beyHoffmann und Campe.
1827.
Die Nordſee.
1826.
Zweite Abtheilung.
1[[2]]Motto: Xenophon's Anabaſis IV. 7.
[[3]]I.
Meergruß.
[4]
[5]
[6]
II.
Gewitter.
[8]
III.
Der Schiffbruͤchige.
[11]
IV.
Untergang der Sonne.
[13]
[14]
V.
Der Geſang der Okeaniden.
[17]
2[18]
[19]
VI.
Die Goͤtter Griechenlands.
[22]
[23]
[24]
[25]
VII.
Fragen.
VIII.
Der Phoͤnix.
[29]
IX.
Echo.
X.
Seekrankheit.
[32]
[33]
3[34]
XI.
Im Hafen.
[37]
[38]
XII.
Epilog.
[40]
Die Nordſee.
1826.
Dritte Abtheilung.
[[42]]Motto: Varnhagen von Enſe's Biographiſche Denk¬
male 1 Th. S. 1. 2.
(Geſchrieben auf der Inſel Norderney.)
— — — Die Eingeborenen ſind meiſtens
blutarm und leben vom Fiſchfang, der erſt im
naͤchſten Monat, im October, bey ſtuͤrmiſchem
Wetter, ſeinen Anfang nimmt. Viele dieſer
Inſulaner dienen auch als Matroſen auf frem¬
den Kauffahrtheyſchiffen und bleiben jahrelang
von Hauſe entfernt, ohne ihren Angehoͤrigen
irgend eine Nachricht von ſich zukommen zu
laſſen. Nicht ſelten finden ſie den Tod auf
dem Waſſer. Ich habe einige arme Weiber auf
[44] der Inſel gefunden, deren ganze maͤnnliche Fa¬
milie ſolcher Weiſe umgekommen; was ſich leicht
ereignet, da der Vater mit ſeinen Soͤhnen ge¬
woͤhnlich auf demſelben Schiffe zur See faͤhrt.
Das Seefahren hat fuͤr dieſe Menſchen einen
großen Reiz; und dennoch glaube ich, daheim
iſt ihnen allen am wohlſten zu Muthe. Sind
ſie auch auf ihren Schiffen ſogar nach jenen
ſuͤdlichen Laͤndern gekommen, wo die Sonne
bluͤhender und der Mond romantiſcher leuchtet,
ſo koͤnnen doch alle Blumen dort nicht den Leck
ihres Herzens ſtopfen, und mitten in der duf¬
tigen Heimath des Fruͤhlings, ſehnen ſie ſich
wieder zuruͤck nach ihrer Sandinſel, nach ihren
kleinen Huͤtten, nach dem flackernden Heerde,
wo die Ihrigen, wohlverwahrt in wollnen Jak¬
ken, herumkauern, und einen Thee trinken, der
ſich von gekochtem Seewaſſer nur durch den Na¬
men unterſcheidet, und eine Sprache ſchwatzen,
wovon kaum begreiflich ſcheint, wie es ihnen
ſelber moͤglich iſt, ſie zu verſtehen.
[45]
Was dieſe Menſchen ſo feſt und genuͤgſam
zuſammenhaͤlt, iſt nicht ſo ſehr das innig
myſtiſche Gefuͤhl der Liebe, als vielmehr die
Gewohnheit, das naturgemaͤße Ineinander-Hin¬
uͤberleben, die gemeinſchaftliche Unmittelbarkeit.
Gleiche Geiſteshoͤhe, oder beſſer geſagt Geiſtes¬
niedrigkeit, daher gleiche Beduͤrfniſſe und glei¬
ches Streben; gleiche Erfahrungen und Geſin¬
nungen, daher leichtes Verſtaͤndniß unter einan¬
der; und ſie ſitzen vertraͤglich am Feuer in den
kleinen Huͤtten, ruͤcken zuſammen wenn es kalt
wird, an den Augen ſehen ſie ſich ab, was
ſie denken, die Worte leſen ſie ſich von den Lip¬
pen ehe ſie geſprochen worden, alle gemeinſa¬
men Lebensbeziehungen ſind ihnen im Gedaͤcht¬
niſſe, und durch einen einzigen Laut, eine ein¬
zige Miene, eine einzige ſtumme Bewegung
erregen ſie unter einander ſo viel Lachen, oder
Weinen oder Andacht, wie wir bey unſeres
Gleichen erſt durch lange Expoſizionen, Expee¬
torazionen und Declamazionen hervorbringen
[46] koͤnnen. Denn Wir leben im Grunde geiſtig
einſam, durch eine beſondere Erziehungsmethode
oder zufaͤlliggewaͤhlte, beſondere Lektuͤre hat
jeder von uns eine verſchiedene Charakterrich¬
tung empfangen, jeder von uns, geiſtig ver¬
larvt, denkt, fuͤhlt und ſtrebt anders als die
Andern, und des Mißverſtaͤndniſſes wird ſo viel,
und ſelbſt in weiten Haͤuſern wird das Zuſam¬
menleben ſo ſchwer, und wir ſind uͤberall be¬
engt, uͤberall fremd, und uͤberall in der Fremde.
In jenem Zuſtande der Gedanken- und Ge¬
fuͤhlsgleichheit, wie wir ihn bey unſeren Inſula¬
nern ſehen, lebten oft ganze Voͤlker und haben
oft ganze Zeitalter gelebt. Die roͤmiſch chriſtliche
Kirche im Mittelalter hat vielleicht einen ſolchen
Zuſtand in den Corporazionen des ganzen Eu¬
ropa begruͤnden wollen, und nahm deßhalb alle
Lebensbeziehungen, alle Kraͤfte und Erſcheinun¬
gen, den ganzen phyſiſchen und moraliſchen
Menſchen unter ihre Vormundſchaft. Es laͤßt
ſich nicht laͤugnen, daß viel ruhiges Gluͤck da¬
[47] durch gegruͤndet ward und das Leben warm-in¬
niger bluͤhte, und die Kuͤnſte, wie ſtill hervorge¬
wachſene Blumen, jene Herrlichkeit entfalteten,
die wir noch jetzt anſtaunen, und mit all un¬
ſerem haſtigen Wiſſen nicht nachahmen koͤnnen.
Aber der Geiſt hat ſeine ewigen Rechte, er laͤßt
ſich nicht eindaͤmmen durch Satzungen und nicht
einlullen durch Glockengelaͤute; er zerbrach ſeinen
Kerker und zerriß das eiſerne Gaͤngelband, woran
ihn die Mutterkirche leitete, und er jagte im
Befreyungstaumel uͤber die ganze Erde, erſtieg
die hoͤchſten Gipfel der Berge, jauchzte vor Ue¬
bermuth, gedachte wieder uralter Zweifel, gruͤ¬
belte uͤber die Wunder des Tages, und zaͤhlte
die Sterne der Nacht. Wir kennen noch nicht
die Zahl der Sterne, die Wunder des Tages
haben wir noch nicht entraͤthſelt, die alten Zwei¬
fel ſind maͤchtig geworden in unſerer Seele —
iſt jetzt mehr Gluͤck darin als ehemals? Wir
wiſſen, daß dieſe Frage, wenn ſie den großen Hau¬
fen betrifft, nicht leicht bejaht werden kann; aber
[48] wir wiſſen auch, daß ein Gluͤck, das wir der
Luͤge verdanken, kein wahres Gluͤck iſt, und daß
wir, in den einzelnen zerriſſenen Momenten
eines gottgleicheren Zuſtandes, einer hoͤheren
Geiſteswuͤrde, mehr Gluͤck empfinden koͤnnen, als
in den lang hinvegetirten Jahren eines dumpfen
Koͤhlerglaubens.
Auf jeden Fall war jene Kirchenherrſchaft
eine Unterjochung der ſchlimmſten Art. Wer
buͤrgte uns fuͤr die gute Abſicht, wie ich ſie eben
ausgeſprochen? Wer kann beweiſen, daß ſich
nicht zuweilen eine ſchlimme Abſicht beymiſchte?
Rom wollte immer herrſchen, und als ſeine Le¬
gionen fielen, ſandte es Dogmen in die Provin¬
zen. Wie eine Rieſenſpinne ſaß Rom im Mit¬
telpunkte der lateiniſchen Welt und uͤberzog ſie
mit ſeinem unendlichen Gewebe. Generationen
der Voͤlker lebten darunter ein beruhigtes Leben,
indem ſie das fuͤr einen nahen Himmel hielten,
was bloß roͤmiſches Gewebe war; nur der hoͤ¬
herſtrebende Geiſt, der dieſes Gewebe durch¬
[49] ſchaute, fuͤhlte ſich beengt und elend, und wenn
er hindurch brechen wollte, erhaſchte ihn leicht
die ſchlaue Weberin, und ſog ihm das kuͤhne
Blut aus dem Herzen; —Und war das Traum¬
gluͤck der bloͤden Menge nicht zu theuer erkauft
fuͤr ſolches Blut? Die Tage der Geiſtesknecht¬
ſchaft ſind voruͤber; alterſchwach, zwiſchen den
gebrochenen Saͤulen ihres Coliſaͤums, ſitzt die
alte Kreuzſpinne, und ſpinnt noch immer das
alte Gewebe, aber es iſt matt und morſch, und
es verfangen ſich darin nur Schmetterlinge
und Fledermaͤuſe, und nicht mehr die Stein¬
adler des Nordens.
— Es iſt doch wirklich belaͤchelnswerth,
waͤhrend ich im Begriff bin, mich ſo recht
wohlwollend uͤber die Abſichten der roͤmiſchen
Kirche zu verbreiten, erfaßt mich ploͤtzlich der
angewoͤhnte proteſtantiſche Eifer, der ihr immer
das Schlimmſte zumuthet; und eben dieſer Mei¬
nungszwieſpalt in mir ſelbſt giebt mir wieder
ein Bild von der Zerriſſenheit der Denkweiſe
4[50] unſerer Zeit. Was wir geſtern bewundert, haſ¬
ſen wir heute, und morgen vielleicht verſpotten
wir es mit Gleichguͤltigkeit.
Auf einem gewiſſen Standpunkte iſt alles
gleich groß und gleich klein, und an die großen
Europaͤiſchen Zeitverwandlungen werde ich erin¬
nert, indem ich den kleinen Zuſtand unſerer ar¬
men Inſulaner betrachte. Auch dieſe ſtehen an
der Grenze einer ſolchen neuen Zeit, und ihre
alte Sinneseinheit und Einfalt wird geſtoͤrt
durch das Gedeihen des hieſigen Seebades, in¬
dem ſie deſſen Gaͤſten etwas Neues ablauſchen,
was ſie nicht mit ihrer altherkoͤmmlichen Lebens¬
weiſe zu vereinen wiſſen. Stehen ſie des Abends
vor den erleuchteten Fenſtern des Converſa¬
zionshauſes, und betrachten dort die Verhand¬
lungen der Herren und Damen, die verſtaͤnd¬
lichen Blicke, die begehrlichen Grimaſſen, das
luͤſterne Tanzen, das vergnuͤgte Schmauſen, das
habſuͤchtige Spielen u. ſ. w. ſo bleibt dieſes
nicht ohne ſchlimme Folgen fuͤr dieſe Menſchen,
[51] die von dem Geldgewinn, der ihnen durch die
Badeanſtalt zufließt, nimmermehr aufgewogen
werden. Dieſes Geld reicht nicht hin fuͤr
die eindringenden, neuen Beduͤrfniſſe; daher in¬
nere Lebensſtoͤrung, ſchlimmer Anreiz, großer
Schmerz. Als ich ein Knabe war, fuͤhlte ich
immer eine brennende Sehnſucht, wenn ſchoͤn¬
gebackene Torten, wovon ich nichts bekommen
ſollte, duftig-offen, bey mir voruͤbergetragen
wurden; ſpaͤterhin ſtachelte mich daſſelbe Ge¬
fuͤhl, wenn ich modiſch entbloͤßte, ſchoͤne Da¬
men vorbeyſpatzieren ſah; und ich denke jetzt
die armen Inſulaner, die noch in einem Kind¬
heitszuſtande leben, haben hier oft Gelegenheit
zu aͤhnlichen Empfindungen, und es waͤre gut,
wenn die Eigenthuͤmer der ſchoͤnen Torten und
Frauen ſolche etwas mehr verdeckten. Dieſe vie¬
len unbedeckten Delikateſſen, woran jene Leute
nur die Augen weiden koͤnnen, muͤſſen ihren Ap¬
petit ſehr ſtark wecken, und wenn die armen
Inſulanerinnen, in ihrer Schwangerſchaft, aller¬
[52] ley ſuͤßgebackene Geluͤſte bekommen, und am
Ende ſogar Kinder gebaͤren, die den Badegaͤ¬
ſten aͤhnlich ſehen, ſo iſt das leicht zu erklaͤren.
Ich will hier durchaus auf kein unſittliches
Verhaͤltniß anſpielen. Die Tugend der Inſu¬
lanerinnen wird durch ihre Haͤßlichkeit, und gar
beſonders durch ihren Fiſchgeruch, der mir we¬
nigſtens unertraͤglich war, vor der Hand ge¬
ſchuͤtzt. Auch hat man, fuͤr die Badezeit,
eine Perſon vom feſten Lande hierher verpflanzt,
die alle Suͤnden der fremden Gaͤſte in ſich
aufnehmen, und dadurch die Inſulanerinnen vor
allen ſchlimmen Einfluͤſſen ſichern ſoll. Allein,
das iſt eine ſchlechte Maßregel, die nicht fuͤr
eine kleine Inſel, ſondern allenfalls fuͤr eine
große Seeſtadt paßt, wo die oͤffentlichen Per¬
ſonen gleichſam die Bollwerke und Blitzablei¬
ter ſind, wodurch die Moralitaͤt der Buͤrgers¬
toͤchter geſchuͤtzt wird; wie man mir denn
wirklich in Hamburg ein breites Weibsbild ge¬
zeigt hat, das ſolchermaßen den halben Wand¬
[53] rahm deckt, ſo wie auch eine lange, magere
Blitzableiterin, wodurch die große Johannis¬
ſtraße im Sommer geſichert wird.
Wie geſagt, die Tugend der Inſulanerin¬
nen iſt vor der Hand geſchuͤtzt, und wenn ſie
Kinder mit badegaͤſtlichen Geſichtern zur Welt
bringen, ſo erklaͤrt ſich dieſes aus jenen pſycho¬
logiſchen Geſetzen, die Goethe in den Wahl¬
verwandtſchaften ſo ſchoͤn entwickelt. Wie viele
raͤthſelhafte Naturerſcheinungen ſich durch jene
Geſetze erklaͤren laſſen, iſt erſtaunlich. Als ich
voriges Jahr, durch Seeſturm, nach einer an¬
deren oſtfrieſiſchen Inſel verſchlagen wurde, ſah
ich dort in einer Schifferhuͤtte einen ſchlechten
Kupferſtich haͤngen, la tentation du vieillard
uͤberſchrieben, und einen Greis darſtellend,
der in ſeinen Studien geſtoͤrt wird durch
die Erſcheinung eines nackten Weibes, das bis
an die Huͤften aus einer Wolke hervortaucht;
und ſonderbar! die Tochter des Schiffers hatte
daſſelbe luͤſterne Mopsgeſicht wie das Weib auf
[54] jenem Bilde. Um ein anderes Beyſpiel zu er¬
waͤhnen: im Hauſe eines Geldwechſlers, deſſen
geſchaͤftfuͤhrende Frau das Gepraͤge der Muͤn¬
zen immer am ſorgfaͤltigſten betrachtet, fand ich,
daß die Kinder in ihren Geſichtern eine er¬
ſtaunliche Aehnlichkeit hatten mit den groͤßten
Monarchen Europa's, und wenn ſie alle bey¬
ſammen waren und mit einander ſtritten, glaubte
ich einen kleinen Congreß zu ſehen.
Deßhalb iſt das Gepraͤge der Muͤnzen kein
gleichguͤltiger Gegenſtand fuͤr den Politiker. Da
die Leute das Geld ſo innig lieben und ge¬
wiß liebevoll betrachten, ſo bekommen die Kin¬
der ſehr oft die Zuͤge des Landesfuͤrſten, der
darauf gepraͤgt iſt, und der arme Fuͤrſt kommt
in den Verdacht, der Vater ſeiner Untertha¬
nen zu ſeyn. Die Bourbonen haben ihre guten
Gruͤnde, die Napoleonsd'or einzuſchmelzen; ſie
wollen nicht mehr unter ihren Franzoſen ſo
viele Napoleonskoͤpfe ſehen. Preußen hat es
in der Muͤnzpolitik am weiteſten gebracht, man
[55] weiß es dort, durch eine verſtaͤndige Bey¬
miſchung von Kupfer, ſo einzurichten, daß die
Wangen des Koͤnigs auf der neuen Scheide¬
muͤnze gleich roth werden, und ſeit einiger Zeit
haben daher die Kinder in Preußen ein weit
geſuͤnderes Anſehen als fruͤherhin, und es iſt
ordentlich eine Freude, wenn man ihre bluͤhen¬
den Silbergroſchengeſichtchen betrachtet.
Ich habe, indem ich das Sittenverderbniß
andeutete, womit die Inſulaner hier bedroht
ſind, ihre geiſtliche Schutzwehr, Paſtor und
Kirche, unerwaͤhnt gelaſſen. Erſterer iſt ein
ſtarker Mann mit einem großen Kopfe, ſcheint
weder den Nazionalismus noch den Myſtizis¬
mus erfunden zu haben, und ſein groͤßtes Ver¬
dienſt iſt, daß bey ihm eine der ſchoͤnſten
Frauen dieſer Welt logirt hat. Wie ſeine
Kirche ausſieht, kann ich nicht genau berichten,
da ich noch nicht darin geweſen. Gott weiß,
daß ich ein guter Chriſt bin, und oft ſogar
im Begriff ſtehe, ſein Haus zu beſuchen, aber
[56] ich werde immer fatalerweiſe daran verhindert,
es findet ſich gewoͤhnlich ein Schwaͤtzer, der
mich auf dem Wege feſthaͤlt, und gelange ich
auch einmal bis an die Pforten des Tem¬
pels, ſo erfaßt mich unverſehens eine ſpa߬
hafte Stimmung, und dann halte ich es fuͤr
ſuͤndhaft, hineinzutreten. Vorigen Sonntag
begegnete mir etwas der Art, indem mir vor
der Kirchthuͤre die Stelle aus Goethes Fauſt
in den Kopf kam, wo dieſer mit dem Me¬
phiſtopheles bey einem Kreuze voruͤbergeht und
ihn fragt:
Und worauf Mephiſtopheles antwortet:
Dieſe Verſe ſind, ſo viel ich weiß, in kei¬
ner Ausgabe des Fauſts gedruckt, und bloß
der ſel. Hofrath Moritz, der ſie aus Goethes
[57] Manuſcript kannte, theilt ſie mit in ſeinem
“Philipp Reiſer”, einem ſchon verſchollenen Ro¬
mane, der die Geſchichte des Verfaſſers ent¬
haͤlt, oder vielmehr die Geſchichte einiger hun¬
dert Thaler, die der Verfaſſer nicht hatte, und
wodurch ſein ganzes Leben eine Reihe von Ent¬
behrungen und Entſagungen wurde, waͤhrend
doch ſeine Wuͤnſche nichts weniger als unbe¬
ſcheiden waren, wie z. B. ſein Wunſch, nach
Weimar zu gehen, und bey dem Dichter des
Werthers Bedienter zu werden, unter welchen
Bedingungen es auch ſey, um nur in der Naͤhe
Desjenigen zu leben, der von allen Menſchen
auf Erden den ſtaͤrkſten Eindruck auf ſein Ge¬
muͤth gemacht hatte.
Wunderbar! damals ſchon erregte Goethe eine
ſolche Begeiſterung, und doch iſt erſt “unſer
drittes nachwachſendes Geſchlecht” im Stande,
ſeine wahre Groͤße zu begreifen.
Aber dieſes Geſchlecht hat auch Menſchen
hervorgebracht, in deren Herzen nur faules
[58] Waſſer ſintert, und die daher in den Herzen
Anderer alle Springquellen eines friſchen Blu¬
tes verſtopfen moͤchten, Menſchen von erloſche¬
ner Genußfaͤhigkeit, die das Leben verlaͤumden,
und Anderen alle Herrlichkeit dieſer Welt ver¬
leiden wollen, indem ſie ſolche als die Lock¬
ſpeiſen ſchildern, die der Boͤſe bloß zu unſerer
Verſuchung hingeſtellt habe, gleichwie eine
pfiffige Hausfrau die Zuckerdoſe, mit den
gezaͤhlten Stuͤckchen Zucker, in ihrer Abwe¬
ſenheit offen ſtehen laͤßt, um die Enthalt¬
ſamkeit der Magd zu pruͤfen; und dieſe Men¬
ſchen haben einen Tugendpoͤbel um ſich verſam¬
melt, und predigen ihm das Kreuz gegen den
großen Heiden und gegen ſeine nackten Goͤtter¬
geſtalten, die ſie gern durch ihre vermummten
dummen Teufel erſetzen moͤchten.
Das Vermummen iſt ſo recht ihr hoͤchſtes
Ziel, das Nacktgoͤttliche iſt ihnen fatal, und
ein Satyr hat immer ſeine guten Gruͤnde,
wenn er Hoſen anzieht und darauf dringt, daß
[59] auch Apollo Hoſen anziehe. Die Leute nennen
ihn dann einen ſittlichen Mann, und wiſſen
nicht, daß in dem Clauren-Laͤcheln eines ver¬
mummten Satyrs mehr Anſtoͤßiges liegt, als
in der ganzen Nacktheit eines Wolfgang Apollo,
und daß juſt in den Zeiten, wo die Menſchheit
jene Pluderhoſen trug, wozu ſechzig Ellen Zeug
noͤthig waren, die Sitten nicht anſtaͤndiger ge¬
weſen ſind als jetzt.
Aber werden es mir nicht die Damen uͤbel
nehmen, daß ich Hoſen, ſtatt Beinkleider, ſage?
O, uͤber das Feingefuͤhl der Damen! Am Ende
werden nur Eunuchen fuͤr ſie ſchreiben duͤrfen,
und ihre Geiſtesdiener im Occident werden ſo
harmlos ſeyn muͤſſen, wie ihre Leibdiener im
Orient.
Hier kommt mir ins Gedaͤchtniß eine Stelle
aus Bertholds Tagebuch:
„Wenn wir es recht uͤberdenken, ſo ſtecken
wir doch alle nackt in unſeren Kleidern, ſagte
der Doktor M. zu einer Dame, die ihm
[60] eine etwas derbe Aeußerung uͤbel genommen
hatte.“
Der hannoͤvriſche Adel iſt mit Goethe ſehr
unzufrieden, und behauptet: er verbreite Irre¬
ligioſitaͤt, und dieſe koͤnne leicht auch falſche
politiſche Anſichten hervorbringen, und das Volk
muͤſſe doch durch den alten Glauben zur alten
Beſcheidenheit und Maͤßigung zuruͤckgefuͤhrt wer¬
den. Auch hoͤrte ich in der letzten Zeit viel
diskutiren: ob Goethe groͤßer ſey als Schiller,
oder umgekehrt. Ich ſtand neulich hinter dem
Stuhle einer Dame, der man ſchon von hinten
ihre vier und ſechzig Ahnen anſehen konnte,
und hoͤrte uͤber jenes Thema einen eifrigen Dis¬
kurs zwiſchen ihr und zwey hannoͤvriſchen No¬
bilis, deren Ahnen ſchon auf dem Zodiakus von
Dendera abgebildet ſind, und wovon der Eine,
ein langmagerer, queckſilbergefuͤllter Juͤngling,
der wie ein Barometer ausſah, die Schillerſche
Tugend und Reinheit pries, waͤhrend der An¬
dre, ebenfalls ein langaufgeſchoſſener Juͤngling,
[61] einige Verſe aus der „Wuͤrde der Frauen“
hinlispelte und dabey ſo ſuͤß laͤchelte, wie ein
Eſel, der den Kopf in ein Syropfaß geſteckt
hatte und ſich wohlgefaͤllig die Schnautze ab¬
leckt. Beide Juͤnglinge verſtaͤrkten ihre Be¬
hauptungen beſtaͤndig mit dem betheuernden
Refrain: „Er iſt doch groͤßer, Er iſt wirklich
groͤßer, wahrhaftig, Er iſt groͤßer, ich verſichere
Sie auf Ehre, Er iſt groͤßer.“ Die Dame
war ſo guͤtig, auch mich in dieſes aͤſthetiſche
Geſpraͤch zu ziehen, und fragte: „Doctor, was
halten Sie von Goethe?“ Ich aber legte
meine Arme kreuzweis auf die Bruſt, beugte
glaͤubig das Haupt, und ſprach: „La illah ill
allah, wamohammed raſul allah!“
Die Dame hatte, ohne es ſelbſt zu wiſſen,
die allerſchlaueſte Frage gethan. Man kann
ja einen Mann nicht geradezu fragen: was
denkſt du von Himmel und Erde? was ſind
deine Anſichten uͤber Menſchen und Menſchen¬
leben? biſt du ein vernuͤnftiges Geſchoͤpf oder
[62] ein dummer Teufel? Dieſe delikaten Fragen
liegen aber alle in den unverfaͤnglichen Worten:
Was halten Sie von Goethe? Denn, indem
uns Allen Goethes Werke vor Augen liegen, ſo
koͤnnen wir das Urtheil, das Jemand daruͤber
faͤllt, mit dem unſrigen ſchnell vergleichen, wir
bekommen dadurch einen feſten Maaßſtab, wo¬
mit wir gleich alle ſeine Gedanken und Ge¬
fuͤhle meſſen koͤnnen, und er hat unbewußt ſein
eignes Urtheil geſprochen. Wie aber Goethe,
auf dieſe Weiſe, weil er eine gemeinſchaftliche
Welt iſt, die der Betrachtung eines jeden offen
liegt, uns das beſte Mittel wird, um die Leute
kennen zu lernen, ſo koͤnnen wir wiederum Goe¬
the ſelbſt am beſten kennen lernen, durch ſein
eignes Urtheil uͤber Gegenſtaͤnde, die uns allen
vor Augen liegen, und woruͤber uns ſchon die
bedeutendſten Menſchen ihre Anſichten mitge¬
theilt haben. In dieſer Hinſicht moͤchte ich am
liebſten auf Goethe's italieniſche Reiſe hindeuten,
indem wir alle, entweder durch eigne Betrach¬
[63] tung oder durch fremde Vermittelung, das Land
Italien kennen, und dabey ſo leicht bemerken,
wie jeder daſſelbe mit ſubjektiven Augen anſieht,
dieſer mit Archenhoͤlzern unmuthigen Augen, die
nur das Schlimme ſehen, jener mit begeiſter¬
ten Corinna-Augen, die uͤberall nur das
Herrliche ſehen, waͤhrend Goethe, mit ſeinem
klaren Griechenauge, Alles ſieht, das Dunkle
und das Helle, nirgends die Dinge mit ſeiner
Gemuͤthsſtimmung kolorirt, und uns Land und
Menſchen ſchildert, in den wahren Umriſſen und
wahren Farben, womit ſie Gott umkleidet.
Das iſt ein Verdienſt Goethes, das erſt ſpaͤ¬
tere Zeiten erkennen werden; denn wir, die
wir meiſt alle krank ſind, ſtecken viel zu ſehr
in unſeren kranken, zerriſſenen, romantiſchen
Gefuͤhlen, die wir aus allen Laͤndern und Zeit¬
altern zuſammengeleſen, als daß wir unmittel¬
bar ſehen koͤnnten, wie geſund, einheitlich und
plaſtiſch ſich Goethe in ſeinen Werken zeigt. Er
ſelbſt merkt es eben ſo wenig; in ſeiner naiven
[64] Unbewußtheit des eignen Vermoͤgens wundert
er ſich, wenn man ihm „ein gegenſtaͤndliches
Denken“ zuſchreibt, und indem er durch ſeine
Selbſtbiographie uns ſelbſt eine kritiſche Bey¬
huͤlfe zum Beurtheilen ſeiner Werke geben will,
liefert er doch keinen Maaßſtab der Beurthei¬
lung an und fuͤr ſich, ſondern nur neue Facta,
woraus man ihn beurtheilen kann, wie es ja
natuͤrlich iſt, daß kein Vogel uͤber ſich ſelbſt hin¬
auszufliegen vermag.
Spaͤtere Zeiten werden, außer jenem Ver¬
moͤgen des plaſtiſchen Anſchauens, Fuͤhlens und
Denkens, noch vieles in Goethe entdecken, wo¬
von wir jetzt keine Ahnung haben. Die Werke
des Geiſtes ſind wenig feſtſtehend, aber die Kri¬
tik iſt etwas wandelbares, ſie geht hervor aus
den Anſichten der Zeit, hat nur fuͤr dieſe ihre
Bedeutung, und wenn ſie nicht ſelbſt kunſt¬
werthlicher Art iſt, wie z. B. die Schlegelſche‚
ſo geht ſie mit ihrer Zeit zu Grabe. Jedes
Zeitalter, wenn es neue Ideen bekoͤmmt, be¬
[65] koͤmmt auch neue Augen, und ſieht gar viel
Neues in den alten Geiſteswerken. Ein Schu¬
barth ſieht jetzt in der Ilias etwas anderes
und viel mehr, als ſaͤmmtliche Alexandriner;
dagegen werden einſt Kritiker kommen, die viel
mehr als Schubarth in Goethe ſehen.
So haͤtte ich mich dennoch an Goethe feſt¬
geſchwatzt! Aber ſolche Abſchweifungen ſind ſehr
natuͤrlich, wenn einem, wie auf dieſer Inſel,
beſtaͤndig das Meergeraͤuſch in die Ohren droͤhnt
und den Geiſt nach Belieben ſtimmt.
Es geht ein ſtarker Nordoſtwind, und die
Hexen haben wieder viel Unheil im Sinne.
Man hegt hier naͤmlich wunderliche Sagen von
Hexen, die den Sturm zu beſchwoͤren wiſſen;
wie es denn uͤberhaupt auf allen nordiſchen
Meeren viel Aberglauben giebt. Die Seeleute
behaupten, manche Inſel ſtehe unter der gehei¬
men Herrſchaft ganz beſonderer Hexen, und
dem boͤſen Willen derſelben ſey es zuzuſchrei¬
ben, wenn den vorbeyfahrenden Schiffen aller¬
5[66] ley Widerwaͤrtigkeiten begegnen. Als ich vori¬
ges Jahr einige Zeit auf der See lag, erzaͤhlte
mir der Steuermann unſeres Schiffes: die Hexen
waͤren beſonders maͤchtig auf der Inſel Wight,
und ſuchten jedes Schiff, das bey Tage dort
vorbeyfahren wolle, bis zur Nachtzeit aufzuhal¬
ten, um es alsdann an Klippen oder an die
Inſel ſelbſt zu treiben. In ſolchen Faͤllen hoͤre
man dieſe Hexen ſo laut durch die Luft ſauſen
und um das Schiff herumheulen, daß der Kla¬
botermann ihnen nur mit vieler Muͤhe wider¬
ſtehen koͤnne. Als ich nun fragte: wer der Kla¬
botermann ſey? antwortete der Erzaͤhler ſehr
ernſthaft: Das iſt der gute, unſichtbare Schutz¬
patron der Schiffe, der da verhuͤtet, daß den
treuen und ordentlichen Schiffern Ungluͤck be¬
gegne, der da uͤberall ſelbſt nachſieht, und ſo¬
wohl fuͤr die Ordnung wie fuͤr die gute Fahrt
ſorgt. Der wackere Steuermann verſicherte mit
etwas heimlicherer Stimme: ich koͤnne ihn ſel¬
ber ſehr gut im Schiffsraume hoͤren, wo er die
[67] Waaren gern noch beſſer nachſtaue, daher das
Knarren der Faͤſſer und Kiſten, wenn das Meer
hoch gehe, daher bisweilen das Droͤhnen unſerer
Balken und Bretter; oft haͤmmere der Klabo¬
termann auch außen am Schiffe, und das gelte
dann dem Zimmermanne, der dadurch gemahnt
werde, eine ſchadhafte Stelle ungeſaͤumt aus¬
zubeſſern; am liebſten aber ſetze er ſich auf das
Bramſegel, zum Zeichen, daß guter Wind wehe
oder ſich nahe. Auf meine Frage: ob man ihn
nicht ſehen koͤnne? erhielt ich zur Antwort:
Nein, man ſaͤhe ihn nicht, auch wuͤnſche keiner
ihn zu ſehen, da er ſich nur dann zeige, wenn
keine Rettung mehr vorhanden ſey. Einen ſol¬
chen Fall hatte zwar der gute Steuermann noch
nicht ſelbſt erlebt, aber von Andern wollte er
wiſſen: den Klabotermann hoͤre man alsdann
vom Bramſegel herab mit den Geiſtern ſpre¬
chen, die ihm unterthan ſind; doch wenn der
Sturm zu ſtark und das Scheitern unvermeid¬
lich wuͤrde, ſetze er ſich auf das Steuer, zeige
[68] ſich da zum erſtenmal und verſchwinde, indem
er das Steuer zerbraͤche — diejenigen aber, die
ihn in dieſem furchtbaren Augenblick ſaͤhen, faͤn¬
den gleich darauf den Tod in den Wellen.
Der Schiffskapitain, der dieſer Erzaͤhlung
mit zugehoͤrt hatte, laͤchelte ſo fein, wie ich
ſeinem rauhen, Wind- und Wetterdienenden Ge¬
ſichte nicht zugetraut haͤtte, und nachher ver¬
ſicherte er mir: vor funfzig und gar vor hun¬
dert Jahren ſey auf dem Meere der Glaube an
den Klabotermann ſo ſtark geweſen, daß man
bey Tiſche immer auch ein Gedeck fuͤr denſelben
aufgelegt und von jeder Speiſe, etwa das Beſte,
auf ſeinen Teller gelegt habe, ja, auf einigen
Schiffen geſchaͤhe das noch jetzt. —
Ich gehe hier oft am Strande ſpatzieren
und gedenke ſolcher ſeemaͤnniſchen Wunderſagen.
Die anziehendſte derſelben iſt wohl die Ge¬
ſchichte vom fliegenden Hollaͤnder, den man im
Sturm mit aufgeſpannten Segeln vorbeyfahren
ſieht, und der zuweilen ein Boot ausſetzt, um
[69] den begegnenden Schiffern allerley Briefe mitzu¬
geben, die man nachher nicht zu beſorgen weiß,
da ſie an laͤngſt verſtorbene Perſonen adreſſirt
ſind. Manchmal gedenke ich auch des alten, lie¬
ben Maͤhrchens von dem Fiſcherknaben, der am
Strande den naͤchtlichen Reigen der Meernixen
belauſcht hatte, und nachher mit ſeiner Geige die
ganze Welt durchzog, und alle Menſchen zau¬
berhaft entzuͤckte, wenn er ihnen die Melodie
des Nixenwalzers vorſpielte. Dieſe Sage er¬
zaͤhlte mir einſt ein lieber Freund, als wir, im
Conzerte zu Berlin, ſolch einen wundermaͤchti¬
gen Knaben, den Felix Mendelsſohn-Bartholdi,
ſpielen hoͤrten.
Einen eigenthuͤmlichen Reiz gewaͤhrt das
Kreuzen um die Inſel. Das Wetter muß aber
ſchoͤn ſeyn, die Wolken muͤſſen ſich ungewoͤhnlich
geſtalten, und man muß ruͤcklings auf dem Ver¬
decke liegen, und in den Himmel ſehen, und allen¬
falls auch ein Stuͤckchen Himmel im Herzen ha¬
ben. Die Wellen murmeln alsdann allerley
[70] wunderliches Zeug, allerley Worte, woran liebe
Erinnerungen flattern, allerley Namen, die, wie
ſuͤße Ahnung, in der Seele wiederklingen —
„Eveline!“ Dann kommen auch Schiffe vorbey¬
gefahren, und man gruͤßt, als ob man ſich alle
Tage wiederſehen koͤnnte. Nur des Nachts hat
das Begegnen fremder Schiffe auf dem Meere
etwas Unheimliches; man will ſich dann einbil¬
den, die beſten Freunde, die wir ſeit Jahren
nicht geſehen, fuͤhren ſchweigend vorbey, und
man verloͤre ſie auf immer.
Ich liebe das Meer wie meine Seele.
Oft wird mir ſogar zu Muthe, als ſey das
Meer eigentlich meine Seele ſelbſt; und wie es
im Meere verborgene Waſſerpflanzen giebt, die
nur im Augenblick des Aufbluͤhens an deſſen
Oberflaͤche heraufſchwimmen, und im Augenblick
des Verbluͤhens wieder hinabtauchen: ſo kommen
zuweilen auch wunderbare Blumenbilder herauf¬
geſchwommen aus der Tiefe meiner Seele, und
[71] duften und leuchten und verſchwinden wieder —
„Eveline!“
Man ſagt, unfern dieſer Inſel, wo jetzt
nichts als Waſſer iſt, haͤtten einſt die ſchoͤnſten
Doͤrfer und Staͤdte geſtanden, das Meer habe
ſie ploͤtzlich alle uͤberſchwemmt, und bey klarem
Wetter ſaͤhen die Schiffer noch die leuchtenden
Spitzen der verſunkenen Kirchthuͤrme, und man¬
cher habe dort, in der Sonntagsfruͤhe, ſogar ein
frommes Glockengelaͤute gehoͤrt. Die Geſchichte
iſt wahr; denn das Meer iſt meine Seele —
„Eine ſchoͤne Welt iſt da verſunken,Ihre Truͤmmer blieben unten ſtehn,Laſſen ſich als goldne HimmelsfunkenOft im Spiegel meiner Traͤume ſehn.“
((W. Muͤller.))
Erwachend hoͤre ich dann ein verhallendes
Glockengelaͤute und Geſang heiliger Stimmen —
„Eveline!“
Geht man am Strande ſpatzieren, ſo gewaͤh¬
ren die vorbeyfahrenden Schiffe einen ſchoͤnen
[72] Anblick. Haben ſie die blendend, weißen Segel
aufgeſpannt, ſo ſehen ſie aus wie vorbeyziehende,
große Schwaͤne. Gar beſonders ſchoͤn iſt dieſer
Anblick, wenn die Sonne hinter dem vorbey¬
ſegelnden Schiffe untergeht, und dieſes, wie von
einer rieſigen Glorie, umſtrahlt wird.
Die Jagd am Strande ſoll ebenfalls ein gro¬
ßes Vergnuͤgen gewaͤhren. Was mich betrifft,
ſo weiß ich es nicht ſonderlich zu ſchaͤtzen. Der
Sinn fuͤr das Edle, Schoͤne und Gute laͤßt ſich
oft durch Erziehung den Menſchen beybringen;
aber der Sinn fuͤr die Jagd liegt im Blute.
Wenn die Ahnen, ſchon ſeit undenklichen Zeiten,
Rehboͤcke geſchoſſen haben, ſo findet auch der
Enkel ein Vergnuͤgen an dieſer legitimen Be¬
ſchaͤftigung. Meine Ahnen gehoͤrten aber nicht
zu den Jagenden, viel eher zu den Gejagten,
und ſoll ich auf die Nachkoͤmmlinge ihrer ehe¬
maligen Collegen losdruͤcken, ſo empoͤrt ſich
dawider mein Blut. Ja, aus Erfahrung weiß
ich, daß, nach abgeſteckter Menſur, es mir
[73] weit leichter wird, auf einen Jaͤger loszudruͤcken,
der die Zeiten zuruͤckwuͤnſcht, wo auch Menſchen
zur hohen Jagd gehoͤrten. Gottlob dieſe Zeiten
ſind voruͤber! Geluͤſtet es jetzt ſolche Jaͤger, wie¬
der einen Menſchen zu jagen, ſo muͤſſen ſie ihn
dafuͤr bezahlen, wie z. B. den Schnelllaͤufer,
den ich vor zwey Jahren in Goͤttingen ſah.
Der arme Menſch hatte ſich ſchon in der ſchwuͤ¬
len Sonntagshitze ziemlich muͤde gelaufen, als
einige hannoͤvriſche Junker, die dort Humaniora
ſtudierten, ihm ein paar Thaler boten, wenn er
den zuruͤckgelegten Weg nochmals laufen wolle;
und der Menſch lief, und er war todtblaß und
trug eine rothe Jacke, und dicht hinter ihm, im
wirbelnden Staube, galoppirten die wohlgenaͤhr¬
ten, edlen Juͤnglinge, auf hohen Roſſen, deren
Hufen zuweilen den gehetzten, keuchenden Men¬
ſchen trafen, und es war ein Menſch.
Des Verſuchs halber, denn ich muß mein
Blut beſſer gewoͤhnen, ging ich geſtern auf die
Jagd. Ich ſchoß nach einigen Moͤven, die gar
[74] zu ſicher umherflatterten, und doch nicht beſtimmt
wiſſen konnten, daß ich ſchlecht ſchieße. Ich
wollte ſie nicht treffen und ſie nur warnen, ſich
ein andermal vor Leuten mit Flinten in Acht
zu nehmen; aber mein Schuß ging fehl, und
ich hatte das Ungluͤck, eine junge Moͤve todt zu
ſchießen. Es iſt gut, daß es keine alte war;
denn was waͤre dann aus den armen, kleinen
Moͤvchen geworden, die noch unbefiedert, im
Sandneſte der großen Duͤhne liegen, und ohne die
Mutter verhungern muͤßten. Mir ahndete ſchon
vorher, daß mich auf der Jagd ein Mißgeſchick
treffen wuͤrde; ein Haſe war mir uͤber den Weg
gelaufen.
Gar beſonders wunderbar wird mir zu
Muthe, wenn ich allein in der Daͤmmerung
am Strande wandle, — hinter mir flache
Duͤhnen, vor mir das wogende, unermeßliche
Meer, uͤber mir der Himmel wie eine rieſige
Criſtallkuppel — ich erſcheine mir dann ſelbſt
ſehr ameiſenklein, und dennoch dehnt ſich meine
[75] Seele ſo weltenweit. Die hohe Einfachheit der
Natur, wie ſie mich hier umgiebt, zaͤhmt und
erhebt mich zu gleicher Zeit, und zwar in ſtaͤr¬
kerem Grade als jemals eine andere erhabene
Umgebung. Nie war mir ein Dom groß ge¬
nug; meine Seele mit ihrem alten Titanenge¬
bet ſtrebte immer hoͤher als die gothiſchen Pfei¬
ler, und wollte immer hinausbrechen durch das
Dach. Auf der Spitze der Roßtrappe haben
mir, beym erſten Anblick, die koloſſalen Felſen,
in ihren kuͤhnen Gruppirungen, ziemlich impo¬
nirt; aber dieſer Eindruck dauerte nicht lange,
meine Seele war nur uͤberraſcht, nicht uͤberwaͤl¬
tigt, und jene ungeheure Steinmaſſen wurden
in meinen Augen allmaͤhlig kleiner, und am
Ende erſchienen ſie mir nur wie geringe Truͤm¬
mer eines zerſchlagenen Rieſenpallaſtes, worin
ſich meine Seele vielleicht comfortabel befunden
haͤtte.
Mag es immerhin laͤcherlich klingen, ich
kann es dennoch nicht verhehlen, das Mißver¬
[76] haͤltniß zwiſchen Koͤrper und Seele quaͤlt mich
einigermaßen, und hier am Meere, in großar¬
tiger Naturumgebung, wird es mir zuweilen
recht deutlich, und die Metempſychoſe iſt oft
der Gegenſtand meines Nachdenkens. Wer
kennt die große Gottesironie, die allerley Wi¬
derſpruͤche zwiſchen Seele und Koͤrper hervorzu¬
bringen pflegt. Wer kann wiſſen, in welchem
Schneider jetzt die Seele eines Platos, und in
welchem Schulmeiſter die Seele eines Caͤſars
wohnt! Wer weiß, ob die Seele Gregors VII.
nicht in dem Leibe des Großtuͤrken ſitzt, und
ſich unter tauſend haͤtſchelnden Weiberhaͤndchen
behaglicher fuͤhlt, als einſt in ihrer purpurnen
Coͤlibatskutte. Hingegen wie viele Seelen treuer
Moslemim aus Aly's Zeiten moͤgen ſich jetzt in
unſeren antihelleniſchen Cabinettern befinden!
Die Seelen der beiden Schaͤcher, die zur Seite
des Heilands gekreuzigt worden, ſitzen vielleicht
jetzt in dicken Konſiſtorialbaͤuchen und gluͤhen
fuͤr den orthodoxen Lehrbegriff. Die Seele
[77] Dſchingischans wohnt vielleicht jetzt in einem
Rezenſenten, der taͤglich, ohne es zu wiſſen,
die Seelen ſeiner treueſten Baſchkiren und Kal¬
muͤcken in einem kritiſchen Journale nieder¬
ſaͤbelt. Wer weiß! wer weiß! die Seele des
Pythagoras iſt vielleicht in einen armen Can¬
didaten gefahren, der durch das Examen faͤllt,
weil er den pythagoraͤiſchen Lehrſatz nicht bewei¬
ſen konnte, waͤhrend in ſeinen Herren Examina¬
toren die Seelen jener Ochſen wohnen, die einſt
Pythagoras, aus Freude uͤber die Entdeckung
ſeines Satzes, den ewigen Goͤttern geopfert
hatte. Die Hindus ſind ſo dumm nicht, wie
unſere Miſſionaͤre glauben, ſie ehren die Thiere
wegen der menſchlichen Seele, die ſie in ihnen
vermuthen, und wenn ſie Lazarethe fuͤr invalide
Affen ſtiften, in der Art unſerer Akademien,
ſo kann es wohl moͤglich ſeyn, daß in jenen
Affen die Seelen großer Gelehrten wohnen, da
es doch bey uns ganz ſichtbar iſt, daß in einigen
großen Gelehrten nur Affenſeelen ſtecken.
[78]
Wer doch mit der Allwiſſenheit des Vergan¬
genen, auf das Treiben der Menſchen von oben
herab ſehen koͤnnte! Wenn ich des Nachts am
Meere wandelnd, den Wellengeſang hoͤre, und
allerley Ahnung und Erinnerung in mir erwacht,
ſo iſt mir, als habe ich einſt ſolchermaßen von
oben herabgeſehen und ſey vor ſchwindelndem
Schrecken zur Erde heruntergefallen; es iſt mir
dann auch, als ſeyen meine Augen ſo teleſcopiſch
ſcharf geweſen, daß ich die Sterne in Lebens¬
groͤße am Himmel wandeln geſehen, und durch
all den wirbelnden Glanz geblendet worden; —
wie aus der Tiefe eines Jahrtauſends kommen
mir dann allerley Gedanken in den Sinn, Ge¬
danken uralter Weisheit, aber ſie ſind ſo neblicht,
daß ich nicht erkenne, was ſie wollen. Nur ſo
viel weiß ich, daß all unſer kluges Wiſſen, Stre¬
ben und Hervorbringen irgend einem hoͤheren
Geiſte eben ſo klein und nichtig erſcheinen muß,
wie mir jene Spinne erſchien, die ich auf der
goͤttinger Bibliothek ſo oft betrachtete. Auf den
[79] Folianten der Weltgeſchichte ſaß ſie emſig webend,
und ſie blickte ſo philoſophiſch ſicher auf ihre
Umgebung, und hatte ganz den goͤttingiſchen
Gelahrtheits-Duͤnkel, und ſchien ſtolz zu ſeyn
auf ihre mathematiſchen Kenntniſſe, auf ihre
Kunſtleiſtungen, auf ihr einſames Nachdenken —
und doch wußte ſie nichts von all den Wundern,
die in dem Buche ſtehen, worauf ſie geboren
worden, worauf ſie ihr ganzes Leben verbracht
hatte, und worauf ſie auch ſterben wird, wenn
der ſchleichende Dr. L....... ſie nicht verjagt.
Und wer iſt der ſchleichende Dr. L.......?
Seine Seele wohnte vielleicht einſt in eben einer
ſolchen Spinne, und jetzt huͤtet er die Folianten,
worauf er einſt ſaß — und wenn er ſie auch
lieſ't, er erfaͤhrt doch nicht ihren wahren Inhalt.
Was mag auf dem Boden einſt geſchehen
ſeyn, wo ich jetzt wandle? Ein Conrector,
der hier badete, wollte behaupten, hier ſey einſt
der Dienſt der Hertha oder beſſer geſagt Forſete,
begangen worden, wovon Tacitus ſo geheimni߬
[80] voll ſpricht. Wenn nur die Berichterſtatter,
denen Tacitus nacherzaͤhlt, ſich nicht geirrt, und
eine Badekutſche fuͤr den heiligen Wagen der
Goͤttin angeſehen haben!
Im Jahr 1819 als ich zu Bonn, in einem
und demſelben Semeſter, vier Collegien hoͤrte,
worin meiſtens deutſche Antiquitaͤten aus der
blaueſten Zeit tractirt wurden, naͤmlich 1°. Ge¬
ſchichte der deutſchen Sprache bey Schlegel, der
faſt drey Monat lang die barockſten Hypotheſen
uͤber die Abſtammung der Deutſchen entwickelte,
2°. die Germania des Tacitus bey Arndt, der in
den altdeutſchen Waͤldern jene Tugenden ſuchte,
die er in den Salons der Gegenwart vermißte,
3°. germaniſches Staatsrecht bey Huͤllmann, deſſen
hiſtoriſche Anſichten noch am wenigſten vague ſind,
und 4°. deutſche Urgeſchichte bey Radloff, der am
Ende des Semeſters noch nicht weiter gekommen
war, als bis zur Zeit des Seſoſtris — damals
moͤchte wohl die Sage von der alten Hertha mich
mehr intereſſirt haben, als jetzt. Ich ließ ſie
[81] durchaus nicht auf Ruͤgen reſidiren, und verſetzte
ſie vielmehr nach einer oſtfrieſiſchen Inſel. Ein
junger Gelehrter hat gern ſeine Privathypotheſe.
Aber auf keinen Fall haͤtte ich damals geglaubt,
daß ich einſt am Strande der Nordſee wandeln
wuͤrde, ohne an die alte Goͤttin mit patriotiſcher
Begeiſterung zu denken. Es iſt wirklich nicht
der Fall, und ich denke hier an ganz andre,
juͤngere Goͤttinnen. Abſonderlich wenn ich am
Strande uͤber die ſchaurige Stelle wandle, wo
noch juͤngſt die ſchoͤnſten Frauen, gleich Nixen,
geſchwommen. Denn weder Herren noch Damen
baden hier unter einem Schirm, ſondern ſpatzieren
in die freye See. Deshalb ſind auch die Bade¬
ſtellen beider Geſchlechter von einander geſchieden,
doch nicht allzuweit, und wer ein gutes Glas
fuͤhrt, kann uͤberall in der Welt viel ſehen. Es
geht die Sage, ein neuer Actaͤon habe auf ſolche
Weiſe eine badende Diana erblickt, und wunder¬
bar! nicht er, ſondern der Gemahl der Schoͤnen,
habe dadurch Hoͤrner erworben.
6[82]
Die Badekutſchen, die Droſchken der Nord¬
ſee, werden hier nur bis an's Waſſer geſchoben,
und beſtehen meiſtens aus viereckigen Holzgeſtellen
mit ſteifem Leinen uͤberzogen. Jetzt, fuͤr die
Winterzeit, ſtehen ſie im Converſazionsſaale, und
fuͤhren dort gewiß eben ſo hoͤlzerne, und
ſteifleinene Geſpraͤche, wie die vornehme Welt,
die noch unlaͤngſt dort verkehrte.
Wenn ich aber ſage, die vornehme Welt, ſo
verſtehe ich nicht darunter die guten Buͤrger Oſt¬
frieslands, ein Volk, das flach und nuͤchtern iſt,
wie der Boden, den es bewohnt, das weder
ſingen noch pfeifen kann, aber dennoch ein Ta¬
lent beſitzt, das beſſer iſt als alle Triller und
Schnurrpfeifereyen, ein Talent, das den Men¬
ſchen adelt, und uͤber jene windige Dienſtſeelen
erhebt, die allein edel zu ſeyn waͤhnen, ich meine
das Talent zur Freiheit. Schlaͤgt das Herz
fuͤr Freiheit, ſo iſt ein ſolcher Schlag des Her¬
zens eben ſo gut, wie ein Ritterſchlag, und das
wiſſen die freyen Frieſen, und ſie verdienen ihr
[83] Volksepitheton; die Haͤuptlingsperiode abgerechnet,
war die Ariſtokratie in Oſtfrießland niemals vor¬
herrſchend, nur ſehr wenige adlige Familien haben
dort gewohnt, und der Einfluß des hannoͤvriſchen
Adels, durch Verwaltungs- und Militaͤrſtand,
wie er ſich jetzt uͤber das Land hinzieht, betruͤbt
manches freye Oſtfrieſenherz, und uͤberall zeigt
ſich die Vorliebe fuͤr die ehemalige preußiſche
Regierung.
Was aber die allgemeinen deutſchen Klagen
uͤber hannoͤvriſchen Adelſtolz betrifft, ſo kann ich
nicht unbedingt einſtimmen. Das hannoͤvriſche
Offizierkorps giebt am wenigſten Anlaß zu ſolchen
Klagen. Freylich, wie in Madagaskar nur Adlige
das Recht haben, Metzger zu werden, ſo hatte
fruͤherhin der hannoͤvriſche Adel ein analoges
Vorrecht, da nur Adlige zum Offizierrange gelan¬
gen konnten. Seitdem ſich aber in der deutſchen
Legion ſo viele Buͤrgerliche ausgezeichnet, und
zu Offizierſtellen emporgeſchwungen, hat auch
jenes uͤble Gewohnheitsrecht nachgelaſſen. Ja,
[84] das ganze Corps der deutſchen Legion hat viel bey¬
getragen zur Milderung alter Vorurtheile, dieſe
Leute ſind weit herum in der Welt geweſen, und in
der Welt ſieht man viel, beſonders in England,
und ſie haben viel gelernt, und es iſt eine Freude
ihnen zuzuhoͤren, wenn ſie von Portugal, Spa¬
nien, Sizilien, den ioniſchen Inſeln, Irland,
und anderen weiten Laͤndern ſprechen, wo ſie ge¬
fochten, und „Vieler Menſchen Staͤdte geſehen
und Sitten gelernet“, ſo daß man glaubt, eine
Odyſſee zu hoͤren, die leider keinen Homer finden
wird. Auch iſt unter den Offizieren dieſes Corps
viel freyſinnige, engliſche Sitte geblieben, die
mit dem altherkoͤmmlichen hannoͤvriſchen Brauch
ſtaͤrker kontraſtirt, als wir es im uͤbrigen Deutſch¬
land glauben wollen, da wir gewoͤhnlich dem
Beyſpiele Englands viel Einwirkung auf Han¬
nover zuſchreiben. In dieſem Lande Hannover
ſieht man nichts als Stammbaͤume, woran Pferde
gebunden ſind, und vor lauter Baͤumen bleibt
das Land obscur, und trotz allen Pferden koͤmmt
[85] es nicht weiter. Nein, durch dieſen hannoͤvriſchen
Adelswald drang niemals ein Sonnenſtrahl brit¬
tiſcher Freyheit, und kein brittiſcher Freiheitston
konnte jemals vernehmbar werden im wiehernden
Laͤrm hannoͤvriſcher Roſſe. Was aber ein britti¬
ſcher Freyheitston iſt, habe ich erſt kuͤrzlich er¬
fahren, indem ich, im wildeſten Seewetter, ein
engliſches Schiff vorbeyſegeln ſah, auf deſſen
Verdeck mehrere Menſchen ſtanden, und Wind
und Wellen faſt frevelhaft trotzig uͤberbruͤllten,
mit ihrem alten: rule Britania, rule the waves,
Britons never shall be slaves!
Die allgemeine Klage uͤber hannoͤvriſchen
Adelſtolz trifft wohl zumerſt die liebe Jugend ge¬
wiſſer Familien, die das Land Hannover regieren
oder mittelbar zu regieren glauben. Aber auch
die edlen Juͤnglinge wuͤrden bald jene Fehler der
Art, oder beſſer geſagt, jene Unart ablegen,
wenn ſie ebenfalls etwas in der Welt herum¬
gedraͤngt wuͤrden, oder eine beſſere Erziehung
genoͤſſen. Man ſchickt ſie freylich nach Goͤttingen,
[86] doch da hocken ſie beyſammen, und ſprechen nur
von ihren Hunden, Pferden und Ahnen, und
hoͤren wenig neuere Geſchichte, und wenn ſie
auch wirklich einmal dergleichen hoͤren, ſo
ſind doch unterdeſſen ihre Sinne befangen durch
den Anblick des Grafentiſches, der, ein Wahr¬
zeichen Goͤttingens, nur fuͤr hochgeborene Stu¬
denten beſtimmt iſt. Wahrlich, durch eine beſſere
Erziehung des jungen hannoͤvriſchen Adels ließe
ſich vielen Klagen vorbauen. Aber die Jungen
werden wie die Alten. Derſelbe Wahn: als
waͤren ſie die Blumen der Welt, waͤhrend wir
Anderen bloß das Gras ſind; dieſelbe Thor¬
heit: mit dem Verdienſte der Ahnen den eigenen
Unwerth bedecken zu wollen; dieſelbe Unwiſſen¬
heit uͤber das Problematiſche dieſer Verdienſte,
indem die Wenigſten wiſſen, daß die Fuͤrſten ſel¬
ten ihre treueſten und tugendhafteſten Diener,
aber ſehr oft den Kuppler, den Schmeichler und
dergleichen Lieblingsſchufte mit adelnder Huld
beehrt haben. Die Wenigſten jener Ahnenſtolzen
[87] koͤnnen beſtimmt angeben, was ihre Ahnen gethan
haben, und ſie zeigen nur, daß ihr Name in
Ruͤxners Turnierbuch erwaͤhnt ſey; — ja, koͤn¬
nen ſie auch nachweiſen, daß dieſe Ahnen etwa
als Kreuzritter bey der Eroberung Jeruſalems
zugegen waren, ſo ſollten ſie, ehe ſie ſich etwas
darauf zu Gute thun, auch beweiſen, daß jene
Ritter ehrlich mitgefochten haben, daß ihre Eiſen¬
hoſen nicht mit gelber Furcht wattirt worden,
und daß unter ihrem rothen Kreuze das Herz
eines honetten Mannes geſeſſen. Gaͤbe es keine
Ilias, ſondern bloß ein Namensverzeichniß der
Helden, die vor Troja geſtanden, und ihre Na¬
men exiſtirten noch jetzt — wie wuͤrde ſich der
Ahnenſtolz Derer von Therſites zu blaͤhen wiſſen!
Von der Reinheit des Blutes will ich gar nicht
einmal ſprechen; Philoſophen und Stallknechte
haben daruͤber gar ſeltſame Gedanken.
Mein Tadel, wie geſagt, treffe zumeiſt die
ſchlechte Erziehung des hannoͤvriſchen Adels und
deſſen fruͤh eingepraͤgten Wahn von der Wichtig¬
[88] keit einiger andreſſirten Formen. O! wie oft
habe ich lachen muͤſſen, wenn ich bemerkte, wie
viel man ſich auf dieſe Formen zu Gute that;
— als ſey es ſo gar uͤberaus ſchwer zu erlernen
dieſes Repraͤſentiren, dieſes Praͤſentiren, dieſes
Laͤcheln ohne Etwas zu ſagen, dieſes Sagen
ohne Etwas zu denken, und all dieſe adligen
Kuͤnſte, die der gute Buͤrgersmann als Meer¬
wunder angafft, und die doch jeder franzoͤſiſche
Tanzmeiſter beſſer inne hat, als der deutſche
Edelmann, dem ſie in der baͤrenleckenden Lutetia
muͤhſam eingeuͤbt worden, und der ſie zu Hauſe
wieder, mit deutſcher Gruͤndlichkeit und Schwer¬
faͤlligkeit, ſeinen Descendenten uͤberliefert. Dies
erinnert mich an die Fabel von dem Baͤren, der
auf Maͤrkten tanzte, ſeinem fuͤhrenden Lehrer
entlief, zu ſeinen Mitbaͤren in den Wald zuruͤck¬
kehrte, und ihnen vorprahlte: wie das Tanzen
eine ſo gar ſchwere Kunſt ſey, und wie weit er
es darin gebracht habe, — und in der That,
den Proben, die er von ſeiner Kunſt ablegte,
[89] konnten die armen Beſtien ihre Bewunderung
nicht verſagen. Jene Nation, wie ſie Werther
nennt, bildete die vornehme Welt, die hier dieſes
Jahr zu Waſſer und zu Lande geglaͤnzt hat,
und es waren lauter liebe, liebe Leute, und ſie
haben alle gut geſpielt.
Auch fuͤrſtliche Perſonen gab es hier, und
ich muß geſtehen, daß dieſe in ihren Anſpruͤchen
beſcheidener waren, als die geringere Nobleſſe.
Ob aber dieſe Beſcheidenheit in den Herzen die¬
ſer hohen Perſonen liegt, oder ob ſie durch ihre
aͤußere Stellung hervorgebracht wird, das will
ich unentſchieden laſſen. Ich ſage dieſes nur
in Beziehung auf deutſche mediatiſirte Fuͤr¬
ſten. Dieſen Leuten iſt in der letzten Zeit ein
großes Unrecht geſchehen, indem man ſie einer
Souverainitaͤt beraubte, wozu ſie ein eben ſo
gutes Recht haben, wie die groͤßeren Fuͤrſten,
wenn man etwa nicht, wie mein Unglaubens¬
genoſſe Spinoza, annehmen will, daß dasjenige,
was ſich nicht durch eigene Kraft erhalten
[90] kann, auch kein Recht hat, zu exiſtiren. Fuͤr
das vielzerſplitterte Deutſchland war es aber
eine Wohlthat, daß dieſe Anzahl von Sedez¬
despoͤtchen ihr Regieren einſtellen mußten. Es
iſt ſchrecklich, wenn man bedenkt wie viele der¬
ſelben wir armen Deutſchen zu ernaͤhren haben.
Wenn dieſe Mediatiſirten auch nicht mehr das
Zepter fuͤhren, ſo fuͤhren ſie doch noch immer
Loͤffel, Meſſer und Gabel, und ſie eſſen keinen
Hafer, und auch der Hafer waͤre theuer genug.
Ich denke, daß wir einmal durch Amerika et¬
was von dieſer Fuͤrſtenlaſt erleichtert werden.
Denn, fruͤh oder ſpaͤt, werden ſich doch die
Praͤſidenten dortiger Freyſtaaten in Souveraine
verwandeln, und dann fehlt es dieſen Herren
an Gemahlinnen, die ſchon einen legitimen An¬
ſtrich haben, ſie ſind dann froh wenn wir ihnen
unſere Prinzeſſinnen uͤberlaſſen, und wenn ſie
ſechs nehmen, geben wir ihnen die ſiebente gra¬
tis, und auch unſre Prinzchen koͤnnen ſie ſpaͤ¬
terhin bey ihren Toͤchterchen employiren; —
[91] daher haben die mediatiſirten Fuͤrſten ſehr po¬
litiſch gehandelt, als ſie ſich wenigſtens das
Gleichbuͤrtigkeitsrecht erhielten, und ihre Stamm¬
baͤume eben ſo hoch ſchaͤtzten, wie die Araber
die Stammbaͤume ihrer Pferde, und zwar aus
derſelben Abſicht, indem ſie wohl wiſſen, daß
Deutſchland von jeher das große Fuͤrſtenge¬
ſtuͤte war, das alle regierenden Nachbarhaͤuſer
mit den noͤthigen Mutterpferden und Beſchaͤ¬
lern verſehen muß.
In allen Baͤdern iſt es ein altes Gewohn¬
heitsrecht, daß die abgegangenen Gaͤſte von den
zuruͤckgebliebenen etwas ſtark kritiſirt werden,
und da ich der letzte bin, der noch hier weilt, ſo
durfte ich wohl jenes Recht in vollem Maaße
ausuͤben.
Es iſt aber jetzt ſo oͤde auf der Inſel,
daß ich mir vorkomme wie Napoleon auf Sanct
Helena. Nur daß ich hier eine Unterhaltung
gefunden, die jenem dort fehlte. Es iſt naͤmlich
der große Kaiſer ſelbſt, womit ich mich hier
[92] beſchaͤftige. Ein junger Englaͤnder hat mir das
eben erſchienene Buch des Maitland mitgetheilt.
Dieſer Seemann berichtet die Art und Weiſe,
wie Napoleon ſich ihm ergab und auf dem Bel¬
lerophon ſich betrug, bis er, auf Befehl des
engliſchen Miniſteriums, an Bord des Northum¬
berland gebracht wurde. Aus dieſem Buche
ergiebt ſich ſonnenklar, daß der Kaiſer, in ro¬
mantiſchem Vertrauen auf brittiſche Großmuth,
und um der Welt endlich Ruhe zu ſchaffen, zu
den Englaͤndern ging, mehr als Gaſt, denn als
Gefangener. Das war ein Fehler, den gewiß
kein Anderer, und am allerwenigſten ein Wel¬
lington begangen haͤtte. Die Geſchichte aber
wird ſagen, dieſer Fehler iſt ſo ſchoͤn, ſo er¬
haben, ſo herrlich, daß dazu mehr Seelengroͤße
gehoͤrte, als wir Anderen zu allen unſeren
Großthaten erſchwingen koͤnnen.
Die Urſache, weßhalb Cap. Maitland jetzt
ſein Buch herausgiebt, ſcheint keine andere zu
ſeyn, als das moraliſche Reinigungsbeduͤrfniß,
[93] das jeder ehrliche Mann fuͤhlt, den ein boͤſes
Geſchick in eine zweydeutige Handlung verfloch¬
ten hat. Das Buch ſelbſt iſt aber ein unſchaͤtz¬
barer Gewinn fuͤr die Gefangenſchaftsgeſchichte
Napoleons, die den letzten Act ſeines Lebens
bildet, alle Raͤthſel der fruͤheren Acte wunder¬
bar loͤſt, und wie es eine aͤchte Tragoͤdie thun
ſoll, die Gemuͤther erſchuͤttert, reinigt und
verſoͤhnt. Den Charakterunterſchied der vier
Hauptſchriftſteller, die uns von dieſer Gefan¬
genſchaft berichten, beſonders wie er ſich in
Styl und Anſchauungsweiſe bekundet, zeigt ſich
erſt recht durch ihre Zuſammenſtellung.
Maitland, der ſturmkalte, engliſche See¬
mann, verzeichnet die Begebenheiten vorurtheils¬
los und beſtimmt, als waͤren es Naturerſchei¬
nungen, die er in ſein Loogbook eintraͤgt; Las
Caſes, ein enthuſiaſtiſcher Kammerherr, liegt
in jeder Zeile, die er ſchreibt, zu den Fuͤßen
des Kaiſers, nicht wie ein ruſſiſcher Sclave,
ſondern wie ein freyer Franzoſe, dem die Be¬
[94] wunderung einer unerhoͤrten Heldengroͤße und
Ruhmeswuͤrde unwillkuͤhrlich die Kniee beugt;
Omeara, der Arzt, obgleich in Irland gebo¬
ren, dennoch ganz Englaͤnder, als ſolcher ein
ehemaliger Feind des Kaiſers, aber jetzt an¬
erkennend die Majeſtaͤtsrechte des Ungluͤcks,
ſchreibt freymuͤthig, ſchmucklos, thatbeſtaͤndlich,
faſt im Lapidarſtyl; hingegen kein Styl, ſondern
ein Stilett iſt die ſpitzige, zuſtoßende Schreib¬
art des franzoͤſiſchen Arztes, Autommarchi, eines
Italieners, der ganz beſonnentrunken iſt von
dem Ingrimm und der Poeſie ſeines Landes.
Beide Voͤlker, Britten und Franzoſen, lie¬
ferten von jeder Seite zwey Maͤnner, gewoͤhn¬
lichen Geiſtes, und unbeſtochen von der herr¬
ſchenden Macht, und dieſe Jury hat den Kai¬
ſer gerichtet, und verurtheilet: ewig zu leben,
ewig bewundert, ewig bedauert.
Es ſind ſchon viele große Maͤnner uͤber
dieſe Erde geſchritten, hier und da ſehen wir
die leuchtenden Spuren ihrer Fußſtapfen, und
[95] in heiligen Stunden treten ſie, wie Nebelgebilde
vor unſere Seele; aber ein ebenfalls großer Mann
ſieht ſeine Vorgaͤnger weit deutlicher, aus einzel¬
nen Funken ihrer irdiſchen Lichtſpur erkennt er
ihr geheimſtes Thun, aus einem einzigen hinter¬
laſſenen Worte erkennt er alle Falten ihres Her¬
zens; und ſolchermaßen, in einer myſtiſchen Ge¬
meinſchaft, leben die großen Maͤnner aller Zeiten,
uͤber die Jahrtauſende hinweg nicken ſie einander
zu, und ſehen ſich an bedeutungsvoll, und ihre
Blicke begegnen ſich auf den Graͤbern unterge¬
gangener Geſchlechter, die ſich zwiſchen ſie ge¬
draͤngt hatten, und ſie verſtehen ſich und haben
ſich lieb. Wir Kleinen aber, die wir nicht ſo
intimen Umgang pflegen koͤnnen mit den Großen
der Vergangenheit, wovon wir nur ſelten die
Spur und Nebelformen ſehen, fuͤr uns iſt es vom
hoͤchſten Werthe, wenn wir uͤber einen ſolchen
Großen ſo viel erfahren, daß es uns leicht wird,
ihn ganz lebensklar in unſre Seele aufzunehmen,
und dadurch unſre Seele zu erweitern. Ein ſol¬
[96] cher iſt Napoleon Bonaparte. Wir wiſſen von
ihm, von ſeinem Leben und Streben, mehr als
von den andern Großen dieſer Erde, und taͤglich
erfahren wir davon noch mehr und mehr. Wir
ſehen wie das verſchuͤttete Goͤtterbild langſam
ausgegraben wird, und mit jeder Schaufel Erd¬
ſchlamm, die man von ihm abnimmt, waͤchſt
unſer freudiges Erſtaunen uͤber das Ebenmaaß
und die Pracht der edlen Formen, die da her¬
vortreten, und die Geiſtesblitze der Feinde, die
das große Bild zerſchmettern wollen, dienen
nur dazu, es deſto glanzvoller zu beleuchten.
Solches geſchieht namentlich durch die Aeuße¬
rungen der Frau von Staël, die in all ihrer
Herbheit doch nichts anders ſagt, als daß der
Kaiſer kein Menſch war wie die Andern, und
daß ſein Geiſt mit keinem vorhandenen Maa߬
ſtab gemeſſen werden kann.
Ein ſolcher Geiſt iſt es, worauf folgende
Worte Kants, die ich unlaͤngſt in der Morpho¬
logie erwaͤhnt ſah, hinzuweiſen ſcheinen:
[97] “Wir koͤnnen uns einen Verſtand denken,
der, weil er nicht wie der unſrige diskurſiv,
ſondern intuitiv iſt, vom ſynthetiſch Allgemei¬
nen, der Anſchauung eines Ganzen als eines
ſolchen, zum Beſonderen geht, das iſt, von dem
Ganzen zu den Theilen. Hierbey iſt gar nicht
noͤthig zu beweiſen, daß ein ſolcher intellectus
archetypus moͤglich ſey, ſondern nur daß wir in
der Dagegenhaltung unſeres diskurſiven, der Bil¬
der beduͤrftigen Verſtandes (intellectus ectypus)
und der Zufaͤlligkeit einer ſolchen Beſchaffenheit,
auf jene Ideen eines intellectus archetypus ge¬
fuͤhrt werden, dieſe auch keinen Widerſpruch er¬
halte.“
Ja, was wir durch langſames Nachdenken
und lange Schlußfolgen erkennen, das hatte
jener Geiſt im ſelben Momente angeſchaut und
tief begriffen. Daher ſein Talent die Zeit, die
Gegenwart zu verſtehen, ihren Geiſt zu kajo¬
liren‚ ihn nie zu beleidigen, und immer zu be¬
nutzen.
7[98]
Da aber dieſer Geiſt der Zeit nicht bloß
revoluzionaͤr iſt, ſondern durch den Zuſammenfluß
beider Anſichten, der revoluzionaͤren und der
contrerevoluzionaͤren, gebildet worden, ſo handelte
Napoleon nie ganz revoluzionaͤr und nie ganz
contrerevoluzionaͤr, ſondern immer im Sinne bei¬
der Anſichten, beider Prinzipien, beider Beſtre¬
bungen, die in ihm ihre Vereinigung fanden,
und demnach handelte er beſtaͤndig naturgemaͤß,
einfach, groß, nie krampfhaft harſch, immer ruhig
milde. Daher intriguirte er nie im Einzelnen,
und ſeine Schlaͤge geſchahen immer durch ſeine
Kunſt, die Maſſen zu begreifen und zu lenken.
Zur verwickelten, langſamen Intrigue neigen ſich
kleine, analitiſche Geiſter, hingegen ſynthetiſche,
intuitive Geiſter wiſſen auf wunderbar geniale
Weiſe die Mittel, die ihnen die Gegenwart bie¬
tet, ſo zu verbinden, daß ſie dieſelben zu ihrem
Zwecke ſchnell benutzen koͤnnen. Erſtere ſcheitern
ſehr oft, da keine menſchliche Klugheit alle Vor¬
fallenheiten des Lebens vorausſehen kann und
[99] die Verhaͤltniſſe des Lebens nie lange ſtabil ſind;
letzteren hingegen, den intuitiſchen Menſchen, ge¬
lingen ihre Vorſaͤtze am leichteſten, da ſie nur
einer richtigen Berechnung des Vorhandenen be¬
duͤrfen, und ſo ſchnell handeln, daß dieſes, durch
die Bewegung der Lebenswogen, keine ploͤtzliche,
unvorhergeſehene Veraͤnderung erleiden kann.
Es iſt ein gluͤckliches Zuſammentreffen, daß
Napoleon gerade zu einer Zeit gelebt hat, die
ganz beſonders viel Sinn hat fuͤr Geſchichte,
ihre Erforſchung und Darſtellung. Es werden
uns daher, durch die Memoiren der Zeitgenoſſen,
wenige Notizen uͤber Napoleon vorenthalten wer¬
den, und taͤglich vergroͤßert ſich die Zahl der Ge¬
ſchichtsbuͤcher, die ihn mehr oder minder im Zu¬
ſammenhang mit der uͤbrigen Welt ſchildern wol¬
len. Die Ankuͤndigung eines ſolchen Buches
aus Walter Scotts Feder erregt daher die neu¬
gierigſte Erwartung.
Alle Verehrer Scotts muͤſſen fuͤr ihn zittern;
denn ein ſolches Buch kann leicht der ruſſiſche
[100] Feldzug jenes Ruhmes werden, den er muͤhſam
erworben durch eine Reihe hiſtoriſcher Romane,
die mehr durch ihr Thema, als durch ihre poetiſche
Kraft, alle Herzen Europas bewegt haben. Dieſes
Thema iſt aber nicht bloß eine elegiſche Klage uͤber
Schottlands volksthuͤmliche Herrlichkeit, die all¬
maͤhlig verdraͤngt wurde von fremder Sitte,
Herrſchaft und Denkweiſe; ſondern es iſt der
große Schmerz uͤber den Verluſt der Nazio¬
nal-Beſonderheiten, die in der Allgemeinheit
neuerer Cultur verloren gehen, ein Schmerz, der
jetzt in den Herzen aller Voͤlker zuckt. Denn
Nazionalerinnerungen liegen tiefer in der Men¬
ſchen Bruſt, als man gewoͤhnlich glaubt. Man
wage es nur, die alten Bilder wieder auszugra¬
ben, und uͤber Nacht bluͤht hervor auch die alte
Liebe mit ihren Blumen. Das iſt nicht figuͤrlich
geſagt, ſondern es iſt eine Thatſache: als Bullock
vor einigen Jahren ein altheidniſches Steinbild
in Mexiko ausgegraben, fand er den andern
Tag, daß es naͤchtlicher Weile mit Blumen be¬
[101] kraͤnzt worden; und doch hatte Spanien, mit
Feuer und Schwert, den alten Glauben der Me¬
xikaner zerſtoͤrt, und ſeit drey Jahrhunderten
ihre Gemuͤther gar ſtark umgewuͤhlt und gepfluͤgt
und mit Chriſtenthum beſaͤet. Solche Blumen
aber bluͤhen auch in den Walter-Scott'ſchen Dich¬
tungen, dieſe Dichtungen ſelbſt wecken die alten
Gefuͤhle, [und] wie einſt in Granada Maͤnner
und Weiber mit dem Geheul der Verzweiflung
aus den Haͤuſern ſtuͤrzten, wenn das Lied vom
Einzug des Maurenkoͤnigs auf den Straßen er¬
klang, dergeſtalt, daß bey Todesſtrafe verboten
wurde, es zu ſingen: ſo hat der Ton, der in
den Scott'ſchen Dichtungen herrſcht, eine ganze
Welt ſchmerzhaft erſchuͤttert. Dieſer Ton klingt
wieder in den Herzen unſeres Adels, der ſeine
Schloͤſſer und Wappen verfallen ſieht, er klingt
wieder in den Herzen des Buͤrgers, dem die be¬
haglich enge Weiſe der Altvordern verdraͤngt
wird durch weite, unerfreuliche Modernitaͤt; er
klingt wieder in katholiſchen Domen, woraus der
[102] Glaube entflohen, und in rabbiniſchen Synagogen,
woraus ſogar die Glaͤubigen fliehen; er klingt
uͤber die ganze Erde, bis in die Banianenwaͤlder
Hindoſtans, wo der ſeufzende Bramine das Ab¬
ſterben ſeiner Goͤtter, die Zerſtoͤrung ihrer uralten
Weltordnung, und den ganzen Sieg der Eng¬
laͤnder vorausſieht.
Dieſer Ton, der gewaltigſte, den der ſchotti¬
ſche Barde auf ſeiner Rieſenharfe anzuſchlagen
weiß, paßt aber nicht zu dem Kaiſerliede von
dem Napoleon, dem neuen Manne, dem Manne
der neuen Zeit, dem Manne, worin dieſe neue
Zeit ſo leuchtend ſich abſpiegelt, daß wir dadurch
faſt geblendet werden, und unterdeſſen nimmer¬
mehr denken an die verſchollene Vergangenheit
und ihre verblichene Pracht. Es iſt wohl zu
vermuthen, daß Scott, ſeiner Vorneigung gemaͤß,
jenes angedeutete, ſtabile Element im Charakter
Napoleons, die contrerevoluzionaͤre Seite ſeines
Geiſtes vorzugsweiſe auffaſſen wird, ſtatt daß an¬
dere Schriftſteller bloß das revoluzionaͤre Prinzip
[103] in ihm erkennen. Von dieſer letzteren Seite wuͤrde
ihn Byron geſchildert haben, der in ſeinem ganzen
Streben den Gegenſatz zu Scott bildete, und
ſtatt, gleich dieſem, den Untergang der alten
Formen zu beklagen, ſich ſogar von denen, die
noch ſtehen geblieben ſind, verdrießlich beengt
fuͤhlt, ſie, mit revoluzionaͤrem Lachen und
Zaͤhnefletſchen, niederreißen moͤchte, und in
dieſem Aerger die heiligſten Blumen des Lebens
mit ſeinem melodiſchen Gifte beſchaͤdigt, und ſich,
wie ein wahnſinniger Harlekin den Dolch in's
Herz ſtoͤßt, um, mit dem hervorſtroͤmenden,
ſchwarzen Blute, Herren und Damen neckiſch
zu beſpritzen.
Wahrlich, in dieſem Augenblicke fuͤhle ich
ſehr lebhaft, daß ich kein Nachbeter, oder beſſer
geſagt Nachfrevler Byrons bin, mein Blut iſt
nicht ſo ſpleeniſch ſchwarz, meine Bitterkeit
koͤmmt nur aus den Gallaͤpfeln meiner Dinte,
und wenn Gift in mir iſt, ſo iſt es doch nur
Gegengift, Gegengift wider jene Schlangen, die
[104] im Schutte der alten Dome und Burgen ſo be¬
drohlich lauern. Von allen großen Schriftſtellern
iſt Byron juſt derjenige, deſſen Lectuͤre mich am
unleidlichſten beruͤhrt; wohingegen Scott mir,
in jedem ſeiner Werke, das Herz erfreut, beru¬
higt und erkraͤftigt. Mich erfreut ſogar die
Nachahmung derſelben, wie wir ſie bey W.
Alexis, Bronikowski und Cooper finden, welcher
erſtere, im ironiſchen Walladmor, ſeinem Vorbilde
am naͤchſten ſteht, und uns auch in einer ſpaͤteren
Dichtung ſo viel Geſtalten- und Geiſtesreichthum
gezeigt hat, daß er wohl im Stande waͤre, mit
poetiſcher Urſpruͤnglichkeit, die ſich nur der ſcotti¬
ſchen Form bedient, uns die theuerſten Momente
deutſcher Geſchichte, in einer Reihe hiſtoriſcher
Novellen, vor die Seele zu fuͤhren.
Aber keinem wahren Genius laſſen ſich be¬
ſtimmte Bahnen vorzeichnen, dieſe liegen auſſer¬
halb aller kritiſcher Berechnung, und ſo mag es
auch als ein harmloſes Gedankenſpiel betrachtet
werden, wenn ich uͤber W. Scotts Kaiſergeſchichte
[105] mein Vorurtheil ausſprach. “Vorurtheil” iſt
hier der umfaſſendſte Ausdruck. Nur eins laͤßt
ſich mit Beſtimmtheit ſagen: das Buch wird ge¬
leſen werden vom Aufgang bis zum Niedergang,
und wir Deutſchen werden es uͤberſetzen.
Wir haben auch den Seguͤr uͤberſetzt. Nicht
wahr, es iſt ein huͤbſches epiſches Gedicht?
Wir Deutſchen ſchreiben auch epiſche Gedichte,
aber die Helden derſelben exiſtiren bloß in unſe¬
rem Kopfe. Hingegen die Helden des franzoͤſi¬
ſchen Epos ſind wirkliche Helden, die viel groͤßere
Thaten vollbracht, und viel groͤßere Leiden ge¬
litten, als wir in unſeren Dachſtuͤbchen erſinnen
koͤnnen. Und wir haben doch viel Phantaſie,
und die Franzoſen haben nur wenig. Vielleicht
hat deshalb der liebe Gott den Franzoſen auf
eine andere Art nachgeholfen, und ſie brauchen
nur treu zu erzaͤhlen, was ſie in den letzten
dreyzig Jahren geſehen und gethan, und ſie haben
eine erlebte Literatur, wie noch kein Volk und
keine Zeit ſie hervorgebracht. Dieſe Memoiren
[106] von Staatsleuten, Soldaten und edlen Frauen,
wie ſie in Frankreich taͤglich erſcheinen, bilden
einen Sagenkreis, woran die Nachwelt genug
zu denken und zu ſingen hat, und worin, als
deſſen Mittelpunkt, das Leben des großen Kai¬
ſers, wie ein Rieſenbaum, emporragt. Die
Seguͤrſche Geſchichte des Rußlandszuges iſt ein
Lied, ein franzoͤſiſches Volkslied, das zu dieſem
Sagenkreiſe gehoͤrt, und, in ſeinem Tone und
Stoffe, den epiſchen Dichtungen aller Zeiten gleicht
und gleich ſteht. Ein Heldengeſchlecht, das durch
den Zauberſpruch „Freyheit und Gleichheit“
aus dem Boden Frankreichs emporgeſchoſſen, hat,
wie im Triumphzug, berauſcht von Ruhm und
gefuͤhrt von dem Gotte des Ruhmes ſelbſt, die
Welt durchzogen, erſchreckt und verherrlicht,
tanzt endlich den raſſelnden Waffentanz auf
den Eisfeldern des Nordens, und dieſe brechen
ein, und die Soͤhne des Feuers und der
Freyheit gehen zu Grunde durch Kaͤlte und
Sklaven.
[107]
Solche Beſchreibung oder Prophezeyung des
Untergangs einer Heldenwelt iſt Grundton und
Stoff der epiſchen Dichtungen aller Voͤlker. Auf
den Felſen von Ellore und anderer indiſcher
Grottentempel ſteht ſolche epiſche Kataſtrophe ein¬
gegraben mit Rieſenhieroglyphen, deren Schluͤſſel
im Mahabarata zu finden iſt; der Norden hat
in nicht minder ſteinernen Worten, in ſeiner
Edda, dieſen Goͤtteruntergang ausgeſprochen;
das Lied der Nibelungen beſingt daſſelbe tragiſche
Verderben, und hat, in ſeinem Schluſſe, noch
ganz beſondere Aehnlichkeit mit der Seguͤrſchen
Beſchreibung des Brandes von Moskau; das
Rolandslied von der Schlacht bey Roncisval,
deſſen Worte verſchollen, deſſen Sage aber noch
nicht erloſchen, und noch unlaͤngſt von einem
der groͤßten Dichter des Vaterlandes, von Im¬
mermann, herauf beſchworen worden, iſt ebenfalls
der alte Ungluͤcksgeſang; und gar das Lied von
Ilion verherrlicht am ſchoͤnſten das alte Thema,
und iſt doch nicht großartiger und ſchmerzlicher
[108] als das franzoͤſiſche Volkslied, worin Seguͤr den
Untergang ſeiner Heroenwelt beſungen hat. Ja,
dieſes iſt ein wahres Epos, Frankreichs Helden¬
jugend iſt der ſchoͤne Heros, der fruͤh dahinſinkt,
wie wir ſolches Leid ſchon ſahen in dem Tode
Baldurs, Siegfrieds, Rolands und Achilles, die
ebenſo durch Ungluͤck und Verrath gefallen;
und jene Helden, die wir in der Ilias bewun¬
dert, wir finden ſie wieder im Liede des Seguͤr,
wir ſehen ſie rathſchlagen, zanken und kaͤmpfen,
wie einſt vor dem ſkaͤiſchen Thore, iſt auch die
Jacke des Koͤnigs von Neapel etwas allzubunt¬
ſcheckig modern, ſo iſt doch ſein Schlachtmuth
und Uebermuth eben ſo groß, wie der des Pe¬
liden, ein Hektor an Milde und Tapferkeit ſteht
vor uns Prinz Eugèn, der edle Ritter, Ney
kaͤmpft wie ein Ajax, Berthier iſt ein Neſtor
ohne Weisheit, Davouſt, Daruͤ, Caulincourt
u. ſ. w. in ihnen wohnen die Seelen des Me¬
nelaos, des Odyſſeus, des Diomedes — nur der
Kaiſer ſelbſt findet nicht ſeines Gleichen, in ſei¬
[109] nem Haupte iſt der Olymp des Gedichtes, und
wenn ich ihn, in ſeiner aͤußeren Herrſchererſchei¬
nung, mit dem Agamemnon vergleiche, ſo geſchieht
das, weil ihn, eben ſo wie den groͤßten Theil
ſeiner herrlichen Kampfgenoſſen, ein tragiſches
Schickſal erwartete, und weil ſein Oreſtes noch
lebt.
Wie die Scottſchen Dichtungen hat auch das
Seguͤrſche Epos einen Ton, der unſere Herzen
bezwingt. Aber dieſer Ton weckt nicht die Liebe
zu laͤngſt verſchollenen Tagen der Vorzeit, ſon¬
dern es iſt ein Ton, deſſen Klangfigur uns die
Gegenwart giebt, ein Ton, der uns fuͤr eben
dieſe Gegenwart begeiſtert.
Wir Deutſchen ſind doch wahre Peter
Schlemiehle! Wir haben auch in der letzten
Zeit viel geſehen, viel ertragen, z. B. Einquar¬
tierung und Adelſtolz; und wir haben unſer edelſtes
Blut hingegeben, z. B. an England, das noch
jetzt jaͤhrlich eine anſtaͤndige Summe, fuͤr abge¬
ſchoſſene deutſche Arme und Beine, ihren ehe¬
[110] maligen Eigenthuͤmern zu bezahlen hat; und wir
haben im Kleinen ſo viel Großes gethan, daß
wenn man es zuſammenrechnete, die groͤßten
Thaten herauskaͤmen, z. B. in Tyrol; und wir
haben viel verloren, z. B. unſeren Schlag¬
ſchatten, den Titel des lieben, heiligen, roͤmiſchen
Reichs — und dennoch, mit allen Verluſten
Opfern, Entbehrungen, Malheurs und Gro߬
thaten, hat unſere Literatur kein einziges
ſolcher Denkmaͤler des Ruhmes gewonnen, wie
ſie bey unſeren Nachbaren, gleich ewigen Tro¬
phaͤen, taͤglich emporſteigen. Unſere Leipziger
Meſſen haben wenig profitirt durch die Schlacht
bey Leipzig. Ein Gothaer, hoͤre ich, will ſie
noch nachtraͤglich, in epiſcher Form, beſingen;
da er aber noch nicht weiß, ob er zu den
100,000 Seelen gehoͤrt, die Hildburghauſen be¬
koͤmmt, oder zu den 150,000, die Meiningen
bekoͤmmt, oder zu den 160,000, die Altenburg
bekoͤmmt, ſo kann er ſein Epos noch nicht anfan¬
gen, er muͤßte denn beginnen: „Singe unſterbliche
[111] Seele, Hildburghaͤuſiſche Seele, — Meining'ſche
Seele, oder auch Altenburgiſche Seele, — Gleich¬
viel ſinge, ſinge der ſuͤndigen Deutſchen Erloͤ¬
ſung!” Dieſer Seelenſchacher im Herzen des
Vaterlandes, und deſſen blutende Zerriſſenheit,
laͤßt keinen ſtolzen Sinn, und noch viel weniger
ein ſtolzes Wort aufkommen, unſere ſchoͤnſten
Thaten werden laͤcherlich durch den dummen
Erfolg, und waͤhrend wir uns unmuthig ein¬
huͤllen in den Purpurmantel des deutſchen Hel¬
denblutes, koͤmmt ein politiſcher Schalk und ſetzt
uns die Schellenkappe auf's Haupt. Eben die
Literaturen unſerer Nachbaren jenſeits des Rheins
und des Canals muß man mit unſerer Bagatell-
Literatur vergleichen, um das Leere und Bedeu¬
tungsloſe unſeres Bagatell-Lebens zu begreifen.
Oft, wenn ich die Morning-Chronicle leſe,
und in jeder Zeile das engliſche Volk mit ſeiner
Nazionalitaͤt erblicke, mit ſeinem Pferderennen,
Boxen, Hahnenkaͤmpfen, Aſſiſen, Parlaments¬
debatten u. ſ. w., dann nehme ich wieder, be¬
[112] truͤbten Herzens, ein deutſches Blatt zur Hand,
und ſuche darin die Momente eines Volkslebens,
und finde nichts als literariſche Fraubaſereyen
und Theatergeklaͤtſche.
Und doch iſt es nicht anders zu erwarten.
Iſt in einem Volke alles oͤffentliche Leben unter¬
druͤckt, ſo ſucht es dennoch Gegenſtaͤnde fuͤr ge¬
meinſame Beſprechung, und dazu dienen ihm in
Deutſchland ſeine Schriftſteller und Comoͤdianten.
Statt Pferderennen haben wir ein Buͤcherrennen
nach der Leipziger Meſſe. Statt Boxen haben
wir Myſtiker und Rationaliſten, die ſich in ihren
Pamphlets herumbalgen, bis die Einen zur Ver¬
nunft kommen, und den Anderen Hoͤren und
Sehen vergeht und der Glauben bey ihnen Ein¬
gang findet. Statt Hahnenkaͤmpfe haben wir
Journale, worin arme Teufel, die man dafuͤr
fuͤttert, ſich einander den guten Namen zerreißen,
waͤhrend die Philiſter freudig ausrufen: ſieh! das iſt
ein Haupthahn! dem dort ſchwillt der Kamm! der
hat einen ſcharfen Schnabel! das junge Haͤhnchen
[113] muß ſeine Federn erſt ausſchreiben, man muß es
anſpornen u. ſ. w. In ſolcher Art haben wir
auch unſere oͤffentlichen Aſſiſen, und das ſind die
loͤſchpapiernen, ſaͤchſiſchen Literaturzeitungen,
worin jeder Dummkopf von ſeines Gleichen ge¬
richtet wird, nach den Grundſaͤtzen eines litera¬
riſchen Criminalrechts, das der Abſchreckungs¬
theorie huldigt, und, als ein Verbrechen jedes
Buch beſtraft. Zeigt der Verfaſſer deſſelben etwas
Geiſt, ſo iſt das Verbrechen qualifizirt. Kann
er aber ſein Geiſtesalibi beweiſen, ſo wird die
Strafe gemildert. Freylich, bey dieſer literari¬
ſchen Criminaljuſtiz iſt es ebenfalls ein großes
Gebrechen, daß dem richterlichen Ermeſſen ſo
viel uͤberlaſſen bleibt, um ſo mehr, da unſere
Buͤcherrichter, eben ſo wie Fallſtaff, ſich ihre
Gruͤnde nicht abzwingen laſſen, und manchmal
ſelbſt geheime Suͤnder ſind und vorausſehen, daß
ſie morgen von denſelben Deliquenten gerichtet
werden, uͤber die ſie heute das Urtheil ſprechen.
Die Jugend iſt in unſerer literariſchen Criminal¬
8[114] juſtiz ein bedeutender Milderungsgrund, und
mancher alte Schriftſteller wird gelinde beur¬
theilt, weil man ihn fuͤr ein Kind haͤlt. Sogar
die in der letzten Zeit aufgekommene Erfahrung,
daß junge Menſchen, zur Zeit der Entwickelung
ihrer Pubertaͤt, ein krankhaftes Geluͤſte tragen,
Brand zu ſtiften, hat auch in der Aeſthetik ihren
Einfluß gehabt, und man urtheilt deßhalb ge¬
linder uͤber ſo manche Flammentragoͤdie, z. B.
die Tragoͤdie jenes feurigen Juͤnglings, der
nichts geringeres als den koͤniglichen Pallaſt
zu Perſepolis in Brand geſteckt hat. Wir
haben, um Vergleichungen fortzuſetzen, gewiſ¬
ſermaßen auch unſere Parlamentsdebatten, und
damit meine ich unſre Theaterkritiken; wie
denn unſer Schauſpiel ſelbſt gar fuͤglich das
Haus der Gemeinen genannt werden kann, von
wegen der vielen Gemeinheiten die darin bluͤ¬
hen, von wegen des plattgetretenen Franzoͤſi¬
ſchen Unflats, den unſer Publikum, ſelbſt wenn
man ihm am ſelben Abend ein Raupachſches
[115] Luſtſpiel gegeben hat, gar ruhig verzehrt, gleich
einer Fliege, die, wenn ſie von einem Honig¬
topfe weggetrieben wird, ſich gleich mit dem
beſten Appetit auf einen Quark ſetzt und ihre
Mahlzeit damit beſchließt. Ich habe hier vor¬
zuͤglich im Sinne Raupachs „Bekehrten“,
die ich vorigen Winter zu Hamburg, von den
ausgezeichnetſten Schauſpielern auffuͤhren ſah,
und zwar mit eben ſo vielem Beyfall, wie „die
Schuͤlerſchwaͤnke“, ein parfuͤmirtes Quaͤrkchen,
das gleich darauf, an demſelben Abend, gegeben
wurde. Aber auf unſerem Theater gedeiht nicht
bloß Miſt, ſondern auch Gift. In der That,
hoͤre ich wie in unſeren Luſtſpielen die heilig¬
ſten Sitten und Gefuͤhle des Lebens, in einem
liederlichen Tone und ſo leichtfertig ſicher abge¬
leyert werden, daß man am Ende ſelbſt gewoͤhnt
wird, ſie als die gleichguͤltigſten Dinge zu be¬
trachten, hoͤre ich jene kammerdienerliche Liebes¬
erklaͤrungen, die ſentimentalen Freundſchafts¬
buͤndniſſe zu gemeinſchaftlichem Betrug, die la¬
[116] chenden Plane zur Taͤuſchung der Eltern oder
Ehegatten, und wie all dieſe ſtereotypen Luſt¬
ſpielmotive heißen moͤgen, ach! ſo erfaßt mich
inneres Grauen und bodenloſer Jammer, und
ich ſchaue, aͤngſtlichen Blickes, nach den armen,
unſchuldigen Engelkoͤpfchen, denen im Theater
dergleichen, gewiß nicht ohne Erfolg, vordekla¬
mirt wird.
Die Klagen uͤber Verfall und Verderbniß
des deutſchen Luſtſpiels, wie ſie aus ehrlichen
Herzen hervorgeſeufzt werden, der kritiſche Eifer
Tieck's und Zimmermann's, die bey der Reini¬
gung unſers Theaters ein muͤhſameres Geſchaͤft
haben, als Herkules im Stalle des Augias,
da unſer Theaterſtall gereinigt werden ſoll
waͤhrend die Ochſen noch darin ſind; die Beſtre¬
bungen hochbegabter Maͤnner, die ein romanti¬
ſches Luſtſpiel begruͤnden moͤchten, die trefflichſte
und treffendſte Satire, wie z.B. Robert's „Pa¬
radiesvogel“ — nichts will fruchten, Seufzer,
Rathſchlaͤge, Verſuche, Geißelhiebe, Alles be¬
[117] wegt nur die Luft, und jedes Wort, das man
daruͤber ſpricht, iſt wahrhaft in den Wind
geredet.
Unſer Oberhaus, die Tragoͤdie, zeigt ſich
in hoͤherem Glanze. Ich meine hinſichtlich der
Couliſſen, Dekorazionen und Garderoben. Aber
auch hier giebt es ein Ziel. Im Theater der
Roͤmer haben Elephanten auf dem Seile
getanzt und große Spruͤnge gemacht; weiter
aber konnt' es der Menſch nicht bringen, und
das roͤmiſche Reich ging unter, und bey dieſer
Gelegenheit auch das roͤmiſche Theater. Auf
unſeren Theatern fehlt es in den Tragoͤdien
zwar auch nicht an Tanz und Spruͤngen, aber
dieſe werden hier von den jungen Tragoͤden
ſelbſt vollbracht; und da es wohl geſchah,
daß Frauenzimmer durch große Spruͤnge ploͤtzlich
zum Manne geworden, ſo handelt ein weibi¬
ſches Poetlein wahrhaft pfiffig, wenn es mit
ſeinen lahmen Jamben recht große Alexander¬
ſpruͤnge verſucht.
[118]
Da aber einmal von deutſcher Literaturmiſere
die Rede iſt, und ich jetzt noch nicht geſonnen
bin, mich reichlicher daruͤber zu verbreiten, ſo
mag wohl hier eine fuͤgliche Stelle ſeyn zum
Einſchalten der folgenden Xenien, die aus der
Feder Immermann's, meines hohen Mitſtreben¬
den, gefloſſen ſind, und die mir derſelbe juͤngſthin
geſchenkt hat. Die Gleichgeſinnten danken mir
gewiß fuͤr die Mittheilung dieſer Verſe, und bis
auf wenige Ausnahmen, die ich mit Sternen
bezeichne, will ich ſie gern als meine eigne Ge¬
ſinnung vertreten.
Der poetiſche Literator.
ohne Hinterliſt,
geſtorben iſt.
Maͤnnlein mit Bedeutung.
Zeitung.
ſeine Autorſtiefeln,
poet'ſche Zwiefeln.
verſchon' den Luther,
Butter.
Dramatiker.
1.
am Publikum zu raͤchen!“
halte dein Verſprechen.
2.
verſchonen;
Escadronen.
3.
und natuͤrlich,
und ſo zierlich.
4.
Kotzebue
Schuhe.
grauen Jahren,
Beſtien fahren.
Oeſtliche Poeten.
girren,
weſtlich irren.
seu Philomele;
doch dieſelbe Kehle.
Hameln's Rattenfaͤnger;
lieben, kleinen Saͤnger.
frommer Inden,
Kuhſtall finden.
von Schiras ſtehlen,
Ghaſelen.
* Glockentoͤne.
Thuͤr im Staate,
in dem Ornate.
Blinden und die Lahmen,
Damen.
irgend Schaͤden,
laͤden.
adoriren,
retourniren.
einpraesens Numen,
lumen.
Orbis pictus.
Gelichter,
nen, Dichter!
zu ſchauen,
zu erbauen.
dem Gewichte,
tauſend Wichte.
ein Leineweber,
mir meine Leber.
ſich todt zu lachen,
Arme machen.
mir zum Ekel,
genialen Rekel.
buhlteſt mit Lucindchen,
wollen ſuͤnd'gen.
Brahma's Finſterniſſen,
Schuh zerriſſen.
von ihren Schmerzen,
gar zu offnen Herzen!
find' ich raͤthlich,
wenigſtens nicht ſchaͤdlich.
den aͤrgſten Rockenſtuben,
die Buben.
laͤngſt von mir vernichtet,
hingerichtet.
geduldig,
blieben waren ſchuldig.
Schilderey'n,
und ſchreit: “Herein!”
und Caeſuren;”
duren? —
grob und ungezogen?”
ſeine Ellenbogen.
und groß.”
Plebſes Loos.
ſie mit den Klappen,
Euren Kappen.
Ideen.
Das Buch Le Grand.
1826.
9[[130]]
Das Geſchlecht der Oerindur,Unſres Thrones feſte Saͤule,Soll beſtehn, ob die NaturAuch damit zu Ende eile.
Evelina
empfange dieſe Blaͤtter
als
ein Zeichen der Freundſchaft und Liebe
des Verfaſſers.
CapitelI.
Sie war liebenswuͤrdig, und Er liebte Sie! Er aber
war nicht liebenswuͤrdig, und Sie liebte ihn nicht.
((Altes Stuͤck.))
Madame, kennen Sie das alte Stuͤck? Es iſt
ein ganz außerordentliches Stuͤck, nur etwas zu
ſehr melancholiſch. Ich hab' mal die Hauptrolle
darin geſpielt und da weinten alle Damen, nur
eine Einzige weinte nicht, nicht eine einzige
Thraͤne weinte ſie, und das war eben die Pointe
des Stuͤcks, die eigentliche Kataſtrophe —
[134]
O dieſe einzige Thraͤne! ſie quaͤlt mich noch
immer in Gedanken; der Satan, wenn er meine
Seele verderben will, fluͤſtert mir ins Ohr ein
Lied von dieſer ungeweinten Thraͤne, ein fatales
Lied mit einer noch fataleren Melodie — ach,
nur in der Hoͤlle hoͤrt man dieſe Melodie! —
— — — — — — — — — — — — — —
— — — — — — — — — — — — — —
Wie man im Himmel lebt, Madame, koͤnnen
Sie ſich wohl vorſtellen, um ſo eher, da Sie
verheurathet ſind. Dort amuͤſirt man ſich ganz
ſuͤperbe, man hat alle moͤgliche Vergnuͤgungen,
man lebt in lauter Luſt und Plaiſir, ſo recht
wie Gott in Frankreich. Man ſpeiſt von Mor¬
gen bis Abend, und die Kuͤche iſt ſo gut wie
die Jagorſche, die gebratenen Gaͤnſe fliegen
herum mit den Sauceſchuͤſſelchen im Schnabel, und
fuͤhlen ſich geſchmeichelt, wenn man ſie verzehrt,
butterglaͤnzende Torten wachſen wild wie Son¬
nenblumen, uͤberall Baͤche mit Bouillon und
[135] Champagner, uͤberall Baͤume, woran Servietten
flattern, und man ſpeiſt und wiſcht ſich den
Mund, und ſpeiſt wieder ohne ſich den Magen
zu verderben, man ſingt Pſalmen oder man
taͤndelt und ſchaͤkert mit den lieben, zaͤrtlichen
Engelein, oder man geht ſpatzieren auf der
gruͤnen Halleluja-Wieſe, und die weißwallen¬
den Kleider ſitzen ſehr bequem, und nichts ſtoͤrt
da das Gefuͤhl der Seligkeit, kein Schmerz, kein
Mißbehagen, ja ſogar, wenn Einer dem Andern
zufaͤllig auf die Huͤhneraugen tritt und excusez!
ausruft, ſo laͤchelt dieſer wie verklaͤrt und ver¬
ſichert: dein Tritt, Bruder, ſchmerzt nicht,
ſondern au contraire, mein Herz fuͤhlt dadurch
nur deſto ſuͤßere Himmelswonne.
Aber von der Hoͤlle, Madame, haben Sie
gar keine Idee. Von allen Teufeln kennen Sie
vielleicht nur den kleinſten, das Beelzebuͤbchen
Amor, den artigen Croupier der Hoͤlle, und dieſe
ſelbſt kennen ſie nur aus dem Don Juan, und
[136] fuͤr dieſen Weiberbetruͤger, der ein boͤſes Beyſpiel
giebt, duͤnkt ſie Ihnen niemals heiß genug,
obgleich unſere hochloͤblichen Theaterdirectionen
ſoviel Flammenſpectakel, Feuerregen, Pulver und
Colophonium dabey aufgehen laſſen, wie es nur
irgend ein guter Chriſt in der Hoͤlle verlangen
kann.
Indeſſen, in der Hoͤlle ſieht es viel ſchlimmer
aus, als unſere Theaterdirectoren wiſſen — ſie
wuͤrden auch ſonſt nicht ſo viele ſchlechte Stuͤcke
auffuͤhren laſſen — in der Hoͤlle iſt es ganz
hoͤlliſch heiß, und als ich mal in den Hunds¬
tagen dort war, fand ich es nicht zum Aushalten.
Sie haben keine Idee von der Hoͤlle, Madame.
Wir erlangen dorther wenig offizielle Nachrichten.
Daß die armen Seelen da drunten den ganzen
Tag all die ſchlechten Predigten leſen muͤſſen,
die hier oben gedruckt werden — das iſt Ver¬
laͤumdung. So ſchlimm iſt es nicht in der
Hoͤlle, ſo raffinirte Qualen wird Satan niemals
[137] erſinnen. Dagegen iſt Dante's Schilderung
etwas zu maͤßig, im Ganzen allzupoetiſch. Mir
erſchien die Hoͤlle wie eine große buͤrgerliche
Kuͤche, mit einem unendlich langen Ofen, worauf
drey Reihen eiſerne Toͤpfe ſtanden, und in dieſen
ſaßen die Verdammten und wurden gebraten.
In der einen Reihe ſaßen die chriſtlichen Suͤn¬
der, und ſollte man es wohl glauben! ihre
Anzahl war nicht allzuklein, und die Teufel
ſchuͤrten unter ihnen das Feuer mit beſonderer
Geſchaͤftigkeit. In der anderen Reihe ſaßen die
Juden, die beſtaͤndig ſchrieen und von den
Teufeln zuweilen geneckt wurden, wie es ſich
denn gar poßierlich ausnahm, als ein dicker,
puſtender Pfaͤnderverleiher uͤber allzugroße Hitze
klagte, und ein Teufelchen ihm einige Eimer
kaltes Waſſer uͤber den Kopf goß, damit er
ſaͤhe, daß die Taufe eine wahre erfriſchende
Wohlthat ſey. In der dritten Reihe ſaßen die
Heiden, die, eben ſo wie die Juden, der Selig¬
keit nicht theilhaftig werden koͤnnen, und ewig
[138] brennen muͤſſen. Ich hoͤrte, wie einer derſelben,
dem ein vierſchroͤtiger Teufel neue Kohlen unter¬
legte, gar unwillig aus dem Topfe hervorrief:
“Schone meiner, ich war Sokrates, der Weiſeſte
der Sterblichen, ich habe Wahrheit und Gerech¬
tigkeit gelehrt und mein Leben geopfert fuͤr die
Tugend.” Aber der vierſchroͤtige, dumme Teu¬
fel ließ ſich in ſeinem Geſchaͤfte nicht ſtoͤren und
brummte; “Ey was! alle Heiden muͤſſen brennen,
und wegen eines einzigen Menſchen duͤrfen wir
keine Ausnahme machen.” — — Ich verſichere
Sie, Madame, es war eine fuͤrchterliche Hitze,
und ein Schreyen, Seufzen, Stoͤhnen, Quaͤken,
Greinen, Quiriliren — und durch all dieſe ent¬
ſetzlichen Toͤne drang vernehmbar jene fatale
Melodie des Liedes von der ungeweinten Thraͤne.
[139]
CapitelII.
Sie war liebenswuͤrdig, und Er liebte Sie; Er aber
war nicht liebenswuͤrdig, und Sie liebte ihn nicht.
((Altes Stuͤck.))
Madame! das alte Stuͤck iſt eine Tragoͤdie,
obſchon der Held darin weder ermordet wird,
noch ſich ſelbſt ermordet. Die Augen der Heldin
ſind ſchoͤn, ſehr ſchoͤn — Madame, riechen Sie
nicht Veilchenduft? — ſehr ſchoͤn, und doch ſo
ſcharfgeſchliffen, daß ſie mir wie glaͤſerne Dolche
durch das Herz drangen, und gewiß aus meinem
Ruͤcken wieder herausguckten — aber ich ſtarb
doch nicht an dieſen meuchelmoͤrderiſchen Augen.
Die Stimme der Heldin iſt auch ſchoͤn — Ma¬
dame, hoͤrten Sie nicht eben eine Nachtigall
[140] ſchlagen? — eine ſchoͤne, ſeidne Stimme, ein
ſuͤßes Geſpinnſt der ſonnigſten Toͤne, und meine
Seele ward darin verſtrickt und wuͤrgte ſich und
quaͤlte ſich. Ich ſelbſt — es iſt der Graf vom
Ganges, der jetzt ſpricht, und die Geſchichte
ſpielt in Venedig — ich ſelbſt hatte mal der¬
gleichen Quaͤlereyen ſatt, und dachte ſchon im
erſten Akte dem Spiel ein Ende zu machen, und
die Schellenkappe mitſammt dem Kopfe herunter
zu ſchießen, und ich ging nach einem Galanterie¬
laden auf der Via Burſtah, wo ich ein paar
ſchoͤne Piſtolen in einem Kaſten ausgeſtellt fand
— ich erinnere mich deſſen noch ſehr gut, es
ſtanden daneben viel freudige Spielſachen von
Perlemutter und Gold, eiſerne Herzen an guͤl¬
denen Kettlein, Porzellantaſſen mit zaͤrtlichen
Deviſen, Schnupftabaksdoſen mit huͤbſchen Bil¬
dern, z. B. die goͤttliche Geſchichte von der
Suſanna, der Schwanengeſang der Leda, der
Raub der Sabinerinnen, die Lukrezia, das dicke
Tugendmenſch, mit dem entbloͤßten Buſen, in
[141] den ſie ſich den Dolch nachtraͤglich hineinſtoͤßt,
die ſelige Bethmann, la belle ferronière, lauter
lockende Geſichter — aber ich kaufte doch die
Piſtolen, ohne viel zu dingen, und dann kauft'
ich Kugeln, dann Pulver, und dann ging ich in
den Keller des Signor Unbeſcheiden, und ließ mir
Auſtern und ein Glas Rheinwein vorſtellen —
Eſſen konnt' ich nicht und trinken noch viel
weniger. Die heißen Tropfen fielen in's Glas,
und im Glas ſah ich die liebe Heimath, den
blauen, heiligen Ganges, den ewigſtrahlenden
Himalaya, die rieſigen Banianenwaͤlder, in deren
weiten Laubgaͤngen die klugen Elephanten und
die weißen Pilger ruhig wandelten, ſeltſam traͤu¬
meriſche Blumen ſahen mich an, heimlich mah¬
nend, goldne Wundervoͤgel jubelten wild, flim¬
mernde Sonnenſtrahlen und ſuͤßnaͤrriſche Laute von
lachenden Affen neckten mich lieblich, aus fernen
Pagoden ertoͤnten die frommen Prieſtergebete,
und dazwiſchen klang die ſchmelzend klagende
[142] Stimme der Sultanin von Delhi — in ihrem
Teppichgemache rannte ſie ſtuͤrmiſch auf und
nieder, ſie zerriß ihren ſilbernen Schleyer, ſie
ſtieß zu Boden die ſchwarze Sklavin mit dem
Pfauenwedel, ſie weinte, ſie tobte, ſie ſchrie —
Ich konnte ſie aber nicht verſtehen, der Keller des
Signor Unbeſcheiden iſt 3000 Meilen entfernt
vom Harem zu Delhi, und dazu war die ſchoͤne
Sultanin ſchon todt ſeit 3000 Jahren — und
ich trank haſtig den Wein, den hellen, freudigen
Wein, und doch wurde es in meiner Seele
immer dunkler und trauriger — Ich war zum
Tode verurtheilt — — — —
— — — — — — — — — — — — — —
— — — — — — — — — — — — — —
Als ich die Kellertreppe wieder hinaufſtieg,
hoͤrte ich das Armeſuͤndergloͤckchen laͤuten, die
Menſchenmenge wogte voruͤber, ich aber ſtellte
mich an die Ecke der Strada di San Giovanni
und hielt folgenden Monolog:
[143]
Es iſt allgemein rezipirt, Madame, daß man
einen Monolog haͤlt, ehe man ſich todt ſchießt.
[144]
Die meiſten Menſchen benutzen bey ſolcher Ge¬
legenheit das hamletiſche „Seyn oder Nichtſeyn.“
Es iſt eine gute Stelle und ich haͤtte ſie hier
auch gern zitirt — aber, jeder iſt ſich ſelbſt der
naͤchſte, und hat man, wie ich, ebenfalls Tra¬
goͤdien geſchrieben, worin ſolche Lebensabiturien¬
ten-Reden enthalten ſind, z.B. den unſterblichen
„Almanſor“, ſo iſt es ſehr natuͤrlich, daß man
ſeinen eignen Worten, ſogar vor den Shakespear¬
ſchen, den Vorzug giebt. Auf jeden Fall ſind
ſolche Reden ein ſehr nuͤtzlicher Brauch; man
gewinnt dadurch wenigſtens Zeit — Und ſo ge¬
ſchah es, daß ich an der Ecke der Strada di
San Giovanni etwas lange ſtehen blieb — und
als ich da ſtand, ein Verurtheilter, der dem Tode
geweiht war, da erblickte ich ploͤtzlich Sie!
Sie trug ihr blauſeidnes Kleid, und den roſa¬
rothen Hut, und ihr Auge ſah mich an ſo mild,
ſo todtbeſiegend, ſo lebenſchenkend — Madame,
Sie wiſſen wohl aus der roͤmiſchen Geſchichte,
[145] daß, wenn die Veſtalinnen im alten Rom auf
ihrem Wege einem Verbrecher begegneten, der
zur Hinrichtung gefuͤhrt wurde, ſo hatten ſie das
Recht, ihn zu begnadigen, und der arme Schelm
blieb am Leben — Mit einem einzigen Blick hat
ſie mich vom Tode gerettet, und ich ſtand vor
ihr wie neubelebt, wie geblendet vom Sonnen¬
glanze ihrer Schoͤnheit, und ſie ging weiter —
und ließ mich am Leben.
10[146]
CapitelIII.
Und ſie ließ mich am Leben, und ich lebe,
und das iſt die Hauptſache.
Moͤgen Andre das Gluͤck genießen, daß die
Geliebte ihr Grabmal mit Blumenkraͤnzen ſchmuͤckt
und mit Thraͤnen der Treue benetzt — O, Wei¬
ber! haßt mich, verlacht mich, bekorbt mich!
aber laßt mich leben! Das Leben iſt gar zu
ſpaßhaft ſuͤß, und die Welt iſt ſo lieblich ver¬
worren, ſie iſt der Traum eines weinberauſchten
Gottes, der ſich aus der zechenden Goͤtterver¬
ſammlung à la française fortgeſchlichen, und auf
[147] einem einſamen Stern ſich ſchlafen gelegt, und
ſelbſt nicht weiß, daß er alles das auch erſchafft
was er traͤumt — und die Traumgebilde geſtal¬
ten ſich oft buntſcheckig toll, oft auch harmoniſch
vernuͤnftig — die Ilias, Plato, die Schlacht bey
Marathon, Moſes, die medizaͤiſche Venus, der
ſtraßburger Muͤnſter, die franzoͤſiſche Revoluzion,
Hegel, die Dampfſchiffe u. ſ. w. ſind einzelne
gute Gedanken in dieſem ſchaffenden Gottes¬
traum — aber es wird nicht lange dauern, und
der Gott erwacht, und reibt ſich die verſchlafenen
Augen, und laͤchelt — und unſre Welt iſt zer¬
ronnen in Nichts, ja, ſie hat nie exiſtirt.
Gleichviel! ich lebe. Bin ich auch nur das
Schattenbild in einem Traum, ſo iſt auch dieſes
beſſer als das kalte, ſchwarze, leere Nichtſeyn des
Todes. Das Leben iſt der Guͤter hoͤchſtes, und
das ſchlimmſte Uebel iſt der Tod. Moͤgen berlini¬
ſche Gardelieutnants immerhin ſpoͤtteln und es Feig¬
heit nennen, daß der Prinz von Homburg zuruͤck¬
[148] ſchaudert, wenn er ſein offnes Grab erblickt —
Heinrich Kleiſt hatte dennoch eben ſo viel Cou¬
rage wie ſeine hochbruͤſtigen, wohlgeſchnuͤrten
Collegen, und er hat es leider bewieſen. Aber
alle kraͤftige Menſchen lieben das Leben. Goethes
Egmont ſcheidet nicht gern „von der freundli¬
chen Gewohnheit des Daſeyns und Wirkens.“
Immermanns Edwin haͤngt am Leben „wie'n
Kindlein an der Mutter Bruͤſten“ und obgleich
es ihm hart ankoͤmmt, durch fremde Gnade zu
leben, ſo fleht er dennoch um Gnade:
„Weil Leben, Athmen doch das Hoͤchſte iſt.“
Wenn Odyſſeus in der Unterwelt den Achilleus
als Fuͤhrer todter Helden ſieht, und ihn preiſt we¬
gen ſeines Ruhmes bey den Lebendigen und ſeines
Anſehens ſogar bey den Todten, antwortet dieſer:
edler Odyſſeus!
beſtellen
[149]
eigenen Wohlſtand,
Todten beherrſchen.“
Ja, als der Major Duͤvent den großen
Israel Loͤwe auf Piſtolen forderte und zu ihm
ſagte: wenn Sie ſich nicht ſtellen, Herr Loͤwe,
ſo ſind Sie ein Hund! da antwortete dieſer:
ich will lieber ſeyn ein lebendiger Hund als ein
todter Loͤwe! Und er hatte Recht — Ich habe
mich oft genug geſchlagen, Madame, um dieſes
ſagen zu duͤrfen — Gottlob! ich lebe! In mei¬
nen Adern kocht das rothe Leben, unter meinen
Fuͤßen zuckt die Erde, in Liebesgluth umſchlinge
ich Baͤume und Marmorbilder, und ſie werden
lebendig in meiner Umarmung. Jedes Weib iſt
mir eine geſchenkte Welt, ich ſchwelge in den
Melodien ihres Antlitzes, und mit einem einzi¬
gen Blick meines Auges kann ich mehr genießen
als Andre, mit ihren ſaͤmmtlichen Gliedmaßen,
[150] Zeit ihres Lebens. Jeder Augenblick iſt mir ja
eine Unendlichkeit; ich meſſe nicht die Zeit mit
der brabanter, oder mit der kleinen hamburger
Elle, und ich brauche mir von keinem Prieſter
ein zweites Leben verſprechen zu laſſen, da ich
ſchon in dieſem Leben genug erleben kann, wenn
ich ruͤckwaͤrts lebe, im Leben der Vorfahren,
und mir die Ewigkeit erobere im Reiche der
Vergangenheit.
Und ich lebe! Der große Pulsſchlag der
Natur bebt auch in meiner Bruſt, und wenn ich
jauchze, antwortet mir ein tauſendfaͤltiges Echo.
Ich hoͤre tauſend Nachtigallen. Der Fruͤhling
hat ſie geſendet, die Erde aus ihrem Morgen¬
ſchlummer zu wecken, und die Erde ſchauert vor
Entzuͤcken, ihre Blumen ſind die Hymnen, die
ſie in Begeiſterung der Sonne entgegenſingt —
die Sonne bewegt ſich viel zu langſam, ich
moͤchte ihre Feuerroſſe peitſchen, damit ſie ſchneller
dahinjagen — Aber wenn ſie ziſchend in's Meer
[151] hinabſinkt, und die große Nacht heraufſteigt,
mit ihrem großen, ſehnſuͤchtigen Auge. O! dann
durchbebt mich erſt recht die rechte Luſt, wie
ſchmeichelnde Maͤdchen legen ſich die Abendluͤfte
an mein brauſendes Herz, und die Sterne win¬
ken, und ich erhebe mich, und ſchwebe uͤber der
kleinen Erde und den kleinen Gedanken der
Menſchen.
[152]
CapitelIV.
Aber einſt wird kommen der Tag, und die
Gluth in meinen Adern iſt erloſchen, in meiner
Bruſt wohnt der Winter, ſeine weißen Flocken
umflattern ſpaͤrlich mein Haupt, und ſeine Nebel
verſchleyern mein Auge. In verwitterten Graͤ¬
bern liegen meine Freunde, ich allein bin zuruͤck¬
geblieben, wie ein einſamer Halm, den der
Schnitter vergeſſen, ein neues Geſchlecht iſt her¬
vorgebluͤht mit neuen Wuͤnſchen und neuen Ge¬
danken, voller Verwundrung hoͤre ich neue Na¬
men und neue Lieder, die alten Namen ſind ver¬
ſchollen, und ich ſelbſt bin verſchollen, vielleicht
[153] noch von Wenigen geehrt, von Vielen verhoͤhnt,
und von Niemanden geliebt! Und es ſpringen
heran zu mir die roſenwangigen Knaben, und
druͤcken mir die alte Harfe in die zitternde Hand,
und ſprechen lachend: du haſt ſchon lange ge¬
ſchwiegen, du fauler Graukopf, ſing' uns wieder
Geſaͤnge von den Traͤumen deiner Jugend.
Dann ergreif' ich die Harfe, und die alten
Freuden und Schmerzen erwachen, die Nebel
zerrinnen, Thraͤnen bluͤhen wieder aus meinen
todten Augen, es fruͤhlingt wieder in meiner
Bruſt, ſuͤße Toͤne der Wehmuth beben in den
Saiten der Harfe, ich ſehe wieder den blauen
Fluß, und die marmornen Pallaͤſte, und die ſchoͤ¬
nen Frauen- und Maͤdchengeſichter — und ich
ſinge ein Lied von den Blumen der Brenta.
Es wird mein letztes Lied ſeyn, die Sterne
werden mich anblicken wie in den Naͤchten mei¬
ner Jugend, das verliebte Mondlicht kuͤßt wieder
meine Wangen, die Geiſterchoͤre verſtorbener
[154] Nachtigallen floͤten aus der Ferne, ſchlaftrunken
ſchließen ſich meine Augen, meine Seele verhallt
wie die Toͤne meiner Harfe — es duften die
Blumen der Brenta.
Ein Baum wird meinen Grabſtein beſchatten.
Ich haͤtte gern eine Palme, aber dieſe gedeiht
nicht im Norden. Es wird wohl eine Linde ſeyn,
und Sommerabends werden dort die Liebenden
ſitzen und koſen; der Zeiſig, der ſich lauſchend in
den Zweigen wiegt, iſt verſchwiegen, und meine
Linde rauſcht traulich uͤber den Haͤuptern der
Gluͤcklichen, die ſo gluͤcklich ſind, daß ſie nicht
einmal Zeit haben zu leſen, was auf dem weißen
Leichenſteine geſchrieben ſteht. Wenn aber ſpaͤter¬
hin der Liebende ſein Maͤdchen verloren hat, dann
kommt er wieder zu der wohlbekannten Linde,
und ſeufzt und weint, und betrachtet den Leichen¬
ſtein, lang und oft, und lieſt darauf die In¬
ſchrift: — Er liebte die Blumen der Brenta.
[155]
CapitelV.
Madame! ich habe Sie belogen. Ich bin
nicht der Graf vom Ganges. Niemals im Leben
ſah ich den heiligen Strom, niemals die Lotos¬
blumen, die ſich in ſeinen frommen Wellen be¬
ſpiegeln. Niemals lag ich traͤumend unter indi¬
ſchen Palmen, niemals lag ich betend vor dem
Diamantengott zu Jagernaut, durch den mir doch
leicht geholfen waͤre. Ich war eben ſo wenig
jemals in Kalkutta wie der Kalkuttenbraten, den
ich geſtern Mittag gegeſſen. Aber ich ſtamme
aus Hindoſtan, und daher fuͤhl' ich mich ſo wohl
in den breiten Sangeswaͤldern, Valmikis, die
[156] Heldenleiden des goͤttlichen Ramo bewegen mein
Herz wie ein bekanntes Weh, aus den Blumen¬
liedern Kalidaſas bluͤh'n mir hervor die ſuͤßeſten
Erinnerungen, und als vor einigen Jahren eine
guͤtige Dame in Berlin mir die huͤbſchen Bilder
zeigte, die ihr Vater, der lange Zeit Gouverneur
in Indien war, von dort mitgebracht, ſchienen
mir die zartgemalten, heiligſtillen Geſichter ſo
wohlbekannt, und es war mir, als beſchaute
ich meine eigne Familiengallerie.
Franz Bopp — Madame, Sie haben gewiß
ſeinen Nalus und ſein Conjugazionsſyſtem des
Sanskrit geleſen — gab mir manche Auskunft
uͤber meine Ahnherren, und ich weiß jetzt genau,
daß ich aus dem Haupte Bramahs entſproſſen
bin, und nicht aus ſeinen Huͤhneraugen; ich
vermuthe ſogar, daß der ganze Mahabarata
mit ſeinen 200,000 Verſen bloß ein allegori¬
ſcher Liebesbrief iſt, den mein Urahnherr an
meine Uraltermutter geſchrieben — O! ſie
[157] liebten ſich ſehr, ihre Seelen kuͤßten ſich, ſie
kuͤßten ſich mit den Augen, ſie waren beide nur
ein einziger Kuß —
Eine verzauberte Nachtigall ſitzt auf einem
rothen Korallenbaum im ſtillen Ocean, und ſingt
ein Lied von der Liebe meiner Ahnen, neugierig
blicken die Perlen aus ihren Muſchelzellen, die
wunderbaren Waſſerblumen ſchauern vor Weh¬
muth die klugen Meerſchnecken, mit ihren bun¬
ten Porzellanthuͤrmchen auf dem Ruͤcken, kom¬
men herangekrochen, die gelben, ſpitzigen See¬
ſterne und die tauſendfarbigen glaͤſernen Quab¬
ben regen und recken ſich, und alles wimmelt
und lauſcht —
Doch, Madame, dieſes Nachtigallenlied iſt
viel zu groß, um es hierherzuſetzen, es iſt ſo
groß, wie die Welt ſelbſt, ſchon die Dedicazion
an Anangas, den Gott der Liebe, iſt ſo lang
wie ſaͤmmtliche Walter-Scottſche Romane, und
[158] darauf bezieht ſich eine Stelle im Ariſtophanes,
welche zu deutſch heißt:
„Tiotio, tiotio, tiotinx,
„Totototo, totototo, tototinx.“
((Voſſiſch. Ueberſ.))
Nein, ich bin nicht geboren in Indien; das
Licht der Welt erblickte ich an den Ufern jenes
ſchoͤnen Stromes, wo auf gruͤnen Bergen die
Thorheit waͤchſt und im Herbſt gepfluͤckt, gekel¬
tert, in Faͤſſer gegoſſen und in's Ausland geſchickt
wird — Wahrhaftig, geſtern bey Tiſche hoͤrte
ich Jemanden eine Thorheit ſprechen, die Anno
1811 in einer Weintraube geſeſſen, welche ich
damals ſelbſt auf dem Johannisberg wachſen
ſah. — Viel Thorheit wird aber auch im Lande
ſelbſt conſumirt, und die Menſchen dort ſind wie
uͤberall: — ſie werden geboren, eſſen, trinken,
ſchlafen, lachen, weinen, verlaͤumden, ſind aͤngſt¬
lich beſorgt um die Fortpflanzung ihrer Gattung,
ſuchen zu ſcheinen, was ſie nicht ſind, und zu
thun, was ſie nicht koͤnnen, laſſen ſich nicht eher
[159] raſiren, als bis ſie einen Bart haben, und haben
oft einen Bart, ehe ſie verſtaͤndig ſind, und
wenn ſie verſtaͤndig ſind, berauſchen ſie ſich wie¬
der mit weißer und rother Thorheit.
Mon dieu! wenn ich doch ſo viel Glauben
in mir haͤtte, daß ich Berge verſetzen koͤnnte —
der Johannisberg waͤre derjenige Berg, den ich
mir uͤberall nachkommen ließe. Aber da mein
Glaube nicht ſo ſtark iſt, muß mir die Phan¬
taſie helfen und ſie verſetzt mich ſelbſt nach dem
ſchoͤnen Rhein.
O, da iſt ein ſchoͤnes Land, voll Lieblich¬
keit und Sonnenſchein. Im blauen Strome
ſpiegeln ſich die Bergesufer mit ihren Burg¬
ruinen und Waldungen und alterthuͤmlichen
Staͤdten — Dort vor der Hausthuͤr' ſitzen
die Buͤrgersleute des Sommerabends, und trin¬
ken aus großen Kannen, und ſchwatzen ver¬
traulich: wie der Wein, Gottlob! gedeiht,
[160] und wie die Gerichte durchaus oͤffentlich ſeyn
muͤſſen, und wie die Maria Antoinette ſo mir
nichts dir nichts guillotinirt worden, und wie
die Tabaksregie den Tabak vertheuert, und wie
alle Menſchen gleich ſind, und wie der Goͤrres
ein Hauptkerl iſt.
Ich habe mich nie um dergleichen Geſpraͤche
bekuͤmmert, und ſaß lieber bey den Maͤdchen
am gewoͤlbten Fenſter, und lachte uͤber ihr La¬
chen, und ließ mich mit Blumen in's Geſicht
ſchlagen, und ſtellte mich boͤſe, bis ſie mir ihre
Geheimniſſe oder irgend eine andre wichtige
Geſchichte erzaͤhlte. Die ſchoͤne Gertrud war
bis zum Tollwerden vergnuͤgt, wenn ich mich
zu ihr ſetzte; es war ein Maͤdchen wie eine
flammende Roſe, und als ſie mir einſt um den
Hals fiel, glaubte ich, ſie wuͤrde verbrennen
und verduften in meinen Armen. Die ſchoͤne
Katharine zerfloß in klingender Sanftheit,
wenn ſie mit mir ſprach, und ihre Augen wa¬
[161] ren von einem ſo reinen, innigen Blau, wie ich
es noch nie bey Menſchen und nur ſelten bey
Blumen gefunden; man ſah gern hinein und
konnte ſich ſo recht viel Suͤßes dabey denken.
Aber die ſchoͤne Hedwig liebte mich; denn wenn
ich zu ihr trat, beugte ſie das Haupt zur Erde,
ſo daß die ſchwarzen Locken uͤber das erroͤthende
Geſicht herabfielen, und die glaͤnzenden Augen
wie Sterne aus dunkelem Himmel hervorleuch¬
teten. Ihre verſchaͤmten Lippen ſprachen kein
Wort, und auch ich konnte ihr nichts ſagen.
Ich huſtete und ſie zitterte. Sie ließ mich
manchmal durch ihre Schweſter bitten, nicht
ſo raſch die Felſen zu beſteigen, und nicht im
Rheine zu baden, wenn ich mich heiß gelau¬
fen oder getrunken. Ich behorchte mal ihr
andaͤchtiges Gebet vor dem Marienbildchen,
das mit Goldflittern geziert und von einem
brennenden Laͤmpchen umflimmert, in einer
Niſche der Hausflur ſtand; ich hoͤrte deutlich,
wie ſie die Muttergottes bat: Ihm das Klet¬
11[162] tern, Trinken und Baden zu verbieten. Ich
haͤtte mich gewiß in das ſchoͤne Maͤdchen ver¬
liebt, wenn ſie gleichguͤltig gegen mich geweſen
waͤre; und ich war gleichguͤltig gegen ſie, weil
ich wußte, daß ſie mich liebte — Madame,
wenn man von mir geliebt ſeyn will, muß man
mich en canaille behandeln.
Die ſchoͤne Johanna war die Baſe der drey
Schweſtern, und ich ſetzte mich gern zu ihr.
Sie wußte die ſchoͤnſten Sagen, und wenn ſie
mit der weißen Hand zum Fenſter hinauszeigte,
nach den Bergen, wo das alles paſſirt war,
was ſie erzaͤhlte, ſo wurde mir ordentlich ver¬
zaubert zu Muthe, die alten Ritter ſtiegen
ſichtbar aus den Bergruinen und zerhackten ſich
die eiſernen Kleider, die Lore-Ley ſtand wieder
auf der Bergesſpitze und ſang hinab ihr ſuͤßver¬
derbliches Lied, und der Rhein rauſchte ſo ver¬
nuͤnftig, beruhigend und doch zugleich neckend
ſchauerlich — und die ſchoͤne Johanna ſah mich
[163] an ſo ſeltſam, ſo heimlich, ſo raͤthſelhaft trau¬
lich, als gehoͤrte ſie ſelbſt zu den Maͤhrchen,
wovon ſie eben erzaͤhlte. Sie war ein ſchlan¬
kes, blaſſes Maͤdchen, ſie war todtkrank und
ſinnend, ihre Augen waren klar wie die Wahr¬
heit ſelbſt, ihre Lippen fromm gewoͤlbt, in den
Zuͤgen ihres Antlitzes lag eine große Geſchichte,
aber es war eine heilige Geſchichte — Etwa
eine Liebeslegende? Ich weiß nicht, und ich
hatte auch nie den Muth, ſie zu fragen. Wenn
ich ſie lange anſah, wurde ich ruhig und hei¬
ter, es ward mir, als ſey ſtiller Sonntag in
meinem Herzen und die Engel darin hielten
Gottesdienſt.
In ſolchen guten Stunden erzaͤhlte ich ihr
Geſchichten aus meiner Kindheit, und ſie hoͤrte
immer ernſthaft zu, und ſeltſam! wenn ich mich
nicht mehr auf die Namen beſinnen konnte,
ſo erinnerte ſie mich daran. Wenn ich ſie als¬
dann mit Verwunderung fragte: woher ſie die
[164] Namen wiſſe? ſo gab ſie laͤchelnd zur Ant¬
wort, ſie habe ſie von den Voͤgeln erfahren,
die an den Flieſen ihres Fenſters niſteten —
und ſie wollte mich gar glauben machen, dieſes
ſeyen die naͤmlichen Voͤgel, die ich einſt als
Knabe mit meinem Taſchengelde den hartherzi¬
gen Bauerjungen abgekauft habe, und dann
frey fortfliegen laſſen. Ich glaube aber, ſie
wußte alles, weil ſie ſo blaß war und wirk¬
lich bald ſtarb. Sie wußte auch, wann ſie
ſterben wuͤrde, und wuͤnſchte, daß ich Ander¬
nacht den Tag vorher verlaſſen moͤchte. Beym
Abſchied gab ſie mir beide Haͤnde — es waren
weiße, ſuͤße Haͤnde, und rein wie eine Lilie —
und ſie ſprach: du biſt ſehr gut, und wenn du
boͤſe wirſt, ſo denke wieder an die kleine, todte
Veronika.
Haben ihr die geſchwaͤtzigen Voͤgel auch die¬
ſen Namen verrathen? Ich hatte mir in er¬
innerungsſuͤchtigen Stunden ſo oft den Kopf
[165] zerbrochen und konnte mich nicht mehr auf den
lieben Namen erinnern.
Jetzt, da ich ihn wieder habe, will mir auch
die fruͤheſte Kindheit wieder im Gedaͤchtniſſe
hervorbluͤhen, und ich bin wieder ein Kind und
ſpiele mit andern Kindern auf dem Schloßplatze
zu Duͤſſeldorf am Rhein.
[166]
CapitelVI.
Ja, Madame, dort bin ich geboren, und
ich bemerke dieſes ausdruͤcklich fuͤr den Fall,
daß etwa, nach meinem Tode, ſieben Staͤdte
— Schilda, Kraͤhwinkel, Polkwitz, Bockum,
Duͤlken, Goͤttingen und Schoͤppenſtedt — ſich
um die Ehre ſtreiten, meine Vaterſtadt zu
ſeyn. Duͤſſeldorf iſt eine Stadt am Rhein,
es leben da 12,000 Menſchen, und viele
hunderttauſend Menſchen liegen noch außerdem
da begraben. Und darunter ſind manche, von
denen meine Mutter ſagte, es waͤre beſſer ſie
lebten noch, z. B. mein Großvater und mein
Oheim, der alte Herr v. Geldern und der
[167] junge Herr v. Geldern, die beide ſo beruͤhmte
Doctoren waren, und ſo viele Menſchen vom
Tode kurirt, und doch ſelber ſterben mußten.
Und die fromme Urſula, die mich als Kind
auf den Armen getragen, liegt auch dort be¬
graben, und es waͤchſt ein Roſenſtrauch auf
ihrem Grab — Roſenduft liebte ſie ſo ſehr
im Leben und ihr Herz war lauter Roſenduft
und Guͤte. Auch der alte kluge Canonicus
liegt dort begraben. Gott, wie elend ſah er
aus, als ich ihn zuletzt ſah! Er beſtand nur
noch aus Geiſt und Pflaſtern, und ſtudirte den¬
noch Tag und Nacht, als wenn er beſorgte,
die Wuͤrmer moͤchten einige Ideen zu wenig in
ſeinem Kopfe finden. Auch der kleine Wil¬
helm liegt dort, und daran bin ich ſchuld.
Wir waren Schulkameraden im Franziskaner¬
kloſter und ſpielten auf jener Seite deſſelben,
wo zwiſchen ſteinernen Mauern die Duͤſſel
fließt, und ich ſagte: „Wilhelm! hol' doch das
Kaͤtzchen, das eben hineingefallen“ — und luſtig
[168] ſtieg er hinab auf das Brett, das uͤber dem
Bach lag, riß das Kaͤtzchen aus dem Waſſer,
fiel aber ſelbſt hinein, und als man ihn her¬
auszog, war er naß und todt. Das Kaͤtzchen
hat noch lange Zeit gelebt.
Die Stadt Duͤſſeldorf iſt ſehr ſchoͤn, und
wenn man in der Ferne an ſie denkt, und zu¬
faͤllig dort geboren iſt, wird einem wunderlich zu
Muthe. Ich bin dort geboren, und es iſt mir,
als muͤßte ich gleich nach Hauſe gehn. Und wenn
ich ſage nach Hauſe gehn, ſo meine ich die Bol¬
kerſtraße und das Haus, worin ich geboren bin.
Dieſes Haus wird einſt ſehr merkwuͤrdig ſeyn,
und der alten Frau, die es beſitzt, habe ich
ſagen laſſen, daß ſie bey Leibe das Haus nicht
verkaufen ſolle. Fuͤr das ganze Haus bekaͤme
ſie jetzt doch kaum ſo viel wie ſchon allein das
Trinkgeld betragen wird, das einſt die gruͤn¬
verſchleyerten, vornehmen Englaͤnderinnen dem
Dienſtmaͤdchen geben, wenn es ihnen die Stube
[169] zeigt, worin ich das Licht der Welt erblickt,
und den Huͤhnerwinkel, worin mich Vater ge¬
woͤhnlich einſperrte, wenn ich Trauben genaſcht,
und auch die braune Thuͤre, worauf Mutter
mich die Buchſtaben mit Kreide ſchreiben lehrte
— ach Gott! Madame, wenn ich ein beruͤhm¬
ter Schriftſteller werde, ſo hat das meiner
armen Mutter genug Muͤhe gekoſtet.
Aber mein Ruhm ſchlaͤft jetzt noch in den
Marmorbruͤchen von Carrara, der Makulatur-
Lorbeer, womit deutſche Journale meine Stirne
geſchmuͤckt, hat ſeinen Duft noch nicht durch
die ganze Welt verbreitet, und wenn jetzt die
gruͤnverſchleyerten, vornehmen Englaͤnderinnen
nach Duͤſſeldorf kommen, ſo laſſen ſie das be¬
ruͤhmte Haus noch unbeſichtigt und gehn direct
nach dem Marktplatz, und betrachten die dort
in der Mitte ſtehende, ſchwarze, koloſſale Reu¬
terſtatue. Dieſe ſoll den Kurfuͤrſten Jan Wil¬
helm vorſtellen. Er traͤgt einen ſchwarzen Har¬
[170] niſch, eine tiefherabhaͤngende Alongeperuͤcke —
Als Knabe hoͤrte ich die Sage, der Kuͤnſtler,
der dieſe Statue gegoſſen, habe waͤhrend des
Gießens mit Schrecken bemerkt, daß ſein Me¬
tall nicht dazu ausreiche, und da waͤren die
Buͤrger der Stadt herbeygelaufen, und haͤtten
ihm ihre ſilbernen Loͤffel gebracht, um den Guß
zu vollenden — und nun ſtand ich ſtundenlang
vor dem Reuterbilde, und zerbrach mir den
Kopf: wie viel ſilberne Loͤffel wohl darin ſtecken
moͤgen, und wie viel Apfeltoͤrtchen man wohl
fuͤr all das Silber bekommen koͤnnte? Apfeltoͤrt¬
chen waren naͤmlich damals meine Paſſion —
jetzt iſt es Liebe, Wahrheit, Freyheit und
Krebsſuppe — und eben unweit des Kurfuͤr¬
ſtenbildes, an der Theaterecke, ſtand gewoͤhn¬
lich der wunderlich gebackene, ſaͤbelbeinige Kerl,
mit der weißen Schuͤrze und dem umgehaͤng¬
ten Korbe voll lieblich dampfender Apfeltoͤrt¬
chen, die er mit einer unwiderſtehlichen Dis¬
kantſtimme anzupreiſen wußte — “Die Apfel¬
[171] toͤrtchen ſind ganz friſch, eben aus dem Ofen,
riechen ſo delikat —” Wahrlich, wenn in
meinen ſpaͤteren Jahren der Verſucher mir bey¬
kommen wollte, ſo ſprach er mit ſolcher locken¬
den Diskantſtimme, und bey Signora Guilietta
waͤre ich keine volle zwoͤlf Stunden geblieben,
wenn ſie nicht den ſuͤßen, duftenden Apfeltoͤrt¬
chenton angeſchlagen haͤtte. Und wahrlich, nie
wuͤrden Apfeltoͤrtchen mich ſo ſehr angereizt ha¬
ben, haͤtte der krumme Hermann ſie nicht ſo
geheimnißvoll mit ſeiner weißen Schuͤrze [be¬
deckt] — und die Schuͤrzen ſind es, welche —
doch ſie bringen mich ganz aus dem Context,
ich ſprach ja von der Reuterſtatue, die ſo viel
ſilberne Loͤffel im Leibe hat, und keine Suppe,
und den Kurfuͤrſten Jan Wilhelm darſtellt.
Er ſoll ein braver Herr geweſen ſeyn, und
ſehr kunſtliebend, und ſelbſt ſehr geſchickt.
Er ſtiftete die Gemaͤldegallerie in Duͤſſeldorf,
und auf dem dortigen Obſervatorium zeigt man
[172] noch einen uͤberaus kuͤnſtlichen Einſchachtelungs¬
becher von Holz, den er ſelbſt in ſeinen Frey¬
ſtunden — er hatte deren taͤglich vier und
zwanzig — geſchnitzelt hat.
Damals waren die Fuͤrſten noch keine ge¬
plagte Leute wie jetzt, und die Krone war
ihnen am Kopfe feſtgewachſen, und des Nachts
zogen ſie noch eine Schlafmuͤtze daruͤber, und
ſchliefen ruhig, und die Voͤlker ſchliefen ruhig
zu ihren Fuͤßen, und wenn dieſe des Morgens
erwachten, ſo ſagten ſie: “guten Morgen, Va¬
ter!” — und jene antworteten: “guten Mor¬
gen, liebe Kinder!”
Aber es wurde ploͤtzlich anders; als wir
eines Morgens zu Duͤſſeldorf erwachten, und
“guten Morgen, Vater!” ſagen wollten, da
war der Vater abgereiſt, und in der ganzen
Stadt war nichts als ſtumpfe Beklemmung, es
war uͤberall eine Art Begraͤbnißſtimmung, und
[173] die Leute ſchlichen ſchweigend nach dem Markte,
und laſen den langen papiernen Anſchlag auf
der Thuͤre des Rathhauſes. Es war ein truͤ¬
bes Wetter, und der duͤnne Schneider Kilian
ſtand dennoch in ſeiner Nanquinjacke, die er
ſonſt nur im Hauſe trug, und die blauwollnen
Struͤmpfe hingen ihm herab, daß die nackten
Beinchen betruͤbt hervorguckten, und ſeine ſchma¬
len Lippen bebten, waͤhrend er das angeſchla¬
gene Placat vor ſich hinmurmelte. Ein alter
pfaͤlziſcher Invalide las etwas lauter, und bey
manchem Worte traͤufelte ihm eine klare Thraͤne
in den weißen, ehrlichen Schnautzbart. Ich
ſtand neben ihm und weinte mit, und frug
ihn: warum wir weinten? Und da antwortete
er: „der Kurfuͤrſt laͤßt ſich bedanken.“ Und
dann las er wieder, und bey den Worten “fuͤr
die bewaͤhrte Unterthanstreue“ „und entbinden
Euch Eurer Pflichten“ da weinte er noch ſtaͤr¬
ker — Es iſt wunderlich anzuſehen, wenn ſo
ein alter Mann, mit verblichener Uniform und
[174] vernarbtem Soldatengeſicht, ploͤtzlich ſo ſtark
weint. Waͤhrend wir laſen, wurde auch das
kurfuͤrſtliche Wappen vom Rathhauſe herunter¬
genommen, alles geſtaltete ſich ſo beaͤngſtigend
oͤde, es war, als ob man eine Sonnenfinſterniß
erwarte, die Herren Rathsherren gingen ſo ab¬
gedankt und langſam umher, ſogar der allge¬
waltige Gaſſenvogt ſah aus, als wenn er nichts
mehr zu befehlen haͤtte, und ſtand da ſo fried¬
lich-gleichguͤltig, obgleich der tolle Alouiſius ſich
wieder auf ein Bein ſtellte und mit naͤrriſcher
Grimaſſe die Namen der franzoͤſiſchen Generale
herſchnatterte, waͤhrend der beſoffene, krumme
Gumpertz ſich in der Goſſe herumwaͤlzte 'und
ça ira, ça ira! ſang. —
Ich aber ging nach Hauſe, und weinte und
klagte: „der Kurfuͤrſt laͤßt ſich bedanken.“
Meine Mutter hatte ihre liebe Noth, ich wußte
was ich wußte, ich ließ mir nichts ausreden,
ich ging weinend zu Bette, und in der Nacht
[175] traͤumte mir: die Welt habe ein Ende — die
ſchoͤnen Blumengaͤrten und gruͤnen Wieſen wur¬
den wie Teppiche vom Boden aufgenommen
und zuſammengerollt, der Gaſſenvogt ſtieg auf
eine hohe Leiter und nahm die Sonne vom
Himmel herab, der Schneider Kilian ſtand da¬
bey und ſprach zu ſich ſelber: „ich muß nach
Hauſe gehn und mich huͤbſch anziehn, denn ich
bin todt, und ſoll noch heute begraben wer¬
den“ — und es wurde immer dunkler, ſpaͤr¬
lich ſchimmerten oben einige Sterne und auch
dieſe fielen herab wie gelbe Blaͤtter im Herbſte,
allmaͤhlig verſchwanden die Menſchen, ich ar¬
mes Kind irrte aͤngſtlich umher, ſtand endlich
vor der Weidenhecke eines wuͤſten Bauerhofes
und ſah dort einen Mann, der mit dem Spa¬
ten die Erde aufwuͤhlte, und neben ihm ein
haͤßlich haͤmiſches Weib, das etwas wie einen
abgeſchnittenen Menſchenkopf in der Schuͤrze
hielt, und das war der Mond, und ſie legte
ihn aͤngſtlich ſorgſam in die offne Grube —
[176] und hinter mir ſtand der pfaͤlziſche Invalide
und ſchluchzte und buchſtabirte: “der Kurfuͤrſt
laͤßt ſich bedanken.”
Als ich erwachte, ſchien die Sonne wieder
wie gewoͤhnlich durch das Fenſter, auf der
Straße ging die Trommel, und als ich in unſre
Wohnſtube trat, und meinem Vater, der im
weißen Pudermantel ſaß, einen guten Morgen
bot, hoͤrte ich, wie der leichtfuͤßige Friſeur ihm
waͤhrend des Friſirens haarklein erzaͤhlte: daß
heute auf dem Rathauſe dem neuen Großher¬
zog Joachim gehuldigt werde, und daß die¬
ſer von der beſten Familie ſey, und die
Schweſter des Kaiſers Napoleon zur Frau be¬
kommen, und auch wirklich viel Anſtand be¬
ſitze, und ſein ſchoͤnes ſchwarzes Haar in Locken
trage, und naͤchſtens ſeinen Einzug halten und
ſicher allen Frauenzimmern gefallen muͤſſe. Un¬
terdeſſen ging das Getrommel, draußen auf der
Straße, immer fort, und ich trat vor die
[177] Hausthuͤr und beſah die einmarſchierenden fran¬
zoͤſiſchen Truppen, das freudige Volk des Ruh¬
mes, das ſingend und klingend die Welt durch¬
zog, die heiter-ernſten Grenadiergeſichter, die Baͤ¬
renmuͤtzen, die dreyfarbigen Kokarden, die blin¬
kenden Bajonette, die Voltigeurs voll Luſtig¬
keit und Point d'honneur, und den allmaͤchtig
großen, ſilbergeſtickten Tambour-Major, der ſei¬
nen Stock mit dem vergoldeten Knopf bis an die
erſte Etage werfen konnte und ſeine Augen ſo¬
gar bis zur zweiten Etage — wo ebenfalls
ſchoͤne Maͤdchen am Fenſter ſaßen. Ich freute
mich, daß wir Einquartierung bekaͤmen —
meine Mutter freute ſich nicht — und ich eilte
nach dem Marktplatz. Da ſah es jetzt ganz
anders aus, es war, als ob die Welt neu
angeſtrichen worden, ein neues Wappen hing
am Rathhauſe, das Eiſengelaͤnder an deſſen
Balkon war mit geſtickten Sammetdecken uͤber¬
haͤngt, franzoͤſiſche Grenadiere ſtanden Schild¬
wache, die alten Herren Rathsherren hat¬
12[178] ten neue Geſichter angezogen und trugen ihre
Sonntagsroͤcke, und ſahen ſich an auf franzoͤ¬
ſiſch und ſprachen bon jour, aus allen Fenſtern
guckten Damen, neugierige Buͤrgersleute und
blanke Soldaten fuͤllten den Platz, und ich
nebſt andern Knaben, wir kletterten auf das
große Kurfuͤrſtenpferd und ſchauten davon herab
in das bunte Marktgewimmel.
Nachbars-Pitter und der lange Kurz haͤtten
bey dieſer Gelegenheit beynah' den Hals ge¬
brochen, und das waͤre gut geweſen; denn der
Eine entlief nachher ſeinen Eltern, ging unter
die Soldaten, deſertirte, und wurde in Mainz
todtgeſchoſſen, der Andre aber machte ſpaͤterhin
geographiſche Unterſuchungen in fremden Ta¬
ſchen, wurde deshalb wirkendes Mitglied einer
oͤffentlichen Spinnanſtalt, zerriß die eiſernen
Bande, die ihn an dieſe und an das Vaterland
feſſelten, kam gluͤcklich uͤber das Waſſer, und
ſtarb in London durch eine allzuenge Cravatte,
[179] die ſich von ſelbſt zugezogen, als ihm ein
koͤniglicher Beamter das Brett unter den Bei¬
nen wegriß —
Der lange Kurz ſagte uns, daß heute keine
Schule ſey, wegen der Huldigung. Wir mu߬
ten lange warten, bis dieſe losgelaſſen wurde.
Endlich fuͤllte ſich der Balcon des Rathhauſes
mit bunten Herren, Fahnen und Trompeten,
und der Herr Buͤrgermeiſter, in ſeinem beruͤhm¬
ten rothen Rock, hielt eine Rede, die ſich
etwas in die Laͤnge zog, wie Gummy-Elaſti¬
cum, oder wie eine geſtrickte Schlafmuͤtze, in
die man einen Stein geworfen — nur nicht den
Stein der Weiſen — und manche Redensar¬
ten konnte ich ganz deutlich vernehmen, z. B.
daß man uns gluͤcklich machen wolle — und
beym letzten Worte wurden die Trompeten ge¬
blaſen, und die Fahnen geſchwenkt, und die
Trommel geruͤhrt, und Vivat gerufen — und
waͤhrend ich ſelber Vivat rief, hielt ich mich
[180] feſt an den alten Kurfuͤrſten. Und das that
Noth, denn mir wurde ordentlich ſchwindlich,
ich glaubte ſchon, die Leute ſtaͤnden auf den
Koͤpfen, weil ſich die Welt herumgedreht, das
Kurfuͤrſtenhaupt mit der Alongeperuͤcke nickte und
fluͤſterte: „halt feſt an mir!“ — und erſt durch
das Kanonieren, das jetzt auf dem Walle los¬
ging, ernuͤchterte ich mich, und ſtieg vom Kuͤr¬
fuͤrſtenpferd langſam wieder herab.
Als ich nach Hauſe ging, ſah ich wieder,
wie der tolle Alouiſius auf einem Beine tanzte,
waͤhrend er die Namen der franzoͤſiſchen Gene¬
rale herſchnarrte, und wie ſich der krumme
Gumpertz beſoffen in der Goſſe herumwaͤlzte
und ça-ira, ça-ira bruͤllte — und zu meiner
Mutter ſagte ich: man will uns gluͤcklich ma¬
chen und deshalb iſt heute keine Schule.
[181]
CapitelVII.
Den andern Tag war die Welt wieder ganz
in Ordnung und es war wieder Schule, nach
wie vor, und es wurde wieder auswendig ge¬
lernt, nach wie vor — die roͤmiſchen Koͤnige,
die Jahrszahlen, die nomina auf im, die verba
irregularia, Griechiſch, Hebraͤiſch, Geographie,
deutſche Sprache, Kopfrechnen, — Gott! der
Kopf ſchwindelt mir noch davon — alles mußte
auswendig gelernt werden. Und manches da¬
von kam mir in der Folge zu Statten. Denn
haͤtte ich nicht die roͤmiſchen Koͤnige auswendig
gewußt, ſo waͤre es mir ja ſpaͤterhin ganz
[182] gleichguͤltig geweſen, ob Niebuhr bewieſen oder
nicht bewieſen hat, daß ſie niemals wirklich exi¬
ſtirt haben. Und wußte ich nicht jene Jahrs¬
zahlen, wie haͤtte ich mich ſpaͤterhin zurecht¬
finden wollen in dem großen Berlin, wo ein
Haus dem anderen gleicht, wie ein Tropfen
Waſſer oder wie ein Grenadier dem anderen,
und wo man ſeine Bekannten nicht zu finden
vermag, wenn man nicht ihre Hausnummer
im Kopfe hat; ich dachte mir damals bey
jedem Bekannten zugleich eine hiſtoriſche Bege¬
benheit, deren Jahrszahl mit ſeiner Hausnum¬
mer uͤbereinſtimmte, ſo daß ich mich dieſer leicht
erinnern konnte, wenn ich jener gedachte, und
daher kam mir auch immer eine hiſtoriſche Bege¬
benheit in den Sinn, ſobald ich einen Bekann¬
ten erblickte. So z. B. wenn mir mein Schnei¬
der begegnete, dachte ich gleich an die Schlacht
bey Marathon, begegnete mir der wohlgeputzte
Banquier Chriſtian Gumpel, ſo dachte ich gleich
an die Zerſtoͤrung Jeruſalems, erblickte ich ei¬
[183] nen ſtarkverſchuldeten portugieſiſchen Freund, ſo
dachte ich gleich an die Flucht Mahomets, ſah
ich den Univerſitaͤtsrichter, einen Mann, deſſen
ſtrenge Rechtlichkeit bekannt iſt, ſo dachte ich
gleich an den Tod Hamans, ſobald ich Wad¬
zeck ſah, dachte ich gleich an die Cleopatra —
Ach, lieber Himmel, das arme Vieh iſt jetzt
todt, die Thraͤnenſaͤckchen ſind vertrocknet, und
man kann mit Hamlet ſagen: nehmet alles in
Allem, es war ein altes Weib, wir werden
noch oft ſeines Gleichen haben! Wie geſagt,
die Jahrszahlen ſind durchaus noͤthig, ich kenne
Menſchen, die gar nichts als ein paar Jahrs¬
zahlen im Kopfe hatten, und damit in Berlin
die rechten Haͤuſer zu finden wußten, und jetzt
ſchon ordentlich Profeſſoren ſind. Ich aber hatte
in der Schule meine Noth mit den vielen Zah¬
len! Mit dem eigentlichen Rechnen ging es
noch ſchlechter. Am beſten begriff ich das Sub¬
trahiren, und da giebt es eine ſehr practiſche
Hauptregel „Vier von Drey geht nicht, da
[184] muß ich Eins borgen” — ich rathe aber jedem,
in ſolchen Faͤllen immer einige Groſchen mehr
zu borgen; denn man kann nicht wiſſen.
Was aber das Lateiniſche betrifft, ſo haben
Sie gar keine Idee davon, Madame, wie das
verwickelt iſt. Den Roͤmern wuͤrde gewiß nicht
Zeit genug uͤbrig geblieben ſeyn, die Welt zu er¬
obern, wenn ſie das Latein erſt haͤtten lernen
ſollen. Dieſe gluͤcklichen Leute wußten ſchon
in der Wiege, welche Nomina den Accuſativ
auf im haben. Ich hingegen mußte ſie im
Schweiße meines Angeſichts auswendig lernen;
aber es iſt doch immer gut, daß ich ſie weiß.
Denn haͤtte ich z. B. den 20ſten July 1825,
als ich oͤffentlich in der Aula zu Goͤttingen
lateiniſch disputirte — Madame, es war der
Muͤhe werth zuzuhoͤren — haͤtte ich da sinapem
ſtatt sinapim geſagt, ſo wuͤrden es vielleicht die
anweſenden Fuͤchſe gemerkt haben, und das waͤre
fuͤr mich eine ewige Schande geweſen. Vis,
[185]buris, sitis, tussis, cucumis, amussis, cannabis,
sinapis — Dieſe Woͤrter, die ſo viel Aufſehen
in der Welt gemacht haben, bewirkten dieſes,
indem ſie ſich zu einer beſtimmten Claſſe ſchlu¬
gen und dennoch eine Ausnahme blieben; des¬
halb achte ich ſie ſehr, und daß ich ſie bey der
Hand habe, wenn ich ſie etwa ploͤtzlich brau¬
chen ſollte, das giebt mir, in manchen truͤben
Stunden des Lebens, viel innere Beruhigung
und Troſt. Aber, Madame, die verba irregula¬
ria — ſie unterſcheiden ſich von den verbis regu¬
laribus dadurch, daß man bey ihnen noch mehr
Pruͤgel bekoͤmmt — ſie ſind gar entſetzlich
ſchwer. In den dumpfen Bogengaͤngen des
Franziskanerkloſters, unfern der Schulſtube,
hing damals ein großer, gekreuzigter Chriſtus
von grauem Holze, ein wuͤſtes Bild, das noch
jetzt zuweilen des Nachts durch meine Traͤume
ſchreitet, und mich traurig anſieht mit ſtarren,
blutigen Augen — vor dieſem Bilde ſtand ich
oft und betete: O du armer, gequaͤlter Gott,
[186] wenn es dir nur irgend moͤglich iſt, ſo ſieh doch
zu, daß ich die verba irregularia im Kopfe behalte.
Vom Griechiſchen will ich gar nicht ſprechen;
ich aͤrgere mich ſonſt zu viel. Die Moͤnche im
Mittelalter hatten ſo ganz Unrecht nicht, wenn
ſie behaupteten, daß das Griechiſche eine Er¬
findung des Teufels ſey. Gott kennt die Lei¬
den, die ich dabey ausgeſtanden. Mit dem He¬
braͤiſchen ging es beſſer, denn ich hatte immer
eine große Vorliebe fuͤr die Juden, obgleich ſie,
bis auf dieſe Stunde, meinen guten Namen
kreuzigen; aber ich konnte es doch im Hebraͤi¬
ſchen nicht ſo weit bringen wie meine Taſchen¬
uhr, die viel intimen Umgang mit Pfaͤn¬
derverleihern hatte, und dadurch manche juͤdi¬
ſche Sitte annahm — z. B. des Sonnabends
ging ſie nicht — und die heilige Sprache lernte,
und ſie auch ſpaͤterhin grammatiſch trieb; wie
ich denn oft, in ſchlafloſen Naͤchten, mit Er¬
ſtaunen hoͤrte, daß ſie beſtaͤndig vor ſich hin
[187] pickerte: katal, katalta, katalti — kittel, kit¬
talta, kittalti — —
Indeſſen, von der deutſchen Sprache begriff
ich viel mehr, und die iſt doch nicht ſo gar
kinderleicht. Denn wir armen Deutſchen, die
wir ſchon mit Einquartierungen, Militaͤrpflich¬
ten, Kopfſteuern und tauſenderley Abgaben ge¬
nug geplagt ſind, wir haben uns noch oben¬
drein den Adelung aufgeſackt und quaͤlen uns
einander mit dem Accuſativ und Dativ. Viel
deutſche Sprache lernte ich vom alten Rektor
Schallmeyer, einem braven geiſtlichen Herrn,
der ſich meiner von kindauf annahm. Aber ich
lernte auch etwas der Art von dem Profeſſor
Schramm, einem Manne, der ein Buch uͤber
den ewigen Frieden geſchrieben hat, und in deſſen
Claſſe ſich meine Mitbuben am meiſten rauften.
Waͤhrend ich in einem Zuge fort ſchrieb und
allerley dabey dachte, habe ich mich unverſehens
[188] in die alten Schulgeſchichten hineingeſchwatzt,
und ich ergreife dieſe Gelegenheit, um Ihnen
zu zeigen, Madame, wie es nicht meine Schuld
war, wenn ich von der Geographie ſo wenig
lernte, daß ich mich ſpaͤterhin nicht in der
Welt zurecht zu finden wußte. Damals hat¬
ten naͤmlich die Franzoſen alle Graͤnzen ver¬
ruͤckt, alle Tage wurden die Laͤnder neu illu¬
minirt, die ſonſt blau geweſen, wurden jetzt
ploͤtzlich gruͤn, manche wurden ſogar blutroth,
die beſtimmten Lehrbuchſeelen wurden ſo ſehr
vertauſcht und vermiſcht, daß kein Teufel ſie
mehr erkennen konnte, die Landesprodukte aͤnder¬
ten ſich ebenfalls, Cichorien und Runkelruͤben
wuchſen jetzt, wo ſonſt nur Haſen und hinter¬
herlaufende Landjunker zu ſehen waren, auch die
Charaktere der Voͤlker aͤnderten ſich, die Deut¬
ſchen wurden gelenkig, die Franzoſen machten
keine Complimente mehr, die Englaͤnder war¬
fen das Geld nicht mehr zum Fenſter hinaus,
und die Venezianer waren nicht ſchlau genug,
[189] unter den Fuͤrſten gab es viel Avancement, die
alten Koͤnige bekamen neue Uniformen, neue
Koͤnigthuͤmer wurden gebacken und hatten Ab¬
ſatz wie friſche Semmel, manche Potentaten
hingegen wurden von Haus und Hof gejagt,
und mußten auf andre Art ihr Brod zu ver¬
dienen ſuchen, und einige legten ſich daher fruͤh
auf ein Handwerk, und machten z. B. Siegellack
oder — Madame, dieſe Periode hat end¬
lich ein Ende, der Athem wollte mir ausge¬
hen — kurz und gut, in ſolchen Zeiten kann
man es in der Geographie nicht weit bringen.
Da hat man es doch beſſer in der Natur¬
geſchichte, da koͤnnen nicht ſo viele Veraͤn¬
derungen vorgehen, und da giebt es beſtimmte
Kupferſtiche von Affen, Kinguruhs, Zebras,
Nashornen u. ſ. w. Weil mir ſolche Bilder
im Gedaͤchtniſſe blieben, geſchah es in der
Folge ſehr oft, daß mir manche Menſchen beym
erſten Anblick gleich wie alte Bekannte vorkamen.
[190]
Auch in der Mythologie ging es gut. Ich
hatte meine liebe Freude an dem Goͤttergeſindel,
das ſo luſtig nackt die Welt regierte. Ich glaube
nicht, daß jemals ein Schulknabe im alten Rom
die Hauptartikel ſeines Katechismus, z. B. die
Liebſchaften der Venus, beſſer auswendig gelernt
hat, als ich. Aufrichtig geſtanden, da wir
doch einmal die alten Goͤtter auswendig lernen
mußten, ſo haͤtten wir ſie auch behalten ſollen,
und wir haben vielleicht nicht viel Vortheil bey
unſerer neuroͤmiſchen Dreygoͤtterey, oder gar bey
unſerem juͤdiſchen Eingoͤtzenthum. Vielleicht
war jene Mythologie im Grunde nicht ſo un¬
moraliſch, wie man ſie verſchrieen hat; es iſt
z. B. ein ſehr anſtaͤndiger Gedanke des Ho¬
mers, daß er jener vielbeliebten Venus einen
Gemahl zur Seite gab.
Am allerbeſten aber erging es mir in der fran¬
zoͤſiſchen Claſſe des Abbé d'Aulnoi, eines emigrir¬
ten Franzoſen, der eine Menge Grammatiken
[191] geſchrieben und eine rothe Peruͤcke trug, und gar
pfiffig umherſprang, wenn er ſeine Art poétique
und ſeine Histoire allemande vortrug — Er war
im ganzen Gymnaſium der einzige, welcher deut¬
ſche Geſchichte lehrte. Indeſſen auch das Fran¬
zoͤſiſche hat ſeine Schwierigkeiten, und zur Er¬
lernung deſſelben gehoͤrt viel Einquartierung, viel
Getrommel, viel apprendre par coeur, und vor
Allem darf man keine Béte allemande ſeyn. Da
gab es manches ſaure Wort. Ich erinnere mich
noch ſo gut, als waͤre es erſt geſtern geſchehen,
daß ich durch la réligion viel Unannehmlichkeiten
erfahren. Wohl ſechsmal erging an mich die
Frage: Henry, wie heißt der Glaube auf franzoͤ¬
ſiſch? Und ſechsmal, und immer weinerlicher
antwortete ich: das heißt le crédit. Und beim
ſiebenten Male, kirſchbraun im Geſichte, rief der
wuͤthende Examinator: er heißt la réligion —
und es regnete Pruͤgel und alle Cameraden
lachten. Madame! ſeit der Zeit kann ich das
Wort Réligion nicht erwaͤhnen hoͤren, ohne daß
[192] mein Ruͤcken blaß vor Schrecken, und meine
Wange roth vor Schaam wird. Und ehrlich
geſtanden, le crédit hat mir im Leben mehr ge¬
nuͤtzt, als la réligion — In dieſem Augenblick
faͤllt mir ein, daß ich dem Loͤwenwirth in Bo¬
logna noch fuͤnf Thaler ſchuldig bin — Und
wahrhaftig, ich mache mich anheiſchig, dem Loͤ¬
wenwirth noch fuͤnf Thaler extra ſchuldig zu
ſeyn, wenn ich nur das ungluͤckſelige Wort, la
réligion, in dieſem Leben nimmermehr zu hoͤren
brauche.
Parbleu Madame! ich habe es im Franzoͤſi¬
ſchen weit gebracht! Ich verſtehe nicht nur
Patois, ſondern ſogar adliges Bonnenfranzoͤſiſch.
Noch unlaͤngſt, in einer noblen Geſellſchaft, ver¬
ſtand ich faſt die Haͤlfte von dem Diskurs zweier
deutſchen Comteſſen, wovon jede uͤber vier und
ſechszig Jahr' und eben ſo viele Ahnen zaͤhlte.
Ja, im Café-Royal zu Berlin hoͤrte ich einmal
den Monſieur Hans Michel Martens franzoͤſiſch
[193] parliren, und verſtand jedes Wort, obſchon kein
Verſtand darin war. Man muß den Geiſt der
Sprache kennen, und dieſen lernt man am be¬
ſten durch Trommeln. Parbleu! wie viel ver¬
danke ich nicht dem franzoͤſiſchen Tambour,
der ſo lange bey uns in Quartier lag, und
wie ein Teufel ausſah, und doch von Her¬
zen ſo engelgut war, und ſo ganz vorzuͤglich
trommelte.
Es war eine kleine, bewegliche Figur mit
einem fuͤrchterlichen, ſchwarzen Schnurrbarte,
worunter ſich die rothen Lippen trotzig hervor¬
baͤumten, waͤhrend die feurigen Augen hin und
her ſchoſſen.
Ich kleiner Junge hing an ihm wie eine
Klette, und half ihm ſeine Knoͤpfe ſpiegelblank
putzen und ſeine Weſte mit Kreide weißen —
denn Monſieur Le Grand wollte gerne ge¬
fallen — und ich folgte ihm auch auf die
13[194] Wache, nach dem Appel, nach der Parade —
da war nichts als Waffenglanz und Luſtig¬
keit — les jours de fète sont passés! Mon¬
ſieur Le Grand wußte nur wenig gebrochenes
Deutſch, nur die Hauptausdruͤcke — Brod,
Kuß, Ehre — doch konnte er ſich auf der
Trommel ſehr gut verſtaͤndlich machen, z. B.
wenn ich nicht wußte, was das Wort „liberté“
bedeute, ſo trommelte er den Marſeiller Marſch
— und ich verſtand ihn. Wußte ich nicht die
Bedeutung des Worts „égalité“, ſo trommelte
er den Marſch „ça ira, ça ira — — — les
aristocrats à la lanterne!“ — und ich verſtand
ihn. Wußte ich nicht, was “bétise” ſey, ſo
trommelte er den Deſſauer Marſch, den wir
Deutſchen, wie auch Goethe berichtet, in der
Champagne getrommelt — und ich verſtand ihn.
Er wollte mir mal das Wort „l'Allemagne“ er¬
klaͤren, und er trommelte jene allzueinfache Ur¬
melodie, die man oft an Markttagen bey tan¬
zenden Hunden hoͤrt, naͤmlich Dum — Dum —
[195] Dum — ich aͤrgerte mich, aber ich verſtand
ihn doch.
Auf aͤhnliche Weiſe lehrte er mich auch die
neuere Geſchichte. Ich verſtand zwar nicht
die Worte, die er ſprach, aber da er waͤhrend
des Sprechens beſtaͤndig trommelte, ſo wußte
ich doch, was er ſagen wollte. Im Grunde
iſt das die beſte Lehrmethode. Die Geſchichte
von der Beſtuͤrmung der Baſtille, der Tuile¬
rien u. ſ. w. begreift man erſt recht, wenn
man weiß, wie bey ſolchen Gelegenheiten ge¬
trommelt wurde. In unſeren Schulcompen¬
dien lieſt man bloß: “Ihre Exc. die Baronen
und Grafen und hochdero Gemahlinnen wur¬
den gekoͤpft — Ihre Alteſſen die Herzoͤge und
Prinzen und hoͤchſtdero Gemahlinnen wurden
gekoͤpft — Ihre Majeſtaͤt der Koͤnig und aller¬
hoͤchſtdero Gemahlin wurden gekoͤpft —” aber
wenn man den rothen Guillotinenmarſch trom¬
meln hoͤrt, ſo begreift man dieſes erſt recht,
[196] und man erfaͤhrt das Warum und das Wie.
Madame, das iſt ein gar wunderlicher Marſch!
Er durchſchauerte mir Mark und Bein als ich
ihn zuerſt hoͤrte, und ich war froh, daß ich ihn
vergaß — Man vergißt ſo etwas, wenn man
aͤlter wird, ein junger Mann hat jetzt ſo viel
anderes Wiſſen im Kopf zu behalten — Whiſt,
Boſton, genealogiſche Tabellen, Bundestags¬
beſchluͤſſe, Dramaturgie, Liturgie, Vorſchnei¬
den — und wirklich, trotz allem Stirnreiben
konnte ich mich lange Zeit nicht mehr auf jene
gewaltige Melodie beſinnen. Aber denken Sie
ſich, Madame! unlaͤngſt ſitze ich an der Tafel
mit einer ganzen Menagerie von Grafen, Prin¬
zen, Prinzeſſinnen, Kammerherren, Hofmarſchal¬
linnen, Hofſchenken, Oberhofmeiſterinnen, Hof¬
ſilberbewahrern, Hofjaͤgermeiſterinnen, und wie
dieſe vornehmen Domestiquen noch außerdem
heißen moͤgen, und ihre Unterdomeſtiquen liefen
hinter ihren Stuͤhlen und ſchoben ihnen die
gefuͤllten Teller vor's Maul — ich aber, der
[197] uͤbergangen und uͤberſehen wurde, ſaß muͤſſig,
ohne die mindeſte Kinnbackenbeſchaͤfftigung, und
ich knetete Brodkuͤgelchen, und trommelte vor
Langerweile mit den Fingern, und zu meinem
Entſetzen trommelte ich ploͤtzlich den rothen,
laͤngſtvergeſſenen Guillotinenmarſch.
„Und was geſchah?“ Madame, dieſe Leute
laſſen ſich im Eſſen nicht ſtoͤren, und wiſſen
nicht, daß andere Leute, wenn ſie nichts zu
eſſen haben, ploͤtzlich anfangen zu trommeln,
und zwar gar kurioſe Maͤrſche, die man laͤngſt
vergeſſen glaubte.
Iſt nun das Trommeln ein angeborenes Ta¬
lent, oder hab' ich es fruͤhzeitig ausgebildet,
genug, es liegt mir in den Gliedern, in Haͤn¬
den und Fuͤßen, und aͤußert ſich oft unwill¬
kuͤhrlich. Unwillkuͤhrlich. Zu Berlin ſaß ich einſt
im Collegium des Geheimeraths Schmalz, eines
Mannes, der den Staat gerettet durch ſein
[198] Buch uͤber die Schwarzmaͤntel- und Rothmaͤn¬
telgefahr — Sie erinnern ſich, Madame, aus
dem Pauſanias, daß einſt durch das Geſchrey
eines Eſels ein eben ſo gefaͤhrliches Complott
entdeckt wurde, auch wiſſen Sie aus dem Li¬
vius, oder aus Beckers Weltgeſchichte, daß die
Gaͤnſe das Capitol gerettet, und aus dem Sal¬
luſt wiſſen Sie ganz genau, daß durch eine
geſchwaͤtzige Puͤtaine, die Frau Fulvia, jene
fuͤrchterliche Verſchwoͤrung des Catilina an den
Tag kam — Doch um wieder auf beſagten
Hammel zu kommen, im Collegium des Herrn
Geheimeraths Schmalz hoͤrte ich das Voͤlker¬
recht, und es war ein langweiliger Sommer¬
nachmittag, und ich ſaß auf der Bank und
hoͤrte immer weniger — der Kopf war mir
eingeſchlafen — doch ploͤtzlich ward ich auf¬
geweckt durch das Geraͤuſch meiner eigenen
Fuͤße, die wach geblieben waren, und wahr¬
ſcheinlich zugehoͤrt hatten, daß juſt das Ge¬
gentheil vom Voͤlker-Recht vorgetragen und auf
[199] Conſtitutionsgeſinnung geſchimpft wurde, und
meine Fuͤße, die mit ihren kleinen Huͤhner¬
augen das Treiben der Welt beſſer durchſchauen
als der Geheimerath mit ſeinen großen Juno-
Augen, dieſe armen, ſtummen Fuͤße, unfaͤhig,
durch Worte ihre unmaßgebliche Meinung aus¬
zuſprechen, wollten ſich durch Trommeln ver¬
ſtaͤndlich machen, und trommelten ſo ſtark, daß
ich dadurch ſchier in's Malheur kam.
Verdammte, unbeſonnene Fuͤße! ſie ſpielten
mir einen aͤhnlichen Streich, als ich einmal in
Goͤttingen bey Profeſſor Saalfeld hospitirte,
und dieſer mit ſeiner ſteifen Beweglichkeit auf
dem Katheder hin und her ſprang, und ſich
echauffirte, um auf den Kaiſer Napoleon recht
ordentlich ſchimpfen zu koͤnnen — nein, arme
Fuͤße, ich kann es euch nicht verdenken, daß ihr
damals getrommelt, ja ich wuͤrde es euch nicht
mal verdacht haben, wenn ihr, in eurer ſtum¬
men Naivetaͤt, euch noch fußtrittdeutlicher aus¬
[200] geſprochen haͤttet. Wie darf ich, der Schuͤ¬
ler Le Grand's, den Kaiſer ſchmaͤhen hoͤ¬
ren? Den Kaiſer! den Kaiſer! den großen
Kaiſer!
Denke ich an den großen Kaiſer, ſo wird
es in meinem Gedaͤchtniſſe wieder recht ſommer¬
gruͤn und goldig, eine lange Lindenallee taucht
bluͤhend empor, auf den laubigen Zweigen
ſitzen ſingende Nachtigallen, der Waſſerfall
rauſcht, auf runden Beeten ſtehen Blumen und
bewegen traumhaft ihre ſchoͤnen Haͤupter —
ich ſtand mit ihnen im wunderlichen Verkehr,
die geſchminkten Tulpen gruͤßten mich bettelſtolz
herablaſſend, die nervenkranken Lilien nickten
wehmuͤthig zaͤrtlich, die trunkenrothen Roſen
lachten mir ſchon von weitem entgegen, die
Nachtviolen ſeufzten — mit den Myrthen und
Lorbeeren hatte ich damals noch keine Bekannt¬
ſchaft, denn ſie lockten nicht durch ſchimmernde
Bluͤthe, aber mit den Reſeden, womit ich jetzt
[201] ſo ſchlecht ſtehe, war ich ganz beſonders in¬
tim — Ich ſpreche vom Hofgarten zu Duͤſſel¬
dorf, wo ich oft auf dem Raſen lag, und an¬
daͤchtig zuhoͤrte, wenn mir Monſieur Le Grand
von den Kriegsthaten des großen Kaiſers er¬
zaͤhlte, und dabey die Maͤrſche ſchlug, die waͤh¬
rend jener Thaten getrommelt wurden, ſo daß
ich alles lebendig ſah und hoͤrte. Ich ſah den
Zug uͤber den Simplon — der Kaiſer voran
und hinterdrein klimmend die braven Grena¬
diere, waͤhrend aufgeſcheuchtes Gevoͤgel ſein
Kraͤchzen erhebt und die Gletſcher in der Ferne
donnern — ich ſah den Kaiſer, die Fahne im
Arm, auf der Bruͤcke von Lodi — ich ſah den
Kaiſer im grauen Mantel bey Marengo —
ich ſah den Kaiſer zu Roß in der Schlacht
bey den Pyramiden — nichts als Pulver¬
dampf und Mammelucken — ich ſah den Kai¬
ſer in der Schlacht bey Auſterlitz — hui!
wie pfiffen die Kugeln uͤber die glatte Eis¬
bahn! — ich ſah, ich hoͤrte die Schlacht bey
[202] Jena — dum, dum, dum — ich ſah, ich hoͤrte
die Schlacht bey Eilau, Wagram — — — —
— nein, kaum konnt' ich es aushalten! Mon¬
ſieur Le Grand trommelte, daß faſt mein eignes
Trommelfell dadurch zerriſſen wurde.
[203]
CapitelVIII.
Aber, wie ward mir erſt, als ich ihn ſelber
ſah, mit hochbegnadigten, eignen Augen, ihn
ſelber, Hoſiannah! den Kaiſer.
Es war eben in der Allee des Hofgartens zu
Duͤſſeldorf. Als ich mich durch das gaffende
Volk draͤngte, dachte ich an die Thaten und
Schlachten, die mir Monſieur Le Grand vorge¬
trommelt hatte, mein Herz ſchlug den General¬
marſch — und dennoch dachte ich zu gleicher Zeit
an die Polizeyverordnung, daß man bey fuͤnf
Thaler Strafe nicht mitten durch die Allee reiten
[204] duͤrfe. Und der Kaiſer mit ſeinem Gefolge ritt
mitten durch die Allee, die ſchauernden Baͤume
beugten ſich vorwaͤrts, wo er vorbeykam, die
Sonnenſtrahlen zitterten furchtſam neugierig durch
das gruͤne Laub, und am blauen Himmel oben
ſchwamm ſichtbar ein goldner Stern. Der Kai¬
ſer trug ſeine ſcheinloſe gruͤne Uniform und das
kleine, welthiſtoriſche Huͤtchen. Er ritt ein wei¬
ßes Roͤßlein, und das ging ſo ruhig ſtolz, ſo
ſicher, ſo ausgezeichnet — waͤr' ich damals Kron¬
prinz von — — — — geweſen, ich haͤtte dieſes
Roͤßlein beneidet. Nachlaͤſſig, faſt haͤngend, ſaß
der Kaiſer, die eine Hand hielt hoch den Zaum,
die andere klopfte gutmuͤthig den Hals des
Pferdchens — Es war eine ſonnigmarmorne
Hand, eine maͤchtige Hand, eine von den beiden
Haͤnden, die das vielkoͤpfige Ungeheuer der Anar¬
chie gebaͤndigt und den Voͤlkerzweykampf geordnet
hatten — und ſie klopfte gutmuͤthig den Hals des
Pferdes. Auch das Geſicht hatte jene Farbe,
die wir bey marmornen Griechen- und Roͤmer¬
[205] koͤpfen finden, die Zuͤge deſſelben waren ebenfalls
edelgemeſſen, wie die der Antiken, und auf die¬
ſem Geſichte ſtand geſchrieben: Du ſollſt keine
Goͤtter haben außer mir. Ein Laͤcheln, das
jedes Herz erwaͤrmte und beruhigte, ſchwebte
um die Lippen — und doch wußte man, dieſe
Lippen brauchten nur zu pfeifen — et la Prusse
[n'existait]plus — dieſe Lippen brauchten nur zu
pfeifen — und die ganze Kleriſey hatte ausge¬
klingelt — dieſe Lippen brauchten nur zu pfeifen
— und das ganze heilige roͤmiſche Reich tanzte.
Und dieſe Lippen laͤchelten und auch das Auge
laͤchelte — Es war ein Auge klar wie der Him¬
mel, es konnte leſen im Herzen der Menſchen,
es ſah raſch auf einmal alle Dinge dieſer Welt,
waͤhrend wir Anderen ſie nur nach einander und
nur ihre gefaͤrbten Schatten ſehen. Die Stirne
war nicht ſo klar, es niſteten darauf die Geiſter
zukuͤnftiger Schlachten, und es zuckte bisweilen
uͤber dieſer Stirn, und das waren die ſchaffenden
Gedanken, die großen Siebenmeilenſtiefel-Gedan¬
[206] ken, womit der Geiſt des Kaiſers unſichtbar uͤber
die Welt hinſchritt — und ich glaube, jeder die¬
ſer Gedanken haͤtte einem deutſchen Schriftſteller,
Zeit ſeines Lebens, vollauf Stoff zum Schreiben
gegeben.
Der Kaiſer ritt ruhig mitten durch die Allee,
kein Polizeydiener widerſetzte ſich ihm, hinter ihm,
ſtolz auf ſchnaubenden Roſſen, und belaſtet mit
Gold und Geſchmeide, ritt ſein Gefolge, die
Trommeln wirbelten, die Trompeten erklangen,
neben mir drehte ſich der tolle Aloniſius und
ſchnarrte die Namen ſeiner Generale, unferne bruͤllte
der beſoffene Gumpertz, und das Volk rief tau¬
ſendſtimmig: es lebe der Kaiſer!
[207]
CapitelIX.
Der Kaiſer iſt todt. Auf einer oͤden Inſel
des indiſchen Meeres iſt ſein einſames Grab,
und Er, dem die Erde zu eng war, liegt ruhig
unter dem kleinen Huͤgel, wo fuͤnf Trauerweiden
gramvoll ihre gruͤnen Haare herabhaͤngen laſſen
und ein frommes Baͤchlein wehmuͤthig klagend
vorbeyrieſelt. Es ſteht keine Inſchrift auf ſei¬
nem Leichenſteine; aber Clio, mit dem eiſernen
Griffel, ſchreibt einſt Worte darauf, die wie
Geiſtertoͤne durch die Jahrtauſende klingen werden.
Brittania! dir gehoͤrt das Meer. Doch das
Meer hat nicht Waſſer genug, um von dir
[208] abzuwaſchen die Schande, die der große Todte
dir ſterbend vermacht hat. Nicht dein windiger
Sir Hudſon, nein, du ſelbſt warſt der ſiziliani¬
ſche Haͤſcher, den die verſchworenen — — — ge¬
dungen, um an dem Manne des Volkes heim¬
lich abzuraͤchen, was das Volk einſt oͤffentlich an
einem der Ihrigen veruͤbt hatte — Und er war
dein Gaſt und hatte ſich geſetzt an deinen
Heerd —
Bis in die ſpaͤteſten Zeiten werden die Kna¬
ben Frankreichs ſingen und ſagen von der ſchreck¬
lichen Gaſtfreundſchaft des Bellerophon, und
wenn dieſe Spott- und Thraͤnenlieder den Canal
hinuͤberklingen, ſo erroͤthen die Wangen aller
ehrſamen Britten. Einſt aber wird dieſes Lied
hinuͤberklingen, und es giebt kein Brittanien
mehr, zu Boden geworfen iſt das Volk des Stol¬
zes, Weſtminſters Grabmaͤler liegen zertruͤmmert,
vergeſſen iſt der koͤnigliche Staub, den ſie ver¬
ſchloſſen — Und Sanct Helena iſt das heilige
[209] Grab, wohin die Voͤlker des Orients und Occi¬
dents wallfahrten in buntbewimpelten Schiffen,
und ihr Herz ſtaͤrken durch große Erinnerung
an die Thaten des weltlichen Heilands, der ge¬
litten unter Hudſon Lowe, wie es geſchrieben
ſteht in den Evangelien Las Caſes, Omeara und
Automarchi.
Seltſam! die drey groͤßten Widerſacher des
Kaiſers hat ſchon ein ſchreckliches Schickſal ge¬
troffen: Londonderry hat ſich die Kehle abge¬
ſchnitten, Ludwig XVIII. iſt auf ſeinem Throne
verfault, und Profeſſor Saalfeld iſt noch immer
Profeſſor in Goͤttingen.
14[210]
CapitelX.
Es war ein klarer, froͤſtelnder Herbſttag, als
ein junger Menſch von ſtudentiſchem Anſehen,
durch die Allee des Duͤſſeldorfer Hofgartens
langſam wanderte, manchmal, wie aus kindi¬
ſcher Luſt, das raſchelnde-Laub, das den Boden
bedeckte, mit den Fuͤßen aufwarf, manchmal
aber auch wehmuͤthig hinaufblickte nach den
duͤrren Baͤumen, woran nur noch wenige
Goldblaͤtter hingen. Wenn er ſo hinaufſah,
dachte er an die Worte des Glaukos:
[211]
ſchlechter der Menſchen;
andere treibt dann
der Fruͤhling:
jenes verſchwindet.”
In fruͤhern Tagen hatte der junge Menſch
mit ganz andern Gedanken an eben dieſelben
Baͤume hinaufgeſehen, und er war damals ein
Knabe, und ſuchte Vogelneſter oder Sommer¬
kaͤfer, die ihn gar ſehr ergoͤtzten wenn ſie luſtig
dahinſummten, und ſich der huͤbſchen Welt er¬
freuten, zufrieden mit einem ſaftiggruͤnen Blaͤtt¬
chen, mit einem Troͤpfchen Thau, mit einem
warmen Sonnenſtrahl, und mit dem ſuͤßen
Kraͤuterduft. Damals war des Knaben Herz
eben ſo vergnuͤgt wie die flatternden Thierchen.
Jetzt aber war ſein Herz aͤlter geworden, die
[212] kleinen Sonnenſtrahlen waren darin erloſchen,
alle Blumen waren darin abgeſtorben, ſogar der
ſchoͤne Traum der Liebe war darin verblichen,
im armen Herzen war nichts als Muth und
Gram, und damit ich das Schmerzlichſte ſage —
es war mein Herz.
Denſelben Tag war ich zur alten Vaterſtadt
zuruͤckgekehrt, aber ich wollte nicht darin uͤber¬
nachten und ſehnte mich nach Godesberg, um
zu den Fuͤßen meiner Freundin mich niederzu¬
ſetzen und von der kleinen Veronika zu erzaͤh¬
len. Ich hatte die lieben Graͤber beſucht.
Von allen lebenden Freunden und Verwandten
hatte ich nur einen Ohm und eine Muhme
wiedergefunden. Fand ich auch ſonſt noch be¬
kannte Geſtalten auf der Straße, ſo kannte
mich doch niemand mehr, und die Stadt ſelbſt
ſah mich an mit fremden Augen, viele Haͤuſer
waren unterdeſſen neu angeſtrichen worden, aus
den Fenſtern guckten fremde Geſichter, um die
[213] alten Schornſteine flatterten abgelebte Spatzen,
alles ſah ſo todt und doch ſo friſch aus, wie Sa¬
lat, der auf einem Kirchhofe waͤchſt; wo man
ſonſt Franzoͤſiſch ſprach, ward jetzt Preußiſch geſpro¬
chen, ſogar ein kleines preußiſches Hoͤfchen hatte
ſich unterdeſſen dort angeſiedelt, und die Leute
trugen Hoftitel, die ehemalige Friſeurin meiner
Mutter war Hoffriſeurin geworden, und esg ab
jetzt dort Hofſchneider, Hofſchuſter, Hofwanzen¬
vertilgerinnen, Hofſchnapsladen, ein Hoflazareth
und viele Hofgeiſteskranke. Nur der alte Kur¬
fuͤrſt erkannte mich, er ſtand noch auf dem al¬
ten Platz; aber er ſchien magerer geworden zu
ſeyn. Eben weil er immer mitten auf dem
Markte ſtand, hatte er alle Miſere der Zeit
mit angeſehen, und von ſolchem Anblick wird
man nicht fett. Ich war wie im Traume, und
dachte an das Maͤhrchen von den verzauberten
Staͤdten, und ich eilte zum Thor hinaus, damit
ich nicht zu fruͤh erwachte. Im Hofgarten ver¬
mißte ich manchen Baum, und mancher war
[214] verkruͤppelt, und die vier großen Pappeln, die
mir ſonſt wie gruͤne Rieſen erſchienen, waren
klein geworden. Einige huͤbſche Maͤdchen gin¬
gen ſpatzieren, buntgeputzt, wie wandelnde Tul¬
pen. Und dieſe Tulpen hatte ich gekannt, als
ſie noch kleine Zwiebelchen waren; denn ach!
es waren ja Nachbarskinder, womit ich einſt
“Prinzeſſin im Thurme” geſpielt hatte. Aber
die ſchoͤnen Jungfrauen, die ich einſt als bluͤ¬
hende Roſen gekannt, ſah ich jetzt als verwelkte
Roſen, und in manche hohe Stirne, deren
Stolz mir einſt das Herz entzuͤckte, hatte Sa¬
turn mit ſeiner Senſe tiefe Runzeln eingeſchnit¬
ten. Jetzt erſt, aber ach! viel zu ſpaͤt, ent¬
deckte ich, was der Blick bedeuten ſollte, den
ſie einſt dem ſchon juͤnglinghaften Knaben zuge¬
worfen; ich hatte unterdeſſen in der Fremde
manche Parallelſtellen in ſchoͤnen Augen bemerkt.
Tief bewegte mich das demuͤthige Hutabnehmen
eines Mannes, den ich einſt reich und vornehm
geſehen, und der ſeitdem zum Bettler herab¬
[215] geſunken war; wie man denn uͤberall ſieht, daß
die Menſchen, wenn ſie einmal im Sinken ſind,
wie nach dem newtonſchen Geſetze, immer ent¬
ſetzlichſchneller und ſchneller in's Elend herab¬
fallen. Wer mir aber gar nicht veraͤndert ſchien,
das war der kleine Baron, der luſtig wie ſonſt
durch den Hofgarten taͤnzelte, mit der einen
Hand den linken Rockſchooß in der Hoͤhe hal¬
tend, mit der andern Hand ſein duͤnnes Rohr¬
ſtoͤckchen hin und herſchwingend; es war noch
immer daſſelbe freundliche Geſichtchen, deſſen
Roſenroͤthe ſich nach der Naſe hin konzentrirt,
es war noch immer das alte Kegelhuͤtchen, es
war noch immer das alte Zoͤpfchen, nur daß
aus dieſem jetzt einige weiße Haͤrchen, ſtatt
der ehemaligen ſchwarzen Haͤrchen hervor¬
kamen. Aber ſo vergnuͤgt er auch ausſah, ſo
wußte ich dennoch, daß der arme Baron un¬
terdeſſen viel Kummer ausgeſtanden hatte, ſein
Geſichtchen wollte es mir verbergen, aber die
weißen Haͤrchen ſeines Zoͤpfchens haben es mir
[216] hinter ſeinem Ruͤcken verrathen. Und das
Zoͤpfchen ſelber haͤtte es gerne wieder abgeleug¬
net und wackelte gar wehmuͤthig luſtig.
Ich war nicht muͤde, aber ich bekam doch
Luſt mich noch einmal auf die hoͤlzerne Bank
zu ſetzen, in die ich einſt den Namen meines
Maͤdchens eingeſchnitten. Ich konnte ihn kaum
wiederfinden, es waren ſo viele neue Namen
daruͤber hingeſchnitzelt. Ach! einſt war ich auf
dieſer Bank eingeſchlafen und traͤumte von
Gluͤck und Liebe. „Traͤume ſind Schaͤume.“
Auch die alten Kinderſpiele kamen mir wieder
in den Sinn, auch die alten, huͤbſchen Maͤhr¬
chen; aber ein neues, falſches Spiel und ein
neues, haͤßliches Maͤhrchen klang immer hin¬
durch, und es war die Geſchichte von zwey
armen Seelen, die einander untreu wurden,
und es nachher in der Treuloſigkeit ſo weit
brachten, daß ſie ſogar dem lieben Gotte die
Treue brachen. Es iſt eine boͤſe Geſchichte,
[217] und wenn man juſt nichts beſſeres zu thun
weiß, kann man daruͤber weinen. O Gott!
einſt war die Welt ſo huͤbſch, und die Voͤgel
ſangen dein ewiges Lob, und die kleine Vero¬
nika ſah mich an, mit ſtillen Augen, und wir
ſaßen vor der marmornen Statue auf dem
Schloßplatz — auf der einen Seite liegt das
alte, verwuͤſtete Schloß, worin es ſpukt und
Nachts eine ſchwarzſeidene Dame ohne Kopf,
mit langer, rauſchender Schleppe, herumwan¬
delt; auf der andern Seite iſt ein hohes,
weißes Gebaͤude, in deſſen oberen Gemaͤchern
die bunten Gemaͤlde mit goldnen Rahmen wun¬
derbar glaͤnzten, und in deſſen Untergeſchoſſe
ſo viele tauſend maͤchtige Buͤcher ſtanden, die
ich und die kleine Veronika oft mit Neugier be¬
trachteten, wenn uns die fromme Urſula an die
großen Fenſter hinanhob — Spaͤterhin, als ich
ein großer Knabe geworden, erkletterte ich dort
taͤglich die hoͤchſten Leiterſproſſen, und holte
die hoͤchſten Buͤcher herab, und las darin ſo
[218] lange, bis ich mich vor nichts mehr, am wenig¬
ſten vor Damen ohne Kopf, fuͤrchtete, und ich
wurde ſo geſcheut, daß ich alle alte Spiele
und Maͤhrchen und Bilder und die kleine Ve¬
ronika und ſogar ihren Namen vergaß.
Waͤhrend ich aber, auf der alten Bank des
Hofgartens ſitzend, in die Vergangenheit zuruͤck¬
traͤumte, hoͤrte ich hinter mir verworrene Men¬
ſchenſtimmen, welche das Schickſal der armen
Franzoſen beklagten, die, im ruſſiſchen Kriege
als Gefangene nach Sibirien geſchleppt, dort
mehre lange Jahre, obgleich ſchon Frieden war,
zuruͤckgehalten worden und jetzt erſt heimkehr¬
ten. Als ich aufſah, erblickte ich wirklich dieſe
Waiſenkinder des Ruhmes; durch die Riſſe
ihrer zerlumpten Uniformen lauſchte das nackte
Elend, in ihren verwitterten Geſichtern lagen
tiefe, klagende Augen, und obgleich verſtuͤmmelt,
ermattet und meiſtens hinkend, blieben ſie doch
noch immer in einer Art militaͤriſchen Schrittes,
[219] und ſeltſam genug! ein Tambour mit einer
Trommel ſchwankte voran; und mit innerem
Grauen ergriff mich die Erinnerung an die
Sage von den Soldaten, die des Tags in
der Schlacht gefallen und des Nachts wie¬
der vom Schlachtfelde aufſtehen und mit dem
Tambour an der Spitze nach ihrer Vater¬
ſtadt marſchieren, und wovon das alte Volks¬
lied ſingt:
Wahrlich, der arme franzoͤſiſche Tambour
ſchien halb verweſ't aus dem Grabe geſtiegen
zu ſeyn, es war nur ein kleiner Schatten in
einer ſchmutzig zerfetzten grauen Capotte, ein
verſtorben gelbes Geſicht, mit einem großen
Schnurrbarte, der wehmuͤthig herabhing uͤber
die verblichenen Lippen, die Augen waren wie
verbrannter Zunder, worin nur noch wenige
Fuͤnkchen glimmen, und dennoch, an einem
einzigen dieſer Fuͤnkchen, erkannte ich Monſieur
Le Grand.
Er erkannte auch mich, und zog mich nie¬
der auf den Raſen, und da ſaßen wir wieder
wie ſonſt, als er mir auf der Trommel die
franzoͤſiſche Sprache und die neuere Geſchichte
dozirte. Es war noch immer die wohlbekannte,
alte Trommel, und ich konnte mich nicht ge¬
nug wundern, wie er ſie vor ruſſiſcher Hab¬
ſucht geſchuͤtzt hatte. Er trommelte jetzt wie¬
der wie ſonſt, jedoch ohne dabey zu ſprechen.
[221]
Waren aber die Lippen unheimlich zuſammen¬
gekniffen, ſo ſprachen deſto mehr ſeine Augen,
die ſieghaft aufleuchteten, indem er die alten
Maͤrſche trommelte. Die Pappeln neben uns
erzitterten, als er wieder den rothen Guilloti¬
nenmarſch erdroͤhnen ließ. Auch die alten Frey¬
heitskaͤmpfe, die alten Schlachten, die Thaten
des Kaiſers, trommelte er wie ſonſt, und es
ſchien, als ſey die Trommel ſelber ein lebendi¬
ges Weſen, das ſich freute, ſeine innere Luſt
ausſprechen zu koͤnnen. Ich hoͤrte wieder den
Kanonendonner, das Pfeifen der Kugeln, den
Laͤrm der Schlacht, ich ſah wieder den Todes¬
muth der Garde, ich ſah wieder die flattern¬
den Fahnen, ich ſah wieder den Kaiſer zu
Roß — aber allmaͤhlig ſchlich ſich ein truͤber
Ton in jene freudigſten Wirbel, aus der Trom¬
mel drangen Laute, worin das wildeſte Jauch¬
zen und das entſetzlichſte Trauern unheimlich
gemiſcht waren, es ſchien ein Siegesmarſch
und zugleich ein Todtenmarſch, die Augen Le
[222] Grands oͤffneten ſich geiſterhaft weit, und ich
ſah darin nichts als ein weites, weißes Eis¬
feld bedeckt mit Leichen — es war die Schlacht
bey der Moskwa.
Ich haͤtte nie gedacht, daß die alte, harte
Trommel ſo ſchmerzliche Laute von ſich geben
koͤnnte, wie jetzt Monſieur Le Grand daraus
hervor zu locken wußte. Es waren getrom¬
melte Thraͤnen, und ſie toͤnten immer leiſer,
und wie ein truͤbes Echo brachen tiefe Seufzer
aus der Bruſt Le Grand's. Und dieſer wurde
immer matter und geſpenſtiſcher, ſeine duͤrren
Haͤnde zitterten vor Froſt, er ſaß wie im
Traume, und bewegte mit ſeinen Trommel¬
ſtoͤcken nur die Luft, und horchte wie auf
ferne Stimmen, und endlich ſchaute er mich
an, mit einem tiefen, abgrundtiefen, flehen¬
den Blick — ich verſtand ihn — und
dann ſank ſein Haupt herab auf die
Trommel.
[223]
Monſieur Le Grand hat in dieſem Leben
nie mehr getrommelt. Auch ſeine Trommel
hat nie mehr einen Ton von ſich gegeben, ſie
ſollte keinem Feinde der Freyheit zu einem
ſervilen Zapfenſtreich dienen, ich hatte den letzten,
flehenden Blick Le Grands ſehr gut verſtanden,
und zog ſogleich den Degen aus meinem Stock
und zerſtach die Trommel.
[224]
CapitelXI.
Du sublime au ridicule il n'y a qu'un pas,
Madame!
Aber das Leben iſt im Grunde ſo fatal ernſt¬
haft, daß es nicht zu ertragen waͤre ohne
ſolche Verbindung des Pathetiſchen mit dem
Komiſchen. Das wiſſen unſere Poeten. Die
grauenhafteſten Bilder des menſchlichen Wahn¬
ſinns zeigt uns Ariſtophanes nur im lachenden
Spiegel des Witzes, den großen Denkerſchmerz,
der ſeine eigne Nichtigkeit begreift, wagt Goethe
nur in den Knittelverſen eines Puppenſpiels
[225] auszuſprechen, und die toͤdtlichſte Klage uͤber
den Jammer der Welt legt Shakespeare in den
Mund eines Narren, waͤhrend er deſſen Schel¬
lenkappe aͤngſtlich ſchuͤttelt.
Sie haben's alle dem großen Urpoeten abge¬
ſehen, der in ſeiner tauſendaktigen Welttragoͤdie
den Humor auf's Hoͤchſte zu treiben weiß, wie
wir es taͤglich ſehen: — nach dem Abgang der
Helden kommen die Clowns und Grazioſos mit
ihren Narrenkolben und Pritſchen, nach den
blutigen Revolutionsſcenen und Kaiſeractionen,
kommen wieder herangewatſchelt die dicken Bour¬
bonen mit ihren alten abgeſtandenen Spaͤßchen
und zartlegitimen Bonmots, und grazioͤſe huͤpft
herbey die alte Nobleſſe mit ihrem verhunger¬
ten Laͤcheln, und hintendrein wallen die from¬
men Kaputzen mit Lichtern, Kreuzen und Kir¬
chenfahnen; — ſogar in das hoͤchſte Pathos der
Welttragoͤdie pflegen ſich komiſche Zuͤge einzu¬
ſchleichen, der verzweifelnde Republikaner, der
15[226] ſich wie ein Brutus das Meſſer in's Herz ſtieß,
hat vielleicht zuvor daran gerochen, ob auch
kein Haͤring damit geſchnitten worden, und auf
dieſer großen Weltbuͤhne geht es auch außerdem
ganz, wie auf unſeren Lumpenbrettern, auch auf
ihr giebt es beſoffene Helden, Koͤnige, die ihre
Rolle vergeſſen, Couliſſen, die haͤngen geblie¬
ben, hervorſchallende Soufleurſtimmen, Taͤn¬
zerinnen, die mit ihrer Lendenpoeſie Effekt ma¬
chen, Coſtuͤmes, die als Hauptſache glaͤnzen —
Und im Himmel oben, im erſten Range, ſitzen
unterdeſſen die lieben Engelein, und lorgniren
uns Comoͤdianten hier unten, und der liebe
Gott ſitzt ernſthaft in ſeiner großen Loge, und
langweilt ſich vielleicht, oder rechnet nach, daß
dieſes Theater ſich nicht lange mehr halten kann,
weil der Eine zu viel Gage und der Andre zu
wenig bekoͤmmt, und Alle viel zu ſchlecht ſpielen.
Du sublime au ridicule il n'y a qu'un pas‚
Madame! Waͤhrend ich das Ende des vorigen
[227] Capitels ſchrieb, und Ihnen erzaͤhlte, wie Mon¬
ſieur Le Grand ſtarb, und wie ich das testamen¬
tum militare, das in ſeinem letzten Blicke lag,
gewiſſenhaft executirte, da klopfte es an meine
Stubenthuͤre, und herein trat eine arme, alte
Frau, die mich freundlich frug: Ob ich ein
Doctor ſey? Und als ich dies bejah'te, bat
ſie mich recht freundlich, mit ihr nach Hauſe zu
gehen, um dort ihrem Manne die Huͤhneraugen
zu ſchneiden.
[228]
CapitelXII.
Die deutſchen Cenſoren — — — —
— — — — — — — — — —
— — — — — — — — — —
— — — — — — — — — —
— — — — — — — — — —
— — — — — — — — — —
— — — — — Dummkoͤpfe — —
— — — — — — — — — —
— — — — — — — — — —
— — — — — — — — — —
— — — — —
[229]
CapitelXIII.
Madame! unter Leda's bruͤtenden Hemiſphaͤ¬
ren lag ſchon der ganze trojaniſche Krieg, und
Sie koͤnnen die beruͤhmten Thraͤnen des Pria¬
mos nimmermehr verſtehen, wenn ich Ihnen
nicht erſt von den alten Schwaneneyern er¬
zaͤhle. Deshalb beklagen Sie ſich nicht uͤber
meine Abſchweifungen. In allen vorhergehen¬
den Capiteln iſt keine Zeile, die nicht zur Sache
gehoͤrte, ich ſchreibe gedraͤngt, ich vermeide alles
Ueberfluͤſſige, ich uͤbergehe ſogar oft das Noth¬
wendige, z. B. ich habe noch nicht einmal or¬
dentlich citirt — ich meyne nicht Geiſter, ſon¬
[230] dern, im Gegentheil, ich meyne Schriftſteller —
und doch iſt das Citiren alter und neuer Buͤ¬
cher das Hauptvergnuͤgen eines jungen Autors,
und ſo ein paar grundgelehrte Citate zieren den
ganzen Menſchen. Glauben Sie nur nicht,
Madame, es fehle mir an Bekanntſchaft mit
Buͤchertiteln. Außerdem kenne ich den Kunſt¬
griff großer Geiſter, die es verſtehen, die Co¬
rinthen aus den Semmeln und die Citate aus
den Collegienheften herauszupicken; ich weiß auch
woher Bartels den Moſt holt. Im Nothfall
koͤnnte ich bey meinen gelehrten Freunden eine
Anleihe von Citaten machen. Mein Freund G.
in Berlin iſt ſo zu ſagen ein kleiner Rothſchild
an Citaten, und leiht mir gern einige Millio¬
nen, und hat er ſie nicht ſelbſt vorraͤthig, ſo
kann er ſie leicht bey einigen andern kosmopo¬
litiſchen Geiſtesbanquiers zuſammenbringen —
Apropos, Madame, die dreyprocentigen Boͤckhs
ſind flau, aber die fuͤnfprocentigen Hegels ſind
geſtiegen — Doch, ich brauche jetzt noch keine
[231] Anleihe zu machen, ich bin ein Mann, der ſich
gut ſteht, ich habe jaͤhrlich meine 10,000 Ci¬
tate zu verzehren, ja, ich habe ſogar die Er¬
findung gemacht, wie man falſche Citate fuͤr
aͤchte ausgeben kann. Sollte irgend ein großer,
reicher Gelehrter, z. B. Michael Beer, mir
dieſes Geheimniß abkaufen wollen, ſo will ich
es gerne fuͤr 19,000 Thaler Courant abſte¬
hen; auch ließe ich mich handeln. Eine an¬
dere Erfindung will ich zum Heile der Lite¬
ratur nicht verſchweigen und will ſie gratis
mittheilen:
Ich finde es naͤmlich fuͤr rathſam, alle ob¬
ſcuren Autoren mit ihrer Hausnummer zu
citiren.
Dieſe „guten Leute und ſchlechten Muſikan¬
ten“ — ſo wird im Ponce de Leon das Or¬
cheſter angeredet — dieſe obſcuren Autoren be¬
ſitzen doch immer ſelbſt noch ein Exemplaͤrchen
[232] ihres laͤngſtverſchollenen Buͤchleins, und um die¬
ſes aufzutreiben, muß man alſo ihre Hausnum¬
mer wiſſen. Wollte ich z. B. „Spitta's Sang¬
buͤchlein fuͤr Handwerksburſchen“ citiren — meine
liebe Madame, wo wollten Sie dieſes finden?
Citire ich aber:
„vid. Sangbuͤchlein fuͤr Handwerksburſchen,
von P. Spitta; Luͤneburg, auf der
Luͤnerſtraße Nr. 2, rechts um die
Ecke“ —
ſo koͤnnen Sie, Madame, wenn Sie es der
Muͤhe werth halten, das Buͤchlein auftreiben.
Es iſt aber nicht der Muͤhe werth.
Uebrigens, Madame, haben Sie gar keine
Idee davon, mit welcher Leichtigkeit ich citiren
kann. Ueberall finde ich Gelegenheit, meine
tiefe Gelahrtheit anzubringen. Spreche ich
z. B. vom Eſſen, ſo bemerke ich in einer Note,
daß die Roͤmer, Griechen und Hebraͤer ebenfalls
[233] gegeſſen haben, ich citire all die koͤſtlichen Ge¬
richte, die von der Koͤchin des Lucullus bereitet
worden — weh mir! daß ich anderthalb Jahr¬
tauſend zu ſpaͤt geboren bin! — ich bemerke
auch, daß die gemeinſchaftlichen Mahle bey den
Griechen ſo und ſo hießen, und daß die Sparta¬
ner ſchlechte ſchwarze Suppen gegeſſen — Es iſt
doch gut, daß ich damals noch nicht lebte, ich
kann mir nichts entſetzlicheres denken, als wenn
ich armer Menſch ein Spartaner geworden
waͤre, Suppe iſt mein Lieblingsgericht — Ma¬
dame, ich denke naͤchſtens nach London zu reiſen,
wenn es aber wirklich wahr iſt, daß man dort
keine Suppe bekoͤmmt, ſo treibt mich die Sehn¬
ſucht bald wieder zuruͤck nach den Suppenfleiſch¬
toͤpfen des Vaterlandes. Ueber das Eſſen
der alten Hebraͤer koͤnnt' ich weitlaͤuftig mich
ausſprechen und bis auf die Juͤdiſche Kuͤche der
neueſten Zeit herabgehen — Ich citire bey dieſer
Gelegenheit den ganzen Steinweg — Ich koͤnnte
auch anfuͤhren, wie human ſich viele berliner Ge¬
[234] lehrte uͤber das Eſſen der Juden geaͤußert, ich
kaͤme dann auf die anderen Vorzuͤglichkeiten und
Vortrefflichkeiten der Juden, auf die Erfindungen,
die man ihnen verdankt, z. B. die Wechſel, das
Chriſtenthum — aber halt! letzteres wollen wir
ihnen nicht allzuhoch anrechnen, da wir eigent¬
lich noch wenig Gebrauch davon gemacht haben
— ich glaube, die Juden ſelbſt haben dabey
weniger ihre Rechnung gefunden als bey der
Erfindung der Wechſel. Bey Gelegenheit der
Juden koͤnnte ich auch Tacitus citiren — er
ſagt, ſie verehrten Eſel in ihren Tempeln — und
bey Gelegenheit der Eſel, welch ein weites Ci¬
tatenfeld eroͤffnet ſich mir! Wie viel Merkwuͤr¬
diges laͤßt ſich anfuͤhren uͤber antike Eſel, im
Gegenſatz zu den modernen. Wie vernuͤnftig
waren jene und ach! wie ſtupide ſind dieſe. Wie
verſtaͤndig ſpricht z. B. Bileams Eſel,
vid. Pentat. Lib. — — — — —
Madame, ich habe juſt das Buch nicht bey der
[235] Hand und will dieſe Stelle zum Ausfuͤllen offen
laſſen. Dagegen in Hinſicht der Abgeſchmackt¬
heit neuerer Eſel citire ich:
vid. — — — — —
— — — — —
nein, ich will auch dieſe Stelle offen laſſen, ſonſt
werde ich ebenfalls citirt, naͤmlich injuriarum.
Die neueren Eſel ſind große Eſel. Die alten
Eſel, die ſo hoch in der Cultur ſtanden,
vid. Gesneri: De antiqua honestate asinorum.
(In comment. Goͤtting. T. II. p. 32.)
ſie wuͤrden ſich im Grabe umdrehen, wenn ſie
hoͤrten, wie man von ihren Nachkommen ſpricht.
Einſt war „Eſel“ ein Ehrenname — bedeutete
ſo viel wie jetzt „Hofrath“ „Baron“ „Doctor
Philoſophiae“ — Jacob vergleicht damit ſeinen
Sohn Iſaſchar, Homer vergleicht damit ſeinen
Helden Ajax, und jetzt vergleicht man damit den
Herrn v ........! Madame, bey Gelegenheit
[236] ſolcher Eſel koͤnnte ich mich tief in die Literatur¬
geſchichte verſenken, ich koͤnnte alle große Maͤn¬
ner citiren, die verliebt geweſen ſind, z. B. den
Abelardum, Picum Mirandulanum, Borbonium,
Curteſium, Angelum Politianum, Raymundum
Lullum und Henricum Heineum. Bey Gelegen¬
heit der Liebe koͤnnte ich wieder alle große
Maͤnner citiren, die keinen Tabak geraucht haben,
z. B. Cicero, Juſtinian, Goethe, Hugo, Ich —
zufaͤllig ſind wir alle fuͤnf auch ſo halb und halb
Juriſten. Mabillion konnte nicht einmal den
Rauch einer fremden Pfeife vertragen, in ſeinem
Itinere germanico klagt er, in Hinſicht der deut¬
ſchen Wirthshaͤuſer, „quod molestus ipsi fuerit
tabaci grave olentis foetor.“ Dagegen wird an¬
dern großen Maͤnnern eine Vorliebe fuͤr den
Tabak zugeſchrieben. Raphael Thorus hat einen
Hymnus auf den Tabak gedichtet — Madame,
Sie wiſſen vielleicht noch nicht, daß ihn Iſaak
Elſeverius Anno 1628 zu Leiden in Quart her¬
ausgegeben hat — und Ludovicus Kinſchot hat
[237] eine Vorrede in Verſen dazu geſchrieben. Graͤ¬
vius hat ſogar ein Sonett auf den Tabak ge¬
macht. Auch der große Boxhornius liebte den
Tabak. Bayle, in ſeinem Dict. hist. critiq.
meldet von ihm, er habe ſich ſagen laſſen, daß
der große Boxhornius beim Rauchen einen
großen Hut mit einem Loch im Vorderrand ge¬
tragen, in welches er oft die Pfeife geſteckt,
damit ſie ihn in ſeinen Studien nicht hindere —
Apropos, bey Erwaͤhnung des großen Boxhor¬
nius koͤnnte ich auch all die großen Gelehrten
citiren, die ſich in's Boxhorn jagen ließen und
davon liefen. Ich verweiſe aber blos auf Joh.
Georg Martius: De fuga literatorum etc. etc. etc.
Wenn wir die Geſchichte durchgehen, Madame,
ſo haben alle große Maͤnner einmal in ihrem
Leben davon laufen muͤſſen: — Loth, Tar¬
quinius, Moſes, Jupiter, Frau von Stael,
Nebukadnezar, Benjowsky, Mahomet, die
ganze preußiſche Armee, Gregor VII., Rabbi
Jizchak Abarbanel, Rouſſeau — ich koͤnnte
[238] noch ſehr viele Namen anfuͤhren, z. B. die,
welche an der Boͤrſe auf dem ſchwarzen Brette
verzeichnet ſind.
Sie ſehen, Madame, es fehlt mir nicht an
Gruͤndlichkeit und Tiefe. Nur mit der Syſte¬
matie will es noch nicht ſo recht gehen.
Als ein aͤchter Deutſcher haͤtte ich dieſes Buch
mit einer Erklaͤrung ſeines Titels eroͤffnen
muͤſſen, wie es im heiligen roͤmiſchen Reiche
Brauch und Herkommen iſt. Phidias hat
zwar zu ſeinem Jupiter keine Vorrede gemacht,
eben ſo wenig, wie auf der medizaͤiſchen
Venus — ich habe ſie von allen Seiten
betrachtet — irgend ein Citat gefunden wird;
— aber die alten Griechen waren Griechen,
unſer einer iſt ein ehrlicher Deutſcher, kann
die deutſche Natur nicht ganz verlaͤugnen,
und ich muß mich daher noch nachtraͤg¬
lich uͤber den Titel meines Buches aus¬
ſprechen.
[239]
Madame, ich ſpreche demnach:
I. Von den Ideen.
∙A. Von den Ideen im Allgemeinen.
∘a. Von vernuͤnftigen Ideen.
∘b. Von unvernuͤnftigen Ideen.
∘α. Von den gewoͤhnlichen Ideen.
∘β. Von den Ideen, die mit gruͤnem
Leder uͤberzogen ſind.
Dieſe werden wieder eingetheilt
in — doch das wird ſich alles
ſchon finden.
[240]
CapitelXIV.
Madame, haben Sie uͤberhaupt eine Idee
von einer Idee? Was iſt eine Idee? “Es
liegen einige gute Ideen in dieſem Rock” ſagte
mein Schneider, indem er mit ernſter Anerken¬
nung den Oberrock betrachtete, der ſich noch
aus meinen berliniſch eleganten Tagen her¬
ſchreibt, und woraus jetzt ein ehrſamer Schlaf¬
rock gemacht werden ſollte. Meine Waͤſcherin
klagt: “der Paſtor S. habe ihrer Tochter
Ideen in den Kopf geſetzt, und ſie ſey da¬
durch unklug geworden und wolle keine Ver¬
nunft mehr annehmen.” Der Kutſcher Pat¬
[241] tenſen brummt bey jeder Gelegenheit: „das iſt
eine Idee! das iſt eine Idee!“ Geſtern aber
wurde er ordentlich verdrießlich, als ich ihn
frug: was er ſich unter eine Idee vorſtelle?
Und verdrießlich brummte er: „Nu, nu, eine
Idee iſt eine Idee! eine Idee iſt alles dumme
Zeug, was man ſich einbildet.“ In gleicher
Bedeutung wird dieſes Wort, als Buch¬
titel, von dem Hofrath Heeren in Goͤttingen
gebraucht.
Der Kutſcher Pattenſen iſt ein Mann, der
auf der weiten luͤneburger Heide, in Nacht und
Nebel, den Weg zu finden weiß; der Hofrath
Heeren iſt ein Mann, der ebenfalls mit klu¬
gem Inſtinkt die alten Karavanenwege des
Morgenlands auffindet, und dort ſchon, ſeit
Jahr und Tag, ſo ſicher und geduldig einher¬
wandelt, wie jemals ein Kameel des Alter¬
thums; auf ſolche Leute kann man ſich ver¬
laſſen, ſolchen Leuten darf man getroſt nachfol¬
16[242] gen, und darum habe ich dieſes Buch “Ideen”
betitelt.
Der Titel des Buches bedeutet daher eben
ſo wenig als der Titel des Verfaſſers, er ward
von demſelben nicht aus gelehrtem Hochmuth
gewaͤhlt, und darf ihm fuͤr nichts weniger als
Eitelkeit ausgedeutet werden. Nehmen Sie die
wehmuͤthigſte Verſicherung, Madame, ich bin
nicht eitel. Es bedarf dieſer Bemerkung, wie
Sie mitunter merken werden. Ich bin nicht
eitel — Und wuͤchſe ein Wald von Lorbeeren
auf meinem Haupte, und ergoͤſſe ſich ein
Meer von Weihrauch in mein junges Herz —
ich wuͤrde doch nicht eitel werden. Meine
Freunde und uͤbrigen Raum- und Zeitgenoſſen
haben treulich dafuͤr geſorgt — Sie wiſſen,
Madame, daß alte Weiber ihre Pflegekinder ein
bischen anſpucken, wenn man die Schoͤnheit der¬
ſelben lobt, damit das Lob den lieben Kleinen
nicht ſchade — Sie wiſſen, Madame, wenn zu
[243] Rom der Triumphator, ruhmbekraͤnzt und pur¬
purgeſchmuͤckt, auf ſeinem goldnen Wagen mit
weißen Roſſen, vom Campo Martii einherfuhr,
wie ein Gott hervorragend aus dem feyerlichen
Zuge der Lictoren, Muſikanten, Taͤnzer, Prie¬
ſter, Sklaven, Trophaͤentraͤger, Conſuln, Se¬
natoren, Soldaten: dann ſang der Poͤbel hin¬
tendrein allerley Spottlieder — Und Sie wiſſen,
Madame, daß es im lieben Deutſchland viel
alte Weiber und Poͤbel giebt.
Wie geſagt, Madame, die Ideen, von denen
hier die Rede iſt, ſind von den platoniſchen
eben ſo weit entfernt als Athen von Goͤttin¬
gen, und Sie duͤrfen von dem Buche ſelbſt
eben ſo wenig große Erwartungen hegen, als
von dem Verfaſſer ſelbſt. Wahrlich, wie dieſer
uͤberhaupt jemals dergleichen Erwartungen er¬
regen konnte, iſt mir eben ſo unbegreiflich als
meinen Freunden. Graͤfin Julie will die
Sache erklaͤren, und verſichert: wenn der be¬
[244] ſagte Verfaſſer zuweilen etwas wirklich Geiſtrei¬
ches und Neugedachtes ausſpreche, ſo ſey dies
bloß Verſtellung von ihm, und im Grunde ſey
er eben ſo dumm wie die Uebrigen. Das iſt
falſch, ich verſtelle mich gar nicht, ich ſpreche
wie mir der Schnabel gewachſen, ich ſchreibe in
aller Unſchuld und Einfalt was mir in den
Sinn kommt, und ich bin nicht daran Schuld,
wenn das etwas Geſcheutes iſt. Aber ich habe
nun mahl im Schreiben mehr Gluͤck als in
der Altonaer Lotterie — ich wollte, der Fall
waͤre umgekehrt — und da kommt aus meiner
Feder mancher Herztreffer, manche Gedanken¬
quaterne, und das thut Gott; — denn ER,
der den froͤmmſten Elohaſaͤngern und Erbauungs¬
poeten alle ſchoͤne Gedanken und allen Ruhm
in der Literatur verſagt, damit ſie nicht von
ihren irdiſchen Mitcreaturen zu ſehr gelobt wer¬
den und dadurch des Himmels vergeſſen, wo
ihnen ſchon von den Engeln das Quartier zu¬
recht gemacht wird: — ER pflegt uns andre,
[245] profane, ſuͤndhafte, ketzeriſche Schriftſteller,
fuͤr die der Himmel doch ſo gut wie vernagelt
iſt, deſto mehr mit vorzuͤglichen Gedanken und
Menſchenruhm zu ſegnen, und zwar aus goͤtt¬
licher Gnade und Barmherzigkeit, damit die
arme Seele, die doch nun einmahl erſchaffen
iſt, nicht ganz leer ausgehe und wenigſtens hie¬
nieden auf Erden einen Theil jener Wonne
empfinde, die ihr dort oben verſagt iſt.
vid. Goethe und die Traktaͤtchenverfaſſer.
Sie ſehen alſo, Madame, Sie duͤrfen meine
Schriften leſen, dieſe zeugen von der Gnade
und Barmherzigkeit Gottes, ich ſchreibe im
blinden Vertrauen auf deſſen Allmacht, ich bin
in dieſer Hinſicht ein aͤcht chriſtlicher Schrift¬
ſteller, und, um mit Gubitz zu reden, waͤhrend
ich eben dieſe gegenwaͤrtige Periode anfange,
weiß ich noch nicht, wie ich ſie ſchließe und
was ich eigentlich ſagen ſoll, und ich verlaſſe
mich dafuͤr auf den lieben Gott. Und wie koͤnnte
[246] ich auch ſchreiben ohne dieſe fromme Zuverſicht,
in meinem Zimmer ſteht jetzt der Burſche aus
der Langhoffſchen Druckerey und wartet auf
Manuſcript, das kaumgeborene Wort wandert
warm und naß in die Preſſe, und was ich in
dieſem Augenblick denke und fuͤhle, kann mor¬
gen Mittag ſchon Makulatur ſeyn. — Sie
haben leicht reden, Madame, wenn Sie mich
an das Horaziſche nonum prematur in annum
erinnern. Dieſe Regel mag, wie manche an¬
dere der Art, ſehr gut in der Theorie gelten,
aber in der Praxis taugt ſie nichts. Als Horaz
dem Autor die beruͤhmte Regel gab, ſein
Werk neun Jahre im Pult liegen zu laſſen,
haͤtte er ihm auch zu gleicher Zeit das Recept
geben ſollen, wie man neun Jahre ohne Eſſen
zubringen kann. Als Horaz dieſe Regel erſann,
ſaß er vielleicht an der Tafel des Maͤcenas und
aß Truthaͤhne mit Truͤffeln, Faſanenpudding in
Wildpretſauce, Lerchenrippchen mit teltower
Ruͤbchen, Pfauenzungen, indianiſche Vogelne¬
[247] ſter, und Gott weiß! was noch mehr, und
alles umſonſt. Aber wir, wir ungluͤcklichen
Spaͤtgebornen, wir leben in einer andern Zeit,
unſere Maͤcenaten haben ganz andere Princi¬
pien, ſie glauben, Autoren und Mispeln ge¬
deihen am beſten, wenn ſie einige Zeit auf dem
Stroh liegen, ſie glauben, die Hunde taugten
nicht auf der Bilder- und Gedankenjagd, wenn
ſie zu dick gefuͤttert wuͤrden, ach! und wenn
ſie ja mahl einen armen Hund fuͤttern, ſo iſt
es der unrechte, der die Brocken am wenigſten
verdient, z. B. der Dachs, der die Hand
leckt, oder der winzige Bologneſer, der ſich in
den duftigen Schooß der Hausdame zu ſchmie¬
gen weiß, oder der geduldige Pudel, der eine
Brodwiſſenſchaft gelernt und apportiren, tan¬
zen und trommeln kann — Waͤhrend ich dieſes
ſchreibe, ſteht hinter mir mein kleiner Mops und
bellt — Schweig nur, Ami, dich hab' ich
nicht gemeint, denn du liebſt mich und beglei¬
teſt deinen Herrn in Noth und Gefahr und
[248] wuͤrdeſt ſterben auf ſeinem Grabe, eben ſo treu
wie mancher andere deutſche Hund, der in die
Fremde verſtoßen, vor den Thoren Deutſch¬
lands liegt und hungert und wimmert — Ent¬
ſchuldigen Sie, Madame, daß ich eben ab¬
ſchweifte, um meinem armen Hunde eine Eh¬
renerklaͤrung zu geben, ich komme wieder auf
die horaziſche Regel und ihre Unanwendbarkeit
im neunzehnten Jahrhundert, wo die Poeten
das Schuͤrzenſtipendium der Muſe nicht entbeh¬
ren koͤnnen — Ma foi, Madame! ich koͤnnte es
keine 24 Stunden, viel weniger neun Jahre
aushalten, mein Magen hat wenig Sinn fuͤr
Unſterblichkeit, ich hab' mir's uͤberlegt, ich will
nur halb unſterblich und ganz ſatt werden,
und wenn Voltaire dreyhundert Jahre ſeines
ewigen Nachruhms fuͤr eine gute Verdauung
des Eſſens hingeben moͤchte, ſo biete ich das
Doppelte fuͤr das Eſſen ſelbſt. Ach! und was
fuͤr ſchoͤnes, bluͤhendes Eſſen giebt es auf dieſer
Welt! Der Philoſoph Pangloß hat Recht; es
[249] iſt die beſte Welt! Aber man muß Geld in
dieſer beſten Welt haben, Geld in der Taſche
und nicht Manuſcripte im Pult. Der Wirth
im Koͤnig von England iſt ſelbſt Schriftſteller
und kennt auch die horaziſche Regel, aber ich
glaube nicht, daß er mir, wenn ich ſie ausuͤben
wollte, neun Jahr' zu eſſen gaͤbe.
Im Grunde, warum ſollte ich ſie auch aus¬
uͤben? Ich habe des Guten ſo viel zu ſchrei¬
ben, daß ich nicht lange Federleſens zu machen
brauche. So lange mein Herz voll Liebe und
der Kopf meiner Nebenmenſchen voll Narrheit
iſt, wird es mir nie an Stoff zum Schreiben
fehlen. Und mein Herz wird immer lieben, ſo
lange es Frauen giebt, erkaltet es fuͤr die Eine,
ſo ergluͤht es gleich fuͤr die Andere; wie in
Frankreich der Koͤnig nie ſtirbt, ſo ſtirbt auch
nie die Koͤnigin in meinem Herzen, und da
heißt es: la reine est morte, vive la reine! Auf
gleiche Weiſe wird auch die Narrheit meiner
[250] Nebenmenſchen nie ausſterben. Denn es giebt
nur eine einzige Klugheit und dieſe hat ihre be¬
ſtimmten Grenzen; aber es giebt tauſend uner¬
meßliche Narrheiten. Der gelehrte Caſuiſt und
Seelſorger Schupp ſagt ſogar: “in der Welt
ſind mehr Narren als Menſchen —”
vid. Schuppii lehrreiche Schriften, S. 1121.
Bedenkt man, wo der große Schuppius ge¬
wohnt hat, ſo findet man dieſe ſtatiſtiſche An¬
gabe gar nicht uͤbertrieben. Ich befinde mich
an demſelben Orte, und kann ſagen, daß mir
ordentlich wohl wird, wenn ich bedenke, all
dieſe Narren, die ich hier ſehe, kann ich in
meinen Schriften gebrauchen, ſie ſind baares
Honorar, baares Geld. Ich befinde mich jetzt
ſo recht in der Wolle. Der Herr hat mich
geſegnet, die Narren ſind dieſes Jahr ganz be¬
ſonders gut gerathen, und als guter Wirth
conſumire ich nur wenige, ſuche mir die ergie¬
bigſten heraus und bewahre ſie fuͤr die Zu¬
[251] kunft. Man ſieht mich oft auf der Prome¬
nade und ſieht mich luſtig und froͤhlich. Wie
ein reicher Kaufmann, der haͤndereibendvergnuͤgt
zwiſchen den Kiſten, Faͤſſern und Ballen ſeines
Waarenlagers umherwandelt, ſo wandle ich dann
unter meinen Leuten. Ihr ſeyd alle die Mei¬
nigen! Ihr ſeyd mir alle gleich theuer, und
ich liebe Euch, wie Ihr ſelbſt Euer Geld
liebt, und das will viel ſagen. Ich mußte herz¬
lich lachen, als ich juͤngſt hoͤrte: einer meiner
Leute habe ſich beſorglich geaͤußert, er wiſſe
nicht, wovon ich einſt leben wuͤrde — und
dennoch iſt er ſelbſt ein ſo capitaler Narr, daß
ich von ihm allein ſchon leben koͤnnte, wie von
einem Capitale. Mancher Narr iſt mir aber
nicht bloß baares Geld, ſondern ich habe das
baare Geld, das ich aus ihm erſchreiben kann,
ſchon zu irgend einem Zwecke beſtimmt. So
z. B. fuͤr einen gewiſſen, wohlgepolſterten,
dicken Millionnarrn werde ich mir einen ge¬
wiſſen, wohlgepolſterten Stuhl anſchaffen, den
[252] die Franzoͤſinnen chaise perçée nennen. Fuͤr
ſeine dicke Millionnaͤrrin kaufe ich mir ein
Pferd. Sehe ich nun den Dicken — ein Ka¬
meel kommt eher in's Himmelreich, als dieſer
Mann durch ein Nadeloͤhr geht — ſehe ich
nun dieſen auf der Promenade heranwatſcheln,
ſo wird mir wunderlich zu Muthe, obſchon ich
ihm ganz unbekannt bin, ſo gruͤße ich ihn un¬
willkuͤhrlich, und er gruͤßt wieder ſo herzlich,
ſo einladend, daß ich auf der Stelle von ſeiner
Guͤte Gebrauch machen moͤchte, und doch in
Verlegenheit komme wegen der vielen geputzten
Menſchen, die juſt vorbeygehn. Seine Frau
Gemahlin iſt gar keine uͤble Frau — ſie hat
zwar nur ein einziges Auge, aber es iſt dafuͤr
deſto gruͤner, ihre Naſe iſt wie der Thurm,
der gen Damaskus ſchaut, ihr Buſen iſt groß
wie das Meer, und es flattern darauf allerley
Baͤnder, wie Flaggen der Schiffe, die in die¬
ſen Meerbuſen eingelaufen — man wird ſee¬
krank ſchon durch den bloßen Anblick — ihr
[253] Nacken iſt gar huͤbſch und fettgewoͤlbt wie
ein — das vergleichende Bild befindet ſich et¬
was tiefer unten — und an der veilchenblauen
Gardine, die dieſes vergleichende Bild bedeckt,
haben gewiß tauſend und abermals tauſend
Seidenwuͤrmchen ihr ganzes Leben verſponnen.
Sie ſehen, Madame, welch ein Roß ich mir
anſchaffe! Begegnet mir die Frau auf der Pro¬
menade, ſo geht mir ordentlich das Herz auf,
es iſt mir, als koͤnnt' ich mich ſchon aufſchwin¬
gen, ich ſchwippe mit der Jerte, ich ſchnappe
mit den Fingern, ich ſchnalze mit der Zunge,
ich mache mit den Beinen allerley Reuterbewe¬
gungen — hopp! hopp! — burr! burr! — und
die liebe Frau ſieht mich an ſo ſeelenvoll, ſo
verſtaͤndnißinnig, ſie wiehert mit dem Auge,
ſie ſperrt die Nuͤſtern, ſie kokettirt mit der
Crouppe, ſie kourbettirt, ſetzt ſich ploͤtzlich in
einen kurzen Hundetrapp — Und ich ſtehe dann
mit gekreuzten Armen, und ſchaue ihr wohlge¬
faͤllig nach, und uͤberlege, ob ich ſie auf der
[254] Stange reiten ſoll oder auf der Trenſe, ob ich
ihr einen engliſchen oder einen polniſchen Sat¬
tel geben ſoll — u. ſ. w. — Leute, die mich
alsdann ſtehen ſehen, begreifen nicht, was mich
bey der Frau ſo ſehr anzieht. Zwiſchentragende
Zungen wollten ſchon ihren Herrn Gemahl in
Unruhe ſetzen und gaben Winke, als ob ich
ſeine Ehehaͤlfte mit den Augen eines Roué be¬
trachte. Aber meine ehrliche, weichlederne chaise
percée ſoll geantwortet haben: er halte mich
fuͤr einen unſchuldigen, ſogar etwas ſchuͤchter¬
nen, jungen Menſchen, der ihn mit einer ge¬
wiſſen [Genauigkeit] anſaͤhe, wie einer, der
das Beduͤrfniß fuͤhlt, ſich naͤher anzuſchließen,
und doch von einer erroͤthenden Bloͤdigkeit
zuruͤckgehalten wird. Mein edles Roß meinte
hingegen: ich haͤtte ein freyes, unbefange¬
nes, chevaleresques Weſen, und meine zu¬
vorgruͤßende Hoͤflichkeit bedeute bloß den
Wunſch, einmahl von ihnen zu einem Mit¬
tagseſſen eingeladen zu werden. —
[255]
Sie ſehen, Madame, ich kann alle Men¬
ſchen gebrauchen, und der Adreßkalender iſt
eigentlich mein Hausinventarium. Ich kann
daher auch nie Bankerott werden, denn meine
Glaͤubiger ſelbſt wuͤrde ich in Erwerbsquellen
verwandeln. Außerdem, wie geſagt, lebe ich
wirklich ſehr oͤkonomiſch, verdammt oͤkonomiſch.
z. B. Waͤhrend ich dieſes ſchreibe, ſitze ich in
einer dunkeln, betruͤbten Stube auf der Duͤſter¬
ſtraße — aber, ich ertrage es gern, ich koͤnnte
ja, wenn ich nur wollte, im ſchoͤnſten Garten
ſitzen, eben ſo gut wie meine Freunde und Lie¬
ben; ich brauchte nur meine Schnapsklienten zu
realiſiren. Dieſe letzteren, Madame, beſtehen
aus verdorbenen Friſeuren, heruntergekomme¬
nen Kupplern, Speiſewirthen, die ſelbſt nichts
mehr zu eſſen haben, lauter Lumpen, die meine
Wohnung zu finden wiſſen, und fuͤr ein wirk¬
liches Trinkgeld mir die Chronique ſcandaleuſe
ihres Stadtviertels erzaͤhlen — Madame, Sie
wundern ſich, daß ich ſolches Volk nicht ein
[256] fuͤr allemahl zur Thuͤr hinauswerfe? — Wo
denken Sie hin, Madame! Dieſe Leute ſind
meine Blumen. Ich beſchreibe ſie einſt in
einem ſchoͤnen Buche, fuͤr deſſen Honorar ich
mir einen Garten kaufe, und mit ihren rothen,
gelben, blauen und buntgeſprenkelten Geſichtern
erſcheinen ſie mir jetzt ſchon wie Blumen dieſes
Gartens. Was kuͤmmert es mich, daß fremde
Naſen behaupten, dieſe Blumen roͤchen nur nach
Kuͤmmel, Taback, Kaͤſe und Laſter! meine eigne
Naſe, der Schornſtein meines Kopfes, worin die
Phantaſie als Kaminfeger auf und ab ſteigt,
behauptet das Gegentheil, ſie riecht an jenen
Leuten nichts als den Duft von Roſen, Jasmi¬
nen, Veilchen, Nelken, Violen — O, wie be¬
haglich werde ich einſt des Morgens in meinem
Garten ſitzen, und den Geſang der Voͤgel behor¬
chen, und die Glieder waͤrmen an der lieben
Sonne, und einathmen den friſchen Hauch des
Gruͤnen, und durch den Anblick der Blumen
mich erinnern an die alten Lumpen!
[257]
Vor der Hand ſitze ich aber noch auf der
dunklen Duͤſterſtraße in meinem dunklen Zimmer
und begnuͤge mich in der Mitte deſſelben den
groͤßten Obſcuranten des Landes aufzuhaͤngen —
„Mais est-ce-que vous verrez plus clair alors?“
Augenſcheinlichement, Madame — doch mißver¬
ſtehen Sie mich nicht, ich haͤnge nicht den
Mann ſelbſt, ſondern nur die kriſtallne Lampe,
die ich fuͤr das Honorar, das ich aus ihm er¬
ſchreibe, mir anſchaffen werde. Indeſſen, ich
glaube, es waͤre noch beſſer und es wuͤrde ploͤtz¬
lich im ganzen Lande hell werden, wenn man
die Obſcuranten in Natura aufhinge. Kann
man aber die Leute nicht haͤngen, ſo muß man
ſie brandmarken. Ich ſpreche wieder figuͤrlich,
ich brandmarke in effigie. Freylich, Herr v.
Weiß — er iſt weiß und unbeſcholten wie eine
Lilie — hat ſich weiß machen laſſen, ich haͤtte
in Berlin erzaͤhlt, Er ſey wirklich gebrandmarkt;
der Narr ließ ſich deßhalb von der Obrigkeit
beſehen und ſchriftlich geben, daß ſeinem
17[258] Ruͤcken kein Wappen aufgedruckt ſey, dieſes ne¬
gative Wappenzeugniß betrachtete er wie ein Di¬
plom, das ihm Einlaß in die beſte Geſellſchaft
verſchaffen muͤſſe, und wunderte ſich, als man
ihn dennoch hinauswarf, und kreiſcht jetzt Mord
und Zeter uͤber mich armen Menſchen, und will
mich, mit einer geladenen Piſtole, wo er mich
findet, todtſchießen — Und was glauben Sie
wohl, Madame, was ich dagegen thue? Ma¬
dame, fuͤr dieſen Narrn, d. h. fuͤr das Honorar,
das ich aus ihm herausſchreiben werde, kaufe ich
mir ein gutes Faß Ruͤdesheimer Rheinwein.
Ich erwaͤhne dieſes, damit Sie nicht glauben,
es ſey Schadenfreude, daß ich ſo luſtig ausſehe,
wenn mir Herr v. Weiß auf der Straße begeg¬
net. Wahrhaftig, Madame, ich ſehe in ihm nur
meinen lieben Ruͤdesheimer, ſobald ich ihn er¬
blicke, wird mir wonnig und angenehm zu Mu¬
the, und ich traͤllere unwillkuͤhrlich: “am Rhein,
am Rhein, da wachſen unſre Reben —” “Dies
Bildniß iſt bezaubernd ſchoͤn —” “O weiße
[259] Dame — —” Mein Ruͤdesheimer ſchaut als¬
dann ſehr ſauer, und man ſollte glauben, er
beſtaͤnde nur aus Gift und Galle — Aber, ich
verſichere Sie, Madame, es iſt ein aͤchtes Ge¬
waͤchs, findet ſich auch das Beglaubigungswap¬
pen nicht eingebrannt, ſo weiß doch der Kenner
es zu wuͤrdigen, ich werde dieſes Faͤßchen gar
freudig anzapfen, und wenn es allzubedrohlich
gaͤhrt und auf eine gefaͤhrliche Art zerſpringen
will, ſo ſoll es von Amtswegen mit einigen
eiſernen Reifen geſichert werden.
Sie ſehen alſo, Madame, fuͤr mich brauchen
Sie nichts zu beſorgen. Ich kann alles ruhig
anſehn in dieſer Welt. Der Herr hat mich ge¬
ſegnet mit irdiſchen Guͤtern, und wenn er mir
auch den Wein nicht ganz bequem in den Kel¬
ler geliefert hat, ſo erlaubt er mir doch in ſei¬
nem Weinberge zu arbeiten, ich brauche nur die
Trauben zu leſen, zu keltern, zu preſſen, zu
buͤtten, und ich habe dann die klare Gottes¬
[260] gabe; und wenn mir auch nicht die Narren ge¬
braten in's Maul fliegen, ſondern mir gewoͤhn¬
lich roh und abgeſchmackt entgegenlaufen, ſo
weiß ich ſie doch ſo lange am Spieße herum¬
zudrehen, zu ſchmoren, zu pfeffern, bis ſie
muͤrbe und genießbar werden. Sie ſollen Ihre
Freude haben, Madame, wenn ich mal meine
große Fete gebe. Madame, Sie ſollen meine
Kuͤche loben. Sie ſollen geſtehen, daß ich
meine Satrapen eben ſo pompoͤſe bewirthen
kann, wie einſt der große Ahasveros, der da
Koͤnig war, von Indien bis zu den Mohren,
uͤber hundert und ſieben und zwanzig Provin¬
zen. Ganze Hekatomben von Narren werde ich
einſchlachten. Jener große Philoſchnaps, der,
wie einſt Jupiter, in der Geſtalt eines Ochſen,
um den Beyfall Europa's buhlt, liefert den
Ochſenbraten; ein trauriger Trauerſpieldichter,
der auf den Brettern, die ein traurig perſiſches
Reich bedeuteten, uns einen traurigen Alexan¬
der gezeigt hat, an deſſen Bildung kein Ari¬
[261] ſtoteles Antheil hatte, dieſer liefert meiner Ta¬
fel einen ganz vorzuͤglichen Schweinskopf, wie
gewoͤhnlich ſauerſuͤßlaͤchelnd mit einer Zitronen¬
ſcheibe im Maul, und von der kunſtverſtaͤndi¬
gen Koͤchin mit Lorbeer-Blaͤttern bedeckt; der
Saͤnger der Korallenlippen, Schwanenhaͤlſe,
huͤpfenden Schneehuͤgelchen, Dingelchen, Maͤd¬
chen, Mimilichen, Kuͤßchen und Aſſeſſorchen,
naͤmlich H. Clauren, oder wie ihn auf der
Friedrichſtraße die frommen Bernhardinerinnen
nennen, “Vater Clauren! unſer Clauren!”
dieſer Aechte liefert mir all jene Gerichte, die
er in ſeinen jaͤhrlichen Taſchenbordellchen mit
der Phantaſie einer naͤſcheriſchen Kuͤchenjungfer,
ſo jettlich zu beſchreiben weiß, und er giebt uns
noch ein ganz beſonderes Extra-Schuͤſſelchen
mit einem Zellery-Gemuͤschen, “wonach einem
das Herzchen vor Liebe puppert;” eine kluge,
duͤrre Hofdame, wovon nur der Kopf genießbar
iſt, liefert uns ein analoges Gericht, naͤmlich
Spargel; und es wird kein Mangel ſeyn an
[262] goͤttinger Wurſt, hamburger Rauchfleiſch, pom¬
merſchen Gaͤnſebruͤſten, Ochſenzungen, gedaͤmpf¬
tem Kalbshirn, Rindsmaul, Stockfiſch, und
allerley Sorten Gelee, berliner Pfannkuchen,
wiener Torte, Confituͤren —
Madame, ich habe mir ſchon in Gedanken
den Magen uͤberladen! Der Henker hole ſolche
Schlemmerey! Ich kann nicht viel vertragen.
Meine Verdauung iſt ſchlecht. Der Schweins¬
kopf wirkt auf mich wie auf das uͤbrige deutſche
Publicum — ich muß einen Willibald Alexis-
Salat darauf eſſen, der reinigt — O! der unſe¬
lige Schweinskopf mit der noch unſeligeren
Sauce, die weder griechiſch noch perſiſch, ſon¬
dern wie Thee mit gruͤner Seife ſchmeckt; —
Ruft mir meinen dicken Millionnarrn!
[263]
CapitelXV.
Madame, ich bemerke eine leichte Wolke des
Unmuths auf Ihrer ſchoͤnen Stirne, und Sie
ſcheinen zu fragen: ob es nicht Unrecht ſey,
daß ich die Narren ſolchermaßen zurichte, an
den Spieß ſtecke, zerhacke, ſpicke, und viele ſo¬
gar hinſchlachte, die ich unverzehrt liegen laſſen
muß, und die nun den ſcharfen Schnaͤbeln der
Spaßvoͤgel zum Raube dienen, waͤhrend die
Wittwen und Waiſen heulen und jammern —
Madame, c'est la guerre! Ich will Ihnen
jetzt das ganze Raͤthſel loͤſen: Ich ſelbſt bin
[264] zwar keiner von den Vernuͤnftigen, aber ich
habe mich zu dieſer Parthey geſchlagen, und ſeit
5588 Jahren fuͤhren wir Krieg mit den Narren.
Die Narren glauben ſich von uns beeintraͤchtigt,
indem ſie behaupten: es gaͤbe in der Welt nur
eine beſtimmte Doſis Vernunft, dieſe ganze
Doſis haͤtten nun die Vernuͤnftigen, Gott
weiß wie! uſurpirt, und es ſey himmelſchreyend,
wie oft ein einziger Menſch ſo viel Vernunft
an ſich geriſſen habe, daß ſeine Mitbuͤrger und
das ganze Land rund um ihn her ganz ob¬
ſcur geworden. Dies iſt die geheime Ur¬
ſache des Krieges, und es iſt ein wahrer Ver¬
tilgungskrieg. Die Vernuͤnftigen zeigen ſich,
wie gewoͤhnlich, als die ruhigſten, maͤßigſten
und vernuͤnftigſten, ſie ſitzen feſtverſchanzt in
ihren altariſtoteliſchen Werken, haben viel Ge¬
ſchuͤtz, haben auch Munition genug, denn ſie
haben ja ſelbſt das Pulver erfunden, und dann
und wann werfen ſie wohlbewieſene Bomben
unter ihre Feinde. Aber leider ſind dieſe
[265] letztern allzuzahlreich, und ihr Geſchrey iſt
groß, und taͤglich veruͤben ſie Graͤuel; wie denn
wirklich jede Dummheit dem Vernuͤnftigen ein
Graͤuel iſt. Ihre Kriegsliſten ſind oft von ſehr
ſchlauer Art. Einige Haͤuptlinge der großen
Armee huͤten ſich wohl die geheime Urſache
des Krieges einzugeſtehen. Sie haben gehoͤrt,
ein bekannter, falſcher Mann, der es in der
Falſchheit ſo weit gebracht hatte, daß er am
Ende ſogar falſche Memoiren ſchrieb, naͤmlich
Fouché, habe mahl geaͤußert: les paroles sont
faites pour cacher nos pensées; und nun ma¬
chen ſie viel Worte, um zu verbergen, daß ſie
uͤberhaupt keine Gedanken haben, und halten
lange Reden und ſchreiben dicke Buͤcher, und
wenn man ſie hoͤrt, ſo preiſen ſie die alleinſe¬
ligmachende Quelle der Gedanken, naͤmlich die
Vernunft, und wenn man ſie ſieht, ſo treiben
ſie Mathematik, Logik, Statiſtik, Maſchinen–
Verbeſſerung, Buͤrgerſinn, Stallfuͤtterung u.
ſ. w. — und wie der Affe um ſo laͤcherlicher
[266] wird, je mehr er ſich dem Menſchen aͤhnlich
zeigt, ſo werden auch jene Narren deſto laͤcher¬
licher, je vernuͤnftiger ſie ſich gebehrden. An¬
dre Haͤuptlinge der großen Armee ſind offen¬
herziger, und geſtehen, daß ihr Vernunfttheil
ſehr gering ausgefallen, daß ſie vielleicht gar
nichts von der Vernunft abbekommen; indeſſen
koͤnnen ſie nicht umhin zu verſichern, die Ver¬
nunft ſey ſehr ſauer und im Grunde von ge¬
ringem Werthe. Dies mag vielleicht wahr
ſeyn, aber ungluͤcklichermaßen haben ſie nicht
mahl ſo viel Vernunft als dazu gehoͤrt, es zu
beweiſen. Sie greifen daher zu allerley Aus¬
huͤlfe, ſie entdecken neue Kraͤfte in ſich, erklaͤ¬
ren, daß ſolche eben ſo wirkſam ſeyen wie die
Vernunft, ja in gewiſſen Nothfaͤllen noch wirk¬
ſamer, z. B. das Gemuͤth, der Glauben, die
Inſpiration u. ſ. w., und mit dieſem Vernunft¬
ſurrogat, mit dieſer Runkelruͤbenvernunft, troͤſten
ſie ſich. Mich Armen haſſen ſie aber ganz be¬
ſonders, indem ſie behaupten: ich ſey von
[267] Haus aus einer der Ihrigen, ich ſey ein Ab¬
truͤnniger, ein Ueberlaͤufer, der die heiligſten
Bande zerriſſen, ich ſey jetzt ſogar ein Spion,
der heimlich auskundſchafte, was ſie, die Nar¬
ren, zuſammentreiben, um ſie nachher dem Ge¬
laͤchter ſeiner neuen Genoſſen Preis zu geben,
und ich ſey ſo dumm, nicht mal einzuſehen, daß
dieſe zu gleicher Zeit uͤber mich ſelbſt lachen und
mich nimmermehr fuͤr ihres Gleichen halten —
Und da haben die Narren vollkommen Recht.
Es iſt wahr, jene halten mich nicht fuͤr
ihres Gleichen und mir gilt oft ihr heimliches
Gekicher. Ich weiß es ſehr gut, aber ich laß
mir nichts merken. Mein Herz blutet dann
innerlich, und wenn ich allein bin, fließen drob
meine Thraͤnen. Ich weiß es ſehr gut, meine
Stellung iſt unnatuͤrlich; alles, was ich thue,
iſt den Vernuͤnftigen eine Thorheit und den
Narren ein Graͤuel. Sie haſſen mich und ich
fuͤhle die Wahrheit des Spruches: „Stein iſt
[268] ſchwer und Sand iſt Laſt, aber der Narren
Zorn iſt ſchwerer denn die beyde.“ Und ſie
haſſen mich nicht mit Unrecht. Es iſt vollkom¬
men wahr, ich habe die heiligſten Bande zer¬
riſſen, von Gott- und Rechtswegen haͤtte ich
unter den Narren leben und ſterben muͤſſen.
Und ach! ich hatte es unter dieſen Leuten ſo
gut gehabt! Sie wuͤrden mich, wenn ich um¬
kehren wollte, noch immer mit offnen Armen
empfangen. Sie wuͤrden mir an den Augen
abſehen, was ſie mir nur irgend Liebes erwei¬
ſen koͤnnten. Sie wuͤrden mich alle Tage zu
Tiſche laden und des Abends mitnehmen in ihre
Theegeſellſchaften und Clubs, und ich koͤnnte mit
ihnen Whiſt ſpielen, Tabak rauchen, politiſiren,
und wenn ich dabey gaͤhnte, hieße es hinter mei¬
nem Ruͤcken: „welch ſchoͤnes Gemuͤth! eine
Seele voll Glauben!“ — erlauben Sie mir,
Madame, daß ich eine Thraͤne der Ruͤhrung
weihe — ach! und ich wuͤrde Punſch mit ihnen
trinken, bis die rechte Inſpiration kaͤme, und
[269] dann braͤchten ſie mich in einer Portechaiſe
wieder nach Hauſe, aͤngſtlich beſorgt, daß ich
mich nicht erkaͤlte, und der Eine reichte mir
ſchnell die Pantoffeln, der Andre den ſeidnen
Schlafrock, der Dritte die weiße Nachtmuͤtze,
und ſie machten mich dann zum Profeſſor ex¬
traordinarius, oder zum Praͤſidenten einer Be¬
kehrungsgeſellſchaft, oder zum Oberkalkulator,
oder zum Direktor von roͤmiſchen Ausgrabun¬
gen; — denn ich waͤre ſo recht ein Mann, den
man in allen Faͤchern gebrauchen koͤnnte, ſinte¬
mal ich die lateiniſchen Deklinationen ſehr gut
von den Conjugationen unterſcheiden kann, und
nicht ſo leicht wie andre Leute einen preußiſchen
Poſtillionsſtiefel fuͤr eine etrusciſche Vaſe an¬
ſehe. Mein Gemuͤth, mein Glauben, meine
Inſpiration koͤnnten noch außerdem in den
Betſtunden viel Gutes wirken, naͤmlich fuͤr
mich; nun gar mein ausgezeichnet poetiſches Ta¬
lent wuͤrde mir gute Dienſte leiſten bey hohen
Geburtstagen und Vermaͤhlungen, und es waͤr'
[270] gar nicht uͤbel, wenn ich, in einem großen Na¬
tionalepos, all jene Helden beſaͤnge, wovon wir
ganz beſtimmt wiſſen, daß aus ihren verweſ'ten
Leichnamen Wuͤrmer gekrochen ſind, die ſich fuͤr
ihre Nachkommen ausgeben.
Manche Leute, die keine geborene Nar¬
ren und einſt mit Vernunft begabt geweſen,
ſind ſolcher Vortheile wegen zu den Narren
uͤbergegangen, leben bey ihnen ein wahres
Schlaraffenleben, die Thorheiten, die ihnen an¬
faͤnglich noch immer einige Ueberwindung geko¬
ſtet, ſind ihnen jetzt ſchon zur zweyten Natur
geworden, ja ſie ſind nicht mehr als Heuchler,
ſondern als wahre Glaͤubige zu betrachten.
Einer derſelben, in deſſen Kopf noch keine
gaͤnzliche Sonnenfinſterniß eingetreten, liebt mich
ſehr, und juͤngſthin, als ich bey ihm allein war,
verſchloß er die Thuͤre und ſprach zu mir mit
ernſter Stimme: „O Thor, der du den Wei¬
ſen ſpielſt und dennoch nicht ſo viel Verſtand
[271] haſt wie ein Rekrut im Mutterleibe! weißt du
denn nicht, daß die Großen des Landes nur
denjenigen erhoͤhen, der ſich ſelbſt erniedrigt und
ihr Blut fuͤr beſſer ruͤhmt als das ſeinige.
Und nun gar verdirbſt du es mit den Frommen
des Landes! Iſt es denn ſo uͤberaus ſchwer,
die gnadenſeligen Augen zu verdrehen, die glaͤu¬
bigverſchraͤnkten Haͤnde in die Rockaͤrmel zu
vermuffen, das Haupt wie ein Lamm Gottes
herabhaͤngen zu laſſen, und auswendiggelernte
Bibelſpruͤche zu wispern! Glaub' mir, keine
Hocherlauchte wird dich fuͤr deine Gottloſigkeit
bezahlen, die Maͤnner der Liebe werden dich
haſſen, verlaͤumden und verfolgen, und du
machſt keine Carriere weder im Himmel noch
auf Erden!”
Ach! das iſt alles wahr! Aber ich hab' nun
mahl dieſe ungluͤckliche Paſſion fuͤr die Ver¬
nunft! Ich liebe ſie, obgleich ſie mich nicht
mit Gegenliebe begluͤckt. Ich gebe ihr Alles
[272] und ſie gewaͤhrt mir nichts. Ich kann nicht
von ihr laſſen. Und wie einſt der juͤdiſche Koͤ¬
nig Salomon im Hohenliede die chriſtliche
Kirche beſungen, und zwar unter dem Bilde
eines ſchwarzen, liebegluͤhenden Maͤdchens, da¬
mit ſeine Juden nichts merkten; ſo habe ich
in unzaͤhligen Liedern juſt das Gegentheil, naͤm¬
lich die Vernunft, beſungen, und zwar unter
dem Bilde einer weißen, kalten Jungfrau, die
mich anzieht und abſtoͤßt, mir bald laͤchelt, bald
zuͤrnt, und mir endlich gar den Ruͤcken kehrt.
Dieſes Geheimniß meiner ungluͤcklichen Liebe,
das ich niemanden offenbare, giebt Ihnen, Ma¬
dame, einen Maaßſtab zur Wuͤrdigung meiner
Narrheit, Sie ſehen daraus, daß ſolche von
außerordentlicher Art iſt, und großartig hervor¬
ragt uͤber das gewoͤhnlich naͤrriſche Treiben der
Menſchen. Leſen Sie meinen Ratcliff, meinen
Almanſor, mein lyriſches Intermezzo — Ver¬
nunft! Vernunft! nichts als Vernunft! — und
Sie erſchrecken ob der Hoͤhe meiner Narrheit.
[273] Mit den Worten Agurs, des Sohnes Jake,
kann ich ſagen: „Ich bin der Allernaͤrriſchſte
und Menſchenverſtand iſt nicht bey mir.“ Hoch
in die Luͤfte hebt ſich der Eichwald, hoch uͤber
den Eichwald ſchwingt ſich der Adler, hoch uͤber
dem Adler ziehen die Wolken, hoch uͤber den
Wolken blitzen die Sterne — Madame, wird
Ihnen das nicht zu hoch? eh bien — hoch
uͤber den Sternen ſchweben die Engel, hoch uͤber
den Engeln ragt — nein, Madame, hoͤher kann
es meine Narrheit nicht bringen. Sie bringt
es hoch genug! Ihr ſchwindelt vor ihrer eige¬
nen Erhabenheit. Sie macht mich zum Rieſen
mit Siebenmeilenſtiefeln. Mir iſt des Mittags
zu Muthe, als koͤnnte ich alle Elephanten Hin¬
doſtan's aufeſſen und mir mit dem ſtraßburger
Muͤnſter die Zaͤhne ſtochern; des Abends werde
ich ſo ſentimental, daß ich die Milchſtraße des
Himmels ausſaufen moͤchte, ohne zu bedenken,
daß einem die kleinen Fixſterne ſehr unverdau¬
lich im Magen liegen bleiben; und des Nachts
18[274] geht der Spektakel erſt recht los, in meinem
Kopf giebt's dann einen Congreß von allen
Voͤlkern der Gegenwart und Vergangenheit, es
kommen die Aſſyrer, Egypter, Meder, Perſer,
Hebraͤer, Philiſter, Frankfurter, Babilonier,
Karthager, Berliner, Roͤmer, Spartaner, Tuͤr¬
ken, Kuͤmmeltuͤrken — Madame, es waͤre zu
weitlaͤuftig, wenn ich Ihnen all dieſe Voͤlker
beſchreiben wollte, leſen Sie nur den Herodot,
den Livius, die Haude und Spenerſche Zeitung,
den Curtius, den Cornelius Nepos, den Geſell¬
ſchafter — Ich will unterdeſſen fruͤhſtuͤcken, es
will heute morgen mit dem Schreiben nicht
mehr ſo luſtig fortgehn, ich merke, der liebe Gott
laͤßt mich in Stich — Madame, ich fuͤrchte ſo¬
gar, Sie haben es fruͤher bemerkt als ich — ja,
ich merke, die rechte Gotteshuͤlfe iſt heute noch
gar nicht da geweſen, — Madame, ich will ein
neues Capitel anfangen, und Ihnen erzaͤhlen, wie
ich nach dem Tode Le Grand's in Godesberg ankam.
[275]
CapitelXVI.
Als ich zu Godesberg ankam, ſetzte ich mich
wieder zu den Fuͤßen meiner ſchoͤnen Freun¬
din, — und neben mir legte ſich ihr brauner
Dachshund — und wir beyde ſahen hinauf
in ihr Auge.
Heiliger Gott! in dieſem Auge lag alle
Herrlichkeit der Erde und ein ganzer Himmel
obendrein. Vor Seligkeit haͤtte ich ſterben
koͤnnen, waͤhrend ich in jenes Auge blickte, und
ſtarb ich in ſolchem Augenblicke, ſo flog meine
Seele direckt in jenes Auge. O, ich kann
[276] jenes Auge nicht beſchreiben! Ich will mir
einen Poeten, der vor Liebe verruͤckt worden
iſt, aus dem Tollhauſe kommen laſſen, damit
er aus dem Abgrund des Wahnſinns ein Bild
heraufhole, womit ich jenes Auge vergleiche —
Unter uns geſagt, ich waͤre wohl [ſelbſt] verruͤckt
genug, daß ich zu einem ſolchen Geſchaͤfte kei¬
nes Gehuͤlfen beduͤrfte. God d—n! ſagte mal
ein Englaͤnder, wenn Sie einen ſo recht ruhig
von oben bis unten betrachtet, ſo ſchmelzen ei¬
nem die kupfernen Knoͤpfe des Fracks und das
Herz obendrein. F—e! ſagte ein Franzoſe,
Sie hat Augen vom groͤßten Kaliber, und wenn
ſo ein dreyzigpfuͤnder Blick herausſchießt, krach!
ſo iſt man verliebt. Da war ein rothkoͤpfi¬
ger Advokat aus Mainz, der ſagte: ihre Augen
ſaͤhen aus wie zwey Taſſen ſchwarzen Kaffee —
Er wollte etwas ſehr Suͤßes ſagen, denn er
warf immer unmenſchlich viel Zucker in ſeinen
Kaffee — Schlechte Vergleiche — Ich und der
braune Dachshund lagen ſtill zu den Fuͤßen der
[277] ſchoͤnen Frau, und ſchauten und horchten. Sie
ſaß neben einem alten, eisgrauen Soldaten, ei¬
ner ritterlichen Geſtalt mit Quernarben auf der
gefurchten Stirne. Sie ſprachen beide von den ſie¬
ben Bergen, die das ſchoͤne Abendroth beſtrahlte,
und von dem blauen Rhein, der unfern, groß
und ruhig, vorbeyfluthete — Was kuͤmmerte
uns das Siebengebirge, und das Abendroth
und der blaue Rhein, und die ſegelweißen
Kaͤhne, die darauf ſchwammen, und die Muſik,
die aus einem Kahne erſcholl, und der Schafs¬
kopf von Student, der darin ſo ſchmelzend und
lieblich ſang — ich und der braune Dachs, wir
ſchauten in das Auge der Freundin und be¬
trachteten ihr Antlitz, das aus den ſchwarzen
Flechten und Locken, wie der Mond aus dun¬
keln Wolken, roſigbleich hervorglaͤnzte — Es
waren hohe, griechiſche Geſichtszuͤge, kuͤhnge¬
woͤlbte Lippen, umſpielt von Wehmuth, Seligkeit
und kindiſcher Laune, und wenn ſie ſprach,
ſo wurden die Worte etwas tief, faſt ſeufzend
[278] angehaucht und dennoch ungeduldig raſch hervor¬
geſtoßen — und wenn ſie ſprach, und die Rede,
wie ein warmer heiterer Blumenregen aus dem
ſchoͤnen Munde herniederflockte — O! dann legte
ſich das Abendroth uͤber meine Seele, es zogen
hindurch mit klingendem Spiel die Erinnerungen
der Kindheit, vor allem aber, wie Gloͤcklein,
erklang in mir die Stimme der kleinen Vero¬
nika — und ich ergriff die ſchoͤne Hand der
Freundin, und druͤckte ſie an meine Augen, bis
das Klingen in meiner Seele voruͤber war —
und dann ſprang ich auf und lachte, und der
Dachs bellte, und die Stirne des alten Ge¬
nerals furchte ſich ernſter, und ich ſetzte mich
wieder und ergriff wieder die ſchoͤne Hand und
kuͤßte ſie und erzaͤhlte und ſprach von der klei¬
nen Veronika.
[279]
CapitelXVII.
Madame, Sie wuͤnſchen, daß ich erzaͤhle, wie
die kleine Veronika ausgeſehen hat. Aber ich
will nicht. Sie, Madame, koͤnnen nicht ge¬
zwungen werden, weiter zu leſen, als Sie
wollen, und ich habe wiederum das Recht,
daß ich nur dasjenige zu ſchreiben brauche, was
ich will. Ich will aber jetzt erzaͤhlen, wie die
ſchoͤne Hand ausſah, die ich im vorigen Capi¬
tel gekuͤßt habe.
Zuvoͤrderſt muß ich eingeſtehen: — ich war
nicht werth, dieſe Hand zu kuͤſſen. Es war eine
[280] ſchoͤne Hand, ſo zart, durchſichtig, glaͤnzend,
ſuͤß, duftig, ſanft, lieblich — wahrhaftig, ich
muß nach der Apotheke ſchicken, und mir fuͤr
zwoͤlf Groſchen Beywoͤrter kommen laſſen.
Auf dem Mittelfinger ſaß ein Ring mit
einer Perle — ich ſah nie eine Perle, die eine
klaͤglichere Rolle ſpielte — auf dem Goldfinger
trug ſie einen Ring mit einer blauen Antike —
ich habe Stunden lang Archaͤologie daran ſtu¬
dirt — auf dem Zeigefinger trug ſie einen Dia¬
mant — es war ein Talisman, ſo lange ich
ihn ſah, war ich gluͤcklich, denn wo er war,
war ja auch der Finger, nebſt ſeinen vier Colle¬
gen — und mit allen fuͤnf Fingern ſchlug ſie
mir oft auf den Mund. Seitdem ich ſolcher¬
maßen manupolirt worden, glaube ich ſteif und
feſt an den Magnetismus. Aber ſie ſchlug
nicht hart, und wenn ſie ſchlug, hatte ich es
immer verdient durch irgend eine gottloſe Re¬
densart, und wenn ſie mich geſchlagen hatte,
[281] ſo bereuete ſie es gleich und nahm einen Ku¬
chen, brach ihn entzwey, und gab mir die eine
und dem braunen Dachſe die andere Haͤlfte,
und laͤchelte dann und ſprach: „Ihr beide habt
keine Religion und werdet nicht ſelig, und man
muß Euch auf dieſer Welt mit Kuchen fuͤttern,
da fuͤr Euch im Himmel kein Tiſch gedeckt
wird.“ So halb und halb hatte ſie Recht, ich
war damals ſehr irreligioͤs und las den Tho¬
mas Paine, das Système de la nature, den
weſtphaͤliſchen Anzeiger und den Schleiermacher,
und ließ mir den Bart und den Verſtand wach¬
ſen, und wollte unter die Rationaliſten gehen.
Aber wenn mir die ſchoͤne Hand uͤber die Stirne
fuhr, blieb mir der Verſtand ſtehen, und ſuͤßes
Traͤumen erfuͤllte mich, und ich glaubte wieder
fromme Marienliedchen zu hoͤren, und ich
dachte an die kleine Veronika.
Madame, Sie koͤnnen ſich kaum vorſtellen,
wie huͤbſch die kleine [Veronika] ausſah, als ſie
[282] in dem kleinen Saͤrglein lag. Die brennenden
Kerzen, die rund umher ſtanden, warfen ihren
Schimmer auf das bleiche, laͤchelnde Geſichtchen,
und auf die rothſeidenen Roͤschen und rauſchen¬
den Goldflitterchen, womit das Koͤpfchen und
das weiße Todtenhemdchen verziert war — die
fromme Urſula hatte mich Abends in das ſtille
Zimmer gefuͤhrt, und als ich die kleine Leiche,
mit den Lichtern und Blumen, auf dem Tiſche
ausgeſtellt ſah, glaubte ich Anfangs, es ſey ein
huͤbſches Heiligenbildchen von Wachs; doch bald
erkannte ich das liebe Antlitz, und frug lachend:
warum die kleine Veronika ſo ſtill ſey? und die
Urſula ſagte: das thut der Tod.
Und als ſie ſagte: das thut der Tod —
Doch ich will heute dieſe Geſchichte nicht er¬
zaͤhlen, ſie wuͤrde ſich zu ſehr in die Laͤnge
ziehen, ich muͤßte auch vorher von der lahmen
Elſter ſprechen, die auf dem Schloßplatz herum¬
hinkte und dreyhundert Jahr' alt war, und
[283] ich koͤnnte ordentlich melancholiſch werden —
Ich bekomme ploͤtzlich Luſt, eine andere Ge¬
ſchichte zu erzaͤhlen, und die iſt luſtig, und
paßt auch an dieſen Ort, denn es iſt die
eigentliche Geſchichte, die in dieſem Buche vor¬
getragen werden ſollte.
[284]
CapitelXVIII.
In der Bruſt des Ritters war nichts als
Nacht und Schmerz. Die Dolchſtiche der Ver¬
laͤumdung hatten ihn gut getroffen, und wie er
dahinging uͤber den Sanct Marcusplatz, war ihm
zu Muthe, als wollte ſein Herz brechen und
verbluten. Seine Fuͤße ſchwankten vor Muͤdig¬
keit — das edle Wild war den ganzen Tag ge¬
hetzt worden, und es war ein heißer Sommer¬
tag — der Schweiß lag auf ſeiner Stirne, und
als er in die Gondel ſtieg, ſeufzte er tief. Er
ſaß gedankenlos in dem ſchwarzen Gondelzimmer,
gedankenlos ſchaukelten ihn die weichen Wellen,
[285] und trugen ihn den wohlbekannten Weg hinein
in die Brenta — und als er vor dem wohlbe¬
kannten Pallaſte ausſtieg, hoͤrte er: Signora
Laura ſey im Garten.
Sie ſtand, gelehnt an die Statue des Lao¬
koon, neben dem rothen Roſenbaum, am Ende
der Terraſſe, unfern von den Trauerweiden,
die ſich wehmuͤthig herabbeugen uͤber den vor¬
beyziehenden Fluß. Da ſtand ſie laͤchelnd, ein
weiches Bild der Liebe, umduftet von Roſen.
Er aber erwachte, wie aus einem ſchwarzen
Traume, und war ploͤtzlich wie umgewandelt in
Milde und Sehnſucht. „Signora Laura!“ —
ſprach er — „ich bin elend und bedraͤngt von
Haß und Noth und Luͤge“ — und dann ſtockte
er, und ſtammelte: — „aber ich liebe Euch“ —
und dann ſchoß eine freudige Thraͤne in ſein
Auge, und mit feuchten Augen und flammen¬
den Lippen rief er: — „ſey mein Maͤdchen, und
liebe mich!“
[286] Es liegt ein geheimnißdunkler Schleyer uͤber
dieſer Stunde, kein Sterblicher weiß, was Sig¬
nora Laura geantwortet hat, und wenn man
ihren guten Engel im Himmel darob befragt, ſo
verhuͤllt er ſich und ſeufzt und ſchweigt.
Einſam ſtand der Ritter noch lange bey der
Statue des Laokoon, ſein Antlitz war eben ſo
verzerrt und weiß, bewußtlos entblaͤtterte er
alle Roſen des Roſenbaums, er zerknickte ſogar
die jungen Knospen — der Baum hat nie wie¬
der Bluͤthen getragen — in der Ferne klagte
eine wahnſinnige Nachtigall, die Trauerweiden
fluͤſterten aͤngſtlich, dumpf murmelten die kuͤhlen
Wellen der Brenta, die Nacht kam heraufge¬
ſtiegen mit ihrem Mond und ihren Sternen —
ein ſchoͤner Stern, der ſchoͤnſte von allen, fiel
vom Himmel herab.
[287]
CapitelXIX.
Vous pleurez, Madame?
O, moͤgen die Augen, die jetzt ſo ſchoͤne
Thraͤnen vergießen, noch lange die Welt mit
ihren Strahlen erleuchten, und eine warme,
liebe Hand moͤge ſie einſt zudruͤcken in der
Stunde des Todes! Ein weiches Sterbekiſſen,
Madame, iſt auch eine gute Sache in der
Stunde des Todes, und moͤge Ihnen alsdann
nicht fehlen; und wenn das ſchoͤne, muͤde Haupt
darauf niederſinkt und die ſchwarzen Locken her¬
abwallen uͤber das verbleichende Antlitz: O, dann
[288] moͤge Ihnen Gott die Thraͤnen vergelten, die
fuͤr mich gefloſſen ſind — denn ich bin ſelber
der Ritter, fuͤr den Sie geweint haben, ich bin
ſelber jener irrende Ritter der Liebe, der Ritter
vom gefallenen Stern.
Vous pleurez, Madame?
O, ich kenne dieſe Thraͤnen! Wozu ſoll die
laͤngere Verſtellung? Sie, Madame, ſind ja
ſelbſt die ſchoͤne Frau, die ſchon in Godesberg
ſo lieblich geweint hat, als ich das truͤbe Maͤhr¬
chen meines Lebens erzaͤhlte — Wie Perlen
uͤber Roſen, rollten die ſchoͤnen Thraͤnen uͤber
die ſchoͤnen Wangen — der Dachs ſchwieg, das
Abendgelaͤute von Koͤnigswinter verhallte, der
Rhein murmelte leiſer, die Nacht bedeckte die
Erde mit ihrem ſchwarzen Mantel, und ich ſaß
zu Ihren Fuͤßen, Madame, und ſah in die
Hoͤhe, in den geſtirnten Himmel — Im An¬
fang hielt ich Ihre Augen ebenfalls fuͤr zwey
[289] Sterne — Aber wie kann man ſolche ſchoͤne
Augen mit Sternen verwechſeln? Dieſe kalten
Lichter des Himmels koͤnnen nicht weinen uͤber
das Elend eines Menſchen, der ſo elend iſt, daß
er nicht mehr weinen kann.
Und ich hatte noch beſondere Gruͤnde, dieſe
Augen nicht zu verkennen — in dieſen Augen
wohnte die Seele der kleinen Veronika.
Ich habe nachgerechnet, Madame, Sie ſind
geboren juſt an dem Tage, als die kleine Vero¬
nika ſtarb. Die Johanna in Andernacht hatte
mir vorausgeſagt, daß ich in Godesberg die
kleine Veronika wiederfinden wuͤrde — Und ich
habe Sie gleich wieder erkannt — Das war
ein ſchlechter Einfall, Madame, daß Sie
damals ſtarben, als die huͤbſchen Spiele
erſt recht losgehen ſollten. Seit die fromme
Urſula mir geſagt, „das thut der Tod,“
ging ich allein und ernſthaft in der gro¬
19[290] ßen Gemaͤldegallerie umher, die Bilder wollten
mir nicht mehr ſo gut gefallen wie ſonſt, ſie ſchie¬
nen mir ploͤtzlich verblichen zu ſeyn, nur ein ein¬
ziges hatte Farbe und Glanz behalten — Sie
wiſſen, Madame, welches Stuͤck ich meyne —:
Es iſt der Sultan und die Sultanin
von Delhi.
Erinnern Sie ſich, Madame, wie wir oft
Stunden lang davorſtanden, und die fromme
Urſula ſo wunderlich ſchmunzelte, wenn es den
Leuten auffiel, daß die Geſichter auf jenem
Bilde mit den unſrigen ſo viele Aehnlichkeit hat¬
ten? Madame, ich finde, daß Sie auf jenem
Bilde recht gut getroffen waren, und es iſt un¬
begreiflich, wie der Maler Sie ſogar bis auf
die Kleidung darſtellte, die Sie damals getra¬
gen. Man ſagt, er ſey wahnſinnig geweſen
und habe Ihr Bild getraͤumt. Oder ſaß ſeine
Seele vielleicht in dem großen, heiligen Affen,
[291] der Ihnen damals, wie ein Jokey, aufwar¬
tete? — in dieſem Falle mußte er ſich wohl
des ſilbergrauen Schleyers erinnern, den er
einſt mit rothem Wein uͤberſchuͤttet und ver¬
dorben hat — Ich war froh, daß Sie ihn
ablegten, er kleidete Sie nicht ſonderlich, wie
denn uͤberhaupt die europaͤiſche Tracht fuͤr
Frauenzimmer viel kleidſamer iſt, als die indi¬
ſche. Freylich, ſchoͤne Frauen ſind ſchoͤn in
jeder Tracht. Erinnern Sie ſich, Madame,
daß ein galanter Bramine — er ſah aus wie
Ganeſa, der Gott mit dem Elephantenruͤſſel,
der auf einer Maus reitet — Ihnen einſt das
Compliment gemacht hat: die goͤttliche Maneka,
als ſie, aus Indrahs goldner Burg, zum
koͤniglichen Buͤßer Wiswamitra hinabgeſtie¬
gen, ſey gewiß nicht ſchoͤner geweſen als Sie,
Madame!
Sie erinnern ſich deſſen nicht mehr? Es
ſind ja kaum 3000 Jahre, ſeitdem Ihnen
[292] dieſes geſagt worden, und ſchoͤne Frauen pfle¬
gen ſonſt eine zarte Schmeicheley nicht ſo ſchnell
zu vergeſſen.
Indeſſen fuͤr Maͤnner iſt die indiſche Tracht
weit kleidſamer als die Europaͤiſche. O, meine
roſarothen, lotosgebluͤmten Pantalons von Delhi!
haͤtte ich Euch getragen, als ich vor Signora
Laura ſtand und um Liebe flehete — das vorige
Capitel haͤtte anders gelautet! Aber, ach! ich
trug damals ſtrohgelbe Pantalons, die ein nuͤch¬
terner Chineſe in Nanking gewebt — mein Ver¬
derben war hineingewebt — und ich wurde elend.
Oft ſitzt ein junger Menſch in einem klei¬
nen deutſchen Kaffeeſtuͤbchen und trinkt ruhig
ſeine Taſſe Kaffee, und unterdeſſen im weiten,
fernen China waͤchſt und bluͤht ſein Verder¬
ben, und wird dort geſponnen und verwebt,
und trotz der hohen, chineſiſchen Mauer weiß
es ſeinen Weg zu finden zu dem jungen Men¬
[293] ſchen, der es fuͤr ein paar Nanquinhoſen haͤlt
und dieſe arglos anzieht und elend wird —
Und, Madame, in der kleinen Bruſt eines
Menſchen kann ſich gar viel Elend verſtecken,
und ſo gut verſteckt halten, daß der arme Menſch
ſelbſt es tagelang nicht fuͤhlt, und guter Dinge
iſt, und luſtig tanzt und pfeift, und traͤllert —
lalarallala, lalarallala, lalaral—la—la—la.
[294]
CapitelXX.
Sie war liebenswuͤrdig, und Er liebte Sie; Er aber
war nicht liebenswuͤrdig, und Sie liebte ihn nicht.
((Altes Stuͤck.))
Und wegen dieſer dummen Geſchichte haben
Sie ſich todtſchießen wollen? Madame, wenn
ein Menſch ſich todtſchießen will, ſo hat er
dazu immer hinlaͤngliche Gruͤnde. Darauf
koͤnnen Sie ſich verlaſſen. Aber ob er ſelbſt
dieſe Gruͤnde kennt, das iſt die Frage. Bis
auf den letzten Augenblick ſpielen wir Comoͤdie
[295] mit uns ſelber. Wir maskiren ſogar unſer
Elend, und waͤhrend wir an einer Bruſtwunde
ſterben, klagen wir uͤber Zahnweh.
Madame, Sie wiſſen gewiß ein Mittel ge¬
gen Zahnweh?
Ich aber hatte Zahnweh im Herzen. Das
iſt ein ſchlimmſtes Uebel, und da hilft ſehr
gut das Fuͤllen mit Bley und das Zahnpul¬
ver, das Barthold Schwarz erfunden hat.
Wie ein Wurm nagte das Elend in mei¬
nem Herzen, und nagte — Der arme Chineſe
traͤgt keine Schuld, ich habe dieſes Elend mit
mir zur Welt gebracht. Es lag ſchon mit mir
in der Wiege, und wenn meine Mutter mich
wiegte, ſo wiegte ſie es mit, und wenn ſie
mich in den Schlaf ſang, ſo ſchlief es mit
mir ein, und es erwachte, ſobald ich wieder
die Augen aufſchlug. Als ich groͤßer wurde,
[296] wuchs auch das Elend und wurde endlich ganz
groß, und zerſprengte mein —
Wir wollen von andern Dingen ſprechen,
vom Jungfernkranz, von Maskenbaͤllen, von
Luſt und Hochzeitfreude — lalarallala, lalaral¬
lala, lalaral — la — la — la. —
Briefe aus Berlin.
I.
1822.
[]
Seltſam! — Wenn ich der Dey von Tunis wäre,
Schlüg' ich, bey ſo zweydeut'gem Vorfall, Lärm.
(Kleiſts «Prinz v. Homburg.»
)[]
1.
Berlin, den 1. Maͤrz 1822.
Haben Sie noch nicht Maria von Weber's
„Freiſchuͤtz“ gehoͤrt? Nein? Ungluͤcklicher
Mann! Aber haben Sie nicht wenigſtens aus
dieſer Oper „das Lied der Brautjungfern“oder
„den Jungfernkranz“ gehoͤrt? Nein? Gluͤck¬
licher Mann!
Wenn Sie vom Halliſchen– nach Ora¬
nienburger–Thore, und vom Brandenburger¬
[300] nach dem Koͤnigs-Thore, ja ſelbſt, wenn Sie
vom Unterbaum nach dem Koͤpniker-Thore gehen,
hoͤren Sie jetzt immer und ewig dieſelbe Melo¬
die, das Lied aller Lieder — „den Jung¬
fernkranz.“
Wie man in den Goͤthiſchen Elegien den
armen Britten von dem „Marlborough s'en va¬
t-en guerre“ durch alle Laͤnder verfolgt ſieht,
ſo werde auch ich von Morgens fruͤh bis ſpaͤt
in die Nacht verfolgt durch das Lied:
Chor:
Seide!
[301]
Chor:
Bin ich mir noch ſo guter Laune des Mor¬
gens aufgeſtanden, ſo wird doch gleich alle
meine Heiterkeit fortgeaͤrgert, wenn ſchon fruͤh
die Schuljugend, den „Jungfernkranz“ zwit¬
ſchernd, meinem Fenſter vorbeyzieht. Es dauert
keine Stunde, und die Tochter meiner Wirthin
ſteht auf mit ihrem „Jungfernkranz.“ Ich
hoͤre meinen Barbier „den Jungfernkranz“ die
Treppe heraufſingen. Die kleine Waͤſcherin
kommt „mit Lavendel, Myrth' und Thymian.“
So geht's fort. Mein Kopf droͤhnt. Ich
kann's nicht aushalten, eile aus dem Hauſe
und werfe mich mit meinem Aerger in eine
[302] Droſchke. Gut, daß ich durch das Raͤderge¬
raſſel nicht ſingen hoͤre. Bey ***li ſteig' ich
ab. Iſt's Fraͤulein zu ſprechen? Der Diener
laͤuft. Ja. Die Thuͤre fliegt auf. Die Holde
ſitzt am Pianoforte, und empfaͤngt mich mit
einem ſuͤßen:
“Wo bleibt der ſchmucke Freiersmann,
Ich kann ihn kaum erwarten.”—
Sie ſingen wie ein Engel! ruf' ich mit krampf¬
hafter Freundlichkeit. “Ich will noch einmal
von vorne anfangen”, lispelt die Guͤtige, und
ſie windet wieder ihren Jungfernkranz, und
windet, und windet, bis ich ſelbſt vor unſaͤg¬
lichen Qualen wie ein Wurm mich winde, bis
ich vor Seelenangſt ausrufe: “Hilf Samiel!”
Sie muͤſſen wiſſen, ſo heißt der boͤſe Feind
im Freiſchuͤtzen; der Jaͤger Kaspar, der ſich ihm
ergeben hat, ruft in jeder Noth: “Hilf Sa¬
miel;” es wurde hier Mode, in komiſcher Be¬
[303] draͤngniß dieſen Ausruf zu gebrauchen, und
Bouchér, der ſich den Sokrates der Violiniſten
nennt, hat einſt ſogar im Concerte, als ihm eine
Violinſaite ſprang, laut ausgerufen: Hilf Samiel!
Und Samiel hilft. Die beſtuͤrzte Donna
haͤlt ploͤtzlich ein mit dem raͤdernden Geſange,
und lispelt: Was fehlt Ihnen? „Es iſt pures
Entzuͤcken“ aͤchze ich mit forcirtem Laͤcheln. Sie
ſind krank, lispelte ſie, gehen Sie nach dem
Thiergarten, genießen ſie das ſchene Wetter und
beſchauen ſie die ſchene Welt. Ich greife nach Hut
und Stock, kuͤſſe der Gnaͤdigen die gnaͤdige Hand,
werfe ihr noch einen ſchmachtenden Paſſionsblick
zu, ſtuͤrze zur Thuͤr hinaus, ſteige wieder in die
erſte beſte Droſchke, und rolle nach dem Bran¬
denburger Thore. Ich ſteige aus und laufe hin¬
ein in den Thiergarten.
Ich rathe Ihnen, wenn Sie hierher kom¬
men, ſo verſaͤumen Sie nicht, an ſolchen ſchoͤ¬
[304] nen Vorfruͤhlingstagen, um dieſe Zeit, um halb
eins, in den Thiergarten zu gehen. Gehen Sie
links hinein, und eilen Sie nach der Gegend,
wo unſerer ſeligen Louiſe von den Einwohnerin¬
nen des Thiergartens ein kleines, einfaches Mo¬
nument geſetzt iſt. Dort pflegt unſer Koͤnig
oft ſpatzieren zu gehen. Es iſt eine ſchoͤne,
edle, ehrfurchtgebietende Geſtalt, die allen aͤuße¬
ren Prunk verſchmaͤht. Er traͤgt faſt immer
einen ſcheinlos grauen Mantel, und einem Toͤl¬
pel habe ich weiß gemacht: der Koͤnig muͤſſe
ſich oft mit dieſer Kleidung etwas behelfen,
weil ſein Garderobemeiſter außer Landes wohnt
und nur ſelten nach Berlin koͤmmt. Die
ſchoͤnen Koͤnigskinder ſieht man ebenfalls zu die¬
ſer Zeit im Thiergarten, ſo wie auch den gan¬
zen Hof und die allernobelſte Nobleſſe. Die
fremdartigen Geſichter ſind Familien auswaͤrti¬
ger Geſandten. Ein oder zwey Livreebediente
folgen den edeln Damen in einiger Entfernung.
Officiere auf den ſchoͤnſten Pferden galoppiren
[305] vorbey. Ich habe ſelten ſchoͤnere Pferde ge¬
ſehen, als hier in Berlin. Ich weide meine
Augen an dem Anblick der herrlichen Reuterge¬
ſtalten. Die Prinzen unſeres Hauſes ſind dar¬
unter. Welch ein ſchoͤnes, kraͤftiges Fuͤrſtenge¬
ſchlecht! An dieſem Stamme iſt kein mißgeſtal¬
teter, verwahrloſ'ter Aſt. In freudiger Lebens¬
fuͤlle, Muth und Hoheit auf den edeln Geſich¬
tern, reiten dort die zwey aͤltern Koͤnigsſoͤhne
vorbey. Jene ſchoͤne, jugendliche Geſtalt, mit
frommen Geſichtszuͤgen und liebeklaren Augen,
iſt der dritte Sohn des Koͤnigs, Prinz Karl.
Aber jenes leuchtende, majeſtaͤtiſche Frauenbild,
das, mit einem buntglaͤnzenden Gefolge, auf
hohem Roſſe vorbeyfliegt, das iſt unſre —
Alexandrine. Im braunen, feſtanliegenden Reit¬
kleide, ein runder Hut mit Federn auf dem
Haupte, und eine Gerte in der Hand, gleicht
ſie jenen ritterlichen Frauengeſtalten, die uns
aus dem Zauberſpiegel alter Maͤhrchen ſo lieb¬
lich entgegenleuchten, und wovon wir nicht ent¬
20[306] ſcheiden koͤnnen, ob ſie Heiligenbilder ſind oder
Amazonen. Ich glaube, der Anblick dieſer rei¬
nen Zuͤge hat mich beſſer gemacht; andaͤchtige
Gefuͤhle durchſchauern mich, ich hoͤre Engelſtim¬
nen, unſichtbare Friedenspalmen faͤcheln, in
meine Seele ſteigt ein großer Hymnus — da
erklirren ploͤtzlich ſchnarrende Harfenſaiten, und
eine Alteweiberſtimme quaͤkt: “Wir winden dir
den Jungfernkranz u. ſ. w.”
Und nun den ganzen Tag verlaͤßt mich nicht
das vermaledeite Lied. Die ſchoͤnſten Momente
verbittert es mir. Sogar wenn ich bey Tiſch
ſitze, wird es mir vom Saͤnger Heinſius als
Deſſert vorgedudelt. Den ganzen Nachmittag
werde ich mit “veilchenblauer Seide” gewuͤrgt.
Dort wird der Jungfernkranz von einem Lah¬
men abgeorgelt, hier wird er von einem Blin¬
den heruntergefidelt. Am Abend geht der Spuk
erſt recht los. Das iſt ein Floͤten, und ein
Groͤhlen, und ein Fiſtuliren, und ein Gurgeln,
[307] und immer die alte Melodie. Das Kasparlied
und der Jaͤgerchor wird wohl dann und wann
von einem illuminirten Studenten oder Faͤhndrich,
zur Abwechſelung, in das Geſumme hineingebruͤllt,
aber der Jungfernkranz iſt permanent; wenn der
Eine ihn beendigt hat, faͤngt ihn der Andere
wieder von vorn an; aus allen Haͤuſern klingt
er mir entgegen; Jeder pfeift ihn mit eigenen
Variationen; ja, ich glaube faſt, die Hunde auf
der Straße bellen ihn.
Wie ein zu Tode gehetzter Rehbock lege ich
Abends mein Haupt auf den Schooß der ſchoͤnſten
Boruſſin; ſie ſtreichelt mir zaͤrtlich das borſtige
Haar, lispelt mir ins Ohr: „Ich liebe dir, und
deine Lawiſe wird dich ohch immer juht ſint,“ und
ſie ſtreichelt und haͤtſchelt ſo lange, bis ſie glaubt,
daß ich am Einſchlummern ſey, und ſie ergreift
leiſe „die Katharre“ und ſpielt und ſingt „die
Kravatte“ aus Tankred: „Nach ſo viel Leiden,“
und ich ruhe aus nach ſo vielen Leiden, und liebe
[308] Bilder und Toͤne umgaukeln mich, — da weckt's
mich wieder gewaltſam aus meinen Traͤumen,
und die Ungluͤckſelige ſingt: “Wir winden dir
den Jungfernkranz” —
In wahnſinniger Verzweiflung reiße ich mich
los aus der lieblichſten Umarmung, eile die enge
Treppe hinunter, fliege wie ein Sturmwind nach
Hauſe, werfe mich knirſchend ins Bett, hoͤre
noch die alte Koͤchin mit ihrem Jungfernkranze
herumtrippeln, und huͤlle mich tiefer in die
Decke.
2.
Berlin, den 16. Maͤrz 1822.
Wie man dieſen Winter hier lebte, laͤßt ſich
von ſelbſt errathen. Das bedarf keiner beſon¬
dern Schilderung, da Winterunterhaltungen in
jeder Reſidenz dieſelben ſind. Oper, Theater,
[309] Concerte, Aſſembleen, Baͤlle, Thees (ſowohl
dansant als medisant), kleine Maskeraden, Lieb¬
haberei- Komoͤdien, große Redouten u. ſ. w.,
das ſind wohl unſere vorzuͤglichſten Abendunter¬
haltungen im Winter. Es iſt hier ungemein
viel geſelliges Leben, aber es iſt in lauter Fetzen
zerriſſen. Es iſt ein Nebeneinander vieler klei¬
nen Kreiſe, die ſich immer mehr zuſammen zu
ziehen als auszubreiten ſuchen. Man betrachte
nur die verſchiedenen Baͤlle hier; man ſollte
glauben, Berlin beſtaͤnde aus lauter Innungen.
Der Hof und die Miniſter, das diplomatiſche
Corps, die Civilbeamten, die Kaufleute, die Of¬
ficiere ꝛc. ꝛc., alle geben ſie eigene Baͤlle, wor¬
auf nur ein zu ihrem Kreiſe gehoͤriges Perſonal
erſcheint. Bey einigen Miniſtern und Geſand¬
ten ſind die Aſſembleen eigentlich große Thees,
die an beſtimmten Tagen in der Woche gegeben
werden, und woraus ſich, durch einen mehr
oder minder großen Zuſammenfluß von Gaͤſten,
ein wirklicher Ball entwickelt. Alle Baͤlle der
[310] vornehmen Claſſe ſtreben, mit mehr oder min¬
derm Gluͤcke, den Hofbaͤllen oder fuͤrſtlichen
Baͤllen aͤhnlich zu ſeyn. Auf letztern herrſcht
jetzt faſt im ganzen gebildeten Europa derſelbe
Ton, oder vielmehr ſie ſind den Pariſer Baͤllen
nachgebildet. Folglich haben unſere hieſigen
Baͤlle nichts charakteriſtiſches; wie verwunderlich
es auch oft ausſehen mag, wenn vielleicht ein
von ſeiner Gage lebender Secondelieutenant,
und ein, mit Laͤppchen und Geflitter, moſaikar¬
tig aufgeputztes Kommisbrod-Fraͤulein, ſich auf
ſolchen Baͤllen in entſetzlich vornehmen Formen
bewegen, und die ruͤhrend-kuͤmmerlichen Geſich¬
ter puppenſpielmaͤßig kontraſtiren mit dem ange¬
ſchnallten, ſteifen Hofkothurn.
Wenig Schnee, und folglich auch faſt gar
kein Schlittengeklingel und Peitſchengeknall hat¬
ten wir dieſes Jahr. Wie in allen proteſtan¬
tiſchen Staͤdten ſpielt hier Weihnachten die
Hauptrolle in der großen Winterkomoͤdie. Schon
[311] eine Woche vorher iſt alles beſchaͤftigt mit Ein¬
kauf von Weihnachtsgeſchenken. Alle Modema¬
gazine und Bijouterie- und Quinkailleriehand¬
lungen haben ihre ſchoͤnſten Artikel — wie un¬
ſere Stutzer ihre gelehrten Kenntniſſe — leuch¬
tend ausgeſtellt; auf dem Schloßplatze ſtehen
eine Menge hoͤlzerner Buden mit Putz-, Haus¬
haltung- und Spielſachen; und die beweglichen
Berlinerinnen flattern, wie Schmetterlinge, von
Laden zu Laden, und kaufen, und ſchwatzen, und
aͤugeln, und zeigen ihren Geſchmack, und zei¬
gen ſich ſelber den lauſchenden Anbetern. Aber
des Abends geht der Spaß erſt recht los; dann
ſieht man unſere Holden oft mit der ganzen re¬
ſpectiven Familie, mit Vater, Mutter, Tante,
Schweſterchen und Bruͤderchen, von einem Con¬
ditorladen nach dem andern wallfahrten, als waͤ¬
ren es Paſſionsſtationen. Dort zahlen die lieben
Leutchen ihre zwey Courantgroſchen Entree und
beſehen ſich con amore die „Ausſtellung“, eine
Menge Zucker- oder Dragéepuppen, die, har¬
[312] moniſch neben einander aufgeſtellt, rings beleuch¬
tet, und von vier perſpektiviſch bemalten Waͤn¬
den eingepfercht, ein huͤbſches Gemaͤlde bilden.
Der Hauptwitz iſt nun, daß dieſe Zuckerpuͤpp¬
chen zuweilen wirkliche, allgemein bekannte Per¬
ſonen vorſtellen.
Die Redouten im Opernhauſe ſind ſehr ſchoͤn
und großartig. Wenn dergleichen gegeben werden,
iſt das ganze Parterre mit der Buͤhne vereinigt,
und das giebt einen ungeheuern Saal, der oben
durch eine Menge ovaler Lampenleuchter erhellt
wird. Dieſe brennenden Kreiſe ſehen faſt aus wie
Sonnenſyſteme, die man in aſtronomiſchen Com¬
pendien abgebildet findet, ſie uͤberraſchen und
verwirren das Auge des Hinaufſchauenden, und
gießen ihren blendenden Schimmer auf die bunt¬
ſcheckige, funkelnde Menſchenmenge, die, faſt die
Muſik uͤberlaͤrmend, taͤnzelnd und huͤpfend und
draͤngend im Saale hin und her wogt. Jeder
muß hier in einem Maskenanzuge erſcheinen,
[313] und Niemanden iſt es erlaubt, unten im großen
Tanzſaale die Maske vom Geſicht zu nehmen.
Nur in den Gaͤngen und in den Logen des
erſten und zweyten Ranges darf man die Larve
ablegen. Die niedre Volksklaſſe bezahlt ein klei¬
nes Entree, und kann, von der Gallerie aus,
auf all dieſe Herrlichkeit herabſchauen. In der
großen koͤnigl. Loge ſieht man den Hof, groͤ߬
tentheils unmaskirt; dann und wann ſteigen
Glieder deſſelben in den Saal hinunter und
miſchen ſich in die rauſchende Maskenmenge.
Faſt alle Maͤnner tragen hier nur einfache,
ſeidene Dominos und lange Klapphuͤte. Dieſes
laͤßt ſich leicht aus dem großſtaͤdtiſchen Egoismus
erklaͤren. Jeder will ſich hier amuͤſiren und nicht
als Charaktermaske andern zum Amuͤſement die¬
nen. Die Damen ſind aus demſelben Grunde
ganz einfach maskirt, meiſtens als Fledermaͤuſe.
Eine Menge femmes entretenues und Prie¬
ſterinnen der ordinairen Venus ſieht man
in dieſer Geſtalt herumflirren und Erwerbsintri¬
[314] guen anknuͤpfen. „Ich kenne dir“, fluͤſtert dort
eine ſolche Vorbeyflirrende. „Ich kenne dir
auch“, iſt die Antwort, „Je te connais, beau
masque,“ ruft hier eine Chauve-souris einem
jungen Wuͤſtlinge entgegen. „Si tu me connais,
ma belle, tu n'es pas grande chose,“ entgegnet
der Boͤſewicht ganz laut, und die blamirte
Donna verſchwindet wie ein Wind.
Aber was iſt daran gelegen, wer unter der
Maske ſteckt? Man will ſich freuen, und zur
Freude bedarf man nur Menſchen. Und Menſch
iſt man erſt recht auf dem Maskenballe, wo die
waͤchſerne Larve unſere gewoͤhnliche Fleiſchlarve
bedeckt, wo das ſchlichte Du die urgeſellſchaft¬
liche Vertraulichkeit herſtellt, wo ein alle An¬
ſpruͤche verhuͤllender Domino die ſchoͤnſte Gleich¬
heit hervorbringt, und wo die ſchoͤnſte Freiheit
herrſcht — Maskenfreiheit. Fuͤr mich hat eine
Redoute immer etwas hoͤchſt Ergoͤtzliches. Wenn
die Pauken donnern und die Trompeten er¬
[315] ſchmettern, und liebliche Floͤten und Geigenſtim¬
men lockend dazwiſchen toͤnen: dann ſtuͤrze ich
mich, wie ein toller Schwimmer, in die toſende,
buntbeleuchtete Menſchenfluth, und tanze, und
renne, und ſcherze, und necke Jeden, und lache,
und ſchwatze, was mir in den Kopf koͤmmt.
Auf der letzten Redoute war ich beſonders
freudig, ich haͤtte auf dem Kopfe gehen moͤgen,
ein bachantiſcher Geiſt hatte mein ganzes Weſen
ergriffen, und waͤr' mein Todfeind mir in den
Weg gekommen, ich haͤtte ihm geſagt: Mor¬
gen wollen wir uns ſchießen, aber heute will
ich dich recht herzlich abkuͤſſen. Die reinſte
Luſtigkeit iſt die Liebe, Gott iſt die Liebe, Gott
iſt die reinſte Luſtigkeit! “Tu ès beau! tu ès
charmant! tu ès l'objet de ma flamme! je t'a¬
dore, ma belle!” das waren die Worte, die
meine Lippen hundertmal unwillkuͤhrlich wieder¬
holten. Und allen Leuten druͤckte ich die Hand,
und zog vor allen huͤbſch den Hut ab; und alle
Menſchen waren auch ſo hoͤflich gegen mich.
[316]
Nur ein deutſcher Juͤngling wurde grob, und
ſchimpfte uͤber mein Nachaͤffen des welſchen Ba¬
belthums, und donnerte im urteutoniſchen Bier¬
baß: “Auf einer teutſchen Mummerey ſoll der
Teutſche teutſch ſprechen!” O deutſcher Juͤng¬
ling, wie finde ich dich und deine Worte ſuͤnd¬
lich und laͤppiſch in ſolchen Momenten, wo
meine Seele die ganze Welt mit Liebe umfaßt,
wo ich Ruſſen und Tuͤrken jauchzend umar¬
men wuͤrde, und wo ich weinend hinſinken
moͤchte an die Bruderbruſt des gefeſſelten Afri¬
kaners! Ich liebe Deutſchland und die Deut¬
ſchen; aber ich liebe nicht minder die Bewohner
des uͤbrigen Theils der Erde, deren Zahl vierzig
mal groͤßer iſt, als die der Deutſchen. Die
Liebe giebt dem Menſchen ſeinen Werth. Gott
lob! ich bin alſo vierzig mal mehr werth als
Jene, die ſich nicht aus dem Sumpfe der Na¬
tionalſelbſtſucht hervorwinden koͤnnen, und die
nur Deutſchland und Deutſche lieben.
[317]
3.
Berlin, den 8. May 1822.
Ich habe eben meinen Gallarock, ſchwarz¬
ſeidene Hoſen und dito Struͤmpfe angezogen,
und melde Ihnen allerfeyerlichſt:
die hohe Vermaͤhlung Ihrer koͤnigl. Hoheit
der Prinzeſſin Alexandrine mit Sr. koͤnigl.
Hoheit dem Erb-Groß-Herzoge von Meck¬
lenburg-Schwerin.
Man trug ſich damit herum, dieſe Feyer
ſolle noch etwas laͤnger aufgeſchoben werden,
und wahrhaftig, vorigen Freitag wollte ich
ſelbſt nicht recht glauben, daß ſchon am andern
Tage die Trauung ſtatt finden werde. Es ging
manchem ſo. Sonnabendmorgen war es nicht
ſehr lebhaft auf der Straße. Aber auf den
[318] Geſichtern lag Eilfertigkeit und geheimnißvolle
Erwartung. Herumlaufende Bedienten, Fri¬
ſeure, Schachteln, Putzmacherinnen u. ſ. w.
Ein ſchoͤner Tag, nicht ſehr ſchwuͤl; aber die
Menſchen ſchwitzten. Gegen ſechs Uhr begann
das Wagengeraſſel.
Ich bin kein Adeliger, kein hoher Staats¬
beamte und kein Officier: folglich bin ich nicht
kurfaͤhig und konnte den Vermaͤhlungsfeierlich¬
keiten auf dem Schloſſe ſelbſt nicht beywohnen.
Dennoch ging ich nach dem Schloßhof, um mir
wenigſtens das ganze kurfaͤhige Perſonal zu be¬
ſchauen. Ich habe nie ſo viel praͤchtige Equi¬
pagen beyſammen geſehen. Die Bedienten hat¬
ten ihre beſten Livreen an, und in ihren ſchreiend
hellfarbigen Roͤcken und kurzen Hoſen mit weißen
Struͤmpfen ſahen ſie aus wie hollaͤndiſche Tul¬
pen. Mancher von ihnen trug mehr Gold und
Silber am Leibe als das ganze Hausperſonal
des Buͤrgermeiſters von Nordamerika. Aber
[319] dem Kutſcher des Herzogs von Cumberland ge¬
buͤhrt der Preis. Wahrlich, dieſe Blume der
Kutſcher auf ihrem Bocke paradiren zu ſehen,
iſt ſchon allein werth, daß man deshalb nach
Berlin reiſ't. Was iſt Salomo in ſeiner Koͤnigs¬
pracht, was iſt Harun-al-Raſchid in ſeinem
Kalifenſchmuck, ja was iſt der Triumph-Ele¬
phant in der Olympia gegen die Herrlichkeit die¬
ſes Herrlichen? An minder feſtlichen Tagen im¬
ponirt er ſchon hinlaͤnglich durch ſeine aͤcht chi¬
neſiſche Porcellanhaftigkeit, durch die pendular¬
tigen Bewegungen ſeines gepuderten, ſchwerbe¬
zopften, mit einem dreyeckigen Wuͤnſchelhuͤtchen
bedeckten Kopfes, und durch die wunderliche
Beweglichkeit ſeiner Arme beym Pferdelenken.
Aber heute trug er ein karmoiſinrothes Kleid,
das halb Frack, halb Ueberrock war, Hoſen von
derſelben Farbe, alles mit breiten goldnen Treſ¬
ſen beſetzt. Sein edles Haupt, kreideweiß ge¬
pudert, und mit einem unmenſchlich großen
ſchwarzen Haarbeutel geziert, war von einem
[320] ſchwarzen Sammtkaͤppchen mit langem Schirm
bedeckt. Ganz auf gleiche Weiſe waren die vier
Bedienten gekleidet, die hinten auf dem Wagen
ſtanden, ſich mit bruͤderlicher Umſchlingung einer
an dem andern feſthielten, und dem gaffenden
Publikum vier wackelnde Haarbeutel zeigten.
Aber Er trug die gewoͤhnliche Herrſcherwuͤrde
im Antlitz, Er dirigirte die ſechsſpaͤnnige
Staatskaroſſe, zerrend zog er die Zuͤgel,
„und raſch hinflogen die Roſſe.“
Es war ein furchtbares Menſchengewuͤhl
auf dem Schloßhofe. Das muß man ſagen, die
Berlinerinnen ſind nicht neugierig. Die zarte¬
ſten Maͤgdlein gaben mir Stoͤße in die Seiten,
die ich noch heute fuͤhle. Es war ein Gluͤck,
daß ich keine ſchwangere Frau bin. Ich quetſchte
mich aber ehrlich durch, und gelangte gluͤcklich in's
Portal des Schloſſes. Der zuruͤckdraͤngende Poli¬
zeibeamte ließ mich durch, weil ich einen ſchwarzen
[321] Rock trug, und weil er es mir wohl anſah, daß
die Fenſter meines Logis mit rothſeidenen Gar¬
dinen behangen ſind. Ich konnte jetzt ganz gut
die hohen Herren und Damen ausſteigen ſehen,
und mich amuͤſirten recht ſehr die vornehmen
Hofkleider und Hofgeſichter. Erſtere kann ich
nicht beſchreiben, weil ich zu wenig Schneider¬
genie bin, und letztere will ich nicht beſchreiben,
aus ſtadtvogteylichen Gruͤnden. Zwey huͤbſche
Berlinerinnen, die neben mir ſtanden, bewun¬
derten mit Enthuſiasmus die ſchoͤnen Diaman¬
ten, und Goldſtickereien, und Blumen, und
Gaze, und Atlaſſe, und lange Schleppen, und
Friſuren. Ich hingegen bewunderte noch mehr die
ſchoͤnen Augen dieſer ſchoͤnen Bewundererinnen,
und wurde etwas aͤrgerlich, als mir von hinten
Jemand freundſchaftlich auf die Achſel ſchlug, und
mir das rothbaͤckige Geſichtlein des Kammermuſici
entgegenleuchtete. Er war in ganz beſonderer
Bewegung, und huͤpfte wie ein Laubfroſch.
„Cariſſime“, quaͤkte er, „ſehen Sie dort die
21[322] ſchoͤne Comteſſe? Zypreſſenwuchs, Hyazinten¬
locken, der Mund iſt Roſ' und Nachtigall zu
gleicher Zeit, die ganze Frau iſt eine Blume,
und wie eine arme Blume, die zwiſchen zwey
Blaͤttern Loͤſchpapier gepreßt wird, ſteht ſie da
zwiſchen ihren grauen Tanten. Der Herr Ge¬
mahl, der ſolche Blumen ſtatt Diſteln verzehrt,
um uns glauben zu machen, er ſey kein Eſel,
mußte heute zu Hauſe bleiben, hat den Schnup¬
fen, liegt auf dem Sopha, ich habe ihn unter¬
halten muͤſſen, wir ſchwatzten zwey Stunden
lang von der neuen Liturgie, und die Zunge iſt
mir ordentlich duͤnner geworden durch das viele
Schwatzen und die Lippen thun mir weh vor
lauter Laͤcheln —“ Bey dieſen Worten zog
ſich um die Mundwinkel des Kammermuſici ein
ſauerhoͤfliches Laͤcheln, das er mit dem feinen
Zuͤnglein wieder fortleckte, und ploͤtzlich rief er:
„die Liturgie! die Liturgie! ſie wird auf den
Fluͤgeln des rothen Adlers dritter Claſſe von
Kirchthurm zu Kirchthurm fliegen, jusqu'à la
[323] tour de notre Dame! Doch laßt uns etwas
Vernuͤnftiges ſprechen — betrachten Sie die bey¬
den geputzten Herren, die eben vorgefahren —
ein zerquetſches, eingemachtes Geſichtchen, ein
feines Koͤpfchen mit weichen, baumwollenen Ge¬
danken, buntgeſtickte Weſte, Galanteriedegen,
weißſeidene, laͤchelnde Beinchen, und er parlirt
franzoͤſiſch, und wenn man es ins Deutſche uͤber¬
ſetzt, iſt es eine Dummheit — Dagegen der
Andre, der Große mit dem Schnurrbart, der
Titane, der alle Betthimmel ſtuͤrmen will! ich
wette, er hat ſo viel Verſtand wie der Apoll
von Belvedere —” Um den Raiſonneur auf an¬
dre Gedanken zu bringen, zeigte ich ihm meinen
Barbier, der uns gegenuͤber ſtand und ſeinen
neuen altdeutſchen Rock angezogen hatte. Kirſch¬
braun wurde jetzt das Geſicht des Kammermuſici
und er fletſchte mit den Zaͤhnen: “O Sanct
Marat! ſo ein Lump will den Freyheitshelden
ſpielen! O Danton, Callot d'Herbois, Robes¬
pierre —” Vergebens traͤllerte ich das Liedchen:
[324]
Vergebens, ich hatte das Ding noch ver¬
ſchlimmert, der Menſch gerieth jetzt in ſeine
alten Revolutionsgeſchichten, und ſchwatzte von
nichts als Guillotinen, Laternen, Septembriſi¬
ren, bis mir, zu meinem Gluͤck, ſeine laͤcher¬
liche Pulverfurcht in den Sinn kam, und ich
ſagte ihm: Wiſſen Sie auch, daß gleich im Luſt¬
garten zwoͤlf Kanonen losgeſchoſſen werden?
Kaum hatte ich dieſe Worte ausgeſprochen, und
verſchwunden war der Kammermuſikus.
Ich wiſchte mir den Angſtſchweiß aus dem
Geſicht, als ich den Kerl vom Halſe hatte, ſah
noch die letzten Ausſteigenden, machte meinen
ſchoͤnen Nachbarinnen eine mit einem holden Laͤ¬
cheln accompagnirte Verbeugung, und begab
mich nach dem Luſtgarten. Da ſtanden wirk¬
lich zwoͤlf Kanonen aufgepflanzt, die dreymal
[325] losgeſchoſſen werden ſollten, in dem Augenblick,
wo das fuͤrſtliche Brautpaar die Ringe wech¬
ſeln wuͤrde. An einem Fenſter des Schloſſes
ſtand ein Offizier, der den Kanonieren im Luſt¬
garten das Zeichen zum Abfeuern geben ſollte.
Hier hatte ſich eine Menge Menſchen verſam¬
melt. Auf ihren Geſichtern waren ganz eigne,
faſt ſich widerſprechende Gedanken zu leſen.
Es iſt einer der ſchoͤnſten Zuͤge im Charakter
der Berliner, daß ſie den Koͤnig und das koͤnig¬
liche Haus ganz unbeſchreiblich lieben. Die
Prinzen und Prinzeſſinnen ſind hier ein Haupt¬
gegenſtand der Unterhaltung in den geringſten
Buͤrgerhaͤuſern. Ein aͤchter Berliner wird auch
nie anders ſprechen, als „unſre“ Charlotte,
„unſre“ Alexandrine, „unſer“ Prinz Carl u. ſ. w.
Sie koͤnnen ſich alſo vorſtellen, wie ſehr hier
die ſchoͤne, leuchtende Alexandrine vom Volke
geliebt ſeyn muß; und aus dieſer Liebe koͤn¬
nen Sie ſich auch den Widerſpruch erklaͤren,
[326] der auf den Geſichtern der Berliner lag, als
ſie erwartungsvoll nach den hohen Schloßfen¬
ſtern ſahen, wo unſre Alexandrine vermaͤhlt
wurde. Verdruß durften ſie nicht zeigen; denn
es war der Ehrentag der geliebten Prinzeſſin.
Recht freuen konnten ſie ſich auch nicht; denn
ſie verloren dieſelbe. Neben mir ſtand ein Muͤt¬
terchen, auf deſſen Geſicht zu leſen war: Jetzt
habe ich ſie zwar verheurathet, aber ſie verlaͤßt
mich jetzt. Auf dem Geſichte meines jugendli¬
chen Nachbars ſtand: Als Herzogin von Meck¬
lenburg iſt ſie doch nicht ſo viel, wie ſie als
Koͤnigin aller Herzen war. Aus den rothen
Lippen einer huͤbſchen Bruͤnette las ich: Ach,
waͤr' ich ſchon ſo weit! — Da donnerten ploͤtz¬
lich die Kanonen, die Damen zuckten zuſammen,
die Glocken laͤuteten, Staub- und Dampfwolken
erhoben ſich, die Jungen ſchrieen, die Leute
trabten nach Hauſe, und die Sonne ging blut¬
roth unter hinter Monbijou.
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- TextGrid Repository (2025). Heine, Heinrich. Reisebilder. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bj5f.0