[][][][][][][]
Die Jahreszeiten.

Eine Vierteljahrsſchrift
für
romantiſche Dichtungen
.

1811.

Fruͤhlings-Heft.

Mit Muſik von J. H. Jung, genannt Stilling.

Berlin,: bei J. E. Hitzig.

[]

Inhalt.


  • Undine. Eine Erzaͤhlung vom Verfaſſer des To-
    desbundes.
  • Muſik zu den Romanzen aus Stillings Jugend
    und Juͤnglingsjahren. Mit einer Zugabe von
    Liedermelodieen, und einem Vorwort vom Her-
    ausgeber
    .

[]

Muſik zu den Romanzen
aus
Stillings
Jugend und Juͤnglingsjahren
.


Mitgetheilt
von
J. H. Jung, genannt Stilling.


Zugabe.


Zwei Lieder ebendaher.


[][]

Vorwort
zu Stillings Liedermelodieen
.


Die Leſer von Heinrich Stillings Leben, — und
hoffentlich giebt es deren in Deutſchland noch
viele, — werden ſich uͤber die einfachen, herzvol-
len, Weiſen freuen, deren hier zu zwei ſchoͤnen
Romanzen und zwei Liedern in jenem Buche er-
ſcheinen. Der Herausgeber hat ſie von dem ehr-
wuͤrdigen Verfaſſer ſelbſt, mit Erlaubniß zu deren
Bekanntmachung, — wie ſich das wohl ohne-
hin verſteht, da er ſie bekannt macht, — und
auch mit dem Verſprechen, noch andre aus die-
ſer Reihe nachgeliefert zu bekommen, erhalten. —
Wenn auch Worte und Weiſe der Romanzen nicht
mehr dieſelben ſind, welche Stillings Baſen
unter dem Kirſchbaume und ſonſt an ſtillen, lieb-
[] lichen Orten ſangen, ſo ſind ſie doch gewiß ein
hoͤchſt reiner Nachhall derſelben, und moͤgen im-
merhin Volkslieder heißen, da ſie dem reinen
Herzen des in Wald und Gebirg, unter Koͤh-
lern und ihren Sagen, bei dem Leſen ſchoͤner
altdeutſcher Hiſtorien aufgewachſenen, Stilling
entquollen. Anders iſt es wohl mit ſeinen, als
Zugabe mitgetheilten, und als eigne Arbeiten
aufgefuͤhrten Poeſieen, z. B. hier mit dem Liede:
„hoͤrt ihr lieben Voͤgelein.” Aber auch in dieſen,
ſowohl in Worten als Muſik, werden ſolche, die
fuͤr Stillings Leben Sinn haben, des Ruͤhren-
den und Ergreifenden unendlich viel antreffen.


de la Motte Fouqué.


[]

Vorwort.


Die mit dem gegenwaͤrtigen Hefte begonnene
Zeitſchrift, wovon in jedem Vierteljahre ein neues,
von unbeſtimmter Staͤrke, je nachdem Vorrath
an brauchbaren Materialien vorhanden iſt, er-
ſcheinen ſoll, iſt ausſchließlich romantiſchen
Dichtungen
, jedoch im weiteſten Sinne des
Wortes, beſtimmt. Sie hat keinen andern Zweck,
als zu unterhalten, daher liegt Alles, was
nicht allgemein lesbar, verſtaͤndlich und ein-
gaͤnglich ſcheint, außer ihrem Zweck. Aus eben
dieſer Ruͤckſicht auf ein groͤßeres Publikum, ſind
auch Fragmente, welcher Art ſie ſeyn moͤgen,
wenn ſie nicht fuͤr ſich ein vollſtaͤndiges Ganze
bilden, davon ausgeſchloſſen. Man kann den
Leſern die Zuſicherung geben, daß ſehr beliebte
[] Schriftſteller ſich dieſem Unternehmen guͤnſtig
zugewandt haben, deren Namen zu nennen aber
ſo lange indiſcret ſeyn wuͤrde, bis es ſich erſt
entſchieden hat, ob es den zu ſeiner Fortdauer
noͤthigen Beifall zu erhalten vermag.


Die Redaktion.

[[1]]

Undine,
eine Erzaͤhlung
.


Vom Verfaſſer
des
Todesbundes.


A
[[2]][[3]]

Erſtes Kapitel.

Wie der Ritter zu dem Fiſcher kam.


Es moͤgen nun wohl ſchon viele hundert Jahre
her ſein, da gab es einmal einen alten guten
Fiſcher, der ſaß eines ſchoͤnen Abends vor der
Thuͤr, und flickte ſeine Netze. Er wohnte aber
in einer uͤberaus anmuthigen Gegend. Der gruͤne
Boden, worauf ſeine Huͤtte gebaut war, ſtreckte
ſich weit in einen großen Landſee hinaus, und
es ſchien eben ſo wohl, die Erdzunge habe ſich
aus Liebe zu der blaͤulich klaren, wunderhellen,
Fluth, in dieſe hinein gedraͤngt, als auch, das
Waſſer habe mit verliebten Armen nach der ſchoͤ-
nen Aue gegriffen, nach ihren hoch ſchwanken-
den Graͤſern und Blumen, und nach dem er-
quicklichen Schatten ihrer Baͤume. Eins ging
A 2
[4] bei dem Andern zu Gaſte, und eben deshalb
war jegliches ſo ſchoͤn. Von Menſchen freilich
war an dieſer huͤbſchen Stelle wenig oder gar
nichts anzutreffen, die Fiſcher und ſeine Haus-
leute ausgenommen. Denn hinter der Erdzunge
lag ein ſehr wilder Wald, den die mehrſten
Leute wegen ſeiner Finſterniß und Unwegſam-
keit, wie auch wegen der wunderſamen Creatu-
ren und Gaukeleien, die man darin antreffen
ſollte, allzuſehr ſcheueten, um ſich ohne Noth
hineinzubegeben. Der alte fromme Fiſcher je-
doch durchſchritt ihn ohne Anfechtung zu vielen
Malen, wenn er die koͤſtlichen Fiſche, die er auf
ſeiner ſchoͤnen Landzunge fing, nach einer gro-
ßen Stadt trug, welche nicht ſehr weit hinter
dem großen Walde lag. Es ward ihm wohl
mehrentheils deswegen ſo leicht, durch den Forſt
zu ziehn, weil er faſt keine andre, als fromme,
Gedanken hegte, und noch außerdem jedesmal,
wenn er die verrufenen Schatten betrat, ein
geiſtliches Lied aus heller Kehle und aufrichtigem
Herzen anzuſtimmen gewohnt war.


[5]

Da er nun an dieſem Abende ganz arglos
bei den Netzen ſaß, kam ihn doch ein unverſe-
hener Schrecken an, als er es im Waldesdunkel
rauſchen hoͤrte, wie Roß und Mann, und ſich
das Geraͤuſch immer naͤher nach der Landzunge
herauszog. Was er in manchen ſtuͤrmigen Naͤch-
ten von den Geheimniſſen [des] Forſtes getraͤumt
hatte, zuckte ihm nun [auf] einmal durch den
Sinn, vor Allem das Bild eines rieſenmaͤßig
langen, ſchneeweißen Mannes, der unaufhoͤrlich
auf eine ſeltſame Art mit dem Kopfe nickte. Ja,
als er die Augen nach dem Walde aufhob, kam
es ihm ganz eigentlich vor, als ſehe er durch das
Laubgegitter den nickenden Mann hervor kom-
men. Er nahm ſich aber bald zuſammen, er-
waͤgend, wie ihm doch niemals in dem Walde
ſelbſten was Bedenkliches widerfahren ſei, und
alſo auf der freien Landzunge der boͤſe Geiſt
wohl noch minder Gewalt uͤber ihn ausuͤben
duͤrfe. Zugleich betete er recht kraͤftiglich einen
bibliſchen Spruch laut aus dem Herzen heraus,
wodurch ihm der kecke Muth auch zuruͤcke kam,
[6] und er faſt lachend ſah, wie ſehr er ſich geirrt
hatte. Der weiße, nickende Mann ward naͤm-
lich urploͤtzlich zu einem ihm laͤngſt wohlbekann-
ten Baͤchlein, das ſchaͤumend aus dem Forſte
hervorrann, und ſich in den Landſee ergoß. Wer
aber das Geraͤuſch verurſacht hatte, war ein
ſchoͤn geſchmuͤckter Ritter, der zu Roß durch den
Baumſchatten gegen die Huͤtte vorgeritten kam.
Ein ſcharlachrother Mantel hing ihm uͤber ſein
veilchenblaues, goldgeſticktes, Wamms herab; von
dem goldfarbigen Barette wallten rothe und
veilchenblaue Federn, am goldnen Wehrgehenke
blitzte ein ausnehmend ſchoͤnes und reichverziertes
Schwerdt. Der weiße Hengſt, der den Ritter
trug, war ſchlankeren Baues, als man es ſonſt
bei Streitroſſen zu ſehen gewohnt iſt, und trat
ſo leicht uͤber den Raſen hin, daß dieſer gruͤn-
bunte Teppich auch nicht die mindeſte Verlet-
zung davon zu empfangen ſchien. Dem alten
Fiſcher war es noch immer nicht ganz geheuer
zu Muth, obwohl er einzuſehn meinte, daß von
einer ſo holden Erſcheinung nichts Uebles zu be-
[7] fahren ſei, weshalb er auch ſeinen Hut ganz
ſittig vor dem naͤherkommenden Herrn abzog,
und gelaſſen bei ſeinen Netzen verblieb. Da
hielt der Ritter ſtille, und fragte, ob er wohl
mit ſeinem Pferde auf dieſe Nacht hier Unter-
kommen und Pflege finden koͤnne? — Was
Euer Pferd betrifft, lieber Herr, entgegnete
der Fiſcher, ſo weiß ich ihm keinen beſſern
Stall anzuweiſen, als dieſe beſchattete Wieſe,
und kein beſſeres Futter, als das Gras, wel-
ches darauf waͤchſt. Euch ſelbſt aber will ich
gerne in meinem kleinen Hauſe mit Abend-
brod und Nachtlager bewirthen, ſo gut es
unſer Einer hat. — Der Ritter war damit
ganz wohl zufrieden, er ſtieg von ſeinem Roſſe,
welches die beiden gemeinſchaftlich losguͤrteten
und loszuͤgelten, und ließ es alsdann auf den
blumigen Anger hinlaufen, zu ſeinem Wirthe
ſprechend: haͤtt’ ich Euch auch minder gaſtlich
und wohlmeinend gefunden, mein lieber alter
Fiſcher, Ihr waͤret mich dennoch wohl fuͤr Heute
nicht wieder losgeworden, denn, wie ich ſehe,
[8] liegt vor uns ein breiter See, und mit ſinken-
dem Abende in den wunderlichen Wald zuruͤck
zu reiten, davor bewahre mich der liebe Gott! —
Wir wollen nicht allzuviel davon reden, ſagte
der Fiſcher, und fuͤhrte ſeinen Gaſt in die
Huͤtte.


Drinnen ſaß bei dem Heerde, von welchem
aus ein ſpaͤrliches Feuer die daͤmmernde, rein-
liche, Stube erhellte, auf einem großen Stuhle,
des Fiſchers betagte Frau; beim Eintritte des
vornehmen Gaſtes ſtand ſie freundlich gruͤßend
auf, ſetzte ſich aber an ihren Ehrenplatz wieder
hin, ohne dieſen dem Fremdling anzubieten, wo-
bei der Fiſcher laͤchelnd ſagte: Ihr muͤßt es
ihr nicht veruͤbeln, junger Herr, daß ſie Euch
den bequemſten Stuhl im Hauſe nicht abtritt;
das iſt ſo Sitte bei armen Leuten, daß der
den Alten ganz ausſchließlich gehoͤrt. — Ei,
Mann, ſagte die Frau mit ruhigem Laͤcheln,
wo denkſt Du auch hin? Unſer Gaſt wird
doch zu den Chriſtenmenſchen gehoͤren, und wie
koͤnnte es alsdann dem lieben jungen Blut ein-
[9] fallen, alte Leute von ihren Sitzen zu verja-
gen? — Setzt Euch, mein junger Herr, fuhr
ſie, gegen den Ritter gewandt, fort; es ſteht
dorten noch ein recht artiges Seſſelein, nur
muͤßt Ihr nicht allzu ungeſtuͤm damit hin und
her rutſchen, denn das eine Bein iſt nicht all-
zufeſte mehr. — Der Ritter holte den Seſ-
ſel achtſam herbei, ließ ſich freundlich darauf nie-
der, und es war ihm zu Muthe, als ſei er mit
dieſem kleinen Haushalt verwandt, und eben
jetzt aus der Ferne dahin heim gekehrt.


Die drei guten Leute fingen an, hoͤchſt freund-
lich und vertraulich mit einander zu ſprechen.
Vom Walde, nach welchem ſich der Ritter einige
Male erkundigte, wollte der alte Mann freilich
nicht viel wiſſen; am wenigſten, meinte er, paſſe
ſich das Reden davon jetzt in der einbrechenden
Nacht; aber von ihrer Wirthſchaft und ſonſtigem
Treiben erzaͤhlten die beiden Eheleute deſto mehr,
und hoͤrten auch gerne zu, als ihnen der Ritters-
mann von ſeinen Reiſen vorſprach, und daß er
eine Burg an den Quellen der Donau habe,
[10] und Herr Huldbrand von Ringſtetten geheißen
ſei. Mitten durch das Geſpraͤch hatte der Frem-
de ſchon bisweilen ein Plaͤtſchern am niedrigen
Fenſterlein vernommen, als ſpruͤtze Jemand Waſ-
ſer dagegen. Der Alte runzelte bei dieſem Ge-
raͤuſche jedesmal unzufrieden die Stirn; als aber
endlich ein ganzer Guß gegen die Scheiben flog,
und durch den ſchlechtverwahrten Rahmen in die
Stube herein ſprudelte, ſtand er unwillig auf,
und rief drohend nach dem Fenſter hin: Undi-
ne! Wirſt Du endlich einmal die Kindereien
laſſen. Und iſt noch obenein Heut ein fremder
Herr bei uns in der Huͤtte. — Es ward auch
draußen ſtille, nur ein leiſes Gekicher ließ ſich
noch vernehmen, und der Fiſcher ſagte, zuruͤck
kommend: das muͤßt Ihr nun ſchon zu Gute
halten, mein ehrenwerther Gaſt, und vielleicht
noch manche Ungezogenheiten mehr, aber ſie
meint es nicht boͤſe. Es iſt naͤmlich unſere
Pflegetochter Undine, die ſich das kindiſche We-
ſen gar nicht abgewoͤhnen will, ob ſie gleich
bereits in ihr achtzehentes Jahr gehen mag.
[11] Aber wie geſagt, im Grunde iſt ſie doch von
ganzem Herzen gut. — Du kannſt wohl ſpre-
chen! entgegnete kopfſchuͤttelnd die Alte. Wenn
Du ſo von Fiſchfang heimkommſt oder von der
Reiſe, da mag es mit ihren Schaͤkereien ganz
was Artiges ſein. Aber ſie den ganzen Tag
lang auf dem Halſe haben, und kein kluges
Wort hoͤren, und ſtatt bei wachſendem Alter
Huͤlfe im Haushalte zu finden, immer nur da-
fuͤr ſorgen muͤſſen, daß uns ihre Thorheiten
nicht vollends zu Grunde richten, — da iſt es
gar ein Andres, und die heilige Geduld ſelb-
ſten wuͤrd’ es am Ende ſatt. — Nun, nun,
laͤchelte der Hausherr, Du haſt es mit Undi-
nen, und ich mit dem See. Reißt mir der
doch auch oftmals meine Daͤmme und Netze
durch, aber ich hab’ ihn dennoch gern, und Du
mit allem Kreuz und Elend das zierliche Kind-
lein auch. Nicht wahr? — Ganz boͤſe kann
man ihr eben nicht werden, ſagte die Alte,
und laͤchelte beifaͤllig.


Da flog die Thuͤre auf, und ein wunder-
[12] ſchoͤnes Blondchen ſchluͤpfte lachend herein, und
ſagte: Ihr habt mich nur gefoppt, Vater; wo
iſt denn nun Euer Gaſt? — Selben Au-
genblicks aber ward ſie auch den Ritter gewahr,
und blieb ſtaunend vor dem ſchoͤnen Juͤnglinge
ſtehn. Huldbrand ergoͤtzte ſich an der holden
Geſtalt, und wollte ſich die lieblichen Zuͤge recht
achtſam einpraͤgen, weil er meinte, nur ihre
Ueberraſchung laße ihm Zeit dazu, und ſie wer-
de ſich bald nachher in zwiefacher Bloͤdigkeit vor
ſeinen Blicken abwenden. Es kam aber ganz
anders. Denn als ſie ihn nun recht lange an-
geſehn hatte, trat ſie zutraulich naͤher, kniete
vor ihm nieder, und ſagte, mit einem goldnen
Schaupfennige, den er an einer reichen Kette
auf der Bruſt trug, ſpielend: ei Du ſchoͤner,
Du freundlicher Gaſt, wie biſt Du denn end-
lich in unſre arme Huͤtte gekommen? Muß-
teſt Du denn Jahre lang in der Welt herum-
ſtreifen, bevor Du dich auch einmal zu uns
fandeſt? Kommſt Du aus dem wuͤſten Walde,
Du ſchoͤner Freund? — Die ſcheltende Alte
[13] ließ ihm zur Antwort keine Zeit. Sie ermahnte
das Maͤdchen, fein ſittig aufzuſtehn, und ſich
an ihre Arbeit zu begeben. Undine aber zog,
ohne zu antworten, eine kleine Fußbank neben
Huldbrands Stuhl, ſetzte ſich mit ihrem Gewe-
be darauf nieder, und ſagte freundlich: hier
will ich arbeiten. Der alte Mann that, wie
Aeltern mit verzognen Kindern zu thun pflegen.
Er ſtellte ſich, als merke er von Undinens Unart
nichts, und wollte von etwas Anderm anfangen.
Aber das Maͤdchen ließ ihn nicht dazu. Sie
ſagte: woher unſer holder Gaſt kommt, habe
ich ihn gefragt, und er hat mir noch nicht ge-
antwortet. — Aus dem Walde komme ich,
Du ſchoͤnes Bildchen, entgegnete Huldbrand,
und ſie ſprach weiter: ſo mußt Du mir er-
zaͤhlen, wie Du da hineinkamſt, denn die Men-
ſchen ſcheuen ihn ſonſt, und was fuͤr wunder-
liche Abentheuer Du darinnen erlebt haſt, weil
es doch ohne dergleichen dorten nicht abgehn
ſoll. — Huldbrand empfand einen kleinen
Schauer bei dieſer [Erinnerung], und blickte un-
[14] willkuͤrlich nach dem Fenſter, weil es ihm zu
Muthe war, als muͤſſe eine von den ſeltſamli-
chen Geſtalten, die ihm im Forſte begegnet wa-
ren, von dort hereingrinzen; er ſah nichts, als
die tiefe, ſchwarze Nacht, die nun bereits drau-
ßen vor den Scheiben lag. Da nahm er ſich
zuſammen, und wollte eben ſeine Geſchichte an-
fangen, als ihn der Alte mit den Worten un-
terbrach: nicht alſo, Herr Ritter; zu derglei-
chen iſt es jetzund keine gute Zeit. — Undi-
ne aber ſprang zornmuͤthig von ihrem Baͤnkchen
auf, ſetzte die ſchoͤnen Arme in die Seiten, und
rief, ſich dicht vor den Fiſcher hinſtellend: er
ſoll nicht erzaͤhlen, Vater? Er ſoll nicht? Ich
aber will’s; er ſoll! Er ſoll doch! — Und
damit trat das zierliche Fuͤßchen heftig gegen
den Boden, aber das Alles mit ſolch einem drol-
lig anmuthigen Anſtande, daß Huldbrand jetzt
in ihrem Zorn faſt weniger noch die Augen von
ihr wegbringen konnte, als vorher in ihrer
Freundlichkeit. Bei dem Alten hingegen brach
der zuruͤckgehaltene Unwillen in volle Flammen
[15] aus. Er ſchalt heftig auf Undinens Ungehorſam
und unſittiges Betragen gegen den Fremden,
und die gute alte Frau ſtimmte mit ein. Da
ſagte Undine: wenn ihr zanken wollt, und
nicht thun, was ich haben will, ſo ſchlaft al-
lein in Eurer alten, raͤuchrigen Huͤtte! —
Und wie ein Pfeil war ſie aus der Thuͤr, und
fluͤchtigen Laufes in die finſtere Nacht hinaus.


[16]

Zweites Kapitel.

Auf welche Weiſe Undine zu dem Fiſcher gekom-
men war.


Huldbrand und der Fiſcher ſprangen von ihren
Sitzen, und wollten dem zuͤrnenden Maͤdchen
nach. Ehe ſie aber an die Huͤttenthuͤr gelang-
ten, war Undine ſchon lange in dem wolkigen
Dunkel draußen verſchwunden, und auch kein
Geraͤuſch ihrer leichten Fuͤße verrieth, wohin ſie
ihren Lauf wohl gerichtet haben koͤnne. Huld-
brand ſah fragend nach ſeinem Wirthe; faſt
kam es ihm vor, als ſei die ganze liebliche Er-
ſcheinung, die ſo ſchnell in die Nacht wieder un-
tergetaucht war, nichts andres geweſen, als eine
Fortſetzung der wunderlichen Gebilde, die fruͤher
im Forſte ihr loſes Spiel mit ihm getrieben hat-
ten, aber der alte Mann murmelte in ſeinen
Bart:
[17] Bart: es iſt nicht das Erſtemal, daß ſie es uns
alſo macht. Nun hat man die Angſt auf dem
Herzen, und den Schlaf aus den Augen fuͤr die
ganze Nacht; denn wer weiß, ob ſie nicht den-
noch einmal Schaden nimmt, wenn ſie ſo drauſ-
ſen im Dunkel allein iſt bis an das Morgen-
roth. — So laßt uns ihr doch nach, Va-
ter, um Gott! rief Huldbrand aͤngſtlich aus.
Der Alte erwiederte; wozu das? Es waͤr’ ein
ſuͤndlich Werk, ließ’ ich Euch in Nacht und Ein-
ſamkeit dem thoͤrichten Maͤdchen ſo ganz alleine
folgen, und meine alten Beine holen den Spring-
insfeld nicht ein, wenn man auch wuͤßte, wo-
hin ſie gerannt iſt. — Nun muͤſſen wir ihr
doch nachrufen mindeſtens, und ſie bitten, daß
ſie wiederkehrt, ſagte Huldbrand, und begann
auf das beweglichſte zu rufen; Undine! Ach
Undine! Komm’ doch zuruͤck! — Der Alte
wiegte ſein Haupt hin und her, ſprechend, all’
das Geſchrei helfe am Ende zu nichts; der Rit-
ter wiſſe noch nicht, wie trotzig die Kleine ſei.
Dabei aber konnte er es doch nicht unterlaſſen,
B
[18] oͤfters mit in die finſtre Nacht hinauszurufen:
Undine! Ach liebe Undine! Ich bitte Dich,
komme doch nur dies Einemal zuruͤck.


Es ging indeſſen, wie es der Fiſcher geſagt
hatte. Keine Undine ließ ſich hoͤren oder ſehn,
und weil der Alte durchaus nicht zugeben woll-
te, daß Huldbrand der Entflohenen nachſpuͤrte,
mußten ſie endlich Beide wieder in die Huͤtte
gehen. Hier fanden ſie das Feuer des Heerdes
beinahe erloſchen, und die Hausfrau, die ſich Un-
dinens Flucht und Gefahr bei weitem nicht ſo zu
Herzen nahm, als ihr Mann, bereits zur Ruhe
gegangen. Der Alte hauchte die Kohlen wieder
an, legte trocknes Holz darauf, und ſuchte bei
der wieder auflodernden Flamme einen Krug
mit Wein hervor, den er zwiſchen ſich und ſei-
nen Gaſt ſtellte. — Euch iſt auch Angſt wegen
des dummen Maͤdchens, Herr Ritter, ſagte er,
und wir wollen lieber einen Theil der Nacht
verplaudern und vertrinken, als uns auf den
Schilfmatten vergebens nach dem Schlafe her-
umwaͤlzen. Nicht wahr? — Huldbrand war
[19] gerne damit zufrieden, der Fiſcher noͤthigte ihn
auf den ledigen Ehrenplatz der ſchlafen gegang-
nen Hausfrau, und beide tranken und ſprachen
miteinander, wie es zwei wackern und zutrauli-
chen Maͤnnern geziemt. Freilich, ſo oft ſich vor
den Fenſtern das Geringſte regte, oder auch bis-
weilen, wenn ſich gar nichts regte, ſah Eines
von beiden in die Hoͤhe, ſprechend: ſie kommt. —
Dann wurden ſie ein Paar Augenblicke ſtille,
und fuhren nachher, da nichts erſchien, kopfſchuͤt-
telnd und ſeufzend in ihren Reden fort.


Weil aber nun Beide an faſt gar nichts
andres zu denken vermochten, als an Undinen,
ſo wußten ſie auch nichts beßres, als, der Rit-
ter, zu hoͤren, welchergeſtalt Undine zu dem
alten Fiſcher gekommen ſei, der alte Fiſcher, eben
dieſe Geſchichte zu erzaͤhlen. Deshalben hub er
folgendermaßen an.


Es ſind nun wohl funfzehn Jahre vergan-
gen, da zog ich einmal durch den wuͤſten Wald
mit meiner Waare nach der Stadt. Meine
Frau war daheim geblieben, wie gewoͤhnlich;
B 2
[20] und ſolches zu der Zeit auch noch um einer gar
huͤbſchen Urſache willen, denn Gott hatte uns,
in unſerm damals ſchon ziemlich hohen Alter
ein wunderſchoͤnes Kindlein beſcheert. Es war
ein Maͤgdlein, und die Rede ging bereits unter
uns, ob wir nicht, dem neuen Ankoͤmmlinge zu
Frommen, unſre ſchoͤne Landzunge verlaſſen woll-
ten, um die liebe Himmelsgabe kuͤnftig an be-
wohnbaren Orten beſſer aufzuziehen. Es iſt frei-
lich bei armen Leuten nicht ſo damit, wie Ihr
es meinen moͤgt, Herr Ritter; aber, lieber Gott!
Jedermann muß doch einmal thun, was er ver-
mag. — Nun, mir ging unterweges die Ge-
ſchichte ziemlich im Kopfe herum. Dieſe Land-
zunge war mir ſo im Herzen lieb, und ich fuhr
ordentlich zuſammen, wenn ich unter dem Laͤrm
und Gezaͤnke in der Stadt bei mir ſelbſten den-
ken mußte: in ſolcher Wirthſchaft nimmſt auch
du nun mit naͤchſtem Deinen Wohnſitz, oder
doch in einer nicht viel ſtillern! — Dabei aber
hab’ ich nicht gegen unſern lieben Herrngott ge-
murret, vielmehr ihm im Stillen fuͤr das Neu-
[21] geborne gedankt; ich muͤßte auch luͤgen, wenn
ich ſagen wollte, mir waͤre auf dem Hin- oder
Ruͤckwege durch den Wald irgend etwas bedenk-
licheres aufgeſtoßen, als ſonſt, wie ich denn nie
etwas Unheimliches dorten geſehn habe. Der
Herr war immer mit mir in den verwunderli-
chen Schatten.


Da zog er ſein Muͤtzchen von dem kahlen
Schaͤdel, und blieb eine Zeitlang in betenden
Gedanken ſitzen. Dann bedeckte er ſich wieder,
und ſprach fort:


Dießeits des Waldes, ach dießeits, da zog
mir das Elend entgegen. Meine Frau kam ge-
gangen mit ſtroͤmenden Augen wie zwei Baͤche;
ſie hatte Trauerkleider angelegt. — O lieber
Gott, aͤchzte ich, wo iſt unſer liebes Kind? Sag’
an! — Bei dem, den Du rufeſt, lieber Mann
entgegnete ſie, und wir gingen nun ſtillweinend
mit einander in die Huͤtte. Ich ſuchte nach der
kleinen Leiche; da erfuhr ich erſt, wie Alles ge-
kommen war. Am Seeufer hatte meine Frau
mit dem Kinde geſeſſen, und wie ſie ſo recht
[22] ſorglos und ſelig mit ihm ſpielt, buͤckt ſich die
Kleine auf Einmal vor, als ſaͤhe ſie etwas ganz
Wunderſchoͤnes im Waſſer; meine Frau ſieht ſie
noch lachen, den lieben Engel, und mit den Haͤnd-
chen greifen; aber im Augenblick ſchießt ſie ihr
durch die raſche Bewegung aus den Armen,
und in den feuchten Spiegel hinunter. Ich
habe viel geſucht nach der kleinen Todten; es
war zu nichts; auch keine Spur von ihr war
zu finden. —


Nun wir verwaiſten Aeltern ſaßen denn
noch ſelbigen Abends ſtill beiſammen in der Huͤt-
te, zu reden hatte Keiner Luſt von uns, wenn
man es auch gekonnt haͤtte vor Thraͤnen. Wir
ſahen ſo in das Feuer des Heerdes hinein. Da
raſchelt was draußen an der Thuͤr; ſie ſpringt
auf, und ein wunderſchoͤnes Maͤgdlein von etwa
drei, vier Jahren, ſteht reich geputzt auf der
Schwelle, und laͤchelt uns an. Wir blieben
ganz ſtumm vor Erſtaunen, und ich wußte erſt
nicht, war es ein ordentlicher, kleiner Menſch,
war es blos ein gaukelhaftiges Bildniß. Da
[23] ſah’ ich aber das Waſſer von den goldnen Haa-
ren und den reichen Kleidern herabtroͤpfeln, und
merkte nun wohl, das ſchoͤne Kindlein habe im
Waſſer gelegen, und Huͤlfe thue ihm Noth. —
Frau, ſagte ich, uns hat Niemand unſer liebes
Kind erretten koͤnnen; wir wollen doch wenig-
ſtens an andern Leuten thun, was uns ſeelig
auf Erden machen wuͤrde, vermoͤchte es Jemand
an uns zu thun. — Wir zogen die Kleine aus,
brachten ſie zu Bett’ und reichten ihr waͤrmende
Getraͤnke, wobei ſie kein Wort ſprach, und uns
blos aus den beiden ſeeblauen Augenhimmeln
immerfort laͤchelnd anſtarrte.


Des andern Morgens ließ ſich wohl abneh-
men, daß ſie keinen weitern Schaden genommen
hatte, und ich fragte nun nach ihren Aeltern,
und wie ſie hier hergekommen ſei. Das aber
gab eine verworrne, wunderſamliche, Geſchichte.
Von weit her muß ſie wohl gebuͤrtig ſein, denn
nicht nur, daß ich dieſe funfzehn Jahre her nichts
von ihrer Herkunft erforſchen konnte, ſo ſprach
und ſpricht ſie auch bisweilen ſo abſonderliche
[24] Dinge, daß unſer Eins nicht weiß, ob ſie am
Ende nicht gar vom Monde herunter gekommen
ſein koͤnnte. Da iſt die Rede von goldnen Schloͤſ-
ſern, von kriſtallnen Daͤchern, und Gott weiß,
wovon noch mehr. Was ſie am deutlichſten er-
zaͤhlte, war, ſie ſei mit ihrer Mutter auf dem
großen See ſpatzieren gefahren, aus der Barke
in’s Waſſer gefallen, und habe ihre Sinne erſt
hier unter den Baͤumen wiedergefunden, wo ihr
an dem luſtigen Ufer recht behaglich zu Muthe
geworden ſei.


Nun hatten wir noch eine große Bedenk-
lichkeit und Sorge auf dem Herzen. Daß wir
an der lieben Ertrunknen Stelle die Gefundne
behalten und auferziehn wollten, war freilich
ſehr bald ausgemacht; aber wer konnte nun wiſ-
ſen, ob das Kind getauft ſei, oder nicht? Sie
ſelber wußte daruͤber keine Auskunft zu geben.
Daß ſie eine Kreatur ſei, zu Gottes Preis und
Freude geſchaffen, wiſſe ſie wohl, antwortete ſie
uns mehrentheils, und was zu Gottes Preis
und Freude gereiche, ſeie ſie auch bereit, mit ſich
[25] vornehmen zu laſſen. — Meine Frau und ich
dachten ſo: iſt ſie nicht getauft, ſo giebt’s da
nichts zu zoͤgern; iſt ſie es aber doch, ſo kann
bei guten Dingen zu wenig eher ſchaden, als zu
viel. Und dem zu Folge ſannen wir auf einen
guten Namen fuͤr das Kind, das wir ohnehin
noch nicht ordentlich zu rufen wußten. Wir mein-
ten endlich, Dorothea werde ſich am beſten fuͤr
ſie ſchicken, weil ich einmal gehoͤrt hatte, das
heiße Gottesgabe, und ſie uns doch von Gott
als eine Gabe zugeſandt war, als ein Troſt in
unſerm Elend. Sie hingegen wollte nichts da-
von hoͤren, und meinte, Undine ſei ſie von ih-
ren Aeltern genannt worden, Undine wolle ſie
auch ferner heiſſen. Nun kam mir das wie ein
heidniſcher Name vor, der in keinem Kalender
ſtehe, und ich holte mir deshalben Rath bei ei-
nem Prieſter in der Stadt. Der wollte auch
nichts von dem Undinen-Namen hoͤren, und kam
auf mein vieles Bitten mit mir durch den ver-
wunderlichen Wald, zu Vollziehung der Tauf-
handlung, hier herein in meine Huͤtte. Die
[26] Kleine ſtand ſo huͤbſch geſchmuͤckt und holdſeelig
vor uns, daß dem Prieſter alsbald ſein ganzes
Herz vor ihr aufging, und ſie wußte ihm ſo
artig zu ſchmeicheln, und mitunter ſo drollig
zu trotzen, daß er ſich endlich auf keinen der
Gruͤnde, die er gegen den Namen Undine
vorraͤthig gehabt hatte, mehr beſinnen konnte.
Sie ward denn alſo Undine getauft, und be-
trug ſich waͤhrend der heiligen Handlung außer-
ordentlich ſittig und an[m]uthig, ſo wild und un-
ſtaͤt ſie auch uͤbrigens immer war. Denn da-
rin hat meine Frau ganz Recht: was Tuͤchti-
ges haben wir mit ihr auszuſtehen gehabt. Wenn
ich Euch erzaͤhlen ſollte —


Der Ritter unterbrach den Fiſcher, um ihn
auf ein Geraͤuſch, wie von gewaltig rauſchenden
Waſſerfluthen, aufmerkſam zu machen, das er
ſchon fruͤher zwiſchen den Reden des Alten ver-
nommen hatte, und das nun mit wachſendem
Ungeſtuͤm vor den Huͤttenfenſtern dahin ſtroͤmte.
Beide ſprangen nach der Thuͤr. Da ſahen ſie
draußen im jetzt aufgegangnen Mondenlicht den
[27] Bach, der aus dem Walde hervor rann, wild
uͤber ſeine Ufer hinausgeriſſen, und Steine und
Holzſtaͤmme in reißenden Wirbeln mit ſich fort-
ſchleudern. Der Sturm brach, wie von dem
Getoͤſe erweckt, aus den naͤchtigen Gewoͤlken,
dieſe pfeilſchnell uͤber den Mond hinjagend, her-
vor, der See heulte unter des Windes ſchlagen-
den Fittigen, die Baͤume der Landzunge aechzten
von Wurzel zu Wipfel hinauf, und beugten ſich
wie ſchwindelnd uͤber die reißenden Gewaͤſſer: —
Undine! Um Gotteswillen, Undine! riefen die
zwei beaͤngſtigten Maͤnner. — Keine Antwort
kam ihnen zuruͤck, und achtlos nun jeglicher an-
dern Erwaͤgung, rannten ſie, ſuchend und rufend,
Einer hier, der Andre dort hin, aus der Huͤtte
fort.


[28]

Drittes Kapitel.

Wie ſie Undinen wiederfanden.


Dem Huldbrand ward es immer aͤngſtlicher
und verworrner zu Sinn, je laͤnger er unter den
naͤchtlichen Schatten ſuchte, ohne zu finden.
Der Gedanke, Undine ſei nur eine bloße Wald-
erſcheinung geweſen, bekam auf’s Neue Macht
uͤber ihn, ja er haͤtte unter dem Geheul der
Wellen und Stuͤrme, dem Krachen der Baͤume,
der gaͤnzlichen Umgeſtaltung der kaum noch ſo
ſtill anmuthigen Gegend, die ganze Landzunge
ſamt der Huͤtte und ihren Bewohnern faſt fuͤr
eine truͤgriſch neckende Bildung gehalten; aber
von fern hoͤrte er doch immer noch des Fiſchers
aͤngſtliches [Rufen] nach Undinen, der alten Haus-
frau lautes Beten und Singen durch das Ge-
[29] braus. Da kam er endlich dicht an des uͤberge
tretnen Baches Rand, und ſah im Mondenlicht,
wie dieſer ſeinen ungezaͤhmten Lauf grade vor
den unheimlichen Wald hin, genommen hatte, ſo daß
er nun die Erdſpitze zur Inſel machte. — O
lieber Gott, dachte er bei ſich ſelbſt, wenn es
Undine gewagt haͤtte, ein Paar Schritte in den
fuͤrchterlichen Forſt hineinzuthun; vielleicht eben
in ihrem anmuthigen Eigenſinn, weil ich ihr
nichts davon erzaͤhlen ſollte, — und nun waͤre
der Strom dazwiſchen gerollt, und ſie weinte
nun einſam druͤben bei den Geſpenſtern! —
Ein Schrei des Entſetzens entfuhr ihm, und er
klomm einige Steine und umgeſtuͤrzte Fichten-
ſtaͤmme hinab, um in den reiſſenden Strom zu
treten, und, watend oder ſchwimmend, die Ver-
irrte druͤben zu ſuchen. Es fiel ihm zwar alles
Grauſenvolle und Wunderliche ein, was ihm
ſchon bei Tage unter den jetzt rauſchenden und
heulenden Zweigen begegnet war. Vorzuͤglich
kam es ihm vor, als ſtehe ein langer weißer
Mann, den er nur allzugut kannte, grinſend
[30] und nickend am jenſeitigen Ufer: aber eben dieſe
ungeheuern Bilder riſſen ihn gewaltig nach ſich
hin, weil er bedachte, daß Undine in Todesaͤng-
ſten unter ihnen ſei, und allein.


Schon hatte er einen ſtarken Fichtenaſt er-
griffen, und ſtand, auf dieſen geſtuͤtzt, in den
wirbelnden Fluthen, gegen die er ſich kaum auf-
recht zu halten vermochte; aber er ſchritt getro-
ſten Muthes tiefer hinein. Da rief es neben
ihm mit anmuthiger Stimme: trau’ nicht, trau’
nicht! Er iſt tuͤckiſch, der Alte, der Strom! —
Er kannte dieſe lieblichen Laute, er ſtand wie
bethoͤrt unter den Schatten, die ſich eben dun-
kel uͤber den Mond gelegt hatten, und ihn
ſchwindelte vor dem Gerolle der Wogen, die er
pfeilſchnell an ſeinen Schenkeln hinſchießen ſah.
Dennoch wollte er nicht ablaſſen. — Biſt Du
nicht wirklich da, gaukelſt Du nur neblicht um
mich her, ſo mag auch ich nicht leben, und will
ein Schatten werden, wie Du, Du liebe, liebe
Undine! Dies rief er laut, und ſchritt wieder
tiefer in den Strom. — Sieh’ Dich doch um,
[31] ei ſieh’ Dich doch um, Du ſchoͤner, bethoͤrter
Juͤngling! ſo rief es abermals dicht bei ihm,
und ſeitwaͤrts blickend ſah er im eben ſich wie-
der enthuͤllenden Mondlicht, unter den Zweigen
hochverſchlungner Baͤume, auf einer durch die
Ueberſchwemmung gebildeten kleinen Inſel, Un-
dinen laͤchelnd und lieblich in die bluͤhenden
Graͤſer hingeſchmiegt.


O wie viel freudiger brauchte nun der jun-
ge Mann ſeinen Fichtenaſt zum Stabe, als vor-
hin! Mit wenigen Schritten war er durch die
Fluth, die zwiſchen ihm und dem Maͤgdlein hin-
ſtuͤrmte, und neben ihr ſtand er auf der kleinen
Raſenſtelle, heimlich und ſehr von den uralten
Baͤumen uͤberrauſcht und beſchirmt. Undine
hatte ſich etwas emporgerichtet, und ſchlang nun
in dem gruͤnen Laubgezelte ihre Arme um ſei-
nen Nacken, ſo daß ſie ihn auf ihren weichen
Sitz neben ſich nieder zog. — Hier ſollſt Du
mir erzaͤhlen, huͤbſcher Freund, ſagte ſie leiſe
fluͤſternd; hier hoͤren uns die graͤmlichen Alten
nicht. Und ſo viel als ihre aͤrmliche Huͤtte, iſt
[32] doch hier unſer Blaͤtterdach wohl noch immer
werth. — Es iſt der Himmel! ſagte Huld-
brand, und umſchlang, inbruͤnſtig kuͤſſend, die
ſchmeichelnde Schoͤne.


Da war unterdeſſen der alte Fiſcher an
das Ufer des Stromes gekommen, und rief zu
den beiden jungen Leuten heruͤber: ei, Herr Rit-
ter, ich habe Euch aufgenommen, wie es ein
biederherziger Mann dem andern zu thun pflegt,
und nun koſ’t Ihr mit meinem Pflegekinde ſo
heimlich, und laßt mich noch obenein in der
Angſt nach ihr durch die Nacht umherlaufen. —
Ich habe ſie ſelbſt erſt eben jetzt gefunden, al-
ter Vater, rief ihm der Ritter zuruͤck. Deſto
beſſer, ſagte der Fiſcher; aber nun bringt ſie
mir auch ohne Verzoͤgern an das feſte Land
heruͤber. Davon aber wollte Undine wieder gar
nichts hoͤren. Sie meinte, eher wolle ſie mit
dem ſchoͤnen Fremden in den wilden Forſt vol-
lends hinein, als wieder in die Huͤtte zuruͤck,
wo man ihr nicht ihren Willen thue, und aus
welcher der huͤbſche Ritter doch uͤber kurz oder
lang
[33] lang ſcheiden werde. Mit unſaͤglicher Anmuth
ſang ſie, Huldbranden umſchlingend:


Aus dunſt’gem Thal die Welle,

Sie rann und ſucht’ ihr Gluͤck;

Sie kam in’s Meer zur Stelle,

Und rinnt nicht mehr zuruͤck.

Der alte Fiſcher weinte bitterlich in ihr
Lied, aber es ſchien ſie nicht ſonderlich zu ruͤh-
ren. Sie kuͤßte und ſtreichelte ihren Liebling,
der endlich zu ihr ſagte: Undine, wenn Dir
des alten Mannes Jammer das Herz nicht
trifft, ſo trifft er’s mir. Wir wollen zuruͤck zu
ihm. — Verwundert ſchlug ſie die großen blau-
en Augen gegen ihn auf, und ſprach endlich lang-
ſam und zoͤgernd: wenn Du es ſo meinſt, —
gut; mir iſt Alles recht, was Du meinſt. Aber
verſprechen muß mir erſt der alte Mann da
druͤben, daß er Dich ohne Widerrede will er-
zaͤhlen laſſen, was Du im Walde geſehn haſt,
und — nun das Andre findet ſich wohl. Komm
nur, komm! rief der Fiſcher ihr zu, ohne mehr
Worte heraus bringen zu koͤnnen. Zugleich
C
[34] ſtreckte er ſeine Arme weit uͤber die Fluth ihr
entgegen, und nickte mit dem Kopfe, um ihr die
Erfuͤllung ihrer Fordrung zuzuſagen, wobei ihm
die weißen Haare ſeltſam uͤber das Geſicht her-
uͤber fielen, und Huldbrand an den nickenden
weißen Mann im Forſte denken mußte. Ohne
ſich aber durch irgend etwas irre machen zu laſ-
ſen, faßte der junge Rittersmann das ſchoͤne
Maͤdchen in ſeine Arme, und trug ſie uͤber den
kleinen Raum, welchen der Strom zwiſchen ih-
rem Inſelchen und dem feſten Ufer durchbrauſte.
Der Alte fiel um Undinens Hals, und konnte
ſich gar nicht ſatt freuen und kuͤſſen; auch die
alte Frau kam herbei, und ſchmeichelte der Wie-
dergefundenen auf das Herzlichſte. Von Vorwuͤr-
fen war gar nicht die Rede mehr, um ſo min-
der, da auch Undine, ihres Trotzes vergeſſend,
die beiden Pflegeaͤltern mit anmuthigen Worten
und Liebkoſungen faſt uͤberſchuͤttete.


Als man endlich nach der Freude des Wie-
derhabens ſich recht beſann, blickte ſchon das
Morgenroth leuchtend uͤber den Landſee herein,
[35] der Sturm war ſtille geworden, die Voͤglein
ſangen luſtig auf den genaͤßten Zweigen. Weil
nun Undine auf die Erzaͤhlung der verheißnen
Geſchichte des Ritters beſtand, fuͤgten ſich die
beiden Alten laͤchelnd und willig in ihr Begehr.
Man brachte ein Fruͤhſtuͤck unter die Baͤume,
welche hinter der Huͤtte gegen den See zu ſtan-
den, und ſetzte ſich, von Herzen vergnuͤgt, dabei
nieder, Undine, weil ſie es durchaus nicht an-
ders haben wollte, zu den Fuͤßen des Ritters in’s
Gras. Hierauf begann Huldbrand folgender-
maßen zu ſprechen.


C 2
[36]

Viertes Kapitel.

Von dem, was dem Ritter im Walde begegnet war.


Es moͤgen nun etwan acht Tage her ſein, da
ritt ich in die freie Reichsſtadt ein, welche dort
jenſeit des Forſtes gelegen iſt. Bald darauf gab
es darin ein ſchoͤnes Turnieren und Ringelren-
nen, und ich ſchonte meinen Gaul und meine
Lanze nicht. Als ich nun einmal an den Schran-
ken ſtill halte, um von der luſtigen Arbeit zu
raſten, und den Helm an einen meiner Knap-
pen zuruͤck reiche, faͤllt mir ein wunderſchoͤnes
Frauenbild in die Augen, das im allerherrlich-
ſten Schmuck auf einem der Altane ſtand und
zuſah. Ich fragte meinen Nachbar, und erfuhr,
die reizende Jungfrau heiße Bertalda, und ſei
die Pflegetochter eines der maͤchtigen Herzoge,
[37] die in dieſer Gegend wohnen. Ich merkte, daß
ſie auch mich anſah, und wie es nun bei uns
jungen Rittern zu kommen pflegt: hatte ich erſt
brav geritten, ſo ging es nun noch ganz anders
los. Den Abend bei’m Tanze war ich Bertal-
da’s Gefaͤhrt, und das blieb ſo alle die Tage
des Feſtes hindurch.


Ein empfindlicher Schmerz an ſeiner linken
herunterhaͤngenden Hand unterbrach hier Huld-
brands Rede, und zog ſeine Blicke nach der
ſchmerzenden Stelle. Undine hatte ihre Per-
lenzaͤhne ſcharf in ſeine Finger geſetzt, und ſah
dabei recht finſter und unwillig aus. Ploͤtzlich
aber ſchaute ſie ihm freundlich wehmuͤthig in die
Augen, und fluͤſterte ganz leiſe: Ihr macht es
auch darnach. — Dann verhuͤllte ſie ihr Ge-
ſicht, und der Ritter fuhr ſeltſam verwirrt und
nachdenklich in ſeiner Geſchichte fort:


Es iſt eine hochmuͤthige, wunderliche Maid,
dieſe Bertalda. Sie gefiel mir auch am zwei-
ten Tage ſchon lange nicht mehr, wie am er-
ſten, und am dritten noch minder. Aber ich
[38] blieb um ſie, weil ſie freundlicher gegen mich
war, als gegen andre Ritter, und ſo kam es
auch, daß ich ſie im Scherz um einen ihrer Hand-
ſchuhe bat. — Wenn Ihr mir Nachricht bringt,
und Ihr ganz allein, ſagte ſie, wie es im be-
ruͤchtigten Forſte ausſieht. — Mir lag eben
nicht ſo viel an ihren Handſchuhen, aber geſpro-
chen war geſprochen, und ein ehrliebender Rit-
tersmann laͤßt ſich zu ſolchem Probeſtuͤcke nicht
zweimal mahnen.


Ich denke, ſie hatte Euch lieb, unterbrach
ihn Undine.


Es ſah ſo aus, entgegnete Huldbrand.


Nun, rief das Maͤdchen lachend, die muß
recht dumm ſein. Von ſich zu jagen, was Ei-
nem lieb iſt! Und vollends in einen verrufnen
Wald hinein. Da haͤtte der Wald und ſein
Geheimniß lange fuͤr mich warten koͤnnen.


Ich machte mich denn geſtern Morgen auf
den Weg, fuhr der Ritter, Undinen freundlich
anlaͤchelnd, fort. Die Baumſtaͤmme blitzten ſo
roth und ſchlank im Morgenlichte, das ſich hell
[39] auf dem gruͤnen Raſen hinſtreckte, die Blaͤtter
fluͤſterten ſo luſtig mit einander, daß ich in mei-
nem Herzen uͤber die Leute lachen mußte, die an
dieſem vergnuͤglichen Orte irgend etwas Unheim-
liches erwarten konnten. Der Wald ſoll bald
durchtrabt ſein, hin und zuruͤck! ſagte ich in be-
haglicher Froͤhlichkeit zu mir ſelbſt, und eh’ ich
noch daran dachte, war ich tief in die gruͤnenden
Schatten hinein, und nahm nichts mehr von
der hinter mir liegenden Ebne wahr. Da fiel
es mir erſt auf’s Herz, daß ich mich auch in
dem gewaltigen Forſte gar leichtlich verirren koͤn-
ne, und daß dieſes vielleicht die einzige Gefahr
ſei, welche den Wandersmann allhier bedrohe.
Ich hielt daher ſtille, und ſah mich nach dem
Stande der Sonne um, die unterdeſſen etwas
hoͤher geruͤckt war. Indem ich nun ſo empor-
blicke, ſehe ich ein ſchwarzes Ding in den Zwei-
gen einer hohen Eiche. Ich denke ſchon, es iſt
ein Baͤr, und faſſe nach meiner Klinge; da ſagt
es mit einer Menſchenſtimme, aber recht rauh
und haͤßlich, herunter; wenn ich hier oben nicht
[40] die Zweige abknusperte, woran ſollteſt Du denn
Heut’ um Mitternacht gebraten werden, Herr
Naſeweis? — Und dabei grinzt es, und ra-
ſchelt mit den Aeſten, daß mein Gaul toll wird,
und mit mir durchgeht, eh’ ich noch Zeit gewin-
nen konnte, zu ſehn, was es denn eigentlich fuͤr
eine Teufelsbeſtie war.


Den muͤßt Ihr nicht nennen, ſagte der alte
Fiſcher, und kreuzte ſich; die Hausfrau that
ſchweigend desgleichen; Undine ſah ihren Lieb-
ling mit hellen Augen an, ſprechend: das Beſte
bei der Geſchichte iſt, daß ſie ihn doch nicht
wirklich gebraten haben. Weiter, Du huͤbſcher
Juͤngling.


Der Ritter fuhr in ſeiner Erzaͤhlung fort:
ich waͤre mit meinem ſcheuen Pferde faſt gegen
Baumſtaͤmme und Aeſte angerannt; es triefte
von Angſt und Erhitzung, und wollte ſich doch
noch immer nicht halten laſſen. Zuletzt ging es
grade auf einen ſteinigen Abgrund los; da kam
mir’s ploͤtzlich vor, als werfe ſich ein langer,
weißer Mann dem tollen Hengſte quer vor in
[41] ſeinen Weg; der entſetzte ſich davor, und ſtand;
ich kriegte ihn wieder in meine Gewalt, und
ſah nun erſt, daß mein Retter kein weißer Mann
war, ſondern ein ſilberheller Bach, der ſich ne-
ben mir von einem Huͤgel herunter ſtuͤrzte, mei-
nes Roſſes Lauf ungeſtuͤm kreutzend und hem-
mend.


Danke, lieber Bach! rief Undine, in die
Haͤndchen klopfend. Der alte Mann aber ſah
kopfſchuͤttelnd in tiefem Sinnen vor ſich nieder.


Ich hatte mich noch kaum im Sattel wie-
der zurecht geſetzt, und die Zuͤgel wieder ordent-
lich recht gefaßt, fuhr Huldbrand fort, ſo ſtand
auch ſchon ein wunderliches Maͤnnlein zu mei-
ner Seiten, winzig und haͤßlich uͤber alle Ma-
ßen, ganz braungelb, und mit einer Naſe, die
nicht viel kleiner war, als der ganze uͤbrige Bur-
ſche ſelbſt. Dabei grinzte er mit einer recht
dummen Hoͤflichkeit aus dem breitgeſchlitzten
Maule hervor, und machte viele tauſend Scharr-
fuͤße und Buͤcklinge gegen mich. Weil mir nun
das Poſſenſpiel ſehr mißhagte, dankte ich ihm
[42] ganz kurz, warf meinen noch immer zitternden
Gaul herum, und gedachte, mir ein andres
Abentheuer, oder, dafern ich keines faͤnde, den
Heimweg zu ſuchen, denn die Sonne war waͤh-
rend meiner tollen Jagd ſchon uͤber die Mit-
tagshoͤhe gen Weſten gegangen. Da ſprang
aber der kleine Kerl mit einer blitzſchnellen
Wendung herum, und ſtand abermals vor mei-
nem Hengſte. — Platz da! ſagt’ ich verdrieß-
lich; das Thier iſt wild, und rennet Dich leicht-
lich um. — Ei, ſchnarrte das Kerlchen, und
lachte noch viel entſetzlich dummer; ſchenkt mir
doch erſt ein Trinkgeld, denn ich hab’ ja Euer
Roͤſſelein aufgefangen; laͤgt Ihr doch ohne mich
ſamt Euerm Roͤſſelein in der Steinkluft da un-
ten; hu! — Schneide nur keine Geſichter wei-
ter, ſagte ich, und nimm Dein Geld hin, wenn
Du auch luͤgſt; denn ſiehe, der gute Bach dor-
ten hat mich gerettet, nicht aber Du, hoͤchſt aͤrm-
licher Wicht. — Und zugleich ließ ich ein Gold-
ſtuͤck in ſeine wunderliche Muͤtze fallen, die er
bettelnd vor mir abgezogen hatte. Dann trabte
[43] ich weiter; er aber ſchrie hinter mir drein, und
war ploͤtzlich mit unbegreiflicher Schnelligkeit ne-
ben mir. Ich ſprengte mein Roß im Gallopp
an; er galloppirte mit, ſo ſauer es ihm zu wer-
den ſchien, und ſo wunderliche, halb laͤcherliche,
halb graͤßliche, Verrenkungen er dabei mit ſeinem
Leibe vornahm, wobei er immerfort das Gold-
ſtuͤck in die Hoͤhe hielt, und bei jedem Gallopp-
ſprunge ſchrie; falſch Geld! falſche Muͤnz’! Fal-
ſche Muͤnz’! falſch Geld! Und das kraͤchzte er
aus ſo hohler Bruſt heraus, das man meinte,
er muͤſſe nach jeglichem Schreie todt zu Boden
ſtuͤrzen. Auch hing ihm die haͤßlich rothe Zunge
weit aus dem Schlunde. Ich hielt verſtoͤrt; ich
fragte: was willſt Du mit Deinem Geſchrei?
Nimm noch ein Goldſtuͤck, nimm noch zwei,
aber dann laß ab von mir. — Da fing er
wieder mit ſeinem haͤßlich hoͤflichen Gruͤßen an,
und ſchnarrte: Gold eben nicht, Gold ſoll es
eben nicht ſein, mein Jungherrlein; des Spa-
ßes hab’ ich ſelbſten allzuviel; will’s Euch mal
zeigen.


[44]

Da ward es mir auf einmal, als koͤnn’
ich durch den gruͤnen feſten Boden durchſehn, als
ſei er gruͤnes Glas, und die ebne Erde kugel-
rund, und drinnen hielten eine Menge Kobolde
ihr Spiel mit Silber und Gold. Kopfauf,
kopfunter, kugelten ſie ſich herum, und ſchmiſſen
einander zum Spaß mit den edlen Metallen,
und puhſteten ſich den Goldſtaub neckend in’s
Geſicht. Mein haͤßlicher Gefaͤhrte ſtand halb
drinnen, halb draußen; er ließ ſich ſehr, ſehr
viel Gold von den Andern herauf reichen, und
zeigte es mir lachend, und ſchmiß es dann im-
mer wieder klingend in die unermeßlichen Kluͤf-
te hinab. Dann zeigte er wieder mein Gold-
ſtuͤck, was ich ihm geſchenkt hatte, den Kobol-
den drunten, und die wollten ſich druͤber halb
todt lachen, und ziſchten mich aus. Endlich reck-
ten ſie Alle die ſpitzigen, metallſchmutzigen, Fin-
ger gegen mich aus, und wilder und wilder,
und dichter und dichter, und toller und toller,
klomm das Gewimmel gegen mich herauf; —
da erfaßte mich ein Entſetzen, wie vorhin mei-
[45] nen Gaul. Ich gab ihm beide Sporen, und
weiß nicht, wie weit ich zum zweitenmale toll
in den Wald hinein gejagt bin.


Als ich nun endlich wieder ſtill hielt, war
es abendkuͤhl um mich her. Durch die Zweige
ſah ich einen weißen Fußpfad leuchten, von dem
ich meinte, er muͤſſe aus dem Forſte nach der
Stadt zuruͤckfuͤhren. Ich wollte mich dahin
durcharbeiten; aber ein ganz weißes, undeutli-
ches Antlitz, mit immer wechſelnden Zuͤgen, ſah
mir zwiſchen den Blaͤttern entgegen; ich wollte
ihm ausweichen, aber wo ich hinkam, war es
auch. Ergrimmt gedacht’ ich endlich mein Roß
darauf los zu treiben; da ſprudelte es mir und
dem Pferde weißen Schaum entgegen, daß wir
Beide geblendet umwenden mußten. So trieb
es uns von Schritt zu Schritt, immer von dem
Fußſteige abwaͤrts, und ließ uns uͤberhaupt nur
nach einer einzigen Richtung hin den Weg noch
frei. Zogen wir aber auf dieſer fort, ſo war es
wohl dicht hinter uns, that uns jedoch nicht
[46] das Geringſte zu Leide. Wenn ich mich dann
bisweilen nach ihm umſah, merkte ich wohl, daß
das weiße, ſprudelnde Antlitz auf einem eben ſo
weißen, hoͤchſt rieſenmaͤßigen, Koͤrper ſaß. Manch-
mal dacht’ ich auch, als ſei ein wandelnder
Springbronn, aber ich konnte niemals recht dar-
uͤber zur Gewißheit kommen. Ermuͤdet gaben
Roß und Reiter dem treibenden, weißen Manne
nach, der uns immer mit dem Kopfe zunickte,
als wolle er ſagen; ſchon recht! ſchon recht! —
Und ſo ſind wir endlich an das Ende des Wal-
des hier heraus gekommen, wo ich Raſen und
Seefluth und Eure kleine Huͤtte ſah, und wo
der lange, weiße Mann verſchwand.


Gut, daß er fort iſt, ſagte der alte Fiſcher.
und nun begann er davon zu ſprechen, wie ſein
Gaſt auf die beſte Weiſe wieder zu ſeinen Leu-
ten nach der Stadt zuruͤck gelangen koͤnne. Dar-
uͤber fing Undine an, ganz leiſe in ſich ſelbſt
hinein zu kichern. Huldbrand merkte es, und
ſagte: ich dachte, Du ſaͤheſt mich gern hier;
[47] was freuſt Du Dich denn nun, da von meiner
Abreiſe die Rede iſt?


Weil Du nicht fort kannſt, entgegnete Un-
dine. Prob’ es doch ’mal durch den uͤbergetret-
nen Waldſtrom zu ſetzen, mit Kahn, mit Roß
oder allein; wie Du Luſt haſt. Oder prob’ es
lieber nicht, denn Du wuͤrdeſt zerſchellt werden,
von den blitzſchnell getriebnen Staͤmmen und
Steinen. Und was den See angeht, da weiß
ich wohl: der Vater darf mit ſeinem Kahne nicht
weit genug darauf hinaus.


Huldbrand erhob ſich laͤchelnd, um zu ſehn,
ob es ſo ſei, wie ihm Undine geſagt hatte, der
Alte begleitete ihn, und das Maͤdchen gaukelte
ſcherzend neben den Maͤnnern her. Sie fanden
es in der That, wie ſie geſagt hatte, und der
Ritter mußte ſich drein ergeben, auf der zur
Inſel gewordnen Landſpitze zu bleiben, bis die
Fluthen ſich verliefen. Als die dreie nach ihrer
Wandrung wieder der Huͤtte zugingen, ſagte
der Ritter der Kleinen in’s Ohr: nun, wie iſt
es, Undinchen? Biſt Du boͤſe, daß ich blei-
[48] be? — Ach, entgegnete ſie muͤrriſch, laßt nur.
Wenn ich Euch nicht gebiſſen haͤtte, wer weiß,
was noch Alles von der Bertalda in Eurer
Geſchichte vorgekommen waͤr’!


Fuͤnf-
[49]

Fuͤnftes Kapitel.

Wie der Ritter auf der Seeſpitze lebte.


Du biſt vielleicht, mein lieber Leſer, ſchon irgend-
wo, nach mannigfachem Auf- und Abtreiben in
der Welt, an einen Ort gekommen, wo Dir es
wohl war; die Jedwedem eingeborne Liebe zu
eignem Heerd und ſtillen Frieden ging wieder
auf in Dir; Du meinteſt, die Heimath bluͤhe mit
allen Blumen der Kindheit und der allerreinſten,
innigſten Liebe, wieder aus theuren Grabſtaͤtten
hervor, und hier muͤſſe gut wohnen und Huͤtten
bauen ſein. Ob Du Dich darin geirrt, und den
Irrthum nachher ſchmerzlich abgebuͤßt haſt, das
ſoll hier nichts zur Sache thun, und Du wirſt
Dich auch ſelbſt wohl mit dem herben Nach-
ſchmack nicht freiwillig betruͤben wollen. Aber
D
[50] rufe jene unausſprechlich ſuͤſſe Ahnung, jenen eng-
liſchen Gruß des Friedens wieder in Dir herauf,
und Du wirſt ungefaͤhr wiſſen koͤnnen, wie dem
Ritter Huldbrand waͤhrend ſeines Lebens auf der
Seeſpitze zu Sinne war.


Er ſah oftmals mit innigem Wohlbehagen,
wie der Waldſtrom mit jedem Tage wilder ein-
herrollte, wie er ſich ſein Bette breiter und brei-
ter riß, und die Abgeſchiedenheit auf der Inſel
ſo fuͤr immer laͤngere Zeit ausdehnte. Einen
Theil des Tages uͤber, ſtrich er mit einer alten
Armbruſt, die er in einem Winkel der Huͤtte ge-
funden, und ſich ausgebeſſert hatte, umher, nach
den voruͤberfliegenden Voͤgeln, lauernd, und, was
er von ihnen treffen konnte, als guten Braten in
die Kuͤche liefernd. Brachte er nun ſeine Beute
zuruͤck, ſo unterließ Undine faſt niemals, ihn aus-
zuſchelten, daß er den lieben, luſtigen Thierchen
oben im blauen Luftmeer ſo feindlich ihr froͤhli-
ches Leben ſtehle; ja ſie weinte oftmals bitterlich
bei dem Anblicke des todten Gefluͤgels. Kam er
aber dann ein andermal wieder heim, und hatte
[51] nichts geſchoſſen, ſo ſchalt ſie ihn nicht minder
ernſtlich daruͤber aus, daß man nun um ſeines
Ungeſchicks und ſeiner Nachlaͤſſigkeit Willen mit
Fiſchen und Krebſen vorlieb nehmen muͤſſe. Er
freute ſich allemal herzinniglich auf ihr anmuthi-
ges Zuͤrnen, um ſo mehr, da ſie gewoͤhnlich nach-
her ihre uͤble Laune durch die holdeſten Liebko-
ſungen wieder gut zu machen ſuchte. Die Alten
hatten ſich in die Vertraulichkeit der beiden jun-
gen Leute gefunden; ſie kamen ihnen vor, wie
Verlobte, oder gar wie ein Ehepaar, das ihnen
zum Beiſtand im Alter mit auf der abgeriſſenen
Inſel wohne. Eben dieſe Abgeſchiedenheit brachte
auch den jungen Hulbrand ganz feſt auf den Ge-
danken, er ſei bereits Undinens Braͤutigam.
Ihm war zu Muthe, als gaͤbe es keine Welt
mehr jenſeits dieſer umgebenden Fluthen, oder
als koͤnne man doch nie wieder da hinuͤber zur
Vereinigung mit andern Menſchen gelangen;
und wenn ihn auch bisweilen ſein weidendes
Roß anwieherte, wie nach Ritterthaten fragend
und mahnend, oder ſein Wappenſchild ihm von
D 2
[52] der Stickerei des Sattels und der Pferdedecke ernſt
entgegenleuchtete, oder ſein ſchoͤnes Schwerdt un-
verſehens vom Nagel, an welchem es in der Huͤtte
hing, herabfiel, im Sturze aus der Scheide glei-
tend, — ſo beruhigte er ſein zweifelndes Ge-
muͤth damit: Undine ſei gar keine Fiſchers-
Tochter, ſei vielmehr, aller Wahrſcheinlichkeit
nach, aus einem wunderſamen, hochfuͤrſtlichen
Hauſe der Fremde, gebuͤrtig. Nur das war ihm
in der Seele zuwider, wenn die alte Frau Un-
dinen in ſeiner Gegenwart ſchalt. Das launi-
ſche Maͤdchen lachte zwar meiſt, ohne alles Hehl,
ganz ausgelaſſen daruͤber; aber ihm war es, als
taſte man ſeine Ehre an, und doch wußte er der
alten Fiſcherin nicht Unrecht zu geben, denn Un-
dine verdiente immer zum wenigſten zehnfach ſo
viele Schelte, als ſie bekam; daher er denn auch
der Hauswirthin im Herzen gewogen blieb, und
das ganze Leben ſeinen ſtillen, vergnuͤglichen Gang
fuͤrder ging.


Es kam aber doch endlich eine Stoͤrung
hinein; der Fiſcher und der Ritter waren nehm-
[53] lich gewohnt geweſen, beim Mittagsmahle, und
auch des Abends, wenn der Wind drauſſen heulte,
wie er es faſt immer gegen die Nacht zu thun
pflegte, ſich mit einander bei einem Kruge Wein
zu ergoͤtzen. Nun war aber der ganze Vorrath
zu Ende gegangen, den der Fiſcher fruͤher von
der Stadt nach und nach mitgebracht hatte, und
die beiden Maͤnner wurden daruͤber ganz ver-
drießlich. Undine lachte ſie den Tag uͤber wacker
aus, ohne daß beide ſo luſtig, wie gewoͤhnlich, in
ihre Scherze einſtimmten. Gegen Abend war
ſie aus der Huͤtte gegangen: ſie ſagte, um den
zwei langen und langweiligen Geſichtern zu ent-
gehn. Weil es nun in der Daͤmmerung wieder
nach Sturm ausſah, und das Waſſer bereits heulte
und rauſchte, ſprangen der Ritter und der Fiſcher
erſchreckt vor die Thuͤr, um das Maͤdchen heim-
zuholen, der Angſt jener Nacht gedenkend, wo
Huldbrand zum erſtenmal in der Huͤtte geweſen
war. Undine aber trat ihnen entgegen, freund-
lich in ihre Haͤndchen klopfend. Was gebt Ihr
mir, wenn ich Euch Wein verſchaffe? Oder viel-
[54] mehr, Ihr braucht mir nichts zu geben, fuhr ſie
fort, denn ich bin ſchon zufrieden, wenn Ihr
luſtiger ausſeht, und beſſere Einfaͤlle habt, als
dieſen letzten, langweiligen Tag hindurch. Kommt
nur mit; der Waldſtrom hat ein Faß an das
Ufer getrieben, und ich will verdammt ſein, eine
ganze Woche lang zu ſchlafen, wenn es nicht ein
Weinfaß iſt. — Die Maͤnner folgten ihr nach,
und fanden wirklich, an einer umbuͤſchten Bucht
des Ufers, ein Faß, welches ihnen Hoffnung gab,
als enthalte es den edlen Trank, wonach ſie ver-
langten. Sie waͤlzten es vor Allem auf’s ſchleu-
nigſte in die Huͤtte, denn ein ſchweres Wetter
zog wieder am Abendhimmel herauf, und man
konnte in der Daͤmmerung bemerken, wie die
Wogen des See’s ihre weiſſen Haͤupter ſchaͤu-
mend emporrichteten, als ſaͤhen ſie ſich nach den
Regen um, der nun bald auf ſie herunterrau-
ſchen ſollte. Undine half den beiden nach Kraͤf-
ten, und ſagte, als das Regenwetter ploͤtzlich all-
zuſchnell herauf heulte, luſtig drohend in die ſchwe-
[55] ren Wolken hinein: Du! Du! Huͤte Dich, daß
Du uns nicht naß machſt; wir ſind noch lange
nicht unter Dach. — Der Alte verwies ihr
ſolches als eine ſuͤndhafte Vermeſſenheit; aber ſie
kicherte leiſe vor ſich hin, und es widerfuhr auch
Niemanden etwas Uebles darum. Vielmehr ge-
langten alle drei, wider Vermuthen, mit ihrer
Beute trocken an den behaglichen Heerd, und
erſt, als man das Faß geoͤffnet, und erprobt
hatte, daß es einen wunderſam trefflichen Wein
enthalte, riß ſich der Regen aus dem dunkeln
Gewoͤlke los, und rauſchte der Sturm durch die
Wipfel der Baͤume und uͤber des See’s empoͤrte
Wogen hin.


Einige Flaſchen waren bald aus dem gro-
ßen Faſſe gefuͤllt, das fuͤr viele Tage Vorrath
verhieß, man ſaß trinkend und ſcherzend, und
heimiſch geſichert vor dem tobenden Unwetter,
an der Glut des Heerdes beiſammen. Da ſag-
te der alte Fiſcher, und ward ploͤtzlich ſehr ernſt:
ach großer Gott, wir freuen uns hier der edlen
[56] Gabe, und der, welchem ſie zuerſt angehoͤrte,
und vom Strome genommen ward, hat wohl
gar das liebe Leben drum laſſen muͤſſen. —
Er wird ja nicht grade! meinte Undine und
ſchenkte dem Ritter laͤchelnd ein. Der aber
ſagte: bei meiner hoͤchſten Ehre, alter Vater,
wuͤßt’ ich ihn zu finden und zu retten, mich ſoll-
te kein Gang in die Nacht hinaus dauern, und
keine Gefahr. Soviel aber kann ich Euch ver-
ſichern, komm’ ich je wieder zu bewohntern Lan-
den, ſo will ich ihn oder ſeine Erben ſchon aus-
findig machen, und dieſen Wein doppelt und
dreifach erſetzen. — Das freute den alten
Mann; er nickte dem Ritter billigend zu, und
trank nun ſeinen Becher mit beſſerm Gewiſſen
und Behagen leer. Undine aber ſagte zu Huld-
branden: mit der Entſchaͤdigung und mit Dei-
nem Golde halt’ es, wie Du willſt. Das aber
mit dem Nachlaufen und Suchen war dumm
geredet. Ich weinte mir die Augen aus, wenn
Du daruͤber verloren gingſt, und nicht wahr,
[57] Du moͤchteſt auch lieber bei mir bleiben, und
bei dem guten Wein? — Das freilich; entgeg-
nete Huldbrand laͤchelnd. — Nun, ſagte Un-
dine, alſo haſt Du dumm geſprochen. Denn
Jeder iſt ſich doch ſelbſt der Naͤchſte und was
gehn Einen die andern Leute an. — Die Haus-
wirthin wandte ſich ſeufzend und kopfſchuͤttelnd
von ihr ab, der Fiſcher vergaß ſeiner ſonſtigen
Vorliebe fuͤr das zierliche Maͤgdlein und ſchalt.
Als ob Dich Heiden und Tuͤrken erzogen haͤt-
ten, klingt ja das, ſchloß er ſeine Rede; Gott
verzeih’ es mir, und Dir, Du ungerathnes
Kind. — Ja, aber mir iſt doch nun einmal
ſo zu Muthe, entgegnete Undine, habe mich er-
zogen, wer da will, und was koͤnnen da all’
Eure Worte helfen. — Schweig’! fuhr der
Fiſcher ſie an, und ſie, die ungeachtet ihrer
Keckheit doch aͤuſſerſt ſchreckhaft war, fuhr zu-
ſammen, ſchmiegte ſich zitternd an Huldbrand,
und fragte ihn ganz leiſe: Biſt Du auch boͤſe,
ſchoͤner Freund? Der Ritter druͤckte ihr die
[58] zarte Hand, und ſtreichelte ihre Locken. Sagen
konnte er nichts, weil ihm der Aerger uͤber
des Alten Haͤrte gegen Undinen die Lippen
ſchloß, und ſo ſaßen beide Paare mit einem
Male unwillig und im verlegnen Schweigen
einander gegenuͤber.


[59]

Sechſtes Kapitel.

Von einer Trauung.


Ein leiſes Klopfen an die Thuͤr klang durch
dieſe Stille, und erſchreckte Alle, die in der
Huͤtte ſaßen, wie es denn wohl bisweilen zu
kommen pflegt, daß auch eine Kleinigkeit, die
ganz unvermuthet geſchieht, Einem den Sinn
recht furchtbarlich aufregen kann. Aber hier
kam noch dazu, daß der verrufne Forſt ſehr na-
he lag, und daß die Seeſpitze fuͤr menſchliche
Beſuche jetzt unzugaͤnglich ſchien. Man ſah ein-
ander zweifelnd an, das Pochen wiederholte ſich,
von einem tiefen Aechzen begleitet; der Ritter
ging nach ſeinem Schwerdte. Da ſagte aber
der alte Mann leiſe: wenn es das iſt, was ich
fuͤrchte, hilft uns keine Waffe. — Undine naͤ-
[60] herte ſich indeſſen der Thuͤr, und rief ganz un-
willig und keck: wenn Ihr Unfug treiben wollt,
Ihr Erdgeiſter, ſo ſoll Euch Kuͤhleborn was
Beſſres lehren. — Das Entſetzen der Andern
ward durch dieſe wunderlichen Worte vermehrt,
ſie ſahen das Maͤdchen ſcheu an, und Huldbrand
wollte ſich eben zu einer Frage an ſie erman-
nen, da ſagte es von draußen: ich bin kein Erd-
geiſt, wohl aber ein Geiſt, der noch im irdi-
ſchen Koͤrper hauſet. Wollt Ihr mir helfen,
und fuͤrchtet Ihr Gott, Ihr drinnen in der
Huͤtte, ſo thut mir auf. Undine hatte bei die-
ſen Worten die Thuͤr bereits geoͤffnet, und leuch-
tete mit einer Ampel in die ſtuͤrmige Nacht hin-
aus, ſo daß man draußen einen alten Prieſter
wahrnahm, der vor dem unverſehnen Anblicke
des wunderſchoͤnen Maͤgdleins erſchreckt zuruͤcke
trat. Er mochte wohl denken, es muͤſſe Spuk
und Zauberei mit im Spiele ſein, wo ein ſo
herrliches Bild aus einer ſo niedern Huͤttenpfor-
te erſcheine; deshalben fing er an zu beten:
alle gute Geiſter loben Gott den Herrn! —
[61] Ich bin kein Geſpenſt, ſagte Undine laͤchelnd;
ſeh’ ich denn ſo haͤßlich aus? Zudem koͤnnt Ihr
ja wohl merken, daß mich kein frommer Spruch
erſchreckt. Ich weiß doch auch von Gott, und
verſteh’ ihn auch zu loben; Jedweder auf ſeine
Weiſe freilich, und dazu hat er uns erſchaffen.
Tretet herein, ehrwuͤrdiger Vater; Ihr kommt
zu guten Leuten.


Der Geiſtliche kam neigend und umblickend
herein, und ſahe gar lieb und ehrwuͤrdig aus.
Aber das Waſſer troff aus allen Falten ſeines
dunkeln Kleides, und aus dem langen weißen
Bart und den weißen Locken des Haupthaares.
Der Fiſcher und der Ritter fuͤhrten ihn in eine
Kammer, und gaben ihm andre Kleider, waͤh-
rend ſie den Weibern die Gewande des Prie-
ſters zum Trocknen in das Zimmer reichten.
Der fremde Greis dankte auf’s demuͤthigſte und
freundlichſte, aber des Ritters glaͤnzenden Man-
tel, den ihm dieſer entgegenhielt, wollte er auf
keine Weiſe umnehmen; er waͤhlte ſtatt deſſen
ein altes graues Oberkleid des Fiſchers. So
[62] kamen ſie denn in das Gemach zuruͤck, die
Hausfrau raͤumte dem Prieſter alsbald ihren
großen Seſſel, und ruhte nicht eher, bis er ſich
darauf nieder gelaſſen hatte; denn, ſagte ſie,
Ihr ſeid alt, und erſchoͤpft, und geiſtlich oben-
drein. — Undine ſchob den Fuͤßen des Frem-
den ihr kleines Baͤnkchen unter, worauf ſie ſonſt
neben Huldbranden zu ſitzen pflegte, und bewies
ſich uͤberhaupt in der Pflege des guten Alten
hoͤchſt ſittig und anmuthig. Huldbrand fluͤſterte
ihr daruͤber eine Neckerei in’s Ohr, ſie aber
entgegnete ſehr ernſt: er dient ja dem, der uns
Alle geſchaffen hat; damit iſt nicht zu ſpaßen. —
Der Ritter und der Fiſcher labten darauf den
Prieſter mit Speiſe und Wein, und dieſer fing,
nachdem er ſich etwas erholt hatte, zu erzaͤhlen
an, wie er Geſtern aus ſeinem Kloſter, das fern
uͤber den großen Landſee hinaus liege, nach dem
Sitze des Biſchofs habe reiſen ſollen, um dem-
ſelben die Noth kund zu thun, in welche durch
die jetzigen wunderbaren Ueberſchwemmungen
das Kloſter und deſſen Zinsdoͤrfer gerathen ſeien.
[63] Da habe er nach langen Umwegen um eben
dieſer Ueberſchwemmungen willen, ſich Heute ge-
gen Abend dennoch genoͤthigt geſehn, einen uͤber-
getretnen Arm des See’s, mit Huͤlfe zweier gu-
ten Faͤhrleute, zu uͤberſchiffen. — Kaum aber,
fuhr er fort, hatte unſer kleines Fahrzeug die
Wellen beruͤhrt, ſo brach auch ſchon der unge-
heure Sturm los, der noch jetzt uͤber unſern
Haͤuptern fortwuͤthet. Es war, als haͤtten die
Fluthen nur auf uns gewartet, um die aller-
tollſten, ſtrudelndſten, Taͤnze mit uns zu begin-
nen. Die Ruder waren bald aus meiner Fuͤh-
rer Haͤnden geriſſen, und trieben zerſchmettert
auf den Wogen weiter und weiter vor uns hin-
aus. Wir ſelbſt flogen huͤlflos und der tauben
Naturkraft hingegeben, auf die Hoͤhe des See’s,
zu Euern fernen Ufern heruͤber, die wir ſchon
zwiſchen den Nebeln und Waſſerſchaͤumen em-
porſtreben ſahen. Da drehte ſich endlich der
Nachen immer wilder und ſchwindliger; ich weiß
nicht, ſtuͤrzte er um, ſtuͤrzte ich heraus. Im dun-
keln Aengſtigen des nahen, ſchrecklichen Todes
[64] trieb ich weiter, bis mich eine Welle hier unter
die Baͤume an Eure Inſel warf.


Ja, Inſel! ſagte der Fiſcher. Vor kurzem
war’s noch eine Landſpitze. Nun aber, ſeit
Waldſtrom und See ſchier toll geworden ſind,
ſieht es ganz anders mit uns aus.


Ich merkte ſo etwas, ſagte der Prieſter,
indem ich im Dunkeln das Waſſer entlaͤngſt
ſchlich, und, ringsum nur wildes Gebrauſe an-
treffend, endlich ſchaute, wie ſich ein betretner
Fußpfad grade in das Getos hinein verlor.
Nun ſahe ich das Licht in Eurer Huͤtte, und
wagte mich hierher, wo ich denn meinem himm-
liſchen Vater nicht genug danken kann, daß er
mich nach meiner Rettung aus dem Gewaͤſſer
auch noch zu ſo frommen Leuten gefuͤhrt hat,
als zu Euch; und das um ſo mehr, da ich nicht
wiſſen kann, ob ich außer Euch Vieren noch in
dieſem Leben andre Menſchen wieder zu ſehen
bekomme.


Wie meint Ihr das? fragte der Fiſcher.


Wißt Ihr denn, wie lange dieſes Treiben
der
[65] der Elemente waͤhren ſoll? entgegnete der Geiſt-
liche. Und ich bin alt an Jahren. Gar leicht-
lich mag mein Lebensſtrom eher verſiegend unter
die Erde gehn, als die Ueberſchwemmung des
Waldſtromes da draußen. Und uͤberhaupt, es
waͤre ja nicht unmoͤglich, daß mehr und mehr
des ſchaͤumenden Waſſers ſich zwiſchen Euch und
den jenſeitigen Forſt draͤngte, bis Ihr ſo weit
von der uͤbrigen Erde abgeriſſen wuͤrdet, daß
Euer Fiſcherkaͤhnlein nicht mehr hinuͤber reichte,
und die Bewohner des feſten Landes in ihren
Zerſtreuungen Euer Alter gaͤnzlich vergeſſen.


Die alte Hausfrau fuhr hieruͤber zuſam-
men, kreuzte ſich, und ſagte: das verhuͤte
Gott! — Aber der Fiſcher ſahe ſie laͤchelnd
an, und ſprach: wie doch auch nun der Menſch
iſt! Es waͤre ja dann nicht anders, wenigſtens
nicht fuͤr Dich, liebe Frau, als es nun iſt. Biſt
Du denn ſeit vielen Jahren weiter gekommen,
als an die Graͤnze des Forſtes? Und haſt Du
andre Menſchen geſehn, als Undinen und mich?
— Seit Kurzem ſind nun noch der Ritter und
E
[66] der Prieſter zu uns gekommen. Die blieben
bei uns, wenn wir zur vergeſſenen Inſel wuͤr-
den; alſo haͤtteſt Du ja den beſten Gewinn
davon.


Ich weiß nicht, ſagte die alte Frau, es
wird einem doch unheimlich zu Muthe, wenn
man ſich’s nun ſo vorſtellt, daß man unwieder-
bringlich von den andern Leuten geſchieden waͤr’,
ob man ſie uͤbrigens auch weder kennt noch
ſieht.


Du bliebeſt dann bei uns, Du bliebeſt
dann bei uns! fluͤſterte Undine ganz leiſe, halb
ſingend, und ſchmiegte ſich inniger an Huld-
brands Seite. Dieſer aber war in tiefen und
ſeltſamen Gebilden ſeines Innern verloren. Die
Gegend jenſeit des Waldwaſſers zog ſich ſeit
des Prieſters letzten Worten immer ferner und
dunkler von ihm ab, die bluͤhende Inſel, auf
welcher er lebte, gruͤnte und lachte immer fri-
ſcher in ſein Gemuͤth herein. Die Braut gluͤh-
te als die ſchoͤnſte Roſe dieſes kleinen Erdſtri-
ches und auch der ganzen Welt hervor, der Prie-
[67] ſter war zur Stelle. Dazu kam noch eben, daß
ein zuͤrnender Blick der Hausfrau das ſchoͤne
Maͤdchen traf, weil ſie ſich in Gegenwart des
geiſtlichen Herren ſo dicht an ihren Liebling
lehnte, und es ſchien, als wolle ein Strom von
unerfreulichen Worten folgen. Da brach es aus
des Ritters Munde, daß er, gegen den Prieſter
gewandt, ſagte: Ihr ſeht hier ein Brautpaar
vor Euch, ehrwuͤrdiger Herr, und wenn dies
Maͤdchen und die guten alten Fiſchersleute nichts
dawider haben, ſollt Ihr uns Heute Abend noch
zuſammengeben.


Die beiden alten Eheleute waren ſehr ver-
wundert. Sie hatten zwar bisher oft ſo etwas
gedacht, aber ausgeſprochen hatten ſie es doch
niemals, und wie nun der Ritter dies that, kam
es ihnen als etwas ganz Neues und Unerhoͤrtes
vor. Undine war ploͤtzlich ernſt geworden, und
ſah tiefſinnig vor ſich nieder, waͤhrend der Prie-
ſter nach den naͤhern Umſtaͤnden fragte, und ſich
bei den Alten nach ihrer Einwilligung erkundig-
te. Man kam nach mannigfachem Hin- und
E 2
[68] Herreden mit einander auf’s Reine; die Haus-
frau ging, um den jungen Leuten das Brautge-
mach zu ordnen, und zwei geweihte Kerzen, die
ſie ſeit langer Zeit verwahrt hielt, fuͤr die Trau-
ungsfeierlichkeit hervorzuſuchen. Der Ritter ne-
ſtelte indeß an ſeiner goldnen Kette, und wollte
zwei Ringe losdrehen, um ſie mit der Braut
wechſeln zu koͤnnen. Dieſe aber fuhr, es bemer-
kend, aus ihrem tiefen Sinnen auf, und ſprach:
nicht alſo! Ganz bettelarm haben mich meine
Aeltern nicht in die Welt hinein geſchickt; viel-
mehr haben ſie gewißlich ſchon fruͤhe darauf ge-
rechnet, daß ein ſolcher Abend aufgehn ſolle. —
Damit war ſie ſchnell aus der Thuͤr, und kam
gleich darauf mit zwei koſtbaren Ringen zuruͤck,
deren einen ſie ihrem Braͤutigam gab, und den
andern fuͤr ſich behielt. Der alte Fiſcher war
ganz erſtaunt daruͤber, und noch mehr die Haus-
frau, die eben wieder hereintrat, daß Beide
dieſe Kleinodien noch niemals bei dem Kinde
geſehn hatten. — Meine Aeltern, entgegnete
Undine, ließen mir dieſe Dingerchen in das
[69] ſchoͤne Kleid naͤhen, das ich grade anhatte, da
ich zu Euch kam. Sie verboten mir auch, auf
irgend eine Weiſe Jemandem davon zu ſagen
vor meinem Hochzeitabend. Da habe ich ſie
denn alſo ſtille heraus getrennt, und verborgen
gehalten bis Heute. — Der Prieſter unter-
brach das weitere Fragen und Verwundern, in-
dem er die geweihten Kerzen anzuͤndete, ſie auf
einen Tiſch ſtellte, und das Brautpaar ſich ge-
genuͤber treten hieß. Er gab ſie ſodann mit
kurzen, feierlichen, Worten zuſammen, die alten
Eheleute ſegneten die jungen, und die Braut
lehnte ſich leiſe zitternd und nachdenklich an
den Ritter. Da ſagte der Prieſter mit einem
Male: ihr Leute ſeid doch ſeltſam! Was ſagt
Ihr mir denn, Ihr waͤret die einzigen Men-
ſchen hier auf der Inſel? Und waͤhrend der
ganzen Trauhandlung ſah zu dem Fenſter mir
gegenuͤber ein anſehnlicher, langer Mann im
weißen Mantel herein. Er muß noch vor der
Thuͤre ſtehn, wenn Ihr ihn etwan mit in’s
Haus noͤthigen wollt. — Gott bewahre! ſagte
[70] die Wirthin, zuſammenfahrend, der alte Fiſcher
ſchuͤttelte ſchweigend den Kopf, und Huldbrand
ſprang nach dem Fenſter. Es war ihm ſelbſt,
als ſehe er noch einen weißen Streif, der aber
bald im Dunkel gaͤnzlich verſchwand. Er redete
dem Prieſter ein, daß er ſich durchaus geirrt
haben muͤſſe, und man ſetzte ſich vertraulich mit-
ſammen um den Heerd.


[71]

Siebentes Kapitel.

Was ſich weiter am Hochzeitabende begab.


Gar ſittig und ſtill hatte ſich Undine vor und
waͤhrend der Trauung bewieſen, nun aber war
es, als ſchaͤumten alle die wunderlichen Grillen,
welche in ihr hauſten, um ſo dreiſter und keckli-
cher auf die Oberflaͤche hervor. Sie neckte
Braͤutigam und Pflegeaͤltern und ſelbſt den noch
kaum ſo hochverehrten Prieſter mit allerhand
kindiſchen Streichen, und als die Wirthin etwas
dagegen ſagen wollte, brachten dieſe ein paar
ernſte Worte des Ritters, worin er Undinen mit
großer Bedeutſamkeit ſeine Hausfrau nannte,
zum Schweigen. Ihm ſelbſt indeſſen, dem Rit-
ter, gefiel Undinens kindiſches Bezeigen eben ſo
wenig; aber da half kein Winken und kein
[72] Raͤuspern und keine tadelnde Rede. So oft
die Braut ihres Lieblings Unzufriedenheit merk-
te, — und das geſchah einigemal, — ward ſie
freilich ſtiller, ſetzte ſich neben ihn, ſtreichelte ihn,
fluͤſterte ihm laͤchelnd etwas in das Ohr, und
glaͤttete ſo die aufſteigenden Falten ſeiner Stirn.
Aber gleich darauf riß ſie irgend ein toller Ein-
fall wieder in das gaukelnde Treiben hinein,
und es ging nur aͤrger, als zuvor. Da ſagte
der Prieſter ſehr ernſthaft und ſehr freundlich:
mein anmuthiges junges Maͤgdlein, man kann
Euch zwar nicht ohne Ergoͤtzen anſehn, aber
denkt darauf, Eure Seele beizeiten ſo zu ſtim-
men, daß ſie immer die Harmonie zu der Seele
Eures angetrauten Braͤutigams anklingen laſ-
ſe. — Seele! lachte ihn Undine an; das klingt
recht huͤbſch, und mag auch fuͤr die mehrſten
Leute eine gar erbauliche und nutzreiche Regel
ſein. Aber wenn nun Eins gar keine Seele
hat, bitt’ Euch, was ſoll es denn da ſtimmen?
Und ſo geht es mir. — Der Prieſter ſchwieg
tiefverletzt, im frommen Zuͤrnen, und kehrte ſein
[73] Antlitz wehmuͤthig von dem Maͤdchen ab. Sie
aber ging ſchmeichelnd auf ihn zu, und ſagte:
nein, hoͤrt doch erſt ordentlich, eh’ Ihr boͤſe aus-
ſeht, denn Euer Boͤſeausſehn thut mir weh und
Ihr muͤßt doch keiner Creatur weh thun, die
Euch ihrer Seits nichts zu Leide gethan hat.
Zeigt Euch nur duldſam gegen mich, und ich
will’s Euch ordentlich ſagen, wie ich’s meine.


Man ſah, ſie ſtellte ſich in Bereitſchaft, et-
was recht ausfuͤhrliches zu erzaͤhlen, aber ploͤtz-
lich ſtockte ſie, wie von einem innern Schauer
ergriffen, und brach in einen reichen Strom
der wehmuͤthigſten Thraͤnen aus. Sie wußten
Alle nicht mehr, was ſie recht aus ihr machen
ſollten, und ſtarrten ſie in unterſchiedlichen Be-
ſorgniſſen ſchweigend an. Da ſagte ſie endlich,
ſich ihre Thraͤnen abtrocknend, und den Prieſter
ernſthaft anſehend: es muß etwas Liebes, aber
auch etwas hoͤchſt Furchtbares, um eine Seele
ſein. Um Gott, mein frommer Mann, waͤr’
es nicht beſſer, man wuͤrde ihrer nie theilhaf-
tig? — Sie ſchwieg wieder ſtill, wie auf Ant-
[74] wort wartend, ihre Thraͤnen waren gehemmt.
Alle in der Huͤtte hatten ſich von ihren Sitzen
erhoben, und traten ſchaudernd vor ihr zuruͤck.
Sie aber ſchien nur fuͤr den Geiſtlichen Augen
zu haben, auf ihren Zuͤgen malte ſich der Aus-
druck einer fuͤrchtenden Neubegier, die eben deshalb
den Andern hoͤchſt furchtbar vorkam. — Schwer
muß die Seele laſten, fuhr ſie fort, da ihr noch
Niemand antwortete; ſehr ſchwer! Denn ſchon
ihr annahendes Bild uͤberſchattet mich mit Angſt
und Trauer. Und ach, ich war ſo leicht, ſo
luſtig ſonſt! — Und in einen erneuten Thraͤ-
nenſtrom brach ſie aus, und ſchlug das Gewand
vor ihrem Antlitze zuſammen. Da trat der
Prieſter, ernſten Anſehns, auf ſie zu, und ſprach
ſie an, und beſchwur ſie bei den heiligſten Na-
men, ſie ſolle die lichte Huͤlle abwerfen, falls et-
was Boͤſes in ihr ſei. Sie aber ſank vor ihm
in die Knie, alles Fromme wiederholend, was
er ſprach, und Gott lobend, und betheuernd, ſie
meine es gut mit der ganzen Welt Da ſagte
endlich der Prieſter zum Ritter: Herr Braͤuti-
[75] gam, ich laſſe Euch allein mit der, die ich Euch
angetraut habe. Soviel ich ergruͤnden kann,
iſt nichts Uebles an ihr, wohl aber des Wun-
derſamen viel. Ich empfehle Euch Vorſicht,
Liebe, und Treue. — Damit ging er hinaus,
die Fiſchersleute folgten ihm, ſich bekreuzend.


Undine war auf die Kniee geſunken, ſie
entſchleierte ihr Angeſicht, und ſagte, ſcheu nach
Huldbranden umblickend: ach, nun willſt Du
mich gewiß nicht behalten; und hab’ ich doch
nichts Boͤſes gethan, ich armes, armes Kind! —
Sie ſah dabei ſo unendlich anmuthig und ruͤh-
rend aus, daß ihr Braͤutigam alles Grauens
und aller Raͤthſelhaftigkeit vergaß, zu ihr hin-
eilend, und ſie in ſeinen Armen emporrichtend.
Da laͤchelte ſie durch ihre Thraͤnen; es war,
als wenn das Morgenroth auf kleinen Baͤchen
ſpielt. — Du kannſt nicht von mir laſſen!
fluͤſterte ſie vertraulich und ſicher, und ſtrei-
chelte mit den zarten Haͤndchen des Ritters
Wangen. Dieſer wandte ſich daruͤber von den
furchtbaren Gedanken ab, die noch im Hinter-
[76] grunde ſeiner Seele lauerten, und ihm einreden
wollten, er ſei an eine Fey, oder ſonſt ein boͤs-
lich neckendes Weſen der Geiſterwelt, angetraut;
nur noch die einzige Frage ging faſt unverſehns
uͤber ſeine Lippen: liebes Undinchen, ſage mir
doch das Eine, was war es, das Du von Erd-
geiſtern ſprachſt, da der Prieſter an die Thuͤr
klopfte, und von Kuͤhleborn? — Maͤhrchen!
Kindermaͤhrchen! ſagte Undine lachend, und ganz
wieder in ihrer gewohnten Luſtigkeit. Erſt hab’
ich Euch damit bange gemacht, am Ende habt
Ihr’s mich. Das iſt das Ende vom Liede und
vom ganzen Hochzeitabend. — Nein, das iſt es
nicht, ſagte der von Liebe berauſchte Ritter,
loͤſchte die Kerzen, und trug ſeine ſchoͤne Gelieb-
te unter tauſend Kuͤſſen, vom Monde, der hell
durch die Fenſter [herein] ſah, anmuthig beleuch-
tet, zu der Brautkammer hinein.


[77]

Achtes Kapitel.

Der Tag nach der Hochzeit.


Ein friſches Morgenlicht weckte die jungen Ehe-
leute. Undine verbarg ſich ſchaamhaft unter
ihre Decken, und Huldbrand lag ſtill ſinnend
vor ſich hin. So oft er in der Nacht einge-
ſchlafen war, hatten ihn wunderlich grauſende
Traͤume verſtoͤrt, von Geſpenſtern, die ſich heim-
lich grinzend in ſchoͤne Frauen zu verkleiden ſtreb-
ten, von ſchoͤnen Frauen, die mit einem Male
Drachenangeſichter bekamen. Und wenn er von
den haͤßlichen Gebilden in die Hoͤhe fuhr, ſtand
das Mondlicht bleich und kalt draußen vor den
Fenſtern; entſetzt blickte er nach Undinen, an
deren Buſen er eingeſchlafen war, und die in
unverwandelter Schoͤnheit und Anmuth neben
[78] ihm ruhte. Dann druͤckte er einen leichten Kuß
auf die roſigen Lippen, und ſchlief wieder ein,
um von neuen Schrecken erweckt zu werden.
Nachdem er ſich nun alles dieſes recht im vollen
Wachen uͤberlegt hatte, ſchalt er ſich ſelbſt uͤber
jedweden Zweifel aus, der ihn an ſeiner ſchoͤnen
Frau hatte irre machen koͤnnen. Er bat ihr
auch ſein Unrecht mit klaren Worten ab, ſie
aber reichte ihm nur die ſchoͤne Hand, ſeufzte
aus tiefem Herzen, und blieb ſtill. Aber ein
unendlich inniger Blick aus ihren Augen, wie
er ihn noch nie geſehn hatte, ließ ihm keinen
Zweifel, daß Undine von keinem Unwillen ge-
gen ihn wiſſe. Er ſtand dann heiter auf, und
ging zu den Hausgenoſſen in das gemeinſame
Zimmer vor. Die Dreie ſaßen mit beſorglichen
Mienen um den Heerd, ohne daß ſich Einer
getraut haͤtte, ſeine Worte laut werden zu la-
ßen. Es ſahe aus, als bete der Prieſter in
ſeinem Innern um Abwendung alles Uebels.
Da man nun aber den jungen Ehemann ſo ver-
gnuͤgt hervorgehn ſah, glaͤtteten ſich auch die
[79] Falten in den uͤbrigen Angeſichtern; ja, der
alte Fiſcher fing an, mit dem Ritter zu ſcherzen,
auf eine recht ſittige, ehrbare Weiſe, ſo daß
ſelbſt die alte Hausfrau ganz freundlich dazu
laͤchelte. Daruͤber war endlich Undine auch fer-
tig geworden, und trat nun in die Thuͤr; Alle
wollten ihr entgegen gehn, und Alle blieben voll
Verwunderung ſtehen, ſo fremd kam ihnen die
junge Frau vor, und doch ſo wohlbekannt. Der
Prieſter ſchritt zuerſt mit Vaterliebe in den leuch-
tenden Blicken auf ſie zu, und wie er die Hand
zum Seegnen emporhob, ſank das ſchoͤne Weib
andaͤchtig ſchauernd vor ihm in die Kniee. Sie
bat ihn darauf mit einigen freundlich demuͤthi-
gen Worten wegen des Thoͤrichten, das ſie Ge-
ſtern geſprochen haben moͤge, um Verzeihung,
und erſuchte ihn mit ſehr bewegtem Tone, daß
er fuͤr das Heil ihrer Seele beten wolle. Dann
erhob ſie ſich, kuͤßte ihre Pflegeaͤltern, und ſag-
te, fuͤr alles genoſſene Gute dankend: o jetzt
fuͤhle ich es im innerſten Herzen, wie viel, wie
unendlich viel, Ihr fuͤr mich gethan habt, Ihr
[80] lieben, lieben Leute! — Sie konnte erſt gar
nicht wieder von ihren Liebkoſungen abbrechen,
aber kaum gewahrte ſie, daß die Hausfrau nach
dem Fruͤhſtuͤcke hinſah, ſo ſtand ſie auch bereits
am Heerde, kochte und ordnete an, und litt
nicht, daß die gute alte Mutter auch nur die
geringſte Muͤhwaltung uͤber ſich nahm.


Sie blieb den ganzen Tag lang ſo; ſtill,
freundlich und achtſam, ein Hausmuͤtterlein,
und ein zart verſchaͤmtes, jungfraͤuliches, Weſen
zugleich. Die Dreie, welche ſie ſchon laͤnger
kannten, dachten in jedem Augenblick irgend ein
wunderliches Wechſelſpiel ihres launiſchen Sin-
nes hervorbrechen zu ſehn. Aber ſie warteten
vergebens darauf. Undine blieb engelmild und
ſanft. Der Prieſter konnte ſeine Augen gar
nicht von ihr wegwenden, und ſagte mehrere
Male zum Braͤutigam: Herr, einen Schatz
hat Euch Geſtern die himmliſche Guͤte durch
mich Unwuͤrdigen anvertraut; wahrt ihn, wie
es ſich gebuͤhrt, ſo wird er Euer ewiges und
zeitliches Heil befoͤrdern.


Gegen
[81]

Gegen Abend hing ſich Undine mit demuͤ-
thiger Zaͤrtlichkeit an des Ritters Arm, und zog
ihn ſanft vor die Thuͤr hinaus, wo die ſinkende
Sonne anmuthig uͤber den friſchen Graͤſern und
um die hohen, ſchlanken, Baumſtaͤmme leuchtete.
In den Augen der jungen Frau ſchwamm es,
wie Thau der Wehmuth und der Liebe, auf ih-
ren Lippen ſchwebte es, wie ein zartes, beſorgli-
ches Geheimniß, das ſich aber nur in kaum ver-
nehmlichen Seufzern kund gab. Sie fuͤhrte ih-
ren Liebling ſchweigend immer weiter mit ſich
fort; was er ſagte, beantwortete ſie nur mit
Blicken, in denen zwar keine unmittelbare Aus-
kunft auf ſeine Fragen, wohl aber ein ganzer
Himmel der Liebe und ſchuͤchternen Ergebenheit
lag. So gelangte ſie an das Ufer des uͤberge-
tretnen Waldſtroms, und der Ritter erſtaunte,
dieſen in leiſen Wellen verrinnend dahin rieſeln
zu ſehn, ſo daß keine Spur ſeiner vorigen Wild-
heit und Fuͤlle mehr anzutreffen war. — Bis
Morgen wird er ganz verſiegt ſein, ſagte die
ſchoͤne Frau weinerlich, und Du kannſt dann
F
[82] ohne Widerſpruch reiſen, wohinaus Du willſt. —
Nicht ohne Dich, Undinchen, entgegnete der la-
chende Ritter; denke doch, wenn ich auch Luſt
haͤtte, auszureiſen, ſo muͤßte ja Kirche und Geiſt-
lichkeit und Kaiſer und Reich drein ſchlagen,
und Dir den Fluͤchtling wiederbringen. —
Kommt Alles auf Dich an, kommt Alles auf
Dich an; fluͤſterte die Kleine, halb weinend halb
laͤchelnd. Ich denke aber doch, Du wirſt mich
wohl behalten; ich bin Dir ja gar zu innig
gut. Trage mich nun hinuͤber auf die kleine
Inſel, die vor uns liegt. Da ſoll ſich’s ent-
ſcheiden. Ich koͤnnte wohl leichtlich ſelbſt durch
die Wellchen ſchluͤpfen, aber in Deinen Armen
ruht ſich’s ſo gut, und verſtoͤßeſt Du mich, ſo
hab’ ich doch noch zum letztenmale anmuthig
darin geruht. — Huldbrand, voll von einer
ſeltſamen Bangigkeit und Ruͤhrung, wußte ihr
nichts zu erwiedern. Er nahm ſie in ſeine Arme,
und trug ſie hinuͤber, ſich nun erſt beſinnend,
daß es dieſelbe kleine Inſel war, von wo er
ſie in jener erſten Nacht dem alten Fiſcher zu-
[83] ruͤckgetragen hatte. Jenſeits ließ er ſie in das
weiche Gras nieder, und wollte ſich ſchmeichelnd
neben ſeine ſchoͤne Buͤrde ſetzen; ſie aber ſagte:
nein dorthin, mir gegenuͤber. Ich will in Dei-
nen Augen leſen, noch ehe Deine Lippen ſpre-
chen: Hoͤre nun recht achtſam zu, was ich Dir
erzaͤhlen will. Und ſie begann.


Du ſollſt wiſſen, mein ſuͤßer Liebling, daß
es in den Elementen Weſen giebt, die faſt aus-
ſehen, wie Ihr, und ſich doch nur ſelten vor
Euch blicken laſſen. In den Flammen glitzern
und ſpielen die wunderlichen Salamander, in
der Erden tief hauſen die duͤrren, tuͤckiſchen Gno-
men, durch die Waͤlder ſtreifen die Waldleute,
die der Luft angehoͤren, und in den Seen und
Stroͤmen und Baͤchen lebt der Waſſergeiſter
ausgebreitetes Geſchlecht. In klingenden Kry-
ſtallgewoͤlben, durch die der Himmel mit Sonn’
und Sternen hereinſieht, wohnt ſich’s ſchoͤn;
hohe Korallenbaͤume mit blau und rothen Fruͤch-
ten leuchten in den Gaͤrten; uͤber reinlichen
Meeresſand wandelt man, und uͤber ſchoͤne,
F 2
[84][bunte] Muſcheln, und was die alte Welt des
alſo Schoͤnen beſaß, daß die heutige nicht mehr
ſich dran zu freuen wuͤrdig iſt, das uͤberzogen
die Fluthen mit ihren heimlichen Silberſchleiern,
und unten prangen nun die edlen Denkmale,
hoch und ernſt, und anmuthig bethaut vom lie-
benden Gewaͤſſer, das aus ihnen ſchoͤne Moos-
blumen und kraͤnzende Schilfbuͤſchel hervorlockt.
Die aber dorten wohnen, ſind gar hold und
lieblich anzuſchauen, meiſt ſchoͤner, als die Men-
ſchen ſind. Manch einem Fiſcher ward es ſchon
ſo gut, ein zartes Waſſerweib zu belauſchen, wie
ſie uͤber die Fluthen hervorſtieg und ſang. Der
erzaͤhlte dann von ihrer Schoͤne weiter, und ſol-
che wunderſame Frauen werden von den Men-
ſchen Undinen genannt. Du aber ſiehſt jetzt
wirklich eine Undine, lieber Freund.


Der Ritter wollte ſich einreden, ſeiner ſchoͤ-
nen Frau ſei irgend eine ihrer ſeltſamen Lau-
nen wach geworden, und ſie finde ihre Luſt da-
ran, ihn mit bunt erdachten Geſchichten zu nek-
ken. Aber ſo ſehr er ſich dies auch vorſagte,
[85] konnte er doch keinen Augenblick daran glau-
ben; ein ſeltſamer Schauder zog durch ſein Inn-
res; unfaͤhig ein Wort hervorzubringen, ſtarrte
er unverwandten Auges die holde Erzaͤhlerin an.
Dieſe ſchuͤttelte betruͤbt den Kopf, ſeufzte aus
vollem Herzen, und fuhr alsdann folgendermaa-
ßen fort.


Wir waͤren weit beſſer daran, als Ihr an-
dern Menſchen; — denn Menſchen nennen wir
uns auch, wie wir es denn der Bildung und
dem Leibe nach ſind; — aber es iſt ein gar
Uebles dabei. Wir, und unſres Gleichen in den
andern Elementen, wir verſtieben und vergehn
mit Geiſt und Leib, daß keine Spur von uns
ruͤckbleibt, und wenn Ihr Andern dermaleinſt
zu einem reinern Leben erwacht, ſind wir geblie-
ben, wo Sand und Funk’ und Wind und
Welle blieb. Darum haben wir auch keine
Seelen; das Element bewegt uns, gehorcht uns
oft, ſo lange wir leben, zerſtaͤubt uns immer, ſo
bald wir ſterben, und wir ſind luſtig, ohne uns
irgend zu graͤmen, wie es die Nachtigallen und
[86] Goldfiſchlein und andre huͤbſche Kinder der Na-
tur ja gleichfalls ſind. Aber Alles will hoͤher,
als es ſteht. So wollte mein Vater, der ein
maͤchtiger Waſſerfuͤrſt im mittellaͤndiſchen Meere
iſt, ſeine einzige Tochter ſolle einer Seele theil-
haftig werden, und muͤſſe ſie daruͤber auch viele
Leiden der beſeelten Leute beſtehn. Eine Seele
aber kann unſres Gleichen nur durch den innig-
ſten Verein der Liebe mit Einem Eures Ge-
ſchlechtes gewinnen. Nun bin ich beſeelt, Dir
dank’ ich die Seele, o Du unausſprechlich Ge-
liebter, und Dir werd’ ich es danken, wenn
Du mich nicht mein ganzes Leben hindurch elend
machſt. Denn was ſoll aus mir werden, wenn
Du mich ſcheueſt und mich verſtoͤßeſt? Durch
Trug aber mogt’ ich Dich nicht behalten. Und
willſt Du mich verſtoßen, ſo thu’ es nun, ſo geh’
allein an’s Ufer zuruͤck. Ich tauche mich in die-
ſen Bach, der mein Oheim iſt, und hier im
Walde ſein wunderliches Einſiedlerleben, von den
uͤbrigen Freunden entfernet, fuͤhrt. Er iſt aber
maͤchtig, und vielen großen Stroͤmen werth und
[87] theuer, und wie er mich herfuͤhrte zu den Fi-
ſchern, mich leichtes und lachendes Kind, wird
er mich auch wieder heimfuͤhren zu den Aeltern,
mich beſeelte, liebende, leidende Frau.


Sie wollte noch mehr ſagen, aber Huld-
brand umfaßte ſie voll der innigſten Ruͤhrung
und Liebe, und trug ſie wieder an’s Ufer zuruͤck.
Hier erſt ſchwur er unter Thraͤnen und Kuͤſſen,
ſein holdes Weib niemals zu verlaſſen, und pries
ſich gluͤcklicher, als den Griechiſchen Bildner
Pygmalion, welchem Frau Venus ſeinen ſchoͤnen
Stein zur Geliebten belebt habe. Im ſuͤßen
Vertrauen wandelte Undine an ſeinem Arme
nach der Huͤtte zuruͤck, und empfand nun erſt
von ganzem Herzen, wie wenig ſie die verlaſſe-
nen Kryſtallpallaͤſte ihres wunderſamen Vaters
bedauern duͤrfe.


[88]

Neuntes Kapitel.

Wie der Ritter ſeine junge Frau mit ſich fuͤhrte.


Als Huldbrand am andern Morgen vom Schlaf
erwachte, fehlte ſeine ſchoͤne Genoſſin an ſeiner
Seiten, und er fing ſchon an, wieder den wun-
derlichen Gedanken nachzuhaͤngen, die ihm ſeine
Ehe und die reizende Undine ſelbſt als ein fluͤch-
tiges Blendwerk und Gaukelſpiel vorſtellen woll-
ten. Aber da trat ſie eben zur Thuͤr herein,
kuͤßte ihn, ſetzte ſich zu ihm auf’s Bett, und
ſagte: ich bin etwas fruͤh hinaus geweſen, um
zu ſehn, ob der Oheim Wort halte. Er hat
ſchon alle Fluthen wieder in ſein ſtilles Bett zu-
ruͤcke gelenkt, und rinnt nun nach wie vor ein-
ſiedleriſch und ſinnend durch den Wald. Seine
Freunde in Waſſer und Luft haben ſich auch
[89] zur Ruhe gegeben; es wird wieder Alles ordent-
lich und ruhig in dieſen Gegenden zugehen, und
Du kannſt trocknen Fußes heim reiſen, ſobald
Du willſt. — Es war Huldbranden zu Muthe,
als traͤume er wachend fort, ſo wenig konnte
er ſich in die ſeltſame Verwandtſchaft ſeiner
Frau finden. Dennoch ließ er ſich nichts mer-
ken, und die unendliche Anmuth des holden Wei-
bes wiegte auch bald jedwede unheimliche Ahnung
zur Ruhe. — Als er nach einer Weile mit ihr
vor der Thuͤr ſtand, und die gruͤnende Seeſpitze
mit ihren klaren Waſſergraͤnzen uͤberſchaute,
ward es ihm ſo wohl in dieſer Wiege ſeiner
Liebe, daß er ſagte: was ſollen wir denn auch
Heute ſchon reiſen? Wir finden wohl keine ver-
gnuͤgtern Tage in der Welt haußen, als wir ſie
an dieſem heimlichen Schutzoͤrtlein verlebten.
Laß’ uns immer noch zwei oder dreimal die
Sonne hier untergehn ſehn. — Wie mein
Herr es gebeut, entgegnete Undine in freundli-
cher Demuth. Es iſt nur, daß ſich die alten
Leute ohnehin ſchon mit Schmerzen von mir
[90] trennen werden, und wenn ſie nun erſt die treue
Seele in mir ſpuͤren, und wie ich jetzt innig
lieben und ehren kann, bricht ihnen wohl gar
vor vielen Thraͤnen das ſchwache Augenlicht.
Noch halten ſie meine Stille und Froͤmmigkeit
fuͤr nichts Beſſeres, als es ſonſt in mir bedeutete,
fuͤr die Ruhe des See’s, wenn eben die Luft
ſtill iſt, und ſie werden ſich nun eben ſo gut ei-
nem Baͤumchen oder Bluͤmlein befreunden ler-
nen, als mir. Laß’ mich ihnen dies neugeſchenk-
te, von Liebe wallende, Herz nicht kund geben,
in Augenblicken, wo ſie es fuͤr dieſe Erde verlie-
ren ſollen, und wie koͤnnt’ ich es bergen, blieben
wir laͤnger zuſammen? —


Huldbrand gab ihr Recht; er ging zu den
Alten, und beſprach die Reiſe mit ihnen, die
noch in dieſer Stunde vor ſich gehen ſollte.
Der Prieſter bot ſich den beiden jungen Eheleu-
ten zum Begleiter an, er und der Ritter hoben
nach kurzem Abſchied die ſchoͤne Frau auf’s Pferd,
und ſchritten mit ihr uͤber das ausgetrocknete
Bette des Waldſtroms eilig dem Forſte zu.
[91] Undine weinte ſtill, aber bitterlich, die alten Leu-
te klagten ihr laut nach. Es ſchien, als ſeie
dieſen eine Ahnung aufgegangen, von dem, was
ſie eben jetzt an der holden Pflegetochter ver-
loren.


Die drei Reiſenden waren ſchweigend in
die dichteſten Schatten des Waldes gelangt. Es
mochte huͤbſch anzuſehen ſein, in dem gruͤnen
Blaͤtterſaal, wie die ſchoͤne Frauengeſtalt auf
dem edlen, zierlich geſchmuͤckten Pferde, ſaß, und
von einer Seite der ehrwuͤrdige Prieſter in ſei-
ner weißen Ordenstracht, von der andern der
bluͤhende junge Ritter in bunten hellen Kleidern,
mit ſeinem praͤchtigen Schwerdte umguͤrtet, acht-
ſam beiher ſchritten. Huldbrand hatte nur Au-
gen fuͤr ſein holdes Weib; Undine, die ihre lie-
ben Thraͤnen getrocknet hatte, nur Augen fuͤr
ihn, und ſie geriethen bald in ein ſtilles, lautlo-
ſes, Geſpraͤch mit Blicken und Winken, aus dem
ſie erſt ſpaͤt durch ein leiſes Reden erweckt wur-
den, welches der Prieſter mit einem vierten Rei-
[92] ſegeſellſchafter hielt, der indeß unbemerkt zu ih-
nen gekommen war.


Er trug ein weißes Kleid, faſt wie des Prie-
ſters Ordenshabit, nur daß ihm die Kappe ganz
tief in’s Geſicht hereinhing, und das Ganze in
ſo weiten Falten um ihn herflog, daß er alle
Augenblicke mit Aufraffen und uͤber den Arm
ſchlagen oder ſonſt dergleichen Anordnungen zu
thun hatte, ohne daß er doch dadurch im gering-
ſten im Gehen behindert ſchien. Als die jun-
gen Eheleute ſeiner gewahr wurden, ſagte er
eben: und ſo wohn’ ich denn ſchon ſeit vielen
Jahren hier im Walde, mein ehrwuͤrdiger Herr,
ohne daß man mich Eurem Sinne nach einen
Eremiten nennen koͤnnte. Denn, wie geſagt, von
Buße weiß ich nichts, und glaube ſie auch nicht
ſonderlich zu beduͤrfen. Ich habe nur deswegen
den Wald ſo lieb, weil es ſich auf eine ganz
eigne Weiſe huͤbſch ausnimmt und mir Spaß
macht, wenn ich in meinen flatternden weißen
Kleidern durch die finſtern Schatten und Blaͤtter
hingehe, und dann bisweilen ein ſuͤßer Sonnen-
[93] ſtrahl unvermuthet auf mich herunter blitzt. —
Ihr ſeid ein hoͤchſt ſeltſamer Mann, entgegnete
der Prieſter, und ich moͤchte wohl naͤhere Kunde
von Euch haben. — Und wer ſeid Ihr denn,
von Einem auf’s Andre zu kommen? fragte der
Fremde. Sie nennen mich den Pater Heilmann,
ſprach der Geiſtliche, und ich komme aus Kloſter
Mariagruß von jenſeit des Sees. — So, ſo;
antwortete der Fremde. Ich heiße Kuͤhleborn,
und wenn es auf Hoͤflichkeit ankommt, koͤnnte
man mich auch wohl eben ſo gut Herr von Kuͤh-
leborn betiteln, oder Freiherr von Kuͤhleborn;
denn frei bin ich, wie der Vogel im Walde,
und wohl noch ein Bischen druͤber. Zum Exempel,
jetzt hab’ ich der jungen Frau dorten etwas zu
erzaͤhlen. — Und ehe man ſich’s verſah, war
er auf der andern Seite des Prieſters, dicht neben
Undinen, und reckte ſich hoch in die Hoͤhe, um
ihr etwas in’s Ohr zu fluͤſtern. Sie aber wandte
ſich erſchrocken ab, ſagend: ich habe nichts mit
Euch mehr zu ſchaffen. — Hoho, lachte der
Fremde, was fuͤr eine ungeheuer vornehme Hei-
[94] rath habt Ihr denn gethan, daß Ihr Eure
Verwandten nicht mehr kennt? Wißt Ihr denn
nicht vom Oheim Kuͤhleborn, der Euch auf ſei-
nem Ruͤcken ſo treu in dieſe Gegend trug? —
Ich bitte Euch aber, entgegnete Undine, daß
Ihr Euch nicht wieder vor mir ſehn laßt. Jetzt
fuͤrcht’ ich Euch; und ſoll mein Mann mich
ſcheuen lernen, wenn er mich in ſo ſeltſamer
Geſellſchaft und Verwandtſchaft ſieht? — Nicht-
chen, ſagte Kuͤhleborn, Ihr muͤßt nicht vergeſſen,
daß ich hier zum Geleiter bei Euch bin; die
ſpukenden Erdgeiſter moͤchten ſonſt dummen Spaß
mit Euch treiben. Laßt mich alſo doch immer
ruhig mitgehn; der alte Prieſter dort wußte ſich
uͤbrigens meiner beſſer zu erinnern, als Ihr es
zu thun ſcheint, denn er verſicherte vorhin, ich
kaͤme ihm ſehr bekannt vor und ich muͤſſe wohl
mit im Nachen geweſen ſein, auf dem er in’s
Waſſer fiel. Das war ich auch freilich, denn
ich war juſt die Waſſerhoſe, die ihn herausriß,
und ſchwemmte ihn hernach zu Deiner Trauung
vollends an’s Land.


[95]

Undine und der Ritter ſahen nach Pater
Heilmann; der aber ſchien in einem wandeln-
den Traume fortzugehn, und von Allem, was
geſprochen ward, nichts mehr zu vernehmen.
Da ſagte Undine zu Kuͤhleborn: ich ſehe dort
ſchon das Ende des Waldes. Wir brauchen
Eurer Huͤlfe nicht mehr, und nichts macht uns
Grauen als Ihr. Drum bitt’ Euch in Lieb’
und Guͤte, verſchwindet, und laßt uns in Frie-
den ziehn. — Daruͤber ſchien Kuͤhleborn unwil-
lig zu werden; er zog ein haͤßliches Geſicht, und
grinzte Undinen an, die laut aufſchrie, und ih-
ren Freund zu Huͤlfe rief. Wie ein Blitz war
der Ritter um das Pferd herum, und ſchwang
die ſcharfe Klinge gegen Kuͤhleborns Haupt.
Aber er hieb in einen Waſſerfall, der von einer
hohen Klippe neben ihnen herabſchaͤumte, und
ſie ploͤtzlich mit einem Geplaͤtſcher, das beinahe
wie Lachen klang, uͤbergoß, und bis auf die
Haut durchnetzte. Der Prieſter ſagte, wie ploͤtz-
lich erwachend: das hab’ ich lange gedacht, weil
der Bach ſo dicht auf der Anhoͤhe neben uns
[96] herlief. Anfangs wollt’ er mir gar vorkommen,
als waͤr’ er ein Menſch und koͤnne ſprechen. —
In Huldbrands Ohr rauſchte der Waſſerfall
ganz vernehmlich dieſe Worte: raſcher Ritter,
ruͤſt’ger Ritter, ich zuͤrne nicht, ich zanke nicht;
ſchirm’ nur Dein reizend Weiblein ſtets ſo gut,
Du Ritter ruͤſtig, Du raſches Blut!


Nach wenigen Schritten waren ſie im Frei-
en. Die Reichsſtadt lag glaͤnzend vor ihnen,
und die Abendſonne, welche deren Thuͤrme
vergoldete, trocknete freundlich die Kleider der
durchnaͤßten Wandrer.


Zehn-
[97]

Zehntes Kapitel.

Wie ſie in der Stadt lebten.


Daß der junge Ritter Huldbrand von Ring-
ſtaͤtten ſo ploͤtzlich vermißt worden war, hatte
großes Aufſehen in der Reichsſtadt erregt, und
Bekuͤmmerniß bei den Leuten, die ihn alleſamt
wegen ſeiner Gewandheit bei Turnier und Tanz,
wie auch wegen ſeiner milden, freundlichen Sit-
ten, lieb gewonnen hatten. Seine Diener woll-
ten nicht ohne ihren Herrn von dem Orte wie-
der weg, ohne daß doch Einer den Muth gefaßt
haͤtte, ihm in die Schatten des gefuͤrchteten For-
ſtes nachzureiten. Sie blieben alſo in ihrer
Herberge, unthaͤtig hoffend, wie es die Menſchen
zu thun pflegen, und durch ihre Klagen das An-
denken des Verlornen lebendig erhalten. Wie
G
[98] nun bald darauf die großen Unwetter und Ue-
berſchwemmungen merkbarer wurden, zweifelte
man um ſo minder an dem gewiſſen Untergange
des ſchoͤnen Fremden, den auch Bertalda ganz
unverholen betrauerte, und ſich ſelbſt verwuͤnſch-
te, daß ſie ihn zu dem unſeeligen Ritte nach
dem Walde gelockt habe. Ihre herzoglichen
Pflegeaͤltern waren gekommen, ſie abzuholen,
aber Bertalda bewog ſie, mit ihr zu bleiben,
bis man gewiſſe Nachricht von Huldbrands Le-
ben oder Tod einziehe. Sie ſuchte verſchiedne
junge Ritter, die emſig um ſie warben, zu be-
wegen, daß ſie dem edlen Abentheurer in den
Forſt nachziehn moͤchten. Aber ihre Hand moch-
te ſie nicht zum Preiſe des Wageſtuͤcks ausſtellen,
weil ſie vielleicht noch immer hoffte, dem Wie-
derkehrenden angehoͤren zu koͤnnen, und um
Handſchuh oder Band, oder auch ſelbſt um einen
Kuß, wollte Niemand ſein Leben dran ſetzen,
einen ſo gar gefaͤhrlichen Nebenbuhler zuruͤck zu
holen.


Nun, da Huldbrand unerwartet und ploͤtz-
[99] lich erſchien, freuten ſich Diener und Stadtbe-
wohner, und uͤberhaupt faſt alle Leute, nur Ber-
talda eben nicht, denn wenn es den Andern
auch ganz lieb war, daß er eine ſo wunderſchoͤne
Frau mitbrachte, und den Pater Heilmann als
Zeugen der Trauung, ſo konnte doch Bertalda
nicht anders, als ſich deshalb betruͤben. Erſtlich
hatte ſie den jungen Rittersmann wirklich von
ganzer Seele lieb gewonnen, und dann war
durch ihre Trauer uͤber ſein Wegbleiben den Au-
gen der Menſchen weit mehr davon kund ge-
worden, als ſich nun eben ſchicken wollte. Sie
that deswegen aber doch immer, als ein kluges
Weib, fand ſich in die Umſtaͤnde, und lebte auf’s
allerfreundlichſte mit Undinen, die man in der
ganzen Stadt fuͤr eine Prinzeſſin hielt, welche
Huldbrand im Walde von irgend einem boͤſen
Zauber erloͤſt habe. Wenn man ſie ſelbſt oder
ihren Eheherrn daruͤber befragte, wußten ſie zu
ſchweigen, oder geſchickt auszuweichen, des Vater
Heilmanns Lippen waren fuͤr jedes eitle Ge-
ſchwaͤtz verſiegelt, und ohnehin war er gleich
G 2
[100] nach Huldbrands Ankunft wieder in ſein Kloſter
zuruͤckgegangen, ſo daß ſich die Leute mit ihren
ſeltſamen Muthmaßungen behelfen mußten, und
auch ſelbſt Bertalda nicht mehr als jeder Andre
von der Wahrheit erfuhr.


Undine gewann uͤbrigens dies anmuthige
Maͤdchen mit jedem Tage lieber. — Wir muͤſ-
ſen uns einander ſchon eher gekannt haben, pfleg-
te ſie ihr oͤfters zu ſagen, oder es muß ſonſt ir-
gend eine wunderſame Beziehung unter uns ge-
ben, denn ſo ganz ohne Urſach, verſteht mich,
ohne tiefe, geheime Urſach, gewinnt man ein
Andres nicht ſo lieb, als ich Euch gleich vom
erſten Anblicke her gewann. — Und auch Ber-
talda konnte ſich nicht ableugnen, daß ſie einen
Zug der Vertraulichkeit und Liebe zu Undinen
empfinde, wie ſehr ſie uͤbrigens meinte, Urſach
zu den bitterſten Klagen uͤber dieſe gluͤckliche
Nebenbuhlerin zu haben. In dieſer gegenſeiti-
gen Neigung wußte die Eine bei ihren Pflege-
aͤltern, die Andre bei ihrem Ehegatten, den Tag
der Abreiſe weiter und weiter hinaus zu ſchie-
[101] ben; ja, es war ſchon die Rede davon geweſen,
Bertalda ſolle Undinen auf einige Zeit nach
Burg Ringſtaͤtten an die Quellen der Donau
begleiten.


Sie ſprachen auch einmal eines ſchoͤnen
Abends davon, als ſie eben bei Sternenſchein
auf dem mit hohen Baͤumen eingefaßten Mark-
te der Reichsſtadt umherwandelten. Die beiden
jungen Eheleute hatten Bertalden noch ſpaͤt zu
einem Spatziergange abgeholt, und alle Drei zo-
gen vertraulich unter dem tiefblauen Himmel
auf und ab, oftmals in ihren Geſpraͤchen durch
die Bewunderung unterbrochen, die ſie dem
koſtbaren Springborn in der Mitte des Platzes,
und ſeinem wunderſamen Rauſchen und Spru-
deln, zollen mußten. Es war ihnen ſo lieb und
heimlich zu Sinn; zwiſchen die Baumſchatten
durch ſtahlen ſich die Lichtſchimmer der nahen
Haͤuſer, ein ſtilles Geſumſe von ſpielenden Kin-
dern und andern luſtwandelnden Menſchen
wogte um ſie her; man war ſo allein und doch
ſo freundlich in der heitern, lebendigen Welt
[102] mitten inne; was bei Tage Schwierigkeit ge-
ſchienen hatte, das ebnete ſich nun wie von ſel-
ber, und die drei Freunde konnten gar nicht
mehr begreifen, warum wegen Bertaldas Mit-
reiſe auch nur die geringſte Bedenklichkeit habe
obwalten moͤgen. Da kam, als ſie eben den
Tag ihrer gemeinſchaftlichen Abfahrt beſtimmen
wollten, ein langer Mann von der Mitte des
Marktplatzes her auf ſie zugegangen, neigte ſich
ehrerbietig vor der Geſellſchaft, und ſagte der
jungen Frau etwas in’s Ohr. Sie trat, unzu-
frieden uͤber die Stoͤrung und uͤber den Stoͤ-
rer, einige Schritte mit dem Fremden zur Sei-
te, und Beide begannen mit einander zu fluͤſtern,
es ſchien, in einer fremden Sprache. Huldbrand
glaubte den ſeltſamen Mann zu kennen, und
ſah ſo ſtarr auf ihn hin, daß er Bertaldens
ſtaunende Fragen weder hoͤrte noch beantwor-
tete. Mit einem Male klopfte Undine freudig
in die Haͤnde, und ließ den Fremden lachend
ſtehn, der ſich mit vielem Kopfſchuͤtteln und haſ-
tigen, unzufriedenen Schritten entfernte, und in
[103] den Brunnen hineinſtieg. Nun glaubte Huld-
brand ſeiner Sache ganz gewiß zu ſein, Ber-
talda aber fragte: was wollte Dir denn der
Brunnenmeiſter, liebe Undine? — Die junge
Frau lachte heimlich in ſich hinein, und erwie-
derte: Uebermorgen, auf Deinen Namenstag
ſollſt Du’s erfahren, Du liebliches Kind. —
Und weiter war nichts aus ihr herauszubringen.
Sie lud nur Bertalden und durch ſie ihre Pfle-
geaͤltern an dem beſtimmten Tage zur Mittags-
tafel, und man ging bald darauf auseinander.


Kuͤhleborn? — fragte Huldbrand mit einem
geheimen Schauder ſeine ſchoͤne Gattin, als ſie
von Bertalda Abſchied genommen hatten, und
nun allein durch die dunkler werdenden Gaſſen
zu Haus gingen. — Ja, er war es, antwor-
tete Undine, und er wollte mir auch allerhand
dummes Zeug vorſprechen! Aber mitten darin
hat er mich, ganz gegen ſeine Abſicht, mit einer
hoͤchſt willkommenen Botſchaft erfreut. Willſt
Du dieſe nun gleich wiſſen, mein holder Herr
und Gemahl, ſo brauchſt Du nur zu gebieten,
[104] und ich ſpreche mir alles vom Herzen los. Woll-
teſt Du aber Deiner Undine eine recht, recht
große Freude goͤnnen, ſo ließeſt Du es bis Ue-
bermorgen, und haͤtteſt dann auch an der Ueber-
raſchung Dein Theil.


Der Ritter gewaͤhrte ſeiner Gattin gern,
warum ſie ſo anmuthig bat, und noch im Ent-
ſchlummern lispelte ſie laͤchelnd vor ſich hin:
was ſie ſich freuen wird, und ſich wundern uͤber
ihres Brunnenmeiſters Botſchaft, die liebe, lie-
be Bertalda!


[105]

Eilftes Kapitel.

Bertaldas Namensfeier.


Die Geſellſchaft ſaß bei Tafel, Bertalda, mit
Kleinodien und Blumen, den mannigfachen Ge-
ſchenken ihrer Pflegeaͤltern und Freunde, ge-
ſchmuͤckt, wie eine Fruͤhlingsgoͤttin, oben an, zu
ihren Seiten Undine und Huldbrand. Als das
reiche Mahl zu Ende ging, und man den Nach-
tiſch auftrug, blieben die Thuͤren offen; nach
alter, guter Sitte in Deutſchen Landen, damit
auch das Volk zuſehen koͤnne, und ſich an der
Luſtigkeit der Herrſchaften mitfreuen. Bediente
trugen Wein und Kuchen unter den Zuſchauern
herum. Huldbrand und Bertalda warteten
mit heimlicher Ungeduld auf die verſprochne Er-
klaͤrung, und verwandten, ſo ſehr es ſich thun
[106] ließ, kein Auge von Undinen. Aber die ſchoͤne
Frau blieb noch immer ſtill, und laͤchelte nur
heimlich und innig froh vor ſich hin. Wer um
ihre gethane Verheiſſung wußte, konnte ſehn,
daß ſie ihr erquickendes Geheimniß alle Augen-
blick verrathen wollte, und es doch noch immer
in luͤſterner Entſagung zuruͤcklegte, wie es Kinder
bisweilen mit ihren liebſten Lekkerbiſſen thun.
Bertalda und Huldbrand theilten dies wonnige
Gefuͤhl, in hoffender Bangigkeit das neue Gluͤck
erwartend, welches von ihrer Freundin Lippen
auf ſie hernieder thauen ſollte. Da baten ver-
ſchiedne von der Geſellſchaft Undinen um ein
Lied. Es ſchien ihr gelegen zu kommen, ſie
ließ ſich ſogleich ihre Laute bringen, und ſang
folgende Worte:


Morgen ſo hell,

Blumen ſo bunt,

Graͤſer ſo duftig und hoch

An wallenden See’s Geſtade!

Was zwiſchen den Graͤſern

Schimmert ſo licht?

[107]
Iſt’s eine Bluͤthe weiß und groß,

Vom Himmel gefallen in Wieſenſchooß?

Ach, iſt ein zartes Kind! —

Unbewußt mit Blumen taͤndelt’s,

Faßt nach goldnen Morgenlichtern; —

O woher? Woher, Du Holdes? —

Fern vom unbekannten Strande

Trug es hier der See heran; —

Nein faſſe nicht, Du zartes Leben,

Mit Deiner kleinen Hand herum;

Nicht Hand wird Dir zuruͤckgegeben,

Die Blumen ſind ſo fremd und ſtumm.

Die wiſſen wohl ſich ſchoͤn zu ſchmuͤcken,

Zu duften auch nach Herzensluſt,

Doch keine mag Dich an ſich druͤcken,

Fern iſt die traute Mutterbruſt.

So fruͤh’ noch an des Lebens Thoren,

Noch Himmelslaͤcheln im Geſicht,

Haſt Du das Beſte ſchon verloren,

O armes Kind, und weißt es nicht.

Ein edler Herzog kommt geritten,

Und hemmt vor Dir des Roſſes Lauf;

Zu hoher Kunſt und reinen Sitten

Zieht er in ſeiner Burg Dich auf.

[108]
Du haſt unendlich viel gewonnen,

Du bluͤhſt, die Schoͤnſt’ im ganzen Land,

Doch ach! die allerbeſten Wonnen

Ließ’ſt Du am unbekannten Strand.

Undine ſenkte mit einem wehmuͤthigen Laͤ-
cheln ihre Laute; die Augen der herzoglichen Pfleg-
aͤltern Bertaldens ſtanden voller Thraͤnen. —
So war es am Morgen, wo ich Dich fand, Du
arme holde Waiſe, ſagte der Herzog tiefbewegt;
die ſchoͤne Saͤngerin hat wohl Recht; das Beſte
haben wir Dir dennoch nicht zu geben vermocht. —


Wir muͤſſen aber auch hoͤren, wie es den ar-
men Aeltern ergangen iſt, ſagte Undine, ſchlug
die Saiten, und ſang:


Mutter geht durch ihre Kammern

Raͤumt die Schraͤnke ein und aus,

Sucht, und weiß nicht was, mit Jammern,

Findet nichts, als leeres Haus.

Leeres Haus! O Wort der Klage,

Dem, der einſt ein holdes Kind

Drin gegaͤngelt hat am Tage,

Drin gewiegt in Naͤchten lind.

[109]
Wieder [gruͤnen] wohl die Buchen,

Wieder kommt der Sonne Licht,

Aber, Mutter, laß’ Dein Suchen,

Wieder kommt Dein Liebes nicht.

Und wenn Abendluͤfte faͤcheln,

Vater heim zum Heerde kehrt,

Regt ſich’s faſt in ihm, wie Laͤcheln

Dran doch gleich die Thraͤne zehrt.

Vater weiß, in ſeinen Zimmern

Findet er die Todesruh,

Hoͤrt nur bleicher Mutter Wimmern,

Und kein Kindlein lacht ihm zu.

O, um Gott, Undine, wo ſind meine Aeltern?
rief die weinende Bertalda. Du weißt es ge-
wiß, Du haſt es erfahren, Du wunderſame
Frau, denn ſonſt haͤtteſt Du mir das Herz nicht
ſo zerriſſen. Sind ſie vielleicht ſchon hier?
Waͤr’ es? — Ihr Auge durchflog die glaͤnzende
Geſellſchaft, und weilte auf einer regierenden
Herrin, die ihrem Pflegevater zunaͤchſt ſaß. Da
beugte ſich Undine nach der Thuͤr zuruͤck, ihre
[110] Augen floſſen in der ſuͤſſeſten Ruͤhrung uͤber. —
Wo ſind denn die armen, harrenden Aeltern?
fragte ſie, und der alte Fiſcher mit ſeiner Frau
wankten aus dem Haufen der Zuſchauer vor.
Ihre Augen hingen fragend bald an Undinen,
bald an dem ſchoͤnen Fraͤulein, das ihre Tochter
ſein ſollte. — Sie iſt es! ſtammelte die ent-
zuͤckte Geberin, und die zwei alten Leute hingen
lautweinend und Gott preiſend an dem Halſe
der Wiedergefundnen.


Aber entſetzt und zuͤrnend riß ſich Bertalda
aus ihrer Umarmung los. Es war zu viel fuͤr
dieſes ſtolze Gemuͤth, eine ſolche Wiedererken-
nung, in dem Augenblicke, wo ſie feſt gemeint
hatte, ihren bisherigen Glanz noch zu ſteigern,
und die Hoffnung Thronhimmel und Kronen
uͤber ihr Haupt herunter regnen ließ. Es kam
ihr vor, als habe ihre Nebenbuhlerin dies Alles
erſonnen, um ſie nur recht ausgeſucht vor Huld-
branden und aller Welt zu demuͤthigen. Sie
ſchalt Undinen, ſie ſchalt die beiden Alten, die
haͤßlichen Worte: Betruͤgerin und erkauftes Volk!
[111] riſſen ſich von ihren Lippen. Da ſagte die alte
Fiſcherfrau nur ganz leiſe vor ſich hin: ach Gott,
ſie iſt ein boͤſes Weibsbild geworden; und den-
noch fuͤhl’ ich’s im Herzen, daß ſie von mir ge-
boren iſt. — Der alte Fiſcher aber hatte ſeine
Haͤnde gefaltet, und betete ſtill, daß die hier
ſeine Tochter nicht ſein moͤge. — Undine wankte
todesbleich von den Aeltern zu Bertalden, von
Bertalden zu den Aeltern, ploͤtzlich aus all’ den
Himmeln, die ſie ſich getraͤumt hatte, in eine
Angſt und ein Entſetzen geſtuͤrtzt, das ihr bisher
auch nicht im Traume kund geworden war. Haſt
Du denn eine Seele? Haſt Du denn wirklich
eine Seele, Bertalda? ſchrie ſie einigemale in
ihre zuͤrnende Freundin hinein, als wolle ſie
ſie aus einem ploͤtzlichen Wahnſinn oder einem
tollmachenden Nachtgeſichte gewaltſam zur Beſin-
nung bringen. Als aber Bertalda nur immer
noch ungeſtuͤmer wuͤthete, als die verſtoßenen Ael-
tern laut zu heulen anfingen, und die Geſell-
ſchaft ſich ſtreitend und eifernd in verſchiedne
Parten theilte, erbat ſie ſich mit einemmale ſo
[112] wuͤrdig und ernſt die Freiheit, in den Zimmern
ihres Mannes zu reden, daß Alles um ſie her,
wie auf einen Wink, ſtille ward. Sie trat da-
rauf an das obre Ende des Tiſches, wo Bertalda
geſeſſen hatte, demuͤthig und ſtolz, und ſprach,
waͤhrend ſich Aller Augen unverwandt auf ſie
richteten, folgendergeſtalt:


Ihr Leute, die Ihr ſo feindlich ausſeht und
ſo verſtoͤrt, und mir mein liebes Feſt ſo grimm
zerreißt, ach Gott, ich wußte von Euern thoͤrich-
ten Sitten und Eurer harten Sinnesweiſe nichts,
und werde mich wohl mein Lebelang nicht drin
finden. Daß ich Alles verkehrt angefangen habe,
liegt nicht an mir; glaubt nur, es liegt einzig
an Euch, ſo wenig es Euch auch darnach aus-
ſehen mag. Ich habe Euch auch deshalb nur
wenig zu ſagen, aber das Eine muß geſagt ſein:
ich habe nicht gelogen. Beweiſe kann und will
ich Euch auſſer meiner Verſicherung nicht geben,
aber beſchwoͤren will ich es. Mir hat es der-
ſelbe geſagt, der Bertalden von ihren Aeltern
weg in’s Waſſer lockte, und ſie nachher dem
Her-
[113] Herzog in ſeinen Weg auf die gruͤne Wieſe
legte.


Sie iſt eine Zauberin, rief Bertalda, eine
Hexe, die mit boͤſen Geiſtern Umgang hat!
Sie bekennt es ja ſelbſt.


Das thue ich nicht, ſagte Undine, einen
ganzen Himmel der Unſchuld und Zuverſicht in
ihren Augen. Ich bin auch keine Hexe; ſeht
mich nur darauf an.


So luͤgt ſie, und prahlt, fiel Bertalda ein,
und kann nicht behaupten, daß ich dieſer niedern
Leute Kind ſei. Meine herzoglichen Aeltern, ich
bitte Euch, fuͤhrt mich aus dieſer Geſellſchaft
fort, und aus dieſer Stadt, wo man nur dar-
auf ausgeht, mich zu ſchmaͤhen.


Der alte, ehrſame Herzog aber blieb feſt
ſtehen, und ſeine Gemahlin ſagte: wir muͤſſen
durchaus wiſſen, woran wir ſind; Gott ſei
vor, daß ich eher nur einen Fuß aus dieſem
Saale ſetze. — Da naͤherte ſich die alte Fi-
ſcherin, beugte ſich tief vor der Herzogin, und
ſagte: Ihr ſchließt mir das Herz auf, hohe,
H
[114] gottesfuͤrchtige Frau. Ich muß Euch ſagen,
wenn dieſes boͤſe Fraͤulein meine Tochter iſt,
traͤgt ſie ein Mahl, gleich einem Veilchen, zwi-
ſchen beiden Schultern, und ein gleiches auf
dem Spann ihres linken Fußes. Wenn ſie ſich
nur mit mir aus den Saale entfernen woll-
te. — Ich entbloͤße mich nicht vor der Baͤue-
rin; ſagte Bertalda, ihr ſtolz den Ruͤcken wen-
dend. — Aber vor mir doch wohl, entgegnete
die Herzogin mit großem Ernſt. Ihr werdet
mir in jenes Gemach folgen, Jungfrau, und
die gute Alte kommt mit. — Die Drei ver-
ſchwanden, und alle Uebrigen blieben in großer
Erwartung ſchweigend zuruͤck. Nach einer klei-
nen Weile kamen die Frauen wieder, Bertalda
todtenbleich, und die Herzogin ſagte: Recht
muß Recht bleiben: deshalben erklaͤr’ ich, daß
unſre Frau Wirthin vollkommen wahr geſpro-
chen hat. Bertalda iſt des Fiſchers Tochter,
und ſoviel iſt, als man hier zu wiſſen braucht.
Das fuͤrſtliche Ehepaar ging mit der Pflege-
tochter fort; auf einen Wink des Herzogs folgte
[115] ihnen der Fiſcher mit ſeiner Frau. Die andern
Gaͤſte entfernten ſich ſchweigend oder heimlich
murmelnd, und Undine ſank herzlich weinend in
Huldbrands Arme.


H 2
[116]

Zwoͤlftes Kapitel.

Wie ſie aus der Reichsſtadt abreiſten.


Dem Herrn von Ringſtetten waͤr’ es freilich
lieber geweſen, wenn ſich Alles an dieſem Tage
anders gefuͤgt haͤtte; aber auch ſo, wie es nun
einmal war, konnte es ihm nicht unlieb ſein,
da ſich ſeine reizende Frau ſo fromm und gut-
muͤthig und herzlich bewies. — Wenn ich ihr
eine Seele gegeben habe, mußt’ er bei ſich ſel-
ber ſagen, gab ich ihr wohl eine beſſre, als mei-
ne eigne iſt; und nun dachte er einzig darauf,
die Weinende zufrieden zu ſprechen, und gleich
des andern Tages einen Ort mit ihr zu verla-
ßen, der ihr ſeit dieſem Vorfalle zuwider ſein
mußte. Zwar iſt es andem, daß man ſie eben
nicht ungleich beurtheilte. Weil man ſchon fruͤ-
[117] her etwas Wunderbares von ihr erwartete, fiel
die ſeltſame Entdeckung von Bertaldens Her-
kommen nicht allzuſehr auf, und nur gegen dieſe
war Jedermann, der die Geſchichte und ihr ſtuͤr-
miſches Betragen dabei erfuhr, uͤbel geſinnt.
Davon wußten aber der Ritter und ſeine Frau
noch nichts; außerdem waͤre Eins fuͤr Undinen
ſo ſchmerzhaft geweſen, als das Andre, und ſo
hatte man nichts Beſſres zu thun, als die Mau-
ern der alten Stadt baldmoͤglichſt hinter ſich zu
laßen.


Mit den erſten Strahlen des Morgens hielt
ein zierlicher Wagen fuͤr Undinen vor dem Thore
der Herberge; Huldbrands und ſeiner Knappen
Hengſte ſtampften daneben das Pflaſter. Der
Ritter fuͤhrte ſeine ſchoͤne Frau aus der Thuͤr,
da trat ihnen ein Fiſchermaͤdchen in den Weg. —
Wir brauchen Deine Waare nicht, ſagte Huld-
brand zu ihr, wir reiſen eben fort. — Da fing
das Fiſchermaͤdchen bitterlich an zu weinen, und
nun erſt ſahen die Eheleute, daß es Bertalda
war. Sie traten gleich mit ihr in das Gemach
[118] zuruͤck, und erfuhren von ihr, der Herzog und
die Herzogin ſeien ſo erzuͤrnt uͤber ihre geſtrige
Haͤrte und Heftigkeit, daß ſie die Hand gaͤnzlich
von ihr abgezogen haͤtten, nicht ohne ihr jedoch
vorher eine reiche Ausſteuer zu ſchenken. Der
Fiſcher ſei gleichfalls wohl begabt worden, und
habe noch Geſtern Abends mit ſeiner Frau wie-
der den Weg nach der Seeſpitze eingeſchlagen.


Ich wollte mit ihnen gehn, fuhr ſie fort;
aber der alte Fiſcher, der mein Vater ſein ſoll —


Er iſt es auch wahrhaftig, Bertalda; unter-
brach ſie Undine. Sieh’ nur, der, welchen Du
fuͤr den Brunnenmeiſter anſahſt, erzaͤhlte mir’s
ausfuͤhrlich. Er wollte mich abreden, daß ich
dich nicht mit nach Burg Ringſtetten nehmen
ſollte, und da fuhr ihm dieſes Geheimniß mit
heraus.


Nun denn, ſagte Bertalda, mein Vater, —
wenn es denn ſo ſein ſoll, — mein Vater ſprach,
ich nehme Dich nicht mit, bis Du anders wor-
den biſt. Wage dich allein durch den verrufenen
Wald zu uns hinaus; das ſoll die Probe ſein,
[119] ob Du Dir etwas aus uns machſt. Aber kom-
me mir nicht, wie ein Fraͤulein; wie eine Fi-
ſcherdirne komm’! — Da will ich denn thun,
wie er geſagt hat, denn von aller Welt bin ich
verlaßen, und will als ein armes Fiſcherkind
bei den aͤrmlichen Aeltern einſam leben und ſter-
ben. Vor dem Wald graut es mich freilich ſehr.
Es ſollen abſcheuliche Geſpenſter drinnen hauſen,
und ich bin ſo furchtſam. Aber was hilft’s? —
Hierher kam ich nur noch, um bei der edlen
Frau von Ringſtetten Verzeihung dafuͤr zu erfle-
hen, daß ich mich Geſtern ſo ungebuͤhrlich erzeigte.
Ich fuͤhle wohl, Ihr habt es gut gemeint, hol-
de Dame, aber Ihr wußtet nicht, wie Ihr mich
verletzen wuͤrdet, und da ſtroͤmte mir denn in
der Angſt und Ueberraſchung gar manch unſin-
nig verwegnes Wort uͤber die Lippen. Ach ver-
zeiht, verzeiht! Ich bin ja ſo ungluͤcklich ſchon.
Denkt nur ſelbſten, was ich noch Geſtern in
der Fruͤhe war, noch Geſtern zu Anfang Eures
Feſtes, und was nun Heut! —


Die Worte gingen ihr unter in einem
[120] ſchmerzlichen Thraͤnenſtrom, und gleichfalls bit-
terlich weinend fiel ihr Undine um den Hals.
Es dauerte lange, bis die tiefgeruͤhrte Frau ein
Wort hervorbringen konnte; dann aber ſagte
ſie: Du ſollſt ja mit uns nach Ringſtetten; es
ſoll ja Alles bleiben, wie es fruͤher abgeredet
war; nur nenne mich wieder Du, und nicht
mehr Dame und edle Frau. Sieh’, wir wur-
den als Kinder mit einander vertauſcht; da
ſchon verzweigte ſich unſer Geſchick, und wir
wollen es fuͤrder ſo innig verzweigen, daß es
keine menſchliche Gewalt zu trennen im Stand
ſein ſoll. Nur erſt mit uns nach Ringſtetten.
Wie wir als Schweſtern mit einander theilen
wollen, beſprechen wir dort. — Bertalda ſah
ſcheu nach Huldbrand empor. Ihn jammerte
des ſchoͤnen, bedraͤngten Maͤgdleins; er bot
ihr die Hand, und redete ihr koſend zu, ſich
ihm und ſeiner Gattin anzuvertrau’n. — Eu-
ern Aeltern, ſagte er, ſchicken wir Bothſchaft,
warum ihr nicht gekommen ſeid; — und noch
Manches wollte er wegen der guten Fiſchers-
[121] leute hinzuſetzen, aber er ſah, wie Bertalda bei
deren Erwaͤhnung ſchmerzhaft zuſammen fuhr,
und ließ alſo lieber das Reden davon ſein.
Aber unter den Arm faßte er ſie, hob ſie zuerſt
in den Wagen, Undinen ihr nach, und trabte
froͤhlich beiher, trieb auch den Fuhrmann ſo
wacker an, daß ſie das Gebiet der Reichsſtadt
und mit ihm alle truͤben Erinnrungen in kurzer
Zeit uͤberflogen hatten, und nun die Frauen
mit beſſrer Luſt durch die ſchoͤnen Gegenden
hinrollten, welche ihr Weg ſie entlaͤngſt fuͤhrte.


Nach einigen Tagereiſen kamen ſie eines
ſchoͤnen Abends auf Burg Ringſtetten an. Dem
jungen Rittersmann hatten ſeine Voͤgte und
Mannen viel zu berichten, ſo daß Undine mit
Bertalden allein blieb. Die Beiden ergingen
ſich auf dem hohen Wall der Veſte, und freuten
ſich an der anmuthigen Landſchaft, die ſich rings-
um durch das geſeegnete Schwaben ausbreitete.
Da trat ein langer Mann zu ihnen, der ſie
hoͤflich gruͤßte, und der Bertalden beinah vor-
kam, wie jener Brunnenmeiſter in der Reichs-
[122] ſtadt. Noch unverkennbarer ward ihr die Aehn-
lichkeit, als Undine ihm unwillig, ja drohend,
zuruͤck winkte, und er ſich mit eiligen Schritten
und ſchuͤttelndem Kopfe fortmachte, wie damals,
worauf er in einem nahen Gebuͤſche verſchwand.
Undine aber ſagte: fuͤrchte Dich nicht, liebes
Bertaldchen; diesmal ſoll Dir der haͤßliche Brun-
nenmeiſter nichts zu Leide thun. — Und da-
mit erzaͤhlte ſie ihr die ganze Geſchichte aus-
fuͤhrlich, und auch wer ſie ſelbſt ſei, und wie
Bertalda von den Fiſchersleuten weg, Undine
aber dahin gekommen war. Die Jungfrau ent-
ſetzte ſich anfaͤnglich vor dieſen Reden; ſie glaub-
te, ihre Freundinn ſei von einem ſchnellen Wahn-
ſinn befallen. Aber mehr und mehr uͤberzeugte
ſie ſich, daß Alles wahr ſei, an Undinens zuſam-
menhaͤngenden Worten, die zu den bisherigen
Begebenheiten ſo gut paßten, und noch mehr
an dem innern Gefuͤhl, mit welchem ſich die
Wahrheit uns kund zu geben nie ermangelt. Es
war ihr ſeltſam, daß ſie nun ſelbſt wie mitten
in einem von den Maͤhrchen lebe, die ſie ſonſt
[123] nur ’erzaͤhlen gehoͤrt. Sie ſtarrte Undinen mit
Ehrfurcht an, konnte ſich aber eines Schauders,
der zwiſchen ſie und ihre Freundinn trat, nicht
mehr erwehren, und mußte ſich beim Abend-
brodt ſehr daruͤber wundern, wie der Ritter ge-
gen ein Weſen ſo verliebt und freundlich that,
welches ihr ſeit den letzten Entdeckungen mehr
geſpenſtiſch als menſchlich vorkam.


[124]

Dreizehntes Kapitel.

Wie ſie auf Burg Ringſtetten lebten.


Der dieſe Geſchichte aufſchreibt, weil ſie ihm
das Herz bewegt, und weil er wuͤnſcht, daß ſie
auch Andern ein Gleiches thun moͤge, bittet
Dich, lieber Leſer, um eine Gunſt. Sieh’ es
ihm nach, wenn er jetzt uͤber einen ziemlich lan-
gen Zeitraum mit kurzen Worten hingeht, und
Dir nur im Allgemeinen ſagt, was ſich darin
begeben hat. Er weiß wohl, daß man es recht
kunſtgemaͤß und Schritt vor Schritt entwickeln
koͤnnte, wie Huldbrands Gemuͤth begann, ſich
von Undinen ab, und Bertalden zuzuwenden,
wie Bertalda dem jungen Mann mit gluͤhender
Liebe immer mehr entgegen kam, und er und ſie
die arme Ehefrau als ein fremdartiges Weſen
[125] mehr zu fuͤrchten als zu bemitleiden ſchienen,
wie Undine weinte, und ihre Thraͤnen Gewiſ-
ſensbiſſe in des Ritters Herzen anregten, ohne
jedoch die alte Liebe zu erwecken, ſo daß er ihr
wohl bisweilen freundlich that, aber ein kalter
Schauer ihn bald von ihr weg, und dem Men-
ſchenkinde Bertalda entgegen trieb; — man
koͤnnte dies Alles, weiß der Schreiber, ordent-
lich ausfuͤhren, vielleicht ſollte man’s auch. Aber
das Herz thut ihm dabei allzuweh, denn er hat
aͤhnliche Dinge erlebt, und ſcheut ſich in der
Erinnerung auch noch vor ihrem Schatten. Du
kennſt wahrſcheinlich ein aͤhnliches Gefuͤhl, lieber
Leſer, denn ſo iſt nun einmal der ſterblichen
Menſchen Geſchick. Wohl Dir, wenn Du da-
bei mehr empfangen, als ausgetheilt haſt, denn
hier iſt Nehmen ſeeliger als Geben. Dann
ſchleicht Dir nur ein geliebter Schmerz bei ſol-
chen Erwaͤhnungen durch die Seele, und viel-
leicht eine linde Thraͤne die Wange herab, um
Deine verwelkten Blumenbeete, deren Du Dich
ſo herzlich gefreut hatteſt. Damit ſei es aber
[126] auch genug; wir wollen uns nicht mit tauſend-
fach vereinzelten Stichen das Herz durchprikkeln,
ſondern nur kurz dabei bleiben, daß es nun ein-
mal ſo gekommen war, wie ich es vorhin ſagte.
Die arme Undine war ſehr betruͤbt, die andern
Beiden waren auch nicht eben vergnuͤgt; ſonder-
lich meinte Bertalda bei der geringſten Abwei-
chung von dem, was ſie wuͤnſchte, den eiferſuͤch-
tigen Druck der beleidigten Hausfrau zu ſpuͤren.
Sie hatte ſich deshalb ordentlich ein herriſches
Weſen angewoͤhnt, dem Undine in wehmuͤthiger
Entſagung nachgab, und das durch den verblen-
deten Huldbrand gewoͤhnlich auf’s entſchiedenſte
unterſtuͤtzt ward. — Was die Burggeſellſchaft
noch mehr verſtoͤrte, waren allerhand wunder-
liche Spukereien, die Huldbranden und Bertal-
den in den gewoͤlbten Gaͤngen des Schloſſes
begegneten, und von denen vorher ſeit Menſchen-
gedenken nichts gehoͤrt worden war. Der lange,
weiße Mann, in welchem Huldbrand den Oheim
Kuͤhleborn, Bertalda den geſpenſtiſchen Brun-
nenmeiſter nur allzuwohl erkannte, trat oftmals
[127] drohend vor Beide, vorzuͤglich aber vor Bertal-
den hin, ſo daß dieſe ſchon einigemal vor Schre-
cken krank darnieder gelegen hatte, und manch-
mal daran dachte, die Burg zu verlaßen. Theils
aber war ihr Huldbrand allzu lieb, und ſie
ſtuͤtzte ſich dabei auf ihre Unſchuld, weil es nie
zu einer eigentlichen Erklaͤrung unter ihnen ge-
kommen war; theils auch wußte ſie nicht, wo-
hin ſie ſonſt ihre Schritte richten ſolle. Der
alte Fiſcher hatte auf des Herrn von Ringſtet-
tens Bothſchaft, daß Bertalda bei ihm ſei, mit
einigen ſchwer zu leſenden Federzuͤgen, ſo wie
ſie ihm Alter und lange Entwoͤhnung verſtatte-
ten, geantwortet: ich bin nun ein armer alter
Wittwer worden, denn meine liebe treue Frau
iſt mir erſtorben. Wie ſehr ich aber auch allein
in der Huͤtten ſitzen mag, Bertalda iſt mir lie-
ber dort, als bei mir. Nur daß ſie meiner lie-
ben Undine nichts zu Leide thue! Sonſt haͤtte
ſie meinen Fluch. — Die letztern Worte ſchlug
Bertalda in den Wind, aber das wegen des
Wegbleibens von dem Vater behielt ſie gut, ſo
[128] wie wir Menſchen in aͤhnlichen Faͤllen es immer
zu machen pflegen.


Eines Tages war Huldbrand eben ausgerit-
ten, als Undine das Hausgeſinde verſammelte,
einen großen Stein herbei bringen hieß, und den
praͤchtigen Brunnen, der ſich in der Mitte des
Schloßhofes befand, ſorgfaͤltig damit zu bedecken
befahl. Die Leute wandten ein, ſie wuͤrden als-
dann das Waſſer weit unten aus dem Thale
heraufzuholen haben. Undine laͤchelte wehmuͤ-
thig. — Es thut mir leid um eure vermehrte
Arbeit, liebe Kinder, entgegnete ſie; ich moͤchte
lieber ſelbſt die Waſſerkruͤge heraufholen, aber
dieſer Brunnen muß nun einmal zu. Glaubt
es mir auf’s Wort, daß es nicht anders angeht,
und daß wir nur dadurch ein groͤßeres Unheil
zu vermeiden in Stande ſind. — Die ganze
Dienerſchaft freute ſich, ihrer ſanften Hausfrau
gefaͤllig ſein zu koͤnnen; man fragte nicht weiter,
ſondern ergriff den ungeheuern Stein. Dieſer
hob ſich unter ihren Haͤnden, und ſchwebte be-
reits uͤber dem Brunnen, da kam Bertalda ge-
laufen,
[129] laufen, und rief, man ſolle innehalten; aus die-
ſem Brunnen laſſe ſie das Waſchwaſſer holen,
welches ihrer Haut ſo vortheilhaft ſei, und ſie
werde nimmermehr zugeben, daß man ihn ver-
ſchlieſſe. Undine aber blieb diesmal, obgleich
auf gewohnte Weiſe ſanft, dennoch auf unge-
wohnte Weiſe, bei ihrer Meinung feſt; ſie ſagte,
als Hausfrau gebuͤhre ihr, alle Anordnungen
der Wirthſchaft nach beſter Ueberzeugung einzu-
richten, und Niemand habe ſie daruͤber Rechen-
ſchaft abzulegen, als ihrem Ehgemahl und
Herrn. — Seht, o ſeht doch, rief Bertalda
unwillig und aͤngſtlich, das arme, ſchoͤne Waſſer
kraͤuſelt ſich und windet ſich, weil es vor der
klaren Sonne verſteckt werden ſoll, und vor dem
erfreulichen Anblick der Menſchengeſichter, zu de-
ren Spiegel es erſchaffen iſt! — In der That
ziſchte und regte ſich die Fluth im Borne ganz
wunderlich; es war, als wolle ſich etwas daraus
hervorringen, aber Undine drang nur um ſo
ernſtlicher auf die Erfuͤllung ihrer Befehle. Es
brauchte dieſes Ernſtes kaum. Das Schloßgeſind’
J
[130] war eben ſo froh, ſeiner milden Herrin zu ge-
horchen, als Bertalda’s Trotz zu brechen, und
ſo ungeberdig dieſe auch ſchelten und drohen
mochte, lag dennoch in kurzer Zeit der Stein
uͤber der Oeffnung des Brunnens feſt. Undine
lehnte ſich ſinnend daruͤber hin, und ſchrieb mit
den ſchoͤnen Fingern auf der Flaͤche. Sie muß-
te aber wohl etwas ſehr Scharfes und Aetzen-
des dabei in der Hand gehabt haben, denn als
ſie ſich abwandte, und die Andern naͤher hinzu-
traten, nahmen ſie allerhand ſeltſame Zeichen
auf dem Steine wahr, die Keiner vorher an
demſelben geſehn haben wollte.


Den heimkehrenden Ritter empfing am Abend
Bertalda mit Thraͤnen und Klagen uͤber Undi-
nens Verfahren. Er warf ernſte Blicke auf
dieſe, und die arme Frau ſah betruͤbt vor ſich
nieder. Doch ſagte ſie mit großer Faſſung:
mein Herr und Ehgemahl ſchilt ja keinen Leib-
eignen, bevor er ihn hoͤrt, wie minder dann
ſein angetrautes Weib. — Sprich, was Dich
zu jener ſeltſamen That bewog; ſagte der Ritter
[131] mit finſterm Antlitz. — Ganz allein moͤcht’ ich
es Dir ſagen! ſeufzte Undine. — Du kannſt
es eben ſo gut in Bertaldas Gegenwart; entgeg-
nete er. — Ja, wenn Du es gebeutſt, ſagte
Undine; aber gebeut es nicht. O bitte, bitte,
gebeut es nicht. — Sie ſah ſo demuͤthig, hold
und gehorſam aus, daß des Ritters Herz ſich
einem Sonnenblick aus beſſern Zeiten erſchloß.
Er faßte ſie freundlich unter den Arm, und fuͤhr-
te ſie in ſein Gemach, wo ſie folgendermaaßen
zu ſprechen begann.


Du kennſt ja den boͤſen Oheim Kuͤhleborn,
mein geliebter Herr, und biſt ihm oͤfters unwil-
lig in den Gaͤngen dieſer Burg begegnet. Ber-
talden hat er gar bisweilen zum Krankwerden
erſchreckt. Das macht, er iſt ſeelenlos, ein blo-
ßer, elementariſcher Spiegel der Auſſenwelt, der
das Innere nicht wiederzuſtrahlen vermag. Da
ſieht er denn bisweilen, daß Du unzufrieden
mit mir biſt, daß ich in meinem kindiſchen Sin-
ne daruͤber weine, daß Bertalda vielleicht eben
in derſelben Stunde zufaͤllig lacht. Nun bildet
J 2
[132] er ſich allerhand Ungleiches ein, und miſcht ſich
auf vielfache Weiſe ungebeten in unſern Kreis.
Was hilft’s, daß ich ihn ausſchelte? Daß ich ihn
unfreundlich wegſchicke? Er glaubt mir nicht ein
Wort. Sein armes Leben hat keine Ahnung
davon, wie Liebesleiden und Liebesfreuden ein-
ander ſo anmuthig gleich ſehn, und ſo innig ver-
ſchwiſtert ſind, daß keine Gewalt ſie zu trennen
vermag. Unter der Thraͤne quillt das Laͤcheln
vor, das Laͤcheln lockt die Thraͤne aus ihren
Kammern.


Sie ſah laͤchelnd und weinend nach Huld-
brand in die Hoͤh’, der allen Zauber der alten
Liebe wieder in ſeinem Herzen empfand. Sie
fuͤhlte das, druͤckte ihn inniger an ſich, und fuhr
unter freudigen Thraͤnen alſo fort:


Da ſich der Friedenſtoͤrer nicht mit Wor-
ten weiſen ließ, mußte ich wohl die Thuͤr vor
ihm zuſperren. Und die einzige Thuͤr, die er
zu uns hat, iſt jener Brunnen. Mit den an-
dern Quellgeiſtern hier in der Gegend iſt er ent-
zweit, von dem naͤchſten Thaͤlern an, und erſt
[133] weiterhin auf der Donau, wenn einige ſeiner
guten Freunde hineingeſtroͤmt ſind, faͤngt ſein
Reich wieder an. Darum ließ ich den Stein
uͤber des Brunnens Oeffnung waͤlzen, und ſchrieb
Zeichen darauf, die alle Kraft des eifernden
Oheims laͤhmen, ſo daß er nun weder Dir,
noch mir, noch Bertalden, in den Weg kommen
ſoll. Menſchen freilich koͤnnen trotz der Zeichen
mit ganz gewoͤhnlichem Bemuͤhen den Stein
wieder abheben; die hindert es nicht. Willſt
Du alſo, ſo thu’ nach Bertalda’s Begehr, aber
wahrhaftig, ſie weiß nicht, was ſie bittet. Auf
ſie hat es der ungezogne Kuͤhleborn ganz vor-
zuͤglich angeſehn, und wenn Manches kaͤme,
was er mir prophezeien wollte, und was doch
wohl geſchehen koͤnnte, ohne daß Du es uͤbel
meinteſt, — ach Lieber, ſo waͤreſt ja auch Du
nicht außer Gefahr!


Huldbrand fuͤhlte tief im Herzen die Groß-
muth ſeiner holden Frau, wie ſie ihren furcht-
baren Beſchuͤtzer ſo emſig ausſperrte, und noch
dazu von Bertalden daruͤber geſcholten worden
[134] war. Er druͤckte ſie daher auf’s liebreichſte in
ſeine Arme, und ſagte geruͤhrt: der Stein bleibt
liegen, und Alles bleibt und ſoll immer bleiben,
wie Du es haben willſt, mein holdes Undin-
chen. — Sie ſchmeichelte ihm demuͤthig froh
uͤber die lang’ entbehrten Worte der Liebe, und
ſagte endlich: mein allerliebſter Freund, da Du
Heute ſo uͤberaus mild und guͤtig biſt, duͤrft’
ich es wohl wagen, Dir eine Bitte vorzutragen?
Sieh’ nur, es iſt mit Dir, wie mit dem Som-
mer. Eben in ſeiner beſten Herrlichkeit ſetzt ſich
der flammende und donnernde Kronen von ſchoͤ-
nen Gewittern auf, darin er als ein rechter
Koͤnig und Erdengott anzuſehen iſt. So ſchiltſt
auch Du bisweilen, und wetterleuchteſt mit
Zung’ und Augen, und das ſteht Dir ſehr gut,
wenn ich auch bisweilen in meiner Thorheit
daruͤber zu weinen anfange. Aber thu’ das nie
gegen mich, auf einem Waſſer, oder wo wir
auch nur einem Gewaͤſſer nahe ſind. Siehe,
dann bekaͤmen die Verwandten ein Recht uͤber
mich. Unerbittlich wuͤrden ſie mich von Dir rei-
[135] ßen in ihrem Grimm, weil ſie meinten, daß
eine ihres Geſchlechtes beleidigt ſei, und ich
muͤßte Lebenslang drunten in den Kryſtallpallaͤ-
ſten wohnen, und duͤrfte nie wieder zu Dir her-
auf, oder ſendeten ſie mich zu Dir herauf, o
Gott, dann waͤr’ es noch unendlich ſchlimmer.
Nein nein, Du ſuͤßer Freund, dahin laß’ es nicht
kommen, ſo lieb Dir die arme Undine iſt.


Er verhieß feierlich, zu thun, wie ſie begeh-
re, und die beiden Eheleute traten unendlich froh
und liebevoll wieder aus dem Gemach. Da kam
Bertalda mit einigen Werkleuten, die ſie unter-
deß ſchon hatte beſcheiden laßen, und ſagte mit
einer muͤrriſchen Art, die ſie ſich zeither ange-
nommen hatte: nun iſt doch wohl das geheime
Geſpraͤch zu Ende, und der Stein kann herab.
Geht nur hin, Ihr Leute, und richtet’s aus. —
Der Ritter aber, ihre Unart empoͤrt fuͤhlend,
ſagte in kurzen und ſehr ernſtlichen Worten, der
Stein bleibt liegen; auch verwies er Bertalden
ihre Heftigkeit gegen ſeine Frau, worauf die
Werkleute mit heimlich vergnuͤgtem Laͤcheln fort-
[136] gingen, Bertalda aber von der andern Seite
erbleichend nach ihren Zimmern eilte.


Die Stunde des Abendeſſens kam heran,
und Bertalda ließ ſich vergeblich erwarten. Man
ſchickte nach ihr; da fand der Kaͤmmerling ihre
Gemaͤcher leer, und brachte nur ein verſiegeltes
Blatt, an den Ritter uͤberſchrieben, mit zuruͤck.
Dieſer oͤffnete es beſtuͤrzt, und las.


Ich fuͤhle mit Beſchaͤmung, wie ich nur
eine arme Fiſchersdirne bin. Daß ich es auf
Augenblicke vergaß, will ich in der aͤrmlichen
Huͤtte meiner Aeltern buͤßen. Lebt wohl mit
Eurer ſchoͤnen Frau!


Undine war von Herzen betruͤbt. Sie bat
Huldbranden inbruͤnſtig, der entflohenen Freun-
dinn nachzueilen, und ſie wieder mit zuruͤck zu
bringen. Ach, ſie hatte nicht noͤthig zu treiben!
Seine Neigung fuͤr Bertalden brach wieder hef-
tig hervor. Er eilte im ganzen Schloß umher,
fragend, ob Niemand geſehn habe, welches We-
ges die ſchoͤne Fluͤchtige gegangen ſei. Er konn-
te nichts erfahren, und ſaß ſchon im Burghofe
[137] zu Pferde, entſchloſſen, auf’s Gerathewohl dem
Wege nachzureiten, den er Bertalden hierher
gefuͤhrt hatte. Da kam ein Schildbub, und
verſicherte, er ſei dem Fraͤulein auf dem Pfade
nach dem Schwarzthale begegnet. Wie ein
Pfeil ſprengte der Ritter durch das Thor, der
angewieſenen Richtung nach, ohne Undinens aͤngſt-
liche Stimme zu hoͤren, die ihm aus dem Fen-
ſter nachrief: nach dem Schwarzthal? O dahin
nicht! Huldbrand, dahin nicht! Oder um Got-
teswillen, nimm mich mit! — Als ſie aber
all’ ihr Rufen vergeblich ſah, ließ ſie eilig ihren
weißen Zelter ſatteln, und trabte dem Ritter
nach, ohne irgend eines Dieners Begleitung an-
nehmen zu wollen.


[138]

Vierzehntes Kapitel.

Wie Bertalda mit dem Ritter heimfuhr.


Das Schwarzthal liegt tief in die Berge hin-
ein. Wie es jetzo heißt, kann man nicht wiſſen.
Damals nannten es die Landleute ſo, wegen
der tiefen Dunkelheit, welche von hohen Baͤu-
men, worunter es vorzuͤglich viele Tannen gab,
in die Niederung herunter geſtreuet ward. Selbſt
der Bach, der zwiſchen den Klippen hinſtru-
delte, ſahe davon ganz ſchwarz aus, und gar
nicht ſo froͤhlich, wie es Gewaͤſſer wohl zu thun
pflegen, die den blauen Himmel unmittelbar
uͤber ſich haben. Nun, in der hereinbrechenden
Daͤmmerung, war es vollends ſehr wild und
finſter zwiſchen den Hoͤhen geworden. Der Rit-
ter trabte aͤngſtlich die Bachesufer entlaͤngſt; er
[139] fuͤrchtete bald, durch Verzoͤgerung die Fluͤchtige
zu weit voraus zu laſſen, bald wieder, in der
großen Eile ſie irgendwo, dafern ſie ſich vor ihm
verſtecken wolle, zu uͤberſehn. Er war indeß
ſchon ziemlich tief in das Thal hinein gekommen,
und konnte nun denken, das Maͤgdlein bald ein-
geholt zu haben, wenn er anders auf der rech-
ten Spur war. Die Ahnung, daß er das auch
wohl nicht ſein koͤnne, trieb ſein Herz zu immer
aͤngſtlicheren Schlaͤgen. Wo ſollte die zarte Ber-
talda bleiben, wenn er ſie nicht fand, in der
drohenden Wetternacht, die ſich immer furchtba-
rer uͤber das Thal herein bog? Da ſah er
endlich etwas Weißes am Hange des Berges
durch die Zweige ſchimmern. Er glaubte Ber-
taldas Gewand zu erkennen, und machte ſich
hinzu. Sein Roß aber wollte nicht hinan; es
baͤumte ſich ſo ungeſtuͤm, und er wollte ſo we-
nig Zeit verlieren, daß er — zumahl da ihm
wohl ohnehin zu Pferde das Geſtraͤuch allzuhin-
derlich geworden waͤre, — abſaß, und den ſchnau-
benden Hengſt an eine Ruͤſter band, worauf er
[140] ſich dann vorſichtig durch die Buͤſche hinarbei-
tete. Die Zweige ſchlugen ihm unfreundlich
Stirn und Wangen mit der kalten Naͤſſe des
Abendthau’s, ein ferner Donner murmelte jen-
ſeit der Berge hin, es ſah Alles ſo ſeltſam aus,
daß er anfing, eine Scheu vor der weißen Ge-
ſtalt zu empfinden, die nun ſchon unfern von ihm
am Boden lag. Doch konnte er ganz deutlich
unterſcheiden, daß es ein ſchlafendes oder ohn-
maͤchtiges Frauenzimmer in langen, weißen Ge-
waͤndern war, wie ſie Bertalda Heute getragen
hatte. Er trat dicht vor ſie hin, rauſchte an
den Zweigen, klirrte an ſeinem Schwerdte, —
ſie regte ſich nicht. — Bertalda! ſprach er; erſt
leiſe, dann immer lauter, — ſie hoͤrte nicht.
Als er zuletzt den theuern Namen mit gewalt-
ſamer Anſtrengung rief, hallte ein dumpfes Echo
aus den Berghoͤlen des Thales lallend zuruͤck:
Bertalda! — aber die Schlaͤferin blieb uner-
weckt. Er beugte ſich zu ihr nieder; die Dun-
kelheit des Thales und der einbrechenden Nacht
ließen keinen ihrer Geſichtszuͤge unterſcheiden.
[141] Als er ſich nun eben mit einigem gramvollen
Zweifel ganz nahe zu ihr an den Boden gedruͤckt
hatte, fuhr ein Blitz ſchnell erleuchtend uͤber
das Thal hin. Er ſah ein abſcheulich verzerr-
tes Antlitz dicht vor ſich, das mit dumpfer Stim-
me rief: gieb mir ’nen Kuß, Du verliebter
Schaͤfer! — Vor Entſetzen ſchreiend fuhr Huld-
brand in die Hoͤh’, die haͤßliche Geſtalt ihm
nach. — Zu Haus! murmelte ſie; die Unholde
ſind wach. Zu Haus! Sonſt hab’ ich Dich! —
Und es griff nach ihm mit langen weißen Ar-
men. — Tuͤckiſcher Kuͤhleborn, rief der Ritter
ſich ermannend, was gilt’s, Du biſt es, Du
Kobold! Da haſt Du ’nen Kuß! — Und
wuͤthend hieb er mit dem Schwerdte gegen die
Geſtalt. Aber die zerſtob, und ein durchnaͤſſen-
der Waſſerguß ließ dem Ritter keinen Zweifel
daruͤber, mit welchem Feind er geſtritten habe.


Er will mich zuruͤckſchrecken von Bertalden,
ſagte er laut zu ſich ſelbſt; er denkt, ich ſoll
mich vor ſeinen albernen Spukereien fuͤrchten,
und ihm das arme, geaͤngſtete Maͤdchen hinge-
[142] ben, damit er ſie ſeine Rache koͤnne fuͤhlen la-
ßen. Das ſoll er doch nicht, der ſchwaͤchliche
Elementargeiſt. Was eine Menſchenbruſt ver-
mag, wenn ſie ſo recht will, ſo recht aus ihrem
beſten Leben will, das verſteht der ohnmaͤchtige
Gaukler nicht. — Er fuͤhlte die Wahrheit ſei-
ner Worte, und daß er ſich ſelbſt dadurch einen
ganz erneuten Muth in das Herz geſprochen
habe. Auch ſchien es, als trete das Gluͤck mit
ihm in Bunde, denn noch war er nicht wieder
bei ſeinem angebundenen Roſſe, da hoͤrte er
ſchon ganz deutlich Bertaldens klagende Stim-
me, wie ſie unfern von ihm durch das immer
lauter werdende Geraͤuſch des Donners und
Sturmwindes heruͤber weinte. Befluͤgelten Fu-
ßes eilt’ er dem Schalle nach, und fand die er-
bebende Jungfrau, wie ſie eben die Hoͤhe hinan
zu klimmen verſuchte, um ſich auf alle Weiſe
aus dem ſchaurigen Dunkel dieſes Thales zu
retten. Er aber trat ihr liebkoſend in den Weg,
und ſo kuͤhn und ſtolz auch fruͤher ihr Entſchluß
mochte geweſen ſein, empfand ſie doch jetzt nur
[143] allzulebendig das Gluͤck, daß ihr im Herzen ge-
liebter Freund ſie aus der furchtbaren Einſam-
keit erloͤſe, und das helle Leben in der befreunde-
ten Burg ſo anmuthige Arme nach ihr aus-
ſtrecke. Sie folgte faſt ohne Widerſpruch, aber
ſo ermattet, daß der Ritter froh war, ſie bis
zu ſeinem Roſſe geleitet zu haben, welches er
nun eilig losknuͤpfte, um die ſchoͤne Wandrerin
hinaufzuheben, und es alsdann am Zuͤgel ſich
durch die ungewiſſen Schatten der Thalgegend
vorſichtig nachzuleiten.


Aber das Pferd war ganz verwildert durch
Kuͤhleborns tolle Erſcheinung. Selbſt der Rit-
ter wuͤrde Muͤhe gebraucht haben, auf des baͤu-
menden, wildſchnaubenden, Thieres Ruͤcken zu
ſpringen; die zitternde Bertalda hinaufzuheben,
war eine volle Unmoͤglichkeit. Man beſchloß
alſo, zu Fuße heimzukehren. Das Roß am Zuͤ-
gel nachzerrend, unterſtuͤtzte der Ritter mit der
andern Hand das ſchwankende Maͤgdlein. Ber-
talda machte ſich ſo ſtark, als moͤglich, um den
furchtbaren Thalgrund ſchnell zu durchwandeln,
[144] aber wie Blei zog die Muͤdigkeit ſie herab, und
zugleich bebten ihr alle Glieder zuſammen, theils
noch von mancher uͤberſtandnen Angſt, womit
Kuͤhleborn ſie vorwaͤrts gehetzt hatte, theils auch
in der fortdauernden Bangigkeit vor dem Ge-
heul’ des Sturmes und Donners durch die
Waldung des Gebirgs.


Endlich entglitt ſie dem ſtuͤtzenden Arm ih-
res Fuͤhrers, und auf das Moos hingeſunken,
ſagte ſie: laßt mich nur hier liegen, edler Herr.
Ich buͤße meiner Thorheit Schuld, und muß
nun doch auf alle Weiſe hier verkommen vor
Mattigkeit und Angſt. — Nimmermehr, holde
Freundinn, verlaß’ ich Euch! rief Huldbrand,
vergeblich bemuͤht, den brauſenden Hengſt an
ſeiner Hand zu baͤndigen, der aͤrger, als vorhin,
zu toſen und zu ſchaͤumen begann; der Ritter
war endlich nur froh, daß er ihn vor der hin-
geſunknen Jungfrau fern genug hielt, um ſie
nicht durch die Furcht vor ihm noch mehr zu
erſchrecken. Wie er ſich aber mit dem tollen
Pferde nur kaum einige Schritte entfernte, be-
gann
[145] gann ſie auch gleich, ihm auf das allerjaͤmmer-
lichſte nachzurufen, des Glaubens, er wolle ſie
wirklich hier in der entſetzlichen Wildniß verla-
ßen. Er wußte gar nicht mehr, was er begin-
nen ſollte. Gern haͤtte er dem wuͤthenden Thiere
volle Freiheit gegeben, durch die Nacht hinzu-
ſtuͤrmen, und ſeine Raſerei auszutoben, haͤtte er
nur nicht fuͤrchten muͤſſen, es wuͤrde in dieſem
engen Paß mit ſeinen beerzten Hufen eben uͤber
die Stelle hindonnern, wo Bertalda lag.


Waͤhrend dieſer großen Noth und Verlegen-
heit, war es ihm unendlich troſtreich, daß er
einen Wagen langſam den ſteinigen Weg hinter
ſich herabfahren hoͤrte. Er rief um Beiſtand;
eine maͤnnliche Stimme antwortete, verwies ihn
zur Geduld, aber verſprach, zu helfen, und bald
darauf leuchteten ſchon zwei Schimmel durch
das Gebuͤſch, der weiße Kaͤrrnerkittel ihres Fuͤh-
rers neben her, worauf ſich denn auch die große,
weiße Leinewand ſehen ließ, mit welcher die
Waaren, die er bei ſich fuͤhren mochte, uͤberdeckt
waren. Auf ein lautes Brr! aus dem Munde
K
[146] ihres Herrn ſtanden die gehorſamen Schimmel.
Er kam gegen den Ritter heran, und half ihm,
das ſchaͤumende Thier baͤndigen. — Ich merke
wohl, ſagte er dabei, was der Beſtie fehlt. Als
ich zuerſt durch dieſe Gegend zog, ging es mei-
nen Pferden nicht beſſer. Das macht, hier
wohnt ein boͤſer Waſſernix, der an ſolchen Nek-
kereien Luſt hat. Aber ich hab’ ein Spruͤchlein
gelernt; wenn Ihr mir vergoͤnnen wolltet, dem
Roſſe das in’s Ohr zu ſagen, ſo ſollt’ es gleich
ſo ruhig ſtehn, wie meine Schimmel da. —
Verſucht Eu’r Heil, und helft nur bald! ſchrie
der ungeduldige Ritter. Da bog der Fuhrmann
den Kopf des baͤumenden Pferdes zu ſich herun-
ter, und ſagte ihm einige Worte in’s Ohr.
Augenblicklich ſtand der Hengſt gezaͤhmt und
friedlich ſtill, und nur ſein erhitztes Keuchen und
Dampfen zeugte noch von der vorherigen Un-
baͤndigkeit. Es war nicht viel Zeit fuͤr Huld-
branden, lange zu fragen, wie dies zugegangen
ſei. Er ward mit dem Kaͤrrner einig, daß er
Bertalden auf den Wagen nehmen ſolle, wo,
[147] ſeiner Ausſage nach, die weichſte Baumwolle in
Ballen lag, und ſo moͤge er ſie bis nach Burg
Ringſtetten fuͤhren; der Ritter wolle den Zug
zu Pferde begleiten. Aber das Roß ſchien von
ſeinem vorigen Toben zu erſchoͤpft, um noch ſei-
nen Herrn ſo weit zu tragen, weshalb dieſem
der Kaͤrrner zuredete, mit Bertalden in den
Wagen zu ſteigen. Das Pferd koͤnne man ja
hinten anbinden. — Es geht Bergunter, ſagte
er, und da wird’s meinen Schimmeln leicht. —
Der Ritter nahm dies Erbieten an, er beſtieg
mit Bertalden den Wagen, der Hengſt folgte
geduldig nach, und ruͤſtig und achtſam ſchritt der
Fuhrmann beiher.


In der Stille der tiefer dunkelnden Nacht,
aus der das Gewitter immer ferner und ſchweig-
ſamer abdonnerte, in dem behaglichen Gefuͤhl
der Sicherheit und des bequemen Fortkommens,
entſpann ſich zwiſchen Huldbrand und Bertalda
ein trauliches Geſpraͤch. Mit ſchmeichelnden
Worten ſchalt er ſie um ihr trotziges Fluͤchten;
mit Demuth und Ruͤhrung entſchuldigte ſie ſich,
K 2
[148] und aus Allem, was ſie ſprach, leuchtete es her-
vor, gleich einer Lampe, die dem Geliebten zwi-
ſchen Nacht und Geheimniß kund giebt, die Ge-
liebte harre noch ſein. Der Ritter fuͤhlte den
Sinn dieſer Reden weit mehr, als daß er auf
die Bedeutung der Worte Acht gegeben haͤtte,
und antwortete auch einzig auf jenen. Da rief
der Fuhrmann ploͤtzlich mit kreiſchender Stimme:
hoch, Ihr Schimmel! Hoch den Fuß! Nehmt
Euch zuſammen, Schimmel! Denkt huͤbſch, was
Ihr ſeid! — Der Ritter beugte ſich aus dem
Wagen, und ſah, wie die Pferde mitten im
ſchaͤumenden Waſſer dahin ſchritten, oder faſt
ſchon ſchwammen, des Wagens Raͤder wie Muͤh-
lenraͤder blinkten und rauſchten, der Kaͤrrner vor
der wachſenden Fluth auf das Fuhrwerk geſtie-
gen war. — Was ſoll das fuͤr ein Weg ſein?
Der geht ja mitten in den Strom! rief Huld-
brand ſeinem Fuͤhrer zu. — Nein, Herr, lachte
dieſer zuruͤck; es iſt grad’ umgekehrt. Der
Strom geht mitten in unſern Weg. Seht Euch
nur um, wie Alles uͤbergetreten iſt.


[149]

In der That wogte und rauſchte der ganze
Thalgrund von ploͤtzlich empoͤrten, ſichtbar ſtei
genden, Wellen. Das iſt der Kuͤhleborn, der
boͤſe Waſſernix, der uns erſaͤufen will! rief der
Ritter. Weißt Du kein Spruͤchlein wider ihn,
Geſell? — Ich wuͤßte wohl Eins, ſagte der
Fuhrmann, aber ich kann und mag es nicht
eher brauchen, als bis Ihr wißt, wer Ich bin. —
Iſt es hier Zeit zu Raͤthſeln? ſchrie der Ritter.
Die Fluth ſteigt immer hoͤher, und was geht
es mich an, zu wiſſen, wer Du biſt? — Es
geht Euch aber doch was an, ſagte der Fuhr-
mann, denn ich bin Kuͤhleborn. Damit lachte er,
verzerrten Antlitzes, zum Wagen herein, aber
der Wagen blieb nicht Wagen mehr, die Schim-
mel nicht Schimmel; Alles verſchaͤumte, ver-
rann in ziſchenden Wogen, und ſelbſt der Fuhr-
mann baͤumte ſich als eine rieſige Welle empor,
riß den vergeblich arbeitenden Hengſt unter die
Gewaͤſſer hinab, und wuchs dann wieder, und
wuchs uͤber den Haͤuptern des ſchwimmenden
Paares, [wie] zu einem feuchten Thurme an,
und wollte ſie eben rettungslos begraben. —


[150]

Da ſcholl Undinens anmuthige Stimme
durch das Getoͤſe hin, der Mond trat aus den
Wolken, und mit ihm ward Undine auf den
Hoͤhen des Thalgrundes ſichtbar. Sie ſchalt,
ſie drohte in die Fluthen hinab, die drohende
Thurmeswoge verſchwand murrend und mur-
melnd, leiſe rannen die Waſſer im Mondglanze
dahin, und wie eine weiße Taube ſah man Un-
dinen von der Hoͤhe hinab tauchen, den Ritter
und Bertalden erfaſſen, und mit ſich nach einem
friſchen, gruͤnen Raſenfleck auf der Hoͤhe empor
heben, wo ſie mit ausgeſuchten Labungen Ohn-
macht und Schrecken vertrieb; dann half ſie
Bertalden zu dem weißen Zelter, der ſie ſelbſt
hergetragen hatte, hinaufheben, und ſo gelangten
alle Dreie nach Burg Ringſtetten zuruͤck.


[151]

Funfzehntes Kapitel.

Die Reiſe nach Wien.


Es lebte ſich ſeit der letztern Begebenheit ſtill
und ruhig auf dem Schloß. Der Ritter er-
kannte mehr und mehr ſeiner Frauen himmliſche
Guͤte, die ſich durch ihr Nacheilen und Retten
im Schwarzthale, wo Kuͤhleborns Gewalt wie-
der anging, ſo herrlich offenbart hatte; Undine
ſelbſt empfand den Frieden und die Sicherheit,
deren ein Gemuͤth nie ermangelt, ſo lange es
mit Beſonnenheit fuͤhlt, daß es auf dem rechten
Wege ſei, und zudem gingen ihr in der neu er-
wachenden Liebe und Achtung ihres Ehemannes
vielfache Schimmer der Hoffnung und Freude
auf. Bertalda hingegen zeigte ſich dankbar, de-
muͤthig und ſcheu, ohne daß ſie wieder dieſe
[152] Aeuſſerungen als etwas Verdienſtliches ange-
ſchlagen haͤtte. So oft ihr Eines der Eheleute
uͤber die Verdeckung des Brunnens, oder uͤber
die Abentheuer im Schwarzthale, irgend etwas
Erklaͤrendes ſagen wollte, bat ſie inbruͤnſtig,
man moͤge ſie damit verſchonen, weil ſie wegen
des Brunnens allzuviele Beſchaͤmung, und we-
gen des Schwarzthales, allzuviele Schrecken emp-
finde. Sie erfuhr daher auch von Beiden wei-
ter nichts; und wozu ſchien es auch noͤthig zu
ſein? Der Friede und die Freude hatten ja
ihren ſichtbaren Wohnſitz in Burg Ringſtetten
genommen. Man ward daruͤber ganz ſicher,
und meinte, nun koͤnne das Leben gar nichts
mehr tragen, als anmuthige Blumen und
Fruͤchte.


In ſo erlabenden Verhaͤltniſſen war der
Winter gekommen und voruͤber gegangen, und
der Fruͤhling ſah mit ſeinen hellgruͤnen Sproßen
und ſeinem lichtblauen Himmel zu den froͤhlichen
Menſchen herein. Ihm war zu Muth, wie
ihnen, und ihnen, wie ihm. Was Wunder,
[153] daß ſeine Stoͤrche und Schwalben auch in ihnen
die Reiſeluſt anregten! Waͤhrend ſie einmal
nach den Donauquellen hinab luſtwandelten,
erzaͤhlte Huldbrand von der Herrlichkeit des ed-
len Stromes, und wie er wachſend durch geſeeg-
nete Laͤnder flieſſe, wie das koͤſtliche Wien an
ſeinen Ufern emporglaͤnze, und er uͤberhaupt mit
jedem Schritte ſeiner Fahrt an Macht und
Lieblichkeit gewinne. — Es muͤßte herrlich ſein,
ihn ſo bis Wien einmal hinabzufahren! brach
Bertalda aus, aber gleich darauf in ihre jetzige
Demuth und Beſcheidenheit zuruͤckgeſunken, ſchwieg
ſie erroͤthend ſtill. Eben dies ruͤhrte Undinen
ſehr, und im lebhafteſten Wunſch, der lieben
Freundin eine Luſt zu machen, ſagte ſie: wer
hindert uns denn, die Reiſe anzutreten? —
Bertalda huͤpfte vor Freuden in die Hoͤhe, und
die beiden Frauen begannen ſogleich, ſich die
anmuthige Donaufahrt mit den allerhellſten Far-
ben vor die Sinne zu rufen. Auch Huldbrand
ſtimmte froͤhlich darin ein; nur ſagte er einmal
beſorgt Undinen in’s Ohr: aber weiterhin iſt
[154] Kuͤhleborn wieder gewaltig? — Laß’ ihn nur
kommen, entgegnete ſie lachend; ich bin ja da-
bei, und vor mir wagt er ſich mit keinem Un-
heil hervor. — Damit war das letzte Hinder-
niß gehoben, man ruͤſtete ſich zur Fahrt, und
trat ſie alsbald mit friſchem Muth und den
heiterſten Hoffnungen an.


Wundert Euch aber nur nicht, Ihr Men-
ſchen, wenn es dann immer ganz anders kommt,
als man gemeint hat. Die tuͤckiſche Macht,
die lauert, uns zu verderben, ſingt ihr auser-
kornes Opfer gern mit ſuͤßen Liedern und gold-
nen Maͤhrchen in den Schlaf. Dagegen pocht
der rettende Himmelsbote oftmals ſcharf und
erſchreckend an unſre Thuͤr.


Sie waren die erſten Tage ihrer Donau-
fahrt hindurch außerordentlich vergnuͤgt gewe-
ſen. Es ward auch Alles immer beſſer und
ſchoͤner, ſo wie ſie den ſtolzer fluthenden Strom
weiter hinunterſchifften. Aber in einer ſonſt
hoͤchſt anmuthigen Gegend, von deren erfreuli-
chem Anblick ſie ſich die beſte Freude verſprochen
[155] hatten, ſing der ungebaͤndigte Kuͤhleborn ganz
unverholen an, ſeine hier eingreifende Macht
zu zeigen. Es blieben zwar blos Neckereien,
weil Undine oftmals in die empoͤrten Wellen
oder in die hemmenden Winde hineinſchalt, und
ſich dann die Gewalt des Feindſeeligen augen-
blicklich in Demuth ergab; aber wieder kamen
die Angriffe, und wieder brauchte es der Mah-
nung Undinens, ſo daß die Luſtigkeit der kleinen
Reiſegeſellſchaft eine gaͤnzliche Stoͤrung erlitt.
Dabei ziſchelten ſich noch immer die Faͤhrleute
zagend in die Ohren, und ſahen mistrauiſch
auf die drei Herrſchaften, deren Diener ſelbſten
mehr und mehr etwas Unheimliches zu ahnen
begannen, und ihre Gebieter mit ſeltſamen
Blicken verfolgten. Huldbrand ſagte oͤfters bei
ſich im ſtillen Gemuͤthe: das kommt davon,
wenn Gleich ſich nicht zu Gleich geſellt, wenn
Menſch und Meerfraͤulein ein wunderliches
Buͤndniß ſchließen. — Sich entſchuldigend, wie
wir es denn [uͤberhaupt] lieben, dachte er freilich
oftmals dabei: ich hab’ es ja nicht gewußt, daß
[156] ſie ein Meerfraͤulein war. Mein iſt das Un-
heil, das jeden meiner Schritte durch der tollen
Verwandtſchaft Grillen bannt und ſtoͤrt, aber
mein iſt nicht die Schuld. — Durch ſolcherlei
Gedanken fuͤhlte er ſich einigermaaßen geſtaͤrkt,
aber dagegen ward er immer verdrießlicher, ja
feindſeeliger, wider Undinen geſtimmt. Er ſah
ſie ſchon mit muͤrriſchen Blicken an, und die
arme Frau verſtand deren Bedeutung wohl.
Dadurch, und durch die beſtaͤndige Anſtrengung
wider Kuͤhleborns Liſten erſchoͤpft, ſank ſie ge-
gen Abend, von der ſanftgleitenden Barke ange-
nehm gewiegt, in einen tiefen Schlaf.


Kaum aber, daß ſie die Augen geſchloſſen
hatte, ſo waͤhnte Jedermann im Schiffe, nach
der Seite, wo er grade hinausſah, ein ganz
abſcheuliches Menſchenhaupt zu erblicken, das
ſich aus den Wellen emporhob, nicht wie das
eines Schwimmenden, ſondern ganz ſenkrecht,
wie auf den Waſſerſpiegel grade eingepfaͤhlt,
aber mitſchwimmend, ſo wie die Barke ſchwamm.
Jeder wollte dem Andern zeigen, was ihn
[157] erſchreckte, und Jeder fand zwar auf des An-
dern Geſicht das gleiche Entſetzen, Hand und
Auge aber nach einer andern Richtung hinzei-
gend, als wo ihm ſelbſt das halb lachende, halb
draͤuende, Scheuſal vor Augen ſtand. Wie ſie
ſich nun aber einander daruͤber verſtaͤndigen
wollten, und Alles rief: ſieh dorthin, nein dort-
hin! — da wurden Jedwedem die Graͤuel-
bilder Aller ſichtbar, und die ganze Fluth um
das Schiff her wimmelte von den entſetzlichſten
Geſtalten. Von dem Geſchrei, das ſich daruͤ-
ber erhob, erwachte Undine. Vor ihren aufge-
henden Augenlichtern verſchwand der mißgeſchaff-
nen Geſichter tolle Schaar. Aber Huldbrand
war empoͤrt uͤber ſo viele haͤßliche Gaukeleien.
Er waͤre in wilde Verwuͤnſchungen ausgebrochen,
nur daß Undine mit den demuͤthigſten Blicken,
und ganz leiſe bittend, ſagte: um Gott, mein
Eheherr, wir ſind auf den Fluthen; zuͤrne jetzt
nicht auf mich. — Der Ritter ſchwieg, ſetz-
te ſich, und verſank in ein tiefes Nachdenken.
Undine ſagte ihm in’s Ohr: waͤr’ es nicht beſſer,
[158] mein Liebling, wir ließen die thoͤrichte Reiſe,
und kehrten nach Burg Ringſtetten in Frieden
zuruͤck? — Aber Huldbrand murmelte feind-
ſeelig: alſo ein Gefangner ſoll ich ſein auf mei-
ner eignen Burg? Und athmen nur koͤnnen,
ſo lange der Brunnen zu iſt? So wollt’ ich,
daß die tolle Verwandtſchaft. — Da druͤckte
Undine ſchmeichelnd ihre ſchoͤne Hand auf ſeine
Lippen. Er ſchwieg auch, und hielt ſich ſtill, ſo
Manches, was ihm Undine fruͤher geſagt hatte,
erwaͤgend.


Indeſſen hatte Bertalda ſich allerhand ſelt-
ſam umſchweifenden Gedanken uͤberlaſſen. Sie
wußte Vieles von Undinens Herkommen und
doch nicht Alles, und vorzuͤglich war ihr der
furchtbare Kuͤhleborn ein ſchreckliches, aber noch
immer ganz dunkles, Raͤthſel geblieben; ſo daß
ſie nicht einmal ſeinen Namen ja vernommen
hatte. Ueber alle dieſe wunderlichen Dinge nach-
ſinnend, knuͤpfte ſie, ohne ſich deſſen recht bewußt
zu werden, ein goldnes Halsband los, welches
ihr Huldbrand auf einer der letzten Tagereiſen
[159] von einem herumziehenden Handelsmann gekauft
hatte, und ließ es dicht uͤber der Oberflaͤche des
Flußes ſpielen, ſich halb traͤumend an dem lich-
ten Schimmer ergoͤtzend, den es in die abend-
hellen Gewaͤſſer warf. Da griff ploͤtzlich eine
große Hand aus der Donau herauf, erfaßte das
Halsband, und fuhr damit unter die Fluthen.
Bertalda ſchrie laut auf, und ein hoͤhniſches
Gelaͤchter ſchallte aus den Tiefen des Stromes
drein. Nun hielt ſich des Ritters Zorn nicht
laͤnger. Aufſpringend ſchalt er in die Gewaͤſſer
hinein, verwuͤnſchte Alle, die ſich in ſeine Ver-
wandtſchaft und ſein Leben draͤngen wollten,
und forderte ſie auf, Nix oder Syrene, ſich vor
ſein blankes Schwerdt zu ſtellen. Bertalda
weinte indeß um den verlornen, ihr ſo innig
lieben, Schmuck, und goß mit ihren Thraͤnen
Oel in des Ritters Zorn, waͤhrend Undine ihre
Hand uͤber den Schiffesbord in die Wellen ge-
taucht hielt, in einem fort ſacht vor ſich hin
murmelnd, und nur manchmal ihr ſeltſam heim-
liches Gefluͤſter unterbrechend, indem ſie bittend
[160] zu ihrem Ehherrn ſprach: mein Herzlichlieber,
hier ſchilt mich nicht. Schilt Alles, was Du
willſt, aber hier mich nicht. Du weißt ja! —
Und wirklich enthielt ſich ſeine vor Zorn ſtam-
melnde Zunge noch jedes Wortes unmittelbar
wider ſie. Da brachte ſie mit der feuchten
Hand, die ſie unter den Wogen gehalten hatte,
ein wunderſchoͤnes Korallenhalsband hervor, ſo
herrlich blitzend, daß Allen davon die Augen
faſt geblendet wurden. Nimm hin, ſagte ſie,
es Bertalden freundlich hinhaltend; das hab’
ich Dir zum Erſatz bringen laſſen, und ſei nicht
weiter betruͤbt, Du armes Kind. — Aber der
Ritter ſprang dazwiſchen. Er riß den ſchoͤnen
Schmuck Undinen aus der Hand, ſchleuderte
ihn wieder in den Fluß, und ſchrie wuthent-
brannt: ſo haſt Du denn immer Verbindung
mit ihnen? Bleib bei ihnen in aller Hexen
Namen mit all’ Deinen Geſchenken, und laß’
uns Menſchen zufrieden, Gauklerin Du! —
Starren aber thraͤnenſtroͤmenden Blickes ſah ihn
die
[161] die arme Undine an, noch immer die Hand
ausgeſtreckt, mit welcher ſie Bertalden ihr huͤb-
ſches Geſchenk ſo freundlich hatte hinreichen
wollen. Dann fing ſie immer herzlicher an,
zu weinen, wie ein recht unverſchuldet und recht
bitterlich gekraͤnktes liebes Kind. Endlich ſagte
ſie ganz matt: ach, holder Freund, ach lebe
wohl! Sie ſollen Dir nichts thun; nur bleibe
treu, daß ich ſie Dir abwehren kann. Ach,
aber fort muß ich, muß fort auf dieſe ganze
junge Lebenszeit. O weh, o weh, was haſt Du
angerichtet! O weh, o weh!


Und uͤber den Rand der Barke ſchwand
ſie hinaus. — Stieg ſie hinuͤber in die Fluth,
verſtroͤmte ſie darin, man wußt’ es nicht; es
war wie Beides und wie Keins. Bald aber
war ſie in die Donau ganz verronnen; nur
fluͤſterten noch kleine Wellchen ſchluchzend um
den Kahn, und faſt vernehmlich war’s, als
ſpraͤchen ſie: o weh, o weh! Ach bleibe treu!
O weh! —


L
[162]

Huldbrand aber lag in heißen Thraͤnen
auf dem Verdecke des Schiffes, und eine tiefe
Ohnmacht huͤllte den Ungluͤcklichen bald in ihre
mildernden Schleier ein.


[163]

Sechzehntes Kapitel.

Von Huldbrands fuͤrderm Ergehn.


Soll man ſagen, leider! oder zum Gluͤck! daß
es mit unſrer Trauer keinen rechten Beſtand
hat? Ich meine, mit unſrer ſo recht tiefen und
aus dem Borne des Lebens ſchoͤpfenden Trauer,
die mit dem verlornen Geliebten ſo Eines wird,
daß er ihr nicht mehr verloren iſt, und ſie ein
geweihtes Prieſterthum an ſeinem Bilde durch
das ganze Leben durchfuͤhren will, bis die Schranke,
die ihm gefallen iſt, auch uns zerfaͤllt! Freilich
bleiben wohl gute Menſchen wirklich ſolche Prie-
ſter, aber es iſt doch nicht die erſte, rechte Trau-
er mehr. Andre, fremdartige Bilder haben ſich
dazwiſchen gedraͤngt, wir erfahren endlich die
Vergaͤnglichkeit aller irdiſchen Dinge ſogar an
L 2
[164] unſerm Schmerz, und ſo muß ich denn ſagen:
leider, daß es mit unſrer Trauer keinen rechten
Beſtand hat!


Der Herr von Ringſtetten erfuhr das auch;
ob zu ſeinem Heile, werden wir im Verfolg
dieſer Geſchichte hoͤren. Anfaͤnglich konnte er
nichts, als immer recht bitterlich weinen, wie die
arme, freundliche Undine geweint hatte, als er
ihr den blanken Schmuck aus der Hand riß,
mit dem ſie Alles ſo ſchoͤn und gut machen
wollte. Und dann ſtreckte er die Hand aus,
wie ſie es gethan hatte, und weinte immer wie-
der von neuem, wie ſie. Er hegte die heim-
liche Hoffnung, endlich auch ganz in Thraͤnen
zu verrinnen, und iſt nicht ſelbſt Manchem von
uns Andern in großem Leide der aͤhnliche Ge-
danke mit ſchmerzender Luſt durch den Sinn
gezogen? Bertalda weinte mit, und ſie lebten
lange ganz ſtill bei einander auf Burg Ring-
ſtetten, Undinens Andenken feiernd, und der
ehemaligen Neigung faſt gaͤnzlich vergeſſen ha-
bend. Dafuͤr kam auch um dieſe Zeit oftmals
[165] die gute Undine zu Huldbrands Traͤumen; ſie
ſtreichelte ihn ſanft und freundlich, und ging
dann ſtillweinend wieder fort, ſo daß er im Er-
wachen oftmals nicht recht wußte, wovon ſeine
Wangen ſo naß waren: kam es von ihren
oder blos von ſeinen Thraͤnen?


Die Traumgeſichte wurden aber mit der
Zeit ſeltner, der Gram des Ritters matter, und
dennoch haͤtte er vielleicht nie in ſeinem Leben
einen andern Wunſch gehegt, als ſo ſtille fort
Undinens zu gedenken, und von ihr zu ſprechen,
waͤre nicht der alte Fiſcher unvermuthet auf dem
Schloß erſchienen, und haͤtte Bertalden nun
alles Ernſtes als ſein Kind zuruͤcke geheiſcht.
Undinens Verſchwinden war ihm kund gewor-
den, und er wollte es nicht laͤnger zugeben, daß
Bertalda bei dem unverehlichten Herrn auf der
Burg verweile. — Denn, ob meine Tochter
mich lieb hat, oder nicht, ſprach er, will ich jetzt
gar nicht wiſſen, aber die Ehrbarkeit iſt im
Spiel, und wo die ſpricht, hat nichts Andres
mehr mit zu reden.


[166]

Dieſe Geſinnung des alten Fiſchers, und
die Einſamkeit, die den Ritter aus allen Saͤlen
und Gaͤngen der veroͤdeten Burg ſchauerlich
nach Bertaldens Abreiſe zu erfaſſen drohte,
brachten zum Ausbruch, was fruͤher entſchlum-
mert und in dem Gram uͤber Undinen ganz ver-
geſſen war: die Neigung Huldbrands fuͤr die
ſchoͤne Bertalda. Der Fiſcher hatte vieles gegen
die vorgeſchlagne Heirath einzuwenden. Undine
war dem alten Manne ſehr lieb geweſen, und
er meinte, man wiſſe ja noch kaum, ob die
liebe Verſchwundne recht eigentlich todt ſei.
Liege aber ihr Leichnam wirklich ſtarr und kalt
auf dem Grunde der Donau, oder treibe mit
den Fluthen in’s Weltmeer hinaus, ſo habe
Bertalda an ihrem Tode mit Schuld, und nicht
gezieme es ihr, an den Platz der armen Ver-
draͤngten zu treten. Aber auch den Ritter hatte
der Fiſcher ſehr lieb; die Bitten der Tochter,
die um vieles ſanfter und ergebner geworden
war, wie auch ihre Thraͤnen um Undinen kamen
dazu, und er mußte wohl endlich ſeine Einwilli-
[167] gung gegeben haben, denn er blieb ohne Wider-
rede auf der Burg, und ein Eilbote ward abge-
ſandt, den Pater Heilmann, der in fruͤhern
gluͤcklichen Tagen Undinen und Huldbranden
eingeſeegnet hatte, zur zweiten Trauung des
Ritters nach dem Schloſſe zu holen.


Der fromme Mann aber hatte kaum den
Brief des Herrn von Ringſtetten durchleſen, ſo
machte er ſich in noch viel groͤßerer Eile nach
dem Schloſſe auf den Weg, als der Bote von
dorten zu ihm gekommen war. Wenn ihm auf
dem ſchnellen Gange der Othem fehlte, oder die
alten Glieder ſchmerzten vor Muͤdigkeit, pflegte
er zu ſich ſelber zu ſagen: vielleicht iſt noch Un-
recht zu hindern; ſinke nicht eher, als am Ziele,
du verdorrter Leib! — Und mit erneuter
Kraft riß er ſich alsdann auf, und wallte und
wallte, ohne Raſt und Ruh, bis er eines Abends
ſpaͤt in den belaubten Hof der Burg Ringſtetten
eintrat.


Die Brautleute ſaßen Arm in Arm unter
den Baͤumen, der alte Fiſcher nachdenklich neben
[168] ihnen. Kaum nun, daß ſie den Pater Heilmann
erkannten, ſo ſprangen ſie auf, und draͤngten
ſich bewillkommend um ihn her. Aber er, ohne
viele Worte zu machen, wollte den Braͤutigam
mit ſich in die Burg ziehn; als indeſſen dieſer
ſtaunte, und zoͤgerte, den ernſten Winken zu ge-
horchen, ſagte der fromme Geiſtliche: was halte
ich mich denn lange dabei auf, Euch in Geheim
ſprechen zu wollen, Herr von Ringſtetten? Was
ich zu ſagen habe, geht Bertalden und den Fi-
ſcher eben ſo gut mit an, und was einer doch
irgend einmal hoͤren muß, mag er lieber gleich
ſo bald hoͤren, als es nur moͤglich iſt. Seid Ihr
denn ſo gar gewiß, Ritter Huldbrand, daß
Eure erſte Gattin wirklich geſtorben iſt? Mir
kommt es kaum ſo vor. Ich will zwar weiter
nichts daruͤber ſprechen, welch’ eine wunderſame
Bewandniß es mit ihr gehabt haben mag, weiß
auch davon nichts gewiſſes. Aber ein frommes,
vielgetreues Weib war ſie, ſoviel iſt außer allem
Zweifel. Und ſeit vierzehn Naͤchten hat ſie in
Traͤumen an meinem Bette geſtanden, aͤngſtlich
[169] die zarten Haͤndlein ringend, und in einem fort
ſeufzend: ach hindr’ ihn, lieber Vater! Ich lebe
noch! Ach, rett’ ihm den Leib! Ach rett’ ihm
die Seele! — Ich verſtand nicht, was das
Nachtgeſicht haben wollte; da kam Euer Bote,
und nun eilt’ ich hierher, nicht zu trauen, wohl
aber zu trennen, was nicht zuſammengehoͤren
darf. Laß’ von ihr, Huldbrand! Laß’ von ihm
Bertalda! Er gehoͤrt noch einer Andern, und
ſiehſt Du nicht den Gram um die verſchwundne
Gattin auf ſeinen bleichen Wangen? So ſieht
kein Braͤutigam aus, und der Geiſt ſagt es mir:
ob Du ihn auch nicht laͤßeſt, doch nimmer wirſt
Du ſein froh.


Die Dreie empfanden im innerſten Herzen,
daß der Pater Heilmann die Wahrheit ſprach,
aber ſie wollten es nun einmal nicht glauben.
Selbſt der alte Fiſcher war nun bereits ſo be-
thoͤrt, daß er meinte, anders koͤnne es gar nicht
kommen, als ſie es in dieſen Tagen ja ſchon
oft mit einander beſprochen haͤtten. Daher ſtrit-
ten ſie denn Alle mit einer wilden, truͤben Haſt
[170] gegen des Geiſtlichen Warnungen, bis dieſer ſich
endlich kopfſchuͤttelnd und traurig aus der Burg
entfernte, ohne die dargebotne Herberge auch
nur fuͤr dieſe Nacht annehmen zu wollen, oder
irgend eine der herbeigeholten Labungen zu ge-
nießen. Huldbrand aber uͤberredete ſich, der
Geiſtliche ſei ein Grillenfaͤnger, und ſandte mit
Tagesanbruch nach einem Pater aus dem naͤch-
ſten Kloſter, der auch ohne Weigerung verhieß;
die Einſeegnung in wenigen Tagen zu vollzie-
hen.


[171]

Siebenzehntes Kapitel.

Des Ritters Traum.


Es war zwiſchen Morgendaͤmmrung und Nacht,
da lag der Ritter halb wachend, halb ſchlafend,
auf ſeinem Lager. Wenn er vollends einſchlum-
mern wollte, war es, als ſtaͤnde ihm ein Schre-
cken entgegen, und ſcheuchte ihn zuruͤck, weil es
Geſpenſter gaͤbe im Schlaf. Dachte er aber
ſich alles Ernſtes zu ermuntern, ſo wehte es um
ihn her, wie mit Schwanenfittigen, und mit
ſchmeichelndem Wogenklang, davon er allemal
wieder in den zweifelhaften Zuſtand angenehm
bethoͤrt zuruͤcke taumelte. Endlich aber mochte
er doch wohl ganz entſchlafen ſein, denn es kam
ihm vor, als [ergreife] ihn das Schwanengeſaͤuſel
auf ordentlichen Fittigen, und trage ihm weit
[172] fort uͤber Land und See, und ſinge immer auf’s
anmuthigſte dazu. — Schwanenklang! Schwa-
nenſang! mußte er immer fort zu ſich ſelbſt
ſagen; das bedeutet ja wohl den Tod? — Aber
es hatte vermuthlich noch eine andre Bedeutung.
Ihm ward nehmlich auf einmal, als ſchwebe er
uͤber dem Mittellaͤndiſchen Meer. Ein Schwan
ſang ihm gar toͤnend in die Ohren, dies ſei das
Mittellaͤndiſche Meer. Und waͤhrend er in die
Fluthen hinunter ſah, wurden ſie zu lauterm
Kriſtalle, daß er hinein ſchauen konnte bis auf
den Grund. Er freute ſich ſehr daruͤber, denn
er konnte Undinen ſehn, wie ſie unter den hel-
len Kriſtallgewoͤlben ſaß Freilich weinte ſie ſehr,
und ſahe viel betruͤbter aus, als in den gluͤck-
lichen Zeiten, die ſie auf Burg Ringſtetten mit
einander verlebt hatten, vorzuͤglich zu Anfang,
und auch nachher, kurz ehe ſie die unſeelige Do-
naufahrt begannen. Der Ritter mußte an alle
das ſehr ausfuͤhrlich und innig denken, aber es
ſchien nicht, als werde Undine ſeiner gewahr.
Indeſſen war Kuͤhleborn zu ihr getreten, und
[173] wollte ſie uͤber ihr Weinen ausſchelten. Da nahm
ſie ſich zuſammen, und ſah ihn vornehm und
gebietend an, daß er faſt davor erſchrack. Wenn
ich hier auch unter den Waſſern wohne, ſagte
ſie, ſo hab’ ich doch meine Seele mit herunter
gebracht. Und darum darf ich wohl weinen,
wenn Du auch gar nicht errathen kannſt, was
ſolche Thraͤnen ſind. Auch die ſind ſeelig, wie
alles ſeelig iſt, dem, in welchem treue Seele
lebt. — Er ſchuͤttelte unglaͤubig mit dem [Kopfe],
und ſagte nach einigem Beſinnen: und doch,
Nichte, ſeid Ihr unſere Elementar-Geſetzen un-
terworfen, und doch muͤßt Ihr ihn richtend um’s
Leben bringen, dafern er ſich wieder verehlicht,
und Euch untreu wird. — Er iſt noch bis dieſe
Stunde ein Wittwer, ſagte Undine, und hat
mich aus traurigem Herzen lieb. — Zugleich
iſt er aber auch ein Braͤutigam, lachte Kuͤhle-
born hoͤhniſch, und laßt nur erſt ein paar Tage
hingehn, dann iſt die prieſterliche Einſeegnung
erfolgt, und dann muͤßt Ihr doch zu des Zwei-
weibrigen Tode hinauf. — Ich kam ja nicht,
[174] laͤchelte Undine zuruͤck. Ich habe ja [den] Brun-
nen verſiegelt, fuͤr mich und meines Gleichen
feſt. — Aber wenn er von ſeiner Burg geht,
ſagte Kuͤhleborn, oder wenn er einmal den Brun-
nen wieder oͤffnen laͤßt! Denn er denkt gewiß
blutwenig an alle dieſe Dinge. — Eben des-
halb, ſprach Undine, und laͤchelte noch immer
unter ihren Thraͤnen, eben deshalb ſchwebt er
jetzt eben im Geiſte uͤber dem Mittelmeer, und
traͤumt zur Warnung dies unſer Geſpraͤch. Ich
hab’ es wohlbedaͤchtlich ſo eingerichtet. — Da
ſah Kuͤhleborn ingrimmig zu dem Ritter hinauf,
draͤuete, ſtampfte mit den Fuͤſſen, und ſchoß
gleich darauf pfeilſchnell unter den Wellen fort.
Es war, als ſchwelle er vor Bosheit zu einem
Wallfiſch auf. Die Schwaͤne begannen wieder
zu toͤnen, zu faͤcheln, zu fliegen; dem Ritter
war es, als ſchwebe er uͤber Alpen und Stroͤme
hin, ſchwebe endlich zur Burg Ringſtetten herein,
und erwache auf ſeinem Lager.


Wirklich erwachte er auf ſeinem Lager, und
eben trat ſein Knappe herein, und berichtete ihm,
[175] der Pater Heilmann weile noch immer hier in
der Gegend; er habe ihn Geſtern zu Nacht im
Forſte getroffen, unter einer Huͤtte, die er ſich
von Baͤumaͤſten zuſammengebogen habe und mit
Moos und Reiſig belegt. Auf die Frage; was
er denn hier mache? denn einſeegnen wolle er
ja doch nicht! ſei die Antwort geweſen: es giebt
noch andre Einſeegnungen, als die am Traual-
tar, und ich bin nicht zur Hochzeit gekommen, ſo
kann es ja doch zu einer ander Feier geweſen
ſein. Man muß Alles abwarten. Zudem iſt
ja Trauen und Trauern gar nicht ſo weit aus-
einander, und wer ſich nicht muthwillig ver-
blendet, ſieht es wohl ein.


Der Ritter machte ſich allerhand wunder-
liche Gedanken uͤber dieſe Worte und uͤber ſei-
nen Traum. Aber es haͤlt ſehr ſchwer, ein Ding
zu hintertreiben, was ſich der Menſch einmal
als gewiß in den Kopf geſetzt hat, und ſo blieb
denn auch Alles beim Alten.


[176]

Achtzehntes Kapitel.

Wie der Ritter Huldbrand Hochzeit hielt.


Wenn ich Euch erzaͤhlen ſollte, wie es bei der
Hochzeitfeier auf Burg Ringſtetten zuging, ſo
wuͤrde Euch zu Muthe werden, als ſaͤhet Ihr
eine Menge von blanken und erfreulichen Din-
gen aufgehaͤuft, aber druͤber hin einen ſchwarzen
Trauerflor gebreitet, aus deſſen verdunkelnder
Huͤlle hervor die ganze Herrlichkeit minder einer
Luſt gliche, als einem Spott uͤber die Nichtig-
keit aller irdiſchen Freuden. Es war nicht etwa,
daß irgend ein geſpenſtiſches Unweſen die feſtliche
Geſelligkeit verſtoͤrt haͤtte, denn wir wiſſen ja,
daß die Burg vor den Spukereien der draͤuen-
den Waſſergeiſter eine gefreite Staͤtte war. Aber
es war dem Ritter und dem Fiſcher und allen
Gaͤ-
[177] Gaͤſten zu Muth, als fehle noch die Hauptper-
ſon bei dem Feſte, und als muͤſſe dieſe Haupt-
perſon die allgeliebte freundliche Undine ſein.
So oft eine Thuͤr aufging, ſtarrten Aller Augen
unwillkuͤrlich dahin, und wenn es dann weiter
nichts war, als der Hausmeiſter mit neuen Schuͤſ-
ſeln, oder der Schenk mit einem Trunk noch
edlern Weines, blickte man wieder truͤb vor ſich
hin, und die Funken, die etwa hin und her
von Scherz und Freude aufgeblitzt waren, er-
loſchen in dem Thau wehmuͤthigen Erinnerns.
Die Braut war von Allen die Leichtſinnigſte,
und daher auch die Vergnuͤgteſte; aber ſelbſt ihr
kam es bisweilen wunderlich vor, daß ſie in
dem gruͤnen Kranze und den goldgeſtickten Klei-
dern an der Oberſtelle der Tafel ſitze, waͤhrend
Undine als Leichnam ſtarr und kalt auf dem
Grunde der Donau liege, oder mit den Fluthen
forttreibe in’s Weltmeer hinaus. Denn, ſeit ihr
Vater aͤhnliche Worte geſprochen hatte, klangen
ſie ihr immer vor den Ohren, und wollten vor-
zuͤglich Heute weder wanken noch weichen.


M
[178]

Die Geſellſchaft verlor ſich bei kaum ein-
gebrochner Nacht; nicht aufgeloͤſt durch des Braͤu-
tigams hoffende Ungeduld, wie ſonſten Hochzeit-
verſammlungen, ſondern nur ganz truͤb und
ſchwer auseinander gedruͤckt, durch freudloſe Schwer-
muth und Unheil kuͤndende Ahnungen. Ber-
talda ging mit ihren Frauen, der Ritter mit
ſeinen Dienern, ſich auszukleiden: von dem ſcher-
zend froͤhlichen Geleit der Jungfrauen und Jung-
geſellen bei Braut und Braͤutigam war an die-
ſem truͤben Feſte die Rede nicht.


Bertalda wollte ſich aufheitern; ſie ließ ei-
nen praͤchtigen Schmuck, den Huldbrand ihr ge-
ſchenkt hatte, ſamt reichen Gewanden und Schlei-
ern, vor ſich ausbreiten, ihren morgenden Anzug
auf’s Schoͤnſte und Heiterſte daraus zu waͤhlen.
Ihre Dienerinnen freuten ſich des Anlaſſes,
Vieles und Froͤhliches der jungen Herrin vorzu-
ſprechen, wobei ſie nicht ermangelten, die Schoͤn-
heit der Neuvermaͤhlten mit den lebhafteſten
Worten zu preiſen. Man vertiefte ſich mehr und
mehr in dieſe Betrachtungen, bis endlich Ber-
[179] talda, in einen Spiegel blickend, ſeufzte: ach,
aber ſeht Ihr wohl die werdenden Sommer-
ſproſſen hier ſeitwaͤrts am Halſe? — Sie ſa-
hen hin, und fanden es freilich, wie es die ſchoͤ-
ne Herrin geſagt hatte, aber ein liebliches Mahl
nannten ſie’s, einen kleinen Flecken, der die
Weiße der zarten Haut noch erhoͤhe. Bertalda
ſchuͤttelte den Kopf, und meinte, ein Makel
bleib’ es doch immer. — Und ich koͤnnt’ es los
ſein, ſeufzte ſie endlich. Aber der Schloßbrun-
nen iſt zu, aus dem ich ſonſt immer das koͤſt-
liche, hautreinigende, Waſſer ſchoͤpfen ließ. Wenn
ich doch Heut nur eine Flaſche davon haͤtte! —
Iſt es nur das? lachte eine behende Dienerin,
und ſchluͤpfte aus dem Gemach. — Sie wird
doch nicht ſo toll ſein, fragte Bertalda wohl-
gefaͤllig erſtaunt, noch Heut Abend den Brun-
nenſtein abwaͤlzen zu laſſen? — Da hoͤrte man
bereits, daß Maͤnner uͤber den Hof gingen, und
konnte aus dem Fenſter ſehn, wie die gefaͤllige
Dienerinn ſie grade auf den Brunnen losfuͤhrte,
und ſie Hebebaͤume und andres Werkzeug auf
M 2
[180] den Schultern trugen. — Es iſt freilich mein
Wille, laͤchelte Bertalda; wenn es nur nicht zu
lange waͤhrt. — Und, froh im Gefuͤhl, daß ein
Wink von ihr jetzt vermoͤge, was ihr vormals
ſo ſchmerzhaft geweigert worden war, ſchaute
ſie auf die Arbeit in den mondhellen Burghof
hinab.


Die Maͤnner hoben mit Anſtrengung an
dem großen Steine; bisweilen ſeufzte wohl Einer
dabei, ſich erinnernd, daß man hier der geliebten
vorigen Herrin Werk zerſtoͤre. Aber die Arbeit
ging uͤbrigens viel leichter, als man gemeint
hatte. Es war, als huͤlfe eine Kraft aus dem
Brunnen heraus, den Stein emporbringen. —
Es iſt ja, ſagten die Arbeiter erſtaunt zueinan-
der, als waͤre das Waſſer drinnen zum Spring-
borne worden. — Und mehr und mehr hob
ſich der Stein, und faſt ohne Beiſtand der Werk-
leute rollte er langſam mit dumpfem Schallen
auf das Pflaſter hin. Aber aus des Brunnens
Oeffnung ſtieg es gleich einer weißen Waſſer-
ſaͤule feierlich herauf; ſie dachten erſt, es wuͤrde
[181] mit dem Springbrunnen Ernſt, bis ſie gewahr
ten, daß die aufſteigende Geſtalt ein bleiches,
weißverſchleiertes Weibsbild war. Das weinte
bitterlich, das hob die Haͤnde aͤngſtlich ringend
uͤber das Haupt, und ſchritt mit langſam ern-
ſtem Gange nach dem Schloßgebaͤu. Ausein-
ander ſtob das Burggeſind vom Brunnen fort,
bleich ſtand, Entſetzens ſtarr, mit ihren Diene-
[rinnen], die Braut am Fenſter. Als die Geſtalt
nun dicht unter deren Kammern hinſchritt, ſchaute
ſie winſelnd nach ihr empor, und Bertalda meinte,
unter dem Schleier, Undinens bleiche Geſichts-
zuͤge zu erkennen. Voruͤber aber zog die Jam-
mernde, ſchwer, gezwungen, zoͤgernd, wie zum
Hochgericht. Bertalda ſchrie, man ſolle den Rit-
ter rufen; es wagte ſich keine der Zofen aus
der Stelle, und auch die Braut ſelber ver-
ſtummte wieder, wie vor ihrem eignen Laut er-
bebend.


Waͤhrend Jene noch immer bang’ am Fen-
ſter ſtanden, wie Bildſaͤulen regungslos, war die
ſeltſame Wandrerin in die Burg gelangt, die
[182] wohlbekannten Treppen hinauf, die wohlbekann-
ten Hallen durch, immer in ihren Thraͤnen
ſtill. Ach, wie ſo anders war ſie einſtens hier
umher gewandelt! —


Der Ritter aber hatte ſeine Diener entla-
ßen. Halbausgekleidet, im betruͤbten Sinnen,
ſtand er vor einem großen Spiegel; die Kerze
brannte dunkel neben ihm. Da klopfte es an
die Thuͤr mit leiſem, leiſem, Finger. Undine
hatte ſonſt wohl ſo geklopft, wenn ſie ihn freund-
lich necken wollte. — Es iſt Alles nur Phan-
taſterei! ſagte er zu ſich ſelbſt. Ich muß in’s
Hochzeitbett. — Das mußt Du, aber in ein
kaltes! hoͤrte er eine weinende Stimme drau-
ßen vor dem Gemache ſagen, und dann ſah
er im Spiegel, wie die Thuͤre aufging, lang-
ſam, langſam, und wie die weiße Wandrerin
hereintrat, und ſittig das Schloß wieder hinter
ſich zudruͤckte. Sie haben den Brunnen aufge-
macht, ſagte ſie leiſe, und nun bin ich hier, und
nun mußt Du ſterben. — Er fuͤhlte in ſeinem
ſtockenden Herzen, daß es auch gar nicht anders
[183] ſein koͤnne, deckte aber die Haͤnde uͤber die Au-
gen, und ſagte: mache mich nicht in meiner
Todesſtunde durch Schrecken toll. Wenn Du
ein entſetzliches Antlitz hinter dem Schleier traͤgſt,
ſo luͤfte ihn nicht, und richte mich, ohne daß ich
Dich ſchaue. — Ach, entgegnete die Wandrerin,
willſt Du mich denn nicht noch ein einziges mal
ſehn? Ich bin ſchoͤn, wie als Du auf der See-
ſpitze um mich warbſt. — O, wenn das waͤre!
ſeufzte Huldbrand; und wenn ich ſterben duͤrfte
an einem Kuſſe von Dir. — Recht gern, mein
Liebling, ſagte ſie. Und ihre Schleier ſchlug
ſie zuruͤck, und himmliſch ſchoͤn laͤchelte ihr hol-
des Antlitz daraus hervor. Bebend vor Liebe
und Todesnaͤhe neigte ſich der Ritter ihr entge-
gen, ſie kuͤßte ihn mit einem himmliſchen Kuſſe,
aber ſie ließ ihn nicht mehr los, ſie druͤckte ihn
inniger an ſich, und weinte, als wolle ſie ihre
Seele fortweinen. Die Thraͤnen drangen in
des Ritters Augen, und wogten im lieblichen
Wehe durch ſeine Bruſt, bis ihm endlich der
Athem entging, und er aus den ſchoͤnen Armen
[184] als ein Leichnam ſanft auf die Kiſſen des Ru-
hebettes zuruͤckſank.


Ich habe ihn todt geweint! ſagte ſie zu ei-
nigen Dienern, die ihr im Vorzimmer begegne-
ten, und ſchritt durch die Mitte der Erſchreckten
langſam nach dem Brunnen hinaus.


[185]

Neunzehntes Kapitel.

Wie der Ritter Huldbrand begraben ward.


Der Pater Heilmann war auf das Schloß
gekommen, ſobald des Herrn von Ringſtetten
Tod in der Gegend kund geworden war, und
juſt zur ſelben Stunde erſchien er, wo der Moͤnch,
welcher die ungluͤcklichen Vermaͤhlten getraut hatte,
von Schreck und Grauſen uͤberwaͤltiget, aus
den Thoren floh. — Es iſt ſchon recht, ent-
gegnete Heilmann, als man ihm dieſes anſagte:
und nun geht mein Amt an, und ich brauche
keines Gefaͤhrten. — Darauf begann er die
Braut, welche zur Wittwe worden war, zu troͤ-
ſten, ſo wenig Frucht es auch in ihrem weltlich-
lebhaften Gemuͤthe trug. Der alte Fiſcher hin-
gegen fand ſich, obzwar von Herzen betruͤbt,
[186] weit beſſer in das Geſchick, welches Tochter und
Schwiegerſohn betroffen hatte, und waͤhrend
Bertalda nicht ablaſſen konnte, Undinen Moͤr-
derin zu ſchelten und Zauberin, ſagte der alte
Mann gelaſſen: es konnte nun einmal nichts
anders ſein. Ich ſehe nichts darin, als die Ge-
richte Gottes, und es iſt wohl Niemanden Huld-
brands Tod mehr zu Herzen gegangen, als der,
die ihn verhaͤngen mußte, der armen! verlaſſ-
nen Undine! — Dabei half er die Begraͤbniß-
feier anordnen, wie es dem Range des Todten
geziemte. Dieſer ſollte in einem Kirchdorfe be-
graben werden, auf deſſen Gottesacker alle Graͤ-
ber ſeiner Ahnherrn ſtanden, und welches ſie,
wie er ſelbſt, mit reichlichen Freiheiten und Ga-
ben geehrt hatten. Schild und Helm lagen
bereits auf dem Sarge, um mit in die Gruft
verſenkt zu werden, denn Herr Huldbrand von
Ringſtetten war als der letzte ſeines Stammes ver-
ſtorben; die Trauerleute begannen ihren ſchmerz-
vollen Zug, Klagelieder in das heiter ſtille Him-
melblau hinaufſingend, Heilmann ſchritt mit
[187] einem hohen Crucifix voran, und die troſtloſe
Bertalda folgte, auf ihren alten Vater geſtuͤtzt. —
Da nahm man ploͤtzlich in Mitten der ſchwar-
zen Klagefrauen in der Wittib Gefolge eine ſchnee-
weiſſe Geſtalt wahr, tiefverſchleiert, und die ihre
Haͤnde inbruͤnſtig jammernd empor wand. Die,
neben welchen ſie ging, kam ein heimliches Grauen
an, ſie wichen zuruͤck oder ſeitwaͤrts, durch ihre
Bewegung, die Andern, neben die nun die weiſſe
Fremde zu gehen kam, noch ſorglicher erſchre-
ckend, ſo daß ſchier darob eine Unordnung unter
dem Trauergefolge zu entſtehen begann. Es
waren einige Kriegsleute ſo dreiſt, die Geſtalt
anreden, und aus dem Zuge fortweiſen zu wol-
len, aber denen war ſie wie unter den Haͤnden
fort, und ward dennoch gleich wieder mit lang-
ſam feierlichem Schritte unter dem Leichenge-
folge mitziehend geſehn. Zuletzt kam ſie waͤh-
rend des beſtaͤndigen Ausweichens der Dienerin-
nen bis dicht hinter Bertalda. Nun hielt ſie
ſich hoͤchſt langſam in ihrem Gange, ſo daß die
Wittib ihrer nicht gewahr ward, und ſie ſehr
[188] demuͤthig und ſittig hinter dieſer ungeſtoͤrt fort-
wandelte.


Das waͤhrte, bis man auf den Kirchhof
kam, und der Leichenzug einen Kreis um die
offne Grabſtaͤtte ſchloß. Da ſah Bertalda die
ungebetene Begleiterin, und halb in Zorn, halb
in Schreck auffahrend, gebot ſie ihr, von der
Ruheſtaͤtte des Ritters zu weichen. Die Ver-
ſchleierte aber ſchuͤttelte ſanft verneinend ihr
Haupt, und hob die Haͤnde, wie zu einer de-
muͤthigen Bitte gegen Bertalda auf, davon
dieſe ſich ſehr bewegt fand, und mit Thraͤnen
daran denken mußte, wie ihr Undine auf der
Donau das Korallenhalsband ſo freundlich hatte
ſchenken wollen. Zudem winkte Pater Heilmann,
und gebot Stille, da man uͤber dem Leichnam,
deſſen Huͤgel ſich eben zu haͤufen begann, in
ſtiller Andacht beten wolle. Bertalda ſchwieg
und kniete, und Alles kniete, und die Todten-
graͤber auch, als ſie fertig geſchaufelt hatten.
Da man ſich aber wieder erhob, war die weiſſe
Fremde verſchwunden; an der Stelle, wo ſie
[189] geknieet hatte, quoll ein ſilberhelles Bruͤnlein
aus dem Raſen, das rieſelte und rieſelte fort,
bis es den Grabhuͤgel des Ritters faſt ganz um-
zogen hatte; dann rannte es fuͤrder, und ergoß
ſich in einen ſtillen Weiher, der zur Seite des
Gottesackers lag. Noch in ſpaͤten Zeiten ſollen
die Bewohner des Dorfes die Quelle gezeigt,
und feſt die Meinung gehegt haben, dies ſei
die arme, verſtoſſene Undine, die auf dieſe Art
noch immer mit freundlichen Armen ihren Lieb-
ling umfaſſe.


[[190]][[191]]

Appendix B Einladung.


  • Der Lenz erwacht, Wald bluͤht und Stimmen
    klingen,
    Hell kommt des Morgens, mild des Abends
    Strahl,
    Und was erſprießt im friedlich kraͤft’gen Rin-
    gen,
    Man goͤnnt ihm gern des luſt’gen Spieles
    Wahl;
    Moͤg’ es im Rund von ſoviel heitern Dingen,
    In ſoviel ſeel’ger Traͤume bunter Zahl,
    Auch unſerm Gartenbeet vergnuͤglich gluͤcken,
    Daß Augen gern hier ſchaun, und Haͤnde
    pfluͤcken.
  • Und weil aus Bergen reich die Stroͤme fließen
    In Fuͤll’ und Luſt bei dieſer Jahreszeit,
    Weil gern die Wolken ſeegnend ſich erſchließen
    Anſchwellend Au’n zu Spiegeln klar und weit,
    Soll auch durch unſern Garten ſich ergießen,
    Ein Baͤchlein, hell in Freud’ und ſuͤßem Leid.
    Zur Huld gezaͤhmt, und wie es Holden diene,
    In Demuth willig kommt’s, genannt Undine.
  • Zeigt Ihr Euch mild, ſo traͤgt ein kuͤhnres
    Schwellen
    Euch kuͤnftig hin durch Sommers guͤldnes
    Land.
    [[192]] Dann ſpaͤter fort in ernſten Klippenfaͤllen
    Spielt es an Herbſtes rothumlaubtem Strand;
    Ja, auch dem Winter darf es ſich geſellen
    Verſtummend nicht vor ſtrengen Eiſes Band; —
    Da draußen rauſcht’s, Ihr ſitzt bei’m Heer-
    desfeuer,
    Und hoͤrt fernher manch ſchaurig Abentheuer.
  • Denn wechſelnd wird die Quelle ſich geſtalten,
    An Namen, Klang, und an des Ufers Bluͤhn,
    Und kraͤft’ge Freunde werden druͤber walten
    Mit mannigfachen Zaubers reichem Gluͤhn;
    Der zeigt im Treiben Kraft, und der im
    Halten,
    Der im Zerſtoͤren, der im Auferbluͤhn,
    Und vielfach laͤchle Sonnenſtrahl den Dichtern
    Aus vieler Leſer heitern Angeſichtern.

[[193]][[194]][[195]]

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TextGrid Repository (2025). Fouqué, Friedrich de La Motte-. Undine. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bj5q.0