[][][][][][][]
(Interims-Titel).

GESCHICHTE
DER
GRIECHISCHEN KÜNSTLER.


ZWEITER THEIL.
ERSTE ABTHEILUNG.


BRAUNSCHWEIG,:
C. A. SCHWETSCHKE \& SOHN.
(M. BRUHN.)

1856.

(Der Haupttitel folgt mit der zweiten Abtheilung.)
[]

DIE MALER.


Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II.1
[[2]][[3]]

Erster Abschnitt.
Die ältesten Maler bis zu den Perserkriegen.


Die Nachrichten über die Erfindung und erste Ausübung der
Malerei unterscheiden sich wesentlich von denen über die
Anfänge der Bildhauerkunst. Diese letzteren führen uns in
eine durchaus mythische Zeit zurück. Denn die Geschichte
der Sculptur beginnt für uns mit einer Gestalt, wie nur die
Sage sie auszubilden vermochte. In der Person des Daedalos
erscheint die gesammte älteste Ueberlieferung gewissermassen
verkörpert, in der Weise, dass die Nachrichten von der ersten
Entwickelung der Kunst nur in ihrer Uebertragung auf diese
Persönlichkeit zur Kunde der Nachwelt gelangt sind. Ja, als
endlich die Geschichte den Mythos zu verdrängen anfing, ward
noch immer die Sage gern als der Anknüpfungspunkt auch
für die reine historische Ueberlieferung benutzt. Am Anfange
der Geschichte der Malerei tritt uns eine solche mythische
Persönlichkeit nicht entgegen. Man scheint vielmehr den
ersten bekannten Malern ohne Weiteres die Erfindung ihrer
Kunst beigelegt zu haben. Denn es werden zwar verschie-
dene und verschiedenen Orten angehörige Erfinder angeführt;
aber ihre Namen tragen fast durchgängig schon ein rein histo-
risches Gepräge, etwa die des Eucheir und Eugrammos aus-
genommen, welche offenbar bestimmten Kunstfertigkeiten ihren
Ursprung verdanken. Wir stellen hier zunächst diese Nach-
richten nach den Quellen zusammen, durch welche sie uns
überliefert sind.


Plinius 1) nennt die Kunde von den Anfängen der Malerei
ungewiss. Er spottet über die Aegypter, welche dieselbe sechs-
tausend Jahre, ehe sie in Griechenland geübt worden, erfunden
1*
[4] haben wollten. Dann fährt er fort: „Die Griechen lassen sie
theils in Sikyon, theils bei den Korinthern erfunden sein, und
zwar übereinstimmend durch Umreissen des menschlichen
Schattens mit Linien. Das also sei die erste Art gewesen;
die zweite die mit einfachen Farben, monochromaton genannt,
nachdem man die mühevollere erfunden habe; und diese wird
auch jetzt noch in solcher Weise geübt. Die Linearmalerei
sei eine Erfindung des Aegypters Philokles oder des
Kleanthes von Korinth. Zuerst übten dieselbe Aridikes
von Korinth und Telephanes von Sikyon, zwar auch sie
noch ganz ohne irgend eine Farbe, aber doch so, dass sie
innerhalb (des äusseren Umrisses) auch andere Linien ein-
streueten; weshalb es Sitte geworden, dabei zu schreiben,
wen man malte. Mit Farbe, wie man sagt, geriebenem Ziegel,
malte zuerst Ekphantos von Korinth. Dass dieser von dem
gleichnamigen Künstler verschieden sei, über welchen Cor-
nelius Nepos berichtet, er habe den Damaratos, den Vater
des römischen Königs Tarquinius Priscus, bei seiner Flucht
vor der Verfolgung des Tyrannen Kypselos aus Korinth nach
Italien begleitet, werden wir bald lehren.“ Hier deutet Pli-
nius offenbar auf den Anfang seines eigentlichen Malerver-
zeichnisses, in welchem er seine Verwunderung darüber aus-
spricht, dass die Griechen berühmte Maler vor der 90sten
Olympiade kaum kennen wollen 1): „Ist es doch sogar zuge-
standen, dass das Gemälde des Malers Bularchos mit der
Schlacht der Magneten von dem lydischen Könige Kandaules,
dem letzten der Herakliden, der auch Myrsilos genannt wird,
mit Gold aufgewogen wurde 2). So hoch ward damals schon
die Malerei geschätzt. Das muss etwa zur Zeit des Romulus
geschehen sein, denn in der 18ten Olympiade starb Kandaules,
oder, wie einige angeben, in demselben Jahre, wie Romulus,
wenn ich nicht irre, so dass offenbar schon damals die Kunst
berühmt, ja vollendet war. Ist dieses so anzunehmen, so ist
zugleich klar, dass die Anfänge weit älter waren, so wie dass
die, welche Monochromata malten und deren Alter nicht an-
gegeben wird, etwas früher lebten, wie Hygiaenon, Di-
nias, Charmadas
, und, der zuerst in der Malerei Mann
und Frau unterschied und jegliche Figuren nachzuahmen
[5] wagte, Eumaros von Athen, so wie der welcher dessen
Erfindungen ausbildete, Kimon von Kleonae; u. s. w.“


Unabhängig von diesen Nachrichten, in denen das Stre-
ben nach einer historischen und systematischen Verknüpfung
deutlich zu Tage tritt, werden ferner in dem Verzeichnisse
verschiedener Erfindungen bei Plinius 1) als Erfinder der Ma-
lerei in Aegypten der Lyder Gyges, in Griechenland, und
nach der Ansicht des Aristoteles, Eucheir, ein Verwandter
des Daedalos, angegeben. Von der Wanderung des Eucheir
und Eugrammos nach Italien ist bereits in der Geschichte
der Plastik gesprochen worden 2).


Einige andere Angaben von verwandtem Charakter finden
sich bei Athenagoras3). Er legt die Erfindung des Schat-
tenrisses dem Saurias von Samos bei, indem dieser den
Umriss seines Pferdes in der Sonne umzogen habe; die Er-
findung der Graphik (der monochromatischen Malerei bei
Plinius entsprechend) dem Kraton von Sikyon, indem dieser
den Schatten eines Mannes und einer Frau auf einer geweissten
Tafel mit Farbe angestrichen. Ausserdem erwähnt er Klean-
thes
von Korinth, den wir auch bei Plinius fanden; und end-
lich erzählt er die Sage von der Töpfertochter, deren wir
wegen der Erfindung des Reliefs bei Gelegenheit des Butades
gedacht haben 4).


Blicken wir uns nun unter diesen vereinzelten Nachrich-
ten zuerst nach einem chronologischen Haltpunkte um, so
begegnen wir keinen positiven Angaben, sondern nur einer
Schlussfolgerung des Plinius. Er geht von dem Schlacht-
bilde des Bularchos aus, durch welches nach seiner Meinung
die Blüthe der Malerei bis in die Zeit des Romulus, somit die
Erfindung noch weit höher hinaufgerückt wird; und dies ist
der Grund, weshalb er den Ekphantos zur Zeit des Demarat
von einem noch älteren unterscheiden zu müssen glaubt.
Allein es ist von Welcker 5) durchaus wahrscheinlich gemacht
worden, dass Plinius die Erzählung von dem Schlachtbilde
aus den unächten Lydiaka des Xanthos geschöpft habe, und
dass ihr daher alle Gewähr der Wahrheit abgeht. Zuletzt
würde aber auch, selbst eine gewisse Wahrheit dieser Er-
[6] zählung angenommen, aus einer Kunstblüthe in Lydien noch
nicht mit Sicherheit etwas über das eigentliche Griechenland
zu schliessen sein. Somit stehen die Berechnungen des Plinius
in der Luft; und etwa aus den Wanderungen korinthischer
Künstler nach Italien die Chronologie bestimmen zu wollen,
dürfen wir uns eben so wenig verleiten lassen. Dagegen
müssen wir einen bestimmten Nachdruck darauf legen, dass
die überlieferten Namen fast durchgängig nicht Gattungsnamen
sind, wie die des Daedalos, Eucheir und Eugrammos, sondern
bestimmte Individuen bezeichnen, dass sie uns also nicht auf
eine sagenhafte, sondern auf eine streng historische Zeit hin-
weisen. Hierzu kommt, dass zwischen ihnen und den unmit-
telbar nach den Perserkriegen berühmt gewordenen Malern
andere Namen fast gar nicht genannt werden. Eine völlige
Lücke in der Ueberlieferung anzunehmen, werden wir aber
um so weniger geneigt sein, als selbst Polygnot noch, aller-
dings der eigentliche Begründer des Ruhmes der Malerei, von
Theophrast 1) als Erfinder derselben angeführt wird. Viel-
mehr müssen wir gerade hierdurch veranlasst werden, diese
ersten Erwähnungen von Malern mit denjenigen Nachrichten
parallel zu stellen, welche uns über die ältesten Bildhauer-
schulen in dem Zeitraume etwa von der 40sten bis zur 60sten
Olympiade erhalten sind.


Immer bleibt aber hinlänglicher Grund zu der Klage des
Plinius, dass sich in diesem Theile der Kunstgeschichte die
Sorgfalt der Griechen nicht gleichgeblieben sei. Denn was
sollen wir aus Nachrichten folgern, die ihren Widerspruch in
sich selbst tragen? Dass ein Lyder Gyges in Aegypten, dass
ein Aegypter Philokles, der durch seinen Namen sich als
Griechen ausweist, die Malerei erfunden habe? Anderes, wie
die Erzählung von Saurias, steht zu vereinzelt, als dass wir
weitere Folgerungen darauf bauen könnten, etwa von einer
Berühmtheit alt-samischer Malerei, welche dem Ruhme der
samischen Erzbildnerei entspräche. Grösserer Nachdruck
scheint darauf gelegt werden zu müssen, dass mehrere Na-
men uns auf Sikyon und Korinth hinweisen: auf Sikyon
Kraton und Telephanes; auf Korinth von den mehr sagen-
haften Eucheir und Eugrammos abgesehen, Kleanthes, Aridikes
[7] und Ekphantos, welche bei Plinius zugleich drei verschiedene
Stufen der Entwickelung bezeichnen. Freilich muss ich ge-
stehen, dass mir gerade diese systematische Abstufung gegen
die strenge historische Treue seiner Erzählung einige Zwei-
fel erweckt; um so mehr, als dieselben durch anderweitige
Ueberlieferungen nur noch verstärkt werden. Strabo 1) er-
wähnt nemlich drei sehr gefeierte Gemälde im Tempel der
Artemis Alpheionia ohnweit Olympia, Werke der Korinther
Kleanthes und Aregon: und zwar von dem ersteren die
Einnahme Troja’s und Athenens Geburt, von dem zweiten
Artemis auf einem Greife emporgetragen. In dem zweiten
Bilde war unter anderem Poseidon dargestellt, welcher dem
gebärenden Zeus einen Thunfisch darreicht. So berichtet
Athenaeus 2) aus dem Troikos Diakosmos des Demetrius,
welcher ebenfalls Kleanthes von Korinth als Künstler nennt.
Eine Zeitbestimmung bietet allerdings keiner dieser Gewährs-
männer dar; und Welcker 3) hat sogar „nach der scherzhaft
(wie auch von Ktesilochos) behandelten Geburt des Zeus“
schliessen wollen, dass diese Bilder nicht zu den ältesten der
korinthischen Schule, sondern zu den späteren nach Alexan-
der gehören. Aber Poseidon mit dem Attribute des Fisches
findet sich gerade auch in Darstellungen der Geburt Athene’s
von durchaus alterthümlicher Auffassung auf Vasenbildern;
und ebenso ist die Einnahme Troia’s ein in alten Kunstdar-
stellungen beliebter Gegenstand. Ich sehe also keinen Grund,
diese Gemälde dem alten Korinther Kleanthes zu entziehen;
und es scheint mir wahrscheinlicher, dass die Alten, aus
denen Plinius schöpfte, um die Lücken der Ueberlieferung
auszufüllen, Kleanthes als einen der ältesten bekannten nam-
haften Maler lieber gleich zum Erfinder der Malerei über-
haupt machten. Der Verdacht, dass die Zusammenstellung
bei Plinius nur eine künstliche, nicht eine wirklich histo-
rische Combination sei, würde dadurch allerdings bestätigt.
Es scheint mir demnach ziemlich überflüssig zu untersuchen,
ob die von Plinius angegebene Folge der Erfindungen die
wirkliche ist. Sehen wir doch auch schon bei ersten Ver-
suchen von Kindern, dass sie sich nicht immer mit blossen
[8] äusseren Umrissen begnügen, sondern sich ebensowohl auch
der Farbe zu silhouettenartigen Bildern bedienen; ohne dass
das eine oder das andere nothwendig als spätere Entwicke-
lungsstufe zu betrachten wäre. Ohnehin konnte man füglich
von den allerersten Anfängen historische Nachricht nicht be-
sitzen. Dürfen wir daher die Angaben des Plinius nicht
wörtlich nehmen, so verlieren wir für nähere Bestimmungen
allen Boden. Wir verlassen also die alten Skiagraphen und
Monochromenmaler, und suchen vielmehr, wo wir einem be-
stimmt erkennbaren Fortschritte in der Entwickelung der
Malerei begegnen. Einen solchen glaube ich zu erkennen in
den Werken des:


Eumaros
von Athen. Plinius 1) lässt ihn auf die ältesten Monochromen-
maler folgen und giebt als sein Verdienst an, dass er zuerst
Mann und Frau in der Malerei unterschieden und überhaupt
gewagt habe, jegliche Arten von Figuren nachzubilden. Wie
die Worte lauten, müssten auch sie sich noch auf die ersten
rohen Anfänge beziehen. Doch gewährt uns hier unsere übrige
Kenntniss alter Malerei einen richtigern Blick in ihr Verständ-
niss. Wie in den Vasenmalereien alten Stils die Frauen von
den Männern durch die weisse Farbe des Fleisches unter-
schieden sind, so finden wir auch schon in den ältesten
Wandmalereien das Colorit der Frauen in scharfem Gegen-
satze zu dem der Männer. Hierin also, in der ersten Be-
gründung oder in der ersten feineren Durchbildung dieses
Unterschiedes haben wir das Verdienst des Eumaros zu suchen.
Unbestimmter muss es bleiben, was es mit dem Nachbilden
von Figuren jeglicher Art auf sich hat. Grössere Mannigfal-
tigkeit in der Handlung oder der Bewegung würde Plinius
wohl mit andern Worten bezeichnet haben. Es möchten also
vielmehr die Figuren, wie nach ihren Geschlechtern, so nun
auch nach ihren Altersstufen und ihrem sonstigen Charakter
schärfer von einander unterschieden worden sein. Wie wenig
dies in den ältesten Zeiten der Fall gewesen sein wird, kön-
nen uns wiederum die Vasen alten Styls zeigen, in denen z. B.
der Gegensatz von Jüngling und Mann kaum irgendwie eine
Berücksichtigung erfahren hat. — Eine Zeitbestimmung giebt
[9] auch für Eumaros Plinius nicht an. Doch können wir über
sie wenigstens eine Vermuthung aufstellen. Plinius fährt nem-
lich fort:


Kimon
von Kleonae habe die Erfindungen des Eumaros ausgebildet.
In diesen Worten ist ein Schulzusammenhang zwischen den
beiden Malern hinlänglich klar ausgesprochen; und wir kön-
nen daher Eumaros um ein Menschenalter vor Kimon setzen.
Die Zeit des Letzteren aber hat zuerst Böttiger 1) daraus be-
stimmt, dass sich auf ihn zwei Epigramme des Simonides
beziehen, welcher Ol. 78, 2 starb 2). In einem derselben wird
ausser Kimon ein Maler Dionysios genannt, der das Seiten-
stück zu seinem Gemälde lieferte; und dieser ist wahrschein-
lich der Kolophonier, der Zeitgenosse des Polygnot, zu dessen
Nekyia ebenfalls Simonides die Inschrift dichtete. Mochte nun
allerdings Kimon mit diesen Künstlern sich nur in so fern
berühren, als sein Alter mit ihrer Jugend zusammentraf, so
werden wir doch annehmen müssen, dass er noch bis gegen
die Zeit der Perserkriege thätig war, wonach dann Eumaros
zwischen die 60ste — 70ste Olympiade fallen würde: eine Zeit,
in welcher auch in der Sculptur sich die verschiedenen Styl-
arten mit grösserer Schärfe zu sondern beginnen.


Ueber die künstlerischen Verdienste des Kimon äussert
sich in ziemlich allgemeinen Ausdrücken zuerst Aelian 3):
„Kimon von Kleonae (wie statt Konon schon längst verbes-
sert ist), bildete, wie erzählt wird, die Malerkunst aus, die
damals noch eben in der ersten Entwickelung sich befand
und ohne Kunst und Erfahrung von seinen Vorgängern aus-
geübt ward, überhaupt gewissermassen noch in den Windeln
und an der Mutterbrust lag. Weshalb er auch eine reich-
lichere Bezahlung als seine Vorgänger empfing.“ Weit be-
stimmter spricht Plinius 4): „Er erfand catagrapha, (was durch
obliquas imagines übersetzt wird;) ferner Mannichfaltigkeit in
[10] der Gesichtsbildung, das Zurück-, Auf- und Herunterblicken;
er schied in den Hauptgliedern die feineren Theile, hob die
Adern hervor, und erfand in der Bekleidung die Bezeichnung
der Falten und Busen.“ Die meiste Schwierigkeit in der Er-
klärung dieser Worte hat der Ausdruck catagrapha gemacht;
und man hat wohl darüber gestritten, ob nicht etwa Plinius
selbst das Wort falsch aufgefasst habe, oder ob nicht die
Uebersetzung obliquas imagines eine Interpolation sei. Beide
Einwürfe scheinen mir unbegründet: catagrapha bedeutet Pro-
fil, und obliquae imagines ist die richtige Uebersetzung dieses
Wortes, wofür den Beweis die Erzählung des Plinius 1) über
ein Portrait des Antigonos liefert, welches Apelles, um den
Mangel des einen Auges zu verbergen, im Profil malte. Um
aber die Angabe des Plinius richtig zu würdigen, müssen wir
wiederum zu den Vasen unsere Zuflucht nehmen. Auf ihnen,
wird man sagen, ist die Profilbildung seit den ältesten Zeiten
durchaus Regel. Allerdings; streng genommen aber doch
nur im uneigentlichen Sinne; genauer müssten wir nicht von
Profilbildern, sondern von Silhouetten sprechen, in denen ausser
dem Contour noch andere Formen durch Linien bezeichnet
sind: liniis intus sparsis, wie Plinius von der Malerei des
Aridikes und Telephanes bemerkt. Das eigentliche Profil
unterscheidet sich davon hauptsächlich in der Bildung des
Auges. Dieses aber erscheint auf den Vasen alten Stils stets
so gezeichnet, als sei es von vorn gesehen. Erkennen wir
es nun als das Verdienst des Kimon an, dass er in der Zeich-
nung des Auges zu naturgemässer Richtigkeit sich erhob, so
war damit ein höchst wesentlicher Fortschritt gewonnen.
Denn erst dadurch ward möglich, was als das weitere Ver-
dienst des Kimon geschildert wird, das Antlitz mannigfaltig
zu bilden, im Zurück-, Auf- oder Herunterblicken: alles Aus-
drucksweisen, die lediglich auf der Zeichnung des Auges be-
ruhen. Denn an blosse Wendungen des ganzen Kopfes zu
denken, erlaubt der Ausdruck varie formare voltus nicht,
welcher bestimmt auf den durch den Blick bedingten Aus-
druck des Gesichtes hindeutet. Halten wir nun diese Bezie-
hung auf eine feinere Durchbildung der Zeichnung fest, so
werden uns auch die weiteren Angaben des Plinius leicht
[11] klar werden. Articulis membra distinxit: an die Stelle der
silhouettenartigen Behandlung trat eine naturgemässere Zeich-
nung der Gelenke, damit je nach der verschiedenen Lage der
Körper auch die Lage der einzelen Glieder, ihre Richtung und
Bewegung dem Beschauer deutlich werde. In der Angabe der
Adern mögen wir zunächst nur ein Streben nach grösserer
Durchbildung alles Details erkennen. Dagegen schliesst es
sich an die vorher bezeichneten Vorzüge an, dass er in der
Gewandung rugas et sinus invenit. Gern wird man zugeben,
dass dies nicht einfach von der Andeutung der Falten über-
haupt, sondern von einer kunstmässigeren Sonderung der
Massen zu verstehen ist. In den Vasenbildern alten Styls
finden wir meistentheils die Falten in langen Linien über die
Formen des Körpers hinweggezogen, ohne dass auf die Run-
dung desselben in durchgreifender Weise Rücksicht genom-
men wäre. Dem Kimon nun werden wir das Verdienst zuer-
kennen, dass er die Falten und Bauschungen des Gewandes
in bestimmten Massen sonderte, wie sie sich theils durch den
Wurf des Gewandes selbst, theils nach der Natur der unter
ihnen liegenden Formen des Körpers bilden müssen. — Fas-
sen wir alle diese einzelnen Bemerkungen zusammen, so ord-
nen sie sich leicht einem einheitlichen Gesichtspunkte unter:
wir erkennen nemlich in Kimon von Kleonae den Begründer
einer kunstmässigen Zeichnung, und müssen dieses Verdienst
um so höher schätzen, als es der weiteren Entwickelung der
Malerei nach zwei verschiedenen Richtungen hin die Wege
bahnte: die strengere Rücksicht auf die Natur der Form war
der erste Schritt, um die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung
von Licht und Schatten, d. h. das Malerische im engeren
Sinne im Gegensatz der blossen Zeichnung, hinzulenken; der
Fortschritt in der Zeichnung des Auges dagegen erschloss
ein ganz neues Gebiet in geistiger Beziehung, die Möglich-
keit des mannigfaltigsten physiognomischen Ausdruckes. Dass
wir aber auch durch diese Auffassung die Bedeutung des
Kimon nicht zu hoch anschlagen, dafür wird uns die weitere
Geschichte der Malerei noch nachträglich den sichersten Be-
weis liefern. Denn unmittelbar nach Kimon sehen wir, wie
allerdings durch einen der bedeutendsten Künstler die Malerei
mit einem gewaltigen Schritte sich zu ihrem geistigen Höhen-
punkte erhebt, um sich sodann nach den verschiedensten Rich-
[12] tungen hin in den einzelnen Vorzügen des speciell Male-
rischen auszubilden.


Aus dieser älteren Zeit der Anfänge sind uns ausser den
schon genannten keine Maler bekannt, es sei denn, dass wir
Mimnes Anspruch auf den Namen eines Künstlers gewäh-
ren wollen, obwohl er nur aus einigen Spottversen des um
Ol. 60 lebenden Chier’s Hipponax 1) als Maler von Schiffsin-
signien bekannt ist, einer Gattung der Malerei, die freilich
deshalb noch nicht zur Kunst im höheren Sinne gezählt werden
darf, weil einmal ein Künstler, wie Protogenes, von ihr aus-
gehend sich zum höchsten Ruhme emporarbeitete. Nach einer
Emendation Bergk’s2) wurde als Vater des Mimnes in jenen
Versen Hekatomnos genannt.


Ausnahmsweise mögen unter den Künstlern auch Akesas
und Helikon angeführt werden. Denn obwohl sie nur
Teppichweber waren, so werden sie doch vom Alterthume
als wahrhafte Künstler in ihrem Fache gefeiert; und „Werke
des Akesas und Helikon“ war sogar eine sprüchwörtliche
Bezeichnung für bewunderungswürdige Leistungen gewor-
den3). Die Sitte aber, die heiligen Tempelgewänder und Vor-
hänge mit eingewebten oder gestickten Figuren zu schmücken,
bot für die Entfaltung wirklich künstlerischen Geschmackes
ein weites Feld. Von einem solchen einst in Delphi aufbe-
wahrten Werke ist uns durch Athenaeus4) die Inschrift auf-
bewahrt worden:


Τεῦξ’ Ἑλικὼν Ἀκεσᾶ Σαλαμίνιος, ᾧ ἐνὶ χεϱσὶ

Πότνια ϑεσπεσίην Παλλὰς ἔτευξε χάϱιν.

Salamis, die Vaterstadt, wird von Athenäus noch näher
als die Kyprische bezeichnet; und dieser Ueberlieferung der
Inschrift gegenüber können wir nicht umhin, die Nachricht
der Parömiographen als ungenau zu betrachten, welcher zu-
folge Akesas aus Patara in Lykien, Helikon aus Karystos
auf Euböa stammen sollte. Wenn ihnen nun von demselben
die Verfertigung des ersten panathenäischen Peplos beigelegt
wird, so deutet diese Angabe auf eine sehr alte Zeit; und
[13] hiermit stimmt auch das Zeugniss des Plutarch 1) überein. Er
nennt nemlich das Gewand, welches Alexander als ein Ehren-
geschenk von der Stadt Rhodos erhalten hatte und an einem
Ehrentage, wie in der Schlacht bei Arbela, trug, ein Werk
des „alten“ Helikon (Ἑλικῶνος τοῦ παλαιοῦ). Nimmt man hierzu
noch Rücksicht auf die etymologische Bedeutung der beiden
Namen, so erscheint die Vermuthung Völkels2) nicht unwahr-
scheinlich, dass, wenn auch nicht die Personen mythisch sind,
doch die Namen ihnen von ihrem Gewerbe beigelegt worden
sein mögen. — Mit ihnen zusammen führt Athenaeus auch
einen Aegypter Pathymias wegen verwandter Leistungen an.


So bleibt uns, ehe wir zu Polygnot selbst übergehen,
nur noch übrig, zuvor von dem Vater dieses eigentlichen Be-
gründers der griechischen Malerei zu handeln.


Aglaophon.


Aglaophon, von der Insel Thasos gebürtig, wird am häu-
figsten als Vater und Lehrer des Polygnot und Aristophon
genannt 3). Doch entbehrt er auch nicht des eigenen Ruh-
mes: Cicero 4) nennt ihn zwischen Zeuxis und Apelles, Quin-
tilian 5) neben Polygnot. Die Zeit seiner Blüthe muss der
seines Sohnes entsprechend in die erste Hälfte der siebziger
Olympiaden gefallen sein. Nun nennt aber Plinius 6) einen
Aglaophon unter den Malern der 90sten Olympiade; und da-
mit scheint im Einklange, dass nach Satyrus bei Athenaeus 7)
Alkibiades aus Olympia zwei Gemälde des Aglaophon nach
Athen gebracht haben soll, welche sich auf die gymnischen
Siege desselben bezogen. Da nun der Vater des Polygnot
nicht wohl noch lange nach der Blüthe seines Sohnes am
Leben sein konnte, so haben die neueren Forscher ziemlich
übereinstimmend zu dem Auskunftsmittel gegriffen, dass zwei
Künstler des Namens Aglaophon zu unterscheiden seien, so
dass der zweite der Enkel des ersten gewesen wäre. Doch
hat die Erfahrung gelehrt, dass von diesem Auskunftsmittel
[14] nur ein möglichst sparsamer Gebrauch gemacht werden darf.
Plinius aber, wie er anerkanntermassen hinsichtlich der Zeit-
bestimmung der älteren Bildhauer häufig im Irrthume befan-
gen ist, muss als ein eben so unsicherer Gewährsmann gel-
ten, wo es sich um die Zeit der älteren Maler handelt: zahl-
reiche Beispiele werden dies in der Folge lehren. Es handelt
sich also nur noch um das Zeugniss des Satyrus. Dieses
aber wird durch Plutarch geschwächt, welcher 1) eines jener
beiden Bilder dem Aristophon, dem Sohne des Aglaophon,
beilegt; und dieser konnte, sofern er der jüngere Bruder des
Polygnot war, recht wohl bis gegen Ol. 90 am Leben sein.
Sei es nun, dass Athenaeus beim Excerpiren irrte, oder dass
die ursprüngliche Lesart Ἀϱιστοφῶντος τοῦ Ἀγλαοφῶντος war und
der erste Name wegen der Aehnlichkeit mit dem zweiten spä-
ter ausgefallen ist, so fehlt uns doch auf jeden Fall hinläng-
liche Veranlassung, um neben dem älteren Aglaophon noch
einen gleichnamigen jüngeren Künstler anzunehmen. — Ueber
seine Werke sind wir äusserst mangelhaft unterrichtet. Aelian 2)
erwähnt ein Pferd als sehr schön; nach Karystios aus Perga-
mos 3) war er der erste, welcher die Nike geflügelt gemalt
hatte. Beide Erwähnungen geben uns aber wahrscheinlich
nicht Nachricht von ganzen Gemälden, sondern nur von Ein-
zelnheiten aus grösseren Compositionen.


Zweiter Abschnitt.
Polygnotos und seine Zeitgenossen.


Polygnotos.


„Polygnot, Sohn und Schüler des Aglaophon, stammte
von der Insel Thasos, erhielt aber das athenische Bürger-
recht zum Danke dafür, dass er die Poekile, oder nach An-
dern die Gemälde im Theseion 4) und Anakeion unentgeltlich
[15] gemalt hatte.“ So berichtet Harpokration, und nach ihm
Suidas und Photius 1) aus der Rede Lykurg’s πεϱὶ τῆς Ἱεϱείας;
und daraus erklärt es sich, weshalb Theophrast bei Plinius 2)
den Polygnot Athener nennen konnte, während er auch ander-
wärts immer Thasier heisst. — Ueber die Zeit seiner Thätig-
keit bemerkt Plinius 3) nur allgemein, dass sie vor Ol. 90 zu
setzen sei. Doch stehen uns ausserdem andere weit bestimm-
tere Angaben zu Gebote. So werden wir zuerst durch den
Umstand, dass für das eine Bild in der Lesche zu Delphi
Simonides die Inschrift dichtete, mindestens bis auf Ol. 78, 2,
das Todesjahr des Dichters, zurückgeführt. Ja, da Simonides
schon Ol. 75, 4 nach Sicilien ging, ohne von dort wieder nach
Griechenland zurückzukehren, so hat Letronne 4) daraus so-
gar folgern wollen, dass die delphischen Gemälde selbst vor
diesen Zeitpunkt zu setzen seien. Doch ist zur Abfassung des
Epigrammes die Gegenwart des Dichters in Delphi nicht
nothwendig vorauszusetzen. Immer aber mag die Thätigkeit
des Polygnot bald nach den Perserkriegen begonnen haben
und das delphische Gemälde eines seiner ersten umfangreichen
Werke gewesen sein, durch welches sich sein Ruhm über
ganz Griechenland verbreitete und die Aufmerksamkeit des
Kimon auf die Person des Künstlers gelenkt wurde. Denn
mit der Staatsverwaltung des Kimon hängt die Thätigkeit des
Polygnot in Athen auf das Engste zusammen; und der Künst-
ler scheint zu dem Staatsmanne in einem ähnlichen Verhält-
nisse gestanden zu haben, wie Phidias zu Perikles. In wel-
chem Jahre er nach Athen gekommen sei, darüber mangeln
freilich positive Angaben. Doch verdienen vor allem zwei
Zeitpunkte in Betracht gezogen zu werden: die nemlich,
welche uns durch die Gegenwart des Kimon in der Heimath
des Künstlers gegeben sind. Ol. 77, 2 führte Kimon die Ge-
beine des Theseus von Thasos nach Athen; Ol. 79, 2 unter-
jochte er diese von den Athenern abgefallene Insel aufs
Neue 5). Da nun aber die Versetzung der Gebeine den Bau
des Theseustempels zur unmittelbaren Folge hatte, und Po-
lygnot zu dessen Ausschmückung mit Gemälden thätig war,
so bietet sich uns von selbst die Annahme dar, dass Kimon
[16] den Künstler schon damals und sogleich für diesen bestimm-
ten Zweck mit sich nach Athen geführt habe. Seine nahen
Beziehungen zu Kimon offenbaren sich dann ferner darin,
dass er in der peisianaktëischen Halle malte, welche, wie
Jahn 1) vermuthet, von einem Schwager des Kimon erbaut,
von dem Letzteren dagegen mit Gemälden geschmückt und
in Folge dessen Poekile genannt wurde. Dort stellte Po-
lygnot in dem Gemälde der Zerstörung Ilions die Laodike,
des Priamos Tochter, unter dem Bilde der Elpinike, der
Schwester des Kimon, dar 2), worauf man in neuerer Zeit
auch deshalb Gewicht gelegt hat, weil man daraus den Zeit-
punkt der Entstehung des Werkes genauer bestimmen zu
können meinte, wenn auch, wie mir scheint, ohne Grund.
Als nemlich bald nach der Unterjochung von Thasos Kimon
angeklagt ward, versuchte Elpinike den Perikles als einen
der bedeutendsten unter seinen Gegnern durch ihre persön-
liche Verwendung günstiger zu stimmen. Da soll nun Peri-
kles, wie um zu zeigen, dass die Reize der Fürsprecherin
auf ihn keinen Eindruck hervorbrächten, geantwortet haben:
Γϱαῦς εἶ, γϱαῦς, ὦἘλπινίκη, ὡς τηλικαῦτα διαπϱάττεσϑαι πϱάγματα 3).
Elpinike war beim Tode ihres Vaters (Ol. 72, 4) ein junges
Mädchen (κόϱη) und unverheirathet, konnte also zur Zeit ihrer
Begegnung mit Perikles etwa vierzig Jahre alt und immer
noch eine schöne Frau sein; und in der That scheint sie
doch auch ihre Absicht nicht verfehlt zu haben: Perikles gab
seine, wie Sillig meint, „inurbane“ Antwort lächelnd (μειδιά-
σας), und zeigte sich im Verlaufe des Processes wirklich mil-
der, als zu erwarten gewesen war. Dass hieraus jedoch die
Zeit des Polygnotischen Gemäldes sich näher bestimmen
lasse, scheint mir auch deshalb nicht möglich, weil wir über
die besondere Art der Darstellung des Portraits nicht genau
unterrichtet sind. Laodike wird allerdings einmal bei Homer 4)
εἶδος ἀϱίστη genannt; nach ihrer Stellung in der Familie des
Priamos durfte sie jedoch der Künstler nicht in zarter Jugend-
blüthe darstellen, sondern hatte volle Freiheit, sie selbst dem
Charakter einer Matrone nahe zu bringen. Ein Hauptzweck
des Künstlers war aber gewiss immer der, dem Bruder der
[17] Elpinike, seinem Beschützer, eine Huldigung darzubringen,
Selbst, ob wir es mit einer andern Nachricht bei Plutarch über
Elpinike: πϱὸς Πολύγνωτον ἐξαμαϱτεῖν, sehr genau zu nehmen
haben, lässt sich gerade deshalb bezweifeln, weil diese Sage von
der Art ist, dass sie eben nur dem gemalten Portrait ihre
Entstehung verdanken konnte.


In die Zeit gegen Ol. 80 gehört endlich auch ein Gemälde
des Polygnot in der Vorhalle des Tempels der Athene Areia
zu Plataeae 1). Denn dieser Tempel war aus der Beute der
Perserkriege errichtet und Phidias machte für denselben das
Götterbild. — Während nun so alle einzelnen Bestimmungen
etwa in dem Zeitraum von Ol. 75—80 zusammentreffen, könnte
es nach den Gemälden, welche Polygnot in einem mit den
Propylaeen zusammenhängenden Gebäude ausführte 2), den
Anschein gewinnen, als ob der Künstler noch bis Ol. 87, 1, dem
Jahre der Vollendung der Propylaeen, gelebt habe. An sich
wäre dies freilich nicht unmöglich, doch müsste es immer
auffallen, dass aus der ganzen Periode der perikleischen
Staatsverwaltung sonst kein einziges Werk des Polygnot an-
geführt wird. Wollte man freilich annehmen, jene Gemälde
seien nicht Wand- sondern Tafelmalereien gewesen, so könnte
man sagen, dass sie erst nach des Künstlers Tode an ihren
späteren Aufstellungsort gekommen seien. Da ich jedoch
aus später zu entwickelnden Gründen diese Ansicht nicht
theilen kann, so bleibt allerdings für jetzt nur die an Ort
und Stelle näher zu prüfende Vermuthung übrig, dass jene
Gemäldegallerie schon vor dem Bau der eigentlichen Propy-
laeen errichtet und erst später mit diesen in architektonische
Verbindung gesetzt worden sei.


Unter seinen Werken verdienen die erste Stelle:


Die Gemälde in der Lesche der Knidier zu
Delphi
, darstellend die Einnahme Ilions und die Unter-
welt. Sie scheinen schon im Alterthume unter allen
Werken des Polygnot das grösste Ansehen genossen zu
haben. Plinius freilich erwähnt sie nur mit einem Worte:
Hic Delphis aedem pinxit (35, 59), und die Anerkennung,
welche der Künstler schon bei seinen Zeitgenossen fand,
spricht sich bei ihm nur in der weiteren Nachricht aus, dass
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 2
[18] die Amphiktyonen dem Polygnot freies Gastrecht ertheilten.
Für den Ruhm im Allgemeinen zeugen Plutarch 1), Philostrat2)
der Scholiast zu Plato’s Gorgias 3). Einer Figur, der Kassandra,
gedenkt Lucian 4) als besonders meisterhaft. Pausanias aber
widmet der Beschreibung der beiden Gemälde sieben ganze
Kapitel: X, 25—31, und dadurch sind sie für die Kenntniss
der älteren Malerei das unbedingt wichtigste Werk geworden.
Nachdem schon im Anfange dieses Jahrhunderts durch die
künstlerische Reproduction der Gebrüder Riepenhausen die
Aufmerksamkeit von Neuem auf sie gelenkt worden war,
haben sie namentlich in den letzten Jahren zu den vielfältig-
sten Erörterungen Anlass gegeben 5). Auf dieselben im Ein-
zelnen einzugehen, ist natürlich hier nicht der Ort. Nur be-
merke ich schon hier, dass zum richtigen Verständniss
dessen, was weiter unten aus den delphischen Gemälden über
den künstlerischen Charakter des Polygnot gefolgert werden
soll, die Kenntniss der Welcker’schen Schrift vorausgesetzt
werden muss.


In Athen, wo Polygnot, wie bereits bemerkt wurde, einen
wesentlichen Einfluss auf die künstlerischen Unternehmungen
des Kimon ausgeübt zu haben scheint, knüpft sich sein Ruhm
an mehrere ausgedehnte Werke, in deren Ausführung er sich
indessen mit mehreren seiner Zeitgenossen theilte. Des Zu-
sammenhanges wegen wird es gut sein, dieselben an dieser
Stelle ausführlicher zu besprechen, und bei seinen Mitarbeitern
hierauf kurz zu verweisen.


Die Gemäde in der Poikile. Die ausführlichsten,
aber in vieler Beziehung freilich immer nur spärlichen Nach-
richten über dieselben giebt uns Pausanias I, 15. Er sah
in der Halle vier Gemälde. Diese waren:


  • 1. Die Schlacht zwischen den Athenern und Lakedämo-
    niern bei Oenoë in Argolis;
  • 2. Der Kampf der Athener unter Führung des Theseus
    gegen die Amazonen;
[19]
  • 3. Die Einnahme Troja’s und der Rath der Könige über
    den Frevel des Aias gegen Kassandra;
  • 4. Die Schlacht bei Marathon.

Die Namen der Künstler giebt Pausanias nicht an. Nach
einer Erwähnung des Plinius 1) war ein Theil des Ganzen
von Polygnot gemalt, und zwar umsonst, ein anderer von
Mikon gegen Bezahlung. Völlig ungewiss ist der Meister des
ersten Bildes. Das zweite wird ausdrücklich dem Mikon
beigelegt: Arist. Lys. 678 sqq., Arrian VII, 18, 10, wo
schon längst Μίκωνος für Κίμωνος verbessert ist. Das dritte
malte Polygnot: Plut. Cim. 4. Schwankender sind die An-
gaben über das vierte Bild, die marathonische Schlacht.
Pausanias nennt später gelegentlich Panaenos, den Bruder
des Phidias, als den Künstler 2); und dies wird ausdrücklich
von Plinius 3) bestätigt. Dagegen spricht Aelian 4) von Mikon
und von Polygnot, und für Ersteren zeugen Arrian 5), so wie
Sopatros 6) in einer rhetorischen Uebung über das Thema:
Mikon sei von den Athenern bestraft worden, weil er die
Barbaren grösser gemalt, als die Hellenen; wofür eine ge-
wisse Bestätigung in dem Citat des Harpokration 7) aus der
Rede Lykurg’s πεϱὶ τῆς ἱεϱείας vorliegt, in welchem freilich
nicht der Anlass der Bestrafung, wohl aber die Summe des
Strafgeldes, nemlich dreissig Minen, angegeben wird. Was
nun Polygnot anlangt, so lässt sich seine Erwähnung allen-
falls daraus erklären, dass im Alterthum zuweilen wohl die
ganze Ausschmückung der Poekile als sein Werk bezeichnet
werden mochte 8), und dass er vielleicht von Kimon mit der
Oberleitung des Ganzen war betraut worden. Dagegen wer-
den wir nicht umhin können, dem Mikon einen bestimmten
Antheil auch an der Ausführung selbst neben Panaenos zu-
zuerkennen, freilich aber ungewiss lassen müssen, ob eine
der grösseren Abtheilungen, in welche dieses Gemälde zer-
fällt, oder nur einzelne, in dem ganzen Bilde zerstreute Fi-
guren oder Gruppen von seiner Hand waren 9).


2*
[20]

Blicken wir nun auf die Gemälde selbst, so bereitet uns
sogleich das erste die Schwierigkeit, dass wir von dem
Kampfe bei Oenoë durchaus keine zuverlässige Kunde haben.
Sodann vermögen wir nicht anzugeben, in welcher ideellen
Verbindung dieses Gemälde mit den drei übrigen zu denken
ist: diese stehen offenbar in einem trilogischen Zusammen-
hange, gerade so, wie die Perser des Aeschylos. Das Grund-
thema ist dasselbe, womit auch Herodot seine Erzählung der
Perserkriege eröffnet: Kampf des Griechenthums gegen Asien,
und zwar mit besonderem Bezuge auf Athen, welches in dem
Amazonenkampfe, dem ersten der Griechen gegen nicht
Stammesgenossen (Paus. V, 11, 2), mehr, als in dem Argo-
nautenzuge, in der Schlacht von Marathon mehr, als in der
von Salamis verherrlicht ward. Wenn aber schon in dem
delphischen Bilde von Ilions Einnahme den athenischen Hel-
den eine höhere Bedeutung beigelegt ward, als etwa bei Homer,
so dürfen wir wohl annehmen, dass diese Bevorzugung in
dem athenischen Bilde in noch verstärktem Maasse hervor-
getreten sein wird. Nehmen wir nun endlich dazu, dass das
Bild der Schlacht bei Oenoë eines geringeren Rufes, als die
übrigen theilhaft geworden zu sein scheint, so ist viel-
leicht die Vermuthung nicht zu gewagt, dass es gar nicht zu
dem ursprünglichen Cyklus gehört habe, sondern erst später
hinzugefügt worden sei. — Ueber die Darstellung selbst be-
merkt Pausanias, dass der Kampf noch nicht vollkommen
entbrannt war, sondern erst begann und man eben zum Hand-
gemenge kam.


Ueber das Gemälde der Amazonenschlacht wissen wir
aus Pausanias nur, dass Theseus unter den Athenern war,
so wie aus Aristophanes (Lys. 678), dass die Amazonen zu
Ross kämpften.


In dem Bilde der Einnahme Ilions war bei dem Rathe
der Könige über den Frevel des Aias auch dieser selbst
gegenwärtig und unter andern Kriegsgefangenen auch Kas-
sandra. Dass Laodike unter dem Bilde der Elpinike, der
Schwester Kimon’s, dargestellt war, ist schon früher erwähnt
worden. Wie sich dieses Bild zu dem verwandten delphi-
schen im Einzelnen verhalte, sind wir leider ausser Stande
anzugeben. Was Pausanias anführt, scheint mir nicht, wie
man gemeint hat, auf eine durchaus verschiedene, sondern
[21] vielmehr durchaus ähnliche Auffassung des Mittelpunktes der
Handlung hinzudeuten: weshalb ich freilich noch weit ent-
fernt bin, das athenische Gemälde für eine blosse Copie des
delphischen erklären zu wollen.


Etwas ausführlicher sind die Nachrichten über die Dar-
stellung der marathonischen Schlacht. Böttiger 1) wollte die-
selbe in vier Hauptabtheilungen zerlegen; allein Pausanias
unterscheidet offenbar nur drei Scenen: 1. Beginn des Kam-
pfes: Plataeer und Athener gerathen ins Handgemenge mit
den Barbaren; und hier ist der Kampf noch unentschieden;
2. Moment der Entscheidung im Mittelpunkte (τὸ δὲ ἔσω τῆς
μάχης): die Barbaren fliehen und stossen einander in den
Sumpf; 3. Folgen der Entscheidung als Schlussscene (ἔσχαται
δὲ τῆς γϱαφῆς): die Barbaren, im Begriffe, in die Schiffe der
Phönicier sich zu retten, werden von den Hellenen erschlagen.
Die Götter und Dämonen, welche den Hellenen Hülfe brach-
ten, in eine besondere Abtheilung zu versetzen, ist durch
nichts gerechtfertigt, vielmehr werden sie im Momente der
Entscheidung sichtbar geworden sein. Athene als Schutz-
göttin des ganzen Landes, Theseus als Stammheros, und
zwar so dargestellt, als ob er aus der Erde aufsteige; Mara-
thon, als Heros Eponymos, und Herakles, als in Marathon
vorzugsweise und zuerst göttlich verehrt. Sie waren vom
Künstler wahrscheinlich nicht als eigentliche Kämpfer aufge-
fasst, sondern als Gestalten, welche durch ihre blosse Er-
scheinung Schrecken und Entsetzen unter den Feinden ver-
breiteten. Dies scheint daraus hervorzugehen, dass Pausa-
nias einen andern Heros, den Echetlos mit dem Pfluge aus-
drücklich als unter den Kämpfenden sich hervorthuend be-
zeichnet.


Wie die nach Plinius (35, 57) portraitähnlich gebildeten
Haupthelden in dem Gemälde vertheilt waren, geht aus Pau-
sanias nicht hervor. Möglich ist es sogar, dass sich einzelne
Figuren in den verschiedenen Abtheilungen wiederholten. So
abgeschmackt nun die Erzählungen der Rhetoren sind, dass Mil-
tiades vom Volke die Ehre der Namensbeischrift nicht habe er-
langen können, da doch das Bild erst lange nach seinem Tode
gemalt wurde, so ergiebt sich doch aus ihnen, dass er in
[22] der ersten Abtheilung die vornehmste Stelle einnehmen
musste; und zwar, wie er mit ausgestreckter Hand auf die
Barbaren hinweisend die Hellenen zum Kampfe aufforderte:
Aesch. in Ctes. p. 80 (575 R.); Schol. Arist. T. III, p. 566 D;
Corn. Nep. Milt. 6. In dieser Abtheilung war es wahrschein-
lich auch, wo die Plataeer einen ehrenvollen Platz erhalten
hatten, indem man sie, an den böotischen Helmen kenntlich,
eifrig zur Hülfe herbeieilen sah: Dem. c. Neaer. p. 1377.
Kynaegeiros, Polyzelos und Kallimachos mussten ziemlich nahe
bei einander dargestellt sein, da Aelian (h. a. VII, 38) von
einem Hunde erzählt, der zum Lohne dafür, dass auch er
sich an dem Kampfe betheiligt, in ihrer Umgebung Platz ge-
funden hatte. Diese Gruppe nun befand sich wahrscheinlich
in der dritten Abtheilung. Denn Herodot (VI, 114) erzählt,
wie der Polemarch Kallimachos auf der Verfolgung bei den
Schiffen umgekommen sei; und eben dort war es, wo Kynae-
geiros eine Hand verlor, als er ein Schiff erfasste 1). Nach
Pausanias (I, 21, 3) muss auch Aeschylos in dem Gemälde
kenntlich gewesen sein. Endlich spricht Plinius noch von
den Portraits des Datis und Artaphernes. Auf die barbarische
Kleidung der Perser (bracchati) deuten Persius (sat. III, 53);
und schon erwähnt ward, dass Mikon die Barbaren grösser
als die Hellenen gebildet haben sollte. — Ueber die Vernich-
tung der Gemälde in der Poekile wird in dem Rückblick auf
diese Periode gesprochen werden.


Die Gemälde im Tempel der Dioskuren zu Athen
waren Werke des Polygnot und des Mikon: Paus. I, 18, 1.
Polygnot hatte die Hochzeit der Dioskuren mit den Töchtern
des Leukippos gemalt, d. h. wohl nach der gewöhnlichen
Auffassung den Raub derselben; Mikon „die, welche mit
Jason nach Kolchi geschifft waren; und hier hatte sich Mikon
besondere Mühe gegeben mit Akastos und dessen Rossen,“
wie Pausanias sich ausdrückt. Doch würden wir uns hier-
nach schwerlich einen richtigen Begriff von dem Bilde machen,
wenn uns nicht Pausanias an einer andern Stelle einen bestimm-
teren Wink gäbe. Wo er von Medea’s Ueberlistung der Töchter
des Pelias berichtet (VIII, 11, 2), fügt er hinzu, er kenne
[23] deren Namen nur daher, dass Mikon in der Inschrift ihrer
Bilder sie Asteropeia und Antinoe nenne. Diese Bilder sind
doch wahrscheinlich keine andern, als die im Dioskurentempel;
und so vermuthet Böttiger 1) gewiss mit Recht, dass dort die
Rückkehr der Argonauten dargestellt war. Unter ihnen befand
sich vielleicht jener Butes, auf den sich die Sprüchwörter
beziehen: Βούτην Μίκων ἔγϱαφεν und ϑᾶττον ἢ Βούτης, um etwas
zu bezeichnen, was schnell und leichthin abgefertigt wird.
Der Maler hatte nemlich nur den Helm und das eine Auge
hinter einem Berge hervorschauen lassen, und sich begnügt,
den Mann ausserdem nur durch den beigeschriebenen Namen
kenntlich zu machen: Zenob. prov. cent. I, 11, p. 87 und Append.
e Vatic. I, 12, p. 260 Schott. Denn obwohl Hesychius (s. o.) und
Zenobius (IV, 28) Butes als „einen der Kämpfenden in der Stoa“
(Poikile) bezeichnen, so macht doch Jahn 2) bei dem Schweigen
der übrigen Grammatiker über die Localität mit Recht für den
Dioskurentempel den Umstand geltend, dass Butes auch sonst
als einer der Argonauten bekannt ist: Apoll. Rhod. I, 95; Apollod.
I, 9, 16. — Mit Unrecht scheint mir Böttiger 3) noch ein
zweites Gemälde des Mikon im Tempel der Dioskuren vor-
auszusetzen. Denn die Worte des Pausanias (I, 18, 1): „sie
selbst stehend und ihre Kinder auf Rossen sitzend,“ glaube
ich vielmehr auf die Tempelstatuen beziehen zu müssen, als
auf Gemälde, deren Beschreibung nun erst folgt.


Die Gemälde im Tempel des Theseus legt Pau-
sanias (I, 17, 2) dem Mikon bei; doch scheint auch an ihnen
Polygnot einen Antheil gehabt zu haben, sofern, wie schon
erwähnt wird, bei den Lexikographen für ϑησαυϱῷ zu lesen
ist Θησέως ἱεϱῷ oder Θησείῳ. Die Beschreibungen des Pau-
sanias sind wiederum sehr dürftig. Dargestellt waren 1) der
Kampf der Athener gegen die Amazonen; 2) die Schlacht der
Lapithen und Kentauren; Theseus hatte schon einen der letzte-
ren getödtet; zwischen den andern war der Kampf noch
unentschieden. 3) Auf der dritten Wand (wie Pausanias sich
ausdrückt) war eine ziemlich unbekannte Sage dargestellt,
deren Verständniss noch dadurch erschwert wurde, dass das
Bild von der Zeit gelitten und Mikon diesen Mythos nicht in
[24] seiner ganzen Ausführlichkeit vorgestellt hatte. Aus dem
Folgenden ergiebt sich, wie auch Jahn 1) bemerkt, als Gegen-
stand des Bildes die Sage: dass Theseus, um dem Minos seine Ab-
stammung von Poseidon zu beweisen, einen ins Meer geworfenen
Siegelring heraufholte und einen von Amphitrite ihm geschenk-
ten goldenen Kranz mitbrachte. An diese Erzählung knüpft nun
Pausanias noch verschiedene Sagen über die letzten Schicksale
des Theseus an. Vielleicht ist dies nur eine seiner beliebten my-
thologischen Abschweifungen; vielleicht aber befand sich in dem
Tempel auch noch ein viertes Gemälde, welches auf das
Ende des Theseus Bezug hatte, und so die Reihenfolge der
übrigen: die Anerkennung der Herkunft, sodann zwei der
Hauptkämpfe, passend zu einem kleinen Cyklus zusammen-
schliessen würde.


Die Gemälde in der Pinakothek der Propyläen.
Wie viele von diesen schon zu Pausanias Zeit nicht mehr
vollkommen gut erhaltenen Gemälden als Werke des Polygnot
zu betrachten seien, würde sich nach den unklaren Worten jenes
Schriftstellers (I, 22, 6) schwer entscheiden lassen, wenn nicht
ein künstlerisches Gesetz die Zusammengehörigkeit von sechs
derselben mit ziemlicher Sicherheit verbürgte. Zuerst ist klar,
dass Diomedes und Odysseus, der eine, wie er in Lemnos des
Philoktetes Bogen, der andere, wie er das Palladion aus Ilion
raubt, Gegenstücke sind. Sodann hat Orest, welcher Ae-
gisthos, nebst Pylades, welcher die zur Hülfe herbeieilenden
Söhne des Nauplios mordet, gleichfalls ein Seitenstück in dem
Opfer der Polyxena: das Thema ist beide Male blutige Süh-
nung. Nun fährt Pausanias fort: Diese schreckliche That
hat Homer zu übergehen wohlgethan; und eben so scheint
es mir besser, dass er die Einnahme von Skyros durch
Achilleus besungen hat, als dass er den Achill in der Ver-
kleidung unter den Jungfrauen sich aufhalten lässt, obwohl
viele es erzählen und es auch Polygnot (hier) gemalt hat.“
Die Richtigkeit dieser Auffassung der Worte des Pausanias
ergiebt sich nun aus dem Folgenden, dass Polygnot
„auch Nausikaa und ihre Wäscherinnen und Odysseus, wie
er unter ihnen erscheint, auf dieselbe Weise, wie es Homer
gedichtet, gemalt hatte.“ Denn dieser Gegenstand ist das
[25] vortrefflichste Gegenstück zu Achilleus unter den Töchtern des
Lykomedes. Obwohl ich es für jetzt nicht wage, den inneren
Gedankenzusammenhang zwischen diesen sechs Bildern nach-
zuweisen, so schliessen sie sich doch offenbar in ihrer räum-
lichen Gegenüberstellung und im Allgemeinen auch in Hin-
sicht des Mythenkreises so schön zusammen, dass wohl nicht
daran zu zweifeln ist: sie seien alle nach einem einheitlichen
Plane und von einem und demselben Künstler entworfen wor-
den. Die andern an jenem Orte befindlichen Gemälde son-
dert dann Pausanias von den vorhergehenden bestimmt ab:
γϱαφαὶ δέ εἰσι καὶ ἄλλαι καὶ. … Hiermit hat denn auch die
Vermuthung derer ihre Erledigung gefunden, welche das Gemälde
der Nausikaa dem Protogenes beilegen wollten (w. m. s.).
Auf das Bild der Polyxena aber werden wir ein Epigramm
des Pollianus 1) beziehen dürfen, in welchem ein Gemälde
(πίναξ) mit der Darstellung ihrer Opferung fälschlich dem
Polyklet zugeschrieben wird:


Ἅδε Πολυκλείτοιο Πολυξένα, οὐδέ τις ἄλλα

Χεὶϱ ἔϑιγεν τούτου δαιμονίου πίνακος.

Ἥϱας ἔϱγον ἀδελφόν· ἴδ̛ ὡς πέπλοιο ῥαγέντος

Τὰν αἰδῶ γυμνὰν σώφϱονι κϱύπτε πέπλῳ.

Λίσσεται ἁ τλάμων ϋυχᾶς ὕπεϱ· ἐν βλεφάϱοις δὲ

Παϱϑενικᾶς ὁ Φϱυγῶν κεῖται ὅλος πόλεμος.

Die Gemälde im Pronaosdes Tempels der Athene
Areia zu Plataeae
, für welchen Phidias das Tempelbild
gemacht hatte, waren von der Hand des Polygnot und eines
uns sonst ganz unbekannten Malers Onasias, dessen Namen
man gegen die Autorität aller Handschriften in den bekann-
teren des nur als Bildhauer bekannten Onatas hat verändern
wollen. Pausanias (IX, 4, 1) giebt den Inhalt dieser Gemälde
nur ganz allgemein an: Polygnot malte den Kampf des Odysseus
gegen die Freier, Onasias den ersten Zug der Argiver gegen
Theben.


Die Beziehung dieser Darstellungen zu dem Tempel, wie
zu den Zeitverhältnissen, hat Welcker 2) in folgenden Worten
sehr schön aufgefasst: „Vor Theben ging das ganze angrei-
fende Heer unter, und Odysseus unterdrückte die Feinde im
[26] eigenen Hause, wie die Hellenen bei Plataeae die in das Hei-
ligthum eingedrungenen und auf ihrem Boden frech sich fest-
setzenden Perser. Den beiden Niederlagen solcher, die recht-
mässigen Besitz gewaltsam und übermüthig an sich zu reissen
trachteten, wird der Untergang der Perser verglichen, und
Pallas ist’s, welcher, wie der Sieg überhaupt, auch diese
neueste Thebaïs und Freiermord verdankt wird.“


Von Gemälden in Thespiae hat sich nur bei Pli-
nius (35, 123) eine beiläufige Erwähnung erhalten. „Pau-
sias malte auch Wandgemälde mit dem Pinsel zu Thespiae,
als die einst von Polygnot gemalten wieder hergestellt wur-
den, doch meinte man, dass er bei der Vergleichung um
vieles den Kürzern gezogen, weil er in einer ihm fremden
Malart (Pausias war Enkaust) sich in den Wettstreit einge-
lassen habe.“


In Rom sah man von Polygnot ein Gemälde in dem
Porticus vor der Curie des Pompeius. Man zweifelte,
ob eine Figur mit dem Schilde im Heraufsteigen oder im
Herabsteigen dargestellt war: Pl. 35, 59. Ob dies der
ganze Inhalt des Bildes war, lässt sich nicht entscheiden.


Wie wir oben die Polyxena dem Polygnot zugesprochen
haben, so müssen wir auch eine Darstellung der Bestrafung
des Salmoneus in der Unterwelt
um so mehr ihm eben-
falls zuerkennen, als in dem Epigramm, welches davon han-
delt 1), der Irrthum des Dichters sich dadurch deutlich ver-
räth, dass er als Vaterland des Künstlers Thasos, die Hei-
math des Polygnot, nicht des Polyklet anführt:


Χείϱ με Πολυκλείτου Λασίου κάμεν· εἰμὶ δ̛ἐκεῖνος

Σαλμωνεὺς, βϱονταῖς ὃς Διὸς ἀντεμάνην,

ὅς με καὶ εἰν Ἀΐδῃ ποϱϑεῖ πάλι, καί με κεϱαυνοῖς

βάλλει, μισῶν μου κοὐ λαλέοντα τύπον.

ἴσχε Ζεῦ πϱηστῆϱα, μέϑε χόλον· εἰμὶ γὰϱ ἄπνους

ὁ σκοτός· ἀψύχοις εἰκόσι μὴ πολέμει.

Während wir so dem Polyklet den Ruhm eines Malers
entziehen mussten, wissen wir dagegen aus Plinius (34, 85),
dass Polygnot auch als Bildhauer tüchtig war, wenn er auch
[27] durch kein einzelnes Werk eine besondere Berühmtheit erlangt
hat.


Endlich muss noch erwähnt werden, dass es nach Pli-
nius (35, 122) von Polygnot auch schon Gemälde in enkausti-
scher Manier gab, einer Gattung der Malerei, die ihre wei-
tere Ausbildung und damit eine weit verbreitete Geltung erst
in einer späteren Periode erhalten hat.


Ueber die Stellung des Polygnot in der Entwicklungsge-
schichte der Malerei bietet uns vor allem ein ausführliches
Urtheil des Plinius 1) Aufschluss, und es verdient dasselbe
um so sorgfältiger erwogen zu werden, als es offenbar mit
den kurz vorhergehenden über Eumaros von Athen und
Kimon von Kleonae im engsten Zusammenhange steht 2). Es
lautet: primus mulieres tralucida veste pinxit, capita earum
mitris versicoloribus operuit plurumque picturae primus
contulit, siquidem instituit os adaperire, dentis ostendere, vol-
tum ab antiquo rigore variare. Was hier als der Fortschritt
des Polygnot angeführt wird, mag uns zwar nach dem hohen
Begriffe von der Kunst, welchen wir an seinen Namen zu
knüpfen pflegen, geringfügig erscheinen, weshalb man auch
vielfältig bestrebt gewesen ist, den Worten des Plinius eine
möglichst weite Deutung zu geben. Um mir daher den Weg
zu einer strengeren Auffassung zu bahnen, glaube ich mit
besonderem Nachdruck auf einen allgemeinen Gesichtspunkt
der Beurtheilung hinweisen zu müssen, welcher bis jezt zum
Nachtheil dieser ganzen Forschungen durchaus nicht genug
hervorgehoben worden ist: Plinius giebt uns in seinen Ur-
theilen nicht eine Geschichte der inneren, geistigen Entwicke-
lung, sondern eine Geschichte des eigentlich Malerischen in
der Malerei, der Technik im weitesten Sinne, insofern sie
die gesammten Mittel der Darstellung umfasst, nicht den gei-
stigen Inhalt des Dargestellten. Dies ist der Grund, weshalb
er von den Zeitgenossen des Phidias, welche diesem in gei-
stiger Beziehung, wenn nicht völlig, doch beinahe ebenbür-
tig waren, so wenig zu berichten weiss. Er gleicht darin den
Kunstforschern des vorigen Jahrhunderts, welche von der
Malerei vor Raphael nur geringe Kenntniss haben, um so
[28] mehr aber von Zeichnung, Farbe, Helldunkel u. a. seiner Zeitge-
nossen und Nachfolger zu erzählen wissen. Die Rechtfertigung,
wie die Bedeutung der hier aufgestellten Sätze kann sich natür-
lich erst durch die ganze folgende Betrachtung der Geschichte
der Malerei bis auf Apelles ergeben.


Polygnot also malte nach Plinius die Frauen mit durch-
sichtigem Gewande. Wörtlich könnte dies nur heissen, dass
er seine Gestalten mit einer Art von durchsichtigem Flore
bekleidet habe; allein dies hätte doch nur ausnahmsweise
der Fall sein können, wenn der Maler nicht gegen alles, was
er täglich vor Augen sah, verstossen wollte. Der Sinn die-
ser Worte wird also in bestimmter Weise zu begrenzen sein,
und zwei andere Angaben bieten uns dazu die Mittel. Lucian
in der bekannten Stelle 1) will seine Musterschönheit in der
Weise der Kassandra von Polygnot bekleidet haben: das
Gewand auf das dünnste und feinste ausgearbeitet (ἐς τὸ
λεπτότατον ἐξειϱγασμένην), so dass es, so viel als nöthig, in
Massen zusammengezogen sei, meist aber wie vom Winde
durchwehet bewegt erscheine. Eben so legt Aelian 2) dem
Polygnot Feinheiten in der Gewandung (ἱματίων λεπτότητας)
bei. In beiden Stellen stehen die Worte λεπτότατον, λεπτότης
in einem eigenthümlichen Doppelsinne; nemlich dass sie
streng genommen auf die künstlerische Behandlung bezogen
werden müssen, doch aber nur dann ihren vollen Sinn zu
haben scheinen, wenn wir das λεπτὸν, das Dünne und Feine
auch als eine Eigenschaft des Stoffes der Gewandung selbst
anerkennen. Es ist offenbar hier an einen Stoff zu denken,
welcher sich in viele kleine und zarte Falten zerlegt, für
dessen Darstellung in der Malerei also nicht weniger eine
grosse Feinheit und Zartheit in der Zeichnung erfordert wird.
Danach erscheint es sehr wohl möglich, dass die Durchsich-
tigkeit des Gewandes bei Plinius nichts anderes ausdrücken
will, als was bei den griechischen Gewährsmännern durch
λεπτότης bezeichnet wird, und wir daher mehr an ein Durch-
scheinen der Form, als der Farbe des Körpers zu denken
haben. Doch lässt sich dem Ausdrucke des Plinius vielleicht
auch noch ein bestimmterer Sinn unterlegen. Von Kimon,
dem Vorgänger des Polygnot, hiess es, dass er die Massen
[29] der Gewandung naturgemässer gesondert habe; bei dem
Mangel eigentlicher Schattengebung wird er aber eine volle
Klarheit in der Anordnung kaum erreicht haben. Blicken
wir nun auf die bessern der tarquiniensischen Wandgemälde, doch
immer die wichtigsten Werke, welche uns zur Vergleichung
übrig geblieben sind, so werden wir finden, dass man sich
diesem Ziele zu nähern suchte, indem man unter dem Ge-
wande den vollständigen Umriss der Figur selbst sehen liess,
gewissermassen die Ursache der aussen sichtbaren Wirkung.
Denn dem Auge wurde dadurch deutlich, weshalb das Ge-
wand gewisse Formen annahm, weil es erkannte, wie es sich
theils an die Formen des Körpers anlehnte, theils von ihnen
ablöste. Nehmen wir nun an, dass dieses Verfahren zuerst
von Polygnot angewendet wurde, so liesse sich dadurch die
Ausdrucksweise des Plinius wenigstens in gewisser Bezie-
hung rechtfertigen; und auch dass er nur von Frauen spricht,
hätte seinen guten Grund. Denn bei den kürzeren und
knapperen Männergewändern erscheint eine solche Nachhülfe
minder nothwendig, um die Formen des Körpers, die Bewe-
gung aller verschiedenen Theile in hinlänglicher Klarheit und
der Natur gemäss zu zeigen, als bei der reichen Bekleidung
der Frauen, welche gerade durch die Fülle des Stoffes ohne
scharfe Gliederung den Körper nicht nur bedecken, sondern
gänzlich verhüllen würde. War aber demnach das Verdienst
dieser Neuerung schon an sich keineswegs gering, so vermochte
es ausserdem auf die weitere Entwickelung der Kunst einen nicht
unwesentlichen Einfluss auszuüben. Denn die Aufmerksamkeit
musste sich dadurch immer mehr auf die Bedeutung der Run-
dung aller Körperformen und in Folge dessen auf die Beob-
achtung von Licht und Schatten hinlenken. Unter diesem
Gesichtspunkte bereitet also Polygnot den grossartigen Um-
schwung in der Malerei vor, welcher bald nach ihm mit sol-
cher Gewalt sich geltend machte, dass Plinius die Geschichte
derselben eigentlich erst von dort aus beginnt.


Als weiteres Verdienst des Polygnot giebt Plinius an,
er habe angefangen: os adaperire, dentis ostendere, voltum
ab antiquo rigore variare. Adaperire kann hier nur in
dem Sinne von ex parte aperire stehen: einer Bedeutung,
welche Forcellini anerkennt, ohne sie mit Beispielen belegen
zu können. Wir begegnen hier also, wie schon Winckel-
[30] mann bemerkt, einer Erscheinung in der Malerei, die wir in
derselben Weise auch aus der Sculptur kennen: dem leise
geöffneten Munde im Gegensatze zu dem geschlossenen und
gekniffenen des archaischen Styls. Auffälliger müsste es er-
scheinen, dass es weiter heisst: Polygnot habe in seinen Kö-
pfen die Zähne sehen lassen, wenn wir einen ähnlichen Aus-
druck, wie in den Köpfen der Satyrn u. a. voraussetzen
wollten. Eine richtige Erklärung wird sich vielleicht erst
auf folgendem Wege ergeben. Durch das Oeffnen des Mun-
des entsteht im Inneren desselben ein tiefer Schatten, dessen
falsche Behandlung in der Malerei leicht die ganze Wirkung,
welche durch das Oeffnen erstrebt wird, aufheben und ver-
nichten kann. Denn statt eines frischeren, lebensvolleren
Hauches erzeugt ein einförmiger schwarzer Schatten leicht
den Ausdruck der Kälte, der Starrheit, ja selbst der Dumm-
heit. Jenes grössere Leben entsteht erst durch die mannig-
fachen Wirkungen des Lichtes, welches sich im Inneren des
Mundes, namentlich an dem Weiss der Zähne bricht. Dar-
auf also wird Polygnot sein Augenmerk gerichtet haben,
wenn wir freilich auch nicht nachzuweisen vermögen, auf
welche Weise er mit den geringen technischen Mitteln, auf
welche sich damals die Malerei noch beschränkte, die beab-
sichtigte Wirkung erreichte. Diese selbst bezeichnet Plinius,
wenn er sagt: Polygnot habe den Ausdruck des Gesichts
von der alterthümlichen Strenge zu grösserer Mannigfaltigkeit
ausgebildet.


Der Fortschritt in der Bildung des Mundes allein würde
jedoch für diesen Zweck nicht genügt haben. Mindestens
eben so wichtig musste die Bildung des Auges sein. Hier
hatte zwar, wie wir gesehen haben, bereits Kimon von Kleo-
nae die wesentlichsten Verbesserungen eingeleitet; jedoch
scheint auch auf diesem Gebiete Polygnot seinen Vorgänger
übertroffen zu haben. Denn während dessen Verdienste sich
hauptsächlich auf die Vervollkommnung und naturgemässere
Richtigkeit der Zeichnung zu beziehen scheinen, wodurch frei-
lich zugleich auch eine grössere Mannigfaltigkeit des Aus-
druckes möglich wurde, lässt uns das Lob, welches Lucian 1)
den Augenbrauen der Kassandra des Polygnot ertheilt, beson-
[31] ders auch auf eine hohe Vollendung des geistigen Ausdruckes
schliessen. Denn mag auch „ὀφϱύων τὸ ἐπιπϱεπὲς“ vor allem
durch grosse Meisterschaft der Zeichnung, durch eine schön
geschwungene Linie erreicht worden sein, so ist doch die
Schönheit derselben nur auf den Ausdruck der Grösse und
Würde berechnet. Weit stärker spricht sich ein späterer
Epigrammendichter über den Ausdruck in den Augen der
Polyxena des Polygnot aus: in den Augenliedern der Jung-
frau liege der ganze troische Krieg.


Doch ehe von dieser Höhe des Ausdruckes weiter ge-
sprochen wird, ist der wenigen Nachrichten zu gedenken,
welche wir über die Färbung bei Polygnot besitzen. Das
spätere Alterthum scheint in ihr die schwächste Seite der po-
lygnotischen Kunst gesehen zu haben. Quintilian 1) wundert
sich, wie der simplex color bei ihm und Aglaophon noch zu
seiner Zeit Liebhaber finden konnte. Auch Cicero 2) will
Polygnot und die andern ältern Maler, welche nicht mehr
als vier Farben angewendet, nur wegen ihrer Formen und
Zeichnung, nicht wegen der Färbung loben. Und von einer nach
Illusion strebenden Wirkung der Farbe finden wir allerdings
bei Polygnot und seinen Zeitgenossen keine Spur. Ueber das
Technische der Farbenbehandlung sind wir leider fast gar
nicht unterrichtet; und wenn wir daher durch Plinius erfah-
ren, dass Polygnot und Mikon zuerst Oker (sil) und zwar at-
tischen, angewandt, 3) so wie, dass sie Tryginon, eine schwarze
Farbe aus Weinhefen bereitet, 4) so vermögen wir diese An-
gaben eben wegen ihrer Zusammenhangslosigkeit nicht zu
würdigen. Eben so vereinzelt steht die Nachricht, dass Po-
lygnot die Köpfe der Frauen mit buntfarbigen Mützen (mi-
trae) bedeckte, 5) wenn wir nicht daraus abnehmen wollen,
dass sich darin ein Streben nach einem grösseren Reichthume
der Farben ausspreche. Wichtiger schon ist es, wenn Lucian 6)
an dem Bilde der Kassandra das Geröthete der Wangen
preist. Denn hier gewährt uns die Vergleichung der tarqui-
niensischen Grabgemälde ein Mittel zu klarerem Verständniss.
Auch sie sind ganz ohne Schattengebung mit einfachen Far-
ben, wie wir von den Gemälden des Polygnot voraussetzen
[32] müssen. Wenn wir nun trotzdem geröthete Wangen bei den
Frauen finden, so müssen wir daraus schliessen, dass es die
Absicht des Künstlers war, nicht sowohl eine mehr oder we-
niger vergängliche Farbenwirkung darzustellen, als vielmehr
uns die Farbe der Wangen als nothwendig ihnen anhaftend,
auf ihrem eigenen Wesen beruhend zu zeigen. In dieser Auf-
fassung aber bestärken uns einige Angaben, welche Pausa-
nias mehr beiläufig bei der Beschreibung der delphischen Ge-
mälde einfliessen lässt. So macht er bei der Figur des Aias,
Sohnes des Oïleus, darauf aufmerksam, dass man an dem Co-
lorit den Schiffbrüchigen erkannte, auf dessen Haut der Schmutz
des Salzwassers noch zu kleben scheine. 1) Der Dämon der
Verwesung, Eurynomos, hatte eine Farbe zwischen schwarz
und dunkelblau in der Mitte stehend, wie die Schmeissfliegen 2).
Tityos war gebildet schon ganz aufgerieben von der bestän-
digen Strafe, ἀμυδϱὸν χαὶ οὐδὲ ὁλόχληϱον εἴδωλον, ein abge-
blasstes und ganz verfallenes Schattenbild. Ebenso erschei-
nen die Fische im Acheron ganz schattenartig. 3) Alle diese
verschiedenen Angaben sind in einer Beziehung durchaus
gleicher Natur: es ist in keinem dieser Fälle auf eine eigentlich
malerische Farbenwirkung abgesehen, sondern eine einzige, von
dem Colorit der umgebenden Figuren abweichende Grundfarbe
soll der bestimmten einzelnen Gestalt ihren besondern Charakter
verleihen. Die eigenthümliche Farbe beruht auf der eigenthüm-
lichen Natur der Gestalt; sie ist nicht etwas aus der momen-
tanen Erscheinung der dargestellten Person Entspringendes,
sondern etwas ihrem bleibenden Wesen dauernd Anhaftendes.


Ziehen wir jetzt das Resultat. Eumaros von Athen hatte
Mann und Frau in der Malerei unterschieden, er hatte die
Grundverschiedenheit des Colorits beider Geschlechter festge-
stellt. Polygnot ging weiter: auch innerhalb der einzelnen
Geschlechter veränderte er die Farbe der Körper, sofern durch
dieselbe das Wesen der dargestellten Person schärfer cha-
rakterisirt werden konnte. Pausanias nimmt natürlich nur von
den hervorstechendsten Fällen Notiz; doch mögen wir daraus
weiter folgern, dass Polygnot auch minder grelle Unter-
schiede, wie z. B. die Abstufungen zwischen Knaben-, Jüng-
[33] lings-, Greisenalter nicht gänzlich unberücksichtigt gelassen
haben wird. Weiter nahm er die Röthe der Wangen bei den
Frauen als etwas ihrem Wesen eigenthümliches in seine Ma-
lerei auf. Endlich mehrte er in dem schmückenden Beiwerke,
wie den Kopfbedeckungen, den Reichthum und die Mannigfal-
tigkeit der Farben. Ueberall zeigt sich also bei Polygnot
ein lebhaft erwachter Sinn für die Bedeutung der Farbe, wel-
cher die bald darauf erfolgende Umwandlung der ganzen
Malerei wesentlich vorbereiten hilft, wenn sich auch eine Be-
achtung der Licht- und Schattenwirkung noch nirgends bei
ihm verräth.


Nächst der Zeichnung und Farbe gebührt in der Malerei
der Composition eine hohe Bedeutung. Sie hängt zwar auf
das Engste mit der geistigen Auffassung der dargestellten
Gegenstände zusammen. Doch giebt es von dieser unabhän-
gig gewisse Forderungen, welche einzig in dem Raume be-
gründet sind, welcher dem Künstler zu Gebote steht. Der
Raum aber ist namentlich da von Einfluss, wo er von dem
Künstler nicht frei gewählt, sondern wo er gegeben ist, und
mehr, wo er nur einen Theil eines architektonischen Ganzen
bildet. Denn hier muss der Maler, wenn er seine Aufgabe
vollständig lösen will, sich diesem Ganzen zunächst völlig
unterordnen und darauf bedacht sein, den architektonischen
Grundgedanken auch in seinen Malereien noch weiter auszu-
bilden. Wende man nicht ein, dass dadurch der Maler in
seiner Freiheit und seiner Selbstständigkeit beeinträchtigt
werde: der wahre Künstler wird aus dieser Beschränkung
nur Gewinn ziehen. Den thatsächlichen Beweis kann uns
Raphael durch das liefern, was er in den Stanzen des Va-
tican wirklich geleistet hat. Wenn nicht das höchste, so ist
es doch das zuerst in die Augen springende Verdienst dieser
Schöpfungen, dass sie aus dem architektonischen Raume wie
mit einer innern Nothwendigkeit hervorgegangen erscheinen,
dass der Künstler auch die tieferen geistigen Beziehungen
gerade durch das enge Anschliessen an den Raum zu ent-
wickeln verstanden hat. Auch die Kunst des Polygnot war
vorzugsweise, vielleicht ausschliesslich darauf angewiesen,
architektonische Räume zu schmücken; und es darf daher
die Frage nicht unberührt bleiben: in welchem Verhältnisse
sie zu den dadurch bedingten Forderungen steht. Leider
Brunn, Geschichte der griech, Künstler. II. 3
[34] kann sie nur eine ungenügende Beantwortung erhalten, da
nicht nur kein einziges Werk erhalten ist, sondern wir nicht
einmal über den Raum, in welchem sich irgend eines der-
selben befand, genauer unterrichtet sind. Als ein allgemeines
Princip jeder guten Composition werden wir indessen die
Forderung des Gleichgewichtes hinstellen, welches sich häu-
fig schon äusserlich durch einen Parallelismus der sich gegen-
überstehenden Glieder bethätigen wird. Dass Polygnot sich die-
sen Forderungen nicht entzog, lehrt zunächst jene kleinere
Reihe von Compositionen, welche offenbar mit bestimmter
Rücksicht auf dieselben zusammengeordnet sind, nemlich die
Bilder in der Pinakothek der Propyläen zu Athen: Odysseus,
der den Bogen des Philoktet, und Diomedes, der das Palla-
dium raubt; der Mord des Aegisthos und die Opferung der
Polyxena; Achill unter den Töchtern des Lykomedes, und
Odysseus unter den Begleiterinnen der Nausikaa erscheinen
für Jeden, der mit den Bildwerken einigermassen vertraut
ist, in so schlagender Weise als drei Paare von Gegenstücken,
dass wir kühn voraussetzen dürfen, diese Entsprechung sei
auch noch weiter bis in Einzelnes durchgeführt gewesen.
Noch wichtiger für unsre Kenntniss auch in dieser Beziehung
sind aber die Gemälde in der Lesche zu Delphi. Freilich
geht Pausanias über die hier in Betracht kommenden Fragen
stillschweigend hinweg. Aber die Genauigkeit seiner Be-
schreibung macht es möglich, diesen Mangel einigermassen
zu ergänzen; was auch in der That in der letzten Zeit mehr-
fach versucht worden ist. Auf diese Weise ist es namentlich
durch die Untersuchungen Welcker’s ausser Zweifel gesetzt
worden, dass in der Raumabtheilung eine grosse Regelmäs-
sigkeit herrscht. Deutlich tritt die Mittelgruppe hervor: eben
so deutlich ergeben sich die beiden Endgruppen; zwischen
diesen und der Mittelgruppe lagen je zwei Hauptmassen, so
dass sich also die ganze Composition jedes der beiden Bilder
der Breite nach in sieben Abtheilungen zerlegt, deren je
zwei, zu beiden Seiten der mittleren, zu einander in einem
entsprechenden Verhältnisse stehen. Schon mit diesem allge-
meinen Resultate könnte man sich genügen lassen, indem man
voraussetzen dürfte, dass in dem Urbilde sich noch viele
Einzelheiten strenger dem Grundplane entsprechend gezeigt
haben würden, als es sich bei der Mangelhaftigkeit unserer
[35] Kenntniss nachweisen liesse. Eigene Studien haben mich in-
dessen überzeugt, dass trotz dieser Mangelhaftigkeit das von
Welcker aufgestellte Grundprincip sich noch in weit stren-
gerer Weise durchführen lässt. Dies hier zu thun, würde
theils zu viel Raum erfordern, theils ohne eine nochmalige
künstlerische Reproduction nur einen halben Nutzen gewäh-
ren. Nur einige Winke über die zu befolgende Methode
und die daraus sich ergebenden Resultate mögen daher hier
Platz finden. Die Methode beruht einfach auf der Annahme,
dass die Anordnung der Figuren in mehreren Abstufungen
über einander nicht in streng von einander getrennten Reihen,
gewissermassen Stockwerken, welche sich durch die ganze
Breite des Bildes hinziehen, durchgeführt werden darf, son-
dern dass sich diese Reihen durch Vermittelungsglieder in
auf- und absteigenden Linien unter einander verbinden. Auf
diesem Wege ergiebt es sich, ohne dass es nöthig wäre, dem
Pausanias in der Erklärung irgend wie Gewalt anzuthun,
dass nicht nur je die eine Hälfte eines und desselben Bildes
in den Grundlinien der Composition der andern auf das
Strengste entspricht, sondern auch, dass ganz dieselben
Grundlinien in beiden Gemälden gleichmässig wiederkehren.
Ja ich stehe nicht an zu glauben, dass sich in der ältern,
wie in der neuern Kunst kaum etwas anderes finden dürfte,
was hinsichtlich strenger Gesetzmässigkeit der Composition
mit den Gemälden des Polygnot den Vergleich aushielte, ohne
dass dieser Künstler dadurch seine höhere künstlerische
Freiheit geopfert hätte. Der schon oben benutzte Vergleich
mit Raphael und seinen bei der höchsten Vollendung doch
so streng gesetzmässigen Compositionen kann auch hier leh-
ren, dass, was ich von Polygnot annehme, wenigstens nicht
an einem inneren Widerspruche leidet. Blicken wir aber auf
das, was wir sonst von der Kunst vor und zur Zeit des Po-
lygnot wissen, so kann daraus für meine Ansicht nur eine
Bestätigung erwachsen. Ich glaube das Grundgesetz, welches
ich auch für Polygnot in Anspruch genommen habe, das
strenge Entsprechen der sich gegenüberstehenden Glieder, an
einer Reihe der wichtigsten Werke ältester und alter Zeit mit
hinlänglicher Sicherheit dargelegt zu haben. 1) Polygnot steht
3*
[36] zwar an der Grenze, aber noch innerhalb der alten Zeit. In
keiner Beziehung lässt sich sagen, dass er ein Neuerer ge-
wesen, der die Schranken durchbrochen, ein neues Gesetz
aufgestellt habe. Sein Ruhm besteht vielmehr darin, dass er
trotz einer freiwilligen Unterordnung unter alt hergebrachte
Formen und Gesetze diesen selbst ein höheres geistiges
Leben einzuhauchen, gerade aus ihnen eine höhere künst-
lerische Schönheit zu entwickeln verstand. Man preist unter
den Schöpfungen Raphaels namentlich die Schule von Athen
nicht weniger wegen der Schönheit einzelner Figuren und
Gruppen, als wegen der höheren Einheit, in welche der
Künstler dieselben verbunden hat. Dieses Lob ist gerecht:
aber in den Grundprincipien der Composition ist hier Ra-
phael vielleicht niemand verwandter, als Polygnot.


Diese strenge Gliederung würde indessen zuletzt doch
nur ein untergeordnetes Lob bedingen, wenn sie zu nichts
Höherem, als einem blos äusserlichen Schematismus führte.
Ihren wahren Werth gewinnt sie erst durch den Zusammen-
hang mit dem Inhalte der Darstellung; und so müssen wir
uns denn von den Mitteln der künstlerischen Darstellung zu
der geistigen oder poetischen Auffassung der polygnotischen
Schöpfungen wenden, einer Aufgabe, die freilich bei dem gänz-
lichen Mangel wirklicher Anschauung zu den schwierigsten
gehört. Sehen wir zunächst von den wenigen, obwohl ge-
wichtigen Urtheilen des Alterthums über das geistige Wesen
des Polygnot ab, so bleiben uns nur die ausführlichen Be-
schreibungen der delphischen Gemälde, die uns allerdings
manche sehr werthvolle Winke gewähren. Ja die Art der
Beschreibung selbst kann uns als ein erstes Zeugniss gelten
für die bedeutende Wirkung, welche Polygnot auf den Be-
schauer auszuüben vermochte. Pausanias, über dessen Nüch-
ternheit und Trockenheit im Angesicht selbst der erhabensten
Kunstwerke wir uns so oft zu beklagen Anlass haben, ver-
räth hier häufiger, als sonst eine gewisse erhöhte Stimmung,
wenigstens insofern, als er sich nicht mit der blossen Inhalts-
angabe der Darstellung begnügt, sondern auch die Art der-
selben näher zu charakterisiren versucht, wenn er auch dabei
über eine allgemeine Bezeichnung der Stellungen und des
Ausdrucks selten hinausgeht.


[37]

Die Gegenstände seiner Darstellung schöpfte Polygnot,
wie auch Pausanias mehrfach andeutet, aus der epischen
Dichtung der Hellenen. Dieser Satz ist jedoch keinesweges
so zu verstehen, dass eines seiner Gemälde nur gewisser-
massen eine bildliche Erläuterung zu einem bestimmten epi-
schen Gedichte gebildet habe; sondern er nahm nur den Stoff
daher, verarbeitete ihn aber in durchaus selbstständiger Weise.
Diese Weise selbst können wir jedoch nicht umhin wiederum
als eine epische zu bezeichnen. Dem wahren Epos fehlt ge-
wiss die poetische Einheit so wenig, wie dem Drama; aber
während in diesem die ganze Entwickelung sich streng um
eine einzelne Handlung bewegt, ergiebt sich dort die Einheit
erst aus einer Reihe von Begebenheiten, deren manche neben
ihrer mehr allgemeinen Beziehung auf die einheitliche Grund-
idee auch eine gewisse Selbständigkeit für sich bewahren.
Die Kunst der Anlage wird sich aber besonders darin zeigen,
dass diese Episoden stets für das Ganze bedeutsam ausge-
wählt sein müssen. So ist es in den Gemälden des Polygnot,
und nur darin unterscheidet sich der Maler vom Dichter, dass
er, weil sich sein ganzes Werk nicht in einer Zeitfolge, son-
dern gleichzeitig dem Sinne des Beschauers darstellt, nun
auch die Einheit der Zeit in demselben festgehalten hat. Mit
besonderer Klarheit ist dies von Welcker für das Bild von
Ilions Zerstörung nachgewiesen worden, indem er als das
Grundthema die Zerstörung im Momente ihrer Vollendung
hinstellt. „Zu gleicher Zeit schwört Aias, bricht Epeios den
Rest der Mauer ab, mordet Neoptolemos und bricht Nestor
auf, stehen die Troerinnen Todesangst aus und jammern als
Gefangene, schlafen die Ilier den Todesschlaf und werden be-
graben und wird Helena bewundert und um Freilassung der
Aethra gebeten, rüsten die Schiffsleute und Knechte des Me-
nelaos und Familie und Gesinde des Antenor den Abzug.“
(S. 27). Diese Reihe einzelner Scenen ordnet sich aber der
ursprünglichen Raumeintheilung entsprechend auf das Ueber-
sichtlichste und Klarste. Wir erblicken im Centrum den letz-
ten gemeinsamen Act der Achäer, zu beiden Seiten den Zu-
stand, welcher im Lager und welcher in der Stadt durch die
Entscheidung des Krieges eingetreten ist, endlich an beiden
Enden den Abzug, hier freudig, dort trauervoll. Von der
Mitte aus nimmt das Ergreifende und Gewaltige der Gegen-
[38] stände nach beiden Seiten hin gleichmässig ab, wie in einer
Trilogie des Aeschylos (S. 26).


In solcher Schärfe, wie hier, lässt sich allerdings für das
Gemälde der Unterwelt ein streng einheitlicher Grundgedanke
nicht nachweisen. Es konnte schon der Sache nach nicht
sowohl eine Folge von Handlungen, als ein Bild des Zustan-
des der Schatten uns vor Augen geführt werden. Doch ist
auch hier dieses allgemeine Thema in sehr bestimmter Weise
zusammengezogen und begrenzt. Odysseus ist herabgestie-
gen zu den Schatten: und obwohl er keineswegs der Mittel-
punkt des Ganzen ist, so ist doch dadurch nicht nur ein be-
stimmter Zeitpunkt gewonnen, sondern es muss deshalb auch
die Beziehung auf die Helden des troischen Krieges in den
Mittelpunkt treten. Und in der That gerade im Centrum er-
scheint als König der Schatten Achilleus, des Neoptolemos
Vater, über dessen Grabe die ganze Lesche errichtet ist.
Wie um ihn seine Freunde vereint sind, so hat die gemeinsa-
me Feindschaft gegen Odysseus eine andere Gruppe griechi-
scher Helden zusammengeführt. In diesen drei Gruppen, des
Achill, des Odysseus und der seiner Feinde, ist ein hinrei-
chend streng verbundener Kern für das Ganze gegeben, an
welchen sich die übrigen Theile in mehr lockerer Weise an-
lehnen durften. Die Gruppe der absichtlich von den Achae-
ern ganz getrennt gehaltenen troischen Führer ausgenommen,
zeigt sich dies auch nach den beiden Enden zu in gesteiger-
tem Maasse. Anstatt bestimmter mythologischer Persönlich-
keiten erscheinen immer mehr Büssende von allgemeinerer
Bedeutung, — selbst Tantalos und Sisyphos unterscheiden
sich darin wenig von dem Vatermörder und Tempelräuber —
bis ganz an den Enden in dem scharfen Gegensatze zwischen
Eingeweihten und Uneingeweihten der Beschauer an seine
eigene Zukunft nach dem Tode und die Wahl, welche ihm
in Betreff derselben hergestellt ist, gemahnt wird. Wir ver-
mögen also auch in diesem Gemälde den tiefen dichterischen
Sinn nicht zu verkennen, welcher den Künstler überall in
der Auffassung des Ganzen, wie in der Anordnung seiner
Theile geleitet hat.


Ueber die übrigen Werke des Polygnot sind wir leider
nicht in gleich ausführlicher Weise unterrichtet. Bei dem Ge-
mälde in der Poekile müssen wir uns daher begnügen, auf
[39] den allgemeinen trilogischen Zusammenhang hinzuweisen,
in den hier eine Scene aus der Zerstörung Ilions mit den bei-
den andern Bildern, der Amazonenschlacht und dem Kampfe
bei Marathon gesetzt war. In den Gemälden geringeren Um-
fanges in den Propyläen drängt uns die strenge räumliche
Entsprechung, die wir zwischen je zwei derselben erkannt
haben, zu der Vermuthung, dass auch ein strenges geistiges
Band die gewählten Darstellungen verbindet, welches nach-
zuweisen spätern Forschern hoffentlich noch einmal gelingen
wird.


Wir kehren wieder zu den delphischen Gemälden zu-
rück, um jetzt den Gedanken des Künstlers in der Durch-
führung des Einzelnen näher nachzuforschen. Hier zeigt
sich nun schon in äusserlichen Dingen und Beiwerken ein
unverkennbares Streben, sich überall nur auf das zu be-
schränken, was für die dargestellte Handlung nothwendig
oder bedeutsam war. Nirgends ist eine Nachahmung des
Wirklichen in voller Ausführlichkeit beabsichtigt: ein Baum
bezeichnet den Hain der Persephone, ein Schiff die griechi-
sche Flotte, zwei Zelte das Lager, ein Haus und ein Stück
Mauer die Stadt. Auch kleinere Gegenstände, Altäre, Ge-
fässe, Ruhebetten u. a. finden wir nur da, wo durch diesel-
ben die Lage, der Zustand der mit ihnen verbundenen Per-
sonen lebendiger geschildert werden soll (vgl. Welcker S.
30 flgd.). Eben so liessen sich zahlreiche Beispiele anführen,
wie alles, was Pausanias über Bekleidung und Attribute der
einzelnen Figuren bemerkt, nur dazu dient, denselben schon
äusserlich einen bestimmten Charakter zu verleihen. Noch
bedeutsamer für das innere Wesen ist aber häufig schon die
Stelle, welche einer Figur räumlich angewiesen ist, sei es in
ihrer Zusammenordnung mit andern, oder sei es im Gegen-
satze zu diesen. Namentlich häufig finden wir Gruppen be-
freundeter Personen. Sodann aber wurde z. B. schon früher
die Gegenüberstellung des Odysseus und seiner Feinde in
der Unterwelt erwähnt. Derselbe Gedanke offenbart sich bei
der Scene der Eidesabnahme darin, dass wiederum Odysseus
es ist, welcher dem Aias gegenübersteht. Er erscheint hier
nach Welckers Bemerkung (S. 23.) „als Sprecher bei der Ab-
nahme des Eides, er, der in allen grossen Angelegenheiten
voran war und darum nothwendig des Frevlers Feind, der
[40] auch zuvor auf die Steinigung des Aias angetragen hatte.“
Eben so heben sich schon durch den örtlichen Gegensatz die
Charaktere des Neoptolemos und Nestor „des jüngsten und
des ältesten der Heroen, des Helden neuen Anwuchses und
des Greises aus früheren Geschlechtern: Neoptolemos der
einzige, der in der Stadt noch mordet, und Nestor der ein-
zige von den Heroen, der auf der andern Seite der Akropo-
lis jenem gegenüber, der Rache schon müde, schon gerüstet
zur Abreise erscheint“ (Welcker S. 15.).


Wo in der Anlage und Anordnung Alles so bedeutsam
ist, da dürfen wir füglich voraussetzen, dass nun auch in der
Ausführung der geistige Ausdruck der Tiefe des Gedankens
entsprochen habe. Und in der That fehlt es in den Beschrei-
bungen des Pausanias nicht an Belegen für diese Vorausset-
zung. Er erwähnt den Ausdruck der Klage in den Bildern
der kriegsgefangenen Troerinnen, den Ausdruck der Trauer,
der sich über die ganze Familie des Antenor verbreitete.
Brisëis, Diomede, Iphis stehen da in bewundernder Betrach-
tung der Schönheit Helena’s, Demophon in nachdenkender
Erwartung, ob Helena die Freilassung der Aethra gewähren
wird. Elasos schien eben seine Seele aushauchen zu wol-
len. Medusa umfasst voll Entsetzen ein Weihbecken, ein
kleiner Knabe den Altar; ein Kind im Schosse eines Eunu-
chen bedeckt sich die Augen, Astyanax ergreift die Brust
der Mutter. Während aber hier der Ausdruck durch die
Handlung oder durch die besondere Lage der Person bedingt
erscheint, finden wir nicht minder andere Gestalten, in denen
diese Handlungen und Zustände nur als die äussere Darstel-
lung des innersten geistigen Wesens zu betrachten sind. So
sagt Pausanias von Helenos, er sitze ganz besonders nieder-
geschlagen da, und man würde ihn auch ohne die Ueberschrift
des Namens erkannt haben. Offenbar war also hier der Cha-
rakter des Sehers vortrefflich ausgedrückt, der das Unglück
seines Vaterlandes schon längst vorausgesehen, und wider
seinen Willen selbst es noch beschleunigen musste. Aehnli-
ches sprach auch vielleicht aus dem Antlitz der Kassandra,
an welcher Lucian 1) die hohe Würde der Augenbrauen
hervorhebt. So tritt uns in dem Bilde der Unterwelt in
[41] Thamyris der gebrochene und gestrafte Dichterstolz vor die
Augen; Paris scheint selbst im Hades noch Liebesabenteuern
nachgehen zu wollen, während Penthesilea auch dort ihrer
Verachtung der Männer treu bleibt. — Doch genug der ein-
zelnen Bemerkungen, welche ein aufmerksamer Leser des
Pausanias sich leicht selbst wird vermehren können. Hier
sollten sie nur dienen, um uns zu einer allgemeinen Würdi-
gung des Polygnot den Weg zu bahnen und für dieselbe die
Grundlage abzugeben. Die wenigen uns erhaltenen Urtheile
der Alten über ihn werden sich uns nun leichter erklären
und schärfer fassen lassen. Ich beginne mit einer Stelle Ae-
lian’s1), in welcher er mit Dionysios von Kolophon verglichen
wird, der ihn in vielen Stücken nachahmte, aber in der Grösse
nicht erreichte: ὁ μὲν Πολύγνωτος ἔγϱαφε τὰ μεγάλα καὶ ἐν τοῖς
τελείοις εἰϱγάζετο τὰ ἆϑλα. Die hier gebrauchten Ausdrücke
bezeichnen, streng genommen, das Wesen der polygnotischen
Malerei nur in sehr äusserlicher Weise. Megalographie ent-
spricht so ziemlich genau dem, was wir Historienmalerei nen-
nen. Εἰκὼν τελεία ist, wie Jahn2) ausführlicher nachzuweisen
gesucht, ein Bild in Lebensgrösse.3) Damit wäre nun aller-
dings dem Polygnot noch kein besonders grosses Lob er-
theilt, wenn nicht Aelian dadurch zugleich auch auf Styl und
Auffassung in höherem Sinne hätte hinweisen wollen. In
diesem Sinne aber schliesst das Lob der Megalographie das
ein, was wir über Erfindung und Composition des Ganzen der
delphischen Gemälde bemerkt haben, insofern wir nemlich
Polygnot dem epischen Dichter verglichen, der eine Menge
einzelner Scenen zu einem grossen bedeutungsvollen Ganzen
vereinigt. Die Ausführung in lebensgrossen Dimensionen ist
nun zwar keine nothwendige Folge einer solchen Auffassung,
wird aber doch häufig mit ihr verbunden sein, theils aus
dem äusserlichem Grunde, weil solche episch-historischen
Werke meistens zur Ausschmückung öffentlicher, ausgedehn-
ter Räume bestimmt waren, theils weil der Ausdruck hoher
[42] geistiger Bedeutung in verkleinerten Verhältnissen leicht ver-
loren gehen kann, geistige Grossartigkeit am besten auch bei
räumlicher Grösse ihren Ausdruck finden wird. So wer-
den wir denn in dem Urtheile Aelians die Ausdrücke με-
γάλα, μέγεϑος nicht nur materiell von räumlicher Grösse und
Ausdehnung verstehen dürfen, sondern im übertragenen Sinne
auf die Grossartigkeit der ganzen Auffassung beziehen müs-
sen. Polygnot malte also im grossen, idealen Style. Das wird
uns aber noch ausdrücklich bestätigt durch einen Zeugen,
dessen Urtheil ein noch bei weitem grösseres Gewicht für
uns haben muss, als das des Aelian, nemlich durch Aristoteles.
Auch Aristoteles stellt Polygnot mit Dionysios, und ausser-
dem mit Pauson zusammen. Sein Urtheil aber lässt das
Räumliche ganz unberücksichtigt und betrifft einzig die gei-
stige Auffassung: Polygnot bildete seine Gestalten über der
Wirklichkeit, Pauson unter derselben, Dionysios ihr entspre-
chend.1) Hier ist also der ideale Charakter der polygnoti-
schen Kunst mit einem Worte deutlich genug ausgesprochen.
Denn wenn Polygnot seine Gestalten vollkommener darstellte,
als sie uns in der Wirklichkeit vor Augen zu treten pflegen,
so war dies, wie wir in den Erörterungen über Phidias ge-
zeigt haben, nur möglich, indem er sie frei von den Zufällig-
keiten und Mängeln der Wirklichkeit nur nach ihrem innern
Wesen, nach der Idee bildete, welche sie zu verkörpern be-
stimmt waren. Vergegenwärtigen wir uns aber, da einmal
Phidias genannt ward, dessen Aufgabe und vergleichen sie
mit der des Polygnot, so wird uns auch von der Verschie-
denheit der Kunstgattung abgesehen, ein sehr wesentlicher
Unterschied nicht verborgen bleiben können. Bei der Bil-
dung der Götterideale handelt es sich um durchaus einfache
und reine Ideen, deren jede für sich in ihrer höchsten Voll-
endung zu erfassen war, man möchte sagen in ihrer Abstra-
ction von allen sie umgebenden Handlungen und Zuständen.
Denn die Götter waren nicht durch diese geworden, was
sie waren; sondern sie waren es ihrem Wesen nach von
Anfang an. Die Darstellungen des Polygnot bewegten sich
ziemlich ausschliesslich in der Welt der Heroen. Diese steht
[43] allerdings in ihrem Wesen den Göttern noch näher, als das
gewöhnliche Geschlecht der Menschen; aber mindestens
eben so grossen Antheil hat sie an dem Wesen der Letzte-
ren. Eine Idealität in gleichem Sinne, wie den Göttern kann
also den Heroen nicht zukommen. Wohl aber sind sie
Ideale, insofern die besondere geistige Eigenthümlichkeit,
welche das ganze Wesen einer Persönlichkeit bestimmt,
in ihnen in ursprünglicher Reinheit ausgeprägt erscheint.
Und dass sie Polygnot in dieser Weise aufgefasst hatte, das
lehren nicht nur seine delphischen Gemälde, wie wir sie
früher im Einzelnen betrachtet haben, sondern das bestätigt
auch Aristoteles noch ausdrücklich, zwar nur durch ein ein-
ziges Wort, dessen Bedeutung jedoch durch den Gegensatz,
wie durch den ganzen Zusammenhang sehr scharf hervorge-
hoben wird. Er nennt Polygnot ausgezeichnet als ἠϑογϱάφος,
während des Zeuxis Malerei kein ἦϑος habe.1) Diesen Aus-
spruch thut Aristoteles bei Gelegenheit der Definition der
Tragödie und zur Erläuterung derselben. Wir werden dage-
gen den umgekehrten Weg einschlagen und sein Urtheil über
die Künstler aus unserer Kenntniss der Tragödie erklären
müssen. Das Wesen derselben setzt er in die Darstellung
der Handlung (πϱᾶξις); diese aber solle auf dem ἦϑος beru-
hen, aus dem ἦϑος hervorgehen. Doch sei letzteres nicht
selbst Zweck: denn während ohne Handlung eine Tragödie
überhaupt nicht denkbar sei, gäbe es dagegen in Wirklichkeit,
namentlich unter den neueren, manche ohne Ethos. Ethos
nun ist nach dem Sprachgebrauche des Aristoteles, der hier
wegen der später modificirten Bedeutung allein als maassge-
bend gelten darf, der unveränderliche, von den einzelnen
Handlungen durchaus unabhängige Charakter der Personen,
durch welchen vielmehr die Handlungsweise des Individuums
überall erst bestimmt wird, ohne dass die jedesmalige einzel-
ne Situation auf ihn selbst eine Rückwirkung zu äussern ver-
möchte.2) Dieses Ethos ist natürlich, wie keineswegs immer
vorhanden in der Tragödie, so auch keineswegs blos in ihr
zu finden. Homer war, mit den beiden Haupthelden seiner
Gedichte beginnend, in der Aufstellung ethischer Charaktere
[44] allen vorangegangen; nur durfte im Epos bei der Mannigfal-
tigkeit und dem episodischen Charakter mancher Handlungen
das Ethos häufig nur im Allgemeinen vorausgesetzt werden,
ohne dass es sich überall in gleicher Stärke zu manifestiren
nöthig hatte. In der Tragödie dagegen bewegt sich alles
weit strenger um eine einheitliche abgeschlossene Handlung,
und die Personen treten gewissermassen nur deshalb selbst-
redend auf, um von ihrem Antheile an dieser Handlung Zeug-
niss abzulegen. Hier ist es also nöthig, dass sich eben die-
ser Antheil immer als das nothwendige Resultat der im Cha-
rakter der handelnden Person begründeten sittlichen Motive
offenbare.1) Und in der That ist dies bei den Meisterwer-
ken der griechischen Tragödie immer der Fall; so bei So-
phokles, so namentlich bei Aeschylos, in dessen Prometheus
z. B. die Bedeutung des Ethos fast die Bedeutung der Hand-
lung überwiegt. Nach solchen Charakteren müssen wir also
des Aristoteles Ausspruch über Polygnot als Maler des Ethos
beurtheilen: denn [offenbar] will er, wenn er Zeuxis wegen
Mangels desselben mit den neuern Tragikern vergleicht, Po-
lygnot den älteren gleich setzen. Jetzt wird aber die Ab-
sicht deutlicher hervortreten, in welcher die frühern Bemer-
kungen über die einzelnen Figuren der delphischen Gemälde
gemacht wurden. Sie liefern den thatsächlichen Beweis,
wie bei Polygnot von der allgemeinen Anlage bis zu den
kleinsten Besonderheiten im Einzelnen Alles nur darauf be-
rechnet ist, jenes Ethos in eben so klaren, als bedeutsamen
Zügen uns auf das Eindringlichste zur Anschauung zu brin-
gen.


Wenn nun nach Aristoteles der höchste Zweck der Kunst
auf geistige Erhebung und sittliche Veredelung gerichtet ist 2),
so werden wir die Ursache, weshalb Aristoteles im Grunde
genommen unter allen Malern keinen höher schätzt, als
gerade Polygnot, eben in dem Vorwalten des Ethos bei die-
sem Künstler suchen müssen. Und er selbst spricht dies
noch ausdrücklich aus, indem er die Jugend vor dem An-
blicke der Werke eines Pauson zu bewahren räth, dagegen
aber anempfiehlt, die des Polygnot zu betrachten und wer
[45] sonst noch von Malern und Bildhauern ἠϑικὸς sei 1). Gerade
je entfernter aber dem Aristoteles hier eine platt moralisi-
rende Tendenz liegt, um so höher müssen wir das in seinem
Urtheile erhaltene Lob anschlagen, ja, wir vermögen ihm
kaum ein anderes an die Seite zu stellen, als das, welches
die Griechen dem Zeus des Phidias ertheilten, indem sie
sagten: der Künstler habe durch dieses Werk der bestehenden
Religion ein neues Moment hinzugefügt. Denn in beiden
Urtheilen spricht sich die Grundansicht aus, dass die höch-
sten künstlerischen nur im Vereine mit den höchsten sittlichen
Forderungen ihre Befriedigung finden können, oder mit andern
Worten, dass das Schöne und Gute in ihren höchsten Ent-
wickelungen zusammenfallen müssen.


Auf diesem Punkte angelangt, müssen wir nochmals den
Gegensatz ins Auge fassen, welcher in dem Urtheile des
Aristoteles und dem des Plinius über Polygnot enthalten ist,
einen Gegensatz, wie er schroffer wohl selten ausgesprochen
worden ist. Denn der eine lässt die eigentliche Blüthe der Ma-
lerei erst nach dem Tode desjenigen beginnen, welchem der an-
dere den Ehrenplatz unter den Malern ertheilt. Und doch löst
sich jetzt dieser Gegensatz in der einfachsten Weise. Plinius
hat vor allem die Malerei als solche im Auge, und vermag
also dem Polygnot keine hervorragende Stellung anzuweisen,
da er von einem der wesentlichsten Theile der Malerei, von
der durch Licht und Schatten bedingten Farbenwirkung, noch
gar keinen Begriff hatte, und sogar in der Formengebung
sich auf die geringsten Mittel beschränkt sah, indem auch
hier eine Durchbildung im Einzelnen erst durch die Berück-
sichtigung von Licht und Schatten möglich wird. Dem Aristo-
teles sind ähnliche Rücksichten durchaus fremd: er richtet
sein Augenmerk auf die von der besonderen Gattung unab-
hängigen höchsten Endzwecke der Kunst, und es lässt sich
daher sogar behaupten, seine Anerkennung gelte nicht sowohl
dem Polygnot als Maler, sondern dem Künstler im Allge-
meinen, insofern er geistige, poetische Ideen vermöge der
Kunst anschaulich darstellt. Die besondere Technik, welche
er dabei anwendet, erscheint diesem Gesichtspunkte gegen-
über durchaus untergeordnet und nur als das Mittel zu einem
[46] höheren Zwecke; ja die ganze sinnliche Wirkung, welche auf
diesem Wege erreicht wird, vermag als solche noch keinen
Anspruch auf selbstständigen Werth zu erheben. So betrach-
tet gereicht dem Polygnot die Beschränkung auf die zum
Ausdrucke der Gedanken nothwendigsten Mittel keineswegs
zum Nachtheil; vielmehr könnte man umgekehrt behaupten:
eben darum, weil er noch nicht durch das Streben nach sinn-
lichen, rein malerischen Effecten abgezogen wurde, sei seine
Kunst eine um so reiner geistige geblieben. Auf jeden Fall
verdankt sie ihre Anerkennung bei Aristoteles dieser letzteren
Eigenschaft. Wenn wir nun nicht umhin können, das Ur-
theil dieses gewichtigen Gewährsmannes überall als Grund-
lage für uns anzuerkennen, so dürfen wir doch, so oft wir
auch den nachfolgenden Künstlern gegenüber Polygnot den
grössten Künstler unter den Malern nennen, nie vergessen, von
welchem Standpunkte aus dieses Urtheil gefällt ist. Denn nur, in-
dem wir überall diesen Standpunkt von dem entgegengesetzten,
wie er sich bei Plinius ausspricht, streng scheiden, wird es uns
möglich werden, auch ferner durch die Widersprüche der Beur-
theilung hindurch den richtigen Weg zu finden, und für die Feststel-
lung der Verdienste jedes Einzelnen einen sichern Maassstab
zu gewinnen.


Die übrigen Maler in Athen.


Als der bedeutendste unter den Genossen des Polygnot
erscheint:


Mikon,
Sohn des Atheners Phanochos (Schol. Arist. Lysistr. 679).
In der Poekile, im Theseion, im Tempel der Dioskuren, wo
Polygnot arbeitet, ist auch er beschäftigt; und in die Zeit
jener Gemälde fällt auch eines der Werke, welche er als
Bildhauer ausführte, die Statue des Atheners Kallias, welcher
Ol. 77 im Pankration gesiegt hatte: Paus. V, 9, 3; vgl.
Th. I, S. 274. Die Nachrichten über seine Gemälde, so wie
über einige Farben, deren er sich bediente, sind bereits
unter Polygnot mitgetheilt worden. Hier sei nur noch er-
wähnt, dass er für besonders ausgezeichnet im Malen von
Pferden galt: Aelian h. a. IV, 50. Ein berühmter Reiter,
Simon, fand jedoch daran auszusetzen, dass er einem Pferde
einmal auch untere Augenwimpern gemalt hatte: Pollux
[47] II, 4, §. 12; Hierocles Hippiatr. p. 173; Tzetz. Chil. XII, 427
v. 560; andere machten nach Aelian nicht Mikon, sondern
Apelles diesen Vorwurf. — Als einen Maler der alten Schule
führt den Mikon auch Varro an, zusammen mit zwei andern
unbekannten Malern, deren Namen sich wegen des Verderb-
nisses der handschriftlichen Lesart nicht mit voller Sicherheit
herstellen lassen: nach der Vulgata lauten sie Diores und
Arimna1).


In enger Beziehung zu der Künstlergruppe, deren Mittel-
punkt Polygnot bildete, scheint auch die Familie des Phidias
gestanden zu haben, wenn wir auch über seine eigene Thätig-
keit als Maler nur eine dunkle Kunde besitzen (vgl. Th. I,
S. 187). Aber während er bald die Malerei mit der Bild-
hauerei vertauschte, widmete sich ihr einer seiner Verwandten
ganz ausschliesslich:


Panaenos
wird von Strabo (VIII, p. 354 A) Vetter (ἀδελφιδοῦς) des
Phidias genannt, und es ist wohl nur einem loseren Sprach-
gebrauche zuzuschreiben, wenn Pausanias (V, 11, 2) und
Plinius (35, 54 u. 57; 36, 177) ihn als Bruder bezeichnen.
Dass der sonst unbekannte Maler Pleistaenetos, welcher von
Plutarch (de glor. Ath. p. 346 B) gleichfalls als Bruder des
Phidias angeführt wird, wahrscheinlich mit Panaenos iden-
tisch ist, hat schon Müller (de Phid. p. 8) bemerkt. Pli-
nius (35, 54) nun setzt ihn in Ol. 83, was etwa auf die
mittlere Zeit seiner Thätigkeit bezogen werden muss. Denn
schon früher, in der kimonischen Periode, malte er mit Po-
lygnot (w. m. s.) und Mikon in der Poekile; später, nemlich
in der 86sten Olympiade, finden wir ihn als Gehülfen und
Genossen des Phidias am Zeus zu Olympia beschäftigt. Dort
malt er nicht nur die Schranken des Thrones (Paus. V, 11,
5 — 7; vgl. Th. I, S. 172); sondern besorgt überhaupt den
farbigen Schmuck des Bildes namentlich am Gewande;
und ausserdem sah man bei dem Heiligthume noch andere
vortreffliche Gemälde von seiner Hand: Strabo VIII, p. 354 A.
Es war gewiss zu derselben Zeit, dass er an der Athene auf
der Burg von Elis, welche Kolotes aus Gold und Elfenbein
[48] ausführte, die innere Seite des Schildes mit Malereien (wohl
in Schmelzfarben) zierte: Plin. 35, 54; sowie er vielleicht
auch die Wände ihres Tempels mit Malereien bedeckte. Frei-
lich erzählt Plinius (36, 177) nur von dem Bewurfe der Wand,
wie ihn Panaenos mit Milch und Safran angemacht hatte, so
dass er noch zu seiner Zeit mit dem feuchten Daumen ge-
rieben Safrangeruch und Geschmack bewahrt hatte. Allein
es ist schwer zu glauben, dass sich Panaenos blos um den
Bewurf bekümmert, wenn es sich nicht darum gehandelt hätte,
einen guten Grund für Wandgemälde zu gewinnen. — Endlich er-
wähnt Plinius (35, 58) noch eines künstlerischen Wettstreites
bei den pythischen Spielen, in welchem Panaenos indessen
von Timagoras aus Chalkis besiegt worden sei, „wie auch
aus einem alten Gedichte des Timagoras selbst hervorgehe,
indem die Chroniken einen offenbaren Irrthum enthielten.“
Worauf sich diese Angabe beziehe, wissen wir nicht, wie wir
überhaupt über solche künstlerischen Wettkämpfe nicht ge-
nauer unterrichtet sind. Auch Timagoras ist sonst gänzlich
unbekannt.


Eben so wenig ist hier über Onasias, den Genossen
des Polygnot in Plataeae, etwas hinzuzufügen.


Dionysios aus Kolophon wurde schon einige Male bei-
läufig erwähnt. Nach einem Epigramme des Simonides, aus
welchem sich ergiebt, dass er schon bei Lebzeiten dieses
Dichters, also vor Ol. 78, 1 thätig war, malte er den einen
Flügel einer Thür, während der andere ein Werk des Kimon
oder Mikon war. Zweimal wird er mit Polygnot zusammen-
gestellt, von Aristoteles (Poet. 2.) und von Aelian (v. h.
IV, 3). Nach dem Letzteren ahmte er πλὴν τοῦ μεγέϑους die
Kunst des Polygnot nach, sowohl in der strengen Sorgfalt,
im Pathos und Ethos, als in der Art der Gestaltung der Fi-
guren, in der Feinheit der Gewandung u. s. w. Der Gegen-
satz, dass Polygnot ἔγϱαφε τὰ μεγάλα καὶ ἐν τοῖς τελείοις εἰϱγά-
ζετο τὰ ἆϑλα könnte uns nun zwar veranlassen, den Unterschied
zwischen beiden Malern einzig in der materiellen Grösse fin-
den zu wollen. Doch haben wir schon früher gesehen, dass
damit auch eine Verschiedenheit der ganzen Auffassung ver-
bunden war. Wir müssen dies namentlich aus der Aeusse-
rung des Aristoteles schliessen, dass Polygnot seine Gestal-
ten über der Wirklichkeit, Dionysios ihr entsprechend, Pauson
[49] unter derselben bildete Damit verbindet sich endlich noch
ein Urtheil des Plutarch (Timol. 36): wie die Poesie des Ko-
lophoniers Antimachos und die Malerei seines Landsmannes
Dionysios, obwohl ihnen Kraft und Nachdruck nicht abgehe,
den Eindruck einer mühsamen Anstrengung machten, dagegen
die Gemälde des Nikomachos, und die Verse des Homer bei
ihrer sonstigen Kraft und Anmuth den Vorzug hätten, dass
sie geschickt und mit Leichtigkeit ausgearbeitet schienen, so
besitze im Vergleich mit der mühsamen Strategie des Epami-
nondas und des Agesilaos die des Timoleon ausser der Schön-
heit auch den Vorzug grosser Leichtigkeit. Diese Urtheile,
mit denen unsere Nachrichten über Dionysios erschöpft sind,
reichen allerdings zu einer in Einzelheiten eingehenden Cha-
rakteristik nicht hin. Doch lässt sich aus seiner Zusammen-
stellung mit Polygnot folgern, dass er ein Künstler von Be-
deutung war, zwar ohne die ideale Grösse des Polygnot,
sonst aber in allen übrigen Beziehungen ihm vergleichbar.
Darum werden wir aber nicht annehmen dürfen, dass Aristo-
teles ihn als einen Naturalisten bezeichnen wollte, sondern
nur dass seine Auffassung, um einen Vergleich aus der Kunst
der Rede herzunehmen, eine prosaischere war.1) Eine solche
kann in der Kunst einen höheren Werth nur durch die Strenge
der Durchführung erhalten, und diese muss nach dem Urtheil
des Plutarch in den Werken des Dionysios vorhanden gewe-
sen sein. So möchte sich unser Urtheil über ihn dahin zu-
sammenfassen lassen, dass er weniger durch angeborenes
poetisch - künstlerisches Genie, als durch angestrengten Eifer
und sorgfältiges Studium sich zu einem Künstler von Bedeu-
tung emporgearbeitet hatte. — In vieler Beziehung den gera-
den Gegensatz zu ihm bildet:


Pauson, von welchem Aristoteles (Poet. 2) sagt, er
bilde seine Gestalten unter der Wirklichkeit, d. h. hässlicher;
weshalb er an einer andern Stelle (Polit. VIII, 5) räth, die
Jugend vor dem Anblick seiner Werke zu bewahren, um ihre
Einbildung so viel als möglich von allen Bildern des Häss-
lichen rein zu erhalten. Er muss ein armer Teufel gewesen
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 4
[50] sein, der aber seine Armuth mit einem gewissen Humor er-
trug. So war wohl seine Persönlichkeit vorzugsweise ge-
eignet, den Spott der Komiker zu reizen; und in der That
macht ihn Aristophanes mehrmals zur Zielscheibe seines Wi-
tzes: Plut. 602; Acharn. 854; Thesmoph. 949; vgl. die Scho-
lien, die ihn ausdrücklich Maler nennen. Umgekehrt mag auch
er wieder seine Freude daran gehabt haben, sich über an-
dere Leute lustig zu machen. Eine Anekdote dieser Art we-
nigstens, wie er einen Besteller gefoppt, wird mehrfach er-
zählt: Lucian Dem. enc. 24; Plut. de Pyth. or. p. 396 E; Aelian
v. h. XIV, 15. Es ward ihm nemlich aufgetragen, ein Pferd
zu malen, das sich wälze. Er jedoch malte es laufend von
Staub umhüllt. Darüber vom Besteller zur Rede gesetzt,
drehte er es um, und nun erschien es, wie es verlangt war.
Sonach möchte man den Grundzug seines Charakters in der
Ironie suchen dürfen, wie sich diese auch bei manchen Phi-
losophen seiner Zeit zu zeigen beginnt. Sie setzt eine be-
stimmte natürliche Befähigung, eine gewisse Schnelligkeit des
Geistes voraus. Da es aber im Wesen von Witz und Spott
liegt, dem Hohen und Edlen etwas von seiner Würde zu neh-
men, so musste diese Ironie, wo sie nicht, wie bei Sokrates,
nur als Mittel zu einem höheren Zwecke benutzt ward, bald
dahin gelangen, dem Hässlichen und Gemeinen an sich eine
selbstständige Berechtigung zuerkennen zu wollen. Dass
Pauson geradezu Caricaturen gemalt habe, wie man wohl ge-
meint hat, ist darum noch nicht mit Nothwendigkeit anzuneh-
men; es mochte ihm eine humoristische Auffassung des Häss-
lichen genügen, bei welcher es mehr auf eine leichte, scharfe
Charakteristik ankam, als auf eine sorgfältige Durchführung
aller Einzelnheiten. Daraus erklärt sich zugleich seine Frucht-
barkeit, in Folge deren noch ein Schriftsteller des vierten
Jahrhunderts, Themistius, tadelnd bemerkt, dass die grosse
Zahl von Werken keinen Ersatz gewähre für die hohe Vor-
trefflichkeit, wie sie sich z. B. bei Zeuxis und Apelles finde:
Themist. de praefect. suscept. §. 11, p. 40 ed. Mai; cf. R.
Roch. peint. ant. in. p. 86. — Die Zeit seiner Thätigkeit er-
giebt sich übrigens aus der Aufführungszeit der Komödien
des Aristophanes, in denen seiner gedacht wird: die Achar-
ner fallen in Ol. 88, 3; die Thesmophoriazusen Ol. 92, 2; der
Plutos Ol. 97, 4; so dass Pauson, was nicht zu übersehen
[51] ist, eigentlich nur mit dem Beginne seiner Thätigkeit in die
Periode fällt, welche wir als die des Polygnot bezeichnet
haben.


Agatharchos,
Sohn des Eudemos, gebürtig von der Insel Samos, aber durch
seine Thätigkeit nach Athen gehörig, erlernte die Kunst ohne
Lehrer: Suid. Harpocr. s. v.; Olympiodor. ap. Bentley op.
phil. p. 349 ed. Lips. Für die Bestimmung seiner Zeit liegen
drei Angaben vor. Zuerst sagt Vitruv (VII. praef. §. 10),
dass er dem Aeschylos für eine Tragödie die Scene herrich-
tete (scenam fecit) und darüber einen Commentar zurückliess.
Sodann wissen wir aus Plutarch (Pericl. 13; de amic. mult.
p. 94 F), dass er sich noch mit Zeuxis begegnete, indem dieser
auf die Prahlerei des erstern: er male schnell und leicht, er-
wiederte: er selbst aber in langer Zeit. Endlich wird mehr-
fach erzählt, dass Alkibiades den Agatharch, als dieser we-
gen anderer Bestellungen für ihn zu arbeiten sich weigerte,
bei sich einsperrte und zwang, sein Haus auszumalen. Nach
Plutarch (Alcib. 16.) entliess er ihn nach beendigter Arbeit
reich beschenkt. Nach Andokides (orat. c. Alcib. §. 17 ed.
Bekk.) entfloh Agatharch; und Alkibiades, ohne an sein eige-
nes Unrecht zu denken, machte ihm noch Vorwürfe, dass er
die Arbeit unvollendet verlassen (vgl. ausserdem Demosth.
in Mid. p. 562, mit den Scholien). Indem man nun einer Seits
annahm, dass Aeschylos seine letzten Tragödien in Athen
Ol. 76 oder 77 aufführte, und nach Aristoteles (poet. 4.) die
Skenographie, d. h. die kunstmässige Theatermalerei zu einer
Erfindung des Sophokles machte, anderer Seits dem Plinius
folgend die Blüthe des Zeuxis in Ol. 95 setzte, war es un-
möglich, die obigen Angaben auf eine einzige Person zu ver-
einigen. Doch hat schon Müller (zu Voelkel’s arch. Nachlass,
S. 149.) einen Theil dieser chronologischen Schwierigkeiten
beseitigt. Die Oresteia des Aeschylos ward erst Ol. 80, 2
aufgeführt und der Dichter war in Athen gegenwärtig; da-
mals blühte aber auch schon Sophokles, und er mochte zu
der neuen Kunst etwas früher den ersten Anstoss gegeben
haben. Was nun Zeuxis anlangt, so werden wir unten nach-
weisen, dass wahrscheinlich schon Ol. 88, 3 ein Bild von ihm
in Athen vorhanden war. In dieselbe Zeit mag aber auch
das Zusammentreffen des Agatharch mit Alkibiades zu setzen
4*
[52] sein. Dieser war beim Tode seines Vormundes Perikles (Ol.
87, 4) etwa zwanzig Jahre alt; und in die nächste Zeit fallen
ohne Zweifel seine tollsten Jugendstreiche, also auch wohl
die Geschichte mit Agatharch. Demnach lassen sich die drei
verschiedenen Angaben sehr wohl auf eine und dieselbe
Person beziehen, und wir setzen die Thätigkeit des Agatharch
etwa zwischen Ol. 80 und 90.


Werke des Agatharch werden sonst nicht angeführt.
Sehr begreiflich ist es, dass die Bühnen- und Zimmermalerei
ihn zu perspectivischen Studien aufforderte und anregte; und
es ist um so weniger Anstoss daran zu nehmen, wenn er in
dieser verhältnissmässig frühen Zeit auch theoretisch in einer
Schrift über Skenographie handelte, da unmittelbar nach ihm
(ex eo moniti) Demokrit und Anaxagoras dieser Kunst eine
weitere wissenschaftliche Begründung gaben, wie Vitruv aus-
drücklich berichtet. Freilich musste ihn diese Malerei auch
wieder zu einem flüchtigen Arbeiten verführen, dessen er sich
sogar rühmte: denn sein Zweck, illusorischer Effekt für die
Ferne, konnte dabei sehr wohl erreicht werden. „So stellt
sich,“ um mit den Worten Müllers (S. 150) fortzufahren,
„mit Agatharch der älteren Schule des Polygnot, welche in
der Composition gelehrt und gedankenreich und in der Zeich-
nung höchst sorgfältig, aber im Farbengebrauch äusserst
schlicht und einfach und auf Täuschung der Augen wenig
bedacht war, eine Schule entgegen, die, von ganz andern
Principien ausgehend, die Augen der Menge durch den opti-
schen Schein des Körperlichen und Wirklichen zu fesseln
wusste. Das Urtheil des Publikums im Ganzen war diesen
Alles; sie waren, wie die neueren Musiker Athens, eifrige
Diener der Theatrokratie, der Demokratie in der Kunst, über
deren verderbliche Wirkungen Platon so bittere Klagen
führt: aber wenn sie auch in vielen Stücken von der Strenge
der Kunst nachliessen, und daher die Skenographie oft als
eine Malerei für die Ungebildeten dargestellt wird, so wur-
den doch auch wieder wesentliche Theile der Malerei durch
sie ausgebildet, und die höhere Stufe, welche Zeuxis und
zuletzt Apelles erstiegen, wesentlich vorbereitet.“


[53]

Die Maler im übrigen Griechenland.


Indem wir die noch übrigen Künstler dieser Periode
nach ihrer Heimath anordnen, müssen wir zuerst wieder nach
Thasos, dem Vaterlande des Polygnot, und zwar zu dessen
Familie zurückkehren.


Aristophon war der Bruder des Polygnot, scheint aber
einer durchaus verschiedenen Kunstrichtung gefolgt zu sein,
weshalb ich ihn absichtlich nicht mit diesem im Zusammen-
hange betrachtet habe. Dass er der jüngere war, folgt aus
unserer bei der Erörterung über seinen Vater Aglophon aus-
gesprochenen Vermuthung, wonach er noch für Alkibiades,
also bis gegen das Ende der achtziger Olympiaden, thätig
war. Plinius, der ihn unter den Künstlern zweiten Ranges
(primis proximi) anführt, erwähnt zwei Werke von ihm (35,
138). Das eine stellte dar den Ankaeos vom Eber verwundet
und von Astypale, oder richtiger Astypalaea, betrauert. Wie
Jahn (Ber. d. sächs. Ges. 1848, S. 127) bemerkt hat, haben
wir hier nicht an den Jagdgenossen des Meleager zu denken,
sondern an den Herrscher von Samos, Sohn des Poseidon
und der Astypalaea, an welchem sich die sprüchwörtlich ge-
wordene Warnung erfüllte:
πολλὰ μεταξὺ πέλει κύλιχος καὶ χείλεος ἄχϱου.


Denn als er schon den Becher mit dem Weine, dessen Ge-
nuss ihm nach einer Weissagung nicht sollte zu Theil werden,
an die Lippen gesetzt hatte, kam die Botschaft, dass ein mäch-
tiger Eber die Aecker verwüste; er zog ihm entgegen und fiel
auf der Jagd. — Das zweite Bild umfasste eine Darstel-
lung von sechs Figuren: „Priamus, Helena, Credulitas, Ulixes,
Deiphobus, Dolon;“ stellte also, wie Jahn (Arch. Zeit. 1847,
S. 127) bemerkt, ein Abenteuer des Odysseus aus der letzten
Zeit der Belagerung Troja’s dar, nachdem Paris gefallen und
Helena mit Deiphobos vermählt war; wahrscheinlich wie
Odysseus als Bettler verkleidet sich in die Stadt einschlich
und mit Helena den Plan zur Eroberung der Stadt verabredete
(Welcker gr. Trag. S. 948 fg.). Auffallend kann es sein, dass
Plinius dieses Bild von sechs Figuren eine numerosa tabula
nennt. Die Erklärung dafür werden wir in einer schon
unter Myron angeführten Stelle des Quintilian (V, 10) zu
suchen haben: vulgoque (inter opifices) paullo numerosius
[54] opus dicitur argumentorsum. Denn trotz der geringen Zahl
der Personen bietet ihre Zusammenstellung eine unerwartete
Fülle von künstlerischen Motiven, den Trug des Odysseus,
die Leichtgläubigkeit des Priamos, die Verstellung der He-
lena, Motive, welche ein tiefes Verständniss des psycholo-
gischen Ausdruckes voraussetzen. Ein ähnliches psychologi-
sches Interesse, welches auch dem Bilde des Ankaeos nicht
fremd sein mochte, wird nun Aristophon auch einem dritten
Werke verliehen haben: dem Bilde des Philoktetes: Plut. de aud.
poet. p. 18 C; quaest. conv. V, 1, p. 674 A. Man könnte versucht
sein, eine Beschreibung des jüngeren Philostratus (18) auf
dieses Gemälde zu beziehen, wenn nicht Parrhasios denselben
Gegenstand behandelt hätte und zwar, wie es scheint, in einer
jener Beschreibung durchaus entsprechenden Weise. — Aus-
serdem bleiben noch jene beiden Gemälde zu erwähnen,
welche Satyrus bei Athenaeus (XII, 534 D) dem Aglaophon
zuschreibt, während Plutarch (Alcib. 16) wenigstens eines
derselben als Werk des Aristophon anführt: Alkibiades von
Olympias und Pythias gekrönt; und Alkibiades, schöner von
Gesicht als die Frauen, auf den Knien der Nemea sitzend
und in ihren Armen ruhend. — Blicken wir namentlich auf
die drei ersten Gemälde, so mögen wir einen Einfluss des
Polygnot auf seinen Bruder gern darin zugeben, dass auch
dieser noch vorzugsweise sein Augenmerk auf eine bedeu-
tungsvolle geistige Charakteristik lenkte. Aber ein höchst
wesentlicher Unterschied zeigt sich schon äusserlich in dem
Umfange der Werke beider Brüder. Bei Aristophon er-
scheint als selbstständiges Bild, was bei Polygnot meist nur
den Werth einer Episode gehabt haben würde. Die Werke des
Aristophon sind Staffeleibilder, wie sie erst im Anfange der
nächsten Periode eine überwiegende Geltung gewinnen. Dass
aber die ganze Behandlung solcher Gemälde wesentlich ver-
schieden sein musste von der jener grossen und umfangrei-
chen, zum Schmucke von Tempeln und Hallen bestimmten
Schöpfungen, leuchtet theils an sich ein, theils wird es
durch spätere Erörterungen in ein noch helleres Licht ge-
setzt werden.


Ein Landsmann des Aristophon war:


Neseus, der Lehrer des Zeuxis, wie ein Theil der For-
scher des Alterthums glaubte: Plin. 35, 61. Auf die Zeit
[55] seiner Thätigkeit macht Plinius blos aus der seines Schülers
einen Schluss; und wir müssen ihm darin folgen, da wir
sonst keine Nachrichten über den Lehrer haben. Denn dass
ein χηϱοπλάστης Neses, welcher am Erechtheum arbeitete, mit
dem thasischen Maler identisch sei, wie Bergk (Ztsch. f.
Altw. 1847, S. 174) vermuthet, ist eine Annahme, der es
durchaus an aller Wahrscheinlichkeit gebricht. Ausserdem
ist nur noch ein einziger thasischer Maler, Aristomenes,
und auch dieser nur aus einer einzigen Erwähnung des Vi-
truv (III, praef. §. 2) bekannt. Er zählt ihn denjenigen
Künstlern zu, deren Verdiensten durch ungünstige äussere
Verhältnisse kein entsprechender Ruhm zu Theil geworden
sei. Seine Zeit ist unbestimmt.


Ueber Timagoras von Chalkis vgl. oben unter Pa-
naenos.


Von der Insel Paros kennen wir aus dieser älteren
Epoche der Malerei:


Nikanor und Arkesilaos, welche Plinius (35, 122)
zusammen mit Polygnot als die ältesten Enkausten, und
zwar älter als die angeblichen Erfinder dieser Art der Ma-
lerei, Aristides und Praxiteles, anführt. Dennoch war Sillig
geneigt, Arkesilaos erst etwa in die 97ste Olympiade zu
setzen, indem bei Athenaeus (X, 420 D) ein Arkesilaos als
Lehrer des Apelles genannt werde. Dort ist jedoch von dem
Philosophen die Rede, welcher nach Apollodor bei Diogenes
Laërtius IV, 45 gegen Ol. 120 blühte und dem Apelles nicht
sowohl über die Malerei, als über den Genuss des Weines
passende Lehren ertheilen mochte. Erscheint aber demnach
der parische Maler als Zeitgenosse des Polygnot, so werden
wir nicht umhin können, ihn für identisch mit dem gleich-
zeitigen Bildhauer zu halten, zu dessen in parischer Münze
bezahlten Artemis Simonides ein Epigramm geliefert hatte,
wie zur Iliupersis des Polygnot (vgl. Th. 1, S. 116).


Samos machte zwar durch Saurias auf den Ruhm der
Erfindung der Malerei Anspruch: und im Heraeon zu Samos
befand sich das älteste namhafte Gemälde, von dem wir wissen:
der Uebergang des Darius über die Brücke des Bosporus, ein
Weihgeschenk des Architekten derselben, Mandrokles (Herod.
4, 88). Von einer dortigen Malerschule haben wir sonst
aber keine Kunde, es sei denn, dass wir


[56]

Kalliphon als aus einer solchen hervorgegangen be-
trachten wollen. Er malte in dem Heiligthume der Artemis
zu Ephesos, was allerdings scheinbar gegen die ältere Zeit
vor dem Tempelbrande spricht. Wenn sich indessen das
Bild in einem Nebengebäude befand, deren es dort gewiss,
wie in Olympia, Delphi, mehrere gab, so konnte es leicht
der Zerstörung entgehen; Pausanias aber spricht nicht von
dem Tempel selbst (ναός), sondern allgemeiner von dem Hei-
ligthume (ἱεϱόν); und was er von Einzelnheiten aus dem Ge-
mälde, dem Kampfe der Hellenen und der Troer, erwähnt,
scheint gerade auf die ältere Zeit zu deuten: die Auffassung
der Eris nach dem Muster ihrer Darstellung auf dem Kasten
des Kypselos (πϱὸς ταύτῃ), d. i.: αἰσχίστῃ τὸ εἶδος ἐοιχυῖα: V,
19, 1, gehört namentlich der früheren Kunst an; aus späteren
Kampfdarstellungen verschwindet Eris fast gänzlich. Bei
Gelegenheit der polygnotischen Gemälde (X, 26, 2) gedenkt
ferner Pausanias einer Gruppe aus dem Gemälde des Kalli-
phon: Patroklos, welchem von Frauen der Doppelpanzer
(γυαλοϑώϱαξ) angelegt ward. Er nennt diese Form des Pan-
zers zu seiner Zeit ungewöhnlich; und führt die Darstellung
derselben in den beiden Gemälden offenbar als eine Seltenheit
an. Führt nun hier die Zusammenstellung mit Polygnot eben-
falls wieder auf die ältere Zeit, so scheint darauf nicht minder
das ganze Gemälde zu deuten. Die Rüstungsscene stand
gewiss im nächsten Zusammenhange mit dem Kampfe bei
den Schiffen; die Composition scheint daher der älteren mehr
epischen Weise, wie wir sie aus den delphischen und atti-
schen Gemälden des Polygnot und seiner Genossen kennen,
angehört zu haben, wodurch es möglich ward, den Kampf
in den verschiedenen Stadien seiner Entwickelung in einer
Reihe von einzelnen, aber doch zusammengehörigen Scenen
darzulegen.


Von einem anderen Maler aus Samos, Agatharchos, so
wie von einem Künstler Kleinasiens, Dionysios aus Ko-
lophon, ist bereits früher gehandelt worden. Ausserdem
gehört nach Kleinasien und zwar gegen das Ende dieser
Periode:


Euenor aus Ephesos, Vater und Lehrer des Parrhasios,
nach Plinius (35, 60) zwar schon selbst ein tüchtiger Künst-
[57] ler, aber doch den glänzenden Gestalten der folgenden Pe-
riode nicht vergleichbar.


Von Malern des eigentlichen griechischen Festlandes sind
nur noch nachzutragen:


Euripides, der tragische Dichter, welcher in seiner Ju-
gend die Malerei geübt haben soll; man zeigte sogar einige
Bildchen von ihm in Megara: Suid. s. v. und die Vita bei
Elmsley.: Eurip. Bacch. p. 178 und Allg. Schulzeit. 1828,
S. 9.


Iphion aus Korinth. Auf ihn beziehen sich zwei Epi-
gramme (Anall. I, 142, n. 79 u. 80), welche dem Simonides
beigelegt werden; ob dem älteren, welcher Ol. 78, 1 starb,
oder dem jüngeren, der gegen die Zeit des peloponnesischen
Krieges lebte, lässt sich nicht mit voller Bestimmtheit aus-
machen.


In Unteritalien und Sicilien sind die ältesten uns be-
kannten Maler Damophilos und Gorgasos, welche in
dem Ol. 71, 4 geweiheten Tempel der Ceres beim Circus
Maximus in Rom beschäftigt waren: Plin. 35, 154. Ueber
sie ist schon bei Gelegenheit der alt-italischen Plasten (Th.
1, S. 530) gesprochen und die Vermuthung geäussert worden,
dass der erste von ihnen vielleicht mit Demophilos von
Himera in Verbindung stehe, welcher nach Einigen für den
Lehrer des Zeuxis galt (v. m. s.). Ausserdem kennen wir
nur noch:


Sillax von Rhegion, der nach Polemon bei Athenaeus
(V, p. 210 B) schon von Epicharmos und Simonides erwähnt
wird, also mindestens vor Ol. 78 thätig war. Er hatte in
Phlius die polemarchische Stoa mit Gemälden geschmückt;
doch wissen wir darüber nichts als dass in einem derselben
ein Untersatz und darauf ein Pokal (ἐγγυϑήχη χαὶ ἐπ̕ αὐτῆς χύ-
πελλον) abgebildet war.


Von unbekanntem Vaterlande sind Cephisodorus und
Erillus, welche Plinius (35, 60) als tüchtige Maler in der
90sten Olympiade anführt. Der Name des zweiten ist nach
Silligs Meinung vielleicht Herillus zu schreiben. Nahe liegt
der Verdacht, dass ein Bildhauer der 90sten Olympiade, des-
sen Name in den Handschriften des Plinius (34, 49) gleich-
falls verderbt ist, Perelius oder Perellus, mit diesem Maler
identisch sei.


[58]

Rückblick.


In den bisherigen Erörterungen habe ich einige für das
volle Verständniss der älteren Malerei wichtige Fragen ab-
sichtlich unberührt gelassen, weil ihre Behandlung nur auf
der Grundlage eines vollständigen Ueberblickes über die ein-
zelnen Erscheinungen der behandelten Periode nutzbringend
zu werden versprach. Ja, es wird zu diesem Zwecke sogar
nothwendig sein, schon im voraus einige Blicke auf spätere
Erscheinungen zu werfen. Sehen wir von den vereinzelten
Nachrichten über die Anfänge und die erste Ausbildung der
Malerei, welche gewissermassen nur die Einleitung zum ei-
gentlichen Thema bilden, gänzlich ab, so ist es Polygnot
und seine Genossenschaft, in denen sich das Wesen der äl-
teren Malerei am klarsten und in gewaltigen Zügen spiegelt.
Die Werke dieser Schule, wie ich der Kürze wegen diese
Genossenschaft nennen will, gehören einer Kunstrichtung an,
welche ich schon früher einmal als dem Epos in der Poesie
entsprechend bezeichnen musste. Es sind grosse mytholo-
gische und historische Compositionen, zum Schmucke von
Tempeln und Hallen von vornherein bestimmt und ausge-
führt, von einem Umfange und einem Reichthume an Figuren,
wie wir ihn unter den berühmtesten Werken der späteren
Zeit fast nie wiederfinden. Aber nicht einmal in der unmit-
telbar sie aufnehmenden Generation findet diese Schule Nach-
folge und Nachahmung. Die Künstler, welche der 90sten
Olympiade näher stehen, als der 80sten, bewegen sich in
einer durchaus verschiedenen Richtung. Plinius widmet der
Schule des Polygnot zwar einige, aber doch verhältnissmäs-
sig nur eine geringe Aufmerksamkeit; und was er bei Gele-
genheit der auch uns weniger bekannten Namen aus der
90sten Olympiade bemerkt: dass sich bei ihnen seine Dar-
legung nicht lange aufhalten dürfe, das scheint seine Her-
zensmeinung auch über jene Schule. Denn darauf erst „eilt
er zu den Lichtpunkten der Kunst,“ einem Apollodoros und
Zeuxis. Apollodor war der erste, „welcher dem Pinsel zu
gerechtem Ruhme verhalf,“ Zeuxis derjenige, „welcher den
schon etwas wagenden Pinsel zu grossem Ruhme erhob.“
Apollodor malt einen betenden Priester, einen vom Blitze
getroffenen Aiax; „und vor ihm wird kein Bild (tabula) eines
[59] andern gezeigt, welches die Augen zu fesseln vermöchte.“ 1)
Müssen diese Sätze nicht im höchsten Grade paradox klin-
gen, wenn wir sie mit den Lobeserhebungen vergleichen,
welche wir der Kunst des Polygnot zu spenden uns gedrun-
gen fühlten? Die Lösung dieses Widerspruches liegt in zwei
Punkten, welche mit aller Schärfe hervorgehoben werden
müssen, wenn nicht nur einzelnen Misverständnissen, sondern
einer falschen Auffassung des gesammten Fortschritts der
griechischen Malerei überhaupt vorgebeugt werden soll; und
diese zwei Punkte sind enthalten in den Ausdrücken des Pli-
nius: gloria penicilli und tabula. Fassen wir diese Ausdrücke
richtig, so ist das ganze Räthsel gelöst, weshalb Plinius
eigentlich erst nach der hohen Blüthe der Kunst unter Po-
lygnot und nachdem sie bereits in den grossartigsten Schö-
pfungen sich versucht hatte, die Geschichte der Malerei be-
ginnen lässt.


Plinius lässt die Malerei zu ihrem Ruhme gelangen durch
die Herrschaft des Pinsels. Aus der Betrachtung dessen,
was Plinius als den Fortschritt des Polygnot in der Malerei
anführt, glaube ich gezeigt zu haben, dass von Schattenge-
bung bei ihm nicht die Rede war; und wie dieselbe auch
noch ausdrücklich dem Apollodor als seine Erfindung beige-
legt wird, so spricht auch Quintilian 2) gerade von einfacher
Farbe bei Polygnot und Aglaophon. Die Farben wurden in
Gesammttönen auf die Fläche als Ausfüllung des Umrisses
eingetragen; und die weitere Ausführung bestand in dem
Hineinzeichnen anderer Umrisse und Linien zur Angabe der
Ansätze an den Gliedern und Muskeln, der Massen und
Falten in den Gewändern. Zu grösserem Schmucke mochten
auf die Letzteren zuweilen noch bunte Verzierungen aufge-
setzt werden, in verschiedenen Farben, aber immer in ein-
fachen ungebrochenen Tönen. Im Ganzen mussten wir, um
uns von der Behandlung der Malerei bei Polygnot einen Be-
griff zu machen, auf die bessern der tarquiniensischen Grab-
gemälde verweisen. Es leuchtet nun ein, dass hier von einem
„Ruhme des Pinsels“ im Grunde nicht die Rede sein kann.
Sehen wir von dem geistigen Verdienste, der Composition
und Erfindung des Ganzen, wie der einzelnen Figuren, vor-
[60] läufig ab, so konnte der Künstler seine Tüchtigkeit nur
in der Zusammenstellung der Farben, nicht in ihrer Verar-
beitung unter einander zeigen, hauptsächlich aber in der
Zeichnung. Diese beruht jedoch bei dieser Gattung der
Malerei auf der Feinheit und dem Schwunge wirklicher Li-
nien. Mag nun der Künstler immerhin zum Ziehen derselben
sich des Pinsels als Werkzeug bedienen, so ist doch die
Anwendung desselben nur eine einseitige: die eigentliche
Farbe trägt er mit der Fläche des Pinsels auf; die Linien
zieht er mit der Spitze. Dieses Verfahren aber gestaltet
sich gänzlich um, sobald Schattengebung eintritt: denn als-
dann müssen die wirklichen Linien verschwinden, und es
giebt eigentlich nur noch Begrenzungen von Flächen, deren
mannigfache Eigenthümlichkeiten nur durch die mannigfachste
Anwendung des technischen Werkzeuges wiedergegeben wer-
den können. Hier also beginnt der Ruhm des Pinsels: der
Auftrag der Farben, die Begrenzung der Formen, die Ver-
treibung der Töne in einander, die Angabe von Licht und
Schatten, die gesammte Ausführung ist Werk des Pinsels.
Mit dieser Auffassung können wir vergleichen, was Dionys
von Halikarnass 1) über den Unterschied der älteren und
neueren Malerei bemerkt. Die älteren Gemälde sind nach
ihm einfach in der Farbe behandelt, und zeigen keine Man-
nigfaltigkeit (ποιχιλίαν) in den Mischungen, sind aber sorgsam
und genau in der Zeichnung (ἀχϱιβεῖς ταῖς γϱαμμαῖς) und haben
darin viel Einnehmendes; die Späteren dagegen sind weniger
gut gezeichnet, aber weit mehr ausgeführt, voll Abwechse-
lung in Licht und Schatten, und haben in der Menge der
Mischungen ihre Stärke. Dieses vergleichende Urtheil will
aber offenbar ganz dasselbe sagen, was Plinius bezeichnet,
indem er erst nach Polygnot die Malerei durch die Herr-
schaft des Pinsels zur Blüthe gelangen lässt.


Nachdem auf diese Weise der eine Unterschied zwischen
der älteren und neueren Malerei festgestellt ist, wenden wir
uns zu dem zweiten Gegensatze, welcher in des Plinius
Worten ausgesprochen liegt: vor Apollodor gebe es keine
tabula, welche das Auge zu fesseln vermöge. Dieses Urtheil
wäre vielleicht das ungerechteste, welches je über Kunst
[61] gefällt worden ist, wenn dadurch die Werke der polygnoti-
schen Schule als einer eingehenden Betrachtung kaum würdig
hingestellt werden sollten. Allein — sie waren eben keine
tabulae, sondern Wandgemälde. Das ist meine Ueberzeugung
in dieser vielbesprochenen Frage: vor Apollodor überwiegt
die Wandmalerei in solchem Maasse, dass von Tafelgemälden
kaum die Rede ist; nach Apollodor ist das Umgekehrte der
Fall; nur hört die Wandmalerei nicht auf, sondern sie
tritt nur als für besondere Zwecke und Aufgaben geeignet,
mehr in den Hintergrund. Die verschiedenen Seiten dieser
Frage sind von Letronne, 1) Roul Rochette 2) und Welcker 3)
in solcher Ausführlichkeit erörtert worden, dass ich mich
mit Beseitigung als dessen, was eine Deutung nach beiden
Seiten zulässt, auf wenige entscheidende Punkte werde be-
schränken dürfen.


Als der unumstösslichste Beweis für die Ansicht, dass
Polygnot seine grossen Compositionen nicht auf die Wand,
sondern auf Tafeln gemalt habe, werden zwei Stellen des Sy-
nesius 4) hingestellt: καὶ τὴν ἐν ᾖ Ζήνων ἐφιλοσόφει Ποικίλην, νῦν
οὐκέτ̕ οὖσαν Ποικίλην. Ὁ γὰϱ ἀνϑύπατος τὰς σανίδας ἀφείλετο·
ἔπειτα ἐκώλυσεν αὐτοὺς (φιλοσόφους) ἐπὶ σοφίᾳ μεῖζον φϱονεῖν. Und:
ὁ γὰϱ ἀνϑύπατος τὰς σανίδας ἀφείλετο, αἷς ἐγκατέϑετο τὴν τέχνην ὁ ἐκ
Θάσου Πολύγνωτος. Diese Angaben scheinen allerdings so po-
sitiv wie [möglich]; um jedoch jede Erörterung abzuschneiden,
würden sie nur dann genügen, wenn etwa gesagt wäre: der
Proconsul nahm die Tafeln weg und brachte sie nach einem
andern Orte. Allein es handelt sich hier keineswegs um
einen Kunstraub, sondern um christlichen Fanatismus, wel-
cher die Werke der alten Kunst zerstört, weil sie dem neuen
Glauben anstössig sind. Erinnern wir uns nur kurz der hi-
storischen Verhältnisse: Himerius erwähnt das Gemälde der
marathonischen Schlacht in der Poekile als noch existirend,
Synesius als nicht mehr vorhanden. Mit grosser Wahr-
scheinlichkeit vermuthet daher Letronne, 5) dass das Edict
des Theodosius gegen den Paganismus im J. 391 den Grund
zur Vernichtung gegeben habe. Erst elf Jahre später kam
Synesius nach Athen, hatte also die Bilder selbst nicht mehr
[62] gesehen; ja noch mehr: der erste der erwähnten Briefe ist
noch nicht einmal aus Athen datirt; Synesius berichtet also
nicht über eine Begebenheit, die er am Orte selbst erfahren
hatte, die sich also bei der Anschauung der Localität auch
mit ihrem Nebenumständen dem Gedächtnisse leicht hätte
einprägen können. Die ganze Erwähnung der Gemälde ist
ihm nur Nebensache: er ärgert sich über den Stolz der Phi-
losophen, welche den Gipfel der Weisheit schon erreicht zu
haben wähnten, wenn sie nur in Athen sich eine Zeit lang
aufgehalten hätten. Ihr ganzer Ruhm bestehe darin, dass
sie die Akademie, das Lykeion, die Poekile gesehen hätten.
Das sei aber ein Ruhm ganz absonderlicher Art: denn die
Poekile sei nicht einmal mehr, was sie heisse, eine bunte
Halle. Dieser Herrlichkeit habe der Proconsul ein Ende ge-
macht: nemlich die Bretter weggenommen und die Philoso-
phen hinausgejagt. Als nun Synesius selbst nach Athen
kommt, da schreibt er wieder: mit Athens Glanz sei es vor-
bei, und flucht auf den Schiffer, der ihn hingebracht. Von
Athen sei, wie von einem Opferthiere, nur noch das Fell
ohne Fleisch und Knochen übrig; nur die Namen der Orte
seien noch geblieben; und nicht die Philosophen, nein, die
Honighändler hätten jetzt Athen inne. Die ganze Beschrei-
bung ist voller Spott; und in spöttischer Absicht ist auch
der Ausdruck σανίδας gewählt, wie er in ähnlichem verächt-
lichem Sinne auch bei einem andern Kirchenschriftsteller sich
findet. 1) Σανὶς wird sonst nicht von Gemälden gebraucht,
so wenig wie das deutsche „Brett“. Synesius nun mochte
sich die Poekile als eine Gemäldegalerie vorstellen, wie sie
zu seiner Zeit üblich waren, etwa wie die in seinem Enco-
mium calvitiei 2) erwähnte im Museion. Dort gab es Philo-
sophenbilder, auf welche die Philosophen in ihren Unterre-
dungen zuweilen Rücksicht nehmen mochten. An sich hatten
nun freilich die Stoiker mit den Gemälden der Poekile nichts
zu thun; aber da sie dieselben stets vor Augen hatten, so
mochten z. B. namentlich die Marathonskämpfer in ihren
Gesprächen häufig eine grosse Rolle spielen. 3) Diese fort-
währende Erinnerung an die alte Zeit, welche dem neuein-
[63] dringenden Christenthume nur Aergerniss darbot, sollte nun
durch die Vernichtung der Bilder unterdrückt werden. Indem
dies Synesius erzählt, kommt es ihm keineswegs darauf an,
den Stoff, auf dem die Bilder gemalt waren, näher zu be-
stimmen: er will nur witzig sein und spottet über die bunte,
nicht mehr bunte Halle, wie über die Bretter, an denen, so
zu sagen, die Weisheit jener Philosophen klebte, die er aber
selbst, wie gesagt, nie mit eigenen Augen gesehen hatte. —
So dürfen wir denn nach dem ganzen Zusammenhange auf
einen einzelnen spöttischen Ausdruck bei Synesius für die
Entscheidung der vorliegenden Frage kein Gewicht legen.


Noch schwächer scheint mir ein zweites Zeugniss, durch
welches die Geltung der Tafelmalerei auch für die ältere Zeit
bewiesen werden soll, der Ausspruch des Plinius nemlich:
dass es keinen Ruhm für Künstler gebe, ausser für die,
welche „tabulas“ gemalt hätten: sed nulla gloria artificum est,
nisi eorum, qui tabulas pinxere 1). Wenn je, so ist es hier
nöthig, den ganzen Zusammenhang ins Auge zu fassen.
Plinius sagt etwa folgendes: „Unter andern berühmten Malern
darf ich auch Ludius nicht vergessen: er hat sich durch einen
von ihm erfundenen Decorationsstyl berühmt gemacht. Doch
bildet er freilich nur eine Ausnahme; denn sonst gebührt der
Ruhm doch nur den Künstlern, welche eigentliche Bilder
malten.“ Dies will ohngefähr eben so viel sagen, als wenn
ein Neuerer schriebe: „Raphael und Giulio Romano haben
zuweilen auch im Decorationsstyl gearbeitet, ja Giovanni da
Udine hat in diesem allein sich seinen Ruhm erworben; aber
dieser Fall bildet nur eine Ausnahme, während sonst diese
Gattung der Malerei nur eine untergeordnete Bedeutung hat.“
Dass es sich aber bei Plinius einzig um den Gegensatz zwischen
Decorationsstyl und förmlichen Gemälden handelt, lehren
auch die folgenden Worte: eo venerabilior antiquitatis pru-
dentia adparet; non enim parietes excolebant dominis tantum.
Eben so war es in der neueren Kunst vor Raphael; und doch
malte man gerade damals vorzüglich in Fresco, freilich nicht
in Privathäusern: nondum libebat parietes totos pingere;
wohl aber an öffentlichen Orten, wo die solide Steincon-
struction auch gegen die von Plinius offenbar nur im Hinblick
[64] auf Privatwohnungen befürchtete Feuersgefahr Sicherheit ge-
währte. — „Aber,“ erwiedern vielleicht die Gegner der
Wandmalerei, „Plinius sagt doch ausdrücklich, dass nur die
berühmt geworden, welche tabulas, Tafelbilder gemalt.“ Wenn
denn so grosser Werth auf diesen Ausdruck gelegt wird, so
mag er immerhin in seiner engsten Bedeutung gefasst werden.
Wenn man aber darauf bauend etwa weiter schliessen will:
Polygnot sei doch gewiss ein berühmter Künstler gewesen,
den auch Plinius anerkenne, und müsse daher seinen Ruhm
durch Tafelgemälde erworben haben; so muss ich dieser Fol-
gerung bestimmt widersprechen. Der hohe Ruhm des Po-
lygnot beruhet keineswegs auf dem Zeugnisse des Plinius.
Dieser nennt ihn zwar schon berühmt, rechnet ihn aber doch
nicht zu den Sternen erster Grösse: lumina artis; und nach
seinem Urtheil erscheint Apollodor als ein Künstler von hö-
herem Werthe, als Polygnot; was gerade darin seinen Grund
hat, dass dieser nicht, wie jener, tabulas, Tafelgemälde
malte. Es ist in dieser Beziehung dem Polygnot ähnlich er-
gangen, wie den Künstlern der Mosaiken in den Kirchen des
Mittelalters, von denen einige wenigstens in Bezug auf wür-
devollen Ernst eine gewisse Vergleichung mit Polygnot zu-
lassen. Nur bei gelehrten Forschern finden sie einigermassen
Anerkennung. Ja sogar Meister wie Giotto, deren Ruhm in
Italien nach den Studien der letzten Jahrzehnte so fest be-
gründet erscheint, wurden noch von Raphael Mengs nicht
einmal einiger Aufmerksamkeit werth geachtet, und auch
jetzt noch stehen sie bei der Masse der Liebhaber in andern
Ländern an Ruhm denen des 16ten und 17ten Jahrhunderts
weit nach. Der Grund davon liegt sicherlich nicht allein in
der Alterthümlichkeit der ersteren, sondern darin, dass die
Anschauung gerade ihrer bedeutendsten Schöpfungen nicht
weit verbreitet ist, während mit den Staffeleibildern der Spä-
teren alle Galerien Europa’s angefüllt sind. Ganz ähnlich
verhielt es sich mit Polygnot. Plinius führt von ihm ein ein-
ziges Bild als in Rom befindlich an; und wer weiss, ob
dieses nicht etwa nur ein Bruchstück aus einer grösseren
Composition war? Von allen seinen Genossen aber scheint
durchaus nichts nach Rom gelangt zu sein, obgleich die
Kunstwerke massenweise aus Griechenland nach Rom ver-
pflanzt wurden, und in Rom der Geschmack an Alterthüm-
[65] lichen keineswegs gänzlich fehlte. Offenbar liessen sich ihre
Werke, weil sie an den Wänden hafteten, nicht nach Willkür
von einem Orte zum andern versetzen; und ihr Ruhm blieb
daher hauptsächlich nur an den Orten ihrer Thätigkeit le-
bendig.


Jetzt werden wir nun auch einigen Werth auf die Aus-
drücke legen dürfen, mit denen Plinius, Pausanias u. a. die
Werke dieser älteren Künstler erwähnen: hic Delphis aedem
pinxit; hic et Athenis porticum; ἐπὶ τῷ τοίχῳ, ἐπὶ τοῦ πϱονάου
τῶν τοίχων u. s. w. Zwar hat man die Bedeutung auch dieser
Ausdrücke durch die Annahme zu schwächen gesucht, dass
ja ganze Wände mit Holz getäfelt gewesen sein könnten.
Allein für ein solches Auskunftmittel sind nicht einmal Ana-
logien, geschweige denn Beweise beizubringen. Kein Ge-
mälde auf Holz aus dem ganzen Mittelalter und der neueren
Zeit ist von solcher Ausdehnung, dass es seinen Charakter als
Staffeleibild verleugnen könnte. Wohl aber haben wir Nach-
richten von wirklichen Wandgemälden aus der ältesten Zeit
in Italien. Mag auch Plinius 1) das Alter der Gemälde in
Ardea, Lanuvium, Caere gar zu hoch anschlagen, so waren
sie doch immerhin alt, und die Werke des Damophilos und
Gorgasos im Cerestempel zu Rom 2) sind auf keinen Fall
jünger als Polygnot; Wandgemälde alten Styls sind endlich
noch jetzt in etrurischen Gräbern erhalten. Einen Gegen-
satz aber zwischen Italien und Griechenland im Gebrauche
dieser Gattung der Malerei anzunehmen, sind wir durch nichts
berechtigt, ja durch die Nachricht über die eben angeführten
beiden griechischen Maler geradezu verhindert.


Sehen wir aber endlich von den äusseren Zeugnissen
gänzlich ab, so müssen wir in unserer Auffassung durch die
Betrachtung des Wesens der Malerei selbst nur bestärkt
werden. Wir haben in der Geschichte der Bildhauer wieder-
holt darauf hingewiesen, dass die Bronze eine andere Behand-
lung der Form verlangt, als der Marmor. Nicht minder gross
ist der stylistische Unterschied in der Malerei, je nachdem
ein Gemälde auf der Fläche der Wand oder auf einer Tafel von
Holz ausgeführt wird. Das Wandgemälde soll nicht für sich
allein bestehen, sondern steht auch mit dem ganzen archi-
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 5
[66] tektonischen Raume, der es umgiebt, in einem festen, unauf-
löslichen Zusammenhange. Die erste Aufgabe des Künstlers
ist hier, seine Composition so einzurichten, dass der gegebene
Raum durch dieselbe seine weitere, dem Ganzen entspre-
chende architektonische Gliederung zu erhalten scheine. Auf
der strengen Erfüllung dieser Forderung beruht z. B. ein
Hauptverdienst der mittelalterlichen Kirchenmosaiken. Manche
Unregelmässigkeiten des gegebenen Raumes können auf diese
Weise durch eine geschickte Benutzung von Seiten des
Künstlers sogar zu neuen Schönheiten Veranlassung bieten,
während sie in Tafelbildern vielleicht die entgegengesetzte
Wirkung hervorbringen würden. Denn hier erscheint die
äussere Form des Bildes nicht als etwas mit absoluter Noth-
wendigkeit Gegebenes, sondern sie ist, wenn auch nicht immer
ganz, doch in weit höherem Maasse dem freien Ermessen des
Künstlers überlassen, der sich nicht willkürlich Schwierig-
keiten schaffen soll, um in ihrer Lösung zu glänzen, sondern
stets für seinen Gedanken die einfachste, natürlichste und
entsprechendste Form zu suchen hat. In Bezug auf strenge
architektonische Composition ist vielleicht das ausgezeich-
netste Werk der gesammten neueren Kunst die Disputa von
Raphael. Man denke sich nun, Raphael habe diese Compo-
sition, sowie sie ist, ursprünglich für ein Tafelbild bestimmen
wollen, so wird sie dieses Lob nicht mehr, wenigstens nicht
in so hohem Grade, verdienen: denn die streng architekto-
nische Gliederung war nicht mehr mit Nothwendigkeit ge-
boten.


Bedienen wir uns dieses Beispiels auch noch für eine
weitere Betrachtung. Man übertrage sich in der Phantasie
die Disputa als Tafelbild und in derselben Grösse mit Besei-
tigung aller rein malerischen Reize in einen dem polygno-
tischen verwandten Styl, so würde sie durch diesen Styl
nur um so mehr verlieren, als Wandgemälde dagegen jenen
früheren Werth ganz ungeschmälert bewahren. Der Grund
liegt wiederum lediglich darin, dass ein Wandgemälde (von
dem geistigen Inhalte der Darstellung natürlich ganz abge-
sehen) in uns schon dann einen hohen Grad der Befriedigung
zu erwecken vermag, wenn nur jenen architektonischen For-
derungen, mit denen freilich die gesammte Zeichnung im eng-
sten Zusammenhange steht, Genüge geschehen ist; und eben
[67] darum vermissen wir hier eine rein malerische Nachbildung
der Wirklichkeit weit weniger, als in einem Tafelbilde, wel-
ches einen grossen Theil seines Werthes erst durch die
Durchführung im Einzelnen erhält.


Machen wir jetzt hiervon die Anwendung auf Polygnot
selbst, so haben wir schon bei Gelegenheit der delphischen
Gemälde auf die strenge, ich darf wohl sagen, architekto-
nische Gliederung der Composition hinweisen müssen. Ueber-
all sondern sich grosse, einander entsprechende Massen, in
denen sich das Auge des Beschauers leicht, wie in dem
Anblicke eines schöngegliederten Tempels, zurecht finden
musste. Ist nun schon diese Art der Composition vorzugs-
weise durch das Wesen der Wandmalerei bedingt, so führt
uns auf dieselbe nicht weniger die Beschränkung in den Mit-
teln eigentlich malerischer Darstellung, welche wir in den
Werken des Polygnot nicht wegzuleugnen vermochten. Denn
mit der Wandmalerei sind die aus jener Beschränkung ent-
springenden Mängel wenigstens in so weit verträglich, dass
davon der übrige hohe Ruhm des Künstlers gänzlich unbe-
rührt bleibt; in der Tafelmalerei dagegen würden sie noth-
wendig ein nicht geringes Gefühl der Unbefriedigung hervor-
bringen müssen. — Ich leugne nicht, dass diese ganze Be-
trachtungsweise bei Manchem Anstoss erregen kann, insofern
als es scheinen mag, sie beruhe mehr auf einem subjectiven
Gefühle, als auf thatsächlichen Verhältnissen. Wer es jedoch
nicht verschmäht, die Erfahrungen zu Rathe zu ziehen,
welche sich aus der Betrachtung der älteren und der neueren
Kunst gewinnen lassen, der wird schliesslich erkennen müs-
sen, dass jenes Gefühl erst durch historische Thatsachen ge-
leitet und bestimmt worden ist, und dass ihm daher keine
geringere Beweisfähigkeit innewohnt, als einem vereinzelten
äusseren Zeugnisse.


Wenn wir uns demnach die grossen Schöpfungen des
Polygnot und seiner Genossen nur als Wandgemälde ausge-
führt zu denken vermögen, so soll damit die sonstige Aus-
übung der Tafelmalerei für diese Zeit keineswegs geleugnet
werden; ja selbst die genannten Künstler können sich wohl
zuweilen darin versucht haben, wie es z. B. die Erzählung
von künstlerischen Wettkämpfen bei den isthmischen und
5*
[68] pythischen Spielen 1) fast mit Sicherheit voraussetzen lässt.
Dass aber dort der berühmte Panaenos von dem sonst unbe-
kannten Timagoras besiegt wurde, erklärt sich vielleicht
eben daraus, dass der Erstere an den grossen historischen
Styl der Wandmalerei gewöhnt war, während seine Neben-
buhler sich in der Tafelmalerei zu höherer Meisterschaft aus-
gebildet hatten. Auf jeden Fall war die Letztere auf Werke
geringeren Umfanges beschränkt geblieben, und vermochte
wegen der noch mangelhaften Mittel der rein malerischen
Darstellung nicht zu einer so allgemeinen Anerkennung, wie
die Erstere, durchzudringen, am wenigsten in den Augen
der späteren Geschlechter, welche in der gloria penicilli die
Blüthe der Malerei zu sehen gewohnt waren.


Auf der andern Seite werden wir uns dagegen vor der
Annahme zu wahren haben, dass in Folge des durch Apol-
lodor und Zeuxis bewirkten Umschwunges die Wandmalerei
gänzlich verdrängt worden sei. Allerdings musste die Durch-
führung auch in dieser Gattung eine durchaus andere werden,
als bisher. Aber für bestimmte Zwecke, für grosse histo-
rische Gemälde an öffentlichen Orten, liess sie sich durch
nichts anderes ersetzen, so wie sie sich ja auch dem heu-
tigen Künstler bei ähnlichen Aufgaben unentbehrlich zeigt.
An einzelnen Belegen für diese Behauptung wird es in den
späteren Erörterungen nicht fehlen.


Nach dieser längeren Abschweifung, welche jedoch zum
vollen Verständniss nicht nur der bisher behandelten, sondern
auch der folgenden Periode nothwendig war, kehren wir wieder
zu unserer Aufgabe zurück, die im Einzelnen gewonnenen
Resultate zu einem historischen Ueberblicke zu vereinigen.
Blicken wir auf die ältere Geschichte der Plastik zurück, so
begegnen wir dort der wichtigen Erscheinung, dass sich von
Anfang der eigentlich historischen Zeit an Gruppen und
Schulen sondern, die sich unter einander durch bestimmte
charakteristische Kennzeichen unterscheiden. In der Ge-
schichte der ältesten Maler sind wir etwas ähnliches nach-
zuweisen nicht im Stande. Die Maler, an deren Namen sich
die Sagen von der Erfindung der Malerei knüpfen, sind an
verschiedenen Orten Griechenlands zerstreut, und stehen auch
[69] sonst so vereinzelt, dass eine schulmässige Entwickelung an
bestimmten Orten sich nirgends verfolgen lässt. Erst um
die Zeit des Polygnot wird Athen Mittelpunkt der Kunstthä-
tigkeit; aber auch dann nimmt es eine durchaus andere Stel-
lung ein, als z. B. Samos, Aegina, Sikyon in der älteren
Plastik. Am besten lässt es sich mit Rom in der Zeit des
Wiederauflebens der Künste vergleichen. Giotto, Masaccio,
Fiesole, Perugino u. a. arbeiteten in Rom; aber eine eigent-
lich römische Malerschule gab es selbst zur Zeit Raphaels
und Michelangelos nicht. Rom bildete nur den Mittelpunkt,
in welchem die verschiedenen Schulen zusammenlaufen und
sich zu einer letzten gemeinsamen Blüthe entfalten sollten.
Aehnlich war es in Athen. Zwar sind Eumaros, Mikon und
Panaenos von dort gebürtig. Aber diejenigen Maler, welche
für die Entwickelung ihrer Kunst bestimmend wirken, welche
neue Richtungen begründen, sind Fremde. So auffallend dies
scheinen mag, so erklärlich ist es doch unter mehreren Ge-
sichtspunkten. Als Athen nach den Perserkriegen die Hege-
monie über Griechenland errungen hatte, musste es streben,
sich in allen seinen Unternehmungen als die Hauptstadt zu
zeigen. Was man in der Kunst unternahm, durfte deshalb
nicht darauf abzielen, diese erst zu bilden, sondern das Glän-
zendste zu leisten, was man damals überhaupt zu leisten im
Stande war. Man berief daher die tüchtigsten Künstler auch
von andern Orten, um nur keinem andern Staate in dem Glanze
der Kunstleistungen nachzustehen. So entwickelte sich zwar
nicht eine ursprünglich aus attischem Boden entsprossene
Kunstschule, aber ein Kunsttreiben, welches in seinen Folgen
mindestens eben so bedeutend, wie eine eigentliche Schule
wirken musste. Denn der Wetteifer der tüchtigsten Meister,
der Wetteifer insbesondere zwischen Männern, welche in
ihren Anfängen von ganz verschiedenen Principien ausge-
gangen sein mochten, musste die Malerei gewiss schneller
fördern und zu ganz neuen Entwickelungen forttreiben, als
selbst der tiefste Ernst einer einzelnen Schule, welche sich
selten von einer gewissen Einseitigkeit der Auffassung ganz
frei zu erhalten wissen wird. Diese Behauptung findet na-
mentlich auf die letzten Zeiten der bisher behandelten Periode
ihre Anwendung. Denn als Polygnot zuerst auftrat, scheint
die Macht seines Einflusses so gewaltig gewesen zu sein, dass
[70] anderweitige Bestrebungen zunächst sich nicht Bahn zu bre-
chen vermochten: ausser den Künstlern, welche sich ihm
durchaus anschlossen, scheint z. B. auch Dionysios von Ko-
lophon seine hauptsächlichste Anregung durch Polygnot er-
halten zu haben. Doch konnte es schon bei diesem Künstler
nicht ausbleiben, dass er sich wegen seiner wesentlich ver-
schiedenen ursprünglichen Befähigung in der weiteren Ent-
wickelung von seinem Vorbilde trennte und der hohen rein
poetischen Auffassung gegenüber in eine mehr der Wirklich-
keit sich annähernde Richtung einlenkte. Freilich würde auf
diesem Wege eine Umwandlung der Kunst nur sehr langsam
von Statten gegangen sein. Weit entscheidender wirkte es
dagegen, als in Athen die Skenographie durch Agatharchos
aus Samos ihre erste praktische Ausbildung erhielt. Denn
sie musste ihrer Natur nach, ganz im Gegensatze zu der hö-
heren Malerei, von einem Streben nach Illusion ausgehen,
durch welche sie mit der Wirklichkeit wetteifert. Dadurch
aber wurde das Auge des Beschauers verwöhnt, und suchte
nun diese Illusion auch da, wo man sie bisher nicht vermisst
hatte, nemlich in der Darstellung der Menschengestalt. Dies
war der entscheidende Wendepunkt; und innerhalb eines ein-
zigen Menschenalters erblicken wir die Kunst von Grund aus
verändert. Dass einzelne der schon angeführten Künstler,
wie Aristophon, bereits dieser neuen Zeit mehr als der alten
angehören, wurde schon früher bemerkt. Das Wesen dieser
Veränderung selbst kann jedoch erst bei den Künstlern der
nächsten Periode genauer festgestellt werden. Ob Agatharch
zur Ausbildung seiner neuen Kunstgattung durch verwandte
Bestrebungen der Künstler seiner Heimath Samos oder Klein-
asiens vorbereitet war, vermögen wir nicht zu entscheiden.
Denn von Athen abgesehen finden wir über die Kunstübung
an allen andern Punkten Griechenlands bis auf die Zeit des
Zeuxis nur zerstreute und ganz zusammenhanglose Notizen.


[71]

Dritter Abschnitt.
Die Maler zur Zeit des peloponnesischen Krieges.


Apollodoros.


Plinius, welcher, 1) wie Plutarch, 2) als das Vaterland
des Apollodor Athen angiebt, setzt den Beginn seiner Blüthe
in die 93ste Olympiade. Da dieser Künstler jedoch der äl-
tere Zeitgenosse des Zeuxis war, letzterer aber, wie wir
später sehen werden, bereits vor diesem Zeitpunkte in hohem
Ansehen stand, so müssen wir annehmen, dass auch die
Thätigkeit des Apollodor schon mehrere Olympiaden früher
begonnen habe. — Von seinen Werken sind uns nur sehr
wenige bekannt. Plinius nennt einen betenden Priester
und einen Aias „fulmine incensus,“ welcher zu seiner
Zeit noch in Pergamos zu sehen war (s. u.). Ferner muss
in einem seiner Gemälde Odysseus dargestellt gewesen
sein, da nach der Angabe eines Scholiasten 3) Apollodor der
erste war, welcher Odysseus mit dem Schifferhut (πῖλος)
malte. Endlich schreibt ihm ein anderer Scholiast 4) noch
ein Gemälde zu: die in Athen Schutz vor Eurystheus suchen-
den Herakliden nebst Alkmene und der Tochter des Herakles,
worüber später bei Gelegenheit des Malers Pamphilos ge-
nauer zu handeln ist.


Das Verdienst des Apollodor wird von Plinius, welcher ihn
als die erste glänzende Erscheinung unter den Malern hinstellt,
in folgenden Sätzen zusammengefasst: Hie primus species ex-
primere instituit primusque gloriam penicillo iure contulit; …
neque ante eum tabula ullius ostenditur, quae teneat oculos.
Ueber diese Lobsprüche ist zum Theil schon früher gehan-
delt worden. Sie beruhen sämmtlich auf dem einen Fort-
schritte, dass Apollodor, wie Plutarch 5) sagt: φϑοϱὰν καὶ
ἀπόχϱωσιν σκιᾶς, d. h. das Vermischen und Vertreiben der
Farben in einander und die Abstufung der Farben nach Licht
und Schatten erfand, wovon er denn auch den Beinamen des
[72] Schattenmalers erhielt: σκιαγϱάφος. 1) Erst hierdurch war die
Möglichkeit der Neuerung gegeben, welche Plinius durch
die Worte: species exprimere bezeichnet. Die Bedeutung
dieses Ausdruckes, welcher freilich erst bei einer richtigen
Auffassung des ganzen Entwickelungsganges seine Erklärung
zu finden vermochte, ist bisher keineswegs genügend gewür-
digt worden. Wir dürfen natürlich das Wort species hier
nicht in seinem Gegensatze zu genus fassen. Vielmehr
müssen wir die Bedeutung festhalten, welche besonders in
dem Adjectivum speciosus ausschliesslicher hervortritt: mu-
lier speciosa; corpora speciosa atque robusta; senex cultu
non proinde speciosus; si plenior aliquis et speciosior et co-
loratior factus est (vgl. Forcellini s. v.) In allen diesen Bei-
spielen bezieht sich speciosus auf das Aeussere der Erschei-
nung, abgesehen von dem Stoffe und der Form, worauf die-
selbe beruht. Die gleiche Bedeutung hat aber auch das Sub-
stantivum species bewahrt, so bei Cicero de off. III, 20:
species, forma et notio boni viri; orat. 14: excellentis elo-
quentiae speciem et formam adumbrare, speciem das, wo-
durch sie sich äusserlich geltend macht, formam, die Gliede-
rung und Gestaltung, welche die Voraussetzung zu der äus-
serlich glänzenden Erscheinung bildet; in Verr. III, 22: vidi
forum adornatum ad speciem magnifico ornatu, ad sensum
cogitationemque acerbo et lugubri; ähnlich bei Vitruv III, 2:
eustyli ratio et ad usum et ad speciem et ad firmitatem ra-
tiones habet explicatas; endlich bei Plinius selbst VII, 53:
Magno Pompeio Vibius et Publicius indiscreta prope specie
fuere similes. Wir sehen hieraus, dass species stets dasjenige
an einem Gegenstande bezeichnet, was äusserlich auf die
Sinne wirkt, oder mit andern Worten: was die Illusion her-
vorbringt. 2) Diese beruht aber in der Malerei durchaus auf
der Wirkung von Licht und Schatten. Nach dieser Illusion
strebte Polygnot noch keineswegs; er stellte seine Gestalten
nach ihrer geistigen Bedeutung dar, welche ihren Ausdruck
[73] in Formen und Bewegungen (σχήματα) findet. Auf die Farben
nahm er nur in so weit Rücksicht, als sie als etwas dem
Stoffe Inwohnendes betrachtet werden können. Freilich be-
darf jede Farbe des Lichtes, um nur zur Erscheinung zu
kommen. Allein wir unterscheiden zwischen der einheit-
lichen Grundfarbe des Stoffes unter der Wirkung des Lichtes
überhaupt (der Localfarbe), und zwischen den Veränderungen,
welche dieselbe durch die grössere oder geringere Menge
des auf sie wirkenden Lichtes, so wie durch den Wechsel
der Beleuchtung erleidet. Erst die Berücksichtigung dieser
Veränderungen bewirkt in der Kunst die Illusion; und dar-
auf, dass Apollodor das Streben nach ihr zu einer Haupt-
aufgabe der Malerei erhob, beruht sowohl seine hervortre-
tendste Eigenthümlichkeit als seine besondere Stellung in
der Kunstgeschichte; ja wenn wir uns der Schlusserörterung
über Polygnot erinnern, so können wir sogar in gewissem
Sinne Apollodor den ersten eigentlichen „Maler“ nennen.


Den Anstoss zu diesem Umschwunge mochte allerdings,
wie Müller 1) bemerkt, die Ausbildung der Skenographie ge-
geben haben; und daraus erklärt sich, wie man dieselbe als
der Skiagraphie identisch hinstellen konnte; vgl. Hesychius
s. v. σκιά … σκιαγϱαφίαν, τὴν σκηνογϱαφίαν οὕτω λέγουσιν· ἐλέγετο
δέ τις καὶ Ἀπολλόδωϱος ζωγϱάφος σκιαγϱάφος ἀντὶ τοῦ σκηνογϱάφος.
Eine noch concretere Vorstellung von dieser Verwandtschaft
würden wir gewinnen, wenn wir die Beschreibung eines Ge-
mäldes bei dem älteren Philostratus 2) mit der von Plinius
erwähnten Darstellung des Aiax von Apollodor in eine be-
stimmte Verbindung bringen dürften, wie es nach Welcker’s
Vermuthung geschehen muss. Nur kann allerdings die Be-
zeichnung Aiax fulmine incensus etwas zu knapp und gesucht
erscheinen für einen Aiax, dessen Schiff vom Blitze getroffen
ist, und der nun schiffbrüchig gegen Felsen geschleudert den
Göttern noch trotzen will, während Poseidon, sie zu rächen,
heraneilt. Dagegen würde die ganze scenische Anordnung,
das aufgeregte Meer, die von der Brandung ausgehöhlten
Felsen, das brennende Schiff, die beste Gewähr für die ur-
sprüngliche Verwandtschaft der Skenographie und der Skia-
graphie darbieten. Wie dem aber auch sei, so dürfen wir
[74] doch nicht übersehen, dass sich beide Gattungen in ihrer
Entwickelung bald von einander trennen mussten. Denn so-
bald erst die in der Skenographie aufgestellten Principien ihre
Anwendung auf die Figurenmalerei im allgemeinen gefunden
hatten, musste sich das Hauptaugenmerk wieder auf die Fi-
guren selbst zurücklenken. An diesen aber erheischte die
Durchführung dieser Principien eine weit grössere Sorgfalt,
als an den mehr massenhaften scenischen Darstellungen. So
ergab sich zum Behuf dieser gründlicheren Durchbildung eine
Beschränkung auf geringere Dimensionen und einen gerin-
geren Umfang der Compositionen wie mit einer inneren
Nothwendigkeit; und demgemäss erlangt erst jetzt das Malen
von Staffeleibildern, in denen erst durch die Möglichkeit
eines mehrmaligen Uebergehens mit der Farbe die Mittel zu
jener Durchführung aller Einzelheiten geboten werden, ein
entschiedenes Uebergewicht über die Wandmalerei.


Apollodor also war der eigentliche Begründer einer durch-
aus neuen, durch malerische Mittel auf Illusion hinarbeitenden
Kunstrichtung; und als solcher verdient er auch die ehren-
volle Stelle, welche Plinius ihm an der Spitze derselben ange-
wiesen hat, und welche, wie wir sehen werden, schon er selbst
für sich in Anspruch genommen zu haben scheint. Wenn
aber auch sein Ruhm in ganz Hellas gross war, was z. B.
durch ein Distichon aus einem Gedichte des Nikomachos
über die Maler 1) bezeugt wird:


Οὗτος δή σοι ὁ κλεινὸς ἀν̕ Ἑλλάδα πᾶσαν Ἀπολλό

Δωϱος· γινώσκεις τοὔνομα τοῦτο κλύων,

so wurde derselbe doch bald durch den eines glücklicheren
Nebenbuhlers, des Zeuxis, überboten. Apollodor selbst soll
dies in Versen des Inhalts anerkannt haben, dass „Zeuxis
die Kunst ihnen entrissen und für sich mitgenommen habe.“ 2)
Eben diesen Versen entnahm vielleicht Plinius die bei der
sonstigen Dürftigkeit seines Styls auffällige Wendung, dass
„Zeuxis in die von Apollodor eröffneten Pforten der Kunst
[75] eingetreten sei.“ 1) Denn mit Recht weist Schneidewin 2)
darauf hin, dass die übereinstimmenden Worte bei Babrius: 3)


ὑπ̕ ἐμοῦ δὲ πϱώτου τῆς ϑύϱας ἀνοιχϑείσης εἰσῆλϑον ἄλλοι

auf die Person des Künstlers als gemeinsame Quelle hin-
deuten. Allerdings würde sich in diesen Worten nur ein ge-
wisses Selbstbewusstsein äussern, das aber von unberech-
tigtem Hochmuthe immer noch weit entfernt wäre, wie ihn
Einige dem Apollodor wirklich Schuld geben wollen. Er
soll nemlich auf seine Werke geschrieben haben: sie zu ta-
deln möchte schwerer sein als sie nachzuahmen: μωμήσεταί
τις μᾶλλον ἢ μιμήσεται. 4) Allein in glaubwürdiger Weise legt
diesen Ausspruch Plinius 5) dem Zeuxis bei. Ausserdem be-
richtet freilich Hesychius noch, er habe einen πῖλος ὀϱϑός,
eine hohe Tiara nach Perserart getragen: eine Tracht, welche
man z. B. seinen Zeitgenossen Alkibiades und Kallias als
ein Zeichen der Ueppigkeit und der Anmassung auslegte.
Aber auch hier ist, wie Osann 6) vermuthet, eine Verwechse-
lung sehr leicht möglich. Wenn nemlich in der einzigen Stelle
ausser Hesychius, in welcher Apollodor Skiagraph heisst, 7)
von ihm bemerkt wird: πϱῶτος ἔγϱαψε πῖλον Ὀδυσσεῖ, so dürfen
wir wohl zugeben, dass durch einen Irthum daraus die Nach-
richt von dem πῖλος ὀϱϑός, den er selbst getragen, entstanden
sei. So wird Apollodor von dem Vorwurfe des Stolzes und
Hochmuths befreit, und erscheint vielmehr nach seinen ei-
genen Aeusserungen als ein Künstler, welcher sich seines
Verdienstes, eine neue Bahn eröffnet zu haben, wohl bewusst
ist, aber sich doch der Erkenntniss nicht verschliesst, dass
auf derselben die Nachfolgenden zu einer höhern Stufe der
Vollendung, als er selbst, zu gelangen vermochten.


Zeuxis.


Zeuxis war aus Heraklea gebürtig. 8) Welche Stadt
dieses Namens zu verstehen sei, wird freilich nicht ausdrück-
lich angegeben. Doch spricht seine Thätigkeit in Unteritalien
und Sicilien, sowie der Umstand, dass nach Einigen Demo-
[76] philos von Himera sein Lehrer war, für die unteritalische,
damals in hoher Blüthe stehende Stadt. Wenn freilich An-
dere einen thasischen Maler Neseus seinen Lehrer nennen,
so werden wir annehmen müssen, dass er schon früh weitere
Reisen unternahm, was ja auch bei den Dichtern und Philo-
sophen seiner Zeit nichts Seltenes war. Dass er überhaupt
an sehr verschiedenen, weit von einander entfernten Orten
thätig war, lehren die Nachrichten über seine Werke. In seiner
späteren Lebenszeit scheint er seinen festen Wohnsitz in
Ephesos gehabt zu haben, so dass ihn Tzetzes 1) sogar ge-
radezu Ephesier nennen konnte.


In der Bestimmung seiner Zeit ist man meistens der An-
gabe des Plinius gefolgt, der in hohen Worten meldet: „In
die von Apollodor geöffneten Thore der Kunst trat Zeuxis
von Heraklea ein im vierten Jahre der 95sten Olympiade ....
Einige setzen ihn fälschlich in die 89ste Olympiade, also die
Zeit, als Demophilus von Himera und Neseus von Thasos
leben mussten, da es bestritten wird, wessen von beiden
Schüler er war.“ Einer so bestimmten Angabe hat man
nicht gewagt, geradezu zu widersprechen. Gleichwohl ist es
weit wahrscheinlicher, dass Zeuxis Ol. 95, 4 zu malen auf-
gehört, als dass er damals erst begonnen habe. Ja, Plinius
tritt sogar mit sich selbst in Widerspruch, wenn er weiter
erzählt: „Auch erwarb er solche Schätze, dass er, um sich
mit ihnen zu brüsten, zu Olympia in einem Gewande er-
schien, in dessen Muster sein Name mit goldenen Buchstaben
eingewebt zu sehen war. Später fing er an, seine Werke
zu verschenken, weil sich doch für den Verkauf kein hin-
länglich würdiger Preis setzen lasse: so die Alkmene den
Agrigentinern, den Pan dem Archelaos.“ Archelaos der Ma-
kedonier aber, der allein hier gemeint sein kann, regierte von
Ol. 91, 4 an und starb bereits Ol. 95, 2. Agrigent ferner
ward sogar schon Ol. 93, 3 zerstört und so zu Grunde ge-
richtet, dass es erst nach einer langen Reihe von Jahren sich
einigermassen zu erholen vermochte. Da nun Zeuxis auf
das Verschenken seiner Bilder gewiss erst verfiel, als er
auf dem Gipfel seines Ruhmes stand, da ferner, wie schon
Sillig bemerkte, Isokrates in der Ol. 96, 2 verfassten Rede
[77] πεϱὶ ἀντιδόσεως 1) den Ruhm des Zeuxis in einer Weise be-
rührt, wie er es nur bei nicht mehr Lebenden zu thun pflegt,
so passt allerdings die Angabe des Plinius besser auf das
Todesjahr, als auf den Beginn der Blüthe des Zeuxis. Eben so
zeigen die Erwähnungen des Zeuxis bei Plato 2) und Xeno-
phon, 3) dass schon bei Lebzeiten des Sokrates sein Ruhm weit
verbreitet und begründet war. Hiernach bleibt nun auch kein
Grund übrig, wegen der Auctorität des Plinius einer weiteren
Zeitbestimmung den Glauben zu versagen, die auf einer Anspie-
lung des Aristophanes beruht. Dieser erwähnt nämlich in
den Acharnern 4) das Gemälde eines mit Blumen (Rosen) be-
kränzten Eros; nach der Angabe des Scholiasten aber, mit
welchem Suidas 5) übereinstimmt, war dasselbe von der Hand
des Zeuxis und befand sich im Tempel der Aphrodite in
Athen. Es war also Ol. 88, 3, als die Acharner aufgeführt
wurden, bereits vorhanden, wenn auch vielleicht eben erst
vollendet. Ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit die
Vermuthung zu äussern, dass auch bei Plato 6) noch eine
Erwähnung des Zeuxis versteckt sei. Er lässt nemlich den
Sokrates in lobender Weise von einem jüngern, in Athen sich
aufhaltenden Maler aus Heraklea sprechen, Namens Zeuxippos,
und auf denselben scheint sich auch eine Anspielung bei Xeno-
phon 7) zu beziehen. Dieser Zeuxippos ist sonst gänzlich
unbekannt. Da nun Heraklea die Vaterstadt des Zeuxis ist,
da dieser nachweislich für Athen thätig war, und endlich die
Zeit, in welche uns Plato’s Protagoras versetzt, der Aufführung
der Acharner nicht eben fern steht, so liegt die Vermuthung
nahe, dass der Name des Zeuxippos nur aus Versehen an
die Stelle des Zeuxis gesetzt worden ist. Für die Möglich-
keit einer solchen Verwechselung vermag ich anzuführen,
dass in einer nicht schlechten vaticanischen Handschrift des
Plutarch im Leben des Perikles 8) der Name des Zeuxis eben-
falls, durch den des Zeuxippos verdrängt worden ist. Demnach
dürfen wir die Thätigkeit des Zeuxis etwa zwischen die 86ste
und 96ste Olympiade setzen, so dass Quintilian 9) ganz rich-
tig rechnet, wenn er sagt, Zeuxis und Parrhasios hätten,
[78] in nicht grossem Abstande von Polygnot und Aglaophon, um
die Zeit des peloponnesischen Krieges geblüht. — Ueber den
Tod des Zeuxis findet sich eine eigenthümliche Sage bei
Festus, 1) deren Glaubwürdigkeit natürlich dahingestellt blei-
ben mag, nemlich: er sei gestorben vor Lachen über ein von
ihm gemaltes altes Weib.


Von seinen Werken kennen wir folgende:


Eine Götterversammlung: „Prächtig ist sein Zeus
auf dem Throne, von den Göttern umgeben: Plin. 35, 63.


Eros mit Rosen bekränzt, im Tempel der Aphrodite zu
Athen: Schol. Arist. Acharn v. 991.


Marsyas gebunden, zu Rom im Tempel der Concordia:
Plin. 45, 66; vgl. Philostr. iun. 2.


Pan, welchen der Künstler dem Archelaos schenkte:
Plin. 35, 62; vgl. Philostr. sen. II, 11.


Eine Kentaurenfamilie. Das Original, welches Sulla
nach Rom versetzen wollte, war bei dem Vorgebirge Malea
im Meere untergegangen; eine genaue Copie aber sah Lucian
in Athen und beschreibt sie ausführlich in folgender Weise
(Zeuxis 4 sqq.): „Auf grünendem Rasen ist die Kentaurin
dargestellt, in ihrer ganzen Rossgestalt am Boden liegend.
Die Füsse sind nach hinten ausgestreckt. Der weibliche
Körper aber ist sanft erhoben und ruht auf dem Ellnbogen.
Auch die Vorderfüsse sind nicht ganz weggestreckt, als ob
sie selbst auf der Seite läge; sondern der eine scheint wie
im Niederlassen eingeknickt und liegt gekrümmt mit einge-
zogenem Hufe; der andere aber erhebt sich und ist gegen
den Boden gestemmt, wie bei den Pferden, wenn sie aufzu-
springen versuchen. Von den Jungen hält sie eins empor
in den Armen und nährt es auf menschliche Weise, indem
sie ihm die weibliche Brust darbietet; das andere aber säugt
sie an dem Euter nach Art eines Füllens. Oben in dem Bilde,
wie von einer Warte, neigt ein Rosskentaur, offenbar der
Mann derjenigen, welche die Kleinen in doppelter Weise
nährt, sich lächelnd über; er ist nicht ganz sichtbar, sondern
nur bis zur Mitte des Rosskörpers, und hält das Junge eines
Löwen empor, hoch über sich, um im Scherz die Kleinen
fürchten zu machen. Was nun die Malerei sonst anlangt, so
[79] weit sie uns Idioten nicht in Allem klar sein mag und doch
das ganze Können der Kunst offenbart: wie die schärfste
Correctheit der Umrisse, die sorgfältige Mischung der Farben,
ihren wohlberechneten Auftrag, die richtige Schattengebung,
die Berechnung der Grösse, das richtige und harmonische
Verhältniss der Theile zum Ganzen: das mag die Sippschaft
der Maler loben, welche so etwas verstehen muss. Mir aber
scheint am Zeuxis namentlich das zu loben, dass er an einem
und demselben Gegenstande die Vorzüge der Kunst in den
mannigfaltigsten Richtungen zu zeigen verstand: so bildete
er den Mann von erschreckendem und ganz wildem Aus-
sehen, mit mächtigem stolzen Haupthaar, fast ganz behaart
nicht nur am Rosskörper, sondern auch an dem mensch-
lichen Theile; mit hoch gehobenen Schultern und einem
Blicke, der zwar lächelnd, aber doch wild ist, wie der eines
Waldbewohners und ungezähmt. Dieser Auffassung ganz
entgegengesetzt zeigt er uns in der Kentaurin, so weit sie
Ross war, die schönste Bildung, wie sie sich namentlich bei
den thessalischen noch ungebändigten und unberittenen Ros-
sen findet; ebenso ist die obere Hälfte, das eigentliche Weib,
durchaus schön bis auf die Ohren: diese allein sind satyr-
haft gebildet. Die Vermischung und Verknüpfung der Leiber,
wo das Ross mit dem Weibe zusammengefügt und verbunden
ist, bildet einen sanften, keineswegs schroffen Uebergang;
und durch die allmählige Umwandlung wird das Auge ganz
unvermerkt von dem Einen in das Andere übergeführt. Die
junge Brut aber erscheint bei dem Kindischen im Ausdrucke
gleichwohl wild, und trotz ihrer Weichheit schon unbändig;
und wie dieses zu bewundern ist, so auch endlich, dass sie
ganz nach Kinderart nach dem jungen Löwen emporblicken,
indem sie jeder sich an die Mutterbrust halten und sich eng
an die Mutter anschmiegen.“


Dieses Bild scheint seiner ganzen Auffassung nach unter
den Werken des Zeuxis nicht vereinzelt gestanden zu haben.
Wir können dies aus einer beiläufigen Aeusserung des Lucian
schliessen, indem er von einem Philosophen, Thrasykles, fol-
gendes charakteristische Bild entwirft (Timon 54): „Da geht
er mit ausgebreitetem Barte und heraufgezogenen Augen-
brauen, so recht aufgeblasen und stolz auf sich; blickt wie
ein Titan, mit aufgesträubtem Haar auf der Stirn, ein leib-
[80] haftiger Boreas oder Triton, wie sie Zeuxis malte.“ Ob
und welche bestimmte Werke des Zeuxis Lucian hier
im Auge haben mochte, vermögen wir nicht anzugeben.
Ihrem ganzen Charakter nach aber eignen sich Gestalten,
wie Boreas und Tritonen, vortrefflich zu Darstellungen der-
selben Art, wie wir sie in der Kentaurenfamilie kennen ge-
lernt haben.


Alkmene, welche er den Agrigentinern zum Geschenk
machte: Plin. 35, 62.


Herakles als Kind, wie er die Drachen erdrückt und
die Mutter Alkmene nebst Amphitryon erschrocken dabei-
stehen: Plin. 35, 63; vgl. Philostr. iun. 5.


Helena, für den Tempel der lakinischen Hera gemalt
im Auftrage der Krotoniaten, oder wie Plinius will, der Agri-
gentiner: Plin. 35, 64; Cicero de inv. II, 1; Dion. Hal. π. ἀϱχ.
λόγ. ἐξετάσ. p. 68 Sylb.; Valer. Max. III, 7, ext. 3. Einen
Theil seiner grossen Berühmtheit hat dieses Bild durch den
Umstand erhalten, dass die Stadt dem Künstler erlaubte, un-
ter den sämmtlichen Jungfrauen die schönsten auszuwählen,
um sie zur Ausführung dieses Musterbildes weiblicher Schön-
heit als Modelle zu benutzen. Der Künstler aber war von
der Vortrefflichkeit seines Gemäldes so überzeugt, dass er
nicht nur für dessen Betrachtung von den Besuchern ein
Eintrittsgeld erhoben haben soll (woher diese Helena den
Spottnamen der Hetäre erhielt: Aelian v. h. IV, 12), sondern
dass er selbst darauf die Verse des Homer über die wirk-
liche Helena anwendete (Il. III, v. 156 etc.):


Οὐ νέμεσις, Τϱῶας καὶ ἐϋκνήμιδας Ἀχαιούς

τοιῇδ̛ ἀμφὶ γυναικὶ πολὺν χϱόνον ἄλγεα πάσχειν·

αἰνῶς ἀϑανάτῃσι ϑεῇς εἰς ὦπα ἔοικεν. 1)

Ehrenvoller jedoch, als dieser Stolz, ist für Zeuxis die hohe
Anerkennung, welche der Maler Nikomachos diesem Bilde
zollte: Stob. Serm. 61; Aelian v. h. XIV, 47. — Aus dem
Tempel der lakinischen Hera, wo nach Cicero sich auch noch
andere Werke des Zeuxis befanden, scheint die Helena spä-
ter nach Rom versetzt worden zu sein. Wenigstens sah
Plinius im Porticus des Philippus eine Helena von Zeuxis:
[81] 35, 66. Damit lässt sich freilich die Nachricht des Eusta-
thius (ad II. λ, 629) schwer vereinigen, welcher dieses Bild
in die Getreidehalle (ἀλφίτων στοὰ) von Athen versetzt, wenn
wir nicht annehmen wollen, dass sich dort etwa eine Copie
oder eine Wiederholung von der Hand des Zeuxis selbst
befand.


Menelaos, welcher weinend seinem Bruder Todten-
spenden darbringt, in Ephesos: Tzetz. Chil. VIII, 196, 198.


Penelope, in deren Darstellung er die Sittsamkeit
selbst gemalt zu haben schien: in qua pinxisse mores vi-
detur: Plin. 35, 63; vgl. unten.


Ein Athlet, unter welchen er den Spruch setzte, den
Andere dem Apollodor beilegen: er möge leichter neidisch
zu tadeln, als nachzuahmen sein: Plin. 35, 63.


Das schon erwähnte alte Weib, über welches sich
der Künstler todtlachte; sofern wir nämlich jener Anekdote
nicht alle Glaubwürdigkeit absprechen wollen: Festus s.
v. pictor.


Die bekannten Trauben von solcher Natürlichkeit, dass
die Vögel darnach flogen, mit welchen er den Parrhasios zu
besiegen gedachte: Plin. 35, 65.


Ein Knabe, der Weintrauben trug. Als auch nach
diesen die Vögel flogen, soll der Künstler mit derselben Frei-
müthigkeit, mit welcher er sich von Parrhasios durch dessen
gemalten Vorhang besiegt erklärte, über sein Werk erzürnt
bemerkt haben: „die Trauben habe ich besser gemalt, als
den Knaben; denn wenn ich auch in diesem das höchste er-
reicht, so hätten sich die Vögel fürchten müssen.“ So er-
zählt Plinius (35, 66). Immerhin aber könnte es sein, dass
beide Anekdoten über die Trauben sich ursprünglich nur
auf ein einziges Bild bezogen hätten.


Er malte auch „monochromata ex albo:“ Plin. 35,
64. Unter dieser Bezeichnung vermögen wir nur Darstel-
lungen von der Art zu verstehen, wie die Italiener sie chia-
roscuri nennen, wir als grau in grau gemalt bezeichnen.


„Auch Werke in Thon bildete Zeuxis, welche allein
in Ambrakia zurückblieben, als von dort Fulvius Nobilior die
Musen nach Rom versetzte:“ Plin. 35, 66.


Eine Nachricht des Aelian (v. h. XIV, 17): dass Zeuxis
das Haus des Archelaos um den Lohn von vierhundert Minen
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 6
[82] mit Malereien geschmückt habe, ist von Welcker (Allg. Lit.
Zeit. 1836, Oct., S. 216) als eine Anekdote der Philosophen-
jünger in Zweifel gezogen worden, denen es nur darauf an-
gekommen wäre, dem Aufwande für Ausschmückung des
Hauses die Verwahrlosung des innern Menschen gegenüber-
zuhalten. Die Einzelnheiten der Erzählung mögen wir aller-
dings auf sich beruhen lassen; sie gänzlich als erfunden zu
verwerfen, scheint mir jedoch kein hinlänglicher Grund vor-
handen, um so weniger, als der von Zeuxis dem Archelaos
geschenkte Pan es unzweifelhaft macht, dass Maler und
König in näherer Berührung gestanden haben müssen.


Zur Begründung eines Urtheils über die künstlerische
Bedeutung des Zeuxis stellen wir uns von vorn herein auf
den Standpunkt der historischen Betrachtung, indem wir seine
Werke vor Allem im Gegensatze zu den Schöpfungen des
Polygnot und seiner Genossen der Erörterung unterwerfen.
Dazu werden wir ganz ausdrücklich durch den Ausspruch
des Aristoteles 1) aufgefordert, dass Polygnot ausgezeichnet
als Maler des Ethos sei, der Malerei des Zeuxis dagegen das
Ethos abgehe. Der Gegensatz zwischen beiden Künstlern
nun kann, selbst ganz äusserlich betrachtet, kaum schlagen-
der sein. Grosse epische und historische Compositionen der
Art, wie Ilions Untergang oder die Unterwelt von Polygnot,
fehlen unter den Werken des Zeuxis gänzlich. Statt einer
Fülle von einzelnen, zu einer höheren Einheit zusammenge-
fassten Gruppen finden wir bei ihm überall Beschränkung
auf einzelne Scenen von nur mässigem Umfange. Nicht
minder bedeutend aber, als in dem äusseren Umfange, ist die
Verschiedenheit in der gesammten geistigen Auffassung. „Je-
ner Zeuxis, einer der ausgezeichnetsten Maler, mochte diese
gewöhnlichen und bekannten Gegenstände, wie Helden, Göt-
ter oder Kriegsscenen, gar nicht oder nur sehr selten malen,
sondern strebte immer etwas Neues zu erfinden, sann auf
Ungewöhnliches und Fremdartiges, und wollte darin die
höchste Vollendung der Kunst zeigen.“ Mit diesen Worten
leitet Lucian die Beschreibung des Kentaurengemäldes ein;
und auf dieses finden sie auch ihre nächste und strengste
Anwendung. Doch wird es von Nutzen sein, zu untersuchen,
[83] wie weit sich ihre Richtigkeit auch sonst an der Kunst des
Zeuxis bewährt. Ich will hier keinen Nachdruck auf eine
andere Darstellung von Kentaurinnen mit ihren Jungen legen,
welche Philostrat 1) beschreibt, so wie auf das jetzt in Ber-
lin befindliche Mosaik aus der Villa Hadrians bei Tivoli, 2)
in welchem der Kampf von Kentauren gegen wilde Thiere in
ergreifender Weise geschildert ist. Denn so sehr auch diese
Compositionen als durchaus derselben Geistesrichtung ent-
sprungen erscheinen, die wir aus Lucians Schilderung ken-
nen gelernt haben, so ist doch damit nicht erwiesen, dass
ihre Erfindung auf Zeuxis selbst zurückzuführen ist. Sehen
wir uns daher weiter unter seinen Werken um, so würden
wir wahrscheinlich zunächst des Boreas und der Tritonen
gedenken müssen, wenn wir über die Art ihrer Darstellung
genauer unterrichtet wären: dass sie zu einer ähnlichen Auf-
fassung, wie die Kentauren, vorzugsweise geeignet waren,
unterliegt keinem Zweifel. Das Gemälde des Pan erwähnt
freilich Plinius nur mit einem einzigen Worte. Allein wir
dürfen damit vielleicht eine Darstellung des Gottes, wel-
che Philostrat 3) beschreibt, gerade wegen ihrer scharf
hervortretenden Eigenthümlichkeit in Verbindung setzen: Pan
ist im Schlafe von den Nymphen überfallen worden; sie haben
ihm die Hände auf den Rücken gebunden, den Bart abgescho-
ren und suchen die Echo ihm abspenstig zu machen. Wo
liesse sich für diese Auffassungsweise eine bessere Erklärung
finden, als in der Charakteristik des Zeuxis bei Lucian? Ge-
wissermassen das ernste Gegenstück zu diesem idyllischen
Scherze bildet Marsyas, wenn wir uns denselben in der vom
jüngeren Philostrat 4) beschriebenen Weise vorstellen: besiegt
steht er an der Fichte und blickt auf den Barbaren, der
mordgierig das Messer zu seiner Bestrafung schleift; Apollo
freut sich seines Sieges, und der Schwarm der Satyrn, sonst
so keck und munter, steht jetzt umher traurig und schmerz-
lich bewegt. Endlich finden wir bei dem jüngern Philostrat 5)
noch ein Gemälde beschrieben, dessen Gegenstand mit einem
von Plinius erwähnten Werke des Zeuxis im Wesentlichen
übereinstimmt: Herakles der noch in den Windeln die Schlan-
6*
[84] gen erdrückt. Nur gesellen sich in der ausführlicheren Be-
schreibung zu Alkmene noch ihre Dienerinnen, zu Amphitryon
gewaffnete Thebaner, ferner Tiresias, welcher die zukünftige
Grösse des Kindes weissagt, und endlich die Personification
der Nacht mit einer Leuchte.


Die umfassende Anwendung, welche ich hier von den
Beschreibungen der Philostrate auf die Werke des Zeuxis zu
machen suche, ist gewiss insofern gewagt, als sie der Be-
gründung durch zwingende äussere Zeugnisse entbehrt. Um
so mehr aber scheint sie ihre Gewähr in sich selbst zu tra-
gen. Denn was sie uns lehrt, bildet auf die ungesuchteste
Weise eine fortlaufende Erklärung zu dem oben angeführten
Urtheile des Lucian über Zeuxis. So ausgerüstet aber wird
es uns um so eher gelingen, den Gegensatz zwischen der
älteren Malerei des Polygnot und der neueren des Zeuxis im
Einzelnen fester zu bestimmen.


Vergegenwärtigen wir uns recht lebendig die eben be-
sprochenen Werke des letzteren, so werden wir uns dem
Eindrucke nicht entziehen können, dass in ihrer ganzen Auf-
fassung ein allen gemeinsamer Grundcharakter hervortritt,
welcher, um es ganz kurz zu sagen, begründet ist in der
Wahl der Situationen. Hieraus aber erklärt es sich, warum
Aristoteles behauptet, dass, wie den Tragödien der Neueren im
Verhältniss zu den Aelteren, so den Werken des Zeuxis ge-
genüber denen des Polygnot das Ethos abgehe. Denn bei
Polygnot ist jede Gestalt als das Abbild ihrer ursprünglich-
sten und innersten geistigen Eigenthümlichkeit erfasst; alle
Handlungen offenbaren sich vor Allem als das nothwendige
Resultat eben dieser Eigenthümlichkeit und der im Charakter
der handelnden Person begründeten sittlichen Motive. Bei
Zeuxis dagegen erscheinen die besonderen, oft sehr ausser-
ordentlichen und überraschenden Umstände, durch welche
jene Situationen hervorgerufen werden, als das wesentlich
Bestimmende für die Auffassung der Handlung. Diese ver-
liert dadurch den Charakter der inneren, so zu sagen, mora-
lischen Nothwendigkeit, und vermag nur auf die Bedeutung
von etwas an sich Wahrscheinlichem Anspruch zu machen.
Das ist es, worauf auch Aristoteles zielt, wenn er 1) als
[85] Beleg dafür, dass in der Kunst das Unmögliche, dem man
den Schein des Wahren gebe, dem Möglichen, aber Unwahr-
scheinlichen vorzuziehen sei, die Gemälde des Zeuxis an-
führt. Versuchen wir nur einmal, z. B. das Kentaurenge-
mälde nach seiner geistigen Bedeutung zu charakterisiren.
Wir vermögen ihm keine andere Bezeichnung beizulegen, als
die einer anmuthigen Familienscene, welcher der Künstler
einen erhöhten Reiz gerade erst dadurch beizulegen gewusst
hat, dass er auf das halb-thierische Geschlecht der Kentauren
rein menschliche Verhältnisse und Gefühle übertrug. In dem
Bilde des Pan ist der streng mythologische, um nicht zu
sagen, religiöse Charakter gänzlich verwischt und die Auf-
fassung eine rein idyllische geworden. Eben so tritt uns
bei dem schlangenwürgenden Herakles als das vorwiegende
künstlerische Motiv die Charakterisirung der augenblicklichen
Situation entgegen, das Staunen und der Schrecken des Va-
ters, der Mutter und ihrer Begleitung im Gegensatz zu der
Unbefangenheit des Knaben. Selbst in dem Bilde der Be-
strafung des Marsyas findet das allgemein menschliche Inter-
esse an der Handlung namentlich in dem Chore der Satyrn
einen sprechenden Ausdruck.


Die Bedeutung von Bezeichnungen, wie Historien-, Cha-
rakter-, Genremalereien ist nicht hinlänglich durch den Ge-
brauch abgegrenzt, um eine derselben auf die bisher betrach-
teten Werke des Zeuxis ohne Weiteres anzuwenden. Ver-
stehen wir aber unter Historienmalerei im strengen Sinne
diejenige, welche es mit historischen oder mythologischen
Persönlichkeiten von einer nur ihnen allein und ausschliess-
lich angehörigen und die Handlung bedingenden Individualität
zu thun hat, so gehen wir gewiss nicht zu weit, wenn wir
behaupten, dass dieser Gattung die Gemälde des Zeuxis
nicht zugezählt werden dürfen. Damit ist indessen keines-
wegs gesagt, dass ihm der Sinn für feine Charakterisirung
überhaupt gefehlt habe. Im Gegentheil würde ohne eine
solche selbst die glückliche Wahl der Situationen den gröss-
ten Theil ihres Werthes verloren haben. Nur führte ihn die
überwiegende Bedeutung dieser Letzteren dahin, die Durch-
führung der einzelnen Charaktere diesen Situationen unterzu-
ordnen, wodurch jene einen Theil ihrer besondern Persönlich-
keit einbüssen und sich mit einer mehr allgemeinen, gene-
[86] rischen Auffassung genügen lassen müssen. Unter diesem
Gesichtspunkte werden wir nun unsere Aufmerksamkeit auf
ein Urtheil lenken dürfen, welches man häufig als in offenem
Widerspruche mit dem des Aristoteles stehend hat auffassen
wollen. Plinius sagt nemlich, dass Zeuxis in dem Bilde der
Penelope „mores pinxisse videtur.“ Man wollte daraus
schliessen, dass Zeuxis wenigstens in diesem Bilde sich als
Maler des Ethos bewährt haben müsse. Nun hat zwar schon
Jahn 1) bemerkt, dass das Urtheil des Plinius einem griechi-
schen Epigramme entnommen sein möge, in welchem es we-
niger auf ein streng gefasstes Kunsturtheil, als auf eine schla-
gende Pointe abgesehen war. Wir können ferner Jahn 2)
auch in der Behauptung beistimmen: „dass Aristoteles und
die Zeit, welcher er angehörte, über künstlerische Auffassung
und Darstellung, namentlich über das sittliche Element der-
selben, sehr verschieden empfanden und urtheilten von derje-
nigen, aus welcher die Urtheile herstammen, welche uns Pli-
nius überliefert, der alexandrinischen;“ dass also die Spä-
teren Ethos selbst da zu finden glauben konnten, wo Aristo-
teles dessen Vorhandensein leugnet. Und wie schon hier-
durch die Auctorität jenes Urtheils bei Plinius wesentlich
bedingt erscheint, so glaube ich noch einen Schritt weiter
zurückgehen und fragen zu müssen, ob denn Zeuxis über-
haupt durch jenen Ausspruch als Maler des Ethos hingestellt
werden soll. Denn Plinius sagt ja nicht: er malte das Ethos
der Penelope, sondern: er malte unter ihrem Bilde mores,
d. h. Strenge und Reinheit der Sitten. Der Ausdruck dieser
Strenge und Reinheit, auf welchen gerade die tiefere geistige
Eigenthümlichkeit, das Ethos der Penelope beruht, darf aller-
dings in einem Bilde derselben unmöglich fehlen: dennoch
aber lassen sich Darstellungen solcher Sittenreinheit denken,
welche als Malerei des Ethos in dem Sinne, in welchem
es Aristoteles als in den Werken des Polygnot vorhanden
bezeichnet, noch keineswegs gelten dürften. Vergegenwär-
tigen wir uns nur einmal das Bild der Penelope, wie sie in
den bekannten statuarischen Werken in Nachdenken und
Trauer versunken dasitzt und stellen diesem Bilde das Ge-
mälde gegenüber, welches Philostrat 3) mehr beiläufig er-
[87] wähnt. „Mit allem Nöthigen versehen, wie in der Wirklich-
keit, erscheint der Webstuhl; gehörig angespannt ist der Auf-
zug; Blumenmuster liegen unter den Fäden; und es fehlte
nur, dass man das Rasseln der Weberlade hörte. Penelope
selbst aber zerfliesst unter Thränen, wie Homer den Schnee
zerfliessen lässt, und löst wieder auf, was sie gewoben.“
Von diesen beiden Darstellungen würde offenbar die erste
(so weit wir eine Statue mit Malereien zusammenstellen dür-
fen) der Auffassung des Polygnot entsprechen, während die
zweite eine grosse innere Verwandtschaft mit den früher be-
trachteten Gemälden des Zeuxis verräth. Denn auch hier
wieder ist der Künstler von der Charakterisirung der äus-
seren Lage ausgegangen; und erst auf dieser Grundlage hat
er es versucht, die Trauer und die Sehnsucht der treuen,
züchtigen Gattin zum Ausdruck zu bringen. Dies mochte
in den zartesten und feinsten Zügen voll tiefer Empfindung
geschehen sein: jenes Ausgehen von einer, wenn auch noch
so passenden, doch nicht mit zwingender Nothwendigkeit ge-
botenen äusseren Lage wird trotzdem einen fortwährenden
Einfluss in so weit behauptet haben, dass Penelope in dem
Gemälde nicht in erster Linie als eine streng historische Fi-
gur, als die Verkörperung ihres eigenen Ethos, sondern mehr
als ein allgemeines Charakterbild von Zucht und Sitte hinge-
stellt erschien. Fast wie ein Seitenstück hierzu finden wir
unter den Werken des Zeuxis Menelaos, wie er weinend am
Grabe des Agamemnon Todtenspenden ausgiesst, ein Bild
der Rührung und brüderlichen Liebe. Es wird nicht unpas-
send sein, den von Aristoteles aufgestellten Vergleich zwi-
schen der Malerei und der Tragödie nochmals aufzunehmen,
indem es hier für die Beurtheilung des Zeuxis kaum eine
passendere Parallele giebt, als Euripides. Je mehr die Per-
sonen seiner Tragödien anfangen, sich in philosophischen
Abstractionen zu ergehen, welche häufig eine noch nähere
Beziehung auf die Sitten und den Geist der Zeit des Dichters,
als auf den dargestellten Mythus haben, um so mehr ver-
lieren sie von ihrem eigenen individuellem Gepräge und wer-
den Vertreter gewisser philosophischer Richtungen und Lebens-
anschauungen. So liesse sich z. B. jenes „mores pinxisse
videtur“ wörtlich auf Euripides anwenden, wenn er uns nach
Welcker’s Ausdruck im Hippolytos das Bild eines neumodisch
[88] frommen, von den Orpheotelesten erzogenen Tugendhelden
seiner Zeit vorführt. Wir pflegen solche Gestalten Charak-
tere zu nennen, und haben dazu auch ein Recht, insofern sie
durch bestimmt ausgeprägte Eigenschaften kenntlich und von
andern unterschieden werden. Aber diese Eigenschaften sind
weniger individuell, als einer ganzen Gattung angehörig;
und wir müssen daher diese allgemeinen oder, so zu sagen,
Gattungscharaktere, in denen wir nach Lessings 1) Bemer-
kung „mehr die personificirte Idee eines Charakters, als eine
charakterisirte Person“ erkennen, von den persönlichen Cha-
rakteren bestimmt scheiden, deren Eigenthümlichkeiten in
ihrer besonderen Vereinigung überhaupt nur einmal und nur
in einer einzigen Person gefunden werden. Da aber die hi-
storische Kunst im strengen Sinne ohne Darstellung von
Charakteren der letzteren Art durchaus nicht bestehen kann,
so sind wir hiermit wieder auf den Satz zurückgeführt, dass
Zeuxis zu den Vertretern derselben nicht gerechnet wer-
den darf.


Dennoch könnte es nach den bisherigen Erörterungen
immer noch scheinen, als sei das Hauptverdienst in den Wer-
ken des Zeuxis vorzugsweise in der geistigen Auffassung zu
suchen. Wir werden daher noch einige andere Werke ins
Auge fassen müssen, und zwar gerade solche, auf welche
der Künstler selbst seinen Stolz begründen zu dürfen glaubte.
Ich meine zunächst sein Bild der Helena. Wenn er, wie er-
zählt wird, aus den Jungfrauen einer ganzen Stadt fünf der
schönsten auswählte, um die Vorzüge einer jeden unter
ihnen in dem einen Bilde zu vereinigen, so konnte es unmög-
lich seine Absicht sein, auf diesem Wege die geistige Eigen-
thümlichkeit der Helena schildern zu wollen, sondern seine
Aufmerksamkeit musste um so mehr, als er sie unbekleidet
darstellte, von vorn herein auf das Aeussere, die Schönheit
der körperlichen Erscheinung gerichtet sein: ut excellentem
muliebris formae pulchritudinem muta in sese imago contine-
ret, wie Cicero sagt. Dadurch ist allerdings ein Streben
nach Idealität nicht ausgeschlossen: es verräth sich im Gegen-
theil darin, dass der Künstler aus mehreren Modellen ein
Musterbild zu entwerfen unternimmt (κἀκ πολλῶν μεϱῶν συλ-
[89] λογίσαντι συνέϑηκεν ἡ τέχνη τέλειον καλὸν nach Dionysius), indem
er richtig erkennt, wie, was die Wirklichkeit selbst im gün-
stigsten Falle bietet, mit Mängeln im Einzelnen behaftet ist.
Zugleich aber zeigt doch der eingeschlagene Weg, dass die
Rücksicht auf eben diese Wirklichkeit jene Art des künstle-
rischen Schaffens zu überwiegen beginnt, welche das Kunst-
werk als ein freies Product des den Gesetzen der Natur con-
gruent bildenden Geistes erscheinen lässt. In dem Gemälde
der Helena sollte vielmehr, wie Cicero sich ausdrückt, „in
das stumme Abbild aus dem lebenden Muster die Wahrheit
übertragen werden: ut mutum in simulacrum ex animali ex-
emplo veritas transferatur.“ Diese Wahrheit aber, welche
unmittelbar aus der Benutzung des Modells in das Werk
übergeht, kann keine andere sein, als diejenige, welche ich
in der Geschichte der Bildhauer vielleicht etwas zu allgemein
als die äussere bezeichnet habe, dieselbe, in welcher Praxi-
teles und Lysipp am weitesten vorgeschritten waren. Sie
geht nicht sowohl das Wesen der dargestellten Dinge an,
als deren sinnliche Erscheinung, und beruht auf dem Be-
streben, die Sinne durch den Schein der Wirklichkeit zu
täuschen, oder mit einem Worte, Illusion zu bewirken. Wem
aber an der Richtigkeit dieser Behauptung noch ein Zweifel
übrig bleiben sollte, den müssen wir auf die Erzählung von
den Bildern mit den gemalten Trauben verweisen, deren
ganzer Ruhm darin begründet war, dass sie durch ihre Na-
türlichkeit die Vögel getäuscht hatten. Man wende nicht ein,
dass solchen Anekdoten ein geringer Werth beizulegen sei,
oder dass man, selbst ihre Richtigkeit zugegeben, nicht gut
thue, aus solchen vielleicht durch einen Scherz hervorgeru-
fenen beiläufigen Arbeiten den Werth eines Künstlers bestim-
men zu wollen. Nicht selten verräth der Künstler gerade
darin, eben weil er unbefangen ist, seine Eigenthümlichkeit;
und verbindet sich, was wir auf diese Weise entdecken, mit
andern Thatsachen, so dürfen wir wohl diese Beobachtung
als Ausgangspunkt nehmen, um daraus das Verhältniss des
Künstlers zur Aussenwelt und die Art, wie er diese für
Zwecke der Kunst benutzt hat, deutlicher zu erkennen.


Es leuchtet nun ein, dass hier, wo jede geistige Bezie-
hung ausgeschlossen ist, es allein auf das künstlerische Mach-
werk ankommen kann; und es fragt sich daher nur, ob Zeuxis
[90] darin auch sonst seinen Ruhm gesucht habe. Dies bestätigt
uns zwar allgemein, aber doch hinlänglich bestimmt Hime-
rius, 1) wenn er dem Zeuxis als unterscheidendes Verdienst
τέχνη, also Technik im weitesten Sinne, im Gegensatz zu den
σοφίσματα, den Feinheiten des Parrhasios beilegt: οὐκοῦν δότε
μοι τὴν Ζεύξιδος τέχνην, τὰ Παϱϱασίου σοφίσματα. Wollen wir
ferner auch in der Erzählung des Lucian vom Kentaurenge-
mälde nicht jeden einzelnen Ausdruck im strengsten Sinne
deuten, so dürfen wir doch in Betracht ziehen, wie dort
Zeuxis darüber beleidigt erscheint, dass die Beschauer, von
der Neuheit des Gegenstandes betroffen, das Verdienst der
Durchführung, die τέχνη, gänzlich übersehen, während der
Künstler gerade auf diese den grössten Werth legt.


Man könnte nun versucht sein, die besonderen Ver-
dienste des Zeuxis in dieser Richtung, seine Eigenthümlich-
keit in der Farbe, der Zeichnung, den Proportionen u. a., aus
eben dieser Beschreibung des Lucian (namentlich Cap. 5)
genauer bestimmen zu wollen. Allein Lucian sah, wie er
ausdrücklich bemerkt, nur eine Copie, aus der sich gerade
das Technische des Originals am wenigsten beurtheilen lässt;
und noch dazu ergeht er sich in der Phraseologie der Maler
und Kunstkenner offenbar ironisch, um diesen, den γϱαφέων
παῖδες, sich als Idioten gegenüber zu stellen, der sich um
diese Dinge nicht zu kümmern habe. Blicken wir nun auf
andere Zeugnisse des Alterthums und finden darunter keines,
welches der besonderen Verdienste des Zeuxis in der Zeich-
nung gedenkt, so dürfen wir wohl diesem Schweigen die
Bedeutung beilegen, dass darin Zeuxis ein hervorragendes
Verdienst nicht besessen habe: um so mehr, als verschie-
dene Nachrichten übereinstimmend uns auf Bestrebungen des
Künstlers nach einer ganz andern Richtung hinweisen.


Zuerst sagt Plinius, 2) dass Zeuxis „den Pinsel, welcher
damals bereits mit höheren Ansprüchen hervortrat, zu gros-
sem Ruhm führte,“ audentem iam aliquid penicillum ad
magnam gloriam perduxit. Dieses allgemeine Lob enthält
aber seine nähere Begrenzung durch Quintilian, 3) welcher
als sein Verdienst oder, wie er sich ausdrückt, als seine
Erfindung die Lehre von Licht und Schatten hinstellt: lu-
[91] minum umbrarumque rationem invenisse traditur. Dass Apol-
lodor ihm darin vorangegangen, haben wir bereits früher
erörtert. Wir werden daher das Verdienst des Zeuxis am
richtigsten würdigen, wenn wir einen besondern Nachdruck
auf das Wort ratio legen, welches einschliesst, dass Zeuxis
nicht mehr blos versuchsweise und rein empirisch, sondern
schon nach bestimmten Principien verfuhr. Von diesem
Punkte bis zur höchsten Vollendung und bis zu theoretischer
Durchbildung blieb freilich wohl immer noch ein weiter Weg
zu durchmessen übrig; und hieraus mag es sich allenfalls
rechtfertigen, wenn Cicero 1) den Zeuxis und Timanthes mit
Polygnot zusammen den Zeitgenossen Alexanders d. Gr. ge-
genüberstellt. Wenn er aber den Unterschied näher dahin
bestimmen will, dass an jenen älteren Künstlern Formen und
Zeichnung zu loben seien, während sie zum Malen sich nur
erst der vier Hauptfarben bedient, so würde dies streng
wörtlich genommen so sehr im Widerspruche mit allen übri-
gen Zeugnissen stehen, dass wir darin nur eine Hindeutung
auf die verhältnissmässig noch grosse Einfachheit des Colo-
rits zu sehen vermögen, welche die Anwendung künstlicher,
vielfach zusammengesetzter Farbenstoffe noch nicht kannte.
Erinnern wir uns hier nur nochmals der gemalten Trauben,
so muss es uns von selbst einleuchten, dass bei ihnen die
Illusion allein auf der malerischen Behandlung beruhen konnte,
auf der Darstellung des Farbenspieles, welches sich an der
Traube in doppelter Weise, theils durch die besondere Be-
schaffenheit der Haut, welche die wirkliche Farbe bricht und
nur durchschimmern lässt, theils durch die Wirkungen von
Licht, Schatten und Reflexen bilden muss. Jener ganze Ruhm
aber in der Führung des Pinsels, gloria penicilli, wie wäre
er möglich bei dem simplex color, wie Quintilian ihn nennt,
d. h. bei einem Auftrag der Farben in einfachen, ungebro-
chenen Tönen ohne Licht und Schatten? Vielmehr müssen
wir, um das Verhältniss des Zeuxis zu Polygnot vollständig
zu begreifen, von der Verschiedenheit in der Behandlung der
Farbe als grundsätzlichem und ursprünglichstem Gegensatze
ausgehen. Denn während in der Kunst des Polygnot die
ganze Darstellung eigentlich auf der Zeichnung, auf Linien,
[92] beruht, handelt es sich bei Zeuxis um das Malen: darum,
das Verhältniss verschiedener Flächen zu einander vermit-
telst der Farbe unter dem Einflusse von Licht und Schatten
darzustellen. Die Linie aber leitet ihrem Wesen nach auf
Strenge und Schärfe der Begrenzung hin; durch Verbindung
von Flächen dagegen sollen Körper in ihrer Rundung und
Masse dargestellt werden. Hieraus scheint sich mir von
selbst zu erklären, weshalb da, wo der malerische Vortrag
zu überwiegen beginnt, sich das zu entwickeln pflegt, was
man gewöhnlich als eine breitere Manier bezeichnet: eine
Behandlungsart, welche weniger ängstlich und scharf das
Detail der Formen ausbildet, als die Massen, wie sie sich
unter dem Einfluss des Lichtes gliedern, im Grossen einander
gegenüberstellt. Demnach muss aber die malerische Auffas-
sung, so sehr sie auch von der Farbe ausgeht, doch schliess-
lich auf die Behandlung der Form einen wesentlichen Ein-
fluss ausüben; und wir dürfen es wohl versuchen, mit Hülfe
dieser Beobachtung die Widersprüche in einigen Nachrichten
der Alten über die Proportionen des Zeuxis zu lösen. Zuerst
sagt nemlich Plinius: Zeuxis werde getadelt als zu gross in
den Köpfen und den Gliedern: reprehenditur tamen ceu gran-
dior in capitibus articulisque. 1) Dieser selbe Vorwurf aber
erscheint bei Quintilian in ein Lob umgewandelt: Zeuxis gab
den Gliedern mehr Masse, indem er es so für voller und
stattlicher hielt, und, wie man meint, dem Homer folgte, dem
gerade kräftige Formen auch an den Frauen gefallen: nam
Zeuxis plus membris corporis dedit, id amplius atque augustius
ratus, atque, ut existimant, Homerum, secutus, cui validissima
quaeque forma etiam in feminis placet. 2) Den Widerspruch
dieser beiden Nachrichten könnte man durch einen verglei-
chenden Blick auf die Geschichte der Bildhauer zu lösen ge-
neigt sein. Wie wir dort 3) zwischen den quadraten, kräfti-
geren Proportionen des Polyklet und den schlankeren des
Lysipp in der Mitte die des Euphranor einem ähnlichen Ta-
del ausgesetzt finden, so könnten wir Zeuxis mit diesem letz-
teren auf eine Stufe zu stellen geneigt sein. Schlagender
jedoch, wie ich glaube, wird der Vergleich mit einem neueren
Künstler sich erweisen, nemlich mit Raphael. Niemand, der
[93] Werke Raphaels aus der Zeit seiner vollsten und freiesten
Entwicklung betrachtet hat, wird den kräftigen Bau, nament-
lich die kräftigen Arme seiner Frauengestalten aus dem Ge-
dächtnisse verloren haben, für welche man gewöhnlich das
mannhafte Geschlecht der Trasteverinerinnen als Vorbild an-
zuführen pflegt. Je nach dem verschiedenen Standpunkte der
Beschauer nun kann man über diese Eigenthümlichkeit ent-
weder das Urtheil des Plinius oder das des Quintilian sich
wiederholen hören: das tadelnde aus dem Munde derer,
welche in einer gewissen knappen und exacten Zeichnung
das höchste Verdienst erkennen, das lobende von denen,
welche jene breite Manier der malerischen Behandlung als
den grössten Vorzug preisen. Ganz auf dieselbe Weise er-
klärt sich denn auch der Widerspruch in der Beurtheilung
des Zeuxis.


So dürfen wir es nun zuversichtlicher aussprechen, dass
Zeuxis in seiner ganzen Thätigkeit von einer überwiegenden
Berücksichtigung des Malerischen ausging, wodurch er
mit Nothwendigkeit darauf hingeführt wurde, vor allem die
äussere Erscheinung der Dinge zu beachten und auf Illu-
sion hinzuarbeiten. Es erscheint dabei als durchaus natur-
gemäss, wenn diese Richtung des Zeuxis nicht einzig auf die
technische Seite seiner Kunst, auf die Ausführung beschränkt
blieb, sondern ihren Einfluss überhaupt in seiner ganzen
Auffassung zeigte. Sie lenkte die Aufmerksamkeit des Künst-
lers von der höheren ethischen Bedeutung des Kunstwerks
ab und veranlasste ihn, dafür in Darstellungen Ersatz zu su-
chen, welche durch eine gefällige äussere Anordnung, sowie
durch eine geschickte Wahl des Moments und der Situationen
anzogen und überraschten. Allein so gewandt sich auch
Zeuxis hierin erwies, so konnte er doch damit für den Man-
gel an tieferem geistigen Gehalte nicht entschädigen, sondern
den Beschauer höchstens darüber täuschen.


Nachdem wir die künstlerische Wirksamkeit des Zeuxis
nach ihren einzelnen Richtungen betrachtet haben, bleibt uns
noch übrig, über seine Stellung in der Entwickelungsge-
schichte der Malerei im Allgemeinen uns bestimmter auszu-
sprechen. Schon im Alterthume scheinen sich in dieser Be-
ziehung zwei Meinungen gegenübergestanden zu haben, als
deren hauptsächlichste Vertreter wir Aristoteles und Plinius
[94] (oder dessen Gewährsmänner) bezeichnen können. Es lässt
sich damit die verschiedene Beurtheilung vergleichen, welche
unter den neueren Künstlern Giotto erfahren hat. Zeuxis
erscheint bei Plinius als der eigentliche Begründer der Ma-
lerei, Giotto galt lange und allgemein als deren Wiederher-
steller bei den Neueren. Ganz in derselben Weise aber, wie
Aristoteles den Zeuxis in Hinsicht auf das Ethos dem Poly-
gnot nachgesetzt, hat Rumohr 1) in den höheren geistigen
Beziehungen den Giotto unter seine nächsten Vorgänger setzen
zu müssen geglaubt. Wenn eine Meinung lange Zeit unan-
gefochtene Geltung behauptet hat und, wie bei Giotto, die
Späteren stets bestrebt waren, sich in ihrer Bewunderung
zu überbieten, so übernimmt derjenige eine schwierige Auf-
gabe, welcher versucht, das Bild eines Künstlers von dem
falschen Schmucke zu befreien, mit dem ein übel angebrach-
ter Enthusiasmus es überladen hat. Es gewinnt leicht den
Anschein, als solle das wirkliche Verdienst mit ungerechtem
Neide verkleinert werden, um so mehr, als bei dieser wesent-
lich negirenden Kritik die Urtheile allerdings in einer Schärfe
der Fassung ausgesprochen werden müssen, welche später
einer Milderung fähig, ja bedürftig erscheinen mag, sobald
nur erst die veränderte Grundanschauung eine allgemeine An-
erkennung erlangt hat. So musste Rumohrs Beurtheilung des
Giotto bei ihrem Erscheinen vielfachen Widerspruch erregen,
obwohl jetzt niemand mehr leugnen wird, dass sie zu einer
richtigeren Würdigung des Künstlers erst die Bahn gebrochen
hat. Ich würde mich nicht wundern, wenn die in den bis-
herigen Erörterungen ausgesprochene Auffassung des Zeuxis
aus ähnlichen Ursachen Tadel erführe. Allein wo noch so
wenig, wie bisher in der Geschichte der alten Malerei, versucht
worden ist, die Gesammtmasse des Stoffes bestimmter zu glie-
dern und zu gruppiren, erscheint es als die erste Pflicht, zu
trennen, was keinen inneren Zusammenhang hat, und die
Gegensätze scharf hinzustellen, um auf diese Weise nur über-
haupt erst eine klarere Einsicht möglich zu machen. Zeuxis,
als das Haupt einer neueren Richtung, musste allerdings
mehr zu seinem Nachtheile, als zu seinem Vortheile zunächst
Polygnot, dem Haupte der älteren, gegenübertreten. Nachdem
[95] dies geschehen, wird sich schon eher eine Vermittelung
finden lassen, durch welche auch die bewundernden Urtheile
des Alterthums als in ihrer Weise berechtigt erscheinen.


Wir haben auch früher nicht geleugnet, dass, so gross
das Verdienet des Polygnot in Hinsicht auf alles Geistige
war, er doch in allem, was die äusseren Mittel der Darstel-
lung angeht, im Princip nicht über seine Vorgänger hinaus-
gegangen war. Er brachte nur das ältere System zur höch-
sten Vollendung, zum letzten Abschlusse; und die Mängel
dieses Systems selbst wurden nur darum noch nicht em-
pfunden, weil Polygnot nirgends versucht hatte, sich den
Forderungen desselben zu entziehen, sondern in freiwilliger
Unterordnung bestimmte Grenzen als bindend anerkannt hatte.
Nachdem nun aber namentlich die Sculptur sich aus den
alten Fesseln befreit hatte und zur vollendeten Schönheit
gelangt war, musste es sich fast mit Nothwendigkeit zeigen,
dass auch in der Malerei die bisher festgehaltenen Grenzen
nicht die Grenzen dieser Kunst überhaupt bezeichnen konn-
ten, sondern dass dieselbe noch weiterer Entwickelungen auf
durchaus neuen Bahnen fähig war. Dabei müssen wir nun
allerdings einer Seits bedauern, wenn von den hohen Vor-
zügen einer früheren Zeit ein wesentlicher Theil verloren
geht; während wir anderer Seits uns nicht verhehlen, dass
ein solcher Umschwung eigentlich in der Natur der Dinge
begründet ist. Wo durchaus neue Forderungen und Probleme
zu lösen sind, da dürfen wir es einem Künstler nicht ver-
argen, wenn er im vollen Bewusstsein seines veränderten
Standpunktes selbst mit einer gewissen Einseitigkeit sich
diesen neuen Aufgaben hingiebt. Freilich müssen wir auf den
geistigen Gehalt eines Kunstwerkes stets den ersten und
grössten Nachdruck legen. Doch dürfen wir auch darin uns
nicht zu solcher Einseitigkeit des Urtheils hinreissen lassen,
dass wir den Mitteln der äusseren Darstellung gar keinen
selbständigen Werth beizulegen geneigt sein sollten. Viel-
mehr entsteht die Vollendung des Kunstwerks aus der har-
monischen Verbindung tiefer Ideen und vollendeter mate-
rieller Darstellung. Erkennen wir daher dem Zeuxis das
Verdienst zu, die Bedeutung des Malerischen zuerst im wei-
teren Umfange erkannt und in der Durchführung begründet
zu haben, so ist ihm hierdurch eine hervorragende Stellung
[96] in der Geschichte der Malerei für immer gesichert, und es
erscheint sogar vollkommen gerechtfertigt, wenn Plinius von
seinem Standpunkte aus mit ihm und Apollodor die Blüthe
der Malerei erst beginnen lässt.


Weniger lässt sich die Art rechtfertigen, wie der Künst-
ler selbst diese Stellung für sich in Anspruch nimmt: Zeuxis
liefert das erste Beispiel eines ungezügelten Künstlerstolzes.
Ich will ein Zeugniss für denselben nicht in dem Ausspruche
finden, mit welchem er dem auf sein leichtes und schnelles
Malen stolzen Agatharch antwortete: er brauche viele Zeit
zum Malen. 1) Denn wenn auch nach dem Doppelsinne des
griechischen Ausdruckes (πολλῷ χϱόνῳ) der Künstler zugleich
sagen wollte, er male für lange Zeit, so liegt doch darin
noch mehr eine Werthschätzung der verschiedenen Manieren
der Malerei, als des persönlichen Verdienstes. Dagegen spricht
sich sein Stolz deutlich aus in dem, was Plinius über den Pomp
seiner Kleidung und über das Verschenken seiner Werke be-
merkt, so wie in der Anwendung, welche er selbst von den Ver-
sen des Homer auf seine Helena machte. Nicht weniger stolz
erscheint er in einem Epigramme, 2) in welchem er sich für
unbesiegbar erklärt. Endlich gehört hierher der Ausspruch:
tadeln sei leichter, als besser machen (μωμήσεταί τις μᾶλλον ἢ
μιμήσεται). Denn wenn Einige sagen, Apollodor habe diesen
Spruch auf „seine Werke“ gesetzt, so muss diese Allgemein-
heit, diese öftere Wiederholung von vorn herein unsern
Verdacht erwecken, und der Ueberlieferung des Plinius den
Vorzug sichern, welcher ein bestimmtes Werk, einen Athleten,
anführt, den Zeuxis durch diese Aufschrift als unnachahmlich
habe hinstellen wollen.


Wie aber selbst die Vögel, welche getäuscht zu haben
sich Zeuxis einst rühmte, ihn seinen Stolz entgelten liessen,
indem sie wohl seine Trauben, nicht aber den Knaben ach-
teten, welcher sie trug; so sollte er selbst es noch mit
eigenem Munde bekennen, dass er von einem Nebenbuhler
übertroffen sei. Die Erzählung von dem gemalten Vorhange
des Parrhasios, durch welchen sich Zeuxis täuschen liess,
mag scheinbar wegen ihres anekdotenähnlichen Charakters
[97] einen geringen Werth haben: im Grunde, werden wir finden,
beruhte die Möglichkeit der Täuschung doch auf wahrhaft
künstlerischen Eigenschaften, in welchen Parrhasios dem
Zeuxis wirklich überlegen war.


Da wir von Schülern des Zeuxis nichts wissen, ausser
dass einmal Lucian 1)Mikkion als einen solchen, aber in
einer Weise erwähnt, wonach sogar der Name nicht einmal
historisch überliefert, sondern für die Erzählung beliebig er-
funden sein könnte, so wenden wir uns sofort zu jenem
glücklicheren Nebenbuhler, um an ihm eine andere Seite der
Entwickelung der Malerei jener Zeit kennen zu lernen.


Parrhasios.


Parrhasios, Sohn und Schüler des Euenor, 2) war aus
Ephesos gebürtig. 3) Wahrscheinlich erlangte er später das
athenische Bürgerrecht, da Seneca 4) und Acron 5) ihn schlecht-
hin Athener nennen; und es ist wohl möglich, was man
unter Hinweisung auf eine Stelle im Plutarch 6) vermuthet
hat, dass ihm diese Ehre in Folge des für Athen gemalten
Theseus zu Theil geworden sei. Die Bestimmung seiner Zeit
ergiebt sich zuerst im Allgemeinen durch sein Zusammen-
treffen mit Zeuxis. Dazu kömmt das Zeugniss des Quinti-
lian, 7) dass Zeuxis und Parrhasios um die Zeiten des pelo-
ponnesischen Krieges gelebt, wofür als Beleg das Gespräch
des Letzteren mit Sokrates bei Xenophon 8) angeführt wird.
Dass Plinius den Euenor in die 90ste Olympiade setzt, kommt
hiergegen nicht in Betracht, da diese Bestimmung offenbar
erst aus der seines Sohnes abgeleitet ist. Wiederholen wir
dagegen die Bemerkung, dass Isokrates in der Ol. 96, 2 ver-
fassten Rede πεϱὶ ἀντιδόσεως 9) des Parrhasios eben so wie
des Zeuxis in einer Weise gedenkt, wie er es nur bei Todten
zu thun pflegt, so müssen wir vielmehr die Möglichkeit zu-
geben, dass der Beginn seiner Kunstthätigkeit lange vor
Ol. 90 falle. Hiernach löst sich vielleicht die Schwierigkeit,
welche eine Stelle des Pausanias 10) bisher den Erklärern
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 7
[98] verursacht hat. Dort heisst es: die Cisellirungen an dem
Schilde der kolossalen ehernen Pallas des Phidias habe Mys
nach den Zeichnungen des Parrhasios ausgeführt. Ich selbst
glaubte früher 1) daraus schliessen zu müssen, dass diese Ar-
beiten erst ein Menschenalter nach Phidias der Statue ange-
fügt seien. Im Hinblick auf die obige Bestimmung ist jedoch
vielleicht die Annahme erlaubt, dass der grosse Bildhauer
selbst, durch seine vielseitige Thätigkeit für die perikleischen
Bauten zu sehr in Anspruch genommen, die Zeichnung für
jenes Beiwerk dem Parrhasios, sei es auch noch in ganz
jugendlichem Alter, aufgetragen habe, indem sich das hervor-
ragende Talent dieses Künstlers für Zeichnung schon früh
namentlich dem Blicke eines Phidias verrathen haben konnte.
— Mit den bisherigen Erörterungen durchaus unvereinbar
ist die Erzählung des Seneca: 2) Parrhasios habe nach der
Eroberung Olynth’s durch Philipp einen der gefangenen Greise
gekauft, nach Athen geführt, gemartert und nach diesem Mo-
delle den Prometheus gemalt; der Olynthier sei auf der
Marter gestorben; das Bild vom Künstler im Tempel der Mi-
nerva aufgestellt, er selbst aber wegen Verletzung der Reli-
gion angeklagt worden. Danach müsste Parrhasios Ol. 108, 2,
also 52 Jahre nach Sokrates Tode, noch gelebt haben. Die
Unwahrscheinlichkeit der ganzen Sache hat schon Lange 3)
aus dem Schweigen der alten Schriftsteller, sowie aus den
attischen Rechten nachgewiesen und damit die Sage ver-
glichen, dass dem Michel Angelo für die Ausführung des
Christus in der Carthause zu Neapel ein Mensch gekreuzigt
worden sei. Allein dieses Nachweises bedurfte es kaum:
denn die ganze Erzählung ist ein zum Behuf von Redeübungen
erdichtetes Thema, ähnlich dem über Phidias: 4) wobei auf
chronologische Richtigkeit der Nebenumstände gewiss durch-
aus kein Gewicht gelegt wurde.


Von den Werken des Parrhasios kennen wir folgende:


Hermes: Themist. XIV. Dieses Gemälde soll nicht ei-
gentlich den Gott, sondern des Künstlers eigenes Bild darge-
stellt haben, dem er nur den Namen des Gottes beigeschrie-
ben, um den Vorwurf der Unanständigkeit und Eigenliebe
von sich abzuwenden.


[99]

Der Demos der Athener, in dem er sich die Aufgabe
gestellt hatte, den Charakter des ganzen Volkes zu personi-
ficiren. Denn, wie Plinius (35, 69) sich ausdrückt, „er stellte
in diesem Bilde den Demos dar als veränderlich, zornig, un-
gerecht, unbeständig, und doch auch als erbittlich, gütig,
mitleidig, prahlerisch, erhaben, niedrig, unbändig und flüchtig,
und das alles auf ein Mal zusammen.“


Prometheus, sofern wir Seneca (a. a. O.) wenigstens
in der Hinsicht Glauben schenken wollen, dass wir annehmen,
er habe sein Thema an ein wirklich vorhandenes Werk des
Parrhasios angeknüpft.


Herakles in Lindos, welchen er in der Inschrift des
Bildes so gemalt zu haben behauptete, wie der Heros selbst
ihm öfters im Traume erschienen sei: Οἷος δ̛ ἐννύχιον φαντάζετο
πολλάκι φοιτῶν Παϱϱασίῳ δι̛ ὕπνου, τοῖος ὁδ̛ ἐστὶν ὁϱᾶν. Plin.
35, 72; Athen. XII. p. 543 F.


Theseus. Ein Bild dieses Heros erwähnt Plinius (35,
69) als vor seiner Zeit auf dem Capitol befindlich. Vielleicht
ist es identisch mit dem ursprünglich für Athen gemalten,
dessen Plutarch zweimal gedenkt, zuerst ganz allgemein
(Thes. 4), dann bei Gelegenheit eines Gemäldes des Euphra-
nor, welcher dem Theseus des Parrhasios vorwarf, er er-
scheine wie mit Rosen genährt, sein eigener dagegen wie
mit Ochsenfleisch (de glor. Ath. p. 346 A).


Meleager, Herakles und Perseus auf einer Tafel
in Rhodos: ein noch besonders dadurch berühmtes Werk,
dass es dreimal vom Blitze getroffen und doch nicht vernich-
tet wurde: Plin. 35, 69.


Des Odysseus erheuchelter Wahnsinn: Pseudo-Plut. de
aud. poet. 18 A; ein Gegenstand, den später auch Euphranor
behandelte; s. unten.


Telephos, Achilleus, Agamemnon, Odysseus:
Plin. 35, 71; also wahrscheinlich die Heilung des Telephos,
wie sie sich in dem schönen von Gerhard im dritten Winckel-
manns-Programme publicirten Spiegelbilde, nur mit Aus-
schluss der Figur des Odysseus, dargestellt findet. Ob letz-
teres auf das Original des Parrhasios zurückzuführen sei,
wage ich nicht zu entscheiden.


Des Aias Wettkampf mit Odysseus um die Waffen des
Achilleus. In der Darstellung dieses Gegenstandes zu Samos
7*
[100] von Timanthes besiegt, behauptete er die Niederlage nicht
seinetwegen, sondern im Namen des Helden zu beklagen,
weil dieser nun hier zum zweiten Male von einem Unwür-
digen besiegt worden sei: Plin. 35, 72; Aelian. V. H. IX, 11;
Athen. XII, p. 543 E.


Philoktet in seinem Elende auf Lemnos, nach einem
Epigramme des Glaukos (Anall. II, 348, n. 5):


Καὶ τὸν ἀπὸ Τϱηχῖνος ἰδὼν πολυώδυνον ἥϱω,

τόνδε Φιλοκτήτην ἔγϱαφε Παϱϱάσιος.

ἔν τε γὰϱ ὀφϑαλμοῖς ἐσκλήκοσι κωφὸν ὑποικεῖ

δάκϱυ, καὶ ὁ τϱύχων ἐντὸς ἔνεστι πόνος.

Ζωογϱάφων ᾦ λῷστε, σὺ μὲν σοφὸς, ἀλλ̛ ἀναπαυσαι

ἄνδϱα πόνων ἤδη τὸν πολύμοχϑον ἔδει.

Obwohl der Name des Parrhasios nicht genannt wird, dürfen
wir doch auch wohl das folgende Epigramm des Julianus
Aegyptius auf sein Werk beziehen (Anall. II, 490, n. 27):


Οἶδα Φιλοκτήτην ὁϱόων, ὅτι πᾶσι φαείνει

ἄλγος ἑὸν, καὶ τοῖς τηλόϑι δεϱκομένοις.

ἄγϱια μὲν κομόωσαν ἔχει τϱίχα· δεῦϱ̛ ἴδε κόϱσης

χαίτην τϱηχαλέοις χϱώμασιν αὐσταλέην·

δέϱμα κατεσκληκὸς δὲ φέϱει καὶ ϱ῾ικνὸν ἰδέσϑαι,

καὶ τάχα καϱφαλέον χεϱσὶν ἐφαπτομέναις·

δάκϱυα δὲ ξηϱοῖσιν ὑπὸ βλεφάϱοισι παγέντα

ἵσταται, ἀγϱύπνου σῆμα δυηπαϑίης.

Auch der jüngere Philostratus (17) beschreibt ein Gemälde
dieses Gegenstandes; s. unten.


Aeneas, Castor und Pollux in einem Bilde: Plin.
35, 71.


Eine thrakische Amme (Thressam nutricem) und ein
Kind in ihren Händen: Plin. 35, 70.


Philiscus und Liber pater und neben ihm stehend
Virtus:“ Plin. 35, 70. Sofern diese drei Figuren in einem
Gemälde vereinigt zu denken wären, würden wir den Diony-
sos als Schutzgott des Theaters und darum auch des komi-
schen Dichters zu betrachten haben. Da jedoch nach Wel-
ckers Bemerkung (Alt. Denkm. III, S. 315) schon die Ver-
bindung des Gottes mit Arete nicht recht klar ist, die Zu-
sammenstellung Beider mit dem Komiker aber noch weniger
Analogie für sich hat, so werden wir das Bildniss des Dich-
ters lieber für ein gesondertes Werk erklären müssen. Ein
[101] Dionysos des Parrhasios, der im Wettkampfe zu Corinth den
Preis davon getragen habe, wird übrigens von Einigen zur
Erklärung des Sprüchworts οὐδὲν πϱὸς τόν Διόνυσον angeführt
(Apostol. XV, 13; Phot. Suid.), während Andere dasselbe
von einem Dionysos des Aristides erzählen.


Ein Archigallus, Oberpriester der Cybele. Für die-
ses nach Deculo auf 60,000 Sestertien geschätzte Bild hatte
der Kaiser Tiberius eine besondere Vorliebe gefasst und es
deshalb in dem von ihm bewohnten Gemache aufgehängt:
Plin. 35, 70.


Ein Priester, neben dem ein Knabe mit Weihrauch-
pfanne und Kranz stand: Plin 35, 71. Vielleicht war, wie Sillig
vermuthet, dieses Bild identisch mit dem des Megabyzos,
des ephesischen Oberpriesters, welches Tzetzes (Chil. VIII,
198) aus Aeschrion von Mitylene als ein Werk des Parrha-
sios anführt.


Der Führer eines Schiffes mit dem Harnisch ange-
than (nauarchum thoracatum): Plin. 37, 69.


Zwei Knaben, in denen sich die Dreistigkeit (secu-
ritas) und die Einfältigkeit des Knabenalters ausspricht:“
Plin. 37, 70.


„Zwei Gemälde von Schwerbewaffneten, von denen
der eine so in den Kampf stürmt, dass er zu schwitzen
scheint; der andere die Waffen ablegt, dass man zu hören
glaubt, wie er verschnauft“: Plin. 34, 71.


Berühmt ist der Vorhang, den er so täuschend gemalt
hatte, dass Zeuxis ihn für einen wirklichen nahm: Plin. 35, 65.


„Er malte in kleineren Bildern auch unzüchtige Gegen-
stände, indem er bei dieser Art muthwilligen Scherzes Er-
holung suchte“: Plin. 35, 72. Ein solches Bild, Meleager
und Atalante (Meleagro Atalanta ore morigeratur) erwähnt
Sueton: Tiber. 44. Es wurde dem Kaiser Tiberius vermacht
unter der Bedingung, dass er, wenn er am Gegenstande
Anstoss nähme, an seiner Stelle eine Million Sestertien er-
halten solle; er zog jedoch das Bild vor und hing es in
sein Gemach.


Er lieferte die Zeichnungen zu den Werken, welche
Mys in cisellirter Arbeit ausführte: Paus. 1, 28, 2. Nament-
lich angeführt werden: der Kampf der Lapithen und Kentau-
ren für den Schild der ehernen Pallas des Phidias (Paus. l. l.),
[102] und die Zerstörung Ilions für einen Becher (σκύφος Ἡϱακλεω-
τικός) mit folgender Inschrift:


Γϱάμματα Παϱϱασίοιο, τέχνα Μυός· μμὶ ἐδὲ ἔϱγον

Ἰλίου αἰπεινᾶς, ἃν ἕλον Αἰακίδαι

Athen. XI, p. 782 B.


Endlich berichtet Plinius (35, 68), dass man noch manche
Reste von Zeichnungen „in tabulis ac membranis eius“ auf-
bewahrt habe, welche von den Künstlern mit Vortheil be-
nutzt werden sollten. Aus dieser Angabe erklärt es sich
vielleicht, dass unter den Auctoren des 35sten Buches in ei-
nigen Handschriften des Plinius auch Parrhasios angeführt
wird, während wir von eigentlichen Schriften dieses Künst-
lers sonst nichts wissen, und sein Name sich auch gerade
in der bamberger Handschrift nicht findet.


Hinsichtlich des Materials, dessen er sich beim Malen
bedient, wird nur eine Einzelnheit berichtet: nemlich dass er
und Nikomachos zum Weiss die Kreide von Eretria ver-
wendet habe: Pl. 35, 38.


Den Erörterungen über die künstlerischen Leistungen
des Parrhasios wollen wir ein kurzes, aber sehr charakte-
ristisches Zeugniss des Alterthums voranstellen: οὐκοῦν δότε
μοι τὴν Ζεύξιδος τέχνην, τὰ Παϱϱασίου σοφίσματα, sagt Hime-
rius. 1) Dieser Ausdruck σοφίσματα, dem lateinischen argutiae
entsprechend, dessen Bedeutung wir bei Gelegenheit des Ly-
sipp kennen gelernt haben, weist uns mit Bestimmtheit auf
gewisse Feinheiten der Behandlung hin, durch welche die
Kunst des Parrhasios ihr eigenthümliches Gepräge erhielt.
Welcher Art aber diese Feinheiten waren, darüber spricht
Plinius ausführlich, dessen Urtheil wir der Uebersichtlichkeit
wegen zuerst in seinem ganzen Umfange anführen wollen,
wenn wir auch später die einzelnen Theile desselben für
unsere Zwecke unter veränderten Gesichtspunkten zusam-
menordnen und betrachten müssen. „Parrhasios aus Ephesos
trug gleichfalls Vieles zum Fortschritt bei; er führte zuerst
die Proportionslehre in die Malerei ein, verlieh dem Gesicht
Feinheiten des Ausdrucks, dem Haupthaar Eleganz, dem
Munde einen sanften Reiz, und trug nach dem Bekenntnisse
der Künstler in den Contouren die Palme davon. Darin be-
[103] steht in der Malerei die höchste Feinheit: denn die Körper
zu malen und was an den Dingen in der Mitte liegt, ist zwar
auch etwas Grosses, worin jedoch Viele Ruhm erlangt haben.
Dagegen die äussersten Theile der Körper zu bilden und die
gemalte Darstellung da, wo sie aufzuhören hat, richtig abzu-
schliessen, das findet man selten unter den Erfolgen der
Kunst. Denn die Extremität muss sich in sich abrunden
und so auslaufen, dass sie noch etwas hinter sich verheisst
und selbst das verräth, was sie verbirgt. Diesen Ruhm
haben ihm Antigonos und Xenokrates zugestanden, welche
über die Malerei geschrieben, und auch andere Vorzüge an
ihm nicht blos anerkennen, sondern sogar preisen. Doch
erscheint er, mit sich selbst verglichen, in der Darstellung
edr mittleren Körpertheile geringer.“ 1)


Zur Vereinfachung der Untersuchung betrachten wir zu-
nächst einen Satz dieses Urtheils in seiner Vereinzelung: den
nemlich, dass Parrhasios zuerst die Proportionslehre in die Ma-
lerei eingeführt habe. Denn dass der Ausdruck symmetria auf
diese zu beziehen sei, wird unter Hinweisung auf frühere Erörte-
rungen 2) keiner weiteren Begründung bedürfen. Eben so ist
schon mehrfach bemerkt worden, dass jenes „primus“ selten
wörtlich zu nehmen, sondern meist auf einen bedeutenden Fort-
schritt oder eine Vervollkommnung früherer Leistungen zu be-
ziehen sei. In unserem Falle wird, da wir doch zwischen der
Entwickelung der Sculptur und der Malerei eine gewisse Wech-
selwirkung annehmen dürfen, ein Blick auf die erstere das Mittel
zum richtigen Verständnisse gewähren. Erinnern wir uns, was
Polyklet in der Lehre von den Porportionen geleistet hatte,
so muss uns das Streben, seine Leistungen für die Malerei
[104] nutzbar zu machen, durchaus naturgemäss erscheinen. Des
Parrhasios Verdienst in dieser Richtung musste aber um so
mehr Anerkennung finden, je weniger ihm hier sein sonstiger
Nebenbuhler Zeuxis den Ruhm streitig machte, wenn wir
auch zugeben wollen, dass dieser nur um anderer künst-
lerischer Zwecke willen die Vollkommenheit der Propor-
tionen zurücktreten liess.


Von diesem Vorzuge des Parrhasios abgesehen, der
sich mehr auf die Anlage, als auf die Durchführung seiner
Gestalten bezieht, lassen sich alle übrigen Lobsprüche des
Plinius unter einem einzigen Gesichtspunkte zusammenfassen,
welchen Quintilian 1) durch die Worte: examinasse subtilius
lineas traditur, kurz, aber schlagend angiebt. Hier ist also als
das Hauptverdienst, auf welches alle übrigen Vorzüge, wie
auf einen gemeinsamen Quell zurückzuführen sind, die Zeich-
nung
hingestellt, und zwar, da der Ausdruck subtilius nicht
ohne eine bestimmte Absicht gewählt sein wird, eine wesent-
lich verfeinerte Zeichnung. Nur werden wir diesen Ausdruck
nicht nach dem engsten Sinne des Wortes, sondern nach
seiner weiteren Bedeutung auslegen müssen, wonach wir unter
Zeichnung die Mittel zur Darstellung der Form im Gegen-
satz zur Farbe begreifen. Gehen wir indessen von dem eng-
sten Sinne aus, so stellt sich uns als die erste Bedingung
einer guten Zeichnung die Richtigkeit der Umrisse dar: und
gerade in dieser Beziehung finden wir das Verdienst des
Parrhasios mit besonderem Nachdrucke hervorgehoben: in
liniis extremis, in den Contouren hatte er nach dem Urtheile
nicht der Laien, sondern der Künstler den Preis davon-
getragen. Die grösste Bedeutung gewinnt aber wiederum
der Contour an den Extremitäten, wo weniger eine einzelne
grössere Masse ihrer Form nach begrenzt, als die Verknü-
pfung zahlreicher Formen in sehr complicirten und wandel-
baren Lagen zur Anschauung gebracht werden soll. Gerade
an diesen Theilen aber muss es sich zeigen, dass in der
Malerei der Contour allein nicht genügen kann, um von der
Natur aller dieser Formen hinlänglich Rechenschaft zu geben.
Wir verlangen ausserdem noch die Rundung jedes einzelnen
Theiles zu erkennen, und diese darzustellen ist nur möglich
[105] durch die Beobachtung von Licht und Schatten. Wenn wir
nun behaupten, dass hierauf auch die an den Werken des
Parrhasios gerühmten Vorzüge in der Bildung der Extre-
mitäten beruhen, so kann es freilich scheinen, als geriethen
wir dadurch in Widerspruch mit den Zeugnissen des Alter-
thums, namentlich des Quintilian, 1) welcher dem Zeuxis im
Gegensatze zu Parrhasios das Verdienst beilegt, das Ver-
hältniss der Lichter und Schatten zuerst richtig erkannt zu
haben. Allein auch für diesen Widerspruch giebt es eine
Lösung: denn ich glaube schon früher nachgewiesen zu
haben, dass jenes Verdienst des Zeuxis besonders in der
Färbung zu suchen sei, d. h. in der richtigen Bestimmung
der Wirkungen, welche Licht und Schatten auf die Farbe
ausüben. Was Parrhasios erstrebte, ist dagegen von dieser
durchaus unabhängig. Er richtete sein Augenmerk auf die
Bedeutung von Licht und Schatten, insofern aus ihnen die
Beschaffenheit der Formen erkannt werden soll, oder, um
es mit einem neueren Kunstausdrucke zu bezeichnen: er
wurde durch die Sorgfalt der Zeichnung, welche jede Form
klar und bestimmt wiederzugeben strebt, auf Beobachtung
des Helldunkels wenigstens in den Extremitäten geführt.
Denn was man nach Plinius von ihrer Darstellung verlangen
muss, dass die Umrisse nicht abgeschnitten erscheinen, son-
dern dass jede Form sich abrunde, und das Auge aus der
Gestalt des ihm sichtbaren Theiles auf die von ihm abge-
wendeten schliessen könne, das zu erreichen, genügt noch
keineswegs die Kenntniss der einfachen oder directen Wir-
kungen des Lichtes. Ein der Wirklichkeit entsprechender
Eindruck entsteht in dem Kunstwerke erst durch die genaue
Beobachtung der Lichtbrechungen und Reflexe, welche sich
mehr oder minder an allen abgerundeten Körpern und zwar
ganz besonders gegen die Umrisse derselben hin zeigen
müssen. Sind diese nun an den Extremitäten wegen der
zahlreichen Gliederungen derselben am complicirtesten, so
erklärt sich daraus, wie der Künstler, welcher ihre Be-
deutung für die Malerei zuerst erkannt hatte, ihnen auch an
diesen Theilen vorzugsweise seine Aufmerksamkeit widmete,
während er „mit sich selbst verglichen“ in den mittleren
[106] Partien des Körpers, wo es sich mehr um die Darstellung
von Flächen handelte, minder tüchtig erschien.


Hiermit hängt aber auch das Lob zusammen, welches
Plinius dem Parrhasios wegen der Behandlung des Haars
ertheilt. Denn bei diesem machen sich dieselben Forde-
rungen geltend, wie bei den Extremitäten: ja man könnte
sagen, sie seien eine unendliche Zahl von Extremitäten. Aber
freilich macht gerade diese Unendlichkeit die Nachahmung
der Wirklichkeit in allen ihren Einzelnheiten noch mehr als
sonst zur Unmöglichkeit. Die Kunst muss sich hier mit
dem Scheine begnügen, indem sie sich darauf beschränkt,
eines Theils den Wuchs des Haars in bestimmter Weise zu
charakterisiren, andern Theils die Masse desselben in grös-
sere und kleinere Partien zu sondern. Ersteres beruht we-
sentlich auf der Zeichnung im engeren Sinne; das Zweite
erheischt eine feine Beobachtung der Lichtwirkungen und
Reflexe, wodurch allein es möglich wird, den Eindruck des
Lockern, Leichten und Durchsichtigen aus der Wirklichkeit
in das Kunstwerk zu übertragen. Indessen möchte der von
Plinius gewählte Ausdruck elegantia das eigenthümliche Ver-
dienst des Parrhasios nur zum Theil bezeichnen: denn aus
der Weise, wie in dem oben angeführten Epigramme das
wilde, verbrannte Haar des Philoktet geschildert wird, müs-
sen wir schliessen, dass Parrhasios das Haar nicht als
einen gleichgültigen Schmuck des Hauptes betrachtet, son-
dern sich desselben zur schärferen Charakteristik, zur Ver-
stärkung des geistigen Ausdrucks bedient habe.


Näheren Bezug auf den Letzteren nehmen schon die
Worte, mit denen Plinius von den besonderen Verdiensten
in der Bildung der Augen und des Mundes spricht: argutias
voltus, venustatem oris. Aber auch sie hängen auf das
Engste mit den bisher betrachteten Eigenthümlichkeiten zu-
sammen. Hinsichtlich des Mundes hatte schon Polygnot die
aus einer leisen Oeffnung desselben entspringenden Vortheile
erkannt; aber bei den ungenügenden technischen Mitteln
seiner Zeit vermochte er dieselben nur in sehr bedingter
Weise für sich zu benutzen. Ganz derselben Beschränkung
müssen wir auch das Lob unterwerfen, dass er an die Stelle
der alten Strenge eine grössere Mannigfaltigkeit im Aus-
drucke der Gesichtszüge (voltum) setzte. Wenn nun Par-
[107] rhasios wesentlich über die Leistungen des Polygnot hinaus-
ging, so erreichte er dies materiell in ähnlicher Weise, wie
bei den Extremitäten, nemlich durch eine auf das Feinste
in Zeichnung und Modellirung durchgebildete Formenbe-
handlung.


So weit es sich also um die Mittel künstlerischer Dar-
stellung handelt, beruht die Eigenthümlichkeit des Parrhasios
auf einer verfeinerten Durchbildung der Form. Wie aus-
schliesslich er aber diese Richtung verfolgte, das lässt sich
durch andere Zeugnisse wenigstens auf negativem Wege
noch weiter nachweisen. Wenn es z. B. Fronto für thöricht
erklärt, von Parrhasios zu verlangen, dass er Gegenstände
male, deren Bedeutung in der Mannigfaltigkeit der Farbe
liege, 1) so spricht sich darin bestimmt aus, dass sein Ver-
dienst nicht in der Färbung, sondern anderswo zu suchen
sei. Der Ausspruch des Euphranor, dass sein eigener The-
seus wie mit Ochsenfleisch, der des Parrhasios wie mit
Rosen genährt scheine, 2) bezieht sich zwar, wie wir später
sehen werden, noch besonders auf einen tieferen Gegensatz
der Auffassung bei beiden Künstlern. Doch dürfen wir ihn
auch als Beleg dafür anführen, dass die Farbe bei Parrhasios
von naturgemässer Durchbildung noch weit entfernt war. 3)
Die Anekdote endlich von dem Wettstreite des Zeuxis und
Parrhasios gewinnt erst in diesem Zusammenhange eine be-
stimmtere Bedeutung. Die Täuschung der Vögel gelang dem
Zeuxis offenbar durch den Farbenschmelz der gemalten
Trauben. Wenn es dagegen nach dem Bisherigen nicht die
Farbe des Vorhanges sein konnte, wodurch Parrhasios das
Auge seines Nebenbuhlers täuschte, wenn ferner selbst die
richtigste Zeichnung in den Umrissen der Falten und Brüche
für sich allein Illusion hervorzubringen schwerlich genügt
hätte, so müssen wir fast mit Nothwendigkeit daraus folgern,
[108] dass diese Wirkung nur durch jene feine Beobachtung der
Lichter, Schatten und Reflexe erreicht wurde, welche den
Falten erst Körper und Rundung zu verleihen vermochte.


Also auch hier begegnen wir wieder der Durchbildung
der Form. Aber wenn wir ihr auch in diesem letzten Bei-
spiele eine ausschliessliche Bedeutung zugestehen mögen, so
ändert sich dieses Verhältniss vielfach gerade in Beziehung auf
diejenigen Punkte, auf welche Plinius einen besondern Nach-
druck legt. Bei den einzelnen feinen Zügen des Antlitzes,
selbst bei den Extremitäten, wie den Fingern in ihrer mannigfal-
tigen Bewegung, nimmt nicht sowohl die Form an sich un-
sere Aufmerksamkeit in Anspruch, als der Ausdruck, welcher
sich in diesen Formen ausspricht. Wir haben deshalb unsere
Untersuchung auf die Frage hinzulenken, ob die ganze
bisher erörterte Richtung des Parrhasios, weit entfernt, an
sich Zweck zu sein, nicht blos die Grundlage abgegeben
habe, um zu einer wesentlich verfeinerten Darstellung gei-
stigen Ausdrucks zu gelangen.


Zur Beantwortung dieser Frage wollen wir uns den
Weg bahnen durch einen Blick auf das Gespräch des Künst-
lers mit Sokrates, welches uns Xenophon 1) aufbewahrt hat.
Hier definirt Sokrates die Malerei zunächst als die Nachbil-
dung der sichtbaren Eigenschaften der Dinge (ἡ εἰκασία τῶν
ὁϱωμένων), indem man ja Hohles, Hohes, Dunkles, Helles,
Hartes, Weiches, Rauhes, Glattes, Junges und Altes an den
Körpern durch Farben darstelle. Dieses könne der Maler
mehr portraitmässig wiedergeben; aber da selten in einem
Menschen Alles untadelhaft gefunden werde, so dürfe er
auch aus einzelnen Körpern einzelne Schönheiten auswählen
und aus ihnen ein einziges schöne Ganze, ein Ideal zusam-
menstellen. Wie aber nun, fragt er weiter, verhält es sich
mit dem Nachbilden des Ethos der Seele, des Einnehmenden,
Freundlichen, Liebenswürdigen, Sehnsüchtigen, Reizenden?
oder lässt sich das nicht nachbilden? Parrhasios antwortet
zuerst ausweichend: dies habe ja keine von jenen körper-
lichen Eigenschaften, keine Symmetrie, keine Farbe, und sei
überhaupt nichts Sichtbares. Da wendet Sokrates sehr schön
das Gespräch auf die Bildung der Augen, — denn darauf
[109] beruhe z. B. der Ausdruck freundlicher und feindlicher Ge-
sinnung; — und bringt dadurch Parrhasios zum Bewusstsein
dessen, was er längst in der Malerei schon ausgeübt hatte: er
gesteht ein, dass, wo einem etwas Gutes begegne, das Aus-
sehen hell und freundlich, wo etwas Böses, trübe und finster
sein werde; und das sei darstellbar. Worauf Sokrates: Aber
auch Geistesgrösse und Freimüthigkeit, Niedrigkeit und Un-
freiheit, Mässigung und gesetztes Wesen, Uebermuth und
Unartigkeit, auch dieses leuchte hervor aus dem Gesicht, der
Haltung, aus der Stellung und Bewegung der Menschen. 1)
So kann Parrhasios schliesslich nicht umhin zuzugeben,
dass auch diese Eigenschaften durch die Kunst darstellbar
seien. Mit feiner Kenntniss des Künstlers scheint hier So-
krates die Discussion gerade auf den Punkt gelenkt zu
haben, in welchem dessen Hauptstärke begründet lag. Denn
seine letzte Auseinandersetzung muss uns unwillkürlich die
Worte ins Gedächtniss zurückrufen, mit welchen Plinius den
Demos des Parrhasios beschreibt. Freilich spricht Sokrates
nicht von den Gegensätzen des Ausdruckes als in einer
Person vorhanden. Aber sofern verschiedene Tugenden und
Leidenschaften einen und denselben Menschen beherrschen
können, und die Kunst überhaupt verschiedenartigen Aus-
druck darzustellen vermag, so muss sie auch diese Gegen-
sätze in einer Person auszudrücken im Stande sein. Wenn
wir nun aber auch auf dialektischem Wege als eine Möglich-
keit erkannt haben, dass Parrhasios seine Aufgabe in der
von Plinius angegebenen Weise löste, so ist es doch noch
wichtiger, nach den Bedingungen zu forschen, auf denen von
künstlerischer Seite die Möglichkeit der Lösung beruhte.


Nehmen wir einen concreten Fall, so kann unleugbar
z. B. auch das Antlitz eines Jähzornigen zuweilen den Aus-
druck der Milde annehmen, oder umgekehrt. Dennoch
werden sich aber auch in der veränderten Stimmung die
Spuren des gewöhnlichen Seelenzustandes nicht gänzlich
verwischen lassen; woraus sich ergiebt, dass nicht beide
Gegensätze gleichberechtigt sind, sondern dass die eine Seite
[110] die Geltung von etwas Bleibenden, die andere die von etwas
Vorübergehendem hat. Diese verschiedene Geltung wird
sich aber auch körperlich dadurch offenbaren, dass die ur-
sprüngliche Eigenschaft, das ursprüngliche Temperament in
denjenigen Bildungen des Körpers seinen Ausdruck findet,
welche theils von Natur eine festere Gestalt haben, wie der
ganze Knochenbau, theils eben durch die dauernden und
stets wiederkehrenden Einwirkungen jener Eigenschaft auch
in der ganzen Haltung und selbst in den weicheren, flei-
schigen Theilen in bestimmterer Weise sich ausprägen. Die
vorübergehenden Stimmungen oder Erregungen des Gemüthes
und Gefühls werden sich uns dagegen in eben so vorüber-
gehenden Bewegungen des Körpers oder Zügen des Antlitzes
offenbaren. Kehren wir jetzt wieder zum Demos zurück, so
wollen wir die von den Neuern versuchten Reproductionen
dieses Werkes keiner weiteren Prüfung unterwerfen. 1) Denn
da uns alle Haltpunkte hinsichtlich der äusseren Darstellung
fehlen, so könnte wohl ein bedeutender Künstler die gestellte
Aufgabe von neuem selbstständig und vortrefflich lösen;
aber trotzdem würde uns dafür, dass seine Lösung mit der
des Parrhasios übereinstimme, jedwede Gewähr fehlen. Da-
gegen dürfen wir nach dem Vorhergehenden behaupten,
dass die Aufgabe an sich die eingehendste Berücksichtigung
jener wandelbaren und veränderlichen Formen mit Nothwen-
digkeit voraussetzt; und da die verschiedenen Charakterzüge
doch nur in der Bildung der Augen, des Mundes, in der Be-
wegung der Hände u. s. w. zur Darstellung gebracht werden
konnten, so erkennen wir nunmehr, wie alle jene Feinheiten
der Form bei Parrhasios ihre Bedeutung erst dadurch er-
langten, dass sie die Träger eines nicht minder verfeinerten
Ausdruckes wurden.


Nehmen wir diesen Satz zunächst als bewiesen an, —
und für seine Richtigkeit werden sich später noch mannig-
fache Thatsachen anführen lassen, — so bleibt uns doch die
noch wichtigere Frage zu beantworten, in welcher Weise
durch diese Richtung die gesammte Auffassung künstlerischer
Aufgaben bei Parrhasios bedingt wurde. Denn wenn wir
fanden, dass Polygnot trotz, ja in gewissem Sinne in Folge
[111] der grössten Einfachheit und Beschränkung in den Mitteln
der Darstellung zur grössten Tiefe der geistigen Auffassung
und des Ausdruckes gelangte, so werden wir bei Parrhasios
wegen der Verschiedenheit des Weges auch eine eben so
grosse Verschiedenheit der Endzwecke und Erfolge voraus-
zusetzen geneigt sein. Wir knüpfen unsere Erörterung wie-
der an das einmal gewählte Beispiel, den Demos, an und
fragen einfach, ob wir diese Darstellung in der von Plinius
geschilderten Durchführung als eine Idealbildung bezeichnen
dürfen. Die Antwort muss verneinend ausfallen: in dem
Urtheile des Plinius spricht sich keineswegs Bewunderung
über die Tiefe und geistige Bedeutung der Auffassung aus;
man ist zunächst nur erfreut über das „argumentum inge-
niosum,“ das Sinnreiche in der Wahl einer Aufgabe, deren
Lösung durch eine kunstreiche Verschmelzung der schwie-
rigsten Contraste überraschen muss. Diese Widersprüche
in dem Wesen eines Volkes, wenn wir dasselbe als ein Indi-
viduum fassen wollen, sind aber nicht eigentlich in dessen
geistigen Befähigungen und Anlagen begründet, sondern viel-
mehr die Folge der Erregungen und Wandlungen des Ge-
müthes und Gefühls, welche oft das ursprüngliche Ethos,
wenn nicht gänzlich zu unterdrücken, doch zeitweise zu ver-
dunkeln vermögen. Schon hieraus folgt nun, dass ihre Dar-
stellung nicht in dem Sinne eine ethische sein kann, wie wir
sie bei Polygnot kennen gelernt haben. Denn indem der
Künstler gerade auf die vorübergehenden, durch äussere
Umstände aufgeprägten Zustände und Stimmungen, auf die
scharfe Beobachtung der Aeusserungen des Gefühls- und
Gemüthslebens sein Hauptaugenmerk lenkte, erhielt statt des
ethischen das psychologische Element eine bevorzugte
Geltung, oder mit andern Worten, die psychologische Cha-
rakteristik wurde wenigstens in diesem Werke zur Haupt-
aufgabe.


Ehe wir jedoch die Bedeutung dieser Behauptung weiter
verfolgen, wird es gut sein nachzuforschen, ob sich ein ähn-
liches Vorwiegen dieses Elementes auch in andern der uns
bekannten Schöpfungen des Parrhasios nachweisen lässt.
Fast mit Nothwendigkeit scheint es vorauszusetzen bei der
Darstellung einer so vielseitigen und gewandten Persönlich-
keit, wie Odysseus. Denn nehmen wir z. B. das Gemälde
[112] von seinem erheuchelten Wahnsinn, so ist eine vollständige
Lösung dieser Aufgabe dadurch bedingt, dass der Künstler
in der Hauptfigur unter der angenommenen Maske des Wahn-
sinns nicht nur den ursprünglichen Charakter der Verschla-
genheit, sondern noch besonders den Kampf zwischen kalt
berechnender Klugheit und väterlicher Liebe erkennen liess,
in welchen den Odysseus die List des Palamedes verstrickt
hatte. In dem Urtheile über die Waffen des Achilleus er-
scheint Odysseus zwar selbst als eine der handelnden Haupt-
personen, für das Kunstwerk aber noch bedeutsamer als
feiner Beobachter des Aias, aus dessen Wuth bereits die
Symptome der späteren Raserei hervorleuchten mussten. Wie-
der eine andere ist seine Rolle bei der Heilung des Telephos;
und vielleicht dürfen wir ihn nochmals in dem Bilde des
Philoktet voraussetzen. Auf jeden Fall verdient Letzteres
wegen des Helden selbst Berücksichtigung: der ausgezehrte
Körper, das verwilderte und verbrannte Haar, das starre
thränenvolle Auge machen ihn zu einem Bilde des tiefsten
Körper- und Seelenschmerzes. Unwillkürlich werden wir,
wenn wir diese Schilderung der beiden Epigramme auf die
durchaus verwandte Aufgabe im Bilde des Telephos an-
wenden, an den berüchtigten Bettler-König des Euripides
erinnert, welchem man zum Vorwurfe machte, dass der
Dichter den Heros, den König der psychologischen Schilde-
rung menschlichen Elends geopfert habe. Wäre der Pro-
metheus als wirklich einst vorhanden besser beglaubigt, so
würden wir auch dieses Werk als ein drittes Schmerzensbild
anführen müssen: doch dürfen wir jetzt wenigstens sagen,
dass die Aufgabe dem Geiste des Künstlers überhaupt ent-
sprach. Wenn nun die zuletzt angeführten Darstellungen
etwa zu der Annahme verleiten könnten, dass für den
Künstler bei ihrer Wahl das Interesse an dem tragisch er-
greifenden Gehalte bestimmend gewesen sei, so trägt da-
gegen z. B. das Bild der zwei Knaben durchaus den Cha-
rakter der Naivetät; und doch schliesst es sich den bisher
betrachteten Werken vollkommen an. Denn indem der Künst-
ler den Ausdruck knabenhafter Dreistigkeit und Einfalt dar-
zustellen unternimmt, führt er uns wieder Zustände und Stim-
mungen vor Augen, wie sie dem Knabenalter nicht eigentlich
als fester Charakter, sondern gewissermassen als vorüber-
[113] gehende Laune eigen zu sein pflegen. Ja selbst wo die
Schilderung von Seelenzuständen zunächst nicht weiter in
Betracht kommt, wie in den Bildern der beiden Krieger,
deren einer im Anstürmen zu schwitzen, der andere beim Ab-
legen der Waffen zu verschnaufen schien, selbst da bewegte
sich der Künstler auf einem durchaus verwandten Gebiete: wir
finden hier zwar weniger die psychische, als die physische Le-
bensthätigkeit in lebhafter Anspannung; aber auch ihre Dar-
stellung verlangt nicht minder das sorgfältigste Eingehen ge-
rade auf diejenigen Formen und Züge, in denen die Aeusserung
psychologischer Zustände und Stimmungen ihren Sitz hat.


Wenn demnach unsere Behauptung, dass Parrhasios
vorzugsweise auf ihre Schilderung sein Augenmerk gerichtet
habe, durch mehrere und besonders bezeichnende unter
seinen Werken bestätigt wird, so scheint hingegen ein di-
rectes Zeugniss eines sonst unverwerflichen Gewährsmannes
damit in geradem Gegensatze zu stehen. Quintilian 1) sagt
nemlich von Parrhasios: „er habe alles so umsichtig durch
gebildet, dass man ihn den Gesetzgeber nenne, weil in den
Bildern der Götter und Heroen, wie sie von ihm überliefert
wären, die übrigen ihm folgten, als ob es so nothwendig
sei.“ Denn nach diesen Worten sollte man glauben, das
Verdienst des Parrhasios beruhe darin, gewissermassen einen
Kanon für die Idealbildung der Götter und Heroen in der
Malerei festgestellt zu haben. Aber schon der Umstand,
dass unter den Werken des Parrhasios kaum ein einziges
Götterbild, und keins mit besonderer Auszeichnung genannt
wird, muss uns darauf hinweisen, dass wir das Zeugniss
Quintilians nicht im einfachsten Wortsinne, sondern nur
unter gewissen Beschränkungen annehmen dürfen. Diese
erscheinen aber auch durch den Zusammenhang geboten, in
welchem es sich bei Quintilian findet. Dort wird unmittelbar
vorher das Verdienst des Zeuxis um Licht und Schatten, das
eigentlich Malerische in der Malerei, gerühmt und daran die
Bemerkung geknüpft, dass dieser Künstler (doch wohl in
Folge dieser Bestrebungen) den Formen eine grössere Fülle
gegeben habe. Dies, müssen wir wegen des Folgenden im
Gedanken ergänzen, ist eine persönliche, wenn auch nicht
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 8
[114] zu tadelnde, doch eben so wenig zu allgemeiner Nachah-
mung zu empfehlende Eigenthümlichkeit. Parrhasios dagegen,
heisst es nun weiter, ist wegen seiner feinen Kenntniss der
Linien (und der auf ihr beruhenden genaueren Durchbildung
der Form) ein mustergültiges Vorbild. Denn in der Beto-
nung der Sorgfalt und Umsicht durch die Worte: ille vero
ita circumspicit omnia, ut eum legumlatorem vocent, liegt eine
so deutliche Beziehung auf den vorher gewählten Ausdruck
der Subtilität: examinasse subtilius lineas traditur, dass da-
gegen das Folgende: quia deorum atque heroum effigies, qua-
les ab eo sunt traditae, ceteri tamquam ita necesse sit, se-
quuntur, fast nur wie ein erklärender Zusatz erscheint, des-
sen Wortlaut sich zunächst wenigstens in so weit rechtfer-
tigen lässt, als Parrhasios seine Kunst weniger an Portraits
und historischen Gegenständen, als an mythologischen Dar-
stellungen übte. Fassen wir indessen scharf ins Auge, was
wir bisher über die Eigenthümlichkeit des Parrhasios fest-
gestellt haben, so werden wir dem Urtheile Quintilians auch
eine strengere Deutung zu geben vermögen, nemlich in dem
Sinne, dass die von ihm aufgestellten psychologischen Cha-
raktere wegen ihrer psychologischen Wahrheit den Uebrigen
als Vorbild und Muster vorleuchteten. Freilich konnten in
Werken der Malerei, wo stets die besondere Motivirung der
Handlung einen bedeutenden Einfluss auf die Darstellung je-
der einzelnen Figur gewinnen muss, nicht, wie bei der Nach-
bildung plastischer Ideale, ganze Gestalten in allem Wesent-
lichen unverändert benutzt und förmlich übertragen werden.
Erinnern wir uns aber, wie in der griechischen Kunst für
bestimmte Arten des Ausdrucks, der Affecte, des Handelns
sich bestimmte Formen der Darstellung in Mienen, Haltung,
Bewegung, gleichsam wie eine feste Terminologie in der
Sprache, ausgebildet haben, so dürfen wir vermuthen, dass
der Einfluss des Parrhasios gerade auf diesem Gebiete ver-
möge seiner ganzen künstlerischen Eigenthümlichkeit höchst
bedeutend und selbst maassgebend sein musste. Hieraus er-
klärt sich vielleicht auch, weshalb gerade bei Parrhasios
erwähnt wird, dass die Künstler aus der Benutzung seiner
Studien mannigfachen Vortheil zögen. Denn eben an den
einzelnen in ihnen gesammelten und niedergelegten Beobach-
tungen der feinsten Züge und Motive konnten die Künstler
[115] lernen, auf welchen Vorbedingungen die Möglichkeit dieser
scharfen und eingehenden Charakteristik beruhte, welche seinen
Gestalten jenes hohe, gewissermassen kanonische Ansehen
verlieh.


Halten wir also als Thatsache fest, dass die Eigenthüm-
lichkeit des Parrhasios auf der scharfen Auffassung und
feinen Durchführung des Psychologischen in den Charakteren
beruhte, so wird dadurch seine Stellung in der Entwicke-
lungsgeschichte der Kunst sehr bestimmt bezeichnet. Wäh-
rend Polygnot in seinen Gestalten vor Allem das Ethos, den
bleibenden, dauernden Grundcharakter darzustellen und den-
selben durch einfache, aber um so klarer und schärfer ge-
fasste Formen zum Ausdruck zu bringen strebte, ging Par-
rhasios ganz im Gegensatz dazu von der Beobachtung der
einzelnsten und vorübergehendsten Züge aus. Aber so scharf
auch seine Beobachtungsgabe sein mochte, so war doch sein
Ausgangspunkt mehr ein äusserlicher, als ein auf tieferer
Erkenntniss der innern Gründe beruhender, wie bei Polygnot,
der überall das von ihm zur Anschauung gebrachte Ethos
als ein nothwendiges, aus einer einheitlichen Idee von innen
erwachsenes hinzustellen, also das Mannigfaltige aus der
Einheit zu entwickeln bestrebt war. Gerade umgekehrt geht
Parrhasios darauf aus, eine Fülle verschiedenartiger Züge
zur Einheit eines Charakters zusammenzufassen, und, wie im
Demos, selbst die widersprechendsten Eigenschaften und
Stimmungen als in einer Person vereinigt zu zeigen. Aber
gerade an diesem Beispiele zeigt sich, dass ein solcher Cha-
rakter nicht als aus einer inneren Nothwendigkeit entsprun-
gen gelten kann. Denn die Aufgabe musste schon dann als
gelöst betrachtet werden, sobald nur die Widersprüche als
unter einander versöhnt erschienen. Das Ziel des Künstlers
war also, um es kurz auszudrücken, nicht mehr das Noth-
wendige, sondern nur das Wahrscheinliche oder Wahre.


Wenn wir uns jetzt erinnern, dass wir bei Zeuxis in der
Auffassung der Handlung ein ähnliches Herabsteigen vom
Nothwendigen zum Wahrscheinlichen fanden, so scheinen
wir dadurch zu dem Schlusse geführt zu werden, dass zwi-
schen beiden Künstlern hinsichtlich der Endpunkte ihrer Be-
strebungen eine gewisse Gemeinsamkeit obgewaltet habe.
Bisher aber begegneten wir wenigstens in Betreff der Mittel
8 *
[116] künstlerischer Darstellung nur Gegensätzen, und zunächst
werden wir dieselben auch noch weiter auf dem geistigen
Gebiete verfolgen müssen. Wir nannten die Charaktere des
Zeuxis Gattungscharaktere: indem die dargestellten Personen
einer bestimmten Situation untergeordnet waren, mussten sie
einen Theil ihrer besonderen Individualität einbüssen und
sich mit einer mehr allgemeinen oder generischen Auffassung
begnügen. Gerade das Umgekehrte ist bei Parrhasios der
Fall. Das Streben, den Ausdruck bis in seine feinsten und
flüchtigsten Aeusserungen zu verfolgen, musste in der Cha-
rakteristik dem Individuellen eine viel weiter greifende Be-
rücksichtigung sichern, als es dieselbe nicht nur bei Zeuxis,
sondern überhaupt bisher gefunden hatte. In Folge davon
konnte aber die durch äussere Umstände geschaffene Situa-
tion nicht mehr einen überwiegenden Einfluss auf die han-
delnde Persönlichkeit ausüben, sondern die Handlung musste
durch die Individualität der Letzteren bedingt und selbst als
durchaus individuell erscheinen.


Trotz dieses Gegensatzes müssen wir aber zugestehen,
dass im Verhältniss zu Polygnot und seiner Kunstrichtung
Parrhasios und Zeuxis in ihren Bestrebungen manches Ge-
meinsame haben. Die hervorragende Stellung, welche wir
dem Polygnot anzuweisen nicht umhin konnten, beruhte auf
der Anerkennung des durchaus idealen Grundzuges, welcher
seiner Kunst eigenthümlich ist. Diese Idealität war aber von
der besondern Kunstgattung fast gänzlich unabhängig; ja
man könnte behaupten, dass jenes reine und directe Ideali-
siren jedes einzelnen Charakters noch mehr der Plastik zu-
komme, als der Malerei, welche eine gewissermassen indi-
recte Idealität durch das Zusammenwirken einer Mannigfaltig-
keit von Dingen und Personen zu erstreben habe. Auf
keinen Fall wird es Widerspruch erregen, wenn wir Poly-
gnot gross und gewaltig nicht sowohl speciell als Maler,
sondern als Künstler überhaupt nennen, indem bei ihm die
relativ noch wenig ausgebildeten Mittel der Darstellung gegen
die Bedeutung des poetisch-künstlerischen Schaffens durch-
aus zurücktreten. Gerade das aber ist der Punkt, durch wel-
chen Zeuxis und Parrhasios in einen entschiedenen Gegen-
satz zu Polygnot treten. Sie sind vor Allem Maler, und ihr
Ruhm beruht zunächst auf dem, was sie vermöge der Mittel
[117] dieser besondern Kunst geleistet haben, wenn auch nach
sehr verschiedenen Seiten hin. Es liegt im Wesen der Ma-
lerei, dass sie nicht die Dinge selbst als Körper, sondern
nur den Schein der Dinge zur Darstellung zu bringen ver-
mag. Dieser Schein aber wird für den äusseren Sinn durch
die Wirkung von Licht und Schatten hervorgebracht, indem
dadurch eines Theils die Farbe, andern Theils die Beschaffen-
heit der Form wahrnehmbar wird. Auf je eine dieser beiden
Seiten richteten die Nachfolger des Polygnot ihre vorwie-
gende Aufmerksamkeit, und im Hinblick hierauf können wir
sagen, dass durch sie die eigentliche Malerei überhaupt erst
ihre selbstständige Ausbildung erhalten habe. Wenn hier-
nach die äussere Erscheinung der Dinge den Ausgangspunkt
ihrer Thätigkeit bildete, so war doch die Darstellung der-
selben nicht für sich selbst und allein Zweck, wohl aber
bedingte sie die gesammte Auffassung auch in Hinsicht auf
den geistigen Theil der zu lösenden Aufgaben. So wählt
Zeuxis, da die Farbe nach Gesammtwirkung streben muss,
mit Vorliebe solche Stoffe zur Darstellung, welche schon durch
eine passende Zusammenstellung oder durch geschickte Wahl
des Moments oder der Situationen, also durch die Anlage
des Werkes in seiner Gesammtheit, das Interesse des Be-
schauers zu fesseln vermögen. Wie dagegen die vollendete
Darstellung der Form ein Eingehen in die feinsten Gliede-
rungen und Einzelnheiten verlangt, die höchsten, in den
flüchtigsten Mienen und Bewegungen sich aussprechenden
Feinheiten aber im Grunde noch mehr geistige als formelle
Bedeutung haben, so finden auch die Bestrebungen des
Parrhasios erst auf dem letzteren Gebiete ihren End- und
Zielpunkt, indem der Durchbildung der Form eine nicht
minder durchgebildete Feinheit der Charakteristik und des
Ausdrucks entspricht.


So sind Zeuxis und Parrhasios dem Polygnot gegenüber
die Vertreter einer neuen Kunstrichtung, aber nicht in der
Weise, dass sie auf gemeinsamem Wege ein gemeinsames
Ziel verfolgten. Vielmehr laufen ihre Bestrebungen neben
einander fort, fast ohne sich anders zu berühren als in dem
allgemeinen Endzwecke, die Kunst der Malerei einer höheren
Stufe der Vollendung entgegenzuführen. Jeder ist in seiner
Weise bedeutend; und wem der grössere Ruhm gebühre, ist
[118] um so weniger zu entscheiden, als sich ihre Leistungen im
Besondern kaum vergleichen lassen, ihre Werthschätzung im
Allgemeinen aber durchaus relativ und gänzlich durch den
Standpunkt bedingt ist, von welchem man bei der Beurthei-
lung ausgeht. Auch dem Alterthum ist ein solcher Vergleich
fern geblieben, und zumal die Zeitgenossen haben beiden
Künstlern ihre Anerkennung im reichsten Maasse zu Theil
werden lassen, in zu reichem Maasse sogar, insofern sie da-
durch die Künstler zu einem unbegrenzten Hochmuthe ver-
leiteten: denn auch hierin giebt Parrhasios seinem Neben-
buhler Zeuxis nichts nach. Plinius 1) äussert sich darüber
folgendermassen: „Ein fruchtbarer Künstler, aber keiner hat
seinen Künstlerruhm in so stolzer und anmassender Weise, wie
er ausgebeutet; denn er legte sich Beinamen bei, wie ἁβϱο-
δίαιτος; in andern Versen nannte er sich den Fürsten der
Kunst und behauptete, dass dieselbe durch ihn ihren Gipfel
erreicht habe, vorzüglich aber, dass er von Apollo 2) ab-
stamme, und den Herakles zu Lindos so gemalt habe,
wie er denselben oft während des Schlafes gesehen. Des-
halb meinte er auch, als er in der Darstellung des Aias
und des Waffenurtheils von Timanthes zu Samos mit grosser
Stimmenmehrheit besiegt ward, er beklage es im Namen
seines Helden, dass dieser wiederum von einem Unwürdigen
besiegt worden sei.“ Fast dieselben Nachrichten, nur in
ausgeführterer Weise finden sich bei Aelian 3) und Athe-
naeus, 4) welcher als seine Quelle die Biographien des Kle-
arch angiebt. Danach offenbarte sich der Stolz des Künstlers
schon in der äusseren Erscheinung: er trug einen goldenen
Kranz und eine weisse Binde um das Haupt, dazu ein Pur-
purgewand, hatte seine Schuhe mit goldenen Schnallen ge-
schmückt und führte einen mit goldenen Ranken umwunde-
nen Stab. So spielte er durchaus den vornehmen Mann,
dem nur ein mit allen feinen Genüssen ausgestattetes Leben
anstehe, wie dies der Beiname ἁβϱοδίαιτος besagt. Spötter
freilich erinnerten dadurch, dass sie denselben in ῥαβδοδαίιτος
veränderten, auf witzige Art an die Pinsel (wörtlich an die
[119] von den Enkausten angewendeten Glühstäbchen) als die
Quelle dieser affectirten Vornehmheit. Dass er die erste
Stelle in der Kunst für sich in Anspruch nahm, scheint seine
besondere Veranlassung in der Rivalität mit Zeuxis gehabt
zu haben, wenn wir die folgenden beiden Epigramme hören:


Εἰ χαὶ ἄπιστα χλύουσι, λἐγω τάδε · φημὶ γὰϱ ἤδη

τέχνης εὑϱῆσϑαι τέϱματα τῆσδε σαφῆ

Χειϱὸς ὑφ̛ ἡμετέϱης · ἀνυπέϱβλητος δὲ πέπηγεν

οὖϱος· ἀμώμητον δ’οὐδὲν ἔγεντο βϱοτοῖς.

Wogegen Zeuxis (Arist. or. πεϱὶ τοῦ παϱαφϑέγμ. II, 386):


Ἡϱάχλεια πατϱίς. Ζεῦξις δ’ὄνομ’. εἰ δέ τις ἀνδϱῶν

ἡμετέϱης τέχνης πείϱατά φησιν ἔχειν,

δείξας νιχάτω. ....

Die Behauptung göttlichen Ursprungs, so wie des Umgangs
mit Heroen würde bei einem Künstler der ältesten Zeit als
mit tief religiösen Vorstellungen im Zusammenhange stehend
wenig Anstoss erregen: bei Parrhasios kann sie nur als die
höchste Selbstüberhebung gelten, wie sie nur in einer Zeit
erklärlich ist, in welcher die alte Strenge der religiösen und
sittlichen Vorstellungen bereits überall gelockert war. Nicht
zu verkennen ist der Einfluss dieser Zeitrichtung auch in
den obscönen Darstellungen des Parrhasios. Namentlich die
Anwendung einer solchen Auffassung auf mythologische Ge-
genstände, wie in dem Bilde des Meleager und der Atalante,
deuten auf eine Frivolität der Gesinnung, welche auf die
Kunst leicht eine um so verderblichere Wirkung ausüben
konnte, je bedeutender sonst der Meister war, der sich ihrer
schuldig machte. Trotzdem werden wir uns hüten müs-
sen, ein allgemeines Verdammungsurtheil darauf begrün-
den zu wollen. Denn eines Theils dürfen wir nicht über-
sehen, dass Parrhasios nur zur Erholung in Mussestunden
und in muthwilligem Scherze kleine Bildchen mit solchen
Darstellungen malte. Sodann aber scheint selbst diese Ver-
irrung in engem Zusammenhange mit dem ganzen Naturell
des Künstlers zu stehen, auf dem doch wiederum seine
übrigen Vorzüge beruhen. Theophrast 1) berichtet nemlich,
[120] dass Parrhasios nie mit widerwilliger Stimmung an die Arbeit
gegangen sei, sondern stets nach heiterer Laune gestrebt und
darum z. B. während der Arbeit gern gesungen habe: so recht im
Gegensatz zu Protogenes, von dem uns Plinius sagt, dass er
sich beim Malen des Jalysos sogar auf eine sehr karge Diät
gesetzt habe, um seinen Geist von den Einflüssen des Kör-
pers möglichst frei zu erhalten. Während deshalb in dem
Ernste und der Gründlichkeit mit diesem sich niemand ver-
gleichen konnte, fanden wir das Verdienst des Parrhasios
auch sonst in einer jenem Naturell entsprechenden künst-
lerischen Befähigung begründet. Wir bewunderten nicht die
Tiefe der Auffassung, welche ihren Gegenstand nach allen
Seiten hin geistig durchdringt, sondern erkannten seine Ei-
genthümlichkeit in der Schärfe der Beobachtung, welche sich
zwar bis auf die grössten Feinheiten des psychologischen
Ausdrucks erstreckt, aber zunächst von der äussern Erschei-
nung ausgeht. Diese zu erfassen, erfordert jedoch nicht so-
wohl tiefes Studium, als vornehmlich einen freien, offenen
Sinn, welcher sich den Dingen unbefangen hingiebt, sie nach
allen Seiten hin in ihrer Eigenthümlichkeit belauscht, und mit
derselben Frische, mit welcher er die Eindrücke erhalten, sie
auch wieder in das Kunstwerk überträgt. Einen solchen
Sinn wird sich aber der Künstler am besten bewahren, wenn
er selbst dem Leben in seiner Mannigfaltigkeit und Bewegt-
heit nicht fern steht, wenn er die Menschen nicht nur nach
ihren Tugenden, sondern auch nach ihren Fehlern und selbst
ihren Lastern zu beobachten häufige Gelegenheit hat. Be-
trachten wir die Eigenthümlichkeiten des Parrhasios unter
diesem Gesichtspunkte, so werden wir zugeben müssen, dass
sie dadurch nicht nur an sich ihre Erklärung finden, sondern
dass sie sich zu einem Charakter zusammenschliessen, dessen
Einheit nicht minder auf seinen Mängeln, als auf seinen
Vorzügen beruht.


Timanthes.


Thimanthes findet hier einen passenden Platz, um uns
zur Schule von Sikyon überzuleiten. Sein Wettstreit in
Samos mit Parrhasios, ein anderer mit Kolotes von Teos 1)
[121] deuten zwar auf gewisse Wechselbeziehungen mit der asia-
tischen Schule hin. Allein als sein Vaterland wird von Quin-
tilian 1) die Insel Kythnos, von Eustathius 2) Sikyon genannt,
welche letztere Angabe dahin zu deuten sein wird, dass Ti-
manthes wegen des Aufschwunges, den dort die Malerei
nahm, ebendaselbst seinen Wohnsitz aufgeschlagen habe.
Die Zeit seiner Thätigkeit muss etwa zwischen Ol. 90—100
fallen, da er von Plinius 3) als Zeitgenosse des Zeuxis, Par-
rhasios, Androkydes, Eupompos hingestellt wird.


Die Zahl der uns bekannten Werke dieses Künstlers ist
sehr gering. Am meisten gefeiert war:


Iphigeneia am Altar stehend, um geopfert zu werden,
mit welcher er den uns sonst ganz unbekannten Kolotes von
Teos besiegte. In diesem Gemälde hatte der Künstler, nach-
dem er in den Nebenfiguren den Ausdruck der Trauer nach
allen Seiten erschöpft, so dass eine Steigerung nicht mehr
möglich schien, die höchste Stufe des Schmerzes im Bilde
des Vaters nicht in Wirklichkeit darzustellen versucht, son-
dern ihn vielmehr in seiner Unaussprechlichkeit nur ahnen
lassen, indem er den Agamemnon mit verhülltem Haupte bil-
dete. Die Abstufungen in dem Schmerze der übrigen Fi-
guren lernen wir aus mehrfachen Anführungen kennen: Kal-
chas war traurig, betrübter Odysseus, Aias klagte laut, in
Menelaos aber sprach sich schon der höchste Jammer aus:
Plin. 35, 73; Cicero orat. 22; Valer. Max. VIII, 11, ext. 6;
Quintil. II, 13, Lucil. Aetna v. 595; Eustath. l. l. Einzelne
Motive aus diesem Bilde scheinen in einem pompeianischen
Gemälde benutzt zu sein, das jedoch in manchen Punkten
wieder zu viele Abweichungen darbietet, um geradezu für
eine Copie nach Timanthes gehalten zu werden: Raoul-Roch.
Mon. inéd. 27; Müller und Oest. A. D. I, 44, 206.


Palamedes, hinterlistig ermordet; zu Ephesos, nach
Tzetzes Chil. VIII, 198. Von diesem Bilde erzählt Ptole-
maeus Hephaestio bei Photius (cod. 190; p. 243 Hoesch.),
dass Alexander bei seinem Anblicke durch die Aehnlich-
keit beunruhigt wurde, die er zwischen seinem Genossen
im Ballspiele Aristoneikos und dem Gemordeten zu finden
glaubte.


[122]

Aias beim Urtheile über die Waffen des Achill, mit
welchem Gemälde er in Samos Parrhasios besiegte: Plin. l. l.


Ein schlafender Kyklop in einem kleinen Gemälde;
um jedoch trotzdem die Grösse des Riesen erkennen zu
lassen, malte er neben ihm Satyrn, welche mit dem Thyrsus
seinen Daumen messen: Plin. 35, 74.


Ein Heros, ein Werk von der höchsten Vollendung,
so dass darin überhaupt die Kunst, Männer zu malen, ent-
halten schien; zu Plinius Zeit im Friedenstempel zu Rom:
Plin. l. l.


Trotz dieser geringen Zahl von Werken müssen wir
Timanthes den bedeutendsten Künstlern beizählen, nicht so-
wohl, weil er gelegentlich Parrhasios wie Kolotes besiegte,
sondern wegen des Urtheils, welches Plinius über ihn fällt:
„Dem Timanthes war eine angeborene Gabe der Erfindung
(ingenium) sogar im höchsten Maasse eigen. … Seine
Werke zeichnet es vor allen andern aus, dass man in ihnen
stets mehr erkennt, als eigentlich gemalt ist; und obwohl
die Kunstfertigkeit (ars) auf der höchsten Stufe steht, so
geht doch der Erfindungsgeist noch über die Kunstfertigkeit
hinaus.“ Der Ausdruck ars bezeichnet hier offenbar die
Technik im weitesten Sinne, die Mittel der Darstellung, so
weit sie auf Kenntniss der Form, wie der Farbe beruhen.
Bei dieser Allgemeinheit der Bedeutung gewinnen wir frei-
lich von dem besonderen Verdienste des Timanthes keinen
bestimmten Begriff; ja eine Aeusserung Cicero’s 1) scheint
sogar das Lob des Plinius einigermassen zu beschränken.
Allein wenn Cicero den Timanthes und Zeuxis mit Polygnot
und denen, welche nur vier Farben angewendet, zusammen-
stellt, so liegt darin, wie wir schon früher bemerkten, ein
zu grosser Widerspruch mit allen sonstigen Ueberlieferungen,
als dass wir uns nicht zu der Annahme berechtigt erachten
sollten: Cicero habe einfach diese Gruppe von Künstlern
als Repräsentanten der älteren Kunstübung im Gegensatz zu
der jüngern gefasst, deren Mittelpunkt Apelles ist, und mit
welchen sie sich allerdings in Hinsicht auf allseitige tech-
nische Vollendung nicht zu vergleichen vermochte. Diese
Einschränkung ist also durchaus relativ; und wir mögen
[123] daher dem Timanthes wenigstens den Ruhm lassen, in der
Durchführung keinem seiner Zeitgenossen nachgestanden zu
haben. In dieser Beziehung kann uns das Bild des Heros
als Beleg dienen, dessen wahrscheinlich einem Epigramme
entnommenes Lob sich nicht unpassend mit dem zusammen-
stellen lässt, was von Polyklet und seinem Kanon gesagt
wurde: dass er allein die Kunst selbst in einem Kunstwerke
dargestellt habe. — Doch, wie Plinius sagt, ingenium tamen
ultra artem est. Dieses ingenium kann, wenn wir auch nur
die genannten wenigen Werke des Timanthes in Betracht
ziehen wollen, nichts anderes sein, als die angeborene Gabe,
in der Motivirung künstlerischer Aufgaben solche Momente
aufzufinden, welche nicht nur die Sinne zu befriedigen, son-
dern noch mehr den Geist des Beschauers zum Nachdenken
auch über das unmittelbar Dargestellte hinaus anzuregen ge-
eignet erscheinen: intelligitur plus semper quam pingitur.
Diese Anregung wird natürlich ihrem Grade und ihrer Stärke
nach sehr verschieden sein können: und so ist es z. B. in
dem Bilde des Kyklopen zunächst der reine Verstand, der
sich an der Berechnung der Grösse des Riesen nach Maass-
gabe der Satyrn erfreuet; in dem Bilde der Iphigenie beruht
auf der Verhüllung des Agamemnon die höchste tragische
Wirkung. Man könnte zwar etwa behaupten wollen, dass
dem Timanthes möglicher Weise hier nur der Ruhm eines
glücklichen Einfalles gebühre, der wohl geeignet sei, ihm
den Beifall der nach ähnlichem Effect trachtenden Redner
zu erwirken, aber noch nicht hinreiche, um darauf das Lob
einer besonderen Tiefe der geistigen Auffassung zu begrün-
den. Fassen wir jedoch die Nachrichten über Timanthes in
ihrer Gesammtheit ins Auge, so werden wir nicht umhin
können, das Urtheil des Plinius als vollgültig anzuerkennen.
Schon in der Wahl eines Gegenstandes, wie die hinterlistige
Ermordung des Palamedes, spricht sich die Neigung aus, die
Bedeutung der Handlung in den ihr zu Grunde liegenden
geistigen Motiven zu suchen. Wenn nun ferner Timanthes
den Parrhasios, einen Meister in der Auffassung psycholo-
gischen Ausdruckes, in dem Urtheile über die Waffen des
Achill besiegt hat, so dürfen wir wohl behaupten, dass ihm
dies eben durch sein „ingenium“ gelungen sei, nemlich durch
eine Anordnung, welche über das Sichtbare der wirklichen
[124] Darstellung hinaus die aus derselben sich entwickelnde tra-
gische Katastrophe als unvermeidlich voraus ahnen liess. In
dem Gemälde der Iphigenie endlich erscheint jene Verhül-
lung keineswegs als ein blosser Kunstgriff, sondern vorbe-
reitet durch die in den Nebenpersonen ausgesprochene Stufen-
folge steigender Affecte ist sie als höchster Ausdruck des
Schmerzes fast mit Nothwendigkeit geboten. Es ist demnach
durchaus treffend, dass Eustathius uns zum Vergleich auf
die Niobe und ähnliche Gestalten des Aeschylus hinweist.
Wenn wir aber nicht umhin konnten, uns bei Gelegenheit
des Zeuxis und Parrhasios zuweilen an Euripides zu erin-
nern, so muss jener Vergleich dem Timanthes um so mehr
zur Ehre gereichen. Denn es liegt darin ausgesprochen,
dass Timanthes, während er auf der einen Seite hinter den
Forderungen seiner Zeit keineswegs zurückblieb, auf der
andern zugleich einen Theil der Vorzüge der früheren Zeit,
die Tiefe und Bedeutsamkeit der geistigen Auffassung noch
zu bewahren wusste, während bei seinen Nebenbuhlern be-
reits das Streben nach Illusion und einer mehr äussern Cha-
rakteristik sich Bahn zu brechen begonnen hatte.


Die übrigen Maler dieser Periode.


Von Schülern der eben behandelten Meister haben wir
keine Kunde. Denn Mikkion, den Lucian (Zeuxis 7) ein-
mal als Schüler des Zeuxis nennt, wird so beiläufig und in
einer solchen Weise angeführt, dass der Name sehr wohl
von Lucian bloss zum Zwecke seiner Erzählung erfunden sein
kann. Aber auch sonst kennen wir nur wenige Maler aus
dieser Zeit. Wir nennen unter diesen zuerst:


Androkydes.
Unter den Zeitgenossen und Nebenbuhlern des Zeuxis, Ti-
manthes, Parrhasios, Eupompos führt Plinius (35, 64) auch
Androkydes an, der andern Nachrichten zufolge aus Kyzikos
stammte. Er malte nach Plutarch (Pelop. 25) zur Zeit der
Wiedereinnahme der Kadmea durch die Thebaner (Ol. C, 2)
ein bei ihm von der Stadt bestelltes Schlachtbild, in welchem
Pelopidas und Epaminondas zu den Hauptfiguren gehörten:
vielleicht den Kampf gegen die Arkader, in welchem Epami-
nondas den schwer verwundeten Pelopidas mit Gefahr des
eigenen Lebens vertheidigte (Plut. Pelop. 4: Ol. 98, 4). Um
[125] nun den Ruhm dieser Beiden zu verkleinern, schlug nach
jener politischen Umwälzung ein gewisser Menekleides vor,
dem Bilde durch die Aufschrift des Namens des Charon eine
Beziehung auf eine andere Schlacht zu geben, nemlich auf
das Reitertreffen, welches die Thebaner unter Führung dieses
letztern vor der Schlacht von Leuktra gewannen. — Ein
anderes Werk, ein Bild der Scylla, verdankt seine Erwäh-
nung dem Umstande, dass Androkydes als Liebhaber von
Fischen diese in dem Bilde mit besonderer Sorgfalt behan-
delt hatte: Plut. Quaest. Symp. IV, 2 u. 4, p. 665 D u.
668 C; Athen. VIII, 341, A.


Von Kolotes aus Teos wissen wir nichts, als was be-
reits unter Timanthes erwähnt worden ist.


Kallimachos,
der bekannte Bildhauer, soll nach Einigen auch Maler ge-
wesen sein: Plin. 34, 92; vgl. Th. 1, S. 251. — Auch


Plato
soll sich in seiner Jugend mit Malerei beschäftigt haben:
Diog. Laert. III, 5; Appul. de dogm. Plat. I.


Kleisthenes und Menedemos.


Der Philosoph Menedemos, Schüler des Plato, hatte zum
Vater den Kleisthenes, welcher zwar aus dem edlen Ge-
schlechte der Theopropiden stammte, aber Architekt und arm
war; nach andern soll er auch Scenenmaler, und Menedemos
in beiden Künsten sein Schüler gewesen sein. Weshalb, als
dieser ein Psephisma einbrachte, ein gewisser Alexinikos über
ihn spöttelte: es komme einem Philosophen nicht zu, weder
eine Scene, noch ein Psephisma abzufassen „γϱάφειν:“ Diog.
Laert. II, 125.


Von Zeuxippos aus Heraklea ist bereits in den chro-
nologischen Erörterungen über Zeuxis die Rede gewesen.


Polyeidos
wird als einer der berühmtesten Dithyrambendichter und zu-
gleich erfahren in Malerei und Musik von Diodor (XIV,
46) angeführt, und als seine Blüthezeit Ol. 95, 3 angegeben.


Elasippos.
Plinius sagt (35, 122), die Enkaustik gelte nach Einigen für
eine von Praxiteles vervollkommnete Erfindung des Aristi-
des; doch gebe es ältere enkaustische Bilder von Polygnot,
Nikanor, Arkesilaos aus Paros. „Auch Elasippos (nicht
[126] Lysippos) schrieb auf sein Gemälde der Aegina ἐνέκαεν, was
er gewiss nicht gethan hätte, wenn nicht die Enkaustik er-
funden gewesen wäre.“ Plinius musste also Elasippos für
älter als Aristides halten. Dass nicht ein Gemälde zu Aegina,
sondern eine Darstellung der Aegina, der Tochter des Asopos
zu verstehen sei, hat richtig Panofka (Arch. Zeit. 1852,
S. 446) bemerkt.


Endlich ist von Müller (Hdb. §. 137, 4) und Schöll
(arch. Mitth. S. 85) ein gewisser Idaeos oder Adaeos als
ein Maler dieser Zeit angeführt worden, indem er die Zier-
rathen am Pferdegeschirr des Agesilaos gemalt habe: Xen.
hist. gr. IV, 2, 39; Plut. Ag. 13. Allein in dieser Angabe
liegt ein doppelter Irrthum, worauf schon das Auffällige
eines gemalten Pferdeschmuckes hätte aufmerksam machen
sollen. Agesilaos will dem Sohn des Pharnabazos ein Ge-
schenk machen, und da er selbst nichts zur Hand hat, nimmt
er den Schmuck von dem Rosse des Idaeos. Dieser aber
wird nicht ζωγϱάφος, sondern γϱαφεὺς genannt, welches Wort
nach der Bemerkung Valckenaer’s (zu Theokr. Adon. p. 293)
auf einen Mann in dem kriegerischen Gefolge des Agesilaos
angewendet, gewiss weit richtiger durch „Schreiber,“ als
durch „Maler“ zu übersetzen ist.


Rückblick.


Bei einem Rückblicke auf die eben besprochenen Künst-
ler müssen wir uns zuerst die Frage vorlegen, ob es ge-
rechtfertigt ist, mit ihnen eine ganze Periode der griechischen
Malerei abzuschliessen. Ihre Zahl ist gering; die Zeit, in
welcher namentlich die bedeutenderen unter ihnen lebten, ist
kurz und überschreitet kaum die Dauer eines Menschen-
lebens. Dazu kömmt, dass die Grenzen zu Anfang wie zu
Ende sich kaum fest bestimmen lassen. So haben wir bereits in
der vorigen Periode einzelne Künstler angeführt, welche mit
eben so guten Rechte erst hier ihre Stelle hätten erhalten
können. Aber wir wollten z. B. Aristophon nicht von sei-
nem Bruder Polygnot trennen, nach welchem wir die ganze
Periode benannten. Wir wollten eben so wenig die Verbin-
dung des Pauson mit Polygnot und Dionysios lösen, wie
uns dieselbe durch das Urtheil des Aristoteles gegeben ist.
Agatharch endlich kann denen beigezählt werden, welche
[127] den Umschwung der vorliegenden Periode nicht nur vorbe-
reitet, sondern selbst mit herbeigeführt haben. Eben so
schwankend ist die Begrenzung nach der andern Seite hin.
Wir werden später allerdings finden, dass die Malerschulen
der folgenden Periode in ihrer Entwickelung sich scharf und
bestimmt von der Geschichte der hier behandelten Künstler
trennen. Dabei aber dürfen wir es doch nicht leugnen, dass
ihre Anfänge einen solchen Gegensatz noch keineswegs
nothwendig bedingen. Soll sich also die ganze vorgeschla-
gene Gliederung der Perioden rechtfertigen, so darf unser
Blick nicht an vereinzelten Thatsachen und Erscheinungen
haften bleiben, sondern muss sich auf die Phasen der allge-
meinen Entwickelung nach ihren grösseren Massen richten.


Dass nun trotz einzelner Künstler, welche gewisser-
massen mitten inne stehen, die Zeit der Kleinasiaten (so
wollen wir sie der Kürze wegen nennen) zu der des Poly-
gnot im schärfsten und bestimmtesten Gegensatz steht, dar-
über wird uns kein Zweifel obwalten, wenn wir an die Er-
örterungen in dem Rückblick auf die vorhergehende Periode
zurückdenken. Dem Ethos der polygnotischen Kunst tritt
die gloria penicilli, die rein malerische, auf Illusion hinarbei-
tende Behandlung mit dem Anspruch auf eine überwiegende
Geltung entgegen. Die grosse historische Malerei, welche
in der rein geistigen Auffassung und Charakteristik ihren
Schwerpunkt hat, wird verdrängt durch die auf der Durch-
führung des Einzelnen beruhende Tafelmalerei. Was wir von
dem Künstler wissen, den wir an die Spitze dieser Periode ge-
stellt haben, von Apollodor, reicht gerade hin, uns diesen Ge-
gensatz in vollster Reinheit deutlich zu machen. Tritt nun der-
selbe bei den drei folgenden Künstlern, welche den Mittelpunkt
unserer Erörterungen bildeten, nicht mehr so stark in dieser
Form in den Vordergrund, so zeigen doch die Fortschritte,
welche sich an ihre Namen knüpfen, uns nur die weitere
Entwickelung innerhalb dieses Gegensatzes nach verschie-
denen Richtungen hin. Denn nachdem einmal die gesammte
Grundanschauung verändert war, konnte sich die Umbildung
nicht auf die äussere Behandlung der Farbe und der Form
beschränken, sondern auch die Darstellung des Ausdrucks
im Einzelnen, wie die Motivirung ganzer Gestalten musste
davon in sehr wesentlichen Punkten berührt werden. Wie
[128] sich hier die Bestrebungen des einen zu denen des andern
verhielten, darauf brauchen wir nicht nochmals im Einzelnen
zurückzukommen, nachdem früher versucht worden ist, ge-
rade durch die Vergleichung ihrer Leistungen die Eigenthüm-
lichkeit eines jeden ins Licht zu setzen. — Wichtiger würde
es sein, vielmehr das Gemeinsame, welches ihrer künstle-
rischen Anschauungsweise trotz der Verschiedenheit der be-
sonderen Ausbildung zu Grunde liegt, bestimmter nachzu-
weisen, um es hierdurch zu rechtfertigen, weshalb wir diese
Künstler von denen der nachfolgenden Periode als eine für
sich bestehende Gruppe getrennt haben. Allein diese Erör-
terung wird sich erst dann mit wirklichem Nutzen führen
lassen, wenn wir auch das Wesen eben dieser Periode näher
werden kennen gelernt haben. Erst dann wird es sich zei-
gen, wie die Leistungen der Kleinasiaten eine in sich abge-
schlossene Vorstufe für die umfassenderen Entwickelungen
der Malerei bilden, welche von verschiedenen Punkten aus-
gehend in Apelles und seinen Zeitgenossen ihren Höhepunkt
erreichen.


Dagegen dürfen wir hier nicht unterlassen, einen Blick
auf die äussere Geschichte sowohl der Kunst, als der grie-
chischen Culturentwickelung überhaupt zu werfen. Durch
Polygnot und die neben ihm arbeitenden Künstler war Athen
Hauptsitz der Malerei geworden. Unmittelbar nach ihm folgt
die Thätigkeit des Phidias auf dem Gebiete der Sculptur.
Wie aber auf diesen die geistig so bedeutenden Schöpfungen
des Polygnot einen Einfluss auszuüben gewiss nicht ver-
fehlt haben, so lässt sich auch auf der andern Seite von
vorn herein annehmen, dass die höchste Vollendung der
Sculptur wiederum in nachdrücklicher Weise auf die Weiter-
bildung der Malerei zurückwirkte. Namentlich musste die
Art, wie in der Sculptur die höchste Idealität mit der höch-
sten Naturwahrheit verbunden erschien, den Wetteifer der
Malerei hervorrufen. Und so sehen wir denn ziemlich gleich-
zeitig mit Phidias durch Agatharch, der zwar aus Samos
gebürtig, aber in Athen thätig ist, die ersten Schritte nach
dieser Richtung hin geschehen. Ihm folgt schnell Apollodor,
durch den zuerst die Malerei sich von der Verbindung mit
ihren Schwesterkünsten, der Architektur und Sculptur, voll-
ständig emancipirt und auf die speciell und rein malerische
[129] Wirkung hinzuarbeiten beginnt. Mit ihm aber bricht plötz-
lich die weitere Entwickelung der Malerei in Athen ab.


Zeuxis ist es, auf den nach dem eigenen Geständnisse
des Apollodor zunächst die ganze Fülle des Ruhmes über-
geht. Aber auch Zeuxis hat ja, wenn auch nur vorüberge-
hend, in Athen gearbeitet; und eben so wissen wir von Par-
rhasios, dass er für Athen thätig war. Warum wählten sie also
nicht, wie Polygnot, Agatharch, wie so viele Bildhauer zur
Zeit des Phidias, Athen zu ihrem dauernden Wohnsitze? Die
Antwort auf diese Frage geben uns die veränderten poli-
tischen Verhältnisse. Der Beginn des peloponnesischen Krie-
ges hemmt die weitere Entwickelung der Malerei, wie der
Kunst überhaupt nicht nur in Athen, sondern im ganzen ei-
gentlichen Griechenland. In der Sculptur wirkt zunächst
noch der Einfluss des Phidias, Myron und Polyklet auf ihre
unmittelbaren Schüler. Wenn aber schon diese meist nur
weiter ausbilden, was von den Meistern bereits begründet
war, so tritt nach ihnen fast durchgängig ein völliger Still-
stand ein. In der Malerei lernen wir in der auf Apollodor fol-
genden Zeit eigentlich keinen einzigen hervorragenden Namen
in Hellas kennen. Aber während die Sculptur schon aus
materiellen Gründen sich schwerer von einem Orte zum an-
dern verpflanzen lässt, findet die Malerei in der Zeit der
Bedrängniss ein Asyl in Kleinasien. Die Uebel des pelopon-
nesischen Krieges waren für die dortigen hellenischen Städte
minder fühlbar; und des Joches der persischen Herrschaft
ledig erfreuten sie sich gerade damals eines Zustandes hoher
Blüthe. Bei dem weicheren, beweglicheren, auf Genuss
gerichteten Charakter des ionischen Volksstammes musste
das damals hervortretende Streben der Malerei nach Reiz
und Illusion der Sinne gerade dort einen besonders günsti-
gen Boden vorfinden. So wendet sich denn Zeuxis nach
Ephesos, wo um diese Zeit durch Parrhasios als einen ein-
heimischen Künstler der Sinn für Malerei schon mehr, als
in andern benachbarten Städten, geweckt sein mochte. Je
glänzender aber hierdurch Ephesos augenblicklich erscheint,
um so auffallender muss es uns sein, dass es diesen Ruhm
auf die Länge zu bewahren durchaus nicht im Stande ge-
wesen ist. Nach dem Tode des Zeuxis und Parrhasios tritt
es für längere Zeit wieder gänzlich in den Hintergrund. Zum
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 9
[130] Theil mag dies darin seinen Grund haben, dass, wie wir spä-
ter suchen werden wahrscheinlich zu machen, diese beiden
Künstler ihrer ganzen Persönlichkeit nach wenig darauf aus-
gingen, durch Lehre nachhaltig zu wirken. Anderen Theils
aber müssen wir glauben, dass die ganze Ausbildung des
hellenischen Lebens in Kleinasien bei aller äusseren Förde-
rung der Kunst doch nicht geeignet war, für deren stetige
innere Entwickelung einen fruchtbaren Boden darzubieten.
Finden wir doch auch auf dem Gebiete der Sculptur unter den
Meistern, welche vorzugsweise als die Träger des Fort-
schrittes wenigstens bis zur Zeit Alexanders erscheinen, kei-
nen einzigen, der in Kleinasien seine Heimath gehabt hätte.
Genug, als die politischen Verhältnisse im eigentlichen Grie-
chenland sich wieder günstiger für die Kunst gestalteten,
sehen wir auch die Malerei nicht nur ihren Wohnsitz wieder
verändern, sondern auch an verschiedenen Orten, namentlich
in Sikyon, in Theben und Athen, ganz neue Bahnen ein-
schlagen; und erst nach längerer Unterbrechung nimmt
Kleinasien den Wettkampf wieder auf, aber auch da nicht
durch eine bestimmt abgeschlossene Kunstschule, sondern,
wie vorher, durch einzelne hervorragende künstlerische Indi-
vidualitäten.


Vierter Abschnitt.
Die Maler von dem Ende des peloponnesischen Krieges bis
zum Tode Alexanders des Grossen.


Sikyonische Schule.


Sikyon, obwohl es sogar die Erfindung der Malerei für
sich in Anspruch nahm, begründete seinen grossen Ruhm in
dieser Kunst doch erst verhältnissmässig spät durch eine
Malerschule, an deren Spitze


Eupompos

steht, nach Plinius 1) ein Zeitgenosse des Zeuxis, Timanthes,
Androkydes, Parrhasios, deren aller Blüthe zwischen Ol.
[131] 90—100 fällt. Mit dieser Angabe stimmt überein, dass er
den Pamphilos in der Kunst zu derselben Zeit unterwiesen
haben soll, als Aristides sich in der Schule des Euxinidas
befand, 1) wofür weiter unten ebenfalls die Zeit gegen Ol.
100 festgestellt werden wird. Dass sich sein Leben noch
über diesen letztern Punkt ausgedehnt habe, könnte man
daraus schliessen wollen, dass Lysipp durch einen Ausspruch
des Eupompos bewogen sich der Kunst zugewendet haben
soll. 2) Doch berechtigt uns nichts anzunehmen, dass jener
Ausspruch an Lysipp persönlich gerichtet gewesen sei. Nur
wenige Nachrichten haben wir über ihn, welche noch dazu
seine grosse Bedeutung für die Entwickelung der Kunst
mehr wie eine Thatsache aussprechen, als die Gründe der-
selben erkennen lassen. Die wichtigste ist die folgende bei
Plinius: 3) „Von Eupompos ist ein Sieger im gymnischen Wett-
kampfe, die Palme in der Hand haltend. Sein Ansehen war
so gross, dass er die Malerei in drei Klassen (oder Schulen,
genera) theilte anstatt der zwei, welche vor ihm waren und
die helladische und asiatische genannt wurden. Seinetwegen,
und weil er ein Sikyonier war, wurden es durch Theilung
der helladischen drei: die ionische, sikyonische und at-
tische.“ Die Bedeutung dieser Worte wird sich durch die
Erörterungen dieses und der folgenden Kapitel von selbst
ergeben, weshalb sie uns hier zunächst nur dienen mögen,
die strenge Ausscheidung einer sikyonischen Schule von
vorn herein zu rechtfertigen. Ausser dieser Nachricht ken-
nen wir von Eupompos nichts, als jenen Ausspruch, welcher
dem Lysipp Muth gegeben haben soll, sich in der Kunst zu
versuchen. Auf die Frage, wen unter den Früheren er sich
zum Vorbilde genommen, habe nemlich Eupompos unter Hin-
deutung auf eine versammelte Volksmenge geantwortet: die
Natur selbst sei nachzuahmen, nicht ein Künstler. In wel-
cher Weise die sikyonische Schule von dem Studium der
Natur als der Grundlage ihrer Bestrebungen ausging, das
werden wir freilich erst aus ihrer weitern Entwickelung zu
entnehmen vermögen, wie sie uns jedoch schon in dem
nächsten Gliede dieser Schule mit Bestimmtheit entgegen-
tritt.


9*
[132]
Pamphilos

Schüler des Eupompos, 1) stammte zwar aus Amphipolis in
Makedonien oder, wie andere meinten, aus Nikopolis, 2) muss
aber seinen festen Wohnsitz in Sikyon genommen haben, da
er überall als der eigentliche Mittelpunkt der sikyonischen
Schule betrachtet wird. 3) — Für die Zeitbestimmung ist
zunächst eine Erwähnung in Aristophanes Plutos 4) in Be-
tracht zu ziehen, welche von einem der Scholiasten auf ein
Bild des Pamphilos: die in Athen Schutz suchenden Hera-
kliden, bezogen wird. Wäre dies begründet, so müsste der
Künstler bereits Ol. 97, 4, als der Plutos zum zweiten Male
aufgeführt ward, thätig gewesen sein, was an sich wohl
möglich wäre. Allein der Widerspruch der Scholiasten unter
einander macht die ganze Erzählung zweifelhaft. Sicher
scheint allerdings, dass es ein Bild der Herakliden in Athen
gab; aber der sorgfältigste der Scholiasten spricht dies aus-
drücklich dem Pamphilos ab und bezeichnet es als ein Werk
des Apollodor. Die von demselben Scholiasten aufgewor-
fene Schwierigkeit aber, dass „Ein den Didaskalien vor dieser
Zeit kein tragischer Dichter Pamphilos erwähnt werde,“ auf
welchen sich die Anspielung des Aristophanes beziehen könne,
hat Welcker 5) durch die Vermuthung gehoben, dass hier ein
Schauspieler Pamphilos gemeint sein möge, welcher in den
Herakliden des Euripides die Hauptrolle schlecht gespielt
habe und deshalb von Aristophanes verspottet werde. —
Beseitigen wir also diese ganze Nachricht, so bleibt uns zu-
nächst die Angabe, dass Pamphilos die Schlacht bei Phlius
und den Sieg der Athener malte. 6) Freilich sind wir auch
hier in Bezug auf die mancherlei Kämpfe, welche gerade in
dieser Gegend vorfielen, nicht überall genau genug unter-
richtet, um eine völlig sichere Entscheidung zu wagen. Doch
hat die Vermuthung Tölken’s 7) wenigstens eine grosse Wahr-
scheinlichkeit für sich, dass hier die von Xenophon er-
[133] wähnten Kämpfe im dritten Jahre der 103ten Olympiade zu ver-
stehen seien. 1) Die Zeit der Schüler des Pamphilos steht hiermit
wenigstens im Allgemeinen im Einklang, wenn freilich auch
über diese, selbst über Apelles in Hinsicht auf den Beginn
seiner Thätigkeit, die Angaben nicht so bestimmt lauten,
dass dadurch im Einzelnen auf den Lehrer zurückzuschlies-
sen erlaubt wäre.


Auch über seine Werke haben wir nur eine kurze
Nachricht bei Plinius: 2) Pamphili cognatio et proelium
ad Phliuntem ac victoria Atheniensium, item Ulixes in
rate. Was wir unter cognatio zu verstehen haben, ist
schwer auszumachen. Plinius 3) führt noch einmal eine
„cognatio nobilium“ als ein Gemälde des Timomachos an.
Der lateinische Ausdruck scheint dem griechischen συγγενικὸν
zu entsprechen, wenn auch Plinius 4) denselben einmal durch
frequentia übersetzt: Athenion pinxit … Athenis frequen-
tiam, quam vocavere syngenicon. 5) Endlich dürfen wir noch
zur Vergleichung aus Plinius 6) anführen, dass „Coenus
stemmata“ malte, 7) womit sich die Notiz bei Plutarch 8) über
ein Gemälde des Ismenias verbinden lässt, in dem die Fa-
milie des Redners Lykurg in ihrer Geschlechtsfolge (ἡ κατα-
γωγὴ τοῦ γένους) dargestellt war. Hiernach müssen wir aller-
dings zugeben, dass die „cognatio“ des Pamphilos ein Fami-
lienbild irgend einer Art gewesen sein könne. Betrachte ich
jedoch, wie in den Worten et proelium .... ac victoria ge-
wiss nur ein einziges Gemälde bezeichnet ist, so kann ich
mich des Verdachtes nicht erwehren, dass auch cognatio
auf dasselbe zu beziehen sei, der Ausdruck selbst aber auf
einem Verderbnisse des Textes oder einem Misverständnisse
beruhe, durch welches er an die Stelle eines Begriffes, wie
„Zusammenstoss, Angriff“ getreten sei. — Das zweite Werk
des Pamphilos: Odysseus auf dem Nachen oder Schiffe (in
rate), bezeichnet Plinius zu allgemein, als dass sich über
[134] die Darstellung eine Vermuthung äussern liesse. — Sonst
wissen wir nur noch aus Plutarch, 1) dass Arat bei seinen
Kunstkäufen für Ptolemaeos sein Augenmerk besonders auf
Gemälde des Pamphilos und Melanthios richtete, die jedoch
nicht näher beschrieben werden. Um so wichtiger sind uns
die Nachrichten des Plinius 2) über die Bedeutung des Künst-
lers im Allgemeinen: „Pamphilos war Makedonier von Ge-
burt, aber in der Malerei zuerst in allen Wissenschaften ge-
bildet, vornehmlich in der Mathematik und Geometrie, ohne
welche er die Möglichkeit einer vollendeten Durchbildung der
Kunst leugnete. Er lehrte niemand um einen geringeren Preis,
als ein Talent, nemlich jährlich 500 Denare [was in zwölf Jah-
ren ein Talent beträgt], welchen Preis ihm Apelles und Me-
lanthios bezahlten. Durch sein Ansehen geschah es, zuerst
in Sikyon, dann im ganzen Griechenlande, dass die freien
Knaben vor allen in der Graphik, d. i. in der Malerei [oder
richtiger: Zeichnung] auf Buxbaum unterwiesen wurden und
dass diese Kunst unter den freien Künsten ersten Ranges
ihre Stelle erhielt. Zwar war sie immer so in Ehren, dass
Freie sie übten; bald aber so, dass es Leute aus geehrterem
Stande (honesti) thaten, und für immer untersagt ward, dass
Sklaven in ihr unterwiesen würden. Deshalb haben weder
in dieser Kunst, noch in der Toreutik Werke von irgend
einem, der im Verhältniss der Knechtschaft gestanden, Ruf
erlangt.“ —


An diese Nachricht reihen wir zunächst noch eine Glosse
des Suidas: Πάμφιλος, Άμφιπολίτης, ἢ Σικυώνιος, ἢ Νικοπολίτης,
φιλόσοφος, ὁ ἐπικληϑεὶς φιλοπϱάγματος, εἰκόνας κατὰ στοιχεῖον, τε-
χνην γϱαμματικὴν, πεϱὶ γϱαφικῆς καὶ ζωγϱάφων ἐνδόξων, γεωϱγικὰ
βιβλία γ́. Dati, 3) der diese Stelle zuerst berücksichtigt hat,
wagt nicht zu entscheiden, ob dieser Pamphilos mit dem Maler
identisch ist; und allerdings scheinen Schriften über Gramma-
tik und Landbau von der Beschäftigung mit der Malerei weit
abzuliegen, weshalb auch Bernhardy 4) die von Suidas ange-
führten Schriften zwischen dem Maler und einem sonst noch
einige Male erwähnten platonischen Philosophen theilen will.
Dennoch fragt es sich, ob wir Suidas anklagen sollen, Unge-
[135] höriges vermischt zu haben. Der Philosoph mit dem Bei-
namen φιλοπϱάγματος und der Maler omnibus litteris eruditus
entsprechen sich so gut, dass wir uns nicht wundern dürf-
ten, wenn irgendwo gesagt wäre, der Philosoph habe ge-
malt, und anderwärts, der Maler habe philosophirt. Wenn
ferner Epikur in seinen ersten Jünglingsjahren ein Zuhörer
des Pamphilos war, so liesse sich darauf die Vermuthung
bauen, dass dieser in seinem höheren Alter vielleicht wegen
Abnahme der sinnlichen Kräfte sich ganz von der Malerei
ab und zu rein theoretischen und philosophischen Studien
gewendet habe. Endlich aber scheint auch Cicero 1) Maler
und Philosophen für eine Person zu halten, wenn er die
Rhetorik des Pamphilos spöttisch mit Bilderchen für Kinder
zum Spielwerk gemalt vergleicht: Pamphilumque nescio quem
sinamus in infulis tantam rem (die Rhetorik) tamquam pueri-
les delicias aliquas depingere. Wie dem aber auch sei, so
legt immerhin schon Plinius für die ausgebreitete Gelehr-
samkeit des Künstlers ein hinlänglich gewichtiges Zeug-
niss ab.


Wenden wir uns nun zur Würdigung der bisher ange-
führten Nachrichten, so müssen uns dieselben schon bei
flüchtiger Betrachtung einen wesentlich andern Eindruck ma-
chen, als alles, was wir über die im vorigen Abschnitte be-
handelten kleinasiatischen Künstler erfuhren: wir hören nichts
von technischen Kunststücken oder von geistreichen Ein-
fällen, wie sie namentlich bei der grossen Menge ungebil-
deter Beschauer sich Beifall zu erwerben pflegen. Auffällig
ist ferner, dass bei einem sonst so hochgepriesenen Meister
nur eine äusserst geringe Zahl von Werken namhaft ge-
macht wird, wenn es auch wieder ein günstiges Vorurtheil
erwecken muss, dass sich darunter ein Schlachtbild befindet,
also wieder einmal ein historisches Bild im strengen Sinne.
Auch dass seine Werke durch Vorzüge nach einer Seite
hin, sei es in der Zeichnung, der Farbe, im Helldunkel u. a.
besonders geglänzt hätten, wird nicht gesagt. Genug, es
ist nicht sowohl das künstlerische Vermögen, das Können,
als das künstlerische Wissen, worauf bei Pamphilos der
Nachdruck gelegt wird. Um aber seine auf dieser Eigen-
[136] schaft beruhende Bedeutung richtig zu würdigen, werden
wir uns die verschiedenen Kräfte des Geistes vergegen-
wärtigen müssen, welche beim Schaffen und Vollenden eines
Kunstwerks thätig sind. Ich thue dies mit den Worten Ru-
mohrs: 1) „Durch zween, wohl in einander greifende, doch
unterscheidbare und unterscheidenswerthe Beziehungen seiner
Geistesfähigkeit gelangt der Künstler in den Besitz einer so
klaren, so durchgebildeten und reichen Anschauung der Na-
turformen, als er jedesmal bedarf, um diejenigen Kunstauf-
gaben, welche theils aus seiner inneren Bestimmung, theils
aus seiner äussern Stellung hervorgehen, deutlich und ge-
muthend darzustellen. Die erste besteht in gründlicher Er-
forschung der Gesetze, eines Theils der Gestalten, andern
Theils der Erscheinung solcher Formen der Natur, welche
aus inneren Gründen und durch äussere Veranlassungen dem
Künstler näher liegen, als andere. Die Forschungen dieser
Art zerfallen in anatomische und optisch-perspectivische. —
Die zweite besteht in Beobachtung gemuthender und bedeut-
samer Züge, Lagen und Bewegungen der Gestalt; und diese
erheischt, um fruchtbar und ergiebig zu sein, nicht so sehr
sonst empfehlenswerthe Ausdauer und Gründlichkeit des
Fleisses, als vornehmlich die leidenschaftlichste Hingebung
in den sinnlich-geistigen Genuss des Schauens.“


Es ist nun klar, dass bei einem Ueberwiegen der letztern
Richtung das Verhältniss des Künstlers zu der ihm gegen-
überstehenden Natur und der Welt der Erscheinungen ein
durchaus unmittelbares sein wird. Er nimmt die von aussen
erhaltenen Eindrücke, so weit sie als für die Kunst tauglich
auf ihn einwirken, unmittelbar in sich auf, um sie eben so
unmittelbar wieder in das Kunstwerk zu übertragen. Hier
ist also alles bedingt durch die Lebendigkeit, Fülle, Klarheit
und Schärfe der Anschauung und Auffassung. Bei dem Vor-
wiegen einer mehr reflectirenden Thätigkeit muss zwar der
Künstler von derselben Grundlage, von einfacher Beobach-
tung der Erscheinungen in der Natur ausgehen. Allein er
prägt dieselben nicht als anschauliche Bilder seiner Phan-
tasie ein, sondern beobachtet sie mit dem Verstande, um die
allgemeinen Gesetze zu erkennen, auf welchen sie beruhen.
[137] Er will sich der Gründe derselben bewusst werden, um wo
er sie in der Kunst zu reproduciren hat, nicht der Laune
seiner subjectiven Phantasie oder dem Zufalle einer glück-
lichen Beobachtung unterworfen, sondern im Stande zu sein,
sie auch bei minder lebhafter Erregung der Phantasie ganz
objectiv als etwas durch Ursache und Wirkung bedingtes in
jedem Augenblicke durch rationelles Denken sich wieder zu
vergegenwärtigen.


Die beiden hier betrachteten Richtungen der künstle-
rischen Geistesthätigkeit werden sich freilich in der Wirk-
lichkeit nie in strenger Scheidung und Vereinzelung finden.
Wollen wir aber nach dem Ueberwiegen der einen oder der
anderen eine Eintheilung versuchen, so dürfen wir ohne Zö-
gern aussprechen, dass die Kleinasiaten, Zeuxis und Parrha-
sios, der ersten, mehr auf unmittelbarer Anschauung fussen-
den, Pamphilos dagegen der mehr reflectirenden Richtung
angehört. Seine Bedeutung lässt sich nach dem Vorgange
Quintilians 1) in einem einzigen, freilich vielsagenden Worte,
nemlich ratio, zusammenfassen, in der Zurückführung der
Kunstübung auf wissenschaftliche, durch die ratio, bewusstes,
vernunftgemässes Denken bestimmte Grundlagen. Hierauf
den grössten Nachdruck zu legen, dürfen wir um so weniger
Anstand nehmen, als uns der Künstler selbst hierin voran-
gegangen ist, wenn er behauptet, dass ohne die vorzugsweise
sogenannten exacten Wissenschaften, Arithmetik und Geome-
trie, eine vollendete Durchbildung der Kunst unmöglich sei.


Ueber den Werth dieser ganzen Richtung lässt sich frei-
lich je nach den verschiedenen Standpunkten auch verschie-
den urtheilen. Man kann den Satz aufstellen, die Kunst sei
ja keine Wissenschaft, und alle theoretischen Studien könn-
ten höchstens zur Correctheit, wenn auch im weitesten Sinne
führen; sie seien daher schliesslich weniger von positiver,
als von negativer Bedeutung, weniger ein Förderungsmittel,
als ein Präservativ gegen Ausartung. Wir können dies zu-
geben; aber selbst wenn wir ein Recht hätten, an der künst-
lerischen Befähigung des Pamphilos nach andern Richtungen
hin zu zweifeln, so würde doch sein Verdienst namentlich
im Hinblicke auf den Zusammenhang der historischen Ent-
[138] wickelung noch immer bedeutsam genug erscheinen. Erin-
nern wir uns nur des Zustandes der Kunst, wie sie sich
durch Zeuxis und Parrhasios ausgebildet hatte, so konnten
wir trotz der glänzenden Erfolge derselben uns nicht ver-
hehlen, dass in ihren Bestrebungen bereits zahlreiche Keime
der Ausartung enthalten waren. Wie überhaupt, und nament-
lich in Kleinasien, die alte Strenge in Leben und Sitte da-
mals schon gelockert war, so vermissen wir auch in der
Malerei den sittlichen Ernst und die geistige Tiefe der Auf-
fassung, welche der älteren Kunst eigen waren. Namentlich
spricht sich in den alles geistigen Gehaltes baaren Kunst-
stücken, durch welche einer den andern zu überbieten
trachtet, deutlich aus, wie die höheren geistigen Forderungen
immer mehr dem Scheine, dem Reiz der Sinne geopfert
wurden. Dass unter solchen Verhältnissen der Verfall nicht
sofort klar und sichtbar an das Licht trat, hatte gewiss nur
in der sonstigen persönlichen Bedeutung und Befähigung
jener Künstler seinen Grund. Aber die Eigenschaften, wor-
auf ihre Vorzüge beruhten, die Feinheit des Blickes, die
Schärfe der Beobachtung, die Leichtigkeit der Auffassung, so
sehr sie auch einer Ausbildung fähig, ja bedürftig scheinen
mögen, sind doch mehr ein freies Geschenk der Natur, als
eine auf strengem Studium beruhende Tüchtigkeit; und der
Versuch, ohne diese Begabung die Erfolge der Meister zu
erzielen, wird daher auf Seite der Nachahmer nothwendig
zur Oberflächlichkeit, die in Aeusserlichkeiten schon das
Wesen erkannt zu haben glaubt, oder zu Uebertreibungen
führen, welche gerade das eigenthümliche, auf feiner Be-
grenzung beruhende Verdienst des Vorbildes durchaus auf-
heben. Wir dürfen hieraus den Schluss ziehen, dass es
nicht eine zufällige Lücke in unserer Ueberlieferung ist, wenn
wir nirgends erfahren, dass Schüler des Zeuxis oder Par-
rhasios zu Ruhm und Ansehen gelangt seien: denn eben das,
was die Meister auszeichnete, war nicht lehrbar, und ihr
Einfluss konnte daher nur ein mittelbarer oder beding-
ter sein.


Indem wir hier diese Verhältnisse bestimmter ins Auge
fassen, wird die Bedeutung des Pamphilos nur in ein um so
helleres Licht treten. Seine Stellung erscheint jetzt wie durch
den Gegensatz hervorgerufen, als die Wirkung einer heil-
[139] samen Reaction. Denn es bedurfte vor Allem weniger der
glänzenden Beispiele, als eines Mittels, der Entwickelung
jener verderblichen Keime Einhalt zu thun. Ein solches
konnte aber einzig in der systematischen Begründung des-
jenigen Theiles der Kunstübung gefunden werden, der auf
einem durch rationelles Denken gefundenen Wissen beruht.
Denn nur dieses ist von der speciellen künstlerischen Befä-
higung des Einzelnen unabhängig und lässt sich als Kunst-
lehre in weiteren Kreisen verbreiten, um die an sich freilich
höhere Thätigkeit des künstlerischen Schaffens zu läutern
und zu regeln. Wir mögen daher den Werth der eigenen
Schöpfungen des Pamphilos hoch oder gering anschlagen,
durch die Begründung einer wissenschaftlichen Kunstlehre
gewinnt er einen Einfluss, der sich sogar über das Gebiet
der Malerei in deren fernerer Entwickelung hinaus auf die
allgemeinen Bildungsverhältnisse Griechenlands erstreckt.
Denn selbst zur Wissenschaft erhoben ward die Malerei
auch wieder ein Bildungsmittel, und dieser Eigenschaft ver-
dankt sie ihre Aufnahme unter die eines Freien würdigen und
bei der Erziehung nicht zu vernachlässigenden Künste, die
durch Pamphilos zuerst in Sikyon, dann auch im übrigen
Griechenland bewirkt wurde. Wichtiger für unsern Zweck
ist jedoch seine Stellung im Kreise seiner Kunstgenossen.
Um uns aber dieselbe deutlich zu machen, kann wohl nichts
geeigneter sein, als eine Vergleichung des Pamphilos mit
Polyklet; ja es erscheint sogar nothwendig, auf diesen
als sein bestimmendes Vorbild und Muster zurückzugehen.
Denn unmöglich ist es ein blosser Zufall, wenn der eine auf
dem Gebiete der Malerei ganz dieselben Principien und
durchaus mit demselben Erfolge durchführt, welche der an-
dere auf dem Gebiete der Plastik bereits zur Geltung ge-
bracht hatte, um so weniger, als beide, sei es durch Geburt,
sei es durch ihre ganze Bildung, einem und demselben Mit-
telpunkte der Kunstübung, nemlich Sikyon, angehören. Da-
mals aber, als Pamphilos dort seine Ausbildung erhielt, er-
scheint der Einfluss des Polyklet in der Bildhauerschule von
Sikyon und Argos als ein so mächtiger und durchaus aus-
schliesslicher, dass unmöglich die übrigen Gebiete der Kunst
davon unberührt bleiben konnten, sondern seine allgemeinen
Grundanschauungen fast mit Nothwendigkeit auf dieselben
[140] übergehen mussten. Seine Eigenthümlichkeit aber vermochten
wir nicht sowohl in einer kühnen Genialität zu finden, als
in dem Streben nach allseitiger vollendeter Durchbildung,
wie sie nur das Resultat gründlicher, mit dem klaren Be-
wusstsein ihres Zweckes unternommener Studien sein konnte.
Dadurch ward er der erste, welcher seiner Kunst eine theo-
retische Grundlage zu geben versuchte und in seinem Kanon
mit dem vollsten Erfolge gab. Die Feststellung möglichst
allgemein gültiger Proportionen des menschlichen Körpers,
welche ihm verdankt wurde, beruhte aber auf der Unter-
suchung von Raum- und Zahlenverhältnissen; und wenn da-
her Pamphilos das Studium der Arithmetik und Geometrie
als unentbehrlich für den Maler hinstellt, so ist er im Prin-
cip durchaus nur der Nachfolger des Polyklet.


Dennoch aber bleibt ihm immer noch ein bedeutendes
selbstständiges Verdienst, indem bei der Uebertragung eines
bereits in einer Kunstgattung zur Anwendung gekommenen
Princips auf ein davon verschiedenes Gebiet sich auch noth-
wendig andere Anforderungen geltend machen, deren Befrie-
digung zum Theil auf durchaus neuen Gesichtspunkten be-
ruht. Es genügt, einfach auf den Gegensatz zwischen pla-
stischer und malerischer Darstellung hinzuweisen, um anzu-
deuten, wie Pamphilos, wenngleich von Polyklet angeregt
und von durchaus verwandten geistigen Grundanschauungen
ausgehend, doch in der Ausbildung und Anwendung seiner
Theorien von seinem Vorbilde unabhängig sein konnte, ja in vie-
len Beziehungen sein musste. Wie dem auch sei, immer bleibt
die Stellung des Pamphilos in der Malerei der des Polyklet in der
Plastik durchaus analog. Wie es das Verdienst des letztern war,
die höchste Reinheit der Form erstrebt und deren Besitz der
Plastik auf lange Zeit gesichert zu haben, so gebührt dem
Pamphilos derselbe Ruhm für die Malerei. Es ist äus-
serst bezeichnend, wenn Plutarch 1) von dem Ruhme der si-
kyonischen χϱηστογϱαφία spricht, der tüchtigen, soliden Male-
rei, in welcher allein das Schöne unverdorben zu finden sei.
Denn eben darin, nicht blos selbst Tüchtiges hervorgebracht,
sondern auch andern die Mittel dargeboten zu haben, Aehn-
liches zu leisten, die reine Schönheit zu erhalten und zu
[141] bewahren, darin müssen wir das höchste und das bleibendste
Verdienst des Pamphilos erkennen. Dies wurde aber nur
möglich durch eine mit grösstem Eifer gepflegte Lehrthätig-
keit. Zwar ist uns nicht eine so grosse Zahl seiner Schüler
bekannt geworden wie bei Polyklet, aber der Ruhm, der
sich an die Namen des Melanthios, Pausias und Apelles
knüpft, wiegt die grössere Zahl vollkommen auf; und na-
mentlich dass Apelles nicht etwa mehr als Anfänger, son-
dern um seine künstlerische Bildung zu vollenden, sich
von Kleinasien aus in die Schule des Pamphilos begab,
bietet uns für die Vortrefflichkeit derselben das vollgültigste
Zeugniss.


Ueber den Umfang und die Methode seines Unterrichts
fehlen uns freilich alle eingehenden Nachrichten. Denn, was
wir aus des Plinius Angabe über den von ihm verlangten
Lohn eines Talents, resp. 500 Denare für jedes Jahr, folgern
zu müssen scheinen, dass er zwölf Jahre zur Bildung eines
Schülers für nöthig erachtete, giebt uns nur einen Begriff
von der Gründlichkeit des Lehrers im Allgemeinen. Nicht
mehr ergiebt sich uns aus der Nachricht von dem Unter-
richt im Zeichnen, wie er durch den Einfluss des Pamphilos
unter die Gegenstände der Erziehung aufgenommen wurde.
Denn dass er bei seinen eigenen Schülern die Grundlage
bildete, versteht sich eigentlich von selbst, indem die durch
praktische Uebung erlangte Sicherheit der Hand die Vorbe-
dingung für die Durchführung jedweder künstlerischen Auf-
gabe ist. Wenn es ferner heisst, er habe als einer der
ersten enkaustisch gemalt und auch den Pausias in dieser
Gattung der Malerei unterwiesen, 1) so folgt daraus ebenfalls
nur, dass er auch das rein Technische in den Kreis seiner
Studien, wie seiner Lehre gezogen habe. Von seinen Schrif-
ten endlich sind uns nicht einmal Bruchstücke erhalten.


So bleibt uns eigentlich als das gewichtigste Zeugniss
für die Vortrefflichkeit seiner Lehre immer nur der Erfolg
seiner Schüler. Wie wir aber denselben immer schon im
Auge hatten, wenn wir dem Pamphilos eine der ersten Stellen
in der Entwickelungsgeschichte der Malerei anwiesen, so
wird es uns vielleicht später möglich werden, auch im Ein-
[142] zelnen auf gewisse Eigenthümlichkeiten des Meisters aus den
besonderen Verdiensten der Schüler zurückzuschliessen, na-
mentlich da, wo diese als ein Ausfluss seiner allgemeinen hin-
länglich scharf hervortretenden Grundrichtung erscheinen.


Melanthios.

Melanthios, oder, wie Plutarch 1) ihn nennt, Melanthos,
scheint seinem Lehrer Pamphilos unter allen Schülern am
nächsten verwandt gewesen zu sein. Denn Quintilian2) er-
theilt beiden gemeinsam das oben gewürdigte Lob der ratio,
einer auf wissenschaftlichen Grundlagen beruhenden Kunst-
übung. Wie sein Meister schrieb er auch über die Kunst:
Plinius führt ihn unter den Quellen des 35sten Buches an;
und es ist sehr wahrscheinlich, was Marini vermuthet, dass
unter den Schriftstellern über Symmetrie bei Vitruv 3) sein
Name an die Stelle des gänzlich unbekannten Melampus zu
setzen ist; um so mehr als die Studien über Symmetrie in
der sikyonischen Kunst ganz besonders heimisch sein muss-
ten. Diogenes Laërtius theilt uns sogar ein Urtheil aus
diesen Schriften mit:4) φησὶ γὰϱ δεῖν αὐϑάδειάν τινα καὶ
σκληϱότητα τοῖς ἔϱγοις ἐπιτϱέχειν. Wenn dieses dahin lau-
tet, dass am Kunstwerke eine gewisse Keckheit und
Schärfe wahrnehmbar sein solle, so wissen wir freilich
nicht, ob hier mehr vom Entwurfe oder von der Durchfüh-
rung die Rede ist. Doch scheint der Vergleich mit dem
freien und offenen, weder ängstlichen noch abgeschliffenen
Benehmen eines Mannes, wie er sich aus dem Zusammen-
hange der Stelle ergiebt, eine nicht zu streng wörtliche Deu-
tung der obigen Ausdrücke zu erheischen. Auch begreift
es sich bei einem Künstler, welcher auf die gründlichste
Durchbildung den grössten Nachdruck legt, wie er mit eben
solcher Sorge wacht, dass nicht übertriebene Rücksichten
darauf dem Werke die Frische rauben, dass nicht ewiges
Bessern und Feilen eine zu grosse Glätte und in Folge der-
selben Weichheit oder Mattigkeit erzeugen. Unter solchem
Gesichtspunkte gewinnt der Ausspruch des Melanthios eine
nicht gering anzuschlagende Bedeutung, insofern er uns
zeigt, dass die Rücksichten auf wissenschaftliche Durchbil-
[143] dung bei diesem Meister nicht zu einer Vernachlässigung der
rein künstlerischen Forderungen führten, sondern dass die ratio
auch in dieser Beziehung sich als bewährte Führerin offenbarte.


Ganz besonders gross muss aber sein Verdienst in der
Anordnung (dispositio) gewesen sein, da hierin selbst Apelles
von ihm übertroffen zu werden bekannte. 1) Auch dieses
Lob steht mit allem, was wir über die Bildung des Melan-
thios wie seines Lehrers wissen, im besten Einklange. Die
Vorzüge der Farbe bei Zeuxis, die Feinheiten des Parrhasios,
ja selbst die Grazie des Apelles setzen das Verdienst einer
kunstmässigen Anordnung noch nicht mit Nothwendigkeit
voraus; ja die Erfahrung lehrt, dass sie unter ähnlichen
Verhältnissen öfters gemangelt hat. Sie beruht in ihren
ersten und hauptsächlichsten Gliederungen auf den Principien
des Gleichgewichts; und indem sie deshalb einen ausgebil-
deten Sinn für die Verhältnisse räumlicher Grössen voraus-
setzt, werden wir uns nicht wundern dürfen, sie gerade bei
einem Künstler derjenigen Schule in höchster Vollendung zu
finden, welche auf eine mathematische Bildung den nach-
drücklichsten Werth legte.


Die nahe Verwandtschaft des Schülers mit dem Lehrer
scheint sich endlich noch durch die Stellung des ersteren
im Zusammenhange der Schule auszusprechen, wie sie in
einer Nachricht des Plutarch2) erscheint. Denn während bei
Plinius Apelles ein Schüler des Pamphilos genannt wird, ist
dort zuerst von beiden Repräsentanten dieser Schule, Pam-
philos und Melanthios, die Rede; und gleich darauf heisst
es von einem Gemälde: es sei von Melanthios und seinen
Schülern (ὑπὸ πάντων τῶν πεϱὶ τὸν Μέλανϑον) gemalt worden
und auch Apelles habe daran Hand angelegt. Alle diese
Angaben vereinigen sich auf das Beste durch die Annahme,
dass Melanthios zuerst Schüler, dann Genosse und schliess-
lich der Nachfolger des Pamphilos gewesen sei.


Von seinen Werken, deren mehrere durch Arat in den
Besitz der Ptolemaeer gelangten, 3) kennen wir nur ein ein-
ziges, das eben erwähnte Schulbild: Aristratos, Tyrann von
[144] Sikyon zur Zeit des Philipp von Makedonien, 1) stehend
neben dem Wagen der Siegesgöttin. Bei der Zerstörung der
übrigen Tyrannenbilder durch Arat drohte diesem ein glei-
ches Geschick, doch ward dasselbe wenigstens zum Theil
durch den Maler Nealkes abgewendet, der sich nur dazu
verstehen musste, die Figur des Aristratos auszulöschen. An
ihrer Stelle φοίνικα μόνον ἐνέγϱαψεν, ἄλλο δὲ οὐδὲν ἐτόλμησε πα-
ϱαβαλεῖν. Man wollte dies übersetzen: er habe eine Palme
an die Stelle der Figur gemalt. Aber was soll dann der
Zusatz bedeuten: er habe nicht gewagt, etwas anderes hin-
zuzufügen? Sicherlich that er nichts, als dass er die Figur
mit rother Farbe überstrich und also gar keinen künstleri-
schen Ersatz für dieselbe hinzufügte. Die Füsse des Ari-
stratos soll man noch später hinter dem Wagen haben be-
merken können. Ueber die Angabe des Plinius, 2) dass er,
wie Apelles, Aetion, Nikomachos, nur mit vier Farben ge-
malt habe, wird unter Apelles gesprochen werden.


Pausias.

Pausias erscheint unter den Schülern des Pamphilos als
derjenige, welcher von den theoretischen Studien und For-
schungen seines Lehrers die umfassendsten praktischen An-
wendungen zu machen verstand. Hören wir darüber vor
Allem den ausführlichen Bericht des Plinius: 3)


„Auch Pamphilos, des Apelles Lehrer, soll die Enkau-
stik nicht allein selbst ausgeübt, sondern auch darin den
Pausias von Sikyon unterwiesen haben, welcher zuerst in
dieser Gattung Ruhm erwarb. Dieser war der Sohn des [uns
sonst gänzlich unbekannten] Bryetes und anfänglich auch
dessen Schüler. Er malte auch mit dem Pinsel Wandgemälde
zu Thespiae, als die früher von Polygnot gemalten wieder-
hergestellt wurden; doch urtheilte man, dass der Vergleich
sehr zu seinem Nachtheil ausfalle, weil er sich in einer ihm
nicht eigenthümlichen Gattung der Malerei in den Wettstreit
eingelassen. Er war auch der erste, der anfing, Decken
(lacunaria) zu malen, während es vor ihm nicht Sitte war,
Gewölbe (camaras) in dieser Weise zu schmücken. Er malte
kleine Bildchen und besonders Kinder. Dies deuteten seine
[145] Nebenbuhler dahin, dass er es thue, weil diese Art der Ma-
lerei (nemlich die Enkaustik) langsam von Statten gehe. Um
sich daher auch den Ruf der Schnelligkeit zu erwerben, voll-
endete er in einem Tage ein Bildchen, einen Knaben dar-
stellend, das deshalb den Namen Hemeresios, das Eintags-
bild, erhielt. In seiner Jugend liebte er seine Landsmännin
Glykera, eine Kränzebinderin; und indem er im Wetteifer
sie nachahmte, brachte er diesen Kunstzweig zur reichsten
Mannigfaltigkeit in Zusammenstellung der Blumen. Schliess-
lich malte er sie selbst mit einem Kranze sitzend, und dieses,
eines seiner berühmtesten Gemälde, ward Stephanoplokos,
die Kränzewinderin, genannt, von andern Stephanopolis, die
Kränzeverkäuferin, weil Glykera durch den Verkauf von
Kränzen sich in ihrer Armuth unterhalten hatte. Ein Exem-
plar dieses Gemäldes, welches man apographon nennt (viel-
leicht wegen des hohen Preises nicht eine blosse Copie,
sondern eine Wiederholung von der Hand des Künstlers),
kaufte L. Lucullus für zwei Talente an den Dionysien zu
Athen. Pausias malte aber auch grosse Gemälde, wie das
im Porticus des Pompeius aufgestellte Stieropfer. Dieses
Gemälde (oder: diese Art zu componiren) erfand er zuerst;
nachher haben viele sie nachgeahmt, keiner erreicht. Vor
allem, indem er wollte, dass sich die Länge des Stieres
zeige, malte er ihn von vorn, nicht von der Seite; und doch
erkennt man hinlänglich seine Ausdehnung. Während man
sonst ferner, was hervortretend erscheinen soll, mit leichter
Farbe anzulegen und mit dunkler zu decken pflegt, machte er
den ganzen Stier von schwarzer Farbe und gab dem Körper
Schatten aus sich selbst; und doch liess die Vortrefflichkeit
der Kunst auf der Fläche alles hervortretend und in der ge-
brochenen Verkürzung zusammenhängend erscheinen. Auch
er lebte zu Sikyon, und lange war dies das Vaterland der
Malerei; alle öffentlichen wegen der Staatsschuld zum Ver-
kauf gebrachten Gemälde versetzte die Aedilität des Scaurus
von dort nach Rom.“


Ausser dieser höchst bedeutenden, aber der Erklärung
vielfach bedürftigen Stelle verdient hier zunächst nur eine
Nachricht des Pausanias 1) Berücksichtigung:


Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 10
[146]

„Nahe bei dem Tempel des Asklepios zu Epidauros ist
ein sehenswerthes rundes Gebäude, Tholos, die Kuppel ge-
nannt; darin von Pausias Hand gemalt Eros, wie er Pfeile
und Bogen weggeworfen und statt ihrer die Leier ergriffen
hat. Daselbst befindet sich auch ein Bild der Methe, eben-
falls ein Werk des Pausias, wie sie aus einer gläsernen
Schale trinkt. Man kann aber auch in dem Bilde erkennen,
dass die Schale von Glas ist, und durch sie hindurch das
Gesicht des Weibes.“


Aus diesen verschiedenartigen Nachrichten wähle ich
zunächst eine Notiz aus: dass Pausias zuerst Decken gemalt
habe, und zwar gewölbte Decken. Denn auf diesen Zusatz
müssen wir den Nachdruck legen, da ein gewöhnliches Ge-
mälde auf eine flache Decke anstatt auf eine Wand gemalt
keine besondere Erwähnung verdienen würde. Dagegen
bietet die Zeichnung auf der gebogenen oder gewölbten
Fläche eine Menge von Schwierigkeiten besonderer Art dar.
Die Richtigkeit der Zeichnung überhaupt beruht darauf, dass
jeder Punkt in einem Bilde für den Beschauer in dasselbe
Verhältniss zur Horizontlinie und der den Augenpunkt schnei-
denden Verticale gesetzt werde, in welchem er dem Auge
in der Natur erscheint. Dieses zu erreichen ist nun auf der
ebenen Fläche der Wand oder Tafel deshalb leichter, weil
die beiden Grundlinien, Horizont und Verticale, in die Ebene
des Bildes fallen und daher das Verhältniss jedes Punktes
zu diesen dasselbe bleibt, wie es in der Natur auf unser
Auge wirkt. Ganz anders verhält sich dies bei der Fläche
eines Gewölbes. Hier liegen diese Grundlinien zum Theil
ausserhalb der Fläche; und in Folge dessen müssen alle in
derselben darzustellenden Punkte aus ihrem natürlichen Ver-
hältnisse zu jenen Linien in ein rein constructives übergehen.
Hier tritt also der Künstler auf ein Gebiet, auf welchem die
blosse Beobachtung der Natur und ihrer Formen nicht mehr
ausreicht, sondern eine bestimmte Kenntniss optischer Ge-
setze erheischt wird. Eine Analogie können uns schon die
Bilder mancher Vasen gewähren, bei welchen die auf einer
starken Biegung ihres Körpers aufgetragenen Figuren in ge-
nauer Durchzeichnung ausser aller Proportion zu erscheinen
pflegen, während sie auf der Vase selbst einen durchaus
correcten Eindruck machen. Hier genügt übrigens, um das
[147] Richtige zu treffen, schon ein gewisser durch die blosse
Uebung erworbener Takt, während dem Maler einer Decke
aus doppeltem Grunde eine bestimmte Kenntniss nothwendig
ist: zuerst wegen der Grösse, welche sich nicht mit dem
ungefähren Gesammteindruck des Ganzen und dem geringen
Detail eines Vasenbildes begnügen darf, sondern verlangt,
dass alle einzelnen Theile zu einander in das richtige Ver-
hältniss gesetzt werden. Noch wichtiger aber ist die Ver-
schiedenheit des Standpunktes, welchen der Künstler wäh-
rend der Arbeit und der Beschauer nach der Vollendung
einnimmt. Bei dem Vasenbilde ist er für beide derselbe; bei
dem Deckenbilde muss fast alles, was vom Standpunkte des
einen correct erscheint, von dem des andern den Eindruck
der Incorrectheit machen, gerade wie von den beiden Sta-
tuen des Alkamenes und Phidias erzählt wird, dass die eine
durch eine hohe Aufstellung von ihrer Schönheit einbüsste,
während die andere dadurch erst ihre volle Wirkung her-
vorbrachte.


Wir wollen dem Verdienste des Pausias in der Lösung
der hier angedeuteten Probleme möglichst enge Grenzen
ziehen, und keineswegs behaupten, dass er etwa Bilder aus
einem andern als dem natürlichen Augenpunkte, welcher dem
Auge des Beschauers gerade gegenüber in dem natürlichen
Horizonte liegt, künstlich konstruirt habe, wie man dies bei
den Gemälden von Gewölben und Kuppeln in der neuern
Kunst namentlich in den Zeiten des Verfalls häufig gethan.
Wir wollen ihm nur das Vermögen zuerkennen, eine Com-
position auf eine gewölbte Fläche so zu übertragen, dass
dadurch das natürliche Verhältniss der einzelnen Theile
nicht beeinträchtigt erscheine. Sollte man jedoch auch hier-
gegen noch Zweifel erheben und eine bewusste Anwendung
optischer oder perspectivischer Gesetze in dieser Richtung
als mit den uns erhaltenen Werken im Widerspruche ste-
hend leugnen wollen, so vermögen wir noch auf anderem
Wege darzuthun, dass die mathematischen Studien, wie sie
schon von Pamphilos als die Grundlage der künstlerischen
Bildung betrachtet wurden, durch Pausias eine weit grössere
praktische Anwendung erhielten, als wir gemeinhin für die
griechische Kunst anzunehmen pflegen. Er war nemlich auch
ein Meister in kunstmässigen Verkürzungen. Den Beweis
10*
[148] dafür liefert sein Stieropfer, in welchem er den Stier von
vorn, nicht von der Seite darstellte. Auch dafür wird man
sich unter den erhaltenen Werken vergeblich nach zahl-
reichen Analogien und Belegen umsehen. Denn die Vierge-
spanne z. B., wie sie sich auf Vasen alten Styls oder auf
einem der selinuntischen Reliefs in der Vorderansicht ge-
bildet finden, wird man nicht als Beispiele kunstmässiger
Verkürzungen anführen wollen. Und doch spricht Plinius
gerade von einer solchen mit vollster Bestimmtheit, wenn er
hinzufügt, dass man trotz dieser Anordnung die Länge des
Stieres vollkommen erkannt habe. Hier müssen wir es nun
einem besonders günstigen Geschicke Dank wissen, dass es
uns ein Werk bewahrt hat, welches dem Alterthum ohne
Widerrede das Verdienst sichert, die Kunst der Verkürzun-
gen gekannt zu haben. Dieses Werk ist das Mosaik
der Alexanderschlacht aus Pompei: das Pferd in der Mitte
der Composition, welches von hinten gesehen wird, bildet
das gerade Gegenstück zum Stier des Pausias. Wie aber da-
durch auf der einen Seite der Ruhm dieses Künstlers als
desjenigen gesichert wird, der es vermöge seiner wissen-
schaftlichen Bildung zuerst verstanden, ein solches Problem
zu lösen, so gewinnen wir auf der andern Seite für jenes
Mosaik einen bestimmten Berührungspunkt mit der Entwicke-
lungsgeschichte der griechischen Malerei, indem wir jetzt
wenigstens nachzuweisen vermögen, wo und durch welche
Mittel die Vorbedingungen für die Schöpfung dieses bis jetzt
in der griechischen Malerei einzig dastehenden Werkes er-
füllt waren. Ich will damit keineswegs behaupten, dass die
Composition ein Werk der sikyonischen Schule sein müsse;
wohl aber, dass so zu componiren erst möglich wurde, nach-
dem die Malerei von Sikyon aus ihre theoretische und wis-
senschaftliche Durchbildung erhalten hatte.


Doch wir kehren zu Pausias und seinem Stieropfer zu-
rück, welches uns auch noch auf eine andere Eigenthümlich-
keit des Künstlers hinweist, nemlich auf seine Art, die Farbe
zu behandeln. Die Ausdrucksweise des Plinius ist zwar ge-
rade an dieser Stelle besonders dunkel, vielleicht weil
er selbst von der besondern Art der Technik keinen hin-
länglich deutlichen Begriff hatte. Machen wir uns diese klar,
so werden uns wenigstens in der Hauptsache keine Schwie-
[149] rigkeiten bleiben. Das Abweichende im Verfahren des Pausias
bestand zunächst darin, dass er den Stier nicht mit einer
hellen Farbe anlegte, sondern mit einer dunkeln, und zwar
geradezu mit dem Schwarz des Schattens. Denn darauf
glaube ich die Worte: umbraeque corpus ex ipsa dedit, deuten
zu müssen: während andere in den lichten Grundton das
Dunkle oder Schwarz des Schattens hineintrugen (condunt
nigro), bildete dieses bei dem Stiere den Grundton, so dass
der Schatten keine weitere Bezeichnung verlangte, sondern
sich, so zu sagen, aus sich selbst darstellte. Das Weitere
dieses Verfahrens wird uns nun am besten deutlich werden,
wenn wir uns fragen, wodurch es überhaupt veranlasst
wurde. Ich glaube, durch nichts anderes, als durch die ei-
genthümliche Substanz des darzustellenden Gegenstandes.
Das schwarze glänzende Haar am Felle des Stieres ist nicht
ein Körper, an welchem sich die grössere oder geringere
Stärke des einwirkenden Lichtes in regelmässigen Abstufun-
gen zu zeigen vermag; vielmehr brechen sich die Strahlen
daran; und wir erkennen daher weniger Licht und Schatten,
als die tiefe dunkele Grundfarbe des Stoffes und Reflexe.
Hieraus erklärt es sich also zuerst, weshalb dem Künstler
das tiefe Schwarz als Localfarbe dienen musste, sodann aber
auch, wie „in confracto solida omnia,“ d. h. in der Ver-
kürzung die einzelnen Theile des Körpers doch als ein zu-
sammenhängendes Ganze erscheinen konnten. Der gemein-
same Grundton ward nemlich nicht durch scharfe Gegen-
sätze von Licht und Schatten zerrissen, indem die Reflexe
nicht eigentlich als eine Veränderung des Farbentones er-
schienen, sondern als ein über den Grundton hingehauchter
Glanz (recht eigentlich splendor, alius hic quam lumen:
Plin. 35, 29), der auch technisch als solcher besser durch
Lasuren, als durch consistente Farben darzustellen ist. Dabei
aber lässt sich durch eine richtige Behandlung dieses Glan-
zes eine vollständige Darstellung der Oberfläche eines Kör-
pers nach ihren hervorragenden und zurücktretenden Theilen
erreichen, so dass also nicht minder als „in confracto solida
omnia“ auch die einzelnen Theile „in aequo exstantia“ er-
schienen. Dem Laien möchte diese ganze Behandlungsweise
am besten durch die Bemerkung anschaulich zu machen sein,
dass sie dieselbe ist, welche auch jetzt noch zur Darstellung
[150] von Sammet- und Atlasstoffen angewendet wird. Dass sie
aber der ganzen Weise des Pausias nicht fremd war, dafür
möchte ich eine weitere Bestätigung in dem finden, was
Pausanias von der gläsernen Schale der Methe erzählt: dass
man nemlich nicht nur den Stoff selbst, sondern durch das
Glas auch das Gesicht der Methe erkenne. Wir haben zwar
schon von den Trauben, nach welchen die Vögel flogen, von
dem gemalten Vorhange, welcher einen Maler täuschte, er-
zählen hören und daraus abnehmen müssen, wie weit man
im Stande war, Illusion hervorzubringen. Die Aufgabe,
welche sich Pausias gestellt, war aber von den genannten
doch wegen des darzustellenden Stoffes wesentlich verschie-
den, da dieser durchsichtig ist, und deshalb die Lichtstrahlen
nicht in sich aufnimmt, sondern entweder durchlässt oder
bricht. Auch hier hatte also Pausias nicht Licht und Schat-
ten, sondern einen noch dazu farblosen Körper und die
Reflexe und Glanzlichter in demselben, also ebenfalls wie-
der splendor darzustellen; und dieses noch dazu geson-
dert von dem darunter erscheinenden Körper, dem Gesicht
der Methe.


Uns werden freilich vom Standpunkte der heutigen Technik
aus die hier erwähnten Erfolge des Pausias nicht mehr als etwas
Ausserordentliches erscheinen. Pausias jedoch würde sie mit
den bescheidenen Mitteln der Fresco- oder Temperamalerei
schwerlich erreicht haben; ja es würde ihm wahrscheinlich
der Gedanke fern geblieben sein, mit ihnen nach solchen
Effecten zu streben. Dass er es that, erklärt sich dagegen
einfach aus der Anwendung der Enkaustik, deren erster
namhafter Vertreter er ist.


Ueber die Anfänge dieser Kunstgattung sind wir sehr
mangelhaft unterrichtet. Die Hauptstelle darüber bei Pli-
nius 1) lautet so: „Wer es zuerst erdacht, mit Wachsfarben
zu malen und die Malerei einzubrennen, ist nicht ausge-
macht. Einige halten es für eine Erfindung des Aristides,
die nachher von Praxiteles ausgebildet sei. Aber es gab
um etwas ältere enkaustische Gemälde, wie von Polygnot,
von Nikanor und Arkesilaos aus Paros; auch Elasippos
schrieb auf sein Bild der Aegina ἐνέκαεν: er brannte es ein,
[151] was er sicherlich nicht gethan hätte, wenn nicht die Enkau-
stik schon erfunden gewesen wäre.“ Hierauf folgt die Er-
wähnung des Pamphilos als des Lehrers des Pausias, der
zuerst darin berühmt geworden sei, also doch für ihre höhere
Ausbildung das Wesentlichste beigetragen haben wird. Worin
freilich seine Verdienste bestanden, erfahren wir nicht; ja wir
sind über das ganze technische Verfahren überhaupt noch
keineswegs hinlänglich aufgeklärt. Denn wenn wir auch
Welckers Erklärung 1) als die begründetste annehmen, dass
die mit Wachs in irgend einer auflösenden öligen Verbindung
gemischten Farben mit dem Pinsel aufgetragen und vermit-
telst eines darüber geführten unten angeglühten Stäbchens
in einander vertrieben und verschmolzen wurden, so kann
uns dieses Resultat doch immer erst einen ungefähren Begriff
von dieser Malerei gewähren. Näher auf die vielbestrittenen
Fragen der Technik einzugehen, ist aber hier nicht der Ort.
Wohl aber müssen wir nach dem Werthe fragen, welcher
der Enkaustik in Hinsicht auf künstlerische Anwendung bei-
zulegen ist. Hier scheint nun ziemliche Uebereinstimmung
darüber zu herrschen, dass das Wachs als fettes Bindemittel
den Farben eine grössere Tiefe und Klarheit geben musste,
welche das Streben nach Illusion und malerischem Effect in
Licht und Schatten weit mehr begünstigte, als die Tempera-
farben. Die Enkaustik näherte sich also in ihren Wirkungen
der Oelmalerei, und es ist gar nicht unwahrscheinlich, was
Wiegmann 2) vermuthet, dass von ihrer Uebung sich gerade
darum keine Spur erhalten habe, weil die letztere als eine in
ihren Wirkungen durchaus verwandte, aber in ihrer Aus-
übung weit bequemere und vollkommenere Gattung sie gänz-
lich aus dem Gedächtnisse der Maler verdrängt habe. Halten
wir diese allgemeinen Sätze fest, so erklären sich uns die
oben besprochenen Eigenthümlichkeiten des Pausias in der
Behandlung der Farbe ohne Schwierigkeit. Denn eben die
Natur der enkaustischen Farbe, die Möglichkeit, den Tönen
durch das Einbrennen eine grössere oder geringere Stärke,
Tiefe oder Durchsichtigkeit zu geben, musste den Künstler
auffordern, sich Probleme zu stellen, die gerade mit Hülfe
dieser für die Kunst neu gewonnenen Mittel zu lösen waren.
[152] Ich glaube ferner die Vortheile, welche die Enkaustik bot,
auch in Anschlag bringen zu müssen, wenn wir hören, dass
Pausias in der Blumenmalerei keinen geringen Ruhm erwor-
ben habe. Wenn wir freilich auch in diesem Genre von
einem Meisterwerke eine hohe Vollendung der Zeichnung zu
verlangen nicht umhin können, welche es sich namentlich
zur Aufgabe zu setzen hat, den Wuchs, die Schwingung der
Blätter, die Bildung und Entfaltung des Blüthenkelches im
mannigfachen Wechsel der Lagen dem Organismus der
Pflanze gemäss darzustellen, so hat man doch von jeher
hier vor Allem nach Illusion durch die Farbe gestrebt, nach
einem Wiedergeben jenes Schmelzes und jenes Reichthums
von Farbentönen, die auch in der Wirklichkeit, weit mehr
als die Form, das Auge anzuziehen pflegen. Dieses Ziel zu
erreichen war aber erst durch eine vollendete Technik mög-
lich, wie sie die Enkaustik bot. Doch wollen wir das Ver-
dienst des Pausias nicht auf diese allein beschränken, son-
dern es nach dem ausdrücklichen Zeugnisse des Plinius auch
darauf ausdehnen, dass er nicht minder in der Anordnung
der verschiedenen Blumen die reichste Mannigfaltigkeit zu
entwickeln verstanden habe, was vom künstlerischen Stand-
punkte einen feinen Sinn für Farbenzusammenstellung vor-
aussetzt.


Blicken wir jetzt noch einmal auf die Leistungen des
Pausias zurück, so können wir nicht behaupten, dass ihm in
der Wahl und der innerlichen Auffassung der Gegenstände,
im geistigen poetischen Schaffen ein hervorstechendes Ver-
dienst gebühre. Selbst bei dem Stieropfer wird nicht das
Poetische, sondern das Kunstreiche der Erfindung gepriesen.
Bei dem Bilde der Methe kann der sonst so trockene Pau-
sanias eine Bemerkung über das technische Verdienst nicht
unterdrücken. Plinius aber sagt geradezu, dass er haupt-
sächlich Kinder gemalt, also Darstellungen der naivsten Art
geliebt habe. Ja es scheint sogar, dass er in der Wahl
seiner Gegenstände nicht immer die Schranken strenger Sitte
wahrte. Polemon nemlich in der Schrift über die Gemälde
in Sikyon 1) nennt unter den ποϱνογϱάφοι neben Aristides und
Nikophanes einen ganz unbekannten Maler Pausanias, an
[153] dessen Stelle schon Sillig den Namen des Pausias vermu-
thete, wie ich glaube, mit Recht, wenn auch die Hand-
schriften dagegen sprechen. Denn in der Gesellchaft so be-
deutender Künstler, wie Aristides und Nikophanes dürfen
wir wohl als dritten ebenfalls einen bekannten Namen er-
warten; und da Nikophanes, der Schüler des Pausias, zu
dieser Klasse von Malern gehört, so kann es um so weniger
auffallen, auch den Lehrer darunter zu finden. Nun hat
zwar Letronne 1) jede Beziehung der ποϱνογϱάφοι auf die Dar-
stellung obscöner Gegenstände ableugnen und in ihnen ein-
fach Maler berühmter Hetären sehen wollen. Doch hat ihn
wohl hier, wie auch Welcker meint, 2) der Eifer des Wider-
spruchs gegen die Uebertreibungen Raoul-Rochette’s zu weit
getrieben. Denn wenn in einer Stelle des Fronto 3) ver-
gleichsweise darauf hingedeutet wird, wie unpassend es sein
würde zu verlangen, dass Euphranor lasciva, Pausias
[p]roel[i]a male, so müssen wir nach dem Zusammenhange
voraussetzen, dass dem einen die dem andern abgesprochene
Eigenschaft wirklich zukomme. Ganz freigesprochen kann
also Pausias von jenem Vorwurfe auf keinen Fall werden.
Wie nun über Parrhasios, der Einzelnes in dieser Rich-
tung gearbeitet hatte, bemerkt ward, er habe es mehr
zur Erholung und als muthwilligen Scherz betrieben, so
könnte man vielleicht von Pausias dasselbe annehmen. Sollte
jedoch auch Pausias ernsthafter und mit mehr künstlerischer
Prätension hierbei verfahren sein, obwohl er ja keineswegs
ausschliesslich oder auch nur vorzugsweise in dieser Rich-
tung sich bewegte, so können wir ihn darüber freilich nicht
rechtfertigen, aber eben so wenig dürfen wir wegen solcher
Auswüchse in einer Zeit gelockerter Sitten sofort gegen
die griechische Kunst im Allgemeinen ein Verdammungsur-
theil auszusprechen uns für berechtigt halten. Auf jeden
Fall tritt auch bei Pausias dieser gelinde Makel gegen seine
sonstigen Verdienste in den Hintergrund. Wir bestimmten
dieselben zu Anfang unserer Erörterungen dahin, dass er
von den theoretischen Studien und Forschungen seines Leh-
rers die umfassendsten praktischen Anwendungen zu machen
[154] verstanden habe. Wie wir nachher fanden, war dies der
Fall sowohl hinsichtlich der Kenntniss der Zeichnung, welche
ihn zur Lösung der schwierigsten Probleme befähigte, als
hinsichtlich der Ausbildung einer ganz neuen Malertechnik,
welche das Colorit zu einer noch höheren Naturwahrheit, als
sie bisher möglich war, zu steigern erlaubte. Zum Schluss
aber müssen wir noch darauf hinweisen, dass er auch in
einer dritten Beziehung sich als seines Lehrers würdig er-
wies, nemlich darin, dass er selbst wieder der Lehrer
tüchtiger Schüler wurde, also auch zur ferneren Aufrecht-
erhaltung des Ruhmes der sikyonischen Schule das Seine
beitrug.


Die erste Stelle unter ihnen mag einnehmen:


Aristolaos,
zugleich Sohn und Schüler des Pausias. Plinius 1) nennt
ihn einen der strengsten Maler und führt als seine Werke
an: Epaminondas, Perikles, Medea, Virtus, Theseus, ein Bild
des attischen Volkes und ein Stieropfer. Ob jede dieser
Figuren für sich oder mit nicht angeführten Nebenfiguren
ein Bild ausmachte, oder ob mehrere der genannten zusam-
mengehörten, lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen.
Wichtig aber ist es, aus diesen Anführungen zu sehen, dass
die sikyonische Schule ihren Einfluss auch nach Attika aus-
dehnte. Denn der Demos, Perikles, Theseus gehören die-
sem Lande an, vielleicht auch Medea; und die von E. Braun
herausgegebenen Darstellungen der sogenannten Kodros-
schale können uns wohl auf die Vermuthung führen, dass
zwischen mehreren der von Plinius angeführten Figuren, na-
mentlich Medea, Virtus, Theseus und dem Demos eine be-
stimmtere Beziehung anzunehmen sei. Hinsichtlich der Ver-
dienste des Künstlers sind wir durchaus auf das Lob der
Strenge bei Plinius beschränkt und dürfen uns höchstens
erlauben, dasselbe auf die Gründlichkeit der Bildung als der
sikyonischen Schule vorzugsweise eigen zurückzuführen.


Verwickelter sind die Untersuchungen über den zweiten
Schüler des Pausias:


Nikophanes.
Plinius fährt nemlich nach Erwähnung des Aristolaos
[155] fort: 1) „Einigen gefällt auch Nikophanes, desselben Pausias
Schüler, wegen derjenigen Sorgfalt, welche die Künstler al-
lein zu würdigen pflegen, übrigens hart in den Farben und
zu verschwenderisch im Gebrauche des Ocker — [sein] So-
krates zwar gefällt mit Recht Allen — von dieser Art sind
sein Asklepios mit den Töchtern Hygieia, Aegle, Panakeia
und Jaso, so wie jener Träge, den man Oknos nennt, der
ein Strohseil flicht, welches ein Esel abnagt.“ Zuerst darf
der Name Nikophanes, den Raoul-Rochette anstatt des un-
griechischen Mechopanes in Vorschlag gebracht hat, jetzt
durch die Autorität der Bamberger Handschrift als gesichert
betrachtet werden. Sodann aber wollte man in dieser Stelle
früher die Erwähnung eines zweiten, bis auf eine ganz dunkle
Erwähnung bei Plinius 2) unbekannten Malers Sokrates finden,
und der Gegensatz des: nam Socrates iure omnibus placet zu dem
Tadel der vorhergehenden Worte würde dies grammatisch recht
wohl erlauben. Das folgende „tales sunt eius“ weist uns dage-
gen wieder auf den ursprünglichen Tadel zurück und Sillig in der
neuen Ausgabe des Plinius thut daher gewiss recht, wenn er jene
Erwähnung des Sokrates als einen Zwischensatz auffasst, in
dem als eine Ausnahme ein Werk angeführt wird, welches
jener Tadel nicht trifft. — Mit dieser Stelle müssen wir eine
andere, gleichfalls bei Plinius 3) verbinden: „Hierher gehört
auch Nikophanes, elegant und gefällig, so dass hinsichtlich
der Anmuth (venustate) wenige ihm verglichen werden kön-
nen. In Bezug auf hohe Würde (cothurnus) und Gewichtig-
keit der Kunst jedoch ist er von Zeuxis und Apelles weit
entfernt.“ Die Zweifel, welche sich aus der doppelten Er-
wähnung bei Plinius gegen die Identität der Person erheben
liessen, sind leicht zu beseitigen. Denn erstens finden sich
auch sonst die Nachrichten über einzelne Künstler an ver-
schiedenen Orten seines Werkes zerstreut, was bei der Man-
nigfaltigkeit der nicht immer gleichzeitig von Plinius benutz-
ten Quellen nicht auffallen kann, namentlich da, wo Plinius,
wie in der zweiten der angeführten Stellen, am Ende einer
längeren Reihe allerlei Nachträge ohne feste Ordnung an ein-
ander reihet. Hier jedoch bedürfen wir nicht einmal dieser
Entschuldigungen: denn einmal erscheint Nikophanes unter
[156] den Tafelmalern, das andere Mal unter den Enkausten, so
dass, wenn er in beiden Arten tüchtig war, schon dadurch
die doppelte Erwähnung gerechtfertigt wird. Es fragt sich
daher nur, ob die beiden Urtheile über die künstlerische Be-
deutung so weit übereinstimmen, dass sie auf eine und die-
selbe Person bezogen werden dürfen. Fassen wir die Mi-
schung von Lob und Tadel in der ersten Stelle in das Auge,
so werden wir nicht umhin können, das Lob der nur den
Künstlern verständlichen Sorgfalt auf eine äusserst gefeilte
und, wie wir wohl sagen, geleckte Durchführung der Zeich-
nung im Gegensatze zur Farbe zu beziehen. Denn gerade
dadurch wird leicht die Einheit der Gesammttöne in den
Farben zerstört und Härte im Colorit erzeugt. Wie aber
dieses Urtheil bei Plinius gefasst erscheint, hat es offenbar
nicht einen Künstler, sondern einen Laien zum Urheber.
Dagegen spricht sich nun in der zweiten Stelle die Meinung
eines Künstlers aus. Ihm erscheint jene Sorgfalt der Zeich-
nung als Eleganz und Feinheit in so hohem Grade, dass er
in dem Lobe der venustas, der zierlichen Anmuth, dem Ni-
kophanes Wenige an die Seite stellen mag. Dieses Lob
dürfen wir jedoch keineswegs zu weit und zu allgemein
fassen. Ja wenn man daneben dem Nikophanes auch noch
erhabene Würde und einen hohen Ernst der Auffassung bei-
legen wollte, indem man bei Plinius von den Worten „cothur-
nus ei et gravitas artis“ die Fortsetzung des Satzes „multum a
Zeuxide et Apelle abest“ durch die Interpunktion ablöste und
mit dem folgenden „Apellis discipulus Perseus“ verband, so
liess man dadurch Plinius geradezu Widersprechendes aus-
sagen. Denn diese Eigenschaften schliessen die unmittelbar
vorher gepriesenen förmlich aus, da z. B. Cicero 1) von
sententiae non tam graves et severae, quam venustae et con-
cinnae sprechen darf. Das Bekenntniss aber, dass sie ihm
fehlen, kann in dem Zusammenhange des ganzen Urtheils
weniger für einen Tadel gelten, als für eine schärfere Be-
grenzung jenes Lobes der Eleganz und Anmuth; und in der
That gewinnen wir auf diesem Wege ein lebendigeres Bild
von der Persönlichkeit des Künstlers, einer Persönlichkeit,
für welche es keineswegs an Analogien in der Kunstge-
[157] schichte fehlt. Auf eine, nemlich die des Bildhauers Kalli-
machos, glaube ich mit besonderem Nachdrucke verweisen
zu dürfen. Denn ihm, der wegen seiner übertriebenen Sorg-
falt sogar berüchtigt wurde, war ebenso, wie dem Nikopha-
nes, jene zierliche Anmuth (λεπτότης καὶ χάϱις) eigen, welche
den einen, wie den andern zu einer freieren und grossartigen
Entfaltung ihrer Kunst nicht gelangen liess, so verdienst-
voll ihre Werke in der Durchführung sonst sein mochten.


Schon bei Gelegenheit des Pausias wurde erwähnt, dass
Polemo 1) den Nikophanes unter den ποϱνογϱάφοι anführt.
Wenn wir nun diese Bezeichnung von einer tadelnden Neben-
beziehung nicht freisprechen können, so werden wir auch
keinen Anstand nehmen, mit Wyttenbach bei Plutarch 2) den
Namen des Chaerephanes, als eines Malers, welcher ἀκολάστους
ὁμιλίας γυυαικῶν πϱὸς ἄνδϱας gemalt, in den des Nikophanes
zu verändern. Denn da in demselben Satze von Timomachos,
Theon, Parrhasios, also Künstlern ersten Ranges, die Rede
ist, so können wir in dieser ausgesuchten Reihe als vierten
einen Unbekannten um so weniger dulden, als sich Niko-
phanes, ein Künstler von anerkanntem Rufe, ohne Schwie-
rigkeit an seine Stelle setzen lässt, sowohl der äusseren
Namensverwandtschaft wegen, als besonders auch deshalb,
weil die bei Plutarch erwähnte und nicht eben vielen gemein-
same Richtung der Kunsthätigkeit gerade dem Nikophanes
noch durch ein anderes Zeugniss beigelegt wird.


An diese Maler, welche den eigentlichen Kern der si-
kyonischen Schule bilden, schliessen wir wegen der Gemein-
samkeit des Vaterlandes noch die folgenden an:


Eutychides
von Plinius unter den Künstlern zweiter Ordnung angeführt
malte ein von Victoria gelenktes Zweigespann: 35, 141.
Wahrscheinlich ist er identisch mit dem bekannten Bildhauer,
einem Schüler des Lysipp.


Arkesilas,
Sohn des Tisikrates, welcher letztere ebenfalls der Schule
des Lysipp angehörte, aus Sikyon, erscheint bei Plinius unter
[158] den Malern dritter Ordnung: 35, 146. Nun erwähnt auch
Pausanias (I, 1, 3) einen Arkesilaos als Maler eines im
Haine der Athene und des Zeus zu Athen aufgestellten Ge-
mäldes, welches Leosthenes mit seinen Söhnen darstellte.
Leosthenes besiegte als Führer der Athener und übrigen
Griechen die Makedonier zuerst in Böotien, dann ausserhalb
der Thermopylen, worauf er sie nach Lamia dem Oeta ge-
genüber zurückdrängte und dort einschloss. Nach Diodor
(18, 13) fiel er dort Ol. 114, 2. Da auf dem Bilde auch
seine Söhne dargestellt waren, vielleicht weil sie es geweiht
hatten, so hindert nichts anzunehmen, dass es erst längere
Zeit nach dem Tode des Vaters gearbeitet war; und es
würde demnach keine Schwierigkeiten haben, den Arkesilaos
bei Pausanias für identisch mit dem Sohne des Tisikrates
zu halten, wie schon Sillig vorgeschlagen hat. Denn da
letzterer allem Anscheine nach schon bald nach Alexanders
Tode nicht unberühmt war, so konnte sein Sohn bereits
um die 120ste Olympiade thätig sein. Dass er ferner seine
Kunst in Athen übte, kann uns nicht auffallen, indem ja
auch der Sohn des Pausias mit Attika in Verbindung gestan-
den haben muss.


Thales.
Unter den Männern, welche diesen Namen führten, erwähnt
Diogenes Laërtius (I, s. 38) einen edlen (μεγαλοφυὴς) Maler
aus Sikyon, sodann einen andern, welchen wir, weil er von
Duris in seiner Schrift über Malerei angeführt ward, eben-
falls für einen Maler zu halten geneigt sein müssen. Diesen
könnten wir dann, im Hinblick auf die Zeit des Duris nicht
später, als in diese Epoche setzen; und vielleicht dürfen
wir ihn und den zuerst genannten für eine und dieselbe
Person halten, wie schon Raoul-Rochette (Lettre à Mr. Schorn,
p. 414) vermuthet hat. Mit diesen möchte derselbe Gelehrte
auch noch einen gleichnamigen Plasten identificiren, von
welchem wir nur durch eine Erwähnung des Theodorus
Hyrtacenus (bei Boissonade anecd. gr. I, p. 264) Kenntniss
haben. Seine von mir in der Geschichte der Bildhauer über-
sehenen Worte mögen nachträglich hier ihre Stelle finden:
Ἕλληνες Φειδίαν, Θαλῆν τε καὶ Ἀπελλῆν, τὸν μὲν λιϑοξοϊκῆς, τὸν
δ̛αὖ πλαστικῆς, Ἀπελλῆν δὲ γϱαφικῆς ἕνεκα καὶ τῶν ἐκεῖϑεν χαϱίτων
ἐϑαύμαζον.


[159]

Thebanisch-attische Schule.


Wir haben gesehen, wie die griechische Malerei sich zu-
erst in Athen zu hoher geistiger Blüthe erhob, sodann, wie
Kleinasien dem Mutterlande den Ruhm raubte, endlich wie
dieses in Sikyon die Pflege der Kunst von Neuem mit
Ernst und Strenge übernahm. Mit diesen letzten Bestrebungen
läuft aber eine zweite Entwickelungsreihe parallel, welche
von dem damals politisch bedeutendsten Lande Griechenlands,
von Theben, ausgehend nach dessen schnell vorübergegan-
gener Blüthe sich nach dem Nachbarlande Attika übersiedelt,
um dieses zum zweiten Male zu hohem Ruhme emporsteigen
zu lassen. Ich meine die Entwickelung, welche sich haupt-
sächlich an vier Namen anknüpft: Nikomachos, Aristides,
Euphranor und Nikias, welche in ihrer grössten Ausdehnung
aber sieben Glieder in ununterbrochener Folge von Lehrer
und Schüler umfasst. Diese hier vorangestellte Behauptung
bedarf jedoch eines ausführlicheren Beweises, da sie sonst
noch nirgends ausgesprochen ist. Und in der That, wenn
wir unsere Hauptquelle, den Plinius, betrachten, möchte man
an der Möglichkeit dieses Beweises zweifeln, so unbestimmt
und verwirrt sind seine Nachrichten. Mit einem: eodem
tempore, hac aetate, aequalis ist meist die chronologische
Bestimmung abgethan, und in solcher Weise sind oft Künst-
ler als gleichzeitig hingestellt, die nur in dem Endpunkte der
Thätigkeit des einen und dem Anfangspunkte des andern zu-
sammenfallen. Um so fester müssen wir uns an diejenigen
chronologischen Angaben halten, welche sich ausserdem
noch ermitteln lassen. Es wird aber hier, um zu einer kla-
ren Ueberzeugung zu gelangen, nothwendig sein, die chro-
nologische Erörterung im Zusammenhange vorzunehmen und
die Würdigung des künstlerischen Verdienstes der Einzelnen
ganz getrennt hiervon zu behandeln.


Der erste Künstler in dieser Reihe ist Aristiaeos,
welchen Namen Sillig jetzt nach den Spuren der bamberger
Handschrift an die Stelle von Aristodemos gesetzt hat. Von ihm
wissen wir jedoch nichts, als dass er Vater und Lehrer des
Nikomachos war. 1) Eine Zeitbestimmung für diesen aber
[160] gewährt einzig des Plinius Nachricht, dass er für Aristratos,
Tyrannen von Sikyon, am Denkmal des Dichters Telestes
arbeitete. Aristratos heisst bei Demosthenes 1) und Plutarch 2)
Zeitgenosse Philipps von Makedonien, welcher Ol. 105, 2 zur
Regierung gelangte. Damit ist indessen nicht gesagt, dass
die Arbeit des Nikomachos nicht vor diesen Regierungsan-
tritt fallen könne, vielmehr wird das Gegentheil durch die
Zeitbestimmung des Telestes sogar wahrscheinlich. 3) Der
parischen Marmorchronik zufolge siegte dieser Dichter Ol.
94, 3 in Athen, und Diodor 4) setzt seine Blüthe Ol. 95, 3.
Von da bis zum Regierungsantritt Philipps sind vierzig
Jahre, also immer ein ziemlich langer Zwischenraum. Rücken
wir aber die Arbeit an Telestes Grabe bis gegen Ol. 105
herab, so bleibt es noch immer dahingestellt, ob der Künst-
ler sie als Jüngling oder als Greis ausführte. Wir dürfen
danach die Annahme, dass seine Thätigkeit bereits um Ol. 95
begonnen haben könne, wenigstens als eine Möglichkeit
gelten lassen.


Wenden wir uns jetzt zu seinen Schülern. Ueber die
Zeit des Koroebos, eines Künstlers dritten Ranges (früher
Korybas genannt) 5) erfahren wir nichts Bestimmtes. Phi-
loxenos
von Eretria dagegen malte für Kassander eine
Schlacht des Alexander mit Darius. 6) Doch lässt uns auch
diese Angabe wieder einen ziemlich weiten Spielraum. Denn
dass Plinius Kassander König nennt, wird uns, wenn wir so
manche ähnliche Angaben in Betracht ziehen, nicht zu der
Behauptung zwingen, dass jenes Bild durchaus erst nach
Annahme des Königstitels, Ol. 116, 2, gemalt sein müsse.
Sicher ist also nur, dass der Künstler einige Zeit nach der
Schlacht, sei es nun der ersten oder der letzten, also in der
112ten Olympiade noch in Thätigkeit war.


Den schwierigsten Punkt in diesen Untersuchungen bil-
den aber die Fragen, welche sich an die Person des Aristides
knüpfen, namentlich daran, ob er der Bruder oder der Sohn
seines Lehrers Nikomachos war. Zuerst müssen wir aus-
sprechen, dass wir es nur mit einem einzigen Aristides zu
[161] thun haben, da die vermeintliche Erwähnung eines gleichnami-
gen Schülers nur auf der Lesart schlechter Handschriften des
Plinius 1) beruhte und demnach von Sillig beseitigt ist. Als Va-
terstadt des Künstlers nennt Plinius mehrere Male Theben, 2)
weshalb denn auch Nikomachos und dessen Vater von uns un-
ter die thebanischen Künstler gesetzt worden sind. Zur Bestim-
mung seiner Zeit stehen uns folgende Angaben zu Gebote: Ein
berühmtes Werk von ihm, das Bild einer sterbenden Mutter
mit ihrem Kinde, hatte Alexander mit sich nach seiner Vater-
stadt Pella genommen. 3) Offenbar geschah dies nach der
Zerstörung Thebens: Ol. 111, 2; und nach Plinius Worten
scheint es, dass Alexander das Bild nicht etwa vom Künstler
kaufte, sondern aus dessen Vaterstadt, wo es öffentlich aus-
gestellt sein mochte, als Beute mit sich fortführte. Lebte
aber auch der Künstler damals noch, so war er gewiss hoch-
berühmt. Ferner malte Aristides für Mnason, Tyrann von
Elatea, eine Schlacht mit den Persern, in welcher er hun-
dert Figuren anbrachte, für deren jede er sich im voraus
den Preis von zehn Minen ausbedungen hatte (also etwa
12—13,000 Thaler). 4) Diesen Mnason treffen wir Ol. 107, 4
in der Gesellschaft des Aristoteles dem Plato gegenüber; 5)
und sein damaliges Auftreten macht es wahrscheinlich, dass
er sich bald darauf der Tyrannis bemächtigt haben wird. Ari-
stides aber, als er für ihn arbeitete, musste auf dem Gipfel
seines Ruhmes stehen, da er einen so gewaltigen Preis für
seine Arbeit verlangte. Weiter berichtet Plinius, dass Einige
die Enkaustik für eine Erfindung des Aristides hielten, welche
nachher von Praxiteles ausgebildet worden sei. 6) Wenn es
nun auch wahrscheinlich ist, dass Praxiteles noch gegen die
Zeit Alexanders lebte, so muss doch die Erfindung des Ari-
stides um einige Zeit früher fallen. Diese drei Angaben
stimmen demnach darin überein, dass Aristides schon vor
Alexander’s Regierungsantritt ein berühmter Künstler war.
Hierauf gestützt aber müssen wir es für unmöglich erklären,
dass er frühestens vierzig Jahre später noch die Schülerin
und Freundin des Epikur, Leontion, gemalt habe, wie nach
Anleitung der besten Handschriften jetzt bei Plinius 7) ge-
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 11
[162] schrieben steht. Liegt hier also nicht ein ganz altes Ver-
derbniss des Textes vor, so bleibt uns nichts übrig, als den
Irrthum auf ein Misverständniss des Plinius selbst zurück-
zuführen.


Fragen wir nun, wann die Thätigkeit des Aristides be-
gonnen haben möge, so finden wir darüber bei Plinius 1) eine
allerdings etwas allgemeine Angabe. Nachdem er nemlich
von Zeuxis, Parrhasios, Timanthes gesprochen, fährt er fort,
dass in dieser Zeit (hac aetate) Aristides, der berühmte
Künstler (also sicherlich der Thebaner) die Schule des Euxi-
nidas, Pamphilos die des Eupompos besucht habe. Wenn
wir auch diese Angabe nicht streng wörtlich nehmen, son-
dern mehr dahin deuten wollen, dass Plinius damit den
Uebergang von der Periode der Kleinasiaten zu einer fol-
genden einleiten will, so werden wir doch auch wegen des
Pamphilos den von ihm bezeichneten Zeitpunkt etwa zwi-
schen Ol. 95 und 100 setzen müssen, was sowohl mit den
vorher betrachteten Angaben über Aristides in bestem Ein-
klange stehen würde, als auch damit, dass Euphranor schon
vor Ol. 104 sein Schüler gewesen sein muss (s. u.). Es
bliebe sonach nur die Schwierigkeit übrig, sein Verhältniss
zu Nikomachos festzustellen. Nach der Lesart der Bamber-
ger Handschrift heisst es nämlich bei Plinius: 2) Nikomachos
hatte zu Schülern Aristo seinen Bruder, und Aristides seinen
Sohn; nach allen übrigen Handschriften dagegen: Aristides,
seinen Bruder und Aristocles seinen Sohn. Ich bemerke zu-
nächst, dass wir Aristocles und Aristo für denselben Namen
zu halten haben, indem Aristonem leicht in Aristoclem oder
Aristodem (wie z. B. auch die Riccardi’sche Handschrift hat)
verderbt werden konnte. Es handelt sich also um eine einfache
Umstellung von zwei Namen; und es fragt sich nur, ob die
Bamberger Handschrift auch hier, wie allerdings häufig,
die Auctorität aller übrigen aufwiegen soll. Nehmen wir
dies an, so werden wir freilich auch dadurch noch nicht in
unlösbare Schwierigkeiten verwickelt, da es immerhin mög-
lich ist, dass Aristides als Sohn noch bei Lebzeiten seines
Vaters einen berühmten Schüler, nemlich Euphranor, gehabt
habe. Einfacher jedoch würde sich das Verhältniss im ent-
[163] gegengesetzten Falle gestalten, nemlich etwa folgender-
massen: während Nikomachos als der ältere Bruder noch
den Unterricht seines Vaters Aristiaeos genoss, besuchte
nach dessen Tode der jüngere Aristides zunächst die Schule
des Euxinidas, bis Nikomachos schon so weit fortgeschritten
war, dass er selbst die weitere Bildung seines Bruders zu
leiten vermochte. Eine bestimmte Entscheidung kann jedoch,
wie nun einmal unsere Quellen beschaffen sind, nicht ge-
geben werden. Als Resultat können und dürfen wir aber
festhalten, dass Aristides schon um Ol. 100 in der Kunst
thätig war, dass er also noch während der Epoche der Klein-
asiaten geboren und doch, wie Plinius 1) angiebt, ein Zeitge-
nosse, wenn auch ein älterer des Apelles sein konnte.


Von Schülern des Aristides werden in einer Stelle des
Plinius, 2) wie sie jetzt berichtigt ist, vier angeführt: zwei
von ihnen waren zugleich seine Söhne: Nikeros und Ari-
ston
. Der dritte, Antorides oder, wie Letronne 3) den
Namen schreiben will, Antenorides, ist sonst unbekannt;
um so mehr kommt aber der letzte, Euphranor, auch in
chronologischer Beziehung in Betracht. Plinius 4) setzt ihn
nach Pausias (post eum) in die 104te Olympiade, obwohl
auch des Pausias Thätigkeit damals erst begonnen haben
mag. Zu der Angabe der Olympiade aber veranlasste Pli-
nius oder seine Gewährsmänner, wie auch Sillig annimmt,
offenbar das Gemälde der Schlacht bei Mantinea, welches
von ihm selbst zwar nur als equestre proelium angeführt,
aber anderwärts genauer beschrieben wird. 5) Diese Schlacht,
zwar nicht die bekannte, sondern ein Reitertreffen, in wel-
chem die Athener den Mantineern unmittelbar nach des
Epaminondas fehlgeschlagenem Angriffe auf Sparta unver-
hoffte Hülfe brachten, fällt, wie jene, in das zweite Jahr der
104ten Olympiade. 6) Eine zweite Zeitbestimmung für Eu-
phranor gewähren uns sodann die Statuen Philipps und
Alexanders auf Viergespannen. 7) Denn wenn dieselben auch
noch während der Regierungszeit Philipps ausgeführt wur-
den, so geschah es doch gewiss erst in den letzten Jahren,
11*
[164] als Alexander bereits das Jünglingsalter erreicht hatte, also
wohl nicht vor 110. Wir gewinnen dadurch die Gewissheit,
dass jenes Schlachtbild, sofern es nicht erst lange nach der
Schlacht ausgeführt ward, nicht zu den späten, sondern
zu den früheren Werken des Künstlers gehören muss, wo-
durch es um so wahrscheinlicher wird, dass er die Schule
des Aristides nicht zu lange vor dieser Zeit verlassen
haben mag.


Von seinen eigenen Schülern wird Charmantides
(früher Carmanides geschrieben) nur von Plinius 1) unter
den Malern dritten Ranges, Leonidas zunächst nur wegen
seiner Vaterstadt Anthedon von Stephanus Byzantius 2) und
Eustathius 3) angeführt; doch liegt, zumal auch Euphranor
über Symmetrie schrieb, die Annahme nahe, dass der von
Vitruv 4) unter den weniger ausgezeichneten Schriftstellern
über Symmetrie genannte Leonidas mit dem Maler identisch
sei. Antidotos endlich verdankt, wie Plinius 5) angiebt,
seinen Ruhm vorzüglich seinem Schüler Nikias von Athen,
dem Sohne des Nikomedes. 6) Unter den Werken des letztern
befindet sich ein Bild des Alexander, und die Regierung die-
ses Königs scheint in der That den Mittelpunkt seiner Thä-
tigkeit zu bezeichnen. Doch müssen wir mit dieser Ansicht
erst zwei scheinbar sich entgegenstehende Angaben in Ein-
klang bringen. Plinius sagt nemlich: 7) „Dieser Nikias ist
es, von dem Praxiteles auf die Frage, welche seiner eigenen
Werke er für die vorzüglichsten halte, aussagte: diejenigen,
an welche Nikias seine Hand mit angelegt habe; so viel
Werth legte er auf dessen Farbengebung (circumlitio). Da-
gegen berichtet Plutarch, 8) Nikias habe seine Nekyia dem
Ptolemaeos 9) für 60 Talente nicht verkaufen wollen. Mit
Bezug auf die erste dieser Angaben sagt aber endlich Pli-
nius: 10) es lasse sich nicht entscheiden, ob der Nikias, wel-
chen einige in die 112te Olympiade setzen, der für Praxiteles
beschäftigte oder ein anderer sei. Wollten wir nun auf der
einen Seite mit Plinius Praxiteles unwandelbar in die 104te
Olympiade setzen, und auf der andern Seite festhalten, dass
[165] die Begegnung des Nikias mit Ptolemaeos nicht vor dessen
Annahme des Königstitels (Ol. 118, 3) stattgefunden habe,
so müssten wir allerdings des Plinius Zweifel billigen und
thäten am besten, mit Sillig einen älteren Nikias um Ol. 104
und einen jüngeren von Ol. 112 bis 118 anzunehmen, wenn
gleich Plinius gerade den Maler der Nekyia für den Gehülfen
des Praxiteles erklärt. Der Umstand jedoch, dass Ol. 112
gerade in der Mitte zwischen 104 und 118 liegt, muss viel-
mehr unsere Zweifel an der Richtigkeit dieser Verdoppelung
rege machen. Dazu kommt nun ferner, dass nach genaueren
Bestimmungen 1) die Thätigkeit des Praxiteles sich bis gegen
die Zeit Alexanders erstreckt haben muss. Sein Ausspruch
über Nikias aber schickt sich vorzugsweise für einen Künst-
ler von festbegründetem Rufe, welcher einen jüngeren oder
minder anerkannten dadurch zu einer höheren Bedeutung er-
hebt, dass er ihn an seinem Rufe theilnehmen lässt. Auf der
andern Seite erklärt sich die Weigerung des Nikias, sein
Bild dem Ptolemaeos zu verkaufen, wiederum dadurch, dass
damals Nikias auf dem Gipfel seines Ruhmes stand und an
Schätzen Ueberfluss hatte (abundans opibus, wie Plinius
sagt), welche er doch erst nach langer Thätigkeit erworben
haben konnte. Die scheinbar so weit entfernten Zeitpunkte
rücken demnach so nahe zusammen, dass sie die Grenzen
eines Menschenlebens keineswegs überschreiten, auch wenn
wir annehmen, dass der Antrag des Ptolemaeos erst in die
Zeit seiner königlichen Würde falle. Es ergiebt sich dem-
nach die Gemeinschaft mit Praxiteles, etwa Ol. 108—110,
als Beginn einer ruhmvollen Laufbahn; Ol. 112, die Regie-
rung Alexanders, als der Mittelpunkt, die Verhandlung mit
Ptolemaeos, Ol. 118, etwa als der Schluss derselben.


Sofern man nun gegen diese ganze Berechnung den Zu-
sammenhang der Schule geltend machen und es namentlich
unwahrscheinlich finden will, dass Euphranor, den man mit
bestem Rechte einen Zeitgenossen des Praxiteles nennen
kann, Lehrer des Antidotos und dieser erst wieder Lehrer
des Nikias im Laufe von kaum mehr als fünf oder sechs
Olympiaden gewesen sei, so muss ich hierfür, so wie für die
ganze eben besprochene Reihe nachdrücklich daran erinnern,
[166] dass es sich ja hier, einen zweifelhaften Fall ausgenommen,
nirgends um das Verhältniss von Vater und Sohn, also um
eine Rechnung nach Menschenaltern, sondern von Lehrer
und Schüler handelt. Die von Sillig angenommene Berech-
nungsweise von sechs zu sechs Olympiaden wird dadurch
ganz unhaltbar, und ein Vorschreiten in Zeiträumen von zwei
bis drei Olympiaden kann häufig vollkommen genügend er-
scheinen. Um nur ein schlagendes Beispiel anzuführen, so
hat Pietro Perugino, der bei Raphaels Geburt siebenund-
dreissig Jahre zählte, über fünfzig, als sich dieser noch in
seiner Schule befand, nach dieser Zeit es noch erlebt, dass
Giulio Romano, Raphaels Schüler, wiederum Schüler bildete,
und das in dem Zeitraume von 1500—1524.


Sollte schliesslich jemand die Frage aufwerfen, warum
nicht Nikias den Unterricht des Euphranor dem seines min-
der berühmten Schülers vorgezogen habe, so dürfte man
dieselbe als völlig unbefugt geradezu abweisen. Doch lässt
sich eine Antwort finden, die unsere obigen Ansichten nur
bestätigt. Ich glaube nemlich den Grund für die schnelle
Aufeinanderfolge von Lehrer und Schüler in dem verschie-
denen Vaterlande und den vielfachen Reisen einzelner Künst-
ler zu finden. Die drei ersten Glieder gehören Theben an,
Euphranor dem Isthmus, Nikias Athen. In einer an densel-
ben Ort gebundenen Schule wird häufig der ältere Meister
einen gewissen Vorrang vor dem jüngeren behaupten. Aber
nach Aristides hörte Theben auf, der Mittelpunkt dieser
Schule zu sein. Ja, da sich wenigstens eines seiner berühm-
testen Werke zu Korinth befand, ein Aufenthalt des Künst-
lers in dieser Stadt also nichts Unwahrscheinliches hat, so
wäre es nicht unmöglich, dass Euphranor dort, nicht in The-
ben seinen Unterricht genossen hätte. Euphranor aber, ur-
sprünglich Isthmier, scheint zwar Athener geworden zu sein,
jedoch nicht für immer dort seinen Wohnsitz gehabt zu
haben; wenigstens malte er für Ephesos. Nehmen wir nun
etwa an, dass er Athen, nachdem er die Schlacht bei Man-
tinea und die damit im Zusammenhange stehenden Bilder ge-
malt, bald verlassen habe, so konnte Nikias wenigstens in
Athen gar nicht einmal sein Schüler werden. — Ich
glaube demnach, dass die folgende Genealogie, in wel-
cher nur noch als letztes Glied ein Schüler des Nikias,
[167] Omphalio, erscheint, 1) als hinlänglich begründet angesehen
werden darf.


Nach diesen chronologischen Erörterungen wenden wir uns
zur Würdigung des künstlerischen Verdienstes der einzelnen
[168] Meister, und zwar, da über Aristiaeos keine weiteren
Nachrichten vorhanden sind, sogleich zu


Nikomachos.

Werke dieses Künstlers kennen wir nur durch Plinius,
und zwar, wenn wir die unvollendet gebliebenen, aber darum
nicht minder berühmten Tyndariden (35, 145) ausnehmen,
nur aus einer einzigen Stelle (35, 108):


„Der Raub der Proserpina, welches Gemälde sich
auf dem Capitol befand im Heiligthum der Minerva über der
Aedicula der Juventas.“


„Ebenfalls auf dem Capitol, von Plancus als Imperator
dort aufgestellt, Victoria welche ein Viergespann mit sich
in die Höhe fortreisst (in sublime rapiens),“ sei es nun als
Wagenlenkerin oder so, dass sie den Rossen vorauseilt, wie
sie wohl auf Vasenbildern erscheint.


„Dem Odysseus gab er zuerst den Hut (pileum)“,
eine Notiz, welche sich auch bei Servius (ad Aen. II, 44)
wiederfindet, uns aber überraschen muss, da dasselbe schon
von Apollodor berichtet ward; vgl. Bergk: Ann. dell’ Inst.
1846, p. 306.


Apollo und Diana,“


„Die Göttermutter auf einem Löwen sitzend.“


„Berühmte Bacchantinnen, an welche sich Satyrn
heranschleichen.“


Scylla, welche sich jetzt zu Rom im Friedenstempel
befindet.“ Sofern diese nicht die Tochter des Nisos, sondern
die Meerjungfrau war, mochte sich auf diesem Bilde die
Figur des Odysseus befinden; und die obige sehr unvermit-
telt dastehende Notiz dürfen wir dann vielleicht hier an-
knüpfen, indem ja häufig Randbemerkungen bei Plinius an
falscher Stelle in den Text geschoben worden sind.


Endlich die schon einmal erwähnten Arbeiten am Denk-
male des Telestes.


Die Stellung, welche dem Nikomachos als Künstler ge-
bührt, kann keineswegs eine untergeordnete gewesen sein.
Wir jedoch vermögen nur diese Thatsache nachzuweisen,
ohne sie im Einzelnen begründen zu können. Nikomachos
[169] erscheint zuerst bei Cicero 1) neben Aëtion, Protogenes,
Apelles den älteren Schulen gegenüber als ein in jeder Be-
ziehung vollendeter Künstler. Bei Plutarch 2) steht er dem
Zeuxis und Apelles zur Seite. Plinius 3) führt ihn unter den
Malern, welche zu ihren unsterblichen Werken nur die be-
kannten vier Farben angewendet, in einer Reihe mit Apelles,
Aëtion, Melanthios an. Schon hiernach kann es also nicht
zweifelhaft sein, dass Nikomachos den Künstlern ersten
Ranges zuzuzählen ist. Fragen wir aber nach den Ver-
diensten im Einzelnen, so erfahren wir über seine Behand-
lung der Farben ausser der schon angeführten Notiz von
ziemlich zweifelhaftem Werthe nur noch, dass er zum Weiss
sich der Kreide von Eretria bedient habe. 4) Ueber seine
Zeichnung wird uns kein Wort gemeldet. Von den Gegen-
ständen seiner Darstellungen, Bildern von Göttern und He-
roen, lässt sich zwar im Allgemeinen behaupten, dass sie
durchweg eine ideale Richtung des Künstlers bekunden; ja
einige, wie der Raub der Proserpina, die Victoria mit dem
Viergespann scheinen schon an sich einen hohen Grad von
Lebendigkeit und Energie der Auffassung vorauszusetzen;
aber auch hier müssen wir uns mit der blossen Voraus-
setzung begnügen.


So bleibt uns denn, um der Individualität des Künstlers
etwas näher zu treten, zunächst die folgende Erzählung bei
Plinius übrig: „Keiner war in dieser Kunst (der Malerei) be-
hender. Man erzählt nemlich, er habe für Aristratos, Ty-
rannen von Sikyon, das Denkmal zu malen übernommen,
welches dieser dem Dichter Telestes setzte, wobei der Tag
festgesetzt war, an welchem es vollendet sein musste. Da
soll er nun erst kurz vorher gekommen sein, so dass der
Tyrann schon ihn zu strafen geneigt war, aber es in wenigen
Tagen vollendet haben, bewundernswerth sowohl wegen der
Schnelligkeit, als wegen der Kunst.“ Wir sehen hieraus,
dass auf jeden Fall Nikomachos die vollste Herrschaft über
die technischen Mittel der Darstellung besass. Wenn nun
freilich die blosse Virtuosität in ihrer Anwendung für sich
allein nicht immer für ein bedeutendes Verdienst gelten kann,
indem sie im Gegentheil sogar häufig den Künstler zur Ver-
[170] nachlässigung höherer Forderungen verleitet; so war doch
dies bei Nikomachos nicht der Fall, wie schon Plinius an-
deutet, und ausdrücklich uns Plutarch 1) belehrt. Dieser
stellt die bewährte Strategie des Epaminondas und Agesilaos
als mühevoll und schwierig durchzukämpfen der des Timo-
leon gegenüber, als welche neben ihrer sonstigen Vortreff-
lichkeit noch den Vorzug der Leichtigkeit besitze, so dass
sie richtig beurtheilt nicht ein Werk des Glückes, sondern
einer glücklichen Tapferkeit zu sein scheine. Diesen Ver-
gleich aber erläutert er durch eine Parallele aus der Poesie
und Malerei: die Poesie des Antimachos aus Kolophon, so
wie seines Landsmannes Dionysios Malerei erscheine bei
ihrer Kraft und ihrem Nachdruck doch als etwas Gezwun-
genes und Mühevolles; während dagegen Homers Verse und
des Nikomachos Gemälde bei ihrer sonstigen Bedeutung
und Grazie noch dies voraushätten, dass sie mit Geschick und
Leichtigkeit ausgeführt schienen. Jene Virtuosität war dem-
nach bei Nikomachos nicht ein vereinzeltes oder das vorzüg-
lichste Verdienst, sondern vielmehr eine ausgezeichnete Zu-
gabe, ein Schmuck seiner übrigen Vortrefflichkeit. Wo sie
aber wie bei ihm hervortritt, wird sie ihrem Ursprunge nach
seltener das Resultat eines systematischen Studiums sein,
als einer angeborenen Gewandtheit und Befähigung. Dürften
wir nun als ausgemacht annehmen, dass dies bei Nikomachos
wirklich der Fall gewesen, so liesse sich schon hieraus auf
einen bestimmten Gegensatz seiner künstlerischen Eigenthüm-
lichkeit zu der gleichzeitig erblühenden strengen sikyoni-
schen Schule schliessen. Allein es fehlt uns die Kenntniss
von Thatsachen, durch welche für die Richtigkeit einer sol-
chen Vermuthung in ihrer weiteren Durchführung Bürgschaft
geleistet werden könnte.


Wenn daher Vitruv 2) unter den Künstlern, welche nicht
aus Mangel an Verdienst, sondern durch ungünstige Verhält-
nisse des gebührenden Nachruhms nicht theilhaftig geworden
seien, auch Nikomachos anführt, so finden wir seine Ansicht
in sofern vollkommen bestätigt, als uns die Mangelhaftigkeit
unserer Quellen die Möglichkeit verweigert, von der Eigen-
thümlichkeit des Nikomachos nur annäherungsweise ein
[171] solches Bild zu entwerfen, wie es uns bei Zeuxis, Apelles u. a.
gestattet ist, denen er doch im Allgemeinen als ebenbürtig
an die Seite gestellt wird.


Der Vollständigkeit wegen ist noch die Erzählung nach-
zutragen, dass Nikomachos einen Idioten, welcher meinte,
dass er an der Helena des Zeuxis keine besondere Schön-
heit zu entdecken vermöge, antwortete: nimm meine Augen
und sie wird dir eine Göttin scheinen. 1)


Da uns über zwei seiner Schüler, Koroebos und
Aristo weitere Nachrichten mangeln, so wenden wir uns
sogleich zu:


Philoxenos
aus Eretria. Er scheint seinem Lehrer sehr ähnlich gewesen
zu sein. Denn „er folgte ihm hinsichtlich der Schnelligkeit
und soll sogar noch einige kürzere und compendiösere Ma-
nieren der Malerei erfunden haben.“ 2) Worin diese bestanden,
wird jedoch nicht angegeben. Von seinen Werken ist eins,
die Schlacht Alexanders mit Darius, für Kassander gemalt,
schon früher erwähnt worden. Plinius nennt es ein Gemälde,
welches keinem anderen nachzusetzen sei: ein Prädicat, wel-
ches niemand dem pompeianischen Mosaik der Alexander-
schlacht wird absprechen wollen, ohne dass wir jedoch da-
durch schon berechtigt wären, dasselbe für eine Copie nach
Philoxenos zu erklären. Endlich nennt Plinius (a. a. O.) als
von ihm gemalt noch: lasciviam in qua tres Sileni comis-
santur: die Darstellung einer nächtlichen Schwärmerei dreier
Silene in muthwillig ausgelassener Auffassung.


Weit bedeutender als seine Mitschüler und selbst als
sein Lehrer erscheint für uns in der Entwickelungsgeschichte
der Malerei:


Aristides.

Schon eine flüchtige Betrachtung seiner Werke muss
uns begierig machen, seiner Eigenthümlichkeit weiter nach-
zuforschen. Wir führen dieselben zunächst hier einzeln an,
indem wir dabei uns ganz an Plinius 3) anschliessen:


[172]

„Ein Bild von ihm stellt eine Scene aus der Erobe-
rung einer Stadt
vor: ein Kind kriecht nach der Brust
seiner Mutter heran, die an einer Wunde im Sterben liegt;
und man erkennt, wie die Mutter fühlt und fürchtet, dass
das Kind, wenn die Milch erstorben, Blut einsauge. Dieses
Bild hatte Alexander der Grosse mit sich nach seiner Vater-
stadt Pella genommen.“ In ähnlichem Sinne wie Plinius
beschreibt dieses Bild ein Epigramm der Anthologie: Anall.
II, p. 275, 1:


Ἕλκε τάλαν παϱὰ μητϱὸς ὃν οὐκέτι μαζὸν ἀμέλξεις·

ἕλκυσον ὑστάτιον νᾶμα καταφϑιμένης·

ἤδη γὰϱ ξιφέεσσι λιπόπνοος · ἀλλὰ τὰ μητϱὸς

φίλτϱα καὶ εἰν Ἀΐδῃ παιδοκομεῖν ἔμαϑε.

„Er malte ferner eine Schlacht mit den Persern
und nahm in dieses Gemälde hundert Figuren auf, für deren
jede er sich zehn Minen von Mnason, Tyrann von Elatea,
ausbedungen hatte;“


„rennende Viergespanne;“


„einen Betenden, dessen Stimme man fast zu hören
glaubte;“


Jäger mit ihrer Beute“ (s. u.).


[„et Leontion Epicuri.“ Dass Aristides die Freundin
des Epikur nicht gemalt haben konnte, ist schon oben be-
merkt worden];


„eine wegen der Liebe zu ihrem Bruder Sterbende,“
vielleicht Kanake, die wegen der Liebe zu ihrem Bruder
Makareus sich auf Befehl ihres Vaters Aeolos den Tod geben
musste. Eine Darstellung der Kanake ist uns wenigstens in
einem antiken Kunstwerke erhalten, einem bei Tor Marancio
unweit Rom gefundenen, jetzt in der vaticanischen Bibliothek
aufgestellten Wandgemälde, in welchem wir sie freilich nicht
sterbend, sondern nur mit dem Schwerte in der Hand über
ihr Geschick sinnend erblicken: Biondi, monum. amarant.
t. 2. Raoul-Rochette peint. inéd. t. 1.


Dionysos und Artamenes (?) zu Rom im Tempel
der Ceres.“ Der zweite Name, welcher von Sillig an die
Stelle von Ariadne gesetzt ist, beruht zwar auf der Aucto-
rität der Bamberger Handschrift, ist aber, so viel ich weiss,
sonst ganz unbekannt. Ich wage daher auch nicht zu ent-
[173] scheiden, ob beide Figuren sich auf einem oder auf zwei
Gemälden befanden. Gewiss aber war der Dionysos eines
der berühmtesten Werke des Aristides und besonders auch
durch seine späteren Schicksale interessant. Strabo (VIII,
p. 381), der ihn noch im Tempel der Ceres sah, aber hinzu-
fügt, dass er bald darauf bei dem Brande desselben zu
Grunde gegangen sei, erzählt, dass Polybius bei der Zerstö-
rung Korinths unter andern auf dem Boden herumgeworfenen
Gemälden, auf welchen die Soldaten würfelten, auch den
Dionysos des Aristides gesehen habe, auf den Einige
das Sprüchwort οὐδὲν πϱὸς τὸν Διόνυσον angewendet haben
sollen [was andere vom Dionysos des Parrhasios erzählen].
So entwürdigt, sollte aber das Kunstwerk bald zu neuen
Ehren kommen. Denn wie Plinius (35, 24) berichtet, bot auf
dasselbe Attalos bei der Versteigerung einen so hohen Preis,
dass Mummius dadurch auf den Werth aufmerksam gemacht
es ihm zu seinem grossen Bedauern nicht ausliefern wollte,
sondern im Cerestempel zu Rom weihete, als das erste
fremde Gemälde nach Plinius Meinung, welches in Rom öf-
fentlich aufgestellt ward. Die Summe, welche Plinius hier
angiebt, Xiv, d. i. 6000 Denare oder ein Talent, würde nicht
so bedeutend gewesen sein, dass sie die Aufmerksamkeit des
Mummius hätte erregen können. Wenn daher Plinius an
zwei andern Stellen 7, 126 und 35, 100 erzählt, dass Attalos
ein Gemälde des Aristides für hundert Talente gesteigert oder
gekauft habe, so ist offenbar, dass wir nach Gronov’s Vor-
gange auch in der ersten Stelle statt 6000 Denare einen Preis
von 600,000 Denaren annehmen müssen, welche gerade hun-
dert Talente ausmachen.


„Ein tragischer Schauspieler im Tempel des
Apollo zu Rom. Der Reiz dieses Bildes ging durch die
Unkunde des Malers verloren, dem es der Prätor M. Junius
um den Tag der apollinarischen Spiele zum Reinigen ge-
schickt hatte.“


„Im Tempel der Fides zu Rom sah man das Bild eines
Greises, welcher einen Knaben auf der Leier unterweist.“


„Er malte auch einen ohne Ende gepriesenen Kranken.“


Als unvollendet, aber darum nicht minder berühmt
führt Plinius an einer andern Stelle (35, 145) das Bild der
Iris an.


[174]

In dem oben berührten Citat des Strabo (VIII, 381) aus
Polybius ist ausser dem Dionysos noch von einem anderen
Gemälde die Rede:


Herakles von Schmerz durch das Kleid der Deia-
neira gepeinigt. Zwar wird es nicht ausdrücklich, wie
der Dionysos, ein Werk des Aristides genannt. Doch liegt
es nahe, dies anzunehmen, sowohl wegen der gemeinsamen
Erwähnung, als besonders, weil wir sehen werden, dass
dieser Gegenstand der Geistesrichtung des Künstlers durchaus
angemessen war.


Endlich erwähnt Polemo bei Athenaeus p. 567 B den
Aristides unter den ποϱνογϱάφοι, und Plinius (35, 122) unter
den Erfindern der Enkaustik.


Während nun unter den hier aufgezählten Werken einige
von so scharf ausgeprägter Eigenthümlichkeit sich befinden,
dass sich schon aus ihnen die Kunstrichtung ihres Urhebers
bestimmen lassen würde, bietet uns Plinius 1) in wenigen
Worten den Schlüssel zu weiterem Verständnisse: is omnium
primus animum pinxit et sensus hominis expressit, quae vo-
cant Graeci ethe, item perturbationes, durior paulo in colo-
ribus. Was zuerst den letzten Vorwurf anlangt, dass dem
Aristides eine gewisse Härte in den Farben anhänge, so ist
es eine häufige Erscheinung, dass gerade die Künstler, welche
auf den geistigen oder psychologischen Ausdruck ihre haupt-
sächlichste Aufmerksamkeit richten, auf die Farbe als das
sinnlichste Mittel der Darstellung geringere Sorgfalt ver-
wenden; so dass also der von Plinius ausgesprochene Tadel,
wenn freilich immer ein Tadel, doch in gewissem Sinne
durch die übrigen Vorzüge bedingt erscheint. Die Worte
nun, in welchen Plinius die letzteren zusammenfasst, lassen
sich nicht wohl streng wörtlich wiedergeben, wie ja auch
Plinius, um in der Uebertragung aus seiner Quelle nicht
misverstanden zu werden, einmal das ursprüngliche grie-
chische Wort derselben beifügt. Es wird sogar gut sein,
ihm darin noch weiter zu folgen, und seinen Ausdruck per-
turbationes nach der Anleitung Cicero’s in das griechische
πάϑη zurückzuübersetzen. 2) Wir lernen demnach hier Ari-
[175] stides als Maler der ἤϑη und πάϑη kennen, und es ist also
die Bedeutung dieser Ausdrücke möglichst genau festzusetzen,
was darum nicht ganz leicht ist, weil theils nach den ver-
schiedenen Verbindungen, in welchen sie gebraucht werden,
theils auch in den verschiedenen Zeiten ihr Sinn vielfachen
Modificationen unterworfen erscheint. Dies können wir schon
daraus schliessen, dass es heisst, Aristides habe zuerst
diese Art von Ausdruck gemalt, während bekanntlich Aristo-
teles Polygnot den Maler des Ethos nennt, schon den Zeuxis
aber als einen solchen nicht mehr anerkennen will. Das
Ethos des Polygnot und die ἤϑη des Aristides müssen also
wesentlich verschiedene Dinge sein, und in dieser Ansicht
kann uns die von Plinius versuchte Uebersetzung durch
animus und sensus nur bestärken. Denn die früher ge-
gebene Definition des Ethos, wie es bei Aristoteles in seinem
Verhältniss zur πϱᾶξις erscheint, als des unveränderlichen
von der Handlung durchaus unabhängigen Charakters einer
Person, ist mit jener Uebersetzung in keiner Weise verein-
bar. Ebensowenig aber lässt sich die Stellung der πάϑη
neben den ἤϑη, nicht als deren Gegensatz mit der obigen
Definition in Einklang bringen.


Zum richtigen Verständnisse des Urtheils über Aristides
kann uns nun vor Allem eine längere Stelle in der Rhetorik
des Dionys von Halikarnass 1) anleiten, in welcher davon
gehandelt wird, wie sich namentlich der Redner der ἤϑη be-
dienen solle. Zwar spricht auch hier Dionys von jenem
einen grössten Ethos, dem aus der Philosophie abgeleiteten,
welches wie ein Grundgedanke der Rede zu Grunde liegen
müsse (δεῖ κἀν τῷ λόγῳ ἓν μὲν ἦϑος ἐκεῖνο τὸ μέγιστον, τὸ ἐκ
φιλοσοφίας, ὥσπεϱ λογισμὸν ὑποκεῖσϑαι τῷ λόγῳ). Aber diese
Art des Ethos scheint sich mehr auf den Ernst und die
Strenge der Auffassung im Allgemeinen zu beziehen, als auf
einen bestimmten persönlichen Charakter. Es ist gewisser-
massen der Grundton, durch welchen alle übrigen Töne erst
in ein bestimmtes Verhältniss zu einander treten. Diese an-
dern Töne nun, die ἤϑη, sollen in ihrer Beziehung zu jenem
Grundton, so wie auch unter einander gemischt je nach Be-
dürfniss herangezogen und in die Darstellung des Thatsäch-
[176] lichen verflochten werden (τὰ δ̛ἄλλα ἐπάγειν .... πάντα ταῦτ̕
ἐκείνου ἐξηϱτημένα καὶ ἀλλήλοις συγκεκϱαμένα κατὰ τὸν τῆς χϱείας
λόγον; oder: πλέκειν τὰ ἤϑη τοῖς πϱάγμασιν). Als Beispiele
solcher ἤϑη führt aber Dionys an die Erregungen des Zornes,
des Mitleids, des Witzes, der Bitterkeit, des Neides: τὰ ϑυ-
μικὰ καὶ τὰ οἰκτϱὰ καὰ τὰ ἀστεῖα καὶ τὰ πικϱὰ καὶ τὰ ἐπίφϑονα.
Hier also erscheinen die ἤϑη nicht als der von der Handlung
unabhängige Charakter, sondern sie sind die von der jedes-
maligen Sachlage bedingten Stimmungen, die Erregungen des
Gemüthes, welche erst durch die Verhältnisse der Handlung
hervorgerufen werden, und welche der Redner, indem er sie
lebhaft vor die Seele der Zuhörer stellt, in diesen wiederzu-
erwecken streben soll. Diese ἤϑη nun in der Malerei in
einer früher noch nicht dagewesenen Weise zur Darstellung
gebracht zu haben, war offenbar der Vorzug des Aristides;
und so will es auch Plinius verstanden wissen, wenn er
übersetzt: animum pinxit et sensus hominis expressit. Man
könnte hier animus durch Seele wiedergeben, insofern wir
die Seele dem Geiste als der thätigen Lebenskraft entgegen-
setzen und sie als jenen inneren Sinn, als jenes unauslösch-
liche Gefühl für das Gute auffassen, welches durch die Thä-
tigkeit des Geistes oder durch die von aussen einwirkenden
Ereignisse fortwährend erregt einen Wechsel von Stimmun-
gen und inneren Bewegungen hervorruft, der sich auch äus-
serlich in dem feinsten Spiele der Mienen und Bewegungen
oft unabsichtlich offenbart. Der Ausdruck sensus aber be-
zieht sich auf ein ganz analoges, nur auf eine minder hohe
Sphäre gerichtetes Gefühl, auf das für das sinnlich Ange-
nehme, insofern dasselbe in durchaus verwandter Weise, wie
jenes seelische Element die empfangenen Eindrücke auch
äusserlich wiederspiegelt. Wenn nun zu diesen durch gei-
stige und sinnliche Empfindungen hervorgerufenen Stimmun-
gen, den ἤϑη, in dem Urtheile über Aristides noch die πάϑη
hinzugefügt werden, so sind diese von den ersteren weniger
dem Wesen, als dem Grade nach verschieden. Beide sind
Affecte oder Erregungen derselben Thätigkeit der Seele oder
Sinne. Aber während die ἤϑη überall der mildere, noch
durch die Energie des Geistes gemässigte Ausdruck der-
selben sind, ist mit den πάϑη, wie auch die lateinische
Uebersetzung perturbationes zeigt, stets der Begriff des Ge-
[177] waltsameren, der Steigerung zur Leidenschaft oder zu einem
durch den Schmerz überwältigten Dulden verbunden.


Blicken wir jetzt zur weiteren Bestätigung des uns von
Plinius aufbewahrten Urtheils auf die Werke des Aristides,
so finden wir wohl, um sogleich an den letzten Satz wieder
anzuknüpfen, kaum in der ganzen griechischen Kunst ein
Werk, welches zur allseitigsten Entwickelung pathetischer
Effecte so geeignet wäre, wie das Bild der sterbenden Mut-
ter mit dem Kinde. Die Schrecken der Verwüstung einer
Stadt, welche, wenn auch nicht ausführlich dargelegt, doch
mit hinlänglicher Bestimmtheit angedeutet sein mussten, der
Todeskampf der Mutter, doppelt erschwert nicht blos durch
die Sorge um die Hülflosigkeit des Kindes, sondern auch
durch die Furcht, ihm im Tode noch verderblich zu sein,
dazu der Contrast des noch keiner Erkenntniss fähigen, von
allen diesen Schrecken unberührten Kindes, alles dieses ver-
einigt sich zum Ausdruck des höchsten tragischen Entsetzens,
so dass wir gar nicht anzunehmen brauchen, der ganzen
Scene möge als der Katastrophe einer bekannten mythischen
oder historischen Begebenheit (etwa wie beim Laokoon oder
den Niobiden) noch ein anderes als ein rein menschliches
Interesse beigewohnt haben. Dabei ist aber doch das Ganze
als Handlung betrachtet in seinen Grundmotiven wieder so
einfach, dass die volle Wirkung nur durch die höchste Mei-
sterschaft einer fein gefühlten Durchführung erzielt werden
konnte. Wem aber eine solche Darstellung gelang, dem
musste auch Herakles von dem brennenden Schmerze des
Gewandes der Deianeira überwältigt ein willkommener Gegen-
stand sein; und aus diesem Grunde habe ich oben das von
Strabo erwähnte Gemälde unter den Werken des Aristides
mit anführen zu müssen geglaubt. Bei der wegen der Liebe
zu ihrem Bruder Sterbenden, sei es nun Kanake oder eine
andere Heroine, genügt schon die Bezeichnung des Gegen-
standes, um dieses Werk unter die pathetischen einzureihen.
Weniger durch heftige Leidenschaft, als durch den Ausdruck
tiefen Elendes und Schmerzes wird sich das berühmte Bild
eines Kranken ausgezeichnet haben. Nicht ganz so leicht
ist es, bestimmte Beispiele für die Dartellung zarterer Stim-
mungen und Empfindungen nachzuweisen. Wir können sie
allerdings voraussetzen in dem Bilde des Dionysos als den
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 12
[178] Ausdruck einer mit Schwärmerei verbundenen Weichlichkeit,
in dem Bilde des Alten mit der Leier, welcher einen Knaben
unterweist, als den Ausdruck gespanntester Aufmerksamkeit.
Aber nur einmal deutet Plinius die Eigenthümlichkeit in der
Auffassung des Künstlers durch einen kurzen Zwischensatz
bestimmter an, indem er von dem Betenden aussagt, man
glaube fast seine Stimme zu hören. Doch dürfen wir wohl
den Versuch wagen, ihn aus einer andern Quelle zu er-
gänzen. Ich halte es nemlich für sehr wahrscheinlich, dass
wir von den „Jägern mit der Beute“ eine genauere Beschrei-
bung bei dem jüngern Philostratus (3) besitzen. Jäger haben
sich im schattigen Gehölze bei einer Quelle gelagert, nach-
dem sie einen Hirsch und eine Sau erbeutet. Während die
Diener das Mahl bereiten, vertreiben sie ihre Zeit im Ge-
spräch über ihre Abenteuer; der Becher beginnt die Runde
zu machen; und auch die Hunde als treue Gehülfen erhalten,
was ihnen gebührt. Die Handlung ist hier höchst einfach
und anspruchslos; und selbst Philostratus verzichtet mehr als
sonst auf das rhetorische Gepränge der Beschreibung: er
fand also weder die Grossartigkeit der Auffassung, wie sie
wohl für heroische Stoffe sich schickt, noch besonders geist-
reiche Einfälle, wie sie den Witz und den Scharfsinn des
Beschauers zu reizen pflegen. Das Ansprechende, welches
gerade dieses Werk gehabt zu haben scheint, konnte daher
nur in der Lebendigkeit des Ausdruckes, der freien lebens-
vollen Charakteristik der einzelnen Figuren begründet sein:
also gerade in Vorzügen, auf welchen die wesentliche Eigen-
thümlichkeit des Aristides beruht. Und in der That hebt
auch Philostratus besonders hervor, wie jede der Figuren
so ganz in der Situation lebt, in welche sie der Künstler
versetzt hat: der Erzählende, die Zuhörer, der Sänger, die
Bereiter des Mahles, selbst die Hunde vereinigen sich zum
Ausdruck der behaglichsten Stimmung, die sich unvermerkt
dem Beschauer mittheilen musste. ‒ Wir würden geneigt sein,
noch eine andere Gemäldebeschreibung des älteren Philostra-
tus: 1) Dionysos und Ariadne, auf ein Original des Aristides zu
beziehen: der liebetrunkene Ausdruck des Gottes, der Schlaf
der Ariadne, in welchem man das Athmen zu vernehmen
[179] glaubt, der ohne Rast vorwärts strebende Blick des Theseus
sind Züge, welche der Eigenthümlichkeit des Künstlers wohl
angemessen wären. Aber dieser Vermuthung fehlt jetzt die
Sicherheit der Grundlage um so mehr, als es nicht mehr als
ausgemacht gelten kann, dass in dem berühmten Bilde des
Dionysos von Aristides auch Ariadne dargestellt war, wie
man nach der früher bei Plinius aufgenommenen Lesart frei-
lich glauben musste.


Indessen werden auch die bisher angeführten Belege
hinreichen, nicht nur die Bestätigung des von Plinius uns
aufbewahrten Urtheils im Allgemeinen zu gewähren, sondern
auch das Verständniss desselben noch schärfer zu begrenzen.
Denn fassen wir die Aeusserungen des Gemüths- und Ge-
fühlslebens, wie sie in den Werken des Aristides mit Vor-
liebe ausgeprägt sind, näher ins Auge, so werden wir aner-
kennen müssen, dass bei ihrer Darstellung ein weit grös-
seres Gewicht auf den Ausdruck, als auf die Handlung zu
legen ist. Zwar wird von Aristides auch ein berühmtes
Schlachtbild angeführt; aber wenn auch in diesem die Dar-
stellung der Handlung nicht als etwas Untergeordnetes be-
trachtet werden kann, so leuchtet doch auf der andern Seite
ein, welches weite Feld gerade hierbei für den pathetischen
Ausdruck sich öffnete. Am meisten charakteristisch für den
Künstler sind doch aber immer Werke, wie der Betende, der
Kranke, die sterbende Mutter, also Stoffe, in denen die Si-
tuation nach ihren Hauptmotiven durchaus einfach ist. Wenn
wir nun ferner in Betracht ziehen, dass mit einziger Ausnahme
der wenigen Worte über Härte in den Farben Plinius über alle
andern Seiten der technisch-künstlerischen Behandlung keine
Bemerkung macht, so können wir auch daraus folgern, dass
die Bedeutung des Ausdrucks Alles, was wir unter künst-
lerischem Machwerk verstehen, weit überwog, ja dass der-
selbe von letzterem in gewissem Sinne unabhängig sein
musste. Und in der That beruht die Darstellung solchen Aus-
drucks nicht so nothwendig auf technischer Meisterschaft,
als auf einem sympathetischen Gefühl, auf einer Seelenstim-
mung, welche den darzustellenden Ausdruck nachzuem-
pfinden
versteht. Die Wahrheit dieser Behauptung hat sich
wohl nirgends so augenfällig bewährt, als an einem Künstler
der christlichen Zeit, an Beato Angelico da Fiesole: die
12 *
[180] Mittel seiner Darstellung, wenn wir sie mit denen der voll-
endeten Kunst zur Zeit des Raphael vergleichen, sind be-
schränkt und mangelhaft; und doch ist ihm in der Schilde-
rung der zartesten Seelenstimmungen, freilich nur innerhalb
eines festbegrenzten Kreises, keiner gleich gekommen. Den
Vergleich zwischen Aristides und Fiesole im Einzelnen durch-
zuführen hindert nun allerdings eben diese Beschränkung
des Letzteren auf das eine Gebiet milder Seelengüte und
Frömmigkeit, während sich bei Aristides der Ausdruck von
der leisesten sinnlichen Erregung bis zum leidenschaftlich-
sten Affecte steigert. Wenn wir aber auch nur annehmen
dürfen, dass bei Aristides eine ähnliche Beziehung der in-
nersten Seelenstimmung zu den Objecten seines künstlerischen
Schaffens, so wie eine ähnliche Unmittelbarkeit bei der
Uebertragung der ersteren auf die letzteren obgewaltet habe,
wie bei Fiesole, von dem man erzählt, er habe nie gemalt,
ohne vorher zu beten, und nie seine Malereien nachgebes-
sert, weil er glaubte, ihr Gelingen beruhe auf unmittelbarer
Eingebung; so genügt schon diese Aehnlichkeit, um den
Aristides einem ihm scheinbar verwandten Künstler in be-
stimmterer Weise gegenüberzustellen. Wir haben in der
Kunstrichtung des Parrhasios auf ein starkes Vorwiegen des
psychologischen Elementes hinweisen müssen; und allerdings
tritt in den Werken dieses Künstlers häufig das Streben zu
Tage, Stimmungen und Erregungen des Gefühls und Gemü-
thes in feiner Weise künstlerisch wiederzugeben. Allein in-
dem er dabei von der sorgfältigsten Beobachtung des Ein-
zelnen ausging und allerdings auch diese einzelnen Züge mit
der grössten Meisterschaft zu vergegenwärtigen verstand,
mochte der Beschauer wohl die Schärfe seiner Auffassung, die
Feinheit der Charakterisirung bewundern: aber diese Bewun-
derung betraf doch zunächst nur die dargelegte künstlerische
Erkenntniss und konnte daher immerhin das Gefühl des Be-
schauers ziemlich unberührt lassen. Dem letzteren wird erst
da der Hauptantheil zufallen, wo auch der Künstler das Ge-
fühls- und Gemüthsleben in seinen innersten Tiefen und in
seiner Totalität erfasst und als ein solches in seinen Werken
zur Anschauung bringt. Erkennen wir aber an, dass in
dieser Richtung das Verdienst des Aristides zu suchen ist,
so dürfen wir nun auch die Richtigkeit des sonst zuweilen
[181] in sehr lockerer Bedeutung gebrauchten Ausdruckes bei Pli-
nius zugeben, dass Aristides zuerst es gewesen, der dieses
Feld der Darstellung für die Kunst eröffnet habe.


Wenn wir uns jetzt von Aristides zu seinen Schülern
wenden, so werden wir von vorn herein nicht erwarten dür-
fen, seine Eigenthümlichkeit ganz oder auch nur zum gröss-
ten Theile in ihnen wiederzufinden. Denn da dieselbe auf
einer besonderen, rein persönlichen Gemüths- und Seelen-
stimmung beruhte, so lässt sie sich allerdings nicht als eine
bestimmte Lehre andern mittheilen. Nichtsdestoweniger ver-
mögen wir seinen Einfluss selbst in scheinbar der seinigen
ganz widersprechenden Entwickelungen bestimmt nachzu-
weisen, und zwar merkwürdiger Weise in ganz ähnlicher
Richtung, wie er sich bei den Zeitgenossen und Nachfolgern
des von uns mit Aristides verglichenen Künstlers, des Fiesole,
vielfältig bekundet hat.


Da wir von Ant[en]orides, Nikeros und Ariston
nichts wissen, als dass der Letztere einen Satyr mit dem
Becher gemalt hatte, 1) so knüpfen sich unsere Untersuchun-
gen zunächst nur an einen einzigen, aber dafür um so be-
deutenderen Künstler:


Euphranor.

Wir haben dem Euphranor bereits unter den Bildhauern
eine hervorragende Stelle einräumen müssen, 2) aber es bis
hierher verschoben, seinen künstlerischen Charakter ausführ-
licher zu entwickeln. Wie dort, beginnen wir hier mit dem
Satze, dass das Alterthum ihn als einen der vielseitigsten,
und dabei doch auch im Einzelnen ausgezeichnetsten Künst-
ler bewunderte, so dass Lucian ihn einer Seits mit Phidias,
Alkamenes, Myron, anderer Seits mit Apelles, Parrhasios,
Aëtion zusammenzustellen keinen Anstand nimmt. 3) Aus-
führlicher sagt Plinius, wo er von ihm als Maler spricht: 4)
„er bildete auch Kolosse und Marmorwerke und cisellirte
Becher, gelehrig und thätig vor allen, in jeder Art ausge-
zeichnet und von einem sich gleich bleibenden Verdienste …
[182] auch Bücher schrieb er über Symmetrie und Farben;“ und
Plinius selbst führt ihn deshalb unter den Quellen des 35sten
Buches an. Quintilian 1) aber vergleicht ihn eben wegen seiner
Vielseitigkeit mit Cicero als einer analogen Erscheinung auf
dem Gebiete der Litteratur. Trotzdem, ja vielleicht eben des-
wegen, ist es bei ihm schwieriger, sich aus den zerstreuten
Notizen des Alterthums ein einheitliches Bild von seinen
Bestrebungen und seinen Verdiensten zu entwerfen, als bei
manchen andern der bisher behandelten Meister. Schon bei
den Nachrichten über seine Werke zeigt sich die Unzuläng-
lichkeit unserer Quellen. Denn sehen wir von den statua-
rischen ab, so bleiben nur vier Gemälde, von denen sich
überhaupt Kunde erhalten hat; und von diesen gehören noch
dazu drei einer einzigen Localität und, wie es scheint, einer
und derselben Schöpfung an. Diese werden zuerst von Pli-
nius 2) in folgender Weise erwähnt: „Seine Werke sind
ein Reitertreffen, die zwölf Götter, Theseus, über
welchen er bemerkte, derselbe Heros sei bei Parrhasios mit
Rosen genährt, der seinige dagegen mit Fleisch.“ Dass
diese drei Werke sich an einem Orte befanden, nemlich in
einer Halle des Kerameikos zu Athen, erfahren wir durch
Pausanias, 3) welcher dieselben etwas ausführlicher be-
schreibt. Von dem Bilde der zwölf Götter giebt allerdings
auch er nur den Titel an; und auch anderwärts finden wir
nur Bemerkungen über einige Figuren desselben. So erzählt
Valerius Maximus: 4) Euphranor habe das Bild des Poseidon
in der höchsten Färbung der Majestät erfasst, gerade wie
das eines Zeus, nur dass er ihn etwas weniger erhaben dar-
zustellen gedachte. Aber da er den ganzen Drang seiner
Phantasie in dem ersteren Bilde erschöpft, so hätten seine
spätern Anstrengungen das vorgesteckte Ziel nicht zu er-
reichen vermocht. Dieser Erzählung unsern Glauben zu ver-
sagen haben wir keinen Grund; wohl aber klingt es durch-
aus verdächtig, wenn Eustathius 5) weiter berichtet: der
Künstler in seiner Verlegenheit um ein Vorbild für den Zeus
sei in eine Schule gegangen, habe sich aber bald, als er
zufällig die homerischen Worte vernommen: Ἀμβϱόσιαι δ̛ἄϱα
[183] χαῖται κ. τ. ε., befriedigt wieder entfernt und sein Werk voll-
endet. Offenbar sind hier bei Eustathius die Erzählungen
über den Zeus des Phidias und über die Verlegenheit des
Euphranor in ziemlich ungeschickter Weise zu einer Schul-
anekdote zusammengeflickt. — Wahrscheinlich zu dem Bilde
der zwölf Götter gehörte die Hera, deren schön gefärbtes
Haar Lucian 1) als musterhaft anführt.


In dem Gemälde des Theseus, über dessen Erscheinung
Plutarch 2) dieselbe Bemerkung macht, wie Plinius, waren
nach Pausanias auch die Figuren der Demokratie und des
Demos dargestellt; und das Bild überhaupt bezog sich auf
Theseus als Begründer der politischen Rechtsgleichheit unter
den Athenern (Θησέα εἶναι τὸν καταστήσαντα Ἀϑηναίοις ἐξ ἴσου
πολιτεύεσϑαι). Ob es mit den drei genannten Figuren abge-
schlossen war, können wir nicht mit Bestimmtheit sagen:
indem es sich den zwölf Göttern gegenüber befand (ἐπὶ τῷ
τοίχῳ τῷ πέϱαν), konnte es durch Hinzufügung anderer Figu-
ren leicht auch räumlich mit diesen in eine engere Beziehung
gesetzt sein, wie es geistig in beiden auf eine Symbolisirung
hier der religiösen, dort der politischen Ordnungen abgesehen
sein mochte. Die Beziehung auf eine bestimmte Gegenwart
erhielten alsdann beide Bilder durch das dritte:


Das Reitertreffen, durch welches kurz vor der berühmten
Schlacht bei Mantinea die Athener diese Stadt gegen einen
Ueberfall der Reiterei des Epaminondas mit dem glücklich-
sten Erfolge vertheidigten. Nach Pausanias waren in dem
Gemälde unter den Athenern Gryllos, Xenophon’s Sohn, und
unter den Thebanern Epaminondas besonders ausgezeichnet,
und zwar sollte dargestellt sein, wie der Erstere den Letz-
teren verwunde; vgl. VIII, 11, 6; IX, 15, 5. Die Bevorzu-
gung des Gryllos erklärt sich hinlänglich daraus, dass ihm
in diesem Treffen der Preis der Tapferkeit zuerkannt wurde,
vielleicht eben deshalb, weil der feindliche Führer durch
seine Hand gefallen sein mochte. Nur konnte dieser nicht
Epaminondas sein, da er nach glaubwürdigen Zeugnissen an
dem Kampfe nicht persönlich Theil nahm; vgl. die ausführ-
lichen Erörterungen von Schäfer im Rhein. Mus. N. F. V,
S. 58 fg.


[184]

Ueber den Geist der Darstellung giebt Plutarch (a. a. O.)
einige Winke. — Eine Copie dieses Gemäldes sah Pausanias
in Mantinea: VIII, 9, 8.


Von dem vierten Werke sagt Plinius: „Ein berühmtes Bild
von ihm ist zu Ephesos: Odysseus, der in erheucheltem
Wahnsinn einen Ochsen mit einem Pferde zusammengespannt
hat, nachdenkende Männer im Mantel, und der Führer, wel-
cher das Schwert einsteckt.“ Richtig hat, wie schon v. Jan
vermuthete, Bergk 1) diese sämmtlichen Figuren auf ein ein-
ziges Bild bezogen, nach Anleitung einer Stelle des Lucian, 2)
in welcher ein ähnliches, wenn nicht dasselbe Gemälde be-
schrieben wird: „Es folgt das Bild des Odysseus im Wahnsinn,
nemlich weil er nicht mit den Atriden fortziehen will. Die Ge-
sandten sind jedoch schon da, ihn zu rufen. Und seine ganze
Verstellung ist sehr täuschend angelegt, das Gespann, der
Mangel an Uebereinstimmung der Jochthiere, die Unwissenheit
über das, was vorgeht: und doch wird er über dem Knaben
ertappt. Denn Palamedes, des Nauplios Sohn, erkannte wohl,
um was es sich handelte, raubt den Telemach, droht ihn,
die Hand am Schwerte, zu morden, und erheuchelt dem ver-
stellten Wahnsinn gegenüber selbst Zorn. Odysseus aber
wird durch diese Furcht wieder vernünftig, zeigt sich als
Vater und lässt ab von seiner Verstellung.“ Hier stimmt
fast alles mit Plinius überein: erheuchelter Wahnsinn, un-
gleiches Gespann, die Gesandten wohl als aufmerksame Zu-
schauer (palliati cogitantes), Palamedes als ihr Anführer
zwar nicht eigentlich das Schwert einsteckend (gladium con-
dens), aber, wie Bergk meint, mit der Hand an dem halb
entblössten Schwerte, so dass der Zuschauer ungewiss sein
konnte, ob es herausgezogen oder eingesteckt werde. Dass
also Lucian die Composition des Euphranor beschreibe, kann
kaum zweifelhaft sein.


Es leuchtet ein, dass aus den bisher angeführten Nach-
richten ein Einfluss des Aristides auf Euphranor als seinen
Schüler sich nicht unmittelbar nachweisen lässt. Wenn nun
auch Plutarch von dem Bilde der Schlacht bei Mantinea be-
merkt, dass es in der Auffassung einen nicht geringen Grad
[185] von Begeisterung zeige, und dass man das Zusammenprallen
im Treffen und den Widerstand als erfüllt von Kraft, Muth
und Leben wohl erkenne, 1) so kann es allerdings scheinen,
als ob die Uebereinstimmung von Ausdrücken wie ϑυμός und
πνεῦμα mit animus und sensus als Eigenschaften des Aristides
auf eine grosse innere Verwandtschaft beider Künstler hin-
deute. Aber gerade in ihrer Anwendung auf ein Schlacht-
bild und in einem Zusammenhange, wo es keineswegs, wie
bei Plinius, auf ein scharf gefasstes vergleichendes Kunst-
urtheil abgesehen ist, dürfen wir dieselben im Einzelnen
nicht zu scharf betonen, sondern nur im Allgemeinen auf
eine energische, lebensvolle Behandlung des Gegenstandes
beziehen. Zwei andere Werke des Euphranor, ein statua-
risches und ein Gemälde, führen uns noch weiter von Ari-
stides ab und auf einen Vergleich mit einem Künstler zu-
rück, den wir oben in einen gewissen Gegensatz zu Aristides
gestellt haben, nemlich mit Parrhasios. Die Statue des Paris
von Euphranor, in welcher man zugleich „den Schiedsrichter
der Göttinnen, den Liebhaber der Helena und doch auch
wieder den Mörder des Achill“ erkannte, muss uns unwill-
kürlich an den wetterwendischen Demos des Parrhasios er-
innern. Der erheuchelte Wahnsinn des Odysseus aber war
von beiden Malern zum Gegenstande eines Bildes gewählt
worden. So sehr nun auch diese Werke ein Eingehen auf
die feinsten psychologischen Bezüge und Wechselwirkungen
erheischen, so sind sie doch keineswegs der Art, dass ihre
Durchführung auf Seiten des Künstlers ein entschiedenes
Ueberwiegen der Gefühlsthätigkeit bedingt hätte. Im Gegen-
theil verlangt die Vereinigung widersprechender Eigenschaften
in einer Person, wie im Demos und im Paris, das Verstecken
der feinsten Absichten hinter den thörichtesten Handlungen,
wie im Odysseus, gerade den vollen Aufwand derjenigen
geistigen Kräfte, wegen welcher wir oben Parrhasios als
einen in seinem inneren Wesen von Aristides durchaus ver-
schiedenen Künstler hinstellen mussten, nemlich nicht sowohl
[186] jene Unmittelbarkeit des Schaffens, welche ihr Werk, wie
einen Accord aus dem einen Grundtone, aus einer einheit-
lichen Anregung heraus sich entwickeln lässt, sondern eine
Beobachtungsgabe, welche mit der grössten Schärfe die ver-
schiedenartigsten Züge im Einzelnen aufzufassen und im
Kunstwerke doch wieder zu einer Einheit zu verschmel-
zen weiss.


Wenn wir sonach Euphranor seiner inneren Anlage nach
dem Parrhasios nahe verwandt erachten müssen, so dürfen
wir uns doch dadurch nicht verleiten lassen, sofort an eine
ähnliche Verwandtschaft hinsichtlich der Ausübung der Kunst
zu denken. Eher mögen wir aus der blossen Verschieden-
heit der Zeit den Schluss ziehen, dass beide Künstler bei
gleicher Gabe der Beobachtung dieselbe doch auf wesentlich
verschiedene Objecte gerichtet, oder aus ihr wesentlich ver-
schiedene Resultate gezogen haben werden. Diese Voraus-
setzung findet aber in bestimmten Zeugnissen ihre weitere
Bestätigung. Plinius rühmt das Verdienst des Parrhasios
um die Proportionen; 1) berichtet aber weiter, dass auch
Euphranor seine Aufmerksamkeit ihnen zugewandt habe; 2)
woraus sich doch ergiebt, dass seine Porportionen von denen
des Parrhasios sich unterscheiden mussten. Und so fügt
auch Plinius hinzu, dass Euphranor: „in der Gesammtheit
der Körper zu schmächtig, in den Köpfen und Gliedern zu
gross war.“ 3) Dieser Tadel, welchem es zuzuschreiben sein
mag, dass seine Lehre sich nur eines geringen Erfolgs zu
erfreuen hatte, weshalb er von Vitruv 4) nur unter den we-
niger bedeutenden Schriftstellern über Symmetrie angeführt
wird, dieser Tadel, sage ich, findet sich nun bei Plinius 5)
fast mit denselben Worten hinsichtlich des Zeuxis wieder-
holt, wo wir ihn aus einer gewissen Breite der malerischen
Behandlung zu erklären gesucht haben. Wenn uns nun
auch die Veranlassung fehlt, ihn bei Euphranor auf dieselbe
Ursache zurückzuführen, so ist es doch noch viel weniger
möglich, ihn aus einer Verwandtschaft mit den Bestrebungen
des Parrhasios herzuleiten, dessen Hauptverdienst gerade in
[187] der Feinheit der Extremitäten gesehen ward. Es handelt
sich hier vielmehr um einen bestimmten Gegensatz beider
Künstler in der Benutzung der Natur für Zwecke der Kunst,
welchen wir jedoch durch anderweitige Nachrichten be-
stimmter erfassen und ergründen müssen und durch die Ei-
genthümlichkeit in der Behandlung der Proportionen nur
nachträglich bestätigen können.


Euphranor selbst verglich seinen Theseus mit dem des
Parrhasios: letzterer erscheine wie mit Rosen genährt, der
seinige wie mit dem Fleische des Stiers. Dieser Vergleich
lässt verschiedene Auslegungen zu; und zunächst möchte
man an den Gegensatz eines matteren, rosigeren und eines
kräftigeren, fleischigeren Colorits zu denken geneigt sein.
Wenn jedoch Plutarch hinzufügt, in der That sei der Held des
Parrhasios, so zu sagen, geleckt behandelt, auf den des Eu-
phranor dagegen liessen sich nicht mit Unrecht die Worte
anwenden:


Δῆμον Ἐϱεχϑῆος μεγαλήτοϱος ὅν ποτ̕ Ἀϑήνη

ϑϱέψε Διὸς ϑυγάτηϱ,

so geht daraus hervor, dass der letztere in seiner ganzen
Erscheinung sich überhaupt gewaltiger zeigen und durch
dieselbe imponiren musste; und diese Deutung wird unter-
stützt durch ein Urtheil bei Plinius, dem zufolge Euphranor
„zuerst die Würde der Heroen zum Ausdruck gebracht zu
haben scheine:“ hic primus videtur expressisse dignitatis
heroum. Dieses Urtheil hat mit manchen ähnlichen bei Pli-
nius das gemein, dass es aus sehr guter Quelle stammt, also
für uns einen unbestreitbaren Werth hat, zugleich aber, dass
es durch die Art seiner Fassung zunächst Anstoss zu er-
regen geeignet ist. Die früheren Maler, ein Polygnot vor
allen andern, sollten die Würde der Heroen nicht zum Aus-
druck gebracht haben? Ein Blick auf das Selbstlob seines
Theseus kann uns wenigstens den Weg zeigen, in welcher
Richtung wir die „Würde der Heroen“ bei Euphranor zu
suchen haben. Denn betrachten wir es nur genauer, so
brauchen wir es nicht als ein überall gültiges und absolutes,
sondern nur als das Lob eines wenn auch noch so vor-
trefflichen Naturalisten oder Realisten gelten zu lassen. Der
Idealbildung, wie im Allgemeinen, so bei der Darstellung
[188] von Heroen, wird immer jene edle Einfalt und stille Grösse
eigen sein müssen, welche Winckelmann als den charakte-
ristischen Grundzug der griechischen Kunst bezeichnet. Ihr
Streben muss dahin gerichtet sein, den Helden, der doch
immer nur mit menschlichen Formen bekleidet erscheinen
kann, dadurch zum Helden zu machen, dass sie ihm diese
Formen in ihrer höchsten Veredelung, gereinigt von den
Schwächen und Zufälligkeiten des Menschlichen, zuertheilt
und dadurch um so unmittelbarer den Geist, die grosse ge-
setzte Seele hervortreten lässt, jenes Ethos, welches die
gesammte Thätigkeit auch noch bei der höchsten Erregung
beherrscht. Ganz anders verfährt der Naturalist oder, wie
ich ihn hier lieber nennen möchte, der Realist: er geht nicht
vom Ethos aus, sondern von den ἤϑη, nicht von dem Geiste
als dem einheitlichen, Alles bewegenden Mittelpunkte, son-
dern von den Erscheinungen, welche das innere Leben, aber
nicht blos der Geist, sondern jeder Trieb, jede Leidenschaft
an dem äusseren Menschen hervorbringt, also nicht von der
Ursache, sondern von der Wirkung. Gewaltige Helden wird
er deshalb nicht anders darstellen zu können meinen, als
dass er sie auch in ihrer äusseren Erscheinung gewaltig auf-
treten lässt; gewaltige Thaten wird er nicht zeigen ohne die
Anstrengung, mit welcher sie vollbracht werden. Ihm muss
also mit der Grösse der That der körperliche Ausdruck der-
selben wachsen, dem Idealisten der Geist, welcher die That
beherrscht und die Kräfte zu ihrer Vollbringung regelt.
Michelangelo lässt die Atlanten an der Decke der sixtinischen
Kapelle, „die personificirten Kräfte des Gewölbes,“ wie
man sie wohl genannt hat, unter dem Gewicht, welches auf
ihnen lastet, fast erdrückt werden, um zu zeigen, welcher
Gewalt sie Widerstand zu leisten haben. Eine griechische
Karyatide trägt mit Leichtigkeit ihre Last, weil diese in
derjenigen Lage auf dem Körper ruht, in welcher sie den
mindesten Aufwand von Kräften erfordert. Ein Zeus, ein
Herakles, wie wir sie aus den idealen Bildungen der grie-
chischen Kunst kennen, erscheinen gewiss jeder noch so
ausserordentlichen Anstrengung gewachsen; und doch hat der
Künstler nie nöthig gehabt, in ihrer Darstellung über die
Grenzen der energischen, aber leidenschaftslosen mensch-
lichen Natur hinauszugehen. Im Moses des Michelangelo
[189] erkennen wir allerdings eine ungewöhnliche Energie, eine
fast übermenschliche Kraft. Aber sie erscheint uns als zu
diesem Grade gesteigert durch die Gewalt des Zorns, der
Leidenschaft, also ohne jenen geistigen Schwerpunkt, wel-
cher jede Aeusserung selbst der ausserordentlichsten That-
kraft in ihrem Gleichgewicht zu erhalten vermag. Ich fühle
sehr wohl, in wie vielen Beziehungen ein solcher Vergleich
gerade zwischen Michelangelo und Werken antiker Kunst un-
passsend erscheinen mag. Dennoch werden wir nicht leug-
nen können, dass in den Perioden der letzteren, in welchen
ein pathetisches Element und der Ausdruck verschiedener
Affecte vorzuwalten begann, manche Erscheinung wenigstens
in ihren ersten Keimen sich zeigt, welche eine Vergleichung
mit dem gewaltigsten Künstler der Neuzeit wohl zulässt.
Kehren wir nun wieder zu den beiden Bildern des Theseus von
Euphranor und von Parrhasios zurück, so wird uns der mit
Rosen genährte Held des letzteren an den jugendlichen
Heros erinnern, welcher in Athen wegen seiner fast mäd-
chenhaften Erscheinung sogar der Verspottung nicht zu ent-
gehen vermochte. Wie aber dieser im Stande war, den
Spott durch seine Thaten zu widerlegen, so wird auch sein
Bild in Form und Ausdruck denjenigen Adel gezeigt haben,
an welchem wir den wahren Helden am sichersten zu er-
kennen vermögen.


Die Eigenschaft dagegen, welche Euphranor seinem The-
seus beilegt, schliesst keineswegs eine Hinweisung auf einen
ähnlichen ideellen Gehalt ein, sondern deutet auf die mate-
rielle Kraft, welche sich schon in der äussern Erscheinung
aussprach. Nehmen wir also den sinnlichen Eindruck, wel-
chen das Auge erhält, zum Maassstab unseres Urtheils, so
musste allerdings der mit Fleisch genährte Theseus des Eu-
phranor gewaltiger und imposanter erscheinen, als der seines
Vorgängers Parrhasios; und hierauf werden wir daher die
„Würde der Heroen,“ dignitatis heroum, welche sich nach
Plinius zuerst in den Werken des Euphranor ausgedrückt
fand, beziehen müssen. Wir pflegen freilich dignitas in der
Regel als ein würdevolles, gemessenes Auftreten, als einem
dem decor verwandten Begriff aufzufassen. 1) Wenn aber
[190] Cicero 1) die krotoniatischen Knaben in der Palästra magna
praeditos dignitate nennt und sagt, dass sich dieselben cor-
poris viribus et dignitatibus auszeichneten, so leuchtet ein,
dass durch dignitas auch das bezeichnet werden kann, was
durch die äussere Erscheinung Achtung einflösst, das männ-
lich Kräftige des ganzen persönlichen Auftretens, welches
natürlich bei dem Geschlechte der Heroen eine Steigerung
über das Maass des Menschlichen hinaus erfahren muss, bei
den Göttern sich zur Majestät erhebt. Jetzt werden wir uns
auch an die Erzählung von dem Mislingen des Zeus in dem
Gemälde der zwölf Götter erinnern dürfen. Nachdem das
Ideal des Zeus schon längst und in einer Weise festgestellt
war, dass es an geistiger Bedeutung das des Poseidon
so weit überragte, wie in dem Glauben der Griechen der
eine Gott den andern, müssten wir eine innere Unwahrschein-
lichkeit darin erkennen, dass es dem Euphranor nicht ge-
lungen sein sollte, in seinem Werke dieses bereits festste-
hende Verhältniss zu bewahren, sofern es sich eben nicht
um die Lösung eines durchaus neuen Problems handelte.
Dies ist aber der Fall, sofern wir annehmen, dass es dem
Künstler nicht vorzugsweise um eine Steigerung des gei-
stigen Ausdrucks, sondern des Ausdrucks körperlicher Kraft
und Gewalt zu thun war. Hier lag es allerdings nahe, den
Poseidon, welcher von seiner elementaren Natur in Mythus
und Kunst weit mehr bewahrt hatte, als sein mehr vergei-
stigter Bruder, mit einer solchen Fülle körperlicher Majestät
(excellentissimis maiestatis coloribus) zu bekleiden, dass es
dem Künstler, wenn er eben nicht im Gebiete des Geistigen
das Gegengewicht suchen wollte, schwer werden mochte,
sich in der eingeschlagenen Richtung noch zu überbieten.


Wir betrachten also Euphranor als den Begründer einer
wesentlich neuen Kunstrichtung, auf welche die Prädicate
der Grossartigkeit und Würde (μεγαλότεχνον καὶ ἀξιωματικὸν)
in bestimmter Beschränkung auf die Auffassung der körper-
lichen Erscheinung eben so angewendet werden dürfen, wie
sie der Kunst des Phidias im höheren idealeren Sinne beige-
legt werden. Und so konnte Varro 2) dem Kleinkünstler
[191] Kallikles gegenüber den Euphranor sehr wohl als Repräsen-
tanten der Erhabenheit (altitudo) hinstellen. Freilich sind
die Zeugnisse, auf welchen unsere Darlegung beruht, gering
an Zahl, und nach ihrer Fassung kann ihre Deutung manchen
Zweifeln ausgesetzt erscheinen. Darum werden wir die un-
srige wenigstens noch nach einer Seite hin sicher zu stellen
suchen, indem wir nachweisen, dass sie nicht im Wider-
spruche mit der allgemeinen Entwickelungsgeschichte der
Malerei steht. Denn auffallend wird es allerdings erscheinen,
dass sich aus der durchaus auf Gefühl und Empfindung be-
ruhenden Richtung des Aristides bei seinem Schüler Euphra-
nor eine so durchaus realistische Auffassung entwickelt ha-
ben soll. Und doch lässt sich die Möglichkeit dieses Ueber-
ganges von vorn herein durch eine gewichtige kunstge-
schichtliche Analogie nachweisen. Gerade der Künstler,
dessen ganzes Streben durchaus vom Irdischen weg zum
geistig Ascetischen gewendet war, Fiesole war es, der „in
physiognomischer Beziehung allen florentinischen Naturali-
sten vorgeleuchtet hat,“ „der bei den florentinischen Malern
der zweiten Hälfte des 15ten Jahrhunderts den Sinn für den
Reiz und für die Bedeutung des Mannigfaltigen in der mensch-
lichen Gesichtsbildung weckte und schärfte.“ 1) Wie aber
hier keineswegs der Zufall, sondern innere Gründe wirkten,
so fehlt es auch nicht an einem inneren Zusammenhange
zwischen den scheinbar sich widersprechenden Leistungen
des Aristides und des Euphranor.


Aristides mochte noch so sehr aus der innersten Tiefe
des Seelen- und Gefühlslebens heraus seine Werke schaffen,
sein ganzes Streben mochte dadurch noch so sehr vergei-
stigt erscheinen: so musste er doch, indem er Affecte, Leiden
und Leidenschaften schilderte, sein Augenmerk von den blei-
benden Formen des Grundcharakters, dem Ethos der poly-
gnotischen Kunst ab auf vorübergehende psychologische
Stimmungen und Züge richten, welche an den ihrer Natur
nach beweglicheren und wandelbareren Formen des Körpers
zur Anschauung kommen. Wenn nun aber auch der mit
dem feinsten Gefühl hervorragend begabte Künstler sich bei
[192] der Darstellung jener Züge mit einem möglichst geringen
Maasse körperlichen Ausdrucks begnügt, so ist es doch
natürlich, dass der, wenn auch noch so tüchtige, aber nicht
so fein organisirte Nachahmer gerade, was äusserlich, for-
mell wahrnehmbar ist, ins Auge fassen wird. Indem er aber
dabei die Bemerkung macht, dass mit der Stärke des wie-
derzugebenden Affects sich auch der körperliche Ausdruck
steigert, kann er leicht verleitet werden, das Verhältniss
zwischen Ursache und Wirkung zu verkennen, und die Dar-
stellung des Affects durch die Stärke seiner materiellen
Aeusserung bedingt erachten. Und hiermit ist der Keim
zu jener realistischen Anschauung und Auffassung gegeben,
welche Grosses und Erhabenes nur körperlich gross und
erhaben darstellen zu können meint.


Es würde gewiss lehrreich sein, wenn wir eingehender
zu verfolgen vermöchten, wie sich diese Richtung in der
Behandlung des Einzelnen offenbarte. Aber die wenigen
vorhandenen Nachrichten genügten kaum, sie im allgemeinen
mit Sicherheit nachzuweisen. Nur auf einen Punkt wollen
wir noch einmal unsere Aufmerksamkeit zurücklenken, auf
die Eigenthümlichkeit in der Behandlung der Proportionen.
Der älteren von Polyklet begründeten Lehre lag das Be-
streben zu Grunde, durch ihre quadraten Proportionen den
eigentlichen Stamm des Körpers, als von welchem jede Kraft-
entwickelung ausgeht, für eine solche auch besonders und
nachdrücklich befähigt erscheinen zu lassen. Wenn dagegen
Euphranor das Verhältniss umkehrte und den Körper schmäch-
tiger, die äussern Glieder massiger bildete, so wird auch
seine Absicht dabei die umgekehrte gewesen sein: er glaubte
seinen Figuren den Ausdruck grösserer Kraft zu verleihen,
indem er die Glieder als die Werkzeuge der Kraftäusserung
in ihrer Bildung bevorzugte. Was also als ein Mangel ge-
rügt wird, das erscheint seinem Ursprunge nach als eine
Aeusserung der realistischen Grundrichtung des Künstlers,
welche nur immer mehr bestätigt, wie auf diesem Wege sich
die Aufmerksamkeit von den inneren Gründen der Dinge ab
auf die Darstellung des sinnlich und äusserlich Wahrnehm-
baren wandte. In diesem Sinne haben wir derjenigen Pe-
riode in der Geschichte der Bildhauer, an deren Spitze für uns
Euphranor steht, ein Streben nach äusserer Wahrheit zuge-
[193] schrieben, welches bei den Begründern dieser Richtung nur
erst in seinen Keimen nachweisbar ist, dafür aber nur eine
Generation später, bei einigen Schülern des Praxiteles und
Lysipp, um so schärfer und in voller Entwickelung hervor-
tritt. Dass auch in der Malerei ähnliche Verhältnisse ob-
walteten, werden wir, wenn auch nicht so bestimmt an den
Schülern des Euphranor, um so deutlicher an den Schülern
eines Schülers wahrnehmen.


Von den Ersteren vermögen wir, da über Charman-
tides
und Leonidas ausser den früher angeführten keine
Nachrichten vorhanden sind, nur Antidotos einer etwas ge-
naueren Betrachtung zu unterwerfen:


Antidotos,
der dritte Schüler des Euphranor, ist nur aus einer Stelle
des Plinius (35, 130) bekannt. „Von ihm ist ein Kämpfer
mit dem Schilde zu Athen, ein Ringer, und ein wie weniges
Andere gerühmter Trompeter.“ Seine Kunstrichtung be-
zeichnet Plinius kurz mit den Worten: ipse diligentior quam
numerosior et in coloribus austerus. So gering diese Nach-
richten sind, so gewähren sie uns doch ein zwar einfaches,
aber klares Bild vom Charakter des Antidotos. Die Sorg-
falt der Durchführung steht mit dem Mangel an Fruchtbar-
keit in deutlicher Wechselbeziehung. Wollen wir aber, was
der Ausdruck des Plinius allerdings erlaubt, lieber an einen
Mangel an Mannigfaltigkeit in der Wahl der Gegenstände
denken, so findet auch diese Deutung in den uns bekannten
drei sehr gleichartigen Werken ihre Unterstützung. Zugleich
erkennen wir in ihrer Wahl den Einfluss der Schule, aus
welcher der Künstler hervorging, insofern die durch die
Handlung bedingte Erregtheit zwar nicht eine Tiefe des
Gefühls, wie bei Aristides, voraussetzt, dagegen aber eine
realistische Darstellung physischer Thätigkeiten und Kräfte,
wie bei Euphranor, um so mehr begünstigen musste. Die
Strenge der Farben endlich lässt sich aus verschiedenen
Ursachen herleiten. Wir haben sie schon früher einmal, bei
Nikophanes, mit einer grossen Sorgfalt der übrigen Durch-
führung gepaart gefunden. Bedenken wir aber, dass ein
gleicher Vorwurf auch dem Aristides gemacht wurde, so
dürfen wir uns wohl zu der Ansicht hinneigen, dass diese
ganze, mehr auf die Darstellung des Ausdrucks bedachte
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 13
[194] Schule bis auf Antidotos dem Glanz und dem Schmelz des
Colorits eine weniger hervorragende Bedeutung beigelegt
habe; wenn auch immer Euphranor, wie aus der Aeusserung
über seinen Theseus hervorgeht, nach einer kräftigen Farbe
streben und in der Färbung einzelner Theile, wie des Haars
seiner Hera, sogar ausgezeichnet sein mochte.


Am meisten jedoch verdankte, wie Plinius bemerkt, An-
tidotos sein Ansehen dem Ruhme seines Schülers:


Nikias.

Da über Zeit und Vaterland dieses Künstlers bereits
gesprochen ist, so wenden wir uns sofort zur Betrachtung
seiner Werke. Wir folgen dabei dem Plinius, welcher sie
mit einer Ausnahme in einer einzigen Stelle (35, 131 u.
132) anführt.


Nemea, aus Asien von Silanus nach Rom gebracht,
über welches Werk an einer andern Stelle bemerkt wird,
dass es in der Curie aufgestellt war,“ nemlich 35, 27, wo
es heisst: „Augustus liess in der Curie, welche er auf dem
Comitium weihete, zwei Gemälde in die Wand ein: Nemea
auf einem Löwen sitzend, sie selbst eine Palme führend; da-
neben steht ein Greis mit dem Stabe, über dessen Haupt ein
Täfelchen mit einem Zweigespann herabhängt. Nikias schrieb,
er habe es eingebrannt: denn diesen Ausdruck hat er ge-
braucht.“ Es war also ausdrücklich als enkaustisch be-
zeichnet. Was die Darstellung anlangt, so wollte man früher
den Greis für einen Hirten erklären. Stephani (Parerga ar-
chaeol. in den Bullet. der Petersburg. Academie, 1851, S. 327 fg.)
glaubte ihn dagegen auf Asopos, den Vater der Nemea, deu-
ten zu dürfen. Mir scheint jedoch Panofka (Arch. Zeit. 1852,
S. 445) das Richtige getroffen zu haben, wenn er in dieser
Figur einen Kampfrichter und in dem ganzen Gemälde eine
Verherrlichung der nemeischen Kampfspiele erkennt. Auch
die tabella bigae, an welcher man vielfach Anstoss genom-
men hat, erhält dadurch als ein Votivbildchen mit einem
Zweigespanne ihre passende Erklärung, indem durch dasselbe
auf die Veranlassung zu dem ganzen Bilde, einen Sieg des
Bestellers oder ersten Besitzers, hingedeutet sein mochte.


Dionysos im Tempel der Concordia,“


[195]

Hyakinthos, an welchem Augustus solche Freude
hatte, dass er ihn aus Alexandria nach Eroberung der Stadt
mit sich nahm, weshalb Tiberius dieses Bild in seinem Tem-
pel weihete.“ Ueber die Darstellung des Jünglings macht
Pausanias (III, 19, 4) die Bemerkung, dass Nikias ihn etwas
zu jugendlich schön gemalt, indem er auf die Liebe anspielen
wollte, welche Apollo zum Hyakinthos gefasst haben sollte.
Diese Bemerkung genügt, um den Gedanken abzuweisen,
dass in einem Gemälde bei dem älteren Philostratus (I, 24)
die Composition des Nikias beschrieben wurde, indem dort
der Jüngling als weit kräftiger geschildert ist. Dagegen
stimmt mit der Angabe des Pausanias die Beschreibung eines
Gemäldes bei dem jüngeren Philostratus (14) überein, wel-
ches geradezu darstellte, wie der Gott dem schönen Knaben
seine Liebesanträge macht.


Danae,“ nicht Diana, wie früher gelesen ward.


„Zu Ephesos das Grabmal des Megabyzos, des
Priesters der ephesischen Artemis;“


„Zu Athen die Nekyomantie des Homer; diese wollte
er dem König Attalos nicht für sechszig Talente verkaufen,
sondern schenkte sie, da er an Schätzen Ueberfluss hatte,
seiner Vaterstadt.“ Ueber die Verwechselung des Attalos
mit Ptolemaeos s. o. Auf dieses Gemälde bezieht sich ein
Epigramm des Antipater von Sidon: Anall. II, p. 528, n. 53 a.


„Er machte auch grosse Gemälde, darunter Kalypso,
Jo, Andromeda, Alexander
auch, der in den Portiken
des Pompeius sich auszeichnet, und Kalypso sitzend.“
Die doppelte Erwähnung der Kalypso erscheint mir verdächtig;
und ich möchte daher vermuthen, dass die zweite aus einer
nachträglichen Randbemerkung entstanden ist. Ueber Andro-
meda s. u.


„Ihm werden auch Thiere zugeschrieben; und beson-
ders glücklich stellte er Hunde dar.“ Deshalb versteht
Welcker (Kunstbl. 1827, n. 81) an der Stelle, wo Pausanias
I, 29, 15 berichtet, dass Nikias an der Strasse bei der Aka-
demie begraben sei, den Ausdruck ζῶα ἄϱιστος γϱάψαι τῶν
ἐφ̕ αὑτοῦ wörtlich, während er sonst vom Malen im Allge-
meinen gebraucht zu werden pflegt.


Endlich beschreibt Pausanias (VII, 22, 4) als besonders
sehenswerth das Gemälde an einem marmornen Grabmale
13*
[196] bei Tritaea in Achaia: „ein elfenbeinerner Thron und auf dem-
selben eine junge Frau von schönem Ansehen; neben ihr steht
eine Dienerin mit dem Sonnenschirme; ferner ein stehender,
noch unbärtiger Jüngling, angethan mit Chiton und einer purpur-
nen Chlamys darüber; neben ihm führt ein Diener mit Speeren
die zum Jagen tüchtigen Hunde. Ihre Namen waren nicht
zu erfahren; aber jeder konnte leicht schliessen, dass dort
ein Mann und eine Frau gemeinschaftlich begraben waren.“


Dass Nikias in der Färbung (circumlitio) der Statuen
besonders tüchtig war, und deshalb namentlich von Praxi-
teles geschätzt ward (Plin. 35, 133), ist schon früher er-
wähnt worden.


Was wir ausserdem über Nikias wissen, wollen wir hier
zunächst ohne Rücksicht auf den Zusammenhang der Schule
im Einzelnen betrachten. — Zuerst mag der grosse Eifer
hervorgehoben werden, mit welchem sich Nikias seiner
Kunst hingab, so dass er darüber öfters Bad und Frühstück
vergessen haben soll und seine Diener fragen musste, ob er
diesen Bedürfnissen schon genügt habe. 1)


Weit wichtiger für die Erkenntniss seiner Kunstrichtung
ist aber die folgende Nachricht bei Plinius: 2) „Grosse Auf-
merksamkeit wendete er auf Licht und Schatten, und achtete
mit besonderer Sorgfalt darauf, dass seine Malereien aus
den Tafeln hervorträten.“ Diese beiden Angaben ergänzen
sich gegenseitig, so dass sie eigentlich nur ein einziges Ur-
theil bilden. Denn der erste Satz wird durch den zweiten
näher dahin bestimmt, dass die auf Licht und Schatten ver-
wendete Sorgfalt nicht sowohl den Reiz des Farbenspieles
im Auge hatte, als eben auf jene plastische Gestaltung der
einzelnen Formen, wie der ganzen Figuren berechnet war;
und eben so lehrt wieder der erste Satz, dass jenes Hervor-
treten, wenn es auch durch die Mittel der Zeichnung, durch
Verkürzungen u. a., unterstützt werden mochte, bei Nikias
doch noch mehr auf einer richtigen Behandlung der Lichter
und Schatten beruhte. Es mag vielleicht gewagt erscheinen,
wenn wir als ein Mittel zur Erreichung dieser Zwecke hier
[197] die circumlitio anführen: denn allerdings spricht Plinius von
ihr nur mit Bezug auf die Färbung der Statuen; und selbst,
was sie in dieser Beschränkung zu bedeuten habe, ist kaum
über allen Zweifel festgestellt. Wenn aber nach Quintilian 1)
die circumlitio in der Malerei besteht in einer circumductio
colorum in extremitatibus figurarum, qua ipsae figurae aptius
finiuntur et eminentius extant, einer Behandlung der
Farbe an den Figuren nach ihren äusseren Umrissen hin,
durch welche die Figuren selbst passender sich abschliessen
und gerundeter hervortreten, so dürfen wir aus der Ueber-
einstimmung dieser Definition mit dem obigen Urtheile des
Plinius wohl den Schluss ziehen, dass auch in der Malerei
dem Nikias das Verdienst der circumlitio nicht abzusprechen
ist. Zugleich aber kann diese von Welcker 2) mit Recht
betonte Stelle uns auch von der Bedeutung der circumlitio
für die Skulptur einen bestimmteren Begriff geben. Denn
wir brauchen, was in der Malerei von ganzen Figuren gilt,
hier nur auf die einzelnen in gewissem Sinne selbstständigen
Theile einer einzigen Gestalt zu übertragen: selbstständig
insofern, als sie ihrem Stoffe nach keine Verwandtschaft mit
den sie begrenzenden Theilen haben. So scheiden sich die
verschiedenartigen Gewänder und sonstiger Schmuck sowohl
von einander, als vom Körper im allgemeinen, am Körper
wieder das Haar vom Fleische, und wollen wir weiter gehen,
die Augen, Lippen u. a. von der Masse der Haut. Wir er-
kennen daher die Bedeutung der circumlitio darin, dass
durch sie die Begrenzungen dieser verschiedenen Stoffe deut-
licher hervorgehoben werden, und durch diese Sonderung
das Ganze an Uebersichtlichkeit und plastischer Abrundung
gewinnt. So wenig es aber ist, was wir erfahrungsmässig
über die Ausübung dieses Kunstzweiges wissen, so leuchtet
doch ein, dass gerade wegen der nothwendig gebotenen Be-
schränkung auf die einfachsten Farbenmittel die Anwendung,
das Auswählen und Harmonisiren derselben eine um so
grössere Vorsicht erheischte, und daher selbst ein Bildhauer
wie Praxiteles sich bewogen fühlen konnte, das hierin ge-
übtere Auge und die Hand eines Malers zu Hülfe zu rufen.
Auf der andern Seite wird aber dem Nikias die grössere
[198] Aufmerksamkeit, welche er dadurch der plastischen Darstel-
lungsweise zu widmen veranlasst ward, auch in der Malerei
wieder förderlich geworden sein; ja vielleicht beruht gerade
seine von Plinius hervorgehobene malerische Eigenthümlich-
keit auf dieser Wechselwirkung verschiedenartiger Thätigkeit.
So erscheint z. B. die Bemerkung des Fronto, 1) man solle
von Nikias nicht verlangen, dass er „obscura“ male, am
leichtesten ihre Erklärung in dem Streben nach derjenigen
Klarheit und Durchsichtigkeit zu finden, welche selbst in
den Schatten noch die plastische Rundung aller Formen er-
kennen lässt. Ob und wie weit ihm dabei eine vor ihm
nicht angewendete Farbe, usta, ein röthlich gelbes Bleioxyd,
dessen Bedeutung für Schattengebung von Plinius besonders
hervorgehoben wird, 2) von wesentlichem Nutzen gewesen ist,
vermögen wir bei unserer lückenhaften Kenntniss der alten
Malertechnik freilich nicht zu bestimmen.


Wenden wir uns jetzt zur Betrachtung der Gegenstände,
deren Darstellung er seine Kunst widmete, so meldet uns Pli-
nius3) ausdrücklich, dass er mit besonderer Sorgfalt Frauen
malte; und die Titel mehrerer seiner Gemälde, Nemea, Danae,
Kalypso, Jo, Andromeda, können dieser Angabe als Bestäti-
gung dienen. Ausserdem ist uns aber noch eine specielle
Aeusserung des Nikias selbst über die Wahl malerischer
Stoffe durch Demetrius Phalereus 4) überliefert worden: „Ni-
kias sagte, auch das sei kein kleiner Theil der Malerkunst,
dass man sich einen bedeutenden Stoff zum Malen ersehe
und nicht seine Kunst an Kleinigkeiten zersplittere, wie an
Vögeln oder Blumen: vielmehr Reiter- und Seetreffen solle
man wählen, wo sich viele Stellungen von Pferden zeigen las-
sen, wie sie laufen, sich bäumen, niederhocken; wo Viele
Speere werfen, Viele auch von den Pferden herabfallen. Er
meinte nemlich, dass der Stoff selbst einen Theil der Maler-
kunst ausmache, wie bei den Dichtern die Mythen.“ Verglei-
chen wir nun diesen Ausspruch mit dem Verzeichniss der
uns bekannten Werke, so werden wir ein gewisses Befrem-
den nicht unterdrücken können. Denn kein Schlachtbild fin-
det sich unter ihnen, überhaupt kein Bild, auf welches die
[199] vom Künstler selbst aufgestellten Forderungen Anwendung
zu erleiden scheinen. Sollte also Nikias etwa eine Theorie
aufgestellt haben, welche zu befolgen er selbst die Kraft
nicht in sich fühlte? Gewiss ist dies nicht glaublich: und so
dürfen wir wohl den Ausweg annehmen, den uns Philostra-
tus 1) durch die Beschreibung eines Gemäldes der Befreiung
der Andromeda bietet, welches sich von den sonst bekannten
Darstellungen dieses Mythus auf sehr bemerkenswerthe Weise
unterscheidet. Das Meerungeheuer liegt getödtet am Ufer
und färbt mit seinem Blute die Wellen des Meeres. Eros,
als Jüngling gebildet, hat dem Perseus im Kampfe beigestan-
den, und noch aufgeregt davon ist er beschäftigt, die Bande
der Andromeda zu lösen, welche noch furchtsam, aber doch
zugleich schon erfreut erscheint. Perseus vom Kampfe er-
mattet und von Schweiss triefend, liegt im Grase, und wäh-
rend sein Blick auf der Jungfrau ruht, bringen ihm die
schwarzen äthiopischen Hirten erfreut ihre Huldigungen dar
und reichen ihm zur Stärkung Milch und Wein. Die Eigen-
thümlichkeit der Composition fiel schon Welcker auf; und sie
weicht allerdings nicht nur von den sonst bekannten Darstel-
lungen desselben Gegenstandes gänzlich ab, sondern unter-
scheidet sich ihrer ganzen Auffassung nach sogar von der
grösseren Masse aller uns erhaltenen Gemälde. Dagegen
entspricht sie vollkommen der Forderung des Nikias, dass
der Künstler Gegenstände wählen solle, welche eine reiche
Entfaltung mannigfacher dramatischer Motive begünstigen.
Dass Philostratus die Composition des Nikias beschreibe,
wird freilich durch kein äusseres Zeugniss bestätigt; legen
wir aber innern Gründen ein Gewicht bei, so kann kaum
noch ein Zweifel daran bei uns aufkommen. Denn auch ab-
gesehen von der Auffassung des Ganzen lässt sich die eigen-
thümliche Motivirung und Darstellung der einzelnen Figuren
nirgends besser erklären, als bei einem Künstler aus der
Schule des Euphranor; ja die realistische Richtung, welche
wir diesem Letztern beigelegt haben, tritt uns eigentlich erst
durch die Beschreibung des Philostratus in einem concreten
Beispiele vor Augen. Die geröthete Schulter des Perseus mit
ihren von der Anstrengung geschwollenen Adern, welche
[200] vor der elfenbeinernen des Pelops den Vorzug verdienen
sollte, zeigt uns, in welchem Sinne Euphranor seinen rind-
fleischgenährten Theseus dem rosengenährten des Parrhasios
gegenübergestellt haben mag. Ueberall soll die Grösse des
Sieges durch die Anstrengungen deutlich gemacht werden,
welche er gekostet hat. Nicht genug, dass Perseus von
Schweiss triefend zu ermattet scheint, um der Geliebten selbst
die Fesseln zu lösen: sogar Eros, der Gott zeigt sich aufge-
regt durch die Mühen des vorangegangenen Kampfes. Wohl
ziemt es ferner dem Nikias als Maler von Frauen, dass er
Andromeda unbekleidet hingestellt hat, „eine Lydierin an
Zartheit, eine Athenerin an Ehrbarkeit und kräftig wie eine
Spartiatin.“ Die gewünschte Mannigfaltigkeit endlich erhielt
das Ganze durch den Chor der äthiopischen Hirten und den
sprechenden Ausdruck ihrer Freude.


Halten wir uns an diese Composition, so werden wir
nicht länger leugnen, dass auch unter den übrigen von Pli-
nius angeführten Gemälden manche einer ähnlichen breiteren
Entwickelung ihrer anderwärts einfacher behandelten Motive
sich günstig erweisen. Danae z. B. in der Scene, wo sie in
dem Kasten an das Ufer von Seriphos getrieben und von Fi-
schern gefunden wird, wäre als ein demselben Mythenkreise
angehöriges Bild sogar ein passendes Seitenstück zum Ge-
mälde der Andromeda. Noch reicher an dramatischen Moti-
ven ist der Mythus der Jo. Auf jeden Fall aber hat sich
uns jetzt der scheinbare Widerspruch zwischen den Worten
des Nikias und seinen Werken nicht nur gelöst, sondern er
hat uns auch den Weg gezeigt, die Eigenthümlichkeit des
Künstlers in der Weise näher zu bestimmen, dass seine Stel-
lung im Zusammenhange der Schule als eine durchaus natur-
gemässe erscheint.


Wir haben das Wesen des Aristides und Euphranor durch
die Vergleichung mit analogen Erscheinungen der florentini-
schen Kunst zu erläutern versucht. Auch Nikias fordert uns
zu einem ähnlichen Verfahren auf, und zwar müssen wir
durch ihn an diejenigen Elemente der Kunstübung erinnert
werden, welche bei den Florentinern durch Masaccio und
seine Nachfolger ihre Ausbildung erhielten. Auch bei Mas-
accio finden wir das Streben nach einer mehr plastischen
Abrundung der Figuren, auf welcher vor allem jenes „Her-
[201] austreten aus der Tafel“ beruht. Die lebendige Bewegtheit
der Composition freilich, wie sie Nikias verlangte, war jenen
Florentinern, wie überhaupt der Kunst ihrer Zeit noch fremd,
indem die noch ziemlich ausschliesslich religiösen Stoffe ei-
ner solchen Behandlungsart sich minder günstig erwiesen.
Aber innerhalb der hierdurch gebotenen Beschränkungen be-
gegnen wir gleichfalls der Absicht, die sonst einfachen und
auf die wesentlichen Elemente der Handlung beschränkten
Motive weiter zu entwickeln und namentlich den engen Kreis
der eigentlich handelnden Personen gewissermassen durch ei-
nen Chor von sehr entfernt betheiligten Zuschauern zu er-
weitern. Geschah dies zunächst auch noch oft in einer mehr
äusserlichen Weise, durch welche sogar die historische Auf-
fassung im strengeren Sinne zuweilen beeinträchtigt erschei-
nen mag, so ward dafür die Möglichkeit einer um so reiche-
ren und treueren Schilderung von Zügen aus der Wirklichkeit
gewonnen und dadurch eben jene realistische Richtung gefördert,
in welcher die innere Verwandtschaft der Schule des Euphra-
nor und der Florentiner uns deutlich und sprechend vor Au-
gen tritt. — Wie aber diese Richtung bei Euphranor und Ni-
kias keineswegs ausschliesslich auf der Subjectivität dieser
Künstler beruht, sondern mit der gesammten Entwickelung
des griechischen Geistes in engem Zusammenhange steht,
darüber werden in dem Rückblicke auf diese ganze Periode
der Malerei noch einige Nachweisungen gegeben werden.


Am Schlusse der thebanisch-attischen Schule bleibt uns
zunächst noch ein Künstler zu betrachten übrig:


Omphalio, der einzige uns bekannte Schüler des Ni-
kias, soll zuerst sein Sclave gewesen und von ihm geliebt
worden sein. Gemälde von ihm, welche Pausanias (IV, 31,
9) beschreibt, befanden sich an dem hintern Theile eines
Tempels der Messene, der Tochter des Triopas, zu Messene,
und stellten die Herrscher dieses Landes dar: aus der Zeit
vor der Ankunft der Dorier im Peloponnes Aphareus und seine
Söhne (Idas und Lynkeus), von den zurückgekehrten Hera-
kliden Kresphontes, einen von den Führern der Dorier; von
denen die in Pylos sich niedergelassen, Nestor nebst Thrasy-
medes und Antilochos als diejenigen unter den Söhnen Ne-
stors, welche wegen ihres Alters und weil sie am Zuge ge-
gen Troja theilgenommen, besonders geehrt wurden. Ferner
[202] Leukippos, des Aphareus Bruder, nebst Hilaeira und Phoebe
(seinen Töchtern) und ausserdem Arsinoe; endlich Asklepios,
als Sohn der Arsinoe nach der Sage der Messenier, und Ma-
chaon und Podaleirios, weil auch sie an dem Kampfe gegen
Ilion theilgenommen hatten. Ueber die künstlerische Behand-
lung enthält sich Pausanias, wie gewöhnlich, jedes Urtheils.
Doch lässt sich aus seiner Aufzählung noch deutlich die An-
ordnung der Figuren nach einem Schema strenger Entspre-
chung erkennen:


So haben wir hier ein Beispiel, dass die Malerei auch
in der Zeit ihrer höchsten Ausbildung, wenn sie im Dienste
der Religion arbeitete, der alten Strenge der Satzung in der
Gesammt - Composition folgte, wenn sie auch in der Durch-
führung des Einzelnen den Forderungen der Zeit hinlängli-
che Rechnung getragen haben mag.


Neben den beiden Schulen, welche uns bis jetzt beschäf-
tigt haben, tritt gegen die Zeit Alexanders eine Reihe von
Künstlern auf, welche, ohne unter einander in einem ähnli-
chen Zusammenhange zu stehen, doch auf die Gestaltung der
Kunst durch die Bedeutung ihrer Persönlichkeit einen nicht
minder wichtigen Einfluss ausüben, wie jene. Vor Allen ragt
unter ihnen hervor:


Apelles.

Wie hoch der Ruhm dieses Künstlers im Alterthume ge-
stiegen war, spricht sich schon in der Theilnahme aus, wel-
che man nicht nur seinen Werken, sondern auch seiner Per-
son schenkte. Um mit der Frage nach seinem Vaterlande zu
beginnen, so streiten sich drei Orte um die Ehre, ihn den Ih-
[203] rigen zu nennen: Kolophon, Ephesos und Kos. Nach Suidas 1)
war er Kolophonier von Geburt, Ephesier, wie ihn Strabo 2)
und Lucian 3) nennen, ϑέσει, also wohl durch Ertheilung des
Bürgerrechts, weil er dort zuerst seine Künstlerlaufbahn be-
gonnen und später lange Zeit den Sitz seiner Thätigkeit auf-
geschlagen hatte. Nach Kos, wohin ihn Plinius 4) und Ovid 5)
setzen, weisen uns einige seiner berühmtesten Werke, und
vielleicht starb er dort; wenigstens war sein letztes, unvoll-
endet gebliebenes Bild, eine Aphrodite, für Kos bestimmt. —
Als seinen Vater nennt Suidas Pythios, 6) als seinen ersten
Lehrer einen sonst unbekannten Maler Ephoros aus Ephe-
sos, von welchem er sich zu dem weit berühmteren Pamphi-
los aus Amphipolis, dem Haupte der sikyonischen Schule, be-
gab. Plinius 7) fügt hinzu, dass er diesem den hohen Lohn
von einem Talente für seinen Unterricht bezahlt habe, wie
Melanthios. Wenn er aber durch den Zusatz „nemlich jähr-
lich fünfhundert Denare“ auf eine zwölfjährige Lehrzeit hin-
zudeuten scheint, so dürfen wir hiergegen einige Zweifel he-
gen, sowohl deshalb, weil Apelles schon durch Ephoros vor-
gebildet in diese Schule eintrat, als noch mehr, weil Plutarch8)
geradezu ausspricht: er sei nach Sikyon gegangen, noch mehr
um an dem Ruhme der dortigen Künstler Theil zu haben, als
an ihrem Unterricht. Da er nun, wie Plutarch angiebt, dort
mit Melanthios gemeinsam an einem Bilde des Tyrannen Ari-
stratos, eines Zeitgenossen Philipps von Makedonien, arbei-
tete, ferner aber nach Plinius 9) diesen letztern öfter malte,
so dürfen wir vielleicht annehmen, dass er sich von Sikyon
sofort nach Makedonien begeben habe, wo wegen des von
dort gebürtigen Pamphilos der Ruhm der sikyonischen Schule
besonders verbreitet gewesen sein muss. Dort bildete sich
das vertraute Verhältniss zu Alexander aus; später, vielleicht
in Folge der Kriegszüge desselben, kehrte er dann nach sei-
ner ersten Bildungsstätte Ephesos zurück, wo sich im Tempel
der Artemis einige Gemälde von ihm befanden, darunter der
Festaufzug des Megabyzos, welcher doch an Ort und Stelle ge-
[204] malt sein wird. Auch ausserdem scheint er seinen Wohnsitz
gewechselt oder wenigstens vielerlei Reisen unternommen zu
haben; so finden wir ihn zum Besuch auf Rhodos bei Proto-
genes 1), dann durch einen Sturm nach Aegypten verschla-
gen. 2) In Athen muss er gewesen sein, wenn ihn die beim
Fest von Eleusis aus dem Meer aufsteigende Phryne zum
Bilde der Anadyomene begeisterte, 3) in Korinth, wenn er
dort die eben aufkeimende Schönheit der Lais, als er ihr
beim Wasserholen von der Peirene begegnete, entdecken konn-
te. 4) Seine Thätigkeit für Kos ward schon erwähnt; Werke
von ihm fanden sich auch in Smyrna 5), Samos, Rhodos6) und
Alexandria. Zweifelhafter ist es, ob er auch für Pergamos
arbeitete: Solin 7) erzählt nemlich, die Pergamener hätten um
theueres Geld den Körper eines Basilisken gekauft und in
einem goldenen Netze aufgehängt, um dadurch „aedem Apol-
linis manu insignem“ vor Verunreinigung durch Spinnen und
Vögel zu schützen. Hier hat Salmasius das sinnlose Apollinis
in Apellis verändern wollen, wogegen jedoch Dati 8) Apollodori
vorschlägt, was den Vorzug zu verdienen scheint, da Plinius
den Aias dieses Künstlers als in Pergamos befindlich an-
führt.


Die Grenzen der Lebenszeit des Apelles lassen sich nicht
fest bestimmen. Seine Thätigkeit mag, wie wir bereits be-
merkt, zur Zeit des Philipp begonnen haben, und erreichte
ihren Glanzpunkt unter Alexander, weshalb auch Plinius 9)
ihn in die 112te Olympiade setzt. Nachher ist er noch für
mehrere der Nachfolger dieses Königs beschäftigt; doch ver-
mögen wir nicht anzugeben, bis zu welcher Zeit dies der
Fall war.


Das Verzeichniss seiner Werke beginnen wir mit dem
berühmtesten, der


Aphrodite anadyomene. Sie war ursprünglich für
den Tempel des Asklepios auf Kos gemalt, von wo sie Au-
gustus gegen einen Nachlass von hundert Talenten an den
Abgaben nach Rom führte und im Tempel des Caesar als die
Stammmutter des iulischen Geschlechtes weihete: Strabo XIV,
[205] 657; Plin. 35, 91. Sie litt nachher am untern Theile Schaden;
aber niemand wollte sich dazu verstehen, die Restauration
auszuführen, wodurch ihr Ruhm nur noch höher stieg. We-
gen dieser Beschädigung dürfen wir auf die Anadyomene eine
Stelle des Petronius (84) beziehen, in welcher einer vorzüg-
lichen Frauengestalt des Apelles der Beiname monocnemon
„der einschenkeligen“ beigelegt wird. Zwar hat man aus
der handschriftlichen Lesart monocremon: monochromon ma-
chen wollen; aber gerade unter den Werken des Apelles
würde ein Monochrom auffallend sein; quid si quis Parrha-
sium versicolora pingere iubere aut Apellen unicolora? sagt
Fronto ep. p. 170 ed. Rom. Mit monocnemos lässt sich aber
eucnemos als Beiwort einer Amazone von Strongylion (Plin.
34, 87) passend vergleichen, s. Welcker zu Philostr. p. LXI;
zu Müller Arch. S. 145 und 449. Zur Zeit Nero’s war das
Bild schon so weit zu Grunde gegangen, dass dieser Kaiser
sich genöthigt sah, es durch eine Copie von der Hand des Doro-
theos zu ersetzen. — Ueber die Darstellung gibt uns zuerst
der Beiname Anadyomene Aufschluss, der sie als aus dem
Meere aufsteigend bezeichnet. Ausserdem heben namentlich
Epigramme es als eine besondere Schönheit hervor, wie die
Göttin mit den Händen die Feuchtigkeit und den Schaum des Mee-
res aus ihrem Haar ausdrückte. 1) Zahlreiche, aber ganz allge-
mein gehaltene Lobsprüche2) sind nicht geeignet, unsere Kennt-
niss zu erweitern; und es ist daher nur noch zu bemerken, dass
auch dem Apelles beim Malen sterbliche Schönheiten als Vor-
bilder gedient haben sollen. Plinius nennt die Pankaste (s. u.),
Athenaeus (XIII, 590 F) die Phryne, welche dem Künstler sogar
das ganze Motiv geliefert habe, indem sie beim Feste des Po-
seidon zu Eleusis vor dem versammelten Volke nackt im
Meere badete. Ausser der Anadyomene hatte Apelles zu
Kos eine zweite Aphrodite begonnen, durch die er den
Ruhm der ersten noch zu überbieten gedachte; aber vor der
[206] Vollendung überraschte ihn der Tod, und niemand wagte,
nach der vorhandenen Anlage den fehlenden Theil hinzuzufü-
gen: Plin. 35, 92 u. 145; Cic. off. III, 2; ad div. I, 9, 4, aus
welcher letzteren Stelle hervorgeht, dass Kopf und Brust voll-
endet waren.


Charis, bekleidet dargestellt, im Odeum zu Smyrna,
das einzige Werk des Apelles, welches Pausanias (IX, 35, 2)
erwähnt.


Tyche, welche er sitzend bildete, indem er spöttisch
bemerkte, dass das Glück doch nicht feststehe: Stob. floril.
106, 60; vgl. Libanius Ekphr.


Artemis unter den Chor opfernder Jungfrauen gemischt,
durch welche er die Verse Homers besiegt zu haben schien,
in denen diese Scene beschrieben wird; ein besonders von
den Kennern gefeiertes Werk: Plin. 35, 96. Wenn man frü-
her hier an die Schilderung der durch die Wälder streifen-
den Artemis in der Odyssee (VI, 102) denken wollte, so fand
dabei allerdings die Bezeichnung der Jungfrauen als opfernd
keine Erklärung. Welcker (Nachtr. z. Tril. S. 158; ep. Cycl.
S. 309) hat daher auf eine Scene der Kyprien hingewiesen,
welche ja auch dem Homer beigelegt wurden. Danach wäre
Artemis zu verstehen, wie sie beim Opfer der Iphigenie er-
scheint, welches nicht von Kalchas, sondern von jungfräuli-
chen Priesterinnen vollzogen wurde. Auffällig bleibt freilich
auch hierbei, dass die Erwähnung der Hauptfigur, der Iphi-
genie, von Plinius gänzlich sollte übergangen sein. Vgl. un-
ten. — In dieser oder einer verwandten Composition mochte
das Reh seine Stelle gefunden haben, welches Aelian (h. a.
XVII epil.) als besonders berühmt erwähnt. Aus der Heroen-
mythologie scheint Apelles nur wenige Stoffe behandelt zu
haben. Wir kennen:


einen nackten Heros, „mit welchem Gemälde er die
Natur selbst zum Wettstreit herausforderte:“ Plin. 35, 94.
In schlechten Handschriften war aus heroa nudum die Les-
art Hero et Leandrum entstanden, welche jedoch kritisch un-
haltbar ist.


Dem Apelles beigelegt (also wohl nach inneren Gründen,
nicht nach äusseren Zeugnissen) ward auch


Herakles, im Tempel der Anna (Perenna) zu Rom, „mit
abgewendetem Gesicht, so dass, was äusserst schwierig ist,
[207] dennoch das Bild sein Gesicht mehr wirklich zu zeigen, als
errathen zu lassen schien:“ Plin. 35, 94.


Ankaeos, oder wenn wir der Lesart der Bamberger
Handschrift den Vorzug geben: Antaeos, wie es scheint, in
Rhodos: Plin. 35, 93. Da dieses Bild sich in Verbindung mit
einigen Portraits erwähnt findet, so möchte man es ebenfalls
für ein solches zu halten geneigt sein. Ankaeos und Antaeos
scheinen freilich nur als Namen mythologischer Personen vor-
zukommen: dagegen findet sich die Form Antaeon, und zwar
gerade auf rhodischen Münzen: Mionn. Suppl. VI, p. 586.


In der Mitte zwischen den eigentlich mythologischen und
den Darstellungen aus der Wirklichkeit stehen bei Apelles
mehrere andere, welche wir als symbolische und allegorische
bezeichnen können. Dahin gehören:


Bronte, Astrape, Keraunobolia: Donner, Blitzleuch-
ten und Blitzschleuderung. Wenn Plinius (35, 96) diese
Werke mit der Bemerkung anführt: Apelles habe gemalt, was
sich eigentlich nicht malen lasse, so werden wir dadurch
über die Art der Darstellung um nichts klüger. Zum Ver-
gleich können wir dagegen auf ein Gemälde bei Philostratus
I, 14 verweisen, in welcher bei der Feuergeburt des Diony-
sos „der Donner in dräuender Gestalt und der Blitz, wie er
Strahlen aus den Augen entsendet,“ dargestellt waren.


Ueber eine andere mehr allegorische Gestalt, den Krieg,
ist bei Gelegenheit der Bilder Alexanders zu reden.


Besonders ausführlich sind wir über ein Bild der Ver-
leumdung
durch Lucian (de calumn. n. tem. cred. 5) un-
terrichtet. Wir geben zunächst die Beschreibung und spre-
chen dann erst über die historischen Umstände, auf welche
es sich beziehen soll: Rechts sitzt ein Mann mit grossen Oh-
ren, dem Midas darin fast vergleichbar, welcher der Diabole,
der Verleumdung, schon von fern die Hand entgegenstreckt.
Ihm zur Seite stehen zwei Weiber: Agnoia und Hypolepsis,
Unwissenheit und Argwohn, „wie es scheint“ (die Namen
waren also wohl nicht beigeschrieben). Von der andern
Seite kommt Diabole heran, ein prächtig schönes Weib, et-
was hitzig und erregt, wie um Leidenschaft und Zorn zu zei-
gen. In der Linken trägt sie eine brennende Fackel, mit der
Rechten schleppt sie einen Jüngling bei den Haaren herbei,
der die Hände zum Himmel erhebt und die Götter zu Zeugen
[208] anruft. Es führt sie ein bleicher und ungestalteter Mann, mit
scharfem Blicke und dem Ansehen, als sei er von langer
Krankheit abgezehrt. Ihn wird man für Phthonos, den
Neid, erklären müssen. Noch zwei andere folgen als Gelei-
terinnen der Diabole; sie werden erklärt als Epibulesis [und]
Apate: List und Täuschung. Hinten endlich folgte noch eine
ganz traurig angethane Gestalt, in schwarzem Kleide und ganz
zerrissen: Metanoia war es, die Reue. Sie wandte sich wei-
nend rückwärts und blickte voll Schaam auf die sich na-
hende Aletheia, die Wahrheit. — Dieses Bild zu malen, soll
Apelles durch folgenden Vorfall veranlasst worden sein: Der
Maler Antiphilos, ein Nebenbuhler des Apelles habe diesen
bei Ptolemaeos verleumderischer Weise angeklagt, dass er an
der Verschwörung des Theodotos in Tyros theilgenommen, ja
dass der Abfall von Tyros und der Ueberfall von Pelusion
eigentlich sein Werk sei, obwohl er den Theodotos nie gese-
hen habe, und auch nie nach Tyros gekommen sei. Ptole-
maeos sei darüber in heftigem Zorn entbrannt, bis einer der
Gefangenen über des Antiphilos Unverschämtheit aufgebracht
den König von dessen Verleumdung überzeugt habe. Aus
Schaam über seine Leichtgläubigkeit habe dann der König
dem Apelles hundert Talente und dazu den Antiphilos als
Sklaven geschenkt. Dass diese Erzählung manche histori-
sche Unrichtigkeiten enthält, hat bereits Toelken gezeigt,
(Amalthea III, 130 flgd.). Hier genügt es darauf hinzuweisen
dass die Verschwörung des Theodotos unter die Regierung
des Ptolemaeos Philopator (c. Ol. 140; vgl. Polyb. V, 60.
61; Droysen Hellen. II, S. 696; Stark Gaza 375) fällt, also
in eine Zeit, in welcher Apelles auf keine Weise mehr am
Leben sein konnte. Dass jedoch das Ganze nicht von Lu-
cian erfunden ist, lehrt die folgende Nachricht bei Plinius
(35, 89): „Unter den Genossen Alexanders hatte Apelles kein
freundliches Verhältniss mit Ptolemaeos. Als er nun wäh-
rend der Regierung desselben einmal durch Sturm nach Alex-
andria verschlagen war, kam er von einem durch den Be-
trug seiner Nebenbuhler angestifteten königlichen Boten ein-
geladen zur Tafel. Während aber Ptolemaeos darüber er-
zürnt ihm seine Boten zeigen wollte, damit er sage, welcher
von ihnen ihn geladen, ergriff er aus dem Kohlenbecken eine
ausgebrannte Kohle und zeichnete das Bild auf die Wand, so
[209] dass der König das Bild des Boten, als es kaum begonnen
war, erkannte.“ Hiernach dürfen wir wenigstens zwei Haupt-
züge in der Erzählung Lucians, das gespannte Verhältniss mit
Ptolemaeos und den böswilligen Neid der Kunstgenossen, als
historische Thatsachen festhalten, welche mit dem wirklich
vorhandenen Gemälde in Verbindung gesetzt, den Periegeten
eine erwünschte Grundlage für die sagenartige Weiterbildung
der Erzählung abgaben.


Wenden wir uns jetzt zu den historischen und Portrait-
bildungen des Apelles, so erscheint besonders gross seine
Thätigkeit für den makedonischen Königshof: „Wie oft er
Alexander und Philipp gemalt hat, ist aufzuzählen über-
flüssig,“ sagt Plinius (35, 93): und bekannt ist, dass Alex-
ander von Niemand, als von Apelles gemalt sein wollte; vgl.
die Stellen unter Lysipp, Th. I, S. 363, wo hierüber aus-
führlicher gehandelt worden ist. Unter jenen unzähligen
Bildnissen haben jedoch einige besondern Ruhm erlangt,
vor allen:


Alexander mit dem Blitz in der Hand, im Tempel der
Artemis zu Ephesos, für welchen er zwanzig Talente in
Goldmünzen nicht zugezählt, sondern zugemessen erhielt:
Plin. 35, 92; Cic. in Verr. IV, 60, Alexander selbst schätzte
dieses Bild so hoch, dass er sagte, es gebe zwei Alexander,
den unbesiegten Sohn des Philipp, und den unnachahmlichen
des Apelles: Plut. de Alex virt. II, p. 335 A. Bewundert
ward daran besonders, dass die Finger hervorzutreten und
der Blitz sich ausserhalb der Tafel zu befinden schien: Plin.
l. l. Auffallend war er in der Farbe behandelt; während
nemlich Alexander eine weisse Haut hatte, welche nur an
der Brust und am Kopf mehr geröthet erschien, malte er
ihn dunkler und in einem schmutzigeren Tone: Plut. Alex. 4.
An dem Blitze nahm Lysipp Anstoss, indem vielmehr die
Lanze, welche er selbst seiner Statue in die Hand gegeben
hatte, das dem Alexander eigenthümlich und in Wahrheit
zukommende Attribut sei, da auf ihr sein nie vergänglicher
Ruhm beruhe: Plut. Is. et Os. p. 360 D.


„Zu Rom bewundert man Castor und Pollux nebst
Victoria und Alexander dem Grossen; so wie das Bild
des Krieges mit auf den Rücken gebundenen Händen, wäh-
rend Alexander auf dem Wagen triumphirt; welche beiden
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 14
[210] Bilder Augustus an den besuchtesten Stellen seines Forums
mit bescheidener Mässigung aufgestellt hatte; während Clau-
dius besser zu thun meinte, wenn er auf beiden das Gesicht
Alexanders herausschnitte und dafür das Bild des Augustus
hineinsetzte: Romae Castorem et Pollucem cum Victoria et
Alexandro magno, item Belli imaginem restrictis ad terga
manibus, Alexandro in curru triumphante; quas utrasque
tabulas divos Augustus in fori sui celeberrimis partibus dica-
verat simplicitate moderata, divos Claudius pluris existumavit,
utrisque excisa Alexandri facie divi Augusti imagines addere:“
Plin. 35, 93. Mit diesen Worten muss eine andere auf die-
selben Werke bezügliche Angabe: 35, 27, in Verbindung
gesetzt werden, welche nach Silligs Textrecension so lautet:
„Augustus stellte an dem besuchtesten Orte seines Forums
zwei Bilder auf, in denen die Personification des Krieges
gemalt ist und der (oder ein) Triumph; ferner stellte er die
Castoren und eine Victoria auf, und die Bilder, welche wir
unter der Erwähnung der Künstler im Tempel seines Vaters
Caesar anführen werden: Divos Augustus in foro suo cele-
berrima in parte posuit tabulas duas quae Belli faciem ha-
bent et Triumphum. Idem Castores ac Victoriam posuit et
quas dicemus sub artificum mentione in templo Caesaris pa-
tris.“ Da diese Worte in solcher Fassung einen Widerspruch
mit der ersten Stelle enthalten, so erscheint es gerechtfer-
tigt, wenn Bergk (exercit. Plin. II, 9) mit geringer Aende-
rung so zu schreiben vorschlägt .... quae belli faciem
habent et triumphum, item Castores ac Victoriam. Posuit et
quas .... Demnach sind als die zwei Gemälde, von denen
Plinius in beiden Stellen spricht, anzusehen: 1) Alex-
ander auf dem Triumphwagen und der gefesselte Kriegsdä-
mon; 2) Alexander nebst den Dioskuren und Victoria, viel-
leicht so, dass diese ihn krönte und jene auf die beiden
Seiten dieser Hauptgruppe vertheilt waren.


Zu einem Portrait Alexanders gehörte vielleicht auch
das Pferd, über welches Plinius (35, 95) folgendes be-
richtet: „Von ihm ist, oder war, ein Pferd im Wettstreite
gemalt, durch welches er das Urtheil von dem Menschen
auf die stummen Thiere übertrug. Als er nemlich merkte,
dass bei der Preisbewerbung die Nebenbuhler den Vorrang
erhalten würden, liess er Pferde herbeiführen und zeigte
[211] ihnen deren Bilder einzeln. Da wieherten sie aber nur dem
Pferde des Apelles zu; und auch später geschah das immer,
so dass man es als eine Probe der Kunst sehen liess.“
Nicht ganz damit übereinstimmend berichtet Aelian v. h. II,
3; h. a. IV, 50: das Pferd habe zu dem Portrait Alexan-
ders in Ephesos gehört; und als Alexander das Gemälde
nicht nach Gebühr gelobt, habe Apelles das gemalte Pferd
von einem wirklichen anwiehern lassen und zu Alexander
gesagt: Dieses Pferd scheint mehr Sinn für Malerei zu haben,
als du. Welche Erzählung die richtigere sei, und wie weit
wir überhaupt solchen Anekdoten Werth beilegen sollen,
mag unentschieden bleiben; nur kann das Bild Alexanders
in Ephesos nicht jener berühmte Blitzträger sein, der gewiss
nicht zu Pferde dargestellt war. — Ueber den Vorwurf des
Aelian (h. a. IV, 50), dass Apelles fälschlich einem Pferde
untere Augenwimpern gemalt habe, s. o. unter Mikon.


Von den Genossen und Feldherrn Alexanders malte
Apelles:


Kleitos mit seinem Rosse in den Krieg eilend und einen
Knappen, der ihm auf sein Verlangen den Helm reicht:
Plin. 35, 93.


Neoptolemum ex equo adversus Persas, [Arche-
laum
cum uxore et filia], Antigonum thoracatum cum
equo incedentem:“ Plin. 35, 96. Das Mangelhafte der Con-
struction lässt sich dadurch beseitigen, dass man die von
mir eingeklammerten Worte als der zweiten Redaction ange-
hörig betrachtet. Was nun die Personen anlangt, so hat
zwar Welcker (Ep. Cycl. S. 310) bei Neoptolemos an den
Sohn des Achill und seinen Kampf mit Eurypylos, dem Sohne
des Telephos, gedacht; doch würde es mindestens sehr auf-
fällig sein, die Mysier von Plinius als Perser bezeichnet zu
finden. Ich glaube daher vielmehr an den von Arrian (anab.
I, 20, 10) als eine nicht unbedeutende Persönlichkeit erwähn-
ten Neoptolemos erinnern zu müssen, einen Sohn des Arrha-
baios und Bruder des auch von Plutarch (Alex. 20) er-
wähnten Amyntas, welcher Ol. 111, 3 bei der Belagerung von
Halikarnass fiel, freilich auf Seite der Perser, zu denen er
übergegangen war. Das Bild hätte also, bevor er diesen
Schritt that, gemalt sein müssen. — Archelaos ist wahr-
scheinlich einer der Heerführer Alexanders; entweder der
14*
[212] Sohn des Androklos, einer τῶν ἑταίϱων, welcher in Aornos
befehligte (Arr. III, 29, 1), oder der Sohn des Theodoros,
στϱατηγός, welcher in Susa das Commando führte (Arr. III,
16, 9; Curt. V, 2) und nach Alexanders Tode die Satrapie
Mesopotamien erhielt: Phot. bibl. cod. 82, p. 116 H. — Was
Antigonos anlangt, so ist es möglich, dass Apelles ihn
mehr als einmal gemalt hat. Denn unmittelbar nach der Er-
wähnung der Darstellung „im Harnisch mit dem Pferde“
fährt Plinius fort: „die Kunstkenner ziehen allen seinen
Werken denselben König zu Pferde vor.“ Sollen wir nun
in der Bezeichnung cum equo und sedentem in equo eine
feine Unterscheidung erkennen zwischen einem neben dem
Pferde stehenden und einem auf demselben sitzenden? Frei-
lich dürfte es nicht eben überraschen, wenn Plinius gedan-
kenlos ein und dasselbe Bild aus zwei verschiedenen Quellen
zweimal angeführt hätte; und noch glaublicher wird diese
Annahme, wenn wir finden, dass Strabo XIV, p. 657 be-
merkt, in dem Asklepieion zu Kos befinde sich „der“ An-
tigonos des Apelles. Die Schwierigkeit, welche für eine
schöne Darstellung darin lag, dass Antigonos das eine Auge
verloren hatte, umging der Künstler dadurch, dass er ihn
im Profil bildete: Plin. 35, 90; Quintil. II, 13.


Menander, König von Karien, zu Rhodos: Plin. 35, 93.
So viel wir wissen, hat es keinen König dieses Namens in
Karien gegeben. Zeitgenossen des Apelles waren Mausolos
(† Ende Ol. 106), Idrieus († Ende Ol. 109) und Pixodaros,
der die Königin Ada, seine Schwester verdrängte (regiert bis
Ol. 111, 2). Schulz (Jahns Jahrb. XI, S. 71) und Keil (anall.
epigr. p. 205) halten es nun zwar für möglich, dass der
Name des Menander an die Stelle des zuletzt Genannten ge-
treten sei. Wahrscheinlicher ist aber gewiss die Annahme,
dass Plinius nur in der Bezeichnung des Landes ungenau
gewesen und hier niemand anderes zu verstehen ist, als Me-
nander, ein Heerführer Alexanders (τῶν ἐταίϱων), der von
diesem zum Satrapen von Lydien gemacht war und auch
noch eine Zeit lang nach dem Tode des Königs dort die
Herrschaft führte: Arrian III, 6; VII, 23; Phot. bibl. cod. 82,
p. 116 Hoesch. cf. Plut. Eum. 9, Diod. XVIII, 59.


Der Festaufzug des Megabyzos, des Oberpriesters
der ephesischen Artemis; Plin. 35, 93.


[213]

Gorgosthenes, ein Schauspieler der Tragödie, zu Alex-
andrien: Plin. l. l.


Habron zu Samos: Plin. l. l. Welcker (zu Philost.
p. 211) glaubt in diesem Werke das Charakterbild eines
Weichlings zu erkennen; doch kann es auch wohl ein Por-
trait gewesen sein, wie wir ja, da bei einem Bilde in Samos
an den Sohn des attischen Redners Lykurg zu denken we-
niger nahe liegt, z. B. einen Maler desselben Namens aus
Plinius kennen.


Auch sein eigenes Portrait soll Apelles gemalt haben:
Anall. III, 218, n. 314.


Ueber seine Theilnahme an dem Bilde des Aristratos
s. o. unter Melanthios.


Von Frauenportraits ist uns nur ein einziges bekannt:


Pankaste. Sie war eine der Geliebten Alexanders,
welcher sie wegen der Schönheit ihrer Gestalt von Apelles
nackt malen lassen wollte. Bei dieser Gelegenheit aber ver-
liebte sich der Künstler selbst in sie, und der König, statt dar-
über zu zürnen, gab sie ihm zum Geschenk, was Gelegenheit
gegeben hat, Alexander wegen seiner Selbstüberwindung zu
preisen: Plin. 35, 86. Aelian (v. h. XII, 34), welcher ihrer
gleichfalls als der Geliebten des Königs und des Künstlers
gedenkt, giebt als ihre Vaterstadt Larissa an. Lucian (imagg.
7), bei dem sie Pakate genannt wird, will bei seiner Muster-
schönheit einer Frau den Körper nach ihrem Vorbilde dar-
gestellt wissen, und zwar nicht zu weiss, sondern etwas wie
durch das Blut geröthet (μὴ ἄγαν λευκὸν, ἀλλὰ ἔναιμον ἁπλῶς).
Dass Apelles seine Anadyomene nach ihr gemalt haben solle,
ward schon erwähnt.


„Unter seinen Werken befinden sich auch Bilder von
Sterbenden:“ Plin. 35, 90.


Endlich dürfen wir hier die berühmte Linie nicht über-
gehen, da sie wie ein anderes Werk aufgestellt war und
nicht minder, namentlich von den Künstlern bewundert ward.
Plinius hatte sie noch in Rom gesehen, ehe sie durch den
Brand des Kaiserpalastes zu Grunde gegangen war. Er er-
zählt von ihrer Entstehung folgendes (35, 81—83): Apelles,
begierig den Protogenes kennen zu lernen, eilt gleich nach
seiner Ankunft in Rhodos in dessen Wohnung, wo er aber
nicht ihn, sondern eine alte Frau als Wächterin trifft.
[214] Auf ihre Frage, wer er sei, ergreift er einen Pinsel und
zieht mit Farbe eine Linie von der höchsten Feinheit auf
eine zu einem Gemälde vorbereitete Tafel. Nach seiner
Rückkehr erkennt Protogenes sofort, dass nur Apelles es
sein könne, der so etwas geliefert; zugleich aber zieht er
mit einer andern Farbe eine zweite Linie in die erste hinein,
und lässt, als er wieder weggeht, die Bestellung zurück:
der sei es, welchen jener Unbekannte suche. Da schneidet
Apelles bei seiner Rückkehr, um nicht besiegt zu sein, die
Linien nochmals mit einer dritten Farbe und lässt für eine
noch grössere Feinheit keinen weiteren Raum, worauf auch
Protogenes sich besiegt erklärt und eilig seinen Gast auf-
sucht. — Ueber die Bedeutung dieser Erzählung s. u.


Ausserdem ist zu bemerken, dass Apelles auch Schriften
über seine Kunst herausgab, wie es scheint, in Form eines
Lehrbuches für seinen Schüler Perseus: Plin. 35, 79 u. 111.


Von keinem Künstler des Alterthums werden so viele
anekdotenartige Züge mitgetheilt, wie von Apelles. Nur we-
nige freilich lehren uns etwas über seine künstlerische Ei-
genthümlichkeit; wohl aber gewähren sie zusammengenommen
uns ein ungefähres Bild von seinem persönlichen Charakter,
so dass sie deshalb wenigstens angeführt zu werden ver-
dienen. Apelles erscheint darin als ein Künstler, der sich
seines Verdienstes allerdings wohl bewusst ist, aber doch
die Grenzen desselben kennt, und darum von dem Hochmuth
mancher seiner Kunstgenossen sich frei erhält. Ja im Be-
wusstsein seiner eigenen Vorzüge ist er gern bereit, fremdes
Verdienst selbst anzuerkennen und bei andern zur Anerken-
nung zu bringen, wogegen er freilich auch Thorheit und
Selbstüberhebung mit feiner Ironie zu verspotten und zu
strafen versteht. Sein eigenes, von andern nicht übertrof-
fenes Verdienst setzt er in die Grazie. Dagegen erkennt
er dem Melanthios in der Disposition, dem Asklepiodor in
den Verhältnissen der Figuren zu einander den Vorzug zu;
Protogenes aber sei ihm bis auf jene leichte Grazie in allem
Uebrigen mindestens gleich, wenn nicht überlegen. 1) Als er
bemerkte, dass dieser Künstler aus Mangel an Anerkennung
seine Werke zu Spottpreisen wegzugeben gezwungen war,
[215] stellte er ihm für die gerade fertigen Werke den Preis von
fünfzig Talenten und verbreitete das Gerücht, er wolle sie
aufkaufen, um sie als seine eigenen wieder zu verkaufen,
wodurch die Rhodier aufmerksam wurden und den Künstler
fortan besser belohnten. 1) Als ihm dagegen ein Maler ein
Bild zeigte und sich mit der Schnelligkeit, in der es voll-
endet sei, brüstete, erwiederte er: „wohl sehe ich, dass es
schnell gemalt ist; doch wundere ich mich, dass du von
solcher Qualität nicht mehrere fertig gemacht hast. 2) Eben
so bemerkte er, als einer seiner Schüler eine Helena mit
dem Beinamen πολύ χϱυσος, der an Golde reichen, gemalt
hatte: „Da du sie nicht hast schön malen können, hast du
sie reich gemacht.“ 3) Noch bekannter ist sein Witzwort
über einen Schuster. Er soll nemlich öfters seine beendigten
Arbeiten in seinem Atelier so aufgestellt haben, dass die
Vorübergehenden sie sehen und ihre Bemerkungen darüber
machen konnten, während er hinten versteckt dieselben an-
hörte. Auf die Ausstellung eines Schusters hin, dass er an
der Innenseite eines Schuhes einen Henkel zu wenig ge-
macht, änderte er seinen Fehler. Als aber dieser, hierdurch
zum weiteren Urtheile sich berechtigt glaubend, auch den
Schenkel zu tadeln anfing, blickte Apelles zornig hervor,
und fertigte ihn mit dem dadurch sprichwörtlich gewordenen:
„Schuster, bleibe beim Leisten“ ab. 4) Eben so freimüthig
verfuhr er aber auch mit Alexander, welcher ihn häufig bei
der Arbeit besuchte. Denn als dieser einst über Malerei
ziemlich unverständig schwatzte, rieth er ihm zu schweigen,
damit er nicht von den Jungen ausgelacht werde, welche
Farbe rieben. 5)


Blicken wir nach dieser Abschweifung wieder auf die
Uebersicht der Werke des Apelles zurück, so kann ich nicht
umhin, die Aufmerksamkeit zunächst auf eines derselben von
einer sehr scharf ausgeprägten Eigenthümlichkeit zu lenken,
nemlich die Darstellung der Verleumdung: sie ist das male-
rische Seitenstück zu dem plastischen Kairos des Lysipp,
eine vollständige Allegorie. Dass wir in dem Gemälde nicht
[216] die Häufung der Attribute finden, wie in der Statue, erklärt
sich aus der Verschiedenheit der Kunstgattung, welche es
erlaubte, den Gedanken in mehreren Figuren zu entwickeln
und dieselben durch eine Art von Handlung in Verbindung
zu setzen, einer Handlung freilich ohne alles individuelle
Gepräge und eben nur erfunden, um Begriffe in ihrem Ver-
hältniss zu einander zu verknüpfen. Sonst aber sind beide
Werke durchaus derselben Richtung entsprungen: nemlich
der reflectirenden, nach Begriffen scheidenden Thätigkeit des
Geistes. Wenn sich nun dieselbe unerwartete Erscheinung
bei zwei auch in ihrer äussern Stellung so verwandten
gleichzeitigen Künstlern wiederfindet, so muss dies ihre
Bedeutung für uns nur erhöhen und uns veranlassen, ihren
tieferen Gründen aufmerksamer nachzuforschen. Hinsichtlich
des Lysipp haben wir bereits den Beweis zu führen gesucht,
dass ihm überhaupt diejenige Phantasie, welche zur Schö-
pfung geistiger Ideale nothwendig war, das eigentliche poe-
tische Gestaltungsvermögen gefehlt habe. Es wird nicht
schwer halten für Apelles dasselbe zu thun, wenn wir nur
das Feld seiner Thätigkeit genauer überblicken. Die Mytho-
logie, sonst der Hauptquell künstlerischer Schöpfungen, hat
bei der Wahl der Gegenstände nur noch einen sehr geringen
Antheil; und wo sich der Künstler ihr zuwendet, da ist es
nicht poetisch-religiöse Begeisterung, welche ihn leitet, son-
dern die Rücksicht auf rein künstlerische Gesichtspunkte.
Mag seiner Aphrodite das Bild einer Sterblichen zu Grunde
liegen oder nicht, immer beruhte der Ruhm dieses Bildes
nicht auf dem Ausdrucke göttlicher Erhabenheit, sondern auf
dem höchsten, wenn auch zartesten Reize körperlicher Schön-
heit. Der Glaube an die Persönlichkeit der Götter war be-
reits wankend geworden. Man fing an, diese poetisch-ein-
heitlich abgeschlossenen und abgerundeten Gestaltungen nach
Begriffen oder den Attributen ihrer Macht zu zerspalten; und
wenn man auch die daraus hervorgehenden Abstractionen
wiederum mit einem Körper zu bekleiden bestrebt war, so
können doch solche Personificationen durch die Art, wie sie
durch äussere Zeichen ihre Bedeutung zu erkennen geben
sollen, die reflectirende Thätigkeit des Geistes als den Quell
ihrer Entstehung nicht verleugnen. So malt Apelles Zeus,
den Donnerer, nicht in eigener Person, sondern den Donner,
[217] das Leuchten, das Schleudern des Blitzes; nicht den Kriegs-
gott, sondern den Krieg. Waren demnach dem Künstler die
Götter nicht sowohl lebendige Persönlichkeiten, als personi-
ficirte Kräfte der Natur oder Mächte der ewigen Weltord-
nung, so begreifen wir, dass er nun auch einen König, wel-
cher sich die Welt unterworfen hatte, welcher ihre Geschicke
nach seinem Willen lenkte, geradezu als einen Gott, als
Zeus, hinstellen konnte; so wie in dem Bilde des Alexander
mit den Dioskuren der Gedanke einer Vergleichung mit
Helios gewiss nahe liegt. Durch das sich darin offenbarende
Streben, die Grösse des Weltbesiegers nicht durch die con-
crete Darstellung seiner Thaten, sondern durch abstracte
Andeutungen seiner Erfolge darzustellen, müssen wir noth-
wendig zu der Ansicht geleitet werden, dass seine künst-
lerische Phantasie durchaus von der Reflexion beherrscht
und geleitet ward. Ja wir können noch weiter gehen und
geradezu behaupten, dass das Vorwalten der Auffassung
nach Begriffen den Apelles überhaupt nicht dazu gelangen
liess, eigentliche Handlungen darzustellen, in denen die Ent-
wickelung einer Begebenheit in einem scharf abgegrenzten
Momente durch die nur auf diesen gerichtete Thätigkeit
jeder einzelnen dabei betheiligten Person zur Anschauung
käme. Die Mehrzahl seiner meist auf ein, zwei, höchstens
drei Figuren beschränkten portraitartigen Darstellungen
schliesst eine Handlung in diesem Sinne sogar fast mit
Nothwendigkeit aus. Wie untergeordnet dieselbe aber z. B.
auch in dem figurenreicheren Bilde der Verleumdung ist,
ward bereits oben angedeutet. Darum möchte ich auch das
Bild der Artemis unter dem Chor opfernder Jungfrauen nicht
auf das Opfer der Iphigenie beziehen. Denn in dieser Scene
müsste nothwendig der Schwerpunkt des Ganzen in die Ab-
stufung verschiedener Affecte, oder in das Zusammenfassen
zu einem spannenden, dramatischen Momente gelegt werden,
wie wir ihn eben sonst in den Werken des Apelles nie
finden. Bei einem Opfer ohne bestimmte mythologische Be-
ziehung dagegen genügte es, dass der Künstler Artemis als
die göttliche Jungfrau auffasste und sie als solche gerade
durch ihre Umgebung erscheinen liess, bei deren Darstellung
es ihm gestattet war, den rein künstlerischen Gesichtspunk-
ten einer anmuthigen Gestaltung im Gegensatz zu dem poe-
[218] tischen oder ideellen Gehalt in hervorragender Weise Rech-
nung zu tragen. Eben so wenig können wir bei dem Fest-
aufzug des Megabyzos von einer eigentlichen Handlung spre-
chen: der Oberpriester bildet den sichtbaren Mittelpunkt, um
welchen das übrige Festgepränge passend zu gruppiren war.
Allerdings mochte sich darin viel Leben und Bewegung zei-
gen: auf ein höheres dramatisches Interesse aber kann der
Gegenstand an sich noch keinen Anspruch begründen. Viel-
leicht ist es nicht unpassend, hier zum Vergleich an ein
Werk der Kunst unserer Tage, an ein Gemälde von Horace
Vernet zu erinnern, welches einen Vorwurf durchaus ver-
wandter Art behandelt, den Papst, wie er von der Loggia
der Peterskirche den Segen ertheilt. Auch dieses Bild ist
eine „pompa,“ ein Festaufzug; aber eben so wohl dürfen
wir es eine Darstellung des Papstes im höchsten Glanze
seiner Erscheinung nennen: seine Figur beherrscht so sehr
das Ganze, dass Alles, was ihn umgiebt, einzig dazu be-
stimmt scheint, das Gewicht seiner Persönlichkeit zu er-
höhen. Eine ähnliche Auffassung würde aber der von uns
hier charakterisirten Geistesrichtung des Apelles durchaus
entsprechen. Denn es ist nicht eine einzelne, nur einmal
dagewesene Begebenheit mit den sie begleitenden Umstän-
den, welche hier dargestellt wird, sondern der Papst er-
scheint als die Verkörperung des Begriffs göttlicher Macht-
vollkommenheit auf Erden, so sehr, dass die individuellen
Züge des jedesmaligen Trägers derselben als rein zufällig
betrachtet werden dürfen, und dass demgemäss, wenn ich
nicht irre, in dem Kupferstiche auch bei einem Regierungs-
wechsel der Kopf des einen bereits dem des andern hat
weichen müssen. Verhielt es sich nun mit dem Bilde des
Megabyzos ähnlich, so ist die Grundanschauung, aus wel-
cher es hervorging, nicht eben verschieden von derje-
nigen, welche dem Alexander als irdischen Zeus den Blitz
in die Hand gab. Wenn ausserdem von diesem Bilde be-
merkt wird, dass es in der Behandlung der Körperfarbe weit
von der Wirklichkeit abgewichen sei, so wird dies allerdings
seinen Hauptgrund in der Beabsichtigung eines bestimmten
Farbeneffects gehabt haben. Allein zugleich wurde der
Künstler zu diesem Wagniss doch wohl nur durch die Ueber-
zeugung geführt, dass bei einem Bildnisse in seiner Auffas-
[219] sung eine in allen Einzelnheiten individualisirte Durchfüh-
rung keineswegs Bedürfniss war, vielmehr zuweilen absicht-
lich andern Gesichtspunkten geopfert werden musste. Und
dass Apelles so dachte, dürfen wir um so eher glauben, als
an keinem der vielen Bildnisse von der Hand des Apelles
die Feinheit der Individualisirung irgend wie hervorgehoben
wird. Dagegen müssen wir darauf einigen Nachdruck legen,
dass bei mehreren Portraits Plinius nicht einfach die Namen
der dargestellten Personen, sondern noch Nebenumstände der
Darstellung anführt: „Kleitos, der mit dem Rosse zum Kriege
eilt, und sein Knappe, der ihm auf sein Verlangen den Helm
reicht,“ „Neoptolemos vom Rosse aus gegen die Perser
(kämpfend?), Antigonos mit dem Rosse vorschreitend.“ Mich
erinnern diese Reitergestalten unwillkürlich an das David’sche
Bild Napoleons beim Uebergange über die Alpen. Denn
auch in diesem ist eine durchgehende Individualisirung nicht
Hauptzweck; eben so wenig lässt sich von einer eigentlichen
Handlung sprechen; sondern historische Umstände sind nur
zur Umgebung, zur symbolischen Andeutung benutzt, um
die dargestellte Person in ihrer historischen Bedeutung, als
Träger oder als die Verkörperung eines welthistorischen
Gedankens hinzustellen. Wenn wir also hier alle Eigen-
thümlichkeiten der Geistesrichtung des Apelles wiederfinden,
so dürfen wir wohl auch umgekehrt nach diesem Muster
uns jene Winke des Plinius deuten und jene Portraits nach
unserer heutigen Kunstsprache wenigstens als historische im
höheren Sinne bezeichnen. Ich glaube nicht, dass es Zufall
ist, wenn sich uns zur Vergleichung mit Apelles gerade
Werke moderner Kunstschulen darbieten, und möchte darum
unter diesem Gesichtspunkte die Aufmerksamkeit noch auf
eine andere, von Plinius nur kurz angedeutete Gattung von
Schöpfungen richten, welche unter den Werken des Apelles
scheinbar ganz vereinzelt stehen und uns daher um so mehr
überraschen müssen: ich meine die Bilder von Sterbenden.
Denn wenn die Bezeichnung des Gegenstandes auf eine Ver-
wandtschaft mit der Kunstrichtung des Aristides hinzudeuten
scheinen könnte, so widerspricht dieser Annahme durchaus
alles, was wir über die Werke des Apelles wissen. Nirgends
finden wir, dass jenes psychologische Element, jene zarteren
Abstufungen im Ausdrucke des Gefühls- und Seelenlebens
[220] bei Apelles eine vorwiegende Berücksichtigung erfahren hätte.
Nehmen wir dagegen, um schnell zum Ziele zu gelangen,
einmal an, dass Plinius Darstellungen, wie etwa einen ster-
benden Alexander, im Auge habe, so würden sich dafür
leicht Analogien in der modernen Kunst anführen lassen, in
denen die psychologische Bedeutung des Gegenstandes hin-
ter die historische Darstellung in dem Sinne jener oben be-
trachteten Portraits gänzlich zurücktritt.


Blicken wir jetzt auf die bisherigen Bemerkungen zu-
rück, so sind sie allerdings für die Erkenntniss der künst-
lerischen Bedeutung des Apelles noch mehr von negativem,
als von positivem Werthe. Sie zeigen uns vor allem, dass
wir sein Verdienst nicht in dem poetischen und idealen Gehalte
seiner Werke zu suchen haben. Auf einige oder wenige Figuren
beschränkt gestatten sie meist eben so wenig Raum für die
Entwickelung einer lebhaften und bewegten Handlung, als für
ein Eingehen in die Tiefen des geistigen oder des Seelenlebens.
Nicht minder vermissen wir dasjenige poetische Schöpfungs-
vermögen, welches die erhabensten Ideen der Gottheit in
künstlerischer Gestaltung aufzufassen und wiederzugeben
vermochte; und doch finden wir auch nicht jenen Naturalis-
mus, welcher durch die täuschendste Nachbildung aller Ein-
zelnheiten des gerade vorliegenden Vorbildes sich in einen
Wettstreit mit der Wirklichkeit einlassen zu wollen scheint.
So sehen wir den Künstler auf das verhältnissmässig enge
Gebiet der mehr oder weniger symbolischen und allego-
rischen Darstellungen und auf Bildnisse beschränkt, welche
aber mit jenen das gemein haben, dass sie nicht so-
wohl um ihrer selbst willen da zu sein, als bestimmt schei-
nen, durch ihre Persönlichkeit einen Gedanken allgemeiner
abstracter Natur zur Anschauung zu bringen.


Wenn wir nun auf die Seite der Thätigkeit des Apelles
näher eingehen, auf welcher wir nach dem Gesagten im Ge-
gensatze zu dem poetischen und idealen Gehalte sein posi-
tives Verdienst nothwendig suchen müssen, auf die künst-
lerische Durchführung seiner Werke, so wird es freilich
auffallen, wenn wir auch hier nochmals beginnen, in nega-
tiver Weise sein Verdienst zu begrenzen. Allein wir thun
dies mit um so grösserem Rechte, als er selbst uns darin
vorangegangen ist: Melanthio de dispositione cedebat, Ascle-
[221] piodoro de mensuris, hoc est quanto quid a quoque distare
deberet, sagt Plinius, 1) womit zu verbinden ist, was er an
einer andern Stelle 2) bemerkt, dass Apelles den Asklepiodor
in der „Symmetrie“ bewunderte. Den letzteren Ausdruck
haben wir gewöhnlich auf die Proportionen bezogen, inso-
fern diese das gewissen Gesetzen entsprechende Grössenver-
hältniss der Theile zum Ganzen, zunächst in einer und der-
selben Figur bestimmen. Wo es sich aber, wie in der
Malerei, um die Zusammenordnung mehrerer Figuren handelt,
da wird die Symmetrie auch von dem Grössenverhältniss
der verschiedenen Figuren unter einander verstanden werden
dürfen; und so scheint es wenigstens in Bezug auf Askle-
piodor Plinius zu thun, wenn er die lateinische Uebersetzung
mensura näher erklärt als das Verhältniss der Abstände ver-
schiedener Dinge von einander. Nach unserer heutigen
Kunstsprache würde also hier Symmetrie eine Art von per-
spektivischer Behandlung bezeichnen, auf welcher in grös-
seren Compositionen das Vor- oder Zurücktreten der ein-
zelnen Figuren und Dinge beruht. Die Disposition dagegen,
welche wir gewöhnlich Composition nennen, hat es mit der
Anordnung der verschiedenen Theile, ihrer Gliederung und
Verbindung zu einem künstlerischen Ganzen zu thun. Dass
nun in diesen beiden Beziehungen Apelles dem Asklepiodor
und Melanthios willig den Vorrang zuerkannte, erklärt sich
zum Theil durch einen Blick auf seine eigenen Werke. Denn
offenbar vermied er im Bewusstsein seiner Schwäche die
Wahl von Gegenständen, bei deren Durchführung auf jenen
Eigenschaften eine Hauptbedingung des Erfolgs beruht hätte.
In der einzigen figurenreichen Composition aber, welche uns
bekannt ist, dem Bilde der Verleumdung, erscheint in der
That wenigstens nach der Beschreibung des Lucian das Ver-
dienst der Anordnung gering und erinnert uns mehr an die
Compositionsweise eines Reliefs, als an die eines nach male-
rischen Principien gruppirten Gemäldes.


Trotz aller dieser Beschränkungen überragt den-
noch der Ruhm des Apelles den jedes andern Malers im
Alterthum; und um so mehr müssen wir daher veranlasst
werden zu untersuchen, durch welche Verdienste dieser Ruf
[222] begründet ist und seine Rechtfertigung findet. Wir werden
hierbei leider von vereinzelten Bemerkungen und anekdoten-
artigen Notizen ausgehen müssen, deren Benutzung eben
wegen dieser Eigenschaften doppelte Vorsicht erheischt und
dabei für unser Urtheil doch nicht eine so sichere Grund-
lage gewährt, als ein zusammenhängendes Zeugniss, wie sich
deren bei Plinius über andere Künstler finden.


Plinius erzählt: 1) „Apelles hatte die stehende Gewohn-
heit, nie einen Tag auch noch so beschäftigt hinzubringen, ohne
seine Kunst durch Ziehen von Linien zu üben, was von ihm
sprichwörtlich geworden ist.“ 2) Diese Uebung ist zunächst
etwas rein Technisches; aber auch nur so betrachtet hat
sie immer schon den Nutzen, dass sie dem Künstler Finger-
fertigkeit, Gewandtheit, Schnelligkeit, Sicherheit der Hand
verleihet. Die Hand stellt freilich nur dar, was das Auge
sieht. Aber dem feinsten und gebildetsten Auge folgt die
Hand doch nur mangelhaft, wenn sie nicht besonders dafür
gebildet worden ist. Die Uebung der Hand ist die Grundlage,
auf welcher alle weitere Kunstthätigkeit beruht. Während
aber dieses Zeichnen blosser Linien gewöhnlich beim Un-
terricht als etwas rein elementares betrachtet wird und
bald unter dem Zeichnen bestimmter Objecte zu verschwin-
den pflegt, verschmähte es Apelles nicht, diesen Unterricht
an sich selbst fortwährend fortzusetzen, wie ja auch die
Virtuosen in der Musik die Fingerübungen nicht zu vernach-
lässigen pflegen, in Ermangelung eines wirklichen Instru-
ments sogar auf einem Surrogat ohne Ton. Ich glaube, dass
nur in diesem ganz strengen Wortsinne die Erzählung des
Plinius überhaupt einen richtigen Sinn giebt. Denn wollte
man sie auf Zeichnen, Componiren, Malen und überhaupt auf
Ausübung der Kunst beziehen, so verdiente sie nicht als
etwas besonderes hervorgehoben zu werden, da ja ohnehin
bei einem fleissigen Künstler selten ein Tag vergangen sein
würde, an dem nicht die Hand in irgend einer Weise künst-
lerisch beschäftigt gewesen wäre. Streng wörtlich genom-
men liefert aber diese Nachricht auch den Schlüssel zur
Erklärung der berühmten oder, fast möchte man sagen, be-
rüchtigten Geschichte von den drei ineinander gezogenen
[223] Linien des Apelles und Protogenes, mit welcher sie bei Pli-
nius noch dazu in enger Verbindung erscheint. Freilich hat
man auch diese durch die Annahme erklären zu müssen ge-
glaubt, dass die Linie des Apelles den Umriss irgend eines
bestimmten Objectes dargestellt habe. Aber in den Worten
des Plinius ist dies auf keine Weise angedeutet: er spricht
durchaus nur von drei Linien, die durch ihre Feinheit dem
Auge fast verschwänden, und von der höchsten Schärfe, mit
der die spätere Linie die frühere (der Länge nach) durch-
schnitten und getheilt habe. Protogenes mochte an dem zar-
ten Schwunge, der Feinheit und Sicherheit des Striches einer
beliebigen Linie den Meister erkennen. Aber indem er noch
dem Glauben Raum geben durfte, dass eine freie Genialität,
nicht ein bewusstes Können dem Künstler die Hand geführt,
zog er ohne die Freiheit, welche Apelles bei der ersten
Linie genossen hatte, in diese eine zweite noch feinere, und
erklärte sich erst dadurch für besiegt, dass Apelles nun
unter den gleichen Schwierigkeiten ihn nochmals in der Fein-
heit überbot und zugleich dadurch bewies, dass die Sicherheit
seiner Hand bei freier Bewegung, wie bei einem bestimmt
vorgeschriebenen Zwecke durchaus dieselbe bleibe.


Apelles hatte es also durch ununterbrochene Uebung da-
hin gebracht, dass seine Hand in der Zeichnung seinem
Willen durchaus Folge leistete. Aber eine solche Meister-
schaft, wie jede Virtuosität, kann, in falscher Richtung an-
gewendet, für die wahre Kunst eben so verderblich werden,
als sie sonst nutzbringend ist. Wir müssen daher weiter
fragen, welchen Gebrauch Apelles von ihr machte. Unsere
Nachrichten darüber sind leider äusserst dürftig. Von dem
Bilde Alexanders zu Ephesos heisst es: die Finger scheinen
hervorzutreten und der Blitz sich ausserhalb der Tafel zu
befinden. 1) Zumeist wird diese Wirkung allerdings durch
die richtige Beobachtung des Helldunkels erreicht worden
sein; doch setzt das Hervortreten der Finger zugleich auch
eine hohe Meisterschaft der Zeichnung voraus. Sodann ge-
hört hierher, was Plinius 2) von dem abgewendeten Herakles
bemerkt, dass das Bild sein Gesicht mehr wirklich zu zeigen,
als errathen zu lassen schien: nemlich das Auge sah aller-
[224] dings nur einen Theil des Gesichts im Umrisse von hinten,
etwa wie an der mit einer Leibbinde gegürteten Figur der
ficoronischen Ciste; aber dieser Umriss war mit so feiner
Motivirung jeder Form gezogen, dass das geistige Auge
daraus auf die nicht wirklich dargestellten Theile zu schlies-
sen und Herakles mit derselben Sicherheit zu erkennen ver-
mochte, als ob er das Gesicht dem Beschauer zugewendet
hätte. — Freilich könnte nun immer ein minder günstiger
Beurtheiler behaupten, jene Hand, wie dieses abgewendete
Gesicht seien Bravourstücke, durch welche die wahre Kunst
nichts gewinne und nur der Künstler sich ein wohlfeiles
Lob zu erwerben strebe; und wir müssen deshalb unsere Zu-
flucht zu weitern Erzählungen des Plinius 1) nehmen. „Apelles
malte Portraits von einer so schlagenden Aehnlichkeit, dass,
so unglaublich es klingt, Apio in seinen Schriften berichtet,
es habe jemand, der aus dem Antlitz der Menschen wahr-
sagte, ein sogenannter Metoposcopos (Stirngucker oder Kra-
niologe, wie wir sagen würden), aus diesen Portraits die
Jahre des künftigen Todes oder des verflossenen [Lebens]
vorausgesagt.“ 2) Ein Citat aus Apio, von Plinius noch dazu
mit einem incredibile dictu begleitet, muss nun allerdings von
vorn herein unser Mistrauen erregen; zumal es sich um
Dinge handelt, an denen sich noch heut zu Tage die Char-
latanerie breit macht. Doch dürfen wir, von der Richtigkeit
aller übrigen Punkte abgesehen, vielleicht einigen Werth
darauf legen, das es gerade Bilder des Apelles sind, an
denen ein Kraniologe seine Weisheit gezeigt haben soll; in-
sofern als diese doch Eigenschaften besitzen mussten, welche
sie zu diesem Zwecke geeignet erscheinen liessen. Und in
dieser Auffassung kann uns auch die Erzählung bestärken,
nach welcher Apelles bei seiner Begegnung mit Ptolemaeos
aus dem Gedächtniss das Portrait eines ihm nur aus flüch-
tiger Begegnung bekannten Menschen mit Kohle in leichtem
Umriss, aber von der täuschendsten Aehnlichkeit entwirft. 3)
Denn, was hier berichtet wird, setzt nicht nur eine grosse
Leichtigkeit, sondern auch Schärfe der Beobachtung voraus,
[225] welche es versteht, die Kennzeichen einer Person oder eines
Dinges, in welchen sich vorzugsweise deren Charakter aus-
spricht, klar und bestimmt aufzufassen und eben so durch
die technischen Mittel der Kunst wiederzugeben. Erinnern
wir uns nun wieder an die früheren Bemerkungen über die
Uebungen des Apelles im Zeichnen, so werden sie uns nicht
unternommen scheinen, um mit blosser Virtuosität zu prun-
ken, sondern sie sind nur das Mittel zur sichern Erreichung
eines höheren Zweckes, nemlich einer scharfen und feinen
Charakteristik.


Von der Zeichnung wenden wir uns zur Farbe und be-
merken zunächst, dass Apelles bei Plinius seine Stelle unter
den Temperamalern gefunden hat. Wenn nun auch daneben
bei Statius 1) von Apelleae cerae die Rede ist, so dürfen wir
doch darin nichts als einen poetischen Ausdruck sehen, in-
dem sonst seine Thätigkeit als Enkaust durch kein sicheres
Zeugniss bestätigt wird. — Hinsichtlich der Farbenstoffe
begegnen wir wiederum der Angabe des Plinius, 2) dass die
berühmtesten Maler, wie Apelles, Aëtion, Melanthios, Niko-
machos, ihre Werke mit nur vier Farben gemalt hätten, Me-
linum für das Weiss, Attischem Oker für das Gelb, Sino-
pi’scher Erde für das Roth, Atramentum für Schwarz; und
an die vier Farben erinnert er nochmals bei Gelegenheit des
blitztragenden Alexander. Cicero 3) dagegen beschränkt
den Gebrauch der vier Farben auf die ältere Epoche des
Zeuxis, Polygnot und Timanthes, während er die spätere
des Aëtion, Nikomachos, Protogenes, Apelles schon voll-
kommen durchgebildet nennt. Es leuchtet zunächst ein, dass
nicht von einer Behandlung dieser Farben ohne Licht und
Schatten die Rede sein kann. Aber auch nach dieser Be-
schränkung kann die Angabe des Plinius nicht wörtlich ver-
standen werden, indem er bei mehreren Gelegenheiten noch
andere Farben namhaft macht, welche von Malern, die älter
als Apelles waren, angewendet wurden. Offenbar soll nur
von einfachen, natürlichen Farbstoffen die Rede sein, im
Gegensatz zu den materiell kostbaren und gekünstelten. Pli-
nius vergleicht die Einfachheit der älteren Maler bei der
höchsten Kunst mit dem Verfall seiner Zeit, trotzdem dass
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 15
[226] in dieser der Purpur zum blossen Anstrich der Wände ge-
braucht werde und Indien den Schlamm seiner Flüsse,
das Blut von Drachen und Elephanten liefere. In ähn-
licher Weise könnten wir auch von unserer Zeit reden
und ihr etwa die des Raphael gegenüberstellen, in welcher
so mancher von heutigen Effectmalern benutzte Farbstoff
noch nicht einmal entdeckt war, so dass man nach einem
geläufigen, wenn auch ungenauen Malerausdruck sagen
könnte: man habe sich damals auf die Okerfarben be-
schränkt.


Ist somit das Zeugniss des Plinius für die Erkenntniss
der besondern Verdienste des Apelles in der Behandlung der
Farbe von geringem Werthe; so müssen wir versuchen,
diese Lücke durch anderweitige Nachrichten zu ergänzen.
Da finden wir denn, dass Apelles mit seinen verhältniss-
mässig geringen Mitteln doch bedeutende Erfolge erreicht
haben muss. So deuten in dem Bilde der Verleumdung die
leidenschaftliche Erregtheit der Hauptperson, das bleiche,
abgezehrte Aussehen des Neides, die Scham im Antlitz der
Reue wenigstens auf mannigfachen Wechsel in den Farben-
tönen; in welcher Beziehung auch die Darstellungen von
Sterbenden nicht zu übersehen sind. Ja die Personificationen
der Gewittererscheinungen sind ohne kräftige Farbeneffecte
eigentlich kaum denkbar; und dass sie Apelles hier nicht
verschmähte, können wir aus dem Bilde Alexanders folgern,
in welchem der Blitz eine keineswegs untergeordnete Rolle
spielte, da Plinius bemerkt, er scheine sich ausserhalb der
Tafel zu befinden. — Dieses Bild hatte aber ausserdem auch
in der Behandlung der Farbe manches Auffällige. Während
dem Alexander eine weisse, nur gegen die Brust hin und
im Gesicht mehr geröthete Hautfarbe eigen war, malte ihn
der Künstler dunkler und in einem schmutzigen Tone. Wenn
man nun darin einen Tadel hat finden und sogar behaupten
wollen, Apelles habe es nicht verstanden, die eigenthümliche
Farbe naturgetreu wiederzugeben, 1) so liegt dieser Auffas-
sung sicher ein Irrthum zu Grunde. Denn in der Normal-
schönheit, welche Lucian 2) aus den berühmtesten Kunst-
werken zusammenstellen will, soll gerade der Körper nach
[227] der Pankaste des Apelles gemalt werden, nicht zu weiss,
sondern etwas wie durch das Blut geröthet. Mehr als einer
ähnlichen Farbengebung hätte es aber doch auch in dem
Bilde Alexanders nicht bedurft. Der Künstler hatte also bei
der Wahl eines schmutzigeren Tones offenbar einen beson-
deren Zweck, und zwar, wie ich glaube, eben den: die Hand
mit dem Blitze recht bestimmt hervortreten zu lassen und
den Glanz des Blitzes durch den gebrochenen Ton des Kör-
pers zu heben und zu steigern. — In technischer Beziehung
mag zur Erreichung dieser und ähnlicher Wirkungen ein
besonderes Verfahren von hoher Bedeutung gewesen sein,
welches nach Plinius 1) Bemerkung kein anderer Künstler
nachzuahmen verstand. „Er überzog nemlich,„ sagt Plinius,
„die fertigen Werke mit einer so dünnen Schwärze, dass bei
der Durchsichtigkeit derselben die darunterliegende Farbe
einen andern Ton annahm und zugleich vor Staub und
Schmutz geschützt wurde, obwohl man die Schwärze selbst
erst bei ganz genauer Betrachtung erkannte. Dieses Ver-
fahren war sehr wohl darauf berechnet, dass die Helle der
Farben das Auge nicht verletze, indem man sie nun wie
durch ein Glas gebrochen anschaute, und dass aus der Ferne
betrachtet die zu grellen Farben dadurch unvermerkt einen
ernsteren Ton erhielten“ (unum imitari nemo potuit, quod
absoluta opera atramento inlinebat ita tenui, ut id ipsum re-
percussu claritatis colorem alium excitaret custodiretque a
pulvere et sordibus, ad manum intuenti demum adpareret,
sed et cum ratione magna, ne claritas colorum aciem offen-
deret veluti per lapidem specularem intuentibus et e longin-
quo eadem res nimis floridis coloribus austeritatem occulte
daret). Das Schwarz, dessen sich Apelles hierbei bediente,
wird Elfenbeinschwarz gewesen sein, da Plinius 2) dieses
noch besonders als seine Erfindung anführt. Von dem Ver-
fahren selbst scheint jedoch Plinius trotz der Ausführlich-
keit, mit welcher er die Wirkungen desselben beschreibt,
keinen vollkommen klaren Begriff gehabt zu haben: denn
eben diese bedeutende, unnachahmliche Wirkung würde
durch einen einfachen, so zu sagen, firnissartigen Ueberzug
mit Schwarz schwerlich erreicht worden sein. Sie erklärt
15 *
[228] sich dagegen vollständig durch die Annahme einer ausge-
bildeten und mit grösster Feinheit durchgeführten Anwen-
dung von Lasuren, für welche gerade in jener eigenthüm-
lichen Färbung des Körpers Alexanders ein besonders auf-
fälliges Beispiel vorliegt. Denn durch sie wird nicht nur
den zu hellen Tönen ihre Schärfe genommen, sondern dem
Ganzen eine mehr harmonische und zugleich kräftigere Stim-
mung verliehen, indem durch den durchsichtigen Ueberzug alle
Farben von grösserer Klarheit und Tiefe erscheinen.


So wenig wir also über die Einzelnheiten im dem Ver-
fahren des Apelles unterrichtet sind, so dürfen wir doch mit
Bestimmtheit annehmen, dass es sich bei demselben nicht
mehr blos um einfache Gegenüberstellungen von Licht und
Schatten, sondern um einen weit mannigfaltigeren Wechsel
verschiedenartiger Töne handelte. Mit Rücksicht hierauf
verdient eine Stelle des Plinius 1) über die Entwickelung des
Colorits hier in etwas genauere Berücksichtigung gezogen
zu werden. Nachdem er nemlich als die erste Stufe die
alte Colorirung ohne Licht und Schatten, als die zweite die
Scheidung derselben hingestellt, fährt er fort: postea deinde
adiectus est splendor, alius hie quam lumen; quod inter haec
et umbras esset, apellarunt tonon, commissuras vero colorum
et transitus harmogen. Hier haben wir also statt Licht und
Schatten eine Stufenleiter von fünf bis sechs Farbentönen.
In der Mitte liegt der tonos, der Localton, die Grundfarbe
eines Gegenstandes ohne Rücksicht auf Licht und Schatten.
Harmoge, der Uebergang aus dem Localton einer Seits in
das Licht, anderer Seits in den Schatten, ist mit Recht von
diesen geschieden als besonderer Ton, da er sich keineswegs
immer ganz einfach aus der Verbindung des Lichtes oder
Schattens mit dem Localton bilden lässt, sondern nur beiden
verwandt sein muss, um den etwaigen Gegensatz zwischen
ihnen zu vermitteln. Zu diesen Abstufungen fügt nun Pli-
nius endlich noch den splendor, „etwas anderes als Licht,“
aber offenbar doch diesem am nächsten verwandt, und kei-
neswegs, wie Müller 2) will, mit dem Localton zu verwech-
seln. Wir mögen daher den Ausdruck streng wörtlich auf-
fassen und zunächst Glanzlichter verstehen, die besondere
[229] Art von Lichtern, welche sich an glänzenden Körpern bil-
den, mögen es nun volle Lichter sein oder Reflexe. Es soll
nun keineswegs behauptet werden, dass die Beobachtung
solcher Lichter ein ausschliessliches Verdienst des Apelles
gewesen sei: sein Mitschüler Pausias z. B. musste nach dem,
was über sein Stieropfer, über die Glasschale der Methe
berichtet wird, gerade nach dieser Richtung sich auszeichnen;
aber das müssen wir festhalten, dass, ohne das feinste Ver-
ständniss aller dieser Licht- und Farbenwirkungen bei Apel-
les vorauszusetzen, das Lob und die Bewunderung vieler
seiner Bilder nicht wohl zu begreifen sein würde. Vor
allem gehören hierher Darstellungen, wie die des Blitzes;
aber auch die immer wiederkehrende Bewunderung des Haa-
res der Anadyomene, aus welchem die Göttin die Feuchtig-
keit des Meeres ausdrückt, deutet auf ein hohes Verdienst
gerade nach dieser Richtung hin.


Die einzelnen Angaben, auf welchen unsere bisherigen
Bemerkungen beruhen, reichen nun allerdings nicht hin, um
über die Behandlung der Farbe bei Apelles ein eingehendes
und abgerundetes Urtheil aufzustellen. Sie laufen auf Einzeln-
heiten hinaus, welche in ihrem ganzen Umfange zu würdigen
uns die allgemeine Grundlage fehlt. So ergeben sich für
unsern vorliegenden Zweck eigentlich nur zwei Punkte von
allgemeiner Bedeutung zur Würdigung des Künstlers, nem-
lich einer Seits die Thatsache, dass seine Werke auch hin-
sichtlich der Farbe zu dem Vollendetsten gehörten, was die
griechische Kunst geleistet, anderer Seits dass diese Voll-
endung auf einer bei aller Einfachheit der Mittel doch höchst
durchgebildeten und verfeinerten Technik beruhte.


Wir erinnern jetzt daran, dass das Ergebniss unserer
Bemerkungen über die Zeichnung durchaus hiermit überein-
stimmend lautete, um uns nun noch ausdrücklich die Frage
nach dem Ursprunge solcher Vortrefflichkeit vorzulegen. Die
Antwort lautet, wie sie in ähnlichen Fällen eigentlich nie
anders lauten kann: das Höchste nach irgend einer Richtung
hin wird stets nur erreicht werden durch die Verbindung von
natürlicher Befähigung mit gründlicher Ausbildung.


Wir dürfen es für die künstlerische Entwicklung des
Apelles keineswegs gering anschlagen, dass er es nicht ver-
schmähte, selbst als ein nicht mehr ungebildeter Künstler
[230] sich in die Schule von Sikyon zu begeben. Gerade deshalb,
weil er aus freiem Antrieb diese Schule zu seiner höheren
Ausbildung wählte, müssen wir um so mehr von seinen Be-
strebungen überzeugt sein, sich alle die Vorzüge, durch
welche sie vor andern ausgezeichnet war, anzueignen. Diese
beruhten aber auf der Gründlichkeit der Lehre und der
Zurückführung derselben auf theoretisch - wissenschaftliche
Grundlagen. Wenn wir nun bedenken, welchen Werth Pam-
philos auf den Unterricht im Zeichnen legte, so lässt sich
in den ununterbrochenen täglichen Uebungen des Apelles der
Einfluss des Lehrers nicht verkennen. Hören wir das Lob
der Verkürzung am Arme Alexanders, so werden wir uns
erinnern, dass das berühmteste Meisterstück einer Verkür-
zung einen Mitschüler des Apelles, den Pausias, zum Urheber
hatte. Eben diesem Künstler verdankt die Enkaustik ihre
Ausbildung, welche in den Ansichten über das Colorit einen
wesentlichen Umschwung hervorbringen musste. Apelles
arbeitete zwar nicht in dieser Kunstgattung; aber um so
deutlicher tritt sein Bestreben hervor, die Temperamalerei
auf eine Stufe der Ausbildung zu erheben, welche eine Ver-
gleichung mit ihrer Nebenbuhlerin nicht zu scheuen brauchte.
Die Kräftigkeit und Durchsichtigkeit der Farben, welche der
letzteren zur hauptsächlichsten Empfehlung dienen mochte,
suchte er durch eine ausgedehnte systematische Anwendung
von Lasuren zu erreichen; und wie wir die Bewunderung
des Stieres von Pausias zum Theil aus der musterhaften
Behandlung des Glanzes auf dem dunkelen Felle des Thieres
erklärten, so vermutheten wir, dass die gelungenen Effecte
in manchen Werken des Apelles ebenfalls auf der Beobach-
tung jenes „splendor“ beruhten. Finden wir demnach bei
beiden Schülern des Pamphilos durchaus analoge Bestre-
bungen, so dürfen wir diese Erscheinung auf die Gemeinsam-
keit der Lehre zurückzuführen nicht weiter Anstand nehmen.
Den Beweis aber dafür, dass Apelles der theoretischen Be-
lehrung einen hohen Werth beilegte, hat er selbst endlich
dadurch geliefert, dass er es nicht verschmähte, Bücher
über die Kunst für seinen Schüler Perseus zu schreiben.
Apelles erscheint demnach als ein würdiger Genosse der
durch Gründlichkeit und Solidität des Wissens vor allen
ausgezeichneten Kunstschule von Sikyon; und wenn daher
[231] Plinius (35, 79) sagt: er allein habe der Malerei fast
mehr genützt, als alle andern, obwohl zu seiner Zeit
die bedeutendsten Maler gelebt; so werden wir darin
nicht blos ein allgemeines Lob seiner Vortrefflichkeit, son-
dern eine Hinweisung auf die mannigfaltigen Fortschritte er-
kennen dürfen, welche die Ausübung der Kunst dem Apelles
verdankte. 1)


Trotzdem, und namentlich, wenn wir der Beschränkun-
gen gedenken, denen sich die Kunst des Apelles in Hinsicht
auf das poetische Schöpfungsvermögen unterworfen zeigte,
würde uns die einstimmige Bewunderung des Alterthums
doch kaum gerechtfertigt erscheinen, wenn seinen Werken
nicht ausser den bisher betrachteten Vorzügen noch ein be-
sonderer, man möchte sagen, unwiderstehlicher Zauber eigen
gewesen wäre. Diesen bezeichnen die Alten nach dem Vor-
gange des Apelles selbst durch ein einziges Wort: „Wäh-
rend er die Werke seiner vorzüglichsten Zeitgenossen sonst
in jeder Beziehung bewunderte, hielt er doch daran fest,
dass ihnen jene seine Anmuth (Venerem) fehle, welche die
Griechen als Charis bezeichnen, in allem Uebrigen hätten
sie ihn erreicht, hierin allein sei ihm niemand gleich.“ 2)
Worauf nun diese Anmuth ihrer äusseren Erscheinung nach
beruhe, das lehrt uns wiederum Apelles selbst. Beim An-
blick des Jalysos von Protogenes soll er nemlich über die
mit unsäglicher Sorgfalt durchgeführte Vollendung wahrhaft
betroffen gewesen sein und gern dem Protogenes den Vor-
rang vor sich eingeräumt haben: nur in einem Punkte müsse
er diesen für sich selbst in Anspruch nehmen, darin nemlich,
dass er verstehe, die Hand zur rechten Zeit von der Arbeit
zurückzuziehen; denn eine zu grosse Sorgfalt thue der An-
muth Eintrag. 3) Nicht also die Vollendung an sich, sondern
das Maass der Vollendung wird hiermit als das Höchste in
der Kunst hingestellt. Wenn aber Protogenes zu diesem
Ziele trotz der angestrengtesten Sorgfalt nicht zu gelangen
[232] vermochte, so werden wir dem Apelles als dem unerreichten
Muster in dieser Beziehung noch eine besondere geistige
Eigenschaft vor jenem zuerkennen müssen. Ich glaube die-
selbe bei Quintilian bezeichnet zu finden, wenn er neben der
Grazie das ingenium als den bedeutsamsten Vorzug des
Apelles hinstellt. 1) Natürlich kann dieser Ausdruck hier
nicht von jener angeborenen Gabe der Erfindung und Moti-
virung verstanden werden, von welcher ihn Plinius auf Ti-
manthes angewendet hat, sondern er ist offenbar von Quin-
tilian gewählt, um eben jene Grazie ihrem Ursprunge nach
nicht sowohl als ein Ergebniss gründlicher Studien, sondern
als eine angeborene Gabe, ein freies Geschenk der Natur
zu bezeichnen, die freilich aber erst dadurch eine so hohe
Bedeutung erlangt, dass sie bei Apelles sich mit einer sel-
tenen Gründlichkeit der Bildung verbunden zeigt. Darum
ist sie bei ihm, so zu sagen, die Krone der Vollendung.
Denn sie lässt uns die während der Arbeit angewandte Sorg-
falt und Mühe vergessen, und das Werk erscheint nicht
mehr als etwas Gemachtes, sondern Gewordenes, gewisser-
massen als eine freie Manifestation der Gesetze künstleri-
scher Gestaltung.


Hieraus erklärt sich die fast einstimmige Bewunderung,
welche das Alterthum dem Apelles hat zu Theil werden
lassen; 2) und sie erscheint auch vollkommen gerechtfertigt,
sofern wir uns nur gegenwärtig halten, dass auch sie auf
der Anerkennung nicht aller, sondern bestimmt begrenzter
Seiten der künstlerischen Thätigkeit beruht. Hierauf einen
besondern Nachdruck zu legen, veranlasst mich der Stand-
punkt, den ich bei der Beurtheilung eines Künstlers ange-
nommen habe, welcher im entschiedensten Gegensatze zu
Apelles steht, nemlich des Polygnot. Ihm glaubte ich, ge-
stützt hauptsächlich auf das Zeugniss des Aristoteles, eine
Bedeutung beilegen zu müssen, in welcher er von keinem
der Nachfolgenden erreicht worden ist. Soll nun der
Widerspruch gelöst werden, der in der Anerkennung des
[233] einen, wie des andern scheinbar enthalten ist, so wird
uns dies eben nur dadurch gelingen, dass wir das
Verdienst eines jeden scharf auf eine bestimmte Sphäre
beschränken. Dem Polygnot gebührt die erste Stelle auf
dem Gebiete des poetisch - künstlerischen Schaffens, also
auf einem Gebiete, welches von der besondern Gattung der
Kunst in gewissen Beziehungen unabhängig ist, so dass sich
wohl sagen lässt, Polygnot sei grösser als Künstler im all-
gemeinen, denn als Maler im engeren Sinne des Wortes.
Apelles dagegen ist unerreichbar in der Meisterschaft, mit
welcher er alle Mittel der malerischen Darstellung zu hand-
haben verstand; sein Ruhm beruht auf der Kunst des Ma-
lens. In der Geschichte der Sculptur zeigen sich an den
Werken des Phidias Gedanke und Darstellung auf gleicher
Stufe der höchsten, harmonischen Vollendung. In der Ge-
schichte der Malerei hat jedes dieser beiden Gebiete seinen
gesonderten Mittel- und Höhepunkt, und der Ruhm, welcher
dort den Phidias über alle andern unbezweifelt erhebt, er-
scheint deshalb hier getheilt zwischen den beiden Persönlich-
keiten des Polygnot und des Apelles.


Protogenes.

Die Hauptquelle unserer Kenntniss dieses Künstlers bil-
det so vorzugsweise Plinius, dass wir seinen ganzen Bericht 1)
hier vollständig voranschicken wollen: „Zugleich mit Apelles
und Aristides blühte auch Protogenes. Sein Vaterland war
Kaunos, der Sitz eines den Rhodiern unterworfenen Stam-
mes. Höchste Armuth im Beginne seiner Laufbahn und das
höchste Streben in der Kunst erklären seine geringere Frucht-
barkeit. Wer sein Lehrer gewesen, hält man nicht für aus-
gemacht. Einige meinen sogar, er habe Schiffe gemalt bis zu
seinem fünfzigsten Jahre: zum Beweise diene, dass, als er zu
Athen an dem berühmtesten Orte des Heiligthums der Athene
das Propylaeon malte, er in dem berühmten Gemälde des Para-
los und der Hammonias, welches von Einigen Nausikaa genannt
wird, unter dem von den Malern als Parerga bezeichneten Bei-
werk kleine lange Schiffe angebracht habe, damit dadurch
klar werde, von welchen Anfängen seine Werke bis zum
[234] Gipfel glänzenden Ruhmes gelangt seien. Die Palme unter
seinen Gemälden hat der Jalysos, zu Rom im Friedenstempel
geweiht. Als er ihn malte, soll er von feuchten Lupinen ge-
lebt haben, weil sie zugleich Hunger und Durst stillen, da-
mit er nicht durch zu viel Wohlgeschmack die Kräfte seiner
Sinne abstumpfe. Auf dieses Bild trug er viermal Farbe
auf gegen die Gefahren der Beschädigung und des Alters,
damit, wenn die obere Farbe wiche, die untere an ihre Stelle
trete. Es befindet sich darauf ein wunderbar gebildeter
Hund, insofern an ihm auch der Zufall mitgemalt hat. Der
Künstler glaubte an ihm den durch das Keichen hervorge-
brachten Schaum nicht gehörig herauszubringen, während er
an allen übrigen Theilen, was sehr schwer war, sich selbst
genügt hatte. Es misfiel aber gerade die Kunstmässigkeit;
sie liess sich nicht mindern und schien doch zu gross und
zu weit von der Wahrheit entfernt; der Schaum schien ge-
malt zu sein, nicht aus der Schnauze hervorzuquellen, zu
grösster Seelenpein des Künstlers, welcher in dem Bilde die
Wahrheit, nicht die Wahrscheinlichkeit erstrebte. Oefters
hatte er die Farbe weggewischt und den Pinsel verändert,
und konnte sich doch auf keine Weise genügen. Endlich
erzürnt auf die Kunstmässigkeit, dass sie sich so offen er-
kennen lasse, warf er den Schwamm auf die verhasste Stelle
des Gemäldes, und dieser setzte die weggewischten Farben
wieder so hin, wie er es durch seine Sorgfalt gewünscht
hatte; und so stellte in dem Gemälde ein glücklicher Zufall die
Natur dar. Wie in diesem Beispiele soll auch Nealkes einen
ähnlichen Erfolg beim Schaum eines Pferdes erlangt haben,
indem er eben so den Schwamm darauf warf, als er seinen
Rossebändiger malte, der ein Paar Pferde zurückhielt. So
zeigte Protogenes auch den Weg zur Glücksgöttin. Wegen
dieses Jalysos, nemlich um dieses Bild nicht zu verbrennen,
zündete der König Demetrios Rhodos nicht an, obwohl er
es allein von der Seite, wo das Bild sich befand, nehmen
konnte; und während er des Gemäldes schonte, entging ihm
die Gelegenheit zum Siege. Protogenes befand sich damals
in seinem Gärtchen in der Vorstadt, d. h. im Lager des De-
metrios; und unbekümmert um die Kämpfe ging er von den
angefangenen Werken erst weg, als ihn der König rufen
liess, und auf die Frage, wie er es wage, sich ausserhalb
[235] der Mauern aufzuhalten, antwortete er: er wisse, dass der
König mit den Rhodiern Krieg führe, nicht mit den Künsten.
Zu seinem Schutze stellte der König Wachen auf, erfreut,
die Hände zu erhalten, deren er geschont hatte; und um ihn
nicht öfter wegzurufen, kam er, der Feind, freiwillig zu ihm,
und sah, ohne seiner Siegeswünsche zu gedenken, während
des Waffenlärmes und des Mauernsturmes dem Künstler zu.
An dem in seiner Zeit gemalten Bilde haftet noch der Ruf,
dass es Protogenes „unter dem Schwerte“ gemalt habe.
Es ist ein Satyr, anapauomenos, der ruhende genannt, und
damit die Hinweisung auf die sichere Ruhe jener Zeit nicht
fehle, hält er die Flöten. Er malte auch die Kydippe und
Tlepolemos, und Philiskos, den Tragödienschreiber im
Nachsinnen, einen Athleten, den König Antigonos und die
Mutter des Philosophen Aristoteles, welcher ihm rieth, die
Thaten Alexanders des Grossen zu malen wegen des unvergäng-
lichen Ruhmes derselben. Aber sein geistiger Drang und eine
gewisse Begierde nach Kunst (d. h. nach der höchsten kunst-
mässigen Durchbildung) trieb ihn vielmehr zu den genannten
Dingen. Zuletzt malte er Alexander und Pan; er machte
auch Bildwerke aus Erz (nemlich Krieger, Bewaffnete,
Jäger und Opfernde), wie wir 1) gesagt haben.“


Hierzu gesellt sich bei Plinius noch, was schon früher
über das Verhältniss des Protogenes zu Apelles mitgetheilt
worden ist, das Urtheil des Letzteren über seine Kunst und
namentlich über den Jalysos; die Geschichte von den drei Linien,
und die Sage, dass Apelles Bilder des Protogenes habe
kaufen wollen, angeblich um sie als eigene Werke wieder
zu verkaufen.


Kaunos wird als Vaterstadt des Protogenes auch von
Pausanias 2) und Plutarch 3) angegeben. Suidas 4) und Con-
stantinus Porphyrogenitus 5) nennen Xanthos in Lykien. Beide
Städte liegen nicht sehr weit von einander entfernt und Rho-
dos gegenüber; der Widerspruch dieser Angaben ist also
sachlich unwesentlich. Sein Wohnsitz war Rhodos; doch
arbeitete er die in Athen befindlichen Werke vielleicht an
Ort und Stelle. Dort konnte er auch die Bekanntschaft des
[236] Aristoteles machen, welcher sich daselbst von Ol. 111, 3 bis
114, 3 (334—322 a. C.) aufhielt und bald nach seinem Weg-
gange von dort starb. In dieser Zeit musste also Protogenes
sicher schon als Maler thätig sein. Bis zur 119ten Olym-
piade führt uns dann die Begegnung mit Demetrios bei der
Belagerung von Rhodos herab. Nehmen wir dazu, was sich
aus seinem Verhältnisse zu Apelles, aus dem Bilde des An-
tigonos und des Philiskos, eines Dichters der alexandrini-
schen Pleias ergiebt, so dürfen wir mit Sicherheit die Thä-
tigkeit des Protogenes in die Zeit Alexanders und seiner
ersten Nachfolger setzen. Wäre die Sage begründet, dass
er bis in sein fünfzigstes Jahr Schiffe gemalt, so müsste er
ein hohes Alter erreicht haben. Indessen steht wenigstens
so viel fest, dass er erst in reiferen Jahren zu hohem
Ruhme gelangte.


Unter seinen Werken müssen vor allem der Jalysos
und der ruhende Satyr auch deshalb etwas ausführlicher in
Betracht gezogen werden, da man, durch schwankende Nach-
richten der Alten veranlasst, diese beiden Gemälde mit Un-
recht für ein einziges hat halten wollen. Die schon von
Lessing 1) hervorgehobene Nothwendigkeit der Scheidung
beider ist in neuerer Zeit ausführlich von Stark 2) nach-
gewiesen worden, und es freut mich, dass ich, noch ehe ich
seine Arbeit kannte, hier wie in mehreren andern Punkten der
Künstlergeschichte, zu durchaus übereinstimmenden Resul-
taten mit ihm gelangt war. — Plinius, von dem wir aus-
gehen, scheidet bestimmt den unfertigen Satyr, an welchem
der Künstler im Lager des Feindes arbeitet, und den Jalysos,
welcher schon fertig und in Rhodos aufgestellt für Demetrios
Veranlassung wird, den Plan seiner Belagerung zu verän-
dern oder gänzlich aufzugeben. Wenn nun nach Plutarch 3)
und Gellius 4) die Rhodier eine Gesandtschaft an den König
schicken, um Schonung für dieses Bild zu erlangen, und
dieser sich ihnen willfährig zeigt, indem er antwortet: lieber
wolle er die Bilder seines Vaters verbrennen, als ein mit
solcher Mühe durchgeführtes Kunstwerk, so liegt bis dahin
kein Widerspruch mit Plinius vor. Dagegen finden sich in
[237] der Erzählung der weiteren Umstände bedeutende Abwei-
chungen. Ich will hier ganz ausser Acht lassen, dass Gel-
lius den Protogenes damals schon gestorben sein lässt. Aber
er sagt noch weiter: der Jalysos sei in einem Gebäude der
Vorstadt aufgestellt gewesen, und Demetrios habe dasselbe
aus reinem Neide anzünden wollen. Auch nach Plutarch
befindet sich der Jalysos in der Vorstadt und geräth noch
nicht ganz vollendet in die Gewalt des Königs. Aber warum
hätte er, ein Bewunderer der Kunst, ihn dann verbrennen
sollen? Warum, sofern nur das Gebäude in seiner Gewalt
war, nahm er nicht das Bild von dort weg und setzte dann
die Belagerung fort? Denn dass es sich entfernen liess, geht
daraus hervor, dass es später nach Rom versetzt ward.
Welchen Sinn hat überhaupt unter den angegebenen Um-
ständen die Gesandtschaft der Rhodier? Offenbar hatte De-
metrios keine Macht über das Bild und konnte auch die
Rhodier nicht zwingen, es von der heiligen Stätte, wo es
geweiht war, zu entfernen. Die Widersprüche bei Plutarch
und Gellius aber erklären sich einfach daraus, dass sie die
auf den Satyr bezüglichen Erzählungen aus einer bei ähn-
lichen anekdotenartigen Nachrichten so häufigen Unachtsam-
keit auf den Jalysos übertrugen. Das gewichtigste Zeugniss
indessen in dieser ganzen Frage liefert uns als Augenzeuge
Strabo, 1) der bei der Beschreibung von Rhodos den Jalysos
und den Satyr als zwei Gemälde anführt: αἱ τοῦ Πϱωτογένους
γϱαφαὶ ὅ τε Ἰάλυσος καὶ ὁ Σάτυϱος. Da nun Suidas 2) und Con-
stantinus Porphyrogenitus 3) von Gemälden des Protogenes im
Heiligthum des Dionysos zu Rhodos sprechen, die von Strabo
angeführten Kunstwerke aber sich meist dort und im Gymna-
sion befanden, so dürfen wir wohl das Dionysion als den ur-
sprünglichen Aufstellungsort jener beiden Gemälde betrachten.
Zu Rhodos befand sich der Jalysos noch zu Cicero’s Zeit, 4)
während Plinius ihn im Friedenstempel zu Rom sah, mit dem
er unter Commodus verbrannt sein wird. Ob der Satyr das-
selbe Schicksal erfahren, wird nicht bestimmt angegeben. —
Hinsichtlich der Darstellung wissen wir über den Satyr zu-
erst durch Plinius, dass er in lässiger Ruhe mit der Doppel-
[238] flöte dargestellt war. Ausserdem berichtet Strabo, dass auf
den Pfeiler neben ihm der Künstler ursprünglich ein Reb-
huhn gemalt hatte, mit einer solchen Meisterschaft, dass alle
Welt, besonders aber die Rebhuhnzüchter darüber entzückt
waren und über dem Beiwerk die Hauptsache, die mensch-
liche Figur gänzlich übersahen; weshalb Protogenes von den
Vorstehern des Heiligthums sich die Erlaubniss erwirkte, das
Rebhuhn als störend aus dem Gemälde zu tilgen. Es ge-
denkt desselben auch Eustathius. 1) — Der Jalysos, an wel-
chem Protogenes nach Aelian 2) sieben, nach Fronto 3) elf
Jahre ausschliesslich gemalt hatte, wird, wie der Hund mit
der schäumenden Schnauze schliessen lässt, als Jäger dar-
gestellt gewesen sein. Vermuthlich stand er nicht allein,
sondern in Verbindung mit noch andern Werken des Proto-
genes, den Gemälden der Kydippe und des Tlepolemos.
Denn Jalysos, der Stammheros der gleichnamigen Stadt, war
der Sohn der Kydippe; und Tlepolemos, der Führer der Rho-
dier vor Troia, ist gleichfalls als Gründer rhodischer Städte
bekannt. Protogenes hatte also wahrscheinlich einen ganzen
Cyclus rhodischer Stammesheroen gemalt.


Vielfachen Erörterungen sind ferner die Malereien unter-
worfen worden, welche Protogenes in den Propyläen zu
Athen ausführte und Plinius in folgender Weise bezeichnet:
fecit nobilem Paralum et Hammoniada quam quidam Nausi-
caan vocant. Bevor man die handschriftlichen Lesarten des
Plinius genauer kannte, durfte man wegen der Doppelbenen-
nung Nausikaa vermuthen, dass Hammoniada aus Hemionida
entstanden, und Nausikaa und das Mädchen auf dem Maul-
thierwagen durchaus gleichberechtigte Bezeichnungen seien.
Jetzt indessen muss die Lesart Hammoniada als durch die
Handschriften vollkommen gesichert gelten, um so mehr als
Sillig in seiner neuen Ausgabe für dieselbe eine vollkommen
genügende Erklärung beibringt. Danach waren Paralos und
Hammonias auf einem und demselben Gemälde dargestellt
und dieses berühmte Gemälde (nobilem sc. picturam, quam …)
nannten einige Nausikaa. Paralos ist der attische Heros,
welchem von Einigen die Erfindung der langen Schiffe zuge-
[239] schrieben ward, und von welchem eines der zu heiligen
Sendungen bestimmten Staatsschiffe den Namen erhalten hatte.
Hammonias war der Name eines ähnlichen Schiffes, welches
aber erst in späterer Zeit, wahrscheinlich als Alexander sich
für einen Sohn des Ammon erklärt hatte, gebaut und zu
gleichen Sendungen verwendet wurde. War nun Paralos als
Seemann dem Odysseus ähnlich dargestellt und ihm gegen-
über die Personification der Hammonias als Frauengestalt,
so kann es nicht auffallen, wenn der Haufe der weniger un-
terrichteten Beschauer an die weit bekanntere Begegnung
des Odysseus und der Nausikaa erinnert wurde und danach
seine Bezeichnung wählte. Neben den Personificationen der
beiden Schiffe aber, für welche sich in künstlerischer Bezie-
hung ein Verhältniss, wie zwischen Vater und Tochter fast
von selbst ergab, sind die kleinen langen Schiffe ein durch-
aus sachgemässes Beiwerk, für dessen Erklärung die ge-
suchte Anspielung auf die Schiffsmalerei des Protogenes
gänzlich überflüssig erscheint. Wenn man nun endlich dar-
auf hingewiesen hat, dass Pausanias (I, 22, 5) als in der
Pinakothek neben den Propyläen befindlich eine Darstellung
der Nausikaa erwähnt, so wie dass dort der Name des Po-
lygnot als des Malers aus dem des Protogenes verderbt sein
könne und also möglicher Weise Pausanias und Plinius von
demselben Werke sprächen, so verliert diese Vermuthung
ihren Werth durch die früher gelieferte Nachweisung, dass
dort Pausanias einen Cyklus von sechs heroischen Bildern
beschreibt, wie er der Kunstrichtung des Polygnot durchaus
entsprechend, bei Protogenes ohne Analogie ist, während
jene Personificationen wieder mit der Eigenthümlichkeit des
Letztern durchaus übereinstimmen. Des Paralos als in Athen
befindlich gedenkt endlich auch Cicero. 1) — Ueber die
übrigen Werke genügen wenige Bemerkungen. Von mytho-
logischen Gegenständen wird nur noch ein Pan genannt.
Aber auch dieser bildete schwerlich ein Gemälde für sich.
Denn da Plinius Alexandrum ac Pana anführt, durch ac aber
bei ihm zwei zu einem und demselben Werke gehörige Fi-
guren verbunden zu werden pflegen, so liegt die Vermuthung
nahe, dass Alexander, wie von Apelles als Zeus, so von
[240] Protogenes wegen seines Zuges nach Indien, als neuer Dio-
nysos dargestellt war, in welcher Bedeutung ihm Pan als
Schildträger durchaus passend zugesellt erscheinen würde. —
Zur Classe der Portraits gehören ausser diesem Alexander
Philiskos, Antigonos, die Mutter des Aristoteles und
vielleicht ein Athlet. Unbestimmt müssen wir es lassen,
in welcher Weise die Thesmotheten im Rathhause der Fünf-
hundert zu Athen, das einzige von Pausanias (I, 3, 4) er-
wähnte Bild des Protogenes, aufgefasst waren. — Von sei-
nen plastischen Werken wird keines namentlich hervorge-
hoben. — Dagegen erfahren wir aus Suidas, dass er πεϱὶ
γϱαφικῆς καὶ σχημάτων zwei Bücher geschrieben hatte.


Protogenes erscheint in den Nachrichten der Alten durch-
aus als ein Künstler ersten Ranges. Aber bei keinem Künst-
ler von so ausgezeichnetem Rufe sind wir weniger im Stande,
das Wesen seines künstlerischen Verdienstes im Einzelnen
nachzuweisen, als bei ihm; und was wir über ihn erfahren,
bezieht sich eigentlich noch mehr auf seine Person, als auf
seine Kunst. Wollen wir auch auf die anekdotenartige Er-
zählung, dass er bis zu seinem fünfzigsten Jahre Schiffs-
maler gewesen, keinen zu hohen Werth legen; so müssen
wir doch an der Ueberlieferung festhalten, dass seine äus-
sere Lage in früheren Jahren eine sehr dürftige war. Armuth
mochte ihn hindern, sich einem der berühmten Meister in
die Schule zu geben; daher sein Lehrer unbekannt ist. Ar-
muth mochte ihn ferner hindern, früh zu anerkanntem Ruhme
zu gelangen; so dass erst die uneigennützige Bewunderung
eines Apelles ihn aus dem Staube hervorzuziehen vermochte.
Um so mehr müssen wir bewundern, dass solche Verhält-
nisse die Spannkraft seines Geistes nicht lähmten, sondern
vielmehr stärkten. Wir kennen kaum ein anderes Beispiel,
dass es einem Künstler mit seiner Kunst mehr Ernst gewe-
sen, als ihm. Um seinen Geist frisch zu erhalten, ver-
schmähte er es nicht, die Bedürfnisse seines Körpers auf die
nothdürftigste Nahrung zu beschränken. Sieben, nach An-
dern elf Jahre verwendete er auf ein einziges Werk, den
Jalysos, immer eine lange Zeit, selbst wenn wir annehmen
wollen, dass hier nicht die Figur des Jalysos allein, sondern
in Verbindung mit einer Reihe rhodischer Stammheroen, wie
Kydippe, Tlepolemos, zu verstehen sei. Viermal übermalte
[241] er den Jalysos, um dem Gemälde die grösste Solidität und
Dauer zu sichern. Dass die Zahl seiner Werke gering, be-
greift sich unter solchen Umständen leicht; aber eben so,
dass nach Quintilian 1) keiner ihm den Ruhm der Sorgfalt
(cura) streitig macht. Seine Werke werden von dem ganzen
Alterthume dem Höchsten gleichgestellt, was die Kunst ge-
leistet: selbst Apelles steht wie versteinert vor dem Jalysos;
und nur einen Umstand tadelt er nicht sowohl, als dass er
ihn beklagt: dass nemlich die Kunst zu gross sei und daher
die höchste Anmuth, welche auf dem richtigen Maasse der
Vollendung beruhe, verloren gehe. Er stand, wie Plinius
sich ausdrückt, auf der arx ostentationis, dem Höhepunkte
glänzender Meisterschaft, auf welchem niemand ihn über-
ragte.


Fleiss und Sorgfalt werden aber in der Kunst nur da
zu einer Stufe hoher Vollendung führen, wo sie mit andern
specifisch künstlerischen Eigenschaften gepaart erscheinen.
Hier nun tritt leider die Lückenhaftigkeit unserer Ueberlie-
ferung zu Tage, welche uns nicht erlaubt, eben diese Eigen-
schaften genauer zu bestimmen. — Hinsichtlich der Gegen-
stände, welche Protogenes für seine Darstellungen wählte,
scheint ziemlich dasselbe zu gelten, was wir über Apelles
bemerkt haben. Von einer bewegten, mannigfaltig geglie-
derten Handlung kann eigentlich nirgends die Rede sein, schon
darum nicht, weil die Darstellung selten über eine einzelne
Figur hinausgeht. Eine hohe geistige oder ideale Bedeutung
kommt den gewählten Gestalten an sich ebenfalls nicht zu;
und gehen wir von den Gestalten des Paralos und der Ham-
monias aus, so können wir vermuthen, dass Protogenes auch
in der Darstellung der rhodischen Stammesheroen sich mehr
einer symbolisirenden, als einer individualisirenden Auffas-
sung zugeneigt haben mag. Auch die wenigen uns bekannten
einzelnen Motive, die gemächliche Ruhe des Satyrs, das Sin-
nen des Dichters Philiskos, sind durchaus einfacher Natur
und der Art, dass ihre Durchführung keinen grossen Auf-
wand poetischer Schöpfungskraft erheischt. Genug, alles
drängt uns zu der Ansicht, dass bei Protogenes, wie bei
Apelles, das hohe Verdienst nicht sowohl in dem geistigen
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 16
[242] und poetischen Gehalte, als in der vollendeten künstlerischen
Durchführung ihrer Werke zu suchen sei, welche die Illusion
bis zur höchsten Spitze getrieben hatte. So sagt denn Petro-
nius, 1) man könne „die Studien des Protogenes, die mit der
Wahrheit der Natur selbst wetteifern, nicht ohne eine gewisse
Scheu betrachten:“ Protogenis rudimenta cum ipsius naturae
veritate certantia non sine quodam horrore tractavi. So will
der Künstler bei dem Schaume am Hunde neben Jalysos uns
die Kunstmässigkeit (artem) so gänzlich vergessen machen,
dass wir die Wirklichkeit vor Augen zu haben glauben
sollen. Und so bewundert auch der grosse Haufe vor Allem
die Natürlichkeit an dem Rebhuhn neben dem Satyr. Aus
allen diesen Notizen lernen wir indessen immer noch nicht
die Mittel kennen, durch welche er diese Erfolge erreichte.
Fragen wir nach der Zeichnung, so erhalten wir keine Ant-
wort ausser der Anekdote über seinen Wettstreit mit Apelles,
aus welcher wir allerdings auf eine grosse Sicherheit und Fein-
heit in der Führung des Pinsels schliessen müssen. Hinsichtlich
der Farbe zeigt sich derselbe Mangel an Nachrichten: denn
was will es bedeuten, wenn Cicero 2) den Protogenes neben
Apelles, Aëtion, Nicomachos den ältern Malern, welche nur
die vier Farben angewendet, als vollendet in allen Beziehungen
gegenüberstellt? Auch daraus, dass er den Jalysos viermal
übermalte, können wir auf das Colorit keinen Schluss ma-
chen. Wenn wir nun endlich hören, dass er auch Theore-
tiker war und über die Kunst schrieb, so sehen wir darin
allerdings einen neuen Beweis für den Fleiss und die Sorg-
falt des Künstlers, welcher auch nach dieser Seite hin seine
Aufgabe gründlich durcharbeiten will; worauf aber sich vor-
zugsweise seine Aufmerksamkeit richtete, das lehrt uns auch
der Titel seiner Schriften nicht, da der eine Ausdruck: πεϱὶ-
γϱαφικῆς sich ganz allgemein auf Zeichnen und Malen bezieht,
der andere: καὶ σχημάτων bei unserer mangelhaften Kenntniss
der antiken Maler-Terminologie mancher Zweideutigkeit un-
terworfen erscheint.


So kennen wir eigentlich nur die Thatsache der Be-
rühmtheit des Protogenes, nicht aber die Gründe, auf denen
sie beruht. Dazu kömmt, dass er gänzlich isolirt und aus-
[243] serhalb des Zusammenhanges einer Schule dasteht, aus
welchem wir sonst wohl Folgerungen zu ziehen berechtigt
wären. Den einzigen Haltpunkt gewährt noch sein Ver-
hältniss zu Apelles. Denn wenn schon die wenigen
uns bekannten Thatsachen auf eine Verwandtschaft ihrer
künstlerischen Bestrebungen hindeuten, so dürfen wir wohl
den Ausspruch des Apelles, demzufolge Protogenes mit Aus-
nahme jener besonderen leichten Anmuth in allen übrigen
Stücken ihm gleich, wenn nicht überlegen war, im stren-
geren Wortsinne nehmen und daher so deuten, dass Apelles
gerade darum zur Anerkennung des Protogenes sich veran-
lasst fühlte, weil er an ihm ein dem seinigen durchaus
gleichartiges Verdienst wahrnahm. So mögen denn auch
wir uns damit begnügen, dass wir dem Protogenes seine
Stelle durchaus neben Apelles anweisen und nur darin eine
Verschiedenheit finden, dass bei Apelles mehr aus ursprüng-
licher Begabung hervorging, was Protogenes durch die
grösste Ausdauer und Sorgfalt zu erreichen bestrebt war.


Aëtion.

Aëtion war bis vor nicht langer Zeit einzig aus Lucian
bekannt, indem man die ihn betreffenden Erwähnungen bei Ci-
cero und Plinius auf Echion als einen zweiten Künstler bezog.
Die Identität beider hat in durchgreifender Weise zuerst Stark 1)
nachgewiesen, mit dem ich hierin, wie in der Bestimmung
der Zeit durchaus übereingetroffen bin. — Was zuerst den
Namen anlangt, so ist Echion ganz zu verwerfen. Bei Lu-
cian steht Ἀετίων fest; bei Cicero im Brutus 2) führen die
Handschriften auf Eetion, in den Paradoxen 3) auf dasselbe
oder Aetion; bei Plinius endlich an drei Stellen 4) lassen die
besten Handschriften ebenfalls nur die Wahl zwischen Aëtion
und Eëtion: zwei nur dialektisch verschiedenen Formen des-
selben Namens, durch welche uns die Vermuthung nahe ge-
bracht wird, dass der Künstler als Ionier der asiatischen
oder specieller der ephesischen Malerschule angehört habe. —
Nicht minder bestimmt, als die Identität des Namens, lässt
sich aber die der Person nachweisen: Cicero im Brutus
nennt Aetion zusammen mit Nikomachos, Protogenes, Apelles
16*
[244] als vollendete Maler im Gegensatz zur älteren Schule; in
den Paradoxen wird ein Gemälde des Aetion als etwas so
vorzügliches, wie eine Statue des Polyklet gepriesen. Pli-
nius, der ihn zweimal mit dem sonst unbekannten Theri-
machos
als Maler und als Bildhauer anführt, verbindet ihn
an der dritten Stelle 1) mit Apelles, Melanthios, Nikomachos
in ganz ähnlichem Sinne, wie Cicero im Brutus. Lucian
endlich vereinigt 2) Apelles, Parrhasios, Aetion, Euphranor,
und eben so 3) Polygnot, Euphranor, Apelles, Aetion, und
zwar als Künstler einer längst vergangenen Zeit (τῶν παλαιῶν
τινας ἐκείνων τεΧνιτῶν), wie sie „jetzt“ nicht mehr zu finden
seien (ἐπεὶ δὲ ἄποϱον νῦν εὑϱεῖν τινα οὕτως γενναῖον καὶ ἀκϱιβῆ
τὴν τέΧνην). Demnach erscheint Aetion stets in der Gesell-
schaft der ausgezeichnetsten Künstler, namentlich neben
Apelles und seinen Zeitgenossen als Repräsentanten der
vollendetsten Entwicklung. Hiermit trifft vollkommen die
Zeitbestimmung des Plinius überein, der ihn mit Therimachos
in die 107te Olympiade setzt, womit schliesslich im besten
Einklange steht, dass er nach Lucian in der Aetion oder
Herodot betitelten Schrift die Hochzeit Alexanders mit der
Rhoxane malte, welche in den Anfang der 113ten Olympiade
fällt. Im Gegensatze gegen alle diese Zeugnisse nimmt aber
Müller 4) an einem einzelnen Ausdrucke des Lucian Anstoss
und will in Folge dessen den Künstler bis nahe an die Zeit
dieses Schriftstellers, d. h. in die Epoche Hadrians herab-
rücken. Der Zusammenhang ist folgender: „Herodot, heisst
es, hatte den glücklichen Gedanken, seine Werke in Olympia
vorzulesen, wodurch er schnell zu bedeutendem Ruhme ge-
langte. Ihm folgten darin Hippias, Prodikos, Anaximenes und
viele andere. Aber wozu ist es nöthig, auf alte Sophisten, Schrift-
steller und Geschichtsschreiber zurückzugehen, da ja „καὶ τὰ τε-
λευταῖα ταῦτα“ auch Aetion, der Maler, sein Bild des Alexander
und der Rhoxane nach Olympia gebracht und in Folge dieser
Ausstellung die Tochter des Hellanodiken Proxenidas zur Frau
erhalten haben soll.“ Ich will hier von der historischen Schwie-
rigkeit einer hohen Blüthe der Malerei unter Hadrian ganz abse-
hen. Mit Recht aber bemerkt Stark, dass das Thatsächliche der
Erzählung, die Feier der Olympien als eines grossen hellenischen
[245] Nationalfestes, der Ruhm und die Belohnung des Aëtion durch
den Hellanodiken, sich mit der Zeit des Hadrian und der An-
tonine nicht vereinigen lässt, wo in Griechenland die panhel-
lenischen Spiele zur blossen Tradition geworden waren. Der
verfängliche Ausdruck „τὰ τελενταῖα ταῦτα“ endlich braucht
durchaus keine Zeitbestimmung zu enthalten, sondern soll nur
die Erörterung zum Schluss führen. „Was halte ich mich lange
bei Sophisten und Schriftstellern auf, da ja schliesslich
Aetion, der Maler, von dem ich mir hier ausführlicher zu han-
deln vorgesetzt habe, eben so, wie jene, sein Bild ausstellte?“
Somit ist die letzte Schwierigkeit gehoben; und das Bild,
welches Alexander verherrlicht, rückt in dessen Zeit zurück,
in welche es ohne allen Zweifel auch am besten passt.


Gehen wir nun näher auf die Werke des Künstlers ein,
so ist uns über seine statuarischen Arbeiten 1) nichts näheres
bekannt. Von Gemälden führt Plinius 2) folgende an: „Dio-
nysos
, so wie die Tragoedie und Komoedie.“ Ob die
beiden letztern auf einem oder zwei Bildern dargestellt wa-
ren, lässt sich nicht ausmachen. Vielleicht standen sie in
einer bestimmten Beziehung zum Bilde des Dionysos als des
Beschützers der scenischen Spiele. „Semiramis, die, eine
Magd, sich bis zur königlichen Würde emporschwingt, eine
Alte, welche die Fackeln vorträgt und eine (oder die) durch
sittsame Schaam ausgezeichnete Neuvermählte.“ Bei der
schwankenden Ausdrucksweise des Plinius ist es schwierig,
diese Sätze mit Sicherheit zu gliedern. Als erste Möglich-
keit müssen wir zugeben, dass nur von einem einzigen Bilde
die Rede sei, insofern nemlich das Gelangen zur Königs-
würde durch die Hochzeit des Ninos und der Semiramis dar-
gestellt werden konnte. In diesem Falle diente die Erwäh-
nung der Alten und der Braut nur zur näheren Charakteri-
sirung des Bildes. Dagegen haben Andere die beiden letz-
teren Gestalten auf ein besonderes Gemälde beziehen wollen,
was an sich eben so wohl möglich ist. Endlich könnte man
sich durch die schamhafte Braut an Rhoxane erinnern las-
sen, in welchem Falle aber wiederum die Alte von der
Braut zu scheiden wäre. Da die Worte des Plinius, wie
gesagt, keine bestimmte Entscheidung erlauben, so ist es
[246] nur meine individuelle Meinung, wenn ich der ersten An-
nahme den Vorzug gebe und die Semiramis als ein streng
durchgeführtes Seitenstück zur Rhoxane auffasse, so dass in
den beiden Bildern Rhoxane der Semiramis, Alexander dem
Ninos, Hephaestion mit der Fackel der Alten entsprechen
würde. — Das Bild der Rhoxane beschreibt Lucian 1) aus-
führlich in folgender Weise: „Das Bild befindet sich in Ita-
lien und ich selbst sah es, so dass ich auch dir etwas dar-
über zu sagen vermag. Die Scene bildet ein prächtiges
Brautgemach mit dem bräutlichen Lager, und Rhoxane sitzt
darauf, ein wunderschönes Muster von Jungfrau. Sie blickt
zur Erde aus Schaam vor Alexander, der vor ihr steht.
Einige Eroten sind lächelnd dabei beschäftigt: der eine steht
hinten und hebt von dem Haupte den Schleier weg und zeigt
dem Bräutigam die Rhoxane; ein anderer aber zieht ganz
dienstfertig die Sandalen vom Fusse, damit sie sich nun nie-
derlege; wieder einer hat den Alexander beim Mantel er-
griffen, ebenfalls ein Eros, und schleppt ihn, ganz kräftig
anziehend, zur Rhoxane. Der König selbst aber reicht dem
Mädchen einen Kranz. Als Begleiter und Brautführer ist
auch Hephaestion mit brennender Fackel gegenwärtig: er
stützt sich auf einen in schönster Jugendblüthe stehenden
Jüngling, Hymenaeos, meine ich; denn der Name ist nicht
dabei geschrieben. Auf der andern Seite des Bildes scher-
zen andere Eroten mit den Waffen Alexanders, zwei tragen
seinen Speer, indem sie die Lastträger nachahmen, wenn sie
beim Tragen eines Balkens schwer beladen sind; zwei an-
dere ziehen einen dritten, der sich auf den Schild gelagert
hat, gewissermassen als den König, indem sie den Schild bei
den Henkeln gefasst haben. Einer endlich ist in den umge-
stürzt daliegenden Harnisch gekrochen, als läge er im Hin-
terhalt, um die andern zu erschrecken, wenn sie beim Ziehen
ihm nahekommen.“ Ausserdem erwähnt Lucian 2) noch die
Lippen der Rhoxane als besonders musterhaft gemalt.


Zwei Künstler der Neuzeit haben den Versuch gemacht,
nach der Beschreibung des Lucian das Werk des Aetion zu
reproduciren, Raphael allerdings nur skizzenhaft in dem jetzt
in der Gallerie Borghese zu Rom befindlichen Frescobilde, So-
[247] doma in dem Wandgemälde der Farnesina zu Rom. Sie haben
ihr Vorbild nicht erreicht. Doch wollten wir überhaupt ver-
gleichen, so müssten wir uns nicht an neuere Künstler, son-
dern an die Zeitgenossen des Aetion selbst wenden: für
diesen Zweck aber reichen unsere Quellen nicht aus. Die
Beschreibung Lucians ist für uns höchst schätzenswerth, in-
dem sie zeigt, in welcher Weise wir so mancher trockenen
Notiz des Plinius gewissermassen Körper zu verleihen haben;
allein die besondere Eigenthümlichkeit des Künstlers vermögen
wir durch sie nicht zu bestimmen. Wir haben zwar oben aus
der ionischen Namensform Eetion vermuthet, dass der Künst-
ler der kleinasiatischen Schule angehöre: aber auch dadurch
gewinnen wir keine neuen Gesichtspunkte der Beurtheilung.
Nur hinsichtlich der Auffassung des Ganzen möchte ich als
auf einen Punkt von Wichtigkeit auf die Vermischung des
Poetisch-mythologischen mit der Wirklichkeit hinweisen, wie
sie sich in der Einführung der Eroten und des Hymenaeos aus-
spricht. Es liefert dies einen neuen Beweis für die Neigung,
ursprünglich mythologische und selbst religiöse Gestalten
für rein poetische oder allegorische Zwecke zu verwenden,
die wir bereits mehrfach bei Künstlern dieser Zeit gefunden
haben, die in der alexandrinischen Epoche sich weiter entwi-
ckelt und in der Zeit der Römer endlich zum vollsten Ueberge-
wichte gelangt. Auch die Bilder der Tragödie und Komödie
mögen wir uns daher weniger in einer der Darstellung der
Musen entsprechenden Weise, als in der rein allegorischen
Gestaltung aufgefasst denken. — Das ist leider alles, was
wir über einen der berühmtesten Maler des Alterthums
sagen können.


Antiphilos.

Ein Nebenbuhler des Apelles, aber von einer durchaus
verschiedenen Kunstrichtung, war Antiphilos. Ueber ihn
spricht Plinius an zwei verschiedenen Stellen; und zwar
führt er ihn das eine Mal unter denjenigen an, welche den
hervorragendsten Meistern an nächsten stehen. 1) „Antiphi-
los wird gelobt wegen eines Knaben, der Feuer anbläst,
und wegen des Glanzes, der sich über das auch sonst schöne
[248] Haus und das Antlitz des Knaben selbst verbreitet; berühmt
ist ferner seine Darstellung der Wollebereitung, bei
welcher die Aufgaben der verschiedenen Weiber sich in ei-
ligem Fortschreiten zeigen; Ptolemaeos auf der Jagd; be-
sonders berühmt aber sein Satyr mit dem Pantherfell,
welcher den Beinamen Aposkopeuon führt“ (also ein Satyr,
welcher seinen Blick fest nach einem gewissen Punkte hin-
richtet, wahrscheinlich indem er das Auge gegen zu scharfes
Licht durch die emporgehaltene Hand deckt).


Die zweite Erwähnung findet sich bei Gelegenheit der
Maler kleiner Bilder, 35, 113: „Kleine Bildchen machte auch
Kallikles, eben so Kalates und zwar mit komischen Gegen-
ständen, beiderlei [nemlich kleines und grosses oder gross-
artiges] Antiphilos. Denn er malte auch eine herrliche He-
sione
, und Alexander und Philipp nebst Athene,
welche sich in dem Saale im Porticus der Octavia befinden;
im Porticus des Philippus den Dionysos, Alexander als
Knabe, Hippolyt, der über den losgelassenen Stier er-
schrickt: in dem des Pompeius aber Kadmos und Eu-
ropa
. Eben so malte er einen gewissen Gryllos mit spöt-
tischer Beziehung auf seinen Namen [welcher Ferkel bedeu-
tet] in lächerlicher Auffassung, woher diese Art von Ge-
mälden den Namen Grylli erhalten hat. Er selbst war
in Aegypten geboren und lernte bei Ktesidemos.“


Dieser Ktesidemos wird ausserdem nur noch einmal von
Plinius 1) als ein den höchsten Meistern nahe stehender Künst-
ler angeführt, und war besonders durch zwei Bilder bekannt
geworden, die Einnahme von Oechalia und Laodamia.


Für die Zeitbestimmung des Antiphilos sind besonders
die Bilder Philipps und Alexanders, und zwar das des
letzteren im Knabenalter, von Bedeutung, wodurch wir in-
dessen nicht gezwungen werden, die Thätigkeit des Künstlers
viel über Ol. 109 hinaus zurückzurücken. Auf der andern
Seite nimmt zwar Ptolemaeos den Königstitel erst Ol. 118, 3
an, verwaltet aber Aegypten schon ein Jahr nach Alexanders
Tode, Ol. 114, 2. Der Irrthum Lucians, 2) welcher Apelles
und Antiphilos mit Ptolemaeos Philopator zusammenführt, ist
schon früher berichtigt worden. Dagegen erscheint es durch-
[249] aus als wahrscheinlich, dass Antiphilos als geborner Aegyp-
ter am Hofe des ersten Ptolemäers lebte, und so mögen
wir denn auch den weitern Umstand der Erzählung Lucians,
nemlich die Feindschaft der beiden Künstler, nicht weiter in
Zweifel ziehen.


Für den Ruhm des Antiphilos im Allgemeinen zeugen
Theon, 1) welcher ihn neben Apelles und Protogenes, so wie
Varro, 2) welcher ihn als Maler neben Lysipp als Bildhauer
stellt. Sein besonderes Verdienst dagegen, welches ihm un-
ter den sieben vorzüglichsten Malern zur Zeit Alexanders
eine Stelle sichert, bezeichnet Quintilian 3) durch ein einziges
Wort: facilitas, Leichtigkeit im weitesten Sinne, also sowohl
hinsichtlich der Auffassung, als der Darstellung. Sie zeigt
sich zunächst in der Vielseitigkeit bei der Wahl der Gegen-
stände. Wir finden ein selbstständiges Götterbild, den Dio-
nysos; daneben einen Satyr; ferner ein Götterbild in Ver-
bindung mit Königsportraits: Athene mit Alexander und Phi-
lipp; sodann mythologische Begebenheiten: Hesione, Hippo-
lyt, Kadmos und Europa; Bildnisse im Knaben-, im Mannes-
alter, in feierlicher Haltung, mit Athene vereint; in freier
Bewegung: Ptolemaeos auf der Jagd; wir finden Genrebilder:
die Weberei, den feueranblasenden Knaben; und endlich die
scharf ausgesprochene Komik oder vollständige Karikatur:
denn das Lächerliche in dem Bilde des Gryllos bestand doch
wahrscheinlich, wie Sillig vermuthet, in der Aehnlichkeit,
welche der Künstler zwischen diesem Menschen und einem
wirklichen Ferkel herausgefunden hatte.


Hinsichtlich der Auffassung würden wir für unser Ur-
theil eine vortreffliche Grundlage gewinnen, sofern wir die
Erfindung der Gemälde des Hippolytos, welches der ältere
Philostrat, 4) und der Hesione, welches der jüngere 5) be-
schreibt, mit Sicherheit auf Antiphilos zurückführen dürften.
An Wahrscheinlichkeit für diese Annahme fehlt es nicht, in-
dem ja ein grosser Theil dieser Beschreibungen auf be-
rühmte Originale zurückgeht. Die Gegenstände der beiden
genannten Gemälde gehören überhaupt nicht zu den häufig
dargestellten, und unter den Werken bekannter Künstler
werden sie nicht weiter angeführt, so dass auch hierdurch
[250] die Wahrscheinlichkeit für Antiphilos wächst. Der gesamm-
ten Auffassung nach aber können wir ihre Erfindung schwer-
lich in die Zeit vor Alexander setzen: ein von einem mäch-
tigen dunkeln Stiere gescheuchtes, wild auseinanderfahrendes
Rossegespann, ein zertrümmerter Wagen, der Lenker herab-
gestürzt und zerschmettert, so dass der letzte Hauch des
Lebens aus ihm entweichen will; Begleiter zu Ross, nach
verschiedenen Richtungen versprengt; weiter in der Entfer-
nung (sofern hier nicht manches Einzelne rhetorischer Zu-
satz des Philostratos ist) die Natur selbst über ein so jam-
mervolles Ereigniss trauernd: Bergnymphen, welche sich die
Wangen zerfleischen, die Blumenwiesen verkörpert als Kna-
ben mit welkenden Blumenkränzen, Quellnymphen, welche
trauernd aus ihren Brüsten Wasser ergiessen; dazu eine
landschaftliche Scenerie: Meer, Wiesengründe, Quellen, Klip-
pen, das alles in reichster Mannigfaltigkeit bildet den Inhalt
der Darstellung des Hippolytos. In dem Bilde der Hesione
erblicken wir ein gewaltiges Meerungeheuer von grimmigem
Ausdruck, welches die Wasser des Meeres in wilde Bewe-
gung versetzt, eine wehrlose Jungfrau an den Felsen ange-
schmiedet, ihren Erretter am Ufer, schon den Bogen mit
dem Bewusstsein des Sieges spannend; hinten die Stadt und
die Mauern voll von Menschen, die in lebhaftester Bewegung
die Hände zum Himmel erheben. — Solche Compositionen
gehören nicht der einfachen alten Zeit, sondern der Zeit
eines Nikias, welcher Stoffe empfiehlt voll Bewegung und
Leben und reich an einer Menge der verschiedenartig-
sten künstlerischen Motive. Sie verlangen in der Lebendig-
keit ihrer Auffassung einen Künstler, dem die Mittel seiner
Kunst in vollem Umfange zu Gebote stehen, und der diesel-
ben mit einer gewissen genialen Leichtigkeit handhabt. Ein
solcher aber war Antiphilos: das lehrt uns seine bereits
oben hervorgehobene Vielseitigkeit, welche sich mit gleicher
Gewandtheit in der idealen Welt der Götter, wie in der
realen des täglichen Lebens zu bewegen wusste. Nach der
letztern Richtung hin müssen wir sogar Antiphilos noch das
besondere Verdienst zuerkennen, das Gebiet seiner Kunst
wesentlich erweitert zu haben. Eine ausführliche Darstel-
lung der Wollenbereitung ist für die Malerei ein durchaus
neuer Gegenstand, dem man an sich kaum eine bedeutende
[251] Anziehungskraft zuschreiben möchte. Dass aber Antiphilos
durch sehr lebensvolle Auffassung ihm dennoch einen gros-
sen Reiz abzugewinnen wusste, lehren theils die lobenden
Worte des Plinius, theils folgern wir es daraus, dass sein
Werk das Vorbild für eine ganze Classe ähnlicher Darstel-
lungen geworden zu sein scheint. Eben so verhält es sich
mit dem Lichteffect des Feuer anblasenden Knaben. Dass
er endlich auch auf dem Gebiete der Karikatur, wenn nicht
der erste Erfinder war, doch einen bestimmenden Einfluss
ausübte, lehrt schon der Umstand, dass der Titel eines seiner
Werke geradezu Gattungsname wurde.


Karikaturen, Lichteffecte, Scenen aus dem Alltagsleben
lehren nun allerdings zur Genüge, dass wir bei Antiphilos
nicht jene höhere Weihe zu suchen haben, welche den
Künstler gewissermassen als von der Gottheit erfüllt er-
scheinen lässt. Vielmehr muss sich jene an ihm gerühmte
Leichtigkeit auf sein ganzes geistiges Wesen erstreckt und
ihm die Gabe verliehen haben, überall gefällige, schlagende
oder spannende Momente aufzufinden, welche auch ohne
eine besondere Tiefe der Auffassung durch eine lebendige
und reiche Gesammtwirkung Befriedigung zu gewähren ver-
mochten. Hiermit hängt aber nothwendig zusammen, dass
wir auch hinsichtlich der technischen Durchführung nicht
die höchsten Anforderungen stellen; dass wir nicht fragen,
bis zu welchem Punkte jede Einzelnheit vollendet ist, son-
dern vielmehr, ob das, was uns der Künstler bietet, überall
dem vorgesetzten Zwecke entspricht, d. h. zu jener beab-
sichtigten Gesammtwirkung beiträgt.


Erinnern wir uns jetzt der Sage, dass Antiphilos und
Apelles im Leben Widersacher waren, so dürfen wir wohl
geneigt sein, diese Feindschaft aus dem innern Gegensatze
ihrer Kunstrichtungen abzuleiten. Die Aussprüche der Aner-
kennung für seine Nebenbuhler, welche dem Apelles beige-
legt werden, betreffen stets einzelne Seiten des künstlerischen
Verdienstes innerhalb derselben Richtung, der er selbst an-
gehörte, und in welcher er anerkannt der Erste war. Die
bewegliche Leichtigkeit des Antiphilos dagegen widersprach
seinem inneren Wesen eben so, wie jenem der Sinn für die
Bedeutung der vollendeten Durchführung des Apelles ab-
[252] gehen mochte. So gefasst gewinnt der Gegensatz der beiden
Künstler für uns eine über ihre Persönlichkeit hinaus-
gehende historische Bedeutung; und in der That wird es
uns nicht an Veranlassung fehlen, im Verlauf der ferneren
Entwickelung auf denselben als Ausgangspunkt zurückzu-
kommen.


Theon.

Unter den sieben bedeutendsten Malern der Epoche
Alexanders nennt Quintilian 1) endlich Theon von Samos als
ausgezeichnet „concipiendis visionibus, quas φαντασίας vo-
cant,“ was später seine Erklärung finden wird. Plinius 2)
führt ihn unter denjenigen Künstlern an, welche den ausge-
zeichnetsten dem Range nach am nächsten stehen, und nennt
als seine Werke das Bild des Kitharöden Thamyras und
„Orestis insaniam,“ d. i., wie wir aus Pseudo-Plutarch 3)
erfahren, den Muttermord des Orestes. Ein drittes Werk
wird uns von Aelian 4) allerdings in stark rhetorischer Fär-
bung, aber doch so beschrieben, dass wir dadurch am leich-
testen zum Verständniss des Urtheils bei Quintilian gelangen.
„Die Tüchtigkeit des Malers Theon wird, wie durch vieles
andere, so auch durch folgendes Gemälde verbürgt. Einen
Schwerbewaffneten stellt es vor, im Ausfalle begriffen
in dem Augenblicke, wo die Feinde plötzlich einbrechen und
das Land verwüsten und verheeren. Leibhaftig und voll
Muth sieht der Jüngling aus, wie einer, der in die Schlacht
stürzt, und man glaubt ihn wüthen zu sehen, wie von Ares
besessen. Furchtbar blicken seine Augen. Die Waffen hat
er schnell emporgerafft und scheint, wo er gerade steht, auf
die Feinde loszustürzen. Schon hat er den Schild vorge-
worfen und schwingt das nackte Schwert wie ein Morden-
der; die Begierde zum Schlachten leuchtet aus seinem Auge,
und er droht in seiner ganzen Haltung, dass er niemand ver-
schonen werde. Ausser dieser Figur aber hat Theon nichts wei-
ter dargestellt, nicht einen Mitsoldaten, nicht einen Zugführer,
nicht einen Rottenführer, nicht einen Reiter, nicht einen Bogen-
schützen, sondern es genügte ihm auch dieser eine Hoplit, um die
[253] Aufgabe des Bildes vollständig zu erfüllen. Aber der Künst-
ler enthüllte auch das Bild nicht, und zeigte es nicht der
versammelten Menge, ohne vorher einen Trompeter daneben
gestellt zu haben mit der Weisung, das Angriffssignal zu
blasen, durchdringend und so laut wie möglich, und wie
einen Wachtruf zur Schlacht. Wenn nun das Signal grell
und furchtbar erschallte, als ob zum schnellen Ausfalle der
Hopliten die Trompete ertönte, sah man auch das Bild und
erblickte den Soldaten, indem das Signal das Scheinbild des
Hervorstürmenden der Einbildungskraft noch weit näher
rückte.“ Ich habe in dem letzten Satze das Wort φαντασία
durch Scheinbild wiedergegeben, insofern die Einbildungs-
kraft für etwas Wirkliches zu nehmen bereit ist, was doch
nur der Schein des Wirklichen ist. In der ganzen Erzäh-
lung aber haben wir einen vollständigen Commentar zu dem
Urtheil Quintilians. Jene Phantasien oder Visionen sind nicht
Darstellungen von reinen Phantasiegebilden ohne Realität,
sondern Darstellungen, welche zunächst und vorzugsweise
auf die Einbildungskraft des Beschauers wirken, und sie
durch das Plötzliche, das Ueberraschende und Schreckhafte
der ersten Erscheinung vergessen machen, dass es sich
nicht um die Wirklichkeit, sondern nur um eine Nachbildung
derselben handelt. Und in dieser Weise erklärt sie Quin-
tilian selbst an einer andern Stelle: 1) Quas φαντασίας Graeci
vocant, nos sane visiones appellemus, per quas imagines
rerum absentium ita repraesentantur animo, ut eas cernere
oculis ac praesentes habere videamur. So mochte Theon in
dem Muttermorde des Orestes nicht nur durch den Mord
selbst, sondern durch das Heranstürmen der Furien, welche
den Orest mit Wahnsinn bedrohen, die Phantasie des Be-
schauers in die höchste Spannung versetzen; so mochte im
Thamyras die moralische und physische Vernichtung des
eben noch so hochmüthigen Sängers auch den Beschauer
mit zu ergreifen scheinen. — Diese Angaben, so wenige
ihrer sind, reichen doch hin, um von ihnen ausgehend das
besondere Verdienst des Künstlers nicht nur an sich, son-
dern auch im Verhältniss zu der gleichzeitigen und folgenden
Entwickelung der Kunst in kurzen, aber scharfen Zügen
[254] hinzustellen. An keinem früheren Künstler zeigt sich die
Einwirkung der Bühne in so schlagender Weise, wie an
ihm. Ich sage absichtlich: der Bühne, nicht der dramati-
schen Poesie; denn wie hätte die bildende Kunst sich der
Einwirkung der letzteren in der Wahl der Stoffe, in der Glie-
derung der Handlung, in der Schilderung von Zuständen des
Geistes und Gemüthes entziehen können? Bei Theon dagegen
äussert sich der Einfluss der scenischen Darstellung als
solcher: er übertrug in seine Kunst den Bühneneffect,
wie er denn ja seinen gemalten Krieger mit dem lebendigen
Trompeter eine vollständige Theaterscene aufführen liess.
Wir wissen nicht, in welchem Verhältnisse bei Theon die
Durchführung im Einzelnen zur Erfindung des Ganzen stand.
Im Allgemeinen wird jedenfalls zugegeben werden, dass
solche Effecte bestehen können ohne eine vollendete Durch-
bildung in Hinsicht auf Technik sowohl, als auf die feineren
geistigen Bezüge, ja noch mehr, dass solche Effecte häufig
sogar zu einer Vernachlässigung derselben führen. Hieraus
aber ergiebt sich der Standpunkt für die Würdigung des
Theon: derjenigen künstlerischen Richtung gegenüber, welche
zu einseitig auf die formelle Durchbildung den höchsten
oder ausschliesslichen Werth legte, einer Richtung, welcher
in gewissem Sinne selbst Apelles und Protogenes angehören,
erscheint das Bestreben des Theon, vor allem durch Leben
und Bewegung, durch Handlung die geistigen Kräfte des
Beschauers in Spannung zu setzen, als ein Verdienst. Er-
wägen wir dagegen, dass das höchste Ziel der Kunst nur
in einer harmonischen Verschmelzung dieser beiden entge-
gengesetzten Richtungen liegen kann, so muss auch wiederum
ein zu schroffes Hervorheben der letzteren, zumal wenn sie
mehr äussere Wirkung, als innere Tiefe bezweckt, der Kunst
zum Nachtheil gereichen. Wir wissen, wie gesagt, nicht, bis
zu welchem Punkte beide Richtungen in den Werken des
Theon vermittelt erschienen; doch konnten wir nicht umhin,
darauf aufmerksam zu machen, dass in seiner stark hervor-
tretenden Eigenthümlichkeit Keime zum Guten sowohl, wie
zum Schlimmen für die fernere Entwickelung der Kunst ent-
halten lagen.


Unmittelbar vor Theon nennt Plinius


[255]

Theoros,
in den früheren Ausgaben als Theodoros angeführt. Seine
Werke sind: ein sich Salbender, die Ermordung der Kly-
taemnestra
und des Aegisthos durch Orestes; der tro-
janische Krieg
auf mehreren Tafeln zu Rom in den Por-
tiken des Philippus, ferner Kassandra im Heiligthum der
Concordia, Leontion, des Epikur Geliebte, im Nachdenken
versunken, der König Demetrios. 1) Theoros gehört also
als Zeitgenosse des Demetrios und Epikur in die Epoche der
hier behandelten, bis in die Zeit der ersten Nachfolger Alex-
anders thätigen Maler. Hinsichtlich des künstlerischen Ver-
dienstes steht er bei Plinius mit Theon in einer Klasse. Er
malt aber auch, wie dieser, den Muttermord des Orestes.
Sollte uns das Zusammentreffen dieser Umstände nicht auf
den Verdacht führen, dass wir es hier nicht mit zwei, son-
dern mit einem und demselben Künstler zu thun haben?
Die Form der Zusammenstellung bei Plinius namentlich in
den alphabetischen Verzeichnissen ist äusserst locker; und
gerade in diesen Abschnitten wird er, aus verschiedenen
Quellen sammelnd, häufig Nachträge einzufügen nöthig ge-
habt haben. Die Corruption des Namens Theon in Theorus,
namentlich wenn dabei etwa der griechische Genitiv Θέωνος
in Betracht kam, ist äusserst leicht, so dass dieser Irrthum
des Plinius weit verzeihlicher als viele andere sein würde.
Endlich widersprechen auch die Werke der Annahme der
Identität nicht: selbst die Darstellung der Leontion ist nicht
ein gewöhnliches Portrait, sondern auf eine gewisse geistige
Wirkung berechnet. Der troische Krieg bot dramatische Sce-
nen in Ueberfluss; in der Geschichte der Kassandra aber
findet sich nicht ein, sondern eine ganze Reihe von Momen-
ten, die für die Kunstrichtung des Theon nicht besser er-
funden werden könnten. Einer derselben, der Mord des Aga-
memnon und der Kassandra durch die Hand der Klytaemnestra
giebt uns das vollkommene Seitenstück zu dem Muttermorde
des Orestes. Und gerade eine Darstellung dieser Scene wird
uns durch die Beschreibung des ältern Philostrat 2) genauer
bekannt. Die Hauptgruppe bildet Kassandra, die unglück-
liche Seherin, wie sie, den schon gefallenen Agamemnon
[256] mit ihrem eigenen Körper deckend, nach dem Beile um-
blickt, welches Klytaemnestra wuthentbrannt bereits über
ihrem Haupte schwingt. Todte und Verwundete liegen um-
her; überall an ihnen und an der ganzen reichen Umgebung
erkennt man die Spuren der vorhergegangenen Schmauserei.
Um aber das Grausen des Anblickes noch mehr zu erhöhen,
geht das Ganze bei Fackellicht vor. Gewiss, ein besserer
Commentar zu dem Urtheil des Quintilian über Theon liesse
sich nicht finden und wenn selbst die Beschreibung des Phi-
lostrat zu dem von Plinius erwähnten Bilde keine directe
Beziehung haben sollte, so würde sie doch als eine pas-
sende Vergleichung ihren Werth behalten. Die Vermuthung
der Identität des Theoros und Theon aber wird, wenn wir
alle diese Umstände im Zusammenhange erwägen, nicht mit
Unrecht auf einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit An-
spruch machen dürfen.


Die übrigen Maler dieser Periode.

Asklepiodoros.
Bei Gelegenheit des Apelles ist bereits bemerkt worden, dass
derselbe dem Asklepiodor in der Symmetrie den Vorrang
zuerkannte: Plin. 35, 80 und 107. Da Plinius ihn unter den
Quellen des 35sten Buches anführt, so liegt die Vermuthung
nahe, dass er über diesen von ihm mit solchem Glücke ge-
übten Theil seiner Kunst auch geschrieben habe. Vielleicht
war er auch Bildhauer, indem wenigstens Plinius (34, 86)
einen Philosophenbildner gleiches Namens anführt. Für sei-
nen Ruhm zeugt die Zusammenstellung mit Apollodor, Eu-
phranor, Nikias, Panaenos als den Meistern, welche Athen
durch Werke der Malerei verherrlicht, bei Plutarch (de glor.
Ath. p. 346 B); woraus wir zugleich erfahren, dass er, wie
jene, Athener durch Geburt oder Erziehung sein musste.
Nur eines seiner Werke kennen wir dem Namen nach: die
zwölf Götter, welche ihm Mnaso, Tyrann von Elatea mit
dreissig Minen für jede Figur bezahlte: Plin. 35, 107. Ueber
Mnaso vgl. oben unter Aristides. Mit ihm verknüpft sich
noch die Erwähnung eines andern Malers:


Theomnestos.
Er erhielt von Mnaso für einzelne Heroengestalten je zwanzig
[257] Minen: Plin. 35, 107. Vielleicht ist er mit dem Bildhauer
aus Sardes identisch; vgl. Th. I, S. 522.


Von Schülern des Apelles sind nur bekannt Per-
seus,
an welchen Apelles seine Schrift über Malerei rich-
tete: Plin. 35, 111; und Ktesilochos, von Plinius (35, 140)
wegen eines Spottbildes erwähnt: Zeus, den Dionysos ge-
bärend. Der Gott war mit einer Weibermütze gemalt und
jammerte wie ein Weib, während die Göttinnen um ihn
herum Hebammendienste versahen: ein Bild, welches offen-
bar unter dem Einflusse der mittleren Komödie entstanden
ist. Suidas (s. v. Ἀπελλῆς) spricht von einem Bruder des
Apelles, der ebenfalls Maler gewesen sei, Namens Ktesio-
chos,
der schwerlich von dem Ktesilochos des Plinius ver-
schieden ist.


Zu den bedeutenderen Künstlern dieser Periode muss
auch


Kydias
gehören, da Plinius (35, 130) ihn unmittelbar nach Euphra-
nor anführt und der Redner Hortensius eines seiner Werke,
die Argonauten, für den hohen Preis von 144,000 Sestertien
kaufte und für dasselbe ein besonderes Gebäude auf seinem
tusculanischen Landgute errichten liess. Das Bild der Ar-
gonauten, welches nach Cassius Dio (LIII, 27) Agrippa im
Porticus des Neptun bei den Navalien aufstellen liess, ist
vielleicht eben dieses Bild des Kydias. Das Vaterland des
Künstlers war Kythnos, eine der kykladischen Inseln: Eust.
ad Dion. Perieg. 526. Als seine Erfindung führt endlich
Theophrast (de lapid. 95) eine geringere Sorte Mennig an,
welche aus gebranntem Oker gewonnen wurde. Der Zufall
soll ihn darauf geführt haben, indem er beim Brande ei-
nes Wirthshauses halbgebrannten Oker von röthlicher Farbe
fand.


Philochares.
„Augustus setzte in der Curie, welche er auf dem Comitium
weihte, zwei Gemälde in die Mauer ein. [Das eine war die
Nemea des Nikias.] An dem andern bewundert man, dass der
junge Sohn dem greisen Vater bis auf die Verschiedenheit
des Alters durchaus ähnlich ist; darüber fliegt ein Adler,
der eine Schlange gefasst hält. Philochares hat es als sein
Werk bezeichnet; und wahrlich gross ist die Macht der
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 17
[258] Kunst, wenn man sie auch nur nach diesem Bilde schätzen
wollte, da wegen des Philochares Glaucio und sein Sohn
Aristipp, gänzlich unbekannte Leute, vom Senate des rö-
mischen Volkes Jahrhunderte lang angestaunt werden.“
Plin. 35, 128. Nicht ohne grosse Wahrscheinlichkeit hält
Hemsterhuis (anecd. I, p. 14) den Künstler für den Bruder
des Redners Aeschines, von dem zwar Demosthenes (de fals.
leg. p. 415 Reisk. §. 237 Bekk) mit rhetorischer Verkleine-
rung sagt, er male nur ἀλαβαστϱοϑήκας und τύμπανα, Ulpian
(ad Demosth. l. l.) dagegen als von einem durchaus tüchtigen
Künstler spricht. Die Rede des Demosthenes ward Ol. 109,
2 verfasst.


Ismenias,
aus Chalkis gebürtig, malte in Athen für das Erechtheum
ein Bild, in welchem die Priester des Poseidon aus der Fa-
milie des (wahrscheinlich Ol. 113, 1 gestorbenen) Lykurg dar-
gestellt waren. Sein Sohn Habron hatte es aufgestellt, wel-
cher der Geschlechtsfolge nach die Priesterschaft hätte er-
halten sollen, aber sie seinem Bruder Lykophron abgetreten
hatte, weshalb in dem Gemälde dargestellt war, wie Habron
ihm den Dreizack übergiebt: Plut. vit. X oratt. p. 843 E. F.


Hippys
lebte vor Polemon, und daher keinesfalls später als unter
den ersten Nachfolgern Alexanders, wenn er nicht etwa gar
der alten Zeit angehört. Polemon nemlich in der Schrift an
Antigonos über die Maler beschreibt einiges Detail aus einem
zu Athen befindlichen Gemälde dieses Künstlers, die Hoch-
zeit des Peirithoos darstellend: die Oenochoe und das Kypellon
seien aus Stein mit vergoldeten Rändern, die Lager von
Tannenholz, der Boden mit bunten Teppichen geschmückt,
als Trinkgeschirre habe der Künstler thönerne Kanthari
gewählt, und eben so den Leuchter gebildet, welcher von
der Decke herabhing und Flammen ausströmen liess: Athen.
XI, 474 D. Die Schreibung des Namens ist nicht sicher und
schwankt zwischen Ἱππεὺς und Ἱππώς. Eben so ist der Name
Hippys, der von Plinius (35, 141) unter den „primis proximi“
als Maler eines Neptun und einer Victoria angeführt wird,
erst durch Conjectur hergestellt worden.


Alkimachos
von Plinius (35, 139) unter den „primis proximi“ als Maler
[259] des Dioxippos angeführt, welcher zu Olympia „aconiti,“
nemlich ohne dass ihm jemand zum Kampfe gegenüberge-
treten war, den Sieg erhielt. Er war vielleicht Athener, wie
der von ihm dargestellte Athlet, welcher besonders durch sei-
nen Wettkampf mit dem Makedonier Korragos vor den Au-
gen Alexanders berühmt geworden ist (vgl. z. B. Aelian
V. H. X, 22; Diod. XVII, 100; Krause Olympia, unter
Dioxippos).


Als eine besondere Klasse verdienen die „Kleinmaler“
hervorgehoben zu werden. Der bekannteste unter ihnen ist:


Peiraeikos.
Plinius (35, 112) berichtet: „Hier müssen auch diejenigen an-
geführt werden, welche durch Gemälde geringeren Umfanges
mit dem Pinsel berühmt geworden sind, zu denen Piraeicus
(so nach den Spuren der besten Handschriften statt Pireicus)
gehört. Er ist an Tüchtigkeit in der Kunst wenigen nach-
zusetzen, aber ich weiss nicht, ob er nicht absichtlich sich
geschadet hat, da er auf Niedriges sein Bestreben gerichtet,
dennoch aber in der Niedrigkeit den höchsten Ruhm erlangt
hat. Er malte Barbier- und Schusterbuden, Eselein, Ess-
werk und ähnliches, wodurch er den Beinamen Rhyparo-
graphos erhalten hat; in diesen Dingen aber ist er von einer
Vollendung, welche das grösste Vergnügen bereitet; weshalb
auch seine Bildchen theuerer bezahlt werden, als die grössten
von vielen andern.“ Nur noch einmal wird seiner kleinen,
aber darum nicht minder berühmten Bilder bei Properz [IV,
8 (III, 9) 12] gedacht, wo nach Anleitung einiger Hand-
schriften zu lesen ist:
Pireicus parva vindicat arte locum.
Er malte also Genrebilder in der Weise der Niederländer,
zuweilen wohl geradezu Stillleben, von geringem Umfange,
aber um so sorgfältigerer Ausführung. Was nun den Bei-
namen des Künstlers anlangt, so hat Welcker (zu Philostr.
p. 396 etc., und zu Müller’s Archäol. §. 163, 5) allerdings nach-
gewiesen, dass die eigenthümliche Bezeichnung für diese
Kunstgattung nicht Rhyparographie, Schmutzmalerei, son-
dern nur Rhopographie, Malerei von kleinem Kram, sein
17*
[260] kann. Dennoch wage ich nicht, bei Plinius gegen die be-
stimmteste Auctorität der besten Handschriften die Lesart
Rhyparographos aufzugeben, und glaube vielmehr, dass die-
selbe als ein wirklicher Spottname sich vertheidigen und er-
klären lässt. Denn warum sollten Spötter, wie diejenigen,
welche das ἁβϱοδίαιτος ἀνὴϱ des Parrhasios in ῥαβδοδίαιτος
verwandelten, nicht auch einen Rhopographen zum Rhyparo-
graphen gemacht haben, zumal es sich nicht leugnen lässt,
dass den von ihm dargestellten Dingen nicht selten Schmutz
anklebt? So scheint mir der Spott-, wie der Gattungsname
ein jeder in sein Recht eingesetzt zu sein. — Die Zeit des
Künstlers ist nicht bekannt; doch gelangte diese ganze Gat-
tung der Malerei schwerlich vor der Zeit Alexanders zu An-
sehen. Wegen des Namens dürfen wir ihn vielleicht für
einen Athener halten. — Derselben Kunstrichtung gehö-
ren an:


Kallikles und Kalates.
„Kleines machte auch Kallikles, eben so Kalates und zwar
mit komischen Gegenständen, beides (Kleines und Grosses)
Antiphilos:“ Plin. 35, 113. Damit stimmt überein, was Varro
(fragm. p. 236 ed. Bip., bei Charisius ed. Lindem. p. 72)
sagt: „Kallikles, obwohl er sich durch Bildchen in der Grösse
von vier Fingern berühmt gemacht hatte, konnte doch im Ma-
len nicht zur Erhabenheit eines Euphranor emporsteigen.“ Die
Zusammenstellung einer Seits mit Antiphilos, anderer Seits
mit Euphranor leitet uns auch hier wieder auf die Epoche
Alexanders hin. Dass man einen Kalades bei Pausanias (1,
8, 5) durch die Veränderung von νόμους γϱάψας in κώμους
γϱάψας mit dem Kalates bei Plinius mit Unrecht hat identi-
ficiren wollen, ist schon von Schubart (Ztsch. f. Altw. 1848,
N. 63) bemerkt worden.


Von Antiphilos, welcher ebenfalls in dieser Gattung der
Malerei thätig war, ist schon früher gehandelt worden.


Wenig bekannt sind die folgenden Künstler:


Helena.
„Die Malerin Helena, die Tochter Timons, des Aegypters,
malte die Schlacht bei Issos (Ol. 111, 4), als Zeitgenossin
dieser Begebenheit. Das Gemälde ward unter Vespasian
[261] im Friedenstempel aufgestellt:“ Photius p. 248 Hösch., aus
Ptolemaeos Hephaestion. Ein Timo ist aus Plinius (34, 91)
als Bildhauer bekannt; s. Th. I, S. 527. Dass das Mosaik
der Alexanderschlacht aus Pompei dem Original der Helena
nachgebildet sei, ist zwar nicht unmöglich, lässt sich jedoch
durch positive Gründe nicht nachweisen.


Pyrrhon,
der Skeptiker aus Elis, welcher Ol. 99—123 lebte, war An-
fangs Maler; und Antigonos führt von ihm ziemlich gut ge-
malte Fackelträger als noch im Gymnasium zu Elis erhalten
an: Diog. Laërt. IX, 61 und 62; Suidas s. v.; Lucian bis
accus. 25.


Kallo,
eine Malerin, bekannt durch ein Epigramm der Nossis,
welche um die Zeit der ersten Ptolemaeer lebte: Anall. I,
196, n. 10.


Ueber Gryllion, s. Th. I, S. 423.


Dikaeogenes
wie jetzt richtiger für Diogenes gelesen wird, ist einer der
Maler, welche Plinius nur einer flüchtigen Erwähnung wür-
digt. Er hielt sich am Hofe des Demetrios auf, lebte also
gegen Ol. 120: Plin. 35, 146.


Gnathon,
ein thasischer Maler, wird von Hippokrates (Epidem. I, 2,
p. 406 Kuhn) erwähnt, gehört also dem Anfange dieser Pe-
riode, wenn nicht etwa dem Ende der vorigen an.


Rückblick.


Bei dem Rückblicke auf die Zeit des Zeuxis und Par-
rhasios glaubten wir einer Rechtfertigung dafür zu bedürfen,
dass wir einen so kurzen Abschnitt als eine abgeschlossene
Periode der griechischen Malerei hinstellten. Am Ende der
jetzt durchmessenen Periode angelangt möchten wir uns eher
gegen den entgegengesetzten Vorwurf zu vertheidigen haben.
Zwar ist auch sie der Zeit nach keineswegs zu weit ausge-
dehnt, indem alle einigermassen wichtigen und bedeutenden
Erscheinungen etwa zwischen die 100ste und 120ste Olym-
piade fallen und höchstens auf der einen Seite die ersten
Anregungen, auf der andern die Nachklänge der ganzen
[262] Entwickelung ausserhalb dieser Grenzen liegen. Aber inner-
halb dieser Zeit drängt sich so vieles und so verschieden-
artiges zusammen, dass man wohl fragen darf, ob sich dies
alles unter einem gemeinsamen Gesichtspunkte vereinigen
lässt, wie er zur Abgrenzung einer Periode nothwendig ist.
Dazu kommt, dass die Gliederung des Stoffes, die sich uns
ganz ungesucht ergeben hat, eine Theilung zu begünstigen
scheint. Denn wenn unleugbar die beiden Schulen der Male-
rei, welche hier voran stehen, die sikyonische und die the-
banisch-attische, sich uns als in nebeneinander laufender
Entwickelung zu einem gemeinsamen Endziel ansteigend dar-
stellen, während dieses Ziel in den Leistungen des Apelles,
Protogenes und der neben ihnen stehenden Künstler sich
als erreicht betrachten lässt, so gewinnt es danach auf den
ersten Blick das Aussehen, als ob am naturgemässesten die
Epoche des Ansteigens zu der Höhe von der schliesslichen
Entwickelung und Entfaltung der Vollendung auf derselben
sich scheide. Allein schon für eine ganz äusserliche Betrach-
tung ist eine solche Scheidung nicht durchzuführen, da diese
beiden Schulen jene höchste Entwickelung nicht blos vorbe-
reiten, sondern selbst an ihr Theil nehmen. Ihre glänzend-
sten Vertreter sind nicht sowohl Vorgänger und Vorläufer
des Apelles, als dass sie selbstständig neben ihm stehen;
ja die letzte Entwickelung jener Schulen reicht sogar über
die Zeit des Apelles noch hinaus. Eine Theilung der vorlie-
genden Periode würde uns also zwingen, die Einheit der
Schulen gewaltsam zu zerreissen.


Um nun aber die verschiedenartigen Erscheinungen der-
selben unter einem einheitlichen Gesichtspunkte zusammen-
zufassen, werden wir damit beginnen, an die Bedeutung der
vorigen Periode nochmals mit kurzen Worten zu erinnern.
Diese beruht auf dem Gegensatz, in welchen durch Apollo-
dor und die Kleinasiaten die neuere Malerei zu der ältern
des Polygnot tritt. Es ist hier ein durchaus neues Princip,
welches sich Geltung zu verschaffen sucht; ein Princip, wel-
ches sich nicht nur auf eine einzelne Seite, sondern auf die
gesammte Kunstübung erstreckte und dieselbe von Grund aus
umgestalten musste. Getragen wird es von mehreren bedeu-
tenden Künstlern, die hier in verschiedenem Sinne thätig
sind. Allein so hoch wir auch ihre Leistungen anschlagen
[263] mögen, so vermochten sie doch, wo selbst materiell noch so
grosse Schwierigkeiten zu überwinden waren, nicht sogleich
alle Keime zu völliger Entfaltung zu bringen. Es sind zu-
nächst einzelne Individualitäten, die sich aus sich selbst
herausbilden, die aber eben, weil ihre Bestrebungen mehr
subjectiver Art sind, ziemlich vereinzelt dastehen, ohne so-
fort der nachfolgenden Entwickelung feste und bestimmte
Bahnen anzuweisen. Wohl aber bereiten sie dieselbe vor,
indem ihre Leistungen in umfassender Weise anregen und
namentlich darauf hinwirken mussten, dass man sich von
den Bedingungen und Forderungen rein malerischer Darstel-
lung bestimmtere Rechenschaft zu geben suchte. So tritt
denn die folgende Periode keineswegs in einen bestimmten
Gegensatz zu ihnen; aber eben so wenig knüpft sie direct
an sie an. Im Besitze der Mittel, welche sie, so zu sagen,
von ihrer Vorgängerin ererbt hat, beginnt sie alsbald ihre
eigenen Wege einzuschlagen. Sie verfolgt nicht, so natür-
lich dies auch scheinen musste, den Gegensatz der Farbe
und der Form, wie er in den Bestrebungen des Zeuxis und
Parrhasios sich ausgebildet hatte, sondern gliedert sich zu-
nächst nach den zwei hauptsächlichsten Seiten künstlerischer
Geistesthätigkeit überhaupt; indem sich eine mehr auf unmit-
telbarer Anschauung und Auffassung der Natur beruhende,
und eine mehr reflectirende, aus der Beobachtung auf die
Gesetze des Seins zurückschliessende Richtung von einander
scheiden. In diesem Sinne treten sich die thebanisch-attische
und die sikyonische Schule gegenüber, so dass sich also
hier auf dem Gebiete der Malerei dieselbe Erscheinung wie-
derholt, welche wir bereits in der Geschichte der Bildhauer
zu beobachten Gelegenheit hatten.


Besonders deutlich offenbart sich die Wechselwirkung
zwischen beiden Künsten in der sikyonischen Schule: wussten
wir doch die Bestrebungen des Pamphilos nicht besser zu er-
klären, als durch eine Vergleichung mit denen des Polyklet.
Der Ruhm der sikyonischen Maler beruht nicht auf ein-
zelnen Werken, welche durch eine in die Augen springende
Genialität der Auffassung, durch überraschende Schilderung
psychologischer Zustände oder pathetischer Affecte Bewun-
derung erregt hätten: den Epigrammendichtern, welche der-
artige Verdienste so bereitwillig zu preisen pflegten, boten
[264] sie keinen Stoff; ja ausser Plutarch und Pausanias, welche
das Bild des Aristratos, den Eros und die Methe des Pausias
erwähnen, ist es ausschliesslich Plinius, welcher einzelne
Werke von ihnen namhaft macht; und auch das sind ver-
hältnissmässig doch nur wenige. Auch nicht eine einsei-
tige Bevorzugung der Farbe oder der Form, wie sie mehr
oder weniger bei Zeuxis und Parrhasios sich findet, tritt
uns bei den Sikyoniern entgegen. Aber wenn sie freilich
auch nicht durch Zauber und Schmelz der Farbe, durch
Leichtigkeit und Feinheit in der Behandlung der Form die
Bewunderung der Menge hervorrufen wie jene Maler, so ist
bei ihnen dafür den beiden häufig in einem gewissen Gegen-
satzes tehenden Seiten der τέχνη eine gleichmässige Berücksich-
tigung zu Theil geworden, und vermöge dieser umsichtigen,
ihres Zieles sich stets bewussten Durchbildung ist es ihnen
gelungen, auch die schwierigsten Probleme mit sicherem
Erfolge zu lösen. Schlagend also bezeichnet Plutarch 1) das
Wesen dieser Schule durch den Ausdruck: χϱηστογϱαφία: die
Solidität und Tüchtigkeit der Durchführung ist es, welche ih-
ren Werken den Beifall weniger des grossen Haufens, um so
mehr aber der eigentlichen Kenner sicherte. Gerade der-
selben Erscheinung begegnen wir in der Schule des Poly-
klet; und wir dürfen uns daher um so weniger wundern,
wenn auch die Stellung der sikyonischen Maler zu der ge-
sammten übrigen Entwickelung ihrer Kunst eine durchaus
analoge ist. Wir erkannten eins der wesentlichsten Ver-
dienste des Polyklet in der bewahrenden Kraft, welche seiner
Lehre inne wohnte; ja wir schrieben es hauptsächlich sei-
nem Einflusse zu, dass sich die griechische Kunst so lange
von Willkür und Ausschweifungen rein erhielt. 2) Aehnlich
war es auch in der Malerei die Schule von Sikyon, welche
allein, wie Plutarch sagt, das Schöne unverdorben bewahrte,
und, wie uns das Beispiel des Apelles lehrt, ihren Einfluss
auch weit über die Grenzen von Sikyon hinaus verbreitete,
ja bis auf die gesammten Bildungsverhältnisse erstreckte, in-
dem sie zeigte, dass bei der allgemeinen Erziehung des Gei-
stes auch der Kunst eine selbstständige Stelle gebühre.


Wie aber Polyklet und seine Schule durch die genannten Ei-
[265] genschaften zu den attischen Bildhauern in einen bestimmten
Gegensatz tritt, so nehmen wir ein gleiches Verhältniss auch
zwischen den sikyonischen und den thebanisch-attischen Ma-
lern wahr. Die Letzteren sind durchaus die geistig und
poetisch erregteren und beweglicheren. In der τέχνη stehen
sie den Sikyoniern nach; Aristides z. B. ist hart in den Far-
ben, Euphranor erfreut sich in den Proportionen keineswegs
allgemeiner Anerkennung. Dagegen aber erschliessen sie
der Kunst immer neue Gebiete, indem sie die ganze Fülle
des menschlichen Gemüthslebens, die verschiedensten sowohl
zarteren, als leidenschaftlicheren Erregungen der mensch-
lichen Seele zur Darstellung zu bringen unternehmen, gerade
wie in der Bildhauerei Skopas und Praxiteles. Hierdurch
tritt es in das klarste Licht, weshalb schon die Alten von
dieser Periode an die Malerei im eigentlichen Griechenland
in zwei Schulen scheiden und statt der einen helladischen
jetzt eine attische und eine sikyonische annehmen. Denn in
der That, wenn wir namentlich auf die Principien blicken,
von welchen jede derselben ausging, so haben sie nicht nur
nichts mit einander gemein, sondern stehen in dem schärf-
sten Gegensatze.


Diese bestimmte Scheidung bei den Alten verdient um
so mehr unsere Beachtung, als früher nur die helladische
und asiatische Malerei als ihrem Wesen nach verschieden
einander gegenübergestellt wurden. Und für die ältere Zeit
erscheint diese Gegenüberstellung auch vollkommen gerecht-
fertigt, wenn wir das Verhältniss des Polygnot und der At-
tiker zu Zeuxis und Parrhasios ins Auge fassen; dagegen
musste sie bedeutungslos werden, sobald die neuere Malerei
wegen ihrer unbedingt vollendeteren Technik sich überall
Eingang verschafft hatte. Hiermit hatten die Kleinasiaten
zunächst ihre Aufgabe erfüllt; sie treten vorläufig wieder
in den Hintergrund und überlassen es den Griechen des
Mutterlandes, die neu gewonnenen Grundlagen nach den
mannigfaltigsten Richtungen hin auszubilden. Erst als hier
die oben dargelegte strenge Scheidung bereits vor sich ge-
gangen war, erheben sich auch die Kleinasiaten wieder zu
neuem Glanze; aber auch da sind es wieder, wie früher,
mehr einzelne bedeutende Individuen, welche sich geltend
machen, als eine bestimmte Schule in strenger Geschlossen-
[266] heit und Fortentwickelung. Dies ist der Grund, weshalb
sich das Wesen der asiatischen Kunst nicht in so wenigen,
bestimmten Sätzen abgegrenzt hinstellen lässt, wie das der
sikyonischen und attischen Schule. Denn die Individualität
der Einzelnen tritt theils in ihren eigenen Werken bestimmter
in den Vordergrund, theils verfährt sie auch freier in dem,
was sie von dem bereits vorhandenen Schatze künstlerischer
Erfahrung sich aneignet. So ergänzt Apelles sein Talent
durch den Besuch der sikyonischen Schule, während Pro-
togenes ohne solche Hülfe mühsam durch eigene Anstren-
gung und Kraft sich zur höchsten Vollendung erhebt. Wenn
sich nun zwischen diesen beiden Künstlern in der ganzen
Auffassung ihrer Aufgaben eine gewisse Gleichartigkeit zeigt,
so dürfen wir doch wiederum die ihnen gemeinsamen Eigen-
schaften keineswegs als das bezeichnen, wodurch ausschliess-
lich das Wesen einer asiatischen Schule begründet würde.
Denn um von Antiphilos, dem Feinde des Apelles, zu schwei-
gen, den wir als geborenen Aegypter nicht nothwendig in
Verbindung mit den Asiaten zu denken brauchen, so ist
z. B. Theon von Samos ein Maler, dessen Eigenthümlichkeit
von der jener Beiden weit abweicht. Wir vermögen daher
unter der durch Plinius überlieferten Bezeichnung des genus
Asiaticum oder Ionicum nur eine Reihe höchst bedeutender
Leistungen zu verstehen, welche den durch die sikyonische
und attische Schule nach einzelnen bestimmten Richtungen
hin gewonnenen Entwickelungen zur Ergänzung dienen
und dieselben zu demjenigen Abschlusse bringen, welcher
nach dem Verhältnisse der damaligen Zustände des griechi-
schen Geisteslebens überhaupt möglich war.


Denn nicht Alles vermag eine Zeit zu leisten; und
auch der grösste Künstler, wie sehr er in vielen Beziehun-
gen seiner Zeit voraneilen und sie lenken mag, steht doch
in andern wieder unter dem Einflusse seiner Umgebungen.
Wir dürfen uns daher nicht begnügen, die einzelnen Erschei-
nungen der Kunst in ihrer Isolirung zu betrachten, sondern
vermögen ein richtiges Verständniss ihrer Bedeutung erst
von einem umfassenderen Blicke auf die übrigen Verhält-
nisse des Lebens zu erwarten. Wir beginnen mit den äus-
reren politischen Zuständen. Die Malerei erscheint von ihnen
zwar weniger abhängig als die Bildhauerei, welche zu ihrem
[267] Gedeihen theils eines grösseren Reichthums an materiellen
Mitteln, theils einer fortwährenden Hülfeleistung von Seiten
des Handwerks bedarf, wodurch ihre Ausübung in höherem
Grade an bestimmte Orte gebunden ist. Doch lassen sich
im Allgemeinen die Einflüsse der Politik auch auf die Male-
rei nicht verkennen. Von den Wirkungen des peloponne-
sischen Krieges haben wir bereits bei Gelegenheit der vo-
rigen Periode gesprochen. Während der Dauer desselben
hatte die Malerei in Kleinasien ein Asyl gefunden; mit sei-
nem Ende kehrt sie wieder nach Griechenland zurück, ist
aber theils selbst eine andere geworden, theils findet sie
veränderte Verhältnisse. In Athen namentlich war der Glanz
der kimonischen und perikleischen Staatsverwaltung nicht
wiedergekehrt; und wenn es auch noch vorkömmt, dass
z. B. Euphranor eine öffentliche Halle mit Gemälden zu
schmücken hat, so ist doch die Kunst nicht mehr wie früher
auch ein wesentliches Element des politischen Lebens; und
noch weniger wird ihr durch die Forderungen, welche der
Staat an sie stellt, ihr eigenthümlicher Charakter aufgeprägt.
Gerade so erscheint in Theben die Blüthe der Kunst wohl
hervorgerufen durch die Blüthe der politischen Macht: allein
von einer lebendigen Wechselbeziehung, von einer Hebung
der Kunst durch directe Einwirkung des Staates und umge-
kehrt des politischen Glanzes durch die Kunst ist auch hier
nicht die Rede. In Sikyon endlich zeigt sich die Malerei in
derselben Weise von den politischen Zuständen unabhängig,
wie wir dies bereits hinsichtlich der Sculptur bemerkt ha-
ben. 1) — Wenn wir aber den Einfluss des Staates als sol-
chen in dieser Periode nirgends hoch anschlagen, so werden
wir dagegen den socialen Verhältnissen eine um so höhere
Bedeutung beilegen müssen. Mochte auch Griechenland den
eigentlichen Höhepunkt politischer Macht und Grösse bereits
überschritten haben oder wenigstens den Keim des nahenden
Verfalles bereits in sich tragen, so befand es sich zu keiner
Zeit auf einer so hohen Stufe materiellen Wohlstandes, als
gerade damals. Die Schätze einzelner Privatleute nament-
lich wachsen ins Ungeheure, so dass in deren Hände natur-
gemäss die Pflege der Kunst übergeht. Besonders wenn es
[268] in den kleineren Staaten dem Einzelnen gelingt, sich zur
Alleinherrschaft emporzuschwingen, scheint unter den Mit-
teln zur Verherrlichung solcher Herrschaft der Kunst häufig
eine bevorzugte Stelle zu Theil geworden zu sein: dafür
mögen die hohen Preise, welche Mnason von Elatea, Ari-
stratos von Sikyon ausgezeichneten Künstlern bezahlten, zum
Beweise dienen. Noch folgenreicher aber war es, dass der
König, welcher auf die Herrschaft über ganz Griechenland
sein Auge gerichtet hatte, Philipp von Makedonien, sich
hierin dem Beispiele griechischer Staatsmänner und Fürsten
anschloss. Als nun Alexander die Pläne seines Vaters in
umfassendster Weise verwirklichte, da ward der makedonische
Königshof auch für das fernere Gedeihen der Kunst der
eigentliche Mittelpunkt, von welchem aus sie sich, nachdem
sie zunächst in Kleinasien wohl mit in Folge der Züge
Alexanders einen erneuten Aufschwung genommen hatte, dann
später wieder über die einzelnen Reiche verbreitete, die aus
der Erbschaft Alexanders hervorgingen.


Welchen Einfluss nun die eben betrachteten Verhältnisse
auf die innere Entwickelung der Malerei ausübten, wollen
wir zuerst dadurch zu erforschen suchen, dass wir den Kreis
der Gegenstände überblicken, an welchen sie sich übte.
Denn ihre Wahl wird nothwendig vielfach dadurch bedingt
sein, ob der Künstler für eine Republik, einen König oder
einen Privatmann arbeitet. Dass die Malerei sich aus ihrer
früheren engen Verbindung mit der Religion gelöst hatte,
zeigte sich uns bereits in der vorigen Periode; sie lernte
auch in dieser Hinsicht ihre eigenen Wege gehen, ganz wie
sie sich aus der Abhängigkeit von der Architectur emancipirt
hatte. Allerdings mochte auch jetzt noch ein grosser Theil
ihrer Werke in Tempeln und sonstigen heiligen Räumen ge-
weiht werden; aber gewiss hatten diese nur selten eine
nähere Beziehung zum Cultus oder auch nur zu bestimmten
mit den einzelnen Heiligthümern verbundenen mythologischen
Traditionen. Wenn daher trotzdem die Mythologie noch
immer als das bevorzugte Gebiet dasteht, von welchem die
Malerei ihre Stoffe entlehnt, so verdankt sie dies weniger
ihrem religiösen, als ihrem poetischen Gehalte, ihrem Reich-
thume an künstlerischen Motiven. Denn wegen welcher
Eigenschaften werden diese Werke gepriesen? Hier ist es
[269] der höchste Reiz der sinnlichen Erscheinung, wie bei der
Aphrodite des Apelles, oder der Ausdruck heroischer Kraft,
wie in dem Theseus des Euphranor; dort ist es die Schilde-
rung der mannigfaltigsten Stimmungen der Seele und des
Gemüthes; anderwärts wieder liegt das Verdienst in den
schlagenden Gegensätzen widersprechender Charaktere, in
den durch sie herbeigeführten Conflicten und deren über-
raschender Lösung: also in Momenten, welche auch unab-
hängig von der bestimmten mythologischen Handlung oder
Situation wiederkehren könnten. Wir wollen diese Leistun-
gen keineswegs gering anschlagen; aber hier, wo es sich
um ihre historische Würdigung handelt, dürfen wir doch
nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass von jener tief
religiösen Auffassung, von jenem Ethos der polygnotischen
Kunst, wenigstens so weit die uns erhaltenen Nachrichten
reichen, in der vorliegenden Periode keine Spur mehr zu
finden ist, ja fast möchten wir sagen, sich nicht finden
kann: denn sie sind überhaupt aus dem griechischen Leben
dieser Zeit verschwunden und haben häufig sogar gerade
entgegengesetzten Geistesrichtungen Platz gemacht. Was
über die ποϱνογϱάφοι mehr angedeutet, als bestimmt ausge-
sprochen wird, kann immerhin zum Belege dienen, dass die
Kunst auch von diesem Wechsel der sittlichen Anschauungen
nicht unberührt geblieben ist. — Minder ungünstig wird
derselbe begreiflicher Weise auf die eigentliche Historien-
malerei eingewirkt haben. Ja wenn wir an die maratho-
nische Schlacht in der Poikile zurückdenken, in welcher
Götter und Dämonen mit den Sterblichen gemischt erschie-
nen, so dürfte man fast dieses Gemälde, wenn auch nicht
dem Stoffe, so doch der Auffassung nach, der Klasse der
religiös-mythologischen Werke beizählen, und die eigentliche
Historienmalerei überhaupt erst in die spätere Periode setzen.
Leider sind nur unsere Nachrichten zu lückenhaft, um ein
umfassendes Urtheil zu begründen. Ja wenn auch von Pam-
philos, Philoxenos, Euphranor, Helena u. a. Schlachtbilder
und zuweilen in besonders rühmender Weise angeführt wer-
den, so würden wir doch ohne das uns erhaltene Mosaik
der Alexanderschlacht durchaus nicht im Stande sein, von
den Leistungen der Griechen auf diesem Gebiete uns einen
auch nur annähernd richtigen Begriff zu machen. Hier sei
[270] zunächst nur darauf hingewiesen, dass trotz so hoher Vor-
trefflichkeit sich doch nirgends bis an das Ende der vorlie-
genden Periode eine eigentliche Schule der Historienmalerei
findet. Was die Sikyonier zu ihrer Förderung beitrugen,
ward bei Gelegenheit des Pausias erwähnt; sonst darf man
ihrer ganzen Geistesrichtung nach die Attiker für noch mehr
befähigt halten, darin Grosses zu leisten; und dass sie wenig-
stens nicht zurückblieben, zeigt der Ruhm des Schlachtbildes
von Euphranor. Wenn sie sich nicht noch mehr und nicht aus-
schliesslicher auf diesem Gebiete bewegten, so hat das seinen
Grund offenbar darin, dass Athen als Staat nicht mehr geneigt
und nicht fähig war, die Pflege dieses Kunstzweiges zu über-
nehmen. Dies hätte man nun wohl von Alexander erwarten sol-
len. Aber ist es ein blosser Zufall, dass nirgends erzählt wird,
Alexander habe von einem namhaften Künstler die bildliche
Darstellung einer seiner Schlachten verlangt, während doch
z. B. Philoxenos eine solche für Kassander malte, und Ly-
sipp und Leochares eine Jagd des Alexander für Krateros aus-
führten, und während doch sonst der grosse König nicht aus-
ser Beziehung zur Kunst und zu den Künstlern dasteht? Mir
scheint diese auffallende Thatsache einen tieferen Grund zu
haben. Es war die Idee der Weltherrschaft, welche Alexan-
ders ganzes Wesen erfüllte; und einzelne Thaten und
Schlachten, wenn sie auch genügten, eine jede für sich
ihm unsterblichen Ruhm zu erwerben, hatten für ihn doch
nur in so weit Werth, als sie zur Verwirklichung dieser Idee
beitrugen. Daher konnte es ihm auch in der Kunst nicht
sowohl auf die Vergegenwärtigung seiner Thaten, als auf
die Darstellung dessen ankommen, was er durch dieselben
geworden war. Selbst in einem Ehrendenkmal, wie das
war, welches er den am Granikos gefallenen Reitern stiftete,
ist die Beziehung auf die einzelne Schlacht zurückgedrängt:
es sind die Helden, in deren Mitte Alexander seines end-
lichen Sieges gewiss sein konnte, welche er dem Lysipp vor-
zuführen auftrug. Daraus erklärt sich auch, weshalb gerade
Apelles in so hervorragender Weise die Gunst Alexanders
zu gewinnen vermochte. Denn die künstlerischen Anschau-
ungen des Apelles, der überall in seinen Gestalten einen be-
stimmten Gedanken zu verkörpern bestrebt war, kamen den
Wünschen des Königs auf das Wunderbarste entgegen; und
[271] wir müssten davon wahrhaft überrascht sein, wenn es nicht
eine namentlich in der griechischen Geschichte häufiger wie-
derkehrende Erscheinung wäre, dass dieselben Ideen gleich-
zeitig auf den verschiedensten Gebieten Geltung zu gewinnen
suchen. Wie also Alexander selbst sagte: es gebe zwei
Alexander, den unbesiegten Sohn des Philipp und den un-
nachahmlichen des Apelles, so wurde dieses Bild des Welt-
beherrschers Vorbild und Muster für eine ganze Klasse,
deren Umfang durch die Bezeichnung als historischer Por-
traits noch keineswegs erschöpft ist. Denn es gehören da-
hin auch alle die mehr oder minder symbolischen Gestal-
tungen, welche dazu dienen müssen, eine solche und ähn-
liche Ideen in ausgedehnterer Weise zu verkörpern. So nä-
hern wir uns sogar von dieser Seite ganz unerwarteter
Weise wieder dem Gebiete der Mythologie. Aber wenn z. B.
die Dioskuren neben Alexander erscheinen, so sind es nicht
jene persönlichen Wesen, welche der kindliche Glaube der
alten Zeit als schützende und helfende Heldenjünglinge ver-
ehrte, nicht Götter, wie die, welche noch in der Schlacht
von Marathon gegenwärtig geglaubt wurden, sondern sie
sind die personificirten Begriffe einer höheren Weltordnung,
durch welche auch dem Sterblichen Antheil an derselben
verliehen werden soll. Wie sich aber gerade in diesen
Ideen der gänzlich veränderte Geist der Zeit offenbart, so
dürfen wir auch auf dem Gebiete der Kunst die Werke,
welche demselben entsprungen, als die eigenthümlichsten
Hervorbringungen der vorliegenden Periode mit Nachdruck
hervorheben.


Mit den bisher betrachteten Kreisen ist jedoch das Ge-
biet der malerischen Darstellungen in dieser Periode noch
keineswegs abgeschlossen: wir begegnen vielmehr darin
noch einer Reihe von Leistungen, welche unter einem ge-
meinsamen Gesichtspunkte zusammenzufassen schwerlich ge-
lingen würde. Wenn wir z. B. oben bemerkten, dass bei
der Wahl mancher mythologischer Stoffe weit mehr ein rein
künstlerisches Interesse bestimmend gewirkt habe, als ein
religiöses, so finden wir anderer Seits auch rein künstle-
rische Aufgaben gelöst, denen nur die Benennung der Per-
sonen fehlt, um sie mit mindestens eben solchem Rechte
wie jene der Klasse mythologischer oder historischer Bild-
[272] werke zuzutheilen. Es genügt hier des Beispiels halber an
des Aristides verwundete Mutter mit dem Kinde, an seine
Jäger, an Pausias Stieropfer zu erinnern, um klar zu machen,
wie wenig auf solche Darstellungen die Bezeichnung von
Genrebildern passen würde. Daneben freilich erhält auch
die Genremalerei, namentlich gegen das Ende dieser Periode,
immer mehr Ausdehnung und versucht ihre Kräfte an Gegen-
ständen, welche bisher der Kunst fern lagen. So erwirbt
Pausias sich Ruhm durch das Malen von Kindern und von
Blumen; Antiphilos weiss der Betrachtung einer rein ge-
werksmässigen Thätigkeit, wie die Wollebereitung ist, künst-
lerische Motive abzugewinnen; eines besonderen Rufes fängt
ferner die Kleinmalerei und Rhopographie sich zu erfreuen
an, und endlich erhebt sich auch die Karikatur in den Grylli
zu einer besonderen Gattung. Die rechte Blüthe dieser ver-
schiedenen Arten von Genremalerei mag sich freilich erst
während der eigentlichen Diadochenperiode entwickelt haben;
doch zeigt sie sich auch in der Zeit vorher schon so weit
begründet, dass man sie wenigstens ihrem Ursprunge nach
durchaus als ein Kind dieser Periode ansehen darf. Ja sie
stellt sich sogar als eine nothwendige Ergänzung, als ein
Abschluss aller der mannigfaltigen Bestrebungen derselben
dar, sobald wir diese auf ihre inneren Gründe zurückführen
und unter den Gesichtspunkt der Einheit des darin waltenden
Geistes zu bringen suchen.


Wenn wir aber auf eine solche Einheit als nothwendig
vorhanden hinweisen, so gehen wir dabei keineswegs von
einer willkürlichen Voraussetzung aus; vielmehr folgen wir
nur einem Principe, welches bei Untersuchungen über grie-
chisches Leben nie vernachlässigt werden darf. Und was
nun speciell die Malerei anlangt, so haben wir um so we-
niger Grund an seiner Geltung für dieselbe zu zweifeln, als
es sich auf dem Gebiete der Schwesterkunst, der Bildhauerei,
durchaus bewährt hat. Ja bei genauerer Betrachtung wird
es sich zeigen, dass, was wir dort gefunden haben, hier in
ausgedehntem Maasse und nur unter den durch die beson-
dere Kunstgattung bedingten Modificationen Anwendung fin-
det. Vor Allem wiesen wir dort 1) mit Nachdruck darauf
[273] hin, dass der peloponnesische Krieg den Geist des gesamm-
ten Griechenlands in seinen innersten Tiefen umgewandelt
hatte. Die mit Mässigung gepaarte energische Thatkraft
war überall einer leidenschaftlichen Erregtheit oder deren
Gegentheil, der Passivität oder Erschlaffung gewichen. Das
Leben der Seele, des Gefühls, oder gar die blosse Sinn-
lichkeit hatten die Herrschaft über den Geist errungen. So
begann man naturgemäss auch in der Kunst die Aufmerk-
samkeit immer mehr von dem inneren, gleichmässig dauern-
den Wesen der Dinge ab und auf die mannigfach wech-
selnden Aeusserungen desselben, auf die Stimmungen und
Leidenschaften hinzulenken; namentlich aber musste in der
Malerei, welche noch weit mehr als die Bildhauerei durch
den Schein zu wirken angewiesen ist, sich diese neue Rich-
tung der Zeit schnell bemerklích machen. Daher ist sie
denn schon bei Zeuxis und Parrhasios zu voller Herrschaft
gelangt; und was die auf sie folgende Periode bietet, ist nur
die weitere und umfassendere Entwickelung der neu gewon-
nenen Grundlage. So war durch Parrhasios der Blick für
das Psychologische geschärft, und es war dadurch möglich
geworden, auch die flüchtigsten und vorübergehendsten Stim-
mungen im Kunstwerke festzuhalten. Es erschloss sich da-
durch in der Darstellung des Gefühls- und Seelenlebens ein
neues und weites Gebiet; und unter der Hand des Aristides
schien die Kunst sogar wieder zu grosser Innerlichkeit und
Tiefe zurückkehren zu wollen. Allein das Wesen seiner
Persönlichkeit liess sich nicht nach Belieben auf Andere
übertragen, und die Zeit drängte im Gegentheil zu einem
mehr sinnlich fassbaren Ausdruck menschlicher Kraft und
Leidenschaft. So schlägt die Richtung des Aristides plötz-
lich in den Realismus des Euphranor um, der sofort einen
weit verbreiteten Einfluss gewinnt. Dies geschieht zunächst
innerhalb der Schule, wo uns die Leistungen des Nikias
nur die weitere und bewusstere Entwickelung der von Eu-
phranor zuerst befolgten Grundsätze zeigen; aber auch in
den Werken des Antiphilos, des Theon lässt sich ein ähn-
licher Geist nicht verkennen. Denn den effeetvollen Compo-
sitionen des Letzteren lag offenbar keine andere Absicht zu
Grunde, als die, auf diesem Wege die durch die Kunst dar-
zustellende Handlung in so lebendiger Schilderung dem Be-
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 18
[274] schauer vorzuführen, dass eine gewaltige oder erschreckende
Wirklichkeit aus unmittelbarer Nähe auf ihn selbst einzu-
stürmen, gewissermassen ihn selbst niederwerfen zu wollen
schien. Bei Antiphilos dagegen, dessen Hesione und Hippo-
lytos seine Verwandtschaft mit dem zuletzt genannten in
dieser Beziehung hinlänglich bezeugen, gewinnt der Realis-
mus eine noch weit grössere Ausdehnung, indem er sich
selbst in der Wahl von Darstellungen, wie der Wolleberei-
tung, geltend macht. Nehmen wir dazu sein Bild des Feuer
anblasenden Knaben, so lässt sich nicht verkennen, dass,
wenn auch das Verdienst seiner eigenen Werke noch mehr
in der Auffassung des Ganzen, als in der Durchführung des
Einzelnen liegen mochte, seine Bestrebungen doch in ihrer
weiteren Fortbildung zu reinem Naturalismus führen mussten:
und ein solcher reiner Naturalismus tritt uns denn in der
Rhopographie wirklich entgegen, welche auf den Adel oder
den geistigen Gehalt des darzustellenden Stoffes ganz ver-
zichtet und ihr Verdienst lediglich in der täuschendsten
Nachbildung der Wirklichkeit bis ins Einzelnste sucht. So
gewinnt die Persönlichkeit des Antiphilos für uns eine er-
höhte Bedeutung, indem sie uns lehrt, wie scheinbar so weit
von einander abliegende Bestrebungen auf dem Gebiete
der Kunst doch aus einer und derselben Grundrichtung
des Geistes hervorgehen können und wirklich hervorgegan-
gen sind.


Neben dieser Entwickelungsreihe haben wir jedoch noch
eine andere kennen gelernt, welche zu der bisher betrach-
teten unleugbar in einem bestimmten Gegensatz steht: ich
meine diejenige, als deren höchste Leistungen die Werke
des Apelles und Protogenes anzusehen sind. Zwar sagt Pe-
tronius (c. 84), er habe die Studien des Protogenes nicht
ohne einen gewissen geheimen Schauer wegen ihrer mit der
Wirklicheit wetteifernden Naturtreue betrachten können; und
somit lässt sich ein eifriges und sorgfältiges Naturstudium
auch bei ihm als die Grundlage seiner Kunstübung nicht
verkennen. Dagegen verleugnet sich bei ihm wie bei Apel-
les jener Realismus in der geistigen Auffassung der darzu-
stellenden Gegenstände durchaus. Schon die Portraits dieser
Meister lehren dies augenscheinlich: sie sollen nicht eine
wirkliche Person einfach vergegenwärtigen, sondern in dem
[275] Bilde soll sich ein bestimmter Gedanke aussprechen, der
uns über die sinnliche Erscheinung hinausführt. Man möchte
daher versucht sein, als das Wesen dieser Künstler im Ge-
gensatze zu dem Realismus der übrigen den Idealismus zu
bezeichnen. Aber wenn wir uns erinnern, dass wir bei aller
sonstigen Vortrefflichkeit gerade ihnen geistige Tiefe und
ein hohes poetisches Schöpfungsvermögen am wenigsten zu-
zuerkennen vermochten, so werden wir ein Mistrauen gegen
die Richtigkeit dieses Ausdrucks nicht unterdrücken können.
Allerdings lag wohl den Bestrebungen dieser Männer die
Absicht zu Grunde, die Kunst wieder auf idealere Bahnen
zurückzuführen. Sie mochten erkennen, wie der Realismus
dem tieferen geistigen Gehalte Abbruch that, wie ein stets
wachsendes Streben nach Effect dem Ernste der Auffassung
nicht minder wie der Solidität der Durchführung Gefahr zu
bringen drohte. Allein wenn sie auch durch die eifrigsten
Studien und durch die gründlichste Durchbildung bis zum
höchsten Gipfel technischer Vollendung zu gelangen ver-
mochten, so waren sie doch nicht im Stande, sich auf diesem
Wege jene Unbefangenheit und Unmittelbarkeit zu erwerben,
welche vor allem nöthig ist, um in der Welt der Erschei-
nungen eine künstlerische Idee klar und scharf zu erfassen
und ihr aus ihrem innersten Wesen heraus eine lebenvolle
Gestaltung zu verleihen. Jene Innerlichkeit war eben da-
mals nicht blos aus der Kunst, sondern aus dem Leben ver-
schwunden: und was man an ihre Stelle zu setzen versuchte,
war, wenn freilich auch nicht ein Aeusserliches, doch etwas
von aussen herzu Gebrachtes: es war der bewusste Gedanke,
der nie seinen Stoff so durchdringen und durchwärmen, nie
so mit ihm zur Einheit verwachsen wird, wie die, gleich
dem Keime im Saatkorn, im Innern des Stoffes selbst ru-
hende Idee. So sehr also auch Apelles und Protogenes
im Gegensatze mit den von uns kurzweg als Realisten be-
zeichneten Künstlern zu stehen scheinen und wirklich stehen,
so wurzeln sie doch immer mit diesen in dem einen gemein-
samen Boden des Zeitgeistes; und erst durch das gleich-
zeitige Bestehen beider Richtungen ward es möglich,
alle die verschiedenen Forderungen zu befriedigen, welche
eine so vielfach erregte Zeit, wie die von dem Ende
des peloponnesischen Krieges bis zu den ersten Nach-
18 *
[276] folgern Alexanders nothwendig auch an die Kunst stel-
len musste.


Fünfter Abschnitt.
Die Malerei der Diadochenperiode.


Timomachos.


Timomachos ist die letzte bedeutend hervorragende Per-
sönlichkeit in der Geschichte der griechischen Malerei. Sie
verdient daher an die Spitze der ganzen Diadochenperiode
gestellt zu werden: denn eine chronologische Angabe des
Plinius, welche gegen diese Anordnung zu sprechen scheint,
wird später ohne Schwierigkeit als unhaltbar nachgewiesen
werden. — Hören wir zunächst, was Plinius über ihn be-
richtet: 1) „Timomachos aus Byzanz, zur Zeit Caesars des
Dictators, malte den Aias und die Medea, welche von die-
sem für achtzig Talente angekauft und im Tempel der Venus
Genetrix aufgestellt wurden. Das attische Talent berechnet
Varro auf 6000 Denare. Als Werke des Timomachos werden
nicht minder gelobt: Orestes; Iphigenia in Tauris; Lekythion,
der Lehrer der Behendigkeit (agilitatis exercitator); eine Fa-
milie von Edlen (cognatio nobilium); Männer im Mantel,
welche er wie im Begriffe zu reden, den einen stehend, den
andern sitzend malte; vorzüglich aber schien ihm die Kunst
bei seiner Gorgo günstig gewesen zu sein.“ — Andere
Werke werden nirgends genannt; wohl aber geschieht eini-
ger der angeführten auch anderwärts Erwähnung. So giebt
Plinius selbst 2) an, dass die Medea unvollendet geblieben
sei, aber darum gleich ähnlichen Werken des Aristides, Ni-
komachos, Apelles nur um so mehr geschätzt werde. Des
Preises der Medea und des Aias gedenkt er nochmals; 3) und
an einer andern Stelle 4) spricht er von ihrer Aufstellung
vor dem Tempel der Venus, so dass sie sich also in einer
der ihn umgebenden Hallen befinden mochten. Wegen der
Verbindung des Aias und der Medea müssen wir auf beide
Gemälde auch eine Erwähnung bei Ovid 5) beziehen:
[277]Utque sedet vultu fassus Telamonius iram,
Inque oculis facinus barbara mater habet:

denn dass sie in die Paläste des Augustus versetzt werden,
ist wohl nur ein Gedächtnissfehler des Dichters. Des Aias
gedenkt Philostratus, 1) der Medea Plutarch. 2) Besonders
aber haben sich die Epigrammendichter dieser Bilder als
eines passenden Stoffes bemächtigt: wir besitzen noch jetzt
auf den Aias eines, auf die Medea eine ganze Reihe dieser
kurzen Gedichte. 3) Eines endlich 4) schildert, freilich ohne
den Namen des Künstlers zu nennen, das Gemälde der
Iphigenie.


Ueber das Einzelne der Darstellungen geben uns alle
die angeführten Quellen leider nur sehr ungenügende Aus-
kunft. Ja hinsichtlich des Aias haben sie sogar zu einer
verschiedenen Auffassung des Grundgedankens bei den Neue-
ren Veranlassung gegeben. Während man nemlich im Hin-
blick auf Philostratus und das Epigramm an Aias dachte,
wie er nach seiner Raserei und der Ermordung der Heerden
auf den Anschlag sinnt, sich selbst umzubringen, will Wel-
cker 5) unter Betonung des „vultu fassus iram“ bei Ovid
nicht den rasenden, sondern den gekränkten und darum
seinen Tod beschliessenden Helden erkennen. Doch scheint
es mir fraglich, ob wir auf diese Worte einen so grossen
Werth legen dürfen. Ovid scheint sich überhaupt wenig um
Kunstwerke gekümmert zu haben. 6) Hier schreibt er noch
dazu in der Verbannung aus blosser Erinnerung; und wie
er in der Bezeichnung des Ortes irrte, so mochte auch das
Bild selbst nicht mehr in allen Einzelnheiten ihm vor Augen
stehen. Endlich aber scheint mir auch der Ausdruck vultu
fassus iram der Situation des Aias nach der Ermordung der
Heerden nicht gerade zu widerstreiten. Denn ist auch da
der Zorn bereits der Reue und Schaam gewichen, so ist
doch jener Zorn der Grundzug im Wesen des Aias, aus dem
sich sein ganzes trauriges Geschick entwickelt, und als sol-
[278] cher musste er auch, selbst als er schon gebrochen, noch
durch jede andere Stimmung durchleuchten. Wenn wir dem-
nach dem Zeugnisse des Philostratus als eines Gewährs-
mannes, der ja auch sonst mit Kunstwerken sich vielfältig
beschäftigt hat, ein höheres Gewicht beilegen, so müssen
wir allerdings den leitenden Gedanken des Künstlers bei
der Verbindung des Aias mit der Medea nicht darin suchen,
dass er beide in durchaus gleicher Situation darstellen wollte
sondern vielmehr darin, dass er jene Wuth, welche nicht
selten bei den Alten als durch die besondere Einwirkung
von Dämonen, wie Oistros und Lyssa, hervorgerufen er-
scheint, in dem einen Bilde vor dem Eintritt der Katastrophe,
in dem anderen schon in ihren Consequenzen zeigte, nach
einem Princip der Composition, welches auch sonst vielfältig
bei der Auswahl zusammengehöriger Werke in Anwendung
gekommen ist. — Hinsichtlich der Medea ist wenigstens so
viel sicher, dass für ihre Darstellung der Moment vor der That
gewählt war, wo sie zwar das Schwert schon in der Hand
hält, aber noch unschlüssig erscheint, ob sie den Mord an ihren
eigenen Kindern vollziehen soll, indem der Zorn über Jason
und das Mitleid mit den Kindern noch mit einander kämpfen.
Das lehren uns namentlich die Epigramme; und wir ver-
mögen danach auch die Figur der Medea in einem Wandge-
mälde 1) als der Auffassung des Timomachos entsprechend
nachzuweisen. Nicht so bestimmt lässt sich darüber urthei-
len, ob auch die Kinder neben der Mutter in dem Bilde an-
gebracht waren. Da sie sich indessen auf den von Lucian 2)
und Lucilius 3) erwähnten Gemälden finden, wo wir dem Zu-
sammenhange nach eine Beziehung auf das Werk des Timo-
machos als die berühmteste Darstellung dieses Gegenstandes
nicht wohl abweisen können, so ist es mindestens sehr
wahrscheinlich, dass auch Timomachos den Kontrast mit
den in naivster Unschuld spielenden Kindern benutzt habe,
um das Vorhaben der Medea in um so grellerem Lichte er-
scheinen zu lassen. 4) Wie dem aber auch sei, so war in
[279] dem Gemälde das Grässliche der That selbst durchaus ver-
mieden; und es erklärt sich daher nur aus einer moralischen,
nicht künstlerischen Betrachtungsweise, wenn Plutarch 1) dem
Timomachos aus der Wahl des Gegenstandes einen Vorwurf
macht. In diesem Sinne glaube ich auch das Epigramm des
Philippus 2) auffassen zu müssen, welches Lessing 3) auf die
Medea eines andern Künstlers beziehen zu müssen glaubte,
worin ihm allerdings schon Ausonius in seiner freien Nach-
bildung bestimmt vorangegangen ist; 4) schon die Verewi-
gung der Mordgedanken scheint dem Dichter barbarisch,
und er nennt die Medea Kindermörderin auch vor der That,
da diese doch sicher bevorstehe und man auch in dem Ge-
mälde das Unmaass der Leidenschaft spüre. — In ähnlicher
Weise wie bei der Medea scheint dem darüber erhaltenen
Epigramme zufolge auch bei der Iphigenie der Kampf zwi-
schen den Gefühlen der priesterlichen, wenn auch noch so
verhassten Pflicht, und der Ahnung, dass ihr als Schlacht-
opfer der eigene Bruder gegenüberstehe, das Grundmotiv
der Darstellung abgegeben zu haben. Welchen der zahl-
reichen verwandten Momente aus der Sage des Orestes Ti-
momachos für seine Darstellung desselben gewählt habe,
sind wir leider zu bestimmen ausser Stande. Dass bei der
Gorgo die hohe Vortrefflichkeit auf den entsetzlichen Con-
trasten zwischen der Schönheit der Bildung und der Furcht-
barkeit des Ausdrucks beruht haben wird, dürfen wir wohl
auch ohne ein bestätigendes Zeugniss annehmen. — Unter
den noch übrigen Werken fällt wegen der eigenthümlichen
Benennung Lekythion auf. Zwar kennen wir Ληκυϑίων als
4)
[280] Sklavennamen aus Lucian, 1) aber durch des Plinius Zusatz
agilitatis exercitator werden wir auf die eigentliche Bedeu-
tung des Namens geführt. War nun etwa Lekythion, „Oel-
fläschchen,“ der wirkliche Name eines Lehrers der Athletik?
oder der Beiname eines solchen, der durch seine Lehre die
Glieder der Athleten schmeidigte gleich dem Inhalte des
Salbengefässes? oder ging der Eifer der Griechen, Alles zu
personificiren, so weit, dass sie aus dem Geräthe der Ath-
letik einen Athleten schufen, an welchem die Wirkung der
ersteren gewissermaassen verkörpert erschien?


Wichtiger als die Lösung dieser Schwierigkeit ist die
Frage nach der Zeit des Künstlers. Plinius sagt: Timoma-
chos malte zur Zeit Caesars. Ich muss diese Angabe für
durchaus irrthümlich halten und freue mich, in dieser An-
sicht mit Welcker 2) zusammengetroffen zu sein. Ueber-
blicken wir alles, was wir aus Caesar’s Zeit nicht nur über
die Malerei, sondern über den Zustand der Kunst im Allge-
meinen wissen, so werden wir nichts finden, was sich an
Bedeutung dem Timomachos zur Seite stellen liesse: nir-
gends begegnen wir einem Künstler, welcher durch eigenen
Geist und durch eigene Erfindung etwas so Gewaltiges und
namentlich etwas so Selbstständiges geleistet hätte, wie die
Gemälde des Timomachos nach den ihnen gespendeten Lob-
sprüchen gewesen sein müssen. Hierzu gesellen sich aber
noch mancherlei Bedenken mehr äusserlicher Art. Caesar
bezahlte für den Aias und die Medea achtzig Talente. Hätte
nun der Künstler auf Bestellung des Caesar gearbeitet, würde
da der Preis in Talenten und nicht vielmehr in Sestertien
festgesetzt worden sein? Ausserdem bezahlte Caesar die
Summe für zwei Bilder, von denen das eine nicht einmal
vollendet war; offenbar war also damals der Künstler nicht
mehr am Leben. Alle diese Schwierigkeiten fallen weg, so-
bald wir annehmen, dass Plinius durch einen Irrthum die
Zeit des Kaufes mit der des Künstlers verwechselt hat. Und
hierin müssen wir noch bestärkt werden, wenn wir hören,
dass zu Cicero’s Zeit die Einwohner von Kyzikos zwei Bil-
der des Aias und der Medea als den Stolz ihrer Stadt be-
trachteten, 3) in welchen wir unschwer die Werke des Timo-
[281] machos wiedererkennen. Denn, wie Welcker bemerkt: „so
häufig sind die Gemälde und Statuen nicht, die von den
Kunstkennern des Alterthums als ein Höchstes an ihrem Ort
oder in ihrer Art herausgestellt werden, dass sie sich in
derselben dargestellten Person, sei es die eines Gottes oder
eine heroische, begegnen sollten: und hier ist es nicht ein
einzelnes Werk, sondern ein Paar von Gegenstücken, ver-
einigt in Kyzikos, wie in Rom.“ Sollte aber selbst Plinius, 1)
wo er erzählt, dass Agrippa von der Stadt Kyzikos einen
Aias und eine Venus gekauft, aus Versehen eine Venus
statt der Medea genannt haben, und sollten daher diese
beiden Bilder mit den von Cicero genannten identisch sein,
so wird dadurch in der vorliegenden Frage nichts Wesent-
liches geändert, indem ja sehr wohl eine Wiederholung von
der Hand des Timomachos selbst vorhanden sein konnte,
welche Caesar kaufte. Auf keinen Fall werden wir das
Verdienst der Zusammenstellung des Aias und der Medea
dem Timomachos absprechen dürfen, und diese war bereits
zu Cicero’s Zeit berühmt.


Damit ist allerdings scheinbar jeder Halt für eine Zeit-
bestimmung des Künstlers verschwunden: gewisse allgemeine
Grenzen werden sich jedoch immer noch nachweisen lassen.
Bei Cicero, Plinius, Quintilian, Lucian finden wir häufig meh-
rere Maler in Verbindung mit einander genannt, welche ge-
wissermaassen als Repräsentanten ihrer ganzen Kunst zu
gelten haben. Sie wechseln bei den verschiedenen Schrift-
stellern, so dass die Reihe ihrer Namen keine ganz kurze
ist; aber keiner der in dieselbe aufgenommenen Künstler ist
jünger als Apelles und Protogenes oder der Zeit nach als
Ol. 120. Wir haben hier also eine Art von Kanon, wie in
der Litteratur, vor uns, welcher bald nach dem angegebenen
Zeitpunkte sich festgestellt haben muss, was um so wahr-
scheinlicher ist, als ja damals neben den übrigen wissen-
schaftlichen auch die kunstgeschichtlichen Studien blühten.
In dieser kanonischen Reihe nun finden wir den Namen des
Timomachos nirgends angeführt: nur einmal, wo die unvollen-
det gebliebenen Werke berühmter Künstler zusammengestellt
werden, wird Timomachos neben Aristides, Nikomachos und
[282] Apelles erwähnt. Hieraus glaube ich den Schluss ziehen zu
dürfen, dass er zur Zeit der Feststellung jenes Kanon noch
nicht gelebt hatte, und dass also, da er zu Caesars Zeit
schon lange den Todten angehörte, seine Blüthe in die ei-
gentliche Diadochenperiode zu setzen ist.


Die schönste Bestätigung gewinnt aber diese Zeitbe-
stimmung durch die Betrachtung der künstlerischen Eigen-
thümlichkeit des Timomachos selbst, wie uns dieselbe aus
seinen Werken entgegentritt.


Wir haben am Schlusse der vorigen Periode darauf hin-
gewiesen, wie sich nach und nach in der Malerei zwei Rich-
tungen neben einander ausgebildet hatten. Die eine legte
vorzugsweise Werth auf die künstlerische Durchführung,
und beschränkte sich daher meist auf wenige Figuren in ru-
higer Haltung, die mehr einen Gedanken, als eine Handlung
aussprechen sollten. In der andern herrscht das Streben
vor, durch eine lebendig bewegte Handlung das Interesse
des Beschauers zu fesseln. Aber während wir bei jener
über den Mangel an eigentlichem poetischen Schöpfungsver-
mögen klagten, mussten wir doch zugeben, dass auch bei
dieser der reichere Gehalt an poetischen Motiven zu sehr
nur für äussere Effecte benutzt wurde. Das grosse Ver-
dienst des Timomachos besteht nun darin, dass er die Vor-
züge beider Richtungen in sich zu vereinigen weiss. Seine
berühmtesten Werke sind, äusserlich betrachtet, Composi-
tionen der einfachsten Art, welche dem Künstler jede Ein-
zelnheit bis ins Feinste zu vollenden erlauben. Aber zugleich
enthalten sie einen inneren Reichthum poetischer Motive, der
uns nicht blos für das Fehlen einer mannigfaltigeren Bewe-
gung entschädigt, sondern unsere Einbildungskraft noch weit
mehr ahnen lässt, als je ein Künstler in einem Gemälde
hätte darstellen können. Ich setze hierher, was Lessing 1)
über diese Bilder bemerkt: „Aus den Beschreibungen er-
hellt, dass Timomachos jenen Punkt, in welchem der Be-
trachter das Aeusserste nicht sowohl erblickt, als hinzu-
denkt, jene Erscheinung, mit der wir den Begriff des Tran-
sitorischen nicht so nothwendig verbinden, dass uns die
Verlängerung derselben in der Kunst missfallen sollte, vor-
[283] trefflich verstanden und mit einander zu verbinden gewusst
hat. Die Medea hatte er nicht in dem Augenblicke genom-
men, in welchem sie ihre Kinder wirklich ermordet; sondern
einige Augenblicke zuvor, da die mütterliche Liebe noch
mit der Eifersucht kämpft. Wir sehen das Ende dieses
Kampfes voraus. Wir zittern voraus, nun bald bloss
die grausame Medea zu erblicken, und unsere Einbildungs-
kraft geht weit über alles hinweg, was uns der Maler in
diesem schrecklichen Augenblicke zeigen könnte. Aber eben
darum beleidigt uns die in der Kunst fortdauernde Unent-
schlossenheit der Medea so wenig, dass wir vielmehr wün-
schen, es wäre in der Natur selbst dabei geblieben, der
Streit der Leidenschaften hätte sich nie entschieden, oder
hätte wenigstens so lange angehalten, bis Zeit und Ueber-
legung die Wuth entkräften und den mütterlichen Empfin-
dungen den Sieg versichern können. … Ajax erschien
nicht, wie er unter den Heerden wüthet, und Rinder und
Böcke für Menschen fesselt und mordet. Sondern der Mei-
ster zeigte ihn, wie er nach diesen wahnwitzigen Helden-
thaten ermattet dasitzt, und den Anschlag fasst, sich selbst
umzubringen. Und das ist wirklich der rasende Ajax; nicht,
weil er eben jetzt raset, sondern weil man sieht, dass er ge-
raset hat; weil man die Grösse seiner Raserei am lebhafte-
sten aus der verzweiflungsvollen Scham abnimmt, die er
nun selbst darüber empfindet. Man sieht den Sturm in den
Trümmern und Leichen, die er an das Land geworfen.“
Wenn sonach die Leistungen des Timomachos als das Re-
sultat der verschiedenen Bestrebungen erscheinen, welche
sich um die Zeit Alexanders den Vorrang streitig machen,
wo wäre da wohl in der Entwickelungsgeschichte der Kunst
für ihn ein so geeigneter Platz, als in der Periode der Dia-
dochen? Für diese Ansicht findet sich aber endlich noch
eine schlagende Parallele in der Geschichte der Bildhauerei.
Der Aias des Timomachos ist das vollkommene malerische
Gegenstück zu dem plastischen Werke des Aristonidas:
Athamas, wie er nach der Tödtung seines Sohnes Learchos
reuig dasitzt (vgl. Th. 1, S. 465). Dieser Vergleich ist um
so treffender, als wir nicht mit Unrecht die ganze Auffas-
sung des Timomachos eine der plastischen sich annähernde
nennen können; daher denn auch die in der Medea durchge-
[284] bildeten Motive in der Plastik mehrfach Verwendung gefunden
zu haben scheinen, und die Darstellung der Gorgo, welche
ihm besonders gelungen war, ein von den Bildhauern mit
besonderer Vorliebe behandelter Gegenstand ist. Wenn uns
aber früher der Beweis nicht misglückt ist, dass eine solche
Entwickelung des Pathos in der Plastik nur in der Diado-
chenperiode ihre Stelle finden konnte, so wird dadurch ihre
durchaus analoge Erscheinung auf dem Gebiete der Malerei
zu derselben Zeit nur um so begründeter gefunden werden
müssen.


Maler in Kleinasien.


Artemon,
ein den Malern ersten Ranges nahestehender Künstler, malte
„die Danae von den Räubern angestaunt, die Königin
Stratonike, Herakles und Deianeira. Besonders be-
rühmt aber sind im Porticus der Octavia Herakles, wel-
cher vom Dorischen Berge Oeta der Sterblichkeit entkleidet
nach dem Willen der Götter zum Himmel emporsteigt, und
des Laomedon Geschichte mit Herakles und Posei-
don
:“ Plin. 35, 139. Nach Kleinasien setze ich diesen
Künstler wegen der von ihm gemalten Stratonike. Freilich
kommen in der Geschichte der Herrscher nach Alexander
mehrere Königinnen dieses Namens vor, und eine bestimmte
Entscheidung in dieser Beziehung kann daher nicht angege-
ben werden, wenn es auch nahe liegt an die berühmteste
ihres Namens, die Tochter des Demetrios Poliorketes zu
denken, welche Seleukos Nikator zuerst für sich zur Ge-
mahlin nahm, dann aber seinem Sohne Antiochos Soter ab-
trat: Plut. Demetr. fin. Lucian de dea Syr. 16 sq. Valer.
Max. V, 7, ext. 1. War es diese, welche Artemon malte,
so lebte er etwa Ol. 125. — Aus demselben Grunde herrscht
Unsicherheit hinsichtlich des


Ktesikles,
wie der Name wohl mit Recht aus Klesides verbessert wor-
den ist. Plinius (35, 240) erzählt von ihm, er sei durch die
Verachtung der Könige Stratonike bekannt geworden. Da
er nemlich bei ihr keine ehrenvolle Aufnahme gefunden, so
habe er sie gemalt in vertraulicher Umarmung mit einem
Fischer, den sie nach dem Gerede der Leute lieben sollte;
und dieses Gemälde stellte er im Hafen von Ephesos aus,
[285] während er selbst sich zu Schiffe entfernte. Die Königin
aber verbot es wegzunehmen, da oder trotzdem dass beider
Aehnlichkeit vortrefflich ausgedrückt war.


Milon,
nicht Mydon, aus Soli in Kilikien, Schüler des Bildhauers
Pyromachos, wird unter den einer flüchtigen Erwähnung
würdigen Malern von Plinius angeführt: Plin. 35, 146. Wegen
der Vaterstadt des Schülers ist der Lehrer wohl für den
Pyromachos zu halten, welcher am Hofe des Attalos etwa
Ol. 135 beschäftigt war.


Aristomenes und Polykles,
der erste aus Thasos, der zweite aus Adramytion in Mysien, von
Vitruv III, praef. §. 2. unter denen angeführt, deren Verdienst
den entsprechenden Nachruhm nicht gefunden, müssen wenig-
stens vor der Zeit der römischen Herrschaft gelebt haben,
und da sie mit Nikomachos zusammen genannt werden, viel-
leicht schon zur Zeit Alexanders.


Theodoros.
Wir haben hier von mehreren Künstlern dieses Namens zu
handeln. Diogenes Laertius II, 103 nennt 1) einen von Po-
lemon erwähnten Maler unbekannten Vaterlandes, 2) einen
Athener, von dem Menodot geschrieben habe, 3) einen Ephe-
sier, dessen Theophanes in der Schrift über Malerei ge-
denke. Dazu kommt 4) ein Samier, den Plinius (35, 146)
mit Stadieus als Schüler des uns unbekannten Nikosthe-
nes
unter den einer flüchtigen Erwähnung würdigen Künst-
lern anführt. War dieser Stadieus der athenische Bildhauer,
der Lehrer des Polykles, so gehören er und seine Mitschüler
etwa an das Ende der makedonischen Epoche, gegen Ol. 150.
Der erste Theodoros dagegen kann als von Polemon erwähnt
spätestens im Beginne derselben gelebt haben. Der Ephesier
ist unbekannt. Was den Athener anlangt, so wissen wir
wenigstens etwas über Menodot, sofern nemlich der Meno-
dot, welcher von ihm berichtet, derselbe Samier ist, welcher
über die Merkwürdigkeiten von Samos und über die des
Tempels der samischen Hera schrieb, wobei natürlich der
Kunstwerke gedacht sein musste. Dies führt auf die Vermu-
thung, dass der Athener Theodoros, sofern er etwa in Samos
arbeitete oder vielleicht dorthin übergesiedelt war, mit dem
von Plinius erwähnten Samier identisch sein könne.


[286]

Apaturios
aus Alabanda in Karien, malte eine Scene für ein kleines
Theater zu Tralles. Er brachte dabei Figuren statt der Säu-
len, Kentauren, welche das Gebälk trugen, Kuppeln, Dächer,
Löwenköpfe als Wasserabflüsse u. a. an; und setzte darauf
nichts destoweniger noch ein ganzes Geschoss von allerlei
Bauten. Wegen der eleganten Ausführung fing sein Werk
an Beifall zu finden, bis ein Bürger Likymnios (so liest Sil-
lig cat. art. p. 58 statt Licinius) darauf aufmerksam machte,
wie die Alabandeer zum Gespött geworden, weil sie auf dem
Forum Statuen von Athleten, in den Gymnasien von Rednern
aufgestellt hätten; so möchten die Bewohner von Tralles
sich vorsehen, dass sie nicht wegen des Unpassenden in der
Anlage der Scene den Alabandeern und Abderiten an die
Seite gestellt würden. Auf diese Bemerkung hin änderte
Apaturios sein Werk. Vitruv, welcher diese Erzählung
(VII, 5) mittheilt, benutzt sie, um auf ähnliche Geschmack-
losigkeiten seiner Zeit hinzuweisen; und da er sich des Aus-
rufes bedient: Utinam dii immortales fecissent, ut Licymnius
revivisceret, so kann Apaturios nicht wohl später als in der
vorliegenden Periode gelebt haben.


Aristobulos,
„Syrus,“ also ein Syrier (wie es auch einen König der
Juden Aristobulos gab), vielleicht unter den Seleuciden, wird
von Plinius 35, 146 unter den einer flüchtigen Erwähnung
würdigen Malern angeführt.


Maler in Rhodos.


Obwohl die Malerei in Rhodos durch Protogenes zu ho-
her Blüthe gelangt war, so kennen wir doch keinen Maler,
welcher ausdrücklich Rhodier genannt wird. Dagegen fin-
den wir unter den rhodischen Bildhauern eine ganze Reihe,
deren Namen unter den Bildhauern wiederkehren. Da es
nun nicht selten ist, dass ein Künstler in beiden Zweigen
thätig war, wie wir dies z. B. von dem berühmtesten Vertreter
der rhodischen Kunst, von Protogenes wissen, so dürfen wir
wohl jene Maler ohne Weiteres mit den Bildhauern identifi-
ciren, um so mehr, als sich eine Gleichheit der Auffassung
in den Erzeugnissen beider Kunstgattungen ohne Schwierig-
keit nachweisen lässt.


[287]

Drei dieser Maler führt Plinius unter denen an, welche
im Range sich an die ausgezeichnetsten anschliessen (primis
proximi):


Philiskos
malte die Werkstätte eines Malers, worin ein Knabe Feuer
anbläst: Plinius 35, 143; vgl. Th. I, S. 668.


Simos
malte einen ruhenden Jüngling, eine Walkerwerkstätte, einen,
der die Quinquatrus (ein fünftägiges Minervenfest) feierte;
endlich eine vorzügliche Nemesis: Plin. 35, 143; vgl. Th. I,
S. 467.


Tauriskos
malte einen Diskoswerfer, Klytaemnestra, einen Panisken,
Eteokles, der die Herrschaft wieder zu erlangen trachtet, und
Kapaneus: Plin. 35, 144; vgl. Th. I, S. 471.


Unter den einer flüchtigen Erwähnung würdigen Ma-
lern erscheint:


Mnasitimos,
Sohn und Schüler des Aristonidas; wonach auch der
letztere für einen Maler zu halten sein wird. Sein Name
stand auch wirklich früher in demselben Verzeichnisse bei
Plinius, hat aber nach den besseren Handschriften dem eines
unbekannten Aristokydes weichen müssen: Plin. 35, 146;
vgl. Th. I, S. 464.


Ophelion
ist bekannt aus zwei spielenden, nemlich vor- und rückwärts
lesbaren Epigrammen des Nikodemos von Heraklea: Anall.
II, 382, n. 2—3. Das erste bezieht sich auf ein Bild des
bocksfüssigen Pan; das zweite auf eine Darstellung der
Aërope, der Gemahlin des Atreus. Ueber die Auffassung
des Gegenstandes lässt sich kaum eine Vermuthung aufstel-
len: der Dichter spricht von der Gestalt der Aërope in Thrä-
nen, den Ueberresten des unseligen Mahles und der Strafe
oder Pein (ποινήν), welche rein durch den Ausdruck, aber
auch z. B. durch eine furienartige Gestalt dargestellt sein
konnte (vgl. z. B. die im Bull. dell’ Inst. 1851, p. 25 u. 42
beschriebene Vase). Ueber Zeit und Familie des Künstlers
s. Th. I, S. 465.


[288]

Maler in Aegypten.


Von griechischen Künstlern in Aegypten haben wir in
der vorigen Periode Antiphilos, Timon und seine Tochter He-
lena kennen gelernt. An sie reihen wir jetzt an:


Galaton.
Er malte den Homer, wie er sich übergiebt und die andern
Dichter, wie sie zu sich nehmen, was er von sich gegeben:
Aelian V. H. XIII, 22; Schol. Lucian. Contempl. c. 8. Nicht
ohne Wahrscheinlichkeit vermuthet Meyer (Kunstgesch. II,
S. 193), dass dieses Bild in die Zeit des Ptolemaeos Philo-
pator gehöre. Aelian erwähnt nemlich zugleich mit dem
Bilde den Tempel, welchen dieser dem Homer errichtet
hatte. In demselben stand die Statue des Dichters und um
ihn herum die Städte, welche sich die Ehre seiner Geburt
zuschrieben, so dass sich das Bild fast wie eine Parodie auf
diese göttliche Verehrung ausnimmt.


Euanthes.
Achilles Tatius (III, 6 sqq.) beschreibt zwei zu einander ge-
hörige Gemälde: Andromeda und Prometheus darstellend,
als im Tempel des Zeus Kasios zu Pelusion befindlich. Da
in der ganzen ausführlichen Beschreibung nichts auf eine
poetische Fiction hindeutet, so sehe ich nicht ein, weshalb
man den von Achilles überlieferten Künstlernamen Euanthes
für erdichtet hat halten wollen, in welcher Ansicht mir be-
reits Welcker (zu Philostrat. p. LXIII) vorangegangen ist.
Ich halte vielmehr Euanthes wegen des Ortes, an welchem
sich seine Werke befanden, für einen Maler der alexandri-
nischen Epoche. Ueber seine künstlerische Eigenthümlich-
keit lässt sich nach der rhetorischen nur auf den Inhalt der
Malereien gerichteten Beschreibung nicht urtheilen. Die Dar-
stellungen selbst sind übrigens in der ganzen Auffassung ein-
fach: Andromeda mit einem langen feinen Gewande beklei-
det, ist an den Felsen geschmiedet. Das nach ihr gerichtete
Ungeheuer taucht nur mit dem Kopfe aus dem Meere auf,
während der übrige Körper durch das Wasser durchschim-
mert. Dazwischen erscheint aus der Luft herabsteigend Per-
seus, nackt bis auf eine Chlamys, beflügelt an den Füssen
und mit der Kappe des Hades auf dem Haupte; dazu be-
waffnet mit dem Haupt der Medusa, und dem auf der einen
Seite mit einer Sichel versehenen Schwerte. Durchaus ent-
[289] sprechend ist das andere Gemälde componirt: Prometheus,
ebenfalls an den Felsen geschmiedet, wird vom Adler be-
droht, aber schon hat Herakles den Bogen zu seiner Befrei-
ung gespannt.


Polemon
aus Alexandria, wird von Plinius (35, 146) einer flüchtigen
Erwähnung gewürdigt.


Demetrios.
Als Ptolemaeos Philometor von seinem Bruder vertrieben
nach Rom kam, kehrte er bei einem alexandrinischen Maler
ein, wie Valerius Maximus (V, 1, 1) berichtet. Seinen Na-
men Demetrios erfahren wir aus Diodor (Exc. XXXI, 8,
p. 84 ed. Mai), welcher ihn ausserdem als τοπογϱάφος be-
zeichnet. Man hat diesen Ausdruck theils geradezu verän-
dern, theils verschieden erklären wollen, bis man ziemlich
allgemein ihn durch Landschaftsmaler übersetzt hat (vgl.
Raoul-Rochette Lettre à Mr. Schorn, p. 271 sqq.). Noch
strenger dem Wortsinne entsprechend würde die Ueber-
setzung Landkartenmaler sein. Dass es solche geben musste,
kann uns nach dem, was Varro (de R. R. 1, 2) über eine
Karte von Italien bemerkt, nicht zweifelhaft sein, wenn wir
auch gern zugeben, dass diese Art von Karten in der
ganzen Behandlung sich der Landschaftsmalerei annähern
mochte. Gerade für einen Alexandriner aber erscheint die
Beschäftigung mit diesem Kunstzweige besonders passend. —
Ist demnach dieser Demetrios nicht Maler im engeren Sinne,
so werden wir den von Diogenes Laertius V. 83 erwähnten
gleichnamigen Künstler nicht mit ihm verwechseln dürfen.


Menippos.
Zwei Maler dieses Namens führt Diogenes Laertius (VI, 101)
aus Apollodor an, wohl dem Athener, welcher bis Ol. 156, 4
lebte, so dass also die Künstler sicher vor die römische
Zeit fallen.


Im eigentlichen Griechenland richten wir unsere Auf-
merksamkeit zunächst auf die:


Nachblüthe der sikyonischen Schule.


Aratos, dem Sikyon seine politische Erhebung verdankte,
übte auch auf die Kunst einen fördernden Einfluss. Wie er
darin nach Plutarch (Arat. c. 12) ein nicht ungebildetes
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 19
[290] Urtheil besass, so scheint er auch persönlich die Künstler
zu sich herangezogen zu haben: die aus seiner Zeit bekann-
ten Maler aus Sikyon erscheinen fast alle in persönlicher
Verbindung mit ihm. Zuerst finden wir nochmals einen
Künstler desselben Namens, der uns früher von Kleinasien
nach Sikyon überführte, nemlich:


Timanthes.
Er malte „recht ausdrucksvoll in der Anordnung“ (ἐμφατι-
κῶς τῆ διαϑέσει τὴν μάχην ἔχουσαν) die Schlacht des Aratos
gegen die Aetoler bei Pellene in Arkadien, welche Ol. 135, 1
geliefert ward: Plut. Arat. 32. Plutarch erwähnt freilich
weder das Vaterland noch die Abstammung des Künstlers;
doch leitet uns die Verbindung mit Arat auf Sikyon hin.
Nehmen wir ferner darauf Rücksicht, dass in den griechi-
schen Familien häufig die Namen, wie auch die Kunst fort-
erbten, so wird man wenigstens die Möglichkeit eines Zu-
sammenhanges mit dem älteren Timanthes nicht ableugnen.
Schliesslich darf wohl auch noch die Vermuthung aufgestellt
werden, dass der Timanthes, welcher Arat auf seiner Reise
nach Aegypten begleitete, kein anderer als der Maler gewesen
sei, zumal bei dieser Reise an den Hof eines kunstliebenden
Ptolemäers die künstlerischen Interessen als Unterstützung
für politische Zwecke keineswegs eine unbedeutende Rolle
spielten; vgl. Plut. Arat. 12.


Als einen Freund des Arat haben wir schon früher


Nealkes
erwähnt. Er war es, der das Bild des Tyrannen von Sikyon
Aristratos, ein Werk des Melanthios und seiner Schüler,
vom völligen Untergange rettete: Plut. Arat. 13; vgl. Preller
Polem. fr. p. 47. Ihn für einen Sikyonier zu halten, veran-
lasst uns eben so, wie bei Timanthes, nur das Freundschafts-
verhältniss mit Arat. Durch dessen Vermittelung mag er
dann später am Hofe des Ptolemaeos Beschäftigung gefunden
haben, worauf der Gegenstand eines seiner Gemälde, einer
Schlacht zwischen Aegyptern und Persern auf dem Nil zu
deuten scheint. Plinius (35, 142) nennt ihn scharfsinnig und
erfindsam, ingeniosus et sollers in arte, und erläutert diesen
Ausspruch an dem eben erwähnten Gemälde. Um nemlich
zu zeigen, dass das Treffen auf dem Nil geliefert werde,
dessen breite Fläche leicht zu einer Verwechselung mit dem
[291] Meere hätte Anlass geben können, half er sich damit, dass
er „argumento“ durch die Auffassung des Gegenstandes deut-
lich machte, was er „arte“ mit den technischen Mitteln der
Kunst nicht vermochte. Er malte nemlich einen Esel, der
am Ufer sich tränkte und ein Krokodil, welches ihm nach-
stellte. Hieran lässt sich die Anekdote anreihen, welche
Plinius (35, 104) als Seitenstück zu einer ähnlichen von
Protogenes erzählt, ohne Nennung des Nealkes aber auch
von andern berichtet wird: Valer. Max. VIII, 11, ext. 7;
Plut. de fort. p. 99 B. Dio Chrys. Or. 64; Sext. Empir.
Pyrrh. Hypoth. 1, 28 Bekk., welcher fälschlich Apelles statt
Nealkes nennt. Auf einem Bilde nämlich, in welchem er
ein Paar Rosse darstellte, welche ihr Führer zurückhielt und
mit dem Munde zu kirren suchte (poppyzonta), wollte ihm
der Schaum an den Nüstern trotz aller aufgewendeten Mühe
nicht gelingen; da warf im Zorn der Künstler einen Schwamm
mit allerlei Farben getränkt auf die verzweifelte Stelle und
der Zufall ergänzte, was die Kunst nicht vermocht hatte. —
Ein drittes Werk, eine Venus, erwähnt Plinius nur mit einem
Worte: 35, 142.


Den Werth des Künstlers können wir nur danach be-
messen, dass Plinius ihn in der immer noch sehr ehrenwer-
then zweiten Klasse der primis proximi anführt, über welche
sich wohl von seinen Zeitgenossen kein einziger erhoben
hat, indem die höchste Blüthe überhaupt bereits vorüber
war. Doch muss sein Ruhm zu allgemeinerer Geltung ge-
kommen sein, da in der öfter erwähnten Stelle des Fronto
(epist. p. 170 Rom.) unter den berühmtesten Namen auch der
des Nealkes erscheint, als eines Künstlers, dessen Eigen-
thümlichkeit es entgegen sei, magnifica, prächtige Darstel-
lungen zu liefern. Auf jeden Fall dürfen wir ihn für den
hauptsächlichsten Vertreter dieser Nachblüthe der sikyoni-
schen Schule halten, da er mit der Trefflichkeit seiner eige-
nen Leistungen noch das bedeutende Verdienst verknüpft,
als Lehrer durch mehrere tüchtige Schüler den Fortbestand
der Schule gesichert zu haben. Unter diesen finden wir:


Anaxandra,
seine eigene Tochter: Didymus bei Clem. Alex. Strom. IV.
p. 523 B Sylb. Sollte nicht vielleicht bei Plinius unter den
in dritter Reihe angeführten Malern (35, 146) diese Malerin
19*
[292] an die Stelle des unbekannten Anaxander gesetzt wer-
den müssen?


Erigonus,
ursprünglich Farbenreiber des Nealkes, machte bei diesem
solche Fortschritte, dass er sogar noch einen berühmten
Schüler zurückliess, nemlich:


Pasias,
den Bruder des Bildhauers Aeginetes: Plin. 45, 145. Dieser
Künstler, der etwa bis gegen Ol. 150 am Leben sein konnte,
ist das jüngste uns bekannte Glied der sikyonischen Schule.
— Als Schüler des Nealkes haben wir aber vielleicht noch
einen dritten hinzuzufügen; nemlich:


Xenon,
einen der in dritter Reihe von Plinius angeführten Maler:
35, 146. Denn da der als sein Lehrer genannte Neokles
gänzlich unbekannt ist, so liegt der Verdacht einer Verwech-
selung mit Nealkes sehr nahe, um so mehr, da Xenon Si-
kyonier war.


Nach Sikyon gehört wahrscheinlich auch:


Leontiskos,
nach Plinius (35, 141) ein Maler zweiten Ranges, als dessen
Werke eine Harfenspielerin und Aratos als Sieger mit der
Trophäe angeführt werden. Das letztere glaubt Harduin auf
den Sieg über Aristippos, Tyrannen von Argos, in der 136sten
Olympiade (Plut. Arat. 28) beziehen zu dürfen, was freilich
nur die Geltung einer Vermuthung haben kann.


Mnasitheos,
als Sikyonier unter den Künstlern dritten Ranges von Pli-
nius (35, 146) genannt, ist vielleicht ebenfalls ein Zeitgenosse
des Aratos. Wenigstens wird bei Plutarch (Arat. 7) ein
Mann dieses Namens erwähnt, welcher dem Arat bei der
Befreiung seiner Vaterstadt Beistand leistet und sehr wohl
der Maler sein könnte.


Als Peloponnesier mag hier


Pytheas
aus Bura in Achaia seinen Platz finden: Steph. Byz. s. v.
Βοῦϱα. Von ihm befand sich zu Pergamos ein Elephant;
was jedoch die folgenden Worte des Stephanos bedeuten sol-
len: ἐλέφας, ἀπὸ τοιχογϱαφίας … ὢν ὡς Φίλων, vermag ich nicht zu
[293] entscheiden. Die Erwähnung von Pergamos leitet auf die
Zeit der Diadochen.


Die Maler im übrigen Griechenland.


Olbiades
malte zu Athen in der Curie der Fünfhundert den Kallippos,
welcher die bei den Thermopylen gegen die Gallier aufge-
stellten Athener befehligte: Paus. I, 3, 5, vgl. I, 42; X, 20, 5.
Die Niederlage der Gallier fällt in das zweite Jahr der 125sten
Olympiade: Paus. X, 23, 14.


Stadieus,
der Schüler des Nikosthenes, von Plinius (35, 146) unter
den einer flüchtigen Erwähnung würdigen Malern angeführt,
kann nur insofern hier eine Stelle finden, als er möglicher
Weise mit dem gleichnamigen Bildhauer, dem Lehrer des
Polykles, identisch ist; vgl. Th. I, 537.


Ueber einen Athener Theodoros vgl. die kleinasia-
tischen Künstler.


Metrodoros.
„Zur Zeit der Besiegung des Perseus von Makedonien (168
v. Ch. G.) lebte in Athen Metrodoros, Maler und Philosoph
zugleich, und in beiden Zweigen des Wissens von grossem
Ansehen. Als daher nach der Besiegung des Perseus L. Pau-
lus die Athener bat, dass sie ihm einen recht tüchtigen Phi-
losophen zur Erziehung seiner Kinder, und ebenso einen
Maler zur Decorirung seines Triumphes schickten, wählten
sie den Metrodor mit der Erklärung, dass sie ihn für den
geeignetsten zur Erfüllung beider Wünsche hielten; und dies
erkannte auch Paulus an:“ Plin. 35, 135. Bei der Mehrsei-
tigkeit seiner Bildung dürfen wir wohl auch den Metrodor,
welcher über Architektonik schrieb und von Plinius unter
den Quellen des 35sten Buches angeführt wird, für dieselbe
Person halten. Schultz (in Jahn’s Jahrb. XI, S. 83) meint,
dass „der Maler und Philosoph kein anderer sei, als der
Metrodor von Stratonikea, dessen Diogenes Laërt. X, 9 ge-
denkt als eines, der von den Epikureern zu den Akademikern
übergetreten sei und sich dem Karneades angeschlossen
habe. Diogenes spricht zwar in der genannten Stelle so,
als wenn er ihn für einen unmittelbaren Schüler des Epikur
und nachher des Karneades hielte, was aber allen Gesetzen
[294] der Chronologie widerspricht, indem zwischen dem Tode des
Erstern und dem Auftreten des Letztern als Lehrer wenig-
stens 70 Jahre verflossen sind, und also nur dadurch erklärt
werden kann, dass Diogenes den jüngern Metrodor mit dem
älteren Epikureer desselben Namens verwechselt hat. Auch
Cicero de orat. I, 11, 45 macht einen Metrodor, wahrschein-
lich denselben, zu einem Zuhörer des Karneades.“


Heraklides.
„Einen Namen hat auch der Makedonier Heraklides; anfangs
malte er Schiffe und zog nach Besiegung des Perseus (168
v. Ch. G.) nach Athen:“ Plin. 35, 135. Später führt ihn
Plinius unter den einer flüchtigen Erwähnung würdigen
Künstlern nochmals an: §. 146. Die Nachlässigkeit des Pli-
nius erklärt sich wahrscheinlich aus der Verschiedenheit der
Quellen, welche er benutzte, indem z. B. die erste Erwäh-
nung dadurch veranlasst erscheint, dass unmittelbar vorher
ein anderer Künstler aus dem Norden Griechenlands ange-
führt wird, nemlich:


Athenion
aus Maroneia in Thrakien, ein Schüler des sonst unbekann-
ten Glaukion von Korinth. Von ihm sagt Plinius (35, 134),
dass er mit Nikias verglichen und zuweilen diesem sogar
vorgezogen werde; er sei düsterer in der Farbe; doch habe
diese Düsterheit etwas angenehmes, indem nemlich aus dem
Gemälde selbst die grosse Kenntniss hervorleuchte. Wäre
er nicht in seiner Jugend gestorben, so würde ihm niemand
verglichen werden. Er malte im Tempel zu Eleusis den
Phylarchos, zu Athen eine Versammlung: frequentiam quam
vocavere syngenicon, ferner Achilles im Jungfrauenkleide
verborgen und Odysseus, der ihn ertappt; und auf einer
Tafel sechs Figuren, und wodurch er besonders berühmt
ward, das Bild eines Reitknechts mit dem Pferde. Um zu-
erst vom Texte des Plinius zu sprechen, so glaube ich, dass
die sechs Figuren auf einer Tafel die Erklärung zu der vor-
hergenannten frequentia bilden, sei es, dass die Worte „in
una tabula VI signa“ an falscher Stelle vom Rande in den
Text aufgenommen, oder dass die Erwähnung des Gemäldes
des Achilles erst bei Gelegenheit einer zweiten Redaction
eingeschoben wurde. — Eine Darstellung der Verkleidung
des Achill beschreibt der jüngere Philostratos (1); doch
[295] fehlen uns positive Beweise, welche dieses Bild oder auch
irgend eines der in Pompeji entdeckten (vgl. Overbeck: he-
roische Bildw. S. 292) mit dem Originale des Athenion in
Verbindung zu setzen erlaubten. — Ueber frequentia, s. oben
unter Pamphilos. — Was Phylarchos anlangt, so kennen
wir allerdings einen Mythen- und Geschichtsschreiber, wel-
cher nach Vossius (de hist. gr. I, c. 17) noch Ol. 155 am
Leben war. Wäre es dieser, welchen Athenion gemalt hatte,
so würde er mit Heraklides und Metrodor gleichzeitig sein,
neben denen er bei Plinius erscheint. Allein Preller (Dem.
u. Pers. S. 376) bemerkt mit Recht, dass Phylarchos eben
so wohl einen Obersten der Reiterei bezeichnen könne. In-
dem er dabei auf den Vergleich des Athenion mit Nikias
hinweist, macht er darauf aufmerksam, dass Pausanias (1,
26, 3) einen athenischen Führer Olympiodoros zur Zeit des
Kassander erwähnt, welcher sich namentlich in einem Tref-
fen gegen die Makedonier bei Eleusis auszeichnete und des-
halb unter anderen durch ein Bild an diesem Orte geehrt
wurde. Obwohl die Zeit des Treffens nicht genau angegeben
ist, so lässt sich doch daraus, dass Kassander Ol. 121, 1
stirbt und unter Ol. 121, 3 ein Archon Olympiodor angeführt
wird, der Schluss ziehen, dass Athenion um Ol. 120, als ein
etwas jüngerer Zeitgenosse des Nikias in der Kunst thätig
gewesen sein mag.


Rückblick.


Die Thatsache, dass unsere Nachrichten über die Ma-
lerei während der Periode der Diadochen äusserst dürftig
sind, wird von vorn herein uns minder auffällig sein, wenn
wir uns erinnern, dass wir hinsichtlich der Bildhauerei den-
selben Mangel zu beklagen hatten. Dieselben Gründe,
welche dort wirkten, haben ihre Geltung auch hier. Sie
beruhen darin, dass einer Seits bald nach Alexanders Tode
die höchste Blüthe der Kunst bereits vorüber war, anderer
Seits die Quellen unserer Nachrichten über die frühere
Zeit meist auf die Schriftsteller der Diadochenperiode zu-
rückgehen, welche auf ihre eigenen Zeitgenossen keine Rück-
sicht nahmen (vgl. Th. 1, S. 504). Wir haben diese Um-
stände wegen der Maler vielleicht weniger zu bedauern, als
wegen der Bildhauer. Denn während die Kunst der letzteren
[296] noch ein ganz neues Stadium zu durchlaufen hatte, scheint
die Malerei nach Alexander die einmal eingeschlagenen Bah-
nen kaum noch verlassen zu haben. Sie war der Bildhaue-
rei vorangegangen und hatte gerade die Elemente, welche
diese noch später in sich aufzunehmen hatte, bereits am
Schlusse der vorigen Periode für ihre Zwecke verarbeitet.
Die politischen Verhältnisse hatten sich nach diesem Zeit-
punkte, wenn auch vielfach äusserlich, doch ihrem inneren
Wesen nach nicht geändert; Einzelnherrschaften und Repu-
bliken bestehen neben einander; und während die Bildhauerei
wegen der materiellen Hülfsmittel, deren sie bedarf, ihre
Wohnsitze zu verändern gezwungen ist, lässt sich bei der
Malerei kaum ein merklicher Wechsel ihrer geographischen
Verbreitung wahrnehmen. Athen freilich tritt auch hier et-
was in den Hintergrund; dagegen bewahren für Sikyon die
alten begründeten Verhältnisse ihre Bedeutung. In Asien
finden wir, wenn auch eben so wenig wie früher eine be-
stimmte Schule, doch einzelne Künstler; und nur in Rhodos
scheint durch die Blüthe der Sculptur auch ein Mittelpunkt
für eine ausgebreitetere Uebung der Malerei entstanden zu sein.
Was von anderwärts her, von Aegypten, Makedonien, be-
richtet wird, beschränkt sich auf vereinzelte Notizen.


Ueber die Art der technischen Durchführung wird uns
eigentlich nirgends ein Wink gegeben, wohl darum, weil sie
durchaus dieselbe wie früher blieb. Dass die Erfindung
oder weitere Ausbildung der Mosaik in diese Periode fällt,
ist natürlich für die weitere Entwickelung der eigentlichen
Malerei zunächst ohne Belang, da dieser neue Kunstzweig zu-
nächst nur rein decorativen Zwecken diente. Auch ob die
wissenschaftlichen Studien, welche für die Sculptur um diese
Zeit so hohe Bedeutung gewinnen, von Einfluss auf die Ma-
lerkunst sind, lässt sich nirgends nachweisen, ja im Hinblick
auf eine bestimmte Erscheinung fast bezweifeln. Durch
Gründlichkeit der Bildung behauptet nemlich auch jetzt die
Schule von Sikyon einen unbestrittenen Vorrang: sie allein
z. B. ist es, welche eigentlich historische Aufgaben, Darstel-
lungen von Schlachten, noch mit glücklichem Erfolge zu
lösen versteht. Ihre Tüchtigkeit ist indessen offenbar die
Wirkung der sicheren Schultradition, nicht das Ergebniss
von Studien nach ganz neuen Richtungen hin. Wenn sie
[297] nun trotzdem das Uebergewicht über alle andern bewahrte,
so beweist dies zunächst freilich nur die Vortrefflichkeit
ihrer Grundlagen, zugleich aber auch indirect den Mangel
an Ernst und Strenge in den Bestrebungen ihrer Nebenbuh-
ler. Leider sind wir ausser Stande, diese Behauptung noch
weiter und im Einzelnen durchzuführen. Denn die Nach-
richten über ihre Werke beschränken sich meist auf die
blosse Angabe des Inhaltes ihrer Darstellung, ohne auf die
Charakteristik der geistigen Auffassung irgendwie einzugehen.
Im Allgemeinen scheint nur so viel aus ihnen zu ergeben,
dass namentlich diejenige Richtung der Kunstübung sich einer
besondern Begünstigung zu erfreuen hatte, als deren Haupt-
vertreter wir am Ende der vorigen Periode den vielseitigen
Antiphilos kennen lernten. Sie suchte die lebendigen, be-
wegten Aeusserungen des Lebens in den verschiedensten
Beziehungen, sei es in seiner rein materiellen Thätigkeit, sei
es in geistiger oder affectvoller Erregung zu erfassen. Nach
der einen Seite hin führt dies zu reiner Genrebildung, für
deren Gedeihen einige Werke rhodischer Künstler, das Ma-
leratelier mit dem Feuer anblasenden Knaben von Philiskos,
die Walkerwerkstatt Quinquatrusfeier 1) von Simos, Zeug-
niss ablegen. Auf der anderen Seite erklärt sich daraus
das Vorwiegen gewisser Arten von mythologischen Darstel-
lungen. Man wählte Scenen, welche eine lebendige Entfal-
tung der Handlung zuliessen: die Befreiung der Andromeda
oder des Prometheus, Herakles, der vom ötäischen Scheiter-
haufen zum Olymp aufsteigt, des Herakles Streit mit Lao-
medon, Danae von Seeräubern bewundert; mit noch grös-
serer Vorliebe aber wandte man sich der Bearbeitung sol-
cher Momente zu, die schon an sich bei dem Beschauer die
lebhafteste Aufregung, Furcht und Entsetzen, hervorrufen
mussten. Gemälde, wie die der Aerope, der Klytaemnestra,
des Eteokles, Kapaneus, verdankten ihren Ruf gewiss der
Gewalt des ihnen inwohnenden tragischen Pathos. Daneben
mochte allerdings auch die entgegengesetzte Kunstrichtung,
welche weniger in der Handlung, als in einer vollendeten
Durchführung ihr Verdienst suchte, ihre Verehrer finden.
[298] Eine Venus, ein Pan, eine Harfenspielerin, ein Mann mit
einem oder zwei Rossen, Arat als Sieger mit einer Trophäe
führen uns auf den Kreis von Ideen, in welchem früher
Apelles und Protogenes sich bewegten. Das Glänzendste jedoch
brachte diese Zeit auch nach dem Urtheile der Alten da
hervor, wo die Vorzüge der bisher betrachteten verschie-
denen Bestrebungen sich zu einer Einheit verschmolzen zei-
gen. Dies war in den Werken des Timomachos der Fall.
Ohne zu den äusserlichen Effecten seine Zuflucht zu nehmen,
welche die materielle Behandlung von Schreckenscenen in
voller Ausführlichkeit darzubieten vermochte, verstand er
es, durch die feinste Durchführung der psychologischen
Motivirung, in seinem Aias und der Medea unter der Hülle
einer scheinbaren äusseren Ruhe doch die tiefste innerste
Erregung zur Anschauung zu bringen und den Beschauer
die unwiderruflich nahende tragische Katastrophe ahnen zu
lassen; oder in der Gorgo die schönsten Formen mit dem
Ausdrucke der Erstarrung des Todes zu erfüllen. Solche
Werke zeigen, dass auch in der Malerei die Kraft des Gei-
stes, welche einen Laokoon zu schaffen vermochte, noch
nicht erstorben war. Aber Timomachos steht vereinzelt da:
seine Erscheinung gleicht dem Lichte, welches vor dem Ver-
löschen noch einmal einen hellen, aber kurzen Glanz ver-
breitet, um uns die folgende Dunkelheit nur um so deut-
licher empfinden zu lassen.


Anhang.


In der Geschichte der Bildhauer haben wir diejenigen
von Plinius angeführten Namen, welche anderwärts keine
Stelle finden konnten, am Schlusse der Periode der Diado-
chen zusammengeordnet. Dieselben Gründe, welche uns dort
(vgl. Th. I, S. 519 u. 525) zu diesem Verfahren bestimmten,
gelten auch hier bei den Malern. Alle Meister ersten Ranges
sind bereits früher behandelt worden; von den ihnen zu-
nächst stehenden (primis proximi) ein grosser Theil. Nach-
zutragen sind:


XXXV, §. 138: Aristokleides, „welcher den Tempel
des Apollo zu Delphi malte.“ Was hierüber Raoul-Rochette
(Lettre à Mr. Schorn p. 226) bemerkt, beruht auf Misver-
ständniss eines Fragmentes des Polemon (N. 28 bei Preller).


[299]

§. 139. Androbios malte den Skyllos, wie er die An-
ker der persischen Flotte abschneidet. Ueber diesen Taucher
und den Schaden, welchen er der am Felsenufer des Pelion
sich aufhaltenden Flotte des Xerxes zufügte, sprechen He-
rodot VIII, 8, Pausanias X, 19, 1 u. a.; vgl. Jacobs zur An-
thologie Th. 8, S. 364.


Koinos malte „stemmata,“ d. i. Geschlechtstafeln; vgl.
oben unter Pamphilos.


§. 140. Kleon ward bekannt durch ein Bild des
Kadmos.


Kratinos „comoedus Athenis in pompeio pinxit.“ Spä-
ter, §. 147 führt Plinius Eirene an als die Tochter und
Schülerin des Malers Kratinos, welche zu Eleusis „ein
Mädchen“ gemalt hatte: puellam, nach einer nicht unwahr-
scheinlichen Vermuthung Raoul-Rochette’s (peint. inéd. p. 222)
ungenaue Uebersetzung von Κόϱην, d. h. also die Proserpina
selbst. Doch könnte auch, wie Preller (Dem. u. Pers. S. 377)
meint, das Bild einer sogenannten παῖς ἀφ̕ἑςτίας bezeichnet
sein, indem solchen Kindern häufig von ihren Aeltern ein
Denkmal in Eleusis gestiftet worden sei: vgl. Boeckh C. J. Gr.
n. 393, 443 sqq. Auch Clemens Alexandrinus (Strom. IV,
p. 523 B ed. Sylb.) spricht von der Malerin Eirene als Toch-
ter des Kratinos, ohne dabei des Komödiendichters oder
Schauspielers zu gedenken. Dazu ist es auffallend, dass
Plinius sagen sollte, er malte in dem Pompeion, ohne dabei
den Gegenstand anzugeben. Ich halte daher mit Raoul-
Rochette (peint. inéd. p. 221) das comoedus der besten
Handschriften für verderbt aus comoedos, und erkläre das
Verderbniss eben daher, dass es einen bekannten Komödien-
dichter Kratinos gab. Ausserdem erscheinen mir Darstel-
lungen aus der Komödie gerade für ein Gebäude, wie das
Pompeion, passend, in welchem die öffentlichen Festzüge
ausgerüstet wurden: vgl. Paus. I, 2, 4.


§. 141. Eudoros ist durch ein Scenenbild bekannt;
derselbe machte auch Bildsäulen aus Erz.


Habron malte die Amicitia und Concordia und Götter-
bilder. Später, §. 146, nennt Plinius seinen Sohn Nessos
unter den weniger bedeutenden Künstlern.


Leon malte die Sappho; vielleicht ist er identisch mit
dem gleichnamigen Bildhauer: Th. 1, S. 527.


[300]

Nearchos (früher Nikaearchos genannt) malte eine
Venus zwischen den Grazien und Amoren, so wie Herakles
traurig aus Reue über seine Raserei. Von seiner Tochter
und Schülerin Aristarete führt Plinius §. 147 einen Asklepios
an. Was Osann aus Tortellius de orthogr. v. Nicaearchus
mittheilt, ist wörtlich aus Plinius abgeschrieben, aber keines-
wegs aus einer guten Handschrift.


§. 143. Oenias malte „syngenicon,“ wahrscheinlich ein
Familienbild, s. oben unter Pamphilos;


Phalerion die Scylla (nicht nothwendig das Meerun-
geheuer, sondern möglicher Weise die Tochter des Nisos,
wie sie in einem der bei Tor Marancio gefundenen Gemälde
dargestellt ist: Raoul-Rochette peint. inéd. pl. III; Biondi
monum. Amaranz. tav. 4).


Simonides malte den Agatharch und die Mnemosyne.


§. 146. „Nicht unberühmt, aber doch nur im Vorbei-
gehen zu nennen“ sind:


Aristokydes (an dessen Stelle früher Aristonides stand).


Anaxander (vielleicht aus Versehen für Anaxandra
gesetzt, s. o. unter den spätern Sikyoniern).


Dionysodoros aus Kolophon;


Euthymides;


Nessos, s. Habron §. 141.


§. 148. „Auch Frauen malten:“


Timarete, die Tochter des Mikon, welcher nach Pli-
nius 35, 59 zur Unterscheidung von dem Zeitgenossen des
Polygnot den Beinamen des Jüngern führte (ob etwa der Bild-
hauer aus Syrakus zur Zeit des zweiten Hieron? vgl. Th. I, S. 502).
Von ihr befand sich ein Bild der Artemis zu Ephesos „anti-
quissimae picturae;“ etwa in streng archaisirendem Styl?


Eirene, s. o. Kratinos §. 140.


Kalypso malte einen Greis und den Gaukler Theodo-
ros; so wie den Tänzer Alkisthenes (so nach den besten
Handschriften, während früher Alcisthene saltatorem ge-
lesen und danach eine Malerin dieses Namens angenommen
wurde).


Aristarete, s. o. Nearchos §. 141.


§. 148. „Auch eine gewisse Olympias war Malerin,
von der nur erwähnt wird, dass sie einen Schüler Auto-
bulos
hatte.“


[301]

Vor die Zeit der römischen Herrschaft gehören wahr-
scheinlich auch noch folgende nicht näher zu bestimmende
Maler:


Timaenetos
malte in dem Gebäude zur Linken der Propyläen einen Rin-
ger: Paus. 1, 22, 7.


Phasis
malte den Kynegeiros, welcher bei der Verfolgung der Per-
ser nach der Schlacht bei Marathon beide Hände verlor
(vgl. Herod. VI, 114). In dem Bilde, welches ein Epigramm
des Cornelius Longinus (Anall. II, 200, n. 2) beschreibt, war
er noch mit den Händen dargestellt, wahrscheinlich wie er
damit ein persisches Schiff zurückzuhalten suchte.


Anaxenor,
„ein Magneter hatte das Bild eines Sängers gemalt und die
Verse aus der Odyssee:


Ἤτοι μὲν τόδε καλὸν ἀκούεμεν ἐστὶν ἀοιδοῦ

τοιοῦδ̛ οἷος ὅδ̛ἐστὶ ϑεοῖς ἐναλίγκιος αὐδήν

darunter geschrieben, wegen Enge des Raums aber den letz-
ten Buchstaben ausgelassen, so dass, wer es las, über
das ϑεοῖς ἐναλίγκιος αὐδή lachte; Eustath. ad. Od IX, 11,
p. 1612, 36:“ Welcker, Rh. Mus. N. F. VI, S. 389.


Aristomachos.
Von ihm spricht ein Epigramm des Antipater aus Thessalo-
nike (Anall. II, 114, n. 22):


Ἡ τὰ πέδιλα φέϱουσα, Μενεκϱάτις · ἡ δὲ τὸ φᾶϱος,

Φημονόη · Πϱηξὼ δ̛ἣ τὸ κύπελλον ἔχει.

τῆς Παφίης ὁ νεὼς καὶ τὸ βϱέτας · ἄνϑεμα δ̛αὐτῶν

ξυνόν · Στϱυμονίου δ̛ἔϱγον Ἀϱιστομάχου.

αἱ τϱεῖς ἀσταὶ ἔσαν καὶ ἑταιϱίδες · ἀλλὰ τυχοῦσαι

Κύπϱιδος εὐκταίης · νῦν ἑνός εἰσι μία.

Sillig glaubt, dass es sich hier um Statuen der drei Hetären
handle; einfacher ist vielleicht ein Gemälde zu verstehen,
welches sie darstellte mit dem Tempel und Bilde der Aphro-
dite im Hintergrunde. Uebrigens bietet eine Handschrift statt
Aristomachos den Namen des Aristomenes, so dass hier viel-
leicht an den oben erwähnten tüchtigen, aber wenig be-
rühmten Maler gedacht werden könnte. Dass jener Thasier,
[302] dieser Strymonier genannt wird, dürfte unsere Vermuthung
nur bestärken, da beides recht wohl von einem und dem-
selben Manne gesagt werden könnte.


Sechster Abschnitt.
Die Maler zur Zeit der römischen Herrschaft.


Nach Plinius Meinung soll die Malerei in Mittelitalien
schon in den ältesten Zeiten geblüht haben. Er spricht
(35, 17—18) von trefflichen Gemälden, älter als Rom, zu
Ardea, Lanuvium, Caere; und wie nach seiner Angabe bei
der Vertreibung der Bacchiaden aus Korinth (Ol. 29) die
Plasten Eucheir, Diopos, Eugrammos den Demarat,
den Vater des Tarquinius Priscus, nach Italien begleiteten,
so soll demselben nach Cornelius Nepos auch ein korinthi-
scher Maler Ekphantos gefolgt sein: Plin. 35, 16. Es ist
bereits am Anfange der Geschichte der Maler nachgewiesen
worden, wie die chronologischen Angaben des Plinius hier
nach meist ungegründeten Voraussetzungen zurechtgelegt
sind; weshalb wir ihnen keinen Werth beizulegen vermö-
gen. — Wir wenden uns daher sofort zu der völlig histo-
rischen Zeit, wo wir in Rom bald nach der Mitte des dritten
Jahrhunderts der Stadt als die ersten namhaften Künstler
zwei Griechen finden, Damophilos und Gorgasos, über
welche bereits früher gesprochen worden ist; vgl. Th. I,
S. 530; Th. II, S. 75. Der nächste Maler der Zeit nach
ist dagegen ein ächter Römer:


Fabius Pictor.
„Auch bei den Römern gelangte diese Kunst frühzeitig zu
Ehren, indem sogar Mitglieder des berühmten Geschlechts
der Fabier von ihr das Cognomen Pictor entlehnten, und
der erste dieses Beinamens den Tempel der Salus malte im
Jahre der Stadt 450, welche Malerei sich bis zu unserer
Zeit erhalten hatte, als der Tempel unter der Regierung des
Claudius abbrannte:“ Plin. 35, 19. Auf sie bezieht sich ein
Fragment des Dionys von Halikarnass (Exc. lib. XVI, 6):
„die Wandgemälde sind in der Zeichnung ganz sorgfältig,
[303] in der Mischung der Farben ganz angenehm, und haben
eine Frische, welche ganz frei ist von aller sogenannten
Kleinkrämerei.“ Als Gegenstand der Darstellung vermuthet
Niebuhr die Schlacht des C. Bubulcus gegen die Samniter
(röm. Gesch. III, 415). Unmittelbar nach ihm wird:


Pacuvius
von Plinius (35, 19) angeführt, der bekannte tragische Dich-
ter und Schwestersohn des Ennius (lebt 534—624 d. St.) von
welchem sich ein Gemälde im Tempel des Hercules am
Forum Boarium befand. Nachher, fährt Plinius fort, ward
diese Kunst in den Händen edler Römer nicht gefunden,
erst aus dem Beginne der Kaiserzeit führt er wieder einige und
auch da nur sehr vereinzelte Beispiele an. In ähnlicher
Weise klagt auch Cicero (Tuse. I, 2, 4), dass schon dem
Fabius das Malen nicht eben zum Lobe angerechnet worden
sei, woraus es sich erkläre, dass die Römer so wenig be-
deutende Künstler aufzuweisen hätten.


Theodotus.
Spottweise wird von Naevius in der Tunicularia (Festus s.
v. penis) ein Maler Theodotus erwähnt, welcher an den
Compital-Altären spielende Laren mit einem dicken Pinsel
malt. Die Verse lauten nach O. Ribbecks Recension so:


Theodotum

Compíles, [nuper] qui áras Compitálibus

Sedéns in cella círcumtectus tégetibus

Larés ludentes péni pinxit búbulo.

Ungewiss ist, von welcher Herkunft:


M. Plautius,
der Maler des Tempels von Ardea, war; denn das Epi-
gramm seiner Gemälde, welches Plinius 35, 115 mittheilt,
hat sich noch immer nicht zu voller Befriedigung herstellen
lassen. Nach Sillig lautet es:


Dignis dignu’ loco picturis condecoravit

Regina Junoni’ supremi coniugi’ templum

Plautiu’ Marcus Cleoetas Alalia exoriundus,

Quem nunc et post semper ob artem hanc Ardea laudat.

Dagegen conjicirt Lachmann (zu Lucret. Vol. II, p. 216) v. 1.
Dignis digna loces . picturis; v. 3. Plautiu’ Marcu’, cluet qui
[304] Asia lata esse oriundus; Bergk (exerc. Plin. II, p. 10): v. 1.
Dignis digna luco p. v. 3. Plautiu’ Marcu’: cluet Asia
lata e. o.


Durch den Zusatz: das Gedicht sei in alten lateinischen
Buchstaben geschrieben, scheint Plinius auf ein sehr hohes
Alter der Gemälde schliessen zu wollen. Wir dürfen uns
jedoch dadurch nicht zu gewagten Folgerungen verleiten
lassen. Vielmehr bleibt uns ein anderer, bisher nicht be-
trachteter Haltpunkt für eine chronologische Bestimmung:
die Verse sind Hexameter, und der Hexameter fand erst
durch Ennius (515—585 d. St.) in Rom Eingang. Die Ge-
mälde sind also jünger, als der zweite punische Krieg.


Ueber Novius Plautius s. Th. 1, S. 531.


Als nun Rom Griechenland selbst bekämpfte und unter-
jochte, wandten sich, wie wir schon bei den Bildhauern ge-
sehen (Th. 1, S. 535 fg.), Künstler in grösserer Zahl von
dort nach Rom. Unter den Malern ist das älteste uns be-
kannte Beispiel Metrodor, von dem bereits gesprochen
worden ist. Reichlich ein halbes Jahrhundert später (etwa
100 v. Ch. G.) finden wir:


Jaia, Sopolis und Dionysios, Serapion.
„Jaia 1) aus Kyzikos, die ihr Leben lang Jungfrau blieb,
malte zur Jugendzeit des M. Varro zu Rom mit dem Pinsel
sowohl, als mit dem Cestrum auf Elfenbein vorzüglich Frauen-
portraits, zu Neapel eine Frau auf einer grossen Tafel;
auch ihr eigenes Bild nach dem Spiegel. Keiner hatte eine
schnellere Hand in der Malerei; ihre Kunst aber war so
gross, dass sie ihre Arbeiten theuerer bezahlt erhielt, als
die damals berühmtesten Portraitmaler Sopolis und Dionysios,
von deren Gemälden die Pinakotheken voll sind.“ Plin. 35,
147. Varro war 638 d. St., 116 v. Ch. G. geboren. Wahr-
scheinlich bezieht sich auf diesen Dionysios eine andere
Stelle des Plinius, in welcher er im Gegensatz zu Sera-
pion
erscheint: „Ganz anders verhält es sich mit Serapion,
[305] dessen Gemälde, wie Varro sagt, alle Balcone (Maeniana)
unter den alten Hallen (sub veteribus, am Forum) bedeckte.
Er malte Scenen ganz vortrefflich, konnte dagegen keinen
Menschen malen; dagegen malte Dionysios nichts anderes
als Menschen, und erhielt daher den Beinamen Anthropogra-
phos:“ Plin. 35, 113. Der griechische Beiname für einen
Künstler, der doch, wie es scheint, zumeist in Rom arbei-
tete, kann allerdings einigermassen auffallen; und da nach
Aristoteles Dionysios, der Zeitgenosse des Polygnot, seine
Menschen „ὁμοίους εἴκαζε,“ so hat man wohl auf ihn jenen
Beinamen beziehen wollen. Allein dieser war keineswegs
ein Portraitmaler, und nur auf einen solchen, der wirkliche
Menschen abbildet, scheint der Beiname zu zielen, wie z. B.
auch ἀνϑϱωποποιὸς bei Lucian (Philops. 18). Dazu müssen
wir den Zusammenhang der Stelle bei Plinius ins Auge fas-
sen: sie ist zwischen die zusammengehörige Erwähnung der
Kleinmaler Peiraeikos und Kallikles u. s. w. aus Varro ein-
geschoben, bildet aber selbst ein zusammengehöriges Ganze.
Eben darum aber glaube ich nicht, dass hier Serapion, ein
Künstler der römischen Zeit, mit einem Zeitgenossen des
Polygnot, zusammengestellt werden würde, wogegen es
durchaus angemessen erscheint, wenn Varro seine eigenen
Zeitgenossen unter dem Gesichtspunkte des Gegensatzes mit
einander verbindet. Das Gemälde des Serapion hat offenbar
an dem von Plinius angegebenen Orte keine bleibende Auf-
stellung gefunden, sondern diente nur zur zeitweiligen Ver-
herrlichung einer Festlichkeit oder eines Triumphes, ähnlich
denen, von welchen Plinius mehrfach (z. B. 35, 22 u. 52)
spricht. — Dass Sopolis noch im Jahre 700 d. St. eine Art
Malerschule in Rom hatte, geht aus einem in diesem Jahre
geschriebenen Briefe des Cicero hervor, in welchem:


Antiochus Gabinius
„einer von den Malern des Sopolis, Freigelassener und ac-
census des Gabinius,“ erwähnt wird: ad Att. IV, 16.


Ueber Tlepolemos, den Spürhund des Verres, s. Th. I,
S. 608.


Arellius,
„kurz vor Augustus in Rom, würde mit Recht berühmt sein,
wenn er nicht durch seine hervorstechende Liederlichkeit
seine Kunst beschimpft hätte, indem er stets von Liebe zu
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 20
[306] irgend einer Frau entbrannt, zwar Göttinnen malte, aber
unter dem Bilde seiner Geliebten; so dass man an seinen
Bildern seine Dirnen zählen kann“: Plin. 35, 119.


Im Beginne der Kaiserzeit finden wir wieder eine Reihe
von Malern mit römischen Namen, von denen jedoch nur
einer durch eine neue und eigenthümliche Kunstrichtung her-
vortritt:


Ludius.
„Auch Ludius zur Zeit des Augustus soll nicht um seinen
Ruhm betrogen werden, indem er zuerst eine höchst an-
muthige Art von Wandmalereien einführte: Villen und Hallen
und Gartenanlagen (topiaria opera), Haine, Wälder, Hügel,
Wasserbehälter, Gräben, Flüsse, Ufer, wie sie jemand wün-
schen mochte; dazu mannigfaltige Figuren von Spazierenden
und Schiffenden und Leuten, welche ihre Landgüter zu Esel
oder zu Wagen besuchen, ferner Fischende, Vogelsteller,
Jäger, Leute auf der Weinlese. Unter seinen Werken finden
sich z. B. schöne Villen mit sumpfigem Zugange, wo die
Männer zuversichtlich die Frauen auf die Schultern genom-
men haben und nun unter ihrer Last zaghaft schwanken,
und vieles Witzige der Art vom feinsten Salze. Er malte
auch zuerst im Freien Seestädte vom reizendsten Ansehen
und mit äusserst geringem Aufwande:“ Plin. 35, 116—117.
Ueber die Bedeutung seiner Erfindung wird in dem Rück-
blicke auf diese Periode gesprochen werden.


Turpilius.
„Nach Pacuvius ward die Malerei nicht mehr in den Händen
edler Römer gefunden, wenn man nicht etwa den Turpilius,
einen römischen Ritter aus der Provinz Venetia in unserer
Zeit anführen will, von dem schöne Werke noch heute in
Verona vorhanden sind. Er malte mit der linken Hand, was
von keinem vorher gemeldet wird:“ Plin. 35, 20.


Titidius Labeo.
„Mit kleinen Bildchen brüstete sich der vor kurzem in ho-
hem Alter gestorbene Titidius Labeo, der Prätor gewesen
war, und das Proconsulat der Provincia Narbonensis verwaltet
hatte; aber das gereichte ihm zum Gespött und fast zur
Schande:“ Plin. 35, 20.


[307]

Q. Pedius.
„Zu bemerken ist ein Rathschluss der ersten Männer im
Staate über die Malerei: da Q. Pedius, der Enkel des Q. Pe-
dius, der Consul und Triumphator gewesen und von Caesar
als Dictator dem Augustus zum Miterben gegeben war, von
Natur stumm war, so beschloss der Redner Messala, aus
dessen Familie des Knaben Grossmutter stammte, ihn die
Malerei lernen zu lassen, was auch Augustus billigte. Der
Knabe hatte bereits grosse Fortschritte in dieser Kunst ge-
macht, als er starb:“ Plin. 35, 21.


Amulius.
„Vor kurzem lebte auch Amulius, ein ernster und strenger
und zugleich glänzender Maler (gravis ac severus idemque
floridus pictor). Von ihm war eine Minerva, welche den
Beschauer anblickte, von welcher Seite man sie auch ansah.
Wenige Stunden des Tages malte er und auch das mit ernst-
hafter Würde, nämlich in der Toga, obwohl auf den Gerüsten
stehend. Der Kerker seiner Kunst war das goldene Haus
(des Nero), weshalb sich sonst nicht viele Stücke von ihm
finden:“ Plin. 35, 120. Der Name des Künstlers ward früher Fa-
bullus geschrieben. Ferner findet sich nach floridus in den
Handschriften noch ein Wort, in der besten umidus, in den
schlechtern stufenweise bis zu humilis, humilis rei verderbt.
Umidus, d. h. humidus, giebt keinen passenden Sinn. Will
man daher das ganze Wort nicht für eine Interpolation hal-
ten, was Sillig nicht ohne Wahrscheinlichkeit vermuthet, so
entspricht noch am meisten den Spuren der Handschriften
die v. Jan’sche Conjectur: et tumidus, wodurch dem Künst-
ler ein gewisser Schwulst, ein Uebermaass blühenden Styls
beigelegt würde, wie z. B. von einigen dem Cicero hinsicht-
lich der Sprache: Quintil. XII, 10, 12. Freilich brauchte
auch dieses Wort nicht ursprünglich von Plinius herzurühren,
sondern könnte ein Glossem zur näheren Erklärung von flo-
ridus sein. Was seine Minerva anlangt, so ist keineswegs,
wie nach Durand Sillig annimmt, an eine schielende Bildung
zu denken. Bildnisse, welche der Künstler so auffasst, dass
der Dargestellte ihm selbst scharf ins Auge blickt, werden,
richtig durchgeführt, stets dieselbe Wirkung üben.


Cornelius Pinus und Attius Priscus.
„Nach dem eben Genannten standen in Ansehen Cornelius
20*
[308] Pinus und Attius Priscus, welche den Tempel der Honos
und Virtus bei der Wiederherstellung durch Vespasian mal-
ten; Priscus nähert sich mehr den Alten:“ Plin. 35, 120.


Hiermit schliesst Plinius, und wir mit ihm, die Reihe
der einigermassen bedeutenden römischen Maler. Allerdings
wissen wir von einer ganzen Reihe von Kaisern, dass sie
sie sich mit Malerei beschäftigten, so von Nero (Suet. Nero
52; Tacit. ann. XIII, 3; Dio Chrysost. LXXI, p. 381 ed. Reiske),
Hadrian (Dio Cass. 69, 3 u. 4; Suidas s. v.; Spartian c.
14; Aur. Vict. epit. c. XIV, 2), Marc Aurel (Capitolin.
c. 4), Alexander Severus (Lamprid. c. 27), Elagabal
(Lamprid. c. 30; Herodian V, 5), Valentinian (Amm. Mar-
cell. XXX, 9, 4; Aur. Vict. epit. c. XLV). Aber wir wer-
den ihnen deshalb doch nicht einen Platz unter den Künst-
lern, sondern nur unter den Dilettanten einräumen.


Ausser den eigentlich römischen sind nur noch wenige
andere Maler aus der Kaiserzeit bekannt:


Alexandros.
Sein Name: ΑΛΕΞΑΝΔΡΟΣ
ΑΘΗΝΑΙΟΣ
ΕΓΡΑΦΕΝ (so nicht ἔγϱαψεν)
findet sich auf einer Umrisszeichnung auf Marmor, welche
mit drei andern vollkommen ähnlich behandelten, also wohl
ebenfalls von seiner Hand herrührenden, im Jahre 1746 zu
Resina entdeckt wurde, und daher nicht jünger, als der Aus-
bruch des Vesuv unter Titus sein kann: C. J. Gr. 5863;
Mus. Hercul. I, 1—4. Wie wir aber in der Sculptur durch
zahlreiche Beispiele eine Nachblüthe der attischen Kunst in
Rom nachzuweisen vermochten, so dürfen wir auch diesen
Alexandros zu einem ähnlichen Beweise hinsichtlich der Ma-
lerei benutzen, indem die Reinheit und der Adel seines Styls
bei der durch die Linearzeichnung gebotenen höchsten Ein-
fachheit, sich nur durch ein Anlehnen an vortreffliche Muster
älterer Zeit erklären.


Dorotheos.
Als die Anadyomene des Apelles gänzlich verdorben war,
setzte Nero eine andere von der Hand des Dorotheos an
ihre Stelle: Plin. 35, 91. Ob diese eine zu Nero’s Zeit
[309] gefertigte Copie, oder ein älteres Werk oder ältere Copie
war, lässt sich nicht entscheiden.


Diognetos
wird von Capitolinus (c. 4) als Lehrer des Marc Aurel in
der Malerei genannt; und in dem von ihm selbst verfassten
Leben des Kaisers (I, στ´) heisst es, dass Diognet ihn auch
in andern Dingen unterwiesen habe: καὶ ὅσα τοιαῦτα τῆς Ἑλ-
ληνικῆς ἀγωγῆς ἐχόμενα. Wir werden keinen Anstand nehmen,
mit Casaubonus den Philosophen und Maler für identisch
zu halten, wenn wir uns das verwandte Beispiel des Metro-
dor vergegenwärtigen.


Eben so war


Hermogenes,
gegen dessen stoische Schriften Tertullian ein Buch geschrie-
ben, auch Maler; cap. 1: pingit illicite. Er lebte also in
der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts.


Eumelos und Aristodemos.
Aristodemos aus Karien, der Gastfreund des ältern Philo-
stratos, und also etwa zur Zeit des Septimius Severus le-
bend, schrieb über berühmte Maler, über Städte, in denen
die Malerei geblüht, über Könige, welche sie beschützt. Da-
neben malte er aber auch selbst, und zwar in der Manier
des Eumelos: κατὰ τὴν Εὐμήλου σοφίαν: Philostr. imagg. prooem.
Von diesem Eumelos erwähnt Philostratos (Vit. Sophist. II, 5,
p. 570) das Bild einer Helena, welches am Forum in Rom
aufgestellt war. Ob er der unmittelbare Lehrer des Aristo-
demos oder ein älterer Künstler war, vermögen wir nicht
anzugeben:


Karterios,
ein Maler zur Zeit des Plotin, also um die Mitte des dritten
Jahrhunderts, wird von Porphyrius im Leben des Plotin c. 1
rühmend erwähnt. Er machte das Portrait dieses Philoso-
phen ohne dessen Wissen nach aufmerksamer Beobachtung.


Hilarius,
ein Bithynier, ward unter Valens (364—379) von Barbaren
auf dem Lande bei Athen getödtet. Von ihm sagt Eunapius
(vit. philos. et soph., vit. Prisci p. 94), er sei bei der Rein-
heit seiner übrigen Erziehung in der Malerei so gebildet
gewesen, dass in seinen Händen Euphranor nicht gestorben
zu sein scheine.


[310]

Lucillus
wird als Maler von Symmachus (unter Valentinian) geprie-
sen: Ep. II, 2; IX, 47.


Kallikrates.
Theophylactus Simocatta (ep. 6), der im achten Jahrhundert
lebte, hat den Namen des Kallikrates als Malers eines Por-
traits wohl nur für poetische Zwecke fingirt.


Mehrere Maler sind uns nicht sowohl wegen ihrer Kunst
bekannt geworden, als wegen einiger Witze und Anekdoten,
zu welchen sie Veranlassung gegeben. Dahin gehören drei,
welche in Epigrammen des Lucillius, eines Zeitgenossen des
Nero, erwähnt werden:


Menestratos
malt Deukalion und Phaethon, von denen der eine würdig ist
durch Feuer, der andere durch Wasser vernichtet zu werden:
Anall. II, 337, n. 93. Der Ausdruck γϱάψας und die Ver-
gleichung von Martial V, 53 machen es jedoch zweifelhaft,
ob hier von Gemälden und nicht vielmehr von schlechten
Tragödien die Rede ist.


Eutychos,
der zwanzig Kinder gezeugt, konnte es nicht einmal in die-
ser Kunst so weit bringen, dass ihm eins ähnlich gerieth:
Anall. II, 337, n. 94.


Rufus
der Maler, und Phaedrus, der Anwalt, wetten, wer schneller
und ähnlicher male: γϱάψει. Während nun Rufus noch die
Farben reibt, hat Phaedrus schon einen Scheincontrakt fer-
tig, εἰκονικὴν ἀποχήν: Anall. II, 339, n. 105.


Hierher gehören ferner:


Diodor.
Er stellte ein Portrait des Menodotos aus, das jedem, nur nicht
dem Menodot ähnlich war: Anall. II, 191, n. 5 von Leonidas
aus Anthedon, der zur Zeit Nero’s lebte:


Artemidor,
Martial V, 40: vielleicht ein Schriftsteller, der als Dilettant
eine schlechte Minerva gemalt hatte:
Pinxisti Venerem, colis Artemidore Minervam,
Et miraris opus displicuisse tuum.


[311]

L. Mallius.
„Bei L. Mallius, der für den besten Maler in Rom galt,
speiste einst Servilius Geminus und bemerkte, als er dessen
hässliche Kinder sah: non similiter, Malli, fingis et pingis,
worauf dieser: in tenebris enim fingo, luce pingo:“ Macrob.
Sat. II, 2.


Didymus.
Einen Maler dieses Namens hat man in folgenden Versen
des Martial (XII, 13) finden wollen:
Facundus mihi de libidinosis
Legisti nimium, Sabelle, versus,
Quales nec Didymi sciunt puellae,
Nec molles Elephantidos libelli.

Mir scheint jedoch Didymus ein Dichter oder Schriftsteller
zu sein, bei welchem die Mädchen redend eingeführt waren.


Publius.
Martial spottet: I, 110 über einen gewissen Publius, der in
sein Hündchen förmlich verliebt ist, und dasselbe malt, um
sein Andenken auch nach dem Tode zu bewahren. Wahr-
scheinlich war Publius in der Malerei nur Dilettant.


Kallides,
von Lucian (dial. meretr. 8, c. 3) beiläufig erwähnt, ist wohl
nur ein erdichteter Name.


Als Supplement zu den Malern mögen hier noch die
wenigen uns bekannt gewordenen Mosaikarbeiter eine
Stelle finden:


Sosos.


„Fussböden, mit Kunst nach Art der Malerei ausgear-
beitet, haben ihren Ursprung bei den Griechen, bis die Litho-
strota (die Täfelung mit kostbaren Steinen) diese Kunst ver-
trieben. Am berühmtesten in dieser Art ist Sosos, der zu
Pergamos den oekos asarotos, das ungefegte Haus, aus-
führte, so genannt, weil er die Speisereste und was sonst
ausgekehrt zu werden pflegt, als sei es auf den Fussböden
liegen geblieben, mit kleinen, mannigfach gefärbten Würfel-
chen dargestellt hatte. Bewundernswerth ist daran eine
Taube, welche trinkt und das Wasser durch den Schatten
des Kopfes dunkler macht; andere sonnen sich und reiben
sich an dem Rande des Gefässes:“ Plin. 36, 184. Die Zeit
[312] des Sosos lässt sich allerdings nicht genauer bestimmen;
doch werden wir ihn wegen der Erwähnung von Pergamos
in die Periode der Attalen setzen dürfen. Sein von Plinius
beschriebenes Werk scheint sehr allgemein gefallen zu haben;
das lehren Stellen, wie Statius Silv. 1, 3, 55:
varias ubi picta per artes
Gaudet humus superare novis asarota figuras;

so wie die zahlreichen Nachahmungen: die bekannten capito-
linischen Tauben aus der Villa Hadrians bei Tivoli: Mus. Cap.
IV, 69, eine Wiederholung des Fussbodens, in Africa ge-
funden: Revue arch. Ann. I, n. XII, und eine zweite mit
dem Namen des Künstlers:


Heraklitos,
welche auf dem Aventin zu Rom entdeckt, jetzt im Lateran
aufbewahrt wird: Bull. dell’ Inst. 1833, p. 82. Die Inschrift
lautet ΗΡΑΚΛΙΤΟΣΗΡΓΑ ΣΑΤΟ: C. J. Gr. n. 6753.


Dioskurides
aus Samos: ΔΙΟΣ ΚΟΥΡΙΔΗΣΣΑΜΙΟΣ ΕΠΟΙΗΣΕΝ (C. J.
Gr. n. 5866 b), ist durch zwei in Pompei gefundene Mosaike
von grosser Feinheit bekannt: das eine derselben ist publicirt
im Museo borbonico IV, Tav. 34 und zeigt uns drei maskirte
weibliche Figuren nebst einem Kinde, welche zum Tambou-
rin, Krotalen und Flöten einen Tanz aufführen. Das andere
scheint das Seitenstück zum ersten zu bilden; denn wir fin-
den hier ebenfalls drei maskirte weibliche Gestalten nebst
einem Knaben, nur dass die Scene ruhiger gehalten ist, in-
dem die Hauptfiguren sitzend dargestellt sind: Winckelmann
Gesch. d. Kunst XII, 1, 11; vgl. Neapels antike Bildwerke
S. 428, wo abweichend eine Figur als männlich bezeichnet
wird.


Ariston und T. Flavius.
Im Jahre 1823 wurden an der Via Appia bei Rom unter an-
dern Mosaiken auch zwei mit dem Namen der Künstler
entdeckt. Das eine mit der Inschrift T. FLAVIVS (fa)
(von schlechter Erhaltung liess nur einen farbig ausgeführten
Apollokopf erkennen; das andere mit dem Namen des Aristo:
ARISTO FAC zeigte drei Satyrn, welche eine Nymphe ver-
folgen: P. E. Visconti in den Atti dell’ accad. pontif. di ar-
cheol. II, pag. 670.


Zweifelhaft ist mir, ob


[313]

Methyllos und Manicos
hier eine Stelle verdienen. Ihre Namen finden sich in einer
Inschrift von Nismes, welche nach der älteren fehlerhaften
Abschrift:


ΜΕΘΘΙΛΛΟΣ ΚΑΣ

ΣΙΜΟΤΟΥ ΛΟΥΣΕΤΟ

ΜΑΝΙΚΟΣ ΚΕΚΟΝΙΑΚΕ

von Raoul-Rochette (peint. ant. inéd. p. 421) so ergänzt und
emendirt wird:


ΜΕΘΥΛΛΟΣ ΚΑΤ[ΕΣΚΕΥ]

ΑΖΕΤΟ ΤΟ ΜΟΥΣΕΙΟΝ

ΜΑΝΙΚΟΣ ΚΕΚΟΝΙΑΚΕ.

P. Aelius Harpocration, genannt Proclus
wird in einer griechischen Inschrift erwähnt, der zufolge ihm
zu Perinth eine Statue errichtet wurde, wegen der Aus-
schmückung des Tychetempels: C. J. gr. n. 2024: Ἀγαϑῇ
[τ]ύχῃ ἡ βουλὴ καὶ ὁ δῆμος ἐτείμησεν Πό. Αἴλιον Ἁϱποκϱατίωνα
τὸν καὶ Πϱὸκλον, τὸν τὸ Τύχαιον κατασκευάσαντα. Ἀλεξανδϱεῖς οἱ
πϱαγματευόμενοι ἐν Πεϱίνϑφ τὸν ἀνδϱιάντα ἀνέστησαν τειμῆς χάϱιν.
Dass es sich um ein Mosaik, ähnlich vielleicht dem im For-
tunatempel zu Praeneste, handelt, und dass Proclus selbst
der Künstler war, schliesst man aus einer ebenfalls aus Pe-
rinth herrührenden Inschrift: C. J. gr. 2025, vgl. Rh. Mus.
N. F. II, S. 397:


Πάσαις ἐν πο]λίεσσι τέχνην [ἤσ]χησα πϱὸ πάντ[ων

ψηφοδ[έ]τ[η]ς, δώϱοις Παλλάδος [εὑϱ]άμενος,

Υἷα λιπὼν βουλῆς σύνεδϱον Πϱόκλον ἰσότεχνόν μοι,

ὀγδ[ω]κοντούτης [τοῦδε τάφοιο λαχών.

Mit Unrecht dagegen scheint man:


Fuscus
für einen Mosaikarbeiter gehalten zu haben. Denn wenn es
in einer Inschrift von Smyrna (C. J. gr. 3148) heisst: ὑπέσ-
χετο … Κλ. Βάσσος ἀγωνοϑέτης Νεμέσεων στϱώσειν τὴν βασιλικὴν.
Φοῦσκος ἔϱγον ποιήσειν μυ. ζ und darauf noch andere Gaben
verzeichnet werden, so liegt kein Grund vor, ἔϱγον, noch
dazu ohne Artikel oder demonstratives Pronomen, auf die
Ausführung des vorhergenannten Fussbodens zu beziehen.


Prostatios wird von Müller (Archäol. §. 322, 4) aus
Schmidt Antiq. de la Suisse p. 19 als Mosaicist, aber mit
[314] einem Fragezeichen angeführt. — Endlich ist von Raoul-
Rochette (Lettre à Mr. Schorn p. 209) auch


Antiochus
als Künstler in diesem Fache wegen einer Stelle bei Sym-
machus (epist. VIII, 41) bezeichnet worden: Nunc elegantia
ingenii tui et inventionis subtilitas pretianda est; novum
quippe musivi genus et intentatum superioribus reperisti;
quod etiam nostra ruditas ornandis cameris tentabit affligere,
si vel in tabulis vel in tegulis exemplum de te praemeditati
operis sumpserimus. Aber die ganze Art, wie Symmachus
die Erfindung des Antiochus preist und von ihr selbst Ge-
brauch zu machen wünscht, deutet darauf hin, dass es sich
nur um eine neue Art der Anwendung oder Anordnung von
Mosaiken handelt, die Antiochus, ohne selbst Künstler zu
sein, erdacht hatte.


Rückblick.


Es wird keiner Rechtfertigung bedürfen, wenn wir dies-
mal darauf verzichten, nach den kümmerlichen uns erhal-
tenen Nachrichten über die einzelnen Künstler auch nur die
Grundlinien einer Entwickelungsgeschichte der Malerei zur
Zeit der römischen Herrschaft zu entwerfen. Kein einziges
Werk, kein einziger Künstler von hervorragender Bedeutung
wird angeführt, der unsere Aufmerksamkeit etwas länger zu
fesseln vermöchte. Die Klagen über den frühen Verfall der
Malerei, welche z. B. bei Plinius und Petronius laut werden,
können daher von dieser Seite nur ihre Bestätigung er-
halten. Die Beurtheilung, welche die wenigen römischen
Maler bei ihren Landsleuten fanden, zeigt zur Genüge, einen
wie niedrigen Begriff diese von der Würde des Künstlers
hegten, und lässt uns von vorn herein annehmen, dass es
mit der Würde der Kunst selbst kaum anders sein konnte.
Man suchte alte, berühmte Werke, schätzte sie aber mei-
stens gewiss noch mehr wegen ihrer Kostbarkeit, als wegen
ihres inneren Werthes; was von neuen Werken begehrt
wurde, hatte nur den Zweck, als Gegenstand des Luxus zum
Schmuck und zur Zierde zu dienen. Das zeigt sich uns
recht deutlich, wenn wir die einzige Erscheinung, welche
als neu auf dem Gebiete der Malerei angeführt wird, die
Erfindung des Ludius, ins Auge fassen. Man hat diesen
[315] Künstler wohl Erfinder der Landschaftsmalerei genannt; al-
lein wenn dies richtig sein soll, werden wir uns wohl hüten
müssen, diese Bezeichnung nach unseren heutigen Begriffen
zu verstehen. Die neuere Zeit hat die Landschaftsmalerei
in einem Sinne ausgebildet, durch welchen diese wohl berechtigt
ist, eine höhere Geltung für sich in Anspruch zu nehmen. Sie
schliesst die gemalte Landschaft zu der Einheit eines wirklichen
Kunstwerkes zusammen, indem sie eine bestimmte poetische
Idee, eine eigenthümliche Stimmung der Natur oder den indi-
viduellen Charakter einer Gegend zur Anschauung bringt
und das Walten eines höheren Geistes auch in der leblosen
Natur uns ahnen lässt. Es ist hier nicht der Ort, auf die
Frage einzugehen, warum den Alten die eigentliche Land-
schaftsmalerei fremd geblieben ist. Aber bei Ludius handelt
es sich um blosse Prospectmalerei, welche nichts mehr als
eine Erweiterung und neue Anwendung der Scenographie ist; es
sollen grössere architektonische Räume in anmuthiger Weise ge-
schmückt werden, und zwar, wie Plinius selbst schliesslich an-
giebt, mit möglichst geringem Kostenaufwande. Dazu eignen
sich die leicht behandelten, hin und wieder durch eine Figur oder
eine Gruppe belebten Prospecte weit mehr, als figurenreiche
Bilder. Wenn es dabei auf einen tieferen Sinn durchaus
nicht weiter abgesehen war, so möchten freilich, zwar
nicht immer, aber doch häufig die gleichzeitigen Pro-
ducte der höheren Gattungen der Malerei in dieser Hinsicht
wenig voraus haben; wenigstens lehrt uns dies ein grosser
Theil der herculanensischen und pompeianischen Wandgemälde,
in denen selbst solche mythologische Scenen, welche einer
höheren Auffassung sehr wohl fähig erscheinen, nicht
etwa wegen dieses ihres poetischen Gehaltes, sondern offen-
bar nur wegen eines gefälligen und anmuthigen künstleri-
schen Motives zur Darstellung gewählt sind. Dagegen hat
freilich ein anderer Theil dieser Malereien für uns da-
durch einen unschätzbaren Werth, dass sie trotz ihrer de-
corativen Behandlung als Nachbildungen älterer Werke
unsere Kenntniss der früheren Zustände der Kunst viel-
fältig erweitern. Eine genauere Untersuchung und nament-
lich die Ausscheidung des eigenthümlich Römischen mag
allerdings auch über die Zustände der Kunst in dieser spä-
teren Zeit uns noch manche Aufschlüsse zu geben im Stande
[316] sein; doch wird sich auch hier der Mangel schriftlicher
Quellen vielfach bemerklich machen. Wie dem aber auch
sei: über den Ausbruch des Vesuv hinaus, der durch eine
wunderbare Fügung des Schicksals jene Schätze der Nach-
welt erhielt, und zugleich demjenigen, welchem wir die
reichste Fülle schriftlicher Aufzeichnungen verdanken, dem
Plinius, das Leben kostete, wird sich schwerlich die Ge-
schichte der alten Malerei je im Zusammenhange verfolgen
lassen.


[[317]]

DIE ARCHITEKTEN.


[[318]][[319]]

Einleitung.


Der Architekt ist als Künstler keineswegs geringer zu ach-
ten als der Bildhauer oder Maler. Seinem Werke gegen-
über nimmt er jedoch in vielen Beziehungen eine wesentlich
verschiedene Stellung ein. Auch der vollendetste Bau ver-
folgt nicht die künstlerische Schönheit als einzigen Zweck:
vielmehr muss die Erfüllung eines bestimmten praktischen
Bedürfnisses vorgesehen sein, noch ehe die Forderungen der
Kunst sich geltend machen dürfen. So weit aber der Archi-
tekt nur diesem ersten Zwecke genügt, ist er nur Handwer-
ker oder nach unserem Sprachgebrauche Techniker, und er
darf dies zu sein auch dann nie aufhören, wenn er wirklich
Künstler wird. Trotz dieses engen Verhältnisses zum Hand-
werk ist er aber weit weniger praktisch ausführender, als
blos entwerfender Künstler: der Bau ist weit weniger das
Werk seiner Hand, als die Statue und das Gemälde, und das
persönliche Verhältniss des Urhebers ist daher bei jenem in
gewisser Beziehung ein entfernteres, als bei diesem. Hierzu
gesellt sich nun aber ferner die wesentlichste Verschieden-
heit der Formen, in welchen allein die Architektur ihre Ideen
zur Darstellung zu bringen vermag. Denn während der Bild-
hauer und Maler die belebte Welt in ihrer unendlichen Viel-
gestaltigkeit sich zum Vorwurf nimmt, hat der Architekt
nicht die Geschöpfe der Wirklichkeit nachzubilden, sondern
auf die durch statische und mechanische Gesetze bedingten
Glieder des Baues eine deren Wesenheit entsprechende ana-
loge Form der organischen Aussenwelt zu übertragen. In
dem Verhältnisse aber, als diese Formen nicht etwas Zufäl-
liges und Willkürliches, sondern Nothwendiges sind, wird
[320] auch die Individualität des Architekten seinem Werke gegen-
über weit mehr zurücktreten, als die des Malers und Bild-
hauers, welche aus der Beobachtung und Auffassung jedes
einzelnen Zuges der Wirklichkeit hervorleuchten darf. Diese
flüchtigen Bemerkungen sollen natürlich das Verhältniss der
verschiedenen Künstler zu einander keineswegs erschöpfend
darlegen; doch werden sie immer genügen, um uns in dem
besonderen Charakter der Ueberlieferungen über die einen
und die andern nicht mehr ein blosses Spiel des Zufalls er-
kennen zu lassen, welcher gerade bei den Architekten min-
der günstig uns eine grössere Fülle von Nachrichten vorent-
halten habe. Ihre Bestätigung findet diese Ansicht schon
darin, dass es keineswegs der Mangel berühmter Namen ist,
welcher uns Verlegenheit bereitet: gerade die Urheber der
berühmtesten Bauwerke sind uns meistens dem Namen nach
bekannt; und die noch erhaltenen Ruinen bieten häufig sogar
die Möglichkeit einer weit unmittelbareren Anschauung ihrer
Wirksamkeit, als dies bei den Malern und Bildhauern der
Fall ist, von denen oft nur Copien auf uns gekommen sind.
Was uns fehlt, das sind die Nachrichten über die Individuali-
tät, die künstlerische Eigenthümlichkeit dieser Meister, so-
wohl für sich betrachtet, als in ihrem Verhältniss zu Vor-
gängern, Zeitgenossen und Nachfolgern; und dieses Fehlen
ist ein so durchgängiges und allgemeines, dass es seine voll-
ständige Erklärung erst durch das Zusammentreffen äusserer
Umstände und der oben angedeuteten inneren Verhältnisse
zu finden vermag. Diese letzteren aber haben ihre Wirkung
noch bis auf den heutigen Tag nicht verloren: die neuere
Wissenschaft hat in ihren Forschungen über alte Architektur
ihr Augenmerk vorzugsweise und fast ausschliesslich dem
systematischen Theile zugewendet. Sie hat nach den Geset-
zen und Principien der verschiedenen Bauordnungen ge-
forscht, unbekümmert um die Persönlichkeiten, welche die-
selben zuerst festgestellt haben. Wenn nun aber die Unter-
suchung des historischen Entwickelungsganges die nothwen-
dige Ergänzung hierzu bildet, so wird doch auch diese zu-
vörderst wieder von den Monumenten selbst auszugehen ha-
ben; und erst zuletzt, wenn die sachliche Ergründung zu
einer gewissen Reife gediehen ist, wird es sich als Schluss-
aufgabe herausstellen, in den einzelnen Werken auch das
[321] Walten der einzelnen Individualität nachzuweisen und nach-
drücklicher hervorzuheben.


Die Aufgabe, welche wir uns hinsichtlich der Architekten
hier zu stellen haben, ist demnach eine wesentlich andere
als diejenige, welche wir bei den Bildhauern und Malern ver-
folgt haben: sie kann ihrer Natur nach nur vorbereitender
Art sein, und beruht also zunächst darin, das Material zu
sammeln und kritisch zu sichten. Bei diesem Beginnen ist
es freilich nicht immer leicht, hinsichtlich des Aufzunehmen-
den eine bestimmte Grenze zu ziehen und dieselbe überall
consequent einzuhalten. Die Nachricht über das Werk hat,
streng genommen, allerdings auch eine Beziehung zu dem
Urheber desselben. Allein häufig ist dieselbe durchaus indi-
recter Natur; und die Nachricht selbst hat zunächst nur
Werth für die monumentale Forschung. Es muss daher im
Allgemeinen an dem Grundsatz festgehalten werden, nur
dasjenige der Betrachtung zu unterwerfen, was über die Per-
sönlichkeit des Urhebers irgendwie ein näheres Licht zu ver-
breiten geeignet scheint. Die Anordnung dessen, was auf
diesem Wege für einen Jeden gewonnen wird, kann aus
praktischen Gründen nur eine äusserliche sein, nemlich die
eines alphabetischen Verzeichnisses. Denn die Untersuchung
muss sich überall noch zu sehr in Einzelnheiten zersplittern,
als dass die historischen Resultate allgemeinerer Art, welche
sich allerdings auch hierbei schon zuweilen ergeben, die
Masse des Stoffes in der Weise zu durchdringen und zu be-
leben vermöchten, um als leitendes Prinzip für die Anord-
nung in den Vordergrund zu treten. Sollen sie überhaupt nicht
unter der Masse des Details verschwinden, so müssen sie
auch in der äussern Darstellung davon getrennt werden.
Freilich kann dies nur in durchaus anspruchsloser Weise
indem sie einzig nach allgemeineren Grundsätzen über-
sichtlich geordnet werden, zunächst ohne Rücksicht
darauf, ob sich eine solche Zusammenstellung später
nach allen Seiten hin bewähren wird. Ohne Nutzen
wird aber auch die Verfolgung eines in dieser Weise be-
schränkten Zieles nicht sein, indem die weitere monu-
mentale Forschung um so mehr an Zuverlässigkeit ge-
winnen muss, je vielfältiger ihr Gelegenheit geboten wird,
ihre eigenen Ergebnisse an Thatsachen zu prüfen, welche
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 21
[322] auf einem von dem ihrigen verschiedenen Wege gefunden
sind.


Wir lassen die historische Uebersicht dem alphabetischen
Verzeichnisse vorangehen. Ihr Inhalt stellt sich uns dadurch
als eine Reihe von Sätzen dar, welche sodann durch die
folgenden einzelnen Erörterungen ihre weitere Begründung
finden.


Historischer Ueberblick.


Die Neigung der Griechen zur Sagenbildung verleugnet
sich auch auf dem Gebiete der Architektur nicht, sondern
sucht den Mangel historischer Ueberlieferung in den ältesten
Zeiten auf verschiedenen Wegen zu ergänzen. Man wünscht
überall einen bestimmten Anfang jedes Dinges zu kennen,
und so entstehen die Angaben über Erfindungen und Erfin-
der, von denen uns z. B. Plinius (VII, c. 57) eine reiche
Auswahl darbietet: „Ziegeleien und Hausbau führten zuerst
zwei Brüder, Euryalos und Hyperbios, zu Athen ein; früher
dienten Höhlen statt der Häuser. Gellius nimmt Toxius, des
Caelus Sohn, als Erfinder des Hausbaues aus Lehm an,
nach dem Vorbilde der Schwalbennester (§. 194) … Dach-
ziegel erfand Kinyras, des Agriopas Sohn … Thrason die
Mauern, die Thürme nach Aristoteles die Kyklopen, nach
Theophrast die Tirynthier (§. 195) …“ Was zur Zimmer-
werkstatt gehört, wird (§. 198) dem Dädalos als Erfinder
beigelegt. Im Ganzen haben diese Angaben selbst für die
mythologische Forschung nur geringen Werth, indem sie,
wenigstens in solcher Zusammenstellung wie bei Plinius,
einer ziemlich späten theoretisirenden Zeit angehören: jene
Listen von Erfindern gehen schwerlich über den Beginn der
alexandrinischen Epoche zurück. Vielfach — und das ist noch
der günstigste Fall — sind sie einfach aus einer andern älteren
Klasse mythologischer Ueberlieferungen abgezogen: solchen,
welche sich an einzelne wirklich vorhandene Werke anknüpf-
ten. Die Mauern von Tirynth sind schon bei Homer be-
rühmt; als kyklopisch werden die ältesten polygonen Mauer-
bauten vielfach bezeichnet; die Namen des Agrolas und Hy-
perbios setzt Pausanias (I, 28, 3) mit dem Bau eines Theils
der Mauern der Akropolis von Athen in Verbindung u. s. w.
Diesem Kreise von Sagen gehören denn auch manche andere
[323] Erzählungen an, wie die von den Thesaurenbauten des Tro-
phonios und Agamedes. Allein wenn auch hier in der Er-
wähnung jenes kunstreich eingefügten, aber beweglichen
Steines ein eigentlich architektonisches Moment schon be-
stimmter hervortritt, so ist doch die ganze Gestaltung dieser
Persönlichkeiten durchaus allgemein mythologischer Art (vgl.
Preller Myth. II, 346). Etwas anders verhält es sich mit den
Sagen über Dädalos, dem ja auch architektonische Werke
mehrfach beigelegt werden (s. Th. I, S. 18). Hier waltet
mehr das Streben, staunenswerthe Werke sehr alter Zeit zu
irgend einer Persönlichkeit in bestimmte Beziehung zu setzen,
und hierzu eignete sich keine mehr, als die des Mannes,
welcher von der Sage an die Spitze der Kunstgeschichte als
der Kunstreiche überhaupt gestellt war. Doch hat sie ihn
als Architekten weit weniger individualisirt, denn als Bild-
hauer; und bestimmte architektonische Kunstformen werden
auf ihn keineswegs zurückgeführt. Ueberhaupt kommt in
allen diesen Erzählungen von Erfindungen und bestimmten
Werken die ästhetische Seite der Architektur noch nirgends
in Betracht, sondern es handelt sich zunächst nur um con-
structive Fortschritte. Ist aber dadurch ihr Werth für die
Geschichte der Architektur schon an sich ein bedingter, so
wird er es noch mehr dadurch, dass selbst die Sage hier
nirgends danach gestrebt hat, uns eine bestimmte Entwicke-
lung vor Augen zu stellen; ja noch mehr, sie bietet uns nir-
gends eine Vermittelung zwischen der mythischen Zeit und
der Zeit historischer Kunde. Aus dieser Uebergangsperiode
stammen allerdings mancherlei Nachrichten, namentlich über
Tempelgründungen: allein nicht die Architekten, sondern die
Gründer werden uns genannt. Bei diesen Bauten, welchen
ein Streben nach Ausbildung künstlerischer Formen noch
fern lag, mochte das Verhältniss noch wenig anders sein,
als in der homerischen Welt, wo Odysseus mit eigener Hand
sein Schlafgemach errichtet, wo überhaupt jeder, so weit
es das praktische Bedürfniss erheischte, sein eigener Bau-
meister war. Auf solche Zustände können unsere Erörte-
rungen, welche die Person des Architekten in den Vorder-
grund zu stellen haben, begreiflicher Weise nicht eingehen;
und wir müssen daher unseren Blick sofort auf die uns hi-
storisch bekannte Epoche richten, von da an, wo an die
21*
[324] Stelle poetischer Ueberlieferung die Aufzeichnung bestimmter
Thatsachen trat. Es ist dies dieselbe Zeit, welche ich früher
(Th. I, S. 56) als einen Wendepunkt im Geistesleben der
Griechen überhaupt bezeichnet habe, und in welche daher
die Anfänge einer Reihe von Entwickelungen auf den ver-
schiedensten Gebieten des staatlichen, socialen, wissenschaft-
lichen und künstlerischen Lebens fallen.


Um das Jahr 600 v. Chr. G. erscheinen auf den Inseln
und an der kleinasiatischen Küste die ersten namhaften Bild-
hauer; und zugleich zeigt sich auch auf dem Gebiete der
Architektur neues Leben; ja, was besonders hervorzuheben
ist, jene Bildhauer sind zugleich Architekten und die Leiter
staunenswerther Bauten. Rhoekos ist der erste Architekt
des Heraeon zu Samos; Theodoros, sein Genosse in der
Erfindung des Erzgusses, scheint ihm auch hier zur Seite
gestanden zu haben: wenigstens soll er über den Tempel
geschrieben haben, und sein Ruhm als Architekt steht auch
durch andere Zeugnisse fest. Um von dem lemnischen Laby-
rinth zu schweigen, welches nach einer nicht hinlänglich zu-
verlässigen Nachricht ihm nebst Rhoekos und Smilis beige-
legt wird, so spricht für die weite Verbreitung seines Ruh-
mes der Bau der Skias in Sparta. Er war es ferner, der
durch seinen Rath die Gründung des ephesischen Tempels in
sumpfigem Terrain möglich machte. Noch von einem andern
Künstler derselben Zeit, von Bupalos aus Chios, wird uns
berichtet, dass er zugleich als Bildhauer und als Architekt
zu hohem Ansehen gelangte. Dass indessen diese Verbin-
dung der beiden Künste keine nothwendige war, lehren
Chersiphron und sein Sohn Metagenes, welche damals
in dem ephesischen Tempel eins der sieben Wunderwerke
der alten Welt begründeten, wenn sie es freilich auch nicht
zu vollenden vermochten. Solche Bauten, wie der ephesische
Tempel und das Heraeon zu Samos, sind allerdings keine
Versuche, an welchen der eben erwachende Kunstsinn seine
Kräfte zuerst erprobt: sie setzen bereits eine längere Uebung
voraus. Dennoch aber bezeichnen sie nicht blos einen Ab-
schnitt in der Geschichte, sondern einen Anfangspunkt, inso-
fern als sie die ersten gewaltigen Manifestationen eines zu
vollem Bewusstsein durchgedrungenen Kunstgefühls sind.
Durch sie hat die Architektur eine feste Regel, einen be-
[325] stimmten Styl gewonnen; es gilt nun zunächst nicht mehr,
neue Formen aufzustellen, sondern auf der Grundlage des
Gewonnenen das Einzelne auszubilden oder in neuen Ver-
bindungen anzuwenden. Je bestimmter aber die Grundregel,
um so wichtiger ist es, dass sie sicher zu allgemeinerem
Gebrauche überliefert werde; und aus diesem Grunde wage
ich die Ueberlieferung des Alterthums nicht in Zweifel zu
ziehen, welche bereits dem Theodoros, so wie dem Cher-
siphron und Metagenes Schriften über jene grossen Tempel-
bauten beilegt.


Ganz anderer Art, als diese letzteren, war ein Werk,
welches nicht weniger die Bewunderung des Herodot er-
regte, und daher sicher der älteren Zeit angehörte, die Was-
serleitung auf Samos, von Eupalinos aus Megara ausge-
führt, vielleicht unter der Regierung des Polykrates, durch
den sich Samos einer hohen Blüthe erfreute. Freilich dürfen
wir ein solches Werk nicht nach dem Maassstab unserer
heutigen Technik messen, und auch in den späteren Zeiten
des Alterthums würde es kaum als etwas so Ausserordent-
liches hervorgehoben werden, wie von Herodot; so wie wir
denn auch in der That bei keinem späteren Schriftsteller ir-
gend eine Erwähnung davon finden. Seinen Ruhm verdient
es indessen als das erste in seiner Art. Wenn sich nun hier,
wo es sich weniger um künstlerische Schönheit, als um
Ueberwindung technischer Schwierigkeiten handelte, der Name
des Architekten im Gedächtnisse der nächstfolgenden Ge-
schlechter erhielt, so dürfen wir wohl daran erinnern, wie
auch der Erfindungen des Chersiphron und Metagenes, ver-
möge deren sie die Säulen und das Gebälk aus den Stein-
brüchen transportirten und das Gebälk in die richtige Lage
brachten, mit besonderem Lobe gedacht wird. Wir erkennen
daraus, dass wir es jetzt noch mit einer Zeit zu thun haben,
welche es dem Künstler noch nicht gestattet, seine Aufmerk-
samkeit ausschliesslich der Ausbildung der künstlerischen
Form zuzuwenden, sondern ihn zwingt, stets die Ausführbar-
keit seiner Pläne ins Auge zu fassen und die ihr entgegen-
stehenden materiellen oder technischen Hindernisse aus dem
Wege zu räumen.


Die Thätigkeit des Theodoros in Sparta, und umgekehrt
die des Eupalinos in Samos weist uns auf einen lebhaften
[326]Verkehr zwischen der kleinasiatischen Küste und dem eigent-
lichen Griechenlande auch auf dem Gebiete der Kunst hin.
Doch erstreckt sich diese keineswegs so weit, dass etwa
die kleinasiatischen Kunstformen sofort in Griechenland Ein-
gang gefunden hätten. Das Heraeon und der ephesische
Tempel waren im ionischen Styl gebaut, die berühmtesten
Werke dieser Periode in Griechenland sind dorisch. Am
gewaltigsten tritt unter ihnen die Anlage des Zeustempels
zu Athen hervor, an welcher vier Architekten, Antistates,
Kallaeschros, Antimachides
und Porinos thätig
waren. Leider ward ihr Werk durch den Sturz der Pisistra-
tiden unterbrochen. Den Zerstörungen der Perserkriege ist
es wahrscheinlich zuzuschreiben, dass wir über andere athe-
nische Bauten der älteren Zeit ohne Nachricht geblieben
sind. Wie aber überhaupt die Uebermacht Athens jetzt
noch nicht wie später hervortritt, so herrscht sein Einfluss
auch noch nicht in der Architektur. Der Bau des Tempels
zu Delphi zur Zeit der Pisistratiden ward, obwohl seine
Leitung von dem athenischen Geschlechte der Alkmäoniden
übernommen war, einem korinthischen Meister Spintharos
übertragen. In Olympia aber ist der Architekt des Zeus-
tempels, der in dieser Periode wenigstens begonnen sein
wird, ein einheimischer Künstler, Libon, während später
an Tempelbild und Giebelschmuck der attischen Kunst Gele-
genheit geboten wird, sich zu verherrlichen.


Ueber andere Bauten, wie das Schatzhaus der Epidam-
nier zu Olympia, ein Werk des Pyrrhos, Lakrates und
Hermon, sind wir zu wenig unterrichtet, als dass wir zu
bestimmen vermöchten, welche Bedeutung ihnen in architek-
tonischer Beziehung zukömmt. — In Sicilien und Griechen-
land endlich sind zwar noch gewaltige Bauten aus dieser
Zeit theilweise erhalten: über ihre Architekten aber mangeln
alle Nachrichten.


Die Thätigkeit der bisher erwähnten Künstler beginnt
zum Theil schon gegen die 50ste Olympiade, am regsten ist
sie etwa zwischen Ol. 55 und 60; um die 65ste scheint sie
erloschen, und von einem neuen Geschlechte, welches sie
sofort wieder aufgenommen hätte, schweigt unsere Ueber-
lieferung. Die Kämpfe mit den Persern, zuerst in Klein-
asien, dann in Griechenland, erklären diese Unterbrechung
[327] zur Genüge. Mit ihrer siegreichen Beendigung beginnt auch
auf dem Gebiete der Architektur eine neue gewaltige Thätig-
keit. In Kleinasien ist es zunächst die Vollendung des
ephesischen Tempels durch Demetrios und Paeonios,
welche hiervon Zeugniss ablegt. Aber auch ein Neubau,
das Didymaeon zu Milet, ersteht unter der Leitung dessel-
ben Paeonios und des Daphnis, und verräth den Fort-
schritt der Zeit durch ein Streben nach grösserer Verfeine-
rung der Form.


In Griechenland hatte sich durch die Perserkriege be-
sonders die Macht Athens gehoben. Zunächst freilich,
während der Staatsverwaltung des Themistokles, gilt es,
durchaus praktische Zwecke zu befriedigen, nemlich für den
Wiederaufbau der Stadt zu sorgen. Schon Kimon aber be-
ginnt die Verschönerung, und unter Perikles überstrahlt
Athen durch den Glanz seiner künstlerischen Unternehmun-
gen alle übrigen Staaten Griechenlands in demselben Maasse,
wie es auch auf dem Gebiete der Politik die Hegemonie
ausübt. Dem Perikles zur Seite steht Phidias als der lei-
tende und lenkende künstlerische Geist, wenn auch als aus-
führender Künstler nur auf dem Gebiete der Sculptur thätig.
Unter den Architekten scheint Iktinos die erste Stelle
eingenommen zu haben. Das Parthenon und der Tempel
der Demeter zu Eleusis, das sogenannte Telesterion, werden
als seine Werke bezeichnet, und auch über die Grenzen
Attika’s muss sich sein Ruhm verbreitet haben, da Pausa-
nias ihm den Tempel des Apollo Epikurios bei Phigalia bei-
legt. Den Ruhm der attischen Bauten theilt er zwar mit
andern Künstlern: Kallikrates, auch sonst bekannt als der
Architekt, welcher den Bau der langen Mauern übernommen
hatte, wird als sein Genosse beim Bau des Parthenon ge-
nannt; Karpion schrieb über denselben, vielleicht mit
Iktinos gemeinschaftlich. Die Ausführung des Telesterion
aber wird von Plutarch sogar drei ganz verschiedenen Archi-
tekten zugeschrieben, welche sich dabei nach einander ab-
lösten: dem Koroebos, Metagenes und Xenokles.
Wir werden dadurch zu der Vermuthung geleitet, dass
Iktinos vielleicht weniger praktisch ausführender, als ent-
werfender Künstler war, wodurch es sich auch erklären
lässt, dass der schwerlich vor dem Beginne des peloponne-
[328] sischen Krieges vollendete Tempel zu Phigalia doch als sein
Werk bezeichnet wird. Ihm zunächst an künstlerischem
Ruhme steht Mnesikles; zwar wird ihm nur ein einziges
Werk beigelegt, allein dieses eine, die Propyläen, gehört zu
den vollendetsten, welche wir kennen. Unbestimmter sind
unsere Nachrichten über den Urheber des dritten bedeuten-
den Bauwerkes auf der Akropolis, des Erechtheum. Archi-
lochos
, welcher um geringen Lohn arbeitet, kann als
Architekt natürlich nur eine untergeordnete Stellung einge-
nommen haben. Aber auch hinsichtlich des Philokles,
welcher in der Rechnungsablage neben den Magistraten ge-
nannt wird, kann es zweifelhaft erscheinen, ob er nicht viel-
mehr als öffentlicher Beamter zu betrachten ist, denn als eigent-
licher Urheber des Planes und Leiter des Baues. Vollendet
ward das Erechtheum erst während des peloponnesischen
Krieges, durch dessen unglücklichen Ausgang nicht weniger
die Macht des Staates als die Blüthe der Kunst für längere
Zeit gebrochen wurde.


Blicken wir auf das übrige Griechenland, so mögen die
Tempel von Delphi und Olympia erst in dieser Zeit vollen-
det worden sein: wenigstens erhielten sie jetzt erst ihre
letzte Zierde durch Werke der Sculptur. Von bedeutenden
Tempelbauten, ausser dem phigalischen, wird sonst nur einer
namhaft gemacht, der der argivischen Hera, welcher nach
dem Brande Ol. 89,2 von einem einheimischen Künstler,
Eupolemos, ausgeführt ward. Der Tempel der Athene
Chalkioikos zu Sparta, das Werk des Gitiades, scheint
mehr wegen seines plastischen Schmuckes, als wegen seiner
architektonischen Vollendung merkwürdig gewesen zu sein. —
Ausserdem mögen hier noch Antiphilos, Pothaeos und
Megakles als Erbauer eines Schatzhauses unmittelbar nach
den Perserkriegen angeführt werden.


Die stylistischen Grundformen für diese Bauten waren
bereits in der früheren Zeit gegeben; und es verdient in
dieser Beziehung nur Beachtung, dass jetzt der ionische
Styl auch in Attika Eingang findet. Der Fortschritt der
Entwickelung zeigt sich zunächst in der feineren Durchbil-
dung der einzelnen Glieder, wovon uns namentlich die athe-
nischen Bauten die glänzendsten Beweise gewähren. So-
dann aber offenbart sich die Schöpfungskraft eben dieser
[329] attischen Kunst in der Benutzung und Verwendung der
bereits bekannten Formen zur Lösung von Aufgaben, welche
durch besondere praktische oder religiöse Zwecke oder
durch locale Verhältnisse ein Abgehen von den gewöhn-
lichen Dispositionen nöthig machen. Von dieser Art sind
die Propyläen, das Erechtheum, das Telesterion zu Eleusis,
also Werke, welche gerade zu den berühmtesten dieser
Periode gehören.


Aber noch andere Forderungen durchaus neuer Art
stellte diese Zeit. In die Periode der Perserkriege fällt die
Ausbildung der dramatischen Poesie, und mit ihr geht
die Ausbildung des Theaterbaues Hand in Hand. Die Aus-
schmückung der Scene ist zunächst mehr Aufgabe der Ma-
lerei: hier erwirbt sich zuerst Agatharchos Ruhm, und zur
Ergründung der hierbei in Betracht kommenden optischen
Gesetze wirken, ohne selbst Künstler zu sein, Demokrit und
Anaxagoras auf wissenschaftlichem Wege. Doch begegnen
wir etwas später auch der Vereinigung des Architekten und
Scenenmalers in einer Person, in der des Kleisthenes,
Vaters und in seiner Kunst auch Lehrers des Philosophen
Menedemos. Hinter der Ausbildung der Scene blieb aber
die der Zuschauerräume keineswegs zurück. Das athenische
Theater ward schon vor den Perserkriegen begonnen. Doch
ist uns der Architekt dieses, wie der eines spätern in
mancher Beziehung analogen Baues, des Odeum, nicht be-
kannt. Wie aber hier bald, nachdem nur erst die Grund-
formen allgemein festgestellt waren, auch das Höchste ge-
leistet wurde, das lehrt das Theater (und Odeum) zu Epi-
dauros, ein Werk des Polyklet, von welchem Pausanias
bemerkt, dass es in Harmonie und Schönheit unübertroffen
in aller spätern Zeit sei. Einen weitern Beweis für die
hohe Ausbildung dieser Gattung der Architektur liefert uns
ferner das Theater zu Syrakus, welches vor der 90ten Olym-
piade von Demokopos mit dem Beinamen Myrilla ausge-
führt ward. In dieselbe Zeit mag auch das bereits von Hip-
pokrates erwähnte Theater des Epigenes zu Thasos ge-
hören. — An die Theater schliessen wir die Erwähnung
der kunstreichen Schranken an, welche Kleoetas zur
Zeit des Phidias in dem Hippodrom zu Olympia anlegte
und welche später Aristides vervollkommnete, indem es
[330] ja auch hier vor allem um bestimmte Gliederung und Ein-
theilung eines gegebenen Raumes für die Zwecke eines
öffentlichen Schauspiels zu thun war.


In den bisher betrachteten Nachrichten handelt es sich
überall um die Errichtung einzelner Gebäude. Je mehr sich
aber die Städte Griechenlands mit solchen Werken füllten,
um so mehr mussten die streng mathematischen Linien der-
selben in einem gewissen Widerspruche mit der weiteren
Umgebung zu stehen scheinen. Wo also diese nicht schon
gegeben, sondern erst neu zu schaffen war, da musste die
Regelmässigkeit des einzelnen Baues auch für sie massge-
bend werden. In noch erhöhetem Maasse war dies bei der
Anlage ganz neuer Städte oder Stadttheile der Fall; und
hieraus haben wir uns den Einfluss zu erklären, dessen
sich die Neuerungen des Hippodamos zu erfreuen hatten.
Denn derselbe beschränkt sich nicht etwa auf die eigene
Thätigkeit des Mannes, welche in der regelmässigen Anlage
des Peiräeus, der Städte Thurium und Rhodos glänzend her-
vortritt, sondern sein System scheint sich in der Folge fast
ohne Ausnahme bei allen ähnlichen Unternehmungen Gel-
tung verschafft zu haben.


Der peloponnesische Krieg bildet zunächst einen äusseren
Abschnitt in der Geschichte der Architektur, indem er die
materiellen Mittel der Staaten für Zwecke der Kunst zu ver-
wenden zuvörderst nicht gestattet. Aber auch in der inne-
ren Entwickelung bereiten sich mannigfache Veränderungen
vor. Dahin rechnen wir das Erscheinen einer neuen Bau-
ordnung, der korinthischen, deren Erfindung eine, wie es
scheint, mehr poetische als historische Sage dem Bildhauer
Kallimachos beilegt. Das erste sichere Beispiel ihrer
Anwendung zeigt der nach Ol. 96 von Skopas erbaute
Tempel der Athene Alea zu Tegea, in dessen Innerem über
einer ionischen eine korinthische Säulenreihe errichtet war.
Wie aber hier ihre Stellung noch eine untergeordnete ist,
so scheint sie überhaupt, in der Tempelarchitektur wenig-
stens, nicht sogleich eine umfassende Geltung erlangt zu
haben. Vielmehr kämpfen auch jetzt noch die ionische und
die dorische Ordnung um den Vorrang, so jedoch, dass die
letztere immer mehr zurückgedrängt wird. Dass der ur-
sprünglich ionisch gebaute ephesische Tempel auch nach
[331] dem herostratischen Brande von Deinokrates in diesem
Style glänzend erneuert wurde, kann natürlich dabei nicht
in Betracht kommen. Dagegen verdient es hervorgehoben
zu werden, dass Argelios, welchem die korinthische Ord-
nung schon so bekannt ist, dass er darüber schreibt, von
Vitruv als ein Künstler angeführt wird, welcher für die
Anwendung der ionischen gegenüber der dorischen bei Tem-
pelbauten kämpft und daher das Asklepieion zu Tralles in
diesem Style aufführt. Der gleichen Ansicht huldigt Pythios,
der Erbauer des Tempels der Athene zu Priene und Archi-
tekt des Mausoleum; und endlich Hermogenes: er wählte
nicht nur die ionische Ordnung für den Tempel der Artemis
zu Magnesia, sondern zu Teos, wo bereits das Material zum
Dionysostempel für einen dorischen Bau vorbereitet war,
liess er dasselbe gänzlich für einen ionischen umarbeiten.
Allerdings weist uns die Thätigkeit der genannten drei
Künstler auf Kleinasien hin, wo von jeher der ionische
Styl der vorherrschende war. Nichtsdestoweniger aber tre-
ten sie zu den frühern dadurch in einen bestimmten Gegen-
satz, dass sie jenem nach Vitruv’s bestimmter Angabe in
Folge gewisser theoretischer, durch Abstraction gewonnener
Anschauungen den Vorzug geben. Der besondere Styl er-
scheint also bei ihnen nicht mehr als etwas nothwendig und
unbewusst aus der Eigenthümlichkeit des Volkes oder Stam-
mes Hervorgegangenes, wobei der Künstler dieser nur die
bestimmte Form der Erscheinung verleiht; vielmehr tritt
von hier an und bei der weiteren Entwickelung der Bau-
kunst immer mehr die Individualität des Architekten in den
Vordergrund. Das Verdienst der genannten Männer soll
hierdurch keineswegs verkleinert werden: die Erfindung des
Enstylos und Pseudodipteros namentlich, welche von Vitruv
dem Hermogenes beigelegt wird, erscheint sogar durchaus als
ein wahrer und naturgemässer Fortschritt auf dem Gebiete
der künstlerischen Erfindung; und in der Ausführung ge-
hören ihre Werke noch ganz der Blüthenzeit der Kunst an.
Ja selbst ihren theoretischen Bestrebungen können wir ein
bestimmtes Verdienst nicht absprechen. Denn indem das
ursprünglich künstlerische Bewusstsein der früheren Zeit
in ihnen noch keineswegs erstorben war, waren gerade sie
im Stande, was diese geleistet, nicht etwa bloss als That-
[332] sache (wie es in den älteren mehr beschreibenden architek-
tonischen Schriften der Fall sein mochte), sondern systema-
tisch in Form bestimmter Lehren nach inneren Gründen der
Nachwelt zu Nutz und Nachachtung zu überliefern. Der
längere Fortbestand der Architektur in achtungswerther
Tüchtigkeit ist also wahrscheinlich gerade den genannten
Meistern anzurechnen.


Dass in dieser Zeit, als deren Mittelpunkt wir die Re-
gierung Alexanders betrachten mögen, noch eine grosse
Zahl von Tempeln gebaut wurde, unterliegt keinem Zweifel.
Aber die Meister, welche dieselben ausführten, sind uns fast
durchgängig unbekannt geblieben, vielleicht deshalb, weil
ihnen ein besonderes Verdienst der Erfindung nicht zukom-
men mochte, sondern sie sich innerhalb der von andern be-
reits bezeichneten Bahnen bewegten. Erwähnt werden Me-
nesthes
, welcher zu Alabanda den Pseudodipteros des
Apollo erbaute; und Philon, welcher durch die Anfügung
einer Vorhalle an das Telesterion zu Eleusis nicht blos für
die Bequemlichkeit der Eingeweihten sorgte, sondern auch
den Glanz des Gebäudes bedeutend vermehrte.


An Ruhm wenigstens gleich steht den Tempelbauten
dieser Zeit das Mausoleum zu Halikarnass, freilich wohl eben
so sehr wegen seiner plastischen Ausschmückung, als wegen
seiner architektonischen Anlage. Ob Skopas, der Erbauer
des tegeatischen Tempels, auch hier nicht blos als Bild-
hauer, sondern zugleich als Architekt thätig war, wissen
wir nicht. Vitruv nennt als solche Satyros und Pythios,
welche auch über den Bau schrieben. Abgesehen von der
Wichtigkeit eines solchen Werkes für sich allein müssen
wir aber hier besonders darauf hinweisen, wie das Mauso-
leum das erste Grabmonument ist, welches trotz der griechi-
schen Formen der Ausführung in der Anlage doch weit
mehr von der Pracht, wie orientalische Herrscher sie liebten,
als von der Einfachheit des griechischen Geschmackes an
sich trägt. Die Bedeutung dieser Bemerkung wird einleuch-
ten, wenn wir uns erinnern, wie nur wenige Olympiaden
später Alexander nach Besiegung des Orients eine Vermit-
telung zwischen ihm und dem Griechenthum nach verschie-
denen Richtungen hin erstrebt. Unter diesem Gesichtspunkte
verdient hier hervorgehoben zu werden, was über den
[333] Scheiterhaufen des Hephaestion berichtet wird, mit dessen
Errichtung Alexander den kühnsten seiner Architekten, den
Deinokrates, beauftragte. Der griechischen Architektur
wurde hier eine ihr bisher ganz fremde Aufgabe geboten:
es handelte sich um die Aufstellung eines ganz neuen, sehr
umfassenden Systems der Decorirung, zu dessen Ausbildung
es gerade in dieser Zeit an Gelegenheit nicht fehlte. Her-
vorragende Belege dafür bieten der Leichenwagen des
Alexander von einem nicht bekannten Künstler, sodann, nur
unter Modificationen für den besonderen Zweck, das Pracht-
schiff oder der schwimmende Palast, welchen Archias für
den jüngeren Dionysios in Syrakus ausführte; so wie andere
ähnliche für einzelne Festlichkeiten errichtete Bauten, welche
Athenaeus im fünften Buche beschreibt.


Nicht ohne Einfluss mochte der Anblick orientalischer
Pracht auch bei manchen Städteanlagen dieser Zeit sein.
Das System der grösseren Regelmässigkeit war zwar schon
in der früheren Periode von Hippodamos aufgestellt worden.
Blicken wir aber auf Städte, wie Alexandria, welches unter
der Leitung des Deinokrates erstand, oder Antiochia, des-
sen Mauern Xenaeos baute, so gab es hier auch wesent-
lich neue Forderungen zu befriedigen: vor Allem waren es
die Königsburgen, welche hier in den Mittelpunkt des Gan-
zen traten; und für diese waren die Muster nicht in Grie-
chenland, sondern im Orient zu finden.


Der Ruhm solcher Anlagen blieb indessen gewöhnlich
mehr den Königen, welche sie gründeten, als den einzelnen
dabei beschäftigten Architekten. So erklärt es sich, wie
hier zunächst nur noch wenige Namen wegen einzelner her-
vorragender Werke nachzutragen sind. Dahin gehört So-
stratos
, welcher namentlich wegen des Pharos in Alexan-
dria, daneben auch wegen einer Halle in Knidos erwähnt
wird, ferner Philon, dessen Arsenal im Piraeus als der
letzte grossartige, aus eigenen Mitteln ausgeführte Bau des
athenischen Staates erscheint. Weniger dürftig sind unsere
Nachrichten über eine andere Classe von Architekten, nem-
lich über die Militärarchitekten. Sie legen Zeugniss ab so-
wohl von der Ausbildung der Belagerungskunst als sol-
cher, wie von dem Fortschritte der Mechanik als Wissen-
schaft, welcher sich in der Erfindung einer Reihe neuer
[334] Kriegsmaschinen bekundet. Als Künstler im engeren Sinne
vermögen wir jedoch diese und verwandte Klassen von Tech-
nikern nicht anzuerkennen, und Männer wie Diognetos,
Kallias, Epimachos, Herakleides, Archimedes,
Krates
mögen daher hier nur deshalb erwähnt werden,
weil in den Schriften der Alten ihnen der Name von Archi-
tekten besonders beigelegt wird.


Wir haben gesehen, wie die Architektur am Anfange
dieser Periode (um Ol. 100) über den Zustand der voran-
gehenden Epoche kaum merklich hinausgegangen war und
nur allmählich ihre Thätigkeit nach den verschiedensten Sei-
ten hin erweiterte. Auf der Stufe, auf welcher wir sie unter
den ersten Nachfolgern Alexanders finden, mag sie sich im
Allgemeinen auch unter dessen Nachfolgern erhalten haben.
Die Pracht der Königshöfe liess es ihr nicht an Gelegenheit
fehlen, sich glänzend zu bethätigen. Aber freilich mag da-
bei oftmals weit mehr das Streben nach Effect, als der be-
scheidenere, aber edlere wahre Kunstsinn Nahrung und
Befriedigung gefunden haben. Im Gegensatz hierzu erscheint
es von Bedeutung, dass gleichzeitig mit den Kämpfen zwi-
schen Rom und Griechenland die griechische Kunst dort
einen entschiedenen Einfluss zu gewinnen anfängt. Hier
waren die äusseren Verhältnisse wesentlich anderer Natur,
und namentlich, so weit es sich um Unternehmungen archi-
tektonischer Art handelt, mehr denen der voralexandrinischen
Freistaaten, als denen der folgenden Königszeit analog. So
sind es denn zunächst Tempelbauten, durch welche Rom
seiner wachsenden Macht entsprechend sich zu verschönern
beginnt. Aber während auf dem Gebiete der Sculptur und
zum Theil auch der Malerei der griechische Einfluss sich
nur darin zeigt, dass sich Rom mit griechischen Werken
füllt, von römischen Künstlern aber, welche sich an den-
selben gebildet, fast nirgends die Rede ist, offenbart er sich
in der Architektur wesentlich anders: hier lernen die Römer
von den Griechen, so dass sie ihren Lehrern bald ebenbür-
tig zur Seite stehen. Allerdings ist es ein Grieche, Her-
modoros
von Salamis, welcher zur Zeit des Metellus Mace-
donicus den Bau der Tempel des Jupiter Stator und des
Mars leitet. Aber schon vor dieser Zeit wird von Antiochus
Epiphanes zur Vollendung eines der gewaltigsten Tempel
[335] des Alterthums, des unter Peisistratos begonnenen Olympieions
zu Athen, ein römischer Ritter Cossutius berufen; und
später sind es neben dem Griechen Menalippos wiederum
zwei Römer, C. und M. Stallius, denen von Ariobarzanes
die Wiederherstellung des Odeums in Athen ubertragen
wird. Ja, das Werk des Römers C. Mutius stellt Vitruv
gerade als in architektonischer Beziehung ausgezeichnet hin.
Hiermit steht es im Einklang, dass auch die theoretischen
Studien über Architektur verhältnissmässig früh in Rom
Eingang finden: wahrscheinlich schon um die Mitte des sie-
benten Jahrhunderts der Stadt schreibt Fufidius das erste
Buch über Baukunst. Später folgen ihm darin P. Septi-
mius
und M. Terentius Varro, und endlich in der
augusteiischen Zeit Vitruvius, leider der einzige aus dem
Alterthum erhaltene Schriftsteller über Architektur. So viel-
fachem Tadel sein Werk auch unterworfen sein mag, und
so dürftig namentlich die von ihm mitgetheilten historischen
Notizen sind, so sind wir doch von nun an ohne seine Hülfe
noch weit weniger im Stande, die vereinzelten Notizen über
die folgenden Architekten irgendwie zu einem Gesammtbilde
zu verarbeiten.


Von wem die reichen und umfassenden Bauten des
Augustus und seiner nächsten Nachfolger ausgeführt wurden,
wird nicht einmal flüchtig erwähnt. Nero fand für seine
oft unsinnigen Unternehmungen in Celer und Severus die
passenden Werkzeuge; für Domitian scheint Rabirius
thätig gewesen zu sein. — Ausserhalb Roms werden uns
einige Architekten durch Inschriften bekannt. C. Postu-
mius Pollio
ist in Terracina thätig; sein Freigelassener
L. Cocceius Auctus baut den Tempel des Augustus zu
Pozzuoli: in dieselbe Zeit gehören die Architekten der
Theater zu Herculanum und Pompei, P. Numisius und
M. Artorius Primus; so wie wahrscheinlich der Vero
neser L. Vitruvius Cerdo und vielleicht auch (Licinius)
Dio, der Erbauer des Cerestempels in Capena. Ueberall
haben wir es hier mit durchaus römischen Namen zu thun:
und insofern können auch diese dürftigen Notizen zur Be-
stätigung dessen dienen, was wir über die Ausübung der
Architektur durch die Römer selbst oben bemerkt haben.
Hiermit kann freilich im Widerspruch zu stehen scheinen
[336] dass Cicero in seinen Briefen dreier Architekten gedenkt,
welche ihren Namen nach sämmtlich Griechen sind, nemlich
Cyrus, sein Freigelassener Chrysipp und Diphilus. Aber
sie sind nicht bei öffentlichen Werken beschäftigt, sondern
mögen wie für die Familie des Cicero, so für andere vor-
nehme Römer die Anlagen von Villen und ähnlichen Luxus-
bauten geleitet haben, welche den Römern bis dahin wenig
bekannt gewesen waren. Später hatten sie auch hierin die
Hülfe der Griechen nicht mehr nöthig: die Architekten des
Nero und Domitian sind Römer; und der jüngere Plinius
wendet sich wegen einer ländlichen Tempelanlage an Mustius,
also ebenfalls an einen Römer.


Nur noch einmal in dieser späteren Zeit tritt in Rom
ein Grieche in den Vordergrund: Apollodoros von Da-
maskos, der bei Trajan in so hohem Ansehen stand, dass er
als der oberste Leiter der meisten Bauten dieses Kaisers
angesehen werden darf. Dieses hohe Ansehen aber ver-
dankte er gewiss nicht sowohl seiner Nationalität, als der
Bedeutung seiner eigenen Persönlichkeit. Von dieser ver-
mögen uns die Reste der ihm beigelegten Werke einen we-
nigstens annähernden Begriff zu geben. Denn wir erkennen
daraus, wie bei ihm mit der Grossartigkeit des Sinnes,
welche die ihm gestellten Aufgaben erheischten, ein Streben
nach Reinheit der Durchführung verbunden war, das durch-
aus der besseren Zeiten würdig erscheint. Unter diesem
Gesichtspunkte ist es gewiss nicht zu viel gesagt, wenn wir
Apollodoros den letzten wahrhaft grossen Architekten des
Alterthums nennen: denn nach ihm finden wir, wohin wir
auch blicken, die Spuren eines stets zunehmenden Verfalles.


Wenden wir jetzt unsern Blick noch einmal von Rom
nach Griechenland zurück, so finden wir, wenigstens was
die uns bekannt gewordenen Architekten anlangt, keine Per-
sönlichkeit unter ihnen, welche unsere Aufmerksamkeit nach-
haltig zu fesseln vermöchte. Aus vorkaiserlicher Zeit wird
in Athen Andronikos aus Kyrrhos erwähnt, der Erbauer
des Thurmes der Winde, eines in architektonischer Bezie-
hung nicht eben bedeutenden Werkes. Später sind es fast
nur Inschriften, aus denen wir unsere Nachrichten schöpfen.
Die wichtigste unter ihnen ist wohl die, aus welcher wir
den Architekten des Theaters zu Aspendos, Zenon, kennen
[337] lernen. Denn die Erhaltung seines Werkes bietet wenigstens
die Mittel, sich über den Zustand dieses Zweiges der Archi-
tektur in der Zeit des Marc Aurel ein Urtheil zu bilden.
Bei andern Inschriften dagegen fehlt uns entweder die Kennt-
niss des Werkes, oder dieses selbst erscheint von verhält-
nissmässig nur geringer Wichtigkeit. So heisst es, dass
Nikodemos oder Nikon (vielleicht der Vater Galens) eine
Markthalle zu Pergamos baute, Dionysios aus Tralles das
Dach des Odeum zu Patara, Aurelius Antoninus im
dritten Jahrhundert ein thurmartiges Brunnenhaus, Auxen-
tios
eine Wasserleitung bei Adana in Kilikien, Ammonios
eine andere an einem uns nicht bekannten Orte; aus einer
spanischen Inschrift endlich lernen wir den Architekten einer
Brücke und eines den Kaisern geweihten Tempels, Lacer,
aus Trajan’s Zeit kennen. Von dem Sinken der Kunst in
den spätesten Kaiserzeiten aber können uns besonders die
metrischen Inschriften einen Begriff geben, welche die Re-
stauration älterer Bauwerke als einen Beleg für hohe künst-
lerische Tüchtigkeit in überschwänglichen Worten preisen:
so die Restauration der Mauern Athens durch Illyrios,
des Theaters zu Ephesos durch Messalinos, des Pharos
von Alexandria durch Ammonios. Erfreulicher ist aller-
dings die Thätigkeit, welche sich nach einem so tiefen Ver-
fall im morgenländischen Kaiserthum namentlich gegen die
Zeit Justinians entwickelt. Aber wenn auch die Künstler,
welche hierzu mitwirken, sich von den Traditionen des Al-
terthums keineswegs gänzlich lossagen, so erscheint es doch
weniger passend, ihr Verdienst hier im Verhältniss zu der
frühern Zeit zu würdigen: ihre Bedeutung kann vielmehr
nur dadurch in vollem Lichte erscheinen, dass sie an die
Spitze einer ganz neuen Entwickelung, der byzantinischen
und überhaupt mittelalterlichen Baukunst, gestellt werden.


Alphabetisches Verzeichniss.


Agnaptos
war der Architekt einer Halle in der Altis zu Olympia,
welche nach ihm den Namen führte: Paus. V, 15, 6; vgl.
VI, 20, 10 u. 13. Seine Zeit ist unbekannt.


Aloysius.
Cassiodor (Var. II, 39) theilt einen Brief des Königs Theo-
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 22
[338] derich an einen Architekten Aloysius mit, in welchem dieser
den Auftrag erhält, die Thermen bei einer Heilquelle Aponon
zu restauriren.


Ammonios
restaurirte einem Epigramme der Anthologie zufolge (anall.
III, 229, n. 373) den berühmten Pharos zu Alexandria, nach
der Vermuthung von Jacobs unter Anastasios (Ende des 5.
Jahrh.), da von Procop (bei Villoison Anecd. II, p. 41) eine
Wiederherstellung dieses Baues unter den Werken dieses
Kaisers angeführt wird. Wahrscheinlich auf denselben Am-
monios bezieht sich ein anderes Epigramm (Anthol. ed. Ja-
cobs, t. XII, p. 769, n. 19), in welchem er wegen des
Baues einer Wasserleitung gepriesen wird.


Amphilochos.
Von ihm wissen wir durch eine rhodische Inschrift:


Ἀμφιλόχου ιοῦ Λάγου Ποντώϱεως.

Ἥκει καὶ Νείλου πϱοχοὰς καὶ ἐπ̕ ἒσχατον Ἴνδον

τέχνας Ἀμφιλόχοιο μέγα κλέος ἄφϑιτον ἀεί.

C. J. Gr. 2545. Für einen Architekten ist Amphilochos von
Welcker (Sylloge, p. 191) wohl nur deshalb erklärt worden,
weil die Inschrift als auf einer Säulenbasis befindlich ange-
führt wird. Allein Böckh bemerkt, dass wir es nur mit ei-
ner Grabschrift zu thun haben; und in einer solchen kann
τέχνη in sehr verschiedenem Sinne gebraucht werden.


Anaxikrates, s. Xenaeos.


Andronikos
aus Kyrrhos, also entweder Makedonier oder Syrier, war
der Erbauer des sogenannten Thurmes der Winde zu Athen,
der noch jetzt zum grössten Theile erhalten ist. Von ihm
sprechen Varro (de r. r. III, 5) und namentlich Vitruv
(I, 6, 4). Die Form des Baues ist achteckig und auf jeder
Seite ist einer der Winde in Relief dargestellt. Auf der
Spitze des Gebäudes aber war ein eherner beweglicher Tri-
ton angebracht, der mit einer Ruthe in der Rechten anzeigte,
von woher der Wind wehete. Zugleich diente das Gebäude,
wie die noch erhaltenen Ruinen lehren, um die Stunden des
Tages bei heiterem Wetter durch die Sonne und ausserdem
durch Wasser anzugeben; vgl. Stuart ant. I, ch. 3. Ueber
das Alter des Baues bemerkt Leake in der Topographie von
Athen (S. 151 der Uebersetzung): „Das Zeitalter des Varro
[339] und die Bauart des Thurmes selber machen es beide wahr-
scheinlich, dass derselbe etwa um die nemliche Zeit erbaut
wurde, als Scipio Nasica (595 d St. — 159 v. Chr.) zuerst
in Rom ein öffentliches Horologium errichtete, von welchem
berichtet wird, dass es gleich dem Thurme des Andronikos
die Stunden bei Tage und bei Nacht vermittelst des Wassers
angezeigt habe: Plin. 7, 215.“ In wie weit übrigens Andro-
nikos wirklicher Architekt war, oder etwa nur, soweit es
auf physikalische Kenntnisse ankam, die Anlage leitete,
wage ich nicht zu entscheiden.


Antimachides, s. Antistates.


Antiphilos.
Unter den Schatzhäusern zu Olympia führt Pausanias (VI,
19, 7) eines der Karthager und zwar als Werk des Pothaeos,
Antiphilos und Megakles an. Wenn nun schon ein durch
die Karthager in Olympia errichtetes Gebäude auffällig ist,
so werden wir gegen diese Angabe noch misstrauischer da-
durch, dass in dem Thesauros sich Weihgeschenke des
Gelon und der Syrakusier wegen eines Sieges über die Phö-
nicier (Φοίνικος ἤτοι τϱιήϱεσιν ἢ καὶ πεζῇ κάχῃ κϱατησάντων) finden.
Wir werden dadurch zu der Annahme geleitet, dass der
ganze Bau diesem Siege, wohl dem bekannten bei Himera,
Ol. 75, 1, seine Entstehung verdankte und nach den Kar-
thagern nur benannt wurde, weil er aus der ihnen abge-
nommenen Beute errichtet wurde.


Antistates.
„Zu Athen legten die Architekten Antistates, Kallaeschros,
Antimachides und Porinos die Fundamente zu dem Tempel,
welchen Peisistratos dem olympischen Zeus errichtete. Nach
seinem Tode jedoch liessen sie wegen der veränderten politischen
Verhältnisse den Bau liegen.“ Vitruv VII, praef. §. 15. Nach
Aristoteles (Polit. V, 11) scheint diese Unterbrechung erst
nach der Vertreibung der Pisistratiden eingetreten zu sein.
Trotzdem vergleicht er den Tempel mit dem Pyramiden und
sein Schüler Dikäarch (p. 8 Huds.) bestätigt es, dass der
Bau, auch nur halb vollendet, wegen seiner Anlage Staunen
errege, und fertig unübertrefflich sein werde. Ueber die
Fortsetzung des Baues unter Antiochos Epiphanes s. unter
Cossutius.


22*
[340]

Apollodoros
aus Damaskos (Procop. de aedif. IV, 6) leitete die bedeu-
tendsten Bauten des Kaisers Trajan. Cassius Dio (69, 4)
führt als solche das Forum, das Odeum und das Gymnasium
an; womit wir wohl eine Stelle des Pausanias (V, 12, 6)
verbinden dürfen, obwohl in ihr ohne Nennung des Apollo-
dor von trajanischen Werken die Rede ist; als die bedeu-
tendsten werden nemlich daselbst bezeichnet: die nach Tra-
jan benannten Thermen (vielleicht nicht verschieden von
dem Gymnasium bei Dio), ein grosses rundes Theater (das
Odeum), ein Circus für Pferderennen von zwei Stadien
Länge, und das römische Forum des Trajan, sehenswerth
sowohl wegen seines übrigen Schmuckes, als namentlich
wegen des Bronzedaches (der Basilika). Ausserdem baute
er auch die Brücke, welche Trajan in Dacien über die Do-
nau schlagen liess (Procop. l. l.) und welche nach der An-
nahme Canina’s (Archit. rom. zu tav. 182) sich auf der
Trajanssäule und auf Münzen dieses Kaisers abgebildet fin-
det. So glänzend sich also seine Laufbahn unter Trajan
gestaltet hatte, so unglücklich endete sie unter Hadrian, des-
sen Einrede bei einer architektonischen Berathung mit Trajan
er einst mit den Worten abgewiesen hatte: „Geh und male
deine Kürbisse, denn hiervon verstehst Du nichts.“ Als
ihm nun Hadrian nach seinem Regierungsantritte, auf seine
Kenntnisse vertrauend und um ihn durch die That zu be-
schämen, den Entwurf zum Tempel der Venus und Roma
zuschickte, enthielt sich auch da Apollodor nicht, denselben
einer scharfen Kritik zu unterwerfen, indem er meinte, der
Tempel sei auf einem höheren Unterbau zu errichten, damit
er von der Via sacra aus einen imposanteren Anblick ge-
währe; ferner seien in dem Unterbau Gewölbe anzubringen,
in welchem mechanische Vorrichtungen für die Spiele des
benachbarten Amphitheaters Platz finden könnten; endlich
seien die Götterbilder im Verhältnisse zum Tempel zu gross.
Dieser Tadel, um so mehr als er durchaus begründet war,
erbitterte den Kaiser dermassen, dass er den Apollodor hin-
richten liess (Cass. Dio l. l.), obwohl er nach den noch
vorhandenen Ruinen seine Bemerkungen nicht unberücksich-
tigt gelassen zu haben scheint. Nicht ausgeführt wurde der Plan,
welchen Apollodor nach Spartian (Hadr. 19) dem Kaiser
[341] vorgeschlagen hatte: zu dem in das Bild des Sonnengottes
umgewandelten Coloss des Nero ein Seitenstück, die Mond-
göttin, aufzustellen. — In einer Geschichte der Architektur
wird den noch erhaltenen Resten der Bauten des Apollodor
eine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden sein, indem
hauptsächlich seinem Einflusse die relativ hohe Blüthe der
Kunst in der Zeit des Trajan scheint zugeschrieben werden
zu müssen.


Apollonios,
Sohn des Ammonios aus Alexandria errichtete im Auftrag
römischer Magistrate und für das Heil Trajans bei Mons
Claudianus in Aegypten dem Serapis einen Altar: C. J. gr.
4713 e. Seine Thätigkeit als Architekt an diesem Orte be-
stand wahrscheinlich in der Aufsicht über die dortigen
Steinbrüche, in denen Werkstücke für bedeutende Bauten
allerdings nicht blos gebrochen, sondern bis auf einen ge-
wissen Grad auch ausgearbeitet werden mochten.


Apuleius
erscheint als Architekt in einer entweder ganz gefälschten
oder stark interpolirten spanischen Inschrift: Grut. 41, 5.


Archedemos
aus Thera hatte die Grotte der Nymphen auf dem Hymettos
angelegt: C. J. gr. 456; Bull. dell’ Inst. 1841, p. 89; Rev.
arch. II, p. 427; Stephani: titul. graec. part. IV, tab. 4, in
Indice Schol. Dorpat. 1849, sem. alt. p. 6 sq.


Archias
aus Korinth, baute das Prachtschiff oder richtiger den
schwimmenden Palast für Hieron II, welchen dieser einem
der Ptolemäer schenkte. Eine ausführliche Beschreibung
dieses mit Kunstwerken reich geschmückten Baues theilt
Athenaeus (V, 206 D. sq.) aus Moschion mit.


Archilochos
wird in der Baurechnung des Erechtheum als Architekt ge-
nannt: Ross im Kunstbl. 1836; N. 60; Stephani in den Ann.
dell’ Inst. arch. 1843, p. 320, 56; 324, 9. Da er nur einen
geringen täglichen Lohn empfing, so war er offenbar nicht
der oberste Architekt, sondern nur ein Aufseher beim Bau;
vgl. unter Philokles, und Stephani S. 292 u. 299.


Archimedes.
Obwohl sein Ruhm auf seinen mechanischen Erfindungen
[342] beruht und wir eigentliche Bauwerke von ihm gar nicht
kennen, so mag er doch hier angeführt werden, weil die
Alten ihn den berühmtesten Architekten beizählen, wie z. B.
eine Stelle des Ausonius (Mosella 304) lehrt, nach welcher
er als solcher in den Imagines des Varro unter die Hebdo-
mas der Architekten aufgenommen war.


Argelios
schrieb über die korinthische Ordnung und über den ioni-
schen Tempel des Asklepios zu Tralles, den er selbst er-
baut haben soll: Vitr. VII, praef. 12. Er lebte also minde-
stens nach Ol. 100, da erst um diese Zeit die korinthische
Ordnung aufkam. Unter den ältern Architekten, welche sich
gegen die Anwendung der dorischen Ordnung für Tempel-
bauten ausgesprochen hatten, nennt nun Vitruv (IV, 3, 1)
auch einen Tarchesius. Dass hier wieder dieselbe Person,
wie in der ersten Stelle gemeint sei, vermuthen Schneider
und Marini gewiss mit Recht, um so mehr, als in der zwei-
ten der Name in verschiedener Form überliefert ist. Ob
aber ohne weiteres Argelios herzustellen, wage ich nicht zu
entscheiden, da auch diese Namensform bis jetzt noch nicht
nachgewiesen ist.


Aristides, s. Kleoetas.


Artorius Primus.
Nach der noch erhaltenen Inschrift:
M. ARTORIVS. M. L. PRIMVS
ARCHITECTVS

baute er das grössere der Theater in Pompei, welches etwa
der Zeit des Augustus angehören mag: Mommsen I. R.
N. 2238.


Asklepiades,
Sohn des Attalos aus Kyzikos, war zufolge einer in Sa-
mothrake gefundenen Inschrift wegen eines Tempelbaues
dorthin berufen worden: C. J. gr. 2158, vgl. 2157. Von
ihm verschieden ist ein Asklepiades, Sohn des Hilaros aus
Lampsakos, dessen Grabschrift sich zu Madytos am thraki-
schen Chersonnes gefunden hat: C. J. gr. II, p. 995, n.
2016 b.


Asklepiodoros, s. Xenaeos.


Athenaeos.
Trebellius Pollio (Gallien 13) berichtet, dass wegen räuberi-
[343] scher Einfälle der Scythen in die römischen Donauländer
Gallienus Cleodamum et Athenaeum Byzantios instaurandis
urbibus muniendisque praefecit. Da er jedoch weiter hinzu-
fügt: pugnatumque est circa Pontum et a Byzantiis ducibus
victi sunt barbari, so werden wir die beiden genannten
Männer vielmehr für Militairpersonen, als für Architekten
halten müssen.


Attaeos, s. Xenaeos.


Aurelius Antoninus
baute zur Zeit des Bosporanischen Königs Ininthimaeos, um
237 v. Ch. G., ein thurmartiges Brunnenhaus, laut einer von
Köppen bekannt gemachten Inschrift; vgl. Jahn’s Jahrb. Bd.
68, S. 327.


Auxentios
baute bei Adana in Kilikien eine Wasserleitung, wie uns
eine das Werk hoch preisende metrische Inschrift lehrt:
C. J. gr. 4440, Langlois Inscript. de la Cilicie, n. 38. Die
Fassung derselben deutet auf die spätere römische Kai-
serzeit.


Batrachos.
„Auch Sauras und Batrachos dürfen nicht vergessen werden,
welche die durch die Portiken der Octavia eingeschlossenen
Tempel ausführten, Lakedämonier von Geburt. Einige mei-
nen auch, im Besitz grosser Reichthümer hätten sie diesel-
ben auf ihre Kosten gebaut in der Hoffnung, ihre Namen in
der Weihinschrift verherrlicht zu sehen (inscriptionem spe-
rantes); da dies indessen verweigert worden, so hätten sie
auf andere Weise sich dafür entschädigt: noch jetzt nemlich
sind auf den Basen der Säulen mit Anspielung auf die Be-
deutung ihrer Namen eine Eidechse und ein Frosch einge-
hauen:“ Plin. 36, 42. Die ganze Nachricht hat einen sehr
anekdotenartigen Charakter; und da ausserdem der eine der
beiden Tempel bestimmt dem Hermodoros (v. m. s.) zuge-
schrieben wird, so liegt die Annahme nahe, dass die ganze
Erzählung sich einzig aus dem Vorhandensein der Eidechse
und des Frosches gebildet habe; vgl. besonders Raoul-
Rochette: quest. de l’hist. de l’art, p. 11 sq. Gehören ihre
Namen aber nicht der Sage an, so werden wir ihnen ihre
Stellung doch nur unter Hermodoros, etwa als praktischen
Leitern des Baues anweisen können; oder, sofern wir Nach-
[344] druck darauf legen, dass Plinius seine Erzählung bei Gele-
genheit der Bildhauer in Marmor mittheilt, annehmen müs-
sen, dass etwa die Ausführung der Marmorarbeiten an den
Tempeln das Werk ihrer Hände war. — Ein Kapitäl in
S. Lorenzo fuori le mura bei Rom (Winkelmann M. J. n. 206).
gehört einer zu späten Zeit an, um auf sie bezogen werden
zu können.


Bupalos,
der bekannte Bildhauer aus Chios gegen Ol. 60, soll nach
Pausanias (IV, 30, 6) auch ein tüchtiger Tempelbaumeister
gewesen sein.


Celer
und Severus werden von Tacitus (Ann. XV, 42) als die
Haupthelfer und Anstifter des Nero bei seinen unsinnigen
Bauten bezeichnet, als Leute, welche Geist und Kühnheit
genug besassen, selbst das zu versuchen, was die Natur zu
verweigern schien. So rührte von ihnen das Project her,
vom Avernersee bis zum Ausfluss des Tiber einen schiff ba-
ren Canal zu bauen, ein Project, welches jedoch nicht über
die ersten Anfänge hinaus ausgeführt wurde. Eben so
scheinen sie hauptsächlich bei dem Bau des sogenannten
goldenen Hauses betheiligt gewesen zu sein. — Der Name
des Celer findet sich auch noch auf einem Kapitäl bei der
Kirche S. Agnese fuori le mura bei Rom (Fabretti 721,
n. 431):
CELERI
NERONIS
AVGVSTI. L
A (rchitect) O.

Endlich erwähne ich noch, dass mir vom Pre. Garrucci der
Abdruck eines geschnittenen Steines mitgetheilt worden ist,
auf welchem zwei Portraitköpfe mit der Beischrift CELER
und SEVERVS dargestellt sind. Woher der Stein stammt
und wo er sich befindet, vermag ich nicht anzugeben und
wage deshalb auch über die Authenticität kein Urtheil aus-
zusprechen.


Chersiphron,
aus Knosos von der Insel Kreta gebürtig, war der erste
Architekt des berühmten ephesischen Artemistempels: Strabo
XIV, 640; Vitr. VII, praef. 16, cf. 12; Plin. 7, 125; 36, 95.
[345] Ueber die Zeit des Beginnes und der Vollendung des Baues
wird bei Gelegenheit des Theodoros gehandelt werden, und
es sei hier nur bemerkt, dass die 120 Jahre, welche er nach
Plinius (a. a. O.) in Anspruch nahm, ungefähr durch die 50.
und 80. Olympiade begrenzt werden. Die Angabe des Pli-
nius, wonach ganz Asien sich daran betheiligt (vgl. Liv. 1,
45), wird näher begrenzt durch Dionys von Halikarnass
(IV, 25), welcher nur von den Ioniern Kleinasiens spricht.
Der Bau ward nach Plinius auf sumpfigem Boden errichtet,
damit er weniger der Beschädigung durch Erdbeben unter-
worfen sei; um aber für die gewaltigen Fundamente eine
feste Grundlage zu gewinnen, fütterte man den Boden mit
Holzkohlen (weil dieselben nicht faulen) und Schaaffellen
aus. Aus Diogenes Laertius II, s. 104 und Hesychius Mile-
sius de vir. illust. v. Θεόδωϱος wissen wir, dass die Angabe
dieses Verfahrens dem Theodoros von Samos verdankt
ward. Der Tempel selbst war ein ionischer Dipteros: Vitr.
III, 2, 7; die Notiz bei Vitruv IV, 1, 7 und Plinius 36, 179
jedoch, wonach die ionische Ordnung hier zuerst angewendet
worden sei, erweist sich schon dadurch als unrichtig, dass
Pausanias (VI, 19, 2) in dem bald nach Ol. 33 errichteten
Thesauros des Myron zu Olympia ionische Säulen sah. Ihre
Glaubwürdigkeit aber dadurch retten zu wollen, dass man
sie etwa auf einen noch älteren Bau der halb mythischen
Zeit bezöge, scheint mir bei der Unzuverlässigkeit mancher
ähnlichen Nachrichten über Erfindungen nicht eben rathsam.
Von Einzelnheiten des Baues berichtet Vitruv (X, 2, 11) die
sinnreiche Art, mit welcher Chersiphron die gewaltigen Säu-
len ohne Wagen und feste Strasse von den durch einen
Hirten Pixodaros entdeckten Steinbrüchen (vgl. Vitr. X, 2,
15) nach dem Bauplatz schaffte, indem er sie nemlich ganz
nach der Art unserer noch beim Ackern und beim Chaussee-
bau gebräuchlichen Walzen fortziehen liess. Dasselbe Ver-
fahren wendete sein Sohn Metagenes auf den Transport der
Gebälkstücke an, indem er um sie wie um eine Axe walzen-
artige Räder herumlegte. Hiernach werden wir Plinius
(36, 96) berichtigen müssen, welcher auch das Legen des
Gebälkes dem Chersiphron beilegt. Auch hierbei wurden
die grossen mechanischen Schwierigkeiten durch einfache
Mittel überwältigt: aus Sandsäcken ward eine schiefe Ebene
[346] gebildet, auf welcher die grossen Steinbalken bis über die
Höhe der Säulen gezogen und in die richtige Lage gebracht
wurden; indem man nun einen Theil dieser Säcke seines In-
halts entleerte, sanken sie allmählich und ohne aufzustossen
auf die Kapitäle der Säulen herab. Als Merkwürdigkeit fügt
Plinius noch hinzu, dass der besonders grosse Querbalken
über der Thür, der zur Verzweiflung des Architekten nicht
in die richtige Lage gekommen war, (mit Hülfe der Göttin)
durch sein eigenes Gewicht während der Nacht den Fehler
verbessert habe.


Es fragt sich nun, was wir einer Seits von der Nach-
richt des Strabo (XIV, 640) zu halten haben, der zufolge
ein Anderer nach Chersiphron den Tempel vergrösserte,
anderer Seits von den Maassen des Tempels sowohl wie der
Säulen, welche uns Plinius überliefert hat. Urlichs nemlich
(Rhein. Mus. N. F. X, S. 10) will mit Strabo’s Nachricht
eine Angabe des Herodot (I, 92) in Verbindung bringen,
nach welcher Krösos den grössten Theil der Säulen zum
Tempel geschenkt hatte. Durch diese sei die Vergrösserung
bewerkstelligt worden, und zwar in der Weise, dass man
den ursprünglich als Peripteros angelegten Tempel in einen
Dipteros verwandelt habe. Da nun Herodot (III, 60) den
Tempel zu Samos den grössten nenne, welchen er gesehen
habe, dieser aber 346 × 189 Fuss messe, während Plinius
für den ephesischen 425 × 225 Fuss angebe, so könnten sich
des Plinius Maasse nicht auf den älteren, sondern nur auf
den späteren Bau des Deinokrates beziehen, welcher nach
dem Brande den Tempel nicht allein hergestellt, sondern
nach Strabo auch verschönert und, wie wir hinzusetzen
dürften, auch vergrössert habe. Ob sich bei der Lückenhaf-
tigkeit unserer Quellen je in allen Punkten eine sichere Ent-
scheidung wird fällen lassen, scheint mir sehr zweifelhaft.
Gegen die von Urlichs aufgestellten Ansichten kann ich aber
nicht umhin, einige Bedenken auszusprechen. Diese betref-
fen zunächst den Wiederaufbau und die mit ziemlicher Zu-
versicht angenommene Vergrösserung durch Deinokrates,
gegen welche nach meiner Ansicht das Zeugniss des Strabo
deutlich genug spricht. Er gebraucht gewiss nicht ohne
Absicht den Ausdruck ἄλλον (νεὼν) ἀμείνω κατεσκεύασαν ge-
rade im Gegensatz zu der Nachricht über den früheren
[347] Tempel, den ἄλλος ἐποίησε μείξω; und dies wird bestätigt
dadurch, dass er weiter angiebt, man habe die alten Säulen
behalten, sowie dass er nur von dem Dache als abgebrannt
spricht: μετὰ δὲ τὴν ἔμπϱησιν τῆς ὀϱοφῆς ἠφανισμένης. Mag dabei
auch manche einzelne Säule, so wie namentlich auch das
marmorne Gebälk durch Verkalkung gelitten haben, so ver-
mögen wir doch nicht einmal von einem eigentlichen Neubau
zu sprechen, geschweige denn ohne ausdrückliches Zeugniss
von einer Vergrösserung. Der Ausdruck ἀμείνω aber ist
immer hinlänglich gerechtfertigt, wenn wir nur an eine
glänzende Wiederherstellung unter Berücksichtigung der
Forderungen eines verfeinerten Geschmackes und vorge-
schrittenen Luxus denken. Müssen wir demnach die von
Plinius angegebenen Maasse von dem älteren Tempel gelten
lassen, so fragt es sich nur, wann derselbe diese Grösse er-
hielt. Plinius spricht an dieser Stelle nur von der Anlage
durch Chersiphron. Aber auch Vitruv, welcher doch vier
Architekten kennt und offenbar gute Quellen benutzte, legt
keinem derselben eine Veränderung des ursprünglichen Pla-
nes bei: er bezeichnet den Tempel schon in der Anlage des
Chersiphron als Dipteros. Sollte danach nicht etwa Strabo,
der den älteren Tempel nur flüchtig berührt und den Nach-
folger des Chersiphron nicht einmal dem Namen nach ken-
nen zu lernen sich die Mühe gegeben hat, irrthümlich von
einer Vergrösserung gesprochen haben, wo es sich nur um
Weiterführung oder Vollendung des Baues handelte? Frei-
lich nennt Herodot den Tempel zu Samos den grössten un-
ter allen ihm bekannten; allein an einer andern Stelle
(II, 148) setzt er wenigstens den ephesischen diesem als
ebenbürtig an die Seite; und so meinte er vielleicht bei jener
Bezeichnung des samischen nur den grössten damals vollen-
deten; denn wir wissen keineswegs gewiss, dass, als Herodot
in Kleinasien sich aufhielt, der ephesische schon völlig ausge-
baut war. — Indessen würde ich diesen Bedenken gegen die An-
sicht von Urlichs vielleicht keine zu hohe Bedeutung beilegen,
wenn mir nicht innere Gründe gegen die von ihm angenommene
Veränderung eines Peripteros in einen Dipteros zu sprechen
schienen. Ich will es weniger betonen, wie bei der beson-
deren Art, mit welcher die Fundamente des Tempels herge-
richtet waren, eine Erweiterung, ein Anflicken rings herum
[348] an dieselben mit ganz besonderen Schwierigkeiten verbunden
gewesen sein würde. Dagegen glaube ich um so mehr auf
die strenge Gesetzmässigkeit der griechischen Architektur
hinweisen zu müssen, zufolge welcher jeder einzelne Theil
durch sein Verhältniss zum Ganzen bestimmt wurde. Sollte
nun da durch blosse Hinzufügung einer Säulenstellung ein
Peripteros in einen Dipteros haben verwandelt werden kön-
nen, ohne dass dadurch das Verhältniss aller Theile, na-
mentlich in der Haupt-, d. h. in der Vorderansicht gründlich
verrückt, die Schönheit der ursprünglichen Anlage gänzlich
vernichtet worden wäre? Mir würde deshalb die Nachricht
von einer Vergrösserung des Tempels nur dann unbedenk-
lich erscheinen, wenn sie sich von einer Erweiterung in der
Länge deuten liesse, indem deren Verhältniss zur Breite
keineswegs ein fest bestimmtes ist, sondern etwa zwischen
1:1,7 und 1:2,8 schwankt. Da es jedoch beim ephesischen
Tempel nur 1:1,88 beträgt, so kann es auch bei der ur-
sprünglichen Anlage kaum ein anderes gewesen sein. So
bliebe als letzte Ausflucht nur etwa die Annahme übrig,
dass Chersiphron erst die Cella erbaut und die Säulen an
der vorderen Hälfte des Tempels errichtet hätte. Wenn nun
der Weiterbau erst durch das Geschenk des Krösus möglich
wurde, so konnte man wohl von dem Architekten, welcher
diesen Weiterbau wenn auch nach dem ursprünglichen Plane
leitete, mit einem nicht streng richtigen Ausdrucke einmal
sagen, er habe den Tempel grösser gemacht.


Die voranstehenden Erörterungen können, wie gesagt,
nicht den Anspruch machen, eine schwierige Frage zu einer
endgültigen Entscheidung gebracht zu haben. Doch werden
sie die Annahme, dass der Grundplan des Chersiphron bei
allen späteren Ausführungen und Wiederherstellungen unver-
ändert beibehalten worden sei, wenigstens als möglich und
sogar ziemlich wahrscheinlich erscheinen lassen. Was Vi-
truv II, 9, 13 und Plinius 16, 213 über das Gebälk aus Ce-
dern und die Thüren aus Cypressenholz bemerken, kann sich
natürlich nur auf die Wiederherstellung nach dem Brande
beziehen.


Um schliesslich noch einmal auf die Architekten des
älteren Baues zurückzukommen, so bemerkt Vitruv VII,
praef. 12, dass Chersiphron und Metagenes über denselben
[349] geschrieben haben. Von den beiden Architekten, die ihn
vollendeten (Vitr. VII, praef. 16), wird der eine, Demetrios,
Tempeldiener der Göttin, nicht weiter erwähnt, Paeonios
aus Ephesos dagegen auch als Baumeister des milesischen
Apollotempels angeführt. Ueber ihre Zeit vgl. unter Theo-
doros.


Chrysippus Vettius,
Freigelassener des Architekten Cyrus (Cic. ad fam. VII, 14),
ist uns aus Briefen Cicero’s (ad Att. XIII, 29; XIV, 9) be-
kannt, aus welchen hervorgeht, dass derselbe namentlich
nach dem Tode des Cyrus ihn bei seinen Bauten als Archi-
tekten benutzte.


Cleander.
Lampridius (Commod. 17) spricht von Thermen, welche
Cleander „nomine ipsius“ (Commodi) erbaut habe. Aus dem
Zusatze scheint mir hervorzugehen, dass Cleander nicht, wie
man gemeint hat, der Architekt, sondern ein reicher Mann,
etwa ein Freigelassener des Kaisers war, welcher die Kosten
bestritt, die Ehre und den Namen des Baues aber dem Kai-
ser überliess.


L. Cocceius Auctus
war der Architekt des von L. Calpurnius dem Augustus ge-
weihten Tempels zu Puteoli, zufolge der noch an Ort und
Stelle befindlichen Inschrift (Mommsen I. R. N. 2485):
L. COCCEIVS. L.
C. POSTVMI. L.
AVCTVS. ARCITECT.

Ausserdem erwähnt Strabo (V, 245) als sein Werk die noch
jetzt benutzte und unter dem Namen des Posilippo bekannte
Grotte bei Neapel, so wie einen andern im Auftrage des
Agrippa angelegten unterirdischen Gang vom Avernersee
nach Cumae. Dort hat sich auch noch ein Stück eines Ar-
chitravs mit seinem Namen gefunden; Momms. 2571:
L. COCC
REDEM


Cossutius.
Der von den Pisistratiden begonnene Bau des olympischen
Zeustempels zu Athen war nach ihrer Vertreibung nicht
weitergeführt worden. Seine Vollendung unter mannigfacher
Veränderung des ursprünglichen Planes unternahm Antiochos
[350] Epiphanes (reg. 176 — 164 v. Chr.). Architekt war der rö-
mische Bürger Cossutius. Was er ausgeführt, beschreibt
Vitruv (VII, praef. 15) in folgender Weise: cellae magnitu-
dinem et columnarum circa dipteron collocationem episty-
liorumque et ceterorum ornamentorum ad symmetriam distri-
butionem magna solertia scientiaque summa civis Romanus
Cossutius nobiliter est architectatus; und §. 17 fügt er
hinzu, dass der Bau ein korinthischer war. Ueber denselben
sprechen auch Polybius bei Athenaeus V, 194 A; Strabo IX,
396; Livius 41, 20; Vellej. I, 10. Den auch damals noch
nicht vollendeten Tempel beschlossen unter Augustus meh-
rere Könige auszubauen und dem Genius dieses Kaisers zu
weihen: Suet. Aug. 60; allein erst Hadrian führte das Werk
zu Ende: Paus. I, 18, 6; Spart. Hadr. 13. — Auf Cossutius
bezieht sich wahrscheinlich eine beim Olympieion in Athen
gefundene Inschrift einer Basis, welche vielleicht eine Statue
desselben trug, C. J. gr. 363:


ΔΕΚΜΟΣ

ΚΟΣΣΟΥΤΙΟΣ

ΠΟΠΛΙΟΥ

ΡΩΜΑΙΟΣ

Cyrus,
ein Zeitgenosse des Cicero und in engem Verkehre mit
ihm, so dass er nicht nur dessen Bauten leitete, sondern
auch ihn in Gemeinschaft mit Clodius zum Erben einsetzte.
Er starb an demselben Tage, an welchem Clodius ermordet
ward, also 702 d. St.: Cic. pr. Milone 17; 18; ad fam. VII,
14; ad Q. fr. II, 2; ad Att. II, 3. Besondere Beachtung
scheint die letzte Stelle zu verdienen: Fenestrarum angustias
quod reprehendis, scito te Κύϱου παιδείαν reprehendere. Nam
quum ego idem istuc dicerem, Cyrus aiebat viridariorum
διαφάσεις latis luminibus non tam esse suaves. Etenim ἒστω
ὄψις μὲν ἡ ᾱ, τὸ δὲ ὁϱώμενον β̅, γ̄. ἀκτῖνες δὲ δ̅ καὶ ε̄. Vides
enim caetera. Nam si κατ̕ εἰδώλων ἐμπτώσεις videremus, valde
laborant εἴδωλα in angustiis: nunc fit lepide illa ἔκχυσις ra-
diorum. Die zahlreich eingestreuten griechischen Ausdrücke
lehren zwar zunächst nur, dass Cyrus durchaus Grieche
war, scheinen aber doch auch darauf hinzudeuten, dass die
lateinische Terminologie der Architektur zu Cicero’s Zeit
noch wenig ausgebildet war.


[351]

Daedalos, s. Th. I, S. 14 flgd.


Damokrates
wird in einer nicht eben alten, aber doch vorrömischen spar-
tanischen Inschrift als Architekt zwischen andern Beamten
und Bürgern angeführt, welche an einer öffentlichen Spei-
sung Theil hatten: Bull. dell’ Inst. 1844. p. 145, 1. 17.


Daphnis
aus Milet, einer der Architekten des Apollotempels bei Mi-
let; s. unter Theodoros.


Demetrios,
Hierodule des ephesischen Artemis und einer der Architekten
ihres Tempels; s. unter Chersiphron und Theodoros.


Demokopos
war der Architekt des Theaters zu Syrakus. Er hatte den
Beinamen Myrilla, weil er nach Vollendung des Baues unter
seinen Mitbürgern μύϱον, wohlriechende Salben ausgetheilt
haben sollte: Eust. ad Od. 3, 68, p. 1457 R. Da Sophron
ihn erwähnt hatte, so kann er nicht später als etwa Ol. 90
gelebt haben.


Deinokrates.
Der Name dieses Architekten ist in sehr verschiedener Weise
überliefert worden. Wir finden die Form:


Dinokrates bei Vitruv II, praef.; Valer. Max. I, 4, 1;
Solin c. 32 u. 40, Ammian. XXII, 16; Jul. Val.
de r. gest. Alex. I, 21;
Dinochares bei Plinius 5, 62; 7, 125; Auson. Mosella
v. 312;
Timochares bei Plin. 34, 148;
Cheirokrates bei Strabo XIV, p. 641;
Stasikrates bei Plutarch Alex. 72; de Alex. virt. p.
335 c.;
Hermokrates in einer Handschrift des Pseudo - Kallisthe-
nes I, 31 (in der Didot’schen Ausgabe des Arrian);
und endlich


Diokles bei Eustathius ad II. ζ. 229, p. 980 R.
Die Schreibung des Namens bei den verschiedenen Schrift-
stellern auch gegen die Auctorität der Handschriften in
Uebereinstimmung zu bringen, würde um so weniger ge-
rechtfertigt sein, als ein ähnlicher Wechsel auch bei andern
Namen hinlänglich nachgewiesen ist (vgl. Sillig zu Plin. 34,
[352] 148). Als das Vaterland des Künstlers giebt Vitruv Make-
donien an, während Eustathius Rhegium, Pseudo-Kallisthenes
und Julius Valerius die Insel Rhodos nennen. Die Zeit seiner
Thätigkeit bestimmt sich im Allgemeinen durch sein Ver-
hältniss zu Alexander; ob er diesen lange überlebt, wird
weiter unten zu untersuchen sein. — Ueber sein erstes Zu-
sammentreffen mit Alexander erzählt Vitruv eine etwas ro-
mantische Geschichte. Mit guten Empfehlungen an die Um-
gebung des Königs versehen, war er in das Lager gereist;
aber trotzdem gelang es ihm nicht sobald, sich demselben vorzu-
stellen. Da kam er, ein stattlicher und kräftiger Mann, auf
den Gedanken, sich als Herakles zu costumiren und dadurch
die Aufmerksamkeit des Königs auf sich zu lenken. Es
gelang ihm; und er legte dem König seinen Plan vor, den
Berg Athos in eine menschliche Gestalt umzubilden und ihr
in die eine Hand eine Stadt zu geben, in die andere eine
Schale, aus der sich die Gewässer des Athos in das Meer
ergössen. (Von diesem Plane, mit einigen Abweichungen,
z. B. von zwei Städten statt einer, sprechen Strabo, Plu-
tarch, Eustathius, a. d. a. O.; ohne den Namen des Deino-
krates Lucian pro imag. 9; quomod. hist. conscr. 12.) Der
Plan kam allerdings nicht zur Ausführung, da die physischen
Bedingungen für das Gedeihen der projectirten Stadt nicht
vorhanden waren. Dagegen benutzte Alexander den Unter-
nehmungsgeist des Künstlers, indem er ihm bei der Grün-
dung Alexandriens die architektonische Leitung (vgl. Kleo-
menes) übertrug: Strabo, Vitruv, Plinius, Valer. Max., Solin,
Ammian, vgl. Pseudo-Kallisthenes und Jul. Valerius. Eben
so war es Deinokrates, welchem Alexander wegen der
Kühnheit und Grossartigkeit seiner Erfindungen nach dem
Tode des Hephaestion die Errichtung des Scheiterhaufens
übertrug: Plut. Alex. 72: eines Werkes, welches nach der
von Diodor (XVII, 115) hinterlassenen Beschreibung in sei-
ner Art allerdings von keinem weder früheren, noch späteren
übertroffen wurde. Die Vermuthung liegt nahe, auch in
einem Werke verwandter Art, dem Leichenwagen Alexan-
ders, eine Schöpfung des Deinokrates zu erkennen (Diodor
XVIII. 26 u. 27; Athen. V, 40, p. 206). Dass die Wieder-
herstellung des ephesischen Tempels nach dem herostrati-
schen Brande von Strabo und Solin dem Deinokrates beige-
[353] legt wird, mag unter Verweisung auf den Artikel Chersiphron
hier nur kurz erwähnt werden.


Während nun bis hierher die Nachrichten der Alten sich
unter einander im besten Einklang befinden, bieten einige
andere der Erklärung mannigfache Schwierigkeiten dar. Auso-
nius nemlich in der Stelle der Mosella, wo er aus den Heb-
domades des Varro schöpfend die bedeutendsten Architekten
namhaft macht, erzählt von Deinokrates (Dinochares) folgendes:
Conditor hic forsan fuerit Ptolema?dos aulae
Dinochares, cui quadrata in fastigia cono
Surgit et ipsa suas consumit pyramis umbras;
Jussus ob incesti qui quondam foedus amoris
Arsinoen Pharii suspendit in aëre templi;
Spirat enim tecti testudine Corus achates
Afflatamque trahit ferrato crine puellam.


Um hier zuerst von der Erwähnung der Pyramide zu
sprechen, so ist diese Nachricht schon deshalb auffällig,
weil wir von Pyramidenbauten in der Zeit der Ptolemäer
überhaupt nichts wissen. Böcking in der zweiten Ausgabe
der Mosella (Jahrb. d. rhein. Alterthumsfreunde VII) möchte
daher lieber an den Obelisken denken, welcher nach Plinius
(36, 67) von Ptolemaeos Philadelphos im Heiligthum der
Arsinoe aufgestellt wurde. Doch würde auf diesen keine
Anwendung finden, was Ausonius von dem Schatten bemerkt;
und ausserdem legt Plinius wenigstens den Transport dieses
Obelisken nicht dem Deinokrates, sondern dem Satyros oder
Phoenix bei. Wir vermögen daher über diese Nachricht des
Ausonius keine bestimmte Entscheidung zu geben. Ueber
den Tempel der Arsinoe spricht auch Plinius 34, 148: „Mit
Magnetstein hatte der Architekt Timochares zu Alexandrien
den Tempel der Arsinoe zu wölben begonnen, damit in ihm
ein Bild aus Eisen in der Luft zu hängen scheine; doch
kam sein Tod dazwischen und der des Königs Ptolemaeos,
der dies seiner Schwester zu errichten befohlen hatte.“ Als
Werk des Ptolemaeos Philadelphos wird der Tempel der Ar-
sinoe auch sonst bezeichnet; vgl. Valekenaer ad Theocr. Adon.
p. 355 B. Die Erzählung von dem schwebenden Bilde, mit
welcher Böcking eine Trierer Sage passend vergleicht, mag
in soweit auf Wahrheit beruhen, als der Architekt selbst
vielleicht an die Möglichkeit der Ausführung glaubte; doch
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 23
[354] ward nach Plinius sein Werk nicht vollendet. Wichtiger für
uns ist die chronologische Frage: Philadelphos starb in der
133sten Olympiade und der Tod des Architekten scheint nach
Plinius ziemlich in dieselbe Zeit zu fallen; Alexandria da-
gegen ward Ol. 112, 1 gegründet. Der Erbauer dieser Stadt
und der Architekt des Tempels der Arsinoe können daher
unmöglich eine Person sein. Doch wäre es wiederum auf-
fällig, bei Ausonius unter den bedeutendsten Architekten
nicht den berühmten Deinokrates, sondern einen wenig be-
kannten Dinochares oder nach Plinius Timochares angeführt
zu finden. Unter diesen Umständen wird eine Entscheidung
schwer und wir werden zu dem Verdachte gedrängt, dass
schon im Alterthume eine Verwirrung in der Ueberlieferung
entstanden sei, indem man Nachrichten über Bauten des
zweiten Ptolemäers fälschlich auf den bekannten Deinokrates
übertragen haben mochte. — Ueber die angebliche Inschrift
des Deinokrates auf der sogenannten Pompeiussäule zu
Alexandrien vgl. Böckh C. J. gr. n. 4681.


Demophilus,
einer der weniger bedeutenden Schriftsteller über Symmetrie:
Vitr. VII, praef. 14.


Dextrianus
war der Architekt, welcher unter Hadrian den Koloss des
Nero von seiner ursprünglichen Stelle versetzte, um Raum
für den Tempel der Venus und Roma zu gewinnen: Spartian.
Hadr. 19. Die Schreibung des Namens ist nicht vollkommen
sicher; doch hat unter den vorgeschlagenen Formen (De-
crianus, Detrianus, Dentrianus oder Demetrianus) wohl Dex-
trianus die meiste Wahrscheinlichkeit für sich.


Dio
Auf einem in den Ruinen der alten Stadt Capena gefundenen,
vielleicht einem Tempel der Ceres angehörigen Architektur-
stück von guter Arbeit (jetzt im Vatican aufbewahrt) findet
sich die Inschrift: Licin] IO. DIONE. ARCHITECTO; Gal-
letti, Capena, municip. de’ Rom. p. 11; Raoul - Rochette:
Lettre à Mr. Schorn, p. 284.


Diognetos
aus Rhodos, wird von Vitruv (X, 22) Architekt genannt,
während wir ihn nach unserer heutigen Ausdrucksweise
vielmehr als Ingenieur bezeichnen würden. Er war es,
welcher durch den Rath, vor der Mauer eine Art Sumpf zu
[355] bilden, die gewaltige Belagerungsmaschine, mit deren Hülfe
Demetrios Rhodos einzunehmen gedachte, gänzlich unschäd-
lich machte. Er lebte also um Ol. 119.


Dionysios
aus Tralles, hatte das Dach des Odeum zu Patara in Ly-
kien gebaut, laut einer metrischen Inschrift: C. J. gr. 4286.


Diphilos,
ein Architekt, welcher bei Villenbauten für die Fa-
milie Cicero’s in der Nähe von Arpinum beschäftigt
war: Cic. ad Quint. frat. III, 1. (geschrieben im J. 700 d. St.)
Eine Inschrift, welche man auf ihn hat beziehen wollen
(Reínes, II, 59, p. 283) ist sicherlich falsch. Das ciceroni-
sche: Diphilum Diphilo tardiorem erscheint in derselben zu
folgender Phrase verarbeitet: Δίφιλος καίτοι βϱαδὺς ἀϱχιτέκτων
πϱὸς πϱόσταγμα ὁμων (ὁμῶς) ταχύς.


Epigenes.
Hippokrates (Epid. I, 2, Vol. III, p. 404 Kühn) erwähnt ein
„Theater des Epigenes“ zu Thasos, welches möglicher Weise
nach dem Architekten so genannt ward.


Epimachos
aus Athen, baute dem Demetrios seine berühmte Belagerungs-
maschine, durch welche er Rhodos zu nehmen gedachte:
Vitr. X, 22. Obgleich nobilis architectus genannt, dürfen
wir ihn doch wohl nur als Ingenieur bezeichnen.


Eponemos und Erateos, s. unter Heron.


Eupalinos,
Sohn des Naustrophos aus Megara, war der Architekt der
von Herodot (III, 60) hochgepriesenen Wasserleitung auf
Samos. Sie war durch einen 150 Klafter hohen Berg in
einer Länge von sieben Stadien hindurchgeführt und bildete
einen Stollen von acht Fuss Höhe und Breite, in dessen
Sohle die eigentliche Wasserrinne von zwanzig Ellen Tiefe
und drei Fuss Breite lief. Hineingeleitet war in sie das
Wasser einer grossen Quelle, welches nachher durch Röhren
der Stadt zugeführt wurde. — Hirt (Gesch. d.Bauk. I, S. 226)
will dem Eupalinos auch einen durch Grösse und reichen
Säulenschmuck ausgezeichneten Brunnen zu Megara beile-
gen, welchen der Tyrann Theagenes (um Ol. 35) errichten
liess (Paus. I, 40): eine Vermuthung, welche sich nicht
weiter begründen lässt.


23*
[356]

Euphemio.
An dem Lakonien zugewendeten Thore von Messene findet
sich folgende Inschrift aus der Kaiserzeit:
ΚοΙΝΤοΣ ΠΛωΤΙοΣ ΕΥΦΗΜΙωΝΕΠΕΣΚΕΥΑΣΕΝ
J. gr. 1460. Ob C. Q. Plotius Euphemion der Architekt oder
der mit der Wiederherstellung beauftragte Magistrat war,
lässt sich nicht mit Sicherheit entscheiden.


Euphranor
gehört zu den weniger bedeutenden Schriftstellern über
Symmetrie: Vitr. VII, praef. 14. Dass er Architekt gewesen,
wird sonst nicht erwähnt, so dass auch seine Schrift sich
wohl nur auf Proportionen in der Malerei und Plastik be-
zogen haben wird.


Eupolemos
aus Argos war der Architekt des Tempels der Hera bei
dieser Stadt, welcher an der Stelle des Ol. 89, 2 abgebrann-
ten errichtet ward: Paus. II, 17, 3; vgl. Thuc. IV. 133.


Eurykles.
Pausanias II, 3, 5 sagt von dem schönsten Bade in Korinth:
ein Spartiat Eurykles habe es errichtet (ἐποίησεν) und unter
anderem mit dem bei Krokeae in Lakonien gebrochenen
Steine geschmückt. Auch hier ist es zweifelhaft, ob Eu-
rykles Architekt war oder den Bau auf seine Kosten aus-
führen liess.


Fufitius,
oder wohl richtiger Fufidius, schrieb unter den Römern
zuerst ein Buch über Architektur (mirum de his rebus insti-
tuit edere volumen): Vitr. VII, praef. 14. Wahrscheinlich
ist er derselbe L. Fufidius aus dem Ritterstande, an welchen
M. Aemilius Scaurus (Cos. a. 638 und 646) eine Schrift
richtete: Cic. Brut. 29 und 30; Plin. 33, 21.


Gitiades,
der Künstler des Tempels und des Bildes der Athene Chal-
kioekos zu Sparta: Paus. III, 17, 2; vgl. Th. I, S. 114.


Herakleides
aus Tarent, ein Militärarchitekt, dem die Erfindung der Sam-
byke zugeschrieben wird: Athen. XIV, 634 B; cf. VI, 251 E.
Verräther seiner Vaterstadt flieht er zu den Römern, cor-
respondirt zugleich mit Hannibal, und flieht deshalb von Neuem
zu Philipp von Makedonien, zu dessen Sturz er durch seine
[357] Schlechtigkeit wesentlich beiträgt: Polyb. XIII, 4; Liv. 31,
16 und 33; 32, 5. — Ein anderer Herakleides aus der Zeit
Trajans wird als Architekt in Inschriften von Mons Claudianus
in Aegypten erwähnt: C. J. gr. 4713 d.


Hermodoros
aus Salamis baute zu Rom den Tempel des Mars in der
Region des Circus Flaminius: Cornel. Nep. bei Priscian VIII,
p. 792. Dieser Tempel kann kein anderer sein, als der,
welchen Brutus Gallaecus wegen der günstigen kriegerischen
Erfolge in Spanien im J. 614 d. St. errichten liess und mit
einer Statue des Skopas schmückte: Schol. Bob. ad Cic. or.
pr. Arch. p. 359 Orelli; Plin. 36, 26; vgl. Cass. Dio 56, 24.
Ihm gehören wahrscheinlich die Säulenreste an, welche 1837
in der Via de’ Specchi entdeckt wurden und uns den Tempel
als Pyknostylos kennen lehren: Ann. dell’ Inst. 1838, p. 1 etc.;
vgl. Beschr. Roms III, 3, S. 29 flgd. Ist somit für den Künst-
ler eine feste Zeitbestimmung gewonnen, so werden wir um
so zuversichtlicher auf ihn eine Stelle Vitruv’s (III, 2, 5)
beziehen dürfen, in welcher als Beispiel eines Peripteros
angeführt wird: in porticu Metelli Jovis Statoris Hermodi.
Zwar bieten mehrere Handschriften für Hermodi huiusmodi
dar, was an sich mit den folgenden Worten et aedes Mar-
celliana verbunden wohl einen Sinn giebt. War indessen
Hermodori einmal in Hermodi corrumpirt, so lag als weiteres
Verderbniss hu’modi sehr nahe. Der Portikus des Metellus
aber (später nach der Octavia benannt) war nach dem Triumphe
über Makedonien (605 d. St.) erbaut worden. Allerdings
ist nun nach den Fragmenten des kapitolinischen Stadtplans
der Tempel des Juppiter kein vollkommener Peripteros, da
ihm die Säulen an der Rückseite fehlen, was Vitruv nicht
bemerkt, während er es an dem zugleich erwähnten Tempel
des Honor und der Virtus ausdrücklich hervorhebt. Allein
es ist sehr möglich, dass zur Zeit des Augustus, als die
ganze Anlage mannigfachen Veränderungen unterworfen
wurde, auch der Tempel seine ursprüngliche Gestalt einge-
büsst hat. — Während nun die Erbauung der Tempel des
Juppiter und des Mars nur durch einen Zwischenraum von
wenigen Jahren getrennt ist, glaubte man das Leben des
Hermodoros viel weiter ausdehnen zu müssen, indem man
annahm, dass M. Antonius, welcher 610 d. St. geboren und
[358] 654 Consul war, einmal die Vertheidigung des Künstlers ge-
führt habe, laut einer Angabe Cicero’s de orat. I, 14. Der
Zusammenhang dieser Stelle ist aber folgender: Physik,
Mathematik, Künste sind Studien, die für sich bestehen: will
man sie aber durch die Rede verherrlichen, so muss dies
durch rednerische Kunst geschehen, und wenn z. B. Philo
bei den Athenern seinen Plan zu einem Arsenal durch eine
ausgezeichnete Rede zur Ausführung zu bringen wusste, so
war er, indem er dies that, nicht Architekt, sondern Redner.
Eben so hätte aber Antonius (ein Theilnehmer des von
Cicero fingirten Gespräches), wenn er für Hermodor über
die Anlage der Navalien zu reden gehabt (si fuisset dicendum),
vom Künstler unterrichtet auch über eine ihm fremde Kunst
sprechen können. Dass der Navalien gedacht wird, hat
also offenbar seinen Grund in der Gegenüberstellung mit
Philo. Dass eine Rede von Antonius wirklich gehalten, wird
aber nirgends gesagt, eben so wenig, dass Hermodor und
Antonius gleichzeitig gelebt. Wir dürfen also aus Cicero
nichts weiter schliessen, als dass Hermodor seine Kunst
auch an Bauten für die Navalien in Rom bewährt habe, von
denen uns aber keine weitere Kunde erhalten ist.


Hermogenes.
Als seine Vaterstadt ward früher Alabanda in Karien ange-
nommen; doch ist die darauf bezügliche Stelle Vitruv’s III,
2, 6: pseudodipteri exemplar Romae non est, sed Magnesiae
(in aede) Dianae Hermogenis Alabandi et Apollinis a Me-
nesthe facta, von Marini (wie der Sache nach schon von
Hirt: Gesch. d. Bauk. III, 17) richtiger gefasst, wenn er
schreibt: Dianae Hermogenis et Alabandis Apollinis. Indessen
werden wir ihn immer für einen Kleinasiaten halten dürfen,
da sich seine Thätigkeit an den erwähnten Tempel zu Ma-
gnesia und an den des Dionysos zu Teos knüpft, über
welche er auch Schriften hinterliess: Vitr. VII, praef. 12.
Seine Zeit lässt sich nicht ganz fest bestimmen. Die An-
nahme, dass er um die Zeit Alexanders gelebt haben möge,
beruht zunächst wohl nur darauf, dass er, wenn auch von
Vitruv (IV, 3) im Gegensatz zu seiner eigenen Zeit den
antiqui architecti beigezählt, doch schon zu den mehr theo-
retisirenden Künstlern gehört und als solcher neben dem
Erbauer des Mausoleum genannt wird. Einigermassen be-
[359] stätigt wird aber diese Annahme durch die bisher nicht in
Betracht gezogene Nachricht Strabo’s (XIV, 647), dass das
Heiligthum der dindymenischen Mutter zu Magnesia zu seiner
Zeit nicht mehr bestand, da die Stadt nach einem andern
Orte verlegt war. Da nun die Frau oder die Tochter des
Themistokles noch Priesterin des Tempels gewesen sein soll,
so kann die neue Stadt, in welcher sich der Tempel der
Artemis Leukophryne befand, erst nach dieser Zeit gegrün-
det sein. Von diesem selbst nun sagt Strabo aus, er stehe
in der Grösse unter allen asiatischen nur dem ephesischen
Artemis- und milesischen Apollotempel nach, übertreffe die-
selben aber in der Eurythmie und der Kunst der Ausführung.
Das günstige Vorurtheil, welches dadurch für den Künstler
wird, findet seine weitere Bestätigung durch eine Angabe
Vitruv’s, der ihm (III, 3, 8) die Erfindung des Eustylos und
des Pseudodipteros hexastylos beilegt: eas autem symmetrias
(eustyli) constituit Hermogenes, qui etiam primus invenit
hexastylon pseudodipteri rationem (so für pseudodipterive
nach einer Vermuthung Lorentzen’s: Ann. d. J. 1855,
p. 72 sqq.). In beiden Erfindungen aber erkennt Vitruv in
seinen weiteren, wahrscheinlich den Schriften des Hermo-
genes entnommenen Ausführungen ein bedeutendes künst-
lerisches Verdienst, welches auch dadurch nicht geschmä-
lert wird, dass es sich nicht um eigentliche Erfindungen
handelt, sondern wir die Worte Vitruv’s nur von der
Vervollkommnung oder Durchbildung älterer Kunstformen
verstehen dürfen. Noch an einer andern Stelle geht er auf
ihn als Hauptgewährsmann zurück. Er berichtet nemlich
(IV, 3), dass sich einige ältere Architekten gegen die An-
wendung der dorischen Ordnung für Tempelbauten ausge-
sprochen hätten; so Tarchesius (Argelius) und Pythios, so
namentlich Hermogenes. Dieser habe sogar, als zu Teos
das Material für einen dorischen Bau schon bereit lag, es
verändern lassen und den Tempel des Dionysos in ionischer
Ordnung aufgeführt; nicht sowohl weil es der dorischen
an Schönheit und Würde gebreche, sondern weil sie in der
Eintheilung der Triglyphen und Decken mannigfache Schwie-
rigkeiten und Inconvenienzen darbiete, was im Einzelnen
nachgewiesen wird. Sonach erscheint in Allem Hermogenes
als einer der vorzüglichsten Meister der Architektur auf der
[360] Stufe hoher Vollendung und Durchbildung. — Um nun noch
einmal die Nachrichten über seine Werke kurz zusammen-
zufassen, so war der Tempel des Dionysos ein eustylos,
hexastylos und monopteros von ionischer Ordnung; vgl.
Ionian Antiqq. I, ch. I; Choiseul-Gouffier, pl. 124; Hirt
Gesch. d. B. II, 66; der Tempel zu Magnesia dagegen ein
ionischer pseudodipteres hexastylos; vgl. Leake, Asia minor
p. 349; Texier descr. de l’Asie min. III, p. 40; Raoul-Rochette
im Journ. des Savants, 1845, Oct. Nov.; Lorentzen a. a. O.
dessen Aufsatz ich leider zu spät erhalten habe, um ihn durch-
greifend zu benutzen.


Hermokreon,
s. Th. I. S. 523.


Hermolykos.
Auf der Rückseite eines ionischen Pilasterkapitäls zu Tel-
messos in Lykien fand man den Namen:
ΕΡΜΟΛΥΚΟΥ
in welchem man einen Architekten hat erkennen wollen:
C. J. gr. n. 4200.


Hermon.
„Das Schatzhaus für die Epidamnier zu Olympia errichteten
Pyrrhos und seine Söhne Lakrates und Hermon: Paus. VI,
19, 8. Die Weihgeschenke in demselben waren aus alter Zeit,
Werke des Theokles, eines Schülers des Dipoenos und Skyllis.


Heron.
Bei Pseudo-Kallisthenes, dem Schriftsteller, welcher für uns die
älteste Quelle der mittelalterlichen Sagen über Alexander bildet,
finden wir über die bei der Gründung Alexandriens thätigen
Architekten folgende Nachricht (I, 31 in der Didot’schen
Ausgabe des Arrian): Σκέπτεται δὲ ὁ Ἀλέξανδϱος καί ἑτέϱους ἀϱ-
χιτέκτονας τῆς πόλεως, ἐν οἷς ἦν Ἥϱων Λιβυκὸς, [ὑδατικὸς] λατόμος,
καὶ Κλεομένης μηχανικὸς, Ναυκϱατίτης, καὶ Κϱάτεϱος Ὀλύνϑιος.
Εἶχε δὲ ἀδελφὸν ὁ Ἥϱων ὀνόματι Ὑπόνομον. Οὗτος συνεβούλευσεν
Ἀλεξάνδϱῳ τὴν πόλιν ἐκ ϑεμελίων κτίσαι, ἐν αὐτῆ δὲ ὑδϱαγωλοὺς πό-
ϱους καὶ ὀχετηγοὺς ἐπιῤῥέοντας εἰς τὴν ϑάλασσαν. Καλεῖται δὲ Ὑπό-
νομος διὰ τὸ ὑποδεῖξαι αὐτὸν ταῦτα (oder nach einer anderen
Handschrift: Καλοῦνται δε ὑπόνομοι διὰ τὸ [τὸν] ὑποδείξαντα Λιβυ-
κὸν Ὑπόνομον καλεῖσϑαι). In der lateinischen Bearbeitung des
Julius Valerius (de reb. gest. Alex. I, 23) lautet diese Stelle:
Adhibitis autem rex architectoribus, qui ex arte nobiles et
celebratiores habebantur, ut Cleomene de Naucrato et Olyn-
[361] thio, et Erateo, Herone etiam Libii qui cum fratre Eponemo
erat, accepit etc. Hinsichtlich der kritischen Beschaffenheit
des Textes muss ich auf die Noten C. Müllers zum Pseudo-
Kallisthenes verweisen. Was die genannten Personen an-
langt, so wird es keines ausführlichen Beweises bedürfen,
das Hyponomos eine blosse Personification der Sage ist,
indem ὑπόνομος einen unterirdischen Gang, Canal oder Kloake
bedeutet. Sie macht ihn zum Bruder des Heron, der als
Wasserbaumeister Werke dieser Art ausführen mochte.
Heron ist nach Müllers Bemerkung wahrscheinlich der Gross-
vater des bekannten alexandrinischen Mathematikers dieses
Namens. — Ueber Kleomenes s. unter diesem Namen. —
Krateros ist, wie Müller vermuthet, wohl kein anderer als
der auch sonst bekannte Krates. Als Zeitgenosse Alexan-
ders und Canalbauer wird derselbe bei Diogenes Laertius
IV, 23 erwähnt. Strabo (X, p. 407) nennt ihn allerdings
nicht Olynthier, sondern Chalkidenser: allein dieses Schwan-
ken findet sich, wie Müller bemerkt, eben so hinsichtlich
der Historiker Ephippos und Dionysios und erklärt sich hin-
länglich durch die Existenz einer makedonischen Stadt
Chalkis. Bekannt ist dieser Krates ausserdem noch durch
seine Arbeiten an den Emissaren des kopaischen Sees, die,
nachdem sie schon theilweise mit Erfolg gekrönt waren,
durch die Streitigkeiten der umwohnenden Böoter ins Stocken
geriethen: Strabo l. l., Steph. Byz. s. v. Ἀϑῆναι.


Hippias.
In dem „Hippias oder das Bad“ betitelten Schriftchen preist
Lucian unter den Männern, welche mit der Kunst der Rede
und theoretischem Wissen auch practische Tüchtigkeit ver-
banden, seinen Zeitgenossen Hippias, und beschreibt, nach-
dem er seine Kenntniss der Rede, der Geometrie, Mechanik,
Astronomie und Musik kurz berührt, zum Belege dafür aus-
führlich die Anlage von Thermen, welche ihn zum Urheber
hatte. So wenig wir dieses Werk gering achten wollen, so
werden wir doch die Vergleichung des Hippias mit Thales,
Archimedes und Sostratos auf Rechnung der rhetorischen
Form setzen dürfen: die Beschreibung selbst dagegen hat
bei dem Mangel ähnlicher Schriften wegen des Eingehens
auf die Einzelnheiten der Anlage für uns immer ein hohes
Interesse.


[362]

Hippodamos.
Ueber diesen Sophisten, welcher wegen des von ihm aufge-
stellten und mehrfach praktisch durchgeführten Systems
kunstgemässer Städteanlagen unter den Architekten eine
Stelle verdient, hat K. F. Hermann (in einem Programme
zum 20. Aug. 1841, Marburg) in so eingehender Weise ge-
handelt, dass wir uns hier begnügen dürfen, aus dieser
Arbeit nach ihren Hauptresultaten einen Auszug zu geben. —
Hippodamos war der Sohn des Eurykoon: diese Namens-
form setzt Hermann aus Photius (p. 111: Ἱπποδάμου νέμεσις)
an die Stelle der minder guten Euryphon bei Aristoteles
(polit. II, 5) oder Euryboon bei Hesychius (s. v. Ἱπποδάμου
νέμησις). Sein eigentliches Vaterland war nach Aristoteles
Milet; dass ihn Photius daneben auch noch Thurier nennt,
erklärt sich dadurch, dass er zu den Gründern dieser Stadt
gehörte (Hesych. 1. 1., wo für μετοικήσας ἐις σατυϱικοὺς längst
εἰς Θουϱιακοὺς emendirt ist). Weshalb als eine dritte Heimath
vom Scholiasten des Aristophanes (Equitt. 327) Samos an-
geführt wird, vermögen wir nicht nachzuweisen. Bei der
Zeitbestimmung müssen wir davon ausgehen, dass die Stadt-
anlage des Peiräeus von allen obigen Gewährsmännern als
sein Werk hingestellt wird, und dass Strabo (XIV, 654)
den Architekten dieses Ortes und der Stadt Rhodos als
eine und dieselbe Person bezeichnet. Dazu kömmt seine
Theilnahme an der Gründung von Thurium und die Erwähnung
seines Sohnes Archeptolemos in den Rittern des Aristophanes.
Rhodos ward Ol. 93, 1 neu erbaut (Diodor. XIII, 75;), Thurium
im Anfange der 84sten Olympiade gegründet (vgl. Clinton fasti
s. a. 443). Wenn nun die Anlage des Peiräeus gewöhnlich
auf Themistokles zurückgeführt wird, so darf doch nicht über-
sehen werden, dass genauer genommen ihm doch nur die An-
lage des Hafens und der Befestigungen zukömmt. Das Be-
dürfniss einer Stadtanlage mochte sich erst bei der Ver-
mehrung des Verkehrs in diesem Hafen zeigen, und sie
kann daher sehr wohl erst der perikleischen Epoche ange-
hören, d. h. der Gründung von Thurium nur um wenige Jahre
vorangegangen sein.


Sonach hätten wir bis jetzt als zwei die Thätigkeit des
Hippodamos begrenzende Punkte etwa Ol. 83 und 93 ge-
funden; und es fragt sich daher nur, wie sich hiermit eine
[363] letzte chronologische Bestimmung vereinigen lässt. Die
Ritter des Aristophanes wurden Ol. 88, 4 aufgeführt; damals
aber war der Sohn des Hippodamos, Archeptolemos (v. 327
u. 794), bereits eine politisch bedeutende Person, also wohl
kaum weniger als dreissig Jahre alt, so dass er schon vor
Ol. 82 geboren sein musste. Wollten wir nun für den Vater
zur Zeit der Geburt des Sohnes ebenfalls ein Alter von
dreissig Jahren annehmen, so wäre er allerdings bei der
Gründung von Rhodos ein Greis von 76 Jahren gewesen.
Doch hindert uns nichts, davon einige, etwa sechs Jahre
in Abzug zu bringen. Dass aber die Rhodier einem siebzig-
jährigen, in seinem Fache bewährten Manne die Leitung
der Stadtanlage übertrugen, kann bei den zahlreichen Bei-
spielen eines geisteskräftigen Greisenalters unter den Grie-
chen keineswegs als etwas Unerhörtes erscheinen; wenigstens
müssen uns diese abhalten, die Annahme derer zu theilen,
welche im Widerspruch mit den Nachrichten der Alten, die
nur einen Hippodamos kennen, zwei Männer dieses Namens
unterscheiden wollen. Wir begnügen uns, auf die Haupt-
punkte der Hermann’schen Erörterungen über die Zeit des
Hippodamos hingewiesen zu haben, um jetzt, ebenfalls nach
Hermann, noch Einiges über die geistige Eigenthümlichkeit
des Mannes hinzuzufügen. Diese beruht ihrer Grundlage
nach darauf, dass er durchaus der Klasse der Sophisten an-
gehörte, was er sogar äusserlich durch eine gewisse Eitel-
keit in seinem Auftreten bekundete (Arist. 1. 1.). Auch die
Bezeichnung als μετεωϱολόγος, die von einer Nebenbeziehung
auf ein gewisses phantastisches Treiben nicht frei ist, deutet
darauf hin. Das Streben der Sophisten ging aber haupt-
sächlich darauf hinaus, überall im Leben, wo bisher Sitte,
Gewohnheit und praktisches Verständniss maassgebend ge-
wesen war, ein bestimmtes theoretisches, nach bewussten
Principien gegliedertes Wissen zur Geltung zu bringen. So
war nach Aristoteles Angabe Hippodamos der erste, welcher,
ohne selbst an den Staatsgeschäften praktischen Antheil zu
nehmen, über politische Gliederungen und die beste Verfas-
sung des Staates schrieb. Was Aristoteles darüber berichtet,
zeigt, dass er dabei von einem durchaus abstracten Schema-
tismus ausging, und, anstatt den Staat sich aus gegebenen
Verhältnissen entwickeln zu lassen, diese Verhältnisse unter
[364] bestimmte theoretische, zum Theil arithmetische Kategorien
unterzuordnen trachtete. Ganz dieselbe Geistesrichtung zeigt
sich auch in seinen architektonischen Bestrebungen: so wenig
wie um praktische Staatsgeschäfte, scheint er sich um die
eigentliche praktische Technik des Bauwesens bekümmert zu
haben. Vielmehr war auch hier sein Ziel nur, die Anlage
grösserer Complexe von Bauwerken, also besonders die An-
lage ganzer Städte auf scharfgegliederte, geometrische Prin-
cipien zurückzuführen. Hippodamos war es nach Aristoteles,
welcher τὴν τῶν πόλεων διαίϱεσιν εὗϱε καὶ τὸν Πειϱαιᾶ κατέτεμε,
also die später sogenannte ῥνμοτομία erfand, welche haupt-
sächlich auf einer regelmässigen Anlage der Strassen be-
ruhte: vgl. Polit. VII, 10, 4: ἡ τῶν ἰδίων οἰκήσεων διάϑεσις …
εὔτομος … καὶ κατὰ τὸν νεώτεϱον καὶ τὸν Ἱπποδάμειον τϱόπον …
So scheint im Peiräeus die Agora als grosser Platz den
Mittelpunkt gebildet zu haben, von welchem aus die Strassen
nach bestimmten Linien regelmässig geordnet waren: Ἱππο-
δάμεια ἀγοϱὰ τόπος ἐν τῷ Πειϱαιεῖ ἀπὸ Ἱπποδάμου Μιλησίου
ἀϱχιτέκτονος, ποιήσαντος Ἀϑηναίοις τὸν Πειϱαιᾶ καὶ κατατεμόντος
τῆς πόλεως τὰς ὁδοὺς: Bekker, anecd. I, 266; Phot. p. 111; cf.
Xenoph. Hellen. II, 4, 11; Andoc. de myster. §. 45; Harpocr.
s. v. Ἱπποδάμεια, und auf die ganze Anlage zielt wohl Aristo-
phanes in den Vögeln (1004 flgd.) wo er von der in der
Luft projectirten Stadt des Meton, eines dem Hippodamos
vielfach verwandten Geistes sagt:


ὀϱϑῷ μετϱήσω κάνονι πϱοστιϑεὶς, ἵνα

ὁ κύκλος γένηταί σοι τετϱάγωνος κἀν μέσῳ

ἀγοϱὰ, φέϱουσαι δ̕ ὦσιν εἰς αὐτὴν ὁδοὶ

ὀϱϑαὶ πϱὸς αὐτὸ τὸ μέσον, ὥσπεϱ δ̕ ἀστέϱος,

αὐτοῦ κυκλοτϱοῦς ὄντος, ὀϱϑαὶ πανταχῆ

ἀκτῖνες ἀπολάμπωσω.

Von Thurium wird es uns bestimmt überliefert, dass die
Stadt der Länge nach von vier, der Breite nach von drei
Hauptstrassen regelmässig durchschnitten war: Diod. XII, 10;
und eben so wird von Rhodos die Regelmässigkeit der An-
lage, welche die ganze Stadt wie ein Haus erscheinen liess,
besonders hervorgehoben, nur dass hier wegen der Be-
schaffenheit der Oertlichkeit der Plan des Ganzen nach der
Form eines Theaters geordnet war: Aristides I, p. 799;
[365] Diod. XIX, 45; XX, 83. So bedeutend uns indessen hier
der Einfluss des Hippodamos entgegentritt, so ist er doch
keineswegs auf diese unter seiner besondern Leitung ent-
standenen Anlagen beschränkt, sondern äussert sich noch
weit nachdrücklicher darin, dass von seiner Zeit an die von
ihm durchgeführten Principien mehr oder minder bei jeder
neuen Städtegründung Anwendung fanden, wie die Nach-
richten über Smyrna, Halikarnass, Kos, Mytilene, namentlich
aber auch über Alexandria und Antiochia zur Genüge lehren.


Hospes
wird als Architekt in einer lateinischen Inschrift zu Cajazzo
im Neapolitanischen aus dem letzten Jahrhundert der Repu-
blik genannt:
ARCITECTVS. HOSPES. APPIAI. SER
Mommsen: I. R. N. 3918. Zu welchem Bau sie gehört,
lässt sich nicht nachweisen.


Hyponomos, s. Heron.


Iktinos,
von Varro (bei Ausonius Mos. 308) der Hebdomas der be-
rühmtesten Architekten beigezählt (vgl. Plut. praec. reip.
ger. p. 802), war besonders zu Athen unter der Staatsver-
waltung des Perikles thätig. Er war der Architekt des
Parthenon, in welchem die Statue von Phidias Ol. 85, 3 auf-
gestellt wurde: Paus. VIII, 41, 5; Strabo IX, 395 u. 396.
Plutarch (Per. 13) nennt neben ihm den sonst unbekannten
Kallikrates, welchen man eben wegen seiner Stellung neben
einem so ausgezeichneten Architekten nur für den Bauunter-
nehmer (ἐϱγολάβος) hat halten wollen: eine Annahme, welche
dadurch unterstützt wird, dass Plutarch (l. l.) ihn bei Er-
wähnung des Baues der langen Mauern wirklich als ἐϱγο-
λάβος dieses Werkes anführt. Wenn ferner Vitruv (VII,
praef. 12) berichtet, Iktinos und Karpion hätten über den
Parthenon geschrieben, so muss es ungewiss bleiben, sowohl
ob Karpion am Bau selbst Theil hatte, als auch ob jeder
für sich oder beide gemeinschaftlich eine Schrift verfassten.
Dem Iktinos legen Vitruv (ib. 16) und Strabo (IX, 395) auch
den durch die Schwierigkeit der Bedachung berühmt gewor-
denen Bau des Tempels der Demeter und Persephone zu
Eleusis bei, während auch hier Plutarch drei andere Archi-
tekten nennt, welche nach einander an dem Bau betheiligt
[366] waren. Vielleicht hatte also hier, wie man angenommen
hat, Iktinos nur eine Art Oberaufsicht oder er hatte den
Entwurf für das Ganze geliefert. Ein drittes Werk des
Iktinos ist der Tempel des Apollo Epikurios zu Bassae
(Phigalia), der grösste im Peloponnes nächst dem Tegeati-
schen, aber auch diesem durch harmonische Vollendung und
Schönheit des Materials überlegen: Paus. VIII, 41, 7; vgl.
Th. I, S. 68. Was bei Ausonius die Erzählung von einer
wunderbaren Eule bedeuten mag:
Ictinus, magico cui noctua perlita fuco
Allicit omne genus volucres perimitque tuendo,

vermag ich nicht zu erklären.


Illyrios
restaurirte in später Zeit (nicht vor dem dritten Jahrhundert
n. Ch.) die athenischen Mauern, laut einer metrischen In-
schrift: C. J. gr. n. 428.


Julianos.
Bei Konstantinos Harmenopulos (Prompt. iur. II, tit. IV, §.
12) werden erwähnt: ἐπαϱχικὰ ἀπὸ τῶν τοῦ Ἀσκαλωνίτον Ἰουλιανοῦ
τοῦ ἀϱχιτέκτονος ἐκ τῶν νόμων ἤτοι ἐϑῶν τῶν ἐν Παλαιστίνῃ. An
einen Architekten oder richtiger Mechaniker Julianos ist
auch ein Brief des Aeneas (in der Zeit des Kaisers Anasta-
sios) gerichtet: Epistolae graec. ed. Cuiacius, Aur. Allobr.
1606, p. 429; vgl. Osann Kstbl. 1830, No. 83. Doch wissen
wir weder über den einen noch über den andern etwas näheres.


Kallaeschros, s. Antistates.


Kallias,
Architekt oder Ingenieur aus Arados, hatte das Modell einer
Maschine construirt und den Rhodiern vorgestellt, dass er
durch dieselbe die Belagerungswerkzeuge des Demetrios
Poliorketes zu bewältigen im Stande sei. Sein Plan schei-
terte jedoch, weil die Maschine wohl im Modell, nicht aber
in grossem Massstabe ausführbar war: Vitr. X, 16, 3.


Kallikrates, s. Iktinos.


Kallimachos, s. Th. I, S. 251 flgd.


Karpion
schrieb über den Parthenon zu Athen: Vitr. VII, praef. 12;
vgl. Iktinos. Schneider vermuthet, dass sein Name bei Vitruv
vielleicht den des durch Plutarch bekannten Kallikrates ver-
drängt habe.


[367]

Kleisthenes, s. unter den Malern, S. 125.


Kleodamos, s. Athenaeos.


Kleoetas,
Bildhauer und Architekt etwa zur Zeit des Phidias; vgl.
Th. I, S. 107. Sein Werk war die Anlage der kunstreichen
Schranken im Hippodrom zu Olympia, von welcher uns Pau-
sanias (VI, 20, 10—14) eine ausführliche Beschreibung hin-
terlassen hat, deren Einzelnheiten mehrfach von Visconti
P. Cl. V, zu tav. d’a. 1; Hirt: Gesch. d. Bauk. III, 148;
G. Hermann: opusc. VII, p. 388 etc. erörtert worden sind.
Zweck der Anlage war, den Ablauf der Wagen so zu regeln,
dass keiner derselben vor dem andern in Vortheil sich be-
fände. Zu diesem Behufe waren von den beiden Endpunkten
der Längenseite des Circus aus je eine Reihe von Schuppen
gebaut, welche sich in einem zwischen denselben nach dem
Beginne der Spina zu gelegenen Punkte begegneten, so dass
das Ganze nach seiner keilförmigen Grundform mit einem
Schiffsschnabel verglichen werden konnte. Aus diesen
Schuppen nun liefen die Wagen nicht gleichzeitig aus, son-
dern es öffneten sich durch Herablassen eines vorgezogenen
Seiles die entferntesten zuerst, und so je einer auf jeder
Seite weiter bis zu den vordersten. Das Signal zum Ablauf
aber ward den Zuschauern dadurch sichtbar, dass sich ein
auf der vordern Spitze des Baues aufgestellter Delphin her-
absenkte, während zugleich ein eherner Adler von einem
Altar aufstieg, welcher in jeder Olympiade auf der Rückseite
der Schuppen gerade in der Mitte des zwischen ihnen be-
findlichen Raumes errichtet wurde. Gewisse Verfeinerungen
an dem von Kleoetas erfundenen Mechanismus hatte später
Aristides angebracht, welchen man mit dem Maler oder wohl
richtiger mit dem Bildhauer, einem Schüler des Polyklet, hat
identificiren wollen, indem dieser als Bildner von Zwei- und
Viergespannen wohl ein besonders lebhaftes Interesse für
das olympische Wettrennen besitzen mochte.


Kleomenes
aus Naukratis in Aegypten, wird von Justin (XIII, 4) Er-
bauer Alexandriens genannt, und auch Pseudo-Kallisthenes
I, 31 und Julius Valerius (de reb. gest. Alex. M. I, 21 u. 23)
führen ihn neben andern Architekten an, welche bei der
Gründung dieser Stadt thätig waren; ersterer, indem er ihn
[368] noch speciell als μηχανικὸς bezeichnet. Dennoch fragt es
sich, ob er den Künstlern beigezählt werden darf, indem wir
ihn sonst, bei Justin (l. l.), Arrian (III, 5, 4) und Curtius
(IV, 8) als einen Beamten höheren Ranges erwähnt finden,
dem die Verwaltung ganzer Provinzen übertragen wird.
Wenn nun namentlich Curtius von ihm als Chef der Finanz-
verwaltung von Afrika und Aegypten spricht, so liegt die
Vermuthung nahe, dass ihm auch bei der so wichtigen
Stadtgründung ein ähnliches Amt zugefallen sei.


Kleon:
ΚΛΕΩΝ ΠΕΙ (leg. P.) ΙΚΛΕΙΔΑ
ΛΑΚΕΔΑΙΜΟΝΙΟΣ
ΑΡΧΙΤ. ΚΤΟΝΕΙ

„Spartae in templo Lycurgi … Ex schedis Fourmonti“:
C. J. gr. 1458.


Koroebos.
Ueber den zur Zeit des Perikles ausgeführten Bau des Te-
lesterion (des Heiligthums der Demeter und Persephone) in
Eleusis berichtet Plutarch (Per. 13), dass Koroebos die un-
tere Säulenreihe nebst dem Architrav errichtet, nach seinem
Tode der Xypetier Metagenes das übrige Gebälk und die
obern Säulen darauf gesetzt, und endlich Xenokles aus Cho-
largos durch Hinzufügung des Daches (τὸ δ̕ ὀπαῖον ἐπὶ τοῦ
Ἀνακτόϱου) das Ganze vollendet habe. Diese drei Architekten
werden sonst nirgends erwähnt; und noch mehr: ihr ganzer
Bau wird von Vitruv und Strabo dem Iktinos beigelegt
(w. m. s.).


Krateros und Krates, s. Heron.


Lacer.
C. Julius Lacer baute unter Trajan eine Brücke über den
Tagus und einen der Kaiserfamilie geweihten Tempel zu Al-
cantara in Spanien (oder etwa die „ponte d’Alcantara“ zu
Toledo?) laut einer längeren lateinischen Inschrift, gegen
deren Echtheit wenigstens kein specieller Verdacht vorliegt:
Gruter p. 162, 1.


Lakrates, s. Hermon.


Leonidas,
einer der weniger bedeutenden Schriftsteller über Symmetrie
(Vitruv VII, praef. 14), ist wohl der Maler aus Anthedon;
vgl. S. 164.


[369]

Libon.
„Architekt des Zeustempels zu Olympia war Libon, ein ein-
heimischer Künstler“: Paus. V, 10, 3. Seine Zeit lässt sich
nicht genau bestimmen. Erbaut ward der Tempel aus der Beute
eines Krieges, welchen die Eleer mit den Pisaten in der 52.
Olympiade führten; vgl. Clinton fasti: Ol. 52. Doch brauchte
er nicht sofort nach dieser Zeit begonnen zu sein, und wir
vermögen also nur zu sagen, dass er in der 86. Olympiade,
als Phidias das Tempelbild aufstellte und seine Schüler die
Giebel schmückten, vollendet war.


Mandrokles
aus Samos baute für Darius die Brücke über den Bosporos
und weihte in das Heraeon seiner Vaterstadt ein Gemälde,
welches den Uebergang über diese Brücke darstellte: Herod.
IV, 87 — 88.


Antinous Marcellus.
Die Inschrift, nach welcher ihn Raoul-Rochette (Lettre à Mr.
Schorn p. 349) unter die Architekten aufgenommen wissen
wollte, wird von Janssen (Musei Lugduno-Batavi inscriptiones
gr. et lat. p. 23) gewiss mit vollstem Rechte für verdächtig
erklärt.


Megakles, s. Antiphilos.


Melampus oder wohl richtiger Melanthius, s. unter
den Malern, S. 142.


Memnon.
Unter den sieben Weltwundern nennt Hygin (fab. 222) den
Palast des Kyros zu Ekbatana, welchen Memnon aus bunten
und weissen, durch Gold verbundnen Steinen gebaut habe.
Die ganze Nachricht scheint wenig zuverlässig.


Menalippos, s. Stallii.


Menedemos, s. unter den Malern S. 125.


Menekrates.
Unter den sieben Architekten, welche Ausonius in der Mo-
sella v. 300 ffgd., aus den Hebdomades des Varro schöpfend,
als die berühmtesten des Alterthums aufzählt, finden wir
auch Menekrates erwähnt. Er ist sonst gänzlich unbekannt,
so dass man an eine Namenverwechselung zu denken ge-
neigt ist.


Menesthes
baute zu Alabanda den Pseudodipteros des Apollo: Vitr. III,
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 24
[370] 2, 6. Ueber die kritische Beschaffenheit der Worte Vitruv’s
vgl. unter Hermogenes. Die Zeit des Künstlers lässt sich
nicht bestimmen.


Mersis.
Letronne (Inscr. de l’Eg. I, p. 428) erwähnt eine bei Cosseïr
gefundene Inschrift, in welcher ein Architekt Mersis ge-
nannt werde.


Messalinos.
Laut einer metrischen Inschrift über einem Bogen des Thea-
ters zu Ephesos war dasselbe (wohl in später römischer
Zeit) von Messalinos reparirt worden: C. J. gr. 2976. Hier-
mit zu vergleichen ist die Erwähnung bei Huschke (Anall.
crit. p. 271): Εἰς καμάϱαν. Μεσσαλινοῖο γόνος τόδε ϑέσκελον
ἔκτισε τόξον.


Metagenes I, s. Chersiphron.


Metagenes II, s. Koroebos.


Metiochos.
Zu Athen gab es einen Gerichtshof, Meticheion nach seinem
Begründer Metiochos genannt, der für einen Architekten oder
für einen Rhetor oder für beides zugleich erklärt wird:
Pollux VIII, 10, 121; Phot. lex. s. v. Μητίοχος; Bekk. anecd.
I, p. 303; vgl. Hesych. s. v. Μητίχου τέμενος und Proverb.
Append. 94, p. 434 ed. Schneidewin. Nun lernen wir aus
Plutarch (reip. ger. praec. p. 811 E.) einen Metiochos als ei-
nen der Genossen des Perikles kennen, welcher dadurch
den Spott und die Angriffe der Dichter gegen sich hervor-
ruft, dass er gestützt auf die Protection des Perikles alle
möglichen Aemter und Verwaltungsstellen in seiner Hand zu
vereinigen weiss:
Μητίοχος μὲν [γὰϱ] στϱατηγεῖ, Μητίοχος δὲ τὰς ὁδοὺς,
Μητίοχος δ̕ ἄϱτους ἐποπτᾷ, Μητίοχος δὲ τἄλφιτα,
Μητιόχῳ δὲ πάντα κεῖται, Μητίοχος δοἰμώξεται.

(Wahrscheinlich von Hermippos: Fritzsche de sort. iudic. ap.
Ath. p. 81; Bergk reliq. com. att. p. 12, 18). Bei einem
Manne von solchem Charakter erscheint es durchaus be-
greiflich, dass er, auch ohne Architekt von Fach zu sein,
doch Bauunternehmer wird. Welchen Umfang übrigens die
Baulichkeiten der als Temenos bezeichneten Anlage hatten,
sind wir zu bestimmen ausser Stande.


[371]

Mnesikles
war der Architekt der Propyläen auf der Akropolis zu Athen.
Sie wurden nach Philochoros (bei Harpokrat s. v. Πϱοπύλαια)
Ol. 85, 4 begonnen und nach Heliodor (ebendas.) und Plu-
tarch (Pericl. 13) in einem Zeitraume von fünf Jahren und
mit einem Kostenaufwande von 2012 Talenten vollendet.
Dass man mit Unrecht den Mnesikles mit einem beim Bau
fast verunglückten und wunderbar geheilten Sklaven des
Perikles hat identificiren wollen, ist schon Th. I, S. 266 be-
merkt worden. — Unterhalb der Propyläen hat sich ein Ar-
chitrav mit einer Inschrift eingemauert gefunden, welche
nach der Abschrift Raoul-Rochette’s (Lettre à Mr. Schorn,
p. 362) so lautet:


ΜΝΗΣΙΚΔΗΣΕΠΙΚΡΑΤΟΥΟΙΝΑΙΟΣ ..... ΑΜΦΙΤΡΟ-
ΠΗΘΕΝΔΗΜΗΤΡΙΚΑΙΚΟΡΗΙΑΝΕΘΗΚΕΝ.


Die Schrift ist jünger, als das perikleische Zeitalter, und
sollte die Inschrift also auf den bekannten Architekten be-
zogen werden, so müsste eine spätere Wiederherstellung
derselben angenommen werden. Doch ist der Name keines-
wegs so selten in Athen, dass dies ohne Weiteres nothwen-
dig wäre.


Mustius,
Architekt zur Zeit des jüngeren Plinius. Dieser wendet sich
(IX, 39) an ihn mit dem Auftrage, für die Vergrösserung,
resp. den Neubau eines Cerestempels auf seinen Gütern vier
Säulen nebst Marmor zu den Fussböden und Wänden zu
besorgen, und ausserdem ihm den Plan zu einer Halle zu
entwerfen, welche wegen Enge des Raumes nicht um den
Tempel herum, sondern in seiner Nähe errichtet werden
müsse, indem er gerade in dem Anpassen eines Planes an
die Eigenthümlichkeit bestimmter Oertlichkeiten besonders
geschickt sei.


C. Mutius,
der Architekt des Tempels des Honos und der Virtus zu
Rom, eines Peripteros ohne Posticum, d. h. ohne die hintere
Halle, „welcher, wenn er von Marmor gebaut gewesen, so
dass er ebenso, wie hinsichtlich der Feinheit der Kunst,
auch in Betreff der Pracht und des Aufwandes Ansprüche
machen könnte, unter den ersten und vorzüglichsten Bau-
werken genannt werden würde“: Vitr. VII, praef. 17; III, 2,
24*
[372] 5. Das Beiwort, durch welches Vitruv in beiden Stellen
den Tempel näher bezeichnet, ist in den Handschriften viel-
fach verderbt: III, 2, 5 bieten sie allerdings mit nur gerin-
gen Abweichungen ad Mariana; VII, praef. 17 dagegen ma-
rianae, malinianae, maximianae, marimianae, marinianae, mar-
mianae, malinianae u. a. Da uns nun besonders der Tempel
des Honor und der Virtus bei der Porta Capena bekannt
ist, welcher von Marcellus in der Schlacht bei Clastidium
gelobt und siebzehn Jahre später von seinem Sohne geweiht
ward (vgl. Schneider zu Vitruv III, 2, 5; Becker, röm. Altth.
I, S. 510), so hat namentlich Marini in den Text des Vitruv
Marcellianae aufnehmen wollen. Allein wir haben positive
Nachrichten über einen denselben Gottheiten von C. Marius
geweihten Tempel, wenn sich auch seine Lage nicht mehr
genau bestimmen lässt (s. bes. Orelli inscr. 543; Festus p.
344 M., Schol. ad Cic. pr. Planc. 32; und Becker röm.
Altth. I, 405—7); und da nun trotz aller Varianten bei Vi-
truv in keiner sich eine Spur der Silbe „cell“ findet, so
scheint es mir mit Becker durchaus nothwendig, in dem von
Mutius gebauten den Marianischen zu erkennen.


Nexaris,
einer der weniger bedeutenden Schriftsteller über Symmetrie:
Vitr. VII, praef. 14.


J. Nikodemos,
auch Neikon der jüngere genannt, Architekt etwa zur Zeit
Hadrians, baut und schmückt auf seine Kosten eine Markt-
halle zu Pergamos: C. J. gr. 3545; vgl. 3546, wo, wie es
scheint, derselbe Neikon mathematische Sätze aufstellt.


Nikon,
der Vater des Galen (also in der ersten Hälfte des zweiten
Jahrhunderts lebend), war Geometer und Architekt: Suidas
s. v. Γαληνός; Tzetzes Chil. 397. Galen selbst bezeichnet
ihn als einen auch sonst wissenschaftlich sehr gebildeten
Mann; vgl. die Ausg. von Kühn I, S. 24 — 25. Da er aus
Pergamos stammte, so liegt die Vermuthung nicht fern, ihn
mit dem ebengenannten Nikodemos in Verbindung zu bringen.


Nilus.
Sein Name findet sich auf der unteren Seite der grossen
Säule, welche lange hinter dem Palast von Monte Citorio zu
Rom lag und jetzt zu Ehren der unbefleckten Empfängniss
[373] der Maria vor der Propaganda aufgerichtet werden soll:
Bracci, mem. d. incis. II, p. 270.


P. Numisius,
der Architekt des Theaters zu Herculanum: Mommsen I. R.
N. 2419. Da dasselbe mit ziemlicher Sicherheit in die au-
gusteische Zeit gesetzt werden darf, so kann möglicher
Weise der Architekt identisch sein mit dem P. Numisius,
welchen Vitruv als seinen Collegen in der Aufsicht über die
Kriegsmaschinen anführt: Vitr. I, praef. 2.


Paeonios, s. Chersiphron.


Parmenion.
In den Erzählungen des Pseudo-Kallisthenes (I, 32) und des
Julius Valerius (de reb. gest. Alex. I, 35) von der Gründung
Alexandriens ist auch von einem Architekten Parmenion
(oder Parmeniskos) die Rede: ihm sei bei der Anlage des
Serapeum die Ausführung des Tempelbildes übertragen wor-
den und auch später habe das Gebäude nach ihm „das
Serapeum des Parmenion“ geheissen. Damit stimmt aller-
dings nicht eine andere Nachricht, nach welcher wir das
Bild des Gottes dem Bryaxis beigelegt haben; vgl. Th. I, S.
384. Bei dem sehr unkritischen Charakter jener Erzählun-
gen weniger der Geschichte, als der Sagen Alexanders wer-
den wir daher wohl annehmen müssen, dass die Nachrichten
über Bildhauer und Architekten verwirrt wurden, wenn sie
nicht etwa ihre Entstehung geradezu der Benennung des
Serapeums verdankten, welche jedoch eben so wohl durch
eine Beziehung auf den bekannten Feldherrn Alexanders, als
auf einen sonst ganz unbekannten Künstler veranlasst sein
konnte.


Perittas, s. Xenaeos.


Phaeax.
Nach dem Siege des Gelon über die Karthager (Ol. 75)
führten die Agrigentiner mit Hülfe zahlreicher Kriegsgefan-
genen neben andern Bauten auch vortreffliche Kloaken aus.
Die Leitung dieses Unternehmens hatte ein Mann mit Namen
oder Beinamen (ὁ πϱοσαγοϱευόμενος) Phaeax, und sein Werk
erfreute sich eines solchen Beifalls, dass bei den Agrigenti-
nern die Kloaken nach ihm φαίακες genannt wurden: Diod.
XI, 25.


Phileos, s. Pythios.


[374]

Philokles,
aus dem Demos Acharnae, war der Architekt des Erechtheum
zufolge der Baurechnung vom vierten Jahre der 92sten
Olympiade: C. J. gr. n. 160. Dass er, und nicht Archilo-
chos (w. m. s.), der eigentliche Architekt war, geht daraus
hervor, dass er nicht, wie dieser, einen geringen Lohn er-
hält, sondern als Mitglied der obersten Baubehörde zwischen
den ἐπιστάται und dem γϱαμματεὺς genannt wird.


Phiteus, s. Pythios.


Phoenix, s. Satyros.


Pollis,
einer der weniger bedeutenden Schriftsteller über Symmetrie
(Vitr. VII, praef. 14), wohl identisch mit dem Bildhauer,
s. Th. 1. S. 527.


Polyklet,
der berühmte Bildhauer (Th. I, S. 210 flgde.), war auch als
Architekt ausgezeichnet. Das Theater, welches er nebst
dem Odeum beim Tempel des Asklepios zu Epidauros auf-
führte, preist Pausanias (II, 27, 5) als das erste hinsichtlich
der Schönheit und Harmonie.


Porinos, s. Antistates.


C. Postumius Pollio.
Sein Name findet sich in einer Inschrift von Terracina:
C. POSTVMIVS. C. F
POLLIO
ARCHITECTVS

Murat. 972, 6. Er lebte um die Zeit des Augustus, sofern
er es ist, als dessen Freigelassenen wir den Architekten L.
Cocceius Auctus kennen (w. m. s.). Eine andere auf ihn
bezügliche Inschrift (Reines. XI, 22, p. 616) stammt aus ver-
dächtiger Quelle.


Pothaeos, s. Antiphilos.


Pyrrhos, s. Hermon.


Philon
muss einer der berühmtesten Architekten gewesen sein, da
er von Varro in seine Hebdomas aufgenommen wurde (bei
Auson. Mosell. 303). Aus Vitruv (VII, praef. 12) erfahren
wir zunächst nur, dass er über die Symmetrien heiliger Ge-
bäude und über das Arsenal, welches er im Peiräeus ge-
baut hatte, Schriften hinterliess. Von der ersteren findet
[375] sich auch eine Erwähnung bei Pollux (X, 188): ἐν γοῦν τῆ
τοῦ νεὼ ποιήσει, ἣν ἢ Φίλων ἢ Θεόδωϱος (al. Ἀπολλόδωϱος) συνέ-
ϑηκε, γέγϱαπται, κυνδάλους δὲ ἐχέτω ζυγὸν ἕκαστον. Sein Ruhm
gründet sich aber auf den Bau des Arsenals (ὁπλοϑήκη, ar-
mamentarium). Er selbst hatte in beredter Rede dem Volke
die Vortheile der Anlage dargelegt und es dadurch erst zur
Ausführung derselben bestimmt: Cic. de or. I, 14; Valer.
Max. VIII, 12, 2; Philodem. de rhetor. col. XII. Dieses be-
wundernswerthe Werk war zur Aufnahme von mehreren
hundert Schiffen eingerichtet. Plinius (7, 125) spricht sogar
von tausend; Strabo (IX, 395) giebt vierhundert an. Die
Zeit der Erbauung, und somit auch die des Künstlers, über
welche Sillig ungewiss ist, lässt sich noch ziemlich fest be-
stimmen. Zuerst berichtet nemlich Vitruv (VII, praef. 17),
dass zur Zeit des Demetrios Phalereus Philon an das Teles-
terion zu Eleusis (s. Iktinos und Koroebos) eine Vorhalle
angebaut, und dadurch nicht nur für die Bequemlichkeit der
Eingeweihten gesorgt, sondern auch das Ansehen des Ge-
bäudes bedeutend gehoben habe. Die politische Wirksam-
keit des Demetrios aber fällt in die 114te bis 118te Olym-
piade. Speciell auf den Bau des Arsenals bezieht sich eine
andere Nachricht bei Plutarch (Vitt. X. Orat. Lycurg. p.
841 D), der zufolge Lykurg während seiner Finanzverwal-
tung, also um Ol. 110 — 112, dasselbe vollenden liess: ἡμί-
εϱγα παϱαλαβὼν τούς τε νεωσοίκους καὶ τὴν σκευοϑήκην … ἐξειϱγά-
σατο καὶ ἐπετέλεσε. Sonach ist Philon ein Zeitgenosse Alexan-
ders, welchen er jedoch um eine Reihe von Jahren über-
lebte. Sein Werk bestand nicht viel länger als zwei Jahr-
hunderte: Sulla verbrannte 86 v. Chr. mit andern Gebäuden
des Peiräeus auch das Arsenal: Appian, bell. Mithr. 41;
Plut. Sulla 14. — Aus diesen Erörterungen ergiebt sich nun
von selbst, dass Philo aus Byzanz, welcher etwa 150 v. Chr.
lebte und mehrere zum Theil noch erhaltene Bücher über
Mechanik und Kriegsmaschinen schrieb, nicht mit dem von
Ausonius als Cecropius, also als Athener bezeichneten Er-
bauer des Arsenals verwechselt werden darf.


Sex. Pompeius Agasius.
Die Inschrift, welche von ihm handelt (Grut. 623, 3), ist in
der Form, wie sie uns vorliegt, zu verdächtig, als dass es
gestattet wäre, auf sie weitere Folgerungen zu bauen.


[376]

Pythios.
Auf diesen Namen sind nach dem Vorgange Raoul-Rochette’s
(Lettre à Mr. Schorn p. 381) die verschiedenen Nachrichten
zu beziehen, welche man früher wegen unzulänglicher
Kritik des Vitruvtextes auf mehrere Künstler vertheilen zu
müssen glaubte. Zuerst nennt Vitruv (I, 1, 12) Pythios als
Architekten des ionischen Tempels der Athene zu Priene.
Hier ist der Name Pythios, wenn auch in manchen Hand-
schriften verderbt, doch durch andere hinlänglich gesichert.
Weiter wird von Vitruv (VII, praef. 12) als Schriftsteller
über denselben Tempel Phileos angeführt. So steht der
Name in den Handschriften und Ausgaben bis auf Marini,
der mit Nachdruck darauf hinweist, dass in beiden Stellen
offenbar von einem und demselben Manne die Rede sei, und
deshalb Pythius schreibt. In der ersten theilt Vitruv aus
der Schrift des Pythios dessen Ansicht mit, dass der Archi-
tekt in allen Künsten und Wissenschaften noch tüchtiger
sein müsse, als selbst die Virtuosen in den einzelnen Fächern;
wogegen Vitruv ausführt, dass man vom Architekten nicht
das technische Können in allen den verschiedenen Zweigen
des Wissens verlangen dürfe, sondern nur eine encyclopä-
dische Bildung, so weit sie auf die Ausübung der Baukunst
von Einfluss sei. Pythios begnügte sich also in seiner
Schrift nicht mit der blossen Beschreibung des von ihm er-
bauten Tempels, sondern ging auf Fragen allgemeinerer Art
ein. Wenn nun weiter Vitruv (IV, 3, 1) unter denen, welche
sich gegen die Anwendung des dorischen Styls für die Tem-
pelarchitektur ausgesprochen hatten, einen Pytheus nennt, so
haben wir es gewiss wieder nur mit Pythios zu thun, welche
Namensform in der That mehrere Handschriften darbieten. —
Der Tempel der Athene war zufolge der Inschrift von
Alexander geweiht (C. J. Gr. 2902):
ΒΑΣΙΛΕΥΣΑΛΕΞΑΝΔΡΟΣ
ΑΝΕΘΗΚΕΤΟΝΝΑΟΝ
ΑΘΗΝΑΙΑΙΠΟΛΙΑΔΙ

wahrscheinlich zur Zeit seines Zuges durch Kleinasien Ol.
111, 3. Ueber das in der 107ten Olympiade begonnene
Mausoleum schrieb aber nach Vitruv (VII, praef. 12) wie-
derum ein Architekt, dessen Name in den Handschriften zwi-
schen Phiteus, Phyteus und Pytheus schwankt, der aber
[377] gewiss von dem Erbauer des Tempels zu Priene nicht ver-
schieden ist. Endlich nennt Plinius (36, 31) das marmorne
Viergespann auf dem Gipfel des Mausoleum ein Werk des
Pythis, der wiederum von dem Architekten schwer zu tren-
nen sein wird, namentlich da dieser bei den Ansprüchen,
welche er an den Architekten stellte, sich doch in irgend
einer andern Kunst versucht haben wird. Will man aber
etwa bei Plinius (so wie theilweise bei Vitruv) den Namen
nicht gegen die Auctorität der Handschriften verändern, so
bleibt immer noch die keineswegs unwahrscheinliche An-
nahme übrig, dass schon im Alterthum der Name nicht im-
mer gleichmässig überliefert worden sei. Sonach erscheint
Pythios als einer der bedeutendsten Architekten zur Zeit
Alexanders, welcher seine Tüchtigkeit theoretisch durch
Schriften und praktisch durch zwei ausgezeichnete Werke
bethätigt. Hinsichtlich der letztern verweise ich für den
Tempel zu Priene auf Müller Arch. §. 109, 16; für das Mau-
soleum ebendas. 151, 1; und auf Th. I, S. 318, 323 u. 382.


Rabirius,
bekannt aus einem Epigramme Martial’s: VII, 56 (vgl. auch
X, 71):


Astra polumque pia percepsti mente, Rabiri,

Parrhasiam mira qui struis arte domum.

Phidiaco si digna Jovi dare templa parabit,

Has petat a nostro Pisa tonante manus.

Die Parrhasia domus bezeichnet die Kaiserpaläste auf dem
Palatin; und hier sind wahrscheinlich die Prachtbauten des
Domitian zu verstehen. Bei dem Juppitertempel ist der Aus-
druck tonante schwerlich speciell auf den Juppiter tonans
zu beziehen, da wir von Bauten an diesem zu Martials Zeit
nichts wissen. Dagegen stellte bekanntlich Domitian den
grossen capitolinischen Tempel glänzend wieder her, und
ausserdem errichtete er ebenfalls auf dem Capitol dem Jup-
piter custos einen neuen grossen Tempel: Tacit. hist. III, 74;
Suet. Domit. 5.


Rhoekos, s. Theodoros.


Sarnacus,
(sofern der Name nicht etwa corrumpirt ist), einer der we-
niger bedeutenden Schriftsteller über Symmetrie: Vitr. VII,
praef. 14.


[378]

Satyros.
„Ueber das Mausoleum schrieben Satyros und Pythios, denen
das Glück in Wahrheit das höchste und grösste Geschenk
darbot: denn sie, denen durch ihre Kunst für alle Zeiten
das höchste immer dauernde Lob zu Theil geworden, leiste-
ten auch durch ihr Denken (d. h. ihre Schriften) vortreffliche
Dienste.“ Vitr. VII, praef. 12. Waren sie sonach beide als
Architekten an einem Werke beschäftigt, so war auch viel-
leicht die Schrift von ihnen gemeinschaftlich verfasst. —
Verschieden von diesem Satyros ist ein anderer, Zeitgenosse
des Ptolemaeos Philadelphos, welcher einen Obelisken von
80 Ellen (cubiti) aus den Steinbrüchen zu Wasser nach
Alexandrien transportirte und im Arsinoeum aufstellte, von
wo er später auf das römische Forum versetzt wurde: Plin.
36, 67. Doch fügt Plinius hinzu, dass Callixenus statt des
Satyros einen uns sonst nicht bekannten Phoenix nenne.
Dagegen wird Satyros noch einmal von Strabo (XVI, 769)
als Gründer von Philotera erwähnt, einer Stadt in Aegypten,
welche nach der Schwester des Ptolemaeos Philadelphos
den Namen führte und von Satyros bei Gelegenheit einer
Sendung zur Erforschung der Elephantenjagd und des Tro-
glodytenlandes angelegt wurde.


Sauras, s. Batrachos.


P. Septumius
schrieb zwei Bücher über Architektur: Vitr. VII, praef. 14.
Dass er selbst auch Architekt war, braucht deshalb noch
nicht angenommen zu werden. Vielmehr vermuthet Schnei-
der (zu Vitr. a. a. O.), dass er identisch sei mit dem Quä-
stor des Varro, an welchen dieser die drei ersten Bücher
de lingua latina richtete: Varro de l. l. VII, §. 109 M.


Severus, s. Celer.


Silanion,
bekannt als Bildhauer, schrieb über Symmetrie: Vitr. VII,
praef. 12; vgl. Th. I, S. 394 flgd.


Silenus
schrieb ein Buch über dorische Architektur, de symmetriis
Doricorum: Vitr. VII, praef. 12.


Skopas,
der berühmte Bildhauer, musste auch als Architekt in hohem
Grade tüchtig sein, da der Tempel der Athene Alea zu Te-
[379] gea von ihm erbaut war: Paus. VIII, 45, 5; vgl. Th. I, S.
312 flgd.


Smilis
wird als einer der Architekten des Labyrinths in Lemnos
genannt; s. unter Theodoros und Th. I, S. 26 flgd.


Sostratos,
Sohn des Dexiphanes aus Knidos. In seiner Vaterstadt
hatte er eine Halle erbaut, welche zugleich auf ihrer Höhe
einen Spaziergang darbot: Lucian amor. 11; Plin. 36, 83,
welcher bemerkt, dass: hic omnium primus pensilem ambula-
tionem Gnidi fecisse traditur. Weit berühmter ist jedoch
ein anderes Werk, der Pharos (Leuchtthurm) zu Alexan-
drien: Plin. l. l.; Strabo XVII, 791; Lucian. quom. hist.
conscr. 62; Schol. Luc. Icaromen. 12; Suid und Steph. Byz.
s. v. φάϱος; Euseb. ἱσν. p. 368 Scal. Er war hoch,
vierseitig, jede Seite ein Stadion breit (Schol. Luc.); von
Marmor erbaut (Strabo) und hatte 800 Talente gekostet,
welche Ptolemaeos I. hergab (Plin.). Statt dieses Königs,
welchen auch Suidas nennt, sprechen die Scholien zu Lucian
wohl minder genau von Alexander und seiner Mutter als
denen, welche den Bau veranlasst. Auffallender Weise war
das Werk als von dem Künstler selbst geweiht durch die
Inschrift bezeichnet, welche nach Lucian und den Scholien
lautete: Σώστϱατος Δεξιφάνους Κνίδιος ϑεοῖς σωτῆϱσιν ὑπὲϱ τῶν
πλωϊζομένων. Auch Plinius spricht von dieser Dedication,
und zwar so, dass sie mit dem Willen des Ptolemaeos ge-
schehen sei. Wenn dagegen Lucian erzählt, Sostratos habe
seinen Namen heimlich auf den Stein geschrieben, ihn über-
strichen, und darauf den Namen des Königs gesetzt, so dass
dieser mit der Zeit verschwand und erst dann der seinige
hervortrat, so können wir in dieser Erzählung wohl nur
eine Volkssage erkennen. Ueber eine spätere Restauration
des Pharos s. unter Ammonios. — Ausserdem erzählt Lucian
(Hipp. 2) von Sostratos noch, dass er durch Ableitung des
Nil Memphis ohne Belagerung in die Hände des Ptolemaeos
geliefert. Endlich aber werden wir den von Plinius (34, 51)
unter der 113ten Olympiade angeführten Bildhauer für iden-
tisch mit dem Architekten halten dürfen.


Spintharos
aus Korinth war Architekt des Tempels zu Delphi. Der
[380] alte war Ol. 58, 1 abgebrannt. Für den Wiederaufbau sam-
melten die Delphier in ganz Griechenland und selbst in
Aegypten; sie selbst trugen den vierten Theil bei; die Aus-
führung aber übernahmen die aus Athen vertriebenen Alk-
mäoniden für dreihundert Talente. Sie bauten ihn glänzen-
der, als sie verpflichtet waren, indem sie z. B. den Pronaos
aus parischem Marmor errichteten, während für den Rest
des Tempels nur der gewöhnliche Poros verwendet wurde:
Pausanias X, 5, 13; Herodot II, 180; V, 62; Schol. Pind.
Pyth. VII, 9. Da die Vertreibung der Alkmäoniden nicht
vor das Ende des zweiten Exils des Peisistratos fällt, so
kann der Tempel vor Ol. 60 nicht begonnen worden sein.
Wann das eigentliche Gebäude vollendet ward, vermögen
wir nicht anzugeben: die Sculpturen im Giebel wurden erst
gegen Ol. 90 aufgestellt; vgl. Th. I, S. 247. Müller
Arch. §. 80, 5.


C. und M. Stallius.
Das Odeum in Athen war im Mithridatischen Kriege bei der
Eroberung durch Sulla (86 v. Chr.) abgebrannt: Appian bell.
Mithr. 38; Paus. I. 20. Etwa 25—30 Jahre später ward es
von Ariobarzanes Philopator (reg. 65 — 52 v. Chr.) wieder-
hergestellt, wie wir aus Vitruv (V, 9, 1) und einer griechi-
schen Inschrift (C. J. gr. 357) erfahren, welcher zufolge
C. und M. Stallius und Menalippos diesem Könige als ihrem
Wohlthäter eine Statue errichten: κατασταϑέντες ὑπ̕ αὐτοῦ
ἐπὶ τὴν τοῦ Ὠιδείου κατασκευήν. Hiernach lässt sich allerdings
nicht sicher bestimmen, ob die genannten Männer wirklich
Architekten waren, oder ob sie nur die Bauverwaltungsbe-
hörde bildeten.


Stasikrates, s. Deinokrates.


Tarchesios, s. Argelios.


Theodoros,
der Samier. Ueber ihn, so wie über die Genealogie und
Chronologie der ältesten samischen Künstler ist bereits Th. I,
S. 30 flgd. ausführlich gehandelt worden. Da jedoch die
dort gewonnenen Resultate von Urlichs in einem Aufsatze
„über die älteste samische Künstlerschule“ (Rhein. Mus.
N. F. X, S. 1—29) in ihren wichtigsten Punkten bestritten
worden sind, so ist eine weitere Begründung meiner Ansicht
[381] und eine Widerlegung der ihr entgegengestellten Meinungen
an dieser Stelle gewiss gerechtfertigt.


Die Summe meiner Erörterungen lässt sich etwa in
folgenden Sätzen kurz zusammenfassen: In den Nachrichten
der Alten, welche man bisher auf zwei samische Künstler,
Namens Theodoros, bezog, handelt es sich nur um eine ein-
zige Person. Dieser Theodoros, ein Sohn des Telekles,
arbeitet vielfach in Gemeinschaft mit Rhoekos, dem Sohne
des Phileas, wenn auch vielleicht als etwas jüngerer Zeit-
genosse desselben; und die Thätigkeit dieser beiden Künst-
ler fällt der Hauptsache nach in die fünfziger Olympiaden.
Urlichs dagegen vertheidigt folgendes zuerst von Müller
aufgestellte Schema:


Rhökos soll vor Ol. 40, seine Söhne gegen Ol. 50, der
zweite Theodoros gegen Ol. 60 geblüht haben. Den Be-
weis für diese Annahme sucht Urlichs zunächst durch ein-
gehende Erörterungen über die Geschichte namentlich der
Tempelbauten des Rhökos und Theodoros zu liefern, und
mit ihrer Prüfung wollen auch wir darum beginnen.


Der Tempel der Hera zu Samos war ein Werk des
Rhökos. Für das Alter desselben sollen namentlich die
Weihgeschenke bemerkenswerth sein, welche Herodot an
verschiedenen Stellen erwähnt. Das älteste darunter ist ein
eherner Kessel, auf drei knieende Kolosse gestützt, welchen
die Samier wegen der glücklichen Seefahrt des Koläos nach
Tartessos um Ol. 37 in dem Heräon aufstellten: IV, 152.
Damals müsse also der Tempel, wenn auch nicht vollendet,
doch begonnen gewesen sein; ja jenes Geschenk sei mög-
licher Weise ein Werk des Rhökos und Theodoros, der Er-
finder des Erzgusses. Dieser Schlussfolgerung muss ich
bestimmt widersprechen: denn was von dem Heräon im All-
gemeinen gesagt wird, bezieht sich noch keineswegs mit
Nothwendigkeit auf den Tempel des Rhökos; das Heiligthum
bestand gewiss schon lange vor diesem Künstler; und das
Vorhandensein älterer Weihgeschenke beweist daher nichts
[382] für das Alter des Tempels. Wann dieser vollendet, wird
eben so wenig berichtet, als wann er begonnen worden;
und dies ist der Grund, weshalb ich die Nachrichten über
ihn bei den chronologischen Erörterungen unberücksichtigt
gelassen habe.


Das zweite wichtige Bauwerk, welches hier in Betracht
kommt, ist der Tempel der Artemis zu Ephesos. Theodoros
ertheilt seinen Rath bei der Zubereitung der Fundamente;
den eigentlichen Bau leiten Chersiphron, sodann dessen Sohn
Metagenes, endlich Demetrios und Paeonios. Vollendet aber
wurde der ganze Bau nach Plinius (36, 95) in hundert und
zwanzig Jahren. Lässt sich also das Ende bestimmen, so
ergiebt sich der Beginn von selbst. Paeonios nun ist in
Gemeinschaft mit Daphnis der Architekt des Didymaeon bei
Milet, über dessen Schicksale uns mannigfache Nachrichten
erhalten sind. Aus ihnen glaubt Urlichs folgende Schlüsse
ziehen zu dürfen: Paeonios wird nach der Befreiung Ioniens,
etwa Ol. 76, mit dem Bau des Didymäon beauftragt, nach-
dem er durch seine Thätigkeit am Tempel der ephesischen
Artemis seinen Ruf begründet. Dieser war also vor Ol. 76
fertig. Nehmen wir Ol. 70 bis 72 für die Zeit seiner Voll-
endung und rechnen wir 120 Jahre zurück, so ergiebt sich
etwa Ol. 40 — 42 als der Zeitpunkt, da Theodoros den
Grund legte: (S. 9).


Für die vorliegende Erörterung ist es unerheblich zu
entscheiden, ob der alte Tempel des didymäischen Apollo
einmal unter Darius Hystaspis (Herod. VI, 19) oder noch
ein zweites Mal unter Xerxes (Strabo XIV, 634 und Suidas
s. v. Βϱαγχίδαι) verheert und geplündert wurde. Die Wieder-
herstellung durch die genannten Architekten begann sicher-
lich, wie Urlichs ebenfalls annimmt, nicht vor der Vertrei-
bung der Perser, also nicht vor der Schlacht bei Mykale
Ol. 75, 2. Sehen wir aber, wie z. B. Athen, welches doch
nach der Schlacht bei Plataeae weit weniger als Milet durch die
Nähe der Perser bedroht war, doch nicht sofort zu grossen Tem-
pelbauten schritt, so dürfen wir wohl für Milet dasselbe an-
nehmen, dessen Freiheit erst etwa durch die Schlacht am Eury-
medon, also nicht vor der 78sten Olympiade gesichert war. Ja,
wenn wir bei Herodot (I, 157) lesen: ἦν γὰϱ αὐτόϑι (ἐν Βϱαγχί-
δῃσι) μαντήϊον ἐκ παλαιοῦ ἱδϱυμένον, τῷ Ἴωνές τε πάντες καὶ Αιόλεες
[383] ἐώϑεσαν χϱέεσϑαι, so scheint daraus hervorzugehen, dass, als
er sich noch in Asien aufhielt, das Heiligthum noch nicht
wieder hergestellt war. Auf jeden Fall fehlen zwingende
Gründe, den Beginn des Baues in die 76ste Olympiade zu
setzen. Eben so wenig kann ich ferner zugeben, dass da-
mals der ephesische Tempel nothwendig vollendet sein musste:
Ephesos und Milet liegen so nahe bei einander, dass Paeonios
recht wohl für beide Orte zugleich thätig sein konnte, um
so mehr, wenn wir hören, dass er an jedem derselben noch
einen Genossen neben sich hatte: in Ephesos den Demetrios,
in Milet den Dalphnis, welche die praktische Ausführung
des Baues überwachen mochten, während von ihm vielleicht
die Entwürfe geliefert waren. Sollte aber auch wirklich der
eine Bau erst nach dem andern gefolgt sein, so ist immer
noch nicht nöthig, mit Urlichs einen Zeitraum von vier bis
sechs Olympiaden zwischen der Beendigung des einen und
dem Beginn des andern anzunehmen: immer werden wir am
natürlichsten die Vollendung des ephesischen Tempels gegen
die 80ste, und somit die erste Anlage der Fundamente durch
Theodoros gegen die 50ste Olympiade herabrücken dürfen. —
Einige andere Angaben, welche Urlichs zur Bestätigung
seiner Ansicht beibringt, stehen mit der obigen Bestimmung
keineswegs im Widerspruch. Als Servius Tullius den Bun-
destempel der Diana auf dem Aventin erbaute, gegen Ol. 60,
soll der Tempel zu Ephesos bereits berühmt gewesen sein
und Servius ihn sich zum Muster genommen haben: Liv. 1, 45;
Dion. Hal. IV, 26. Wenn nun Urlichs es als vollkommen
denkbar bezeichnet, dass um Ol. 60 der ephesische Tempel
binnen 18 — 20 Olympiaden weit genug vollendet war, um
seinen Ruf bis nach Rom zu verbreiten, so scheint mir, dass
dazu auch schon die Hälfte des angenommenen Maasses,
ein Zeitraum von vierzig Jahren, vollkommen genügt. Eben
so konnten binnen zwanzig bis dreissig Jahren recht wohl
die Fundamente gelegt und ein Theil der Säulen aufgerichtet
sein, so dass bei der Belagerung durch Krösos, bald nach
seinem Regierungsantritt Ol. 55, 1, die Ephesier Stadt und
Tempel durch Taue verbinden und dieselben um die Säulen
legen konnten (Herod. 1, 26; Polyaen. VI, 50; Aelian V. H.
VI, 26). Von der Vollendung war damals der Bau gewiss
noch weit entfernt: denn den grössten Theil der Säulen
[384] schenkte nach Herodots Angabe (I, 92) erst Krösos. Frei-
lich meint Urlichs unter Hinweisung auf eine Stelle Strabo’s
(XIV, p. 640: Τὸν δέ νεὼν τῆς Ἀϱτέμιδος πϱῶ τος μὲν Χεϱσί
φϱων ἠϱχιτεκτόνησεν, εἶτ̕ ἄλλος ἐποίησε μείζω), dass dieses Ge-
schenk zu einer Vergrösserung des Tempels bestimmt ge-
wesen sei in der Weise, dass man damals den Peripteros
in einen Dipteros verwandelt haben werde. Was nun die
Annahme dieser Verwandlung anlangt, so habe ich meine
Bedenken gegen dieselbe bereits bei Gelegenheit des Cher-
siphron auseinandergesetzt und die Vermuthung geäussert,
das es sich bei Strabo um nichts anderes handele, als um
die Weiterführung des Baues durch Metagenes, den Sohn
des Chersiphron, denselben, welchem Plinius die Ueberwin-
dung der Schwierigkeiten des Gebälkbaues beilegt. Die Herr-
schaft der Perser erklärt es sodann, wie der schon so weit
vorgerückte Bau wieder in’s Stocken gerieth, und die letzte
Vollendung erst der von der Fremdherrschaft wieder be-
freiten Generation vorbehalten blieb.


Somit glaube ich an dem oben hingestellten Ergebnissen
festhalten zu dürfen, dass der Beginn des Tempelbaues zu
Ephesos um die 50ste Olympiade zu setzen sei. — Ueber
die übrigen, dem Theodoros beigelegten Bauwerke, die
Skias zu Sparta und das lemnische Labyrinth, fehlen uns
chronologische Angaben gänzlich. Es fragt sich also nur
noch, wie die von Urlichs auf einen zweiten Theodoros, den
Neffen des ersten, bezogenen Angaben sich mit den bisher
gewonnenen Resultaten vereinigen lassen.


Ich hatte zur Begründung der Identität desselben mit
dem älteren gleichnamigen Künstler darauf hingewiesen, wie
Theodoros mehrfach ὁ Σάμιος, also der bekannte Samier, ge-
nannt werde. Diesen Grund, meint nun Urlichs, könnte man
eben so gut für die Identität der beiden Kanachos und
Polyklete geltend machen; denn obgleich der jüngere Kana-
chos nach Pausanias VI, 13, 7 ebenfalls aus Sikyon war,
heisse der ältere VII, 18, 10 schlechtweg „der Sikyonier,“
eben so VI, 13, 6 und VIII, 31, 4 der ältere Polyklet „der
Argeier,“ obgleich VI, 6, 2 zwei Künstler des Namens aus
Argos erwähnt würden. Allein VI, 13, 7 heisst eine Statue
ἔϱγον Σικυωνιόυ Κανάχου παϱὰ τῷ Ἀϱγείῳ Πολυκλείτῳ διδαχϑέντος,
und VI, 6, 2 wird erwähnt Πολύκλειτος Ἀϱγεῖος, οὐχ ὁ τῆς
[385] Ηϱας τὸ ἄγαλμα ποιήσας, μαϑητὴς δέ Ναυκύδους. Also weder
der jüngere Kanachos heisst ὁ Σικυώνιος, noch der jüngere
Polyklet ὁ Ἀϱγεῖος, und beide werden von den bekannteren
gleichnamigen älteren Künstlern noch ausdrücklich unter-
schieden. Unter solchen Umständen ist es gewiss nicht zu
übersehen, wenn Herodot I, 51 den von Krösos nach Delphi
geschenkten Krater ein Werk Θεοδώϱου τοῦ Σαμίου, Pausa-
nias III, 12, 8 die Skias zu Sparta Θεοδώϱου τοῦ Σαμίου
ποίημα nennt, und Pausanias VIII, 14, 5 noch ausdrücklich
den Erfinder des Erzgusses mit dem identificirt, der für
Polykrates den Ring macht. Dieser aber heisst bei Pau-
sanias sowohl ganz consequent, als auch bei Herodot III, 41
Sohn des Telekles, und beide kannten offenbar nur den einen
Theodoros. Ward aber dieser Theodoros häufig neben Rhökos
als dessen Genosse genannt, so dürfen wir uns nicht wun-
dern, wenn unzuverlässigere Gewährsmänner ihn fälschlich
als Sohn desselben anführen. Unzuverlässiger als Herodot
und Pausanias darf man aber gewiss mit gutem Rechte so-
wohl Diogenes Laertius nennen, welcher (II, 103) des Theo-
doros mehr beiläufig gedenkt, als Diodor, welcher (I, 98)
eine gewiss nicht in allen Punkten haltbare Erzählung von
der in zwei Stücken gefertigten Statue des Apollo Pythaeos
beibringt.


Aber, behauptet Urlichs weiter, „auch der künstlerische
Charakter des zweiten Theodoros ist ein anderer. Wir
kennen weder Bauten noch Erzwerke von ihm, sondern nur
kostbare Arbeiten in edlen Metallen und Steinen von aus-
gezeichneter Vollendung“ (S. 24), nemlich den Ring des
Polykrates, das silberne Mischgefäss zu Delphi, ein goldenes
zu Susa, und ebendaselbst den goldenen Weinstock und die
goldene Platane. „Wie sollen wir nun diesen Künstler des
verfeinerten Luxus, diesen Benvenuto Cellini der kunstlieben-
den Könige und Tyrannen, für den Altersgenossen jenes
Rhökos halten, von dem Pausanias nur eine eherne Statue
kennt, die er für älter und roher erklärt als ein Werk, das
man in Amphissa für ein Stück aus der trojanischen Beute
ausgab?“ (S. 28). Hiergegen bemerke ich, dass die Be-
wunderung des Alterthums, namentlich in Betreff jener hier
besonders in Betracht kommenden Bäume, gewiss weit mehr
durch die Kostbarkeit der Stoffe, als durch den Kunstwerth
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 25
[386] bedingt ist. Aber es mag selbst eine relativ grosse künst-
lerische Vollendung zugegeben werden, so liefert dennoch
die Vergleichung mit dem unvollkommenen Werke des Rhö-
kos keinen Beweis für die spätere Zeit jener Werke. Es
genügt, auf das homerische Zeitalter hinzuweisen, um
zu zeigen, wie die eigentlich statuarische Kunst noch
eine sehr niedrige Stufe einnehmen kann, während jene dem
„verfeinerten Luxus“ dienende Kunst auf ihrem Gebiete
schon ganz anerkennenswürdige Leistungen aufzuweisen hat.
Spricht doch sogar die kleine Ilias (Schol. Eurip. Troad. 822;
cf. Orest. 1376) schon von einem goldenen Weinstocke,
freilich als einem Werke des Hephästos, welcher möglicher
Weise die Veranlassung zu dem Werke des Theodoros ge-
wesen sein kann. Dass endlich der Architekt und Erfinder
des Erzgusses nicht auch zugleich jene Arbeiten in edleren
Stoffen und in einer feineren Technik habe ausführen können,
wird Angesichts mancher Analogien alter und neuer Zeit
niemand behaupten wollen. — Hiernach aber bleiben uns
keine Gründe übrig, welche uns an der Identität der zwei
Künstler des Namens Theodoros zweifeln lassen, und ich
muss daher den Erörterungen von Urlichs gegenüber, so
weit sie die Chronologie und Genealogie der ältesten sami-
schen Küstler betreffen, an den früher von mir aufgestellten
Resultaten festhalten. Dagegen bekenne ich gern, dass von
ihm die Kenntniss der einzelnen Werke dieser Künstler
theils durch die Beibringung mancher von mir übersehenen
Notizen erweitert, theils durch eine schärfere Kritik der ver-
schiedenen Angaben geläutert worden ist. Es scheint mir
daher nicht unangemessen, an dieser Stelle die Reihe der
Werke noch einmal im einzelnen durchzugehen.


Das Heräon zu Samos. Mit Recht weist Urlichs
darauf hin, dass bei den Worten Vitruvs VII, praef. §. 12:
de aede Junonis, quae est Sami Dorica, Theodorus (edidit
volumen), entweder ein grobes Versehen dieses Schriftstel-
stellers, oder wohl richtiger eine Corruptel anzunehmen ist,
indem das richtige und ursprüngliche Ionica, dessen Anfangs-
buchstabe sich in der Endung Sami verlor, durch die Nachbar-
schaft der Wörter Doricorum (in dem vorhergehenden Satze
de symmetriis Doricorum) und Theodorus in Dorica verdor-
ben wurde. Denn die noch erhaltenen Reste sind ionischer
[387] Ordnung; und von einem Umbau des alten von Rhoekos be-
gründeten Tempels wird uns nicht nur nirgends etwas be-
richtet, sondern die Bewunderung, mit welcher Pausanias
(VII, 5, 5) von ihm trotz der durch Feuer in den Perser-
kriegen erlittenen Beschädigungen spricht, legt sogar ein
entscheidendes Zeugniss gegen einen solchen ab. — Dass
Theodoros über diesen Tempel geschrieben habe, wird von
Urlichs durchaus in Abrede gestellt. Mir scheint indessen
die Nachricht des Vitruv auch jetzt noch nicht durchaus ver-
werflich, wenn wir nur die durch die Natur der Dinge ge-
botenen Verhältnisse nicht aus den Augen verlieren wollen.
Der Bau des Tempels selbst verlangte bestimmte Aufzeich-
nungen in Grundriss, Aufriss und Detail nebst Zahlenan-
angaben. Warum sollten also dieselben nicht auch in dieser
alten Zeit auf schriftlichem Wege überliefert worden sein,
indem damals die Architektur, wenn sie sich so consequent
entwickeln sollte, wie sie es gethan, ähnliche Aufzeichnun-
gen für praktische Zwecke eigentlich gar nicht entbehren
konnte, weit weniger als etwa die Sculptur eine Proportions-
lehre? Dass Vitruv zuerst von den perspectivischen Studien
des Agatharch, Demokrit und Anaxagoras spricht und an
sie die architektonischen Schriftsteller im engeren Sinne durch
postea anknüpft, scheint mir nicht in der Absicht geschehen,
eine chronologische Bestimmung zu geben. Dazu nennt
neben Theodoros Vitruv auch den ziemlich gleichzeitigen
Chersiphron und seinen Sohn Metagenes als Schriftsteller
über den ephesischen Tempel, und folgerechter Weise müss-
ten wir also auch ihre Schriften für untergeschoben er-
klären. Ob und wie viel erläuternder Text den praktischen
Angaben beigegeben war, ist zunächst gleichgültig; ja man
kann sogar zugeben, dass eigentliche Commentare, sofern
sie dem Vitruv vorlagen, erst einer späteren Zeit, der litte-
rarisch gebildeten alexandrinischen Epoche angehören moch-
ten: dass trotzdem die Grundlage derselben der wirklich
alten Zeit angehörte, darf darum noch keineswegs geleugnet
werden. — Uebrigens erwähnt Pollux (X, 188) eine Schrift
ἡ τοῦ ποίησις, ἣν ἢ Φίλων ἢ Θείδωϱος συνέϑηκε. Sollte
also etwa Philo einen solchen Commentar zu den Regeln
des Theodoros geschrieben haben?


25 *
[388]

Das lemnische Labyrinth. Dass dieses von Smilis,
Rhoekos und Theodoros gebaut sei, leugnet Urlichs (S. 20)
aus verschiedenen Gründen. Der erste ist der, dass die
Künstler von Plinius (36, 90) indigenae genannt würden, was
freilich falsch ist, aber sich doch eben so erklären liesse,
wie das Schwanken in der Angabe des Vaterlandes bei
andern Künstlern der alten Zeit: so heisst der Chier Glaukos
auch Samier und Lemnier, und Theodoros selbst wird bei
Athenagoras (leg. pro Chr. p. 60) Milesier genannt. Auch
dass zur Zeit dieser Künstler Lemnos von tyrrhenischen
Pelasgern bewohnt gewesen, scheint mir noch nicht noth-
wendig auszuschliessen, dass samische und äginetische Grie-
chen dort ein Gebäude aufführen konnten. Endlich liesse
sich auch der „wunderliche“ Mechanismus, durch den die
Säulen bei der Bearbeitung gedreht sein sollten, als ein
technisches Experiment des erfindungsreichen Theodoros
noch allenfalls erklären. Dennoch will ich nicht in Abrede
stellen, dass die ganze Nachricht von den Künstlern „die
Erfindung eines klügelnden Griechen“ sein kann. Es scheint
mir nemlich in hohem Grade wahrscheinlich, was Urlichs
vermuthet, dass Plinius hier aus dem durchaus unzuver-
lässigen Apion geschöpft hat, den er nachweislich über
ägyptische Merkwürdigkeiten im 36sten Buche (§. 78) und
sogar speciell in seinen Nachrichten über das ägyptische
Labyrinth (37, 75) benutzte, dessen Beschreibung im 36sten
Buche mit der des lemnischen verbunden ist.


Ueber den Tempel zu Ephesos ist bei Gelegenheit
des Cherisphron gehandelt worden.


Die Skias zu Sparta, wird von Urlichs mit Recht
nach Form und Zweck mit dem perikleischen Odeum zu
Athen verglichen. Sie war ein Rundbau nicht mit einer
Kuppel, sondern mit einem in eine Spitze zulaufenden Dache.
Die zeltähnliche Construction hatte vielleicht ihr Vorbild
an den kleineren, bei den Karneen aufgeschlagenen
Hütten (Athen. IV, 141), indem auch der grössere Bau zu
diesem Feste eine nahe Beziehung gehabt zu haben und
namentlich für die an demselben abgehaltenen musikalischen
Wettkämpfe bestimmt gewesen zu sein scheint.


[389]

Auch in Betreff der nicht architektonischen Werke
mögen hier noch einige Nachträge ihre Stelle finden:


Das Bild des Theodoros. Wenn auch keine hin-
längliche Veranlassung vorliegt, dasselbe dem Theodoros
abzusprechen, so ist doch gewiss das Miniaturviergespann
auf der Hand von Plinius fälschlich mit demselben in Ver-
bindung gebracht worden, wie bei Gelegenheit des Kallikra-
tes und Myrmekides in dem Abschnitt über die Toreuten
näher dargelegt werden wird.


Ueber den Ring des Polykrates ist bei Gelegenheit
der Gemmenschneider zu handeln.


Der bekannten Erzählung Diodor’s I, 98 von der Statue
des Apollon Pythaeos sucht Urlichs (S. 15) einen höhern
Grad von Wahrscheinlichkeit zu vindiciren, als ich zugege-
ben hatte. „Das Bild war vermuthlich wegen des dünnen
Stammes einer edeln Holzart, etwa Cedernholz, in zwei
Stücken, der Länge nach, verfertigt worden, nach einer
genauen Zeichnung oder einem Modell, wonach beide Hälften
in Uebereinstimmung gebracht wurden.“ Da nun der Augen-
schein ergeben musste, dass die Stücke zusammengekittet
waren, so soll darin eine Gewähr für die Richtigkeit jener
wunderbaren Ueberlieferung liegen, dass zwei Künstler an
verschiedenen Orten jeder eine Hälfte gearbeitet haben.
Betrachte ich jedoch die ganze Art, wie ähnliche Fabeln
sich zu bilden pflegen, so glaube ich zu einer ganz andern
Ansicht gelangen zu müssen. Weil nach der Ueberlieferung
zwei Künstler an dem Bilde gearbeitet hatten, so bil-
dete sich eben aus dem Umstande, dass es aus zwei
Stücken zusammengefügt war, die Sage: diese Stücke
seien auch ursprünglich von einander getrennt ausge-
führt worden.


Umfassende Nachweisungen hat Urlichs (S. 26 flgd.) über
den goldenen Weinstock und die goldene Platane
gegeben. „Jenen nennt Himerius bei Photius (p. 612 H.)
ein Werk des Theodoros aus Samos. Da nun der goldene
Kessel, welcher neben ihm in dem Schlafgemache der Könige
zu Susa aufbewahrt wurde, von Amyntas bei Athenäus
(XIV, 514 F) demselben Meister zugeschrieben wird, und
[390] sich beweisen lässt, dass beide Bäume, wahrscheinlich auch
das Mischgefäss, aus dem Palaste der lydischen Könige
herrührten und in ihren Verzierungen als Gegenstücke er-
scheinen, so dürfen wir mit Gewissheit auch in der Platane
die Arbeit des Theodoros erkennen.“ Wie sie in den Besitz
der Perserkönige kamen, lehrt uns als ältester Zeuge He-
rodot (VII, 27): ein Lyder Pythios, Sohn des Atys, hatte sie
dem Darius Hystaspis geschenkt. Dasselbe berichten Tzetzes
(Chil. II, 32) und Plinius (33, 137), so dass seine an einer
andern Stelle (33, 51) gegebene Nachricht, schon Cyrus
sei in den Besitz dieser Schätze gelangt, auf einem Irrthum
beruhen muss. Pythios aber war nach Urlichs Vermuthung
vielleicht ein Enkel des Krösos, nemlich ein Sohn jenes
Atys, welcher als verheiratheter Mann vor seinem Vater
Krösus starb (Herod. I, 34 sq.). Daher würde sich auch
sein Reichthum erklären, indem es nach der persönli-
chen Stellung des Krösus bei Cyrus und Darius wahrschein-
lich ist, dass ihm und seinen Nachkommen auch nach dem
Verluste des Reiches das Privatvermögen nicht entzogen
wurde.


Theodoros II,
ein Phokier, schrieb über den Tholos (ein bedecktes Rund-
gebäude) zu Delphi: Vitr. VII, praef. 12.


Theokydes,
einer der weniger bedeutenden Schriftsteller über Symmetrie:
Vitr. VII, praef. 14.


Tryphon,
Architekt aus Alexandrien, vereitelt den Erfolg der
Minen, welche bei einer Belagerung gegen Apollonia
geführt wurden, durch geschickt angelegte Gegenminen:
Vitr. X, 16, 10.


Tympanis.
„Der Scheiterhaufen des prachtliebenden ersten Dionysios
war so kostbar und kunstreich gewesen, dass Philistus ihn
nebst dem Begräbniss im zweiten Buche seiner Geschichten
ausführlich beschrieb (Theon. Progymn.), und Moschion er-
zählt bei Athenaeus (V, p. 206 d), dass Timaeus mit Be-
wunderung von ihm spreche.… Wenn nun Cicero (N. D.
III, 35) von Dionysios sagt: atque in suo lectulo mortum in
Tympanidis rogum illatus est, eine Stelle, woran sich die
[391] Conjecturalkritik so rathlos abgemüht hat, was ist natürlicher,
als den Meister des Werks zu verstehen, das seiner Natur
nach eine Zeit lang weltberühmt sein und den Namen des
Urhebers mit berühmt machen musste?“ Welcker im Rhein.
Mus. N. F. VI, S. 399.


Valerius.
Plinius bemerkt an der Stelle, wo er von dem Dache des
von Agrippa erbauten Diribitorium spricht (36, 102), dass
schon vor dieser Zeit Valerius, Architekt aus Ostia, bei den
Spielen des Libo zu Rom ein Theater bedeckt habe. Welcher
Libo hier gemeint sei, lässt sich nicht bestimmt entscheiden:
vielleicht L. Scribonius Libo, der Freund des Pompeius,
Cicero und Varro.


Varro.
Sofern von den in dieses Verzeichniss aufgenommenen Schrift-
stellern über Architektur einige nicht selbst Architekten ge-
wesen sein dürften, mag auch Terentius Varro hier aufge-
führt werden wegen seines Buches über Architektur, wel-
ches einen Theil der novem disciplinae bildete: Vitr. VII,
praef. 14.


Vitruvius,
der Verfasser der noch erhaltenen zehn Bücher über Archi-
tektur. Ob und wie weit die Zweifel an der Echtheit der-
selben begründet sein mögen, ist natürlich hier nicht der
Ort zu untersuchen, wo nur über sein Leben zu handeln ist,
soweit seine Schriften darüber Auskunft geben. Praenomen
und Cognomen des Vitruv wird in den meisten und ältesten
Handschriften gar nicht angegeben. In den spätern schwankt
das Praenomen zwischen M., C. und L., so dass eine Ent-
scheidung nicht wohl möglich ist. Als Cognomen findet
sich einigemal Cerdo: doch mag dasselbe daher entstanden
sein, dass man die veroneser Inschrift eines Architekten
L. Vitruvius Cerdo (s. u.) kannte und auf unsern Schrift-
steller übertrug, der aller Wahrscheinlichkeit nach Pollio
hiess. Zwar bieten dieses Cognomen ausser den ältesten
Ausgaben auch nur einige junge Handschriften; aber da er
dasselbe in dem Compendium architecturae führt, von wel-
chem wir eine Handschrift aus dem 8.—9. Jahrhundert be-
sitzen, so darf es wohl als hinlänglich gesichert betrachtet
werden. Dagegen mögen wir die Bezeichnung von Verona
[392] als seiner Vaterstadt in einer spätern Handschrift wieder auf
Rechnung der veroneser Inschrift setzen. — Die Zeit des
Vitruv ergiebt sich zuerst daraus, dass er dem Augustus sein
Werk dedicirt hat und zwar nach der Schlacht bei Actium
(723 d. St.), als seine Macht schon hinlänglich gesichert
war und er den Werken des Friedens seine Aufmerksamkeit
zuwenden konnte: I, praef. Bestätigt wird dies durch die
Thatsache, dass Vitruv mit der von ihm erbauten Basilica
zu Fano einen Tempel des Augustus verband (V, 1, 7), was
vor der Alleinherrschaft desselben nicht hätte geschehen
können. Zu genauerer Bestimmung dient sodann, dass
Vitruv (III. 3, 2) das Theater des Pompeius kurzweg das
steinerne nennt. Dies war nur möglich vor dem J. 741 d. St.,
indem damals zwei andere, das des Balbus und das des
Marcellus, ebenfalls aus Stein vollendet waren. Als aber
Vitruv dem Kaiser sein Werk dedicirte, war er ein ältlicher
Mann (II, praef. 4). Früher mit M. Aurelius, P. Numisius
und Cn. Cornelius bei der Verfertigung der Kriegsmaschinen
angestellt hatte er auf Verwendung der Schwester des Kai-
sers eine lebenslängliche Pension erhalten (I, praef. 2 u. 3).
Sein Geburtsjahr wird sich demnach etwa zwischen 670 und
680 der Stadt ansetzen lassen, womit vollkommen überein-
stimmt, dass er noch dem Caesar persönlich bekannt (1. praef. 2)
und mit Varro, Cicero und Lucrez umgegangen war (IX,
praef. 17), welcher letztere in den ersten Jahren des sieben-
ten Jahrhunderts starb.


Auf Vitruv hat man auch eine bei Baiae gefundene In-
schrift beziehen wollen:
VITRVVIO
ONI. ARCH
IIVS CLASSIC
IIG. B. M

Mommsen J. R. N, 2665. Allein Mommsen bemerkt, dass
hier nicht ARCHitectus, sondern ARCHigubernus zu er-
gänzen ist.


L. Vitruvius Cerdo
war der Architekt des erst im Anfange dieses Jahrhunderts
abgebrochenen „Arco de’ Gavj“ zu Verona, eines in Form
eines Triumphbogens aufgeführten Grabmonuments der Fa-
[393] milie der Gavier. Die auf ihn bezügliche, auf drei Seiten
wiederholte Inschrift lautet:
L. VITRVVIVS. L. L. CERDO
ARCHITECTVS

Maffei Verona illust. II, 2; III, 46; Rossini, archi trionfali
t. XIX. Der Gedanke, diesen Vitruvius für einen Freige-
lassenen des Schriftstellers zu halten, liegt an sich nahe;
und der Charakter seines Werkes scheint auch in chrono-
logischer Beziehung kein Hinderniss dieser Annahme zu
bilden. Allein eben so wenig lässt sich ein zwingender Be-
weis für dieselbe beibringen.


Xenaeos.
Unter seiner Leitung waren die Mauern von Antiochia ge-
baut worden, als diese Stadt zuerst durch Seleukos Ol. 119, 4
begründet wurde: Malalas p. 200 ed. Bonn. Sie bildete nur einen
Theil der später um das Dreifache erweiterten Stadt, welche
wegen ihrer Pracht und Regelmässigkeit vor allen im Alterthume
gepriesen ward. Dass man hierauf schon bei der ersten
Anlage bedacht gewesen, dürfen wir wohl mit Sicherheit
annehmen, wenn sich auch nicht nachweisen lässt, wie weit
es im Einzelnen der Fall war; vgl. Müller antiqq. Antioch.
I, 27 u. 49 flgd. — Von der Gründung Antiochia’s spricht
auch Tzetzes (Chil. VII, 117, v. 180): zum Beweise dafür,
dass nicht Antiochos, sondern Seleukos sie angelegt, beruft
er sich auf Attaeos, Perittas, Anaxikrates und Asklepiodoros,
welche von Seleukos zu κτισμάτων ἐπιστάταις ernannt worden
seien. Diese Männer sind uns sämmtlich unbekannt, und
wir brauchen sie keineswegs alle für Architekten zu halten,
wenn wir uns z. B. an das hinsichtlich der Gründung Alexan-
dria’s über Kleomenes Gesagte erinnern.


Xenokles
aus dem attischen Demos Cholargos baute einen Theil des
Demetertempels zu Eleusis: Plut. Per. 13: τὸ δ̕ ὀπαῖον ἐπὶ
τοῦ Ἀνακτόϱου .. ἐκοϱύφωσε; s. Koroebos. Von ihm verschieden
muss ein anderer Xenokles sein, welcher eine Brücke über
ein reissendes Wasser auf dem Wege zu einem Demeter-
tempel baute: Anall. I, 138, n. 56. Durch die Erwähnung
dieses Tempels, so wie durch den Umstand, dass Pausanias
[394] (I, 38, 5) den Kephisos in der Nähe von Eleusis reissend
nennt, werden wir allerdings an den attischen Künstler er-
innert. Allein er wird ausdrücklich Lindier genannt, womit
übereinstimmt, dass das auf ihn bezügliche Epigramm von
einer Handschrift, anstatt dem Simonides, dem Rhodier An-
tagoras (unter Antigonos Gonatas um Ol. 125) beigelegt wird.
Wir werden daher, sofern wir nicht annehmen wollen, dass
der geborene Lindier später attischer Bürger geworden,
lieber an einen Tempel und eine Brücke bei Rhodos denken
müssen.


Zenon,
Sohn des Theodoros. Bei dem Theater zu Aspendos in
Pamphylien, wohl dem am besten erhaltenen aus dem ganzen
Alterthume, haben sich einige fragmentirte Inschriften ge-
funden, denen zufolge es von Zenon erbaut war: Texier
descr. de l’Asie min. III, p. 244; Henzen Ann. dell’ Inst. 1852,
p. 163 sqq.; cf. C. J. gr. 4342 d. Nach der Weihinschrift,
welche des δόμος Σεβασιῶν gedenkt, so wie nach den Namen
der Weihenden, ist es wahrscheinlich, dass der Bau in die
Zeit des M. Aurel und L. Verus fällt.


[[395]]

Die Toreuten.


[[396]][[397]]

Einleitung.


Die Bildkunst in Metall nimmt zur Vollendung ihrer Werke
zwei wesentlich verschiedene Thätigkeiten in Anspruch: die
eine, die Plastik im engeren Sinne, hat es mit der Vorbe-
reitung des Metalls zum Gusse zu thun, die andere, die Tor-
eutik, mit der Bearbeitung des schon gegossenen Werkes.
Die erstere ist gewiss die geistig bedeutendere: denn die
künstlerische Idee muss schon im Modell in allen Haupt-
sachen bestimmte Gestalt gewonnen haben; die spätere tor-
eutische Behandlung vermag dieselbe nur in seltenen Fällen
und in geringem Umfange zu modificiren. Namentlich bei
Werken, welche auch äusserlich gewisse Dimensionen er-
reichen, bei den eigentlich statuarischen Werken, bleibt dem
Toreuten nächst der Reinigung des Gusses häufig nur übrig,
einzelne Formen schärfer zu bezeichnen oder mehr im Detail
auszuarbeiten. Anders gestaltet sich das Verhältniss in der
Praxis bei Arbeiten geringen Umfanges. Hier bietet der
Guss durchschnittlich so ungenügende Resultate, dass in den
meisten Fällen ein solches Werk seinen eigenthümlichen
Werth durchaus nur der Cisellirung verdankt. Darin ist es
begründet, dass die Toreutik, obwohl im Grunde nur ein
Theil der Erzbildnerei, doch auch auf Geltung als eine selbst-
ständige Kunst wenigstens in einem gewissen Umfange An-
spruch machen kann, und in der That wirklich gemacht hat.
In den Nachrichten der Alten erscheinen die Toreuten als
eine besondere Klasse von Künstlern; und zwar ist hinsicht-
lich ihrer der Sprachgebrauch noch strenger begrenzt worden.
Denn nicht etwa bezeichnet man so die Künstler kleiner
[398] Erzfiguren, bei denen trotz ihrer Kleinheit die Modellirung
vor dem Gusse doch immer eine hohe Bedeutung bewahrt,
sondern die Verfertiger von Arbeiten, welche ursprünglich
zu praktischem Gebrauch bestimmt sind und zu Kunstwerken
nur durch die kunstreiche Verzierung erhoben werden, wozu
namentlich alle die Geräthe und Gefässe gehören, welche
beim Opfer, beim Mahle und Gelage auch dem Auge des
Benutzenden einen Genuss bereiten sollen. So äusserlich
eine solche Beschränkung scheinen mag, so hat sie doch
ihren tieferen Grund. Denn an Arbeiten dieser Art hat der
Guss meist so geringen Antheil, dass er sogar häufig gänz-
lich ausser Betracht kommt und durch ein Treiben des Me-
talls mit dem Hammer ersetzt wird. Hiermit hängt es auch
zusammen, dass diese Künstler dem Silber als Material
weitaus den Vorzug gaben; denn abgesehen davon, dass
dieses Metall für Geräthe des Luxus als das passendste er-
scheint, ist es durch seine Feinheit und Dehnbarkeit gerade
für die toreutische Bearbeitung vorzugsweise geeignet.


Allerdings ist eine solche Beschränkung des Begriffes
der Toreutik nicht überall und zu jeder Zeit in gleicher
Strenge festgehalten worden; und namentlich sehen wir auch
hier wieder den Satz bestätigt, dass in den früheren Perio-
den die Ausübung mehrerer von einander getrennte Kunst-
zweige nicht immer eine nach den Personen streng geschie-
dene ist, sondern dass sich dieselben häufig in einer Hand
vereinigt finden. So, um von Daedalos zu schweigen, den
wir wegen einer vereinzelten Erwähnung nicht sogleich für
den Vertreter der Toreutik in der mythischen Zeit halten
dürfen, ist sogleich der Künstler, welchem die Erfindung des
Erzgusses beigelegt wird, Theodoros von Samos, durch
mehrere Werke berühmt, deren Verdienst nur auf der Ci-
sellirung beruhen konnte. Von Phidias heisst es nicht nur,
dass er die Toreutik (im weiteren Sinne) begründet, von
Polyklet, dass er sie durchgebildet; sondern es ist auch
bei beiden Meistern von einzelnen Proben der Cisellirung in
kleinem Maassstabe die Rede. Dasselbe gilt von Myron,
und Kalamis gehört sogar zu den Meistern in diesem Fache.
Von Kallimachos wird wenigstens ein toreutisches Werk
angeführt. Zwar sind die hierher gehörigen, meist aus der
römischen Kaiserzeit stammenden Nachrichten als in hohem
[399] Grade verdächtig bezeichnet worden (vgl. Friedländer: Ueber
d. Kunstsinn d. Römer, S. 35 flgd.), und in gewisser Weise
mit Recht: denn allerdings ist gewiss, dass im Kunsthandel
der Kaiserzeit mit falscher Anwendung berühmter Namen
der grösste Unfug getrieben worden ist. Von der Frage
über einzelne Erwähnungen muss aber nach meiner Ansicht
die andere Frage getrennt gehalten werden, ob von der-
artigen Arbeiten eines Phidias oder verwandter Künstler
überhaupt die Rede sein könne: und diese letztere sehe ich
keinen Grund zu verneinen. Denn einerseits setzt z. B.
schon die Auschmückung der chryselephantinen Kolosse eine
gründliche Kenntniss der Toreutik voraus, und bei dem ge-
rühmten Verdienste des Phidias und Polyklet um diese Kunst
können wir unmöglich annehmen, dass sie sich hier zur
Ausführung ausschliesslich nur fremder Kräfte bedient haben.
Andererseits aber ist uns eine Zahl von Künstlern be-
kannt, deren Thätigkeit in der statuarischen und zugleich in
der eigentlich toreutischen Kunst durchaus keinem Zweifel
unterworfen ist, so vor allen Euphranor, Boethos, dann Stra-
tonikos, Ariston, Eunikos, Hekataeos, Posidonios, Pasiteles
und endlich der Meister des neronischen Kolosses, Zeno-
doros. Ja nach unsern allerdings sehr dürftigen Nachrichten
liesse sich eher behaupten, dass überhaupt erst in der Zeit
des Phidias die Toreutik als selbstständiger Kunstzweig sich
von der Erzbildnerei abzulösen begonnen habe. Am schärf-
sten tritt dies an der Persönlichkeit des Mys hervor, der,
nach Entwürfen des Parrhasios arbeitend, seinen Ruhm aus-
schliesslich in der Ausführung sucht. Mit ihm etwa gleich-
zeitig mag Mentor thätig gewesen sein, der berühmteste
der Toreuten des Alterthums. Aber dass in der glänzend-
sten Blüthezeit der Kunst nur zwei Meister zu hohem An-
sehen gelangen, kann uns zugleich darauf hinweisen, wie
damals die selbstständige Ausübung der Toreutik noch keine
sehr ausgebreitete sein mochte; und vielleicht ist es nicht
zufällig, wenn Plinius die Werke der vier ersten Meister,
des Mentor, Akragas, Boethos und Mys, als in Tempeln auf-
bewahrt erwähnt. Es würde daraus hervorgehen, dass auch
dieser Kunstzweig ursprünglich nicht sowohl dem Luxus
des Privatlebens, als heiligen Zwecken gedient habe. Ueber
des Akragas Zeit sind wir freilich völlig im Ungewissen;
[400] und über Boethos liess sich sicher nur ausmachen, dass
er nicht später, als etwa im Anfange des zweiten Jahrhun-
derts v. Ch. G. gelebt habe. Doch hindert uns nichts, ja
die mehrfache rühmliche Erwähnung bei Plinius, Cicero und
Pausanias giebt uns fast das Recht, ihn in eine ältere Zeit,
etwa die des Alexander hinaufzurücken. In dieser aber
kann die Stellung der Toreutik kaum eine andere gewesen
sein, als in der Periode des Phidias. Denn einzig von
Euphranor wird berichtet, dass er bei seiner sonstigen
Vielseitigkeit auch in diesem Kunstzweige Ausgezeichnetes
geleistet habe. Erst die Zeit der Diadochen scheint hier
einen Umschwung bewirkt zu haben. Zwar vermögen wir
in dieselbe mit voller Sicherheit ebenfalls nur wenige Künst-
ler, etwa Stratonikos, Alkon und Apelles, zu setzen;
aber wenn wir auch die lockere Zusammenstellung der be-
rühmtesten Toreuten bei Plinius (33, 156) keineswegs für
eine streng chronologische halten dürfen, so lässt doch z. B.
der Umstand, dass, wie Stratonikos aus Kyzikos, so Ari-
ston
und Eunikos aus Mytilene und Posidonios aus
Ephesos stammen, darauf schliessen, dass diese Männer eben
so wie durch ihre Geburt, so auch durch ihre ganze Thätig-
keit in die Zeit eines regen Kunstlebens in Kleinasien fallen;
und ein solches finden wir dort gerade in der Periode
der Diadochen. Bei andern Künstlern werden wir ferner
durch die ganze Kunstrichtung auf dieselbe Zeit hingeführt:
das Prunken mit der raffinirtesten Technik in den Arbeiten
des Kallikrates und Myrmekides und kaum weniger in
den Magiriscia des Pytheas erklärt sich in ihr hinlänglich
durch die Vergleichung verwandter Erscheinungen auf dem
Gebiete der Kunst sowohl, als des übrigen Geisteslebens,
während es in jeder früheren Periode als eine Abnormität
dastehen würde. Endlich aber waren damals auch die
äusseren Verhältnisse der selbstständigeren Entwickelung
der Toreutik vorzugsweise günstig, indem von den Königs-
höfen aus der Luxus im Privatleben sich in immer weiteren
Kreisen verbreitete, und deshalb auch an die Kunst in um-
fassenderem Maasse die Forderung gestellt wurde, zum
Schmuck und zur Verschönerung des Lebens behülflich zu
sein. Dieses Verhältniss dauerte zwar auch in Rom, als es
Griechenland unterjocht hatte, noch fort; von den berühmten
[401] Caelatoren bei Plinius gehört wenigstens einer, nemlich
Pasiteles, sicher der römischen Periode, dem letzten Jahr-
hundert der Republik an; vielleicht auch Teucer, sofern
die Bezeichnung crustarius als eine eigenthümlich römische
auf einen Künstler römischer Zeit hinzudeuten scheint. Aber
gerade auf seine Erwähnung folgt bei Plinius die Bemerkung,
wie diese Kunst plötzlich in Verfall gerathen sei und man
ihre Werke nur noch nach dem Alter schätze, so dass vom
Gebrauche ganz abgeriebene Arbeiten, an denen kaum eine
Figur zu erkennen, in besonderem Ansehen ständen. Belege
für die Richtigkeit dieser Angabe liefern die lateinischen
Dichter, namentlich Martial, in reichlichem Maasse. Was
man noch weiter arbeitete, mochten meist Copien sein: im
besten Falle solche, wie die, welche Zenodoros, der
Künstler des neronischen Kolosses, nach den Originalen
des Kalamis anfertigte; häufiger vielleicht aber förmliche
Fälschungen, durch welche die Unwissenheit und Leicht-
gläubigkeit der reichen Römer getäuscht werden sollte, bis
endlich auch diese affectirte Kunstliebe einer neuen Mode,
der Bewunderung des Geschirres aus kostbareren Stoffen und
Steinarten, weichen musste.


Die selbstständige Blüthe der Toreutik bildet also eigent-
lich nur eine Episode in der Geschichte der griechischen
Kunst. Aber auch nur diese in ihren wesentlichsten Eigen-
thümlichkeiten zu schildern oder in ihr den Einfluss bedeu-
tender Persönlichkeiten bestimmter nachzuweisen, mangeln
uns hinlängliche Hülfsmittel. Wir müssen uns daher be-
gnügen, die Nachrichten über die einzelnen Künstler in
einem alphabetischen Verzeichnisse derselben zusammenzu-
stellen.


Alphabetisches Verzeichniss.


Akragas
gehört nach Plinius (33, 154 — 155) zu den nächst Mentor
am meisten gefeierten Cälatoren des Alterthums. Er führt
von ihm als zu Rhodos im Tempel des Dionysos befindlich
Becher mit der Darstellung von Kentauren und Bakchantinnen
an, und erwähnt als gleichfalls sehr berühmt Becher mit
Jagddarstellungen.


Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 26
[402]

Alcimedon.
Bei Virgil in den Eclogen (III, 36 sqq.) lesen wir folgende
Verse:


M. … pocula ponam

Fagina, caelatum divini opus Alcimedontis:

Lenta quibus torno facili superaddita vitis

Diffusos hedera vestit pallente corymbos.

In medio duo signa: Conon, et, quis fuit alter,

Descripsit radio totum qui gentibus orbem,

Tempora quae messor, quae curvus arator haberet?

Necdum illis labra admovi, sed condita servo.

D. Et nobis idem Alcimedon duo pocula fecit,

Et molli circum est ansas amplexus acantho;

Orpheaque in medio posuit, silvasque sequentes.

Necdum illis labra admovi, sed condita servo.

Mit einer rein poetischen Fiction haben wir es in diesen
Versen schwerlich zu thun: der Beschreibung liegt offenbar
die Anschauung wirklich vorhandener Kunstwerke zu Grunde.
Aber wenn auch Alcimedon der Name eines wirklichen
Künstlers sein könnte, so ist dies doch keineswegs noth-
wendig. Fassen wir vielmehr ins Auge, wie Virgil in diesen
Gedichten von Augustus und andern Personen unter er-
dichtetem Namen spricht, so erscheint es sehr wohl möglich,
dass er auch hier einen zu seiner Zeit berühmten Künstler
unter dem angenommenen Namen des Alcimedon feiert.


Alkon.
Ich habe (Th. I, S. 466) die Vermuthung aufgestellt, dass
der Bildgiesser Alkon, welcher einen eisernen Herakles aus-
führte, identisch sei mit dem Toreuten, dessen in dem pseudo-
virgilischen Culex (v. 66) und bei Athenaeus in folgender
Stelle (XI, p. 469 A) gedacht wird: Ἐλέφας, οὕτως ἐκαλεῖτο
ποτήϱιόν τι, ὡς Δαμόξενός φησιν ἐν Αὑτὸν πενϑοῦντι.


Εἰ δ̛ οὐχ ἱκανόν σοι, τὸν ἐλέφανϑ̛ ἥκει φέϱων

ὁ παῖς. Β. τί δ̛ ἐστὶ τοῦτο, πϱὸς ϑεῶν; Α. ῥυτὸν

δίκϱουνον, ἡλίκον τι τϱεῖς χωϱοῦν χόας,

Ἄλκωνος ἔϱγον. πϱοὔπιεν δέ μοί ποτε

ἐν κυψέλοις Ἀδαῖος.

Wegen der Erwähnung des Damoxenos und Adaeos
konnte der Künstler nicht später als in den Beginn der
[403] alexandrinischen Epoche gesetzt werden. Erst nachträglich
bin ich auf eine Stelle in Ovids Metamorphosen (XIII, 681 sqq.)
aufmerksam geworden, in welcher ein Mischgefäss mit einer
Darstellung der Todtenfeier der Menippe und Metioche be-
schrieben wird, das von Anius dem Aeneas geschenkt worden
sei. Als Künstler desselben wird Alkon aus Mylae genannt.
Die Commentatoren dieser Stelle haben nun wegen dieser
Erwähnung auch den Alkon bei Pseudo-Virgil und Athenäus
für einen mythischen Künstler erklären wollen. Doch fragt
es sich, ob nicht vielmehr bei Ovid ein Anachronismus vor-
auszusetzen ist. Der dargestellte Gegenstand ist durch den
Zusammenhang der Erzählung so wenig motivirt, dass seine
Wahl nur durch die Annahme erklärt wird: Ovid habe ein
unter seinen Augen befindliches Kunstwerk beschrieben.
Auch die Angabe der ziemlich unbedeutenden Vaterstadt des
Künstlers (in Sicilien oder in Thessalien) spricht mehr für
eine historische, als für eine mythische Persönlichkeit. End-
lich aber haben ähnliche Anachronismen bei einem Dichter
wie Ovid nichts Auffälliges.


Antipater.
Nach der früheren Schreibung des Textes bei Plinius (33, 155)
ward Antipater nur kurz neben Calamis als einer der be-
rühmtesten Caelatoren erwähnt. Die bamberger Handschrift
lehrt uns dagegen, dass ihm, nicht dem Stratonikos, jener
Satyr beigelegt ward, von dem es in epigrammatischer Weise
heisst, dass der Künstler ihn scheine: in phiala gravatum somno
conlocavisse verius quam caelasse: also ein Werk, welches we-
gen seiner Naturwahrheit uns an den sogenannten barberinischen
Faun in München erinnern muss.


Apelles.
"Einen Toreuten Apelles, einen sehr gelehrten Künstler,
wie es scheint, findet man bei Athenaeus (XI, p. 488 C. D);
er war ein Zeitgenosse des Asklepiades von Myrlea, den
Vossius (de hist. gr. p. 118) unter Ptolemaeos Epiphanes,
den Nachfolger des Ptolemaeos Philopator setzt, und der
von Ol. 144, 1 — Ol. 147, 4 (204 — 181 v. Ch.) herrschte.
Es beschäftigte sich dieser Toreut mit der Darstellung des
vielbestrittenen nestorischen Bechers in der Ilias:" Toelken
in der Amalthea III, S. 128.


26 *
[404]

Ariston,
aus Mitylene, von Plinius (34, 85) auch unter den tüchtigen,
aber nicht hervorragenden Bildhauern angeführt, scheint ei-
nes grösseren Rufes als Toreut sich erfreut zu haben: Plin.
l. l. und 33, 156.


Athenokles
wird von Athenaeus zweimal als ausgezeichneter Toreut ge-
nannt: p. 781 E und 782 B (1035 u. 1037 Dind.).


Avianius Euander, s. Th. I, S. 547.


Boethos.
Ueber ihn, einen der berühmtesten Toreuten des Alterthums,
ist bereits Th. I, S. 500 gehandelt worden. Hier sei zur
Berichtigung nur bemerkt, dass die Erwähnung des Boethos
in dem pseudovirgilischen Gedichte Culex (v. 66) auf einer
falschen Lesart beruht. Ueber die Bestimmung seiner Zeit
vgl. die Einleitung zu diesem Kapitel.


M. Canuleius Zosimus.
Von ihm heisst es in seiner Grabschrift (Grut. p. 639, 12):
HIC. ARTE. IN. CAELATVRA. CLODIANA. EVICIT.
OMNES, womit eine Stelle des Plinius (33, 139) zu verglei-
chen ist, in welcher dieser über den Wechsel der Moden auch
in Betreff des Silbergefässes klagt: vasa ex argento … nunc
Furniana, nunc Clodiana, nunc Gratiana … quaerimus. Diese
Zusammenstellung könnte allerdings auf den Verdacht füh-
ren, dass die Inschrift erst den Worten des Plinius ihren
Ursprung verdanke; indessen erscheint die Quelle, aus wel-
cher sie stammt, in keiner Weise verdächtig.


Daedalos, s. Th. I, S. 20.


Daesias,
möglicher Weise ein Toreut, da nach einem Fragmente aus
den „Fischen“ des Archippos, eines Dichters der alten Co-
mödie, bei ihm ein Kyathos gekauft wird: Athen. X, p.
424 B.


Damokrates,
Verfertiger rhodischer Becher: Athen. XI, p. 500 B.


Diodoros.
Auf ihn bezieht sich ein Epigramm des Plato (Anall. I, p.
172, n. 16):
Τὸν Σάτυϱον Διόδωϱος ἐκοίμισεν, οὐκ ἐτόϱευσεν.
Ἢν νύξης, ἐγεϱεῖς, ἄϱγυϱος ὕπνον ἔχει.

[405] Das Lob ist also dasselbe, welches Plinius dem Satyr des
Antipater ertheilt; wegen seiner gesuchten Pointe aber
möchte es weit eher der alexandrinischen Epoche, als der
Zeit des Philosophen Plato angehören, der überhaupt wohl
schwerlich Epigramme gedichtet hat; was uns auch hindert,
den Diodor etwa für identisch mit dem gleichnamigen Schü-
ler des Kritios (s. Th. I, S. 105) zu halten.


Eunikos
aus Mitylene. Von ihm gilt ganz dasselbe, was über seinen
Landsmann Ariston bemerkt ist.


Euphranor,
der berühmte Bildhauer und Maler, cisellirte auch Becher:
Plin. 35, 128.


Hedystratides,
von Plinius (33, 156) unter den berühmtesten Caelatoren
wegen seiner Darstellungen von Schlachten und Bewaffneten
angeführt. Der Name Hedystratides, welchen Sillig in seiner
Ausgabe des Plinius aufgenommen hat, schliesst sich enger
an die besten Handschriften an, als Leostratides, wie er im
Catalogus artificum geschrieben hatte. Die Zeitangabe bei
Plinius „circa Pompei Magni aetatem“ bezieht sich wohl nur
auf Pasiteles, nicht auf die nach ihm angeführten Künstler.


Hekataeos
wird von Plinius zweimal mit Ariston und Eunikos zusam-
men erwähnt.


Kalamis,
der bekannte Bildhauer, wird von Plinius (33, 155) unter
den berühmtesten Caelatoren genannt. Zwei Becher von
seiner Hand waren von Germanicus seinem Lehrer Cassius
Silanus geschenkt worden und so in den Besitz seines
Neffen Dubius Avitus gelangt, bei welchem sie von Zenodo-
ros, dem Künstler des neronischen Kolosses, mit grosser
Meisterschaft copirt wurden.


Kallikrates
wird gewöhnlich mit Myrmekides zusammen genannt, so dass
hier über beide gemeinschaftlich zu handeln ist. Ersterer
nun heisst consequent Lakedämonier: Aelian V. H. I, 17;
Galen πϱοτϱεπτ. π. τ. τέχν. 9, I, p. 20 Kühn; Athen. XI,
782 D (p. 1037 Dind.); Schol. Dion. Thrac. ap. Bekk. anecd.
II, p. 651; Myrmekides dagegen Athener bei Galen und in
[406] den Scholien zu Dionys, oder Milesier bei Aelian und Athe-
näus, welche letztere Angabe sich mit der ersteren vielleicht
durch die Annahme vereinigen lässt, dass er aus dem atti-
schen Demos Milet stammte (vgl. C. J. gr. zu n. 692). Die
Verschiedenheit des Vaterlandes beider Künstler giebt uns
die Gewissheit, dass wir es wirklich mit zwei Personen zu
thun haben, während in den weiteren Nachrichten Manches
auf die auch gelegentlich schon ausgesprochene Vermuthung
leiten könnte, dass etwa Myrmekides (der Ameisenbildner)
nur ein Beiname des Kallikrates sei. Namentlich ist es eine
Arbeit, bei welcher fast regelmässig von beiden Künstlern
die Rede ist, ein Viergespann nebst Lenker von solcher
Kleinheit, dass es durch die Flügel einer zugleich gefertigten
Fliege ganz bedeckt wurde: Plut. adv. Stoicos p. 1083 D.
Aelian l. l. Schol. Dion. l. l.; nur Plinius (7, 85; 36, 43) nennt
Myrmekides allein. Ob nun beide gemeinschafilich daran
thätig gewesen oder ob jeder für sich denselben Gegenstand
behandelt, lässt sich nicht entscheiden. Sehr wohl möglich
und auch wahrscheinlich ist das Letztere: denn bei ähnlichen
Kunststücken der Technik werden häufig verschiedene
Künstler in der Lösung nicht verwandter, sondern identi-
scher Aufgaben mit einander wetteifern. So lässt Aelian
Distichen, Plutarch homerische Verse mit goldenen Buch-
staben auf ein Sesamkorn von beiden Künstlern geschrieben
sein; und während der Name des Myrmekides als Beiname
gefasst uns unwillkürlich auf die Darstellung von Ameisen
hinweist, wird die Bildung dieser und ähnlicher Thiere von
Plinius dem Kallikrates beigelegt. Berühmter, vielleicht weil
er zuerst die Technik in solcher Weise verfeinerte, scheint
Myrmekides gewesen zu sein. Zwar wird ein Werk, ein
Schiff, welches durch die Flügel einer Biene verdeckt wurde,
von Plinius dem Kallikrates allein zugesprochen. Dagegen
erscheint Myrmekides allein als Repräsentant dieser Kunst-
richtung bei Varro de l. l. VII, 1; Cicero qu. Acad. IV, 38;
Julian orat. III, p. 208 und Suidas s. v. γέλοιος. Wir ver-
mögen indessen über dieses Verhältniss nichts Sicheres zu
bestimmen, da uns die Nachrichten der Alten weiter auch
über die Zeit der beiden Künstler völlig im Ungewissen las-
sen, wenn auch das Raffinement ihrer Technik uns vor
allem auf eine Periode der vollendeten Kunstbildung, also
[407] etwa die alexandrinische, hinzuweisen scheint. Ueber ihre
Kunstrichtung kann nach den bereits angeführten Nachrich-
ten kein Zweifel sein. Denn mögen sie, wie aus ihrer
Erwähnung unter den berühmtesten Toreuten bei Athenäus
hervorzugehen scheint, auch Cisellirungen der gewöhnlichen
Art ausgeführt haben, so beruht doch ihr Ruf fast aus-
schliesslich auf der μικϱοτεχνία, welche freilich mit Recht zu-
weilen als ματαιοτεχνία bezeichnet und verspottet wird. Durch
die Technik war natürlich auch das Material bedingt, dessen
sie sich bedienten. Dass es Marmor gewesen, wie Plinius
an einer Stelle (36, 43) und aus ihm Apuleius (de orthogr.
p. 12 Osann) angiebt, ist ein Irrthum, den Plinius selbst in-
direct widerlegt, indem er 7, 85 von Elfenbein spricht. Das
Elfenbein erwähnt auch Varro mit der Bemerkung, dass
man, um die Feinheit der Ausführung zu erkennen, die Ar-
beiten in diesem Stoffe auf schwarze Seide legte. Doch
herrscht auch hier keine volle Uebereinstimmung. In den
Scholien zu Dionys und bei dem Grammatiker Theodosius
(p. 54 eil. Göttling), wo nur die Namen der Künstler über-
gangen sind, wird der bekannte (nach ihnen von einer Fliege
gezogene) Wagen als aus Eisen oder Erz gebildet be-
zeichnet, und aus Erz haben wir uns auch den Wagen in
der Hand der Statue des Theodoros bei Plinius (34, 83) zu
denken, in welchem Boeckh (C. J. gr. I, p. 872) mit grosser
Wahrscheinlichkeit ein Werk unserer Kleinkünstler zu er-
kennen glaubt. Alle diese Widersprüche und Ungenauigkei-
ten in den Nachrichten der Alten werden wir uns am besten
dadurch erklären, dass diese selbst die ganze Sache einer
ernsten Aufmerksamkeit nicht würdig erachtet und sie daher
stets nur in einer Weise berührt haben, wie man von ähn-
lichen Curiositäten wohl im gewöhnlichen Leben zu spre-
chen pflegt.


Kallimachos,
der athenische Bildhauer (Th. I, S. 251) mag wegen der
goldenen Lampe und der über ihr sich erhebenden Palme
im Erechtheum (Paus. I, 26, 7) auch unter den Toreuten er-
wähnt werden.


Kimon
wird von Athenaeus X, p. 781 E neben Athenokles als be-
rühmter Toreut angeführt.


[408]

Konon,
Toreut oder Töpfer, da eine Kylixart nach ihm benannt
wurde, wie Athenäus (XI, p. 478 B, vgl. 486 C.) aus Istros,
einem Schüler des Kallimachos und Zeitgenossen des Ptole-
maeos Euergetes, anführt.


Krates,
berühmter Toreut nach Athenäus (XI, p. 782 B; p. 1037
Dind.).


Leostratides, s. Hedystratides.


Lykios, s. Th. I, S. 260.


Mentor,
nach Plinius (33, 154) der berühmteste unter allen Caelatoren
des Alterthums. Dass seine Hauptwerke sich einst in den
Tempeln der ephesischen Artemis und des capitolinischen
Juppiter befanden, berichtet Plinius ausser an der angeführten
noch an einer andern Stelle: VII, 127. Wenn nun dieselben
beim Brande dieser Tempel zu Grunde gingen, wie Plinius
sagt, so musste Mentor vor Ol. 106, 4 leben und gehört
demnach der besten Zeit der griechischen Kunst an. Auf-
fallend ist die Angabe: quattuor paria ab eo omnino facta
sunt. Da jedoch an omnino, welches in allen Handschriften
feststeht, schwerlich etwas zu ändern sein möchte, so dürfen
wir mit Sillig bei Plinius wohl nur die Absicht voraussetzen,
vier Paare von Bechern als besonders berühmt hervorzu-
heben. Er selbst erwähnt gleich darauf noch eine Erzstatue
von diesem Künstler, die sich im Besitze des Varro be-
funden haben sollte, und kurz vorher (33, 147) spricht er
von zwei Scyphi des Mentor, welche der Redner Lucius
Crassus für hundert tausend Sestertien gekauft, aber nach
seinem eigenen Geständniss aus Achtung vor ihrem Kunst-
werthe nie zu benutzen gewagt habe. Nach Cicero (Verr.
IV, 18, §. 38) besass ein gewisser Diodor in Lilybaeum
zwei ausgezeichnete therikleische Becher von Mentors Hand,
welche Verres ihm abzunehmen trachtete. Eine Schale des
Mentor beschreibt Martial III, 41: eine auf ihr dargestellte
Eidechse schien zu leben und man scheute sich, das Silber
zu berühren. — In griechischen Quellen wird Mentor
nur ein einziges Mal erwähnt, nemlich bei Lucian (Lexiphan. 7):
ποτήϱια δὲ ἔκειτο παντοῖα ἐπὶ τῆς δελφινίδος τϱαπέζης, ὁ κϱυψι-
μέτωπος καὶ τϱυήλης μεντοϱουϱγὴς εὐλαβῆ ἔχων τὴν κέϱκον, wozu
[409] der Scholiast ungenau bemerkt, Mentor sei ein Glasarbeiter
gewesen. Desto gefeierter ist sein Name bei den Römern,
wovon ausser den angeführten Stellen Zeugniss ablegen:
Varro fragm. Agath. 261 ed. Bip.; Properz 1, 14, 2; Ju-
venal VIII, 104; Martial IV, 39; VIII, 50; IX, 59; XIV, 91.
Aber alle diese Erwähnungen lehren uns über das eigen-
thümliche Verdienst seiner Kunst nichts Näheres. Nur die
Verse bei Properz III, 7, 12 sq.:
Argumenta magis sunt Mentoris addita formae:
Myos exiguum flectit acanthus iter

zeigen, dass die Bewunderung seinen Werken in noch höhe-
rem Maasse wegen der Auffassung, als wegen der blossen
Ausführung zu Theil wurde.


Myrmekides, s. Kallikrates.


Myron,
s. Th. I, S. 145, wo als Gewährsmann für den Ruhm des
Myron als Toreuten nur noch Martial IV, 39 u. VIII, 51
anzuführen war.


Mys.
Auf dem Schilde der grossen ehernen Pallas des Phidias
auf der Akropolis zu Athen war unter andern Darstellungen
die Schlacht der Lapithen und Kentauren in cisellirter Arbeit
gebildet. Ausgeführt war dieselbe von Mys nach den Ent-
würfen des Parrhasios, der diesem Künstler auch zu seinen
übrigen Werken die Zeichnungen geliefert haben soll. So
berichtet Pausanias I, 28, 2; und seine Angabe wird be-
stätigt durch Athenaeus (XI, p. 782 B, p. 1037 Dind.,
welcher die Insehrift eines herakleotischen Bechers mit einer
Darstellung der Zerstörung Ilions anführt:
Γϱαμμὰ Παϱϱασίοιο, τέχνα Μυός, ἐμμὶ δὲ εἰκών
Ἰλίου αἰπεινᾶς, ἃν ἕλον Αἰακίδαι.

(Γϱαμμά für γϱάμματα, εἰκών für ἔϱγον: Meineke: Exerc. in
Athen. Deipnos. specim. II, 1846.)


Die chronologische Schwierigkeit, welche man bisher
darin zu erblicken glaubte, dass Mys an einem Werke des
Phidias und doch nach den Zeichnungen des Parrhasios
arbeitet, habe ich bei Gelegenheit des Letzteren (Th. II,
S. 98) zu beseitigen gesucht. Von seinen Werken lernen
wir aus Plinius (23, 155) noch Silene und Amoren kennen,
die im Tempel des Dionysos zu Rhodos aufbewahrt wurden.
[410] Unter allgemeinen Lobsprüchen, wie bei Martial (VIII, 33;
XIV, 93), verdienen besonders nur die unter Mentor ange-
führten Verse des Properz hervorgehoben zu werden. Denn
sie bestätigen, was sich schon aus der Abhängigkeit des
Künstlers von Parrhasios schliessen liess, dass das Haupt-
augenmerk seiner Kunst auf die Ausführung gerichtet war.


Parthenius.
Silberne Schüsseln, von der Hand des Parthenius gefertigt,
werden bei Juvenal (XII, 44) als eine grosse Kostbarkeit
bezeichnet. Der Scholiast bemerkt: Parthenius caelatoris
nomen.


Pasiteles, s. Th. I, S. 595.


Phidias, s. Th. I, S. 187 und die Einleitung zu diesem
Kapitel.


Polyklet, s. Th. I, S. 216.


Posidonius
aus Ephesos, wird von Plinius 33, 156 als ausgezeichneter
Caelator und 34, 87 als Erzbildner, der Statuen von Athle-
ten, Bewaffneten, Jägern und Opfernden gearbeitet, an-
geführt.


Praxiteles.
Von ihm und Skopas als Caelatoren ist bei Martial IV, 39
die Rede: und zwar in einer Weise, dass es dabei dem
Dichter auf strenge Wahrheit schwerlich ankam, indem er
vielmehr die thörichte Sucht seiner Zeitgenossen verspottet,
mit dem Besitz von Werken berühmter Meister, sei es echten
oder unechten, zu prahlen. Nicht viel anders verhält es
sich mit einer Erwähnung bei Theokrit (V, 105):
Ἐνιὶ δέ μοι γαυλὸς κυπαϱίσσινος, ἐντὶ δὲ κϱατήϱ,
Ἔϱγον Πϱαξιτέλευς.

Denn hier hat der Dichter offenbar nur, um das Werk als
vorzüglich zu bezeichnen, den Namen eines berühmten
Künstlers gewählt. Zwar will der Scholiast zu diesen Ver-
sen den älteren bekannten Bildhauer als ἀνδϱιαντοποιὶς von
einem jüngeren ἀγαλματοποιὸς als Zeitgenossen des Theokrit
scheiden; allein dieser jüngere verdankt sicherlich erst den
Versen des Dichters seinen Ursprung.


Pytheas
wird von Plinius (33, 156) zuerst wegen eines einzelnen
Werkes angeführt, einer Schale mit der Darstellung des
[411] Odysseus und Diomedes beim Raube des Palladion, welche,
nur zwei Unzen schwer, einmal mit 10,000 Denaren, (1?
Talenten) bezahlt worden war. Ausserdem aber spricht
Plinius von einer ganzen Gattung von Darstellungen, durch
welche sich Pytheas bekannt gemacht: fecit idem et cocos
magiriscia appellatos parvolis potoriis. Wir haben es hier
mit einem griechischen Kunstausdruck zu thun, welcher
durch die Uebersetzung „Köche“ nur mangelhaft wiederge-
geben wird. Offenbar handelt es sich um recht eigentliche
Genrebildchen in dem uns geläufigen Sinne des Wortes,
und zwar, vielleicht weil sie zur Verzierung von Trinkge-
fässen bestimmt waren, in einer absichtlichen Beschränkung
auf Darstellung dessen, was auf Essen und Trinken Bezug
hatte. Die Kunstrichtung des Pytheas entspricht also ziem-
lich genau derjenigen, welche in der Malerei von den Grie-
chen als Rhopographie bezeichnet wurde und besonders in
den Werken des Peiraeikos ihre Ausbildung erhielt (vgl. S.
259). In anderer Beziehung lässt sich Pytheas passend mit
Kallikrates und Myrmekides vergleichen: seine Arbeiten wa-
ren nemlich von einer solchen Feinheit und Subtilität der
Ausführung, dass sich nicht einmal Abdrücke davon nehmen
liessen. So grosse Kunstfertigkeit sich also an ihnen zei-
gen mochte, so werden wir doch nicht umhinkönnen, in Hin-
blick auf die höheren Forderungen der Kunst und im Sinne
der Griechen den Pytheas den ματαιότεχνοι beizuzählen.


Skopas, s. Praxiteles.


Stratonikos, s. Th. I, S. 443.


Tauriskos,
von Plinius 33, 156 unter den ausgezeichnetsten Caelatoren
angeführt, wird an einer andern Stelle: 36, 33 von dem be-
kannten Bildhauer aus Tralles ausdrücklich unterschieden.


Teukros.
Am Schlusse der Aufzählung berühmter Caelatoren erwähnt
Plinius 33, 157 noch, dass auch Teucer in dieser Kunst zu
Ansehen gelangt sei. Durch die Bezeichnung crustarius ler-
nen wir ihn als einen Künstler sogenannter Emblemata ken-
nen: Relieffiguren, welche isolirt gearbeitet erst nach ihrer
Vollendung auf Schalen, Becher u. s. w. aufgesetzt wurden.


Theodoros,
s. Th. I, S. 35 flgd. und unter den Architekten.


[412]

Therikles.
Ueber diesen angeblichen Erfinder der sogenannten theriklei-
schen Becher verweise ich auf die ausführliche Darlegung
von Welcker: Kl. Schr. III, S. 499 flgd.


Zenodoros, s. Th. I, S. 603.


Zopyros.
Zum Beweise seines Ruhmes führt Plinius (33, 156) an, dass
zwei Becher von ihm mit Darstellungen der Areopagiten und
des Urtheils über Orestes auf 12,000 Sestertien geschätzt
wurden. Wir finden denselben Gegenstand auf einem Silber-
gefässe des Palastes Corsini in Rom gebildet (Winckelmann
Mon. in. n. 151), und es ist daher wohl möglich, dass wir darin
eine Copie nach Zopyros besitzen.


[[413]]

Die Münzstempelschneider.


[[414]][[415]]

Einleitung.


Bei den Schriftstellern der Alten finden sich über die
Münzstempelschneider nicht die geringsten Nachrichten. Da
es aber wenig glaublich schien, dass die Künstler dieser zum
Theil so vorzüglichen Arbeiten nicht auf irgend eine Weise
für ihren Nachruhm sollten gesorgt haben, so blieb nur zu
vermuthen übrig, dass dies durch Zeichen oder Inschriften
auf den Münzen selbst geschehen sei. Eine solche Ver-
muthung war auch wohl schon früher in vereinzelten Fällen
ausgesprochen worden, aber ohne dass daraus allgemeinere
Consequenzen gezogen wurden. Selbst als unter Anführung
mehrfacher Belege der Herzog von Luynes sich in diesem
Sinne zu äussern Gelegenheit nahm, geschah dies doch nur
beiläufig: Ann. dell’ Inst. II, p. 85 — 86. Erst Raoul-Ro-
chette war es, der in seiner Lettre à M. le Duc de Luynes
sur les graveurs des monnaies grecques (Paris 1831) diese
Frage einer ausführlichen Erörterung unterwarf, indem er
zugleich eine grosse Zahl der nach seiner Meinung mit den
Namen von Stempelschneidern bezeichneten Münzen in Ab-
bildungen mittheilte. (Auf sie beziehen sich die in der Folge
einfach mit R. R. angeführten Citate). Seine Arbeit ward
besonders in Deutschland in Recensionen mehrfach bespro-
chen, und zwar in dem Sinne, dass die von ihm aufgestell-
ten Principien im Ganzen als richtig anerkannt wurden und
sich die Einwendungen nur gegen eine missbräuchliche An-
wendung derselben in einzelnen Fällen richteten. Später,
als R. Rochette in der zweiten Auflage seiner Lettre à Mr.
Schorn die Nachträge zu Sillig’s Catalogus zusammenstellte,
fanden darin auch die Münzstempelschneider Aufnahme, und
[416] es bot sich dadurch dem Verfasser die Gelegenheit, mit
Rücksicht auf jene Winke das gesammte Material nochmals
einer Revision im Einzelnen zu unterziehen. Diese Arbeit
bildet durchweg die Grundlage der folgenden Zusammenstel-
lung, indem seit jener Zeit wohl einzelne, an sich recht
schätzbare Nachträge erschienen sind, die Frage in ihrer
Gesammtheit aber nicht wieder behandelt worden ist. Auch
hier werden die von ihm entwickelten obersten Grundsätze,
so weit sie bisher eine wohl allgemeine Billigung erfahren
haben, als feststehend angenommen werden. Durch die
durchgehende Prüfung ihrer Anwendung in allen einzelnen
Fällen wird es sich jedoch zeigen, dass die von R. Rochette
aus ihnen gewonnenen Resultate in manchen Punkten eine
nicht unwesentliche Modification erfahren müssen.


Die Basis für die Untersuchungen über die Stempel-
schneider gewährte, als R. Rochette seine Untersuchungen
begann, eine Münze von Kydonia auf Kreta mit der Inschrift
ΝΕΥΑΝΤΟΣ ΕΠΟΕΙ. Später gesellte sich zu diesem einen
Beispiele ein zweites, indem sich auf Münzen von Klazomenae
der Name des Theodotos mit dem gleichen Zusatze fand:
ΘΕΟΔΟΤΟΣ ΕΠΟΕΙ. Hierdurch ist für uns die Gewissheit
gewonnen, dass es den Stempelschneidern im Alterthum we-
nigstens nicht durchgängig untersagt sein konnte, ihre Na-
men auf ihren Werken anzubringen. Freilich entsteht nun,
sobald das Verbum fehlt, sofort die Ungewissheit, in wel-
cher Weise die Inschriften der Künstler von denen anderer
Personen auf den Münzen zu unterscheiden sind, und es ist
daher unvermeidlich, dass alles, was sich hierüber aufstellen
lässt, nicht sowohl den Werth einer vollen Gewissheit, als
nur einer grösseren oder geringeren Wahrscheinlichkeit für
sich in Anspruch nehmen kann.


Eine allgemeine Analogie bieten uns zuerst die Künst-
lerinschriften überhaupt. Es gilt für sie (von einzelnen Aus-
nahmen natürlich abgesehen) die Regel, dass sie dem Auge
so viel wie möglich entzogen werden. Bei statuarischen
Werken scheinen sie, namentlich in der besten Zeit, ihre
Stelle selten an dem Werke selbst gefunden zu haben,
[417] sondern an der Basis, und auch da nur in einer Weise,
welche sie der Dedicationsinschrift untergeordnet erscheinen
lässt. Später finden wir sie allerdings wohl an der Plinthe
der Statue, häufiger aber auf Nebenwerken, dem Sitze, der
Stütze oder auch an einer Falte des Gewandes angebracht.
Die Neuzeit folgt hierin, ohne dass sie darin die Nachahmerin
der Alten wäre, denselben Principien, offenbar geleitet von
dem richtigen Gefühle, dass der Künstler dem Beschauer
die Erinnerung an seine Person nicht aufdrängen soll. Erst
wenn durch das Werk selbst ein persönliches Interesse an
dem Urheber geweckt worden ist, soll demselben durch den
Namen des Künstlers gewissermassen auch eine äussere Be-
glaubigung verliehen werden.


Den Münzen am nächsten verwandt sind die geschnit-
tenen Steine. Bei ihnen aber lehrt die Erfahrung, dass die
Inschriften der Künstler fast nie in einer solchen Weise her-
vortreten, dass das Auge des Beschauers auf sie sogleich
beim ersten Anblicke hingezogen würde. Häufig sind sie
vielmehr von einer solchen Feinheit, dass das Auge, auch
wenn es sie entdeckt, doch nur mit Anstrengung oder mit
Hülfe des Vergrösserungsglases zur Lesung der einzelnen
Buchstaben gelangt. Namen mit stark hervortretender Schrift
werden immer ihre Beziehung nicht auf den Künstler, sondern
auf den Besitzer zu finden haben.


Die Münzen nun sind ihrer ursprünglichen Bestimmung
nach nicht Kunstwerke, sondern Werthzeichen. Ihre Gültig-
keit als solche wird durch bestimmte äussere Zeichen be-
glaubigt, und zwar sowohl durch die verschiedenen Arten
des Gepräges, als durch die Inschriften. Wir finden die
Namen der Städte, Staaten oder Könige, welche die Münzen
prägen liessen; wenig verschieden davon sind die Inschriften,
welche zur Erklärung der bildlichen Darstellung dienen:
denn auch die Namen von Göttern und Dämonen führen uns
als die Beschützer gewisser Orte und Personen wieder auf
diese zurück. Ist aber hierdurch nur erst die allgemeine
Beglaubigung gegeben, so sollen andere Inschriften dieselbe
mehr im Einzelnen gewähren. Dies geschieht dadurch, dass
die Magistratspersonen durch die Hinzufügung ihrer Namen,
sei es in voller Schrift, sei es in Monogrammen, gewisser-
massen die Bürgschaft für die Richtigkeit der Währung
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 27
[418] übernehmen. Mag dieser Gebrauch im Laufe der Zeit zu-
gleich auch ein Ehrenrecht geworden sein, immer lag es in
der Natur der Sache begründet, dass solche Inschriften und
Zeichen deutlich und bestimmt in die Augen fallen sollten.
Wenn wir daher neben diesen, wenn auch nur in verhält-
nissmässig sehr geringem Umfange, andere finden, bei wel-
chen offenbar die Absicht waltet, dass sie erst bei aufmerk-
samer Betrachtung erkennbar oder überhaupt gefunden wer-
den sollen, so leuchtet ein, dass auch deren Bedeutung
eine wesentlich verschiedene sein muss, dass sie namentlich
keine öffentliche Auctorität haben können. Erinnern wir
uns aber jetzt an die Analogie der Gemmenschneider, so wie
an das, was noch heut zu Tage bei den Münzen gebräuch-
lich ist, so werden wir mit Nothwendigkeit darauf hingeführt,
in diesen Inschriften die Namen von Stempelschneidern zu
finden, indem sich uns keine andere Klasse von Personen
darbietet, auf welche wir sie mit Wahrscheinlichkeit zurück-
zuführen vermöchten.


Die Kleinheit der Schrift und die Verborgenheit des
Ortes bilden also für uns die Kriterien, nach denen wir uns
die Inschriften der Künstler von denen anderer Personen
zu unterscheiden berechtigt glauben. Solche Orte aber sind
nach den bisher vorliegenden Erfahrungen etwa folgende:
auf der Vorderseite an den Köpfen die Binden, durch welche
das Haar zusammengehalten wird; die Fläche des Helmes
über der Stirn oder die Scheide, in welcher der Helmbusch
ruht; sodann der Abschnitt des Halses; auf der Rückseite
der schmale Streifen, durch welchen der untere Abschnitt
von der übrigen Fläche gesondert wird; an den verschiedenen
Typen selbst namentlich die Sitze, seien dies etwa Felsstücke,
Basen, oder Throne, auf denen die Figuren ruhen; ferner
auf beiden Seiten allerlei Beiwerk, das vom Haupttypus
unabhängig im Felde vertheilt ist, wie ein Blatt, ein Diptychon,
ein Täfelchen, eine Rolle u. a. Natürlich lassen sich hier
die Grenzen nicht überall mit voller Sicherheit bestimmen;
so mag z. B. eine Inschrift, auch wenn sie sich nicht auf
dem Abschnitte des Halses, sondern etwas darunter im Felde
findet, sofern sie sich nur durch die Feinheit der Schrift
auszeichnet, ohne Bedenken auf den Künstler bezogen
werden, und eben so mag es umgekehrt vorkommen, dass
[419] wir einmal da, wo wir einen Künstlernamen erwarten, eine
andere Bezeichnung finden, wie z. B. auf einer Münze von
Akragas den Namen der Stadt gerade eben so auf einem
Täfelchen, wie auf Münzen von Syrakus und Katana den
Namen des Euaenetos. Wir dürfen dabei nicht ausser Acht
lassen, dass auf griechischen Münzen die Vertheilung der
Schrift nie so strengen Gesetzen unterworfen gewesen ist,
wie etwa in der Neuzeit oder auch im Alterthume unter den
Römern. Bei ihrer Betrachtung muss also statt einer streng
begrenzten Regel uns ein gewisser aus einer Mehrzahl von
Beispielen abgeleiteter Takt maassgebend sein.


Eine Schwierigkeit mag hier hervorgehoben werden, um
hinsichtlich ihrer eine Frage an die Numismatiker vom Fach
zu stellen. Nach den bisher entwickelten Grundsätzen müssen
wir einige Namen, wie Euaenetos, Eumenos und Phrygillos
wegen mehrerer Münzen auf Künstler beziehen; zugleich
aber finden sich dieselben auf andern, welche für sich allein
betrachtet eine solche Beziehung nicht gestatten, während
doch die Verwandtschaft des Styls der Identität der Person
auf beiden mindestens nicht widerspricht. Sollte hier nicht
die Annahme einige Wahrscheinlichkeit für sich haben, das
der Künstler in dem einen Falle als solcher seinen Namen
auf die Münze setzte, in dem andern aber als Magistrats-
person, indem er, eine solche Würde zu erhalten, wegen
seiner Kenntniss des Münzwesens besonders geschickt er-
scheinen musste?


Wie weit der Gebrauch, Namen der Stempelschneider
auf die Münzen zu setzen, örtlich verbreitet war, wird sich
aus folgender Tabelle ergeben:
Syrien unter den Seleuciden: Ἀϱχ; Ἰσιδ.
Klazomenae: Θεόδοτος.
Lampsakos unter Alexander: Κι.
Makedonien unter Perseus: Ζωίλου.
Histiaea auf Euboea: (Σ)ῶσος.
Arkadien: Ολυμ.
Kydonia auf Kreta: Νευάντος.
Kamarina: Ἐξακεστίδας.
Katana: Εὐαιν; Πϱοκλῆς; Χοιϱίων.
Naxos (in Sicilien): Πϱοκλη.

27 *
[420]Syrakus: Εὐαινέτου; Εὐκλείδα; Εὐμήνου; Κίμων; Σωσω;
Σῶσις; Φϱυ(γιλλος).
Neapolis: Παϱμε.
Tarent: Σω.
Heraklea: Φιλ.
Metapont: Ἀπολ; (Πολ;) Ἀϱιστι; Ἀϱιστοξεν; Αὐγι.
Thurium: Μολοσσο (?), Νικανδϱο.
Velia: Ἡϱα; Κλευδώϱου; Φιλιστίων.
Rhegion: Ἱπποκϱάτης.
Terina: Ἀγη.


Der Gebrauch findet sich also ziemlich überall, wo
stets oder zeitweilig griechische Kultur die Herrschaft aus-
übte, am häufigsten, so weit bis jetzt unsere Kenntnisse
reichen, in Sicilien und Grossgriechenland.


Indem so von vorn herein die gesammte römische Welt
ausgeschlossen erscheint, werden wir zugleich auch auf ge-
wisse Grenzen der Zeit hingewiesen. Die Münzen des Perseus und
die des Seleukos IV scheinen die spätesten uns bekannten
Beispiele von Stempelschneidernamen zu bieten; aber auch
sie stehen ziemlich vereinzelt einer grossen Masse von Bei-
spielen aus der besten Zeit der Kunst gegenüber. Wiederum
ist aus der archaischen Periode kein einziger Name bekannt;
ja fast nirgends finden sich auf Münzen mit Künstlernamen
noch Spuren des voreuklidischen Alphabets: nur wenige von
Syrakus bilden hiervon eine Ausnahme, und auch diese so,
dass sie gerade auf der Grenze der Scheidung beider Alpha-
bete stehen (s. u. Εὐμήνου, Κίμων); da nun auf autonomen
Münzen dieser Stadt sich keine Magistrats-, geschweige
denn Künstlernamen finden, so werden wir dadurch um so
mehr etwa auf die Zeit des Tyrannen Dionysios I. geführt,
auf welchen, wie auf die übrigen Tyrannen, diese Regel
keine Anwendung erleidet (vgl. Leake in den Transactions
of the r. soc. of liter. II. ser., vol. III, p. 359 sqq.; Luynes
in der Rev. numism. 1843, p. 7 sq.). Eine genauere Zeitbestim-
mung für alle einzelnen Fälle, so weit sie überhaupt möglich
ist, muss den eigentlichen Numismatikern überlassen bleiben.
Hier sei nur noch eine Bemerkung von Luynes (a. a. O.)
angeführt, weil sie mehrere Fälle betrifft: Die Sitte, Köpfe
in der Vorderansicht auf Münzen darzustellen, scheint von
geringer Dauer gewesen zu sein. Solche Köpfe aber
[421] finden sich auf den Münzen des Alexander von Pherae
(stirbt 357 v. Ch.) und des Mausolos (353), also zur Zeit,
als die beiden Dionysier zu Syrakus herrschten. In die-
selbe Zeit werden daher von den Stempelschneidern Kimon,
Kleudoros und Theodotos gehören.


Als Thatsache verdient hier noch hervorgehoben zu
werden, dass sich Künstlernamen bis jetzt nur auf Silber-
münzen gefunden haben. Nur eine kleine Bronzemünze mit
der Inschrift ΦΡΥ bildet eine Ausnahme; aber auch bei
ihr bemerkt R. Rochette, dass der Stempel zur Prägung in
Gold bestimmt gewesen zu sein scheine. Wenn nun das
bisherige Nichterscheinen von Namen auf Goldstücken nur
in dem verhältnissmässig selteneren Vorkommen derselben
seinen Grund haben mag, so werden wir uns in Betreff der
Bronzemünzen lieber zu der Annahme neigen, dass hier die
geringere auf das Gepräge verwendete Sorgfalt die Weg-
lassung der Namen veranlasst hat.


Ueber die Stellung und die äussern Verhältnisse dieser
Klasse von Künstlern vermögen wir natürlich bei der Mangel-
haftigkeit unserer Nachrichten eigentlich nichts zu bestimmen.
Dass ihre Thätigkeit so wenig wie die anderer Künstler
nur an einen einzigen Ort gebunden war, ist eine sehr nahe lie-
gende Voraussetzung. Die Belege aber, welche R. Rochette
für dieselbe aufstellen zu können glaubte, müssen wir
allerdings sehr beschränken, indem wir als sicher nur eine
Thätigkeit des Euaenetos für Syrakus und Katana, des
Prokles für Katana und Naxos anzunehmen vermögen, also
beide Male nur für je zwei nicht eben sehr weit von ein-
ander entfernte Orte. Eben so hat dafür, dass nicht selten
an einer Münze zwei Künstler, der eine an der Vorder-,
der andere an der Rückseite gearbeitet, R. Rochette keine
hinreichend sichern Beweise beigebracht, wenn auch an sich
die Möglichkeit eines solchen Verfahrens in einzelnen Fällen
recht wohl zugegeben werden kann. — Nicht anders ver-
hält es sich endlich auch mit einem dritten Punkte. Die
auffällige Erscheinung, dass nirgends bei einem alten
Schriftsteller sich die Erwähnung eines Stempelschneiders
findet, suchte man nämlich durch die Annahme zu erklären,
dass sie in der Regel zugleich Steinschneider gewesen seien,
und dass daher, was von diesen berichtet wird, zugleich
[422] auch auf jene zu beziehen sei. Für diesen Satz nun glaubte
R. Rochette eine unzweifelhafte Bestätigung in der Ver-
gleichung einer Münze und eines geschnittenen Steines,
welche beide den Namen Phrygillos tragen, gefunden zu
haben. Der Stein ist ein häufig besprochener (s. unter d.
Steinschneidern) und zeigt uns Amor in der Stellung eines
mit Astragalen spielenden Kindes; hinter ihm eine geöffnete
Muschel. Die Münze von Syrakus, mit dem von Delphinen
umgebenen Kopfe der Arethusa ist in schönem, aber noch
etwas strengem Styl gearbeitet, womit völlig übereinstimmt,
dass die Umschrift die Form ΣΥΡΑΚΟΣΙΟΝ hat. Wenn nun
R. Rochette an dem Stein einen derselben Epoche würdigen
Styl hat erkennen wollen, so vermag schon ein Blick auf
die Abbildungen bei ihm (Titelvignette 1 u. 2 der Lettre à
Mr. Schorn) uns zu überzeugen, dass er durch die Liebe
zu seiner Hypothese sein Urtheil hat gefangen nehmen
lassen. Denn ein unbefangenes Auge wird sofort erkennen,
dass an dem Stein von der Strenge der Behandlung, welche
die Münze zeigt, sich auch nicht die geringste Spur mehr
findet, von einer Verwandtschaft des Styls daher durchaus
nicht die Rede sein kann. Ganz abgesehen also von der
Frage, ob der Name auf der Münze wirklich auf einen Stem-
pelschneider zu beziehen ist, muss der Versuch, durch diese
Münze und diesen Stein die Identität der Gemmen- und der
Stempelschneider nachzuweisen und sicher zu begründen,
als mislungen betrachtet werden. Hiermit ist indessen keines-
wegs die Möglichkeit dieser Identität im Princip geleugnet:
die Bemerkung R. Rochette’s, dass die Römer beide Klassen
von Künstlern als Scalptores bezeichneten, spricht vielmehr
zu Gunsten derselben, und dass die Ausübung beider Kunst-
zweige recht wohl in einer Hand vereinigt sein kann, lehrt
auch ohne Zeugnisse des Alterthums die Erfahrung unserer
Tage.


Alphabetisches Verzeichniss.


ΑΓΗ.
Auf einer Münze von Terina zeigt die Vorderseite einen
weiblichen Kopf mit Diadem innerhalb eines Lorbeerkranzes;
hinter dem Kopfe Φ; die Rückseite Nike geflügelt mit dem
Caduceus in der Linken, während sie mit der Rechten eine
[423] Hydria auf dem Schoosse hält, in welche aus einem Löwen-
rachen Wasser fliesst; auf der Basis, welche ihr zum Sitze
dient, steht klein und ziemlich undeutlich ΑΓΗ, ein Buch-
stabe unter dem andern: R. R. III, 29; vgl. Combe, Mus.
Brit. pl. IV, n. 2. Die Kleinheit und Verstecktheit der
Schrift macht allerdings die Beziehung auf einen Stempel-
schneider wahrscheinlich, während, von Raoul-Rochette ab-
weichend, früher Millingen (Anc. coins of gr. cit. p. 23) und
später Streber (Kstbl. 1832, S. 166) den Namen einer Quelle
Ἀγὴ oder Ἂλη erkennen wollten. — Denselben Namensanfang
glaubte Raoul-Rochette auf der Vorderseite einer Tetra-
drachme von Metapont hinter einem bärtigen behelmten
Kopfe zu erkennen (s. die Titelvignette zu s. Lettre à Luynes).
Allein auf einem Exemplar bei Luynes [Choix de méd. ant.
pl. III, 5] ist ganz deutlich ΑΡΗ zu lesen und ausserdem
haben die Buchstaben eine Grösse, wie sie wohl bei Magi-
strats-, nicht aber bei Künstlernamen gewöhnlich ist.


ΑΠΟΛ, ΑΠΟΛΛΩΝ,
auf Münzen von Metapont. Eine derselben, bei R. R. IV, 31,
hat auf der Rückseite die gewöhnliche Aehre und ΜΕΤΑ,
auf der Vorderseite einen jugendlichen nicht epheu-, sondern
lorbeerbekränzten Kopf; die Buchstaben ΑΠΟΛ finden sich ganz
klein auf dem Abschnitte des Halses. Hiermit ist eine andere
gleichfalls metapontinische Münze zu vergleichen: weiblicher
Kopf mit einem Epheukranze, rechtshin; unten am Abschnitt
des Halses ΠΟΛ (so, nicht ΑΠΟΛ); ℞. Aehre, rechts daneben
ΜΕΤΑ: Arch. Zeit. 1847, t. 8, 5. Hierzu bemerkt J. Fried-
laender (S. 117—118), dass sich in der berliner Sammlung
auch ein Exemplar der bei R. Rochette abgebildeten Münze
finde, aber ebenfalls die Inschrift ΠΟΛ, nicht ΑΠΟΛ zeige; es
möchte daher auch bei R. Rochette so zu lesen sein. Diese
Vermuthung als ganz sicher hinzustellen hindere ihn nur
die Behauptung R. Rochette’s (Lettre à Luynes, p. 37, 6),
vier Exemplare aus zwei Stempeln gesehen zu haben, so
dass also möglicher Weise ein Stempelschneider ΑΠΟΛ …
neben ΠΟΛ .. anzunehmen sei. — Zweifelhafter erscheint
mir dagegen, ob wir es überhaupt mit einem solchen auf
Münzen von Tarent und Katana zu thun haben. Für die
erstere Stadt citirt R. Rochette einige Beispiele: Mus. Hunter,
t. 55, n. 20; 56, n. 3; Eckhel num. vet. t. 3, n. 3; wozu
[424] ich jetzt noch füge: Carelli num. Ital. vet. tab. 110, n. 119—122.
Der Name ΑΠΟΛ, ΑΠΟΛΛΩ, ΑΠΟΛΛΩΝΙΟΣ findet sich
hier unter dem Reiter der Rückseite, aber stets in gewöhn-
licher grosser Schrift, welche an einen Stempelschneider zu
denken verbietet. Mindestens eben so mislich verhält es
sich mit einem Medaillon von Katana: jugendlicher Kopf mit
langwallendem Haare und mit Eichenlaub bekränzt, von vorn;
darunter ΑΠΟΛΛΩΝ, links ein Bogen und in kleinerer Schrift
ΧΟΙΚΕΩΝ ℞. Viergespann neben einer Säule, nach rechts
hin fahrend; dem Lenker schwebt Nike mit einem Kranz ent-
gegen; im Abschnitt ΚΑΤΑΝΑΙΩΝ, darunter ein Seethier:
Mus. Hunter, t. 15, n. 21; Eckhel D. N. I, 203; [Torremuzza,
Sic. vet. num. auctar. I, t. 3, n. 1;] P. Knight: num. vet.
p. 228 A 6 (ohne ΧΟΙΚΕΩΝ; aber mit einer Leier dem Bo-
gen gegenüber); [Catal. du cabinet de M. Th. Thomas,
p. 39, n. 262, wo ΧΟΙΡΙΩΝ für ΧΟΙΚΕΩΝ gelesen wird].
Hier hat schon Streber (Kstbl. 1832, S. 165) mit Recht
darauf hingewiesen, wie unwahrscheinlich es sei, für eine
Seite einer und derselben Münze zwei Stempelschneider an-
zunehmen: denn Choirion mit R. Rochette für einen solchen
zu halten, scheint wenigstens zulässig. ΑΠΟΛΛΩΝ sei daher
auf den Kopf zu beziehen: „weil die Beisetzung des Namens
des vorgestellten Kopfes auf sicilianischen Münzen gewöhn-
lich ist; weil der Apollokopf auf den Münzen von Katana
ein einheimischer Typus ist; weil das jugendliche Ansehen
und die langen Haare nicht dagegen streiten; weil der Bo-
gen … hinlänglich auf Apollo hindeutet; weil die Medaille
bei Payne Knight, wo ausser dem Bogen noch eine Leier
erscheint, kaum einen Zweifel übrig lässt. Warum aber hier
Apollo mit einem Eichenkranze geschmückt ist, ist eine
Eigenthümlichkeit, welche noch auf eine Erklärung wartet.“


ΑΡΙΣΤΙΠΠ oder ΑΡΙΣΤΗ.
Von den Münzen, auf welchen R. Rochette einen Künstler-
namen Aristipp zu erkennen meinte, sind zuerst die taren-
tinischen auszunehmen: Avellino, It. vet. num. Tarent. n. 66,
114, 202, 267; Carelli t. 110, n. 125—128. Hier sind nemlich die
Inschriften ΑΡΙΣΤΙΠΠ, ΑΡ ∥ ΣΤΙ, ΑΡΙ ∥ ΣΤΙ ∥ Π, ΑΡΙΣΤΙΣ
in keiner Weise von den gewöhnlichen Nameninschriften
der Rückseite verschieden. Eben so ist über die Münzen
von Heraklea zu urtheilen, sofern R. Rochette (der keine
[425] derselben namentlich anführt), keine andern Belege für sich
hat, als etwa eine Münze bei Carelli (t. 161, n. 19), wo sich
auf der Rückseite in gewöhnlicher grosser Schrift ΑΡΙΣ
findet. So bleiben die Münzen von Metapont, von denen
eine bei Mionnet (Suppl. I, p. 503, n. 695) beschrieben, eine
andere, wie es scheint, nur in Nebensachen von ihr ver-
schiedene bei R. Rochette IV, 36 publicirt ist: weiblicher
Kopf mit Halsband und Ohrgehänge, rechtshin; am Ab-
schnitte des Halses ΑΡΙΣΤΙ; ℞. Aehre, daneben ΜΕΤΑ.
Hier ist an der Beziehung auf einen Stempelschneider
kein Anstand zu nehmen; und es könnte höchstens ein
Zweifel an der Richtigkeit der Lesung des Namens ent-
stehen, wenn eine andere Münze, ebenfalls von Metapont,
von J. Friedlaender (Arch. Zeit. 1847, S. 118; T. VIII, 4)
folgendermassen beschrieben wird: „Weiblicher Kopf rechts-
hin; das Haar, durch ein zweimal umschlungenes Band ge-
halten, ist hinten in einen Knoten gebunden; um den Hals
ein feines Halsband. Unten an der kleinen schrägen Fläche,
welche der Abschnitt des Halses bildet, steht ΑΡΙΣΤΗ.
Das Ganze ist von einem Kranze umgeben. ℞. Aehre mit
einem Blatt, daneben links ΜΕΤ, rechts ein grosser Krebs.“
Allein nach Friedlaenders Urtheil ist diese Münze von be-
deutend älterem Styl, als alle mit Künstlernamen bezeichneten
dieser Stadt, welche R. Rochette abgebildet hat; und auch,
dass der Stadtname nur durch die drei ersten Buchstaben
bezeichnet sei, deute auf ein höheres Alter. Er steht also
nicht an, in Αϱιστι und Αϱιστη die Anfänge von zwei ver-
schiedenen Namen zu sehen. Noch einen dritten von glei-
chem Anfange begegnen wir auf metapontinischen Münzen;
in seiner vollständigsten Form lautet er:


ΑΡΙΣΤΟΞΕΝ
auf einer Münze bei Millingen: anc. coins etc. I, n. 22;
Payne-Knight: numm. vet. p. 277, A, 28: weiblicher lorbeer-
bekränzter Kopf mit Halsband, linkshin; unter dem Abschnitte
des Halses: ΑΡΙΣΤΟΞΕΝ; ℞. Aehre, rechts ΜΕΤΑ. Mit
demselben Namen haben wir es offenbar auf zwei andern
Münzen bei R. Rochette zu thun, IV, 32: weiblicher Kopf
mit Stirnband und Opisthosphendone linkshin; am Abschnitte
des Halses: ΑΡΙΣΤΟΞ; ℞. Aehre, links Α, rechts ΜΕΤΑ;
ferner IV, 33: weiblicher Kopf mit Stirnband, linkshin; am
[426] Abschnitte des Halses: - - ΙΣΤΟ; ℞. Aehre, rechts ΜΕΤΑ.
Hierzu fügt R. Rochette noch IV, 34: Kopf der Demeter
mit Aehren im Haar, rechtshin; am Halse ΑΡΙ; ℞. Aehre,
rechts ΜΕΤΑ; und IV, 35: ähnlicher Kopf, nur ΑΡ; ℞.
Aehre, links Heuschrecke, rechts ΜΕΤΑΠΟ. Ob in diesen
beiden Münzen die Identität des Styls mit den zuerst be-
schriebenen zwingend genug ist, um ΑΡ und ΑΡΙ für die
Abkürzung von Aristoxenos halten zu müssen, wage ich
nicht zu entscheiden.


[Artemisios.
Die von R. Rochette (Lettre à Luynes p. 33) vorgeschlagene
Beziehung dieses Namens auf einen Stempelschneider ist
von ihm selbst auf die Erinnerung Osanns (Ztsch. f. Altwss.
1834, S. 307) aufgegeben worden; und mit Recht, vgl.
Carelli t. 74, n. 48 — 56.]


ΑΡΧ
auf einer Münze des Seleukos Nikator: Kopf des Herakles
mit der Löwenhaut, rechtshin; ℞. ΒΑΣΙΛΕΩΣ ΣΕΛΕΥΚοΥ,
Zeus mit Scepter und Adler auf dem Throne sitzend, links-
hin; im Felde Π; auf dem Sitzbrette des Thrones ΑΡΧ:
Combe num. mus. britan. t. XI, 22. Die Verborgenheit der
Stelle und die Kleinheit der Buchstaben berechtigen uns
gewiss, den Namen ΑΡΧ … in die Reihe der Stempelschnei-
der aufzunehmen.


ΑΥΓΙ
auf Münzen von Metapont: weiblicher nach rechts gewen-
deter Kopf mit doppeltem Bande, von schönem, noch etwas
strengem Style; unter dem Halse ΑΥΓΙ; ℞. Aehre, links
ΜΕΤΑ: R. R. IV, 30. Etwas abweichend und vielleicht
irrthümlich hat Avellino auf andern Exemplaren ΑΥΛ ge-
lesen: Ital. vet. num. Metap. n. 31.


[Diophanes.
Von ihm gilt dasselbe, was unter Artemisios bemerkt
worden ist.]


ΕΞΑΚΕΣΤΙΛΑΣ
auf einem schönen Medaillon von Kamarina: unbärtiger Herakles-
kopf ganz von der Löwenhaut bedeckt, linkshin, davor ..ΡΙΝΑΙΟ;
℞. Quadriga von Athene (?) gelenkt, welcher Nike mit
einem Kranze entgegenschwebt; auf dem Streifen, welcher
dem Gespann als Basis dient, in kleinen Buchstaben:
[427] ΕΞΑΚΕΣΤΙΔΑΣ, im Abschnitt zwei Amphoren: R. R. II, 18;
[Thomas Catal. n. 257; Luynes, choix de méd. gr. VI, 2].


ΕΥΑΙΝΕΤΟ.
Unter den Münzen von Syrakus, welche mit diesem Namen
bezeichnet sind, lassen sich zwei Klassen unterscheiden. Die
eine wird gebildet durch mehrere grosse Medaillons mit dem
schilfbekränzten Kopf der Arethusa; hier findet sich ΕΥΑΙΝΕ
[Torremuzza Auctar. I, t. 7, 2; Luynes, choix de méd. gr.
pl. 8, 3] oder fragmentirt AINE (R. R. 1, 7) oder abgekürzt
ΕΥ (R. R. lettre à Luynes p. 19) unter dem Halse und zwar
auf dem von R. Rochette publicirten Exemplare in noch
grösseren Buchstaben als der Name der Stadt. Ganz anders
verhält es sich mit der zweiten Klasse kleinerer Medaillons
mit den gewöhnlichen Typen des weiblichen Kopfes auf der
Vorder-, und des Viergespanns auf der Rückseite; hier ist
zwischen dem Wagenlenker und der schwebenden Nike ein
Täfelchen angebracht und darauf mit sehr kleinen Buchstaben
ΕΥΑΙ, ΕΥΑΙΝ oder ΕΥΑΙΝΕΤΟ geschrieben: [Torremuzza,
t. 73, n. 5. 6]; Mus. Hunter t. 53, 3; R. R. l, 6; vgl. Lettre
à Mr. Schorn p. 89. — Durchaus verwandter Art sind ei-
nige Medaillons von Katana: lorbeerbekränzter Apollokopf
linkshin, davor die delphische Wollenbinde; dahinter ein
Seekrebs, darüber ΚΑΤΑΝΑΙΩΝ; ℞. Viergespann bei einer
Säule vorbei nach links fahrend, darüber schwebende Nike,
den Kranz in der Rechten und in der Linken ein Täfelchen
mit der Inschrift ΕΥΑΙΝ tragend; im Abschnitt ein Taschen-
krebs: R. R. I, 8; Noehden: spec. of anc. coins n. 9, p. 31;
[Torremuzza num. vet. Sic. t. 20, 4, wo nur fälschlich
ΕΥΛΟ]; und Mionnet descr. I, p. 226, n. 146, wo ΕΥΑΟ ..
gelesen ist. Endlich wird von R. Rochette noch eine klei-
nere Münze von Katana hierhergezogen: Viergespann nach
rechts fahrend, darüber Nike mit einem Kranze, darunter
ΚΑΤΑΝΑΙΩΝ; ℞. jugendlicher Kopf nach der Inschrift
ΑΜΕΝΑΝΟ der des Flussgottes dieses Namens, linkshin,
umgeben von drei Fischen; unter dem Halse in verhältniss-
mässig grossen Buchstaben ΕΥΑΙ. Ein zweites Exemplar
dieser Münze befindet sich in München: Streber (im Kunstbl.
1832, S. 162), welcher auch bemerkt, dass auf einer andern
Medaille in der Münchener Sammlung der Name ganz aus-
geschrieben sei: ΕΥΑΙΝΕΤΟΥ.


[428]

Blicken wir auf das uns vorliegende Material, so wer-
den wir nach den von uns im Allgemeinen befolgten Grund-
sätzen keinen Anstand nehmen, die Inschrift des Täfelchens
auf den Münzen von Syrakus sowohl, wie auf denen von
Katana auf einen Stempelschneider und zwar auf einen und
denselben zu beziehen. Um so stärker werden dagegen we-
gen eben dieser Grundsätze unsere Zweifel hinsichtlich der
grossen Medaillons von Syrakus (und in Folge dessen auch
der kleinern Münzen von Katana) sein. Denn wollen wir
in einer Inschrift von solcher Grösse den Namen eines
Künstlers erkennen, so verlieren wir damit jeden Maassstab,
einen solchen von irgend welchen andern Namen zu unter-
scheiden. Allerdings beruft sich R. Rochette (Lettre à
Luynes p. 22) auch auf die Uebereinstimmung im Styl aller
der angeführten Münzen. Allein dieses Kennzeichen scheint
mir bei einer keineswegs scharf hervortretenden Eigenthüm-
lichkeit der Behandlung von sehr problematischer Beweis-
kraft. Es mag also der Entscheidung der Numismatiker
überlassen bleiben, ob die Identität der Namen hier auch die
Identität der Personen mit Nothwendigkeit oder wenigstens
Wahrscheinlichkeit voraussetzen lässt.


ΕΥΘ,
auf einem unter Eumenos näher zu besprechenden Münzty-
pus von Syrakus (R. R. II, 16), w. m. s.


ΕΥΚΛΕΙΔΑ.
Diesem Namen begegnen wir erstens auf manchen der klei-
neren Medaillons von Syrakus, welche auf der Vorderseite
einen weiblichen Kopf von vier Delphinen umgeben, auf der
Rückseite das gewöhnliche Viergespann in verschiedenen
Wendungen zeigen; und zwar findet er sich immer auf der
Vorderseite: ΕΥΚΛ ∥ ΕΙΔΑ auf einem Diptychon neben dem
Halse, Mus. Hunter. t. 52, 17; R. R. I, 2; [vgl. Torremuzza
num. vet. Sic. t. 72, n. 11]; ΕΥΚΛΕΙΔΑ unter dem Halse:
Payne-Knight num. vet. p. 254, 65; ΕΥΚΛΕΙ auf der Binde,
welche das Haar im Nacken zusammenhält: R. R. I, 3 u. 4;
ebenso auf einer kleinen entfalteten Rolle unter dem Halse:
R. R. 5. Als besonderes Kennzeichen tritt bei den von R.
Rochette unter 2, 3, 4 publicirten Typen noch hinzu, dass
sie abweichend von allen andern syrakusanischen Münzen
die Inschrift ΣΥΡΑΚΟΣΙΟΣ statt — ΣΙΩΝ führen. Während
[429] sie aber sonst unter einander einen sehr verwandten Charak-
ter haben, finden wir den Namen des Künstlers auch auf
Münzen mit einem ganz verschiedenen Gepräge der Vorder-
seite: nemlich kleinen Medaillons, auf welchen ein prächtiger
behelmter Kopf der Pallas in der Vorderansicht umgeben
von vier Delphinen und der Inschrift ΣΥΡΑΚΟΣΙΩΝ darge-
stellt ist. Hier steht der Name ΕΥΚΛΕΙΔΑ über dem Stirn-
schilde des Helmes, klein und an sehr versteckter Stelle:
Noehden, spec. of anc. coins, n. 20, p. 51; P. Knight, num.
vet. p. 251, K, 3; Mus. Borb. I, t. 56, 4, wo nur der Name
nicht ganz richtig gelesen ist; ein viertes Exemplar in Wien:
Streber im Kunstbl. 1832, S. 162.


ΕΥΜΗΝΟΥ.
Wir haben schon unter Euaenetos unsern Zweifel darüber
geäussert, ob die Identität eines Namens auf Münzen einer
oder mehrerer nahe bei einander liegender Städte genüge,
auch Inschriften von ganz verschiedenem Charakter auf eine
und dieselbe Person zu beziehen. Wir müssen diese Zwei-
fel hinsichtlich des Eumenos wiederholen (so nemlich, nicht
Eumenes ist nach Letronne: Rev. arch. 1848, p. 118 der
Name zu lesen). Unter den zahlreichen Typen, auf welchen
dieser Name wiederkehrt, ist nur einer, der sich ohne Be-
denken den im Allgemeinen aufgestellten Grundsätzen fügt:
der eines kleinen Medaillons von Syrakus mit dem weibli-
chen von vier Delphinen umgebenen Kopfe auf der einen
und dem Viergespann auf der andern Seite; hier findet sich
nemlich der Name ΕΥΜΗ ∥ ΝΟΥ ganz klein auf der Stirn-
binde des Kopfes: Mus. Hunter t. 52, 14; [Torremuzza num.
v. Sic. t. 72, 7]. Bei allen übrigen wird namentlich durch
eine genauere Zusammenstellung die Beziehung auf einen
Künstler zweifelhaft. Der Name erscheint in verschiedenen
Abkürzungen und ohne Unterschied bald auf der Vorder-
seite, bald auf der Rückseite der Münzen, so z. B. ΕΥ zu-
gleich unter dem Halse des Kopfes und ebenso zwischen
den Füssen der Rosse des Gespannes derselben Münze:
R. R. I, 15; Hunter 52, 18. Dass hier ΕΥ wirklich der
Anfang des Namens Eumenos sei, ist mindestens wahrschein-
lich, indem auf der Rückseite einer Münze des Eukleidas
nach R. Rochette’s Angabe sich an gleicher Stelle ΕΥ und
ΕΥΜΗΝΟΥ findet. Ganz ausgeschrieben ΕΥΜΗΝΟΥ steht
[430] er sowohl hinter dem Kopf als im Abschnitte unter dem
Gespanne auf derselben Münze bei Hunter t. 53. 1; Payne-
Knight p. 254, 58; (ein Exemplar in München soll nach
Streber im Kunstbl. 1832, S. 162 deutlich ΕΥΜΗΛΟΥ ha-
ben); nur unter dem Kopf ΕΥΜ, R. R. II, 12; P. Knight,
254, 66; ΕΥΜΗΝΟΥ, R. R. II, 11, 13, 14. Hierher glaube
ich auch noch eine kleinere Münze von Syrakus ziehen zu
müssen, auf deren Rückseite ein mit Schild und Speer vor-
anstürmender Krieger mit der Umschrift ΛΕΥΚΑΣΠΙΣ, auf
der Vorderseite unter dem weiblichen Kopfe ΕΥΜΕΝΟΥ
sich findet: Hunter t. 53, 20; denn dass das Ε der zweiten
Silbe nicht der kurze Vokal, sondern der Vokal des alten
Alphabets ist, zeigt ein anderes Exemplar dieser Münze mit
der Umschrift ΣΥΡΑΚΟΣΙΟΝ bei P. Knight p. 255, O, 2.
Mit besonderem Nachdruck weist endlich R. Rochette auf
mehrere Münzen hin, an welchen Eumenos mit einem an-
dern Künstler gemeinschaftlich gearbeitet haben soll, nem-
lich je einer eine Seite. Hierher gehört die unter Eukleidas
an erster Stelle erwähnte Münze, welche vorn auf einem
Diptychon den Namen dieses Künstlers, auf der Rückseite
unter dem Viergespann ΕΥΜΗΝΟΥ oder ΕΥ zeigt: Hunter
t. 52, 17; R. R. I, 2; vgl. Lettre à Mr. Schorn p. 88; ferner
eine Münze des Euaenetos mit dem Namen an gewöhnlicher
Stelle auf dem Täfelchen und ΕΥΜΗΝΟΥ in schlechter
Schrift unter dem Kopfe der Vorderseite: [Torremuzza Auctar.
I, t. 7, 4]; endlich eine Münze, wo dem ΕΥΜ unter dem
Kopfe ΕΥΘ neben einem Triton in dem Abschnitt unter dem
Viergespann der Rückseite entspricht: R. R. II, 16, Hun-
ter t. 53, 5; Noehden spec. of anc. coins, t. 19, p. 61. Eine
unbefangene Betrachtung scheint mir hier zu einer Folge-
rung führen zu müssen, welche der von R. Rochette gezo-
genen gerade entgegengesetzt ist. Die Inschriften des Eu-
kleidas und Euaenetos zeigen nemlich durch die besondere
Art, wie sie angebracht sind, dass sie mit den durch nichts
ausgezeichneten des Eumenos keineswegs auf gleiche Linie
gestellt werden dürfen. In dem zuletzt angeführten Beispiele
stehen allerdings ΕΥΜ und ΕΥΘ zu einander völlig parallel:
aber hier gilt wieder, was über die ganze grosse Masse der
mit Eumenos bezeichneten Münzen zu bemerken ist: dass
nemlich auf sie keiner der Grundsätze Anwendung findet,
[431] nach welchen wir überhaupt Künstlerinschriften zu erken-
nen uns berechtigt glauben. Wir können also, sofern nicht
etwa durch spätere Untersuchungen diese Grundsätze selbst
eine Modification erleiden müssen, Eumenos nur auf Grund
der an erster Stelle angeführten Münze unter die Stempel-
schneider zählen.


ΕΥΦΑΣ
wird schwerlich seinen Platz unter den Künstlern behaupten
können. R. Rochette (Lettre à Luynes p. 41) gesteht selbst,
dass der Charakter der Inschrift ΕΥΦΑ auf der Rückseite
mehrerer Münzen von Thurium (Mus. Borb. V, t. 45, 3 u. 4;
Carelli t. 165, 5 u. 6; vgl. t. 168, 46 u. 59) vielmehr auf
eine Magistratsperson hindeutet. Wenn er trotzdem an ei-
nen Künstler denkt, so beruft er sich dafür auf eine Münze
von Heraklea [Sestini, mus. Fontana P. III, t. 1, n. 11], auf
welcher sich in kleinen Buchstaben ΡΥΦΑΣ (zu lesen ΕΥΦΑΣ)
finde; es sei aber unwahrscheinlich, dass ein so seltener
Name für Magistratspersonen in zwei verschiedenen Städten
wiederkehren solle, während ein Künstler recht wohl für
beide gearbeitet haben könne. Allein wenn auch der letzte
Fall recht wohl als möglich zugegeben werden mag, so ist
darum doch der erstere nicht als unmöglich abzuweisen.
Namentlich aber darf dies so lange nicht geschehen, als
nicht wenigstens auf der Münze von Heraklea die Inschrift
durch gewichtige Gründe als die eines Künstlers nachgewie-
sen ist.


ΖΩΙΛΟΥ
auf einigen seltenen Tetradrachmen des Perseus von Make-
donien, theils unter dem Kopfe, theils auf dem Diadem,
stets in sehr feiner Schrift: [Sestini Mus. Fontana t. 6, 5;
class. gen. 40].


ΗΡΑ
auf dem Helme des Pallaskopfes einer Münze von Velia
im Besitze des Herzogs von Luynes [choix de méd. gr. pl.
III, 16].


ΘΕΟΔΟΤΟΣ,
auf Münzen von Klazomenae: Lorbeerbekränzter Apollokopf
von vorn gesehen, links ΘΕΟΔΟΤΟΣ ΕΠΟΕΙ; ℞. stehender
Schwan, die Flügel schlagend; rings herum: ΜΑΝΔΡΩ
ΝΑΞ(κλ)ΑΙΟ: Luynes: Mon. dell’ Inst. 1841, t. 35, n. 25; ein
[432] anderes Exemplar, aber aus anderem Stempel und mit der
Inschrift ΠΥΘΕΟΣΠ(υϑεου κλ)Α (ζομενιος) auf der Rückseite:
ib. n. 26; vgl. Bull. d. Inst. 1839, p. 137—138, wo auf dem
einen Exemplar fälschlich ΣΟΛΙΤΟΣ statt ΘΕΟΔΟΤΟΣ ge-
lesen wurde.


ΗΙΠΠΟΚΡΑΤΗΣ,
auf Münzen von Rhegion: lorbeerumkränzter Apollokopf
rechts hin, davor ΡΗΓΙΝΟΣ, dahinter ein Lorbeerzweig von
zwei Blättern, auf demjenigen, welches dem Halse näher
steht:
ΗΤΑ [...]
[...] ΙΠΠΟ

℞. Löwenkopf von vorn: J. Friedländer: Arch. Zeit. 1847,
S. 119; Taf. 8, 6. Zwei andere Exemplare führt R. Rochette
aus dem Catalog der Thomas’schen Sammlung [1 portion etc.
p. 25, n. 166 u. 167] an, auf welchen die Buchstaben fol-
gendermassen vertheilt sind:
ΚΡΑΤΗ ΟΠΠΙΣ
ΟΠΠΙΣ ΚΡΑΤΗ


ΙΣΙΔ,
bekannt durch eine Tetradrachme des Königs Seleukos IV.:
Kopf des Königs, rechts hin; ℞. sitzender unbekleideter
Apollo, den Pfeil in der Rechten betrachtend, während er
mit der Linken den Bogen neben sich auf den Boden stützt;
ΒΑΣΙΛΕΩΣ ΣΕΛΕΥΚΟΥ, im Abschnitt: ΗΡ [...]. Die Buch-
staben ΙΣΙΔ finden sich ganz klein in dem Raume zwischen
Bogen und Sehne: R. R.: Lettre à Mr. Schorn, Vignette
zu S. 1.


ΚΙΜΩΝ.
Zu den schönsten Münzen des Alterthums gehören die
grossen Medaillons von Syrakus, welche auf der Hauptseite
einen weiblichen Kopf nach links gewendet und von vier
Delphinen umgeben mit der Inschrift ΣΥΡΑΚΟΣΙΩΝ zeigen.
Besonders elegant unter diesen sind wiederum diejenigen,
bei welchen das Haar im Nacken in einem Netz gesammelt
ist. Auf der Rückseite finden wir das gewöhnliche Vier-
gespann nach links gewendet mit der schwebenden Nike,
welche dem Lenker einen Kranz entgegenbringt; im Abschnitt
ist die Rüstung eines Hopliten gebildet, unter welcher in den
besser erhaltenen Exemplaren die Inschrift ΑΘΛΑ steht.
[433] Diese Medaillons sind, wenn nicht sämmtlich, doch zum
grossen Theile für Arbeiten des Kimon zu halten, da sich
sein Name vollständig oder abgekürzt auf einer ganzen
Reihe der noch vorhandenen Exemplare findet. Hier mag
nur ein Theil der durch Beschreibung oder Abbildung ge-
nauer bekannten angeführt werden: ΚΙΜΩΝ auf dem Del-
phine unter dem Kopfe und Κ auf der Stirnbinde: Noehden,
spec. of anc. coins. pl. 13; [Torremuzza, t. 72, 1; cf. 2 u. 5];
R. R. I, 1; P. Knight, p. 251, I, 6; ΚΙΜ auf der Stirnbinde:
P. Knight ib. n. 8; Luynes: Mon. dell’ Inst. I, t. 19, 3;
Mus. Sanclement. I, t. XI, n. 120; [Sestini descr. num. vet.
t. 1, 15], wo ausserdem der volle Name ΚΙΜΩΝ sich auf
dem schmalen Streifen findet, welcher dem Gespanne zur
Basis dient. Nach der Bemerkung R. Rochette’s (Lettre à
Mr. Schorn, p. 86) soll letzteres sogar immer der Fall sein
und die Schrift sich nur durch ihre ganz ungewöhnliche Klein-
heit bisher dem Auge entzogen haben. Κ allein auf der Stirn-
binde: Hunter t. 52, 9. — Ausser diesem Typus ist noch
ein anderer von der Hand des Kimon durch einige kleinere
Medaillons von Syrakus bekannt: weiblicher Kopf mit be-
wegtem Haar, von vorn gesehen; zu jeder Seite ein Delphin;
das Ganze von einem Perlenringe umgeben; ausserhalb des-
selben über dem Kopfe ΑΡΕΘ [...]ΣΑ; ℞ Viergespann nach
links sich bewegend, darüber Nike und ΣΥΡΑΚΟΣΙΩΝ, im
Abschnitt eine Aehre. Auf diesen Münzen findet sich der
Name des Künstlers auf dem Stirnbande ganz ausgeschrieben
ΚΙΜΩΝ: Mionnet descr. I, p. 297, n. 762; pl. 67, 4; [Thomas
Catal. p. 83—84, n. 592].


Die Kenntniss eines zweiten Stempelschneiders, dessen
Name mit ΚΙ beginnt, verdanke ich einer Mittheilung J. Fried-
laenders: „Eine vollkommen erhaltene Tetradrachme Alexan-
ders d. Gr., welche kürzlich für die k. Sammlung in Berlin
erworben wurde, hat die gewöhnlichen Typen, den jugend-
lichen Kopf des Herakles mit dem Löwenfell, rechtshin; auf
der Rückseite die Aufschrift ΑΛΕΞΑΝΔΡΟΥ, den sitzenden
Juppiter linkshin, mit Adler und Scepter; auf den beiden
Ecken der Rückenlehne stehen kleine Victorien; im Felde
links ist ein Handleuchter mit brennendem Licht, darunter
[...] (d. h. ΔΙ); unter dem Throne steht ein Monogramm [...],
was man ΠΥΧ (etwa Πύχνων) auflösen könnte; auf dem
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. II. 28
[434] Sitzbrette des Thrones ΚΙ. Die Verborgenheit der Stelle
und die Kleinheit der Buchstaben machen es sehr wahr-
scheinlich, dass ΚΙ der Anfang eines Stempelschneidernamens
sei, während die Magistratsnamen hier wie gewöhnlich mono-
grammatisch mit grösseren Buchstaben ins Feld geschrieben
sind. Die ungewöhnliche Schönheit und Sauberkeit der Münze
erklärt, warum der Künstler seinen Namen darauf schrieb.
Wahrscheinlich ist diese Münze in Lampsakos geprägt, dessen
Wappen ein solcher Handleuchter ist; bekanntlich auch das
von Amphipolis in Makedonien; allein die makedonischen
Münzen Alexanders sind viel roher als diese und andere
kleinasiatische.“


ΚΛΕΥΔΩΡΟΥ,
ganz klein auf der Vorderseite des geflügelten Helmes eines
fast ganz nach vorn gewendeten Pallaskopfes auf einer
Münze von Velia, deren Rückseite den gewöhnlichen Löwen
mit der Inschrift ΥΕΛΗΤΩΝ zeigt: R. R. III, 21. Die von
R. Rochette gegebene Lesung ΚΛΕΥΔΩΡΟΥ wird bestätigt
durch mehrere Exemplare: Mus. Borb. V, t. 49, n. 9; [Sestini:
Mus. Fontana, P. III, t. 1, fig. 14]; Payne-Knight, nummi
vet. p. 299, A, 29; so dass ΚΑΣΙΔΩΚΟΥ bei Magnan Lucan.
num. t. 13, 8; ΕΛΕΥΔΩΡΟΥ bei Combe: Mus. Hunter, t. 61,
f. 18 und Mus. brit. p. 45, 2 als ungenau zu betrachten sind.
Wegen der Aehnlichkeit der Arbeit will Streber (Kunstbl.
1832, S. 162) dem Kleudoros auch die Münzen von Velia
zuschreiben, welche bald hinter dem Kopfe der Minerva,
bald unter den Füssen des Löwen, bald auf beiden Seiten
das Monogramm [...] oder [...] (ΚΛΕΥ) tragen. Mir scheint
jedoch diese Annahme mit grosser Vorsicht aufgenommen
werden zu müssen, weil sie eine bedeutende Modification
der Grundsätze erheischt, nach denen wir die Künstler-
namen von denen der Magistrate glauben scheiden zu dürfen.


ΜΟΛΟΣΣΟ,
häufig auf Münzen von Thurium mit dem Pallaskopfe auf
der einen und dem stossenden Stier nebst der Inschrift
ΘΟΥΡΙΩΝ auf der andern Seite: R. R. III, 22. Die In-
schrift ΜΟΛΟΣΣΟ hat allerdings, um sicher für einen Künst-
lernamen zu gelten, etwas zu grosse Buchstaben. Doch
spricht für die Annahme eines solchen der Ort, wo sie sich
[435] findet: nemlich auf der zu einem schmalen Streifen ver-
stärkten Grundlinie, auf welcher sich der Stier bewegt.


ΝΕΥΑΝΤΟΣ
auf Münzen von Kydonia: weiblicher bekränzter Kopf, rechts-
hin, dahinter: ΝΕΥΑΝΤ [...]Σ ΕΠ [...]ΕΙ; ℞ ΚΥΔΩΝ, nackter
Mann stehend, der einen Bogen spannt, rechtshin: Eckhel
D. N. II, p. 309; Mionnet descr. II, 271, n. 112; Suppl. IV,
pl. 9, 2; ein anderes Exemplar mit sehr flüchtiger Schrift
und ΕΠ statt ΕΠΟΙΕΙ: Dumersan, descr. du cab. Allier p. 55.


ΝΙΚΑΝΔΡΟ,
ebenfalls auf einer Münze von Thurium, über welche J. Fried-
laender (Arch. Zeit. 1847, S. 117; vgl. T. VIII, n. 3) fol-
gendes bemerkt: „Behelmter Pallaskopf rechtshin, der Helm
ist mit der Scylla geschmückt, in der ausgestreckten linken
Hand hält sie ein Ruder, welches auf der linken Schulter
aufliegt, an ihrem Leibe sind die Hundeköpfe sichtbar. —
℞ Stossender Stier rechtshin, darüber ΘΟΥΡΙΩΝ, auf
einem Streifen, welcher die Base für den Stier bildet, steht
ΝΙΚΑΝΔΡΟ, über diesem Streifen eine Heuschrecke, unter
dem Streifen ein Fisch. — Die Aufschrift ΝΙΚΑΝΔΡΟ bricht
so ab, obgleich der Raum es nicht bedingt. Die Buchstaben
sind vollkommen erhalten; wäre noch ein Schlussbuch-
stabe dagewesen, so würden gewiss Spuren desselben sicht-
bar sein.... Molossos und Nikandros sind wohl gewiss
Künstlernamen, die Klarheit (Kleinheit?) der Buchstaben, die
Stelle, wo die Namen wenig in die Augen fallend stehen,
sprechen dafür. Ein anderer Grund, dass es Namen von
Künstlern, nicht von Magistraten sind, ist folgender: die
obersten Magistrate wechselten häufig; wenn sie das Recht
hatten, ihre Namen auf die Münzen zu setzen, so übten sie
es alle nach einander aus, es findet sich dann eine ganze
Reihe wechselnder Namen auf den Münzen einer Stadt.
Auf den Silbermünzen von Thurium sind aber nur die beiden
Namen Molossos und Nikandros ausgeschrieben, die Namen
der Magistrate dagegen nur durch Anfangsbuchstaben be-
zeichnet, welche jedoch an bedeutenderer Stelle, zum Beispiel
unter dem Stadtnamen stehen.“


[ΝΙ, ΝΚ.
Die Deutung dieser Inschriften syrakusanischer Münzen auf
[436] einen Künstler Nikon ist von Raoul-Rochette (Lettre à Mr.
Schorn p. 92) selbst wieder aufgegeben worden].


ΝΟΥ(Κ)ΛΙΔΑ.
Torremuzza [t. 73, n. 2 u. 3] hat zwei kleine Medaillons von
Syrakus publicirt, deren eines die Inschrift ΝΟΥ auf dem
Abschnitt der Rückseite, das andere ΝΟΥ auf dem Stirn-
bande des Kopfes der Vorderseite, (κ) ΛΙΔΑ im Felde der
Rückseite zeigt. Ob sich die Inschriften der beiden Seiten,
wie R. Rochette will, zu einem Worte vereinigen lassen,
scheint zweifelhaft, da nach Streber (Kunstbl. 1832, S. 163)
sich Beispiele für eine solche Trennung wohl bei Städte-,
nicht aber bei Eigennamen finden. Dadurch aber verliert
auch die weitere Vermuthung, für ΝΟΥ sei ΕΥ zu lesen,
viel von ihrer sonstigen Wahrscheinlichkeit. Ob und welcher
Künstlername daher hier zu erkennen sei, wird sich erst
nach einer genauern Prüfung der Münzen selbst entscheiden
lassen. Streber (a. a. O.) bemerkt sogar, dass auf einer
Medaille in München, welche mit der von Torremuzza publi-
cirten genau übereinstimmt, deutlich auf dem Stirnbande ΦΡΥ
und auf der Rückseite: ΙΔΑ zu lesen sei.


ΟΛΥΜ
auf einer Münze von Neapel: weiblicher Kopf, rechtshin;
unter ihrem Halse ΟΓ. ℞ Stier mit Menschengesicht, rechts-
hin, von Nike bekränzt; im Abschnitt ΝΕΟΠΟΛΙΤΩ, zwischen
den Füssen des Stieres Ο ΛΥ Μ: R. R. III, 27. Wenn sich
schon hier bei einer Vergleichung vieler andern Münzen von
Neapel (s. Carelli num. Ital. vet. t. 73 sqq.) gegen die An-
nahme eines Künstlernamens mancherlei Zweifel erheben,
so spricht alles dagegen, mit R. Rochette einen solchen:
Olympis, auf einer von Avellino (It. vet. num. supp. p. 31,
n. 561) beschriebenen Münze von Tarent zu erkennen, welche
jetzt bei Carelli num. It. vet. t. 113, n. 181 abgebildet ist:
ΤΑΡΑΣ auf einem Delphin reitend, mit der Diota in der
ausgestreckten Rechten, dem Füllhorn in der Linken, hinter
ihm ein Dreifuss; ℞ jugendlicher Renner zu Ross, die
Rechte zum Wurf erhoben; hinter ihm ein Kranz. Der
Name ΟΛΥΜΠΙΣ unter dem Rosse in grossen Buchstaben
unterscheidet sich in keiner Weise von unzähligen andern
Namen auf tarentinischen Münzen. Eben so wird es sich
mit einer andern tarentinischen, früher fälschlich Heraklea
[437] beigelegten Münze verhalten: Beger thes. Brand. I, 144;
Mionn. suppl. I, p. 299, n. 662, vgl. R. R. Lettre à Luynes,
p. 34, 3: Pallaskopf rechtshin, der Helm mit dem Triton ver-
ziert; ℞ Eule, rechtshin, einen Zweig in den Krallen
haltend; im Felde ein Kranz; dazu die Inschrift ΟΛΥΜΠΙΣ.
Wenigstens bezeichnen die Namen auf Münzen mit denselben
Typen (Carelli t. 115) keineswegs Künstler. — Eher möchte
dies auf der folgenden, von R. Rochette nicht beachteten
Münze von Arkadien der Fall sein: Kopf des Zeus mit
Lorbeer bekränzt, linkshin; ℞ Jugendlicher Pan, die Rechte
auf das Pedum gestützt, auf einem Felsen sitzend; im Felde
[...], unten auf dem Felsen neben einer Syrinx ΟΛΥΜ:
Mionnet descr. II, p. 244, 7; pl. 73, 6, Hunter t. 7, 4. Denn
hier bieten die Kleinheit der Buchstaben und die Stelle, wo
dieselben angebracht sind, uns zwei der Hauptkriterien dar,
nach denen wir die Namen der Künstler auf Münzen er-
kennen zu müssen glauben.


ΠΑΡΜΕ.
Von den Münzen verschiedener Städte betrachten wir zuerst
die von Neapel: Kopf der Parthenope rechtshin; unter dem
Halse ΠΑΡΜΕ, dahinter Artemis mit der Fackel ansteigend;
℞ Stier mit Menschengesicht von Nike bekränzt; zwischen
seinen Füssen eine Biene; im Abschnitt ΝΕΟΠΟΛΙΤΩΝ:
R. R. III, 24; Carelli, t. 75, n. 69. Hier ist die im Ver-
hältniss zu andern Inschriften an derselben Stelle auffallende
Kleinheit der Buchstaben der Annahme eines Künstlernamens
offenbar günstig: eben so ungünstig dagegen auf einer von
Sestini (medagl. gr. del mus. di S. A. Crist. Federigo p. VI.)
beschriebenen bronzenen Münze von Thurium, sofern wir
sie mit einer silbernen derselben Stadt bei Carelli (t. 168,
n. 64) vergleichen dürfen: behelmter Pallaskopf; ℞ Stossen-
der Stier, darüber ΘΟΥΡΙΩΝ und in zweiter Linie mit Buch-
staben von der nemlichen Grösse ΠΑΡ. Denn dieser Παϱ …
ist doch wahrscheinlich mit dem Παϱμε … bei Sestini iden-
tisch. Ebenfalls zweifelhaft stellt sich die Sache bei einigen
syrakusanischen Medaillons: Weiblicher Kopf linkshin, um-
geben von vier Delphinen. Darüber ΣΥΡΑΚΟΣΙΩΝ; unter
dem Halse ΠΑΡΜΕ; ℞ Viergespann, dessen Lenker von
Nike gekrönt wird: R. R. II, 17; Mus. Hunter. t. 52, n. 16.
Denn auch hier erscheinen die Buchstaben für einen Künstler-
[438] namen zu gross. Ob sich dies auch mit der Inschrift ΠΑΡ
eines andern Medaillons bei Torremuzza [auctar. II, t. 6, 5]
so verhält, vermag ich nicht zu entscheiden. Aber auch
im günstigen Falle wäre dadurch die Identität der Person
auf den Münzen von Neapel und Syrakus, welche R. Rochette
annimmt, noch keineswegs bewiesen.


ΠΟΛ, s. ΑΠΟΛ.


ΠΡΟΚΛΗΣ,
kommt auf den Münzen zweier sicilischer Städte vor,
Naxos und Katana: Lorbeerbekränzter Apollokopf, rechtshin;
vor dem Gesicht ΝΑΞΙΩΝ, hinter dem Halse ein Blatt; ℞
Silen mit dem Kantharos in der Rechten, einem thyrsus-
artigem Zweige in der Linken, hat sich mit dem rechten
Knie niedergelassen; zu seiner Rechten eine Herme, zur
Linken eine Epheu- oder Pappelstaude. Auf dem Streifen,
auf welchem er kniet, in ganz kleinen Buchstaben: ΠΡΟΚΛ:
R. R. II, 19; auf einem andern Exemplar ΠΡΟΚΛΗ: Millin-
gen anc. coins of gr. cit. and kings, t. II, n. 15; [Luynes
Choix de med. pl. VII, n. 7]. — Auf der Münze von Katana
sehen wir einen bekränzten Kopf, linkshin; vor dem Gesicht
zwei Fische, hinter dem Halse ein Blatt. Daruber ΚΑΤΑΝΑΙ-
ΩΝ; unter dem Halse ganz klein: ΠΡΟΚΛΗΣ; ℞ Vierge-
spann, dessen Lenker von Nike gekrönt wird: R. R. Lettre
à Mr. Schorn, Vignette zur Vorrede.


ΣΩ, ΣΩΣ,
auf Münzen von Tarent: Taras (ΤΑΡΑΣ) auf dem Delphin,
linkshin, in der Rechten einen nicht ganz deutlichen Gegen-
stand, in der Linken den Dreizack haltend; hinter ihm ein
bärtiger Kopf und [...]; ℞ Reiter nach rechts sprengend,
unter ihm ΖΩΠΥΡΙΩΝ (so nach R. Rochette, nicht ΑΡΙΣΤΙ-
ΩΝ); am Ende dieser Inschrift ein kleiner Stierschädel und
zwischen dessen Hörnern ΣΩ: R. R. I, 38; vgl. Hunter
t. 55, 24; Carelli t. 110, 129. Hierzu gesellt sich noch eine
kleinere Münze, ebenfalls von Tarent: Taras (ΤΑΡΑΣ) auf
dem Delphin, rechtshin, in der Rechten etwas emporhaltend;
unter ihm zur Linken, auf einer entfalteten Rolle ΣΩ; ℞
Pferd, rechtshin. Wie diese Buchstaben zu ergänzen sind,
wage ich nicht zu entscheiden: denn der ausgeschriebene
Name ΣΩΣΤΡΑΤΟΣ auf tarentinischen Münzen, auf den
R. Rochette hinweist, hat als Magistratsname mit dem ab-
[439] gekürzten des Künstlers nichts zu thun. Eben so ist es
unbestimmt zu lassen, ob die Buchstaben ΣΩ und ΣΩΣ auf
dem Helme des Pallaskopfes mehrerer Münzen von Thurium
[Magnan misc. num. tom. I, t. 46, 4; 50, 1 u. 2], wenn sie
auch einen Stempelschneider bezeichnen, auf den der tarenti-
nischen Münzen zu beziehen sind.


[Σ]ΩΣΟΣ.
Auf einer Münze von Histiaea auf Euboea findet sich die
Inschrift [Σ]ΩΣΟΣ in sehr kleinen Buchstaben auf dem Vor-
dertheil des Schiffes, welches die Heroine Histiaea trägt:
Sestini, lett. num. tom. VIII, t. 5, n. 18, p. 55.


ΣΩΣΩ, ΣΩΣΙΣ.
Auf einem Medaillon von Syrakus mit dem gewöhnlichen
Typus eines weiblichen von Delphinen umgebenen Kopfes
auf der Vorder-, und dem Viergespann auf der Rückseite,
findet sich auf dem Stirnbande in kleinen Buchstaben eine
Künstlerinschrift, welche Noehden (spec. of anc. coins p. 49)
ΣΩ liest; R. Rochette bemerkt, dass auf der Tafel bei Noeh-
den (14) ΣΩΣ stehe, aber auch das ist nicht genau: sie
bietet vielmehr dar: Wenn daher R. Rochette weiter
angiebt, dass sich auf einer Münze Gelon’s II. [Mus. Pemb.
II, t. 78; Torremuzza, t. 102, 1] ausgeschrieben ΣΩΣΙΣ finde,
so wird es einer nochmaligen Untersuchung der Münzen
selbst bedürfen, um zu entscheiden, ob es sich hier um zwei
verschiedene, oder um denselben, nur das eine Mal falsch
gelesenen Namen handelt.


ΦΙΛΙΣΤΙΩΝ,
auf Münzen von Velia: Behelmter Pallaskopf rechtshin;
auf der Scheide, in welcher der Helmbusch befestigt ist:
ΦΙΛΙΣΤΙΩΝ; ℞ Löwe, der an seiner Beute nagt, linkshin,
über ihm schwebende Nike und ΦΙ; im Abschnitt ΥΕΛΗΤΩΝ:
R. R. III, 20; Carelli t. 140, n. 52; Mus. Hunter t. 61, 19.
Aehnlich, nur ΦΙΛΙΣΤΙΩΝΟΣ: Mus. Borb. V, 45, 11; P.
Knight, p. 298, A, 11; eben so, aber auf der Rückseite
statt der Nike die beiden Dioskuren: Carelli n. 51, M. Borb.
ib. 12 [Sestini Mus. Font. p. III, t. I, 13.]. Auf einer dritten
Varietät, wo der Löwe rechtshin gewandt ist, der Name
der Stadt über ihm steht und im Abschnitt Φ und Ι sich zu
beiden Seiten einer Epheuranke finden, ist bei Carelli n. 53
[440] ΦΙΛΙΣΤΙΩΝΙΣ nur ungenau für ΦΙΛΙΣΤΙΩΝΟΣ gelesen,
während M. Borb. ib. 10 das Richtige steht. — So wenig
wir zweifeln, dass dieser ausgeschriebene Name der eines
Künstlers ist, so dürfen wir doch die Buchstaben ΦΙ der
Rückseite theils wegen ihrer Grösse, theils wegen ihres zu
häufigen Vorkommens auf Münzen von Velia, nicht auf den-
selben beziehen.


ΦΙΛ,
auf dem Helm des Pallaskopfes mehrerer Münzen von He-
raklea in Lukanien: [Sestini, Mus. Font. III, t. 1, 12]. So
naheliegend uns die Ergänzung ΦΙΛΩΝ erscheint, so zweifle
ich doch, ob für deren Richtigkeit ein Beweis aus einer
anderen Münze von Heraklea [Sestini ib. p. 4, n. 12; Avel-
lino Ital. vet. num. Heraclea n. 1] genommen werden kann,
sofern diese mit der bei Carelli (p. 86, n. *18 u. *19) be-
schriebenen übereinstimmt: denn dort findet sich die Inschrift
ΦΙΛΩ im Felde der Rückseite.


ΦΡΥΓΙΛΛΟΣ
auf Münzen von Syrakus: weiblicher Kopf linkshin, von
schönem, noch etwas strengem Style, umgeben von vier Del-
phinen und der Inschrift ΣΥΡΑΚΟΣΙΟΝ; unter dem Halse
ΦΡΥΓΙΛΛ || ΟΣ: R. R. Lettre à Mr. Schorn, Titelvignette 2;
die Rückseite soll mit der übereinstimmen, welche die An-
fangsbuchstaben ΕΥΘ trägt: R. R. S. 81, 1. Die verhältniss-
mässige Grösse der Buchstaben muss hier gegen die Bezie-
hung auf einen Künstler einigen Zweifel erwecken. Doch
wird die Annahme eines solchen ausserdem durch eine andere,
eine kleine Bronzemünze, gesichert: weiblicher Kopf linkshin;
auf der Binde, welche das Haar im Nacken zusammenhält
ΦΡΥ; ℞ Rad mit vier Speichen, zwischen denen die Buch-
staben ΣΥ ΡΑ und zwei Delphine vertheilt sind: R. R. Lettre
à Mr. Schorn, Vignette am Ende der Vorrede. Da Künstler-
namen sonst auf Bronzemünzen durchaus nicht vorkommen,
so glaubt R. Rochette, dass der Stempel der vorliegenden,
namentlich auch wegen der Feinheit seiner Arbeit, eigentlich
zur Prägung in Gold bestimmt gewesen und vielleicht nur zur
Probe für Bronze angewendet worden sei. — Ueber die an-
gebliche Identität des Phrygillos auf den Münzen und auf
einem geschnittenen Steine vgl. den Schluss der Einleitung.


ΧΟΙΚΕΩΝ oder ΧΟΙΡΙΩΝ, s. ΑΠΟΛΛ.


[][][]
Notes
1).
35, 15.
1).
35, 55.
2).
Wie er schon 7, 39 in ähnlicher Weise erzählt hat.
1).
7, 205.
2).
Vgl. Th. I, S. 529.
3).
Leg. pr. Christ. p. 59
Dechair.
4).
Th. I, S. 24.
5).
Kl. Schr. I, 439.
1).
Plin. 7, 205.
1).
VIII, p. 343 C.
2).
VIII, 346 C.
3).
Allg. Lit. Zeit. 1836, Oct.
n. 177, S. 170.
1).
35, 56.
1).
Arch. d. Mal. I, 235.
2).
Anall. I, 142,
n. 77 (83): Οὐχ ἀδαῆς ἔγϱαψε Κίμων τάδε · παντὶ δ᾽ ἐπ᾽ ἔϱγῳ
μῶμος, ὃν οὐδ᾽ ἥϱως Δαίδαλος ἐξέφυγεν.
n. 78 (84): Κίμων ἔγϱαψε τὴν ϑύϱαν τὴν δεξιὰν ·
τὴν δ᾽ἐξιόντων δεξιὰν Διονύσιος.
Für die Veränderung des Namens Κίμων in Μίχων, welche Jahn (die polygnot.
Gemälde S. 68) vorschlägt, scheinen mir keine zwingenden Gründe vorzuliegen.
3).
V. H. VIII, 8.
4).
35, 56.
1).
35, 90.
1).
Bei Tzetzes ad Lyk. 424.
2).
Ztschr. f. Alterth. 1847, S. 174.
3).
Vgl. die Parömiographen.
4).
II, p. 48 C und nach ihm durch Eusta-
thius ad Odyss. A, 130, p. 1400, 12. R.; cf. Anall. III, 192, n. 206.
1).
Alex. 32.
2).
Arch. Nachlass, S. 119.
3).
Simon. bei Paus. X, 27, 2;
Plato Jon. I, p. 532 E; Gorg. I, p. 448 B u. d. Schol.; Harpoer. Suid. Phot. s. v.
Πολύγνωτος; Dio Chrys. LV, p. 558 B.
4).
Or. III, 7.
5).
XII, 10 init.
6).
35, 60.
7).
XII, 534 D.
1).
Aleib. 16.
2).
H. A. epil. p. 972 Gronov.
3).
Beim Schol. Arist.
Av. 573.
4).
Dass für Θησαυϱῷ zu lesen sei Θησέως ἱεϱῷ oder Θησείῳ wird
jetzt wohl allgemein anerkannt.
1).
s. v. Πολύγνωτος.
2).
7, 205.
3).
35, 58.
4).
Lettres d’un
antiquaire à un artiste, p. 452.
5).
Vgl. Clinton fasti s. a.
1).
Arch. Zeit. 1847, S. 175.
2).
Plut. Cim. 4.
3).
Plut. Cim. 14.
4).
Il. III, 124.
1).
Paus. IX. 4, 1.
2).
Paus. I, 22, 6.
1).
de def. or. c. 6.
2).
V. A. VI, 11.
3).
p. 101 ed. Ruhnken.
4).
Imagg. 7.
5).
O. Jahn: Die Gemälde des Polygnot u. s. w.
Kiel 1841 (aus den Kieler philologischen Studien). Welcker: Die Com-
position der polygnotischen Gemälde. Berlin 1848 (aus den Schriften der
berliner Akademie). K. F. Herrmann: Epikritische Betrachtungen über d. pol.
Gemälde. Göttingen 1849. Overbeck: Antepikritische Betrachtungen u. s. w. im
Rh. Mus. N. F. VII, S. 419 fgd.
1).
35, 59.
2).
V, 11, 6.
3).
35, 57.
4).
h. an. VII, 38.
5).
l. l.
6).
διαίϱεσις ζητημάτων I. 8, p. 120 sqq. Walz.
7).
s. v. Μήκων
8).
vgl. Suidas s. v. Πεισιανάκτειος στοά und Ζήνων. Diog. Laërt im Leben
des Zeno.
9).
Ausführlicher, aber im Ganzen übereinstimmend handelt über
diese Frage O. Jahn arch. Aufs. S. 16 fgd.
1).
Arch. d. Mal. S. 249.
1).
vgl. Plut. de glor. Ath. 3; Luc. Jupp. trag. 32; Himer. or. X, 2, p.
564, nach welchem Kallimachos noch im Tode seinen kriegerischen Ausdruck
bewahrte.
1).
Arch. d. Mal. 259.
2).
Arch. Aufs. S. 19.
3).
Arch. d. Mal.
S. 256.
1).
Arch. Aufs. S. 20.
1).
Anall. II, p. 440, n. 5.
2).
Allg. Lit. Zeit. 1836, S. 205.
1).
Append. Anthol. Pal. II, p. 633.
1).
35, 58.
2).
vgl. Jahn Ber. d. leipz. Gesellsch. 1850, S. 136.
1).
Imagg. 7.
2).
V. h. IV, 3.
1).
Imagg. 7.
1).
XII, 10.
2).
Brut. 18.
3).
33, 160.
4).
35, 42.
5).
35, 58.
6).
Imagg. 7.
1).
X, 31, 1.
2).
X, 28, 4. Ein ähnlicher Dämon VI, 6, 4 und in ei-
nem tarquiniensischen Gemälde. Mon. ined. dell’ Inst. II, 5.
3).
X, 28, 1.
1).
Rhein. Mus. N. F. V, 321 fg.
1).
Imagg. 7.
1).
v. h. IV, 3.
2).
Die Gemälde des Polygnot. Kieler Studien S. 142
flgd.
3).
Freilich bleibt der Ausdruck ἐν τοῖς τελείοις namentlich we-
gen des Artikels immer auffällig; und wir müssen zugeben, dass Aelian mit
diesen Worten den Polygnot vielleicht nur als einen der vollendetsten Künst-
ler hat bezeichnen wollen. In ähnlichem Sinne wird ἀκϱὸς z. B. von Plu-
tarch häufig angewendet: Num. 13 ἕνα τῶν ἄκϱων δημιουϱγῶν Pelop. 23;
Lysand. 7; Philop. 14, Aemil. Paull. 3.
1).
Poët. 2: Πολύγνωτος μὲν κϱείττους, Παύσων δὲ χείϱους, Διονύσιος δὲ
ὁμοίους εἰχάζει.
1).
Poët. 6: ὁ μὲν γὰϱ Πολύγνωτος ἀγαϑὸς ἠϑογϱάφος, ἡ δὲ Ζεύξιδος
γϱαφὴ οὐδὲν ἔχει ἦϑος.
2).
Poët. 6: ἢϑη καϑ̕ ἃ ποιούς τινας εἶναί φαμεν
τοὺς πϱάττοντας oder: ἦϑος τὸ τοιοῦτον ὃ δηλοῖ τὴν πϱοαίϱεσιν ὁποία τις.
1).
Vgl. Jahn in den Ber. d. leipz. Gesellsch. 1850, S. 108.
2).
Vgl.
Ed. Müller, Gesch. d. Theorie d. K. II, S. 50—70.
1).
Pol. VIII, 5.
1).
de ling. lat. IX. 6, 12 ed. Müll. Pictores Apelles, Protogenes, sic
alii artifices non reprehendendi, quod consuetudinem Miconis, Dioris, Arimnae
etiam superiorum non sunt secuti.
1).
Dass er nur wirkliche Menschen, nicht Helden oder Götter, gemalt,
und deshalb sogar den Beinamen ἀνϑϱωπογϱάφος erhalten habe, hat man aus
einer Stelle des Plinius (35, 113) folgern wollen, welche ich jedoch auf einen
jüngern Dionysios, einen Zeitgenossen des Varro, beziehen zu müssen glaube.
1).
35, 60 u. 61.
2).
XII, 10.
1).
Isaeus p. 104 Sylb.
1).
Lettres d’un antiquaire à un artiste.
2).
Peintures antiques inédites.
3).
Allg. Litt. Zeit. 1836, N. 173 fg.
4).
ep. 54 und 135.
5).
S. 202.
1).
Theodoret. hist. eccles. I, 1.
2).
p. 68 u. Petav.
3).
vgl. z. B.
Pers. III, 53.
1).
35, 118.
1).
35, 17.
2).
Plin. 35, 154.
1).
Plin. 35, 58.
1).
35, 60.
2).
de glor. Ath. p. 346 A.
3).
ad Iliad. k, 265.
4).
ad
Arist. Plut. 385.
5).
de glor. Ath. p. 346 A.
1).
Schol. ad Hiad. κ, 265; Hesych. v. v. σκιά.
2).
Der Ausdruck spe-
cies ist also keineswegs unbestimmt, wie ihn Jahn in den Ber. der sächs.
Ges. 1850, S. 139 nennt. Das griechische Wort, welches Plinius hier über-
setzte, ist offenbar εἴδη: ein Kunstausdruck, welcher den vortrefflichsten Gegen-
satz zu σχήματα bildet. Der Anstoss, welchen der Plural erregen könnte,
hebt sich durch die Vergleichung von §. 128: Euphranor — videtur expres-
sisse dignitates heroum.
1).
Handb. §. 136.
2).
II, 13.
1).
bei Hephaestion de metr. p. 14 ed. Pauw.
2).
Plin. 35, 62: artem
ipsis ablatam Zeuxim ferre secum. Worauf ipsis sich bezieht, ist nicht mit
Bestimmtheit zu sagen. Vielleicht sind die Attiker dem Zeuxis als Klein-
asiaten, vielleicht Apollodor und seine Altersgenossen ihm als dem jüngeren
Künstler gegenübergestellt.
1).
35, 61.
2).
Rh. Mus. N. F. VII, 479.
3).
Prooem. 2, 9.
4).
Plut.
de glor. Ath. p. 346 A; Hesych. s. v. σκιά.
5).
35, 63.
6).
Kunstbl.
1830, N. 84.
7).
Schol. Victor. ad Iliad. κ, 265.
8).
Plin. 35, 61; Ael.
v. h. IV, 12; Anthol. ed. Jacobs XIII, p. 777, n. 29.
1).
Chil. VIII, 196.
1).
§. 2.
2).
Gorg. p. 453 c.
3).
Memor. I, 4, 3; Oeeon. 10, 1.
4).
v. 991.
5).
v. v. ἀνϑέμων.
6).
Protag. 318 St.
7).
Sympos. 4, 63.
8).
c. 13.
9).
XII, 10.
1).
s. v. pictor.
1).
Dies erzählt auch Aristides: π. τ. παϱαφϑ. II, p. 386.
1).
Poët. 6.
1).
II, 13.
2).
Mon. dell’ Inst. IV t. 50.
3).
II, 11.
4).
n. 2.
5).
n. 5.
1).
poët. 25.
1).
Ber. d. sächs. Ges. 1850, S. 105 fg.
2).
S. 117.
3).
II, 28.
1).
Hamb. Dram. N. 95.
1).
Ecl. ap. Phot. p. 602 Hoesch.
2).
35, 61.
3).
XII, 10.
1).
Brut. 18.
1).
35, 64.
2).
XII, 10.
3).
Th. 1. S. 317.
1).
Ital. Forsch. II, 39 fg.
1).
Plut. Per. 13; de amic. mult. 94 F.
2).
Anthol. XIII, p. 777, v. 99;
Arist. orat. πεϱὶ τοῦ ἀποφϑ. II, p. 386; vgl. Bergk anall. lyr. I, p. 7.
1).
Zeux. c. 7.
2).
Paus. I, 28, 2; Juba ap. Harpocr., Suid. s. v. Παϱ-
ϱάσιος; Athen. XII, 543 C; Plin. 35, 60.
3).
Athen. Harpocr. Suid. l. l.
Strabo XIV, p. 642; Plin. 35, 67.
4).
Controv. V, 10.
5).
zu Horat. IV,
6.
6).
Thes. 4.
7).
XII, 10.
8).
mem. III, 10.
9).
§. 2.
10).
I,
28, 2.
1).
I, S. 182.
2).
Controv. V, 10.
3).
im Kunstblatt 1818, N. 14.
4).
VIII, 2.
1).
Ecl. XIII, 5; ap. Phot. p. 602 Hoesch.
1).
35, 67: Parrhasius Ephesi natus et ipse multa contulit; primus symmetriam
picturae dedit, primus argutias voltus, elegantiam capilli, venustatem oris,
confessione artificum in liniis extremis palmam adeptus. Haec est picturae
summa subtilitas; corpora enim pingere et media rerum est quidem magni
operis, sed in quo multi gloriam tulerint; extrema corporum facere et desi-
nentis picturae modum includere rarum in successu artis invenitur; ambire
enim se ipsa debet extremitas et sic desinere, ut promittat alia post se
ostendatque etiam quae occultat. Hanc ei gloriam concessere Antigonus et
Xenocrates qui de pictura scripsere, praedicantes quoque, non solum confi-
tentes et alia. [Multa graphidis vestigia extant in tabulis ac membranis eius,
ex quibus proficere dicuntur artifices.] Minor tamen videtur sibi comparatus
in mediis corporibus exprimendis. Der eingeklammerte Satz ist offenbar eine
nachträgliche Randbemerkung des Plinius, die an falscher Stelle in den Text
gesetzt worden ist.
2).
I, S. 136 fg.
1).
XII, 10.
1).
XII, 10.
1).
epist. p. 170 ed. Rom. quid si quis Parrhasium versicolora pingere
iuberet, aut Apellen unicolora?
2).
Plut. de glor. Ath. p. 346 A.
3).
Bei
Diodor (exc. Hoesch. 1. 26, 1) heissen zwar Apelles und Parrhasios οἱ τοῖς
ἐμπειϱικῶς κεκϱαμένοις χϱώμασι πϱοαγαγόντες εἰς ἀκϱότατον τὴν ςωγϱαφι-
κὴν τέχνην. Aber hier handelt es sich nicht um ein eigentliches Kunstur-
theil, sondern die beiden Maler werden nur als besonders ausgezeichnet in
ihrer Kunst wie Phidias und Praxiteles in der Bildhauerei hingestellt. Eben
so verbunden erscheinen sie bei Justinian institut. II, 1, 34; in dem Ephitalam.
Maximiniano et Constantino dict. c. 6; nebst Protogenes bei Columella
I, praef. §. 31.
1).
Mem. III, 10.
1).
Ἀλλὰ μὴν καὶ τὸ μεγαλοπϱεπές τε καὶ ἐλευϑέϱιον, καὶ τὸ ταπεινόν
τε καὶ ἀναλεύϑεϱον, καὶ τὸ σωφϱονητικόν τε καὶ φϱόνιμον, καὶ τὸ ὑβϱιστι-
κόν τε καὶ ἀπειϱόκαλον καὶ διὰ τοῦ πϱοσώπου καὶ διὰ τῶν σχημάτων καὶ
ἑστώτων καὶ κινουμένων ἀνϑϱώπων διαφαίνει.
1).
vgl. über dieselben z. B. Pauly’s Realencyclopädie unter Parrhasios.
1).
XII, 10.
1).
35, 71.
2).
wohl im Hinblick auf den Apollo Parrhasios : Paus.
VIII, 38, 2 u. 6.
3).
V. H. IX, 11.
4).
XII, p. 543 C sqq., XV,
687 B.
1).
ἐν τῷ πεϱὶ εὐδαιμονίας, bei Aelian und Athenaeus a. a. O.
1).
Quintil. II, 13.
1).
II, 13.
2).
ad II. 24, 163. p. 1343, 60 R.
3).
35, 64.
1).
Brut. 18.
1).
35, 64.
1).
Plin. 35, 75.
2).
Plin. 34, 61.
3).
35, 75.
1).
Plin. 35, 75.
2).
Suid. s. v. Άπελλῆς; Plin. 35, 76.
3).
Plut.
Arat. 12, 13.
4).
v. 382. Ὁϱῶτιν̛ ἐπὶ τοῦ βήματος καϑεδούμενον
ἱκετηϱίαν ἒχοντα, μετὰ τῶν παιδίων
καὶ τῆς γυναικός, κοὐ διοίσοντ̕ ἄντικϱυς
385. τῶν Ἡϱακλειδῶν οὐδ̛ ὁτιοῦν τῶν Παμφίλου.
5).
Griech. Trag. S. 710.
6).
Plin. 35, 76.
7).
Amalthea III, S. 116.
1).
hist. gr. VII, 2, §. 11, 19, 22.
2).
a. a. O.
3).
35, 136.
4).
35,
134.
5).
vgl. §. 143: Oenias syngenicon.
6).
35, 139.
7).
Im eigen-
thümlich römischen Sprachgebrauche scheinen nicht sowohl die Familien-
bilder selbst, als der eigentliche Stammbaum, der genealogische Apparat,
durch welchen solche Bilder unter einander verknüpft wurden, durch stem-
mata bezeichnet worden zu sein: Plin. 35, 6; Seneca de benef. III, 28;
Lamprid. Alex. Sev. c. 27; vgl. R. Roch. peint. ant. inéd. p. 343.
8).
Vi-
tae X Oratt. p. 843 F.
1).
Arat. 12.
2).
35, 76.
3).
vite dé pittori p. 105.
4).
zu Sui-
das 1. 1.
1).
de or. III, 21.
1).
Ital. Forsch. I, 64 fg.
1).
XII, 10.
1).
Arat. 13.
1).
Plin. 35, 123.
1).
Arat. 12—13.
2).
XII, 10.
3).
VII, praef. §. 14.
4).
IV, §. 18.
1).
Plin. 35, 80. Dass der Name des Melanthios mit Recht an die Stelle
des unbekannten Amphion gesetzt ist, steht jetzt durch den Cod. Bamb. fest.
2).
Arat. 13.
3).
Plut. Arat. 12.
1).
Demosth. de coron. §. 48 u. 295.
2).
35, 50.
3).
35, 123—127.
1).
II, 273.
1).
35, 122.
1).
Hall. Lit. Zeit. 1836. Oct. 149 fg.
2).
Malerei d. Alt. S. 148.
1).
bei Athen. XIII, p. 567 B.
1).
Appendice aux lettres d’un antiq. p. 9 sqq.
2).
Ztschr. f. Altw. 1837.
N. 83.
3).
epist. p. 170 ed. Rom.
1).
35, 137.
1).
35, 137.
2).
36, 32.
3).
35, 111.
1).
Brut. 95.
1).
Bei Athenaeus XIII, p. 567 B.
2).
De aud. poet. p. 18 A.
1).
Plin. 35, 108.
1).
De eoron. §. 48. 295.
2).
Arat. 13.
3).
Vgl. M. Schmidt: Rhein.
Mus. N. F. IV, S. 305.
4).
XIV, 46.
5).
Plin. 35, 146.
6).
Plin.
35, 110.
1).
35, 111.
2).
7, 39; 35, 24; 98; 111.
3).
35, 98.
4).
Plin. 35,
99.
5).
Aelian v. h. III, 19.
6).
35, 122.
7).
35, 99.
1).
35, 75.
2).
35, 110.
1).
35, 98.
2).
35, 111.
3).
Ann. dell’ Inst. 1845. p. 258.
4).
35,
127.
5).
Plut. de glor. Ath. p. 346 B; Paus. 1, 3, 3.
6).
Vgl. Schaefer
im Rhein. Mus. N. F. V. S. 56—64.
7).
Plin. 34, 77.
1).
35, 146.
2).
s. v. Ἀνϑηδών.
3).
Ad Il. β. 508.
4).
VII, Praef.
§. 14.
5).
35, 130.
6).
Paus. III, 19, 4; Plut. de glor. Ath. p. 346 A.
7).
35, 133.
8).
Non posse suav. vivi sec. Epicur. p. 1093 F.
9).
Plinius
35, 132 nennt fälschlich Attalos.
10).
§. 134.
1).
Vgl. Th. 1, 336.
1).
Paus. IV, 31, 9.
1).
Brut. 18.
2).
De mul. virt. praef.
3).
35, 50.
4).
Plin. 35, 38.
1).
Timol. 36.
2).
III, praef. §. 2.
1).
Stobaeus serm. 61 und Aelian v. h. XIV, 47, wo nur der Name
Nikomachos mit Nikostratos vertauscht ist.
2).
Plin. 35, 110.
3).
35,
98 — 100.
1).
35, 98.
2).
Tusc. III, 4, 7; IV, 5, 10; 6, 11; vgl. Jahn Ber. d.
leipz. Gesellsch. 1850, S. 114 fg.
1).
p. 60 Sylb.
1).
I, 15.
1).
Plin. 35, 111.
2).
I, 314—318.
3).
Jupp. trag. 7; de mercede
cond. 42; vgl. Lactantius Div. Inst. II, 4, wo er mit Polyklet und Phidias
zusammen genannt wird.
4).
35, 128.
1).
XII, 10, 12.
2).
35, 129.
3).
I, 33; vgl. Schol. ad Iliad. α, 530.
4).
VIII, 11, ext. 5.
5).
ad Il. α. 529.
1).
Imagg. 7.
2).
de glor. Ath. p. 346 A.
1).
Annal. d. Inst. 1846, p. 303.
2).
de domo 30.
1).
πάϱεστιν ὁϱὰν ἐν εἰκόνι τὴς μάχης τὸ σύϱϱηγμα καὶ τὴν ἀντέϱεισιν
ἀλκὴς καὶ ϑυμοῖ καὶ πνεύματος γεμοῦσαν. Σύϱϱηγμα was Dindorf an die
Stelle des unpassenden σύγγϱαμμα gesetzt hat, scheint dem Sprachgebrauch
des Plutarch angemessener, als σύγκϱαμα, worauf ich eben so wie Feuerbach:
nachgel. Schr. III, 149, verfallen war.
1).
primus symmetrian picturae dedit: 35, 67.
2).
primus videtur ....
usurpasse symmetrian: 35, 128.
3).
sed fuit in universitate corporum exi-
lior et capitibus articulisque grandior.
4).
VII, praef. §. 14.
5).
35, 64:
reprehenditur tamen ceu grandior in capitibus articulisque.
1).
vgl. z. B. Cie. de off. 1, 36.
1).
de invent. II, 1.
2).
fragm. p. 236 ed. Bipont.; bei Charisius p. 72
ed. Lindemann.
1).
Rumohr: ital. Forsch. II, 264 u. 256 und überhaupt im 13ten Ca
pitel.
1).
Aelian v. h. III, 31; Plutarch au seni s. resp. ger. 786 B; non posse
suav. vivi sec. Epic. 1093 C, wo dieser Eifer nur auf das Malen an der Ne-
kyia bezogen wird.
2).
35, 131.
1).
VIII, 5, 26.
2).
zu Müller Arch. S. 431.
1).
epist. p. 170 ed. Rom.
2).
35, 38; vgl. Wiegmann Malerei d. A.
S. 218.
3).
35, 131.
4).
elocut. 76.
1).
I, 29.
1).
s. v. Ἀπελλῆς.
2).
XIV, p. 642.
3).
de calumn. non tem. cred.
c. 2.
4).
35, 79.
5).
A. A. III, 401. Pont. IV, 1, 29.
6).
Πύϑιος als
Mannsname findet sich z. B. bei Herodot VII, 27, während die Form Πυϑίας
als Nominativ zu dem Genitiv Πυϑίου bei Suidas nicht nachweisbar ist.
7).
35, 76.
8).
Arat. 13.
9).
35, 93.
1).
Plin. 35, 81.
2).
Plin. 35, 89; Lucian 1. 1.
3).
Athen. XIII,
590 F.
4).
Athen. XIII, 588 D.
5).
Paus. IX, 35, 2.
6).
Plin. 35, 93.
7).
c. 27.
8).
vite de pittori, Apelles n. 24.
9).
35, 79.
1).
Anall. I, p. 231, n. 41 von Leonidas Tarent., II, 15, 32 v. Antipater
Sidon (und danach Auson. ep. 32); II, 95, 13 v. Archias; II, 500, 32 v. Ju-
lian. Aegypt. (zweifelhafter scheint mir, ob II, 260 von Demokrit auf das
Werk des Apelles zu beziehen ist); Ovid. pont. IV, 1, 29; cll. amor. I, 14,
35; trist. II, 527; Corn. Sev. Aetna v. 593.
2).
bei Callimachus fragm.
254; Properz. III, 9, 11; Cic. de div. I, 13; ad Attic. II, 21; or. 2, 5; de
nat. deor. I, 27; in Verr. IV, 60, 135; Ovid. a. a. III, 401.
1).
Plin. 35, 80.
1).
Plin. 35, 88.
2).
Plut. de educ. p. 6 F.
3).
Clem. Alex. pro-
trept. II, 12.
4).
Plin. 35, 85; Valer. Max. VIII, 12, ext. 3.
5).
Plin.
35, 85; wogegen Plut. de discr. adul. et am. p. 58 D dasselbe von Apelles
und dem Megabyzos, Aelian v. h. II, 2 von dem letzteren und Zeuxis erzählt.
1).
35, 80.
2).
35, 107.
1).
35, 84.
2).
vgl. Apostol. XVI, 44 c.
1).
Plin. 35, 92.
2).
35, 93.
1).
35, 88.
2).
aut futurae mortis annos aut praeteritae giebt offenbar
keinen Sinn; vitae aber kann wegen der gleichen Endung von praeteritae
leicht ausgefallen sein.
3).
Plin. l. l.
1).
Plin. l. l.
2).
silv. 1, 100.
3).
Brut. 18.
1).
Lindemann de imag. Alex. ab Apelle picta.
2).
imagg. 7.
1).
35, 97.
2).
35, 42.
1).
35, 29.
2).
Arch. §. 319.
1).
Ich verbinde nämlich: picturae plura solus prope quam ceteri omnes
contulit, cum eadem aetate maxumi pictores essent, indem ich von den da-
zwischen geschobenen Sätzen den ersten: voluminibus etiam editis, quae doc-
trinam eam continent, für einen Zusatz der zweiten Redaction, den zweiten:
praecipua eius in arte venustas fuit, für eine Randglosse zu der folgenden
Bemerkung über die Charis des Apelles halte.
2).
Plin. 35, 79.
3).
Plin. 35,
80; Plut. Demet. 22; Ael. v. h. XII, 41; vgl. Cic. orat. 22, §. 73.
1).
XII, 10: ingenio et gratia, quam in se ipse maxime iactat, Apelles
est praestantissimus.
2).
Von ganz allgemein gehaltenen rühmenden Erwäh-
nungen trage ich hier noch nach: Diodor. exc. Hoesch. XXVI, 1; Cic. ad
Att. II, 21; Columell. I, praef. §. 31; Epithal. Maxim. et Const. dict. c. 6;
Justinian instit. II, 1, 34.
1).
35, 101—106.
1).
34, 91.
2).
I, 3, 4.
3).
Demetr. 22.
4).
s. v. Πϱωτογένης.
5).
de themat. c. 14.
1).
Laokoon, Cap. XI.
2).
arch. Studien S. 26 fg.
3).
Demetr. 22
und apophth. reg. p. 183 A.
4).
XV, 31.
1).
XIV, p. 652.
2).
s. v. Πϱωτογένης.
3).
l. l.
4).
Verr. IV, 60,
§. 135; or. 2, c. 5.
1).
ad Dion. Perieg. 504.
2).
V. H. XII, 41.
3).
ad M. Caes. L. II,
p. 42 ed. Rom.
1).
Verr. IV, 60, §. 135.
1).
XII, 10.
1).
c. 84.
2).
Brut. 18.
1).
Arch. Stud. S. 40—46.
2).
18.
3).
5, 2.
4).
34, 50; 35, 50 u. 78.
1).
35, 50.
2).
de merc. cond. 42.
3).
imagg. 7.
4).
Arch. §. 211.
1).
Plin. 34, 50.
2).
35, 78.
1).
Herod. s. Eetion 5.
2).
imagg. 7.
1).
primis proximi: 35, 138.
1).
35, 140.
2).
de calumn. n. tem. cred. 2.
1).
Progymn. I.
2).
R. R. III, 2.
3).
XII, 10.
4).
II, 4.
5).
12.
1).
XII, 10.
2).
35, 144.
3).
de aud. poet. p. 18 A.
4).
V. H.
II, 44.
1).
VI, 2, 29.
1).
Plin. 35, 144.
2).
II, 10.
1).
Arat. 12.
2).
vgl. I, S. 232 u. 308.
1).
vgl. Th. I, S. 310.
1).
I, 436 fg.
1).
35, 136.
2).
35, 145.
3).
7, 126.
4).
35, 26.
5).
Trist. II, 525.
1).
Vit. Apollon. II, 22.
2).
de aud. poet. p. 18 A, vgl. Lucian de
domo c. 31 und Lucilius Aetna v. 594.
3).
Auf den Aias: Anall. III, 213,
n. 295; auf die Medea: Anall. II, 174, n. 20 von Antiphilus (nachgeahmt
von Ansonius 129); II, 499, n. 29 von Julian dem Aegypter, II, 223, n. 42
von Philippus (bei Ausonius 130); III, 214, n. 299, 300 und 301 von unbe-
kannten Dichtern.
4).
III, 216, n. 306.
5).
Kl. Schr. III, 450 fg.
6).
vgl.
Friedländer, über d. Kunstsinn d. Römer. S. 9.
1).
Mus. Borb. X, 21.
2).
de domo c. 31.
3).
Aetna v. 594.
4).
Hin-
sichtlich des Lueilius hegt Welcker (a. a. O. S. 455) einigen Zweifel, indem
ja des Timomachos Medea sich zu Rom befunden habe, Lucilius sie aber un-
ter Dingen anführe, deren wegen von dem Liebhaber wohl Reisen über Land
und Meer unternommen würden. Dass aber der Dichter von seiner Aufzäh-
1).
de aud. poet. p. 18 A.
2).
Τίς σου, Κολχὶς ἄϑεσμε, συνέγϱαφεν εἰκόνι ϑυμόν;
τίς καὶ ἐν εἰδώλῳ βάϱβαϱον εἰϱγἀσατο;
ἀεὶ γὰϱ διψᾷς βϱεφέων φόνον . ἤ τις Ἰήσων
δεύτεϱος, ἤ Γλαύκη; τίς παλι σοὶ πϱόφασις;
ἔϱϱε καὶ ἐν κηϱῷ, παιδοκτόνε · σῶν γὰϱ ἀμέτϱων
ζήλων εἰς ἃ ϑέλεις καὶ γϱαφὶς αἰσϑάνεται.
Für εἰς ἅ ϑέλεις eonjicirt Jacobs λυσσαλέος.
3).
Laok. Kap. 3.
4).
ep.
130, wo am Schlusse die Verse hinzugefügt werden:
Laudo Timomachum, matrem quod pinxit in ense
Cunctantem, prolis sanguine ne maculet.
4).
lung die in Rom zusammengehäuften Schätze keineswegs ausschliessen will,
lehrt z. B. die zugleich erwähnte Anadyomene des Apelles, welche ja eben-
falls in Rom aufgestellt war.
1).
fugit. 32.
2).
Kl. Schr. III, 457.
3).
in Verr. IV, 60, 135.
1).
35, 25.
1).
Laokoon, Kap. 3.
1).
Dass Beides in einem und demselben Bilde dargestellt war, vermu-
thet, wie ich nachträglich bemerke, O. Jahn, arch. Zeit. 1854, S. 191.
1).
Für Jaia, was die Bamberger Handschrift statt der früheren Lesart
Lala bietet, schlägt Schneidewin (Gött. gel. Anz. 1849, S. 1820) Laia zu
lesen vor, wohl mit Recht, da Jaia doch nur als italische Nebenform nach-
weisbar ist.

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TextGrid Repository (2025). Brunn, Heinrich von. Geschichte der griechischen Künstler. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bj79.0