beiW. Levyſohn.
1840.
Wenn Dich eine höhere Vorſtellung durch¬
dringt von einer Menſchennatur, ſo zweifle nicht
daß dies die wahre ſei, denn alle ſind geboren
zum Ideal, und wo Du es ahnſt, da kannſt Du
es auch in ihm zur Erſcheinung bringen, denn er
hat gewiß die Anlage dazu.
Wer das Ideal läugnet in ſich, der könnte
es auch nicht verſtehen in Andern, ſelbſt wenn es
vollkommen ausgeſprochen wär. — Wer das Ideal
erkannte in Andern, dem blüht es auf, ſelbſt wenn
jener es nicht in ſich ahnt.
[[IV]][[V]]
Die Günderode im Jahr 4.
Mahomets Traum in der Wüſte.
An die Günderode.
Frankfurt.
Günderödchen, der Clemens läßt Dich tauſendmal
grüßen. Ich muß es zuerſt ſchreiben, denn er ſteht hinter
mir und zwingt mich dazu, er ſpricht von einem Dom¬
pfaffen oder Blutfinken der in Dich verliebt ſei, und er
ſei ſo anmuthig dumm, daß er Dir prophezeiht Du wer¬
deſt ihm nicht widerſtehen, denn die Dummheit ſei Deine
Schwäche, Du falleſt drüber her wie ein Raubvogel über
ein neugeboren Gänschen und er hab Dich mehrmals ſehen
lauern und ſchweben mit gierigem Blick über Dummheits¬
phänomenen, und die würdeſt Du Dir auch nie haben ab¬
jagen laſſen, und Du ſeiſt gewiß im Rheingau auf der
Jagd danach, während hier die merkwürdigſten Exem¬
plare Dir in die Hände laufen würden, und auch meh¬
rere für ein Geringes an Geld zu ſehen ſind.
Alleweil hat er den Hut genommen um zu dem
Puppenſpiel Plätze zu beſtellen, er will die Pauline hin¬
einführen um ihr augenſcheinlich zu machen wie es in
ihrem Magen ausſieht. Denn ſie habe ein Puppen¬
II.1[2] ſpiel im Leib und wenn ſie mit ihm ſpricht ſo antwor¬
tet er dem Pantalon, dem Scaramutſch, dem Hans¬
wurſt, der Colombine ꝛc. — und ſo oft ſie was ſagt
ſo oft antwortet er einer andern Perſon vom Puppen¬
ſpiel und ſo paſſend, daß das Puppentheater, nem¬
lich der Pauline Magen am meiſten vom Lachen er¬
ſchüttert wird. Er iſt unerſchöpflich an Witz und alles
läuft ihm nach. Daß Du nicht hier biſt hat ihn merk¬
lich betroffen, er wollt ich könnt Dich bewegen zu kom¬
men, aber Du wirſt die Gärten des Dyoniſos nicht
verlaſſen wo Du jeden Morgen reife Beeren koſteſt die
der Gott Dir zum Fenſter hinan reicht, um hier auf der
ſchmutzigen Meſſ die Bären tanzen zu ſehen. Hätt der
Clemens nicht hier auf mich gewartet ſo hätt ich mögen
mit Dir im Rheingau bleiben, der Franz hätts wohl
erlaubt, ich hab mehrmals dran gedacht; wie ſchön wärs
geweſen, da wären wir herumgeſchweift — überall —
wo andre Menſchen nicht hinkommen; — oft iſt ein
klein verborgen Plätzchen das Niemand kennt das Schönſte
von der Welt. — Ich ſag Dir, wir hätten Quellchen
entdeckt tief im Gras und Geſtein, und einſame Hütt¬
chen im Wald, und vielleicht auch Höhlen — ich durch¬
forſchel gar zu gern die Natur Schritt vor Schritt.
Ich dächt wir ſähen uns auch einſtweilen um, nach einem
[3] Ort wo wir unſre Hütten bauen wollen — Du auf dem
Berg weit ins Freie hinaus, und ich im Thal wo die
Kräuter hoch wachſen und alles verſteckt iſt, oder im
Wald, aber nah beiſammen daß wir uns zurufen kön¬
nen. Du rufſt durchs Sprachrohr: „Bettine komm
herauf!“ und da komm ich, und der Kanarienvogel
fliegt voran, der weiß ſchon wos hingeht und der Spitz
kommt nachgebellt, denn im Thal muß man einen Hund
haben. Hör! — und im Frühjahr nähmen wir unſre
Stecken und wanderten, denn wir wären als Einſiedler,
und ſagten nicht daß wir Mädchen wären. Du mußt
Dir einen falſchen Bart machen, weil Du groß biſt,
denn ſonſt glaubts niemand, aber nur einen kleinen,
der Dir gut ſteht, und weil ich klein bin, ſo bin ich als
Dein kleiner Bruder, da muß ich mir aber meine Haare
abſchneiden. — So eine Reiſe machen wir im Frühjahr
in der Maiblumenzeit, aber da verſäumen wir die Erd¬
beeren! Denn im Thal wär als alles überſäet, erſt mit
Veilchen und dann mit Erdbeeren, davon leben wir ſechs
Wochen; Kohl pflanzen wir nicht. — Im Herbſt ſind
wir wieder da und eſſen die Trauben, ach könnts nur
einen Sommer wahr werden! — mir kömmts vor als
könnt man ſo immer und immer ſein wollen. Denn
1*[4] wahrhaftig mir ſtrömt alle Weisheit aus Deinem An¬
geſicht, ich hab mehr als zu viel was in mich hinein¬
ſpricht wenn ich Dich ſeh, und wenn Du auch nur ſtill¬
ſchweigſt ſo redſt Du doch, Du biſt ein groß Geheimniß
aber ein offenbares, aber ich ſchlafe in Deiner Gegen¬
wart, Dein Geiſt ſchläfert mich ein, ſo träum ich daß
ich wache, und empfinde nur alles im Traum und das
iſt gut, denn ſonſt würd ich verwirrt ſein.
Wie der Clemens nach Haus gekommen war, hat
er gleich nach meinem Brief gefragt, er wollt auch dran
ſchreiben, ich hab ihn aber zerſtreut durch allerlei was
ich von Dir erzählte, denn ich wollt ihn nicht gern leſen
laſſen daß ich als Einſiedler mit Dir leben wollt, denn
er häts gewiß im Puppenſpiel angebracht, ſo erzählt ich
ihm von unſrer Rheinfahrt in der Mondnacht mit der
Orangerie auf dem Verdeck, das machte ihm ſo viel
Freude, er frug nach allem was noch vorgefallen, nach
jedem Wort, nach den Ufern, nach dem Mond; und ich
erzählte ihm alles, denn ich wußte alles, jed Lüftchen
was ſich erhoben hatte und wie der Mond durch die
Luken und Bogen hinter den Bergfeſten geſchimmert
hat und alles, und er frug auch was wir geſprochen,
ich ſagte: nichts, oder nur wenig Worte, denn es ſei
die ganze Natur ſo ſchweigend geweſen. — Und wie er
[5] alles ausgeforſcht hatte da ging er fort und ſperrte mich
ein und ſagte ich ſollt ein Gedicht davon machen grad ſo
wie ichs erzählt habe, und ſollt es nur aufſchreiben immer
in kurzen Sätzen, wenn es ſich auch nicht reime, er wolle
mich ſchon reimen lehren, und ſo ging er hinaus und
ſchloß die Thür ab, und vor der Thür rief er, nicht eher
kommſt Du heraus bis Du ein Gedicht fertig haſt. —
Da ſtand ich — ganz widerſinnig im Kopf. — Ans
Aufſchreiben dacht ich nicht. — Aber ich dacht an das
Versmachen, wie ſeltſam das iſt. — Wie in dem Ge¬
fühl ſelbſt, ein Schwung iſt der durch den Vers gebro¬
chen wird. — Ja wie der Reim oft gleich einer be¬
ſchimpfenden Feſſel iſt für das leiſe Wehen im Geiſt.
Belehr mich eines Beſſeren wenn ich irre, aber iſt
es nicht wahrſcheinlich, daß Reim und Versmaas
auf den urſprünglichen Gedanken ſo einwirke daß
er ihn verfälſcht? — Überhaupt was ſeelenberüh¬
rend iſt, das iſt Muſik, das hab ich ſchon lang
in mir erfahren, denn es kann nichts die Sinne rüh¬
ren und durch dieſe die Seele, als nur Muſik; was
Dich bewegt giebt Klang, der weckt ſeine Mittöne,
die rühren das Echo doppelt und allſeitig, und die ganze
Harmonie erwacht, — und zwiſchen dieſer durch, wan¬
delt der Gedanke und wählt ſich ſeine Melodie, und
[6] offenbart ſich durch die dem Geiſt. — Das deucht mich
die Art wie der Gedanke ſich dem Geiſt vermählt. Nun
kann ich mir wohl denken daß der Rhythmus eine or-
ganiſche Verbindung hat mit dem Gedanken, und daß
der kurze Begriff des Menſchengeiſtes durch den Rhyth¬
mus geleitet, den Gedanken in ſeiner verklärten Geſtalt
fassen lernt‚ und daß der den tieferen Sinn darin be¬
leuchtet, und daß wie die Begeiſtigung dem Rhythmus
ſich füge‚ ſie allmählig ſich reiner faſſe‚ und daß ſo die
Philoſophie als höchſte geiſtige Poeſie erſcheine, als Of¬
fenbarung, als fortwährende Entwicklung des Geiſtes‚
und ſomit als Religion. Denn was ſoll mir Religion
wenn ſie ſtocken bleibt? — aber nicht wie Du ſagſt, daß
Philoſophie endlich Poeſie weiden ſoll, nein mir ſcheint
ſie ſoll ſein‚ oder iſt, die Blüthe, die reinſte die unge¬
zwungenſte in jedem Gedanken überraſchendſte Poeſie‚
die ewig neu Gottesſprache iſt in der Seele. —
Gott iſt Poeſie, gar nichts anders, und die Menschen
tragen es über in eine todte Sprache die kein Ungelehrter
verſteht, und von der der Gelehrte nichts hat als ſeinen
Eigendünkel. — So wie denn das Machwerk der Men¬
ſchen überall den Lebensgeiſt behindert, in allem, in jeder
Kunſt, daß die Begeiſtrung durch die ſie das göttliche
wahrnehmen von ihnen geſchieden iſt, — und ich muß
[7] mich kurz faſſen, ſonſt wollt ich mich noch beſſer be¬
ſinnen.
Die Berührung zwiſchen Gott und der Seele iſt
Muſik, Gedanke iſt Blüthe der Geiſtesallheit wie Me¬
lodie Blüthe iſt der Harmonie.
Alles was ſich dem Menſchengeiſt offenbart iſt Me¬
lodie in der Geiſtesallheit getragen, das iſt Gottpoeſie.
Es enthüllt ſich das Gefühl in ihr, ſie genießend, em¬
pfindend, keimt auf in der Geiſtesſonne, ich nenn es Liebe.
Es geſtaltet ſich der Geiſt in ihr, wird Blüte der Poeſie
Gottes, ich nenn es Philoſophie. Ich mein wir kön¬
nen die Philoſophie nicht faſſen, erſt die Blüthe wird in
uns. Und Gott allein iſt die Geiſtesallheit, die Harmo¬
nie der Weisheit. — Ach ich hab das alles nicht ſagen
wollen, der Kopf brennt mir und das Herz klopft mir
zu ſtark wenn ich will denken, als daß ich deutlich ſein
könnt. Ich wollt vom Reimen ſprechen.
Mir kommen Reime kleinlich vor ſo wie ich ſie bilden
ſoll, ich denke immer: ach der Gedanke will wohl gar nicht
gereimt ſein, oder er will wo anders hinaus und ich ſtör
ihn nur, — was ſoll ich ſeine Äſte verbiegen die frei in die
Luft hinausſchwanken und allerlei feinfühlig Leben einſau¬
gen, was liegt mir doch daran, daß es ſymetriſch verputzt
ſei. Ich ſchweife gern zwiſchen wildem Gerank wo hie
[8] und da ein Vogel herausflattert und mich anmuthig
erſchreckt, oder ein Zweig mir an die Stirne ſchnellt,
und mich gedankenwach macht, wo mich die alte Leier
eingeſchläfert hätt. — Und iſt nicht vielleicht die Gedan¬
kenſeele ſelbſt, Rhythmus der die Sinne lenkt; und ſol¬
len wir dem nicht nachſtreben? Nun kurz aus meinem
Gedicht iſt nichts geworden, wie hätt ich unſre orangen¬
blühende Nacht, unſre ſelige Alleinigkeit verpfuſchen ſol¬
len, ſie, die in jeder verlebten Minute jenes Gefühl aus¬
ſprach was ich da oben Gottpoeſie, Weisheitsgefühl
nenne. — Nein ich wollt nicht ein ſo ſüß Dämmern zu
einzelnen Gedankenſchatten zuſammenballen. Laß es fort¬
dämmern oder ſich verflüchtigen; aber nicht in engherzige
Verſe einklammern was ſo weiche Zweige in die Luft
ausſtreckt, laß es fortblühen bis es welkt; Du ſiehſt ich
mache mir dieſe poetiſchen Unbemerkungen (Ungeheuer) blos
in Beziehung auf mich, ich lieb die Poeſie ſie erfüllt mich
in Dir und in andern mit Begeiſtrung, aber nicht in mir.
Als der Clemens mich aus der Priſon entließ hatt
ich das Mährchen gereimt von der alten Frau Hoch,
vom Hofnarren der ſeinem König lehrt Fiſche fangen,
und ihn ſelber im Hamen fängt und ins Waſſer taucht
und ſagt ſo fangen die Narren Fiſche, aber der Kö¬
nig im Hamen wird keinen fangen. Im Puppenſpiel war
[9] Clemens von beſeeligtem Humor, die Witze echapierten
ihm, wie wenn ein Feuerwerk ihm in der Taſche ſich ent¬
zündet hätt, jeden Augenblick flog eine [Rakete] auf, bis
endlich das Puppenſpiel ihn übermannte wo er vor La¬
chen nicht mehr witzig ſein konnt.
Geſtern wanderten wir durch die Judengaſſe, es
liefen ſo viel ſonderbare Geſtalten herum und verſchwan¬
den wieder daß man an Geiſter glauben muß, es ward
ſchon dämmerig, und ich bat daß wir nach Haus ge¬
hen wollten, der Clemens rief immer ſeh den, ſeh da,
ſeh dort wie der ausſieht, und es war als liefen ſie mir
alle nach, ich war ſehr froh als wir zu Haus waren.
Leb wohl, es iſt mir nicht geheuer hier daß Du
nicht da biſt wo ich mich erholen kann, wo ich zu mir
ſelbſt komme; es iſt mir ſo fremd. —
Bettine.
An die Bettine.
Liebe Bettine, ſo wie Dein Brief anfängt mit den
tauſend Grüßen von Clemens ſo beantworte ſie ihm
doch auch in meinem Namen, es thut mir auch recht
leid daß ich nicht mit Euch bin, allein die Luft und die
Trauben thun meinen Augen ſo gut, und iſt mir wohl¬
1**[10] thätig im Ganzen. — Obſchon mich Euer Treiben höch¬
lich ergötzen würde und namentlich das Puppenſpiel; — ich
übergehe alles, — was Du vom Rhythmus ſagſt leg ich
Dir ſo aus: Du ahneſt ein höheres rhythmiſches Geſetz,
einen Rhythmus der Geiſt iſt im Geiſt, der den Geiſt
aufregt und zu neuen Offenbarungen leitet, du glaubſt
daß der Reim die geringſte ja oft erniedrigende Stufe
dieſes metriſchen Sprachgeiſtes iſt, und oft die Ahnung
oder die Gewalt des Gedankens brechen könnte, daß der
ſich nicht zu jener Höhe entwickelt zu der er urſprüng¬
lich berufen war, — das will ich nicht widerſprechen,
denn Du kannſt recht haben; nemlich, Du kannſt recht
haben daß es ein höheres muſikaliſches Geſetz gebe, daß
die Anlage zu dieſem in jedem freien Gedanken liege und
durch den Versbau mehr oder weniger unterdrückt werde.
Du wirſt aber auch zugeben daß im Dichter
auch eine Begeiſtrung waltet die von höherer Macht
zeugt, da dieſe kindlichen Geſetze zu denen er ſich be¬
quemt, ihn grade zur Kunſt anleiten, die an ſich ſchon
ein höherer Inſtinkt iſt. Du ſagſt zwar in Bezug auf
Kunſt, das Machwerk der Menſchen behindre überall
den Lebensgeiſt, das glaube doch ja nicht daß jene die
vielleicht kein hohes Genie im Gedicht entwicklen, nicht
hierdurch zu höherem gebracht würden, denn erſt wer¬
[11] den ſie doch auf eine Kunſt vorbereitet, ſie haben eine
Anſchauung von Gedanken oder Gefühlen die durch
Kunſtform eine höhere ſittliche Würde erlangen, oder
behaupten, und dies iſt der Beginn daß der ganze
Menſch ſich da hinübertrage; es iſt nicht zu verachten
das im unmündigen ſich der Trieb zum Licht regt. — Und
darum mein ich daß kein Gedicht ohne einen Werth ſei.
Gewiß jedes Gefühl, ſo einfach oder auch einfältig
es geachtet werden könnte, ſo iſt der Trieb es ſittlich
zu verklären nicht zu verwerfen, und manchen Gedich¬
ten die keinen Ruf haben, habe ich doch zuweilen die
Empfindung einer unzweifelhaften höheren Wahrheit
oder Streben dahin angemerkt, — und es iſt auch ge¬
wiß ſo. Die Künſtler oder Dichter lernen und ſuchen
wohl mühſam ihren Weg, aber wie man ſie begreifen
und nachempfinden ſoll, das lernt keiner, — nehme es
doch nur ſo, daß alles Streben ob es ſtocke ob es fließe,
den Vorrang habe vor dem Nichtſtreben. — Gute Nacht
für heut kann ich nicht mehr ſagen; nicht alles iſt mir
gleich deutlich in Deinem Brief, Du ſagſt mir wohl
über manches noch mehr, oder daſſelbe noch einmal. —
Der Ton in der Sprache thut auch viel zum Verſtehen,
wären wir beiſammen, würde ſich leichter und vielſeiti¬
ger ergeben was wir wollen und meinen, und auf den
[12] Sprachgeiſt vertraue ich auch ſchon daß der uns nicht
verlaſſen würde. — Himmliſche Nächte ſind hier — wind¬
durchbraußte, und Gewitter die Sommer und Herbſt
auseinander donnern. —
An die Günderode.
Du führſt eine heilige Sprache, Du biſt heilig
wenn Du ſprichſt; in Dir fühl ich den Rhythmus der
Deinen Geiſt trägt zu höherer Erkenntniß; — und ich
fühl daß die Güte die Milde die Erzeugerin iſt, all
der reinen Wahrheit in Dir, wie Du ihr Abdruck biſt;
wollt ich doch nicht alles auf einmal ſagen ſo wär ich
deutlicher, Du biſt mäßig drum iſt alles ſo überzeugend
was Du ſagſt; wüßt ich doch noch was ich Dir ge¬
ſchrieben hab, nur um Dich wieder zu hören mag ich
denken, nur daß Du aus dem Anklang meines Geiſtes
Melodieen bildeſt. Jeder Ton beſteht für ſich, aber er
bildet durch den Anklang mit andern Tönen Melodieen,
Gedanken. Aus allen Melodieen aus allen Gedanken
beſteht die Geiſtesallheit die Gottespoeſie, die Philoſo¬
phie. — Es iſt Gottespoeſie, Harmonie die den Gedan¬
[13] ken die Melodie erzeugt, ſie hebt ſich aus dieſer, wie
aus den Frühlingselementen die Blüthe erſteigt, der
blühende Geiſt ſteht mitten im Frühlingsgarten der
Poeſie. —
Muſik iſt ſinnliche Natur der Geiſtesallheit. Wir
möchten wiſſen was Muſik iſt, die ſo fühlbar iſt und
doch ſo unbegreiflich — das Ohr rührt, und dann das
Herz und dann den Geiſt weckt, daß der tiefer denke.
Sie iſt die ſinnliche Geiſtesnatur; aller Geiſt iſt ſinnen¬
bewegter Leib des Geiſtigen iſt alſo auch Muſik, drum
ſind Gedanken in der Muſik unwillkührliche, ſie erzeugen
ſich in dieſer Sinnenregung der Seele. — Ach Worte feh¬
len — und zu allſeitig dringt es auf mich ein — und es bangt
mir um den Ausdruck von dem was mir in der Seele blitzt,
— und hab Angſt der könne meinen Begriff umtauſchen,
— und — „o gieb vom weichen Pfühle träumend
ein halb Gehör!“ ſo leierts im langweiligen Hinter¬
grund meiner ſchlummernden Denkkraft, und dann wühle
ich mich ein bischen aus meiner Faulheit heraus und
lauſch träumend dem Traum, und dann ſingts wie¬
der bei der Gedanken Spiele, — ach ſchlaf,
was willſt du mehr. Wenn eine ſchlummernde Ah¬
nung wach wird in der Muſik, da breiten ſich alle Ge¬
fühle mächtig aus, und jeder Ton ſpricht verſtärkte Em¬
[14] pfindung aus und ein inneres Streben zum Höheren,
zum bemächtigen gewaltigerer Fähigkeiten begleitet den
rhythmiſchen Gang, ja wird von ihm geleitet ich habs
erfahren: Bei meinem Saitenſpiele ſegnet der
Sterne Heer, die ewigen Gefühle. —
Und ſo wahr iſts daß aller Geiſt ſinnliche Muſik
iſt, daß wie in der Harmonie jedes Bewegen eines Tons
neue Wege öffnet, oder wenn ich in andern Beziehungen
nur augenblicklich vorempfinde, ſo dringt die Harmonie
wie durch neu geöffnete Bahn mächtig ein, ſo iſt im
Geiſt, jedes Vorempfinden eines inneren Zuſammenhangs
mit ferner liegendem, ein ewiger Harmonieenwechſel, und
die Melodie der Gedanken weicht aus den engeren
Schranken zu höherer Anſchauung. Die ewigen Ge¬
fühle heben mich hoch und hehr aus irdiſchem
Gewühle. —
Und ſo iſt alles was unabweisbare Wahrheit iſt,
in ewig wechſelnder Lebensbewegung, — und ich fürcht
mich vor dem Denken ſo allein. — Wenn wir beiſam¬
men wären! da theilen wir uns, und durch Dein Be¬
greifen giebſt Du meinem Geiſt die Faſſung, der muß
nach dem ſich richten, und dann hab ich auch Ruhe
und Verſichrung im Geiſt daß ich mich ausdrücken
[15] lerne: Vom irdiſchen Gewühle trennſt du mich
nur zu ſehr bannſt mich in dieſe Kühle.
Und könnten wir doch immer zuſammen ſprechen,
der lieblichen Unordnung entſteigt Alles. — Ja da fühl
ich wie das iſt daß der Geiſt aus dem Chaos aufſtieg,
nehms nicht zu genau, Gieb nur im Traum Gehör
ach auf dem weichen Pfühle ſchlafe! was willſt
du mehr.
An die Bettine.
Denn; wie auch das Alllebendige ſich berühre, es ent¬
ſteigt Wahrheit aus ihm, aus dem chaotiſchen Wogen
und Schwanken entſtieg die Welt als Melodie? —
Caroline.
An die Günderode.
Ja! und alle Sterne ſind Melodieen die im Strom
der Harmonie ſchwimmen, Weltſeelen die den Geiſt
[16] Gottes hervorblühen, Töne die mit verwandten Tönen
anklingen, und wenn wir zu den Sternen aufſehen, ſo
klingen unſre Gedanken an mit ihnen, denn wir gehö¬
ren in die Sippſchaft, ihnen verwandter Accorde; — und
wie jeder Gedanke, jede Seele Melodie iſt, ſo ſoll der
Menſchengeiſt durch ſein Allumfaſſen, Harmonie werden
— Poeſie Gottes, — nehms nicht zu genau, und gieb es
deutlicher wieder als ichs ſagen kann.
An die Bettine.
So wär der Menſchengeiſt durch ſein Faſſen, Be¬
greifen, befähigt Geiſtesallheit, Philoſophie zu werden;
alſo die Gottheit ſelbſt? — denn, wär Gott unendlich,
wenn er nicht in jeder Lebensknospe ganz und die All¬
heit wär? — ſo wär jeder Geiſtesmoment die Allheit
Gottes in ſich tragend, ausſprechend? —
Caroline.
[17]An die Günderode.
Ja! das beweißt die Muſik, jeder Ton ſpricht ſei¬
nen Accord aus, jeder Accord ſpricht ſeine Verwandt¬
ſchaften aus, und durch alle Verwandtſchaft ſtrömt der
ewig wechſelnde Gang der Harmonieen zu, der ewig
erzeugende Geiſt Gottes. Denken iſt Gott-ausſprechen,
iſt ſich geſtalten in der Harmonie, — ich wage nicht
einen Seitenblick zu thun, aber ich fühls daß im Be¬
greifen der Geiſt Gottes ſich erzeugt im Menſchengeiſt,
und zu was wär dieſer Keim der Gotterſcheinung im
Menſchengeiſt, wenn er nicht durch ewiges Streben ihn
ganz entwicklen ſollte? — der einzige Zweck alles Le¬
bens, Gott faſſen lernen! und das iſt auch unſer inne¬
rer Richter. Was Gott nicht entwickelt das bliebe lie¬
ber ungeſchehen, denn es iſt nicht Melodie, — was aber
unmelodiſch iſt, das iſt Sünde denn es ſtört die Har¬
monie Gottes in uns, es klingt falſch an aber alle
große Handlung weckt die Harmonie, alle Sterne klin¬
gen mit ein, drum iſt groß Denken groß Handlen auch
ſo ſelbſt befriedigend, es löſt die gebundnen Accorde in
uns auf in höhere Harmonieen und ſteigern ſich die
muſikaliſchen Tendenzen durch allſeitiges Erklingen al¬
[18] ler mittönenden Accorde. — Aber ich kann nicht mehr
weiter drüber denken, ich träume nur, und ſchlafe tiefer
über dem Saitenſpiel meiner Gedanken ein und mir
entſchlüpft alles ungeſagt. —
Du lebſt und ſchwebſt in freier Luft, und die ganze
Natur trägt Deinen Geiſt auf Händen; ich dräng mich
durch zwiſchen Witz und Aberwitz, und hier und dort
nimmt mich die Albernheit in Beſchlag; und wenn ich
Abends zum ſchreiben komm, und muß das Unmögliche
denken, was unmöglich iſt auszuſprechen, dann bin ich
gleich traumtrunken, und dann ſchwindelt mir wenn
ich die Augen öffne; die Wände drehen ſich und der
Menſchen Treiben dreht ſich mit. — Und obs doch nicht
noch in der Sprache verborgne Gewalten giebt, die wir
noch nicht haben? — noch nicht zu regieren verſtehen;
— das ſchreib mir, ob Du es auch glaubſt, und ob
wir da hindringen könnten das Ungeſagte auszuſpre¬
chen, denn gewiß ſo wie die Sprache ſich ergiebt ſo
muß der Geiſt hereinſtrömen, denn der ganze Geiſt iſt
wohl nur ein Überſetzen des Geiſt Gottes in uns.
Gute Nacht.
Bettine.
[19]An die Bettine.
Du meinſt wenn Du taumelſt und ein bischen trun¬
ken biſt das wär unausſprechlicher Geiſt? — und Du
beſäufſt Dich aber auch gar zu leicht, — weil Du den
Wein nicht verträgſt, Du meinſt es müßten neue Sprach¬
quellen ſich öffnen um Deine Begriffe zu erhellen. Werd
ein bischen ſtärker, oder trinke nicht ſo viel auf einmal,
wollteſt Du Dich feſter ins Auge faſſen, die Sprache
würde Dich nicht ſtecken laſſen.
Von der Sprache glaub ich daß wohl ein Menſchen¬
leben dazu gehört, um ſie ganz faſſen zu lernen, und
daß ihre noch unentdeckten Quellen, nach denen Du for¬
ſcheſt wohl nur aus ihrer Vereinfachung entſpringen.
Den Rath möchte ich Dir geben, daß Du bei Deinem
Ausſprechen von Gedanken das Beweiſen aufgiebſt, dies
wird Dirs ſehr erleichtern. Der einfache Gedankengang
ergießt ſich wohl von ſelbſt in den Beweis, oder was
das nemliche iſt: die Wahrheit ſelbſt iſt Beweis. Be¬
weislos denken iſt, Freidenken; Du führſt die Beweiſe zu
Deiner eignen Aushülfe. Ein ſolches freies Denken verein¬
facht die Sprache, wodurch ihr Geiſt mächtiger wird.
Man muß ſich nicht ſcheuen das was ſich ausſprechen
[20] will, auch in der unſcheinbarſten Form zu geben, um ſo
tiefer und unwiderſprechlicher iſts. Man muß nicht be¬
theuern weil das Mißtrauen gegen die eigne Eingebung
wär. — Nicht Begründen: weil es eingreift in die freie
Geiſteswendung, die nach Socrates, vielleicht Gegenwen¬
dung wird, und nicht Bezeugen oder Beweiſen wollen
in der Sprache weil der Beweis ſo lang hinderlich iſt,
dem Geiſt im Wege iſt, bis wir über ihn hinaus ſind;
und weil dieſe drei Dinge unedel ſind, ſowohl im Leben
wie im Handeln, wie im Geiſt. Es ſind die Spuren
des Philiſterthums im Geiſt.
Freier Geiſt verhält ſich leidend zur Sprache und
ſo verhält ſich auch die Sprache leidend zu dem
Geiſt, beide ſind einander hingegeben ohne Rückhalt,
ſo wird auch keins das andre aufheben, ſondern ſie
werden ſich einander ausſprechen ganz und tief. —
Je vertrauungsvoller, um ſo inniger. — Wie es in
der Liebe auch iſt. — Was ſollte alſo die Sprache
am Geiſt zu kurz kommen? — Liebe gleicht alles aus. —
Trete nicht zwiſchen ihre Liebkoſungen ſie werden einan¬
der ſo beſeligen daß nur ewige Begeiſtrung aus beiden
ſtrömt. — Und hiermit wär Deine Ahnung von der Ge¬
walt des Rhythmus wohl auch berührt, beweiſen wollen
wir ja nicht. —
[21]
Alles was wir ausſprechen, muß wahr ſein weil wir
es empfinden. Mehr müſſen wir für andre auch nicht
thun, denn das ſondert jene nur von dem kindlichen
urſprünglichen Begriff. — Wir müſſen des andern Geiſt
nicht als Gaſt in unſre Begriffe einführen, ſo wie ein
Gaſt auch weniger das Heimathliche begreift, er muß
ſelbſt durch das Manglende im Ausdruck auf die Spur
des Begriffs geleitet werden, da nur im unverfälſchten
Vertrauen, oder im vollkommnen Hingehenlaſſen, ſelbſt
in ſcheinbar Nachläſſigem (was doch nur vertrauungs¬
volle heilige Scheu der Liebe iſt) ſich der Geiſt oft erſt
orientirt; zum wenigſten wirds ihm viel leichter. —
Mag nicht oft tiefere Wahrheitsſpur verſchwunden
ſein, wo nach ihrer Bekräftigung ſuchend, ihr urſprüng¬
licher Keim verletzt wurde.
Haben nicht die geiſtſchmiedenden Cyclopen mit dem
einen erhabenen Aug auf der Stirne die Welt ange¬
ſchielt, ſtatt daß ſie mit beiden Augen ſie geſund wür¬
den angeſchaut haben? — Das frag ich in Deinem
Sinne die Philoſophen, um ſomit hier alle weitere Un¬
terſuchung aufzuheben, und erinnere mich zu rechter Zeit
an Deine leichte Reizbarkeit.
Leb wohl! an meinem Fenſter giebts heute zu viel
Einladendes als daß ich widerſtehen könnt der Muſe
[22] die mich dahin ruft. — Leb wohl! ich habe Dich
recht lieb.
Caroline.
Mit Dir kann ich ſo ſprechen Du verſtehſt es, kein
andrer wahrſcheinlich. — Oder wer müßte das ſein? —
An die Günderode.
Ich war heut draus bei der Großmama, ſie war
allein, den ganzen Nachmittag, und wir ſprachen erſt
von Dir, die Großmama war einen Augenblick beſchäf¬
tigt, ſo lief ich in den Garten um ihn nach langer Zeit
wieder zu ſehen, aber wie war ich da erſchrocken wie
ich auf die Hoftreppe kam, ich erkannte den Garten nicht
wieder; denke! — die hohe ſchwankende Pappelwand,
die himmelanſteigenden Treppen die ich alle wie oft
hinangeſtiegen bin um der Sonne nachzuſehen, um die
Gewitter zu begrüßen; durchgeſchnitten! — zwei Drittel
davon in grader Linie abgeſägt! — ich wußte nicht wie
mir geſchah und alles will ich gern begreifen und lernen,
was ſoll mir das ſchaden, aber dieſe Pappeln, dieſe
Zeugen meiner frühſten Spielſtunden die mich als Kind
[23] von drei Jahren mit ihren Blüthen beregneten, in die
ich hinaufſtaunte als ob ihre Höhe in den Himmel
reiche. Ach was ſoll ich da dazu ſagen daß die als
Stumpfe mit wenig Äſten noch verſehen neben einander
ſtehen gemeinſamen Schimpf und Leid tragend. — Ach
Ihr Baumſeelen wer konnte Euch das thun? — nun
ziehen alle frühen Kindheitsmorgen an mir vorüber wo
ich ihre Wipfel von weitem im Gold glänzen ſah, und
daß ſie mir winkten ich ſoll mich eilen und kommen
und wie hab ich oft ihre jungen Blättchen betrachtet
und keins abgebrochen je! — ach es ſchneidet mir ins
Herz — es war als könnten ſie nicht mehr ſprechen
als ſei ihnen die Zunge genommen denn ſie können ja
nicht mehr rauſchen. So war ihr Stummſein eine bit¬
tere bittere Klage zu mir die ich ewig mit mir herum¬
tragen werde, und keinem ſagen als nur Dir. Du weißt
wie Du oft ſagteſt wenn wir da gingen daß ihr Rau¬
ſchen mitſpreche und wie ſie uns abſonderten von der
ganzen Welt, und wie ſie einen Dom über uns bauten,
und gegenüber die hohe Roſenhecke die über die Wand
vom Bosket hereinſchwankte die ſteht jetzt auch ohne
Schutz, und die Nachtigallen die das heilige Dunkel ge¬
wohnt waren, wie wirds da ſein wenn die im Frühjahr
wiederkommen. — Ach ich bin betrübt darüber. — Die
[24] Kindertage wo ich dort mit dem reinlichen Kies ſpielte,
und mit roſenfarbnen Steinchen und ſchwarzen und gel¬
ben, bunte Reihen um ihre Stämme legte. — Und
konnte ſo verſteckt hinüberklettern ins Bosket, wie kann
einem doch das Paradies wo die Seele all ihren Zauber
einpflanzt ſo jämmerlich zerſtört werden? — aber be¬
daure Du mich nur nicht, denn hör nur; — als ich
zurückkam zur Großmutter — ſah ich blaß und zerſtört
aus und ſie ſah wohl die Spuren von meinen Thränen.
— Sie ſah mich an ein Weilchen — und ſagte: „Du
warſt im Garten?“— da reichte ſie mir die Hand. — Was
ſollt ich ſagen? — ich ſchwieg, und ſie auch. — Sie ſagte:
„Ich werd wohl nicht mehr lang leben!“ — ich wagte
nichts zu ſagen — aber bald darauf machte ſie das
Nebenzimmer auf, von wo man nach dem Garten ſieht,
und ſagte: „das Rauſchen im Abendwind war meine
Freude, ich werds nicht mehr wieder hören, ich hätt mirs
laſſen gefallen wenn ich unter ihrem Rauſchen am letz¬
ten Abend wär eingeſchlafen! ſie hätten mir dieſen feierli¬
chen Dienſt geleiſtet die lieben Freunde die ich jeden
Tag beſuchte, die ich mit großer Freude hoch über
mir ſah; — Du haſt ſie auch geliebt, es war Dein
liebſter Aufenthalt — ich hab Dich oft vom Fenſter
ſe¬[25] ſehen in ihrem Wipfel Abends ſteigen und glaubteſt es
ſäh es niemand — nimm meinen Segen liebes Kind,
ich hab an Dich gedacht wie man ſie trotz der ſchmerz¬
lichen Verletzung meiner Gefühle verſtümmelte.“ — Ich
wagte nicht zu fragen wer die Schuld trüge, denn das
wär zu kränkend für die Großmama geweſen und ich
wußte auch gleich daß nur aus grauſenhaftem Phi¬
liſterſinn ſolche Unthat geſchehen konnt, denn der ahnt
nicht die tiefſten Wunden, der hält alles für Empfin¬
delei was mit den geheimſten geiſtigen Bedürfniſſen
zuſammenhängt; — wie könnte der eine wahrhafte
Liebe denken zu einem lebloſen Ding, denn ſo nennt
der Philiſter die Pflanzen die Bäume die ganze Natur, —
wie könnte der ahnen daß ein höchſt geiſtiger Umgang
mit ihren ſchönen untadeligen Erzeugniſſen ſtattfinden
könne? — Ein Wechſeltauſch von Empfindungen der
eine reine Leidenſchaft zu ihr nährt und beglückt, — wie
könnte dem je begreiflich werden daß ein innerliches
Daſein ſich in ſie überträgt, und daß während die ganze
Welt vergeblich unter Mitgeſchöpfen herumſchwärmt, von
Liebe von Freundſchaft faſelt, der beglückte Beſitzer ei¬
nes Baumes der vor ſeiner Thür ſteht, in ihm den Freund
gefunden hat. —
Die alte hundertjährige Bas kam mir vor der
II. 2[26] Thür auch damit entgegen „iſts nicht barbariſch? —
und daß die Großmama ſtillſchweigt dazu, — wärſt Du
nur hier geweſen es wär nicht geſchehen.“ —
Ich bin noch einmal in den Garten gegangen
wie es dunkel war, denn am Tag hingehen ſchien mir
beleidigend für die edlen Bäume; — ich hab Ab¬
ſchied genommen vom Garten, ich mag nicht wie¬
der hineingehen. — Ich hab auch den Gärtner beſucht
im Bosket, der ſagte mir, es habe ihn ſehr betrübt
daß dieſe Bäume abgehauen wären er habe ſo man¬
ches ſich immer gedacht dabei, jetzt könne er nichts mehr
von ihnen ſehen und hätt auch die Luſt verloren die
Roſenhecke zu pflegen. — Nun! — ſagte ich, aber in
Gedanken können wir immer alles ſehen was wir lieb
haben? — das gab er zu — ſo gebt doch auch die Ro¬
ſenhecke nicht auf, je höher ſie wächſt, je mehr könnt ihr
Euch dabei denken daß im Gedächtniß alles Schöne
fortblüht. — Daß bewilligte er mir, und er meinte ich
ſolle gewiß nicht klagen daß er ſie verſäumt hätte wenn
ich wieder käm. — Im Gärtner liegt wahres Genie zu
einem ſolchen Umgang mit ſeiner Umgebung in der
Natur. —
Noch kurz eh ich mit Dir bekannt war hab ich
manchmal oben in den Baumwipfeln meine Stim¬
[27] mungen über die Naturerſcheinungen aufgezeichnet; ſo
kindiſch und unvermögend mich auszuſprechen, ich hab
ſie in einer Mappe aufgehoben, da ſchreib ich Dir eines
auf, zur Gedächtnißfeier.
Vor zwei Jahren geſchrieben am Oſtermontag.
O himmliſch Grün das unter Eis und Schnee in
brauner Hülle ſich barg, und jetzt dein glühend Haupt
im Antlitz der Sonne krönt.
Geliebter Baum! könnt ich umwandlen doch, in
dein ſanft rauſchend Laub, jene flüſternde Sproſſen, die
mit glänzendem Finger die Muſe bricht himmliſcher
Glorie voll, die Stirn zu umflechten dem Liebling, der
mit Helm und Speer, oder Bogen-gerüſtet wo viel
goldne Pfeile dahin fliegen, oder Roſſe jagend oder mit
leichtem Fuß zwölfmal umrennend das Ziel, oder auf¬
leuchtend mit der Flamme des Lieds, um ſie wirbt.
O Baum dich umdrängt heut der Bienen Schaar,
ſie ziehen dem Duft nach, der honigregnenden Blüthe,
ſie ſammeln ihren befruchtenden Staub, und verſummen
die Tagesgluth in deiner Krone kühlem Rauſchen. Aber
dann würd in deinem Schatten ruhn, der König iſt am
Mahle des Geiſts, und nähren würde deine Wurzel
2*[28] die Fluth, die den eignen Gott im Buſen ihm begeiſtert,
zu alleroberndem Triumph.
Begegne dir nichts was dich beleidigt o Baum! den
keiner der Unſterblichen umwandelt. Ich zwar träume
den Frühling in deinem Schatten, und mir deucht von
Unnennbarem widerhallen zu hören, rings, die Wälder
und die Hügel.
An die Günderode.
Ich leſe Deinen Brief und ſchäme mich vor Dir
wie Du ſo edel und einfach mein verwirrtes Denken
zurecht richteſt, und ich kann nicht ans Antworten den¬
ken weil ich ſo voll Unruh bin. Die Bäume kränken
mich; ich kanns nicht begreifen wie die Großmama ſich
nicht beſſer gewehrt hat, das iſt ihre zu tiefe Empfind¬
lichkeit, unterdeſſen hat man ihren Lieblingen den Hals
abgeſchnitten, man muß ſich wehren für die Seinigen
und dem Schlechten in den Arm greifen der es anta¬
ſtet. Alles Erhabne und Schöne iſt Eigenthum der
Seele die es erkennt, und durch die Erkenntniß iſt ſie
ſchutzverpflichtet. Alles iſt der Teufel, es ſei denn reine
freie Gewiſſenswahrheit, und ich weiß keine höhere An¬
[29] weiſung an den Geiſt als: frag Dich ſelber! und
wenn da einer nicht das Rechte findet ſo iſt er ein
Eſel, und alles was ſich ſchreckendes dem inneren Wil¬
len entgegen wirft das muß bekämpft und verachtet
werden, er iſt der Ritter der das Waſſer des Lebens
zwiſchen feuerſpeienden Drachen und eiſernen Rieſen
ſchöpft, vor ſeiner Verachtung und ſeinem Muth wer¬
den ſie ohnmächtig. In Feenmärchen iſt die heiligſte
Politik, und auch die mächtigſte; ich wollt der größte
Staatsmann werden und die ganz Welt unter meinen
Fuß bringen, blos daß die blaue Bibliothek mein gehei¬
mer Kabinetsrath wär; und die Leut würden ſich er¬
ſtaunen was ich als für Weisheit beſäß. — Der Gro߬
mama möcht ichs ſagen, ſie wird es ganz gut aufneh¬
men; und ich brauch ſie auch nicht zu ſchonen. — Was
iſt? — die Großmama hat eine tiefe Seele, — andre
nennens Empfindſamkeit, Tiefe iſt allemal Gewalt, aber
ſie iſt gebunden und die Gewalt weiß nicht wie leicht
ſie die Feſſel abwerfen kann, hab ich mir doch manch¬
mal den Athem faſt ausgeblaſen wenn wir Morgens
im Wald uns ein Feuerchen wollten machen zu unſerm
Plaiſir, und es iſt immer wieder ausgegangen und ich
habs immer am kleinſten Köhlchen wieder angezündt,
ich will auch blaſen in der Großmutter ihr Judicium,
[30] warum iſt ſie betrübt wenn es nicht iſt daß ſie dadurch
begreifen lernt was ſie den Bäumen ſchuldig war, alle
Kraft iſt man der Welt ſchuldig, und dem der uns am
nächſten ſteht am erſten. Alle Anregung iſt ein Auf¬
wühlen des inneren Herzgrund und das Unkraut muß
untergepflügt werden daß es die Wahrheit muß dün¬
gen, ich weiß nicht was ich ſagen wollt; ich bin unru¬
hig, verzeih mirs ich kann Dir nicht auf Deinen Brief
antworten, ich wär ſo gern heut wieder nach Offenbach,
aber Alles fuhr nach Rödelheim, und wir haben im großen
Himmelspurpurmantel mit eingehüllt, auf der Wieſe uns
amüſirt bis es Nacht war, ich ging mit dem Franz zu
Fuß nach Haus, die andern fuhren, der Franz hat mir
allerlei Schönes und Gutes geſagt unterwegs, ich hing
mich mit beiden Händen an ſeinen Arm und verhopſte
alles, wie wir an die Bockenheimer Warth kamen ſagte
er, häng Dich doch jetzt an den linken Arm denn der
andre iſt mir ſchon eine Viertel Elle länger gereckt, da¬
mit der doch auch ſo lang wird.
Am Montag.
Die Meline geht mit Savigny nach Marburg und
ſagt ich ſoll auch mit, ich ſag nicht ja, aber die Meline
ſagt: „wer ſoll für Dich ſorgen wenn ichs nicht thu, Du
[31] wirſt hier alles verſchlampen alles vergeſſen alles verrei¬
ßen alles verſchenken alles verderben, Du mußt mit.“ —
Kommſt Du früher als die Zehen ſo bleib ich hier, denn
da hab ich einen Altar an den ich mich feſthalte, kommſt
Du aber nicht ſo weiß ich daß ich auf dem Glatteis
wie mirs unter den Fuß kommt dahin fliege ohne Wi¬
derſtand, es führt mich ja auch eben ſo ſchnell zurück zu
Dir, aber der Savigny ſchreibt, ich ſoll Dir ſagen daß
er in den Sternen geleſen habe Du werdeſt nach Mar¬
burg kommen. — Da leg ich Dir noch ein Blatt aus
meiner Pappelbaum-Correſpondenz bei, ich hab doch alle
Pfingſten der ich mich erinnere unter dieſen Pappeln
zugebracht, — dies ſchrieb ich ihnen am letzten Pfingſt¬
feſt, die ſchönſten Tage im Jahr iſt Pfingſten, der Früh¬
ling feiert gekrönt ſeinen Sieg. Wie war ich ſo ſeelen¬
zufrieden an jenen Tagen, alles ging aus ins weite
Feld ſpazieren, alles fuhr über Land in ſchönen Klei¬
dern, ich war auch weiß geputzt, und die Haare ſchön
gelockt und mit flatterndem Band und gelben Schuhen
beſucht ich ſchon früh den Baum; heut konnt ich nicht
hinaufklettern, ich hätte Schuhe und Kleid verdorben,
darum dauerte mich der Baum, ſo fuhr ich lieber nicht
mit ſpazieren, und hielt ihm Geſellſchaft, und weißt Du
was mich, der Natur ſo anhängig macht? — daß ſie
[32] manchmal ſo traurig iſt, — andre nennen das Lange¬
weile was einem zuweilen ſo mitten im Sonnenſchein
wie ein Stein aufs Herz fällt, ich aber leg es ſo aus:
plötzlich ſteht man ohne es zu wollen, ihr, der Allgöttin
gegenüber, ein geheim Gefühl der unendlich zärteren
Sorge die ſie auf uns verwendet, als auf alle anderen
Geſchöpfe, macht uns ſchüchtern; alles umher gedeiht, jed
Stäudchen jed klein Käferchen zeigt von ſo tiefer fein¬
gegliederter Bildung, aber wo iſt auch nur ein Knösp¬
chen in unſerm Geiſt was nicht vom Wurm angenagt
wär, ſind wir nicht vom Staub befleckt, und zeigt ſich
ein Blättchen unſerer Seele in ſeinem glänzenden
Grün? — Wenn ich einen Baum begegne der vom
Mehlthau oder vom Raupenfraß erkrankt iſt, oder eine
Staude die verkeimt, dann mein ich das iſt Sprache
der Natur, die uns das Bild einer ungroßmüthigen
Seele zeigt. — und wären alle Fehler des Geiſtes über¬
wunden, wären ſeine Kräfte in voller Blüthe, wer weiß
ob dann in der Natur noch ſolcher Mißwachs oder
ſchädlich Unkraut wär, ob der Brand noch ins Korn¬
feld käm, ob noch giftige Dolden wüchſen, wer weiß ob
noch ſolche traurige Augenblicke in ihr wären die einem
das Herz ſpalten; und man wendet ſich ab weil man
nicht ahnen will, was tief im Herzen, ſchmerzlich mit
[33] wehklagt. Nein ſie findet kein Gehör die Mutter, ob¬
ſchon ihre Vorwürfe ſo zärtlich ſind, daß ſie einem
gleich in ihren Schleier hüllen möcht, und das Gift der
Krankheit möcht ſie mit ihren Lippen ausſaugen, und
aus ihrem Blut Balſam miſchen uns zu heilen.
„Beweißlos denken iſt frei denken!“ dies eine
nur laß mich Dir mit einem Beweis noch bekräftigen
zum Beweis daß ich Dich verſteh! — Denken ſelbſt, iſt ja
von der Wahrheit ſich nähren, ſonſt wärs Faſeln und
nicht Denken. Denken iſt, jenen Balſam trinken den die
Mutter aus ihrem Blute miſcht, der uns von Schwä¬
chen heilt, iſt ja Gehör geben ihren zärtlichen Vorwür¬
fen; und durch Beweis dem eignen Herzen die Liebe
darlegen wollen die ſo ohne Rückhalt ſich uns ergiebt,
iſt Beweis genug daß ſie das Herz nicht rührte. — Die
Wahrheit rührt das Herz, iſt Geiſt, der augenblicklich
höher ſteigt im Empfangen der Wahrheit ſelbſt, und
ſich nach höherem umſieht. Du biſt höher geſtiegen in
dieſer Erkenntniß der reineren Geiſtesform, Du haſt ſeine
Krücken weggeworfen. — Sie ſagen: wie will der Geiſt
fortkommen ohne Krücken? — er hat ja keine Füße! —
er wirft des Anſtands enges Wamms auch noch ab. —
„Seht ich habe Flügel!“ und Deine Vertheidigung wie
willſt Du die führen wenn Du keine Waffen haſt, fra¬
2**[34] gen die Philiſter. — „Ich bin Gott-atlethe, wer mit
mir ringen wird der mag meinen Triumph ohne Waffen
um ſo tiefer fühlen. Ich bin dann, und ſie ſind nicht
mehr, die mit mir ringen; und wen ich nicht überwinde
der reicht auch nicht an mich heran mich zu bekämpfen.“
— Ja ich fühls deutlich wie tief Recht Du haſt, es iſt
einzig reine und heilige Sprachquelle, die Wahrheit
ohne Beweis führen. Sprach und Geiſt müſſen ſich lie¬
ben und da brauchts keiner Beweiſe für einander, ihr
gegenſeitiges Erfaſſen iſt Liebe die ſich in ewigen Ge¬
fühlen zu den Sternen hebt, — Du biſt überwunden
Du biſt ein Gefangner des Geiſtes — er beſitzt Dich
und tritt vor, und ſpricht Dich aus. — Gute Nacht!
ſchon ſehr ſpät. —
Vor zwei Jahren geſchrieben am Pfingſtmontag.
Bäume die ihr mich bergt, mir ſpiegelt in der Seele
ſich, euer dämmernd Grün, und von euern Wipfeln
ſeh ich ſehnend in die Weite.
Dorthin fließt der Strom und hebt nicht zum Ufer
die Wellen, und es jagt nicht mit den Wolken, ſeine
fröhlichen Schiffe, der Wind.
Der hellere Tag flieht, und mein Gedanke lauſcht
[35] ob Antwort vielleicht, ein ſauſender Bote von dir ihm
bringe, Natur!
O du! — du der ich rufe, warum antworteſt du
nicht? — Immer gleich Herrliche! Alllebendige!
Schauder über Schauder flößt mir, Herr! Herr!
deine Natur ein.
Da ſenkt ſich der Wagen des Donnerers, die Berge
hallen, es brauſt und duftet, und weht! — Wohin Ihr
Nebel? — Ihr Rauchſäulen? — Wohin wandelt Ihr
alle? — Warum bin ich! — Warum mich an deinen
Buſen Natur, wenn nicht erquickend mirs quillt aus
deinen Tiefen, wie aus den Bergen quellen die rau¬
ſchenden Waſſer.
Ich hör dich Donnerer langſam ziehn am wind¬
ſtillen Tag übers Gebirg, in meiner Seele Saiten tönts
nach, ſie bebt die Seele, und kann nicht ſeufzen.
Luſt und Hoffnung, Ihr habt oft mich gewiegt wie
die rauſchenden Wipfel, Ihr ſchienet endlos mir einſt,
wie jetzt mein düſterer Tag.
Da brechen die Wolken, und ſtrömen unter dir,
Befreier! — und rings trinkt die Erde — und deine
Donner — wohin? — Und Ihr athmet wieder, Wie¬
gengeſang flüſtert wogt in eurem Laub das mich um¬
fängt.
[36]
Und ich will gern wieder leben mit euch allen Ihr
Bäume, die Ihr trinkt, ſegnende Ströme vom Himmel,
und fröhlich wieder, ſäuſelt im Wind.
An die Günderode.
Heut Morgen wach ich auf vom Rufen der Ita¬
liener die Parapluies feil tragen, die wahre Lock¬
ſtimme für mich, — unwiderſtehlich, ich denk gleich
der Italiener mag Regen wittern, denn ſonſt gehn ſie
nicht ſo früh herum, ich laß die Liesbeth den Mann
heraufholen und lauf zur Meline — die liegt noch im
Bett, — ob wir nicht einen Parapluie wollen kaufen
mitzunehmen nach Marburg? die Meline kriegt einen
Schrecken — ſie glaubt ich habs Fieber daß ich
nach einem Parapluie frag, unterdeſſen war il signor
Pagliaruggi vor der Thür, und ein grünſeidner Regen¬
ſchirm gekauft den ich auch gleich probiren wollt, ſo
ging ich vors Thor in die Meſſ am Main, und ſo blieb
ich bei den Klikerfäſſern ſtehen und kauft an dreißig Kli¬
ker, einer ſchöner wie der andre, von Achat und Marmor
und Kryſtall, damit ging ich hinunter am Main wo die
Steinergeſchirrleut halten, und beſuchte die in ihren ſtro¬
[37] hernen Hütten, und die Eſel die mit herzlichem Geſchrei
mich begrüßten, und die kleinen Hemdloſen die da herum¬
laufen und klettern, — und theilt ihnen meine Kliker
aus, ſie hatten keine Taſchen weil ſie nackend laufen, ſo
mußt ich ihnen meine Handſchuh geben daß ſie die Kliker
konnten aufheben, die banden ſie ſich mit Bindfaden
um den Leib feſt, das war kaum geſchehen ſo rief mich
ein Schiffer an ob ich nicht wollt überfahren, — ich
frag: es wird wohl regnen? — „nun was ſchads Sie
haben ja ein Wetterdach bei ſich.“ Wie ich drüben war ſo
denk ich, ich will nach Oberrath gehn, zur Großmama
ihrer Milchfrau und da Milch trinken, wie ich an der
Milchfrau ihr Haus komm, ſo ſagen die Leut, alleweil
iſt die Anemarie fort mit der Milch nach der Gerber¬
mühl, wie ich auf die Gerbermühl komm ſo läuft mir
die Annemarie ſchon fort nach Offenbach mit der Milch,
ich ſag ich will mit ihr gehen, ſie hat ihre zwanzig Ge¬
müßkörb auf dem Kopf und ihre Milchkann am Arm
und ſo ſchlendert der groß Gemüßthurm und ich als
hintereinander durch die Hecken, ſagt die Annemarie „es
fängt ſchon an zu trepele es werd gleich e dichtiger
Schitel komme, warte Se ich will Ihne ans von dene
klene Körbercher gebe des könne Se uf den Kop ſetze
do kommt Ihne ken Rege an.“ — Nun fällt mir ein
[38] daß ich doch das Wetterdach den Parapluie mitgenom¬
men hab, wo iſt der geblieben? entweder ich muß ihn
haben bei den nackigen Büberchen laſſen ſtehn, oder ich
hab ihn im Schiff liegen laſſen, beides iſt gleich mög¬
lich, ich konnt ihn alſo die Waſſerprob nicht halten
laſſen; ſo ſetzt ich der Milchfrau ihr rundes flaches Ge¬
müßkörbchen mit Blumenkohl auf den Kopf, ſie ſagt,
Sie ſehn ſo ſchön drunter aus wie die ſchönſt pariſer
Madam. — Es war recht luſtig, es begegneten mir al¬
lerlei Leut die dachten ich wollt balanciren lernen, der
Regen hatte bald wieder aufgehört, ſo war ich ohne
dran zu denken bis Offenbach gelaufen, an der Kaſta¬
nienallee nahm ich den Korb ab. In der Stadt war
recht Sonntagswetter, alles voll Sonnenſchein und in
der Domſtraß lag auf jeder Haustrepp vor der Thür
ein Jolie mit dem blauſeidnen Halsband, alle Jolies
kennen mich, ſie kamen an mich herangebellt, und
da kamen die Spitze auch, und Bommer, und endlich
auch dem Anton Andree ſeine engliſche Docke mit ſieb¬
zehn Jungen die ſchon ziemlich herzhaft bellen. Die
Milchfrau blieb ein paarmal ſtehen um das Springen
und Toben der Hunde zu ſehen, und auch aus Furcht
ſie möchten ihr den Gemüßthurm aus der [Balance] brin¬
gen. Ei, ſagte ſie, der türkiſch Kaiſer kann nicht ſchöner
[39] begrüßt werden, die bleiben ja in einem Vivatrufen.“ —
So klingelten wir an der Hausthür, die Couſine mel¬
dete daß die Großmama noch ſchlief, in den Garten
wollt ich nicht gehen, ich blieb vor der Thür ſtehen bei
den Hunden, da kam mein guter Herr Arenswald vorbei,
er nahm den Hut ab, ich ſagte ihm nicht daß er ihn
wieder aufſetzen ſolle denn ich hatte geſehn, daß ein
Loch drinn war, und wollte dieſe Wiſſenſchaft gern vor
ihm verbergen. Er erzählte mir, er habe dieſen Sommer
eine Reiſe nach der Schweiz gemacht, weil er ſeinem
Drang die Natur dort zu betrachten, nicht habe wider¬
ſtehen können, er bereue es auch gar nicht, obſchon es
ihm viel gekoſtet, ja er glaube es ſei ſein letzter Heller
drauf gegangen, ich war etwas beſchämt und wollte
ihm bei dieſer vertrauten Mittheilung nicht grad ins
Geſicht ſehen, meine Augen fielen auf ſeine Stiefel, da
präſentirte ſich ganz ungerufen, der kleine Schelm ſein
großer Zehe, welchen Arenswald durchaus nicht bei der
Audienz dulden wollte, denn er drückte ihn unter den
Abſatz vom andern Stiefel, der leider wie ein ſchlecht¬
geſchloßner Laden vom Wind auffuhr, wo ſollt ich meine
Augen hinrichten? — ich ſah auf ſeinen Bauch da fehl¬
ten alle Knöpfe und die Weſte war mit Haarnadeln
zugeklemmt, wo er die mag her erwiſcht haben, denn er
[40] trägt einen Caligula, welches bekanntlich die höchſte ge¬
niale Verwirrung im Haarſyſtem iſt, wozu man weder
Pomade, noch Kamm, noch Haarnadel braucht, ſondern
nur Staub und Stroh, damit die Schwalben und Sper¬
linge immer Material für ihre Bauten da finden. Un¬
terdeß erzählte er mir, es ſei ihm in der Schweiz was
Sonderbares geſchehen, man habe ihm nemlich erzählt,
daß es in waldigen Berggegenden eine Art Schnecken
gäb die ſehr ſchmecken, und daß auf dem Weg von Lu¬
zern irgendwohin auf einem Berg ſehr viel ſolcher
ſchmeckender Schnecken giebt, er habe ſolche auch in
Maſſe im Wald angetroffen, und einen ſo ſtarken Ap¬
petit danach bekommen daß er ihrer mehrere gegeſſen
und ganz ſatt davon geworden ſei, als er ins Wirths¬
haus zurückkam verbat er ſich ſein Mittageſſen weil er
zu viel von den ſo gut ſchmeckenden Schnecken gefun¬
den, und habe ſie mit ſo großem Appetit verzehrt daß
er unmöglich noch was genießen könne. Wie? — ſagte
der Wirth Sie haben die ſchmeckenden Schnecken gegeſ¬
ſen? — nun ja warum nicht, ſagten Sie nicht ſelbſt daß
die Schnecken ſehr wohlſchmecken und daß die Leute ge¬
waltig danach her ſind ſie zu ſammlen? — Ja! „ſehr
ſchmecken“ hab ich geſagt aber nicht: wohl! —
ſchmecken heißt bei uns ſtinken und die Leute ſamm¬
[41] len ſie für die Gerber um das Leder einzuſchmieren.“ —
So hab ich alſo dieſes Gerbermittel geſpeiſt und mich
ſehr wohl dabei befunden, erzählte Herr Arenswald, wäh¬
rend ich ſehr erröthet in die Luft guckte, denn es war
kein andrer Platz da, ohne auf eine grobe Sünde des
gänzlichen Mangels zu ſtoßen. — Die Schneckenmahl¬
zeit mag nun wahr ſein oder auch erfunden, um mir
auf eine feine Art verſtehen zu geben daß ihn der
Hunger dazu gezwungen. Die Couſine rief mich herein,
und Arenswald nahm, wie bei hohen Potentaten, rück¬
wärtsgehend Abſchied von mir, woraus ich ſchloß daß
es von hinten auch nicht beſſer mit ihm beſtellt ſein möge.
Alſo erſt die Begrüßung bei meinem Einzug, der Jubel
war türkiſch-kaiſerlich nach der Milchfrau, der Gemü߬
korb mit Blumenkohl war meine Kron, den Baldachin,
den Parapluie, hatt ich im Schiff gelaſſen, die erſt Audienz
war auch mit allen kaiſerlichen Ehrenbezeugungen vor
ſich gegangen, unterwegs hatt ich großmüthige Geſchenke
gemacht an die nackigen Büberchen, Arenswalds Audienz
war auch eine unterthänigſte Ansherzlegung des menſch¬
lichen Elends. Was will ich mehr? — immer hats mir im
Sinn gelegen ich werde noch zu hohen Würden ſteigen. —
Ich werd auch geruhen, des ſchmeckenden Schnek¬
kenfreſſers außerordentliche Verdienſte um die Selbſt¬
[42] erhaltung zu belohnen, durch den Jud Hirſch der morgen
nach Offenbach geht; wenn mirs nur nicht bis morgen
aus den Gedanken kommt wie der Parapluie, ein Fehler
den ich mit allen hohen Häuptern gemein hab. — Die
Großmama war mir ſehr freundlich, wir ſprachen von
Dir, ſie will daß Du ſie beſuchſt wenn Du zurückkehrſt.
Ich ſagte ihr daß ich, wenn ſie es erlaube, nach Marburg
gehen werde mit der Meline, dieſe kleine Ehrfurchtsbezeu¬
gung um ihre Einwilligung zu bitten ſchmeichelte ihr
ſehr, ſie gab mir ihren beſten Segen dazu, nannte mich
„Tochter ihrer Max, Kindele, Mädele,“ ringelte mein
Haar während ſie ſprach, erzählte im ſchwäbiſchen Dia¬
lect, was ſie nur in heiterer Weichherzigkeit thut, und
einem Ehrfurcht mit ihrer Liebenswürdigkeit einflößt, ihr
Bezeigen war mir auffallend, da ich vor vier Ta¬
gen ſie ſo tief verletzt, beinah erbittert fand, über die
Schmach die ihrem gütigen Herzen wiederfahren war. —
Sie zeigte mir ein Wappen in Glas gemalt in einem
prächtigen ſilbernen Rahmen mit goldnem Eichelkranz,
worum in griechiſcher Sprache geſchrieben ſteht: Alles
aus Liebe, ſonſt geht die Welt unter, es iſt dem
Großpapa von der Stadt Trier geſchenkt worden weil
er als Kanzler in trieriſchen Dienſten, ſich gegen den
Kurfürſten weigerte eine Abgabe die er zu drückend fand,
[43] dem Bauerſtand aufzulegen; als er kein Gehör fand,
nahm er lieber ſeinen Abſchied als ſeinen Namen unter
eine unbillige Forderung zu ſchreiben; ſo kamen ihm
die Bauern mit Bürgerkronen entgegen in allen Orten
wo er durchkam, und in Speier hatten ſie ſein Haus
von innen und außen geſchmückt und illuminirt zu ſeinem
Empfang. Die Großmama erzählte noch ſo viel vom Sta¬
dioniſchen Haus, worin ſie ſo lang mit dem Großpapa
lebte, wenn ichs nur alles behalten hätt, doch vergeß ich
die Beſchreibung ihrer Waſſerfahrten nicht auf dem See
von Lilien, wo immer ein Nachen voraus fuhr um in dem
Wald von Waſſerpflanzen eine Waſſerſtraß mit der Senſe
zu mähen, wie da von beiden Seiten die Schilfe und Blu¬
men über den Kahn herfielen und die Schmetterlinge —
und alles weiß ſie noch, als wenn es heut geſchehen wär. —
Der Pappeln wollt ich nicht gedenken, die jammer¬
volle Perſon des Arenswald der ſo munter und grün über
ſein Elend hinausſteigt ins Freie, halte mich aus den
Angeln der Empfindſamkeit gehoben, ich will wetten jetzt
wo er Waldſchnecken freſſen kann, daß er noch viel mehr
wagt, und wenn er nur ſo viel hat daß er ſeine Beine
reiſefertig kriegt, ſo muß das andre mit und muß aller¬
lei andre Dinge noch dazu freſſen lernen. Die Großmama
fing aber von ſelbſt von den Bäumen an, bei Gelegenheit
[44] des Wappens, ſie erzählte, der Spruch ſei wirklich Er¬
ſatz dem Großvater geworden, und er habe oft bei der
Einſchränkung in der er ſpäter leben mußte geſagt: „Beſ¬
ſer konnt ich mirs nicht wünſchen.“ — Das Wappen
hing über ſeinem Schreibtiſch, und da er bei Bauer und
Bürger in großem Anſehen ſtand, ſo kamen ſie oft zu
ihm in ſchwierigen Angelegenheiten, da hat er denn durch
den Spruch vom Wappen, manchen zur Gerechtigkeit
oder zur Nachſicht bewogen, er ſei dadurch ſo im An¬
ſehn geſtiegen daß ſein Urtheil mehr wirkte wie alles
Rechtsverfahren, und mancher der dem Buchſtaben des
Geſetzes nach, ſich durchfechten konnte, hat um nicht das
Urtheil des Großvaters gegen ſich zu haben, ſich ver¬
glichen, und der Kurfürſt hat ſich auch wieder mit ihm
verſöhnt und ihm vollkommen Recht gegeben, aber der
Großvater ſchlug ſeine Anſtellung aus, die der Kurfürſt
ihm wieder anbot; er ſagte: „hat mir Gott das Hemd
ausgezogen und gefällts ihm, mich ſchon auf Erden nackt
und blos herumlaufen zu ſehen, ſo will ich mir keine
Staatslivree als Feigenblatt für den menſchlichen Ehr¬
geiz vorhalten, dem Herrn Kurfürſt ſteh ich zu Dienſten
in allen gerechten Dingen, ſo wie mich Gott geſchaffen
hat, und der ſich nicht vor ihm zu ſchämen braucht; ich
mag nicht aus meinem Paradies heraus, denn ich mag mich
[45] mit keinem Feigenblatt inkomodiren, ich bin der unver¬
ſchämteſte Kerl von der Welt und der Kurfürſt iſt die ſitt¬
ſamſte Jungfer die unter den geiſtlichen Würden zu tref¬
fen iſt, er will keinen ſeiner Freunde nackt und blos
herumlaufen oder vor ſein Angeſicht kommen laſſen; aber
mir gefällt es beſſer, ganz nackend mit ſeinen Mumen¬
ſchanzern herumzuſpringen, denn da hab ich den Vor¬
theil daß ſie ſich ſelbſt nicht mehr kennen, denn ſie wiſ¬
ſen ſo wenig was das iſt, ein Menſch ſein, daß einer
der ohne Bemäntlung ihnen die Natur eines Menſchen,
wie ſie vor Gott beſtehen kann, darſtellt, ihnen natür¬
lich zeigen muß daß ſie ſelber Mißgeburten ſind.“ —
In dieſer Art hat der Großpapa auf des Kurfürſten
Anträge geantwortet. — Die Großmama beſitzt noch
eine Correſpondenz wo mehrere Briefe von des Kurfür¬
ſten eigner Hand dabei ſind, mit den Abſchriften vom
Großvater; — der Großvater hatte ein Buch gegen das
Mönchsweſen geſchrieben was gar viel Aufſehen in da¬
maliger Zeit machte, ins Franzöſiſche überſetzt wurde,
das hat mir die Großmama geſchenkt; es war die erſte
Veranlaſſung zur Unzufriedenheit zwiſchen dem Kurfür¬
ſten und ihm, weil darin ſo viel Scandal der Mönche
aufgedeckt iſt, und war auch die erſte Veranlaſſung zur
Verſöhnung, denn der Kurfürſt giebt ihm in einem Brief
[46] ſehr recht, und ſagt: „Wir werden dieſem Ungeziefer das
mich mehr plagt als den armen Lazarus, dem ich mich
gar ſehr vergleiche, ſeine Schwären, noch eine Umwäl¬
zung in unſerer Religion zu verdanken haben, es ver¬
gehet keine Woch daß nicht verdrießliche Berichte dieſer
unflätigen Mönche einlaufen, der Mantel der chriſtli¬
chen Kirche, unter dem ſie alle eingekeilt ſtehn wie ein
Ballen Stockfiſche, reicht nicht mehr zu, ihren Unflat zu
bedecken.“ — Schreibt der Großvater hierauf einen wun¬
derſchönen Brief über Religion und Politik, den ich
nicht behalten hab worin mir aber jedes Wort wie Gold
klang, — er ſagt: in einem großen Herzen müſſe die
Politik blos aus der Religion hervorgehen, oder ſie
müßten vielmehr ganz daſſelbe ſein, ein thätiger Menſch
der ſeine Zeit anwende zu was ſie ihm verliehen ſei,
habe ſie nicht übrig ſie in verſchiednes zu theilen, ſo
müſſe denn ſeine Religion als vollkommner Weltbürger
in ihm ans Licht treten, — u. ſ. w. — Dieſer Brief iſt
ſo herrlich ſo ſeelenrein ſo über alles erhaben wonach
kleinliche Menſchen zielen, aber auch ſo lebendig daß
ich glauben muß, aus einem lebendigen Herzen entſpringt
alle Philoſophie, aber mit Fleiſch und Bein und klopfen¬
dem Herzen fürs Gute, die ſich ewig regt und das ir¬
diſche Weltleben reinigt, geſund macht wie ein Strom
[47] friſcher gewürzreicher Luft; — das thut doch die Philo¬
ſophie nicht die aufs Dreieck ſich ſtützt, zwiſchen Atra¬
ction und Repulſion und höchſter Potenz einen gefähr¬
lichen Tanz hält, die dem geſunden Menſchenverſtand
die Rippen einſtoßen, und er als Invaliden-Krüppel ſich
endlich zurückziehen muß. Und einmal iſt doch die na¬
türliche Geſchichte unſeres Lebens auch unſere Aufgabe,
und ich denke daß wenn der Scharfſinn ſich vom Hof¬
fart unbeleibter Speculation losmachte, und ſich ganz
auf den Zuſtand der ſinnlichen Tagsgeſchichte wen¬
dete: dann müßte kein Gedanke ſo tief oder ſo erhaben
ſein, der nicht im irdiſchen Treiben ſich Platz verſchaffte
und in ſittlichem Sinn ſich bekräftigt und aufwächſt.
— So wie der Großvater möcht ich ſein, dem alle Men¬
ſchen gleich waren, Fürſten und Bauern gleichmäßig auf
den Verſtand anredete, und nur allein durch dieſen mit
ihnen zurecht kam, dem nie eine Sache gleichgültig war
als läge ſie außer ſeinem Kreis; er ſagte: „was ich mit
meinem Verſtand beurtheilen kann, das gehört unter
meine Gewalt, unter mein Richteramt, und ich muß
laut und öffentlich entſcheiden, wenn ich mich vor Gott
verantworten will daß er mir den Verſtand dazu gegeben,
wer ſeine Pfund benützt dem wird noch mehr dazu, und
er wird Herr über alles geſetzt.“ — Ja das bin ich über¬
[48] zeugt, aber ich glaub nicht daß die Philoſophen dies
Ziel erreichen werden, ich glaub eher daß man auf dem
Großvater ſeine Weiſe, die tiefſte Philoſophie erwerbe,
nemlich den Frieden, die Vereinigung der tiefſten geiſti¬
gen Erkenntniß mit dem thätigen Leben. —
Der Großvater ſchrieb noch in einem andern Brief
an den Kurfürſt über den Mißbrauch der vielen Feier¬
tage und Verehrung der Heiligen, er wollte daß eine rei¬
nere Grundlage eine verbeſſerte Religion ſei. — Statt ſo
viel Heiligengeſchichten und Wunderthaten und Reli¬
quien, alle Großthaten der Menſchen zu verehren, ihre
edlen Zwecke ihre Opfer ihre Irrungen auf der Kanzel
begreiflich zu machen, ſie nicht in falſchem ſondern im
wahren Sinn auszulegen, kurz die Geſchichte und die
Bedürfniſſe der Menſchheit als einen Gegenſtand noth¬
wendiger Betrachtung dem Volk deutlich zu machen,
ſei beſſer als ſie alle Sonntag-nachmittag mit Brüder¬
ſchaften verbringen, wo ſie ſinnloſe Gebetverslein und ſonſt
Unſinn ableierten; — und ſchlägt dem Kurfürſt vor, ſtatt
all dieſes mattherzige zeitverſündigende Weſen unter
ſeinen Schutz zu nehmen, ſo ſoll er doch lieber eine Brü¬
derſchaft ſtiften wo den Menſchen der Verſtand geweckt
werde, ſtatt ſie zu Idioten zu bilden durch ſinnloſe Übun¬
gen; da könne er ihnen mit beſſerem Gewiſſen Ablaß
der[49] der Sünden verſprechen, denn die Dummheit könne
Gott weder in dieſer noch in der andern Welt brau¬
chen; aber Gott ſei ein beſſerer Haushalter wie der
Kurfürſt, der laſſe den geſunden Geiſt in keinem zu
Grunde gehen, aber in jener Welt könne nichts leben
als der Geiſt, das übrige bleibe und gehöre zur Petre¬
faction der Erde. — —
Es iſt eine einfache edle Korreſpondenz, wo der
Großpapa ſeinen Charakter nicht einmal verläug¬
net, der Kurfürſt ſchreibt ſchön und edel, und ſchon
das iſt ein Verdienſt daß er ein Wohlgefallen an ſo
tüchtigen Wahrheiten findet; — man hielt ihn we¬
gen ſeinem dicken Leib für gar nicht beſonders geiſt¬
beweglich. — Ich frug die Großmama ob der Gro߬
vater denn Einfluß gehabt habe auf ihn. — Sie
ſagte: „Mein Kind die geringſte Luft hat ja Ein¬
fluß auf die menſchliche Seele! warum ſollte der reine
uneigennützige Geiſt Deines Großvaters keinen Einfluß
auf den Kurfürſt gehabt haben, der eben noch durch die
Anerkenntniß des ganzen Landes auf einer ſo hohen
Stufe ſtand, ſo daß der Kurfürſt gegen ſein eignes unge¬
rechtes Verfahren es zugeſtehen mußte.“ — Schon dies be¬
weiſt auch daß im Kurfürſten eine edle Grundlage war,
es war auch gar nichts Geringes was der Großvater
II. 3[50] aufopferte. — Er hatte in hohem Anſehen und Würden
geſtanden, hatte fünf Kinder die noch ſo jung waren,
und er vertauſchte alles mit einer kleinen Hütte in
Speier wo er am Waſſer ein kleines Gärtchen pflegte,
und in der Beſchäftigung mit dieſem ſich gar glücklich
fühlte, der Großvater war auch ein beſonderer Liebha¬
ber von dunkelrothen Nelken, ich habe mich ſehr ge¬
freut, weil ich eine Ähnlichkeit mit ihm hab. Ich war
zwei Jahr, als er ſtarb. Er hatte einen Stock mit gold¬
nem Knopf und ließ mich mit dem Stockband ſpielen,
ich erinnere mich noch deutlich wie er mich anlä¬
chelte, und ſeine großen ſchwarzen Augen mich verwun¬
derten daß ich darüber den Stock fallen ließ und ihn
anſtarrte, das war das erſte und letztemal wo ich ihn
ſah, — denn noch an demſelben Abend ward er vom
Schlag gerührt. Von dieſen Erzählungen der Gro߬
mama ward mein Gedächtniß ſo lebhaft geweckt daß
ich glaubte mich aller ſeiner Geſichtszüge deutlich zu
erinnern, er trug einen zimmetfarbigen Sammtrock und
ſogar auf einen kleinen dreieckigen Hut mit goldnen
Borden beſinn ich mich den er vom Kopf nahm und mir
aufſetzte und mich damit vor den Spiegel trug, daran
hatte ich niemals gedacht und jetzt weiß ich dieſen Um¬
ſtand ganz genau. — Iſt das nicht wie eine Geiſterer¬
[51] ſcheinung? — und mag die Liebe nicht Geiſter beſchwören
können?— denn in jenem Augenblick war ich ſo begei¬
ſtert und voll Liebe für ihn, daß ich meinte ich müſſe
einen Geiſterumgang durch die Kraft meiner Einbildung
möglich machen können, worin mir der Großpapa alles
Gute was mir wach würde im Kopf einflüſtern werde,
und ich glaub es auch; ſollte denn das Wirken ſo wahr¬
hafter Geſinnung mit dem Tode für uns aufhören müſ¬
ſen? ich ſagte dies der Großmama, die antwortete:
„der Geiſt Deines Großvaters regiert mich ja jetzt noch,
wie hätte ich den Schmerz meiner lieben Bäume ſo bald
verwinden können wenn ich mich nicht ſeiner Lehren erin¬
nert hätte; darum hab ich ja das Wappen der Stadt
Trier hervorgeſucht und dieſe Briefe des Kurfürſten. Und
beſonders dieſen wo der Kurfürſt ihn wegen ſeinem Un¬
recht um Verzeihung bittet und Dein Großvater ſo
wahrhaft großmüthig und doch heiter antwortet. Denn
er ſchrieb dem Kurfürſten er werde nie vergeſſen daß er
der Gründer ſeines Glückes ſei, er habe ihm hierdurch
Gelegenheit gegeben ſich ſelber in ſeiner Geſinnung zu
erproben, und da er ſich glücklich durchgekämpft habe,
ſo fühle er ſich jetzt wohl, und in beſonderer Glücks¬
ſtimmung.“ Sie ſagte: dies bewege ſie zur Nachſicht ge¬
gen die welche ſie beleidigt haben; — es komme drauf
3*[52] an, wie hoch eine Beleidigung aufgenommen werde;
man ſolle keine ſtärkere Schuld dadurch auf andre wäl¬
zen, Verzeihung ſei Aufheben der Schuld, und Gott ſei
verſöhnlich durch menſchliche Großmuth. — Der Gro߬
vater habe geſagt: was dir geſchieht das rechne für gar
nichts! keine Rüge gilt etwas ſie ſei denn zum Beſten
deſſen den man ſtraft, ſonſt iſt jede Strafe unnütze Rache,
nur um den elenden Sünder noch elender zu machen,
und nützloſe Rache ſei eine viel ärgere Sünde am Ver¬
brecher, der dem Menſchen heiliger ſein müſſe inſofern
er ſo gut ſeiner Gnade anheim gegeben ſei wie der
Gnade Gottes, und Gott ſei verſöhnlich aus menſchli¬
cher Großmuth, ſo müſſe man aus Liebe die Welt
nicht untergehen laſſen und allen verzeihen, wozu der
Spruch auf dem Wappen auffordere. — Und ſie thue
es ihrem Laroſche zu Lieb daß ſie ohne Bitterkeit
es ertrage. Die Bäume ſeien dies Jahr abgehauen,
ſie ſelber werde gewiß, ſie nur kurze Zeit noch vermiſſen,
und wolle durch den Verdruß den ſie dabei beweiſe,
keine ſpätere Reue veranlaſſen, denn ſie wolle daß alle
Menſchen glücklich ſeien und am meiſten die Ihrigen,
für die ſie ſo viele Opfer ſchon gebracht. — Vom Gro߬
vater erzählte ſie mir noch, das ganze Land habe ihm
Unterſtützung angeboten, und er habe auf einem großen
[53] Fuß leben können wenn er gewollt hätte, doch all dieſe
[Bezeichnungen] die mit ſo viel Adel der Seele verbunden
waren, und von ſo reiner Geſinnung ausgingen habe er
ausgeſchlagen von den Reichen, aber von ſeinen Bauern,
denen er noch vieles geholfen, habe er angenommen
was ihm nöthig war, denn, ſagte er: das Scherflein der
Wittwe muß man nicht verſchmähen. — Sie hat mir
noch manches zu erzählen verſprochen von ihm, als
ich ſo feurig danach war, ſo werd ich nächſtens
wieder zu ihr kommen. — Das Wappen wollt ſie
mir aufheben und mir vor ihrem Tod noch ſchenken,
ich hätte lieber den Briefwechſel gehabt. — Ich glaub
zu ſo etwas hätt ich Verſtand, es einzuleiten und zu be¬
reichern für den Druck, da wollt ich wohl noch viel hin¬
zufügen, mir kommt immer nur der Verſtand wenn ich
von andern angeregt werd, von ſelbſt fällt mir nichts
ein, aber wenn ich von andern großes Lebendiges wahr¬
nehme, ſo fällt mir gleich alles dazu ein als ſei ich aus
dem Traum geweckt, vielleicht könnt ich hierdurch dem
Clemens ein Genüge leiſten der mich zu ſo manchem
aufgefordert hat was mich ganz todt läßt. Erfinden
kann ich gar nichts. Aber ich weiß gewiß wenn ich
dieſe Briefe des Großpapa durchläſe, es würde mir
alles einleuchten was dazu gehört, ich weiß noch ſo viel
[54] von ihm und die Großmama würde mir noch manches
erzählen, ich hab ſie noch nie ordentlich ausgefragt, und
beſonders hab ich mich immer geſcheut ſie über ihre re¬
ligiöſen Anſichten zu fragen weil ich fürchtete ſie zu be¬
leidigen, aber bei dieſem Geſpräch ſagte ſie von ſelbſt,
„ſiehſt Du mein Kind, ſo trägt die goldne Au der Ver¬
gangenheit die Ähren, ohne welche ſo mancher an Gei¬
ſtesnahrung Hunger ſterben müßte, und rund um uns,
wo die Sonne ihren Lauf öffnet und wo ſie ihn ſchließt,
wo ſie mit ſengendem Strahl die Fluren brennt, und
wo ſie lange ihr freundlich Antlitz verbirgt, allenthalben
keimen Blumen, deren vereinter Strauß uns ein Anden¬
ken iſt an die Kindheit unſeres Geſchlechts. So gehört
die Vergangenheit zum Tag des Lebens. Sie iſt die
Wurzel des meinen. Dein Großvater war guter Menſch
und guter Staatsbürger, er hat als ſolcher auf Fürſten
und Unterthanen gewirkt, und auch bis heute noch auf
ſeine Frau. Eine Vergangenheit iſt alſo nicht für das
wahre Gute, es wirkt ohne Ende, es kommt aus dem
Geiſt wie Dein Großvater ſagte, und alles andre was
vergänglich iſt das iſt auch geiſtlos.“ —
Es war Mittag, ich wär gern den ganzen Tag bei
der Großmama geblieben, wenn man in Frankfurt ge¬
wußt hätte wo ich war. — An der Gerbermühl begeg¬
[55] nete mir Clemente mit meinem verlornen Parapluie, er
war gleich hinter mir übergefahren, und hatte ihn vom
Schiffmann mitgenommen war aber bei Willmers ge¬
blieben, jetzt fuhren wir zuſammen im Sonnenſchein un¬
ter aufgeſpanntem Baldachin auf dem Main zurück.
Der Clemens geht morgen nach Mainz, er beſucht Euch
am End. — Beim Primas geſtern große Parade, alle
altadeligen Flaggen wehten. — Über die fünf Ellen
lange Schleppen mußten die Herren mit hocherhabnen
Beinen hinausſteigen, der Primas führte mich ins Ka¬
binet wo die Blumen ſtehen und ließ zwei Sträuße
binden für mich und die Meline, dies war als eine hohe
Auszeichnung bemerkt worden man hatte großen Re¬
ſpect, der ſich noch ſehr ſteigerte, als mir der Primas
beim Abſchied ein Paquet gab ſehr ſauber in Papier
eingeſiegelt. Alle glaubten es ſei ein fürſtlich Präſent,
vielleicht ein Schnupftabaksdoſen-Kabinetſtück. Kein
Menſch bedachte daß der Primas zu witzig iſt, um mir
eine ſolche Albernheit anzuthun. Nur wunderte man
ſich daß ich mein Geſchenk, ſo ohne Umſtände, ohne
mich zu bedanken unter den Arm geklemmt habe; ich
hatte tauſend Spaß die vielen Gloſſen zu hören, und
konnte am End vor Vergnügen über die Neugierde nicht
umhin im Vorzimmer zu tanzen, während mich alles
[56] umringte mit Bitten es zu öffnen, wozu ich mich nicht
bewegen ließ, ſonſt wär der Spaß aus geweſen. Be¬
ſonders quälte die Neugierde den Moritz, im grünen
Sammtrock, der den ganzen Abend alle Spiegel mit der
eignen Bewunderung ſeiner Perſon beſetzt hielt. So wie
er die Überreichung dieſes myſtiſchen Packets gewahr
ward lief er mir nach, dem hätt ichs aber grad nicht
geſagt, im Packet war nichts als was Du wohl ſchon
denken kannſt, ein paar alte Judenjournale und die Dru¬
ſenfamilie für die Großmama; ich ſolls leſen, was mir
eine harte Nuß iſt, — Sagt ichs, ſo würde man den
Primas wohl eher für einen Narren halten daß er auf
mein Urtheil einen Werth legt, als mich für geſcheut
genug dieſer Auszeichnung Ehre zu machen, ſo mags
denn die Leut mir im Reſpekt halten; wüßten ſie es
ſei nur Papier und keine Doſe, hielten ſie mich zum
Narren gehalten vom Primas.
Heut Nacht fiel mir ein daß ich meinen Kanarien¬
vogel dem Bernhards Gärtner geben will, der hebt ihn
gewiß gut auf, und macht ihm Freud, dann weiß
er doch daß er wieder was von mir erfährt, es
waren doch liebe Tage wo er mich propfen lehrte,
Du weißt noch gar nicht alles was ich da lernte, vom
[57] Fortpflanzen der Orangenbäume mit einem Blatt, von
Nelken, — und dann will ich ihm auch meine Granat¬
bäume ſchicken, und den Orangenbaum und den großen
Mirthenbaum, er giebt ſich gewiß Müh daß er den zum
Blühen bringt, ich hab ſo immer fürchten müſſen daß
ſie verdarben im Winter. — Das eine thut mir auch
leid daß ich von der Großmama weg muß, weil ſie ſichs
in den Kopf geſetzt hat ſie werde nicht mehr lang le¬
ben wegen den Bäumen, ſie ſagt ſie wolle nicht
erleben, dieſe Bäume die ſie ſo lange Jahre gepflegt
habe, im nächſten Jahr im Ofen knattern zu hören. —
Jetzt möcht ich gern noch ſo viel von ihr wiſſen, ich
ſchäm mich daß ich die ganze Zeit ſo leichtſinnig war,
was hätte ſie mir alles von der Mama erzählen kön¬
nen, von der ich ſo wenig weiß, als bloß daß ſie ange¬
betet war. — Die Großmama ſagte: „Sei verſichert
hätte die Venus-Urania noch ein Kind gehabt außer dem
Amor, ſo mußte es das Ebenbild Deiner Mutter ſein.“
— Manchmal zweifle ich ob ich noch nach Marburg
mitgehen ſoll, meinſt Du nicht auch es wär beſſer ich
blieb hier, — es iſt doch auch ſchön wenn ich noch das
letzte Lebensjahr der Großmama recht freundlich mit
ihr zubrächt, mich durſtet nach dem Segen alter Leute,
3**[58] ſeitdem ich vom Tod weiß, ſo deucht mir die letzte Le¬
benszeit eines Menſchen etwas heiliges, und wie ich
als Kind ſo gern Spielſachen, Dinge die ich liebte, in
die Erde vergraben hab, ſo möcht ich auch meine Ge¬
heimniſſe mein Sehnen meine Gedanken und Ahnungen
gern in die Bruſt legen von Menſchen die keine For¬
derungen mehr ans Irdiſche haben, und bald unter der
Erde ſein werden, ſchreib mir doch darüber! auf der an¬
dern Seite reitzen mich die Briefe vom Chriſtian auch
ſehr, er freut ſich drauf daß ich ein halb Jahr mit ihm
zuſammen ſein werd, wir ſind zuſammen in unſerer
Kindheit geweſen und ſeitdem nicht wieder, er verſpricht
mir ſo viel von meinem Dortſein, und was und wie
er mir alles lehren will, les die beiden Briefe von ihm
an mich, und ſchreib mir was Du willſt das will ich thun.
— Adieu und ſchreib recht bald.
Es iſt hier alles beſchäftigt mit dem Empfang von
Bonaparte, es wird ein großer Triumphbogen erbaut
auf dem Rabenſtein wo der Galgen geſtanden hat. —
An die Bettine.
Was Du von Arenswalds außerordentlichem Hei߬
hunger nach der Natur ſchreibſt, ſo daß er darüber ſich
ſelbſt zu ſpeiſen vergißt, dauert mich ſehr, verſäums nicht ihm
zu helfen und ſchreib mirs ob Dus auch nicht vergeſſen haſt.
Die Geſchichte von den Bäumen iſt höchſt betrübt; wars
Deine Schilderung, oder ſind auch mir dieſe Stimmen
die ſo friedlich mitrauſchten wenn wir dort wandelten, ſo
zu Herzen gegangen, ich kann mich auch nicht darüber
tröſten. Wir waren geſtern auf dem Oſtein, da rauſch¬
en die Eichen königlich. — Die Großmama und die Ge¬
ſchichten vom Großvater haben mich gefreut und gerührt,
wenn ich auch nicht ſo viel Intereſſe an ſolchen erleb¬
ten Dingen hätte als ich wirklich habe, ſo würde mir
eine ſolche Beſchäftigung als dieſe Erzählungen aus der
Großmutter Mund zu ſammlen, für Dich ſehr ſchön er¬
ſcheinen und lieblich. — Alles was das Gemüth anregt,
erfriſcht und erfüllt iſt mir heilig, ſollte auch im Ge¬
dächtniß kein Monument davon zurückbleiben, hier aber
wo Du zugleich Dich üben würdeſt etwas in conſequen¬
ter Ordnung zu behandlen, Deinen eignen Geiſt in ſei¬
[60] ner Anſchauungen zu entwicklen, würde es noch mehr
Werth haben. Ich hab immer Biographien mit eigner
Freude geleſen, es iſt mir dabei ſtets vorgekommen
als könne man keinen vollſtändigen Menſchen erdichten,
man erfindet immer nur eine Seite, die Complizirt¬
heit des menſchlichen Daſeins bleibt unerreicht und alſo
unwahr, denn alle Momente müſſen immer den Einen
beſtimmen oder begreiflich machen. — Dein Verhältniß
zur Großmama würde auch ſchön ſein, Dein Sammlen
von Deiner Mutter Kinderzügen, ein Werk der Pietät
was Dir jetzt, und vielleicht ſpäter noch ein gro¬
ßes Intereſſe gewährt, beſonders wenn es Dir gelänge
es mit dem Dir ſo eigenthümlichen Geiſt des unmittel¬
baren Mitfühlens nieder zu ſchreiben, das alles ſehe ich
recht gut ein, — aber ich bin dennoch nicht entſchieden
ob ich Dir dazu rathen ſoll; wenn ich überleg welcher
ungeheuren Zerſtreutheit Du in eurem Haus ausgeſetzt
biſt, der Du unmöglich entgehen kannſt; alles Durchrei¬
ſende was zu Euch kommt, der Primas der Dich vor¬
zieht, und wo Du gar nicht ausweichen kannſt hinzu¬
gehen, — — was das alles die Zeit zerſplittert, und
wenn Du auch ſelbſt nicht viel Umſtände mit Deiner
Toilette machſt ſo wirſt Du in dem Neſt voll ſchöner
[61] Frauen doch alle Augenblick, Dich der gemeinſamen
Berathung hingeben und bei Deiner Lebhaftigkeit und
Deinem Talent zum Maleriſchen ſeh ich ſchon den Win¬
ter vergehen, bloß mit Putz wählen und dergleichen, und
die Großmama wird wenig von ihren Schätzen Dir mit¬
theilen können. — Marburg iſt im Gegentheil ein
Neſt wo Du ganz als Einſiedler wirſt leben können,
zum wenigſten kannſt Du keiner Zerſtreuung dort aus
geſetzt ſein, die Briefe vom Chriſtian verſprechen
ſo viel Gutes für Dich, Du haſt lange nicht mit ihm
gelebt; es iſt doch auch ſchön mit ihm, der ſo viel
großes Genie hat, ſo reine Begriffe von der Wiſſen¬
ſchaft, und ſo tief und ſo würdigend mit Dir ſpricht,
wieder eine Weile zuſammen zu ſein; ein Bruder wird
oft auch von der Schweſter weggeriſſen durch allerlei
Schickſale, ſie begegnen ſich vielleicht nicht zum zwei¬
tenmal, ſo muß man denn einen ſo glücklichen Zufall
nicht leichtſinnig verſcherzen, und im ganzen genommen
welche Lage deucht Dir edler; jene in der winterlichen
Einſamkeit in Marburg in dem engen beſchränkten
Kreis, aber mit dem lieben Savigny der ſo viel höher
ſieht wie andre, der Dir dann ſo nah iſt und Deine
Gegenwart auch zu ſeinen freundlichen erquickenden
[62] Momenten rechnet, und Dich gegen Deine eignen Lau¬
nen vertheidigen wird, die ſo oft ins Träge und Me¬
lancholiſche ſpielen.
Und ich denke mir darin einen großen Genuß für
Dich daß Du die große weite Natur im Winterkleid
vor Dir haſt, denn die Gegend von Marburg iſt ſehr
ſchön und lacht einem zum Fenſter herein, — oder
iſt es Dir lieber in jener Zerſtreuung bald dies bald
jenes beginnend und endlich mit Verdruß an Dir ſelber
verzweifelnd, daß Du zu nichts gekommen biſt? —
Ich glaub daß Du alle Deine guten Vorſätze ſehr er¬
leichtern könnteſt und Deine Zwecke erreichen, wenn Du
von Marburg aus, einen korrekten Briefwechſel mit der
Großmama führteſt, Deine Briefe würden ihr gewiß
Freude machen, ſie würde nicht verſäumen Deine
Fragen nach der Jugend und dem Geiſt Deiner Mut¬
ter zu beantworten, ſo wie nach Deinem Großvater,
Du könnteſt Deine eignen Bemerkungen hinzufügen,
und brauchteſt nur die Vorſicht zu haben Deine Briefe
von irgend einem unſchuldigen Copiſt abſchreiben zu
laſſen, ſo hätteſt Du als Nebenarbeit, und wahrſchein¬
lich viel vollſtändiger und gelungner, wozu Du vielleicht
vergebliche Anſtalten in Frankfurt machen würdeſt, —
[63] das iſt meine Meinung jedoch will ich nicht damit einen
Machtſpruch gethan haben. Leb wohl.
Caroline.
An die Günderode.
Buonaparte iſt durch und hat ſeinen Tempel
nicht geſehen, der Galgen iſt abgeſchlagen worden und
auf das alte Poſtament ein Tempel gebaut, ich glaube
gar mit ſeiner Bildſäule, und das ganze iſt illuminirt
worden zum Volksfeſt, wobei noch allerlei Beluſtigun¬
gen vorfielen; daß das Galgenfeld zu dieſem Platz aus¬
erſehen war, machte beſonders den Sachſenhäuſern
Spaß. —
Clödchen iſt krank und liegt auf dem Kanapee, ich
bin meiſtens den ganzen Tag bei ihr, und wache auch
Nachts wenn ſie ſich unwohler fühlt. Es geht hier
wieder alles nach der alten Leier, Dein Brief kam zu
rechter Zeit, um mit allen Umſtänden zuſammen mich
zu überzeugen daß Du recht haſt, die Engländer ſind
[64] Hauptperſonen hier; Abends wird im Theezimmer vom
Moritz die Delphine von der Stael vorgeleſen, für
mich das Abſurdeſte was ich hören kann, ich mach
einen Plumſack von meinem Schnupftuch und amü¬
ſiere die Kinder derweil, das hat den Lecteur nicht
wenig verdroſſen, ja ich muß fort. — Am Montag war
Ball bei Leonhardi um ſeine neue Einrichtung zu zei¬
gen, lauter ägyptiſche Ungeheuer hat er an die Wand
malen laſſen. — Geſtern war ſchon wieder Cour beim
Primas, ich wars ſo ſatt daß ich mich verſteckte beim
Wegfahren, ſie ſuchten mich überall; ich war in meinem
Bett verſteckt und der Franz war bös, aber um ihn
wieder gut zu machen hab ich mir eine beſondre Liſt
erſonnen, ich fand in der Tonie ihrem Küchenrevier,
einen großen Korb mit weißen Rüben, den hab ich vor¬
genommen mit den Leuten, ſie ganz dünn abgeſchält
und ausgeholt inwendig, in jede ein Wachslicht geſteckt
und ſo die ganze Treppe illuminirt und den Vorplatz,
— ich hab bis nach Mitternacht mit zu thun gehabt,
es war recht dumm, es wär beſſer geweſen ich wär mit¬
gegangen, denn der Primas ließ mir ſagen weil ich
nicht mitgekommen wär, ſo ſoll ich am Freitag mit ihm
und dem Weihbiſchof zu Mittag ſpeiſen und Faſttag
[65] halten. Ja ich geh fort, ich bin in Gedanken ſchon un¬
terwegs, die Meline hat auch ſchon alle Vorkehrung
getroffen, ja ich geh! — es thut mir nichts leid
als daß ich geh eh Du wieder kommſt; daß ich geh
und daß Du hier bleibſt, aber ich thu es weil Du es
ſagſt, weil ich Dich als meinen Genius anerkenne, — nein
nicht Du — aber er nimmt Deine Stimme an, ich freu
mich wenn meine Empfindungen dieſen Winter ein Bis¬
chen hart frieren, — ich freu mich auf alles. —
Dem Arenswald hab ich ohne mich im geringſten
arm zu machen Geld geſchickt, ich hab beim Durchſuchen
meiner Papiere, allerlei verloren Geld zuſammengefun¬
den, von dem ich gar nicht wußt daß es da war, ich
hab alles in einem kleinen Beutel ihm geſchickt, und dem
Gärtner den Kanarienvogel. Eh wir abreiſen geh ich
noch mit der Meline hinaus zur Großmama, dann
will ich ſie bitten daß ich, wie Du meinſt, Briefe mit
ihr wechſle. Adieu vielleicht ſchreib ich Dir nicht mehr
von hier. — Ich bin ſo luſtig daß ich fortgeh ich freu
mich ſo drauf, auf die ſchöne Winterlandſchaft die Du
mir beſchrieben haſt, die mir ins Fenſter hereinſehen
wird, — ich weiß es ſchon ich werd ſelig ſein. — Ich
hab keine Ruh zum ſchreiben das Reiſen ſteckt mir in
[66] den Gliedern, ich ſpring Trepp auf Trepp ab, die arme
Claudine wer wird ſie pflegen? ſie hat mir aber ver¬
ſprochen ſie wollt ſo lang ich fort bin nicht krank wer¬
den, denn ich bin eiferſüchtig drauf, wie manche Nacht
hab ich da gewacht und ſimulirt und hübſche Bücher
geleſen, aber wenn ſie krank wird ſo gehſt Du wohl
als zu ihr. — Draus auf dem Wall war ich auch um
noch von unſerm Lieblingsſpaziergang Abſchied zu neh¬
men, die meiſten Blätter ſind ſchon gefallen ich ging in
einem Rauſchen durch, alle Bäum regneten noch Blät¬
ter auf mich. — Der Moritz bleibt alſo mit ſeiner Del¬
phine hier ſitzen, das macht mich auch ganz vergnügt;
daß ich das auch nicht mehr anzuhören brauch.
Bettine.
Marburg.
Weißt Du denn wer meine erſte Bekanntſchaft iſt
die ich hier gemacht hab? — Ein Jud! — aber was
für einer? — der ſchönſte Mann! — ein weißer Bart
von einer halben Elle, große braune Augen ſo ſchöne
einfache Geſtalt, die ruhigſte Stirn prächtige majeſtä¬
tiſche Naſe, Rednerlippen, aber von denen die Weisheit
[67] ſüß hervortönen muß. Unſer Hauswirth der Profeſſor
Weiß rief mich und ſagte, „wollen Sie einen ſchönen
Juden ſehen ſo kommen ſie in meiner Frau ihr Zimmer,
ſie verhandelt ihm eben ihr Hochzeitkleid.“ Die Meline
wollte nicht mitgehen und war verwundert daß Weiß
uns einlud einem Handelsjud die Aufwartung zu ma¬
chen, ich habs aber nicht bereut, es war ein Bild zum
malen, er ſaß in einem ſehr reinen Rabbiner- oder Ge¬
lehrten-Gewand am Tiſch, ſeine Hand guckte aus dem
ſchwarzen weiten Ermel, und das Abendroth leuchtete
durch die Scheiben; die Frau Profeſſorin ſtand vor ihm
und hielt ihren Hochzeitcontuſch oder wars der von ih¬
rer Mutter, denn es ſchien ſehr alterthümlicher Stoff,
an beiden Ermeln ausgebreitet, ihre Kinder ſtanden zu
beiden Seiten und hielten die Schleppe auseinander, es
war ein orangenfarbner Stoff mit ſilbernen Sträußen
und granatfarbnen Blumen durchwirkt, was ſehr ſchön
mit dem ſtarken Abendroth contraſtirte, es war das
ſchönſte Bild und gern hätt ich die Meline gerufen es
mit anzuſehen, wenn nicht eine Scheu, um nicht zu ſa¬
gen Ehrfurcht, mich auf dem Platz gehalten hätt, ich
hätte dieſem Mann nicht mögen als Gegenſtand der
Neugierde behandeln. — Es hatte mir auch was ganz
[68] räthſelhaftes die Leute mit ſo großer Ehrfurcht vor ihm
ſtehen zu ſehen, und ruhig ſeinen Ausſpruch bei einem
Handel abzuwarten. — Sie ſprachen über eine Summe
wozu noch mehrere andre alterthümliche Stoffe gehör¬
ten die auf dem Tiſch lagen. — Ich that als ſei ich
begierig ſie zu ſehen, bloß um mit Anſtand noch blei¬
ben zu können, denn je länger ich ihn anſah je mehr
fühlte ich mich angezogen und doch ſchüchtern, und der
Weiß hätt mich gewiß nicht der Thür hinaus gebracht
ſo lang er da war, der Jude ließ mir von ſeinem En¬
kelſohn der hinter ihm ſtand die Stoffe ausbreiten, ich
that als wär ich höchlich erfreut über das Vert de
pomme Kleid mit Apfelblüthe, und mein Alter ſah mich
unterdeß von der Seite an, das merkt ich, das machte
mir heimlich Freud. — Der Profeſſor Weiß ſagte, „nun
Ephraim müſſen wir erſt ein Glas Wein zuſammen
trinken, und Sie trinken auch mit, ſagte er zu mir, er
ſchenkte dem Juden zuerſt ein der aber reichte mir ſein
Glas ich ſagte daß ich keinen Wein trinke. Aber nip¬
pen können Sie doch wohl ſagte er, — ich nahms ihm
ab und ſchluckte ein wenig davon, er dankte mir
und trank es auf der Stelle aus, dann ſah er mich¬
lächelnd an, als wollt er ſagen: freuts Dich daß ich
[69] Dir ſo viel Achtung bezeige? — ich lächelte mit ihm
und ich war ganz roth geworden vor Vergnü¬
gen. Weiß ſprach noch allerlei mit ihm was bewies
daß er ihn ſehr in Achtung hält. — Weiß ſagte von
mir, was meint Ihr Ephraim daß wir jetzt ſo allerliebſte
Studenten haben, hier wird das erſte Semeſter gehalten
und ich werd Euch bei ſo feinen Studenten empfehlen,
das wär Euch wohl ein groß Vergnügen dieſem kleinen
Studenten Unterricht zu geben?“ — es war ein ſo lie¬
benswürdiger Adel in allem was er ſagte, und wie er
den gutherzigen Scherzen des Weiß eine feine Wendung
gab daß ſie mich nicht verletzen ſollten daß ich ganz
eingenommen von ihm war, und mich wirklich ſehr in
Acht nahm ihm ſolche Antworten zu geben, die ihm
Intereſſe ſollten für mich geben; zwei Stund hab
ich ſo mit ihm geplaudert und ich dacht ſchon drauf
wie ichs machen wollt daß ich ihn öfter ſehen könnt, ſo
ſagt ich wie er wegging, an unſerer Thür vorbei, daß
ich da eine Schweſter noch habe, und ich wünſchte gar
ſehr daß ſie auch ſeine Bekanntſchaft machen möchte,
er verſprach mir daß wenn er wieder käme, ſo wolle er
bei mir anklopfen. Ich freu mich recht drauf.
Von Frankfurt hab ich Abſchied genommen wie ein
[70] Haas übers beſchneite Feld jagt, man ſieht kaum ſeine
Pfötchen im Schnee, und es war auch kein Jäger da
der mich gern geſchoſſen hätt. Beim Primas war ich
ſehr luſtig auf der Faſtenmahlzeit, wie ich Abſchied nahm
ſagte er: ich freu mich auf Ihre Wiederkunft, und nahm
mich bei der Hand und begleitete mich durchs Vorzim¬
mer. In Offenbach hab ich alles mit der Großmutter
beſprochen aber in den Garten der nicht mehr rauſcht
konnt ich nicht gehen um Abſchied zu nehmen ſo gern
ich gewollt hätt, und lieber als von allen andern, denn
ich war vertrauter mit ihm; dann war ich auch beim
Gärtner und fragte ob er meine Bäume ins Winter¬
quartier wollt nehmen und wenn Du aus dem Rhein¬
gau kämſt, ſo würdeſt Du den Kanarienvogel abholen,
er fragte, ob ich den nicht bei ihm wollt laſſen, ich ver¬
ſprach ihm daß wenn Du einwilligſt ſo darf er ihn be¬
halten, und einer kleinen Koketterie machte ich mich
aufs plaiſirlichſte ſchuldig, ich nahm den Vogel aus
dem Käfig küßt ihn auf ſein klein Schnäbelchen und
ſagt, Adieu lieber Gärtner. Als ich zur Großmutter zu¬
rückkam wars ſchon bald Nacht, die Meline und Tonie
wollten zurückfahren, ich bat ſie noch eine Viertelſtund
zu bleiben und wie es ſchon ganz Nacht war, da hab
[71] ich mich doch in den Garten geſchlichen und hab die
Augen zugemacht bis ich an den Pappeln war, und hab
ſie alle getröſt mit Worten, denn ich dacht wer weiß wie
mirs geht, ob ich nicht auch einmal ſo troſtlos daſteh,
ſollt ſich da mein Freund vor mir ſcheuen weils ihm zu
traurig iſt? — und das Herz war mir viel leichter, ich
würde auch jetzt wieder hingehen wenn ich noch da blieb,
denn wie könnt ich ihnen alles vergelten wenn ich jetzt
nicht wollt mit ihnen ſein wie früher, und was wär
doch das ſchönſte Geheimniß dieſes Umgangs mit ihnen
wenn ich ſie jetzt verläugnen wollt, es wär grad wie
eine ewige Liebe zum Helden, die wie Spreu auseinan¬
der fliegt weil der zum Krüppel geſchoſſen worden. —
Es iſt mir da im Garten recht deutlich geworden und
viel empfundner in der Seele daß das Beleben Genie
iſt; — eine Seele, die aus meiner Seele aufſteigt und das
was mich erregt, bewohnt ſo zärtlich, ſo edel ich empfin¬
den kann. Die rauſchenden Bäume haben mich bewegt
davon iſt meine Seele wach geworden und iſt aufgeſtie¬
gen und hat jene Bäume belebt, und ſollte dieſe Seele
ihnen jetzt abſterben weil ſie irdiſch elend ſind? — Da
würd ich mich ja ſelbſt tödten in ihnen. Nein in jedem
Unglücklichen ſoll man doppelt lebendig werden. —
[72]
Eh wir abreiſten hatte ich noch manchen Kampf
mit den andern, man war nicht einig ob ich dem Sa¬
vigny nicht läſtig ſein würde, weil man glaubt und ge¬
wiß weiß daß er nichts auf mich hält. Ich halte nun
auch eben nichts beſondres von mir; ich hab ihn im¬
mer noch wie ſonſt lieb, und ſo ſcheu ich mich gar
nicht mit ihm zu leben, obſchon er einen Widerwillen ge¬
gen meine Natur zu haben ſcheint, um ſo glanzvoller
erſcheint mir Deine Nachſicht mit mir; und er behauptet
ich ſei hochmüthig, — manchmal glaub ichs gar, weil
er doch geſcheuter iſt als wir alle, — und kann alſo
einen Charakter beſſer beurtheilen. — Und dann kann
ich Dir ſagen freu ich mich ordentlichermaßen über die¬
ſen Hochmuth und denke es muß doch wohl auch was
hinter mir ſein, denn ohne Urſache dazu würd er nicht drauf
kommen; was glaubt er wohl daß mich ſo hochmüthig
macht? — Ha ha ha! — das heiſt: ich lach! — über was? —
daß der Savigny nichts weiß von meiner zärtlichen Nei¬
gung für den Jud, — und wie ich alle vornehme Leut nicht
den kann weil ſie mir zu gemein ſind, und weil kein
Menſch im Haus weiß warum ich als übermüthig bin
und das iſt heut einmal wieder weil ich ein beſonders
angenehm Abentheuer hatte; ich war im Garten der
am[73] am Berg liegt, und guckte über die Mauer und ſah
den Ephraim den Weg heraufkommen. Ich lehnt mich
über die Mauer und ließ mein Sacktuch im Wind flie¬
gen daß er mich ſehn ſollt; und wie er herankam ſprach
ich mit ihm ein ganz Weilchen, — aber nicht wie ge¬
wöhnlich die Menſchen ſprechen. Ich ſagte ihm daß es
mir Freude mache ihn wieder zu ſehen, und auch darum
weil mir ſein Weſen einen Naturmoment vergegen¬
wärtige mit dem ſich mein Geſicht und mein Gemüth
näher verwandt fühle als mit jedem andern, ich ſagt
ihm das ſei die Dämmerung am Abend; ſo komme
mir ſein Blick und ſein ganz Weſen vor — wie Dämme¬
rung die über einer erhabnen Natur ausgebreitet ſei;
in ſolcher Stunde iſt mein Geſicht ſchärfer und mein
Gefühl ſehr zum Vertrauen geneigt. — Du kannſt wohl
denken, daß es der Mühe werth iſt mit ihm zu reden,
denn ſonſt wär ich darauf nicht gekommen ihm ſo was
zu ſagen. Er ſagte „die ſichtbare Welt iſt trüb aber
mit hellem Blick braucht einer nicht lang zu forſchen in
wenig Zügen erkennt er was ihm verwandt iſt.“ Ich
ſagte: aber wie erlangt man einen ſo hellen Blick? —
„Man muß allein die Natur anſchauen und kein Vorur¬
theil zulaſſen, das giebt einen hellen Blick.“ — Ich frag:
II. 4[74] traut Ihr mir das zu, daß ich die Natur mit hellem
Blick anſchau und ohne Vorurtheil? „Ja!“ ſagt er,
„und ich weiß daß ich nicht irre — und daß Sie
ſcharfſichtig ſind.“ — So hab ich alſo recht wenn ich
in Euch einen begeiſterten Mann erkenne? — „Zum wenig¬
ſten ſind Sie dem Wahren näher, als andre die den
Juden für einen gedrückten Mann halten, innerlich quillt
die Freiheit, und ein Tropfen iſt genug über alle Ver¬
achtung uns zu heben.“ — Ich hörte Leute den einſamen
Weg heraufkommen und brach ab weil mir das Ge¬
heimniß ſchon zu lieb war mit ihm. Ich ſagte, leb
wohl Jude, denk an unſer Geſpräch und wenn Du von
Deiner Reiſe heimkehrſt komm zu mir.
Wer mag nun ſchärfer ſehen der Savigny meinen
Hochmuth oder der Jud meinen vorurtheilsfreien zutrau¬
lichen Blick? — Ich geb aber dem Savigny nicht un¬
recht, denn was iſt doch die überglückliche übermüthige
Luſt daß ich ihn mit dem Jud anführ als nur Hoch¬
muth? — es haben mirs auch ſchon mehr Leut geſagt, noch
wie ich Abſchied nahm ſagte der Moritz ich ſei hochmü¬
thig, weil ich behauptete ich gehe von Frankfurt daß
er ſeine fünf Bändelange Delphine Abends vorleſen
könne, wenn er damit fertig ſei wolle ich wiederkommen.
[75] Da ſchrie das ganze Theegewimmel auf mich ein, ich
ſei das hoffälligſte Ding von der Welt, für alles ſcheine
ich mir zu gut, von Nichts meint ich noch was lernen
zu können, die Delphine von der erſten Schriftſtellerin
Europas geſchrieben die ennuyire mich; wenn irgend je¬
mand was Geſcheutes vorbrächt ſo lege ich mich an
den Boden und ſtrample eine Weile mit den Füßen
oder ſchlafe ein, aber jeder dummer Spaß mache mir
Vergnügen. — Ich ſag, iſt das Hoffarth? das ſcheint
mir eher Unverſtand zu ſein daß ich Euch in Eurem Ge¬
nuß nicht nach kann. — „Ja Hoffarth iſt eben Unver¬
ſtand.“ — Siehſt Du! — es iſt die allgemeine Anſicht.
— Sie haben am End den Savigny mit angeſteckt. —
Nächſtens ſchreib ich Dir von Allem genauer, von
der ganzen Gegend, von den Leuten, von unſerer Woh¬
nung. Meline wohnt mit mir ganz hoch oben am
Berg, Savignys unten, alles iſt hier terraſſenförmig. —
Adieu, ich muß der Meline helfen einen Divan für uns
zurecht polſtern.
Bettine.
4*[76]
An die Günderode.
Schon die dritte Woch iſts und ich hab noch nicht
geſchrieben, und Du auch nicht, was iſt ſchuld dran? —
Ich hab in der Zeit die neugierig Gegend rund um mich
durchſpäht, auf dem Boden nach allen Seiten durch die
die Gaublöcher mich orientirt, im dichteſten Laubregen
den Wald durchwallfarthet von einem hohen Stamm
zum andern. Bäume ſind Bäume, aber ſie ſehen doch
verächtlich auf die Menſchen herab, die um der Geſund¬
heit willen ſo haſtig unter ihnen herlaufen und nicht
einmal den Blick zu ihnen hinaufrichten; ich hab dort
mit dem Savigny die ganze motionmachende Facultät
begegnet; im mottenfräßigen Pelz, Nebelkappe, großen
Filzſchuhen und antiken Stiefelmanſchetten durchkreuzen
ſie die Wege. Hügeligter Boden, dichtes Moos über¬
glaſt vom Reif, reine kalte Luft die herzhaft macht,
alles neu, überraſchend, die Muſe führte mich über Stock
und Stein und ſchenkte mir den ganzen Wald für Dich,
ich hab auch bei jeder vornehmen Waldkrone ſtill geſtan¬
den und bis zum Wipfel betrachtet, und zum Zeichen
der Beſitznahme mit dem Stock dran geſchlagen, jetzt
laß den alten Kurfürſt von Heſſen-Kaſſel meinen was er
[77] Luſt hat, der Wald gehört Dein und wenn ich drinn
herumlauf, ſo hab ich meine Freud daß ich auf Deinem
Grund und Boden bin. Im Frühjahr muß es hier ſein
wie inwendig in der Seel; Frühling draus, Frühling
drinn, ein Wille und ein Thun, — blüht der Apfel¬
baum, ſo hab ich rothe Backen, ſtürzt ſich der eigenſin¬
nige Bach die Klippentrepp hinab, ſo ſetz ich ihm nach
und ſpring kreuz und quer über ihn weg, ruft die Nach¬
tigall ſo komm ich gerennt, und tanzen die Mühlräder
mit der Lahn einen Walzer ins Thal hinab, ſo pfeif
ich auf dem Berg ein Stückchen dazu und guck über die
rauchenden Hütten und über die ſchirmenden Bäume
hinaus wie ſie ihren Muthwill verjuchzen, und der Mül¬
ler und ſein Schätzchen auch, die denken kein Menſch
ſähs. — Morgenrührung, Abendwehmuth wird nicht ſta¬
tuirt, in den Hecken blüht Frühlingsfeier genug, Schnur¬
ren und Summen und Windgeflüſter. Aber weils Winter
iſt und kein Frühling, [ſ][o] wollt ich nur ſagen wie alles
ſo herzhaft und ſorgenfrei iſt in der Natur hier, ſo un¬
verhehlte Lebensluſt, man müßte ſich ſchämen, der Ah¬
nungswehen und Sehnſuchtträume, ſtatt luſtig mit zu
grünen und zu ſauſen und zu plätſchern; ich mein nur,
es iſt nicht möglich hier mitten im drallen Heſſenland,
anders zu ſein als das heimathlich Fleckchen Welt ſelbſt,
[78] was ſo kugelig unter Deinen Füßen, dich kollernd, ſtol¬
pernd hinab und hinan verlockt und doch überall ſo herz¬
lich Dich einladend zum Sitzen, zum Ruhen am Raſen
am Berg und in Dir ſelber. — Es haben ſich frühe
Wintertage eingeſtellt, Meline leidet am Halsfieber,
woran hier alles krank liegt, Gunda auch geht wegen
Unwohlſein alle Tage vor Sonnenuntergang zu Bett.
Savigny wohnt mit ihr in einem andern Theil des
Hauſes der unter unſerer Wohnung liegt, durch Terraſ¬
ſen und Hof geſchieden; ſo bin ich ganz allein mit der
Meline die hübſch ruhig im Schlafzimmer nebenan liegt.
Dieſe Einſamkeit erquickt und ergötzt mich. Der ſchwär¬
meriſche Hausarzt iſt Poet, er bringt Gedichte die er in
der Dämmerungsſtunde vorlieſt, — Träume Schäume,
Liebe Triebe gleiten ſanft am Geſtade meines Ohrs
dahin; man reicht dem Doktor die Hand, er drückt
ſie mit ſtillem Ernſt, mit ſeelenvoller Miene; weiter wird
nichts gereicht von Lob. — So ſchwillt die Knospe des
Leichtſinns leiſe leiſe in der Bruſt, bald wird ſie berſten
und in einen fröhlichen Bluſt ausbrechen, ſo nennen
die heſſiſchen Bauern die Blüthe. — Nichts von Rührung,
Erhabnem, Verinnigung, Wonnegefühl, Begeiſtrung
und aller gebildeten Geiſteswirthſchaft. — Was ich an
mir ſelber bin das theil ich Dir mit, und ſtrenge mich
[79] nicht mit Verſchönerungsprinzipien der Sittlichkeit an,
ich muß einmal erproben was meine Seele für einen
Ton angiebt, ob ſie vielleicht von Natur ſo derb iſt
wies liebe Heſſenland. — Ich fang an zu glauben daß
ich gar nicht fürs Geſellſchaftliche geboren bin, konnt
ich je meiner Phantaſie nachgeben ohne mich zu erhitzen
über den ſinnloſen Widerſpruch der Andern? — und bin
ich nicht eingeſchlafen beim Primas über dem Geſumſe
von geputzten Leuten, und hab ich mir nicht eingebildt,
meine liebſten Leut wären verrückt geworden mit dem
Jabot von Point d'alencon der eine halbe Elle vorſtand
und mit brillantnen Knöpfen und mit — und mit —
einem Haarbeutel hinten angeklemmt, hab ich mich da
nicht zu todt geſchämt daß einer mit einem Haarbeutel
ſo vergnügt herumlaufen konnt als wärs ein Verdienſt,
und iſts nicht auch beſchämend für die freie Seele ſich
äußerliche Zeichen des Wahnsinns anzuhängen auf Be¬
fehl daß Buonaparte damit geehrt ſoll werden? —
der George hat ſeinen Haarbeutel aber abgeriſſen und
ihn mitten in den Salon unter die Leut geworfen, die
Königin von Holland ſchlurte ihn mit der Schleppe durch
alle Zimmer, ich habs geſehen und mich drüber heimlich
erluſtigt. Aber bloß um nicht zu ſehen was all für dum¬
mer Wahnſinn dort an der Tagsordnung iſt mag ich
[80] den Winter nicht hin, man kann ſich nicht lang amü¬
ſiren mit den Albernheiten die der Kreis von Menſchen
ausgehen läßt der ſich die gebildete Welt nennt und
ſonſt keine Grundlage. Eine hat der Andern dicht
neben mir in ihr Halsband gebiſſen um zu ſehen
ob es wahr ſei daß ihre Perlen echt wären, und
hat ſich ſehr geärgert, daß ſie nicht entzwei gin¬
gen, und ſo ärgert ſich alles über alles was echt iſt,
und ſo konnt ich doch nichts beſſeres und chriſtliche¬
res thun als lieber einſchlafen, ich habs auch dem
Primas geſagt wie er mich geneckt hat; es ſei um
Ärgerniß zu vermeiden denn ich ſei echt, und es kommt
mir ordentlich herabwürdigend vor mich unter ihnen
herum zu treiben. — Hier bin ich glücklich durch die
Freiheit in der freien Natur herum zu ſchwärmen in
deren, Mitte ich wohne. Des Einſiedlers Klauſe in tie¬
fer Wildniß, kann nicht mehr mitten ihr im Schooß lie¬
gen als ich, ja ich darf mich ſelbſt als einen Theil von ihr
empfinden, was mich nicht beſchämt wie die Geſellſchaft,
daß ich ihres Gleichen bin, aber mich freudig und ſelbſt¬
fühlend macht daß ſie ſo gut gegen mich iſt vor andern.
Wenn ich aus dem Fenſter im Schlafzimmer ſo grad
auf den winterlich grünen Berg ſteigen kann, und dann
hinunter und hinauf, auf alten gefährlichen Mauern
[81] die bald einbrechen bald Himmelan ſteigen, bis zum
Wall vom alten zerfallnen Feſtungsſchloß oben auf dem
Berg — über Löcher und Hecken wo nur Kühnheit und
Leichtſinn ſich hin wagen, und nicht eine menſchliche
Erſcheinung in der Weite umher; — ſo recht allein und
laut hallend kann ich mit ihr ſprechen, es hörts keiner,
und jetzt wo ich bekannt ſchon bin, nickt jeder Strauch
mich freundlich an mit den paar braunen Blättern, die
ihm der Winterwind noch nicht genommen hat, wenn
ich wieder komm und ſetz mich neben ihn auf die Mauer
und ſchwindelt mir nicht; ach welch Vergnügen zu
klettern, wie entzückend die kecke Jugend! — wenn
ich auch manchmal mit geſchundnem Knie, wie heut,
oder aufgeriſſnem Arm heimkomm, das fühl ich gar
nicht, ja wenn mir recht iſt, freuts mich gar! — Werd
hart, ſagte der Schmidt im Wald, und ſchlug das glü¬
hende Eiſen auf dem Ambos, das hörte der Thüringer
Landgraf und ward hart wie Eiſen. — Werd hart rief
ich heut auf der gefährlichen Mauer von der ich hin¬
abglitt, weil ich nicht anders hinunter kommen konnte,
und da hat mirs auch gar nicht weh gethan. Werd
hart, ſagt ich wie ich zur Meline ins Zimmer eintrat,
die gar erſchrecken wollt als ſie die Blutſpuren an mei¬
nen Kleidern ſah, ich mußte leiden daß ſie mich ein
4**[82] bischen heilte mit beaume de chiron; Du wirſt noch
Hals und Bein brechen, prophezeihte ſie, wo jetzt ſo viel
glatte Stellen am Berg ſind vom ſchmelzenden Schnee.
Ich ſchriebs hierher, wenns geſchieht ſo hat ſie richtig
prophezeiht. Aber gewiß, ſolche Übungen die einem die
Natur lehrt ſind Vorbereitungen für die Seele, alles
wird Inſtinkt auch im Geiſt, er beſinnt ſich nicht, ob
er ſoll oder nicht, es lehrt ihn das Gleichgewicht halten
wie im Klettern und Springen, es entwickelt eine Kraft
die dagagirt und detachirt; das heißt: das Sehnen nach
einem Pfeiler ſich in der Welt anzulehnen, oder nach
einem Stock um weiter zu kommen, wird einem lä¬
cherlich; bald merkt man daß man auf ziemlichen Wegen
recht gut allein gehen kann, und auf ſteilem Pfad läßt ſich
durch Übung große Freiheit erwerben. Ängſtlichkeit und
Unerfahrenheit verleiten doch nicht nach dem erſten
Strauch am Weg zu greifen, der durch Biegen und Bre¬
chen zum Verräther wird und dem Vertrauen den Hals
bricht; und ich möcht wiſſen ob der ganze innere Menſch,
nicht deutlich und kräftig hervorgehen könnt aus dem
äußern, und ob „auf dem Seiltanzen“ nicht eine hö¬
here diplomatiſche Kunſtanlage entwicklen könnt wie all
der Wuſt von Intriguengeiſt, und Correſpondenz voll
Leerheit, und Obſervanzen voll Kleinlichkeit, — oder „mit
[83] Anmuth auf dem Eis Schlittſchuh laufen“, ob das nicht
lehren könnt, ohne Selbſtverletzung eigner Würde, zwi¬
ſchen allen Verkehrtheiten mit leichter Grazie ſich durch¬
winden; und ob ein wildes Roß bändigen, mit Kälte
und Ruhe, nicht auch die Kraft in der Seele weckt den
eignen Zorn zu bändigen, und mit Gelaſſenheit das
Gute aus dem Böſen entwicklen in Andern, und
zur Selbſtbeherrſchung in der Gefahr; oder auch eine
raſche Flamme der Selbſtbeſonnenheit, mit der wir
einen Entſchluß faſſen und freudig begrüßen das Hö¬
here, ſeis auch aus unmündigem Geiſt erſproßt;
und nicht fort und fort die alte Schlangenhaut an¬
beten, die der Götterjüngling, der Genius der über
den Zeiten ſchwebt, längſt von ſich ſchleuderte. Ja
— ob überhaupt dies freie Bewegen in der Natur,
dies Üben aller Kräfte in ihren Reizungen, ſo wie
es die Glieder ausbildet und ſtärkt, nicht auch die
inneren Seelenkräfte ſtärkt daß ſie zu hoch zu edel für
dieſe erbärmliche Weltſchule, der Scheere entwachſen die
nicht mehr hinanreicht um ſie zurecht zu ſtutzen; daß
ſie das kleinliche nicht mehr ertragen ſondern übern
Haufen ſtürzen. Eben ſo wie ich in der einſamen Na¬
tur keinen frage, ſoll oder ſoll ich nicht da hinüber ſprin¬
gen, ſondern mich auf den eignen Trieb verlaſſe; ſollte
[84] eine innere Kraft nicht auch für den Geiſt gut ſagen?
— Und bedürfen oder ſuchen wir vielleicht nur deswe¬
gen Rath weil wir furchtſam ſind? — Kommts uns zu
fabelhaft vor daß der Geiſt, inmitten Unſerer, auf¬
ſteigen könnte der uns die Weisheit des Himmels kund
thue? — nun was vermag uns denn, lieber der unſerem
Inſtinkt fremden Macht des alten Vorurtheils uns zu
unterwerfen, als jenes Inſtinktes jungem Keim nur ſo
viel Luft und Licht zu laſſen daß er aufblühen könne?
— Der höhere Geiſt kann nur aus ſich ſelbſt ſich er¬
zeugen, denn der mächtige Trieb der Entwicklung in
uns, iſt grade nur was uns der Entwicklung bedürf¬
tig macht, und alſo iſt jedes freie Geiſtesregen ſchon
ein Vorrücken des Keims, alſo: den innern Geiſt
walten laſſen, und keinen fremden, iſt was ihn
erzeugt. — Und wärs nicht tauſendmal beſſer wir feh¬
len aus eignem Irren als auf fremden Rath? — wenn
einer in die Heimath will und lauft über die Grenze
um nach dem Eingang zum eignen Haus zu fragen? —
Wie iſt das? — werden da nicht die heiligen Kräfte,
deren Geſammtmacht wir Gewiſſen nennen, im Keim
erſtickt; wird da nicht aller Ahnungstrieb ſtocken, des
Geiſtes Spürkraft abſterben? — Und wenn ich die
eigne Stimme ſchweigen heiß und einer fremden folge,
[85] dann bin ich nicht mehr in eigner Macht und muß mirs
aufbürden laſſen daß ich aus Rückſichten mein beſſeres
Selbſt verwerfe. Hör! wenn ich eine ſchwierige
Aufgabe im Leben hätte ich würde nicht zu erfahr¬
nen Weltleuten gehen, die zu fragen, nicht zu ſolchen
die es verſtehen mit dem irdiſchen Leben einen Handel
abzuſchließen, nicht zu denen die das Recht der Welt
handhaben, ich würde die Unmündigen fragen; ich würde
denken, die Kinder haben die himmliſche Weisheit, zu der
wir müſſen zurückkommen wenn wir das Rechte thun
wollen, was eigentlich unſer Theil am Himmelreich iſt,
denn wir bauen ſelbſt den Himmel durch unſer edles
freies Thun, ſonſt kommt er nicht zur Welt; aber
es iſt Verwirrung in aller Sprache, jeder will das
andre und keiner verſteht den andern, und drum kann
die innere Stimme allein die Sprache des Rechts wie¬
der lehren; o wer ſie ſprechen läßt der thut Großes
und bleibt dennoch einfache Natur, denn Natur iſt groß,
und der Menſch ſoll groß werden; wächſt er am
Leib und breitet ſeinen Stamm aus, ſo ſoll er auch am
Geiſt wachſen und ſeinen Stamm ausbreiten. Und wie
in der ſinnlichen Natur, Nahrung, Pflege, Wachsthum,
Sicherung aus dem eignen Organismus ſich hervor bildet,
warum nicht im Geiſt? Was iſt Geiſtesleben als ſein Entſte¬
[86] hen durch ſein Erzeugen? — und was laſſen wir weni¬
ger zu als daß er ſich frei bewege, und das geht ſchon
ſo von Ewigkeit zu Ewigkeit daß er uns mit den un¬
würdigen Ketten in den Ohren klirrt, und wir fürchten
uns vor dieſem Klirren und halten die Ohren zu, und
ein reines Hervortreten des Geiſtes würde die Welt um¬
ſtürzen, ja! aber wie himmliſch würde ſie aus ihren eig¬
nen Trümmern aufblühen! — Iſt Furcht nicht ein bö¬
ſer Dämon? — Furcht vor dem Irren iſt Menſchen¬
furcht; horchten wir auf die Kinderſtimme in der Bruſt
dann würde die Furcht vergehen, — iſt Irren Irrthum?
— kanns nicht bloß freies Wandlen ſein? — Verſuch
in einer urtheilüberſchwingenden Sphäre ſich zu bewe¬
gen? — iſt Urtheil nicht ein Schlachtmeſſer mit dem wir
die neugeborne Geiſtesfrucht im Leib des Irrthums töd¬
ten? — hats einer ſo weit gebracht im Geiſt, daß er
wie der kühne Gemsjäger ohne Schwindel über die
Spalten und Schluchten ſetze, mit treffendem Sprung
mit Leidenſchaft das Wild ereilend? — Was iſt doch Lei¬
denſchaft?— iſt es nicht jene ungeübte Kraft die ſinnlich
ausbricht und ſich üben will! — ſeis die Spur der
Gemſe die der Jäger verfolgt wenn nicht jener weißen
Hindin mit goldnem Geweih, die lockend tauſend Um¬
wege macht ihn ins Dickicht zu leiten, wo im Eingang
[87] von Labyrinthen, räthſelhafte Mächte ihn ergreifen, die
ſein Aug berühren und ſein Ohr daß er begreife was
nur unſchuldvoller, kühner, ſich ſelbſt regender Geiſt ah¬
nen und faſſen kann. Ach könnt ich nur ins Tyrol rei¬
ſen um meinen Geiſt frei zu machen auf der Gemsjagd,
— dann würd ich gewiß mir ſelbſt genug ſein und das
Große zu dem mein Geiſt Anlag haben könnt, ſollte
nicht zu Grund gehen, es ſollte recht nach allen Seiten
hin, mächtig ſich zeigen. —
Der Molitor hat mir einen Erziehungsplan ge¬
ſchickt von Herrn Engelmann, weil ich ſo gern mit ihm
in die Muſterſchule ging muß er glauben, Erziehung
intereſſire mich überhaupt; das war aber nur wegen der
armen Judenkinder die dort mit den Chriſten zuſam¬
men ihr kleines Fleckchen Antheil an menſchlicher Be¬
handlung hatten, und wenn ich ſagen ſoll, ſo ſchien mir
dies eine allein Erziehung; nemlich: Kinder gleichen Al¬
ters gleicher Fähigkeiten früh dran zu gewöhnen daß
ſie auch gleiche menſchliche Rechte haben, ſie mögen Ju¬
den oder Chriſten ſein; ſei alſo ſo gut und mache den
Molitor mit dem bekannt was ich hier über meine
eigne Erziehung ſage, daß ichs mit Klettern zu zwin¬
gen ſuche mich vor böſen Fallſtricken zu bewahren die
meinen Geiſt darnieder werfen um ihn nachher zu kne¬
[88] beln; daß aber die „Gedanken über Erziehung und
Unterricht beſonders der Töchter“ von Engelmann mir
nicht einleuchten, da die beſte Erziehung die iſt wenn
er ſie Gott anheimſtellt, ſo ſind 90 Karolin zu viel. —
Hier lege ich Dir ein Blatt ein, das gieb dem Molitor,
und ſag ihm beiläufig ich zähle es zu den Philiſtertor¬
turen einem mit ſo was zu behelligen, Leute die ſolche
Erziehungspläne aushecken mögen ihre eigne Verkehrt¬
heit dran ſetzen ſie zu beurtheilen, ſie würden ſich von
mir nicht bedeuten laſſen, ſie würden ſchreien ich ſchütte
das Kind mit ſammt dem Bade aus, und das thu ich
auch, denn das Kind iſt ein garſtiger Moppel und ſoll
nicht im Bad ſitzen wie ein Menſchenkind. — Es thut
mir ordentlich leid daß ich hierüber hab an ihn ſchreiben
müſſen, ich mag nicht meine Feder mit philiſterhaftem
Zeug beſudeln, es iſt mir Sünde, ich habs diesmal
nur aus Gutmüthigkeit gethan, aber ich ſchreib nichts
wieder, thu mir den Gefallen und ſags ihm, er ſoll mich
ungeſchoren laſſen mit allem was ſchon da iſt und was
noch kommen wird, aber die Sulamith ſoll er ſchicken
ſo oft ſie herauskommt, wenns auch ungefüges Zeug iſt;
ich muß alles wiſſen über die Juden wenn ich nach
Frankfurt zurückkomm, der Primas lieſts auch. Für
den Primas will ich Dir einen Auftrag geben, richt ihn
[89] ja pünktlich aus, ich hab an die Großmama geſchrie¬
ben, daß ſie an Dich die Druſen-Weihe zurück¬
ſchicke, packe beiliegenden Brief an den Primas dazu
und ſchicke es an den Weihbiſchof ins Taxiſche Haus,
mache eine doppelte Adreſſe, die oberſte an den Weih¬
biſchof, der wirds ihm zurückgeben oder nachſchicken
wenn er in Aſchaffenburg iſt, verſchiebs nicht.
Bettine.
Ich hab unwillkührlich meinem Brief da mit Auf¬
trägen ein End gemacht und wollte Dir noch ſo viel
anders ſagen über Mooſe und über Pflanzen die ich
im Wald gefunden hab, reine architektoniſche Figuren.
Sind Worte nicht einzelne architektoniſche Theile? ſind
ſie nicht ſymmetriſch zu ordnen im Gedanken?— Ein
Wort iſt immer ſchön an ſich, aber Gedanken ſind nicht
ſchön wenn die ſchönen Worte nicht in einer heiligen
Ordnung ihn ausſprechen; es giebt aber eine gewiſſe
romantiſche Unordnung, oder vielmehr Zufallsordnung,
die ſo was lockendes, ja ganz hinreißendes hat in der
Natur; die einem ſo mit Luſt und Lieb durchdringt,
daß ſie allen Luxus und alle Erhabenheit weit über¬
wiegt in ihrer Verwandtſchaft mit der Seele; ſo hab
ich mir immer gedacht, wenn in Feenmärchen über Nacht
ein prächtiger goldner Palaſt entſtand gegenüber der
[90] Hütte von zwei Bettelkindern, wie traurig es ſei daß
die nun die Mooshütte verlaſſen müßten um in den
ſtolzen Palaſt zu ziehen, und dann war mir bang er
könne die Gegend verſtecken, und nichts deucht mir ſchö¬
ner als wenn die Natur, ihre Launen zärtlich durchflech¬
ten kann wo der Menſch etwas einrichtet; ſollte das
nicht im Gefühl, im Gedanken auch ſein? — ſollte
Poeſie nicht ſo vertraut mit der Natur ſein wie mit
der Schweſter, und ihr auch einen Theil der Sorge
überlaſſen dürfen? — ſo daß ſie manchmal ihre gehei¬
ligten Geſetze ganz aufgäb aus Liebe zur Natur, und
alle ſittlichen Feſſeln ſprengt und ihr ſich in die Arme
ſtürzt voll heißem Drang ungehindert nur an ihrer
Bruſt zu athmen. Ich weiß wohl daß die Form der
ſchöne untadelhafte Leib iſt der Poeſie, in welchen der
Menſchengeiſt ſie erzeugt: aber ſollte es denn nicht auch
eine unmittelbare Offenbarung der Poeſie geben die
vielleicht tiefer ſchauerlicher ins Mark eindringt ohne
feſte Grenzen der Form? — die da ſchneller und na¬
türlicher in den Geiſt eingreift, vielleicht auch bewußtlo¬
ſer, aber ſchaffend, erzeugend, wieder eine Geiſtesnatur?
— Giebts nicht einen Moment in der Poeſie wo der
Geiſt ſich vergißt und dahin wallt wie der Quell dem
der Fels ſich aufthut? daß der nun hinſtrömt im
[91] Bett der Empfindung voll Jugendbrauſen, voll Licht¬
durchdrungenheit, voll Luſtathmen und heißer Lieb und
beglückter Lieb; alles aus innerer Lebendigkeit, womit
die Natur ihn durchdringt? —
In deinen Gedichten weht mich die ſtille Säulen¬
ordnung an, mir deucht eine weite Ebne; an dem fernen
Horizont rundum heben ſich leiſe wie Wellen auf beruhig¬
tem Meer die Berglinien; ſenken und heben ſich wie der
Athem durch die Bruſt fliegt eines Beſchauenden; alles
iſt ſtille Feier dieſes heiligen Ebenmaaßes, die Leiden¬
ſchaften, wie Libationen von der reinen Prieſterin den
Göttern in die Flammen des Heerdes gegoſſen, und leiſe
lodern ſie auf — wie ſtilles Gebet in Deiner Poeſie, ſo iſt
Hingebung und Liebesglück ein ſanfter Wieſenſchmelz
thauigter Knospen, die auf weitem Plan ſich aufthuen dem
Sternenlicht und den glänzenden Lüften, und kaum daß
ſie ſich erheben an des Sprachbaus ſchlanker Säule, kaum
daß die Roſe ihren Purpur ſpiegelt im Marmorglanz heili¬
ger Form der ſie ſich anſchmiegt; ſo — verſchleiernd der
Welt, Bedeutung und geheime Gewalt die in der Tiefe
Dir quellen, — durchwandelt ein leiſer ſchleierwehender
Geiſt jene Gefilde, die im Bereich der Poeſie Du Dir
abgrenzeſt. — So iſt mir immer wenn ich mich erkühne
aus meinem kindiſchen Treiben hinauf zu ſchauen
[92] nach dem Deinen, als ſäh ich eine geſchmückte Braut
deren prieſterliche Gewande nicht verrathen, daß ſie
Braut iſt und deren Antlitz nicht entſcheidet ob ihr
wohl iſt, oder weh vor Seligkeit. — Mir aber liegt
ein Schmerz in der Seele den ich oft unterdrückte
in Deiner Gegenwart, und was mir ſchwer war; aber
eine geheime Sehnſucht Dich Dir ſelber zu entführen,
Dich Dir ſelber vergeſſen zu machen, nur einmal jene
Säulengänge vor denen die Mirthe ſchüchtern erblüht
zu verlaſſen, und in meiner Waldhütte einzukehren, auf
ihrer Schwelle am Boden ſitzend mit mir, von tauſend
Bienchen umſurrt die ſich ſatt trinken in meines Gar¬
tens blühenden Kelchen, von den Tauben zärtlich um¬
flattert die unter mein Dach heimkehren am Abend,
und da mehr zu Haus ſind, mehr Wirthſchaft machen
als Freundſchaft und Liebe der Menſchen, denn ſie be¬
haupten ihr Vorrecht alle Gedanken zu übertönen mit
ihrem Gegurre. Ja, ſo erſchein ich mir im Geiſt gegen
Dir über, Du mein liebſtes Gut! — ſo ſeh ich Dich dahin
wandeln, am Hain vorüber wo ich heimathlich bin; nicht
anders als ein Sperling, vom dichten Laub verſteckt
den Schwan einſam rudern ſieht auf ruhigen Waſſern,
und ſieht heimlich wie er den Hals beugt mit reiner
Fluth ſich überſpühlend, und wie er Kreiſe zieht, heilige
[93] Zeichen ſeiner Abſonderung von dem Unreinen, Unge¬
meſſnen, Ungeiſtigen! — und dieſe ſtille Hieroglyphen ſind
Deine Gedichte, die bald in den Wellen der Zeiten ein¬
ſchmelzen, aber es iſt ſegenwallender Geiſt der ſie durch¬
geiſtigt, und es wird einſt Thau niederregnen der auf¬
ſtieg von Deinem Geiſt. Ja ich ſeh Dich Schwan, ruhig
Zwieſprache haltend mit den flüſternden Schilfen am
Geſtade, und dem lauen Wind Deine ahnungsvolle
Seufzer hingebend, und ihnen nachſehend wie er hin¬
zieht weit, weit über den Waſſern — und kein Bote kommt
zurück ob er je landete. — Aber keinen Geiſt tragen
die Schwingen ſo hoch daß er die Weite erfaſſe mit
einem Feuerblick, es ſei denn, er fache das heilige Schö¬
pfungsfeuer mit ſeinem Athem an; und ſo werden Flam¬
men aufſteigen, bewegt vom Geſetz Deines Hauchs aus
Deiner Seele, und zünden im Herzen jugendlicher Ge¬
ſchlechter, die knabenhaft männlich ſich deuchtend, nim¬
mer es ahnen daß der Jünglingshauch der ihre Bruſt
erglüht niemals erſtieg aus Männergeiſt. — Was denk
ich doch? — Der Geiſt athmet, denk ich? — ihn nähren die
Elemente, er trinkt die Luft, dies feine Beben und Trei¬
ben in ihr. Auch in und unter der Erde zeugen Geſetze,
ſittliche und bürgerliche, der Natur. — Die Luft vermählt
ſich mit der Erde als Geiſt mit dem Wort; und daß
[94] des Windes Brauſen der Fluthen Stürzen, Lebensme¬
lodieen ausſprechen; und daß jedes Weſen in ſich, auch
jede Liebe jede Sehnſucht und jede Befriedigung in ſich
trage, und die Flamme die Pforte ſprenge zu ewiger Ver¬
jüngung, das denk ich. — Dir mehr wie jedem gehört der
goldne Friede, daß Du geſchieden ſeiſt von aller Störung
jener Mächte die Dich bilden; und drum mein ich als, ich
müſſe Dich einſchließen und Wächter vor Dir ſein, und daß
ich nächtlich möcht an Dein Lager treten und geſammelten
Thau auf Deine Stirne tröpfeln, — ich weiß nicht was
Du biſt, es ſchwankt in mir, aber wo ich einſam gehe
in der Natur, da iſt es immer als ſuche ich Dich, und
wo ich ausruhe, da gedenk ich Deiner. — Es iſt eine
alte Warte hier am Ende des Berggartens, eine zer¬
brochne Leiter inwendig die keiner zu erſteigen wagt
führt da hinauf, ich kann mich aber hinauf ſchwingen
mit einigen Kunſtſprüngen, da bin ich alſo ganz allein,
und ſehe wie weit? — aber ich ſehe nicht, ich trage
mich hin, wos in der Ferne nur nebelt und ſchwimmt,
und fordere nicht Rechenſchaft vom Auge, froh daß ich
allein bin, und daß mein gehört ſo weit ich mich fühle.
da oben bin ich mit Dir, da ſegne ich die Erde in Dei¬
nem Namen. Und leb wohl bald ſchreib ich mehr und
deutlicher, ich fühl in dieſem Brief ein elektriſch Beben
[95] wie wenn ein Gewitter ſich unter den Wogen hebt,
und doch weiß Jupiter Tonans noch nicht, ob er ſeinen
Conſens dazu geben ſoll.
Bettine.
An die Bettine.
Meine Abweſenheit von Frankfurt hat gedauert
bis im Anfang dieſer Woche, ich dachte ſicher Briefe
von Dir zu finden und bin etwas beſorgt, doch ſagt
mir ein geheimer Geiſt Du wirſt nächſtens in Fluthen
angeſtrömt kommen, und mich wegſchwemmen, mein
Aufenthalt in Heidelberg war angenehm und lehrreich,
welches letztere Du nicht wirſt gelten laſſen, wenn ich
Dir aber ſag es waren die alten Mauern und nicht
die Menſchen die ihren Geiſt über mich ergehen ließen,
da wirſt Du gleich gläubig ſein. Du haſt bei Deiner
Abreiſe, Oſtertags ſchlechte Überſetzung des Suetonius
in meine Behauſung geſchickt, vermuthlich ſoll ſie auf
die Bibliothek zurück, noch in keinem Buch fand ich ſo
Viel Spuren Deines fleißigen Studiums als in dieſem;
vier bis fünf Blätter mit Auszügen, wo Du alle Miſ¬
ſethaten der zwölf Kaiſer auf eine Rechnung gebracht
[96] haſt. Was bewegt Dich zu ſolchen Dir ſonſt ganz
fremden Forſchungen? ich ſuch mirs zu erläutern, denkſt
Du in Anſehung jener, die als große Männer nicht
frei ausgingen von der Tyrannei Sünde, Deinen gro¬
ßen Mann zu abſolviren? — Ich ſcherze, aber ich
möchte doch dabei in Dein Geſicht ſehen ob Du ganz
frei von jener Begeiſtrung biſt die aus aufgeregtem Ge¬
fühl entſteht bei dein ewigen Gelingen aller Schickſals¬
löſungen, und die ich lieber Schwindel nennen möchte,
und den andre, Weltpatriotismus nennen und ſich leicht
verführen laſſen eine Rolle zu ſpielen wenn ſie ihnen
geboten würde, weil es heißt Er hat einen Glücksſtern,
und da fühlt man ſich gedrungen dem zu fröhnen, aus
aſtraliſchem Emanationsgefühl, und da tritt man bald
von der reinen Einfalt zum Götzendienſt über. — Aber
ich will Deinen Zorn nicht auf mich laden, ſondern Dir
offenherzig ſagen woher mir die böſen Gedanken kom¬
men. Sie kommen nicht aus mir, die Leute ſagen näm¬
lich Dich habe alles ſo aufgeregt als der Kaiſer durch¬
kam und Du habeſt geweint und ſeiſt ganz außer Dir
geweſen als Du ihn geſehen hatteſt, das hat die Clau¬
dine mir geſagt, iſts wahr, ſo braucht doch das nicht
wahr zu ſein daß Du von ihm hingeriſſen biſt, denn
man kann erſchüttert werden ohne Begeiſtrung für das
was[97] was uns erſchüttert, mehr will ich Dich nicht mit die¬
ſen mißlichen Worten peinigen, die nur Scherz ſein
ſollen und auch Dich ein wenig ſtrafen daß Deine
Briefe ſich verſpäten.
Von Offenbach iſt mir ein Pack Schriften zugekom¬
men für Dich, die Novelle wahrſcheinlich — ſoll ich ſie
Dir aufbewahren oder zurückſchicken? — Von Clemens
hab ich Dir auch noch viel zu ſagen, Gutes und Vergnüg¬
liches heiße Anhänglichkeit an Dein Wohl; — es iſt ſein
tiefer Ernſt wenn er ſagt Du geheſt durch Deinen Leicht¬
ſinn der Zukunft verloren, und dieſer Ernſt gehet ſo
weit, daß er im Eifer meint ich ſei mit dran ſchuld.
Einen Brief haſt Du ihm geſchrieben wo Du meine An¬
ſicht über Dich als Zeugniß citirſt daß es nicht in Dei¬
nem Charakter liege zu dichten oder vielmehr etwas
hervorzubringen. Dies hab ich büßen müſſen, denn er
zeigte mir Deinen Brief und meinte wer ſo ſchreibe der
dichte auch, ich hab ſchweigſam und bejahend alles über
mich ergehn laſſen; thue wie Du kannſt. Dort in
Marburg haſt Du wahrſcheinlich wenig Zerſtreuung,
wer weiß was Dir gelingt oder vielmehr einfällt, denn
fiel es Dir ein, ſo fiel es Dir auch vom Himmel, aber
dies ſchon ſo lang erharrte Phänomen will immer nicht
ſich ereignen. — Ich bitte Dich ſchreibe bald, daß ich
II. 5[98] wieder ins Geleis Deiner Ereigniſſe und Erfahrungen
komme; es iſt mir ganz todt hier, meine Augen hin¬
dern mich ſehr am Schreiben.
Caroline.
An die Günderode.
Lieber Widerhall, ich hab Dir was zu ſagen von
meiner ſchmerzlichen Langenweil, die ich bei allem
empfinde, weil ich immer noch nichts von Dir weiß,
ich mein wann ich nicht rufe ſo mußt Du rufen,
aber Nein, Du biſt der Widerhall und ich darf nun
nicht eher hoffen als bis mein Rufen bei Dir ange¬
ſchlagen hat. Geſtern hab ich meinen Brief zugemacht
dem Bedienten mit auf die Poſt gegeben und ſiehe er
brachte ihn mit einem großen Paket angekommner Briefe
wieder zurück, in der Meinung ihn dort für mich em¬
pfangen zu haben, jetzt ging er erſt heute um vier Uhr
ab, dies Verzögern, dies Vor-mir-liegen meines Briefes,
dem ich Flügel angewünſcht hätte und den ich gewohnt
bin nie eher zuzumachen als bis er die Reiſe antritt,
war mir ſehr unheimlich, ich bin ſo gedächtnißlos,
[99] daß wenn ich den Brief ſchließe, ich ſchon nicht mehr
weiß was er enthält; und nur ein Nachgefühl läßt mir
die Ahnung zurück wie er Dich berühren werde; aber
bald fang ich an zu zweifeln obs nicht lauter Einbil¬
dung ſei, daß ich mir denke Dir tiefe innere Anſchauun¬
gen mitgetheilt zu haben, und ſo fühl ich ermattende
Zweifel und ich denk was ſoll doch das dicke Briefpaket,
da kann doch unmöglich lauter Klugheit drinn ſtehen,
wo ſoll ichs her haben, iſts doch ſo leer mir im Kopf! —
und dann thut mirs ſo leid daß ich Dir nicht meine
Seele konnt hingeben, nackt und blos wie ſie Gott
zu ſich aufnimmt, daß ich ſtatt ihrer Dir einen Schwall
von Worten ſchickte, die ſuchen und ſuchen, Dir eine
Flamme aus den Waſſern dieſes bodenloſen Oceans
in dem wir alle ſchwimmen entgegen zu hauchen; da
möcht ich den Brief aufbrechen, und nur einen Augen¬
blick wahrnehmen daß ichs Herz auf der Zunge hatte,
und doch kommt er mir ſo verſiegelt vor als ſei er Dein
Eigenthum ſchon, was mich nichts mehr angeht, weils
immer Gott gleich von mir nimmt, ſobald ichs in der
Gluth meines Angeſichts hingeſchrieben hab. Ja es iſt
mir ein paar Mal geſchehen daß ich einen Brief von mir
bei Dir gefunden hab, ſo war er mir ganz fremd, und
die Worte und Gedanken wunderten mich recht. Heute
5*[100] hab ich alſo Deinen Brief unverletzt entlaſſen aus wah¬
rer Pietät weil er Dein gehört, und weil ich mich nicht
in die Geheimniſſe eindringen will die Gott Dir durch
meine Hand vertraut, denn ſonſt würde er nicht ſo
ſchnell das Gedächtniß von mir nehmen, um ſo mehr
kannſt Du an das drinn glauben was vielleicht Dich
berührt.
Chriſtian der mir nach Frankfurt ſo ernſte und
liebende Briefe geſchrieben hatte, vor denen ich mich
oft ſchämte, weil ſie viel höhere Kräfte mir zutrauten
und wecken ſollten als je erwachen werden, der geht
hier um mich herum und betaſtet mein Ingenium, und
entdeckt daß die Fundgruben des Genies zum Theil leer
ſind, und die Felder des Wiſſens ſteinigter Acker, und
das Licht der Begeiſtrung lauter Nebel, doch verläßt
er mich nicht und ſorgt für Lehrer. Der Schäfer ſollte
Geſchichte mit mir treiben, da er aber ſehr ernſt und
gründlich iſt und durchaus will daß der freie aufge¬
weckte Menſch mit vollem Intereſſe dabei ſei, ſo konnte
ers nicht mit mir aushalten, es ging gegen ſein Ge¬
wiſſen, er hat dem Chriſtian bedeutet es ſei beſſer mich
auf andre Weiſe zu beſchäftigen; da ich eine Nerven¬
angreifende Empfindung habe wenn ich Zahlen wahr¬
[101] nehmen ſoll, wenn ich das Frühere vom Späteren un¬
terſcheiden ſoll, wenn ich Namen behalten ſoll, ſo ſei
es nicht möglich bei gutem Gewiſſen mir Zeit und
Geld zu rauben. Es thut mir leid daß auch der mit
Blindheit geſchlagen iſt über mich und von der när¬
riſchen Idee beſeſſen, ich lerne um was zu wiſſen, um
Kenntniß zu ſammeln; Gott bewahr, da könnte ich
nur innerlichen Raum mit Dingen ausfüllen die mir
im Weg ſind, wenn ſich ein Reiſender viel Beſitz¬
thum anſchafft ſo hat er erſt die Noth alles unterzu¬
bringen, und hat er ſich an Überflüſſiges gewöhnt, ſo
muß er einen Bagagewagen hinter ſich drein fahren
haben. Den Mantel umgeſchwungen und damit zum
Fenſter hinaus und alles Gerümpel dahinten gelaſſen,
das iſt meine Sinnesart, lernen will ich wie Luft trin¬
ken. — Geiſt einathmen wodurch ich lebe, den ich aber
auch wieder ausathme, und nicht einen Geiſtballaſt in
mich ſchlucken an dem ich erſticken müßt. Das will
mir aber keiner zugeben, daß ſolche Unvernunft natur¬
gemäß ſei. Ich würde am End freilich nichts wiſſen
was ich ihnen gern zugebe, aber ich würde Wiſſend
ſein, was die mir nicht zugeſtehen, — aber durchgeiſtigt
ſein von des Wiſſens flüchtigem Salz, einen Hauch der
[102] Belebung durch es empfinden, einen Kuß wenn Du's
erlaubſt, einen flüchtigen — dem ich eine Weile noch
nachfühle, der in mir ſich verwirklicht, verewigt.
Wiſſen und Wiſſendſein iſt zweierlei, erſtes iſt eine
Selbſtſtändigkeit gewinnen in der Kenntniß, eine Per¬
ſönlichkeit werden durch ſie. Ein Mathematiker, ein
Geſchichtsforſcher, ein Geſetzlehrer, — gehört alles in die
verſteinert Welt iſt Philiſterthum in einem gewiſſen tie¬
feren Sinn. Wiſſendſein iſt Gedeihendſein im geſunden
Boden des Geiſtes, wo der Geiſt zum Blühen kommt.
Da brauchts kein Behalten, da brauchts keine Abſonde¬
rung der Phantaſie von der Wirklichkeit, die Begierde des
Wiſſens ſelbſt ſcheint mir da nur wie der Kuß der Seele
mit dem Geiſt; zärtliches Berühren mit der Wahrheit, ener¬
giſch belebt werden davon, wie Liebende von der Geliebten,
von der Natur. — Die Natur iſt die Geliebte der Sinne,
die Geiſtesnatur muß die Geliebte des Geiſtes ſein; durch
fortwährendes Leben mit ihr, durch ihr Genießen geht
der Geiſt in ſie über, oder ſie in ihn, aber er führt
kein Regiſter über alles, er buchſtabirt ſichs nicht und
rechnets nicht zuſammen. Nun was liegt mir dran? —
ſo lang mirs ſo geht wie hier, kann ich nicht klagen, ich
ſchwindel wie ein Bienchen herum, und wo ich ein off¬
nes Kelchelchen ſind da ſchwipp ich hinein, und verſuch
[103] und trink mich ſatt wenn mirs ſchmeckt. Der alt Profeſ¬
ſor Weiß, bei dem wir im Haus wohnen iſt ſo ein klei¬
ner Hausgarten an dem mir allerlei Blüthen noch offen
ſtehen. Der gute Alte klopft an die Thür, da ſteht er
mit der Zipfelmütze im Schlafrock und will gern ſeine
Pfeife anzünden weil bei ihm noch kein Licht brennt,
ich ſpazier noch ein Bischen mit in den Garten wo er
die Pfeife raucht, er zeigt mir die Sternbilder am Him¬
mel, der Orion, der groß Bär und der klein Bär, und
paft mir den Rauch ins Geſicht, ſo hat er mich die
drei Wochen unterhalten ſo oft gut Wetter war von
aller Planeten Tanz, und das hat grade mein Begehren
zu wiſſen mäßig genährt; aber wiſſenſchaftlicher Anſatz
iſts nicht geworden, vielmehr Schleierlüften von gehei¬
men Reizen des Geiſtigen. Und ich hab dann am Abend
und in der Nacht noch Gedanken gehabt, Nachzügler —
worüber ich beſeligt einſchlief. Weißt Du was das iſt
beſeligt einſchlafen? — das iſt grad mit der Natur im
ſüßeſten Alleinſein ſich befinden, wo ſie allein den Blick
auf Dich richtet, und in Dich hineinſchaut, und Du in
ſie, und eine Decke Euch umhüllt, wie zwei Kinder die
einer des andern Athem trinken. So iſts mit mir wenn
ich zufällig etwas von ihr gewahr werd; aber wenns mir
[abgemeſſen] wird, wenn ich Rechenſchaft geben ſoll, dann
[104] fühl ich mich in der Seele beleidigt, denn ich mag nichts
wiſſen, ich ſchäme mich, und kränke mich daß auf dem
Spielplatz meiner Seele all das luſtige übermüthige
Springen und Schwingen nicht mehr ſein ſoll, wo ohne
Umſehens alles verfliegt wie es gewonnen worden und
von keiner Aufſpeicherung die Rede iſt.
Da hab ich noch eine Luſt, — der alt Herr hat ein
klein Treibhaus, eine Kammer mit zwei Fenſtern nach
der Sonne hin, wo er ſelbſterzogne und Jahre lang
gepflegte Gewächſe bewahrt. Ich bin mit ihm geweſen
und hab ihm helfen die Gewächſe vom Staub reini¬
gen, viele hab ich nicht gekannt, er ſagte mir ihren
Namen, ihr Vaterland ihre Geſchichte, wie er dazu ge¬
kommen, was er für Glück und Unglück mit ihrer Pflege
gehabt, das alles iſt lebendig und intereſſant, denn er
iſt alt und hat viel Kinder und alſo viel Sorgen, und iſt
kränklich; und nun iſt ſeine Freude aus der ſogenannten
Fülle dieſes großen weiten wiſſenſchaftlichen Lebens, die
paar ſüdliche Pflanzen die hier unter ſeiner Liebe Schutz,
ihr Leben im fremden Klima friſten, mit einer dürftigen
Blüthe ihn erfreuen; im Keim ſchon unterſcheidet er ob
der Knospen bringen wird oder blos Blätter, zählt alle,
betrachtet alle Tage wie ſie vorrücken, da regt ſich kein
Blättchen er ſiehts und verſtehts, Du ſollteſt zuhören,
[105] wie er ihre Färbung ihr Erſchließen bemerkt, wie er ih¬
nen das bischen Licht ökonomiſch austheilt daß keins
zu kurz kommt, und dabei geht als ſein altes ledernes
Kolleg, was er nun ſchon im einundzwanzigſten Jahr
jährlich zweimal den Studenten vorträgt, mit herab¬
hängenden Ohren den gewohnten Weg zur Mühle, ob
ein geſunder Menſchenverſtand es aushält dies immer
und immer das Erlernte Erſtudierte durchzukauen? —
Nein einmal muß es aufhören und einer möcht
wohl lieber aufs ewige Leben verzichten als ewig
das Erlernte wieder den Nachkommen mittheilen; ſo
muß man es denn einmal abdanken nicht wahr! —
ſollte man den alten Satz mit in die Ewigkeit zu
nehmen gedenken? mit Nichten ſo wenig wie den
Treſſenrock die Staatsperück die Ordensbänder die
Titel die Ehrenämter, man fühlt recht gut daß ſich
ſolches Zeug vor Gott nicht ſchickt, aber wie der Geiſt
übereinſtimme mit der Natur, die ſeine Freundin ſeine
Geliebte iſt, wie er in ihr und durch ſie ſich entwickelt
hat, das iſt vor Gott alles. Wenn denn alles Wiſſen,
Haben, übergehen muß in Nichtwiſſen, Nichthaben, was
hats denn auf ſich daß ich gleich alles verdampfen laſſe.
Wiſſen iſt Handwerker ſein, aber Wiſſend ſein, iſt
Wachsthum der Seele Leben des Geiſtes mit ihr in der
5**[106] Natur; Leben iſt aber Liebe. — Sei nachſichtig gegen
mich, ich muß Dir alles zurufen lieber Widerhall keine
Sorge um mich wenn Dirs nicht wie geſunder Menſchen¬
verſtand vorkommt, man ahmt ja wohl den Vogel im
Buſch nach oder den Wind zum Vergnügen, oder das
Wild im Wald. — Der Weiß hat mir ein botaniſch
Buch gegeben wie er ſah daß ich ſo viel Freud hab an
Pflanzen, ich hab mir die Mooſe heraus geſucht, weil
man die unterm Schnee noch finden kann, ich hab eine
Loupe, ich betrachte ſie, ich entdeck eine Welt, alles läuft
und ſtürmt durch wie durch einen Forſt, es fehlt nur
der Jagdhörnerſchall, das Hundgebell, und der Schuß; ſo
könnt man denken man wär auf einer königlichen Jagd;
ich hab noch das Plaiſir von oben herab, wie Gott vom
Himmel da hinein zu ſehen; wenn ichs dem Weiß vor¬
erzehl wie mir alles vorkommt, das hört er an wies
Evangelium, es erquickt ihn die Lügen und Fabeln mei¬
ner Einbildung zu hören, er ſagt: wenn ich nicht im
Pflug gehen müßt ſo ſchwäzt ich den ganzen Tag
mit Ihnen. — Das iſt gut für mich ſonſt wär mirs
zu viel.
[107]
Samstag.
Der geſtrige Abend war ein Gedulderprobender, es
war wieder Dämmerungsſtunde erfüllt mit allerlei Ga¬
ben der Muſe. Schäfer der ein feiner und geiſtreicher
Mann iſt, hörte mit zu; Savigny iſt gar liebenswürdig
mit ſeinen Freunden und Bekannten, die höchſte Güte
leuchtet aus ihm, ſo befindet ſich alles kindlich wohl
und heiter um ihn her. Es wurden Gedichte vorgele¬
ſen vom Autor; das iſt ſchwierig für den Leſer und
für den Hörer, da ſind zwei Fragen: wo kommen die
Gedichte her und wo wollen ſie hin, die meiſten be¬
haupten ihre Abkunft aus dem Feuergeiſt der Liebe
und behaupten ihr Recht ins Herz einzukehren. — Ich
ſaß in der Ecke und hörte ein lang Gedicht mit den
Ohren, die Seele ſehnte ſich hinaus in den Schnee,
in die ſternenhallende Luft; die Sterne haben einen
Ton, einen ſprechenden Laut der viel vernehmlicher iſt
in klarer Winternacht wie im Sommer; — vernehmlich,
nicht hörbar, wie denn alles in der Natur vernehm¬
lich iſt, wenns auch die äußeren Sinne nicht gewahr
werden. Ich dachte mich hinaus in alle Welt wäh¬
rend dem Rollen auf der Verſechauſſee; meinem Nach¬
bar mochte es wohl auch ſchwer auf dem Herzen lie¬
[108] gen, denn er ſeufzte mehrmals und holte endlich ſein
Taſchenbuch worin er mit dem Bleiſtift was einkritzelte,
— ich nahms ihm aus der Hand und probierte Verſe
zu machen im Takt des Leſenden, das Geleſene ſchoß
Worte zu, wie eine Fabrik wo einer dem andern in
die Hand arbeitet, und ſo ſetz ich Dirs der Kurioſität
halber hin. Der Dichter las nemlich klagende Geſpräche
im Minneliederſtyl zwiſchen zwei Liebenden, die nicht
zu Rande kommen können mit ihrer Sehnſucht, in Früh¬
lings und Sommerzeiten.
Montag.
Nun kam geſtern ein Brief von Elemente an mich
mit feierlichen Mahnungen, doch mein Leben, nicht zu
verſcherzen, ſo innig ſo herzlich, als wär ich eine Blu¬
menknospe die auf ſeinem Stamm wüchſe und der
Stamm treibt ſorglich alle Kräfte dahin daß ſie ſich
aufthue, aber die Knospe iſt ſo feſt daß nicht Regen
und nicht Sonnenſchein ſie weckt — was kann ich da?
— der Chriſtian ſtraft mich mit Worten es ſei kein
Ernſt in mir, und wenn ich wollte nach Italien reiſen,
ſo ſollt ich Winkelmanns Kunſtgeſchichte ſtudieren; und
Italieniſch lernen das hab ich probiert, aber die Kunſt¬
geſchicht wie ſollt ich mit der mich abgeben wenn ich
dran denk daß ich nach Italien reiſen ſollt. Ei laß
doch alles mit Augen ſehen, und wenn ich trunken
bin vor Seligkeit daß dort andre Bäume andre Blu¬
men und Früchte ſind, wenn ein ſchönerer Himmel
über mir wogt, wenn Menſchen, Knaben, Jünglinge
die mir verwandter ſind im Blut in der Faulheit, als
die kalten deutſchen fleißigen Brodſtudenten, mir begeg¬
nen auf der Straß mich ſanft grüßen, umkehren, mich
noch einmal grüßen, feuriger, — ei werd ich da noch
das geringſte vom Winkelmann, von der alten Geſchichte
[110] wiſſen? wenn rings die Schönheit der Erde aufwallt, da
wär ich wohl der närriſche Pedant dazu? — Mit Dir
Günderode möcht ich Arm in Arm dahin ſchlendern,
kommſt Du heut nicht ſo kommſt Du morgen, alle Zeit
füllt ſich ja ſo himmliſch, was ſollen wir ſorgen wo wir
hinkommen? — Sturm und Gewitter ſchreibt in die Bruſt
Unvergängliches wie der heitre Tag; jeder Weg führt
zu geheimen Reizen der Natur, warum ſollen wir nicht,
wenns uns lockt, folgen dem ſtrebenden Herzen, den
Geſtalten, dem Glanz der Fluren — irren hier und
dort herum, wie die Lämmer weiden. — Warum nach
einem Plan das Schöne aufſuchen? — am End iſt doch
der Zufall, der Reichen großmüthigſter; warum nicht
ihm anhängen? — läßt ſich Gott nicht in ihm am
innigſten mit der Seele ein? befriedigt am liebendſten
ihre geheimen Wünſche?
Ich denk mich ſo oft mit Dir wandlend, zum
nächſten Thor hinaus dem reizendſten Pfad entlang,
der Clemens aber drängt mich an des Parnaſſus
Stufen und will ich ſoll hinauf, und ſo hab ich
ihm geſchrieben: „Am Dichten hindert mich mein
Gewiſſen, wenn ich denk wie viel reiner tiefer Sinn
dazu gehört, um ſo weniger kann ich mirs zutrauen;
manchmal wandelt es mich freilich an, ich ſehne mich
[111] danach, wie ein eingeſperrtes Kind nach dem Spiel
in freier Luft, aus grüner Wieſe im Sonnenſchein; ja
es ſchmerzt mich tief, daß ich nicht kann wie ich
will und daß alle Sprache mit der ich mein Sinnen
feſtzuhalten verſuche nur wie dürres Holz in der
Gluth meines Herzens zuſammenbrennt; wie oft hatte
ich Momente deren feierliche Mahnung mich auf et¬
was Ernſtes Tiefes vorbereiteten, die Poeſie ſchien
mir dann ein reifer Schmetterling der mit dem lei¬
ſeſten Regen die leichte Hülle ſprengte und auf in
die Lüfte ſteigend in den mannigfaltigſten Blüthen
meiner Seele ſchwelgend. Dann fühlt ich wie ein gött¬
lich Unſichtbares dem ich geboren, ich war ſtolz und
wenn die Natur rings mich mit feurigem Blick an
glühte, dann war ich ſpröde und verſchloſſen gegen
die Feuerkraft, und doch hätt ich mein Herz darge¬
reicht dem erſten kühnen Augenblick der mir die Sprache
gelöſt hätt, in der meine Lieder gefloſſen wären. Doch
all dies Leben, dies innere Beben und Aufrauſchen ging
vorüber ohne etwas feſtzuhalten oder zu erzeugen,
und wird vielleicht noch tauſendfach in mir erſcheinen
— und keine Spuren zurücklaſſen.“
Das hab ich Dir abgeſchrieben aus meinem Brief
an ihn, weils etwas Erlebtes iſt, was ſich mit un¬
[112] endlichen Modulationen mir im Geiſt wiederholt, ich
hab Viſionen wenn ich die Augen zumache, ich ſeh
nicht allein, ich hör auch entzückende Töne, wie wenn
himmliſche Empfindung zu Ton könnt werden; nun fehlt
ja nur die eine Stufe, daß der Ton ſich in Geiſt der
Sprache überſetzte; aber in dies Inſelland wills keine
Brücke ſchlagen, im Gegentheil alle Erſcheinung zer¬
fließt vor der Sprache. — Ich hab wohl einen dunklen
Begriff warum ich nicht dichte, weil eben das Tiefe was
mich gewaltig ergreift, ſo daß es elektriſche Kraft auf
die Sprache hätte, etwas iſt was ſich in der Empfin¬
dungswelt nicht legitimirt, oder um ſchneller und ohne
Umweg mich auszudrücken, weils Unſinn iſt was mir
in der Seele wogt, weils Unſinn iſt was meine Gedan¬
ken mir vorbeten, weils Unſinn iſt der mich ahnend als
höchſtes Geſetz der Weisheit ergreift. — Wo ich hinſehe,
wo ich hinſpühre darf ich nicht ankommen mit meinen
Wahrnehmungen, ich weiß daß wenn der Dichterſchwung
mich ergriff, ſich das Unendliche, das Ungeborne vor
mir aufthun würde mich durchzulaſſen. — Ich ſeh! —
und wenn ich was Wahres ſchaue ſei der Keim ſo klein
noch, ſo in ſich gedrängt, mich begeiſtert der ihm ſelbſt
bewußtloſe Lichtweg den er wandelt. — Du begeiſterſt
mich, weil Dein einfaches Streben mir ſo deutliche Lehre
[113] giebt Du ſeiſt der eignen Seele ewiger Wohllaut, der
ſie wiegt und ſchlummernd ihr die Geſetze der Harmo¬
nie einflößt. Ahnungen ſollen dem Geiſtesblick Wahr¬
heiten werden, ſoll eine Ahnung wirklich Daſein wer¬
den, ſo muß ſich der Geiſt erſt vermählen mit einem
andern Geiſt — mit dem Genius — die Ahnung ver¬
wirklicht den Genius in uns. — Alles iſt wirkliches Le¬
ben durch die Feier der Liebe mit dem Genius. — Alles
verwirklicht ſich durch Vermählung des höheren Lichts
mit dem Geiſt — es ſtrömt dem Geiſt herab, er darfs
nur liebend wollen, es erfüllt ihn in tiefer Nacht ge¬
ſtaltlos, es ſtrömt ihn an, es umſchweift ihn ganz, o
es iſt kein zahmer Liebhaber das Licht. — Und iſt es
ein Wunder daß wer ohne Grenze ſich ihm ergiebt,
daß der dann ſehe wo andre nicht ſehen? und ſollt
ich mich ſchämen vor Dir, die in manchen heiligen
Augenblicken mir erſchien wie das Licht zärtlich mit
Strahlenkränzen ſie umflocht, und krönte Dein Haupt
mit doppelter Krone! — daß ich Dir ſage, nicht die
Sprache iſt zwiſchen mir und dem Licht, nein es iſt das
Licht unmittelbar, es nimmt meine Sinne auf — nicht
durch die Sprache meinen Geiſt! — drum kann ich nicht
dichten. Dichten iſt nicht nah genug, es beſinnt ſich
zu ſehr auf ſich ſelber. — Ach da red ich ſo wo wir
[114] ausgemacht haben daß Du niemals drauf eingeheſt da¬
mit ich nicht vor der Zeit unſinnig werde — ſchweig,
und ich will auch ſchweigen, der Dämon möcht mich
ſonſt durch die Lüfte davontragen. —
Dem Elemente hab ich geſchrieben daß ich hier ſehr
vergnügt bin nicht ſowohl um Savignys willen, deſſen
Gegenwart freilich einem Aufenthalt alle Reize verleiht,
ſondern um der reinen Einſamkeit halben, in der ich
von aller Kleinheit entfernt lebe, die mich in Frankfurt
immer bedrängte, und meine Freiheit ſchmälerte wenn
ich ſo ſagen darf. Hier kann ich doch leichtſinnig ſein
ohne daß die Inconſequenzen davon mich gleich er¬
ſchrecken, und ruhig und ernſthaft ohne daß man glaubt
ich ſei verliebt oder krank, und verliebt in Himmel und
Erd die einzig und allein ſchön hier ſind, ohne daß
man mich der Koketterie beſchuldigt.
Da kommt Dein Brief, Du giebſt ihn der Claudine
daß die ihn beiſchließe und die hat ihn grad noch zwei
Tage liegen laſſen, denn ſo lang hat ſie an ihrem Brief
geſchrieben, — und nun ſchließ ich dieſen in dem keine
Antwort ſteht, aber gleich würde ich antworten wenn
nicht es ſo in mir rumohrte was Du ſchreibſt, ich mein
dieſer Brief von Dir iſt nicht an Deinem Schreibtiſch,
der iſt an fremdem Tiſch geſchrieben, gewiß bei der
[115] Claudine. — Ich muß die Sonn untergehen laſſen und
mich beſinnen auf morgen früh.
Bettine.
Marburg. December.
Heut Morgen bin ich aus dem Bett geſprungen
um das Eis mit meinem Hauch zu ſchmelzen. Um
halb acht kamen die Studenten dem Berg herauf geju¬
belt, es war noch dämmerig und der Nebel ſo dicht
daß ſie wie Schatten blos durchſchimmerten. Die Me¬
line und ich ſehen jeden Morgen mit großem Gaudium
wie ſie zu unſerm Profeſſor Weiß ins Kolleg marſchie¬
ren, — ſie können uns nicht ſehen, denn unſre Fenſter
ſind hart gefroren, wir ſteigen auf den Tiſch und hau¬
chen an der oberſten Scheibe ein Löchelchen ins Eis
wo grad ein Aug durchſehen kann; ein jeder hat
ein verſchiednes Abzeichen, treiben ſich immer eine
Viertelſtunde herum bis ſie im Gang nach dem Kolleg
verſchwinden, den der Profeſſor Weiß präcis acht Uhr
aufſchließt, indeſſen treiben ſie lauter Übermuth, wir
dachten ſchon daß ſie vielleicht uns zu Ehren die gro¬
ßen Sätze machen von einer Trepp zur andern, einer
über des andern Kopf weg, ſie können uns zwar nicht
ſehen weil die Fenſter verhängt ſind und jetzt auch ge¬
[116] froren, ſo leuchten ihnen doch unſre grünen Vorhänge
ganz myſtiſch in die Augen, uns machts tauſend Spaß,
die Liebſchaft mit dem ganzen Kolleg iſt im beſten
Gang, wir haben ſie getheilt, die Meline ſagt der iſt
mein, und ich, der iſt mein, ſo haben wir zwei Regimen¬
ter, und ihre Balgereien werden mit großer Freude und
Triumph belacht, jede Partei hat einen Hauptmann, der
eine mit der rothen Mütze die er nie auf dem Kopf
hat ſondern immer auf einen dicken Stock (der Student
nennt ihn Ziegenhainer) herumſchwenkt iſt meiner, er iſt
immer der erſte auf dem Platz, die andern verſammeln
ſich um ihn und hören zu was er ſagt, er mag wohl
das Haupt einer Burſchenſchaft ſein; er iſt ſo jung und
ſchön, er iſt der größte von allen, wenn er den Mund
aufthut kommt eine große Duftwolke heraus, die ſetzt
ſich gleich als Reif an ſeinen kleinen Bart, mit dem er
ſehr groß thut, denn er zieht ihn alle Augenblick durch
die Finger. Wir nennen ihn den Blonden, er hat brau¬
nes Haar, er hat aber ein ſo blond-ſonnig Geſicht, das
mit ſeinen rothen Backen ſo freundlich durch den Mor¬
gennebel lacht, und dann hat er auch einen hellen Rock,
der Meline ihrer heißt der Braune, der iſt ganz blond
aber er hat einen braunen Rock, dieſer trägt eine
blaue Mütze mit einer Quaſte die ihm auf der Naſe
[117] herumſpielt, er ſitzt gelaſſen auf der Mauer und
ſieht zu wenn die andern ſich mit Schneeballen wer¬
fen, ringen, über einander wegſpringen, dazu rin¬
gelt er ſich ſeine blonde ſtrahlende Phöbuslocken über
die Finger; ich beneid ihn oft der Meline und wollt
ihn mit einem Anſehnlichen aus meinem Regiment um¬
tauſchen, aber ſie will ihn nur gegen meinen Gene¬
ral, den Blonden, herausgeben, das will ich nicht.
Früh iſts im Hof wie im Elyſium der dichte Nebel
von der Morgenſonne angeſtrahlt in dem die Geſtal¬
ten ſich bewegen, die allerlei mit einander handthieren.
Wenns Kolleg aus iſt ſehen wir ſie wieder abziehen,
da iſt ihr Übermuth noch größer. Ach hätt ich doch ſo
ein Regiment, da wollt ich Dir ſchon antworten auf
Deinen Brief mit Deinen unſinnigen Anklagen über
den Napoleon. — Betet und ihr werdet erhört werden.
Ich bete ohne Unterlaß daß mir doch Flügel wachſen,
ich wollt über die Schaaren wegfliegen und ihm in die
Zügel fallen. Ach Günderode, Deine fatale Idee als
habe ich eine närriſche Ehrfurcht vor dem Napoleon
peinigt mich, das Roß des Übermuths tobt unter ihm,
es ſetzt in wildem Feuer über Abgründe und durchfliegt
in ſtolzem Selbſtgefühl die Ebne um über neue zu
ſetzen, dahin eilt er, an den Zeiten vorüber die umge¬
[118] wandelt ſich nicht mehr erkennen. Die Menſchen ſchla¬
fen ohne Ahnung vom Erwachen, aber unter ſeinem
brauſenden Huf reißen ſie plötzlich die Augen auf und
ſeine Glorie blendet ſie, daß ſie ſich ſelber nicht begrei¬
fen, ihr dumpfer Schlaf geht in Taumel über, ſie um¬
jauchzen ihn im Gefühl ihrer Trunkenheit.
In mir iſts wunderlich. Vor Menſchen verſink ich
in mir ſelbſt, vor denen fühl ich mich nicht, nur wenn
ich durch den erſten Schlaf in der Nacht abgetrennt
von allem wieder erwache, dann ſtellen ſich große un¬
geheure Fragen vor meine Gedanken, es ſind Fragen in
mein Gewiſſen vor dem ich verſtummen muß.— Tu¬
genden[!] — Was ſind die? — Denk ich doch an die
letzte Zeit mit den Emigranten bei der Großmama, es
ging alles durch einander, es war als ob das Unglück
vor der Thür geſchehen ſei mit dem Tod des Enghiens,
was für bittere Thränen vergoß der alte Choiſeul mit
dem Ducailas und dem Maupertius, wie rangen ſie
die Hände und riefen zu Gott um dieſen jammervollen
Tod, meinſt Du das habe mir nicht einen tieferen Ein¬
druck gemacht als alles glorreiche Durchbrauſen der
Welt? — meinſt Du ich könne je dem Unrecht – er¬
liegenden mich losſagen und auch nur in Gedanken
übergehen zu dem Unrecht das vor der Welt Recht be¬
[119] hält, ich fühle es liegt größere Freiheit darin mit dem
Unterdrückten die Ketten tragen und ſchmälig vergehen
als mit dem Unterdrücker ſein Loos theilen. Was iſt
mir Talent das ſeine Bahn bezeichnet mit Friedensbruch
mit Meuchelmord? — ich würde ſelbſt ſolche Bahn
durchfliegen wollen? ja gewiß! — ich möchte hoch
bauen, daß keiner mir nahen könnt, er müßte denn
fliegen, aber nicht wie ein Raubvogel der die Göt¬
tin Fortuna zerfleiſcht um ſich ſatt an ihr zu freſſen
und ſie dann als Aas liegen läßt; — aber durch heiligen
Friedensſchluß, nicht durch Verrath an ihm; durch Schutz
der Kindlichen, nicht durch ihren Mord; durch freie hei¬
lige unantaſtbare Poſaunenſtimme der Wahrheit, nicht
daß ich ihr die Kehle zudrücke! — Dein Scherz erzürnt
mich, ich wollte mir Gelaſſenheit erſchreiben, aber ich
muß durchglühen. — Der da! — eine ſchwindelnde Ein¬
gebildheit, ohne Schaam ohne Gefühl? — Den Gekrönte
und Ungekrönte wie Fröſche umhüpfen, der von allen
Schwächen hin und her gezerrt, ſeine Abkunft verläug¬
net, ſich um ein paar ſilberne Sterne im Wappen
ſtreitet, alle Franzoſen wahnſinnig macht, der vergiftet,
erdroſſelt, erſchießt, ſeiner Brüder Familienbande zerreißt,
für den der Taumel des Volks ſich erhält weil ihm alle
Frechheiten glücklich ablaufen, und dann meinſt Du „ich
[120] fühle eine Neigung zu dieſem Treiben!“ — „mein aufgeregt
Gefühl gehe mit mir durch,“ — Du ſagſt alles im Scherz
es kränkt mich doch — aber der Scherz kommt nicht aus
Dir. — Du ſcherzeſt wie ein thauigter Zweig der mich
anſprützt, wie das Morgenlüftchen das mich neckt, aber
nicht mit brandigen Hadern mich andampft. — So
viel prophetiſche Gabe kannſt Du mir zutrauen daß
es mir ahnend im Geiſt liegt, dieſe Strohflamme ſo
gewaltig ſie um ſich griff, ſo ſchneller wird ſie ver¬
flackern; bald wird alles in Aſche verſunken ſein,
— und Du machſt mirs zum Vorwurf daß ich mit
des Oſtertag ſchlechter Überſetzung mich ſo lang ge¬
plackt hab, — weil ich wolle die großen Kaiſerrollen
ſtudieren? freilich hab ich dieſe zwölf Kaiſer mit In¬
tereſſe ſtudiert, und hab gefunden was ich vorher
hätte ſagen können, daß alle Tyrannen argliſtige klein¬
liche Naturen waren, ſie gaben Befehle wo ihre
Bitten genügt hätten, der Fortgang ihrer Macht ent¬
wickelt ſich aus des Pöbels Eitelkeit, überall war ſo
viel Knechtſinn für Hofpracht ſo viel Wahnſinn die
Seele dieſem Götzen zu verſchreiben, und wie denn al¬
les Narrheit wird ſo ergoß ſich alles in die Quelle der
Hoffart, — Das iſts was ich in dieſen zwölf Kaiſern
ſtudierte, aber ich ſuchte nicht nach Ähnlichkeiten ſeiner
Größe[121] Größe, ſondern danach ob nicht alle Tyrannen nieder¬
trächtig ſind wie er? — ob nicht alle einen Touſſaint
Louverture vergiftet einen Pichegrü erdroſſelt und En¬
ghiens erſchoſſen haben, ob nicht alle durch Hofetikette
das Halfter der Sclaverei auch ihren nächſten Freun¬
den umwarfen? — ob irgend einer einen freien Athem¬
zug um ſich dulden konnte? und ob dieſe Sclaven nicht
blos ihr Joch duldeten, um wieder die geringeren unter¬
drücken zu können; und ſiehe, bis auf den kleinſten
Zug iſt es immer wieder derſelbe ungerechte eigennützige
Heuchler, immer daſſelbe Ungeheuer der Mittelmäßig¬
keit; kein Trieb zum wahren Geiſt, keine Sehnſucht die
Weisheit als Ägide ſeiner Handlungen aufzuſtellen, kei¬
nen Verſtand von dem Pflanzenboden der Künſte und
Wiſſenſchaft, noch wie der Menſch ſich erzieht; ſogar
gegen alles Selbſtgefühl ohne innere Zucht fährt er mit
ungeſitteten Spottreden heraus, und da ſchreit Alles,
Er hat einen Stern! — Ach er kann nicht ewig
leuchten, und da wird alles mit erlöſchen.
Schreib nicht mehr ſo ungefüg, ſonſt kriegſt Du
ungefüge Briefe; ich ärgere mich über alles was ich ſo
ſchreib weils iſt, als ob ich einen Proceß mit Deiner
geſunden Vernunft führe, und allen Zeitungswitz und
II. 6[122] Emigrantenpolitik zuſammenhielt, um Recht gegen Dich
zu behalten.
Jetzt muß ich auf die alte Wart, es iſt Neumond,
ich muß ſehen wie er ſeine ſtumme verzauberte Silber¬
welt anſtrahlt. Die Meline ſchläft ſchon, ich ſteig zum
Schlafzimmer-Fenſter hinaus auf dem Berg. — Heut
war Speiſemahl bei Savigny da erzählten die Profeſ¬
ſoren von der Spitzbubenbande die ſchon mehrmals ein¬
gebrochen hat in unſerer Nachbarſchaft, die Spitzbuben
könnten ſich da oben auf der Wart verſtecken, — ich
fürcht mich, aber grad weil ich mich fürcht ſo muß ich
hinauf. — Die Menſchen fürchten ſich auch vor der
Unſterblichkeit.
Am Sonntag.
Ich bin geſtern noch droben geweſen; beim Auf¬
ſteigen große Angſt vor Nichts, oben himmliſche große
Befreiungsluft, — Stille — allumfaſſende, — tief ſchlum¬
mernd alles umher. — Ruhe und Freiheit winkten
alle Sterne! — ſo einſam ſo ſicher! — ſo muß Ei¬
nem ſein der das Leben abgeſchüttelt hat, — unter¬
wegs ſchreckten mich ein Kohlſtrunk und ein krum¬
mer Aſt, ich wußt daß es nichts war und fürchtete
mich doch. So weiß der innerliche Menſch daß alle
[123] Furcht nichtig iſt, er muß das Reich der Einbildung
durchkämpfen zur Wahrheit, die kann nicht fürchterlich
ſein weil ſie lebendig iſt und frei, und auch nur das
Lebendige und Freie berührt, nicht den gebundnen Geiſt
der alles fürchtet weil er es nicht faßt. Erkenntniß hebt
jede Gegenmacht auf. Ich will Dir ſagen wie es iſt
beim Sterben, ich habs auf der alten Warte gelernt. —
Unten mit ſchwebender Angſt hinauf geklettert, — die
innerliche Wahrheitsſtimme half mir die Einbildung die
ſo frech ſelbſt mit Erſcheinungen mich bedrängte, be¬
zwingen, ein paarmal zagte ich zwiſchen Erd und Him¬
mel auf der morſchen Leiter, aber die Luft hauchte ſchon
herab, ſo erhob ich mich plötzlich und von allen Seiten
athmete mich Freiheit an, ſo grad iſts beim Sterben;
je weniger das Leben Licht erſtritten hat, Geiſt gewor¬
den iſt, je mehr ſcheut es den Geiſt, je mehr drängt ſich
am Lebensende die Einbildung ihm auf, und beſchränkt
den Lichtkreis des Lebendigen, der Wahrheit. Der Menſch
iſt Sclave der Einbildung die ihm ſein Inneres
läugnet, aber die göttliche Wahrheit haucht ſchon in
den dunklen baufälligen Thurm zu ihm nieder daß er
die morſchgewordne Leiter die zur Freiheit führt mit
doppelter Kühnheit erſchwingt, und unmöglich kann
dieſe im finſtern Thurm mit dem Aufſchwung ins Freie
6*[124] fortdauern, denn ſie war Einbildung. — Man
könnt vielleicht das was ich vom Sterben ſag gering
achten, weils ſo einfältig iſt und ſo fabelmäßig und
vielleicht ſchon oft geſagt, ja es war mir ſelbſt nichts
Neues, aber doch iſts was anders weil ichs erlebt hab,
und nicht blos mit den äußeren Sinnen erfaßt, der
freie Sternenhimmel hat michs gelehrt, und ich war ſo
vergnügt da bei der Sterbelection, und ich werd noch
mehr lernen da oben.
Am Dienſtag.
Heut hab ich Dir was luſtiges zu erzählen, es war
Studentencomödie, und wir waren drinn, unter dem
Schutz von einer großen Begleitung; das Stück war
eine Selbſterfindung der Studenten, worin drei Duelle
vorkamen von Schuß. Stich und Hieb; wie der Schuß
vorkam war der Meline ſchon nicht wohl zu Muth,
wie der Stich vorkam ward uns grün und blau vor
den Augen, wie aber der Hieb kam gabs ein Lärm und
Gepolter und man ſprang übers Orcheſter hinüber, über
die Öllampen weg hinauf aufs Theater, die Öllampen
gingen zum Theil aus, und aus der bisherigen Däm¬
merung entwickelte ſich Finſterniß, unſre Begleitung
umſtellte uns auf den Bänken und hielt uns in ihrer
[125] Mitte, um uns vor jedem Unfall zu ſchützen bis wir
wagen konnten aus dieſer Confuſion und dem Ölqualm
herauszukommen und auf freier Straße wieder Luft
ſchöpften, die Verwirrung war daher entſtanden daß der
Pedell dem Rector, der inmitten des Saals auf einem
Ehrenſeſſel zuſah, ſteckte, das Duell mit dem Hieber ſei
ein wirkliches, er wollte es erlauſcht haben, auch ſah es
ſehr gefährlich aus in ihrer Studentenarmatur; der
Rector hielt für ſeine Pflicht in grader Linie auf dies
Wagniß loszuſchreiten, er bahnte ſich einen Weg durch
die Mitte des Orcheſters wo die Basgeige angelehnt
war, vor dem Rector umfiel, und einen ſchauerli¬
chen Ton von ſich gab, die Geſellſchaft ſchreckte auf
der Decan und wie die hohen Univerſitätschargen alle
heißen, drängten ſich über alle Hinderniſſe weg ih¬
rem Rector nach, wo denn den Pauken und Baß
noch mancher unwillkührliche Ton entlockt wurde. —
Viel lautes Hin- und Herreden unter den Damen
die bald das Unglück verhüten bald es nicht mit
anſehen wollten, viel Gelächter unter den Studen¬
ten die ihre Freude an der Verwirrung hatten, am in¬
tereſſanteſten war die Scene auf dem Theater; der Rec¬
tor mit Beiſtand uns en face ganz feierlich; ein Stu¬
dent der eine Dame vorgeſtellt mit langer Schleppe,
[126] und ſchon früher beim Stichduell die Hälfte davon ver¬
loren hatte, wendete jetzt, wahrſcheinlich aus Muthwill,
dem Publicum den Rücken, man ſah große Kanonen¬
ſtiefel einen Hieber an der Seite, der die halbe Schleppe
trug und einen großen Florſchleier der dem Rücken hin¬
abwallte und mit jeder Bewegung bald die paar Lam¬
pen zu erlöſchen bald ſich zu entzünden drohte, ſo daß
mehrere Stimmen riefen der Schleier brennt. — Es war
bald ausgemacht alles ſei nur blinder Lärm geweſen,
indeſſen konnte das Stück nicht weiter ſpielen, die Lam¬
pen waren aus und die Honoratioren fort, eine Maſſe
Straßengeſindel hatte ſich der Bänke bemächtigt um zu
ſehen was es gab. Am andern Tag hörten wir von
unſerm Profeſſor Weiß den Ausgang der Tragikomö¬
die; es ſei in Dubio geblieben ob wirklich ein ernſtlich
Duell habe ſein ſollen, die Studenten haben es geläug¬
net, der Pedell aber beſchworen daß er ihre Unterre¬
dung auf dem Gang mit angehört habe, und daß der
eine der die Dame vorſtellte der eine Secundant, und
mein getreuer Hauptmann der andre ſein ſollen, und
daß ſie vor der Thür ihre Klingen gemeſſen, und daß
er gehört habe auf wie viel Gänge, und wie ſie ihre
Halsbinden, ihre Stürmer und ihre Fauſtbinden be¬
ſichtigt hätten. Die Studenten blieben dabei ſie hät¬
[127] ten nur ihre Rollen repetirt und das habe alles ſol¬
len auf dem Theater vorgeſtellt werden; es war
nichts zu machen man mußte ſie laufen laſſen, ſie ga¬
ben dem Rector ihr Ehrenwort keine Händel anzufan¬
gen, hielten noch einen Commers und jubelten bis ſpät
in die Nacht. — Der Gang des Stücks hatte noch kein
Licht auf ſeinen Inhalt geworfen, die eigentliche Pointe
des Ereigniſſes war daß ſie die manglende Cataſtrophe
deſſelben erſetzen wollten, und daher in Gegenwart des
Pedells den ſie nicht zu bemerken ſchienen und der ſich
hinter einen Schrank verſteckt hatte, die ganze Geſchichte
ihm weiß machten; ſie hatten ihm ſchon früher Argwohn
beigebracht und ließen ſo die ganze Verſammlung mit¬
ſpielen, die ſich dabei auch höchlich amüſirt hatte, und
gewiß hat ſich Jung und Alt noch eine Weile von al¬
lem Komiſchen zu erzählen was dabei vorfiel. Der Pro¬
feſſor Weiß war entzückt über ſeine lieben Studenten,
er ſagte man muß ſelbſt Student geweſen ſein um
ihnen nachzufühlen welch Gaudium es iſt wenn ſo
was gelingt, er blieb bei uns ſitzen, wir erlaubten ihm
ſein Pfeifchen zu rauchen, und er erzählte uns aus ſei¬
nen Studentenjahren nichts wie dummes Zeug was uns
die Zeit ſehr anmuthig vertrieb. — Heut Morgen als
die Studenten ins Colleg kamen konnten wir deut¬
[128] lich bemerken daß ſie noch ganz entzückt davon waren,
das Lachen war heut ihr einzig Exercitium, und wir
beiden wie zwei unſichtbare Schutzgöttinnen hinter den
gefrornen Fenſtern freuten uns der heiteren Laune un¬
ſerer Lieblinge.
Bettine.
An die Bettine.
Wenn Du Recht behalten willſt ſo haſt Du gewiß
Recht, ich will auch nicht noch einmal wiederholen daß
ich ſcherzte, denn dies iſt ja grade doppelte Sünde, weil
der ganze Scherz ſich nicht zwiſchen uns beiden eignet, Du
kannſt es von mir am wenigſten ertragen, daß ich falſch
in die Saiten greife, — es war ein Erdenſcherz und kein
luftiger leichter, und es war noch dazu ein Nothanker,
ich war verwirrt geworden durch das Reiſen hin und
her vom Rhein zum Neckar und dann zum alten Haus¬
halt; da iſt mir ſo manches verronnen was mir lieb
und leid iſt, der Winter hat mich auch doppelt hier be¬
troffen.
Clemens hat mir geſchrieben. Wie ein böſer
Traum ſind mir manche bittere und trübe Erinnerungen
[129] von ihm vorübergegangen, ſein Brief hat mich betrübt
weil er mir die verworrnen Schmerzen ſeines Gemüths
deutlich und doch wieder dunkel darſtellt, auch wenn
ich ihn nie geſehen hätte, würde mich dieſer kalte Le¬
bensüberdruß tief und ſchmerzlich bewegen. — Er ſtellt
ſich ſo an den Rand der Jugend als habe ſie ihn
ausgeſtoßen, wie mich das ſchmerzt, wollt er es doch
anders ſein laſſen, lieber die vergangne Zeit zurückru¬
fen und fortleben ewig friſch, jung und träumeriſch,
wie er es gewiß könnte; es wird und muß wieder ſo
mit ihm werden, und Du mußt ihm jetzt recht anhäng¬
lich ſchreiben, Dein freieres Bewegen, wo Du ſonſt ſo
von ihm abzuhängen ſchienſt, wird ihm wohl auch un¬
gewohnt und empfindlich ſein; Du kannſt es nicht än¬
dern, aber erſetze es ihm. Du ſchriebſt ja immer nur
kurze Briefe an ihn, aber ſchreib doch öfter. — Sein
Beifall an meinen Gedichten erfreut mich, und mehr
wird es keiner. Er ſchreibt Savigny habe die Nach¬
richt aus Paris, daß eine Überſetzung dort vom Tian
gemacht ſei, ihm mitgetheilt, frag ihn doch und ſchreib
mir etwas Näheres darüber.
Dem Molitor hab ich Deine Anſichten über die
Erziehungen leſen laſſen, es freute ihn und ver¬
ſpricht Dich nicht mehr zu ſtören, das iſt mir lieb,
6**[130] denn wenn auch Deine Argumente, womit Du das
Philiſterthum beſtürmſt, keinen Bodenſatz haben und
unläugbar aus der Luft gegriffen ſind, ſo iſt mir
doch lieber zu leſen wie Du unmittelbar mit den Ele
menten verkehrſt, als wenn Du Deinen Sinn im Wi¬
derſpruch auf irgend ein gegebenes Beſtehendes anwen¬
deſt. Deine Wahrheiten ſtreifen wohl den inneren Sinn
der Menſchen; ſie möchten Dir Recht geben, aber was
iſts damit? — bis einmal das Morgenlicht der Poeſie
in jeder Bruſt den Geiſt weckt, da wird wohl manches
verſtanden und doch muß es wieder verſinken; drum iſt
es mir lieber Du ſelbſt erſchaffſt Dich, biſt Dir Lehrer
und Schüler zugleich, weil es da was fruchtet und
Deine Lehren einen ſo gründlichen tiefen Eingang in
Dich haben. — Haſt Du Dich doch gegen die Philoſo¬
phie geſperrt, und Deine Natur ſpricht ſie doch ſo ganz
perſönlich aus, als Geiſt und Seele und Leib. Ich will
damit Dich nicht auf Dich ſelbſt zurückführen, es iſt
eine Bemerkung die ich im Spiegel mache, und Du
kannſt ja gleich davon fliegen und den Spiegel leer laſ¬
ſen, auch giebt meine Bemerkung Dir Recht; denn wenn
Deine organiſche Natur ganz Philoſophie iſt, ſo wird
ſie ſich nicht in der Anſchauung erſt erwerben ſollen. —
Sie wird einen Jugendleib haben der mit einem anderen
[131] Frühling zuſammentrifft, und ein anderes Verſtändniß
haben mit dem Geiſtigen der Welt. — Um ſo mehr deucht
es mir Mißgriff, wenn Du mit dem Wirklichen Dich
begegneſt und ihm Deinen Geiſt anmeſſen magſt. Ich
ſuche in der Poeſie wie in einem Spiegel mich zu ſam¬
meln, mich ſelber zu ſchauen, und durch mich durchzu¬
gehen in eine höhere Welt, und dazu ſind meine
Poeſieen die Verſuche. Mir ſcheinen die großen
Erſcheinungen der Menſchheit alle denſelben Zweck
zu haben, mit dieſen möcht ich mich berühren, in
Gemeinſchaft nur ihnen treten und in ihrer Mitte
unter ihrem Einfluß dieſelbe Bahn wandeln, ſtets
vorwärts ſchreiten mit dem Gefühl der Selbſterhebung,
mit dem Zweck der Vereinfachung, und des tieferen Er¬
kennens und Eingehens auf die Übung dieſer Kunſt,
ſo daß wie äußerlich vielleicht die hohen Kunſtwerke
der Griechen, als vollkommne göttliche Eingebung gal¬
ten und auf die Menge als ſolche zurückſtrahlten, und
von den Meiſtern auch in dieſem Sinn mit dieſer Con¬
zentration aller geiſtigen Kräfte gebildet wurden, ſo
ſammelt ſich meine Thätigkeit in meiner Seele; ſie
fühlt ihren Urſprung, ihr Ideal, ſie will ſich ſelbſt
nicht verlaſſen, ſie will ſich da hinüber bilden. Du aber
biſt das Kind, geboren im Land wo Milch und Honig
[132] fleußt, die Sorge iſt da überflüſſig, die Trauben hän¬
gen Dir in den Mund, alles iſt Gedeihen und Klima
Deiner Wiege, alles trägt Dich und nährt und ſchützt
Dich ſo lang Du das Klima nicht wechſelſt, und ob das
was Du dadurch erbeuteſt der Welt genießbar ſei, darauf
kömmt es hier fürs erſte gar nicht an, wenn Du nur
durch eigne Sünde nicht im Werden geſtört wirſt, denn
das iſt die einzige Sünde. — Schweig über Dich und
gelte ihnen für was ſie wollen, verſprich mir das heilig,
denn ſonſt würden ſie Dich aus Deinem urſprünglichen
Land verpflanzen, ſie würden Dich aus Deiner Kindheit
herausheben und etwas aus Dir machen wollen. —
Und wie klagevoll wärs, wenn Du ſelbſt Deinem in¬
neren Leben, Deiner eignen Religion die ſo ſanft, ſo
glücklich Dir dient, Dich aus eigner Schuld entfremde¬
teſt, o nein ich wills nicht hoffen, bleib immerdar mit
Deinen Geiſtern im Bund die Dir Speiſe bringen, und
verwerfe ſie nicht um fremde Koſt. Ich hab mir ſchon
oft Vorwürfe machen laſſen um Dich, wie hätte ich mich
wehren können? es wär Verrath an Dir geweſen, nein
ich ließ Dich unberührt von ihren Augen. Was biſt
Du auch? — Nichts als nur wie die Natur ſich tau¬
ſendfältig ausſpricht — wie jene Schmetterlingshülle die
Du dieſen Sommer aus dem Schlangenbad mitbrach¬
[133] teſt die äußerlich ſo feſt war, daß nichts Fremdes ſie
verletzen konnte, und beim geringſten Berühren des
Schmetterlings ſich aufthat ihn zu entlaſſen, und dann
ſich wieder ſchloß. Wenn die Natur ſich ſo eigen
dazu verwendet jede Störung ihrer Bildungen zu ver¬
hüten, ſogar die leere Kammer, woraus ſie ihr geflügel¬
tes Geſchöpf entläßt, ſorgſam wieder ſchließt, wie ſehr
muß da der Inſtinkt in dies lebende Weſen eingeprägt
ſein daß es ſich keiner fremden Gewalt hingebe. — Du
verſtehſt die Natur ja mannigfach, ſo wirſt Du mich
auch hier begreifen, nicht beſſer, nicht mehr kommſt
Du mir vor als alles was in der Natur lebt, denn
alles Leben hat gleiche Anſprüche ans Göttliche; aber
ſorge nur daß Du Dein eignes Naturleben nicht ver¬
letzeſt, und daß es ſich ohne Störung entwickle.
Dein klein Gedicht was Du bei Gelegenheit der
Langenweile gemacht, beweiſt mir daß wir beide Recht
haben, für jeden Andern wollt ich es als Gedicht rech¬
nen, aber für Dich nicht, denn Du ſprichſt darin eine
äußere Situation aus, nicht die innere, und ein Gedicht
iſt doch wohl nur dann lebendig wirkend wenn es das
Innerſte in lebendiger Geſtalt hervortreten macht, je rei¬
ner je entſchiedner dies innere Leben ſich ausſpricht je
tiefer iſt der Eindruck, die Gewalt des Gedichts. Auf
[134] die Gewalt kommt alles an, ſie wirft alle Kritik zu Bo¬
den und thut das ihre. Was liegt dann dran ob es
ſo gebaut ſei wie es die angenommne Kunſtverfaſſung
nicht verletze? — Gewalt ſchafft höhere Geſetze die kei¬
ner vielleicht früher ahnte oder auszuſprechen vermochte;
höhere Geſetze ſtoßen allemal die alten um, und — wir
ſind doch noch nicht am End! — Wenn doch der
Spielplatz wo ſich die Kräfte jetzt nach hergebrach¬
ten Grundſätzen üben, freigegeben wäre um der Na¬
tur leichter zu machen ihre Geſetze zu wandlen. Ich
will nicht daß Du auf meine Produkte in der Poeſie
anwendeſt was ich hier ſage; ich habe mich auch zuſam¬
mengenommen und gehorchen lernen; und es war gut,
denn es ſammelte meinen Stoff in meinem Geiſt, der
mir vielleicht als Inhalt nicht genügt haben würde,
wenn mir die Form die ich der Anmuth zu verweben
ſtrebte, nicht den Werth dazu geliehen hätte; ich glaube
daß nichts weſentlicher in der Poeſie ſei, als daß ihr
Keim aus dem Inneren entſpringe; ein Funke aus der
Natur des Geiſtes ſich erzeugend iſt Begeiſtrung, ſei
es aus welchem tiefen Grund der Gefühle es wolle,
ſei er auch noch ſo gering ſcheinend. Das Wichtige an
der Poeſie iſt, was an der Rede es auch iſt, nemlich die
wahrhaftige unmittelbare Empfindung die wirklich in
[135] der Seele vorgeht; ſollte die Seele einfach klar em¬
pfinden, und man wollte ihre Empfindung ſteigern, ſo
würde dadurch ihre geiſtige Wirkung verloren gehen. —
Der größte Meiſter in der Poeſie iſt gewiß der, der
die einfachſten äußeren Formen bedarf um das innerlich
Empfangne zu gebären, ja dem die Formen ſich zugleich
mit erzeugen im Gefühl innerer Übereinſtimmung.
Wie geſagt wende nichts auf mich an von dem
was ich hier ſage, Du könnteſt ſonſt in einen Irr¬
thum verfallen. Ob zwar ich grad durch mein In¬
neres dies ſo habe verſtehen lernen. Ich mußte ſelbſt
oft die Kargheit der Bilder, in die ich meine poeti¬
ſchen Stimmungen auffaßte, anerkennen, ich dachte mir
manchmal daß ja dicht nebenan, üppigere Formen,
ſchönere Gewande bereit liegen, auch daß ich leicht einen
bedeutenderen Stoff zur Hand habe, nur war er nicht als
erſte Stimmung in der Seele entſtanden, und ſo hab ich
es immer zurückgewieſen, und hab mich an das gehalten
was am wenigſten abſchweift von dem was in mir
wirklich Regung war; daher kam es auch daß ich
wagte ſie drucken zu laſſen, ſie hatten jenen Werth für
mich, jenen heiligen der geprägten Wahrheit, alle kleine
Fragmente ſind mir in dieſem Sinn Gedicht. Du wirſt
wohl auch dies einfache Phänomen in Dir erfahren
[136] haben, daß tragiſche Momente Dir durch die Seele ge¬
hen die ſich ein Bild in der Geſchichte auffangen, und
daß ſich in dieſem Bild die Umſtände ſo ketten daß
Du ein tief Schmerzendes oder hoch Erhebendes mit er¬
lebſt; Du kämpfſt gegen das Unrecht an, Du ſiegſt, Du
wirſt glücklich, es neigt ſich Dir Alles, Du wirſt mäch¬
tig große Kräfte zu entwicklen, es gelingt Dir Deinen
Geiſt über alles auszudehnen; oder auch: ein hartes Ge¬
ſchick ſteht Dir gegenüber, Du duldeſt, es wird bitterer,
es greift in die geweihte Stätte Deines Buſens ein, in
die Treue, in die Liebe; da führt Dich der Genius bei
der Hand hinaus aus dem Land wo Deine höhere ſitt¬
liche Würde gefährdet war, und Du ſchwingſt Dich auf
ſeinen Ruf, unter ſeinem Schutz wohin Du dem Leid zu
entrinnen hoffſt, wohin ein innerer Geiſt des Opfers Dich
fordert. — Solche Erſcheinung erlebt der Geiſt durch die
Phantaſie als Schickſal, er erprobt ſich in ihnen und gewiß
iſt es daß er dadurch oft Erfahrungen eines Helden inner¬
lich macht, er fühlt ſich von dem Erhabenen durchdrungen,
daß er ſinnlich vielleicht zu ſchwach ſein würde zu be¬
ſtehen, aber die Phantaſie iſt doch die Stätte in der der
Keim dazu gelegt und Wurzel faßt, und wer weiß wie
oder wann als mächtige und reine Kraft in ihm auf¬
blüht. — Wie ſollte ſonſt der Held in uns zu Stande
[137] kommen? — Umſonſt iſt keine ſolche Werkſtätte im
Geiſt und wie auch eine Kraft ſich nach außen bethä¬
tigt, gewiß nach innen iſt ihr Beruf der weſentlichſte.—
So fühl ich denn eine Art Beruhigung bei dem Un¬
ſcheinbaren und Geringfügigen meiner Gedichte, weil es
die Fußtapfen ſind meines Geiſtes, die ich nicht ver¬
läugne, und wenn man mir auch einwerfen könnte, ich
hätte warten dürfen bis reifere und ſchmackhaftere
Früchte geſammelt waren, ſo iſt es doch mein Gewiſſen
was mich hierzu bewog, nemlich nichts zu läugnen, denn
wenn je eine reine ſelbſtgefühlige Geſtalt hieraus ſich
entwickelt, ſo gehört auch dies hinzu und was ich bis
jetzt auf dieſe Weiſe in mir erlebte iſt ja was mich
bis hier her führte, zu dieſem Standpunkt meines fe¬
ſten Willens. —
Ich habe Dir jetzt genug geſagt, ich hab es aus
Liebe zu Dir gethan ſo wie Du ſo manches aus
Liebe zu mir geſagt und gethan haſt, und Du haſt au¬
ßerdem noch einen nahen Antheil an allem, wie denn
dies nicht anders möglich iſt. — Ich bitte Dich aber
dringend, laſſe es in Deine Stimmung nicht einwirken,
ſondern ſorg daß Du mir hübſch ganz Du ſelbſt bleibſt,
Dein Manuſcript iſt an den Primas beſorgt worden.
Caroline.
[138]
Was haſt Du denn für einen Brief an Voigt ge¬
ſchrieben von einem polniſchen Juden.
An die Günderode.
Das Wetter hat ſich geändert, der grüne Bergra¬
ſen lacht das bischen Schnee aus, was Winter ſein will,
ich bin den ganzen Tag nicht zu Haus. Die Sonn
und der Mond gehn Abends zuſammen am Himmel
ſpazieren ich war geſtern früher oben um zu ſehen wo
ſie bleiben, ich guckte in die Luft die ſo weich weht und
in die veränderte Landſchaft, weil über Nacht der Schnee
weggeſchmolzen war, und konnt mich auf nichts mehr
beſinnen in der ſchmeicheligen Natur, ſo gehts gewiß
den ſchneeentlaſteten Tannen auch, und den Wieſen;
und die gelben Weiden und die Birken taumeln in dem
lauen Wehen wähnend und ſchwankend, als könnt der
Frühling wohl einmal den Winter überhüpfen; ſie ſind
im Winterſchlaf vom Frühlingstraum geneckt, ich auch,
— ob nicht alle Seligkeit hier Traum von Später iſt?
ſie iſt ſo kurz ſo zufällig. — Frühling iſt Seligkeit,
weils Begeiſtrung iſt von der Zukunft, Seligkeit iſt Be¬
[139] geiſtrung zum Leben, das iſt Frühling. Wer ewig zum
Leben begeiſtert iſt, der iſt immerdar Lebensfrühling,
das Leben iſt aber blos Begeiſtrung, denn ſonſt iſts
Tod; und ſo iſt das Leben heut und immer knospen¬
ſchwankend im Wind, der die Zeit iſt, knoſpenſchwel¬
lend in den Sinnen was die Natur iſt, und knoſpen¬
duftend im Geiſt, der die Sonne iſt. Das ganze Le¬
ben iſt blos Zukunftsbegeiſtrung, nicht ein Moment kann
aus dem andern hervorgehn, wärs nicht Begeiſtrung der
Natur fürs Leben. Die Zeit würde aufhören wär die Na¬
tur nicht mehr frühlingbegeiſtert, denn blos daß ſie ewig
nach der Zukunft ſtrebt macht daß ſie lebt; und daß ſie ewig
den Frühling erneuert das iſt ihre Seele, ihr Wort das
Fleiſch geworden iſt. Sie öffnet die Lippen und ſchöpft
Athem der Zukunft, das iſt der Frühling der blüht
ſchnell alles heraus, das iſt Ausathmen der Begeiſtrung,
Frucht der Blüthe, Beſtätigung des begeiſterten Le¬
bensathem, Sommer, wo der Buſen der Natur Athem¬
erfüllt die Lebenskraft in der Frucht, im Apfel, in
der Traube wieder aushaucht in den Herbſt hin¬
über, in dem er reift, abſetzt; das iſt im Buſen der
Natur Winterpauſe, da regt ſie ſich einen Moment
nicht, wie die Bruſt ſich auch nicht regt zwiſchen
Sinken und Steigen vom Athem; — und dann hebt
[140] ſich der Buſen ihr allmählig wieder, mächtig und mäch¬
tiger — trinkt Lebensbegeiſtrung heiligen Athems voll.
So iſt das Leben frühlingbegeiſtert Athemſchöpfen, und
Sommer und Herbſt ſind der Begeiſtrung Aushauch,
und der Winter iſt nur Frühlingspauſe; in ihr ſind alle
Sinne ſchon wieder auf das Athemſchöpfen hingewendet.
Alt iſt keiner, als nur wer die Zeit achtet als be¬
ſtehend. — Die Zeit iſt nicht beſtehend — Schwinden
iſt Zeit. An Schwindendes kann ſich Begeiſterung nicht
hängen, an nichts kann ſie hängen, ſie muß frei ſein,
blos in ſich; denn ſonſt wär ſie kein Leben. Alſo die
Natur athmet Begeiſtrung, das iſt Frühling; Sommer
und Herbſt entſtrömen dem Athem der Natur, das iſt
wo ſie alles hingiebt, um aufs neue den Frühling ein¬
zuathmen. — Da iſts deutlich daß der Geiſt auch nur
Frühlingsathem ſchöpft, und daß Jugend nicht in Zeit
ſich einſchränkt, die vergeht, da Lebensluſt nicht ver¬
gehn kann, weil, wie Natur Frühling aufathmet, wir
Lebensbegeiſtrung aufathmen. —
Es iſt dumm was ich hier ſag, iſt nicht uneinge¬
hüllter Geiſt der den Wahn vernichtet, aber unter der
armſeligen Hülle des zwanzigmal wiederholten Vergleichs
liegt einer zerſchmetternden Antwort Keim auf das was
Du mir ſchon mehr als einmal geſagt haſt: „Recht viel
[141] wiſſen, recht viel lernen, und nur die Jugend nicht über¬
leben. — Recht früh ſterben!“ Ach Günderode!
athme aus um wieder aufzuathmen, Begeiſtrung zu
trinken — denn: Iſt Natur nicht blos dieſer Begeiſtrung
Leben? — Und wär Jugend etwas, wenns nicht ewig
wär? — Wie ich auf der Warte ſaß geſtern, und ſah
wie die Natur den Frühling ſchon vorausträumte —
da fiel mirs ein, daß Jugend ja ein ewiger Lebensan¬
ſpruch iſt, wer den aufgiebt allein, athmet nicht mehr
auf, er läßt den Athem ſinken. — Ich weiß nicht
was Du Jugend nennſt? — iſts nicht jugendlich den
Leib dem Geiſt aufopfern? — ſtrebt ſie nicht mit al¬
len Kräften Geiſt zu werden? — Was iſt denn alſo
die Zeit? — nichts als Jungwerden. — Leben muß man
immer wollen, denn wenn der Tod kommt das iſt grade
wo die Jugend ſich mündig fühlt zur Unſterblichkeit;
weſſen Jugend aber früher abſtirbt wie kann der un¬
ſterblich werden. — Wer dächte: Ich will nicht über
die Jahre hinaus wo ich mit zwanzig zähle, denn mit
dreißig iſt der Jugend der Stab gebrochen, der müßte
einer ſein der Zeit hätt ſo was zu denken, und ſtünd
eben ſo gut müßig am Ufer als Ladung für den Cha¬
ronsnachen, mir deucht aber Dein Geiſt der wie die
Natur blüthenaufathmend iſt, kann nicht vor ſpäterer
[142] Zeit zurückweichen wollen. Nein! — Geiſtesſehnſucht
bildet Frühlingskeime, und Lebenwollen iſt Liebe zu
dieſen Keimen, des Geiſtes Lebensbegierde iſt daſſelbe
Treiben was in der Natur iſt, wo Keim auf Keim auf¬
ſprießt; und eine Lebensmelancholie kann nur ſein wo
der Geiſt ſtockt, wo er den Trieb verliert, der Natur
gleich, mit heißem Blut ſeine Triebe zu nähren; das
wär die Jugend aufgeben; — das ganze Leben iſt nur Ein¬
mal Frühlingsaufathmen, und ob wir zwanzig oder drei¬
ßig oder hundert Jahr zählen, ſo lang muß der Athemzug
aushalten, aufſtrebend ins Leben, mit allen Kräften, in
vollſter reichſter Blüthe den Duft ausbreitend in die Weite
auf ſchwingenbeladenen Winden. — Wie kannſt Du da nur
um Jugend Dich grämen? — und wer anders lebt der
iſt kein Lebender im Geiſt. — Und an was denkſt Du
in Dir ſelber? — zu was empfindeſt Du Dich hin, als
blos zum Ziel! — zur Umarmung mit einem Ideal was
innerlich Dir vorſchwebt, — Du ſehnſt Dich ihm, entge¬
gen innerlich, alles was Du thuſt iſt Aufſtreben; Kind¬
ſchaft, Jünglingſchaft das ganze Leben; wie kann da
von der Jugend Ende auf Erden die Rede ſein. — Ju¬
gend bricht in voller Blüthe hervor erſt wenns Leben
am Ende iſt. Haſt Du nicht geſehen an manchen Pflan¬
[143] zen, daß die erſte Hülle die ihre Blüthe verſchließt, wel¬
ken muß eh jene aufbrechen kann? — und ſollte man
um der jungen Kraft der Hülle wegen, die nur Schutz¬
mantel iſt der verſchloſſenen Blüthe, den innern Keim
ausbrechen wollen, damit die Narren nicht ſagen die
Jugend ſei verwelkt? — das ganze irdiſche Leben iſt
nur einhüllende Mutterwärme, Hülle der Geiſtesblüthe,
wir wollen ſie ihr nicht rauben, wir wollen ſie verbor¬
gen in dieſer Hülle laſſen bis die zu Staub auf ihr
verfällt, — und die geheimen Lebenstriebe mit denen Du
mich durchdringſt, von denen ich ohne Dich nichts empfun¬
den haben würde, die laß ſich verdoppeln tauſendfaltig,
— Du liebſt! — anders kann ich Dich nicht ausdrücken,
— das iſt ja nur Jugendblüthe! — da der Charakter
Deines Geiſtes alſo Jugend iſt, was haſt Du für Noth
ums Altwerden? — und was thu ich denn? — ich leb
mit von der Wärme die Deines Geiſtes Lebenskeim
ſchützt und nährt, und alles was in mir treibt, würde
vielleicht ohne Regung geblieben ſein, wär es nicht in
Dir vom Lebensfeuer ergriffen, ja ich bin ein Zweig der
am vollblühenden Stamm Deiner unſterblichen Jugend,
durch dies Erdenleben mitgenährt iſt. —
Erdenleben iſt Mutterhülle der geiſtigen Jugend,
[144] mag ſie uns ſchützen wie die Zwiebel den Keim des
Narziſſus ſchützt, bis ſie im Spiegel ihr eignes Ideal
erkennt.
Am Mittwoch! —
Ich war geſtern luſtig, aber ein Brief der Claudine
über Dich, den ich fand als ich vom Thurm kam hat
mich bewegt Dir ſo ernſt zu ſchreiben: wenns dunkel iſt
kann man ſich allerlei weismachen, eben weil Gelegen¬
heit iſt, ſo mannigfaltig mit Schatten zu ſpielen; glaubt
man auch nicht an den verzognen Schatten, ſo duldet
man doch nicht gern das groteske und doch ſo ähnliche
Bild, und man kann am wenigſten leiden was man
doch nicht glaubt; ſo nimm meinen Brief; ich hab nie
Deine Reden über Leben und Sterben leiden mögen,
obſchon ich weiß daß es nur Schatten waren die an
der Wand Deines Geiſtes ſpielten, gleichſam als [wär]
das Licht Deines Geiſtes ſchief gerückt, und ſei mir gut
und laß michs nicht entgelten, wenn ich nicht damit in
Deine Träume eingreife die vielleicht golden ſind im
verjüngten Morgenglanz, während ich trübe Regenwol¬
ken wollte verſcheuchen, mit denen weit in den Abend
hinein mir Dein Himmel überzogen ſchien, als mir die
Claudine von Deinem Trübſinn ſchrieb. Es iſt ja natür¬
lich daß wer Dich von Außen nur ſieht, über Dein In¬
neres[145] neres keinen treffenden Bericht kann erſtatten, von dem
ich jetzt ahne daß es heiter thront über Wolken, die ih¬
ren Schatten zwar nach der Erde werfen, auf denen Du
aber, himmliſch getragen im Licht ſchwelgſt. —
Hier leg ich Dir das Blatt bei das ich eh der Clau¬
dine Brief kam geſchrieben hatte, am Montag wos auf
dem Thurm ſo frühlingsmäßig war daß ich an keinen
Winter mehr glaubte.
Erſtes Blatt vom Montag.
Der poetiſche Vortrag vom Sonnabend hat mir
ſeinen wechſelnden Rhythmus wie in eine Orgelwalze
eingehämmert, der ſogar meine Reden einſchnürt; ſo
leicht kann eine fremde Kraft meinen Geiſt überwälti¬
gen. Dem Weiß hab ich geſtern meinen Gutenachtgruß
wie er behauptet in Hexametern vorgeſtammelt, wundre
Dich nicht daß ich dieſem Plaggeiſt, weil ich ſo abend¬
müde bin die Zügel ſchießen laſſe und Dir die Natur¬
ſeltenheit eines frühlingsträumenden Winterabends in
aufdringlichen Rhythmen vortanze.
Weißt Du noch jenen Abend, im Frühjahrsan¬
fang wo der Arnim auf dem Trages ſeine Gedichte uns
vorlas? — da hab ich mich auf dem Thurm in dem
laulichen keimetreibenden Wetter wieder dran erinnert,
und der Rhythmus der wie geſagt noch aus jener Vor¬
leſung mich verfolgt, ſchien mir dies alles was hier
auf dem Papier ſo ganz dürr ausſieht, in großer Fülle
auszuſprechen; ich wollt es Dir auch nicht ſchreiben,
aber wo ſoll ich hin mit? — Meine Briefe an Dich
ſind wie das Bett der Quelle, alles muß durchſtrömen
was in mir iſt.
Meine Bemühungen Lieder fürs Wunderhorn auf¬
zufinden haben mich mit wunderlichen Leuten zuſammen
geführt, die wie angenehme Schäferſpiele mich ergötzen. —
Ich brauch Überredungskünſte, um ein Bauermädchen da¬
hin zu bringen, ihre Lieder herzuſingen. Da kommen ſie
meiſtens zuerſt mit verkruzten Opernarien, ich hab noch we¬
nig Körnlein aus dieſer Spreu geſammelt, die ſie aus Man¬
gel an Unſchuld, im Überfluß an Unwiſſenheit erſticken und
vermodern laſſen, und die man endlich doch nur Stück¬
weiſe ans Tagslicht bringen kann; — ich thus dem Cle¬
mens und Arnim zu Gefallen.
Letzt war mir ein allerliebſt Mädchen vom Pfar¬
7*[148] rer Bang geſchickt worden, weil es ſehr viel ſchöne Lie¬
der kann; die ganze Familie gehört zu dem Singgeſchlecht
die ſich ernährt mit Kräuterſuchen für die [Apotheken] in
der Umgegend, und im Frühjahr mit Erdbeeren- und
Heidelbeerenſuchen. Das Kind war zwei Tage bei mir,
es ſchlief im Vorzimmer; ſo ein allerliebſt Kind kannſt
Du Dir gar nicht denken, auch von Schönheit; ich
nahms mit hinaus, da hats mich neue Wege geführt,
wo ich noch gar nicht geweſen war, ich ſagte, wir wol¬
len einmal gradaus gehen es mag in Weg kommen
was will, ſo gings Berg auf Berg ab bis wir hinter
die Brunnenleitung in den Wald am See kamen, und
ich war muthwillig übermäßig, bis ich mich endlich,
überraſcht weil ich rückwärts ging, in einem Sumpf be¬
fand. —
Was mich am meiſten ergötzt iſt die Kenntniß al¬
ler Kräuter und Wurzeln die das Kind hat, ohne
doch je gelernt zu haben, es iſt eine traditionelle Bota¬
nik die aber ſo vollſtändig iſt und mit ſo viel hiſtori¬
ſchen Belegen verſehen, und zu ſo manchen Vergleichen
führt daß wohl auf dieſe Weiſe ein groß Theil Got¬
tesphiloſophie auch in den unſtudierten Bauern über¬
geht. Ich grub viel Wurzeln aus, die wußte das
Kind alle zu nennen, und jedes verdorrte Hülschen das
[149] noch einen Samen bewahrte kannte es, das gute
Kind. — Da war ein kleiner Storchſchnabel im Win¬
ter ausgefroren, es holte ihn aus einer Felsritze hervor,
wo die Pflanze ganz unverletzt geblüht hatte, und
ſo verdorrt war; dies Blumengerippe war ſo ſchön wie
die Blume gar nicht iſt. In ihrer Einfachheit kann die
Pflanze nicht größeren Anſpruch machen als andre
Feld- und Waldblumen, aber ihr feines Gerippe iſt
wie ein gothiſch Kunſtwerk. Der kleine Spieß der
aus der Blumenkrone hervorwächſt, theilt ſich von un¬
ten in fünf Fingerchen die ſich aufwärts ſchwingen und
mit jedem, in einem kleinen verſchloßnen Becher ein
Samenkörnchen der Sonne entgegen halten, das ſo fein
und wunderſchön geformt und geſchliffen iſt wie ein
Edelſtein, wenn nun die Sonne drauf ſcheint ſo thun
dieſe Samenkörnchen nach allen Seiten einen muthigen
Sprung, ſo ſind ſie alle fünf um die Mutterſtaude ver¬
ſetzt, ein bischen Erde, ein bischen vermodert Moos giebt
ihnen Nahrung daß ſie im nächſten Jahr im Familien¬
kreis aufblühen. — Nein! ich hab die Natur lieb, mag
ich auch nur wie ein trockner Storchſchnabel, das ge¬
ringſte aller Pflänzchen — ſpäter unter den Füßen des
Wanderers zertreten werden, ſo will ich ihr doch mich
hinhalten ſo lang ſie ihren kunſtfühligen Geiſt über
[150] mich ſtrömen läßt; wollte ſie doch meiner einfachen un¬
ſcheinbaren Blüthe nach einen ſchönen Scepter aus
mir bilden der ſeine Kleinodien um ſich ſtreut, neues
Leben zu verbreiten und dann in die leeren Schalen
Himmelsthau ſammelt; ſo denk ich mir, wird des Gro߬
müthigen Zepter die Welt berühren.
In allen Wandlungen der Natur deucht mich Sa¬
lomonis [Weisheit] mit Geiſtesbuchſtaben eingezeichnet,
die klein oder groß — die Seele mit Schauer erfüllen
weil ſie alle rufen: „Hebe wie der Vogel die Schwin¬
gen über den Erdenſtaub hinaus, und fliege aufwärts
ſo hoch du vermagſt. Der Vogel fliegt mit ſeinem
Leib, Du aber kannſt mit dem Geiſt fliegen, Dein Leib
hat keine Flügel, weil Du lernen ſollſt mit dem Geiſt
Dich aufſchwingen.“ — Du weißt wie oft wir uns be¬
ſannen warum die Sehnſucht zu fliegen durch jeden
Vogel rege werde. Hätten wir Flügel wie die Vögel,
ſo würde dieſe Sehnſucht nicht wach ſein die jetzt uns
bewegt immer dran zu denken, und ſo unſern Geiſt be¬
fiedert mit dem wir einſt fliegen werden; denn alles Den¬
ken iſt doch das im Geiſt, was das Wachſen und Treiben
in der Natur iſt. — Nun weißt Du auch warum in meiner
botaniſchen Taufe der Storchſchnabel die Scepterblume
[151] heißt. — Mein botaniſch Heft hat ſich ſchon vergrö¬
ßert bis zur ſiebzehnten Pflanze, die ich genau beobach¬
tet und ſo bezeichnet hab wie mein Beſchauen es mir
lehrte, bald iſts das Blatt bald die Krone oder Wurzel,
bald die Form der Staude die mir irgend ein Räthſel
lößt oder eine Zauberformel aufgiebt; dem alten Weiß
bring ich meine Exemplare, er muß ſie mir einlegen
und ſauber ordnen; im Anfang meinte er ich ſpaße
als ich ihm meine neue Botanik vortrug, als ich aber
ganz ernſthaft dabei blieb daß wie andre eine Bota¬
nik geſchrieben ſo könne ich auch eine ſchreiben, ſo
ſah ich ihm heimlich an daß er mir meine Kinderun¬
ſchuld nicht verderben wollt und ſich hinein fügte, ich
las ihm meine Entdeckungen vor, beſonders erfreute
ihn die Geſchichte der Kuhblume, die ihren Samen wie
eine Sternenkugel ausdehnt und von der ich ihm zu
verſtehen gab, daß die Sterne wohl auch mit einer ſo
feinen Röhre auf dem Samenſchaft der Gottheit haf¬
ten, wenn die ausgeblüht hat und einer zuweilen da¬
hin fliegt um in einem neuen Boden zu blühen, und
daß alle Himmelskörper reifende Samen ſein könnten.
— Der Weiß ſagt: tolle Vergleiche, aber ſie machen
mir Freude und rücken mir die alte Pelzmütze vom
[152] Ohr und wehen mir friſche Luft zu; ſo bring ich denn
manches zum Vorſchein woran ich nicht gedacht hätt,
blos um dem alten Nachbar in Verwundrung zu ſetzen;
es iſt doch ſchön von ihm daß er ſich zu ſolchen Din¬
gen die er Narrenspoſſen nennt ſo gerne hergiebt. —
Manchmal ruft er aus: das geht über alle Unmöglich¬
keit hinaus. —
Mit dem Erdbeermädchen bin ich noch einen Nach¬
mittag im Freien am Waldrand geweſen wo wir Feuer
machten, und wo die Sonne glühendroth unterging,
und wir durch die einſamen Felder auf dem Heimweg
ſangen, da hab ich ein paar ſchöne Lieder entdeckt, es
hatt ihrer gewiß noch manche im Kopf ſtecken, Melo¬
dieen die wie durch einen Magnet mit dem Inhalt zu¬
ſammenhängen, die tragen eines durchs andre die Stim¬
mung auf einem über. —
Heute erhalte ich einen Brief von Dir, die Claudine
ſchrieb mir daß ſie Dich ſchreibend getroffen ſchon am
zweiten Blatt, ich weiß daß wenn ich meinen Brief
jetzt fortſchicke daß mir der Bote einen zurückbringt, ich
freu mich, unterdeſſen will ich auf den Thurm laufen
und meine freudige Ungeduld mit den Geiſtern ver¬
jackern. —
Bettine.
[153]An die Günderode.
Ich habe große Liebe zu den Geſtirnen, ich glaub
daß alle Gedanken die meine Seel belehren mir von
ihnen kommen. Auf die Warte zu gehen möchte
ich keine Nacht verſäumen, ich dächte ich hätt ein Ge¬
lübde gebrochen was ſie mir auferlegten, und ſie hät¬
ten dann umſonſt auf mich gewartet. Was mir Men¬
ſchen je lehren wollten das glaubte ich nicht, was mir
aber dort oben in nächtlicher Einſamkeit in die Gedan¬
ken kommt das muß ich wohl glauben. Denn: der
Stimme vom Himmel herab mit mir zu reden — ſoll ich
der nicht glauben? — fühl ich denn nicht ihren Athem
von allen Seiten der mich anſtrömt? — das iſt weil
ich hier einſam in der Nacht ihnen ſo ganz vertraue.
Ich gehe den Weg, der mich ängſtigt, um zu ihnen zu
gelangen, ich komme zum dunklen Thurm, da zittert
mir das Herz, ich ſteig hinauf mit ſolcher Beklemmung
— und auf der oberſten Sproſſe, wo ich mit der Hand
7**[154] mich aufſtützen muß um mich hinaufzuſchwingen, da iſt
mir ſchon ſo leicht. — da leuchten mir alle Sterne entge¬
gen, — und wen ich liebe befehle ich ihrem Schutz, und
Dich zuerſt. — Wenn ich um Dich betrogen würde
dann wärs aus mit ihnen. — In den Schnee der oben
auf der Warte liegt, ſchreib ich Deinen Namen daß ſie
Dich ſchützen ſollen, das thun ſie auch gewiß. — Dann
ſetz ich mich auf die Bruſtwehr und verkehr mit ihnen
luſtig nicht traurig. Du denkſt wohl ich wär da feier¬
lich geſtimmt? Nein ſie necken mich. „Haſt Du das
Herz, da auf der ſchmalen Mauer im Kreis herum zu
laufen, vertrauſt uns daß wir Dich nicht herunterfallen
laſſen?“ — ſo fragen ſie; und denn iſts als könnt ich
ſie mit der Hand greifen, ſo nah ſind ſie mir. Denn
wenn ich auf ihren Wink das Leben in ihre Hut geb,
das muß mich mit ihnen vertraut machen. Ich weiß
wohl was Menſchen denken würden von mir, wenn die
ſo was wüßten, ich ſag Dir aber es iſt eine Saat, die
ſie mir ins Herz ſäen, das hält ſo ſtill und iſt ſo hin¬
gebend wie das Erdreich, und es ſammelt ſeine Kräfte
dieſe Saat zu nähren. Meinſt Du ich würde je zagen
vor dem Geſchick, wenn ein guter Geiſt mich heißt vor¬
wärts gehen? — gewiß nicht! die Sterne habens in mich
[155] geſäet, dies Vertrauen in das Rechte, ins Große was ſo
oft unterbleibt aus Mangel an kühnem Muth. Das iſt
die Blume dieſer Saat die blüht hervor: und meiner
Bruſt prägt ſich ein daß ich nicht mehr nach der Men¬
ſchen Rath frag, oder auf ihre Meinung, ihren Willen
mich berufe, und mich ſo meiner inneren Stimme ent¬
ziehe, die mir vielleicht befiehlt was mich gefährdet,
aber mir das Reine, Echte, Große was auf kein Ge¬
rüſte der Falſchheit ſich ſtützt, ſondern rein aus der
Bruſt mit Gottes Stimme einklingt, als heiligen Ge¬
genſatz aller menſchlichen Vorſicht darſtellt. Ein In¬
neres ſagt mir: „wie Du den Sternen zuſagſt, —
ſo ſage der innern Stimme auch zu, der nicht umſonſt
ein ſo dringender Laut eingeboren die fühlbar macht
das Unverſöhnliche einer fremden Handlung mit die¬
ſem heiteren Umgang der Natur. Nie könnt ich et¬
was thun, wo nicht mein eigner Geiſt Ja dazu ſagte,
und nie ſollten mich Folgen kränken ſchienen ſie auch
noch ſo herbe, wären ſie dieſem Vertrauen in die innere
Stimme entſprungen. — Denn Erdenſchickſal! — Was iſt
Erdenſchickſal? — Erhaben kann der Menſchengeiſt nie
genug handlen! — Alles kleinliche Denken und Treiben
iſt weit größeres Elend, vergeudet viel edleres Gut als
[156] mir je könnt aus Schickſalſtücke geraubt werden. Aber
groß Handlen heißt nichts als die reine Gewiſſensſtimme
mit der Harmonie der Geiſter, der Sterne, der Natur ein
klingen laſſen; klingt ſie nicht ein mit ihr, ſo kann ich
nimmermehr mich zu ihr wenden, nicht den Mond mehr
zur Rede ſtellen, nicht die Sterne, nicht die Nebel, nicht
die Finſterniſſe mehr durchwandlen und mit Geiſtern
flüchtig durch Wies und Fluren ſchweifen wie mit be¬
kannten und vertrauten Mächten; ich hab kein leben¬
dig Gefühl mehr zu ihr, zur Natur. Beſcheint mich die
Sonne, ſo iſts nicht, weil ſie ihren Geiſt auf mich rich¬
tet, und meinem Durſt, den Kelch der Wahrheit
von ihren Strahlen erfüllt darbietet, und überſchau ich
wie heute die friſch gefallne Schneedecke über die Weite
hingebreitet, ſo kann ſie mich nur traurig anglänzen,
die das Licht der Sterne ſo rein in ihren diamantnen
Flächen ſpiegelt; und in meinen Geiſt, der von Gott
gebildet iſt, ſein Bild aufzunehmen, iſt dann dies Licht
erblindet.
Was ſolls, ob Jugend oder Alter mein Leben genannt
werde. Wenn die Natur ihre Sprache mir lehrt, die Ge¬
duld nicht mit ihrem Jünger verliert, wenn alles von
Tag zu Tag feuriger mich begeiſtert bis zum letzten Tag.
[157] Welcher von denen die mir Jugend abſprechen, wird ſo
elektriſch aufblühen, auf welchem Heerd werden ſo hohe
Flammen lodern und wo wird des Lebens Fülle in ho¬
hen Wellen dahin ſich ergießen als in meinem Lebens¬
ſtrom?— laſſe ſie doch, die was wiſſen von Jugend? —
laſſe die kalte Welt die Dich berechnet, kleinlich nach
Jahren, ſagen Du ſeiſt alt oder jung, wer der Natur
vertraut der läßt von ihr ſich umſchmelzen ſo oft und
wie ſie will. —
„Willſt Du was“, ſagen die Sterne: „Komm
zu uns.“ — Das gelobe ich ihnen. — Wo ſollt ich
mich auch ſonſt noch hinwenden? — wo ſollt ich ſu¬
chen? — keines Menſchen Arm iſt ſo zärtlich um¬
faſſend als der Sterne Geiſt, er umfaßt mich und
Dich, denn wenn ich mich ſammle innerlich, ſo hab ich
Dich im Sinn. Was ich mit ihnen ſpreche das hör ich
nicht, ich les es auch nicht, es iſt ihr Geflimmer, das
wirkt mirs ein, und mit meinem Zutrauen verſteh ichs;
— und wer könnt mir meinen Glauben nehmen? —
Und wenn einer balſamtrunken iſt und fühlts in den
Adern wie könnt der zweiflen? — Es iſt auch nicht daß
ſie mir treffende Wahrheiten mittheilen, oder daß ich
was vernehm im Geiſt was mir wie Weisheit dünkt. —
[158] Sie nicken nur meinen geheimen Wünſchen Gewährung,
— Du weißt wohl was das iſt. — Innerlich ſiegend
wegfliegen über Alles; äußerlich nicht erkannt, nicht ver¬
ſtanden; ja lieber verachtet als nur ahnen laſſen wie
es iſt. Dieſe göttliche Dreieinigkeit zwiſchen mir und
Dir und den Sternen. — Wenn ich für Dich mit ihnen
was vorhab — ich ſtreck die Hände aus zu ihnen, ſie
wiſſens. —
Dein Brief hat heute einen Geiſterring um mich
gezogen, Du haſt mich in einen tieferen Kreis eingelaſ¬
ſen, das macht mich wehmüthig und doch macht es
mich eiferſüchtig auch, ich empfind daß Du mich hinter
Dir läßt, wenn Du mit Deinen großen weiten Flügeln
Dich aufſchwingen wollteſt? —
Du haſt Recht in allem was Du ſagſt. Das
heißt ich verſteh Dich, — aber es drängt ſich mir
ein Gefühl auf, ein ſchmerzliches, das überwiegt alles
Große was Du mir über Dich ſagſt, allen heiligen
Rath den Du mir über mich giebſt. — Der Freund, der
weit über Land reiſen wollt würde ſo ſprechen zum Ab¬
ſchied! es iſt nicht wie Deine früheren Briefe, die mit¬
ten drinn ſind im Spiel meiner Gedanken, Du ſtehſt
auf der Höhe, überſiehſt alles, befiehlſt mir alles an
[159] als wollteſt Du von mir ſcheiden. Du ſagſt zwar was
ich von Dir ſchreibe habe Dich gerührt, darum ſeiſt Du
mir näher gerückt, und es iſt auch eine tiefe Harmonie
in dem was Du von Dir ſagſt, mit meinem Gefühl
von Dir, aber mich machts traurig daß Du willſt ich
ſoll dem Clemens mehr ſchreiben, ich ſoll Dir heilige Ver¬
ſprechungen geben meiner Natur treu zu bleiben, und am
meiſten thut mirs weh daß Du ſo deutlich die Verſchiedenheit
unſerer Geiſteswege bezeichneſt, und Dir den angeſtreng¬
ten dornenvollen aneigneſt, von mir aber ſagſt, ich dürfe
mich nicht bemühen, ich ſei in dem Land von Milch und
Honig. Soll ich nicht mit Dir ſein, ſoll meine Milch
und Honig, meine Früchte nicht Dir darbringen, für
wen fließt dann dieſe Milch und Honig? — Ach wenn
nur dieſe Dreieinigkeit fortbeſteht zwiſchen Dir und mir
und dem Geiſt der dem einen und dem andern mit¬
theilt für beide, ſo bin ich befriedigt für immer, und mag
mir geſchehen was da will, nur das Schickſal ſoll
ſich mir nicht aufdrängen was dieſe Dreiheit ſcheidet.
— Mit Deinem Brief ging ich auf die Warte. — Zu
wem ſoll ich gehen, mit wem ſoll ich ſprechen von Dir? —
Mit welcher Sehnſucht ging ich hinauf, und die Sterne! —
wie verwirrte mich da oben ihr Drängen um mich her,
[160] immer höher und höher hinauf unzählige, und alle wink¬
ten ſo weit mein Auge reicht, und ſo iſts mit jedem
Tag mehr daß ich mich an ſie wenden muß, und
was Traum war muß mit der Wirklichkeit vermählt
werden, wenn ich mir durchhelfen ſoll. So iſts wenn
der Keim durchbricht, da genügt nicht mehr Waſſer und
Luft und Erde, da iſt kein Wahrſcheinliches mehr, kein
Unwahrſcheinliches, da iſt kein Rath, kein Beweisthum
mehr gültig. —
Glaube iſt Aberglaube, — aber Geiſt iſt Glaube.
— Da könnte einer fragen, was mein Vertrauen in die
Sterne iſt, wenn nicht Glaube, und alſo Aberglaube?
zwiſchen den Sternen und mir iſt nur der Geiſt, ich
fühls, alle ſind Spiegel des Geiſtes der aus meiner
Bruſt ſteigt, ſie fangen ihn auf und ſtrahlen ihn zurück;
was Du denkſt das einzig iſt die Wahrheit, ſagen ſie,
klemme nicht Deine Flügel ein, fliege ſo hoch und ſo
weit Dich Deine Flügel tragen, ihre Kraft zu proben
iſt nicht Sünde; wie der Kolumbus dahinfuhr auf ufer¬
loſem Meer, ſo fürchte Du nicht die Ufer aus dem Aug
zu verlieren an denen Menſchenwitz gelandet und furcht¬
ſam ſich dran feſtklammert; nicht umſonſt iſt Gott über¬
all, ſo darf der Menſchengeiſt auch überall ſein; denn
[161] er trifft mit Gott zuſammen in der ungangbaren Wüſte;
das Umherſchweifen nach einer neuen Welt, die Deine
Ahnung Dir weiſſagt, iſt nicht Sünde, denn der Geiſt
iſt geſchaffen, der Welten unzählige zu entdecken,
und dieſe Welten ſind, und ſind das Leben des Gei¬
ſtes, ohne dieſe würde er nicht leben, denn des Gei¬
ſtes Leben iſt Welten zu entdecken, und der Welten
Leben iſt im Geiſt aufzuſteigen. Denn alle ſind im
Geiſt geboren die wollen zu Schiff und fort, um neue
Welten zu entdecken. Aber die Menſchenfurcht iſt ſo
groß vor dem Geiſt daß ſie den Hafen ſperrt und dul¬
det nicht, daß er die Segel ausſpanne, ſondern alle ru¬
fen: Steiniget ihn, ſteiniget ihn, denn ſeht er will den
Hafen verlaſſen, in dem wir gelandet ſind, und ſo ſtei¬
nigen ſie ihn und tödten ihn eh ſie zugeben daß er den
Hafen verlaſſe, damit nie Gottes Weisheit den Men¬
ſchenwitz auf freiem Meer geleite; denn ſie wollen
der neuen Welten keine zugeben, aber gewiß: ſo
unendlich der Sterne Zahl, ſo unendlich auch die Wel¬
ten, die der Geiſt noch zu entdecken hat; und wie aller
Sterne Licht zu uns aus weiter Ferne niederſtrahlt, ſo
ſtrahlt aller Welten Geiſt herab in den Menſchengeiſt,
und dies Licht iſt der Keim der aufgeht im Geiſt daß er
[162] die Welten des Geiſtes entdecke. — Und wie alle Wahr¬
heit Fabel iſt, das heißt Gottes-Verheißung in der
körperloſen Geiſtigkeit der Idee, und wie alle Geſchichte
Symbolik iſt, das heißt Gottesſprache mit dem Men¬
ſchen Geiſt, um ihn auf die Wahrheit ſteuern zu lehren, ſo
iſt denn auch die Geſchichte des Kolumbus ein göttlich
Bereden und Berufen des Menſchengeiſtes ſeine Segel
aufzuſpannen und kühn auf jene Welt loszuſteuern die
er ſich ſelber weiſſagend, ſehnſüchtig erreichen möchte; —
und die Fabel dieſer wahrgewordnen Ahnung iſt die
Verheißung daß auch des Menſchengeiſt glücklich lan¬
den werde, wenn er ſeinen Muth vertraut, denn
wie wollten wir den Muth wecken und erziehen
in uns, vertrauten wir nicht der eingebornen Kraft
— dem Genius. Was Tugend iſt hat keine Grenze,
es umſpannt die Himmel, wir können ihm kein Ziel
ſetzen: ſo können wir dem Geiſt kein Ziel ſetzen,
er iſt göttliche Kraft, und dieſer vertrauen, das iſt
der Geiſteskeim der ins Leben tritt. Was aber der
Muth erwirbt, das iſt immer Wahrheit, was den
Geiſt verzagen macht das iſt Lüge. — Verzagtheit im
Geiſt iſt geſpenſterhaft und macht Furcht. — Selbſt¬
denken iſt der höchſte Muth. — Die meiſten Menſchen
[163] denken nicht ſelbſt; das heißt ſie laſſen ſich nicht von
der Fabel des göttlichen Geiſtes belehren die alle Wirk¬
lichkeit durchleuchtet und zur Hieroglyphik ſie bildet,
durch deren Weisheit-bewahrende Räthſel der Menſch
hinauftreibt zur Blühte und ſich zeitigt in ihr, daß er
vermöge, neue Welten organiſch zu durchdringen und
ſo ſich ſelber ewig und ewig bis zur Gottheit zu er¬
ziehen. — Aber im engen Hafen eingeklemmt aus
Furcht vor dem Scheitern, da wird er die Gottheit
auf hohem Meer nicht erkennen. Und iſt doch
alle Geſchichte Symbolik, das heißt Lehre Gottes
und wenn das nicht wär ſo würde den Menſchen nichts
widerfahren. Wer wagt ſelbſt zu denken, der wird auch
ſelbſt handlen, und wer nicht ſelbſt denkt, nicht aufs
freie uferloſe Meer ſteuert mit ſeinem Geiſt, der wird die
Gottheit nicht ſelbſt erreichen, nicht ſelbſt handlen, denn
ſich nach andern richten das iſt nicht handlen, handlen
iſt Selbſtſein, und das iſt: in Gott leben. —
So hab ich heute gedacht auf der Warte, weil mich
Dein Brief ergriffen hat; ein Zorn iſt in mir aufgelo¬
dert der mir dieſe Gedanken zurief, es iſt ein Fordern
an Dich, Du ſollſt Dir und mir treu ſein, da ein Geiſt
ſich mit uns beiden eingeſchifft hat ſo verlaß ſeine Flagge
[164] nicht, der Eid, den Du geſchworen, heißt: freudiger
Muth, da Geiſt in ihm nimmer verloren gehen kann,
und außer ihm aber erſtirbt. — Nun verſteh mich da
heraus. — Der Traum leuchtet zu ſtark in mich herein
als daß ich nicht etwas verwirrt ſollte reden müſſen. —
Ich kehre zurück in tieferen Schlaf; — wo ichs nicht
mehr faſſe, wie eben, was in mir webt und will. — Wie
wär das Wunderbare möglich? — ja wohl! wie wär der
Geiſt möglich in der Menſchenbruſt, ohne alle Sterne? —
ſie alle leiten ihr Licht in ihn, ſie alle ſind ſeine Erzeu¬
ger, ſie alle richten ſich nach ihm der in der Bruſt wie
in der Wiege liegt, und ſind Hüter ſeines Schlafs; ſo
er erwacht ſo nährt er ſich von ihrem Geiſt, ſchlafend,
ſaugt er ihr Licht. Und ſiehſt Du, ich ſpanne die Segel
auf und fahr vorwärts und ſprenge die Ketten die den
Hafen ſperren, denn mein Wille iſt, dem Gott auf off¬
nem Meere zu begegnen, und dieſer Wille iſt rein und
frei von Sünde, ſo iſt er die Wahrheit und kann nicht
trügen und wird Gott finden. — Mein Geiſt wacht
noch nicht, er ſchläft aber doch unter ganz leiſer Schlum¬
merdecke, wie ein Kind mit ſüßem Bewußtſein ſchläft in
der Sonne und fühlt ihren Schein.
[165]
Donnerſtag.
Ich muß Dir alles ſagen, alles was mit luftiger
Eile ſich mir durch den Kopf ſchwingt. — Iſt mirs doch als
fahren wir auf Wolken dahin, und meine Worte ver¬
hallen in der Weite, aber ich muß Dir rufen — wie ich
Dich dahinſchwimmen ſeh am Himmelsocean als hätten
Dich die Winde aufgerafft — und mich auch, und als flög
Dein Wolkenpferd weit vor mir; — meine Stimme flattert
an Dich heran: Du hörſt doch? — ſo hell der Mond
auch ſcheint im unendlichen Blau der Nacht das Dich
dahinnimmt? — Es giebt nichts wie die Liebe! — doch
weißt Du wohl! — Menſchen unterſcheiden zwiſchen
Lieb und Freundſchaft und zwiſchen beſonderer Treue
für dieſen oder jenen, aber nicht ich und Du? — Was
ſpricht mich an? — das ſag mir doch? — vielleicht der
Dämon — der findet mich hier auf der einſamen Warte
und ſpricht mit mir von Dir? — und lehrt mich beten
für Dich. Dich denken wie Dein Geiſt ſich höher und
höher entfaltet, das iſt beten. — Und warum wüßt ich
von Dir wie Du biſt, nach was Du dürſteſt, warum
vernähm ich Dich ſo tief und fühlte Dein Sein? —
Lieb, will ich das nicht nennen — wenns nicht iſt daß
ich vor Gott Dich ausſprechen lerne? — denn alles Sein
[166] iſt Geiſt Gottes, und Geiſt will ſich ausſprechen, ſich in
den Geiſt übertragen, und die Sprache iſt der Widerhall,
das Gedächtniß des Seins. Ich ſpreche Dich aus vor
Gott, ſo iſt mein Gebet rein vor Gott ſo hat es mich
Dein Genius heute gelehrt oben auf der Warte, —
und hab ruhig wie Du biſt, mit den Sternen über¬
legt; und dann hab ich Deinen Namen eingezeichnet
in den Schnee; und dann den Namen des Königs der
Juden, der kindlich zu Gott ruft: Vater! hab ich Dir
als Wächter hinzugeſchrieben und dies Zeichen von Dir
im kalten Schnee; da iſt Dein Geiſt frei von böſem
Wahn, da oben in reiner kalter Luft die Dich anweht.
Und der Geiſt Gottes über Dir, und der menſchgewor¬
dene Geiſt der Liebe Dich umſchwebend — daß Du ſein
mußt — und nicht Dich aufgeben wollend auf dieſer
leuchtenden Bahn. — Ja ſo muß es ſein, denn Du biſt
ein Schooßkind Gottes, denn wenn ich in der kalten
Nacht hinaufſeh dann ſeh ich Dich ſanft hinaufſchrei¬
ten als ſei es Dein gewohnter Weg, und geheſt ein
und vorwärts, aber Dein Geiſt verzweifelt nicht. — Leb
doch wohl, jetzt bin ich wieder ſtill — und fürchte
nichts für Dich — eins will ich Dir ſagen von mei¬
nen Briefen, ich leſe ſie nicht wieder — ich muß ſie da¬
hinflattern laſſen wie Töne die der Wind mitnimmt, ich
[167] ſchreib ſie hin, verſtehs wie Du willſt, ſie ſind ein tie¬
fes Zeichen wie mein Geiſt durch den Deinen ſchreitet
und von ihm wieder durchdrungen wird, und ſonſt iſts
nichts. — Und wenn es kein Geiſt iſt was ich damit
mein, ſo iſts Ton — Geſchrei meines Herzens nach
Dir hin, es verhallt oder es dringt bis zu Dir, — da
denkſt Du, das iſt der Bettine ihre Stimme, das ruft
Dich auf daß Du im Geiſt meiner wahrnehmeſt, wie
kann ich anders mit Dir reden, was kann ich Dir zu¬
rufen? — Was verſteht ſich zwiſchen uns als nur al¬
lein die Modulation des Gefühls, das andre wiſſen wir
ja alle ſchon. —
Bettine.
An die Bettine.
Du wirſt mir doch nicht übel deuten daß ich mich
ein wenig vor Dir fürchte? — und machſt mir auch
Furcht vor mir ſelber! — und dann fürchte ich auch
für Dich, nimm Dich um Gotteswillen in acht daß Du
nicht fällſt. Deine Thurmbegeiſtrungen erfreuen mich
aber ich will gewiß ſein daß Du keiner Gefahr ausge¬
ſetzt biſt, ſonſt machſt Du mich krank, ſchreib mir gleich
[168] daß Du nicht mehr auf der Mauer herumlaufen willſt,
ſonſt kann und will ich nichts mehr von da oben hö¬
ren, mir wars wohlthätig Deine Stimme von da oben
herab, ſo frei und leicht wie Wolken jagen, zu verneh¬
men, aber wollt ich doch der Thurm fiel eines Morgens
ein, lieber als daß Du am End in der Nacht ſelbſt her¬
unter fällſt. — Ich weiß nicht biſt Du das Spiel böſer
Dämonen? — oder ſichern Dich die Guten, ſo gieb ihnen
wenigſtens nicht ſo viel zu thun, die bis zu mir drin¬
gen ich ſoll Dich mahnen nicht zu freveln. Liegt dar¬
in nicht ſchon der Beweis daß ſie Dich nicht ſchützen
können? — Nehme ich Deine Weiſſagungen in mich
auf, und ergrüble das Tonſpiel Deines Geiſtes in das der
Zufall ſo oft eingreift wie der Wind der alle Töne aus¬
einanderſprengt, und ſammle gern was Du zerſtreueſt
in die Lüfte: ſo folg mir doch auch — und ich bitte Dich
darum ſonſt kann ich nicht ruhig denken an Dich; —
aber wenn Du es nicht laſſen willſt, oder wie Du meinſt
daß Du es nicht laſſen kannſt, dann ſchweig lieber
ganz, oder wie ſoll ichs machen daß ich die Furcht
überwinde Du möchteſt elend und unwillkührlich da hinab
ins Grab ſtürzen.
Du haſt eine Bangigkeit um mich als läge mir
was trauriges im Sinn; das ſollteſt Du ja nicht, —
es[169] es war im Gegentheil ein ganz freier Augenblick wo alle
ſtörende oder zerſtreuende Bilder erblaßt waren, wo ich
mit hellen Sinnen mein Inneres vor Dir aufſchloß. —
Warum ich Dich mahnte an den Clemens zu
ſchreiben das will ich Dir hier offenbaren. Du
ſagſt Du liebſt den Clemens, der Idee nach kann
ich ihm auch herzlich gut ſein, allein ſein wirkliches
Leben ſcheint mir ſo entfernt von demjenigen das ich
ihm dieſer Idee nach zumuthe, daß es mir immer ein
wahres Ägerniß iſt, deswegen kann ich auch nie eine
feſte Anſicht über ihn haben, — aber in Deiner Liebe
zu ihm, faſſe ich auch wieder Glauben zu ihm und habe
eine Art Zutrauen zu einem inneren Kern in ihm der
nur durch allerlei Unarten verborgen und zurückgehal¬
ten iſt, wie wenn ein geſunder und reiner Born ſich
theilweiſe im Schlamm und Sand verſickert; nun mein
ich, Dein Schreiben an ihn, räumt dieſe trübenden
und ſchmälernden Hinderniſſe wohl hinweg, da Du
ſo grade an ſein Herz geheſt, wo ich vielleicht zu
ungeſchickt bin durchzufinden. Es iſt nur der Wille
mich ſelbſt beſſer zu ihm zu ſtellen, und alles was
ſich immer durch ſeine Briefe aufs neue zwiſchen
uns drängte, zu überwinden, warum ich wünſche daß
Du ihn nicht verſäumſt; dann iſt es auch mein Ge¬
II. 8[170] wiſſen was mich auffordert, daß Dich ihm nichts ent¬
fremde, denn wenn ich ihn je als treu und aufrichtig
faſſen kann ſo iſt's Dir gegenüber; um ſo mehr muß
ihm dies erhalten bleiben, es iſt die Quelle aus der er
verklärt aus dem Bad ſteigt. Hier haſt Du ſeinen Brief
an mich, was er von Dir ſagt iſt ſo aufrichtig natür¬
lich innig; aber das andre iſt um ſo wunderlicher, daß
es mir ganz ſeltſam vorkam. Ich beſtrebe mich immer
wenn ich an ihn ſchreibe, ſehr faßlich zu ſein, und ganz
wahr, allein es iſt als müſſe grade dies dazu dienen
die verkehrteſten Anſichten bei ihm über mich hervorzu¬
bringen, es war mir als ich den Brief geleſen hatte und
iſt mir noch ſo, als ob er gar nicht für mich geſchrieben
ſei. — Aber wenn ich ihm das ſchreibe, ſo muß ich ſchon
gewärtigen daß er es für eine künſtliche Anſtalt halte,
obſchon ich ihm verſichere daß es ganz von ſelbſt ſo
gekommen, denn er kann ſich wohl unmöglich denken
daß ſein tieferes Eingehen auf meine Natur wo er mich
lobt und wo er mich tadelt mir ganz fremd erſcheine.
— Ich verſtehe nur den Augenblick in dem er mir ge¬
ſchrieben hat; — ich bin überhaupt nie weiter gekom¬
men als ſeine Augenblicke ein wenig zu verſtehen, von
dieſer Augenblicke Zuſammenhang und Grundton weiß
ich gar nichts. Es kömmt mir oft vor als hätte er
[171] viele Seelen, wenn ich nun anfange einer dieſer See¬
len gut zu ſein, ſo geht ſie fort, und eine andre tritt
an ihre Stelle, die ich nicht kenne und die ich über¬
raſcht anſtarre, und die ſtatt jener befreundeten, mich
nicht zum beſten behandelt, ich möchte wohl dieſe See¬
len zu zergliedern und zu ordnen ſuchen. Aber ich mag
nicht einmal an alle ſeine Seelen denken, denn eine da¬
von hat mein Zutrauen das nur ein furchtſames Kind
iſt auf die Straße geſtoßen; das Kind iſt nun noch viel
blöder geworden und wird nicht wieder umkehren, darum
kann ich ihm auch nicht eigentlich von mir ſchreiben;
ſein Brief an Dich, über Wahrheit, hat mir viel Freude
gemacht, und zugleich ſeh ich hell was mir vorher
nur dunkel und ſchwankend war, ich kann ihn viel
beſſer durch Dich verſtehen und ihm gerecht ſein, und
auch liebend, wie er es zu bedürfen ſcheint. Das alles
macht mich wünſchen daß was ich ihm liebend an¬
thun kann, durch Dich befördert werde, ſprich ihm von
mir wie ich ihm recht natürlich vorkommen muß, daß
es ſich gut zwiſchen uns geſtalte denn durch unmittel¬
bare Berührung kann nichts werden.
Savigny hat mir ſelbſt geſchrieben, thue mir doch
den Gefallen und ſchicke mir gelegentlich die Überſetzun¬
8*[172] gen ins Franzöſiſche von denen er mir geſagt, und ſie
mir auch verſprochen hat. —
Und nun möcht ich wohl dieſen Raum an
Papier hier mit etwas ausfüllen was Du nicht
erwarteſt weil es etwas altes und oft wiederholtes
iſt; aber doch liegt es mir auf der Zunge und
auch immer im Geiſt wenn ich Deine Briefe leſe
mit denen mirs freilich ganz anders geht wie mit de¬
nen von Clemens wo ich nur nachſinne, und überlege,
während ich bei den Deinen nur empfinde und zwar ſo
wohlthätig als käme mir ein Luftſtrom aus dem ge¬
lobten Land. Um ſo mehr wird Dich befremden wenn
ich frage, aber was wird bei Deinem Zwiſchen Him¬
mel und Erde ſchweben, aus der Muſik, aus dem
Generalbaß, aus der Compoſition? — iſt es nicht dumm
daß ich ſo frage? — aber bedenk, wie viel Genuß es
Dir ſchon in Offenbach gewährte, was Du Dir ſel¬
ber und dem was Dir lieb war ſchon zu Gefallen thun
konnteſt, wie wohlthätig wirkte es auf Dein Aufbrau¬
ſen, wie oft beſchwichtigteſt Du es damit, wie ſchön
verſöhnteſt Du oft Deine Stimmungen in dem Uner¬
reichbaren, durch Dein Singen, — und was haſt Du
mir alles ſelbſt beglaubigt, wie tief Muſik in Dich ein¬
[173] greife; ſollte nun auf einmal dies alles verſchwun¬
den ſein? oder haſt Du nur verſäumt mir drüber zu
ſchreiben. — Lebe wohl Liebe und ermüde doch nicht
mir zu ſchreiben.
Caroline.
Deine Kolumbus-Anſicht erfreut mich ungemein und
macht mich ganz ſcharfſinnig, — ſchicke dem Clemens
Deine rhythmiſche Viſion es macht ihm vielleicht Freude,
ich empfinde darin mehr lebendige als gemalte Flamme,
ſchon fließt die Abendſchilderung und das ganze aus
lebendiger Erinnerung, die prophetiſcher Sang dem Un¬
tergang der Welt iſt, und dem neu erblühenden tau¬
ſendjährigen Reich erwartet. Prophezeiht doch Apoll
auch aus der Vermählung der Poeſie und Philoſo¬
phie. Ich erinnere mich noch des ſeligen Übermuths
in dem Liede von Arnim: Wie der trunkne Pag'
in warmen Nächten in geheimnißvoller Liebe
Mantel wohl verkappt der Herrin Lager ſu¬
chend, taumelnd in die Höhle war gerathen
wo die Löwin ihre Jungen ſäugte.
An die Günderode.
Hab ich Dir denn nicht vom Koch erzählt der mich
wöchentlich zweimal kreuzigt mit dem Generalbaß-un¬
terricht? — und daß er mir alles korrigiert was ich
komponire? — er ſchneidet mir alles zurecht bis nicht
ein Ton mehr, nicht ein Takttheil am alten Fleck ſitzt
und wenn ers ſo weit verputzt hat daß es ſich aus¬
nimmt wie ein geſchorner Blumenſtrauß, ſo hängt er
ihm noch Manſchetten an aus ſeiner eignen Garderobe.
Arnims irdiſche Lieder werden da heilige Märtyrer un¬
ter meinem Muſikſtudium, und ihre Seligkeit kann ich
weder durch Vor- noch Nachſpiel ausdrücken, und tröſte
mich damit daß Seligkeit etwas iſt was nie eines Men¬
ſchen Ohr gehört hat. — Aber mit meiner Muſik geht
es im Ganzen ſchlecht das läugne ich Dir nicht, das iſt
aber nicht far niente, es iſt unüberwindliche Schweig¬
ſamkeit in meiner Kehle, ich muß vermuthen daß für die
Menſchenarten wie die Vögelarten gewiſſe Zeiten giebt im
Jahr wo ſie den Drang zum Singen haben. In Offen¬
bach, das war im Juni und Juli, da wacht ich gleich
mit Singen auf, und Abends ſtieg ich immer hoch wie
[175] die Vögel in den beſonnten Gipfel fliegen, um der ſchei¬
denden Sonne nachzuſingen, da war der Taubenſchlag
meine Tempelzinne, da kamen mir Melodieen, ſie ent¬
ſproßten aus leiſer Berührung zwiſchen Ton und Ge¬
fühl, ſie löſten die Feſſeln dem was in meiner Bruſt
wie im Kerker ſchmachtete, dem gaben ſie Flügel auf
einmal, daß es ſich heben konnt, und ganz frei aus¬
dehnen. — Ich hab oft darüber gedacht daß Muſik,
ſo leicht und gleichſam von ſelbſt ſich melodiſch ins
Metrum füge, die doch vom Verſtand weit weniger er¬
faßt und regiert wild wie die Sprache die nie ohne
Anſtrengung das Metrum des Gedankens ergründet
und entwickelt. Die Melodie, die ſo in der Singezeit
auffliegt, in ſich fertig gebildet, der Kehle entſteigt
ohne von dem Geiſt gebildet zu ſein, iſt ſo überra¬
ſchend daß ſie mir immer als Wunder erſcheint. —
Iſt die Sprache eine geiſtige Muſik und noch nicht voll¬
kommen organiſch gebildet? — und Dichter-drang, iſt
der, Trieb des Sprachgeiſtes ſich zu reifen? — ſollen
vielleicht Gefühl, Em-pfindung, Geiſt in einander durch
die Sprache der Poeſie organiſch verbunden werden
als ſelbſtſtändige wirkende Erſcheinungen? — haben
Gedichte nicht geiſtige Verwandtſchaften? nicht Leiden¬
[176] ſchaften? reißt ein Gedicht nicht das andre mit Flam¬
mengluth an ſich, ſind Dichtungen nicht bloße Be¬
geiſtrung, heiße Leidenſchaft für einander? — Spricht
ein Gedicht Liebe aus, dann muß es ja in ſich liebend
ſein, — es entzündet ja! — Ich muß ja jeden Gefühls¬
ſchritt, jeden Athemzug mitleben, ich lieb ja ſo heiß wie
die Gedichterzeugende Begeiſtrung der Liebe.
Es wär Frevel wollt ich dichten weil ich den Wein
trinke und im Rauſch den Gott empfinde. Weil der
Vergötterungstrieb des Geiſtes mich durchſchauert. Ich
kanns nicht erzeugen, das Göttliche, ſo ſag ich Dir, und
doch — es iſt mir gewiß daß ich es inbrünſtig liebe
und es auch im einfachſten Keim erkenne, aber ich
ſelbſt werd nicht Lieb erzeugen ſo wenig als ein Ge¬
dicht, ich fühls, und es liegt auch ein geheimer Wi¬
derſpruch in mir daß ich nicht geſtört ſein will in der
inneren Werkſtätte meines Geiſtes, durch Gegenliebe.
Es begegnet mir aber nichts oder wenig in der
Menſchenwelt was einfach genug iſt, was ganz reiner
Lebenstrieb iſt, — was mich rührt, wie der Grashalm,
— die friſchen Spitzen der Saat, ein Vogelneſt mit
Treue gebaut, das Blau des Himmels! — das alles
ergreift mich als obs menſchlich wär; und inniger wie
das Menſchliche, und die Entzückungen die es mir er¬
[177] regt von der Natur berührt zu ſein, ſind als ob es eine
mich mitfühlende Gewalt berühre, und das wird wohl
der liebende Inhalt meiner Seele ſein und nichts
andres.
Es wird Dichtung meiner Natur ſein daß ich ſo
liebe; — aufnehmend, hingebend, aber nicht aufge¬
nommen werdend. — Drum! es iſt die Liebe die dichtet
den Menſchengeiſt und des Gedichtes Inhalt, iſt Liebe
ohne Gegenliebe — die höchſte elektriſche Kraft! — Gei¬
ſtestrieb! — — der meinige! — —
Vielleicht ſind Naturen Gedichtkeime, ſie ſollen ohne
Fehl ſich entwicklen und iſt das ihr einziger Beruf. Ich
wollt ich ſproßt aus einem großen Dichtergeiſt, der
allerhaben fühlt, und menſchlich doch auch; — keine
üppige ſchwärmende Aufregung, nein ſüße Naturkraft,
ſelbſt bewußte — gefühlige, — die aus Innigkeit mich
erzeugte, — aus beglückendem Reiz des Frühlingslichts!
Ja ich wollt ich wär kein ſchlecht Gedicht. Gedräng¬
ter quellet Zwillingsbeeren, und reifet ſchnel¬
ler und glänzendvoller! Euch brütet der Mut¬
ter Sonne Scheideblick, euch umſäuſelt des hol¬
den Himmels fruchtende Fülle; euch kühlet des
Mondes freundlicher Zauberhauch, und euch be¬
thauen — ach! — aus dieſen Augen, — der ewig
8**[178]belebenden Liebe vollſchwellende Thränen. —
Dies Gedicht, iſt mirs doch als ſei ich es! ſo reifend un¬
ter den Berührungen der Natur, und unter den Thrä¬
nen des Dichters. Und wie oft hab ich in der Singe¬
zeit dies Lied geſungen und mich ganz drinn gefühlt,
die wachſende Beere die der Thau dir Liebesthräne
nährt, der nicht ihr gefloſſen iſt.
Montag.
Geſtern waren wir in der Eliſabetherkirch, der
Reif um dem Thurmknopf war von der Sonn zum Dia¬
mant umgeſchmolzen, in allen kleinen Roſetten hingen
Diamanttropfen; und der Kreis von Roſen, der um die
Pforten in Stein ſehr fein gemeiſelt iſt, war ein Dia¬
mantkranz! Die Kirch ſah aus wie im Brautſchmuck.
Auf dem Kirchhof ſpielten die Wipfel im ſpiegelnden
Geſchmeide. Die Kirch, von der Winterſonne außen
ſo herrlich geſchmückt, war ſo ſtill innen, ſo einſam hell¬
dunkel, und der Teppig von den heiligen Händen der
Eliſabeth gewebt lag vor dem Altar, erblaßt von Far¬
ben ohne Prunk, nicht dem Aug erfreulich, nur der
Seele rührend; und da ſah ich mich um daß nur ein
blinder Mann an der Thür ſaß, ſonſt war die Kirch
[179] leer. Da fühlt ich mich elektriſch berührt, wie's der
Geiſt der Poeſie mir thut. „Herbſtgefühl?“ ja — ſollt
ich meinen Erzeuger nicht lieben? — Die ich im Thau
ſeiner heißen Thränen mich wachſend fühl!— es beredet
mich in der Einſamkeit der Geiſt der Poeſie, wenn der
Mond mich anhaucht da oben in den Nächten, und die
Luft ſpielt um mich, dann fühl ich den Dichter über
mir, der um Gedeihen für mich fleht zu ihnen, und
giebt die vollſchwellende Thräne hinzu. Nur den Zwil¬
lingsbeeren die friſch und kindlich zu ihm aufſtreben,
keinem andern ſchenkt er der ewig belebenden Liebe
Thau, ſo kann ich ja nichts anders ſein wollen als die
herbe Traube, die milde reift von ſeinen Feuerthränen;
ich hab mirs einmal ſo geſagt und ſage mich nicht da¬
von los, wie es auch mein inneres Sein ausſpricht und
mein Schickſal unter den Menſchen.
Es iſt ein großer Unterſchied zwiſchen den Geiſtern
der Poeſie. Manches iſt die Natur ſelbſt, die mit deut¬
lichen ſinnlichen Worten mich anredet, manches iſt vom
Genius nach allen Richtungen geprüfter Geiſt, der in
der Unſterblichkeit einfachem Styl, die Seele beruft daß
ſie den Göttern den Heerd weihe und nur immer des
Göttlichen gedenke — der Genius bleibend werd ein ihr —
[180] in großen Geſtalten heilig kühner Gedanken. Und ſo
ſind viele Bewegungen im Geiſt gar verſchieden, als
könne die Poeſie die Seelen rühren wie Saiten die er¬
brauſen im Feuer, — und wieder ſtill und ſchüchtern
aufblühen, wie Keime die ſich umſehen im Lebenslicht,
neu geboren, nicht begreifend dies Leben aber zum Leben
vereint. Wenn ich Dir dies ſagen könnt was mich
ohnmächtig macht, daß ich ſchüchtern werd und mich
wehre gegen den Eindruck, als müſſe ich ihm mein Ohr
verſagen, und ihm doch heimlich lauſche weils mich hin¬
reißt, und weiß nicht obs der Klang iſt, oder der Inhalt,
und wie beide wechſelnd mich bewältigen und wie ich —
ja ich will dirs ſagen: — Ein göttlich perſönlicher Geiſt
dringt auf mich ein den ich lieben will, lieben muß im
Gedicht daß ich herzzerriſſen bin von großer Wehmuth.
— Nein mehr! — Tiefer gehts: — daß ich ausbrechen
muß in ein ſchmerzlich Ach. — Und wenn ichs nicht
fühlte, dies Geiſtige, Perſönliche in der Dichtung — über
mir ſchwebend, wie beglückt über ſeinen Triumph, ich
glaub ich müßte wie wahnſinnig ihm nachirren — auf¬
ſuchen und nicht finden — und wiederkommen und mich
beſinnen und vergehen dran; und das iſt der Goethe,
der ſo wie Blitze in mich ſchleudert und wieder heilend
mich anblickt als thuen ihm meine Schmerzen leid, und
[181] hüllt meine Seele in weiche Windlen wieder, aus
denen ſie ſich losgeriſſen, daß ſie ſich Ruhe erſchlum¬
mere, und wachſe, ſchlummernd — im Nachtglanz, in der
Sonne; und die Luft die mich wiegt, denen vertraut er
mich, und ich mag mich nicht anders mehr empfinden zu
ihm, als in dieſem Gedicht, das iſt meine Wiege, wo
ich mich ſeiner Theilnahme, ſeiner Sorge nah fühle und
ſeine Thränen der Liebe auffang und mich wachſend
fühle. — Du haſt geſagt, wir wollen ihn ſehen den
Großen, Wolkentheilenden, Ätherdurchglänzenden, und
ich hab geſagt, ja wir wollen ihn ſehen! — aber wie
ichs geſagt hatte, aus Liebe und Mitfühlen mit Dir,
da wurd ich eiferſüchtig, und weinte zu Haus in der
Einſamkeit bittere Thränen weil ichs geſagt hatte: wir
wollen ihn ſehen! — und das kommt daher, weil er ſo
lange ſchon, mächtig mir die Seele beſaitet hat, und dann
[hineingreift] ſturmaufregend, und mich ſanft wieder einlullt
wie ein Kind, — und ich bin gern das Kind, auf dem ſein
Blick befriedigt weilt. Und wär ich nicht genährt von der
Natur und wie es aus tiefſter Bruſt ihm — wie
könnt ich ſein wie ich bin? — und weiter will ich doch nichts
ſein. Und ich weiß gewiß, und nicht alle ſind geeignet wie
ich daß der Geiſt perſönlich aus der Dichtung hervor über
mir walte, und mich reife, in ſeiner geheimſten Seelentiefe
[182] vollſchwellendem Übermaaß. Aber ſag Du! wie könnt ich
athmen, und ruhen und keimen, wärs nicht in jener Wiege
ſeines Gefühls, im Gedicht? Und nicht wahr, ich lieg
wohl gebettet, und kannſt mirs nicht ſüßer wünſchen?
ja Du verſtehſt es wie ichs meine; in den Manen hab
ich mich zurecht gefunden in Dir, daß Du alles Leben
verſtehſt, und viel tiefer! — denn ich empfinde nur was
Deines Geiſtes Spur Dir lehrt, Du aber weißt alles.
Du ſagſt ſelbſt, wo kein Wunſch uns hinzieht das
iſt für uns verloren, und man hält wohl für unmöglich
was nur des Begehrens bedürfte um wirklich zu ſein.
und ſeit Du es mir geſagt haſt — und Du ſagſt, Har¬
monie der Kräfte iſt Verbindung — ſo hab ich mirs
denn getraut, weil ich ihn liebe, ſo nehm ich alles
willig hin, Schmerz und Entzücken; — denn es iſt
immerdar Entzücken, ihn empfinden! — denn er ſchenkt
mirs ihn zu fühlen wie er aus ſeiner Dichtung Blüthe
mich anhaucht, das will er, das beglückt ihn, — daß
ich erſchüttert bin, das begeiſtert den Dichtergeiſt, und
andre kennen nur die verſchloßne Knoſpe, mir aber öff¬
net ſich die Blüthe und das nimmt mich weg! — drum
bin ich ihm allein und er mir allein! — und die ganze
Welt mag ſich ſeiner theilhaftig meinen, ich weiß daß
[183] es anders iſt und muß drauf beharren, denn ſonſt ver¬
zehrt mich die Eiferſucht. — Und Du haſt geſagt, „das
Aufheben deſſen, was eigentlich dieſe Harmonie aus¬
machte, müſſe auch nothwendig dieſe Verbindung auf¬
heben.“ Das wird mir nicht geſchehen. Du ſagſt, „das
Geräuſch der Welt, das Getreib der Geſchäfte, die
Gewohnheit, nur die Oberfläche zu berühren, die laſſen
dieſes tiefſte und feinſte Seelenorgan nicht zur Ausbil¬
dung kommen.“ — Was ſpricht mich denn an in dem
Geliebten? — fühl ich denn nicht das Große und Gewal¬
tige was viel höher iſt als ich ſelber? — ja was mir
höher oft vorkommt als der Geliebte ſelbſt; und iſt
es nicht dies, dem ich nachgeh? — und erſcheint dieſes
Gewaltige mir nicht auch ganz allein außer ihm? —
und iſt das nicht die Erinnerung an ihn und zugleich
auch noch jene höhere Erſcheinung von der Du ſagſt
daß ſie ſich durch die Harmonie mit ihr offenbare? —
und kann ich ihm untreu ſein in dieſer, wenn ich mich
der hingebe? — und iſt es nicht immer daſſelbe was
Begeiſtrung zu erregen vermag? — Ach nein! man
kann in der Liebe nicht untreu ſein, nur außer ihr. —
Ich fühls an der Heiterkeit die mich beflügelt daß in
der Begeiſtrung keine Untreue iſt. — Ich weiß von kei¬
[184] ner Untreue, und glaube oft, ich verſündige mich an was
ich liebe, wenn ich nicht alles liebe. Es ſind Dinge,
(Naturen, Geiſter), die muß ich lieben weil ſie mich
nähren, wie die Pflanze vom Licht, vom Waſſer, von
Erde und Luft ſich nährt. Alles was mich begeiſtert iſt
mir der Sonne Strahl.
Wenn die Sonne eine Blume durchglüht da fühlt
man wohl daß ſie die herablaſſende iſt und daß die
Blume von ihr mit heißer Leidenſchaft zehrt. Wer
wollte das nicht Liebe nennen, und ob die Sonne Ge¬
genliebe genießt wer weiß das? — ja wer weiß ob die
Blume ihr wieder giebt? — Du weißt wohl, wenn die
Sonne recht heiß brennt dann duftet keine Blume, aber
Abends wenn ſie ſcheidet, dann duften ihr alle Blumen
nach, und Morgens wenn ſie kommt dann duften ihr
alle entgegen. — Ob das bis zu ihr hinaufſteige? —
das frag ich mich, danach ſehn ich mich. Und Du ſagſt
wonach der Wunſch uns hinziehe das wird möglich und
das glaub ich Dir; gewiß ſteigt der Blume Duft zur
Sonne, ſind ihre Strahlen nicht Gefühlfäden? — kann
mich was Lebendes berühren ohne daß ichs wieder be¬
rühre? — ſind ihre Strahlen nicht Saugrüſſel, mit
denen ſie aus den Blüthenkelchen den Duft ſaugt? —
Und der Dichter, der ſich durch ſeiner Begeiſtrung Strah¬
[185] len die Blumen erſchließt, ſaugt der nicht ihren Duft? —
iſts Begeiſtrung nicht, wenn vor der Geiſtesſonne die Wol¬
ken ſich theilen und ſie ſtrahlt die Knoſpe der Seele
an? — Ei darum duften eben die Blumen nicht, grade
wenn die Sonne auf ihnen liegt, weil ſie dann mit ih¬
ren Strahlenlippen alles ſelbſt trinkt. Nach einem Ge¬
witter da duftet alles. — Dann kommt ſie eilig und
wirft ſich über ſie her, und bald trinkt ſie alle Kelche
aus, wo denn der Duft nur in ihren Strahl übergeht; —
und wenn ſie ſcheidet, dann duftet ihr alles noch nach,
und der Duft zieht nach über die Berge; denn wenn
man bei Sonnenuntergang auf einem Berg ſteht, da
fühlt man den Balſam aus den Thälern heraufſteigen,
der Sonne nach; — das iſt am Mittag in der heißen Zeit
nicht, weil da die Sonne bis hinunterſteigt, und alles
allein trinkt; ſo iſt es zwiſchen beiden wie zwiſchen Lie¬
benden, — ſo können wir auch nicht an ihrer Seligkeit
zweifeln. — Nun iſt noch die Erde und das Waſſer, die
nähren noch die Pflanze, dieſe hält ſie in ihrem Schooß,
und jenes kommt zu den Wurzeln gedrungen, und fällt
vom Himmel herab auf ſie; ſie verwandlen ihre feinſten
Nahrungskräfte, das Heilige ihrer Natur in eine ſpre¬
chende Erſcheinung. — Sind vielleicht Blüthen und
Kräuter Worte? — Sprache, in der die Gefühle, der
[186] Geiſt der Erde, des Waſſers ſich deutlich machen? —
Iſt der Duft der Blumen, ihr Schmelz, wohl das Sehnen
der Erde — die Begeiſtrung des Waſſers die in den offnen
Kelchen, Freiheit hat aufzuſteigen zur Sonne, zu dem
was ſie lieben? — Die dunkle Erde ſtößt aus dem
Innerſten ihre duftenden Seufzer auf aus den Kel¬
chen ihrer Pflanzen, die aus ihrem Buſen aufblühen,
hinauf in die feſſelloſe Freiheit? — Das Waſſer das von
ſeinen kräuſelnden Wellen ſich immer weiter treiben läßt,
hier in der Blume Stengel, im Saft des Baumes ge¬
miſcht mit allen Kräften der Natur, ſteigt, nimmt Ge¬
ſtalt an, wird zum Geiſt, zum Wort, das die Andacht
ſeiner Triebe aushaucht. — Was iſt denn aber die Luft?
— iſt die nicht Vermittler zwiſchen Allen? der Genius
der Welt, der leitet, Leben giebt, ewig den Geiſt durch¬
athmet? — Was iſt aber Geiſtesathem? — iſt der nicht
Erkenntniß, Streben emporzuſteigen, ſich abzulöſen vom
Mutterſchooß und aufzuſteigen zum Geiſt? iſt Ath¬
men im ſinnlichen Leben nicht daſſelbe? — drängen ſich
die Gefühle nicht in Seufzern auf? — Ohne dies ewige
Einſaugen des himmliſchen Elements kann der Leib nicht
leben, und der Geiſt ſtirbt jeden Augenblick ohne jenen
leitenden Genius, der ſein eigentlicher Lebensathem iſt.
[187] Die Luft iſt der Genius des Lebens, ſein höheres Ich,
ſo wie Waſſer und Erde ſeine Erzeuger ſind. — Die
Luft iſt Vermittlerin zwiſchen dem göttlichen Liebesfeuer
und dem jungen kindlichen Streben danach, küſſen die
Strahlen zu heiß dann kühlt ſie mit ſanftem Wehen
und erleichtert den verhaltnen Lebensathem; wie doppelt
ſchlägt das Herz wenn ihr Strom raſcher eindringt! —
— wie ganz giebt ſich ihr das Leben hin, wenn es von
mächtigeren Regungen bewältigt wird. Ja ihr allein
vertraut es ſich wenn es von ſich ſelber nicht mehr weiß,
ſie umlebt das erſtorbene, bis Leben eindringt wieder,
mächtiger und gewaltiger wie früher. So fühl ich deut¬
lich, wenn mein Geiſt erſtarrt war, es iſt Genuß zwiſchen
mir und der Gottheit der mich weckt, die Luft, die mich
nährt und erhält, ohne welche Geiſt erſtorben wär, nie
der Seele könnt Nahrung bringen, von oben. — Ja alle
Offenbarung iſt die Geiſtesluft die ihn durchathmet, ohne
welche er nicht leben kann einen Augenblick, ſondern
müßt erſticken, und ob er ſchläft oder wacht, ſo athmet
er doch immer den Genius, die Luft. — Ich bin ſo glück¬
lich Günderode wenn ich hier auf den Bergen ſtehe und
der Wind brauſt das er mich davon tragen will, —
dann muß ich lachen vor Muthwillen und denk ob
[188] mich der Geiſt doch auch verſucht zu heben und mit
mir aufzufliegen. —
Die Sonne hat einen heißen Schein mit dem ſie
brennt, ſo hat der Geiſt auch ein heißes Licht das brennt
wohin es leuchtet.
So kam heut einer nach dem andern zum Beichtſtuhl
geſchlichen in der Kirche, und der Pater der Beicht ſaß,
guckte mich an, ob ich nicht auch kommen wollt? — und
aus Blödigkeit geh ich in den Beichtſtuhl und beicht daß
ich mich immer verwundern müſſe warum die heiligen drei
Könige das göttliche Kind nicht in ihren Schutz genom¬
men haben, ſondern haben es im Stall liegen laſſen
und wären doch überzeugt geweſen, es ſei Gottes Sohn,
da noch obendrein ein Stern ſich am Firmament aufge¬
macht um ſie hin zu geleiten, ſie hätten das Kind ſollen mit¬
nehmen in ihr Land. Und doch wären ſie weiter gezogen,
das käme mir nicht vor als wenn ſie heilig wären, ſon¬
dern zerſtreute Weltleute; der Beichtvater ſagte: „ſo iſt
der Weltlauf, ſie haben ihre Geſchäfte gehabt wie heut
zu Tag auch. — „Aber, ſagte er, das braucht man nicht
zu beichten das ſind Sünden, wie für die Katz vom Tel¬
lerchen zuſammengekratzt, da giebt Gott keinen rothen
Heller davor. — Da bet ſie ein halb Vaterunſer zur
[189] Buß, oder meintwegen ein Viertel.“ — Und wie ich aus
der Kirche kam, in die friſche Luft, da wars ſchon drei
Uhr vorbei, die Sonne wollt ſchon bald untergehen. Da
kam ich auf den Thurm und beſann mich daß ich Dir
wollt alles beichten wie ich Eiferſucht gegen Dich gehabt,
und hatte Dir nicht wollen gönnen daß Du mit mir zugleich
bei Ihm wärſt, ich wollt ganz allein mit ihm ſein. Aber
jetzt bin ich dieſer Sünde los und im Denken theilt ſich
alles Böſe wie Nebel vor den Augen daß man ſieht es
war nur Wahn; alles was nicht Großmuth iſt das iſt
nur Wahn. Denn ich mein, der Dichter iſt meine Sonne,
ſo biſt Du die Luft die das Böſe um mich her verweht,
und meinen Geiſt aufſteigen lehrt. Wie kann ich ohne
Dich beſtehen vor ihm. — So mag wohl jeder Men¬
ſchengeiſt von Elementen genährt werden, die Einer dem
Andern ſein muß, und merk Dirs daß du meine Luft
biſt, ohne die ich nicht aufathmen kann auch nur
einmal.
Bettine.
[190]An die Günderode.
Dem Clemens hab ich geſchrieben, einen langen Brief,
und ihm auch von Dir geſagt, daß Du ihm gut biſt,
und daß ich Dir lange Briefe ſchreibe auf die Du nur
kurz oder auch wohl gar nicht antworteſt. Ich hab ihm
erzählt, ich ſpreche zu Dir wie zum Widerhall um mich
zu fühlen, zu hören, und lege meinen Gedanken und
Einbildungen keinen Zaum an; und daß es ſei als ob
ein guter Genius dieſe Briefe hervorbringe; — ſo ant¬
wortet er: „um Deine Briefe iſt die Günderode zu be¬
neiden, wenn ſie das ſind, was Dein Genius hervor¬
bringt, wenn ſie aber ſo wenig antwortet, ſo iſt das
gar wunderlich, entweder iſt nichts zu antworten, oder
alles ſchon abgethan.“ —
Heute ſchreibt er mir den langen Brief über Dich,
ich hab doch recht, er hat Dich lieb, und hat Dich nicht
wollen beleidigen, und ſeine Seelen alle, ſind doch nur
eine gute, denn biſt Du ein Kind, ſo iſt er es auch zu
Dir; aber Kinder laſſen ſich nicht drauf ein empfindlich zu
ſein, ſie ſind gleich wieder gut und laſſen den Strom vom
Ufer wegſpühlen die Spielzeuge die ſie einander zerbro¬
chen haben, und erfinden ſich neue, ergötzlichere. Leſe den
[191] Brief nicht mit Vorurtheilen und denk daß es neckende
Stimmen ſind in ihm von Kobolden, die ihm oft ſelber ei¬
nen Streich ſpielen, aber die Seele — die Eine Gütige, die
ſie umſchwärmen, die iſt doch nur ein Kind wie Du, und
was ein freier himmelanſtrebender Geiſt nicht in noch
höherem Sinn nimmt als er ſelber iſt, das iſt für
ihn kleinlich, und was kleinlich iſt das muß man
gar nicht annehmen, ſonſt lernt man die Wahrheit
nicht begreifen. — Und ich denk: von allen Geſchich¬
ten des Herzens und der Seele Berührungen, geben
wir den Leitfaden der Gottheit in die Hand, die leitet
immer zum richtigen unmittelbaren Verſtehen. — Und
wenn Du mißverſtanden wirſt, ſo ſieh doch nur den
Gott ſelber an in der Liebe, gegen den kannſt Du alles
wagen, denn der muß Dich verſtehen. —
Ich geb Dir Lehren Günderode, die Dir nicht
fremd ſind, beſinn Dich, auf dem Rhein wie wir
unſren Briefwechſel beſprachen, da ſagteſt Du es ſei
eine Seele die uns mit Liebe an ſich ziehe, in jedem
Verhältniß, es müſſe eine Zeitigung erlangen in uns
ſonſt ſei es Untreue, Mord, Erſticken eines göttlichen
Keims. — Und wo eine Anziehungskraft ſei, da ſei
auch eine Strebekraft und wir ſollten ihre Empfin¬
dung feſthalten, dadurch allein könne die Seele wach¬
[192] ſen, jede Berührung mit des andern Geiſt ſei blos
Seelenwachsthum, ſo wie alles Reizerweckende blos ſei
wie das Erwecken und Entfalten des Pflanzenlebens. —
Der Menſchengeiſt bereite ſich auf die jüngſte Stufe der
Natur, auf die der Pflanze, während der Leib auf der
letzten ſtehe, auf der des Thieres, der Leib erſterbe, aber
im Geiſterreich ſei des Geiſtes erſte Metamorphoſe die
Pflanzenwelt. — Du meinteſt da, ich ſei zerſtreut und
höre auf die Waldhörner am Ufer, nun hörſt Du daß ich
doppelte Ohren hab, und daß ich alles nicht allein für
mich gehört hab, ſondern auch für Dich, denn Du haſt
es vielleicht ſchon vergeſſen. — Du ſagteſt Du liebſt
Dich ſelbſt in mir; ſo lieb Dich doch auch ſelbſt im Cle¬
mens; — ich weiß nicht was ich Dir all ſagen möcht. —
Erzieh Dir ihn doch wie Du ihn haben willſt, wie Du
fühlſt daß er ſein müßte um Dich nicht zu kränken, zu
eben dem Leben das Du ihm der Idee nach zumutheſt,
es iſt gewiß das wahre, was ihm zukommt, und Du
ſelbſt ſagſt ja damit, daß Du ihn der Idee nach höher
ſtellſt wie die andern, dieſe Idee iſt ja doch der eigent¬
liche Wirkliche, und denk doch an die andern die Du
der Idee nach gar nicht wohin ſtellen kannſt, ſondern
mußt ſie laſſen was ſie ſind. Und wenn Du einen
Spiel¬[193] Spielkameraden fändeſt mit ſo herrlichen großen Au¬
gen, mit ſo elfenbeinerner Stirn, und er hätte ſolche
Momente wo die Götter aus ihm prophezeihten, aber
er wär unartig und tückiſch im Spiel, er biß Dir
in die Hand und kratzte Dich wenn Du ihn ſtreichelſt,
oder er ſchlüg Dich mit der Peitſche, wollteſt Du blos
ihn als einen tückiſchen Knaben achten und wollteſt die
frühere Idee von ihm aufgeben? — ſo ließeſt Du ihn
alſo laufen wegen einem Rippenſtoß den er Dir gab und
wollteſt von der höheren Idee nicht mehr Notiz nehmen?
— ach laß Deine Rippen nicht ſo empfindlich ſein!
Thuts doch Gott nicht! — Er hält ſich an das Hohe im
Menſchen und alles andre iſt nicht für Gott da. —
So ſoll auch alles nicht für Dich da ſein, wie blos das
Gute, und wenn es Dir auch gar nicht mehr aufleuchtet,
ſo ſollſt Du dennoch von ihm wiſſen und dran glauben. —
Entlaſſe ihn nicht liebe Günderode, kämpf Dich mit
ihm durch, der die Idee in ſich trägt die Du ihm zumu¬
theſt, und die ſo hoch iſt daß er hinter ihr zurückbleibt;
denn die andern tragen gar keine Idee in ſich, und blei¬
ben nicht zurück, und kommen nicht vorwärts. —
Da hab ich mich ſo vertieft in Gedanken, daß
ich einſchlief, es geſchieht mir ſo oft daß ich ein¬
II. 9[194] ſchlafen muß im beſten Denken, wenn ich eben em¬
pfind, als wolle ein tieferer Geiſt in mir wach werden,
wo ich höchlich geſpannt bin zu erfahren was ſich in
mir erdichten will, und ſtatt daß es in mir erwacht
ſo muß ich drüber einſchlafen, als ob eine idealiſche
Natur mir nicht wolle wiſſen laſſen wie ſie in mir
denkt und empfindet. —
Es iſt ein Zauberer in uns, der ſieht uns ſtreben
nach ſeinem Wiſſen, der macht all mein Streben zunichte,
wenn ich nah bin und die Offenbarung ſchon durch¬
ſchimmern ſeh, ſo ſchläfert er mich ein. —
Ich leſe jetzt zum zweitenmal den Wilhelm Meiſter,
als ich ihn zum erſtenmal las, hatte mein Leben Mig¬
non's Tod noch nicht erreicht, ich liebte mit ihr, wie
ihr, waren die andern in der Geſchichte des Buchs mir
gleichgültig, mich ergriff alles was die Treue ihrer Liebe
anging, nur in den Tod konnt ich ihr nicht folgen. —
Jetzt fühl ich daß ich weit über dieſen Tod hinaus ins
Leben gerückt bin, aber auch um vieles unbeſtimmter
bin ich, ſchon ſo früh drückt mich mein Alter, wenn ich
hier dran denke. — Ich hab mit ihr empfunden, ich bin
mit ihr geſtorben damals, und jetzt hab ichs überlebt, und
ſehe auf meinen Tod herab. — Gewiß ſtirbt der Menſch
[195] mehr wie einmal, mit dem Freund der ihn verläßt muß
er ſterben, und wenn ich mit jenem Kind leiden und
ſterben mußte, weil ich ſein Geſchick als das meine in ihm
empfand und weil ich es zu ſehr liebte und konnte es
nicht allein in den Tod gehen laſſen. — Wenn Du das
alles überlegſt, ſo wirſt Du nachſichtig ſein daß ich ſo
furchtſam bin um Dich.
Ich hab auch jetzt ſchon lange wieder nichts
von Dir gehört, auf den Clausner kann ich mich nicht
verlaſſen, von Dir will ich keine Briefe fordern, Du haſt
viel zu denken und vielleicht Deine Augen ſind leidend,
aber doch bin ich immer voll Sorgen wenn ich an dem
Tag keine Briefe von Dir hab, wo ich mirs in Kopf
geſetzt hab; dann ſteigert ſichs bis zur Angſt wenn
noch ein Poſttag vergeht, und dann hilft mirs nur,
wenn ich in der Sternennacht auf der Warte an Dich
denke, da trau ichs meinem Geiſt ſeinem mächtigen
Willen zu daß er Dich ſchütze. Die Nächte war ſo tie¬
fer Schnee gefallen daß ich mir erſt am Tag einen kleinen
Pfad zum Thurm ſchaufeln mußte, denn ſo lang ich
vermag wird mich nichts abhalten daß ich da hinauf
geh und in Gedanken zu Dir dringe und für Dich bet,
bis ich wieder bei Dir bin. — Im Rheingau haſt Du
9*[196] mir auch geſchrieben, nur kurz weil Du Augenweh hat¬
teſt, aber ich las doch in den zwei Zeilen wie Du ge¬
ſtimmt warſt, zuthunlich. —
An die Bettine.
Deine Briefe haben mir viele Freude gemacht,
zweifle nicht daran liebe Bettine weil ich Dir ſelbſt ſo
ſparſam geſchrieben habe, aber Du weißt viel Denken
und oft ſchreiben iſt bei mir gar ſehr zweierlei; auch
hab ich die Zeit ſchrecklich viel Kopfweh gehabt.
Du ſchreibſt mir gar nichts von Gundel und Sa¬
vigny, thue es doch.
Ich ſtelle mir Eure Lebensart recht ſtill, vertraulich
und heimlich vor. — Aber ich fürchte nur Du kommſt
wieder zu gar nichts. — Dem Clausner haſt Du geſchrie¬
ben Du treibſt Mathematik mit einem alten Juden, und
vielleicht werdeſt Du auch Hebräiſch lernen, Du habeſt
ſchon einen Theil vom ABC inne — mit der Geſchichte
treibſt Du Dich herum wie ein Kätzchen mit einem
Spielball der am Faden hängt; Du wirfſt ihn hin
und her ſo lang es Dich ergötzt und dann läßt Du ihn
müßig liegen, was Du über Muſik vorbringſt iſt lauter
[197] Larifari, meinſt Du wenn etwas ſchlecht gelingt und ſich
gegen den Geiſt ſträubt, das ſei ein Zeichen daß man
es aufgeben ſolle? — da bin ich grade der entgegen¬
geſetzten Meinung, und wenn auch etwas Dir trivial
erſcheint, ſo iſt deswegen die Sache es gar nicht, ſon¬
dern Dein Begriff iſt nicht gelichtet, an was willſt
Du Deine Kräfte üben wenn nicht an dem was Dir
noch ſchwer dünkt? — ich glaube ſo manches was Du
Dir jetzt fremd glaubſt würde ſeine innere Verwand¬
ſchaft zu Dir geltend machen. — Du haſt Wiſſenstrieb
ohne Beſtändigkeit, Du willſt aber alles zu gleicher Zeit
wiſſen und ſo weißt Du Keinem Dich ganz hinzugeben
und ſetzeſt nichts recht durch, das hat mir immer leid an
Dir gethan. Dein Eifer und Deine Luſt ſind keine pe¬
renirenden Pflanzen, ſondern leicht verwelkliche Blüthen.
Iſt es nicht ſo? — ſieh, darum iſt es mir gleich fatal
geweſen daß Dein Lehrmeiſter in der Geſchichte Dich
verlaſſen hat, die Begebenheiten unterſtützen ordentlich
Deinen natürlichen Hang, noch dazu da er ſo geiſtreich
und ſo faßlich und — ſo liebenswürdig ſein ſoll, — ſo
nehm ich es ihm übel daß er nicht mehr Intereſſe an
Dir nahm. Übrigens muß ich Deine Ausſchweifungen
im Lernen wieder tragen; es wurde mir im vor¬
werfenden Ton mitgetheilt, und ich merkte daß meiner
[198] Verwundrung hierüber, und daß ich nichts davon gewußt
habe, nicht Glauben beigemeſſen wurde.
Vom Clemens weiß ich nicht, ob ich wohlthun würde
ihm ſo nachzugehen wie Du es meinſt, es läßt ſich da
nicht einbiegen und ihm in den Weg treten um ihm zu
begegnen, wo ich ihn aber begegnen werde, da ſei über¬
zeugt daß es nur friedliche und herzliche Geſinnung ſein
wird, ich bin weit entfernt ihn aufzugeben, er ſteht mir
vielmehr zu hoch für meine Kräfte, die nicht an ihn rei¬
chen. Mein Tadel iſt, daß er dieſe hohen Anlagen alle
vergeude, aber ich glaube Dir daß dies kleinlich von
mir iſt, und hab mich auch ſchon gebeſſert.
Ich weiß nicht ob ich ſo reden würde, wie er mei¬
nen Brief in dem ſeinigen reden läßt; aber es kommt
mir ſonderbar vor daß ich zuhöre wie ich ſpreche, und
meine eignen Worte kommen mir faſt fremder vor als
fremde. — Auch die wahrſten Briefe ſind meiner Anſicht
nach nur Leichen, ſie bezeichnen ein ihnen einwohnend
geweſenes Leben, und ob ſie gleich dem Lebendigen ähn¬
lich ſehen, ſo iſt doch der Moment ihres Lebens ſchon
dahin; deswegen kommt es mir vor wenn ich leſe was
ich vor einiger Zeit geſchrieben habe, als ſähe ich mich
im Sarg liegen, und meine beiden Ichs ſtarren ſich ganz
verwundert an.
[199]
Mein Zutrauen war freilich kein liebenswürdiges
Kind, es wußte ſich nicht beliebt zu machen, nichts Schö¬
nes zu erzählen, dabei flüſterten ihm die Umſtehenden
immer zu: Kind ſei klug! gehe nicht weiter vorwärts,
der Clemens wird Dir plötzlich einen Streich ſpielen und
Dir die Schuld geben daß er Dich nicht mehr ausſtehen
könne. Da wurde das Kind verwirrt und ungeſchickt,
es wußte nicht recht wie man klug ſei, und ſchwankte
hin und her, darf man ihm das ſo übel nehmen? —
Aber eigenſinnig iſt das Kind nicht. Wenn es im
Hauſe freundlich und gut aufgenommen wird, kehrt es
ſicher lieber um, als daß es länger auf der Straße
verweile.
So kannſt Du dem Clemens über mich berichten,
auch daß ſeine Scherze über meine Art zu ſchreiben
und die ungefügen Worte die ich gebrauche, mich nicht
verdrießen, ich muß mich bei dieſer Stelle ſeines Briefs
immer auslachen und werde das Wort Rathſchläge gar
nicht mehr gebrauchen können, überdem erinnert es mich
auch noch an Burzelbäume. —
Ich kenne wenig Menſchen und vielleicht niemand
ganz genau, denn ich bin ſehr ungeſchickt andre zu beobach¬
ten. — Wenn ich daher einen Moment verſtehe in ihm,
ſo kann ich von dieſem nicht auf alle übrigen ſchließen.
[200] Es mag wohl ſehr wenige Menſchen geben die dies kön¬
nen, und ich wohl mit am wenigſten. Jetzt denke ich
es ſei gut den Clemens zu betrachten, und erfreulich;
und er will man ſolle ihn nur betrachten wollen. Iſt
dieſe Anſicht wahr oder falſch?
Caroline.
Ich leſe Deinen Brief und den meinen und er¬
kenne wie verſchieden unſre Stimmungen ſind, aber ich
fürchte nicht daß Du an mir zweifelſt, oder mein
Übergehen unrichtig auslegeſt; was ſoll man dazuſetzen
oder einfallen wollen, wo ſich etwas frei und wahr
ergiebt wie Deine Mittheilungen, aber das was Du
übergeheſt das muß ich berühren. Du kommſt mir vor
wie ein Eroberer der alle Waffen verſchmäht aus Hel¬
denmuth, der alles verachtet was ihn ſchützen, verthei¬
digen könnte und jede Waffe die er zum Erobern be¬
darf; ja ich glaub das Hemd möchteſt Du abwerfen.
Doch ſind Wiſſen, Begreifen, Lernen nicht allein die Ar¬
maturen des Geiſtes, ſie ſind vielmehr ſeine Glieder mit
denen er ſich wehrt, und ſich aneignet was ſeinem Ge¬
nie zukommt. Bedenks alles und neige meinen Lehren
ein herablaſſend Gehör. —
Deine Beichte hab ich mit Sanction angehört und
[201] ertheile Dir Abſolution; und verſpreche Dir auch Dich
zu begleiten wenn Du Deinen Erzeuger aufſuchſt. Ich
werde wohl nicht die erſte Rolle übernehmen müſſen bei
dieſer Überraſchung langgehegten Begehrens. —
Schreibe mir ein bischen ordentlich über das Chaos
Deiner Verwirrungen.
An die Günderode.
Die Frankfurter haben mir geſchrieben und haben
mich ſchon ausgepelzt mit allerlei verwunderlichen Pro¬
phezeihungen. — Erſtens: ich ſoll mir häusliche Tugen¬
den angewöhnen. Zweitens: wo ich einen Mann her¬
nehmen will wenn ich hebräiſch lern? — So was ekelt
einem Mann, ſchreibt der lieb gut Engels-Franz, als
wie die ſpartaniſche Suppe; an einen ſolchen Heerd
wird ſich keiner niederlaſſen wollen und eine Schüſſel
Mathematik von einem alten ſchwarzen Juden aſſaiſon¬
nirt ſei auch nicht appetitlich, darauf ſoll ich mir keine
Gäſte einladen, und der Generalbaß als Deſert, das
ſei ſo gut wie eingemachter Teufels-Dr. — Das wär
eine ſchöne häusliche Tafel ꝛc. und man ſpotte meiner
9**[202] allgemein daß die Lullu eher geheirathet habe, und dann
meint er ganz gutherzig, daß wenn ich eben ſo viel häus¬
liche Tugenden geäußert hätte, ich gewiß auch einen Mann
bekommen haben würde. — Ich ſchrieb ihm, er ſoll nur
immer mitſpotten denn es ſei jetzt nicht mehr Zeit mich
zu ändern; und der ganz Jud ſei nur in meine Tags¬
ordnung einrangirt um mich vor dem Mottenfraß der
Häuslichkeit zu bewahren, und ich hätt gemerkt daß
man in einer glücklichen Häuslichkeit Sonntags immer
die Dachziegel gegenüber vom Nachbar zähle; was
mir ſo fürchterliche Langeweile mache daß ich lieber
nicht heirathen will. — Ich hab aber auch dem Doctor
einen ironiſchen Lügenbrief wieder mit Lügen beantwor¬
tet und dem Clausner auch einen. Und es ſind auch al¬
lerlei Anſpielungen, recht liebliche auf Dich, die ich mit
charmantem Humor beantwortet hab. So kommſt Du
zuletzt an die Reih.
Dem Clemens hab ich alles übermacht. — Deine
eigne Sorge um meine Ausſchweifungen im Lernen die
laſſe ſich legen. Der Wind zauſt mich und ſchüttelt mir
alles aus dem Kopf. — Wenn Du meinſt ich könnt
was dafür daß ich nichts kann, da thuſt Du mir un¬
recht. Es iſt nicht möglich meine Lerngedanken zuſam¬
men zu bringen, ſie hüpfen wie die Fröſche auf einem
[203] grünen Anger herum. Meinſt Du ich mach mir keine
Vorwürfe? — meinſt Du ich raffel mich nicht alle Tage
zuſammen? — mit dem feſten Vorſatz es durchzuneh¬
men bis es mir ganz geläufig iſt? — aber weißt Du
was mich zerſtreut? — daß ichs allemal ſchon weiß
noch eh es der Lehrer mir ganz auseinander geſetzt hat,
nun muß ich warten bis er fertig gekaut hat, da neh¬
men unterdeß meine Gedanken Reißaus, und dann iſt
es nachher nicht daß ich es nicht gelernt hab, ſondern
ich habs nur gar nicht gehört was er geſagt hat; mit
dem Hofmann in Offenbach wars eine andre Sach, er
lehrte ſo problematiſch, er ließ mir hundert intereſſante
Fragen die er freilich oft unbeantwortet ließ, die oft zu
ganz fremden Dingen führten, aber dies regte mich an,
immer darauf zurückzukehren. Ich will mich damit nicht
entſchuldigen, ich weiß daß es ein Fehler, eine Schwäche,
eine Krankheit iſt; ich gebs auch nicht auf ſie zu be¬
kämpfen, und ſollt ich bis an meines Lebens End damit
zu thun haben, ich gebs nicht auf, das fort zu lernen
was mir einmal Begierde ja ich kann wohl ſagen Lei¬
denſchaft erregt hat. — Generalbaß! — Wenn Du ah¬
nen könnteſt welches Ideal mir in dieſem Wort vor den
Sinnen ſchwebt, und welchen alten Manſchettenkerl mir
die Lehrer vorführen und behaupten das ſei er, Du
[204] würdeſt mich bedauern daß ich den Genius unter dieſer
Geſtalt ſollte wieder erkennen müſſen. Nein er iſt es
nicht. Die ganze Welt iſt eben Philiſterthum, ſo haben
ſie nicht eher geruht bis ſie auch das Wiſſen dahin ge¬
zerrt haben. Wär es frei behandelt mit Genie, dann
wär ſein Beginnen kindlich, nicht aberwitzig mit lauter
Gebot und Verbot die ſich nicht legitimiren: das darfſt
Du nicht, das mußt Du — warum? — weils die Re¬
gel iſt. — Nun aber! — ich fühls das ſoll mich nicht
abhalten, und ich werde thun nach Kräften, und das
andre wird der Gott meinen mangelnden Kräften zu
gut halten, und auch mußt Du etwas auf einen be¬
ſtimmten Naturtrieb rechnen, der mich mit Gewalt zu
andern Gedanken reizt, einen Vortheil hab ich davon,
meine großen Anlagen werden jetzt ſehr in Zweifel ge¬
zogen oder vielmehr mir gänzlich abgeläugnet, und meine
Genialität gilt für Hoffart, und mein Charakter für
einen Schußbartel, dem man alle Dummheiten zutrauen
kann ohne ihm eine zum Vorwurf machen zu können.
Da fühl ich mich ſehr bequem in meiner Haut und es
iſt mir noch einmal ſo behaglich unter den Menſchen;
— niemand denkt zwar dran daß ich nie Prätenſion
an jene hohe Eigenſchaften machte, von denen man er¬
wartete daß ſie aus dem Ei kriechen würden, und daß
[205] es nur unſer lieber Poſaunenengel war der all dieſe
Dinge über mich hinter meinem Rücken in die Welt
hinein trompetete, und man giebt mir die Schuld daß
ich ein eingebildeter aufgeblaſner Kerl wär, der meine
ſeine Phantaſie regne Gold; aber das kränkt mich gar
nicht und beſchämt mich auch nicht und es ſteckt mich
vielmehr an daß ich allerliebſt dumm ſein kann, und
mich mitfreue wenn ſie mich auslachen und da lacht
man als weiter. —
Du fragſt nach Savigny. Der iſt eben wie immer.
Die höchſte Güte leuchtet aus ihm, die höchſte Gro߬
muth, die größte Nachſicht, die reinſte Abſicht in allem,
das edelſte Vertrauen zu dem Willen und Reſpekt vor
der individuellen Natur. Nein ich glaub nicht daß es
ein edleres Verhältnißmaaß giebt. Das ſtört mich alſo
gar nicht daß er mich hundertmal hoffärtig nennt, und
daß er über meine Albernheiten lacht und daß er mir
noch größere zutraut, und daß er keinen Glauben an
meinen geſunden Menſchenverſtand hat, er thut das al¬
les mit ſo liebenswürdiger Ironie, er iſt ſo gutmüthig
dabei, ſo willenlos einem zu ſtören, ſo verzeihend; ei
ich wüßt nicht wie ich mirs beſſer wünſchen könnte, als
ſo angenehm verbannt zu ſein, und ich komme mir vor
wie ein Schauſpieler der ſich unter einem Charakter be¬
[206] liebt gemacht hat, und der dieſen nun immer beibehält,
weil er ſich ſelbſt drin gefällt. Der Clemens klagt zwar
und meint er habe immer keine [Antwort] von ihm er¬
halten auf all ſein Vertrauen, und habe ſich immer zu¬
rückgeſtoßen gefühlt — und der Savigny ließe gleich¬
ſam das Tret-rad der Studirmaſchine ſo lang aus Höf¬
lichkeit ſtehen bis einer ausgeredet habe, er habe ſich oft
geärgert daß wenn er zu ihm ins Zimmer kam um ihm
was warm mitzutheilen, ſo habe er keine Antwort, nur
Gehör erlangt, und kaum ſei er draus geweſen, ſo rum¬
pelte die Studirmaſchine wieder im alten Gleis. — Da
hat aber der Clemens unrecht. Erſtens iſt Savignys An¬
theil am Leben außer ſeiner wiſſenſchaftlichen Sphäre
nur ein geliehener; und vielleicht blos gutmüthig, und
dann iſt es ein Irrthum vom Clemens, der meint er müſſe
ihm Mittheilungen machen, da er ſie ihm nicht honorirt,
oder ſich ihm mittheilen will wo Savigny einer anderen
Anſicht über ihn zugethan iſt. — Mir fällts gar nicht
ein, ihm etwas der Art ſagen zu wollen, mir iſts ganz
recht, daß er mir die Fehler und Albernheiten die in mir
nun einmal vorausgeſetzt werden noch als erträglich an¬
rechnet. — „Was willſt Du wieder für eine Dummheit
vorbringen ſagen ſie oft, oder ich bitt Dich ſchwäz nicht
ſo extravagant, oder: wie kannſt Du denn ſo was ſagen,
[207] die Leute verſtehn Dich nicht.“ — Und es fallen mir dann
auch immer die Extravaganzen ein und ich ſag ſie im¬
mer nur, ums zu hören wie ich ausgezankt werd. — Da
ſiehſt Du alſo, es geht mir plaiſirlich; und eiferſüchtig
darfſt Du nicht ſein, kein Menſch theilt dies Vertrauen
dies tiefere zu Dir, — drum aber, bin ich auch eifer¬
ſüchtig auf Dich, und oft auch bang, denn nicht allein
die Menſchen ſind mir im Weg, ich fürchte auch jeden
Zufall, jede Laune von Dir, jede Zerſtreuung, ich möchte
Dich immer heiter wiſſen. Wenn Du Kopfſchmerzen hat¬
teſt, ſo ſeh ich mich noch nach ihnen um, wie nach fre¬
chen Gewalten die ich noch auf dem Rückzug verfolgen
möcht. — Wenn einer mir ſchreibt Du ſeiſt ſtill oder
man habe Dich nicht geſehen, oder man glaube Du
ſeiſt nicht in der Stadt, das alles kümmert mich, ſo
leichtſinnig ich bin, und ſo bald ich drauf vergeſſe ſo
kommt mir die Idee leicht wieder, und ſteigert meine
traurige Gedanken über Dich, denn die hab ich als oft,
das iſt wahr.
Mein Lehrer in der Mathematik iſt mein alter
Herbſt-Jud. Morgens an meiner Thür in einem ſchwar¬
zen Kleid, weißem Kragen und der Bart ſpiegelglatt,
ſtand er an meiner Thür und fragte um Erlaubniß mich
zu beſuchen, ich freute mich über ihn, er ſieht ſo viel
[208] edler aus als die andern Menſchen mit denen man täg¬
lich verkehrt, die man in großen Verſammlungen ſieht;
ich hab im Schauſpielhaus mich oft vergeblich nach ei¬
nem erhabnen Geſicht umgeſehen. Er ſetzte ſich auch
gleich in anſtändiger Bequemlichkeit an den Tiſch den
Arm drauf legend, merkte meine Verwundrung über
ſeine Angenehmheit, lächelte mich an und ſah aus wie
ein Fürſt, — ich fragte: wo ſind Sie denn ſo lang ge¬
weſen? — Nun! ſagte er, was reden Sie doch ſo fremd,
bin ich nicht noch der Alte? — heiß ich nicht mehr:
Lieber Jud? — ich mußt ihm die Hand reichen, ich
ſagte, Ja! — hätteſt Du nur die ironiſche Miene geſe¬
hen in dem erhabnen Geſicht und das milde herablaſ¬
ſende Lächeln zu mir; — er ſagte: nicht aus jedem
Mund gefällt einem das Ihr oder Du mit dem der
Jude ſich muß anreden laſſen, aber Ihrem laſſe ichs
nicht gern abgewöhnen. — Dir hätte der Mann ſo viel
Freud gemacht Günderod, er erzählte nur Gewöhn¬
liches aus ſeinem Leben, von ſeinen ſiebzehn Enkeln wie
die ſich gefreut haben ihn wieder zu ſehen; ich frug nach
allen, wie alt ſie ſind, wie ſie ausſehen; da ſind ihm
doch die Fünf die Vater und Mutter verloren haben
die liebſten, von denen ſagte er, „der älteſte der gleicht
mir, man erkennt ihn ſchon von weitem für meinen En¬
[209] kel,“ — und der Zweite? — „der ſchlägt ganz nach mir
der hat für nichts Sinn wie für die Mathematik und
hält ſich ſo apart.“ — Wie iſt denn der Dritte gleicht
der Euch auch? — „Der iſt noch ein klein Jüngelchen
aber er verläugnet den Großvater nicht, und die Töch¬
ter ſind ſchon ſo hülfreich die eine iſt dreizehn und die
andre elf Jahr, aber ſie ſorgen fürs Haus und für die
Kleidung.“ — Das waren alles gewöhnliche Reden,
aber wie erfüllt von Herzlichkeit — ganz wie die Na¬
tur mit [Enthuſiasmus] Sorg und Plage tragend. — Er
war früher blos Lehrer der Mathematik, und lehrte in
Gießen, in Marburg die Studenten, und in der Ferien¬
zeit ging er nach Haus zu den Seinen. — Zwei Söhne,
und eine Tochter verheirathet; ſeine Tochter ſtarb nachdem
ſie ihren Mann begraben hatte den ſie ſehr liebte, und
ließ die fünf Kinder zurück. — Der alte Ephraim konnt
keinen andern Erwerbszweig ergreifen ſie zu ernähren,
als an den er von Jugend gewohnt war, der ſeine Lei¬
denſchaft iſt — worüber er ſo manches Schmerzliche hat
vergeſſen, ſagte er, — ſo iſt er denn auf dem Heimweg
in den Ferien, in den nächſten Orten herumgeſchlendert
und hat alte Kleider eingehandelt um die ſeinen Enkeln
mitzubringen, denn ſie neu zu kleiden dazu wollte ſein
Erwerb nicht hinreichen. Nach und nach hat ſich der
[210] Handel erweitert, alte Hochzeitkleider aus dem vorigen
Jahrhundert, verlegne altmodiſche Spitzen die die Kauf¬
leute nicht mehr abſetzen verhandelt er jetzt nach Polen,
ſo war er diesmal in Leipzig — und hat ein ſehr gut
Geſchäft gemacht, — Du hörſt, ich hab einen ganz
kaufmänniſchen Styl — Ich möcht mit dem Alten Com¬
pagnie machen und die Enkel ernähren helfen, weil aber
das doch Schwierigkeit hat, ſo hab ich einſtweilen ma¬
thematiſche Stunde bei ihm, das macht ich ganz kurz,
ich ſagt ihm: da komm nur die Woch auch zweimal zu
mir, denn ich muß Mathematik lernen, er lachte und
wollts nicht glauben, ich holte ihm aber meine ma¬
thematiſchen Bücher hervor, die Chriſtian mir hier ge¬
laſſen, und mein Heft was ich bei dem Chriſtian ge¬
ſchrieben, das gefiel ihm ſehr, denn es war meiſt alles
vom Chriſtian dictirt, der wohl der ſcharfſinnigſte Menſch
von der Welt iſt. — Jetzt hab ich ſchon drei Stunden
ausgehalten, und auch allemal ſeine Aufgaben richtig
gemacht, denn ich hab Reſpekt vor dem Alten, ich
möcht um alles nicht ihm die Idee geben als ſei ich ein
flatterhafter Schußbartel, wie mich die andern nennen,
woran mir gar nichts liegt, aber an Ihm liegt mir, weil
er ſo ganz ohne Überſpannung doch nicht an meinem Ernſt
zweifelt, weil er eine ſo ſchöne Liebe zu ſeiner Wiſſen¬
[211] ſchaft hat, daß er die für gering achten muß die das
nicht mitfühlen. Und meine Du was Du willſt; aber
Du wirſt mir recht geben, daß unter ſolchem Druck un¬
ter ſo erniedrigenden Bedingungen der Adel des Lebens
ſo frei und untadelhaft bewahrt, daß ſie nicht einmal
durch das niedrigſte Geſchäft ſich gebeugt fühlt für
eine hohe Seele ſpricht; daß ſie um ſo mehr Recht hat
auf unſere feierliche Achtung als ſie vielleicht dem Äu¬
ßeren nach, der Mißdeutung der Verachtung ausgeſetzt
iſt; er nannte mich geſtern ſein liebes Töchterchen, und
legte mir die Hand auf den Kopf wie er wegging; ich
hielt ſo ſtill, er ſtrich mir über die Wangen und ſagte:
Ja ſo! — das hieß ſo viel: nun in dir ruht der Men¬
ſchenkeim. — Er kommt zwiſchen drei und fünf, da wirds
ſchon dämmerig wenn er geht, ich führte ihn durch den
Garten und zeigte ihm den Thurm, von wo ich die Lande
überſeh. — Da kann kein Menſch hinauf wie ich, denn
ſeht die Leiter iſt zerbrochen, ſagt ich, — und ich hab ihm
vorgetragen wie mirs geht mit dem Generalbaß, er ſagt
das wär weil ich nicht alles zu gleicher Zeit überſchaue,
warum meine Begriffe ſtockten; und manches woran
Menſchen ihr Lebenlang kauten, das müſſe von andern
in einem Blick erfaßt werden, ſonſt ging Zeit und Müh
verloren; ich ſagte, mir ſei bang ſo werde es mir auch
[212] ergehen. „Ich hab doch in meinem Leben noch keine kleine
Eichel geſehen der bang war es werde kein Baum aus
ihr wachſen,“ gab er zur Antwort; und dabei legte er mir
wieder die Hand auf den Kopf und ſagte ſo freund¬
lich: „jetzt haben wir die Eichel in die Erde gelegt und
gedeckt und jetzt wollen wir ſie ruhig liegen laſſen und
ſehen was Sonne und Regen thut.“ — Du glaubſt gar
nicht wie fabelig mich der Mann macht, zu den an¬
dern darf ich nicht von ihm ſprechen, das kannſt Du
wohl denken, denn ſonſt würde meine Andacht mir für
Verrücktheit ausgelegt werden; aber die Patriarchen¬
würde ſtrahlt mich an aus ihm, und ich ſpreche der gan¬
zen Welt Hohn, daß ſolche einfache große und heilige
Charaktere nicht Platz finden unter ihren Lapalien, und
überhaupt geh ich nach Vornehmheit, und dieſe hat der
Mann; und ſeh doch nur einen auftreten in der menſch¬
lichen Geſellſchaft, ob nicht aller mühſelig erzwickter
Rang ihn ſo des geſunden Verſtandes beraubt, daß er
nur als Narr ſich ſelbſt genug zu thun glaubt. —
Weiſe ſein kann keiner der der Narrheit eine höhere
Überzeugung opfert, denn aller Verſtand deucht mir ein
Spiel von Aberwitz, wenn der heiligen Weisheit nicht
alle Opfer gebracht ſind. Das meine ich ſo: wenn nicht
alle äußeren Vortheile, Würden und Ruhm, nichts gel¬
[213] ten vor dem inneren Ruf zum Göttlichen. Ich bin noch
jung, mir kommt es wohl noch einmal daß mich das
Schickſal frägt, — und da werde ich des alten Han¬
delsjuden Ephraim gedenken. — O pfui, wer ſeinen
Umgang wollte richten nach dem äußeren Rang, von
Vorurtheilen ſich wollte Feſſeln laſſen anlegen; und mit
denen prangen! — der einzige Stolz den ich habe, der
iſt frei ſein von ihnen, — und der ſchon auf andern
Wegen ſeinen Vortheil ſucht als in der heiligen Über¬
zeugung ſeines Gewiſſens, der iſt nicht mein Geſelle. —
Aber der Jude der giebt mir keinen Anſtoß der iſt frei
von allem. —
Adieu. Bettine.
Noch eins ſetz ich hier hin: Alles was Dir geſchieht
ſoll Dein Geiſtesleben befördern, — ſo, auf die Weiſe
begreif meinen Umgang mit dem Juden.
An die Günderode.
Ein mathematiſcher Vergleich vom Jud: Begeiſte¬
rung iſt ein Reich des Seyns das wir zwar aus der
Wirklichkeit verbannt haben, aber in dem wir ſeine Ge¬
wißheit fühlen. — Wie könnte dies Reich nicht wahr¬
haft ſein da der Geiſt die Wirklichkeit verläßt, denn wo
ſoll der Geiſt leben als in der Begeiſterung, da er im¬
mer nur lebt wenn er begeiſtert iſt. — Aus dieſer Schlu߬
folge legte er mir nun aus was er von mir gefaßt
wollte wiſſen, — und ich ergriff ſeine Hand und ſagte:
ach Ephraim jetzt weiß ich wer Ihr ſeid, Ihr ſeid
der Socrates. — „Ich bin der Socrates nicht, aber er
iſt ein Stück von meiner Religion.“ — So? — ſagt
ich, habt Ihr ihn ſtudirt; wie ſeid Ihr denn dazu ge¬
kommen? — „da könnt ich ja wohl fragen, wie iſt ein
ſo junges Töchterchen dazu gekommen von ihm zu wiſ¬
ſen,“ — ich hab ihn der Günderode ſtückweis vorgeleſen,
aber ich war zerſtreut, und weiß nichts von ihm als
nur daß er ſolche Schlußfolgen macht wie Ihr. — „Wer
iſt die Günderode?“ — Meine Freundin der ich alles
[215] von Euch erzähl und auch daß Ihr mich gefangen
habt, wie in einem Hamen, daß ich lernen muß, und
daß Ihr der einzige Menſch ſeid vor dem ich Furcht
hab. — „Wenn das nur wahr wär, ſagte er, ſo wollt
ich noch ſtrenger ſein.“ — Ach nein! zerreißt den Hamen
nicht, er iſt gar fein gewebt laßt dem Fiſch Platz daß
er ein Biſchen ſchnalzen kann. — Das macht ihm nun
ſo viel Vergnügen ſo ein Weilchen mit mir zu ſprechen,
— er ſagte: „das iſt alles gut, aber wir wollen einan¬
der nicht umſonſt kennen gelernt haben, und Sie ſollen
manchmal noch des alten Ephraim Spuren in Ihrem
Geiſt verfolgen wenn er ſchon lange nicht mehr lebt,“
— wahrlich ich hatte auf der Zunge ihm zu ſagen, daß
ich ihn unausſprechlich liebe und daß mir an ſeinem
Segen mehr gelegen ſei als an der ganzen Welt; aber
ich ſchwieg ſtill, was ſoll man ſo was ſagen, er ſiehts
ja, und fühlts auch gewiß innerlich als Wahrheit. Ich
frag ihn alles, was mir in den Kopf kommt mir deucht
gar nicht das es möglich ſei daß ihm ſein Geiſt nicht
alles klar und deutlich mache, — nur ſcheu ich mich ihm
zu ſagen wie ſehr ich ihm vertrau, geſtern ſprachen wir
vom Napoleon, ich ſagte mit Euch wollt ich Schlachten
gewinnen! — ich hab mir oft gedacht wenn ich Feldherr
wär und von meiner Gegenwart des Geiſtes alles ab¬
[216] hing, daß ich alles verantworten müßt, ob ich da nicht
zwiſchen Begeiſtrung und Furcht ſchwanken würde; aber
wenn ich Euch an der Seite hätt dann wollt ich mei¬
ner Entſchloſſenheit gewiß ſein. — „Warum? — trauen
Sie mir ſo viel Muth zu? — hab ich ihn doch noch nie
bewieſen, und vielleicht noch nicht Gelegenheit gehabt
ihn zu proben, denn des Juden Weg iſt, ſich zwiſchen
Dorn und Diſteln durchzuſchleichen, mit denen der Chriſt
ihm die Straßen verhackt und er muß ſich ſcheuen
daß die Hunde wach werden die in die Dornen hinein
ihn verfolgen daß er nicht mehr vor- noch rückwärts
weiß, und oft im Schweiß ſeiner Mühen zu Grunde geht,
und was noch trauriger iſt, — ſeinen Gott nicht mehr
im eignen Herzen findet,“ — und er faltete ſeine Hände
und verfärbte ſich, — er iſt eine fein organiſirte Seele,
— es bewegte mich, ich ſagte: Ich hab nicht an Euren
Muth dabei gedacht, aber mir deucht in Euer Antlitz
zu ſehen das würde meine zerſtreuten Gedanken ſam¬
meln, und meine Entſchloſſenheit feſtmachen wie einen
Pfeiler, denn ich würde nie vor Euch beſchämt ſtehen
wollen; und dann fühl ich daß Ihr in der Gefahr wach¬
ſen würdet, denn Ihr würdet gewaltig ſein wo es des
Geiſtes bedürfte, weil böſe Leidenſchaften in Euch ab¬
weſend ſind und Euren Geiſt nicht hindern gegenwärtig
zu[217] zu ſein, denn ich glaub Gegenwart des Geiſtes hat man
nur der Abweſenheit der Leidenſchaften zu danken die
einem ins Handwerk pfuſchen. Aber Ihr ſeid vollkommen
ruhig und habt doch Euren Zweck im Auge, und ſteht
über den Vortheilen des Lebens, und habt Jahre und
ſeid ſo feſt ſo ernſt ſo gar nicht ermüdet von den
ſtrengen Prüfungen, Ihr klagt nicht, Euch iſt das
Leben gerecht wie es Gott Euch gab; das iſt Weisheit,
mein ich. — Und doch iſt der Ephraim nur ein Han¬
delsjude, ſagte er, — ja, aber ihr habt euer Leben zum
Tempel gemacht und ſeid hoher Prieſter darin. — Das
Geſpräch führte noch weiter, und endlich dahin — was
ich mir für Dich aufſchrieb: —
„Daß der Leib in ſich begeiſtigt iſt — einen Geiſt in
ſich habe, erkennen wir darin, daß er ſich geheiligt em¬
pfindet im Denken. — Ein Denkender, ein geiſtig Er¬
regter hat einen geheiligten Leib.“
Dies war das letzte von unſerem Geſpräch, was
dazwiſchen lag, weiß ich nicht mehr; — aber auf dem
Thurm, in der kalten Winternacht plauderten die Sterne
weiter mit mir:
„In der Liebe iſt das erſte was wir weihen der Leib,
— und dies iſt die Wurzel und der Keim der Liebe —
und ohne dieſe Weihe wird keine Liebe beſtehen, ſie
II. 10[218] welkt wie eine Blume die man bricht, aber durch dieſe
Weihe, mit Ihr, muß die Liebe beſtehen, jede Erkenntniß
des Höheren fängt mit dieſer Weihe an; wenn der Geiſt
göttlich empfindet, das heiligt den Leib.“
„Jedes Annähern im Geiſt ſucht den Sitz des Gei¬
ſtes im Innerſten und das empfindeſt Du umgeben vom
Leib, — wie Du die Tempelhalle geweiht achteſt, von der
Du weißt daß inner ihren Mauern die Opferflamme
lodert.“
„Der Tempel ſtellt den eignen Leib dar, und des
Gottes Lehre den eignen Geiſt.“
„Den Geiſt des andern empfinden, ſo wie der ſich
ſelber empfand als er dachte, das befruchtet den Geiſt.“ —
„Verſtehen iſt unmittelbares Berühren der Geiſter,
und dies iſt Lebendigſein, erzeugt ſelbſtſtändig Leben,
und alles andre iſt nicht Verſtehen, — und der geringſte
Keim ſelbſtſtändig in der Bruſt, iſt Offenbarung.“
„Drum befruchtet das wahre Verſtehen den Geiſt.“
„Fürchte nicht daß Deine Liebe verloren ſei, die
Geiſter tragen ſie hin wo ſie wirkt, wo ſie erzeugt, wo
ſie ins Leben eindringt des Geiſtes. — Und das iſt ja
der Liebe einziger Bedarf, aufgenommen zu ſein; und
was nicht ihrer Empfängniß fähig iſt, das iſt auch nicht
der Liebe Gegenſtand, drum fürchte nicht daß die Liebe
[219] ihr Ziel nicht fände, alles wahrhafte Leben hat ein
Ziel.“
„Alſo haſt Du eine lebendige, aus der Großmuth
entſprungne Liebe, ſo verfehlt ſie nicht ihr Ziel, denn
es liegt in ihr ſelber, wie der Athem in der Bruſt
liegt.“
„Alle Handlung die nicht Großmuth iſt, iſt Lüge,
iſt Scheinleben; alles was nicht Geiſt iſt, iſt Lüge —
Großmuth muß Scheinleben in wahres Leben ver¬
wandeln.“
„Was iſt Großmuth? — Geiſt! — Denken
Handeln und Fühlen zugleich. — Großmuth muß
aus dem tiefſten Geiſt ſich entwickeln, — Geiſt um¬
faßt alles, jede Regung fließt aus ihm. Jemehr Du
Geiſt ausſtrömſt, jemehr ſtrömt er Dir zu.“
„Großmuth iſt recht eigentlich ſinnlicher Geiſtes¬
ſtrom, alles was die Großmuth hemmt iſt geiſtlos.“
Das waren ſo die Nachzügler von meinem Geſpräch
mit dem Juden. Bin ich nicht glücklich, Günderode, daß
mir Gott einen ſolchen an die Thür geſchickt hat in ſo
verachteter Geſtalt, und daß ſeine Hoheit um ſo mehr
drunter hervorleuchtet? — und der mir zu trinken giebt wo
mein Herz lechzt und nicht die Quelle finden konnt,
10*[220] denn gewiß dieſer Mann beſchenkt mich fürſtlich und
ich kann ihm nicht vergelten, und er hat mich gewiß
auch ſo lieb wie ſeine Enkel, für die er mit Herz und
Seele ſorgt. Er gefiel mir gleich ſo wohl wie ich ihn
zum erſtenmal ſah, er zog mich an und ich ſcherzte
freundlich mit ihm weil ich ihm wohl thun wollte,
da ich weiß daß niemand freundlich mit ſolchen Leuten
iſt, und nur ihrer ſpottet, — jetzt aber denk ich jedes¬
mal wenn ich ihn ſeh, wie hoch er über mir ſteht und
wie gütevoll und herablaſſend er gegen mich iſt, er
auch behandelt mich wie der Meiſter ſeinen Zögling,
ich fühl jeden Augenblick ſeine Übermacht. — Während ich
mit ihm rede, ſchreibt er immer kleine Sätze ins mathe¬
matiſche Heft, die er mir noch zuletzt anweiſt wie ich ſie
herausfinden ſoll, das macht daß unſer Geſpräch ſich in
Pauſen eintheilt, und feierlich und langſam iſt, das
macht mir auch ſo viel Freud. —
Wenn ich zu Savigny hinunter komm, da bin ich
immer ganz ausgelaſſen luſtig vor heimlicher Freud daß
ich einen ſo liebenswürdigen Meiſter hab dem ich ſo
von Herzen zugethan bin, ich würde für ihn durchs
Feuer laufen, — für Dich auch — ich hab immer die
Studenten drum beneidet wenn ich mir dacht daß ſie
ſo ein Verhältniß zu ihrem Profeſſor haben, daß ſie ſo
[221] ſtolz drauf ſind ſeine Schüler zu ſein, und ihm die
Stange zu halten; damit mein ich daß ſie ſich ihm wid¬
men mit ihrem ganzen jugendlichen Enthuſiasmus. —
Es iſt nichts ſchöneres in der ganzen Welt als dies.
Wär ich ein weiſer Meiſter; wenn mir die Stu¬
denten aus vollem Herzen ein freudig Lebehoch bräch¬
ten, wenn ſie im Fackelzug anmarſchiert kämen, ja
das wär mir am liebſten von allen Ehrenkränzen. — Der
Ephraim hat ſo einen Charakter der imponiren und die
Schüler anziehen muß, wenn der Philoſoph wär, was
er doch eigentlich iſt, ſo müßten die Schüler mit Leidenſchaft
an ihm hängen, — er ſagt, meine Schüler lieben mich auch,
aber die Vorurtheile liegen wie unerſteigliche Berge
zwiſchen uns. — Savignys fragen als: nun war Dein al¬
ter Mathematicus bei Dir, haſt Du wieder Judenweis¬
heit ſtudiert? — biſt Du heut wieder klüger wie die an¬
dre Menſchheit, hat Dich Dein Jud eingeweiht? — ich
ſag ja und lach mit, und freu mich daß ich allein
alles weiß von ihm, — ich will Dir was ſagen, ich
hab ihm die Manen vorgeleſen und ihn gefragt dar¬
über manches, er hat mit Bleiſtift drunter geſchrieben:
„Du ſollteſt Geiſter rufen und ſie ſollten Deinem Ruf
nicht folgen? — das glaub nimmer.“
Wenn ich Abends auf den Thurm geh, an Tagen
[222] wo er da war, ſind die Gedanken die mir da oben von
den Sternen kommen, immer ſo übereinſtimmend mit
ſeinen Reden daß ich manchmal meinen muß ſie hättens
ihm eingegeben für mich. — Solche Gedanken die mir lieb
ſind ſchreib ich in ein Buch, um die ſchönſten draus zu
wählen und Dir zu ſchreiben; am Tag vorher als ich
vom Thurm kam — es war ſpät ich war müde, und
ſchrieb eilig ohne mich zu beſinnen was mir noch im
Kopf ſchwärmte von da oben:
„Darum iſts auch oft, warum das Göttliche nicht
in uns haftet, weil wir ſelbſt ſchlecht werden, indem
wir mit dem Böſen ſtreiten; wir wurden boshaft indem
wir das Böſe verfolgten.“ —
„Gott hat den Adam nicht aus dem Paradies ver¬
jagt, der Adam iſt ihm von ſelbſt entlaufen. Wo könnt
ein Engel eine gottgeſchaffne Kreatur aus dem Para¬
dies jagen wollen? — Alles Göttliche iſt Steigen, was
nicht mitſteigen kann das ſinkt.“
„Wo könnte aber das Göttliche aufſteigen, wenn
nicht aus dem Ungöttlichen? — Wie könnte das Gött¬
liche vom Ungöttlichen ſich ſondern wollen? — nein, es
iſt recht ſeine göttliche Natur, ſich nicht von ihm zu
ſondern; es miſcht ſich mit ihm, und reizt es, des Gött¬
lichen inne zu werden, nur Verachtung löſt ſich ab vom
[223] Göttlichen, nur der Tod löſt ſich ab, und vieles iſt der
Tod ſelbſt, wodurch die Menſchen ſich vom Ungöttlichen
abſondern wollen, — ſich des ewigen Lebens theilhaftig
machen wollen.“ —
„Die Freiheit muß zur Sclavin werden des Scla¬
ven, ſie muß ſich dem Sclavenſinn erobern, wie könnt
ſie ſonſt Freiheit ſein? — in was kann Freiheit ſich
ausſprechen, als im Gebundenſein, und unterworfen dem
göttlichen Trieb, das Ungöttliche Göttlich zu machen! —
Wer iſt mächtig die Ketten zu tragen, wenn nicht die
Freiheit? — und wer kann die ohnmächtigen Sinne
beleben als nur das Leben ſelbſt?“ —
„Man ſagt zwar, das Göttliche vertrage nicht das
Ungöttliche, aber es muß alles vertragen können, nur
in ewigem Verwandeln in ſich, beſteht das Göttlich¬
ſein.“
Das hab ich heut auf dem Thurm gelernt und dann
hab ich noch gedacht:
„Wenn Du Dich im Geiſt begegneſt mit dem, was
Du liebſt, ſo trete auf im Schmuck Deiner Begeiſtrung,
ſonſt würde es Dich nicht erkennen.“
„Daß Dich der Geliebte berühre im Geiſt, kann nur
aus Begeiſtrung geſchehen, ſo kann auch nur Begei¬
ſterung zu ihm reden.“ —
[224]
Als ich den Ephraim begleitet hatte, ging ich gleich auf den
Thurm, obſchon das nicht gilt wenn die Sterne noch nicht
am Himmel ſtehen; aber ich mochte nicht wieder ins Haus,
es war mir zu behaglich in freier Luft. Fühlſt Du das
auch, das Glücklichſein, blos weil Du athmeſt, — wenn Du
im Freien gehſt und ſiehſt den unermeßlichen Äther über
Dir — daß Du den trinkſt, daß Du mit ihm verwandt
biſt, ſo nah daß alles Leben in Dich ſtrömt von ihm? —
Ach was ſuchen wir doch noch nach einem Gegenſtand
den wir lieben wollen? — gewiegt, gereizt, genährt,
begeiſtigt vom Leben — in ſeinem Schooß bald, bald auf
ſeinen Flügeln; iſt das nicht Liebe? iſt das ganze Leben
nicht Lieben? — und Du ſuchſt was Du lieben kannſt?
— ſo lieb doch das Leben wieder, was Dich durch¬
dringt, was ewig mächtig Dich an ſich zieht, aus dem
allein alle Seligkeit Dir zuſtrömt; warum muß es doch
grade dies oder jenes ſein, an das Du dich hingiebſt? —
nimm doch alles Geliebte hin als eine Zärtlichkeit, eine
Schmeichelei vom Leben ſelbſt, häng mit Begeiſtrung
am Leben ſelbſt, deſſen Liebe Dich geiſtig macht; — denn
daß Du lebſt das iſt die heiße Liebe des Lebens zu Dir;
Es allein hegt in ſich den Zweck der Liebe, es ver¬
geiſtigt das Lebende, das Geliebte. — Und alle Kreatur
lebt von der Liebe, vom Leben ſelbſt.
[225]
Ja, ſo ein Gedanke, Günderode! einer könnt fragen
ob er nicht Einbildung ſei? — aber mich kümmerts nicht
ob alle es nicht glauben, ich bin mir genug und brauch
keine Beglaubigung dazu. Tiefere Wahrheit erkennen
iſt ja das Leben verſtehen, — ſo empfindet man ja daß
große Thaten die ſchönſten Momente des Lebens ſind;
alſo ein wirkliches heißes Umarmen mit dem Leben
ſelbſt. Solche himmliſche Momente aus denen ſich nach¬
her die Gewißheit der Liebe ergiebt. — Ja eine große That
allein iſt Feier der Liebe mit dem Leben, und ſind die
Menſchen nicht lebentrunken wenn ſie groß gehandelt
haben, wie der Liebende trunken iſt vom Genuß, von
der Gewißheit geliebt zu ſein? — iſt das nicht jene Selig¬
keit, deren jeder andere baar iſt der nicht den Muth
hat der heiligen Inbrunſt des Lebens ſich liebend hin¬
zugeben, und an der großen That vorbeiſchleicht?— ja was
iſt der innere Genuß ſolcher Beglückter, als trunken ſein
von Begeiſtrung die zu ihnen ſtrömt als Gegenliebe;
denn rein und groß ſein im innerſten Gewiſſen, das iſt
von dem Leben durchdrungen ſein. —
Man ſagt die große That belohnt ſich ſelbſt, oder,
er hat den Lohn in der eignen Bruſt, — und ſo iſt kei¬
ner zu ermeſſen in deſſen Bruſt dies Verheißen ewiger
Inbrunſt zwiſchen Leben und Lebendem dieſen Lohn er¬
10**[226] zeugt. Es iſt der einſame tiefverborgne Glücksmoment
der keinen Zeugen hat, der nie ſich nachfühlen läßt,
den jeder wahrhaft Liebende verſchweigt, der ihn über
alles Erdenſchickſal hebt, und der auch, über alles was
in der Welt anerkannt wird, ihn ſtellt, was ihm das
Gepräg des Erhabnen giebt.
Ja die Großthaten, die leidenſchaftlichen Küſſe des
Lebens laſſen einen ſichtlichen Eindruck zurück der ſich ſelbſt,
ich will's glauben, auf Kinder und Kindskinder vererbt,
denn wo käme der Adel her? — iſt der nicht aus der
heiligen Kraft entſproſſen wo das Leben mit ſeiner Liebe
den Geliebten errungen hat? — dies heimliche inner¬
liche Genießen einer den andern ungekannten Seligkeit?
wo man alles aufgiebt blos um dem Liebenden — dem
Leben zu genügen? — ja das muß wohl auch in der
Erſcheinung — im Leib ſich abdrücken; und man könnte
darauf kommen in den Geſichtern alter Geſchlechter nach¬
zuſpüren, was wohl für eine Art von Begeiſtrung den
Keim zu dieſen veredelnden Zügen zu dieſer erhabnen
Vornehmheit legte, ob es kühnes Thun, muthiges oder
ſelbſt verläugnendes war, was dieſe Liebesopfer einſt vom
Ahnen heiſchten, — das iſt mir ſchon bei Arnims Zü¬
gen eingefallen, — und ein Mann göttlicher Leiden¬
ſchaft fürs Leben der iſt ein Gründer des erhabenſten
[227] Geſchlechts, der iſt ein Fürſt unter den Menſchen und
ſollte er ſelbſt in Lumpen unter den Menſchen wandeln,
und wer vor dieſem Adel nicht Ehrfurcht hat, das iſt
der Pöbel der nimmer zum Adel taugt, weil er das ver¬
kennt was ſein Urſprung iſt, ihn alſo nicht in ſich er¬
zeugen kann, er nenne ſich Fürſt oder Knecht. — Das
war mein Geſpräch heut mit den Sternen.
Dienſtag.
Heute iſt der ſiebente Tag daß ich meinen erſten
Brief abſchickte, am Samſtag der zweite und heut? —
ſoll ich dieſen ſchließen und Dir ſchicken? — ich mein
als, es ſei Dir zu viel vielleicht, — das wird aber nicht,
ich hab Dirs verſprochen Dir alles von da oben zu
ſchreiben. Du haſt mich mehrmals dazu aufgefordert,
was kann ich davor daß mir ſo viel in den Kopf
kommt, oder vielmehr in die Feder, denn wenn ich glaub
mit einer Zeil fertig zu ſein, ſo bring ich die ſelbſt nicht
aufs Papier vor ſo viel hundert andern die ſich dazwi¬
ſchen drängen. So hatt ich geſtern im Sinn, wie es doch
ſo dumm iſt wenn man ſich über ſein eigen Leben wollt
beſinnen und glauben, es läg ſchon hinter einem was
[228] doch noch nicht der Anfang iſt vom Leben ſondern nur
der Grund, die Veranlaſſung dazu. —
Wenn der deutſche Kaiſer gekrönt iſt, vom Dom bis zum
Römer über eine Bahn von Scharlachtuch geht, ſo fällt
das Volk dicht hinter ihm über das Tuch her und ſchneidet
es unter ſeinen Tritten ab, zerreißts in Fetzen und theilt
es unter ſich, ſo daß wenn er auf dem Römer ankommt
ſo iſt nichts mehr von der Scharlachbahn zu ſehen. So
ſcheint mir auch aller Lebenseingang, wie die rothe Kai¬
ſerbahn, gleich nach jedem Schritt aufgehoben und
Nichts ſein, bis das Leben Dich wie den Kaiſer, in ſo
große Verpflichtung nimmt daß kein Augenblick mehr
Dein gehöre, ſondern Du ganz im Leben aufgeheſt, da
kannſt Du erſt Deines Lebens Anfang rechnen, dann
aber hebt ſich das Sterbenwollen von ſelbſt auf.
Alles Leben was ſich mit Dir berührt hängt von
Dir ab, aber Du biſt kein abgeſondertes Leben mehr,
— und wirkliches Leben iſt ein Ausſtrömen in alles, das
läßt ſich nicht aufheben, — wies mich verwundert hat,
wie Du ſagteſt, viel lernen und dann ſterben, jung ſter¬
ben! — es kam mir in den Sinn; als hätt ich wohl
meine Zeit ſehr vernachläſſigt, daß ich nun ſchon ſo
alt ſei und noch gar nichts gelernt, ſo würd ich wohl
das Jungſterben bleiben laſſen müſſen, oder lieber gar
[229] nichts lernen. — Aber die kaiſerliche Scharlachbahn! —
ich ſag Dir, alles was Du Dir vom Leben abſchneiden
kannſt iſt blos das Präludium dazu, und das hebt ſich
von ſelbſt auf, es iſt vielleicht ein idealiſcher Voranfang; —
willſt Du mit dieſem das Leben aufheben? — das heißt
den Kaiſer mit ſammt dem Tuch zerriſſen. — Und doch iſt
das ganze Leben nur, daß Du eine Ehrenbahn durch¬
wandelſt die Dich wieder ins Ideal ausſtrömt. Ich
fühls, wie kann man zu was Höherem gelangen, als
daß man ſich allen Opfern, die das Leben auferlegt,
willig hingebe, damit der Wille zum Ideal ſich in
das Leben ſelbſt verwandle, — wie kann man Selbſt
werden als durch Leben? — und ſo muß man auch
willig das Alter ertragen wollen, und die ganze Le¬
bensaufgabe muß aufgenommen ſein, und kein Theil
derſelben verworfen. — Wenn Du früh ſterben willſt,
wenn Du es unwürdig achteſt weiter zu gehen, wirſt
Du damit nicht jeden ſchmähen der ſeine Lebensbahn
nicht aufhob? — Die da mühſelig ihre Laſt tragen, ſind
die zu ſchmähen? — Heldenthum iſt höher als Schmach!
— Vor der Philiſterwelt die meinen Geiſt doch nicht
begreift, ſchäm ich mich nicht für ſie nicht Jugend zu
ſein, die von den heiteren Frühlingstagen nichts weiß
welche der Geiſt durchlebt. — Weißt Du was ſchlecht
[230] iſt im Alter? — wenn es ein Aufbau ein Übereinan¬
derthürmen rumpliger Vorurtheile geworden, durch
das die heilige Anlage der Jugend nicht mehr durch¬
dringt, aber wo der Geiſt durch alles gehäufte Elend
des Philiſterthums, dieſer ganz unwahren aber wirklichen
Wahnwelt, durchdringt zur Himmelsfreiheit zum Äther
und dort aufblüht, da iſt Alter nur das kräftigſte Le¬
benszeichen der Ewigkeit. — Mir ſcheinen alle Menſchen
um mich wie Nichts, oder doch eine geringe und unzu¬
verläſſige Gattung von Naturen, eben weil der Geiſt
nicht in ihnen liegt die höchſte Blüthe im Alter zu er¬
reichen, — eine zernagte Blüthe. — — Aber der Ephraim
deucht mir eine vollkommne Geiſtesblüthe die jetzt im
Frühlingsregen ſteht; die Tage ſind lau, aber trüb, —
aber die Ahnung iſt voll himmliſchem Jugendreiz, die
andern fühlen und ſehen ihn nicht, wo ſteht aber auch
je ein Philiſter bei der knoſpenden Zeit ſtill, voll Schauer,
voll Gebet zur erwachenden Blüthe? —
Was wars alſo mit Deinem früh ſterben wollen?
— wem zu gefallen willſt Du das? — Dir ſelbſt zu Lieb?
— alſo rechneſt Du die ſcharlachne Kaiſerbahn für Deine
Jugendblüthe, blos weil ſie ſo glanzvoll ſchimmert, aber
ſieh doch, die Welt achtet ſie ja nicht, ſie zerreißt ſie in
[231] Fetzen, und Du ſtehſt an ihrem End, und iſt nicht mehr
eine Spur davon, und da willſt Du Dich mit zerreißen?
aber der Trieb zu blühen iſt erſt dann wahre Geiſtes¬
eingebung, wenn jene Scheinblüthe Dich nicht mehr
täuſcht, wenn Du die Blüthe ganz aus Dir ſelbſt er¬
zeugſt, dann will ich ſagen: ja, Du biſt der Geiſt des
Frühlings, — aber muthlos das Leben verwerfen iſt
nicht Jugendgeiſt, — ach ich fühle wohl daß ich hier
weit mehr Recht hab wie Du und daß ich Dir Trotz
bieten kann; aber ich weiß auch daß Du die tiefere
Geiſteswahrheit die in meinem Vergleich liegt, deutli¬
cher wahrnimmſt als ich, und daß Du gewiß Gewalti¬
geres ahneſt als ich begreife. Es geht immer ſo zwi¬
ſchen unſeren vertrauungsvollen Reden daß ich ſtottere
und daß Du mir dann reiner begreiflich machſt was
ich wollte. — Mir ſteht hier nur der Jude vor Augen,
der über die ſinkende Blüthe der Eltern hinaus, die
ſchweren Lebensbedingungen erfüllt, jeden mühevollen
Weg zur Erhaltung der Enkel macht, keinen Tag mehr
als den ſeinen verlebt, nicht um ſich ſelber ſich küm¬
mert, in der Tagshitze zu den Seinen hinwandernd,
ſich mühſam beugt, um die Broſamen zu ſammeln
auf dem Weg und ſie den verwaiſten Kindern zu brin¬
[232] gen. — Sein Weg war ſonſt Wiſſenſchaft, Studium der
alten Sprache, Philoſophie; und nun! — wirft ihn das
Geſchick hinaus aus der Bahn, durch ſeine Aufga¬
ben die mehr mit dem wirklichen Leben zuſammenhän¬
gen? — mir deucht nicht. — mir deucht es ſei die erſte
heilige Blüthezeit ſeines jugendſproſſenden Geiſtes, —
ſo iſt er auch friedevoll und ruhig im jungen Sonnen¬
licht keimend und treibend, lebenswarm iſt der Boden,
die Luft und ſein Wille und ſein Denken, — und was
er ſagt iſt wie die Rebe in die der Saft ſteigt einſtiger
Begeiſterung, — und ich weiß nichts mehr von Veral¬
ten, Verwelken, ſeit ich dieſen Mann angeſchaut hab;
jeder Tag auf Erden iſt ein Steigern der Blüthebegei¬
ſtigung, ſo nenn ichs, in der Eil weiß ichs nicht anders
auszudrücken — und der letzte Tag iſt immer noch le¬
bentriebvoller wie der vorletzte. Wie es auch ſei, es
iſt ein ewig Vorrücken in den Frühling; — und unſer
ganz Leben glaub ich, hat keinen andern Zweck. —
Die Sterne haben mirs geſagt für Dich. —
[233]An die Günderode.
Es iſt ja noch gar nicht ſo lang daß Du mir ge¬
ſchrieben haſt, es ſind jetzt vierzehn Tage, und wenn
ich Deinen Schreibetag hinzurechne und die Reiſe und
das Abgeben des Briefs, ſo ſind es ſechzehn oder ſieb¬
zehn Tage;— Du biſt nicht Herr Deiner Zeit wie ich, —
denn ich hab gar nichts anders zu thun als alles Leben
zu Dir hinzuſchicken, ich wollt auch lieber gar nicht den¬
ken wenn ich Dirs nicht wiedergeben könnt, mir kommt
expreß alles in den Sinn wegen Dir. Aber ich weiß
daß es Dummheit iſt ſich immer ängſtigen zu wollen.
Nur das Eine kann ich nicht ausſtehen, wenn ſie mir
ſchreiben die Günderod läßt Dich grüßen. — Ich kann
noch eher leiden wenn ſie ſagen man ſieht die Günderod
nicht. — Aber das Eine nur, es iſt mir wie ein Nebel
zwiſchen mir und Dir, ich glaub Dich an meiner Seite
und ſprech mit Dir immerfort und der Nebel iſt ſo
dicht daß ich Dich nicht ſeh, und auf einmal ruf ich:
biſt Du noch da? — Du giebſt keine Antwort. — Da
ängſtige ich mich und weiß nicht wo mich hinwenden.
Da mein ich als, alles was ich Dir geſagt hab ſei
nur ein Abirren von Dir, ſtatt daß es mich hätt an
[234] Dich ziehen ſollen; und da denk ich, deswegen hättſt Du
Dich von mir entfernt weil ich Dir ſo manches ſag was
Deine Seele nicht hören will, was ſie ſtört. — Ach
Deine Seele, ich bin einmal geboren dazu daß ich ſie
umflattere. Es iſt mir zwar jetzt nicht mehr ſo heimlich
auf dem Thurm, weil mir immer zuerſt einfällt, ob das
was mir da oben in den Sinn kommt Dir auch recht
ſein mag, aber ich geh doch hinauf — nein es treibt
mich hinauf, — wie der Wind da oben als geht, das
glaubſt Du nicht, er könnt einen gleich fort tragen
das jagt alles, — Wolken und Mond an einander
vorbei — jedes ſeinen Weg, — recht zwieträchtig,
ich weiß nicht was ich dazu ſagen ſoll. — Der
Weg hinauf wird mir täglich ängſtlicher. Ich war
ſchon beinah dran gewöhnt und freut mich auf den
Weg und jetzt iſts wieder wie ein Stein der auf mir
liegt, manchmal bin ich ſo zerſtreut daß ichs gar ver¬
geß und erſt dran denk, ganz ſpät und jeder Schat¬
ten macht mir bang. Aber wo ſoll ich hin, ich muß
doch hinauf, ich mein ich muß da oben die Welt
helfen feſthalten. — Was das heut für ein Geſtürm
war! — es wächſt da oben auf der Mauer ein Vogel¬
kirſchbaum der hatte bis jetzt noch ſeine rothe Beeren
an ſich hängen, ich hatte recht meine Freud dran,
[235] und ich dacht, das ſoll mir ein Zeichen ſein daß es zwi¬
ſchen uns beiden heiter iſt und fröhlich. — Und die Beeren
ſollen hängen bleiben den ganzen Winter, ich hab ſie auch
zuſammengebunden daß ſie der Wind nicht ſo leicht
forttragen konnt; aber da war kein Halten, er drehte
ſich wie eine Kriegsfahne im Sturm, ich ſprang auf die
Mauer und wollte ihn ſchützen und nahm ihn in' Arm
und hab das Äußerſte gewagt ihn feſtzuhalten, bis der
Wind ſich legen wollt, und hätt ihn gehalten wenns
bis zum Morgen gedauert hätt, aber da flogen mir
die Beeren über den Kopf weg, einzeln — und ganze Trau¬
ben, bis die letzte fort war, da hab ich ihn losgelaſſen.
Da legte ſich der Wind, und wars ganz hell und ruhig
am Himmel — daß ich noch eine Weile ſo da ſaß wieder
— ganz ruhig, und mich verwunderte wie ich eben noch
ſo mit ſtürmen konnt, und warum mir doch das Herz
ſo geklopft hatte, da grade ſonſt ich und Du immer
ſo heimlich und ſo luſtig waren, wenn wir manchmal
auf freiem Feld einen Sturm mit machten. — Aber ich
mag Dirs gar nicht ſagen was mir alles vorkommt
und ſich mir weiß machen will, und an was für Din¬
gen es hängt daß meine Fröhlichkeit ſich in Trübſinn
verwandelt oder daß der ſich wieder zerſtreut. — Oſt im
Sommer, wenn ich einen Vogel ſingen hörte, war ich
[236] wie von einer freudigen Botſchaft belebt. — Und oft
wenn ich die reifen Kornähren ſo vom Wind durch¬
ſtürmt und geknickt ſah, mußt ich in tiefen Gedanken
ſtehen, mich beſinnen, wie ich ſoll einen Boten ſchicken
der ſich den Winden ins Mittel lege. So wollen wir
auch meinen jetzigen Aberglauben auf dieſe Rechnung
ſchreiben. — Es wird vergehen und wird wieder ruhig
werden.
Am Sonntag hat der Bang hier gepredigt, ich ver¬
ſprach ihm zuzuhören wenn er wollt von den Juden
predigen, wie die Chriſten ihr unchriſtlich Herz ge¬
gen die verſchließen, daß die Juden gar nicht das
Chriſtenthum empfinden können. Der Bang pre¬
digte, wie Chriſtus ſeine Jünger aufforderte dem Volk
das wenige was ſie an Nahrungsmitteln bei ſich hatten
hinzugeben, ohne ſich ſelbſt zu bedenken. „Siehe! da war
plötzlich Überfluß für Alle! Und wenn es ein Wunder
iſt, daß der Überfluß in den Körben geſammelt ward,
über das Ihr ſtaunt und Gott anbetet, ſo wollet doch
auch als göttliches Wunder achten, daß die Liebe aus
dem Herzen aller ſtrömte, wie durch elektriſche Berührung
der Liebe des Sohns Gottes zu Allen, ſo daß von Nach¬
bar zu Nachbar ſie einander mittheilten, und wollten lie¬
ber darben als darben laſſen. Und ſo waltete der Segen
[237] in den wenigen Brodten, als jeder das ſeine mit dem
Andern theilte, und kam daher der große Überfluß. — Wenn
Ihr das nicht als Wunder bekennt, ſondern es als ein na¬
türliches Ereigniß nicht würdig achtet zu den göttlichen
Wundern gezählt zu werden, iſt es dann nicht um ſo
mehr von denen zu erwarten die ſich ſeine Jünger nen¬
nen daß dieſes natürliche Wunder in Folge des Gött¬
lichen erſprieße? — und da es doch zwiſchen Euch die Ihr
Jünger Chriſti ſeid, nicht auf die göttliche Weisheit
ankommt, ſondern blos ums tägliche Brod euch ſtreitet,
ſo mag nun die göttliche Kraft des Wunders in den
Brodten gewirkt haben daß ſie ſich mehrten oder in den
Herzen der Juden daß ſie aus Hunger nach dem gött¬
lichen Wort der leiblichen Sorge nicht achteten, und ſich
einander im chriſtlichen Sinn der ſchon in ihnen zu kei¬
men begann: „Liebet Euch unter einander,“ die
leibliche Speiſe mittheilten und gönnten, ſo liegen denn
immer dieſe Lehren darin: Richtet die Seele auf gött¬
liche Weisheit, ſo wird die Sorge um das Irdiſche von
Euch gehoben durch göttliche Kraft. Oder auch: die Sorge
um Irdiſches iſt allein in die Welt geboren, damit
Ihr ſie überwinden lernt um Eurer Brüder willen, und
gemeinſam nach dem Göttlichen trachtet was jedem zu¬
ſtrömt ſo viel er zu faſſen vermag. Der göttliche Segen
[238] aber regnet über alle Lande, und Euch brüderlich in
den irdiſchen zu theilen, achtet Ihr das nicht als göttli¬
ches Wunder in Euren Herzen? —
Mögen doch Eure Herzen geſchickt ſein, Bruderliebe
zu üben, ſo iſt Euch gewiß daß das Wunder göttlicher
Weisheit in Euch erblühen werde, was von Innen als Fülle
des Segens über Alle gleich ſich ergießt, und nicht über die¬
ſen allein, weil er Chriſt iſt, und über jenen nicht, weil er
Jude iſt. — Denn ſo oft wir den Segen, ſei er irdiſch
oder himmliſch, abtheilen wollen, ſo erſtirbt er in uns,
denn ſein Leben iſt: Gemeinſchaft des Heiligen.
Mit dem inneren Sinn ſollen wir die Welt regieren, das
äußere Regiment greift in ihre Geſtaltung nur vorüber¬
gehend oder gar nicht ein, und kann nur das Geiſtige,
die wirkliche Entwicklung hindern, aber der innere Sinn,
durchdrungen von dem höheren Regiment der Welt, brei¬
tet ſich aus und greift um ſich, ihm iſt nicht Einhalt
zu thun, erzeugt ſich in allen Herzen, jeder pflanze
den Kern dieſer ſüßen Frucht ins eigne Herz, er iſt der
Frühling des Lebens, ohne den werden wir nicht ern¬
ten und keine Gewalt haben.“ —
Bang ſagte mir nach der Kirche, er habe wohl ge¬
merkt daß ihm niemand zugehört habe als nur ich al¬
lein, die ganze Kirch hab geſchlafen. —
[239]
Ich hab von dieſer Predigt in einem Brief an den
Voigt geſchrieben, weil ich ihm nichts beſſeres zu erzäh¬
len wußte, ſo hat er mir geantwortet: „der innere Sinn
greift mehr um ſich wie alles Regiment der Welt, der
Flügelſame des Geiſtes kann nicht abgeſperrt werden,
der treibt umher, und der Wind der geiſtigen Natur
überwältigt alle Vorkehrungen, drum iſts lächerlich
was die Menſchen ſich für Mühe geben alles in der
Zucht halten zu wollen, oder durch etwas anders die
Freiheit zu erkaufen als durch den Geiſt Freiheit iſt
die ſtrengſte Zucht, denn ſie greift da ein wo kein Gebot
noch Verbot was wirkt, ſie zermalmt das Schlechte
in der Wurzel; denn Freiheit iſt eine göttliche Kraft
die nur Gutes wirken kann, aber die Menſchen verſte¬
hen nicht was Freiheit iſt, ſie wollen ſich ihrer bemäch¬
tigen, das iſt ſchon ſie ertödten. Der Freiheit kann
man ſich nicht bemächtigen, ſie muß als göttliche Kraft
in uns erſcheinen, ſie iſt das Geſetz aus dem ſich der
Geiſt von ſelbſt aufbaut. Innere Gebundenheit und
äußere Freiheit ſind doppelt ſchwere Ketten, weil die
Trunkenheit noch dazukommt die die Sinne bindet und
verwirrt.“ — Das iſt ungefähr das Bedeutendſte was
ein zehn Seiten langer, ſehr kritzlich geſchriebner Brief
enthält, ich wollt Dir ihn nicht ſchicken, ich fürcht es
[240] möcht Deine Augen angreifen ihn zu leſen. Er hat
noch viel Hübſches und Freundliches geſchrieben über
Deinen, Franken in Egypten*). — „Er ſey der
Franke, aber das Mädchen werde er nimmer finden das
ihn in des Vaters Hütte führt, denn was ihm in der
Seele woge das ſei nicht mit Schönheitslettern ihm
ins Antlitz geprägt, ſeine fränkiſche Naſe umſchreibe
kein ſchönes Profil. Den Brief kann ich Dir ein¬
mal vorleſen wenn das Füllhorn eigner Mitthei¬
lungen ausgeleert iſt, — aber wann wird das je
ſein? — Ach ich hab das Herz ſo voll zu Dir, nur
heut hab ich von fremden Menſchen geredet ſtatt von
meiner Seele weil ich Dich nicht betrüben will mit mei¬
nen Klagen. Aber gewiß iſt es wahr, auf dem Thurm
kann ich nur Seufzer ausſtoßen und meine Gedanken
ſind wie abgerißne Zweige und zerſtreute Blätter — Laub
das im Winterwind herumwirbelt! — ich kann keins ha¬
ſchen, und was mir zufliegt das zerfällt und hat keine ſy¬
billiniſche Zeichen; aber ich will nicht klagen, denn es iſt
ja doch nur Einbildung von mir, Du biſt nur ſo ſchweig¬
ſam weil Du ſo in Gedanken verſunken biſt, wie Du
ſchon als dieſen Herbſt warſt. Wollteſt Du nicht
manch¬[241] manchmal den Voigt ſehen? — er iſt doch gut, der
könnt mir als von Dir ſchreiben. Er iſt heiter und be¬
ſcheiden und erzählt ſo viel Schönes aus ſeiner frühen
Jugend, ſein Leben iſt Muſik und Malerei, ſeine Be¬
kanntſchaft iſt, wie wenn einer mit fröhlichem Gemüth
umherſchaut und einem unbefangnen Blick begegnet dem
er alles erzählt was in ſeinem Innern vorgeht. Daß
er ſchlecht geſchrieben hat will ich wohl glauben, aber
es verdirbt mir ihn nicht, denn das war vermuthlich
die beſeſſene Heerd Schweine die in die hohe Meeres¬
fluth geſtürzt ſind; wie es denn gewöhnlich bei guten
Menſchen geht die was Schlechtes hervorbringen; es
muß ihnen ganz leicht ſein wenn ſie es los ſind, — [ſo iſt]
er auch ausnehmend vergnügt. Ich hab ihn kennen
lernen wie er als Schulrath in Frankfurt vorgeſtellt war
da hat er mich mit ſeinem witzigen Humor ergötzt, und
es lag ſo viel Wahres und Richtiges, zum wenigſtens
mir Zuſagendes in ſeinen Bemerkungen daß ich immer
meine er würde das Beſte gewirkt und gerathen haben,
er ſagte aber damals zu mir: „ach ich bin ein Wickel¬
kind, mir ſind die Hände mit dem Wickelband feſt¬
gebunden, ich kann nur Geſichter ſchneiden und da
meinen die Leute ich lach und weine im Traum, ſie
meinen gar nicht daß ich mit meinen fünf Sinnen dabei
II. 11[242] bin wenn ich was ſag.“ — Wenn es Dir nicht ſtörend
iſt daß er Dich einmal beſucht ſo ſchicke ich ihm einen
Brief an Dich. —
Vom Hölderlin hab ich auch erzählen hören,
aber lauter Trauriges was ich Dir jetzt nicht erzäh¬
len mag, denn wir beide würden nichts darüber erden¬
ken können; und in meinem Herzen ſteht geſchrieben:
Streue die Saat der Thränen auf ſein Andenken, viel¬
leicht daß aus dieſen die Unſterblichkeit einſt ihm aufs
Neue erblüht! — ach, auch er hat geſagt: Wer mit
ganzer Seele wirkt irrt nie! ja wer unzerſtreut
und mit ganzer Seele dabei wär der könnte wohl Todte
erwecken, drum will ich mich ſammlen und an Dich
denken daß ich Dich mir wach erhalte daß Du mir nicht
ſtirbſt. — Aber ich will meinen Brief nicht ſo traurig
ſchließen. — Ein Brief den ich kürzlich von Goethe ge¬
leſen habe, den er Anno 1800 an Jacobi ſchrieb, wird
Dich auch freuen: „Seit wir uns nicht unmittelbar
berührt haben“ ſagt er ihm „habe ich manche Vor¬
„theile geiſtiger Bildung genoſſen, ſonſt machte mich
„mein entſchiedner Haß gegen Schwärmerei, Heuchelei
„und Anmaßung, oft auch gegen das wahre ideale
„Gute im Menſchen das ſich in der Erfahrung nicht
„wohl zeigen kann, oft ungerecht. Auch hierüber, wie
[243] „über manches andere belehrt uns die Zeit, und man
„lernt daß wahre Schätzung nicht ohne Schonung ſein
„kann; ſeit der Zeit iſt mir jedes ideale Streben wo
„ich es antreffe werth und lieb.“ — So ſehr ich ſonſt
eine Sehnſucht hatte allein und heimlich ihn aufzuſu¬
chen, jetzt iſts nicht mehr ſo; — ich möchte gar nicht zu
ihm wenn ich nicht Dich an der Hand führte — nur als
zeigte ich Dir den Weg, — und nur daß ich mir den
Dank von ihm und Dir verdienen will, denn was er
im Brief ſagt berechtigt Euch gegenſeitig auf einander
Anſpruch zu machen, denn wie freudig würd er erſtau¬
nen über das Ideal in Deiner Bruſt, ſo wie Du Dich
ausſprichſt in jenem Brief, wo Dir auf einmal ſo hell
dies Ideal erſchien, als ſäheſt Du voraus in Deine Un¬
ſterblichkeit. — Und mit was könnt ich ihm entgegen¬
kommen? — ich hab keine Vorrechte, ich hab nichts,
als den geheimen Werth von Dir nicht verlaſſen zu
ſein, ſondern angeſehen mit Deinen Geiſtesaugen die
Gedanken in mich hineinzaubern, welche ich nie geahnt
haben würde, läſe ich ſie nicht in Deinem Geiſt.
Geſtern Abend haben ſich Jung und Alt beſcheert,
mir ſind die leeren Weihnachtsbäume zu Theil gewor¬
den, ich hab mir ſie ausgebeten, ich hab ſie vor die
Thür gepflanzt, man geht durch eine Allee von der
11*[244] Treppe über den breiten Vorplatz bis zu meiner Thür,
dieſe grünen Tannen ſo dicht an meiner Thür, beglücken
mich — und die Welt iſt noch ſo groß! ach es ſteigt
mir die Luſt im Herzen auf daß ich reiſen möcht — mit
Dir — wär das denn nicht möglich? — bin ich denn
ſo ganz gefangen, kann ich mir hierin nicht willfah¬
ren? — Und willſt Du auch nicht das Unglück meiden,
jener die ſterben ohne den Jupiter Olymp geſehen zu
haben? — ich fühl daß mir alle Sehnſucht geſtillt
könnte werden, hoch auf dem höchſten Berg die Lande,
die Weite zu überſchauen, ich würde mich wahrlich er¬
haben und mächtig fühlen, denn weſſen das Aug ſich
bemeiſtert, deſſen fühlt der Großherzige ſich Herr. Ach
Günderode, ich weiß nicht ob Du's auch ſchon gefühlt
haſt, aber mir iſt jetzt vor allem der Sinn des Augs
gereizt, ſehen möcht ich, nur ſehen. — Wie groß und herr¬
lich die Kraft mit dem Aug alles zu beherrſchen, alles
in ſich zu haben, zu erzeugen was herrlich iſt, — wie
würden da die Geiſter uns umflügeln aus einſamer
Stelle? — und dann kennen wir uns, wir würden in
einander ſo einheimiſch ſein, es bedürfte keiner Mitthei¬
lung, die Gedanken flögen aus und ein, in' einen wie
in' andern, was Du ſiehſt das iſt in Dir, denn ich auch,
ich hab mich nicht vor Dir verſchloſſen; — ja Du biſt
[245] tiefer in meiner Bruſt und weißt mehr von meinem See¬
lenſchickſal als ich ſelber, denn ich brauch nur in Dei¬
nem Geiſt zu leſen ſo find ich mich ſelbſt. Und wie
glücklich hab ich mich doch hingehen laſſen in Deinem
Kreis? — als ſchütze Dein Geiſt mich, ſo hab ich alles Un¬
mögliche gewagt zu denken und zu behaupten und nichts
war mir zu tollkühn, überall fühlt ich den Faden in
Deinem klugen Verſtehen, der mich durchs Labyrinth
führte. Ach ich möchte alles haben, Macht und Reich¬
thum an herrlichen Ideen, und Wiſſenſchaft und Kunſt,
um alles Dir wiederzugeben; und meinem Stolz von
Dir geliebt zu ſein, meiner Liebe zu Dir genug zu thun.
Denn dieſe Freundſchaft, dies Sein mit Dir, konnte nur
einmal gedeihen. Ich zum wenigſten fühle daß keiner
mit mir wetteifern könnte in der Liebe, und darum ſiegt
auch meine Großmuth, — ich mag niemand eine Schuld
aufbürden um die er ewig büßen müßte.
Mein Brief iſt zerſtreut geſchrieben, das iſt, weil
ich Dich ſuche, — ſonſt ſtehſt Du vor mir wenn ich Dir
ſchreibe, da ſpreche ich mit Dir, die Hälft ſind da meine
Gedanken, und die Hälft Deine Antwort, denn ich weiß
allemal was Du antworteſt wenn ich Dir was ſage; ſo
lerne ich immer das Tiefere, das Weiſe, das Beſtäti¬
gende aus Dir. — Die Poſt geht ab — ich laſſe den
[246] Brief noch liegen, vielleicht kommt ein Brief, dann
bitte ich Dir gleich noch in dieſem meine Beſchwerde
ab. — Ach käm doch ein Brief. —
Nein es iſt kein Brief gekommen.
Ich bin böſe — aber nicht auf Dich — auf mich
bin ich böſe, woher kommt mir die Krankheit? — ja es
iſt Krankheit, und ſchon lange lag es in mir; — es iſt
ja als ob ich nichts von Dir wiſſe, ſo verzage ich ganz,
war ich denn im vorigen Jahr ſo bang? — da ſind doch
auch Zeiten vergangen wo Du nicht ſchriebſt. Du haſt
mich verwöhnt mit Deinen kleinen Briefen aus dem
Rheingau, ich kenne ja doch Deine große Ruhe in die
Du manchmal ſo ſchweigſam verſunken warſt daß ich
oft ſtundenlang mit Dir war und Du ſprachſt nicht, ſo
wirds jetzt auch ſein — der Nachhall Deiner ſtillen Be¬
geiſtrung iſts, oder es wiederholen ſich tiefe Melodieen
Deiner Seele in Dir, denen horchſt Du zu. Ja! wie's
in jener himmliſchen zauberhaften Nacht war, auf dem
Rhein, wo wir zuſammen unter der blühenden Orangerie
auf dem Verdeck ſaßen. — Wie ſchön wars doch, daß die
grade von Kölln nach Mainz fuhr, und daß wir beide
auf dem Schiff die einzigen waren die in der Nacht
da oben blieben, die andern fürchteten die kalte Nacht¬
luft, das war ein rechtes Glück. Wir freuten uns als
[247] der letzte hinabgeflüchtet war und wir waren ganz al¬
lein und blos der Steuermann, und die Ruder und die
große Stille, — und meinen Pelz warf ich um Dich und
ſaß zu Deinen Füßen und der deckte mich auch noch,
und wie ſchön war die Mondnacht, es ſollte nicht ein
Wölkchen am Himmel ſein, der unermeßliche Luftocean,
in dem allein der Mond ſchwamm. — Da warſt Du
auch ſo ſtille und wenn ich ein Wort ſagte ſo verlor
ſichs gleich im tiefen Schweigen — daß ich auch nicht
mehr reden mochte aus Ehrfurcht vor der ſtillen Verſun¬
kenheit der ganzen Natur! — und wer kanns je vergeſ¬
ſen der in ſo heller Nacht auf dem Rhein ſchifft, wenn
beide Ufer ſich im Mondglanz baden; — und dann kam
der Wind und rauſchte erſt leiſe in den Kronen, und
dann ſtärker, und es fielen Blüthen auf Dich und mich,
und da ſah ich mich um nach Dir, hinauf zu Dir, da
lächelteſt Du weil es zu ſchön war was uns da wider¬
fuhr, aber wir beide ſchwiegen ſtill um nicht zu ſtören
alles was ſich an Schönheit rund um uns ausbreitete,
und wir fuhren um die ſtillen Inſeln und kamen näher
ans Ufer, daß die Weiden herüberhingen und verwickel¬
ten ihre Zweige in unſre Bäume, und ſchüttelte über Dir
die Krone daß ſie all ihre Blüthen Dir in den Schooß
warf, da warſt Du erſchrocken aufgewacht, denn Du
[248] warſt eingeſchlafen grade — einen Augenblick. — Ja ich
auch ſchlaf gern wo es grad mir am ſeligſten iſt, da
iſt immer die Ruhe über mir, als wäre Seligkeit nur
eine Wiege und ſchaukelte die Seele und wiegte ſie aus
einem Traum in den andern hin und her, wo es ſchön
und ſchöner wär. — Ich dachte da, es war ein köſtlich
Wohlgefühl in mir und betete es vor Gott, ich wollte
nicht glücklicher ſein in der ganzen Fülle der Welt als
ſo wie es uns beiden da beſcheert war, und ich fühlte
mich ſo geſtärkt und knüpfte mich getreuer an Dich. —
Und gelobte mir meinen Geiſt waffenfähig zu machen,
und da gingen in Eile viele große kühne Thaten vor
mir vorüber, die ich all im Geiſt entſchieden hatte, und
da war ich ſo heiß einen Augenblick vor raſchem Le¬
bensentſchluß und reiner Begeiſtrung. Und daher hab ich
verſtanden was Du in Deinem Brief ſagſt von dem
einfachen Phänomen, wo tragiſche Momente uns durch
die Seele gehen die ſich ein Bild unſrer Lebensgeſchichte
auffangen, und wo die Umſtände ſich ſo ketten daß man
ein Tiefſchmerzendes, oder Hocherhebendes, im Geiſt mit
erlebt. — Mein Gefühl aber war nicht tragiſch, es war
glorreich, es war jublend, überall war ich Sieger; — ja
recht wie ein Adler der ſich aufſchwingt über den Erden¬
ballaſt von allen Geſchicken und der nur fliegen will.
[249] und ſo bin ich da auch ein paar Minuten über jenen
Gelübden eingeſchlafen, als wenn der Schlaf die Beſtäti¬
gung aller Geiſteserhebung wär! — oder iſt es vielleicht
im Schlummer daß der Geiſt in ſeinen Gelübden auf¬
ſteigt? — So wars mir nach jenem kurzen Schlaf, als ſei
ich im Port meines Lebens angelangt und als brauche
ich keine fremde Wege mehr zu ſuchen. — Es war daß ich
immer Dir verbleiben wollt, daß alles Glück was uns
entgegen komme, nur Dein ſein ſolle, und daß ichs nur
durch Dich genießen wolle. Drum ſchieden wir auch am
Morgen ſo leicht und heiter, ich ſtieg in den Wagen
der mich am Ufer erwartete um nach Frankfurt zu fah¬
ren und Du bliebſt auf dem Schiff, und ich hatte Dir
nicht einmal die Hand gereicht und rief nur hinüber,
Adieu Günderode, und Du riefſt meinen Namen. Und
es war als ob die Welt uns nicht trennen könne. —
Aber wie ich eine Weile vorwärts gefahren war und
ſah Dein Schiff mit ſeinem ſüdlichen Garten noch von
weitem, da fiel mirs auf einmal ein daß ich Dir nicht
die Hand gereicht hatte, und Dich nicht geküßt hatte,
und Du mich auch nicht auf meine Stirn, was Du doch
ſonſt immer thatſt, und jeden Abend wenn ich von Dir
ging. — Und es war mir ſo angſt drum daß ich gern
umgekehrt wär, wenn ich gedurft hätte. — Und jetzt
11**[250] wenn ich an Dich denk und Du ſchreibſt nicht, ſo fällt
mirs ein und ängſtigt mich. Aber doch iſt es ja ein
gutes Zeichen, ein ſo ſicheres Gefühl daß wir nicht ge¬
trennt ſeien, und wenn doch dieſe ſchönſte idealiſche
Nacht unſeres Lebens die letzte war die wir mit einan¬
der zubrachten, ſo wird uns auch der Genius wieder ſo
zuſammenführen, — und hin durch heiße Länder wo kein
Sehnen iſt und wo wir am Morgen nicht um den Ab¬
ſchied ſorgen weil wir uns nicht trennen werden. —
Nur daß ich jetzt in die beſchneiten Felder ſehe und daß
mir der Winter ſo tod jetzt erſcheint wo mir eine ita¬
lieniſche Sommergluth im Herzen wogt! —
Ja wir wollen fort Günderode, wir zuſammen; — es
war ein Schickſalsruf, jene himmliſche Nacht unter ſüd¬
lichen Blüthen, — ſie rief uns zu dem Land dort wohin
mein Sehnen geht, um das ich ſchon mit der Mignon
meine Nächte verweint habe. — Das erſte wenn wir
uns wiederſehen ſoll es ſein daß wir einen feſten und
reifen Plan machen. — Es iſt am End ganz lächerlich
wenn wir alles Schöne und Herrliche von dem geſpro¬
chen wird im Geiſt berühren und genießen, und wir ſitzen
in der Wirklichkeit wie eingefroren. Ich bin begierig
ob wirs nicht dazu bringen in der pappendeckelnen
Welt; das iſts eben daß ſie von Pappendeckel iſt. —
[251] Da fällt mir wieder mein Kindertraum ein, wo ich auf
einem backſteinernen Fluß auf der Reiſe war, und die
Ruderer vergeblich Wellen ſchlagen wollten, und nur
mit den Stechſtangen gings langſam vorwärts, — und
das krachte ſo unangenehm, es pfiff daß es mir zwiſchen
den Zähnchen weh that. Ach und die Reiſegefährten
ſchnitten ſo fürchterliche Geſichter, — da hab ich recht in
Natura geſehen, und ohne Schleier, was ein Philiſter
für eine fürchterliche Lebenslarve hat. — Der Trieb zur
Schönheit iſt doch wohl noch das einzige was von einer
höheren Natur übrig iſt. —
Am Feiertag wollt ich der Ephraim ſollt mich be¬
ſuchen, es war mein Lerntag, aber weils Feiertag war,
ſo konnt ich einmal die Stund verplaudern mit ihm,
wozu ich ſo große Luſt hatte, und mit meinen Tannen¬
bäumen eine Laube um ſeinen Sitz gebaut das hat mir
groß Vergnügen gemacht, ich ſchenkte ihm auch Wein
ein, da kam der Profeſſor Weiß dazu, der hatte mit
ihm zu reden wegen zwei Schüler, der ſprach auch mit
großer Achtung mit ihm, daß er ſo große Kenntniſſe
habe. Sein Enkel holte ihn ab, und blieb noch eine
Weile da, aber er ſetzte ſich nicht vor ſeinem Großvater
und blieb ſtehen, und von dem Wein nippte er nur —
und ich will Dir geſtehen daß ich die ganze Zeit von Dir
[252] geſprochen hab, denn ich kann auch nicht gut von an¬
derem ſprechen, weil ich doch immer dran denk ob ich
bald einen Brief von Dir krieg. — Was ſoll ich noch
von ihm erzählen, er hat eine eigne Art, es ſcheint nur
Beſcheidenheit, aber man fühlt daß es Herablaſſung iſt
und Güte; ich möcht Dir auch gern noch manches von
ihm ſagen, aber weil ich gar nichts weiß von Dir, das
bricht mir den Muth, ich weiß ja nicht einmal ob Du
es mit Antheil lieſt. — Er ſagte mir daß er bis nach
den Feiertagen bis nach Neujahr eine kleine Reiſe zu den
Seinigen machen wolle, weil ſeine Schüler alle fort ſind.
Es iſt eine Reiſe von acht Meilen — bei Butzbach,—
den Weg macht er zu Fuß in dem Wetter, — es iſt
hier ein Sauſen davon hat man in der Stadt keinen
Begriff; auf dem Thurm kommt allerlei Gezweig vom
Wald oder von unten aus der Allee angeflogen. Ge¬
ſtern ſetzte ich mich gleich an den Boden nieder um
nicht davon getragen zu werden. —
Ich fürchte mich für den Ephraim, oder ich wollt ich
könnt mit ihm gehen, — ſo ein Stock in der Hand, und
immer vorwärts geſchritten, in neue Lande wo andre Luft
weht, andre Bäume blühen, — jetzt hats aber noch eine
Weile Zeit damit; — ſo — ruhig ſprechend — mit einem
Weiſen aus Morgenland. — Ich bin von Natur ſo neu¬
[253] gierig, wenn ich nur in ein unbekannt Dorf komm, da
kommt mir alles ſo ſonderbar vor, und die kleinen Reiſen
die ich bis jetzt gemacht hab, — wie war mir alles ſo auf¬
fallend — wenn wir im Dunkel vor einem Poſthaus hiel¬
ten, wie ſah mich da der halb erleuchtete Gang ſo ſeltſam
an, als könnt er ſprechen und erzählte mir: ja hier gehen
allerlei Geſchichten vor! — und ſo eine Nacht in unbekann¬
ter Gegend gefahren, oder im fremden Nachtquartier, wenn
man da aus dem Traum aufwacht und hört die Glock
ſchlagen, und noch eine, und dann wieder eine. Da dacht
ich als: da ſind alſo viel Kirchen, wie mögen die aus¬
ſehen? und dann der Nachtwächter der ein ganz fremd
Lied ſingt mit heiſerer Stimme, und die Schellen an den
Häuſern die man noch läuten hört, und dann am Morgen
ſieht alles wieder anders aus, und iſt wieder ſo neu und
überraſchend als wär die ganze Welt wie ein Spielſa¬
chenladen, und Häuſer, und der Markt vor der Thür,
und die Leute die da wohnen und laufen, das ſei lauter
Spielzeug, und die Hunde die herumſpringen, die Brun¬
nen wo die Leut Waſſer holen, das kommt einem alles
vor blos wie zum Vergnügen, lauter Bilder, man
freut ſich daß alles ſo niedlich eingerichtet iſt und gar
nichts vergeſſen. So fremde Orte, ſie ſind wie Feenmär¬
chen. — Das alles möcht ich mit Dir genießen! es iſt
[254] ja nur der Eingang, aber Himmel und Erde, im Freien
— in die Weite hinaus — wo man ſtumm ſteht und
ſieht die Berge ſich aufrichten und mit dem Morgen¬
licht ſich küſſen, und alles Unendliche was da vorgeht,
was ſtumm macht und alle Weisheit überflüſſig, denn
wie's Kindchen, wenn ihm die Milch zuſtrömt aus der
Mutter Bruſt, genug damit zu thun hat ſie zu ſchluk¬
ken, mit der Fülle fertig zu werden, ſo iſts auch mit
der Natur, ſie giebt ſo vollauf dem Blick, dem Herzen
daß es nicht zu Athem kommen kann. — Aber der
Ephraim liegt mir am Herzen daß der jetzt wo die Na¬
tur ſchläft und nur aufrühriſche Träume hat, die eiſige
bergige Straße wandert, wo es ſo früh Nacht iſt und
wo er in ſchlechte Herbergen kommt; aber er ſagt er
habe einen Tag ſchon verſäumt wegen dem Wetter, und
ſeine Enkel warten alle auf ihn, die würden ſo ſchon
in großen Sorgen um ihn ſein, und das Sturmwetter
werde er ſchon ertragen, er habe es ſchon mehr mitge¬
macht, und ſein Enkel trägt den Bündel. — Er muß
die Kinder ſehen; da muß man ihn nicht abwendig ma¬
chen, er ſah auch gar nicht ſorglich aus. — Dürft ich
nur wie ich wollt, ſo hätt ich einen bequemen Wagen
ihm vor die Thür fahren laſſen; und ich hatte Luſt
dazu, hätt ichs nur heimlich thun können, aber ich fürcht
[255] man hätt geſchrieen ich wär extravagant, ich wollt die
Sonderbare ſpielen, und gelitten wärs doch nicht wor¬
den, denn von Verkehrtheiten, muß ich abgehalten wer¬
den. — Außer dem Clemens der hätt das gewiß recht
gern gewollt. — Nun hab ich doch dieſe acht Tage
Sorge um Dich und um den alten Mann. — Ich fürcht
mich vor dem Thurm. Ich will aber, oder ich muß
hinauf. — Das iſt zum dritten Mal daß mir ſo was
begegnet; daß mich ſo was feſſelt nächtlich und geheim
an einen Ort zu gehen wo mich die Geiſter hin beſtellen.
Wie ich ganz klein war; der Vater hatte mich am
liebſten von allen Kindern, ich kann kaum zwei Jahr
alt geweſen ſein, wenn die Mutter was von ihm zu
bitten hatte, da ſchickte ſie mich mit einem Billet zu
ihm, denn ſie ſchrieben ſich immer, ſie ſagte wenn der
Papa das Billet lieſt, ſo bitte daß er Ja ſchreibt, und
er richtete oft nach meinen Bitten ſeinen Beſchluß. Er
ſagte mein liebes Kind weil Du bitteſt, ſo ſag ich Ja, ja.
— Alle Kinder fürchteten ſich vor dem Vater, denn ſo
freundlich er war ſo hatten alle eine Ehrfurcht die ſie
hinderte ihrer Luſtigkeit nachzugeben, und ein ernſtes
Geſicht vom Vater machte daß ſie alle vor ihm wichen;
ich hatte viel mehr Luſt mit ihm zu ſpielen, und wenn
ich wußt daß er Nachmittags allein auf dem Sopha
[256] ſchlief wo niemand ſich ins Zimmer getraute, da ſchlich
ich auf den Zehen herbei und kroch in den Schlafrock
auf der einen Seite herein und konnt mich ſo geſchickt
um ſeinen Leib ſchmiegen und auf der andern Seite
wieder heraus, das konnt ich ſo geſchickt, da gab er mir
allerlei italieniſche Schmeichelnamen im Schlaf und
ſchlief dann weiter fort. — Er war niemals verdrie߬
lich. — Wie die Mutter ſtarb, da fürchteten ſich alle
Kinder vor ſeinem Schmerz, keiner wagte ſich in ſeine
Nähe. Abends war er allein im Saal wo ihr Bild
hing, da lief ich hinein und hielt ihm den Mund zu
wenn er ſo ſehr ſchmerzvoll ſeufzte. — Ich beſinn mich
daß ich als gern in der Karmeliter-Kirch war wo nie¬
mand mehr hineinging, ſie war immer leer, weil ſie ſo
düſter iſt und weil ſo viel Todte da begraben liegen;
Vater und Mutter liegen auch da, und viele Geſchwiſter.
Ich hab mich niemals gefürchtet vor traurigen Orten. —
Wie manchmal, wenn die Sonn draus ſchien da ging
ich da hinein, da wars ſo feucht und ſo trüb daß
man glaubte, es ſei der traurigſte Herbſttag. — Ich
erzähl Dirs — ich wollt Dir nur ſagen, ich ſcheu mich
nicht vor traurigen Orten und auch nicht vor traurigen
Menſchen, und wenn Du was haſt was Dich trüb¬
[257] ſinnig macht, ſo brauchſt Du mirs nicht zu ſagen, aber
ſcheu Dich doch nicht vor mir ich weiß ſo ſtill zu halten.
Geſtern hatt ich mich den ganzen Tag geſehnt nach
dem Abend weil ich auch am Tag keine Ruh hab. Wenn
ich doch ein einzig Wort von Dir hätt nur, über Dich! —
Ich hab nur lauter Halbgedanken, ſie kommen tief aus
der Bruſt, aber ich mag ſie nicht prüfen. — Wenn Du
mir das einzige ſchreibſt: „Bettine ich bin Dir gut“
das wär genug! wär ich doch wie die Uferfelſen die
den ſtürzenden verſpritzten Lebensſtrom wieder im ru¬
higen Lauf ſammeln, und jede Welle jeder Gedanke
in Dir würde freundlich an mir vorüber brauſen, ich
wollt ſie nicht feſſeln. — Ach ich ſag nicht, daß ich Dich
liebe, aber doch mein ich, ich wollt gern Dir mein ganz
Leben aufopfern und ich kenn niemand dem ich das
wollt, aber Dir wollt ichs. Aber wenn Du mir auch nicht
vertrauen kannſt, darum will ich nicht bitten. Es iſt mir
alles eine große Schrift in Dir, es iſt mir alles Geiſt! —
Mein Gott? was haſt Du gethan, gedacht, was ich
nicht mit vollen Sinnen genoſſen hätt. — Und ſo oft hab
ich in Dir erkannt was ich in mir ſelber nicht zur Ge¬
wißheit bringen konnt! — wenn mir ahnte. Die erſten
kühnen Gedanken die zum erſtenmal die engen Le¬
[258] bensgrenzen überbrauſten daß ich verwundert war, über
Geiſt, und überraſcht, wo hab ich ſie doch geleſen? —
ſie ſtanden auf Deiner Stirne geſchrieben, — wie viel
ſich kreuzende Stimmen haſt Du doch entwirrt in mei¬
ner Bruſt, und meine wilde Gedankenloſigkeit — Du haſt
ſie ſo ſanft eingelenkt, und mir gelehrt, freudig mit ſpie¬
len. — Der Sinn der Welt iſt mir einleuchtend gewor¬
den durch Dich, ich hätt ihn nimmer geheiligt, ich hätt
ihn immer verachtet. Denn früher dacht ich oft, zu was
ich doch geboren ſei? aber nachher wie Du mit mir warſt,
da hab ich nicht mehr ſo gefragt. — da wußt ich daß
alles Leben ein Werden iſt, und nur eine freudige Unge¬
duld hat mich zuweilen noch übermannt, ein übereilend
Erharren der Zukunft, keine Trauer mehr, nein ich weiß
nichts mehr was mich geſchmerzt hätt ſeit dem Augen¬
blick wo ich Dich kenne. — Dort in Offenbach, der Tage
erinnere ich mich; kanns dem Buſen der Erde ſo üppig
entkeimen als mir die Lebensfülle unter Deinem war¬
men belebenden Hauch? — O glaub mirs, ich taumelte
oft im Geiſt, weil die Gedanken ſo weich ſich mir un¬
ter das ſtrömende Gefühl betteten, oft wenn ich am
Abend in die weite Purpur-Landſchaft ſah, dort, wo ich
aufs Dach ſtieg blos um zu fühlen wies Leben doch thut
in der Bruſt, es war mir ja noch ſo neu, da mußt ich
[259] denken daß ich ganz alles mit ſei was ich ſah, — ſolche
Purpurwogen durchwallten mich, — und es war ein Reich¬
thum den ich in mir ahnte, und es war mir alles durch
Dich geſchenkt! — ja ich zweifle nicht, es iſt ein Kern,
ein edler in mir, der wurzelt, und der mich mir ſelber
wiedergiebt. Du haſt dieſen Kern in mich gebildet, Muth!
umſichtige Heiterkeit ſind ſeine erſten Blüthen geweſen,
und jeden Tag will er mehr Blüthen treiben, wie der
Baum inmitten wohlthätiger Natur! — alles Schickſal
nehm ich hin wie Wind und Wetter, und kanns tragen,
denn Du haſt mich geſund gemacht, — aber wenn ich
nun ausgeriſſen wär aus dem Boden, das wird doch
nicht ſein? — nein das kann niemals wahr werden.
O kein Erdbeben! das den Berg verſchlinge deſſen Gipfel
den ſchwachen Stamm trägt — blühend weit hinaus in
die Ferne! — und ſo wohl ſich fühlt, weil er alle Güte
der Sonne empfindet, weil ihm alle Echo erklingen von
den weiten Bergen, und weil er ſo weit umher die la¬
chende Natur beherrſcht, weil er ſo hoch ſteht ſo ein¬
ſam, ſo glücklich, und alles allein weil er in Deinen
Buſen gepflanzt iſt. —
Dann bin ich ſchlafen gegangen wie ich ſo weit
geſchrieben hatte, und hab vergeſſen auf den Thurm zu
gehen, wo ich doch den ganzen Tag unruhig danach
[260] war, und ſchlief ſo feſt ein. Ach war ich denn krank
geweſen daß ich wieder ſo ganz gegen meinen eigen¬
thümlichen Willen nicht traurig zu ſein, ſo an Dich
ſchrieb? — aber wie ich aufwachte da beſann ich mich
daß es zum erſten Mal war wo ich den Thurm verſäumte,
ſprang auf und warf einen Mantel um, ſo war ich
oben angelangt noch eh ich mich beſann obs nicht die
Geiſterſtund ſein könne, meine Haſt war zu groß als
daß ich mich hätt fürchten können, — denn ich dacht,
wenn nun ſchon Mitternacht vorbei wär, ſo hätt ich
einen Tag verſäumt. Nein das will ich nicht, ich hab
Dich da oben in der freien Natur allen guten Mäch¬
ten hingegeben, die Sterne wiſſen von Dir, und mags
gehen wie es will, ich will nichts verſehen bei meinen
Gelübden. Ich hab zu ihnen geſagt von Dir, und ſie in
Pflicht genommen über Dich, ich bleib ihnen zugethan,
und mein Gefühl ihrer Erhörung, ihres Bewußtſeins
meiner heißen Lebensbedürfniſſe, das will ich nicht ſchwä¬
chen indem ich nicht feierlich mein Verſprechen achten
ſollt. — Es war auch ſchön dort oben, der reinliche
Schnee bewahrte noch Deinen Namen unverletzt vom
vorigen Tag, und ich ſetzt mich auf die Mauer, und
lauſchte in die Stille, und da ſchreib ich Dir hin was
[261] mir ſo im Geiſt iſt aufgegangen; ſo wie ein Sternbild
nach dem andern iſt hell geworden.
„Ich trinke die Liebe um ſtark zu werden, wenn ich
denke ſo bewegt mich heimliche Begeiſtrung für meine
eigne Erhöhung; — wenn ich liebe auch. — Nur: In
der Liebe fühl ich mich flehend wie im Tempel; wenn
ich denke, kühn wie ein Feldherr.“
„Alles von ſich ſelber verlangen, iſt der nächſte und
unmittelbarſte Umgang mit Gott; dem Göttlichen geben die
Sterne die ſicherſte Gewährleiſtung für die Erfüllung eines
höheren Willens. — Die dreiſte Überzeugung daß wir unſe¬
rer Forderung genug thun ſollen.“ — So rathen uns die
Sterne. — Günderode, drum ſei ja muthig zu allem, und
endlich kann auch kein falſcher Trieb ſich dazwiſchen
durchwuchern, denn die Seele iſt ganz erfüllt von eige¬
nen Geiſt und allein für ihn thätig.
Das haben mir die Sterne für Dich geſagt als ich
ſie fragte um die tiefen Lebensgeheimniſſe in Deiner
Bruſt, ſie wollen Du ſollſt Deinen Schild tragen — kühn
und frei über die Lebensgipfel weg. Alles iſt Höhe nichts
iſt Tiefe. Du ſollſt ſie ſchauen die ſo hoch ſind, vor de¬
nen nichts Abgrund iſt, was ihr Licht nicht entbehrt.
„Es giebt eine Zauberkunſt, ihre Hauptgrundlage
[262] iſt des Geiſtes feſter Wille zum Mächtigen, der ſich auf¬
löſt in die Übermacht deſſen was er im Geiſt erkennt.“
So haſt Du mir einmal geſagt und die Sterne
haben mich gemahnt, ich ſoll Dich dran erinnern.
„Nie muß man dem Höheren gegenüber ſelbſt etwas
wollen, ſonſt wehrt man ſich gegen den eignen Willen.“
Das haben die Sterne noch hinzugefügt und mich
gemahnt ich ſoll Dir das ſcharf und eindringlich wieder
ſagen. —
Ich leg mir das ſo aus, der Menſch ſoll nicht dem
eignen Schickſal nachgehen, denn es giebt kein Schick¬
ſal für den Geiſt als das Göttliche, — dieſem gegenüber
ſollen wir alles als klein verachten. —
Noch ſagen die Sterne: „Ohne Zauber kann ſich
der innere Menſch nicht erſcheinen,“ — o die Sterne ſind
gütig ſie ſagen viel und Großes, und bedeuten uns daß
wir ſelber groß ſind.
„Ach das Endziel aller Wahrheit iſt, ſie hinzugeben
an höhere Wahrheit, ſie iſt Zauber durch den der innere
Menſch ſich erſcheint, ſie iſt Entwickeln der göttlichen
Natur; der Himmel entwickelt ſich aus der Sehnſucht,
und aus des Himmels unendlichem Frieden wird hö¬
here Sehnſucht ſich entwickeln; — die Wahrheit geht
hervor aus der Wahrheit, und geht über in Wahrheit.
[263]
Das höchſte was die Wahrheit vermag, iſt ſich auf¬
löſen in höhere Wahrheit; — ja, ſie ſagt Nein! —
verneint ſich. —
Nie darf der Geiſt ſich am höchſten halten, ſondern
jene muß er höher halten auf die er wirkt, denn die
befördern ihn — entwicklen ihn.
Die Wahrheit, die Lieb iſt Sclave, der iſt Herr,
den ſie nährt.“
So reden die Sterne wenn ich mit ihnen von Dir
ſpreche — ſie lieben Dich, ſie ſind Deine Sclaven, die
höhere Erkenntniß die ſie auf Dich herabblitzen, die ent¬
wickelt ihr Vermögen auf den Menſchengeiſt zu wirken,
das Hohe auszuſprechen, und ſie werden mehr noch ſa¬
gen wenns Dein Ohr trifft. — O ſie ſagten es mir
für Dich in der Neujahrsnacht — — und viel reicher
war die Saat liebender Mahnungen, aber ich konnts
nicht alles tragen in meinem Geiſt was ſie ſagen; — ver¬
trau ihnen und Du wirſt erleben — ſchwere Garben bring
ich Dir heimgeſchleppt; — da ſiehſt Du was Leben iſt,
Keime der Erkenntniß ſäen die Sterne Dir in' Geiſt,
und Du wollteſt verzweifeln weil Deine Füße am Bo¬
den wurzeln. — Ja das iſts. Deine Seele hat Licht ge¬
trunken und will nun ſchlafen, ſo leg Dich doch und
ruhe, ich will ſorgen daß Du ſchlafen kannſt und wa¬
[264] chen zugleich, — und wart doch was die Sterne end¬
lich mit uns anfangen, biſt Du nicht neugierig? —
was gottgeſandte Boten Dir zuflüſtern, magſt Du das
nicht erlauſchen, und kannſt nicht alles andre darüber
vergeſſen? —
O hör, denn als ſie ſo geſprochen hatten da be¬
kräftigte der Schlag von Mitternacht in die tiefe Ein¬
ſamkeit hineinſchallend, daß, ſo die Jahre hinabrollen,
der Geiſt doch ewig blühend am Himmel ſteht; und
daß unſere Begeiſtrung dieſer Jugend zuſtröme das
ſtürmte mir herauf aus der tiefen Stadt wo alles le¬
bend, jubelnd die verjüngte Zeit begrüßte. Warum rühr¬
ten ſie die Trommeln, und ſchmetterten von den Kirch¬
thürmen — die Trompeten! — und warum erfüllte das
Jauchzen die Luft? als weil die ewig ſich verjüngende Zeit
alle kindliche Freudenſtimmen weckt über die unſterbliche
Jugend. — Mir war ſo ſelig dort auf der ſchwindelnden
Höh, wo die Studentenlieder wie ein Meer um mich
himmelan brauſten und mich einhüllten in ihren Jubel¬
lärm wie in eine Wolke und aufwärts trugen. O wie
ſchön iſts in der Welt, denk doch, ſo viel junge Stim¬
men hier im kleinen Städtchen, alle freudebrauſend! —
wer wollte im Leben wohl etwas beginnen was dieſes
heitere Jugendleben zu ſchweren, innerem Verantworten
nie¬[265] niederbeugte! — O nein, ſchon wegen der Jugend heili¬
gem Recht in Fülle den Strom auszubrauſen, möcht
ich im eignen Buſen die ewige heitere Lebenskraft nicht
ablenken. — Sieh, junge Günderode, Deine Jugend iſt
die des heutigen Tages, Mitternacht hats bekräftigt, die
Sterne mahnen Dich und verheißen Dir daß Du ihnen
Deinen Geiſt ſollſt zuſtrömen, die auffahren voll ju¬
belndem Feuer in Chören ihre Begeiſtrungslieder herüber¬
jauchzen ins neue Jahr! — ſie begrüßen Deine Zeit! —
daß ſie Deiner Begeiſtrung geboren ſind, das macht die
junge Herzen jauchzen, o verlaſſe die Deinen nicht und mich
nicht mit ihnen; verlaſſe Dich auf den Genius daß er auf¬
recht ſtehe in Dir und groß walte zwiſchen Geiſt und Seele.
Was könnte Dich doch verzagen machen? — ſieh
doch wie viel Leben verdirbt, aber doch iſts nur ſchein¬
bar, es ſteht mit verſchwiſterten Gewalten wieder auf
und verſuchts von neuem. Aber das muß nicht ſein
daß Du Dich aus ihren Reihen losketteſt, denn alle ge¬
hören einander, und das muß Dich nicht traurig machen
daß manches was ſie als Tugend preiſen nur glänzende
Fehler ſind. Iſt doch oft auch Tugend was Fehler iſt.
Ich mag dieſen Brief nicht ſchicken; ich bin nicht
zu entſchuldigen, ſchiebs aufs Wetter in meiner
Bruſt. Es iſt Gewitterzeit in mir, wie konnt es ſo
II. 12[266] angſtvoll in mir aufſteigen ſonſt? — Gewitter ſinds
die über mich hinſtürzen und alle blühende Kraft nie¬
derdrücken, und das Gewölk hängt ſchwer über mir,
und das Herz arbeitet und glüht und möcht ſich Luft
machen und zückt; denn ſonſt könnt ich nicht ſo
ſchmerzvolle Augenblicke haben und immer ſo ſchwere
Gedanken über Dich. Aber es iſt auch traurig, heut
erhalt ich erſt Nachricht von der Claudine daß Du ſie
beauftragt hatteſt mir Deine Abweſenheit von Frank¬
furt zu ſchreiben, und daß Du bei der kranken Schwe¬
ſter biſt. Mein Herz iſt der brauſende Brunnen, ein
paar Tropfen Öl beſänftigen ihn ja, ich war ganz ver¬
kehrt, ich erwache vom böſen Traum. Ach Gott ſei
Dank daß es anders iſt. — Ich bin noch niedergeſchla¬
gen und ſeh die Träume unwillig dahin ziehen am dü¬
ſtern Tag, ſie hätten mich wohl länger gepeinigt.
— Wie Du auch meine Briefe aufnehmen magſt, ich
will Dich der Mühe überheben mich darüber zurecht zu
weiſen, und wills alles vor Dir ausſprechen was ich
von mir denk. Ich hab Dir eine Reihe von Briefen
geſchrieben ich weiß nicht mehr was; — ſollt ich mir
Rechenſchaft geben was ich damit wollte, enthielten ſie
ſelber eine Rechenſchaft meines Seelenlebens? — iſt ein
einziger früherer Vorſatz drinn nur berührt? — iſt mir
nicht alles fern abgeſchwunden was ich mir als heilig
[267] Gelübde auferlegte? hab ich nicht mir und Dir zuge¬
ſagt, ich wolle mich ſtreng den Bedingungen einer Kunſt
unterwerfen? hab ich nicht immer und immer aufs Neue
wieder alles Begonnene verfaſelt? — und was konnteſt
Du mit mir endlich anfangen? ich geſtand Dir immer
alles zu, ja ich ſagte mir täglich Deine wahren, Deine
tiefen Begriffe vor, über die Anſtrengung des Geiſtes in
ſich zu erzeugen was noch ungeboren iſt in ihm. Einmal
ſagteſt Du: „Ich begreife aus dem Sehnen des Geiſtes
ſich der Künſte und Wiſſenſchaften zu bemächtigen, daß
die fruchtbare Erde nach dem Samen ſich ſehnt den ſie zu
nähren vermag.“ Und Du ſagteſt zu mir: „Deine ewige
Unruh, Dein Schweifen und Jagen nach allem was im
Geiſt erwachſen könnt, ſelbſt Dein Widerſpruch dagegen
beweiſt daß Dein Geiſt fruchtbar iſt für Alles.“ Und
wollteſt ich ſollte nur das eine Opfer bringen und eine
Zeit mich Einem ganz unterwerfen, dann werde ſich zu
Allem Platz und Reife bilden. Und ſagteſt: „was iſt
denn Zeit wenn ſie nicht ewiges Bilden der Kräfte iſt? —
Und iſt eben die Mühe des Erwerbens nicht auch ſein
höchſter Ertrag? — und keine Anſtrengung iſt umſonſt,
denn am End iſt jede Anſtrengung die höchſte Übung
des Erzeugens, und wer ſeinen Geiſt mit Anſtrengun¬
gen nährt der muß zum Erſchaffen, zum Wiedererzeu¬
12 *[268] gen verlorner Geiſtesanlagen, nicht allein in ſich, ſon¬
dern in Allen ſeiner Zeit geſchickt werden.“ Und Du
ſagteſt noch viel, wo ich voll Feuer war Dir allein zu
folgen und alles mir zuzumuthen, ich mußte mir ſagen
daß ich allein in Dir Licht fand über das Leben, und
daß Dein Geiſt heilige Religion ſei, und daß ich eine
Ahnung faßte zu was der Menſch geboren ſei; ja, und
daß er immerdar vereinigt ſein ſoll mit Gott, das heißt
immer in heiliger Anſtrengung begriffen, ihn zu faſſen.
Ja was iſt denn Kunſt und Wiſſenſchaft? wenn es
nicht die tiefen Anlagen ſind eines geiſtigen Weltge¬
bäudes. Was iſt denn irdiſch Leben wenn nicht, der
ſinnliche Boden aus dem eine geiſtige Welt ſich erzeugt
— und Du ſagteſt: „wär man nicht zornig, wie könnt
einer ſanftmüthig werden, und wär die Lüge nicht, wie
könnten wir zu Helden der Wahrheit werden?“ Und
weil ich Dich nicht verſtand ſo ſagteſt Du: „Hätte die
Welt nicht widerſtanden, wie konnte Cäſar ein Eroberer
werden?“ — Da war mir plötzlich alles deutlich, und
ich war ſo glücklich mein eignes Selbſt meiner Anſtren¬
gung zu danken zu haben, daß ich wohl begriff: dies
ſei die einzige göttliche Gewalt in uns, uns zu freien
Naturen zu bilden, nehmlich, alles aus eigner freier An¬
ſtrengung zu erwerben, und was iſt Freiheit, wenn
[269] nicht: Gott ſein? Alles aus freier Anſtrengung erwerben
iſt die erſte Bedingung einer göttlichen Natur.
Und dieſen Forderungen von Dir habe ich geſchwo¬
ren wie einer auf die Fahne ſchwört und war meiner
eignen Begeiſtrung ſo gewiß und hätte mirs zugetraut,
Alles mit Ernſt und Treue zu verwalten was die in¬
nere Stimme mir auferlegte, und dieſer geheime Trieb
göttlich zu werden durchdringt mich noch. Und wenn
ich hundertmal eins ums andre verlaſſen hab, ſo ver¬
zag ich nicht, wieder zu beginnen. Ich will zu Dir,
in Deinem Schooß will ich lernen; ich weiß daß es ſo
ſein muß daß wir bei einander ſind. Wenn ich Dir
nicht jeden Tag enthüllen kann was für Gedanken in
mir aufſteigen dann bin ich gleich weggeriſſen. Ja das
muß ich Dir auch noch von mir ſagen daß ichs oft
nicht weiß wie es kommt daß ich oft plötzlich weit von
dem wozu ich mich ganz hingewendet hab hinweg ge¬
riſſen bin; — nicht mit meinem Willen, aber ich bin dann
erfüllt und beſtürmt vom Denken, dem muß ich folgen;
und ermüdet bin ich dann — aber ſo ermüdet, wenn ich
mich wieder zu dem finde was ich erlernen oder mir
aneignen will. Und das iſt meine Sünde. Ich ſollte
dieſe Schwäche abweiſen. Der Geiſt ſoll nicht ermüdet
ſein, er ſoll die Müdigkeit abweiſen. — Weiß ich doch
[270] daß ich im Rheingau bei langen Wegen die oft vier
bis fünf Stunden weit waren, mir ſagte ich will nicht
müde ſein, und dann, als ſei ich neu geboren den Weg
wieder zurücklegte. Das vermag der Geiſt über den
Leib, aber über den Geiſt ſelbſt, da iſt der innerliche
Geiſt der ihn zähmt oder weckt noch nicht ſtark. — Ja
vielleicht bin ichs ſelbſt der ihn verläugnet; aber Dich
nicht. In Dir konnt er mit mir ſprechen. Und es iſt
nicht aller Tage Abend, betrachte Alles als ein Vorſpiel,
als ein Strömen noch verwirrter und verirrter Gefühle
und Kräfte. Ach verzweifelſt Du daß je das Gewölk
in meinem Geiſt ſich theile? und das Licht Ordnung
herabſtrahle? — Ich hab Zuverſicht, ich verzweifle nicht,
ein ewiger Trieb zu empfangen, ein raſches Bewegen
in meiner Seele die ſagen mir gut. — Und Du wirſt
mich nicht verwerfen. — Es wird ja ſchon wieder Tag!
die Eos tritt aus der Dunſtluft hervor und mir iſt
wohl geworden über dem Schreiben; ich träume nicht
mehr daß der Donnerer mein Schiff zerſchmettre und in
die Wellen verſenke,— weil es gefrevelt iſt, an Ihm der
auf hephäſtiſchen Rädern die Roſſe zum Sonnenmeer
treibt ſie da zu baden. Nein! ich führ neben Dir her
am Strand die reinen Lämmer Ihm entgegen; und ich
gehöre zu Dir, wenn Du ſein gehörſt. — Bettine.
An die Bettine.
Ich mußte abreiſen und konnte Dir nicht einmal
ausführlich ſchreiben. Eine Schweſter die ſchon länger
unwohl iſt und jetzt nach mir verlangte. Das wird
mich auch wohl ſo bald nicht dazu kommen laſſen.
Denke nicht ich vernachläſſige Dich liebe Bettine, aber
die Unmöglichkeiten dem nachzukommen was ich in Ge¬
danken möchte, häufen ſich, ich weiß ſie nicht zu über¬
winden und muß mich dahin treiben laſſen wie der Zu¬
fall es will, Widerſtand wär nur Zeitaufwand und kein
Reſultat, Du haſt eine viel energiſchere Natur wie ich,
ja wie faſt alle Menſchen die ich zu beurtheilen fähig
bin, mir ſind nicht allein durch meine Verhältniſſe, ſon¬
dern auch durch meine Natur engere Gränzen in meiner
Handlungsweiſe gezogen, es könnte alſo leicht kommen
daß Dir etwas möglich wäre, was es darum mir noch
nicht ſein könnte, Du mußt dies bei Deinen Blicken in
die Zukunft auch bedenken. Willſt Du eine Lebensbahn
mit mir wandlen, ſo wärſt Du vielleicht veranlaßt al¬
les Bedürfniß Deiner Seele und Deines Geiſtes, meiner
Zaghaftigkeit oder vielmehr meinem Unvermögen aufzu¬
opfern, denn ich wüßte nicht wie ichs anſtellen ſollte
Dir nachzukommen, die Flügel ſind mir nicht dazu ge¬
[272] wachſen. Ich bitte Dich faſſe es bei Zeiten ins Aug,
und denke meiner als eines Weſens was manches un¬
verſucht muß laſſen, zu was Du Dich getrieben fühlſt.
Wenn Du auch wollteſt manches Recht was Du ans
Leben haſt aufgeben um mit mir zuſammen zu halten,
oder beſſer geſagt, Du wollteſt von dem Element das in
Dir ſich regt, nicht Dich durchgähren laſſen, blos um
Dich meiner nicht zu entwöhnen; das wär ja doch ver¬
geblich. Es giebt Geſetze in der Seele, ſie machen ſich
geltend oder der ganze Menſch verdirbt, das kann in
Dir nicht ſo kommen, es wird immer wieder in Dir
aufſteigen, denn in Dir wohnt das Recht der Eroberung,
und Dich weckt zum raſchen ſelbſtwilligen Leben was
mich vielleicht in den Schlaf ſingen würde, denn wenn
Du mit des Himmels Sternen Dich beredeſt und ſie
kühn zur Antwort zwingeſt, ſo würde ich eher ihrem
leiſen Schein nachgeben müſſen, wie das Kind der ſchlum¬
merbewegenden Wiege nachgeben muß. — Alle Men¬
ſchen ſind Dir entgegen, die ganze Welt wirſt Du nur
durch den Widerſpruch in Deiner Seele empfinden und
erfahren, keine andere Möglichkeit für Dich ſie zu faſſen.
Wo wirſt Du je eine Handlung, weniger noch eine Na¬
tur treffen die mit Dir einklänge? — es iſt noch nicht ge¬
weſen und wird auch nie ſein, (von mir will ich Dir
[273] nachher reden). Was andern Menſchen die Erfahrung
lehrte, wozu ſie ſich bequemen, das iſt Dir der Unſinn
der Lüge. Die Wirklichkeit hat als verzerrtes Un¬
geheuer ſich Dir gezeigt, aber ſie hat Dich nicht ge¬
ſcheucht. Du haſt gleich den Fuß drauf geſetzt, — und ob¬
ſchon ſie unter Dir wühlt und ewig ſich bewegt, Du
läßt Dich von ihr tragen, ohne nur der Möglichkeit in
Gedanken nachzugehen daß Du einen Augenblick mit
ihr eins ſein könneſt. Ich ſpreche von heute und mehr
noch von der Zukunft; ich wollte Dir wünſchen es kä¬
men Augenblicke in Deinem Leben wo Dir dieſes Zu¬
ſammenſtrömen mit andern Kräften gewährt wär. Erin¬
nerſt Du Dich Deines Traums auf der grünen Burg,
den Du mir in der Nacht erzählteſt wo ich Dich
weckte, weil Du ſehr im Schlaf geweint hatteſt. Ein
Mann der zum Wohl, der Menſchheit — ich weiß
nicht mehr welche Heldenthat — gethan hatte, ſei zum
Richtplatz um dieſer großen That willen geführt worden.
Das Volk habe in ſeiner Unwiſſenheit darüber gejubelt,
und in Dir ſei große Begierde geweſen zu ihm aufs
Schaffot zu gelangen, aber der Streich ſei gefallen noch
kurz vorher, wie Du eben glaubteſt oben zu ſein. Du
kannſt den Traum nicht vergeſſen haben. Dein ſchmerz¬
lich Weinen bewegte mich mit, ſo daß ich kaum wagte
12**[274] Dich zu erinnern daß es nur ein Traum ſei, aber dies
war eben worüber Du untröſtlich warſt. Du meinteſt,
nicht im Traum ſei Dirs gegönnt das auszuführen was
in Deiner Seele ſpreche, vielmehr noch verzweifelteſt Du
an der Wirklichkeit. Damals in der Nacht habe ich
geſcherzt um Dich ein wenig zu tröſten, aber heute fühl
ich mich bewogen jene Frage, ob es nicht ein Verluſt ſei,
nicht zuſammen mit jenem Helden im Traum geſtorben zu
ſein, wieder aufzunehmen; ja es war ein Verluſt, denn
das Erwachen, das Fortleben nach ſo beſtandner Prü¬
fung Deiner tiefen inneren Anlagen die ja doch ſo ſelten
in der Wirklichkeit ſich bewähren und beſtätigen, mußte
Dir ein Triumph ſein, einen Genuß gewähren, wenn es
auch nur im Traum war; denn im Traum ſcheitert die
edelſte Überzeugung wie oft. — Und ich ſtimme mit
Dir ein, daß es ein Streich war den Dir Dein Dämon
ſpielte, aber ein Weisheitsſtreich; — wärſt Du befriedigt
worden im Traum, ſo wär Deine Sehnſucht das Große
gethan zu haben vielleicht auch befriedigt. Und was
konnte daraus hervorgehen für Dich? — vielleicht jene
nachläſſige Zuverſicht in Dich ſelber, was Savigny al¬
lenfalls Hochmuth nennen würde? — nein das wohl
nicht, aber doch würde die Spannung wahrſcheinlich
nicht geblieben ſein, die jetzt, ich wollt es wetten, bei
[275] der leiſeſten Anregung jener unerfüllten Sehnſucht ſich
wieder erneuen wird.
Ich wollte Dir wünſchen Bettine (unter uns geſagt,
denn dies darf niemand hören) daß jede tiefe Anlage
in Dir vom Schickſal aufgerufen würde, und keine Prü¬
fung Dir erlaſſen, daß nicht im Traum aber in der
Wirklichkeit Dir das Räthſel auf eine glorreiche Art ſich
löſe, warum es der Mühe lohnt gelebt zu haben. —
Pläne werden leicht vereitelt, drum muß man keine
machen. Das Beſte iſt ſich zu Allem bereit finden
was ſich einem als das Würdigſte zu thun darbietet,
und das Einzige was uns zu thun obliegt iſt, die hei¬
ligen Grundſätze die ganz von ſelbſt im Boden unſerer
Überzeugung emporkeimen, nie zu verletzen, ſie immer
durch unſre Handlungen und den Glauben an ſie mehr
zu entwicklen, ſo daß wir am End gar nicht mehr
anders können als das urſprünglich Göttliche in uns,
bekennen. Es giebt gar viele Menſchen, die große
Weihgeſchenke der Götter mitbekommen haben, und
keines derſelben anzuwenden vermögen, denen es ge¬
nügt über dem Boden der Gemeinheit ſich erhaben
zu glauben, blos weil der Buchſtabe eines höheren
Geſetzes in ſie geprägt iſt, aber der Geiſt iſt nicht in
ihnen aufgegangen und ſie wiſſen nicht wie weit ſie
[276] entfernt ſind jenen Seelenadel in ſich verwirklicht zu
haben auf den ſie ſich ſo mächtig zu gut thun. — Die¬
ſes ſcheint mir alſo die vornehmſte Schule des Lebens,
darauf zu achten daß nichts in uns jene Grundſätze
durch die unſer Inneres geweiht iſt, verläugne; weder im
Geiſt noch im Weſen. Jene Schule entläßt den edlen
Menſchen nicht, bis zum letzten Hauch ſeines Lebens.
Dein Ephraim wird mir recht geben und iſt ein Beweis
dafür. Ich glaub auch, daß es die höchſte Schickſals¬
auszeichnung iſt zu immer höheren Prüfungen angeregt
zu ſein. — Und man müßte wohl das Schickſal eines
edlen Menſchen aus ſeinen Anlagen weiſſagen können. —
Du haſt Energie und Muth zur Wahrhaftigkeit, und zu¬
gleich biſt Du die heiterſte Natur die kaum das Unrecht
ſpürt was an ihr verübt wird. Dir iſts ein Leichtes zu
dulden was andre nicht ertragen können, und doch biſt
Du nicht mitleidsvoll, es iſt Energie was Dich bewegt
andern zu helfen. — Sollt ich Deinen Charakter zu¬
ſammenfaſſen ſo würd ich Dir prophezeihen wenn Du
ein Knabe wärſt Du werdeſt ein Held werden; da Du
aber ein Mädchen biſt ſo lege ich Dir all dieſe Anla¬
gen für eine künftige Lebensſtuffe aus, ich nehme es
als Vorbereitung zu einem künftigen energiſchen Cha¬
rakter an, der vielleicht in eine lebendige regſame Zeit
[277] geboren wird. — Auch wie das Meer Ebbe und Fluth
hat, ſo ſcheinen mir die Zeiten zu haben. Wir ſind in
der Zeit der Ebbe jetzt, wo es gleichgültig iſt wer ſich
geltend mache, weil es ja doch nicht an der Zeit iſt
daß das Meer des Geiſtes aufwalle, das Menſchenge¬
ſchlecht ſenkt den Athem und was auch Bedeutendes in
der Geſchichte vorfalle, es iſt nur Vorbereiten, Gefühl
wecken, Kräfte üben und ſammeln, eine höhere Potenz
des Geiſtes zu erfaſſen. Geiſt ſteigert die Welt, durch
ihn allein lebt das wirkliche Leben, und durch ihn allein
reiht ſich Moment an Moment, alles andre iſt verflüch¬
tigender Schatten, jeder Menſch der einen Moment in
der Zeit wahr macht iſt ein großer Menſch, und ſo ge¬
waltig auch manche Erſcheinungen in der Zeit ſind, ſo
kann ich ſie nicht zu den Wirklichkeiten rechnen, weil
keine tiefere Erkenntniß, kein reiner Wille den eignen
Geiſt zu ſteigern ſie treibt, ſondern der Leidenſchaft
ganz gemeine Motive. Napoleon zum Beiſpiel. — Doch
ſind ſolche nicht ohne Nutzen fürs menſchliche Vermögen
des Geiſtes. Vorurtheile müſſen ganz geſättigt, ja gleich¬
ſam überſättigt werden eh ſie vom Geiſt der Zeit ab¬
laſſen. Nun! welche Vorurtheile mag wohl dieſer Aller
Held, ſchon erſchüttert haben? — und welche wird er
nicht noch bis zum Ekel ſättigen? wie manches weiden
[278] die zukünftigen Zeiten nicht mit Abſcheu ausreuten, dem
ſie jetzt mit leidenſchaftlicher Blindheit anhängen. Oder
ſollte es möglich ſein daß nach ſo ſchauderhaften Ge¬
ſpenſterſchickſalen, der Zeit nicht gegönnt ſei ſich zu be¬
ſinnen? — Ich zweifle nicht dran, alles nimmt ein
End und nur was lebenweckend iſt, das lebt. — Ich
habe Dir genug geſagt hierüber, Du wirſt mich verſte¬
hen. Und warum ſollte nicht ein jeder ſeine eigne Lauf¬
bahn feierlich mit Heiligung beginnen, ſich ſelbſt als
Entwicklung betrachtend, da unſer aller Ziel das Gött¬
liche iſt, wie und wodurch es auch gefördert werde? —
Ja ich habe Dir genug geſagt um Dir nah zu legen
daß jene Anlagen des höheren Menſchengeiſtes das ein¬
zige wirkliche Ziel Deiner inneren Anſchauung ſein müſſe,
daß es Dir ganz einerlei ſein müſſe ob, und wie fern Dein
Vermögen zur Thätigkeit komme. Innerlich bleibt nichts
ungeprüft im Menſchen was ſeine höhere ideale Natur
hervorbringen ſoll. — Denn unſer Schickſal iſt die Mutter,
die dieſe Frucht des Ideals unterm Herzen trägt. — Nehme
Dir aus dieſen Zeilen alles was Deine angehäuften Blät¬
ter berührt, beſchwichtige Deine Ängſtlichkeit um mich
damit. Lebe wohl und habe Dank für alle Liebe und
auch den guten Ephraim grüße in meinem Namen, und
ſchreib mir von ihm, und ſprich auch mit ihm von mir.
[279]
Deine Schweſter Lullu fragte mich, ob Du wohl
mit ihnen auf ein paar Monat nach Caſſel gehen wer¬
deſt. Thu es doch, mir iſts als würde eine Unterbre¬
chung Deines Lebens Dir jetzt recht geſund ſein, obſchon
ich ſonſt nicht dafür ſein würde.
Caroline.
An die Günderode.
Ich hab einmal tief aufgeathmet. Dein Brief iſt
da! Weißt Du was ich gethan hab? Drei Tag hab
ich mich hingelegt und mich geſtreckt und geruht; als
wär ich einer ſchweren Arbeit los. — Ich will gewiß
nie wieder ſo ſein. Doch wer kann für ſolche Gewitter¬
luft. Über Deinen Brief will ich gar nicht mit Dir
ſprechen, als blos daß ich Dich mit heimlichen Schauern
geleſen hab. — Es iſt vielleicht noch nachziehende Schwer¬
muth, ich weiß nicht was es iſt; ich will Dein Herz
nicht anrühren, mir iſt als wollt es ausruhen in ſich,
mir iſt der ganze Brief wie ein Abſchluß, — ach nein das
nicht, — wie ein Ordnen vor dem Abſchied, wo Du mich
ins Leben ſchickſt wie ein älterer Bruder den jüngeren,
nicht wahr? — aber nicht auf lang?— Du willſt nur
[280] ich ſoll mich mit mir allein beſinnen damit ich auch
lerne mir ſelbſt rathen. Drum vom Brief wollen wir
nichts reden. Ich verſtehe Alles. Und entweder empfind
ich manches noch mit Weh, weil ich noch verwundet
mich fühl oder weil ich nicht ſtark bin eine göttliche
Stimme aus Dir zu vernehmen; mit Weinen horch ich
auf Dich. Ich leſe aus Deinem Brief Deiner Stimme
Laut, dieſer rührt mir die Sinne, ſonſt nichts. Ich bin
ein krankes Kind von müd gewordner Liebesanſtrengung,
und ſo muß ich jetzt weinen daß die Sorge, ach ja!
die Verzweiflung mir genommen iſt! — Dumm bin ich
und launig! — So heftig klopfte mir das Herz als
Dein Brief da war, es war ſchon Nacht, — ich nahm
ihn aber mit auf den Thurm und bat die Sterne daß
Alles ſehr gut ſein möge was drinn ſteht, und hab ge¬
fragt ob es mir wohl Ruh geben werde was drinn
ſteht? Was mir die Sterne geantwortet haben? — ach
ich weiß es gar nicht! Aber ich wollt die Unruh einmal
nicht wieder auf mich nehmen. — Günderode! wenn ich
auch je verdiente an Dir daß Du Dich von mir wendeſt,
ich habs im Voraus abgebüßt. — Dein Brief kam mir
wie Nebel vor — ja wie Nebel — und dann wars als
wenn dadurch ein Altar ſchimmert mit Lichtern, dann
iſt es wie ein Flüſtern, wie Gebet in dieſem Brief. —
[281] Ein Zuſammenfaſſen all Deiner Geiſteskräfte als woll¬
teſt Du den Geiſt der Trauer in mir beſchwören. — —
Als der Ephraim heut kam, ich war gar nicht geneigt
zum Lernen; — ich vergaß ihn zu grüßen, da er doch
eben von der Reiſe gekommen war, er ſprach aber von
ſelbſt von ſeinen Enkeln allen, er ſaß und ich ſtand am
Tiſch; aber weil er ſo freundlich immer meine Stille
durch ſanfte melodiſche Mittheilungen anglänzte wie
ſanfter Abendſchein eine Wolke anleuchtet! — die Wolke
war ſo weich geworden von dem Leuchten der ſcheiden¬
den Sonne daß ſie weinen mußte; ich traute nicht den
Mann anzuſchauen den alles Schickſal zur Schönheit
reifte; — und ſein Leben eine lautere Sprache mit dem
Göttlichen. — Denn was konnt ich vorbringen warum
ich ſo war? — Ich ſagte, bleibt noch, als er glaubte ich
wollt gern allein ſein; — denn, ſagt ich: die Wände da
ſagen Du biſt für nichts auf Erden, wenn ich allein
bin. — Aber wenn Ihr da ſeid, ſo thun ſich die Wände
auf und ich ſeh hinaus in den unendlichen Oſten. Ich
nahm ſeine Hand in die meine die er feſthielt, und nun
ſprachen wir von ſeinen Kindern, denn ich wollt mich
nicht ſo hingehn laſſen, es iſt auch einerlei von was
man mit ihm ſpricht, denn ſein Weſen und ſein Spre¬
chen iſt geiſtige Menſchheit und ſo heilſtrömend iſt dieſe
[282] ideale Geſundheit in ihm daß man immer mehr von
ſeinen reinen Worten trinken möcht. Ach Du ſchreibſt
ich ſoll Dir recht viel von ihm erzählen. Wärſt Du
doch ſelbſt hier! — Vorgeſtern fiel mirs ein wie die
Abendröthe ſchon dem Dunkel wich und das reine kalte
Blau durch die Fenſter herein leuchtete daß es unend¬
lich ſchön ſein müßte wenn wir Drei zuſammenſäßen
und ſprächen ſo in die Nacht hinein. Alles Große
ſpricht er ſo heiter aus, alles iſt ſo einfach, ſo noth¬
wendig, als ſei das Leben reiner geiſtig durchgebildet
in ihm. Und das iſt es auch. — Ich gab ihm Deinen
Brief und ſagte ihm er ſolle es mir auslegen warum
ich mich nicht beſinnen kann; und was es iſt daß ich
mich nicht in die gewohnte Stätte ſichern Vertrauens
hineinfinde in dieſem Brief, als ſei die Pforte zu Dei¬
nem Herzen nebelverhüllt. Aber wie er wegging war
ich ſchon viel heiterer geworden, und am Tag vorher
war ich auf dem Thurm geweſen, aber die Sterne ſag¬
ten mir nichts, ich beſann mich nur da oben auf meine
frühere Kindheit, auf meinen Vater, wie ich dem ſo
ſchmerzſtillend war. Wie die Mutter geſtorben war
und keiner ſich zu ihm wagte, Abends in den langen
Saal wo er im Dunkel allein ſaß vor dem Bild der
Mutter, und die Laternen von der Straße warfen zer¬
[283] ſtreute Lichter hinein. Da kam ich zu ihm — nicht aus
Mitleid, denn ich weinte nicht mit ihm, grad wie Du
in Deinem Brief ſagſt es ſei kein Mitleid, ſondern
Energie, — oft hab ich mich ſelbſt gewundert daß ich
immer kalt bin beim ſogenannten Unglück, andere
denen es ſchwer auf der Seele liegt die können oft
nicht helfen, aber Theil nehmen. Ich kann nicht Theil
nehmen, mich treibts die Dornen aus dem Pfad zu
reißen. — Aber mit dem Vater war es anders. Ich
glaub es giebt vielleicht Augenblicke im Leben wo ein
rein Verhältniß zwiſchen Gottheit und Menſchheit iſt,
ſo daß die Menſchennatur ſich dazu eignet das zu über¬
nehmen was die Menſchen Botſchaft Gottes nennen,
alſo das Amt der Engel verrichten. Denn ich lief un¬
willkührlich zum Vater hinein und umhalſte ihn und
blieb ſtill auf ſeinen Knieen ſitzen und ſo lang es ſchon
her iſt und damals auch meine Gedanken nicht drauf
gerichtet waren, ſo beſinne ich mich doch der ruhigen
Kälte in mir und wie dem einſamen Vater die Schwere
vom Herzen fiel, und er ließ ſich von mir aus dem
Zimmer führen. — Später im Kloſter, in Fritzlar, als
man uns ſeinen Tod mittheilte, da frug uns die Oberin,
ob wir keine Anzeige von ſeinem Tode gehabt hätten?
ich ſagte: ja ich habe im Springbrunnen es geleſen.
[284] Da weckte mich Nachts der Mondſchein und ich ging
einen ſehr ängſtlichen Weg durch viele dunkle Gänge
bis ich zum Garten kam an den Springbrunnen, weil
ich mit der Seele meines Vaters im Waſſer reden wollte.
Und ich ging alle Nacht hinunter, da redeten die Wel¬
len mit mir wie jetzt die Sterne; es waren aber Geiſter
damals, denn ich ſah ſie herumgauklen in der Luft quer
durch den Mondſchimmer und bald hier im Gras oder
in den hohen Taxusbäumen. Wenn Du aber fragſt wie
es ausſah was ich zu ſehen meinte, ſo muß ich Dir ſa¬
gen es war mehr ein Gefühl von etwas Höherem als
ich, von dem ich durch meine Augen gewahr ward daß
es ſei, und wo mirs im Gefühl war daß es mit mei¬
nen Lebensgeiſtern ſich zu ſchaffen mache, und was mir
dieſe Erſcheinungen oder Nichterſcheinungen mittheilten.
Das war ſo daß ich ganz willenlos war, wie der Erd¬
boden auch willenlos iſt in den man Samen ſtreut. —
Ich ſah nur zu daß dieſe Geiſter mein Schauen durch¬
kreuzten, und ein reines Bejahen ihres Willens war in
mir, ohne daß ich mir dieſen Willen in Gedanken hätt
überſetzen können. O ich glaub gewiß die Geiſter müſ¬
ſen den Geiſt in die Menſchenſeele legen. Denn alles
Wahrhaftige was man denkt iſt Geſchenktes, es über¬
raſcht ſpäter als Gedanke den Begriff, wie die Erſchei¬
[285] nung der Blüthe aus der Erde hervor uns auch über¬
raſchen müßte. — Und dann iſt es ſo ſeltſam daß dieſe
Geiſtesbezauberung einem gleichſam betäubt daß man
Alles vergeſſen muß, daß es wie tiefer Schlaf iſt eine
Weile in der Seele, und daß dann gar nichts erinnerlich
iſt. — Phantaſie? — Was iſt Phantaſie? — iſt das
nicht der Geiſter bunter Spielplatz auf den ſie Dich als
freundliches Kind mitnehmen, und ſo ſehr auch Alles
Spiel iſt, ſo hat es doch Beziehung auf die Geheimniſſe
in der Menſchenbruſt. — Und die Menſchen wiſſens
nicht wie ſie zum Licht des Geiſtes kommen, denn dies
iſt eins von den Lebensgeheimniſſen. Aber wie weiß
ichs doch? — vielleicht weil ich gleich ſo feſten Glauben
in ſie hatte, vielleicht iſts der Glaube der die Geiſter
feſſelt daß ſie einem näher rücken müſſen. Denn der
Glaube bannt Alles in einem hinein und der Unglaube
verjagt Alles. — Aber — in Offenbach bei der Gro߬
mama, da wars wohl ſchon zwei Jahr her daß ich aus
dem Kloſter war, ich war ſchon zwölf oder dreizehn Jahr
alt, — und guckte ſo um mich und hatte ſo ein dumpf
Gefühl als wenn alles närriſch wär rund um mich, al¬
les Erziehungsweſen, aller Unterricht, alle Sittenpre¬
digt und Religionslehre, Alles warf ich über einen Hau¬
fen, ich konnts nicht begreifen als lebendig und konnts
[286] nicht verwerfen, denn ich wußt nichts vom Leben.
Da wars auch ſo daß ich in der Nacht fortgezogen
wurde an eine ferne öde Stätte und da wars mir ſchon
viel deutlicher was ich erfuhr, es war mir viel gewiſſer,
keinen Augenblick hatte ich mehr einen Zweifel daß nicht
Alles nur beengende Narrheit ſei was um mich vorging;
und was ich vom Leben und wie mans nahm, gewahr
ward, — und niemals hätte mir irgend wer imponiren
können, aber wie ich Dich ſah da war mirs klar in Dir,
ich hätt nie an einem Wort können zweiflen, im Ge¬
gentheil war ſo manches was wie Räthſel klang als
wenn jene Geiſter von Deiner Zunge mich anliſpelten;
und es dauerte auch gar nicht lang ſo öffneten ſich
mir tiefe Lichtwege, und ſo wie ich meinte eben daß
wohl die unmündigen aber dem Göttlichen noch ganz
vertrauten Sinne der Kinder zu Botſchaftern göttlichen
Einfluſſes auf die kranke Menſchennatur ſich eignen, ſo
mögen wohl hochſtrebende Naturen, deren Bahn ſich
nicht trennt vom Geiſt, wohl auch dazu taugen daß
die Geiſter ſich mit Wort und elektriſcher Wirkung
durch ſie mittheilen. So ſind jene Geiſter meiner Kinder¬
jahre durch Deinen Geiſt ſprachſelig zu mir geworden.
— Ja was wollt ich doch mit Dir reden? — das war
daß ich den erſten Tag nachdem ich Deinen Brief em¬
[287] pfing nichts wie derlei Erinnerungen hatte und kein
Reden mit den Sternen war; und geſtern aber war ich
ſo heiter geworden, und hier will ich Dir herſchreiben
was ich da oben von den Sternen erfahren hab.
Der wahre Geiſt iſt nicht allein, er iſt mit den Gei¬
ſtern, — ſo wie er ausſtrahlt ſo ſtrahlt es ihn wieder,
ſeine Erzeugniſſe ſind Geiſter die ihn wieder erzeugen.
Geiſt ſind Sonnen die einander ſtrahlen, — Licht
nimmt Licht auf, — Licht ſehnt ſich nach Licht, — Licht
geht über ins Licht, — Licht vergeht im Licht. — Viel¬
leicht iſt das die Liebe. —
Was ſich nach Licht ſehnt iſt nicht lichtlos, denn
die Sehnſucht iſt ſchon Licht, die Roſe trägt das Licht
in der Knospe verſchloſſen. —
Die Schönheit die ſinnlich vergeht, die hat einen
Geiſt der ſich weiter entwickeln will, der Roſe Geiſt
ſteigt höher wenn ihre Schönheit verblühte. — Im Geiſt
blühen tauſend Roſen, die Sinne ſind der Boden aus
dem das Schöne in den Geiſt aufblüht, die Sinne tra¬
gen die Roſen ſie blühen in dem Geiſt auf. — Der Geiſt
iſt der Äther der Sinne, — die Roſe berührt den Athem,
das Geſicht und das Gefühl! — Warum bewegt die
Roſe das Gefühl? — athme ihren Duft und Du wirſt
bewegt; — gewiß liegt in ihrem Daſein Seligkeit die
[288] nur ihr eigen iſt, — gewiß war dieſe Seligkeit einmal
die Deine, — und jetzt wo Du ihren Duft einathmeſt
fühlſt Du den Geiſt der Roſe die längſt verblühte in
Dir fortblühen.
Was iſt Erinnerung? — Erinnerung iſt viel tiefer
als ſich auf das beſinnen was wir erlebten. Auch in
ihren Verwandlungen berührt ſie ewig den Geiſt — ſie
iſt unendlich — ſie wird Gefühl — dann wird ſie Ge¬
danke, der reizt den Geiſt zur Leidenſchaft; als Leiden¬
ſchaft erzeugt ſie den Geiſt aufs Neue.
Aus jedem Lebenskeim entſteht Leben, Leben erzeugt
fortwährend Lebenskeime die alle blühen müſſen. Alles
Erlebte iſt Lebenskeim, die Erinnerung trägt ſie im Schooß.
Ich weiß wohl warum von Roſen die Rede war
mit den Sternen. — Einmal war ich heiter geworden
wie der Ephraim fort war, — und dann ſchwamm noch
röthlich Gewölk am Himmel als ich oben auf der freien
Warte ankam, und dann will ich nie wieder unfrei ath¬
men! das iſt nicht meine Sach, unter der Laſt keuchen!
— ſetzeſt Du mir nicht einmal ums andre immer wie¬
der neue Flügelpaare an, und die Sterne wie lehren
die mich doch die Flügel ſchwingen! und trag ich nicht
Dein Leben in meiner Bruſt und meines auch? — und
wenn ich ſo viel Flügel hab was ſoll mir eine Laſt
ſein?[289] ſein? — alles ſchwing ich auf gen Himmel, Schweiß
wird mirs koſten, warum nicht Laſten tragen wenn ich
ſie aufſchwingen kann in die Himmel. — Was iſt das,
ein Athlethe ſein und nicht den Erdball auf den Fin¬
gern tanzen laſſen? —
Haben wirs nicht ausgemacht wir wollen das ge¬
meine Leben, unter uns ſinken laſſen, haben wir nicht
zu einander geſagt laß uns ſchweben und nicht an die¬
ſem oder jenem feſthalten? — und war's nicht das
erſte worauf wir unſer Seyn begründeten daß wir al¬
les wollten wagen zu denken? — und iſt der nicht un¬
ſinnig der das Denken wollt vor die Thüre ſtoßen,
weißt der nicht göttliche Botſchaft ab, — und warum
iſt denn nur Geiſt was frei ſchwebt und was ſich an¬
lehnt iſt nicht Geiſt. — O ja! das begeiſtert mich, ſo
zu denken und der Nebel umflort Dich nicht mehr, und
es iſt hell wie ich Dich denk, — und wenn auch. —
Wir können wohl über die Nebel hinausſteigen, — Deine
Fittige wolle Dir nicht brechen laſſen, ich ſag Dir gut
daß ich die Erde und ihren Frevel am Geiſt, in Banden
halten werd. — Was iſt? — was kannſt Du gewin¬
nen was Du nicht wagſt? — und was Du verlieren
kannſt lohnt es der Mühe es zu bewahren, Du ver¬
lierſt nur was Du nicht wagſt. —
II. 13[290]
Ein Held ſein und ſich vor nichts fürchten, da
kommt der Geiſt geſtrömt und macht Dich zum Welt¬
meer. — Die Wahrheit erfüllt Dich, der Muth umarmt
die allumarmende Weisheit. — Die Wahrheit ſagt zum
Muth, brich deine Feſſeln, — und dann fallen ſie ab von
ihm. — Der Schein iſt Furcht, die Wahrheit fürchtet nicht,
wer ſich fürchtet der iſt nicht wirklich der ſcheint nur. —
Furcht iſt Vergehen, Erlöſchen des wahrhaften Seins.
— Sein iſt der kühnſte Muth zu denken. Denken iſt
gottbewegende Schwinge. — Wie ſollte das göttliche
Denken ſich an die Sclavenfeſſel legen? — Iſt das was
Ihr für wahr ausgebt Wahrheit, ſo ſchwing ich mich
im Denken zu ihr auf. —
Wenn ich mich aufſchwinge ſo iſts in die Wahr¬
heit, lieg ich an der Feſſel ſo bin ich nicht an die Wahr¬
heit gekettet. Freiſein macht allein daß alles Wahrheit
ſei, von was ich mich feſſeln laſſe das wird zum Aber¬
glauben, Nur was geiſtentſprungen mir einleuchtet das
iſt Wahrheit, — was aber den Geiſt feſſelt das wird
Aberglaube. Geiſt und Wahrheit leben in einander
und erzeugen ewig neu. —
So hab ich mich frei gemacht von meiner Furcht,
weil Furcht Lüge iſt. — Und Muth muß die Lüge über¬
winden. Und ich bin wieder Eins mit Dir.
[291]
Ach wie viel Strahlen brechen ſich doch heut in
meiner Seele!
Adieu und der Lullu hab ich verſprochen daß ich
mit nach Caſſel geh, ſie ſchreibt: nur auf drei Wo¬
chen. —
An die Günderode.
Ich bin heut auf mancherlei Weiſe beglückt, erſt¬
lich hab ich heut wirklich einen Roſenſtock in meinem
Zimmer ſtehen den mir einer heimlich hereingeſtellt hat,
mit ſiebenundzwanzig Knospen, das ſind Deine Jahre,
ich hab ſie freudig gezählt und daß es grad Deine
Jahre trifft das freut mich ſo; ich ſeh ſie alle an,
das kleinſte Knöspchen noch in den grünen Win¬
deln das iſt wo du eben geboren biſt. Dann kommt
das zweite da lernſt Du ſchon lächeln und dahlen mit
dem kleinen grünen verſchloſſenen Viſir Deines Geiſtes,
und dann das dritte da biſt Du nicht mehr feſtgehal¬
ten. bewegſt Dich ſchon allein, — und dann winkſt Du
ſchon mit den Roſenlippen und dann ſprechen die Knos¬
pen und dann bieten ſie ſich dem Sonnenlicht, und dann
13*[292] ſind fünf bis ſechs Roſen die duften und ſtrömen ihre
Geheimniſſe in die Luft, und dieſer Duft umwallt mich
und ich bin glücklich. — Wer hat ſie mir wohl ins
Zimmer geſtellt? — Heut morgen kamen die Studenten
herauf und gleich war Aller Blick auf den Roſenſtock
am Fenſter gerichtet, — denn es iſt was ſeltnes um
dieſe harte Winterzeit hier in Marburg, denn ich glaube
wohl nicht das Treibhäuſer hier ſind.
Der Ephraim war nicht da heute wo ſein Tag
iſt — den er ſonſt nicht verſäumt, und als ich Abends
auf den Thurm wollt da kam ſein Enkel mir zu ſagen
daß er unwohl iſt, — ich ſag was fehlt ihm? — nur
matt iſt er, ſagte der Enkel, ſonſt iſt er ganz wohl, ich
ſag ſieh den ſchönen Roſenſtock, er ſagt ich kenne ihn
wohl, der Großvater hat ihn heute Morgen durch mich
geſchickt, und weil es noch früh war ſo hab ich ihn vor
die Thür geſetzt, — ich frag habt Ihr ihn denn ſelbſt
gepflegt — ja der Großvater hat ihn ſchon zum zwei¬
tenmal zur Blüthe gebracht. —
Es iſt ſchön daß der Roſenſtock mein iſt, wär doch
der Ephraim wieder geſund, denn Du haſt mir ja ge¬
ſchrieben ich ſoll mit ihm von Dir ſprechen, das letzte¬
mal konnt ich nicht weil ich zu bang war; — vielleicht
aber iſts daß er meint ich wär zum lernen nicht aufge¬
[293] legt, warum er ſichs verbietet zu kommen, ich hab ihn
aber bitten laſſen zu kommen wenn er beſſer iſt, ich hab
ihm auch alten Madera geſchickt, er wird ſchon beſſer
werden; es war ſehr ſchön heut auf dem Thurm, es iſt
Frühlingsluft und die Abende ſind heiter und rein, ich
geh früher jetzt, ſchon immer wenn die Sonne unterge¬
gangen iſt, eh ich nach Haus geh iſt doch ſchon ſternige
Nacht, nun werd ich den Thurm bald verlaſſen, die
Lullu ſchreibt am ſiebzehnten wird ſie kommen, Du
haſts geſagt ich ſoll mit ihr gehen und ich wollt ihrs
auch nicht abſchlagen, — es war ſchön hier und viel¬
bedeutend, und was ſoll ich mich fragen was in mir
geworden iſt. Mein Geiſt iſt voll geheimer Anregung
das iſt genug, die Natur hab ich nicht beleidigt und
meine innere Stimme auch nicht verläugnet.
Was den Geiſt verläugnet das verſiegt eine Gei¬
ſtesquelle, — Buße iſt ein Wiederſuchen, Wiederfinden
dieſer Quelle, denn echter Geiſt ſtrömt Geiſt, — Gro߬
muth verzeiht alles aber duldet nicht was gegen den
Geiſt iſt.
Großmuth iſt Stammwurzel des Geiſtes, durch die
der Geiſt einen Leib annimmt, Handlung wird. Was
nicht aus ihr hervorgeht iſt nicht Tugend.
[294]
Großmuth dehnt ſich willenlos aus über alles, wo
ſie ſich conzentrirt da iſt ſie Liebe.
In der Liebe brennt Deine Seele in der Flamme
der Großmuth, ſonſt iſts keine Liebe. — Nur in der
Großmuth hat alles Wirklichkeit weil in ihr allein der
Geiſt lebt, — ſo alſo nur, kann die Liebe ſelig machen. —
Jede Liebe iſt Trieb ſich ſelbſt zu verklären. Wenn
nicht dem Liebenden die Gottheit, die Weisheit das
Haupt ſalbet, und die königliche Binde umlegt, da iſts
nicht die wahre Liebe.
Ein Liebender iſt Fürſt, die Geiſter ſind ihm un¬
terthan, wo er geht und ſteht begleiten ſie ihn, ſie ſind
ſeine Boten und tragen ſeinen Geiſt auf den Geliebten
über. —
Das war meine geſtrige Sternenlection ſeit die Ro¬
ſen in meinem Zimmer blühen ſprechen ſie als mit mir
von Liebe.
Heut Morgen hab ich den Roſenſtock wieder ans
Fenſter geſtellt eh die Studenten kamen und hab hinter
dem Vorhang gelauſcht ob ſie wieder heraufgucken, ſie
haben ſich bemüht die Roſen zu zählen einer zählte
ſiebzehn der andere funfzehn, ſo viel ſind grade zu ſe¬
hen, die andern ſind noch zu klein, — könnt ich jedem
eine hinunterwerfen ſie an ſeine Mütze zu ſtecken.
[295]
Heut war der Ephraim bei mir er wußte daß ich
die andre Woche geh, wir ſprachen von meinem Wie¬
derkommen denn ich bleib nur drei Wochen mit der
Lullu aus. — Wir ſprachen von Dir, er ſagte ſo viel
Gutes von Dir, er las auch meine letzten Blätter an Dich,
er ſagte, man müſſe nicht fürchten daß was man liebe,
einem verloren gehn könne, weil er wohl erkannte etwas
in Deinem Brief mache mir bang um Dich; er ſagte Du
ſeiſt einzig in Deiner Art, Du habeſt eine große Bahn,
und wer nicht andre Wege gehe als die ſchon gebahnten
und angewieſnen der ſei nicht Dichter. Es ſind nicht
tauſend Dichter, es iſt nur Einer, die andern klingen
ihm nur nach; — klingen mit. — Wenn eine Stimme
erſchallt, ſo weckt ſie Stimmen. Dichter iſt nur, der
über allen ſteht. Der Dichtergeiſt geht durch viele und
dann conzentrirt er ſich in Einem. — Oft wird er nicht
erkannt und doch ſteht [er] höher als alle. — —
Wer nicht andre Wege geht, als die ſchon ge¬
bahnten und angewieſenen der iſt nicht Dichter. Und
wenn nicht auf eignem Heerd das Feuer brennt, das
ihn erleuchte und wärme, der wird kein anderes dazu
berathen finden. Lodert aber auf Deinem Heerd die
Flamme, dann wird jede Dir leuchten und alle Dich
wärmen. — Man kann ruhen im Geiſt, man kann
[296] thätig ſein im Geiſt; aber alles was nicht im Geiſt
geſchieht iſt verlorne Zeit. — Es wird wohl ſelten dem
Dichtergeiſt ſein Recht gethan, der kühne Adel jener
Gedanken, die wir als Dichtung erfahren, ſollte wie
Helden uns ewig imponiren. — — — Und ſo ſchwätz¬
ten wir noch ein Weilchen, und nicht alles hab ich be¬
halten was ſich da ergab, — aber der Ephraim war
blaß und ſein Enkel brachte ihm noch einen Mantel;
einmal will ich ihn noch ſehen. —
Auf dem Thurm geweſen aber nichts aufgeſchrie¬
ben, es thut mir leid daß ich mich vom Thurm
trenne; wo wirds wieder ſo ſchön ſein und was hab
ich den Sternen nicht alles zu verdanken. Sie haben
mir Wort gehalten. Nicht wahr ſie haben uns beide
zuſammen gepflegt und was ſie mir ſagten das haben
ſie auch Dir geſagt, — und wir waren beide recht ver¬
ſchwiſtert in ihrer Hut. — Wie wirds ſein wenn ich
wiederkehre? — dieſe vier Monate meines Lebens, ich
konnte ſie nicht ſchöner zubringen. — Nicht wahr, Na¬
tur und tiefer Geiſt die haben mich hier freundlich em¬
pfangen, die zwei Genien meines Lebens. Der Ephraim.
— In was für eine Welt leb ich denn? — ich träume,
ja wohl ich ſchlafe und die großen Geiſter haben mich
in den Traum begleitet und haben zwiſchen die irdiſche
[297] Welt ſich geſtellt und mich, und ſo hab ich ein himm¬
liſch Leben geführt. Wenn ich in dieſe Zeit ſchau ſo iſt
ſie wie ein Diamant der mir vielmal die Sonne ſpie¬
gelt. — Du haſt mir gleich geſagt geh mit, und Du
haſt recht gehabt, — ſo haſt Du auch gewiß recht daß
ich mit nach Caſſel geh, ich geh auch mit großem Zu¬
trauen, nichts darf länger währen als nur die leiſeſte
Anregung es mochte geſtatten.
Ihr guten Studenten! heut haben ſie wieder nach
den Roſen geſehen, — ich möcht ſie Euch alle abbrechen
eh ich weggeh und ſie Euch auf den Kopf werfen. —
Der Ephraim darf nicht mehr den Berg herauf
kommen es ermüdet ihn zu ſehr, auf ſeiner Reiſe zu den
Enkeln da wars ſo kalt, da hat er ſich zu ſehr an¬
geſtrengt, er darf nicht mehr herauf, vielleicht wenn ich
wiederkehr iſt er wieder geſund, einundſiebzig Jahr iſt
er alt, aber mir wird er geſund bleiben; — wenn wir
dies Frühjahr zuſammen auf dem Trages ſind, Sa¬
vigny meint Du werdeſt hinkommen, dann wollen wir
ihm zuſammen Briefe ſchreiben, nicht wahr? — und
recht heitere, — dies wird der letzte lange Brief ſein
den ich Dir von hier ſchreib.
Die Lullu hat mir viel Grüße von Dir gebracht
und ſagt Du freuſt Dich aufs Trages zu kommen und
13**[298] Dein kleiner Brief beſtätigt es auch, ſie ſagt Du
biſt recht heiter, ſo bin ich auch ganz glücklich, ach
was hab ich Dich doch gepeinigt mit meiner Ängſtlich¬
keit die mir ſonſt nicht eigen iſt, Gott weiß wo's her¬
kam, ich bin ganz luſtig, ich begreifs nicht daß ich ſo
dumm war. Ich glaub der Winterwind und die Sterne
haben mich im Kopf und Herzen verwirrt gemacht, über¬
morgen reiſen wir ab. —
Weißt Du was ich gethan hab? — ich ließ dem
Ephraim ſagen ich werde zu ihm kommen geſtern und
ich hab mich zu ihm führen laſſen um dieſelbe Stund
wo er gewöhnlich kommt, aber es war geſtern Freitag,
und wie ich kam ſaß er fein gekleidet auf ſeinem Seſſel
und eine Lampe mit vier Lichtern war angezündet auf
dem Tiſch. Er wollte aufſtehen, aber er iſt müde. Und
wie iſt es doch? — ob er wohl heimgeht zu ſeinen Vä¬
tern? — ich brachte ihm zwei Goldſtücke für meinen
Unterricht, er machte ein kleines Käſtchen auf wo ein
Paar Trauringe drinn liegen und allerlei Schmuck, er
ſagt es ſei von ſeiner verſtorbenen Frau und von ſeinen
Kindern. Er legte die Goldſtücke dazu, das Alles iſt ſo
fein, ſo edel. Welch ein geiſtig Gemüth. O Ephraim
Du gefällſt mir unendlich wohl. Ich hatte ihm ſeinen
Roſenſtock zurückgebracht, er ſollt ihn aufbewahren, die
[299] Roſen ſind viel mehr aufgeblüht, wie ſchön ſtanden ſie
bei der hellen Lampe zu ſeinem ſchneeweißen Bart. Ich
ſagte die Roſen und Euer Bart gehören zuſammen und
es iſt mir lieb daß ich keine abgebrochen habe, denn
Ihr ſeid vermählt zuſammen mit den Roſen, ſie ſind
Eure Braut. Ich war ein paar Mal verſucht ſie ab¬
zubrechen und ſie den Studenten hinunter zu werfen,
weil ſie ſo lüſtern danach hinaufſahen. Er ſagte, „O
wenn Sie es erlauben, ſo will ich ſie ſchon unter den
Studenten austheilen, es beſuchen mich alle Tage welche
und dann werden ſchon mehrere kommen, wenn ſie wiſ¬
ſen daß es Roſen bei mir giebt.“ Das war ich zufrieden
und ich freu mich recht drüber daß meine Studenten
noch meine Roſen kriegen.
Er hat mich aber geſegnet wie ich von ihm ging
und ich hab ihm die Hand geküßt; und wie iſt doch
der Geiſt ſo ſchön wenn er ohne Tadel reift. Sein
Enkel mußte mich nach Haus begleiten auf ſeinen Be¬
fehl weil ich nur eine Magd bei mir hatte. Ich ſchickte
ihn aber bald wieder zurück und hab dem Enkel geſagt,
er ſoll dem Großvater ſagen daß er alle Tage meiner
gedenke bis ich wiederkomm. — Als ich wegging vom
Ephraim legte er mir die Hand auf den Kopf und
ſagte: „alles Werden iſt für die Zukunft.“
Ich ging zu Hauſe gleich nach dem Thurm weil
ich mich noch einmal recht deutlich beſinnen wollt auf
dieſes mächtige und doch ſo einfache friedenhauchende
Geiſtesgeſicht, ſo wie ich ihn eben verlaſſen hatte im
Schimmer der hellen polirten vierfachen Lampe, die
Roſen bis zu ſeinem weißen Bart ſich neigend, ſo hab
ich ihn zum letzten Mal geſehen. Deutet dies nicht
auf ſeinen Abſchied vom Erdenleben das er ſo mühe¬
voll, ſo friedlich, ſo freudevoll durchführte, denn auch
mir hat er beim Abſchied geſagt: „Sie haben mir viel
Freude gegeben.“ — Und wie ich eine ganze Weile
an ihn gedacht hatte, ſo beſann ich mich auf ſeine
Worte: „Alles Werden iſt für die Zukunft.“ — Ja
wir nähren uns von der Zukunft, ſie begeiſtert uns. —
Die Zukunft entſpringt dem Geiſt wie der Keim der
nährenden Erde. — Dann ſteigt er himmelauf und
blüht und trägt Erleuchtung. — Der Baum, die Pflanze
iſt der Geiſt der Erde der aufſteigt zum Licht zur Luft.
Der Geiſt der Erde will ſich dem Licht vermählen, das
Licht entwickelt die Zukunft.
Alles echte Erzeugniß iſt Auffahren zum Himmel,
iſt Unſterblichwerden.
Und die Schönheit dieſes Mannes leuchtete mir da
in der letzten Stunde auf dem Thurm ſo recht hell auf,
[301] denn das Bild mit den Roſen, es war als hätt es mein
Genius beſtellt daß ichs recht faſſen ſolle, wie Du die
Tempelhalle geweiht achteſt von der Du weißt daß in¬
ner ihren Mauern die Opferflamme lodert, der Tempel
iſt nur dann heilig wenn er den Menſchen, den eignen
Leib darſtellt, — und des Gottes Lehre den eignen
Geiſt. — Das hat er einmal geſagt zu mir.
Und eben ſah ich noch die Studenten ins Colleg
gehen und ſie waren recht verwundert daß der Roſen¬
ſtock nicht mehr da war. Ich ſahs ihnen an, es war
ihnen Leid, ſie hatten nun ſchon acht Tage hinter einan¬
der die Roſen gezählt. — Wartet nur Ihr werdet ihn
bald ausfündig machen und dann werden die Artigſten
unter Euch meine Roſen in der Weſte tragen dürfen.
Bettine.
Anhang.
Der Franke in Egypten.
[303]
Mädchen.
Franke.
[304]
Mädchen.
Franke.
Mädchen.
Franke.
Mädchen.
[305]
Franke.
Mädchen.
Franke.
[306]
Appendix A
Gedruckt bei Trowitzſch und Sohn in Berlin.
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Siehe Anhang.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Die Günderode. Die Günderode. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bj5m.0