durch ſie verdecket) nicht.

Da aber, wo der Morgenroͤthe Gluht

Durch nicht ſo dichte Stellen bricht,

Erblickt man einen Glanz, an Farb, als Schnecken-Blut,

Ein purpurfarbnes Licht,

Durch Millionen Theil des luckern Reiffes dringen,

Und von der glatten Flaͤch derſelben ruͤckwerts ſpringen,

Entflammt und bunt gefaͤrbt,

Die den getroffnen Blick, mit tauſend Stralen, ruͤhren,

Und unſern Geiſt, mit hoͤchſter Billigkeit,

Zu ihrer naͤheren Beſchaffenheit,

Und in derſelben uns, zum Lobe Gottes, fuͤhren.

Da ich den luckern Reif nun nahe,

Und mit Aufmerkſamkeit der Spitzen Heer beſahe:

Entſetzet ich mich faſt, da ich in ihnen Spuren,

Von Blaͤtter-foͤrmigen Figuren,

Ja wirklich Blaͤtterchen, aus zartem Eis, erblickte,

Davon ein jedes mir in meinen Sinn

Verwunderung und Andacht druͤckte.

Woher, gedacht ich, nimmt doch die Natur,

Jn ihnen, die ſo zierliche Figur?

Kann denn aus Nebel und aus Dunſt,

Mit ſo unnachahmbarer Kunſt,

Sie ſo betraͤchtliche, ſo viele Zierlichkeiten,

Ja ſelber Blaͤtterchen, bereiten?

Wodurch muß dieſes doch geſchehn?
M 4Ob
[184]Winter-Betrachtung.
Ob etwan ſich, durch uns verborgne Kraft,

Und faſt magnetiſch’ Eigenſchaft,

Die Zweig und Knoſpen ſich bemuͤhen,

Die Theilchen ihnen zu zu ziehen,

Wie oder, ob die Theilchen ſich die Hoͤhlen

Der zarten Oeffnungen, als kleine Formen, waͤhlen,

Worinnen ſie ſich anfangs ſenken,

An die ſich denn hernach dergleichen Theile mehr,

Die ſich zu ihnen ſchicken, henken?

Doch ach! wer faßt es eigentlich,

Auf welche Weiſ in ihnen, ſich

Die Bildung, wie ſie iſt, formiret! Dennoch gab

Die Schoͤn-und Zierlichkeit, die ſich in ihnen fuͤgen,

Mir, ihrem Herrn zum Ruhm, ein nuͤtzliches Vergnuͤgen,

Jndem ich mich daran ergetzte,

Und ſie, als wenn ſie mir zur Luſt geſchenket, ſchaͤtzte.

Wenn dieſe Theilchen nun, von ihrem Sitz herab,

Auf den zwar gleichfalls weiß-doch rauhen Boden fallen.

Wo ſie, wie Tafel-Stein aus Demant und Kryſtallen,

Zerſtreuet hin und wieder liegen,

Und ſich, in ihren glatten Flaͤchen,

Der Sonnen Stralen lieblich brechen,

Entſtand ein noch vermehrt Vergnuͤgen,

Jn der dadurch aufs neu geruͤhrten Bruſt,

Und das hell ſchimmernde gefaͤrbte Blitzen,

Von ſo viel Millionen Spitzen,

Erregt mir eine neue Luſt,

Die, durch das funkelnde Bewegen,

Ein Anmuths-Licht in mir erregen,

Daß ich dadurch vergnuͤget, in die Hoͤh,

Nach ihrer Schoͤnheit Urſprung, ſeh.
Da
[185]Winter-Betrachtung.
Da denn der Sonnenſtral

Sich, als ein herrliches Original,

Von den unzaͤhligen Copien, zeigte.

Durch deſſen Wunder-Pracht geruͤhrt,

Jch, zu derſelben Herrn gefuͤhrt,

Mich ehrerbietig neigte,

Jhm dankte, daß er uns der Sonnen Gluht und Pracht,

Nicht nur allein, in ſolcher Herrlichkeit,

Jm Sommer, auch ſo gar, zur kalten Winterszeit,

Und wenn ſie uns entfernt, zu unſrer Luſt, gemacht.

Wobey ich innig wuͤnſcht, auch bey dem Wiederkehren,

Von ihrer Lebens-Gluht, von ihrem Wunder-Schein,

Jm Stand, und ſtets bereit zu ſeyn,

Jhn in derſelben Glanz in Demuth zu verehren.


M 5Win-
[186]Winter-Gedanken.

Winter-Gedanken.
de 1738.


Daß auch die Welt im Winter ſchoͤn,

Hab ich, zu ihres Schoͤpfers Ehren,

Nicht nur zum oͤftern angeſehn;

Jch hab auch wohlgemeynte Lehren,

Um es auch andern zu erklaͤren,

Damit auch ſie, zu ſehn getrieben,

Und froͤlich wuͤrden, aufgeſchrieben.

Heut oͤffnen ſich aufs neue neue Spuren

Noch nicht bemerkter Creaturen,

Die werth, daß man auf ſie gedenket,

Und die Betrachtung auf ſie lenket.

Jch habe nie das Eis ſo ſchoͤn,

So glaͤnzend und ſo glatt geſehn,

Als es anjetzt in dieſem Jahr,

Recht ſonderlich gefroren war.

Kein Spiegel kann ſo glatt, ſo rein,

So klar, ſo hell poliret ſeyn,

Als wir es, auf des Schloſſes Graben,

Bewundernd zu bemerken haben.

Jndem noch gar kein Schnee gefallen:

So ſah die Flaͤch, im Waſſer-Reich,

Nicht nur polirtem Marmor gleich;

Sie glich geſchliffenen Kryſtallen.

Man ſah von Buͤſchen, Baͤumen, Huͤgeln,

So Farb-als Formen klar ſich ſpiegeln,
So
[187]Winter-Gedanken.
So deutlich, daß auch in der klarſten Fluth,

Wenn ſie in ſanfter Stille ruht,

Die Vorwuͤrf alle kaum ſo rein,

Und deutlich vorgeſtellet ſeyn.

Und weil zugleich das Eis ſo gar

Durchſichtig und ſo lauter war,

Daß man den ſonſt verborgnen Grund,

Und alle Steinchen ſehen kunnt:

So ſcheute man, auf vielen Plaͤtzen,

Den furchtſam-bangen Fuß zu ſetzen.

Verfuͤhrt durch den betrognen Blick,

Zog unſer Schritt ſich oft zuruͤck,

Ob gleich die Schollen noch ſo dick.

Was aber mir vor andern allen,

Auf der bebruͤckten Fluth, gefallen,

War, daß der roſenrothe Schein

Der Sonne, die ſich abwerts neigte,

So hell, ſo deutlich und ſo rein,

Sich in dem glatten Eiſe zeigte;

Daß die beſtralte Flaͤche, ganz

Befloſſen von des Himmels Glanz,

Nicht mehr ein irdiſch Dunkel wies,

Nein, ſondern faſt verhimmelt ließ,

Es ſchien, als ob man ging und ſtunde,

Auf einem ganz verklaͤrten Grunde.

Der ſonſten dunkle Boden ſchien

Ein wirklich funkelnder Rubin.

Es war der Abendroͤthe Schimmern,

Nicht nur an den ſaphiernen Zimmern,

Und an des Firmamentes Hoͤhn;

Sie war, auch unter uns, zu ſehn.

Kaum
[188]Winter-Gedanken.
Kaum hatt ich, inniglich geruͤhret,

Zu meiner Luſt und Gott zur Ehr,

Den Schmuck betrachtet, und verſpuͤret,

Als ich darauf von ungefehr,

Von meinem jetzt beſchriebnen Stand,

Mich gegen Oſten umgewandt.

Mein Gott! welch einen hellen Stral

Zeigt mir der Boden abermal;

Er ſchien auch hier mit Glanz befloſſen,

Mit reinem Silber uͤbergoſſen.

Woher? es kam der Glanz, das Prangen,

Und deſſen Silber - weiſſer Schein,

Noch eins ſo hell, noch eins ſo rein,

Durch den gefrornen Raum der Luͤfte,

Und durch die ganz zerſtreuten Duͤfte.

Zumal der ganz entwoͤlkte Grund,

Worin die volle Scheibe ſtund,

Vom ſcharfen Froſt ſo rein, ſo klar,

Und Purpur-roth gefaͤrbet war.

Dieß bildete ſich gleicher Weiſe

Jm Spiegel-gleichen glatten Eiſe,

Wodurch ich denn auch hier befunde,

Daß ich, auf einem hellen Grunde,

Und ganz im Himmels-Glanze, ſtunde.

Wie lieblich und wie angenehm

Mir dieſer ſchoͤne Stand geweſen,

Gaͤb ich dir, Leſer, gern zu leſen,

Zumal ich vor dem Froſt bequem

Bekleidet und geſichert ſtund,

Und keine Kaͤlte fuͤhlen kunnt.
Allein
[189]Winter-Gedanken.
Allein, wer kann des Himmels Stralen,

Des Himmels Glanz, des Himmels Klarheit,

Mit irdſcher Dint und Farben, malen?

Dieß aber iſt dennoch die Wahrheit,

Daß, bey der Schoͤnheit dieſes Lichts,

Fuͤr die ſo wunderbare Gabe

Des uns vergnuͤgenden Geſichts,

Jch innig Gott gedanket habe;

Auch davor, daß, zur Winterszeit,

Er dem, der auf ſein Werk gedenket,

Zur Luſt, ſo manche Lieblichkeit

Der ſonſt erſtarrten Welt geſchenket.


Das
[190]Das dauerhafte Gruͤn.

Das dauerhafte Gruͤn.


Man findet, auch zur Winterszeit,

Bey feuchter Luft, und wanns nicht frieret,

Annoch mehr gruͤne Lieblichkeit,

Als wie man meynet, merkt und ſpuͤret.

Jch bin erſt juͤngſt darauf gekommen,

Und habe, mit beſondrer Luſt,

Und innrer Regung meiner Bruſt,

Verſchiedne Schoͤnheit wahrgenommen,

Die, weil ich nicht darauf geachtet,

Jch auch bisher noch nicht betrachtet.

Auf Wieſen, weil darauf das Gras,

Ernaͤhrt durch ein beſtaͤndig Naß,

Noch nicht erſtickt, noch nicht vergangen,

Sieht man noch gruͤne Farben prangen.

Die Felder ſchmuͤckt die junge Saat,

Die ſich mit ihren Spitzen eben

Jn gruͤnem Schmuck hervorgegeben,

Und alles gruͤn gefaͤrbet hat.

Auf Scheun - und Huͤttendaͤchern ſtammt

Ein unvergleichlich gruͤner Sammt

Von Mooß, der ſie beſchuͤtzt und ſchmuͤcket;

Und den man, wenn man ihn betrachtet,

Und auf der Farbe Schoͤnheit achtet,

Unmoͤglich ohne Luſt erblicket.

Wobey man mehrentheils verſpuͤret,

Daß dieſe gruͤne Winter-Pracht
Den
[191]Das dauerhafte Gruͤn.
Den ſchoͤnſten Schmuck auf ſchlechten Huͤtten macht,

Am meiſten Armer Daͤcher zieret.

Der Gaͤrten figurirtes Land

Prangt, wie ja jedermann bekannt,

Mit des ſtets gruͤnen Buxbaums Zier.

Die unverwelkliche Natur

Von ſeinem Laube zeiget mir

Sowohl die Farb, als die Figur,

Die ich an ihm im Sommer ſpuͤhr.

Das Wintergruͤn, der Taxusbaum

Veraͤndern das Geringſte kaum,

Von ihrem Schmuck, trotz Froſt und Stuͤrmen;

Der Blaͤtter Feſt - und Haͤrtigkeit

Und eigene Beſchaffenheit

Kann ſie, auch ſelbſt im Schnee, beſchirmen.

Der Boden iſt noch hie und dort

Mit Huͤhnerſchwarm, an manchem Ort,

Der auch der Kaͤlte trotzt, verſtecket,

Worauf man, daß er wirklich bluͤht,

Nicht ohn Verwunderung erſieht,

Und weiſſe Bluͤmchen drauf entdecket.

Auch noch auf einem andern Kraut

Hab ich, in eines Bluͤmchens Zier,

Ein lieblich Blau, wie ein Saphier,

Auch noch ein gelbliches geſchaut.

Man ſieht, wie Ruͤbenkraut, Rabeth,

Und Erdenkraut, ja Peterſilgen,

Das Kaͤlt und Schnee ſobald nicht tilgen,

Jm Garten hin und wieder ſteht;
Wo-
[192]Das dauerhafte Gruͤn.
Wobey, als wie ein kleiner Wald,

Jn Palmen - aͤhnlicher Geſtalt,

Der braune Kohl auf Purpur gruͤnet,

Der uns, im Reiffen, Schnee und Froſt,

Als eine wahre Winterkoſt,

Und noch zur Luſt der Augen, dienet.

Was aber mehr, als alles dieß,

Ein’ unverhoffte Augenweide,

Und vormals nie geſpuͤrte Freude,

Jn nie geſehnem Schmuck, mir wies,

War, daß ich, an der Baͤume Staͤmmen,

Von mancherley Gewaͤchs und Schwaͤmmen,

Von ungezaͤhlten Formen, Arten,

Und ungezaͤhlter Farb, im Garten,

Den ihre Zier im Froſt auch ſchmuͤckte,

Vor Anmuth recht geruͤhrt, erblickte.

Wie ich darauf die Augen ſchlug,

Und fand, daß jeder Baum von ihnen,

Jn einem ganz verſchiednen Gruͤnen,

Von Mooß, verſchiedne Sorten trug,

Die ich mit Fleiß zuſammenpfluͤckte:

Erſtaunt ich, als ich, an Figur,

So viel Veraͤndrungen nicht nur,

Nein, auch befand, wie vielerley

Von Farben dran zu finden ſey.

Ein Weiß, das keinem Silber weicht,

Ein Gelb, das feinem Golde gleicht,

War hin und her ſo bunt und ſchoͤn,

Mit gruͤnem Glanz vermiſcht, zu ſehn.

Es kam mir hin und wieder vor,

Als Drap d’ argent, und als Drap d’ or.

Jch
[193]Das dauerhafte Gruͤn.
Jch legte die, an vielen Orten,

Geſammleten verſchiednen Sorten

Von Mooß, auf einen Teller hin,

Und fand, mit recht geruͤhrtem Sinn,

Unglaublich vielerley Figuren.

Von Ecken, Spitzen, Tiefen, Hoͤhn,

War ein recht fremd Gemiſch zu ſehn.

Man fand von kleinen Buͤſchen Spuren,

Die wunderzierlich, nett und rein,

Und ob ſie gleich ſo zart und klein,

Doch regelrecht gebildet ſeyn.

Wie wir an Fenſtern, wenn ſie frieren,

An Nettigkeit faſt wunderſchoͤn

Die zierlichſten Figuren ſpuͤren,

Und kleine nette Buͤſche ſehn:

So zierlich ſieht das Mooßwerk aus.

Jch ſah, wie mancher weiſſe Strauß,

Auf einem dunkelgruͤnen Grunde,

Jm Gegenſatz erhoben ſtunde.

Bey dieſem ſtieg, in gelber Zier,

Ein kleiner guͤldner Buſch herfuͤr,

Der aber, da er meiſtens platt,

Und weder Zweig noch Stengel hat,

Ein ungemein Gewaͤchs formiret.

Als P - - dieſes kaum geleſen,

Fieng er, die Naſe ruͤmpfend, an:

Mich deucht, daß in des Mooßes Weſen

Jch ganz erweislich finden kann:

Es kaͤmen bloß von ungefaͤhr

So Farben, als Figuren, her.

Br.VI.Th. NEs
[194]Das dauerhafte Gruͤn.
Es ſteckt in Staͤmmen eine Kraft,

Was beſſeres hervorzubringen,

Doch, in Ermangelung von Saft,

Kann ihm die Arbeit nicht gelingen;

Woraus von Farb und von Figur

Denn nichts, als Misgeburten nur,

Verworrene Gewaͤchs, entſpringen.

Er ſchiene gar ſich nicht zu ſchaͤmen,

Hieraus auf andre Dinge mehr

Noch ferneren Beweis zu nehmen.

Allein, mein lieber P - - hoͤr:

Hat ſich der Baͤume Nahrungsſaft,

Der ſie zum Wachsthum naͤhrlich traͤnket,

Und ihre ſich vermehrnde Kraft

Dem Stamm von ſelbſt ſich eingeſenket?

Kann es von ungefaͤhr geſchehn,

Daß Blaͤtter, Bluͤht und Frucht entſtehn?

Wenn nun, ſo wie du ſcheinſt zu wollen,

Auch gleich was anders kommen ſollen,

Und etwan aus der trocknen Rinde,

Aus Mangel, nichts, als Mooß, entſtuͤnde:

So ſieht man doch, da deſſen Zier,

Die nicht nur unſer Aug ergetzt,

Und uns oft in Verwundrung ſetzt,

Nein, auch ſo gar den Stamm beſchuͤtzet,

Und auch in Arzeneyen nuͤtzet,

Daß ſich die Muͤhe nicht verlier;

Vielmehr, daß die Natur geſchaͤfftig,

Und auch, wenn ſie geſchwaͤcht, doch kraͤftig,

Zu viel - und unterſchiednen Dingen,

Was nuͤtzliches hervorzubringen,
Und
[195]Das dauerhafte Gruͤn.
Und folglich, daß das Mooß auch werth,

Daß man in ihm den Schoͤpfer ehrt.

Doch kehr ich mich zu meiner Lieder

Vorhin erwaͤhltem Endzweck wieder,

Daß nemlich, auch im Winter, man,

So gar wenns ſchlackricht, und nicht friert,

Dennoch die Welt mit Gruͤn geziert,

Mehr als man glaubt, erblicken kann.

Es darf demnach, wer dieß erwegt,

Wie manches Gruͤn das Land noch traͤgt,

Auch in den allerſchlechtſten Tagen,

Mit ſo viel Fug und Recht nicht klagen,

Als wie es insgemein uns ſcheint,

Und er bisher wohl ſelbſt gemeynt,

Daß nemlich uns ſo, wie man glaubet,

Der Winter alles Gruͤne raubet;

Nein, daß er uns noch einen Reſt,

Uns an Gewaͤchſen zu vergnuͤgen,

Auch mit der Luſt den Dank zu fuͤgen,

Von gruͤnen Pflanzen uͤberlaͤßt.


N 2Ein
[196]Ein Topf mit allerhand Blumen.

Ein
Von meinem Gaͤrtner im Winter
mir gebrachter Topf,

worinnen
Tulpen, eine weiſſe Hyacinthe, und drey gruͤ-
ne Zweige gepflanzet waren.


Jndem ich hier, fuͤr unverhoffter Luſt,

Mit einer faſt erſtaunten Bruſt,

Zugleich in einem Topf, der Tulpen rothe Gluht,

Der Hyacinthen weiſſen Schnee,

Und gruͤn - belaubte Zweige ſeh:

Empfind ich, daß, in meinem regen Blut,

Ein ſanftes Andachts - Feur ſich reget;

Und daß zu gleicher Zeit

Der Hyacinthen Reinlichkeit

Mir einen neuen Trieb, von ſchwarzen Laſtern rein,

An weiſſer Unſchuld reich, zu ſeyn,

Jn meine frohe Seele praͤget.

Nicht weniger erregt in mir

Der gruͤnen Blaͤtter gruͤne Zier

Der immer gruͤnen Hoffnung Triebe,

Auf Gottes Weisheit, Huld und Liebe.

Der liebliche Geruch erinnert mich dabey,

Daß, da nebſt des Geſichts, ich auch des Riechens Gabe

Von Gott empfangen habe,

Jch mich, voll Luſt und Dank, des großen Gebers freu.

Ob
[197]Ein Topf mit allerhand Blumen.
Ob wir nun gleich dieß alles wiſſen:

So ſcheinet doch der Blumen Pracht

Zu dieſem Zweck abſonderlich gemacht,

Daß ſie uns oft daran erinnern muͤſſen.

Jch ſeh denn noch einmal die Pracht, den Glanz und Schein

Und faͤllt mir dieß dabey voll Luſt und Andacht ein:

Jch beth, in eurer Blaͤtter Sammet,

Jn dem Geruch, in eurem Saft,

Worinn ein lebend Feuer flammet,

Das aus des Schoͤpfers Allmacht ſtammet,

Die Weisheit, ew’ge Lieb und Kraft,

Jn froͤlicher Bewundrung an,

Und freue mich, daß Gott zum Ruhme,

So gar das Weſen einer Blume

Uns leiten, und ihn zeigen kann.


N 3Wie
[198]Wie es ſanft ſchneiet.

Wie es ſanft ſchneiet.


Wenn ich der Luͤfte Schaum, den weiſſen Schnee,

Von oben dicht herunter fallen ſeh:

So ſcheint oft ſelbſt die Luft, von regen Flocken, ſchwer,

Und recht, als ob ſie, ſanft zu uns herab zu ſinken,

Beſchaͤfftigt in Bewegung waͤr.

Durch welche ſchwebende Beſchaffenheit geruͤhret,

Ein es betrachtendes gelaſſenes Gemuͤth,

Das dieſes Flockenſpiel beſieht,

Ein’ innigliche Luſt, in ſanftem Schaudern, ſpuͤret.

Wenn wir ſo dann, in warmem Zimmer,

Von Sorgen frey, am Fenſter ſtehn:

Kann man, nicht ſonder Anmuth, ſehn

Der dichten Flocken weiſſen Schimmer.

Jhr zwar gedraͤngt - doch ſanfter Fall,

Jhr ſpielend durch einander Fliegen,

Wirkt ein Bewegen uͤberall,

Und uns ein ſonderbar Vergnuͤgen.

Jhr lindes Sinken, Schwaͤrmen, Schweben,

Kann, ſelbſt in Schwermuth, unſrer Bruſt

Ein’ Art von einer ſanften Luſt,

Ein ſchaudrigtes Vergnuͤgen, geben.

Es ſcheinen gleichſam Schwermuths - Theile,

Mit dichter Flocken Fall, in Eile,

Auch uns vom Herzen, abzufallen.

Es ſcheinen, durch dieß holde Scherzen,
Die
[199]Wie es ſanft ſchneiet.
Die aufgebrachten Trieh im Herzen,

Allmaͤlig ſanfter auf zu wallen.

Ach moͤcht ich doch, ſo |oft ich Schne[e],

Jn der ſonſt rauhen Winterszeit,

Vor Froſt und Unbequemlichkeit

Beſchuͤtzet, lieblich ſchwaͤrmen ſeh,

An Gottes weiſe Ordnung denken,

Und Jhm, auch fuͤr die Winterluſt,

Aus meiner Jhm geweihten Bruſt,

Jhm Dank - erfuͤllte Seufzer ſchenken!


N 4Ge-
[200]Gedanken uͤber Schrittſchuhe.

Gedanken
uͤber Schrittſchuhe.


ARIA.
Seh ich das Volk auf ſchnellem Schritſchuh ſchweben,

Und, wie ein Pfeil, voruͤber gehn:

So duͤnket mich, von unſerm Leben,

Ein lebend Bild zu ſehn,

Da wir die Welt, wie ſie, wenn wir es recht bekennen,

Als floͤgen wir davon, durchrennen.
Siehe 1 Th. Jrd. Verg.

Den Worten dacht ich juͤngſt, wie ich die Fluth bebruͤckt,

Mit einem ſchoͤnen Eis, auf Spiegel - Art, geſchmuͤckt,

Und auf demſelben, mit Vergnuͤgen,

Faſt einen ungezaͤhlten Haufen,

Mehr ſchweben ſah und fliegen,

Als rennen, gehen oder laufen,

Mit fernerem Erwegen, nach.

Dieß aͤmſige geſchaͤfftige Gewuͤhl,

Kam, wie ich es erwegte, mir

Als wie das menſchliche Betragen fuͤr;

Worauf ich bey mir ſelber ſprach:

Ein jeder will voraus; mit eifrigem Bemuͤhn,

Sucht er ſich jedem vorzuziehn.

Er eilet, auf dem Waſſergraben,

Beſtaͤndig fort, wie wir auf Erden.
Der
[201]Gedanken uͤber Schrittſchuhe.
Der ſchoͤne Strand, der Grund, und waͤr er noch ſo ſchoͤn,

Wird uͤberall nicht angeſehn.

Wir fuͤhlen beyde die Beſchwerden,

Die wir uns, meiſtentheils umſonſt, zu machen pflegen,

Jn unſerm eifrigen Bewegen,

Das meiſt auf Wind und Tand, und nichts gericht,

Fuͤr heftigen Begierden nicht,

Die uns faſt keine Ruhe goͤnnen.

Die meiſten rennen, um zu rennen;

Sie hindern ſich einander, ſtoßen ſich,

Und fallen oͤfters beyde nieder.

Wer liegt, der liegt; es lacht ein ieder,

Der dieſes ſieht; man freut ſich faſt gemeinſchaftlich,

Und keiner denkt: Es lauret auch auf dich

Vielleicht ein naher Fall. Die Kluͤgſten weichen,

Nicht Maͤchtigern allein, auch ihres gleichen,

Mit ſchlauer Wendung, aus. Verſchiedne wollen allen,

Durch ſonderbare Kunſt, gefallen.

Sie brauchen mehrern Platz. Von der, zu jener Seiten,

Sieht man ſie uͤbermuͤthig gleiten;

Sie wollen, mit verſchiednen Zuͤgen,

Jns Eis ihr eignes Merkmaal ſchreiben,

Und ihr Gedaͤchtniß, mit Vergnuͤgen,

Dem grauen Marmor einverleiben,

Das aber, mit dem eitlen Grunde,

So bald ein Wind aus Suͤden weht,

Ja oͤftermals in einer Stunde,

Zerbricht, verſinket und vergeht.

Wobey ſie, durch ihr uͤbermuͤthigs Schweifen,

Sie, die Gefahr zu fallen, ſtets noch haͤufen.

Ein Strohhalm, eine Ritz, ein kleiner Stein,

Kann ihnen, in dem fluͤchtgen Schweben,
N 5Zum
[202]Gedanken uͤber Schrittſchuhe.
Zum oͤftern Straucheln Anlaß geben,

Zum ſchnellen Sturz ein Vorwurf ſeyn.

Mich deucht, ich ſehe ſie, zu beyden Seiten,

Den Ehrgeiz und die Luſt begleiten.

Dieß trifft auch ſo bey uns, in unſerm Leben, ein;

Der Geiz ſcheint uͤberdem, mit noch geſchaͤrftern Trieben,

Uns noch, in unſerm Lauf, beſtaͤndig nach zu ſchieben.

Jn dieſem ſchwaͤrmenden Gedraͤnge,

Ward ich noch eine groͤßre Menge,

Von dieſen Laufenden, gewahr,

Die nicht ſo ſtolz, als jene, vorwerts glitten,

Mit engen, nicht erhabnen Schritten,

Meiſt krumm gebuͤckt und kuͤmmerlich,

Jn einem mehrentheils geraden Strich,

Wobey ſie doch ſo viel Gefahr, als jene, nicht erlittem

Sie brauchten keinen großen Raum:

Doch wuͤrdigte man die des Anſehns kaum.

Dieſelbigen nun kamen mir,

Wie auf der Welt die Armen, fuͤr.

Von einigen, die bey einander ſchwebten,

(Als wenn ſie, ſo wie wir, auf feſtem Boden, lebten)

Hoͤrt ich ein eifrigs Raiſonniren,

Und oͤfters gar ein Diſputiren,

Von Dingen an dem Strand, die ſchnell fuͤr ſie verſchwunden,

Von welchen ſie ſo viel, als nichts verſtunden.

Noch hatten einige, ſich unter ſich verbunden,

Durch einen langen Stock, den ſie in Haͤnden hielten,

Es ließ, als ob ſie all auf eine Einigkeit,

Jn ihrem Laufen, zielten:

Doch waͤhrt auch die nur kurze Zeit,
Da
[203]Gedanken uͤber Schrittſchuhe.
Da einer bald ſich hier, ein andrer dort verlohr.

Dieß kam mir als ein Bild, von Maſcopeyen, vor.

Nachdem ich nun dem laͤrmendem Gewimmel

Hatt eine Zeitlang zugeſehn,

Und dem verwirrt-und ſchwaͤrmenden Getuͤmmel,

Dem lauten ſcharr - und ſchwirrenden Getoͤn,

Nun lange zugehoͤrt,

Und etwas weiter ging, bald aber ruͤckwerts kehrt:

Ward ich, indem indeß der Abend angebrochen,

Verwundrungs-voll gewahr,

Daß ſich die ganze Schaar

Bereits verlaufen und verkrochen.

Jch ſtutzt und glaubte, daß auch dieß

Uns ein belehrend Beyſpiel wies.

Denn recht, wie nach vollbrachtem Lauf,

Der ganze Hauf

Die Stelle des Gewuͤhls, die glatte Bahn, verlaſſen;

So ſcheint es auch mit uns beſtellt,

Wenn wir die glatte Bahn der Welt,

Nach kurzer Zeit, wenn wir erblaſſen,

Den Folgenden, um auch darauf zu ſchweben,

Durch unſern Abtritt, uͤbergeben.

Begluͤckt! wenn es bey unſerm Wallen,

Nur ſonder Straucheln, ohne Fallen,

So geiſt - als leiblich, abgegangen,

Und daß, nach dieſem Leben, dort,

Wir an den uns beſtimmten Ort,

Zur ſeligen und wahren Ruh, gelangen.


Ge-
[204]Gedanken bey einer Schonkilje.

Gedanken bey einer im
Februario bluͤhenden Schonkilje.


Liebſter Gott! kanns moͤglich ſeyn! kann der Winter nicht ein-
mal

Der Natur Formirungskraft, auch bey fernem Sonnenſtral,

Auch zur allerrauhſten Zeit, mitten im December, tilgen!

Alſo rief ich, als ich juͤngſt zaͤrtlich bluͤhende Schonkiljen,

Ohne Kunſt, in meinem Garten, aus der Erde ſteigen ſah.

Wie ich ihren unverhofften lieblich-gelben Glanz erblickte;

Wie ich ſie, mit frohen Haͤnden, um ſie aufzuheben, pfluͤckte:

Waren mir, ob ihrer Schoͤnheit, faſt die Freudenthraͤnen nah.

Jch vermochte, wie ich ſie ſo vollkommen fand, ſo ſchoͤn,

Wie ſie ſo vortrefflich roch, mich daran nicht ſatt zu ſehn,

Mich daran nicht ſatt zu riechen. Meine Seele lenkte ſich,

Durch den unvermutheten nie geſehnen Glanz geruͤhret,

Zu der Blum und meinem Schoͤpfer; dankt und lobt ihn inniglich,

Daß er, zu der Menſchen Anmuth, ein ſo ſchoͤn Gewaͤchs for-
miret,

Daß er, da zur Sommerszeit, leider! durch derſelben Menge,

Wir, zur Unempfindlichkeit uns ungluͤcklich bringen laſſen,

Uns zu ungewohnter Zeit, (ſo daß wir die Art nicht faſſen)

Durch derſelben ſuͤſſen Balſam, durch ihr ſchimmerndes Ge-
praͤnge,

Auſſerordentlich vergnuͤgt. Herr! wenn ich an dieſer Gabe,

Durch dieſelbe, durchs Geſicht, und durch den Geruch, mich labe:

Laß dieß liebliche Geſchoͤpf mich zu dir, als Schoͤpfer, fuͤhren;

Laß mich ein, in dir gegruͤndet, irdiſches Vergnuͤgen ſpuͤren!


Die
[205]Die junge Saat.

Die junge Saat.


Nach faſt verſtrichnem Februar,

Und da kein Schnee mehr auf den Feldern lage,

An einem angenehmen Tage,

Der, nach erlittnem Froſt, noch angenehmer war,

Begab ich mich aufs Feld,

Das im verwichnen Herbſt zur neuen Saat beſtellt,

Um mit Aufmerkſamkeit zu ſehn,

Was doch von der Natur, auch in der Winter-Nacht,

Selbſt unterm Schnee, geſchehn,

Wie weit es, ſelbſt im Froſt, ihr reger Fleiß gebracht.

Jch ſtutzte, wie der Aecker dunkle Ruͤcken

Nicht mehr zu ſehn. Ein allgemeines Gruͤn,

Das, in dem Sonnenſtral, den aufmerkſamen Blicken

Noch ſchoͤner, als Smaragd, und recht durchſichtig ſchien,

Bedeckte ſchon das ſchwarze Land,

Als wie ein ſammtenes Gewand.

Man kunnte von der dunklen Furchen Menge

Die ſchwarzen Tiefen nicht, ja nicht einmal

Derſelben Ruͤcken kleine Hoͤhn,

Vor der ſchon mehr, als ſie, erhabnen Spitzen Laͤnge

Des gruͤnenden Getreydes ſehn.

Ein angenehm durchleuchtend - gruͤner Schein,

Der uͤberall in gleicher Hoͤhe ſtund,

War allgemein;

Soweit man ſehen kunnt.

Durch dieſen gruͤnen Schmuck ſchien eine neue Welt

Uns gleichſam vorgeſtellt.
Jch
[206]Die junge Saat.
Jch ſah, durch dieſe gruͤne Pracht,

Mich gleichſam angelacht,

Jch ſpuͤrt ein gruͤnes Licht vom Felde ruͤckwerts ſpringen,

Und mir in mein Gehirn, durchs Auge, dringen,

Daſelbſt, bey einem ſanften Fuͤhlen,

Ein liebliches Jdeen - Heer erzielen,

(Die in Gedanken ſich zuſammen ſetzten,)

Und zu des großen Schoͤpfers Ehr,

Jn ſanfter Andacht, mehr und mehr

Mich fuͤhrten, und zugleich ergetzten,

So, daß ich ihm ein Dank - und Freuden - Opfer brachte,

Und inniglich geruͤhret, folgends dachte:


Herr, du laͤſſeſt, dir zum Preiſe,

Jn der Furchen gruͤner Gleiſe,

Hier ſchon unſre kuͤnftge Speiſe

Jn begruͤnter Hoffnung ſehn.

Laßt uns doch, wie Gottes Segen,

Nebſt der Nahrungskraft, auch ſchoͤn,

Mit vergnuͤgtem Aug, erwegen,

Und mit Andacht uͤberlegen,

Daß uns Gott, auf dieſer Welt,

Nicht nur unſre Koſt beſchehret,

Und zur Nothdurft nur erhaͤlt;

Sondern auch mit Anmuth naͤhret.


Gruͤ-
[207]Gruͤnender Huͤhnerſchwarm.

Gruͤnender Huͤhnerſchwarm
im Winter.


Mein Gott, es ſteht mein Fuß gehemmt, bey dieſer gruͤ-
nen Stelle, ſtille;

Jch ſeh, auch ſelbſt im Februar, im Reſt der Kraͤuter, eine Fuͤlle,

Von Anmuth, Schoͤnheit, Zierlichkeit. Ein uͤberall begruͤnter
Grund,

Worauf ein purpurfarbnes Waͤldchen, von braunem Kohl, ge-
pflanzet ſtund,

War durch den Gegenſatz noch ſchoͤner. Jch ſahe Kerbel, Pe-
terſilgen,

Nebſt vielem andern Kraͤuterwerk, das weder Schnee noch
Froſt zu tilgen

Bishero maͤchtig gnug geweſen. Wie ich mich nun nach ih-
nen buͤckte,

Und ihrer eiuige mit Fleiß, zu naͤherer Betrachtung, pfluͤckte:

Erſtaunt ich, als ich ihrer viele, nicht gruͤnen nur, auch bluͤ-
hen ſah.

Der ſogenannte Huͤhnerſchwarm, der, als gewehte gruͤne
Decken,

Sich in einander recht geſchlungen, ſich uͤbers Land pflegt
herzuſtrecken,

Als wenn er es erwaͤrmen wollte, bracht, in faſt Silber-weiſ-
ſer Zier,

Und noch ein andres Kraut, ein Bluͤmchen, das bald dem Gol-
de glich, herfuͤr,

Das ſuͤß, und recht, wie Honig, roch. Jch dacht hierbey der
Urſach nach,

Wodurch ſich die Gewaͤchſ’ erhalten, ob gleich ihr ganzer Bau
ſo ſchwach.

Es
[208]Gruͤnender Huͤhnerſchwarm.
Es ſchien, ob haͤtte ſie die Demuth am meiſten vor dem
Froſt beſchuͤtzt,

Und ihre ſanfte Niedrigkeit ſie vor der Winde Wuth geſtuͤtzt.

Doch reichet dieß allein nicht zu; daher ich billig weiter gehe,

Und, daß es eine eigne Kraft, ſo die Natur ihr ſchenkt, geſtehe.

Dergleichen ſonderbare Kraͤfte ſind von ſehr großer Wichtig-
keit,

Da, wenn die Pflanzen der nicht faͤhig, das liebe Korn, zur
Winterszeit,

Sich gleichfalls nicht erhalten koͤnnte, das zur Erhaltung un-
ſrer Welt,

Wie zart es gleich, trotz Froſt und Eis, recht wunderbarlich
ſich erhaͤlt,

Daß dieß ein nuͤtzlich Wunderwerk, muß, wer daran gedenkt,
geſtehen.

So laßt uns doch daran gedenken, damit wir den im Sehn
erhoͤhen,

Aus welchem alle Kraͤfte qvillen, der durch ſein’ Allmacht,
was ſo klein,

So ſchwach und zart, daß es kaum fuͤhlbar, und kaum zu ſehnde
Zaͤſerlein,

Vor dem ſo ſtrengen Druck der Kaͤlte zu ſchuͤtzen, zu bewah-
ren weis,

Zu unſerm Nutzen und Ergetzen, und ſprechen: Dem, der al-
le Welt

Hervorgebracht, geſchmuͤckt, ernaͤhret, und in ſo ſchoͤner Ord-
nung haͤlt,

Sey unſre Luſt im Dank geopfert, und Jhm allein ſey Ehr
und Preis.


Tabac.
[209]Tabac.

Tabac.


Wenn Kaͤlt und Feuchtigkeit die Luft erfuͤllt,

Und unſern Leib umringt, ja faſt durchdringet;

Wenn unſer Hirn ein Schwermuths-Duft umhuͤllt,

Und uns ſodann ein’ Art von Luſt entſpringet,

Aus einer Pfeife Rauchtabac:

So hab ich oͤfters nachgedacht,

Ob der Geruch, ob der Geſchmack,

Ob der von uns ſanft ausgeblaſne Hauch,

Und ſein kurz abgeſetzt und ſchmatzendes Getoͤn,

Ob der, den Wolken gleiche, Rauch,

Den wir in regen Kreiſen ſehn;

Wie, oder ob die Waͤrm uns das Vergnuͤgen macht?

Und finde, daß, durch alle Sinnen,

Wir im Tabac ein’ Art von Luſt gewinnen.

Man ſcheinet insgemein, durch ſanftes Achſelzuͤcken,

Daß etwas uns vergnuͤget, auszudruͤcken.

Bey manchem ſcheint, wenn er die regen Kreiſ’ erblickt,

Als wuͤrde ſelbſt ſein Geiſt zum Denken mehr geſchickt,

Und daß er, wenn ſein Pfeifchen brennte,

Weit tief - und ſchaͤrfer ſinnen koͤnnte.

Ein Pfeifchen dient, in Einſamkeit,

Ein’ Art Geſellſchaft abzugeben,

Und wenn ihr in Geſellſchaft ſeyd,

Die Unterhaltung zu erheben.

Gedenket wenigſtens, indem ihr euch vergnuͤget,

Auch, daß ihr euch vergnuͤgt! und dankt, (indem ihrs denkt,

Daß im Tabac fuͤr euch ſo manche Luſt ſich fuͤget;)

Dem, der euch dieſe Luſt, wie alles, ſchenkt.

Br.VI.Th. OEr-
[210]Tabac.
Erwegt, daß, wenn es draußen ſtuͤrmt,

Jhr ſicher, ruhig und beſchirmt,

Jn eurem Zimmer, euch befindet,

Und auch, ſo gar im Rauch, verſchiedne Luſt empfindet.

Der Rauch kann euch zugleich, von eurem Leben,

Und von der irdiſchen Vergaͤnglichkeit,

Ein augenfaͤllig Lehrbild geben.


Wenn man auf dieſe Weiſe raucht,

Und, in betrachtender Gelaſſenheit,

Vergnuͤglich dieſes Kraut gebraucht:

So wird man es nicht mehr ſo, wie in vorger Zeit,

Fuͤr unanſtaͤndig, und noch minder

Fuͤr ein verruchtes Werk der Suͤnder,

Nach eitlen Grillen vieler alten

Und neuen Heiligen, hinfuͤhro halten.


Be-
[211]Betrachtung uͤber den braunen Kohl.

Betrachtung
uͤber den braunen Kohl.


Wir leben jetzt im ſpaͤten Herbſt. Der vormals ſchoͤnen
Welt Geſtalt

Jſt ganz veraͤndert; Gras und Kraut ſind welk; die Luft iſt kalt;

Die Erde ſchlackricht, feucht und tief.

Doch weil das Wetter heute leidlich, und, nach der Zeit des
Jahres, ſchoͤn,

Die Luft nicht kalt, der Wind auch ſtill: So laß uns in den
Garten gehn,

Sprach ich zu meinem aͤltſten Sohn. Wir waren kaum hin-
ein getreten,

So ſahen wir das ſchoͤne Gruͤn des Buxbaums um den Gar-
tenbeeten;

Doch Anfangs ſonſt kein ander Gruͤn; denn auſſer Blaͤtter-
loſen Zweigen,

Die ſich in drohender Geſtalt, als waͤrens lauter Ruthen,
zeigen,

Und dick - verwachſnen duͤrren Dornen, ſchien anders faſt kein
Vorwurf da,

Bis wir gemaͤhlig weiter gingen, da er zuerſt, auf einem Platz,

Das Kraut, das Reich und Arme ſpeiſt, und das ein rechter
Winterſchatz,

Den gruͤnlich - braunen krauſen Kohl, mit aufmerkſamen Bli-
cken, ſah.

Er zeigte mir denſelben gleich, worauf wir naͤher zu ihm gingen,

Und dieß beſondere Gewaͤchs mit Luſt an zu betrachten fingen.

Er kam, in ſeiner dunkelgruͤnen mit Purpur untermiſchten Zier,

An Form uns, einem kleinen Wald in allen Stuͤcken aͤhnlich, fuͤr.

O 2Die
[212]Betrachtung uͤber den braunen Kohl.
Die Wipfel ſchienen faſt, in Palmen - gleichen Zweigen,

Jn ſanfter Runde, ſich herab zu neigen.

Ein jeder Zweig war ein vereintes Blatt,

Und wies dadurch, daß die Natur,

An ſtets veraͤnderter Figur,

Stets einen neuen Vorrath hat.

Bewunderns-werth iſt dieſer Pflanzen Zier,

Wenn man ſie, mit betrachtendem Gemuͤth,

Und nicht ſo, wie man pflegt, nur obenhin beſieht.

Die Farben brennen zwar, wie bunte Blumen, nicht,

Weil ein faſt roͤthlich Braun ihr helles Gruͤne bricht;

Daher er, wenn man ihn nur obenhin beachtet,

Mit einer Trauerfarb, ſo alles jetzt erfuͤllt,

Auch gleichſam angethan und eingehuͤllt,

Ein truͤbes Anſehn hat. Doch wenn ich in der Naͤhe

Die Farben und die Form von dieſer Pflanzen ſehe:

Erſtaun ich, und mit Recht. Mehr, als man glauben kann,

Trifft, wer ſie ſo beſchaut, beſondre Wunder an.

Wo iſt ein Baum, des Stamm, zuſamt den Zweigen,

Den allerſchoͤnſten Purpur zeigen?

Ein blauer Duft, der ſich verwiſcht,

Jſt mit dem glatten Roth gemiſcht,

Womit ſich Zweig und Stamm, ſo beyde esbar, decken.

Ja, auf den Stengeln nicht allein,

Selbſt auf den Blaͤttern, wird erblickt,

Wie ein bald gelb-bald gruͤn-bald Purpur - Duft ſie ſchmuͤckt:

Nachdem ſie ſelbſt gefaͤrbet ſeyn.

Ein mit ein wenig Braun gemiſchtes Dunkelgruͤn,

Wodurch die Aederchen, in ſchoͤnſtem Purpur, gluͤhn,

Wird auf den mehreſten geſehn;

Wobey jedoch, auf manchen Stellen,
Ver-
[213]Betrachtung uͤber den braunen Kohl.
Verſchiedne Buͤſch, im hellen Gruͤnen, ſtehn,

Die denn das Dunkelgruͤn der uͤbrigen erhellen.

Noch mehr, ein roͤthlich Gelb iſt hier und dort zu ſehn,

Die ihre Nachbarſchaft, ſo braͤunlich - roth, erhoͤhn.

Durch der ſo mannichfach gemiſchten Farben Pracht,

Wie ſehr ſie gleich gebrochen, finden wir

Ein buntes Ganz, das, in verſchiedner Zier,

Ein Feld, mit Kohl bedeckt, um deſto ſchoͤner macht.

Von meinen Kindern eins, mein kleiner Julius,

Den, weil er oftermals dergleichen that,

Und manche Kraͤuterchen mir eingereichet hat,

Jch billig darum loben muß,

Kam eben, wie ich dieſes dachte,

Und mehrte meine Luſt, indem er mir

Ein ſchoͤn vom bunten Kohl gepfluͤckt Bouquetchen brachte.

Dieß glaͤnzt um deſto mehr in einer bunten Zier,

Als er von ungefaͤhr der Farben Unterſcheid,

Jn einer lieblichen und bunten Zierlichkeit,

So ſuͤß vereint, ſo angenehm vermiſchet,

Daß es ſowohl mein Herz, als mein Geſicht, erfriſchet.

Jch lobte ſeinen Fleiß, behielt den kleinen Strauß,

Und zahlet ihm, zum Lohn, zwey Groſchen aus.

Drauf huͤpft er, recht vergnuͤgt in ſeinem kleinen Sinn,

Mit Freuden wiederum dahin;

Und ich ſchlug meinen Blick

Auf das beſagte Kraut zuruͤck,

Um, Gott zum Ruhm, von neuen, wie ſo ſchoͤn

Der ſchoͤne Kohl, noch ferner anzuſehn.

Auch dieſer Pflanzen Laub vermehrt noch das Vergnuͤgen,

Wenn man den klaren Thau, der auf den Kohl gefallen,

Jn großen Tropfen, recht als Kugeln von Kryſtallen,
O 3Auf
[214]Betrachtung uͤber den braunen Kohl.
Auf einem dunklen Grund, hier rollen und dort liegen,

Ja, Diamanten gleich, voll Schimmer glaͤnzen ſieht,

Worin der Sonnenſtral oft, als ein Feuer, gluͤht,

Zumal wenn wir ſie fruͤh, vom Licht beſtralt, entdecken.

Wer aber kann den Schmuck der krauſen Ecken,

Der unbeſchreiblich nett geſpitzet und gedreht,

Jn ſchoͤn verwirrter Ordnung ſteht,

Mit ihren zwar verwirrt-doch ordentlichen Bildern,

Jn gnugſam aͤhnlicher Geſtalt und Farbe, ſchildern?

Es koͤnnte keine Scheer, kein Meſſerchen ſo zierlich,

So nett, ſo rein geſpitzt, ſo reinlich, ſo figuͤrlich

Sie zieren, bilden, oder ſchneiden.

Kein wahres Menſchen-Aug’ erblickt ſie ſonder Freuden,

Zumal, wenn einige nicht nur

Mit der ſo nett gekerbt-und zierlichen Figur,

Nein, noch dazu mit andern Farben, prangen,

Als wie das ganze Blatt;

Da wir, auf manchem Kohl, der an ſich dunkelbraun,

Die Ecken oͤfters weis, oft roth, oft hell-gruͤn ſchaun,

Und manches weiſſe Blatt ganz rothe Spitzen hat.

Je laͤnger man ſie ſieht, je mehr vermehret ſich

Die Zierlichkeit und Pracht, abſonderlich,

Wenn, wie es eben dazumal

Von ungefaͤhr geſchah, der helle Sonnenſtral

Die truͤbe Luft durchdrang, worin ich damals mich,

Nebſt meinem Sohn, befand. Mein Gott! wie wunderſchoͤn

Fing alles dazumal an auszuſehn!

Wie ſchoͤn war uͤberall der frohen Augen Ziel,

Als nicht nur auf das klare Naß

Der Sonnenſtral, als auf ein helles Glas,

Auch durch die bunten Blaͤtter, fiel.
Da
[215]Betrachtung uͤber den braunen Kohl.
Da denn, bey denen friſchen, gruͤnen,

Die welken Blaͤtter Gold, ja recht wie Blumen, ſchienen.

Es dachte, neben mir, mein Sohn der Anmuth nach,

Bis daß er, durch dieß Kraut geruͤhret, zu mir ſprach:

Was bey dem braunen Kohl noch mein Bewundern haͤuft,

Jſt, daß, (wie ich anjetzt in dieſer Pflanz entdecke)

Jn ihr recht was beſonders ſtecke,

Da ſie, durch Waͤrme nicht, nur durch die Kaͤlte, reift.

Ja freylich, du haſt recht, mein Sohn, rief ich, erfreut,

Daß er ſo wohl gedacht. Es zeigt dieß abermal,

Wie kuͤnſtlich die Natur, und wie faſt ohne Zahl,

Die Mittel, die ſie braucht, zu aller Zeit,

Uns zu ergetzen und zu naͤhren.

Mit Recht gereichet dieß zu deſſen Ehren,

Der ihr, zu unſrer Nutzbarkeit,

So manche Kraͤfte ſchenkt, da auch ſo gar der Froſt

Uns Speiſe ſchaffen muß, und eine ſuͤſſe Koſt,

Der Armuth ſonderlich. Ach laß zu deiner Ehre,

O Herr, bey dem Genuß, uns oftermals bedenken,

Daß nimmermehr ein Ungefaͤhr

Vermoͤgend, ſolch ein Kraut zu ſchenken,

Das uns, ach! daͤchte man doch oftermals daran,

Auch ſelbſt im Winter, Luſt und Nahrung bringen kann.


Herrn
[216]Die Hirſche.

Herrn Ridingers in Augſpurg
uͤberſandte treffliche Zeichnungen wilder
Thiere mit ernſthafter Luſt be-
trachtet.

Dieſes vortreffliche Werk iſt nachher, nebſt der
Poeſie, in Kupfer geſtochen, von ihm her-
ausgegeben.


Wir beſchreiben alle beyde,

Gott zum Ruhm und uns zur Freude,

Das ſo ſchoͤne Weltgebaͤude,

Jch mit Dinte, du mit Kreide.

Die Hirſche.


No. 1.


Hat man jemals die Natur, mit der Kunſt vereint, geſehn:

So geſchichts auf dieſen Blaͤttern. Daß, mit etwas ſchwar-
zer Erde,

Alles, was auf dieſer Welt wunderſchoͤn, ſo wunderſchoͤn

Vorgeſtellt, gefaͤrbt, gebildet, ja faſt gar belebet werde;

Jſt ſo kuͤnſt-als unbegreiflich. Schaut den nah-und fernen Wald!

Es vertieft der Blick ſich hier, in den weit entlegnen Buͤſchen,

Wo ſich, mit gebrochnen Lichtern, Schlag - und andre Schatten
miſchen.

An des bunten Birkenſtammes Rieſen-foͤrmige Geſtalt,

Freut ſich mein erſtauntes Aug. Jn geruhigem Vergnuͤgen,

Sie-
[217]Die Hirſche.
Sieher man, in weichem Graß, ein, dem Schein nach, lebend Bild;

Ein, mit ſeinem zarten Kaͤlbchen, wiederkauendes Stuͤck Wild,

Das, in ſeiner jungen Einfalt, dieß, mit ernſter Vorſicht, liegen.

Des behaarten feiſten Spieſſerts raſch und muntre Fluͤchtigkeit

Zeigen die benervten Schenkel. Wer bewundert nicht, in ihnen,

Da das Urbild und der Abdruck uns zur Luſt und Nahrung
dienen,

Unſers Schoͤpfers ſchoͤne Werke, und der Kunſt Vollkommenheit?

No. 2.


Halb in friſch-und kuͤhlem Schatten, halb in ſchwuͤlem Son-
nenſchein,

Unter Blaͤtter-reichen Baͤumen, zwiſchen Kraͤuter-reichen Huͤgeln,

Sieht man einen edlen Hirſch, hier im klaren Bach ſich ſpiegeln,

So natuͤrlich, daß der Schein ſelbſt ein Urbild ſcheint zu ſeyn.

Jſt gleich ſeine Stellung ſtill; Laͤßt uns doch ſein raſches Weſen

Seine ſchuͤchterne Natur, aus faſt regen Zuͤgen, leſen.

Seht! es ruͤhren ſich die Ohren. Schaut! die Augen ſehn
mich an.

Hoͤrt! ob man nicht eigentlich das Geraſchel hoͤren kann,

Des von ihm zertretnen Schilfs. Edler Ridinger, dein Geiſt,

Welcher uns des Schoͤpfers Macht, in der Koͤrper Schoͤnheit,
weiſt,

Zeiget, welche Kraft, zu bilden, Gott den Geiſtern eingeſenket,

Und zugleich, wie groß das Maaß, welches dir von Jhm ge-
ſchenket.

No. 3.


Welch Raſcheln unterbricht der Stille ſo lang hier ungeſtoͤr-
ten Sitz?

Es rauſchen Buͤſch, es krachen Straͤucher. Was fliegt daher, als
wie ein Blitz?

O 5Es
[218]Die Hirſche.
Es war ein angeſchweiſter Hirſch: Er iſt vorbey und fort
Doch nein;

Wie! wird er in der Flucht zu Stein?

Er fleucht, und bleibt auf einer Stelle. Dieß iſt nun keine
Zauberey;

Doch iſt es eine ſchwarze Kunſt. Damit hier lange ſichtbar ſey,

Was ſonſt die Schnelligkeit uns raubet: Kann man, an dieſem
armen Thier,

Entſetzen, Unmuth, Grimm und Gram, Furcht, Wuͤten,
Todespein und Grauen,

Nicht in den Augen nur allein, in allen ſeinen Gliedern, ſchauen.

Die Muskeln raffen ſich zuſammen; die ſtrammen Nerven
reiſſen ſchier.

Hier ſeh ich nun zwar eine Probe, wie weit des Menſchen
ſchlauer Geiſt,

Auch in den allerdickſten Waͤldern, die Herrſchaft uͤber Thie-
re weiſt:

Doch ſeh ichs ohne Mitleid kaum. Wesfalls ich eilig meine
Blicke,

Um mich zu troͤſten, in den Wald, in die bebuͤſchte Ferne ſchicke.

Jch ſenke mich, mit ſtiller Luſt, in das verwachſene Gefilde;

Und wenn ich, in dem ſchoͤnen Wald, mich ſatt und doch nicht
ſatt geſehn,

Weil man ſtets neue Schoͤnheit ſpuͤret: So ruf ich: Jeder
muß geſtehn,

Daß hier die bildende Natur, durch Ridinger, ſich ſelbſten bilde.

No. 4.


Ob in dieſem Kupferſtuͤck ich zuerſt das Pflanzen-Reich,

Oder erſt das Thier-Reich ſehn, oder alle zwey zugleich

Schauen und bewundern wolle; zweifelt mein verwirrter
Blick.

Sucht
[219]Die Hirſche.
Sucht mein Aug am kuͤhlen Bach, unter Schatten-reichen Buͤ-
ſchen,

Unter Blaͤtter-reichen Baͤumen, in der Fern, ſich zu erfriſchen:

Reiſſet ihn der edle Hirſch, mit Gewalt, auf ſich zuruͤck,

Und indem ich ſeine Stellung, Anſtand, praͤchtige Geſtalt,

Sein auf mich gerichtet Aug und den feſten Tritt beſchau,

Schweift der Blick aufs neue weg, in die von der klaren Au

Angenehm durchfloßne Gegend, wo ſich, von bebluͤmten Huͤgeln,

Weiſſe Staͤmme, gruͤne Blaͤtter, in dem reinen Waſſer, ſpiegeln.

Doch des Hirſches ſchoͤne Zweig, und ſein ſich bewegend Ohr,

Reiſſen mich aus gruͤner Zweige ferner Tief aufs neu hervor,

Beyder Urbild zeiget mir einen Gott, der Koͤrper macht;

Die Copie beweiſt, daß Gott auch den Geiſt hervor gebracht.

No. 5.


Zwiſchen ſchroff-und jaͤhen Felſen, hoͤr ich das Gewaͤſſer rau-
ſchen,

Seh ich einen muntern Hirſch, hier aufmerkſam ſtehn und
lauſchen,

Voller innerlichen Gluht, voller bruͤnſtigen Begier,

Ob er nirgend Wild verſpuͤr.

Kaum getraut er ſeinen Lauft feſt zu ſetzen, um im hoͤren,

Sich, durch ungefaͤhres Raſcheln, unvorſichtig nicht zu ſtoͤren.

Sehet, wie ſo ſcharf er ſieht! hoͤrt, wie ſtark und laut er ſchreyt!

Der ſo ſchoͤn - als wilden Gegend deutliche Natuͤrlichkeit,

Wo auch das, was ſchrecket, ſchoͤn iſt, was verwildert, angenehm,

Und die wir, in unſerm Zimmer, jetzt durch Ridinger bequem,

Sonder ſteigen, ſehen koͤnnen, bringt uns billig auf die Spur

Des hier vorgeſtellten Urbilds, auf die wirkliche Natur.

Da wir fuͤrs Original, die Geſchoͤpfe, leider blind,

Durch Gewohnheit, worden ſind:

Sucht
[220]Die Hirſche.
Sucht er vom Gewohnheits - Schlaf, uns, durch Zeichnen, zu
erwecken,

Und, durch die Copie, im Urbild, ſelbſt den Schoͤpfer zu
entdecken.

Alſo ſeh ich ſeine Kunſt, ja ihn, als ein Werkzeug an,

Wodurch man ſich, im Geſchoͤpf, ſelbſt zum Schoͤpfer nahen
kann.

No. 6.


Seht geſchwinde! wie ſo raſch, munter, fertig, ſchnell und
leicht,

Hier der Hirſch, auf flacher Ebne, nach dem Walde ſpringt und
fleucht!

Er iſt in ſo reger Stellung, daß ſein Fliehn ich nicht nur ſehe,

Sondern faſt das Strampfen hoͤr’. Seht, wie lieblich, von der
Hoͤhe,

Dort die langen Schatten fallen, und den kuͤhlen Abend weiſen;

Selbſt in der Copie der Anmuth, kann man hier den Schoͤp-
fer preiſen.

Denn mich deucht, ich waͤr im Felde, bey gekuͤhlter Abendzeit,

Und bewunderte der Sonnen untergehnde Herrlichkeit.

Jſt die Kunſt nicht hochzuſchaͤtzen, da durch ſie wir, wie ſo ſchoͤn

Die im Fruͤhling ſchoͤne Welt, auch im Froſt, in Zimmern
ſehn?

Wann du der Geſchoͤpfe Schoͤnheit, durch das Aug, uns ein-
verleibeſt:

Ruͤhreſt du, durch deine Hand, Ridinger, uns unſer Herz.

Eines guten Schreibers Griffel iſt dein Griffel. Denn du
ſchreibeſt

Unſers großen Schoͤpfers Thaten, wirklich in der That, in Erz.

No. 7.
[221]Die Hirſche.

No. 7.


Sah man, von bejahrten Staͤmmen, und von Blaͤttern, die
Figur

Je natuͤrlicher gebildet? eine thieriſche Natur,

Gleichſam lebend, bloß in Strichen? Nein, vom Thier - und
Pflanzen-Reich,

Sah man nimmer die Copie, dem Original ſo gleich.

Jn dem Aug, in allen Sehnen, ja in Muskeln, durch die
Haut,

Wird an dieſem Hirſch, wie ſanft ihm das Streifen thut, ge-
ſchaut.

Ja, es zeiget uͤberall die ſo kuͤnſtliche Copie,

Jn nur ſchwarzen Linien, Farben, Haltung, Harmonie.

Wie das Urbild ſo vortrefflich, wie die Welt ſo wunderſchoͤn,

Davon kann man hier, im Abdruck, einen ſchoͤnen Schatten
ſehn.

Ja noch mehr, in wahren Waͤldern, wie es mir zum oͤftern
ſchien,

Scheint der gruͤne Schatten ſchwarz, hier der ſchwarze Schat-
ten gruͤn;

Ja es ſcheint dieß edle Thier, nicht zu ſtehn, nein, ſich zu regen,

Und die Blaͤtter an den Zweigen, durchs Gehoͤrn, ſich zu be-
wegen.

No. 8.


Jm verwachſenen Gefilde, zwiſchen dick - bebuͤſchten Huͤgeln,

Jm mit Schilf bekraͤnzten Bach, der im Widerſchein ſtets gruͤn,

Durch der gruͤnen Blaͤtter Schatten, in polirter Klarheit
ſchien,

Sieht man hier den edlen Hirſch weiden, und zugleich ſich
ſpiegeln.

Jn
[222]Die Hirſche.
Jn des offnen Maules Stellung ſieht man deutlich, daß er
fuͤhle,

Wie die feucht und friſche Koſt ihn mit Anmuth naͤhr und
kuͤhle.

Doch ſein Auge zeigt zugleich, daß ſein praͤchtiges Geweih,

So der Wiederſchein ihm zeiget, ſeiner Blicke Vorwurf ſey.

Wer bewundert, der dieß ſiehet, nicht des Kuͤnſtlers kluge
Hand?

Jeder Punkt zeigt einen Geiſt, jede Linie Verſtand.

Aber hoͤrt! erkennt dabey, wenn euch ſein Gemaͤlde ruͤhret,

Daß er uns, durch die Copie, zum weit ſchoͤnern Urbild fuͤhret.

No. 9.


Wie ſo wild iſt dieſer Wald! ſehet, wie ſich Licht und Schatten,

Hier mit einem holden Schrecken, und in wilder Anmuth, gatten!

Sind die Aeſte, die ſo knorrig, nicht faſt ungeheuer ſchoͤn?

Seht die krumm - verwachſnen Wurzeln uns faſt recht entgegen
ſtehn.

Aber, wie erblick ich hier, in ſo klaͤglicher Geſtalt,

Einen ſonſt ſo muthgen Hirſch! Der verzehrnden Brunſt Gewalt

Schauet man in ſeinen Augen. Ein verfinſtert ſchwaches Licht

Glimmt in ſeinem truͤben Blick; ſeine Zunge ſtarrt, er lechzet;

Und mein Auge hoͤret faſt, wie er ſchnaufet, keicht und aͤchzet.

Ja, mich deucht, als wenn er gleichſam, durch ſein Keichen, zu
mir ſpricht,

Aus dem ſchlammigten Moraſt: Schau, in mir, die
Wut der Triebe,

Jhr den Leib verzehrend Feur: Kurz, ein Bild
misbrauchter Liebe.

No. 10.
[223]Die Hirſche.

No. 10.


Jn einem rauhen Fichten-Wald, der ſehr verwildert iſt, doch
ſchoͤn,

Seh ich hier einen edlen Hirſch, ſo, wie es ſcheint, voll Unmuth
ſtehn.

Er ſcharrt begierig in den Sand, ich hoͤr ihn faſt fuͤr Eifer
ſchnaufen;

Sein ſcharf Geweih durchfaͤhrt und ſtoͤrt den ihm geſunden
Ameishaufen.

Man kann, in ſeinem ſtrengen Blick, ſo gar die Leidenſchaften
ſehn.

Erwege, der du dieſes ſieheſt, wie weit die Wiſſenſchaften gehn,

Wie ſich die Kunſt ſo fern erſtrecket! So wie, durch ſchwarze
Dinte, man

Unſichtbare Gedanken bilden, und Geiſter faſt verkoͤrpern kann,

Das ja gewiß ein Wunder iſt: So ſtellt, durch ſchwarze Far-
be, hier,

Des Kuͤnſtlers Hand, auf dieſem Blatt, die Koͤrper faſt be-
geiſtert fuͤr.

Mit wie viel Faͤhigkeiten nun, und Kraͤften unſrer Geiſter
Weſen

Von einem hoͤhern Geiſt begabt, giebt dieſe Bilder - Schrift
zu leſen,

Man kann ſich, wenn wir dieß Pappier, als der Natur Copie,
beſchauen,

Des Urbilds Schoͤpfer ſelbſt zum Ruhm, daran ergetzen und
erbauen.

No. 11.


Mit ergetzendem Erſtaunen, mit bewunderndem Vergnuͤgen,

Sieht man hier den ſtolzen Hirſch, gleichſam majeſtaͤtiſch, liegen.

Jch
[224]Die Hirſche.
Jch bewundere, mit Ehrfurcht, den, der ſolcher Glieder Pracht

Dieſer Creatur geſchenkt. Aber, wird nicht auch bedacht,

Rief ich, durch die Kunſt geruͤhrt, wie, durch etwas ſchwarze
Erde,

Solch ein Thier, als wenn es lebet, lebhaft vorgeſtellet werde?

Seht, es reget ſich der Hals! ſeht, ihn kroͤnet ſein Geweih;

Seht, wie jede Muskel, ſelbſt durch die Haut, zuſehen ſey.

Aus dem Auge guckt der Hirſchgeiſt. Kann man ſeiner Laͤufte
Schalen

Haͤrte, Glaͤtt und Feſtigkeit deutlicher mit Farben malen?

Jn noch mehr, man ſieht mit Luſt, wie dieß Kunſt - erfuͤllte
Blatt

Noch, vor allen andern Blaͤttern, was beſonders an ſich hat.

Man ſieht hier, durch Kunſt, die Kunſt ſich mit der Natur
vereinen.

Jn der Baͤume Perſpectiv herrſcht die Ordnung, und es ſcheinen

Hier die Bilder keine Bilder, ſondern Koͤrper, die verſteint.

Wie nun alles, was man ſieht, nach dem Aug-Punkt ſich verkleint:

So vergroͤſſert ſich bey mir die Bewunderung der Kunſt,

Und zugleich der Preis des Schoͤpfers, deſſen Weisheit, Macht
und Gunſt

Wir ſo manche Wiſſenſchaft, geiſt-und koͤrperliche Gaben,

So zur Luſt, als auch zum Nutzen, bloß allem zu danken haben.

No. 12.


Auf dieſem blumigt-flach-und luſtigem Gefilde,

Wovon das Auge kaum die Fern ergruͤnden kann,

Die Blicke den Verſchieß kaum zu erreichen taugen,

Sieht man verwunderlich faſt die Natur im Bilde,

Jm hier verſammelten ganz unterſchiednen Wilde.

Es
[225]Die Hirſche.
Es ſieht dem Kuͤmmerer der Kummer aus den Augen;

Die ernſte Stellung zeigt des Gall-Thiers Alter an;

Der Hirſch-Kuh kann man es faſt aus den Augen leſen,

Daß ſie des Hirſches Brunſt ein Vorwurf ſey geweſen.

Das ſchlanke Schmahl-Thier zeigt der friſchen Jugend Spur.

Jedoch dieß Kupfer-Stuͤck zeigt uns das Wild nicht nur,

Es zeigt dieß Blatt ein Blatt des Buchs der Creatur.

Des Kuͤnſtlers Lettern ſind Figuren, die er fuͤget,

Daß eine ſolche Schrift daraus entſteht,

Worinn ſo Zug als Text des Schoͤpfers Ruhm erhoͤht,

Wenn jemand, der im Sehn ſie lieſt, ſich dran vergnuͤget,

Durchs Bild zum Urbild erſt, und dann zur Urquell geht.

Wen nun der ſchoͤne Stich und Kupferdruck behaget,

Der muß von der Copie die Zeichnung ſelbſt erſt ſehn;

Dann wird er, nicht allein, daß ich nicht gnug geſaget,

Auch daß man nicht davon gnug ſagen kann, geſtehn.


Br.VI.Th. PUeber
[226]Ueber wilde Schweine

Ueber wilde Schweine.


1.


Kann man den ein Grunzen ſehn? Kann uns eine Wuͤ-
ſteney,

Die nicht gegenwaͤrtig, ſchrecken?

Daß dieß beydes nuͤtzlich ſey,

Kann uns dieſes Blatt entdecken.

Lebt nicht dieſe Bache faſt? decket ſie nicht ſo natuͤrlich,

Und ſo ſorgſam ihre Zucht, die halb wild und halb poßirlich?

Solche Wunder wirkt die Kunſt. Aber laßt uns die Copey

Zu dem Urbild, der Natur, dieſe, zu dem Schoͤpfer leiten,

Jhn zu ehren, als die Quell der erſchaffnen Seltenheiten.

2.


Seh ich hier die wilden Kaͤuler, durch verworrne Hecken, dringen;

Seh ich ſie in ſchneller Fahrt ſo ergrimmt als fluͤchtig ſpringen:

Kann mein Blick kaum ſtille ſtehn, ſondern eilt mit ihnen fort,

Und mich deucht, ich hoͤr zugleich Grunzen, Raſcheln, Schreyen,
Schnaufen.

Aber ſeh ich ungefehr die gezackten Fichten dort,

Jn ſo wirklicher Geſtalt: Stutz ich, und laß jene laufen,

Dem, der alles ſchafft, zum Ruhm, ſeh ich hier, in Thier und
Straͤuchen,

Eine kuͤnſtliche Copey der Natur, in zweyen Reichen.

3.


Kann man ſich auch ohn Gefahr zu den wilden Hauern wagen,

Die hier recht lebendig ſcheinen, und ſo ſcharfe Waffen tragen?

Ja, der eine ſchlaͤft, der andre reibt ſich grunzend; wag es nur,

Tritt nur naͤher, und beſchaue die natuͤrliche Figur

Die-
[227]Ueber wilde Schweine.
Dieſer Thier, auch in den Baͤumen, die leibhaftige Natur.

Schau den Stamm, der Rieſen - foͤrmig! ſcheint nicht ſeiner
Blaͤtter Schatten,

Wie ihr Urbild, ſich zu regen? Luſt und Furcht ſcheint ſich zu
gatten,

Jn dem dick verwachsnen Buſch. Wenn uns nun die Creatur

Eine Spur zum Schoͤpfer zeiget; zeigt die Kunſt hier eine Spur,

Zu der Creaturen Heer. Folglich kann, zu Gott zu ſteigen,

Jedem, der ſie recht gebraucht, ſie die erſte Sproſſe zeigen.

4.


Laͤßt ſich ein vergnuͤglichs Schrecken, ein geheim und ſchau-
drigt Grauen,

Jm gewachſnen Walde, fuͤhlen; laͤßt hier dieſer ſchwarze Wald

Eben die Empfindungen, in faſt ſichtbarer Geſtalt,

Den in ihm vertieften Blick, mit nicht mindrer Regung,
ſchauen?

Aber, welch ein ſtark Geraͤuſch! o! zuruͤck! ein ſchrecklich
Schwein

Liegt erhitzt, dort in der Suͤhle, ſeinen duͤrren Brand zu kuͤhlen,

Unterm Buſch, im feuchten Schilf. Hoͤrt es ſchnaufen! ſeht
es wuͤhlen,

Schaut, wie ſtroblich ſeine Borſten, wie ſo lang die Waffen ſeyn!

Wie des ſchlammigten Moraſts kaltes Bad es innig ruͤhre;

Deucht mich, daß ich in den wilden halb geſchloßnen Augen ſpuͤre.

Ein paar kluge Striche zeigen, von dem ungeheuren Thiere,

Selbſt die innre Leidenſchaft. Muß man denn nicht deſſen Geiſt,

Der, in ſeiner edlen Kunſt, uns ſo viele Wunder weiſt;

Der, was Gott in wilden Waͤldern fuͤr uns ſchuf, uns zu be-
trachten,

Recht als wenn es lebte, zeiget; nicht bemuͤht ſeyn hochzuachten?

P 2Ueber
[228]Ueber Haſen.

Ueber Haſen.


Wer bewundert nicht die Kunſt! da ſich hier der Haſen
Geiſt,

Voller Furcht und dummer Einfalt, in ſo mancher Stellung,
weiſt,

Sonderlich zeigt hier die Haͤſinn, in den Augen, Furcht und
Grauen.

Wenn wir die geſpitzten Ohren des erhabnen Rammlers
ſchauen:

Stehet dieſem kleinen Maͤnnchen alles ſo poßirlich an,

Daß man, uͤberlaut zu lachen, ſchwerlich ſich enthalten kann.

Wer dieß Bild vernuͤnftig ſieht, wird und muß den Meiſter
loben.

Warum wird denn, der das Urbild noch viel trefflicher gemacht,

Nicht bewundert, nicht verehret, ſeine Weisheit nicht bedacht,

Seine Liebe nicht geruͤhmt, und ſein’ Allmacht nicht erhoben?


Die
[229]Die Woͤlfe.

Die Woͤlfe.


Welchen Wild und oͤden Ort, welche grauſe Wuͤſteney,

Fuͤllt hier ein nicht minder wild - und entſetzliches Ge-
ſchrey,

Ein abſcheuliches Geheul! welch ein grimmig Klaggetoͤn

Kann man, in fuͤnf offnen Rachen Fleiſch-begierger Woͤlfe, ſehn!

Ja mich deucht, ich ſehe gar, an verſchiednen ſchroffen Stellen

Dieſer Klippen - reichen Gegend, ſelbſt die Felſen wiederbellen.

So natuͤrlich iſt die Stellung, ſo lebendig die Figur

Dieſer Thiere vorgeſtellt, und die felſigte Natur,

Daß man faſt ein Echo hoͤrt; man vermeynt hier, nicht die
Stimm

Nur zu hoͤren und zu ſehn; man ſieht nicht nur Wuth und
Grimm,

Jn den tuͤckiſch ſchielen Augen, welches ein paar Strich uns
weiſt,

Man ſieht gar, in ſchwarzen Koͤrpern, ſelbſt der Woͤlfe ſchwar-
zen Geiſt.

Machet dieß denn nicht aufs neue, wie der menſchliche Verſtand

Faſt zu Wundern faͤhig ſey; unſerm Gott zum Ruhm bekannt?


P 3Flie-
[230]Fliehendes Wild.

Fliehendes Wild.


Jn der Flucht des ſchnellen Wildes, flieht mein Blick mit ih-
nen fort,

Und begreift nicht, wie er flieget, und doch an demſelben Ort

Bleibt, und ſchwebend feſte ſteht; da ich doch die Zweige krachen,

Buͤſch und Straͤucher raſcheln hoͤre, und die Bretter fallen ſeh,

Die der Hirſch durchbricht und umſtuͤrzt, ſamt dem leicht-und
raſchen Reh,

Fortgepeitſcht von ſtrenger Furcht. Kaum kann ich die Wun-
der-Sachen,

Berg und Thal und gruͤne Waͤlder, die nicht gruͤn ſind und
nicht da,

(Die, ob ſie gleich nah und ferne, doch nicht fern ſind und nicht
nah,)

Die, in dieſer ſchoͤnen Zeichnung, nicht, und doch gemalet ſtehn,

Vor der zweifelnden Bewegung der getaͤuſchten Augen ſehn.

Doch ſo viel beſinn ich mich, daß unmoͤglich auf der Erden,

Eines Thieres ſchneller Lauf aͤhnlicher gezeigt kann werden.

Jch beſinne mich noch ferner, daß die Kunſt hier eine Spur,

Zu den wunderreichen Werken der formirenden Natur,

Jn vernuͤnftgen Zuͤgen, weiſt. Da man billig hoͤher ſteiget,

Weil die Kunſt uns die Natur, die Natur den Schoͤpfer zeiget.


Die
[231]Die Gemſen

Die Gemſen.


Auf der allerhoͤchſten Berge gaͤhen Wipfel fuͤhrſt du mich,

Edler Ridinger, hinauf; Blick und Geiſt muß mit dir
ſteigen,

Wo kein Fuß je hingekommen, um mir, was auch dorten ſich

Vor Geſchoͤpfe finden laſſen, ihrem Herrn zum Ruhm, zu zeigen.

Hier, noch hoͤher als die Wolken, wird uns eine neue Welt,

Voller neuen Creaturen, in den Gemſen vorgeſtellt.

Soll ich erſt die ſteilen Klippen, ihre Spalten, ihre Kluͤfte,

Jhre fuͤrchterlichen Tiefen, die geborſtnen dunklen Gruͤfte;

Oder erſt die kuͤhnen Buͤrger dieſer unwirthbaren Hoͤhn,

Dieſes Licht-und Schatten-Reichs, dieſer Felſen-Welt beſehn?

Beyde laͤßt dein Zaubergriffel, ſondre Schwindel, ohne Grauen,

Uns, auf einem Blatt Papier, voller Luſt und Ehrfurcht,
ſchauen.

Dieß Papier iſt ganz beſchrieben, und mit Lettern ausgeziert,

Wozu dir ſelbſt die Natur, durch die Kunſt, die Hand gefuͤhrt.

Dieſe Schrift iſt leſerlich; jeder kann den Jnhalt faſſen;

Daß der Schoͤpfer uͤberall ſich nicht unbezeugt gelaſſen.

Auch auf unerſteiglichen unwegbaren ſchroffen Hoͤhn,

Sind, in tauſend Wunderdingen, Gottes Wunder anzuſehn.


P 4Die
[232]Die Luͤchſe.

Die Luͤchſe.


Welche Schrecken-reiche Hoͤhle, voller Spalten, voller Kluͤfte,

Welche Laſt gewoͤlbtert Felſen, voller tief - und dunklen
Gruͤfte,

Welch ein wuͤrdigs Neſt der Thiere, deren heiſſen Durſt nach
Blut,

Grimm, Gefraͤßigkeit und Bosheit, Hurtigkeit und Liſt und
Wuth,

Jhre ganze Stellung weiſt! Kann man doch, faſt ohne Grauen,

Kaum die ſichere Copie, weil auch ſie faſt lebet, ſchauen.

Seht, wie die, bey ihren Jungen, grimmiglich die Zaͤhne bleckt,

Wie ein andrer dort bequem ſeine Tatzen von ſich ſtreckt,

Und, auch mit verdeckter Schaͤrfe eingezogner Krallen, ſchreckt.

Einer ſieht ſich grimmig um. Selber an der jungen Schaar,

Wird man eine junge Bosheit, kleine Tuͤcke ſchon gewahr.

Seht, wie jener alle Muskeln, zu dem nahen Raub, beſtimmt;

Wie, in ſeinem ſcharfen Blicke, recht ein wildes Feuer glimmt!

Sehet, wie der große dort mordbegierge Klauen kruͤmmt.

Doch warum, macht etwa jemand mir vielleicht hier einen
Zweifel,

Zeugt, in Luͤchſen, die Natur, gleichſam eingefleiſchte Teufel?

Nicht umſonſt. Sie dienen uns. Man kann ſie zum Jagen nuͤtzen,

Und es muͤſſen ihre Baͤlge uns fuͤr ſcharfe Kaͤlte ſchuͤtzen.


Die
[233]Die Fuͤchſe.

Die Fuͤchſe.


Seht! wie ein Gemiſch, von Falſchheit, Schmeicheln, Fraͤſ-
ſigkeit und Liſt,

Hier, im Blick der ſchlauen Fuͤchſe, deutlich abgebildet iſt!

Ridingern iſts nicht genug, Koͤrper lebhaft vorzuſtellen;

Er zeigt unſern Augen gar dieſer Thiere haͤmiſch Bellen.

Ja noch mehr, er kann ſo tief in den Geiſt der Thiere dringen,

Jhn mit aller Leidenſchaft ſichtbar in ein Kupfer bringen,

Und der Fuͤchſe Geiſt von innen, recht heraus zu ſehen, zwingen.

Schau die junge Brut doch an! wie ein ſchelmiſches Gemuͤth,

Voller ſchmeichelnden Betrug, voller Schalkheit, voller Tuͤcke,

Und verſtellter Gleißnerey, aus faſt noch halb blindem Blicke,

Schon auf Fleiſch zu lauren ſcheint, ſchon auf Blut und Rau-
ben ſieht!

Scheint nun gleich der ſchlimme Fuchs mehr zu ſchaden, als
zu nuͤtzen,

Muͤſſen uns doch ihre Baͤlge fuͤr den ſcharfen Froſt beſchuͤtzen,

Und uns in der Kaͤlte kleiden. Alſo dient, wie Wolf und Luchs,

Doch, Trotz ihrer Schaͤdlichkeit, uns zum Beſten auch der Fuchs.


P 5Der
[234]Der Rehe-Bock.

Der Rehe-Bock
nebſt der Geis und ihren Jungen.


Hier weis wirklich unſer Geiſt ſich ſo bald nicht zu ent-
ſchlieſſen,

Ob er ſehn ſoll, oder hoͤren. Laͤßt er ſeine Blicke ſchieſſen,

Auf die Thiere, die ſich regen, auf die Kunſt und die Natur,

Die in dieſem praͤchtgen Garten, ſo durch Farben, als Figur,

Majeſtaͤtiſch ſich verbinden; reizt ein angenehmer Schall,

Reizt ein ſprudelndes Getoͤſ’, in dem weiſſen Waſſerfall,

Durchs Gehoͤr ſich zu vergnuͤgen. Ja noch mehr, das laute
Saugen,

Und das ſchmatzende Getoͤn des geſchaͤfftgen Boͤckleins hemmt

Jhm, durchs Ohr, noch eine zeitlang dem Gebrauch der frohen
Augen.

Endlich aber ſieht er wieder. Seht, wie ſich das Thierchen ſtremmt

Und mit kurzen Stoͤßen zieht! Jn der kleinen Schenkel Biegen,

Sieht man eine ſanfte Luſt. Und ein muͤtterlichs Vergnuͤgen,

Ein empfindliches Gefuͤhl, in der Geis Zung, Aug und Ohr,

Was ihr Jnnerſtes empfindet, giebt ſie aͤußerlich hervor,

Und man ſiehet, was ſie fuͤhlet. Seht, welch einen ernſten Geiſt

Der geſtreckte Rehe-Bock, der der ſanften Ruh geneuſt,

Welchen muntern ſeine Zucht, in der raſchen Stellung, weiſt.

Aber ſeht doch auch dabey, wenn ihr dieſen Abdruck ſehet,

Wie er, nebſt dem ſchoͤnen Urbild, unſers Schoͤpfers Macht
erhoͤhet!


Die
[235]Die Baͤhren.

Die Baͤhren.


Beym Anblick dieſer Beſtien, wird auch der Kuͤhneſte ver-
ſtummen,

Man ſtutzt, man haͤlt ſich in Gefahr, die ſchwere Bratzen re-
gen ſich;

Es drohen uns ſechs offne Rachen; man ſieht und hoͤrt recht
fuͤrchterlich,

Ein wildes heiſeres Gebruͤll, ein Mord - und Blutbegierges
Brummen.

Man ſieht hier ſchwere Laſten Fleiſch, von Grimm und
Grauſamkeit belebt,

Und ob den einen gleich der Schlummer in einen tiefen
Schlaf begraͤbt:

So fuͤrchtet man doch ſein Erwachen. Doch halt! ſie ſind ja
nur gemalet,

Wir koͤnnen ſicher naͤher treten! komm laßt uns Farb und
Form beſehn!

Muß jeder, ſo im Bild, als Urbild der ſtarken Baͤren, nicht geſtehn,

Daß auch aus ihnen, wie aus allem, ein helles Licht der All-
macht ſtralet.

Die Maaß, auch in ſo plumpen Gliedern, ein Art von
Großmuth in dem Geiſt,

Da er den Menſchen ungereizt, nicht leichtlich, ſchadet noch
zerreißt,

Wo Hungen ihn nicht wuͤtig macht, noch mehr, die uns er-
waͤrmnde Haut,

Womit er uns im Winter nuͤtzt, ſind einer weiſen Schoͤpfung
Proben,

Es wird auch eine weiſe Vorſorg, in dieſem Thier, fuͤr uns geſchaut,

Wer wollte denn, auch in dem Baͤhren, des Schoͤpfers Lieb und
Macht nicht loben!

Die
[236]Die Loͤwinn.

Die Loͤwinn.


Jn der Thiere Koͤniginn regen Stellung ſieht man hier,

Muth und Sorge, Lieb und Grimm, recht verwunderlich
vereinet.

Aus den Augen brechen recht dieſe Regungen herfuͤr,

So, daß ſie, nicht nach dem Leben nur gemalt, zu leben ſcheinet.

Seht, mit welcher Zaͤrtlichkeit, Vorſicht, Eifer, Sorg und Kraft,

Sie, zum Schutz, die junge Zucht unter ſich zuſammen rafft,

Und ſie, mit ſich ſelber decket! An der Jungen jungen Klauen,

Kann man ſchon die Art und Staͤrke, koͤnnen wir ſchon Loͤwen
ſchauen.

Sehet den, mit einer Tatzen, ſeine Mutter gleichſam reizen,

Mit der andern ſich ſchon boͤſ, gegen ſeinen Schatten, ſpreizen!

Jn das flache Blatt-Papier, tritt das Thierhaus tief hinein,

Und man ſiehet, faſt mit Schrecken, wie die Gattern aufgezogen;

Denn es ſcheint, es kaͤm das Thier, gegen uns, herausgeflogen.

Geht die Bildungs-Kunſt nicht weit? Da ſie, nicht nur durch
den Schein,

Unſer’ Augenluſt vermehrt, ſondern ſelbſt die Seele ruͤhret,

Und zu einer Creatur, ſo Bewundrung - werth, uns fuͤhret,

Die uns, wenn wir, wie ein Menſch denken ſollte, denken, leitet

Auf ein unbegreiflich Weſen, das ſo ſtarker Glieder Pracht,

Jn ſo richt’ger Eben - Maaß, nebſt dem Geiſt, hervorgebracht:

Und ein majeſtaͤtiſch Thier in dem Loͤwen zubereitet.


Die
[237]Die Bieber

Die Bieber.


So oft ich hier vor dieſem Kupfer, wenn es im Zimmer
haͤnget, ſtehe:

So deucht mich, daß ich in demſelben ein recht natuͤrlich-wirk-
lichs Feld,

Und ein durchſichtig-klares Waſſer, aus einem offnen Fenſter ſehe.

Des Zimmers Wand ſcheint auf der Stell, als waͤr ſie in der
That durchbrochen;

So gar natuͤrlich iſt die Landſchaft gebildet, und in Erz geſtochen.

Die beyden Bieber ſind ſo lebhaft in ihrer Handlung vorgeſtellt;

Man glaubt, man hoͤr und ſeh ſie nagen. Doch laßt uns
nicht die Kunſt allein,

Laßt uns das Urbild, die Natur, zum Ruhm des Schoͤpfers,
hier betrachten,

Und wie ſie dieſe Thiere, faſt mit einem weiſen Geiſt, verein’!

Der faſt den Thiergeiſt uͤbertrifft, der unſerm ſich faſt naht,
beachten,

Der Bieber Geiſt in Canada, daß nicht die Fluth ihr Neſt
verſchwemme,

Haut große Balken, ſchleppt ſie fort, verbindet ſie, verfertigt
Daͤmme,

Und leitet Stroͤme von ſich ab. Jſt dieſes nicht Bewunderns-
werth,

Daß die Natur ſo plumpe Thiere ſo ſonderbare Kuͤnſte lehrt,

Und wird derſelben Quell und Herr, auch hierin, nicht mit
Recht verehrt?


Mar-
[238]Marder und Wieſel.

Marder und Wieſel.


Jn der ſo ſchoͤn - als wilden Landſchaft, ſind kleine boͤſe
Buͤrger hier,

Von unterſchiedner Art, zu ſehn. So Stein-als Edel-Marder zeigen

Die raͤuberiſche Fertigkeit, hier in den Hoͤhlen, dort auf Zweigen,

Sammt ihrer kleinen wilder Bruſt. Wie ſchaͤdlich nun das
kleine Thier,

So nuͤtzt es uns dennoch nicht minder. Die Baͤlge decken uns
im Froſt.

Die Loſung riechet, recht wie Bieſam, die Maͤuſe dienen ihm
zur K oſt.

Auch ſchleicht die Wieſel hier herum, die auch, mit ihren
guten Werken,

Nicht ſonderlich beliebt ſich macht, je dennoch iſt von ihr zu merken,

Daß ſie, nicht nur der Maͤuſ und Ratzen, ſie iſt zugleich der
Schlangen Feind.

Jhr Balg heilt ſelber ihren Biß, der giftig ſeyn ſoll, und man
meynt,

Ob heil ihr Blut die boͤſe Sucht. Hieraus nun wird aufs
neu entdeckt,

Wie auch in Thieren, welche ſchaͤdlich, ein noch viel groͤßrer
Nutzen ſteckt.


Die
[239]Die Jltiß.

Die Jltiß.


Die Ordonanz in dieſem oͤden und recht verwildertem
Gefilde,

Jſt wuͤrdig, daß man ſie betrachtet; es zeigt von dem erſtorb-
nen Baum,

Ein duͤrrer Aſt ſich auf dem Stamm des abgehaunen Stamms,
im Bilde,

So deutlich, daß man, durch den Schatten, den Sonnenſchein
faſt warm erblickt,

Wodurch zugleich ſich, im Verſchieß, die Fluth und das Ge-
buͤrge ſchmuͤckt.

Doch halt! was regt ſich auf dem Vorgrund? ich ſeh hier
unvermuthet vier

Blutgierig Eyerdiebe wuͤhlen; man kann in ihren Augen ſchier

Den ſchwarzen kleinen Mord-Geiſt ſehn. Sie wuͤrgen mehr, als
ſie verzehren,

Und ſaugen, aus zerbißnen Koͤpfen der Tauben und der Huͤner,
Blut.

Doch, auſſer daß ſie unſre Haͤuſer von Maͤuſen und von Ratzen
leeren:

So kommen dieſe Thier uns Menſchen auf andre Weiſe noch
zu gut.

Jndem ſie gar nicht koſtbar fallen: Hat Gott auch Armen
wollen goͤnnen,

Daß ſie, mit dieſer Thiere Baͤlge, in ſcharfem Froſt, ſich waͤr-
men koͤnnen.


Die
[240]Die wilden Katzen.

Die wilden Katzen.


Seht! wie in des wilden Waldes dunkel - gruͤner Schatten-
Nacht,

Auf dem duͤrr - und morſchen Baum halb ergrimmt, halb laͤ-
cherlich,

Dort ein bunter wilder Kater einen Katzenbuckel macht!

Seht, wie mit entflammten Augen hier ein andrer uͤber ſich,

Schon im Sprung begriffen, ſieht! ſeht, wie muͤtterlich die Katze

An den naͤrriſchen Figuren ihrer Jungen ſich vergnuͤgt,

Und, indem ſich eines welzt, eines mit geſtreckter Tatze,

Springt, und ſich im Sprunge dreht, eine ſich poßirlich biegt,

Und den regen Ruͤcken kruͤmmt, innig ſich zu freuen ſcheint!

Jſt dieß Thier nun gleich ſehr ſchaͤdlich, nuͤtzt es mehr doch,
als man meynt,

(Welches wir erkennen ſollten) denn, ſo bald ſie aufgerieben,

Wird, mit ihren bunten Baͤlgen, große Handelſchaft getrieben.

Da man ſie, nicht nur im Winter gegen ſtrenge Kaͤlte traͤgt;

Sondern er auch gegen Fluͤſſe wunderbare Kraͤfte hegt.


Damm
[241]Damm-Hirſch.

Damm-Hirſch.


So natuͤrlich hat der Damm-Hirſch den herabgezognen Aſt,

Vom belaubten Eich-Baum, hier, mit den Zaͤhnen, an-
gefaßt,

Daß mich deucht, ich ſeh den Zweig, da der ſcharfe Biß geſchehn,

Mit geſchwind - und ſchnellem Ruck, wieder in die Hoͤhe gehn.

Daß im uͤbrigen, auf Erden, die nie muͤßige Natur

Unerſchoͤpflich im Formiren, davon zeigt das Damm-Wild hier

Uns von neuen eine Prob, und ein’ unleugbare Spur.

Von dem andern rothen Wilde, weiſet ſich dieß bunte Thier,

So an Farb als Form, verſchiedlich. Auſſer den vier Augen-
Sproſſen,

Gleicht faſt ſein Geweih den Schaufeln; ſeine meiſtens weiſſe
Haut

Wird, zu unſrer Augenluſt, oͤfters ſchoͤn gefleckt geſchaut.

Und ſein noch viel zarter Fleiſch wird mit mehrer Luſt genoſſen.

Wenn wir denn an dieſem Thier, nebſt dem Gaum, das Auge
laben:

So vergeßt nicht, dem zu danken, dem wir es zu danken haben.


Br.VI.Th. QDas
[242]Das Eichhorn und der Dachs.

Das Eichhorn und der Dachs.


Zwey ganz unterſchiedne Thiere ſtellt dieß ſchoͤne Kupfer hier,

Und in ſelbigen die Traͤgheit, auch die Munterkeit, uns fuͤr,

Nebſt der Faulheit und dem Fleiß. Eines lebt auf hohen Zweigen,

Fliegt faſt mehr noch, als es ſpringt, ſammlet in dem kleinen Neſte

Seinen Vorrath, und (was merklich) allezeit das Allerbeſte;

Wobey denn, bey jeder Handlung, ſie ſich ſehr poßirlich zeigen.

Da der traͤge Dachs hingegen in der ſchwarzen Erde graͤbt,

Seine meiſte Zeit verſchlaͤft, und vom eignen Fette lebt,

Das zu vielen Dingen dienlich, wie nicht weniger die Haut,

Sammt dem ziemlich ſanften Haar, woraus, nebſt noch andern
Sachen,

Wir das beſte Maler - Werkzeug, auſerleſne Pinſel, machen.

Wenn das Eichhorn, welches man faſt nicht ohne Lachen
ſchaut,

Uns mit raſcher Gaukeley, nur vergnuͤgt in ſeinem Leben;

Kann der Dachs, was an ihm gut, uns nach ſeinem Tod erſt geben.

Jn den beyden, wie in allen, zeigt ſich eine weiſe Macht

Deſſen, der ſo mancherley Creatur hervor gebracht.


Die
[243]Die Fiſch-Ottern.

Die Fiſch-Ottern.


Wer bewundert nicht die Hoͤhle! wer ergetzet ſein Geſicht

An der unterirdſchen Landſchaft Schrecken-reicher Schoͤn-
heit nicht!

Wer bewundert der Bewohner ſo des Landes, als der Fluth,

Der recht moͤrderiſchen Ottern, nimmerſatten Fraß und Wuth

Nicht, mit einem halben Grauen! Seht, wie lebhaft alles iſt!

Seht doch, wie das Otter-Paar ſo natuͤrlich Fiſche frißt!

Schien des ſtrengen Waſſerfalles Rauſchen es nicht zu ver-
wehren;

Deucht mich, daß man ihren’ Biß deutlich wuͤrde knarſchen hoͤren.

Wie dieß Thier, zu ſeiner Nahrung, recht Bewunderns-werth
formirt,

Muß man halb erſtaunt geſtehen. Kopf und Schwanz und
Balg und Klauen

Laſſen eine weiſe Vorſorg, einen weiſen Endzweck ſchauen.

Ob man nun gleich oft, durch ſie, Schaden in den Teichen
ſpuͤrt:

Wird doch, durch die ſchoͤnen Baͤlg’, oft auch der Verluſt erſetzet,

Da man ihr ſchoͤn glaͤnzend Haar beſſer, als der Biber, ſchaͤtzet,

Und zun feinſten Huͤten braucht. Ja es ſoll den Schwindel
mindern,

Und ein Strumpf von Otterbalg podagraͤmſche Schmerzen
lindern.

Wird man alſo, wenn wir denken, wie wir ſollen, auch ſo gar

Selbſt an Ottern, nebſt dem Nutzen, einer weiſen Macht gewahr.


Q 2Der
[244]Der Loͤwe.

Der Loͤwe.


Welch ein ſtrenges wirklich Feuer, welch ein hell und dunk-
les Licht

Flammet in des Leuen Augen, ſtralt heraus, dringt durchs
Geſicht,

Trifft und ſchrecket unſern Geiſt, daß er, gleichſam ſelbſt durch-
ſtralet,

Nur mit Muͤh ſich faßt und denket: Jſt dieß Feur doch nur
gemalet.

Welche finſtre Majeſtaͤt herrſcht in dieſem ganzen Thier!

Seiner Nerven, Muskeln, Knochen, Rieſen-foͤrmiger Verband

Zeiget, unter andern Thieren, ſeinen koͤniglichen Stand.

Eine Art von ernſter Großmuth, nebſt der Staͤrke, ſtellt ihn mir

Recht als einen Herkules, unter andern Thieren, fuͤr.

Sein beſtaͤndiger Begleiter (ob er ihn gleich ſelbſt nicht kennt)

Jſt der Schrecken, welcher ſich nie von ſeiner Seiten trennt.

Wenn ich hier den Bau des Koͤrpers, wenn ich hier die
Leuen-Seele,

Jn dem Abdruck, gnug bewundert, und das Urbild, dem zur Ehr,

Der es ſo vortrefflich ſchuf, ſtets bewundre mehr und mehr:

Werd ich dort, noch in der Tiefe der geborſtnen Felſen-Hoͤhle,

Jn verſchiednen Handlungen, ein’ entfernte Loͤwen-Schaar,

Mit nicht weniger Bewundrung, und mehr Sicherheit, gewahr.

Da denn ſonderlich die Felſen ſo natuͤrlich, daß es ſcheint,

Durch des Kuͤnſtlers Zauber-Griffel, waͤre ſein Papier verſteint.


Das
[245]Das Rennthier.

Das Rennthier.


Mein erfrorner Blick erſtarrt, da ich wahres Eis, auch
Schnee,

Und von Eis - Gebirg - und Schollen, alles hier erfuͤllet, ſeh.

Mich verblendet dieſe Weiſſe, die die ſchwarze Luft noch ſtaͤrkt,

Daß mein Auge kaum die Stralen der entfernten Sonne
merkt,

Welche, mit gefaͤrbten Streifen, die beeiſte Luft verguͤldet.

Wird denn hier, durch Schwaͤrz und Schatten, Schnee und
Glanz und Licht gebildet?

Doch was faͤhrt daher? ein Rennthier. Moͤchte doch auch
dieß gefrieren,

Daß ich es betrachten koͤnnte! Gut. Es ſtarrt, es ſtehet ſtill,

Und, als ob es ſich von uns recht beſchauen laſſen will,

Scheinet es, zum fernern Lauf, alle Kraͤfte zu verlieren.

Welch ein ſtark und raſches Thier! welch ein praͤchtiges
Geweih,

Das ſich vorn und hinten ſtreckt! wie ein Pferd iſt es gemaͤhnet,

Einem Kalbe gleicht ſein Haupt. Einige ſind wild und frey;

Andere ſind, uns zum Dienſt, zahm, und ſonderbar gewoͤhnet.

Dieſes Thier nun zu erhalten, ſind die Koſten gar nicht groß,

Denn es kratzt, zu ſeiner Nahrung, ein verworfnes weiſſes Mooß,

Das in oͤden Feldern waͤchſt, ſelber unterm Schnee, herfuͤr,

Und dennoch ſind Fleiſch und Haut, Knochen, Sehnen, Milch
und Haar,

Alleſamt dem Menſchen nuͤtzlich. Wird denn, auch in dieſem
Thier,

Seines Schoͤpfers Weisheit, Allmacht, ſamt der Huld, nicht
offenbar?


Q 3Das
[246]Das Elend - Thier.

Das Elend-Thier.


Welch ein ſonderbar Geſchoͤpf! halb ein Hirſch und halb
ein Pferd,

Wovon das Original, auch die kuͤnſtliche Copie,

Beyde, daß man ſie bewundert, und, mit ernſten Blicken, ſie,

Der Natur und Geiſter Urquell bloß zum Ruhm, betrachtet,
werth.

Sein Geweih iſt ganz beſonders, und als ſonſt kein Thier
es traͤget,

Eines Adlers Schwingen gleich, wenn er ſie herunter ſchlaͤget.

Von der Klaue ſaget man, daß ſie große Kraͤfte heget,

Und im Krampf und Nerven-Schmerzen, Linderung und Huͤl-
fe bringet.

Da die Dicke ſeiner Haut weder Stich noch Hieb durchdringet:

Braucht man ſie an Panzers ſtatt, da ſie Schirm und Nutzen
bringet.

Seines Koͤrpers Schwere gleichet einer ziemlich ſtarken Kuh.

Vorn am Halſe iſt es zottigt, aber glatt nach hinten zu.

Um ſein langes Ober-Maul, ſoll man es, nicht vorwerts gehen,

(Daß es ihm nicht hindr’ im Graſen,) ſondern ruͤckwerts wei-
den ſehen.

Langen Durſt und ſchwere Arbeit, iſt es tuͤchtig zu ertragen.

Doch da ich dieß Kupfer ſeh, zwingt mich faſt die Kunſt zu
fragen:

Ob die kluge Schwaͤrz am Thier mehr die Landſchaft wei-
chen macht,

Oder ob die linde Landſchaft es noch mehr herausgebracht.


Die
[247]Die Leoparden.

Die Leoparden.


Eine ſehnliche Begier: Was er ſiehet, zu zerſtuͤcken,

Schielt, nebſt Mordluſt, Unvergnuͤgen, haͤmiſchen ge-
ſchwinden Tuͤcken,

Grauſamkeit, Wuth, Grimm und Gram, aus des Leoparden
Blicken.

Sein am Kopf gedrucktes Ohr, ſein von Blut-Durſt duͤrrer
Rachen,

Voller ſcharf-und ſtarker Zaͤhne, gleichen einem wahren
Drachen.

Jſt doch, in des Todes Werkzeug, den gekruͤmmten ſtarken
Klauen,

Und der ſchweren Pfoten Laſt, faſt der ſichre Tod zu ſchauen.

Aber welche ſanfte Triebe, welche Luſt, in ihrer Ruh,

Sieht man die von ihren Jungen ausgeſogne Mutter fuͤhlen!

Der geſchloßnen Augen Lied deckt ihr grimmig Feuer zu,

Und es ſcheint, ſie fuͤhl, im Traum, ihrer jungen Welpen
Wuͤhlen.

Wie ſo ſanft, gelenk und weich, liegt ihr Koͤrper ausgeſtreckt!

Daͤchte man, daß in demſelben ein ſo harter Geiſt verſteckt?

Was iſt ferner nicht fuͤr Schoͤnheit auf der Thiere Balg zu ſehn!

Welche Farben! heiſſet man ſie nicht recht erſchrecklich ſchoͤn?

Doch ich muß, bey dieſer Schoͤnheit, leider eins noch zugeſtehn,

Ob mir gleich fuͤr das Geſtaͤndniß dieſer bittern Wahrheit
graut,

Nemlich daß, nicht nur bey Thieren, Schoͤn- und Bosheit oft
verbunden;

Ach wie oft wird unter Menſchen, unter einer ſchoͤnen Haut,

Auch ein Leoparden-Geiſt, voller Neid und Wuth, gefunden!


Q 4Ein
[248]Ein neues Geſtirn.

Ein neues Geſtirn.


O Gott! wie herrlich iſt der Himmel! wie uͤber Wunder
Wunder-ſchoͤn

Sind, in den Tiefen, deine Schaaren, o Herr der Schaaren,
anzuſehn!

Wie lieblich glaͤnzen, ſpielen, blitzen, wie feurig ſchimmern,
flammen, funkeln

Die ungemeßnen großen Lichter der Welt-und Sonnen-Heer,
im Dunkeln!

Wie kraͤftig ſtralt, von ihrer Groͤße (ſind ſie gleich, durch die
Ferne, klein,)

Der von ſo vielen Billionen gefuͤgter und getheilter Schein!

Wenn Heiden dieſe helle Koͤrper, da ſie ſo unausdruͤcklich ſchoͤn,

Ob ihrer Groͤße, Glanz und Pracht erſtaunt, fuͤr Goͤtter an-
geſehn:

Scheint auch in ihrer Finſterniß ein’ Art von Gottesdienſt
zu ſtecken.

Ein’ Art von Andacht koͤnnen wir, in ihrem Jrrthum, ſelbſt
entdecken.

Daher entſteht mit Recht die Frag’, ob die Viel-und Abgoͤtterey

Nicht ehe zu entſchuldigen, und nicht viel minder ſtraͤflich ſey,

Als wenn wir, wie von uns geſchicht, vernunftlos nur fuͤr
guͤldne Zwecken

Sie anzuſehen, uns nicht ſchaͤmen, da wir, faſt viehiſch, uns
bemuͤhn,

Durch Blendung unſrer Seelen-Augen, uns der Betrachtung
zu entziehn.

Zwar iſt es laͤcherlich genug, wenn ſie, mit abgeſchmackten Bildern,

Das Firmament bemuͤht geweſen, nach ihrer Phantaſey, zu
ſchildern,
Und
[249]Ein neues Geſtirn.
Und zwar ohn alle Gleichheit, Urſach, ohn alle Deutlichkeit
und Klarheit,

Ohn einigen Zuſammenhang und den geringſten Schein der
Wahrheit.

Wenn aber doch in der Erfindung, wie ſeltſam ſie ſie
gleich verbunden,

Und ſchlecht gefuͤgt, doch wenigſtens ein’ Art von Ordnung
wird gefunden:

Waͤr es vielleicht der Muͤhe werth, der Bilder Ordnung zu
verbeſſern,

Von den unfoͤrmlichen Figuren die Deutlichkeiten zu ver-
groͤßern,

Und von der unbekannten Schrift, in weniger verwirrten
Zuͤgen,

Doch einen etwas klaͤrern Eindruck und deutlichern Begriff
zu kriegen.

Mit den Gedanken ſah ich juͤngſt den hellgeſtirnten Him-
mel an,

Und fiel das praͤchtige Geſtirn, ſo man Caſſiopea nennet,

Das meiſtens culminirt, und nimmer von unſerm Horizont ſich
trennet,

Zu allererſt mir ins Geſicht. Es kam deſſelben Bildung mir

Als wie, mit aufgeſperrtem Rachen, das Haupt von einem
Drachen, fuͤr,

An welchem ſich ein krummer Hals, auf einer ausgeſchweiften
Bruſt,

Und einem runden Leib, der ſich bis an die Pleiades erſtreckte,

Aus Perſeus und Meduſa Kopf, nebſt den Triangeln,
klar entdeckte.

Den ſo genannten Ochſen-Kopf ſah ich, mit nicht geringer Luſt,
Q 5Ein
[250]Ein neues Geſtirn.
Ein wohlgezeichnet krummes Bein ihm, an dem rechten Ort,
formiren.

Man ſiehet dieſen Drachen-Koͤrper zween ausgeſpannte Fluͤ-
gel zieren,

Die von einander ausgeſperrt, am rechten Ort, in rechter
Maaße.

Der eine, der ſich etwas kruͤmmt, und an der rechten Seiten
ſaße,

Jſt in der zierlichſten Figur, der, welchen man Auriga
nennt.

Den linken macht Andromeda, der Schwan, die Ey-

dex bis zur Leyer.

Man kann nicht ohn Erſtaunen ſehn, in welchem hellen Glanz
und Feuer

Dieß herrlich prangende Geſtirn, wenn man es alſo fuͤget,
brennt.

Nachhero zeigt ſich unſern Augen Orion, welcher die Figur

Von einem Helden hat, der kaͤmpfet, der nahe bey dem Dra-
chen ſteht,

Der ſeinen Schild mehr gegen ihn, als gegen ſeinen Ochſen,
dreht,

Und ſelben zu verfolgen ſcheinet. Derſelbige vermehrt nicht nur

Dieß Sternen-Bild; Es geben mir die hier ſo nett geſtirnten
Schranken

Verſchiedne, kuͤnftig wohl einmal noch zu eroͤffnende, Gedanken.

Die Zeichnung iſt ſo rein und richtig; man folge dieſer
Vorſchrift nur,

So findet ſich, aus lauter Sternen, die nett gezeichnete Figur.

Man brauchet keines andern Umſtrichs; es macht der Sternen
Stand und Schein,

Ohn alle Huͤlf und Kuͤnſteley, die deutliche Figur allein.
Ein
[251]Ein neues Geſtirn.
Ein ſolches Bild nun macht recht deutlich, in wohlgefuͤgetem
Verband,

Faſt von dem ganzen Firmament der meiſten Sternen Ort
und Stand,

(So daß, wenn man nur einen ſieht, man auch die andern
weis,) bekannt.

Jn dem (wie es uns ſcheint) verwirrten und Bilder-loſen
Stand der Sternen,

Jſt man, durch dieſes Bild, geſchickt, auf eine leichte Art zu lernen,

Wie ein Geſtirn dem andern folgt. Auch duͤrft auf dieſe Weiſe ſich

Die Menge heidniſcher Erfindung-und Namen, die theils laͤ-
cherlich,

Theils ſchimpflich, mit der Zeit vielleicht, aus unſerer Jdee
entfernen.

Naͤchſt dieſem zeigt uns der Gedanke noch ferner etwas
großes an,

Das uns zu Gott, durch ſeine Werke, in ſtiller Ehrfurcht,
leiten kann.

Denn da ich aller Sternen Menge, woraus dieß Sternen-Bild
beſteht,

Samt ihrem ungemeßnen Abſtand, und die ſo ungeheure Groͤße,

Von einem jeden unter ſich, mit meines Geiſtes Blick, ermeſſe:

So wird die unumſchraͤnkte Macht des Schoͤpfers wuͤrdiglich
erhoͤht,

Der viele Billionen Sonnen, in vielen Billionen Sternen,

Die viele Billionen Meilen weit von einander ſich entfernen,

Und ſelbſt viel tauſend Meilen groß, im tiefen Himmels-Raum
formirt,

Der alle Boden-loſe Tiefen, mit Stralen, Licht und Glanz,
geziert,

Der, aus dem Abgrund ſeiner Klarheit, und undurchdringlich
hellen Licht,
Als
[252]Ein neues Geſtirn.
Als wie aus einem tiefen Meer, in vielen kleinen Quellen bricht,

Woraus man, wie Anbethungs-wuͤrdig, und groß der Gottheit
Weſen iſt,

Am allerdeutlichſten erblickt, am allerwuͤrdigſten ermißt.

Aus dem, daß aller Himmel Lichter und ungezaͤhlter Sternen
Schaaren

Jn unverruͤcktem Abſtand ſind, nunmehr ſeit ſo viel tauſend
Jahren,

Und ſo fuͤr uns, als unter ſich, beſtaͤndig an demſelben Ort,

So unveraͤndert ſtehn, erhellt, wie unveraͤnderlich ſein Wort,

Wie unveraͤnderlich ſein Wille, wie ungeſchwaͤchet ſeine Macht,

Da er ſo unverruͤckt erhaͤlt, was er aus nichts hervor gebracht.

Wann die Bewundrung nun in uns der Seelen edelſt’ Ei-
genſchaft,

Und der durch ſie erzeugte Preis derſelben beſte Frucht und
Kraft;

Wer wollte denn den Herrn der Sterne, in ſeiner Schaaren
Pracht, dort oben,

Jn ehrerbietigſter Bewundrung, nicht ehren, preiſen, ruͤhmen,
loben?


Der
[253]Der lehrende Vogel.

Der lehrende Vogel.


So oft ich, mit dem fruͤhen Tag,

Die Voͤgelchen zu fuͤttern pflag,

Jn einem kleinen Vogelhauſe, mit Tannen rings umher beſetzt:

Hab ich, an ihrer netten Bildung, an ihrer Farben Schmuck
und Pracht,

Zum Preiſe des, der ſie ſo zierlich, ſo kuͤnſtlich-bunt und ſchoͤn
gemacht,

Mit ſolcher Munterkeit begabt, ſo ſchoͤn gebildet, mich ergetzt.

Die rege Fertigkeit derſelben, das Wunder ihrer ſchnellen
Schwingen,

Der kleinen Augen ſuͤſſe Schwaͤrze, ihr Schweben, Huͤpfen,
Schlupfen, Springen,

Der kleinen Koͤpfchen hurtigs Drehn, und ungezaͤhlte Gaukeleyen,

Mit welchen ſie, faſt nimmer ſtill, ein ſie betrachtend Aug erfreuen,

Wenn ſie, bald an den ſchwauken Zweigen, die ſie durch ihre
Buͤrde biegen,

Bald uͤber-und bald unterwaͤrts, im Hangen, hin und her ſich
wiegen,

Vergnuͤgten mich recht ungemein. Vor andern aber war ein
Zeischen,

Das eben nicht beſonders ſchoͤn, indem es rauch war, wie ein
Maͤuschen,

So mich inſonderheit ergetzte. Es war ſo heimlich, und ſo zahm,

Daß es die Koſt mir aus der Hand, ja oͤfters aus dem Mun-
de, nahm;

Es ſcheut’ und fuͤrchtete mich nicht; es zeigt ein voͤlliges Ver-
trauen;

Und daher kunnt ich mich nicht ſatt an dieſes kleine Thierchen
ſchauen.

Jch
[254]Der lehrende Vogel.
Jch trug an ſein ſo freundlich Weſen, und ſein vertrauli-
ches Betragen,

Ein’ ihm gewogne Gegen-Neigung, und recht ein inniges Be-
hagen.

Hieruͤber fielen mir nun einſt die troͤſtlichen Gedanken bey:

Daß dieſes Thierchens liebreich Weſen uns ein erbauend Bey-
ſpiel ſey.

Da wir, in uns, durch ein Vertrauen zu uns, ein’ Art von
Anmuth ſpuͤren;

Wie ſollt ein kindliches Vertrauen nicht den, der uns erſchaf-
fen, ruͤhren.

Wo etwas an der Menſchen Seele dem ewgen Vater kann
gefallen,

Muß es ein gaͤnzliches Vertrauen, (indem man dadurch ihm
allein,

Sich gleichſam in die Arme wirft; ihn uͤber alles ſchaͤtzet) ſeyn.

Dieß iſt ein ihm gefaͤllig Opfer, das ſein erbarmend Herz,
vor allen,

Was wir ihm geben koͤnnen, ruͤhrt. Lieb, Andacht, Demuth,
Zuverſicht,

Sind unſrer Seelen beſte Kraͤfte, wodurch ſein Vaterherze bricht.

Mich deucht, ich ſeh, in ſeinem Weſen, die Tiefen ſeiner Liebe
wallen:

Er ſehnet ſich, uns wohl zu thun. Wir duͤrfen uns nur ihm
ergeben;

Wodurch wir, neben ſeiner Liebe, auch ſeine weiſe Macht erheben.

So hat denn heut ein Voͤgelein, durch ſein Betragen, uns
gelehrt:

Es ſey der beſte Gottesdienſt, wenn wir auf ſeine Guͤte bauen,

Und daß man Gott, im kindlichen und zuverſichtlichen Vertrauen,

Am allerſicherſten gefaͤllt, am allerwuͤrdigſten verehrt.

Jch
[255]Der lehrende Vogel.
Jch hatte dieß Gedicht des Abends ſpaͤt gemacht.

Wie ich nun fruͤh, mein Voͤgelchen zu ſehen,

Jhm und den andern Futter bracht:

War es bereits um ihn geſchehen.

Jch fand ihn todt, erſtarrt, und ohne Leben liegen.

Hieruͤber ſtutzt ich recht. Mich uͤbernahm,

Eh ich mich recht beſann, ein bittrer Gram;

Es preßt und druͤckt mich recht ein innig Unvergnuͤgen.

Doch faßt ich bald darauf mich wieder,

Und dacht: Es koͤmmt mir gleichſam fuͤr,

Als ob dieß kleine Thier

Nur darum bloß ſo lange leben wollen,

Bis ich, durch ihn gereizt, die aufgeſetzten Lieder

Verfertigen und machen ſollen,

Die wirklich, ſonder ihn, zu Gottes Ehren,

Wohl nicht verfertigt worden waͤren.


So haſt du auf der Welt was nuͤtzliches vollbracht,

Geliebtes Thier, und ſtirbſt zu rechter Zeit.

Drum ſag ich dir, wiewohl nicht ſonder Zaͤrtlichkeit,

Die letzte gute Nacht.

Und wo vielleicht, geliebtes Voͤgelein,

Da nichts zu nichts wird, und vergehet,

Dein kleines Geiſtchen noch beſtehet:

So wuͤnſch ich, daß ihm wohl mag ſeyn.


Ver-
[256]Verkehrtes Beginnen.

Verkehrtes Beginnen.


Kann denn bey dem, was wir, auf Erden, vom Schoͤpfer
wunderwuͤrdigs ſehn,

Wann wir es Gott zum Ruhm gebrauchen, der Seelen Sorge
nicht beſtehn?

Jſt dieſes nicht unſtreitig wahr, wenn der Geſchoͤpfe Pracht
uns ruͤhret,

Daß ſie zu ihrem großen Urſprung, zur Gottheit, Staffel-weiſ
uns fuͤhret?

Wer alſo Gottes Werk verachtet, und ſeiner Creaturen
Prangen,

Der ſtoͤßt die untre Leiter um, um auf die obre zu ge-
langen.


Noͤthi-
[257]Noͤthige Leſe-Schule.

Noͤthige Leſe-Schule.


Der Jdee vom Natur-Buch dacht ich neulich bey mir nach,

Bis mich deucht, daß die Natur ſelber folgends mit mir
ſprach:

Jhr verſtehet eure Woͤrter, und ihr koͤnnet Schriften leſen,

Meynt ihr denn, daß ihr allein Woͤrter habt, und Schriften kennet,

Da ihr doch derſelben Zeichen bloß allein durch mich benennet?

Es ſind meine Red-und Schriften immer in der Welt geweſen.

Nehmt mein A B C zur Hand, das ſind Koͤrper und Figuren,

Von ſo mancherley verhandnen ungezaͤhlten Creaturen.

Berge, Baͤume, Thier u. Kraͤuter, ſamt dem Meer u. denen Sternen,

Sind ſo laut, als ſtumme Lettern. Aber ihr muͤßt leſen lernen.

Euer Leſen lernet ihr, und gewiß nicht ſonder Muͤh;

Jſt denn meine Schrift nicht werth, euch mit etwas Ernſt, um ſie

Zu begreifen, zu bequemen,

Und, des großen Jnhalts halber, etwas Muͤh zu uͤbernehmen?

Meine Lettern koͤnnen euch unvernehmlicher nicht ſcheinen,

Als wenn ihr Arabiens krummgezogne Schriften ſeht,

Da ihr doch, durch etwas Muͤh, ihren Jnhalt bald verſteht,

Und ihr duͤrfet, daß die meinen ganz unlesbar ſind, nicht meynen.

Ja, geſetzt, ihr koͤnnet nicht ihren Jnhalt bald ergruͤnden:

Werdet ihr ſchon Weisheit gnug faſt in jeder Letter finden.

Jeder Buchſtab iſt ein Buch, welches voller weiſen Lehren,

Jeder Koͤrper eine Schrift, welche, zu des Schoͤpfers Ehren,

Macht und Lieb und Weisheit weiſt. Fange doch nun jedermann,

Jn dem großen Buch der Welt, erſt zu zu buchſtabiren an.

Machet ihr euch hier geſchickt, fertig nur zu buchſtabiren,

Als wozu ihr, hier auf Erden, glaublich nur beſtimmet ſeyd:

Werdet ihr vermuthlich faͤhig, und geſchickt, nach dieſer Zeit,

Auf der rechten hohen Schulen, zu des Schoͤpfers Preis und Ehr,

Als des Buchs der Creatur wahren Jnhalt, mehr und mehr,

Jm beſtaͤndigen Entzuͤcken ewig ſelig, zu ſtudiren.

Br.VI.Th. RWan-
[258]Wankelmuth der Menſchen.

Wankelmuth und Unachtſamkeit
der Menſchen.


Wie oft und vielmal wuͤnſchten wir,

Als uns der Winter alle Zier

Der gruͤnenden Natur beraubet,

Das Kraut erſtickt, die Baͤum entlaubet;

Da Feld und Wald mit Schnee bedeckt;

Da uns der rauhe Nordwind ſchreckt:

Ach wenn der Fruͤhling wiederkaͤme,

Und die Beſchwerde von uns naͤhme!

Ach wenn die Luͤfte klar und rein,

Erwaͤrmt vom hellen Sonnenſchein,

Und lau, und ſanft, und lieblich waͤren!

Ach koͤnnte man, in hellen Choͤren,

Die bunten Voͤgel wieder hoͤren!

Ach ſaͤhen wir die gelben Aehren

So angenehm als ungemein,

Bey ſanfter Kuͤhlung, lieblich wallen!

Ach moͤcht, in flieſſenden Kryſtallen,

Des gruͤnen Ufers Wiederſchein

Zu ſehen ſeyn!

Wie wollten wir uns denn nicht freuen!

Wir wollten Lob und Dank erneuen.

Jetzt ſeht und hoͤrt ihr alles das,

Was ihr gewuͤnſcht. Es iſt erſchienen

Die Zeit, die ſo erwuͤnſchte Zeit.

Die Welt iſt voller Lieblichkeit;

Es ſtehet jetzt, durch Laub und Gras,

So Feld, als Wald, im holden Gruͤnen.

Es ſind die Luͤfte klar und rein,

Erwaͤrmt, vom heitern Sonnenſchein.

Jhr
[259]Wankelmuth der Menſchen.
Jhr koͤnnet jetzt, in hellen Choͤren,

Die bunten Voͤgel ſingen hoͤren.

Jhr ſehet jetzt die gelben Aehren,

So angenehm als ungemein,

Bey ſanfter Kuͤhlung, lieblich wallen.

Jhr ſeht, in flieſſenden Kryſtallen,

Des gruͤnen Ufers Wiederſchein;

Wie? wollt ihr euch denn nicht erfreuen,

Und Preis und Lob und Dank erneuen?

Warum wollt ihr es nicht genieſſen?

Und laſſet dieſen Tag verflieſſen,

Als wie den geſtrigen? Waruͤm

Vernehmt ihr nicht die Suͤßigkeiten,

Der ſchoͤnen Creaturen Stimm?

Die euch in dieſen ſchoͤnen Zeiten,

Durch jeden Sinn, in vielen Choͤren

Euch reizt, den Schoͤpfer zu verehren?

Jhr ſeht unachtſam vor euch nieder;

Man ſieht an Minen und Geſicht,

Daß etwas euch ergetzet, nicht.

Man hoͤrt nicht Dank-nicht Lobes-Lieder.

Wie ſchnell verfliegt die ſchnelle Zeit!

Wollt ihr mit eurer Luſt denn warten,

Bis Wieſen, Feld, und Wald, und Garten

Entlaubt, verwelket und beſchneit?

Um dann zu wuͤnſchen, was ihr itzt,

Ohn daß ihr es erkennt, beſitzt?

Damit, wenn ihr es wiederkrieget,

Mit einem ungeruͤhrten Sinn,

Jhr euch ſo wenig, wie vorhin,

An aller Herrlichkeit vergnuͤget?


R 2Das
[260]Das beſte Opfer, und Troſt.

Das beſte Opfer.


Mein Schoͤpfer, in empfundnem Gluͤcke,

Jn Sicherheit und ſanfter Ruh,

Bring ich hier dieſe Augenblicke,

Die du mir ſchenkeſt, froͤlich zu.

Jch ſeh ſie an als dein Geſchenke,

Und dieß vergroͤßert meine Luſt,

Und das Vergnuͤgen meiner Bruſt,

Daß ich dabey an dich gedenke.

Jch will dein Lob vergnuͤgt erzaͤhlen;

Und weil ich ſonſt nichts geben kann:

So nimm, o Herr, zum Opfer an,

Die Freude der geruͤhrten Seelen.

Zuverſichtlicher Troſt.


Da ein Sterblicher dem Naͤchſten ſein Vergehn ſoll ſieb-
zigmal

Siebenmal des Tags vergeben,

Selbſt nach Chriſti Unterricht;

Mit wie vieler Zuverſicht

Kann man ſich zu Gott erheben,

Da er die ſelbſtſtaͤndge Liebe, Huld, Barmherzigkeit und Leben,

Und Vergebung von ihm hoffen: Waͤr die Suͤnd auch ohne Zahl.


Ein
[261]Ein Gott-gewidmetes Herz.

Ein
der Gottheit gewidmetes Geſchenk.


Recht mitten in vergnuͤgter Luſt, umringt mit tauſendfachen
Segen,

Mit vielem Guten uͤberſchuͤttet, empfind ich eine Traurigkeit,

Weil fuͤr ſo unverdientes Gluͤck, ſo ungezaͤhlter Gaben wegen,

So mancher großen Wohlthat halber, zumal in dieſer holden Zeit,

Jch nichts dem großen Gober habe, zu ſchenken, oder zu erwiedern.

Denn Danken, wodurch bloß allein,

Es ſey in Schriften oder Liedern,

Wir uns zuweilen uͤberreden, dem Schoͤpfer angenehm zu ſeyn,

Jſt ja von ſo geringem Werth, daß wir uns billig ſchaͤmen muͤſſen,

Als wenn dieß unſre Schuld bezahlte, und Gott vergnuͤget
ſey, zu ſchlieſſen.

Jedoch, ein ſonderbarer Troſt faͤllt mir in dieſem Trau-
ren bey.

Es fragt ſich, ob dieß mein Betruͤben nicht eine Frucht des
Hochmuths ſey?

Will ich der Gottheit was vergelten? Der Schoͤpfer Him-
mels und der Erden

Will, ſoll, und kann derſelbe wohl von einem Wurm belohnet
werden?

Aus lauter Gnad und Liebe ſchenken, nicht, um Belohnung
zu genieſſen,

Jſt eigenklich der Gottheit eigen, und kann nur aus der Gott-
heit flieſſen.

Da ich mich nun noch einſt bemuͤhe, ob denn ſo gar nichts
auszudenken:

So faͤllt mir doch ein einzigs ein: Jch will ihm meine Freude
ſchenken.

R 3Ver-
[262]Vermahnung.

Vermahnung.


Wenn ihr den Schoͤpfer in den Koͤrpern, und durch die
Sinnen, wie ihr ſollet,

Jn froͤlicher Bewunderung, mit Lob und Dank nicht ehren
wollet:

So denkt doch einmal, was ihr thut.

Jhr achtet Gottes Ordnung nicht;

Jhr haltet Gottes Werk nicht werth,

Daß man die Seel, auch durchs Geſicht

Und andre Sinnen, auf es kehrt.

Da uns der Schoͤpfer hier in eine mit ſo viel Pracht erfuͤllte
Welt,

Die nicht von ungefaͤhr entſtanden, geſetzet: da er unſre Seelen

Mit unſerm Koͤrper hier verbunden,

Sie, nebſt dem Koͤrper, durch die Sinnen, mit andern Koͤr-
pern zu vermaͤhlen,

So weiſ’, als liebreich, gut gefunden,

Auf eine ſo Bewundrungs- werth, als unbeſchreiblich-weiſe
Weiſe:

So ſcheints, ob wolltet ihr euch lieber nicht freun, um ihn
nur nicht zu ehren.

Man ſieht uns, ſeinem Ruhm zum Nachtheil, zur Minderung
von ſeinem Preiſe,

Die weiſen Ordnungen verkehren,

Und gar der Bibel ſelbſt zuwider, die uns ſie zu betrachten
heißt.

(Da wir ja ſelbſt noch koͤrperlich, und rings mit Koͤrpern noch
umgeben:)
Doch
[263]Vermahnung.
Doch gegen ſeinen weiſen Willen auf dieſer Welt nicht anders
leben,

Als ſollten wir ſchon hier entkoͤrpert, und auf der Welt nichts
ſeyn, als Geiſt,

So uns jedoch dann allererſt, wann wir vom Koͤrper abge-
ſchieden,

Nach unſers Schoͤpfers weiſen Ordnung, wird kuͤnftig vor-
behalten ſeyn.

Doch wird, nach dieſer unſrer Meynung, im Geiſtlichen, des
Geiſts Gebrauch,

Als der den Leib weit uͤbertrifft, durchaus nicht ausgeſchloſſen;
nein.

Nur iſts nicht recht, daß man die Mittel, wodurch die Seele
ſelbſt ſich beſſert,

Wodurch ſie gleichſam zunimmt, waͤchſet, und ihre Groͤße ſich
vergroͤßert,

Durch einen Stolz, der faſt unleidlich, ja in demſelben den
verachtet,

Durch welchen ſie und alles iſt. Man ſucht ſie gleichſam zu
entgeiſtern,

Und todt zu ſeyn, noch eh man todt. Des großen Schoͤpfers
Wunder-Gaben,

Die wir zu dieſem Zweck allein,

Daß unſer Schoͤpfer, im Geſchoͤpf, von uns moͤcht angebethet
ſeyn,

Und in Bewunderung derſelben mit Luſt verehrt, empfangen
haben,

Verlieren wir, da wir dieſelben nicht achten, nicht betrachten
wollen.

Hingegen das, ſo wir vermuthlich allhier noch nicht erlangen
ſollen,
R 4Und
[264]Vermahnung.
Und uns dereinſt, wenn ohne Koͤrper wir bloß allein

Verklaͤrte Geiſter werden ſeyn,

Uns dann erſt wird beſchaͤfftigen; ſucht man mit aͤngſtigem
Bemuͤhn,

Mit aller koͤrperlichen Dinge Verachtung, hier herbey zu
ziehn.

Der Schoͤpfer hat euch Leib und Seel fuͤr euch, zu Seiner
Ehr, gegeben,

Jhr wollet, ohne Leib und Sinnen, wie ihr es nennet, geiſtig
leben.

Halb koͤrperlich nur, ohne Sinnen, und halb nur geiſtig, komme
ihr mir,

Nicht koͤrperlich, auch geiſtig nicht, und recht als wie Geſpen-
ſter fuͤr.


Wohl-
[265]Gebrauch unſerer Sinne.

Wohleinzurichtender
Gebrauch unſrer Sinne.


Wie wunderſchoͤn iſt doch der Himmel! wie ſchoͤn die Fluth!
wie ſchoͤn die Welt!

Wie ſchoͤn iſt alles, was der Schoͤpfer, zu unſrer Luſt, uns vor-
geſtellt!

Mein Geiſt wird, durch der Sinnen Thuͤr, da alle Dinge ſo
geſchmuͤckt,

Zumal wenn er an den gedenkt, der ſie ſo ſchoͤn geſchmuͤckt,
entzuͤckt.

Ach laß mich, Herr, du ewge Guͤte, zu deines Namens heil-
gen Ehren,

Jn ihrer Schoͤnheit, dich zu preiſen, ſo wohl mich ſelbſt, als
andre lehren!

Gott will, man ſoll ſich hier vergnuͤgen, an ſeinen Werken,
die ſo ſchoͤn;

Sonſt haͤtt er ſie ſo wunderbar, mit ihrer mannigfachen Pracht,

Und uns nebſt ihnen, ſie zu nuͤtzen, ſo kunſtreich nicht hervor
gebracht.

Er ſchenkt ſie uns; er ſchenkt uns Sinnen, wodurch wir ſchme-
cken, hoͤren, ſehn,

Sie riechen und ſie fuͤhlen koͤnnen; er ſchenket uns das Son-
nenlicht:

Wir aber brauchen unſre Sinnen und unſers Geiſtes Kraͤfte
nicht.

Man macht ſich fuͤhllos, taub und blind, Geruch-und Schmack-
los, ja man reißt,

Von Gottes hier erſchaffnen Werken und ſeinen Wundern, un-
ſern Geiſt,
R 5Und
[266]Gebrauch der Sinne.
Und zwinget ihn der Ordnung Gottes, die will, man ſoll auf
Erden leben,

Man ſoll ſich ſeiner Huld hier freun, man ſoll ſein herrlich
Lob erheben,

Theils durch Gewohnheit, theils Exempel verfuͤhret, ſtets zu-
wider ſtreben,

Und alle Kraͤfte anzuwenden, hier reich und ſelig dort zu ſeyn;

Als waͤren wir, zu ſolchem Endzweck und in der Abſicht bloß
allein,

Auf dieſe Welt geſetzet worden, daß wir, als waͤren wir nicht
hier,

Nicht ſehen muͤßten, was wir ſehn, und das nicht hoͤren, was
wir hoͤren.

Wenn man der Menſchen Thun erweget: So ſcheint es recht,
als meynten wir,

Gott ſey nur in der kuͤnftgen Welt, in dieſer gar nicht, zu
verehren.

Wenn Gott von uns, nur bloß aufs Kuͤnftge zu denken, haͤtte
haben wollen;

Wozu denn haͤtten ſeine Werke, nebſt unſern Sinnen, dienen
ſollen?

Wer heißt uns ſo aufs Kuͤnftge denken, daß wir der Gegen-
wart vergeſſen,

Und Gottes Liebe, Weisheit, Macht, auf Erden, druͤber nicht
ermeſſen?

Auf Erden hat er uns geſetzt. Wir wollen nicht auf Erden
leben.

Wir wuͤrden, wenn wir fliegen koͤnnten, gewiß uns von der
Erden heben.

Heißt dieſes nicht des Schoͤpfers Ordnung recht augenſchein-
lich widerſtreben?
Da,
[267]Gebrauch der Sinne.
Da, wenn wir uns an ſeinen Wundern, im Gegenwaͤrtigen,
ergetzten,

Und ſeine herrliche Geſchenke, als herrliche Geſchenke, ſchaͤtzten,

Wir, durch vernuͤnftigen Gebrauch der hier von Gott ge-
ſchenkten Gaben,

Uns ſelbſt geſchickter machen wuͤrden, auch kuͤnftig etwas guts
zu haben.

Es machet uns die heilge Schrift ſelbſt einen Felſen-feſten
Grund,

Wie hoch das Jrdiſche zu ſchaͤtzen, in Moſis Fluch und Se-
gen kund.

Jch habe lange dieſen Ort und andre nicht verſtehen koͤnnen,

Weil mir ein ſtarkes Vorurtheil nicht wollen die Erklaͤrung
goͤnnen:

Jetzt aber ſeh ich ſonnenklar, wie, nebſt den uͤbrigen Propheten,

Auch Moſes Gottes Ordnung weiſt, daß man des Jrdiſchen
vonnoͤthen,

Daß es nicht ſo veraͤchtlich ſey, wenn, nebſt Geſundheit, Freud
und Frieden,

Auch Nahrung und Bequemlichkeit uns und den unſrigen be-
ſchieden.

Noch ſtellet das Exempel Adams uns ein Exempel, das
ſo klar,

Und auſſer allen Widerſpruch, vor unſer aller Augen dar.

Womit haͤtt er im Paradieſe ſich ſonſten wohl beſchaͤfftgen
koͤnnen,

Als Gottes Allmacht zu bewundern, in der Geſchoͤpfe Schmuck
und Pracht,

Und, gegen den, der ſolche Wunder, aus weiſer Lieb, hervor-
gebracht,
Durch
[268]Gebrauch der Sinne.
Durch nimmer muͤßiges Betrachten, in Gegenliebe zu ent-
brennen?

Jn Kirchen waͤr er nicht gegangen; kein alt noch neues Te-
ſtament

Haͤtt er gehabt, noch haben koͤnnen; einfolglich wuͤrde bloß allein

Das ſchoͤn und große Buch der Welt ſein’ heilge Schrift ge-
weſen ſeyn,

Worin er einen großen Schoͤpfer, aus jeglichem Geſchoͤpf, er-
kennt.

Dieß waͤr das rechte Buch der Weisheit, worin was rechts
von Gott zu leſen,

Von ſeiner Weisheit, Lieb und Macht, fuͤr ihn in dieſer Welt
geweſen.

Erwegt man nun den Unterſcheid,

Der itzt bey uns auf Erden herrſcht, und meiſt aus Unem-
pfindlichkeit,

Und Unerkenntlichkeit beſteht, woraus die faule Traͤgheit flieſſet,

Des Schoͤpfers Allmacht zu bewundern: So ſcheints, daß man
nicht unrecht ſchlieſſet,

Daß der Verluſt des Ebenbildes der Gottheit hierin ſonderlich,

Und faſt am meiſten, mit beſteht, daß wir, fuͤr ſeine Huld und
Gaben,

Ein ſolches unaufmerkſames, ſolch dank-und fuͤhllos Herze haben,

Daß man nicht Himmel, Meer, noch Erde, nicht Thier und
Pflanzen, ja nicht ſich,

Als goͤttliche Geſchoͤpf erkeñet, nichts unſerer Betrachtung werth,

Noch dank-noch ruͤhmenswuͤrdig ſchaͤtzt, und folglich nicht den
Schoͤpfer ehrt;

Ja eben durch ein ſolch Betragen, voll Unerkenntlichkeit, auf
Erden,

Wir uns ſelbſt ungluͤckſelig machen, und wirklich ungluͤckſelig
werden.

Viel-
[269]Gebrauch der Sinne.
Vielleicht zeigt dieſes klaͤrer noch, und mehr, als ſonſt was
zeigen kann,

Am deutlichſten uns einen Fall, und der Natur Zerruͤtkung an.

So laßt uns doch nach allen Kraͤften, uns aus der Tiefe zu
erheben,

Uns unſers Schoͤpfers Huld zu freuen, wie Adam vor dem
Fall, zu leben,

Und unſerm Gott die Ehr allein in aller Creatur zu geben,

Jm rechten Brauch von unſern Sinnen, mit froher Andacht,
uns beſtreben;

Um (wenn wir nicht ſo, wie zuvor, des Hoͤchſten Ordnungen
verachten,

Die uns auf dieſe Welt geſetzt, mit Luſt ſein’ Allmacht zu be-
trachten,)

Uns durch die gegenwaͤrtgen Freuden, und die uns hier geſchenk-
ten Sachen,

Zu jenen kuͤnftigen uns faͤhig, bereit und recht geſchickt zu
machen.

Wann aber auch das Wollen ſelber nicht einſt in unſern
Haͤnden ſteht,

Und wir aus uns faſt nichts vermoͤgen, noch wozu tuͤchtig
ſeyn: So fleht

Jm großen Sohn den Vater an, daß er, um ihn recht zu er-
heben,

Uns ſelbſt aus Gnaden dazu wolle das Wollen und Voll-
bringen geben.


Sin-
[270]Sinnen-Schule.

Sinnen-Schule.


Oculus non videt, cum animus alias res agit. ()
Welch eine Menge fremder Dinge bemuͤht ſich nicht der
Menſch zu wiſſen!

Wie viele Kuͤnſte, Sitten, Sprachen ſind, die wir alle lernen
muͤſſen,

Und eins der allernoͤthigſten, das uns faſt bloß zu Menſchen
macht,

Schlaͤgt man, zu unſerm groͤßten Schaden, recht unvernuͤnf-
tig aus der Acht.

Wir glauben, es ſey gar nicht noͤthig, mit Ernſt zu lernen
und zu lehren,

Wie wir recht riechen, fuͤhlen, ſchmecken, recht ſehen koͤnnen
und recht hoͤren.

Warum? wir ſehn und hoͤren ja. Wer leugnet dieſes? Es iſt
wahr,

Wir hoͤren, fuͤhlen, riechen, ſchmecken und ſehn: Doch wie der
Thiere Schaar,

Ohn alles Zuthun unſrer Seelen, ohn auf das, was wie ſinn-
lich ſpuͤren,

Mit Einſicht und Vernunft, zu achten, ohn auf die Quell
zu reflecciren.

Es ſcheint, wenn wir es recht erwegen, als wenn der Men-
ſchen beſte Gabe,

Die Seele, mit der Sinne Wundern nichts uͤberall zu ſchaf-
fen habe;

Als waͤren ſelbige nicht wuͤrdig, daß wir ein ſonſt beſchaͤff-
tigt Denken,
So
[271]Sinnen-Schule.
So wenig auf die Sinne ſelbſt, als ihre Vorwuͤrf hinzu-
lenken,

Nur die geringſte Muͤh uns geben. Man ſiehet, hoͤret, rie-
chet, ißt,

Ohn daß man, wie die Faͤhigkeit ſey eine Gottes Gab, ermißt,

Ohn daß wir auf der Sinnen Vorwuͤrf, ob ſie gleich nicht zu
zaͤhlen, achten.

Wir ſollten, ohn Erſtaunen nicht, nicht ſonder Ehrfurcht,
dieſe Welt,

Jn die der Schoͤpfer uns geſetzet, und ſie den Menſchen vor-
geſtellt,

Sie durch die Sinnen zu genieſſen, die Sinnen ebenfalls nicht
ſehn.

Die Seele ſollte fuͤr die Gaben, auch fuͤr das Werkzeug, Gott
erhoͤhn.

Worin kann doch die Menſchheit ſonſt ſich unterſcheiden
von den Thieren?

Wozu ſoll die Vernunft ihr nuͤtzen; gebraucht er ſich derſel-
ben nicht,

Um durch die Sinnen zu betrachten, was herrlichs hier, durch
Gott, geſchicht?

Die Seele kann, nur durch die Sinnen, wie weiſ und lieb-
reich Gott, verſpuͤren.

Sie aber trennt ſich ungluͤckſelig mit ihrem Denken von den
Sinnen;

Sie ſieht und hoͤret ohne Denken; einfolglich hoͤrt und ſieht
ſie nicht.

Des Schoͤpfers in den Creaturen uns angeſteckte Weisheit-
Licht

Ruͤhrt ihre Sinnen, wie der Thiere, von auſſen, aber nicht
von innen,
Be-
[272]Sinnen-Schule.
Betruͤbt iſts, daß man ſagen muß: Es kann fuͤrwahr das
dummſte Thier,

Mit keinem wenigern Betrachten, mit keinem mindern Ueberlegen,

Des Schoͤpfers herrlich Werk beſehn, den ſchoͤnen Schmuck
der Welt erwegen,

Und minder einer Gottheit Stral in ſelbiger erhoͤhn, als wir.

Jch habe juͤngſt von ungefahr, von meinen Schafen eins
geſehn,

Jn einer aufmerkſamen Stellung, mit großen offnen Augen,
ſtehn,

Als wenn es das bebluͤmte Feld, und wie die ſchoͤne Welt
ſich ſchmuͤckte,

Recht inniglich dadurch geruͤhrt, mit rechter Achtſamkeit er-
blickte.

Jch wunderte mich erſt daruͤber, allein, ich ſahe ploͤtzlich, daß

Es ſeinen aufgehobnen Kopf, mit ſchnellem Ruck, zur Erden
buͤckte,

Und daß es, mit bewegtem Kiefer, in aller Aemſigkeit, ſein Gras,

Als wenn es nichts geſehen haͤtte, ohn ferners Sehn und Den-
ken fraß.

Ach! dacht ich, handelteſt du ſo, mein Schaͤfgen, mit der Welt
allein!

Ach moͤchteſt du doch nicht von uns ein gar zu aͤhnlich Sinn-
bild ſeyn!

Wenn wir das Sinnen mit den Sinnen und den Geſchoͤp-
fen nicht vereinen:

So kann uns, von des Schoͤpfers Werken, faſt nichts Betrach-
tungs-wuͤrdig ſcheinen.

Ja wir vermoͤgen, auf der Welt, den Schoͤpfer ſelber nicht zu
finden,

Wo wir mit unſrer Sinnen Kraͤften der Seelen Kraͤfte nicht
verbinden.
Jch
[273]Sinnen-Schule.
Jch ſtutzt hieruͤber, und mit Recht, daß ſo viel Menſchen nicht
verſpuͤren,

Wie, durch den Geiſt und ſeiner Trennung, ſie ſich, die Welt, ja
Gott verlieren.

Es hat ja wohl durch Adams Fall, wovon wir in der Bi-
bel leſen,

Kein groͤßer Ungluͤck auf der Welt den Menſchen uͤberkommen
koͤnnen,

Als da, bey unſers Schoͤpfers Werken, in uns ſich Seel und
Sinnen trennen,

Die ehedem, im Paradieſe, unſtreitig ſind vereint geweſen,

Wodurch ſo viele tauſend Sproſſen, in unſrer Luſt zu Gott
zu ſteigen,

Auf aller Creaturen Leiter, ſich unſerm Geiſte nicht mehr zeigen,

Wofern wir, durch ein neu Betragen, nicht auch ein neues Mit-
tel finden,

Die Leiter wieder zu ergaͤnzen; und Geiſt und Sinnen zu ver-
binden.

Wozu iſt uns der Sinnen Werkzeug, wozu iſt uns der Geiſt
gegeben?

Zu welchem Zweck ſind ſie vereint? in welcher Abſicht iſt die
Welt

So wunderwuͤrdig? wir in ſie geſetzt, und ſie uns vorgeſtellt,

Als daß wir ſie genieſſen ſollen, und, im Genieſſen, Gott er-
heben?

Nun aber kann von beyden keins, wenn Sinn und Geiſt
getrennt, geſchehn.

Wir koͤnnen, ohne Denken, nicht empfinden, auch nicht Gott
erhoͤhn.

Die Sinnen, ſonder Geiſt, ſind todt; kein Ohr vernimmt, kein
Auge ſieht,
Br.VI.Th. SWenn
[274]Sinnen-Schule.
Wenn, mit den herrſchenden Gedanken, ein ſonſt beſchaͤfftigtes
Gemuͤth

Von ihnen abgeſondert iſt. Ach! liebſte Menſchen, lernet dann,

Da man, mit unvereinten Geiſt und Sinnen, hier ſich nicht
vergnuͤgen,

Des Schoͤpfers Allmacht nicht bewundern, und ihm unmoͤg-
lich danken kann,

Mit allem Ernſt von Jugend auf, die Sinnen mit dem Geiſt
zu fuͤgen!

Jn Kindern ſtecket noch ein Trieb, die Creaturen anzuſehn,

Und ihre Schoͤnheit zu bewundern, Figur und Farben zu er-
wegen.

Wir aber unterdruͤcken ihn, da wir ſie zu verlachen pflegen,

Und laſſen den ſo edlen Samen dadurch in ihnen untergehn.

Hingegen wenn wir durch Exempel, wenn wir des Schoͤpfers
Werk bemerkten,

Den ihnen angebohrnen Trieb nicht unterdruͤckten, ſondern
ſtaͤrkten,

Wir wuͤrden eine neue Welt, die ſich, an Gottes Wunder-Gaben,

Auf Adams Art vor ſeinem Fall, ergetzete, zu hoffen haben.

Es iſt nicht ſchwer, ihr duͤrfet nur, mit Ernſt, euch allge-
mach bemuͤhn,

Euch eurer vorigen Gewohnheit, durch eine neue, zu entziehn,

Und euch beſtreben, euer bald zu fluͤchtig-bald zu traͤges Denken

Oft auf die Vorwuͤrf eurer Sinnen, und eure Sinnen ſelbſt
zu lenken.

Jhr duͤrft nur, wenn ihr etwas ſchmeckt: es ſchmeckt ſchoͤn,
zu euch ſelber fagen.

Wenn ihr was ſeht, was ſeh ich hier? wenn ihr was hoͤrt:
was hoͤr ich? fragen.

So bald wir nun auf ſolche Weiſe, was wir genieſſen, recht
genieſſen,
Auf
[275]Sinnen-Schule.
Auf eine neue Weiſe fuͤhlen, verſpuͤren, ſchmecken, hoͤren, ſehn,

Wird ohne Zweifel ein Bewundern in der geruͤhrten Seel’
entſtehn.

Es wird aus der Bewunderung, fuͤr Gott ein frohes Lobgetoͤn,

Da man als Geber ihn entdeckt, auch Ehre, Preis und Dank
entſprieſſen.

Da ſonſt, wofern es nicht geſchicht, wenn wir dereinſten ſter-
ben muͤſſen,

Wir (ohne von des Schoͤpfers Wundern auf dieſer Erden was
zu wiſſen,

Da wir ihn nicht gehoͤrt, geſpuͤrt, gefuͤhlt, geſchmecket und geſehn,)

Dem Schoͤpfer eine leere Seele, von ihn bewundernden Jdeen,

Und von metalliſchen nur voll, nach unſerm Abzug von der
Erden,

Wohl nicht zum lieblichen Geruch und Opfer, uͤberliefern
werden.


S 2Macht
[276]Macht des Aberglaubens.

Macht
des Aberglaubens.


Jch laſ in einer Reiſ-Beſchreibung erſtaunet juͤngſt, daß, auf
der Erden,

Gewiſſe Voͤlker ſollen ſeyn,

Die bey dem fruͤhen Sonnenſchein,

Mit laut-und eifrigem Gebeth, und mit andaͤchtigen Gebehrden,

Die Haͤnde gegen ſie erheben,

Und ſich, in einer ſolchen Stellung, in einen tiefen Strom begeben,

Den graͤuliche, gefraͤßige, und blutbegierge Crocodillen,

Jn großer Meng, erfuͤllen,

Jn Hoffnung, durch derſelben Rachen,

Sich einen Weg ins Paradies zu machen.

Ob nun der Autor dieſes Buchs die That, mit einem kal-
ten Muth,

Fuͤr Grillen ſchilt: Fand ich mich doch, durch dieß Betragen,
ſehr geruͤhrt,

Und zwar dadurch um deſto mehr, als dieſer Menſchen heilge
Wuth,

Jn einem ſchoͤnen Kupferſtuͤck, womit daſſelbe Buch geziert,

Sehr deutlich vorgeſtellet war. Jch ſah das ſchoͤne Sonnenlicht

Am Horizont, mit vielen Stralen,

Den Himmel, und zugleich den Fluß im Wiederſchein, recht
lieblich malen;

Jch ſahe ganze Heerden Menſchen andaͤchtige Gebehrden zeigen,

Und, mit erhabnen Aug-und Haͤnden, in das fatale Waſſer ſteigen,

Woraus bald hier, bald da, bald dort erſchrecklich haͤßliche
Figuren,

Von
[277]Macht des Aberglaubens.
Von Crocodill-und Waſſer-Drachen, mit aufgeſperrten Ra-
chen, fuhren,

Die ungluͤckſeligen Vergnuͤgte, die ſich mit Fleiß zu ihnen drungen,

Bald hie bald dort ergrimmt ergriffen, zerfleiſcht-zerquetſchten
und verſchlungen.

Durch dieſen Anblick faſt erſtarrt, empfand ich ſchreckende Jdeen

Jn meiner aufgebrachten Seele, mit Mitleid untermiſcht, ent-
ſtehen,

So daß ein tief gehohlter Seufzer aus meiner Bruſt voll
Schwermuth brach,

Und ich, mit einem heilgen Gram erfuͤllet, zu mir ſelber ſprach:

O Gott! du Schoͤpfer aller Dinge, unendlichs All! voll-
kommner Geiſt,

Selbſtaͤndig ewge Lieb! o Vater von allem, was da Kinder heißt!

Der du die innern Triebe ſiehſt, die Abſicht weißt, den Zweck
erkenneſt,

Von dieſen irrenden Geſchoͤpfen, die Menſchen ſind, ſo wohl
als ich,

Da ſie ganz uͤberzeuglich glauben, und ſich verſichern, daß ſie dich,

Mit ihres eignen Leibes Opfer, verſoͤhnen und dich ehren koͤnnen,

Wenn ſie, voll Hoffnung, unverzagt, dem ſchwarzen Tod in Ra-
chen rennen.

Wie unerforſcht iſt dein Gericht, wie unbegreiflich ſind die Wege,

Die du mit dieſen Menſchen gehſt.

Jch zittere, wenn ich mit Ernſt, auf welche Weiſe ſolche That,

Die ſo viel Finſterniß und Blindheit, als Lieb und Eifer, in
ſich hat,

Von dir gerichtet werden wird, nach jedem Umſtand uͤberlege,

Und ſtell in tief gebuͤckter Demuth, o ewge Weisheit, dir allein

Und deiner ewgen Lieb anheim, wie ſie vor dir gerichtet ſeyn.

Nur wend ich mich, um dieſen Eifer, im Gottesdienſt, mit dem,
den wir,

S 3Darin
[278]Macht des Aberglaubens.
Darin bezeugen, zu vergleichen. Jch ſtutz und ich erſtaune
ſchier.

Die Menſchen, die in ſolcher Blindheit und dickſten Finſterniſſen
leben,

Die laſſen eine ſolche Sucht, der Gottheit zu gefallen, ſehn,

Ein ſolches brennendes Verlangen, und ſolch ein feuriges Be-
ſtreben,

Mit dem ſich wieder zu vereinen, aus dem ſie glauben zu
entſtehn.

Wir aber, die wir uns im Licht und mitten in der heilgen
Klarheit

Des Evangelii befinden, betragen uns in unſrer Wahrheit,

Dem aͤuſſerlichen Anſehn nach, nicht anders, als wenn unſre
Lehre

Ein Unglaub, und der andern Unglaub ein recht-und wahrer
Glaube waͤre.

Man kann, aus dieſer Handlung, noch ein uͤberzeuglich Bey-
ſpiel nehmen,

Zu welchen irrigen Jdeen der Menſchen Seelen ſich bequemen,

Wenn ihnen etwas in der Jugend, und ehe ſie zum Denken
tuͤchtig,

Als Wahrheit vorgeſtellet wird. Man nimmt ſo Wahr-als
Thorheit an,

Und beydes klebt ſo feſt an uns, daß man ſich nicht befreyen kann,

So lange man hier lebt, es ſey die Meynung naͤrriſch oder
richtig.


Un-
[279]Unbegreifliche Gleichguͤltigkeit.

Unbegreifliche Gleichguͤltigkeit.


Wie manche Luſt, wie manche Freude

Erreget uns zur Fruͤhlingszeit,

Durch tauſendfache Lieblichkeit,

Das wunderſchoͤne Weltgebaͤude!

Was zeigt der Sonnen nahes Licht

Vor Pracht und Anmuth dem Geſicht!

Was laͤßt uns jetzt, in ſuͤſſen Choͤren,

Der Voͤgel buntes Heer nicht hoͤren!

Was macht die Luft, die lau und kuͤhl,

Nicht vor Vergnuͤgen dem Gefuͤhl?

Jn Kraͤutern und in Fruͤchten ſtecken

Viel Saͤfte, die uns lieblich ſchmecken.

Wie ſind die Luͤfte balſamiret,

Die im Geruch die Seele ſpuͤret,

Durch das gefaͤrbte Blumenheer!

Und kurz: Ein rechtes Anmuths-Meer,

Das lauter Wunder in ſich haͤlt,

Erfuͤllet jetzt die ganze Welt.

Bey allen dieſen Wunderwerken,

Worin die Gottheit klar zu merken,

Und welche von ihr Zeugen ſind,

Jſt mancher Chriſt dennoch ſo blind,

Daß er dieſelben nicht betrachtet,

Nicht ſie, nicht ihren Herrn beachtet.

Ja, wenn auch Gott noch irgendwo

Fuͤr das, ſo er uns hier erwieſen,

Mit Worten etwan, wird geprieſen:

So wird man deſſen doch nicht froh.

S 4Es
[280]Unbegreifliche Gleichguͤltigkeit.
Es ſcheint, als hielte mans zu klein,

Und keiner Achtung werth zu ſeyn.

Da wir, von unſers Schoͤpfers Gaben,

Solch ein vortreffliches Gedicht

Jm Luthriſchen Geſangbuch haben:

So weis es auch ein ſolcher nicht,

Der der vortrefflichen Geſaͤnge

Erhabnen Jnhalt, Wort und Menge

Faſt ſonſten auf den Finger weis.

Wie ich denn einſt erfahren mußte,

Daß einer, der gewiß der Preis

Von allen Geiſtlichen, nicht wußte,

Daß das vortrefflich-ſchoͤne Lied,

So man in allen Buͤchern ſieht:
Geh aus, mein Herz, und ſuche Freud,

Jn dieſer ſchoͤnen Sommerszeit.

Dergleichen ich noch keines funde,

Und welches ihm, da man es ſang,

Jns Jnnerſte der Seelen drang,

Jm Luthriſchen Geſangbuch ſtunde.

Und dieß hab ich, von vielen Frommen,

Mit bitterm Mitleid, wahrgenommen.

Wodurch Verwundrung, Grimm und Gram

Ob dem Betrieb mich uͤbernahm.

Mein Gott, wo koͤmmt doch immermehr,

Gedacht ich, ſolche Schlafſucht her?

Die leider jetzt ſo allgemein,

Daß auch ſogar in Lehr und Leben,

Die Gottes eigne Diener ſeyn,

Auf Gottes Werk nicht Achtung geben.


Vier
[281]Vier Welte.

Vier Welte.


Jn einer heitern Fruͤhlings-Nacht,

Als durch des vollen Monds entwoͤlckten Lichtes Pracht,

Das reine Firmament ſo kraͤftig angefuͤllet,

Daß aller andern Sternen Schaaren,

Durch ſeinen naͤhern Glanz, verhuͤllet,

Und uͤberall nicht ſichtbar waren,

Erſtaunt ich faſt vor Luſt, als ich erblickte,

Daß neben ihm, an den ſaphirnen Graͤnzen,

Jn einem reinen Licht, und Feuer-reichen Glaͤnzen,

Auch Jupiter und Mars zugleich den Himmel ſchmuͤckte,

Und zwar von ungefaͤhr in einer Linie,

Jn Regel-rechter Richtigkeit,

So, daß der Mond von beyden gleiche weit,

Ein wenig mehr nur in die Hoͤh,

Recht mitten zwiſchen beyden, ſtand.

Jndem ich die Figur entdeckt und herrlich fand:

Erſtaunt ich faſt fuͤr Luſt. Jnzwiſchen faͤllt

Mein Blick zugleich auf unſre Welt,

Die von gefallnem Thau befeuchtet,

Vom Mondſchein angeſtralt, in ſanftem Schimmer leuchtet,

Und dachte: Liebſter Gott! an den ſaphirnen Hoͤhn

Kann ich allhier, o Wunder! auf einmal,

Erleuchtet von der Sonnen Stral,

Vier Welt in vier Planeten ſehn,

Jn einer ſo merkwuͤrdigen Figur.

Dieß Schauen praͤget mir ein heiligs Schaudern ein;

Jch denk dem Reichthum nach im Reiche der Natur.

S 5Mit
[282]Vier Welte.
Mit wie viel Wundern wohl die Welt’ erfuͤllet ſeyn,

Die ich dort, in des Himmels Hoͤhe,

Jn ſolcher Groͤß’ als Klarheit ſehe;

Laͤßt, aus der unſrigen allein,

Und ihrer Wunder Wunderweſen,

Sich klaͤrlich ſchlieſſen, deutlich leſen.

Jch ſtelle mir

So vieler tauſendfach-geformter Creaturen,

Uns unbegreiflichen Figuren,

Veraͤnderung, Beſchaffenheit und Zier,

Den tauſendfach-verſchiednen Grad,

Von Schatten und von Licht, von Farben und von Kraͤften,

Von tauſendfach von uns verſchiedenen Geſchaͤfften,

Die jede Creatur vermuthlich dorten hat,

Jn einer dunklen Klarheit fuͤr.

Es fielen, bey ſo hellem Schein,

Die Ueberlegungen mir ein:


Die Menge deiner Werk’, o Herr! derſelben Unerſchoͤpf-
lichkeit,

Eroͤffnet uns am allermeiſten des Koͤrpers und der Seelen
Augen,

Daß ſie, mit Ehrfurcht, Lob und Dank, Bewunderung und
Andacht, taugen,

Zu ſehen, deiner Majeſtaͤt unendliche Vollkommenheit.


Das
[283]Das unſichtbare Licht.

Das unſichtbare Licht.


Jndem ich geſtern, etwas ſpat, mich in mein Bett zur Ruh
verfuͤge,

Und, bey noch nicht erloſchner Kerz, annoch mit offnen Augen
liege,

Bald dieß, bald jenes uͤberlege, und ruhig denk; verliſcht das
Licht.

Jedoch die Dunkelheit der Nacht, die Finſterniß, der ſchwar-
ze Schatte,

So ich denſelben Augenblick ſogleich zu ſehn vermuthet hatte,

Und meinen Blick dazu bereitet, entſtund und zeigete ſich nicht.

Die duͤſtre Finſterniß blieb aus, und es verblieb, an deren
Stelle,

Mein ganzes Zimmer ungeſchwaͤrzt, die Waͤnde weis, und al-
les helle.

Die Urſach war: Es ſchien der Mond. Es nahm ſein
heller Silber-Schein,

(Den ich, ſo lange mir vorher mein kleines Licht annoch ge-
brannt,

Aus Schwachheit meiner bloͤden Augen, nicht ſehen koͤnnen,
nicht erkannt,

Und nichts davon gemerket hatte,) mein ganzes Zimmer voͤl-
lig ein.

Der Zufall, den ich nicht verhofft, dieß unvermuthete Geſicht,

Erregte mir in meiner Seel ein unvermuthet helles Licht,

Voll Lehr, Erbauung, Nutz und Troſt. Es kame dieſer Zu-
fall mir,

Faſt, als ein ſicherer Beweis, und minſtens, als ein Bey-
ſpiel, fuͤr,
Daß
[284]Das unſichtbare Licht.
Daß uns auf eine gleiche Weiſe, wie hier, in unſrer Lebens-
zeit,

Ein von uns nicht geſehnes Licht, manch ungeſpuͤrte Herr-
lichkeit

Uns ſo, wie mich des Mondes Glanz, auch ungeſehen koͤnn’
umgeben,

Voll Schimmer gegenwaͤrtig ſeyn, und unvermerket um uns
ſchweben,

Von deſſen Herrlichkeit, ſo lang in uns die Lebens-Kerze brennt,

Durchs nahe Sonnenlicht behindert, man den vorhandnen
Glanz nicht kennt.

Wann aber Sonn und Hinderniß fuͤr uns verloͤſchen wird,
und ſchwinden:

Wird man, mit einem hellern Glanz, vermuthlich ſich umge-
ben finden;

Weil ja weit naͤher und gewiſſer, als wie bey uns des Mon-
des Schein,

Des Schoͤpfers Herrlichkeit und Allmacht muß uͤberall zuge-
gen ſeyn,

Die licht-und heller, wie die Sonne (ſo bloß nur zum Ge-
brauch der Welt,

Zum Nutzen ſchwacher Creaturen, und denen ganz unmoͤglich
faͤllt,

Das Licht der Gottheit zu ertragen) uns auf der Erden dar-
geſtellt.

Wenn wir zu einem andern Stande, nach unſerm Abſchied
von der Erden,

Von unſerm ſchwachen Fleiſch getrennt, nun faͤhig und ge-
ſchickter werden,
Ein
[285]Das unſichtbare Licht.
Ein hellers Glaͤnzen zu ertragen: Wird es vermuthlich ja
geſchehn,

Ohn erſt viel Millionen Meilen nach einem andern Ort zn
reiſen,

Daß wir den uͤberall vorhandnen, verhuͤllten Schein der
Gottheit ſehn.


Auf dieſe Weiſ’ an Gott gedenken, wird auch bereits in die-
ſem Leben,

Jn unſrer Seelen Trieb erregen, um Gott, was Gottes iſt,
zu geben.

Es kann und wird der uͤberall-allgegenwaͤrtgen Gottheit
Schein,

So wie ein Scheu vor allen Laſtern, ein Sporn zu allem Gu-
ten ſeyn.


Frage.
[286]Frage und Wunſch.

Frage.


Herr, nur bloß durch deine Guͤte

Steht jetzt alles in der Bluͤthe;

Alles zeigt und lobet dich.

Alles ſcheint ſich zu beſtreben,

Deinen Namen zu erheben;

Ach! warum denn auch nicht ich?


Wunſch.


Wie iſt das Firmament dort oben,

Und hier die Welt ſo wunderſchoͤn?

O Gott! laß mich ſie nimmer ſehn,

Ohn deine Lieb und Macht zu loben.


Lob
[287]Lob und Meynung.

Lob.


Je mehr ich meines Schoͤpfers Werke,

Betracht und allenthalben merke:

Je mehr ergetzt mich ihre Pracht.

Jch lobe deun, von Luſt geruͤhret,

Den, deſſen Huld ſie ſo gezieret,

Und preiſe Seine Wunder-Macht.


Meynung.


Wie wir neulich ſahn und hoͤrten,

Daß verſchiedne Weiſen lehrten,

Wie durch Meynung auf der Erde,

Jedermann regieret werde:

Dachten wir im Ernſt dabey,

Daß die Meynung Phantaſey.

Draus wir denn die Lehre faßten:

Alle Menſchen ſind Phantaſten;

Und der Allergroͤßte ſcheint,

Der es nicht zu ſeyn vermeynt.


Ge-
[288]Verachtung der Welt.

Gefaͤhrliche
Verachtung der Welt.


Man ſaget, unſer Leben ſey

Hier bloß ein Durchgang, eine Reiſe,

Wohin? Der Zweck iſt zweyerley,

Zur Hoͤllen, und zum Paradeiſe.

So reiſt man hier denn, ohne Zweifel,

Zum Schoͤpfer oder auch zum Teufel.

Dieß klingt wahrhaftig hart, die Welt,

Die ſo viel Wunder in ſich haͤlt,

Veraͤchtlich einen Poſtweg nennen,

Und, ſonder Ohr, Gefuͤhl, Geſicht,

Den ſchoͤnen Bau der Welt durchrennen,

Den Gott ſo herrlich zugericht.

Sind uns die Sinnen, hier im Leben,

Denn nur fuͤrs Kuͤnftige gegeben?

Sind ſie und dieſe Welt nicht werth,

Daß man denjenigen verehrt,

Der ſie ſo herrlich ſchaffen wollen,

Nebſt uns, damit wir, im Genuß,

Bey einem ſolchen Ueberfluß,

Uns freuen und ihm danken ſollen?

Allein man haͤlt uns, bis ins Grab,

Ach leider! ſo zu denken ab.

Und, bey dem Handel, glaubet man,

Daß man doch ſelig werden kann.

Jſt es vernuͤnftig, ſo zu denken:

„Jch hab, o Schoͤpfer, deine Macht,

„Und Lieb und Weisheit nichts geacht,

„Drum wirſt du mir den Himmel ſchenken?

Wohl
[289]Verachtung der Welt.
Wohl aber wuͤrd es beſſer klingen:

„Mein Gott, ich hab in allen Dingen,

„Die deine Huld hervorgebracht,

„Die Macht und Weisheit, mit Bedacht,

„Betrachtet, und mit Luſt beſehen,

„Und, um dich wuͤrdig zu erhoͤhen,

„Den mir gegebenen Verſtand

„Aus allen Kraͤften angewandt,

„Nach den Geſetzen meiner Pflicht,

„Dein im Geſchoͤpf verhuͤlltes Licht,

„Und in den wunderbaren Werken,

„Herr! Deine Weisheit zu bemerken.

„Du wirſt demnach nach dieſem Leben,

„Da ich nach Moͤglichkeit gelebt, wie ich geſollt,

„Und das dabey geglaubt, was du gewollt,

„Aus Gnaden mir den Himmel gehen.

„Damit ich auch, nach dieſer Zeit,

„Jn jener ſelgen Ewigkeit,

„An deinen nie erſchoͤpften Schaͤtzen,

„Mich, ſonder Ende, moͤg ergetzen.


Br.VI.Th. TWunſch
[290]Wunſch. Die Sonne der Sonnen.

Wunſch.


Herr! in deiner Werke Pracht,

Kann ich deine weiſe Macht,

Mit geruͤhrtem Herzen, ſehn.

Wie iſt alles doch ſo ſchoͤn!

Wer kann ihre Menge zaͤhlen!

Ruf ich, mit erfreuter Seelen.

Wuͤßt ich doch, zu deinem Preiſe,

Eine dir gefaͤllge Weiſe,

Dich in ihnen zu erhoͤhn!


Die Sonne der Sonnen.


So wie uns, in des Mondes Pracht,

Der Sonnenſtral ſich ſichtbar weiſt:

So ſieht, im Sonnenlicht, mein Geiſt

Die Stralen des, der ſie gemacht.


Zum
[291]Traum-Geſicht.

Zum Traum-Geſicht.
Tom. IV. pag. 192.


Dieß Lehr-erfuͤllte Traum-Geſicht

Hatt ich, zur ſpaͤten Abendzeit,

Zu anderer und meinem Unterricht,

Mit inniger Bedachtſamkeit,

Nicht ohn Vergnuͤgen, nachgeleſen;

Als bald darauf der Schlaf mich uͤberfiel.

Der traͤumenden Gedanken Spiel

Veraͤndert abermal mein ganzes Weſen,

So wie, zur Zeit des Schlafs, der Traͤume Schaar

Mit Schlafenden zum oͤftern handelt,

Und gleichſam unſern Stand u. ganzes Seyn verwandelt.

Man glaubt, nicht das, nicht da zu ſeyn,

Was, und wo man noch kurz vorhero war.

Ein lichter und ſo dichter Schein,

Der meinen Blick ganz undurchdringlich fuͤllte,

Umgab, befloß mich ganz.

Jch ſah, vor uͤberhaͤuftem Glanz

Und ſtrenger Fuͤlle dieſes Lichts,

Zu Anfangs nichts,

Bis ich nach kurzer Zeit (die mir die Augen ſtaͤrkte,)

Daß, ich mich ſanft bewegt, und bey mir etwas merkte,

Von herrlicher Geſtalt,

Das, in derſelben Fahrt, mit mir zu fliegen ſchien.

Der Glieder Symmetrie

War unbeſchreiblich ſchoͤn; der Leib ſchien ein Rubin,

Durchſichtig, hell und rein; die ſuͤſſe Harmonie

Der Farbe ſeines Rocks beſtand aus gelb und gruͤn,
T 2Recht
[292]Traum-Geſicht.
Recht wie die Bogen nach dem Regen,

Mit ihrem bunten Glanz, uns zu ergetzen pflegen.

Ein Engel war es nicht;

Er hatte keine Fluͤgel;

Auch ſprach er nicht, wie wir, doch kunnt ich ihn verſtehn,

Und ſeine Meynungen, als wie in einem Spiegel,

Auf ſeiner hellen Stirne ſehn.

Jch ſahe denn ganz deutlich ſeinen Sinn.

Wir kommen beyde jetzt von einem Orte her,

Und eilen allebeyde nun nach einem Orte hin.

Wir kommen aus der Erd, und gehn zum Jupiter,

Woſelbſt mein Vaterland.

Man hat von dorten mich, nach eure Welt, geſandt,

Um von der Menſchen Thun und Stand,

So uns bishero nicht bekannt,

Auch etwas zu erfahren.

Jch ſagte nichts, doch kunnt er, ohn mein Sagen,

So wohl, als ich an ihm, auch was ich dacht, entdecken.

Jch konnte nichts vor ihm verſtecken,

Und ſah die Antwort ſchon auf meine Fragen,

Die ich noch nicht gefragt. Die Erde find ich ſchoͤn,

(Ließ er aufs neue mich an ſeiner Stirne ſehn)

Und dient euch euer Kreis,

Die Herrlichkeit, den Ruhm und Preis

Des großen Schoͤpfers zu erhoͤhn.

Allein ich kunnt, oft ſonder Grauen,

Oft ſonder Lachen nicht, der Menſchen Thun beſchauen.

Wie mußt ich oftermals bedauren,

Daß aller Menſchen Luſt und Trauren,

So ſeltſam wunderlich und eitle Dinge ſeyn.

Vom Weſen haben ſie ja nicht einmal den Schein.

Die Vorwuͤrf ihrer Luſt (und, wenn ſie ſie entbehren,
Auch
[293]Traum-Geſicht.
Auch ihrer Traurigkeit,) ſind nichts auf eurer Welt,

Als wie ein eitler Hauch der Ehren,

Als kurze Wolluſt, todtes Geld.

Wie kann ſo eitle Sucht, von ewig waͤhrnden Geiſtern,

Sich doch bemeiſtern?

Zu Anfangs kunnt ich, fuhr er fort,

Am allerwenigſten begreifen,

Zu welchem Endzweck doch an dieſem Ort,

Bey ihrer kurzen Daur, ſie Gold und Silber haͤufen?

Was Acker, Wieſen, Wald und Land,

Das anders nichts, als ein gehaͤufter Sand,

Doch einem ſolchen Weſen nuͤtzet,

Der einen ewigen vernuͤnftgen Geiſt beſitzet?

Was, dacht ich, heißt denn eigentlich,

Auf Erden haben, zugehoͤren?

Und fand es hieß: Dieß Ding hab ich,

Und alle Welt muß es entbehren.

Auf ſolche Art, gedacht ich, ſetzet ſich

Ein jedes Jch der Welt, gerad dem andern Jch entgegen.

Was Wunder, daß ſich uͤberall,

Von allen Seiten, Sturz und Fall,

Von allen, gegen alle regen!

Mir ſchienen eure Wieſen, Waͤlder,

Gebuͤſche, Thaͤler, Berg und Felder,

Worauf ihr geht, von keinem groͤßern Werth,

Als wie der Wolken buntes Heer,

Das uͤber euch in Luͤften ſchwebend faͤhrt.

Hieruͤber (ließ er mich durchs Auge ferner hoͤren)

Gedacht ich anfangs gar, ob denn der Menſchen Seelen,

Da ſie ſich bloß mit Tand beſchaͤfftigen und quaͤlen,

Den ewgen Geiſtern beyzuzaͤhlen,

Und ob ſie wirklich auch unſterblich waͤren?

T 3Aus
[294]Traum-Geſicht.
Aus ihren unvernuͤnftgen Werken,

War es wahrhaftig nicht zu merken.

Zumal da ſie, durch dieſe Wuth getrieben,

Nicht Gott, nicht ihren Naͤchſten lieben,

Jndem ſie ſich, zu haſſen, afterreden,

Verketzern, zu verfolgen, ſich bemuͤhn,

Mit Feur und Schwerdt, ja gar mit Krieg, zu uͤberziehn,

Sich nicht entbloͤden,

Um die ja ohne das ſo kurze Zeit zu leben,

So ihnen die Natur gegeben,

Noch zu verkuͤrzen, zu vermindern,

Ja gar, ſo lang ſie ſind, vergnuͤgt zu ſeyn, zu hindern,

Und ihren Stand, der leidlich, zu vergaͤllen,

So daß bey euch ja leider! ſonder Zweifel,

Das Sprichwort wahr: Es iſt ein Menſch des andern Teufel.

Nun ſprich du ſelbſt, was doch ein ſolcher Stand,

Jn welchem ich die Menſchheit fand,

Bevor ich etwas beſſers wußte,

Mir vor Begriffe machen mußte.

Ob ich die Menſchen nicht fuͤr Mitteldinge,

Die kluͤger zwar, als wie ein Thier,

Doch lange nicht ſo klug, als wir,

Verwerflich, eitel, ſehr geringe,

Jhr Weſen folglich auch zerſtoͤrlich ſchaͤtzen mußte.

Wie aber ich hingegen auch erwog,

Was fuͤr beſondere Vollkommenheiten,

Gelehrigkeit, Begriffe, Faͤhigkeiten,

Fuͤr ſonderlich-und auserleſne Gaben,

Sie noch bey allem Jrrthum haben:

So ward ich ungewiß, und wußte nicht zu faſſen,

Wie ſolche widrige Beſchaffenheiten ſich,

Ohn eine gaͤnzliche Zerruͤttung, fuͤgen laſſen;
Wie
[295]Traum-Geſicht.
Wie Boͤſ und Gut ſo gar verwunderlich

Jn euren Geiſtern ſich verbinden,

Ja wie im Leiblichen ſo gar, auf eurer Erden,

Sich ſolche Widrigkeiten finden,

Und uͤberall faſt angetroffen werden:

Kalt, warm, licht, finſter, trocken, feucht,

Geſchwind und traͤge, ſchwer und leicht,

Bis endlich ich zuletzt auf die Gedanken kam:

Zeugt unſer Jupiter, von ſeines Schoͤpfers Ehr:

So thut es faſt der Erdenkreis noch mehr,

Da wir in dem Verband ſo ſehr verſchiedner Gaben,

Jm Geiſt-und Leiblichen, die wir auf Erden ſehn,

Wie ſie, in reger Ruh, trotz ihren Streit, beſtehn,

Ein groͤßer Wunderwerk faſt zu bewundern haben.

Hiedurch wird Gottes Macht aufs neu erkannt, erhoben.

Es zeigen ſich in jeder Welt,

Die er ohn alle Zahl erſchuf, und noch erhaͤlt,

Von ſeiner Lieb und Weisheit neue Proben.

Jch fiel ihm voͤllig bey, und wollte, Gott zu loben,

Die Stimm erheben:

Doch in dem Augenblick, wie ichs zu thun gedachte,

Verließ mich eben

Mein Lehr-reich Traum-Geſicht, und ich erwachte.


T 4Die
[296]Die allergroͤßte Tiefe.

Die
allergroͤßte Tiefe.


Drey Tiefen ſind auf dieſer Welt. Die eine Tief erfuͤllt
die Fluth,

Die andre Tiefe fuͤllt die Luft, die dritte fuͤllt des Lichtes

Gluht.

So wie die andre Tiefe nun ſich in die erſte Tiefe
ſenket,

Sich mit derſelbigen vereint, ſie auch umringet und um-
ſchraͤnket:

So wird die andre wieder, eben

Auch von der dritten Tief umgeben,

Durchdrungen, und erfuͤllt.

Von dieſer ſcheint nun wieder uͤberzeuglich,

Daß ſie, wie alle Ding, aus einer Quelle quillt,

Wodurch ſie alle ſich beleben.

Da dieſe nun ſo unergruͤndlich iſt, als unerſteiglich,

Jſt es vermuthlich die, von welcher Paulus riefe:

O! welche Tiefe!


Ver-
[297]Vergnuͤglichkeit.

Vergnuͤglichkeit.


Haſt du dein Brodt, und deinen Trank;

Haſt du ein Kleid, und biſt nicht krank:

So biſt du nicht befugt zu klagen,

Und mußt dem Schoͤpfer Lob und Dank,

Mit froher Ehrfurcht, billig ſagen.

Es iſt ein wunderlichs Betragen,

Daß wir uns, unſer lebenlang,

Mit ſelbſt gebundnen Ruthen, ſchlagen,

Und, um ein Blendwerk zu erjagen,

Uns ſelber unaufhoͤrlich plagen.


T 5Ge-
[298]Gedanken bey einer Section.

Gedanken
bey der Section eines Koͤrpers.


Kaum warf ich meinen Blick auf das zerſtuͤckte Weib,

Kaum ſah ich den zum Theil von Haut entbloͤßten Leib,

Jch kunnte kaum ſo bald die blutgen Muskeln ſchauen,

Als mich ein widriges und ekelhaftes Grauen

Den Augenblick befiel. Allein es hatte kaum

Der kluge Carpſer angefangen;

Er ließ uns kaum ſo bald die weiſen Wunder ſehn,

Die von der bildenden Natur daran geſchehn:

So macht die Regung gleich weit ſuͤßrer Regung Raum.

Furcht, Grauen, Ekel war den Augenblick vergangen;

Mich nahm Bewundrung erſt, darauf Erſtaunen ein,

Dem folgt Erniedrigung und Ehrfurcht allgemach,

Und dieſem auf den Fuß Lob, Brunſt und Andacht nach.

Es fing ein helles Feur von einer heilgen Luſt

Jn meiner, Gott zum Ruhm, mit Dank erfuͤllten Bruſt,

Zur Ehre des, der hier ſo wunderbar

Des Koͤrpers Wunderbau gefuͤget, an zu brennen.

Jch wußte ſelber nicht, wie mir zu Muthe war.

Den Menſchen giebet ſich der Schoͤpfer hell und klar

Am allerdeutlichſten am Menſchen zu erkennen.

Es ſcheint, ob koͤnne man in dieſen Wunderwerken,

Jn dieſem Meiſterſtuͤck der bildenden Natur,

Von unſerm Schoͤpfer ſelbſt hier eine helle Spur,

Ganz uͤberzeuglich klar und gleichſam ſichtbar merken.

Ach! rief ich, laßt denn hier an dieſem Schauplatz ſchreiben:
Hier kann kein Atheiſt ein Atheiſte bleiben.


Zuͤgel
[299]Zuͤgel der Begierden.

Zuͤgel der Begierden.


Was iſt der Hunger? ſag es mir. Ein Trieb, dein Weſen
zu ernaͤhren.

Was iſt die ſuͤſſe Liebe dann? Ein Trieb, dein Weſen zu ver-
mehren.

Damit nun beyde Triebe nicht, durch ihr empfindliches Ver-
gnuͤgen,

Wie ganz gewiß geſchehen wuͤrde, durch Uebermaaß, uns Scha-
den braͤchten,

Und wir im heftigen Gebrauch an Kraͤften uns erſchoͤpfen
moͤchten,

Zumalen des Verſtandes Kraͤft in dieſem Kampf, mit Luſt, erliegen:

So finden wir ein neues Wunder, ſo wuͤrdig, daß man es bedenkt,

Auch dem, der alles weislich ordnet, ein Opfer der Betrach-
tung ſchenkt,

Und im Bewundern ihn verehrt. Ein jeder Trieb iſt ſo bereitet,

Daß ihn, bey aller Uebermaaß, ein Ekel auf den Fuß begleitet.

Will man zu ſtark ſich uͤbernehmen, ſo ſchiebt in beyden dir und
mir

Noch mehr, als alle Sattigkeit, der Ekel einen Riegel fuͤr.

Sein Nutzen zeiget uͤberzeuglich, da er Begierden und Ge-
danken,

Trotz ihrer Unerſaͤttlichkeit, in ihre zugetheilte Schranken

Zu ſetzen und zu halten weis, er komme nicht von ungefaͤhr.

Es ſtammt, wie alles, auch der Ekel, aus einer weiſen Vor-
ſicht her.


Fabel.
[300]Fabel.

Fabel.


Erde.
Du waͤrſt, o Luft, wenn ich nicht waͤr,

Von Laub, von Bluͤht, Geruch und Blaͤttern leer.

Durch mich gereichen Zweig und Aeſte

Den Buͤrgern deines Reichs zum Neſte,

Und kurz, es ſtammet deine Zier,

Und alle Pracht allein von mir.

Luft.
Du irreſt dich. Wenn ich nicht waͤr,

So waͤrſt du ſelbſt von allem leer.

Schenkt ich dir nicht mein fruchtbar Naß:

So wuͤchſe nicht ein Spierchen Gras.

Noch minder koͤnnteſt du mit Zweigen

So ſchoͤn gekroͤnte Staͤmme zeugen.

Erde.
So meyneſt du, daß dieſe Fluth

Die freylich vieles an mir thut,

Mich naͤhrt und traͤnkt, dein eigen Gut?

O nein!

Es iſt ſo gar das Waſſer mein;

Es ſchenkt es dir der Sonnenſchein,

Der es aus mir hinaufwerts treibet,

Und deinem Weſen einverleibet.

Luft.
Das Waſſer iſt ſo wenig dein,

Daß man vielmehr von dir kann ſagen,

Mit
[301]Fabel.
Mit großem Recht: Du waͤreſt ſein,

Da es dich in dem Schooß getragen.

Es iſt das ſaͤmtliche Gewaͤſſer

Nicht nur an Weit und Umfang groͤßer,

Als wie du ſelbſt; Du wirſt ja wiſſen,

Daß dich die Fluthen in ſich ſchlieſſen,

Ja daß, ſo wie du jetzt vorhanden,

Du meiſt aus Waſſer gar entſtanden.

Sonne.
Jhr muͤßt euch nicht, wie Menſchen, zanken.

Jch finde, daß Luft, Erd und Meer,

Samt aller Creaturen Heer,

Jhr Weſen einzig dem zu danken,

Ohn den ihr eure Eigenſchaft

So wenig, als ich meine Kraft

Uns von uns ſelber koͤnnen geben.

Du koͤnntſt nicht ruhen, du nicht ſchweben,

Jch koͤnnt euch beyde nicht beleben.


Laßt uns denn auf unſre Weiſe,

Aller Weſen Quell zum Preiſe,

Da wir ſeiner Allmacht Proben,

Auch von ſeiner Macht allein

Werkzeug ohne Zanken ſeyn,

Und ihn, durch Gehorſam, loben.


Demuth.
[302]Demuth.

Demuth.


O Gott! von dem wir, was du nicht, nicht aber was du
biſt, verſtehen,

Ach laß uns dich auf eine Weiſe, die dir gefaͤllig iſt, er-
hoͤhen!

Was dir an uns gefallen kann, wird, allem Anſehn nach,
allein

Die, bloß durch deiner Groͤß Erkaͤnntniß, in uns gewirkte
Demuth ſeyn.


Zu-
[303]Zuſatz.

Zuſatz
ad p. 337. Tom. IV. des irdiſchen Vergnuͤgens.


Wirfſt du vielleicht mir hierauf ein:

Dein Schluß hat nur vom Troſt den Schein;

Denn, wird gleich aus jedwedem Heut

Ein baldigs Geſtern; wird jedoch

Ein Heut aus jedem Morgen wieder,

Und ſo druͤckt uns des Leidens Joch

Nicht minder heut, als geſtern, nieder:

So muß ich dieß geſtehn. Doch iſt auch dieſes klar,

Und von der Tage Fluß unwiderſprechlich wahr.

Es iſt ein Fluß, der nie verweilet,

Der unaufhoͤrlich vorwerts eilet,

Und wie der Schoͤpfer es beſtimmt,

Ein ganz gewiſſes Ende nimmt.

Zu welchem Ende dich, nicht nur jedwede Stunde,

So gar ein jegliche Secunde,

Die ſich all Augenblick verliert,

Unwiderſprechlich naͤher fuͤhrt.

Wann nun der ſchnelle Lauf vorbey:

So findet ſich, daß auch die allerlaͤngſte Zeit,

Bey der gewiſſen Ewigkeit,

Wahrhaftig nicht einmal ein Punkt geweſen ſey.


Ver-
[304]Vergnuͤgung an Gottes Werk.

Vergnuͤgung an Gottes Werk,
eine Gabe Gottes.


Ach ſchaut die Wunder mit Vergnuͤgen

Uns uͤberall vor Augen liegen,

Die Gottes weiſe Macht gemacht.

Mein Gott, laß mich mit Andacht ſehen

Die Farben, Formen, Nutz und Pracht

Der Wunder, die durch dich geſchehen!

Gieb zu ſo noͤthigem Geſchaͤffte,

Wodurch man dich vergnuͤgt verehrt,

Doch meiner Seelen alle Kraͤfte,

Die ſolche große Wunder werth!

Ach laß doch unſers Geiſtes Augen,

Durch unſers Koͤrpers Augen, taugen,

Jn Koͤrpern einen Geiſt zu ſehn!

Den Wirkenden in ſeinen Werken,

Den Schoͤpfer im Geſchoͤpf zu merken,

Und ihn in ihnen zu erhoͤhn.

O ewigs Licht! kanns moͤglich ſeyn,

Daß dein allgegenwaͤrtger Schein,

Der alles zeiget und erfuͤllet,

Nur unſrer Seele ſich verhuͤllet,

Daß ſie faſt deſſen ganz vergißt,

Der die von ihm erſchaffne Welt,

Wie ſelbſt erſchaffen, ſelbſt erhaͤlt,

Und alles und in allem iſt?

Jch mags, ſo viel ich will, ergruͤnden,

Kein ander Urſach iſt zu finden,
Als
[305]Vergnuͤgen an Gottes Werk.
Als daß man ſich mit ſich allein

So ſehr beſchaͤfftigt, wohl zu ſeyn.

Jn der Geſchoͤpfe Herrlichkeit,

Jn ihrer Anmuth, Zier und Pracht,

Die Herrlichkeit des, der ſie macht,

Zu ſehen, hat man keine Zeit.

Man hat fuͤr ſie nicht Aug, nicht Ohren,

Da man ſie nicht mit Luſt erwegt,

Dadurch wird, was Gott drin gelegt,

Ja Gott faſt ſelbſt fuͤr uns verlohren.

So hab ich oftermals gedacht;

So hab ich oftermals gelehret.

Doch alles ſchlaͤgt man aus der Acht,

Und hat ſich nicht daran gekehret.

Jch ſchlieſſe dann hieraus mit Recht,

Daß es in unſrer Kraft nicht ſtehe,

Und daß das menſchliche Geſchlecht

Sich nicht, durch ſich, zu Gott erhoͤhe.

Jch ſage denn: Es bleibt dabey,

Daß an des Schoͤpfers Wundergaben

Mit Seel und Sinnen ſich zu laben,

Ein’ eigne Gottesgabe ſey.*
So laßt uns dann zu Gott uns lenken,

Um ihn in Demuth anzuflehn,

Er woll uns dieſe Gabe ſchenken,

Jhn uͤberall mit Luſt zu ſehn!


Br.VI.Th. UBe-
[306]Bereitung aufs Kuͤnftige.

Bereitung
aufs Kuͤnftige.


Da Adam vor dem Fall, im Paradeiſe,

Kein ander Leben fuͤhren koͤnnen,

Als daß er froͤlich, Gott zum Preiſe,

Die Guͤter, die er ihm gewuͤrdiget zu goͤnnen,

Genoſſen, ſie mit Luſt beachtet,

Und, in der Vollenkommenheit

Derſelben, deſſen Herrlichkeit,

Der ſie ſo wunderbar bereit,

Fuͤr Freuden halb entzuͤckt, betrachter,

Einfolglich, wie wirs deutlich leſen,

Jm Jrdiſchen in Gott vergnuͤgt geweſen:

So iſt es wohl betruͤbt, daß, da wir noch auf Erden,

Annoch ſo viele Wundergaben,

Auch fuͤr dieſelben Sinnen haben,

Die uns der Schoͤpfer ja gelaſſen,

Wir nicht dadurch geruͤhret werden;

Wir weder Gottes Macht, noch ſeine Liebe faſſen;

Uns im geringſten nicht beſtreben,

Nach Moͤglichkeit, wie Adam dort, zu leben;

Auch im geringſten nicht, zu jenen Herrlichkeiten,

Die Gott uns geben wird, die Seele zu bereiten,

Und allgemach uns zu den ſuͤſſen Pflichten,

Nicht wiederum bemuͤht ſeyn, einzurichten.

Denn das, womit wir uns, auf dieſer Welt, bemuͤhn,

Wird uns, ſo bald wir todt, verlaſſen, von uns fliehn,
Als
[307]Bereitung aufs Kuͤnftige.
Als wie ein leerer Traum, und in den Ewigkeiten

Der Ewigkeiten wird von dem, was uns auf Erden,

So ſehr beſchaͤfftiget, nichts angetroffen werden.

Viel mehr wird unſre Seel, in der Vollkommenheit

Der von dem ewgen Gott gewirkten ewgen Werken,

Den Ausbruch ſeiner Lieb und weiſen Macht bemerken.

Der allergroͤßte Theil, von ihrer Seligkeit,

Jn welcher ſie zugleich des Schoͤpfers Groͤß erhoͤhn,

Wird in derſelbigen Betrachtungen beſtehn.

Ach laßt uns uns denn doch, zu jenen Herrlichkeiten,

Und, Gott zugleich zum Ruhm, ſchon hier bereits bereiten!


U 2Die
[308]Die unumſchraͤnkte Groͤße

Die
unumſchraͤnkte Groͤße der Gottheit.


Jch habe, ſelbſt von großen Geiſtern, die Meynung oftermals
gehoͤrt:

Ob waͤr ein Menſch, ja nicht einmal die ganze Menſchheit,
ſo viel werth,

Daß Gott, ein ſolch unendlich Weſen,

Das Millionen Sonnen ſchuf, und viele Millionen Welte

Zum Vorwurf ſeiner Macht erleſen,

Die er bloß durch ein Wort erhaͤlt,

Von ſeiner Unermeßlichkeit faſt ſchimpflich ſich herunter laſſe,

Und mit derſelben Kleinigkeit auf eine Weiſe ſich befaſſe.

Ja, wenn auch dieſes moͤglich waͤre, ſo wuͤrde dieß daraus ent-
ſpringen,

Daß auch der Gottheit Majeſtaͤt ſich gar, annoch mit kleinern

Beſchaͤfftigen und plagen muͤſſe, (Dingen,

Und dieſes halten ſie fuͤr ungereimte Schluͤſſe.

Man kann hierin hingegen klar entdecken,

Daß hierin eine Laͤſterung

Fuͤr unſern Gott, fuͤr uns Verzweifelung,

Jn dieſer ſchlimmen Meynung, ſtecken.

Fuͤr uns kann nichts ungluͤcklichers auf Erden,

Als ſolch ein Schluß erſonnen werden.

Denn waͤren wir, weil wir nicht Gottes Obacht werth,

Auch nicht von Jhm geliebt, gefuͤhrt, ernaͤhrt:

Waͤr unſer Gottesdienſt, Glaub, Hoffnung, Seligkeit,

Ein eitler Tand, und wir, in kurzer Zeit,

Nachdem uns hier ſo manches Leid beſchwehrt,

Weit aͤrger, als ein Vieh, in nichts verkehrt.

Was Gott betrifft, ſcheint nur die Meynung groß zu ſeyn,

Und ſeine Majeſtaͤt zu ehren:

Doch iſts wahrhaftig nur ein Schein.

Sie
[309]der Gottheit.
Sie ſcheinet Gottes Ruhm zu mehren,

Und machet ſeine Groͤße klein.

Sie ſchraͤnket ſeine Lieb und Macht und Weisheit ein;

Ja hoͤhnet ihn, ſtatt ihn zu preiſen:

Wie dieſes hieraus klar und deutlich zu erweiſen:

Da auch das Groͤßte, was ihr ſehet,

Aus Kleinigkeiten bloß beſtehet;

So wird ein Gott ja mehr erhoͤhet,

Jn den verehrenden Gedanken,

Daß er ſo wohl was klein, als das, ſo groß, regiere,

Als wenn man ihm gewiſſe Schranken

Zu ſetzen unternimmt, wo ſich ſein Blick verliere.

Ey! ſprecht, wie weit doch ſeine Schranken gehn,

Aus wie viel Theilen eigentlich

Muͤßt, eurer Meynung nach, beſtehen

Ein Weſen, eh die Gottheit ſich

Nach ihm bemuͤht, ſich umzuſehen?

Waͤr es nur nach dem Werth allein:

So wuͤrd ihm ja faſt nichts, auf dieſer Erden,

Ja kaum die Erde ſelbſt, ein wuͤrdger Vorwurf werden,

Und Gottes Aufſicht wuͤrdig ſeyn.

Dieß zeiget die Vernunft, und daß es wahr,

Zeigt ebenfals die Bibel klar.

Sie ſpricht: Es ſorge Gott fuͤr Sperlinge ſo gar;

Sie ſpricht: Es faͤllt, ohn unſers Vaters Willen,

Von unſerm Haupt kein einzigs Haar,

Und alles muß des Schoͤpfers Wink erfuͤllen.

Es iſt demnach gewiß, daß unſre Lehre,

(Zumalen dieſer Satz) des Schoͤpfers Ehre

Aufs Herrlichſte verbreit, auch unſern Glauben mehre:

Das Kleinſte ſcheint fuͤr Gott ſo wenig klein,

Als wie das Groͤßte groß zu ſeyn.

U 3Mis-
[310]Misbrauch des Worts Natur.

Misbrauch
des Worts Natur.


Zwey Dinge ſind, die viele Menſchen zu einem Goͤtzendienſt
verfuͤhren.

Das erſte, die Erbarmens-wuͤrdig’ und Gott-verkleinernde
Jdee,

Von einem großen alten Mann, dort oben in des Himmels Hoͤh.

Das andre, da wir ungeſcheut im Jrrthum uns ſo weit ver-
lieren,

Daß wir auch eine Goͤttinn machen, die wir ihm gleichſam zu-
geſellen,

Und ſie mit ſeiner Majeſtaͤt zum oͤftern in Vergleichung ſtellen.

Die Goͤttinn heißet die Natur, die wir, in allen unſern
Reden,

Als thaͤt ſie alles, was geſchicht, uns vorzuſtellen, nicht ent-
bloͤden.

Wer lehrt die Thiere, ſich zu naͤhren? Wer lehrt die Voͤgel
Neſter machen?

Wer lehrt die kleinen Kinder ſaugen? Wer wirkt ſo viel ver-
borgne Sachen,

Auf Erden, in der Luft, im Meer? Wer? Die Natur, ſpricht
jedermann;

Ja, zeigt man ſeine Meynung nicht in dem gewohnten Sprich-
wort an:
Es wirken Gott und die Natur nie was verge-
bens? Scheint es nicht,

Daß man von zwey verſchiednen Weſen auf eine ſolche Weiſe
ſpricht;
Als
[311]Misbrauch des Worts Natur.
Als waͤren ſie einander gleich? Du wendeſt hier vielleicht
mir ein:

Es muͤſſe dieſes eben nicht ſo eigentlich verſtanden ſeyn;

Nein; ſondern ſo: Daß die Natur auf goͤttlichen Geheiß voll-
fuͤhre,

Was ihr von ihm befohlen ſey. So folgt doch dieß daraus,
daß ſie

Ein eignes Weſen muͤſſe ſeyn, das nach der Ordnung ſich be-
muͤhe,

Des Schoͤpfers Willen auszurichten; und dieſes iſt ſchon ſon-
derlich,

Und ſtreitet mit der Wahrheit ja. Du ſprichſt: Du uͤberei-
leſt dich;

Weil wir die Woͤrter aus Gewohnheit ſo ſchlimm, wie du, nicht
auszulegen,

Und ſo genau zu unterſuchen, ja gar nicht drauf zu achten
pflegen:

So ſprech ich: Wenn auch dieſes waͤr; iſt es doch aͤrger, als
man meynt,

So wunderlich ſich auszudruͤcken; und ſchadet mehr noch, als
es ſcheint.

Jndem man, da man ohne dieß ſo ſelten an den Schoͤpfer denket,

So ſelten ſeine Macht bewundert, durchs Wort Natur gleich
abgelenket,

Und wenigſtens gehemmet wird, in unſrer Ehrfurcht fortzugehn,

Da das, was ihm allein gebuͤhrt, ſich gleichſam theilt. Man
bleibt beſtehn.

Wenn man nur die Natur genannt: So wird man insgemein
befinden,

Man hoͤrt in der betrachtung auf, und laͤßt Geſchoͤpf und
Schoͤpfer ſchwinden.

U 4Was
[312]Misbrauch des Worts Natur.
(A.)
Was du hier ſchreibſt, iſt mehr als wahr. Jch bin, durch
ſolche Redensart,

Nicht nur, wenn ich an Gott gedacht, durchs Wort Natur oft
abgezogen;

Mein Denken iſt vertheilet worden, da man es mit der Gott-
heit paart.

Jch ward ſo gar durch dieſes Sprichwort: Gott und Na-
tur, gar oft bewogen,

Der Sache weiter nachzudenken. Die allerkluͤgſten Voͤlker haben

Die alles-wirkende Natur, als eine Mutter aller Gaben,

Betrachtet, und ſie angebethet. Der Gottesdienſt war mit
Bedacht,

Und, nach den Gruͤnden der Vernunft, nicht eben ungereimt,
vollbracht.

Sie opferten ihr Fruͤcht und Blumen, wobey ſie denn, zu ih-
rem Preiſe,

Voll dankbarer Erkenntlichkeit, und recht geruͤhrt, auf dieſe Weiſe,

Der Goͤttinn folgend Loblied brachten: Wir opfern, ſang
der ganze Hauf,
Dich, dir, du einzige, die alles, o große Goͤttinn,
Jſis, auf.

War es den Heiden zu verdenken, daß, da ſie ſich doch Goͤt-
ter machten,

Beym großen Urſprung aller Dinge, ſie auch auf eine Goͤttinn
dachten?

Da ſie in allen Dingen ſahn, bis auf ſich ſelbſt, aus zweyen Dingen,

Jn unterſchiedlichem Geſchlecht, ein drittes allererſt entſpringen,

Nach der Natur vollkommnen Ordnung. Worin ja mehr,
als wie man meynt,

Ein Ehrfurcht-wuͤrdiges Geheimniß verborgen u. zu liegen ſcheint,
Denn,
[313]Misbrauch des Worts Natur.
Denn, kann man gleich von Koͤrpern nicht auf eines Geiſtes
Zeugung ſchlieſſen:

So ſcheint doch aus der Schoͤpfung ſelber, der Menſch ſey
Gottes Bild, zu flieſſen.

Wie dieſe nun, um ſich zu zeugen, nothwendig zweyerley Geſchlecht,

Nach Gottes Ordnung, brauchen muͤſſen: So deucht es ihnen
gleichfalls recht,

Den Wirkenden aus den Gewirkten am ſicherſten ſich vorzuſtellen,

Und wuͤrde dieß, nach ihrer Meynung, ja noch viel deutlicher
erhellen.

Wann ſie der Chriſten Redensarten von der Natur noch ſoll-
ten hoͤren:

Sie muͤßten die Natur noch mehr, gereizt durch ihr Exempel,
ehren.

(B.)
So weit geht meine Meynung nicht. Nur iſt mir dieſes
aͤrgerlich,

Daß, da wir ſonſt auf Gottes Werken nur gar zu ſelten un-
ſer Denken,

Und in demſelben die Betrachtung noch minder auf den Mei-
ſter lenken,

Man, wenn es einmal noch geſchicht, durchs Wort Natur ſo
eilend ſich

Vom Schoͤpfer unbedachtſam zieht; und wenn man einmal
noch geruͤhret,

Von Gottes wunderbaren Werken, und ihre Pracht gezwungen
ſpuͤret,

Man meynt, genug gethan zu haben, wenn man mit kurzen
Worten nur,

(Vom Schoͤpfer nicht) wenns hoch koͤmmt, ſpricht: Wie

wunderbar iſt die Natur!

U 5Die
[314]Die ſchlimmſte Abgoͤtterey.

Die ſchlimmſte Abgoͤtterey.


Wir haben bis daher gezeiget, wie leibliche Abgoͤtterey,

Jm Bildniß eines alten Mannes, der Gottheit unan-
ſtaͤndig ſey.

Nun wird es ja ſo noͤthig ſeyn, ein wenig weiter noch zu gehn,

Und, wie die geiſtliche nicht minder unleidlich, gleichfalls an-
zuſehn.

Weil ja ſo wenig, als die Form, die unvollkommnen Leidenſchaften,

Affecten, Aenderung und Triebe der Menſchheit, an der Gott-
heit haften.

Es iſt und bleibt unſtreitig wahr, daß Zorn und Eifer, Grimm
und Rache,

So gar bey Menſchen, Laſter ſeyn. Wenn man bey uns den
Zorn beſchreibt:

So heißts: Er ſey ein kurzes Raſen. Wie, daß man
denn ſolch eine Sache,

Die ſtraͤflich an ſich ſelber iſt, von der vollkommnen Gottheit
glaͤubt.

Wenn dort die Heiden Jupitern den fleiſchlichen Affect der
Liebe

So frech, als thoͤricht, zugeeignet; ſcheint es uns laͤch-und laͤ-
ſterlich,

Und zwar mit großem Fug und Recht. Nun aber uͤberleg,
und ſprich:

Sind denn von Eifer, Zorn, und Grimm, und Rache die ſo
heftgen Triebe

Nicht ja ſo ſchlimm, ja noch wohl gar von ſchlimmerer Be-
ſchaffenheit?

Du ſprichſt: Was bey uns Menſchen Zorn, das heißt in Gott
Gerechtigkeit.
Hie-
[315]Die ſchlimmſte Abgoͤtterey.
Hiewider hab ich nichts. Der Schoͤpfer iſt, ſonder Wider-
ſpruch, gerecht.

Doch, zwiſchen zornig und gerecht, iſt ja ein großer Unterſcheid.

Wer leidet Zorn an einem Richter, nur bey dem menſchlichen
Geſchlecht?

Du magſt mir ſagen, was du willt: (Hoͤr ich dich hier voll
Eifer ſprechen)

Jch bleibe bey der heilgen Schrift. Dieſelbe ſpricht von Zorn
und Raͤchen,

Jn Gott, ſo deutlich, und ſo oft, daß ich es nicht begreifen kann,

Wie du, ſo frech, dich unterſteheſt, dieß zu verneinen, und hieran

Nur im Geringſten noch zu zweifeln. Allein, verdamme mich
nicht eh,

Und uͤbereile dich nur nicht, bevor du mich hierauf gehoͤrt.

Jch bin gewiß, daß, wie du glaubeſt, ich mich hierinnen nicht
vergeh.

Es iſt und bleibt unſtreitig wahr: Es wird die heilge
Schrift erklaͤrt,

Ju allen Stellen, wo wir finden, daß Gott nach Menſchen Art
geſprochen.

Wenn wir an vielen Orten leſen: Gott hab ein Auge, Fuß
und Hand:

So wird ja die Figuͤrlichkeit von ſolchen Stellen leicht erkannt.

Demſelben tritt noch ferner bey,

Daß ja die Art der Morgenlaͤnder zu lehren, meiſt figuͤrlich ſey.

Da man nun ſo die meiſten Stellen, wie billig, anders nicht er-
klaͤrt;

Wie, daß man denn, in dieſem Punkt, nicht auf dieſelbig’ Art
verfaͤhrt?

Wenn
[316]Die ſchlimmſte Abgoͤtterey.
Wenn wir noch uͤberdem erwegen, der Juͤden ſo verſtocktes
Weſen,

Und ihres Herzens Haͤrtigkeit. Was Moſes fuͤr ein’ Art er-
leſen,

Sie zu bedrohn, und ſie zu ſegnen, als wovon beyde Theil
allein,

(Jndem er nichts vom Kuͤnftgen ſaget,) aufs Jrdiſche gerich-
tet ſeyn.

Er ſegnet bloß mit irdſchem Heil, er drohet bloß mit irdſchen
Noͤthen:

So ſcheim um deſto noͤthiger zu ſchlieſſen, daß auch die Pro-
pheten,

Und andre heilge Maͤnner auch, wenn ſie der Gottheit Bild
beſchreiben,

Sie, ihrer boͤſen Hoͤrer halber, auch bey derſelben Weiſe
bleiben,

Und ihn, als einen grimmigen, erzuͤrnten Herrſcher ihnen
zeigen,

Um, durch die Furcht der nahen Straf, ihr Herz um deſto eh
zu beugen.

Denn, daß dieß nicht vom wahren Weſen der wahren Gott-
heit zu verſtehn;

Als dem ſolch kleines Bild zu klein, da er ein Geiſt; kann je-
der ſehn.

Gebrauchten wir nur die Vernunft: So wuͤrd uns Sonnen-klar
entdecket,

Daß alle leibliche Gedanken, und was nur nach der Menſch-
heit ſchmecket,

Der Gottheit unanſtaͤndig ſey; ja, daß der, welcher ſo gedacht,

Entweder uns zu einem Gott: Wie? oder Gott zum Menſchen
macht:
So
[317]Die ſchlimmſte Abgoͤtterey.
So beydes Gotteslaͤſterlich. Sprich nicht: Jndem die
Bibel ſpricht:

Gott ſchuf dem Menſchen, ihm zum Bilde; ſo waͤr
es auch der Menſchen Pflicht,

Von Gott was menſchlichs zu gedenken. Denn hoͤr:
Wenn du den Ort erwegeſt,

Und Moſis Worte mit Bedacht, ohn Vorurtheil, recht uͤber-
legeſt:

So wirſt du uͤberzeuglich finden, daß ſie unmoͤglich ei-
gentlich

Von uns verſtanden werden koͤnnen. Denn erſtlich hat ja
Gott kein Bild.

Dieß wirſt du wohl nicht leugnen duͤrfen. Der die Unend-
lichkeit erfuͤllt,

Kann keine Bildungs-Graͤnzen haben; dieß zeigt die Schrift
an tauſend Orten,

Es zeigt uns Gott und die Vernunft. Allein, es ſteckt in
dieſen Worten,

Wirfſt du vielleicht mir ferner ein, doch wenigſtens ſo
viel, daß man

Doch etwas Goͤttliches in uns mit Fuge folgern
muß und kann:

So will ich dieß zwar nicht verneinen. Doch geht dieß Gleich-
niß weiter nicht,

Als wenn die Schrift, an vielen Stellen, mit faſt denſelben
Worten ſpricht:
Es habe Gott der Obrigkeit ſein Bild auf Erden
angehangen.

Die Richter waͤren alle Goͤrter. Kann nun ein Rich-
ter wohl verlangen,

Er habe von der Gottheit Weſen ein weſentliches Theil em-
pfangen;
Und
[318]Die ſchlimmſte Abgoͤtterey.
Und wuͤßt er aus ſich ſelber nun, was Gott nicht, oder was
er ſey?

Dieß hieltſt du ſelbſt fuͤr laͤcherlich; und beydes iſt doch ei-
nerley.

Es iſt und bleibt unſtreitig wahr: Gott hat uns aller-
dings hienieden

Mit Weisheit und Vernunft begabt, von allen Thieren un-
terſchieden,

Und uns zu ſeinem Lob erwaͤhlt. Allein es bleibt auch dieß
dabey:

Wer ſich mit Gott, und Gott mit ſich, vergleicht, begeht Ab-
goͤtterey.

Hingegen wird, voll Lieb und Andacht, der tiefgebognen De-
muth Lallen:
Du, Gott, biſt alles, ich bin nichts; Dir, Gott, ver-
hoffentlich gefallen.


Auf
[319]Auf den Tod Fabricii.

Auf den Tod
des ſeligen Herrn Fabricii.


Bey Teutſchlands allgemeinem Gram, worin es ſich kaum
weis zu faſſen,

Weil ſein Fabricius erbleichet, werd ich durch dieſen Troſt
geruͤhrt:

Daß Gott, in ihm, die wahre Tugend der Welt,

wo Laſter ſonſt regiert,
Zu ihrer Beſſerung gezeigt, und acht und ſechzig
Jahr gelaſſen.


Eine zu
Altenbruch gegoßne Glocke.

Auf Erſuchen des dortigen Kirchſpiels.


So oft, in meinem weiten Munde, die harte Zunge ſchallt
und klingt,

Laßt euer Herz vom Erzt erweichen, und denkt an der Poſaunen
Schall,

Der, bey dem letzten Donnerknall,

Euch vor des Hoͤchſten Thron zu ruffen, auch durch

die tiefen Graͤber dringt.

Es ließ das Kirchſpiel Altenbruch in eine neue Form mich
flieſſen,

Und, ſiebzehn hundert ſechs und dreyßig, zum Werkzeug eurer
Andacht, gießen.


Gute
[320]Anwendung unſrer Zeit.

Gute Anwendung
unſrer kurzen Zeit.


Jch war ein Nichts von aller Ewigkeit,

Und werde wenigſtens auf dieſer Erden

Ein Nichts aufs neue wieder werden.

Ach Herr! ſo laß mich doch die kurze Zeit,

Die du mir, bloß aus Gnad, hienieden,

Zu leben, und zu ſeyn, beſchieden,

Zu deinem Ruhm und Preis zu leben,

Jn deiner weiſen Macht Betrachtung, mich beſtreben!


Ver-
[321]Vergleichung.

Vergleichung.


Jndem ich hier vergnuͤgt, auf einer Bruͤcke, ſtehe,

Und durch die klare Fluth,

Worauf der Sonnen helle Gluht,

Jm Wiederſchein, mit guͤldnen Stralen, ſchwam,

(Wodurch ſie die Geſtalt des Himmels an ſich nahm,)

Derſelben bunten Grund beſehe:

Koͤmmt der von mir entdeckte Grund,

Auf dem ich Tiefen, Hoͤhn, Gewaͤchſe, Stein und Sand,

Wie ſonſten auf der Erden, fand,

Mir anders nicht, als unſrer Erden Rund,

Das Waſſer, als der Luftkreis, fuͤr.

Jch uͤberlegete bey mir,

Ob es nicht etwan glaublich waͤr,

An ſtatt den großen Raum der obern Luft ſich leer,

Von Creaturen, vorzuſtellen,

Daß, uͤber unſrer Luͤfte Kreis,

Geſchoͤpfe koͤnnten ſeyn, die, zu des Schoͤpfers Preis,

Auf eine andre Weiſe lebten,

Nicht gingen, ſo wie wir, nicht ſchwuͤmmen, auch nicht ſchwebten,

Und die von ſolchen Hoͤhn, auch durch der Luͤfte Fluth,

(Worauf vielleicht auch dort, im Wiederſchein, die Gluht,

Von einem reinern Himmel, ruht,)

Den Blick auf unſre Welt zu lenken,

Und ihn auf uns herab zu ſenken,

Beſchaͤfftigt und geſchickt. Jch ſtellte mir,

Bey den Gedanken, fuͤr:

Ob unſer hieſiges Gewuͤhl und Laͤrmen

Nicht ihnen ſo, wie hier der Fiſche reges Schwaͤrmen

Uns ſcheinet, etwan ſcheinen moͤchte;
Br.VI.Th. XUnd
[322]Vergleichung.
Und dachte, was doch ſolch Geſchlechte

Wohl von der Menſchen Thun gedaͤchte?

Gewiß das irdiſche Getuͤmmel,

Ob es die Menſchen gleich nicht meynen,

Koͤnnt ihnen faſt nicht anders ſcheinen,

Als uns der Fiſche Thun, und ſchwaͤrmendes Gewimmel.

Wir werden, durch das Netz der Leidenſchaft, beſtricket,

So wie der Hamen ſie beruͤcket.

Wie Menſchen ſich einander plagen,

So ſehn wir ſie einander jagen.

Wann große Fiſche kleine freſſen,

Wird dieſes auch bey Menſchen nicht vergeſſen.

Ja, wenn ich an das hoͤlliſche Geſchenke,

Carthannen, Moͤrſer, Bley, Cartaͤtſchen und Granaten,

Und neben moͤrdriſchen verwegnen Heldenthaten,

Noch erſt an foͤrmliche Bataillen denke:

Entſteht bey mir, zumalen bey den Schlachten,

Die Frag: Ob ſie, wofern ſie uns nicht duͤmmer,

Doch wilder, moͤrdriſcher und ſchlimmer,

Als wie die Fiſche, wuͤrden achten?


Thoͤ-
[323]Thoͤrichter Hochmuth.

Thoͤrichter Hochmuth.


Wenn ich aufs Ufer-loſe Meer, und ſeiner Fluthen Laſt
gedenke;

Wenn ich mich in die hohle Tiefe der ausgeſpannten Luſt
verſenke;

Ja, wenn ich aller Sternen Heer, ins unumſchraͤnkten Him-
mels Hoͤh,

Erſtaunet ſchau, und denn zugleich auf mich und meine Klein-
heit ſeh:

Erſchreck ich, und begreife nicht, wie ein ſo kleines Weſen ſich,

Da es ſich kaum des Nichts erwehrt, ſo thoͤricht als ver-
meſſentlich,

Den Schoͤpfer aller Welt zu faſſen, und zu beſchreiben, un-
terſteh.


X 2Die
[324]Die Welt ein goͤttlicher Lehrer.

Die Welt,
ein goͤttlicher Lehrer.


Stral der unſichtbaren Sonne! Weltkreis, der noch mehr,
als ſich

Unſern Augen, unſerm Geiſt,

Jn der Schoͤnheit, Pracht und Ordnung, die verborgne Gott-
heit weiſt!

Man kann durch dich bloß allein, und wahrhaftig, ohne dich,

Keinen Gott verſtehn und finden!

Weſen! worin unſre Seelen, durch die Sinnen, ihn empfinden,

Worin wir, durch hoͤren, riechen, fuͤhlen, auch durch ſehn und
ſchmecken,

Eine Weisheit, Liebe, Macht, ſo die Gottheit ſelbſt, entdecken,

Und worin, wenn wir mit Freuden nnd Bewundrung dich
beſehn,

Als ein wuͤrdig Werk des Schoͤpfers, wir den Schoͤpfer ſelbſt
erhoͤhn.

Aller Himmel Himmel Heere, alle Welt hat Gott gemacht,

Wie er wollt, daß ſie entſtuͤnden. Es entdecket ihre Pracht

Seinen uͤberall verborgnen, uͤberall vorhandnen Schein.

Laß doch deine Seele dann, liebſter Menſch, nicht Sinn-los ſeyn!

Weil, wenn du die Creatur, und die ſchoͤne Welt nicht ſpuͤreſt,

Du, nicht deine Luſt allein, dich, ja ſelber Gott, verliereſt.


Kur-
[325]Gebeth-und Lob-Formular.

Kurzes
Gebeth-und Lob-Formular.


Ach laß mein Lob, voll froher Ehrfurcht, und mein Ge-
beth, von Zweifel rein,

Unendlichs Weſen aller Weſen, aus Gnaden, dir gefaͤllig ſeyn!

Mein Lob iſt: Wunderbarer Schoͤpfer, nur dir

ſey Preis und Ehr allein.

Mein zuverſichtliches Gebeth: O ewge Lieb! erbarm

dich mein.


Eigentlicher Zuſtand auf Erden.


Sich unſern Erdkreis vorzuſtellen,

Als wie ein Vorgemach der Hoͤllen,

Und wenigſtens, als einen Kerker, den lauter Miſſethaͤter fuͤllen,

So alle ſchmerzlich abzuthun; ſind ſchwarze ſchwaͤrmeriſche
Grillen.

Von unſerm Kreis der Erden wollen,

Daß wir uns ſtets ergetzen ſollen,

Und, als in der Eliſer Auen, in ungeſtoͤrter Wolluſt ſchweben,

Von aller Widrigkeit befreyt, in Ruh und ſteten Freuden, leben,

Sind Grillen, die ein Sybarith und ein Sardanapal ſich macht.

Gedenken, daß der Erdenkreis, zuſammt den Menſchen und
den Thieren,

Sich, nach des weiſen Schoͤpfers Willen, beſtaͤndig in der Ord-
nung fuͤhren,

Und das ſeyn, was ſie ſollen ſeyn, iſt, wie man denken ſoll, gedacht.


X 3Diſpu-
[326]Diſputir-Kunſt.

Diſputir-Kunſt.


Willt du ruhig und beliebt, uͤberall gelitten ſeyn:

Diſputir mit keinem Menſchen, er ſey vornehm oder klein.

Denn, du wirſt entweder ſiegen,

Oder aber unten liegen.

Letzters kann dir nicht gefallen; erſters thut dem andern weh,

Mehr, als einer Urſach halber. Sein Verſtand ſoll von der
Hoͤh,

Drauf er ſich geglaubt, herunter. Dieſes iſt ihm aͤrgerlich;

Und er thuts mit Widerwillen. Aber, daß zugleich er dich

Noch vernuͤnftiger, als ſich,

Halten und erkennen ſoll; ſind zween Schlaͤg in einer Wunden,

Die von ſeinem lieben Jch gar zu heftig ſind empfunden.

Und er wird, ohn allen Zweifel, dich, nebſt deiner Wahrheit,
haſſen.

Soll er aber, ſonder Haß, ſich von dir beſiegen laſſen:

Mußt du erſt ſein Herz gewinnen, und dazu beliebter Minen,

Sanfter Toͤne, ſuͤſſer Woͤrter, holden Ausdrucks dich bedienen.

Bey der Tonkunſt brauche ja eines freundlichen Geſichts,

Und bemuͤh dich, deine Schluͤſſe, wie mit Honig, zu verſuͤſſen.

Sonſten richteſt du bey allen mit den ſtaͤrkſten Schluͤſſen nichts;

Und dir wird aus deiner Klugheit nichts, als bittre Wermuth,
ſprieſſen.


Ein-
[327]Einzige Quelle des Vergnuͤgens.

Einzige
Quelle des Vergnuͤgens.


Die Welt iſt voller Luſt und Anmuth, fuͤr ein vergnuͤgt und
und froͤlichs Herz;

Fuͤr einen unzufriednen Sinn iſt ſie voll Unmuth, Laſt und
Schmerz.

Dieß iſt unwiderſprechlich wahr. Es ſind auf Erden alle Sachen

Durchaus nicht, was ſie ſind; ſie ſind das, wozu wir ſie ſelber
machen.

Darum ja wohl nichts noͤthigers, als daß wir uns mit Ernſt
bemuͤhn,

Den Geiſt von ſchwarzer Schwermuth ab-und ſeine Kraft
zur Luſt zu ziehn,

So viel uns immer moͤglich iſt. Ach! laßt es doch nicht aus
der Acht,

Weil dieß allein, was ſuͤß iſt, ſuͤſſer, das Bittre minder bitter macht.

Es hat ein jedes Ding zwo Seiten. Nachdem wir jedes
Ding nun drehn,

Jſt es verdrießlich und vergnuͤglich, iſt es veraͤchtlich oder ſchoͤn.

Der leichtſte Weg zu dieſem Gluͤck, ohn den kein Gluͤck ſonſt,
zu gelangen,

Jſt, mit Bedachtſamkeit zu achten auf alles, was wir Guts
empfangen;

Jſt, uns von Blindheit der Gewohnheit im Guten, eifrig zu
entfernen;

Jſt, beſſer, als bisher geſchehn, die Sinnen zu gebrauchen lernen,

Und nimmer ohne Denken, Sehn, Empfinden, Riechen, Hoͤren,
Schmecken,

Weil unſer Gluͤck und Gottes Ehr, allein durch Denken, zu ent-
decken.

X 4Be-
[328]Einzige Quelle des Vergnuͤgens.
Bedaͤchten wir, wie viel wir haben, und wie ſo wenig wir
verdienen:

Unmoͤglich koͤnnten wir ſo oft, ſo viel zu klagen, uns erkuͤhnen.

So aber kehren wir es um, und lenken unſre Kraft der Seelen

Von allem, was wir haben, ab, und bloß auf Dinge, die uns fehlen.

So lange wir alſo verfahren: Kann es unmoͤglich anders ſeyn,

(Und, traͤff auch alles, was wir wollen, nach unſerm eignen
Wuͤnſchen ein,)

Unmoͤglich kann man ſich vergnuͤgen. Denn, eben dadurch,
daß wirs kriegen,

Und denn nicht mehr daran gedenken, verſchwindet eben das
Vergnuͤgen.

Dadurch wird meiſtens nun die Welt ſo voller Gram und vol-
ler Leid,

Und nicht ſo ſehr durch ihr ſelbſtaͤndig’ u. eigene Beſchaffenheit.

Wofern nicht jemand die Geſundheit, und etwan Speiſ und
Kleider fehlen:

So thut er wirklich Unrecht, ſich den Ungluͤckſelgen zu zu zaͤhlen.

Wenn er nur in ſich gehen will, u. ſeiner Plagen Quell ergruͤnden:

Wird er ſie meiſt in ſeinem Herzen, und ſelten auſſer ſich befinden.

Erkenneſt du nicht uͤberzeuglich, wenn du nur ſelbſt willt in
dich gehn,

Daß mehrentheils bloß in der Meynung die Dinge dieſer Welt
beſtehn.

Willt du nun wirklich gluͤcklich ſeyn, und ſucheſt es nicht bloß
zu ſcheinen:

So fange bey dir ſelber an; lern anders, als bishero, meynen.

Vergiß hinfort nicht mehr ſo ſchaͤndlich des Guten, ſo dir
Gott beſchehrt,

So wird ein großer Theil verſchwinden, von dem, was dich bis-
her beſchwert.


Nutz
[329]Nutz der Demuth.

Nutz der Demuth.


Wer ſeines Geiſtes wildes Feuer und ſtolzen Muth nicht
daͤmpfen kann,

Der ſeh, von ſich und allen Menſchen, den Urſprung und den
Abſchied an.


Veraͤnderung des Menſchen
in Veraͤnderung ſeines Alters.


Ein Fleiſchnarr iſt ein junger Menſch, ein Narr vom
Ehrenwind allein,

Wenn er ein Mann; und wenn er alt, iſt er ein Ertznarr
insgemein.


X 5Eigen-
[330]Eigennuͤtziger Gottesdienſt.

Eigennuͤtziger Gottesdienſt.


Wenn du, im Gottesdienſt, dich bloß um deine Seligkeit
bemuͤheſt,

Und in des Schoͤpfers Wunderwerken auf ſeine weiſe Macht
nicht ſieheſt.

So ſeines Namens Ruhm befoͤrdert: So deucht mich, das
ich billig glaͤube,

Und daß ich unſrer beyden Meynung nicht unrecht thue, wenn
ich ſchreibe:

Du liebſt den Schoͤpfer deinetwegen. Jch meyn, ihn kind-
lich zu verehren,

Jn der Betrachtung ſeiner Werke. So koͤmmt es mir nicht
anders fuͤr.

Es ſcheint, du liebeſt dich in Gott; ich hoff, ich liebe Gott
in mir.


Definition der Tugend.


Sollt auch die Tugend anders was, wenn mans erweget,
als allein

Ein Regel-maͤßiger Gebrauch von unſern Leidenſchaften ſeyn?

It. Des Laſters.


Hingegen iſt das Laſter auch

Nichts, als von unſern Leidenſchaften ein unvernuͤnftiger Ge-
brauch.


Die
[331]Die Kunſt vernuͤnftig ſehen zu lernen.

Die Kunſt
vernuͤnftig ſehen zu lernen.


Nachdem ich nun, mit allen Kraͤften, die große Wahrheit
vorgetragen,

Daß wir des Schoͤpfers Creatur, wie ſie ſo herrlich und ſo
ſchoͤn,

So kuͤnſt-und wunderlich gebildet (um ſeine Weisheit zu er-
hoͤhn,)

Mit einem aufmerkſamen Blick, verpflichtet ſeyn, oft anzu-
ſehn:

So hoͤr ich viele meiner Leſer, hierauf vermuthlich dieſes ſagen:

Wir finden, daß es alles wahr, wir ſehen unſre Schul-
digkeit,

Wir ſind von der Geſchoͤpfe Pracht, von ihrer Vollenkom-
menheit,

Zum Ruhm des Schoͤpfers, uͤberzeuget. Wir haben oft auch
angefangen,

Auf ſie zu unſers Gottes Ehren, die Augen ernſthaft hinzu-
lenken,

Und, daß ſie wirklich ſchoͤn, vortrefflich, und ſehr betraͤchtlich,
zu bedenken:

Allein es iſt uns unſer’ Abſicht nur gar zu ſchlecht von ſtatten
gangen.

Wir ſachen Gras und Kraͤuter an, auch Feld und Wald: Allein
es ſchien

Uns alles meiſtens einerley. Gras, Kraut, und Feld und
Wald war gruͤn,

Die Erde braun, der Himmel blau. Daher wir bald zu Ende
waren,

Und
[332]Die Kunſt
Und kunnten wir, wie gern wir wollten, von aller Creaturen
Schaaren,

Uns doch nicht recht geruͤhret fuͤhlen. Hierauf erwiedr’ ich:
Jhr habt Recht.

Geliebte Leſer, euer Klagen iſt leider gar zu ſehr gegruͤndet,

Weil dieſe Unvermoͤgenheit beym ganzen menſchlichen Geſchlecht,

Durch boͤſ Exempel und Gewohnheit, ſich leider! eingewurzelt
findet,

So daß wir, auch mit offnen Augen, nicht ſehen, was wir ſehn;
nicht hoͤren,

Was wir unwiderſprechlich hoͤren. Woher? Dieweil wir
uns entfernt,

Von unſrer allererſten Pflicht. Wir haben nimmer ſehn ge-
lernt,

Auf eine Weiſe, die vernuͤnftig. Wir ſehn: Allein es ſieht ein
Vieh

So gut, als wir. Wo man den Geiſt, der unſern Koͤrpern ein-
geſenket,

Und welchen uns, vor andern Thieren, der Schoͤpfer uns vor-
aus geſchenket,

Nicht mit der Sinnen Kraft verbindet, und wenn man ſieht,
dabey gedenket:

So ſieht und hoͤrt der kluͤgſte Menſch wahrhaftig anders nicht,
wie ſie.

Um zu der Schule des Geſichts, auf eine Weiſe, nun zu kom-
men,

Die noͤthig iſt, und doch nicht ſchwer, hab ich mir jetzo vor-
genommen,

Euch einen neuen Weg zu weiſen. Da alle Werke der Natur,

Und alle goͤttliche Geſchoͤpfe, nur bloß in Farben und Figur,

Wenn man es recht erwegt, beſtehn: So will ich eine Kunſt
euch zeigen,

Der
[333]vernuͤnftig ſehen zu lernen.
Der dieſe Vorwuͤrf alle beyde, ſo wohl Figur als Farben,
eigen,

Und die daher, auf welche Weiſe man Gott in ſeinen Werken
ehrt,

Wenn man ſie mit Vernunft gebraucht, zumal vernuͤnftig ſe-
hen, lehrt.

Dieß iſt die edle Malerey. Das Zeichnen lehrt auf For-
men achten,

Die kluge Miſchung bunter Farben, die Farben ernſtlicher
betrachten,

Als wie man ſonſt zu thun gewohnt. Es iſt die ganze weite
Welt,

Es ſind Luft, Waſſer, Berge, Baͤume, bebluͤmte Gaͤrten,
Wald und Feld,

Ein Vorwurf dieſer großen Kunſt. Sie leitet, ſie regiert und
lenket

Die Seele, daß ſie allgemach die ſonſt in ihr verborgnen Kraͤfte,

Zu dem ſo noͤthig-nuͤtzlichem und Gott gefaͤlligem Geſchaͤffte,

Recht anzuwenden ſich bemuͤht, und daß ſie, bey dem Sehn,
auch denket.

Ob nun vielleicht die Maler ſelbſt nicht auf den rechten
Weg gekommen,

Noch ſelber den ſo edlen Zweck von ihrer Kunſt in Acht ge-
nommen,

Der ſie zu Gott dem Schoͤpfer fuͤhret: So hindert dennoch
dieſes nicht,

Die große Wahrheit zu erkennen, und zu bekennen, daß das
Licht,

So uns die Malerey entdecket, uns zu den Vollenkommen-
heiten

Der ganzen Schoͤpfung, und dadurch zum Ruhm des Schoͤp-
fers, uns zu leiten,

Am
[334]Die Kunſt vernuͤnftig ſehen zu lernen.
Am allermeiſten faͤhig ſey. Zwar deucht mich, wendeſt du
hier ein:

Dieß, was du zeigeſt, iſt nicht leicht. Es iſt ja dieſe Kunſt ſo
ſchwer,

Daß, unter tauſenden, kaum einer, es ſey denn recht von un-
gefaͤhr,

Ein Mieris oder auch ein Denner zu werden, je geſchickt
wird ſeyn.

So ſag ich: Dieſes braucht es nicht. Du darfſt dich nur al-
lein gewoͤhnen,

Von Koͤrpern etwas nachzuzeichnen, auch Farben dann und wann
zu miſchen,

So wirſt du, nicht allein durchs Aug, auch ſelber deinen Geiſt
erfriſchen;

Du wirſt, durch dieſe Faͤhigkeit, auch einen Weg zugleich dir
baͤhnen,

Die Welt, und Gott in ihr, zu ſehn. Waͤr es nun gar mit
dir zu ſpat,

Nach deiner Meynung: Geb ich dir dennoch noch dieſen guten
Rath:

Beſorge, wenn du Kinder haſt, daß ſie, durch dieſe Kunſt, bey-
zeiten,

Sich, zur Verehrung ihres Schoͤpfers, und ihrem eignen Gluͤck,
bereiten.

So wird, fuͤr goͤttlicher Geſchoͤpfe, die grobe Blindheit von
der Erden,

Zu Gottes Ehr und unſerm Beſten, auch allgemach vertrie-
ben werden.


Stil-
[335]Stille im Sturm.

Stille im Sturm.


Man hoͤrte von weiten ein Rauſchen, ein Bruͤllen,

Ein fuͤrchterlich Sauſen den Luftkreis erfuͤllen.

Dieß naͤhert ſich ploͤtzlich. Ein wuͤtender Grimm

Ergriff, was erhoͤhet, riß alles heruͤm,

Stuͤrzt alles zu Boden, was feſt und erhaben,

Droht alles in Truͤmmer und Schutt zu begraben.

„Wie, wenn im Glaſe man, mit Eßig, Kreyde miſcht,

„Man mit Erſtaunen ſieht, wie alles brauſt und ziſcht,

„Wie alle Theile ſich bald auf-bald abwerts treiben,

„Sich ſtoßen, draͤngen, fliehn, beſtuͤrmen, preſſen, reiben,

„Bald ſinken, bald aufs neu ſich aͤmſig aufwerts heben,

„Stets eilen, nimmer ruhn, bald hoch, bald niedrig ſchweben,

„Jn allgemeinem Krieg ſich alle widerſtreben,

„Jn reger Fluͤchtigkeit an allen Orten ſchwaͤrmen,

„Und wuͤtend mit einander laͤrmen:

So kaͤmpften die Luft-Theil und ſtritten; es ſtrebte

Ein jeglichs, das andre zu ſchwaͤchen. Oft ließ,

Als wenn mit dem Suͤdwind der Nordwind ſich ſtieß,

Daß alles erſchuͤtterte, zitterte, bebte.

Jn dieſer fuͤrchterlichen Zeit,

Da ſelbſt die Elementen ſtritten,

Saß Licidas in ſeiner Huͤtten,

Beſchuͤtzt von ſeiner Niedrigkeit,

Und dankte Gott fuͤr ſeine Sicherheit.


Die
[336]Die Liebe.

Die Quadratura circuli.


Die Quadraturam Circuli, das wahre Viereck in dem
Runden,

Hat Phryx, der ſich bisher umſonſt, es zu erfinden, unter-
wunden,

Jn unſrer Mutter rundem Schooß, in ſeines Grabes Viereck,
funden.


Die Liebe.


Dein bitteres Honigſeim, ſchmeichlende Liebe,

Wirkt liebliche Plagen, wirkt kraͤnkenden Scherz,

Ergetzenden Kummer, erquickenden Schmerz,

Und fuͤllet mit Nectar und Wermuth ein Herz,

Das deine vergnuͤglich-verſehrende Triebe,

Mit Unmuth und Anmuth gemiſchet, genoſſen.

Dein loderndes Frieren, dein kuͤhlender Brand,

Aus welchem der Sterblichen Weſen entſproſſen,

Macht unſre Beſchaffenheit, Weſen und Stand,

Voll ſtetigen Widerſpruch, deutlich bekannt.


Metall.
[337]Metall.

Metall.


Der Pflanzen und der Thiere Reich ſcheint unſerm
Geiſt, in dieſem Leben,

Sie, Gott zum Ruhm, mit Luſt zu brauchen, zum wuͤrdgen Ge-
genſtand gegeben.

Wir aber waͤhlen uns, zum Vorwurf, von andern Creaturen allen,

Zur Luſt, zur Abſicht, faſt zur Gottheit, das Reich der ſchmu-
tzigen Metallen.

Anſtatt uns an den ſchoͤnen Farben, und ſchoͤnen Formen, in
den Schaͤtzen,

Die uns die beyden Reiche ſchenken, zuſamt dem Licht, uns zu
ergetzen:

Graͤbt man den ungeformten Goͤtzen, um gleichſam irdiſcher
zu werden,

Aus dem verborgnen Abgrunds-Grund, und aus dem finſtern
Schooß der Erden;

Bemuͤht ſich, weil dem groben Klumpen die alles zierende
Natur

So Farben, als Figur, verſagt, mit Muͤh ihm einige Figur,

Jm Muͤnzen, durch die Kunſt, zu geben. Nun iſt es wahr:
Weil jedermann,

Durch Meynungen, die allgemein, faſt alles, was man hoͤrt
und ſiehet,

Fuͤr das an ſich verworfne Weſen von andern ſich verſchaffen
kann,

Daß auch darin ein Segen ſteckt; einfolglich, wenn man ſich
bemuͤhet,

Es zu erhalten, zu erſparen, man gar daran nicht unrecht thut:

Doch muß ein Gut, das nur durch Zufall, und nicht an ſich
ein wirklich Gut,

Br.VI.Th. YMit
[338]Der Menſch.
Mit Unterlaſſung aller Pflichten, mit der Verachtung aller
Pracht,

Die Gott zu unſerm Nutz und Freuden, und ſeines Namens
Ruhm gemacht,

Mit ſolcher Sucht, die uns fuͤr alles verblendet, und zwar
faſt allein,

Uns ſelbſt zum wahren Unvergnuͤgen, ſo heftig nicht geſuchet
ſeyn.


Der Menſch.


Es laͤßt ſich, von der Menſchen Weſen, der Widerſpruch hier-
in vereinen:

Wir ſind wahrhaftig nicht ſo gut, und nicht ſo

boͤs, als wie wir ſcheinen.


Thor-
[339]Thorheit des Hochmuths.

Thorheit des Hochmuths.


Ein Weſen, das zu ſeinem Weſen und ſeinem Urſprung
nichts gethan,

Dem alles, was es hat, geſchenkt, ja dem es wirklich nur ge-
liehen,

Dem alles, keiner weis, wie bald, gewiß ſich wieder wird ent-
ziehen,

Erhebet ſich in ſeinem Sinn, und ſieht ſich, als was Hohes, an;

Will bald mit Schoͤnheit, bald mit Guͤtern, und bald mit an-
dern Gaben prangen,

Die es doch ſelber Gaben nennt. Heißt dieſes wohl mit Recht
Verſtand?

Ach wuͤrde doch die große Wahrheit von dieſer heilgen Frag
erkannt:
Was ruͤhmeſt du dich des Empfangnen, als haͤt-
teſt du es nicht empfangen?

So wuͤrde zu des Schoͤpfers Ehr, und unſerm Beſten, auf der
Erden,

Bald aller Hochmuth laͤcherlich, die Demuth nur geehret
werden.

O Gott! bey allen deinen Gaben, die du uns wuͤrdigſt, uns zu
ſchenken,

Verleih uns dieſe doch dazu, daß wir bey jeglicher gedenken:

Daß wir ſie haben und genieſſen, doch auch abſonderlich dabey,

Daß ſie von deiner Huld allein aus Gnaden uns geſchenket ſey.


Y 2Der
[340]Der Menſch,

Der Menſch,
ein Schmidt ſeines eigenen Ungluͤckes.


Wenn wir nicht ſelber Menſchen waͤren,

Und ſollten wo von einem Weſen, das denken
koͤnnte, reden hoͤren,

Das heißt, ſich ſelbſt Gedanken zeugen; wie gluͤcklich wuͤrd
ein ſolches Weſen

Von uns nicht angeſehen ſeyn! Zu ſeinem eignen Heil und Gluͤck

Hat jeder, (daͤchten wir,) den Schluͤſſel; er wird in jedem Au-
genblick

Zu ſeinem eigenen Vergnuͤgen, ſich frohe Vorwuͤrf ſelbſt erleſen,

Und durch ein ſtets auf ſeiner Luſt nur bloß allein gerichtet
Denken,

Jn immer froͤlichen Gedanken, ſich ſelber neue Freude ſchenken.

Allein, wie gehet es denn zu, daß wir, die wir ja denken koͤnnen,

Und zwar mit einem freyen Willen, uns ſelbſt ſo wenig Gu-
tes goͤnnen?

Wir brauchen dieß ſo große Gut, das beſte Theil von unſrer
Seelen,

Ja faſt zu nichts, als uns dadurch faſt unaufhoͤrlich ſelbſt zu
quaͤlen.

Der Schoͤpfer ſchenkt uns, in fuͤnf Sinnen, fuͤnf immer-
aufgeſperrte Thuͤren,

Durch welche Millionen Vorwuͤrf in unſern Geiſt ſich ſelber

Es ſteht bey uns, von ihnen allen, (fuͤhren.

Diejenigen, die uns gefallen,

Es ſey an geiſtigen Jdeen, es ſey an leiblichen Geſtalten,

Durch ein auf ſie gerichtet Denken, uns zuzueignen, zu erhalten.

Wir koͤnnen, wenn wir ſelber wollen, durch eigne Kraͤfte unſrer
Seelen,

Jdeen,
[341]ein Schmidt ſeines Ungluͤcks.
Jdeen, die uns widrig ſind, vertreiben, angenehme waͤhlen.

Wie koͤmmt es, daß wir dieſer Kraft, die wir wahrhaftig in
uns hegen,

Nicht, als uns ſelbſt zu plagen, brauchen? vergnuͤgte ſchnell
verfliegen laſſen,

Und die, ſo uns mit Bitterkeit und Gram erfuͤllen, fertig faſſen,

Beſtaͤndig uns mit ihnen ſchleppen u. plagen, ja mit allen Kraͤften

Die regen Kinder unſrer Seelen an widerwaͤrtge Vorwuͤrf heften?

Sprich nicht: Es ſtehet dieſes ja, zu aͤndern, nicht in un-
ſrer Macht.

Wer kann doch die Gedanken zwingen? Denn, wo die Men-
ſchen dieß nicht koͤnnen:

So koͤnnen ſie nicht ſuͤndigen; und was ſie freyen Willen nennen,

Faͤllt alles weg; wofern ſie nicht dasjenige, ſo ſie gedacht,

Durch Denken ſelbſt zu aͤndern faͤhig, und dieß Vermoͤgen nicht
in ihnen.

Daß aber es ſo leicht nicht iſt, kann zur Entſchuldigung
nicht dienen,

Weil wir viel Dinge lernen muͤſſen, nur bloß ums Brodt, die
ſchwerer ſeyn.

Liegt alles menſchliche Vergnuͤgen denn in dem Denken bloß
allein,

Wie es wahrhaftig bloß nur liegt: So laßt uns doch, zu Got-
tes Ehren,

Und uns zum Beſten, kuͤnftighin von unſerm Unſinn uns ent-
fernen,

Und beym vernuͤnftigen Empfinden, beym Riechen, Schme-
cken, Sehn und Hoͤren,

Aufs Gute laͤnger, als vorhin, doch die Gedanken heften lernen;

Jedoch dabey, daß Gott das Wollen und das Vollbringen geb,
ermeſſen,

Und darum, ihn um ſeiner Gnad oft anzuflehen, nicht vergeſſen.

Y 3Die
[342]Die Wahrheit.

Die Wahrheit.


Dein groß-zugleich auch kleiner Geiſt, dein unverſtaͤndiger
Verſtand,

O Menſch! womit du ſehr gerecht, (zugleich Partey und
Richter) richteſt,

Und mehrentheils zu deinem Vortheil, die allermeiſten Din-
ge ſchlichteſt,

Spricht kuͤhn: So wie mir alles faſt, ſo iſt auch dieſes mir
bekannt,

Daß alle Wahrheit einzig iſt. Allein, wie du in vie-
len Sachen

Dich uͤbereilſt: So gehts auch hier.

Jſt es nicht wahr, daß drey und vier,

Jmgleichen ſechs und eins ſowohl, als zwey und fuͤnfe, ſieben
machen?


Die
[343]Die Wallfiſche

Die Wallfiſche.


Mein geiſtigs Auge ſieht aufs neu, mit einem geiſtigen

Vergnuͤgen,

Jn der beweglich-tiefen Fluthen faſt Graͤnz- und Boden-loſen
Gruſt,

Ein nicht zu zaͤhlend Heer von Fiſchen, recht, wie die Voͤgel in
der Luft,

Jn einer ſtetigen Bewegung, ſo ſehr nicht ſchwimmen, als faſt
fliegen,

Und uͤberall ſich hinbegeben. Abſonderlich nimmt abermal

Der ungeheuren Waſſer-Wunder ſo ungeheure Groͤß und Zahl,

Wenn ich mich, mit erſtauntem Geiſt, zu ihnen in die Tiefe

ſenke,

Jn ihnen, Berge, welche leben, und Jnſeln, die beſeelt, be-

denke,

Mich, als ein wuͤrdger Vorwurf, ein. Sie fuͤhren den er-

ſtaunten Sinn,

Durch ihre Groͤß und rege Laſt, von neuen zu dem Schoͤp-

fer hin,

Jndem ich, auch ſo gar in Koͤrpern ſo ungeheurer Creaturen,

Von einem Weſen, welches wollte,

Daß ihnen, da es ſie gemacht, auf ihre Weiſe wohl ſeyn ſollte,

Faſt unleugbare Proben ſind und uͤberzeuglich klare Spuren.

Mich deucht, ich hoͤr ein dunkles Toͤnen, aus ihren holen

Schluͤnden, brechen,

Und bald im Schwimmen, bald in Ruh, die Wallfiſch alle

gleichſam ſprechen:

Y 4Wir
[344]Die Wallfiſche.
„Wir fuͤhlen Luſt, wenn wir uns naͤhren,

„Nicht minder, wenn wir uns vermehren;

„Wenn wir uns in den Tiefen kuͤhlen;

„Wenn wir auf fettem Grunde wuͤhlen;

„Wenn wir der Liebe Flammen fuͤhlen,

„Und ſchwaͤrmend durch einander ſpielen.

„Und dieſe Luſt, im tiefen Meere,

„Gereicht dem, der uns ſchuf, zur Ehre.

Sprich nicht, mein Leſer: Dieß ſind Grillen,

Die deinen Kopf und nicht den Kopf des Wallfiſchs fuͤllen:

Du dichteſt, denn der Wallfiſch ſpricht

Von ſeines Schoͤpfers Wundern nicht.

Sprich, ſag ich, nicht alſo. Jch koͤnnte dir erweiſen,

Daß ſie nicht minder Gott, als viele Menſchen, preiſen.

Denn minder, als wir es von vielen Menſchen ſehn,

Kann es, im tiefen Meer, vom Wallfiſch, nicht geſchehn.


Heil-
[345]Heilſames Mittel fuͤr Schiffende.

Heilſames Mittel
fuͤr Schiffende.


Es ward ein ungemeiner Brief, mir juͤngſt von unbekann-

ter Hand,

Ohn Unterſchrift, ohn Ort und Namen, und ſonder Datum,

zugeſandt,

Worin ein ſonderlich Geheimniß, zum Nutz dem menſchli-

chen Geſchlechte,

Mir edelmuͤthig mitgetheilet, dabey verlangt ward, daß

ich es,

Zu Gottes Ehr, in meinen Schriften, als etwas recht be-

ſonderes,

Der Welt, zumal den Schiffenden, zum Beſten offenbaren

moͤchte.

Jch muß geſtehn, daß durch den Styl, den Jnhalt, durch

den Zweck, die Art

Des Briefes ich recht eingenommen, und in der That geruͤh-

ret ward.

Die Unabſichtlichkeit des Schreibers, ſein Endzweck, daß er

bloß allein,

Zu Gottes Ruhm, dem Naͤchſten dienen, und nutzen moͤchte,

nahm mich ein.

Jch halte mich demnach verpflichtet, ſo viel mir moͤglich, ſei-

nen Willen,

Jn guter Abſicht, Gott zum Ruhm, zum Nutz der Menſchen,

zu erfuͤllen.

Jch
[346]Heilſames Mittel fuͤr Schiffende.
Jch will denn denen, die es brauchen, hier ſein Geheimniß

nicht verſchweigen,

Und was er mir, zum Nutz der Schiffahrt, geoffenbart, auch

andern zeigen.

Wie groß die Noth der Schiffenden, wenn ihnen es am

Waſſer fehlet,

Das trinkbar iſt, wird jeder wiſſen, indem es oͤfters fault

und ſtinket,

So gar das Wuͤrmer darin wachſen, wodurch den jeden, der

es trinket,

Nicht nur ein ekelhaftes Grauen, ſo gar Scorbut und Krank-

heit quaͤlet,

Daß viele, durch das faule Naß, den Koͤrper jaͤmmerlich ver-

derben,

Und unter tauſend bittern Schmerzen zuweilen gar erbaͤrmlich

ſterben.

Hierwieder dient nun dieſes Mittel, das Wurm und Faul-

niß ſo vertreibet,

Daß alles Waſſer lauter, friſch, geſund und immer klar ver-

bleibet,

Ja noch geſunder wird, als erſt, zu ſo geringem Preis, daß

man,

Die dazu angewandten Koſten faſt keine Koſten nennen

kann.

Man nimmt, ſchreibt mir mein Unbekannterm, zu dieſem

Mittel bloß allein,

Ein’ Unze’ lebendigen Silbers, das auserleſen, gut und

rein,

Ligierts mit ſo viel weiſſem Zinn, das ſonder Zuſatz hart und

fein,

So
[347]Heilſames Mittel fuͤr Schiffende.
So daß es hart wird; brockelt es darauf in kleine Stuͤcke-

lein,

Und wirft es in ein friſches Faß, mit Waſſer angefuͤllt,

hinein,

Es ſey ſo groß, als wie es wolle. Je ſtaͤrker es nun hin

und her,

Bewegt wird auf der See, je beſſer. Man braucht in einem

Faß nicht mehr,

(So wie die ordentlichen Faͤſſer zur See ſind) vom Mercu-

rius,

Als nur ein einzigs Loth. Dieß iſt von dem Recept der Nutz

und Schluß.

Um nun, von dieſes Mittel Nutzen, die Schiffende zu uͤber-

fuͤhren,

Duͤrft einer erſt die Probe machen, und es im Kleinen nur

probiren.


Un-
[348]Unumſtoͤßliche Gruͤnde.

Unumſtoͤßliche Gruͤnde.


1.
Alle menſchliche Vernunft ſtimmt der Wahrheit hier-
in bey,

Jeder faßt, daß er nicht ſelber Urſach ſeines Weſens ſey.

2.
Jn der Ordnung der Geſchoͤpfe, die ſo regel-recht, als ſchoͤn,

Da auch ſie ſich nicht gemacht, iſt ein Schoͤpfer klar zu ſehn.

3.
Dieſen muß man, durch die Sinnen, die uns zu dem
Zweck gegeben,

Nebſt der Creaturen Menge, zu verehren, ſich beſtreben;

Und, da eben die Geſchoͤpfe ihn am deutlichſten uns zeigen,

Durch ſie, zu ihm, Staffel-weiſe, als auf einer Leiter, ſteigen.

4.
Dann wird man, vom Sichtbaren, zum Unſichtbaren, ſich
lenken,

Und von ihm, aus allen Kraͤften, das Vollkommenſte ge-
denken.

5.
Daß Vollkommenſte nun iſt: Glauben, das, was er gemacht,

Sey von ihm, zum guten Endzweck, bloß aus Lieb, hervor-
gebracht.

6.
Wenn wir dieß, mit Ueberzeugung, und dadurch geruͤhrt,
erwegen,

Wird man wirklich wuͤnſchen muͤſſen, daß wir ihm gefal-
len moͤgen.

7.
So wie wir die Furcht des Herrn als der Weisheit
Anfang kennen,

Sind Betrachtungen, der Anfang von der Furcht
des Herrn, zu nennen.

8.
Die Bewunderung entſteht aus der Creatur Be-
trachtung,

Und aus der Bewunderung ſolcher Wunder, quil-
let Achtung,

Ehr-
[349]Unumſtoͤßliche Gruͤnde.
Ehrfurcht, Andacht, Dank und Liebe, deren fuͤſſen
Eindruck man,

Sonder der Natur Betrachtung, ſchwerlich recht empfinden
kann.

9.
Zur Betrachtung und Bewundrung, ſcheint die ganze Welt
allein,

Scheinen Sinnen, Leib und Geiſt eigentlich beſtimmt zu ſeyn.

10.
Brauchet man der Seelen Kraͤfte, wie man ſoll: So wird
man finden,

Daß zu dieſem Zweck die Seelen, durch die Sinnen, ſich
verbinden,

Mit den Dingen dieſer Welt.

11.
Man wird finden, daß,
auf Erden,

Alle Creaturen werth, daß ſie wohl betrachtet werden.

12.
Man wird finden, daß ſie herrlich.

13.
Man wird finden,
daß die Macht,

Daß die Lieb und Weisheit deſſen, welcher ſie hervor-
gebracht,

Unergruͤndlich und unendlich, folglich daß, auf dieſe Weiſe,

Man betrachtend und bewundernd Gott verehre, ruͤhm und
preiſe.

14.
Ja, man wird noch ferner finden, wenn man es recht
uͤberdenkt,

Daß Gott, recht als einen Lohn, eine Luſt darein geſenkt.

15.
Wenn wir dieſes nun empfinden; wenn wir dieſes nun er-
kennen:

Sollte denn mit Recht in uns nicht ein Andachts-Feuer
brennen?

Sollten wir mit mehrem Ernſt und mehr Fleiß uns nicht
beſtreben,

Jn Bewundrung der Geſchoͤpfe, Gott, was Gottes iſt, zu geben?

Uns von Laſtern abzuziehn, und, aus Liebe, fromm zu leben?

Ob
[350]Unumſtoͤßliche Gruͤnde.
Ob nun zwar ein mehrers noch, wie die heilge Schrift
uns lehrt,

Zum vollkommnen Gottesdienſt, nach dem Chriſtenthum gehoͤrt;

Jſt doch um ſo weniger dieſe Pflicht hindan zu ſetzen,

Und, als waͤr es gleiche viel, wie wir leider thun, zu ſchaͤtzen,

Da des Glaubens erſter Theil, und Artikel bloß allein,

Daß der Schoͤpfer, als ein Schoͤpfer, von uns muß verehret ſeyn,

Ueberzeuglich klar uns zeiget. Wann nun eine zeitlang her

Dieſer dritte Theil des Glaubens, und in ihm der Gottheit Ehr,

Ungluͤckſelig iſt verſaͤumt, da man Gott, in ſeinen Werken,

Mit gehoͤriger Bewundrung, anzubethen, zu bemerken,

Gar zu wenig ſich bemuͤht, weder auf die Macht geachtet,

Noch die Stralen ſeiner Weisheit, in der Creatur, betrachtet,

Seine Guͤte, ſeine Liebe, durch die Sinnen, nicht entdeckt,

Wie ſo freundlich unſer Gott, nicht geſehen, nicht geſchmeckt:

Sollten denn nicht unſre Pflichten, da wir es erkannt, ver-
langen,

Dieſen Fehl, mit mehrerm Ernſt, zu verbeſſern, anzufangen,

Da zumal, durch ſolch Beginnen und Verfahren, alle Triebe,

Wahrer Ehrfurcht, froher Andacht, Lob, Bewundrung, Ge-
genliebe,

Wo nicht gaͤnzlich auf gehoben, doch gewiß geſchwaͤcht, be-
hindert,

Unterdruͤcket, nicht gebraucht, ja verringert, ſehr vermindert,

Und faſt gar vergeſſen worden. Ach! es iſt beklagens-werth,

Daß man, durch Gewohnheit blind, ungluͤckſelig aufgehoͤrt,

Gott, in unſrer Luſt, zu ehren! welches doch, im Paradeiſe,

Adams Dienſt allein geweſen. Denn zu ſeines Schoͤpfers
Preiſe,

Haͤtte, waͤr er nicht gefallen, anders, als auf dieſe Weiſe,

Nichts von ihm geſchehen koͤnnen. Dieß Geſchaͤffte bloß
allein,

Und
[351]Unumſtoͤßliche Gruͤnde.
Und kein anders, kunnte jemals ſeiner Schoͤpfung Endzweck
ſeyn.

Will die Menſchheit ſich denn nicht das, wozu ſie auser-
leſen,

Und vom Anbeginn allein, eigentlich beſtimmt geweſen,

Wieder zu erwerben trachten? Will man ſich denn nicht be-
reiten,

Durch die Luſt an Gott auf Erden, zu den ſelgen Herr-
lichkeiten,

Welche ja, wie nicht zu leugnen, darin bloß allein beſtehn,

Gottes Allmacht, Lieb und Weisheit unaufhoͤrlich zu er-
hoͤhn?

Ein ſo ſtraͤfliches Verſaͤumen, ſich des Schoͤpfers hier zu
freuen,

Duͤrfte leicht, wenn es zu ſpaͤt, Geiſt- und Weltliche gereuen.


Zu
[352]Zuſatz zu den Waſſer-Tropfen.

Zuſatz
Zu den Waſſer-Tropfen.

Jm II. Th. p. 116. Jrd. Verg.


Herr, in deinem Licht ſehen wir das Licht.
Pſ. 36, 16.
()

Juͤngſt hatt ich fruͤhe das Gedicht, von eines Tropfen
reinem Weſen,

Und dem in ihm gepraͤgten Glanz, nicht ſonder Eindruck nach-
geleſen;

Jch fand zugleich, indem die Sonne die falben Schatten laͤngſt
vertrieben,

Daß, von dem meiſt verſchwundnen Thau, noch hier und
dort ein Troͤpfchen blieben.

Vor andern fiel ein klarer Tropfen, an eines Tulpen Lau-
bes Spitzen,

Der von beſondrer Groͤße war, und ganz erfuͤllt mit bunten
Blitzen,

Durchſtralet von dem Sonnenlicht,

Recht wie ein Stern der erſten Groͤße, voll Glanz und Gluht,
mir ins Geſicht.

Es ward dieß rein-und bunte Funkeln, nicht bloß allein
der Augen Ziel,

Jch ſpuͤrte, wie durchs Koͤrpers Aug es in mein Seelen-Auge fiel.

Jch dachte: Welch ein großes Wunder! da nicht allein der
Sonnen Bild

Sich in der kleinen Ruͤnde zeigt; nein, daß der Tropfen auch erfuͤllt,

Mit ihren Farben, Licht und Kraͤften, wie ſolches nicht zu
leugnen ſteht.

Bey
[353]Anhang zu den Waſſer-Tropfen.
Bey dieſem, von der Sonnen Schein,

Durchſtralt-und angefuͤllten Tropfen, fiel ungefaͤhr mir et-
was ein,

Daß, wenn man es mit Ernſt erwegt, vielleicht noch etwas
weiter geht.

Jch habe mehr, als tauſendmal, die nicht zu faſſend’ Eigen-
ſchaft,

Das unerforſchliche Geheimniß, die uͤberall verborgne Kraft,

So in dem Samen ſteckt, erwogen; doch fand ich lauter
Dunkelheit.

Umnebelt war und blieb mir alles; nicht die geringſte Deut-
lichkeit

Verſpuͤrte mein geſchwaͤchter Geiſt. Jetzt, deucht mich, ſpuͤret
mein Geſicht,

Jn dieſem angeſtralten Tropfen, vom dunkeln Samen etwas Licht.

So wie des Waſſers runde Theile vom Licht erleuchtet
und durchſtralt,

Erwaͤrmet und gefaͤrbet werden:

So ſcheinen auch nicht minder Theile, von der dazu formirten
Erden,

Jm Samen gleicher weiſe faͤhig, von einem nicht ſichtbaren
Schein,

Durchdrungen, fruchtbar, reg, erwaͤrmet, entzuͤndet und belebt
zu ſeyn.

Wie nun der Sonnen Feur und Licht, aus Gott, der Sonnen
Sonne, quillet,

Und unſerm Auge ſichtbar iſt: So deucht mich, kann man billig
ſchlieſſen,

Daß aus der Gottheit mehre Kraͤfte, ſind ſie den Augen gleich
verhuͤllet,

Nicht nur in Samen, uͤberall, in nie erſchoͤpfter Fuͤlle flieſſen.

Br.VI.Th. ZDank-
[354]Dank-Gedanken.

Dank-Gedanken.


Mein Gott! wie groß iſt doch die Menge

Der Gaben, die du mir geſchenkt,

Zumalen, wenn mein Geiſt der Zeiten Laͤnge,

Jn welcher ich ſie hab, erweget, und bedenkt.

Wie mancher Tag, wie manche Nacht,

Wie manchen Theil der Zeit, wie viele Stunden,

Wie viel Minuten und Secunden

Beſitz ich ſie! Und nicht allein

Nur ich, ſo gar auch in den Meinen,

Der abermal ſo viele ſeyn,

Die gleichſam ſich in mir vereinen,

Beſitz ich ebenfalls die Gaben,

Die ſie, von deiner Guͤtigkeit,

Und zwar auch ſeit ſo langer Zeit,

Empfunden und genoſſen haben.

Jch danke denn, wie billig, dir,

O Brunnqvell alles Heils, dafuͤr.

Ach laß mich doch, auf dieſer Welt,

Nebſt allen Meinen, ſo zu leben,

Wie es dir, o mein Gott, gefaͤllt,

Aus allen Kraͤften mich beſtreben!


Vorwurf.


Jſts moͤglich, daß deinem verblendeten Geiſt

Die Wirkung der Gottheit, die Welt, nicht gefaͤllt?

Daß er, in Geſchoͤpfen, den Schoͤpfer nicht preiſt,

Du Schaͤnder der Schoͤpfung, Veraͤchter der Welt?


Dank
[355]Dank das beſte Opfer.

Dank,
sdas beſte Opfer.


Geruͤhrt, durch der Geſchoͤpfe Pracht,

Hab ich oft bey mir nachgedacht,

Und deucht mich, daß ich nicht in meiner Meynung fehle:

Ob eine, durch das Werk des Schoͤpfers, frohe Seele,

Mit Luſt und Dank erfuͤllt, kein Gott gefaͤlliger

Und lieber Opfer ſey, als wie das Angſt-Geplaͤrr

Von Ochſen, welche man zerfleiſcht,

Und deren Fett und Mark, auf glimmen Kohlen, kreiſcht?

So weit ſich menſchliche Vernunft erſtrecket,

So viel von der Vollkommenheit,

Von einer Gottheit, ſich in unſrer Seel entdecket:

Jſt hier ein großer Unterſcheid.

Man werfe mir nicht ein: Es haͤtte ſolche Gaben

Der Schoͤpfer dennoch wollen haben.

Jndem auch dazumal die Opfer nur ein Zeichen,

Von guten Herzen, welche rein,

Voll Luſt und Glauben, mußten ſeyn;

Zumal beym Dankaltar. Jmgleichen

Koͤmmt eine ſolche Seele mir,

Die durch des Schoͤpfers Werk geruͤhret,

Dank, Andacht, Luſt und Ehrfurcht ſpuͤret,

Nicht anders fuͤr:

Als ob ſie, zu des Schoͤpfers Ehre,

Gar einer Bethenden noch vorzuziehen waͤre.

Z 2Ein
[356]Dank das beſte Opfer.
Ein Bethender bezeugt zwar ein Vertrauen,

Daß Gott ihm helfen koͤnn: Doch ſcheinet er

Auf ſich zuerſt, und denn auf Gott zu ſchauen.

Da einer, der vergnuͤgt im Dank zu Gott ſich lenkt,

Und, durch ſein Werk erfreut, am großen Geber denkt,

Jhm nicht nur Ehr und kindlich-bruͤnſtge Triebe

Von Luſt, Erkenntlichkeit und Gegenliebe,

Jhm ſelbſt ſein eigen Werk vergeiſtert gleichſam ſchenkt.


Noth-
[357]Verbindung der Seelen und Sinnen.

Nothwendige Verbindung
der Seelen und der Sinnen.


Es ſcheinet zwar, ob koͤnnten Sachen,

Die koͤrperlich, nur in die Theile,

Die in uns koͤrperlich, bloß einen Eindruck machen,

Doch findet ſich zugleich, daß man ſich uͤbereile.

Noch iſt nicht ausgemacht, ob das, ſo koͤrperlich,

Von einem Geiſte ſich ſo weit entfern und trenne,

Daß, ohne Geiſt, es gar beſtehen koͤnne.

Noch minder iſt der Stoff, draus unſer Leib beſteht,

Vom Geiſt ſo gar entfernt, daß er nicht ſollte ſpuͤren,

Wenn koͤrperliche Ding ihn koͤrperlich beruͤhren.

Warum denn ſcheiden wir, was die Natur verbindet?

Warum, wenn Aug und Naſ ein ſchoͤnes Bluͤmchen findet,

Entfernet ſich der Geiſt? Warum gedenkt man nicht,

Jn ſeiner Luſt, an den, der Lieblichkeit und Pracht

Jn Blumen, und in uns ſo Naſ als Auge macht?

Warum empfinden wir nicht Triebe,

Wenn wir, was lieblich, zierlich, ſchoͤn,

Empfinden, riechen, ſchmecken, ſehn,

Von Andacht, Dankbarkeit und Liebe,

Von Dank, und von Erkenntlichkeit?

Geliebter Leſer, ſtelle dir

Einſt eine ſolche Welt nur in Gedanken fuͤr,

Jn welcher die Geſchoͤpf, auf eine ſolche Weiſe,

Von den Bewohnern, Gott zum Preiſe,
Z 3Jn
[358]Verbindung der Seele und Sinnen.
Jn ihrer Luſt gebrauchet wuͤrd-und waͤren.

Was meyneſt du? Stimmt eine ſolche Welt

Nicht mit der Abſicht und den Ehren

Des Schoͤpfers beſſer uͤberein;

Und ſollte ſie ihm nicht viel lieber ſeyn,

Als die Beſchaͤfftigung auf unſrer Erden,

Auf welcher wir im Weltlichen nur reich,

Und ſelig, wenn wir todt, zu werden

Verhoffen, und dahin uns bloß allein beſtreben;

Sonſt aber faſt nicht anders leben,

Als wenn wir, wenn fuͤr uns von Gott nichts zu erlangen,

Noch etwas zu verhoffen waͤre,

Man ihm fuͤr das, was wir von ihm empfangen,

So wenig Dank, als Andacht, Lieb und Ehre,

Nicht mehr, als wie ein Vieh, zu geben ſchuldig ſey.

Ach! ſtimmt denn meinem Wunſch, geliebte Menſchen, bey.


Große Gottheit! laß uns doch, deinen vaͤterlichen Willen,

Der zur Luſt uns vorgeſchrieben, ſtets mit Luſt und Freud
erfuͤllen!


Ueber-
[359]Beweis, im Schoͤpfer ſich zu freuen.

Ueberzeuglicher Beweis,
daß wir uns hier des Schoͤpfers zu freuen,
ſchuldig.


Nachdem wir nun der Erden Pracht,

Die Gott, zu unſrer Luſt, und ſeinem Ruhm, gemacht,

Mit Achtſamkeit bisher beſehn:

So muͤſſen wir ja, daß ſie ſchoͤn,

Ja, daß ſie wunderſchoͤn, geſtehn.

Will man uns denn die Sinnen rauben,

Wenn man uns zwingen will zu glauben:

Es muͤſſe ſich kein Menſch erkuͤhnen,

Sich ihrer Schoͤnheit zu bedienen?

Man muͤſſe nicht daran gedenken;

Dieß waͤre weltlich, und ein Schein;

Man muͤſſe Geiſt und Seel allein

Auf das, was kuͤnftig iſt, nur lenken.

Worzu war Adam doch erſchaffen?

Fuͤrwahr! nicht, dieſe ſchoͤne Welt,

Und was ſie herrlichs in ſich haͤlt,

Den Thieren gleich, nur anzugaffen,

Und aller ſeiner Sinnen Kraͤfte

Nur zu dem einzigen Geſchaͤffte,

Was etwan ihm, nach dieſer Zeit,

Und nach der Aenderung der Erden,

Dort von des Himmels Herrlichkeit

Wuͤrd etwan zugetheilet werden.

Er ſollte ſich daran vergnuͤgen;

Er ſollte Geiſt und Koͤrper fuͤgen,
Z 4Mit
[360]Beweis, im Schoͤpfer ſich zu freuen.
Mit dem Geſchoͤpf ſein Denken binden,

Um Gottes Macht darin zu finden,

Jhn zu bewundern, ihn zu ehren,

Und, Gott zum Ruhm, nur ſehn und hoͤren.

So aber kehren wir es um,

Und ſind aus Hochmuth blind und dumm.

Anſtatt mit Freuden unſre Pflichten,

Jn Luſt und Andacht, auszurichten:

So will man, was uns nicht hienieden,

Nur kuͤnftig allererſt, beſchieden,

Faſt mit Gewalt auf Erden faſſen.

Wodurch wir aus der Ordnung gehn,

Und was uns nicht gebuͤhrt zu ſehn,

Zu ſehen uns geluͤſten laſſen.

Daher denn ein beſtaͤndigs Zanken,

Und nimmer einige Gedanken.

Da alles uns doch uͤberfuͤhret:

Es hab uns Gott, in dieſer Zeit,

Der Creatur Vollkommenheit

Zu ſehn, und in der Ewigkeit

Zu ſeinem ewgen Ruhm formiret.

Wir ſind, ohn Widerſpruch, hienieden,

Von andern Thieren unterſchieden;

Wir ſind an Geiſtes Kraͤften reich:

Doch ſind wir keinen Engeln gleich.

Das waͤr ein gar zu großer Sprung,

Der, wie wir ſehen, nimmer nicht

Jm Reiche der Natur geſchicht.

Es ſcheint fuͤr uns Bewunderung

Des Geiſtes Kraft-Kreis hier allein

Und bloß die Staffel nur zu ſeyn,
Wor-
[361]Beweis, im Schoͤpfer ſich zu freuen.
Worauf wir uns, in allen Dingen,

Jm Lob und Dank zum Schoͤpfer ſchwingen,

Sein’ Unbegreiflichkeit erkennen,

Und nach der Maaß ihn ehren koͤnnen,

Die er uns hier in dieſem Leben

So viel, als uns hier nuͤtzt, gegeben;

Bis daß er uns, nach dieſer Zeit,

Jn einer ſelgen Ewigkeit,

Da ſich der Seelen Kraͤfte haͤufen,

Die Faͤhigkeiten, zu begreifen,

Bey einer andern Art vom Denken,

Die ordentlicher iſt, wird ſchenken.

Erweislich iſt: Gott woll, auf Erden,

Jn unſrer Luſt geehret werden.

Erweislich iſts: Er hab hienieden

Uns dazu eine Zeit beſchieden.

Sprich: Sollten wir der Sinnen Gaben

Zum andern Zweck empfangen haben?

Natur, Vernunft und Schrift ſpricht: Nein.

Wie kanns denn immer moͤglich ſeyn,

Daß Creaturen, die vernuͤnftig,

Dem großen Endzweck widerſtreben;

Und hier, mit einem ſteten Kuͤnftig,

Vor alles blind, beſchaͤfftigt leben?

Gott ſpricht: Genießt, zu meinen Ehren,

Die Wunder, die ich euch geſchenkt.

Hingegen lauten vieler Lehren:

„Wer nicht am Himmel ſo gedenkt,

„Und ſo das Kuͤnftige betrachtet,

„Daß er das Jrdiſche verachtet:
Z 5„Der
[362]Beweis, im Schoͤpfer ſich zu freuen.
„Der handelt wider Gottes Willen,

„Und kann die Pflichten nicht erfuͤllen,

„Worzu wir hier erſchaffen ſeyn;

Ja, drohn wohl mit der Hoͤllenpein.

Was Gott ſchuf, ſollen wir verachten,

Des Himmels Pracht, der Erden Zier

So wenig, als ein Vieh, betrachten;

Hier ſeyn, als waͤren wir nicht hier;

Statt, mit vernuͤnftigem Gebrauch

Des, was uns Gott in dieſem Leben

Aus lauter Lieb und Huld gegeben,

Uns zu den kuͤnftgen Herrlichkeiten

Zu Dank und Andacht zu bereiten;

Verſchmaͤhen wir des Schoͤpfers Gaben,

Und halten nichts der Muͤhe werth,

Daß man den Schoͤpfer dafuͤr ehrt,

Und wollen hier den Himmel haben?

Es ſcheint, als ob wir uns erkuͤhnen,

Bloß durch Verachtung aller Pracht

Der Dinge, welche Gott gemacht,

Von Gott den Himmel zu verdienen.

Gott wollt, auf wunderbare Weiſe,

Zu unſrer Luſt und ſeinem Preiſe,

Die Seele mit dem Koͤrper fuͤgen,

Um, durch dieß Fuͤgen aller Pracht,

Der Dinge, die fuͤr uns gemacht,

Auf dieſer Welt uns zu vergnuͤgen.

Wir aber trennen unſern Geiſt,

Da er ſich von den Sinnen reißt,
Und
[363]Beweis, im Schoͤpfer ſich zu freuen.
Und wenn der Sinn ſich worauf lenket,

So uns zu unſrer Luſt geſchenket,

So gleich auf etwas anders denket.

Zu Mindrung unſrer eignen Freuden,

Soll ſich die Seele gleichſam ſcheiden

Vom Koͤrper, und fuͤr ſich allein

Nur bloß im Kuͤnftgen froͤlich ſeyn.

Dieß heißt ja: Sterben, eh wir ſterben.

Das heißt ja die Natur vernichten,

Und mit ſtets kuͤnftigen Gerichten

Die gegenwaͤrtigen verderben.

Dieß heißt: Sich Gott entgegen ſetzen,

Des Schoͤpfers Ordnungen verletzen.

Fuͤr einen kuͤnftgen Lebens Morgen

Kann man gewiß nicht beſſer ſorgen,

Als wenn wir froͤlich unſer Heut,

Die uns allhier geſchenkte Zeit,

Jm froͤlichen Genuß verbringen,

Aus Dankbarkeit die Laſter haſſen,

Und, um dereinſt auch wohl zu ſeyn,

Auf Gottes ewgen Lieb allein,

Jn wahrem Glauben uns verlaſſen.


Be-
[364]Betrachtungen aus der Anatomie.

Betrachtungen
aus der Anatomie.


Begierig, doch mit ein’ger Abkehr, faſt halb verwirrt vor
Luſt und Grauen,

Erſtaunens-und Bewundrungs-voll, nahm ich, aus Carpſers
kluger Hand,

Jn ſeinem Hauſe, Menſchenknochen, woran der Sehnen zaͤhes
Band,

Mit großer Sorgfalt aufgetrocknet, in ihrer Lag annoch zu
ſchauen,

Die er aus Frankreich mitgebracht, nicht ohn Gemuͤthsbewe-
gung, hin.

Jch dachte, daß ſie das vor kurzen geweſen, was ich jetzo bin;

Jch dachte, wo ihr Geiſt wohl ſey. Die Augen liefen hin
und wieder,

Und, in den Augen, meine Seele auf die vom Rumpf getrennten
Glieder.

Es war ein Fuß und eine Hand, ein Knie und auch ein Ellenbogen,

Woran ich, nach beſiegtem Ekel, wie ſich der Geiſt zurecht gezogen,

Und der Natur Geſchaͤfft erwog, Bewundrungs-werthe Wunder
fand.

Zumal kam mir die Hand betraͤchtlich, und ſo bewunderns-
wuͤrdig vor,

Daß ich faſt alle Kraft, zu denken, bey dieſem Wunderwerk,
verlohr.

Nicht nur die Naͤgel, die Gelenke, die Sehnen, die den Stri-
cken gleich,

Erfuͤllten meinen ernſten Sinn. Die Bruͤcken, die, wie ſtar-
ke Rollen,
Die
[365]Betrachtungen aus der Anatomie.
Die Seilen-foͤrmgen Sehnen decken, und wehren, wenn wir
greifen wollen,

Daß ſie uns nicht im Wege ſeyn, ſind auch nicht minder Wun-
der-reich;

Sie ſind, an jeglichem Gelenke, zu dieſem Endzweck, mit Bedacht,

Jn einer unergruͤndlichen und weiſen Abſicht, feſt gemacht.

Die nett-gebildeten Gelenke, wovon die Knochen ſo gefuͤget,

Daß, auf Bewundrungs-werthe Weiſe, der eine in dem andern
lieget,

Da man den einen halb gehoͤlet, den andern Regel-recht geruͤndet,

Mit glatten Knoͤrpelchen verſehn, und immer angefuͤllet findet.

Wobey ich denn, o neues Wunder! (um die daſelbſt nothwend-
ge Staͤrke,)

Jm Knie, noch außer ſeiner Scheibe, gar etwas ſonderlichs
bemerke.

Man ſieht daſelbſt, nicht ohn Erſtaunen, recht Kreuz-weis, ein
paar ſtarke Sehnen,

Und zwar noch um ſich ſelbſt geſchlungen, daß ſie ſich zwar in
etwas dehnen,

Doch faſt nicht zu zerreiſſen ſind, die beyden Knochen feſte binden,

Dergleichen, wie an dieſem Ort, im ganzen Koͤrper nicht zu finden.

Jndem ich nun mit ernſtem Denken der kuͤnſtlichen Ge-
lenke Bau,

Der aller Menſchen Kunſt und Wiſſen, an Kunſt weit uͤber-
ſteigt, beſchau:

Befaͤllt mich recht ein heilger Schauer; mein Geiſt ſcheint, ei-
nen andern Geiſt,

Der auf ganz andre Weiſe wirkt, der mehr, und andre Weis-
heit weis,

(Kann ich ihn ſelber gleich nicht ſehen) in ſeinen Wirkungen zu
finden.

Jn-
[366]Betrachtungen aus der Anatomie.
Jndem ich ſein Geſchaͤfft erwege: So deucht mich, daß ich ihn
verſpuͤre,

Daß ich ihm nahe ſey, ja gleichſam, daß mein Geiſt dieſen
Geiſt beruͤhre.

An einer Ehrfurcht, welche ſich in meinem ganzen Weſen
reget,

Wenn meine Seele ſeine Werke, mit rechter Achtſamkeit, erweget,

Erkenn ich ſeine Gegenwart. Wann aber dennoch meiner Seelen

Die, ihn noch naͤher zu erkennen, nothwendge Faͤhigkeiten fehlen:

Will ich doch thun, ſo viel ich kann, und meines Geiſtes rege
Kraft

Auf ſeine Wirkung wieder lenken, um den, der alles ſchuf und
ſchafft,

Jn der Betrachtung zu bewundern, zu loben, und ihn zu ver-
ehren,

Um ſeines großen Namens Ruhm, ſo viel an mir iſt, zu ver-
mehren.

Weil, ob er es unmittelbar, wie, oder mittelbar verricht,

Was in der wirkenden Natur Bewundrungs-wuͤrdiges geſchicht,

Jhm doch die Ehr allein gebuͤhrt, da er allein Kraft, Seyn
und Leben

Den Creaturen, welche geiſtig, auch welche koͤrperlich, gegeben.


Be-
[367]Beweisgrund gegen die Alchimiſten.

Beweisgrund
gegen die Alchimiſten.


Daß in den Blumen Honig ſtecket,

Hat uns die Bien allein entdecket.

Man kann auch Honig, ohne ſie,

Auch mit der allergroͤßten Muͤh,

Unmoͤglich aus den Blumen bringen.

Daß Milch aus Kraͤutern zu erzwingen,

Waͤr unſerm menſchlichen Verſtand

Und blieb uns ſtetig unbekannt;

Es zeigen ſolches unſre Kuͤh.

Auch waͤr unmoͤglich, ohne Vieh,

Auf andre Weiſe, durch Filtriren,

Durch Mengen und durch Diſtilliren,

Mit noch ſo viel gemiſchten Sachen,

Aus Gras und Kraͤutern, Milch zu machen.

Natur hat zu derſelben Weſen

Nur eine Weiſe ſich erleſen.

Wenn nun in der Metallen Reich

Auf eine gleiche Weiſe, gleich

Die Anordnungen moͤglich waͤren,

Jn Gold ein groͤbers zu verkehren;

Muß denn nicht jeder zugeſtehn,

Dem Schoͤpfer der Natur zum Preiſe,

Es koͤnn, auf eine andre Weiſe,

Als die Natur dazu erſehn,

Mit keiner Moͤglichkeit geſchehn?


Defi-
[368]Definition des Menſchen.

Definition des Menſchen.


Ob es, vielleicht durch Stolz verfuͤhrt, den meiſten Men-
ſchen nicht ſo ſcheinet:

So iſt der Menſch doch in der That nichts anders, als ein
Thier, das meynet.


Meynung.


Es meynt der Menſch in allen Dingen, in allem, was er
denkt und ſpricht.

Die Meynung geht bey ihm ſo weit, daß er oft meynt: Er
meyne nicht.


Jn-
[369]Jnbruͤnſtiges Verlangen.

Jnbruͤnſtiges Verlangen.


Großer Gott! an dich zu denken,

Sey auf Erden, meine Luſt!

Waͤre mir doch nichts bewußt,

Als mich in dein Werk zu ſenken;

Wuͤrd ich aus geruͤhrter Bruſt,

Oft auf dich die Seele lenken,

Und ſie dir, voll deiner Ehre,

Ganz und gar zum Opfer ſchenken.


Das Nacht-Geſicht.


Die Sonne zeiget uns der Erden Schmuck und Pracht;

Hingegen laͤßt die dunkle Nacht

Uns wunderſchoͤn

Des Himmels Pracht und Schoͤnheit ſehn.


Br.VI.Th. A aDas
[370]Das Zukuͤnftige.

Das Zukuͤnftige.


Wie ein Vorwurf, welcher nah, unſern Augen groͤßer
ſcheinet,

Als ein ferner, welcher groͤßer: Alſo glaub ich, daß man
hier

Auch von einer nahen Wolluſt, daß dieſelbe groͤßer ſchier,

Als die noch weit groͤßern Luͤſte des noch fernen Himmels,
meynet.

Weil jedoch das, was zukuͤnftig, doch auch gegenwaͤrtig
wird,

Sieht man leicht, wie ſehr ein jeder, in der Meynung, ſich
geirrt.


Mit-
[371]Mittel gegen Schwermuth.

Mittel gegen Schwermuth.


Es hat der Sonnen Licht nicht nur die Kraft,

Die ſchwarzen Schatten zu verjagen;

Sie hat nicht weniger die Wunder-Eigenſchaft,

Wenn unſre Sinnen ſich mit Schwermuth-Schatten plagen,

Aus dem benebelten Gemuͤth

Der Grillen ſchwarzen Duft zu treiben,

Wenn man, auch nur durch Fenſterſcheiben,

Auf Koͤrper, die beſtralet, ſieht.

Es ſteckt zugleich ein Licht der Freuden

Jm Sonnenlicht, bey heitrer Luft.

Wenn ſie die Creaturen ſchmuͤckt,

Jſt man zu allem mehr geſchickt,

Und muß, der ſchwarzen Schwermuth Duft,

Durch ihren frohen Glanz vertrieben, ſcheiden.

Thu nur ſo viel, und hab, auf ihre Pracht,

Ein wenig Acht,

Und laß ein Denken ſich mit deinen Blicken binden:

So wird ein Gegenſchlag, durchs Auge, Hirn und Bruſt,

Jm Licht und Glanz, zugleich auch eine Luſt,

Auf einem jeglichen beſtralten Vorwurf finden;

Verdruß und Grillen werden ſchwinden.

Erkennet denn, wenn man das Sonnenlicht,

Mit aufmerkſamen Augen, ſiehet,

Daß nicht nur Waͤrm und Glanz aus ſeinen Stralen bricht;

Daß auch darin ſo gar ein Freuden-Feuer gluͤhet.


A a 2Der
[372]Der Atheiſt.

Der Atheiſt.


Primus in orbe Deos fecit timor. L.
Primus in orbe Atheos fecit timor. B.
()

Es lehren alle Creaturen, uns lehrt der Himmel und die Erde,

Derſelben Regel-recht Bewegen, Erhaltung, Schoͤnheit,
Ordnung, Pracht,

Es lehren unſre Sinnen uns, daß alles einer weiſen Macht

Sein Weſen bloß zu danken hab, erhalten und regieret werde.

Bey ſo viel uͤberzeuglichen, unwiderſprechlich wahren Gruͤn-
den,

Die wir: Es ſey gewiß ein Gott, in allen Creaturen
finden,

Hab ich oft bey mir nachgedacht, und voll Betruͤbniß uͤberlegt:

Was, bey ſo hellem Licht der Wahrheit, den Atheiſten doch be-
wegt,

Daß er, am Weſen einer Gottheit, ſo Schrecken-reichen Zwei-
fel hegt.

Denn mehr als zweifeln kann er nicht, und wo er noch ein
Menſch will ſeyn,

Muß ſeinen Satz der Widerſpruch der Menſchheit, der faſt all-
gemein,

Jhm wenigſtens verdaͤchtig machen. Da ich denn uͤberzeug-
lich ſehe,

Daß all ſein trotzigs Widerſprechen, aus einer bloßen Furcht,
geſchehe.

Es heiſſet zwar: Es waͤren Goͤtter zu allererſt durch
Furcht erdacht,

Doch iſts erweislich, daß die Furcht die meiſten Atheiſten macht.

Wenn
[373]Der Atheiſt.
Wenn keine Furcht fuͤr kuͤnftge Strafen, auch keine
gegenwaͤrtger Luͤſte
Sich zu berauben
, (noch die Furcht mit ſchlechtern
Geiſtern eins zu ſeyn,

Die Geiſter roher Menſchen plagte: So duͤrft ich, daß kein
Atheiſte

Auf Erden je geweſen waͤre, noch kaͤme, kuͤhnlich prophezeyn.

Zur erſten Furcht hat ſonder Zweifel, daß wir nur gar
zu wenig ſagen

Von Gott, daß er die ewge Liebe, und daß man uns von ſei-
ner Macht,

Und der Gerechtigkeit ein Bild, das faſt tyranniſch, beygebracht,

(Wodurch man ſie nicht reizt, nur ſchreckt) gewiß ein großes
beygetragen,

Da ſie die Gottheit anders nicht, als einen Raͤcher mit der
Hoͤllen,

Und der ſie ewig ſtrafen will, aus Furcht, ſich wiſſen vorzu-
ſtellen,

Einfolglich mit dem groͤßten Eifer, wozu ſie faͤhig, ſich bemuͤhn,

Durch ihn verleugnende Gedanken, ſich auch der Strafe zu
entziehn,

Und einer ewgen Hoͤllen Gluht, die ſie von ſeiner Streng allein,

Da ſie ihn nicht, als Vater, kennen, und anders nichts gewaͤr-
tig ſeyn.

Zum andern, daß man, ſonder Grund, uns manche Wol-
luſt in der Welt,

Die uns erlaubt, ja gar gebothen, mehr als unchriſtlich vor-
enthaͤlt,

Wie ſonderlich die Pietiſten hierin am allermeiſten fehlen,

Die, durch die Miſchungen des Koͤrpers und bittere Melan-
choley

Verfuͤhret, allenthalben lehren, daß alle Luſt verbothen ſey,
A a 3Wo-
[374]Der Atheiſte.
Wodurch ſie nicht nur ſich und andre, mit ſtetiger Betruͤbniß,
quaͤlen;

Nein, noch dazu, ſo viel an ihnen, dem Schoͤpfer Guͤt und Liebe
ſtehlen,

Die doch ſein wahres Weſen iſt. Es zeiget Schrift, es zeigt
Natur,

Daß goͤttliche Vollkommenheit nur dieß am allermeiſten wolle,

Daß man ſich, hier ſowohl auf Erden, als ewig dort, vergnuͤ-
gen ſolle,

(Wie hier Geſchoͤpf und Sinne zeigen, der Himmel dort)
die klarſte Spur.

Der Schoͤpfer wollte ſeinen Ruhm, o Lieb! an unſre
Freude fuͤgen,

Und iſt der beſte Gottesdienſt, ſich Gott zu Ehren, zu vergnuͤgen.

Die Wolluſt iſt nicht, auf der Welt, ihr Misbrauch iſt nur un-
terſagt,

Ja gar annoch zum guten Endzweck, und darum, weil ihr
Ueberfluß,

Ein gar zu hitziger Gebrauch, und uͤbermaͤßiger Genuß

Die laͤngern Freuden uns verkuͤrzet, und weniger behagt, als
plagt:

So ſcheint der Wolluſt uͤbermaßen uns darum nur allein ge-
nommen,

Daß wir, durch maͤßigen Gebrauch, vielmehr von Wolluſt uͤber-
kommen, *

Erhalten und genieſſen ſollten. Weil was der Wolluſt Dauer
mehrt,

Uns von derſelbigen nichts raubet, wohl aber uns noch mehr
beſchehrt,
Wo-
[375]Der Atheiſte.
Wodurch wir denn zugleich, wie thoͤricht der Atheiſten Furcht,
verſpuͤren,

Die Gottheit ſelber zu verlieren, um keine Wolluſt zu verlieren,

Die ihnen von der Gottheit doch in hoͤherm Grad gegoͤnnet
wird,

Als ſie ſie ihnen ſelber machen. Heißt dieß nicht ungereimt
geirrt?

Ach laßt, ihr Atheiſten, denn, ach laſſet doch, bey ſolchen Gruͤnden,

Die ihr mit nichts, als Furcht, bekaͤmpft, die ungluͤckſelge Furcht
mir ſchwinden,

Jhr werdet unſre Gruͤnde wichtig, die euren ſelbſt nicht red-
lich finden.

Legt eure Gruͤnd in eine Waag, und legt die unſrigen da-
neben;

So ſeht ihr, durch der Furcht Gewicht, vielleicht die eure ſich
nicht heben,

Und ſo geteuſchet, beyde Schalen in einer gleichen Hoͤhe ſchweben.

Nehmt aber von der eurigen die Furcht hinweg, wird alſobald

Die eure Feder-leicht ſich heben, und eure Schale dergeſtalt,

Vom vorigen Gewichte leer, der unſern leicht den Ausſchlag
geben,

Wie ihr es ſelbſt geſtehen wuͤrdet, waͤr euch nicht bang. Man
ſieht hiebey,

Wie, unſern Gott nicht ſo tyranniſch zu bilden, noͤth-und nuͤtz-
lich ſey.

Die dritte Furcht des Atheiſten nicht mit den ſchlecht-
und kleinen Geiſtern,

Vermiſcht und dadurch klein zu werden, bemuͤht ſich auch, doch
ohne Grund,

Sich eines aufgeblaͤhten Geiſts zu ſeinem Ungluͤck zu bemeiſtern.

Es ſucht ein ſchwuͤlſtiges Gemuͤth hierinnen einen neuen Fund,
A a 4Zu
[376]Der Atheiſt.
Zu einer nicht gemeinen Ehre, er ſucht was ſonderlichs zu ſeyn.

Mit andern was gemein zu haben, iſt ihm zu niedrig, zu ge-
mein.

Wenn aber er erwegen moͤchte, daß er verkehrte Wege waͤhlet,

Und daß er die geſuchte Ehre, auf dieſe Weiſe, ganz verliehrt,

Da er, wenn er es recht erwegt, daß Schande, Schimpf
und Haß ihn quaͤlet,

Ja daß er recht verabſcheut wird, von allen Menſchen faſt,
verſpuͤrt,

So aus der Sache ſelber fließet. Wie kann ich doch mit
Recht begehren,

Es ſoll mich jemand lieben, ſchaͤtzen, und mehr, als alle Men-
ſchen, ehren,

Den ich vor einen Narren halt, und der es weis, daß ich es thu?

Es koͤmmt zu dieſer unverſchaͤmten und ſtolzen Furcht, noch
dieß hinzu,

Daß, da zur menſchlichen Geſellſchaft, und der dazu gehoͤri-
gen Pflicht,

Verſprechen, Bund und Treu zu halten, gewiß ein Atheiſte nicht

Geſchickt noch jemals faͤhig iſt, durch ihrer Furcht verwegne
Schluͤſſe,

Man ſie, an ſtatt ſie zu verehren, nur vor Betrieger halten muͤſſe.

Wann kein Verſtand nun, bloß die Furcht, die armen
Atheiſten macht:

So iſt von eurer ſtolzen Furcht, auch hierin unſer Schluß
gegruͤndet,

Daß hier ſo wohl, als auch dereinſt, ihr Ehre ſucht und Schan-
de findet.

Nicht minder, daß es klar und wahr, wie wir es oben ſchon ge-
dacht:

Daß kein Verſtand, kein Grund, kein Recht, die Furcht nur
Atheiſten macht.

Der
[377]Der freye Wille.

Der freye Wille.


Der Lehre von dem freyen Willen, und daß wir die Voll-
kommenheit,

Aufs wenigſt in ſo hohem Grad, nicht hegen,

Scheint eine große Schwierigkeit

Dadurch ſich in den Weg zu legen,

Daß wenn wir unſer Jnnerſtes ergruͤnden,

Wir uns, uns ſelber zu vergnuͤgen,

Faſt gaͤnzlich ungeſchickt, und gar nicht faͤhig finden,

So doch der kraͤftigſte Beweis der Lehre

Von eines Willens Freyheit waͤre.

Zumal wir ſelbſt an Gottes Werken,

Worin er, ſeine Lieb und Allmacht zu bemerken,

Uns ſo viel Proben wollen goͤnnen,

Woran wir uns vergnuͤgen ſollen,

Wir doch daran, auch wenn wir wollen,

Uns dennoch nicht vergnuͤgen koͤnnen.


A a 5Rechte
[378]Rechte Art zu bethen.

Rechte Art zu bethen.


Da alle Koͤrper, Geiſter, Umſtaͤnd und Zufaͤll, hier auf
dieſer Welt,

Da alles das, was die Natur, im Schooß des tiefen Raums,
enthaͤlt,

Ein’ ewge Weisheit nicht allein zum Urſprung hat; nein, auch
durch ſie,

Als die nicht aufgehoͤrt, in einer ununterbrochnen Harmonie,

Gelenkt, geleitet und regieret,

Jn majeſtaͤtiſch weiſer Ordnung, zum beſten Endzweck ſtets
gefuͤhret,

Und immer unterhalten wird, der freye Will auch dieſer Fuͤhrung,

Und der allgegenwaͤrtgen Gottheit allgegenwaͤrtigen Regierung

So wenig uns entziehen kann; daß wir vielmehr, daß Gott
allein,

So wohl das Wollen, als Vollbringen, uns geben muß, be-
lehret ſeyn,

Auch in der heilgen Bibel ſelbſt: So muß auch billig unſer Bethen,

Wenn wir, vor Gottes Majeſtaͤt, in Ehrfurcht voller Andacht
treten,

Mit Ernſt dahin gerichtet ſeyn, daß die allweiſe, maͤchtge Liebe,

So wohl die Umſtaͤnd und die Zufaͤll, als unſrer Seelen
Kraͤft und Triebe,

Zu ſeiner Ehr und unſerm Beſten, aus Gnaden ſelber lenken
wolle;

Weil ſonſt, mit unſrer eignen Schwaͤche, ſelbſt gegen uns nicht
nur allein,

Zugleich auch gegen Zufaͤll, Umſtaͤnd, als Noth, Exempel
Schmerz und Pein,

Zu kaͤmpfen uns nur gar zu ſchwer, ja ganz unmoͤglich, wuͤrde ſeyn.

Zur
[379]Zur Nothwendigkeit der Naͤchſten Liebe.

Zur Nothwendigkeit
der Naͤchſten Liebe.


Glaub! alles was dein Naͤchſter thut,

(Dir ſchein es unrecht, oder gut,)

Daß er es, ja ſo wohl als du,

Aus einer guten Meynung, thu.

Thut er nicht recht; hat er geirret.

Doch denk, ob es nicht ſo der Brauch,

Daß, ja ſo wohl als ihn, dich auch,

Oft Nutz, oft
  • Leidenſchaft,
  • Vorurtheil
verwirret.


Das
[380]Das Begraͤbniß des Maulwurfs.

Das ſonderbare
Begraͤbniß des Maulwurfs.


Ein Wunder, welches kaum zu glaͤuben,

Und das, wenn ich es nicht geſehn,

Jch ſelber kaum geglaubt, will ich anjetzt beſchreiben.

Juͤngſt blieb ich ungefehr, an einem Orte ſtehn,

Jm Garten, wo, mit ſchlauer Liſt,

Dem Maulwurf eine Fall geſtellet iſt.

Jhr werdet nichts gefangen haben,

Sprach ich. O ja! ſing gleich der Gaͤrtner an,

Doch haben die, ſo ihm begraben,

Auch ſchon bey ihm ihr Amt gethan.

Jch wußte nicht, was dieſes heiſſen ſollte,

Bis er ſich deutlicher erklaͤrte,

Und, weil ich gern ſein Raͤthſel hoͤren wollte,

Verrichtete, was ich begehrte.

Ein todter Maulwurf bleibt nicht auf der Erde liegen,

Erzaͤhlt er mir darauf, er ſcharrt ſich ſelber ein,

Hab ich vordem gedacht. Allein,

Daß uns die Umſtaͤnd oft betriegen,

Hat mir ein Zufall juͤngſt gezeigt.

Kaum werden es drey Wochen ſeyn,

Als ich bey jenem Baum verſpuͤrte,

Wie ſich ein todter Maulwurf ruͤhrte,

Den ich daſelbſt, vor wenig Tagen,

Mit meiner Schaufel, todt geſchlagen.
Jch
[381]Das Begraͤbniß des Maulwurfs.
Jch trat hinzu, es naͤher zu beſchauen,

Und kunnte kaum den Augen trauen,

Als ſich der Maulwurf ſtark bewegte,

Bis daß ich ſelbſt an ihn die Haͤnde legte,

Jhn aus der Erde zog, worin er halb ſchon ſteckte,

Da ich die Urſach dann ſogleich entdeckte.

Die Todtengraͤber dieſer Leichen

Sind Wuͤrmer, die den Kaͤfern gleichen,

Nur daß dieſelben etwas klein,

Und ſchmaler, als die andern, ſeyn.

Die Fluͤgelchen ſind gelb, mit ſchwarzen Strichen.

Sie haben, zu dem grabenden Geſchaͤffte,

Jn ihren Fuͤſſen ſo viel Kraͤfte,

Daß ſie die haͤrteſte Erde trennen,

Und eine Hoͤhle machen koͤnnen;

Es waren ihrer fuͤnf, nicht mehr.

So weit ging nun auf das, was ich ihn fragte,

Was mir der Gaͤrtner ſagte.

Jch dachte darauf nach: Woher

Die Kaͤferchen doch hier zuſammen kaͤmen,

Durch welchen Trieb ſie ſich in ſolcher Einigkeit,

Und mit vereinter Kraft, zu gleicher Zeit,

So ſchwere Muͤh zu uͤbernehmen,

Zum allgemeinen Zweck bequemen.

Wir helfen uns zwar oft mit dem Jnſtinet: Allein,

Was kann undeutlicher und dunkler ſeyn,

Als eben dieſes Wort? Mir kam indeſſen fuͤr,

Ob wuͤrden etwan dieſe Thier’,

Jndem ſie durch die Luft geflogen,
Durch
[382]Das Begraͤbniß des Maulwurfs.
Druch den verweſenden Geruch, herbey gezogen.

Oft mehr, oft weniger, da jedes denn fuͤr ſich,

Mit ſeinen Fůſſen ſich beſtrebt,

Durch Kratzen, etwas Erd allmaͤhlig aufwerts hebt,

Ohn Abſicht eigentlich,

Auf ſeine Compagnie zu haben;

Und dadurch wird, indem er niederſinkt,

Der Maulwurf allgemach begraben,

Darauf im Dunklen ungeſtoͤrt,

Von dieſen Kaͤferchen verzehrt.

Doch bleibet dieſes wahr dabey.

Daß alles dieß mehr, als man meynt,

Und als es etwan manchem ſcheint,

Betrachtung- und Bewundrung-wuͤrdig ſey.


Alles
[383]Alles von Gott.

Alles von Gott.


Wenn ich des Schoͤpfers Huld erwege,

Wie viel er Gutes zu mir lenkt,

Und alles, was er mir geſchenkt,

Bedachtſam bey mir uͤberlege:

So ſcheints, ich muͤßte mich faſt ſchaͤmen,

So gar viel Gutes hinzunehmen,

Da ich von dem, was mir beſchehrt,

Des allerwenigſten kaum werth.

Allein,

Es faͤllt mir dabey ein:

Mein Geiſt, was willt du dich erkuͤhnen?

Willt du denn Gott was abverdienen?

Soll etwan, was er ſchenkt, ein Lohn, von deinen guten Wer-
ken, ſeyn?

Bey dieſer Meynung iſt dein ſchwaͤrmender Verſtand

Mit einem Jrrthum ſtark beladen.

Es wird die Gottheit, bloß aus Gnaden,

Der Geber aus der Gab erkannt.

Ach laß mich denn, mit Luſt und Freuden,

Den Geiſt an deinen Gaben weiden;

Denn auch das Wollen ſteht nicht einſt in meiner Macht;

Und laß, wenn ſich darauf ſo Geiſt als Sinnen lenken,

Mich oft und ſtets an dich gedenken!


Un-
[384]Ungluͤckſelige Gewohnheit.

Ungluͤckſelige Gewohnheit.


Wer in Arabiens verſengten Wuͤſteneyen,

Wo Wolken nichts, als Sand, ſtatt feuchten Regen,
ſtreuen;

Wo das verbrannte Land von Laub und Grafe leer,

Gebohren und erzogen waͤr;

Haͤtt aber nimmer Gras, nie Laub und Kraut,

Nie Blumen, Bluͤht und Frucht geſchaut,

Und ſehe denn von ungefaͤhr einmal,

Zumal zur Abendzeit, im niedern Sonnenſtral,

Der Wieſen Glanz, bebluͤmte Felder,

Durchſtralte Schatten-reiche Waͤlder,

Und ihres Laubs faſt guͤldnes Gruͤn;

Wuͤrd ihm nicht, auſſer ſich fuͤr Freuden,

Sein Auge von ſo holdem Schein

Und bunter Schoͤnheit abzuziehn,

Nicht ſchwer, ja faſt unmoͤglich ſeyn?

Wuͤrd nicht von ihm dieß Theil der Welt,

Das ſo viel Wunder in ſich haͤlt,

Fuͤr unvergleichlich ſchoͤn geſchaͤtzet werden,

Und die Bewohner dieſer Erden

Von ihm nicht bloß gluͤckſelig nur allein,

Faſt ſelig gar geſchaͤtzet ſeyn?

Da wir hingegen leider blind,

Und fuͤhllos faſt fuͤr alle Wunder ſind.


Ueber-
[385]Noͤthige Betrachtung der Werke Gottes.

Ueberzeugende Nothwendigkeit
die Werke Gottes zu betrachten.


Wofern du, was auf Erden ſchoͤn,

Nicht wuͤrdig haͤlſt, es anzuſehn:

So nuͤtzet, was Gott zugericht,

Es nuͤtzt das guͤldne Sonnenlicht,

Es nuͤtzt dein Wunder-reich Geſicht

Nicht dir, auch deinem Schoͤpfer nicht.

Wofern du deines Denkens Kraft,

Der Seelen edelſt’ Eigenſchaft,

Mit dem, was du auf Erden findeſt,

Durch deine Sinnen nicht verbindeſt:

So iſt der Creaturen Pracht,

Fuͤr dich, ſo gut als nicht gemacht.

Als Schoͤpfer kann ja Gott auf Erden

Unmoͤglich ſonſt geehret werden.

Du mußt demnach, daß du ein Vieh,

Und gar nicht beſſer ſeyſt, gedenken;

Suchſt du nicht anders, als wie ſie,

Dein Herz auf ſein Geſchoͤpf zu lenken,

Und ihm das Opfer deiner Luſt und der Bewunderung zu
ſchenken.


Br.VI.Th. B bGe-
[386]Gegruͤndete Hoffnung.

Gegruͤndete Hoffnung.


Laß mich, o Herr! zu deinem Preiſe,

Auf meines regen Lebens Reiſe

Mich immer dergeſtalt verhalten,

Damit ich, wenn ich ſoll erkalten,

Mich deiner Huld getroͤſten moͤge.

Laß mich das Jtzt, von meinem Leben,

So anzuwenden, mich beſtreben,

Daß ich, Herr! deine weiſe Wege

Jn deinen Werken, die ſo ſchoͤn,

Mag hoͤren, fuͤhlen, ſchmecken, ſehn;

Daß, wenn ich ſoll von hinnen gehn,

Jch mit Vergnuͤgen uͤberlege,

Wie viel mir Guts von dir geſchehn,

Daß ich, wie ſchwach ich gleich, mich freue,

Und mir zu einem Troſt gedeyhe,

Wenn ſich dazu dieß Denken fuͤgt:

Daß ich, o Schoͤpfer dieſer Welt,

An vielem, was ſie Guts enthaͤlt,

Zu deinem Ruhm, mich oft vergnuͤgt.

Ach! laß mich anders nicht gedenken,

Als dieß, aus kindlich reinem Triebe:

„Da du, o Herr, die ewge Liebe;

„Wirſt du mich nicht in Nichts verſenken,

„Noch minder in der Hoͤlle ſchrenken;

„Vielmehr, da du in dieſem Leben

„Mir ſo viel Gutes ſchon gegeben,

„Mir dort unendlich mehr noch ſchenken.


Bil-
[387]Billiger Wunſch.

Billiger Wunſch.


Mit erſtaunendem Vergnuͤgen,

Sollte billig alle Welt,

Was der Weltkreis in ſich haͤlt,

Wie ſich alle Dinge fuͤgen,

Wie des Schoͤpfers Werk ſo ſchoͤn,

Und Betrachtungs-wuͤrdig, ſehn.

Laß mich, Herr! wie wunderſchoͤn,

Alle Dinge, die geſchehn,

Und die bloß durch dich entſtehn,

Worin lauter Wunder liegen,

Mich beſtreben, anzuſehn,

Mit erſtaunendem Vergnuͤgen!


B b 2Schul-
[388]Schuldigkeit der Menſchen Gott zu dienen.

Schuldigkeit
der Menſchen Gott zu dienen.


Es iſt mir oftermal der Zweifel aufgeſtiegen,

Ob auch die Menſchheit wohl, der Gottheit zum Vergnuͤgen,

Jhm Lob und Ruhm und Preis und Ehre

Zu geben, faͤhig waͤre,

Da wir ſo niedrig und ſo klein,

Jm Gegenſatz von ſeiner Groͤße, ſeyn?

Koͤnnt eine Muͤcke wohl, gedacht ich, durch ihr Singen,

Uns Ruhm und Preis und Ehre bringen?

Noch minder wird, durch uns, der Gottheit Ruhm erhoͤht.

Zumal, da unſer Dienſt im Bethen meiſt beſteht,

Jm Bethen, worin wir, wenn wirs recht uͤberlegen,

Weit mehr, als unſerm Gott, uns ſelbſt zu dienen pflegen.

Allein es fiel mir auch hingegen ein,

Was wir, durch den Verſtand, fuͤr Gaben,

Fuͤr andere Geſchoͤpf, empfangen haben,

Ja daß, ſelbſt durchs Gebeth, ob es gleich nicht ſo ſcheint,

Man Gott mehr dienet, als man meynt.

Jch muß es, dir und mir zur Lehr und Troſt, erzaͤhlen:

Wir opfern im Gebeth, nicht nur von unſern Seelen,

Der Gottheit einen Theil; wir zeigen noch dabey,

Daß wir begreif- und uͤberzeuglich wiſſen,

Wie Gott ſo groß, und uns zu helfen maͤchtig ſey,

Daß wir, allein durch ihn, geholfen werden muͤſſen.

Glaub, Hoffnung, Demuth, Lieb und eine Zuverſicht,

Er werde, wie er kann, auch uns zum Beſten, wollen,

Steckt alles im Gebeth. So laßt nach unſrer Pflicht,

Uns Gott, was ihm gebuͤhrt, im bruͤnſtgem Bethen, zollen.

Ja
[389]Schuldigkeit der Menſchen Gott zu dienen.
Ja! laßt uns weiter gehn,

Und wie wir unſerm Gott, im Danken, zu erhoͤhn,

Wie niedrig wir auch ſind, mit frohem Ernſt, beſehn!

Jm Dank iſt alles das, was im Gebeth, nicht nur;

Es ſchließt, zu Gottes Ehr,

Das Danken noch viel mehr,

Als wie das Bethen, ein. Wir finden eine Spur

Von Jnbrunſt, Freundlichkeit, Erkaͤnntlichkeit und Liebe,

Vergnuͤgen, Andacht, Luſt und Flammen-reiche Triebe,

Des großen Schoͤpfers heilgen Willen,

Verbothnen Laſtern feind, gehorſam zu erfuͤllen,

Bewunderung, Begier, in ſeinen Werken,

Des Schoͤpfers Weisheit, Macht und Guͤte zu bemerken,

Den Abgrund ſeiner Macht, erſtaunt, zu uͤberdenken,

Jn ſeine Lieb allein uns bruͤnſtig zu verſenken,

Und, wenn es moͤglich waͤr, uns ſelber ihm zu ſchenken.

Hieraus nun koͤnnen wir, recht uͤberzeuglich ſchlieſſen,

Daß wir durchaus nicht denken muͤſſen,

(Durch falſche Demuth bloß verfuͤhrt,)

Als ob, den großen Gott zu ehren,

Wir viel zu klein, und zu geringe waͤren.


B b 3Noͤ-
[390]Noͤthige Erklaͤrung.

Noͤthige Erklaͤrung.


So oft wir in der Bibel leſen,

Daß Gott, im Buſch, mit Moſe ſprach:

So ſcheints, denkt man nicht weiter nach,

Ob waͤre Gott dort ganz geweſen.

Wie von dem Bilde, ja von einem alten Mann,

Man wohl nichts beſſers denken kann.

Allein:

Wie trieget uns ein ſolcher Schein!

Der Millionen Sonn- und Erden,

Der aller Himmel Himmel fuͤllt,

Kann durch ein ſolches winzigs Bild,

Mit Recht nicht abgebildet werden,

Jm Buſch nicht eingeſchloſſen ſeyn.

Mit ſolchen ſchmaͤlernden Jdeen,

Die große Gottheit anzuſehn,

Und was allgegenwaͤrtig, ſich,

So eng begraͤnzet, vorzuſtellen,

Jſt ſtraͤflich, laͤch- und laͤſterlich.

Man kann kein ander Urtheil faͤllen,

Wenn wir, mit dem Begriff, es leſen,

Als daß die große Gottheit da,

Wie Moſes ihn im Buſche ſah,

Nur bloß allein in Aſia,

Und in Europa nicht, geweſen.

Du ſprichſt: Wer wird doch ſo gedenken?

Jch ſprech: Ein jeder, dem das Bild,

Vom alten Mann, ſein Hirn erfuͤllt,

Wird Gott im Buſche ganz verſchrenken.

Man muß dahero, Gott zu ehren,

Die Stelle mit Vernunft erklaͤren.

Suͤſ-
[391]Suͤſſigkeit eines guten Gewiſſens.

Suͤſſigkeit
eines guten Gewiſſens.


Wenn man aus vernuͤnftgem Hoffen oder Glauben, daß
es dem,

Welcher uns und alles ſchuf, naͤhrt und fuͤhret, angenehm

Und gefaͤllig werde ſeyn, etwas laͤſſet, oder thut;

Heiſſet es ein Gottesdienſt. Bloß der Glaube macht es gut.

Einem ſolchen reinen Dienſt folget eine Art von Lohn

Gleichſam auf dem Fuſſe nach. Jn ſich ſelbſt verſpuͤrt man ſchon

Ein vergnuͤgt und ſanft Empfinden, innige Zufriedenheit,

Unſern Pflichten gegen Gott, als der Urquell aller Gaben,

Jn Bezeugung unſers Abhangs, uns gemaͤß bezeugt zu haben;

Als wodurch man, in der Gott ſchuldgen Unterwuͤrfigkeit,

Den geſchenkten freyen Willen, unſer einigs Eigenthum,

Jhm zu ſeines Namens Ruhm,

Aufzuopfern ſich beſtrebt. Dieſes iſt, was eigentlich

Wir ein gut Gewiſſen nennen, und wovon ein jeder ſich

Einen billigern Begriff, ſich zum Nutz und Gott zur Ehre,

Oft zu machen, pflichtig waͤre.

Hieraus ſollt auf Erden billig unſre groͤßte Ruh entſpringen.

Nichts ſollt unſern Seelen billig groͤßeres Vergnuͤgen bringen,

Als ein oͤfter, froͤlich, redlichs und vernuͤnftigs Ueberlegen,

Daß wir, aus erkenntlichem, kindlich-frey-doch ſchuldgem Triebe,

Der allein Anbethungs-werthen Weisheit, Macht und ewgen Liebe,

Jhrer Hoheit, Wuͤrdigkeit, Majeſtaͤt und Liebe wegen,

Es auch wegen mannichfachen, bloß von ihr erhaltnen, Gaben,

Oft zu Liebe was gethan oder unterlaſſen haben.


B b 4Goͤ-
[392]Goͤtzendienſt.

Goͤtzendienſt.


Wer nicht, in Gottes Creaturen, ſein’ Allmacht, Lieb und
Weisheit ehrt,

Und nichts zu ſeinem Preiſe denkt, wenn er die Wunder ſieht
und hoͤrt,

Jn welchem er ſich offenbart, faſt fuͤhlbar und faſt ſichtbarlich,

Scheint nimmermehr ein guter Chriſt,

Und, wo nicht gar ein Atheiſt,

Ein Goͤtzendiener wenigſtens (von einer Gottheit, die er ſich,

Zu ſeinem Beſten, ſelbſt erdacht,

Die gleichſam bloß fuͤr ihn allein,

Erſchuf und wirket, was ſie wirket, ihn ſegnet und ihn ſelig
macht,)

Ja, mit Verſtand und Sinnen, doch Verſtand- und Sinnen-
los zu ſeyn.


Nothwendige Ueberlegung.


Erwegt, um weniger zu fehlen, geliebte Menſchen, zweyerley,

Mit mehrerm Ernſt, als wie bisher: Ob unſer Wil-

le wirklich frey,
Und die Vernunft vernuͤnftig ſey.


Bil-
[393]Aufloͤſung eines gewiſſen Einwurfs.

Billige Aufloͤſung
eines nicht unbilligen Einwurfs.


Jch ſehe dich, in deinen Werken,

O Herr! mit Dank und Andacht an:

Ach laß mich dich, ſo viel ich kann,

Jn ihrer Pracht und Menge, merken!

Ach ſchenke mir die Eigenſchaft,

Und meiner Seelen dieſe Kraft,

Daß deiner Werke Schmuck mich ruͤhre,

Und mich, ſo oft ich ihre Pracht,

Mit Achtſamkeit und Freude, ſpuͤre,

Sie mich zu dir, o ewge Macht,

O ewge Lieb und Weisheit! fuͤhre;

Dieweil, ſo viel ich kann ergruͤnden,

Kein Dienſt, der wuͤrdiger fuͤr dich, o Herr, zu finden.

Allein,

Mir faͤllt hiebey dennoch ein Zweifel ein:

Wenn dieß ein Gottesdienſt, und es zu ſeiner Ehre

So noͤthig, als gebothen, waͤre;

Wenn Gott, der Herr, daß man ihn ehren ſollte,

Jn ſeiner Creatur Betrachtung, haben wollte:

Wie koͤnnt es denn doch moͤglich ſeyn,

Daß faſt kein Menſch, auf dieſe Weiſe,

Dem Schoͤpfer der Natur zum Preiſe,

Empfindet, ſieht und hoͤrt,

Und man ſo wenig Gott in ſeinen Werken ehrt?

Da tauſend Sterbliche gezeugt ſind, und begraben,

Die nimmer ihrem Gott den Dienſt geleiſtet haben?

B b 5Wie
[394]Aufloͤſung eines gewiſſen Einwurfs.
Wie wichtig dieſer Zweifel ſcheinet,

Jſt er bey weiten doch ſo ſtark nicht, als man meynet.

Jſt dieſes wohl des Schoͤpfers Schuld? Und haͤtt er Men-
ſchen zwingen ſollen,

Daß ſie, bey ihrem freyen Willen, ſie dennoch haͤtten muͤſſen
wollen?

Er leget ihnen tauſend Schaͤtze, in ſeinen Creaturen, vor;

Er macht ſie wunderbarlich ſinnlich; er ſchenket ihnen Aug
und Ohr,

Giebt ihren Seelen Kraft, zu denken, ſie zu gebrauchen, an den
Schaͤtzen

Sich gar, zu ſeiner Ehr, o Wunder! zu freuen und ſich zu er-
getzen:

So iſt es ja der Menſchen Schuld, wenn ſie das, wozu ſie ver-
pflichtet,

Und zwar zu ihrer eignen Luſt, ſich ſelber ſtrafend, nicht ver-
richtet.

Er ſelbſt verlieret nichts dabey. Wie koͤnnen ihm Ge-
ſchoͤpfe fehlen,

Die ſeine Weisheit, Macht und Ehre beſingen, preiſen und
erhoͤhn?

Da wir, nicht nur in der Natur, auch ſelber in der Bibel, ſehn,

Daß ſelbſt die Feſte ſeine Werke, die Himmel Gottes Ehr er-
zaͤhlen,

Daß aller Morgenſterne Schaaren, in ihrem Lob, ihm Ehr er-
weiſen,

Daß Seraphim und Cherubim, mit ſtetem Lobgeſang, ihn preiſen.

Auch iſt es uͤberdem nicht billig, (vielleicht aus Hochmuth)
zu gedenken,

Als ob wir auf der Welt allein uns, durch Geſchoͤpf, zum
Schoͤpfer lenken,
Als
[395]Aufloͤſung eines gewiſſen Einwurfs.
Als ob nur wir allein, geruͤhrt, durch ſeiner Werke Pracht,
ihn lieben,

Da, ſo wie zu Eliſa Zeiten, noch in die ſiebentauſend Seelen,

Die keine Knie fuͤr Baal beugten, noch im Verborgnen uͤbrig
blieben,

Vermuthlich auf der Welt, nach ietzt, es noch nicht wird an
Menſchen fehlen,

Die Gott, als ihren Schoͤpfer, ehren, und in der ſchoͤnen
Creatur

Den Ausbruch ſeiner Liebe merken; iſt gleich von ihnen
keine Spur

So wenig, als wie dort, zu ſehen. Hieraus nun laͤßt ſich
leichtlich ſchlieſſen,

Daß wir an dieſem Einwurf uns nicht aͤrgern oder ſtoßen
muͤſſen;

Wohl aber, daß wir, nach Vermoͤgen, verpflichtet ſeyn, uns zu
beſtreben,

Durch Lehr und gut Exempel, Anlaß der jetz- und kuͤnftgen
Welt zu geben,

Damit ſie, im Genuß der Welt, zu Gottes Ruhm, vergnuͤgter
leben.


Zwei-
[396]Zweifelmuth.

Zweifelmuth
erreget und geſtillet.


Laß mich in meinen Schranken bleiben,

Bloß deine Wunder zu beſchreiben,

Mein Schoͤpfer, die ſo wunderſchoͤn.

Ach laß aus Hochmuth mich, o Herr!

Aufs Maulwurfs Art, mich nicht vergehn,

Jn deiner Gottheit Glanz zu ſehn,

Und ſo, wie dorten Lucifer,

Mich nicht zu meinem Fall erhoͤhn!


Du ſprichſt, geliebter Menſch, ich thue, was ich kann,

Und dennoch geht auch das, ſo ich, zum guten Ende,

Mir vorgenommen, doch nicht an.

Bald reißt ein Zufall hier die Werke meiner Haͤnde,

Bald dort ein Unfall ein, und dem geraͤth es wohl,

Der doch, mit minderm Witz, mit minderm Fleiß,

Sein eitles Werk betreibt. Fuͤrwahr, ich weis,

Und ich begreife nicht, wie ich das nehmen ſoll.

Den Boͤſen gluͤckt es ſtets, die Redlichen verderben;

Ein boͤſer Bube lebt, und fromme Menſchen ſterben.

Doch halt, verwirrter Geiſt, du uͤbereileſt dich,

Und urtheilſt zu vermeſſentlich.

„Denn, daß ich dieß nicht weis; dieß eben ſtellet mir

„Zugleich, in meinem Nichts, das All der Gottheit fuͤr.
Was
[397]Zweifelmuth.
Was wollte man doch ſonſt zu dieſem Einwurf ſagen,

Der jedem ſchwer zu faſſen faͤllt,

Der ſich den Zuſtand dieſer Welt

Vor ſeiner Seelen Augen ſtellt.

„Wie kann doch Gott, der Herr, der ſo gerecht, ertragen,

„Daß auf dem ganzen Kreis der Erden

„So wenig Redliche gefunden werden?

„Wie kann er doch, die ewge Liebe, leiden,

„Daß nicht allein

„Viel Millionen Heiden,

„Und Millionen Tuͤrken, mehr,

„Als Chriſten ſind, auch ſeit viel tauſend Jahren

„Beſtaͤndig mehr geweſen ſeyn,

„Ja, allem Anſehn nach, noch lange bleiben werden;

„Nein, daß, auch ſelber unter Chriſten,

„Jndem ſie nicht allein ſo aͤrgerlich ſich zwiſten,

„Auch faſt in jeder Sect die meiſten gottlos ſeyn,

„Der guten Chriſten Zahl viel tauſendmal ſo klein,

„Als klein die Chriſtenheit, bey allen Nationen,

„Die dort, ſowohl in Aſia,

„Als Africa, zuſamt America,

„Jn ungezaͤhlten Schaaren, wohnen?

„Wie koͤnnt er doch die Bosheits-vollen Schulden

„So vieler Teufels-Diener dulden?

„Die, ſelbſt den Teufel anzubethen,

„Mit Menſchenblut beſchmitzt, vor ſein Altar zu treten,

„Und Menſchen ihm zu opfern, ſich nicht ſcheuen;

„Daß andere * die Menſchheit ſo vergeſſen,

„Und ſelbſt ihr’ eigen’ erſtgebohrne Kinder freſſen.

Daß
[398]Zweifelmuth.
„Daß andre Menſchenblut, wie Waſſer, ſaufen,

„Und Menſchenfleiſch, auf offnem Mark, verkaufen; *
„Daß andre nur darum den Feind zu fangen trachten,

„Um bloß zu ihren Gaſtereyen,

„Nach tauſend Martern, ihn zu ſchlachten;

„Daß andere ſo weit,

„Durch Aberglauben, ſich vergehn,

„Daß, wenn die Kinder nicht zu einer guten Zeit,

„Der Pfaffen Meynung nach, das Licht des Tages ſehn,

„Sie ſelbige ſobald des Tageslichts berauben,

„So, daß auf dieſe Weiſ (es faͤllt was ſchwer zu glauben,)

„Auf hunderttauſend wohl in einem Jahr allein,

„Ermordet worden ſeyn? **

„Wenn eine Zahl, faſt ohne Zahl

„Von Chriſten, nach erlittner Qual,

„Die ſonder Grauſen nicht zu leſen,

„Jn Japan umgebracht geweſen,

„Und daß derſelbigen Verfolgung ſich,

„Wie die Geſchicht uns eigentlich,

„Der menſchlichen Natur zur Schand, entdecket,

„Auf ſechs und zwanzig Jahr erſtrecket.

„Sind in den Kreuzeszuͤgen nicht,

„Von Schwerdt und Hunger aufgerieben,

„Drey Millionen Chriſten blieben?

„Wenn in der Chriſtenheit ſogar,

„Mit Martern, Sengen, Brennen, Morden,

„Solch eine große Chriſten-Schaar

„Zerfleiſcht und hingerichtet worden,
So,
[399]Zweifelmuth.
„So, daß zu einer Zeit ein ganzes Land und Reich

„Faſt einem Schinder-Anger gleich,

„Und voller Todten-Aeſer war.

„Wenn Chriſten einſt in Engelland,

„Nebſt einer großen Chriſten-Schaar,

„Bloß, weil ſie nicht papiſtiſch war,

„Ein ſchwanger chriſtlich Weib verbrannt,

„Und wie ſie in der Gluht fuͤr Schmerz ein Kind gebahr,

„Man auch das Kind den Flammen erſt entriſſen,

„Es dennoch gleich darauf aufs neu ins Feuer geſchmiſſen,

„Auf geiſtlichen Befehl.

Kein menſchlicher Verſtand kann dieß Verhaͤngen faſſen.

Denn, ob man gleich verſchiednes denken kann:

So wird ſich alles doch von uns nicht heben laſſen;

Und geht es mit den wenigſten wohl an.

Man koͤnnte zwar von aller Heiden Menge,

Durch welche der Verſtand am meiſten ins Gedraͤnge

Und in Verwirrung koͤmmt, vielleicht gedenken:

Daß, wenn die Meng auch groß, ſie doch fuͤr den nur klein,

Der weit mehr Millionen Welte,

Als Haar auf aller Haͤupter ſeyn,

Erſchuf, und ſelbige um ihre Sonnen ſtellte:

So kann doch dieß den Zweifel noch nicht heben.

Vielmehr wird die Vernunft uns hier zur Antwort geben:

Des Schoͤpfers Weisheit, Lieb, und Allmachts-Stral

Muß, weil ja Gott auch groß im Kleinen,

Auch in der allerkleinſten Zahl

Sowohl, als in der groͤßten, ſcheinen.

Es geht die menſchliche Vernunft zwar weit,

Und laſſen Gruͤnde ſich, von Wichtigkeit,

Auch bey ſo ſchreckenden Begebenheiten, finden,

Wovon wir uns, nur eins hieher zu ſetzen,
So
[400]Zweifelmuth.
So mir, als dir zur Lehr, mein Leſer, unterwinden,

Und uns dazu verbunden ſchaͤtzen.

So bilde dir denn ein, und ſtelle dir,

Zum Beyſpiel, eine Feldmaus fuͤr,

Die etwan in der Hoͤh, auf einem Huͤgel, ſaͤße,

Woſelbſt, voll Gram, voll ſchwarzer Traurigkeit,

Und bittrer Unzufriedenheit,

Sie, halb erſtarrt, die Grauſamkeit ermaͤße,

Von einem Menſchen, der ſein Feld,

Jn welchem ungezaͤhlte Schaaren

Von Maͤuſen, ſchon ſeit vielen Jahren,

Den Aufenthalt gehabt, mit Waſſer uͤberlaufen,

Und ganz bedecken hieß, ſie ſaͤhe ſelbſt, mit Haufen,

So alt, als jung, erſticken und erſaufen,

Die Neſter umgekehrt, verheeret,

Die ganze Republik verſtoͤret;

Hieruͤber ganz erſtaunt, fing ſie, voll Eifer, an:

O welch ein grauſames Verfahren!

O welche Tyranney!

Wer lebet auf der Welt, der ſolche Barbarey,

Ohn eine billige Verzweiflung, ſehen kann?

Was meynſt du: Koͤnnte wohl die Maus mit Recht

Nicht Klagen, Seufzen, Gram, Grimm und Verzweiflung ſparen?

Du wendeſt nun vielleicht hiegegen ein:

Wie koͤnnen Maͤuſ und Menſchen doch

Jm Ernſt von dir verglichen ſeyn;

Was vor ein Unterſcheid von Menſchen zu den Maͤuſen?

Der Zwiſchenſtand zum menſchlichen Geſchlecht

Von Maͤuſen, iſt zwar groß: Allein, es iſt annoch

Der Zwiſchenſtand, von uns zu Gott, unendlich groͤßer,

Es bleibt auch, ohn Vergleich, der Menſchen Zuſtand beſſer;

Jndem ſie, wie die Maͤuſ, im Sterben nicht vergehn,

Und ſich vernichtigen, nein, ewiglich beſtehn.
Da
[401]Zweifelmuth.
Da denn anſtatt vorher empfundner Qual und Pein,

Die alle, wenn ſie weg, nicht mehr empfunden ſeyn,

Die Gottheit ja, nach dieſer Zeit,

Jn einer ſeelgen Ewigkeit,

Nach einem bald zu nichts gewordnen Leiden,

Mit unausſprechlich-ſuͤſſen Freuden,

Sie zu erquicken weis, die er, nach ſeiner Liebe,

Macht und Gerechtigkeit, nach dieſem wuͤrdig findet,

Sie zu beſeeligen. Weil er allein ergruͤndet,

Nach ſeiner Liebe, Macht und ewgen Weisheit Licht,

Wer ſeiner Gnade werth, und welcher etwan nicht.

Vergleichet man die Dauer dieſer Zeit,

Von einer noch ſo herben Pein,

(Und waͤr ſie noch ſo lang,) mit der Unendlichkeit:

So wirſt du leicht zu uͤberfuͤhren ſeyn,

Daß alles das, was endlich, was vergehet,

Jm Gegenhalt mit dem, was ewiglich beſtehet,

So gut, als waͤr es nie geweſen.

Bedenke doch, ein Leiden, das vorbey,

Wie wenig es dir jetzo fuͤhlbar ſey.

Der Froſt, der geſtern noch die ſtarre Glieder druͤckte,

Die Hitze, welche dich noch geſtern faſt erſtickte,

Die Wunden, die geheilt, ſogar die wilde Qual,

So auf der Marterbank ein Koͤrper ausgeſtanden,

Die ſind ein wirklich Nichts, wenn ſie nicht mehr vorhanden.

Ja, die Erinnerung, da ſie uns noch einmal

Jm Denken quaͤlen koͤnnt, dient, wenn wirs recht erwegen,

Zur Unluſt nicht, zum Troſt. Ein Uebel, das vergangen,

Vermehret noch die gegenwaͤrtge Luſt,

Abſonderlich, wenn uns gewiß bewußt,

Daß wir, ſtatt jener Pein, ein ewig Gut empfangen.

Br.VI.Th. C cEr-
[402]Zweifelmuth.
Erwegſt du dieſes recht, wird wenigſtens zum Theil,

Dein Herz von deiner Sorg und Zweifelmuth geneſen,

Und du biſt deinem Heil

Schon naͤher, als du glaͤubſt.

Was aber die verſchiednen Nationen,

So unterſchiedene Religionen,

Und ihre Zahl betrifft, von welchen man

Den Duldungsgrund nicht faſſen kann:

So zeiget ſich von ſelbſt, wenn Menſchen hier regierten,

Und wir, nach unſerm Witz, der Erde Zepter fuͤhrten,

Wir duldeten dergleichen Jrrthum nicht.

Allein, weil Gott der Herr dieſelben leidet,

Und ſich die Menſchheit ja mit allem Recht beſcheidet,

Daß ihre Weisheit nichts, bey Gottes Weisheits-Licht:

So muͤſſen wir mit Recht die Finger auf den Mund,

Voll Demuth und voll Ehrfurcht, legen,

Und voll Gelaſſenheit, in Andacht, dieß erwegen:
Wir ſehen, daß kein Menſch, ein Gott den Zepter
fuͤhret,

Und daß Gott, als ein Gott, nicht als ein Menſch,
regieret.

Befleißige dich denn ins kuͤnftige darauf,

Jn deinem ganzen Lebenslauf,

Dasjenige, was Gott thut, gut zu finden.

Es iſt der beſte Dienſt, den du in deinem Leben

Dem Schoͤpfer faͤhig biſt, zu geben.
Jn ſein allmaͤchtig All, dein kleines Nichts zu ſenken,

Und in Gelaſſenheit zu ſeiner Ehr, zu denken,

Daß alles, wenigſtens nach ſeinem Endzweck, gut,

Was ein ſo guter Gott geſchehn laͤßt, oder thut.

Durch ſolch Vertrauen kann die Gottheit bloß allein

Am allerwuͤrdigſten von uns verehret ſeyn.

Eini-
[403]Der Groͤnlaͤnder Unwiſſenheit.

Einiger
Groͤnlaͤnder Unwiſſenheit
von Gott.


Wann wir nunmehr faſt uͤberfuͤhret,

Obgleich ſich die Vernunft faſt ganz dabey ver-
lieret,

Daß dort in Groͤnlands Finſterniſſen,

(Wenn wir nicht alles leugnen wollen,)

Sich Menſchen finden ſollen,

Die das geringſte nicht von einer Gottheit wiſſen:

So kann dennoch, in dieſen Dunkelheiten,

Obgleich, dem Anſehn nach, faſt aller Grund gebricht,

Uns dennoch des Verſtandes Licht,

Vielleicht, zu einer Urſach leiten.

Es dient vielleicht der Zuſtand uns zur Lehre,

Damit das menſchliche Geſchlechte,

Durch Eigenlieb und Stolz verfuͤhrt, nicht denken moͤchte,

Als wenn der große Gott der Menſchen Ehre

Beduͤrft und ihres Dienſts benoͤthigt waͤre,

So wie es wirklich ſcheint,

Daß dieß die Menſchheit von ſich meynt.

Daher, wenn dieß auch ſo ſich in der That befinde,

Daß ihrer keiner was von einem Gott verſtůnde,

Es doch ſo aͤrgerlich, wie viele glauben,

Ob lieſſe Gott hiedurch ſich eine Ehre rauben,
C c 2Ge-
[404]Der Groͤnlaͤnder Unwiſſenheit.
Gewiß noch lange nicht;

Jndem die Gottheit ja nicht minder Gottheit bleibet,

Und ihr dadurch ja nichts gebricht,

Ob etwan hier und dar,

Ein unverſtaͤndig Paar

Sich fuͤnde, welches nicht der Gottheit Weſen glaͤubet.

Es zeigt vielleicht, daß nichts, als Lieb, ihn treibe,

An unſerm Dienſt ſich zu vergnuͤgen,

Und daß, ohn unſer Seits, ihm etwas beyzufuͤgen,

Er Vater, Gott und Schoͤpfer bleibe.

Es ſey dann, daß er ſelbſt, wie wir ihn dienen ſollen,

So wie er uns gethan, ſich offenbaren wollen.


Auf-
[405]Aufmerkſamkeit.

Aufmerkſamkeit.


O Gott! wie iſt das Sonnenlicht

So hell, ſo ſchoͤn, ſo wunderſchoͤn!

Wie wunderbar iſt das Geſicht,

Wodurch wir ſeine Schoͤnheit ſehn!

Wie ſchoͤn iſt ferner das geſchmuͤckt,

Was man allhier, durch beyd, erblickt!

Erwegt, wie viel-wie vielerley,

Durch beyd uns zugeeignet ſey!

Jſt dieſe Dreyheit denn nicht werth,

D aß man mit Freuden des gedenket,

Der Licht, Geſicht, und Koͤrper ſchenket,

Und uns ſo manche Luſt beſchehrt,

Daß man, in unſrer Luſt, ihn ehrt?

Daß man, wenn man was ſchoͤnes ſieht,

Sich wenigſtens ſo viel bemuͤht,

Das, was man ſiehet, recht zu ſehn?

Das heißt, zum Sehn das Denken fuͤgen,

Das heißt, ſich als ein Menſch vergnuͤgen,

Und Gott, in unſrer Luſt, erhoͤhn.

So kann man unſern Gott nur preiſen;

So kann man ihm nur Ehr erweiſen.

Da wir hingegen ſeine Macht,

Jn dem, was er hervorgebracht,

Und ſeine weiſe Huld verachten,

Wenn wir ſie nicht mit Luſt betrachten.


C c 3Wuͤr-
[406]Wuͤrdige Anwendung der Naturlehre.

Wuͤrdige und rechte
Anwendung der Naturlehre.

Nach Anleitung des Spectac. de la Nature.


Wir wollen hier des Schoͤpfers Wege faſſen:

Gott aber will ſich nicht begreifen,

Und hier nur bloß bewundern laſſen.

Er wollte ſeine Wunder haͤufen,

Damit durch ſie wir hier auf Erden,

Statt kluͤger, moͤchten beſſer werden,

Und unſre durchs Geſchoͤpf geruͤhrete Gemuͤther,

Jn Dankbarkeit, doch wuͤrden angetrieben,

Den großen Urſprung aller Guͤter

Zu ehren, zu erhoͤhn, zu lieben.

Er ſcheint uns hier nichts zuzumuthen,

Als ihn, fuͤr eine Quell von allem unſern Guten,

Erkenntlich anzuſehn,

Und, bloß in unſrer Luſt, ihn zu erhoͤhn.

Dadurch, daß ſein Geſchoͤpf ſo ſchoͤn;

Hat er darauf die Augen ziehen wollen.

Doch, weil wir auf den Nutz der uns geſchenkten Gaben,

Zu unſerm Beſten, ſehen ſollen:

So ſcheint er ihren Bau und innerliche Kunſt,

Mit einem dichten Nebel-Dunſt,

Mit Fleiß fuͤr uns bedeckt zu haben.

Er will uns, im Begriff, ſo ſehr nicht uͤberfuͤhren,

Auf welche Weiſ er alle Pracht,
Von
[407]Wuͤrdige Anwendung der Naturlehre.
Von ſeiner Creatur, gemacht;

Er will uns hier nur bloß, durch ſeine Wohlthat, ruͤhren.

So zeigen uns demnach die Wunder der Natur,

Die Menge goͤttlicher Geſchenke nur.

Je mehr wir darin nun die Wiſſenſchaften haͤufen,

Je mehr wir ihre Meng und große Zahl begreifen;

Je mehr wir wirklich ſehn und faſſen, wie viel Gaben

Wir, bloß durch ſeine Huld, empfangen haben.

Heißt aber denn nun das, was uns geſchenket, faſſen,

Wenn wir den, ders geſchenkt, aus unſern Augen laſſen?

Es ſind der Menſchen Wiſſenſchaften nicht anders werth und
hochzuachten,

Als in ſo fern ſie mit dem Herzen, und dem empfindlichen
Betrachten,

Jn einiger Verbindung ſtehen. Es nimmt das Herz den
Rang faſt ein,

Jm Menſchen, den der Menſch, in der Natur, beſitzet.

Ohn Ordnung, ſonder Nutz, waͤr alles auf der Welt,

Wofern der Menſch nicht waͤr, der es fuͤr ſich benuͤtzet,

Verlohren, ohne Nutz, iſt, was der Menſch enthaͤlt,

Wofern ſein Herz nicht Antheil daran nimmt.
Wie alles, fuͤr des Menſchen Herz, ſo iſt das Herz
fuͤr Gott, beſtimmt.


C c 4Ver-
[408]Verlaͤngerung des Vergnuͤgens.

Verlaͤngerung des Vergnuͤgens.


Jch habe, durch des Hoͤchſten Huld, erlaubte Luͤſte dieſer Welt,

Jm Ueberfluß, geſchmeckt, auf manche Art empfunden:

Allein ich hab auch oft gefunden,

Daß ſie, eh ich mirs vorgeſtellt,

Und meiſtens unvermerkt, verſchwunden.

Jch dachte oftermal hiebey,

Ob denn die Freuden feſt zu binden,

Die Anmuth laͤnger zu empfinden,

So gar kein einzigs Mittel ſey?

Und fand zuletzt, daß bloß das Denken

Uns faͤhig, eine Luſt, von laͤngrer Daur, zu ſchenken.

Durch Denken kann und mag allein

Uns der Genuß der Luſt nur zugeeignet ſeyn.

Wir werden, wenn wir uns ergruͤnden,

Beym Kuͤnftigen, bey uns, ein Denken finden,

Das wir gemeiniglich die Hoffnung nennen.

Wir finden vom Vergangnen auch,

Daß wir uns ſein erinnern koͤnnen;

Und dieſes Denken iſt bey uns der Brauch,

Daß wir es das Gedaͤchtniß nennen.

Soll denn die Gegenwart allein

Ohn alles Denken ſeyn?

Dieß Denken iſt, wenn wir auf etwas achten,

Und heiſſet billig, das Betrachten.

Jndem uns nun in dieſem Leben,

Die Gegenwart allein, zu unſerm Brauch gegeben:

So iſt es ja Bedaurens-werth,
Daß
[409]Verlaͤngerung des Vergnuͤgens.
Daß wir, an den allein uns zugehoͤrgen Schaͤtzen,

So traͤge ſind uns, zu ergetzen.

Ach wenn wir Menſchen uns doch nur gewoͤhnen moͤchten,

Bey allem dem, was wirklich ſchoͤn,

Daß es auch wirklich ſchoͤn, zu ſehn!

Und wir es mit Bewunderung bedaͤchten!

Auch daß wir dem, der alle Pracht,

Zu unſrer Luſt, hervorgebracht,

Ein froͤlichs Herz davor zum Opfer braͤchten:

So wuͤrden wir nicht nur den Schoͤpfer ehren;

Es wuͤrd auch unſre Luſt zugleich viel laͤnger waͤhren.

Der Weg iſt leicht dazu. Es faͤllt ja gar nicht ſchwer,

Bey allen goͤttlichen Geſchenken,

Wie folget, etwan zu gedenken:

„Wie iſt doch dieß, was ich genieſſe,

„So ſchoͤn! ſo ſanft! ſo bunt! ſo lieblich, und ſo ſuͤſſe.

„Es iſt des Schoͤpfers Werk und Gabe.

„Gottlob! daß ich es
  • hoͤren
  • fuͤhlen
  • ſehen
  • riechen
  • ſchmecken
kann! Gottlob! daß ich es
habe!


C c 5Ge-
[410]Gegenſatz.

Gegenſatz.


Die allerverwildertſten dornigſten Hecken,

Die ſtachlichtſten Kraͤuter, der oͤdeſte Sand,

Die nackteſten Klippen und Felſen entdecken

Uns einen ſonderbaren Stand,

Der zu erwegen werth. Sie dienen

Jm Gegenſatz mit der bebluͤmten Matten

Gefaͤrbten Schmelz, und faſt ſmaragdnen Gruͤnen,

(So wie auf ein Gemaͤld und Schilderey der Schatten,

Durch ſchwarz und dunkel-braune Stellen,

Die licht- und ſchoͤnern zu erhellen,)

Der hohlen Oerter Pracht noch zu erhoͤhn.

Sie laſſen uns von dem, was ſchoͤn,

Das Schoͤne noch viel ſchoͤner ſehn.

Jn einer ſchoͤnen Landſchaft Schimmer,

Wo eine Pracht und Zier mit einer andern immer

Verbunden und gefuͤgt,

Und uns durch ſteten Glanz vergnuͤgt,

Bringt uns Gewohnheit oft zur Unempfindlichkeit.

Die unaufhoͤrliche Vollkommenheit

Macht unſre Freude ſtumpf, und nach und nach

Wird aller Eindruck ſchwach,

Den ſie in unſerm Geiſt ſowohl, als dem Geſicht,

Uns billig wirken ſollt. Denn die Gedanken gehn

Mehr auf dasjenige, ſo fremd, als welches ſchoͤn.

Jndem die Neuigkeit mehr, als die Pracht,

Uns die Bewundrung groͤßer macht.

Ja, durch die Menge ſelbſt wird unſer Sinn zerſtreut,

Und dieſes bringet uns leicht zur Undankbarkeit.
Allein,
[411]Anſchickung zum Kuͤnftigen.
Allein, wenn wir zuweilen duͤrre Hoͤhn,

Wenn wir ein oͤd unfruchtbar Land,

Ein ſchwarzes Mohr, verbrannten Sand,

Und ſchroffe nackte Felſen ſehn:

So zeigen ſie uns, wo man wohnen muͤßt und koͤnnte,

Wenn Gott uns nicht was beſſers goͤnnte.


Anſchickung zum Kuͤnftigen.


Es iſt ja wohl mehr, als glaͤublich,

Und vermuthlich unausbleiblich,

Daß wir uns, nach dieſer Erden,

Unſers | Thuns erinnern werden.

Will man ſich denn nicht beſtreben,

Hier auf Erden ſo zu leben,

Daß man ſich, in Gottes Werken,

Seine Liebe zu bemerken,

Und an ſeinen vielen Gaben,

Wenigſtens an jedem Tag,

Einmal ſich erfreut zu haben,

Dort erinnern kann und mag?


Herz-
[412]Herzlicher Wunſch.

Herzlicher Wunſch.


Meine Seel iſt ſehr vergnuͤgt; aber, bey den reichen Gaben,

Die wir in ſo ſchwerer Menge, Herr von dir empfan-
gen haben,

Daß ſie wirklich nicht zu zaͤhlen, und ſo groß als ungemein,

Sollte ſie noch mehr erfreuet, billig weit vergnuͤgter ſeyn.

Ein noch weit durchdringender, ein empfindlicher Empfinden

Sollte meine ganze Seele, zu noch heiſſerm Dank, verbinden,

Und ein feuriger Betragen, dir zum Ruhm, in mir entzuͤnden.

Aber, ließ ich, nebſt der Seele, meinen Leib vor Liebe brennen:

Wuͤrd esdoch ein wuͤrdig Opfer, Herr vor dir nicht heiſſen koͤnnen,

Alſo troͤſt ich mich damit, daß, da aller Engel Choͤre,

Aller Creaturen Schaaren, aller Himmel Himmel Heere,

Dich nicht wuͤrdig loben koͤnnen, es wohl mir nicht moͤglich ſey.

Dennoch wuͤnſch ich inniglich, daß, nach aͤuſſerſtem Vermoͤgen,

Jch das Gute fuͤhlen moͤge! daß mir der beſchehrte Segen

Jnnig mag ans Herze gehn! daß ich ſtets, wie vielerley,

Wie unzaͤhlig vielerley, Gnaden-Gaben und Geſchenke,

Jch erlangt und noch beſitze, mit Vergnuͤgen, uͤberdenke,

Daß ich redlich danken moͤg’! und daß meiner Lieder Lallen,

Wie das Stammlen eines Kindes dir, o Vater, mag gefallen.


Wort-
[413]Wort-Streit.

Wort-Streit.


Nicht, etwas wirklich zu ergruͤnden,

Nicht, daß man will die Wahrheit finden;

Nein; Sondern dieß gemeiniglich:

Mit Zung und Lunge zu probiren,

Mit lautem Schreyen, uͤberfuͤhren,

Daß du ſo klug nicht ſeyſt, als ich,

Daß meiner kluͤger, als dein Geiſt,

Und viel erhabner. Dieſes heißt,

Mit einem Worte: Diſputiren.


Ge-
[414]Geringfuͤgigkeit unſers Danks.

Geringfuͤgigkeit
unſers Danks.


Da ſo viel Millionen Choͤre,

Von Engeln, deine Wunder preiſen,

Da ſo viel Millionen Heere,

Von Himmeln, dir ſtets Ehr erweiſen;

Muß ja mein Dank wohl wahrlich klein,

Und dir, Regierer aller Dinge!

Gewiß nicht weniger geringe,

Und kann nicht mehr betraͤchtlich ſeyn,

Als wenn man, zu des Meeres Strand,

Noch wollt ein einzigs Koͤrnchen Sand,

Als eine große Gabe, legen.

Wenn wir nun dieß mit Ernſt erwegen:

So will es faſt nicht anders ſcheinen,

Als das, was wir von Danken meynen,

Sey eitel. Doch, wenn mans ermißt,

Daß du, o Gott! auch groß im Kleinen,

Und uͤberall zugegen biſt:

So ſcheint es doch auch offenbar,

Daß dieß, zu unſerm Troſte wahr:

Da dir, o Schoͤpfer, unſer Stand,

Und unſer Dank nicht unbekannt;

Es wird, aus Lieb und Gnad allein,

Dir
  • beydes nicht misfaͤllig ſeyn.
  • unſre Luſt gefaͤllig ſeyn.


Ver-
[415]Erkenntniß der Werke Gottes.

Vergnuͤgliche
Erkenntniß der Werke Gottes.


Jch lebe recht und wirklich, da ich hier,

Jn deiner Creaturen Zier,

O großer Schoͤpfer, mich an dir,

Jn einer ſtillen Ruh, vergnuͤge,

Und Lob und Dank, zu meiner Freude, fuͤge.

Jch ſehe deine Wunder an,

Und zweifel’, ob ein Koͤnig kann,

Von ſeinem Schimmer-reichen Leben,

Ein wirklicher Vergnuͤgen heben,

Und ob ihm alle ſeine Macht,

Und ob ihm alle ſeine Pracht,

Mehr wahre Freude koͤnne geben.

Sein Schloß, von Marmor eingefaßt,

Mit Gold und Purpur ausgezieret,

Die ſeiner hohen Buͤrde Zeichen,

Kann an den ſchoͤnen Welt-Pallaſt,

Den, da deſſelben Pracht mich ruͤhret,

Der Schoͤpfer fuͤr mich aufgefuͤhret,

Und waͤr der noch ſo ſchoͤn, nicht reichen.

Des Himmels Glanz, der Sonnen Gluht,

Der gruͤne Wald, die glatte Fluth,

Das Feld, der guͤldnen Aehren Meer,

Sind mein, durch wiederhohltes Denken:
Daß
[416]Erkenntniß der Werke Gottes.
Daß nemlich Gott, zu ſeiner Ehr,

Mich wuͤrdigt, der Geſchoͤpfe Heer

Jn ſolcher Fuͤlle mir zu ſchenken.

Ach laß mich oft derſelben Pracht,

Und was ſie herrlichs in ſich hegen,

O Schoͤpfer, der du ſie gemacht,

Zu deinen Ehren, uͤberlegen,

Auch den darin geſenkten Segen

Von dir fuͤr mich mit Luſt erwegen.

So werd ich, in Vergnuͤglichkeit,

Die mir von dir geſchenkte Zeit

Jn Unſchuld-voller Ruh, verbringen,

Und deine Vollenkommenheit

Nicht hier allein, auch dort beſingen.


Fer-
[417]Betrachtung des Weltmeers.

Fernere Betrachtung
des
der Erde ſo nuͤtzlichen Weltmeers.

Nach Anleitung des Spectacl. de la Nat.


Jndem wir nun das weite Meer, als wie ein goͤttlich Werk,
ermeſſen:

Laßt uns deſſelben unbeſchreiblich- und groͤßten Nutzen nicht
vergeſſen.

Wir werden, wenn wir dieß mit Ernſt, und wie man billig ſollt,
ergruͤnden,

Des Meeres und der Sonnen Wunder, zu Gottes Ehr, aus-
nehmend finden.

Unmoͤglich koͤnnt’ der Erdenkreis im Stande, wie er iſt, be-
ſtehn,

Aufs wenigſt muͤßte, was da lebte, unfehlbar ſterben und vergehn,

Wenn wir nicht Fluͤß und Regen haͤtten. Nun zeigt ſich, daß
von Fluͤß- und Regen,

Und von dem, bloß allein durch ſie, bey uns gewirkten Wunder-
Segen,

Das Meer, der Urſprung und die Quelle. Dieß Wunder iſt
wahrhaftig werth,

Daß man die Weisheit, Lieb und Allmacht desjenigen in De-
muth ehrt,

Und die Bewunderns-werthe Ordnung, auf welche Weiſe dieß
geſchicht,

Mit ehrerbietger Luſt betrachtet. Es kommen, durch das
Sonnenlicht,
Br.VI.Th. D dWie
[418]Betrachtung des Weltmeers.
Wie alle Tropfen in dem Regen, auch alle Baͤch und Stroͤme
her,

Aus dem Behaͤlter aller Waſſer, dem ja ſo tief-als weiten Meer,

Wie ſchwer es auch zu glauben ſcheint. Daß ſich, aus Duͤn-
ſtungen allein,

So ungeheurer Fluͤſſe Meng ohn Unterlaß ins Meer ergieſſen,

Von welchen viel, in einer Weite, von mehr als achtzig Meilen,
flieſſen,

Nebſt allen Waſſern auf der Welt, ſcheint keine Moͤglichkeit
zu ſeyn,

Ob ſichs gleich wirklich ſo verhaͤlt. Der hellen Sonnen
Wunderſtral

Zieht aus der weiten Waſſerwelt, dem Meer, und deſſen Ab-
grunds-Thal,

Durch des allmaͤchtgen Schoͤpfers Ordnung, ſolch einen Vor-
rath in die Hoͤh,

Von Duͤnſten, in die duͤnne Luft, daß man die Luft mit Recht
wird koͤnnen,

Ein ungemeßnes Reich von Duͤften, von feuchten Duͤnſten
eine See,

Die groͤßer, als die Tiefe ſelber, und Sammlung großer Waͤſ-
ſer, nennen,

Die aber droben, durch die Duͤnne, in ſolchen Stand geſetzet
werden,

Daß ſie, durch Steigen und durch Sinken, zum Nutz und Be-
ſten unſrer Erden,

Bereitet und erhalten ſind. Aus deren Menge denn allein

Nicht nur die Baͤche, Stroͤm und Fluͤſſe, auch alle andre Feuch-
tigkeiten,

Die allen Pflanzen, allen Thieren, im Trank, die Nahrung zu-
bereiten,

Nur bloß entſtehen, zugerichtet, und wie ſie ſind, formiret ſeyn.

Nun
[419]Betrachtung des Weltmeers.
Nun iſt des Meeres Salzigkeit fuͤr uns ein faſt unſchaͤtzbar
Gut,

Und welches ihm, aus weiſer Abſicht, ſo, wie das Licht der
Sonnen Gluth,

Zu Anfang wirklich anerſchaffen, nicht aber, wie man etwan
meynet,

Und wie es, aus verſchiednen Gruͤnden, den Forſchern der Na-
tur-Kraft ſcheinet,

Als ob es ſein ſo noͤthig Salz, von ſeinen Ufern oder Bette,

Und unterirdſchen Gaͤngen zoͤge, und es nicht wirklich in ſich
haͤtte.

Jndem, bey naͤhrer Unterſuchung, wie tief man auch das Meer
ergruͤndet,

Dennoch auf deſſen tiefem Boden, von Salz ſich keine Spur
befindet.

Dieß Meeres Salz nun, daß es nicht in ſteter Stille ſinken
moͤchte,

Und folglich die geſchwaͤchte Kraft der Erden mindern Nutzen
braͤchte,

Wird es, o Wunder! unaufhoͤrlich, und ſtets durch Ebb und
Fluth, geruͤhrt,

Und die beſtaͤndig regen Theile an allen Orten hingefuͤhrt.

Wo etwas unſers Schoͤpfers Weisheit, und ſeine Macht
und Liebe weiſet,

Wo etwas ſeine Abſicht, Ordnung, und nie begriffne Wunder
preiſet,

Wo was Bewunderung verdient: So iſt es warlich Ebb und
Fluth,

Je minder ſie begreiflich iſt. Es hat der Schoͤpfer nicht allein

Dem Meer, das, wenn ſichs nicht bewegt, und immer wuͤrde
ſtille ſeyn,
D d 2Ver-
[420]Betrachtung des Weltmeers.
Verfaulen und verderben wuͤrde, die Wind’ und ihre ſtrenge
Wuth,

Aus weiſer Abſicht zugetheilet. Er hat, weil dieſe noch zu
fluͤchtig

Und ungewiß, ein andres Mittel, das unveraͤnderlich und richtig,

Das Meer in ſtetiger Bewegung zu unterhalten, ausgefunden,

Und dadurch Nutzen und Ergetzen recht unverbeſſerlich ver-
bunden.

Daß wir den eigentlichen Grund von dieſem Wunder nun
nicht faſſen,

Soll jemand, der es unterſucht, ſich billig nicht befremden
laſſen.

Denn, alle Dinge faſſen wollen, iſt ſtolzer Hochmuth; und
hingegen

Das, ſo wir unſerm Schoͤpfer ſchuldig, fuͤr ſeine Fuͤhrung,
nicht erwegen,

Jſt ein faſt mehr als viehiſches Betragen und Unwiſſenheit,

Ja gegen ſeine Macht und Liebe, Verachtung und Undank-
barkeit.

Sind ſolche große Wunderwerke nicht unſerer Betrachtung
werth,

Und daß man deſſen Weisheit, Ordnung, Regierung, Fuͤhrung,
Lieb und Macht,

Der den Zuſammenhang der Dinge geordnet und hervorge-
bracht,

Nach allen unſers Geiſtes Kraͤften, in froͤlicher Bewundrung,
ehrt?

Dieß Meer-Salz nun, das alle Waſſer, auch Fiſch, in ih-
rer Daur erhaͤlt,

Hat, auſſer dieſen Nutzbarkeiten, zu der Erhaltung unſrer
Welt,
Noch
[421]Betrachtung des Weltmeers.
Noch zweyerley, ſo ſehr betraͤchtlich. Das erſte, daß die
duͤnnen Theile,

Ohn alle Hindrung, ſonder Anſtand, und ungehemmt, in ſte-
ter Eile,

Durch die erhoͤhnde Kraft der Sonnen, ſich mit den Duͤn-
ſten aufwerts heben,

Und dadurch Luft und Erd und Pflanzen die Fruchtbarkeit
beſtaͤndig geben.

Das andre, daß die ſchweren Theile, zu ſtarker Duͤnſtung
widerſtreben,

Weil ſonſt zu viele Feuchtigkeiten ſich in die Luft erhoͤhen
moͤchten,

Die denn, in gar zu vielem Regen, gewiß der Erde Scha-
den braͤchten.

Das Salz iſt mit des Waſſers Weſen recht innerlich
vereint und feſt,

Wodurch ſichs, durch der Sonnen Waͤrme, davon nicht gerne
trennen laͤßt,

Und da es, in der duͤnnen Luft, die Wirkungen der Waͤrme
hindert,

Sind, bis zur rechten Regens-Maaße, die Duͤftungen dadurch
gemindert.

Je mehr die Waͤrme Theilchen Salz begegnet, die ihr
widerſtehn,

Je minder ſind der Waſſer Theilchen, die ſich durch ihre Kraft
erhoͤhn,

Da nemlich das vorhandne Salz das Waſſer in ſich ſchwe-
rer macht,

So wird der Waͤrme Zug gemildert, und in die rechte Maaß
gebracht.

D d 3Wir
[422]Betrachtung des Weltmeers.
Wir haben denn dem Meer-Salz mehr, als wie man glau-
ben wird, zu danken,

Denn, durch daſſelbe bleibt die Menge des ſuͤſſen Waſſers in
den Schranken,

So ſonſt, durch die zu ſchwere Menge, und von der Feuchtig-
keiten Buͤrde,

Anſtatt uns Fruchtbarkeit zu ſchaffen, den Erdenkreis er-
ſaͤufen wuͤrde.

Wann oben nun gemeldet worden, es kaͤmen, einzig aus
dem Meer,

Die großen Waſſer aller Fluͤſſe, der Regen auch, aus Duͤn-
ſten her,

So faſt unmoͤglich ſcheinen will, da wir ja Waſſerſtroͤme
kennen,

Die mit ſo ungeheurem Guß, der mehr als achtzig Meilen breit,

Mit einer ſchrecklich-ſchweren Laſt, in nimmer unterbroch-
nem Rennen,

Faſt jeden Augenblick ein Meer ins Meer, mit ſtrenger Hef-
tigkeit,

Und einem ſolchen Druck und Drang, ergieſſen, ſtuͤrzen, welzen,
treiben,

Daß es kein Sinn zu faſſen tuͤchtig, und keine Feder zu
beſchreiben:

So iſt es billig unſre Pflicht, um unſers Schoͤpfers Macht
zu preiſen,

Daß alle Fluͤſſe, Teich- und Seen, aus Duͤnſten ſtammen,
zu erweiſen.

Dieß kann, mit groͤßrer Deutlichkeit, mehr uͤberzeuglich
nicht geſchehn,

Als wenn wir, was Erforſchungen, nebſt der Erfahrung, zei-
gen, ſehn;
Es
[423]Betrachtung des Weltmeers.
Es haben viele weiſe Maͤnner, an manchem Ort, ſich unter-
wunden,

Zu unterſuchen, wie viel Regen, in einem Jahr, auf unſre Welt,

Wohl fallen moͤcht, wozu ſie denn, ein groß Gefaͤß hinaus
geſtellt,

Entfernt von Haͤuſern und Gebaͤuden. Da ſie denn mehren-
theils gefunden,

Wenn ſie, nach einem jeden Regen, die Hoͤh bemerkt, ſie auf-
geſchrieben,

Und endlich ordentlich addirt, daß es bey zwanzig Daumen
blieben,

So in Paris ſo wohl, als Zuͤrch, in London und in Amſterdam,

Jn einem Jahr geregnet hab. Aus dieſen laͤßt ſich billig ſchlieſſen,

Daß auf dem ganzen Kreis der Welt, in dieſer Maaſſe un-
gefehr,

Und eins ins andere gerechnet, bald minder und bald etwas
mehr,

Die Duͤnſte, die zu Regen worden, nach allem Anſehn, fal-
len muͤſſen.

Doch, um noch mehrer Richtigkeit, und Ordnung, laßt
uns uns bequemen,

Und bloß nur funfzehn Daumen hoch, anſtatt der zwanzig,
anzunehmen:

So wird ſich dennoch ſo viel zeigen, daß, bloß auf einer Ru-
then Erden,

Auf fuͤnf und vierzig Fuͤſſe Waſſer, in einem Jahre, fallen
werden,

Den Fuß gewuͤrfelt angenommen. Dieß wird auf ſechzig
Meilen nun,

So wie man ſie in Frankreich hat, im Jahr auf vierzehn
mehr noch thun,
D d 4Als
[424]Betrachtung des Weltmeers.
Als ſieben hundert Milliaren, nebſt hundert funfzig Millionen,

Dergleichen Cubſcher Fuͤſſe Waſſern. Nun hat ja Frankreichs
ſtaͤrkſter Fluß,

Die Seine nemlich, ihren Stoff aus einem Dunſt und Regenguß.

Sie haben denn die Seine ſelber bey dieſer Waſſer-Laſt be-
trachtet,

Und daß ſie lange nicht ſo groß, mit vielem Fleiß und Ernſt,
beachtet.

Bequem dazu nun zu gelangen,

Hat ein vernuͤnftger Mariotte ſie ſo zu meſſen angefangen.

Die Louvre-Bruͤcke, ſo die Seine durch Pfeiler in die Enge
ſchlieſſet,

Und unter deren breiten Bogen ihr Waſſer unaufhoͤrlich
flieſſet,

Jſt auf vier hundert Fuͤſſe breit,

Das Waſſer iſt fuͤnf Fuͤſſe tief, woraus zwey tauſend Fuͤß
entſtehn.

Um nun den Raum zu uͤberſehn,

Den die zwey tauſend Fuͤſſe laufen, in einer angeſetzten Zeit,

Warf er ins Waſſer einen Stock, und merkt in deſſen Schnel-
ligkeit,

Zugleich die Schnelligkeit des Waſſers, und fand, daß immer
eine Laͤnge

Auf die zwey hundert funfzig Fuͤſſe, in einer jeglichen Minut,

Durch die gewoͤlbten Bogen-Gaͤnge,

Sich unaufhoͤrlich drang und floß. Allein, wir wollen uns
bequemen,

Und weil der Seine rege Fluth

Nicht immer gleich geſchwinde laͤuft; nicht mehr, als hundert
Fuͤſſe, nehmen,
Anſtatt
[425]Betrachtung des Weltmeers.
Anſtatt zweyhundert funfzig Fuͤſſe: So kann ein jeder leicht
erfahren,

Daß die zweytauſend Cubſche Fuͤſſe, die jetzt noch an der Bruͤ-
cke waren,

Jn einer einzigen Minute ſchon hundert Fuͤſſe ſich entfernt,

Woraus man uͤberzeuglich lernt,

Daß an ſo viel zwey tauſend Fuͤſſen ſie hinter ſich her Raum
gemacht,

Als ſie, auf ihrer ſtillen Reiſe, an Fuͤſſen einzelne vollbracht.

Hierauf nun trifft, ohn allen Zweifel und Fehl, die Rech-
nung richtig ein,

Es muͤſſen von dergleichen Waſſer, an ſolchen wuͤrfelichten
Fuͤſſen,

Jn einer einzigen Minute, auf zweymal hundert tauſend
flieſſen.

Vermehret man nun dieſe Zahl mit ſechzig; ſind, in einer
Stunde,

Zwoͤlf Millionen ſolcher Fuͤſſe, und noch an Millionen, acht,

Mehr als zweyhundert achtzig noch, in einem Tag und einer
Nacht,

Dahin gefloſſen und gefahren:

Jm Jahr ein folglich hundert fuͤnf, an wohlgezaͤhlten Mil-
liaren,

Und hundert zwanzig Millionen daruͤber. Alſo ſie-
het man,

Daß dieſe Zahl, wie groß ſie auch, doch an der Waſſer-
Fuͤſſe Zahl,

Jm Regen, als die ſechsmal groͤßer, auf keine Weiſe rei-
chen kann,

Da ſie auf ſieben hundert vierzehn, von Milliaren, ſich er-
ſtrecket,
D d 5Und
[426]Betrachtung des Weltmeers.
Und hundert funfzig Millionen daruͤber. Hieraus wird
entdecket,

Wie in den Duͤnſten, Schnee und Regen, ſolch eine Laſt vom
Waſſer ſtecket,

Woraus faſt fuͤnfmal ſo viel Fuͤſſe, als wie wir haben, koͤnn-
ten werden.

Wer nun, mit menſchlichem Gemuͤth, die Wunder-Ord-
nung uͤberlegt

Und wie, durch ſolche Macht und Weisheit, der Bau des
Waſſers und der Erden,

Auf eine ſolche weiſe Weiſe, regieret wird, mit Ernſt erwegt,

Und dann kein herrlich Regiment, kein’ Allmacht, keine Gott-
heit ſpuͤrt,

Die ſolche ungeheure Koͤrper, ſo leicht, ſo ordentlich regiert;

Wie wird doch der ſich ſelbſt vernuͤnftig, begabt mit einer
Seele, nennen,

Und, zum verſtaͤndigen Geſchoͤpf, gemacht zu ſeyn, verlangen
koͤnnen?


Ueber-
[427]Ueberzeugliche Ueberfuͤhrung.

Ueberzeugliche Ueberfuͤhrung.


B.
Was iſt das fuͤr ein ſchoͤner Tag! genieß ihn! denke,
daß er ſchoͤn;

Er faͤhret ſonſten ſchnell dahin, und wird, wie ein Geſchrey,
vergehn.

M.
Und wenn ich auch daran gedenke, wird er doch darum
nicht verweilen,

Er wird, in ſeiner regen Fahrt, ſo wohl, als ſonſt, von
hinnen eilen.

B.
Wofern man eine Schuͤſſel Fruͤchte, um deine Zunge zu
ergetzen,

Auf etwa einer Viertelſtund, dir ließ auf deine Tafel ſetzen:

So weis ich nicht, ob du derſelben, dich wegern wuͤrdeſt, zu
genieſſen,

Bloß darum, weil die Diener etwan ſie, auf dem Tiſch,
nicht lange lieſſen.

Du wuͤrdeſt dich, ſo viel ich denke, vermuthlich deſto eh be-
quemen,

Dieſelben deſto eh zu nehmen.

So laß auch einen ſchoͤnen Tag, ohn ihn, im Denken, zu
genieſſen,

An den, der dir denſelben ſchenkt, doch ungepruͤfet nicht
verflieſſen.


Der
[428]Der Schoͤpfer uͤberall gegenwaͤrtig.

Der Schoͤpfer uͤberall
gegenwaͤrtig.


Erweget doch die Ordnung in der Welt,

Wie weislich, der ſie ſchuf, ſie auch erhaͤlt.

Das Vieh, das ſelbſt nicht ſaͤen kann,

Trifft ungeſaͤt ſein Futter an.

Es treibet ja, daß ſie geſaͤttigt werden,

Das Gras, fuͤr ſie, von ſelbſt ſich aus der Erden.

Der Menſch hingegen, welcher ſaͤen,

Und egen, pflanzen, binden, maͤhen,

So kann als ſoll; der hat dazu die Hand,

Hat den beſorgenden Verſtand,

Damit er viel mag wohl verwalten,

Zu ſeinem Eigenthum, von dem erhalten,

Den wir, in ſeinen weiſen Werken,

Nicht ſehen koͤnnen: Doch ſo klar,

So uͤberzeuglich offenbar,

Jn ihrer Ordnung, ihn bemerken,

Daß unſer Geiſt darin ihn heller faſt erblickt,

Als wie ein leiblich Aug, ihn ſelbſt zu ſehn, geſchickt.

Je mehr wir uͤberall die Kraͤfte der Natur,

Mit einiger Aufmerkſamkeit, ergruͤnden,

Je klar-und deutlicher wir eine helle Spur,

Von Gottes uͤberall vorhandnem Weſen, finden.

O Gott! da ich auf ſo viel Arten,

Jn Feldern, Waͤldern und im Garten,

Jm Meer, und in des Himmels Hoͤh,
Den
[429]Der Schoͤpfer uͤberall gegenwaͤrtig.
Den Ausbruch deiner Guͤt empfinde;

Ja in, und an und um mich ſeh,

Wie deine Guͤte, deine Treue,

Mit jedem Morgen ſich verneue,

Und uͤberall den Schoͤpfer finde:

So gieb, daß, in empfundner Luſt,

Mein Geiſt, in der geruͤhrten Bruſt,

Dir diene, deinen Ruhm erhoͤh,

Und dich mit allen Kraͤften preiſe,

Auf eine dir gefaͤllge Weiſe!

Nun kann ich dir, o Herr, zu ſchenken,

Nichts dir anſtaͤndigers erdenken,

Als mit erkenntlichem Gemuͤthe,

Fuͤr deine Weisheit, Macht und Guͤte,

Von Herzen wuͤnſchen, froh zu ſeyn.

Doch ſpuͤr ich, daß auch ſelbſt mein Wollen,

Was wuͤrdigs, dir, o Herr! zu zollen,

Scheint es gleich mein, dennoch nicht mein.

Und, wenn auch ſolches ſoll gelingen,

Es eben ſo, wie das Vollbringen,

Von dir uns muß geſchenket ſeyn.


Wunſch
[430]Wunſch und die Allwiſſenheit.

Wunſch.


Jch finde meine groͤßte Freude, an deiner Creaturen Zier,

Ach moͤchte dieſe meine Luſt dir zum gefaͤllgen Opfer tuͤgen,

Mein’ Anmuth dir gefaͤllig ſeyn! ach laß, o Herr, ich fleh zu dir,

Mein durch dein Werk gewirkt Vergnuͤgen, aus Gnad und Liebe,
dich vergnuͤgen.


Die Allwiſſenheit.


Es koͤmmt, von einem jeden Menſchen’, das Hirn, als wie
ein Schauplatz, mir,

Denn die fuͤnf Sinnen ſtets veraͤndern; als Spieler, die
Gedanken fuͤr.

Was muͤſſen nicht, an Luſt- und Trauer, darin, o Schoͤpfer!
hier auf Erden,

Vor deinen alles ſehnden Augen, fuͤr Schauſpiel aufgefuͤhret
werden!


Nu-
[431]Nutzen der Erkenntlichkeit.

Nutz
der Erkenntlichkeit.


Daß ich allhier, in ſanfter Stille,

Und ſichrer Ruhe ſitzen kann;

Seh ich, aus deiner Liebe Fuͤlle,

Als einen Stral der Gnaden, an.

Ach moͤchte mich der Stral entzuͤnden!

So wuͤrd ich die gewiſſen Spuren

Der ſonſt verborgnen Gottheit ſehn,

Sein all erſchaffend Wort verſtehn,

Und, in vernuͤnftigem Empfinden,

Wie alles, was er ſchuf, ſo ſchoͤn.

Sein’ Allmacht, Liebe, Weisheit finden,

Und ihn am wuͤrdigſten erhoͤhn!


Des
[432]Des Menſchen Zorn

Des Menſchen Zorn thut nicht
was vor Gott recht iſt.


Die allerlaͤcherlichſte Suͤnd, und ſchaͤdlichſte Gemuͤths-Be-
wegung

Jſt, wenn wir, durch des Naͤchſten Thun, uns das Gebluͤt
in eine Regung,

Und bittre Wallung bringen laſſen, die Aergerniß und Ei-
fer heißt:

Wodurch der Koͤrper nicht allein in Krankheit, auch zugleich
der Geiſt,

Jn eine Art von Raſerey, wie man den Zorn nicht unrecht
nennet,

Sich ungluͤckſelig ſetzen laͤßt. Von allen Laſtern, die man
kennet,

Hat jede, nebſt des Stachels Spitze, doch auch noch Honig;
aber hier

Jſt End und Anfang gallenbitter, und toͤdtlich Gift, durch
welches wir

Uns ſelbſt mit Noth und Pein belegen, anſtatt den Naͤchſten
zu beladen,

Und ſtatt den ſchuldigen zu ſtrafen, faſt niemand, als uns
ſelber, ſchaden.

Die ſchnelle Gluth des regen Eifers iſt Stuͤck- und Buͤch-
ſen-Pulver gleich,

Das oben mehr, als ſeitwerts, ſchlaͤgt, und deſſen toͤdtlich ſtar-
ker Streich,

Des Nachbars Haus oft kaum erſchuͤttert, ſein eignes in die
Luͤfte ſprengt.
Em-
[433]thut unrecht vor Gott.
Empfindlichkeit iſt hier der Schwefel, wozu der Geiz die
Kohlen menget,

Die Eigenliebe den Salpeter, der Eigenſinn und Uebermuth,

Zu dem ſo ſehr gefaͤhrlichen, ſich ſelbſt verzehrnden Stoff, die
Gluht,

Zu eigenem Verderben fuͤget, von welcher Großmuths-vollen
That,

Man denn, ſtatt billiger Belohnung, mit Recht noch Schimpf
und Schande hat.

Man ſeh ein zorniges Geſicht doch einſt mit kalten Sin-
nen an!

Kann wohl zugleich was ſcheußlichers und laͤcherlichers auf
der Erden,

Wie ſolch ein halb Beſeßner macht, und ſich verſtellt, gefun-
den werden,

Als den man ſelbſt, kaum ohne Zorn und Furcht und Mitleid,
ſehen kann?

Die Augen, voll von ſchwarzer Gluht, bemuͤhn ſich gleich-
ſam zu verſtecken;

Die tiefgeſenkten Augenbrahnen, die theils die wilde Scheuß-
lichkeit

Der glimmen Augen zu vermehren, und theils dieſelbe zu
bedecken,

Nach aller Kraft, bemuͤhet ſcheinen, formiren zu derſelben
Zeit,

Aus den ſonſt zierlichen Ovalen, zwo kleine tiefe Moͤrder-
Hoͤhlen,

Wodurch man den verſtoͤrten Sitz der aufgebrachten wilden
Seelen,

Halb fuͤrcht-halb laͤcherlich erblickt. Er wuͤrde, Baſilisken
gleich,
Br.VI.Th. E eWenn
[434]Des Menſchen Zorn.
Wenn die Natur ſo ſtrengen Gift ihm nicht verſaget, ohne
Zweifel,

Den Feind, mit ſeinen Blicken toͤdten; er ſtuͤrzt ihn gar ins
Hoͤllen-Reich,

Und gaͤbe (wie die Zung es ja verraͤth,) ihn in der That
dem Teufel.

Sein ſchaͤumend Maul, bald laut, bald ſtumm, fuͤr Wuth und
uͤbermachten Eifer,

Druͤckt bald in ſeine untre Leffze die ſtumpfen Zaͤhne
voller Geifer;

Bald knirſcht ſein grimmiges Gebiß; bald ſpeyt der aufgeriß-
ne Mund

Verwirrte Schmaͤhwort ohne Zahl, ja ſchreyt und bellet, wie
ein Hund.

Nun ſehe man doch eine Larve, von ſo verzognen Zuͤgen, an,

Ob man von einem Ebenbilde des Schoͤpfers was drin fin-
den kann,

Ja, ob auch nur was menſchliches, in dem Betragen, ſich
entdecke.

Was es noch vor betruͤbte Folgen, im Geiſt und Leib, und
ſonſt erwecke,

Jſt uͤberfluͤßig zu erweiſen. Man weis ja, daß des Eifers
Macht

So viel in Noth und Pein geſtuͤrzet, und endlich gar ins Grab
gebracht.

Ach moͤcht ein Menſch, in ſeiner Hitze, doch einſt vor einen
Spiegel gehn,

Und nur allein die aͤußre Stellung, vom Koͤrper und Geſicht,
beſehn:
So
[435]thut unrecht vor Gott.
So weis ich, wuͤrd er ganz gewiß ein Scheuſal in ſich ſelbſt
entdecken,

Und fuͤr ſein’ eigene Geſtalt, die ihm doch ſonſt ſo lieb, er-
ſchrecken;

Wo nicht, ſo wuͤnſcht ich, daß dieß Lied mit gnugſam kraͤftgen
Farben ihnen,

Ein aͤhnlich Bild des Zorns zu zeigen, ſtatt eines Spiegels
moͤchte dienen,

Damit die ungluͤckſelge Quelle der Bosheit, die Empfind-
lichkeit,

Mit mehrerm Ernſt erkannt, verſtopfet, und gegen ſie, zu aller
Zeit,

Mit Macht geſtritten werden moͤchte. Jch will mich wenig-
ſtens bemuͤhen,

So andern, als mir ſelbſt zum Beſten, die Unſchulds-Mask
ihr abzuziehen,

Um dieß, dem Schein nach, Kind des Himmels, doch in der
Wahrheit, Kind der Hoͤllen,

Jn ſeiner eigentlichen Stellung, und ungeſchminket, vorzu-
ſtellen.

Jch nenne die Empfindlichkeit, von unſerm Naͤchſten nichts
zu leiden,

Die Misgeburth der Eigenliebe, den groͤßten Feind von al-
len Freuden,

Und unſern eignen groͤßten Feind, der, was uns die Natur
geſetzt,

Die Gottes, unſers Naͤchſten Liebe, und unſer eigene verletzt.

Zu viele Liebe vor uns ſelbſt verurſacht, daß wir ſelbſt
uns haſſen,

Daß wir die uns geſetzten Schranken, aus uͤbermuͤthgem Stolz,
verlaſſen,
E e 2An-
[436]Des Menſchen Zorn
Anſtatt, wie es zu unſerm Beſten, Natur und Schrift uns
vorgeſchrieben,

Den Schoͤpfer, uns, und unſern Naͤchſten, uns gleich, gemein-
ſchaftlich zu lieben;

So reiſſen wir uns aus der Mitten, und lieben nichts, als
uns allein,

Wodurch wir denn, ganz uͤberzeuglich, beſtaͤndig ungluͤckſelig
ſeyn.

Mit unſerm Jch allein beſchaͤfftigt, erklaͤrt man ſich fuͤr
aller Feind,

Und zieht, durch einen Wechſel-Handel, der jedermann erlau-
bet ſcheint,

Sich aller Feindſchaft wieder zu. Wie kann mit unſerm
Wohlergehen,

Da die Partey ſo gar nicht gleich, ein ſolch Betragen doch
beſtehen?

Da, wie ein andrer Jsmael, man ſich ſelbſt gegen alle Welt,

Und alle Welt auch gegen ſich, hinwiederum verreizt und
ſtellt.

Wenn man, mit Ernſt, den wahren Urſprung von der Em-
pfindlichkeit erwegt:

So iſt die Wurzel nichts, als Hochmuth, der Samen zu viel
Eigenliebe,

Die Frucht, die dieſe boͤſe Pflanze, und zwar in ſchwerer Men-
ge, traͤgt,

Sind bloß zu unſers Naͤchſten Schaden und Nachtheil ab-
gezielte Triebe,

Wodurch man aber mehrentheils ſich ſelber nur Verdruß erregt,

Und, da man andre ſchlagen will, ſich ſelbſt am allerſtaͤrkſten
ſchlaͤgt.

Nun
[437]thut unrecht vor Gott.
Nun koͤmmt vom aufgeblaſnen Stolz, das Mittel, das er
brauchet, mir

So unzulaͤnglich, als auch thoͤricht, und gar zu niedertraͤchtig fuͤr,

Anſtatt, wie er ja immer will, ſich uͤbermuͤthig zu beſtreben,

Vor allen ſich hervorzuthun, ſich uͤber alles zu erheben,

So macht er ſich, durch Zorn und Eifer, veraͤchtlich, laͤcherlich
und klein,

Ja, zeigt dem andern ſelbſt die Wege, daß er ſein Herr und
Meiſter ſeyn,

Und ſeine Ruhe ſtoͤren koͤnne, ſo oft er will. Dieß zu vermeiden,

Jſt dieß das allerbeſte Mittel, die einzge Cur: So bald ihr ſeht,

Daß jemand, er ſey, wer er ſey, worin ſich gegen euch vergeht,

So zwinget euch, die erſte Regung zu unterdruͤcken, ohn zu
leiden,

Daß man, wie ihr getroffen, merke. Dieß zeigt, daß ihr euch
ſelbſt beſitzt,

Es zeigt Verſtand und Weisheit an, es zeiget Großmuth. Eure
Minen,

Die wenn ihr boͤſ, euch ſcheußlich machen, die werden ohne
Zweifel dienen,

Euch Ehr und Beyfall zu erwerben, und eben dieſe Hand-
lung nuͤtzt,

Den Feind zu kraͤnken, zu verwirren, ihn zu beſchaͤmen, klein
zu machen.

Euch wird man loben und bewundern, den andern haſſen und
belachen.

Zu ſolchem kluͤglichen Betragen verbindet euch nun ja ſo ſehr,

Ein zugeblaſner Eigennutz, als der Natur und Bibel Lehr,

Den Naͤchſten, ſo wie euch, zu lieben,

Denn, wenn ihr ſo den Naͤchſten liebet, ſo liebt ihr ihn, doch
euch noch mehr.

E e 3Ge-
[438]Des Menſchen Zorn
Geſchicht euch Unrecht, und ihr meynet, ihr muͤſſet euch
nothwendig raͤchen:

So denk ich ein’ erlaubte Rache euch hier nicht eben abzu-
ſprechen;

Jch will mit dieſer meiner Lehre, zu eurem Beſten, dieß allein:

Jhr ſollt, anſtatt an euren Feind, euch nur nicht an euch
ſelber machen,

Anſtatt nur ihm, euch wehe thun, nicht euer eigner Henker ſeyn.

Wenn ihr euch noch ſo ſehr erboßt: So wird er eurer Bos-
heit lachen,

Jndem ihr ſeinen Willen thut. Er kann ja, wie er will, euch
lenken;

Jhr plaget euch, auf ſein Geheiß; ihr ſeyd ſein Sclav; er wollt
euch kraͤnken;

Jhr kraͤnket euch, ſo oft er will. Hat ers nun aber nicht gewollt,

Wie es zuweilen wohl geſchicht, und was er that, waͤr aus
Verſehen,

Aus Uebereilung oder Schwachheit, und gar aus Vorſatz nicht,
geſchehen:

So uͤberlegt doch ſelbſt einmal, ob euer aufgebrachtes Blut,

Ob euer Eifern, Schaͤnden, Schmaͤhlen, Verfolgung, Bos-
heit, Zorn und Wuth,

Von Billig- und Gerechtigkeit, auch den geringſten Schein
nur hege,

Und ob man euer Thun fuͤr menſchlich, und fuͤr vernuͤnftig
halten moͤge,

Da ihr, aus Uebereilung, euch und eurem Naͤchſten Schaden thut.

Wer lachet uͤber Hunde nicht, die grimmig in die Steine
beiſſen,

Mit welchen ſie ihr Feind geworfen? da wir hingegen, durch
die Wuth,
Viel-
[439]thut unrecht vor Gott.
Viel toller noch, als Hunde handeln, nicht Feind, nicht Stein,
uns ſelbſt zerreiſſen,

Wenn man, durch aufgebrachte Galle, ſich kraͤnkt und ſich am
wehſten thut.

Wer wollte nun, ſolch einem Feind zu widerſtehn, ſich nicht
bequemen,

Der, wenn er ſiegt, uns laͤcherlich, veraͤchtlich, toll und elend
macht?

Wer wuͤrde wohl das wilde Thier, das man im Buſen hegt,
nicht zaͤhmen,

Wuͤrd es nur recht, nach ſeinem Weſen, die Folg, und die
Gefahr bedacht,

Kurz; ſoll, in deinem ganzen Leben, dich deine Thorheit nicht
gereuen,

So mußt du gleich, ſo bald dein Zorn nur eben ſeinen Anfang
nimmt,

Sobald dir, gegen deinen Naͤchſten, ein Funken in der Bruſt
entglimmt,

Anſtatt ihn eifrig aufzublaſen, nur eilig in denſelben ſpeyen.

Du wirſt dadurch im Stande kommen, durch deines Feindes
eigne Waffen,

Dir wahre Satisfaction, wie man es nennet, zu verſchaffen.

Hingegen bleibt es laͤcherlich, durch ſchnellen Eifer ſich bemuͤhn,

Sich ſelbſt zu ſchaͤnden, ſich zu plagen, ſich Pein und Krankheit
zuzuziehn,

Und wenn ein andrer uns beleidigt, den andern nicht, ſich ſelber
ſtrafen.


E e 4Him-
[440]Himmels-Betrachtungen.

Himmels-Betrachtungen.


Jch hatte juͤngſt, am ſpaͤten Abend, verſchiednes uns zur
Lehr geſchrieben,

Als ich mich, durch die Heiterkeit des Himmels, kraͤftig ange-
trieben,

Und gleichſam recht gereizet fand, die Schaaren der geſtirn-
ten Hoͤhen,

Zu meiner Luſt, doch mehr zum Ruhm des Herrn der Schaa-
ren, anzuſehen.

Jch nahm die Kinder mit heraus, um ihre Seelen auch
zu ruͤhren,

Und, durch dieß wuͤrdigſte Spectakel, ſie, auf der Wunder
Quell, zu fuͤhren.

Wir ſenkten unſre rege Blicke in den Saphiernen Abgrunds-
Thal,

Bewunderten, von ſo viel Lichtern, ſo wohl den ſtets verſchied-
nen Stral,

Als ihr beſtaͤndig reges Funkeln, doch noch am meiſten ihre
Zahl.

Jndeß nimmt einer meiner Soͤhne, mein Jochim Wilhelm,
ungefehr

Ein ihm geſchenktes Perſpectiv, bemuͤht ſich, in den tiefen
Gruͤnden,

Den Jupiter, der ihm vor andern am hellſten ſchien, dadurch
zu finden,

Und giebt, ſo bald er ihn gefunden, mit Jauchzen mir ſein
Fernglas her,

Um dieſen großen Glanz zu ſehen. Jch nahm es, brauchts,
und ſtutzte ganz,
Ob
[441]Himmels-Betrachtungen.
Ob dieſes Sterns vergroͤßerten und durch das Glas ver-
mehrten Glanz.

Ein lieblich Licht, ein blaulicht Funkeln, ein ſtiller Stral,
ein heller Schein,

Durchfuhr mein Auge, traf den Geiſt, und nahm mich mit
Vergnuͤgen ein,

Erheiterte mein ganz Gehirn, und ſchien mein ganzes Haupt
zu fuͤllen,

Mit einer hellen Reinigkeit. Kunnt ich nun (weil das Glas
zu klein,)

Die vier Trabanten gleich nicht ſehn, noch ihren richtgen
Lauf enthuͤllen:

So ſah ich ſie doch in Gedanken, und bethete die weiſe Macht

Des, der ſie wunderbar regieret, ſo wie er ſie hervor gebracht,

Jn tiefer Ehrfurcht froͤlich an. Es naͤhrte ſich mein
froher Sinn,

An dieſer großen Himmels Tafel, dem Herrn der Creatur zum
Preiſe,
Als wie an einer Himmels-Speiſe.

Jch richtete mein Perſpectiv nachher auf einen Firſtern hin,

Den Unterſcheid des Lichts zu ſehn, der zwiſchen ihnen und
Planeten,

Jch fand auch einen ſchnell. Allein, wie ſtutzte mein erſtaunter
Sinn,

Als ich denſelben kleiner zwar, doch in ihm ſolch ein buntes
Blitzen,

Jn | unaufhoͤrlicher Bewegung, als wenn viel Millionen
Spitzen,

Die bald Saphier, und bald Smaragd, und bald ein reiner
Diamant,

Bald ſchuͤtternde Rubinen ſchienen, in immer ſchoͤnerm Glanze,
fand.

E e 5Dieß
[442]Himmels-Betrachtungen.
Dieß zeigte mir den Unterſcheid der Fixſtern und Pla-
neten klar,

Und daß dieß nimmer ſtille Blinken ein wahres Sonnen-Feu-
er war.

Drauf fuͤhrt es, in erſtaunter Ehrfurcht, mich auf die praͤch-
tigen Gedanken,

Von unſers Schoͤpfers großen Werken, ohn alle Grenzen,
Zahl und Schranken,

Durch ihre Groͤß, auf ſeine Groͤße. Jndem aus ihrer Groͤße,
Pracht,

Und Meng und Herrlichkeit, an Weisheit, an Liebe, Majeſtaͤt
und Macht,

Der allerwuͤrdigſte Begriff, von einer wahren Gottheit, quillet,

Die alles Denken, allen Raum und aller Himmel Himmel
fuͤllet.

O wahres Bildniß einer Gottheit, das etwas goͤttlichs
ſichtbar zeigt!

Das aller Engel, aller Geiſter Begriff und Wiſſen uͤberſteigt,

Vor dem, was auf und in der Erden, und unter ihr, die Knie
beuget!

So dacht ich, als ich, mit Entſetzen, in meinem Glaſe (deſſen
Laͤnge,

Kaum eines Fußes lang, die Oeffnung keines Groſchens groß,)

Nebſt meinem erſt erblickten Fixſtern, in des Saphirnen
Abgrunds Schooß,

Jch unverhofft, voll frohen Schrecken, vor Luſt erſtaunt, noch
eine Menge,

Von Stral-und Schimmer-reichen Sternen, jedoch von ſolcher
Kleinheit fand,

Daß faſt nichts kleiners zu entdecken. Kein Sonnen-Staub,
kein Koͤrnchen Sand,
Bleibt
[443]Himmels-Betrachtungen.
Bleibt bey der großen Kleinheit klein,

Und ſcheint, mit dieſer Sterne Kleinheit verglichen, wirklich
groß zu ſeyn.

Der Kleinheit aber unermeſſen, hat jeder Stern-Staub
einen Schein,

Der ihn ſo deutlich zeigt, ſo hell, ſo ſcharf, ſo ſpitzig und ſo
rein;

Daß Diamantne Nadel-Spitzen,

Unmoͤglich bey dem hellſten Licht, ſo hell, ſo herrlich koͤnnen
blitzen.

O Gott, rief die erſtaunte Seele, o Gott! was ſeh ich hier
aufs neu,

Woruͤber ich in Luſt und Ehrfurcht, zugleich erſchreck und
mich erfreu.

Anſtatt, durch ein ſo kleines Glas, in den unmeßbarn tie-
fen Hoͤhen,

Die Groͤße, welche nicht zu meſſen, von einer Sonn allein
zu ſehen;

Kann ich, durch ſolchen engen Raum, ſolch einen Raum vom
Firmament,

So wunderbar verkleint erblicken, daß man, nebſt ihm, in
ſeinem Schooß,

So vieler Sonnen große Koͤrper, die nicht zu meſſen ſind,
erkennt.

Jſt, was hier unbegreiflich klein, doch dort ganz unbe-
greiflich groß!

Wie wunderbar iſt hier die Kleinheit! die Groͤße ja ſo wun-
derbar!

Wie wunderbar des Raumes Tiefe! wie ungezaͤhlt der Son-
nen Schaar!

Da ein ſo kleiner Raum, von Sonnen, uns eine ſolche Men-
ge weiſt!

Ge-
[444]Himmels-Betrachtungen.
Gebenedeytes Meiſterſtuͤck, das durch ſich einen Meiſter
preiſt,

Den nichts ſonſt wuͤrdig zeigen koͤnnte, worin ſich ſolche Wun-
der haͤufen,

Die, da der menſchliche Verſtand, faſt alle Dinge zu be-
greifen,

Verwegen gnug ſich unterſteht, ihn ſo verkleint, ſo niederſchlaͤgt,

Daß er, wenn er von Sonnen, Welten, und Raum, die Meng
und Groͤß erwegt,

Sich ſelber faſt vernichtigt findet. Man wird mit hoͤchſtem
Rechte koͤnnen,

Den faſt unendlich tiefen Raum voll Sonnen, einen Gottheit-
Spiegel,

Des Schoͤpfers Schatten, ſeiner Weisheit und Allmacht Mu-
ſter und ein Siegel,

Daß er wahrhaftig da, der Lieb und Guͤte wuͤrdgen Vorwurf
nennen.

Die großen Werke ſcheinen faſt, durch ſich allein, ſich zu-
beſtreben,

Von der Unendlichkeit der Gottheit, ein ſichtbar Probſtuͤck
abzugeben.

O wahrer Gott! den ſolche Werke, die alles Denken uͤber-
ſteigen,

Jn einer wahren Majeſtaͤt, von einer wahren Gottheit, zei-
gen!

Wie haſt du, um von deiner Groͤße viel mehr, viel wuͤrdigers
zu faſſen,

Viel Mill-und Billionen Sonnen, in den unendlich tiefen Hoͤhn,

Ja um ſie, durch des Geiſtes Augen, an Welten noch viel-
mehr, zu ſehn,

Und dich in ihnen zu bewundern, dieß Wunderglas erfinden
laſſen!
Jetzt
[445]Himmels-Betrachtungen.
Jetzt preiſen allererſt die Himmel die Ehre Gottes; aus
den Sternen

Des neu entdeckten Welt-Gebaͤudes iſt Gott am wuͤrdigſten
zu lernen.

Da dieſes Werkzeug auch den Schoͤpfer weit herrlicher,
als ſonſt, uns weiſt:

So weis ich nicht, warum man es kein goͤttlichs Offenbaren
heißt.

Hier wollte Gott dem Geiſt der Menſchen ſich erſt, als
einen Herrn der Schaaren,

Zu ſeines Namens groͤßerm Preiſe, in groͤßern Wundern,
offenbaren:

Nicht nur die unermeßlichen, und ungezaͤhlten Koͤrper zeigen

Des Schoͤpfers weiſe Macht allein. Da ſie mit Wundern
angefuͤllt,

Mit Koͤrpern, Kraͤften, und mit Geiſtern, die alles Denken
uͤberſteigen:

So zeigt uns alles dieß, wie wuͤrdig der Gottheit ſey, was
aus ihr quillt:

Und wie in nichts ſo offenbar, in nichts mit ſolcher hellen Klarheit,

Jn nichts ſo wuͤrdig, hell und herrlich, die unumſtoͤßlich ewge
Wahrheit,

Die allerreinſte Gotteslehre, ſo augenſcheinlich zu bemerken,

Von einem Schoͤpfer und Erhalter; als bloß allein in ſeinen
Werken.


Die
[446]Die Werkſtatt der Seelen.

Die Werkſtatt
der Seelen.


Nachdem ich juͤngſt, was ich vom Lamms-Kopf geſchrieben,
durchlas, und mein Singen

Von neuen uͤberleget hatte, beſchloß ich weiter noch zu gehn,

Und ließ mir einen Todten-Kopf, aus meinem Cabinette,
bringen,

Um auch von dem den Bau der Knochen, in ſeiner Bildung,
anzuſehn.

Jch ſah ihn erſt, von unſrer Dauer, als einen ſtummen Leh-
rer an,

Der aber, ſonder Zunge, mehr, als der beredſte, ſagen kann.

Doch war dieß nicht mein Zweck allein; ich lenkte meinen Blick
und Sinn

Auf den geweſenen Behaͤlter der Seelen, auf den Schedel, hin,

Und fand ihn rings umher verſchloſſen, als einen Kerker und
ſo dicht,

Daß auſſer, was durch unſrer Sinne Canaͤle, nemlich durchs
Geſicht,

Durchs Ohr, und ſonſt von auſſen dringt; die Seele fern
von allem Licht,

Jm nimmer unterbrochnen Dunklen, ihr unbekanntes Werk
betreibet,

Und daß, ſo lange ſie im Koͤrper, ſie hier ſtets eingeſchraͤnket
bleibet,

Nicht aber, wie mans insgemein, durch Vorurtheil verfuͤh-
ret, meynet:
Daß
[447]Die Werkſtatt der Seelen.
Daß ſie im Himmel, in der Hoͤlle, in Oſt und Weſten, wie
es ſcheinet,

Gedanken von ſich ſenden koͤnne, daß es bald nach America,

Nach Nova Zembla, bald zum Suͤdpol, bald wiederum
nach Aſia,

Sie wegzuſchicken, gar nicht moͤglich; nein, daß die Seele
fort und fort,

Samt ihren Kindern, den Gedanken, beſtaͤndig an demſelben
Ort,

So lang wir leben, bleibt und wirkt. Die Bilder, die ſich
in ſie ſenken,

Durch nie verſchloßner Sinnen Thuͤren, weis ſie auf tauſend
Art zu lenken,

Zu fuͤgen, wiederum zu trennen, ſie zu vergleichen, zu be-
denken,

Sie zu vergeſſen, zu behalten, ſie zu verwerfen, ſie zu waͤhlen,

Sie zu veraͤndern, bald ſich lange mit ihnen gleichſam zu ver-
maͤhlen,

Bald wieder ſich von ihnen ſcheiden, bald recht zu haben, bald
zu fehlen,

Bald ſich an einigen zu aͤrgern, an andern bald ſich zu er-
getzen,

Bald aus verſchiednen ein Gebaͤud errichten, und zuſammen
ſetzen,

Faͤllt ihr zuweilen leicht, bald ſchwer. Dieß ſcheint das wahre
Thun der Seelen.

Die Dunkelheit des Seelen-Sitzes ſcheint etwas helles
zu entdecken,

Und zu derſelbigen Betrachtung ein Licht uns gleichſam an-
zuſtecken.
Kommt
[448]Die Werkſtatt der Seelen.
Kommt, laßt uns denn, ſo viel wir koͤnnen, aufmerkſam in
ihr Jnners gehn,

Und wenigſtens von ihren Grenzen, wo man ſie ſelbſt nicht
ſieht, beſehn.

Des Schedels Bau ſcheint an Figur faſt einem Diſtillir-
Helm gleich,

Woran vermuthlich alle Bilder, die durch die Nerven ihn
beruͤhren,

(Vielleicht ſo wie die Duͤnſt in Kolben, wenn ſie darin ſich
ſublimiren,)

An den gewoͤlbten Boden ſchlagen,) indem ſie wirklich refle-
ctiren,

Uns auch zum reflectiren bringen. Was vor ein Schatzhaus
von Jdeen,

Laͤßt ſich, an dieſer holden Werkſtatt des beinernen Gewoͤlbes,
ſehen,

Die wunderbar und unbegreiflich. Es ſcheinet ja wohl
mehr, als werth,

Daß, weil der Geiſt nicht ſichtbar iſt, man wenigſtens die
Blicke kehrt,

Auf ſeinen Sitz, und ihn betrachtet, ihn bald bewundert, bald
erwegt,

Was vor Erſtaunens-werthe Dinge, und Handlungen er in
ſich hegt,

Auch daß der knoͤcherne Behalter, und dieſe kleine runde
Hoͤhle,

Nicht nur ſo viel man faſſen kann, der eigentliche Sitz der
Seele,

Nein, daß man auch zugleich ſamt ihren, auch ihrer Kinder,
der Gedanken,

So kuͤnſtlichen Behaͤlter ſieht, unkoͤrperlicher Geiſter
Schranken.

Jch
[449]Die Werkſtatt der Seelen.
Jch weis gewiß nicht, ob wir uns gar weit vom Weg
der Wahrheit trennen,

Wenn wir den Kolben-foͤrmgen Schedel, lebendge hohle Spie-
gel nennen,

Worin der Geiſt die Bilder fuͤhlt, und ſie bald ordnen, bald
vermiſchen,

Bald wiederum ergreifen kann. Doch bleibt deſſelben wahrer
Stand,

Wie ſcharf man gleich aufs Denken denkt, doch in der That
uns unbekannt.

Es ſcheint uns, wie mit unſerm Aug, auch ſo mit unſerm
Geiſt, zu gehn,

Der Geiſt ſo wohl, als unſer Auge, kann alles, nur ſich ſelbſt
nicht, ſehn:

Es laͤßt jedoch auf dieſe Weiſe, wenn wir des Schedels Ruͤnd
ergruͤnden,

Als ob, wo nicht die Seele ſelber, wir doch derſelben Gren-
zen finden,

Denn daß ſie, in der That, ſich weiter, als ihr Behaͤlter, ſollt
erſtrecken,

Davon kann unſre Seele ſelber, wie ſchon erwaͤhnet, nichts
entdecken.

Jch ſtelle denn den Kopf der Menſchen, als einen kleinen
Schauplatz, mir,

Worauf der Schmuck der ſchoͤnen Welt verkleinert uns ſich
zeiget, fuͤr.

Die Augenlieder ſcheinen Decken, die Bilder-foͤrmigen Jdeen,

Worauf, wenn ſelbe ſich verbinden (ſo wie aus Lettern Wort
entſtehen,)
Br.VI.Th. F fGe-
[450]Die Werkſtatt der Seelen.
Gedanken auch gefuͤget werden, die ſcheinen Spiegel, und
der Geiſt

Laͤßt anders nicht, als wenn nur er die regen Spieler ſpielen
heißt,

Nach dem er ihnen Rolen giebt, nach dem er ſie zuſammen
fuͤget,

Nach dem er ſelber aufgeraͤumt, nach dem ihn etwas ruͤhrt, ver-
gnuͤget,

Empfindlich, lieb iſt oder widrig. Die Vorwuͤrf ſind es
nicht allein,

Doch ſcheint auch er allein der Vater, von den Gedanken, nicht
zu ſeyn.

Die Vorwuͤrf helfen, wie es ſcheint, oft zur Formirung
der Gedanken,

Oft aber thun ſie nichts dazu. Die Umſtaͤnd, Armuth, Reich-
thum, Zeit,

Geſellſchaft, gut und boͤſ Exempel, vermehren, in ihr’, Luſt
und Leid.

O welch ein Schauplatz voll Veraͤndrung! was muͤſſen
nicht, auf dieſer Erden,

Fuͤr viele Luſt und Trauerſpiele, nicht bloß in einem Kopf
allein,

So lang in ihm geſpielet wird, beſtaͤndig vorgeſtellet ſeyn!

Was muͤſſen auf einmal, in allen, vor Scenen aufgefuͤhret
werden!

Ja was ſind nicht auf dieſer Erden, und zwar vom Anbeginn
der Welt,

Auf den Theatern aller Koͤpfe, vor Scen und Acten vor-
geſtellt,
Die
[451]Die Werkſtatt der Seelen.
Die der allein nur ſpielen ſiehet, und ſah, dem unſers Herzens
Grund,

Und die verborgenſten Gedanken ſo gut, als wie uns ſelber,
kund.

Noch mehr, was ſieht dieß große Weſen, was ſo auf Er-
den, als dem Meer,

Noch kuͤnftig wird, an gut und boͤſen, geſpielet werden, ſchon
vorher?

Laßt, um von einem einzigen nur was zu ſehen, uns bemuͤhn,

Jn die Comoͤdie zu gehn, die Deck ein wenig aufzuziehn,

Und was wir ſehen und verſtehn, was wir vernehmen, was
wir hoͤren,

So viel es unſre Kraͤfte leiden, ſo andern, als uns ſelbſt, er-
klaͤren.

Daß ich nun mag, ſo viel mir moͤglich, den vorgeſtreckten
Zweck erzielen,

Und mich und andere belehren: So will ich vor mir ſelber
ſpielen.

Jch kehr das Fernglas auf mich ſelbſt. Auf mit dem Vor-
hang! alles frey!

Damit, was ſich ſo gern verbirgt, was deutlicher zu ſehen ſey.

Und mich kein Vorurtheil verwirre! Wie aber geht denn die-
ſes an,

Daß ich der Schauplatz, Spieler, Schauer, zugleich auf ein-
mal, werden kann?

O ja, daß dieß, wovon ich handle, ſelbſt der Natur der Men-
ſchen eigen;

Davon kann auch ſo gar ein Traum dir eine klare Probe
zeigen.
F f 2Kann
[452]Die Werkſtatt der Seelen.
Kann man nun etwas, wenn man traͤumet, und mit geſchloß-
nen Augen, ſehn;

Warum ſollt es, mit offnen Augen, und wachend, denn nicht auch
geſchehn?

Auf! laßt uns dann, was ſonſt nicht ſichtbar, als ſichtbar, uns
vor Augen legen.

Zu Anfang zeiget ſich in mir, was um und auſſer mir
zugegen.

Wenn ich in einem Zimmer bin, ſeh ich ein Zimmerchen, im
Kleinen,

Das uͤberall dem großen aͤhnlich, im Schauplatz des Gehirns,
erſcheinen.

Waͤr eine Landſchaft noch ſo groß, ſo wird ſie unbegreiflich
klein,

Und ſenkt, mit Farben und Figur, durchs Auge, ſich ins Hirn hinein.

Die uns in ſelbigen entdeckte ſo wunderbar formirte Klein-
heit,

Scheint, ob mans gleich nicht deutlich faßt, doch mit dem
Geiſt zu einer Einheit,

Auf eine Weiſe, zu gelangen, wovon uns alles unbekannt.

Die Schranken des Gehirns, die Haut (die recht als eine
glatte Wand,

Zum Grund und Centro, daß daran die Bilder fallen, aus-
geſpannt,

Die aber, weil ſie ſelber lebet, die Bilder ſelbſt empfin-
den kann,)

Seh ich dadurch, als einen Spiegel, der ſelbſt beſeelt und reg
iſt, an.

Die Seele ſelbſt nun, deren Weſen wir (eben wie ſich unſre
Augen,

Nicht ſelbſt, ob ſie gleich alles ſehn) dennoch nicht recht zu ſe-
hen taugen,
Scheint
[453]Die Werkſtatt der Seelen.
Scheint hier doch am geſchaͤfftigſten; wir koͤnnen hier ihr
wirkend Spielen

Mehr, als an einem Ort im Koͤrper, wenn wir drauf achten,
gleichſam fuͤhlen.

Wenn wir uns hier, von allen dem, was wir von unſrer
Seelen Weſen,

Und Wirkung, bey den Philoſophen geſehn, gehoͤret und
geleſen,

Von allen in derſelben Schriften enthaltnem Vorurtheil ent-
fernen,

Und weil es uns ja ſelbſt betrifft, auch ſelber nachzudenken
lernen:

So treffen wir zwar in derſelben nicht eben ſo viel Klar-
heit an.

Denn, wenn ich mich von allen ab-und auf und in mich ſel-
ber ſenke,

Die Augen ſchließ, und ſo im Dunkeln, auf ſie mit allen
Kraͤften denke:

So, deucht mich, fuͤhl ich eigentlich, von Bildern, Formen
und Figuren,

Wenn ich mich ihr erinnern will, im Hinterhaupte mehr die
Spuren,

Als ſonſt an einem andern Orte in meinem Haupt. Wenn
ich hingegen,

Auf etwas, das nicht leiblich, denke, mit Fleiß und Ernſt wohl
uͤberlegen,

Und gleichſam Schluͤſſe machen will: So deucht mich, daß ich
fuͤhlend ſehe,

Daß es mehr vor-und oberwerts, und nicht an einem Ort
geſchehe.

F f 3Es
[454]Die Werkſtatt der Seelen.
Es ſcheint mir, daß, ſo viel ich immer im Denken, davon
fuͤhlen kann,

Man treff, in des Gehirnes Grenzen, der Seelen ſtaͤrkſte Werk-
ſtatt an;

Mich deucht, es ſey, vom Hirn und Hirnchen die Haut, als
ihre aͤußern Schranken,

Der Bildungsort, der Sammelplatz, und auch die Schran-
ken der Gedanken.

So viel, in dieſer dunkeln Kammer, wir nun noch ferner
merken koͤnnen,

So muͤſſen wir, das, was wir, Willen und gar den frey-
en Willen nennen,

Auch hier, und nicht im Herzen ſuchen. So viel ich auch
in meinem Sinn,

Mein Wollen wohl zu unterſuchen, mit Ernſt bemuͤht gewe-
ſen bin:

So deucht mich, daß Verſtand und Wille, und andre Kraͤf-
te ſich nicht trennen.

Daß, da die andern alle droben, und in Gehirn verbun-
den ſeyn,

Man einen ganz beſondern Sitz, fuͤr unſern Willen bloß
allein,

Mit Unrecht niedriger beſtimmet. Da doch, im Willen, bloß
die Suͤnden,

Jm Willen auch die Heils-Ergreifung, der Glaube, ja allein
zu finden.

Nun wollt und ſollt ich billig weiter, um von der Seelen
mehr zu faſſen,

Mich, | in das dunkle Heiligthum, bemuͤhn, mich tiefer ein-
zulaſſen,
Doch
[455]Die Werkſtatt der Seelen.
Doch find ich hier, in meinem Weſen, zwar eine, doch ſo dunk-
le, Klahrheit,

Zwar ein, doch faſt verdecktes, Licht, zwar eine, doch ſo dunk-
le, Wahrheit,

Daß ich, um mich nicht zu verirren, aufs neu der Demuth
Faden nehme,

Und, zu des wunderbaren Toͤpfers Lob, Preis und Ehre, mich
nicht ſchaͤme,

Jn tiefer Ehrfurcht zu bekennen: Dir ſind die Werke
deiner Hand,

Allein, Anbethungs-wuͤrdger Schoͤpfer, allein, und
keinem ſonſt bekannt.

Wobey die Demuth mir zugleich, in unſers Kopfs Be-
trachtung, zeiget,

Daß, allem Anſehn nach, der Geiſt, wie ſehr man ſein Erken-
nen haͤuft,

Doch nimmermehr zu ſolchem Grad, wodurch er Gottes Thun
begreift,

Wie er jedoch ſo gerne wollte, und ſich darnach beſtrebet, ſteiget.

Mir faͤllt demnach auch hier, aufs neu, die oft erwaͤhnte
Wahrheit ein:
Die Gottheit will, auf dieſer Welt, bewundert, nicht
begriffen ſeyn.

Damit inzwiſchen die Betrachtung nicht ſonder Nutz im
Leben ſey:

So faͤllt, beym Schauplatz im Gehirn, mir dieſes Lehrexem-
pel bey,

Wann auf dem Schauplatz wo der Rang der Scen einſt
aus der Ordnung kommen,

Und nicht ſo bald zu aͤndern iſt, wird auf dem Schauplatz ins-
gemein,
F f 4Gleich
[456]Die Werkſtatt der Seelen.
Gleich etwas, um das, was verſchoben, zu recht zu bringen, vor-
genommen,

Ein Mittel-Centrum vorgeſchoben. Wohinter man,

Jndem man etwas Zeit gewinnt, das, was nicht richtig, aͤn-
dern kann.

So muͤſſen wir, wenn die Affecten, bey uns verwirret, uns
bemuͤhn,

Weils ſonſt ſo ſchnell nicht moͤglich, ſchnell ein Mittelcentrum
vorzuziehn,

Uns etwas anders vorzuſtellen, und einen Vorwurf zu erwaͤhlen,

Sollt es auch mit Gewalt geſchehn. Durch welches Mittel
wir der Seelen,

Jn Ordnung wiederum zu kommen, und ſich zufinden, etwas Zeit,

Und ſich ein wenig einzurichten, die noͤthige Gelegenheit,

Am allerſicherſten verſchaffen. Denn unſers Geiſtes Art
koͤmmt mir,

Wenn man ihn ernſtlich unterſuchet, daß er ſtets weiter ge-
het, fuͤr.

Jſt er im Guten; geht er weiter. Dieß thut er auch, wenn er
verwirret.

Jſt er aus ſeinem Gleichgewicht und aufgebracht: So wallt und
irret

Er immerfort; wofern man ihn,

Nicht gleichſam, als mit einem Ruck, bemuͤhet iſt, zu recht
zu ziehn.

Allein, indem ich dieß erwege, faͤllt mir, bey der Betrachtung, bey,

Ob dieß nicht ſehr erniedrigend, fuͤr uns und unſre Seele ſey,

Zu glauben, daß dieſelbige, nebſt ihren Kindern, den Gedanken,

Jn einem knoͤchernen Behaͤlter, und in ſo ſehr verengten
Schranken,

Als wie in einem Kerker, ſtecke. Dieß ſtimmt ja mit dem Glanz
und Schein,
Und
[457]Die Werkſtatt der Seelen.
Und Hoheit, die wir bisher an ihr geglaubt, nicht uͤberein.

Allein, wir duͤrfen ſo nicht denken, wenn wir erwegen, daß
die Seele,

Jn dieſer wirklich knoͤchernen, und in der That ſo kleinen Hoͤhle,

Sich dergeſtalt verſchrenkt nicht finde, daß ſie durch Augen
Mund und Hand,

Jn Minen, Reden, Wirken, Schreiben, nicht den durchdrin-
genden Verſtand,

Als wie im Stral, nicht ſollte ſcheinen und in die Ferne wir-
ken laſſen,

Daß ſie imgleichen, was von weiten, durch Leſen, auch nicht
ſollte faſſen,

Nein, daß ſie auch, in fernen Laͤndern, aus ihrem kleinen Sitz,
regier,

Und uͤber eine große Zahl Geſchoͤpf ein Art von Herrſchaft fuͤhr,

So daß ſie wunderbarlich groß, zugleich auch wunderbar-
lich klein,

Jn beyden folglich unbegreiflich, mit Recht wohl wird zu nen-
nen ſeyn.

Jn dieſer Ungewißheit nun, iſt es ja wohl, in unſerm Leben,

Das allerbeſt, und ſicherſte, wenn wir mit Vorſicht uns beſtreben,

Daß wir, zu unſers Schoͤpfers Ehren, wenn wir der See-
len Stand erwegen,

Zu wenig nicht, auch nicht zu viel derſelben Weſen ſchaͤtzen
moͤgen.


F f 5Auf
[458]Auf einen Tubum.

Auf einen Tubum.


Dieß Werkzeug iſt ein Brillenglas, das unſre bloͤden Au-
gen ſtaͤrkt,

Die unbekannte Sternen-Schrift, von der verborgnen Gottheit
Weſen,

An der Saphirnen Himmelstafel, die ſelbſt der Schoͤpfer
ſchrieb, zu leſen.

Wieviel muß der Erfindung Werth ſich weiter, als Co-
lumbi, ſtrecken,

Da wir nicht eine neue Welt, ſolch eine große Meng ent-
decken,

Ja ſo viel Sonnen, und in ihnen, wenn wir derſelben Quell
ergruͤnden,

Den großen Schoͤpfer aller Welten, der Sonnen Sonne, Gott,
befinden.

O wunderbar, faſt heiligs Werkzeug! gebenedeytes Jn-
ſtrument,

Wodurch man einen wahren Gott, als einen wahren Gott
erkennt!

Gott hat das menſchliche Geſchlecht, vor | nicht gar lang ver-
floßnen Jahren,

Hiedurch, auf eine neue Weiſe, gewuͤrdigt, ſich zu offen-
baren.

Ob wir von dieſer Himmelsſchrift, in den ſo weit entleg-
nen Hoͤhn,

Nun gleich nicht alles faſſen koͤnnen, noch den Zuſammen-
hang verſtehn:
So
[459]Auf einen Tubum.
So kann man doch, von einer Gottheit, weit mehr, als erſt,
darin erſehn,

Und werden wir gewiß ein mehrers, nach dieſer Zeit, davon
erfahren.

Da nun von Gottes Herrlichkeit die Offenbarung all-
gemein;

Wie! daß wir nicht, auf andre Weiſe, dem Schoͤpfer davor
dankbar ſeyn!

Wie! daß wir nicht von ſeiner Allmacht, im Wunder A B C
der Sternen,

Mit ehrerbietigerm Bewundern, weit groͤßere Begriffe
lernen,


Beſchaͤ-
[460]Beſchaͤmung zweyerley Atheiſten.

Beſchaͤmung
zweyerley Atheiſten.


Jch habe leider wohl vor dem, von einer Atheiſterey,

Die man Stratonicam genannt, mit Widerwillen was
geleſen,

Die lehrete, daß von Natur, der Urſtoffstheile wahres Weſen

Mit Leben, mit Empfindlichkeit, und Sinnlichkeit begabet ſey,

Ja, daß ein jedes Theil, ob ihm Vernunft gleich fehlt und
Wiſſenſchaft,

Sich doch an ſich begabet finde, mit einer Denk-und Zeugungs-
Kraft.

Jch hab auch, nach der Zeit, von der halb klug-halb laͤcherli-
chen Lehr,

Von einem Zufall aller Dinge, von einem blinden Ungefehr,

Gar viel gehoͤret und geleſen: So weit ſich meine Kraͤft er-
ſtrecken,

War ich zuweilen auch bemuͤht, derſelben Schwaͤche zu entdecken.

Heut aber treff ich, gegen beyde, ſolch einen weiſen Lehrer an,

Von dem ich, ſonder Eitelkeit, mir dieſes wohl verſprechen
kann:

Daß er, mit ſolchen ſtarken Schluͤſſen, daß ſie gefehlet und
geirrt,

Vielleicht nach eigenem Geſtaͤndniß, ſie voͤllig uͤberzeugen wird.

Der große Lehrer iſt ein Wurm, an dem ſich nicht die
Theil allein

Von ungefaͤhr nur einmal fuͤgen, und ihn zum ganzen Wurm
formiren,
Nein
[461]Beſchaͤmung zweyerley Atheiſten.
Nein, woran noch viel groͤßre Ding und Wunder anzutreffen
ſeyn,

Jndem an ihm, in der Veraͤndrung, ein doppelt Ungefaͤhr
zu ſpuͤren.

Jch will, wenn etwan wo ein Wind, mit einem ungefaͤhren
Schnaufen,

Von ungefaͤhr die fluͤchtgen Theile, von einem Staub-und San-
des-Haufen,

Jn heftige Bewegung braͤchte, einſt einmal dieß mit dir geſtehn:

Es koͤnne, durch die mancherley Bewegung, ungefaͤhr geſchehn,

Daß kuͤnſtliche Figuren wuͤrden, doch wirſt du hoffentlich
nicht wollen,

Daß dieß noch lange nicht genug, nein, daß wir auch noch
glauben ſollen,

Aus einer ſo von ungefaͤhr zu Hauf geweheten Figur,

Wuͤrd, durch ein neues Ungefaͤhr, von ganz veraͤnderter Natur,

Ein noch weit kuͤnſtlicher und ſchoͤner Geſchoͤpf, wie hier her-
vorgebracht,

Da das, was erſt zu einer Raup, und einem ſchoͤnen Wurm
gemacht,

Der auf dem Bauch beſtaͤndig kroch, und mehrentheils im
Finſtern lebt,

Nachher in einem Dattel-Kern verwandelt wird, und gar zuletzt,

Mit unbegreiflicher Veraͤndrung, in einen neuen Stand geſetzt,

Da er, mit neuen ſchoͤnen Fluͤgeln, ſich hurtig in die Luft
erhebt,

Ein neues Element bewohnt. Ein ſchon nicht moͤglichs
Ungefaͤhr

Soll, durch ein noch unmoͤglichers, in doppler Kunſt und Ord-
nung, wirken,

Was Kunſt und Weisheit uͤberſteigt. Faͤllt dieß zu glauben dir
nicht ſchwer:
So
[462]Beſchaͤmung zweyerley Atheiſten.
So ſcheint ja wohl dein ſtarrer Geiſt von Billigkeit und
Redlichkeit,

Jn deinen ſchwachen Schluͤſſen leer. Der erſte wird nicht
weiter kommen,

Mit ſeinen klugen Sonnen-Staͤubchen, die er zu ſeinem Satz
genommen,

Nebſt ihrer wollenden-zuſamt der zeugenden Beſchaffen-
heit.

Die klugen Theile, die ſich erſt auf eine weiſe Art ver-
bunden,

Die aͤndern ihren weiſen Schluß, und werden auf ein’ an-
der’ Art,

Jn einer ja ſo kuͤnſtlichen, ja noch viel nettern Form, ge-
paart,

So daß der erſten Ordnung Rang, ſamt allen Fuͤgungen,
verſchwunden.

Sie muͤßen ſich denn unter ſich, und zwar gemeinſchaftlich, ent-
ſchlieſſen,

Sie wollten ihre Stellen aͤndern; ſie wollten ſich zuſammen
ſetzen,

Auf eine ſchoͤne neue Weiſe, ſie wollten ſich nun einſt er-
getzen,

Nachdem ſie lange gnug gekrochen, in einem reinern Ele-
ment,

Worauf ſich alles ordentlich, vernuͤnftig von einander
trennt,

Ganz anders ſich zuſammen webt, auf eine neue Art ſich
fuͤget,

Gefaͤrbte Fluͤgel, helle Augen ſich bildet, und von dannen
flieget,

Die
[463]Beſchaͤmung zweyerley Atheiſten.
Die ihr bisher bethoͤrt geweſen, ihr armen Geiſter, ler-
net, lernet,

Da eine Raup, ein kleines Wuͤrmchen, euch euren Unfug
klaͤrlich zeigt,

Wie uns die kleinſte Creatur, von Atheiſterey entfernet;

Wie man auf der Geſchoͤpfe Leiter, zu einem weiſen Schoͤp-
fer ſteigt,

Und wie man ihn, jemehr man hier die Wunder-reichen
Werk ergruͤndet,

Auch eine Weisheit, Allmacht, Liebe, und kurz die wahre
Gottheit, findet.


Beym
[464]Beym Eintritt

Beym Eintritt
in mein acht und funfzigſtes Jahr.


Jch kann Gottlob! heut abermal begluͤckt, geſund und
mit Vergnuͤgen,

Bey ungeſchwaͤchten Leibeskraͤften, ein Jahr zu den vergang-
nen fuͤgen.

Wem anders, als dir Herrn des Lebens und unſers Weſens
ganz allein,

Kann ich, in froͤlichem Erwegen ſo vieler Guͤter, dankbar ſeyn?

Der aufgeklaͤrten Himmelsluft, die heute recht beſonders
ſchoͤn,

Kann ich, mit unverletzter Bruſt, Gottlob! im Athmen, noch
genieſſen,

Und das entwoͤlkte Sonnenlicht, mit meiner Seelen Augen, ſehn,

So wohl als mit des Koͤrpers Aug. Jch ſeh, zum Stadt und
Land erſprieſſen,

Der Elbe Fluth recht majeſtaͤtiſch in ihren rechten Graͤnzen
flieſſen.

Jch ſeh, in noch bebluͤhmtem Graſe, das fette Vieh; ich ſeh
das Feld,

Nachdem es reichlich Frucht getragen, auf einen neuen Sa-
men warten.

Jch ſeh mit Frucht beladne Baͤume, voll bunten Glanz, in
meinem Garten,

Und kurz, mit irrdiſchem Vergnuͤgen in Gott, ſeh ich annoch
die Welt,
Jch
[465]in ſein acht und funfzigſtes Jahr.
Jch leb in Ruh und ſtolzem Frieden, im angeſehnen Ehren-
Stande,

Genieße mancherley Vergnuͤgens, ſo wohl zu Waſſer, als zu
Lande.

Die Meinen ſind Gottlob! am Geiſt und auch am Koͤrper, all-
zumal,

Vergnuͤgt, gelehrig und geſund, ſind ihrer acht gleich an der
Zahl.

Jch ſeh die Großen ſich vergnuͤgen, die Kleinen, wie die Rehe,
ſpringen,

Und mir, in ihrer froheu Unſchuld, oft manches bunte Bluͤm-
chen bringen,

Dir, Herr, ſey davor Preis und Dank,! auch davor, daß ich
es erkenne,

Daß ich erwege, was ich guts, an mir und an den Mei-
nen, habe!

Und daß ich oft vergnuͤget ſpreche: Dieß alles, Herr! iſt dei-
ne Gabe.

Ach mehre meiner Andacht Flammen, daß ich in Dank-
begier entbrenne,

Und lebe, wie ich leben ſoll, ſo wohl wenn ſanfte Winde
wehn,

Als wenn, nach deiner klugen Vorſicht, und allerweiſeſten
Regierung,

Beym oͤftern Wechſel aller Dinge, durch Regel-recht gefuͤgte
Fuͤhrung,

Jn unſerm Zuſtand auf der Erden, auch etwan Wind und
Stuͤrm entſtehn,

Wie mir denn auch, im vorgen Jahr, mein liebes Eh-Gemahl
entriſſen,
Br.VI.Th. G gWo-
[466]Beym Eintritt ꝛc.
Wodurch denn meine Kinder halb verweyſt, ich Wittwer wer-
den muͤſſen:

So weis ich doch, indem ich weis, daß es dein Wille ſey ge-
weſen,

Daß es, zu unſerm Beſten, dient, und ſie von aller Qual
geneſen.

Soll ich, nach deiner weiſen Guͤte, Herr! dieſen Tag noch
oͤfters ſehn:

Ach ſo erhoͤre mein Gebeth, nebſt aller meiner Kinder
Flehn,

Laß es, zuforderſt dir zum Preiſe, zu unſerm irrdiſchen Ver-
gnuͤgen

Jn dir, zu unſers Naͤchſten Nutzen, und unſer aller Heil,
geſchehn,

Und gieb, daß wir zum Bethen oft ein dir geſaͤlligs Dan-
ken fuͤgen.


Be-
[467]Beantwortung eines Einwurfs.

Beantwortung
eines wahrſcheinenden Einwurfs.


A.
Du ſprichſt ſo viel von unſrer Schuldigkeit,

Als Schoͤpfer unſern Gott zu ehren,

Und ſein’ unendliche Vollkommenheit,

Durch unſre Ehre, zu vermehren.

Allein, wenn ich die ganze Welt,

Und was derſelben Kreis fuͤr Buͤrger in ſich haͤlt,

So in der Fern, als in der Naͤhe,

Mit einiger Aufmerkſamkeit, beſehe:

So treff ich eine ſolche Zahl

Vernuͤnftiger Geſchoͤpf, in ihren Graͤnzen, an,

Wovon man anders faſt nicht glauben kann,

Als daß dieſelbigen, faſt allzumal,

(Nur etwan wenige von ihnen ausgenommen,

Die zu der noͤthigen Erkenntniß kommen;)

Jn dieſem Stuͤcke blind,

Und fuͤr des Schoͤpfers Ruhm, Geſicht-und Fuͤhl-los ſind.

Wie ſtimmet dieſes doch mit deinen Lehren ein?

Wann Gott den Bau der Welt, und ſeine Pracht,

Zu ſeiner Ehr, hervorgebracht;

Wie ſehr muß, bey der meiſten Menſchen Seelen,

Er ſeines großen Zwecks verfehlen?

Da, von viel tauſenden, die ihn auch Schoͤpfer nennen,

Jhn in der That als Schoͤpfer wenig kennen.

Wenn dieſer Umſtand, deiner Lehre

Nur bloß allein zuwider waͤre:
G g 2So
[468]Beantwortung eines Einwurfs.
So ſchien auch dieſer bloß allein,

Zum Widerſpruch, gegruͤndet gnug zu ſeyn.

B.
So ſtark dein Einwurf ſcheint: So wirſt du doch geſtehn,

Wenn wir denſelbigen mit mehrerm Ernſt beſehn,

Daß deine Schluͤſſe gar nicht richtig,

Dein Grund, das, was er will, nicht zu beweiſen, tuͤchtig.

Es wuͤrd, aus dieſen deinen Schluͤſſen,

Unwiderſprechlich dieß ſonſt folgen muͤſſen:

Da unter ſo viel Millionen,

Die auf dem weitem Erdkreis wohnen,

Sich nur ſo wenig Chriſten finden:

So muͤßt auch unſer Glaub allein

Der rechte Glaube gar nicht ſeyn.

Dieß wirſt du ja, daß wir dieß glauben ſollen,

Wohl nimmer wollen.

Zudem, ſo muß ich dir hierauf noch einſt erzaͤhlen,

Wie ich zum oͤftern that.

„Dem Schoͤpfer koͤnnen ja Bewunderer nicht fehlen,

„Da er ja aller Himmel Heere,

„Zu ſeiner ſtets ununterbrochnen Ehre,

„Voll ihn bewundernder andaͤchtger Geiſter hat.

A.
Doch wenn dein Geiſt, auf unſrer Welt,

Von allen Jrrenden die Zahl

Nicht eben fuͤr betraͤchtlich haͤlt,

Die etwan auf einmal,
Zu-
[469]Beantwortung eines Einwurfs.
Zugleich auf unſerm Kreis der Erden,

Vorhanden ſeyn:

So rechne doch, in deinem Sinn,

Nicht nur die große Zahl, die auf der Welt vorhin,

Vom Anbeginn der Welt, geweſen, nicht allein;

Nein, auch diejenigen, ſo noch gebohren werden,

Und ſage denn, ob dieſe Anzahl klein?

B.
Und wenn auch dieſes waͤre:

So mindert alles dieß ja nicht der Gottheit Ehre,

Und ſind wir leicht zu uͤberfuͤhren,

Daß, bey Verſaͤumung ihrer Pflicht,

Der Schoͤpfer nicht,

Die Creaturen nur allein verliehren.


G g 3Er-
[470]Ermahnung.

Ermahnung.


Wie biſt du doch, an Geiſtes Kraͤften, ſo ſchwach und un-
begreiflich klein,

Und bildeſt, mit des Geiſtes Kraͤften, dir ſo viel unbegreif-
lichs ein,

O Menſch! es will ſich ja, von dir, ein kleines Koͤrnchen
Sand nicht faſſen,

Und dennoch ſoll ſich die Natur, von dir, ja Gott faſt, faſſen
laſſen.

Sey nicht ſo ſtolz! beſinne dich! und laß die Demuth bloß
allein,

Nebſt einem aͤmſigen Beſtreben, in den Bewundrungs-werthen
Werken,

Der uͤberall vorhandnen Gottheit, des Schoͤpfers, Lieb und
Macht zu merken,

Den Vorwurf deines Gottesdienſtes, und deines Lebens
Richtſchnur ſeyn!


Ueber-
[471]Beweisgruͤnde eines goͤttlichen Weſens.

Ueberzeugliche Beweisgruͤude
eines goͤttlichen Weſens.

Nach Anleitung des Spectacle de la Nature.


Abaquis, ein Americaner, fand eine ſchoͤne Taſchenuhr,

Nun war ihm, wie die Zeit zu theilen, ſo wenig, als die
Zahl, bekannt,

Daher er ſie, auf manche Weiſe, betrachtete, ſie drehte, wand,

Und endlich, daß ſie zu eroͤffnen, von ungefaͤhr bemerkt und
fand.

Da ſah er nun, und uͤberdachte, und forſcht, und ſann, um die
Natur

Der immer richtigen Bewegung der vielen Raͤder auszudenken.

Bald meynet er, es ſey lebendig; bald glaubt er, eine Gott-
heit ſey

Jn dieſem Zirkel eingeſchloſſen. Er glaubte dieß und vielerley,

Ohn einſt die Augen auf den Zeiger, und auf die Ziffern hin
zu lenken,

Noch eine Stundenzahl zu ſuchen. Auf gleiche Weiſe ſchei-
nen wir,

Mit der ſo großen Wunder-Uhr des ſchoͤnen Weltgebaͤudes, hier

Durch tiefes Denken, Sinnen, Forſchen, und ſcharfes Gruͤ-
beln, zu verfahren,

Zumal die Forſcher der Natur, und aller Philoſophen Schaaren.

Sie wollen aller Dinge Grund, und wie es eigentlich gemacht,

Erforſchen, wiſſen und erfinden;

Jnzwiſchen laſſen ſie die Abſicht des großen Schoͤpfers aus
der Acht.

G g 4Nun
[472]Beweisgruͤnde
Nun werden ſolche Philoſophen ſo viel nicht von der Wahr-
heit finden,

Als einer, der in ſeiner Einfalt, mit einem redlichen Gemuͤth,

(Jndem er die verſchiednen Wunder, und darin Gottes Finger
ſieht,

Der, ihm zu gut, dieß Weltgebaͤude in ſolcher nutzbarn Ord-
nung lenkt,

Und der ihm taͤglich manchen Segen, und ſo viel Guts auf
Erden ſchenkt.)

Den Schoͤpfer anzubethen ſucht. Das ganze Weſen der
Natur,

Wie droben ſchon erwaͤhnet iſt, gleicht einer großen Wunder-
Uhr,

An welcher die verborgnen Federn nur bloß zu dieſer Abſicht
gehn,

Um andre Sachen uns zu zeigen, als welche wir an ihnen ſehn.

Ein Philoſoph, der bloß allein auf dieſer Federn Spiel, im
Leben,

Ohn daß er ihren Zweck bemerkt, mit allem Fleiß, hat Acht
gegeben,

Vergleicht ſich dem Americaner; er macht ſich ungemeine Muͤh,

Dasjenige genau zu wiſſen, was ſehr vergoͤnnt iſt nicht zu wiſſen;

Ja was vielleicht, mit allen Sinnen, und aller Muͤh, vermuth-
lich nie

Zu faſſen und zu kennen moͤglich. Jnzwiſchen, daß er nie be-
fliſſen,

Den wahren Endzweck zu ergreifen, noch auf die doch ſo noͤth-
ge Spur

Der rechten Wiſſenſchaft zu kommen, vom wahren Nutzen die-
ſer Uhr.

Wozu
[473]eines goͤttlichen Weſens.
Wozu iſt die Natur uns denn? Zu welcher Abſicht iſt die
Welt?

Jſt ſie uns etwan auf die Weiſe, als wie ein Spiegel, vorgeſtellt,

Jn welchem wir viel andre Sachen, als wie den Spiegel ſel-
ber ſehn?

Wie, oder etwan als ein Raͤthſel, das, unter mancherley Fi-
guren,

Uns etwas eingehuͤlletes und andre Dinge zu verſtehn,

Zu faſſen und zu lernen giebt, worin fuͤr uns viel Vortheil
ſtecken?

Dieß iſt die deutlichſte Jdee, die von derſelben zu entdecken.

Es ſtimmt, ſo die Religion, als die Vernunft, hier uͤberein,

Und heiſſen uns, mit allem Ernſt, aufmerkſam auf die Rede ſeyn,

Die uns der Himmel und die Erde, zuſamt der allgemeinen
Welt,

Jn einer oͤffentlichen Prodigt, uns allen unaufhoͤrlich haͤlt,

Die uͤberall des Hoͤchſten Ehre verkuͤndigt, auch zugleich er-
wegen,

Jn ſeinen Werken, unſers Schoͤpfers unſichtbare Vollkom-
menheit.

So iſt denn der Natur Betrachtung, wenn wir es ernſtlich
uͤberlegen,

Die Gottes-Lehre aller Voͤlker, in einer ſolchen Deutlichkeit,

Daß alle Menſchen auf der Welt, durch ſie, zu einem ſolchen
Wiſſen

Gelangen koͤnnen, welches ſie, zu ihrem Beſten, wiſſen muͤſſen.

Der erſte Nutz, den viele Weiſe geglaubt, aus ihr heraus zu
ziehn,

War, daß ſie ſich verpflichtet hielten, daß wirklich eine Gott-
heit ſey,

Mit vielen Gruͤnden zu beweiſen, und darzuthun, ſich zu bemuͤhn.

G g 5Ob
[474]Beweisgruͤnde
Ob dieſe nun fuͤr ihre viele, nicht ſonder Muͤh, gegebne
Proben,

Die uns ſo viele große Werke vor Augen legen, gleich zu loben,

Und eben nicht zu tadeln ſeyn: So deucht mich dennoch dieß
dabey,

Daß ihre Arbeit ſonder Nutzen. Man zieht ja keine Uhr
herfuͤr,

Damit man, daß ein Meiſter ſey, der ſelbige gemacht, probier.

Wer eine kuͤnſtliche Machine, mit aufmerkſamen Augen, ſieht,

Der kann ja nimmermehr von ihr, ſie habe keinen Meiſter,
meynen.

Man brauchet keinen Zwang dazu, die zwo Jdeen zu vereinen,

Die von einander nicht zu trennen. Wer aber doch in Zwei-
fel zieht,

Ob auch ein Meiſter ſie gemacht, mit dem wird niemand ſich
bemuͤhen,

Aus einem Jrrthum, voller Bosheit und Vorſatz, ihn heraus
zu ziehen.

Die viel-und großen Folianten, die zu dem Endzweck bloß
allein,

Daß ſie, es ſey ein Gott, beweiſen, mit vieler Muͤh geſchrie-
ben ſeyn,

(Wovon ein jeder ja ſowohl, als daß er ſelbſt iſt, uͤber-
fuͤhret,)

Die Reden und die Predigten, die man an vielen Orten haͤlt,

Damit, daß eine ſolche Wahrheit, die von ſich ſelber aller Welt

Unleugbar in die Augen ſtralet, recht uͤberzeuglich ſey probiret,

Gereichen, in gewiſſer Maaße, zum Schimpf der Leſer und der
Hoͤrer.

Aufs wenigſt ſcheints, daß es verlohrne und ganz vergebne
Worte ſeyn;
Jndem
[475]eines goͤttlichen Weſens.
Jndem dergleichen brave Lehrer

Zum voraus Atheiſten ſetzen, die gar nicht ſind; wo nicht, an
Leuten

Die Worte richten, welche nicht

So vieler ernſter Muͤhe wuͤrdig, noch werth, daß man mit ih-
nen ſpricht.

Jndem die allgemeine Welt, von goͤttlichen Vollkommen-
heiten,

Ein unvergleichliches Gemaͤld: So iſt von dieſer Schilderey

Der Brauch und Endzweck nicht, zu zeigen, daß Gott ihr Mei-
ſter wirklich ſey;

Wohl aber uns zu uͤberfuͤhren, von goͤttlichen Vortrefflichkeiten,

Von ſeiner Einheit, ſeiner Guͤte, von ſeiner Weisheit, ſeiner
Macht,

Von ſeiner Unabhaͤnglichkeit, Verſehung, Majeſtaͤt und Pracht.

Sie iſt ein’ angenehme Schule, worin man, durch die Augen,
lehrt,

Und wo die Wahrheit unſerm Forſchen zuvorkoͤmmt, und ſich
zu uns kehrt,

Jn einer aͤuſſerlichen Schoͤnheit, die, ohne daß wir uns bemuͤhen,

Durch ihren eignen Reiz geſchickt, von ſelbſt uns zu ſich hin
zu ziehen.


Ueber
[476]Ueber die Armenbuͤchſe zu H.

Ueber die Armenbuͤchſe zu H.
Auf Verlangen Jhro Excell. des Hrn. Geh.
Raths von V. 1736.


O Leſer, wirf auf uns die Augen,

Und laß doch unſer Elend taugen,

Dir, uns zum Troſt, ans Herz zu gehn!

Hilf dieſe ſchoͤne Ordnung ſtuͤtzen,

Wodurch wir, auch Dir ſelbſt zu nuͤtzen,

Uns, wenn du willt, im Stande ſehn.

Erkenn, in unſrer Noth, dein Gluͤcke,

Und unſer bitteres Geſchicke;

Mach dir, im Gegenſatz, den Stand,

Den Gottes Guͤte dir geſchenket,

Worin dir fehlet, was uns kraͤnket,

Den du ſonſt ſelbſt kaum kennſt, bekannt.

Du kannſt in uns den Schoͤpfer ehren,

Ja gar dein zeitlich Wohl noch mehren.

Wer Armen giebet, leiht dem Herrn.

Der Schoͤpfer Himmels und der Erden

Will ſelber unſer Buͤrge werden.

Wer leiht auf ſolchen Zins nicht gern?

Was ihr verzehrt, iſt weg. Den Erben

Verlaßt ihr, was ihr habt, im Sterben.

Nur einzig habt ihr das erſpart,

Was ihr den Duͤrftigen gegeben,

Und dieſes wird, in jenem Leben,

Euch aufgehoben und verwahrt.

Ueber
[477]Nutz der Betrachtung.

Ueber die Armenbuͤchſe zu H.


Werther Fremdling! eh die Ordnung fuͤr die Armen vor-
gekehrt,

Warſt du, durch ihr Aechzen, Seufzen, Klag und Betteln ſehr
beſchwehrt.

Jetzt, da du durch ſie nicht leideſt, leiden ſie darum nicht minder:

So vergiß denn ihrer nicht. Jhr ſeyd eines Vaters Kinder.

Gieb, ſo wirſt du wieder nehmen. Legſt du fuͤr ſie etwas ein:

Wird, ſo wie dein ganzes Leben, deine Reiſ’ auch gluͤcklich ſeyn.


Nutz der Betrachtung.


Dem, der mit recht geruͤhrter Seelen,

Durch der Geſchoͤpfe Wunder-Pracht,

Zum deutlichen Begriff vom wahren Gott gebracht,

Darf man nicht erſtlich anbefehlen,

Denſelbigen zu fuͤrchten und zu lieben,

Er wird gewiß dazu von ſelbſt ſchon angetrieben.


Un-
[478]Unſelige Unaufmerkſamkeit.

Unſelige
Unaufmerkſamkeit.


Ein Weſen bin ich, welches fuͤhlet, und welches, daß es fuͤhlt,
begreift.

Wenn ich, durch meine Sinne, nun, wie viel ſich gutes an mich
haͤuft,

Empfind, und es nicht auch erwege: So liegt die Schuld ja
bloß an mir,

Daß ich nicht das, was mich umgiebet, des Himmels und der
Erden Zier,

So viele Millionen Vorwuͤrf im Waſſer, in den gruͤnen
Waͤldern,

Auf hohen Bergen, in den Thaͤlern, in Buͤſchen, auf den fla-
chen Feldern,

Jn ſchoͤnen Blumen-reichen Gaͤrten, nicht meines Denkens
wuͤrdig achte,

Es nicht erwege, nicht genieſſe, indem [ic]h alles nicht be-
trachte.

Die ungluͤckſelig’ Unterlaſſung, von dieſer Gott geweihten
Pflicht,

Jſt eine Wurzel unſrer Plagen. Man hat, und hat es den-
noch nicht.

Man ſieht nicht, was man ſieht; man hoͤret auch ja ſo wenig,
was man hoͤret;

Man ſchmecket, riecht und fuͤhlet nicht, was man doch ſchme-
cket, riecht und fuͤhlet,

Wodurch man, welches unvernuͤnftig und unerhoͤrt, ſich ſelbſt
beſtielet,
Sich
[479]Unſelige Unaufmerkſamkeit.
Sich ſelber alles Gute raubet, ſich ſelber alles Boͤſe ſchenkt,

Anſtatt vergnuͤgt zu ſeyn, ſich quaͤlet, ſich ſelbſt mit Gift und
Wermuth traͤnkt,

Dem Naͤchſten Plag und Unruh macht, und was das ſchlimm-
ſte, Gott nicht ehret.

Jndeß verfliegen unſre Tage, als wie ein Wind, wie ein
Geſchrey,

Und unſer ganzes Leben flieſſet, als wie ein ſchneller Strom,
vorbey.

Zu welchem Theil von deiner Zeit, geliebter Menſch, zu wel-
chen Jahren,

Willt du, von aller Erden Schaͤtzen, den wirklichen Genuß
verſparen,

Den man, im Denken nur, genießt, und welchen, ohne Den-
ken, man

Unmoͤglich nuͤtzen, minder noch, dem Geber davor danken
kann?


Schaͤd-
[480]Verabſaͤumung der Wunder Gottes.

Schaͤdliche Verabſaͤumung,
Gottes Wunder auf der Welt zu be-
trachten.


Die Menſchen, die in dieſer Welt, und in der gegenwaͤrt-
gen Zeit,

Nicht ihres Schoͤpfers Weisheit, Macht, ſamt ſeiner Vater-
Liebe, ſchmecken,

Und die, mit ihrem Geiſt, allein in einer kuͤnftgen Ewig-
keit,

Jhn, als die Weisheit, Macht und Liebe, nur gleichſam in
der Fern, entdecken,

Die ſcheinen, (da ſie blind und taub, fuͤr Gottes gegenwaͤrt-
ge Gaben,)

Faſt keinen gegenwaͤrtigen, nur einen kuͤnftgen Gott zu haben.


Schaͤd-
[481]Schaͤdlichkeit der Gottheits-Bilder.

Schaͤdlichkeit
der koͤrperlichen Gottheits-Bilder.


Wie mancher hat, von Jugend auf, durchs Malers
Pinſel-Spiel verfuͤhret,

Anſtatt der Gottheit, ſein Gehirn, mit nichts, als Bildern,
angefuͤllt!

Was er von ſeines Gottes Weſen begreift und ehret, iſt ein
Bild,

Jn welchen Bildern er doch Gott weit minder ehrt, als ihn
verlieret.

Nehmt ihm, aus ſeiner Phantaſey, den alten Mann, das
Lamm, die Taube;

Was bleibt ihm von der Gottheit uͤbrig? Wo iſt der Chriſt?
Wo bleibt der Glaube?


Br.VI.Th. H hDer
[482]Der uͤberfuͤhrte Atheiſt.

Der durch ſich ſelbſt widerlegte
und uͤberfuͤhrte Atheiſt.


A.
Schau, werther Freund, doch dieſen Stein, mit ernſter
Ueberlegung an,

Den ich von ungefaͤhr am Strande des weiten Elbe-Stroms
gefunden,

Wie regelrecht, wie glatt poliret, daß mans nicht glatter
ſchleifen kann,

Und wie ſo richtig alle Theil, in einer Feſtigkeit verbunden,

An welcher weder Bruch, noch Spalt, in welcher weder
Tiefen, Hoͤhn,

Noch ungerade rauhe Stellen, und keine Hoͤckrigkeit zu ſehn.

Welch ein untadelich Oval! Man ſollte faſt unmoͤglich
glaͤuben,

Daß, ſonder Ordnung, ohne Kunſt, die Theilchen ſich zuſam-
men treiben,

Und ohne Geiſt ſo fuͤgen koͤnnten, daß bloß ein blindes Unge-
faͤhr

Von ſolcher zierlichen Figur der Urſprung und das Werk-
zeug waͤr;

Und dennoch iſt daſſelbe wahr.

Erhellet nun, aus dieſer Wirkung des Zufalls, nicht faſt
Sonnen-klar,

Daß wir den Zufall blind, mit Unrecht, die Kunſt mit Unrecht
weiſe nennen;

Da ja, wie dieſer ſchoͤne Stein von ungefaͤhr ſich bilden koͤnnen,
Auf
[483]Der uͤberfuͤhrte Atheiſt.
Auf gleiche Weiſ’ auch tauſend Dinge, die uͤberall um uns vor-
handen,

Ja, daß vielleicht die ganze Welt, auch durch ein Ungefaͤhr, ent-
ſtanden.

B.
Jch finde dieſen deinen Stein gewiß Bewunderns-wuͤrdig
ſchoͤn;

Es iſt, wie an der ganzen Bildung, auch am Oval, kein Fehl
zu ſehn.

Doch wird, aus ſeiner Form allein, was du verlangeſt, ſich
nicht faſſen,

Und was du daraus ſchlieſſen willt, gewiß daraus nicht folgern
laſſen;

Wenn du dich anders recht beſinneſt. Wenn erſtlich in der
Steine Reich

Unzaͤhlige Veraͤndrungen, und keiner je dem andern gleich,

An Groͤß und Form gefunden wird: So muß daraus von
ſelbſt ja flieſſen,

Und kann man, ſonder Furcht, zu fehlen, unwiderſprechlich die-
ſes ſchlieſſen:

Es muͤſſe ganz nothwendig folgen, daß je und alleweg ein Stein

Den andern uͤbertreffen muͤſſe, und an Figur vollkommner ſeyn.

Dieß bringt die Ordnung der Natur nicht anders mit, und
dieſes waͤr,

Was du von mir verlangen koͤnnteſt, von deinem lieben Un-
gefaͤhr.

Doch iſt auch dieß nicht einſt gewiß; denn ſollt es ganz un-
moͤglich ſeyn,

Daß etwan, eben zu der Abſicht, dein ſchoͤn- und regel-rechter
Stein
H h 2Nicht
[484]Der uͤberfuͤhrte Atheiſt.
Nicht koͤnnte ſeyn gebildet worden, zu unſrer Unterredung eben,

Um dir ſowohl, als mir, zu nutzen, anjetzt Gelegenheit zu geben?

Zudem, wenn wir in andern Dingen nichts, als das Aeußre,
die Figur,

Nur trefflich und betraͤchtlich hielten, nur die Bewunderns-
wuͤrdig fuͤnden,

Wenn nicht (zum Beyſpiel) in den Thieren ſich tauſendfache
Dinge fuͤnden,

So innerlich als aͤuſſerlich, an Sinnen, Knochen, Fleiſch und
Haut,

An Blut-Gefaͤſſen, Knorpeln, Sehnen. Waͤr nicht ihr Koͤrper
ſo gebaut,

Daß nichts zu wenig, nichts zu viel, wenn ſo viel Millionen
Roͤhren

Nicht alle ſonder Fehl bey allen, auf ihrer rechten Stelle waͤren:

So moͤchte, wie von deinem Stein, man wo auf die Gedanken
kommen,

Ob haͤtte alles ſeinen Anfang von einem Ungefaͤhr genommen.

Ja, waͤr auch dieſes nicht genug: So wird ja die Vernunft,
das Leben

Bey Menſchen, uns, fuͤr deinen Stein, ja noch wohl einen Vor-
zug geben.

A.
Es iſt noch nicht ſo ausgemacht, ob, wie die koͤrperlichen
Weſen,

Die ſogenannten geiſtigen, nicht auch aus zartem Weſen ſich

Verbinden, und ſich fuͤgen koͤnnen. Es ſind ſo wenig innerlich,

Als aͤuſſerlich, der wahre Zuſtand, die wirkliche Beſchaffenheit
Des
[485]Der uͤberfuͤhrte Atheiſt.
Des Anfangs-Stoffs, der ſonder Theile, wie man jetzt lehrt,
beſtehen ſoll,

Dem Menſchen eigentlich bekannt. Es koͤnnte dieſer ja ſowohl

Vernuͤnftiger und kluͤger ſeyn, als wir von ſeinen Wirklich-
keiten,

Nach unſers Geiſtes Kraft, ihn halten: Jndem, um hierin nicht
zu fehlen,

Wir einen deutlichern Begriff vom wahren Weſen unſrer
Seelen,

Der wir in allen Dingen glauben, vorher nothwendig haben
muͤſſen.

Denn, falls von unſrer Lehrerinn, wir ihre Kraft und Art
nicht wiſſen:

So wird man ſtets vernuͤnftig zweifeln, und ſtets auf unſrer
Hut zu ſeyn,

Faſt nimmer unterlaſſen koͤnnen, damit kein Trug, kein falſcher
Schein

Uns von dem Weg der Wahrheit bringe. Nun fehlt uns ja
die Wiſſenſchaft

Vom Geiſt, dem allgemeinen Richter, ſo, wie von allen andern
Dingen;

Wie kann man denn mit Recht verlangen, ins Jnnerſte des
Stoffs zu dringen,

Und daß es ſo ſey, und nicht anders, mit einem feſten Ton er-
zwingen?

Nun fragt ſichs, obs nicht moͤglich waͤre, daß, durch verſchie-
denes Bewegen

Uns unbekannter Geiſtigkeiten, ein Weſen ſich von ungefaͤhr

Auf Koͤrper Art verbinden koͤnne, wodurch ein’ Art von Ueber-
legen

Jn ſelbigem entſtehen koͤnnte, das kluͤger, als der Koͤrper, waͤr.
H h 3Wo-
[486]Der uͤberfuͤhrte Atheiſt.
Wofern nun dieſes nicht unmoͤglich, haͤtt alles ſich ja fuͤgen,
trennen,

Und ohne Zuthun einer Gottheit, die ganze Welt entſtehen
koͤnnen.

B.
Wie wenig billig deine Saͤtz und Schluͤſſe ſind, will ich
dennoch,

(Um, wo es moͤglich, deine Seele, vom ungluͤckſelgen Jrr-
thums-Joch,

Noch zu befreyen,) ſie behalten, und hoff ich, durch dein’ eig-
ne Waffen,

Wie ſcharf du ſie gewetzet haͤlſt, mir, uͤber dich, den Sieg zu
ſchaffen;

Jedoch zu deinem eignen Beſten. Denn alles, was von mir ge-
ſchicht,

Gereichet dir allein zu gut; Mein eigen’ Ehre ſuch ich nicht.

Jſt es nicht wahr? Was auf der Welt von uns gewirkt, ge-
baut, erdacht,

Erfunden, was geſchrieben wird, was alle Kunſt hervor gebracht,

Geſchicht durch unſere Vernunft. Nun wird dein Geiſt ſelbſt
zugeſtehen,

Daß alle Ding auf unſrer Welt, die gut, die ordentlich geſchehen,

Und richtig nach der Regel gehn, durch ihn nicht eingerichtet
ſeyn,

Durch ihn nicht ausgefuͤhret ſind, daß weder Blumen, Gras
noch Kraut,

Durch unſere Vernunft, entſteht, daß es nicht regnet, auch
nicht thaut,

Durch unſere Vernunft und Ordnung, daß weder Mond-noch
Sonnenſchein
Durch
[487]Der uͤberfuͤhrte Atheiſte.
Durch unſer Zuthun ſtralt und leuchtet, einfolglich, daß die
ganze Welt

Durch unſere Vernunft ſich nicht regieret, leitet und erhaͤlt,

Nein, daß, was wir in ihr ſo weiſ, und richtig, ordentlich und
ſchoͤn

Hervorgebracht und unterhalten, regieret und gewirket ſehn,

Von einer anderen Vernunft, als wie der Sterblichen auf Erden,

Nothwendig muß hervorgebracht, regieret und gewirket werden.

Damit du dich nun nicht beſchwehreſt: So will ich etwas wei-
ter gehn,

Und deinen ungefaͤhrigen Zuſammenlauf dir zugeſtehn.

Da nemlich ſo, wie du vermeyneſt, von allen Dingen, die
vorhanden,

Kein einziges auf andre Weiſe, als durch ein Ungefaͤhr, ent-
ſtanden:

So wirſt du mir nicht leugnen koͤnnen, daß, wie dein Koͤrper
und dein Geiſt

Sein Weſen einem Ungefaͤhr nur bloß allein zu danken hat,

Sich aus der Folge deiner Schluͤſſe, es ſich unwiderſprechlich,
weiſt,

Daß eben dieſes Ungefaͤhr, und dein Zuſammenlauf der Dinge,

Das Weſen mehr vernuͤnftger Weſen, als wie du ſelbſt, nicht
auch entſpringe;

Ja daß, wofern du billig biſt, du ſchuldig, ihrer eine Zahl,

Die faſt nicht zu begreifen iſt, die alle viele vielemal

Dich an Verſtand weit uͤbergehn, zu glauben, ja, daß eine Reih,

Und eine Leiter ſolcher Geiſter, die faſt ohn Ende, wirklich ſey.

Nun wuͤrde ja von allen dieſen (da wirklich nichts im wei-
ten Reich

Der allbegreifenden Natur zu finden, das ſich voͤllig gleich,)
H h 4Von
[488]Der uͤberfuͤhrte Atheiſte.
Von allen den vernuͤnftgen Geiſtern, nothwendig einer nur
allein,

Von allen der vollkommenſte, der beſt-und allerkluͤgſte ſeyn.

Nun dieſer allerbeſte Geiſt wird, nach unbetruͤglich-klaren
Schluͤſſen,

Die allerbeſten Eigenſchaften vor allen andern haben muͤſſen,

So, wie an Abſicht und Begriff, auch an der Daur. Jn
ſolchem Geiſt

Scheint, daß ſich zwiſchen einer Gottheit kein andrer Unter-
ſcheid faſt weiſt,

Als der den Urſprung bloß betrifft. Nun frag ich dich auf
dein Gewiſſen:

Ob dein von dir geſetzter Satz, daß nicht nur alle Ding’ auf
Erden,

Die koͤrperlich; dein Geiſtgen auch haͤtt muͤſſen von ſich ſelber
werden,

Von dir ſo ernſtlich uͤberlegt, ſo feſt bewieſen, daß daran

Dein eigen unparteyiſch Herz, und kein Vernuͤnftger zwei-
feln kann?

Und ob es dir nicht tauſendmal der Wahrheit aͤhnlicher muß
ſcheinen,

Daß etwas, ſo vernuͤnftig iſt, zu ſeinem Urſprung anders keinen,

Als einen, der vernuͤnftig iſt, vermuthlich haben koͤnn und
muͤſſe?

Leg einſt den Satz, den du geaͤuſſert, und mit demſelben un-
ſre Schluͤſſe,

Jn eine Wagſchal mit einander; denk unparteyiſch, uͤberlege

Den Grund, den Satz, den Schluß, die Folge, von deiner Mey-
nung: Dann erwege

Den Grund, den Satz, den Schluß, die Folge der unſrigen:
So wirſt du ſehen,
Ob
[489]Der uͤberfuͤhrte Atheiſte.
Ob deine Schluͤſſe nicht vielmehr auf ungefaͤhriger Jdeen

Zufaͤlligen Zuſammenlauf, und nicht auf feſtem Grunde, ſtehen.

Hingegen, wie ohn Widerſpruch, bey einer ſchoͤnen Schil-
derey,

Bey einem Uhrwerk voller Kunſt, es ganz unwiderſprechlich
ſey,

Daß die Vernunft, die alle Theile, aus welchen ſie beſtehn,
erleſen,

Und ſie ſo ordentlich gefuͤgt, muͤß eh, als beyde, ſeyn geweſen:

Auf gleiche Weiſ’, und noch viel eh, muß dieſer großen Wun-
der-Uhr,

Des Wunder-vollen Weltgebaͤudes, des ſchoͤnen Malwerks
der Natur

Quell, Urſprung, Schoͤpfer und Erhalter, nicht nach dem Wahr-
heit-Schein allein;

Nein, wirklich und unwiderſprechlich, eh, als ſein Werk, gewe-
ſen ſeyn.


H h 5Un-
[490]Ungluͤckliche Folgen

Ungluͤckliche Folgen
der Verwahrloſung unſrer Minen.


Man ſagt mit Recht, von unſerm Auge, daß es des Geiſtes
Spiegel ſey.

Wie geht es denn doch immer zu, daß man darauf ſo wenig
achtet,

Und, zu Vermeidung unſers Schadens, die große Wahrheit
nicht betrachtet:

Es ſey fuͤrwahr nicht gleiche viel, gleichguͤltig nicht, nicht
einerley,

Ob man, im Spiegel unſrer Augen, in uns ein thieriſch Herz
erblicke,

Voll Bitterkeit, voll Gram und Bosheit, voll Neid, voll Wi-
derſinn und Tuͤcke,

Wie oder ob ein ſanft Gemuͤthe, in einem ſanften Blick, ſich zeigt.

Wann nun das Aug ein ſolches Glied, das ſich, nach unſerm
eignen Willen,

Regieren, biegen, lenken laͤßt, das wir mit Grimm und Luſt
erfuͤllen,

So Freud als Gram drin ſenken koͤnnen: So iſt es ja wohl
unerhoͤrt,

Daß, da es ſelbſt in unſrer Macht, uns, durch ein ſanft und
freundlich Lachen,

Zu einem liebenswuͤrdigen und werthen Gegenſtand zu machen,

Man, durch die ſelbſt formirten Zuͤge, ſich in ein boͤſes Thier
verkehrt.

Ja was noch mehr, dein bitter Auge verurſacht Grimm
und Bitterkeit,
Jns
[491]der Verwahrloſung unſrer Minen.
Jns Naͤchſten Auge. Dieſes Bittre, verurſacht, durch den
Gegenblick,

Dir wieder Grimm und Bitterkeit. Du kriegſt ſelbſt deinen
Gift zuruͤck,

Und oͤfters noch wohl ſtark vermehrt. Die giftige Beſchaf-
fenheit,

Von fabelhaften Baſilisken, ſcheint eine Wahrheit hier zu ſeyn.

Ein zornig Auge ſchieſſet Gift, | und floͤßt ihn nicht nur an-
dern ein,

Er ſchadet, recht wie durch den Spiegel der Baſilisk, ſich durch
die Augen

Der andern, die, durch ihn vergiftet, ihn wieder zu vergiften
taugen.

Da nun in Bildung des Geſichts, der Nutz ſo groß, die
Muͤh ſo klein;

Warum will man denn mit Gewalt ein Baſilisk, ein Tieger ſeyn?

Und nicht vielmehr durch Freundlichkeit und Sanftmuths-volle
Minen, allen

Ein Vorwurf ſuͤſſer Regung werden, und eh verhaßt ſeyn, als
gefallen?


Klage
[492]Klage.

Klage.


Jn einem ſchoͤnen Blumen-Garten, worin auf einem Blumen-
Beet,

Jn tauſendfach gefaͤrbtem Glanz, theils niedrig, und zum Theil
erhoͤht,

Ein wunderſchoͤnes Blumen-Heer, in ſeiner ſchoͤnſten Zierde,

Ging Chryſidor, mit ſeinem Hunde, (ſtunde,

Unachtſam hin und her ſpatzieren.

So wenig der gefaͤrbte Schmelz, als des Geruchs gewuͤrz-
te Kraft,

Vermochten den geſchaͤfftgen Hund, noch minder Chryſidor zu
ruͤhren,

Sie wußten nichts von ihrer Zierde, nichts von der Balſams-
Eigenſchaft.

Jch ſaß in einer Sommerlaube, ſah heimlich beyder Hand-
lung an,

Betruͤbte mich, daß aller Schmuck ein Menſchen-Herz nicht
ruͤhren kann,

Und dachte mit faſt bitterm Gram; wie kann doch dieſes
moͤglich ſeyn!

Zuletzt gab die Betruͤbniß mir daruͤber die Gedanken ein:

Ein Menſch, der ſeine Pflichten kennt, muß billig uͤber das
Betragen

Der Menſchen, mit den bloß fuͤr ſie ſo ſchoͤn erſchaffnen Blu-
men, klagen:

Wie viele Menſchen gehn, wie Hunde, auch mit

den ſchoͤnſten Blumen um!

Wie oder ſoll ich lieber ſagen, mit einem Mitleid-vollem Grimm:

Es geht ein Hund, es geht ein Thier,

Mit dem ſo ſchoͤnen Schmuck der Erden, den Blu-

men, eben um, als wir?

Be-
[493]Heilungs-Beſchaffenheit in der Natur.

Betrachtung
uͤber die Heilungs-Beſchaffenheit in der
Natur.

Bey Gelegenheit meines verletzten Schienbeins.


Aus einer anfangs nur geringen Verletzung meines Schien-
beins ward,

Durch einen unerfahrnen Wund-Arzt, nach langem Salben,
eine Wunde,

Woran ich mancherley Beſchwerde, Verdruß und bittern
Schmerz empfunde,

Bis es zuletzt gefaͤhrlich wurde. Das Bein war ganz ge-
ſchwollen, hart;

Es glaͤnzt, und ſtund im rothen Feuer, mit Blattern hie und
da bedeckt,

Die mit noch groͤßrer Heftigkeit, als andre heiſſe Stellen,
brannten,

Und, Pein und Sorgen zu vermehren, zuweilen in einander
rannten,

Wobey mich das Geſtaͤndniß denn des Meiſters noch am
meiſten ſchreckt:
Er wuͤßte weiter nichts zu brauchen. Jch war an
einem ſolchen Ort,

Wo wenig beſſere zu finden, bis ich, Gott ſey davor geprieſen!

Beruͤhmter Carpſer, durch das Waſſer, ſo du mir ſandteſt, al-
ſo fort

Jn einen beſſern Stand gerieth. Die Huͤlfe, die es mir erwieſen,

Nebſt dem dazu verordneten und warmen Bande, werd ich nie,
So
[494]Heilungs-Beſchaffenheit in der Natur.
So lang ich denken kann, vergeſſen, noch daß uns unſer Schoͤp-
fer hie,

Jn dem Natur-Reich, Heilungs-Mittel, auch hin und wie-
der Carpſers ſchenket,

Ob ſie gleich rar ſind, die erfahren, was Gott fuͤr manche
Kraft geſenket,

Jn Kraͤuter, Waſſer, Salz und Schwefel, und den lebendigen
Mercur.

Jnzwiſchen hab ich nachgeſonnen, auf welche Weiſe die
Natur

Jhr nuͤtzlich Heilungs-Werk verrichte. Es brachte mich auf
dieſe Spur

Die Hitze, die, als wie ein Dunſt, recht oben aus dem Scha-
den fuhr,

Und ſo gewaltig war, daß man ſie, durch ſo vielerley Ver-
band,

Auf ein paar Handbreit von dem Schaden, an die darauf
gehaltne Hand,

Recht wie an einem Diſtillier-Helm, als einen feuchten Duft,
empfand.

Dieß ſtaͤrkte mich in den Gedanken, die ich vor dieſen wohl
geheget,

Daß alle Pflaſter, welche man zur Heilung auf die Wunden
leget,

Von keinem andern Nutzen ſind, als daß ſie bloß von auſſen
wehren,

Daß nichts, ſo ſchaͤdlich, ſie beruͤhrt; naͤchſt dem, daß ſie die
Waͤrme mehren,

Durch die Verhinderung der Duͤnſte, die ſtetig aus dem Koͤr-
per eilen,
Und
[495]Heilungs-Beſchaffenheit in der Natur.
Und die an die bedeckte Stelle, worauf das dichte Pflaſter liegt,

Wovon ſie gleichſam ruͤckwerts prallen, gezwungen, etwas zu
verweilen:

Jndem vermuthlich dadurch eben, daß ſie daſelbſt die Waͤrme
haͤufen,

Die Theilchen der Materie, die reifen ſollen, beſſer reifen.

Wodurch vermuthlich denn zugleich, wenn todte Theilchen
weggeſchafft,

Durch uns noch unbekannte Wege, und bis daher verborg-
ne Kraft,

Sich neue Haut-und Fleiſches-Theile, an die geſunden Theile
fuͤgen.

Denn jeder wird geſtehen muͤſſen, daß, waͤr ein Pflaſter
noch ſo rar,

So wenig Fleiſch, als Blut, noch Haut, in ſelbigem verhoh-
len liegen.

Vielmehr iſt es unwiderſprechlich, und, ſonder allen Zwei-
fel wahr,

Daß alle Heilungen von innen, durch eigne Balſam-Kraft,
entſtehen,

Und ausgefuͤhret werden muͤſſen. Von mancherley Betrie-
gerey,

Die mit ſo vielen theuren Pflaſtern, aus Jrrthum, auch mit
Fleiß geſchehen,

Macht die Erkenntniß und Entdeckung, verhoff ich, noch wohl
manchen frey.

Wann aber auch Verſchmierungen mit Unverſtand ge-
ſchehen koͤnnen,

Und, wie es leider mir geſchehen, durch dickes Salben aller
Dunſt,
Der
[496]Heilungs-Beſchaffenheit in der Natur.
Der aus dem Koͤrper duͤnſten muß, ſich nicht ſo, wie es noͤ-
thig, trennen,

Und ordentlich vertheilen kann: So mag denn, in der Hei-
lungs-Kunſt,

Verſchiednen dieß zur Lehre dienen; weil dieß behinderte
Bewegen

Die duͤnnen Duͤnſte ganz verdicken, und Schaͤrf und Hitze zu
erregen,

Gefahr und Schmerz zu mehren pflegt. Jnzwiſchen dank ich
Gott von Herzen,

Daß er das ſo bewaͤhrte Mittel, von des beruͤhmten Carp-
ſers Hand,

Der Millionen Schaden heilt, zur Lindrung meiner ſcharfen
Schmerzen,

Und der Gefahr mich zu entreiſſen, zu rechter Zeit mir zuge-
ſandt.


Brenn-
[497]Brenn-Spiegel.

Brenn-Spiegel.


Es kommen unſer’ Augen mir,

Als Spiegel, welche brennen, fuͤr.

Wie ſich, in ihnen, tauſend Stralen des Lichts, die allent-
halben ſcheinen,

Jn einem kleinen Mittelpunkt, dem ſo genannten Heerd, ver-
einen:

So ſenken ſich von allen Seiten, von den beſtralten Creaturen,

Die ſchoͤnen Brechungen des Lichts, die Farben, neben den Fi-
guren,

Jn unſrer Augen Mittelpunkt, woſelbſt ſie ſich natuͤrlich malen.

Wie nun von oberwaͤhnten Spiegeln, da in dem Punkt ver-
einte Stralen,

Mit einem noch vermehrten Schein,

Auf andre Vorwuͤrf ruͤckwerts fallen: So wird es wohl zu
wuͤnſchen ſeyn,

Daß die von uns geſehnen Sachen, in ſanft geruͤhrt-und frohen
Minen,

Auch frohen Worten oder Schriften, auch andre Menſchen
ruͤckwerts ſchienen,

Um auch in ihnen eine Gluth von Andacht, unſerm Gott zu
Ehren,

So anzufachen, als zu mehren.


Br.VI.Th. J iVor-
[498]Vorzug vor den Thieren.

Vorzug vor den Thieren.


Die Thiere haben nicht die Macht, es mangelt ihnen Faͤ-
higkeit,

Die Creaturen zu betrachten,

Und die darin verborgnen Proben der goͤttlichen Vollkommen-
heit,

Des großen Schoͤpfers aller Dinge, darin zu ehren und zu
achten.

Wir haben ſelbige bekommen; uns iſt dazu Verſtand gegeben.

Wie, daß wir denn zu ſolchem Zweck, den Herrn der Creatur zu
ehren,

Jhn gar nicht anzuwenden ſtreben,

Und nicht zu ſeinem Ruhm empfinden, nicht ſchmecken, riechen,
ſehn und hoͤren!


Blinder Eifer.


Wenn nicht die Obrigkeit gelindre Triebe naͤhrte,

Und vielen Geiſtlichen den heilgen Eifer wehrte;

Es wuͤrde, dem zur Ehr, der dieſe Welt gemacht,

Der groͤßte Theil der Welt gelaſſen umgebracht.


Un-
[499]Unbilligkeit vieler Menſchen.

Unbilligkeit
vieler Menſchen.


Wir wollen Gottes Wege faſſen,

Gott aber will ſich nicht begreifen,

Und hier allein bewundern laſſen.

Er wollte ſeine Wunder haͤufen,

Damit wir moͤchten, hier auf Erden,

So ſehr nicht witziger als beſſer werden,

Und unſre durchs Geſchoͤpf geruͤhrete Gemuͤther,

Und ihn, den Urſprung aller Guͤter,

Zu ehren, zu erhoͤhn, zu lieben,

Durch frohe Dankbarkeit, doch waͤren angetrieben.

Er ſcheint uns hier nichts zuzumuthen,

Als ihn, als eine Quell von allem unſern Guten,

Erkenntlich anzuſehn,

Und, bloß in unſrer Luſt, ihn zu erhoͤhn.

Dadurch, daß ſein Geſchoͤpf ſo ſchoͤn,

Hat er auf ſie die Augen ziehen wollen.

Doch, da wir auf den Nutz der uns geſchenkten Gaben,

Zu unſerm Beſten, ſehen ſollen:

So ſcheint er ihren Bau und innerliche Kunſt,

Mit einem dichten Nebel-Dunſt

Mit Fleiß fuͤr uns bedeckt zu haben.

J i 2Er
[500]Unbilligkeit der Menſchen.
Er will, durch den Begriff, ſo ſehr nicht uͤberfuͤhren,

Auf welche Weiſ er alle Pracht

Der Wunder, die er ſchuf, gemacht;

Er will uns, bloß durch ſeine Wohlthat, ruͤhren.

So zeigen uns demnach die Wunder der Natur

Die Menge goͤttlicher Geſchenke nur.

Jemehr wir nun darin die Wiſſenſchaften haͤufen,

Jemehr wir ihre Meng und große Zahl begreifen,

Jemehr wir ſpuͤren, wie viel Gaben

Wir von des Schoͤpfers Huld empfangen haben.

Allein, was uns geſchenkt, zu faſſen,

Und den, der es geſchenkt, aus unſern Augen laſſen,

Heißt wiſſen, und undankbar ſeyn.


Erweis-
[501]Verluſt dreyer Sinnen.

Erweislicher Verluſt
dreyer Sinnen.


Wenn wir, zu des Schoͤpfers Ehren, der die Sinnen uns
gegeben,

Sie, als goͤttliche Geſchenke, anzuſehn, uns nicht beſtrebeu,

Noch die Welt voll Wunder finden: So ſind, auſſer Ang-und
Ohren,

(Als durch deren Mittel man

Gute Lehren endlich hoͤren, und die Bibel leſen kann,)

Zu des großen Schoͤpfers Ehren, drey derſelben ganz ver-
lohren;

Da im Riechen, Fuͤhlen, Schmecken

Doch ſo große Wunder ſtecken;

Und ſie uns, auf manche Weiſe,

Uns zum Nutz, und Gott zum Preiſe,

Gottes Lieb und Macht entdecken.


J i 3Zier-
[502]Vernuͤnftiges Gebeth.

Vernuͤnftiges
Gebeth.


Dieweil es nicht in unſrer Macht,

Zu denken immer, wie wir ſollen,

Zu glauben alles, was wir wollen:

So nehmet doch die Zeit in Acht,

Wenn nicht zu viele Leidenſchaften,

Durch Umſtaͤnd, an den Sinnen haften,

Und rufet, mit Vertrauen, dann,

Und einem kindlich-bruͤnſtgen Triebe,

Den Schoͤpfer um die Weisheit an:

So wird er, als die ewge Liebe,

Ein ſolches wohlgemeyntes Flehn,

Voll vaͤterlicher Guͤte, ſehn,

Und voller ewgen Zaͤrtlichkeiten,

Euch ſchon auf ſolche Wege leiten,

Damit ihr ſeinen guten Willen,

Bey eurem Hierſeyn, moͤgt erfuͤllen.


Klaͤgli-
[503]Klaͤgliche Unwiſſenheit.

Klaͤgliche Unwiſſenheit.


Vom Schoͤpfer reder man ſo wenig im Chriſtenthum, daß
es faſt ſcheinet,

Wenn man von Gottes Werken ſpricht, daß man ſich wundert,
und faſt meynet,

Als ob im Schoͤpfer aller Ding, und Herrn der Schaaren, Ze-
baoth,

Man ihnen etwas predigte, von einem unbekannten Gott.


Nothwendigkeit,
wirthlich zu ſeyn.


Die wahre Weltweisheit faͤngt bey der Wirthſchaft an,

Durch Wirthſchaft bloß allein kann man in Ruhe leben,

Bequem und gaſtfrey ſeyn, auch Duͤrftgen etwas geben.

Mit welchem Recht erforſcht und gruͤbelt man,

Was in dem Firmament geſchicht,

Und ordnet den Zuſammenhang der Welt,

Wenn der Zuſammenhang, wie man ſein Haus beſtellt,

Bey allem Wiſſen, uns gebricht?


J i 4Ueber
[504]Ueber D. Trillers IIten Theil,

Ueber Tit.
Herrn D. Trillers IIten Theil
ſeiner poetiſchen Betrachtungen.


Wer ſollt es glauben, daß auch Schriften

Von ſolchem Werth, als deine ſeyn,

Die ſo gelehrt, als ungemein,

Dennoch was Boͤſes koͤnnen ſtiften?

Und dennoch iſt es juͤngſt geſchehen,

Wer daͤcht es wohl? ſo gar bey mir.

Beſchaͤmt michs gleich: Will ich es dir,

Geliebtſter Freund, dennoch geſtehen.

Jch will das Jnnerſte der Seelen,

Deckt man gleich Fehler gerne zu,

Fuͤr einen ſolchen Freund, als du,

Doch im geringſten nicht verhehlen.

Jch fing, dein herrlich Buch zu leſen,

Mit Anmuth und Bewundrung, an.

Ach! daß ichs nicht beſchreiben kann,

Wie wohl mir da zu Muth geweſen!

Jch ſah, auf allen Blaͤttern, Stralen,

Von Anmuth, und ein geiſtig Licht.

Mich deucht, es ſaͤhe mein Geſicht

Sich den Naturgeiſt ſelber malen.

Je mehr ich laſ’, je mehr entbrannte

Dein geiſtig Feur in lichter Loh,

Wobey ich immer mehr, wie froh

Jch durch die Schoͤnheit ward, erkannte.

Bis
[505]ſeiner poetiſchen Betrachtungen.
Bis es zuletzt, in ſolchem Glaͤnzen

Und Licht, an auszubrechen fing,

Daß mir faſt das Geſicht verging.

Jch ſprach: Hier ſind ja keine Grenzen!

Dieß rief ich, eh ichs mich verſahe,

Mit einer Art von Heftigkeit;

Doch war es mir gleich wieder leid;

Jch wußte nicht, wie mir geſchahe.

Jch unterſuchte dieſe Triebe,

Die mir bisher ganz unbekannt;

Worauf ich in der That befand,

Sie ſtammten von der Eigenliebe.

Jch merkte die verborgnen Schliche;

Es ſeufzte mein erniedrigt Jch,

Weil nichts ſich deiner Schreibart glich,

Und alles vor derſelben wiche.

Doch muß ich dieß dabey erklaͤren,

Daß ich den Unfug gleich erkannt,

Und alle Muͤhe angewandt,

Daß er nicht moͤchte lange waͤhren.

Jch ſchaͤmte mich fuͤr mich, ich klagte

Mich ſelber, bey mir ſelber, an,

Und ſtrafte, wie ich mich beſann,

Mich, daß auch mich der Neid-Wurm nagte.

Und zwar bey einem ſolchen Freunde,

Der nichts, als Dank und Ruhm verdient,

Und dem ein ewger Lorbeer gruͤnt;

Dieß ſchickt ſich kaum bey einem Feinde.

J i 5Vor
[506]Ueber D. Trillers IIten Theil,
Vor Unmuth fing ich an zu ſprechen:

„Hier ſeh ich abermal die Spur,

„Wie doch die menſchliche Natur

„So voller Schwachheit und Gebrechen.

Doch war die Klage bald verſchwunden,

Da ihre Quell ſich gleich verlohr.

Die Tugend hub ihr Haupt empor,

Gleich war die Scheelſucht uͤberwunden.

Jch legte mich mit Luſt zum Ziele,

Und rief: Wie ſehr bin ich vergnuͤgt,

Daß mich ein ſolcher Feind beſiegt,

Bey deſſen Sieg ich gern verſpiele!

Ja, da, nebſt unſers Schoͤpfers Ehre,

Durch dein vortrefflich Buch, die Welt

Ein unvergleichlich Gut erhaͤlt,

Von Andacht, Beyſpiel, Luſt und Lehre:

So muͤßt es eine boͤſe Seele,

Ja die ſelbſtſtaͤndge Bosheit ſeyn,

Die wuͤnſchen ſollte, daß der Schein,

Von ſolchem Licht, der Erden fehle.

Ein Licht, in welchem ich erfahre,

Daß unſer Gott, zu ſeiner Ehr,

Jn ſeinem Werk je mehr und mehr

Sich uͤberall uns offenbare.

Jch laß denn mich und alles ſchwinden;

Es laͤßt mein Gott-ergebner Blick

So gar den Preis und Ruhm zuruͤck,

Die in der Schrift fuͤr mich ſich finden.

Aus
[507]ſeiner poetiſchen Betrachtungen.
Aus Furcht, es moͤchte ſelbſt das Danken,

Mich ab- und auf mich wieder ziehn,

Komm aber, laß uns, uns bemuͤhn,

Zu laufen die erwaͤhlten Schranken.

Laß nichts den fernern Lauf behindern,

Wir haben Gottes Ruhm zum Ziel;

Laß ja von deinem edlen Kiel

Den ſchoͤnen Ausfluß nichts vermindern.

Wer weis, koͤmmt nicht die Zeit auf Erden,

Da goͤttliche Vollkommenheit,

Aus ſeiner Werke Herrlichkeit

Mehr, als vorhin, erkannt ſoll werden!

Jch hoͤre große Lehrer ſprechen,

Die, daß darin wohl was verſehn,

Aus heilger Redlichkeit, geſtehn;

Jch ſeh auch ſie die Bahne brechen.

Geſegnete Gott ihr Beſtreben,

Gebenedeyt er unſre Muͤh;

Wie gluͤcklich waͤren wir und ſie,

Und alle, die auf Erden leben!

O welch ein Gluͤck! in allen Gruͤnden,

Auf jeder Flaͤch, auf allen Hoͤhn,

Jn dem Geſchoͤpf den Schoͤpfer ſehn,

Die Gottheit allenthalben finden!

Zu jenen ſelgen Ewigkeiten

Kann man ſich, nebſt des Glaubens Licht,

Durch das, was uns hier Guts geſchicht,

Jm froͤlichen Genuß bereiten.


Un-
[508]Unſere eingetheilte Lebenszeit.

Unſere,
in mancherley Vergnuͤgen
eingetheilte Lebenszeit.


Liebſte Menſchen, die ihr hier, was ihr gutes habt, nicht
faſſet,

Und die goͤttlichen Geſchenke recht zu brauchen, unterlaſſet,

Die ihr, mitten im Vergnuͤgen, voller Unvergnuͤglichkeit,

Weil ihr nur fuͤrs Boͤſ empfindlich, und fuͤrs Gute fuͤhllos
ſeyd.

Jhr, die Gott fuͤr Pein und Armuth, Schimpf, Verluſt
und fuͤr Gefahren,

Fuͤr Verfolgung, Froſt und Bloͤſſe, laͤngſt gewuͤrdigt, zu be-
wahren,

Denen er im Ueberfluß, alles, was ſie brauchen, giebt,

Und auf tauſend Arten zeiget und erweiſt, daß er ſie liebt.

Sind denn ſo viel tauſend Gaben, die der Schoͤpfer euch
geſchenkt,

Und wovor er nichts verlanget, als daß ihr nun ſein gedenkt,

(Wenn ihr es mit Luſt genießet) nicht ſo holder Muͤhe werth,

Daß, indem ſie euch ergetzen, ihr den großen Geber ehrt?

Daß es nicht des Hoͤchſten Schuld, wenn ihr unvergnuͤget
ſeyd,

Wenn ihr fuͤhllos, fuͤr das Gute, voller bittern Graͤmlichkeit,

Sondern, daß im Gegentheil, Gott euch will vergnuͤget
haben,
Zei-
[509]Unſere eingetheilte Lebenszeit.
Zeigen die verſchiednen Sinnen, zeigt die Menge ſeiner Gaben.

Nehmet doch, zu eurem Beſten, die ſo leicht als ſchuldge Muͤh,

Ueberlegt der Gaben Vielheit, merkt, empfindet, eignet ſie,

Euch, durch das Erwegen, zu, denn durch Denken kann auf
Erden,

Bloß das Gut euch zugeeignet, Gott davor verehret werden.

Um nun einen kleinen Anlaß, euch und mir dazu zu geben,

Will ich, was wir taͤglich haben, zu erwegen, mich beſtreben,

Weil wir, durch Gewohnheit blind, weder fuͤhlen, ſchmecken, ſehn,

Was taͤg-ſtuͤnd-ja augenblicklich, auf der Welt uns guts ge-
ſchehn.

Wie theilet unſre Lebenszeit, von ſelbſt, ſo angenehm ſich ein;

Wie ruhig iſt die ſtille Nacht; wie angenehm des Tages
Schein,

Wie iſt doch alles, ſelbſt im Wechſel, ſo wohl geordnet und
geſchaffen,

Daß wir, in einer Helfte wachen, und in der andern ruhig
ſchlafen!

Diejenige, worin man wachet, theilt ſich in Vor- und Nach-
mittag,

Und alle beyde Theile theilen wir wieder auf denſelben Schlag,

Durch den Gebrauch des lieben Thee, der uns ſo traͤnket, als
ergetzet,

Und den man zur gewiſſen Zeit, faſt ſonder Ausnahm, vor
uns ſetzet.

Jn den zwo Theilen der zwo Helften, wo unſer’ Arbeit es
nicht wehrt,

Wird oft, zum ſanften Zeitvertreib, ein rauchend Pfeifchen an-
gezuͤndet,
Jn
[510]Unſere eingetheilte Lebenszeit.
Jn welcher mancher eine Luſt, die er fuͤr viel nicht gebe, findet.

Von welcher er doch ſelten nur vermerkt, daß ſie fuͤr ihn gehoͤrt.

Noch nicht genug, man ſucht zu weilen noch eine Luſt zu
der zu fuͤgen,

Jn einer Priſe Schnuptabac. Sprich nicht: Das iſt ein klein
Vergnuͤgen.

Es iſt doch eines in der That. Schien es dir aber doch zu klein,

Und zu dem Endzweck, den ich habe, dir nicht betraͤchtlich gnug
zu ſeyn:

So ſey es drum, ich laß es fahren; fuͤhr aber davor an in-
zwiſchen

Dein Morgen- und dein Veſper-Brodt, dein Mittag- und dein
Abend-Mahl,

Wo man, fuͤr deinen Mund und Magen, die Niedlichkeiten
ohne Zahl,

Bald aus der Luft, bald aus der See, bemuͤhet iſt, dir aufzutiſchen.

Wo dieſes nun nicht Guͤter ſind, und wo uns Gott, in un-
ſerm Leben,

Den einen Tag, ſo wie den andern, nicht eine große Zahl
gegeben:

So weis ich nicht, ob, ſonder Laſter der ſchaͤndlichſten Un-
dankbarkeit,

Man deinen Satz bewaͤhren koͤnne. Nun ſprecht, was hat, in
dieſer Zeit,

Uns unſer Gott nicht tauſend mal, ja tauſend Millio-
nen mal,

Fuͤr andre Guͤter noch geſchenkt! wer zaͤhlt und faſſet ihre
Zahl. (*)
Und
[511]Unſere eingetheilte Lebenszeit.
Und dennoch ſind wir unempfindlich, und dennoch ſchallt ein
ſtetes Klagen,

Auch aus begluͤckter Menſchen Munde: Wie elend (hoͤrt man
dieſen ſagen,)

Wie elend geht es auf der Welt! dem doch nicht das gering-
ſte fehlt,

Was tauſend gluͤcklich machen wuͤrde, den weder Noth noch
Krankheit quaͤlt.

Ach wer nur erſt geſtorben waͤre! ſpricht jener; wer im
Himmel waͤre!

Seufzt dorten eine ſchwache Seele. Dieß bringt der Gottheit
wenig Ehre,

Daß (da uns Gott in einen Ort, wo ſo viel Guͤter ſind, geſetzt,

Nach ſeinem weiſen Rath und Willen) man es fuͤr keine Suͤn-
de ſchaͤtzt,

Des Schoͤpfers Guͤte zu verachten, und, da er, daß wir hier
ſeyn ſollen,

Nach ſeiner heilgen Ordnung, will, wir hier durchaus nicht
bleiben wollen.

Anſtatt, mit Dank erfuͤllter Seelen uns, zu den ſelgen Herr-
lichkeiten,

Jn dem Genuß von dieſen Guͤtern, nach Gottes Willen zu
bereiten;

Nimmt uns ein rechter Seelen-Schwindel, mit einem ſtraf-
barn Undank, ein.

Gott ſpricht: Wir ſollen uns vergnuͤgen, zu ſeiner Ehr.
Wir ſagen nein.
Gott will, wir ſollen hier auf Erden, wir wollen
ſchon im Himmel ſeyn.


Gei-
[512]Geiſtiger Abgott.

Geiſtiger Abgott.


Unterſaget und verbietet unſer Gott durch Moſen nicht,

Von der unumſchraͤnkten Gottheit, ein verkleinernd Bild
zu machen?

Meynſt du nun, daß, was der Schoͤpfer hier zu ſeinem Diener
ſpricht,

Bloß allein auf Stein und Holz, bloß auf koͤrperliche Sachen,

Und ſein ernſtliches Geboth und Geſetz ſich nicht viel mehr

Auf den denkenden Verſtand, ebenfalls erſtrecken ſolle?

Es erhellt ja Sonnen-klar, wie der wahre Gott nicht wolle,

Daß von ſeinem wahren Weſen, von der unumſchraͤnkten Macht,

Der allgegenwaͤrtgen Gottheit, Majeſtaͤt, Vollkommenheit,

Ewger Wahrheit, ewger Liebe, Weisheit und Unendlichkeit,

So verkleinernde Gedanken, ſo belachenswuͤrdge Grillen,

Ein ſo kindiſcher Begriff, unſre Seele ſoll erfuͤllen,

Als worin allein die Thorheit der Abgoͤtterey beſteht,

Wenn man nemlich einen Abgott, im Gehirn und Geiſt, erhoͤht,

Der weit ſchimpflicher fuͤr Gott, als ein Bild von Holz und
Stein;

Da ja dieſe nur bedeutend, jener, wirklich Gott ſoll ſeyn.


Suͤnde
[513]Suͤnde.

Suͤnde.


Wann die, ſo in dieſer Welt, ungluͤckſelig ſind, mit
Thraͤnen,

Sich nach einer Aenderung, ſich nach ihrem Ende ſehnen:

Wird der Schoͤpfer, der die Liebe, ſich des Zuſtands ſolcher
Armen,

Derer Elend ihm bekannt, ſchon zu rechter Zeit erbarmen.

Aber daß geſunde Reiche, bloß aus Unempfindlichkeit

Fuͤr des Schoͤpfers Lieb und Wunder, alle Wunder dieſer
Zeit

Nicht erkennen, nicht erwegen, wie ſich Gott damit ver-
binde,

Und wie Gott ſie ihnen ſchenke; dieſes iſt wahrhaftig Suͤnde


Br.VI.Th. K kUn-
[514]Unnuͤtze Muͤhe

Unnuͤtze Muͤhe
einen Atheiſten zu bekehren.


Jch habe mich gar oft bemuͤht, durch viele Schluͤſſe, manche
Lehren,

Der Gottheit Weſen zu beweiſen, und Atheiſten zu bekehren,

Jch weis, daß viele tauſend Buͤcher zu eben dieſem Zweck
gemacht.

Allein, nachdem ich dieſer Abſicht, und dieſer Arbeit, nach-
gedacht:

So deucht mich daß dergleichen Muͤhe, von minderm Nutzen,
als ſie ſcheinet,

Ja daß es eine große Wahrheit unleugbar ſey, wenn jener
meynet:

Daß es dem menſchlichen Geſchlecht zur Schande faſt gerei-
chen muͤſſe,

Durch tauſend ausgekuͤnſtelte Gedichte, Buͤcher, Schriften,
Schluͤſſe,

Einander das beweiſen wollen, was Himmel, Erd und alle Welt,

Der Seelen, nicht durch einen Sinn, durch alle, ſo vor Au-
gen ſtellt,

Daß, wer nur menſchlich denken will, die Gottheit uͤberall
erblicket,

Jndem, wofern wir nur das Denken gebuͤhrend mit den Sin-
nen binden,

Und uns nicht ſelber ſinnlos machen, wir dieß unwider-
ſprechlich finden,

Daß er, mit allgemeinen Schriften, ſein Weſen deutlich aus-
gedruͤcket.

Wer
[515]einen Atheiſten zu bekehren.
Wer nun, was Gottes Finger ſelber geſchrieben hat, von
ſeinem Weſen,

Nicht kann, nicht mag, nicht will begreifen, verſtehen, faſſen
oder leſen,

Wie kann ich den mit Menſchen Witz, mit Schlieſſen, Zanken,
Diſputiren,

Wo man mehr ſein’, als Gottes Ehre, beſorget iſt, nicht zu
verlieren,

Und wo wir, durch die Eigenlieb ins Feur gebracht, uns
wirklich ſchaͤmen,

Die Wahrheit, wenn ſie noch ſo klar und uͤberzeugend, an-
zunehmen,

Als ein recht ungereimtes Mittel, verlangen, den zu uͤberfuͤhren,

Der des allgegenwaͤrtgen Gottes allgegenwaͤrtge Schrift und
Lehren,

Wie deutlich und wie klar ſie ſind, dennoch nicht leſen will
noch hoͤren?

Dieß hieß ja wohl, am hellen Tage, um unſrer Sonnen Glanz
zu finden,

Und jemand, daß ſie ſey, zu zeigen, mit Muͤh ein kleines Licht
anzuͤnden.


K k 2Ocu-
[516]Oculus non videt, \&c.

Oculus non videt,
cum animus alias res agit.


Es ſiehet unſer Auge nicht, wenn unſer Geiſt was anders
denket.

So iſt es ja nicht zu bewundern, daß man des Schoͤpfers
Werk nicht ſieht,

Ob ſie uns gleich fuͤr Augen liegen, da das nicht ruhige Ge-
muͤth,

Mit Ehr und Luſt und Geld beſchaͤfftigt, ſich ſtets von ihnen
abwerts lenket.

Nun wiſſen wir den Grund, woher wir hier mit ſehnden Au-
gen blind,

Und auch mit offnen Ohren taub, fuͤr Gott und ſeine Wer-
ke ſind.


Lob
[517]Lob in Schwachheit.

Lob in Schwachheit.


Herr! wunderbar ſind deine Werke;

Jch ſelbſt, indem ich ſie bemerke,

Da ich dein Werk; bin wunderbar.

Ob ich nun gleich faſt nichts ergruͤnde;

Gnug, daß ich einer Gottheit Kraft,

Die alles im Erhalten ſchafft,

Und, im Geſchoͤpf, den Schoͤpfer finde.

Der Fund geſchicht in Schwachheit zwar,

Jch kann ihn hier nicht anders ſehen;

Doch iſt auch dieß nicht minder wahr:

Es kann auch Schwachheit Gott erhoͤhen.


K k 3Lieb-
[518]Liebreiche Gerechtigkeit Gottes.

Liebreiche
Gerechtigkeit Gottes.


Ob ihr nun von der Gottheit billig ſo niedrig nicht geden-
ken ſollet;

Wenn ihr dennoch von Gottes Weſen euch ja Begriffe machen
wollet,

Die etwas menſchlichs an ſich haben: Muͤßt ihr euch wenig-
ſtens bemuͤhn,

Nach einem liebreich-billigen und Großmuth-vollen Muſter, ihn

Jm hoͤchſten Grad euch vorzuſtellen, nicht aber unter einem Bilde,

Von einem, der von Ernſt und Streng, und von Gerecht den
Namen hat,

Der aber bitter, unverſoͤhnlich und unbarmherzig in der That.

Sprich nicht: Es ſtellt ja Moſes Gott ſehr ernſthaft und
ſehr ſtrenge fuͤr,

Wie, neben ſo viel andren Stellen, ſein Fluch abſonderlich uns
lehret.

Denn erſtlich zeigt ſich von ſich ſelbſt, daß mehr, als anderwer-
tig, hier

Die Herzenshaͤrtigkeit der Juden zu einer Urſach hergehoͤret.

Zum andern zeigt uns oftermal

Von Gottes großer Lieb und Guͤte uns einen hellen Gnadenſtral,

Und daß ſein Lieben, ſeine Langmuth, ſo Straf als Zorn weit
uͤbergeh,

Wenn er diejenigen Verbrecher, die irgend wider ſein Geboth

Sich je vergangen u. verſuͤndigt, ins vierte Glied zu ſtrafen droht,

Dem aber, der ſie haͤlt, verſpricht, zu ſegnen bis ins tauſende.

Zum dritten muß ich dir von Moſe die klare Wahrheit hier
entdecken,

Daß alle Fluͤch aufs Jrdiſche, aufs Ewige ſich nicht erſtrecken.

Fabel.
[519]Fabel.

Fabel.


Es ſtund ein ſtarker Pfahl, auch eine ſchlanke Weyde

An einem breiten Fluß, der ſich im Herbſt ergoſſen.

Sie waren folglich alle beyde

Vom ausgetretnen Strom befloſſen.

Nun fing der ſtrenge Nord ergrimmt an, zu regieren,

Und durch den ſcharfen Hauch das Waſſer zuzufrieren.

Von ſcharfen Schollen ſchwall die Strudel-reiche Fluth,

Und zeigt in Wirbeln, Schaum und Brauſen, ihre Wuth,

Das Treib-Eis haͤufte ſich, und preßt, im ſtrengen Gange,

Was ihm entgegen ſtund, die Weyde beugte ſich

Vor dem fuͤr ſie zu ſtarken Drange.

Jndeſſen, daß der Pfahl nicht um ein Haar breit wich,

Und durch ſich ſelbſt geſteift, noch Kraft noch Muth verlieret.

Allein des Eiſes Macht ward groͤßer, und der Pfahl

Wurd auf einmal

Heraus geriſſen, weggefuͤhret.

Die Weide fuͤhlte zwar auch an der Rinde Wunden:

Allein, ſie hub ſo gut, als wie zuvor,

Nachdem das Eis vorbey, das Haupt empor,

Vom Pfahl indeſſen ward die Stelle nicht gefunden.

Du biſt, geliebtes Vaterland, wie wir in alten Schriften leſen,

Bey nicht ſo allgemeinem Sturm gar oft ein Weydenbaum
geweſen.

So ſey denn auch vor dieſesmal,

Da mehr, als je, die Winde ſtuͤrmen,

Und keine Stuͤtzen dich beſchirmen,

Wie groß dein Recht auch, doch kein Pfahl.


K k 4Un-
[520]Ungewißheit in Zahlen.

Ungewißheit
auch in Zahlen.


Wie neulich Mathematidor, mit der Gewißheit ſeiner
Zahlen,

Durchaus nicht muͤde werden wollte, ſich breit zu machen, und
zu pralen:

Fragt Antidor, ob er wohl wuͤßte, daß oͤfters neun und ſechs
nur drey,

(Statt er vermuthlich, neun und ſechs ſind funfzehn, ſagen
wuͤrde,) ſey.

Wie erſter nun daruͤber ſtutzt, und meynte, jener muͤßte
fehlen;

Sprach Antidor: Er duͤrfte nur die Nacht-und Tages-Stun-
den zaͤhlen.


Groͤße
[521]Groͤße eines Punkts.

Groͤße eines Punkts.


Wie viel an einem einzgen Punkt, waͤr er auch noch ſo
klein, gelegen:

Giebt die Geometrie uns deutlich, wenn man drauf achtet, zu
erwegen.

Da nemlich, wenn zwo Linien aus ihm gezogen ſind und flieſſen,

Wie oder (wie mans rechnet) ſich, nach ihm gezogen., in ihm
ſchlieſſen,

Die Winkel, die der Punkt regiert, den Jnhalt ungeheurer
Groͤßen,

Die alle Zahlen uͤberſteigen, durch einen Theil vom Zirkel,
meſſen.

Jch habe dieſes oft bewundert; und kam ein ſolches Cen-
trum mir,

Als wie ein Schattenbild der Gottheit, aus welchem alle Din-
ge ſtammen,

Jn welchem alle Dinge wieder, wie hier, die Linien zuſammen,

Als ihrem erſten Urſprung laufen, auch wieder ſich vereinen, fuͤr,

Nur mit dem Unterſcheid allein,

Daß ſo, wie dieſer Mittelpunkt, ein Punkt im Zirkel, der ſo
klein,

Der Gottheit Weſen ſolch ein Cirkel, wovon in allen Abgrund
Gruͤnden,

Der unerforſchten Ewigkeit, die Grenz-und Schranken nicht
zu finden,

Den Stralen, die unendlich, fuͤllen, den kein erſchaffner Geiſt
ermißt,

Wovon das Centrum allenthalben, der Umkreis aber nirgend iſt.


K k 5De
[522]De Guſtibus non diſputandum.

De
Guſtibus non eſt diſputandum.


Es iſt recht, wenn man verbietet, vom Geſchmack zu diſpu-
tiren,

Aber wie? Waͤr alle Welt klaͤrlich hier zu uͤberfuͤhren,

Daß auch Meynungen, Geſchmack, und nichts anders in
der That:

Waͤr zur Wahrheit und zum Frieden wohl kein beßrer Weg
und Nath,

Als daß ſo, wie im Geſchmack, durch Verbindung beyder
Schluͤſſe,

Man von allen raiſonniren, nimmer diſputiren muͤſſe.


Abſicht
[523]Abſicht unſers Hierſeyns.

Abſicht unſers Hierſeyns.


Zu welchem Endzweck meynſt du wohl,

Daß doch das menſchliche Geſchlecht auf Erden?

Gewißlich nicht, um reich zu werden.

Denn ob gleich du,

Aus vielen Beuteln, Geld in deinen Beutel legeſt:

So hoͤrt es alles doch, wenn du es recht erwegeſt,

Dem Schoͤpfer ja nicht minder zu,

Als es ihm erſt gehoͤrt, wie es bey andern war.

Was in der Erde liegt, was mir gehoͤrt, was dein,

Jſt alles ſein:

So iſt dein Reichthum nicht ſein Endzweck, das iſt klar.

Soll ich dir aber hier des Schoͤpfers Abſicht zeigen,

Die er mit uns gehabt: So will ichs nicht verſchweigen,

Du ſollt, wie Gottes Werk ſo ſchoͤn,

Jn deiner Luſt, zu ſeinen Ehren,

Empfinden, ſchmecken, hoͤren, ſehn,

Und dergeſtalt ſein herrlich Lob vermehren.


Troſt
[524]Troſt und Wunſch.

Troſt.


Um die Begierden zu vermindern,

Ja ebenfalls um Plag und Gram zu lindern;

Erweget dieſes, daß die Zeit,

Verdruß, Gram, Schmerzen, Plag und Leid,

Beſtaͤndig mit ſich nimmt, durch jeden Augenblick,

Wie jung ihr auch von Jahren ſeyd,

Wird von euch ſelbſt ein Stuͤck

Euch weggeriſſen und entfuͤhrt,

Da alles, was man ſieht und hoͤret,

Jn des Vergangnen Schlund und Abgrund ſich verliehrt,

Woraus es nimmer wiederkehret.


Wunſch.


Mein Schoͤpfer, laß dir meine Seele,

Und was ſie denkt, gefaͤllig ſeyn!

Abſonderlich wenn ich, von dir,

Jn deiner Creaturen Zier,

Jn ihrer Ordnung, Nutz und Schein,

Was wundernswuͤrdiges erzaͤhle.

Da Capa.


Un-
[525]Ungerathene Kinder.

Ungerathene Kinder.


Sind unſere Gedanken Kinder der Seelen, wie ſie wirklich
ſind:

So ſcheinet (da ja der Gedanke die Seel oft ſelbſt verdammt)
dieß Kind,

Daß man, ſo oft, als dieß geſchicht, daſſelbige mit Recht wird
koͤnnen,

Ja daß man muͤß, es einen Moͤrder, von ſeiner eignen Mut-
ter, nennen.


Schwaͤche menſchlicher Begriffe.


Da die Gelehrten, wie vorhin, auch noch die Widerſpruͤ-
che haͤufen:

So ſcheint es eine klare Probe, daß alle wirklich nichts be-
greifen.

Jch bin dadurch in meiner Meynung beſtaͤrkt, und bleibe bey
der Lehre,

Daß das Begreifen fuͤr die Engel, Bewundern bloß fuͤr uns
gehoͤre.


Die
[526]Die ſichtbare Gottheit uͤberall.

Die uͤberall
ſichtbare Gottheit.


Jch ſehe meines Koͤrpers Seele, in meinem eignen Koͤrper,
nicht,

So ſeh ich auch der Sonnen Sonne, die Gottheit, nicht im
Sonnenlicht.

Da man die letzte nun ſo wenig, als wie die erſte, leugnen kann:

So beth ich aller Sonnen Sonne, in unſrer Sonnen Stra-
len, an.

Mich deucht, in ihrem ſichtbarn Glanz, den unſichtbaren Stral
zu ſehn,

Der Seelen der Natur, der Gottheit, belebend Weſen zu erhoͤhn.

Doch muß man ſich, die Gottheit nicht, als eine Seele
einzuſchraͤnken,

Wie ſie in unſerm Koͤrper iſt, (ſo grob gedacht waͤr) unterſtehn;

Nein, daß ſie uͤberall zu gegen und allenthalben wirke, denken.

Die Abſicht iſt nur dieß: Die Kraͤſte, auf welche wir faſt gar
nicht achten,

Mit deſto mehr Aufmerkſamkeit, und Gott, in ihnen, zu be-
trachten.


Die
[527]Die geheiligte Luſt.

Die geheiligte Luſt.


OHerr! laß mich, in deinen Werken,

Und in derſelben Nutz und Pracht,

Nebſt deiner unumſchraͤnkten Macht,

Die Proben deiner Weisheit merken!

Doch auch vor allem dieß dabey,

Daß deine Lieb unendlich ſey!

Denkt ihr an ihn mit recht geruͤhrter Bruſt,

Vergnuͤgt ihr euch, in ſeiner Werke Pracht,

An ſeiner Weisheit, Lieb und Macht:

So heiligt ihr, im Schoͤpfer, eure Luſt.


Froͤlicher Wunſch.


Herr! in dieſem ſchoͤnen Garten, kann ich mit Vergnuͤgen
gehn,

Und, durch meiner Augen Wunder, deiner Wunder Menge ſehn,

Moͤcht es doch, ohn ernſten Vorſatz deinen Namen zu erhoͤhn,

Dich in deinem Werk zu preiſen und zu lieben, nie geſchehn!


Un-
[528]Unverantwortliches Zanken.

Unverantwortliches Zanken
uͤber das goͤttliche Weſen.


Sollt einer nur, von deinen Sinnen, fehlen;

Was wuͤrde nicht dein Geiſt, von jetzt bekannten Sachen,

Fuͤr ungereimt und falſche Ding erzaͤhlen,

Fuͤr irrigen Begriff ſich machen!

Und eben dieſer Geiſt, der keinen Koͤrper kennt,

Und bloß durch Selbſtbetrug, ſich unbetrieglich nennt,

Will ſich vermeſſen unterſtehen,

Jns undurchdringlich helle Licht

Der Gottheit, das die Cherubinen,

Kaum anzuſchauen, ſich erkuͤhnen,

So freventlich hinein zu ſehen?

Ja ſucht die aus ihm ſelbſt geſponnene Gedanken,

Auch andern Geiſtern aufzudringen,

Und durch ein mehr als huͤndiſch Zanken,

Zu ſeiner Meynung ſie zu zwingen!

Vermaledeyte Frucht des Hochmuths! kann auf Erden,

Was toll-was naͤrriſcher,

Ja faſt was viehiſcher,

Und Gott vergeſſener gefunden werden?

Die wahre Gottheit muß allein,

Mit tiefeſter Erniedrigung,

Mit ehrerbietigſter Bewunderung,

Mit untergebenem Verſtand,

Und auf den Mund gelegter Hand,

Am wuͤrdigſten geehrt und angebethet ſeyn.


Un-
[529]Unbillige freywillige Blindheit.

Unbillige
freywillige Blindheit.


Die Menſchen, welche die Vernunft vom Dienſte Gottes
gaͤnzlich trennen,

Die reiſſen ſich die Augen aus, damit ſie beſſer ſehen koͤnnen.


Alles geliehenes Gut.


Ach! uns gehoͤret von der Erden,

Auf welcher du uns laſſen werden,

Nichts. Alles iſt und bleibet dein.

Ach laß denn alles, deinen Willen

Als gute Werkzeug zu erfuͤllen,

O Herr, von uns gebrauchet ſeyn!


Br.VI.Th. L lGott
[530]Gott alles.

Gott alles.


Da ich deine Macht und Weisheit in der Tief und in der
Hoͤhe,

O allgegenwaͤrtger Schoͤpfer, allenthalben glaͤnzen ſehe,

Frag ich die Natur und mich:

Wer biſt du? Und wer bin ich?

Darauf hoͤr ich, auf mein Fragen,

Alle Dinge dieß mir ſagen:

„Du biſt alles; ich bin nichts. Doch bezeugt auch mein
Gemuͤthe,

„Da ich faſt vernichtigt werde; ich ſey viel, durch deine
Guͤte.


Der
[531]Der große Zirkel.

Der große Zirkel.


Seht bewundernd, wie die Pflanze, deren Frucht ein Thier
verzehret,

Und dadurch genaͤhret worden, von demſelben Thier ſich naͤhret,

Wenn es nemlich an dem Ort, wo dieſelbe Pflanze ſteht,

Etwan ſtirbet, fault, vermodert, und an ihrem Fuß vergeht,

Da ſie denn, wenn ſie dadurch, auf das neu geſtaͤrket, gruͤnet,

Einem Thier von gleicher Art wiederum zur Nahrung dienet.

Dieſes iſt der große Zirkel, welchen Gott zur Daur der Welt,

Wundernswuͤrdig einſt geordnet, und in ſeinem Stand erhaͤlt.

Waͤhrte dieſer Zirkel nicht: Muͤßten wir im Schlamm erſaufen,

Und es wuͤrde, ſonder Zweifel, der jetzt ſchoͤne Bau der Erden,

Als ein Miſt- und Unrath-Hauſen,

Leer und unbewohnet werden.


L 2Wun-
[532]Wunderlicher Handel.

Wunderlicher Handel.


Das Gold und Geld, ſo wir, im Weſten, der Erden Schooß
entriſſen haben,

Beſtrebt die Menſchheit ſich, mit Muͤh, in Oſten, wieder zu
vergraben.

Europa, der das wenigſte von allen in dem Beutel bleibt,

Scheint, daß ſie, bloß als Maͤcklerinn, den Handel fuͤr Cour-
tage treibt.


Alles, Gottes Gabe.


Wenn ich des Schoͤpfers Werk beſungen,

Und ſeiner Wunder Herrlichkeit:

Wenn meine Pflichten mir gelungen,

Und ich in meiner Lebenszeit,

Wenn Feld und Garten ſich bebluͤhmet,

Der Gottheit Lieb und Macht geruͤhmet:

So gab mir Gott die Faͤhigkeit;

Er gab mir die Gelegenheit,

Geſundheit, Ruh, Bequemlichkeit;

Er gab mir Friede, Sicherheit,

Die Sinnen, die Empfindlichkeit,

Zumal die Gabe des Geſichts;

Ja er gab mir ſo gar den Willen,

Das, was ich ſchuldig, zu erfuͤllen.

Was iſt denn mein von allen? Nichts.


Got-
[533]Gottes Allgegenwart.

Gottes Allgegenwart.


Nichts kann der Seel, auch hier im Leben,

Jn Luſt, mehr wahre Luſt, mehr Troſt im Ungluͤck geben,

Als die Verſicherung, daß Gott unendlich groß.

Stuͤrmt Ungluͤck auf dich zu; will deiner Wohlfahrt Kahn

Des Mangels tiefer Schlund, der Armuth Ocean,

Verſenken und verſchlingen;

Was kann, in ſolchem Fall, dir groͤßre Lindrung bringen,

Als die Allgegenwart des Schoͤpfers aller Welt,

Der alle Schaͤtz in Haͤnden haͤlt;

Der dich im Augenblick, aus einem armen Mann,

Wenn es dir nuͤtzlich iſt, zum Reichen machen kann?

Drum ſey, zu deiner Ruh, mit dieſem Lehrſatz fertig;
Gott, der unendlich iſt, iſt auch allgegenwaͤrtig,

Will ein Verfolgungs-Nord den Baum der Ehre kuͤrzen,

Dich in Verachtungs-Thal, den Pful des Schimpfes ſtuͤrzen,

Und ſcheitert Ruhm und Glimpf, an der Verlaͤumdung Klippen:

So denke, daß die Ehre dieſer Zeit

Nur bloß ein leichter Hauch veraͤnderlicher Lippen,

Ein Dunſt, ein Schatten ſey, ein Bild der Eitelkeit,

Ja nichtes gegen Gott, der allenthalben wohnt,

Der den, ſo ihn verehrt, mit wahrer Ehre lohnt.

Drum faſſe dich, empfind den Nutzen unſrer Lehre,

Und ſey, zu deiner Ruh, mit der Betrachtung fertig,
Gott, der der Jnbegriff der ewig-wahren Ehre,

Jſt allenthalben gegenwaͤrtig.

L l 3Wenn
[534]Gottes Allgegenwart.
Wenn auch ſo gar der Dorn des Schmerzens, Stein und
Gicht

Durch Flelſch und Sehnen bohrt, dir Mark und Bein durch-
ſticht:

So iſt, wenn aller Rath, Troſt, Huͤlf und Mittel ſchwinden;

Die beſte Huͤlf in Gott, dem wahren Arzt, zu finden,

Der, weil er nah, und gegenwaͤrtig,

Wenn es dir nuͤtzlich iſt, mit ſchneller Huͤlfe fertig.

Ja hoͤre! was noch mehr aus unſrer Lehre flieſſet,

Und welche Lebens-Frucht aus ihrem Grunde ſprieſſet!

Die Groͤß und Gegenwart des Schoͤpfers iſt allein

Das Mittel, ſuͤndliche Vollſtreckung zu vermeiden.

Nichts kann uns, auf der Welt, die Laſter ſo verleiden,

Als wenn wir uͤberfuͤhret waͤren,
Daß Gottes Majeſtaͤt, alſo an allen Orten,

Wie wir in einem ſind, allgegenwaͤrtig ſey.

Je groͤßer wir des Schoͤpfers Groͤße finden,

Je groͤßer unſre Zuverſicht,

Zum Schoͤpfer Himmels und der Erden;

Je groͤßer muß der Eifer unſrer Pflicht,

Vertrauen, Lieb und Ehrfurcht werden.

Der Abſtand von des Himmels Hoͤhen,

Die kein Verſtand erſteigt, kein Denken abzuſehen,

Kein Sinn zu faſſen taugt, bis an des Abgrunds Gruͤnden,

Wo gleichfalls aller Witz kein Ziel vermag zu finden,

Jſt lange nicht ſo groß, ſo hoch, ſo tief, ſo weit,

Als wie der Abſtand iſt zu Gottes Herrlichkeit,

Von aller Herrlichkeit erſchaffner Ding auf Erden.

O Wunder, daß wir nicht dadurch geruͤhret werden,

Verbothne Herrlichkeit und Schoͤnheit zu verachten,

Und ſolcher Herrlichkeit und Schoͤnheit nach zu trachten,
Die
[535]Gottes Allgegenwart.
Die alle Herrlichkeit und Schoͤnheit in ſich ſchließt,

Aus der die Herrlichkeit und Schoͤnheit einzig fließt,

Und auſſer dem nichts ſchoͤn, nichts herrliches zu finden.

Wer ſein Geſchoͤpfe nun, mit Luſt, ſucht zu ergruͤnden,

Und froͤlich alle Pracht und Schoͤnheit der Natur

Sieht, hoͤret, ſchmeckt und fuͤhlt, iſt auf der rechten Spur,

Nach der vergaͤnglichen, die ewge Luſt zu finden.

Solch Fuͤhlen zuͤndet an der Gegenliebe Gluht,

Und zeugt, in unſrer Bruſt, der Andacht heiſſe Triebe,

Da jede Creatur, uns Gott, das hoͤchſte Gut,

Die ewig ſelige Vollkommenheit und Liebe,

Recht als mit Fingern zeigt. Des Geiſtes Auge kann,

Wenn es der Koͤrper Duft durchbricht,

Jn allem, ein unſichtbar Licht,

Jn allem, Gott allgegenwaͤrtig ſehen,

Jn allem ſeine Groͤß, in allem ſeine Macht,

Huld, Weisheit, Majeſtaͤt und Pracht,

Durch Laſt und Muͤhe nicht, durch leichte Luſt, verſtehen,

Wenn aber niemand dieß ſich ſelber geben kann.

So ruft das ewge Gut, die ewge Lieb und Guͤte,

Um ein, fuͤr ſeine Gnad, empfindliches Gemuͤthe,

Und einen frohen Geiſt, in ernſter Andacht, an?
Es wolle Gott, in uns, ſo Geiſt als Sinne ſchaͤrfen,

Daß wir, in ſeinem Werk, ihn ſelber nicht ver-
werfen,

Daß, wenn wir etwas Guts ſehn, fuͤhlen, ſchme-
cken, hoͤren,

Wir, im Empfinden, Gott, den großen Geber,
ehren.


L l 4Schrei-
[536]Schreiben an Mademoiſelle Weiſen

Schreiben
an Mademoiſelle Weiſen
in Merſeburg.


Bewunderung und Vergnuͤgen beſchaͤfftigten mich,
bey dem erſten Anblick Dero ſo kunſt-als ſinnrei-
reichen Geſchenkes bald zugleich, bald wechſelsweiſe.
Bewunderung nnd Vergnuͤgen beſchaͤfftigen mich ebenfalls
beym Anfang dieſer meiner ſo ſchuldigſt-als ergebenſten
Dankſagung, auf eine ſolche Art, daß, fuͤr angenehme
Verwirrung mir kaum ſo viel Faͤhigkeit uͤberbleibet, etwas
an einander hangendes zu Dero hoͤchſtverdientem Lobe
nieder zu ſchreiben. Bald gedacht ich in Verſen,
bald in Proſa meine Gedanken auszudruͤcken; weilen in
Beantwortung Dero hoͤchſtgeſchaͤtzten Schreibens ſo
wohl, als ſinnreichen Gedichts, ich zu beyden mich ver-
pflichtet erachtete. Endlich enſchloß ich mich, beydes zu
verbinden. Sie werden demnach allhier, Mademoi-
ſelle,
ein geſchriebenes ambigu antreffen, deſſen Be-
ſtes vermuthlich darin beſtehen wird, daß in keiner von
beyden Schreibarten, ſich lange zu ennuiren, ihnen wird
Gelegenheit gelaſſen, ſondern eins durch das andere bald
unterbrochen werden. Die erſten Einfaͤlle, welche
Dero preiswuͤrdige Arbeit bey mir erregten, waren
ungefaͤhr dieſes Jnhalts:


Wie
[537]in Merſeburg.
Wie iſt mir? trau ich meinen Augen?

Betrieget mich die Kunſt? nein, nein!

Es kann nur die Natur allein,

Solch kuͤnſtlich Werk zu wirken, taugen.

Doch wie? wer hat ſie je ſo ſchoͤn,

Mit Zwirn, ihr Werk verrichten ſehn!

Jch dachte dieſem Gedanken von der Natur weiter nach,
und bemuͤhete mich, die wohl ehe von mir gehegte
Meynung, ob unterſcheideten wir mit Unrecht die Kunſt
von der Natur, aus Dero Bewunders-werthen Arbeit
zu befeſtigen. Hieruͤber erinnerte ich mich, was ich des-
falls vor dem geſchrieben:


Wer, durch des Schoͤpfers Gunſt,

Vom Weisheits-Feur entzuͤndet,

Die Kunſt erwegt; befindet

Natur, auch in der groͤßten Kunſt.

Dieſer Einfall duͤrfte vielleicht einigen nicht zu galant vor-
kommen, einem ſo ſchoͤn-als kunſt-und ſinnreichen Frau-
enzimmer eines mit ſo vielem Fleiß erhaltenen Verdienſtes
gleichſam zu berauben. Jch wuͤrde auch einer andern
als MademoiſelleWeiſen es vorzuſagen mich enthalten
haben, weil man ihre Eigenſchaften beſitzen muß, der-
gleichen Compliment ertragen zu koͤnnen. Jhre tiefe Ein-
ſichten aber werden auſſer Zweifel es fuͤr keine Verringe-
rung ihres Lobes halten, als ein ganz beſonders Werkzeug
der Natur, angeſehen zu werden, und folgendes Lob mit
Recht zu verdienen.



L l 5Es
[538]Schreiben an Mademoiſſe Weiſen
Es ſcheint der Finger der Natur, durch deine Hand, ſich zu
beſtreben,

Uns Menſchen eine neue Probe von unſers Geiſtes Kraft
zu geben.

Je mehr ich die zarte und faſt unſichtbare Kleinheit ihrer
Arbeit betrachte, je weniger begreife ich, auf welche Weiſe
ſolche verfertiget, und verfalle immer auf die Verglei-
chung Mademoiſelle mit ihrer Kunſt und der unbegreif-
lichen Arbeit der Natur.


Recht wie die Werke der Natur,

Wovon wir zwar das Ganze ſehen,

Doch faſt nicht die geringſte Spur,

Von Theilchen, woraus ſie beſtehen:

So ſcheinen ebenfalls der weiſen Weiſen Werke,

Jndem ich ganze Wunder merke,

Da doch die Stich, als Theile, nicht| nur klein,

Und ihres Zwirns ſo zarte Faͤſer,

Auch ſelber durch Vergroͤßrungs-Glaͤſer,

Kaum unſern Augen ſichtbar ſeyn.

Jch habe wohl ehe Mannsperſonen, bey Erblickung einer
vortrefflichen Schilderey, fuͤr Verwunderung ſtumm
werden ſehen, welches gewiß eine beſondere Kraft der
Kunſt angezeiget. Allein bey ihrer Arbeit, Mademoi-
ſelle,
wird auch das Frauenzimmer ſtumm, welches (wenn
ein kleiner Scherz erlaubet) ja wohl fuͤr ein weit groͤßer
Wunder zu rechnen iſt.


Allein,

Bey dieſer Haͤnde Werke, das gar zu ungemein;

Was iſt von ihrem Brief, und ihrem Vers zu ſagen?

Richts
[539]in Merſeburg.
Richts anders, als daß ſich ihr Geiſt,

Mit Worten ja ſo kuͤnſtlich weiſt,

Als wie, mit Faͤden, ihre Hand,

So daß von ihr mit hoͤchſtem Rechte,

Man recht zum Wunder ſagen moͤchte:

Jhr ganzes Weſen ſey Verſtand.

Ob nun gleich beydes Verwunderung genug verurſa-
chet: So zwingt doch letzteres mir noch dieſe Gedanken ab:


Es ſchrieb bishero noch kein einzigs mal

Ein Menſch, mit ſchwarzer Schrift und einem klugen Kiel,

Zu ſeinem Ruhm, ſo viel,

Als ſie, mit einem kiel vom Stal,

Mit weiſſer Schrift, und trocknen Zuͤgen ſchreibet,

Und ihren Ruhm dadurch bis auf die Nachwelt treibet.

Wie die Blumen eins von denen liebſten Vorwuͤrfen mei-
ner wenigen Dichtkunſt von je her geweſen: So wird ein
jeder um deſto leichter glauben, wie ſehr Dero uͤberkuͤnſt-
liche aus Zwirn erzeugte Blumen, Ranken, und Kraͤuter-
Werk mich muͤſſe vergnuͤget haben.


Jch habe, voller Dankbegier,

Mich, an der Wunder-vollen Zier

Gewachſner Blumen, oft ergetzet:

Doch haben deine Blumen hier

Mich gar faſt aus mir ſelbſt geſetzet,

Da ſie ſo wohl, als jene, mir,

Jm leiblichen, was geiſtigs weiſen.

Sie geben uns, wie ſie, Gelegenheit,

Durch geiſt-und leibliche Vortrefflichkeit,

Der Geiſt-und Koͤrper Quell zu preiſen.

Noch
[540]Schreiben an Mademoiſelle Weiſen

Noch habe ich, auſſer dem unvergleichlichen Herrn
Triller, und Fuͤrſten Guͤnther von Schwarzburg,
eine mehr uͤberzeugende Probe, daß meine auf die Be-
wunderung goͤttlicher Werke abzielende Schriften, einen
ſtarken Eindruck gemacht, von niemand erhalten, Made-
moiſelle,
als von Jhnen, welches jedoch weniger die gluͤck-
liche Ausfuͤhrung meiner Copie, als die Beſchaffenheit
ihrer edlen Seelen angezeiget.


Da ſie in der Copie von Gottes Wunderwerken,

So viel Vergnuͤgen fuͤhlt und zeigt; wie weiß, wie rein;

Und weiſe muß der Weiſen Seele ſeyn!

Da ſie dem, welcher nur davon was gutes denket,

Durchs Urbild recht geruͤhrt, ſo was vollkommnes ſchenket.

Bis hieher hatte ich geſchrieben, als ich noch einmal mei-
ne Augen auf Dero Arbeit richtete. Es ſchien alles dar-
an zu glaͤnzen. Nicht eine Weiſſe ſo ſehr, als ein wirk-
licher Schimmer ward, durch den kuͤnſtlichen Gegenſatz
eines faſt unnatuͤrlichen weiſſen Schatten, ohn alle Dun-
kelheit, herausgebracht; wesfalls ich dadurch aufs neue
geruͤhret, micht nicht enthalten konnte folgendes zu gedenken.


Wenn etwan ſeelge Seelen,

Wenn Engel ſelbſt, wie es wohl eh geſchehn,

Gekleidet ſich uns lieſſen ſehn;

Sie wuͤrden kein Gewand vermuthlich waͤhlen,

Als ſolches, daß der Weiſen Stickwerk gleich,

Weil nichts an Reinlichkeit, an Glanz und Zier ſo reich,

Ja das durch Kunſt faſt geiſtig iſt, auf Erden,

Kann angetroffen werden.

Dero
[541]in Merſeburg.

Dero ſo vernuͤnftige als fromme Betrachtung, uͤber die
weiſe und guͤtige Fuͤhrung Gottes, da ſie auf ſo ſonderba-
re und edle Art, zu dem Beſitz einer ihnen und Dero gan-
zen wertheſten Famile nunmehr ſo erſprießlichen Wiſſen-
ſchaft gelanget; iſt bewundernswerth, und wuͤnſche ich
von Herzen, daß es dem großen Weſen, Jhnen, ein
ihren Verdienſten gemaͤßes Gluͤck fernerhin zu geben,
guͤtigſt gefallen moͤchte. Hiemit beſchlieſſe ich
vor dieſes mal meine nicht gereimte Gedanken,
nebſt meiner gehorſamſten Dankſagung, ſo wohl im Na-
men meiner, als meiner Frauen, welche fuͤr andern durch
dieſes ungemeine Geſchenke auf eine ungemeine Art ſich
Jhnen verbunden erkennet. Beyde wuͤnſchen wir von
Herzen, im Stande zu ſeyn, aus der uns aufgebuͤrdeten
Schuld, uns in etwas befreyen, und auf einige Weiſe
die billige Erkenntlichkeit unſers Herzens an
den Tag legen zu koͤnnen.



Troſt
[542]Troſt.

Troſt,
aus der Erkenntniß unſerer Kleinheit.


Auf einem kleinen Stuͤck Papier

Sah ich ein großes Wunderthier,

Von ungeheurer Groͤß und Hoͤh,

So ſchaͤumend aus der tiefen See

Hervorbrach, kuͤnſtlich abgeriſſen.

Jch dachte, wie der Augenſchein

Doch koͤnne ſo betruͤglich ſeyn,

Und war mit allem Ernſt befliſſen,

Von dem Betrug den Grund zu wiſſen.

Jndem, da doch das ganze Blatt

Nicht einer Spannen Laͤnge hat,

Das Thier doch eine Groͤße zeiget,

Die Baͤum und Haͤuſer uͤberſteiget.

Nachdem ich nun die Urſach fand,

Daß bloß allein der Gegenſtand

(Da Baͤume, Maͤnn-und Haͤuſerchen ſo klein,

Bey dieſem Thier gemalet ſeyn,)

Die Urſach dieſes Wunders war:

Fiel mir ein ander Kunſtſtuͤck ein,

Da einer aus der Maler Schaar

Gar einen ungeheuren Rieſen

Auf einem kleinen Platz gewieſen,

Dadurch, daß er ſolch einen Stab

Zween Maͤnnern in die Haͤnde gab,

Der noch einmal ſo lang, als ſie.

Mit dieſem maßen dieſe hie
Den
[343[543]]Troſt.
Den weiten Raum und Zwiſchenſtand,

Der zwiſchen den zwo Augenbrauen

Des Poliphemus ſich befand,

Der ausgeſtreckt im Schlaf zu ſchauen.

Auf dieſe Weiſe ſah man ihn,

Daß er an Groͤß entſetzlich ſchien.

Wie ich nun dieſes uͤberlegte,

Bedacht ich ferner, und erwegte,

Daß auf dem ganzen Erden-Schooß

Fuͤr uns nichts wirklich klein, nichts groß,

Und alle Dinge groß und klein,

Nur bloß Vergleichungs-weiſe, ſeyn.

Dieß ließ mich die zwo Lehren ſehn,

Daß wir vom wahren Maaß der Dinge

Faſt das geringſte nicht verſtehen.

Worauf ich denn noch weiter ginge,

Und merkte, daß nur Gott allein

Von Koͤrpern ihre wahre Maße

Und eigentliches Weſen faſſe.

Mit fiel hiebey noch ferner ein,

Daß ſeiner Unermeßlichkeit

Ungraͤnzbare Beſchaffenheit,

Die alle Sinnen uͤberſteiget,

Uns dieſes uͤberzeuglich zeiget:
Es ſey fuͤr Gott nichts groß, nichts klein.

Wodurch wir uͤberwieſen ſeyn,

(Wenn Gram und Schwermuth uns verletzen,

Zu einem Troſt, der nicht zu ſchaͤtzen,)

Daß fuͤr den Schoͤpfer aller Dinge

Wir nicht zu klein, nicht zu geringe.

Daß groß und klein ihm einerley,

Und ſeiner Achtung faͤhig ſey.

Nach-
[544]Nachtheil der Eigen-

Nachtheil der Eigen-
und Nutz der Naͤchſten-Liebe.


Gemiſch vom Allen und vom Nichts, Verband vom Koͤr-
per und vom Geiſt,

Das ſich und alle ſeines gleichen mit ihm zugleich vernuͤnftig
heißt,

So lange deines gleichen nemlich mit dir dieſelbe Meynung
hegen,

Da du ſie doch, ſo bald dieſelbe ſich dir worin zuwiderlegen,

Auch ebenfalls fuͤr unvernuͤnftig, und dich in deinem Sinn allein,

Fuͤr weiſe, fuͤr vernuͤnftig ſchaͤtzeſt, und einzig glaubeſt, klug zu
ſeyn.

Du legſt, aus eigener Gewalt, dir ſelber dieſen Titul bey,

Und haͤlſt nur dich fuͤr unbertruͤglich, da dir jedoch nicht un-
bekannt,

Wie ſehr dein aufgeblaſiter Geiſt, wie dein oft ſtolpernder
Verſtand

Faſt in den allermeiſten Dingen ſo ſtumpf und eng verſchraͤn-
ket ſey.

Jch kann die Gruͤnde nicht begreifen, warum du, dir aus
eigner Macht

So viele Klugheit beyzulegen, als bloß aus Stolz, dich nicht
entſieheſt,

Und uͤber alle Creaturen dich zu erheben, dich bemuͤheſt.

Du laͤſſeſt andrer Schwaͤche nimmer, die Deinigen ſtets
aus der Acht,

Und ob du gleich, an Staͤrk und Groͤſſe, nicht maͤchtiger, nicht
ſtaͤrker biſt,
Als
[545]und Nutz der Naͤchſten-Liebe.
Als andre, deren Koͤrper man nicht groͤſſer, als ſechs Fuͤſſe, mißt;

Ob du gleich anders nicht gebohren, als ander’, auch nicht laͤn-
ger lebeſt,

Du doch an Groͤße deines Geiſtes ſo unverſchaͤmt dich ſelbſt
erhebeſt,

Und glaubeſt, daß die dunkeln Gruͤnde der ſich verbergenden
Natur

Fuͤr niemand ſonſt entdecket ſeyn, als bloß fuͤr dich alleine nur.

Da nun die andern ſo von dir, wie du von ihnen denkſt, gedenken:

So ſollteſt du ja billig einſt auf dieß Betragen mit Bedacht,

Zu deiner eigenen Beſſerung, die ſchwaͤrmenden Gedanken lenken,

Zur Selbſterkenntniß dich bequemen, und aus des Jrrthums
dunkler Nacht,

Durch Demuth, zu dem Licht der Wahrheit dich zu verfuͤgen,
dich bemuͤhn.

Du mußt, vor allen, dich der Macht der Eigenliebe zu entziehn,

Mit Ernſt und Eifer dich befleiſſen. Aus dieſem aufgebrach-
ten Meer,

Vom Sturm des Stolzes, fließt allein der wilde Strom des
Jrrthums her,

Der, was ſo Recht und Billigkeit dir gleich vor Riegel vorge-
daͤmmet,

Durch ausgeſchweifter Leidenſchaft Gewalt, doch alles uͤber-
ſchwemmet.

Die ungluͤckſelge Jchbeit ſetzt dich wider alle deines gleichen;

Du willt der andern Menſchen Jch, und ſie, dem Deinen,
auch nicht weichen.

Ein jeder ſieht ſich ſelber an, als wenn vom Schoͤpfer alle Gabe,

An Ueberlegung und Verſtand, nur er allein empfangen habe;

Ein jeder wuͤnſchet, mit dem Ausſchluß der andern, daß nur er
gefalle.

Daruͤber nun entſtehet leider! der Krieg von allen gegen alle.
Br.VI.Th. M mDer
[546]Die unertraͤgliche Empfindlichkeit.
Der naͤchſte Weg zu unſern Pflichten, die unſer Gluͤck ſind,
zu gelangen,

Jſt, allen Stolz, der Lucifer geſtuͤrzt, zu tilgen anzufangen,

Von uns nicht mehr, als ſich gebuͤhret, zu halten. Kurz ſich zu
bemuͤhn,

Dem Stolz, dem Strudel alles Ungluͤcks, ſich, durch die
Demuth, zu entziehn,

Dabey uns vom Gewohnheits-Schlamm, und Undanks-Laſter
zu entfernen,

Des guten, wenn mans hat, genieſſen, und Gott darin vereh-
ren lernen.


Die
unertraͤgliche Empfindlichkeit.


Wir ſtrafen, ſtatt der andern, uns; wir zeigen, daß ſie
groß, wir klein,

Sie klug, wir aber ſtolz und graͤmlich; wenn wir zu ſehr em-
pfindlich ſeyn.

So daß, von der Empfindlichkeit, ich dieß mit hoͤchſtem Rechte
ſpreche:

Sie ſey ein Selbſtverrath, von einer in uns vorhandnen ſtol-
zen Schwaͤche.


Auf
[547]Auf meinen Seburtstag. 1735.

Auf meinen Geburtstag.
1735.


Mein Gott! du haſt mich dieſen Tag

Heut abermal erleben laſſen.

Gieb, daß ich dieſe Gnade faſſen,

Mich freuen und dir danken mag.

Mein Schoͤpfer und Erhalter, dir

Sey Lob und Preis und Dank dafuͤr.

Du haſt mich auf der Welt beſchenkt,

Nunmehr mit fuͤnf und funfzig Jahren,

Ohn daß von Plagen und Gefahren,

Mich jetzo das geringſte kraͤnkt.

Mein Schoͤpfer und Erhalter, dir

Sey Lob und Preis und Dank dafuͤr.

Geſundheit, Leben, Gluͤck und Heil,

Bequemlichkeit und Ruh nicht minder,

Vergnuͤgen, Segen, Frau und Kinder,

Sind noch, ſo wie zuvor, mein Theil.

Mein Schoͤpfer und Erhalter, dir

Sey Lob und Preis und Dank dafuͤr,

Jch rufe dich inbruͤnſtig an;

Gieb, Herr, wo es dein Gnaden-Wille,

Daß ich, in einer ſolchen Fuͤlle,

Von guten oft noch ſagen kann.

Mein Schoͤpfer und Erhalter, dir

Sey Lob und Preis und Dank dafuͤr.


M m 2An
[548]Beym Eintritt

An meinem Geburtstage.
Beym Eintritt in das ſieben und funfzigſte Jahr.


Gottlob! heut ſey ich abermal den Tag, woran ich dieſe
Welt

Zum allererſten mal geſehn, geſund vergnuͤgt und froͤlich wieder.

Jch ſtim̃e dir demnach, o Herr, durch den, was worden, ſich erhaͤlt,

Fuͤr dieß dein gnaͤdiges Erhalten, Dank, Ehre, Ruhm-und Lo-
bes-Lieder,

Mit recht geruͤhrter Seelen, an. Wem anders, Herr, als dir allein,

Kann ich fuͤr ſo viel Gnad und Huld, ſo ſich in dieſer Huld vereinen,

Jn welchen ſo viel gutes ſteckt, ſo wohl fuͤr mich, als fuͤr die
meinen,

Jn Demuth-voller Luſt und Ehrfurcht, verpflichtet und er-
kenntlich ſeyn?

Ach laß mich dir gefaͤllig danken! Es ſind, von meinen Lebens-
Jahren,

Nun ſechs und funfzig Jahre ſchon, als wie ein Strom, dahin ge-
fahren.

Jch tret heut in ein neues ein. Wer dieſe lange Zeit erwegt,

Aus wie viel Naͤchten, wie viel Tagen, aus wieviel Stunden
und Secunden,

Solch eine lange Daur beſteht, und, wie er ſchuldig, uͤberlegt,

Wie viel in einer jeglichen, die alle gluͤcklich ſind verſchwunden,

Mir Ungluͤck uͤberkommen koͤnnen; ja wenn er noch dabey
bedenkt,

Wie ſich, mit dieſer großen Zahl, noch | eine groͤßere verbunden,

Da Gott, in jeglichem der Meinen, mir ein vermehrtes Gut
geſchenkt,

Und ihre, ſo wie meine Zeit, zugleich| begluͤckt verflieſſen laſſen,

Und, ſtatt unzaͤhlig moͤglichen Verdruſſes, nichts auf uns gelenkt

Als
[549]in das ſieben und funfzigſte Jahr.
Als lauter Wohlfahrt, Heil und Segen; der wird, ſtatt alle
Huld zu faſſen,

Von ihrer Menge recht bedecket, in froͤlicher Verwirrung ſtehn;

Er wird ſich ſelbſt, durch ihre Meng, in ihrer großen Quell
verlieren,

Sein armes Nichts und ſein Verdienſt, das nichts verdienet,
deutlich ſehn,

Und nichts als Guͤte, nichts als Gnade, der maͤchtig weiſen
Gottheit ſpuͤren.

Dieß mein Erkennen deiner Groͤße, und meines Nichts, weil
ich, zur Gabe,

Fuͤr ſo viel ungezaͤhlten Guts, nichts anders weis, nichts an-
ders habe,

Laß dir, ò Vater aller Ding! um deiner ewgen Lieb allein,

Der du die ewge Liebe biſt, doch ein gefaͤlligs Opfer ſeyn!

Soll ich, nach deinem weiſen Rath, an Jahren hier noch
mehr erleben:

So fleh ich dich inbruͤnſtig an, Quell aller Gnaden, ſchenke mir,

Zuſamt den meinen, dieſe Gnade, daß wir aus allen Kraͤften, dir

Jn deiner Creatur Betrachtung, Vewundrung, Preis und
Ehre geben.

Laß uns, in ihnen, deine Lieb und deine weiſe Macht erheben,

Und, daß wir dir gefaͤllig werden, nach allen Kraͤften uns be-
ſtreben.


M m 3Die
[550]Die Dankbarkeit.

Die Dankbarkeit.


Nachdem wir denn nun auch die Pflicht der ſchuldigen
Gelaſſenheit

Erwogen; folgt zuletzt die Pflicht des Lobes und der Dank-
barkeit.

Wie nun die Meng empfangner Wohlthat, in welcher man
kein Ende findet,

Uns zu dem Ausbruch der Empfindung, zum Loben und zum
Dank verbindet,

Als welches eine Frucht der Seelen, die, wenn ſie den Genuß
verſpuͤrt,

Von einem ihr geſchenkten Gut, vergnuͤgt und innerlich ge-
ruͤhrt,

Jhr Jnnerſtes ſucht auszudruͤcken, und von vergnuͤgenden Jdeen

Jn aͤuſſerlichen Wort-und Zeichen, die frohe Regung zu verſtehn,

(Um nach dem Maaß, das ihr gegeben; des Gebers Guͤte zu
erhoͤhn,)

Und andern zu erkennen giebt, wobey ſie, wie ſie ſo geneigt,

Dem Geber angenehm zu werden, zugleich mit einer Jnbrunſt
zeigt:

So zeigt es ſich von ſelbſt ja wohl: Es koͤnne faſt fuͤr Gott
auf Erden

Kein Dienſt, der ihm gefaͤlliger und wuͤrdger ſey, gefunden
werden.

Wir werden, daß durch frohes Danken die Gottheit wuͤrdig
wird geprieſen,

Jm alt-und neuen Teſtament, zumal durch David angewieſen,

Als deſſen Feuer-reiche Pſalmen, wie wir mit Ueberzeugen ſehn,

Faſt all aus Dank-und Lobes-Pſalmen, den Schoͤpfer zu erhoͤhn,
beſtehn.

Dieß
[551]Die Dankbarkeit.
Dieß iſt das einzig Opfer faſt, das wir dem Schoͤpfer ge-
ben koͤnnen,

Wodurch wir Gott und Menſchen zeigen, wie wir in einer
Sehnſucht brennen,

Dem, nach Vermoͤgen, zu gefallen, und daß man den von Her-
zen liebt,

Der ohne daß wir es verdienen, uns ſo viel Guts aus Gna-
den giebt.

Wann uns nun auch im vorgen Jahr der Schoͤpfer ſo viel
Guts beſchehrt,

Da er, nicht nur viel tauſend Plagen von uns ſo gnaͤdig ab-
gekehrt;

Nein, uͤberdem unzaͤhlich viel an wirklichen Vergnuͤglichkeiten,

Geſundheit, Friede, Freude, Segen, ſo mancherley Zufrie-
denheiten,

Bequemlichkeiten, Freyheit, Ruh, uns in ſo reicher Maaß ge-
ſchenkt:

So iſt es ja ein Undanks-Laſter, wofern man es nicht uͤber-
denkt.

Jnſonderheit hab ich dieß Jahr ſo wohl, als in den vorgen
Jahren,

So wohl fuͤr mich, als fuͤr die Meinen, des Schoͤpfers Gnad
und Huld erfahren.

Es iſt ſo mancher Ungluͤcksfall von uns in Gnaden abgewandt.

Es ſchuͤtzte meinen aͤltſten Sohn, o Herr, beſonders deine Hand,

Da er von einer hohen Stiegen, in augenſcheinlicher Gefahr;

Auch dreymal durch der Pferde Sturz gewiſſem Ungluͤck na-
he war;

Auch wie einſt der Piſtole Schloß im Laden aus der Ruhe
ſprang,

Und das ſchon eingeladne Pulver von unten ins Geſicht ihm
drang.
M m 4Daß
[552]Die Dankbarkeit.
Daß nun kein Schrot noch Kugel drauf, der Ladſtock nicht,
und kein Papier,

So ihn gewiß getoͤdet haͤtte, dafuͤr, mein Schoͤpfer, dank ich dir.

Nicht minder, daß ein Donnerſtral in Leipzig, nah an ſeinem
Wagen,

Von einem ſtrengen Blitz begleitet, in einen nahen Baum ge-
ſchlagen,

Und ihn im minſten nicht verletzt, daß ebenfalls mit fluͤchtgen
Pferden

Er und ſein Bruder mit einander, mit ihrem Wagen, zwar zur
Erden

Geworfen ſind, doch ohne Schaden. Daß ſie auf ihrer Reiſ
imgleichen,

Geſund und wohl ſind angelangt, woſelbſten ſie noch bis anitzt,

Gott Lob! ſo viel mir wiſſend iſt, vor aller Faͤhrlichkeit be-
ſchuͤtzt,

Auch fuͤr Verfuͤhrungen bewahrt, die recht ausſchweifend ſind,
geblieben,

Und wie ich feſte hoffen will, ihr Werk mit Aemſigkeit ge-
trieben.

Den Juͤngſten, eh er von uns reiſte, hab ich, mit innrer
Luſt, geſehn,

Zum erſtenmal den Predigſtuhl betreten, und zur Kanzel gehn,

Mit gutem Anſtand die von ihm ſelbſt aufgeſetzte Rede halten,

Und ſo, daß er durch ſeine Predigt, ſo wohl bey Jungen, als
bey Alten,

Sich nicht geringen Ruhm erworben. Ach gieb, o Herr, auf
ſeinen Wegen,

So, wie dem Aeltſten auf den ſeinen, und auch uns allen, dei-
nen Segen!

Mein
[553]Die Dankbarkeit.
Mein Marianchen, welche mich durch ihre Krankheit ſehr
gekraͤnkt,

Da ſie dem Tode nahe war, haſt du mir, Herr, aufs neu ge-
ſchenkt.

O Herrſcher, uͤber Tod und Leben, ſey inniglich dafuͤr geprieſen,

Daß du derſelben, und in ihr auch mir ſo viele Gnad erwieſen.

Daß auch, in dem vergangnen Jahr, die deinem Ruhm ge-
weihten Schriften

Nicht ſonder Nutzen ſind geweſen, und noch verſchiedens Gu-
tes ſtiften,

Wie denn der erſte Theil aufs neu gedruckt zum ſechſtenmal;
dafuͤr,

Als einzgen Urſprung alles Guten, lobſinge, ruͤhm und dank
ich dir.

Wann ich auch hier in meinem Amte von Unruh und von
Kriegsgefahr,

Dir, Herr, ſey Dank, befreyt, und noch ein ſonderlich geſegnet
Jahr

An einer reichen Erndt erlebet; und dir davor ein Erndtenfeſt,

Das hier ſonſt nie gefeyert worden, zu deiner Ehren eingeſetzt:

So hat nicht nur das ganze Land, zu deinem Preiſe, dich ergetzt,

So daß der Andacht Neuigkeit viel Freuden-Thraͤnen aus-
gepreßt.

Ein frohes Feuer froher Andacht iſt in mein Jnnerſtes ge-
drungen,

Und hab ich meines Schoͤpfers Ruhm mit recht vergnuͤgtem
Geiſt beſungen. *

Daß dieſes nun ſo wohl gelungen,

Davor ſey, großer Schoͤpfer, dir,
M m 5Von
[554]Die Dankbarkeit.
Von allen, ſonderlich von mir,

Lob, Ehre, Preis und Dank geſungen.

Ach laß uns oft mit Luſt dergleichen Feyr begehn.

Laß uns, uns oft von dir geſegnet ſehn.

Laß oft von uns ein Lied, das dir gefaͤllt, erklingen,

Bis wir dereinſten dort ein ewigs Loblied ſingen.


Wann aber auch in dieſer Welt, nach dem Zuſammenhang
der Dinge,

Oft Sturm auf eine Stille folgt: So ſetzt auch uns, in dieſem
Jahr,

Die allgemeine Wuth der Winde in eine ſchreckliche Gefahr,

Durch aufgebrachte Waſſerwogen, als die ſchon an zu ſchaͤu-
men fingen,

Auf unſrer hoͤchſten Teiche Ruͤcken, und welches mir denn merk-
lich war,

Daß eben in derſelben Stunde, als meiner ſeligen Beliſen

Jhr Sarg betruͤbt geſchloſſen ward, der ausgelaßnen Winde
Wuth

Am allerſtaͤrkſten raſete, und die beſchaͤumte Meeres-Fluth

Sich an den Waͤllen unſers Landes am allerheftigſten ge-
wieſen,

Die aber auch faſt ſichtbarlich, da viele Laͤnder uͤberſchwemmt,

Und alles unter Waſſer ſtand, fuͤr unſer Land ſich ſchnell ge-
hemmt.

Der Herr, der uns gerettet hat, ſey inniglich davor geprieſen.

Jch ward durch dieſe ſchnelle Noth, und durch dieß Wunder
ſo geruͤhrt,

Daß ich, in meiner tiefen Trauer, dennoch ein Dichter-Feur
verſpuͤrt;
Und
[555]Die Dankbarkeit.
Und hab ich, es nicht zu vergeſſen, zu Ehren unſers Gottes
Macht,

Und ſeiner Liebe, Guͤt und Weisheit, ihm dieß Gedaͤchtniß-Lied
erdacht:


Nachdem mit unerhoͤrter Wuth

Der Nord-Nord-Weſten-Wind geſtuͤrmet,

Und er des Meeres wilde Fluth

So ſehr gepreßt und aufgehtuͤrmet

Daß ſie, mit unſers Landes Damm,

Und deſſen ſogenanntem Kamm,

Bereits in gleicher Lage floß.

Ja gar (was ſchrecklich anzuſehn,)

Von einigen geſenkten Hoͤhn

Schon ſchaͤumend ſich heruͤber goß,

Und ſich, in weiſſen Waſſerfaͤllen,

Schon zeigt, auf unterſchiednen Stellen,

Wodurch bereits das ganze Land

Voll Jammer, Angſt und Kummer ſtand,

Und die entſetzliche Gefahr,

Die ihm faſt unvermeidlich war,

Mit naſſ-und ſtarren Augen ſah;

War Gott, der Wind und Wellen Lenket,

Mit ſeiner Huͤlf und Gnade da.

Er wollt; und augenblicklich ſenket

Die wilde Laſt der Fluthen ſich, von unſrer Daͤmme Hoͤh, her-
nieder,

Zu ihren hohlen Tiefen wieder.

Man konnte mit erfreutem Aug, aus blauer Fluth, die gruͤnen
Ruͤcken

Der, Gott fey Lob! noch ganzen Daͤmm, und unzerbrochnen
Teich erblicken.

So
[556]Die Dankbarkeit.
So ſey demnach, o ewge Liebe, und ewig-weiſe Macht geprieſen,

Daß du, zu dieſes Landes Heil, dich ſelbſt faſt ſichtbarlich gewieſen,

Der du zu der ergrimmten Fluth ein gnaͤdig Machtwort aus-
geſprochen:

Bis hieher komm, und weiter nicht! Hier ſey dein ſtrenger
Drang gebrochen;

Hier ſoll dein fraͤßiges Verſchlingen, hier ſoll dein ſtuͤrmi-
ſches Bewegen

Der regen Wellen ſchwehre Macht, und wuͤtende Gewalt ſich
legen.

Gieb, daß wir dieß, daß es ein Wunder, ein wirklich Wunder
voller Segen,

Wodurch du alles unſrige aufs neu uns ſchenkſt, betrachten
moͤgen.

Laß uns in ſelben deine Lieb und maͤchtge Weisheit oft ermeſſen,

Laß unſern Dank, den wir anjetzt, da noch die Ruthe nahe,
zeigen,

Nicht mit der Fluth von hinnen rauſchen, nicht, wie der ſchnel-
le Strom, verſeigen.

Gieb, daß wir die ſo lange Folge von einem kurzen Augenblick,

Voll Elend, Armuth, Kummer, Sorgen, und ungezaͤhlten Un-
geluͤck,

So uns gewiß betroffen haͤtte, ſo bald nicht aus den Sinnen
laſſen,

Und, in der Abkehr alles Uebels, des Schoͤpfers Macht und Lie-
be faſſen.

Bewahre ferner, fuͤr das Wuͤten der wilden Fluthen, unſern
Strand,

Und ſegne, große Seegens-Quelle, aus Gnaden dieſes ganze Land!

Schluß.
[557]Schluß.

Schluß.


Und hiemit will ich denn zugleich mein Neujahrslied vor dieß-
mal enden:

Jedoch vorher noch dieß Gebeth zum Herrn der Jahr und Zei-
ten ſenden:

O Gott! durch deſſen Gnad und Huld ich einige von meinen
Pflichten

Jm abgewichnen Jahre zwar geſchickt geweſen, zu verrichten;

Wann aber doch noch viel gefehlt: So ruf ich dich in De-
muth an;

Gieb doch im kuͤnftgen Jahre mir, den Meinigen und jedermann,

Daß wir, geruͤhrt durch deine Wunder, mit allen Kraͤften uns
beſtreben,

Dich zu erkennen, zu bewundern, und dich nach Moͤglich-
keit erheben,

Jm Denken, welches deiner wuͤrdig; im Gluͤck, durch frohe
Dankbarkeit,

Die Gegenliebe kindlich zeigen; im Ungluͤck, durch Ge-

laſſenheit,

Dein Wollen zu verehren ſuchen; und unſre ganze Lebenszeit

Sich in bewundernden Vertrauen dem Schoͤpfer

kindlich uͤbergeben,
Und ewig Gutes von ihm hoffen. Dieß iſt allein ein
wahres Leben.


Die
[558]Die Ehe.

Die Ehe.


So wie die Pflicht der Naͤchſten Liebe die groͤßte faſt von
unſern Pflichten,

Die uns Natur und Schrift befiehlt, uns ſelbſt zum Beſten, aus-
zurichten:

So iſt, von dieſer Liebes-Pflicht, die ſuͤſſe Neigung in der Eh,

Als wie der Kern der Naͤchſten-Liebe, vor allen die betraͤcht-
lichſte,

Die noͤthigſte von allen andern, da wir ja uͤberzeuglich finden,

Daß ſich die Naͤchſt-und Eigen-Liebe in ihr unmittelbar ver-
binden.

Wie ſehr iſt es denn zu bedauren, und faſt mit Thraͤnen
zu beklagen,

Daß eine von Natur fuͤr uns beſtimmte Quelle vieler Freuden,

Vergnuͤgens, Lieblichkeit und Anmuth, ein rechter Pfuhl von
Qual und Leiden,

Verdruß, Verzweiflung, Bitterkeit, Haß, Thraͤnen Ekel,
Gram und Plagen,

Durch eigene Bemuͤhung, wird. Wir ſelber miſchen Gall
und Gift,

Jn unſrer Ehe ſuͤße Koſt, da es uns denn ja ſelber trifft,

Wenn wir den Tod in Toͤpfen finden. Die allermeiſten Men-
ſchen meynen,

Sie lieben ſich, da ſie jedoch, wenn man es wohl erweget,
ſcheinen,

Ob haßten ſie ſich ſelbſt am meiſten. Dadurch, daß wir am
Naͤchſten nichts,

Als ſeine Schwachheit, ſein Bergehn, und ſeine Fehler nur
betrachten,
Und
[559]Die Ehe.
Und auf das Gute, das er hat, ſo wenig, ja faſt nimmer achten,

Jhn immer von der ſchlimmen Seite beſchauen; dadurch bloß
geſchichts,

Daß wir, durch ihn, uns ſelber quaͤlen. So bald wir ihn
geringe ſchaͤtzen,

Verlieren wir, zu erſt fuͤr uns, ein ſonſt an ihm gehabt Er-
goͤtzen,

Wodurch ſichs Aeuſſer’ an uns aͤndert: Das Feur der Freund-
lichkeit wird kalt,

Dieß zeiget ſich in ſproͤden Minen, die merket jener alſo bald,

Auch wenn er es faſt ſelbſt nicht merkt. Da er ſich denn be-
fuget haͤlt,

Wenn das, was er an dich erblickt, und was du thuſt ihm
nicht gefaͤllt,

Mit gleichem gleiches zu vergelten. Sein Blick wird ſproͤder,
als er war.

Dieß bleibt dir gleichfalls nicht verborgen; und ob du es
gleich ſelbſt erreget,

Und Urſach an der Aendrung biſt; wird es doch ihm zur Laſt
geleget,

Und dergeſtalt wird, zwiſchen euch, der Widerſinn bald of-
fenbar.

Man fuͤhlt, daß man den andern haßt. Um uns nun ſelbſt
zu uͤberfuͤhren,

Daß wir ihn nicht mit Unrecht haſſen: So will die Habe-
Rechterey,

Daß er ein abgeſchmackt Geſchoͤpf, und gar nicht liebenswuͤr-
dig ſey.

Man ſucht, mit aͤuſſerſtem Bemuͤhn, nur ſeinen Fehlern
nachzuſpuͤren.
Man
[560]Die Ehe.
Man kneipt mit Fleiß die Augen zu, fuͤr alle ſeine gute Gaben,

Und will doch nicht, daß er mit uns, auf gleiche Art verfah-
ren, haben.

Wenn es nun erſt ſo weit gediehen: So ſtroͤmt von Aer-
gerniß, Verdruß,

Verlaͤumdung, Zank, Verfolgung, Haß, als wie ein rechter
Ungluͤcks-Fluß,

Von allen Seiten auf uns zu. Man moͤchte faſt, fuͤr Gram,
vergehn.

Dieß iſt nun leider! mehrentheils die Lebensart mit unſerm
Naͤchſten,

Zuſammt der ungluͤckſelgen Folg, in ſtetem Krieg und
Kampf zu ſtehn.

Wenn wir dergleichen Lebensart nun in dem Eheſtand beſehn:

So wird die Plage noch viel groͤßer, und koͤmmt ſo dann die
Noth am hoͤchſten,

Da wir an unſerm Feind verbunden, beſtaͤndig mit ihm um-
zu gehn,

Des Nachts ihn mit zu Bett zu nehmen, des Morgens mit
ihm aufzuſtehn,

Auch lebenslang gezwungen ſind. Mich deucht, ich hoͤr, ob
fragteſt du:

Wie aͤndert man denn dieſes Kreuz? und was iſt doch fuͤr
Rath dazu?

Nimm dir die haͤlfte Muͤhe nur, die du dir nimmſt, Betrug
und Suͤnden,

Und Bosheit bey ihm anzutreffen, was wirklich an ihm guts
zu finden,

Zu ſehn, zu ſuchen, zu betrachten: Ein jeder thu, ſo viel
er kann,

Und ſeh den Gatten in der Ehe, von ſeiner guten Seiten, an.

Du
[561]Die Ehe.
Du wirſt, indem du ſo verfaͤhreſt, erfahren, daß er in der
That

Viel beſſer iſt, als du geglaubet, und ſehr viel gutes an ſich
hat.

Das Gute nun, was er beſitzt, beſitzt er weniger fuͤr ſich,

(Wenn du vernuͤnftig dich betraͤgſt, und redlich handelſt,) als
fuͤr dich,

Du wirſt weit mehr noch, als er ſelbſt, von deines Gatten
guten Gaben,

Es ſey am Koͤrper oder Geiſt, Vergnuͤgen, Nutz und Ehre
haben.

Jſt er noch jung und ſchoͤn vom Leibe; laß ſeine liebliche
Geſtalt,

Die dir zu anfangs ſo gefiel, nicht, durch Gewohnheit alſobald

Vernichtiget, fuͤr dich vergehn.

Beſieh mit Fleiß ihr ſchoͤnes Aug. Jſt ihre Bruſt und Farbe
ſchoͤn:

So laß ſie doch fuͤr dich allein,

Da ſie fuͤr andern wirklich ſchoͤn, nicht ungluͤckſelig haͤß-
lich ſeyn!

Vergleiche ſie mit tauſend andern, die minder ſchoͤn ſind, als
wie ſie,

Und denke, wenn du ſie nicht haͤtteſt, du gebeſt dir die groͤßte
Muͤh,

Das, was du haſt, zu uͤberkommen. Wirſt du nun etwan hier
und dar,

Auch eines Fehlers, einer Schwachheit, am Koͤrper und am
Geiſt, gewahr:

Halt alſo bald was guts dagegen,

So du gewißlich finden wirſt, und haͤufe nicht, dir ſelbſt zur
Pein,
Br.VI.Th. N nDie
[562]Die Ehe.
Die Fehler, die, wofern ſie nicht, durch etwas guts, vermin-
dert ſeyn,

Dir unertraͤglich werden muͤſſen. Thu nicht, wie giftge Spin-
nen pflegen,

Die nichts als Gift und Boͤſes ſaugen, ja aͤrger noch, indem
der Gift,

Den Spinnen nuͤtzet, da er dir hingegen tauſend Plagen ſtift,

Und ſchaͤdlich gnug, mit bitterm Graͤmen, dich endlich ſelbſt
ins Grab zu legen.

Ach moͤchte man (bey tauſend Fehlern, wodurch ſie ſich
vom Guten trennen)

Doch von Verliebten ein Verfahren, das faſt der Tugend glei-
chet, lernen,

Wann ſie die Fehler der Geliebten gering zu machen und
ſo klein,

Daß ſie fuͤr ſie nicht mehr vorhanden, ſo willig und ſo ſinn-
reich ſeyn;

Hingegen was ſie gutes haben, durch wiederhohltes Ueberlegen,

Zu etwas unvergleichlichen, zum Wunder faſt zu machen
pflegen.

Ein ſolch Verfahren ſtehet zwar vollkommen nicht in unſ-
rer Macht;

Man brauchts auch nicht ſo weit zu treiben. Sey nur mit
allem Ernſt bedacht,

Nicht blind fuͤr ſein Verdienſt zu ſeyn, und dich in ſo weit
nur zu zwingen,

Beym widrigen, auch etwas guts, von ihm in dir hervor zu
bringen.

Der kleine Zwang iſt nicht fuͤr ihn, zu deinem Beſten bloß
allein.

Jn
[563]Die Ehe.
Jn deiner Meynung, (die ja dein,)

Wofern ſie gut, von deinem Gatten, wirſt du in dir ſelbſt
gluͤcklich ſeyn:

Dein Gatte wird dein Gluͤck verdoppeln, wenn du ihm nicht
misfaͤllſt. Hingegen,

Verfaͤhreſt du alſo mit ihm, ſo wie wir zu verfahren pflegen;

So kann man uͤberzeuglich weiſen, daß du in ihm dich ſelber
quaͤleſt,

Jn ihm wahrhaftig dich verfolgeſt. Denn dieſe Wege die
du waͤhleſt,

Die bringen dich in kurzer Zeit dahin, daß du dich wirklich
freueſt,

Wenn du den einſt gehaßten Gatten ſtets neuer Fehl- und
Laſter zeiheſt.

Ein ſolch unbilliges Verfahren nun kann dem andern nicht
gefallen.

Du gieſſeſt in ihn Gift fuͤr dich; ſein Blut wird gegen
dich zu Gallen;

Er haͤlt ſich, durch dich ſelbſt gezwungen, befuget, dich mit
Recht zu haſſen,

Und wird es auch, ſo viel an ihm, dir weh zu thun, nicht un-
terlaſſen.

Um gegen dieſe Plagen nun ein moͤglich Mittel zu erfinden,

So laßt uns von dem Ehſtand einſt, mit etwas mehrerem
Bedacht,

Als wie faſt von den allermeiſten, es in demſelben wird ge-
macht,

Mit mehrem Ernſt bemuͤhet ſeyn, ſo gut-als boͤſes zu er-
gruͤnden,

Der eigentlichſte Zweck, die Urſach und Abſicht, nicht der
Eh allein;
N n 2Von
[564]Die Ehe.
Von uns und aller Thiere Weſen, ſcheint das Vermehrungs-
werk zu ſeyn.

Den großen Zweck nun zu erlangen, ſind die Bemuͤhungen
unglaͤublich,

So die Natur dazu verwandt, ſo kuͤnſtlich und ſo mancherley

Die Reizungen, die Suͤßigkeiten, der Zug, die Wolluſt un-
beſchreiblich,

So die Natur in uns geſenkt. Doch iſt recht wunderbar dabey,

(Damit zu heftiger Gebrauch der Creatur nicht ſchaͤdlich ſey,)

Ein Gegenmittel angewendet, das eben faſt ſo wunderbar.

Ein eingepflanzter Widerſinn, ein’ Abkehr, wenn die Flam-
men ſich,

Jn einem Augenblick geloͤſcht, iſt minder nicht verwun-
derlich,

Als wie der heiſſe Trieb und Druck der ſuͤſſen Brunſt vor-
hero war.

Mich deucht, und zwar mit allem Recht, daß Trieb und Ab-
kehr, beyderley,

Von einer weiſen Abſicht, Ordnung, ein deutlicher Beweisthum
ſey,

Und mehr betraͤchtlich, als man glaubet, wer es erweget, der
entdecket,

Daß ein ſo nuͤtz-als noͤthig Mittel in dieſem weiſen End-
zweck ſtecket.

Wann nun den Thieren, zum Vermehren, mit ſuͤſſem Feur
erfuͤllte Triebe

So wohl, als uns, geſchenket ſind: So iſt doch, in erlaubter
Liebe,

Bey uns die Suͤßigkeit weit groͤßer, da wir nicht in der That
allein,
Nein
[565]Die Ehe.
Nein, durch Jdeen ſchon vorher, zur ſuͤſſen Luſt uns zu be-
bereiten,

Jmgleichen durch Erinnerung der ſchon genoßnen Lieblich
keiten,

Die Ehſtands-Freuden zu verlaͤngern, auch durch Gedanken,
faͤhig ſeyn.

Doch ſind wir mit der noͤthgen Regel, und mit dem ſanften
Joch beladen:
So gegenwaͤrtger Luͤſte brauchen, daß ſie den
kuͤnftigen nicht ſchaden.

Der Grund iſt Maße. Dieſe wirket, daß man der Liebe
Suͤßigkeit

Jn reicher Maße erndten kann, im Ueberfluß auf lange
Zeit.

Wird nun die Maße nur gehalten, hat man gewiß der Eh
Ergetzen,

Als eine ſonderliche Gabe und Wohlthat der Natur zu
ſchaͤtzen.

Zu dieſem noͤthig, nuͤtzlichen und Luſt erfuͤlleten Geſchaͤffte,

Das alle Wolluſt uͤbertrifft, gehoͤrt Erſpahrung unſrer Kraͤfte,

Jn unſrer Jugend ſonderlich; gehoͤret Rein-und Freund-
lichkeit,

So iſt es nicht nur ſuͤß fuͤr ſich; es hebt und tilget man-
chen Streit,

Den Umſtaͤnd uns erregen koͤnnten. Die allerleicht-und be-
ſte Cur,

Fuͤr Zank, fuͤr Misverſtand, iſt dieſes ſo holde Mittel der Natur.

Je mehr daß ich den Stand der Ehe, mit ernſtem Denken,
uͤberlege,

Je mehr ich deſſen Urſprung, Abſicht, Verordnung, Nutz und
Zweck erwege,
N n 3Je
[566]Die Ehe.
Je klaͤrer werd ich uͤberzeugt, je deutlicher daß ich entdecke,

Wie ein recht wunderbar Geheimniß in der Vermehrungs-
Ordnung ſtecke,

Wovon ich aber hier annoch, in ſtiller Ehrfurcht, lieber
ſchweige,

Als daß ich ſie, vielleicht zum Anſtoß verſchiedner Schwachen,
klaͤrlich zeige.

Wohl aber will ich denen, die in bitter-ſuͤſſer Ehe leben,

Des Standes Bittre zu verſuͤſſen, ein Mittel an die Hand
zu geben,

Aus guter Abſicht mich beſtreben.

Daß weder Gott, noch der Natur des Eheſtandes Bit-
terkeit,

Womit ſich Eheleute quaͤlen, nein, bloß der Unbeſonnenheit,

Womit ſie, ſonder Ueberlegung, einander ſuchen umzutreiben,

Zerfoltern und ſich recht zerhenkern, ſey beyzumeſſen, zu zu-
ſchreiben,

Jſt uͤberzeuglich zu erweiſen. Jſt nicht der Menſchen Leib
ein Bild,

Mit mancherley Vollkommenheit, Kunſt, Zier, und Schoͤn-
heit angefuͤllt?

Was kann nicht ein verliebter Geiſt, aus ſchoͤnen und verlieb-
ten Augen,

Fuͤr einen ſuͤſſen Lebensbalſam, fuͤr ſuͤſſen Seelen-Nectar
ſaugen!

Es ſcheint ein rein und geiſtig Feuer faſt aus der Seelen
ſelbſt zu ſteigen,

Und innige Zufriedenheit, ſo wohl von ihr, als dir, zu
zeigen.

Was wird, an wohl formirten Gliedern, an einer zart-und
klaren Haut,
Wo-
[567]Die Ehe.
Wodurch ein Roth, wie Roſen, ſpielt, nicht vor Vergnuͤglich-
keit geſchaut?

Was giebt der Liebreiz eines Mundes, was eine rundgewoͤlb-
te Bruſt,

Die ſich von keuſcher Liebe ſchwellt, ſo Haͤnd-als Blicken nicht
vor Luſt!

Wenn wir als Menſchen ſehn und fuͤhlen, das heißt, wenn wir
zugleich das Denken,

Beym wirklichen Beſitz der Schoͤnheit, auf das, was man be-
ſitzet, lenken;

Wenn wir das, was, eh wir es hatten, ſehr ſchoͤn war, und
noch wirklich ſchoͤn,

Daß es unwiderſprechlich ſchoͤn, bedachtſam und vernuͤnf-
tig ſehn:

Jndem an unſrer wirklichen Zufriedenheit, Vollkommenheit,

Nichts anders faſt zu fehlen ſcheinet, als Dauer und Aufmerk-
ſamkeit.

Das Band, das in erlaubter Liebe, ſo wohl den Geiſt, als
Koͤrper, bindet,

Wenn man das Feuer der Natur, ohn Ueberlegung, nicht
empfindet,

Jſt an ſich ſelbſt ſo ſuͤß, ſo lieblich, daß wenn man recht ver-
nuͤnftig waͤr,

Man billig aller Sinnen Kraͤfte, damit man immer mehr
und mehr,

Es feſt zu ſchlingen faͤhig waͤre, und zum Genuß ſo holder Luͤſte,

Das groͤßte Theil von unſern Kraͤften zu brauchen, ſich beſtre-
ben muͤßte.

Wir ſollte[n], recht mit Fleiß und Ernſt, auf tauſend Art und
Wege denken,

Uns unſre Luͤſte zu verlaͤngern, anſtatt uns ſelbſt mit Muͤh
zu kraͤnken.

N n 4So
[568]Die Ehe.
So aber kehren wir es um. Jndem wir bloß auf Fehler ſehen,

An unſerm Gatten, und an ihm, recht muͤhſam, Unvollkom-
menheit,

(Fuͤr all ſein guts uns ſelbſt verblendend) bemuͤht ſind, an ihm
aus zu ſpaͤhen:

So ſetzen wir uns gegen ihn in eine ſolche Bitterkeit,

Und ihn nicht minder gegen uns, daß wir einander ohne Grauen,

Ohn Abkehr, ohne Grimm und Ekel, Verdruß und Unmuth,
niemals ſchauen,

Und ſo, durch unſer eigne Schuld, einander ſelbſt die Hoͤlle
bauen.

Da, wenn man der gegoͤnnten Freuden, und in der Eh
erlaubten Luͤſte,

Jn rechter Maß, und zwar als Menſchen, das heiſſet ei-
gentlich vernuͤnftig,

Da man, ſo wohl was in der Anmuth ſchon gegenwaͤrtig, als
was kuͤnftig,

Auch was darin vorbey, zu ſpuͤren, im Danken zu gebrauchen
wuͤßte;

Man beyderſeits, mit allem Fleiß, auf manche Weiſe zu ge-
denken,

Jn unſers Ehegatten Luͤſten, uns ſelbſt die groͤßte Luſt zu
ſchenken,

Sich mehrentheils beſchaͤfftgen wuͤrde. Nun iſt ja das, was
koͤrperlich,

Wie angenehm, wie wundervoll, und lieblich es gleich in der Eh,

Wenn man des Geiſts Zufriedenheit dagegen haͤlt, das wenigſte.

Wie kann ein ſanft, ein freundlich Weſen, ein holder Zu-
ſpruch, wenn man ſich

Mit ſuͤſſem Scherzen unterhaͤlt, ſo angenehm die Zeit uns
kuͤrzen!
Was
[569]Die Ehe.
Was kann aufrichtge Redlichkeit, Vertrauen, Huͤlfe, guter Rath,

Wenn etwan rauhe Ungluͤcks-Winde den Baum der Wohl-
fahrt umzuſtuͤrzen,

Und uns zu faͤllen, ſich bemuͤhen, in Worten bald, bald in der
That,

Fuͤr Nutzen und Vergnuͤgen bringen! Was iſt, in einer guten Ehe,

Nicht noch fuͤr tauſendfach Vergnuͤgen! Geſellſchaft, Zuſpruch,
Zeitvertreib,

Wie iſt, nach Syrachs weiſen Lehr, ein aufgeraͤumt und freund-
lich Weib

Ein Schatz, der nimmer gnug zu ſchaͤtzen!

Wenn nun, aus ihren ſuͤſſen Flammen,

Noch allererſt die ſuͤſſen Fruͤchte, worin ſie ſich verjuͤngen,
ſtammen;

Welch eine nie verſiegne Quelle, von Anmuth, bricht ſo dann
herfuͤr!

Sie ſehn in ihnen ſich verdoppelt, ihr Weſen mehret gleichſam ſich;

Sie wiſſen, daß, auch wenn ſie ſterben, ſich ihr Gedaͤchtniß
nicht verlier.

Jhr kindiſch Spiel entzuͤcket ſie. Sie ſuchen ſie gemeinſchaftlich,

Mit Ueberlegen und Bedacht, mit einem froͤlichen Bemuͤhn,

Durch Lehren mehr, mehr durch Exempel, zum kuͤnftgen Wohl-
ſeyn zu erziehn.

Woher entſteht nun gegentheils, an ſo viel Orten, in
der Eh,

Auch bey nicht unvernuͤnftigen, das gleichſam irdſche Hoͤl-
len-Weh,

Das faſt die meiſten unter ſich nicht anders ſind, als Hund
und Katzen?

Woher koͤmmt Hadern, Widerbellen? Woher Zank, Schelten,
Beiſſen, Kratzen?
N n 5Wo-
[570]Die Ehe.
Woher koͤmmt Keifen, Laͤrmen, Wuͤten, das Murren und die
Ungeduld?

Jhr ſeyd an eurem Ungeluͤcke, ſprecht was ihr wollet, beyde
Schuld.

Dadurch, daß ihr den Ehegatten nur von der ſchlimmen
Seite ſehet,

An euch das Gute nur beſchaut; und er auf gleiche Weiſ es
macht;

Aus dieſem ungluͤckſeligen und unvernuͤnftgen Unbedacht,

Aus dem unuͤberlegten Weſen der naͤrrſchen Eigenlieb, ent-
ſtehet,

Statt der gehofften Freuden-Taͤg, ein’ allgemeine Trauer-Nacht.

Soll dieſes Elend ſich nun aͤndern: So thut, was ihr ſonſt nicht
gethan:

Schaut euren Gatten von der guten, euch von der ſchwachen
Seiten an.


Un-
[571]Ungereimter Wunſch.

Ungereimter Wunſch.


Wie ich, aus einem ſuͤſſen Traum, juͤngſt fruͤh erwachte,

Und, welch ein großes Gluͤck es waͤr, im Ernſt gedachte,

Wenn man ſich ſelber Traͤume machen, dieſelbige willkuͤhr-
lich fuͤgen,

Und ſie zuſammen ſetzen koͤnnte: O welch Vergnuͤgen

Wuͤrd einer doch ſich ſelbſt verſchaffen! was wuͤrd er ſehn,

Fuͤr Lieblichkeiten der Natur! Was wuͤrd er hoͤren,

Jn einem angenehmen Wald, in hellen Choͤren,

Von Singevoͤgeln, Nachtigallen, fuͤr ein Getoͤn!

Wie wuͤrde mancher an der Schoͤnheit, und andern Schaͤtzen,

Von einer jungen ſchoͤnen Frauen, ſich nicht ergetzen!

Was wuͤrd er nicht in Speiſ und Trank, fuͤr Lieblichkeiten,

Durch vorgeſtellete Jdeen, ſich ſelbſt bereiten!

Allein indem ich alſo denke: So faͤllt mir bey,

Daß dieſer mein ſo kluger Wunſch, recht naͤrriſch ſey.

Wir haben ja dergleichen Macht, indem wir wachen,

Wir koͤnnen uns von ungezaͤhlt-und ſuͤſſen Sachen,

Jm Denken tauſendfach Vergnuͤgen, Jdeen machen,

Vergnuͤgliche zuſammen ſetzen, ein ganzes Heer,

Von holden Phantaſeyen zeugen; ja was noch mehr,

Wir koͤnnen nicht nur in Gedanken, durch kluges Fuͤgen,

Der ſchoͤnſten Bilder des Gemuͤths, uns hier vergnuͤgen;

Wir haben, von den allermeiſten, die Wirklichkeit.

Von welcher unbegreiflichen Beſchaffenheit

Jſt denn das menſchliche Geſchlecht! Da, ſonder Licht,

Vernunft und Wirklichkeit und Wahrheit, wir was verlangen,

Zu ſehn, zu hoͤren, zu genieſſen, und zu empfangen.

Hat man nun wirklich Licht, Vernunft, Gehoͤr, Geſicht,

Zu ſehn, zu hoͤren, ſich zu freuen: So thut mans nicht.


Ernſt-
[572]Gedanken uͤber den Tod der Beliſe.

Ernſthafte Gedanken
uͤber den toͤdtlichen Hintritt der nunmehr
ſeligen Beliſe 1736. den 15. Novemb.

zwiſchen A. und B.


A.
Wann ich, mit einigem Erwegen, die Bitterkeit, die Folg
und Groͤße,

Von deinem ſchmerzlichen Verluſt, in der Beliſe Tod, er-
meſſe:

So will mir, zur Beruhigung von deiner ſehr gebeugten Seelen,

Es an Beſaͤnftigung gebrechen, an Troſt-und Lindrungs-Gruͤn-
den fehlen.

Daher war erſtlich mein Entſchluß, dich auf die Dichtkunſt
zu verweiſen,

Jndem es mir nicht unbekannt, daß Dichter oft, indem ſie
dichten,

Und allenthalben hin gedenken, zuweilen ihren Schmerz ver-
nichten.

Allein, gedacht ich auch dabey, du ſtellſt, bey dieſem Ra-
the, mir,

Vermuthlich dieß zur Antwort fuͤr:

„Da Canitz ſeiner Doris Lob ſo wunderwuͤrdig hoch ge-
trieben;

„Da Beſſer von der Kuͤhlweininn faſt unverbeſſerlich ge-
ſchrieben;
„Da
[573]Gedanken uͤber den Tod der Beliſe.
„Da Richey ſeiner Charitinen, ein ſolches Ehrenmaal
errichtet,

„Daß weder Zeit, noch Neid verſehrt, zernagt, zertruͤmmert,
noch vernichtet,

„So ſcheint, ob waͤre fuͤr Beliſen kein wuͤrdig Lob faſt
uͤberblieben.

Daher ich, einen andern Troſt dir anzutragen, uͤbernehm,

Der, wenn er deinen bittern Gram, nicht voͤllig iſt geſchickt,
zu lindern,

Doch, wo du ihn nur recht erwegſt, vielleicht mehr, als es
ſcheint, bequehm,

Geſchickt und faͤhig, deinen Schmerz, in etwas wenigſtens, zu
mindern.

Du mußt dich ſelbſt mit Fleiß bemuͤhn, ſtatt ihre Tugend
zu erwegen,

(Zumal dieſelbe ſonſt bereits vorhero ſchon, in Stadt und
Land,

Durch dich ſo wohl, als andre mehr, am meiſten durch ſich
ſelbſt, bekannt,)

Dir, von der trefflichen Beliſe, die ſchwache Seite vor-
zulegen,

So zur Verkleinerung von ihr jedennoch nicht gereichen kann;

Denn ihre ſchwache Seite ſelbſt zeigt dennoch etwas großes an.

Es iſt faſt aller Menſchen Art, daß der Verluſt das Gute
beſſer,

Als es vorher war, ſcheinen macht, wodurch er aber ſelber
groͤßer,

Empfindlicher und herber wird. Da wirſt du nun ja ſelbſt
geſtehn,

Daß, bey ſo viel Vollkommenheiten, die wir mit Luſt an ihr
geſehn,
Bey
[574]Gedanken uͤber den Tod der Beliſe.
Bey ſo viel Leibes- und Gemuͤths-, vor andern ganz beſondern,
Gaben,

Wir oft ein faſt zu ernſthaft Weſen, an ihr auch wahrgenom-
men haben,

Daß ſie, wenn ſie allein, betruͤbt, daß ſie auch in Geſellſchaft
gar,

Von einer ſtillen Traurigkeit, nur ſelten aufzumuntern war,

Daß ſie, durch ein beſtaͤndig Bethen, behindert war, an denen
Schaͤtzen,

Die Gott, durch die Natur, uns beut, im frohen Dank ſich
zu ergetzen,

Wie gern ſie auch zuweilen wollte. Daß ſie an dem, was Gott
uns goͤnnte,

Und zwar in ſolchem Ueberfluß, ſehr ſelten ſich vergnuͤgen
koͤnnte.

B.
So fremd, geliebter Agathander, dein Troſt auch iſt;
ſo ſonderlich,

Und unerwartet er mir koͤmmt: Geſteh ich dir; er ruͤhret mich.

Jch find ihn nach des Menſchen Geiſts Natur und Weſen ein-
gerichtet,

Und mich daher, ſo viel mein Leid es mir erlauben will,
verpflichtet,

Den Schluͤſſen weiter nach zu denken, und ſie zu brauchen,
um ſo mehr,

Als ich darin zu meinem Troſt, zugleich auch zu Beliſen Ehr,

Daß, wie im Leben, durch ihr Beyſpiel, ſie auch annoch im
Tode lehr;

Jn ihnen zu entdecken glaube. Wodurch ſie denn, in meinem
Singen,
Zwar
[575]Gedanken uͤber den Tod der Beliſe.
Zwar mir die Ehre lange nicht, die Charitine, Ruͤhl-
weininn,

Und Doris ihren Herrn gebracht in ihren ſuͤſſen Liedern,
bringen,

Und meinen Ruhm erheben wird. Doch hat der Leſer, zum
Gewinn,

Vielleicht Erbauung, Troſt und Nutzen. Jch hab oft bey mir
uͤberlegt,

Was der nun ſeligen Beliſe, da ihr der Schoͤpfer doch
im Leben,

An Leib, an Geiſt, und andern Guͤtern, viel Guts im Ueber-
fluß gegeben,

Sie, vor viel tauſenden, begabt, doch ein ſo oͤfters Leid
erregt.

Jch leugne nicht, daß etwas leiblichs, von andern Gruͤn-
den nichts zu ſagen,

Und achtzehn Wochenbetten wohl, vielleicht ein vieles bey-
getragen,

Da nemlich ihre Lebensgeiſter, und im Gebluͤth des Koͤrpers
Kraͤfte,

Der Muskeln Staͤrke, nebſt den Nerven, und die ſubtilen Lebens-
Saͤfte

Erſchoͤpfet und vermindert worden. Doch ſchreib ich dem
geſchwaͤchten Geiſte,

Durch Vorurtheile, Zaͤrtlichkeit, und ernſten Meynungen das
Meiſte,

Mit groͤßtem Recht vermuthlich, zu. Jch ſetze dieß bey ihr
zum Grunde,

Daß ihr die Gottheit nur gerecht, und liebreich nie, vor Au-
gen ſtunde,
Wor-
[576]Gedanken uͤber den Tod der Beliſe.
Woruͤber ſie, voll ernſter Furcht, in ſtetem Bethen, ſonder
Maße,

Der ganzen Welt, ſich ſelbſt und alles, hierauf allein bedacht,
vergaſſe.

Sie war von einem ernſten Weſen, und einer ſtarken Phan-
taſey.

Es herrſcht, in ihren Miſchungen, am kraͤftigſten Melancholey:

Doch war ſie von Gemuͤth und Geiſt ſo zaͤrtlich, daß ſie
nichts von Quaͤlen,

Von Martern, Schmerzen oder Plagen, in einiger Geſchicht
erzaͤhlen,

Noch etwas davon leſen kunnt, ohn ein Erſchuͤttern innerlich,

Ja ſolch ein Grauſen zu empfinden, daß ſie in vielen Ta-
gen ſich

Von Schrecken kaum erholen kunnt. Wie man nun oft pflegt
vorzutragen,

(Und zwar zuweilen ohne Noth) von den unleidlich herben
Plagen

Verdammter Seelen in der Hoͤll; entſtund ein ſolches Mar-
ter-Bild,

Jn ihrem ſchuͤchternen Gehirn, daß ſie, mit ſteter Angſt er-
fuͤllt,

An jedem Ort, zu aller Zeit, voll Furcht ſich gleichſam ſel-
ber nagte,

Jndem ſie ſich, ohn Unterlaß, mit graͤmlichen Gedanken
plagte.

Es kam in dieſem Zuſtand ihr

Der Schoͤpfer aller Ding, allein als ein geſtrenger Richter, fuͤr,

Der nichts als Straf und Rache droht. Was man von ſei-
nem ewgen Lieben,
Jhr
[577]Gedanken uͤber den Tod der Beliſe.
Jhr ſagt, erzaͤhlt, erwies, war alles, zwar angehoͤrt, doch
gleich vertrieben,

Aus ihrer gar zu bangen Seele, bis daß ſie allen Muth verlohr.

Was ſie erblickte, that und hoͤrte, kam ihr als lauter Suͤn-
de vor.

Sie liebte nur die Einſamkeit. Um aus den vorgeſtellten
Ketten,

Nam ſie ſich endlich ernſtlich vor, durch vieles Bethen, ſich zu
retten.

An allen Orten, wo ſie war, war ſie auf Bethen nur bedacht;

Sie bethet fruͤh, ſie bethet ſpaͤt, ſie bethete die ganze Nacht,

Bis daß ſie endlich dergeſtalt den abgezehrten Koͤrper
ſchwaͤchte,

Daß ſie ins Sterbe-Bette fiel. An ſtatt nun, daß ſie den-
ken ſollte,

Wie ſie den ſchwachen Koͤrper ſtaͤrken, und Ruhe ſich ver-
ſchaffen wollte,

So aͤchzte, ſenfzt und bethete ſie unaufhoͤrlich ganze Naͤchte,

Voll Sorg und Graͤmen, daß zuletzt ſie ganz von allen Kraͤf-
ten kam,

Und, ob ſie, kurz fuͤr ihrem Tode, zuletzt annoch gleich, fuͤr
ihr Leben,

Und laͤnger auf der Welt zu ſeyn, gar gern ich weis nicht was
gegeben,

Doch wie ſie ſahe, daß ihr Gott, dem ſie gedienet, zu ſich rief;

Sie, in beſtaͤndger Zuverſicht auf ſeine Gnade, ſanft ent-
ſchlief,

Und in gelaſſener Geduld den Thraͤnen-wuͤrdgen Abſchied nahm,

So daß ihr zwar Gottlob! im Tod, ihr vorges Graͤmen nicht
gehindert,

Doch hat es ihr, im ganzen Leben, vergoͤnnte Freuden oft
gemindert.
Br.VI.Th. O oDieß
[578]Gedanken uͤber den Tod der Beliſe.
Dieß waren Fruͤchte nun von ihrer zu ſehr geruͤhrten Phan-
taſey,

So uns wahrhaftig lehren ſollte, die klaͤgliche Melancholey

Noch aͤrger, als ein Gift, zu fliehn, noch ſchlimmer, als die Peſt,
zu meiden,

Weil ſie, auch mitten im Vergnuͤgen, ein ſchwarzes Leid, ein
bitter Leiden

Uns zu zufuͤgen, ſich bemuͤht. Man kann Beliſen Stand er-
meſſen,

Und wie ſo groß ihr Gram geweſen, wie unertraͤglich ihre
Pein,

Durch ihr betruͤbt Geſtaͤndniß ſelbſt: Der Worte werd ich nie
vergeſſen:
Was ich auf Erden ausgeſtanden, ſprach ſie, das
weiſt du, Gott, allein.

A.
Bey dieſem recht betruͤbten Zufall, faͤllt mir von neuen et-
was ein,

Woruͤber ich mich oft geaͤrgert, daß wir den Tod ſo graͤßlich
machen,

Jhn, als das allerſchrecklichſte von allem Schrecklichen, be-
ſchreiben,

Ja nicht einmal bey dieſer Larv, die wir ſelbſt ſcheuslich ma-
chen, bleiben.

Nein, ſchwarze Teufel noch, mit Hoͤrnern, im angeſchuͤhrten
Hoͤllen-Rachen,

Den Sterblichen vor Augen malen, wodurch, wie auch bey
ihr geſchehn,

Wir oft erbaͤrmliche Spectakel bey zaͤrtlichen Gemuͤthern ſehn,
Da
[579]Gedanken uͤber den Tod der Beliſe.
Da viele, nicht allein im Leben, durch ſolch ein Marter-Bild
von Plagen,

Der ewgen Liebe faſt zur Schande, auch gar im Sterben oft,
verzagen.

Mich deucht, es werd’ (aus ihres Bluts Beſchaffenheit) von
eingen Lehrern,

Hierin gewiß zu weit gegangen, wenn ſie den ungluͤckſelgen
Hoͤrern,

Die allergraͤßlichſten Jdeen, die teufliſch faſt, von einer Hoͤllen,

Voll wahrer Nattern, Baſilisken, die all unſterblich, vorzuſtellen,

Mehr als barbariſch, ſich bemuͤhn. Von ewgen Schlangen,
ewgen Drachen,

Sich einen wahr-und wirklichen, und leiblichen Begriff zu
machen,

Scheint ſchreck-und laͤſterlich zugleich. Es zeugen ſelbſt der
Heiden Lehren

So wunderliche Wunderthiere, Amphiſibenen und Chimaͤren,

Jn ihrem fabelhaften Orcus, bey der Alecto Schwefellicht,

Bey Siſiphus, und Tantalus, in Felſen, Obſt und Waſſer,
nicht,

Als manches graͤmliche Gehirn, voll Zorn und ſchwarzer
Gall, erdacht,

Da er, jedoch von ewger Molchen und ewger Baſilisken Weſen

So wenig im Natur-Buch fand, noch in der Schrift davon
geleſen.

Wodurch er Gott, ſo ſehr nicht ſchrecklich, als haͤmiſch und
voll Bosheit, macht.

Jſt dieß ein wuͤrdig Bild von Gott? Die Gottheit ſcheint hier
boͤſ und klein.

Kann denn die ewge Guͤte giftig, die Lieb ein wahrer Henker
ſeyn?

O o 2Wird
[580]Gedanken uͤber den Tod der Beliſe.
Wird Gott, als ein unendlich All, wofern er Menſchengei-
ſter quaͤlen,

Und nach Verdienſt beſtrafen will, ſo unanſtaͤndge Plagen waͤhlen?

Kann ein verklaͤrter Leib und Geiſt nicht, als von Marter-
Art, auf Erden,

Durch andre Plag und andres Leiden, ſchon ſcharf genug
beſtrafet werden?

Muß ein mit Fleiß verewigt Fleiſch, von einer ewgen
Flamme Pein,

Zertrennet, und doch nicht zertrennet, verbrennt, und nicht ver-
brennet ſeyn?

Scheint dieſes uns nicht uͤberzeuglich recht gegen alle Wuͤr-
digkeit

Der Gottheit, gegen ihre Lieb, auch gegen die Beſchaffenheit

Der ewgen Weisheit? ewge Thiere in ein verzehrend Feur
zu ſetzen,

Um der Verdammten ewge Leiber, und Geiſter ewig zu ver-
letzen?

B.
Du uͤbereileſt dich, mein Freund, in deinem Urtheil. Denkſt
du nicht,

Daß ſelbſt die Schrift, an manchem Ort, von Flammen und
von Drachen ſpricht?

A.
Jch weis es: Aber weiſt du auch, daß es ja den Orientalen

Ganz eigen iſt, den Sinn der Wahrheit in vielen Bildern
vorzumalen?

Die werden in der ganzen Schrift, daß ſolch ein Bild was
anders lehrt,

Durch die vernuͤnftgen Geiſtlichen vernuͤnftig uͤberall erklaͤrt.

Soll
[581]Gedanken uͤber den Tod der Beliſe.
Soll, bey ſo viel verbluͤmten Stellen, die von der Hoͤllen,
denn allein,

Jn einem eigentlichen Sinn und anders nicht erklaͤret ſeyn?

B.
Wie groß iſt nicht, bey rohen Leuten, der Nutz von der ge-
wohnten Lehre!

Und wuͤrden ſie wohl Strafe fuͤrchten, wenn man, daß ſolche
Hoͤll nicht waͤre,

Sie neuerlich bereden wollte. Ob gleich das Beyſpiel der
Beliſe,

Von der zu ſcharf getriebnen Lehre, mir ein erbaͤrmlich Bey-
ſpiel wieſe:

So kann ich dennoch darum nicht, aus vielen Gruͤnden, mich
bequemen,

Die von dir beygebrachten Schluͤſſe, wie du vermeyneſt, an-
zunehmen,

Und wuͤrd ich, mit viel ſtaͤrkern Gruͤnden, dein Denken wider-
legen koͤnnen;

Nur will es jetzt mein Zuſtand mir in meiner Trauer nicht
vergoͤnnen.

Doch werd ich dich von deiner Meynung, mit mehrern Gruͤn-
den, abzufuͤhren,

Bey erſterer Gelegenheit, ſo viel mir moͤglich iſt, probiren.

Jetzt muß ich dir, geliebter Freund, wie, nach der Seligen Er-
blaſſen,

Jch doch, ſo viel mir moͤglich war, in meiner Trauer mich zu
faſſen,

Beſchaͤfftiget geweſen bin, und was mir wiederfuhr, erzaͤhlen;

Geſchicht es gleich ohn aͤuſſern Schmerz, und ſtarker Beugung
meiner Seelen,
O o 3Ohn
[582]Gedanken uͤber den Tod der Beliſe.
Ohn einen noch vertieftern Eindruck, und inniger Erſchuͤtt-
rung, nicht,

Wenn mein noch jetzt bethraͤnter Mund von dieſem herben
Falle ſpricht.

Nach ihrem Tode konnte nichts, ſo lang ihr Sarg geoͤffnet
ſtand,

Sie taͤglich noch zu ſehn, mir wehren. Da ich, in ihren ern-
ſten Zuͤgen,

Noch Spuren ihres nun Gottlob! ſchon uͤberſtandnen Lei-
dens fand,

So ich, mit ſtiller Bitterkeit, und einem klaͤglichen Vergnuͤgen,

Durch immer neue Thraͤnen ſah, die oftermals durch ihre
Menge,

Und der gepreßten runden Tropfen beſtaͤndig quillendes Ge-
draͤnge,

Worin die truͤben Blicke ſchwummen, den bangen Vorwurf
mir verdeckten,

Und meine Schmerzens-Quell fuͤr mich, doch nur auf kurze
Zeit, verſteckten.

Dieß dauret in den achten Tag. Da ich zum letzten zu ihr
kam,

Und, mit ſich haͤufendem Betruͤben, von ihr den letzten Abſchied
nahm,

Jndem es mir unmoͤglich war, dem Schluß des Sarges zu-
zuſehen.

Wie man nun ſelben wirklich ſchloß, fing eben ein ſchon re-
ger Sturm,

Mit einer nie erhoͤrten Kraft, und ſo entſetzlich an zu wehen,

Daß des von mir bewohnten Schloſſes erhabner, feſt-und ſtar-
ker Thurm
Erzit-
[583]Gedanken uͤber den Tod der Beliſe.
Erzitterte. Bald hier bald dort zerborſten Mauren; Fenſter,
Riegel

Zerſprangen; in den Luͤften flogen; es ſtuͤrzten abgerißne Ziegel

Zerſchmettert uͤberall herab. Denn, ob man gleich an dieſem Ort

Der ſchweren Winde wohl gewohnt: So hatte doch der wil-
de Nord,

Bey Menſchen Denken, nie ſo ſtark, ſo gar entſetzlich ſtark ge-
ſtuͤrmet.

Hiedurch nun ward, zu gleicher Zeit, durch der gepreßten
Luͤfte Wuth,

Des Meeres, und durch deſſen Wellen der angehaͤuften Elbe Fluth,

Mit wildem Wallen aufgebracht, und ſo erſchrecklich aufge-
thuͤrmet,

Daß es den allerhoͤchſten Teichen, in einem ſchon geraden
Striche,

Zum Schrecken unſers ganzen Landes, beſchaumt, bereits an
Hoͤhe gliche,

Und einen ſchnellen Untergang dem Lande, Vieh und Menſchen
droht,

Da band, mit meiner eigenen, ſich eine allgemeine Noth.

Wie mir an dieſem truͤben Tage dabey zu Muthe ſey ge-
weſen,

Wird jeder deutlicher gedenken, als ers verlangen kann zu leſen.

Mein Geiſt, der ſich bald auf dem ſchon beſchaͤumt-und uͤber-
ſtroͤmten Rand,

Des Landteichs, der zu weichen drohte, bald um Beliſens Sarg
befand,

War, wie man leichtlich glauben wird, faſt ganz aus ſeinem
Gleichgewicht.

Der bittre Gram, die ſchwarze Furcht, der Winde nicht er-
traͤglich Sauſen,
O o 4Die
[584]Gedanken uͤber den Tod der Beliſe.
Die Sorgen fuͤr das arme Land, der faſt ſchon nahen Wellen
Brauſen

Beſtuͤrmten mich gemeinſchaftlich. Bis ein erfreulicher Bericht,

Gottlob! das Waſſer faͤllt! es ebbt! mir unverhofft gemeldet
wird.

Gottlob! Ließ ich aus meiner Bruſt, die ploͤtzlich leichter ward,
mit allen,

Die aller Sorgen voͤllig frey durch dieſe Nachricht wurden,
ſchallen.

Es kam mir, wie ich die Gedanken, die gleichſam in ſich ſelbſt
verirrt,

Nun wieder auf Beliſen zog, den Augenblick nicht anders fuͤr,

Als daß, da ihr ſo bruͤnſtig Bethen zwar jedem, doch mir mehr,
bekannt,

Jhr geiſt-und feuriges Gebeth annoch fuͤr unſer ganzes Land

Vielleicht erhoͤret worden ſey. Jch ſtelle dieß nun zwar dahin,

Weil ich, von ſo verborgnen Sachen ja nichts zu denken, faͤhig bin.

Doch kam, wie ich in ſolchem Stand, und faſt verwirret war,
es mir

Zu Anfangs, als ein’ Art von Troſt, ohn ernſter Ueberlegung, fuͤr.

Jch ſetzte mich nachhero nieder, bemuͤhte mich, nach mei-
nen Pflichten,

Fuͤr meiner nunmehr ſelgen Haͤlft’ ein Ehren-Denkmaal zu
errichten,

So ich dir hier zu Haͤnden ſtell, und wirſt du aus dem Jnhalt
leſen,

Da ſie ein beſſeres verdient, und ich kein beſſers ihr gemacht,

Wie ſehr mein Geiſt unaufgeraͤumt, wie dunkel meine Trauer-
Nacht,

Wie ſehr mich ihr Verluſt gebeugt, und wie mein Schmerz ſo
groß geweſen.

Epi-
[585]Epitaphium.

Epitaphium.


Von einem Geiſt, der in der Zeit

Durch Bethen ſeinen Schoͤpfer prieſe,

Der von Geduld und Froͤmmigkeit,

Von Andacht und Gelaſſenheit,

Ein unnachahmbar Muſter wieſe,

Das Gott aus Gnaden ihm geſchenkt,

Voll bruͤnſtger Zuverſicht gelenkt;

Kurz: Von der redlichen Beliſe

Sind hier die Schalen eingeſenkt.


O o 5War-
[586]Warnungs-Lehre

Warnungs-Lehre
fuͤr erhabne Geiſter.


Es iſt die Ehrbegierd ein Trieb, wodurch wir, voller Sehn-
ſucht, wollen,

Daß andre Menſchen, die uns gleich, uns ruͤhmen und uns ehren
ſollen.

Da doch dieſelben, eben ſo, als wir, ſich allen vorzuziehn,

Aus angebohrner Eigen-Lieb, aus allen Kraͤften ſich bemuͤhn.

Wird etwan einer wo gelobt, ſcheint jeder dadurch was zu
leiden.

Verkleinert man den Naͤchſten aber: So wird mit heimlich-haͤm-
ſchen Freuden,

Jhr Jch geſchmeichelt und gekitzelt. Wie kann, bey ſo ge-
ſtalten Sachen,

Man ſich von Menſchen Hoffnung machen,

Daß ſie, durch unſer Guts, ſich gleichſam ſelbſt zu haſſen,

Von uns ſich werden zwingen laſſen?

Und daß ſie den, der ſie verkleinert, bey ihrem innigen Be-
truͤben,

Ob ihren ſchmerzlichen Verluſt, aufrichtig jemals koͤnnen lieben?

Es koͤmmt vielmehr, bey dieſem Zuſtand, mir

Nicht anders fuͤr,

Als ob ein Geiſt, der ſich, von andern, in der That,

An Groͤß, und an Gelehrſamkeit,

Verdienſtlich unterſchieden hat,

Anſtatt auf ſeine Groͤß und Vollenkommenheit,
Sich
[587]fuͤr erhabne Geiſter.
Sich was zu gut zu thun, damit zu prangen,

Und einen Vorzug zu verlangen;

Er, wenn er recht zu leben wuͤßte,

Sich als ein’ Art von Monſtrum halten muͤßte,

Nur tauglich, andre zu beſchaͤmen,

Und folglich ſich vielmehr bequemen,

Sie, durch beſtaͤndige Beſcheidenheit,

Durch Dienſt begierd und Hoͤflichkeit,

Nach allen Kraͤften ſeiner Sinnen,

Sie nur in ſoweit zu gewinnen,

Daß er mit ſeiner Groͤß, und ſeiner Gaben Buͤrde,

Von ihnen nur geduldet wuͤrde.

Da ja von dem, was man auf Erden treibt,

Dieß Sprichwort leider! wahr verbleibt:
Es iſt, da jedermann ſein Jch zu heftig und recht
ſtraͤflich liebt,

Ein gar zu groß Verdienſt, am Naͤchſten, ein Fehler,
den man nicht vergiebt.


Fer-
[588]Unterſuchung des Norder-Lichts.

Fernere Unterſuchung
des Norder-Lichts.


Jch ſahe juͤngſt das tiefe Himmels-Meer,

Das Boden-los und ohne Grenzen.

Jch ſah darin der Sternen Heer,

Als ungezaͤhlte Tropfen, glaͤnzen,

Woruͤber ich erſtaunet riefe;

O welche Tropfen! welche Tiefe!

O Himmels Ocean, von Sonnen angefuͤllt,

Jn welchem ſich ein wuͤrdigs Bild

Der Gottheit, ohne Bildung, zeiget!

Jch ſeh, Herr, deiner Schaaren Menge,

Mit Ehrfurcht und Erſtannen, an;

Da nichts ſo ſehr, als ihr Gepraͤnge,

Uns deine Groͤße zeigen kann.

Jhr Glanz, ihr Licht, ihr Schein und Stral,

Sammt ihrer Zahl, die ſonder Zahl,

Die zeigen dich, Herr Zebaoth,

Am wuͤrdigſten als einen Gott.

Jndem ich dergeſtalt die hellgeſtirnte Hoͤhe,

Voll Ehrfurcht, voller Andacht ſehe,

Und mich von ungefaͤhr ein wenig nordwerts drehe;

Faͤllt unverhofft vom hellen Norder-Licht*
Ein weiſſes Stralen-Heer mir ins Geſicht,

Daß, als ich noch einmal auf deſſen Urſprung dachte,

Mich ganz von ungefaͤhr auf die Gedanken brachte.

Es
[589]Unterſuchung des Norder-Lichts.
Es kam die Art vom Licht, zuſammt der Farbe, mir,

Als wie der Schein von unſrer Daͤmmrung, fuͤr.

Wann von der Daͤmmrung nun die Urſach wohl bekannt;

Daß (waͤr um unſre Welt der Luftkreis nicht geſpannt,

Woran der Sonnen reges Licht,

Jndem ſie hoͤher, als die Welt,

Des Morgens fruͤh, des Abends ſpaͤter faͤllt,

Und ſich an ihrem Koͤrper bricht)

Wir keine Daͤmmrung haben koͤnnten,

Und daß wir, wenn wir ſpaͤt uns von der Sonne trennten,

Wir auf einmal und gleich in ſchwarze Finſterniſſen

Verſinken, gegentheils fruͤh, faſt erblinden muͤſſen,

Durch gar zu ſchnellen Glanz des Lichts,

Zum großen Nachtheil des Geſichts.

Wie wir hiedurch nun uͤberzeuglich wiſſen,

Daß wir bey jedem mal (die Sonne geh von hinnen,

Auch wenn ſie fruͤh erſchein) am Tage was gewinnen, *
Durch dieſe Daͤmmerung: So koͤmmt es mir,

Nicht glaublich nur, faſt uͤberzeuglich fuͤr,

Daß von dem Schoͤpfer, gegen Norden,

Der Kreis der Luft erhoͤhet worden,

Damit dadurch die langen Finſterniſſen,

Zum Beſten der Bewohner, gleicher Weiſe,

Zu ihrem Nutz, und ſeinem Preiſe,

Daß ſie nicht allezeit im Finſtern tappen muͤſſen,

Erhellet und gemindert,

Des rauhen Himmels Strichs Beſchwerlichkeit gelindert,

Ertraͤglicher gemachet werden moͤchten.

Es ſcheint dadurch die Luft ein ſteter Mondesſchein,

(Wie er uns wirklich iſt) noch dorten mehr zu ſeyn.
Die
[590]Unterſuchung des Norder-Lichts
Die Luft laͤßt, wie der Mond, die Stralen ruͤckwerts prallen,

Die von der Sonnen auf ſie fallen.

Weil wir nun aber dieß befinden,

Daß nordenwerts die Daͤmmrung laͤnger ſteht,

Ja uͤberall faſt nicht vergeht:

So ſcheints, wenn wir hievon die Urſach recht ergruͤnden,

Unſtreitig wahr zu ſeyn, daß dort die Luft erhoͤht,

Ja dicht und dicker ſey, damit daran

Der Sonnen Licht beſtaͤndig fallen kann.

Dem tritt noch bey, daß aller Froſt die Luft

Zuſammenpreßt, verdicket, und den Duft

Dadurch geſchickter macht, die Stralen aufzufangen,

Die von der Sonnen Licht zu ihnen hingelangen.

Mir zeigt ſich noch ein Grund, woher

Vermuthlich in dem Theil der Erden,

Die Luͤfte dick- und hoͤher werden.

Die neue Weltweisheit glaubt, daß ein wahres Meer,

Von Luft ſich in der Erden Gruͤnden,

Und um den Mittelpunkt * ſich ſoll befinden,

Das aus den Polis allemal

Hervorbricht, uͤberwerts ſich in die Luft ergießet,

Und uͤberall den Kreis der Welt beflieſſet.

Wodurch ſich denn die Kraft ſo in Magneten ſtecket,

Wenn er ſich nordwerts dreht, zugleich auch zieht, entdecket.

Hiedurch nun ſcheint der Grund, woher die Luͤfte ſteigen,

Beym Norder-Pol, ſich klar zu zeigen,

Und weil ſich denn daran, der Stral der Sonnen bricht,

So zeuget ſich daraus von ſelbſt das Norder-Licht.

Wann aber auch, in ſchnell-und langen Zuͤgen,

Zuweilen rege Stralen fliegen,
Aus
[591]Unterſuchung des Norder-Lichts.
Aus dieſem Himmelsſtrich: So ſcheinen dieſes, Theile

Der Luft, die durch den Fluß des Luftſtroms fortgeriſſen,

So aus dem Norpol bricht, dem ſie in ſtrenger Eile

Jn ſeinem Zuge folgen muͤſſen.

(Wenn er zumal zuweilen ſchneller fleußt,

Und heftiger, als ſonſt, aus ſeinen Tiefen ſcheußt.)

Das ſo viel ſchneller denn geſchehen kann,

Weil dieſer Flug ſo hoch erhaben gehet,

Daß keine dicke Luft ihm in dem Wege ſtehet.

Er trifft, da er ſo hoch, gar keine Hindrung an;

Daher es denn, (daß es dem Blitz faſt gleichet,)

Den faſt ganz leeren Raum entſetzlich ſchnell durchſtreichet.

Hier zeigt, o großer Gott, ſich abermal,

Von deiner weiſen Macht und Lieb, ein heller Stral,

Wodurch wir uns, in unſrer Bruſt,

Ein Andacht-Feur von Dank und Luft,

Wenn wir, als Menſchen, denken wollten,

Mit Recht entzuͤnden laſſen ſollten.

Jch fuͤhle wenigſtens, da ich dieß uͤberlege,

Ein Freuden-Feur in meiner Seele glimmen,

Und einen heiſſen Trieb, dieß Loblied anzuſtimmen:
Wie weiſ und wunderbar, o Gott, ſind deine

Wege!


Ge-
[592]Geſpraͤch.

Geſpraͤch.


A.
Wenn wir des Guten nicht genieſſen, durch Denken; iſt

es gleich verfloſſen.

B.
Ach es verflieſſet ja nicht minder, hab ichs mit Denken gleich
genoſſen.

A.
Ob alles gleich, wie es die Wahrheit, als wie ein ſtrengex
Strom verfleußt:

So ſtellet doch, durch Gottes Ordnung, ſich immer etwas
neues ein,

Und lieget es an unſerm Geiſt, daß er ſich darauf ſtets befleißt,

Am neuen immer was zu finden, womit er kann vergnuͤget ſeyn.

B.
Dieß ſtehet nicht in ſeinem Willen, noch weniger in ſeiner
Macht;

Weil oͤfters etwas Boͤſes koͤmmt, worin man nichts ergetzlichs
findet.

A.
Jch ſpreche nicht von Ungluͤcksfaͤllen, ich bin allein darauf
bedacht,

Des Guten beſſer zu gebrauchen, das ſonſten ungefuͤhlt ver-
ſchwindet;

Zumalen wir noch uͤberdem erwogner Dinge fluͤchtges Rennen,

Durch die Erinnrung des Genußes, gewiſſermaßen hemmen
koͤnnen.

Ueber-
[593]Ueberſchrift einer moraliſchen Zeichnung.

Ueberſchrift
uͤber eine moraliſche Zeichnung,

worauf zween Balger vorgeſtellet, zwiſchen wel-
chen eine Narrenkappe auf der Erden
lieget.


L.
Daß Peter beſſer tanzt, als Hans, ſoll dieß mein Eiſen,

Wo du es nicht geſtehſt, dir uͤberzeuglich weiſen.

M.
Bereite dich, und ſtirb. Giebſt du den Satz nicht zu:

Daß Hans weit beſſer tanzt, als Peter, und als du.


Br.VI.Th. P pAus-
[594]Ausgeſetzte Beſſerung.

Ausgeſetzte Beſſerung.


Wie Ehr-und Reichthum-fuͤchtige ſich bis an ihren
Tod beſtreben,

Und immer ſich beſchaͤfftigen, um dann, den Reſt von ihrem
Leben,

Des Fleiſſes Fruͤchte zu genieſſen, und, nach getragner Laſt,
zu ruhn:

So ſieht man, daß auch dieß nicht minder von den Gelehrten
viele thun.

Sie ſind bis an den Tod bemuͤht, bald dieß, bald jenes zu
begreifen,

Und, im beſtaͤndgen Unterſuchen, ihr Wiſſen immer anzuhaͤufen,

Um denn von ihrer Theorie den Ueberreſt von ihrem
Leben,

Zu ihrer eignen Beſſerung, der Praxi ſich zu uͤbergeben.


Ge-
[595]Verſteigen des menſchlichen Geiſtes.

Gefaͤhrliches Verſteigen
des menſchlichen Geiſtes.


Faſt alle Philoſophen haben

Jhr wahres Wohl, in Beſſerung des Geiſts und des Ver-
ſtandes Gaben

Und die, in gruͤbelnder Erkenntniß, von Dingen, die ſo ſicht-
bar ſeyn,

Und in abſtracten Meynungen derſelbigen, geſucht; auch
immer

Sich vollenkommener gehalten, jemehr ſie, mit ſubtilem
Schein,

Davon ſich hoͤren laſſen koͤnnen. Daruͤber haben ſie faſt
nimmer,

Auf ihres Herzens Beſſerung zu denken, Zeit gehabt. Sie iſt

Von ihnen angeſehen worden, als eine Sache, die allein

Der ungelehrten Sorge waͤre. Da doch, wenn man dieß recht
ermißt,

Die Folge des unſelgen Hochmuths ſie minder nicht, als
Lucifer

Der Hochmuth dort geſtuͤrzet, ſtuͤrzt. Sie ſind nicht nur
allein fuͤr ſich,

Durch die Verſaͤumung ihrer Pflichten, die ſie, der Naͤchſte,
Gott der Herr,

Mit recht verlangen, ungluͤckſelig. Sie ziehen auch gemei-
niglich,

Durch ihr Exempel, andre mehr von ihren Pflichten ab. Und
zwar,
P p 2Ohn
[596]Verſteigen des menſchlichen Geiſtes.
Ohn Hoffnung einer Beſſerung. Wann will ein Meta-
phyſicus,

Nachdem er ſich ins tiefe Meer, ohn Ufer, ſonder Grund und
Schluß

Der ſchwebenden Subtilitaͤten, hineingewaget, ruͤckwerts
kehren,

Und den ſo lang-und fernen Weg, den er mit ſo viel Muͤh
geſchwommen,

Von neuen wieder ruͤckwerts ſchwimmen, um wieder zu ſich
ſelbſt zu kommen?

Wie oder wie wird man doch koͤnnen, von einem ſolchen
Geiſt begehren,

Der ſich, mit ſolcher großen Muͤhe, ſo viele Jahre, Tag und
Nacht,

Zu einer Hoͤh empor geſchwungen, und ſich auf einen Berg
gebracht,

Daß er ſich wieder abwerts ſenken, und bloß mit ſeiner Beſ-
ſerung,

Sich was zu ſchaffen machen ſolle? Dieß ſcheinet ihm nicht
groß genung.

Der Fehler unſrer erſten Eltern, die ihrem Schoͤpfer
gleichen wollten,

Muß ſolchen ſteigenden Gelehrten nicht ſuͤndlich und nicht
ſtraͤflich ſcheinen,

Jndem ſie fuͤr erlaubet halten, und ſich dazu befugt vermeynen,

Zu unterſuchen, wie der Schoͤpfer regier; und dieſes nicht allein,

Sie wollten dergeſtalt ihn kennen, daß er, nur ſo, und anders
nicht,

Hab ſchaffen und regieren koͤnnen, auch daß er alles, was
geſchicht,
Wie
[597]Verſteigen des menſchlichen Geiſtes.
Wie ſie es finden, wirken muͤße. Es ſcheint nicht glaublich
faſt zu ſeyn,

Daß dieſes Gott gefallen koͤnne, daß er dadurch gedienet werde.

Wohl aber ſcheint allein die Demuth, in froͤlicher Bewun-
derung

Der wunderbaren Creaturen, im Meer, im Himmel, auf der
Erden,

Derſelben Lenkung, und Erhaltung, nebſt einem eifrigen
Beſtreben,

Durch eine, bloß zu unſerm Beſten, uns vorgeſchriebne
Maͤßigung

Der Leidenſchaften, und dem Naͤchſten das, welches ihm ge-
buͤhrt, zu geben,

Der allerbeſte Gottesdienſt, und Gott das angenehmſte Leben.

Es ſcheint, ihm werd ein ſolch Betragen, ein ihm zur Ehr
bewundernd Lallen,

Dem Vater deß, was Kinder heißt, unwiderſprechlich mehr
gefallen,

Als wenn wir, nach der Rieſen Art, ſtets Berg auf Berge
zu erheben,

Um auf dieſelbigen zu ſteigen, und uns nur zu erhoͤhn, beſtreben.


P p 3Die
[598]Die neue Art der Schluͤſſe.

Die neue Art durch Connexiones
der Schluͤſſe zu uͤberfuͤhren, eben ſo
wohl widerſprechlich.


Ein Aneinanderhang der Schluͤſſe, wovon wir ſo viel
Wunder-Sachen,

Und ein unwiderſprechlich Mittel, die Wahrheit zu erfinden,
machen,

Jſt lange nicht ſo unbetrieglich, als wie es etwan anfangs
ſcheint,

Und wie man nach der neuen Art, die jetzo Mode worden, meynt.

Ein Beyſpiel wird es deutlich zeigen. Zween Menſchen ſol-
len ſich bequemen,

Daſſelbige Principium zu ihrem Grundſatz anzunehmen;

Sie ſollen beyde buͤndig ſchlieſſen; ſie ſollen beyde ſich bemuͤhn,

Und eine lange feſte Kette, von Schluͤſſen, die vernuͤnftig, ziehn.

Allein es darf der eine nur, von ſeinem Centro, Weſtwerts gehn,

Der andere, mit ſeiner Kette, aus ſeinem Punkt ſich Oſtwerts
drehn:

So wird man beyde feſte Ketten, die doch aus einem Punkt
entſtehn,

Und gnugſam an einander hangen, bald weit genug entfernet
ſehn.

Jndem nicht nur aus der Matheſi, nein, auch aus der Natur
ſo gar,

Es ganz unwiderſprechlich wahr:

Daß eines Centri Radii, nach ganz untrieglich wahren Schluͤſſen,

Wie gleich ſie im Zuſammenhang, nothwendig divergiren muͤſſen.


Schran-
[599]Schranken unſrer Vernunf.

Schranken unſrer Vernunft.
Nach Anleitung Mr. Reaumur.


Nachdem wir nun der Thiere Weſen, Betrieb und Hand-
lungen geſehn:

So faͤllt mit Recht die Frage vor: Ob wir denſelben, Geiſt,
Verſtand,

Vernunft und Urtheil, Witz, Gedaͤchtniß und Ueberlegung zu
geſtehn?

Nun iſt das, was, von dieſem Punkt, Carteſius gelehrt,
bekannt;

Auch das, was man dagegen ſchreibt. Allein es koͤmmt bloß
hierauf an,

(Da ich von beyden Meynungen, mit Grund der Wahrheit,
ſagen kann:

Daß alle beyde moͤglich ſeyn) diejenige, ſo wahr, zu finden.

Da ſie ſich beyderſeits auf Schluͤſſe, die von beſondrer Staͤr-
ke, gruͤnden.

Wenn jemand dieſe Meynung hegte: Der Schoͤpfer haͤtte
machen koͤnnen

Machinen, welche faͤhig waͤren,

Zu wachſen, alles das zu thun, was Thiere thun, auch ſich
zu mehren;

Wer wollte ſich wohl unterſtehn,

Zu ſagen, daß des Schoͤpfers Kraͤfte, der alles kann, ſo weit-
nicht gehn?

Wenn aber auch ein andrer ſagte: Der Schoͤpfer haͤtt un
ſtreitig koͤnnen,
P p 4Nicht
[600]Schranken unſrer Vernunft.
Nicht nur in Thier, auch in Jnſecten, ſo viel Verſtand und
Weisheit ſenken,

Als wir, ja kluͤgre Geiſter, haben, ohn eben uns die Kraft zu
goͤnnen,

Zu faſſen, daß er es gethan, und daß es wirklich ſo, zu denken.

Ja wenn auch eben dieſer andre, aus eben dieſem Grunde,
ſchloͤſſe:

Es waͤre muͤglich, daß ein’ Auſter (ſo ſchlecht und elend ſie uns
ſcheint,

Da ſie am rauhen Felſen klebt, und gleichſam ſich mit ihm
vereint)

Jn dieſem ſo armſelgen Stande, doch einer Lebensart genoͤſſe,

Voll Anmuth, und Vergnuͤglichkeit, indem ſie von Verhind-
rung leer,

Mit ſtets erhabenen Gedanken, ohn Unterlaß beſchaͤfftigt waͤr:

So wird man ja nicht leugnen koͤnnen, daß Gottes Allmacht
nicht ſo weit,

Ja noch viel weiter gehen koͤnnen. Ob wir, ſie gleich ſo zu
befinden,

Aus Stolz, vielleicht nicht einſt verlangen. Nach ſeiner Macht,
Unendlichkeit,

Kann Gott vernuͤnftge Weſen ſchaffen, und ſie, womit er will,
verbinden.


Un-
[601]Anwendung der Vernunft.

Unrichtige
Anwendung der Vernunft.


Aus allen Dingen ſcheinet deutlich, es wolle Gott von uns,
auf Erden,

Jn ſeinem Weſen ja ſo wenig, als ſeinem Werk, begriffen werden,

Und daß wir ſolch ein Maß von Geiſt, und nur ſo viel Ver-
ſtandes-Gaben,

Als wie, zum Glauben und Bewundern, uns noͤthig iſt,
empfangen haben.

Ja, daß vermuthlich das Begreifen und das Erkennen,
nach der Zeit,

Jn einem andern Zuſtand uns, und in der ſelgen Ewigkeit,

Vermuthlich vorbehalten ſeyn. Weil wir nun aber hier allein,

Statt unſrer Pflicht, mit bloſſem Gruͤbeln, am heftigſten be-
ſchaͤfftigt ſeyn:

So iſt der wahre Grund ja klar: Woher, mit ſtetem Diſpu-
tiren,

Durch bloſſen Stolz dazu verfuͤhrt, wir Zeit, und uns und
Gott verlieren.

Da wir, wenn wir von unſern Pflichten uns nicht ſo ungluͤck-
ſelig trennten;

Wir unſre Zeit hier wohl verbringen, uns freuen und Gott
danken koͤnnten.


P p 5Nach-
[602]Nachtheiliges Unterſtehen

Nachtheiliges Unterſtehen, goͤtt-
liches Weſen zu begreifen, ſamt der nuͤtz-
lichen Pflicht, ſolches in ſeinen Wer-
ken zu bewundern.


Durch unſre vorigen Jdee, vom alten Mann, von einer
Erde,

Scheint, daß kaum Gott ſo ſehr verkleinert, als wie der Menſch
vergroͤſſert werde.

Was Wunder denn, daß ſtolze Geiſter, mit allen Kraͤften, ſich
beſtreben,

Von ihrer ſelbſt erhabnen Hoͤh, durchaus ſich nicht herab zu
geben,

Und daß ſie lieber einen Menſch-Gott fuͤr ein unendlich All
erkennen,

Als ein unendlich wirklich All, das wir allein verehren ſollen,

Mit ihrer Selbſtverkleinerung, ſo daß ſie ſich kaum finden
koͤnnen,

Wie Himmel, Welt, Natur und alles ſie doch belehrt, verehren
wollen.

Sie ſpreizen ſich, die wuͤrdge Meynung, daß goͤttliche Un-
endlichkeit,

Die ſich in ſeiner Creaturen Unzaͤhlbarkeit, Vollkommenheit,

Jn ungezaͤhlten Millionen von Sonnen und von Welten, zeiget,

Und die ihr vorigs groſſes Nichts auf ſolche Weiſe uͤberſteiget,

Daß kein Vergleichen uͤbrig bleibt, durch Stolz verfuͤhret, an-
zunehmen,

Und wollen, (welches doch vermuthlich zu unſers Schoͤpfers
Preis und Ehr
Am
[603]goͤttliches Weſen zu begreifen.
Am meiſten noch gereichen wuͤrd, und ein gefaͤlligs Opfer waͤr,)

Sich ſelbſt der Gottheit aufzuopfern, in wahrer Demuth, nicht
bequemen.

Jn einem Abſtand ſonder Ende, in einem ewgen Unterſcheid

Von unſerm zu der Gottheit Weſen, ſcheint einem Weſen, das
ſo klein,

Als wir, mit allen unſern Kraͤften des Koͤrpers und des Gei-
ſtes, ſeyn,

Unſtreitig beſſer anzuſtehen, die goͤttliche Vollkommenheit,

Durch ehrerbietige Bewundrung, nach aller Moͤglichkeit, zu
ehren,

Jn einer fuͤhlbaren Betrachtung der Creaturen Herrlichkeit;

Als, unſrer Kleinheit unerachtet, durch ein recht laͤcherlichs
Begehren,

Die Gottheit zu begreifen ſuchen. Doch wenn ich alles uͤberlege,

Und unſer wirkliches Verhalten, beym goͤttlichen Begriff, er-
wege:

So find ich, daß die meiſten Menſchen mehr goͤttliche Begrei-
fer ſcheinen,

Als in der That es werden wollen. Wenn andre nur von
ihnen meynen,

(Betrogen durch ihr vieles Schwatzen,) daß ſie noch mehr, als
andre, faſſen,

Von der verborgnen Gottheit Weſen; wird mancher ſich ge-
nuͤgen laſſen.

Hievon kann jeder bey ſich ſelbſt die deutlich klare Probe
nehmen;

Er frage ſich, wenn er allein, nur ſelber, ob er wirklich findet,

Daß er, wie er doch ſchreibt und lehret, die Wahrheit, die er
lehrt, ergruͤndet:

So wird er, wenn er redlich iſt, gewiß ſich vor ſich ſelber ſchaͤmen.

Ob
[604]Nachtheiliges Unterſtehen
Ob dieſer letztere Begriff der Thorheit unſre Thorheit
mindert,

Wie, oder ſie annoch vermehrt; laß ich dahin geſtellet ſeyn.

Doch deucht mich, daß die letzte Stolz und Heucheley verbindt.
Allein

Mich deucht, ich hoͤr hier die Gelehrten, zumalen W*** ſprechen:

„Soll ich denn mein Talent, den Geiſt, den ich als eine ſeltne
Gabe,

„Vor ſo viel tauſend andern aus, vom Schoͤpfer ſelbſt em-
pfangen habe,

„Vergraben und zu nichts gebrauchen? Mich deucht, es waͤr
dieß ein Verbrechen.

„Wie kann, zum Vorwurf unſers Geiſts, ein edlerer gefun-
den werden,

„Als Gottes Weſen nach zu ſpuͤren? Und im Erkenntniß zuzu-
nehmen,

„Des uͤberall vorhandnen Weſens, des Schoͤpfers Himmels
und der Erden?

„Um durch Erkenntniß deſſen Weſens, der uns nach ſeinem
Bilde machte,

„Der ſelbſt den Athem in uns bließ, der ſelbſt in uns das We-
ſen brachte,

„Jm Faſſen aͤhnlicher zu werden. Es kommet deine Mey-
nung mir

„Vielmehr, als eine niedertraͤchtig und aberglaͤubſche De-
muth, fuͤr,

„Die lieber immer kriechen will, die lieber an der Erde kleben,

„Als durch ein abgezognes Denken ſich immer hoͤher noch er
heben,

„Jm weiten Raum der Geiſtigkeiten, auf immer regen Fluͤ-
geln, ſchweben,
Und
[605]goͤttliches Weſen zu begreifen.
„Und immer weiter kommen will. Es mag ſo, wie es will,
dir ſcheinen;

„Wir ſuchen darum Gott zu faſſen, um uns mit ihm recht zu
vereinen.

Der Vorwand ſcheint ſo unrecht nicht. Laß uns denn, eb
wir weiter gehn,

Deſſelben Grund, ohn Eigenſinn, und ohne Vorurtheil, beſehn.

Mir koͤmmt es wenigſtens ſo vor: Wer ſo mit ſeinem Geiſt
verfaͤhrt,

Daß er, was unbegreiflich iſt, ſich doch bemuͤhet zu begreifen,

Der ſcheint weit minder Gottes Ehr, als ſeinen eignen Ruhm,
zu haͤufen;

Er ſcheint, ob hielt ſein ſcharfer Geiſt ſich der Allwiſſenheit
ſelbſt werth.

Zu welcher Abſicht thuſt du dieſes? Du ſtutzeſt, denn du haſt
vielleicht

Hierauf noch ſelbſt nicht einſt gedacht. Jch will dirs ſagen:
Dich allein

Suchſt du hiedurch nur groß zu machen, dein Geiſt verlanget,
hoch zu ſeyn.

Es hemmt die feurige Begierde, dich zu erhoͤhn, daß, wie mich
deucht,

Du an die Gottheit zu gedenken, nicht Zeit gehabt. Du biſt mit dir

So ſehr beſchaͤfftiget, zu ſcheinen,

Als ob du Gottes Weſen kennteſt, daß du, wo ich nicht irre,
leicht

Die Wahrheit ſelber gerne ſchenkteſt, wofern es nur die Men-
ſchen meynen.

Die Seelen aber, welche Gott zur Abſicht ihrer Ehre haben,

Vergraben darum ihr Talent, und die von ihm empfangnen
Gaben
Nicht,
[606]Nachtheiliges Unterſtehen ꝛc.
Nicht, wie man etwan meynen moͤchte. O nein, ſie brauchen
ihre Kraͤfte

So wohl, als jene. Sie betrachten, bewundern, loben Gott,
empfinden,

Daß Gott ſo liebreich, als er groß; ſie unterſuchen, ſie befinden,

Daß alle ſeine Wunderwerke ſo, wie er ſelbſt, nicht zu ergruͤnden.

Und Gott in ihnen zu erheben, iſt ihr betraͤchtlichſtes Geſchaͤffte.

Hiezu nun hat ſie nichts gebracht, als weil ſie gaͤnzlich
uͤberfuͤhrt,

Die Gottheit ſey von unermaͤßlich-unendlicher Verſchiedenheit

Von allen ſeinen Creaturen, ſo daß es groͤßre Moͤglichkeit,

Das große Weltmeer auszutrinken, und es in einen Koͤrper laſſen,

Als unſers Gottes wahres Weſen mit ihres Geiſtes Kraft zu faſſen.

Wenn aber ſie jedennoch dieß, mit uͤberzeugter Seelen, merken,

Daß Gott, als Schoͤpfer aller Dinge, in ſeinen wunderbaren
Werken,

Jn welchen er ſein Weſen zeigt, Anbethung und Verehrung werth,

Auch die Natur uns ſelber zeiget, daß man ihn durch Bewun-
dern ehrt:

So halten ſie fuͤr ihre Pflicht, ſich unaufhoͤrlich zu beſtreben,

Auf Gottes Weisheit, Lieb und Allmacht, in ſeinen Werken,
Acht zu geben,

Jedoch zu keinem andern Endzweck, als ſeine Weisheit zu er-
heben,

Fuͤr ſeine Wohlthat ihm zu danken, und ſeiner Guͤte ſich zu
freuen,

Sein’ Allmacht innig zu bewundern, aus Scham fuͤr ihn, die
Laſter ſcheuen.

Und kurz: Jm denkenden Genuß des Guten, Gott zur Ehr allein,

Auf dieſer Welt, in ihm vergnuͤgt, erkenntlich, froh und fromm
zu ſeyn.

Ver-
[607]Verſuch einer gewiſſen Lehre.

Verſuch,
ob, auſſer der Lehre von den Contin-

genzen, ein Atheiſt nicht koͤnne mit unumſtoͤßli-
chen Gruͤnden convinciret werden.


Der allergroͤbſte Atheiſt muß dieß unleugbar zugeſtehn,

Daß wir in allen irdſchen Dingen, die auf der ganzen
Welt geſchehn,
Natur und Kunſt nicht leugnen koͤnnen. Denn alle Dinge,
die wir ſehn,

Sind kuͤnſtlich oder ſind natuͤrlich. Nun laßt uns erſt die
Kunſt betrachten,

Als welche wir am beſten kennen. Wenn wir, was kuͤnſtlich
iſt, beachten:

So finden wir, es ſey nichts anders, als, was, durch menſch-
lichen Verſtand,

Zu einer ordentlichen Abſicht, vermittelſt ſeiner
regen Hand,

Gewirkt iſt und hervorgebracht, zum Beyſpiel, eine
Schilderey,

Ein kuͤnſt- und zierliches Gebaͤude. Das erſters nicht von
ungefehr,

Durch den Zuſammenlauf der Farben, gewirket und entſtan-
den ſey,

Und letzters durch des feſten Kalks und Stein ihr ungefeh-
rigs Fuͤgen,

Da ſie, in ſolcher klugen Ordnung, und rechten Maß, zuſam-
men liegen,
Nicht
[608]Verſuch, einer gewiſſen Lehre.
Nicht von ſich ſelbſt ſich aufgethuͤrmt; wird er nicht leugnen;
auch geſtehn,

Daß der, durch den wir Bau- und Malwerk gemacht und
aufgefuͤhret ſehn,

Sey eh, als wie ſein Werk, geweſen. Nun kann er ferner nicht
verneinen,

Daß, in den Werken der Natur, nicht ungezaͤhlte Dinge ſeyn,

Jn welchen Ordnung, Maß und Richtſchnur, ſich auf dieſelbe
Art vereinen,

Als in der allergroͤßten Kunſt. Es zeigt es ja der Augenſchein,

Daß, zum Exempel, eine Blume, des Koͤrpers Bau von ei-
nem Thier,

Von Farben, Bildungen, Verhaͤltniß, Zuſammenhang und
Maß und Zier,

Noch eine groͤßre Symmetrie, als ein Gemaͤld und Bau-
werk hegen.

Wie kann ein Geiſt, wofern er billig, bey dieſer Wahrheit
ſich entlegen,

Zu glauben, da das wenigſte, nicht ohn Vernunft geſchehen
kann;

Daß es das allerbeſte koͤnne. Wo jemal die Analogie

Gewiſſe Schluͤſſe machen lehrt, wie man geſteht, ſo zeiget ſie,

Von einem Schluß, der uͤberzeuglich, die Wahrheit uͤberzeug-
lich an:

Daß nemlich auch in der Natur und den von ihr gewirkten
Werken,

Unwiderſprechlich ein Verſtand, der Ordnung kennet, zu
bemerken,

Auch daß ein ſolches wirkend Weſen, das Ordnung kennet,
zweifels frey,

Nothwendig eh, als wie das Werk, das es gewirkt, geweſen ſey.

Ja
[609]Verſuch einer gewiſſen Lehre.
Ja, wollte gar ein Atheiſt noch einen Zweifel hier for-
miren,

Und ſagen: Dieſes waͤr ein Sprung; es waͤr ein großer Un-
terſcheid

Noch zwiſchen der Natur und Kunſt: Kann man mit großer
Deutlichkeit

Jhn, auch in dieſem ſeinen Einwurf, von ſeinem Jrrthum uͤber-
fuͤhren.

Es iſt erweislich, daß allhier kein wahrer Unterſcheid vor-
handen,

Und daß derſelbe bloß allein, durch Menſchen Meynungen,
entſtanden,

Jndem, wenn wir, mit ernſter Einſicht, Natur und Kunſt ge-
nau ergruͤnden,

Wir in der allergroͤßten Kunſt, nichts anders, als Natur,
befinden.

Es zeigt ſich, und zwar uͤberzeuglich, daß, bloß durch unſern
Stolz allein,

Die Werke der Natur von unſern, mit Unrecht, abge-
ſondert ſeyn.

Da, wenn wir, bey dem Licht der Wahrheit, die Sache recht
beleuchten wollten,

Wir, an ſich ſelbſt Natur und Kunſt, nicht anders unter-
ſcheiden ſollten,

Als, daß die Werke der Natur, ohn uns und bloß von ihr
allein,

Unmittelbar, die kuͤnſtlichen, von ihr, durch uns, gewirket ſeyn.

Mit welchem Recht, kann doch der Menſch ſich eigenmaͤch-
tig unterſtehen,

Von der Natur ſich auszuſchlieſſen, als ſolch ein Ganz ſich an-
zu ſehen,
Br.VI.Th. Q qDas,
[610]Verſuch einer gewiſſen Lehre.
Das, mit dem Ausſchluß der Natur, allein zu wirken faͤhig ſey,

Da wir, zu mehrer Ueberzeugung, von unſerm Unfug, vie-
lerley,

Der Wirkungen von der Natur, in denen unvernuͤnftgen
Thieren,

Die unſern ziemlich nahe kommen, von uns Jnſtinct genannt,
verſpuͤren.

Scheint es vernuͤnftig, redlich, billig, zwo Wageſchalen’ zu
erdenken;

Jn eine die formirende Natur und ihre Kraͤfte zu verſchrenken,

Und in die andre unſre Kuͤnſte, zu einem Gegenſatz, zu legen,

Und in ſo ungereimter Lage, doch mit einander uns zu waͤgen?

Vom eigentlichen Stand des Geiſtes faͤllt mir annoch ein
Zweifel ein.

Du ſprichſt: Man mag ſich allen Stoff, auch noch ſo ſehr
ſubtil und klein,

Zertheilt, verringert nnd verduͤnnt, vor Augen ſtellen, wuͤr-
de man

Doch nimmermehr daraus ein Weſen, das ſinnen und geden-
ken kann,

Mit Billigkeit erzwingen koͤnnen; ſo ſag ich, daß dem alſo ſey,

Und ſtimme dieſem deinen Grunde, ſo wie du ihm gegeben, bey,

Als welcher mich von dieſer Wahrheit recht uͤberzeuglich uͤber-
fuͤhret.

Allein, ob die Verkleinerung des Stoffs gleich keinen Geiſt
formiret,

Und nicht Gedanken zeugen kann: So fehlt annoch der Un-
terricht,

Ob durch die Miſchungen der Theile, von unterſchiednem Stof-
fe, nicht
Beſon-
[611]Verſuch einer gewiſſen Lehre.
Beſondre Wirkungen entſtehn, die jedem Stoff vor ſich nicht
eigen,

Wie ſolches nemlich Buͤchſen-Pulver, das Saur und Alcali
uns zeigen.

Man mache Saur und Alcali fuͤr ſich alleine noch ſo klein,

Jmgleichen Gras, Salpeter, Schwefel, ſo wird aus ihnen
nimmermehr,

Und zwar ſo wenig das entſtehn, was ſie durch die Vermi-
ſchung ſeyn,

Als aus dem koͤrperlichen Kleinen ein Geiſt entſteht, nach
deiner Lehr.

Dieß aber ſcheinet nicht zu hindern, daß, durch Vermi-
ſchungen, nicht ſollten

Auch geiſtge Kraͤft entſtehen koͤnnen, wenn wir nur billig
ſchlieſſen wollten.

Man ſieht zu Milch, zu Fleiſch und Blut, das rohe Gras
und Kraut der Erden,

Nicht durch Verkleinerung der Theile, durch Miſchung an-
drer Saͤfte, werden.

Der Abſtand nun zum Fleiſch vom Gras, vom Fleiſch zu
thierſchen Geiſtigkeiten,

Scheint ja vermuthlich nicht viel kleiner, als die von den Be-
ſchaffenheiten

Der thierſchen Geiſtigkeit zum Geiſt.

Zudem hat dieſe Lehre nichts, das etwan koͤnnte Anſtoß
geben,

Des Schoͤpfers Weisheit, Macht und Liebe zu ſchmaͤlern;
ſie gereicht vielmehr,

Wenn man es redlich unterſuchet, deſſelben Lob und Ruhm
und Ehr,

Auf eine ganz beſondre Weiſe um deſto mehr noch zu erheben.

Q q 2Es
[612]Verſuch einer gewiſſen Lehre.
Es wird gewiß kein Widerſpruch, aus dieſem Satz, heraus-
gebracht,

Zu glauben, daß es Gott gefallen, wie er aus nichts die Koͤr-
per macht,

Die Koͤrper immer zu verbeſſern; und, weil der Koͤrper Gren-
zen nicht

Unendlich ſich verbeſſern laſſen, Er ſelbige ſo zugericht,

Und ihnen dieſes große Gut, nach ſeiner Guͤte, wollen goͤnnen,

Daß ſie, auf unbekannte Weiſe, verklaͤret, geiſtig werden koͤnnen.

Vielmehr ſcheint dieſes uns von Gott, in mehren, ja in allen
Dingen,

Uns eine herrliche Jdee, von Lieb und Allmacht, beyzubringen.

Dereinſt, von ihm erſchaffnen Sachen, Vollkommenheiten zu
vergroͤßern,

Und alles ins unendliche, zu ſeinen Ehren, zu verbeſſern.

Du ſprichſt vielleicht: Dieß kann nicht ſeyn. Ein Wider-
ſpruch iſt offenbar,

Was leiblich iſt, beſteht aus Theilen, ein geiſtiges hingegen
nicht,

Als welches einfach. Aber hoͤr! iſt es unwiderſprechlich
wahr,

Daß Geiſter muͤſſen einfach ſeyn? Jch nehme deinen Un-
terricht,

Daß Koͤrper ſtets gefuͤget ſeyn, ſo wie du es verlangeſt, an.

Allein ich fuͤge nur hinzu: Aus Theilen, welche koͤr-
perlich.

Hieraus nun folget, daß man auch von Geiſtern fuͤglich ſa-
gen kann,

Daß ſie nicht weniger gefuͤget. Jedoch, mein Freund, verſte-
he mich,
Aus
[613]Verſuch einer gewiſſen Lehre.
Aus nichts, als Theilen, welche geiſtig, und daß der
Schoͤpfer nur allein,

Jn ſeiner Vollenkommenheit, ein einfach Weſen koͤnne ſeyn.

Sind dir vielleicht, aus Vorurtheil, die geiſtgen Theile laͤ-
cherlich:

So handle Philoſophen-maͤßig, und nicht ſo, daß man den-
ken muß,

Du daͤchteſt ſo, wie jener dachte. Er hielte ſich fuͤr unbe-
trieglich,

Und ſchloß beſtaͤndig: Dieſes Ding begreif ich nicht, es iſt
unmuͤglich.

Allein ein Kluger dacht und ſprach: Dieß iſt ein rechter
Narren-Schluß.


Q q 3Das
[614]Das liebreiche Geſetz.

Das liebreiche Geſetz.


Uns hat, zu unſerm Beſten, Gott, der unſern Zuſtand wohl
erkannt,

Jm alten Teſtament ein Mittel, uns recht zu lieben, zugefandt,

Das aber leider mehrentheils uns, wie ein Joch, erklaͤret wird,

Da man jedoch in der Erklaͤrung ganz augenſcheinlich ſich
geirrt.

Man ſpricht vom donnernden Geſetz, als wenn uns ſelbiges
zur Laſt,

Zur Plag, und einzig zum Beweis, von Gottes Strenge, nur
verfaßt,

Zum Schrecken nur gegeben waͤre, da doch, wenn wir es uͤber-
legen,

Und des Geſetzes wahren Endzweck, aus ſeiner Abſicht, wohl er-
wegen

Wir, wie des Schoͤpfers Lieb und Huld, mit unſrer Liebe, ſich
verbinden,

Jn der gebothnen Naͤchſtenliebe, in jeglichem Gebothe finden.

Die andre Tafel des Geſetzes zeigt nichts, als wie die wil-
den Triebe

Der uns nur ſelbſt verderblich-ſchaͤdlich- und recht fatalen
Eigenliebe,

(Wann ſelbe nemlich ausgeſchweift,) durch unſre Naͤchſtenlieb
allein,

Zu einem allgemeinen Nutzen, zu mildern und zu zaͤhmen ſeyn.

Man nehm ein jegliches Geboth, und ſeh, ob das, was es
verbietet,

Nicht bloß auf unſre Ruhe zielt, uns nicht beſchuͤtzet und be-
huͤtet.

Daß
[615]Das liebreiche Geſetz.
Daß wir, als Eltern, gluͤcklich leben, nicht umge-
bracht, und in der Eh,
Vergnuͤgt, ohn Schande, leben ſollen, daß ferner
alles unſrige,

Jn Sicherheit erhalten werde, auch unſer Leu-
muth, unſer’ Ehre,

Haus, Acker, Vieh uns nicht geraubet, geſchmaͤ-
lert noch gekraͤnket waͤre,

Dieß ſind der Jnhalt und die Abſicht von dem, was Moſes
uns befiehlt,

Und hierin ſieht man offenbar, vielmehr ein’ unlaͤugbare Spur,

Von Gottes Lieb und weiſer Vorſorg, (da im Geſetze der Natur,

Auf welches dieß Geſetz gegruͤndet, auf unſer Beſtes alles zielt,)

Als daß es uns, zur Plag und Strafe, gegeben ſey; daher ich
dann

Die zehn Gebothe nicht ſo ſchreckend, ja ſie nicht anders neh-
men kann,

Als daß ſie aus dem ewgen Meer der Lieb, uns Menſchen zum
Erſprieſſen,

Und nicht als einem fuͤrchterlich-bedrohnden Strom der
Strenge flieſſen.

Denn, ſcheinet gleich die Schreibart Moſis von drohender
Beſchaffenheit:

So iſt der Grund davon vermuthlich der Juden Herzenshaͤr-
tigkeit.

Wenn wir nun etwan Gottes Lieb, auch ſelber im Geſetz, er-
klaͤrten,

Und daß die wahre Eigenliebe in ſelbigem enthalten, lehrten;

Daß unſer Nutz und wahres Beſtes in unſers Naͤchſten Liebe
liege,

Daß, wer nur ſich vergnuͤgen will, ſich nimmer auf der Welt,
vergnuͤge,
Q q 4Daß
[616]Das liebreiche Geſetz.
Daß wenn wir, mit Gewalt und Liſt, uns uͤber andre zu erheben,

Vernuͤnftiger als ſie zu ſcheinen, mit allen Kraͤften, uns be-
ſtreben,

Wir anders nichts erhalten koͤnnen, als daß wir unſer ganzes
Leben

Uns ſelbſt verbittern; da wir doch zu einem andern Zweck
auf Erden,

Jm Naͤchſten, nemlich Gott und uns zu lieben, und begluͤckt zu
ſeyn,

(Denn der Natur und Gottes Ordnung iſt einzeln nicht; iſt
allgemein,)

Bey ſo viel uns geſchenkten Gaben gemeinſchaftlich gebohren
werden.

Wenn, ſag ich, dieß erwieſen wuͤrde; vielleicht, daß noch
von denen viele,

Die dieſes nicht begriffen haben, ſich zu dem vorgeſetzten Ziele,

Durch eignes Beſtes, leiten lieſſen. Die Wahrheit iſt zu of-
fenbar,

Daß es ihr eignes Wohl erfordre, und Gottes Will iſt gleich-
falls klar.

Was Chriſtus von der Naͤchſtenlieb, im Teſtament der neu-
en Zeit,

Mit ſo viel Lieb und Sanftmuth lehrt, hat das Geſetz vom
alten Bunde,

Und, in demſelben, unſer Beſtes, in heilſamer Geſelligkeit,

Durch Demuth, durch Vertraͤglichkeit und Friede, ebenfalls
zum Grunde.


Mor-
[617]Morgen-Geſang.

Morgen-Geſang.
im Ton:
Wer nun den lieben Gott laͤßt walten.


Mein Schoͤpfer, da die dunklen Schatten,

Die mich, in abgewichner Nacht,

Verhuͤllt und faſt begraben hatten,

Verſchwunden, und ich itzt die Pracht

Der Morgen-Sonne wieder ſeh:

Gieb, daß es dir zum Ruhm geſcheh!

Jch oͤffne meiner Augen Lieder,

Die durch den ſanften Schlaf geſtaͤrkt,

Allein durch deine Gnade, wieder.

Ein Geiſt, der dieſes recht bemerkt,

Ruft billig mit erfreutem Sinn:

Durch dich, Herr! bin ich, was ich bin.

Mein Leib lag fuͤhllos ausgeſtrecket,

Faſt einem wahren Todten gleich;

Der Geiſt ſchien vor ihm ſelbſt verſtecket;

Jhr Sinnen, wo verbargt ihr euch?

Wo war Geruch, Gehoͤr, Geſicht?

Jch war, und war auch gleichſam nicht.

Nun bin ich, was ich ſonſt geweſen,

Jch ſeh, erwachet, abermal,

Von Schwachheit durch den Schlaf geneſen,

Des Himmels Licht, der Sonnen Sral.

Da dieß, Herr! bloß durch dich, geſchehn,

Will ich auch dich davor erhoͤhn.

Q q 5Jch
[618]Morgen-Geſang.
Jch will das Licht mit Andacht ſchauen;

Jch will, ſo wie ich ſchuldig bin,

Dich lieben, fuͤrchten und vertrauen,

Mit dir allein ergebnem Sinn.

Allein! was will mein armes Jch,

O großer Schoͤpfer, ohne dich?

Soll ich, was dir gefaͤllig, denken:

So mußt du, Herr, aus Gnaden, mir

Das Wollen und Vollbringen ſchenken;

Darum ergeht mein Flehn zu dir,

Gieb, daß ich heute dieſen Tag,

Zu deinen Ehren, leben mag.

Laß mich, wie mich, den Naͤchſten lieben,

Den du ſo wohl, als mich, gemacht!

Gieb, daß, mit bruͤderlichen Trieben,

Jch dieß Natur-Geſetz betracht:
Was du nicht willt, daß dir geſchicht,

Das thu auch einem andern nicht.

Will ſich die Leidenſchaft empoͤren:

So laß ſie mich doch dieſen Tag,

Mit ihrer Reizung, nicht bethoͤren!

Gieb, daß ich ſie beſiegen mag,

Damit ſie mich ja nicht von dir,

Auf dir misfaͤllge Wege, fuͤhr!

Du lieſſeſt mich gebohren werden,

Wie, wann, und wo es dir gefiel.

So laß mich denn, auch hier auf Erden,

O Herr! ſeyn deiner Liebe Ziel!

Jch habe meine Zuverſicht

Auf dich allein. Verlaß mich nicht!

Laß
[619]Morgen-Geſang.
Laß deine Segensſonne ſcheinen,

Und, gieb, daß ichs mit Freuden ſpuͤr!

Ernaͤhre mich und auch die meinen!

Treib alle Schwermuth fern von mir!

Laß mich, von Schuld und Laſtern rein,

Jm Glauben dir gefaͤllig ſeyn!

Du biſt ja, Herr, ein Geiſt der Freuden;

Von Gram und Kummer haͤltſt du nicht.

Gelaſſen ſeyn, auch ſelbſt im Leiden,

Jſt unſre Schuldigkeit und Pflicht.

Vielmehr muß man in dir ſich freun,

Wann wir entfernt von Noth und Pein.

Wenn wir in allen deinen Werken,

Wovon ſo Erd als Himmel voll,

Dein’ Allmacht, Lieb und Weisheit merken:

So lobet man dich, wie man ſoll.

Ach gieb denn, daß, auf dieſer Welt,

Jch lebe, wie es dir gefaͤllt!

Wann ich denn, nach vollbrachtem Leben,

Dereinſt zur langen Ruhe geh:

So wirſt du mir aus Gnaden geben,

Daß ich in Chriſto auferſteh,

Und ſelig’, nach vollbrachter Zeit,

Dich lieb und lob in Ewigkeit.


Mor-
[620]Morgen-Lied.

Morgen-Lied.
im Ton:
Gott des Himmels und der Erden.


Nacht und Schatten ſind vergangen,

Mein ermuntert Auge ſieht,

Wie ſo ſchoͤn der Sonnen Prangen,

Voller Glanz, am Himmel gluͤht.

Herr! ich hab, in deiner Hut,

Dieſe Nacht ſo ſanft geruht.

Jn den dunklen Finſterniſſen,

Schien mein Bett mein Sarg zu ſeyn.

Witz und Licht war mir entriſſen;

Jch war gleichſam ſelbſt nicht mein,

Und, verſenkt im tiefen Traum,

Lebt ich zwar, doch lebt ich kaum.

Lief nun gleich, im Zirkel-Kreiſe,

Mein beſtaͤndig reges Blut,

Stockte doch, auf eigne Weiſe,

Meiner Nerven feuchte Gluht,

Und ihr Geiſter-reicher Saft

War ohn Wirkung, ſonder Kraft.

Jetzo ſcheint ein neues Leben,

Mit dem neuen Morgen-Licht,

Da ich wache, mir gegeben.

Es vergnuͤgt ſich, durchs Geſicht,

Leib und Geiſt itzt abermal,

An der Sonnen Lebens-Stral.

Herr!
[621]Morgen-Lied.
Herr! du haſt, zu deinem Preiſe,

Wunderbar die Welt gemacht,

Daß der Tag ſtets wechſels-weiſe

Folget auf die duͤſtre Nacht,

Daß was athmet, durch die Ruh,

Nehm an Kraͤften wieder zu.

Herr! ich fuͤhl erneute Kraͤfte,

Und ich kann, mit frohem Sinn,

Jetzt mein taͤgliches Geſchaͤffte,

Aemſig treiben, wie vorhin,

Laß mich davor dir allein,

O mein Schoͤpfer! dankbar ſeyn.

Laß mich heute deinen Willen,

Herr! ſo wohl in dein- und mein-

Als der Naͤchſten Lieb, erfuͤllen,

Laß mich dir gefaͤllig ſeyn!

Wenn ich deine Werke ſeh,

Gieb, daß dirs zum Ruhm geſcheh!

Laß mein Auge dich entdecken,

Jn der Creaturen Spur:

Laß mich deine Liebe ſchmecken,

Jn der Anmuth der Natur!

Gieb, daß heute, dir zur Ehr,

Jch empfinde, fuͤhl und hoͤr!

Bricht der Abend meiner Tage

Endlich denn bey mir herein;

Ach ſo laß ihn, ohne Klage,

Mir ein Friedens-Bothe ſeyn:

Laß mich willig ſchlafen gehn,

Und in Chriſto auferſtehn!


Kur-
[622]Kurze Abend-Andacht.

Kurze
Abend-Andacht.


Jch kann nunmehr noch einen Tag, zu den bereits erlebten,
fuͤgen.

Gottlob! er iſt von mir geſund, ja gar mit mancherley Ver-
gnuͤgen,

Es ſind im ſelbigen ſo viele Stunden,

So viel Minuten und Secunden,

Nicht nur von mir, auch von den Meinen (dir Herr ſey Lob
davor) verbracht.

Jetzt folgt, nach deiner weiſen Ordnung, zu unſrer Ruh, die
ſtille Nacht.

Ach laß mich, auch in ſelbiger, geſund, bequem und ruhig
ſchlafen!

Laß mich dich in der Fruͤhe preiſen: Daß deine Weisheit, Lieb
und Macht,

Den hellen Tag, zu reger Arbeit, die ſtille Nacht zur Ruh
geſchaffen!


Be-
[623]Betrachtung der unerkannten Wolthat, ꝛc.

Betrachtung
der unerkannten Wohlthat,
nebſt der darin erſichtlichen Weisheit,

Allmacht und Liebe Gottes, in dem Geſchenk
unſrer Hand, beym 1736 Jahrs-
Wechſel.


Oewige Quelle des Lebens, des Lichts,

Der Weisheit, der Ordnung, der Guͤt und Gerechtigkeit,

Der Wahrheit, der Tugend und aller Vollkommenheit,

Der Liebe, der Seligkeit, oder vielmehr ſelbſtaͤndiges Leben,
ſelbſtaͤndiges Licht,

Selbſtaͤndige Weisheit, und Gnad, und Gerechtigkeit,

Selbſtaͤndige Seligkeit, Allmacht und Liebe, ſelbſtaͤndige Tu-
gend und Ordnung, der nichts,

Als lauter Vortrefflichkeit, lauter Vollkommenheit!

Jch wuͤnſche, bey dieſer ſich wechſelnden Jahres-Zeit,
Nach aller vernuͤnftigen Sterblichen Pflicht,

Von deinen erſchaffenen Wundern zu ſingen,

Und, voller erkenntlichen, froͤlichen Dankbarkeit,

Dir Ehr und Bewundrung zum Opfer zu bringen.

Was ich, zu deiner Ehr, itzt zu bewundern denke,

Jſt dein den Sterblichen gegoͤnnetes Geſchenke,

So von ſo wunderbarem Werth,

Daß man erſchrecken muß, das fuͤr ſo große Gabe,

Der Menſch ſo wenig Achtung habe,

Und daß man dich davor nicht unaufhoͤrlich ehrt.
Dieß
[624]Betrachtung
Dieß iſt das Werkzeug nun, durch welches der Verſtand,

Die Creatur beherrſcht, den Bau der Erden ziert,

Die Thiere zaͤhmt und zwingt, die ganze Welt regiert,

Die, was unmoͤglich ſcheint, oft moͤglich macht, die Hand.

Du wahres Meiſterſtuͤck der wirkenden Natur,

Durch welches ſie ſich ſelbſt verſchoͤnert, beſſert, ſchmuͤcket,

Es wird, in deinem Bau, und Nutzbarkeit, die Spur,

Von einer goͤttlichen und weiſen Macht, erblicket,

Die Ordnung, die Geſtalt, der Nutz, die Pracht der Welt,

Die Wunder, welche ſie in ihrem Kreis enthaͤlt,

Ja alles waͤre faſt zernichtet,

Wo nicht dein Wunderbau, vom Schoͤpfer zugerichtet,

Uns und der Welt geſchenkt, fuͤr uns, und Gott zur Ehre,

So wunderbar formiret waͤre.

Jch hoffe, lieber Menſch, wenn du, mit ernſtem Denken,

Nebſt mir, auf dieſes Werk des Schoͤpfers dich wirſt lenken,

Und was, durch dieſes Glied, fuͤr Wunder hier geſchehn,

Mit mehrer Achtſamkeit betrachten wirſt, und ſehn,

(Da ja, ſo wie dieß Glied, nichts ohne den Verſtand,

Auch der Verſtand faſt nichts verrichtet, ſonder Hand,)

Du werdeſt froͤlich Gott, vor dieſe Gab, erhoͤhn,

Dich dankbar gegen ihn, aus froher Seel erweiſen,

Und ſeine Weisheit, Lieb und Macht, in Ehrfurcht,
preiſen.

Wer unſers Koͤrpers ſchoͤnen Bau, mit uͤberdenkendem
Gemuͤth,

Die regelrechte Symmetrie, der Glieder Maaß und Trefflich-
keiten,

Und ſeine Schoͤnheit, Anſtand, Vorzug, vor allen andern
Thieren, ſieht,
Be-
[625]der Wohlthaten in der Hand.
Befindet, daß ihm die Natur, inſonderheit an beyden Seiten,

Zwey Glieder zubereitet hat, die ſo Bewunderns-werth for-
miret,

So kuͤnſtlich zugerichtet ſind, das bloß die einzge Hand allein,

Durch ihre Bildung, Kunſt und Wirkung, es muͤß ein Gott und
Schoͤpfer ſeyn,

Trotz aller Atheiſten Schwaͤrmen, uns uͤberzeuglich uͤberfuͤhrt.

Wir wollen, ehe wir die Wunder, ſo durch die Kraft der
Hand, auf Erden,

Jn unbeſchreiblich großer Meng und Unterſcheid, gewirket
werden,

Mit Ernſt betrachten und beſehn; ſie ſelbſt, ihr Weſen, die
Geſtalt,

Und kuͤnſtlich Bildungs-Werk beſchauen. Da wir in ihr denn
alſobald,

Daß eine Helfte ganz, die andre, daß ſie ſich fuͤnffach theilet,
finden,

Wovon ein jedes Theil beſonders, an Laͤnge, Kraft und an
Figur,

Geordnet und formiret iſt, in welcher Aendrung wir die Spur,

Von einer wunderbaren Weisheit und eignen Abſicht, nicht er-
gruͤnden.

Wenn ſie von gleicher Laͤnge waͤren, wuͤrd unſre Hand nicht
nur allein

So zierlich nicht, ſie wuͤrde faſt zu allem ungeſchickter ſeyn.

Von jedem Finger zeiget ſich, daß er ein’ eigne Kraft und
Gabe,

Zu unterſchiedlicher Verrichtung vom Schoͤpfer uͤberkommen
habe.

Der Zeiger-Finger iſt, von allen, von ſonderbarer Fer-
tigkeit,
Br.VI.Th. R rZu
[626]Betrachtung
Zu allen Dingen faſt geſchickt, da auf dem kleinen ſich hin-
gegen

Die Hand in mancherley Verrichtung, zumal im Schreiben,
pflegt zu legen,

Ohn daß ſie (wie der Leib die Bein auch nicht beſchwert)
ihn etwa druͤckt.

Der Mittlere, da er der laͤngſte, iſt eben dadurch mehr ge-
ſchickt,

Mehr, als die andern, ſich zu ſtrecken, mehr anzuziehn, mehr
abzuwehren,

Da denn ſein Nachbar ihm zu Huͤlf, um ſeine Staͤrke zu
vermehren,

Sich immer fertig finden laͤßt. Allein zu einem jeden
Werke,

Bezeugt der Daum, (o neues Wunder!) ſelbſt durch die Kuͤrze,
ſeine Staͤrke.

Noch mehr, wenn andre Finger alle von oben unterwerts
ſich bengen:

So kann der Daum von unten aufwerts die allergroͤßte Staͤr-
ke zeugen.

Hiedurch begegnen ſie einander, und koͤnnen dadurch recht
als Zangen,

Erhaſchen, druͤcken, uͤberſpannen, und faſſen das, was wir
verlangen.

So kuͤnſtlich iſt, bey andern Fingern, und ihrer Kunſt, der
Daum formirt,

Daß er ſie gleichſam mit einander bewegt, beherrſchet, lenkt,
regiert,

Wodurch die mancherley Geſchaͤffte um ſo viel fertiger ge-
ſchehen,
Als
[627]der Wohlthaten in der Hand.
Als aller Wirkung insgemein nach einem Mittelpuncte gehen,

Es iſt der Daum daher allein, um kraͤftiger ſich auszudehnen,

Von ſtaͤrkern Knochen, ſtaͤrkern Adern, von feſtern Muskeln,
feſtern Sehnen,

Als wie die uͤbrigen, formirt. Daß nun die Finger bieg-
ſam ſeyn,

Jmgleichen, daß ſie nicht von Knochen, auch nicht von weichem
Fleiſch allein,

Sind drey beſondre Wunderwerke, die wuͤrdig, daß wir un-
ſer Denken

Auf jedes insbeſondere, dem großen Gott zum Preiſe, lenken.

Die Biegſamkeit iſt ſolch ein Wunder, zumal wenn wir die
Art beſehn,

Auf welche Weiſ und wie ſo kuͤnſtlich die vielen Biegungen
geſchehn,

Daß der weit aͤrger, als ein Vieh (wofern man nur darauf
gefuͤhrt,

Und durch Gewohnheit nicht geblendet) mit ſehnden Augen
nichts verſpuͤrt,

Die Menſchheit ganz verleugnen muͤßte; der nicht erſtaunet
muß geſtehn:

Es ſey, in unſrer Finger Bau, der Finger Gottes ſelbſt
zu ſehn.

Kommt, laßt uns ſie mit Fleiß betrachten! Es iſt, in unſerm
Ellenbogen,

Ein ſtarker Muskel feſt gemacht, der, an der Hand ſich vier-
fach theilt,

Und bis zum erſten Glied der Finger, geſpitzet und verduͤnnet
eilt.

Hiedurch nun werden, wenn wir wollen, die Glieder unter
ſich gezogen.
R r 2Da-
[628]Betrachtung
Damit nun aber durch die Sehnen, die wahren Stricken
aͤhnlich ſeyn,

Wenn ſie durch ihrer Muskeln Kraft gedehnet werden und ge-
ſpannt,

Wie ſonſt gewiß geſchehen muͤßt, als wahre Stricke in der
Hand,

Kein Hinderniß verurſacht werde: So flechten ſie ſich kuͤnſt-
lich ein,

Jn eines andern großen Muskels (der auch am Ellenbo-
bogen feſt,)

Auch vierfach eingetheilte Sehnen,

Wovon ſich jede wieder theilt, und jenen einen Durchgang
laͤßt.

Noch mehr man findet kleine Rollen, in einem jeden Glied
formiret,

Wodurch die erſte Sehne denn die fordern Glieder ſo re-
gieret,

Daß ſonder Hinderniß der Sehnen, die Hand, im Biegen
hohl verbleibt,

Und ſie, was ſie ſonſt nicht vermoͤchte, ergreift, beklemmet,
wirkt und treibt,

Was ſie ſich vorgeſetzt zu treiben. Nun moͤgen wir uns ſel-
ber fragen,

Ob alles dieß von ungefaͤhr von ſelbſt ſich alſo zugetragen;

Ob wir nicht einen weiſen Endzweck zu erſt in dieſem Werk
entdecken,

Daß die zween Muskeln, wodurch ſich die Finger biegen,
oder ſtrecken,

So weit von unſrer Hand entfernt, indem, da ſie ſich ſehr
verdicken,

(Wie wir, wenn wir mit unſrer Linken, den rechten Arm um-
ſpannend druͤcken,
Dann
[629]der Wohlthaten in der Hand.
Dann, wann ſie ſich zuſammen ſchließt, der Muskeln Schwellen
ſtark verſpuͤren,)

Wir, wie die Dehnung in der Hand, dieſelbige recht zu re-
gieren,

Noch was zu faſſen, tuͤchtig waͤren. Da nun die Muskeln
ſich entfernen,

Und nur von weiten in ſie wirken: So kann man uͤberzeuglich
lernen,

Daß alles, ſonder weiſe Vorſicht, nicht in den Stand geſe-
tzet ſey.

Den Muskeln tritt nun die Betrachtung der nett-getheil
ten Sehnen bey,

Die, recht als wie durch kleine Pforten, die erſten Sehnen
durch ſich laſſen,

Damit, durch ſie im Zaum gehalten, die Hand um deſto beſ-
ſer faſſen,

Und ihr Geſchaͤfft verrichten koͤnne. Zum dritten ſind die
kleinen Rollen,

Jn den Gelenken, daß die Sehnen ſich und die Haut nicht
dehnen ſollen,

Bewunderns-wuͤrdig zugefuͤget. Wie auch, daß, unten an der
Hand,

Die Sehnen, als durch einen Ring, und recht als durch ein
ſtarkes Band,

Sich ſtark und feſt zuſammen druͤcken, damit ſich die ſonſt
loſen Sehnen,

Die aus den fernen Muskeln ſtammen, nicht koͤnnen von ein-
ander dehnen.

Wenn unſre Finger nun nicht biegſam, und bloß aus Knochen
nur beſtuͤnden,
R r 3Wuͤrd
[630]Betrachtung
Wuͤrd uns die ganze Hand nicht nuͤtzen; wohl aber wuͤrden wir
befinden,

Daß, (weil dieſelbe nicht zu ſchlieſſen, zu nichts ſich zu beque-
men wuͤßten,)

Sie recht, als wie fuͤnf harte Stecken, uns uͤberall verhin-
den muͤßten.

Hingegen, wo ſie ſonder Knochen, nicht fleiſchicht waͤren,
wuͤrden ſie,

Ohn alle Staͤrk und Feſtigkeit, auch mit der allergroͤßten
Muͤh,

Doch auch zu nichts zu brauchen ſeyn. Was waͤr mit ihnen
anzufangen?

Sie wuͤrden Schlang- und Stricken gleich, an uns unbrauch-
bar abwerts hangen.

Wie iſt demnach das Wunderwerk des Schoͤpfers, in der
Hand, ſo groß?

Da fuͤnf und zwanzig Muskeln ſich ein jeder mannichfaltig
ſchlieſſen,

Und zu ſo vielerley Geſchaͤfften verlaͤngern und verkuͤrzen
muͤſſen,

So daß daher die Hand mit Recht ein Werk von einem wei-
ſen Geiſt,

Ein Wunder, ein Beweis der Allmacht unwiderſprechlich
iſt und heißt.

Um in derſelben nun den Nutzen, die Wirkung und den
Zweck zu ſehen,

Und was fuͤr Wunder, durch dieß Werkzeug, im ganzen Bau
der Welt, geſchehen:
So
[631]der Wohlthaten in der Hand.
So laßt uns einmal unſre Welt, wenn keine Menſchen Hand
ſich fuͤnde,

Mit Ernſt und Achtſamkeit beſehn, und merken, wie es um
ſie ſtuͤnde.

Ohn Hand wuͤrd alle Ordnung weg, es wuͤrd’ ein Jrr-
thum allgemein,

Ja Schmutz und Unrath allenthalben und uͤberall Verwir-
rung ſeyn;

Es wuͤrde zwar, durch Sonn und Thau und Regen, Samen
koͤnnen keimen,

Auch Gras und Kraut das Land bedecken, es wuͤrden auch
wohl Fruͤcht entſpringen:

Doch waͤrens meiſt verlohrne Schaͤtze. Was wuͤrd es doch
fuͤr Nutzen bringen?

Wer waͤre, ſonder Hand, geſchickt, es einzuerndten, aufzu-
raͤumen,

Zu pfluͤgen, Unkraut zu vertilgen? Noch weiter, unſre Erde
wuͤrde

Zwar, ſonder unſrer Haͤnde Zuthun, noch wohl verſchiedne
Thiere naͤhren:

Allein wem koͤnnten ſie doch nuͤtzen? Was koͤnnten ſie fuͤr
Dienſt gewaͤhren?

Es wuͤrden nie geſchohrne Schafe, gedruͤckt von ſchmutzger
Wolle Buͤrde,

Die Ueberlaſt kaum tragen koͤnnen. So wuͤrden gleichfalls
Kuͤh und Ziegen,

Von ihrer eignen Milch beſchwehrt, beſtaͤndig ungemolken
liegen.

Die Waͤlder zeugten uns zwar Holz, der Schooß der Erden
gnug Metallen,
R r 4Die
[632]Betrachtung
Die Berge Stein und Marmor gnug: Allein wer wuͤrde von
dem allen,

Wohl das geringſte brauchen koͤnnen, ohn Huͤlf und Zuthun
unſrer Hand?

Es wuͤrde ſelber, ſonder ſie, der ſie regierende Verſtand

Gar viel nicht zu regieren finden. Der Geiſt erdenket,
aber ſie

Verrichtet, was er ausgedacht. Er wuͤrde, ſonder ihre Muͤh,

Viel minder, als man denkt, verrichten. Welch ungezaͤhlter
Werke Menge

Erzeuget eine Menſchen-Hand! Sie macht, durch ihre Kuͤrz und
Laͤnge,

Sich gleichſam ſelbſt zu tauſend Haͤnden. Bald wirkt ſie ganz,
bald nur zum Theil;

Bald haͤlt ſie dieſen Finger ſtill, bewegt die uͤbrigen in Eil;

Auf mehr als Millionen Arten, iſt ſie geſchickt, ſich zu for-
miren,

Und mehr als Millionen Werke iſt ſie ſtets faͤhig, auszu-
fuͤhren.

Sie ſchwinget einen ſchweren Spieß; ſie biegt und kruͤmmt ein
duͤnnes Haar;

Sie graͤbt, ſie ſticket, ſchmiedet Anker, macht kleine Ketten,
die ſo gar

Den kleinſten Floh zu feſſeln taugen; ſie rudert, ziehet auf
dem Meer

Die Laſt von einem ſchweren Holz, nach ihrem Willen, hin und
her.

Sie ſchlaͤgt und ſpielt auch Laut- und Harfen, mit ſolcher
ſchnellen Fertigkeit,

Daß ſie dadurch oft minder nicht das Aug, als das Gehoͤr,
erfreut.

Jhr
[363[633]]der Wohlthaten in der Hand.
Jhr hindert nicht in kleinen Dingen, daß ſie ſo groß, in
großen nicht,

Daß ſie ſo klein; ſie kann ſich ſelbſt, nicht nur vergroͤßern,
ſondern ſie

Verkleint ſich auch, und ziehet gleichſam, in zween Finger, oh-
ne Muͤh,

Die ganze Kraft und Kunſt zuſammen. Jſt etwan einer ein
Gewicht

Zu ſchwer; hilft ihr die andre Hand. Man ſieht ſie gleich mit
Huͤlf erſcheinen,

So daß ſie gleichſam ſich verbinden; es wird aus beyden eine
Hand,

Und zwar die in der That ſo groß, als wie der Raum iſt aus
geſpannt,

Der zwiſchen beyden ſich befindet, indem in ihnen ſich ver-
einen,

Durch einen beyderſeitgen Wechſel, die beyden Kraͤft in eine
Kraft.

Man ſieht daher ſo an der Haͤnde, als an der Finger, Eigen-
ſchaft,

Da ſie getheilt, ein ſonder Wunder. Sie koͤnnten ſich un-
moͤglich trennen,

Wenn ſie vereint, indem ſie jetzt, da ſie zertheilt, ſich fuͤgen
koͤnnen.

Nun laßt uns, was, durch unſre Hand, fuͤr Wunder auf
der Welt geſchehn,

Dem Schoͤpfer, welcher ſie gemacht, und uns geſchenkt, zum
Ruhm, beſehn!

Wer hat ſo Tempel und Altaͤr’ errichtet, als der Menſchen
Hand?
R r 5Wer
[634]Betrachtung
Wer hat Geſetze vorgeſchrieben? Wer fuͤhrt das Schwerdt, um
ſie zu ſtuͤtzen?

Wer baute Staͤdte, Bruͤcken, Daͤmme, und feſte Mauren, uns
zu ſchuͤtzen?

Wer loͤſchte, ſonder ſie, mit Waſſer, den ungefehr entſtand-
nen Brand?

Wer koͤnnte ſonder Hand begieſſen; wer egen, pflanzen, pfluͤ-
gen, ſaͤen?

Wer koͤnnte ſchneiden, binden, laden, wer droͤſchen, duͤngen
graben, maͤhen?

Wer Haͤuſer, Schiff und Thuͤrme bauen, Metallen graben,
ſchmelzen, ſchneiden?

Wer wuͤrde naͤhen, backen, brauen? Wer koͤnnt uns waͤr-
men, decken, kleiden,

Zur Noth und zur Bequemlichkeit? Wer koͤnnte fiſchen, Vo-
gelſtellen?

Wer koͤnnte ſchmieden, mauren, zimmern? Wer Steine
brechen, Baͤume faͤllen?

Wer in der Jugend uns erziehn? wer Koſt und Nahrung uns
erwerben?

Wer uns verſorgen, wenn wir leben? wer uns begraben, wenn
wir ſterben?

Wer uns, auch nach dem Tod, erhalten, als unſre Hand, in klu-
gen Schriften,

Wodurch wir uns, auf ſpaͤte Zeiten, ein ruͤhmliches Gedaͤcht-
niß ſtiften?

Wer kann Gedanken ſichtbar machen, als unſre Hand, die aus
der Luft,

Verſchwundne und vergangne Woͤrter, als aus dem Gra-
be, wieder ruft,

Und ihnen Daur und Leben ſchenkt? Sie ſtellet unſrer Freun-
de Schaar,
Wenn
[635]der Wohlthaten in der Hand.
Wenn ſie auch noch ſo weit entfernt, uns recht als gegenwar-
tig, dar.

Ja, wenn auch gleich beruͤhmte Leute gar aus der Welt gehn
und erkalten:

So kann ſie ſie doch gleichſam lebend, auf viele Jahre noch
erhalten,

Durch eine wohlgebrauchte Hand. Lebt Plato, lebt De-
moſthenes.

Lebt Caͤſar, Cicero, Virgil, Homerus, Ariſto-
teles,

Nicht noch? Sie ſind, ob gleich geſtorben, doch noch unſterb-
lich durch die Hand.

Sie informiren noch; ihr Geiſt wird noch mit großem Nutz
erkannt,

Gefolget, nachgeahmt, bewundert. Wir wuͤrden, ſonder Hand,
den Thieren

Und keinen Menſchen aͤhnlich ſeyn. Wir wuͤrden ohne ſie
verlieren,

Kunſt, Ordnung, Zierde, Wiſſenſchaft. Was einer auf der
Welt allein,

An Weisheit und an Kunſt beſeſſen, kann vielen mitgethei-
let ſeyn,

Als eine Erbſchaft, durch die Hand. Aus unſrer Hand allein
entſtehen

Der Zahl-und Linien Figuren, ſo manche Lettern, deren man,

So viel als Nationen faſt, in unterſchiednen Zuͤgen, ſehen,

Auf ſo verſchiedne Art erdacht, als wie geſchrieben, leſen
kann.

Der weiſen Alten weiſe Reden, der Voͤlker Thaten und
Geſchichte,

Das ſpaͤte Leben und die Dauer der auserleſenen Gedichte,
Hat
[636]Betrachtung
Hat man ja bloß der Hand zu danken. Die Grenzen von der
ganzen Welt

Sind durch die Hand, auf kleinen Carten, zum Nutz verkleint,
uns vorgeſtellt,

Worauf wir, wie ſo große Laͤnder ſich durch ſo große Meere
trennen,

Und wo es eigentlich geſchicht, ohn alle Muͤh, beſchauen
koͤnnen.

Jndem uns Gott die Hand geſchenkt, hat er, was man in
dieſem Leben,

Zur Nahrung, Noth und Luſt gebraucht, in ihr zugleich uns
mitgegeben.

Wir muͤßten, ohne dieſes Glied, nach unſers Leibes Bau, ver-
derben,

Und weil der Mund fern von der Erden, ohn allen Zweifel,
Hungers ſterben.

Zwar hat ein Storch auch lange Bein. Doch einen langen
Schnabel auch,

Sammt einem noch viel laͤngern Hals, der zu dem noͤthigen
Gebrauch,

Anſtatt der Hand ihm dienen muͤſſen, wie viele andre Thiere
mehr.

So aber liefert unſre Hand, die niedrig haͤngt, uns, nach Be-
gehr,

Die Dinge, welche wir gebrauchen, und niedrig an der Er-
de liegen,

Ohn daß wir duͤrfen mit dem Kopf uns unbequem zur Erden
biegen.

Die ganze menſchliche Geſellſchaft koͤnnt ohne Haͤnde nicht
beſtehen,
Wer
[637]der Wohlthaten in der Hand.
Wer koͤnnte ſich und andern helfen? Wir wuͤrden folglich nicht
allein,

Den andern wilden Thieren gleich, in wuͤſten Oertern einſam
gehen;

Wir wuͤrden einzelne Figuren, ja leibliche Geſpenſter ſeyn.

So aber bindet und vereinet uns, durch die Hand, des Schoͤp-
fers Macht,

Daß man, je mehr demſelben Wunder, mit Achtſamkeit, wird
nachgedacht,

Man immer neue Wunder findet. Die Hand, wenn unſre Zun-
gen ſchweigen,

Weis ja ſo gut, und oͤfters beſſer, der Seelen Leidenſchaft zu
zeigen.

Sie weis zu ordnen, zu befehlen; ſie ziert und droht, ſie ſorgt,
ſie fraget,

Bejaht, verneinet, pflichtet bey, verſpricht, verwegert, ruft,
verjaget,

So daß ſie nicht nur alles thut, ſo gar zugleich faſt alles
ſaget,

Und zwar in einer ſolchen Sprache, die allgemein, die, wie
wir ſehn,

Weit beſſer, als der Zungen Rede, auch die Barbaren ſelbſt
verſtehn.

Der Zeiger-Finger lockt herbey. Wenn man ſich recht die
Haͤnde giebet,

Jſt es ein gleichfam fuͤhlbar Zeichen, daß deine Seele meine
liebet.

Die Schwermuth weis ja durch Gebehrden, durch ein erbaͤrm-
lich Haͤnde-ringen,

Oft einen, der ihr helfen kann, zum Mitleid oftermal zu
bringen.
Ver-
[638]Betrachtung
Verzweiflung laͤßt im bittern Schmerz, mit ihrem Muth, die
Haͤnde ſinken.

Der Zorn formiret eine Fauſt. Ein ſehnliches Verlangen
ſtreckt

Sie ausgebreitet himmelwerts; und welcher Gnade ſucht, ent-
deckt

Sein Wuͤnſchen, daß er tief gebogen, die Haͤnde dem zun
Fuͤßen ſenket,

Von dem er Huͤlf und Gnade ſucht. Ja was noch mehr,
wenn mans bedenket,

So dient die Hand ja dem, der lahm, an ſtatt der Fuͤß, auch
einem Blinden,

An Augen ſtatt; er kann den Weg, durch Tappen, mit den
Haͤnden finden.

Wie muͤſſen ſich demnach die Menſchen doch ihres Unver-
ſtandes ſchaͤmen,

Die meynen, als ob die Natur, uns minder, als das Vieh, ver-
ſehn.

Man muß, wofern man Gottes Gab, in unſrer Hand, erwegt,
geſtehn,

Daß wir in ihr ſolch einen Schatz, der alles uͤbergehet,
nehmen,

Jndem der alleraͤrmſte Menſch, zween Diener in den Haͤnden
hat,

Die ihm auf tauſend Arten dienen, zu allen Zeiten, fruͤh
und ſpat.

Wie kann die Hand, zu unſerm Beſten, ſo viele tauſend tau-
ſend Sachen,

Zum Nutz, zum Schutz, zu Wehr und Waffen, und hundert
andre Vortheil machen!
Was
[639]der Wohlthaten in der Hand.
Was ſie fuͤr Werkzeug uns verſchafft, kann man nicht zaͤhlen,
noch erzaͤhlen,

Doch wollen wir nur einige von tauſenden zur Probe
waͤhlen.

Gebiſſe, Zuͤgel, Stuͤhle, Pfluͤge, ſammt Hoͤbel, Meiſſel, Ham-
mer, Beile,

Piſtolen, Bajonetten, Meſſer, Canonen, Flinten, Saͤbel,
Pfeile,

Auch Amboß, Anker, Zangen, Bohrer, ſammt Schloͤſſer, Schluͤſ-
ſel, Ketten, Feile,

Caroſſen, Winden, Wagen, Scheeren, auch Schaufeln, Netze,
Koͤrbe, Seile,

Viel Jnſtrumente zur Muſic, auch Mathematiſche, nebſt
Saͤgen,

Nebſt Karren, Sicheln, Pinſeln, Rechen, imgleichen Spruͤtzen,
Eimer, Egen,

Die alle wiederum der Hand, die ſie gemacht, zu tauſend
Dingen,

Zur Nothdurft, Wehr, Bequemlichkeit, viel tauſendfachen Nu-
tzen bringen.

Jſt es die Hand nicht, die die Thiere, und was ſie ſind,
und was ſie haben,

Uns Menſcheu zuzueignen weis? Jn Luͤften, auf dem Land,
im Meer,

Bezwinget ſie der Thiere Menge, der Voͤgel und der Fiſche
Heer,

Daß ſie uns zum Geſchmack, zur Nahrung, mit ihrem eig-
nen Weſen laben.

Noch mehr, wer kann, zu unſerm Dienſt, den harten Hals der
Ochſen zwingen,
Ca-
[640]Betrachtung
Cameel- und Eſel- Ruͤcken brauchen, ſo ſchnell aufs raſche
Pferd ſich ſchwingen,

Ja ſelber Elephanten zaͤhmen? Wer richtet Hund und Vo-
gel ein,

Fuͤr uns und nicht fuͤr ſich zu jagen, als die geſchickte Hand
allein?

Anſtatt daß wir uns mit den Thieren, mit Baͤr und Woͤlfen
beiſſen muͤßten,

Wenn wir die edle Hand nicht haͤtten, und ſie ſo wohl zu brauchen
wuͤßten:

So brauchen wir der Hunde Zaͤhne, daß ſie fuͤr uns mit ih-
nen fechten;

Daher ſie jener, der den Nutzen, den ſie uns darin bringen,
kannte,

Nicht unrecht ihren Zahn, der Menſchen lebendge Dolch und
Degen nannte.

Man nimmt der Thiere Felle, Federn und Woll und Haar,
mit unſrer Rechten,

Und richtet ſie, zu unſrer Waͤrm und zur Bequemlichkeit der Ruh,

Wie auch ihr Fleiſch zu unſrer Koſt, zu Arzeneyen gleichfalls, zu,

Bis auf die Wunder in dem Meer, die groͤßten Wallfiſch
toͤdten wir,

Es hilft ſie keine Liſt, noch Macht, noch Flucht, noch kecker
Widerſtand,

Es faͤnget, haſchet, uͤberwindet und toͤdtet ſie der Menſchen
Hand.

Wenn wir nun ferner uͤberlegen, was Gott, der weiſe
Schoͤpfer, ihr

Fuͤr Millionen Vorwuͤrf ſchuff, woran ſie Kunſt und Fer-
tigkeit
Kann
[641]der Wohlthaten in der Hand.
Kann ſehen und bewundern laſſen. Welch eine Menge von
Metallen,

Von Marmor, Steinen und Porphier, von Holz, von klaren
Berg-Kryſtallen,

Von Diamant, Sapphier, Rubinen, wovon ſie nach Beſchaf-
fenheit,

Wie ſie ſie braucht, ſie brauchen kann, hat fuͤr der Haͤnde
Kunſt und Macht,

Der Gott, der alles weislich ordnet, und ſie, fuͤr ſie, hervor
gebracht.

Es weis ſo viel kaum zu erfinden der viel erfindende Ver-
ſtand,

Als es geſchickt ins Werk zu ſetzen die kuͤnſtlich-ſtarke Men-
ſchen-Hand.

Was wuͤrden, ſonder ihre Haͤnde, die allerkluͤgſt-und groͤßten
Geiſter,

Auf Erden, wohl verrichten koͤnnen? Wuͤrd auch der aller-
groͤßte Meiſter,

Der in der Baukunſt je geweſen, allein mit Ohren und mit
Augen,

Wofern er keine Haͤnde haͤtte, wohl etwas auszurichten
taugen?

Wir finden, wenn wirs recht erwegen, den Geiſt faſt mit
der Hand vereint,

So daß er faſt in ihr den Sitz, wie im Gehirn, zu haben
ſcheint,

Und alſo zeiget ja die Hand uns allen uͤberzeuglich klar,

Wie Gottes Weisheit, Macht und Lieb allein in ihr ſo wun-
derbar,
Br.VI.Th. S sJa
[642]Betrachtung
Ja daß, da Gott ſie dergeſtalt, da ſie ſo wunderbar ſich
lenket,

Da ſie ſo wunderbar formirt, da ſie ſo wunderbar uns
nuͤtzet,

Uns kleidet, naͤhret und erhaͤlt, verſorgt, ergetzet, ziert und
ſchuͤtzet,

Uns den Gebrauch der ganzen Welt, allein in unſrer Hand,
geſchenket.

Ach laßt uns denn die Wundergabe doch kuͤnftig beſſer,
als wir pflegen,

Und in derſelbigen zugleich des Schoͤpfers weiſe Macht, er-
wegen,

Jn ehrerbietigſter Bewundrung! Auf! laßt uns ſeine Liebe
ſehn,

Die ſich in ihr ſo klaͤrlich zeiget, und Gottes Herrlichkeit
erhoͤhn!

Laßt uns, in der erkannten Wahrheit, ihm oͤfters danken, ihn
verehren,

Jhn lieben, fuͤrchten, ihn vertrauen, in unſrer Luſt, ſein Lob
vermehren!

Ach moͤchten wir den Bau der Hand doch oͤfters, Gott zum
Ruhm, betrachten,

Und in der Bildungs-Kunſt allein, auf deſſen Macht und Weis-
heit achten,

Der ſie ſo wunderbar gebildet. Ach moͤcht uns doch, ſo oft
wir ſpuͤren,

Wie ſie uns tauſendfaͤltig nuͤtzt, die Hand zu unſerm Schoͤpfer
fuͤhren.

Vor allen laſſet uns, mit Ernſt, wenn wir ſie brauchen, uns
bemuͤhn,
Sie
[643]der Wohlthaten in der Hand.
Sie nicht zu Laſtern anzuwenden, und ſie vom Suͤnden-Dienſt
zu ziehn,

Damit ſie, gegen Gottes Ordnung, im ſuͤndlichen Gebrauch
der Erde,

An ſtatt des Segens Werkzeug, uns kein Werkzeug des Ver-
derbens werde.

Ach Gott! gieb mir zu ſo viel Gaben, auch dieſe, daß ich, dir
zur Ehre,

Auch meine Hand recht brauchen mag, und ſelbſt thu, was ich
andre lehre!

So wend ich denn itzt meine Hand, ſo viel als ich in
Schwachheit kann,

Von aller mir erzeigten Gnad, im vorgem Jahr, zu ſchrei-
ben an.

Wie kann ich dir doch gnugſam danken, o Herr, daß im
verfloßnen Jahr,

Du mich nicht nur ſo gnaͤdiglich, fuͤr Krankheit, Plagen und
Gefahr,

So Huld- und Gnaden-reich bewahrt, daß du auch meiner Haͤn-
de Werke

So gnaͤdiglich gebenedeyt! Ach Herr! wenn ich mit Ernſt
bemerke,

Wie vaͤterlich du mich geleitet, wie wunderbar du mich ge-
fuͤhrt,

So werd ich Dank-und Andacht-voll. Es wird mein Jnner-
ſtes geruͤhrt,

So daß ich, da ich ihre Menge, die nicht zu zaͤhlen iſt, nicht
faſſe,

Mit hoͤchſtem Recht dadurch verwirrt, fuͤr Freuden, Thraͤnen
fallen laſſe,

S s 2Von
[644]Betrachtung
Von allen, was wir auf der Welt mit Recht ein wahres
Gluͤcke nennen,

Jſt ja wohl, wenn wir unſre Kinder, im Leben, wohl bera-
then koͤnnen.

Dieß Gluͤck haſt du mir dieſes Jahr, o Gott, in ſolchem Grad
beſchehrt,

Daß ichs nicht beſſer wuͤnſchen koͤnnen. Ein Schwiegerſohn
von ſolchen Gaben,

An Ehre, Reichthum, Redlichkeit, die viele kaum zertheilet
haben,

Jſt heuer meiner aͤltſten Tochter, von dir, o Herr, zum Mann
gewaͤhrt.

Ach gieb, o Vater! ferner hin, zu dieſer Ehe, deinen
Segen,

Und uns abſonderlich die Gabe, daß wir die Gnad erken-
nen moͤgen!

Ach laß uns alle deine Liebe, in dieſer Fuͤhrung, oft er-
meſſen,

Und, im beſtaͤndigen Vergnuͤgen, doch ja des Dankens nicht
vergeſſen!

Jſt es ſo uns, als ihnen, nuͤtz: So laß, o Herr! zu deinen
Ehren,

Auf ſpaͤte Zeiten ihr Geſchlecht, in frommen Kindern, ſich
vermehren!

Gieb ihnen Willen und Vergnuͤgen, daß ſie ſich alles Ernſts be-
muͤhn,

Die bloß von dir geſchenkte Gabe auch dir gefaͤllig zu erziehn!

Wie haſt du ferner, großer Gott, zu meinem neuen Amt und
Stande,

Zu meiner Reiſe, meinem Antritt, zu meinen Leben auf dem
Lande,
So
[645]der Wohlthaten in der Hand.
So reichlich deine Huld geſchenkt, daß ich nicht nur, nebſt al-
len Meinen,

So wohl die Land-als Waſſer-Reiſe geſegnet und begluͤckt ge-
fuͤhrt,

Daß ich, beym Antritt in das Amt, in allen, deine Huld
verſpuͤrt.

Ach laß doch in demſelben ferner mir deiner Gnaden Sonne
ſcheinen.

Zwar hab ich hier, nicht lang hernach, von mich bedrohnden
Krieges-Schaaren,

Nicht kleine Sorgen ausgeſtanden, und viel Verdrießlichkeit
erfahren,

So aber, großer Friedens-Fuͤrſt, bloß durch dein vaͤterliches
Lieben,

Da du das Ungluͤck abgewandt, Gottlob! nur bey der Furcht
geblieben.

Jndeſſen kann ich nicht umhin, wie ich den Zuſtand auf-
geſchrieben,

Damit es nicht vergeſſen werd, und immer ein’ Erinnrung
bleibe,

Hier die Gedanken herzuſetzen, damit es mich noch ferner
treibe,

Fuͤr den, nach Wetter, Sturm und Regen, erwuͤnſcht verſpuͤr-
ten Sonnenſchein,

Dem, der das Schwerdt in Sicheln kehrt, erkenntlich dank-
bar froh zu ſeyn.*

Jch habe, dir ſey Dank, o Herr, in dieſem Jahre, meine Hand

Jn meinem Jrdiſchen Vergnuͤgen, es zu vermehren, angewandt
S s 3Daß
[646]Betrachtung
Daß ich dieß mit nicht ſchlechtem Fortgang, zu deinem Ruhm,
verrichten koͤnnen,

Erkenn ich, als ein großes Gluͤck, ſo du mein Gott mir wol-
len goͤnnen.

Laß meines Herzens Dank-Altar noch oͤfters, dir zum Preiſe,
rauchen,

Und laß, zu deinem Dienſt, o Gott! mich meine Hand noch
oͤfters brauchen!

Auch unter ungezaͤhlten Plagen, Kreuz, Ungluͤck, Zufall und
Gefahren,

Von welchen auch die wenigſten (als die uns ſtuͤndlich drohn)
bekannt,

Haſt du, von meinem aͤltſten Sohn, ein großes Ungluͤck ab-
gewandt.

Und ihn, da er ins Meſſer fiel, ihn wunderbarlich zu be-
wahren,

So gnaͤdiglich gewuͤrdiget; ach! laß ihn, da er ſonderlich,

Jn dieſem Jahr, nebſt ſeinem Bruder, auf hohen Schulen
denkt zu reiſen,

Sie beyde dir empfohlen ſeyn, damit ſo wohl ſie beyd, als ich,

Fuͤr deiner vaͤterlichen Guͤte, Gelegenheit, dich, Herr, zu
preiſen,

Mit Dank und Loben haben moͤgen! Es iſt mein kleinſtes
Toͤchterlein,

Der du ſo Geiſt als Leibes Gaben, in großer Maße, mit-
getheilet,

Jn mehr als einer Krankheit, Herr, durch dich in dieſem Jahr
geheilet;

Dir ſey, o Vater, Dank dafuͤr. Sey, einzger Arzt, davor ge-
prieſen,

Daß du dich, in ſo mancher Noth, ſo Huͤlf- und Gnaden-reich
erwieſen,
Da
[647]der Wohlthaten in der Hand.
Da ich, in vieler Kinder Koͤrpern und Geiſt, ſo vieles koͤnnte
leiden:

So giebſt du mir, o Herr! die Gnade, daß ich in vielen viele
Freuden,

Bisher, o Wunder! hab empfunden. Weil ich nun gar nicht
anders weis,

O Vater! dir davor zu geben. So geb ich dir Lob, Ehr und
Preis!

Jch ruffe dich auch ferner an, behuͤt uns auch in dieſem
Jahr,

Wofern es uns erſprießlich iſt, fuͤr allem Unfall und Ge-
fahr.

Ach gieb, zu meinem Regiment, Gedeyen, Weisheit und Ver-
ſtand,

Und ſegne, nebſt den Meinen, mich, und alle Werke meiner
Hand!


S s 4Be-
[648]Betrachtung einiger Pflichten

Betrachtung
einiger hauptſaͤchlichen Pflichten
der Menſchen, gegen Gott.


Neu-Jahrs Gedicht, auf das 1737. Jahr.


Woher entſteht itzt ſcharfer Froſt? Woher auch oft ein
ſchlackigt Wetter?

Wie koͤmmts, daß Gras und Kraut vergeht? daß alle Blumen,
alle Blaͤtter

Verſchrumpfen, welken und verſchwinden? Wie koͤmmts, daß
alles unfruchtbar,

Daß jetzt die Erde ganz moraſtig, die dicke Luft faſt nim-
mer klar,

Das Waſſer wild und wuͤtend iſt, daß ſeine Wellen wallend
brauſen,

Daß, voller Hagel und voll Schnee, die ſtuͤrmeriſchen Winde
ſauſen,

Daß alles, was man ſieht, verwildert, daß alles, was man
ſieht, verſtoͤrt,

Daß was man fuͤhlt, unangenehm, daß Acker, Wald und Feld
verheert,

Daß wir, in einer wilden Gaͤhrung, der Elementen Kraͤfte ſehn,

Als wie in einem ſcharfen Kampf, verwirret durch einander gehn,

Mit einer ungeſtuͤmen Wuth, mit ungebundener Gewalt?

Und kurz; daß gleichſam die Natur in einer widrigern Ge-
ſtalt,
Als
[649]der Menſchen gegen Gott.
Als wie vorhin, uns jetzt ſich zeiget? Der Grund hievon iſt an-
ders nichts,

Als die bisherige Entfernung des Lebens-reichen Sonnen-
lichts..

Jndem nun die fatale Ferne, Gottlob! nunmehr ſchon auf-
gehoͤrt,

Und unſrer Erden Flaͤche beut zur Seegensquelle wiederkehrt:

So laßt uns uns daruͤber freuen; laßt uns dieß Wunder voller
Segen,

Dem großen Schoͤpfer, der es wirkt, zum Preis und Ruhm,
mit Ernſt erwegen,

Jhm ein geruͤhrt und dankbar Herz, fuͤr dieſe Huld, zum Op-
fer bringen,

Und ihm, zu dieſer Wechſel-Zeit, ein frohes Lied zu Ehren ſingen.


Gott, unendlich ewigs All, Born der Ewigkeit und Zeit,

Einzger Urſprung alles Guten, einzige Selbſtaͤndigkeit,

Aller erſt-und allerletzter! Urquell aller guten Triebe,

Du Vortrefflichſtes von allem, was vortrefflich, ewge Liebe,

Jn und durch dich ſelber weiſer, als die allerkluͤgſten Geiſter,

Kraft der Kraͤfte, Herr der Schaaren, aller Himmel Himmel
Meiſter,

Der du nicht erzeugt, ein Ganzes, ſonder Theil und ſonder
gleichen,

Laß, da mein Verſtand nicht kann, meine Demuth dich errei-
chen!

Quell der wirkenden Natur, die durch Weisheit, Lieb und
Macht

Dem in dir vereinten Drey, (das du ſelbſt,) hervorgebracht,

Ewigs Weſen, ewigs Licht, deſſen Glanz und wahrer Stand

Uns, durch gar zu große Groͤße, kund wird, doch auch unbekannt,
S s 5Der
[650]Betrachtung einiger Pflichten
Der dem Sinn faſt mehr empfindlich, als dem Geiſt begreif-
lich iſt, *

Den man nicht nach ſeinem Weſen, nur nach ſeinem Schatten
mißt,

Welchen ſeine Werke zeigen. Gott, der du der Allergroͤßte

Biſt, und willt, und kannſt das Beſte; durch den folglich auch
das Beſte

Jmmer muß gewirket ſeyn; ach! wie ſehnet ſich mein Geiſt,

Dir, zumal zu dieſer Zeit, die uns auf beſondre Weiſe,

Aller Creatur zum Beſten, und in ihnen dir zum Preiſe,

Deine Weisheit, deine Macht, deiner Gnaden Ausbruch weiſt,

Etwas, welches deiner wuͤrdig, dir zu Ehren vorzubringen,

Und ſo wohl von deinen Wundern, als abſonderlich zu ſingen,

Von der Menſchen Schuldigkeit, und auf wahre Menſchen-
Pflichten,

Nach der Vorſchrift der Vernunft, unſer Augenmerk zu richten.

Da wir von der Chriſten Pflicht, in der Gottsgelehrten
Lehren,

Was uns noͤthig, was uns nuͤtzlich, uͤberzeuglich taͤglich hoͤren:

Scheint es, ihrer heilgen Arbeit ins beſondere zu nuͤtzen,

Wann wir ſie, nach Moͤglichkeit, durch die Ueberlegung ſtuͤtzen,

Daß der Menſch am naͤchſten ſey, zu dem wahren Chriſten-
Orden,

Wenn er, durch vernuͤnftge Schluͤſſe, erſt ein wahrer Menſch
geworden.

Laß es doch vor andern dir, Gott, zum Ruhm; dabey auch
ihnen

Und mir ſelbſt, zu gleicher Zeit, oͤfters zur Ermuntrung dienen,

I.Um
[651]der Menſchen gegen Gott.

I.
Um zu einem [vernuͤnftigen] Gottesdienſt or-
dentlich zu gelangen; iſt die erſte unſerer Pflich-
ten, uns gruͤndlich zu uͤberfuͤhren, daß wir ſelbſt
keine Urſache unſers Weſens ſeyn.


Dieß iſt zwar eine ſolche Wahrheit, die manchem uͤberfluͤßig
ſcheinen,

Und nicht ſo noͤthig duͤnken moͤcht; indem verſchiedne Men-
ſchen meynen,

Daß dieſes keines Zweifels werth: So wird jedoch das klare
Licht,

Das aus der uͤberzeuglichen Erkenntniß dieſes Satzes bricht,

Wenn wir uns nur in wahrer Demuth dem Glanz bemuͤhen,
nachzuſpuͤren,

Uns zu dem Licht, das undurchdringlich, zum Schoͤpfer, zu der
Gottheit fuͤhren.

Wie deine Mutter dich empfing, hat man dich etwa da ge-
fragt,

Ob es dir auch gefiel, aus nichts hervorzutreten, was zu wer-
den?

Ob es hier oder anderwerts, in Luft, im Waſſer, auf der Erden,

Ein Fiſch, ein Vogel, oder Menſch zu ſeyn, vor andern dir
behagt?

Du ſageſt, nein, und zwar mit Recht. Doch ſprichſt du
auch vielleicht dabey,

Daß deiner Eltern Liebes-Trieb der Urſprung deines We-
ſens ſey.

Allein gedenke nur zuruͤck, ob nicht die Eltern ſo, wie du,

Ohn all ihr Wiſſen oder Willen, und das Geringſte nur dazu
Ge-
[652]Betrachtung einiger Pflichteu
Gethan zu haben, auch entſtanden? Auch ob dieſelben, wie ſie
dich

Erzeugten, das Geringſte nur von dir, ſo wohl was aͤuſſerlich

Als innerlich an dir vorhanden, auch das Geringſte nur gewußt,

Ob etwas, ja nicht einſt einmal die blinde ſeltſam-ſuͤſſe Luſt,

Die ihnen auch geſchenkt, hiebey fuͤrs Jhrige zu rechnen ſey.

So ſieheſt du unwiderſprechlich und uͤberzeuglich ja die Spur,

Daß ſie zu dem, was du geworden, nichts anders, als das
Werkzeug nur,

Ohn Witz und ſonder Kunſt geweſen. Wie kuͤnſtlich nun dein
Leib formiret,

Von dem, was ihn ſo Regel-recht, aus faſt untheilbarn Thei-
len zieret.

Der Sinnen Kunſt und Wunderwerk, ſammt andern unge-
zaͤhlten Gaben,

Weil wir davon ſchon anderwerts verſchiedenes beſchrie-
ben haben,

Will ich allhier nicht wiederholen. Nur muß ich etwas von
der Weiſe,

Die ihn ernaͤhrt und wachſen macht, von ſeinem Trank und
ſeiner Speiſe,

Mit kurzen ſehn. Dasjenige, wodurch er waͤchſt, und was ihn
naͤhrt,

Sind Erdgewaͤchſe, Fleiſch und Fiſch. Wer iſt es, der ihm
die beſchehrt?

Wer iſt es, der derſelben Theile ſo wunder-wunderbarlich
fuͤget,

Daß es ihn nicht allein erhaͤlt, auch ihn, wenn er es nimmt,
vergnuͤget,

Daß es ſich in ſein wirklich Fleiſch, und in ſein Weſen ſelbſt
verkehrt?
Wer
[653]der Menſchen gegen Gott.
Wer kann dieß Wunderwerk begreifen? Du wirſt aufs we-
nigſte geſtehn,

Daß dieſe Wunder nicht durch dich, und deine Kunſt und Witz,
geſchehn,

Auch daß kein blindes Ungefehr ſo vieler Creaturen Kraͤfte,

Auf eine Weiſe, mengen kann, daß deine rege Lebens-Saͤfte,

Daß Adern, Nerven, Bein und Fleiſch, von ungefaͤhr ſich nicht
formiren,

Noch durch ein unabſichtlich Etwas, das blind, ſich ſelbſt zu-
ſammen fuͤhren.

Und alſo zeigt dein eigner Leib, am uͤberzeuglichſten dir an:

Es ſey ein Weſen auſſer dir, daß ſolche Wunder wirken kann,

Das ſolche Wunder wirklich wirkt. Erwege denn, geruͤhr-
ter Geiſt,

Wie klaͤrlich dir dein eigner Leib das Licht der groͤßten Wahr-
heit weiſt,

Und wie er dir ſo uͤberzeuglich die aller erſte Staffel zeiget,

Auf welcher man zur ewgen Gottheit, zum Schoͤpfer aller
Dinge, ſteiget.

II.
Die andere Pflicht iſt, durch rechtmaͤßigen
Gebrauch unſerer Sinnen, in der Ordnung, Groͤße
und Schoͤnheit der Welt, ein weiſes, maͤch-
tiges und liebreiches Weſen zu
entdecken.


Wann aber, nebſt dem Koͤrper, etwas, das denkt, ſich auch
an dir befindet,

Jn welches deines Koͤrpers Nahrung, als Fleiſch, und Fiſch,
ſich nicht verkehrt,
Und
[654]Betrachtung einiger Pflichten
Und ſeine denkend’ Eigenſchaft ſo wenig wirkt, als ſie er-
naͤhrt:

So iſt es noͤthig, daß dieß Weſen, ſein eigen Weſen ſo er-
gruͤndet,

Als es durch ſich gelangen kann. Nun ſieht es, daß es ſich
verbindet,

Durch ſeines Koͤrpers rege Sinnen, mit einer Welt, die ihn
umringt,

Die koͤrperlich, die voller Wunder, die ſo an Form, als Far-
ben, ſchoͤn;

Aus welcher ihm, durch fuͤhlen, ſchmecken, ſo wie durch rie-
chen, hoͤren, ſehn,

So mancherley Vergnuͤglichkeit, ſo manche ſuͤſſe Luſt ent-
ſpringt,

Wenn er ſie nur in Ordnung braucht, das heißt, daß er ſich
auf ſie lenket,

Und dadurch, daß er mit Bedacht, daß ſie ihn ruͤhren, uͤberdenket,

Sie wenn er will, mit ſich vereinigt, und dadurch, wenn er
denkend, fuͤhlt,

Durch ſich, und durch ſein inners Weſen, in ſich ſelbſt man-
che Luſt erzielt.

Hieraus entſpringet eine Pflicht, nach Moͤglichkeit ſich zu
vergnuͤgen,

Und zu derſelbigen Gebrauch, Bewundrung, Luſt und Dank zu
fuͤgen,

Weil ſie ganz uͤberzeuglich ſpuͤrt, daß eben dadurch bloß allein,

Die Abſicht einer ewgen Guͤte, und ſein nur uns erſprießlich
Wollen,

Daß wir in unſrer Luſt ihn ehren, durch unſre Freud ihn
preiſen ſollen,

Und ſein, nur ſeiner wuͤrdger Endzweck, am wuͤrdigſten er-
halten ſeyn.

So
[655]der Menſchen gegen Gott.
So lernet denn den Kern der Seelen, derſelben allerbeſte
Kraft,

Wodurch ſie, nebſt der ſinnlichen, auch eine denkend’ Eigen-
ſchaft,

So lange ſie hier lebt, beſitzt, auf eine ſolche Weiſe brauchen,

Wozu ſie eigentlich gegeben. Das heiſſet: Unſern Gott zu
ehren,

Der ihr und aller Dinge Schoͤpfer, zu ſehn, zu ſchme-
cken und zu hoͤren.

Hiedurch wird Gott, in unſrer Luſt, ein ſtetig Lobes-Opfer
rauchen.

Wenn dieß geſchicht, entdecken wir viel Millionen Wunder-
werke,

Jn Erde, Waſſer, Luft und Himmel, und in demſelben Got-
tes Staͤrke,

Und Lieb und Weisheit uͤberzeuglich, da von den großen Him-
mels-Kreiſen,

Und ihrer Meng an bis zum Staub, ihn all in ihrem Weſen
weiſen,

Jn ihrer Ordnung, Schmuck und Schoͤnheit, ihn all, als ih-
ren Schoͤpfer, preiſen.

So, wie die Seele mit den Koͤrpern, durch Gottes Ordnung,
feſt verbunden:

So muß mit unſern aͤuſſern Sinnen, den gleichſam koͤrperli-
chen Thuͤren,

Wodurch, und ohne welche nicht, wir aller Koͤrper Arten
ſpuͤren,

Dasjenige, was in uns denket, ohn Unterlaß vereint gefunden,

Und billig nie geſchieden ſeyn. Wofern wir ſo die Kraft der
Seelen,

Mit Gottes Creaturen hier durch Maaß, untadelhaft vermaͤhlen:
So
[656]Betrachtung einiger Pflichten.
So wird, wenn wir vernuͤnftig fuͤhlen, daß wir ſo manche
Luſt genieſſen,

Aus ſolcher Eh, als ihre Fruͤchte, Bewunderung und
Dank entſprieſſen.

Dieß iſt zu Gott die dritte Staffel, wodurch wir uns zu ihm
erhoͤhn,

Und ſeine Macht und Herrlichkeit am allerdeutlichſten verſtehn.

Bewunderung,
als unſere IIIte Pflicht.


Wann wir nun unſrer Seelen Kraͤfte, ſo viel uns moͤglich
iſt, ergruͤnden:

So werden wir von der Bewundrung ganz uͤberzeuglich
dieß befinden,

Daß ſie die allerwuͤrdigſte Beſchaͤfftigung zu Gottes Ehren,

Zu der wir aufgeleget ſeyn. Daß nichts die Ehrfurcht
mehr zu mehren,

Die Demuth zu vergroͤßern faͤhig, die Liebe zu erwecken
maͤchtig.

Ja daß nur ſie allein uns zeige, wie Gott ſo liebreich, weiſ
und maͤchtig,

Wie ihm allein nur Preis gebuͤhre, nicht weniger wie ſie ſo
klein,

So ſchwach, umſchraͤnket kraftlos, fluͤchtig und eitel von uns
ſelber ſeyn.

Nur die Bewunderung erweiſet den Vorzug, den wir
vor den Thieren,

Von Gott aus Lieb, erhalten haben, und welchen wir in uns
verſpuͤren,
Sie
[657]der Menſchen gegen Gott.
Sie koͤnnen riechen, fuͤhlen, ſchmecken ſo wohl, als wir, ja
fehn und hoͤren;

Doch weil ſie nicht bewundern koͤnnen: So koͤnnen ſie auch
Gott nicht ehren,

Zum wenigſten nicht ſo, wie wir, da wir im ſehen, fuͤhlen,
ſchmecken,

Wenns mit Bewunderung geſchieht, nicht nur den wah-
ren Gott entdecken,

Zugleich auch in den wunderbaren und uͤberall vorhandnen
Werken,

Die Allmacht, Weisheit und die Liebe des, welcher al-
les wirkt, bemerken.

Nur durch Bewunderung allein wird unſer Geiſt zu
Gott gefuͤhrt,

Nur im Bewundern giebt man Gott die Ehre, die nur ihm
gebuͤhrt,

Nur die Bewunderung vermag der Triebe Flammen an-
zufachen,

Von dem, der bloß Bewunderns-werth, uns wuͤrdige Begriff
zu machen,

Und nichts kann unſern Gott in uns, und uns in Gott ſo ſehr
erhoͤhn,

Nichts uns mehr Freud und wahre Luſt, auch unſern Gott
mehr Ehre bringen,

Als wenn wir, mit Bewunderung, den Schoͤpfer im Ge-
ſchoͤpfe ſehn.

Bewundrung iſt ein’ angenehm’ Empfindung, ſo die Seele
ruͤhrt,

Durch ein vernuͤnftiges Betrachten, von ſchoͤn- und wohlge-
rathnen Dingen,

Die Achtung, Ehre, Lieb und Neigung fuͤr den, der ſie gewirkt,
gebiert.

Br.VI.Th. T tDie
[658]Betrachtung einiger Pflichten
Dieweil nun nichts Bewunderns-werthers auf Erden, in
den Meeres-Gruͤnden,

Und auch in aller Himmel Himmeln, als das, was Gott ge-
macht, zu finden:

So fließt von ſelbſt, daß kein Bewundern in uns fuͤr jemand
ſo viel Ehre,

Als fuͤr den Schoͤpfer aller Dinge, wenn man ſein Werk er-
wegt, gebaͤhre.

Es ſcheinen uns die Sinnen alle, zu dieſem großen Zweck
allein,

Sammt der vergleichenden Vernunft, von unſerm Gott, ge-
ſchenkt zu ſeyn.

Ach laßt denn doch nicht ihre Kraft, und edles Feur um-
ſonſt verrauchen,

Laßt uns dieſelben, Gott zum Ruhm, und unſerm Nutzen, beſſer
brauchen,

Als wie vielleicht bisher geſchehn! Jſt es nicht ein betruͤbtes
Weſen?

Es hat der große Gott, als Schoͤpfer, zu ſeinen Ehren uns
erleſen;

Er hat mit ſo viel Macht, als Weisheit, den Geiſt mit ſo viel
Kraft geziert,

Den wunderbar formirten Leib, ſo kunſt-als wunderreich for-
mirt,

Es iſt in unſerm Chriſtenthum die allererſte unſrer Pflichten.

Der erſt Artikul unſers Glaubens heißt uns, auf Gott die See-
le richten,

Um ihn als Schoͤpfer anzuſehn, um ihn als Schoͤpfer zu ver-
ehren.

Allein geſchicht denn dieſes auch? Verfahren wir nach dieſen
Lehren?
Stimmt
[659]der Menſchen gegen Gott.
Stimmt unſer Leben und die That mit unſern Worten
uͤberein?

Bewundern wir in ſeinen Werken Gott, als den Schoͤpfer?
Leider! nein.

Du ſprichſt, du glaͤubſt an Gott den Vater, den Schoͤpfer
Himmels und der Erden,

Der alle Ding aus nichts gemacht, der alles durch ein Wort
hieß werden.

Allein komm, zeige mir den Glauben, durch deine Werke, laß
mich ſehn,

Auf welche Weiſe deine Thaten und deine Seele den
erhoͤhn,

An den du ſageſt, daß du glaͤubeſt. Du wuͤrdigſt ihn ja nicht
einmal

Sein’ Allmacht in den Creaturen, und in den Wundern
ohne Zahl,

Die uͤberall ihn zeigt, zu ſchauen. Du ſiehſt das allgemei-
ne Licht

Von ſeiner Weisheit, das aus allen mit unerſchoͤpften Stra-
len bricht,

(Durch ſchaͤdliche Gewohnheit blind, und noch mehr durch
Exempel) nicht.

Entſchuldige dich damit nicht: Man hat mich dieſes
nicht gelehrt,

Jch habe weder in der Schule, noch Kirche was
davon gehoͤrt,

Man ſpricht davon des Sonntags nichts, und ja
ſo wenig in der Wochen,

Man iſt ja uͤberall zufrieden, wenn ich geſagt und
nachgeſprochen,

T t 2Jch
[660]Betrachtung einiger Pflichten
Jch glaͤub. Jch glaͤub an Gott den Vater. Daß
ich, in den erſchaffnen Werken,

Soll Gottes Weisheit, Macht und Liebe, ja gleich-
ſam faſt ihn ſelber, merken,

Daß ich, um ſeine Herrlichkeit, in den Geſchoͤpfen,
zu erhoͤhen,

Soll, nebſt dem Geiſt, die Sinnen brauchen, ſoll
Gott zu ehren, hoͤren, ſehen,

Empfinden, riechen, fuͤhlen, ſchmecken, muß ei-
ne neue Lehre ſeyn.

Und weil nichts neues ohn Gefahr; ſtimm ich mit
dir ſo bald nicht ein.

Waͤr es nicht unſrer Prediger und Lehrer Schul-
digkeit geweſen,

Von dieſen Pflichten oft zu ſprechen, zu lehren und
davon zu leſen?

Weil ſie es aber unterlaſſen: So werd ich mich an
deinen Lehren,

Da leicht ein Gift darin verborgen, ſo leicht, wie
du gedenkſt, nicht kehren.

Dieß wird dich nicht entſchuldigen; denn, auſſer daß nicht
alle ſchweigen,

Die Lehrer ſind, von Gottes Wundern; wie ich verſchiedne
dir kann zeigen,

Die, da ſie Gottes Diener ſind, als ſolche ſich auch aufgefuͤhrt,

Und ihren Herrn, in ſeinen Werken, die Ehre, welche ihm
gebuͤhrt,

Nach aller Moͤglichkeit zu geben, aus allen Kraͤften ſich be-
ſtrebt,

So denken andere vielleicht: Die Wahrheit waͤre gar zu
klar,
Und
[661]der Menſchen gegen Gott.
Und aller Menſchen Schuldigkeit in dieſem Punkt ſo of-
fenbar,

Als das es noch erklaͤrens brauchte. Worin ſie denn auch
wirklich recht,

Wo man es ſo bedenket, haͤtten; wenn nicht das menſchliche
Geſchlecht,

Von Leidenſchaften und Gewohnheit verblendet, fuͤr des Schoͤp-
fers Ehre,

So unerkenntlich, als ein Stein, und gar ſo unempfind-
lich waͤre.

Daher wenn deine groͤßte Pflicht bisher wo von dir unter-
blieben:

So darfſt du nicht ſo keck ſo gleich die Schuld auf deine
Lehrer ſchieben.

Es lehrt dich alles, was du ſiehſt. Gluht, Erd und Fluth
ſind deine Lehrer,

Die Thiere, Pflanzen, Sonn und Sterne. Sey du nur ihr
vernuͤnftger Hoͤrer,

So wird der uͤberall vorhandnen, allgegenwaͤrtigen Gottheit
Schein,

Wie unbekannt er dir geweſen, bald deiner Seelen ſichtbar
ſeyn.

Wir muͤſſen denn noch etwas mehr, von unſrer Seelen
beſten Kraft,

Und der von Gott, zu ſeiner Ehr, ihr eingepraͤgten Eigen-
ſchaft,

Von der Bewunderung gedenken, als welche, wie man
billig meynt,

Die einzge Abſicht eigentlich, wozu man hier erſchaffen
ſcheint.

T t 3Uns
[662]Betrachtung einiger Pflichten.
Uns uͤberfuͤhrt die ganze Welt, es hab uns Gott hier wer-
den laſſen,

Jn ſeinem Werk ihn zu bewundern, und nicht ſo, wie man
glaubt, zu faſſen,

Was alles, ja Gott ſelber, ſey. Daß ſie der Seelen Jnners
ruͤhre,

Daß ſie, in einem froͤlichen Empfinden, uns zum Schoͤpfer fuͤhre,

Jſt allbereit von uns gemerket. Jtzt wird noch zu betrachten
ſeyn,

Daß ſie, wie ſie ein Gottesdienſt, auch allen Menſchen all-
gemein,

Daß dem kein Glaube widerſpreche, am wenigſten der wahre
Glaube,

Daß, ohne ſie, man uns die Menſchheit, ja gleichſam Gott
die Gottheit raube.

Bewunderung iſt eine Handlung, in welcher Achtſam-
keit, Vergnuͤgen,

Lob, Ehre, Preis und Ruhm, (fuͤr den, der was Bewun-
derns-werth veruͤbt,

Wodurch man ihn, zuſammt der Achtung, zugleich auch hoch-
haͤlt und ihn liebt,)

Auch Demuth deſſen, der bewundert, ſich lieblich mit ein-
ander fuͤgen,

So bald wir was bewundern muͤſſen (in dem wir unſre
Schwaͤch erkennen,

Woraus die Demuth denn entſpringt) ſo werden wuͤrdige
Jdeen,

Fuͤr den, der die Bewundrung wirkt, ſo gleich in unſrer Seel
entſtehen,

Man wird ihm, nach Beſchaffenheit der Wunder, alle Nei-
gung goͤnnen,
Wozu
[663]der Menſchen gegen Gott.
Wozu die Seele faͤhig iſt. Und hierin bloß allein beſteht,

Da man den Schoͤpfer aller Wunder, im Glauben, fuͤrchtet,
liebt, erhoͤht,

Der allerreinſte Gottesdienſt. So noͤthig nun die Kraft der
Seelen,

Die Gott gefaͤllige Bewunderung: So noͤthig iſt denn bil-
lig auch,

Die uns dazu geſchenkten Sinnen, die unſern Geiſt und Leib
vermaͤhlen,

Jn recht vernuͤnftigem Gebrauch,

Zu ihrem Endzweck anzuwenden, und ſie zu unſers Schoͤpfers
Preiſe,

Auf eine mit derſelben Abſicht, zuſammenſtimmend Art und
Weiſe,

Mit Gottes Werken zu vereinen, mit den Geſchoͤpfen zu ver-
binden,

Wodurch wir uͤberzeuglich klar die große Wahrheit gleich
befinden,

Und deutlich anerkennen werden: Daß Gottes Creaturen
werth,

Daß ſie von uns betrachtet werden, ja daß, da wir der Sinnen
Gaben,

Wodurch man ſie betrachten kann, von unſerm Gott erhalten
haben,

Wir ſelber werth, ſie zu betrachten. Einfolglich daß man
Gott verehrt,

Wenn man der Creaturen Menge, derſelben Ordnung, Schmuck
und Pracht,

Und in denſelben deſſen Allmacht, der ſie aus Nichts her-
vorgebracht,

Sammt ſeiner Lieb und ſeiner Weisheit, zum Vorwurf
ſeiner Seele macht.

T t 4Man
[664]Betrachtung einiger Pflichten
Man zeige mir auf dieſer Welt, von allem was man je erkannt,

Fuͤr Seelen, mit Vernunft begabet, doch einen wuͤrdgern Ge-
genſtand.

So bald wir nun mit dieſem Vorwurf, durch unſre Sin-
nen, unſre Seelen,

Jn einer ernſtlichen Betrachtung verbinden, fuͤgen, ja ver-
maͤhlen:

Entſteht die ſelige Bewundrung, die uns die wahre Gott-
heit weiſt,

Jndem man Weisheit, Macht und Liebe, in jeder Creatur
verſpuͤret,

Die einen, der nur menſchlich denkt, auf eine ſolche Weiſe
ruͤhret,

Daß man, in ſeiner eignen Luſt, den Herrn der Creatu-
ren preiſt.

Denn, welches wohl Bewunderns-werth, Gott hat in allen
ſeinen Werken,

Wenn wir in ihnen Lieb und Allmacht und Weisheit, die er
ſelbſt, bemerken,

Nicht eine koͤrperliche nur, auch eine Seelen-Luſt geſenkt,

Und in dem Dienſt, den man ihm leiſtet, gleich eine Luſt zum
Lohn, geſchenkt,

Da man, jemehr man die Geſchoͤpf, auf eine rechte Weiſ
ergruͤndet,

Man immer groͤßre Weisheits-Proben, und immer mehr Ver-
gnuͤgen findet.

Das allgemeine Weltgebaͤude, das Licht, das Waſſer, Luft
und Erde,

Sammt ihrer Buͤrger großen Menge, die ſie zu unſerm Nutz
bewohnen,
Der
[665]der Menſchen gegen Gott.
Der Flammen-reichen Stern- und Sonnen gar nicht zu
zaͤhlnde Millionen,

Jn Summa goͤttlicher Geſchoͤpfe, (die er allein durch ſeine
Es werde,

Aus nichts entſtehn und kommen heiſſen,) auch Engeln un-
zaͤhlbare Schaar,

Die ſtellen ſich, in ihrer Groͤß und Herrlichkeit, die Gottheit dar.

Man ſieht und hoͤrt zugleich ſie uns, in ihrer Schrift und
Sprach, erklaͤren:
Ein ſolch unendlich Weſen ſey, nach allen Kraͤften,
zu verehren.

Die Ehre nun, wodurch wir Gott am allerwuͤrdigſten erhoͤhn,

Wird man in unſrer vierten Pflicht, die jetzo folget, deutlich ſehn.

Die IVte Pflicht iſt, uns zu beſtreben, von
der Gottheit das allerbeſte, wozu unſerer Seelen
Kraͤfte nur immer faͤhig ſind, zu gedenken.


Wann nun in unſerm ganzen Weſen an Seel und Koͤrper
unſer Denken

Das Edelſt’ und das Herrlichſte, wodurch von allem, was hie-
nieden

Von Pflanzen, Fiſchen, Voͤgeln, Thieren wir wunderwuͤrdig
unterſchieden:

So iſt ja wohl unwiderſprechlich, der Gottheit dieſe Kraft zu
ſchenken,

Sey unſre Schuldigkeit und Pflicht. Worin kann aber dieß
geſchehn,

Als wenn wir alle Seelenkraͤfte, am wuͤrdigſten ihn zu erhoͤhn,

Jhn recht zu ehren und zu lieben, uns oft bemuͤhen, anzuſtrecken,

Und von den Vollenkommenheiten der Gottheit mehr ſtets zu
entdecken.

T t 5Nun
[666]Betrachtung einiger Pflichten
Nun lehret uns Vernunft und Schrift, daß Lieb ihn zum
erſchaffen triebe,

Und zwar die Liebe bloß allein. Jndem nun Gott die ewge
Liebe

Jn ſeinem Wort ſich ſelber nennt; imgleichen Paulus uns
erklaͤrt,

Mit einem Feur, das zu bewundern, und mit ſo großem Nach-
druck lehrt,

Daß auch von allem, was auf Erden, doch nichts der Liebe
ſich vergleiche,

Daß auch von allem, was im Himmel, doch nichts an ihrem
Werthe reiche:

So iſt der herrlichſte Begriff, den wir von Gott uns machen
koͤnnen,

Daß wir im Jnnerſten der Seelen ihn als die ewge Liebe
kennen,

Wodurch wir aber, wenn wir Gott nur bloß die ewge Liebe
nennen,

Durchaus die Macht und Weisheit nicht, die von ihr unzer-
trennlich, trennen.

Wir werden ihn dadurch zugleich das Beſte ſchuldig ſeyn zu
goͤnnen,

Und voller Ehrfurcht gegen ihn in Gegenliebe zu entbrennen,

Unmoͤglich uns enthalten koͤnnen,

Wir werden uns auf nichts verlaſſen, als nur auf ſeine Lieb allein,

Und ihm, in kindlichem Vertrauen und Glauben, zugeeignet ſeyn.

Aus dieſem feſten Glauben nun entſtehet dieſer feſte Schluß,

Den man, zum Ruhm der ewgen Liebe unwiderſprechlich ma-
chen muß.

Die
[667]der Menſchen gegen Gott.

DieVte Pflicht, glauben, das Beſte, ſo wir
von Gott gedenken koͤnnen, ſey, uns feſt zu verſi-
chern, daß von Gott aus Liebe, als ſeiner ſelbſtaͤn-
digen Vollkommenheit, alles zu einem guten
Endzweck eingerichtet ſey.


Das allerbeſte nun, ſo Menſchen von Gott zu denken faͤhig
ſeyn,

Jſt dieſes, uͤberzeuglich glauben, daß er ſo, wie mit allen Dingen,

Es auch mit uns zum guten Ende, ſo koͤnn und woll als
werde bringen.

Jn einer ſolchen Ueberzeugung und Glauben finden wir allein,

Daß Gottes Liebe, Weisheit, Macht enthalten und verherr-
licht werde,

So gar, daß wenn dieß nicht geſchicht, und man das Gegen-
theil vermeynte,

Man Weisheit, Macht und Lieb entweder, ja alle drey
in Gott verneinte.

Denn wenn, was iſt, vernichtigt wuͤrd, ja ſich verſchlimmerte;
wo bliebe,

Jn Anſehn ſeiner Creaturen, ſein’ Allmacht, ſonderlich die
Liebe,

Zuſammt der Weisheit, die ja weis, auf welche Weiſ es
anzufangen,

Daß alle ſeine Creaturen in einen beſſern Stand gelangen?

Da ſeine Lieb es bruͤnſtig will, die Allmacht ungezweifelt kann:

So zweifelt man, mit hoͤchſtem Unrecht, faſt gotteslaͤſterlich
daran;

Weil, zur Verkleinerung des Schoͤpfers, die Folge ja ſonſt die-
ſe waͤr,

Daß alles durch einander ging, als durch ein blindes Ungefaͤhr,
Ja
[668]Betrachtung einiger Pflichten
Ja gar, wo es mit Fleiß geſchaͤh, und daß ein Gott aus Vor-
ſatz wollte,

Daß etwas ungluͤckſelig ſeyn, und ewig alſo bleiben ſollte:

Koͤnnt es unmoͤglich anders ſeyn, durch ſolch ein Schrecken-
Bild verloͤhre,

Nach den Jdeen, die wir haben, die Gottheit ſelbſt von ihrer
Ehre

Jn unſrer aller Seelen viel. Kaum wuͤrd man ſich enthal-
ten koͤnnen,

Auch wider unſern Willen, ſelbſt den Schoͤpfer ungerecht zu
nennen.

Es wuͤrde ſolche Meynung eh ſich auf ein boͤſes Weſen
paſſen,

Und eh ſich faſt vom Satan ſelbſt, als von der Gottheit, den-
ken laſſen.

Hingegen, wie bereits gemeldet, iſt unſre Pflicht und Schul-
digkeit,

Zu der Verherrlichung des Schoͤpfers, von ſeiner Vollenkom-
menheit

Das allerbeſte zu gedenken, nach aller Kraͤfte Moͤglichkeit.

Wenn nun die Seel in ihrem Weſen die ewig feſte Wahr-
heit ſpuͤret,

Und ſie, daß Gott die ewge Liebe, ganz uͤberzeuglich uͤberfuͤhret:

So fließt hieraus unwiderſprechlich, daß ſie nicht anders kann
gedenken,

Als daß die Huld der Gottheit alles zum guten Endzweck wer-
de lenken,

Daß alles, was uns uͤberkoͤmmt, an Ungluͤcksfaͤllen, in der
Zeit,

Zu unſerm Heil uns uͤberkoͤmmt, ja daß bis in die Ewigkeit
Sein
[669]der Menſchen gegen Gott.
Sein ewigs Lieben ſich erſtreckt. Dieß iſt das Herrlichſte,
das Beſte,

Dieß iſt das allerwuͤrdigſte, von einer Gottheit, und das groͤßte,

Worin wir Gott verehren koͤnnen, der uns von ſich die Nach-
richt goͤnnt,

Daß er uns liebt, indem er ja ſich ſelbſt die ewge Liebe
nennt.

Aus dieſer Gottes Liebe nun, erfolgen drey von unſern
Pflichten,

Nach welchen wir der Seelen Weſen, nach allen Kraͤften ein-
zurichten,

Jn wahrem Glauben ſchuldig ſeyn. Die Gegenliebe, Dank-
barkeit,

Und wenn uns etwas boͤſe ſcheinet, geduldige Gelaſſenheit.

Die Gegenliebe.


So laſſet uns ihn wieder lieben, da er zum erſten uns ge-
liebet!

Der angenehmſte Gottesdienſt, wird darin bloß nur aus-
geuͤbet,

Daß wir ein kindliches Vertrauen zu ihm, in unſern Seelen,
hegen,

Uns, voller bruͤnſtgen Zuverſicht, in ſeine Vater Arme legen,

Und die verbothne knechtſche Furcht, fuͤr einen ewigen Ty-
rannen,

Als die ſein wahres Weſen hoͤhnt, ſein ewigs Lieben ſchimpft,
verbannen.

Aus dieſer Wurzel wird die Frucht, und zwar die ſeligſte
von allen,

Zu ſeines Namens Ehr, entſprieſſen, daß wir, damit wir ihm
gefallen,

Jn
[670]Betrachtung einiger Pflichten
Jn kindlicher, nicht knechtſcher Furcht, aus allen Kraͤften, uns
beſtreben,

Nach ſeiner offenbarten Vorſchrift, und Regeln der Natur
zu leben,

Zu meiden, was wir meiden ſollen, zu thun, was Gott zu thun
begehrt,

Und uns bemuͤhen, ſtets zu zeigen, daß man ihn herzlich liebt
und ehrt.

Was koͤnnten doch des ewgen Vaters, der ewgen Liebe, Liebes-
Triebe,

Doch anders wohl von uns verlangen, als kindlich bruͤnſtge
Gegenliebe?

Vor allen andern Leidenſchaften, die alleredelſt’ iſt allein,

Sich herzlich ſehnen, als ein Kind, ſolch einem Vater werth zu ſeyn,

Der, wie er uns hervor gebracht, auch unaufhoͤrlich Proben
giebet,

Daß er uns, bloß zu unſerm Beſten, geliebt, hier liebt und
ewig liebet.

Gelaſſenheit.


Wann wir nun, daß der Gottheit Weſen die ewge Liebe
ſey, verſpuͤret,

Und uns Erfahrung, Hoffnung, Glaube, von dieſer Wahrheit
uͤberfuͤhret,

Daß Gott, zu einem guten Endzweck, was er geſchaffen, ein-
gerichtet:

So ſind wir, nebſt der Gegenlieb’, auch zur Gelaſſenheit ver-
pflichtet,

Wenn etwan uns, nach unſrer Meynung, was widriges auf
dieſer Welt,

Von ungefaͤhr zu Haͤnden ſtoßt, Verdruß und Gram uns
uͤberfaͤllt.

Wir
[671]der Menſchen gegen Gott.
Wir koͤnnen Gott, der ewgen Guͤte, unmoͤglich hie in die-
ſem Leben,

Ein ihm gefaͤlliger Geſchenk, ein angenehmer Opfer geben,

Als wenn wir uns mit Ernſt bemuͤhn, auch bey betruͤbten
Ungluͤcks-Winden,

Und in Verdruß, in Kreuz und Noth, was Gott thut, gut ge-
thau zu ſinden,

Weil dieſes eine Zuverſicht und ein recht kindliches Ver-
trauen,

(Da wir, nebſt ſeiner Vater Lieb, auf ſeine Macht und Weis-
heit bauen,)

Allein enthaͤlt und unterſtuͤtzt. Geduldige Gelaſſenheit,

Jſt, gegen unſern großen Schoͤpfer, ein Theil von unſrer
Schuldigkeit,

Und koͤnnen wir, wenn wirs erwegen, den ſo genannten frey-
en Willen,

Die Abſicht in dem wahren Endzweck, auf keine beſſre Art er-
fuͤllen,

Als wenn wir, auch in dieſem Punkt, die uns von Gott ge-
ſchenkten Kraͤfte,

So viel uns moͤglich, uns beſtreben, zu dieſem heilſamen Ge-
ſchaͤffte,

Zur Ehre Gottes anzuwenden. Die Pflicht nun, da ſie etwas
ſchwehr,

Wird, durch die feſte Zuverſicht, und die vorhin erwaͤhnte
Lehr,
Daß Gott die ewge Liebe ſey, und ſich die Liebe
nennen wolle,

Daß alles, was uns uͤberkoͤmmt, zu unſerm Beſten dienen ſolle,

Am allerſtaͤrkſten unterſtuͤtzt. Wenn wir von dieſer ewgen
Wahrheit,

Mit einer uͤberzeuglichen unwiderſprechlich hellen Klarheit,
Ge-
[672]Betrachtung einiger Pflichten
Genugſam uͤberfuͤhret waͤren, daß Gott, der, was er will, auch
kann,

Aus Lieb uns gluͤcklich machen wolle, und daß es ſei-
ner Lieb und Ehre,

Wenn wir von ihm ein anders daͤchten, wahrhaftig unan-
ſtaͤndig waͤre:

So wuͤrde, mit nur moͤglichen, ja allen Kraͤften, jedermann,

(Wie wunderlich es oͤfters auch, mit ihm, in dieſem Leben,
gehet,

Wie ſcharf auch oͤfters wider ihn ein ſtrenger Sturm des
Ungluͤcks wehet,)

Doch auf den Grund der Liebe Gottes das Anker ſeiner Hoff-
nung werfen,

Es in gewiſſer Zuverſicht der kuͤnftigen Belohnung ſchaͤrfen,

Und, mit vor aller Furcht befreytem, und zuverſichtlichem
Vertrauen,

Wodurch man Gott am meiſten ehrt, auf ſeine Macht und
Liebe bauen.

Dieß iſt allein die ſelge Quelle der ruhigen Gelaſſenheit,

Jn Ungluͤcks-Faͤllen, die ſich bindet, mit unſrer Pflicht und
Schuldigkeit.

Jn dieſer Pflicht mich nun zu uͤben, hat Gott, der Herr, in
dieſem Leben,

Jn dem nunmehr verfloßnen Jahr, mir auch Gelegenheit
gegeben,

Jndem mein frommes Eh-Gemahl mir, durch den fruͤhen
Tod, entriſſen,

Zu mein und meiner Kinder Gram, in dieſem Jahr, erblaſſen
muͤſſen.

Wer
[673]der Menſchen gegen Gott.
Wer ihre Tugenden gekannt, wer ihren Wandel angeſehn,

Wer ihre Gottesfurcht bewundert, wird, waͤr es auch mein
Feind, geſtehn,

Daß mein Verluſt faſt unerſetzlich, u. daß ich folglichmich zufaſſen,

Und in Gelaſſenheit zu dulden, was Gott mir uͤberkommen laſſen,

Mir eben nicht gar leicht gefallen, ja daß es von mir ſelber nicht,

Aufs wenigſt in der rechten Maaße, und in vollkom̃ner Zuverſicht,

Mir haͤtte koͤnnen moͤglich ſeyn. Wie ich denn willig auch geſtehe,

Daß viele Fehler vorgefallen, die ich bereits ſchon jetzo ſehe.

Doch hab ich, Herr, durch deine Gnade mich doch nach Moͤglich-
keit bemuͤht,

Mich ſelber zu beruhigen. Jch nahm Vernunft und Pflicht
zuſammen,

Jch fing, um mich zu troͤſten, an, die faſt erloſchnen Dichter-
Flammen

Aufs neu, durch Seufzer, anzufachen, um durch ein ſanftes
Trauerlied

Die Trauer zu beſaͤnftigen, wobey ich eines Troſts genoß,

Als mir, zu ihrem Ruhm, beym Schluß, die Grabſchriſt aus
der Feder floß:

Grabſchrift.


Von einem Geiſt, der in der Zeit,

Durch Bethen, oft den Schoͤpfer prieſe,

Der von Geduld und Froͤmmigkeit,

Von Andacht und Gelaſſenheit,

Ein unnachahmbar Muſter wieſe,

Der ſich, von uns, zum Paradieſe,

Das Gott aus Gnaden ihm geſchenkt,

Voll bruͤnſtger Zuverſicht gelenkt,

Kurz, von der redlichen Beliſe,

Sind hier die Schaalen eingeſenkt.

Br.VI.Th. U uVer-
[674]Verſuch der Kraft unſers Geiſtes,

Verſuch der Kraft unſers Geiſtes,
in der Betrachtung vom Nichts, nebſt

wiederholter Unterſuchung ſeiner hauptſaͤchlich-
ſten Pflicht der Bewunderung.
Zum Neujahrs-Gedicht auf 1738.
Sanctius ac reuerentius de actis Dei credere, quam ſcire.
tacitvs.


Einzig unbegraͤnztes All! ewigs undurchdringlichs Licht,

Deſſen Liebe, Macht und Weisheit allenthalben, nirgends
nicht,

Gottheit, die in Ewigkeit menſch- und engliſchen Gedanken

Unbegreiflich, unerforſchlich, deſſen Maaße, Ziel und Schranken

Bloß allein das wahre Nichts, da ich itzt zu dieſer Zeit

(Welche vor viel andren Zeiten voll von deiner Herrlichkeit,

Da wir um des Lichtes Quell unſern großen Kreislauf
enden,

Da wir uns, nach deiner Ordnung, wieder zu der Sonne
wenden,)

Dir zu Ehren meinen Geiſt in die tiefſte Tiefe ſenke,

Und vom Anfang eines Etwas, wo das Nichts ſich endet,
denke,

Auch zugleich von unſerm Geiſt, ſeinen Graͤnzen, ſeiner Kraft,

Seinen Pflichten, ſeinem Weſen, ſeiner Abſicht, Eigenſchaft

Noch was nuͤtzliches zu ſchreiben, willens bin, und zu erwegen:

Ach ſo gieb zu dieſem Vorſatz deine Gnade, deinen Segen!

Laß es, nicht zu meines Naͤchſten und zu meinem Nutz allein,

Sondern dir zum Ruhm und Preiſe, wuͤrdig eingerichtet ſeyn.

Das
[675]in der Betrachtung vom Nichts.

Das verborgne Nichts zu kennen, in die bodenloſe Tiefe,

Woraus unſer Gott dem Etwas, daß es werden ſollte, rieſe,

Den, ob dieſer Dunkelheit, ſchwindelnden Verſtand zu ſenken,

Von deſſelben Graͤnz, und Schranken, was vernuͤnftiges ge-
denken,

Und des Etwas Anfang finden, das, wo Nichts, nicht mehr
ſich zeigt;

Scheint ein ſolches Ziel zu ſeyn, das den Geiſt weit uͤberſteigt,

Und ſelbſt zu vernichten droht; Ja ein ſolches Unterfangen,

Wozu auch den Engeln ſelber, kaum erlaubt ſcheint zu gelangen.

Jch erkenn auch meine Schwaͤche dazu mehr, als allzuwohl,

Und es iſt gewiß mein Geiſt nicht ſo eitlen Hochmuth voll,

Sich von ſich ſelbſt einzubilden, dieſe Tiefe zu ergruͤnden,

Und des Etwas wahren Anfang, ſamt dem Schluß vom
Nichts, zu finden.

Dennoch koͤmmt, aus vielen Gruͤnden, dieſes Vorwurfs Jn-
halt mir,

Vor viel tauſend andern noͤthig, nuͤtzlich und betraͤchtlich fuͤr.

Weil vielleicht aus der Betrachtung von dem Nichts ſich
Etwas zeiget,

Wodurch man zu einer Wahrheit, welche ſonſt verborgen, ſteiget.

Jch gedenke denn, mit Gott, in der Spur ſo weit zu gehen,

Als es meine Kraͤft erlauben, und denn gerne ſtill zu ſtehen.

Jch will gerne groͤßern Geiſtern, alles richtiger zu faſſen,

Wenn ich nur die Bahn gebrochen, mit Vergnuͤgen uͤberlaſſen.


Um nun in den tiefen Abgrund des verhohlnen Nichts zu
ſteigen,

Um den Anfang und das Ende des erſchaffnen Stoffs zu ſehn,
U u 2Wird
[676]Verſuch der Kraft unſers Geiſtes,
Wird des Stoffs Verkleinerung uns die beſten Wege zeigen,

Und wir muͤſſen Staffel-Weiſe in die hohle Tiefe gehn.

Wie nun die Verkleinerungen koͤrperlicher Ding auf Erden

Jns unendliche faſt kommen, und wohl nie begriffen werden;

Davon hab ich mich bemuͤht, eine Probe vorzuſtellen,

Da ich deutlich denn gezeigt, wie, vom großen Reich der Wellen,

Nur in einem einzigen cubſchen Waſſer-Zoll allein,

Dreyzehn tauſend Millionen Waſſer-Theilchen wirklich ſeyn,

Und in einem einzgen Tropfen zwanzig Millionen ſtecken,

Die wir alle uͤberzeuglich, mit dem Geiſt, darin entdecken.

Ferner haben wir daſelbſt augenſcheinlich dargethan,

Daß, in einem irdſchen Koͤrper, nemlich einem Kupfer-Gran,

Hundert Millionen Theilchen, die noch alle ſichtbar ſeyn,

Jm gefaͤrbten Naß, vorhanden. Gleichfalls giebt der Augen-
ſchein,

Daß, von einer Unze Gold, man oft einen Silber-Drat,

Ueber hundert Meilen lang, uͤberall verguͤldet hat,

Da es neun und funfzig tauſend uͤber tauſend tauſend mal,

Duͤnner, als der duͤnnſte Strich einer Linie ſich findet.

Wer iſt, welcher dieſe Kleinheit, und derſelben Theile Zahl,

Nicht erſtaunenswuͤrdig haͤlt? Aber hier iſt lange nicht,

Jhres Weſens End und Anfang, wie ſichs deutlich zeigt, er-
gruͤndet,

Sondern es giebt die Vernunft uns den klaren Unterricht,

Daß, wie unbegreiflich klein jeder Theil, den wir geſehen,

Es doch bis zu einer Monas, weiter mit ihm muͤſſe gehen,

Als wir bis zu ihm gelangt. Was giebt nun ein Theil vom
Licht,

Das auch koͤrperlich, zu denken! Von demſelben hat man eben,

Jn dem irdiſchen Vergnuͤgen, klaͤrlich den Beweis gegeben,

Wie aus einer kleinen Kerzen eine ſolche Menge bricht,
Daß
[677]in der Betrachtung vom Nichts.
Daß, in jeglicher Secunde, ſechzig tauſend Millionen,

Und annoch ſechs tauſend druͤber, nebſt noch acht und zwan-
zig Nullen,

Welches eine ſolche Zahl, daß der menſchliche Verſtand

Ganz darob erſtaunt und ſtutzt. * Da ſo viele Koͤrner Sand

Nicht in tauſend malen tauſend Millionen unſrer Erden,

Ungeachtet ihrer Menge, koͤnnen angetroffen werden.

Wann nun einer dunklen Monas (waͤre ſie auch noch ſo klein,)

Durch ein dichtes Glas zu dringen, nimmermehr wird moͤg-
lich ſeyn;

Und wir doch vom Licht die Theilchen, daß ſie durch die Glaͤ-
ſer gehen,

Und zwar ſonder Widerſtand, mit erſtaunten Blicken, ſehen;

Merkt man, daß die dunkle Monas und die lichte zweyerley,

Folglich daß derſelben Kleinheit noch nicht zu vergleichen ſey.

Hier nun ſcheint der Menſchen Geiſt, daß er von ſich ſelbſt
ſich trenne,

Und unmoͤglich in die Kleinheit ſchaͤrf-und tiefer dringen koͤnne.

Hier vergehet ihm das Denken, hier verliſchet ſeines Lichts,

Scharfer und ſubtiler Glanz,

Durch die gar zu große Kleinheit gleichſam unterdruͤckt, faſt
ganz.

Denn indem der Koͤrper Theile wirklich nicht unendlich klein,

Und wie ſehr ſie zu verkleinern, nicht unendlich theilbar ſeyn;

Muͤſſen hier, von dem was iſt, da die theilbarn Theile ſchwinden

Von dem unfuͤhlbaren Etwas, ſich die zarten Graͤnzen finden,

Und was koͤrperlich, ſich enden. Das entſetzlich dunkle Nichts

Scheint hier ſeinen ſchwarzen Abgrund, ohne Grund, ihm zu
entdecken,
U u 3Jhn
[678]Verſuch der Kraft unſers Geiſtes,
Jhn nunmehr unwiederbringlich, ſelber mit geheimem
Schrecken,

Zu verſchlingen, zu begraben, zu vernichten. Aber hoͤr,

Spreize dich! beſinne dich! wie wenn gar kein Nichts
nicht waͤr?

Ein wahrhaftig wirklich Nichts, was wir auch von ſel-
bem leſen,

Scheint, nach ernſter Ueberlegung, daß es nimmermehr ge-
weſen.

Denn da Gott von Ewigkeit allenthalben, nirgends nicht,

Und unendlich immer war; iſt, nach unſers Geiſtes Licht,

Nie ein wahres Nichts geweſen. Hoͤre mehrern Unterricht:

„Das kein eigentliches Nichts je von Gott erſchaffen ſey;

„Desfalls faͤllt uns beyden wohl hoffentlich kein Zweifel bey,

„Waͤr es etwas unerſchaffnes; ſcheint es mit den Herrlichkeiten

„Des bloß unerſchaffnen Weſens, dem ſelbſtaͤndgem All, zu
ſtreiten.

„Glauben, daß ein ewigs All, auch ein ewigs Nichts
zugleich,

„Von den grauen Ewigkeiten, ein ſich widerſprechend Reich,

„Mit einander fuͤhren koͤnnen: Wie wir auch das Denken
haͤufen,

„Wird kein menſchlicher Verſtand, ſolch ein Unding nicht
begreifen.

„Daher ſtimmen die Gedanken hoffentlich hierin zuſammen,

„Daß, wie alle Ding urſpruͤnglich einzig aus der Gottheit
ſtammen,

„Sie ſich auch, ohn Zwiſchenſtand, in ihm ſinden und be-
ſchlieſſen,

„Jn ihm, ſo wie ihren Anfang, auch die Graͤnzen haben muͤſſen.
„Ja
[679]in der Betrachtung vom Nichts.
„Ja, mich deucht, daß dieſer Graͤnzen eigene Beſchaffenheiten

„Uns zum Urſprung und zum End aller Ding am klaͤrſten
leiten,

„Und das Nichts ins All verſenken. Aber, wie mich deucht,
ich hoͤre

Dich hier dieſen Einwurf machen: Ob denn nicht die
Bibel lehre:

Daß die Welt aus Nichts erſchaffen? Ja. Doch hoͤre
meinen Schluß,

Welcher dich, mit deinem Einwurf, hoffentlich vergnuͤgen muß.

Dieß Nichts, und was unerſchaffnes, zeigt ſich, daß es
einerley,

Und in ihrer Wirklichkeit gar nicht unterſchieden ſey;

Sondern es gehoͤren beyd’ eigentlich in einen Orden.

Nichts hat eigentlich die Abſicht, auf was, ſo erſchaffen
worden,

Daß es nemlich nichts von dem. Erd und Himmel ſind
gemacht,

Heißts, aus Nichts. Nichts ſo erſchaffen, ſie ſind all her-
vorgebracht,

Aus dem unerſchaffnen bloß und, wie alles, was vorhanden,

Aus erſchaffnem Nichts, das iſt, Unerſchaffenen entſtanden:

So hat alles, was durch Gott und ſein maͤchtig Wort entſtund,

Von dem, was erſchaffen worden, auch auf Nichts noch ſei-
nen Grund,

Das heißt auf dem unerſchaffnen. Aber, dieß nun ausgeſetzet,

„(Sprichſt du) iſt denn deine Meynung? Wird von dir vor
wahr geſchaͤtzet,

„Daß da, wo die Monades oder die Simplicia,

„Welche keine Theile haben, aufgehoͤret, eben da
U u 4„Sich
[680]Verſuch der Kraft unſers Geiſtes,
„Sich unmittelbar die Gottheit, mit demſelbigen verbinde?

„Und daß man derſelben Graͤnzen eben in der Gottheit finde?

„Oder, da du von den Geiſtern, daß auch dieſe einfach ſeyn,

„Wie du mir geſaget, glaubeſt; ſtimmſt du darin uͤberein,

„Daß, wo Monades zu Ende, etwas geiſtiges vorhanden?

„Und wird etwan, durch die Meynung, dieß vielleicht von dir
verſtanden,

„Daß, auf welche Weis ein Geiſt in die Koͤrper wirke, man

„Auf die Weiſe deutlicher, als ſonſt nicht, erweiſen kann?

„Denn ein Simplex wuͤrde beſſer in ein anders wirken
koͤnnen,

„Als in das, was wir verbunden, einen groben Koͤrper nennen.

Hiervon kann ich dir ſo leicht, was ich davon zugeſteh,

Nicht erklaͤren, aber doch deucht mich, daß ich ſo viel ſeh,

Wie dieß letzte nicht ſo dunkel und ſo unbegreiflich ſcheinet,

Als, von der praeſtabilita Harmoniâ, man vermeynet,

Da dieſelbe, wie es glaublich, zu dem Endzweck bloß allein,

Mit ſo vieler Muͤh, als Feinheit, auserſonnen ſcheint zu ſeyn,

Um die großen Schwierigkeiten, welche Geiſt und Koͤrper
geben,

Da ſie nicht vereinbar ſcheinen, und es dennoch ſind, zu heben.

Denn, wer weis, auf dieſe Weiſe, ob es nicht viel min-
der ſchwer,

Wie ein Simplex in das andre wirke, zu begreifen waͤr.

Sprichſt du: Laͤßt ſich eine Seele wohl in Monades ver-
theilen?

Sag ich: Darum darfſt du dich nicht im Urtheil uͤbereilen,

Denn es duͤrft, im Geiſtigen, eine Monas ja nur ſeyn,

Die in viele wirken koͤnnte. Hierinn ſtimm ich uͤberein:

Daß, an einer geiſtgen Monas, mehr und andre Eigenſchaften,

Als an vielen koͤrperlichen, ſonder allen Zweifel, haften,
Und
[681]in der Betrachtung vom Nichts.
Und gefunden werden muͤſſen. Dieſe Meynung wird die beyden,

So an Art, als der Natur, deſto beſſer unterſcheiden,

Und zu gleicher Zeit den Zweifel doſto deutlicher erklaͤren,

Als ob Monades im Geiſt theilbar oder fuͤgbar waͤren.

Ja wer weis, ob dieſe Meynung nicht noch weiter fuͤhren
koͤnnte,

Und, wenn man das Vorurtheil erſtlich von der Wahrheit
trennte,

Nicht, wie auch ſo gar den Koͤrpern, dem, der beyde ſchuf,
zur Ehr,

Auch ſich immer zu verbeſſern, moͤglich und erweislich waͤr?

Wenigſtens ſchien hier ein Sprung, wie wir ſonſten nir-
gend ſehn,

Daß ihn die Natur erlaubet, ſo wie ſonſt, nicht zu geſchehn.

Da man ſonſt von Etwas gleich auf das nicht vorhandne
Nichts,

Bey der Koͤrper Graͤnzen, kommen, und daſelbſten finden muͤßte;

Welches nicht begreiflich iſt. Wenn man aber etwan wuͤßte,

Daß der Koͤrper feinſte Theile ſich, auf uns verborgne Weiſe,

Auch in geiſtige verkehren, und ſich ſo verbeſſern koͤnnten,

Daß ſie, da ſie allgemach, von dem vorgen Stand ſich trennten:

Haͤtten wir vom Nichts zum Etwas, die bisher geſuchten
Graͤnzen,

Und man ſaͤh ein neues Licht einer neuen Wahrheit glaͤnzen.

Nichts ſcheint ſo des Schoͤpfers Allmacht, Lieb und Weis-
heit zu vergroͤßern,

Als ſein einſt gemacht Geſchoͤpf unaufhoͤrlich zu verbeſſern.

Wann es nun von ſeines Weſens goͤttlicher Vollkommenheit,

Das Vollkommenſte zu denken, aller Menſchen Schuldigkeit:

Scheint der menſchliche Verſtand dieſes von uns zuverlangen,

Von der Koͤrper Aenderung, dieß zu glauben, anzufangen.

U u 5Doch
[682]Verſuch der Kraft unſers Geiſtes,
Doch, verwegner Geiſt, halt ein! wo verſteigeſt du dich hin?

Will dein gar zu ſehr gedehnter und zu ſehr geſpannter Sinn,

Aus den vorgeſchriebnen Schranken, ſich vermeſſentlich erhoͤhn,

Da faſt alles dir verborgen, gar das dunkle Nichts ergruͤnden,

Gar das Ende des Erſchaffnen, gar der Geiſter Anfang finden?

Und, da wir ſo wenig wiſſen, auch ſo gar ein Nichts verſtehn?

Haſt du deine eigne Lehre, daß wir hier ſo wenig faſſen,

Dir, durch uͤbertriebnes Denken, hier denn ganz entfallen laſſen?

Ja, vielleicht hab ich gefehlet, und es waͤr gewiß geſchehn,

Wenn ich alles Richter-maͤßig ſetzen und entſcheiden wollen.

Aber dieſes thu ich nicht, weil mir gar zu wohl bekannt,

Daß wir, Gott, im Werk, bewundern, aber nicht begreifen
ſollen.

Dieß ſcheint unſers Weſens Endzweck, und nothwendger,
als wenn man,

Es ſey ſo und anders nicht, recht monarchiſch ſagen kann,

Und ſich unbetrieglich ſchaͤtzt. Darum will ich lieber hier,

Von den Meynungen vom Nichts, liebſter Leſer, mir
und dir,

Mehr zu ſagen, mich enthalten, weil ich es vor noͤthig achte,

Daß ich, eh ich weiter geh, erſt die wahre Kraft betrachte,

Unſers Geiſtes, unſrer Seelen, und derſelbigen Gedanken,

Von dem Schoͤpfer der Natur glaublich zugegebnen Schranken;

Weil, wofern wir dieſe Schranken zu bemerken, unterlaſſen,

Es mir ganz unmoͤglich ſcheint, etwas gruͤndliches zu faſſen,

Etwas recht zu unterſuchen. Jch muß hier von unſrer Seelen,
Daß ich ſie begraͤnzter halte, als viel andre, nicht
verhehlen,

Und vermeyne, daß wenn man dieſe Meynung feſte ſtellt;

Es zum unleugbaren Beſten, und zum Nutz der ganzen Welt,
Vie-
[683]in der Betrachtung vom Nichts.
Vieles bey zu tragen faͤhig. Daß faſt nichts, als Zank und
Streit,

Jn der gegenwaͤrtigen, ſo wie in vergangner Zeit,

Jn der ganzen Welt geherrſcht, daß ja, faſt in allen Sachen,

Ein beſtaͤndigs Widerſprechen, Haß, Verfolgung, Ketzer
machen,

Leider! uͤberall geraſt und noch raſet, iſt bekannt.

Und von allen ſcheint der Grund, der nicht irrende Verſtand,

Den ein jeder glaubt zu haben. Da doch, bloß durch die-
ſen Satz,

Der uns jaͤmmerlich betriegt und verfuͤhrt, der Wahrheit
Schatz

Ungluͤckſelig ſich verliert. Moͤchten wir, eh wir uns zanken,

Oder einen Satz verfechten, doch vorher die wahren Schranken

Unſers Geiſtes unterſuchen: Ob die Menſchheit, in der That,

Eine Seele, die untrieglich und die Wahrheit kennet, hat.

Sagen doch die Geiſtlichen, daß, nach Adams Fall, der
Seelen

Das vorhin beſeßne Licht und die beſten Kraͤfte fehlen,

Und dennoch verfahren ſie ſo, daß Adam nimmermehr

Haͤtte feſter ſchlieſſen koͤnnen, wenn er nicht gefallen waͤr.

Viele gehen gar ſo weit, daß ſie wuͤrgen und verbrennen

Alle, die nicht ſo, wie ſie, glauben und gedenken koͤnnen.

Da es doch, wenn jene nicht durch der Gruͤnde Kraft beſiegt,

Oft ſowohl an ihrer Gruͤnde-als der Ketzer Schwaͤche, liegt.

Zeigt nicht der uns vorgeſchriebne Glaube deutlich ſelber an:

Daß, durch Kraͤfte der Vernunft, man nur wenig faſſen kann?

Die Philoſophi nicht minder, ob ſie gleich vor Augen ſehen,

Was den alten Seculis von den juͤngern ſtets geſchehen,

Nemlich, daß die neuen Weiſen nimmer eine Buͤndigkeit,
Jn
[684]Verſuch der Kraft unſers Geiſtes,
Jn der Alten Meynung funden, und, daß die zukuͤnftge Zeit

Es mit ihnen eben wieder, ſo wie ſie zuerſt gehandelt,

Mit den vorigen verfaͤhrt, ihre Trefflichkeit verwandelt,

Jn Erbarmungs-wuͤrdge Thorheit; ſollten ſie nicht in ſich gehn,

Und aus der Erfahrung, ſchlieſſen, uns wird eben das geſchehn?

Muß nicht jeder, bey dem Zuſtand, in ſich, faſt unſinnge
Triebe

Eines unumſchraͤnkten Hochmuths, einer blinden Eigenliebe,

Fuͤhlen und mit Haͤnden greifen? Oder uͤberfuͤhret ſeyn,

Daß die Gabe zu erkennen, das Talent, zu prophezeyn,

Sey fuͤr ihm abſonderlich und zwar ganz allein verſparet:

Und, was keinem Menſchen ſonſt, ſey ihm dennoch offenbaret.

Kann was aufgeblaſners, dummers, laͤcherlichers auf der
Erden,

Und was weniger gegruͤndet, jemals wohl erſonnen werden,

Als daß ſich ein Sterblicher ſelber uͤber alle ſetzt,

Daß er, und nur er allein, ſeinen Geiſt untrieglich ſchaͤtzt,

Den er doch, wenn ihn ein andrer, eben mit denſelben Gaben,

Etwan uͤberkommen haͤtte, ſelber wuͤrd erniedrigt haben.

Er iſt ſelbſt Partey und Richter und ſein eigenes Gericht.

Welch ein Wunder, daß er immer ein parteyiſch Urtheil
ſpricht!

Jſt uns unſer Geiſt gegeben, und erfordert ſeine Pflicht,

Alle Dinge zu begreifen; warum auch ſich ſelber nicht?

„Was? wird mancher hier zu ſprechen; ſoll die Faͤhig-
keit der Seelen,

„Die Vernunft, des Himmels Gabe, denn betrieglich ſeyn
und fehlen?

„Die uns doch dazu gegeben, daß man ſich in allen wohl

„Unterrichten, Boͤs und gutes, deutlich unterſcheiden ſoll?
„Triegt
[685]in der Betrachtung vom Nichts.
„Triegt ſie uns, kann man durch ſie das, was wahr und
falſch, nicht faſſen,

„Kann man ſich auf ihre Einſicht, Schluͤß und Gruͤnde nicht
verlaſſen;

„Wuͤrde ſie uns faſt nicht brauchbar, und nicht dieſes nur
allein,

„Sondern uns vielmehr ein boͤſes ſchaͤdliches Geſchenke ſeyn.

„Sie wuͤrd uns zu lauter Jrrthum, Suͤnde, thorheit, Zanken,
Streiten,

„Zweifel, Un- und Aberglauben, Anlaß geben und verleiten.

„Wuͤrde mancher ſich dadurch nicht vermeſſen unterſtehn,

„Selbſt den Geber fuͤr den Urſprung dieſes Jrrthums anzu-
ſehn?

Aber hoͤr, im Augenblick, da du ſo denkſt, zeigt dein Jrren,

Wie ſo leicht ſich die Gedanken, durch Vernunft verfuͤhrt, ver-
wirren.

Du beweiſeſt ſelbſt, was ich zu beweiſen ſchuldig waͤr;

Nemlich, daß dein kluger Geiſt von geſunden Schluͤſſen leer,

Und nicht das ſey, was er glaubt; ſondern, daß du ſelbſt die
Maaße

Deines Geiſts dir zugemeſſen, daß dein Stolz ſich ſo vergaſſe,

Und von dem, was von dem Schoͤpfer dir Vortreffliches ge-
ſchenkt,

Daß es faſt unendlich ſey, weil du es beſitzeſt, denkt.

Jſt dein Naͤchſter auch kein Menſch? So wird er dieſelben
Gaben,

Wenn du redlich denken willt, auch von Gott empfangen ha-
ben,

Und du haͤlſt dich dennoch kluͤger, ſieheſt ihre Seelen an,

Als wenn man ſie mit der Deinen nicht mit Recht verglei-
chen kann.
Dieſes
[686]Verſuch der Kraft unſers Geiſtes,
Dieſes iſt die erſte Probe deiner uͤbereilten Schluͤſſe,

Und wie wenig man ſich ſelber hierin trauen koͤnn’ und muͤſſe.

Ferner zeiget ſich in allem, ob du noch ſo ſehr dich ſteifſt,

Daß du auch das allerkleinſte, gruͤnd- und wirklich nicht be-
greifſt.

Sage mir, was iſt ein Staub, was iſt Waſſer, Feuer, Erde?

Sprich, wie eine Frucht im Samen wachſ und zugerichtet
werde,

Was die Schwehre, was das Licht, was die Luft? Kurz; al-
lerley,

Was wir an und in uns haben, eigentlich und wirklich ſey?

Kannſt du wiſſen, ob es Gott nicht ſowohl, als wie das Leben,

Auch das Denken, wenn er wollte, der Materie zu geben,

Die du todt glaubſt, moͤglich ſey? Tadelſt du an deinen Augen,

Daß, ob ſie gleich vieles ſehn, alles nicht zu ſehen taugen?

Es behelfen die Gelehrten ſich mit der Wahrſcheinlichkeit,

Die ſich leichtlich finden laͤßt, und der Aufgeblaſenheit

Jhres Geiſtes ſo bequem. Dieſe nennen ſie das Wiſſen.

Kurz; ſie ſind ſich ſelbſt zu taͤuſchen, als auch andre, ſtets ge-
fliſſen.

„Daß du meynſt, wenn die Vernunft ſich betriegen koͤnnt
und irren,

„Koͤnnt und wuͤrde ſie uns ſtets auch betriegen und verwirren,

„Und ſo wuͤrde man ſo dann ſtets getaͤuſcht vom falſchen
Schein,

„Vom Betrug, von Fehl und Jrrthum nimmermehr geſichert
ſeyn.

„Ja man wuͤrde, (wie du ſprichſt,) faſt die Gottheit ſelber
koͤnnen,

„Da ſie uns Verſtand geſchenkt, alles Jrrthums Urſprung neñen:
So
[687]in der Betrachtung vom Nichts.
So erwege, wie ſo wenig wir, ſo gar in Glaubens-Sachen,

Von dem Lichte der Vernunft, die du ſo erhebeſt, machen.

Wie ſo wenig gilt dieß Licht? Muͤſſen wir uns nicht bequemen,

Und mit aller ihrer Kraft die Vernunft gefangen nehmen?

Aber darum bleibt Vernunft doch ein goͤttliches Geſchenke,

Ob ſie gleich nicht alles faßt, was du faſſen willt. Bedenke,

Daß der Misbrauch dieſer Groͤße, dieſer wunderbaren Gabe,

Die unſchaͤtzbar, nur allein Schuld an allem Uebel habe.

Sie iſt uns von unſerm Gott zu der Abſicht nicht gegeben,

Daß wir uns, durch dieſes Mittel, uͤber ihn faſt ſelbſt erheben,

Alle Dinge faſſen ſollen Nein, die Abſicht iſt nur bloß,

Daß wir hier empfinden ſollen, wie ſo liebreich, weiſe, groß,

Aller Ding und unſer Schoͤpfer. Daß, vor allen andern Thieren,

Wir vergnuͤgt verſpuͤren koͤnnen, das und was wir gutes
ſpuͤren.

Daß, geruͤhrt durch alle Proben ſeiner Weisheit, Macht und
Liebe,

Wir, in unſrer eignen Luſt, kindliche vergnuͤgte Triebe,

Von Erkenntlichkeit, von Andacht und Bewunderung empfuͤnden,

Wenn wir, neben dem Genuß, daß nur Gott ihn ſchenkt, ver-
ſtuͤnden.

Wir hingegen haben leider! unſrer Seelen beſte Kraͤfte

Von dem Endzweck abgewandt; unſer einziges Geſchaͤffte

Jſt, die Dinge zu ergruͤbeln, ihre Gruͤnde zu ergruͤnden,

Den Zuſammenhang von allen, welcher zureicht, auszufinden.

Andern unſern Fund zu zeigen, das Geſpinſte der Gedanken

Jhnen eifrig aufzudringen, und mit ihnen trotzig zanken,

Wann ſie etwan eigenſinnig ſich nicht alſobald bequemen,

Unſere vor ihre Wahrheit, anzubethen, anzunehmen,

Uber unſern Witz erſtaunen, auſſer ſich geſetzt. Jndeſſen

Wird die Abſicht der Vernunft, die Bewunderung, vergeſſen,
Da
[688]Verſuch der Kraft unſers Geiſtes,
Da dieſelben doch ſo noͤthig, wie wir es im vorgen Jahr,

Jm Gedicht von unſern Pflichten, gegen Gott faſt Sonnenklar,

Nach Vermoͤgen, dargethan, wovon ein paar Stellen hier

Noch einmal zu wiederholen, mein geliebter Leſer, dir,

Hoff ich, nicht misfallen wird.


Wann wir nun unſrer Seelen Kraͤfte, ſo viel uns moͤglich
iſt, ergruͤnden:

So werden wir von der Bewundrung, ganz uͤberzeuglich
dieß befinden,

Daß ſie die allerwuͤrdigſte Beſchaͤfftigung zu Gottes Ehren,

Zu der wir aufgeleget ſeyn, das nichts die Ehrfurcht mehr
zu mehren,

Die Demuth zu vergroͤſſern faͤhig, die Liebe zu erwecken
maͤchtig,

Ja, daß nur ſie allein uns zeige, wie Gott ſo liebreich, weiſ
und maͤchtig,

Wie ihm allein nur Preis gebuͤhr, nicht weniger, wie wir ſo
klein,

So ſchwach, umſchraͤnket, kraftlos, fluͤchtig, uud eitel von uns
ſelber ſeyn.

Nur die Bewunderung erweiſet den Vorzug, den wir
vor den Thieren,

Von Gott, aus Lieb, erhalten haben, und welchen wir in uns
verſpuͤren.

Sie koͤnnen riechen, fuͤhlen, ſchmecken, ſo wohl als wir, ja
ſehn und hoͤren;

Doch weil ſie nicht bewundern koͤnnen, ſo koͤnnen ſie auch Gott
nicht ehren,
Zum
[689]in der Betrachtung vom Nichts.
Zum wenigſten nicht ſo wie wir, da wir im Sehen, Fuͤhlen,
Schmecken,

Wenns mit Bewunderung geſchicht, nicht nur den wah-
ren Gott entdecken,

Zugleich auch in den wunderbaren, und uͤberall vorhandnen
Werken,

Die Allmacht, Weisheit und die Liebe des, welcher alles
wirkt, bemerken.

Nur durch Bewunderung allein, wird unſer Geiſt zu
Gott gefuͤhrt,

Nur im Bewundern giebt man Gott die Ehre, die nur
ihm gebuͤhrt,

Nur die Bewunderung vermag, der Liebe Flammen an-
zufachen,

Von dem, der bloß bewunderns-werth, uns wuͤrdige Begriff
zu machen,

Und nichts kann unſern Gott in uns, und uns in Gott ſo ſehr
erhoͤhn,

Nichts uns mehr Freud und wahre Luſt, auch unſerm Gott
mehr Ehre bringen,

Als wenn wir, mit Bewunderung, den Schoͤpfer im Ge-
ſchoͤpfe ſehn.

Bewundrung iſt ein’ angenehm’ Empfindung, ſo die See-
le ruͤhrt,

Durch ein vernuͤnftiges Betrachten, von ſchoͤn- und wohlge-
rathnen Dingen,

Die Achtung, Ehre, Lieb und Neigung, fuͤr den, der ſie ge-
wirkt, gebiert.

Dieweil nun nichts bewunderns-werthers auf Erden, in
des Meeres Gruͤnden,

Und auch in aller Himmel Himmeln, als das, was Gott ge-
macht, zu finden:
Br.VI.Th. X xSo
[690]Verſuch der Kraft unſers Geiſtes,
So fließt von ſelbſt, daß kein Bewundern, in uns, fuͤr jemand
ſo viel Ehre,
Als fuͤr den Schoͤpfer aller Dinge, wenn man ſein
Werk erwegt, gebaͤhre.


Es ſcheinen uns die Sinnen alle zu dieſem großen Zweck
allein,

Sammt der vergleichenden Vernunft, von unſerm Gott, ge-
ſchenkt zu ſeyn.

Uns uͤberfuͤhrt die ganze Welt, es hab uns Gott hier werden
laſſen,

Jn ſeinem Werk ihn zu bewundern, und nicht ſo, wie man
glaubt, zu faſſen,

Was alles, ja Gott ſelber ſey. Daß ſie der Seelen Jnnres
ruͤhre,

Daß ſie, in einem froͤlichen Empfinden, uns zum Schoͤpfer fuͤhre,

Jſt allbereit von uns gemerkt. Jetzt wird noch zu betrachten
ſeyn,

Daß ſie, wie ſie ein Gottesdienſt, auch allen Menſchen all-
gemein,

Daß dem kein Glaube widerſpreche, am wenigſten der wahre
Glaube,

Daß ohne ſie man uns die Menſchheit, ja gleichſam Gott die
Gottheit raube.

Bewunderung iſt eine Handlung, in welcher Acht-
ſamkeit, Vergnuͤgen,

Lob, Ehre, Preis und Ruhm, fuͤr den, der was be-
wunderns-werth veruͤbt,

Wodurch man ihn, zuſammt der Achtung, zugleich ihn hoch-
haͤlt und auch liebt,
Auch
[691]in der Betrachtung vom Nichts.
Auch Demuth deſſen, der bewundert, ſich lieblich mit einan-
der fuͤgen.

So bald wir was bewundern muͤſſen: (indem wir unſre
Schwaͤche kennen,

Woraus die Demuth denn entſpringt,) So werden wuͤrdige
Jdeen

Fuͤr den, der die Bewundrung wirkt, ſogleich in unſrer
Seel entſtehen.

Man wird ihm, nach Beſchaffenheit der Wunder, alle Neigung
goͤnnen,

Wozu die Seele faͤhig iſt. Und hierin bloß allein beſteht,

(Da man den Schoͤpfer aller Wunder im Glauben fuͤrchtet,
liebt, erhoͤht,)

Der allerreinſte Gottesdienſt. So noͤthig nun die Kraft der
Seelen,

Die Gott-gefaͤllige Bewundrung: So noͤthig iſt denn billig
auch

Die uns dazu geſchenkten Sinnen, die unſern Geiſt und Leib
vermaͤhlen,

Jm recht vernuͤnftigen Gebrauch,

Zu ihrem Endzweck anzuwenden, und ſie, zu unſers Schoͤpfers
Preiſe,

Auf eine mit derſelben Abſicht zuſammenſtimmend’ Art und
Weiſe,

Mit Gottes Werken zu vereinen, mit den Geſchoͤpfen zu ver-
binden,

Wodurch wir uͤberzeuglich klar die große Wahrheit gleich be-
finden,

Und deutlich anerkennen werden: Daß Gottes Creaturen
werth,

X x 2Daß
[692]Verſuch der Kraft unſers Geiſtes,
Daß ſie von uns betrachtet werden, ja daß, (da
wir der Sinnen Gaben,

Wodurch man ſie betrachten kann, von unſerm
Gott erhalten haben,)

Wir ſelber werth, ſie zu betrachten. Einfolglich,
daß man Gott verehrt,

Wenn man der Creaturen Menge, derſelben Ord-
nung. Schmuck und Pracht,

Und in denſelben deſſen Allmacht, der ſie aus Nichts
hervorgebracht,

Samt ſeiner Lieb und ſeiner Weisheit, zum Vor-
wurf ſeiner Seelen macht.

Man zeige mir auf dieſer Welt von allem, was man je er-
kannt,

Fuͤr Seelen mit Vernunft begabt, doch einen wuͤrdgern Ge-
genſtand?

Sobald wir nun mit dieſem Vorwurf, durch unſre Sinnen,
unſre Seelen,

Jn einer ernſtlichen Betrachtung, verbinden, fuͤgen, ja ver-
maͤhlen:

Entſteht die ſelige Bewundrung, die uns die wahre Gott-
heit weiſt;

Jndem man Weisheit, Macht und Liebe in jeder Creatur ver-
ſpuͤret,

Die einen, der nur menſchlich denkt, auf eine ſolche Weiſe
ruͤhret,

Daß man, in ſeiner eignen Luſt, den Herrn der Creaturen preiſt.


Da wir das Bewundern nun noch einmal mit Ernſt
beſehen:

Muß man ferner des Begriffs Unzulaͤnglichkeit geſtehen,
Wenn
[693]in der Betrachtung vom Nichts.
Wenn man das, was eigentlich das Begreifen ſey, erwegt,

Und daß Eigenliebe nur bloß dazu den Grundſtein legt.

Wenn die Seele ſoll und will, etwas zu begreifen, taugen

Hat ſie bloß ihr eignes Jch, ihre Trefflichkeit, vor Augen;

Sie will finden, ſie will faſſen, ſie will das Vergnuͤgen haben,

Durch ihr’ eigne Kraft und Kunſt, das, was andern ganz ver-
ſteckt,

Und die Wahrheit, ob ſie gleich in den tiefſten Vorn vergraben,

Ganz allein hervorgezogen, ausgefunden, aufgedeckt,

Und allein gefaßt zu haben. Wird die Eigenehr allein

Folglich der alleinge Grund unſrer Wiſſenſchaften ſeyn.

Sage nicht: Es koͤnne dieſes auch bey Gottes Ehr
beſtehen,

Weil wir ihn ja fuͤr den Schoͤpfer unſrer Seelen
anzuſehen;

Folglich, daß je mehr zum Wiſſen ſie die Faͤhig-
keit bekommen,

Gott in ihr geehret wuͤrde. Dieſer Einwurf ſcheinet
zwar,

Sieht man ihn nur obenhin, und nicht auf den Grund an,
wahr.

Aber, wenn (den Grund des Einwurfs vor der Hand noch
ausgenommen,)

Man das menſchliche Betragen mit den Wiſſenſchaften ſieht,

Wie ſich jeder, ſeinen Satz zu befeſtigen, bemuͤht.

Mit des Gegentheils Verſpottung, wie faſt jedermann allein

Seines Gegners Ueberwinder, mit Gewalt der Sieger ſeyn,

Und das Recht behalten will; ſollte man daraus nicht ſchlieſſen,

Und unwiderſprechlich leider! dieß daraus nicht folgern muͤſſen,

Daß, anſtatt des Schoͤpfers Ruhm zu erhoͤhen, zu vermehren,

Man auf anders nichts gedenk, als nur ſich allein zu ehren?

X x 3Hiezu
[694]Verſuch der Kraft unſers Geiſtes,
Hiezu koͤmmt nun ferner noch, daß, bey der Rechthaberey,

Man, die Wahrheit zu ergruͤnden, und zu finden, nicht im
Stande,

Nicht geſchickt, kein Unterſuchen moͤglich, und zu hoffen ſey;

Weil, wie man jetzt diſputirt, dem, der nachgiebt, es zur
Schande,

Ja zum Schimpf und Spott gereicht. Da man doch vor dem
wohl ſprach:
Wer vernuͤnftig, laͤßt ſich weiſen; und der Kluͤg-
ſte giebet nach.

Wenn die Menſchen, ehe ſie mit dem Naͤchſten zanken,
fechten,

Und ihn uͤberfuͤhren wollen, und beſiegen, denken moͤchten:

Was hab ich fuͤr Recht dazu, uͤber ihn mich zu erheben?

Fuͤhl ich, und bin uͤberfuͤhrt, daß Gott mir der Weisheit Licht,

Mit dem Ausſchluß aller andern, etwan ganz allein gegeben?

Dahingegen wenn wir ſtraͤflich, was wir nicht begreifen
ſollen,

Und was wirklich unbegreiflich, mit Gewalt begreifen wollen,

Jſt ja, durch ein ſolch Betragen, jedem leichtlich zu begreifen,

Daß wir zanken, diſputiren, Grillen und Chimaͤren haͤufen.

Moͤchten wir, aus aller Beyſpiel und Erfahrung, endlich
lernen,

Daß wir uns durch nichts ſo ſehr von der Wahrheit Pfad ent-
fernen,

Daß man Andacht, Freude, Friede faſt durch nichts ſo ſehr
verliehrt,

Als wenn man, durch Stolz und Hochmuth faſt, wie Lucifer,
verfuͤhrt,
Was
[695]in der Betrachtung vom Nichts.
Was unendlich, was von Engeln ſelbſt ſich nicht kann faſſen
laſſen,

Doch verwegen zu begreifen, und den innern Grund zu faſſen,

Unvernuͤnftig ſich beſtrebt. Mit dem endlichen Verſtande,

Was unendlich, faſſen wollen, das gereicht uns ſelbſt nicht nur,

(Da wir bloß aus Stolz und Hochmuth, wider unſere Natur,

Ohne Fluͤgel fliegen wollen,) faſt der Gottheit ſelbſt zur
Schande,

Da wir doch geſtehen muͤſſen, daß wir, ihm zur Ehr, allein,

Unſern Geiſt empfangen haben, mit Vernunft begabet ſeyn.

Wenn wir unſers Geiſtes Kraͤfte uͤber ihren Werth nicht
ſchaͤtzen,

Wenn wir, wie er Graͤnzen hat, ihm auch wirklich Graͤnzen
ſetzen,

Es erkennen und bekennen, daß er zum Begreifen nicht,

Sondern um dasjenige, was durch Gottes Macht geſchicht,

Zu betrachten, zu empfinden, zu bewundern, zu erheben,

Uns daran in Luſt und Ehrfurcht zu vergnuͤgen, uns gegeben,

So, (und nicht durch das Ergruͤbeln,) handeln wir nach un-
ſrer Pflicht.

Jm erkenntlichen Vergnuͤgen, im Verwundern bloß allein

Kann die Gottheit von der Menſchheit wuͤrdiglich verehret
ſeyn.

Dieſes wirket Ehrfurcht, Andacht, Demuth, Lob und Dank,
Vertrauen,

Ehrerbietge Gegenliebe, wenn wir, in der Werke Pracht,

Einer unbegreiflichen Gottheit Liebe, Weisheit, Macht,

Mit bewunderndem Vergnuͤgen, und mit froher Andacht,
ſchauen.

Ja, wenn wir, auf dieſe Weiſe, uns in vielen andern Dingen,

Deren eine ſolche Menge, mit einander auch begingen,
X x 4Und
[696]Verſuch der Kraft unſers Geiſtes,
Und erwegten, daß nur bloß zu des Schoͤpfers Ehr allein,

Uns, zu unſrer Luſt, die Gaben der Vernunft geſchenket ſeyn:

Wuͤrden wir ein’ andre Welt, minſtens bey Gelehrten, finden;

Neid und Streit und Diſputiren wuͤrden alſobald ver-
ſchwinden;

Jeder wuͤrde, was wir Gott ſchuldig, ihm zum Opfer zollen,

Jeder wuͤrde Gott bewundern, keiner was ergruͤbeln wollen.

Selbſt in der Religion wird Bewunderung vor allen,

Als des erſteren Artikels Hauptzweck, Gott nicht misgefallen.

Denn wie kann man Gott, als Schoͤpfer, lieben, fuͤrchten und
vertrauen,

Wenn wir mit Bewunderung ſein Geſchoͤpfe nicht beſchauen?

Ehe wir auf dieſer Bahn nun noch etwas weiter gehn,

Laßt uns die verborgne Quelle der Begreifungs-Sucht be-
ſehn.

Wenn man etwas faſſen will, iſt es nichts, als ein Be-
ſtreben,

Ueber den, der etwas Kuͤnſtlichs ausgedacht, ſich zu erheben,

Und zu zeigen, daß auch wir ja ſo wohl die Faͤhigkeit,

Seiner Kuͤnſte Grund zu finden, und die Vollenkommenheit

Zu ergruͤbeln, auch beſitzen, und wir folglich auch nicht eben

Einen ſonderlichen Vorzug ihm gehalten ſeyn, zu geben.

So, daß das Begreifen wirklich unſer’ eigen’ Ehre mehr

Scheint zum Augenmerk zu haben, als des Allerhoͤchſten Ehr.

Ja es zeigt ſich offenbar, wenn man nur mit Ernſt be-
trachtet,

Wenn wir etwas ausgefunden, ſo wir anfangs hochgeachtet,

Daß es nicht mehr ſo betraͤchtlich, nicht ſo wunderwuͤrdig
ſcheinet,

Und ſo herrlich lange nicht, als wie man zuvor gemeynet.
Nicht
[697]in der Betrachtung vom Nichts.
Nicht, daß es nicht in der That eben ſo vortrefflich bliebe;

Sondern der geſchwollne Stolz unſrer eitlen Eigenliebe

Hebt ſich uͤber es empor. Wer das Triebwerk recht ergruͤndet,

Welches zum Begreifen treibt, und zum Wiſſen, der befindet,

Daß in der Gelehrten Bruſt oft ein kleiner Lucifer,

Jn Erkenntniß ſeiner Wege, gerne waͤr, wie Gott, der Herr.

Dadurch aber wird mit nichten Unterſuchen unterſaget,

Sondern ernſtlich eingeſchaͤrft, weil, wenn wir der Seelen
Kraft,

Die ſo reg iſt, wohl gebrauchen, wir von aller Eigenſchaft

Der Unendlichkeit des Schoͤpfers, aller Himmel und der
Erden,

Jmmermehr noch uͤberwieſen, klaͤrer uͤberfuͤhret werden,

Und (wir moͤgen Gottes Wege nicht begreifen oder finden,)

Dennoch ſehn, daß ſeiner Ordnung weiſer Rath nicht zu er-
gruͤnden.

Durch ein ſolch Erkennen nun wird in uns, zu Gottes Ehren,

Sich ein kindliches Vertrauen, wahre Lieb und Ehrfurcht
mehren.

Aber dieſen wahren Satz muß die Menſchheit unterdeſſen

Nimmer aus den Herzen laſſen, ſondern immer dieß ermeſſen:
Gott hat uns auf dieſer Erden zu der Abſicht
werden laſſen,

Jhn, in ſeiner Wunder Menge, zu bewundern,
nicht zu faſſen.

Es wird zum Beweiſe dienen, der unwiderſprechlich iſt,

Daß nur die Bewunderung goͤttlicher Vollkommenheit

Bloß allein das Mittel ſey, uns zur Ehre zu bereiten,

Aller Ding und unſers Schoͤpfers, wenn man nemlich dieß
ermißt,
X x 5Daß
[698]Verſuch der Kraft unſers Geiſtes,
Daß der Stand der erſten Eltern, wenn ſie nicht gefallen waͤ-
ren,

Anders nichts zum Zweck gehabt, als die Gottheit zu verehren,

Jn Bewundrung bloß allein. Jn den wunderbaren
Werken

Des nicht zu begreifenden, ſeine Weisheit, Lieb und Macht,

Jn entzuͤckender Bewundrung, den Zuſammenhang, die Pracht,

Mit geruͤhrtem Blick und Geiſt, allenthalben zu bemerken;

Haͤtte ſonder allen Zweifel, und zwar damals bloß allein,

Die Beſchaͤfftigung von allen Ungefallnen muͤſſen ſeyn.

Ja ihr gaͤnzlicher Begriff, wenn ſie noch ſo viel erkannt,

Haͤtte ſonſten nichts zum Endzweck, als Bewundrung ha-
ben koͤnnen,

Die Bewundrung bloß allein, haͤtt in forſchendem Ver-
ſtand,

Als ein wuͤrdig Opferfeuer, unaufhoͤrlich wuͤrden brennen,

Durch allgegenwaͤrtge Stralen, von der Weisheit, Lieb und
Macht

Jhres Gottes, in den Werken, unaufhoͤrlich angefacht.

Ob nun gleich, nach ihrem Fall, der Gefallnen Schuldigkeit,

Jn dem Werke der Erloͤſung, Gottes Liebe zu erheben,

Und aus allen Kraͤften ſich, ſie zu preiſen, zu beſtreben.

Dennoch ſchließt die letzte Pflicht nimmer die Nothwendigkeit

Erſterer Verpflichtung aus. Sondern, da die letzten Pflichten

Jn der frommen Geiſtlichen, folglich in ſehr guten Haͤnden,

Die inſonderheit mit ſelben alle Sorgfalt anzuwenden,

Alles meiſt zu dieſem Zweck nach Vermoͤgen auszurichten,

Und uns, wenn wir nicht mehr hier, dort, zu einem kuͤnftgen
Leben

Nach Vermoͤgen zu bereiten, ſich mit allem Ernſt beſtreben;
Bleibt
[699]in der Betrachtung vom Nichts.
Bleibt ein jeder doch nicht minder zu der erſten Pflicht ver-
bunden,

Nemlich Gott, der uͤberall im Geſchoͤpfe wird gefunden,

Als den Schoͤpfer, anzubethen, zu bewundern, zu erhoͤhn,

Und zu dieſem Zweck ſein Werk anders, als bisher geſchehn,

Mit genauerer Betrachtung, ehrerbietig anzuſehn.

Hiedurch zeigt ſich, daß wir dort nicht im Himmel nur allein,

Sondern auch ſchon hier auf Erden, Gott zur Ehr, erſchaffen
ſeyn.

Dieſe Pflichten, Gott, als Schoͤpfer, in der Creatur zu
ehren,

Jn Betrachtung ihrer Wunder, ihres Meiſters Ruhm zu
mehren,

Sind bisher, ich weis nicht wie, leider! auch von vielen From-
men

Nicht gebuͤhrend unterſucht, nicht genug in Acht genommen,

Welche doch ſo noͤthig ſind, um dadurch ſo dort, als hier,

Gott zur Ehr, uns zu vergnuͤgen, und an ſeiner Wunder
Gaben,

An derſelben Ordnung, Nutzen, Pracht, Zuſammenhang und
Zier,

Die uns, ihm zum Ruhm, geſchenkt, uns mit frohem Dank zu
laben.

Ob man gleich nun denken moͤchte, es ſey unſrer Lehrer
Schuld,

Daß wir dieß verſaͤumet haben; daß ſie uns des Schoͤp-
fers Huld

Nicht ſo oft und viel gezeigt, nicht ſo deutlich uns erklaͤret,

Nicht ſo oft daran erinnert, nicht mit mehrerm Ernſt gelehret,

Wie wirs anzufangen haben, Gottes Allmacht in den Werken,

Jhm zur Ehr, und uns zur Luſt, mit Erſtaunen, zu bemerken;
Find
[700]Verſuch der Kraft unſers Geiſtes,
Find ich doch, wenn ich es recht ſonder Vorurtheil erwege,

Und den Urſprung dieſes Fehlers gruͤnd-und billig uͤberlege,

Daß nicht unſre Geiſtlichen, bloß die Phyſici allein,

An dem ſuͤndlichen Vergehen in der That die Urſach ſeyn.

Wenn ſie, auf den hohen Schulen, die Naturlehr anders
lehrten,

Wenn bey einer jeden Probe, wie es noͤthig, Gottes Ehr,

Gottes weiſe Macht zu zeigen, ihre wahre Abſicht waͤr;

Wenn ſie den Zuſammenhang, und die Ordnungen erklaͤrten,

Die ſich allenthalben finden, wenn ſie allenthalben wieſen,

Wie auch der geringſte Staub, daß ein Gott in ihm geprieſen,

Und bewundert werden muͤſſe, wuͤrdig und betraͤchtlich ſey;

Zeigten ſie, daß, unerachtet ſich ſo viel und mancherley

Wunder uͤberall befinden, doch ein weis und liebreich Weſen

Ueberall ſich ſpuͤren laſſe, daß wir bloß dazu erleſen,

Seine Liebe zu erkennen, zu genieſſen, zu verſtehn,

Daß ein Gott ihr Urſprung ſey, zu empfinden und zu ſehn,

Daß wir nicht nur einen Koͤrper, nebſt der Sinnen edlen Gaben,

Um uns vieles zuzueignen, ſondern den Verſtand, allein,

Jn den Werken, Gott zu ſpuͤren, ſeiner Gnaden uns zu freun,

Jhn zu loben, zu bewundern, eigentlich empfangen haben;

Waͤr in allen ihren Lehren, wie es noͤthig, dieß ihr Schluß:

Daß man ein unendlichs Weſen, wie erſehn, auch ehren muß:

Wuͤrden auch Theologi, anders, als bishero, faſſen,

Wie ſich unſers Schoͤpfers Allmacht nirgend unbezeugt gelaſſen.

Jeder wuͤrde ſich bemuͤhn, Gott, was Gottes iſt, zu geben,

Und nicht ferner, Gottes Ruhm ihrem aufzuopfern, ſtreben;

Keiner wuͤrde fernerhin. von des Schoͤpfers Werken ſchweigen;

Jeder wuͤrd uns, durchs Geſchoͤpf, zu dem Schoͤpfer hinzuziehn,

Sein’ Allgegenwart in ihm darzulegen, ſich bemuͤhn,

Und beym anderen Artikel, etwas auch vom erſten zeigen,
Weil
[701]in der Betrachtung vom Nichts.
Weil es nimmermehr zu glauben, da ſie Gottes Diener ſeyn,

Daß, da Erd und Himmel redet, ſie von ihrem Herrn allein

Ungebuͤhrlich ſchweigen wollten. Keiner wuͤrd aus ihnen ruhn,

Dem mit Eifer nachzufolgen, was bereits verſchiedne thun.

Alſo ſeht ihr Phyſici, wie ſo viel daran gelegen,

Anders, als bisher geſchehn, Gott in Werken zu erwegen,

Daß ihr kuͤnftig, ſtatt zu gruͤbeln, zu verſtehen, zu begreifen,

Und ſtets neue Meynungen, mit den vorigen, zu haͤufen,

Weches nichts, als Zank, erregt, uns nur zum Bewundern fuͤhrt,

Welches eigentlich die Ehre, die als Schoͤpfer, Gott gebuͤhrt.

Ob ich nun von euch noch dieſes, nach der Liebe, glauben muß,

Daß ihr dieſes wahr befindet, und daß ihr vielleicht gedenket:

Wenn ihr erſt begriffen haͤttet, waͤre dieſes euer Schluß,

Aufs Bewundern euch zu legen, und ſo dann den Ueberfluß

Goͤttlicher Vollkommenheiten, nach Vermoͤgen, zu verehren.

Aber dieſes iſt nicht moͤglich, denn die ganze Lebenszeit

Jſt zum faſſen nicht genug, und ich muß euch hier erklaͤren,

Daß gewiß der letzte Tag, wegen der Unzaͤhlbarkeit

Des, ſo ihr begreifen wollet, euch ſchon uͤbereilen wird,

Eh ihr eure Pflicht, den Schoͤpfer zu bewundern, ihn zu loben,

Seiner Huld euch zu erfreun, ihm zum Ruhm, nur angehoben.

Alſo ſeht ihr uͤberzeuglich, daß ihr euch hierin geirrt;

Denn dieß iſt nicht zu verneinen, daß bey euch, auf dieſe Weiſe,

Da ihr bloß zu faſſen ſucht, zu des großen Schoͤpfers Preiſe,

Weil des Faſſens gar kein Ende, des Bewunderns nimmermehr

Koͤnn ein Anfang ſeyn gemacht. Jn der Kraft von unſerm
Geiſte,

Wenn wir alles faſſen wollen, wenigſtens das allermeiſte,

Treffen wir das wahre Nichts klaͤrer, als faſt nirgend an,

Da man minder, als vom Etwas, nichts von Nichts begrei-
fen kann.

Wann
[702]Verſuch der Kraft unſers Geiſtes,
Wann nun dieß unſtreitig wahr, daß der Menſch nach ſei-
nen Pflichten,

Nichts, das mehr zu Gottes Ehren zielt, vermoͤgend, zu ver-
richten,

Als in froͤlicher Betrachtung ſeiner Allmacht, in den Werken,

Samt der Weisheit und der Liebe, ſein unendlich All zu merken,

Sein’ Allgegenwart zu preiſen: Ach ſo ſtrebt hinfort ſo ſehr

Nicht nach euerm eignen Ruhm; ſucht allein des Schoͤpfers Ehr,

Als die bloß allein der Zweck, von der Menſchen Seyn und
Leben,

Jn beſtaͤndiger Bewundrung, ehrerbietig zu erheben!

Wann nun die Bewunderung auch zugleich aufs Dan-
ken fuͤhrt,

Und dem wunderthaͤtgem Schoͤpfer billig Lob und Dank gebuͤhrt,

Fuͤr die nicht zu zaͤhlende Meng und Groͤße ſeiner Gaben,

Die wir, im verwichnen Jahr, unverdient empfangen haben:

So fodern nunmehr meine Pflichten, was mir in dieſem
Jahr geſchehn,

Mit Dank gefliſſener Bewundrung, in froher Andacht, zu beſehn,

Und Gottes Lieb und weiſe Macht, im frohen Danken, zu
erhoͤhn,

Als ohne deſſen weiſen Fuͤhrung, in jeder, auch in dieſer Welt,

Auch daß geringſte nicht geſchicht, kein Haar von unſerm
Haupte faͤllt,

Jndem fuͤr einer wahren Gottheit nichts wirklich groß, nichts
wirklich klein,

Und beyde ſeiner Aufſicht nicht zu hoch, nicht zu geringe ſeyn.

Von einer ungezaͤhlten Zahl, mit froher und geruͤhrter
Seelen,

Jn dankbarer Erinnerung, denn einige nur zu erwaͤhlen:
So
[703]in der Betrachtung vom Nichts.
So faͤllt vor andern mir ſo gleich die ganz beſondre Gnade bey,

Daß dieſes Jahr, fuͤr meine Kinder, und mich geſund erle-
bet ſey.

Wir haben es in Ruh und Frieden, und im Vergnuͤgen Tag
und Nacht,

Dir Herr ſey Lob und Preis dafuͤr! ununterbrochen zugebracht.

Zu unterſchiedenen Geſchaͤfften, hab ich, in meinen Ruhe-
Stunden,

Zu mein-auch vieler andern Nutzen und Luſt, Gelegenheit ge-
funden.

Da erſtlich, bloß durch einen Zufall, fuͤr mein mir untergeb-
nes Land,

Zur Zier, zum Nutzen und zur Luſt, ich ein vergnuͤglich Mit-
tel fand;

Jndem ich einen Wald entdeckt, der keinem Menſchen faſt be-
kannt.

Denſelben ließ ich Regel-recht, und nach der Linie durchhauen,

So, daß itzt zierliche Alleen, mit Luſt, in ſelbigem zu ſchauen.

Von ſelbſt aus Caprifolio gewachſne Lauben ließ ich biegen,

Und ſonder alle Muͤh und Koſten natuͤrlich in einander fuͤgen,

Begruͤnte Raſen-Baͤnke machen, die Wege ebnen, Graben ziehn,

Zumal ich eine ſchoͤne Quelle des allerreinſten Waſſers, auch

Jn eben dieſer Gegend, fand, zum noͤth-und nuͤtzlichen Gebrauch,

Nicht nur fuͤr mich, fuͤrs ganze Land, die ich denn ins Gevierte
faſſen,

Und, daß ſie nicht vertreten wuͤrde, mit Brettern rings umſe-
tzen laſſen,

Wovon, wie groß ſo Nutz als Anmuth des Waldes und der
Quell geweſen,

Jn einem eigenen Gedicht, mehr ausgefuͤhret, iſt zu leſen, *
Wo-
[704]Verſuch der Kraft unſers Geiſtes,
Wohin ich meine Leſer denn, hier nicht zu lang zu ſeyn, ver-
weiſe,

Jndeß, fuͤr die Gelegenheit, und Segen, hier den Schoͤpfer preiſe.

Nachher erinnr’ ich mich, mit Furcht annoch vermiſchtem
Dank, des Brandes,

Der ſo wie erſt zur Angſt und Schrecken, jetzt zur Bewunde-
rung des Landes,

Entſtund, und unſerm ganzen Flecken, zumal bey reger Luft
aus Norden,

Den Untergang mit Schrecken droht, dennoch Gottlob geloͤ-
ſchet worden,

Mit einer einzgen Feuerſpruͤtze, ob gleich die lodernde
Gefahr

Vervielfacht, da an ſieben Stellen es ſchon in lichten Flam-
men war.

Jch hab auch hievon, Gott zum Ruhm, daß uns das Loͤſchen
doch gelungen,

Mit Lob und Dank erfuͤllter Bruſt, an einem andern Ort ge-
ſungen.*

Doch fuͤg ich noch, mit wenigen, bey dieſem Zufall, dieß noch bey,

Daß es nicht aus der Acht zu ſchlagen, vielmehr der Dank
zu mehren ſey,

Wenn wir erwegen, daß wir hier, in den drey abgewichnen
Jahren,

Von drey der ſchaͤrfſten Landes-Strafen, als nemlich Krieg

und Fluht und Brand,

Die Ruthe zwar ſehr nah gehabt, dennoch die wirklichen Ge-
fahren,

Und die verheernden blutgen Schlaͤge durch Gottes Gnade, ab-
gewandt,
Die
[705]in der Betrachtung vom Nichts.
Die wir annoch in ihrer Gluht, mit Dank und Demuch an-
erkannt.

Er wolle ſeine Vater Huld uns gnaͤdig ferner auch be-
wahren!

Noch hab ich vorigs Erndte-Feſt, dir Herr ſey Dank da-
vor, erneuret,

Und es noch mit vermehrter Anſtalt, und aͤuſſerlichem Schmuck,
gefeyret,

Da ich denn unter andern auch, den Dank in Verſen abzu-
faſſen*,

Es angenehm zu componiren,

Und wohlbeſtellt zu muſiciren,

Das Feſt, mit Schieſſen, einzulaͤuten, und ſonſt viel Freude ſehn
zu laſſen,

Gottlob! Gelegenheit gehabt. O Geber alles guten! dir,

Der, was du ſchufſt, ſo reichlich naͤhreſt, ſey Ehr und Ruhm
und Dank dafuͤr!

Jch hab im abgewichnen Jahr, von den entfernten Kin-
dern zween,

Nach ihrer Mutter Tod, geſund, in meiner Einſamkeit ge-
ſehen,

Die, daß, von ihren Studien, ſie ſich indeß nicht abgeneiget,

Durch unterſchiedne Proben mir ſowohl als andern auch ge-
zeiget,

Abſonderlich da, wie der Juͤngre, im Tempel, oͤfters ſo gelehret,

Daß jedermann geruͤhret worden, nebſt mir, das ganze Land
gehoͤret.
Br.VI.Th. Y yEs
[706]Verſuch der Kraft unſers Geiſtes,
Es ſind dieſelben auch nachher, wofuͤr ſo Herz als Kiel dich
preiſet,

Vor allerley Gefahr beſchuͤtzt, ſo angelangt, als abgereiſet.

Ach laß, o Herr! der du ihr Vater und Herr, zu deinen heil-
gen Ehren,

Bey ſtets beſtaͤndiger Geſundheit, ſich auch ihr Wiſſen ſtets
vermehren.

Wie du mir alle meine Kinder, wie ſonſt, auch im vergan-
gnen Jahr,

Fuͤr tauſend unverſehne Faͤlle, und fuͤr ſo mancherley Ge-
fahr

So vaͤterlich bewahret haſt: So haben ihrer zwey vor
allen,

Da einer in des Schloſſes Graben, die juͤngſt in einen Teich
gefallen,

Und beyde gleich gerettet worden, die Huͤlfe bloß durch dich
verſpuͤrt;

Wovor von ihnen, auch von mir, dir Ehre, Preis und Dank
gebuͤhrt.

Durch Setzung vieler jungen Baͤume hab ich des Landes
Schmuck vergroͤſſert,

Die Waſſerleitungen beſorgt, viel tiefe Weg erhoͤht, ver-
beſſert,

Auch zum Behuf von dieſem Ort, ein neues Viehmarkt ein-
gefuͤhrt,

Wodurch denn allbereit das Land nicht einen kleinen Nutzen
ſpuͤrt.

Zu allem nun, was ich dadurch fuͤr viele Gutes ſtiften koͤnnen,

Haſt du mir die Gelegenheit und das Vermoͤgen wollen
goͤnnen,
Jch
[707]in der Betrachtung vom Nichts.
Jch ſeh es auch durch deine Gnad, o guter Gott, nicht an-
ders an,

Als daß ich alles dir nur ſchuldig, und nicht genug verdan-
ken kann.

Daß ferner noch ſo, wie vorhin, auch meine dir geweihte
Schriften

Bey Niedrigen ſowohl, als Hohen, beliebet ſind, und Nutzen
ſtiften,

Davon hab ich verſchiedne Proben, dir Herr ſey Dank dafuͤr!
gezaͤhlet.

Wovon vor andern mir die Schreiben, die du von deiner ei-
gnen Hand,

Gelehrt-und großer Graf von Schaumburg und Lippe, ſelbſt
mir zugeſandt,

Von einer Harmonie begleitet, womit du meinen Text be-
ſeelet,

Die Hendels noch weit uͤbertrifft, und durch ihr reizendes
Getoͤn

Beſtaͤndig mir die Ohren fuͤllten, beſtaͤndig vor den Augen
ſtehn.

Wobey ich eines andern Buchs, als ein durchlauchtiges Ge-
ſchenke,

Von einer Krone der Fuͤrſtinnen, mit ehrerbietgem Dank, ge-
denke,

Was ich von einem großen Geiſt, vom Milord C - - ver-
nommen,

Der Zierde der gelehrten Britten, wird mir nie aus dem Sin-
ne kommen.

Wann ich nun auch in dieſem Jahr, an eines Schenkels
ſchweren Schaden,
Y y 2Durch
[708]Verſuch der Kraft unſers Geiſtes,
Durch einen unverſtaͤndgen Wundarzt, mit Schmerz und mit
Gefahr beladen:

So haſt du mich, o wahrer Arzt, da du allein mir Huͤlf
ertheilt,

Durch des beruͤhmten Carpſers Rath, mich noch zu rechter
Zeit geheilt.

Jch danke dir, fuͤr dieſe Gnade, mit inniglich geruͤhrter Seelen,

Und will, mit Freuden, deine Wunder, auch an der kuͤnftgen
Zeit erzaͤhlen. *


Jch bin, bey dieſem meinen Schluß, wohl einſt auf die Ge-
danken kommen,

Ob mir, daß ich von mir ſo viel erzaͤhlet haͤtte, gut ge-
nommen,

Und vorgeworfen werden koͤnnte, daß nur vielleicht die Ei-
genliebe

Von meinem Weſen viel zu ſagen, mich zu dergleichen Aus-
druck triebe,

Jndem ich, wenn ich danken wollte, ja immerhin vor mir
allein

Dem Schoͤpfer koͤnnte dankbar ſeyn:

So deucht mich doch dagegen dieß, wofern mein Leſer bil-
lig iſt,

Wird er mir dieſes nicht verargen, wenn er zu gleicher Zeit
ermißt,

Daß an dem Danken viel gelegen, und daß es gut in dieſem
Leben,
Da
[709]in der Betrachtung vom Nichts.
Da man nur bethet, ſelten dankt, ein gut Exempel abzugeben.

Will er mich aber dennoch tadeln, und daß ihm dieſes nicht
genug:

So will ich lieber vor ihm dulden, daß er mich nach ſich ſel-
ber richtet,

Und mich der Eigenliebe zeiht. Jch achte nicht, daß ich
mit Fug

Des Schoͤpfers Huld verhehlen kann, und habe mich dazu
verpflichtet.

Jnzwiſchen fleh ich deine Guͤte, Quell aller Gnaden, ferner an,

Erhalte mich, zuſammt den Meinen, ſo wie du, Herr, bis-
her gethan,

Und in uns den Bewundrungs-Trieb; laß ihn, zu deinen heil-
gen Ehren,

Jn einer froͤlichen Betrachtung, von deinen Wundern, ſtets
ſich mehren!


Y y 3Ueber-
[710]Ueberſetzung aus Monſ. Voltaire.

Monſ. Voltaire.


Du Dieu, qui nous crea, la clemence infinie,

Pour adoucir les maux de cette courte vie,

A placé parmi nous, deux Etres bienfaiſans,

De la terre à jamais aimables habitans.

L’un d’ eux eſt le Sommeil, et l’ autre l’ Eſperance.

Deux treſors qu’on poſſede, au ſein de l’ indigence.

L’un dans un profond calme endort nos deplaiſirs,

L’autre eleve nos coeur et ſoutient nos deſirs.


Die unermeßliche Barmherzigkeit

Des Schoͤpfers, welcher uns befahl zu werden,

Damit er maͤßigte die Unvollkommenheit

Des eitlen Lebens hier auf Erden;

Hat zween Bewohner dieſer Welt,

Zwey holde Weſen uns hierzu geſellt,

Die Hoffnung und deu Schlaf, zwo unſchaͤtzbare Gaben,

Die wir, auch ſelbſt im Schooß der Armuth, haben.

Der holde Schlaf begraͤbt im Schlummer unſre Schmerzen,

Die Hoffnung ſtuͤtzt die Luſt, begeiſtert unſre Herzen.


Der
[711]Der 148. Pſalm.

Der 148. Pſalm.


Lobt, ihr Himmel, Gott den Herrn! lobt ihn in der Hoͤh und
Ferne,

Lobt ihn, alle ſeine Engel! lobt ihn, alle ſeine Heere,

Lobt den Schoͤpfer, Sonn und Mond! lobt ihn, alle helle Sterne,

Und ihr Himmel allenthalben! auch des Himmels Waſſer
Meere,

Die daſelbſten hoch erhoben,

Sollen ſeinen Namen loben!

Denn, wenn er gebeut, ſo bald muͤſſen alle Dinge werden,

Er erhaͤlt ſie, daß dieſelben ewiglich und immer ſtehn,

Er verordnet, daß ſie nimmer anders, als ſie gehen, gehn.

Lobt den Herrn, ihr Wallfiſch Heere! alle Tiefen auf der Erden,

Feuer, Hagel, Schnee und Dampf, auch die Winde, die ſein
Wort

Auszurichten fertig ſind! Berg und Huͤgel, jeder Ort!

Frucht-Baͤum und die hohen Cedern: Voͤgel, Vieh, Gewuͤrm
und Thier,

Jhr Monarchen, alle Leute! Fuͤrſten, alle Richter hier,

Juͤngling und der Jungfraun Schaar, alt und junge ſollen loben,

Herr Zebaoth, deinen Namen. Sein Nam iſt allein erhoben,

Sein unendlich Lob geht weiter, als der Himmel und die Erde:

Er verſchaffet, daß das Horn ſeines Volks erhaben werde.

Alle ſeine Heiligen ſollen loben fern und nah,

Jſraels Geſchlecht, das Volk, das ihm dient, Halleluja!


Y y 4Aus
[712]Der 18. Pſalm.

Aus dem 18. Pſalm,
vom 8. bis 16. Vers.


Es erbebete die Erde, und es ward ihr Bau bewegt,

Ja die Grundfeſt hoher Berge wurden wankend und ge-
regt;

Da der Schoͤpfer zornig war. Dampf ging aus von ſeiner Naſen,

Und es ward, aus ſeinem Mund, ein verzehrend Feur geblaſen,

Daß es davon blitzete, mit entſetzlichem Getuͤmmel.

Er erniedrigte den Himmel;

Mit der ſtrengen Wolken Guͤſſen,

Fuhr der Herr herab; es war dunkel unter ſeinen Fuͤßen;

Er fuhr auf dem Cherubim, flog daher und ſchwebete;

Jhn erhoben und ihn trugen aller Winde Fittige.

Finſtre, ſchwarz’ und dicke Wolken waren ſein Gezelt um ihn,

Worin er verborgen war. Von dem Glanz, der von ihm ſchien,

Trennte ſich der Wolken Heer, voller Hagel, Blitz und Schloſſen;

Jn dem Himmel donnert er, und mit Blitz und Hagel Graus,

Ließ der Hoͤchſte ſeinen Donner fuͤrchterlich und ſchrecklich aus.

Feurige verzehrnde Stralen, wurden von ihm abgeſchoſſen;

Er zerſtreute ſie, er ließ blitzen, womit er ſie ſchreckt,

Da erblickt man Waſſer-Guͤſſe, und der Erden holder Boden

War, o Herr, von deinem Oden,

Von dem Schnauben deiner Naſen, und vom Schelten auf-
gedeckt.


Einige
[713]Ueberſetzungen.

Einige Ueberſetzungen.
Ovid. Epiſt. ad Liv.


MORS.


Illa rapit Iuuenes, abſtulit illa Senes.

Quoque ruit, furibunda ruit, totumque per orbem,

Fulminat et coecis coeca triumphat equis.


Die Jugend rafft er ploͤtzlich weg; die Alten reiſt er
mit ſich fort,

Wohin er ſtuͤrzet, ſtuͤrzt er raſend; den ganzen Kreis der wei-
ten Erden

Durchfaͤhrt ſein Blitz; er triumphiert allein, ſelbſt blind, mit
blinden Pferden.


Y y 5Gegen-
[714]Ueberſetzungen.

Gegenwaͤrtiger Genuß des
Guten.


Tu quamcunque Deus tibi fortunauerit horam,

Grata ſume manu, nec dulcia differ in annum.


Schenkt Gott uns heut ein frohes Stuͤndchen und laͤßt ein
Gluͤck uns wiederfahren:

So nehme man,

Mit dankbar-und vergnuͤgter Hand, es, wenn wir es erlan-
gen, an;

Warum will man, die Suͤßigkeit zu koſten, uͤbers Jahr ver-
ſparen?


Das
[715]Ueberſetzungen.

Das Zukuͤnftige.


Prudens futuri temporis exitum

Caliginoſa nocte premit Deus,

Ridetque, ſi mortalis ultra,

Fas trepidat.


Der weiſe Gott bedeckt und druͤcket, mit Finſterniß und
Dunkelheit,

Den Ausgang der zukuͤnftgen Zeit,

Und lachet, wenn ein Sterblicher, durch bange Furcht, umſonſt
erſchuͤttert,

Mehr als es noͤthig, zittert.


Ecce
[716]Ueberſetzungen.
Ecce ſumus puluis, ſumus ecce miſerrima tellus,

Et noſtri ſugiunt, vt leuis aura, dies.

Soluimur, vt nebula, ſurgens vt in aëra fumus,

Et veluti ſolui ſole pruina ſolet.

Carpimur, vt ſtipulæ rapido carpuntur abigne,

Nil niſi viuendo ſomnus et vmbra ſumus.

Vnde igitur faſtus, venit vnde ſuperbia nobis,

Quos fatum, præter tot mala, triſte rapit?


Schau, wir ſind Staub, ein wenig Erden,

Und unſre Tage fliehn, wie eine duͤnne Luft.

Wie Rauch, der aufwerts ſteigt, ſo werden

Wir Menſchen aufgeloͤſt, als wie ein Nebel-Duft,

Und wie ein Reif, wenn ihn die Sonne ſchmelzt; wir ſind,

Wie Stoppeln, ſo die Gluht verzehrt, ein Traum, ein Wind.

Woher koͤmmt denn der Stolz; was nuͤtzet denn die Pracht,

Dem, welchem nebſt viel andrer Noth,

Das bittre Schickſal, durch den Tod,

So bald ein ſchleunig Ende macht?


Stet
[717]Ueberſetzungen.
Stet, quicunque volet, potens,

Aulæ culmine lubrico,

Me dulcis ſaturet quies,

Obſcuro poſitus loco.

Leni perfruar otio,

Nullis nota Quiritibus,

Aetas per tacitum fluat.

Sic cum tranſierint mei,

Nullo cum ſtrepitu, dies,

Plebejus moriar ſenex.

Illi mors grauis incubat,

Qui notus nimis omnibus,

Ignotus moritur ſibi.


Laß auf den ſchluͤpfrig-glatten Hoͤhn

Des Hofes einen jeden ſtehn,

Wer will, in Hoheit Macht und Ehren;

Mich ſoll die ſuͤſſe Ruhe naͤhren.

Jch will, am unbekannten Ort,

Gelinden Muͤßiggang genieſſen;

Es ſoll, den Maͤchtigen verborgen,

Mein ſtilles Alter ſanft verflieſſen:

So werd ich, wenn, ohn Lerm und Sorgen,

Die Tage meines Lebens fort,

Als ein gemeiner Greis die Augen ſchlieſſen.

Dem ſteht ein ſchwerer Tod bevor, ob er gleich Ruhm und
Ehr erwirbet,

Der, andern gar zu ſehr bekannt, ihm ſelber unbekannt ver-
ſtirbet.


L’ a
[718]Ueberſetzungen.
L’ amour propre ſe trompe, même par l’ amour pro-

pre en faiſant voir dans ſe interets une ſi grande

indifference pour ceux d’ autrui, qu’il perd l’ avantage

qui ſe trouve dans le commerce de la retribution.


Seht, wie die Eigenliebe ſich durch Eigenliebe ſelbſt be-
treuget,

Da ſie, in ihrem Eigennutz, ſolch eine Sproͤdigkeit bezeuget

Fuͤr andrer Nutzen, daß ſie ſich des Urtheils ſelbſt verluſtig
macht,

Den der Vergeltung Wechſel-Handel ihr ſonſt unfehlbar zu-
gebracht.


Un-
[719]Ehrenmaal des Marggraf. C. W. zu Baden.

Unverwelklich-bluͤhendes Ehrenmaal,
dem weil. durchlauchtigſten Fuͤrſten und Herrn,
Herrn Carl Wilhelm,
Marggrafen zu Baden und Hochberg, Land-
grafen zu Sauſenberg, Grafen zu Sponheim und
Eberſtein, Herrn zu Roͤteln, Badenweyler, Lahr
und Mahlberg ꝛc. Der roͤmiſch-kaͤiſerlichen und
koͤniglich-catholiſchen Majeſtaͤt, wie auch des loͤb-
lichen ſchwaͤbiſchen Kreiſes Generalfeldmarſchalln,
und Obriſten uͤber ein ſchwaͤbiſches Kreis-
Dragoner-Regiment ꝛc.
Auf Veranlaſſung der geſammten Hochfuͤrſtlich-Ba-
den-Durlachiſchen Gaͤrtnerey errichtet.


Ouid. L. V. Faſt.


Saepe ego digeſtos volui numerare colores,
Nec potui, numero copia major erat.
()

Auf einem, ganz mit Licht und Stral erfuͤllten, leichten
Wolkenwagen,

Von ſchnellen Schwanen fortgezogen, und von Betrachtungen
umringt,

Wovon in ſuͤſſer Harmonie ein unaufhoͤrlichs Lied erklingt,

Ward das beliebte Kind des Himmels, die Dichtkunſt,
durch die Luft getragen.

Der Zweck von ihrer ſchnellen Reiſe war, der erhabnen Gott-
heit Macht,
Durch
[720]Ehrenmaal des Marggrafen
Durch welche, voller bunten Gluht, in neuer Lieblichkeit und
Pracht,

Die Felder, Waͤlder, Berg und Thal, zumal die Gaͤrten, ſich
bebluͤmen,

Jn einer ſuͤſſen Melodie, in einem neuen Ton zu ruͤhmen.

Um nun von allen alle Wunder, und alles, was an Blu-
men ſchoͤn,

An einem Ort und auf einmal in einem Jnbegriff zu ſehn;

War Carols-Ruh von ihr erwaͤhlt, worin von allen Blu-
men-Schaaren,

Die Oſten, Weſt-und Suͤden zeigt, die herrlichſten zu ſehen
waren,

Und welches, durch das koſtbare, nicht zu ermuͤdende Bemuͤhn

Des großen Blumen-Pflegers, Carl, der Floren wahres
Schatzhaus ſchien.

Hier ſcheint, ob haͤtte die Natur mit aller Huld ſich her-
gewendet,

Und an dem angenehmen Ort die Guͤter minder ausgeſpendet,

Als allen ihren Ueberfluß und Schoͤnheit gleichſam recht ver-
ſchwendet. a)

Der Fruͤhling kleidet hier die Erde, mit einem vielfach-gruͤ-
nen Sammt,

Worauf der Blumen buntes Heer in Hyacinthen, b) Ane-
monen, c)
Ranun-
[721]Carl Wilhelm von Baden.
Ranunculn, a) Tulpen b) und Narciſſen, c) Jonquillen,
Jris, Kaiſerkronen,

Auriculn, d) Nelken, e) Mayenblumen, trotz Edelſteinen, ſpielt
und flammt.

Der Sommer prangt mit neuen Farben, mit neuer Gluht, mit
anderm Gruͤnen,

Uns laͤchelt alles, was man ſieht, in Roſen, Lilien, Jeſminen,

Jn einer ausgedehnten Ferne, ſo weit das Auge tragen kann,

Recht wunderwuͤrdig eingerichtet, voll ſuͤſſer Luſt und Lieb-
reiz, an.

Violen, f) Pavillons, Fontainen, ſymmetriſch angeordnet,
ſchimmern

Jn dieſem ebnen Luſtrevier. Von nett-geflochtnen gruͤnen
Zimmern,

Von lieblich-ſchattichten Boſquetten, Parterren, Marroniers-
Alleen

Jſt hier, in einer ebnen Flaͤche, die Welt in buntem Glanz zu
ſehen,
Br.VI.Th. Z zBis
[722]Ehrenmahl des Marggrafen
Bis ganze Waͤlder von Orangen, von mehr noch als ſechs-
tauſend Staͤmmen, a)

Voll Silber-Bluͤth und guͤldner Frucht den noch vergnuͤgtern
Blick verdaͤmmen,

Jhm zu Smaragdnen Schranken werden, worin ſtets hoͤher
aufgefuͤhrt,

Er ſich, auf gruͤnen Wolken-Kreiſen, im himmliſchen Saphier
verliehrt.

Was die Natur Vollkommnes hat, ſcheint ſie in Carols-
Ruh zu fuͤgen,

Und in von ihr gewirkten Wundern ſich an ſich ſelbſt hier zu
vergnuͤgen.

An dieſes angenehmen Orts von Waͤldern rings umgebnen
Graͤnzen b)

War, zur bebluͤmten Fruͤhlingszeit, wie fruͤh der Sonnenſtra-
len Glaͤnzen

Auroren-Roſen uͤberguͤldet, da alles ſonſt am ſchoͤnſten prangt,

Und im bethauten Schimmer glaͤnzt, die Goͤttinn eben ange-
langt,

Als ſie, ſtatt des gewohnten Schimmers, der Carls-Ruh
holdes Tempe ſchmuͤckte,

Ein widrig-truͤb-und kaltes Grauen und einen naſſen Dunſt
erblickte.
q)
Es
[723]Carl Wilhelms zu Baden.
Es ſchwebt ein ungewohnter Nebel in den von ſuͤſſen Balſam-
Duͤften

Sonſt uͤberall faſt mehr beſchwehrten, als angefuͤllten lauen
Luͤften,

Mit falben Kreiſen hin und her, bedeckt, als wie mit einem
Flor,

Die Herrlichkeit des ganzen Orts. Der ſonſt ſo muntern
Voͤgel Chor

Ließ, ſtatt des angenehmen Gurgelns, ein ſcharfes ſchwirrend
Klaggetoͤn,

Mit lautem Schreyen untermiſcht, nur hoͤren und ſich nirgend
ſehn;

Es ließ, ob ſeufzte ſelbſt die Luft, es winſelte der Wiederhall,

Vom ſteten Rlaggeſchrey gereizt; man hoͤrt ein Jammern
uͤberall.

Vernehmliches vernahm man nichts, als dieſen dunklen Trauer-
Schall:
Was waͤlzet ſich ſo unvermuthet auf uns vor eine
Ungluͤcks Laſt!

Ach Carol Wilhelm, unſer Schutz und Herr, der
Erden Luſt, erblaßt!

Dieß rief, von Leid und Gram gebeuget, die ſonſt ſo muntre
Gaͤrtnerſchaar,

Die, wie vor andern ſehr geruͤhret, vor andern auch untroͤſt-
bar war:

Man ſahe ſie bethraͤnt ſogleich zur Dichtkunſt, die ſie ſahn,
ſich kehren,

Und von ihr, keinen Troſt vor ſich, nein, bloß allein zu Carols
Ehren,

Aus einer unverfaͤlſchten Treu, ein wuͤrdigs Ehrenmaal be-
gehren.
Z z 2Ach
[724]Ehrenmaal des Marggrafen
Ach Goͤttinn! riefen ſie verwirrt, laß dieß doch nimmermehr
geſchehn,

Daß eines ſolchen Geiſts Gedaͤchtniß und ſein Verdienſt koͤnn
untergehn!

Hier war es, da er voller Sanftmuth zum letztenmal noch zu
uns kam,

Hier war es, da der theure Marggraf von uns noch ge-
ſtern Abſchied nahm.

Seht, Kinder, ſprach er, bey den Tulpen, wie wir die Blaͤt-
ter fallen ſehn,

So wird es auch bald mir ergehn.

O bald erfuͤllte Peophezeyung! O gar zu wahres Schwanen-
Lied!

Vor Abend hat er es geſungen; den Morgen war er ſchon ver-
bluͤht.

Der Dichtkunſt ſtiegen, uͤber dieß betruͤbt und unverhofft
Erblaſſen,

Die Thraͤnen ſelber in die Augen, und, voller Gram erſtarrt,
entſtellt,

Dreht ſie ſich ab-und Seitenwerts, um ſich ein wenig nur zu
faſſen.

Hier traf ſie nun, zum neuen Leide, die ganze ſchoͤne Blumen-
Welt,

Entbloͤßt von aller Zier und Pracht, und kurz in ſolchem Zu-
ſtand an,

Den keiner, weil er gar zu klaͤglich, mit Farben aͤhnlich bil-
den kann.

Sie ſchwammen all in bittern Thraͤnen, theils hiengen un-
ter ſich gebogen,

Theils waren ſie zerzaußt, verwirrt, verdreht, verwehet, ein-
geknickt,
Und
[725]Carl Wilhelms zu Baden.
Und als von Schloſſen ſcharf getroffen, zermalmt, zerdruͤcket
und zerſtickt:

Der Hyacinthen und Jonquillen Zibeth und Balſam war ver-
flogen,

Ein’ jede ſchien, ob fuͤhlte ſie durch dieſen Schnitt ſelbſt eine
Wunde,

Ein’ jede ſeufzete vor ſich, und jammerte mit ſtillem Munde;

Wer wird ſich unſrer kuͤnftighin,

Mit einem ſolchen Vaterſinn,

Wie Carl gethan, doch anzunehmen

Mit ſolcher Zaͤrtlichkeit bequemen!

Vor allen ſchien der Tulpen Heer, (wovon allein fuͤnftauſend
Arten

Jn dieſem Paradieſes-Bild, in dieſem angenehmen Garten,)

Am allerheftigſten geruͤhrt,

Weil ſie, noch vor den andern allen,

Dem großen Carol ſtets gefallen,

Und ſeine Neigungen geſpuͤrt.

Die Poeſie, durch dieſen Anblick geruͤhrt, begab ſich ganz
bethraͤnt

Jn ein verwachſen Cabinet, ſank auf ein Raſenbaͤnkchen
nieder,

Und wie ſie ihr entſchleyert Haupt betruͤbt auf ihren Arm
gelehnt:

So floſſen aus den holden Lippen voll Wehmuth dieſe Klage-
lieder:

Soll denn ein Geiſt, der die Natur verſchoͤnert, ausgeziert,
verbeſſert,

Der in den Blumen ſonderlich, in ihrer Zier-und Herrlich-
keit,
Z z 3Pracht,
[726]Ehrenmaal des Marggrafen
Pracht, Farben, Miſchungen, Figuren, den Schmuck bis zur
Vollkommenheit

Vermehret, und derſelben Glanz in neuen Bildungen ver-
groͤſſert,

Der ſie, noch durch die Malerey, zu ihr und ihres Schoͤpfers
Ehren,

Mit klugen Farben faſt verewigt, ſo, daß ſie ſonder Welken
waͤhren, a)

Soll, ſag ich, ſolch ein großer Geiſt, als eine ſchlechte Seele,
ſchwinden?

Soll ſich in ihr kein Unterſcheid, wenn er vom Koͤrper ſchei-
det, finden?

So viel mir meine Kunſt erlaubt, darf ich dieß kuͤhnlich pro-
phezeyn:
Nebſt einer herrlichern Belohnung, wird ſeiner
Arbeit ſich zu freun,

Und ſich an denen der Natur gehoͤrigen verpfleg-
ten Schaͤtzen,

Die (da ſie Gottes Werk) es werth, ſich dann und
wann noch zu ergetzen,

Jn dieſem Sammelplatz der Blumen ein Theil von
der Belohnung ſeyn.

Da er ſein irdiſches Vergnuͤgen in goͤttlichen Geſchoͤpfen
fand,

Sollt er ein ſeliges Vergnuͤgen im Jrdiſchen nicht finden
koͤnnen?
Da
[727]Carl Wilhelms von Baden.
Da ja der Schoͤpfer ſonder Zweifel ſich ſelbſt mit ſeinem Werk
verband,

Wie ſollt er ſich ſogleich von dem, worinn er Gott geſuchet,
trennen?

Wann ich denn ſeinen Geiſt, im Geiſt, bereits verklaͤrt und
froͤlich hier

Jn dem von ihm, zu Gottes Ehren, ſo ſchoͤn formirten Luſt-
revier,

Um Baͤum-und Blumen, ſchweben ſeh: So huͤte ſich, wer ihn
geliebet,

Daß durch Verminderung der Vorſorg fuͤr die Natur und
ſeine Zucht,

Durch die Verwilderung des Ortes, der ſeiner edle Muͤhe
Frucht,

Und durch Zerſtoͤrung ſeiner Ordnung, die große Seele nicht
betruͤbet,

Bekuͤmmert und gekraͤnket werde, da ſie hier ſo viel Guts
veruͤbet.

Des Blumengartens obre Flaͤche koͤmmt mir in ſeinem
Schmuck und Flor,

Als wie ein großer Rauch-Altar, geſchmuͤckt zum Ruhm
der Gottheit, vor,

Auf welchen Duͤft aus allen Blumen der Welt, vereint, ſich
aufwerts hauchen,

Worauf die lieblich ſuͤſſen Duͤnſte von Narden und von Bal-
ſam rauchen,

Worauf viel Millionen Duͤfte von Moſch und Ambra ſich
erheben,

Um, Gott zum lieblichen Geruch, ein ſtetes Opfer abzu-
geben.

Z z 4Hier
[728]Ehrenmaal des Marggrafen
Hier ſchwieg ſie, blieb jedoch nicht lang in dieſer Unmuths-
vollen Ruh,

Und rief den gar zu ſehr betruͤbten und ganz bethraͤnten Gaͤrt-
nern zu:


Getreue Diener der Natur,

Die ihr euch, ihr zur Ehr, bemuͤhet,

Und ihre ſchoͤnſte Zucht erziehet,

Jhr Gaͤrtner, kommt! auf dieſer Fluhr

Muͤßt ihr euch, Carl zum Ruhm, vereinen:

Hier muͤßt ihr alle Jahr erſcheinen,

Sein Grab mit der geliebten Pracht

Von Blumen, und zwar aus den ſchoͤnen

Den Schoͤnſten, ſo hervorgebracht,

Jn nett-geflochtnen Kraͤnzen, kroͤnen;

Denn keiner hat ſich ſo um ſie verdient gemacht.

Jch will indeß von ihm und ſeinem Ruhm nicht ſchweigen,

Jch will, was er gewirkt, der ſpaͤten Nachwelt zeigen:

Ja, ſo lang im lauen Lenzen

Feld und Wieſen lieblich gruͤn,

Und ſo lange Blumen bluͤhn,

Wird auch Carols Nachruhm glaͤnzen.

Jch will in mancherley Gedichten

Jhm ſolch ein Ehrenmaal errichten,

Das Neid und Zeit nicht ſtuͤrzen ſoll;

Fahrt ihr indeß mit ſtetem Fleiße fort,

Und ziert in Carols-Ruh der Erden ſchoͤnſten Ort,

Wuͤnſcht aber ihm vorher das letzte Ruhe wohl!

Aria.
[729]Carl Wilhelm von Baden.
Aria.
Ruhe wohl, erblaßter Fuͤrſt!

Bis du dort den Himmels-Garten,

Des die Seraphinen warten,

Auch erſtanden, bauen wirſt;

Ruhe wohl!

Da Capo.

Chor der Gaͤrtner.
Ruhe wohl, erblaßter Fuͤrſt!

Bis du dort den Himmels-Garten,

Des die Seraphinen warten,

Auch erſtanden, bauen wirſt;

Ruhe wohl!


Z z 5An
[730]Gedichte an Hrn. Reinbeck.

An S. T.
Hrn. Conſiſtorialrath und Probſt
Reinbeck.


Nachdem ich neulich abermal die ſeltzame Beſchaffenheit,

Der unvernuͤnftigen Vernunft, der ſproͤden Unempfind-
lichkeit

Der Menſchen, gegen Gottes Werke, und wie ſie uns ſo we-
nig ruͤhren,

Woher wir uns allein zum Schaden, in ihnen keine Freu-
de ſpuͤren,

Jn ihnen nichts vergnuͤglichs ſehn, da wir jedoch ausdruͤcklich
wollen,

Daß wir zu Ehren unſers Schoͤpfers, und ſie, fuͤr uns ge-
macht ſeyn ſollen,

Von neuen ernſtlich nachgedacht, und mich mit allem Ernſt
bemuͤht,

Die eigentlich-und wahren Quellen, von dieſem Ungluͤck, zu
ergruͤnden,

Das man bey Frommen und bey Boͤſen, und uͤberall im
Schwange ſieht:

So deucht mich, daß wir ſie am klaͤrſten, in einer Art Ver-
ſtopfung, finden,

Womit die Roͤhren unſrer Sinnen, die Thuͤren zu den klugen
Seelen,

Behaftet und beſchweret ſcheinen. Jn dieſen zarten Hirn-Ca-
naͤlen,

Wodurch unſtreitig unſre Geiſter ſich mit der Creatur ver-
maͤhlen;
Und
[731]Gedichte an Hrn. Reinbeck.
Und mit der Welt verbinden koͤnnen, ſind alle Oeffnungen
verſtopft.

Gewohnheit, Vorurtheil, Exempel, die Nahrungs-Sorge,
Leidenſchaft,

Die haben, allem Anſehn nach, die Gaͤnge gaͤnzlich zuge-
pfropft,

So daß, fuͤr alle Wunderwerke des Schoͤpfers, um darauf zu
achten,

Um, in derſelben Schmuck und Ordnung, des Urſprungs Groͤße
zu betrachten,

Durchaus kein Durchgang uͤbrig blieben, kein Vorwurf weis
ſich durchzudringen,

Um unſre Seelen, zur Betrachtung und zur Bewunderung
zu bringen.

Der Creaturen Bilder ſcheinen, als wie an harten Stahl zu
fallen,

Und, ſonder unſern Geiſt zu ruͤhren, ſchon auswerts wieder
abzuprallen.

Kein thieriſch Ohr, kein viehiſch Auge, kann minder hoͤren,
minder ſehn,

Als wir, was uͤberall vor Wunder in dieſer Welt von Gott
geſchehn.

Auf welche Weiſe ſoll und kann, aus ſeinen wunderbaren
Werken,

Der Schoͤpfer doch geehret werden? ſprich ſelbſt, worin kann
es beſtehn,

Wenn wir nicht ihre Schoͤnheit, Ordnung, Nutz, Abſicht,
Schmuck und Zweck bemerken,

Die Weisheit, Lieb und Macht des Schoͤpfers nicht ſehen,
folglich ihn nicht finden?

Wird nicht der Gottheit Ehr und Ruhm, durch unterlaſſene
Betrachtung,
Ja
[732]Gedichte au Hrn. Reinbeck.
Ja ſelbſt, nebſt eurer Luſt zugleich, fuͤr euch der Schoͤpfer ſelbſt
verſchwinden?

Es ſteckt in euerem Betragen, ſtatt ſeiner Ehre, nur Ver-
achtung.

Ja, wo wir uns, mit rechtem Ernſt, und mehrerm Fleiſſe nicht
beſtreben,

Die ungluͤckſelgen Hinderniſſen der Unempfindlichkeit zu heben;

So ſcheinen wir den ſtarken Vorwurf der freyen Geiſter Recht
zu geben,

Die ſagen: Es erſcheine klar, daß, Gott zu Ehren
nimmermehr,

(Wie wir allein aus Hochmuth glaubten) die
Menſchheit je geſchaffen waͤr.

Es gaͤb es die Erfahrung ja, daß wir nichts we-
niger im Leben,

Als einem Gott zu Ehren lebten, die Werke Got-
tes, ihre Pracht,

Naͤhm’ ja von ſo viel tauſend Menſchen, faſt nicht
ein einziger in Acht,

Sie waͤren nur umſonſt fuͤr uns. Das letzte ſcheinet
leider wahr,

So gar, daß wenn wir nicht auf Gott, der ewgen Lieb, uns
koͤnnten gruͤnden,

Wir in uns ſelber nimmermehr den Grund von unſrer Dau-
er finden,

Noch einen Himmel hoffen koͤnnten. Hieraus nun folgete ſo gar,

Daß ſelber die Religion, in augenſcheinliche Gefahr,

Zu gleicher Zeit gerathen wuͤrde. Jndem ja ſelbe ſich am
meiſten,

Auf die dem Menſchen von der Gottheit geſchenkten Wuͤrdig-
keiten gruͤndet,

Weil, wo ſich keine Faͤhigkeit in uns zum Lobe Gottes findet,
Und
[733]Gedichte an Hrn. Reinbeck.
Und wir nicht mehr, als andre Thiere, im Lob und Dank ihm
Dienſt zu leiſten,

Geſchickt, gewuͤrdigt, faͤhig ſeyn; unmoͤglich dieß zu glauben waͤre,

Daß ſolcher ſchlechten Creatur die Gottheit ſelber ſo viel Ehre

Je wiederfahren laſſen koͤnnen, ein nicht vielmehr, als thieriſch
Weſen,

Zu einer goͤttlichen Gemeinſchaft, indem er Menſch ward, zu
erleſen.

Aus dieſen unumſtoͤßlichen, unwiderſprechlich wahren
Schluͤſſen,

Wird jeder ja die Wichtigkeit der Wahrheit anerkennen muͤſſen,

Und folglich ſeine Schuldigkeit mit Ernſt ſich nemlich zu be-
muͤhn,

Der ungluͤckſeligen Gewohnheit, nach Moͤglichkeit, ſich zu
entziehn.

Wann nun, wie leider uͤberall, es unter andern gleichfalls
ſcheinet,

Daß, nach der einſt erwaͤhlten Lehr-Art, ein Theil der Geiſt-
lichkeit vermeynet,

Als ob der Schoͤpfung Wunderwerk, und in derſelben Got-
tes Ehre,

Nach phyſicaliſcher Betrachtung, nicht auf den Predigtſtuhl
gehoͤre,

Und es dennoch, nebſt andern Pflichten, unwiderſprechlich noͤ-
thig iſt,

Jm Werk den Schoͤpfer zu bewundern: Dieß aber, wenn
mans recht ermißt,

Durch nichts ſo ſehr behindert wird, indem wir allenthal-
ben hoͤren:
Es iſt wohl gut, jedoch nicht noͤthig, weil es die
Geiſtlichen nicht lehren,

Auch
[734]Gedichte an Hrn. Reinbeck.
Auch wirklich ſich kein’ Art, noch Ort, wo man es lernen koͤnnte,
findet,

Da man in Schulen ebenfalls die beyden Pflichten nicht ver-
bindet:

So koͤnnte, meiner Meynung nach, der Welt kein groͤßrer
Dienſt geſchehn,

Als ſich um die Verbeſſerung, da ſie ja moͤglich, um zu ſehn.

Nun ſcheint ein einzig Mittel uͤbrig, daß, wie ich denke,
gar nicht ſchwer,

Und ohne den geringſten Anſtoß, bequemlich einzufuͤhren waͤr,

Als nemlich nur ein wenig anders den Catechiſmum einzu-
richten,

Um, in demſelben, in den Werken, den großen Schoͤpfer et-
was mehr

Zu ſehn, zu finden, zu bewundern, zu ſeines Namens Preis
und Ehr,

Damit ein Ort doch wenigſtens, in welchem wir zu dieſen
Pflichten,

(Die ja ein Theil vom Gottesdienſt) doch koͤnnten angefuͤh-
ret werden,

Jn Chriſtenthum vorhanden waͤre. Der Schoͤpfer Himmels
und der Erden

Verdiente ja noch ſo viel wohl, daß man, nach Koͤnig Davids
Weiſe,

Jn der Betrachtung ſeiner Wunder, ihn ehre, lobe, ruͤhm und preiſe.

Da du nun, hochbegabter Geiſt, vom Schoͤpfer ſcheineſt
auserſehen,

Daß in dem, was noch unterblieben, durch dich ein’ Aendrung
ſoll geſchehen,

Da du, in dieſem guten Weg, zu allererſt die Bahn gebrochen,

Da du, zu deines Schoͤpfers Ruhm, wie lange nicht geſchehn,
geſprochen,
So
[735]Gedichte an Hrn. Reinbeck.
So zwingt mich ein gerechter Trieb, dich oͤffentlich hier an-
zugehn,

Um bey ſo vielem andern Guten, ſo ſchon vollbracht, dahin
zu ſehn,

Damit es da gefaſſet werde. Du haſt den Anfang ſchon ge-
macht,

Jn deiner himmliſchen Bekaͤnntniß. Du haſt vor andern es
gewaget,

Und daß der Schoͤpfer unermeßlich, auch in der Creatur, geſaget:

So kehr auch, bey der lieben Jugend, mit etwas mehr Erklaͤ-
rung ein,

Auf welche Weiſ, aus ſeinen Werken, der Schoͤpfer koͤnn er-
kennet ſeyn,

Damit ſie ihre Schuldigkeit, mit wahrer Ueberzeugung, faſſe,

Und ihre Seel und Hirn-Canaͤle, nicht ſo, wie wir, verſtop-
fen laſſe.

ENDE.



[[736]]

Appendix A Regiſter
aller Gedichte dieſes ſechſten Theils.


  • Kurze Abendandacht622
  • Beſondere ſchoͤne Abendvorwuͤrfe100
  • Macht des Aberglaubens276
  • Geiſtiger Abgott512
  • Die ſchlimmſte Abgoͤtterey514
  • Betrachtung der Aehren69
  • Beweisgrund gegen die Al chymiſten367
  • Alles von Gott 383
  • Gottes Allgegenwart533
  • Die Allwiſſenheit430
  • Der geſtirnte Amaranth172
  • Betrachtung aus der Anatomie364
  • Ueber die Armenbuͤchſe zu H476
  • Der Atheiſt372
  • Beſchaͤmung zweyerley Atheiſten460
  • Der durch ſich ſelbſt widerlegte und uͤberfuͤhrte Atheiſt482
  • Unnuͤtze Muͤhe einen Atheiſten zu bekehren 514
  • Verſuch ob auſſer der Lehre von der Contingenz ein Atheiſt
    nicht koͤnne uͤberzeugt werden 607
  • Billige Aufloͤſung eines nicht unbilligen Einwurfs 393
  • Aufmerkſamkeit405
  • Die Baͤhren235
  • Beantwortung eines wahrſcheinenden Einwurfs 467
  • Zuͤgel der Begierden299
  • Verkehrtes Beginnen256
  • Das ſonderbare Begraͤbniß der Maulwurfs 380
  • Schwaͤche menſchlicher Begriffe525

Ge-
[[737]]Regiſter.
  • Gedanken uͤber den Tod der Beliſe572
  • Ausgeſetzte Beſſerung594
  • Rechte Art zu bethen378
  • Nutz der Betrachtung477
  • Ueberzeuglicher Beweis, daß wir uns hier des Schoͤpfers zu
    freuen ſchuldig ſind 359
  • Die Biber237
  • Zwo lehrende Bienen20
  • Nuͤtzliche Betrachtung uͤber Bienen125
  • Blaͤtter im Herbſte 181
  • Unbillige freywillige Blindheit529
  • Mancherley Vergnuͤgen an Blumen8
  • Erbauliche Betrachtung der Blumen und Pflanzen 57
  • Fruͤhes Blumengeſchenke63
  • Erbauliche Gedanken bey den Blumen68
  • Nuͤtzliche Blumenbetrachtung78
  • Ueber eine Schachtel mit auserleſenen Blumen115
  • Bohnenfelder133
  • Brennſpiegel497
  • Caprifolium142
  • Verſuch, |ob auſſer der Lehre von der Contingenz ein Atheiſt
    nicht koͤnne uͤberzeugt werden 607
  • Der Dachs242
  • Dammhirſch241
  • Dank das beſte Opfer 353
  • Geringfuͤgigkeit unſers Danks414
  • Die Dankbarkeit550
  • Dankgedanken354
  • Demuth302
  • Nutz der Demuth329
  • Diſputirkunſt326
  • Die Ehe558
  • Ehrenmaal des Marggrafen, Carl Wilhelm zu Baden 719
  • Das Eichhorn242
  • Blinder Eifer498
  • Nachtheil der Eigenliebe544

Br.VI.Th. A a aBey
[[738]]Regiſter.
  • Bey ſeinem Eintritt in das 58 Jahr 464
  • Das Elendthier246
  • Die unertraͤgliche Empfindlichkeit546
  • Nutz der Erkenntlichkeit431
  • Noͤthige Erklaͤrung390
  • Ermahnung470
  • Nach der Erndte151
  • Eine Fabel300
  • Eine andere Fabel519
  • Fabel von der Roſe 61
  • Auf den Tod des ſel. Herrn Fabricius319
  • Fiſcherey159
  • Die Fiſchottern243
  • Der Flieder49
  • Frage286
  • Fragen154
  • Die Froͤſche12
  • Liebliche Fruͤhlingsvorwuͤrfe5
  • Aufmunterung zum Vergnuͤgen im Fruͤhlinge9
  • Anmuthige Vorwuͤrfe der Sinnen im Fruͤhlinge11
  • Neue Fruͤhlingsgedanken30
  • Morgengedanken im Fruͤhlinge65
  • Die Fuͤchſe233
  • Alles Gottes Gabe532
  • Der himmliſche Garten119
  • Vernuͤnftiges Gebeth502
  • Kurzes Gebeth-und Lobformular 325
  • Auf ſeinen Geburtstag547
  • Eben darauf 548
  • Vergnuͤgte Gedanken118
  • Gegenſatz410
  • Die Gemſen231
  • Liebreiche Gerechtigkeit Gottes 518
  • Ein| der Gottheit gewidmetes Geſchenk 261
  • Das liebreiche Geſetz614
  • Ein neues Geſtirn248
  • Suͤßigkeit eines guten Gewiſſens391

Un-
[[739]]Regiſter.
  • Ungluͤckſelige Gewohnheit384
  • Unbegreifliche Gleichguͤltigkeit279
  • Gott alles 530
  • Eigennuͤtziger Gottesdienſt380
  • Die uͤberall ſichtbare Gottheit526
  • Die unumſchraͤnkte Groͤße der Gottheit308
  • Schaͤdlichkeit der koͤrperlichen Gottheitsbilder481
  • Goͤtzendienſt392
  • Einiger Groͤnlaͤnder Unwiſſenheit von Gott 493
  • Das dauerhafte Gruͤn190
  • Unumſtoͤßliche Gruͤnde348
  • De Guſtibus non eſt diſputandum522
  • Alles geliehenes Gut529
  • Betrachtung der Wohlthat Gottes in dem Geſchenke unſerer
    Hand, in einem Neujahrsgedichte 1736. 623
  • Wunderlicher Handel532
  • Haſen228
  • Betrachtung uͤber die Heilungsbeſchaffenheit in der Natur, 493
  • Herbſt180
  • Herbſtbetrachtung148
  • Herbſtblaͤtter170
  • Herbſtuͤberlegungen174
  • Abſicht unſers Hierſeyns523
  • Himmelsbetrachtungen440
  • Die Hirſche216
  • Thoͤrichter Hochmuth323
  • Thorheit des Hochmuths339
  • Gegruͤndete Hoffnung386
  • Ueber eine Menge ſchoͤner gefuͤllten Hyacinthen 34
  • Die blaue Hyacinthe14
  • Die weiſſe Hyacinthe13
  • Die roͤthlich-weiſſe Hyacinthe28
  • Jagd-Cantata156
  • Der Jltiß239
  • Kaiſerkrone15
  • Auſſerordentliche Kaiſerkrone32
  • Die wilden Katzen204

A a a 2Klage
[[740]]Regiſter.
  • Klage492
  • Ungerathene Kinder525
  • Troſt aus der Erkenntniß unſerer Kleinheit542
  • Auf eine zu Altenbruch gegoſſene Klocke319
  • Betrachtung uͤber den braunen Kohl211
  • Schoͤnheit eines Gefildes mit Korn69
  • Anſchickung zum Kuͤnftigen411
  • Bereitung aufs Kuͤnftige306
  • Die Kunſt, vernuͤnftig ſehen zu lernen 331
  • Fuͤr junge Lente ſich auf dem Lande zu erluſtigen 52
  • Gedanken bey einer froͤlichen Geſellſchaft auf dem Lande137
  • Unſere in mancherley Vergnuͤgen eingetheilte Lebenszeit508
  • Der gefluͤgelte Lehrer54
  • Die Leoparden247
  • Noͤthige Leſeſchule257
  • Die Liebe336
  • Das unſichtbare Licht283
  • Lob287
  • Lob in Schwachheit 571
  • Der Loͤwe244
  • Die Loͤwinn236
  • Die Luͤchſe232
  • Der durch Gott gezierte Luftkreis59
  • Die geheiligte Luſt527
  • Der Marder238
  • Eine Viole Matronal im Herbſt 155
  • Das ſonderbare Begraͤbniß des Maulwurfs380
  • Der Menſch338
  • Definition des Menſchen368
  • Der Menſch, ein Schmidt ſeines eigenen Ungluͤcks 340
  • Metall337
  • Meynung368 und 287
  • Verwahrloſung unſerer Minen490
  • Morgengedanken im Fruͤhlinge 65
  • Morgengeſang617
  • Morgenlied620
  • Die Muͤcke130

Das
[[741]]Regiſter.
  • Das Nachtgeſicht369
  • Die Nothwendigkeit der Naͤchſtenliebe379
  • Nutz der Naͤchſtenliebe544
  • Misbrauch des Worts Natur310
  • Wuͤrdige und rechte Anwendung der Naturlehre406
  • Neujahrsgedichte 1736. 623
  • = = = 1737. 648
  • = = = 1738. 674
  • Verſuch der Kraft unſers Geiſtes in der Betrachtung vom
    Nichts674
  • Fernere Unterſuchung des Norderlichts588
  • Oculus non videt quum animus alias res agit510
  • Das beſte Opfer260
  • Betrachtung einiger hauptſaͤchlichen Pflichten der Menſchen
    gegen Gott, in einem Neujahrsgedichte 1737. 648
  • Beym Pfluͤgen77
  • Der 148. Pſalm711
  • Aus dem 18. Pſalm712
  • Groͤße eines Puncts521
  • Quadratura circuli336
  • Der Rehbock, nebſt der Geis 234
  • An Hr. Probſt Reinbeck730
  • Das Rennthier245
  • Die Roſe, eine Fabel 61
  • Abermalige Betrachtung der Roſe36
  • Noch einige Gedanken uͤber die Roſen41
  • Roſengedanken44
  • Roſe im October 171
  • Die junge Saat205
  • Schatten105
  • Heilſames Mittel fuͤr Schiffende345
  • Betrachtung uͤber den Schilf145
  • Schluß557
  • Die neue Art durch Connexiones der Schluͤſſe zu uͤberfuͤhren
    eben ſo wohl widerſprechlich 598
  • Wie es ſanft ſchneyet198

A a a 3Der
[[742]]Regiſter.
  • Der Schoͤpfer uͤberall gegenwaͤrtig 428
  • Die Schonkilje ſpricht 26
  • Eine im Februar bluͤhende Schonkilje204
  • Schreiben an Madem. Weiſen in Merſeburg 536
  • Gedanken uͤber Schrittſchuh200
  • Schuldigkeit der Menſchen Gott zu dienen 388
  • Wilde Schweine226
  • Mittel gegen Schwermuth371
  • Gedanken bey einer Section298
  • Sinnenluſt im Lenzen 66
  • Sinnenſchule270
  • Wohleinzurichtender Gebrauch unſrer Sinnen265
  • Nothwendige Verbindung der Seelen und der Sinne357
  • Erweislicher Verluſt dreyer Sinne501
  • Sommerbetrachtung92
  • Sommervorwuͤrfe96
  • Fernerweitige Betrachtung der Sonne108
  • Die Sonne der Sonnen 290
  • Stille im Sturm335
  • Die Stoppeln179
  • Suͤnde513
  • Tabac209
  • Tapeten der Natur 122
  • Tempel Gottes 3
  • Vorzug vor deu Thieren498
  • Die allergroͤßte Tiefe296
  • Ein Topf mit Blumen 196
  • Zum Traumgeſichte291
  • Ueber Herr D. TrillersII. Theil ſeiner poetiſchen Betrachtun-
    gen 504
  • Troſt524
  • Zuverſichtlicher Troſt260
  • Auf einen Tubum458
  • Definition der Tugend330
  • Ueberzeugliche Ueberfuͤhrung427
  • Nothwendige Ueberlegung392
  • Ueberſchrift uͤber eine moraliſche Zeichnung 593

Ueber
[[743]]Regiſter.
  • Ueberſetzungen713
  • Gefaͤhrliche Verachtung der Welt 288
  • Veraͤnderung des Menſchen, in Veraͤnderung ſeines Alters 329
  • Vergleichung321
  • Einzige Quelle des Vergnuͤgens327
  • Verlaͤngerung des Vergnuͤgens408
  • Vergnuͤglichkeit297
  • Jnbruͤnſtiges Verlangen369
  • Vermahnung262
  • Unrichtige Anwendung der Vernunft601
  • Schranken unſerer Vernunft599
  • Schaͤdliche Verſaͤumung Gottes Wunder auf der Welt zu be-
    trachten 480
  • Gefaͤhrliches Verſteigen des menſchlichen Geiſtes 595
  • Eine Viole Matronal im Herbſt 155
  • Unachtſamkeit der Menſchen 258
  • Unſelige Unaufmerkſamkeit478
  • Unbilligkeit vieler Menſchen 499
  • Ungewißheit auch in Zahlen 520
  • Nachtheiliges Unterſtehen goͤttliches Weſen zu begreifen 602
  • Klaͤgliche Unwiſſenheit503
  • Der lehrende Vogel253
  • Das Vogelſtellen165
  • Vorwurf354
  • Die Wahrheit342
  • Die Wallfiſche343
  • Wankelmuth der Menſchen 258
  • Warnungslehre fuͤr erhabne Geiſter 586
  • Zierliche Waſſerbilder171
  • Waſſergedanken172
  • Waſſergraben103
  • Zuſatz zu den Waſſertropfen352
  • Vier Welte281
  • Die Welt ein goͤttlicher Lehrer 324
  • Fernere Betrachtung des Weltmeers417
  • Nothwendigkeit die Werke Gottes zu betrachten 385
  • Vergnuͤgliche Erkenntniß der Werke Gottes 415
  • Die Werkſtatt der Seelen 446

Ueber-
[[744]]Regiſter.
  • Ueberzeugliche Beweisgruͤnde eines goͤttlichen Weſens471
  • Schoͤn Wetter140
  • Vergnuͤgung bey regnichtem Wetter im Sommer 128
  • Zur Wieſe98
  • Wieſel238
  • Fliehendes Wild230
  • Der freye Wille377
  • Winterbetrachtung182
  • Wintergedankende a. 1738. 186
  • Nothwendigkeit, wirthlich zu ſeyn 503
  • Die Woͤlfe229
  • Wortſtreit413
  • Wunſch286. 290. 430. 524
  • Billiger Wunſch387
  • Froͤlicher Wunſch527
  • Herzlicher Wunſch412
  • Ungereimter Wunſch571
  • Unverantwortliches Zanken uͤber das goͤttliche Weſen528
  • Gute Anwendung unſrer kurzen Zeit320
  • Der große Zirkel531
  • Des Menſchen Zorn thut nicht, was vor Gott recht iſt 432
  • Zuͤgel der Begierden 299
  • Das Zukuͤnftige370
  • Zuſatz zu dem 337 Blatte des 4 Theils des irdiſchen Vergnuͤ-
    gens 303
  • Eigentlicher Zuſtand auf Erden 325
  • Zweifelmuth erregt und geſtillt 396

ENDE.


[[745]]

Appendix B Einige Druckfehler
in dieſem ſechſten Theile.


Auf der

  • 46. S. 4. Z. fuͤr, keinen Spitzen, lies, kleinen Spitzen.
  • 92. = 8. fuͤr, halben Grunde, lies, blauen Gruude.
  • 96. = 3. fuͤr, ſchoͤnſte Weltgebaͤude, lies, ſchoͤne Welt-
    gebaͤude.
  • 111. = 10. fuͤr, Entwurf, lies, Einwurf.
  • 226. = 3. fuͤr, nuͤtzlich, lies, moͤglich.
  • 238. = 5. fuͤr, wilder Bruſt, lies, wilden Bruth.
  • 374. = 13. fuͤr, uͤbermaßen, lies, Uebermaße.
  • 410. = 11. fuͤr hohlen, lies, holden.
  • 437. = 18. fuͤr, zugeblaſner, lies, zugelaßner.
  • 448. = 8. fuͤr, holden, lies, hohlen.
  • ibid. = 16. fuͤr, unkoͤrperlicher, lies, und koͤrperliche.
  • 457. = 1. fuͤr, bis her, lies, bis daher.
  • 497. = 12. fuͤr, auch, lies, auf.
  • 585. = = muß unter der 5ten Zeile folgender Vers hinzugeſetzt
    werden: Der ſich, von uns, zum Paradieſe.
  • 595. = = 3. fuͤr, ſo ſichtbar, lies, nicht ſichtbar.
  • 604. = 4. muß an ſtatt, W** ein M** ſeyn.
  • 630. = 4. fuͤr, nicht, lies, mir.
  • 646. = 8. fuͤr, Meſſer, lies, Waſſer.
  • 644. = 13. fuͤr, Vergnuͤgen, lies, Vermoͤgen.
  • 665. = 4. fuͤr, ſich, lies, uns.
  • 706. = 8. fuͤr, juͤngſt, lies, Juͤngſt.
  • 712. = 18. fuͤr, holder, lies, hohler.
  • 721. = 7. fuͤr, Violen, lies, Volieren.


Das Gedicht die Dankbarkeit pag. 550. wel-
ches durch einen Zufall verſetzt, gehoͤret zu
Ende des Neujahrsgedichts 1737. p. 673.



[[746]][[747]][[748]][[749]][[750]]
Notes
Indocilis priuata loqui, ſpricht dort ſehr ſinnreich von dem Julius
Caͤſar der treffliche Poet, Lucanus, Lib. V. Pharſal. v. 539.
*
Ein hoͤrend Ohr und ſehend Auge, die machet beyde der Herr.
Proverb. 20, 21.
*
Ita praeſentibus voluptatibus vtaris, ne futuris non noceas.
*
Giagas, hinter Congo, in Africa.
*
Anſicuni, unweit von ihnen in Monſol.
**
Madagaſcar.
(*)
Eine kleine Probe davon iſt in der Liſte im V. Theil des
Jrd. Vergn. anzutreffen.
*
Dieſes Gedicht wird nebſt andern in den G. G. heraus
zu gebenden Ritzebuͤttelſchen Gedichten folgen.
*
Vid. plura Tom. IV. pag. 407.
*
Vid. plura Tom. V. pag. 137.
*
Oceanus aurae centralis.
*
Dieſes Gedicht wird, nebſt andern, in den G. G. heraus
zu gebenden Ritzebuͤttelſchen Gedichten folgen.
*
Schmecket und ſehet wie freundlich der Herr ꝛc.
*
660000000000000000000000000000000. Million.
*
Vid. Ritzebüttelenſia.
*
Vid. Ritzebüttelenſia.
*
Vid. Ritzebüttelenſia.
*
Vid. Ritzebütt. Gedichte von dem Schienbein.
Vid. Notat. ad 1737.
a)
Es befinden ſich in dem hochfuͤrſtlichen Garten, nebſt
einer ſehr großen Menge von allen Sorten der ſchoͤnſten
Blumen, auch in verſchiedenen Gewaͤchshaͤuſern, uͤber
2000. unterſchiedliche Gattungen der rareſten exotiſcher
und indianiſcher Gewaͤchſe.
b)
Hievon befinden ſich in Carls-Ruh 800 Arten.
c)
Von dieſen 200.
a)
Von Ranunculn 400.
b)
Von Tulpen 5000. Sorten.
c)
Von dieſen 100. und
d)
Von Auriculn 500. Arten ꝛc.
e)
Von welchen 600. unterſchiedener Sorten.
f)
Jn dem Garten iſt eine ſehr ſchoͤne Menagerie, worinn
eine groſſe Menge fremder Thiere und Voͤgel iſt, und
fliegen aus der Voliere allerhand Voͤgel, in ſpecie die
ſchoͤnſten Canarienvoͤgel, aus und ein, welche auf den
Orangenbaͤumen und in denen Boſquetten haͤufig niſten,
und den Garten mit ihrem lieblichen Geſang erfuͤllen.
a)
Dieſe tragen 200. differente Argumien oder Orangen,
Citronen und Limonien-Sorten, ohne was ſich in der
Orangerie zu Durlach befindet.
b)
q)
Durch den an der Reſidenz gelegenen Wald gehen 24.
Alleen, wovon die meiſten etliche Stunden lang ſeyn,
in allem aber ſeyn um die Stadt 32. Alleen.
a)
Der hochſelige Herr Marggraf haben durch verſchiedne
kuͤnſtliche Maler die meiſten Tulpen und andere Blumen,
auch rareſte Gewaͤchſe, nach dem Leben abmalen laſſen,
wovon etliche tauſend Gemaͤlde vorhanden ſind.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 1. Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bj7w.0