[][][][][][][[1]]
Robinſon der Juͤngere,
zur angenehmen
und
nuͤzlichen Unterhaltung fuͤr Kinder.


Zweiter Theil



Mit Churſaͤchſiſcher Freiheit.
Hamburg: 1780,
beim Verfaſſer und in Commißion bei
Carl Ernſt Bohn.

[[2]][[3]]

Zwoͤlfter Abend.


Vaͤterchen, was wilſt du uns denn nun
erzaͤhlen?„ fragte Lotte, da ſich
Alle wieder unter dem Apfelbaume eingefun-
den hatten, und der Vater Miene machte,
als ob er fuͤr ſeine Kleinen abermahls etwas
in Bereitſchaft habe. (Die ganze Geſel-
ſchaft hatte unterdeß Unterricht im Korb-
machen
genommen, womit ſie jezt eben be-
ſchaͤftiget war.)


„Von Robinſon!„ antwortete der Va-
ter, und die Verſamlung machte große Au-
gen.


A 2
Lot-
[4]

Lotte. J, der iſt ja todt!


Johannes. O ſtille doch, Lotte! Er
kan ja wohl wieder aufgelebt ſein; weißt du
nicht, daß wir ſchon einmahl geglaubt haben,
daß er todt ſei, und da lebt' er ja doch noch.


Vater. Robinſon kriegte, wie wir zu-
lezt gehoͤrt haben, Verzukkungen; neigte ſein
Haupt und hoͤrte auf, ſich ſeiner bewuſt zu
ſein. Ob er wirklich todt, oder nur von ei-
ner ſtarken Ohnmacht uͤberfallen ſei, war
noch unentſchieden.


Ueber eine gute halbe Stunde lag er in
dem Zuſtande einer gaͤnzlichen Sinloſigkeit.
Endlich — wer haͤtt' es wohl gedacht! —
kehrte das Bewuſtſein wieder in ſeine Sele
zuruͤk.


Alle. Ah! das iſt gut! das iſt ſchoͤn,
daß er noch nicht todt iſt!


Vater. Mit einem tiefen Seufzer fing
er wieder an, auf die gewoͤhnliche Weiſe
Athem zu holen. Dan ſchlug er ſeine Augen
auf und blikte umher, als wenn er ſehen
wolte, wo er waͤre? Denn wirklich war er
in
[5] in dieſem Augenblicke ſelbſt noch zweifelhaft,
ob er aus ſeinem Leibe herausgegangen ſei,
oder nicht? Endlich uͤberzeugte er ſich von
dem Leztern und zwar zu ſeiner großen Be-
truͤbniß, weil der Tod ihm jezt wuͤnſchens-
wuͤrdiger, als das Leben, ſchien.


Er fuͤhlte ſich ſehr mat, aber doch ohne
ſonderliche Schmerzen. Stat der troknen
brennenden Hize, die er vorher empfunden
hatte, quol jezt ein ſtarker wohlthaͤtiger Schweiß
aus allen ſeinen Gliedern. Um denſelben zu
unterhalten, bedekt' er ſich noch immer mit
Fellen, und kaum hatt' er eine halbe Stun-
de in dieſer Lage zugebracht, als er anfing
große Erleichterung zu ſpuͤren.


Aber jezt quaͤlte ihn der Durſt auf die
allerempfindlichſte Weiſe. Das uͤbrige Waſ-
ſer war nicht mehr trinkbar; zum Gluͤk er-
innerte er ſich der Zitronen. Mit vieler Muͤ-
he biß er endlich eine derſelben an, und genoß
ihres Saftes zu ſeiner merklichen Erquikkung.
Dan gerieth er, unter fortdauerndem Schweiſ-
ſe, in einen ſanften Schlummer, der ſich
A 3
erſt
[6] erſt mit dem Aufgange der Sonne en-
digte.


O wie viel leichter war's ihm jezt ums
Herz, als am geſtrigen Tage! Die Wuth
der Krankheit hatte ſich offenbar gelegt und
ſein ganzes jeziges Uebel beſtand nur noch in
bloßer Mattigkeit. Er fuͤhlte ſogar ſchon
wieder einigen Appetit und ſpeiſete eine der
gebratenen Kartoffeln, auf die er etwas Zitro-
nenſaft treufelte, um den Geſchmak derſelben
erfriſchender zu machen.


Die beiden vorigen Tage hatt' er ſich gar
nicht um ſeine Lama's bekuͤmmert; jezt aber
war es ihm ein ruͤhrender Anblik, ſie zu ſei-
nen Fuͤßen liegen zu ſehen, indem einige der-
ſelben ihn ſtar anſahen, als wenn ſie ſich er-
kundigen wolten, ob's noch nicht beſſer mit
ihm waͤre? Zum Gluͤk koͤnnen dieſe Thiere,
ſo wie die Kamele, ſich viele Tage ohne Ge-
traͤnk behelfen: ſonſt wuͤrd' es jezt ſchlim um
ſie ausgeſehen haben; weil ſie nun ſchon ſeit
zwei Tagen nicht getrunken hatten, und Ro-
binſon
auch jezt noch viel zu ſchwach war,
um
[7] um aufſtehen und Waſſer fuͤr ſie holen zu
koͤnnen.


Da das alte Mutterlama ihm ſo nahe
kam, daß er es erreichen konte: ſo wandte er
alle ſeine Kraͤfte an, ihm etwas Milch aus
dem Eiter zu ziehen, damit ſie ihm nicht
vergehen moͤgte. Der Genuß dieſer friſchen
Milch mußte ſeinem kranken Koͤrper auch wohl
zutraͤglich ſein, denn es ward ihm recht wohl
darnach.


Nachher verfiel er von neuem in einen er-
quikkenden Schlaf, aus dem er erſt bei Son-
nenuntergang wieder erwachte. Und da ver-
ſpuͤrte er ſchon viel ſtaͤrkern Hunger. Er aß
alſo wieder einige Kartoffeln mit Zitronenſaft
und legte ſich abermahls ſchlafen.


Dieſer fortdauernde erquikkende Schlaf
und die Guͤte ſeiner Natur wirkten ſo ſtark
zur Wiederherſtellung ſeiner Kraͤfte, daß er
am folgenden Morgen ſchon wieder aufſtehen
und — wiewohl mit ſchwachen zitternden
Fuͤßen — einige Schritte verſuchen konte.


A 4
Er
[8]

Er ſchwankte aus der Hoͤhle bis auf ſei-
nen Hofplaz. Hier hob er ſeine Augen gen
Himmel; ein ſanfterwaͤrmender Strahl der
Morgenſonne fiel durch die Baͤume auf ſein
Angeſicht, und es ward ihm, als wenn er
neu gebohren wuͤrde. „O du ewiger Quel
des Lebens, rief er aus, indem er ſich auf
ſeine Knie warf; Gott! Gott! habe Dank,
daß du mich noch einmahl deine ſchoͤne Sonne
erblikken, und in ihrem Lichte die Wunder
deiner Schoͤpfung ſehen laͤßt! Habe Dank!
Dank! Dank! daß du mich nicht verlaſſen
haſt in meiner Noth; daß du noch einmahl
mich zuruͤk gerufen haſt ins Leben, um mir
noch mehr Zeit zu meiner Beſſerung zu ſchen-
ken! Laß mich doch ja jeden Tag meines noch
uͤbrigen Lebens dazu anwenden, damit ich zu
jeder Zeit bereit gefunden werde, hinzureiſen
nach dem Orte unſerer ewigen Beſtimmung,
wo wir den Lohn unſerer guten und boͤſen
Thaten empfangen werden!„


Nach dieſem kurzen, aber herzlichen Ge-
bete weidete er ſeine Augen bald an dem groſ-
ſen
[9] ſen blauen Gewoͤlbe des Himmels, bald an
den Baͤumen und Stauden, die in friſches
Gruͤn gekleidet und mit Thau beperlt, ſo la-
chend vor ihm da ſtanden, bald an ſeinen
treuen Lama's, die ſich freudig und liebkoſend
um ihn her drengten. Es war ihm, als
waͤr' er von einer langen Reiſe wieder zu den
Seinigen gekommen; ſein Herz floß uͤber und
ergoß ſich in ſuͤßen Freudentraͤnen.


Der Genuß der friſchen Luft, und des
friſchen Waſſers, welches er mit Milch ver-
miſchte, und die ſtille Heiterkeit ſeines Ge-
muͤths trugen nicht wenig dazu bei, ihn voͤl-
lig wieder herzuſtellen. In einigen Tagen
waren alle ſeine Kraͤfte erſezt, und er ſahe
ſich wieder im Stande, zu ſeinen Arbeiten
zuruͤkzukehren.


Das erſte, was er vornahm, war eine
Unterſuchung, was wohl aus ſeinen Toͤpfen
moͤgte geworden ſein? Er oͤfnete den Ofen
und ſiehe da! alle ſeine Gefaͤſſe waren ſo
ſchoͤn glaſirt, als wenn ſie von einem unſerer
Toͤpfer waͤren gemacht worden. In der Freude
A 5
daruͤ-
[10] daruͤber vergaß er eine Zeitlang, daß er von
dieſer ſeiner wohlgerathnen Arbeit nun keinen
Gebrauch werde machen koͤnnen, weil ſein
Feuer ausgegangen war. Da ihm dieſes end-
lich einfiel, ſtand er mit geſenktem Haupte,
ſahe bald die Toͤpfe und Tiegel, bald die
Feuerſtelle in ſeiner Kuͤche an, und ſtieß ei-
nen tiefen Seufzer aus.


Doch blieb ſeine Betruͤbniß diesmahl in
den Schranken der Maͤßigkeit. Er dachte
nemlich: eben die guͤtige Vorſehung, die dir
neulich Feuer verſchafte, kan dir ja, entwe-
der auf eben dieſelbe, oder auf eine andere
Weiſe, auch zum zweitenmahle dazu verhel-
fen, wenn es ihr gefaͤllig iſt. Ueberdem wuſt'
er nun ſchon, daß er keinen Winter hier zu
beſorgen habe; und ohngeachtet er von Ju-
gend auf an Fleiſchſpeiſen gewoͤhnt war: ſo
hoft' er doch, daß er auch ohne dieſelben,
blos von Fruͤchten und von der Milch ſeiner
Lama's, wuͤrde leben koͤnnen.


Lotte. J, er konte ja auch geraͤucher-
tes Fleiſch eſſen; das braucht ja nicht erſt
gekocht zu werden!


Va-
[11]

Vater. Das iſt wahr; aber womit ſolt'
er denn ſein Fleiſch raͤuchern?


Lotte. Ja ſo! daran hatt' ich nicht ge-
dacht.


Vater. Es reuete ihn indeß nicht, die
Toͤpfe gemacht zu haben: denn er konte ſie
nun wenigſtens zu Milchgefaͤßen brauchen.
Den groͤßten davon hatte er zu einem beſon-
dern Gebrauche auserſehen.


Johannes. Nu, wozu denn?


Vater. Er bildete ſich ein, daß ihm
ſeine Kartoffeln noch beſſer ſchmekken wuͤrden,
wenn er ſie mit etwas Butter eſſen koͤnte.


Gottlieb. Das glaub' ich!


Vater. Aber ein hoͤlzernes Butterfaß zu
verfertigen, war ihm unmoͤglich. Er wolte
daher verſuchen, ob die Butter ſich nicht auch
in einem großen Topfe machen lieſſe. Er
ſamlete alſo ſo viel Rahm, als er noͤthig zu
haben glaubte. Dan machte er einen kleinen
hoͤlzernen Teller mit einem Loche in der Mit-
te, in welches er einen Stok ſtekte. Mit
dieſem Werkzeuge fuhr er dan in dem mit
Rahm
[12] Rahm angefuͤlten Topfe ſo lange auf und
nieder, bis die Butter von der Buttermilch
abgeſondert war; worauf er ſie mit Waſſer
wuſch und mit etwas Salz vermiſchte.


So war er alſo auch damit gluͤklich zu Stande
gekommen: aber indem er der Frucht ſeines
Fleiſſes jezt genieſſen wolte, fiel ihm erſt ein,
daß er auch keine Kartoffeln mehr braten
koͤnte, weil er kein Feuer haͤtte, woran er in
der Hize ſeiner Geſchaͤftigkeit wiederum gar
nicht gedacht hatte. Da ſtand nun die ſchoͤne
Butter, welche ungegeſſen bleiben ſolte, und
Robinſon ſtand daneben mit traurigem Ge-
ſichte. Er ſahe ſich nun auf einmahl wieder
in ſeinen anfaͤnglichen armſeligen Zuſtand ver-
ſezt. Auſtern, Milch, Kokusnuͤſſe, und ro-
hes Fleiſch waren nun wieder ſeine einzigen
Nahrungsmittel geworden, und es ſtand da-
hin, ob er dieſe immer wuͤrde haben koͤnnen?
Das ſchlimſte dabei war, daß er gar kein
Mittel vor ſich ſahe, wie er ſeinen Zuſtand
etwa verbeſſern koͤnte.


Was
[13]

Was ſolt' er nun vornehmen? Alles,
was er mit ſeinen bloßen Haͤnden machen
konte, war ſchon gethan. Es ſchien ihm al-
ſo weiter nichts mehr uͤbrig zu ſein, als ſeine
Lebenszeit mit Nichtsthun und mit Schlafen
hinzubringen. Der ſchreklichſte Zuſtand, den
er ſich nur denken konte. Denn die Arbeit-
ſamkeit war ihm jezt ſchon ſo ſehr zur Ge-
wohnheit geworden, daß er nicht mehr leben
konte, ohne ſich mit einer nuͤzlichen Verrich-
tung die Zeit zu vertreiben; und er pflegte
nachher oft zu ſagen, daß er die Beſſerung
ſeines Herzens vornemlich dem Umſtande zu
verdanken habe, daß er durch die anfaͤngliche
Huͤlfloſigkeit ſeines einſamen Aufenthalts zu
einer beſtaͤndigen Geſchaͤftigkeit ſei gezwungen
worden. Die Arbeitſamkeit, ſezt' er hinzu,
die Arbeitſamkeit, lieben Leute, iſt die
Mutter vieler Tugenden; ſo wie die
Faulheit der Anfang aller Laſter iſt!


Johannes. Ja, darin hat er gewiß
auch Recht! Wenn man nichts zu thun hat,
ſo faͤlt einem lauter dum Zeug ein!


Va-
[14]

Vater. Richtig! eben darum gab er nach-
her allen jungen Leuten den Rath, ſich doch ja
von Kindheit an zu gewoͤhnen, immer geſchaͤf-
tig zu ſein. Denn, ſagt' er, ſo wie man ſich
gewoͤhnt in der Jugend, ſo bleibt man ge-
meiniglich all ſein Lebelang, faul oder fleißig,
geſchikt oder ungeſchikt, ein guter oder ein
ſchlechter Menſch.


Nikolas. Das wollen wir uns merken!


Vater. Thut das, Kinder, und richtet
euch darnach: es wird euch nicht gereuen.
Unſer armer Robinſon dachte alſo lange
hin und her, was er doch nun wohl fuͤr eine
Arbeit wieder vornehmen koͤnte, um nicht
muͤßig zu ſein; und was meint ihr wohl, auf
was fuͤr eine er endlich verfallen ſei?


Johannes. Ich wuͤſte wohl, was ich
gemacht haͤtte!


Vater. Nun, laß doch hoͤren!


Johannes. Ich haͤtte die Lamafelle ger-
ben wollen, damit ich nicht noͤthig gehabt
haͤtte, ſie ſo rauh am Leibe zu tragen. Das
mußte doch ſehr unbequem ſein in einem ſo
heiſſen Lande!


Va-
[15]

Vater. Und wie haͤtteſt du denn das
anfangen wollen?


Johannes. O ich weiß wohl, wie die
Lohgerber es machen! Wir haben's ja ge-
ſehn!


Vater. Nun?


Johannes. Erſt legen ſie die rauhen
Haͤute einige Tage ins Waſſer, daß ſie recht
durchweichen. Hernach kriegen ſie ſie auf den
Schabebaum und fahren mit dem Streich-
eiſen
daruͤber her, um das eingezogene Waſ-
ſer wieder heraus zu reiben. Dan ſalzen ſie
die Felle ein und bedekken ſie, daß die friſche
Luft nicht dazu kommen kan. Das nennen
ſie die Felle in die Schwize bringen:
denn da fangen ſie ordentlich an zu ſchwizen,
wie ein Menſch, der ſtark arbeitet. Darnach
koͤnnen ſie die Haare mit dem Streicheiſen
abſchaben. Wenn das geſchehn iſt, ſo legen
ſie die Felle in die Treibfarbe, die aus Bir-
kenrinde, aus Sauerteig und aus einer ſau-
ern Bruͤhe von Eichenrinde gemacht wird.
Endlich werden dieſe Felle in die Lohgrube
gelegt
[16] gelegt, und mit einer Bruͤhe uͤbergoſſen, die
auch aus Eichenrinde gemacht iſt; und davon
werden ſie denn voͤllig gegerbt, oder gar ge-
macht.


Vater. Gut, Johannes; aber erinnerſt
du dich auch noch, was das eigentlich fuͤr Le-
der wird, das der Lohgerber auf dieſe Weiſe
bereitet.


Johannes. Ja, ſo was, das man zu
Schuhen, zu Stiefeln, und zum Pferdege-
ſchirre braucht?


Vater. Alſo Leder, welches nicht ſo ge-
ſchmeidig zu ſein braucht, als dasjenige, was
wir zu Beinkleider, zu Handſchuhen und zu
ſo etwas brauchen?


Johannes. Nein!


Vater. Und wer bereitet denn das?


Johannes. Das thut der Weißger-
ber;
aber deſſen ſeine Werkſtat haben wir ja
noch nicht geſehen.


Vater. So ging es Robinſon auch;
er hatte weder des Lohgerbers noch des Weiß-
gerbers Werkſtat jemahls beſucht; und daher
kont'
[17] kont' er es weder dem Einen, noch dem An-
dern nachmachen.


Diderich. Wie macht es denn der Weiß-
gerber?


Vater. Anfangs eben ſo, wie der Lohger-
ber, nur daß er die Felle nicht durch Lohe oder
Kalk (denn den brauchen die Lohgerber auch) ſon-
dern durch warmes Waſſer, mit Waizenkleie
und Sauerteig vermiſcht, und hernach durch
Aſchenlauge beizt. Wir wollen naͤchſtens zu
ihm gehen.


Johannes. Wenn's Robinſon nun auch
gewuſt hatte, wie die Weißgerber es anfan-
gen: ſo haͤtt' er's doch nicht nachmachen koͤn-
nen, weil er keine Waizenkleie, und keinen
Sauerteig hatte.


Vater. Siehſt du? Alſo die Luſt muſt'
er ſich ſchon vergehen laſſen.


Nikolas. Nu, was that er denn?


Vater. Tag und Nacht lag ihm der
Gedanke im Kopfe, ob's ihm wohl nicht moͤg-
lich waͤre, ein kleines Schif zu verfertigen.


B
Jo-
[18]

Johannes. Was wolt' er denn mit dem
Schiffe?


Vater. Was er damit wolte? Verſu-
chen, ob er nicht vielleicht aus ſeiner Einſam-
keit, die ihm durch den Verluſt des Feuers
wieder ſo traurig geworden war, ſich damit
befreien und wieder zu Menſchen kommen
koͤnte. Er hatte Urſache zu vermuthen, daß
das feſte Land von Amerika nicht ſehr fern
ſein koͤnne; und er war entſchloſſen, wenn er
nur einen kleinen Kahn haͤtte, keine Gefahr
zu achten, um, wo moͤglich, nach dieſem fe-
ſten Lande hinzukommen.


Vol von dieſen Gedanken lief er eines
Tages aus, um einen Baum aufzuſuchen,
den er durch Aushoͤhlen zu einem kleinen Kah-
ne machen koͤnte. Da er in dieſer Abſicht ei-
nige Gegenden durchlief, wo er bisher noch
nicht geweſen war: ſo entdekte er noch man-
ches ihm unbekante Gewaͤchs, womit er al-
lerlei Verſuche anzuſtellen beſchloß, um zu er-
fahren, ob's ihm nicht zum Unterhalte die-
nen koͤnne?


Un-
[19]

Unter andern fand er einige Stauden von
indianiſchem Korn, oder Maiz, welches
man bei uns tuͤrkſchen Waizen zu nennen
pflegt.


Nikolas. Ah! wovon ich in meinem
Garten habe?


Vater. Von dem nemlichen! Er bewun-
derte die groſſen Aehren oder Kolben, an de-
ren jeder er uͤber 200 groſſe Koͤrner zaͤhlte,
die wie Korallen an einander gereihet waren.
Er zweifelte nicht, daß man Mehlſpeiſen und
Brod davon machen koͤnne: aber wie ſolt'er
die Koͤrner mahlen? Wie das Mehl von der
Kleie reinigen? Wie endlich Brod oder an-
dere Speiſen daraus bakken, da er nicht ein-
mahl Feuer hatte? Demohngeachtet nahm er
einige Kolben davon mit, um die Koͤrner zu
pflanzen. Denn, dacht' er, wer weiß, ob ich
nicht mit der Zeit einen nuͤzlichen Gebrauch
davon machen lerne?


Ferner entdekt' er einen Fruchtbaum, der
ihm gleichfals noch niemahls vorgekommen
war. Er ſahe groſſe Kapſeln daran hengen,
B 2
und
[20] und da er eine davon erbrach, fand er wohl
60 Bohnen darin. Der Geſchmak derſelben
wolte ihm nicht ſehr gefallen. Indeß ſtekt'
er auch von dieſen eine reife Schote in ſeine
Jagdtaſche.


Johannes. Was mogte denn das fuͤr
eine Frucht ſein?


Vater. Es waren Kakaobohnen, von
denen die Schokolade gemacht wird.


Johannes. Ah! nun kan er kuͤnftig
Schokolade trinken!


Vater. Sobald wohl nicht! denn erſt-
lich kent er die Kakaobohnen nicht; und dan,
ſo muͤſſen ſie auch erſt beim Feuer geroͤſtet,
klein geſtoſſen und mit Zukker vermiſcht wer-
den; und wir wiſſen ja, daß er weder Feu-
er, noch Zukker hat. Auch thut man gemei-
niglich noch allerlei Gewuͤrz hinzu, als Kar-
domomen, Vanille und Gewuͤrznaͤgelein, die
er auch nicht hatte. Doch deſſen haͤtt' er
auch wohl entbehren koͤnnen, wenn er nur ge-
wuſt haͤtte, wie er wieder zum Feuer kommen
ſolte.


End-
[21]

Endlich fand er einen groſſen Kokusbaum,
der vor Alter ſchon auf der einen Seite ein
wenig hohl geworden war, und der ihm ſehr
tauglich ſchien, einen kleinen Kahn abzugeben,
wenn er ihn nur umhauen und voͤllig aushoͤh-
len koͤnte. Aber einen ſo nuͤzlichen Baum,
in der Ungewißheit, ob es ihm auch je gelin-
gen wuͤrde ein Schif daraus zu machen, aufs
Gerathewohl zu verderben? — Er erſchrak
vor dem Gedanken, und wuſte lange nicht,
was er thun ſolte? Indeß merkt' er ſich die
Stelle, wo er ſtand, und ging unentſchloſſen
nach Hauſe.


Auf ſeinem Ruͤkwege fand er, was er zu
finden laͤngſt gewuͤnſcht hatte, ein Papageien-
neſt mit fluͤggen Jungen. Wie groß war
ſeine Freude uͤber dieſen Fund! Aber indem
er hinzutrat, um die Jungen auszunehmen,
flatterten ſie alle davon, bis auf einen, den
er gluͤklich haſchte. Er begnuͤgte ſich damit,
und eilte froh zu Hauſe.


Diderich. Was konte denn ein Papa-
gei ihm eben helfen?


B 3
Va-
[22]

Vater. Er wolte ihn einige Worte aus-
ſprechen lehren, um die Freude zu haben,
einmahl wieder eine menſchenaͤhnliche Stimme
zu hoͤren. Uns freilich, die wir mitten in
der menſchlichen Geſelſchaft leben und die wir
des Gluͤks, Menſchen zu ſehen, Menſchen zu
hoͤren, mit Menſchen zu reden und mit ihnen
umzugehen, alle Tage genieſſen, ſcheint die
Freude, welche Robinſon ſich von dem Ge-
ſchwaͤz dieſes Papageien verſprach, eben nicht
von groſſer Erheblichkeit zu ſein. Aber wenn
wir uns in ſeine Stelle verſezen koͤnnen: ſo
werden wir begreifen, daß das, was uns ei-
ne unerhebliche Kleinigkeit ſcheint, fuͤr ihn ein
großer Zuwachs an wirklicher Gluͤkſeeligkeit
ſein muſte.


Er eilte alſo froh nach Hauſe, verfertigte
noch, ſo gut er konte, einen Kaͤfig, ſezte den-
ſelben mit ſeinem neuen Freunde neben ſeine
Lagerſtelle, und legte ſich ſchlafen.


Drei-
[23]

Dreizehnter Abend.


Am folgenden Abend rief der Vater ſeine
Kleinen etwas fruͤher zuſammen, weil er, wie
er ſagte, erſt eine Rathsverſamlung mit ihnen
halten muͤſte, bevor er in ſeiner Erzaͤhlung
weiter gehen koͤnte.


Woruͤber wollen wir uns denn berathſchla-
gen? riefen die Kleinen, indem ſie rund um
ihn herum zuſammentraten.


Vater. Ueber eine Sache, die unſerm
Robinſon die ganze Nacht hindurch im
Kopfe herum gegangen iſt, und wovor er kein
Auge hat zu thun koͤnnen.


Alle. Nun?


Vater. Es war die Frage, ob er den
alten Kokusbaum, den er geſtern geſehen hat-
te, in der ungewiſſen Hofnung, ob er dar-
aus ein Schif wuͤrde machen koͤnnen, umhau-
en oder ſtehen laſſen ſolte.


B 4
Jo-
[24]

Johannes. Ich haͤtt' ihn huͤbſch wol-
len ſtehen laſſen.


Diderich. Und ich haͤtt' ihn umge-
hauen.


Vater. Da ſind alſo zwei entgegenge-
ſezte Meinungen; der Eine wil den Baum
umhauen, der Andere wil ihn ſtehen laſſen.
Laßt doch hoͤren, ihr Andern, was ihr dazu
ſagt?


Gotlieb. Ich halt' es mit Johannes.


Lotte. Ich auch, lieber Vater! Der
Baum ſol ſtehen bleiben.


Frizchen. Nein er ſol umgehauen wer-
den, daß der arme Robinſon ein Schif kriegt.


Nikolas. Das ſag ich auch!


Vater. Nun ſo ſtelt euch in zwei Par-
theien; und dan wollen wir hoͤren, was je-
der fuͤr Grund zu ſeiner Meinung hat. —
So! Nun, Johannes, mache du den Anfang;
warum ſol der Baum ſtehen bleiben?


Johannes. I, weil er ſo ſchoͤne Fruͤchte
traͤgt, und weil dieſe Art von Baͤumen ſo
was Seltenes auf der Inſel iſt!


Dide-
[25]

Diderich. O es iſt ſchon ein alter Baum;
der wird doch nicht lange mehr Fruͤchte tra-
gen!


Johannes. Woher weißt du das? Er
iſt ja nur erſt ein wenig hohl; und wie viel
hohle Baͤume giebts nicht, die noch manches
Jahr Fruͤchte tragen.


Nikolas. Robinſon hat ja ſchon an-
dere Baͤume gepfropft; nun wird er bald Ko-
kusbaͤume genug kriegen?


Gotlieb. Ja, aber ſind die denn ſo-
gleich groß? Da koͤnnen ja wohl vier Jahre
uͤber hingehen, ehe die anfangen, Fruͤchte zu
tragen.


Frizchen. Iſt es denn nicht beſſer, daß
er ein Schif kriegt, und wieder zu Menſchen
faͤhrt, als daß er da immer auf ſeiner Inſel
ſizt und Kokusnuͤſſe ißt?


Johannes. Ja, wenn das Schif ſo
gleich fertig waͤre! Womit wil er denn den
Baum umhauen, und womit wil er ihn aus-
hoͤhlen, da er nur eine ſteinerne Axt hat?


B 5
Di-
[26]

Diderich. O, wenn er nur lange ge-
nug daran hauet und nicht ungeduldig wird,
ſo wird er ſchon damit zu Stande kommen!


Gotlieb. Aber denn ſo hat er ja noch
kein Segel! Was wil er denn mit dem bloſ-
ſen Schiffe anfangen?


Nikolas. O er muß ſich mit Rudern
helfen!


Lotte. Ja, das wird ſchoͤn gehen! Weißt
du nicht mehr, da wir bei Travemuͤnde
auf der Oſtſee waren *), und dem einen Ma-
troſen das Ruder brach, wie es uns da bei-
nahe gegangen waͤre? Vater ſagte ja, wenn
das zerbrochene Ruder nicht noch zu gebrau-
chen geweſen waͤre: ſo haͤtte uns der andere
Matroſe allein nicht wieder ans Land bringen
koͤnnen.


Diderich. O das war auch ein groſſer
Kahn, und waren ja achtzhen Menſchen drin.
Wenn ſich Robinſon einen kleinen Kahn und
zwei
[27] zwei Ruder macht, ſo wird er ihn ſchon al-
lein regieren koͤnnen.


Vater. Nun, Kinder, ihr ſeht, die
Sache iſt gar nicht leicht zu entſcheiden. Al-
les, was ihr da geſagt habt, ging dem guten
Robinſon die ganze Nacht hindurch auch im
Kopfe herum; und das nennt man eine Sa-
che uͤberlegen, wenn man nachdenkt, ob es
beſſer ſei, ſie zu thun, oder nicht zu thun.
Seitdem Robinſon die traurigen Folgen ſei-
ner uͤbereilten Entſchlieſſung, in die weite
Welt zu reiſen, empfunden hatte, hatt' er
ſich's zur beſtaͤndigen Regel gemacht, nie
wieder etwas zu thun, ohne erſt vor-
her eine vernuͤnftige Ueberlegung dar-
uͤber angeſtelt zu haben.
Das that er
alſo auch jezt. Nachdem er nun die Sache
lange genug hin und her uͤberdacht hatte; ſo
fand er, daß Alles auf die Frage ankomme:
ob es recht ſei, einen kleinen, aber ge-
wiſſen Vortheil hinzugeben, um einen
groͤſſern, aber noch ungewiſſen Vor-
theil dadurch zu erlangen?
Da fiel ihm
nun
[28] nun zuerſt die Fabel von dem Hunde ein,
der das Stuͤk Fleiſch, welches er im Munde
hielt, fahren ließ, um nach dem Schatten
deſſelben im Waſſer zu greifen, und daruͤber
am Ende gar nichts hatte. Aber bald darauf
erinnerte er ſich auch, wie es die Landleute
machen; daß ſie nemlich einen Theil des
Korns, welches ſie ſchon haben, ausſtreuen,
in der Hofnung, noch weit mehr dadurch zu
gewinnen. Das Verfahren des Hundes nent
jederman unvernuͤnftig, das Verfahren
des Landmans hingegen vernuͤnftig und klug:
„was mag denn wohl, dachte Robinſon,
der Unterſchied hiebei ſein?„


Er ſan noch ein Weilchen daruͤber nach
und dan ſagt' er zu ſich ſelbſt: „ja, ja, ſo
iſts! Der Hund handelte unvernuͤnftig, weil
er nur ſeiner Begierde folgte, ohne zu uͤber-
legen, ob er das, was er haſchen wolte, auch
wirklich erlangen koͤnte. Der Akkersman
aber handelt vernuͤnftig, weil er mit großer
Wahrſcheinlichkeit hoffen kan, daß er mehr
Korn wieder bekommen werde, als er aus-
ſtreuet.„


„Nun,
[29]

„Nun, ſagt' er ferner, bin ich nicht in
demſelben Falle? Iſt es nicht wahrſcheinlich,
daß ich durch anhaltenden Fleiß endlich damit
zu Stande kommen werde, aus dem alten
Baume einen Kahn zu machen? Und wenn
mir dieſes gluͤkken ſolte, hab' ich dan nicht
Hofnung, mich damit aus dieſer traurigen
Einoͤde befreien zu koͤnnen?„


Der Gedanke an ſeine Befreiung wurde
in dieſem Augenblikke ſo lebhaft in ſeiner Se-
le, daß er ploͤtzlich aufſprang, ſein ſteinernes
Beil ergrif, und ſpornſtreichs nach dem Bau-
me hinlief, um das große Werk ſogleich an-
zufangen.


Aber hatt' er jemahls ein muͤhſeeliges und
langwieriges Geſchaͤft unternommen, ſo war es
dieſes! Tauſend andere Menſchen wuͤrden nach
dem erſten Hiebe den Arm muthlos wieder
haben ſinken laſſen, und die Sache fuͤr unmoͤg-
lich gehalten haben. Aber Robinſon hatte
ſich nun einmahl, wie wir wiſſen, zum Geſez
gemacht, ſich durch keine Schwierigkeit von ir-
gend einem vernuͤnftigen Vorhaben abſchrekken zu
laſſen;
[30] laſſen; und alſo blieb er auch diesmahl mit
großer Standhaftigkeit bei ſeinem einmahl ge-
faßten Vorſaze, die Ausfuͤhrung deſſelben
moͤgte ihm auch noch ſo viel Zeit und noch ſo
viel Arbeit koſten!


Nachdem er von Sonnenaufgang an, bis
gegen Mittag faſt unaufhoͤrlich gearbeitet hat-
te, war das Loch, welches er durch tauſend
Hiebe in den Stam gehauen hatte, noch nicht
ſo groß, daß er ſeine Hand hineinlegen konte.
Daraus koͤnt ihr in voraus ſchlieſſen, wie viel
Zeit er brauchen wird, um den ganzen ziem-
lich dikken Baum voͤllig umzuhauen, und
ein Schif daraus zu zimmern.


Er ſahe nun wohl, daß das eine Arbeit
von mehreren Jahren ſein wuͤrde; und er
hielt daher fuͤr noͤthig, eine ordentliche Ein-
theilung ſeiner Tageszeit zu machen, um fuͤr
jede Stunde ein gewiſſes Geſchaͤft zu haben:
Denn er hatte nun ſchon aus der Erfahrung
gelernet, daß bei einem geſchaͤftigen Leben
nichts mehr unſern Fleiß befoͤrdert und erleich-
tert, als Ordnung und regelmaͤßige Ein-
thei-
[31] theilung der Tagesſtunden.
Hier iſt
ein Verzeichniß, woraus ihr ſehen koͤnt, wo-
zu er jede Stunde gewidmet hatte.


Sobald der Tag anbrach, ſtand er auf,
und lief nach der Quelle, um Kopf, Haͤnde,
Bruſt und Fuͤſſe zu waſchen. Da er kein
Handtuch hatte, ſo muſt' er ſich von der Luft
troknen laſſen, welches er dadurch befoͤrderte,
daß er jedesmahl in vollem Laufe nach ſeiner
Wohnung zuruͤk rante. Dan kleidete er ſich
voͤllig an. War dieſes geſchehen, ſo erſtieg
er den Huͤgel uͤber ſeiner Hoͤhle, wo er eine
freie Ausſicht hatte, warf ſich daſelbſt auf
die Knie und verrichtete ein andaͤchtiges Mor-
gengebeth, wobei er nie vergaß, Gott um
Seegen fuͤr ſeine lieben Eltern zu bitten.
Hierauf molk er ſeine Lama's, von denen er
ſich nach und nach eine kleine Heerde zugezo-
gen hatte. Einen Theil der jedesmahligen
Milch verwahrt' er in ſeinem Keller, die Ue-
brige genoß er zum Fruͤhſtuͤk. Daruͤber war
denn ohngefaͤhr eine Stunde verfloſſen. Nun
legt' er alles, was zu ſeiner Bewafnung
ge-
[32] gehoͤrte, an und machte ſich auf den Weg,
entweder gleich nach dem Orte, wo der
Baum ſtand, oder, fals es eben Ebbezeit
war, erſt nach dem Strande, um einige Au-
ſtern zum Mittagseſſen aufzu[l]eſen. Seine
Lama's liefen dan gewoͤhnlich alle hinter ihm
her und weideten neben ihm herum, indeß
er ſelbſt mit Hauen beſchaͤftiget war.


Gegen zehn Uhr war die Hize gemeinig-
lich ſchon ſo ſtark, daß er mit ſeiner Arbeit
einhalten muſte. Dan ging er wieder nach
dem Strande, theils um Auſtern zu ſuchen,
fals er des Morgens keine gefunden hatte,
theils um ſich zu baden, welches er gewoͤhnli-
cher Weiſe des Tages zweimahl zu verrichten
pflegte. Gegen eilf Uhr war er mit ſeiner
ganzen Begleitung wieder zu Hauſe.


Dan molk er abermahls die milchgebenden
Lama's; bereitete Kaͤſe aus der ſauergeworde-
nen Milch, und richtete ſeine kleine Mittags-
mahlzeit an, die gemeiniglich aus Milch mit
friſchem Kaͤſe vermiſcht, einigen Auſtern und
einer halben Kokusnuß beſtand. Es kam ihm
dabei
[33] dabei ſehr zu ſtatten, daß man in dieſen heiſ-
ſen Erdgegenden nicht halb ſo viel Appetit zu
haben pflegt, als in den kaͤlteren Laͤndern.
Demohngeachtet ſehnt' er ſich ſehr nach Fleiſch-
ſpeiſen und konte endlich nicht umhin, wie-
der zu dem anfaͤnglich von ihm erdachten Mit-
tel, das Fleiſch durch Klopfen muͤrbe zu ma-
chen, ſeine Zuflucht zu nehmen.


Waͤhrend ſeiner Mahlzeit beſchaͤftigte er
ſich mit ſeinem Papagai, dem er allerlei vor-
plauderte, um ihn einige Worte ſprechen zu
lehren.


Frizchen. Womit fuͤtterte er ihn denn?


Vater. In der Wildheit pflegen die
Papagaien ſich groͤßtentheils von Kokusnuͤſſen,
Eicheln und Kuͤrbiskoͤrnern zu naͤhren: zahm
eſſen ſie faſt alles, was Menſchen eſſen. Ro-
binſon
fuͤtterte den Seinigen mit Kokusnuͤſ-
ſen und Kaͤſe.


Nach der Mahlzeit ruhete er eine Stunde
im Schatten oder in ſeiner Hoͤhle aus, der
Papagai und die Lama's um ihn herum.
Da kont er nun zuweilen ſizen und zu den
C
Thie-
[34] Thieren plaudern ordentlich wie ein kleines
Kind, das mit ſeiner Puppe redet, und ſich
einbildet, daß die Puppe es verſtehe. So
groß war das Beduͤrfniß ſeines Herzens, ir-
gend einem lebendigen Weſen ſeine Gedanken
und ſeine Empfindungen mitzutheilen, daß er
oft daruͤber vergaß, daß er zu unvernuͤnftigen
Thieren rede. Und wenn ſein Papchen, den
er Pol nante, dan je zuweilen ein verſtaͤnd-
liches Wort ihm nachſchwazte: o wer war
da gluͤklicher, als er! Er glaubte eine menſch-
liche Stimme zu hoͤren; vergaß Inſel, La-
ma's und Papagai und war in ſeiner Einbil-
dung mitten in Europa. Aber dieſer ſuͤße
Traum dauerte gemeiniglich nur eine Minu-
te; dan ſaß er wieder da im vollen Bewuſt-
ſein ſeines klaͤglichen Einſiedlerlebens und ſeuf-
te: armer Robinſon!


Gegen zwei Uhr Nachmittags —


Nikoles. Ja, wie wuſt' er denn im-
mer, was die Glokke geſchlagen hatte?


Vater. Anfangs macht' er es blos ſo,
wie es die Landleute zu machen pflegen; er
beob-
[35] beobachtete den Stand der Sonne und ſchloß
daraus auf die jedesmalige Tageszeit. End-
lich fiel 's ihm gar ein, eine Art von Son-
nenuhr zu machen.


Johannes. Na, was der doch nicht al-
les machen wil!


Vater. Freilig keine ſolche, als man bei
uns machen kan, denn wo haͤtt' er dazu die
noͤthige Geſchiklichkeit, die Werkzeuge und die
Materialien hergenommen? Aber doch eine,
an der er wenigſtens ſehen konte, zu welcher
Zeit es jedesmahl Mittag ſei.


Johannes. Auch die wuͤſt' ich doch ge-
wiß nicht zu machen!


Vater. Und doch iſt nichts leichter, als
das! — Er ſtekte nemlich blos eine grade
Stange ſenkrecht in die Erde. Je naͤher es
nun gegen Mittag kam, deſto kuͤrzer wurde
der Schatten dieſer Stange. Er merkte ſich
alſo den Ort, wohin der Schatten der Stange
fiel, wenn er am kuͤrzeſten war; bezeichnete
dieſen Ort mit einem Striche, den er die
Mittagslinie nante, und ſo oft dan der
C 2
Schat-
[36] Schatten der Stange wieder in dieſe Mittagslinie
fiel, wuſt' er, daß es grade Mittag ſei. — Er
bemerkte aber hierbei etwas Sonderbares,
welches in Europa nie geſehen wird.


Johannes. Was denn?


Vater. Dieſes, daß in einer Jahrszeit
der Schatten der Stange, eben ſo wie bei
uns, zur Mittagszeit nach dem Nordpol,
in einer andern Jahrszeit hingegen grade um-
gekehrt, nemlich nach dem Suͤdpol, hinfiel.
Ja, was das Sonderbarſte war, zuweilen
machte die Stange zur Mittagszeit gar kei-
nen Schatten.


Diderich. Ja, das glaub ich; weil die
Inſel, worauf er war, zwiſchen den beiden
Wendezirkeln lag.


Vater. Richtig! — Ihr Kleineren, be-
greift das noch nicht. Aber geduldet euch;
in vier Wochen werd' ich auch mit euch die
Geographie anfangen; dan ſolt ihr dies und
noch viele andere merkwuͤrdige Dinge auch ein-
ſehen lernen. —


Um
[37]

Um nun aber wieder zu den taͤglichen Be-
ſchaͤftigungen unſers fleißigen Robinſons zu-
ruͤk zu kommen: ſo pflegte er um zwei Uhr
Nachmittags wieder an ſeine Schif bauerarbeit
zu gehen. Unter dieſer wirklich ſchweren Ar-
beit bracht' er dan jedesmahl wiederum zwei
volle Stunden hin. Waren dieſe verfloſſen,
ſo lief er abermahls nach dem Strande, theils
um ſich zum zweitenmahle zu baden, theils
um wieder Auſtern zu ſuchen. Den Reſt
des Nachmittags wandt' er zu allerlei Gar-
tenarbeit an. Bald pflanzt' er Maiz oder
Kartoffeln, in der Hofnung einſt wieder Feu-
er zu bekommen, um dieſe Gewaͤchſe nuzen zu
koͤnnen; bald pfropft' er noch mehr Kokusrei-
ſer ein; bald begoß er die gepfropften jungen
Staͤmme; bald pflanzt' er Hekken, um ſein
Gartenland einzuſchlieſſen; und bald beſchnitt'
er die Baumwand vor ſeiner Hoͤhle, um die
Zweige ſo zu ziehen, daß ſie mit der Zeit zu-
ſammen wuͤchſen und eine große Laube aus-
machten.


C 3
Zu
[38]

Zu Robinſons Leidweſen dauerte der laͤng-
ſte Tag auf dieſer Inſel hoͤchſtens 13 Stun-
den, ſo daß es mitten im Sommer Abends
um 7 Uhr ſchon finſter ward. Er mußte alſo
alle Geſchaͤfte, wobey er Licht brauchte, noch
vor dieſer Zeit vollenden. —


Gegen ſechs Uhr alſo, wenn ſonſt nichts
Wichtiges zu thun mehr uͤbrig war, ſtelte er
gemeiniglich noch einige ritterliche Leibesuͤbun-
gen an.


Gotlieb. Was heißt das?


Vater. Er uͤbte ſich im Bogenſchieſſen
und im Spießwerfen, um, in Fal der Noth,
ſich gegen einen Anfal der Wilden, vor wel-
chen ihm immer noch bange war, vertheidigen
zu koͤnnen. In beiden bracht' er es nach und
nach zu einer ſolchen Fertigkeit, daß er ein
Ziel, welches nicht groͤßer, als ein Gulden war,
nur ſehr ſelten verfehlte.


Sobald die Daͤmmerung anbrach, molk er
wiederum ſeine Lama's und hielt darauf eine
laͤndliche und maͤßige Abendmahlzeit, wozu er
ſich von den Sternen oder von dem Monde leuch-
ten ließ.


Die
[39]

Die lezte Stunde des Abends wandt' er
zum Nachdenken uͤber ſich ſelbſt an. Er ſezte
ſich nemlich entweder auf dem Gipfel des
Berges nieder, wo er das ganze Sternbeſaͤte
Himmelsgewoͤlbe uͤber ſich hatte, oder er luſt-
wandelte auch wohl in der Abendkuͤhle nach
dem Strande zu. Dan pflegt' er ſich ſelbſt
in Gedanken folgende Fragen vorzulegen:


„Wie haſt du dieſen Tag nun wieder hinge-
bracht? Biſt du im Genuß der Gaben Got-
tes, die dir heute wiederum zu Theil gewor-
den ſind, auch wohl des großen Gebers der-
ſelben immer eingedenk geweſen? Hat dein Herz
auch Liebe und Dankbarkeit gegen ihn em-
pfunden? Haſt du ihm vertrau't, wenn's
dir uͤbel ging, und haſt du ſeiner nicht ver-
geſſen, wenn du froͤlich wareſt? Haſt du je-
den boͤſen Gedanken, der dir einfiel, jede
boͤſe Begierde, die in dir rege ward, auch ſo
gleich unterdruͤkt? Und haſt du alſo heute
wirklich zugenommen im Guten?„


So oft nun ſein Herz auf dieſe und aͤhnliche
Fragen mit einem freudigen Ja! antworten
C 4
konte:
[40] konte: o wie war ihm dan ſo wohl! Und mit
welcher Inbrunſt ſang er dan ein Loblied zum
Preiſe des großen Gottes, der zum Gutes thun
ihm Seegen verliehen hatte! So oft er aber
Urſache fand, mit ſich ſelbſt nicht ſo ganz zufrie-
den zu ſein: o wie ſchmerzte es ihn dan, einen
Tag ſeines Lebens verloren zu haben! Denn
fuͤr verloren hielt er jeden Tag, an dem
er etwas gedacht oder gethan hatte,
was er am Abend deſſelben misbilligen
mußte.
Neben dem Striche, womit er einen
ſolchen Tag in ſeinem Kalenderbaume bezeich-
nete, pflegte er ein Kreuz einzugraben, um ſich
beim Anblik deſſelben ſeines Unrechts zu erin-
nern, und ſich ins kuͤnftige deſtomehr davor in
Acht zu nehmen.


Seht, lieben Kinder, ſo machte es Ro-
binſon,
um taͤglich beſſer und froͤmmer zu
werden. Iſt es euch nun auch ein wirklicher
Ernſt mit der Ausbeſſerung eures Herzens: ſo
rathe ich euch, ihm darin nachzuahmen. Sezt
gleichfals, ſo wie er, eine Abendſtunde feſt,
um uͤber eure Auffuͤhrung an dem jedesmahl
ver-
[41] verfloſſenen Tage im Stillen nachzudenken;
und findet ſichs, daß ihr etwas gedacht, gere-
det, oder gethan habt, was ihr vor Gott und
eurem eigenen Gewiſſen nicht gut heiſſen koͤnt:
ſo ſchreibt es in ein kleines Buͤchelchen,
um euch von Zeit zu Zeit wieder daran zu
erinnern, und vor der abermahligen Begehung
ebendeſſelben Fehlers auf immer in acht zu
nehmen. So werdet ihr, gleich ihm, von
Tage zu Tage beſſer, und alſo auch von Tage
zu Tage zufriedener und gluͤklicher werden. —


Hiermit ſtand der Vater auf; und jeder
von der Geſelſchaft ging allein in einen beſon-
dern Gang des Gartens, um den guten Rath
deſſelben ſogleich in Erfuͤllung zu bringen.


Vier-
[42]

Vierzehnter Abend.


Nun, Kinder, — fuhr der Vater am fol-
genden Abend fort — auf eben die Weiſe,
wie ich euch geſtern erzaͤhlt habe, lebte unſer
Robinſon einen Tag, wie den andern, drei
volle Jahre lang. In dieſer ganzen Zeit
ſezte er ſeine Schifbauerarbeit unablaͤßig fort;
und wie weit meint ihr nun wohl, daß er in
der langen Zeit mit dieſer ſeiner Arbeit ge-
kommen ſei? — Ach! der Stam war noch
nicht einmahl zur Haͤlfte ausgehoͤhlt, und es
ſchien noch immer ſehr zweifelhaft zu ſein, ob
er, bei aller ſeiner Arbeitſamkeit, in drei oder
vier andern Jahren mit dem ganzen Werke
zu Stande kommen wuͤrde!


Dennoch arbeitete er unermuͤdet fort: denn
was ſolt' er anders machen? Und etwas zu
thun
[43] thun wolt' er und muſt' er doch nun einmahl
haben! — Eines Tages aber fiel ihm ploͤzlich
ein, daß er dieſe Inſel nun ſchon ſo lange
bewohne, und gleichwohl erſt den kleinſten
Theil derſelben geſehen habe. Das iſt doch
nicht recht, dacht' er, daß du durch deine
Furchtſamkeit dich ſo lange haſt abhalten laſ-
ſen, eine Reiſe von einem Ende der Inſel bis
an das andere zu thun. Wer weiß, was du
in andern Gegenden derſelben zu deinem Vor-
theil haͤtteſt entdekken koͤnnen!


Dieſer Gedanke wurde ſo lebendig in ſei-
ner Sele, daß er ſich auf der Stelle entſchloß,
die Reiſe gleich mit Anbruch des folgenden
Tages anzutreten.


Nikolas. Wie groß war denn die Inſel
wohl?


Vater. Ohngefaͤhr ſo groß, als das
ganze hamburgiſche Gebiet zuſammen ge-
nommen, das Amt Rizebuͤttel nicht mit ge-
rechnet; — etwa vier Meilen lang und zwoͤlf
im Umkreiſe.


Noch
[44]

Noch an eben demſelben Tage machte er
alles zu ſeiner Abreiſe fertig. Am andern
Morgen bepakte er eins ſeiner Lama's mit
Lebensmitteln auf vier Tage, legte ſeine ganze
Ruͤſtung an, empfahl ſich dem goͤtlichen Schuze
und machte ſich getroſt auf den Weg. Seine
Abſicht aber war, ſich, ſo viel moͤglich, am Stran-
de zu halten, weil er den dichten Waͤldern,
aus Furcht vor wilden Thieren, noch immer
nicht traute.


An dieſem erſten Tage ſeiner Wander-
ſchaft fiel eben nichts Merkwuͤrdiges mit ihm
vor. Er machte ohngefaͤhr drei Meilen an
demſelben, und je weiter er kam, deſto mehr
uͤberzeugte er ſich, daß er ſeinen Aufenthalt
grade in der unfruchtbarſten Gegend der Inſel
genommen habe. An vielen Orten fand er
Fruchtbaͤume, die er noch nie geſehen hatte,
von denen er aber mit Recht vermuthete, daß
ſie ihm ein geſundes und wohlſchmekkendes
Nahrungsmittel gewaͤhren wuͤrden. Nachher
lernte er, mit dem eigentlichen Gebrauch
derſelben, auch ihre Nahmen kennen. Es be-
fand
[45] fand ſich darunter der Brodfruchtbaum,
der eine große Frucht traͤgt, welche die In-
dianer auf mancherlei Weiſe zuzurichten wiſſen,
und ſie dan ſtat des Brodes eſſen; ferner der
Papiermaulbeerbaum, aus deſſen Rinde
die Japaneſer ein ſchoͤnes Papier, und die
Bewohner der Inſel Otaheite ein ſchoͤnes
Sommerzeug zu Kleidern verfertigen, wovon
ich euch nachher eine kleine Probe zeigen wil,
die ich aus England erhalten habe.


Die Nacht brachte Robinſon aus Furcht
vor wilden Thieren auf einem Baume zu;
und mit Anbruch des Tages ſezt' er ſeine
Reiſe fort.


Er war noch nicht lange gegangen, als er
das aͤuſſerſte ſuͤdliche Ende der Inſel erreichte.
Hier war der Boden an einigen Stellen etwas
ſandigt. Indem er nun nach der lezten Land-
ſpize hingehen wolte: blieb er ploͤzlich, wie
vom Donner geruͤhrt, auf einer Stelle ſtehen,
wurde blaß, wie die Wand, und zitterte am
ganzen Leibe.


Johannes. Warum denn?


Va-
[46]

Vater. Er ſahe, was er hier zu ſehen
nicht vermuthet hatte, — die Fußſtapfen eines,
oder mehrerer Menſchen, im Sande.


Nikolas. Und davor erſchrickt er ſo?
Das ſolte ihm ja lieb ſein!


Vater. Die Urſache ſeines Schreckens
war dieſe: er dachte ſich in dieſem Augenblik-
ke den Menſchen, von dem dieſe Spur herruͤhrte,
nicht als ein mit ihm verbruͤdertes, Liebe ath-
mendes Weſen, welches bereit waͤre, ihm zu
helfen und zu dienen, wo es nur koͤnte: ſon-
dern als ein grauſames menſchenfeindliches Ge-
ſchoͤpf, daß ihn wuͤthend anfallen, ihn toͤdten
und verſchlingen wuͤrde. Mit einem Worte:
er dachte ſich bei dieſer Spur keinen geſitteten
Europaͤer; ſondern einen wilden menſchenfreſ-
ſenden Kannibalen, deren es damahls, wie
ihr ſchon wißt, auf den Karibiſchen Inſeln
ſol gegeben haben.


Gotlieb. Ja, das glaub' ich; da muſt'
er auch wohl vor erſchrecken!


Vater. Aber weiſer und beſſer waͤre es
doch geweſen, wenn er ſich von Jugend an
haͤtte
[47] haͤtte gewoͤhnt gehabt, vor keiner auch noch ſo groſ-
ſen Gefahr dergeſtalt zu erſchrekken, daß er ſeines
Verſtandes nicht mehr machtig bliebe. Und
dahin, meine lieben Kinder, koͤnnen wir es
alle bringen, wenn wir uns nur fruͤhzeitig
genug bemuͤhen, geſund und ſtark an Leib und
Sele zu werden.


Johannes. Ja, wie wird man das
aber?


Vater. Dadurch, lieber Johannes, wenn
man durch eine arbeitſame, maͤßige und, ſo viel
moͤglich, natuͤrliche Lebensart ſeinen Koͤrper ab-
zuhaͤrten, und ſeinen Geiſt durch unbefleckte
Tugend und Gottesfurcht uͤber jede Abwech-
ſelung des Schikſals zu erheben und gegen je-
des Ungluͤk im Voraus zu bewafnen ſucht.
Wenn ihr alſo, nach unſerm Beiſpiel, euch
mit einem maͤßigen Genuſſe geſunder, einfa-
cher, und unerkuͤnſtelter Speiſen zu begnuͤgen,
und das ſuͤße Gift der Lekkereien immer mehr
zu verſchmaͤhen lernt; wenn ihr den Muͤſſiggang,
als eine Peſt des Leibes und der Sele flieht
und, ſo viel es immer moͤglich iſt, bald durch
Kopf-
[48] Kopfarbeit — durch Lernen und Nachden-
ken — bald durch Handarbeit beſchaͤftiget
ſeid; wenn ihr euch oft freiwillig uͤbt, et-
was ſehr Angenehmes, das ihr gar zu gern
haben moͤgtet und auch haben koͤntet, aus
eigener Entſchlieſſung zu entbehren, und
etwas ſehr Unangenehmes, das euch aͤuſſerſt
zuwider iſt und das ihr auch abwehren koͤn-
tet, mit Vorſaz zu uͤbernehmen; wenn ihr
euch der Huͤlfleiſtungen anderer Menſchen ſo
wenig als moͤglich bedient, und vielmehr durch
euren eigenen Verſtand, und durch eure eigene
Leibeskraͤfte eure jedesmaligen Beduͤrfniſſe zu
befriedigen, euch ſelbſt zu rathen und aus Ver-
legenheiten zu ziehen ſucht; wenn ihr endlich
in eurem ganzen Leben den großen Schaz eines
guten Gewiſſens zu bewahren, und dadurch
euch des Beifals und der Liebe unſers almaͤch-
tigen und alguͤtigen himmliſchen Vaters zu ver-
ſichern euch beſtrebt: dan, liebſte Kinder, werdet
ihr geſund und ſtark an Leib und Sele ſein;
dan werdet ihr bei jeder Abwechſelung des
Schikſals ruhig bleiben, weil ihr alsdan uͤber-
zeugt
[49] zeugt ſeid, daß euch nichts begegnen kan,
was euch nicht von einem weiſen und liebe-
vollen Gotte zu eurem wahren Beſten zuge-
ſandt werde. —


Unſer Robinſon hatte es, wie wir ſehen,
in dieſer auf Gottesfurcht gegruͤndeten Stand-
haftigkeit noch nicht ſo weit gebracht, als zu
ſeiner Ruhe und Gluͤckſeeligkeit noͤthig geweſen
waͤre. Daran war wohl ohnſtreitig dieſes
Schuld, daß er nun einige Jahre hindurch
ein ganz ruhiges von allen Gefahren und Un-
gluͤksfaͤllen freies Leben gefuͤhrt hatte. Die
gar zu große Ruhe und Sicherheit verderben
den Menſchen, machen ihn weibiſch und furcht-
ſam; und es iſt daher eine wahre Wohlthat
Gottes, wenn er uns zuweilen einige Wider-
waͤrtigkeiten zuſchikt, die unſere Leibes- und
Selenkraͤfte in Thaͤtigkeit ſezen und unſern
Muth durch Uebung ſtaͤrken muͤſſen.


Robinſon ſtand, wie wir gehoͤrt haben,
beim Anblik der Menſchenſpur, wie vom Don-
ner geruͤhrt. Furchtſam blikt' er umher,
lauſchte mit großer Aengſtlichkeit auf jedes
D
kleine
[50] kleine Geraͤuſch der Blaͤtter, und wuſte vor
Verwirrung lange nicht, wozu er ſich entſchlieſ-
ſen ſolte. Endlich rafte er ſich auf, flohe,
wie einer, der verfolgt wird, und hatte nicht
das Herz, auch nur ein einziges mahl ſich umzu-
ſehen. Aber ploͤzlich machte ihn etwas ſtuzen,
und verwandelte ſeine Furcht in Grauſen und
Entſezen.


Er ſahe — bereitet euch, Kinder, einen
ſchreklichen Anblik zu ertragen, und den
ſchauervollen Zuſtand zu ſehen, worin Men-
ſchen gerathen koͤnnen, welche ohne Erziehung
und Unterricht aufwachſen und ſich ſelbſt uͤber-
laſſen bleiben! — Er ſahe einen Ort, woſelbſt
ein runder Kreis in die Erde gegraben war,
in deſſen Mitte er eine ehemalige Feuerſtelle
erblikte. Rund um dieſen Ort herum lagen
— mich ſchaudert indem ichs erzaͤhlen muß —
Hirnſchalen, Haͤnde, Fuͤße und andere Gebei-
ne menſchlicher Koͤrper, von denen das Fleiſch
abgenagt war.


Alle. Von wem? von wem?


Va-
[51]

Vater. Von — Menſchen; doch nein,
nur von menſchenaͤhnlichen Geſchoͤpfen, die ſo
dum und viehiſch aufgewachſen waren, daß ſie,
gleich wilden Thieren, weder von Ekkel, noch
von mitleidiger Menſchenliebe abgehalten wur-
den, das Fleiſch ihrer geſchlachteten Bruͤder
zu verzehren. Es wohnten nemlich damahls,
wie ich, wo mir recht iſt, ſchon einmahl er-
zaͤhlt habe, auf den Karibiſchen Inſeln
wilde Menſchen, die man Karaiben, Kan-
nibalen
oder Menſchenfreſſer nante, weil
ſie die abſcheuliche Gewohnheit hatten, alle
ihre Feinde, die ſie im Kriege lebendig gefan-
gen kriegten, zu ſchlachten, unter Tanzen und
Singen zu braten, und dan mit unmenſchli-
chem Heißhunger zu verſchlingen.


Lotte. Fi! die abſcheulichen Leute!


Vater. Ihre unmenſchlichen Sitten, lie-
be Lotte, wollen wir verabſcheuen, aber nicht
die armen Leute ſelbſt, die ja nichts davor
koͤnnen, daß man ſie nicht unterrichtet und
erzogen hat. Haͤtteſt du das Ungluͤk gehabt,
unter ſolchen armen Wilden geboren zu wer-
D 2
den:
[52] den: gewiß! du wuͤrdeſt eben ſo, wie ſie, nakt,
wild und unvernuͤnftig in Waͤldern herumlau-
fen, wuͤrdeſt dein Geſicht und deinen Leib mit
Roͤthel beſchmieren, man wuͤrde dir Ohren und
Naſe durchloͤchert haben, du wuͤrdeſt dich nicht
wenig darauf einbilden, Vogelfedern, Mu-
ſchelſchalen und andere Dinge darin zu tragen,
und an den unmenſchlichen Mahlzeiten deiner
wilden Eltern und Landsleute wuͤrdeſt du ei-
nen eben ſo frohen Antheil nehmen, als du
jezt an unſern beſſern Speiſen nimſt. Freuet
euch alſo, lieben Kinder, und danket Gott dafuͤr,
daß er euch von geſitteten, vernuͤnftigen und
menſchlichgeſinten Eltern hat laſſen gebohren wer-
den, die es euch ſo leicht machen, auch geſittete,
vernuͤnftige und menſchlichgeſinte Menſchen zu
werden, und bedauert das Schikſal unſrer armen
Bruͤder, die noch jezt in dem ungluͤkſeeligen Zu-
ſtande einer thieriſchen Wildheit leben!


Frizchen. Wo ſind denn wohl jezt noch
ſolche Menſchen?


Johannes. Weit, weit von hier,
Frizchen, auf einer Inſel die man Neu: See-
land
[53] land
nent! Vater hat's uns vorigen Winter
aus einer Reiſebeſchreibung vorgeleſen. Da
ſollen die Leute auch noch ſo wild und barba-
riſch ſein, daß ſie Menſchenfleiſch eſſen. Aber
die Englaͤnder, die ſie entdekt haben, werden
ſie wohl zahm machen.


Frizchen. Das iſt gut!


Vater. Laßt uns nun wieder zu unſerm
Robinſon zuruͤkkehren. — Er wandte ſein
Geſicht von dieſem graͤßlichen Schauſpiel weg,
ihm wurde uͤbel, und er wuͤrde in Ohnmacht
geſunken ſein, wenn die Natur ſich nicht durch
ein heftiges Erbrechen geholfen haͤtte.


Sobald er ſich ein wenig erhohlt hatte,
rante er mit der aͤuſſerſten Geſchwindigkeit
davon. Kaum daß ſein treues Lama ihm fol-
gen konte. Doch lief es ihm nach. Aber ſo
ſehr hatte die Furcht den Verſtand unſers ar-
men Robinſons umnebelt, daß er auf ſeiner
Flucht dieſes ihm folgenden Thieres vergaß,
die Tritte deſſelben fuͤr den Fußtrit eines ihm
nachjagenden Kannibalen hielt, und daher mit
der groͤßten Selenangſt alle ſeine Kraͤfte an-
D 3
ſtrengte,
[54] ſtrengte, um ihm zu entlaufen. Noch nicht
genug; auch ſeine Ruͤſtung, ſeinen Spieß,
ſeinen Bogen, ſogar ſein ſteinernes Beil —
die er jezt uͤber alles haͤtte werth achten ſol-
len — warf er von ſich, weil ſie ihm im
Laufen hinderten. Dabei achtete er ſo wenig
auf den Weg, daß er bald hier, bald da aus-
beugte und am Ende, da er gar nicht mehr
wuſte, wo er war, ſich in einem ordentlichen
Zirkel herum drehete und nach ohngefaͤhr ei-
ner Stunde wieder an demſelben ſchreklichen
Orte war, von wannen ſein Lauf angefangen
hatte.


Neues Entſezen! Neue Betaͤubung! denn
er merkte nicht, daß dies eben der Ort ſei,
den er ſchon einmahl geſehen habe; ſondern
hielt ihn fuͤr ein zweites Denkmahl der un-
menſchlichen Grauſamkeit derer, vor welchen
er flohe. Er rante alſo mit der Schnelligkeit
des Sturmwindes davon, und hoͤrte nicht eher
auf zu laufen, bis er ermattet, ohnmaͤchtig
und ſinlos zu Boden ſtuͤrzte.


In-
[55]

Indeß er ſo lag und von ſich ſelbſt nichts
wuſte, fand ſein Lama ſich wieder bei ihm
ein und lagerte ſich zu ſeinen Fuͤſſen. Zufaͤl-
liger Weiſe war dies grade eben dieſelbe Stelle,
wo er vorher ſeine Waffen abgeworfen hatte
Da er alſo nach einiger Zeit die Augen wie-
der oͤfnete, fand er alle das Seinige neben
ſich im Graſe liegen. Dies und alles vor-
hergehende ſchien ihm jezt ein Traum zu ſein;
er wuſte nicht, weder wie er ſelbſt, noch wie
alles dies hierher gekommen ſei, ſo ſehr hatte
die Furcht ihn aller Beſonnenheit beraubt!


Er machte ſich von neuem auf; aber da
die Heftigkeit des Affekts ſich unterdeß um
etwas gelegt hatte: ſo war er nunmehr ſorg-
faͤltiger darauf bedacht, ſeine Waffen, das
einzige Vertheidigungsmittel, welches er hat-
te, zu erhalten, und nahm ſie mit ſich. Er
fuͤhlte ſich aber ſo entkraͤftet, daß es ihm un-
moͤglich war, ferner eben ſo geſchwind als vor-
her zu laufen, ſo ſehr die Furcht ihn auch
dazu antrieb. Der Hunger war ihm fuͤr den
ganzen Tag vergangen, und nur ein einzi-
D 4
ges
[56] ges mahl nahm er ſich die Zeit, ſeinen Durſt
bei einer Quelle zu ſtillen.


Er hofte ſeine Burg zu erreichen; aber
dies war ihm unmoͤglich. Da es ſchon ange-
fangen hatte Nacht zu werden, befand er ſich
noch uͤber eine halbe Stunde weit von ſeiner
Wohnung an einem Orte, den er ſeinen
Sommerpallaſt zu nennen pflegte. Dieſer
beſtand aus einer Laube und aus einer ziem-
lich weiten Umzaͤunung, worin er einen Theil
ſeiner Heerde hielt, weil hier viel fetteres
Gras, als in der Gegend ſeiner ordentlichen
Wohnung wuchs. Er hatte hier in dem lezt-
verfloſſenen Jahre verſchiedene Sommernaͤchte
zugebracht, weil es daſelbſt weniger Musqui-
tos
gab; und darum hatte er dieſer Laube
den obbenanten Nahmen gegeben.


Seine Kraͤfte waren gaͤnzlich erſchoͤpft und
es war ihm unmoͤglich weiter zu gehen, ſo
gefaͤhrlich es ihm auch vorkam in einer un-
verwahrten Laube zu ſchlafen. Er beſchloß
alſo da zu bleiben. Kaum aber hatte er ſich,
ganz ermattet, den Kopf vol ſchwerer Gedan-
ken
[57] ken und mehr traͤumend als wachend, auf den
Boden hingeſtrekt, als er ploͤzlich einen neuen
Schrek hatte, der ihn beinahe getoͤdtet haͤtte.


Johannes. Hilf Himmel! was dem doch
alles begegnen muß!


Nikolas. Was war's denn?


Vater. Er hoͤrte eine Stimme, wie
vom Himmel herab, die ihm ganz vernehm-
lich zurief: Robinſon, armer Robinſon,
wo biſt du geweſen? wie komſt du
hierher?


Gottlieb. Tauſend! Was mogte denn
das ſein?


Vater. Robinſon ſprang erſchrokken
auf, zitterte, wie ein Espenblat, und wuſte
nicht, ob er davon laufen oder bleiben ſolte.
In demſelben Augenblikke hoͤrt' er die nem-
lichen Worte noch einmahl ausſprechen, und
da er ſeine Augen nach dem Orte, woher der
Schal kam, hinrichtete: fand er — was meint
ihr?


Alle. Ja, wer kan das wiſſen!


D 5
Va-
[58]

Vater. — fand er, was der Furchtſa-
me faſt immer finden wuͤrde, wenn er ſich
nur Zeit zur Unterſuchung naͤhme, — daß er
gar nicht Urſache gehabt habe zu erſchrekken.
Die Stimme kam nemlich nicht vom Himmel,
ſondern von einem Zweige ſeiner Laube, auf
welchem — ſein lieber Papagai ſaß.


Alle. Ah!


Vater. Dieſer hatte zu Hauſe vermuth-
lich lange Weile gehabt, und weil er einige
mahle ſeinen Herrn nach der Sommerlaube
begleitet hatte: ſo ſucht' er ihn hier auf.
Robinſon hatte ihm aber die Worte, die
er jezt ausſprach, zu mehreren mahlen vorge-
ſagt, und alſo hatt' er ſie behalten.


Wie froh war Robinſon die Urſache ſei-
nes abermahligen Schrekkens entdekt zu ha-
ben! Er ſtrekte ſeine Hand aus, rief Pol!
und flugs huͤpfte das vertrauliche kurzweilige
Ding herab auf ſeinen Daumen, legte den
Schnabel an ſeine Bakken und fuhr fort zu
ſchwazen: Robinſon, armer Robinſon,
wo biſt du geweſen?


Faſt
[59]

Faſt die ganze Nacht hindurch konte Ro-
binſon
vor Furcht und ſorgſamen Gedanken
kein Auge zu thun. Immer ſtand ihm der
graͤßliche Ort vor Augen, den er geſehen hat-
te, und vergebens bemuͤhete er ſich, ſeine Ein-
bildungskraft davon abzuziehen. O zu was fuͤr
thoͤrigten und ſchaͤdlichen Entſchlieſſungen ſchreitet
der Menſch, wenn die Leidenſchaften erſt einmahl
ſeinen Verſtand verfinſtert haben! Robinſon
faßte hundert Anſchlaͤge ſich zu retten, wo-
von der eine immer noch unweiſer, als der
andere war. Unter andern — koͤnt ihr es
glauben? — beſchloß er, ſobald es Tag ge-
worden waͤre, alles zu zerſtoͤren, was er bis
jezt mit ſo viel ſauerm Schweiſſe gemacht
hatte. Er wolte die Laube, worin er jezt
lag, dan die Verzaͤunung vor derſelben, ein-
reiſſen und ſeine Lama's laufen laſſen, wohin
ſie wolten. Dan wolte er eine gleiche Ver-
wuͤſtung mit ſeiner ordentlichen Wohnung vor-
nehmen und die ſchoͤne Baumwand zernichten,
die er vor derſelben angelegt hatte. Endlich
wolt' er auch ſeine Gaͤrten und Pflanzungen
gaͤnz-
[60] gaͤnzlich zerſtoͤren, damit auf der ganzen Inſel
gar keine Spur irgend eines von Menſchen-
haͤnden gemachten Werkes uͤbrig bliebe.


Johannes. J, warum denn das?


Vater. Damit die Wilden, wenn ſie
etwa einmahl in dieſe Gegend kaͤmen, gar
nicht merken koͤnten, daß ein Menſch da ſei.


Jezt wollen wir ihn ſeinen unruhigen
Gedanken uͤberlaſſen, weil wir ihm doch nicht
helfen koͤnnen; und indem wir uns auf unſer
eigenes ſicheres Lager legen, wollen wir unſern
freudigen Dank dem guten Gotte bringen,
der uns in einem Lande gebohren werden ließ,
wo wir unter geſitteten, uns liebenden und hel-
fenden Menſchen leben, und nichts von wil-
den Unmenſchen zu beſorgen haben.


Alle. Gute Nacht, Vater! Und Dank fuͤr
die ſchoͤne Erzaͤhlung!


Funf-
[61]

Funfzehnter Abend.


Der Vater fuhr fort:


Kinder, es iſt ein wahres Sprichwort:
guter Rath komt Morgen. Das koͤnnen
wir aus Robinſons Beiſpiel lernen.


Ihr wiſſet, welche thoͤrigte Entſchlieſſun-
gen ihm geſtern ſeine unmaͤßige Furcht eingab.
Wohl bekam es ihm, daß er die Ausfuͤhrung
derſelben auf den morgenden Tag verſchieben
muſte: denn kaum hatte das liebliche Tages-
licht die dunkeln Schatten der Nacht vertrie-
ben, als er die Dinge von einer ganz andern
Seite betrachtete. Was er geſtern fuͤr gut,
weiſe und nothwendig hielt, das ſchien ihm
jezt ſchlecht, thoͤrigt, und unnoͤthig zu ſeyn.
Mit einem Worte, er verwarf alle die uͤber-
eilten Anſchlaͤge, welche die Furcht ihm einge-
floͤßt hatte, und faßte andere, welche von der
Vernunft gebilliget wurden.


Sein
[62]

Sein Beiſpiel, lieben Kinder, diene euch
zur Warnung, daß ihr in Dingen, die einigen
Aufſchub leiden, nie gleich von der erſten Ent-
ſchlieſſung unmittelbar zur That ſchreitet, ſon-
dern vielmehr wenn es ſein kan, die Ausfuͤh-
rung auf den folgenden Tag verſchiebet.


Robinſon fand jezt, daß ſeine geſtrige
Furcht uͤbertrieben geweſen ſei. „Ich bin nun
ſchon ſo lange hier, dacht' er bei ſich ſelbſt,
und noch nie iſt ein Wilder in die Gegend
meiner Wohnung gekommen. Beweis genug,
daß auf der Inſel ſelbſt keine leben muͤſſen.
Aller Wahrſcheinlichkeit nach, kommen alſo nur
zuweilen einige derſelben von einer andern In-
ſel heruͤber, um hier ihre Siegesfeſte zu fei-
ern und ihre unmenſchlichen Mahlzeiten anzu-
ſtellen; und vermuthlich landen dieſe immer
auf dem ſuͤdlichen Ende der Inſel, und fah-
ren wieder ab, ohne ſich weiter auf derſelben
umzuſehen. Das iſt alſo abermahls ein groſſer
Beweis von der Guͤte der goͤtlichen Vorſehung,
daß ich grade an dieſen unfruchtbaren Theil
der Inſel habe muͤſſen geworfen werden, wel-
cher
[63] cher der ſicherſte fuͤr mich war. Wie ſolt'
ich ihr denn nicht zutrauen duͤrfen, daß ſie
auch ferner mich beſchuͤtzen und vor Gefahren
behuͤten werde, da ihre weiſen und guten Fuͤh-
rungen bis hieher ſo ſichtbar geweſen ſind!„


Hier macht' er ſich ſelbſt die bitterſten Vor-
wuͤrfe, daß er bei ſeiner geſtrigen uͤbertriebenen
Furcht ſo wenig Vertrauen auf Gott bewie-
ſen habe; warf ſich reuevol auf ſeine Knie
und bat um Verzeihung dieſer ſeiner abermah-
ligen Verſchuldung. Dan trat er neugeſtaͤrkt
den Weg zu ſeiner Wohnung an, um dasje-
nige ins Werk zu richten, was er nunmehr
beſchloſſen hatte.


Johannes. Was wolt' er denn nun thun?


Vater. Er wolte nur noch einige Ver-
anſtaltungen zu ſeiner groͤſſern Sicherheit tref-
fen; und darin handelte er uͤberaus vernuͤnf-
tig. Denn ohngeachtet wir der goͤtlichen Vor-
ſehung zutrauen muͤſſen, daß ſie, wenn wir
nach ihrem heiligen Willen zu leben uns be-
ſtreben, uns in keiner Noth verlaſſen werde:
ſo muͤſſen wir doch auch von unſerer Seite
nichts
[64] nichts verſaͤumen, was zu unſerer Sicherheit
und zu unſerm Gluͤkke etwas beitragen kan.
Denn dazu hat eben der liebe Gott uns un-
ſern Verſtand und alle andere Kraͤfte unſerer
Sele und unſers Leibes gegeben, daß wir
zur Befoͤrderung unſerer Gluͤkſeeligkeit ſie an-
wenden ſollen.


Das erſte, was er vornahm, war dieſes,
daß er in einer kleinen Entfernung von der
Baumwand, die ſeine Wohnung einſchloß,
einen dichten Wald anlegte, welcher verhin-
dern ſolte, daß ſeine Burg von fern nicht koͤn-
te geſehen werden. In dieſer Abſicht pflanzte
er nach und nach wohl 2000 Zweige von dem
weidenartigen Baume ein, deſſen leichtes Fort-
kommen und ſchnellen Wachsthum er nun ſchon
erfahren hatte. Er pflanzte ſie aber nicht in
Reihen, ſondern mit Fleiß unordentlich durch
einander hin, damit das Ganze ein natuͤrli-
ches, nicht durch Menſchenhaͤnde angelegtes
Gebuͤſch zu ſein ſchien.


Naͤchſtdem beſchloß er, aus dem innerſten
ſeiner Hoͤhle einen unterirdiſchen Gang bis an
das
[65] das andere Ende des Berges durchzufuͤhren, um,
im Fal der Noth, wenn ſeine Feſtung von Fein-
den erſtiegen waͤre, ſich durch dieſen Ausgang
retten zu koͤnnen. Dies war aber wieder ein
muͤhſeeliges und langwieriges Geſchaͤft und es
verſteht ſich von ſelbſt, daß die Schifbauerar-
beit daruͤber vor's erſte eingeſtelt werden muſte.


Er verfuhr aber bei dieſem Ausgraben des
unterirdiſchen Weges eben ſo, wie die Berg-
leute bei Anlegung der Stollen verfahren.


Gotlieb. Was ſind das Stollen?


Johannes. Weißt du nicht mehr? Erſt
graben ja die Bergleute ſo grade hinein in die
Erde, als wenn ſie einen Brunnen machen wol-
ten, das nennen ſie einen Schacht; und denn,
wenn ſie ſchon ein bischen tief gegraben haben:
ſo machen ſie erſt Quergaͤnge zu den Seiten,
und die nennen ſie Stollen. Dan graben ſie
wieder einen Schacht und dan wieder einen
Stollen, bis ſie an Stellen kommen, wo das
Erz liegt.


Vater. Gut erklaͤrt! Nun, ſeht ihr,
wenn ſie nun ſo in die Quere, (man nent das
E
Ho-
[66]Horizontal) graben: ſo wuͤrde ihnen die Erde
von oben auf den Kopf fallen, wenn ſie dieſelbe
nicht zu befeſtigen ſuchten. Alſo muͤſſen ſie, in-
dem ſie weiter arbeiten wollen, dieſe Erde erſt
durch Pfaͤle und Querhoͤlzer ſtuͤzen, damit ſie
feſt liege; und eben ſo macht' es nun auch Ro-
binſon.


Alle Erde, die er heraus arbeitete, warf er
an die Baumwand, und trat ſie feſt, ſo daß
dadurch nach und nach eine Erdmauer entſtand,
die wohl acht Fuß dik und wenigſtens zehn Fuß
hoch war. An verſchiedenen Stellen hatt' er
kleine Loͤcher, wie Schießſcharten, offen gelaſ-
ſen, um durchſehen zu koͤnnen. Zugleich hatt'
er einige Treppen eingeſchnitten, um mit Be-
quemlichkeit auf und abſteigen und ſeine Feſtung,
wenn es einmahl noͤthig ſein ſolte, von der Mau-
er herab vertheidigen zu koͤnnen.


Nun ſchien er vor einem ploͤzlichen Ueber-
falle hinlaͤnglich geſichert zu ſein. Aber wie?
wenn die Feinde ſich einfallen lieſſen, ihn foͤrm-
lich zu belagern? Wie da?


Der
[67]

Der Fal ſchien nicht unmoͤglich zu ſein; er
hielt es alſo fuͤr noͤthig, ſich auch darauf gefaßt
zu machen, um nicht durch Hunger und Durſt
zur Uebergabe genoͤthiget zu werden. In die-
ſer Abſicht beſchloß er, wenigſtens ein milchge-
bendes Lama immer auf ſeinem Hofraume zu
halten und zum Unterhalte deſſelben einen nur
in der Noth anzugreifenden Heuſchober in Be-
reitſchaft zu haben; ferner ſo viel Kaͤſe, als er
nur immer erſparen koͤnte, aufzubewahren und
endlich einen Vorrath von Fruͤchten und Auſtern
von einem Tage zum andern ſo lange zu ſparen,
als ſie ſich nur halten wuͤrden.


Auf die Ausfuͤhrung eines andern Einfals
muſt' er Verzicht thun, weil er voraus ſahe,
daß ſie ihm gar zu viel Zeit koſten wuͤrde. Er
wuͤnſchte nemlich, die Quelle, welche nicht weit
von ſeiner Wohnung hervorſprudelte und einen
kleinen Bach machte, durch ſeinen Hofraum lei-
ten zu koͤnnen, um im Fal einer Belagerung
auch mit Waſſer verſehen zu ſein. Aber da haͤtte
er eine ziemlich große Anhoͤhe durchſtechen muͤſ-
ſen, welches von einem einzigen Menſchen ohne
E 2
großen
[68] großen Zeitverluſt nicht geſchehen konte. Er
hielt es daher fuͤr beſſer, dieſes Projekt vor der
Hand aufzugeben, und wieder zu ſeiner Schif-
bauerarbeit zuruͤk zu kehren.


So verſtrichen ihm nun wieder einige Jah-
re, in denen eben nichts vorfiel, welches erzaͤhlt
zu werden verdiente. Ich eile daher zu einer
der wichtigſten Begebenheiten, welche auf das
Schikſal unſers guten Freundes einen groͤſſern
Einfluß hatte, als alles, was bis hieher auf
ſeiner Inſel ihm begegnet war.


Es war an einem ſchoͤnen warmen Morgen,
als Robinſon, da er ſchon mit ſeinem Schif-
bau beſchaftiget war, in einiger Entfernung von
ſich unvermuthet einen ſtarken Rauch aufſteigen
ſahe. Seine erſte Empfindung bei dieſem An-
blik war Schrekken, die zweite Neugier; und
beide trieben ihn an, ſo geſchwind er konte nach
dem Berge hinter ſeiner Wohnung zu laufen,
um von da zu ſehen, was doch die Urſache da-
von ſein moͤgte. Kaum hatt' er den Berg be-
ſtiegen, als er zu ſeiner noch weit groͤſſern Be-
ſtuͤrzung wenigſtens fuͤnf Kanoes, oder kleine
Kaͤhne,
[69] Kaͤhne, am Strande, und bei einem großen
Feuer wenigſtens 30 Wilde erblikte, die unter
barbariſchen Gebehrden und Freudensbezeugun-
gen einen Rundtanz hielten.


So ſehr nun auch Robinſon auf ein ſolches
Schauſpiel vorbereitet war, ſo fehlte doch nicht
viel, daß er nicht abermahls vor Angſt und
Schrekken alle Beſonnenheit verlor. Doch
rief er diesmahl ſeinen Muth und ſein Vertrau-
en auf Gott geſchwinder zuruͤk; ſtieg eiligſt hin-
ab, um ſich in den noͤthigen Vertheidigungs-
ſtand zu ſezen; legte ſeine ganze Ruͤſtung an
und faßte im Vertrauen auf Gott den maͤnlichen
Entſchluß, ſein Leben, ſo lange er koͤnte, zu
vertheidigen. Kaum hatt' er dieſe Entſchlieſ-
ſung genommen und durch ein kurzes Gebet ſich
darin beſtaͤrkt, als es ihm ſo leicht ums Herz
ward, daß er Muth genug fuͤhlte, die Strik-
leiter wieder hinan zu klettern, um die Bewe-
gungen der Feinde von dem Gipfel des Berges
herab zu beobachten.


Aber wie ſchlug ihm das Herz von Unwillen
und Entſezen, da er ziemlich deutlich zwei un-
E 3
gluͤk-
[70] gluͤkliche Menſchen aus den Kaͤhnen hohlen und
nach dem Feuerplaze hinſchleppen ſahe! Er zwei-
felte nicht, daß ſie zur Schlachtbank gefuͤhrt
werden ſolten, und in demſelben Augenblikke
wurde dieſe ſeine Vermuthung auf die ſchrek-
lichſte Weiſe beſtaͤtiget. Einige der Unmenſchen
ſchlugen nemlich den einen Gefangenen zu Bo-
den und ein Paar andere fielen uͤber ihn her,
vermuthlich, um ihm den Leib aufzuſchneiden
und ihn zu ihrem abſcheulichen Gaſtmahle zu
zubereiten. Unterdeß ſtand der andere Gefan-
gene als ein Zuſchauer bei dieſem unmenſchlichen
Schauſpiele da, bis die Reihe an ihn kommen
wuͤrde. Aber ploͤzlich, da dieſer arme Menſch
merkte, daß alle mit ſeinem geſchlachteten Ka-
meraden beſchaͤftiget waren und eben nicht ſehr
auf ihn achteten, ergrif er, in der Hofnung
ſein Leben zu retten, die Flucht, und lief mit
unglaublicher Geſchwindigkeit grade nach der Ge-
gend zu, wo Robinſons Wohnung war.


Freude, Hofnung, Furcht und Grauen er-
griffen jezt zugleich das Herz unſers Helden und
faͤrbten ſeine Wangen bald mit hoher Roͤthe,
bald
[71] bald mit Todtenblaͤſſe; Freude und Hofnung,
weil er bemerkte, daß der Entronnene viel ſchnel-
ler laufen konte, als die, welche ihn verfolgten;
Furcht und Grauen hingegen, weil der Verfolgte
und die Verfolger ihren Weg grade nach ſeiner
Burg zu nahmen. Indeß war zwiſchen dieſen
und jenen noch ein kleiner Meerbuſen, den der
Ungluͤkliche durchſchwimmen muſte, wenn er ſich
nicht gefangen geben wolte. Allein kaum war
er dabei angekommen, als er ohne ſich einen
Augenblik zu beſinnen, hineinplumpte und mit
eben der Schnelligkeit, die er im Laufen bewie-
ſen hatte, nach dem gegenſeitigen Ufer ſchwam.


Zwei ſeiner Verfolger, welche die Vorder-
ſten waren, ſchwammen ihm nach, die uͤbrigen
kehrten zu ihrem verruchten Gaſtmahle zuruͤk.
Mit innigem Vergnuͤgen bemerkte Robinſon,
daß dieſe beiden auch im Schwimmen dem Er-
ſten bei weiten nicht gleich kamen. Dieſer flohe
ſchon gegen ſeine Wohnung zu, indeß die An-
dern noch nicht zur Haͤlfte durchgeſchwommen
waren.


E 4
In
[72]

In dieſem Augenblikke fuͤhlte unſer Ro-
binſon
ſich von einem Muthe beſeelt, der ſo
groß und feurig noch nie in ihm erwacht war.
Seine Blikke ſpruͤheten Feuer; ſein Herz dreng-
te ihn, dem Ungluͤklichen beizuſpringen; er er-
grif ſeine Lanze und ohne ſich einen Augenblik
laͤnger zu bedenken, rant' er den Berg hinab
und war in einem Hui! zwiſchen dem Verfolg-
ten und ſeinen Verfolgern. Halt! rief er dem
Erſten mit lauter donnernder Stimme zu, in-
dem er aus dem Gebuͤſch hervorſprang; halt!
Der arme Fluͤchtling ſahe ſich um, und erſchrak
beim Anblik des uͤber und uͤber in Felle gehuͤlten
Robinſons, den er vermuthlich fuͤr ein uͤber-
menſchliches Weſen hielt, dergeſtalt, daß er
nicht wußte, ob er ſich vor ihm niederwerfen
oder entfliehen ſolte.


Robinſon winkte ihm mit der Hand, gab
ihm zu erkennen, daß er zu ſeiner Beſchuͤzung
da ſei, und ruͤkte dabei almaͤhlig gegen ſeine bei-
den Verfolger an. Jezt war er ſo weit gekom-
men, daß er den erſten mit ſeinem Spieß er-
reichen konte. Er ermante ſich, und verſezte
ihm
[73] ihm einen ſo nachdruͤklichen Stoß in den nakten
Leib, daß er zu Boden ſtuͤrzte. Der Andere,
welcher noch ohngefaͤhr hundert Schritte entfer-
net war, ſtuzte; holte darauf einen Pfeil her-
vor und ſchoß auf Robinſon, indem dieſer
eben auf ihn los gehen wolte. Der Pfeil traf
grade die Stelle des Herzens, — aber gluͤkli-
cher Weiſe nur ſo ſchwach, daß er von der har-
ten Pelzjakke, wie von einem Panzer zuruͤk-
pralte, ohne ihm auch nur im geringſten zu ver-
lezen.


Unſer muthige Streiter ließ dem Feinde
nicht Zeit, einen zweiten Schuß zu thun; er
rante auf ihn zu, und ſtrekte ihn in den Sand,
indem er eben wieder den Bogen ſpante. Und
jezt ſah er ſich nach dem Geretteten um.


Der arme Fluͤchtling ſtand zwiſchen Furcht
und Hofnung noch auf derſelben Stelle, auf
der ihm Robinſon zugerufen hatte, ungewiß
ob das, was vorging, zu ſeiner Errettung ge-
ſchaͤhe, oder ob die Reihe jezt an ihn kommen
werde. Der Sieger rief ihm abermahls zu und
winkte ihm, herbei zu kommen. Er gehorchte;
E 5
ſtand
[74] ſtand aber bald wieder ſtille, trat abermahls
etwas naͤher und ſtand von neuem ſtille und
zwar mit ſichtbarer Angſt und in der Stellung
eines Betenden. Robinſon gab ihm alle er-
ſinliche Zeichen von Freundſchaftsbezeugung und
winkte ihm abermahls herzu zu treten. Er thats;
doch kniete er alle zehn oder zwoͤlf Schritte mit
den demuͤthigſten Gebehrden nieder, als wenn
er ihm danken, und zugleich ihm huldigen
wolte.


Robinſon nahm hierauf ſeine Maſke ab
um ihm ein menſchliches und freundliches Ge-
ſicht zu zeigen; worauf er ohne Bedenken naͤher
trat, vor ihm niederkniete, den Boden kuͤßte,
ſich plat niederlegte und Robinſons Fuß auf
ſeinen Nakken ſezte, vermuthlich zur Verſiche-
rung, daß er ſein Sklav ſein wolle. Unſer
Held, dem es mehr um einen Freund, als um
einen Sklaven zu thun war, hob ihn liebreich
auf, und ſuchte ihn auf jede nur moͤgliche Weiſe
zu uͤberzeugen, daß er nichts als Gutes und
Liebes von ihm zu erwarten habe. Allein da
war noch mehr zu thun.


Einer
[75]

Einer der Erſchlagenen, der den Stich
nur in den Unterteib bekommen hatte und ver-
muthlich nicht toͤdtlich verwundet war, fing an
ſich wieder zu erhohlen, und etwas ausgeriſſe-
nes Gras in die Wunde zu ſtopfen um das Blut
zu ſtillen. Robinſon machte ſeinen Wilden
aufmerkſam darauf und dieſer antwortete ihm
einige Worte in ſeiner Landesſprache, die jener
zwar nicht verſtand, aber welche doch wie Mu-
ſik in ſeinen Ohren toͤnten, weil es die erſte
menſchliche Stimme war, die er nach ſo vielen
Jahren wieder hoͤrte. Hierauf zeigte der In-
dianer auf ſein ſteinernes Beil, dan auf ſich,
und gab zu verſtehen, daß er ſeinem Feinde vol-
lends den Reſt damit zu geben wuͤnſchte. Unſer
Held, der ungern Menſchenblut vergoß und
gleichwohl die Nothwendigkeit, den Verwun-
deten voͤllig umzubringen, erkante, gab ſeinem
Schuzgenoſſen das Beil, und wandte ſeine Au-
gen weg. Dieſer lief drauf hin; und ſpaltete
dem Verwundeten auf einen Streich den Sche-
del bis in die Schulter herab. Dan kam er la-
chend wieder zuruͤk und legte mit vielen ſonder-
baren
[76] baren Gebehrden das Beil und die Hirnſchale des
Erſchlagenen zum Zeichen des Sieges zu Robin-
ſons
Fuͤßen nieder.


Dieſer gab ihm durch Zeichen zu verſtehen,
daß er die Bogen und Pfeile der Getoͤdteten
nehmen und ihm folgen ſolte. Der Wilde hin-
gegen bedeutete ihm, daß er erſt die todten Koͤr-
per im Sande verſcharren wolte, damit ihre
Kameraden, wenn ſie etwa nachfolgen ſolten,
ſie nicht finden moͤgten. Robinſon bezeugte
ihm Beifal uͤber dieſe ſeine Vorſichtigkeit, und
da war er mit ſeinen Haͤnden ſo hurtig daruͤber
aus, daß er in weniger, als einer Viertelſtun-
de ſchon beide Leichname verſchart hatte. Dan
wanderten Beide nach Robinſons Wohnung
und erſtiegen den Berg.


Lotte. Aber, Vater, nun war ja Ro-
binſon
ein Moͤrder geworden.


Frizchen. J, das waren ja nur Wilde,
die er umgebracht hatte; das thut nichts!


Lotte. Ja, es waren aber doch Men-
ſchen!


Va-
[77]

Vater. Allerdings waren ſie das, Friz-
chen, und wild oder geſittet thut hier nichts zur
Sache. Die Frage iſt nur, ob er ein Recht
dazu hatte, dieſe Ungluͤklichen umzubringen?
Was meinſt du, Johannes?


Johannes. Ich glaube, daß er recht
daran that.


Vater. Und warum?


Johannes. Weil ſie ſolche Unmenſchen
waren, und weil ſie ſonſt den andern armen
Wilden wuͤrden todt gemacht haben, der ihnen
doch wohl nichts mogte zu Leide gethan haben.


Vater. Aber wie konte Robinſon das
wiſſen? Vielleicht hatte dieſer den Tod ver-
dient? Vielleicht waren diejenigen, die ihn ver-
folgten, Diener der Gerechtigkeit, die von ih-
rem Oberhaupte dazu befehliget waren. Und
dan, wer hatte Robinſon zum Richter uͤber
ſie beſtelt?


Nikolas Ja, aber wenn er ſie nicht ge-
toͤdtet haͤtte, ſo wuͤrden ſie ſeine Burg geſehen
haben, und dan haͤtten ſie es den Andern wie-
der erzaͤhlt —


Got-
[78]

Gotlieb. Und denn waͤren ſie alle gekom-
men und haͤtten den armen Robinſon ſelbſt
umgebracht.


Frizchen. Und aufgefreſſen dazu!


Vater. Jezt ſeid ihr auf dem rechten
Flekke; zu ſeiner eigenen Sicherheit muſt' er's
thun, ganz recht! Aber iſt man denn wohl be-
rechtiget, um ſein eigenes Leben zu retten, ei-
nen Andern umzubringen?


Alle. O ja!


Vater. Warum?


Johannes. Weil Gott wil, daß wir
unſer Leben erhalten ſollen, ſo lange wir nur
koͤnnen. Wenn alſo einer uns umbringen wil,
ſo muß es ja wohl recht ſein, ihn erſt umzu-
bringen, damit er's wohl muͤſſe bleiben laſſen.


Vater. Allerdings, lieben Kinder, iſt
eine ſolche Nothwehr nach menſchlichen und goͤt-
lichen Geſezen recht, aber — wohl gemerkt! —
nur in dem einzigen Fal, wenn ganz und
gar kein anderes Mittel zu unſerer ei-
genen Rettung uͤbrig iſt.
Haben wir hin-
gegen Gelegenheit, entweder zu entfliehen, oder
von
[79] von Andern beſchuͤzt zu werden, oder unſern Ver-
folger auſſer Stand zu ſezen, uns zu ſchaden:
ſo iſt ein Angrif auf ſein Leben ein wirklicher
Mord, und wird auch von der Obrigkeit, als
ein ſolcher, beſtraft.


Vergeßt nicht, lieben Kinder, Gott zu
danken, daß wir in einem Lande leben, in wel-
chem die Obrigkeit ſo gute Veranſtaltungen zu
unſerer Sicherheit getroffen hat, daß unter hun-
dert tauſend Menſchen hoͤchſt ſelten ein Ein-
ziger in die traurige Nothwendigkeit gera-
then kan, von dem Rechte der Nothwehr
Gebrauch machen zu muͤſſen.


Genug fuͤr heute!


Sech-
[80]

Sechzehnter Abend.


Nachdem die Geſelſchaft am folgenden Abend
ſich wieder verſamlet hatte, und das Gewoͤhn-
liche „ah! von Robinſon! von Robin-
ſon!
„ von Mund zu Mund geflogen war,
fuhr der Vater in ſeiner merkwuͤrdigen Erzaͤh-
lung folgendermaßen fort:


Das Schikſal unſers Robinſons, lieben
Kinder, das uns allen ſo ſehr am Herzen liegt,
iſt noch nicht entſchieden. Er erſtieg, wie wir
gehoͤrt haben, mit ſeinem geretteten Wilden den
Berg hinter ſeiner Wohnung; und da haben
wir ihn geſtern verlaſſen, ungewiß, was aus
beiden weiter werden wuͤrde? Seine Lage war
noch immer ſehr gefaͤhrlich: denn was konte man
wahrſcheinlicher vermuthen, als daß die Wil-
den, ſo bald ſie ihre unmenſchliche Mahlzeit
wuͤrden vollendet haben, ihren ausgebliebenen
beiden
[81] beiden Kameraden nachgehen und den entronne-
nen Gefangenen aufſuchen wuͤrden? Und thaten
ſie das, wie ſehr ſtand dan nicht zu beſorgen,
daß ſie Robinſons Wohnung entdekken, ſie
mit Gewalt erſtuͤrmen und ihn mit ſeinem
Schuzgenoſſen zugleich abſchlachten wuͤrden?


Robinſon ſchauderte bei dieſem Gedanken,
indem er auf dem Gipfel des Berges hinter ei-
nem Baume ſtand, und den abſcheulichen Freu-
densbezeugungen und Taͤnzen der wilden Un-
menſchen von ferne zuſahe. Er uͤberlegte in der
Geſchwindigkeit, was wohl am beſten ſei, zu
fliehen? oder ſich in ſeine Burg zu begeben?
Ein Gedanke an Gott, den Beſchuͤzer der Un-
ſchuld, gab ihm Kraft und Muth das Leztere
zu erwaͤhlen. Er kroch alſo, um nicht geſehen
zu werden, hinter niedrigem Geſtraͤuche bis zu
ſeiner Strikleiter fort und befahl ſeinem Gefaͤhr-
ten durch Zeichen ein Gleiches zu thun. Und ſo
ſtiegen beide hinab.


Hier machte der Wilde große Augen, da er
die bequeme und ordentliche Einrichtung der
Wohnung ſeines Erretters ſahe, weil er ſo was
F
ſchoͤ-
[82] ſchoͤnes in ſeinem ganzen Leben noch nicht geſe-
hen hatte. Es war ihm ohngefaͤhr eben ſo da-
bei zu Muthe, als wenn ein Landman, der nie
aus ſeinem Dorfe gekommen iſt, zum erſten-
mahle in einen Pallaſt gefuͤhrt wird.


Robinſon gab ihm durch Zeichen zu ver-
ſtehen, was er von ſeinen grauſamen Landsleu-
ten fuͤr ſich und ihn beſorgte, und bedeutete ihm,
daß er entſchloſſen ſei, ſein Leben bis auf den
lezten Blutstropfen gegen ſie zu vertheidigen.
Der Wilde verſtand ihn, machte ein grimmiges
Geſicht, ſchwenkte das Beil, welches er noch in
Haͤnden hatte, einige mahl uͤber dem Kopfe,
und wandte ſich darauf mit fuͤrchterlichen Ge-
behrden drohend nach der Seite hin, wo ſeine
Feinde waren, als wenn er ſie zum Kampf
heraus foderte, um durch dies alles ſeinem
Schuzhern zu erkennen zu geben, daß es ihm
gleichfals nicht an Muthe fehle, ſich tapfer ge-
gen ſie zu wehren. Robinſon lobte ſeine
Herzhaftigkeit, gab ihm einen Bogen nebſt ei-
nem ſeiner Spieſſe (denn er hatte deren nach
und nach mehrere verfertiget) in die Hand und
ſtelte
[83] ſtelte ihn, als Schildwache, an ein kleines Loch,
welches er mit Fleiß in der Baumwand gelaſſen
hatte, und wodurch man den kleinen Zwiſchen-
raum uͤberſehen konte, der das von ihm gepflanz-
te Gebuͤſch von der Baumwand trente. Er ſelbſt
ſtelte ſich in ſeiner ganzen Ruͤſtung an die andere
Seite der Wand, wo er gleichfals ein ſolches
Wachtloch offen gelaſſen hatte.


In dieſer Stellung hatten ſie ohngefaͤhr ei-
ne Stunde zugebracht, als ſie ploͤzlich durch ein
wildes, aber noch ziemlich fernes Geſchrei vieler
Stimmen erſchrekt wurden. Beide machten
ſich fertig zum Streit, und winkten einer dem
andern zu, um ſich gegenſeitig aufzumuntern.
Es wurde wieder ſtil; dan ertoͤnte abermahls ein
aͤhnliches Geſchrei und zwar ſchon etwas naͤher,
worauf von neuem eine fuͤrchterliche Stille folg-
te. Jezt —


Lotte. O Vater, ich laufe weg, wenn
ſie kommen!


Frizchen. Fi! wer wolte wohl ſo eine
feige Memme ſein!


F 2
Got-
[84]

Gotlieb. Laß du nur, Lotte! Robin-
ſon
wird ſich ſchon wehren; davor iſt mir gar
nicht bange.


Lotte. Na, ihr ſolt ſehen, ſie werden
ihn gewiß todt machen.


Johannes. O ſtille!


Vater. Jezt ließ ſich ziemlich nahe eine
einzige rauhe Stimme hoͤren, die in das Ge-
buͤſch fuͤrchterlich herein ſchrie und von dem Echo
des Berges wiederhohlt wurde. Schon ſtanden un-
ſere muthigen Kaͤmpfer bereit; ſchon hatte jeder ſei-
nen Bogen geſpant, um dem Erſten der ſich
wuͤrde blikken laſſen, einen Pfeil in den Leib zu
ſchieſſen. Ihre Augen funkelten von muthiger
Erwartung und waren unverwandt auf diejenige
Gegend des Gebuͤſches gerichtet, aus welcher die
Stimme erſchollen war. —


Hier hielt der Vater ploͤzlich ein, und alle
beobachteten ein erwartungsvolles Stilſchweigen.
Aber es erfolgte nichts. Endlich fragten ihn alle
wie mit einem Munde: warum er denn nicht
fortfuͤhre? Und der Vater antwortete:


„Um
[85]

„Um euch abermahls eine Gelegenheit
zu geben, eure Begierden baͤndigen zu ler-
nen! Vermuthlich ſeid ihr jezt alle ſehr neu-
gierig, den Ausgang des fuͤrchterlichen Kampfes
zu wiſſen, der unſerm Robinſon bevorzuſte-
hen ſcheint; auch bin ich, wenn ihr es ſo wolt,
ſogleich bereit, ihn euch zu erzaͤhlen. Aber wie?
wenn ihr freiwillig Verzicht darauf thaͤtet?
Wenn ihr eure Neugierde bekaͤmpftet und die
Befriedigung derſelben bis auf Morgen verſchoͤ-
bet? Ihr ſolt indeß euren freien Willen haben;
ſprecht: wolt ihr? oder nicht?„


Wir wollen! Wir wollen! war die al-
gemeine Antwort, und ſo wurde die Fortſe-
zung der Erzaͤhlung bis auf den folgenden Abend
ausgeſezt.*


F 3
Jeder
[86]

Jeder ſezte unterdeß, bis zum Eſſen getrom-
melt wurde, ſeine gewoͤhnliche Handarbeit unter
lehrreichen Geſpraͤchen fort. Einige machten
Koͤrbe, andere Schnuͤre und wiederum andere
entwarfen Riſſe zu einer kleinen Feſtung, die
man naͤchſten Tages auf dem großen Hofraume
anlegen wolte; und erſt am folgenden Abend
fuhr der Vater in der abgebrochenen Erzaͤhlung
alſo fort:


Robinſon und ſein muthiger Bundsge-
noſſe blieben in derjenigen kriegeriſchen Stellung,
worin wir ſie geſtern verlaſſen haben, bis gegen
Abend ſtehen, ohne fernerhin das Geringſte zu
ſehen oder zu hoͤren. Endlich ward es beiden
ſehr wahrſcheinlich, daß die Wilden von ihrer
vergeblichen Nachſuchung wohl muͤſten nachgelaſ-
ſen, und in ihren Kaͤhnen ſich wieder nach ihrer
Heimath begeben haben. Sie legten alſo ihre
Waffen nieder, und Robinſon hohlte etwas
von ſeinem Vorrathe zum Abendeſſen herbei.


Weil dieſer merkwuͤrdige Tag, der in der
Geſchichte unſers Freundes ſich ſo vorzuͤglich aus-
zeichnet, grade ein Freitag war; ſo beſchloß
er
[87] er ſeinem geretteten Wilden den Nahmen deſ-
ſelben zu geben und nant' ihn alſo Freitag.


Robinſon hatte jezt erſt Zeit, ihn etwas
genauer zu betrachten. Es war ein wohlgewach-
ſener junger Menſch, ohngefaͤhr zwanzig Jahr
alt. Seine Haut war ſchwarzbraun und glaͤn-
zend; ſein Haar ſchwarz, aber nicht wolligt,
wie das Haar der Mohren, ſondern lang, ſei-
ne Naſe kurz, aber nicht flach; ſeine Lippen wa-
ren klein und ſeine Zaͤhne weiß, wie Elfenbein.
In beiden Ohren trug er allerhand Muſchel-
werk und Federn, worauf er ſich nicht wenig
einzubilden ſchien. Uebrigens gieng er nakt vom
Kopf bis zu den Fuͤßen.


Eine von den vorzuͤglichſten Tugenden un-
ſers Robinſons war die Schamhaftigkeit.
So groß daher auch ſein Hunger war, ſo nahm
er ſich doch erſt Zeit, fuͤr ſeinen nakten Hausge-
noſſen aus einem alten Felle eine Schuͤrze zu
ſchneiden und ſie durch Bindfaden zu befeſtigen.
Dan gab er ihm zu verſtehen, daß er ſich neben
ihm ſezen ſolte, um das Abendbrod mit ihm zu
eſſen. Freitag (denn ſo wollen wir ihn nun
F 4
kuͤnf-
[88] kuͤnftig auch nennen) naͤherte ſich ihm mit allen
erſinlichen Zeichen der Ehrerbietung und der
Dankbarkeit, kniete alsdan vor ihm nieder, legte
ſeinen Kopf abermahls plat auf die Erde, und
ſezte eben ſo, wie er es das erſtemahl gemacht
hatte, ſeines Befreiers Fuß auf ſeinen Nakken.


Robinſons Herz, welches die Freude uͤber
einen ſo lange gewuͤnſchten Geſelſchafter und
Freund kaum faſſen konte, haͤtte ſich lieber durch
Liebkoſungen und zaͤrtliche Umarmungen ergoſ-
ſen: aber der Gedanke, daß es zu ſeiner eigenen
Sicherheit gut ſei, den neuen Gaſtfreund, deſ-
ſen Gemuͤthsart er noch nicht kante, eine Zeit-
lang in den Schranken einer ehrerbietigen Unter-
werfung zu erhalten, bewog ihn, die Huldigung
deſſelben, als etwas, welches ihm gebuͤhre, an-
zunehmen, und eine Zeitlang den Koͤnig mit
ihm zu ſpielen. Er gab ihm alſo durch Zeichen
und Gebehrden zu verſtehen, daß er ihn zwar
in ſeinen Schuz genommen habe, aber nur un-
ter der Bedingung eines ſtrengen Gehorſams:
daß er ſich alſo muͤſſe gefallen laſſen, alles das
zu thun oder zu laſſen, was er, ſein Herr und
Koͤ-
[89] Koͤnig ihm zu befehlen oder zu verbieten fuͤr gut
erachten wuͤrde. Er bediente ſich dabei des Worts
Ratſchike, womit die wilden Amerikaner ihre
Oberhaͤupter zu benennen pflegen, wie er ſich
gluͤklicher Weiſe erinnerte, einmahl gehoͤrt zu
haben.


Mehr durch dieſes Wort, als durch die da-
mit verbundenen Zeichen, verſtand Freitag die
Meinung ſeines Herrn und aͤuſſerte ſeine Zufrie-
denheit daruͤber, indem er das Wort Katſchike
einige mahl mit lauter Stimme widerholte, da-
bei auf Robinſon wies und ſich von neuem
ihm zu Fuͤßen warf. Ja, um zu zeigen, daß
er recht gut wiſſe, was es mit der koͤniglichen
Gewalt zu bedeuten habe, ergrif er den Spieß,
gab ihn ſeinem Herrn in die Hand, und ſezte
die Spize deſſelben ſich ſelbſt auf die Bruſt, ver-
muthlich um dadurch anzuzeigen, daß er mit Leib
und Leben in ſeiner Macht ſtehe. Robinſon
reichte ihm hierauf mit der Wuͤrde eines Mo-
narchen freundlich die Hand zum Zeichen ſeiner
koͤniglichen Huld, und befahl ihm abermahls,
ſich zu lagern, um die Abendmahlzeit mit ihm
F 5
ein-
[90] einzunehmen. Freitag gehorchte; doch ſo,
daß er ſich zu ſeinen Fuͤßen auf den flachen Bo-
den niederſezte, indeß Robinſon auf einer
Grasbank ſaß.


Seht, Kinder, auf dieſe oder auf eine aͤhn-
liche Weiſe ſind die erſten Koͤnige in der Welt
entſtanden. Es waren Maͤnner, die an Weis-
heit, an Muth und an Leibesſtaͤrke andern Men-
ſchen uͤberlegen waren. Daher kamen dieſe zu
ihnen, um ſie zu bitten, ſie gegen wilde Thiere,
deren es anfangs mehr gab, als jezt, und gegen
ſolche Menſchen zu beſchuͤzen, die ihnen Unrecht
thun wolten. — Dafuͤr verſprachen ſie dan,
ihnen in allen Stuͤkken gehorſam zu ſein, und
ihnen von ihren Heerden und von ihren Fruͤch-
ten jaͤhrlich etwas abzugeben, damit ſie ſelbſt
nicht noͤthig haͤtten, ſich ihren Unterhalt zu er-
werben, ſondern ſich ganz allein mit der Sorge
fuͤr ihre Unterthanen beſchaͤftigen koͤnten. Die-
ſe jaͤhrliche Gabe, welche die Unterthanen dem
Koͤnig zu bringen, verſprachen, nante man dan
den Tribut, oder die jaͤhrlichen Abgaben.
So entſtand die koͤnigliche Gewalt; ſo die Pflicht
des
[91] des Gehorſams und der Unterwuͤrfigkeit gegen ei-
nen oder mehrere Menſchen, in deren Schuz
man ſich begeben hat.


Robinſon war alſo nunmehr ein wirklicher
Koͤnig, nur daß ſeine Herſchaft ſich nicht wei-
ter, als uͤber einen einzigen Unterthan und eini-
ge Lamas erſtrekte; den Papagai mit einbegrif-
fen. Seine Majeſtaͤt geruhete indeß ſich zu
ihrem Vaſallen ſo ſehr herabzulaſſen, als es
ihre Wuͤrde nur immer geſtatten wolte.


Frizchen. Was iſt das, ein Vaſal?


Vater. Eben ſo viel, als Unterthan, lie-
ber Friz. —


Nach aufgehobner Tafel geruhete ſeine Ma-
jeſtaͤt in hohen Gnaden zu verordnen, wie es
mit dem Nachtlager gehalten werden ſolte. Sie
fand fuͤr gut, ihren Unterthan — der nun zu-
gleich auch ihr erſter Staatsminiſter, und
ihr Kammerdiener, ihr General und ihre
Armee, ihr Kammerherr, Oberhofmar-
ſchal,
und Kaſtelan war, vor der Hand noch
nicht in ihrer eigenen Hoͤhle, ſondern in ihrem
Keller ſchlafen zu laſſen, weil ſie es fuͤr bedenk-
lich
[92] lich hielt, ihr Leben und das Geheimniß des ver-
borgenen Ausganges aus der Hoͤhle einem Neu-
ling anzuvertrauen, deſſen Treue noch nicht ge-
pruͤft und alſo auch noch nicht bewaͤhrt gefunden
war. Freitag erhielt alſo die Anweiſung, et-
was Heu in den Keller zu tragen, um ſich ein
Lager daraus zu bereiten, indeß ſeine Majeſtaͤt
ſelbſt, um mehrerer Sicherheit willen, alle
Waffen in ihr eigenes Schlafgemach trug.


Dan geruhete ſie im Angeſicht ihres ganzen
Reichs ein Beiſpiel von Herablaſſung und De-
muth zu geben, welches vielleicht das Einzige
in ſeiner Art iſt. Ihr werdet daruͤber erſtau-
nen, und ihr wuͤrdet es fuͤr unglaublich halten,
wenn ich euch nicht verſicherte, daß es in den Jahr-
buͤchern der Regierung unſers Robinſons mit
klaren Worten geleſen werde und durch dieſelben
ſchon laͤngſt weltkuͤndig geworden ſei. Koͤnt ihr es
glauben: Robinſon, der Monarch, Robin-
ſon,
der unumſchraͤnkte Koͤnig und Beherſcher
der ganzen Inſel, Robinſon, der Herr uͤber
das Leben und den Tod aller ſeiner Unterthanen,
verrichtete vor Freitags Augen das Amt einer
Stal-
[93] Stalmagd, und molk mit eigener hoher
Hand, die im Hofraum befindliche La-
ma's,
um ſeinem Premierminiſter, dem er
dies Geſchaͤft kuͤnftig zu uͤbertragen beſchloſſen
hatte, zu zeigen, wie er es machen muͤſſe! —


Hier hielt der Vater ein, um dem algemei-
nen Gelaͤchter Raum zu geben, welches dieſer
poſſierliche Umſtand erregt hatte. Dan fuhr er
folgendermaßen fort:


Freitag wuſte noch nicht, was das, was er
ſeinen Herrn verrichten ſahe, zu [be]deuten habe;
denn ſein und ſeiner Landsleute ſchwacher Ver-
ſtand war noch nicht darauf verfal[l]en, daß die
Milch der Thiere wohl eine nahrhafte und ge-
ſunde Speiſe ſei. Noch nie hatt' er Milch ge-
koſtet und war daher ganz entzuͤkt uͤber den an-
genehmen Geſchmak derſelben, da ihm Robin-
ſon
davon zu koſten gab.


Nach alle dem, was beide an dieſem Tage
ausgeſtanden hatten, ſehnten ſie ſich nun nach
Schlaf und Ruhe. Robinſon gebot daher ſei-
nen Vaſallen zu Bette zu gehen; er ſelbſt that
ein Gleiches. Doch vergaß er nicht, ehe er ſich
ſchla-
[94] ſchlafen legte, Gott fuͤr die Abwendung der Ge-
fahren des Tages, und fuͤr die Zufuͤhrung ei-
nes menſchlichen Gehuͤl[f]en inbruͤnſtig zu dan-
ken.


Siebzehnter Abend.


Johannes.


Nun ſol mich doch verlangen zu hoͤren, was
Robinſon mit ſeinem Freitag alles vorneh-
men wird!


Diderich. O nun wird er ſchon viel mehr
machen koͤnnen, als vorher, weil er jezt einen
Gehuͤlfen hat!


Vater. Ihr werdet immer mehr ſehen,
Kinder, was fuͤr große Vortheile dem Men-
ſchen durch die Geſelligkeit zuflieſſen, und
wie viel Urſache wir alſo haben, Gott zu dan-
ken, daß er den Trieb nach Umgang und Freund-
ſchaft
[95] ſchaft mit andern Menſchen uns ſo tief einge-
pflanzt hat!


Das erſte, was Robinſon mit ſeinem
Freitag am andern Morgen vornahm, war ein
Gang nach der Stelle, wo die Wilden den Tag
vorher ihre unmenſchliche Siegesmahlzeit gehal-
ten hatten. Im Hingehen kamen ſie zu naͤchſt
an den Ort, wo die beiden von Robinſon er-
ſchlagenen Wilden verſchart lagen. Freitag
zeigte ſeinem Herrn die Stelle, und ließ ſich
nicht undeutlich merken, daß er wohl Luſt haͤt-
te, die todten Leiber wieder aufzugraben, um
eine Mahlzeit davon zu halten. Aber Robin-
ſon
machte ein erſchrekliches, Unwillen und Ab-
ſcheu ausdruͤkkendes Geſicht, hob ſeine Lanze
drohend empor, und gab ihm zu verſtehen, daß
er ihn auf der Stelle toͤdten wuͤrde, ſobald er
ſich jemahls wieder einfallen lieſſe, Menſchen-
fleiſch zu eſſen. Freitag verſtand die Drohun[g],
und unterwarf ſich demuͤthig dem Willen ſei-
nes Herrn, ohngeachtet er nicht begreifen kon-
te, was er doch fuͤr Urſachen haben moͤgte,
ihm ein Vergnuͤgen zu verſagen, von deſſen
Ab-
[96] Abſcheulichkeit er ganz und gar keinen Begrif
hatte.


Jezt waren ſie bei der Feuerſtelle angekom-
men. Welch ein Anblik! Hier lagen Knochen,
dort halb zernagte Fleiſchſtuͤkken von Menſchen
und an verſchiedenen Stellen war der Boden
mit Blut gefaͤrbt. Robinſon muſte ſeine Au-
gen davon abkehren. Er befahl Freitag, al-
les auf einen Haufen zu werfen, dan ein Loch
in die Erde zu graben, und die traurigen Ueber-
bleibſel der Unmenſchlichkeit ſeiner Landsleute
darin zu verſcharren; und Freitag gehorchte.


Robinſon ſuchte unterdeß mit groſſer Sorg-
falt die Aſche durch, ob nicht vielleicht ein Fuͤnk-
chen Feuer moͤgte uͤbrig geblieben ſein? Aber
umſonſt! Es war gaͤnzlich erloſchen. Das war
nun ſehr traurig fuͤr ihn; denn nach dem der
Himmel ihm einen Geſelſchafter verliehen hatte,
blieb ihm vor der Hand faſt nichts zu wuͤnſchen
uͤbrig, als — Feuer. Indem er nun mit ge-
ſenktem Kopfe da ſtand und mit traurigen Blik-
ken die todte Aſche betrachtete: machte Freitag,
der ihm eine Zeitlang aufmerkſam zugeſehen
hatte,
[97] hatte, einige ihm unverſtaͤndliche Zeichen, er-
grif darauf ploͤzlich das Beil, rante wie der
Wind nach dem Walde und ließ Robinſon,
der ſeine Abſicht nicht begrif, vol Verwunde-
rung uͤber dieſes ploͤzliche Weglaufen zuruͤk.


„Was iſt das?„ dacht' er, indem er vol
Erſtaunen ihm nachſahe.„ Solte der Undank-
bare dich verlaſſen, dich ſogar deines Beils be-
rauben wollen? Solt' er grauſam genug ſein,
ſich deiner Wohnung zu bemaͤchtigen, dich mit
Gewalt davon ausſchlieſſen, oder gar dich ſeinen
unmenſchlichen Landsleuten verrathen zu wol-
len? — „Schaͤndlich! Schaͤndlich!„ rief er
aus, und ergrif von Unwillen, uͤber eine ſo un-
erhoͤrte Undankbarkeit entbrandt, den Spieß,
um dem Verraͤther nachzulaufen und ihn zu
hindern, ſeine ſchwarzen Anſchlaͤge auszufuͤh-
ren.


Schon hatt' er mit ſchnellen Schritten ſich
auf den Weg gemacht, als er ploͤzlich Freitag
in vollem Laufe wieder zuruͤkkommen ſahe.
Robinſon blieb betroffen ſtehen, und ſahe mit
Verwunderung, daß ſein vermeinter Verraͤther
G
im
[98] im Herzulaufen eine handvol duͤrres Gras in die
Hoͤhe hielt, aus welchem Rauch empor ſtieg. Jezt
faßt' es Flamme; Freitag warf es zur Erde,
legte augenbliklich noch mehr troknes Gras und
etwas Reisholz hinzu und Robinſon ſahe
zu ſeinem freudigem Erſtaunen in demſelben Au-
genblikke ein helles, luftiges Feuer auflodern.
Auf einmahl war ihm Freitags ploͤzliches Weg-
laufen begreiflich; und vor Freude auſſer ſich
fiel er ihm um den Hals, druͤkte und kuͤßte ihn
mit Inbrunſt, und bat in Gedanken ihn tau-
ſendmahl um Verzeihung, daß er einen ſo un-
gegruͤndeten Verdacht auf ihn geworfen hatte.


Nikolas. Aber wo mogte denn Freitag
das Feuer her gekriegt haben?


Vater. Er war mit dem Beile in den
Wald gerant, um von einem troknen Stamme
zwei Holzſtuͤkke abzuhauen. Dieſe hatt' er ſo
geſchwind und ſo geſchikt zu reiben gewuſt, daß
ſie ſich entzuͤndeten. Dan hatte er hurtig das
glimmende Holz in etwas Heu gewikkelt, und
war mit dieſem Heu in der Hand ſo ſchnel, als
moͤglich, davon gerant. Durch die geſchwinde
Be-
[99] Bewegung gerieth das entzuͤndete Heu in Flam-
men.


Fr. R. Da hat mir unſer Freund Robin-
ſon
einmahl wieder gar nicht gefallen!


Johannes. Warum nicht?


Fr. R. Darum nicht, daß er, ohne hin-
laͤngliche Anzeigen von Freitags Untreue zu
haben, ſo gleich einen ſo ſchwarzen Argwohn
gegen ihn faßte. Fi! wer wolte wohl ſo mis-
trauiſch ſein!


Johannes. Ja, es haͤtte aber doch wohl
ſein koͤnnen, daß es wahr geweſen waͤre, was
er beſorgte; und da muſt' er ſich doch vor ihn in
Acht nehmen!


Fr. R. Verſteh' mich recht, lieber Johan-
nes! daß der Gedanke an Freitags moͤgliche
Untreue ihm einfiel, verdenk' ich ihm nicht;
auch das nicht, daß er ihm nachlief, um ihn zu
hindern, fals er etwas wider ihn im Schilde
fuͤhren ſolte: denn dieſe Vorſichtigkeit gegen ei-
nen noch unbekanten Menſchen war allerdings
noͤthig und gut. Aber das verdenk ich ihm,
daß er dieſen Argwohn nun gleich fuͤr gegruͤndet
G 2
hielt,
[100] hielt, daß er in Leidenſchaft gerieth und, von Un-
willen entbrandt, ſich gar nicht einfallen ließ, daß
Freitag doch wohl unſchuldig ſein koͤnte. —
Nein! ſo weit muß unſer Mistrauen gegen an-
dere Menſchen niemahls gehen, wenn wir nicht
die gewiſſeſten Beweiſe ihrer Untreue in Haͤnden
haben. In zweifelhaften Faͤllen muß
man von Andern immer das Beſte, nie
das Schlimſte, vermuthen.


Vater. Eine gute Regel! Merkt ſie euch,
Kinder, und richtet euch darnach. —


Nun, unſer Robinſon war, wie geſagt,
vor Freuden auſſer ſich, da er ſeinen Argwohn
zernichtet und ſich nun auf einmahl wieder im
Beſiz des ſo lange entbehrten und ſo ſehnlich ge-
wuͤnſchten Feuers ſahe. Lange weidete er ſeine
Augen an den auflodernden Flammen und konte
ſich nicht ſat daran ſehen. Endlich nahm er ei-
nen gluͤhenden Feuerbrand und lief damit, von
Freitag begleitet, nach ſeiner Wohnung.


Hier macht' er augenbliklich ein helles Feuer
in ſeiner Kuͤche an, legte einige Kartoffeln dazu
und flog darauf, wie der Wind, nach ſeiner
Heerde,
[101] Heerde, um ein junges Lama zu holen. Die-
ſes wurde augenbliklich geſchlachtet, abgeſtreift,
zerlegt und ein Viertel davon an den Spieß ge-
ſtekt. Freitag wurde zum Bratenwender be-
ſtelt.


Unterdeß daß dieſer ſein Amt verrichtete, ſchnit
Robinſon ein Bruſtſtuͤk ab, und legt' es wohl
gewaſchen in einen ſeiner Toͤpfe. Dan ſchaͤlt'
er einige Kartoffeln, zerſtampfte zwiſchen zweien
Steinen eine Handvol Maiz zu Mehl that bei-
des zu dem Fleiſch im Topf und goß ſo viel rei-
nes Waſſer darauf, als ihm noͤthig zu ſein ſchien.
Auch vergaß er nicht etwas Salz dazu zu wer-
fen, und dan ſezt' er dieſen Topf gleichfals an
das Feuer.


Lotte. Ich weiß ſchon, was er davon
machen wolte! — Suppe!


Vater. Ganz recht; — eine Speiſe, die
er nun wenigſtens in acht Jahren nicht genoſſen
hatte! Ihr koͤnt denken, wie der Mund ihm
darnach waͤſſern muſte!


Freitag machte bei dieſen Zuruͤſtungen groſ-
ſe Augen, weil er noch nicht begreifen konte,
G 3
wo-
[102] wozu das alles ſolte? Vom Kochen hatt' er nie
etwas gehoͤrt oder geſehen; er wuſte daher auch
ſchlechterdings nicht zu errathen, was das Waſ-
ſer im Topfe bei dem Feuer machen ſolle? Als
nun Robinſon auf einige Augenblikke in ſeine
Hoͤhle gegangen war, und das Waſſer im Topfe
zu kochen anfing: ſtuzte Freitag, weil es ihm
unbegreiflich war, was doch wohl das Waſſer
auf einmahl in Bewegung ſezen moͤgte? Da es
aber vollends aufbrauſete und von allen Seiten
anfing uͤberzulaufen, gerieth er auf den naͤrri-
ſchen Einfal, daß vielleicht irgend ein lebendiges
Thier darin ſei, welches dieſe ploͤzliche Bewe-
gung verurſachte; und um zu verhuͤten, daß
dieſes Thier nicht alles Waſſer aus dem Topfe
heraus drengte: ſtekt' er hurtig ſeine Hand
hinein, um es zu fangen. Aber in eben dem-
ſelben Augenblikke fing er ein ſo entſezliches Ge-
ſchrei an, daß die Felſenwand der Hoͤhle davon
erbebte.


Angſt und Schrekken ergriffen unſern armen
Robinſon, da er dies gewaltige Geſchrei ver-
nahm, weil er in dem erſten Augenblikke nichts
anders
[103] anders vermuthen konte, als daß die Wilden da
waͤren und ſeinen Freitag ſchon gepakt haͤtten.
Furcht und Selbſtliebe riethen ihm, ſich durch
ſeinen verborgenen unterirdiſchen Gang auf die
Flucht zu begeben, um ſein eigenes Leben zu ret-
ten. Aber er verwarf dieſen Einfal augen-
bliklich wieder, weil er es mit Recht fuͤr ſchaͤnd-
lich hielt, ſeinen neuen Hausgenoſſen und Freund
im Stiche zu laſſen. Ohne ſich alſo laͤnger zu
beſinnen, ſtuͤrzt' er aus der Hoͤhle hervor, feſt
entſchloſſen, fuͤr Freitags abermahlige Befrei-
ung aus den Haͤnden der Unmenſchen Blut und
Leben zu wagen.


Fr. B. So gefaͤlſt du mir, Freund Ro-
binſon!


Vater. Er ſtuͤrzte alſo hervor, das Beil
in der Hand: aber — wie erſtaunt' er nicht, da
er Freitag ganz allein, wie einen Unſinnigen mit
unaufhoͤrlichen Geſchrei herumtanzen und die
allerſeltſamſten Gebehrden machen ſahe. Lange
ſtand er, wie verduzt, und wuſte nicht, was
er davon denken ſolte? Endlich kam es zu Er-
klaͤrungen, und da erfuhr er denn durch Zeichen,
G 4
daß
[104] daß das ganze Unheil nur darin beſtehe, daß
Freitag ſich die Hand ein wenig verbrant habe.


Dieſen zu beruhigen, koſtete ihm nicht we-
nig Muͤhe. Damit ihr aber begreifen moͤget,
(was Robinſon erſt ein Jahr nachher, da
Freitag mit ihm reden konte, begrif) warum
er, um einer ſolchen Kleinigkeit willen, einen
ſo entſezlichen Lerm machte und ſich ſo wunder-
lich gebehrdete: ſo muß ich euch erſt ſagen, was
unwiſſende, in ihrer Jugend nicht unterrichtete
Menſchen zu denken pflegen, wenn ihnen etwas
begegnet, wovon ſie die Urſache nicht einzuſehen
vermoͤgen.


Dieſe armen einfaͤltigen Menſchen gerathen
nemlich alsdan faſt immer auf den Gedanken,
daß irgend ein unſichtbares Weſen, ein Geiſt,
die Urſache von demjenigen ſei, was ſie nicht
begreifen koͤnnen; und ſie meinen, daß dieſer
Geiſt eine ſolche Wirkung auf Befehl irgend ei-
nes Menſchen thue, dem er dienſtbar geworden
ſei. Einen ſolchen Menſchen, dem ſie dieſe Her-
ſchaft uͤber einen oder mehrere Geiſter zutrauen,
nennen ſie dan einen Zauberer oder Hexen-
mei-
[105] meiſter,
und wenn's ein Frauenzimmer iſt,
eine Zauberin oder Hexe.


Wenn zum Beiſpiel einem armen unwiſſen-
den Landmann ploͤzlich ein Pferd oder eine Kuh
krank wird, ohne daß ihm die Urſache dieſer
Krankheit bekant iſt: ſo geraͤth er leicht auf
den dummen Gedanken, daß irgend ein Hexen-
meiſter oder eine Hexe im Dorfe ſei, die ſein
Pferd oder ſeine Kuh bezaubert, das heißt,
durch Huͤlfe eines unſichtbaren boͤſen Geiſtes
krank gemacht haͤtten. Da giebt's denn gemei-
niglich auch einen liſtigen und boshaften Betruͤ-
ger, der ſich der Unwiſſenheit und des Aberglau-
bens dieſer armen Leute zu Nuze macht, um
Geld von ihnen zu ziehen. Ein ſolcher Betruͤ-
ger beſtaͤrkt ſie darauf in ihrem Aberglauben;
weiß ſich eine wichtige Miene zu geben; ſagt,
ſie haͤtten ganz recht, das Thier waͤre wirklich
behext; aber, wenn ſie ihm nur ſo oder ſo viel
Geld geben wolten, ſo waͤre er im Stande, das
Thier wieder zu entzaubern, oder den Zaube-
rer und den boͤſen Geiſt zu zwingen, davon abzu-
laſſen. Das thun denn dieſe einfaͤltigen Leute,
G 5
und
[106] und der Teufelsbanner (ſo nennen ſie den
Betruͤger) macht dafuͤr allerlei naͤrriſche Gauke-
leien. Wird das Vieh dan etwa zufaͤlliger Wei-
ſe wieder geſund: ſo ſchwoͤren ſie darauf, daß
es wirklich behext geweſen, aber von dem klu-
gen Manne
(ſo pflegen ſie den Betruͤger auch
wohl zu nennen) wieder entzaubert worden ſei.
Stirbt das Vieh aber doch; nun ſo hat der klu-
ge Man tauſend Ausreden, wodurch er dem
Volke begreiflich zu machen weiß, warum ſeine
Bannung ohne ſeine Schuld fruchtlos geblieben
ſei.


Je dummer die Menſchen ſind, deſto mehr
ſind ſie dieſem ſchaͤdlichen Aberglauben ergeben.
Ihr koͤnt alſo denken, daß er vornemlich unter
den Wilden im Schwange gehen muß. Alles,
was dieſe mit ihrem einfaͤltigen Verſtande nicht
begreifen koͤnnen, das ſchreiben ſie den Wirkun-
gen boͤſer Geiſter zu; und dies war der Fal
worin ſich unſer Freitag jezt befand.


Nie hatt' er gehoͤrt oder erfahren, daß man
Waſſer heiß machen koͤnne; nie hatt' er auch
gefuͤhlt, wie es thut, wenn man die Hand in
ko-
[107] kochendes Waſſer ſtekt: er konte alſo auch ſchlech-
terdings nicht begreifen, woher die ſo ſehr
ſchmerzhafte Empfindung komme, die ihn ploͤz-
lich uͤberfiel, ſo bald das kochende Waſſer ſeine
Hand beruͤhrte. Er glaubte alſo ſteif und feſt,
daß es mit Zauberei zugehe und daß ſein Herr
ein Hexenmeiſter ſei.


Nun, Kinder, — macht euch nur darauf
gefaßt, — es wird euch kuͤnftig auch wohl ein-
mahl eins und das Andere vorkommen, deſſen
Urſache ihr nicht werdet begreifen koͤnnen. Ihr
werdet Taſchenſpieler und Gaukler ſehen, die
wunderſeltſame Dinge machen koͤnnen, die z.B.
dem Scheine nach, einen Vogel in eine Maus
verwandeln, einen gekoͤpften Vogel wieder leben-
dig machen koͤnnen u.ſ.w. ohne, daß ihr bei
der groͤßten Aufmerkſamkeit im Stande ſeid,
die Gaukelei zu entdekken; wenn euch denn
auch etwa der Gedanke anwandeln ſolte: das
geht nicht mit rechten Dingen zu; das
muß ein Hexenmeiſter ſein!
ſo erinnert euch
unſers Freitags und ſeid verſichert, daß es euch
eben ſo, wie ihm geht, daß ihr nemlich aus
Un-
[108] Unwiſſenheit etwas fuͤr Uebernatuͤrlich haltet,
was im Grunde ſehr natuͤrlich zu geht. Um
euch noch mehr darauf vorzubereiten, wollen wir
euch gelegentlich einige ſolcher Taſchenſpielerkuͤn-
ſte erklaͤren, damit ihr von dieſen auf andere
ſchlieſſen koͤnt.


Es koſtete, wie geſagt, viele Muͤhe, den
armen Freitag zu beruhigen und ihn zu bewegen,
ſich wieder zu dem Braten zu ſezen, um ihn zu
wenden. Zwar that er dies endlich, aber den
Topf ſah er noch immer mit Grauſen und ſei-
nen Herrn, den er nun fuͤr ein unmenſchliches
Weſen hielt, mit furchtſamer Ehrerbietung an.
In dieſem Glauben beſtaͤrkte ihn die europaͤiſche
weiſſe Geſichtsfarbe und der lange Bart deſſel-
ben, wodurch er ein ganz anderes Anſehen er-
hielt, als Freitag nebſt ſeinen ſchwarzbraunen
und unbaͤrtigen Landsleuten hatten.


Nikolas. Haben denn die Wilden in
Amerika keinen Bart?


Vater. Nein! man hat daher faſt durch-
gaͤngig geglaubt, daß die Natur den Amerika-
niſchen Maͤnnern den Bart verſagt habe: jezt
aber
[109] aber wil man bemerkt haben, daß ſie ihn blos
deswegen nicht haben, weil ſie die Haare des
Kinnes, ſo bald ſie hervorwachſen, ſorgfaͤltig
auszuraufen pflegen.


Suppe, Kartoffeln nnd Braten waren jezt
gar. Da es an Loͤffeln fehlte, ſo goß Robin-
ſon
zwei Porzionen Suppe in zwei andere Toͤp-
fe, um ſie aus dieſen zu trinken. Aber Frei-
tag
war durchaus nicht zu bewegen, einen der-
ſelben anzunehmen, weil er die Suppe fuͤr einen
Zaubertrank hielt; und es ſchauderte ihn, da er
Robinſon anſezen, und die bezauberte Bruͤhe
trinken ſahe. Von dem Braten hingegen und
von den Kartoffeln aß auch er mit großem Wohl-
gefallen.


Wie ſehr der Genuß warmer und nahrhafter
Speiſen unſern Robinſon erfreuen muſte,
koͤnt ihr euch vorſtellen. Er vergaß daruͤber al-
ler ausgeſtandnen Muͤhſeeligkeiten der verfloſſe-
nen kuͤmmerlichen Jahre, vergaß, daß er noch
immer auf ſeiner Inſel ſei, glaubte in ein ander
Land, glaubte wieder mitten in Europa verſezt
zu ſein. So weiß die guͤtige Vorſehung die
Wun-
[110] Wunden unſers Herzens, die ſie zu unſerm Be-
ſten ſchlug, und die wir in der Empfindung des
Schmerzens fuͤr unheilbar hielten, oft in einem
einzigen Augenblikke durch den Balſam unver-
hofter Freuden ganzlich wieder zu heilen! Ob
uͤbrigens Robinſon im Genuß dieſer neuen
Gottesgaben auch an den Geber derſelben mit
Lieb' und Dankbarkeit gedacht habe, brauch ich
euch wohl nicht erſt zu ſagen.


Nach der Mahlzeit lagert' er ſich in ſeinem
Gedankenwinkel, um uͤber die gluͤkliche Veraͤn-
derung ſeines Zuſtandes ernſthafte Betrachtun-
gen anzuſtellen. Alles hatte nun eine andere,
viel angenehmere Geſtalt fuͤr ihn gewonnen.
Sein Leben war nun nicht mehr einſam; er hat-
te einen Geſelſchafter, mit dem er jezt zwar
noch nicht reden konte, aber deſſen bloße Geſel-
ſchaft ihm doch ſchon jezt zum Troſte und zur
Huͤlfe gereichte; er hatte wieder Feuer und der
wohlſchmekkenden und geſunden Nahrungsmit-
tel genug, um die Beduͤrfniſſe des Gaums und
des Magens hinlaͤnglich befriedigen zu koͤnnen.
„Was kan dich, dacht' er, nun noch hindern,
ver-
[111] vergnuͤgt und unbekuͤmmert zu leben? Geneuß
alſo der mannigfaltigen Wohlthaten des Him-
mels; iß und trink von deiner Heerde und von
den Fruͤchten des Landes das Beſte, (denn du
haſt ja Ueberfluß an allem) und halte dich nun
durch Ruhe und gutes Eſſen und Trinken ſchad-
los fuͤr die ausgeſtandnen Muͤhſeeligkeiten und
den Mangel der verfloſſenen Jahre! Dein Frei-
tag
mag fuͤr dich arbeiten; er iſt jung und ſtark
und du haſt es ja um ihn verdient, daß er dein
Knecht ſei.„ Hier ſtokten ſeine Gedanken;
denn es kam ihnen eine andere Betrachtung in
die Queer.


„Aber wie? dacht' er, wenn deine ganze
gegenwaͤrtige Gluͤkſeeligkeit einmahl wieder ein
Ende naͤhme? Wenn Freitag ſtuͤrbe? Wenn
dein Feuer abermahls erloͤſchte?„ Ein kalter
Schauder lief ihm bei dieſem Gedanken durch
alle Glieder.


„Und dacht' er weiter, wenn du durch ein
weichliches und wolluͤſtiges Leben dich dan ſo
verwoͤhnt haͤtteſt, daß es dir unmoͤglich fiele,
zu der Haͤrte und Armſeeligkeit deiner vorigen
Le-
[112] Lebensart zuruͤk zu kehren? Und wenn du den-
noch, dazu zuruͤk zu kehren, gezwungen wuͤr-
deſt?„ Er ſtieß einen tiefen Seufzer aus.


Dan dacht' er weiter: „Wem haſt denn du
es vornemlich zu zuſchreiben, daß du durch Got-
tes Huͤlfe manche Schwachheit und Untugend
abgelegt haſt, die dir vorher eigen waren?
Nicht wahr, lediglich der arbeitſamen und
maͤßigen Lebensart,
die du bisher zu fuͤh-
ren gezwungen wareſt? Und du wolteſt nun
durch Muͤßiggang und ſinliches Wohlleben dich
in Gefahr ſezen, der Geſundheit des Leibes und
des Geiſtes, welche Maͤßigkeit und Arbeitſam-
keit dir verliehen haben, wieder verluſtig zu
werden? da ſei Gott vor! „ dacht' er, ſprang
von ſeinem Lager auf und ging mit haſtigen
Schritten in ſeinem Hofraume auf und nieder.
Freitag trug unterdeß die uͤbrig gebliebenen
Speiſen in den Keller und ging, auf Robin-
ſons
Befehl, die Lama's zu melken.


Robinſon fuhr in ſeiner Betrachtung alſo
fort: „Und, dacht' er, wenn du von nun an
ein ruhiges und ſchwelgeriſches Leben fuͤhrteſt,
wie
[113] wie lange wuͤrd' es dauern, daß du aller uͤber-
ſtandenen Noth, und der vaͤterlichen Huͤlfe,
die dein lieber Gott bis hieher dir geleiſtet hat,
vergeſſen wuͤrdeſt? Wie bald wuͤrdeſt du uͤber-
muͤthig, trozig, gottvergeſſen werden? Schrek-
lich! ſchreklich!„ rief er aus und fiel auf ſeine
Knie, um Gott zu bitten, daß er ihn doch ja
vor dieſem abſcheulichen Undanke bewahren
moͤgte.


Noch ſtand er einige Minuten im tiefen
Nachdenken; dan faßte ſeine Sele folgende maͤn-
liche und wahrhaftig heilſame Entſchlieſſung:


„Ich wil, dacht' er, der neuen goͤtlichen
Wohlthaten zwar genieſſen; aber immer mit der
groͤßten Maͤßigkeit. Die einfachſten Speiſen
ſollen auch kuͤnftig meine Nahrung ſein, ſo groß
und mannigfaltig mein Vorrath auch immer ſein
mag. Meine Arbeiten wil ich eben ſo unver-
droſſen und eben ſo ununterbrochen fortſezen, als
bisher, ohngeachtet ſie nicht mehr eben ſo noth-
wendig ſein werden. An einem Tage einer jeden
Woche, und dies ſei der Sonnabend, wil ich
von eben den rohen Speiſen leben, die mich bis
H
hie-
[114] hieher ernaͤhrt haben, und den lezten Tag eines
jeden Monats wil ich eben ſo einſam hinbrin-
gen, als ich die ganze verfloſſene Zeit meines
hieſigen Aufenthalts habe hinbringen muͤſſen.
Freitag ſol dan jedesmahl einen Tag und eine
Nacht ſich fern von mir in meinem Sommer-
pallaſt aufhalten.„


Er empfand, nachdem er dieſe tugendhaf-
ten Vorſaͤze gefaßt hatte, die reine himliſche
Freude, welche jedes Beſtreben unſers Geiſtes
nach groͤſſerer Volkommenheit allemahl zu beglei-
ten pflegt. Seine Stirn gluͤhete, ſein Herz
empfand ſchon zum voraus die ſeeligen Folgen
dieſer freiwilligen Aufopferungen und ſchlug leb-
hafter; es war ihm unausſprechlich wohl zu
Muthe. Aber er kante nun ſchon die Wankel-
muͤthigkeit des menſchlichen Herzens, auch ſei-
nes Herzens, und ſahe daher voraus, wie leicht
es moͤglich ſei, daß er dieſer ſeiner guten Vor-
ſaͤze wieder vergeſſen koͤnte. Er glaubte daher,
daß es nicht undienlich ſein wuͤrde, wenn er ſich
irgend ein ſinliches Merkzeichen machte, bei
deſſen Anblik er ſich taͤglich wieder daran erin-
nern
[115] nern koͤnte. In dieſer Abſicht ergrif er ſein
Beil und hieb in die Felſenwand uͤber dem Ein-
gange zu ſeiner Hoͤhle die beiden Worte ein:
Arbeitſamkeit und Maͤßigkeit.


Nun, Kinder, ich geb' euch bis Morgen
Zeit, uͤber dieſen lehrreichen Umſtand in unſers
Freundes Leben nachzudenken, ob vielleicht et-
was darin ſei, welches ihr zu eurem Beſten
nachmachen koͤntet. Wenn wir wieder zuſam-
men kommen, ſolt ihr mir eure Gedanken daruͤ-
ber mittheilen, ſo wie ich euch die Meinigen
ſagen werde.


Achtzehnter Abend.


Am folgenden Tage war ein Fluͤſtern und Zi-
ſcheln und eine Bewegung unter dem kleinen
Volke, daß man wohl merken konte, es ſei
irgend etwas Wichtiges unter ihnen auf dem Ta-
H 2
pet.
[116] pet. Indeß konte man doch nicht erfahren,
was es eigentlich ſei, bis die Stunde zur Ro-
binſonserzaͤhlung geſchlagen hatte. Aber da ent-
ſtand auch ein Zulaufen und ein Andrengen um
den Vater herum, daß dieſer ſich auf die Gras-
bank fluͤchten mußte, um nicht zerdruͤkt zu wer-
den.


Vater. Nun, was gibt's, was gibt's
denn?


Alle. Eine Bitte! lieber Vater! Eine
Bitte!


Vater. Und was denn fuͤr eine?


Alle auf einmahl. O ich moͤgte — o ich
wolte gern — o und ich —


Vater. Sch! — Ja, da verſteh ich kein
Wort, wenn ihr alle zugleich ſprechen wolt.
Rede einer nach dem Andern! Diderich, fange
an!


Diderich. Ich und Nikolas und Johan-
nes wolten bitten, daß es uns erlaubt waͤre,
morgen Mittag nicht zu eſſen.


Gotlieb. Und ich, und Frizchen und Lot-
te wolten bitten, daß wir Morgen zum Fruͤh-
ſtuͤk
[117] ſtuͤk nur ein Bischen trokken Brod und den Abend
gar nichts eſſen duͤrften.


Vater. Und warum das?


Johannes. Ja, wir wollen uns auch
gern uͤberwinden lernen.


Nikolas. Und wolten uns uͤben, ein
Bischen Hunger zu ertragen, damit es uns
nicht ſauer ankomme, wenn wir einmahl hun-
gern muͤſſen.


Gotlieb. Ja, und denn wolten wir
Vater auch noch bitten, daß es uns erlaubt ſein
moͤgte, Morgen Abend nicht zu Bette zu gehen
und die ganze Nacht einmahl zu wachen.


Vater. Und warum denn das?


Gotlieb. J, weil es doch auch wohl ein-
mahl kommen kan, daß wir wachen muͤſſen;
damit es uns denn nicht zu ſchwer werde.


Vater. Ich freue mich, Kinder, daß ihr
die Nothwendigkeit einſehet, ſich zuweilen et-
was Angenehmes mit Fleiß zu entziehen, um
den Mangel deſſelben, wenn es ſein muß, er-
tragen zu lernen. Das macht ſtark an Leib und
Sele. Eure Bitte ſei euch alſo gewaͤhrt, doch
H 3
unter
[118] unter der Bedingung, daß ihr es recht gern
thut, daß ihr vergnuͤgt dabei ſeid, und daß ihr
es frei heraus ſagt, wenn's euch zu ſchwer fal-
len ſolte.


Alle. O es wird uns gewiß nicht zu ſchwer
fallen.


Fr. R. Ich folge eurem Beiſpiel, ihr
Kleinen, und faſte Morgen Abend auch.


Fr. B. Und ich dem Eurigen, ihr Groͤſ-
ſern; wir faſten zuſammen Morgen Mittag,
und die Nachtwache halt' ich mit euch Allen!


Vater. Bravo! Bravo! — Nun, ich
werde doch nicht allein zuruͤkbleiben auf dem
Wege zum Guten? — Hoͤrt, wozu ich mich
entſchloſſen habe!


Ihr wißt, daß ich in meiner Jugend ſehr
verwoͤhnt worden bin. Man hat mir Kaffee
und Thee, Bier und Wein zu trinken gegeben.
Aus eigener Narheit habe ich als Juͤngling mir
den Schnupftabak und Rauchtabak angewoͤhnt.
Das Alles ſchwaͤcht nun den Koͤrper gar ſehr
und giebt uns ſo viel Beduͤrfniſſe, daß uns alle
Augenblikke etwas fehlt und macht daß wir un-
zufrie-
[119] zufrieden ſind, wenn wir es nicht haben koͤnnen.
Ich habe oft Kopfſchmerzen; vermuthlich wuͤrd'
ich ſie nicht haben, wenn ich nicht von Jugend
auf an warme und erhizende Getraͤnke waͤre ge-
woͤhnt worden. Dies und das Beiſpiel unſers
Robinſons hat mich dan zu der Entſchlieſ-
ſung gebracht, von nun an auf Alles dies Ver-
zicht zu thun. Alſo von heute an, rauche und
ſchnupfe ich keinen Tabak mehr; von heute an,
trinke ich keinen Thee, keinen Kaffe, kein Bier
und keinen Wein mehr, auſſer an Geburtstagen
und andern Freudenfeſten, da wir gemeinſchaft-
lich ein wenig Wein trinken wollen, um uns
auch uͤber dieſe Gottesgabe zu freuen und dem
Geber derſelben dafuͤr zu danken.


Es wird mir ſauer werden, dies Geluͤbde zu
erfuͤllen, weil ich ſchon ſo lange verwoͤhnt gewe-
ſen und nun ſchon ſo alt bin. Aber mag's!
deſto groͤſſer wird auch nachher meine Freude
ſein, wenn ich's doch werde erfuͤlt haben. Auch
die Leute werden viel dawider einzuwenden ha-
ben; der Eine wird ſagen: „der wil den Son-
H 4
der-
[120] derbaren machen, wil dem Diogenes*) nach-
aͤffen!„ Der Andere: „der Man iſt hipo-
chondriſch, findet ein Vergnuͤgen daran ſich
ſelbſt zu quaͤlen!„ So werden die guten Leute
ſprechen; aber, lieben Kinder, wenn man etwas
thun wil, was vor Gott und vor unſerm eige-
nen Gewiſſen recht und gut iſt, ſo muß man
niemahls fragen: was werden die Leute da-
zu ſagen? man muß vielmehr die Leute ſa-
gen laſſen, was ſie wollen, und ſelbſt thun,
was man als recht erkant hat. Auch die Aerzte
werden den Kopf uͤber mich ſchuͤtteln, werden
mir, ich weiß nicht was fuͤr Krankheiten profe-
zeihn, weil ich aufhoͤren wil krank an Leib und
Seele zugleich zu ſein: aber, lieben Kinder,
wenn man Herz genug hat, auf den Weg der
Natur zuruͤk kehren zu wollen, ſo muß man
nicht die Aerzte um Rath fragen, welche ſelbſt
davon abgewichen ſind.


Ich habe geglaubt, daß es gut waͤre, euch
dies Alles vorher zu ſagen, damit ihr aus mei-
nem
[121] nem Beiſpiele lernen moͤgtet, daß man viel
kan, wenn man viel wil,
und daß keine
boͤſe Gewohnheit ſo ſtark ſei, daß wir ſie mit
Gottes Huͤlfe nicht ſolten uͤberwinden koͤnnen,
wenn es nur ein rechter Ernſt damit iſt. —


Nun, Kinder, zum Anfang werden dieſe
Uebungen in der Enthaltſamkeit und Selbſtbe-
kaͤmpfung, die wir jezt beſchloſſen haben, ſchon
hinreichend ſein. Haben wir dieſe gluͤklich uͤber-
ſtanden, ſo wird uns jede folgende Uebung leich-
ter werden. Alſo — es bleibt dabei, jeder
thut, wozu er ſich freiwillig entſchloſſen hat;
und nun wieder zu unſerm Robinſon!


Der Zuſtand deſſelben, war jezt gluͤklicher,
als er, ſeit ſeiner Ankunft auf dieſer Inſel, je-
mahls geweſen war. Die einzige große Sorge,
die ihn jezt nur noch beunruhigte, war die,
daß die Wilden vielleicht bald zuruͤk kommen
wuͤrden, um ihre zuruͤkgebliebenen Gefaͤhrten
aufzuſuchen, und daß es dan leicht zwiſchen ihm
und ihnen wieder zu blutigen Haͤndeln kommen
duͤrfte. Er zitterte vor dem Gedanken, aber-
mahls in die Nothwendigkeit verſezt zu werden,
H 5
Men-
[122] Menſchenblut vergieſſen zu muͤſſen, und ſein eige-
nes zweifelhaftes Schikſal machte ihn nicht we-
niger bekuͤmmert.


Bei dieſen Umſtaͤnden erfoderte die Pflicht
der Selbſterhaltung, auf ſeine eigene Sicher-
heit, ſo viel moͤglich, bedacht zu ſein. Schon
laͤngſt hatt' er den Wunſch gehegt, ſeine Burg
zu einer ordentlichen kleinen Feſtung machen zu
koͤnnen: aber ſo lange er noch allein war, ſchien
ihm die Ausfuͤhrung dieſes Anſchlages unmoͤg-
lich zu ſein. Jezt aber, da er zwei Arme mehr
hatte, kont' er ſo was ſchon unternehmen. Er
ſtelte ſich alſo auf den Gipfel des Berges, von
wannen er den ganzen Plaz uͤberſehen konte,
um den Plan dazu zu machen. Dieſer war auch
bald entworfen. Er durfte nur auſſerhalb der
Baumwand rund um ſeine Burg herum einen
etwas breiten und tiefen Graben aufwerfen,
und den inwendigen Rand deſſelben mit Palli-
ſaden
bepflanzen?


Frizchen. Was ſind das Palliſaden?


Johannes. O du kannſt auch leicht wie-
der was vergeſſen! Weißt du nicht mehr, die
ſpi-
[123] ſpizigen Pfaͤle, die Vater um das eine Ravelin
an unſerer kleinen Feſtung ſo dicht neben einan-
der gepflanzt hat, — na! das ſind Palliſaden.


Frizchen. Ach ja! — Nu nur weiter!


Vater. In dieſen Graben beſchloß er die
kleine Quelle zu leiten, die ohnweit ſeiner Woh-
nung entſprang, und zwar ſo, daß ein Theil
des Bachs mitten durch ſeinen Hofraum floͤſſe,
damit es ihm, in Fall einer ordentlichen Bela-
gerung, nicht an Waſſer fehlen moͤgte.


Es hielt ſchwer, alles dies ſeinem Freitag
durch Zeichen verſtaͤndlich zu machen. Indeß
gluͤkt' es ihm endlich damit; und Freitag lief
darauf nach dem Geſtade, um allerlei Werkzeu-
ge zum Graben und Schaufeln, nemlich groſſe
Muſcheln und platte ſcharfe Steine zu ſuchen.
Dan ſezten beide ſich in Arbeit.


Ihr koͤnt denken, daß dies abermahls kein
leichtes Geſchaͤft geweſen ſei. Der Graben mu-
ſte, wenn er etwas helfen ſolte, wenigſtens drei
Ellen tief und zum mindeſten vier Ellen breit
ſein. Die Laͤnge deſſelben mogte ſich leicht auf
80 bis 100 Schritte belaufen. Und dazu kein
ei-
[124] eiſernes Werkzeug, keine Hakke, keinen Spa-
ten, keine Schaufel zu haben! Denkt einmahl
nach, was das ſagen wolle! Der Palliſaden be-
durfte man beinahe 400 Stuͤk; und dieſe blos
mit einem einzigen ſteinernen Beile behauen und
zuſpizen zu wollen: in der That kein leichtes
Unternehmen! Und dan, ſo muſte auch noch
von der Quelle bis zu dieſem Graben ein beina-
he eben ſo tiefer Kanal gegraben werden, um
das Waſſer herzuleiten; und zwiſchen dieſem
Quel und der Wohnung war noch oben drein
eine Anhoͤhe, welche durchgeſtochen werden
muſte!


Aber alle dieſe Schwierigkeiten ſchrekten un-
ſern entſchloſſenen Freund nicht ab. Durch ein
maͤſſiges und immer arbeitſames Leben war auch
ſein Muth zu jeder wichtigen Unternehmung viel
groͤſſer geworden, als er bei weichlichen, im Muͤſ-
ſiggang und Wohlleben aufgewachſenen Menſchen
zu ſein pflegt. Mit Gott und gutem Muth!
war der Wahlſpruch, mit welchem er jedes wich-
tige Geſchaͤft anfing; und wir wiſſen ſchon, daß
er dan auch nicht eher nachließ, als bis das Werk
geendiget war.


So
[125]

So alſo auch jezt. Beide, er und Frei-
tag, arbeiteten taͤglich vom fruͤhen Morgen bis
zum ſpaͤten Abend mit Luſt und Eifer, und es
war daher erſtaunlich, wie viel ſie, ihrer arm-
ſeeligen Werkzeuge ungeachtet, an jedem Tage
vor ſich brachten. Zum Gluͤk wehete zwei Mo-
nate hinter einander ein ſolcher Wind, der es den
Wilden unmoͤglich machte, Robinſons Inſel
zu beſuchen. Es war alſo auch, waͤhrend der
Arbeit, kein Ueberfal von ihnen zu beſorgen.


Indeß nun Robinſon ſo arbeitete, war er
nebenbei bemuͤht, ſeinen Gehuͤlfen nach und nach
ſo viel von der deutſchen Sprache zu lehren, daß
er ihn verſtehen koͤnte, wenn er mit ihm redete;
und dieſer war ſo gelehrig, daß er in kurzer Zeit
ſchon recht viel davon begriffen hatte. Robin-
ſon
macht' es dabei eben ſo, wie wir es mit
euch zu machen pflegen, wenn wir euch latei-
niſch oder franzoͤſiſch lehren; er zeigte ihm im-
mer das Ding, wovon er redete und dan ſprach
er den Nahmen deſſelben laut und deutlich aus.
Wenn er aber von Sachen redete, die er ihm
nicht zeigen konte, ſo machte er ſo vernehmliche
Mie-
[126] Mienen und Gebehrden dazu, daß ihn Freitag
doch wohl verſtehen mußte. So lernte dieſer,
noch ehe ein halbes Jahr verſtrich, ſo viel
Deutſch, daß beide ſich ihre Gedanken ſchon ſo
ziemlich mittheilen konten.


Ein neuer Zuwachs von Gluͤkſeeligkeit fuͤr
unſern Robinſon! Bisher hatt' er an Frei-
tag
nur einen ſtummen Gehuͤlfen gehabt; nun
ward er f[aͤ]hig, ſein wirklicher Geſelſchafter,
ſein Freund zu werden. O wie verſchwand nun
gegen dieſe Freude das geringere Vergnuͤgen,
welches vorher das gedankenloſe Geſchwaͤz des
Papagaien ihm verurſacht hatte!


Freitag bewies ſich immer mehr und mehr
als einen gutherzigen, treuen jungen Menſchen,
in dem kein Falſch war; und ſchien ſeinem Herrn
mit der aufrichtigſten Liebe zugethan zu ſein.
Daher gewan denn auch dieſer ihn von Tage
zu Tage lieber, und trug nach einiger Zeit gar
kein Bedenken mehr, ihn neben ſich in ſeiner
eigenen Hoͤhle ſchlafen zu laſſen.


In weniger, als zwei Monaten, war die
Grabenarbeit fertig geworden, und nun konten
ſie
[127] ſie jeden Anfal der Wilden ziemlich ruhig erwar-
ten. Denn ehe einer derſelben uͤber den Gra-
ben kommen und die Palliſaden erſteigen konte:
war es ihnen leicht, ihn entweder mit Pfeilen
zu erſchieſſen, oder mit den langen Spieſſen zu
erſtechen. Fuͤr ihre Sicherheit war alſo nun
wohl hinlaͤnglich geſorgt.


Eines Tages, da Robinſon und Freitag
eine nahe am Strande liegende Anhoͤhe erſtie-
gen hatten, von der ſie weit ins Meer hinaus
ſehen konten: gukte Freitag ſehr ſcharf nach der
Gegend hin, wo man, wie wohl nur ganz dun-
kel, einige ferne Inſeln liegen ſahe. Auf ein-
mahl fieng er an vor Freuden zu huͤpfen und zu
ſpringen und allerlei ſeltſame Gebehrden zu ma-
chen. Auf Robinſons Frage: was ihn an-
komme? rief er freudig aus, indem er fortfuhr
zu tanzen: luſtig! luſtig! dort iſt meine
Heimath! Dort wohnt meine Nazion!

Aus dem gluͤhenden Geſicht und den funkelnden
Augen, womit er dies ausrief, leuchtete eine
recht große Liebe zu ſeinem Vaterlande und der
Wunſch hervor, wieder dahin zu kommen.
Dieſe
[128] Dieſe Bemerkung war ſeinem Herrn gar nicht
angenehm, ohngeachtet es ſehr lobenswuͤrdig an
Freitag war, daß er ſein Vaterland mehr, als
andere Laͤnder und ſeine zuruͤkgelaſſene Freunde
und Anverwandte noch zaͤrtlicher, als jeden an-
dern Menſchen, liebte. Robinſon, der da-
her Anlaß nahm, zu beſorgen, daß er ihn bei
Gelegenheit, um ſeiner Landsleute willen, wohl
[e]inmahl verlaſſen koͤnte, verſuchte, ihn daruͤber
auszufragen. Er fing alſo folgendes Geſpraͤch
mit ihm an, woraus ihr den ehrlichen Freitag
noch beſſer werdet kennen lernen:


Robinſon. Haͤtteſt du denn wohl Luſt,
wieder unter deinen Landsleuten zu leben?


Freitag. Ach ja! ich wolte recht froh
ſein, wenn ich wieder bei ihnen waͤre!


Robinſon. Du wolteſt vielleicht wieder
Menſchenfleiſch mit ihnen eſſen?


Freitag. (Ernſthaft) Nein! ich wolte ſie
lehren, daß ſie nicht mehr ſo wild leben, daß
ſie Fleiſch von Thieren und Milch, aber keine
Menſchen mehr eſſen ſolten.


Ro-
[129]

Robinſon. Aber wenn ſie dich ſelbſt auf-
aͤßen?


Freitag. Das werden ſie nicht!


Robinſon. Aber ſie eſſen doch Menſchen-
fleiſch?


Freitag. Ja, aber nur das Fleiſch ihrer
getoͤdteten Feinde.


Robinſon. Koͤnteſt du denn wohl einen
Kahn machen, worin man hinuͤberfahren koͤnte?


Freitag. O ja!


Robinſon. Nun, ſo mache dir einen, und
fahre nur immer hin zu ihnen.


Hier ſahe Freitag auf einmahl ganz ernſt-
haft und traurig vor ſich nieder.


Robinſon. Nun, was iſt dir? Woruͤber
wirſt du traurig?


Freitag. Ich bin traurig, daß mein lie-
ber Herr boͤſe auf mich iſt.


Robinſon. Boͤſe? Wie das?


Freitag. Ja, weil er mich von ſich weg-
ſchikken wil.


Robinſon. Du wuͤnſchteſt dich ja hin
nach deiner Heimath!


I
Frei-
[130]

Freitag. Ja, aber wenn mein Herr nicht
da iſt, wuͤnſcht Freitag auch nicht hin.


Robinſon. Mich wuͤrde deine Nazion
fuͤr einen Feind halten und auffreſſen; reiſe alſo
nur immer allein ab.


Freitag riß bei dieſen Worten ſeinem Herrn
das Beil von der Seite, gab's ihm in die Hand
und hielt ihm den Kopf dar, damit er ihn mit
dem Beile ſpalten moͤgte.


Robinſon. Was ſol ich?


Freitag. Mich umbringen! Beſſer um-
gebracht, als weggeſchikt!


Die Traͤnen ſtuͤrzten ihm dabei aus den Au-
gen. Robinſon ward geruͤhrt, fiel ihm in
die Arme und ſagte: „Sei unbekuͤmmert, mein
lieber Freitag! Auch ich wuͤnſche mich nie von
dir zu trennen: denn ich liebe dich herzlich. Was
ich geſagt habe, ſagt' ich nur, um dich zu pruͤ-
fen, ob ich dir wohl ſchon eben ſo lieb ſei, als
du mir biſt.„ Er umarmte ihn hierauf von
neuen, und wiſchte ſich ſelbſt eine Freudentraͤ-
ne ab, die ihm aus dem Auge hervorgequollen
war.


Frei-
[131]

Freitags Verſicherung, daß er wohl einen
Kahn machen koͤnne, war unſerm Robinſon
ſehr angenehm zu hoͤren geweſen. Er faßte ihn
alſo bei der Hand und fuͤhrte ihn nach dem
Orte, wo er ſelbſt nun ſchon ſeit einigen Jah-
ren an einem Schiffe gearbeitet hatte. Hier
zeigt' er ihm den Blok, der noch nicht um den
dritten Theil ausgehoͤhlt war und ſagte ihm,
wie viel Zeit er ſchon darauf verwandt habe.


Freitag ſchuͤttelte den Kopf und laͤchelte.
Auf Robinſons Frage: was er daran auszu-
ſezen faͤnde? antwortete er: daß es all' der Ar-
beit nicht bedurft haͤtte; man koͤnte einen ſol-
chen Blok viel beſſer und zwar in kurzer Zeit
durch Feuer aushoͤhlen. Wer war froher uͤber
dieſe Nachricht, als Robinſon! Schon ſah er
denn Kahn vollendet; ſchon ſah er ſich im Geiſte
auf dem Meere und landete ſchon, nach einer
gluͤklichen Fahrt, in einer Gegend des feſten
Landes, wo Europaͤer waren! Wie ſchlug ihm
vor Freuden das Herz bei dieſem Gedanken an
eine ſo nahe Erloͤſung! — Es ward beſchloſſen,
I 2
das
[132] das Werk gleich mit Anbruch des morgenden Ta-
ges anzufangen.


Gotlieb. O nun wird die Freude bald
aus ſein!


Vater. Wie ſo?


Gotlieb. Ja, wenn er erſt ein Schif hat,
ſo wird er bald abſegeln; und wenn er denn erſt
wieder in Europa iſt: ſo kan Vater uns nichts
mehr von ihm erzaͤhlen.


Vater. Und wolteſt du auf dieſes Ver-
gnuͤgen nicht willig Verzicht thun, wenn du des
armen Robinſons Befreiung dadurch erkau-
fen koͤnteſt?


Gotlieb. Ach ja, das iſt auch wahr! Ich
hatt' es nur nicht bedacht.


Vater. Indeß, wer weiß, was wieder
dazwiſchen kommen kan, daß der Schifbau oder
die Abreiſe doch noch eingeſtelt werden muß?
Die Zukunft iſt ein ungewiſſes, veraͤnderliches
Ding, und faͤlt gemeiniglich ganz anders aus,
als wir erwartet hatten. Unſere Hofnungen,
wenn ſie auch noch ſo zuverlaͤßig zu ſein ſcheinen,
ſchlagen nicht ſelten fehl; und es iſt daher ſehr
weiſe,
[133] weiſe, ſich immer ſchon zum voraus darauf ge-
faßt zu machen. —


Robinſon, der dies nun ſchon oft aus
der Erfahrung gelernt hatte, ging jezt, von Frei-
tag
begleitet, mit dem frommen Vorſaze nach
Hauſe, daß er die Erfuͤllung ſeines feurigſten
Wunſches der alweiſen und alguͤtigen Vorſehung
uͤberlaſſen wolle, weil dieſe doch beſſer, als er
ſelbſt, wiſſe, was fuͤr ihn das Zutraͤglichſte ſei.
Und ſo, meine lieben Kinder, wollen wir in
aͤhnlichen Faͤllen es auch machen.


Neunzehnter Abend.


Da die Geſelſchaft am folgenden Abend wie-
der zuſammen kam, waren die beſchloſſenen
Uebungen der Enthaltſamkeit zum Theil ſchon
angeſtelt worden. Alle waren froh und guter
Dinge; und der Vater fing die Unterredung mit
folgenden Worten an:


I 3
Nun,
[134]

Nun, Kinder, wie thut das Faſten?


Alle. O recht gut, recht gut!


Vater. Ihr ſeht, ich ſelbſt lebe auch noch,
ohngeachtet ich heute nur Waſſer und Milch ge-
trunken habe.


Nikolas. Wenn's darauf ankaͤme, ſo
wolt' ich wohl noch laͤnger faſten!


Alle. O ich auch! Ich auch! Das iſt ja
gar nichts!


Vater. Laͤnger zu faſten iſt nicht noͤthig;
koͤnte auch eurer Geſundheit ſchaͤdlich werden:
aber wenn ihr es wuͤnſcht, ſo wil ich euch wohl
andere Uebungen vorſchlagen, die euch eben ſo
nuͤzlich ſein werden.


Alle. O ja! O ja, lieber Vater!


Vater. Fuͤr heute hat jeder von uns ge-
nug gethan, beſonders da dieſe Nacht noch ge-
wacht werden ſol. Aber, wenn ihr wirklich
Luſt habt, recht trefliche Menſchen zu werden,
die da geſund und ſtark an Leib und Sele, und
alſo faͤhig ſind, zum Gluͤk ihrer Nebenmen-
ſchen viel, recht viel beizutragen: ſo hoͤrt, was
wir thun wollen!


Ich
[135]

Ich wil fuͤr euch die Schriften der alten
Weiſen leſen, welche die Lehrer der großen und
liebenswuͤrdigen Maͤnner waren, die euch, da
ich die alte Geſchichte erzaͤhlte, ſo ſehr gefallen
haben. Darin ſtehen die Vorſchriften, welche
jene weiſen Maͤnner ihren Schuͤlern gaben, und
durch deren Erfuͤllung dieſe ihre Schuͤler ſo groß
und ſo gut geworden ſind. Woͤchentlich wil ich
eine dieſer Vorſchriften auf eine mit Papier
uͤberzogene Tafel ſchreiben und ſie euch erklaͤren.
Dan wil ich jedesmahl euch dabei ſagen, was
fuͤr Uebungen ihr die Woche hindurch anſtellen
koͤnt, um euch die Erfuͤllung einer ſolchen Vor-
ſchrift zu einer leichten und angenehmen Ge-
wohnheit zu machen. Aber freilich wird das
ohne Aufopferungen nicht abgehen; ihr werdet
euch oft freiwillig entſchlieſſen muͤſſen, auf ein
ſehr liebes Vergnuͤgen Verzicht zu thun, und
zuweilen etwas ſehr Unangenehmes zu erdulden,
um euch dadurch nach und nach diejenige Staͤrke
der Sele zu erwerben, welche uns in den Stand
ſezt, jede unerlaubte Begierde in uns zu bekaͤm-
pfen und jeden Verluſt, jeden Mangel mit wei-
I 4
ſer
[136] ſer Gleichmuͤthigkeit zu ertragen. Es verſteht
ſich, daß wir Erwachſene euch in allen dieſen
Uebungen vorgehen und nichts von euch fodern
werden, als was wir ſelbſt zu leiſten Herz
genug haben. Wolt ihr dieſen Vorſchlag einge-
hen?


Alle gaben ihre Einſtimmung durch ein lau-
tes Ja! und durch freudiges Haͤndeklatſchen zu
erkennen. Es wurde alſo von dieſem Augen-
blikke an eine Schule der Weisheit unter
ihnen errichtet, welche von andern Schulen ſich
vornehmlich dadurch auszeichnete, daß woͤchent-
lich nur eine halbe Stunde gelehrt, und das
Gelehrte wenigſtens acht Tage hinter einander
recht eigentlich zur Uebung gemacht ward. Viel-
leicht theilen wir unſern jungen Leſern einmahl
eine Nachricht von dieſen Uebungen und von ih-
ren erfreulichen Folgen mit, um auch ſie die
Mittel zu lehren, wodurch man ein vorzuͤglich
guter, gemeinnuͤziger und gluͤklicher Menſch
werden kan.


Jezt wieder zu unſerm Robinſon! —
Nachdem die gemeldete Verabredung genom-
men
[137] men war, fuhr der Vater folgendermaßen
fort.


Kinder, das, wovon ich geſtern Abend beim
Schluß meiner Erzaͤhlung ſagte, daß es moͤg-
lich ſei, hat ſich nun wirklich zugetragen.


Alle. Was denn? Was denn?


Vater. Ich ſagte, daß im menſchlichen
Leben unſere gewiſſeſten Hofnungen oft ploͤzlich
vereitelt werden; und daß daher auch Robinſon,
ſo wahrſcheinlich und ſo nahe ſeine Erloͤſung auch
zu ſein ſchiene, doch leicht ein unvorhergeſehenes
Hinderniß antreffen duͤrfte, welches ihn noͤthig-
te, noch laͤnger da zu bleiben. Dieſes Hinder-
niß nun fand ſich ſchon am folgenden Tage ein.


Es fing nemlich mit dieſem Tage abermahls
die gewoͤhnliche Regenzeit an, von welcher Ro-
binſon
nun ſchon aus vieljaͤhriger Erfahrung
wuſte, daß ſie jaͤhrlich zweimahl, und zwar im-
mer um diejenige Zeit einzutreffen pflege, da
Tag und Nacht einander gleich ſind. Waͤhrend
dieſer Regenzeit, die gemeiniglich einen oder
zwei Monate anhielt, war es unmoͤglich, auſ-
ſer Hauſe etwas zu verrichten; ſo ſtark und un-
I 5
auf-
[138] aufhoͤrlich ſtroͤmte alsdan der Regen herab! Auch
hatte Robinſon bemerkt, daß in jener Weltge-
gend das Ausgehen und Naßwerden in dieſer
Jahrszeit der Geſundheit aͤuſſerſt nachtheilig ſei.
Was war alſo nun zu thun? Der Schifbau muſte
aufgehoben und die Zeit mit haͤuslichen Verrich-
tungen hingebracht werden.


Wohl bekam es nun unſerm Robinſon an
den regnigten Tagen und in den langen finſtern
Abendſtunden, daß er wieder Feuer, noch mehr,
daß er einen Geſelſchafter, einen Freund, hatte,
mit dem er unter gemeinſchaftlichen Hausarbei-
ten die Zeit mit vertraulichen Geſpraͤchen ver-
treiben konte! Vormahls hatt' er dieſe traurigen
Abende allein, unbeſchaͤftiget und im Finſtern
hinbringen muͤſſen: jezt ſaß er mit Freitag bei
einer Lampe oder ohnweit dem Kuͤchenfeuer, ar-
beitete und plauderte und fuͤhlte nie die Beſchwer-
lichkeit der langen Weile, die ſo druͤkkend iſt.


Freitag lehrte ihn allerlei kleine Kuͤnſte,
wodurch die Wilden ihren Zuſtand zu verbeſſern
wiſſen; und dan lehrte Robinſon ihn wieder
andere Sachen, wovon die Wilden nichts ver-
ſtehen.
[139] ſtehen. So nahmen beide zu an Kenntniſſen und
Geſchiklichkeiten und brachten durch gemeinſchaft-
lichen Fleiß eine Menge kleiner Kunſtwerke zu
Stande, deren Verfertigung jedem von ihnen,
wenn er ſich ganz allein befunden haͤtte, wuͤrde
unmoͤglich geweſen ſein. Da fuͤhlte dan auch
jeder von ihnen recht innig, wie gut es ſei, daß
die Menſchen durch Geſelligkeit und Freundſchaft
zuſammen gehalten werden, und nicht, wie die
wilden Thiere, einzeln auf dem Erdboden herum-
ſchwaͤrmen!


Freitag verſtand ſich unter andern auf die
Verfertigung von Matten aus Baumbaſt, die
er ſo fein und ſo dicht zu flechten wuſte, daß ſie
fuͤglich zu Kleidungsſtuͤkken gebraucht werden
konten. Robinſon lernte ihm dieſe Kunſt ab;
und da verfertigten beide einen ſolchen Vorrath
davon, als hinreichend war, um fuͤr jeden einen
ganzen Anzug daraus zu machen. O wie freute
ſich Robinſon, daß ihm die beſchwerliche Klei-
dung aus ſteifen ungegaͤrbten Fellen nun endlich
einmahl entbehrlich geworden war!


Fer-
[140]

Ferner verſtand Freitag die Kunſt, aus
den Faſern, worin die Kokusnuͤſſe eingewikkelt
ſind, und aus verſchiedenen flachsartigen Kraͤu-
tern Garn und Strikke zu drehen, welche dieje-
nigen, die Robinſon bisher gemacht hatte,
bei weitem uͤbertrafen. Aus dem Garn wuſt'
er Fiſchneze zu knuͤpfen, eine Arbeit, die beiden
manchen langen Abend auf die angenehmſte Wei-
ſe verkuͤrzte.


Waͤhrend dieſer haͤuslichen Geſchaͤftigkeit
war Robinſon vornemlich darauf bedacht, der
Verſtand ſeines armen wilden Freundes ein we-
nig aufzuklaͤren, und ihm nach und nach einige
wahre und wuͤrdige Begriffe von Gott beizu-
bringen. Wie ſchwach und irrig Freitags Re-
ligionserkentniß war, moͤget ihr aus folgendem
Geſpraͤche zwiſchen ihm und ſeinem Herrn erſe-
hen.


Robinſon. Sage mir doch, Freund
Freitag, weißt du denn wohl, wer das Meer,
die Erde, die Thiere und dich ſelbſt erſchaffen
hat?


Freitag. O ja! Das hat der Toupan
gethan.


Ro-
[141]

Robinſon. Wer iſt denn Toupan?


Freitag. J, der Donnerer!


Robinſon. Aber wer iſt denn der Don-
nerer?


Freitag. Ein alter, alter Man, der laͤn-
ger, als alle Dinge, lebt, und der den Donner
macht. Er iſt viel aͤlter, als Sonne, Mond
und Sterne; und alle Dinge ſagen O zu ihm.
(Das ſolte ſo viel heiſſen, als: Alle beten
ihn an.
)


Robinſon. Kommen denn die Leute in
deinem Vaterlande irgendwo hin, wenn ſie
ſterben?


Freitag. Freilich thun ſie das; ſie kom-
men zum Toupan.


Robinſon. Wo iſt denn der?


Freitag. Er wohnt auf hohen Gebirgen.


Robinſon. Hat denn jemand ihn da ge-
ſehn?


Freitag. Es komt keiner zu' ihm hinauf,
als die Owokakee's; (dieſer Nahme ſolte ſo
viel, als Prieſter bedeuten.) Dieſe ſagen O
zu ihm und erzaͤhlen uns denn wieder, was er ge-
ſprochen hat.


Ro-
[142]

Robinſon. Haben denn die Leute, wenn
ſie nach dem Tode zu ihm kommen, es gut bei
ihm?


Freitag. O ja, wenn ſie hier recht viel
Feinde geſchlachtet und aufgegeſſen haben!


Robinſon erſchrak vor dieſem klaͤglichen
Irthume; und fing von dem Augenblikke an,
ihm beſſere Begriffe von Gott und von dem Le-
ben nach dem Tode mitzutheilen. Er lehrte
ihn, daß Gott ein unſichtbares, hoͤchſt maͤchti-
ges, hoͤchſt weiſes und guͤtiges Weſen ſei; daß
er Alles, was da iſt, erſchaffen habe, und fuͤr
alles ſorge; er ſelbſt aber habe nie einen Anfang
genommen; daß er uͤberal zugegen ſei, und wiſſe
alles, was wir denken, reden und thun; daß er
Wohlgefallen am Guten finde und alles Boͤſe
verabſcheue; daß er daher hier und im ewigen
Leben nur diejenigen gluͤklich machen koͤnne, die
ſich von ganzem Herzen beſtrebt haͤtten, gut zu
werden.


Freitag hoͤrte dieſe erhabene und troſtreiche
Lehre mit ehrerbietiger Aufmerkſamkeit an und
praͤgte ſie tief in ſein Gedaͤchtniß ein. Er wol-
te
[143] te immer mehr davon wiſſen, und weil Ro-
binſon
eben ſo begierig war, ihn zu lehren,
als er zu lernen: ſo ſah er in kurzer Zeit die
vorzuͤglichſten Religionswahrheiten ſo deutlich
und ſo uͤberzeugend ein, als ſein Lehrer ſie ihm
vortragen konte. Von der Zeit an ſchaͤzt' er ſich
unendlich gluͤklich, aus ſeinem Vaterlande auf
dieſe Inſel verſchlagen zu ſein, und er machte
ſelbſt die Anmerkung, daß der liebe Gott es doch
recht gut mit ihm gemeint habe, da er ihn in die
Haͤnde ſeiner Feinde haͤtte fallen laſſen, weil er
ſonſt wohl nie mit Robinſon wuͤrde bekant ge-
worden ſein. „Und dan, ſezt' er hinzu, haͤtt'
ich dieſen guten Gott in dieſem Leben wohl nie-
mals kennen gelernt!„


Von jezt an verrichtete Robinſon ſein Ge-
beth immer in Freitags Gegenwart und es
war recht ruͤhrend anzuſehen, mit welcher freu-
digen Andacht dieſer ihm nachbetete. Und nun
lebten beide ſo vergnuͤgt und gluͤklich, als zwei
von aller uͤbrigen Geſelſchaft abgeſonderte Men-
ſchen nur immer leben koͤnnen.


So
[144]

So verſtrich ihnen denn die Regenzeit, ohne
daß ſie es merkten. Schon klaͤrte der Himmel ſich
wieder auf; die Stuͤrme ſchwiegen, und die
ſchweren Regenwolken waren voruͤber gezogen.
Robinſon und ſein treuer Gefaͤhrte athmeten
wieder eine reine ſanfterwaͤrmte Fruͤhlingsluft,
fuͤhlten ſich beide neugeſtaͤrkt und ſchritten daher
mit großer Munterkeit zu dem wichtigen Werke,
welches ſie vor der Regenzeit beſchloſſen hatten.


Freitag, als der Meiſter in der Schifbau-
kunſt, fing an, den Stam mit Feuer auszu-
brennen. Dies ging ſo geſchwind und ſo gut
von ſtatten, daß Robinſon nicht umhin kon-
te, ſich ſelbſt einen Dumbart zu ſchelten, daß
ihm dieſes Mittel nicht auch eingefallen ſei.
Doch, ſezt' er zu ſeinem Troſte hinzu, wenn's
mir nun auch eingefallen waͤre, ſo haͤtt' ich's ja
doch nicht anwenden koͤnnen, weil ich kein Feu-
er hatte!


Ihr werdet mich hoffentlich der Muͤhe uͤber-
heben, euch umſtaͤndlich zu erzaͤhlen, wie die
Arbeit an jedem Tage weiter fortuͤrkte, weil
dieſe Erzaͤhlung weder angenehm, noch lehrreich
ſein
[145] ſein wuͤrde. Ich begnuͤge mich alſo zu melden,
daß das Schif, mit welchem Robinſon allein,
vielleicht nie, wenigſtens in vielen Jahren nicht,
wuͤrde fertig geworden ſein, jezt durch ihre ver-
einigten Kraͤfte binnen zwei Monaten gaͤnzlich
vollendet ward. Es fehlte nur noch an einem
Segel und an Rudern. Zu jenem machte ſich
Freitag, zu dieſen Robinſon anheiſchig.


Gotlieb. Ja, wie kont' er denn ein Se-
gel machen? Dazu braucht' er ja Leinewand!


Vater. Leinewand zu machen verſtand er
nicht, hatte auch keinen Weberſtuhl dazu: aber
er konte, wie ich euch ſchon erzaͤhlt habe, feine
Matten von Baumbaſt machen und dieſer bedie-
nen ſich die Wilden ſtat des Segeltuchs.


Beide wurden ungefaͤhr zu gleicher Zeit fer-
tig, Robinſon mit den Rudern und Freitag
mit dem Segel; und nun war nur noch uͤbrig,
das vollendete Schif vom Stapel laufen zu
laſſen.


Frizchen. Was iſt das?


K
Va-
[146]

Vater. Haſt du noch niemahls zugeſehn,
wenn ſie ein neuerbautes Schif von dem Ufer
auf die Elbe laufen laſſen?


Frizchen. O ja! das hab' ich ſchon geſe-
hen.


Vater. Nun, da wirſt du bemerkt haben,
daß das Schif auf einem ſchmalen Geruͤſt von
ſchief liegenden Balken ſteht. Dieſe Balken
heiſſen der Stapel. Sobald nun der Keil,
der das Schif feſthaͤlt, weggenommen wird, ſo
ſchießt es auf den Balken hinab ins Waſſer, und
das nent man denn vom Stapel laufen.


Zum Ungluͤk war der Ort, wo ſie das Schif
gezimmert hatten, einige tauſend Schritte ent-
fernt vom Strande, und es war daher die Fra-
ge: wie ſie es nun ſo weit fortbringen koͤnten?
Es dahin zu tragen, oder zu ſchieben, oder
fortzuwaͤlzen, ſchien unmoͤglich: denn dazu war
es viel zu ſchwer. Was ſolten ſie alſo machen?
Hier ſtand der Karren einmahl wieder am
Berge!


Diderich. J, Robinſon brauchte ja
nur wieder ſolche Hebel zu machen, wie er neu-
lich
[147] lich brauchte, da er die beiden großen Felſen-
ſtuͤkke ganz allein aus ſeiner Hoͤhle waͤlzte!


Vater. Er hatte den Vortheil, den die-
ſes einfache Werkzeug gewaͤhrt, nicht vergeſſen;
er wandt' es daher auch jezt an, aber das Fort-
waͤlzen ging dem ohngeachtet ſo langſam von
ſtatten, daß er wohl ſahe, ſie wuͤrden einen
ganzen Monat darauf verwenden muͤſſen. Zum
Gluͤk erinnert' er ſich zulezt eines andern eben
ſo einfachen Huͤlfsmittels, deſſen die Zimmer-
leute und andere Handwerksmaͤnner in Europa
ſich zu bedienen pflegen, um große Laſten fort
zu waͤlzen. Sie brauchen nemlich hierzu die
Walzen —


Frizchen. Was ſind Walzen!


Vater. Runde laͤnglichte Hoͤlzer, die ſich
eben deswegen, weil ſie rund ſind, mit leich-
ter Muͤhe fortwaͤlzen laſſen. Dieſe legen ſie
unter die Laſt, die ſie nach einem andern Orte
hinbringen wollen, und wenn ſie dan die Laſt
nur mit maͤßigen Kraͤften ſchieben: ſo rolt ſie
mit den Walzen von ſelbſt fort.


K 2
Ro-
[148]

Robinſon hatte kaum den Verſuch davon
gemacht, als er mit Vergnuͤgen ſahe, wie leicht
und wie geſchwind ſie das Schif fortbewegen
konten! In zwei Tagen war es ſchon auf dem
Waſſer, und es machte beiden nicht wenig Freu-
de, zu ſehen, daß es volkommen brauchbar ſei.


Nun war alſo nichts mehr uͤbrig, als die noͤ-
thigen Anſtalten zur Abreiſe zu machen; das
Schif mit ſo viel Lebensmitteln zu verſehen,
als es wuͤrde tragen koͤnnen und dan die von bei-
den ſo ſehnlich gewuͤnſchte Reiſe anzutreten.
Aber wohin nun eigentlich? Freitags Wuͤnſche
gingen nach der Inſel, auf welcher er zu Haus
war; Robinſon hingegen verlangte nach dem
feſten Lande von Amerika zu ſchiffen, wo er
Spanier oder andere Europaͤer zu finden hofte.
Freitags Vaterland war nur ohngefaͤhr vier
Meilen, das feſte Land hingegen uͤber zwoͤlf bis
funfzehn Meilen entfernt. Wolten ſie erſt nach
jenem fahren, ſo entfernten ſie ſich um einige
Meilen mehr von dieſem, und die Gefahr der
Reiſe wurde alſo auch um ſo viel groͤſſer. Auf
der andern Seite aber kante Freitag nur das
Fahr-
[149]Fahrwaſſer, das heißt, die ſchifbare Straße
nach ſeiner Heimath; hingegen war die eigent-
liche Fahrt nach dem feſten Lande ihm voͤllig un-
bekant. Robinſon konte ſie noch viel weniger
kennen, weil er auf dieſem Meere noch niemahls
geſchift hatte. Nun war alſo guter Rath wie-
der theuer.


Endlich ſiegte Robinſons Begierde, wieder zu
geſitteten Menſchen zu kommen uͤber alle Schwie-
rigkeiten und uͤber alle Einwuͤrfe ſeines Gefaͤhrten.
Es ward beſchloſſen, daß ſie gleich am morgenden
Tage alle Anſtalten zu ihrer Abreiſe machen und
dan mit dem erſten, dem beſten guͤnſtigen Winde,
in Gottes Namen nach der Gegend abfahren wol-
ten, in welcher, nach Freitags Vermuthung,
die naͤchſte Kuͤſte des feſten Landes lag.


Und hiermit genug fuͤr heute: denn es iſt
Zeit, daß wir ſelbſt auch Anſtalt zu unſerer vor-
habenden Nachtwache machen. —


Man verſammelte ſich hierauf in einer Wach-
ſtube, alwo die Mutter ſchon allerlei haͤusliche
Arbeiten in Bereitſchaft hielt, womit die Wa-
chenden ſich die Nacht hindurch die Zeit vertrei-
K 3
ben
[150] ben ſolten. Zwei wurden jedesmahl, als
Schildwachen, in die entfernteſten Ekken des
Gartens ausgeſtelt und nach Verlauf einer Vier-
telſtunde unter Trommelſchlag und Pfeifenklang
von der ganzen Wache wieder abgeloͤst, indem
zwei Andere an ihre Stelle traten. Nach
Verlauf einer jeden Stunde wurde etwas Obſt
zur Erfriſchung genoſſen.


Es war eine herliche Sommernacht. Der
halbe Mond an der einen Seite des Himmels
und an der andern ein fernes Wettergewoͤlk,
aus dem es unaufhoͤrlich blizte! Die Luft dabei
ſo ſanft erwaͤrmt, die ganze ſchlafende Natur
ſo ſtille! Alle geſtanden am folgenden Morgen,
daß ſie nie einen Tag, geſchweige eine Nacht,
mit mehr Vergnuͤgen hingebracht haͤtten, als
dieſe.


Zwan-
[151]

Zwanzigſter Abend.


Vater.


Nun, Kinder, Robinſon und Freitag ha-
ben eingepakt, und der Wind iſt guͤnſtig. Macht
euch alſo gefaßt, ihnen ein ewiges Lebewohl zu
ſagen: denn wer weiß, ob wir jemahls wieder
von ihnen etwas ſehen, oder hoͤren werden!


Alle. (Beſtuͤrzt und traurig.) Oh!


Vater. So iſt es nun einmahl in der
Welt! Man kan nicht immer bei ſeinen Freun-
den ſein; der Schmerz der Trennung iſt unver-
meidlich; man muß ſich alſo auch darauf ſchon
in voraus vorzubereiten ſuchen.


Da Robinſon ſeine Burg verlaſſen hatte,
blieb er auf dem Huͤgel uͤber derſelben nachden-
kend ſtehen, und hieß ſeinen Gefaͤhrten ein we-
nig voran gehen. Dan uͤberdacht' er noch ein-
mahl alle uͤberſtandene Schikſale ſeines einſamen
K 4
Le-
[152] Lebens an dieſem Orte, und ward uͤber die wun-
derbare Fuͤhrung des Himmels, die ihn bis da-
hin ſo ſichtbar geleitet hatte, tief im Innerſten
ſeines Herzens geruͤhrt. Ein Strom dankbarer
Freudentraͤnen entſtuͤrzte ſeinen Augen. Dan
hob er ſeine ausgebreiteten Arme gen Himmel und
betete mit gluͤhender Andacht:


„O du lieber, lieber himliſcher Vater,
wie ſol ich dir danken fuͤr Alles, was du bis
hieher an mir gethan haſt? Siehe! (indem er
auf die Knie fiel) hier lieg' ich vor deinem alſe-
henden Auge im Staube, unfaͤhig, die heiſſen
Gefuͤhle meines Herzens durch Worte auszu-
druͤkken! Aber du ſiehſt dies Herz, ſiehſt die
unausſprechlichen Empfindungen der Dankbar-
keit, von denen es ſo ganz, ſo ganz durchdrun-
gen iſt. Dies von dir gebeſſerte, dich uͤber alles
liebende Herz, dies ſo oft durch Truͤbſal verwun-
dete, ſo oft von dir geheilte Herz, iſt alles al-
les, was ich dir, mein guͤtiger Vater, fuͤr alle
deine unzaͤhlbaren Wohlthaten wieder zu geben
vermag. Nim es an, mein Vater, o nim es
ganz und vollende das Werk der Beſſerung, wel-
ches
[153] ches du mit ihm angefangen haſt! Siehe! ich
werfe mich von neuem in deine Vaterarme!
Mache du es mit mir nach deinem vaͤterlichen
Wohlgefallen. Nur daß ich nie wieder verlaſſe
den Weg der Tugend, auf den deine Barmher-
zigkeit mich zuruͤkgefuͤhrt hat! Nur das nicht,
mein Vater, nur das nicht! Sonſt mag es mir
gehen, wie dein weiſer Rath beſchloſſen hat.
Ich gehe, wohin du mich fuͤhren wirſt; gehe
im Vertrauen auf dich jeder neuen Gefahr, die
meiner vielleicht wartet, muthig entgegen. Be-
gleite mich, mein Gott; bewache meine unſterb-
liche Sele mit deinem unſichtbaren Schuze bei
jeder mir vielleicht bevorſtehenden Verſuchung
zur Kleinmuͤthigkeit, zur Ungeduld und zur Un-
dankbarkeit gegen dich — gegen dich, o du ewi-
ge himliſche Liebe, mein Schoͤpfer, mein Va-
ter, mein Gott! Gott! Gott! —


Hier wurde ſeine Empfindung ſo heftig, daß
er nichts beſtimtes mehr zu denken vermogte.
Er warf ſich mit dem Geſicht zur Erde, um
auszuweinen. Dan richtete er ſich, geſtaͤrkt
durch goͤtlichen Troſt, wieder auf und uͤberſahe
K 5
noch
[154] noch einmahl die ihm nun ſo liebe Gegend, die
er jezt verlaſſen ſolte. Es war ihm, wie einem,
der ſein Vaterland verlaſſen ſol, und es nie wie-
der zu ſehen hoffen darf. Sein naſſer Blik blieb
liebevol und traurig hangen an jedem Baume,
in deſſen Schatten ihm einſt wohl geweſen war,
an jedem Werke ſeiner Haͤnde, welches er im
Schweiſſe ſeines Angeſichts gemacht hatte. Es
war ihm nicht anders dabei zu Muthe, als wenn
er ſich von eben ſo vielen Freunden trennen ſolte.
Und da er nun vollends ſeine am Fuß des Ber-
ges im Graſe weidende Lama's erblikte, muſt'
er ſein Geſicht von ihnen wegkehren, um in ſei-
ner Entſchlieſſung zur Abreiſe nicht wankend zu
werden.


Endlich hatt' er ausgekaͤmpft. Er ermante
ſich, breitete ſeine Arme gegen die ganze Gegend
aus, als wenn er Alles, was darin war, um-
armen wolte, und rief mit lauter Stimme aus:
lebt wohl, ihr theuren Zeugen meiner
uͤberſtandenen Leiden! Lebt wohl!
Wohl! Wohl!
— Das lezte Wohl ver-
lohr ſich in einem lauten Schluchzen. Jezt rich-
tete
[155] tete er noch einmahl ſeine Augen gen' Himmel
und trat entſchloſſen den Weg zum Strande an.


Im Weggehen bemerkt' er ſeinen trauten
Pol, der von Baum zu Baum neben ihm her-
flatterte. Er konte dem Verlangen, ihn mitzu-
nehmen, nicht wiederſtehn; alſo ſtrekt' er ſeine
Hand gegen ihn aus, rief: Pol! Pol! und
Polchen huͤpfte hurtig herab, kletterte gaukelnd
von ſeines Herrn Hand auf ſeine Schulter und
blieb da ſizen. So kam Robinſon bei ſeinem,
ihn mit Ungeduld erwartenden Freitag an und
beide ſtiegen in das Schif.


Es war der 30ſte November des Morgens
um 8 Uhr, im neunten Jahr des Aufenthalts
unſers Freundes auf dieſer einſamen Inſel, da ſie
bei voͤllig heiterem Wetter und mit friſchen guͤnſti-
gen Winde vom Lande abſtieſſen. Sie waren
kaum einige tauſend Schritte fortgeſegelt, als
ſie an ein Rif von Klippen kamen —


Lotte. O ſage uns doch erſt, was das iſt,
ein Rif!


Vater. So nennen die Schiffer eine Rei-
he an einander haͤngender Felſen, die entwe-
der
[156] der unter dem Waſſer verborgen liegen, oder hie
und da hervorragen. Dieſes Rif, oder dieſe
Kettenfelſen liefen von einem Vorgebirge der In-
ſel uͤber zwei deutſche Meilen weit ſchief in die
See hinein. Daruͤber weg zu fahren, ſchien
beiden gefaͤhrlich zu ſein; alſo gaben ſie dem Se-
gel eine andere Richtung, um durch einen Um-
weg dieſer Felſenreihe auszubeugen.


Nikolas. Wie konten ſie denn aber wiſ-
ſen, wie weit das Rif ins Meer hinauslief,
wenn das Waſſer daruͤber herfloß?


Vater. Das konten ſie aus den Brechun-
gen der Meereswogen ſehen, die an ſolchen Or-
ten, wo Felſen verborgen ſind, hoͤher aufbrau-
ſen und zugleich ſchaͤumen, weil ſie von denen
unterm Waſſer befindlichen Felſen aufgehalten
und gebrochen werden.


Kaum hatten ſie die aͤuſſerſte Spize des Rifs
erreicht, als ihr Kahn auf einmahl mit ſolcher
Geſchwindigkeit fortgeriſſen ward, als wenn ſie
zwanzig Segel angeſezt und den ſtaͤrkſten Sturm-
wind im Ruͤkken gehabt haͤtten. Beide erſchraken
und ſtrichen geſchwind das Segel, weil ſie glaubten,
daß
[157] daß ein ploͤzlicher Windſtoß Schuld daran waͤre.
Aber das half nichts; es ſchoß vielmehr der Kahn
noch eben ſo ſchnel durch die Fluth, als vorher:
und nun ſahen ſie zu ihrem Schrekken, daß ſie
ſich mitten auf einem reiſſenden Meerſtrome
befaͤnden.


Frizchen. J, ſind denn in dem Meere
auch Stroͤme?


Vater. O ja, Frizchen! Weil der Grund
des Meeres eben ſo ungleich, als die Oberflaͤche
des feſten Landes, iſt; weil es da eben ſo, wie hier
zu Lande, Berge, Huͤgel und Thaͤler gibt: ſo
kriegt das Waſſer nach den niedrigern Gegenden
hin einen ſtaͤrkern Schuß, und daher entſtehen
dan mitten im Meere eben ſolche große Stroͤme,
als unſere Elbe iſt, und die pflegen gemeiniglich
ſehr reiſſend zu ſein. Da iſt es dan oft ſehr ge-
faͤhrlich fuͤr die Schiffe, beſonders fuͤr die klei-
nen, wenn ſie auf einen ſolchen Meerſtrom ge-
rathen; weil ſie nicht im Stande ſind, wieder
davon zu kommen, und oft wohl funfzig und
mehr Meilen weit ins weite Meer verſchlagen
werden.


Got-
[158]

Gotlieb. Ach, armer, armer Robinſon,
wie wird dir's nun gehn?


Lotte. Waͤr' er doch nur auf ſeiner Inſel
geblieben! Ich dacht' es wohl, das wieder was
daraus herkommen wuͤrde!


Vater. Diesmahl war es nicht Vorwiz,
nicht Leichtſin, wodurch er zu dieſer Reiſe ange-
trieben ward. Er hatte vielmehr die vernuͤnf-
tigſten Bewegungsgruͤnde dazu gehabt. Alles
alſo, was ihm jezt begegnet, darf er fuͤr eine
goͤtliche Schikkung halten; und in dieſe hatt' er
ſich ja ergeben.


Beide ſtrengten alle ihre Kraͤfte an, um wo
moͤglich, den Kahn durch Rudern aus dem
Strome heraus zu arbeiten; aber vergebens!
Eine unwiderſtehliche Gewalt riß ſie mit der
Schnelligkeit eines Pfeils dahin und ſchon wa-
ren ſie ſo weit fortgetrieben, daß ſie das flache
Land ihrer Inſel aus dem Geſichte verloren.
Ihr Untergang ſchien nun unvermeidlich zu
ſein: denn es konte hoͤchſtens nur noch eine halbe
Stunde waͤhren: ſo waren auch die hoͤchſten
Gipfel der Berge aus ihrem Geſicht verſchwun-
den;
[159] den; und wenn dan auch die Gewalt des Stro-
mes uͤber kurz oder lang nachließ: ſo war es ih-
nen doch unmoͤglich den Ruͤkweg nach der Inſel
zu finden, weil ſie keinen Kompaß hatten.


Frizchen. Keinen — ?


Vater. Keinen Kompaß, ſag' ich. Ni-
kolas, der ein Schifskapitain werden wil, wird
dir ſagen, was das ſei.


Nikolas. (lachend.) Wenn ich alles an-
dere, was dazu gehoͤrt, auch ſchon ſo gut wuͤ-
ſte, als das? — Frizchen, das iſt eine Mag-
netnadel in einem kleinen runden Kaͤſtchen —


Frizchen. Ja, was iſt eine Magnetna-
del?


Nikolas. Das iſt eine ordentliche Nadel
von Stahl; die hat man mit einem gewiſſen
Stein beſtrichen, welcher der Magnet genant
wird. Dadurch hat die Nadel die wunderbare
Eigenſchaft gekriegt, daß ſie immer nach Nor-
den — dort hin uͤber Wandsbek hinaus — wei-
ſet. Darnach richten ſich denn die Schiffer,
wenn ſie nichts mehr, als Luft und Waſſer ſe-
hen koͤnnen, ſonſt wuͤrden ſie auf dem großen
Meere
[160] Meere ſich bald verirren und gar nicht wiſſen,
nach welcher Himmelsgegend ſie hinſegeln.


Vater. Haſt du das verſtanden, Friz?


Frizchen. Ja! Nur zu!


Vater. Da alſo Robinſon einen ſolchen
Kompaß nicht hatte: ſo war es ihm unmoͤglich
wieder zuruͤk zu finden, ſo bald er die Inſel voͤl-
lig aus den Augen verloren hatte. Und welch
ein ſchreklicher Zuſtand wartete ſeiner dan? Mit-
ten auf den Ozean getrieben zu werden, in einem
kleinen unſichern Nachen, und nur auf einige
Tage Lebensmittel zu haben. Kan auch etwas
Fuͤrchterlicheres erdacht werden?


Aber hier zeigt' es ſich recht ſichtbarlich, was
fuͤr ein unausſprechlicher großer Schaz eine wah-
re Froͤmmigkeit und ein gutes Gewiſſen in Noth
und Ungluͤk ſind! Haͤtte Robinſon dieſe nicht
gehabt: wie haͤtt' er die uͤberwaͤltigende Laſt die-
ſer neuen Leiden ertragen koͤnnen? Er wuͤrde in
Verzweiflung gerathen ſein und ſeinem gequaͤl-
ten Leben ein Ende gemacht haben, um dem
langſamen und ſchreklichen Tode des Hungers zu
entgehen.


Sein
[161]

Sein Gefaͤhrte, deſſen Gottesfurcht noch
nicht ſo feſt gegruͤndet, und noch nicht durch ſo
viele und ſo lange Leiden geſtaͤrkt war, als die
Froͤmmigkeit ſeines Herrn, war wirklich der
Verzweiflung nahe. Unfaͤhig, ferner zu arbei-
ten und voͤllig muthlos, legt' er das Ruder nie-
der, ſahe ſeinen Herrn klaͤglich ins Geſicht und
fragte: ob ſie nicht uͤber Bord ſpringen wolten,
um alle dem Jammer, der ihnen bevorſtuͤnde,
auf einmahl durch den Tod zu entgehen? Ro-
binſon
redete ihm erſt liebreich zu und ſuchte
ihm Muth einzuſprechen; dan verwies er ihm
mit ſanfter Stimme ſeinen ſchwachen Glauben
an die alles lenkende goͤtliche Vorſehung, und
erinnerte ihn an das, was er ihn davon gelehrt
hatte. „Stehen wir, ſezt' er hinzu, etwa
nur zu Lande in Gottes, des Almaͤchtigen,
Hand? Iſt er nicht auch Herr des Ozeans, und
kan er, wenn es ihm gefaͤlt, nicht auch dieſen
wilden Fluthen gebieten, daß ſie uns wieder an
einen ſichern Ort fuͤhren muͤſſen? Oder meinſt
du, daß du dich ſeiner Herſchaft entziehen koͤn-
neſt, wenn du ins Meer ſpringeſt? Wiſſe, un-
L
beſon-
[162] beſonnener Juͤngling, daß deine unſterbliche Sele
immer und ewig ein Unterthan in Gottes uner-
meßlichen Reiche bleibt, und daß es ihr ohnmoͤg-
lich wohl darnach gehen kan, wenn ſie, als eine
Empoͤrerin gegen Gott, aus dieſem Leben fluͤch-
tet, ohne erſt den Ruf ihres Schoͤpfers abzu-
warten!„


Freitag fuͤhlte die Wahrheit dieſer Vorſtel-
lungen in dem Innerſten ſeiner Sele und ſchaͤm-
te ſich ſeiner Kleinmuͤthigkeit. Auf Robinſons
Zureden ergrif er wieder das Ruder und beide
fuhren unaufhoͤrlich fort zu arbeiten, ohngeach-
tet nicht die mindeſte Hofnung war, daß es et-
was helfen wuͤrde. „Dies, ſagte Robin-
ſon,
iſt unſere Pflicht. So lange noch ein
Fuͤnkchen Leben in uns iſt, muͤſſen wir unſer
Moͤglichſtes thun, es zu erhalten. Dan koͤn-
nen wir, wenn es ſein muß, mit dem troͤſten-
den Bewuſtſein ſterben, daß es Gott ſo gewolt
habe. Und ſein Wille, lieber Freitag, fuhr
er mit erhoͤhter Stimme und in edlem Feuer
fort, ſein Wille iſt immer gut, immer gut und
weiſe,
[163] weiſe, auch wenn wir ſchwache Erdenwuͤrmer es
nicht begreifen koͤnnen!„


Der gewaltige Strom ſchoß indeß unaufhoͤr-
lich fort; mit ihm der Kahn, und von der fer-
nen Inſel ragten jezt nur noch die Gipfel eini-
ger Berge hervor. Jezt war nur noch die Spi-
ze eines einzigen Berges zu ſehen, der auf der
Inſel der hoͤchſte war; und nun war alle Hof-
nung einer moͤglichen Errettung dahin!


Aber, wenn alle irdiſche Huͤlfe verſchwin-
det, wenn die Noth ungluͤklicher Menſchen aufs
hoͤchſte geſtiegen iſt, und nirgends, nirgends
mehr ein Rettungsmittel uͤbrig zu ſein ſcheint;
dan, lieben Kinder, dan pflegt die Hand der
alles regierenden goͤttlichen Vorſehung am ſicht-
barſten einzugreifen, und uns durch Mittel zu
helfen, die wir gar nicht voraus geſehen hatten.
So gings auch hier. Indem Robinſon ſelbſt
alle Hofnung des Lebens nun ſchon fuͤr gaͤnzlich
verſchwunden hielt und vor Mattigkeit zu rudern
aufhoͤren muſte: merkt' er ploͤzlich, daß die
Schnelligkeit der Bewegung des Kahns etwas
vermindert ward. Er ſah ins Waſſer, und fand
L 2
es
[164] es weniger truͤbe, als es vorher geweſen war.
Ein zweiter Blik auf der Oberflaͤche des Waſſers
hin uͤberzeugte ihn, daß der Strom ſich hier
getheilt habe, und daß der ſtaͤrkſte Arm deſſel-
ben gegen Norden ſtroͤme, indeß der andere
minder ſchnel flieſſende, auf dem ihr Nachen jezt
fortſchwam, ſich durch eine Kruͤmmung nach
Suͤden drehte.


Mit unausſprechlicher Freude rief er ſeinem
ſchon halb todten Gefaͤhrten zu: „munter,
Freitag! Gott wil, daß wir leben ſollen! „
Dan zeigt' er ihm den augenſcheinlichen Grund
ſeiner Hofnung; und vor Freude jauchzend grif-
fen beide eiligſt wieder zu den Rudern, die ſie
eben aus gaͤnzlicher Entkraͤftung niedergelegt hat-
ten. Geſtaͤrkt durch die unerwartete ſuͤße Hof-
nung des Lebens arbeiteten ſie mit einer unbe-
ſchreiblichen Anſtrengung dem Strome entgegen,
und ſahen mit Entzuͤkken, daß ihre Bemuͤhung
diesmahl nicht vergebens war. Robinſon,
deſſen Sele durch eine lange Reihe von Ungluͤks-
faͤllen geuͤbt war, ſeine Aufmerkſamkeit auf je-
den beſondern Umſtand zu richten, bemerkte,
daß
[165] daß ihnen jezt auch der Wind zu ſtatten kommen
wuͤrde. Augenbliklich ſpant' er das Segel aus;
der Wind blies lebhaft hinein, und da beide
mit den Rudern nachhalfen: ſo hatten ſie in
kurzer Zeit die unbeſchreibliche Freude, ſich aus
dem Zuge des Stroms heraus und auf der ruhi-
gen Oberflaͤche des ſtilſtehenden Meeres zu ſehn.


Freitag weinte laut vor Freuden, ſprang
auf und wolte ſeinem Herrn um den Hals fal-
len. Dieſer aber bat ihn, ſeine Empfindungen
vor jezt zu maͤßigen, weil noch ein gut Stuͤk
Arbeit fuͤr ſie uͤbrig waͤre, bevor ſie ſich fuͤr ganz
gerettet halten koͤnten. Sie waren nemlich ſchon
ſo weit verſchlagen worden, daß ſie von der gan-
zen Inſel nur noch ein kleines undeutliches
ſchwarzes Flekchen am aͤuſſerſten Horizont er-
blikten.


Frizchen. Am Horizont? Was iſt das?


Vater. Frizchen, wenn du drauſſen auf dem
freien Felde biſt, komt dir's da nicht vor, als
wenn der Himmel rund umher, wie ein großes
Gewoͤlbe, bis auf die Erde herab gehe?


Frizchen. Ja!


L 3
Va-
[166]

Vater. Nun der Kreis ſo rund herum,
wo die Erde aufzuhoͤren, und der Himmel anzu-
fangen ſcheint, der wird der Horizont genant.
Bald ſolſt du mehr davon hoͤren.


Unſere muntern Schiffer ruderten ſo raſtlos
zu, und der Wind blies ſo friſch gegen die Oſtſeite
der Inſel, auf welche ſie jezt losſegelten, daß ſie in
kurzer Zeit ſchon wieder Berge hervorragen ſahen.
„Friſch! rief Robinſon ſeinem Gefaͤhrten zu,
der im Vordertheile ſaß und der Inſel alſo den
Ruͤkken zukehrte; friſch, Freitag! das Ende
unſerer Muͤhſeeligkeit komt naher!„ Er hatte
dieſe Worte kaum ausgeſprochen, als der Kahn
einen ſo heftigen Stoß empfing, daß beide Ru-
derer von ihren Sizen herab der Laͤnge nach
auf den Schifsboden hinſtuͤrzten. In dem Au-
genblikke ſtand der Kahn ſelbſt ſtille und die Wel-
len fingen an, uͤber Bord zu ſchlagen.


Mutter. Ja, Kinder, ſo gern ich auch,
ſo wie ihr, auf das Abendeſſen Verzicht thaͤte,
wenn wir unſern armen Freund dadurch retten
koͤnten: ſo muͤſſen wir doch jezt aufbrechen. Das
Eſſen
[167] Eſſen wartet auf uns, ſchon zweimahl hat Han-
chen gerufen.


Alle. Oh!


Ein und zwanzigſter Abend.


Einige zugleich.


O nur geſchwind, lieber Vater, daß wir
nur erſt hoͤren, was aus dem armen Robin-
ſon
geworden ſei!


Vater. Eben, da er ſich fuͤr gerettet hielt,
ſtuͤrzt' er, wie wir gehoͤrt haben, in ein neues
Ungluͤk, welches leicht noch groͤßer werden kon-
te, als dasjenige, dem ſie ſo eben erſt entgangen
waren. Der Kahn ſaß ploͤzlich feſt und die Wel-
len fingen an, uͤber Bord zu ſchlagen. War
nun dasjenige, wovon das Schif feſtgehalten
wurde, eine Felſenſpize: ſo war es aller Wahr-
ſcheinlichkeit nach, um ſie geſchehen!


L 4
Ro-
[168]

Robinſon unterſuchte, ſo geſchwind als
moͤglich, mit dem Ruder den Grund im Waſ-
ſer, und da er ihn rund um das Schif herum
feſt und das Waſſer nicht uͤber eine halbe Elle
tief fand: ſo beſan er ſich keinen Augenblik, ſon-
dern ſprang uͤber Bord. Freitag folgte ſeinem
Beiſpiel und beide fanden z[u] ihrem großen Tro-
ſte, daß es nur eine Sandbank und kein Felſen
ſei, worauf ſie gerathen waren.


Beide ſtrengten darauf alle ihre Kraͤfte an,
um den Kahn wieder zuruͤk ins tiefere Waſſer zu
ſchieben. Es gluͤkte ihnen; das Schif ward
flot, und beide ſprangen wieder hinein.


Lotte. Nun wird der arme Robinſon
gewiß den Schnupfen kriegen, weil er ſich die
Fuͤße naß gemacht hat!


Vater. Liebe Lotte, wenn man durch eine
arbeitſame und natuͤrliche Lebensart ſich erſt ſo
abgehaͤrtet hat, als Robinſon: ſo pflegt man
von einer ſolchen Kleinigkeit den Schnupfen
nicht mehr zu kriegen. Sei deswegen nur un-
beſorgt!


Nach-
[169]

Nachdem ſie das eingeſpruͤzte Waſſer, ſo gut
es mit den Rudern gehen wolte, wieder ausge-
worfen hatten, beſchloſſen ſie, vorſichtiger zu
Werke zu gehen und ohne Segel zu fahren, da-
mit ſie die Lenkung des Schiffes beſſer in ihrer
Gewalt haͤtten. So ruderten ſie alſo laͤngſt der
Sandbank hin, in der Hofnung, daß ſie bald
ein Ende nehmen wuͤrde. Aber ſie muſten wohl
erſt vier gute Stunden ſchiffen, ehe dieſe Hof-
nung erfuͤlt ward: ſo weit lief die Bank von
Norden nach Suͤden hin. Robinſon merkte,
daß ſie ſich bis in diejenige Gegend des Meeres
hin erſtrekke, wo er vor neun Jahren Schif-
bruch gelitten hatte, und daß es alſo eben die-
ſelbe ſei, auf welcher das Schif damahls ge-
ſtrandet
war.


Frizchen. Was heißt das geſtrandet?


Gotlieb. O daß du doch auch immer den
Vater unterbrechen muſt!


Vater. Nun, das iſt ja gut von ihm,
daß er gern belehrt ſein wil! Aber nicht ſo gut
von dir, lieber Gotlieb, daß du daruͤber un-
freundlich wirſt! Huͤte dich kuͤnftig davor! —
L 5
Stran-
[170] Stranden, lieber Friz, heißt, wenn ein Schif
auf eine ſolche Sandbank oder auf einen Felſen
geraͤth, und nicht wieder davon loskommen
kan.


Frizchen. Gut!


Vater. Endlich erreichten ſie wieder ein
ordentliches Fahrwaſſer, und ruderten nun mit
aller Gewalt der Inſel zu, welche ihnen jezt
ſchon ganz vor Augen lag. Sie erreichten endlich
den Strand, da die Sonne eben ihre lezten
Blikke auf den Gipfel der Berge warf, und
ſtiegen ganz ermattet, aber unbeſchreiblich froh
uͤber ihre gluͤkliche Rettung, ans Land.


Beide hatten den ganzen Tag keinen Biſſen
genoſſen. Sie konten daher die Zeit nicht ab-
warten, da ſie wieder in der Burg wuͤrden an-
gekommen ſein, und ſezten ſich gleich am Strande
nieder, um von dem Vorrathe, den ſie mit ſich
zu Schiffe genommen hatten, erſt eine reich-
liche Mahlzeit zu thun. Dan zogen ſie den
Kahn in eine kleine Bugt — ihr wißt doch,
was das iſt?


Jo-
[171]

Johannes. O ja! Wo das Waſſer ſo
etwas ins Land hineintrit. Es iſt ja faſt eben
das, was ein Meerbuſen iſt.


Vater. Nur, daß der Meerbuſen groͤßer
iſt! — Sie zogen, ſag' ich, den Kahn in eine
Bugt und gingen, mit allem, was ſie im Schif-
fe gehabt hatten, beladen nach Hauſe. —


Nikolas. O es iſt doch wohl noch nicht
aus?


Vater. Robinſon und Freitag haben
ſich bereits zur Ruhe begeben, und der lezte
liegt ſchon im tiefen Schlaf verſunken, indeß der
erſte noch ein feuriges Dankgebeth fuͤr ſeine
abermahlige Errettung zu Gott ſchikt. Wir
koͤnten's alſo auch ſo machen; aber da es noch ſo
fruͤh am Tage iſt: ſo wil ich die Nacht uͤber-
ſpringen und nun noch erzaͤhlen, was am fol-
genden Tage geſchahe.


„Nun, Freitag, fragte Robinſon beim
Fruͤhſtuͤk, haͤtteſt du Luſt, dich noch einmahl
ſo mit mir zu wagen, als geſtern?„


Freitag. Gott bewahre!


Ro-
[172]

Robinſon. Alſo entſchließt du dich, dein
Leben auf dieſer Inſel mit mir zu endigen?


Freitag. Wenn nur mein Vater auch hier
waͤre!


Robinſon. Alſo haſt du noch einen Va-
ter?


Freitag. Wenn er nicht unterdeß geſtor-
ben iſt!


Hier legt' er die Kartoffel aus der Hand,
und ein Paar große Traͤnen rolten ihm die Bak-
ken herab. Robinſon dachte an ſeine eigene
Eltern und muſte ſich gleichfals die Augen wi-
ſchen. Beide beobachteten eine Zeitlang ein ruͤh-
rendes Stilſchweigen.


Robinſon. Sei gutes Muths, Freitag!
Dein Vater wird noch leben, und wenn es Got-
tes Wille iſt: ſo wollen wir naͤchſtens hinuͤber
fahren und ihn zu uns hohlen.


Nun das war zu viel Freude fuͤr den armen
Freitag! Laut heulend ſprang er auf, warf
ſich uͤber Robinſons Knie hin, klammerte ſich
feſt daran und konte vor Schluchzen kein Wort
ſprechen.


„Kin-
[173]

„Kinder! rief hier die Mutter aus, welch ein
Beiſpiel von Elternliebe an einem Wilden! An ei-
nem Wilden, der ſeinem Vater keine Erziehung,
keinen Unterricht, nur das bloße Leben, und noch da-
zu ein recht armſeliges Leben zu verdanken hatte!„


So gewiß, fuͤgte der Vater hinzu, hat
Gott die Liebe und Dankbarkeit gegen Eltern
allen Menſchen ins Herz gelegt! Und welch ein
Ungeheuer muͤſte alſo nicht der ſein — wenn es
unter uns geſitteten Menſchen einen ſolchen gabe
— der dieſen angebohrnen Trieb bei ſich erſtikte,
und gegen ſeine Eltern gleichguͤltig werden, ih-
nen wohl gar Kummer und Betruͤbniß verurſa-
chen koͤnte! Soltet ihr je einen ſolchen Unmen-
ſchen antreffen: o ſo verweilet nicht mit ihm un-
ter einen Dache; flieht ihn, als eine Peſt der
Geſelſchaft, als einen ſolchen, der auch jeder an-
dern Unmenſchlichkeit gleichfals fahig iſt, und
dem die gerechten Strafgerichte Gottes auf
dem Fuße nacheilen! —


Nachdem Freitag ſich einiger maßen erhohlt
hatte, fragte Robinſon, ob er denn auch wohl
der Fahrt nach ſeiner Heimath ſo voͤllig kundig
waͤre,
[174] waͤre, daß ſie nicht abermahls ein aͤhnliches Un-
gluͤk, als ihr geſtriges, zu beſorgen haͤtten?
und Freitag betheuerte, daß das Fahrwaſſer
dahin ihm ſo bekant waͤre, daß er zur Nachtzeit
dahin zu ſchiffen ſich getraue, weil er ſich oft mit
dabei befunden haͤtte, wenn ſeine Landsleute
heruͤber geſchift waͤren, um hier ihre Sieges-
feſte zu feiern.


Robinſon. Alſo biſt du oft mit dabei
geweſen, wenn man Menſchen ſchlachtete?


Freitag. O ja!


Robinſon. Und haſt ſie mit verzehren
helfen?


Freitag. Leider! Ich wuſte ja noch nicht,
daß das was Boͤſes ſei!


Robinſon. An welcher Stelle unſerer
Inſel pflegtet ihr dan zu landen?


Freitag. Allemahl an der ſuͤdlichen Kuͤſte,
weil uns dieſe die naͤchſte war, und weil es da
Kokusbaͤume giebt.


Robinſon ſahe hieraus noch deutlicher ein,
wie viel Urſache er habe, Gott zu danken, daß
er ihn an der noͤrdlichen Seite der Inſel, und
nicht
[175] nicht an der ſuͤdlichen hatte Schifbruch leiden
laſſen, weil er im lezten Falle gewiß in kurzer
Zeit ein Raub der Wilden wuͤrde geworden ſein.
Er wiederhohlte hierauf das fuͤr Freitag ſo
angenehme Verſprechen, daß er in kurzem mit
ihm hinuͤber fahren wolte, um ſeinen Vater
abzuholen. Fuͤr jezt lieſſe ſich's noch nicht thun,
weil die Gartenarbeiten, zu denen es eben Zeit
war, ihre Gegenwart erfoderten.


Zu dieſen ward alſo gleich geſchritten. Ro-
binſon
und Freitag gruben um die Wette und
in den Ruheſtunden waren ſie darauf bedacht,
ſich immer brauchbarere Werkzeuge zu machen.
Robinſon, deſſen Erfindungskraft und Geduld
gleich unerſchoͤpflich waren, kam ſo gar damit zu
Stande, eine Harke zu verfertigen, ohngeach-
tet er die Loͤcher, zu den Zaͤhnen mit einem ſpi-
zigen Steine — ihr koͤnt denken wie langſam!
ausboren muſte. Freitag hingegen ſchnizte
nach und nach mit einem ſteinernen Meſſer zwei
Spaten aus ſo hartem Holze, daß ſie ihnen bei-
nahe dieſelben Dienſte leiſteten, als wenn ſie
von Eiſen geweſen waͤren.


Und
[176]

Und nun begnuͤgte ſich Robinſon nicht mehr
damit, blos fuͤr die allernoͤthigſten Beduͤrfniſſe
zu ſorgen: ſondern er fing auch nach und nach an,
auf eine Verſchoͤnerung ſeines Aufenthalts
zu denken. Und ſo, Kinder, iſt es immer in
der Welt gegangen. So lange die Menſchen
noch alle ihre Gedanken auf die Erwerbung ih-
res Unterhalts und auf die Sicherheit ihres Le-
bens richten muſten, fiels ihnen gar nicht ein,
ſich auf diejenigen Kuͤnſte zu legen, welche nur
dazu dienen, die Gegenſtaͤnde um uns her zu
verſchoͤnern, und unſerer Sele feinere Vergnuͤ-
gungen zu verſchaffen, als die blos thieriſchen
Vergnuͤgungen der Sinne ſind. Aber kaum war
fuͤr Nahrungsmittel und fuͤr Sicherheit hinlaͤng-
lich geſorgt, ſo fingen ſie auch an, das Schoͤne
mit dem Nuͤzlichen, das Angenehme mit dem
Nothwendigen verbinden zu wollen. So ent-
ſtanden dan die eigentliche Baukunſt, die Mah-
lerei, die Bildhauerkunſt, die Tonkunſt, und
alle die uͤbrigen kuͤnſtlichen Geſchiklichkeiten,
welche unter dem Nahmen der ſchoͤnen Kuͤn-
ſte
begriffen werden.


Ro-
[177]

Robinſon fing mit der Verbeſſerung und
Verſchoͤnerung des Gartenweſens an. Er theilte
ſeinen Garten nach einem ordentlichen Plane in
regelmaͤßige Felder ein; durchſchnit dieſe Fel-
der mit ſchnurgraden Wegen, legte lebendige
Hekken, Lauben und Alleen an; beſtimte den
einen Plaz zum Blumengarten, den andern
zum Kuͤchengarten und einen dritten zum Obſt-
garten. In dieſen leztern pflanzt' er alles,
was er von jungen Zitronenbaͤumen auf der In-
ſel finden konte, nebſt einer Menge anderer jun-
ger Baͤume, auf die er Kokusreiſer pfropfte.
Bei dieſer lezten Arbeit machte Freitag beſon-
ders große Augen, weil er gar nicht begreifen
konte, wozu das ſolte, bis ihm Robinſon
das Verſtaͤndniß daruͤber oͤfnete.


Jezt pflanzten ſie Kartoffeln und Maiz in
großer Menge und weil der Akker vielleicht von
Erſchaffung der Welt her brach gelegen hat-
te; ſo wuchs das Gepflanzte bald zu einer ſehr
geſeegneten Erndte auf.


Unter durch ſtelten ſie auch Fiſchereien an,
weil Freitag wie ich erzaͤhlt habe, in der lezten
M
Re-
[178] Regenzeit die Neze dazu verfertiget hatte. Sie
fingen jedesmahl weit mehr, als ſie brauchen
konten, und warfen daher die Ueberfluͤßigen wie-
der ins Meer. Bei dieſer Gelegenheit pflegten ſie
ſich dan gemeiniglich auch zu baden; und da muſte
Robinſon die erſtaunliche Geſchiklichkeit bewun-
dern, welche Freitag im Schwimmen und Unter-
tauchen bewies. Er ſuchte ſich mit Fleiß ein fel-
ſichtes Ufer aus, wo die Meereswellen ſich auf eine
fuͤrchterliche Weiſe brachen. In dieſe ſprang er
ſcherzend von oben hinab, blieb einige Minuten
unterm Waſſer, ſo daß dem armen Robinſon
oft angſt und bange dabei ward, kam dan wie-
der hervor auf die Oberflaͤche des Waſſers, legte
ſich auf den Ruͤkken um ſich von den Wellen
wiegen zu laſſen und trieb allerlei Gaukeleien,
deren umſtaͤndliche Beſchreibung beinahe alle
Glaubwuͤrdigkeit verlieren wuͤrde. Robinſon
konte dabei nicht umhin, die erſtaunlichen Anla-
gen der menſchlichen Natur zu bewundern, die
zu allem faͤhig iſt, was ihr von Jugend an zur
Uebung gemacht wird.


An
[179]

An andern Tagen beluſtigten ſie ſich mit der
Jagd, weil Freitag gleichfals Meiſter, ſo
wohl in der Verfertigung, als auch in dem Ge-
brauche des Bogens und der Pfeile war. Sie
ſchoſſen Voͤgel und junge Lama's, doch nie mehr,
als ſie jedesmahl brauchen konten, weil Robin-
ſon
es mit Recht fuͤr ſuͤndlich hielt, ein Thier,
es ſei, welches es wolle, blos zur Luſt oder um
nichts zu quaͤlen und zu toͤdten.


So ſehr uͤbrigens Robinſon dem guten
Freitag am Verſtande und an mancher Geſchik-
lichkeit uͤberlegen war: ſo verſtand doch dieſer
auch wieder viele kleine Kuͤnſte, welche ſeinem
Herrn vorher unbekant geweſen waren, und die
ihnen gleichwohl jezt vortreflich zu ſtatten ka-
men. Er wuſte ſich allerlei Werkzeuge aus Kno-
chen, Steinen, Muſcheln und andern Dingen
zu machen, womit er manches ſo gut bearbeiten
konte, als wenn er Werkzeuge von Eiſen gehabt
haͤtte. So macht' er ſich z. E. aus dem Arm-
beine eines Mannes, welches er zufaͤlliger Weiſe
fand, einen Meiſſel; eine Raſpel aus Ko-
rallen; ein Meſſer aus Muſcheln; eine Feile
M 2
aus
[180] aus der ſcharfen Haut eines Fiſches. Damit
verfertigte er viel kleines Hausgeraͤth, welches
die Bequemlichkeit ihres Lebens gar ſehr ver-
groͤſſerte.


Noch lernte Robinſon von Freitag den
Gebrauch der Kakaobohnen, die er bei einer ehe-
maligen Wanderung auf ſeiner Inſel entdekt und
einige davon aufs Gerathewohl mit ſich genom-
men hatte. Er legte ſie nemlich ans Feuer, ſo
wie die Kartoffeln, und ließ ſie roͤſten. Dan
gewaͤhrten ſie eine gar nicht unangenehme und
dabei ſehr nahrhafte und geſunde Speiſe.


Robinſon, welcher gar zu gern neue Ver-
ſuche anſtelte, zerſtampfte einige derſelben, nach-
dem ſie geroͤſtet waren, zwiſchen zwei Steinen,
ſchuͤttete das kleingeriebene Pulver in einen mit
Lamamilch angefuͤlten Topf und ſezte ihn ans
Feuer. Wie erſtaunt' er nicht, und wie groß
war ſein Vergnuͤgen, da er die daraus entſtan-
dene Suppe koſtete und fand daß es ordentliche
Schokolade ſei.


Frizchen. Ah! Schokolade?


Va-
[181]

Vater. Ja, nur daß das Gewuͤrz und
der Zukker daran fehlten. — So vervielfaͤltig-
ten ſich nach und nach die Nahrungsmittel des
guten Robinſons und die Quellen ſeines Ver-
gnuͤgens! Aber zu ſeinem Ruhme muß ich ſagen,
daß er demohngeachtet bei ſeinem neulichen Vor-
ſaze blieb, und eben ſo maͤßig und einfach zu le-
ben fortfuhr, als er angefangen hatte.


Beide ſtelten jezt oͤftere und lange Wander-
ſchaften durch die ganze Inſel an, beſonders an
ſolchen Tagen, an welchen ein Wind blies, der
den Wilden entgegen war; und ſie entdekten bei
ſolchen Gelegenheiten noch Manches, was ihnen
nuͤzlich werden konte.


Endlich war der Garten voͤllig beſtelt, und
nun wurde der Tag beſtimt, an welchem ſie
nach Freitags Heimath hinuͤber fahren und den
Vater deſſelben abholen wolten. Je naͤher aber
die Zeit zur Abfahrt heranruͤkte, deſto oͤfterer
fiel unſerm Robinſon der Gedanke aufs Herz:
wie? wenn Freitags Landsleute dich dennoch
als einen Feind behandelten? Wenn ſie an Frei-
tags
Vorſtellungen ſich nicht kehrten, und du
M 3
ein
[182] ein Opfer ihres abſcheulichen Menſchenhungers
werden muͤſteſt? Er konte ſich nicht enthalten,
dieſe Beſorgniß ſeinem Freunde mitzutheilen.
Aber Freitag verſicherte ihn bei Allem, was
heilig iſt, daß er nichts zu beſorgen habe; er
kenne ſeine Landsleute zu gut und wiſſe daher
mit voͤlliger Gewißheit, daß ſie keinem etwas
zu Leide thaͤten, der nicht ihr Feind ſei. Ro-
binſon
war uͤberzeugt, daß er dies nicht ſagen
wuͤrde, wenn's nicht ſo waͤre. Er unterdruͤkte
alſo alle aͤngſtliche Sorgſamkeit, traute der Ehr-
lichkeit ſeines Freundes, und beſchloß, am fol-
genden Morgen in Gottes Nahmen mit ihm
abzufahren.


Sie hatten in dieſer Abſicht den Kahn, der
bis dahin auf den Strand gezogen war, wieder
aufs Waſſer gebracht und an einer in die Erde
geſtrekten Stange befeſtiget. Den Abend brach-
ten ſie damit zu, Kartoffeln zu braten und an-
dere Speiſen zuzurichten, die ſie mitnehmen
wolten, um ſich wenigſtens auf acht Tage mit
Proviant zu verſorgen. Freitag zeigte bei die-
ſer Gelegenheit, daß er auch in der Kochkunſt
ſo
[183] ſo unerfahren eben nicht ſei, und lehrte ſeinen
Herrn, ein ganzes junges Lama, welches ſie ge-
ſchoſſen hatten, in kuͤrzerer Zeit weit muͤrber zu
braten, als es am Spieſſe geſchehen konte.
Das fieng er ſo an.


Er grub ohngefaͤhr zwei Fuß tief ein Loch
in die Erde, welches er ſchichtweiſe mit troknem
Holze und mit platten Steinen anfuͤlte. Die-
ſes Holz zuͤndete er an. Dan hielt er das junge
Lama uͤber's Feuer um die Hare abzuſengen,
und nachdem dieſes geſchehen war, ſchabte er es
mit einer Muſchel ſo rein ab, als wenn es mit
heiſſem Waſſer waͤre abgebruͤhet worden. Mit
eben dieſer Muſchel ſchnitt' er den Leib des Thie-
res auf, um die Eingeweide heraus zu nehmen.
Unterdeß war das Holz zu Kohlen gebrant; das
Loch war durch und durch erhizt und die Steine
waren gluͤhend geworden. Er warf darauf in
der groͤßten Geſchwindigkeit dieſe Steine nebſt
den Kohlen aus dem Loche hinaus; legte dan
einige der heißgemachten Steine auf den Boden
des Lochs und bedekte ſie mit gruͤnen Kokusblaͤt-
tern. Auf dieſe legt' er das Lama, bedekt' es
M 4
aber-
[184] abermahls mit Blaͤttern und pakte die uͤbrigen
heiſſen Steine darauf. Dan ſchuͤttete er das
ganze Loch mit Erde zu.


Nach einigen Stunden ward das Loch wie-
der geoͤfnet und das Lama heraus genommen.
Robinſon, der ein Stuͤkchen davon koſtete,
muſte geſtehen, daß es weit muͤrber, ſaftiger,
und wohlſchmekkender ſei, als wenn's am Spieſ-
ſe waͤre gebraten worden; und er nahm ſich da-
her vor, kuͤnftig immer ſo zu verfahren.


Johannes. Eben ſo machen's ja auch die
Otahiter, wenn ſie ihre Hunde braten?


Vater. Das thun ſie auch.


Gotlieb. Ihre Hunde? Eſſen die denn
Hundefleiſch.


Johannes. Ja wohl! Wir haben's vo-
rigen Winter ja geleſen; und die Englaͤnder, die
mit davon aßen, geſtanden, daß es ſehr gut
ſchmekke.


Einige. Fi!


Vater. Ihr muͤßt nur wiſſen, daß die
dortigen Hunde auch eine ganz andere Lebensart,
als die Unſrigen, fuͤhren. Sie freſſen kein
Fleiſch,
[185] Fleiſch, ſondern leben blos von Fruͤchten. Da
mag denn ihr Fleiſch auch wohl ganz anders
ſchmekken, als das Fleiſch der Unſrigen ſchmek-
ken wuͤrde.


Nun, Kinder, alle Vorbereitungen zu der
beſchloſſenen Reiſe waren jezt gemacht. Wir
wollen alſo unſere beiden Wanderer erſt aus-
ſchlafen laſſen, und dan ſehen, was es morgen
geben wird.


Zwei und zwanzigſter Abend.


Vater.


Robinſon und Freitag mogten kaum eine
Stunde geſchlafen haben, als der erſte durch ein
heftiges Gewitter, welches unterdeß entſtanden
war, ploͤzlich wieder gewekt wurde. Der Sturm-
wind heulte fuͤrchterlich, und der Donner krach-
te, daß die Erde davon erzitterte. „Hoͤrſt du,
M 5
Frei-
[186]Freitag?„ fragte Robinſon, indem er ſei-
nen Schlafkammeraden anſtieß. „Au weh!
antwortete dieſer; wenn uns das auf dem Meere
getroffen haͤtte!„ Er hatte dieſes kaum geſagt,
als ſie auf einmahl einen Knal hoͤrten, der ei-
nem fernen Kanonenſchuſſe aͤhnlich war.


Freitag meinte, es ſei der Donner; Ro-
binſon
hingegen glaubte ſteif und feſt, einen
Kanonenſchuß gehoͤrt zu haben, und gerieth dar-
uͤber in die freudigſte Beſtuͤrzung. Er ſprang
eiligſt vom Lager auf, lief nach der Kuͤche und
befahl Freitag, ihm zu folgen. Hier ergrif er
einen gluͤhenden Feuerbrand, und kletterte damit
die Strikleiter hinauf. Freitag that ein Glei-
ches, ohne zu wiſſen, was ſeines Herrn Abſicht
ſei.


Auf dem Gipfel des Berges machte Robin-
ſon
in groͤßter Geſchwindigkeit ein großes Feuer
an, um den Nothleidenden ein Zeichen zu ge-
ben, daß ſie hier bei ihm einen ſichern Zufluchts-
ort finden koͤnten. Er glaubte nemlich, daß ir-
gend ein Schif in der Naͤhe ſei, welches in Ge-
fahr waͤre, und deswegen einen Nothſchuß ge-
than
[187] than habe. Aber kaum loderte die Flamme auf,
als ein ſo entſezlicher Regenguß herabſtuͤrzte,
daß das Feuer augenbliklich wieder ausgeloͤſcht
wurde. Robinſon und Freitag mußten ſich
in ihre Hoͤhle retten, um nicht fortgeſchwemt
zu werden.


Nun wuͤthete der Sturm, nun raſſelte der
Plazregen, nun krachte der Donner mit unbe-
ſchreiblicher Heftigkeit. Es erfolgte Schlag auf
Schlag, und ohngeachtet Robinſon ſich ein-
bildete, unter durch von Zeit zu Zeit noch mehr
Kanonenſchuͤſſe zu hoͤren: ſo war er doch zulezt
ſelbſt zweifelhaft, ob's nicht vielleicht blos der
Donner geweſen ſei? Dem ohngeachtet hing er
die ganze Nacht hindurch dem ſuͤßen Gedanken
nach, daß ein Schif zu ſeiner Erloͤſung in der
Naͤhe ſei; daß dieſes vielleicht der Gefahr,
worin es ſich jezt befinde, gluͤklich entkommen,
und ihn, nebſt ſeinem treuen Freitag, nach
Europa fuͤhren wuͤrde. Zehnmahl verſucht' er,
ein neues Feuer anzulegen, aber der unaufhoͤr-
liche Regen loͤſchte jedesmahl es wieder aus. Es
blieb ihm alſo weiter nichts uͤbrig, als fuͤr die
Un-
[188] Ungluͤklichen zu beten; und das that er mit der
groͤßten Innigkeit.


Gotlieb. Fuͤrchtet er ſich denn jezt nicht
mehr ſo vor dem Gewitter, wie er ſonſt that?


Vater. Du ſiehſt, daß dieſe thoͤrichte
Furcht ihn jezt auch verlaſſen haben muß; und
woher wohl das?


Johannes. Weil er jezt kein boͤſes Ge-
wiſſen mehr hat.


Vater. Richtig! und dan auch wohl des-
wegen, weil er jezt volkommen uͤberzeugt iſt,
daß Gott ein Gott der Liebe ſei, und daß alſo
denen, die from ſind und recht thun, nichts be-
gegnen kan, das nicht am Ende zu ihrem wah-
ren Beſten gereichte. —


Erſt mit Anbruch des Tages legte ſich das
Ungewitter; und Robinſon rante, von Frei-
tag
begleitet, zwiſchen Furcht und Hofnung nach
dem Strande, um zu ſehen, ob er recht gehoͤrt
habe, oder nicht? Aber das Erſte, was ſich ih-
nen daſelbſt zeigte, war fuͤr beide aͤuſſerſt trau-
rig, beſonders fuͤr den armen Freitag. Der
Sturm hatte nemlich ihren Kahn losgeriſſen,
und
[189] und in das weite Weltmeer fortgeſchleudert. Es
war recht klaͤglich anzuſehen, wie Freitag ſich
gebehrdete, da er die ſchoͤne Hofnung, mit ſei-
nem Vater vereinigt zu werden, ſo auf ein-
mahl zernichtet ſahe! Er ward todtenblaß, ſtand
eine Zeitlang ganz ſprachlos, die ſtarren Blikke
zur Erde geheftet und ſchien mit ſeiner ganzen
Sele abweſend zu ſein. Dan brach er in einen
Strom von Traͤnen aus, rang die Haͤnde, zer-
ſchlug ſich die Bruſt, und zerraufte ſich das
Haar.


Robinſon, der durch eigenes Ungluͤk ge-
lernt hatte, einem Ungluͤklichen nach zu empfin-
den, hatte Mitleid mit ſeinem Jammer, und
ſuchte durch ſanfte freundſchaftliche Vorſtellun-
gen ihn zur Vernunft wieder zuruͤk zu bringen.
„Wer weiß, ſagt' er unter andern zu ihm, wo-
zu es uns gut ſein mag, den Kahn verloren zu
haben? Wer weiß, was der Sturm, der Schuld
daran iſt, uns oder andern Menſchen fuͤr große
Vortheile mag geſtiftet haben?„ — „Schoͤne
Vortheile! antwortete Freitag in einem etwas
bittern Tone; den Kahn hat er uns genommen;
das
[190] das iſt alles!„ — „Alſo, erwiederte Robin-
ſon
, weil du und ich mit unſern kurzſichtigen
Augen keine andere Wirkung des Sturms, als
die Wegfuͤhrung des Kahns, wahrnehmen; ſo
glaubſt du, daß auch Gott, der Alweiſe, keine
andere Urſache, ihn zuſchikken, gehabt habe?
Unverſtaͤndiger, wie kanſt du dich erkuͤhnen,
die Abſichten des großen Gottes beurtheilen zu
wollen! —


„Ja, aber was koͤnt' er denn auch wohl fuͤr
Nuzen fuͤr uns gehabt haben? „fragte Frei-
tag
. „Muſt du mich darum fragen? ant-
worte Robinſon. Bin ich alwiſſend, um die
Abſichten des Weltregenten verſtehen zu koͤnnen?
Vermuthen kann ich freilich dies und das: aber
wer ſagt mir, ob ich's getroffen habe? Viel-
leicht hatten auf unſerer Inſel ſich ſo viele unge-
ſunde Duͤnſte geſammelt, daß ein Sturmwind
noͤthig war, um ſie zu zerſtreuen, wenn wir
beide nicht krank werden, oder ſterben ſolten!
Vielleicht haͤtte der Kahn, waͤr' er geblieben,
uns ins Verderben gefuͤhrt! Vielleicht — Doch
wozu alle dieſe vielleichts, da es uns genug
ſein
[191] ſein muß, zu wiſſen, daß Gott es ſei, der dem
Sturmwinde gebietet, und daß dieſer Gott ein
weiſer, und guͤtiger Vater aller ſeiner Geſchoͤpfe
ſei?


Freitag ging in ſich; er bereuete ſeinen Un-
verſtand, und ergab ſich in den Willen der Vor-
ſehung. Robinſons Blikke irreten unterdeß
auf der weiten Flaͤche des Ozeans herum, ob
er nicht vielleicht irgend wo ein Schif wahrneh-
men moͤgte? Aber umſonſt! Es war nirgends
eins zu ſehen. Er ſahe alſo, daß er ſich geirret
haben muͤſſe, und daß der gehoͤrte wiederholte
Knal, dem er fuͤr Kanonenſchuͤſſe gehalten hatte,
nichts anders, als der Donner, koͤnne geweſen
ſein. Traurig uͤber die Vereitelung einer ſo
lieben Hofnung, ging er wieder zu Hauſe.


Aber zu Hauſe hatt' er nicht Ruhe, nicht
Raſt, weil ihm immer ein Schif vor den Au-
gen ſtand, das bei ſeiner Inſel vor Anker lag.
Er kletterte alſo wieder auf den Berg, von wan-
nen er die weſtliche Kuͤſte uͤberſehen konte: aber
auch von da aus kont' er nicht entdekken, was
der ſuͤße Traum ihm vorgeſpiegelt hatte. Auch
damit
[192] damit noch nicht zufrieden, und noch immer un-
ruhig, rant' er nach einem andern Berge, der
viel hoͤher, als dieſer, war, um von da nach
der oͤſtlichen Kuͤſte der Inſel hinzuſehen. In
einem Hui! hatt' er ihn erſtiegen; und da er
nun oben war, und nach der Morgenſeite hin-
blikte — Himmel! welch freudiges Erſchrekken
bemaͤchtigte ſich da ploͤzlich ſeiner ganzen Sele,
als er ſahe — daß er ſich doch nicht betrogen
habe!


Alle. Oh!


Vater. Er ſahe ein Schif, und zwar,
der weiten Entfernung ungeachtet, ſo deutlich,
daß er gar nicht zweifeln konte, es ſei wirklich
eins, und noch dazu ein recht großes. Ueber-
hebet mich, Kinder, der vergeblichen Muͤhe,
euch ſeine Freude, ſein unausſprechliches Ent-
zuͤkken zu beſchreiben. Athemlos rant' er zuruͤk
nach ſeiner Burg; ergrif ſeine Waffen und konte
zu Freitag, der ihn vol Verwunderung an-
ſtaunte, weiter nichts ſagen, als: ſie ſind da!
Geſchwind! Geſchwind!
und ſo, wie der
Wind,
[193] Wind, die Strikleiter wieder hinauf und davon,
als wenn er Fluͤgel haͤtte.


Freitag ſchloß aus der Verwirrung, aus
der Eilfertigkeit, und aus den abgebrochnen Wor-
ten ſeines Herrn, daß die Wilden da waͤren.
Er ergrif alſo gleichfals ſeine Waffen, und lief
mit nicht geringerer Geſchwindigkeit hinter ihm
drein.


Ueber zwei ſtarke Meilen muſten ſie laufen,
bevor ſie an die Stelle des Strandes kamen,
der gegen uͤber das Schif vor Anker zu liegen
ſchien. Und hier war es, wo Freitag erſt er-
fuhr, wovon denn eigentlich die Rede ſei. Ro-
binſon
zeigte ihm das ferne Schif, woruͤber er
denn gar große Augen machte, weil er der Ent-
fernung ohngeachtet, wohl ſehen konte, daß es
hundert mahl groͤßer ſei, als das groͤßte, wel-
ches er jemahls geſehen hatte.


Robinſon wuſte gar nicht, was er vor
Freude alles angeben ſolte. Bald ſprang er,
bald jauchzt' er, bald fiel er ſeinem Freitag in
die Arme und bat ihn, mit hellen Freudentraͤ-
nen in den Augen, daß er ſich doch auch freuen
N
moͤg-
[194] moͤgte! Nun ging' es nach Europa; nun nach
Hamburg! Da ſolt' er einmahl ſehen, wie
man in Hamburg lebte! Was fuͤr Haͤuſer da
die Menſchen bauen koͤnten! Wie bequem, wie
ruhig, wie angenehm man da ſein Leben hin-
braͤchte! — Der Strom ſeiner Worte war un-
erſchoͤpflich. Ich glaube, er wuͤrde bis Mor-
gen ununterbrochen fortgeredet haben; wenn er
ſich nicht auf einmahl beſonnen haͤtte, daß es
thoͤrigt waͤre, die Zeit mit unnuͤzen Worten hin-
zubringen, und daß er vor allen Dingen ſuchen
muͤſſe, ſich den Leuten auf dem Schiffe zu er-
kennen zu geben. — Aber wie nun? Das war
die Frage.


Er verſuchte ſeine Stimme ertoͤnen zu laſ-
ſen; aber er merkte bald, daß das vergebliche
Muͤhe ſei, ohngeachtet der Wind ſich ſchon waͤh-
rend des Ungewitters gedrehet hatte, und jezt
von der Inſel nach dem Schiffe zu bließ. Er
hieß alſo ſeinen Freund, ſo geſchwind, als moͤg-
lich, ein Feuer anmachen, welches von dem
Schiffe her geſehen werden koͤnte. Dieſer kam
auch bald damit zu Stande, und nun erregte Ro-
binſon
[195]binſon eine Flamme, welche baumhoch empor
loderte. Seine Augen waren darauf unver-
ruͤkt nach dem Schiffe gerichtet, weil er alle
Augenblikke erwartete, daß ein Boot abſtoßen
und zu ihnen kommen wuͤrde. Aber kein Boot
wolte ſich ſehen laſſen.


Endlich, da das Feuer ſchon eine Stunde
vergeblich gebrant hatte, that Freitag den Vor-
ſchlag, er wolle, ſo weit es auch immer waͤre,
hinſchwimmen, und den Leuten ſagen, daß ſie
herkommen ſolten. Robinſon umarmte ihn
dafuͤr, und bat ihn, doch ja fuͤr die Erhaltung
ſeines Lebens dabei beſorgt zu ſein. Freitag
warf darauf ſeine Mattenkleidung ab, brach ei-
nen gruͤnen Zweig ab, den er in den Mund
nahm, und ſprang herzhaft ins Waſſer. Ro-
binſons
waͤrmſte Seegenswuͤnſche begleiteten
ihn.


Lotte. Was wolt' er denn mit dem gruͤ-
nen Zweige machen?


Vater. Ein gruͤner Zweig iſt bei den Wil-
den ein Zeichen des Friedens; und wer ſo ſich
ihnen naͤhert, dem pflegen ſie nichts zu Leide zu
N 2
thun.
[196] thun. Er nahm ihn alſo zu ſeiner Sicherheit
mit.


Freitag langte gluͤklich bei dem Schiffe an,
ſchwam einige mahl um daſſelbe herum und rief:
holla! Aber da war keiner, der ihm antwortete.
Endlich bemerkt' er die Schifsleiter, die an der
Seite herab hing; er naͤherte ſich ihr und ſtieg
daran hinauf, den gruͤnen Zweig in der Hand.


Als er ſo hoch geſtiegen war, daß er auf das
Verdek ſehen konte, erſchrekte ihn der Anblik
eines Thiers, welches ihm ganz fremd war.
Es war ſchwarz und zottigt; und in dem Au-
genblikke, daß Freitag von ihm geſehen ward,
erhob es eine Stimme, dergleichen dieſer noch
niemahls gehoͤrt hatte. Gleich darauf ward es
wieder ſtille, und bezeigte ſich ſo freundlich, daß
Freitag die Furcht, die es anfangs ihm einge-
floͤſt hatte, wieder fahren ließ. Es kam in der
demuͤthigſten Stellung herbei gekrochen, wedelte
mit dem Schwanze und winſelte ſo beweglich,
daß Freitag wohl merkte, es wolle Schuz bei
ihm ſuchen. Er wagte es daher, da es bis zu
ſeinen Fuͤßen vorgekrochen war, es zu ſtreicheln,
und
[197] und das Thier ſchien auſſer ſich vor Freude zu
ſein.


Freitag ging nun auf dem Verdekke herum
und fuhr fort, ſein Holla! mit lauter Stimme
zu rufen; aber es wolte ſich noch immer kein
Menſch blikken laſſen. Er ſtand jezt und
ſtaunte alle die wunderbaren Sachen an,
die er auf dem Verdekke erblikte, und hatte da-
bei den Ruͤkken gegen die Treppe gekehrt, wo-
durch man vom Verdekke in das Innere des
Schiffes hinab ſteigt; als er ploͤzlich einen ſo un-
ſanften und nachdruͤklichen Stoß von hinten er-
hielt, daß er der Laͤnge nach hinſtuͤrzte. Vol
Schrekken richtete er ſich wieder auf, ſahe ſich
um und waͤre beinahe verſteinert worden, da er
ein ziemlich großes Thier mit großen krummen
Hoͤrnern, und mit langem Barte erblikte, wel-
ches ſich eben wieder in eine drohende Stellung
auf die Hinterfuͤße ſezte, um ihm eine zweite
Bewilkommung angedeien zu laſſen. Freitag
that einen lauten Schrei und ſprang, ohne ſich
einen Augenblik zu beſinnen, uͤber Bord ins
Meer hinab.


N 3
Das
[198]

Das erſtbeſchriebene ſchwarze Thier, wel-
ches ihr an der Beſchreibung vermuthlich wohl
werdet erkant haben —


Johannes. O ja! ein Pudel!


Vater. Getroffen! — Dieſer Pudel, ſa-
ge ich, folgte Freitags Beiſpiele und ſprang
gleichfals uͤber Bord, um ihm nach zu ſchwim-
men. Freitag, der das Plaͤtſchern deſſelben
hinter ſich hoͤrte, bildete ſich ein, daß das an-
dere gehoͤrnte Ungeheuer ihm nachgeſprungen
waͤre, und gerieth daruͤber in ſolche Angſt, daß
er zum Schwimmen beinahe unfaͤhig geworden,
und in den Abgrund verſunken waͤre. Aber-
mahls ein Beiſpiel, wie ſchaͤdlich die Furcht-
ſamkeit ſei, und wie ſie uns immer Gefahren
ausſezt, die wir fuͤglich vermeiden koͤnten, wenn
wir uns nicht von ihr regieren lieſſen!


Er getrauete ſich nicht, ſich umzuſehen und
ſchwam, da er ſich erſt ein wenig wieder erhohlt
hatte, ſo eilig fort, daß der Pudel ihm kaum
folgen konte. Endlich erreicht' er den Strand
und ſank ſprachlos und ohnmaͤchtig zu Robin-
ſons
[199]ſons Fuͤßen nieder. Der Pudel erreichte bald
darauf gleichfals das Land.


Robinſon bemuͤhete ſich auf alle moͤgliche
Weiſe den treuen Gefaͤhrten ſeines einſamen Le-
bens wieder zu ſich ſelbſt zu bringen. Er kuͤßte,
er ſtreichelte, er ruͤttelte ihn und rief ihn laut
bei Nahmen. Aber es verfloſſen erſt verſchie-
dene Minuten, ehe er die Freude hatte, daß
Freitag die Augen wieder eroͤfnete und Zeichen
des wiederkehrenden Lebens von ſich gab. End-
lich war er wieder im Stande zu reden, und da
erzaͤhlt' er ihm nun, was fuͤr ein entſezliches
Abentheuer er ausgeſtanden habe; wie das Schif
ein großer hoͤlzerner Berg zu ſein ſchiene,
aus welchem drei hohe Baͤume (er meinte die
Maſtbaͤume) hervorgewachſen waͤren; wie das
ſchwarze Thier ſo freundlich gegen ihn gethan
habe, und wie das gehoͤrnte baͤrtige Ungeheuer
ihn darauf habe umbringen wollen; und wie er
endlich glaube, daß dieſes Ungeheuer der Herr
des ſchwimmenden hoͤlzernen Berges ſei, weil
er keinen einzigen Menſchen darauf geſehen
habe.


N 4
Ro-
[200]

Robinſon hoͤrte ihm vol Verwunderung
zu. Er merkte aus der Beſchreibung, daß das
gehoͤrnte Ungeheuer nichts anders, als eine Zie-
ge waͤre, und er ſchloß aus allen uͤbrigen Um-
ſtaͤnden, daß das Schif geſtrandet ſei, und daß
die darauf befindliche Manſchaft ſich in die Boͤ-
te gerettet und das Schif verlaſſen habe. Aber
wo dieſe moͤgten geblieben ſein, das war ihm un-
erklaͤrlich. Haͤtten ſie auf ſeine Inſel ſich geret-
tet; ſo muͤſten ſie ja, aller Wahrſcheinlichkeit
nach, an demſelben Orte gelandet ſein, wo er
mit Freitag ſich jezt ſelbſt befand: aber da war
nichts von ihnen zu hoͤren oder zu ſehen. Waͤ-
ren ſie aber in den Boͤten verungluͤkt: ſo muͤſte
man ja wohl ihre Leichname und die Boͤte an
den Strand getrieben finden. Endlich erinnerte
er ſich des Umſtandes, daß der Wind waͤhrend
des Ungewitters ſich ploͤzlich gedrehet und oͤſtlich
geworden ſei, da er anfangs weſtlich war. Dies
ſchien ihm das ganze Geheimniß zu erklaͤren.


Gewiß, dacht' er, ſind die Leute, da ſie in
die Boͤte geſprungen waren, durch den ploͤzlich
entſtandenen Oſtwind abgehalten worden, un-
ſere
[201] ſere Kuͤſte zu erreichen. Der Sturm hat ſie
nach Weſten getrieben, und da ſind ſie entwe-
der auf der Fahrt verungluͤkt — vielleicht auf
den Meerſtrom gerathen — oder an irgend eine
weſtliche Inſel getrieben worden. Gott gebe
das Lezte ſeufzt' er; und theilte Freitag ſeine
Muthmaßung mit, der ſie gleichfals wahrſchein-
lich fand.


Aber was iſt nun zu thun? fragte Robin-
ſon.
Die Leute moͤgen nun entweder todt oder
noch lebendig und nur verſchlagen ſein: ſo koͤn-
nen wir in beiden Faͤllen nichts Beſſeres thun,
als daß wir von dem Schiffe ſo viel Sachen zu
retten ſuchen, als uns moͤglich ſein wird. Aber
wie? da wir keinen Kahn mehr haben! Hier
empfand er ſelbſt den Verluſt des Kahns beinahe
eben ſo ſchmerzlich, als Freitag es vorher ge-
than hatte. Er zerrieb ſich die Stirn, um ein
Mittel ausfindig zu machen, den Verluſt deſſel-
ben zu erſezen; aber er konte lange keins fin-
den. Einen andern Kahn zu zimmern, wuͤrde
zu viel Zeit gekoſtet haben. Hinzuſchwimmen
getraut' er ſich nicht, weil es viel zu weit war:
N 5
und
[202] und dan was haͤtt' er im Schwimmen auch eben
fortbringen koͤnnen?


Johannes. Ich weiß wohl, was ich ge-
macht haͤtte?


Vater. Nun, was denn?


Johannes. Ein Floͤßholz.


Vater. Grade, eben daſſelbe fiel unſerm
Robinſon zulezt auch ein! Ein Floͤßholz,
dacht' er, wird noch am geſchwindeſten gemacht
werden koͤnnen —


Frizchen. Was iſt denn das ein Floͤßholz?


Johannes. Haſt du nicht geſehen, da
wir neulich nach dem Jagdſchiffe fuhren, da
lagen ja da auf der Elbe bei dem Teichthore
eine Menge ſolcher Floͤßhoͤlzer?


Frizchen. Ach ja, ſo ein Haufen Balken,
die an einander gebunden ſind, daß man ordent-
lich darauf ſtehen und fahren kan, als wenn's
ein Schif waͤre?


Vater. Ganz recht! Ein ſolches Floͤßholz
alſo wolte Robinſon machen, um damit nach
dem großen Schiffe zu fahren und ſo viele Sa-
chen daraus abzuholen, als ſie nur koͤnten. Er
bere-
[203] beredete ſich darauf mit Freitag, daß einer von
ihnen nach Hauſe laufen ſolte, um auf einen
ganzen Tag Speiſe, nebſt allen vorraͤthigen
Strikken und was ſie von Handwerkszeuge hat-
ten, herzuholen; und weil Freitag am hurtig-
ſten auf den Fuͤßen war: ſo wurde dieſer hinge-
ſandt und Robinſon blieb zuruͤk, um unterdeß
Baͤume zu dem Floͤßholze zu faͤllen.


Es wurde beinahe Abend ehe Freitag zuruͤk
kam. Robinſon hatte unterdeß ſeine herzliche
Freude an dem Pudel, der ihm, als ein euro-
paͤiſcher Landsman uͤberaus lieb und werth war.
Auch der Pudel ſchien ſich uͤber ihn zu freuen und
machte ihm ungeheiſſen allerlei Kuͤnſte vor, die
er gelernt hatte. Robinſon gab ihm bei Frei-
tags
Zuruͤkkunft von dem herbei gebrachten Eſ-
ſen die erſte Porzion, ohngeachtet er ſelbſt den
ganzen Tag uͤber nichts genoſſen hatte.


Da es zum Gluͤk eine mondhelle Nacht war;
ſo arbeiteten beide unaufhoͤrlich fort bis nach
Mitternacht. Dan ſtelte ſich aber auch das Be-
duͤrfniß des Schlafes ſo dringend ein, daß ſie
ihm ohnmoͤglich laͤnger widerſtehen konten.


Ni-
[204]

Nikolas. Das glaub' ich, ſie hatten auch
die ganze vorige Nacht gewacht!


Diderich. Und waren heute ſo ſehr gelau-
fen; beſonders Freitag!


Vater. Sie ſtrekten ſich alſo ins Gruͤne
und uͤberlieſſen es dem Pudel, ſie zu bewachen.
Der Pudel legte ſich zu ihren Fuͤßen und ſo ge-
noſſen ſie der Wohlthat eines ſanften und erquik-
kenden Schlummers, bis die Morgenroͤthe her-
vorbrach.


Drei und zwanzigſter Abend.


Vater.


Der anbrechende Morgen hatte kaum den un-
terſten Rand des oͤſtlichen Himmels geroͤthet:
als der muntre Robinſon ſeinen Gefaͤhrten
wekte, um das Werk zu vollenden, welches ſie
geſtern angefangen hatten. Sie arbeiteten den
gan-
[205] ganzen Tag uͤber ſo unverdroſſen, daß ſie noch
denſelben Abend mit dem Floͤßholze zu Stande
kamen.


Sie hatten eine doppelte Reihe von Balken,
theils durch Strikke, theils durch biegſame und
zaͤhe Gerten von indianiſchen Weiden ſo feſt an
einander gebunden, daß ſie ein voͤllig ſichres
Fahrzeug abgaben, welches ohngefaͤhr zwanzig
Fuß lang und faſt eben ſo breit war. Auch
hatten ſie die Vorſichtigkeit gehabt es dicht am
Strande und auf Walzen zu erbauen, um es
ohne Zeitverluſt und ohne große Muͤhe gleich
aufs Waſſer bringen zu koͤnnen.


Zum Gluͤk traf mit dem Anbruch des naͤch-
ſten Morgens grade die Zeit der Ebbe ein. Sie
ſaͤumten alſo keinen Augenblik, das Floͤsholz
vom Strande hinab zu rollen, um mit dem
Waſſer, welches vom Ufer ſich in das Meer zu-
ruͤk zog, wie auf einem Strome, nach dem ge-
ſtrandeten Schiffe hin zu fahren. Jezt ging die
Reiſe fort, und ehe eine halbe Stunde verſtrich,
waren ſie ſchon an Ort und Stelle.


Wie
[206]

Wie ſchlug unſerm Robinſon das Herz,
da ihm das große Europaͤiſche Schif vor Augen
ſtand! Es fehlte nicht viel, ſo haͤtt' er die Wand
deſſelben gekuͤßt, ſo werth macht' es ihm der
Umſtand, daß es aus ſeinem Vaterlande gekom-
men, von Europaͤern erbauet, von Europaͤern
hierher gefuͤhrt war! Aber ach! dieſe lieben
Europaͤer ſelbſt waren verſchwunden! Waren
vielleicht vom Meere verſchlungen worden! Wie
zerriß dieſer traurige Gedanke das Herz des ar-
men Robinſons, der gern die Haͤlfte ſeines
noch kuͤnftigen Lebens dahin gegeben haͤtte, wenn
er damit die verſchwundene Manſchaft des Schif-
fes wieder haͤtte herbei ſchaffen und mit ihnen
nach Europa ſegeln koͤnnen! Aber das war nun
einmahl unmoͤglich; es blieb ihm alſo nichts
uͤbrig, als von der Ladung des Schiffes ſo viel
zu retten, als er konte, um es zu ſeiner groͤſſeren
Bequemlichkeit anzuwenden.


Gotlieb. Ja, durft' er denn aber etwas
von den Sachen nehmen, die nicht ſein waren?


Vater. Was meinſt du, Johannes?
Durft' er?


Jo-
[207]

Johannes. Ja, er durfte ſie wohl aus
dem Schiffe heraus nehmen und ans Land brin-
gen; aber wenn die Leute ſich wieder einfanden:
ſo muſt' er ſie ihnen wieder geben.


Vater. Richtig! Denn nahm er die Sa-
chen nicht heraus, ſo wurden ſie nach und nach
ein Raub der Wellen. Deswegen kont' er auch
mit gutem Gewiſſen ſich ſo gleich dasjenige da-
von zu eignen, was ihm an unentbehrlichſten
war, und es den Leuten, wenn ſie jemahls wie-
derkaͤmen, fuͤr die Muͤhe und Arbeit anrechnen,
die er auf die Rettung des Schifguts verwandt
hatte.


Was uͤberhaupt die geſtrandeten Schiffe
betrift: ſo ſind die Menſchen in einigen geſit-
teten Laͤndern darin uͤbereingekommen, daß die
geretteten Sachen jedesmahl in drei Porzionen
getheilt werden. Die Eine davon kriegen die
vorigen Beſizer wieder, wenn ſie noch leben,
oder ihre Erben, wenn ſie todt ſind; die An-
dere wird denjenigen zuerkant, welche dieſe Sa-
chen gerettet haben, und die Dritte faͤlt dem
Landesherrn zu.


Ni-
[208]

Nikolas. Dem Landesherrn? Warum
kriegt denn der was davon ab?


Vater, Das iſt nun ſo eine Frage — die
ich euch jezt wohl nicht gut werde beantworten
koͤnnen. Indeß etwas kan ich euch doch daruͤber
ſagen, was euch ſchon jezt begreiflich ſein wird.
Seht, Kinder, der Koͤnig, oder der Fuͤrſt,
oder wie der Landesherr ſonſt heiſſen mag, haͤlt
auf den Kuͤſten gewiſſe Leute, die dahin ſehen
muͤſſen, daß von einem ſolchen geſtrandeten Schif-
fe nichts geraubt, ſondern alles, was gerettet
werden kan, huͤbſch an einen ſichern Ort gebracht
werde. Geſchaͤhe dieſes nicht, ſo wuͤrde der
Kaufman, dem die Ladung des Schiffes gehoͤrte,
wohl ſelten etwas davon wieder kriegen, weil
die Sachen entweder verderben, oder geſtohlen
werden wuͤrden. Nun koſtet es aber dem Lan-
desherrn ſein Geld, ſolche Leute, die darnach
ſehen muͤſſen, zu unterhalten. Es iſt alſo bil-
lig, daß dieſes von denen wieder erſtattet wer-
de, denen dieſe heilſame Anordnung zu Gute
komt. Deswegen hat man alſo feſtgeſezt, daß
der dritte Theil der geborgenen Sachen (ſo
pflegt
[209] pflegt man ſie nemlich zu nennen) jedesmahl dem
Herrn des Strandes zufallen ſolle; und dieſe
einmahl feſtgeſezte Anordnung nent man das
Strandrecht.


Dieſem zufolge hatte Robinſon das
Recht, von allen Sachen, die er aus dem ge-
ſtrandeten Schiffe retten konte, gleich zwei Drit-
tel als ſein rechtmaͤßiges Eigenthum zu gebrau-
chen, wozu ſie gut waren.


Johannes. Zwei Drittel?


Vater. Ja; eins fuͤr Muͤhe und Arbeit,
das Andere als einziger rechtmaͤßiger Herr der
Inſel, bei welcher der Schifbruch ſich ereignet
hatte.


Diderich. Ja, wer hatte ihn denn aber
zum Herrn der Inſel gemacht?


Vater. Die geſunde Vernunft. Ein Stuͤk
Landes, das bisher noch gar keinen Herrn ge-
habt hat, gehoͤrt natuͤrlicher Weiſe dem zu, der
es zuerſt in Beſiz nimt. Und das war hier der
Fal.


Der erſte Wunſch, der in Robinſons
Sele erwachte, da er ſich von der ſtarken Em-
O
pfindung
[210] pfindung der Freude uͤber den Anblik eines Eu-
ropaͤiſchen Schiffes erhohlt hatte, war dieſer,
daß das Schif noch unbeſchaͤdigt ſein, und wie-
der flot werden moͤgte. In dieſem Falle war
er feſt entſchloſſen, ſich mit Freitag darauf zu
ſezen, und, wo nicht nach Europa ſelbſt, doch
nach irgend einem europaͤiſchen Pflanzorte in
Amerika zu ſegeln; ſo gefaͤhrlich es auch im-
mer ſein moͤgte, ſich mit einem großen unbe-
manten Schiffe, und ohne die noͤthigen Kent-
niſſe von der Schiffarth zu haben, auf das of-
fenbare Meer zu wagen. Er fuhr alſo auf dem
Floͤßholze rund um das Schif herum, um den
Grund des Meeres zu unterſuchen; und da fand
er denn bald zu ſeiner wahren Betruͤbniß, daß
an kein Flotwerden deſſelben zu denken ſei.


Der Sturm hatte nemlich das Schif grade
zwiſchen zwei Felſen geworfen, von denen es nun
ſo zuſammengeklemt wurde, daß es weder ruͤk-
noch vorwaͤrts bewegt werden konte. Hier muſt'
es alſo ſo lange ſtekken bleiben, bis die anſchla-
genden Wellen es nach und nach zertruͤmmern
wuͤrden. Nachdem dieſe Hofnung alſo vereitelt
war,
[211] war, eilte Robinſon, an Bord des Schiffes
zu ſteigen, um zu ſehen, worin die Ladung deſ-
ſelben beſtehe, und ob dieſe auch noch unverdor-
ben ſei. Dem guten Freitag war der Schrek-
ken von ehegeſtern noch ſo gegenwaͤrtig, daß er
ſich kaum entſchlieſſen konte, ſeinen Herrn auf
das Verdek des Schiffes zu begleiten. Er that
es jedoch, wiewohl nicht ohne Zittern, beſon-
ders da das gehoͤrnte Ungeheuer das Erſte war,
was ſich ſeinen Blikken wieder darbot.


Aber das gehoͤrnte Ungeheuer war dasmahl
nicht ſo muthig, als geſtern. Es lag vielmehr
ſo kraftlos da, als wenn es gar nicht mehr auf-
zuſtehen vermoͤgte, weil ihm nemlich ſeit ehe-
geſtern keiner das gewoͤhnliche Futter gereicht
hatte. Robinſon, der dieſe Urſache ſeiner Mat-
tigkeit merkte, ließ ſeine erſte Sorge ſein, etwas
aufzuſuchen, was er dem ausgehungerten Thiere
zu freſſen geben koͤnte. Weil er mit der innern
Einrichtung eines Schiffes vollkommen bekant
war; ſo fand er auch bald, was er ſuchte, und hatte
das Vergnuͤgen zu ſehen, wie begierig die Ziege
von dem vorgeworfenen Futter ihren Heißhunger
O 2
ſtil-
[212] ſtilte. Freitag hatte unterdeß an der ihm un-
bekanten Geſtalt des Thieres genug zu bewun-
dern gehabt.


Nun fing Robinſon eine ordentliche Un-
terſuchung an. Er ſtieg aus einer Kajuͤte in die
andere, aus einem Schifsboden in den andern
hinab, und ſahe uͤberal tauſend Dinge, die in
Europa kaum geachtet werden, fuͤr ihn aber
einen ganz unſchaͤzbaren Werth hatten. Da
waren ganze Tonnen vol Schifszwiebak, vol
Reiß, vol Mehl, vol Korn, vol Wein,
vol Schießpulver, vol Kugeln und Schroot;
da waren Kanonen, Flinten, Piſtolen,
Degen,
und Hirſchfaͤnger; ferner Beile,
Saͤgen, Meiſſel, Bohrer, Raſpeln,
Hobel, Hammer, eiſerne Stangen, Naͤ-
gel, Meſſer, Scheeren, Nadeln;
da wa-
ren Toͤpfe, Schuͤſſeln, Teller, Loͤffel,
Feuerzangen, Blaſebaͤlge, Naͤpfe,
und
anderes hoͤlzernes, eiſernes, zinnernes, und
kupfernes Kuͤchengeraͤth; da waren endlich auch
ganze Kiſten vol Kleider, Waͤſche, Struͤm-
pfe, Schuhe, Stiefel
und hundert andere
Sa-
[213] Sachen, fuͤr deren jede der entzuͤkte Robin-
ſon
gern ſeinen ganzen laͤngſtvergeſſenen Gold-
klumpen hin gegeben haben wuͤrde, wenn man
eins oder das andere davon ihm zum Kauf an-
geboten haͤtte.


Freitag ſtand bei dem Allen wie verduzt,
weil er ſo was niemahls geſehen hatte, und
von den meiſten dieſer Wunderdinge auch die
Abſicht nicht errathen konte. Robinſon hin-
gegen war ganz auſſer ſich vor Entzuͤkken. Er
weinte vor Freuden, grif, wie ein kleines Kind,
nach Allem, was ihm vorkam, und warf das Er-
griffene wieder aus den Haͤnden, ſo bald ſeine
Augen auf einen andern Gegenſtand fielen, der
ihm noch wuͤnſchenswuͤrdiger zu ſein ſchien.
Endlich wolt' er auch in den unterſten Schifs-
raum ſteigen: aber er fand, daß er ganz mit
Waſſer angefuͤlt ſei, weil das Schif einen ſtar-
ken Lek bekommen hatte.


Nun ging er mit ſich ſelbſt zu Rathe, was
er fuͤr diesmahl mitnehmen wolte; und konte
daruͤber lange nicht mit ſich einig werden. Bald
ſchien ihm dies, bald jenes das Unentbehrlichſte
O 3
zu
[214] zu ſein, und daher verwarf er oft wieder, was
er ſo eben erſt gewaͤhlt hatte, um ſtat deſſen
eine andere Sache mitzunehmen. Endlich ſucht'
er folgende Dinge, als die ſchaͤzbarſten von al-
len aus, um ſie fuͤr diesmahl mitzunehmen: I)
Eine kleine Tonne vol Schießpulver, nebſt einem
andern Toͤnchen vol Schroot; 2) Zwei Flinten,
zwei Paar Piſtolen, zwei Degen und Hirſch-
faͤnger; 3) Doppelte Kleidungsſtuͤkke vom Kopfe
bis zu den Fuͤßen fuͤr ſich und Freitag; 4)
Zwei Dutzend Hemde; 5) Zwei Beile, zwei Saͤ-
gen, zwei Hobel, ein Paar Stangen Eiſen,
einen Hammer und einige andere Werkzeuge;
6) Einige Buͤcher, etwas Schreibpapier, nebſt
Tinte und Federn; 7) Ein Feuerzeug, nebſt
Zunder und Feuerſteinen; 8) Ein Faß vol Zwie-
bak; 9) Etwas Segeltuch, und 10) die Ziege.


Frizchen. O, die Ziege hatt' er ja eben
nicht noͤthig!


Vater. Das iſt wahr, Frizchen; aber
die Ziege hatte ſeiner noͤthig, und Robinſon
war viel zu mitleidig gegen alle lebendige Ge-
ſchoͤpfe, als daß er dieſes arme Thier in der Un-
gewiß-
[215] gewißheit, ob nicht vielleicht vor ſeiner Zuruͤk-
kunft ein Sturm das Schif zertruͤmmern wuͤr-
de, haͤtte zuruͤklaſſen koͤnnen, zumahl, da das
Nothwendigſte doch Raum auf ſeinem Floͤßhol-
ze hatte. Er nahm ſie alſo mit.


Dahingegen ließ er etwas liegen, wornach
in Europa die Leute am eheſten greifen wuͤrden,
— ein ganzes Toͤnchen vol Goldkoͤrner, und ein
Schaͤchtelchen mit koſtbaren Diamanten, die er
in der Kajuͤte des Kapitains geſehen hatte. Die-
ſe mitzunehmen, fiel ihm gar nicht ein; weil er
ganz und gar keinen Gebrauch davon zu machen
wuſte.


Ueber dem Durchſuchen, dem Aufmachen
und Auskramen, dem Frohlokken, dem Aus-
waͤhlen und Aufladen war ſo viel Zeit verfloſſen,
daß nur noch eine Stunde bis zur naͤchſten Fluth-
zeit fehlte. Dieſe muſten ſie nun erwarten,
weil ſie ſonſt mit der Floͤße ſchwerlich haͤtten
fortkommen koͤnnen. Dieſe Stunde wandte
Robinſon dazu an, einmahl wieder auf euro-
paͤiſche Weiſe zu ſpeiſen.


O 4
Er
[216]

Er holte alſo ein Stuͤk geraͤuchertes Rind-
fleiſch, ein Paar Heringe, etwas Zwiebak,
Butter und Kaͤſe, und eine Flaſche Wein her-
bei, ſezte alles dieſes auf den Tiſch in der Ka-
juͤte des Kapitains, und ließ ſich ſelbſt mit Frei-
tag
auf den dabei ſtehenden Stuͤhlen nieder.
Schon dieſes, daß er endlich einmahl wieder von
einem ordentlichen Tiſche, auf einem ordentlichen
Stuhle ſizend, von einem ordentlichen Teller mit
Meſſer und Gabel eſſen ſolte, machte ihm mehr
Freude, als ich euch beſchreiben kan. Und nun vol-
lends die Speiſen ſelbſt, vornehmlich das Brod,
wornach er ſich ſo oft vergebens geſehnt hatte,
— o, ihr koͤnt euch gar keine Vorſtellung davon
machen, wie entzuͤkt er daruͤber war! Man
muͤſte, ſo wie er, neun Jahre aller dieſer Nah-
rungsmittel und Bequemlichkeiten des Lebens
beraubt geweſen ſein, um die Freude, die er
jezt empfand, nach ihrem ganzen Umfange faſ-
ſen zu koͤnnen.


Freitag war mit der europaͤiſchen Art zu
eſſen ſo wenig bekant, daß er gar nicht wuſte, wie er
Meſſer und Gabel brauchen ſolte. Robinſon
zeigt'
[217] zeigt' es ihm; aber indem er es nun nachma-
chen und ein Stuͤk Fleiſch auf der Gabel zum Mun-
de reichen wolte, fuhr er damit zum Ohre hinauf
und brachte, ſeiner bisherigen Gewohnheit nach,
die Hand mit der Schale der Gabel zum Munde.
Von dem Weine, den ihm Robinſon zu ko-
ſten gab, wolt' er ſchlechterdings nicht trinken,
weil ſein nur an Waſſer gewoͤhnter Gaum den
Reiz eines ſtarken Getraͤnkes nicht ertragen kon-
te. Der Zwiebak hingegen behagte ihn ausneh-
mend wohl.


Jezt war die Fluthzeit da; beide ſtiegen
alſo hinab zur Floͤſſe und ſtieſſen in See, um
mit der anſchwellenden Fluth dem Strande zu-
zuflieſſen. In kurzer Zeit waren ſie da, und
eilten, die geborgenen Guͤter ans Land zu ſezen.


Und nun war Freitag ſehr begierig zu er-
fahren, was alle dieſe Dinge zu bedeuten haͤt-
ten, und was fuͤr Nuzen ſie gewaͤhrten? Das
erſte, was Robinſon zur Befriedigung ſei-
ner Neugierde vornahm, war, daß er hinter
einen Buſch trat, ſich daſelbſt ein Hemde und
ein ganzes Kleid, welches eine Offizieruniform
O 5
war,
[218] war, nebſt Schuh und Struͤmpfen anzog; dan
einen Degen an die Seite ſtekte, einen Treſſen-
hut aufſezte und ſo auf einmahl, wie umgeſchaf-
fen, hervortrat, und ſich vor Freitags erſtaun-
ten Augen dahin pflanzte. Dieſer wich vol Be-
ſtuͤrzung einige Schritte zuruͤk, weil er in dem
erſten Augenblikke wirklich zweifelhaft war, ob
er ſeinen Herrn, oder ein anderes, vielleicht
uͤbermenſchliches Weſen ſehe. Robinſon, der
uͤber ſein Erſtaunen laͤcheln muſte, reichte ihm
freundlich die Hand, und verſicherte, daß er
noch immer Robinſon, noch immer ſein Freund
waͤre, ohngeachtet ſeine Kleidung und ſein Gluͤks-
zuſtand ſich geaͤndert haͤtten. Er nahm hierauf
eine ganze Matroſenkleidung, zeigte ihm, wie
er jedes Stuͤk derſelben anziehen muͤſſe, und hieß
ihn hinter den Buſch zu gehen, um ſich gleich-
fals anzukleiden.


Freitag gehorchte; aber es dauerte lange,
ehe er mit dem Anzuge fertig werden konte.
Bald hatt' er dies, bald jenes unrecht angelegt;
das Hemde, zum Exempel, zog er erſt verkehrt
an, indem er die Beine durch die beiden Ermel
ſtekte
[219] ſtekte, als wenn er Beinkleider anziehen wolte.
Eben ſo macht' er es auch mit den Beinkleidern,
in die er gleichfals die Fuͤße von unten zu ſtek-
ken verſuchte, und mit der Jakke, die er auf
dem Ruͤkken zu knoͤpfen wolte. Nach und nach
ſah er ſeinen Irthum ein und verbeſſerte ihn,
bis er endlich nach vielen vergeblichen Verſuchen
mit dem ganzen Anzuge voͤllig zu Stande kam.


Er huͤpfte vor Freuden, wie ein Kind, da
er ſich ſo umgeſchaffen ſahe, und da er merkte,
wie bequem dieſe Kleidung ſei, und wie gut ſie
ihn vor den Stichen der Musquito's verwahren
wuͤrde. Nur mit den Schuhen war er unzufrie-
den, weil ſie ihm etwas Entbehrliches und Un-
bequemes zu ſein ſchienen. Er bat ſich alſo die
Erlaubniß aus, ſie wieder ablegen zu duͤrfen,
welches Robinſon ſeinem eigenen Gutbefin-
den uͤberließ.


Jezt zeigt' er ihm den Gebrauch der Beile
und anderer Werkzeuge, woruͤber Freitag vor
Freude und Bewunderung ganz auſſer ſich geſezt
wurde. Sie machten ſogleich Gebrauch davon,
um einen kleinen Maſtbaum fuͤr ihr Floͤßholz zu
be-
[220] behauen; damit ſie kuͤnftig ein Segel aufſtek-
ken koͤnten, und dan nicht erſt auf die Zeit der
Fluth zu warten brauchten. Robinſon uͤber-
nahm es, dieſe Arbeit allein fertig zu machen;
und ſchikte Freitag unterdeß nach ſeiner Burg,
um die Lama's zu melken; ein Geſchaͤft, wel-
ches ſie nun ſchon zwei Tage hatten ausſezen
muͤſſen.


In Freitags Abweſenheit lud Robinſon
eine der Flinten, weil er ſich das Vergnuͤgen
vorbehalten hatte, ſeinen Freund mit den wun-
derbaren Wirkungen des Schießpulvers zu uͤber-
raſchen. Da dieſer nun zuruͤkgekommen war,
und die Geſchwindigkeit bewunderte, mit wel-
cher Robinſon ſeine Arbeit ſchon vollendet
hatte, erblikte dieſer einen Seefalken, der eben
mit einem geraubten Fiſche davon flog. Schnel
ergrif er die Flinte und rief aus: Gieb Ach-
tung, Freitag, der ſol herunter!
Kaum
hatt' er dieſes geſagt, ſo druͤkt' er ab, und der
Falke ſtuͤrzte aus der Luft zur Erde.


Stelt euch des armen Freitags Erſtaunen
und Erſchrekken vor! Er ſtuͤrzte, als waͤr er
ſelbſt
[221] ſelbſt getroffen zu Boden, weil ihm ploͤzlich ſein
alter Aberglaube an den Toupan oder Donne-
rer wieder einfiel, fuͤr den er in dem erſten Au-
genblikke des Schrekkens ſeinen Herrn ſelbſt hielt.
Er fiel, wie geſagt, zu Boden; dan legt' er
ſich auf die Knie und ſtrekte ſeine zitternden
Haͤnde gegen Robinſon aus, als wenn er ihn
um Gnade bitten wolte. Reden kont' er nicht.


Robinſon war weit entfernt, mit irgend
etwas, was die Religion betrift, Spaß trei-
ben zu koͤnnen. Es war ihm daher, ſobald er
Freitags Gedanken vermuthete, augenbliklich
leid, ihn nicht vorher uͤber das, was er thun
wolte, belehrt zu haben; und er eilte, dieſen
Fehler wieder gut zu machen. Er hob den zit-
ternden Freitag liebreich auf, umarmte ihn,
bat ihn, ſich nicht zu fuͤrchten, und ſezte hinzu:
er wolte ihn gleich auch lehren, einen ſolchen
Bliz und Donnerſchlag hervorzubringen, wo-
mit es ganz natuͤrlich zuginge. Dan zeigt' er
ihm die Einrichtung der Flinte, beſchrieb ihm
die Beſchaffenheit und Wirkung des Schießpul-
vers; lud die Flinte vor ſeinen Augen und gab
ſie
[222] ſie ihm in die Hand, um ſelbſt damit zu ſchieſ-
ſen. Aber Freitag, der noch viel zu furchtſam
dazu war, bat ihn, es lieber ſelbſt zu thun.
Robinſon machte darauf ein Ziel auf hundert
Schritte, ließ Freitag neben ſich ſtehen und
feuerte die Flinte ab.


Es fehlte nicht viel, ſo waͤre Freitag aber-
mahls zu Boden geſtuͤrzt: ſo uͤbernatuͤrlich ſchien
ihm dasjenige zu ſein, was er ſahe und hoͤrte.
Das Ziel war von vielen Schrootkoͤrnern getrof-
fen, welche noch ziemlich tief ins Holz hinein-
gedrungen waren. Robinſon machte ſeinen
Freitag aufmerkſam darauf, und ließ ihn ſelbſt
den Schluß machen, wie ſicher ſie nun in Zu-
kunft vor allen feindlichen Anfaͤllen der Wilden
waͤren, nachdem ſie dieſen kuͤnſtlichen Bliz und
Donner in ihre Gewalt bekommen haͤtten. Frei-
tag
gewan hierdurch und durch Alles, was er
auf dem Schiffe geſehen hatte, eine ſo tiefe
Ehrfurcht gegen die Europaͤer und gegen ſeinen
Herrn insbeſondere, daß es ihm viele Tage hin-
durch unmoͤglich war, ſich wieder auf den ver-
trau-
[223] trauten freundſchaftlichen Ton gegen ihn herab
zu ſtimmen.


Indeß ruͤkte die Nacht heran, und machte
den Geſchaͤften dieſes freudenreichen Tages ein
Ende.


Vier und zwanzigſter Abend.


Am folgenden Abend fuhr der Vater zur
großen Freude ſeiner Kleinen, ohne alle Vor-
rede, folgendermaßen fort:


Suͤßer hatte unſer Robinſon noch nie ge-
ſchlafen, als in dieſer Nacht; denn ſeit dem er-
ſten Tage ſeines einſamen Aufenthalts auf dieſer
Inſel war er noch nie ſo gluͤklich geweſen, als
er ſich jezt fuͤhlte. Aber nie empfand auch wohl
ein Menſch mehr innige Dankbarkeit und Liebe
gegen den himliſchen Wohlthaͤter, dem er die-
ſes ſein Gluͤk zu verdanken hatte, als er. Wie
oft
[224] oft lag er, wenn er allein war, auf ſeinen Kni-
en und dankte dem guten Geber aller Gaben fuͤr
das, was er ihm verliehen hatte! Auch ſeinem
Freitag ſucht' er dieſe frommen Empfindungen
der Dankbarkeit einzufloͤſſen. Er lehrte ihn,
bevor ſie ſich ſchlafen legten, das Loblied: Nun
danket alle Gott!
und dan ſtimten beide mit
geruͤhrtem Herzen es zum Preiſe ihres gemein-
ſchaftlichen himliſchen Vaters an. —


Am andern Morgen machten ſie ſich fruͤh
auf; legten alle ihre Sachen in ein Gebuͤſch
und bedekten ſie, im Fal es etwa regnen ſolte,
mit vielen Zweigen. Dan ſtieſſen ſie mit An-
fang der Ebbe vom Lande, um wieder nach
dem Wrak zu fahren.


Frizchen. Was iſt das Wrak?


Vater. So nent man ein Schif, welches
geſtrandet und ſchon zum Theil zertruͤmmert iſt.
— Da ſie geſtern, wie ich zu erwaͤhnen ver-
gaß, auch ein Paar gute Ruder mit ſich genom-
men hatten: ſo ging die Fahrt noch geſchwin-
der, als das erſtemahl. Sie kamen abermahls
gluͤklich an; und das erſte, was ſie vornahmen,
war
[225] war dieſes, daß ſie alle Bretter, die ſie in dem
Schiffe fanden, auf ihr Floͤßholz herab lieſſen,
um einen doppelten Fußboden davon zu machen,
damit die Sachen, die ſie mitnehmen wolten,
trokner, als die geſtrigen liegen moͤgten.


Jezt ſuchte Robinſon wieder Alles durch,
um unter den vielen Sachen, die er nicht alle auf
einmahl mitnehmen konte, eine kluge Auswahl
zu treffen. Diesmahl ward ihm die Wahl ſchon
weniger ſauer, weil er das Allernothwendigſte
nun ſchon in Sicherheit gebracht hatte. Doch
verfuhr er wiederum eben ſo bedaͤchtig, als das
erſtemahl.


Unter andern beſchloß er, diesmahl eine von
den ſechs kleinen Kanonen mitzunehmen, die er
auf dem Schiffe fand.


Johannes. Eine Kanone? — O dafuͤr
haͤtt' er doch auch wohl etwas noͤthigeres neh-
men koͤnnen!


Vater. So ſcheint es uns, die wir die
Sache von fern beurtheilen; Robinſon hinge-
gen, der ſeine ganze Lage in der Naͤhe uͤberſahe,
fand, daß ihm dieſe Kanone, wenigſtens zur
P
Be-
[226] Beruhigung ſeines Gemuͤths, hoͤchſt noͤthig
ſei.


Johannes. Wie ſo?


Vater. Der Ort am Strande, wo er die
geretteten Sachen vor der Hand hinlegen muſte,
war unbefeſtiget, und lag ungluͤklicher Weiſe in
derjenigen Gegend, wo die Wilden gemeiniglich
zu landen pflegten. Nun kont' er ſich zwar
ziemlich auf den Schuz ſeiner Flinten und Piſto-
len verlaſſen, fals er angegriffen werden ſolte;
aber der Gedanke, daß er alsdan wieder in die
traurige Nothwendigkeit gerathen wuͤrde, einen
oder den andern dieſer armen Wilden zu toͤdten,
machte ihn ſchaudern, ſo oft er ihm einfiel.
Nun dacht' er, wenn er eine Kanone am Stran-
de haͤtte: ſo koͤnt' er, wenn ſie ſich in ihren Ka-
noes
oder Kaͤhnen der Inſel naͤhern wolten,
ſchon von fern eine Kugel uͤber ihre Koͤpfe hin-
ſchieſſen, worauf ſie dan vor Schrekken vermuth-
lich wieder umkehren wuͤrden.


Siehſt du, Lieber, wie unſicher es iſt,
wenn wir das Betragen anderer Menſchen zu
beurtheilen uns anmaſſen wollen? Hoͤchſt ſelten
ken-
[227] kennen wir alle die Bewegungsgruͤnde, nach de-
nen ein Anderer ſich in ſeinem Verhalten rich-
tet: wie duͤrfen wir uns dan einfallen laſſen uns
zu Richtern uͤber daſſelbe aufzuwerfen? Ein wei-
ſer Man iſt daher ſehr langſam zum Urtheil uͤber
Andere; giebt ſich uͤberhaupt nicht damit ab,
wenn er keinen eigentlichen Beruf dazu hat,
weil er genug uͤber ſich ſelbſt und uͤber ſeine ei-
gene Handlungen zu denken und zu urtheilen
hat: und ſo, Kinder! wollen wir es kuͤnftig
auch machen.


Auſſer der Kanone, brachten Robinſon
und Freitag diesmahl noch folgende Sachen
auf ihre Floͤße: 1) Einen kleinen Sak vol Rok-
ken,
einen andern vol Gerſte und noch einen
dritten vol Erbſen; 2) Eine Kiſte vol Naͤgel
und Schrauben; 3) Ein Duzend Beile; 4)
Ein Faͤßchen vol Schießpulver, nebſt Ku-
geln
und Schroot; 5) Ein Segel, und 6)
einen Schleifſtein.


Gotlieb. Wozu denn den?


Vater. Um Beile, Meſſer und andere
Werkzeuge wieder ſcharf zu machen, wenn ſie
ſtumpf ſein wuͤrden.


P 2
Got-
[228]

Gotlieb. Hatt' er denn auf ſeiner Inſel
keine Steine?


Vater. Steine in Menge; nur keine
Schleifſteine! Haſt du nicht bemerkt, daß dieſe
von einer beſondern Beſchaffenheit, nemlich viel
weicher ſein muͤſſen, als die andern Steine ſind?


Gotlieb. Ja!


Vater. Nun, ſolcher weichen Sandſteine,
hatt' er auf ſeiner Inſel keine bemerkt; und doch
iſt ein Schleifſtein fuͤr Alle, welche mit ſchar-
fen Werkzeugen umgehen muͤſſen, ein ungemein
nuͤzliches und nothwendiges Ding. Er zog ihn
alſo ohne Bedenken, den Goldkoͤrnern und Dia-
manten vor, die er abermahls zuruͤk ließ.


Ehe ſie abfuhren, unterſuchte Robinſon den
dermahligen Zuſtand des Schiffes und fand, daß
das Waſſer noch etwas hoͤher eingedrungen ſei,
und daß die Wellen und das Reiben an den Fel-
ſen ſchon viele Planken an beiden Seiten des
Schiffes losgeriſſen haͤtten. Er ſahe voraus,
daß der erſte ſich ereignende Sturm das ganze
Wrak zertruͤmmern wuͤrde. Um deſtomehr be-
ſchloß er zu eilen, um von dem noch uͤbrigen
Schifs-
[229] Schifsgute, ſo viel er nur immer koͤnte, zu
retten.


Da der Wind jezt landwaͤrts bließ, ſo kon-
ten ſie mit Huͤlfe des Segels und der Ruder
abfahren, ohngeachtet die Ebbezeit erſt kaum
halb vorbei war. Unterweges machte Robin-
ſon
ſich einen Vorwurf, der ein Beweis ſeiner
Rechtſchaffenheit war.


Diderich. Woruͤber denn?


Vater. Daruͤber, daß er das Gold und
die Diamanten nicht mitgenommen habe.


Diderich. Was wolt' er denn damit?


Vater. Er ſelbſt wolte nichts damit; aber
er dachte ſo: es iſt doch nicht ganz unmoͤglich,
daß der Herr des Schiffes noch lebt, und wie-
der herkommen kan, um zu ſehen, ob er nicht
noch etwas retten koͤnne. Wenn nun ploͤzlich
ein Sturm entſtuͤnde und der zerſchmetterte das
Schif, ehe du noch einmahl wieder zuruͤkfah-
ren kanſt, und Gold und Edelgeſteine gingen
verloren: wie wolteſt du es dan gegen den Be-
ſizer derſelben, wie wolteſt du es vor Gott,
und vor deinem eigenen Gewiſſen verantworten,
P 3
daß
[230] daß du nur lauter ſolche Sachen gerettet haſt,
die dir nuͤzlich werden koͤnnen und nicht auch
dasjenige, woran dem eigentlichen Herrn aller
dieſer Sachen am meiſten gelegen ſein muß?
Wovon vielleicht ſein und vieler andern Men-
ſchen ganzer Gluͤkszuſtand abhaͤngen mag? Ro-
binſon! Robinſon! ſezt' er hinzu, indem er ſich
unwillig vor die Stirn ſchlug, wie viel fehlt
noch daran, daß du ſchon ſo gut biſt, als du
ſein ſolteſt?


Er konte kaum die Zeit abwarten, da ſie an-
landen und wieder abſtoßen wuͤrden, um von
neuem hinzufahren; ſo groß war die Unruhe
ſeines Gewiſſens uͤber die Verſaͤumung einer
Pflicht, die ihm mit Recht heilig ſchien!


Endlich kamen ſie an; aber in dem Augen-
blikke, da ſie ans Land ſtoßen wolten, liefen ſie
große Gefahr, ihre ganze Ladung ins Meer ver-
ſinken zu ſehen. Weil nemlich die Ebbezeit
noch dauerte, ſo war das Waſſer am Strande
ſo ſeicht, daß das Vordertheil des Floͤßholzes
auf einmahl auf den Sand rante und daher viel
hoͤher zu ſtehen kam, als das Hintertheil, wel-
ches
[231] ches noch vom Waſſer getragen wurde. Zum
Gluͤk ſtanden Robinſon und Freitag beide
hinten und konten alſo die abgleitende Ladung
zuruͤkhalten, daß ſie nicht ins Waſſer fiel.


Nachdem ſie Alles wieder befeſtiget hatten,
muſten ſie ſich entſchlieſſen bis an die Knie durch
Waſſer und Schlam zu waten, um die Sachen ſo
ans Land zu bringen. Sie thaten dies ſo hur-
tig und ſo vorſichtig, daß nichts verloren ging,
und daß ſie noch vor der zuruͤkkehrenden Fluth-
zeit wieder abfahren konten.


Kaum war Robinſon abermahls bei dem
Wrakke angekommen, als er nichts eiligeres
hatte, als das Toͤnchen mit den Goldkoͤrnern
und das Schaͤchtelchen mit den Diamanten auf
ſein Floͤßholz zu bringen. Damit fiel ihm, wie
man ſagt, ein Stein von Herzen; und nun,
nachdem er ſich dieſer Pflicht entlediget hatte,
glaubt' er berechtiget zu ſein, wieder fuͤr ſich
ſelbſt zu ſorgen.


Diesmahl nahm er unter andern ein Paar
Schubkarren, die, ich weiß nicht zu welchem
Behufe, auf dem Schiffe waren, viel vorraͤ-
P 4
thige
[232] thige Kleidungsſtuͤkke und Waͤſche, viel
Werkzeuge und Geraͤthſchaft, eine Later-
ne,
nebſt allen beſchriebenen Papieren mit, die
er in des Kapitains Kajuͤte fand; und da unter-
deß die Fluthzeit zuruͤk gekehrt war, ſo ſegelten
ſie wieder ab, und erreichten, von Wind und
Waſſer fortgetrieben, in kurzer Zeit den Strand.


Den noch uͤbrigen Theil des Tages widmete
Robinſon einem Geſchaͤfte, welches ihm jezt
das dringendſte zu ſein ſchien. Er zitterte nem-
lich vor dem Gedanken, daß ein ſtarker Regen
einfallen, und ſeinen groͤßten Schaz, das Schieß-
pulver, unbrauchbar machen koͤnte. Um dieſe
Gefahr abzuwenden, beſchloß er, noch an eben
dieſem Tage, aus einem großen mitgebrachten
Segeltuche ein ordentliches Zelt zu machen, wo-
runter ſein ganzer Reichthum vor dem Regen
ſicher laͤge.


Da er Scheere, Nadeln und Zwirn hatte,
ſo ging ihm dieſe Arbeit geſchwind von Haͤnden,
und Freitag lernte ihm bald ſo viel davon ab,
daß er ihm dabei helfen konte. Dieſer konte
die unſchaͤzbare Erfindung einer Nadel und einer
Scheere
[233] Scheere nicht genug bewundern und geſtand zu
wiederhohlten mahlen, daß er und ſeine Landes-
leute, mit den kuͤnſtlichen Europaͤern verglichen,
doch nur recht arme Schelme waͤren.


Sie wurden noch vor Abend mit dieſer Ar-
beit fertig; und da machte Robinſon ſich noch
die Freude, ſeinem Freitag die erſtaunliche Wir-
kung einer Kanone zu zeigen. Er lud ſie mit
einer Kugel, ſtelte ſie darauf ſo, daß der Schuß
die Oberflaͤche des Waſſers ſtreifen muſte, damit
Freitag recht deutlich ſehen koͤnte, wie weit die
Kugel fortgeſchnelt werden wuͤrde. Jezt brant'
er ſie ab, und ohngeachtet Freitag ſchon durch
die beiden Flintenſchuͤſſe auf dieſes Schauſpiel
vorbereitet war: ſo erſchrak er doch von neuem
uͤber den noch weit heftigern Knal der Kanone
ſo ſehr, daß ihm alle Glieder zitterten. Die
Kugel tanzte auf der Oberflaͤche des Meeres hin
und verlohr ſich in einer unabſehlichen Entfer-
nung. Freitag verſicherte darauf, daß es nur
eines einzigen ſolchen Schuſſes beduͤrfen wuͤrde,
um alle ſeine Landsleute, wenn ſie auch bei Tau-
ſenden herbei kaͤmen, ploͤzlich in die Flucht zu
P 5
jagen,
[234] jagen, weil ſie den, der dieſen Donner machte,
gewiß fuͤr den Toupan halten wuͤrden.


Da es finſter geworden war, ſtekte Robin-
ſon
ſeine Laterne an, um die am Schiffe mit-
gebrachten Schriften durchzuſehen, ob er viel-
leicht daraus erfahren moͤgte, wem das Schif
zugehoͤrt habe, und welches die Beſtimmung
deſſelben geweſen ſei? Aber zum Ungluͤk waren
dieſe Schriften, ſo wie die Buͤcher, die er mit-
genommen hatte, in einer Sprache abgefaßt,
die er nicht verſtand. Wie ſehr bedauerte er
hierbei abermahls, daß er in ſeiner Jugend
nicht mehr Fleiß auf Erlernung der Sprachen
gewandt habe! Aber dieſe Reue kam jezt zu
ſpaͤt.


Indeß gab ihm ein doppelter Umſtand, den
er bemerkte, einiges Licht uͤber den Lauf des
Schiffes und uͤber die Abſicht deſſelben. Er
fand nemlich unter andern ein Paar Briefe, die
nach Barbados gerichtet waren, einer Inſel
bei Amerika, auf welcher ein ſtarker Sklaven-
handel getrieben wird.


Frizchen. Sklavenhandel?


Va-
[235]

Vater. Ich wil dir ſagen, was das iſt.
In Afrika — du weißt doch noch, wo das
liegt?


Frizchen. O ja; dorthin, uͤber die gruͤne
Bruͤkke und die Gaͤnſeweide! — Nu nur zu!


Vater. In Afrika alſo, wo die Mohren
wohnen, ſind die meiſten Menſchen noch ſo roh
und ungeſittet, wie das liebe Vieh. Ihre An-
fuͤhrer oder Koͤnige, die ſelbſt nicht viel kluͤger
ſind, gehen dan auch mit ihnen um, als wenn
ſie wirkliches Vieh waͤren. Wenn nun die Eu-
ropaͤer dahin kommen, ſo bietet man ihnen gan-
ze Heerden ſolcher ſchwarzen Menſchen zum Ver-
kauf an, recht ſo wie man hier die Ochſen zu
Markte bringt. Viele Vaͤter fuͤhren auch wohl
ihre eigene Kinder herbei, um ſie fuͤr eine Klei-
nigkeit los zu werden; und da kaufen denn die
Europaͤer alle Jahr eine Menge derſelben und
fuͤhren ſie nach Amerika, wo ſie die haͤrteſte
Arbeit verrichten muͤſſen und dabei recht jaͤm-
merlich gehalten werden. Ein ſolcher Sklav
(ſo nent man ſie) iſt dan recht ſchlim daran,
und
[236] und wuͤnſchte oft lieber zu ſterben, als ſo zu
leben.


Gotlieb. Das iſt doch aber auch gar
nicht recht, daß man ſo mit Menſchen um-
geht!


Vater. Freilich iſt es unrecht; auch ſteht
zu hoffen, daß dieſer abſcheuliche Sklavenhan-
del mit der Zeit ganz werde abgeſchaft wer-
den. —


Ferner fand Robinſon eine Rechnung,
aus der er ungefaͤhr ſo viel abnehmen konte, daß
auf dem Schiffe hundert ſolcher Sklaven gewe-
ſen ſein muͤſten, die man nach Barbados ha-
be bringen wollen. Er machte von allem dieſem
ſeinem Freitag eine Beſchreibung, und ſezte
hinzu: wer weiß, ob nicht dieſe Ungluͤklichen
dem Sturme, der das Schif auf die Felſen
trieb, vielleicht ihre Erloͤſung zu verdanken ha-
ben? Ob ſie nicht vielleicht durch Huͤlfe der Boͤte
ſich gerettet und irgend eine Inſel erreicht ha-
ben, auf der ihre Tirannen ihnen nun nicht mehr
befehlen duͤrfen, und wo ſie, nach ihrer Art,
ein recht gluͤkliches und zufriedenes Leben fuͤh-
ren?


Frei-
[237]

Freitag fand dies gar nicht unwahrſchein-
lich.


Wohl dan, lieber Freitag! ſezte Robin-
ſon
hinzu, indem ſein Geſicht zu gluͤhen an-
fing; haͤtteſt du alſo nun noch wohl das Herz,
deine neuliche Frage zu wiederhohlen?


Freitag. Welche?


Robinſon. Die: was der Sturm, der
uns unſern Kahn entfuͤhrte, wohl fuͤr Nuzen
gehabt haben koͤnne?


Freitag ward beſchaͤmt und ſchlug reuevol
die Augen nieder.


„O Freitag! rief hierauf Robinſon mit
frommem Eifer aus; erkenne die Hand des al-
maͤchtigen und alweiſen Gottes, die hier aber-
mahls ſo ſichtbarlich im Spiel geweſen iſt!
Siehe wie viel der Sturm uns wiedergeben
muſte, fuͤr das Wenige, was er uns zu neh-
men Befehl hatte! Sieh ihn an, dieſen ganzen
Vorrath von Huͤlfsmitteln zu einem bequemen
und gluͤklichen Leben — wuͤrden wir ihn haben,
wenn der Sturm nicht gekommen waͤre? Zwar
iſt es traurig, ſein Gluͤk dem Ungluͤkke anderer
Men-
[238] Menſchen verdanken zu muͤſſen: aber wie? wenn
nun auch die Meiſten von denen, die auf dem
geſtrandeten Schiffe waren, jezt viel gluͤklicher
lebten, als vormahls? Und daß dies wirklich
der Fal ſei, iſt doch gar nicht unwahrſcheinlich!
Was duͤnket dich nun von der goͤtlichen Weltre-
gierung?


„Daß ſie unbeſchreiblich weiſe und gut ſei,
und daß ich ein Nar war! „erwiederte Frei-
tag,
indem er die Haͤnde faltete und zum Him-
mel blikte, um Gott die Suͤnde abzubitten,
die er aus Unverſtand begangen hatte.


Robinſon verwahrte alle die durchgeſuch-
ten Papiere eben ſo ſorgfaͤltig, als das Gold
und die Edelgeſteine; um, fals er jemahls wie-
der nach Europa kommen ſolte, durch Huͤlfe der-
ſelben, zu erfahren, an wen er dieſe gerette-
ten Schaͤze zuruͤk geben muͤſſe.


Noch ſechs Tage hinter einander fuhren ſie
fort, des Tages zwei bis dreimahl nach dem
Wrak zu fahren und Alles, was ſie bewegen
konten, ans Land zu bringen. Tauſend Klei-
nigkeiten waren ihnen wichtig und wurden als
ſolche
[239] ſolche von ihnen mitgenommen, die uns kaum
des Aufhebens werth ſcheinen wuͤrden, weil wir
den Mangel derſelben noch nie empfunden haben.
Ein Theil der Schifsladung beſtand aus Elefan-
tenzaͤhnen; dieſe lieſſen ſie liegen, weil ſie keinen
Gebrauch davon machen konten. Ein Gleiches
thaten ſie mit einigen Tonnen vol Kaffebohnen,
welche Robinſon gleichfals verſchmaͤhte, weil
er nicht geſonnen war, ſich jemahls wieder zu
uͤberfluͤßigen und ſchaͤdlichen Lekkereien zu ver-
woͤhnen. Dafuͤr aber ſuchten ſie ſo viel Bretter
loszubrechen und mitzunehmen, als ſie nur im-
mer konten, weil ihnen dieſe einen groͤſſern Nu-
zen und alſo auch einen groͤſſern innern Werth
zu haben ſchienen. Sogar die noch uͤbrigen fuͤnf
Kanonen brachten ſie ans Land, ſo wie alles Ei-
ſenwerk, welches ſie nur finden oder vom Schif-
fe losmachen konten.


Nachdem ſie nun ſchon achtzehn mahl hin
und her gefahren und mit ihrer jedesmahligen
Ladung immer gluͤklich an Ort und Stelle an-
gekommen waren; bemerkten ſie, da ſie ſich
abermahls an Bord des Wraks befanden, daß
ein
[240] ein Ungewitter heran nahe. Sie eilten daher,
ſo ſehr ſie konten, das Aufladen zu beſchleuni-
gen und fuhren in der Hofnung ab, daß ſie,
noch vor dem Ausbruche des Gewitters den
Strand erreichen wuͤrden. Aber ihre Bemuͤ-
hung war umſonſt. Noch ehe ſie die Haͤlfte der
Fahrt zuruͤkgelegt hatten, erhob ſich ein ſo ge-
waltiger Sturm mit Donner, Bliz und Regen
begleitet, daß die Wellen uͤber das Floͤßholz
wegrolten und die darauf befindlichen Sachen in
den Abgrund warfen. Sie ſelbſt klammerten
ſich eine Zeitlang ſo feſt an, daß die ſchaͤumen-
den Wogen ſie nicht wegſpuͤlen konten, ohnge-
achtet ſie ihnen von Zeit zu Zeit faſt einer Elle
hoch uͤber dem Kopfe weggingen.


Aber endlich konte das ſchwache Gebaͤude des
Floͤßholzes der Wuth der Wellen nicht laͤnger
widerſtehen. Die Bande, wodurch die Bal-
ken zuſammen gehalten, loͤſeten ſich auf; die
ganze Floͤße fiel aus einander.


Lotte. O weh der arme Robinſon!


Alle. O ſtille! ſtille!


Va-
[241]

Vater. Freitag verſuchte ſich durch
Schwimmen zu retten, Robinſon hingegen
ergrif einen Balken, mit dem er bald in den
Abgrund hinabgeworfen, bald wieder hoch em-
por gehoben wurde. Er war dabei oͤfter un-
ter, als uͤber dem Waſſer, war ganz betaͤubt,
und konte weder hoͤren noch ſehen. Jezt ver-
lieſſen ihn ſeine Kraͤfte, und mit ihnen ſeine
Beſonnenheit. Er that noch einen lauten Schrei,
und verſchwand darauf in einer ungeheuern
Welle, die von dem Balken ihn losriß.


Zum Gluͤk war ſein treuer Freitag ihm im-
mer zur Seite geblieben, ohngeachtet er, wenn
er gewolt haͤtte, ſich weit geſchwinder haͤtte ret-
ten koͤnnen. Da dieſer nun ſeinen Herrn vor
ſeinen Augen verſinken ſahe, beſan er ſich keinen
Augenblik, ſondern tauchte unter, ergrif ihn
mit der linken Hand, und arbeitete mit der rech-
ten ſich wieder empor. Und nun verdoppelte er
ſeine Bemuͤhung mit ſo unerhoͤrter Anſtren-
gung, daß er in einigen Minuten zuſamt dem
Leichname ſeines lieben Herrn am Strande war.


Q
Alle.
[242]

Alle. (Ganz erſchrokken) Ach! — ach!
dem Leichnam?


Vater. So nenne ich ihn, weil in der
That kein Fuͤnkchen von Leben mehr in ihm zu
ſein ſchien.


Freitag trug den Erblaßten voͤllig ans Land,
warf ſich verzweiflungsvol uͤber ihn hin, rief
ihm zu, ruͤttelte, rieb ihn am ganzen Leibe,
und druͤkte zehnmahl die Lippen auf ſeinen Mund
um ihm Athem einzublaſen. Endlich hatt' er die
unausſprechliche Freude, wieder einige Merkmah-
le des Lebens wahrzunehmen; er fuhr in ſeinen
Bemuͤhungen fort und Robinſon fing an, ſich
ſeiner wieder bewuſt zu ſein.


„Wo bin ich?„ fragt' er mit ſchwacher
zitternder Stimme, indem er die Augen wieder
aufſchlug. „In meinen Armen, lieber Herr!„
antwortete Freitag, dem die Traͤnen aus den
Augen ſtuͤrzten. — Und nun gab es eine ruͤhren-
de Scene, indem Robinſon ſeinem Erretter
dankte, und dieſer nicht wuſte, was er vor Freu-
den uͤber die Wiederkehr ſeines geliebten Herrn
ins Leben alles vornehmen ſolte. —


Und,
[243]

Und, Kinder, mit etwas Beſſerem koͤnnen
wir die Erzaͤhlung dieſes Tages wohl nicht endi-
gen; alſo genug fuͤr heute!


Fuͤnf und zwanzigſter Abend.


Es fanden ſich abermahls verſchiedene Abhal-
tungen, welche den Vater hinderten, in der
Erzaͤhlung fortzufahren. Die junge Geſelſchaft
wurde unterdeß durch ſechs neue Mitglieder ver-
groͤſſert. Dieſe hieſſen Matthias, Ferdi-
nand, Konrad, Hans, Chriſtel,
und
Karl.


Das war nun ein Weſen unter den Alten,
wovon der Eine noch eher, als der Andere, den
neuen Freunden wieder erzaͤhlen wolte, was ſie
von Robinſon nun ſchon gehoͤrt hatten! Da
wuſte der Eine dies, der Andere das von ihm:
da hatte der Eine dies, der Andere das noch
Q 2
aus-
[244] ausgelaſſen, weswegen ein Dritter ihm in die
Rede fiel, um die Luͤkke der Erzaͤhlung auszu-
fuͤllen! Da alſo Alle zugleich redeten, ſo entſtand
zulezt ein ſo verwirtes Geſchrei, daß man ſein
eigen Wort nicht hoͤren konte. Da ſahe ſich
dan endlich der Vater genoͤthiget, um dem Wir-
war ein Ende zu machen, die Erzaͤhlung von
vorn wieder anzufangen, und ſie bis dahin zu
wiederhohlen, wo er zulezt ſtehn geblieben war.
Dan fuhr er, zum algemeinen Frohlokken, fol-
gendermaßen fort:


Nun, Kinder, unſer Robinſon hat ſich
noch einmahl wieder erhohlt. Der Schlaf, deſ-
ſen er die Nacht uͤber unter ſeinem Zelte auf
wirklichen Betten genoß, hat ihn ſo erquikt,
daß er mit Anbruch des Morgens ſchon wieder
da ſteht in ſeiner ganzen ungeſchwaͤchten Kraft,
und Gott fuͤr die Erhaltung ſeiner Geſundheit
und ſeines Lebens dankt. Der Sturm hatte die
ganze Nacht hindurch gewuͤthet. Er erwartete
daher mit aͤngſtlicher Neubegierde den Tag, um
zu ſehen, was aus dem Wrak moͤgte geworden
ſein?


Jezt
[245]

Jezt ſtieg die Sonne empor und da erblikt'
er zu ſeinem Leidweſen, daß das Wrak gaͤnzlich
verſchwunden ſei. Einzelne Bretter und Bal-
ken, die an den Strand getrieben waren, be-
wieſen, daß der Sturm es voͤllig zertruͤmmert
habe. Es that ihm bei dieſem Anblik wohl,
ſich bewuſt zu ſein, daß er keinen Fleiß geſpart
habe, von dem Schifsgute ſo viel zu retten, als
ihm nur immer moͤglich geweſen war; und wohl
dem Menſchen, deſſen ganzes Betragen ſo weiß-
lich eingerichtet iſt, daß er bei jedem unangeneh-
men Vorfal, wie jezt Robinſon, zu ſich ſelbſt
ſagen kan: ich bin nicht Schuld daran! O
dieſes Bewuſtſein kan viel verſuͤßen, was fuͤr
unſer Herz ſonſt unausſtehlich bitter ſein wuͤr-
de!


Robinſon und Freitag zogen ſorgfaͤltig
jedes am Strande liegende Ueberbleibſel des
Schiffes aufs Land, weil ſie vorausſahen, daß
jedes Bret, jede Latte ihnen nuͤzlich werden koͤn-
te. Dan wurde ein ordentlicher Plan zu ihrer
naͤchſten Geſchaͤftigkeit gemacht.


Q 3
Die
[246]

Die Sachen muſten nemlich nach der Burg
geſchaft werden; aber ſich beim Fortbringen der-
ſelben jedesmahl ſo weit davon zu entfernen,
ſchien ihnen mit Recht gefaͤhrlich zu ſein. Ro-
binſon
machte alſo die Anordnung, daß ſie
wechſelſeitig fortkarren und Wache halten wol-
ten, einer des Vormittages, der Andere des
Nachmittages. Er lud die Kanonen und pflanz-
te ſie an den Strand, die Muͤndung gegen das
Meer gerichtet. Dan wurde ein Feuer ange-
macht, welches der Wachhabende beſtaͤndig un-
terhalten ſolte; und neben den Kanonen lag eine
Lunte in Bereitſchaft, um ſie, wenn es ſein
muͤſte, ohne Verzug abfeuern zu koͤnnen.


Robinſon ſelbſt machte den Anfang zur
Fotbringung der Sachen. Um die beſſern Klei-
dungsſtuͤkke zu ſchonen, hatte auch er einen Ma-
troſenanzug angelegt und, ſtat ſeiner ehemali-
gen Waffen, trug er jezt einen Hirſchfaͤnger und
zwei geladene Piſtolen im Guͤrtel. Er lud zu-
erſt einige Faͤßchen mit Schießpulver nebſt an-
dern Sachen auf, fuͤr welche die Naͤſſe am mei-
ſten zu fuͤrchten war; und darauf ging die Reiſe
fort.


Der
[247]

Der Pudel, welcher ihm nie von der Seite
kam, begleitete ihn, als ein nicht ganz unnuͤzer
Reiſegefaͤhrte. Robinſon hatte ihm einen
Strik ums Leib gebunden und dieſen vorn am
Karn befeſtiget, damit er durch Ziehen ihm hel-
fen moͤgte. Weil nun die Pudel ſehr gelehrige
Geſchoͤpfe ſind; ſo fand ſich auch dieſer bald in
ſeinen neuen Beruf, und verrichtete ihn in kur-
zer Zeit ſo gut, als wenn er ein geuͤbter Karn-
gaul geweſen waͤre. Auch trug er obenein noch
ein Buͤndel mit den Zaͤhnen, welches man ihn
zu thun ſchon vorher gelehrt hatte.


Beim Zuruͤkkehren nahm Robinſon alle
ſeine zahmen zum Laſttragen ſchon gebrauchten
Lama's mit, um ſich ihrer gleichfals zum Fort-
ſchaffen der Sachen zu bedienen. Da ihrer ſieben
waren, und da jedes derſelben eine anderthalb
Zentner ſchwere Laſt zu tragen vermogte: ſo
koͤnt ihr denken, wie viel die ganze Karawane
auf einmahl fortzubringen im Stande war.


Da aber ſo viele Sachen in Robinſons
Hoͤhle und Keller keinen Raum hatten: ſo ward
in der Geſchwindigkeit noch ein zweites großes
Q 4
Zelt
[248] Zelt gemacht, welches man auf dem Hofplaze
der Burg aufſchlug, um bis auf Weiter zum
Behaͤlter zu dienen. In acht Tagen war Alles
fortgeſchaft, einen Haufen Bretter ausgenom-
men, die ſie zwiſchen ein dichtes Gebuͤſch getra-
gen hatten, um ſie vor der Hand daſelbſt zu
laſſen.


Lotte. Du haſt uns ja nichts wieder von
der Ziege erzaͤhlt?


Vater. Ach, das haͤtt' ich bald vergeſſen.
Nun, die Ziege nahmen ſie, wie es ſich von
ſelbſt verſteht, auch mit, und thaten ſie in die
Verzaͤunung zu den zahmen Lama's, mit denen
ſie ſich recht gut vertrug. —


Nun gab's fuͤr Robinſon und Freitag der
angenehmen Arbeiten viele; und ſie wuſten kaum,
was ſie zuerſt angreifen ſolten. Doch machte Ro-
binſon,
der jezt in allen ſeinen Verrichtungen
Ordnung und regelmaͤßige Eintheilung der Ge-
ſchaͤfte liebte, bald einen Unterſchied zwiſchen
den noͤthigern und unnoͤthigern Arbeiten, und
ſchrit zuerſt zu jenen. Eine der noͤthigſten un-
ter allen war die Erbauung eines Schuppens,
oder
[249] oder einer kleinen Scheune, um diejenigen Sa-
chen, welche in der Hoͤhle nicht Raum hatten,
bequemer und ſicherer zu verwahren, als es un-
ter dem Zelte geſchehen konte. Da kam es nun
darauf an, ſich in der Kunſt der Zimmerleute
zu uͤben, die freilich keiner von ihnen gelernt
hatte.


Aber was konte dem Fleiſſe unſers ſinreichen
Robinſons jezt zu ſchwer fallen, da er ſich im
Beſiz aller der Werkzeuge ſahe, die er noͤthig
hatte? Die muͤhſeeligſten und ungewohnteſten
Arbeiten waren ihm jezt ein Spiel, nachdem er
mit ſo vielen andern, ohne Werkzeuge und ohne
einen Gehuͤlfen zu haben, gluͤklich zu Stande
gekommen war. Das Faͤllen und Behauen der
Baͤume, das Zuſammenfuͤgen und Aufrichten
der Balken, das Aufmauern der Waͤnde von
Bakſteinen und die Anlegung eines doppelten
Daches, eins von Brettern, das andre von
Kokusblaͤttern — dies Alles ging mit bewun-
dernswuͤrdiger Geſchwindigkeit von ſtatten.


Jezt ſtand das Haͤuschen da, und glich den
kleinen Wohnungen unſerer Landleute. Sehr
Q 5
weis-
[250] weislich hatte Robinſon auch die Fenſter aus
den Kajuͤten des Schiffes ausgehoben; und dieſe
kamen ihm jezt treflich zu ſtatten, um den in-
wendigen Raum des Gebaͤudes zu erhellen, ohne
irgend ein Loch offen laſſen zu duͤrfen. Das
Glas war fuͤr Freitag ein vorzuͤglicher Gegen-
ſtand der Bewunderung, weil er nie dergleichen
geſehen hatte und nun erfuhr, was fuͤr eine
große Bequemlichkeit es gewaͤhre.


Nachdem nun Alles unter Dach und Fach
gebracht war, ging Robinſon mit dem Ge-
danken um, ſich einen bequemen Eingang zu ſei-
ner Burg zu verſchaffen, ohne daß ſie dadurch
von ihrer Feſtigkeit etwas verlieren moͤgte. Das
ſicherſte Mittel dazu ſchien ihm die Anlegung ei-
nes ordentlichen Thors und einer Zugbruͤkke zu
ſein. Da er alles, was dazu erfodert wurde —
Naͤgel, Ketten, Thuͤrangel, Hespen, Schloͤſ-
ſer u. ſ. w. — in Ueberfluß hatte, ſo ſchritt' er
ſogleich zur Ausfuͤhrung dieſes Vorſazes. Sie
machten erſt alles, was erfodert wurde, fer-
tig; dan wurde eine Oefnung in dem Walle und
der Baumwand nach der Groͤſſe des ſchon vol-
len-
[251] lendeten Thores gemacht, das Thor errichtet
und die Zugbruͤkke ſo angelegt, daß ſie, wenn
ſie aufgezogen ward, das Thor bedekte. Dan
wurden die Kanonen, und zwar geladen, auf
den Wal gepflanzt, ſo daß zwei die rechte, zwei
die linke Flanke oder Seite, und zwei die Fa-
ce,
oder die Norderſeite der Feſtung dekten.
Und nun konten ſie vor jedem Anfalle der Wil-
den voͤllig ruhig ſein, und hatten zugleich die
Bequemlichkeit eines ordentlichen Einganges zu
ihrer Wohnung.


Jezt war die Zeit zur Erndte gekommen.
Robinſon bediente ſich eines alten Schwerdts
ſtat der Sichel, um den Maiz damit abzumaͤ-
hen, und zum Ausgraben der Kartoffeln einer
ordentlichen Hakke, die ſich unter den geborge-
nen Sachen befand. Wie ihnen nun das Alles
durch Huͤlfe dieſer Werkzeuge von der Hand
ging! Es waͤre eine Luſt geweſen, es anzuſehen,
eine noch groͤſſere, ſich ihnen als Mitarbeiter zu-
zugeſellen.


Hans. Ich haͤtte moͤgen dabei wohl ſein,
um auch ſo mit zu arbeiten!


Di-
[252]

Diderich. O deswegen brauchſt du nach
keiner wuͤſten Inſel zu fahren! Es laͤßt ſich hier
eben ſo gut arbeiten. Solſt nur ſehen, was
uns Vater immer zu thun giebt, wenn wir Frei-
ſtunden haben! Bald muͤſſen wir Holz mit ihm
pakken, bald klein gehauenes Holz in die Kuͤche
fahren, bald im Garten graben, dan wieder
Waſſer zum Begieſſen tragen, oder Unkraut
ausgaͤten — o da giebt es immer genug zu
thun!


Vater. Und warum fuͤhr' ich denn wohl
euch zu ſolchen Arbeiten an?


Johannes. J, daß wir uns gewoͤhnen
ſollen, niemahls muͤßig zu ſein, und weil uns
das geſund und ſtark macht!


Chriſtel. Sollen wir denn auch immer
mit arbeiten, Vater?


Vater. Freilich! Ich werde euch ja nicht
weniger lieben, als ich die Andern liebe, und werde
euch alſo ja auch wohl alles das thun laſſen, was
ich fuͤr eine nuͤzliche Beſchaͤftigung halte!


Karl. O das iſt ſcharmant! Da wollen
wir eben ſo fleißig ſein, als Robinſon.


Va-
[253]

Vater. Wohl! Robinſon, wie wir
wiſſen, befand ſich ſehr wohl dabei; und ſo wer-
den wir Alle die ſeeligen Folgen einer arbeitſa-
men Lebensart gleichfals immer mehr erfah-
ren.


Die Erndte war jezt vollendet. Robinſon
verfertigte zwei Dreſchflegel, lehrte Freitag den
Gebrauch derſelben, und dan klopften ſie den
Maiz in einem Tage aus. Sie gewannen zwei
Saͤkke vol, welches ohngefaͤhr ſechs Scheffel ſein
mogten. Auf einige Monate hatten ſie Schifs-
zwiebak vorraͤthig. Da aber dieſer alsdan ein
Ende nehmen muſte, ſo war Robinſon ent-
ſchloſſen, das Brodbakken ſelbſt zu verſuchen.


Eine kleine Handmuͤhle hatt' er mit von dem
Schiffe genommen. Es fehlte alſo nur an einem
feinen Siebe, um das Mehl zu ſichten und an
einem Bakofen, um das daraus geknetete Brod
zu bakken. Zu beiden muſte Rath werden. Zum
Siebe braucht' er ein duͤnnes Neſſeltuch, wovon
unter den geborgenen Sachen ſich ein ganzes
Stuͤk befand; und die Anlegung eines ordentli-
chen Bakofens machte ihm den wenigſten Kum-
mer.
[254] mer. Auch mit dieſer Arbeit ward er fertig,
noch ehe die gewoͤhnliche halbjaͤhrige Regenzeit
eintraf.


Und nun macht' er einen doppelten Verſuch
im Brodbakken, indem er einige Brode aus
Rokkenmehl, andere aus Mehl von Maiz kne-
tete. Die erſtern aber waren bei weitem die
ſchmakhafteſten; und Robinſons Entſchlieſ-
ſung war daher gefaßt. Er beſchloß nemlich,
ſtat des tuͤrkiſchen Waizens, den groͤßten Theil
ſeiner Aekker mit Rokken zu beſaͤen, um immer
hinlaͤnglichen Vorrath zum Brodbakken zu ha-
ben. Dies ſchien ihm auch fuͤr ſeine und Frei-
tags
Haͤnde nicht zu viel Arbeit zu ſein, weil
ſie auf dieſer Inſel zweimahl in jedem Jahre
ſaͤen und aͤrndten koͤnten.


Noch fehlte ihnen etwas, welches ſie unter
dem Schifsvorrathe nicht mit gefunden hatten,
und welches ihnen gleichwohl ſehr nuͤzlich gewe-
ſen waͤre, nemlich — ein Paar ordentliche Spa-
ten von Eiſen. Zwar hatte Freitag dergleichen
aus hartem Holze geſchnizt, aber beſſer iſt doch
beſſer, und mit einem eiſernen Spaten kan man
na-
[255] natuͤrlicher Weiſe noch mehr beſchikken, als mit
einem hoͤlzernen. Da nun Robinſon feſt ent-
ſchloſſen war, kuͤnftig den Akkerbau, als die an-
genehmſte und nuͤzlichſte Arbeit unter allen, zu
ſeiner beſtaͤndigen Hauptbeſchaͤftigung zu machen:
ſo ging er mit dem Gedanken um, auch eine
Schmiede anzulegen, um Spaten und vielleicht
noch andere noͤthige Werkzeuge ſelbſt zu verfer-
tigen.


Dieſer Einfal war nicht ſo kuͤhn, als er euch
vielleicht vorkommen mag: denn alles, was zu
einer Schmiede gehoͤrt, fand ſich unter ſeinem
Vorrathe. Es waren nemlich darunter ein klei-
ner Amboß, verſchiedene Zangen, ein ziem-
lich großer Blaſebalg und ſo viel theils altes,
theils noch unverarbeitetes Eiſen, daß er wahr-
ſcheinlicher Weiſe fuͤr ſein ganzes Leben genug
daran hatte. Der Vorſaz ward alſo auf der
Stelle ausgefuͤhrt.


Durch Huͤlfe eines groͤſſern Daches von Bret-
tern, welches ſie uͤber der Kuͤche anbrachten,
ward dieſe ſo ſehr erweitert, daß ſie zugleich zur
Schmiede dienen, und auch beim Regenwetter
darin
[256] darin gearbeitet werden konte. Sie verwand-
ten alſo einen Theil der eingefallenen naſſen
Jahrszeit auf Schmiedearbeit; und auch dieſe
muſte ihnen, nach einigen wenigen vergeblichen
Verſuchen, gar treflich gelingen. Da die Spa-
ten fertig waren, ging Robinſon noch weiter
und verſuchte, ob er nicht auch gar einen Pflug
erfinden koͤnte, der ihren Kraͤften angemeſſen
waͤre? Er erfand ihn und ſeine Freude daruͤber
war ſehr groß.


Dieſer Pflug war von den Unſrigen freilich
ſehr verſchieden; er beſtand aus einem einzigen
krummen Aſt von einem Baume, an deſſen ei-
nem auf der Erde ruhenden krummen Ende die
Pflugſchaar befeſtiget war, nebſt einer Hand-
hebe, womit der Fuͤhrer des Pflugs ihn regie-
ren und nach ſeinem Willen lenken konte; an das
andere Ende hingegen haͤtten Ochſen oder Pferde
geſpant werden koͤnnen, wenn ſie deren gehabt
haͤtten. So aber war dieſe Stelle einem von
ihnen ſelbſt vorbehalten. Kurz, dieſer Pflug
hatte volkommen die Geſtalt von demjenigen,
deſſen die alten Griechen ſich zu bedienen pfleg-
ten,
[257] ten, da ſie anfingen, ſich auf den Akkerbau zu
legen und wovon ich euch hier eine Zeichnung
zeigen kan.


[figure]

Ferdinand. Das iſt ja ein kuͤrioͤſer Pflug!


Konrad. Waren denn keine Raͤder
daran?


Vater. Nein, wie du ſiehſt. So ein-
fach und ungekuͤnſtelt, als dieſer Pflug, ſind
anfangs alle andere Werkzeuge auch geweſen.
Nach und nach nahmen die Menſchen eine vor-
theilhaftere Einrichtung nach der andern wahr,
aͤnderten, verbeſſerten, und befoͤrderten ſo im-
mer mehr und mehr den Nuzen und die Be-
quemlichkeit eines jeden Dinges, deſſen ſie zu ih-
ren Arbeiten bedurften.


R
In-
[258]

Indeß hatte Robinſon alle Urſache, ſich uͤber
dieſe ſeine Erfindung zu freuen, beſonders da ſie
ſo ganz ſein eigenes Werk war, weil er die Zeich-
nung davon niemahls geſehen hatte. Es ſind,
ſo viel man weiß, erſt viele Jahrhunderte ver-
floſſen, bevor die Menſchen darauf verfielen,
ein ſo einfaches Werkzeug, als dieſer Pflug iſt,
zu erfinden; und die Erfinder deſſelben wurden
von ihren Nachkommen fuͤr ſo auſſerordentlich
kluge Menſchen gehalten, daß man ihrem An-
denken ſogar goͤtliche Ehre erwies. Weißt du
noch, Johannes, wen die Egipzier fuͤr den Er-
finder des Pflugs hielten?


Johannes. O ja! Den Oſiris, den ſie
deswegen nachher, als einen Gott, anbeteten.


Vater. Die Phoͤnizier ſchrieben dieſe nuͤz-
liche Erfindung einem gewiſſen Dagon zu, den
ſie deswegen auch fuͤr ein auſſerordentliches We-
ſen hielten und ihn einen Sohn des Him-
mels
nanten.


Nikolas. Aber haͤtte Robinſon nicht
die Lama's zum Pfluͤgen brauchen koͤnnen?


Va-
[259]

Vater. Anfangs zweifelte er, ob ſie brauch-
bar dazu ſein wuͤrden, weil ſie mehr zum Tra-
gen, als zum Ziehen gemacht zu ſein ſchienen.
Indeß wolt' er doch auch dieſes nicht unverſucht
laſſen; und ſiehe! der Erfolg uͤbertraf ſeine Hof-
nung. Die Thiere lernten nach und nach ſich
darein ſchikken; und endlich ging das Geſchaͤft ſo
gut von ſtatten, als wenn Robinſon und Frei-
tag
ausgelernte Landleute und die Lama's Och-
ſen oder Eſel geweſen waͤren.


Nun fehlte ihnen zur ordentlichen Beſtellung
des Akkers nur noch ein Werkzeug, deſſen ſie
nicht fuͤglich entbehren konten, und welches ſie
gleichwohl auf dem Schiffe nicht vorgefunden
hatten.


Ferdinand. Ich weiß ſchon, was das fuͤr
eins war!


Vater. Und welches meinſt du denn?


Ferdinand. Eine Egge.


Vater. Getroffen! Ohne dieſe kan das
Land nicht wohl beſtelt werden, weil man durch
Huͤlfe derſelben die dikken Erdſchollen erſt zer-
truͤmmern muß, damit der eingeſtreute Same
R 2
in
[260] in ein lokkeres Erdreich zu liegen komme, und
mit Erde bedekt werde.


Robinſon ſchmiedete erſt ſo viel eiſerne
Zakken, als er dazu noͤthig zu haben glaubte.
Dan kam er, nach einigen vergeblichen Verſu-
chen, auch mit dem hoͤlzernen Geſtelle zu Stan-
de, worin dieſe Zakken befeſtiget werden muſten.
Endlich bohrte er in dieſes Geſtel ſo viel Loͤcher,
als die Egge Zaͤhne haben ſolte, ſchlug die eiſer-
nen Zakken da hinein, und die Egge war fer-
tig.


Er ſaͤete nun, nach geendigter Regenzeit,
zwei Scheffel Rokken, einen Scheffel Gerſte,
und einen halben Scheffel Erbſen aus; und hat-
te nach fuͤnf Monaten die Freude, zwoͤlfmahl
ſo viel wieder einzuaͤrndten, nemlich vier und
zwanzig Scheffel Rokken, zwoͤlf Scheffel Ger-
ſte, und ſechs Scheffel Erbſen; welches weit
mehr war, als er und ſein Freitag in einem
halben Jahre verzehren konten. Aber, als ein
kluger Hausvater, war er darauf bedacht, von
Allem immer etwas uͤbrig zu haben, weil Zeiten
des Mißwachſes einfallen, oder ſeine Erndte ein-
mahl
[261] mahl durch Hagel oder andere Zufaͤlle zernichtet
werden konte. Er beſchloß daher ein ordentli-
ches Getraidemagazin anzulegen, worin immer
von einem halben Jahre zum andern ein zu ih-
rem Unterhalte hinlaͤnglicher Vorrath waͤre, auf
den Fal, daß einmahl eine Erndte verloren
ginge.


In dieſer Abſicht riſſen ſie, bei anhaltender
klarer Witterung das Dach des Schuppens wie-
der ein, um noch ein zweites Stokwerk darauf
zu ſezen, welches zum Kornboden dienen ſolte.
Dies koſtete nun freilich ſchon mehr Kunſt und
Muͤhe, als die Errichtung des erſten Stoks ge-
koſtet hatte, aber ihr anhaltender unverdroſſe-
ner Fleiß uͤberwand alle Schwierigkeiten; und
das Werk ward vollendet.


Die Ziege hatte unterdeß zwei Junge gewor-
fen, ſo daß nun auch dieſe Art von Thieren auf
der Inſel fortgepflanzt werden konte. Der Pu-
del diente ihnen zum Nachtwaͤchter; und Pol,
der Papagai, war ihr Geſelſchafter bei Tiſche,
oft auch bei der Arbeit. Die Lama's hingegen
waren ihnen nun ſchaͤzbarer, als jemahls: weil
R 3
ſie
[262] ſie ihnen nicht nur Milch, Kaͤſe und Butter ga-
ben; ſondern auch das Feld beakkern halfen. Zu
Robinſons volkommener Gluͤkſeeligkeit fehlte
alſo weiter nichts mehr, als — was meint ihr?


Gotlieb. Daß er nicht bei ſeinen Eltern
war!


Vater. Und — daß ihrer nur zwei wa-
ren, wovon der Eine uͤber kurz oder lang ſter-
ben und den Andern wieder als einen armen,
von allen Menſchen getrenten Einſiedler zuruͤk
laſſen muſte. Doch Robinſon hielt es fuͤr
Suͤnde, ſein Leben dadurch zu verbittern, daß
er ſich vor Ungluͤksfaͤllen fuͤrchtete, die erſt in
der Zukunft moͤglich waren. Der Gott, dacht'
er, der bis hieher immer Rath gewuſt hat, wird
auch ferner helfen koͤnnen. Und ſo verfloß ihm
jezt jeder ſeiner Tage in ungeſtoͤrter Zufriedenheit,
weil er nunmehr Ruhe von innen und Ruhe von
Auſſen hatte. Und zu dieſem Zuſtande verhelfe
Gott euch Allen! —


Die Mutter ſagte: amen! und die Geſel-
ſchaft ging aus einander.


Sechs
[263]

Sechs und zwanzigſter Abend.


Vater.


Nun, Kinder, diesmahl hab' ich euch recht
viel zu erzaͤhlen!


Alle. O herlich! herlich!


Vater. Wenn ich nur an einem Abend
damit fertig werden kan!


Einige. O wir wollen Vater auch gar nicht
unterbrechen; da wird's gewiß gehen.


Vater. Nun, ich wil's verſuchen. Be-
reitet euch alſo immer zu einem neuen fuͤrchter-
lichen Auftritte, von dem man noch nicht wiſſen
kan, wie er ablaufen werde.


(Die Kinder druͤkten einander ihre Vermu-
thung durch eine Pantomime aus.)


Wenn ich jezt fortfahren wolte euch alles das
zu erzaͤhlen, was Robinſon und Freitag durch
Huͤlfe ihrer Werkzeuge taͤglich machten: ſo wuͤrd'
R 4
euch
[264] euch wohl kein ſonderlicher Gefalle damit geſche-
hen?


Johannes. O ja; aber das laͤßt ſich ja
wohl von ſelbſt denken!


Vater. Ich begnuͤge mich alſo, nur zu
ſagen, daß ſie nach und nach faſt alle Handwer-
ker — den Bekker, Schmied, Schneider,
Schuſter, Zimmerman, Tiſchler, Radma-
cher, Toͤpfer, Gaͤrtner, Akkersman, Jaͤger,
Fiſcher — und noch viel andere ſo gluͤklich nach-
ahmten, daß ſie hunderterlei Dinge machen lern-
ten, wozu wir andern europaͤiſchen Faullenzer
der Huͤlfe eben ſo vieler Menſchen beduͤrfen.
Ihre Kraͤfte wuchſen in eben dem Grade, in
welchem ſie dieſelben anſtrengten; und auch ihr
Gemuͤth wurde unter einer beſtaͤndigen nuͤzlichen
Geſchaͤftigkeit je laͤnger je heiterer, je laͤnger je
beſſer. Ein Beweis, daß der liebe Gott uns
zu einer ſolchen Geſchaͤftigkeit wohl recht eigent-
lich geſchaffen haben muß, weil wir allemahl ge-
ſuͤnder, beſſer und gluͤklicher darnach werden.


Mehr als ein halbes Jahr war nun unter ſol-
chen angenehmen Verrichtungen dahin gefloſſen,
ohne
[265] 0hne daß Freitag esgewagt hatte, ſeinen
Herrn an die Reiſe nach ſeiner Heimath zu
erinnern; ob er gleich oft, nach vollendeter
Arbeit, auf den Berge lief, von wannen
er nach der Gegend ſeiner Geburtsinſel hinſe-
hen konte, und dan allemahl, wie ein Traͤumen-
der, in tiefen Gedanken da ſtand und das Ungluͤk
beſeufzte, von ſeinem Vater vielleicht auf immer
getrent zu ſein. Robinſon hingegen wolte bis
dahin mit Fleiß nicht davon reden, weil er den
Wunſch ſeines Freundes doch nicht eher erfuͤllen
konte, bis ſie mit den noͤthigſten Einrichtungen,
welche ihre neue Lebensart erforderte, wuͤrden
fertig geworden ſein.


Jezt war das Noͤthigſte gethan; und nun
war Robinſon der erſte, welcher in Vorſchlag
brachte, daß ſie wieder ein Schif bauen wolten,
um Freitags Vater abzuhohlen. Die Freude
des guten Burſchen uͤber dieſe erfreuliche Nach-
richt war wieder eben ſo groß, als neulich und
ſeine Dankbarkeit gegen Robinſon aͤuſſerte ſich
gleichfals auf die nemliche Weiſe. Die Arbeit
wurde alſo gleich am naͤchſten Morgen angefan-
R 5
gen,
[266] gen, und ging nun, wie natuͤrlich, zehnmahl
geſchwinder und beſſer von ſtatten, als das erſte
mahl.


Eines Morgens, da Robinſon mit haͤus-
lichen Verrichtungen beſchaͤftiget war, ſchikt' er
Freitag nach dem Strande, um eine Schild-
kroͤte zu ſuchen, weil ſie von dieſem angenehmen
Gerichte ſchon in langer Zeit nicht genoſſen hat-
ten. Dieſer war noch nicht lange weg geweſen,
als er ploͤzlich wieder zuruͤkflog und vom Laufen
und Schrekken ſo ganz auſſer Athem war, daß
er nur mit ſtamlender Zunge die Worte hervor-
bringen konte: ſie ſind da! da!


Robinſon erſchrak und fragte eiligſt, wer
denn da waͤre?


„ O Herr! O Herr! antwortete Freitag,
ein, zwei, drei, ſechs Kanoes! „ Er konte in
der Angſt die Zahl ſechs nicht gleich finden.


Robinſon kletterte geſchwind den Huͤgel
hinauf und erblikte nicht ohne Grauſen, was
Freitag geſagt hatte, — ſechs Kaͤhne vol Wil-
den, die eben im Begrif waren, zu landen. Er
ſtieg hierauf hurtig wieder hinab, ſprach dem
zit-
[267] zitternden Freitag Muth zu und fragte ihn
dan: ob er entſchloſſen waͤre, ihm treulich bei-
zuſtehen, fals es zwiſchen ihnen und den Wilden
zu einem Gefechte kommen ſolte?


„ Mit Leib und Leben!„ antwortete dieſer,
der ſich unterdeß ſchon wieder erhohlt hatte, und
ſeine kriegeriſche Tapferkeit zuruͤk rief. „Wohl
denn, ſagte Robinſon, ſo wollen wir verſu-
chen, ob wir die Unmenſchen verhindern koͤnnen,
ihr abſcheuliches Vorhaben auszufuͤhren. Meine
Abſicht wil ich dir unterweges ſagen; jezt iſt kei-
ne Zeit zum Reden, ſondern zum Thun.


Hiermit zog er eine der kleinen Kanonen vom
Walle herunter, die auf Radern ruhete; hohl-
te ſechs ſcharf geladene Flinten, vier Piſtolen
und zwei Saͤbel hervor. Jeder von ihnen ſtekte
zwei Piſtolen und einen Saͤbel in den Gurt,
nahm drei Flinten auf die Schulter, und ſpante
ſich vor die Kanone, nachdem ſie mit Kugeln,
Schroot und Pulver ſich hinlaͤnglich verſorgt
hatten. So ging der kriegeriſche Zug in ſtiller,
furchtbarer Feierlichkeit zum Thor hinaus.


Nach-
[268]

Nachdem ſie uͤber die Zugbruͤkke gegangen
waren, machten ſie Halt. Dan muſte Freitag
wieder, umkehren, um die Zugbruͤkke aufzuzie-
hen, das Thor zu verſchlieſſen und durch Huͤlfe
der Strikleiter, die noch immer den Fels herab
hing, ſich mit dem Heerfuͤhrer wieder zu verei-
nigen. Dieſe Vorſichtigkeit wandte Robinſon
auf den Fal an, daß ihr Unternehmen einen un-
gluͤklichen Ausgang haͤtte; damit die Feinde ſich
alsdan ihrer Burg nicht bemaͤchtigen moͤgten.


Und nun eroͤfnete Robinſon ſeinen wohl-
uͤberdachten Plan. „Wir wollen, ſagt' er,
um den Berg herum durch den Wald, wo er
am dichteſten iſt, marſchiren, damit der Feind
keine Kundſchaft von uns bekomme. Dan wol-
len wir uns ihnen in dem dikken Gebuͤſche, wel-
ches ſich beinahe bis an den Strand erſtrekt, ſo
ſehr naͤhern, als wir, ohne geſehen zu werden,
nur immer koͤnnen, und wenn wir bis dahin ge-
kommen ſind, wollen wir ploͤtzlich eine Kanonen-
kugel uͤber ihre Koͤpfe hinſchieſſen. (Er hatte
in dieſer Abſicht eine brennende Lunte mitgenom-
men.) Vermuthlich werden die Barbaren da-
durch
[269] durch ſo ſehr erſchrekt werden, daß ſie ihre Beu-
te im Stiche laſſen und ſogleich in ihren Boͤten
die Flucht ergreifen.„


Freitag fand dies ſehr wahrſcheinlich.


„Dan, fuhr Robinſon fort, werden wir
die Freude genieſſen, die Ungluͤklichen, die ſie
braten wolten, gerettet zu haben, ohne daß ein
einziger Tropfen Menſchenbluts dabei vergoſſen
worden iſt. Solte aber, wider Vermuthen,
unſere Hofnung fehlſchlagen; ſolten die Kaniba-
len auf ihre Menge trozen und ſich nicht zur
Flucht verſtehen wollen: dan, lieber Freitag,
muͤſſen wir zeigen, daß wir Maͤnner ſind, und
der Gefahr, der wir uns in der beſten Abſicht
ausgeſezt haben, muthig entgegen gehen. Der,
welcher alles ſieht, weiß, warum wir unſer Le-
ben wagen, und wird es uns gewiß erhalten,
wenn's uns nuͤzlich iſt. Sein Wille geſchehe!„


Er reichte hierauf ſeinem Mitſtreiter die
Hand, und beide gelobten ſich einen gegenſeiti-
gen treuen Beiſtand bis auf den lezten Bluts-
tropfen.


Mitler-
[270]

Mitlerweile waren ſie mit leiſen Schritten
beinahe bis ans Ende des Gebuͤſches gekommen,
und machten Halt. Hier fluͤſterte Robinſon
ſeinem Gefaͤhrten ins Ohr, er ſolte ſo vorſichtig,
als moͤglich, ſich hinter einen großen Baum
ſchleichen, den er ihm zeigte, und ihm Beſcheid
bringen, ob man von da aus den Feind uͤberſe-
hen koͤnte. Freitag kam mit der Nachricht zu-
ruͤk, daß man ſie alda volkommen gut beobach-
ten koͤnte; ſie ſaßen alle ums Feuer herum und
nagten an den gebratenen Gebeinen des Einen der
Gefangenen der ſchon geſchlachtet waͤre; ein Zwei-
ter liege in einiger Entfernung gebunden auf der
Erde, und den wuͤrden ſie nun auch bald abſchlach-
ten; dieſer Schiene aber keiner von ſeiner Na-
zion, ſondern ein weiſſer baͤrtiger Man zu ſein.


Robinſon gluͤhete, beſonders da er von
dem weiſſen Manne hoͤrte. Er hatte ein von
dem Schiffe gerettetes Fernglas zu ſich geſtekt;
mit dieſem ſchlich er ſelbſt nach dem Baume und
fand was Freitag ihm berichtet hatte. Vier-
zig bis funfzig Kanibalen ſaßen um das Feuer
herum
[271] herum und den noch uͤbrigen Gefangenen erkant'
er ganz deutlich fuͤr einen Europaͤer.


Nun hatt' er Muͤhe ſich zu halten. Sein
Blut fing an zu kochen; ſein Herz pochte laut,
und wenn er ſeiner Begierde haͤtte folgen wol-
len, ſo waͤr' er unvorzuͤglich hervorgeſprungen,
um ein Blutbad unter ihnen anzurichten. Aber
die Vernunft galt ihm mehr, als blinde Leiden-
ſchaft; von ihr alſo ließ er ſich leiten und hielt
ſeinen Unwillen im Zaum.


Das Gebuͤſch lief an einer andern Stelle et-
was weiter hervor; dahin wandt' er ſich alſo;
pflanzte die Kanone hinter den lezten Buſch,
welcher eine kleine, von fern unbemerkbare Oef-
nung hatte, und richtete ſie ſo, daß die Kugel
hoch uͤber den Koͤpfen der Wilden hinfliegen mu-
ſte, um ihnen kein Leides zuzufuͤgen. Dan fluͤ-
ſterte er Freitag ins Ohr: er ſolte ihm alles
genau nachmachen.


Hierauf legt' er zwei Flinten auf die Erde
und die dritte behielt er in der Hand; Freitag
that ein Gleiches. Dan hielt er die brennende
Lunte
[272] Lunte auf das Zuͤndloch der Kanone und puf! —
fuhr der Schuß dahin.


In dem Augenblikke, daß der Knal gehoͤrt
wurde, ſtuͤrzten die meiſten Wilden von ihrem
Raſenſize zur Erde, als wenn ſie mit einem mah-
le alle waͤren erſchoſſen worden. Robinſon
und Freitag hingegen ſtanden vol Erwartung
des Ausganges und hielten ſich, fals es ſein
muͤſte, bereit zum Kampfe. Nach einer halben
Minute waren die betaͤubten Wilden wieder auf
den Fuͤßen. Die Furchtſamſten unter ihnen ran-
ten nach den Kaͤhnen, die Herzhafteren hinge-
gen ergriffen die Waffen.


Zum Ungluͤkke hatten ſie von dem Kanonen-
ſchuſſe, weder den Bliz des Pulvers, noch die
uͤber ſie hinfliegende Kugel wahrgenommen; ſon-
dern nur allein den Knal gehoͤrt. Ihr Schrek-
ken war daher auch nicht ſo groß, als man er-
wartet hatte; und da ſie nun rund um ſich her-
blikten, und nirgends etwas ſahen, welches ſie
von neuem haͤtte erſchrekken koͤnnen: ſo fingen ſie
ploͤzlich an, ſich wieder zu erhohlen; die Fluͤcht-
linge kehrten zuruͤk; Alle erhoben ein fuͤrchterli-
ches
[273] ches Geheule und begannen, indem ſie unter den
grimmigſten Gebehrden ihre Waffen ſchwenkten,
den ihnen gewoͤhnlichen Kriegestanz.


Noch ſtand Robinſon unentſchloſſen da,
bis der Kriegestanz geendiget war. Als er aber
darauf zu ſeinem Erſtaunen ſehen mußte, daß
die wilde Geſelſchaft ſich wieder lagerte und zwei
von ihnen hingeſandt wurden, um den armen
Europaͤer herbei zu hohlen; war es ihm unmoͤg-
lich laͤnger unthaͤtig zu bleiben. Er blikte Frei-
tag
an und fluͤſterte ihm blos die Worte zu: du
zur Linken, und ich zur Rechten! Und
nun in Gottes Nahmen!
Mit dieſen Wor-
ten brandt' er ſeine Flinte los; und Freitag
that ein Gleiches.


Freitag hatte beſſer, als Robinſon ſelbſt
gezielt; denn auf der linken Seite des Feuers
ſtuͤrzten fuͤnf, auf der rechten nur drei nieder.
Drei davon waren wirklich erſchoſſen, fuͤnf hin-
gegen nur verwundet. Die Beſtuͤrzung, mit
der nun Alle, die noch unbeſchaͤdigt waren, auf-
ſprangen und davon liefen, war unbeſchreiblich.
Einige ranten hier hin, die Andern dorthin und
S
er-
[274] erhoben ein recht fuͤrchterliches Geheule. Ro-
binſon
wolte jezt hervorſpringen, um ſie mit
dem Saͤbel in der Fauſt voͤllig in die Flucht zu
jagen, und ſeinen armen gebundenen Landsman
zu befreien: aber zu ſeinem Erſtaunen muſt er
ſehen, daß ein Trup der Fliehenden ſich ploͤzlich
wieder ſammelte, und Anſtalt zur Vertheidi-
gung machte. Er ergrif alſo in der groͤßten Ge-
ſchwindigkeit eine zweite Flinte und Freitag that
abermahl ein Gleiches. „Biſt du fertig?„
fragte Robinſon; und da er ein Ja! zur
Antwort erhielt, druͤkt' er wieder los und Frei-
tag
folgte ſeinem Beiſpiele.


Diesmahl fielen nur zwei; es wurden aber
ſo viele verwundet, daß ſie mit Schreien und
Heulen, als ſinloſe Menſchen herum liefen, zum
Theil blutig, zum Theil ſehr hart verwundet.
Von den Leztern ſtuͤrzten bald darauf noch drei,
wiewohl nicht voͤllig todt; zur Erde.


„Nun, Freitag! ſchrie Robinſon, in-
dem er die losgeſchoſſene Flinte wegwarf und die
noch geladene dritte ergrif, hervor! Mit die-
ſen Worten ſprangen beide aus dem Gebuͤſch auf
den
[275] den freien Plaz und Robinſon flog zuerſt nach
dem armen Schlachtopfer, um ihn ſeine Erloͤ-
ſung anzukuͤndigen. Indem er bei ihm ankam,
bemerkt' er daß Einige der fluͤchtigen Wilden bei
ſeinem Anblikke ſtuzten; ſich von neuem ſammel-
ten und zum Kampfe ruͤſteten. Er winkte ſei-
nem Gefaͤhrten, dieſer verſtand ihn, lief etwas
naͤher hinzu, gab Feuer, und ſahe zwei von ih-
nen ſtuͤrzen.


Robinſon ſchnit unterdeß mit einem Meſ-
ſer die Strikke von Binſen los, womit der Ge-
fangene an Haͤnden und Fuͤßen gar jaͤmmerlich
zuſammen geſchnuͤrt war. Er fragte ihn auf
deutſch und engliſch: wer er waͤre? und der Ge-
fangene antwortete auf lateiniſch: Chriſtianus,
ein Chriſt! Hiſpanus, ein Spanier! Mehr
kont' er nicht vorbringen, ſo ſchwach fuͤhlt' er
ſich. Robinſon hatte zum Gluͤk auf den Fal
einer Verwundung ein Flaͤſchchen vol Wein zu
ſich geſtekt. Von dieſem gab er dem Spanier
zu trinken, und da er ſich dadurch ploͤzlich geſtaͤrkt
fuͤhlte: ſo reichte ihm Robinſon eine ſeiner
Piſtolen, nebſt dem Saͤbel, damit er helfen
S 2
moͤg-
[276] moͤgte, dem Gefechte ein Ende zu machen.
Freitag muſte unterdeß eilends die losgeſchoſſe-
nen Flinten herbei hohlen, um ſie von neuem zu
laden.


Der Spanier hatte kaum die Piſtole und
den Saͤbel in Haͤnden, als er, wie eine Furie,
auf ſeine Moͤrder losrante, und in einem Hui!
zwei derſelben erlegte. Freitag erhielt, um ihm
beizuſtehen, die noch geladene ſechſte Flinte und
Robinſon lud unterdeß die Uebrigen. Die
beiden Streiter fanden Widerſtand und wurden
bald von einander getrent, indem es zwiſchen dem
Spanier und einem Wilden zum Handgemenge
kam, und Freitag, nachdem er die Flinte ab-
geſchoſſen hatte, mit dem bloßen Saͤbel in der
Fauſt einen ganzen Schwarm der Fluͤchtlinge vor
ſich hintrieb. Einige hieb er nieder, Andere
ſprangen ins Waſſer, um nach ihren Kanoes zu
ſchwimmen, und noch andere flohen in das Ge-
buͤſch.


Der Spanier hatte unterdeß einen harten
Stand. Zwar war er troz ſeiner Mattigkeit,
ſo tapfer auf den Wilden losgegangen, daß die-
ſer
[277] ſer ſchon zwei ſchwere Hiebe von ihm in den Kopf
bekommen hatte: aber nun wurde auch der Wil-
de wuͤthend und drang mit ſeinem ſchweren ſtei-
nernen Schlachtſchwerdte ſo heftig auf ihn los,
daß dieſer kaum im Stande war, den Hieben
deſſelben auszubeugen. Endlich faßte ihn der
Wilde, warf ihn zu Boden, wandte ihm das
Schwerdt aus den Haͤnden, und wolte ihm eben
damit den Kopf vom Rumpfe hauen, als Ro-
binſon
gluͤklicher Weiſe die Gefahr bemerkte
und dem Kanibalen eine Kugel durch den Kopf
jagte.


Der Spanier war kaum wieder aufgeſprun-
gen, als er eine der wieder geladenen Flinten er-
grif, um denen nach zu laufen, welche in das Ge-
buͤſch fluͤchteten und Freitag geſelte ſich zu ihm.
Da dieſes nur wenige und noch dazu groͤßtentheils
Verwundete waren: ſo hielt Robinſon es fuͤr
beſſer auf dem Schlachtfelde zuruͤk zu bleiben,
als gleichfals nach zu laufen, um die Bewegung
der noch uͤbrigen Feinde, die nunmehr in ihren
Kaͤhnen waren, zu beobachten. Es waͤhrte
nicht lange, ſo kehrten ſeine beiden Mitſtreiter
S 3
zuruͤk
[278] zuruͤk mit der Nachricht, daß im Gebuͤſch kei-
ner mehr uͤbrig ſei.


Beide wolten unverzuͤglich in einen der zu-
ruͤkgelaſſenen Kaͤhne ſpringen, um denjenigen
nachzueilen, die mit vollen Segeln zu entfliehen
ſuchten; aber Robinſon hielt ſie zuruͤk und
ſagte: genug, meine Freunde! Wir haben des
Menſchenbluts ſchon mehr vergoſſen, als wir
vielleicht geſolt haͤtten. Moͤgen die Uebrigen
doch leben, da ſie, uns zu ſchaden, weder
Vorſaz noch Vermoͤgen mehr haben.


„Aber, ſagte Freitag, ſie werden viel-
leicht mit groͤſſerer Manſchaft zuruͤkkommen, wenn
wir ſie entfliehen laſſen!„


Nun, antwortete Robinſon, indem er ihm
freundlich auf die Schulter klopfte, ſo iſt unſer
Heer ja auch um ein Drittel groͤſſer, als es die-
ſen Morgen war; und zeigte dabei auf den Spa-
nier. Jezt koͤnnen wir es immer mit einer gan-
zen Legion dieſer Armſeeligen aufnehmen, beſon-
ders wenn wir ihren Anfal hinter Wal und Mau-
er erwarten wollen.


Lot-
[279]

Lotte. Das war doch wieder recht ſchoͤn
von Robinſon, daß er die andern Wilden nicht
auch todt machen wolte!


Vater. Allerdings war das gut ge-
handelt; denn grauſam wuͤrd' es geweſen ſein,
ohne dringende Noth ein Einziges dieſer armen
Geſchoͤpfe zu erwuͤrgen, die gar keinen Begrif
davon hatten, daß das, was ſie thaten, etwas
Boͤſes ſei, und die ſogar in dem traurigen Ir-
thume ſtanden, daß es etwas Verdienſtliches
ſei, recht viele Feinde geſchlachtet und verzehrt
zu haben.


Chriſtel. O das haͤtten ſie doch auch wohl
wiſſen koͤnnen, daß das nicht huͤbſch ſei!


Vater. Und woher, lieber Chriſtel, haͤt-
ten ſie das denn wohl wiſſen koͤnnen?


Chriſtel. O das weiß ja das kleinſte Kind,
daß es nicht recht iſt, einen umzubringen, um
ihn aufzueſſen!


Vater. Aber woher weiß denn dieſes das
kleinſte Kind? Nicht wahr, weil es fruͤhzeitig
belehrt worden iſt?


Chriſtel. Ja!


S 4
Va-
[280]

Vater. Und wenn's nun nicht belehrt wor-
den waͤre? Wenn ſogar ſeine Eltern und andere
erwachſene Menſchen, die es liebte und ehrte,
ihm von fruͤher Kindheit an immer vorgeſagt
haͤtten, daß es etwas ſehr ſchoͤnes ſei, ſeine
Feinde zu ermorden und aufzueſſen?


Chriſtel. Ja denn —


Vater. Nicht wahr, dan wuͤrd' es wohl
ſchwerlich einem Kinde jemahls einfallen, das
Gegentheil zu vermuthen? Es wuͤrde vielmehr,
ſobald es groß genug dazu waͤre, mit ſchlachten
und mit verzehren helfen. Und das war der
Fal, worin dieſe armen Wilden ſich befanden.
Wohl, uns, daß Gott uns nicht unter ihnen,
ſondern von geſitteten Eltern hat laſſen geboren
werden, die uns fruͤhzeitig lehrten, was recht
und unrecht, was gut und boͤſe ſei!


Unſer menſchenfreundlicher Held ging jezt mit
Traͤnen des Mitleids im Auge auf dem Schlacht-
felde umher, um zu ſehen, ob nicht Einem oder
dem Andern von denen, die noch lebten, viel-
leicht noch geholfen werden koͤnte? Aber die Mei-
ſten waren ſchon verſchieden; und die uͤbrigen
ſtar-
[281] ſtarben bald unter ſeinen Haͤnden, indem er ih-
nen Wein in die Wunden goß und ſie auf alle
Weiſe zu ermuntern ſuchte. Es waren der Tod-
ten uͤberhaupt ein und zwanzig. Die ſiegende
Armee betreffend, ſo war kein Man von ihr ge-
fallen, nicht einmahl einer verwundet worden;
nur daß der Spanier, da er zu Boden gewor-
fen war, eine Beule davon getragen hatte.


Mathias. Wie mogte denn der Spanier
den Wilden in die Haͤnde gefallen ſein?


Vater. Darnach zu fragen, hat Robin-
ſon
noch nicht Zeit; alſo muͤſſen wir gleichfals
unſere Neugierde bis Morgen ſich gedulden laſ-
ſen.


Alle. O ſchon wieder aus?


S 5
Sie-
[282]

Sieben und zwanzigſter Abend.


Mathias.


Na, Vater, wie war denn der Spanier un-
ter die Wilden gekommen?


Vater. Nur noch ein wenig Geduld, ſo
wirſt du's hoͤren! Es hat ſich unterdeß noch et-
was Anderes ereignet, welches ich zuerſt erzaͤh-
len muß.


Johannes. Nun, das ſol mich wundern!


Vater. Robinſon war neugierig, einen
der beiden zuruͤkgelaſſenen Kanoes zu beſichtigen;
trat alſo hinzu und fand in einem derſelben zu
ſeiner großen Verwunderung noch einen ungluͤk-
lichen Menſchen liegen, der ſo, wie der Spa-
nier, an Haͤnden und Fuͤßen feſt geknebelt war.
Er ſchien mehr todt, als lebendig zu ſein.


Robinſon eilte, ſeine Bande aufzuloͤſen,
und wolte ihm aufhelfen. Allein er war weder
im
[283] im Stande zu ſtehen, noch zu reden, ſondern
winſelte nur erbaͤrmlich, weil er vermuthlich in
der Meinung ſtand, daß man ihn jezt zur
Schlachtbank fuͤhren wolte.


Da dieſer kein Europaͤer, ſondern ein Wil-
der war: ſo rief Robinſon ſeinen Freitag
herbei, der eben die todten Koͤrper zuſammen
ſchlepte, um in ſeiner Landesſprache mit ihm zu
reden. Aber kaum hatte dieſer ihn recht ins
Auge gefaßt, ſo erfolgte ein Auftrit, dem Ro-
binſon
und der Spanier nicht ohne Traͤnen
beiwohnen konten. Freitag war nemlich auf
einmahl, wie auſſer ſich. Er flog dem Gefan-
genen in die Arme, kuͤßte, druͤkte ihn, ſchrie,
lachte, huͤpfte, tanzte, weinte, rang die Haͤn-
de, zerſchlug ſich Geſicht und Bruſt, ſchrie wie-
derum und bezeigte ſich durchaus, als ein Wahn-
wiziger. Es dauerte eine gute Weile, ehe Ro-
binſon
auf ſein wiederhohltes Fragen, die
Antwort von ihm heraus brachte: mein Va-
ter!


Es iſt unmoͤglich alle Aeuſſerungen der Ent-
zuͤkkung und der kindlichen Liebe dieſes guten
Bur-
[284] Burſchen zu beſchreiben. Zwanzig mahl ſprang
er aus dem Kahne und wieder in den Kahn.
Bald ſezt' er ſich nieder, machte ſeine Jakke
auf und legte ſeines Vaters Kopf an ſeine Bruſt,
um ihn zu erwaͤrmen; bald rieb er ihm die Ar-
me und Knoͤchel, welche von dem feſten Bin-
den ſteif geworden waren; bald fiel er ihm wie-
der um den Hals oder um den Leib und bedekte
ihn mit liebevollen Kuͤſſen. Robinſon hatte
noch etwas Wein in der Flaſche, womit er ihn
die angelaufenen Gliedmaßen ſeines Vaters be-
ſtreichen ließ; und ging, um ihn ſeiner Freude
ganz zu uͤberlaſſen, ein wenig auf die Seite.


Da er nach einer guten Weile zuruͤkkam,
fragt' er ihn: ob er ſeinem Vater nicht ein bischen
Brod gegeben haͤtte? „Der Schlingel hat alles
ſelber aufgegeſſen!„ antwortete Freitag, in-
dem er auf ſich ſelbſt wies. Robinſon reichte
ihm darauf ſein eigenes Fruͤhſtuͤk, welches er
noch in der Taſche hatte, und Freitag gab es
ſeinem Vater. Kaum hatt' er dies gethan, ſo
ſahe man ihn eiligſt aus dem Kahne ſpringen, und
mit der Geſchwindigkeit des Sturmwindes da-
von
[285] von laufen. Ehe Robinſon Wohin? aus-
ſprechen konte, war er ihm ſchon aus dem Ge-
ſichte.


In kurzer Zeit ſahe man ihn zuruͤk kommen,
jedoch viel langſamer, als er hingelaufen war.
Da er naͤher kam, zeigt' es ſich, daß er in der
einen Hand einen irdenen Krug mit Waſſer, in
der andern etwas Brod und Kaͤſe trug. Jenes
reicht' er ſeinem Vater, dieſes ſeinem Herrn,
um ihn fuͤr das abgetretene Fruͤhſtuͤk ſchadlos zu
halten. Das friſche Waſſer erquikte den Alten
zuſehends, weil er vor Durſt beinahe ohnmaͤch-
tig geweſen war.


Jezt wandte ſich Robinſon zu dem Spa-
nier,
der ſich ganz kraftlos ins Gras geſtrekt
hatte. Er ließ ihn gleichfals durch Freitag
traͤnken und bot ihm etwas Brod und Kaͤſe zur
Erquikkung an. Dieſer blikte mit freundlicher
Dankbarkeit zu ihm auf; verſuchte aufzuſtehen,
aber es war ihm unmoͤglich; ſo viel Schmerzen
empfand er in den Knoͤcheln der Haͤnde und Fuͤſ-
ſe, die von dem ſtarken Binden ſehr angeſchwol-
len waren. Freitag muſte ſich neben ihm ſe-
zen,
[286] zen, um ſie ihm gleichfals mit etwas Wein ſanft
zu reiben, ſo wie er vorher ſeinem Vater gethan
hatte.


Da war es nun ſehr ruͤhrend anzuſehen,
wie dieſer gute Sohn waͤhrend des ihm aufge-
tragenen Geſchaͤftes alle Augenblikke den Kopf
nach ſeinem Vater hindrehete, um zu ſehen,
was er mache? Einmahl, da der Alte, um beſ-
ſer auszuruhen, ſich ganz niedergelegt hatte, flog
Freitag, ohne ein Wort zu ſagen, ſo geſchwind
zu ihm hin, daß man kaum bemerken konte, daß
er den Boden beruͤhrte; kehrte aber augenbliklich
wieder zuruͤk, ſo bald er geſehen hatte, daß ſein
Vater ſich nur aus Gemaͤchlichkeit ein wenig nie-
dergelegt habe. Dan wolte Robinſon verſu-
chen, ob er mit Freitags Huͤlfe den Spanier
nach dem Kahne fuͤhren koͤnte: aber Freitag,
als ein junger ſtarker Kerl, nahm den ganzen
Spanier, als eine Kleinigkeit, auf den Ruͤkken,
und trug ihn allein dahin. Nachdem ſie darauf
die Kanonen, und die Flinten, nebſt den erbeu-
teten Waffen der Erſchlagenen in den andern Kahn
gebracht hatten, ſprang Freitag wieder in den
er-
[287] erſten, und ruderte, ohngeachtet ein ſtarker
Wind zu wehen angefangen hatte, ſo ſchnel da-
mit fort, daß Robinſon nicht ſo geſchwind am
Strande laufen konte, als jener ſchifte. Die-
ſer war daher noch nicht auf die Haͤlfte des We-
ges gekommen, als er Freitag ſchon wieder bei
ſich vorbei zuruͤk rennen ſahe, um auch den an-
dern Kahn herbei zu hohlen; und ehe noch Ro-
binſon
an dem Orte anlangen konte, wo der
erſte Kahn mit den Kranken lag, war Freitag
mit dem andern auch ſchon da. So groß war
die Geſchwindigkeit, mit welcher dieſer laufen
und rudern konte!


Jezt waren ſie der Burg gegen uͤber. Um
die Fortbringung der beiden Kranken zu erleich-
tern, lief Robinſon hin, eine Tragbahre zu
holen. Auf dieſe wurde Einer nach dem An-
dern geſezt und von Robinſon und Freitag
zur Burg getragen. Beiden ſchien der Schlaf
noͤthiger, als alles andere zu ſein. Indeß nun
Freitag fuͤr jeden ein Lager bereitete, waͤrmte
Robinſon etwas Wein, um ihre geſchwollene
Knoͤ-
[288] Knoͤchel damit zu waſchen. Dan muſten ſie ſich
zur Ruhe begeben.


Und nun machten die beiden Wirthe Anſtalt
zu einer erquikkenden Abendmahlzeit. Freitag
wurde abgeſchikt ein junges Lama zu holen und
Robinſon beſorgte das Uebrige. Dieſer konte
nicht umhin zu laͤcheln, da ihm der Gedanke
einfiel, daß er einem ordentlichen Koͤnige nun
immer aͤhnlicher werde. Die ganze Inſel war
ſein Eigenthum; ſeine Unterthanen, die ihm alle
ihr Leben verdankten, hingen lediglich von ſei-
nem Willen ab, und waren verbunden, wenn
es ſein muͤſte, Leib und Leben fuͤr ihn zu wa-
gen. Am merkwuͤrdigſten ſchien ihm dabei der
Umſtand zu ſein, daß er grade eben ſo viele Re-
ligionsſekten, als Unterthanen, in ſeinem Rei-
che hatte. Freitag hatte diejenige chriſtliche
Religion von ihm angenommen, welche die Pro-
teſtanten
bekennen. (Ihr Groͤſſern wißt,
was dieſer Nahme bedeutet; ihr Kleinern aber,
muͤſt euch gedulden, bis ihr erſt ein wenig ver-
ſtaͤndiger geworden ſeid; dan ſolt ihr's auch hoͤ-
ren.) Freitag alſo, war, wie geſagt, ein
Pro-
[289] Proteſtant, der Spanier ein katholiſcher
Chriſt, Freitags
Vater ſogar noch ein Heide.


„Was muſt du nun wohl dabei thun?„
dachte Robinſon. „Haͤtteſt du nicht etwa
das Recht, ſie alle mit Gewalt zu zwingen, ſich
zu demjenigen Glauben zu bekennen, den du fuͤr
den beſten haͤltſt?„ Er ſan daruͤber nach, weil
es eine Sache war, an die er noch niemahls ge-
dacht hatte.


Und was meint ihr nun, Kinder, daß ſein
geſunder Menſchenverſtand ihm darauf geant-
wortet habe? Durft' er ſeine Unterthanen zwin-
gen ſeine eigene Religion anzunehmen, oder
nicht?


Alle. O bei Leibe nicht!


Vater. Warum denn nicht?


Johannes. Ja, weil das keinen etwas
angeht, was Einer glaubt, wenn er nur ſo
lebt, wie ſich's gebuͤhrt.


Vater. Aber wenn nun Einer, der uͤber
einen Andern Macht hat, einſieht, daß dieſer
einen Irthum habe; ſolt' es ihm dan nicht er-
T
laubt
[290] laubt ſein, ihn zu zwingen, ſeinen Irthum
fahren zu laſſen?


Hans. Ja, was wuͤrde das helfen? Da-
durch, daß einer gezwungen wird, etwas zu
glauben, wird er ja nicht kluͤger und nicht beſſer.


Vater. Richtig! Denn dadurch wird er ja
nicht uͤberzeugt, daß er vorher im Irthum
geweſen ſei. Und was kan uns ein Bekentniß
nuͤzen, von deſſen Wahrheit wir nicht uͤberzeugt
ſind? — Und denn, woher weiß denn der Erſte
ſo ganz gewiß, daß der Andere, den er zu ſei-
nem Glauben zwingen wil, im Irthum ſei?
Koͤnt' es nicht auch moͤglich ſein, daß er, er
ſelbſt, ſich darin befaͤnde?


Hans. O ja!


Vater. Warum?


Hans. Weil alle Menſchen irren koͤnnen.


Vater. Und ſich alſo keiner einfallen laſſen
darf, ſeine Meinungen fuͤr untruͤgliche Wahr-
heit zu halten!


Gott alſo, lieben Kinder, Gott allein, als
dem einzigen Untrieglichen, koͤmt es zu, Richter
unſers Glaubens zu ſein. Er allein weiß ganz
ge-
[291] genau, wie viel Wahrheit oder Irthum in un-
ſeren Meinungen ſei; er allein weiß auch ganz
genau, wie redlich, oder wie leichtſinnig wir bei
der Erforſchung der Wahrheit zu Werke gegan-
gen ſind; er allein weiß auch alſo nur, in wie
fern wir an unſerm Irthume ſchuldig, oder un-
ſchuldig ſind.


Unſer Robinſon ſtelte ſich die Sache ohn-
gefaͤhr eben ſo vor. Verwuͤnſcht, rief er daher
aus, verwuͤnſcht ſei der unvernuͤnftige Eifer,
jemanden mit Gewalt zu ſeinem Glauben bekeh-
ren zu wollen! Verwuͤnſcht die blinde Wuth,
ſeinen Bruder zu verfolgen und zu quaͤlen, blos
weil er ſo ungluͤklich iſt zu irren und ſo tugend-
haft, nichts mit dem Munde bekennen zu wollen,
wovon er in ſeinem Herzen noch nicht uͤberzeugt
iſt! Auf meiner Inſel wenigſtens ſol dieſe Un-
menſchlichkeit nie ſtat finden. Zwar wil ich
thun, was ich kan, um meine neuen Mitbuͤr-
ger zu belehren: aber ſolt' ich nicht ſo gluͤklich
ſein, ſie von ihrem Irthume und von der Wahr-
heit meiner Religion zu uͤberzeugen: ſo moͤgen
ſie glauben, was ſie koͤnnen und nicht mir —
T 2
ih-
[292] ihrem irrenden Mitbruder — ſondern Gott einſt
Rechenſchaft davon geben.


Es ward alſo beſchloſſen, daß Allen ohne
Ausnahme, eine freie Religionsuͤbung zugeſtan-
den werden ſolte, fals ſie, nach erhaltenem Un-
terrichte, nicht ſelbſt fuͤr gut finden ſolten, ei-
nen und eben denſelben Glauben anzunehmen.


Mitlerweile war Freitag zuruͤkgekommen
und nun ging's friſch ans Kochen und ans Bra-
ten. Dieſer Tag, ſagte Robinſon, muß uns
ein doppelter Feſttag ſein, weil wir zwei unſerer
Bruͤder aus den Klauen menſchlicher Tiger ge-
riſſen haben, und weil du, Freitag, deinen
Vater wieder erhalten haſt. Das Beſte alſo,
was wir haben, ſol heute auf unſerm Tiſche
ſein!


Freitag bedurfte nicht, zur Freude erſt er-
muntert zu werden. Noch nie war er ſo luſtig
geweſen, als heute. Er hoͤrte gar nicht auf,
zu ſingen, zu ſpringen und zu lachen; doch ver-
richtete er dabei alles, was er zu thun hatte,
auf das hurtigſte und ordentlichſte; und wenn
man das thut, ſo iſt Luſtigkeit kein Fehler.


Jezt
[293]

Jezt waren die beiden Gaͤſte erwacht. Ohn-
geachtet ſie noch einige Schmerzen empfanden,
ſo fuͤhlten ſie ſich doch ſchon ſo erquikt und geſtaͤrkt,
daß ſie, mit Freitags und Robinſons Huͤlfe
aufſtehen und ſich zu Tiſche ſezen konten. Und
nun bezeigte ſich der alte Wilde bei allem, was
er hier ſahe, eben ſo verwundrungsvol und er-
ſtaunt, als ſein Sohn geweſen war, da er die
europaͤiſchen Sachen zum erſtenmahle ſahe.


Freitag muſte ſeinem Herrn zum Dolmet-
ſcher dienen, indem dieſer ſich mit ſeinem Va-
ter und mit dem Spanier unterredete.


Ferdinand. Verſtand er denn Spaniſch?


Vater. Nein! Aber der Spanier der ſchon
ein halbes Jahr unter den Wilden gelebt hatte,
verſtand ſchon etwas von Freitags Landesſpra-
che, und konte ſich alſo gegen ihn einigermaaſ-
ſen verſtaͤndlich machen. Der Hauptinhalt ſei-
ner Erzaͤhlung war folgender:


„Unſer Schif war zum Sklavenhandel be-
ſtimt. Wir kamen von der afrikaniſchen Kuͤſte,
wo wir gegen allerlei europaͤiſche Sachen, Gold-
koͤrner, Elfenbein, und ſchwarze Menſchen
T 3
ein-
[294] eingetauſcht hatten. Der leztern hatten wir
hundert geladen, die nach Barbados gefuͤhrt
und alda verkauft werden ſolten. Zwanzig da-
von waren aber ſchon geſtorben, weil man ſie,
wie die Heringe, eingepakt hatte. Ein anhalten-
der gewaltiger Sturm verſchlug uns von un-
ſerm Laufe bis an die Kuͤſte von Braſilien und
weil unſer Schif dabei lek geworden war: ſo ge-
traueten wir uns nicht wieder auf die hohe See
zu fahren, ſondern ſteuerten vielmehr laͤngſt der
Kuͤſte des feſten Landes herauf. Ploͤzlich uͤber-
fiel uns ein abermahliger Sturm, der aus We-
ſten bließ. Dieſer trieb uns wuͤthend von dem
feſten Lande weg und warf uns zur Nachtzeit,
ohnweit einer Inſel, auf Felſen. Wir thaten
einige Nothſchuͤſſe und waren entſchloſſen, auf
dem Schiffe auszuhalten, ſo lange es moͤglich
ſein wuͤrde. In dieſer Abſicht loͤſeten wir die
Feſſeln der gefangenen Schwarzen, damit ſie
helfen ſolten, das eindringende Waſſer auszu-
pumpen. Aber dieſe fuͤhlten ſich kaum auf frei-
en Fuͤßen, als ſie ſich einmuͤthig der Boͤte be-
maͤchtigten, um damit ihre Freiheit und ihr Le-
ben zu retten.„


„Was
[295]

„Was wolten wir nun thun? Sie zwingen
konten wir nicht; denn unſerer waren nur funf-
zehen, ihrer hingegen achtzig und viele unter ih-
nen hatten ſich uͤberdem unſerer Waffen bemaͤch-
tiget. Ohne Boot aber auf einem geſtrandeten
Schiffe zuruͤk zu bleiben, war ſichtbare Todes-
gefahr. Wir legten uns alſo aufs Bitten und
ſuchten diejenigen, welche kurz vorher unſere
Sklaven geweſen waren, durch unſer Flehen
zu bewegen, entweder zu bleiben, oder uns we-
nigſtens mit zu nehmen. Und hier kan ich nicht
umhin, die Großmuth und Menſchlichkeit dieſer
armen Sklaven zu ruͤhmen. Ohngeachtet unſer
Verfahren gegen ſie ſehr hart geweſen war, lieſ-
ſen ſie ſich doch von Mitleid ruͤhren, und erlaub-
ten uns, zu ihnen hinab zu ſteigen unter der Be-
dingung, daß wir keine Waffen mitnaͤhmen.
Wir gingen die Bedingung ein und ſprangen in
die Boͤte, die nun ſo ſehr belaſtet waren, daß
wir in jedem Augenblikke unſern Untergang er-
warteten.„


„Wir bemuͤheten uns indeß, die nahgele-
gene Inſel zu erreichen; aber ploͤzlich drehete ſich
T 4
der
[296] der Wind, und trieb uns, alles Ruderns unge-
achtet, wieder der offenbaren See zu. Unſer
Tod ſchien nun nicht mehr zweifelhaft zu ſein.
Allein zu unſerm eigenen Erſtaunen hielten ſich
die ſchwerbeladenen Boͤte, von hoch aufſchwel-
lenden Wogen geſchaukelt, noch immer gluͤklich
uͤber Waſſer, bis wir endlich ganz unerwartet,
und ohne einen einzigen Man verloren zu haben,
an eine uns voͤllig unbekante Inſel geworfen wur-
den, deren armſeelige Bewohner uns ungemein
liebreich aufnahmen.„


„Bei dieſen haben wir nun bis jezt gelebt,
jeder ſo gut er konte; aber freilig armſeelig ge-
nug, weil die armen Wilden ſelbſt nichts hatten,
als die Fiſche, die ſie fingen und einige wenige
Fruͤchte, welche die Inſel traͤgt. Dennoch theil-
ten ſie mit uns, was ſie hatten, und gaben uns
Anweiſung, wie wir ſelbſt fiſchen koͤnten. Am
beſten befanden ſich unſere Schwarzen dabei, weil
ſie keine andere Lebensart gewohnt, und nun
noch dazu in Freiheit waren.„


„Vor einigen Tagen wurde die Inſel von
einem benachbarten Volke kriegeriſch angefallen.
Alles
[297] Alles grif zu den Waffen, und da hielten wir
es fuͤr Pflicht, unſern guten Gaſtfreunden bei-
zuſtehen. Ich focht an der Seite dieſes ehrli-
chen Alten, der wie ein Loͤwe, dem man ſeine
Jungen geraubt hat, in den Feind eindrang, wo
er am dikſten ſtand. Ich ſahe ihn umringt, wol-
te ihm beiſpringen und hatte das Ungluͤk mit ihm
zugleich ergriffen zu werden.„


„Zwei Tage und zwei Naͤchte hab' ich in
dieſer traurigen Gefangenſchaft, an Haͤnden und
Fuͤßen geknebelt zu gebracht; und weder gegeſ-
ſen, noch getrunken. Denn alles, was man
mir vorwarf, waren faule Fiſche, welche die
See ausgeſpien hatte.„


„Dieſen Morgen mit Anbruch des Tages
wurden wir in die Kanoes geſchlept, um den
Unmenſchen, ihrer Gewohnheit nach, an einem
andern Orte zur Speiſe zu dienen. Und da fuͤhr-
te die goͤtliche Vorſehung euch, ihr edlen Maͤn-
ner, zu unſerer Rettung herbei, um uns eine
Wohlthat zu erweiſen, die wir euch nie werden
vergelten koͤnnen.„


T 5
Hier
[298]

Hier ſchwieg der Spanier und Traͤnen der
Dankbarkeit rolten ihm die Wangen herab.
Robinſon war entzuͤkt, ſeine neuliche Ver-
muthung ſo ganz beſtaͤtiget zu ſehen, und Frei-
tag
bewunderte mit ihm die Weisheit und Guͤte
der goͤtlichen Vorſehung.


Auf die Frage: wem das Schifsgut eigent-
lich gehoͤrt habe? antwortete der Spanier:
daß es von zwei Kaufleuten in Kadix ware be-
frachtet worden; aber nur der Eine von ihnen,
habe Kommißion gegeben an der afrikaniſchen
Kuͤſte Schwarze einzuhandeln; der Andere hin-
gegen, dem dieſer Handel ein Greuel geweſen
ſei, habe fuͤr ſeine Waaren nichts, als Gold-
koͤrner, verlangt.


Hierauf nahm Robinſon den Spanier
bei der Hand, fuͤhrte ihn in ſein Vorrathshaus
und in ſeine Hoͤhle und zeigte ihm, zu ſeinem
Erſtaunen, daß das Wichtigſte von dem geſtran-
deten Schiffe hier beiſammen ſei. Freitag mu-
ſte ihm die Geſchichte davon erzaͤhlen; und der
Spanier konte vor lauter Verwunderung kaum
ein Wort ſprechen.


Ro-
[299]

Robinſon erkundigte ſich hierauf noch:
fuͤr weſſen Rechnung denn die Diamanten gewe-
ſen waͤren? Und wem die Offizierkleider gehoͤrt
haͤtten, die er auf dem Schiffe vorgefunden
habe? und erhielt zur Antwort: beides waͤre
der Nachlaß eines engliſchen Offiziers geweſen,
der ſich lange in Oſtindien aufgehalten habe,
und auf ſeiner Ruͤkreiſe nach England ſo krank
geworden ſei, daß man ihn auf ſein Verlangen
an der afrikaniſchen Kuͤſte ans Land geſezt habe.
Daſelbſt ſei er geſtorben. Das Spaniſche Schif
habe ſeinen Nachlaß nach Barbados mitneh-
men ſollen, um von da nach England gebracht
zu werden.


Robinſon zeigte ihm darauf alle vom
Schiffe gerettete Schriften vor, worin der Spa-
nier ſo wohl den Nahmen des Kaufmans, dem
die Goldkoͤrner gehoͤrten, als auch den Nahmen
der Offizierwitwe fand, der die Diamanten und
die Kleidungsſtuͤkke ihres verſtorbenen Mannes
hatten geſchikt werden ſollen. Und von dieſem
Augenblikke an verwahrte Robinſon die Gold-
koͤrner, die Diamanten und dieſe Papiere als
ein Heiligthum.


Un-
[300]

Unterdeß war der Abend angebrochen und
die uͤberſtandenen Muͤhſeeligkeiten und Gefahren
des Tages hatten Aller Kraͤfte ſo ſehr erſchoͤpft,
daß ſie der wohlthaͤtigen Erquikkungen des
Schlafs fruͤher, als gewoͤhnlich, bedurften.
Sie thaten alſo, was wir auch thun wollen,
ſobald wir Gott fuͤr die ungeſtoͤrte Ruhe und
Gluͤkſeeligkeit, die uns heute wieder zu Theil
ward, werden gedankt haben.


Acht und zwanzigſter Abend.


Vater.


Am folgenden Morgen berief Robinſon fruͤh-
zeitig ſein ganzes Reich zuſammen, um mit ver-
einigten Kraͤften ein Geſchaͤft auszufuͤhren, wel-
ches keinen Aufſchub litte.


Hans. Nun?


Vater. Die todten Koͤrper der Erſchlage-
nen lagen noch auf dem Schlachtfelde, und es
war
[301] war zu beſorgen, daß durch die ſchaͤdlichen Aus-
duͤnſtungen derſelben eine gefaͤhrliche Seuche ent-
ſtehen koͤnte. Sie verſahen ſich alſo ſaͤmtlich
mit Beilen und gingen nach dem furchtbaren
Orte hin.


Ferdinand. Mit Beilen?


Vater. Ja; nicht um Graͤber zu machen,
denn dazu wuͤrden ſie Schaufeln und Spaten
mitgenommen haben, ſondern um Holz zu faͤl-
len und einen Scheiterhaufen zu errichten, auf
welchen ſie die todten Leiber alle auf einmahl zu
Aſche zu brennen, ſich vorgenommen hatten.


Johannes. So wie es die Roͤmer mit
ihren Todten machten!


Vater. Auch andere Voͤlker des Alter-
thums. Robinſon wolte nemlich durchaus
nicht die ſchaͤdliche Gewohnheit ſeiner, in dieſem
Stuͤkke noch ſehr unweiſen Landsleute mitma-
chen, die damahls noch unverſtaͤndig genug wa-
ren, die Leiber ihrer Verſtorbenen mitten in den
Staͤdten, ja ſogar in den Kirchen beizuſezen,
wo ſie Seuchen und Tod fuͤr die Lebenden aus-
hauchten.


Ma-
[302]

Mathias. J das thun ſie ja noch!


Vater. Leider! Und das ſei euch aber-
mahls ein Beiſpiel, wie ſchwer es den Menſchen
faͤlt, boͤſe Gewohnheiten wieder abzuſchaffen.
Deswegen eben rathe ich euch ſo oft, daß ihr
euch ja beſtreben moͤget, fruͤhzeitig Weiſe und
gut zu werden. Denn hat man Thorheiten und
Laſter erſt einmahl angenommen und ſind ſie un-
gluͤklicher weiſe uns erſt zur Gewohnheit ge-
worden: o dan haͤlt es ſehr, ſehr ſchwer, ſie
jemahls wieder abzulegen, wenn man ihre Schaͤd-
lichkeit auch noch ſo deutlich erkant hat.


Jederman weiß jezt, daß die Ausduͤnſtun-
gen der todten Koͤrper fuͤr die Lebenden vergif-
tend ſind: aber faͤhrt man nicht dem ohngeachtet
fort, ſie auf den Kirchhoͤfen in der Stadt zu be-
graben, oder gar in Kirchengewoͤlbe zu ſezen,
wo ſie nicht einmahl mit Erde bedekt ſind. Viel-
leicht wird noch ein ganzes Jahrhundert verſtrei-
chen, ehe es den Menſchen einfaͤlt, an die Ab-
ſchaffung dieſes boͤſen Gebrauches mit Ernſt zu
denken.


Hans.
[303]

Hans. Ich wolte nur, daß ich etwas zu
befehlen haͤtte: ſo ſolt's nicht lange mehr waͤhren!


Vater. Sieh da, lieber Hans, eine der
vorzuͤglichſten Urſachen, die dich und alle andere
jungen Leute bewegen muß, euch recht viele und
große Verdienſte zu erwerben, dieſe nemlich:
weil alsdan eure Mitmenſchen viel Ver-
trauen auf euch ſezen und euch zu Aem-
tern hervorziehen werden, die euch be-
rechtigen, viele ſchaͤdliche Mißbraͤuche
abzuſchaffen und viele nuͤzliche Einrich-
tungen einzufuͤhren.
Euch alle ſcheint der
Himmel dazu beſtimt zu haben, ſolche viel ver-
moͤgende Menſchen zu werden, die ein Seegen
fuͤr die ganze Geſelſchaft ihrer Mitbuͤrger ſein
koͤnnen: denn alles, was dazu gehoͤrt, hat ſei-
ne guͤtige Vorſehung an euch verwandt. Sie
hat euch laſſen von guten, rechtſchaffenen Eltern
gebohren werden, welche das Vertrauen und die
Liebe ihrer Mitbuͤrger haben; ſie hat euch einen
geſunden Leib und unverwahrloſete Selenkraͤfte
gegeben, und laͤßt euch nun auch eine Erzie-
hung angedeien, deren ſich noch nicht viele Men-
ſchen
[304] ſchen ruͤhmen koͤnnen. Alles alſo, was dazu ge-
hoͤrt, ein treflicher vielvermoͤgender Man zu
werden, hat der guͤtige Himmel euch verliehen:
Schande fuͤr den, der nun nicht wolte!


Doch das beſorge ich nicht von euch. Sol-
tet ihr alſo, wie ich zu Gott hoffe, eure große
Beſtimmung erreichen; ſoltet ihr wirklich ſolche
Maͤnner werden, welche Einfluß auf die Gluͤk-
ſeeligkeit von tauſend andern Menſchen haben:
o ſo braucht doch ja das Anſehen, welches man
euch verwilligen wird, dazu, des Boͤſen immer
weniger, des Guten immer mehr zu machen un-
ter euren Bruͤdern, und Freud' und Gluͤkſee-
ligkeit rund um euch her zu verbreiten! Dan er-
innert euch auch der heutigen Veranlaſſung zu
dieſer meiner vaͤterlichen Ermahnung und bewe-
get, wenn ihr koͤnt, eure Mitbuͤrger, die Leich-
name ihrer Todten an ſolchen Oertern zu ver-
ſcharren, wo ihre Ausduͤnſtungen keine Peſt un-
ter den Lebenden verurſachen koͤnnen.


Nikolas. Wenn ich nur wieder in die
Stadt komme: ſo wil ich's meinem Grosvater
und meinen Onkeln ſagen; die ſollens wohl ma-
chen!


Va-
[305]

Vater. Thue das, lieber Nikolas! —


Robinſon und ſeine Gefaͤhrten waren jezt
mit dem Verbrennen der todten Koͤrper fertig
und gingen wieder nach Hauſe. Freitag hatte
unterdeß ſeinen Vater gelehrt, daß geſittete
Leute kein Menſchenfleiſch aͤßen, welches dieſem
anfangs auch gar nicht recht einleuchten wolte.
Aber Freitag fuhr fort, ihm alles dasjenige
wieder zu erzaͤhlen, was er ſelbſt von ſeinem
Herrn gelernt hatte, und brachte ihn dadurch in
kurzer Zeit zu einem wahren Abſcheu gegen dieſe
unmenſchliche Gewohnheit. Dieſem Alten gab
Robinſon aus dem Grunde, weil er doch eher,
als ſein Sohn geweſen waͤre, den Nahmen
Donnerſtag; und ſo wollen wir ihn denn kuͤnf-
tig auch nennen.


Jezt berief Robinſon Alle zu einer Raths-
verſamlung, in welcher Freitag abermahls ſein
Dolmetſcher ſo wohl gegen den Spanier, als
auch gegen den alten Donnerſtag, ſein muſte.
Er ſelbſt, als das Haupt der uͤbrigen, eroͤfnete
die Sizung mit folgender kurzen Anrede:


U
„Mei-
[306]

„Meine guten Freunde, wir, die wir hier
verſamlet ſind, ſehen uns jezt im Beſize al-
ler dererjenigen Dinge, die zu einem ruhigen
und vergnuͤgten Leben erfodert werden. Aber
ich fuͤr mein Theil werde dieſes Seegens doch
nicht mit ruhigem Herzen genießen koͤnnen, ſo
lange es Menſchen giebt, die ein groͤſſeres Recht,
als ich, dazu haͤtten, und die demohngeachtet
in Mangel und Elend hinſchmachten muͤſſen.
Eure Landsleute, europaͤiſcher Freund, die un-
ter den Wilden noch zuruͤkgebliebenen Spanier,
meine ich. Es iſt daher mein ernſtlicher Wille,
daß mir jeder von euch ſeine Gedanken eroͤfne,
wie wir es am kluͤglichſten anzufangen haben,
um dieſe Nothleidenden mit uns zu vereinigen?„


Er ſchwieg; und jeder ließ nun ſeine Mei-
nung hoͤren. Der Spanier erbot ſich, in einem
der erbeuteten Kaͤhne allein hinzufahren, um ſie
abzuholen. Ein Gleiches zu thun, war auch
Donnerſtag bereit. Freitag hingegen rieth,
daß ſein alter Vater zuruͤkbleiben, und daß es
ihm vielmehr vergoͤnt ſein moͤgte, den Spanier
zu begleiten. Da nun hieruͤber ein großmuͤthiger
Wet-
[307] Wetſtreit entſtand, indem der Eine noch lieber,
als der Andere, ſein Leben wagen wolte: ſo ſa-
he ſich Robinſon endlich genoͤthiget, einen
entſcheidenden Ausſpruch zu thun, dem alle,
wie es ſich geziemte, freudigſt ſich unterwarfen.
Dieſer fiel dahin aus, daß Donnerſtag und
der Spanier abreiſen, Freitag hingegen bei
ihm zuruͤkbleiben ſolte.


Karl. Warum ſchikt' er aber nicht lieber
Freitag hin, als den armen Alten?


Vater. Theils aus Liebe zu Freitag, den
er unmoͤglich, ohne zu zittern, einer Gefahr
ausſezen konte, bei der er ſelbſt nicht zu gegen
waͤre, theils deswegen, weil der Alte noch beſ-
ſer, als ſein Sohn, mit dem Meere und der
Schiffarth bekant zu ſein ſchien. Der Spanier
hingegen muſte um deswillen mit, weil ſeine
Landesleute auf Robinſons Einladung ſonſt
wohl nicht zu kommen ſich getrauet haͤtten.


Es ward alſo beſchloſſen, daß die genanten
beiden ihre Reiſe dahin naͤchſtens antreten ſol-
ten. Vorher aber muſte dafuͤr geſorgt werden,
daß ein, wenigſtens zehnmahl groͤſſerer Akker
U 2
um-
[308] umgearbeitet, und beſtelt wuͤrde: weil die Ver-
groͤſſerung der Kolonie auch eine Vergroͤſſerung
des taͤglichen Aufwandes an Nahrungsmitteln
zur Folge hatte.


Alle wurden daher auf einige Wochen Ak-
kersleute und da es jeder von ihnen mit der Ar-
beit ehrlich meinte: ſo ging auch alles ſehr gut
und ſehr geſchwind von ſtatten. Nach vierzehn
Tagen war alles gethan und man machte daher
Anſtalt zu der beſchloſſenen Reiſe.


Ehe dieſe aber vor ſich ging, gab der Spa-
nier
einen Beweis ſeiner Ehrlichkeit und ſeiner
dankbaren Liebe gegen Robinſon, welcher zu-
gleich von einer klugen Vorſichtigkeit zeugete.
Er ſagte nemlich: ſeine Landesleute waͤren, ſo
wie er, nur gemeine Matroſen geweſen, alſo
Leute ohne alle Erziehung. Er kenne ſie nicht
genau genug, um fuͤr aller gute Gemuͤthsart
Buͤrge ſein zu koͤnnen. Sein Rath waͤre daher,
daß Robinſon, als Herr der Inſel, erſt ge-
wiſſe Bedingungen aufſezte, unter denen er ſie
aufnehmen wolte, und daß dan keiner mitge-
nommen wuͤrde, als welcher dieſe Bedingungen ſich
gefallen lieſſe.


Ro-
[309]

Robinſon freuete ſich uͤber die Treue ſei-
nes neuen Unterthans, und that, was er ihm
gerathen hatte. Die Bedingungen die er auf-
ſezte, waren folgende:


„Wer auf Robinſons Inſel leben, und
an den Bequemlichkeiten, die ſie darbietet, An-
theil nehmen wil: der muß ſich verpflichten:


1. Dem Willen des rechtmaͤßigen Herrn derſel-
ben in allen Stuͤkken nachzukommen, und ſich
alle diejenigen Geſeze und Anordnungen gern
gefallen zu laſſen, die derſelbe zum Wohl des gan-
zen Staats fuͤr noͤthig erachten wird;


2. Ein arbeitſames, maͤßiges und tugendhaftes
Leben zu fuͤhren; weil kein Fauler, kein
Schlemmer und uͤberhaupt kein laſterhafter
Menſch auf dieſer Inſel geduldet werden ſol;


3. Sich alles Zankens und Streitens zu enthal-
ten, und im Fal einer Beleidigung, nie ſein
eigener Richter ſein zu wollen, ſondern viel-
mehr ſeine Klage vor dem Herrn der Inſel
oder vor demjenigen anzubringen, dem dieſer
das Richteramt uͤbertragen wird;


U 3
4.
[310]

4. Alle diejenigen Arbeiten, die zum Wohl der
ganzen Geſelſchaft noͤthig ſein werden, ohne
Murren zu uͤbernehmen, und im Fal der Noth
dem Herrn der Inſel mit Leib und Leben beizu-
ſtehen;


5. Mit Allen fuͤr einen Man wider denjenigen
zu ſtehen, der ſich erdreiſten duͤrfte, das Eine
oder das Andere dieſer billigen Geſeze zu uͤber-
ſchreiten, um einen ſolchen entweder zum Ge-
horſam zuruͤk zu bringen oder ihn auf immer
von der Inſel zu verbannen.


Jeder wird ermahnt, dieſe Punkte erſt reif-
lich zu uͤberlegen und ſeinen Nahmen, ſtat einer
eidlichen Verſicherung, nur dan erſt zu unter-
ſchreiben, wenn er voͤllig entſchloſſen iſt, ihnen
in allen Stuͤkken nach zu leben.


Robinſon.


Der Spanier muſte dieſen Aufſaz erſt in ſei-
ne Landesſprache uͤberſezen und es ward verab-
redet, daß er Feder und Tinte mitnehmen ſolte,
um
[311] um ihn von ſeinen Landesleuten, vor ihrer Ab-
reiſe erſt unterſchreiben zu laſſen.


Und nun ſuchten ſie ſich den beſten unter
den beiden erbeuteten Kanoes aus, und mach-
ten Anſtalt zu ihrer Abreiſe.


Konrad. Hatten denn alle die Spanier
wohl in einem einzigen Kanoe Raum?


Vater. Nein! Aber ſie brauchten dieſes
kleine Schif auch nur zur Hinreiſe. Zuruͤk kon-
ten ſie in den Boͤten des geſtrandeten Schiffes
kommen, welche, wie der Spanier verſicherte,
noch in gutem Stande waren.


Nachdem hinlaͤnglicher Proviant an Bord
des Kahns gebracht war und ſich ein guͤnſtiger
Wind erhob, nahmen unſere Reiſende einen
zaͤrtlichen Abſchied von Robinſon und Freitag
und giengen unter Segel. Freitag war ganz
auſſer ſich vor Betruͤbniß, daß er ſich von ſeinem
Vater trennen muſte. Schon am Abend vor der
Abreiſe deſſelben hatt' er ſtundenlang geweint und
vor Traurigkeit gar nichts genieſſen koͤnnen. Jezt
aber da die Trennung wirklich vor ſich ging, war er
vollends untroͤſtbar. Alle Augenblikke fiel er
U 4
ſei-
[312] ſeinem Vater von neuem um den Hals und be-
nezte ſein Geſicht mit Traͤnen. Der Alte muſte
ſich endlich mit Gewalt von ihm loswinden;
aber, da er ſchon im Schiffe war, und der Kahn
jezt eben vom Lande ſtieß, ſprang Freitag ihm
nach ins Meer, und ſchwam an die Seite des
Kahns, um ihn noch einmahl zu kuͤſſen und ihm
noch einmahl ein Lebewohl! zu zu ſchluchzen. Dan
kehrte er wieder um nach dem Strande, ſezte
ſich daſelbſt auf einer Anhoͤhe nieder und ſahe
dem forteilenden Kahne unter vielen Seufzern
und Traͤnen ſo lange nach, bis er aus ſeinen Au-
gen verſchwunden war.


Robinſon, der ihn zu zerſtreuen wuͤnſchte,
wandte den groͤßten Theil dieſes Tages zur Jagd
und zu Luſtwanderungen durch die Gebirge an.
Sie waren noch nicht weit gegangen, als der
Pudel, der mit ihnen gelaufen war, an dem
Fuße eines mit Gebuͤſch bewachſenen Felſens ſte-
hen blieb und unaufhoͤrlich zu bellen anfing.
Man naͤherte ſich dem Orte und fand ein Loch
in dem Felſen, welches aber nur ſo groß war,
daß
[313] daß man hineinkriechen, nicht hineingehen
konte.


Robinſon, der nicht gern etwas ununter-
ſucht ließ, was ſeine Aufmerkſamkeit einmahl
an ſich gezogen hatte, befahl ſeinem Begleiter,
einen Verſuch zu machen, ob er wohl hinein-
kriechen koͤnne? und Freitag gehorchte. Aber
kaum hatt' er den Kopf hineingeſtekt, als er mit
einem entſezlichen Angſtgeſchrei wieder zuruͤk-
ſprang, und ohne ſich an Robinſons Zuruf zu
kehren, wie ein Unſinniger, davon lief. Endlich
hohlte ihn Robinſon wieder ein und erkun-
digte ſich mit einiger Befremdung nach der Urſa-
che ſeiner Flucht. „Ach! ach! antwortete Frei-
tag,
der kaum reden konte, laß uns laufen, lie-
ber Herr, ſo ſehr wir koͤnnen; da iſt ein entſez-
liches Ding in dem Loche mit großen gluͤhenden
Augen, und mit einem Rachen, daß es uns bei-
de auf einmahl lebendig verſchlingen koͤnte!„


„Nun, das muͤſte ja freilich ein recht groſ-
ſer Rachen ſein, antwortete Robinſon; aber
das Ding muß ich doch auch ſehen.„


U 5
„Ach!
[314]

„Ach! ach! ſchrie Freitag und fiel vor ihm
auf die Knie; um Gottes Willen nicht! Es
fraͤße dich gewiß auf und dan haͤtte der arme
Freitag keinen Herrn mehr!„ Robinſon
antwortete laͤchelnd: ob's ihn denn aufgefreſſen
haͤtte? und da er dies nun eben nicht bejahen
wolte: ſo befahl er ihm, geſchwind nach Hauſe
zu laufen, um die Laterne zu hohlen. Er ſelbſt
ging wieder zuruͤk nach dem Loche, um unterdeß
mit geladener Flinte Schildwache davor zu hal-
ten.


„Und was in aller Welt dacht' er, kan
denn das wohl ſein; wovon dein Freitag ſo viel
Fuͤrchterliches geſehen haben wil? Ein reiſſendes
Thier? Ein Loͤwe, Tiger, Panther, oder ſo
etwas? Ja, wenn das waͤre, ſo wuͤrd' ich tol-
kuͤhn handeln, wenn ich hinein kroͤche. Aber
gaͤb' es dergleichen auf dieſer Inſel, ſo wuͤrd'
ich's ja ſchon laͤngſt erfahren haben. Und dan
— ſo wuͤrde ja auch Freitag nicht unverlezt zu-
ruͤk gekehrt ſein! Nein, nein! das iſt es gewiß
nicht; ſeine Furchtſamkeit hat ihm wieder einen
Streich geſpielt und ihn etwas ſehenlaſſen, was
nicht
[315] nicht da war. Ich muß es alſo ſchon unterſu-
chen, um den guten Jungen von dieſer kindiſchen
Leidenſchaft zu heilen.„


Unterdeß kam Freitag mit der brennenden
Laterne an, und verſuchte noch einmahl mit Traͤ-
nen in den Augen ſeinen Herrn zu bewegen, daß
er ſich doch nicht in eine ſo ſchrekliche Gefahr
ſtuͤrzen moͤgte, in der er gewiß umkommen wuͤr-
de. Aber Robinſon kante keine Furcht, ſo-
bald er eine Sache vernuͤnftig uͤberlegt hatte;
und ließ ſich daher in ſeinem Vorſaze nicht wan-
kend machen. Er bat vielmehr Freitag, gu-
tes Muths zu ſein, nahm die brennende Laterne
in die linke, eine ſcharf geladene Piſtole in die
rechte Hand und ging dem Abentheuer beherzt
entgegen.


Er hatte kaum den Kopf hineingeſtekt, als
er bei dem ſchwachen Laternenſchein wirklich et-
was entdekte, was ihm ſelbſt ſchaudern machte.
Aber er wolte deswegen nicht gleich die Flucht er-
greifen, ſondern ſtrekte vielmehr die Hand mit
der Laterne aus, um das namenloſe Unthier
deutlicher wahr zu nehmen. Und da ſah er denn,
daß
[316] daß es nichts mehr, und nichts weniger, als ein
alter Lamabok ſei, der eben vor Alter und Ent-
kraͤftung ſterben wolte. Nachdem er rund um-
her geſehen und weiter nichts, als dieſes gar
nicht fuͤrchterliche Thier bemerkt hatte, kroch er
voͤllig hinein, und rief Freitag zu, daß er ihm
folgen moͤgte.


Freitag zitterte, wie ein Espenblat; gleich-
wohl kont' ers nicht uͤber's Herz bringen, ſeinen
guten Herrn im Stiche zu laſſen. Er faßte al-
ſo mit edler Selbſtverlaͤugnung den Muth, ihm
nachzukriechen, und ſahe nun zu ſeiner Verwun-
derung, wie ſehr er ſich in der Groͤſſe der Au-
gen und des Rachen des Thieres geirt habe.


Siehſt du, Freitag, rief ihm Robinſon
mit freundlicher Stimme entgegen, was die
Furchtſamkeit uns alles weiß machen kan? Wo
ſind nun die großen gluͤhenden Augen? Wo iſt
der ungeheure Rachen, den du vorher zu ſehen
glaubteſt?


Freitag. Es kam mir doch wirklich ſo vor,
als wenn ich ſie ſaͤhe; ich haͤtte darauf ſchwoͤren
wollen.


Ro-
[317]

Robinſon. Daran zweifle ich nicht, daß
es dir ſo vor kam; aber du haͤtteſt wiſſen ſollen,
daß die Furchtſamkeit eine Luͤgnerin iſt, die uns
allerlei vorgaukelt, was gar nicht da iſt. Sieh,
Freitag, ſo ſind alle die alten Weibermaͤrchen
von Geſpenſtern und ich weiß nicht von was fuͤr
andern Undingen entſtanden! Die Urheber ſol-
cher abgeſchmakten Hiſtoͤrchen waren furchtſame al-
te Muͤtterchen oder ihnen aͤhnliche Haſenfuͤße von
Maͤnnern, die, ſo wie du, ſich einbildeten et-
was zu ſehen, was nicht da war, und die denn
nachher, gerade ſo wie du, betheuerten, daß
ſie wirklich ſo etwas geſehen haͤtten. Werd' ein
Man, Freitag; ſiehe kuͤnftig zweimahl zu und
und verbanne aus deinem Herzen alle weibiſche
Furchtſamkeit.


Freitag gelobte ſein Moͤglichſtes zu thun.
Der alte Lamabok war unterdeß verſchieden und
Robinſon bemuͤhete ſich mit Freitags Huͤlfe,
ihn aus der Hoͤhle zu werfen, um ihn einzu-
ſcharren. Und nun beſahen ſie mit groͤſſerer
Aufmerkſamkeit den Ort, wo ſie waren, und
fanden daß es die geraͤumigſte und angenehmſte
Grotte
[318] Grotte oder Hoͤhle ſei, von der ſie kuͤnftig einen
ſehr vortheilhaften Gebrauch wuͤrden machen
koͤnnen. Sie war, wie ausgehauen, ungemein
trokken und kuͤhl, und die Waͤnde, die von Kri-
ſtal zu ſein ſchienen, warfen das Licht der Later-
ne von allen Seiten her ſo lebhaft zuruͤk, als
wenn es ein Spiegelzimmer geweſen waͤre.


Robinſon beſchloß ſo gleich, dieſe angeneh-
me Grotte zu ſeinem Erquikkungsort bei ſchwuͤ-
ler Sonnenhize und zugleich zu einem Keller fuͤr
ſolche Sachen zu machen, welche die gar zu groſ-
ſe Waͤrme nicht ertragen koͤnnen. Zum Gluͤk
war ſie nicht uͤber eine Viertelſtunde von der
Burg entfernt. Freitag muſte alſo unverzuͤg-
lich hinlaufen, um Werkzeuge zu hohlen. Mit
dieſen fingen ſie dan ſogleich an, den Eingang zu
vergroͤſſern, um nachher eine ordentliche Thuͤr
davor zu machen. Und dieſe Arbeit gewaͤhrte
ihnen, in der Abweſenheit der beiden andern,
eine ſehr angenehme Unterhaltung.


Neun
[319]

Neun und zwanzigſter Abend.


Nikolas.


Jezt iſt mir immer bange, wenn Vater er-
zaͤhlen wil.


Vater. Wovor denn, lieber Nikolas?


Nikolas. Davor, daß die Geſchichte bald
aus ſei.


Gotlieb. Wenn ich in Vaters Stelle waͤ-
re, ich wolte ſie ſo lang machen! o ſo lang, daß
ſie bis in Ewigkeit fortdauerte.


Vater. Kinder, alle unſere Freuden hier
auf Erden muͤſſen einmahl ein Ende nehmen;
alſo auch dieſe. Ihr werdet daher wohl thun,
wenn ihr euch zum voraus darauf gefaßt macht.
An Robinſons Horizonte zieht ſich abermahls
ein Ungewitter zuſammen, vor deſſen Ausgang
ich euch nicht ſtehen kan. Seid alſo immer auf
eurer Hut. —


Schon
[320]

Schon acht Tage waren verſtrichen, und die
Abgeſandten lieſſen ſich noch immer nicht wieder
ſehen. Man fieng an, daruͤber bekuͤmmert zu
werden. Freitag lief des Tages wohl zwanzig
mahl nach dem Berge oder an den Strand, und
ſahe ſich die Augen muͤde, ohne etwas von ihnen
entdekken zu koͤnnen. Eines Morgens aber, da
Robinſon noch zu Hauſe beſchaͤftiget war, kam
er ploͤzlich ſingend und ſpringend zuruͤk gerant und
ſchrie ſeinem Herrn ſchon von Weitem zu: ſie
kommen! ſie kommen!


Robinſon, der uͤber dieſe angenehme Bot-
ſchaft nicht weniger erfreut war, ergrif ſein
Fernglas und eilte damit den Huͤgel hinauf.
Hier ſah er wirklich in einer noch ziemlich weiten
Entfernung ein anſehnliches Boot auf die Inſel
zu ſegeln; aber da er durch ſein Fernglas ge-
ſchaut hatte, ſchuͤttelte er den Kopf und ſagte:
Freitag, Freitag, ich ſorge, das iſt nicht
richtig! Freitag wurde blaß.


Robinſon ſahe noch einmahl hin, und ward
immer beſtuͤrzter. Endlich kont' er an dem,
was er zu ſehen glaubte, gar nicht mehr zweifeln
und
[321] und theilte daher ſein eigenes Erſtaunen dem er-
ſchroknen Freitag mit: Freitag, ſagt' er, das
ſind nicht unſere Spanier mit deinem Vater; es
iſt eine engliſche Schaluppe, (ein großes Boot)
und bewafnete Englaͤnder ſind es, die ich darin
wahrnehme! Freitag zitterte an allen Gliedern.
Kom, ſagte Robinſon, und erſtieg eiligſt eine
andere Anhoͤhe, von welcher die noͤrdliche Kuͤſte
beſſer uͤberſehen werden konte.


Kaum waren ſie daſelbſt angekommen, kaum
hatten ſie ihre Augen nach dem Meere hinge-
richtet, als beide, wie verſteinert, ſprachlos ſte-
hen blieben. Sie ſahen nemlich in einer Entfer-
nung von einer guten deutſchen Meile — ein an-
ſehnliches engliſches Schif vor Anker liegen.


Verwunderung, Furcht und Freude hatten
in Robinſons Sele wechſelsweiſe die Ober-
hand; Freude uͤber den Anblik eines Schiffes,
welches vielleicht zu ſeiner Erloͤſung da war;
Verwunderung und Furcht hingegen uͤber die ei-
gentliche Abſicht der Ankunft deſſelben. Vom
Sturme kont' es nicht hieher verſchlagen ſein:
denn ſeit vielen Wochen hatte kein Sturm geweht.
X
Der
[322] Der ordentliche Lauf des Schiffes kont' es auch
nicht hieher gefuͤhrt haben: denn was koͤnte ei-
nen engliſchen Schiffer bewegen nach einer Welt-
gegend hinzuſegeln, in der die Englaͤnder keine
Beſizungen, und alſo auch keinen Verkehr hat-
ten. Es entſtand alſo die Beſorgniß, daß es
Seeraͤuber ſein moͤgten.


Frizchen. Was ſind das fuͤr Leute?


Vater. Es giebt hin und wieder, beſon-
ders auſſer Europa, noch einige Menſchen, die
in ihrer Jugend ſo ſchlecht unterrichtet worden
ſind, daß ſie nicht einmahl wiſſen, was der Dieb-
ſtahl fuͤr ein großes Verbrechen ſei. Dieſe elen-
den Menſchen machen ſich daher kein Gewiſſen
daraus, andern Leuten heimlich oder mit Ge-
walt das Ihrige zu nehmen, und es ſich zu zu-
eignen. Geſchieht dieſes nun zu Lande, ſo nent
man ſolche Leute Diebe oder Raͤuber; geſchieht
es aber auf dem Meere: ſo nent man ſie See-
raͤuber.


Chriſtel. Aber dies waren ja Englaͤnder?


Vater. Das ſchienen ſie zwar zu ſein,
aber Robinſon dachte: wer weiß ob die Boͤſe-
wichter
[323] wichter nicht vielleicht das engliſche Schif erobert
und ſich darauf ſelbſt ſo gekleidet haben, als ob
ſie Englaͤnder waͤren. — In den erſten huͤlfloſen
Jahren ſeines einſamen Aufenthalts auf dieſer
Inſel wuͤrd' er es fuͤr ein Gluͤk gehalten haben, von
Seeraͤubern entdekt und von ihnen als ein Sklav
mit fortgeſchlept zu werden, um nur wieder un-
ter Menſchen zu ſein. Jezt aber, da ſein Zu-
ſtand unweit gluͤklicher war, ſchauderte ihn vor
der Gefahr, einem ſolchen Geſindel in die Haͤn-
de zu fallen. Er theilte alſo Freitag ſeine Be-
ſorgniß mit und ging mit ihm ab, um von fern
das Vorhaben derer zu beobachten, welche ſich
in dem Boote naͤherten.


Sie ſtelten ſich auf eine mit Baͤumen und Ge-
buͤſch bewachſene Anhoͤhe, von der ſie alles, was
vorging, bemerken konten, ohne ſelbſt bemerkt
zu werden. Hier ſahen ſie denn, daß die
Schaluppe, in welcher ſich eilf Man befanden,
etwa eine Viertelmeile von ihnen, an einem
flachen Ufer landete. Die Manſchaft ſtieg
aus. Acht von ihnen waren bewafnet, drei
hingegen nicht. Dieſen leztern, welche gefeſſelt
X 2
wa-
[324] waren, wurden die Bande abgenommen, ſobald
ſie am Strande waren. An den klaͤglichen Ge-
behrden des Einen unter ihnen konte man ſehr
deutlich ſehen, daß er die Bewafneten anflehete,
indem er ſich in einer bittenden Stellung vor ih-
nen auf die Knie warf. Die beiden andern hu-
ben von Zeit zu Zeit die Haͤnde empor, als wenn
ſie den Himmel um Huͤlfe und Errettung anfle-
heten.


Robinſon ward bei dieſem Anblikke ganz
verwirt und wuſte nicht, was er davon denken
ſolte. Freitag hingegen naͤherte ſich ihm mit
einer triumphirenden Miene und ſagte: ſiehſt
du, Herr, daß deine Landsleute ihre Gefange-
nen auch auffreſſen? Geh, antwortete Robin-
ſon
etwas unwillig; das werden ſie nicht! und
ſo fuhr er fort durch ſein Fernglas zu ſehen.


Mit Grauſen ſah er, daß einige der Be-
wafneten zu verſchiedenen mahlen das Schwerdt
gegen den einen Gefangenen aufhoben, der in
der flehenden Stellung vor ihnen lag. Endlich
bemerkt' er, daß die drei Gefangenen zuruͤkge-
laſſen wurden, indem die Andern ſich in den
Wald zerſtreuten.


Alle
[325]

Alle drei ſezten ſich kummervol an derſelben
Stelle nieder und ſchienen ganz in Verzweiflung
zu ſein. Dies erinnerte Robinſon an ſeinen
eigenen elenden Zuſtand an dem Tage, da er
auf dieſes Eiland geworfen ward, und er be-
ſchloß, ſich der Ungluͤklichen, fals ſie es verdie-
nen ſolten, anzunehmen, es koſte auch, was es
wolle.


Freitag wurde alſo beordert, ſo viel Flin-
ten, Piſtolen, Saͤbel und Munizion — her-
bei zu hohlen, als er nur tragen koͤnte.


Lotte. Was iſt das Munizion?


Vater. Schießpulver und Kugeln. —


Robinſon ſelbſt fand fuͤr noͤthig zuruͤk zu blei-
ben, um zu ſehen, was es ferner geben wuͤrde.
Nachdem alles Noͤthige herbei geſchaft und die
Gewehre geladen waren, bemerkte man mit Ver-
gnuͤgen, daß die herumſchweifenden Matroſen,
der eine hier der andere dort, ſich in den Schatten
legten, um die brennende Mittagshize zu ver-
ſchlafen. Robinſon wartete noch eine gute
Viertelſtunde; dan ging er beherzt auf die drei
Ungluͤklichen zu, die noch immer an eben der
X 3
Stel-
[326] Stelle ſaßen. Sie hatten ihm den Ruͤkken zu
gekehrt, und fuhren, wie vom Donner geruͤhrt,
zuſammen, da ihnen Robinſon ploͤzlich zurief:
wer ſeid ihr?


Sie ſprangen auf, als wenn ſie fliehen wol-
ten; aber Robinſon rief ihnen auf Engliſch zu:
ſie ſolten ſich nicht fuͤrchten; er ſei zu ihrer Ret-
tung da! „Dan muͤſten ſie vom Himmel herab
geſandt ſein! ſagte der Eine, indem er ehrerbie-
tig den Hut abzog und ihn anſtaunte. Alle
Huͤlfe komt von Gott, ſagte Robinſon; aber
geſchwind, guten Leute, ſagt mir, worin eure
Noth beſteht und wie ich euch helfen kan? “Ich
bin der Kapitain des Schiffes, antwortete je-
ner; dieſer hier war mein Steuerman und der
da ein Reiſender;„ auf ſeine Gefaͤhrten zeigend.
“Meine Matroſen haben ſich wieder mich empoͤrt,
um ſich meines Schiffes zu bemaͤchtigen. Mich
ſelbſt und dieſe beiden ehrlichen Maͤnner, die ihr
Verfahren misbilligten, wolten ſie anfaͤnglich er-
morden; endlich aber haben ſie ſich bewegen laſ-
ſen, uns das Leben zu ſchenken. Aber die Barm-
herzigkeit, die ſie uns erzeigen, iſt faſt noch
ſchrek-
[327] ſchreklicher, als der Tod. Denn nun haben ſie
uns auf dieſe wuͤſte Inſel ausgeſezt um hier in
Mangel und Elend umzukommen.


„Zwei Bedingungen, erwiederte Robin-
ſon;
und ich wil zu Ihrer Rettung Blut und
Leben wagen!„


„Welches ſind ſie, edler Man?„ fragte
der Schifskapitain.


„Dieſe, antwortete Robinſon, daß Sie,
ſo lange Sie auf dieſer Inſel ſind, meinen Wil-
len in allen Stuͤkken nachleben wollen; und dan,
daß ſie mich und meinen Gefaͤhrten nach England
zu bringen verſprechen, wenn es mir gelingt,
Ihnen wieder zu Ihrem Schiffe zu verhelfen.„


„Wir, das Schif und alles, was darauf
iſt, verſezte der Schifskapitain, ſtehn Ihnen
ganz zu Gebote.„


Wohl dan, ſagte Robinſon; hier iſt fuͤr
jeden eine Flinte und ein Schwerdt, die ich Ih-
nen unter der Bedingung uͤberreiche, daß Sie
nicht eher Gebrauch davon machen, bis ich es
fuͤr noͤthig halten werde. Ihre Moͤrder liegen
jezt und ſchlafen und zwar zerſtreut; auf! laſ-
X 4
ſen
[328] ſen Sie uns verſuchen, ob wir ſie, ohne Blut-
vergieſſen, in unſere Gewalt kriegen koͤnnen.„


Sie gingen, und Freitag muſte die Strikke
mitnehmen, mit welchen die drei Maͤnner an
Haͤnden und Fuͤßen waren gebunden geweſen.
Jezt naheten ſie ſich dem erſten, der auf dem
Geſichte lag und ſo feſt ſchlief, daß ſie ihn an
Haͤnden und Fuͤßen ſchon gepakt und ihm ein
Schnupftuch in den Mund geſtekt hatten, bevor
er recht erwacht war. Man band ihm die Haͤn-
de auf den Ruͤkken, befahl ihm auf derſelben
Stelle ohne ſich zu regen und ohne den mindeſten
Laut von ſich zu geben, liegen zu bleiben; wi-
drigenfals man ihm unverzuͤglich eine Kugel durch
den Kopf ſchießen wuͤrde. Man hatte ihn aber
ſo gelegt, daß er das Geſicht nach der See hin-
gerichtet hatte, und alſo nicht erfahren konte,
wie es um ſeine Kameraden ſtuͤnde.


Nun wandten ſie ſich zu dem Zweiten, dem
es nicht beſſer ging. Er wurde eben ſo gebun-
den, eben ſo gelegt und eben ſo bedroht, als
ſein Vorgaͤnger. Das Gluͤk, oder vielmehr die
goͤtliche Vorſehung, zeigte ſich auch hier, als
eine
[329] eine Beſchuͤzerin der Unſchuld und als eine Raͤ-
cherin des Unrechts. Schon waren ſechs dieſer
Elenden auf die nemliche Art gebunden; als die
beiden lezten ploͤzlich erwachten, aufſprangen und
zu den Waffen griffen. „Nichtswuͤrdige, ſchrie
ihnen Robinſon zu, blikt auf eure Gefaͤhrten,
ſeht unſere Ueberlegenheit und ſtrekt augenblik-
lich das Gewehr! Eine Minute Verzug koſtet
euch den Kopf!„


„Ach! Gnade! Gnade! Herr Kapitain;„
riefen jene zuruͤk, indem ſie ihre Gewehre von
ſich warfen und ſich ſelbſt auf die Knie legten.
Man band ihnen darauf, ſo wie den uͤbrigen,
die Haͤnde; und fuͤhrte alle nach der neuentdek-
ten Hoͤhle ins Gefaͤngniß, mit dem Andeuten,
daß der erſte, der einen Verſuch machen wuͤrde,
die hoͤlzerne Thuͤr zu erbrechen, von der Schild-
wache, die man zuruͤklaſſen wuͤrde, erſchoſſen
werden ſolte. Vorher hatte man allen ihre Meſ-
ſer abgenommen.


Nun gingen Robinſon und Freitag nebſt
ihren neuen Bundesgenoſſen nach der Schalup-
pe, zogen ſie durch Huͤlfe einiger Hebebaͤume voͤl-
X 5
lig
[330] lig auf den Strand und hieben in den Boden
derſelben ein Loch, damit ſie vor der Hand voͤl-
lig unbrauchbar ſein moͤgte.


Ferdinand. Warum denn das?


Vater. Sie ſahen vorher, daß man von dem
großen Schiffe ein zweites Boot abſchikken wuͤrde,
wenn das erſtere ausbliebe. Sie wolten alſo ver-
hindern, daß von dieſem das erſte Boot nicht
mitgenommen werden moͤgte.


Wie gedacht ſo geſchehen. Gegen drei Uhr
Nachmittags wurde auf dem Schiffe eine Kano-
ne geloͤſet, um die am Lande befindlichen Ma-
troſen zuruͤk zu rufen; und da dieſes Signal nach
einer dreimahligen Wiederhohlung nicht befolgt
wurde: ſo ſahe man wirklich ein zweites Boot
abſtoſſen und auf die Inſel zu ſegeln. Robin-
ſon
zog ſich hierauf mit ſeinen Gefaͤhrten nach
der Anhoͤhe zuruͤk, um von da aus zu ſehen,
was ſie weiter zu thun haͤtten.


Das Boot landete. Man lief nach dem er-
ſten und war nicht wenig erſtaunt, es auf dem
Strande und noch dazu durchloͤchert zu finden.
Man ſahe umher, und rief die unſichtbaren Ka-
meraden
[331] [...]eraden bei Nahmen, aber da war keiner wel-
[...]er antwortete. Es waren ihrer zehn, alle be-
[...]afnet.


Robinſon, welcher von dem Kapitain ge-
[...]drt hatte, daß unter den Gefangenen drei ehr-
[...]che Burſche waͤren, die blos aus Furcht vor
[...]n Uebrigen in die Rebellion gewilliget haͤtten,
[...]hikte Freitag mit dem Steuerman ab, dieſe
[...] geſchwind, als moͤglich, herbei zu fuͤhren.
Sie erſchienen und der Kapitain, dem Robin-
[...]on
unterdeß ſeine Meinung eroͤfnet hatte, leg-
[...] ihnen, nach einigen Vorwuͤrfen, die Frage
[...]or: ob ſie ihm treu ſein wolten, wenn er ihnen
Verzeihung wiederfahren lieſſe? „Bis in den
Tod!„ antworteten ſie zitternd, indem ſie ſich
[v]or ihm auf die Knie warfen. Der Kapitain
[f]uhr fort: ich hab euch ſonſt immer als gute
Burſche gekant; ich wil daher glauben, daß ihr
[...]einen Theil an der Empoͤrung gehabt habt und
[d]aß ihr das, was vorgegangen iſt, durch deſto
[...]roͤſſere Treue wieder gut machen werdet. Die
[...]rei Matroſen weinten laut vor Freud' und Dank-
[...]arkeit, und kuͤßten mit dem lebhafteſten Zeichen
der
[332] Reue dem Kapitain die Hand. Dan uͤberreichte
dieſer ihnen ihre Waffen und befahl ihnen, die
Befehle ihres gemeinſchaftlichen Anfuͤhrers ge-
nau zu befolgen.


Die Manſchaft des zweiten Boots hatte un-
terdeß nicht aufgehoͤrt zu rufen und unter durch
zu ſchieſſen, in der Hofnung, daß ihre zerſtreu-
ten Kameraden ſich einfinden wuͤrden. Endlich
da ſie ſahen, daß alles vergeblich ſei, ſchienen
ſie, bei anbrechender Abenddaͤmmerung fuͤr ſich
ſelbſt beſorgt zu werden und ſtieſſen auf hundert
Schritte vom Lande um ſich alda vor Anker zu
legen. Nun war zu beſorgen, daß ſie in kurzer
Zeit nach dem Schiffe zuruͤkrudern wuͤrden, und
daß dieſes alsdan die verlornen Kameraden im
Stiche laſſen und davon ſegeln moͤgte; eine Be-
ſorgniß, welche den Kapitain und Robinſon
zugleich zittern machte.


Gluͤklicher Weiſe kriegte der leztere einen
Einfal von dem alle ſich viel Gutes verſprachen.
Er befahl Freitag, nebſt einem der Matro-
ſen in ein Gebuͤſch zu laufen, welches von dem
Bote ein Paar tauſend Schritte entfernt war
und
[333] und von da aus auf das Schreien der Rufenden
zu antworten. So bald ſie merkten, daß man
auf ihre Stimmen horchte, daß man ausſtiege,
um ſie aufzuſuchen, ſolten ſie ſich almaͤhlig tie-
fer in das Gebuͤſch begeben, um die Leute aus
dem Bote hinter ſich her zu lokken und ſo weit,
als moͤglich, zu entfernen. Dan ſolten ſie ſelbſt
auf einem andern Wege eiligſt zu ihnen zuruͤk
kehren.


Dieſe wohlerſonnene Kriegesliſt hatte den
erwuͤnſchteſten Erfolg. Die Matroſen im Bote
hatten kaum eine antwortende Stimme vernom-
men, als ſie eiligſt wieder ans Land ruderten,
und mit den Flinten in der Hand nach der Ge-
gend hinliefen, von wannen ihnen geantwortet
wurde. Zwei lieſſen ſie zur Bewachung des Boots
zuruͤk.


Freitag und ſein Begleiter machten ihre Sa-
chen treflich, und lokten diejenigen, die ihnen
nachgingen, faſt eine halbe Meile weit tief in
das Gebuͤſch hinein. Dan kehrten ſie mit einer
Geſchwindigkeit, die ihres Gleichen nicht gehabt
hat, zu ihren Anfuͤhrern zuruͤk. Robinſon
hatte
[334] hatte unterdeß dem Kapitain ſeinen ganzen Plan
mitgetheilt, der abermahls darauf hinaus lief,
daß ſie ſuchen wolten, ſich der ganzen Geſelſchaft
zu bemaͤchtigen, ohne daß ein Tropfen Bluts
dabei vergoſſen wuͤrde.


Es war unterdeß faſt gaͤnzlich finſter gewor-
den. Stil, wie ein Maͤuschen, ruͤkte Robin-
ſon
mit ſeinen Gefaͤhrten gegen das Boot an,
und waren ſchon bis auf zwanzig Schritte davon
gekommen, ohne daß die darin wachenden beiden
Matroſen das geringſte merkten. Ploͤzlich ſpran-
gen ſie alle mit einem entſezlichen Geſchrei und
mit einem lauten Geklirre ihrer Waffen hervor
und droheten Tod und Verderben, wenn ein ein-
ziger ſich zu ruͤhren wagte. Die beiden Ma-
troſen riefen Pardon! und man ſprang hinzu,
ihnen die Haͤnde zu binden.


Kaum war dies geſchehen: ſo eilte man auch
dieſes Boot weit auf den Strand zu bringen.
Dan zog man ſich mit den beiden Gefangenen in
das nahe dabei liegende Gebuͤſch zuruͤk, um die
Ankunft der uͤbrigen zu erwarten. Dieſe kamen,
jedoch nicht alle auf einmahl und aͤuſſerſt ermuͤ-
det
[335] det von dem langen vergeblichen Herumirren. Ihr
Erſtaunen, und ihr Wehklagen uͤber die Abwe-
ſenheit des Boots war unbeſchreiblich. Da ih-
rer fuͤnf zuſammen waren, wurde einer der Be-
gnadigten Matroſen mit der Anfrage an ſie ab-
geſchikt: ob ſie ſogleich gutwillig das Gewehr
ſtrekken und ſich ergeben wolten? Wo nicht, ſo
haͤtte der Stadthalter der Inſel in einer Entfer-
nung von dreißig Schritten funfzig Man auf-
marſchiren laſſen, um ſie alle nieder zu ſchieſſen.
Ihr Boot waͤre ſchon genommen, alle ihre Ka-
meraden waͤren gefangen und ſie haͤtten alſo blos
zwiſchen Tod und Gefangenſchaft zu waͤhlen.


Robinſon ließ hierauf alle ſeine Gefaͤhr-
ten ein Geklirre mit den Waffen machen, um
der Ausſage des Matroſen noch mehr Wahr-
ſcheinlichkeit zu geben. „Haben wir Pardon zu
hoffen?„ fragte endlich Einer, dem der Kapi-
tain ungeſehen folgendermaßen zurief: Thomas
Schmith, du kenſt meine Stimme: leget ihr
unverzuͤglich das Gewehr nieder, ſo ſol euch das
Leben geſchenkt ſein, bis auf Atkins. Dieſer war
nemlich einer der Urheber der Meuterei geweſen.


Alle
[336]

Alle warfen darauf augenbliklich ihre Flinten
nieder und Atkins ſchrie: „ach! um Gottes
Barmherzigkeit willen, Herr Kapitain, Pardon!
Pardon! Sie ſind ja alle eben ſo ſchlim geweſen,
als ich. O Pardon! Pardon! „Der Kapitain
antwortete: alles, was er thun koͤnte, waͤre,
daß er ein Fuͤrwort beim Stadthalter fuͤr ihn
einlegte. Was darauf erfolgen wuͤrde, muͤſſe
er erwarten. Hierauf wurde Freitag abgeſchikt,
der nebſt den Matroſen ihnen allen die Haͤnde
binden muſte. Unterdeß kamen die drei lezten
herbei, und da ſie ſahen und hoͤrten, was geſche-
hen ſei, wagten ſie eben ſo wenig ſich zu wider-
ſezen und lieſſen ſich geduldig binden.


Jezt traten auch der Kapitain und Robin-
ſon,
der fuͤr einen Offizier des Stadthalters
angeſehen wurde, hinzu, und der erſtere ſuchte
diejenigen von den Gefangenen aus, die er einer
aufrichtigen Reue uͤber ihren Fehltrit faͤhig hielt.
Dieſe wurden bis vor die Burg gefuͤhrt, die
uͤbrigen nach der Grotte. Unter denen, die
ſchon in der Grotte waren, ließ er gleichfals
noch
[337] noch zwei abholen, denen er eine aͤhnliche Be-
reuung ihres Fehltritts zu trauete.


Was er mit dieſen anfing, und was noch wei-
ter vorfiel, das, Kinder, behalte ich mir vor,
euch morgen zu erzaͤhlen.


Dreißigſter Abend.


Vater.


Nun, Kinder, das Schikſal unſers Robin-
ſons
iſt ſeiner Entſcheidung nahe. In einigen
Stunden iſt das Loos geworfen; und dan wird
es ſich zeigen, ob er abermahls ohne Hofnung
einer Erloͤſung auf ſeiner Inſel bleiben, oder ob
ihm endlich ſein langer heiſſer Wunſch, einmahl
wieder zu ſeinen Eltern zu kommen, gewaͤhret
werden ſol?


Es komt nemlich nun darauf an, ob der
Schifskapitain durch Huͤlfe derjenigen Matroſen,
Y
die
[338] die er begnadiget hat, das Schif wieder erobern
kan, oder nicht? Iſt jenes, ſo haben die Muͤh-
ſeligkeiten unſers Freundes ein Ende; iſt aber
dieſes, ja ſo bleibt alles, wie es war, und es iſt
an keine Erloͤſung fuͤr ihn zu denken.


Der Begnadigten, welche ſich jezt vor der
Burg verſamlet hatten, waren zehn. Robin-
ſon
deutete ihnen im Nahmen des Stadthalters
an, daß ihr Verbrechen ihnen unter der Bedin-
gung verziehen werden ſolte, wenn ſie ihren recht-
maͤßigen Vorgeſezten behuͤlflich waͤren, wieder
Beſiz von ſeinem Schiffe zu nehmen. Da nun
alle die heiligſte Verſicherung gaben, daß ſie die-
ſe Bedingung gern und treulich erfuͤllen wuͤrden:
ſo fuͤgte Robinſon hinzu, daß ſie hierdurch
nicht nur ihr eigenes Leben, ſondern auch zugleich
das Leben ihrer noch gefangenen Kameraden ret-
ten koͤnten, die, im Fal, daß das Schif nicht
erobert wuͤrde, morgen mit Anbruch des Tages
ſamt und ſonders gehengt werden ſolten.


Eben dieſes Urtheil wurde auch den Gefan-
genen kund gethan. Dan fuͤhrte man beide Par-
theien, die Gefangenen und die Freigelaſſenen,
zu-
[339] zuſammen, damit dieſe durch jene in ihrer Treue
beſtaͤrkt werden moͤgten. Unterdeß muſte der
Schifszimmerman in aller Eile den durchloͤcher-
ten Boden des einen Boots ausbeſſern; und da
dieſes geſchehen war, wurden beide Boͤte in der
groͤßten Geſchwindigkeit wieder aufs Waſſer ge-
bracht. Darauf ward beſchloſſen, daß der Schifs-
kapitain das eine, der Steuerman hingegen das
andere Boot kommandiren, und daß die Man-
ſchaft unter ſie vertheilt werden ſolte. Alle wur-
den mit Gewehr und Munizion verſehen, und
nachdem darauf Robinſon den Schifskapitain
umarmt und ihm Gluͤk zu ſeiner Unternehmung
gewuͤnſcht hatte, ging jener unter Segel.


Nikolas. Das wundert mich doch, daß
Robinſon nicht mit ging!


Vater. Es war nicht Furchtſamkeit, ſon-
dern vernuͤnftige Ueberlegung, die ihn zuruͤk
hielt. Die Gefangenen haͤtten losbrechen, haͤt-
ten in ſeiner Abweſenheit ſich der Burg bemaͤch-
tigen koͤnnen; und dieſer einzige ſichere Aufent-
halt, der zugleich alle Huͤlfsmittel zu ſeiner
Gluͤkſeeligkeit enthielt, war ihm viel zu wich-
Y 2
tig,
[340] tig, als daß er ihn ſo leichtſinnig haͤtte aufs
Spiel ſezen koͤnnen. Der Kapitain hatte ihm
daher ſelbſt gerathen, daß er mit ſeinem Frei-
tag
zur Beſchuͤzung dieſes Orts zuruͤk bleiben
moͤgte.


Robinſon, deſſen ganzes Schikſal jezt ent-
ſchieden werden ſolte, konte vor Unruhe und Be-
aͤngſtigung keine bleibende Staͤte finden. Bald
ſezt' er ſich in ſeiner Hoͤhle nieder, bald ſtieg er
wieder auf den Wal, bald kletterte er die Strik-
leiter hinan, um von dem Gipfel des Huͤgels
hinab durch die ſtille Nacht hin zu horchen, ob er
nicht von dem Schiffe her irgend etwas hoͤren
koͤnte. Ohngeachtet er den ganzen Tag uͤber faſt
nichts gegeſſen hatte, ſo war's ihm doch unmoͤg-
lich, etwas zu genieſſen. Seine Unruhe wuchs
mit jedem Augenblikke, weil das verabredete
Signal — drei Kanonenſchuͤſſe — welches ihn von
dem gluͤklichen Ausgange der Unternehmung be-
nachrichtigen ſolte, noch immer nicht gehoͤrt wur-
de, ohngeachtet es ſchon Mitternacht war. Er
beſan ſich indeß, daß er Unrecht habe, ſich dem
Affekte der Furcht und Hofnung ſo ſehr zu uͤber-
laſſen,
[341] laſſen, und er erinnerte ſich noch zu rechter Zeit ei-
ner Lehre, die er erſt vor kurzem ſeinem Freitag
gegeben hatte. In zweifelhaften Faͤllen,
hatte er zu dieſem geſagt, mache dich immer
auf den ſchlimſten gefaßt.
Komt dieſer
ſchlimſte Fal nicht; deſto beſſer fuͤr dich! Komt
er aber wirklich, nun ſo biſt du darauf vorberei-
tet, und er wird dich nicht durch ſeine Ueberra-
ſchung betaͤuben.


Dieſem Grundſaze zufolge ſtelte ſich Robin-
ſon
den ungluͤklichen Ausgang der Unterneh-
mung als unbezweifelt vor, und bot ſeine ganze
Standhaftigkeit, ſein ganzes Vertrauen auf die
goͤtliche Vorſehung auf, um auch dieſen Schlag
des Schikſals zu ertragen. Schon hatt' er faſt
alle Hofnung gaͤnzlich aufgegeben, als auf ein-
mahl der ferne Knal einer Kanone wirklich gehoͤrt
wurde.


Robinſon fuhr auf, wie einer, der durch
einen ploͤzlichen Schal aus dem Schlummer auf-
geſchrekt wird. Puf! hoͤrt' er den zweiten und
abermahls puf! den dritten Kanonenſchuß. Und
nun war an der gluͤklichen Eroberung des Schifs
Y 3
und
[342] und an ſeiner bevorſtehenden Erloͤſung gar nicht
zu zweifeln.


Im hoͤchſten Taumel der Freude, mehr flie-
gend, als tretend, huſcht' er die Strikleiter hin-
ab; fiel Freitag, welcher ſchlummernd auf ei-
ner Grasbank ſaß, um den Hals, druͤkte ihn,
und benezte, ohne ein Wort hervor bringen zu
koͤnnen, ſein Geſicht mit vielen Traͤnen. „Was
iſt dir, lieber Herr?„ fragte Freitag, indem
er ſich ermunterte, und uͤber die ungeſtuͤmen Lieb-
koſungen, die ihm widerfuhren, ganz erſchrekt
war. Aber Robinſon konte im Uebermaaß
ſeiner Freude weiter nichts hervorbringen, als:
ach, Freitag!


„Gott ſei dem Kopfe meines armen Herrn
gnaͤdig!„ dachte Freitag, weil er auf die Ver-
muthung gerieth, daß er wahnſinnig geworden
ſei. „Lege dich ſchlafen, lieber Herr!„ ſagt'
er zu ihm, und wolte ihm unter die Arme faſ-
ſen, um ihn in die Hoͤhle zu fuͤhren. Aber Ro-
binſon
ſahe ihm mit unbeſchreiblicher Freund-
lichkeit ins Geſicht und antwortete: „Schla-
fen, lieber Freitag? Ich, jezt ſchlafen, in
dem
[343] dem Augenblikke, da der Himmel meinen einzi-
gen langen Herzenswunſch erfuͤlt hat? Haſt du
die drei Kanonenſchuͤſſe nicht gehoͤrt? Weißt du
noch nicht, daß das Schif erobert iſt?„


Nun gingen Freitag die Augen auf. Auch
er fing an, ſich zu freuen, aber doch nicht ſo
ſtark und nicht um ſeinetwegen, ſondern um ſei-
nes guten Herrn willen. Denn der Gedanke,
ſeinen vaterlaͤndiſchen Himmel auf immer ver-
laſſen zu muͤſſen, verbitterte ihm das Vergnuͤgen,
in Robinſons und ſeines Vaters Geſelſchaft
nach einem Lande zu reiſen, aus dem er ſchon
ſo viele Wunderdinge geſehen hatte, und in dem
er noch groͤſſere zu ſehn erwartete.


Robinſon war vor lauter Entzuͤkken jezt
unruhiger, als jemahls. Bald kletterte er den
Huͤgel hinan, warf ſich da im Angeſicht des ſtern-
beſaͤten Himmels auf ſeine Knie, um Gott fuͤr
ſeine Erloͤſung zu danken; bald ſtieg er wieder
hinab, umarmte ſeinen Freitag, ſprach von
nichts, als Hamburg, und fing ſchon an, ſei-
ne Sachen einzupakken. So verſtrich ihm die
ganze Nacht, ohne daß es ihm ein einzigesmahl
Y 4
einge-
[344] eingefallen waͤre, ſich zur Ruhe begeben zu wol-
len.


Mit Anbruch des Tages waren ſeine Augen
unverwandt nach der Gegend hin gerichtet, wo
das Schif vor Anker lag, und er erwartete mit
Schmerzen den Augenblik der volkommenen Hel-
le, um das Werkzeug ſeiner Befreiung, das
Schif, mit ſeinen Augen zu ſehen. Dieſer Au-
genblik kam; aber — o Himmel! wie groß war
ſein Entſezen, da er mit voͤlliger Gewisheit ſehen
muſte, — daß das Schif verſchwunden ſei!
Er that einen lauten Schrei, und ſank zu Boden.


Freitag rante herbei, und konte lange nicht
erfahren, was ſeinem Herrn eigentlich angekom-
men ſei. Endlich ſtrekte dieſer ſeine zitternde
Hand nach dem Meere hin, und ſprach mit ſchwa-
cher ſterbender Stimme: Sieh hin! Freitag
ſahe hin; und nun wuſt' er, was ſeinem Herrn
fehlte.


(Die junge Geſelſchaft wuſte nicht, wie ſie
ſich bei dieſer Stelle nehmen ſolte. Gern haͤtte
ſie ſich der Freude uͤber die nun zu hoffende Ver-
laͤngerung der Geſchichte uͤberlaſſen; aber die
Em-
[345] Empfindung des Mitleids uͤber des armen Ro-
binſons
abermahliges Ungluͤk daͤmpfte dieſe
freudige Aufwallung, und ließ ſie nicht zum
Ausbruch kommen. Alle beobachteten daher ein
tiefes Stilſchweigen; und der Vater fuhr fort:)


Unſer Robinſon giebt uns hier ein Beiſpiel,
welches uns lehren kan, wie ſehr auch gute,
ſchon gebeſſerte Menſchen auf ihrer Hut ſein
muͤſſen, daß ſie ſich nicht von gar zu ſtarken
Leidenſchaften dahin reiſſen laſſen. Haͤtte Ro-
binſon
ſich nicht ſo ausſchweifend gefreut: ſo
wuͤrd' er ſich nun auch nicht ſo ausſchweifend be-
truͤben; und haͤtte die Betruͤbniß nicht ſeinen
ganzen Verſtand ſo ſehr umnebelt gehabt: ſo
wuͤrd' er erkant haben, daß er auch dieſe goͤtli-
che Schikkung mit geduldiger Unterwerfung
ſich muͤſſe gefallen laſſen, ſo ſehr auch immer
ſeine beſten Hofnungen dadurch vereitelt wur-
den. Beſonders wuͤrd' er bedacht haben, daß
die goͤtliche Vorſehung auch dan noch Mittel zu
unſerer Rettung weiß, wenn wir ſelbſt kein ein-
ziges mehr fuͤr moͤglich halten; und dieſer Ge-
danke wuͤrde ihn beruhiget haben. Seht, Kin-
Y 5
der,
[346] der, wie viel ſelbſt gute Menſchen noch immer
an ſich zu beſſern haben.


Indem nun Robinſon ſo troſtlos da lag,
und Freitag ihn zu beruhigen ſuchte: hoͤrten ſie
auf einmahl an der andern Seite des Huͤgels
ein Geraͤuſch, welches den Tritten mehrerer
Menſchen aͤhnlich war. Sie ſprangen auf,
blikten hin, und ſahen mit freudigem Erſtau-
nen — den Schifskapitain, der mit einigen ſei-
ner Leute den Huͤgel herauf ſtieg. Ein Sprung,
und Robinſon lag in ſeinen Armen! Indem
er ſich umdrehete, hatt' er auf der weſtlichen
Kuͤſte das Schif in einer kleinen Bucht vor An-
ker geſehen, und in demſelben Augenblikke war
ſein Kummer verſchwunden. Der bloße Anblik
nemlich ſagte ihm, daß der Kapitain noch vor
Anbruch des Tages die Lage ſeines Schifs geaͤn-
dert, und es auf diejenige Seite der Inſel ge-
bracht habe, wo es in einem bequemen Hafen
ſicher vor Anker liegen konte.


Lange hing Robinſon in ſtummer Entzuͤk-
kung an dem Halſe des eben ſo hoch erfreuten
Schifskapitains, bis es endlich zu gegenſeitigen
Gluͤk-
[347] Gluͤkwuͤnſchungen und Dankſagungen kam. Dan
erzaͤhlte der Kapitain, daß es ihm gelungen ſei,
ſich des Schiffes zu bemaͤchtigen, ohne daß ein
einziger Menſch verwundet oder getoͤdtet worden
ſei, weil man in der Dunkelheit der Nacht ihn
ſelbſt nicht bemerkt, und gar kein Bedenken getra-
gen haͤtte, ſeine Begleiter aufzunehmen. Die
Aergſten unter den Empoͤrern haͤtten ſich nachher
zwar zur Wehre ſtellen wollen: aber ihr Wider-
ſtand ſei fruchtlos geweſen. Man haͤtte ſie er-
griffen und in Feſſeln gelegt. Hierauf uͤberließ
er ſich den Empfindungen der Dankbarkeit gegen
ſeinen Erretter. „Sie ſind es, ſagt er, in-
dem eine Traͤne ihm aus dem Auge quol; Sie
ſind es, edler Man, deſſen Mitleid und Klug-
heit mich und mein Schif gerettet haben. Dort
ſteht es! es iſt das Ihrige; befehlen Sie dar-
uͤber und uͤber mich ſelbſt, wie es Ihnen gut
duͤnken wird.„ Dan ließ er einige Erfriſchun-
gen herbei tragen, die er aus dem Schiffe mit-
gebracht hatte, und alle nahmen nun mit frohem
Herzen ein wohlſchmekkendes Fruͤhſtuͤk ein.


Unter-
[348]

Unterdeß erzaͤhlte Robinſon dem Schifs-
kapitain ſeine wunderbaren Schikſale, und ſezte
dieſen dadurch mehr, als einmahl, in das groͤßte
Erſtaunen. Dan bat der Kapitain, daß Ro-
binſon
ihm nun vorſchreiben moͤgte, was er fuͤr
ihn thun ſolte; und Robinſon antwortete:
„Ich habe auſſer dem, was ich geſtern zur
Bedingung meines Beiſtandes machte, noch
eine dreyfache Bitte an Sie. Erſtlich erſuche
ich Sie, daß Sie ſo lange hier verziehen moͤ-
gen, bis meines ehrlichen Freitags Vater mit
den Spaniern zuruͤkkommen wird; zweytens,
daß Sie auſſer mir und meinen Hausleuten
auch die ſaͤmtlichen Spanier aufnehmen und zu-
erſt nach Kadir ſegeln moͤgen, um dieſe daſelbſt
auszuſezen. Endlich bitte ich Sie, daß Sie
auch den vornehmſten Aufruͤhrern das Leben
ſchenken, und, ſtat einer andern Strafe, ſie auf
dieſer meiner Inſel zuruͤklaſſen moͤgen; weil ich
verſichert bin, daß dies das beſte Mittel ſein
wird, ſie zu beſſern.„


Der Schifskapitain verſicherte, daß alles
puͤnktlich ſo geſchehen ſolte, wie er es verlangte;
ließ
[349] ließ die Gefangenen herbei fuͤhren; ſuchte die
Aergſten darunter aus, und kuͤndigte ihnen ihr
Urtheil an. Dieſe waren ſehr erfreut daruͤber,
weil ſie wuſten, daß ſie nach den Geſezen das
Leben verwirkt hatten. Der menſchenfreundli-
che Robinſon gab ihnen Anweiſung, wie ſie
ſich ihren Lebensunterhalt erwerben koͤnten, und
verſprach, daß er ihnen ſeinen ganzen Reich-
thum an Werkzeugen, Hausrath und Vieh zu-
ruͤk laſſen wolte. Er ſchaͤrfte ihnen dabei zu
wiederhohlten mahlen Vertrauen auf Gott, Ar-
beitſamkeit und Eintracht ein, und verſicherte,
daß dieſe Tugenden ihnen den Aufenthalt auf
dieſer Inſel ungemein angenehm machen wuͤr-
den.


Indem er noch ſo ſprach, kam Freitag ganz
auſſer Athem mit der frohen Nachricht herbei
gerant, daß ſein Vater mit den Spaniern ankaͤ-
me und jezt eben landen wuͤrde. Die ganze
Geſelſchaft machte ſich alſo auf, ihnen entgegen
zu gehen; aber Freitag flog vor allen andern
hin, und hieng ſeinem alten Vater ſchon laͤngſt
am Halſe, da die Uebrigen herbei kamen.


Ro-
[350]

Robinſon erblikte mit Verwunderung, daß
unter den Angekommenen auch zwei Frauensper-
ſonen waren; und da er ſich bei Donnerſtag
darnach erkundigte, erfuhr er: daß ſie die Wei-
ber zweier Spanier waͤren, die ſie ſich von den
eingebohrnen Wilden genommen haͤtten. Dieſe
beiden Spanier hatten kaum gehoͤrt, daß Ro-
binſon
abreiſen, und einige Matroſen auf der
Inſel zuruͤk laſſen wuͤrde: als ſie ſich von ihm
die Erlaubniß ausbaten, mit ihren Weibern
gleichfals da zu bleiben, weil ſie nach allem,
was ſie von dieſer Inſel gehoͤrt haͤtten, ſich kei-
nen beſſern Aufenthalt wuͤnſchen koͤnten.


Robinſon hoͤrte dieſe Bitte gern und er-
fuͤlte ſie mit Vergnuͤgen. Es war ihm lieb, daß
ein Paar Maͤnner zuruͤkblieben, denen ihre Ka-
meraden einſtimmig das Zeugniß der Ehrlichkeit
gaben; weil er hofte, daß dieſe die uͤbrigen
ſchlechten Burſchen zu einem ordentlichen und
friedfertigen Leben wuͤrden anhalten koͤnnen. In
dieſer Abſicht beſchloß er, die Andern alle von
dieſen beiden abhaͤngig zu machen.


Er
[351]

Er ließ ſie daher alle vor ſich kommen, um
ihnen ſeinen Willen kund zu thun. Es waren
uͤberhaupt ſechs Englaͤnder und die beiden Spa-
nier mit ihren Weibern. Robinſon redete ſie
folgendermaaſſen an:


„Keiner unter euch wird mir hoffentlich das
Recht ſtreitig machen, mit meinem Eigenthume
— und dies iſt die ganze Inſel nebſt allem, was
darauf iſt — zu ſchalten und zu walten, wie es
mir gefaͤlt. Ich wuͤnſche aber, daß es euch allen,
die ihr hier zuruͤk bleiben werdet, recht wohl
gehen moͤge. Hierzu wird eine ordentliche Ein-
richtung erfodert, und mir komt es zu, ſie zu
machen. Ich erklaͤre demnach, daß dieſe beiden
Spanier kuͤnftig meine Stelle vertreten, und
an meiner Stat die rechtmaͤßigen Herrn der In-
ſel ſein ſollen. Euch andern komt es alſo zu,
ihnen den ſtrengſten Gehorſam zu beweiſen. Sie
allein ſollen meine Burg bewohnen; ſie allein
ſollen alle Gewehre, alle Kriegsmunizion, alle
Werkzeuge in Verwahrung haben; aber ſie ſol-
len dabei auch verbunden ſein, euch andern da-
von zu leihen, was ihr beduͤrft, unter der Be-
dingung,
[352] dingung, daß ihr euch friedfertig und in jeder
Betrachtung ordentlich betraget. Giebt es Ge-
fahren: ſo ſolt ihr alle fuͤr einen Man ſtehen;
giebt es etwas zu arbeiten, es ſei auf dem Felde
oder im Garten, ſo ſollen Alle dieſe Arbeit ge-
meinſchaftlich verrichten und die jedesmahlige
Erndte unter ſich theilen. Vielleicht habe ich
einmahl Gelegenheit, mich nach euch erkundigen
zu laſſen; vielleicht beſchlieſſe ich ſelbſt einmahl,
wieder hieher zuruͤk zu kehren, um den Reſt mei-
ner Tage auf dieſer mir jezt ſo lieben Inſel zu-
zubringen. Wehe alsdan dem, der unterdeß
dieſe meine Anordnung umſtoßen wird! Er wuͤr-
de ohne Barmherzigkeit in einen kleinen Nachen
geſezt, und bei ſtuͤrmiſcher Witterung dem groſ-
ſen Weltmeere Preiß gegeben werden.„


Alle bezeugten ihre Zufriedenheit mit dieſer
Einrichtung und gelobten den ſtrengſten Gehor-
ſam an.


Und nun machte Robinſon ein Verzeichniß
von den wenigen Sachen, die er mitnehmen
wolte, und die daher am Bord gebracht werden
ſolten. Sie beſtanden 1) aus ſeiner ſelbſt ge-
machten
[353] machten Kleidung von Fellen, nebſt Sonnen-
ſchirm und Larve; 2) aus den von ihm verfer-
tigten Spieß, Bogen und ſteinernen Beile; 3)
aus ſeinem Pol, dem Pudel, und zweien La-
ma's; 4) aus allerlei Werkzeuge und Geraͤth-
ſchaft, die er ſelbſt verfertiget hatte, da er noch
allein war und endlich 5) aus den Goldkoͤrnern,
den Diamanten, und ſeinem eigenen großen Gold-
klumpen.


Nachdem dies alles zu Schiffe gebracht, und
der Wind ſehr guͤnſtig war, wurde die Abreiſe
auf den folgenden Morgen feſtgeſezt. Robin-
ſon
und Freitag bereiteten darauf eine Mahl-
zeit zu, um den Schifskapitain und den zuruͤk-
bleibenden Koloniſten vor ihrer Abreiſe erſt ein
kleines Feſt zu geben. Das Beſte, was ſie
hatten, wurde dazu hergegeben, und die Spei-
ſen waren ſo ſchmakhaft zubereitet worden,
daß der Kapitain ſich nicht genug uͤber Robin-
ſons
Geſchiklichkeit in der Kochkunſt wundern
konte. Um dem edlen Beiſpiele ſeines Wirths
zu folgen, und zu der Gluͤkſeeligkeit der Zu-
ruͤkbleibenden auch etwas beizutragen, ließ er
Z
eine
[354] eine Menge Lebensmittel, Schießpulver, Eiſen
und Werkzeuge von dem Schiffe hohlen, womit
er der Kolonie ein Geſchenk machte.


Gegen Abend bat ſich Robinſon die Er-
laubniß aus, eine Stunde allein ſein zu duͤrfen,
weil er vor ſeiner Abreiſe noch einige wichtige
Geſchaͤfte abzuthun habe. Jederman verließ
ihn; und er ſtieg den Huͤgel hinauf, um noch
einmahl der ganzen Geſchichte ſeines Aufenthalts
auf dieſer Inſel nachzudenken, und ſein volles
Herz in kindlicher Dankbarkeit vor Gott zu er-
gießen. Es fehlt mir an Worten, die frommen
dankbaren Empfindungen deſſelben auszudruͤkken;
aber wer ein Herz, wie das Seinige, hat, der
bedarf auch meiner Beſchreibung nicht; er wird
es in ſich ſelbſt leſen koͤnnen.


Jezt war der Augenblik zur Abreiſe da. Mit
Traͤnen in den Augen ermahnte Robinſon die
Zuruͤkbleibenden noch einmahl zur Eintracht,
zur Arbeitſamkeit und zur Froͤmmigkeit und
empfahl ſie darauf mit bruͤderlichem Herzen dem
Schuze des Gottes, der ihn ſelbſt ſo wunderbar
geleitet hatte. Dan ſah er ſich noch einmahl um-
her;
[355] her; dankte noch einmahl Gott fuͤr ſeine wun-
derbare Erhaltung und fuͤr ſeine nunmehrige Er-
loͤſung; rief darauf mit halb erſtikter Stimme
den Zuruͤkbleibenden das lezte Lebewohl! zu und
ging von Freitag und Donnerſtag begleitet
an Bord.


Einige. O weh! Nun iſt 's aus.


Johannes. Wartet doch! Wer weiß denn,
ob nicht wieder etwas dazwiſchen komt!


Vater. Der Wind wehete ſo friſch und
ſo guͤnſtig, daß es ihnen grade ſo vorkam, als
wenn die Inſel davon floͤge. So lange ſie noch
geſehen werden konte, ſtand Robinſon ſtum
und traurig auf dem Verdekke, die Augen unver-
ruͤkt auf das geliebte Land gerichtet, welches ein
zwoͤlfjaͤhriger Aufenthalt und die mannigfaltigen
darauf entſtandenen Muͤhſeeligkeiten ihm ſo
werth, als ſein eigenes Vaterland, gemacht hat-
ten. Endlich, da auch die lezte Bergſpize aus
ſeinen Augen verſchwand, blikt' er gen Himmel,
ſagte ſich ſelbſt in Gedanken das Lied: Nun
danket alle Gott!
vor, und verfuͤgte ſich mit
Donnerſtag und Freitag in die Kajuͤte des
Z 2
Ka-
[356] Kapitains, um ſeinem beklommenen Herzen durch
freundſchaftliche Geſpraͤche Luft zu machen.


Ihre Fahrt war ſehr gluͤklich. In 24 Tagen
erreichten ſie Cadix, woſelbſt die mitgenomme-
nen Spanier ausgeſezt wurden. Robinſon
ſelbſt ging gleichfals an Land, um den Kaufman
aufzuſuchen, deſſen Goldkoͤrner er gerettet hatte.
Er fand ihn und hatte die Freude zu erfahren,
daß dieſer rechtſchaffene Man durch ihn aus der
groͤßten Verlegenheit geriſſen werde. Der Ver-
luſt des Schiffes hatte nemlich die traurige Folge
fuͤr ihn gehabt, daß er Bankerot machen muſte.


Frizchen. Was iſt das?


Vater. Wenn jemand mehr ſchuldig iſt,
als er bezahlen kan: ſo wird ihm alles, was er
noch etwa hat, genommen, um es unter diejeni-
gen zu vertheilen, denen er ſchuldig blieb, und
das nent man denn Bankerot machen.


Das Toͤnchen vol Goldkoͤrner war mehr, als
hinreichend, des Kaufmans Schulden damit zu
bezahlen. Den Ueberreſt wolte der dankbare
Man ſeinem Wohlthaͤter ſchenken; aber dieſer
war weit davon entfernt, es anzunehmen, weil
er
[357] er, wie er ſagte, durch das Bewuſtſein, das
Ungluͤk eines ehrlichen Mannes abgewandt zu
haben, uͤberfluͤßig belohnt war.


Von da gingen ſie wieder unter Segel, um
nach England zu ſchiffen. Aber auf dieſer Fahrt
ereignete ſich ein trauriger Unfal. Der alte
Donnerſtag wurde ploͤzlich krank; alle ange-
wandte Bemuͤhungen, ihm zu helfen, waren
vergebens; er ſtarb. Was Freitag dabey litte;
und wie unmaͤßig er den Tod eines ſo geliebten
Vaters bejammerte, koͤnt ihr euch vorſtellen.
Auch die beiden Lama's konten das Seefahren
nicht ertragen, und ſtarben.


Unterdeß langte das Schif gluͤklich zu Ports-
mouth,
einem bekanten Hafen in England, an.
Hier hofte Robinſon, die Offizierswitwe wieder
vorzufinden, der er die Diamanten zuſtellen
wolte. Er fand ſie; aber in dem aller klaͤglichſten
Zuſtande. Da ſie ſeit zwei Jahren von ihrem
verſtorbenen Manne ganz und gar keine Unter-
ſtuͤzung mehr aus Oſtindien erhalten hatte, ſo
war ſie nach und nach mit ihren Kindern in die
allergroͤßte Armuth verſunken. Ihre Leiber
Z 3
wa-
[358] waren kaum noch mit einigen alten Lumpen be-
dekt, und Hunger und Elend hatte das Geſicht
der Mutter und ihrer Kinder mit Todtenblaͤſſe
uͤberzogen. Robinſon aͤrndtete hier abermahls
die Wolluſt ein, deren jeder gute Menſch genieſ-
ſet, wenn die goͤttliche Vorſehung ſich ſeiner, als
eines Werkzeuges, bedient, um dem Elende an-
derer Menſchen ein Ende zu machen. Er uͤber-
gab die Diamanten und ſahe darauf die hinwel-
kende ſchon halb verhungerte Familie, wie eine
ſchon halb erſtorbene Pflanze nach einem erquik-
kenden Sommerregen, in wenigen Tagen wieder
aufbluͤhen, und einer Gluͤkſeeligkeit genießen,
auf die ſie fuͤr dieſes Leben ſchon laͤngſt Verzicht
gethan hatte.


Da hier grade ein Schif vor Anker lag, wel-
ches nach Hamburg beſtimt war: ſo verließ er
ſeinen bisherigen Fuͤhrer, um ihn nicht weiter zu
bemuͤhen, und ging, von Freitag begleitet, an
Bord dieſes Hamburgiſchen Schiffes; welches
bald darauf die Anker lichtete.


Auch dieſe Fahrt ging geſchwind und gluͤklich
von ſtatten. Schon hatten ſie Heiligeland im
Ge-
[359] Geſicht; ſchon erſchien am fernen Horizonte
Robinſons geliebtes Vaterland, bei deſſen An-
blik ihm das Herz vor Freude zerſpringen wolte;
ſchon erreichten ſie die Muͤndung der Elbe, als
ploͤzlich ein vom heftigſten Sturme begleitetes
Gewitter ausbrach, wodurch das Schif mit un-
widerſtehlicher Gewalt gegen die Kuͤſte getrieben
wurde. Alles, was Geſchiklichkeit und Fleiß
vermoͤgen, wurde angewandt, um das Schif zu
wenden und wieder die hohe See zu erreichen;
aber umſonſt, ein gewaltiger Windſtoß vereitelte
alle ihre Bemuͤhungen, riß das Schif dahin und
warf es ſo unſanft auf eine Sandbank daß der
Boden deſſelben zertruͤmmert wurde.


Das Waſſer ſtuͤrzte in demſelben Augen-
blikke ſo unerſchoͤpflich hinein, daß an keine Ret-
tung des Schifs zu denken war, und daß die
Schifsgeſelſchaft nur noch eben ſo viel Zeit hatte,
in die Boͤte zu ſpringen, um, wo moͤglich, nur
ihr eigenes Leben davon zu tragen. So kam
Robinſon mit ſeinen Gefaͤhrten, abermahls
als ein armer Schifbruͤchiger, endlich zu Kux-
haven
an, ohne von ſeinem ganzen Reichthum
Z 4
ir-
[360] irgend ſonſt etwas gerettet zu haben, als ſeinen
treuen Pudel, der ihm nachgeſprungen war, und
ſeinen Pol, der ihm eben auf der Schulter ſaß,
da der Schifbruch ſich ereignete. Nach einiger
Zeit erfuhr er, daß unter denen von dem Wrak
des Schiffes geretteten Sachen, nur ſein Schirm
und ſeine ſelbſtgemachte Pelzkleidung befindlich
waͤren. Dieſe erhielt er, gegen Erlegung der
Strandrechtskoſten, wieder: ſein ganzer großer
Goldklumpen hingegen war verloren gegangen.


Johannes. O der arme Robinſon!


Vater. Er iſt nun grade wieder ſo reich,
als er damahls war, da er von Hamburg ab-
fuhr. Vielleicht, daß die Vorſehung ihn des-
wegen alles wieder verlieren ließ, weil der An-
blik ſeines Reichthums einen oder den andern
leichtſinnigen jungen Menſchen vielleicht haͤtte be-
wegen koͤnnen, ſeinem Beiſpiele zu folgen, und
auch aufs Gerathewohl in die weite Welt zu
gehen, um, ſo wie er, mit gefundenen Schaͤzen
zuruͤk zu kehren. Er fuͤr ſein Theil beklagte
dieſen Verluſt am wenigſten. Denn da er ſich
feſt vorgenommen hatte, ſeine kuͤnftigen Tage
in
[361] in eben ſo ununterbrochener Arbeitſamkeit und
Maͤßigkeit hinzubringen, als er auf ſeiner Inſel
zu leben gewohnt geweſen war: ſo kont' er des
Goldes fuͤglich entbehren.


Jezt fuhr er in einem von Kuxhaven ab-
gehenden Schiffe nach Hamburg. Da man
bis gegen Stade uͤber heraufgeſegelt war, er-
blikt' er die Thuͤrme ſeiner Vaterſtadt und muſte
vor Entzuͤkken weinen. Nur noch vier Stunden
ſo war er da, ſo lag er ſchon in den Armen ſeines
theuren geliebten Vaters. Den Tod ſeiner guten
Mutter hatte er ſchon in Kuxhaven gehoͤrt, und
ſeit einigen Tagen auf das ſchmerzlichſte beweint.


Jezt flog das Schif von hoher Fluth und
gutem Winde getrieben bei Blankeneſe vorbei;
jezt bei Neuenſtaͤdten; nun war er gegen
Altona uͤber und jezt in dem Hafen bei Ham-
burg.
Mit lautklopfendem Herzen ſprang er
aus dem Schiffe, und haͤtte er ſich nicht vor den
Zuſchauern geſchaͤmt, er wuͤrde auf ſein Ange-
ſicht gefallen ſein, den vaterlaͤndiſchen Boden zu
kuͤſſen. Er eilte durch die ihn angaffende Menge
der Zuſchauer und ging ins Baumhaus.


Z 5
Von
[362]

Von da ſchikt' er einen Boten nach ſeines
Vaters Hauſe, um denſelben nach und nach auf
ſeine Erſcheinung vorbereiten zu laſſen. Erſt muſte
der Abgeſchikte ihm melden: es waͤre jemand da,
der ihm angenehme Nachrichten von ſeinem Sohne
bringen wolte; dan, daß ſein Sohn die Ruͤkreiſe
ſelbſt nach Hamburg angetreten haͤtte; und
endlich, daß der Jemand, der ihm dieſe frohe
Nachricht braͤchte, ſein Sohn ſelbſt waͤre. Haͤtte
Robinſon dieſe Vorſicht nicht gebraucht: ſo
wuͤrde die zu große Freude ſeinen alten Vater
uͤberwaͤltiget und getoͤdtet haben.


Und nun flog Robinſon ſelbſt durch die ihm
noch ſehr wohlbekanten Straßen nach ſeinem
vaͤterlichen Hauſe; und fiel, da er es erreicht
hatte, vor nahmenloſen Entzuͤkken auſſer ſich,
ſeinem vor Freude zitternden Vater in die Arme.
Mein Vater!mein Sohn! Dies war
alles, was beide hervorbringen konten. Stum,
zitternd und athemlos blieb einer an dem andern
haͤngen, bis endlich ein wohlthaͤtiger Strom von
Traͤnen ihrem gepreßten Herzen einige Linderung
verſchafte.


Frei-
[363]

Freitag gafte unterdeß im ſtummen Er-
ſtaunen alle die unzaͤhlbaren Wunderdinge an,
die ſeinen Augen ſich darboten. Er konte ſich
nicht ſat ſehen, und war den ganzen erſten Tag
wie betaͤubt.


Wie ein Lauffeuer lief indeß das Geruͤcht
von Robinſons Zuruͤkkunft und von den ſelt-
ſamen Schikſalen deſſelben durch die Stadt.
Alle ſprachen von nichts, als von Robinſon;
alle wolten ihn ſehen; alle wolten die Geſchichte
ſeiner Abentheuer aus ſeinem eigenen Munde
hoͤren! Seines Vaters Haus wurde daher bald
einem oͤffentlichen Verſamlungsplaze gleich; und
da half nichts, Robinſon muſte vom Morgen
bis an den Abend erzaͤhlen. Bei dieſen Erzaͤh-
lungen vergaß er dan nie, den Vaͤtern und Muͤt-
tern zuzurufen: Eltern, wenn ihr eure
Kinder liebt, ſo gewoͤhnt ſie ja fruͤhzeitig
zu einem frommen, maͤßigen und arbeit
ſamen Leben!
und waren Kinder dabei: ſo
gab er ihnen allemahl die goldne Regel mit:
lieben Kinder ſeid gehorſam euren Eltern
und Vorgeſezten; lernt fleißig alles, was

ihr
[364]ihr zu lernen nur immer Gelegenheit
habt; fuͤrchtet Gott, und huͤtet euch —
o huͤtet euch — vor Muͤßiggang, aus
welchem nichts, als Boͤſes, komt!


Robinſons Vater war ein Makler. Er
wuͤnſchte, daß ſein Sohn ſich in dieſen Geſchaͤf-
ten uͤben moͤgte, um nach ſeinem Tode an ſeine
Stelle treten zu koͤnnen. Aber Robinſon,
der ſeit vielen Jahren an das Vergnuͤgen der
Handarbeiten gewoͤhnt war, bat ſeinen Vater
um die Erlaubniß, das Tiſchler-Handwerk zu
lernen; und dieſer ließ ihm ſeinen freien Willen.
Er begab ſich alſo nebſt Freitag bei einem Mei-
ſter in die Lehre, und ehe noch ein Jahr ver-
ging hatten ſie ihm alles dergeſtalt abgelernt,
daß ſie ſelbſt Meiſter werden konten.


Beide legten darauf eine gemeinſchaftliche
Werkſtat an; und blieben Lebenslang unzertren-
liche Freunde und Gehuͤlfen. Fleiß und Maͤſ-
ſigkeit waren ihnen ſo ſehr zur andern Natur ge-
worden, daß es ihnen unmoͤglich war, auch nur
einen
[365] einen halben Tag muͤßig oder ſchwelgeriſch hinzu-
bringen. Zur Erinnerung an ihr ehemaliges
Einſiedler-Leben ſezten ſie einen Tag in jeder Wo-
che feſt, an dem ſie ihre vormahlige Lebensart,
ſo gut es gehen wolte, zu erneuern ſuchten.
Eintracht, Nachſicht mit den Fehlern anderer
Menſchen, Dienſtfertigkeit, und Menſchenliebe
waren ihnen jezt ſo gewohnte Tugenden gewor-
den, daß ſie gar nicht begriffen, wie man ohne
dieſelben leben konte. Vornehmlich zeichneten
ſie ſich durch eine reine, ungeheuchelte und thaͤ-
tige Froͤmmigkeit aus. So oft ſie den Nahmen
Gottes ausſprachen, ſtrahlte Freude und Liebe
aus ihren Augen; und ein Schauder uͤberfiel ſie,
wenn ſie dieſen heiligen Nahmen je zuweilen mit
Leichtſin und Gedankenloſigkeit von andern aus-
ſprechen hoͤrten. Auch kroͤnte der Seegen des
Himmels alles, was ſie vornahmen, ſichtbar-
lich. Sie erlebten in Friede, Geſundheit und
nuͤzlicher Geſchaͤftigkeit ein hohes Alter, und die
ſpaͤteſte Nachkommenſchaft wird das Andenken
zweier Maͤnner ehren, die ihren Mitmenſchen
ein Beiſpiel gaben, wie man es machen muͤſſe
um
[366] um hier zufrieden, und einſt ewig gluͤklich zu
werden.


Hier ſchwieg der Vater. Die junge Geſel-
ſchaft blieb noch eine Zeitlang nachdenkend ſizen,
bis endlich bei allen der feurige Gedanke: ſo wil
ich es auch machen!
zur feſten Entſchlieſ-
ſung reifte.

[figure]
[][][]
Notes
*
Die Geſelſchaft hatte einige Zeit vorher die-
ſe verſprochene Luſtreiſe gethan.
*
Unſere jungen Leſer muͤſſen aber wiſſen, daß
alle dieſe Kinder ſeit einiger Zeit, ſo manche
Uebung in der Selbſtuͤberwindung gehabt hat-
ten, daß es ihnen gar nicht mehr ſauer wurde,
auch auf ihre liebſten Vergnuͤgungen, wenn es
ſein muſte, mit lachendem Munde Verzicht zu
thun; und ſie werden wohl thun, wenn ſie dieſe
Kinder, die ſich ſehr gut dabei befinden, darin
nachzuahmen ſuchen.
*)
Diogenes war ein Man, der ſich alles ent-
zog, was zur Erhaltung des Lebens nicht
ſchlechterdings noͤthig war.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 1. Robinson der Jüngere. Robinson der Jüngere. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bj63.0