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CENTRALBLATT
DER
BAUVERWALTUNG.


JAHRGANG X.

1890.
[figure]

BERLIN.:
VERLAG VON ERNST \& KORN
(WILHELM ERNST).

[][]

Inhalts-Verzeichniſs des X. Jahrgangs, 1890.

[...]
[353]

Die modernen Aufgaben des groſsstädtischen Straſsenbaues mit Rücksicht auf die
Unterbringung der Versorgungsnetze.


(Vortrag, gehalten auf der IX. Wanderversammlung des Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine in Hamburg
von Baurath Dr. James Hobrecht, Stadtbaurath in Berlin.)


Meine Herren!


Das Thema, welches mir für einen Vortrag seitens des Verbands-
Vorstandes der deutschen Architekten- und Ingenieur-Vereine gestellt
wurde, lautet:


„Die modernen Aufgaben des groſsstädtischen Straſsen-
baues mit Rücksicht auf die Unterbringung der Versorgungs-
netze“.


Ich muſs vorab bemerken, daſs dieses Thema, so verlockend es
auf den ersten Anblick zu sein scheint, und so sehr es einen Gegen-
stand berührt, der die Verwaltungen aller groſsen Städte gewisser-
maſsen in Athem erhält, doch recht wenig geeignet ist, die Hörer,
und damit den Vortragenden selbst, befriedigen zu können; denn
wenn es allgemein wohl als erwünscht bezeichnet werden darf, daſs
aus der Besprechung eines so ungewöhnlich wichtigen Gegenstandes,
von einer so hervorragenden Tribüne herab wie diejenige, auf welcher
ich mich zur Zeit befinde, auch die Namhaftmachung eines Abhülfs-
mittels gegen die allseits empfundenen Schwierigkeiten — gewisser-
maſsen eines Specificums gegen die Krankheit, an welcher groſsstädtische
Straſsen durch die Versorgungsnetze leiden — sich ergebe, so ist
auf ein solches Ergebniſs im vorliegenden Falle nicht zu rechnen.
Zunächst weil niemand imstande ist, Umfang und Maſs aller Ver-
sorgungsnetze, welche beanspruchen möchten, sich in die Straſsen-
körper einzubauen, zu bestimmen. Zahl und Art derselben wächst von
Jahr zu Jahr; nur wer sich der irrthümlichen Auffassung hingiebt,
die Ansprüche groſsstädtischer Bevölkerungen könnten überhaupt
gesättigt werden, die Erfindung werde aufhören thätig zu sein, oder
das Capital möchte erlahmen, nützlichen Erfindungen die Wege zur
Ausführung zu bahnen, wird darüber anders zu denken vermögen.


Hatte man früher sich meistens nur mit der Sorge zu beschäf-
tigen, Gas- und Wasserleitungen in den Straſsen unterzubringen, so
gilt es jetzt schon, sich um einen angemessenen Platz für die Ent-
wässerungsl
eitungen, die elektrischen Beleuchtungskabel, die
verschiedensten Arten von Telegraphenkabeln, Telephonleitungen,
Druckluft- oder Druckwasserleitungen usw. zu mühen; ein Ende ist
in dieser Beziehung kaum abzusehen.


Ferner sind die Verhältnisse in Bezug auf Lage, Breite, Gefälle,
Grundwasserstand, Bodenbeschaffenheit in den verschiedenen Städten
so auſserordentlich verschieden, daſs auch hieran die Verkündigung
eines allgemein gültigen Recepts gegen die erwähnten Erscheinungen
scheitern muſs. Schon die Verschiedenheit in der Vermögenslage
der Städte hat nothwendigerweise zur Folge, daſs Stadt-Umgestal-
tungen, namentlich Straſsendurchbrüche und Straſsenverbreiterungen,
welche sonst ein wirksamstes Heilmittel wären, hier thunlich, dort
aber ganz unmöglich erscheinen. Die Aufstellung eines Normal-
Querschnitts für Straſsen, der uns eine wohlabgemessene Anordnung
der Leitungen nach ihrer Höhen- und Breitenlage zeigte, wäre in
der That kaum mehr als ein Hirngespinnst, — etwa ebenso werthlos
wie ein Normal-Grundriſs für alle Hochbauten.


Um der Frage nun aber doch näher zu treten, wird es nützlich
sein, zunächst die Versorgungs-Netze, welche jetzt schon Straſsen-
raum beanspruchen, zusammenzustellen. Als solche wären zu nennen:
1. Die Wasserleitung zur Versorgung der Wohnungen mit
Wasser für alle Arten des häuslichen Bedarfs;
2. Druckwasserleitungen zur Verrichtung von Arbeiten;
3. Gasleitungen zur Beleuchtung der Straſsen und Häuser und
zum Betrieb von Maschinen;
4. Entwässerungsleitungen zur Fortführung von Regen und Ab-
wässern aus Straſsen und Häusern;
5. gesonderte Entwässerungs-Leitungen für gebrauchte Wässer,
welche nicht verunreinigt sind, wie Kühlwässer, und für solche,
welche, wie Condensationswässer, zu hoch temperirt sind, oder welche
chemische Beimischungen haben, die, weil sie zerstörend auf Back-
stein und Mörtel wirken, von der Aufnahme in die gewöhnlichen
Entwässerungsleitungen ausgeschlossen werden müssen;
6. elektrische Beleuchtungsleitungen und zwar:
a) entweder Kabel, oder
b) Schienen, welche in Kästen (Monier-Kästen) oder Röhren
untergebracht werden;
7. Telegraphenleitungen für verschiedene Zwecke, und danach
gesonderte Systeme bildend, wie:
a) für das Reich (auswärtiges Amt, Militär),
b) für polizeiliche Zwecke,
c) für Feuerlösch-Zwecke,
d) für Zwecke der Post;
8. pneumatische Leitungen für Depeschen-Beförderung;
9. Telephonleitungen. Nachdem die weitere Ausbildung ober-
irdischer
Telephon-Netze vieler Orten sich als unmöglich heraus-
gestellt hat, werden jetzt die Leitungen unterirdisch verlegt. Bei-
spielsweise beansprucht die Telephon-Verwaltung in Berlin mehrfach
[354]Centralblatt der Bauverwaltung.30. August 1890.
Raum für zwei eiserne Parallelleitungen nebeneinander von je 40 cm
Durchmesser;
10. elektrische oder pneumatische Leitungen zum Betrieb öffent-
licher Uhren;
11. Druckluft-Leitungen zum Betrieb von Maschinen für Klein-
gewerbe, zum Betrieb von Maschinen für elektrische Beleuchtungen,
zur Ventilation oder Kühlung von Räumen verschiedener Art;
12. Betriebskabelleitungen, meist in gemauerten Canälen für
Kabelbahnen und elektrische Bahnen und unterhalb derselben
usw. usw.


Dabei ist im einzelnen zu beachten,
1. daſs vielfach vorgenannte Versorgungen, wie namentlich die-
jenigen mit Gas und Wasser, nicht einheitliche sind, sondern
theils durch die Gemeinden, theils durch Actien-Gesellschaften,
welche auf Grund von Concessionen oft ausgedehnte und lange
dauernde Berechtigungen erworben haben, bewirkt werden, sodaſs
dann oft mehrere sonst gleichwerthige Gas-, mehrere Wasser-Rohre
in einer Straſse nebeneinanderliegen;
2. daſs infolge der zunehmenden Bevölkerung und des gesteigerten
Verkehrs fast alle vorgenannten Leitungen in kürzerer oder längerer
Frist eine Vermehrung oder Vergröſserung erfahren, d. h. also ver-
mehrten Straſsenraum beanspruchen, während anderseits
3. der verfügbare Raum in den Straſsen, namentlich den Haupt-
straſsen, durch Anlage von Straſsenbahnen aller Art an sich be-
schränkt wird, und endlich in dem Verlangen, ein gutes, ja ein
bestes Pflaster zu haben, der Straſsendamm seiner ganzen Breite
nach eine feste Unterlage erhält; es ergiebt sich dann hieraus, daſs,
theils absichtlich, theils gezwungen, nur die Bürgersteige zur
Unterbringung der Versorgungs-Netze verfügbar bleiben;
4. daſs, da aus allen den vorgenannten Versorgungs-Netzen Haus-
anschluſsleitungen in verschiedenster Höhenlage die Bürgersteige
queren, der dort etwa noch für Längsleitungen verfügbare Raum,
wenn nicht vernichtet, so doch auf ein Minimum eingeschränkt wird;
5. daſs die oben erwähnte Verlegenheit sich an den Straſsen-
kreuzungen und Straſsenecken bis zur gröſstmöglichen Höhe
steigert, da dort noch ein besonderer Raum für Wasser- oder Gas-
Schieber, für Revisionsbrunnen der Canalisation, der Beleuchtungs-,
Telephon- und Telegraphen-Kabel usw. vorhanden sein muſs.


M. H. Nothstände aus vorgenannten Ursachen hat man wohl
zuerst in der gröſsten der Groſsstädte, in London empfunden; dort
begann man am frühesten mit der Ausführung der Versorgungs-
Netze; dort hat man — wie es scheint, ohne Ahnung der späteren
Entwicklung der Versorgungsleitungen und der Stadt — ziemlich
unbeschränkt Concessionen an Actien-Unternehmungen zur Aus-
führung der Versorgungs-Netze und zum Betriebe derselben ertheilt.
Zudem sind die Straſsen dort meist eng und unregelmäſsig. So lieſs
denn schon eine Zeichnung in einem Blaubuch des englischen Par-
laments aus den fünfziger Jahren, welche das Bild einer abgedeckten
Straſse gab, erkennen, daſs dieselbe ihrer ganzen Breite nach mit
eisernen Röhren, ein Rohr unmittelbar neben dem anderen, belegt
war. Die Röhren waren von sehr verschiedenem Durchmesser und
gehörten verschiedenen Versorgungs-Gesellschaften an. So war es
denn auch oft vorgekommen, daſs theils aus Unkenntniſs, theils viel-
leicht in schlimmerer Absicht die eine Gesellschaft die Röhren einer
anderen Gesellschaft zur Versorgung anliegender Grundstücke ange-
bohrt hatte und fortgesetzt fremden, ihr nicht gehörigen Stoff,
Wasser oder Gas, verkaufte. Aufs störendste wurden ferner die un-
unterbrochenen Aufgrabungen und Pflasteraufbrüche bei Rohrver-
legungen, Rohrveränderungen und Rohr-Ausbesserungen empfunden.
Wie heute überall, erregten sie dort schon vor fast einem halben
Jahrhundert das allgemeinste Aergerniſs. So lange sie unvermeidlich
blieben, so lange war an eine Erfüllung der Hoffnung, eine definitive
Straſsendecke herzustellen und sie zu erhalten, nicht zu denken; sie
sind es, welche denn auch bald das Bestreben anfachten, Abhülfe-
maſsregeln zu ergreifen.


Es liegt nahe, und es lag auch vor Jahrzehnten in London schon
nahe, diese Abhülfemaſsregel darin zu suchen, daſs genügend ge-
räumige Tunnel in den Straſsen unter dem Pflaster erbaut werden,
in welchen sämtliche Leitungen ihren Platz finden. Wie man damals
diese Tunnel, welche den Namen „Subways“ führen, in England
als das Heilmittel ansah, welches alle Schmerzen stillen würde,
so ist diese Ansicht auch bei uns heute vielfach vertreten, und der
deutsche Techniker muſs es sich gefallen lassen, oft die vorwurfs-
volle Frage zu hören: warum wird denn nicht endlich, wie in London
oder Paris, mit der Untertunnelung aller Straſsen angefangen, um
der nimmer endenden Buddelei — wie man in Berlin zu sagen be-
liebt — einen Riegel vorzuschieben? Da also in der Subway-Anlage
in Wirklichkeit oder in Einbildung die Lösung der Frage liegen
soll, sehe ich mich genöthigt, gerade hierauf etwas näher einzugehen,
und nachzuforschen, wieweit obige Behauptung für London und
Paris zutrifft.


Im Jahre 1864 wurde in London eine Gesetzvorlage unter dem
Namen „Metropolitan Subways Bill“ vor das Parlament gebracht.
Zwei höchst umfangreiche Blaubücher, das eine aus dem Jahre 1864,
das andere aus dem Jahre 1867, theilen uns in der bekannten Form
von Fragen und Antworten auf 658 Folioseiten die endlosen Ver-
handlungen mit, welche die von dem Parlament zur Voruntersuchung
eingesetzten Commissionen mit den namhaftesten englischen In-
genieuren und den Vertretern der betheiligten Gesellschaften auf-
nahmen. Folgendes aus diesen Verhandlungen dürfte mittheilungs-
werth sein. Zunächst wurde die Zahl der stattgehabten Straſsenauf-
brüche festgestellt. Es ergab sich beispielsweise, daſs — abgesehen
von anderen Stadttheilen — in dem Kirchspiel St. Martin in the
fields das Straſsenpflaster im Jahre 1856 1256 mal, in den 7 Jahren
von 1856 bis 1863 10377 mal von den verschiedenen Gas- und
Wassergesellschaften aufgebrochen wurde; in dem Kirchspiel Mary-
lebone haben in den Jahren 1859 bis 1863, also in 5 Jahren 44932
Aufgrabungen stattgefunden usw. Die Zahl der damals von dem
Metropolitan Board of Works schon ausgeführten Subways war eine
geringe, die Länge derselben eine unbedeutende. Zu verzeichnen
sind in London nur ein Subway in Coventgarden, 450 Fuſs lang
(Halbkreis, 6½′ Rad.) und ein solcher in Southwark (6′ Rad.) in Länge
von 3400 Fuſs.


In Nottingham waren auſserdem einzelne Subways durch den
Ingenieur Tarbotton ausgeführt,
so in der Victoria Street in Länge von 430′ (10′ breit)
in der Queen Street „ „ „ 100′ (8′ breit)
und in der Lister Street „ „ „ 450′ (10′ breit).


Diese Subways hatten zum Theil einen befestigten Boden, zum
Theil nicht, wie denn auch Röhren in die Fuſsböden der Subways
gebettet wurden. Sie sind mit Seitengalerieen in etwa 3′ Breite für
je zwei Häuser versehen. Diese Galerieen reichen bis zu den unter
den Bürgersteigen belegenen Kellern. Die Subways sind mit Venti-
lationsschächten in Entfernungen von je 25′ bis 100′ versehen. In
diesen wenigen Subways lagerten Gas- und Wasserröhren von sehr
geringem Durchmesser (6″), desgleichen Telegraphenleitungen.


Die Frage, welche nun bei den erwähnten Verhandlungen im
Vordergrund steht, ist diejenige, ob die Gefahr der Gasexplosionen
die Aufnahme von Gasröhren in die Subways gestatte oder nicht.


Namhafteste Ingenieure, wie Bazzalgette, Marrable, Carpmeal
Isaacs, Hemans, Tarbotton aus Nottingham, R. Jones — welcher
jedoch die Ventilationsschächte nicht weiter als 20′ von einander
stellen will —, Bramwell, Easton und andere leugnen jede Gefahr,
während Ingenieure, deren Ruf ebenfalls ein bedeutender ist, wie
Simpson, Bateman, der Erbauer der Glasgower Wasserwerke, Hay-
wood, Hawksley und eine groſse Zahl von den bei den Gaswerken
beschäftigten Ingenieuren eine ernstliche Gefahr als mehr oder
minder vorhanden behaupten. Dr. Letheby hält die Gefahr für vor-
handen, Dr. Frankland bestreitet sie. Was die bei den Gaswerken
und zum Theil auch bei den Wasserwerken beschäftigten Ingenieure
anbetrifft, so ist zu bemerken, daſs diese überhaupt den Anlagen von
Subways feindlich entgegenstehen, daſs aber hierbei, wie auch zu-
gestanden wird, die Besorgniſs, daſs die Kosten für die Gesellschaften
gewaltig anwachsen würden, mitbestimmend war.


Im einzelnen geht aus diesen Verhandlungen folgendes hervor.


Gasexplosionen sind, wenn auch nicht gerade in den wenigen
Subways, in erschreckend groſser Zahl vorgekommen. Nur der Gas-
ingenieur Innes erwähnt einer Explosion in einem kleinen Subway,
eigentlich nur einer Unterführung, unter dem Ship-Hotel in Greenwich,
welche der Gesellschaft 500 £ kostete; dabei wurde ein Mann ge-
tödtet, ein anderer schwer, ein dritter leichter durch Brandwunden
verletzt; er theilt mit, daſs das Gasrohr dann aus diesem Subway,
der 8′ hoch, 7′ breit war, entfernt wurde.


Der französische Ingenieur Belgrand, der wie fast alle französi-
schen Ingenieure sich gegen die Aufnahme der Gasröhren in die
Subways ausspricht, erwähnt, daſs in der Galerie des Martyrs, einer
alten Anlage, ein Gasrohr vorhanden gewesen sei, daſs dieses aber
später aus Besorgniſs vor Explosionen fortgenommen sei; er erwähnt
ferner der bekannten schweren Explosion an dem Pont d’Austerlitz.
Doch muſs ich hierbei bemerken, daſs die englischen Ingenieure nach
eigenen Untersuchungen das Zutreffende dieses Falls als eines Be-
weises gegen die Subways entschieden bestreiten. Aber die Ab-
neigung Belgrands gegen Gasleitungen in den Subways ist so groſs,
daſs er sich die Worte eines seiner untergebenen Ingenieure aneignet:
„the day, upon which these pipes are placed in sewers, I shall not
go into them, without having made my will previously“.


Die explosible Mischung des Gases wird, auch wohl nach der
Beschaffenheit des Gases, verschieden angegeben
gleich 1 Theil Gas zu 6 bis 8 Theilen Luft
1 „ „ „ 8 bis 9 „ „
1 „ „ „ 6 bis 15 „ „
wobei die Mischung 1 : 12 die gefährlichste sein soll. Von anderen
[355]Nr. 35.Centralblatt der Bauverwaltung.
werden die Mischungen von 1 : 10 und 1 : 8 bis 9 als die gefährlichsten
bezeichnet. Die Mischung ist eine mechanische und entsprechend
dem Mindergewicht des Gases auch eine leichtere als diejenige der
atmosphärischen Luft. Eine Erstickungsgefahr liegt nach Frankland
bei einer Mischung von 1 : 14 bis 16, ja bei 1 : 20 vor.


Die Volumen-Veränderung bei der Explosion von Gas ist eine
erheblich geringere als bei Schieſspulver, nämlich 1 : 5 gegen 1 : 480
(nach Dr. Frankland).


Der wie es scheint unvermeidliche Gasverlust (leakage) in den
Röhrennetzen der Gasanstalten wird allseitig zugegeben und auf 10
bis 25 pCt., dann auch auf 12½ pCt. angegeben. Das Gas entweicht
vorzugsweise durch die Muffenverbindungen, aber — nach Simpson
and Brothers — auch „trough the substance of the iron“!


Es sind vorzugsweise die Temperatur-Unterschiede, welche bei
eintretender Kälte die Röhren aus den Muffen ziehen und Gasverluste
erzeugen. Nach Messungen von Walker sei aber der Temperatur-
Unterschied in einem Subway erheblich geringer als auſserhalb; bei
50º F. äuſserem Tem-

Volks-Kaffee- und Speisehalle am America-Kai.
Aus „Hamburg und seine Bauten“.


peratur-Unterschied sei
in einem Subway nur
ein solcher von 17º fest-
gestellt worden, während
Hawksley behauptet,
daſs die Temperatur in
den Subways um 30º
schwanke.


Boulnois theilt mit,
daſs auf eine Rohrlänge
von 9′ bei einem Tem-
peratur-Unterschied von
30º ein Längenunter-
schied von 1/50″ eintrete,
während Barlow bei 10º
Temperatur-Aenderung
einen Längenunterschied
von 4″ auf die englische
Meile angiebt.


Von den Gegnern
der Subways wird nun
in Beziehung auf diese
überhaupt, und nicht
nur in Rücksicht auf
Gasleitungen, besonders
hervorgehoben:
daſs keine natür-
liche, allenfalls nur eine
künstliche Ventilation
imstande sei, die Ge-
fahr der Explosion aus-
zuschlieſsen, daſs die
Ventilationsschächte durch Straſsenschmutz in den Gittern sich ver-
stopfen würden;
daſs Erstickungsgefahr vorliege, und daſs es nicht möglich sein
würde, die Arbeiter in die Subways hineinzubringen, jedenfalls nur
gegen erheblich erhöhte Löhne;
daſs im Falle von Ohnmachten niemand wagen würde hinein-
zugehen, um die Betroffenen zu retten, und daſs Erstickung und Tod
die Folge sein würde;
daſs die städtische Verwaltung ersatzpflichtig gemacht werden
müſste, wenn sie die Gesellschaften zwänge, die Röhren in die Sub-
ways zu legen; Mr. Innes sagt: „if they are compelled to go into a
dangerous position, they ought to be protected from the consequences
of the position“;
daſs nur bei künstlichem Licht gearbeitet werden könne;
daſs baldigst kein Platz mehr in den Subways sein würde für
weitere Versorgungsleitungen;
daſs man keinen Platz habe für einen Arbeitsweg im Innern zum
Transport der Röhren;
daſs es schwer halten und störend sein würde, die Röhren durch
Oeffnungen in den Gewölben in die Subways zu bringen;
daſs bei einer Explosion auch andere Röhren in den Subways
(Wasserleitung usw.) zerstört werden und dadurch neue Gefahren
entstehen würden;
daſs die Muffen-Verbindungen durch die Erschütterungen der
darübergehenden Wagen gelockert werden würden;
daſs die Luft der Sewers und Gas durch die Seiten-Galerieen
in die Kohlenkeller und durch diese in die Häuser dringen würde;
daſs die Bleiröhren im Innern der Subways durch die Arbeiter
anderer Gesellschaften gestohlen werden würden;
daſs die Sewers Ueberschwemmungen der Subways herbeiführen
würden;
daſs im Falle eines Aufruhrs in den Subways Gasröhren vom
Pöbel zerschlagen werden könnten, und daſs dann unabsehbare Ge-
fahren eintreten würden;
daſs bei Tage und bei Nacht in den Subways eine stete Aufsicht
und Ueberwachung statthaben müſste;
daſs endlich aus allen diesen Gründen die Anlage von Subways
eine überaus theure werden würde, und daſs das Publicum die Kosten
tragen müſste.


Hawksley sagt: „we should only be too glad, to avail ourselves
of these advantages, if the disadvantages were not ten times greater
than the advantages; I mean ten times greater, not as regards simply
the company, but as regards the public“.


Wenn ich von allen diesen Behauptungen das Gegentheil sagen
wollte, so würde das etwa der Inhalt von dem sein, was die Freunde
der Subways meinen. Sie betonen besonders, daſs die Rohre in den
Subways in gutem Anstrich und guter Pflege gehalten werden können,
und daſs demgemäſs das Verrosten derselben thunlichst verhütet wird.


Von besonderem In-
teresse möchten noch
einige Versuche sein, die
Dr. Frankland bei dieser
Gelegenheit über die Ge-
fährlichkeit von Gas-
leitungen in Subways
angestellt hat. Im South-
wark-Street-Subway
bohrte er in das Gasrohr,
etwa in der Mitte zwi-
schen zwei Ventilations-
schächten, ein Loch von
5/8″ Durchmesser. Das
Gas entwich während
15 Minuten; nach je
5 Minuten wurde der
Procentsatz des Gases
unter dem Gewölbe und
an den nächstgelegenen
Ventilationsschächten
gemessen; derselbe
schwankte zwischen 1
und höchstenfalls 2½.
Der Gasdruck im Rohr
war 9/10″. Des weiteren
wurde ein Loch von
1½ Zoll Durchmesser in
das Gasrohr gebohrt.
Das Gas strömte 15 Mi-
nuten lang aus. In-
folge stärkerer Venti-
lation wurde nur 1,9 pCt.
Gas in der Luftmischung gemessen; dann wurde das Gas ange-
steckt, welches mit einer 4—5 Fuſs langen Flamme brannte.
Endlich wurden zwei Oeffnungen von je 1½″ Durchmesser ge-
macht und blieben 16 Minuten offen. Es wurde eine 3 procentige
Mischung beobachtet; zu einer Explosion würde eine mindestens
6 procentige gehören. Frankland schlieſst daraus, daſs die Ventilation
eine vollkommene sei, daſs in dem Maſse, in welchem die Gasaus-
strömung stattfinde, der Zug sich vermehre, und daſs somit eine Ge-
fahr als ausgeschlossen zu betrachten sei.


Nach einigen zunächst vergeblichen Anläufen kam nun ein Gesetz,
the Metropolitan-Subways Act, 1868, zu Stande.


Das Gesetz beschränkt sich auf als solche bereits genehmigte
Subways, welche der Board of Works ausführt. Nach diesem Gesetz
werden die Gas-, Wasser- und Telegraphen-Gesellschaften gezwungen,
die Rohre in diese Subways zu legen. 20 £ Strafe werden für jeden
Fall, daſs das Pflaster später dort aufgebrochen wird, festgesetzt; wenn
schon in die Straſsendämme verlegt gewesene Rohre in den Sub-
ways placirt werden, so geschieht dies auf Kosten des Board, der
letztere in Ventilation und baulichen Würden zu erhalten hat. Die
einzelnen Leitungen in den Subways haben die betreffenden Gesell-
schaften zu unterhalten unter Aufsicht eines Beamten des Board.


Ein späteres Gesetz, die London Subways Act 1869, sprach den
Zwang zur Einlegung von Leitungen unter fast gleichen Bedingungen
für einzelne weiter benannte Straſsen — Holborn Viaduct — und
namentlich einzelne neue Straſsen aus.


Zur Zeit liegt dem Parlament zur Berathung ein Gesetz, The
London Subways und Overhead wires Act 1890, vor. Danach soll
der London-County-Council (eine neue Art Provincialbehörde an
Stelle des Metropolitan Board of Works) berechtigt sein, nach eigenem
Ermessen wo und wie er will fortan Subways zu bauen und zu unter-
halten. Er erhält die Enteignungsbefugniſs; die Gesellschaften haben
[356]Centralblatt der Bauverwaltung.30. August 1890.
auf Erfordern Auskunft zu geben und Zeichnung ihrer bestehenden
Anlagen einzureichen; die Gesellschaften müssen mindestens 1 Monat
vor Beginn von neuen Arbeiten

Alte Speicher am Mattentwietenfleth.
Aus „Hamburg und seine Bauten“.


in den Straſsen den Consens
des Council einholen. Wenn
in der Straſse, in welcher eine
Leitung gelegt werden soll, ein
Subway ist, hat der Council das
Recht, zu verlangen, daſs die-
selbe in den Subway gelegt
werde; dasselbe gilt, wenn auch
noch kein Subway vorhanden,
einen solchen aber dort in
angemessener Zeit zu bauen be-
schlossen ist. Der Council hat
das Recht, zu verlangen, daſs,
wenn er einen Subway baut, die
Gesellschaften ihre Leitungen
aus den Straſsen fortnehmen und
in denselben legen; der Council
hat das Recht, eine angemessene
Abgabe für Benutzung des Sub-
ways von den Gesellschaften zu
verlangen; der Council kann ver-
langen, daſs, wenn er einen
neuen Subway baut, die Gesell-
schaften gegen Entschädigung
den Bau hindernde Leitungen
fortnehmen müssen. Nach Er-
laſs dieses Gesetzes ist es ver-
boten, eine oberirdische Draht-
leitung ohne besondere Geneh-
migung des Councils auszuführen.


Mir scheint der wesentliche
Inhalt dieser Gesetzvorlage —
abgesehen von polizeilichen Ein-
schränkungen bei oberirdischen
Drahtleitungen, die sich bei uns
von selbst verstehen — der zu
sein, daſs der County Council
fortan berechtigt sein soll, Sub-
ways da zu bauen, wo er es für
gut hält, und ohne daſs jedes-
mal eine besondere Parlaments-
acte hierfür erlassen wird.


Ich möchte nun noch in
Bezug auf Paris hinzufügen, daſs
dort nichts weniger vorhanden ist als, wie man vielfach glaubt, eine
planmäſsige Subway-Anlage, oder daſs die Versorgungsrohre in die
„Egouts“ aufgenommen wären. Zunächst steht dem doch entgegen,
daſs, wenn die Egouts auch
in einzelnen Strecken ausreichend
groſs sind, um manche Rohre
aufnehmen zu können, dies doch
bei der weitaus gröſsten Zahl
von Canälen nicht der Fall ist.
Gasleitungen in die Egouts auf-
zunehmen, ist aus Besorgniſs
vor Erstickungen und Explosionen
verboten. Die Poppsche Druck-
luftleitung ist in Egouts gelegt,
— wie man mir sagte, zur
Unzufriedenheit beider Theile.
Wasserleitungsröhren liegen zum
Theil in Egouts, zum gröſseren
Theile im Erdreich. Die elektri-
schen Beleuchtungskabel liegen
unter dem Bürgersteig. M. E.
sind, wenn Subways überhaupt
erbaut werden, Seitengalerieen,
welche die Hausleitungen auf-
nehmen, eine nothwendige Folge,
da sonst die Wandungen der
Subways stets durchbrochen wer-
den und die Straſsen dann für
diese Querleitungen doch auf-
gebrochen werden müſsten; die
Egouts in Paris haben nun aber
solche Seitengalerieen nicht oder
nur zum kleinsten Theil. Daſs in
den Egouts doch eigentlich nur der
Raum, welcher bei Regenfluthen
wasserfrei bleibt, zur Aufnahme
von Leitungsröhren gebraucht wer-
den kann und darf, muſs als selbst-
verständlich vorausgesetzt werden.


Was in London und anderen
englischen Städten mehr als in
andern Ländern zur Erbauung
von Subways, wo solche ausführ-
bar wären, drängt, ist der Um-
stand, daſs der Raum unter den
Bürgersteigen zur Unterbringung
von Versorgungsnetzen nicht zur
Verfügung steht, da hier zu den
einzelnen Gebäuden gehörige Kohlenkeller liegen.


(Fortsetzung folgt.)


[375]Nr. 36.Centralblatt der Bauverwaltung.

Die modernen Aufgaben des groſsstädtischen Straſsenbaues mit Rücksicht auf die
Unterbringung der Versorgungsnetze.


Von Stadtbaurath Dr. J. Hobrecht in Berlin.
(Fortsetzung).


M. H. Fasse ich nun das Vorgesagte zusammen, so ist es m. E.
nicht angängig, grundsätzlich Subways, so empfehlenswerth sie
unter besonderen Umständen und namentlich bei Neuanlage ein-
zelner Straſsen sein mögen, als das Mittel anzusehen, wodurch
das Einlegen der Versorgungsnetze in die Straſsendämme und
Bürgersteige, und damit weiter das häufige Aufbrechen des Pflasters
vermieden werden könnte; Gasröhren in die Subways zu legen ist,
man sage was man wolle, nicht als vollständig gefahrlos zu be-
zeichnen; die Canalisation wird nur unter seltenen Umständen mit
den Subways verbunden werden können, in den meisten Fällen
nicht, da ein Anschwellen des Wassers in den Canälen bis zum
Scheitel, ja, bis zur Straſsenhöhe, sodaſs also die Canäle unter Druck
stehen, als möglich und unter Umständen als unvermeidlich zuzugeben
ist. Canäle, bei welchen derartiges nicht vorkommen kann, würden
meist unrationell groſs gemacht werden müssen, und oft würde dann
für sie allein die Straſsendammbreite nicht ausreichen; es ist kaum
möglich, Subways so groſs anzulegen, daſs sie den zukünftigen, mög-
lichen Ansprüchen genügen, namentlich dann nicht, wenn wirklich
genügend Platz rund um ein jedes Rohr verbleibt, um es auswechseln
zu können, um die Muffenverbindungen, den Anstrich, die Seiten-
anschlüsse usw. bequem ausführen zu können; man denke nur an
den Raum, den die unentbehrlichen Schieber in den groſsen Leitungen
verlangen müssen. Die Kosten sind zweifelsohne gewaltige, denn,
wie die ausgehängten Zeichnungen*) lehren, ist fast das ganze Straſsen-
areal einer Stadt gewissermaſsen mit einem Untergeschoſs zu bebauen,
stark genug, um jede Verkehrsbelastung tragen zu können.


Ob es vom Standpunkt der öffentlichen Gesundheitspflege aus,
namentlich bei Epidemieen, als zulässig erachtet werden kann, das
Innere aller Häuser einer Stadt und dessen Luft gewissermaſsen durch
ein gemeinsames Kellergeschoſs in Verbindung zu setzen, lasse ich da-
hingestellt; ich möchte eine solche Gefahr nicht unbedingt ableugnen.


Daſs endlich in vielen Städten — London kennt freilich derartiges
kaum — der hohe Grundwasserstand und der Rückstau hoher Fluſs-
wasserstände dem Bau ausreichend groſser und damit tiefer Subways
auſserordentlich groſse Schwierigkeiten bereiten würde, ist leicht
einzusehen. Gelingt es auch, diese Schwierigkeiten technisch zu über-
winden, namentlich wenn keine Kosten gespart werden, so werden
die Subways, soweit sie im Grundwasser stehen, doch immer feucht
und dumpfig sein. Das Eisen der Leitungen wird dann wiederum vor-
zugsweise gern rosten; nicht befestigter Boden der Subways zur Auf-
nahme von Röhren ist natürlich ganz ausgeschlossen und, wie gesagt,
in gleicher Weise die Hineinlegung der Canalisation in die Subways.


Ich bin der Ansicht,
1. daſs die Anlage von Kohlenkellern oder ähnlichen Bauten
unter den Bürgersteigen, wie in London, eine Ungehörigkeit ist,
2. daſs der Bürgersteig zunächst der eigentlich richtige Platz
zur Unterbringung der Versorgungsnetze ist und bleibt,
3. daſs es sich deshalb grundsätzlich empfiehlt, dort die Ver-
sorgungsnetze, und zwar in das Erdreich, einzubetten,
4. daſs definitives Pflaster unter keinen Umständen früher ausge-
führt werden sollte, bevor nicht die Versorgungsleitungen, und nament-
lich die Canalisation, sich dort an ihrer richtigen Stelle befinden.


Es ist eine Frage, die sich aufdrängt und auch als unberechtigt
nicht von der Hand gewiesen werden kann, ob es richtig ist, die
Straſsendämme in ihrer ganzen Breite mit definitivem Pflaster zu
versehen. Ist schon sicher die Hoffnung, die sich in der Bezeichnung
„definitiv“ ausspricht, eine unrichtige — was in der Welt hätte über-
haupt, und was nun gar in groſsstädtischen Anlagen einen dauernden
Bestand? —, so bedarf es wirklich nur einiger Erfahrung, um mit
Bestimmtheit vorauszusehen, daſs nach längerer oder kürzerer Frist
die Ansprüche der Versorgungsnetze an diesem Definitivum wieder
rütteln werden.


Man könnte nun meinen, daſs es richtig sein möchte, das defini-
tive Pflaster, wenn auch nicht ganz aufzugeben, so doch auf den mitt-
leren Theil der Straſsendämme zu beschränken, sodaſs zu beiden
Seiten des Dammes ein nicht definitiv befestigter Streifen verbliebe,
der, als Reserve für die Versorgungsnetze, leichter aufgebrochen und
leichter wiederhergestellt werden könnte. Bei näherer Erwägung
wird aber auch dieser Gedanke aufgegeben werden müssen. Lieſse
er sich allenfalls bei Steinpflaster zur Ausführung bringen, so ist er
doch ganz undurchführbar bei Asphalt, und diesem gehört mehr
und mehr die Zukunft: Hunderten von Petitionen um Asphaltirung
einer Straſse steht noch nicht eine einzige um Herstellung eines
definitiven Steinpflasters gegenüber. Der wesentlichste Vortheil des
Asphalts ist, wie bekannt, die Geräuschlosigkeit; auf diesen Vortheil
müſste aber nicht allein Verzicht geleistet werden, wenn Seitenstreifen
des Dammes mit Stein gepflastert werden, nein — es würde ein für
die Gehörnerven geradezu unerträglicher Zustand geschaffen werden;
viel leichter ist es, ein gleichmäſsiges Rollen der Wagen über Stein-
pflaster zu hören, als den steten Wechsel von Stein auf Asphalt
und umgekehrt. Wir mögen uns damit trösten, daſs auſser der
Straſsenbefestigung auf sehr vielen anderen Gebieten — ich nenne
nur die Eisenbahnen — das Definitivum sich entsetzlich schnell
wieder als ein Provisorium entpuppt, aber ändern können wir diesen
Zustand nicht.


Ich möchte hier nicht unerwähnt lassen, daſs es eine auch erfüll-
bare Aufgabe ist, die Bürgersteig-Befestigung so einzurichten, daſs sie
für Luft, Gas und Wasser eine nicht undurchdringliche Decke bildet;
Undichtigkeiten der Leitungen müssen sich erkennbar machen können;
dem aus den Röhren entweichenden Gas und Wasser darf nicht als
einziger Weg der in die Gebäude belassen werden, in denen sie un-
absehbaren Schaden anrichten können.


M. H. Wenn nun aber in der Erbauung von Subways nur ausnahms-
weise ein Mittel erblickt werden kann, den vorhandenen und stetig
wachsenden Uebelständen der Straſsenaufbrüche zu begegnen, wenn
ferner die Aufnahme der Leitungen in die Bürgersteige ihre Grenze
hat, so müssen wir versuchen, in einer anderen, wenn auch weniger
entschiedenen, weniger imponirenden Weise der Sache beizukommen;
auf den Glanz eines kühnen chirurgischen Schnittes müssen wir dann
freilich Verzicht leisten.


Um die groſsen Städte herum, auſserhalb des Weichbildes der-
selben sehen wir fast ausnahmslos Vorstädte, theils ältere An-
siedelungen, die ursprünglich weit von der Stadt entfernt waren,
jetzt in ihrer unmittelbaren Nähe dank dem Vordringen der
letzteren liegen, theils neuere, meist aus groſsstädtischer Initiative
entstandene Bildungen. Unter den verschiedenen und zahlreichen
Gründen, denen diese Vorstädte ihr Entstehen oder ihre Entwicklung
verdanken, steht obenan, daſs eine Reihe von Verordnungen, nament-
lich baupolizeilicher Natur, welche die Groſsstadt treffen, dort kaum
Gültigkeit haben, und daſs gewinnbringender Speculation dort die
Thüren offen stehen. Oft führen sich solche Unternehmungen als
Villen-Colonieen ein, die, je nachdem, entweder dem Begüterten den
Genuſs reiner Luft und nervenstärkender Ruhe, oder dem Armen
die Wohlthat einer kleinen billigen Wohnung, auch wohl gar eines
kleinen eigenen Besitzes gegen ratenweise Abzahlung gewährleisten
wollen. Ist aber diese Lockspeise verzehrt, so ändern sich die Ver-
hältnisse: kann nur irgendwie auf Miether gerechnet werden, so
entstehen auch dort die üblichen mehrstöckigen Casernen, mit Brand-
mauern aneinandergelehnt, mit den kleinen Höfen und der nichts
weniger als nervenstärkenden Hauspolizei. Dann ist der Weg
höchster Ausnutzung des Grund und Bodens als Baustelle betreten,
und die Speculation gelangt in ihr bestimmtes, wenn auch noch mehr
oder minder günstiges Fahrwasser.


Die Ansprüche an Post, Telegraphie, Telephonie, an Eisenbahnen,
Pferdebahnen usw. für solche Vorstädte wachsen üppig empor;
Entrüstungs-Versammlungen über schlechte Behandlung mit dem
Hinweis darauf, daſs zwar die Einwohnerzahl eine solche Anlage
wohl noch nicht rechtfertige, aber die Anlage eine Einwohnerzahl
schaffen werde, welche dann die Anlage rentabel mache, lösen
sich mit Petitionen dringlichster Art ab. Den lautesten Rednern
winkt der Kranz der Gemeindevertretung.


So entstehen für die Groſsstadt die Uebelstände, daſs sich Vor-
städte um sie lagern, die, was Richtung, Breite oder Gefälle der
dortigen Straſsenzüge anbetrifft, oft ohne jede Rücksicht auf etwaige
Bedürfnisse der ersteren angelegt sind, und daſs dabei in der Regel
die Gemeindevertretungen in diesen Vorstädten zu nichts weniger
als zu einem billigen Entgegenkommen geneigt sind.


Erwägt man nun, daſs es gerade die vorstädtischen Gebiete sind
[376]Centralblatt der Bauverwaltung.6. September 1890.
welche zumeist Stämme von Versorgungsleitungen aufzunehmen haben,
und daſs bei der Autonomie der Vorstädte jede Anlage einer Leitung
dortselbst eine Ablehnung oder eine Genehmigung unter den erschwer-
endsten Bedingungen zu erfahren hat, so wird man zugeben müssen,
daſs hier ganz besonders eine Quelle jener Beklemmungen liegt, unter
denen der vorwärts drängende Organismus der groſsen Städte leidet.


Ich habe gesagt, daſs die Vorstädte die Stämme der Leitungs-
netze mehr und mehr aufzunehmen haben. Lassen Sie mich dies
erläutern. Unter den Leitungen nehmen den ersten Platz die Zu-
leitungen von Gas und Wasser und die Ableitungen der Abwässer
ein. Die Gasanstalten mit ihren riesigen Fabricationsgebäuden und
zahlreichen Gasbehältern, ihren Kohlenplätzen, ihrer unerläſslichen
Zugänglichkeit von Wasserwegen oder Eisenbahnen finden innerhalb
des Weichbildes räumlich den Platz nicht mehr, um ein erweiterungs-
fähiges Werk anlegen zu können; sie müssen hinaus in die Vorstädte.
Von dort aus gehen dann 1 m und über 1 m groſse Leitungen in reich-
licher Zahl in die Groſsstadt hinein. Aehnlich ist es mit den Wasser-
werken, bei denen der Gesichtspunkt der Gewinnung reinen Wassers,
wie solches sich wohl nie innerhalb des Weichbildes groſser Städte
findet, zur Hinauslegung der Centralstelle nöthigt; auch hier sind es
die im Durchmesser gröſsten Leitungen, welche die Vorstädte kreuzen.


Die Stammleitungen der Canalisation, die „Extension Sewers“,
wie sie die Engländer nennen, nehmen eine umgekehrte Richtung an,
aber auch sie können vorstädtischem Gebiet, vorstädtischen Straſsen
nicht aus dem Wege gehen, wenn sie, wie üblich und meist noth-
wendig, dem Gefälle des Flusses folgen, der die Groſsstadt durch-
flieſst. Sind es Rieselgüter, welche die Abwässer aufzunehmen haben,
so müssen auch hier die Stämme der Druckrohrleitungen die Vorstädte
auf ihrem Wege nach den dahinter gelegenen Rieselfeldern kreuzen.
Wie oft kommt es dann vor, daſs bei der Wahl der Tracen nicht die
im technischen Sinne rationellsten, sondern solche gewählt werden,
welche sich schlieſslich im Kampf mit den Vorstädten und ihren Inter-
essen als die allein durchführbaren erweisen. Und der daraus ent-
springende Nachtheil schwillt oft ins ungebührliche an, wenn die
Einmündungspunkte der groſsen Stammleitungen an dem Weichbilde
nicht auf Straſsenzüge treffen, die für ihre Aufnahme geeignet sind.


Ich will die Vorstädte und ihre Verwaltungen nicht einer be-
sonderen Fiscalität anklagen; diese Eigenschaft ist so verbreitet,
daſs sich keine Verwaltung, nicht die der groſsen Städte, nicht die
anderer Communalverbände, auch nicht diejenige des Staates, davon
freisprechen kann. Genommen wird von andern überall das, was
genommen werden kann, was sich bei der Nothlage des anderen
erreichen läſst. Die Eisenbahnen vor allem haben ihre financielle
Prosperität im Auge und legen sich mit ihren breiten und hohen
Dämmen oder ihren Einschnitten unbekümmert um zahllose Interessen,
namentlich diejenigen des späteren Verkehrs — preuſs. Gesetz vom
3. Nov. 1838 — und um diejenigen der Versorgungs-Systeme durch
und um die Groſsstädte.


Alles dieses weist uns darauf hin, daſs hier ein Zustand vorliegt,
der im Interesse der groſsstädtischen Versorgungsnetze einer Abhülfe
bedarf. Und hier helfend einzugreifen ist Sache des Staates, Sache
der Gesetzgebung.


Nicht die Eingemeindung einzelner Vorstädte, die nach jahrelangen
Verhandlungen, in denen die beiderseitigen Ansprüche aus der Ver-
gangenheit, die für die Gegenwart nur einen verschwindenden, für
die Zukunft gar keinen Werth haben, aufgerechnet werden, zu Stande
kommt, sondern die Schaffung neuer administrativer Verbände, aus-
gedehnt auf das ganze Gebiet, soweit sich die vitalen Interessen der
Groſsstädte erstrecken, das ist der Weg, der zum Ziele führen kann.
Interessen, die wahrhaft gemeinschaftliche sind, dürfen nicht in ihrer
gegenwärtigen Trennung und getrennten Vertretung erhalten bleiben;
sie dürfen nicht, wie in der Fabel der Magen und die Glieder, sich
gegenseitig bekämpfen und hindern, sondern müssen sich verschmelzen
und fördern. Dazu bedarf es einer Corporation, einer corpo-
rativen Einigung,
welche sich, wenn nicht anders, so doch durch
eine Majorität zu einer That reif macht.


Wenn auch nicht in den alten Stadttheilen mit ihren gegebenen
und ohne gewaltigen Kostenaufwand kaum abänderungsfähigen Ver-
hältnissen, so kann doch in allen neu anzulegenden Straſsen den
Gemeinden durch Gesetz die Befugniſs verliehen werden, der Stadt-
entwicklung nur eine solche Bahn zu geben, daſs die Interessen der
Gemeinde, soweit sie die Versorgungsnetze betreffen, gewahrt werden.


Für das Königreich Preuſsen ist ein solches Gesetz unter dem
2. Juli 1875 erlassen. Dasselbe ermöglicht den Gemeinden die An-
legung und Veränderung von Straſsen und Plätzen nach dem Bedürf-
nisse der näheren Zukunft durch Aufstellung von Bebauungs-Plänen.
Ist dies geschehen, so tritt damit von selbst die Beschränkung des
Grund-Eigenthümers, über die Fluchtlinien hinaus zu bauen, ein; Orts-
statute sind zulässig, nach denen örtlich bestimmt werden kann, was
unter einer für den Anbau fertig gestellten Straſse zu verstehen sei, und
nur an solchen Straſsen dürfen Wohngebäude mit Ausgang errichtet
werden; eine Entschädigung kann für eine Beschränkung der Baufrei-
heit dann nicht gefordert werden; desgleichen können die Kosten der
Neuanlegung einer Straſse von den angrenzenden Eigenthümern bei Er-
richtung neuer Gebäude an dieser Straſse wieder eingezogen werden.


Ich halte mich für verpflichtet, auf dieses Gesetz umsomehr hin-
zuweisen, als in einzelnen zum deutschen Reich gehörigen Bundes-
staaten ein gleiches oder ähnliches Gesetz fehlt und auch innerhalb
Preuſsens vielfach von diesem Gesetz, damit also von der Befugniſs, die
Herrschaft bei Neuanlage von Straſsen auszuüben, auch im Interesse
der zweckmäſsigen Unterbringung der Versorgungs-Leitungen seitens
der Gemeinden nicht der Gebrauch gemacht wird, den es verdient.


Es bedarf kaum der Erwähnung, daſs in der Aufstellung von
Bebauungsplänen ein Mittel gegeben ist, wenigstens die Nöthe, welche
dort in der Zukunft die Unterbringung der Versorgungsnetze bereiten
kann, zu beseitigen oder zu mildern. Je seltener bei Aufstellung
solcher Pläne an die Versorgungsnetze gedacht worden ist und
meistens noch wird, um so nothwendiger wird dies für die Zukunft
sein. Die Anordnung mächtiger Diagonal- oder Radial-Straſsen, die
für alle Leitungen von innen heraus oder von auſsen herein den
kürzesten Weg bieten, ist dabei vor allem geboten. Für diese können
die Abmessungen kaum groſs genug genommen werden, denn sie bieten
die passende Gelegenheit, um auch die Bauten zur Bewältigung des
groſsstädtischen Verkehrs — Hochbahnen, Stadtbahnen, Trambahnen
— dort anzulegen.


Je mehr — und namentlich in Groſsstädten — es Gebrauch wird,
die Straſsendämme in definitiver Weise zu befestigen, je mehr zu
Unterlagen der Befestigungsdecken starke Betonschichten verwendet
werden, umsomehr auch wird es Regel werden, die Leitungen in die
Bürgersteige zu verlegen; auch die dadurch bedingte Abkürzung der
Hausanschluſsleitungen drängt darauf hin.


Es ergiebt sich hieraus die Nothwendigkeit, in der Straſsenein-
theilung den Bürgersteigen eine möglichst groſse Breite zu geben,
ja, wenn die Straſsenbreite im ganzen nicht über ein gewisses Maſs
hinaus ausgedehnt werden kann, diese Bürgersteigbreite auf Kosten
der Straſsendammbreite zu ermöglichen. Sichert man sich hierdurch
dort für die Ansprüche der Zukunft einen möglichst geräumigen
Platz, so verleiht man auch den Straſsen überhaupt ein gefälligeres
Ansehen. Endlich verdient der Fuſsgängerverkehr in Groſsstädten
eine Berücksichtigung, die oft nicht genügend anerkannt wird, während
umgekehrt dem Wagenverkehr Opfer gebracht werden, die er theils
nicht braucht, theils nicht verdient. Auf eines freilich muſs der
Wagenverkehr in der Regel in groſsen Städten verzichten, nämlich
auf schnelles Fahren und, damit in Verbindung, auf Vorbeifahren.
Ein groſser Theil der Wagen, alle Lastwagen, fahren so wie so nur
Schritt; soll nun dem leichteren Personenfuhrwerk die Möglichkeit
gegeben werden, auſser der Reihe sich zu bewegen und vorbeizueilen,
so beansprucht dies eine Verbreiterung des Straſsendammes, deren
Kosten und Schwierigkeiten ganz auſser Verhältniſs zu der dadurch
erreichten Annehmlichkeit stehen. Es ist gewiſs sehr schön, daſs in
Groſsstädten dem eleganteren Wagenverkehr, der ohne ein gewisses
Tempo nicht zu denken ist, einzelne luxuriöser gestaltete Wege offen
gehalten und bereitet werden, daſs aber die groſse Menge der Verkehrs-
straſsen hierauf Rücksicht zu nehmen habe, ist unrichtig. Dem Noth-
wendigen muſs das Angenehme nachstehen. Bewegen sich die Fuhrwerke
in gleichmäſsigem Schritt, in gleichmäſsiger langer Reihe, so ist es —
man denke nur an den Strand, an die City-Straſsen in London —
kaum glaublich, welch eine Fülle von Lasten, welch eine Wagenzahl
ordnungsmäſsig und ununterbrochen in Bewegung erhalten wird.
Nicht unerwähnt mag hierbei auch bleiben, daſs für den Fuſsgänger-
verkehr, wenn er zur Benutzung des Straſsendammes genöthigt ist,
nichts so gefährlich wird, als gerade ein breiter Straſsendamm, der
ein ungeordnetes Fahren in verschiedener Geschwindigkeit ermöglicht.
Die Sicherung des Fuſsgängerverkehrs ist es, welcher neben der leich-
teren Unterbringung der Versorgungsnetze verhältniſsmäſsig schmälere
Fahrdämme und breitere Bürgersteige dienen.


(Schluſs folgt.)


[386]Centralblatt der Bauverwaltung.13. September 1890.

Die modernen Aufgaben des groſsstädtischen Straſsenbaues mit Rücksicht auf die
Unterbringung der Versorgungsnetze.


(Schluſs.)


Vor allem ist es eine Aufgabe der Groſsstädte, nicht länger zu
dulden, daſs Versorgungsnetze irgend welcher Art, welche man ja
geradezu als Lebensnerven bezeichnen kann, in Besitz und Ver-
waltung concessionirter Privat-Gesellschaften bleiben, oder daſs neue
Concessionen der Art ertheilt werden. Eine Concession, ein Vertrag
gewährt Rechte. Nun ist nie-

Querschnitt A-B.


mand, auch der gewandteste
Rechtsverständige nicht, dem
die Ausfertigung der Concession
anvertraut wird, imstande, bei
dem Wachsthum der Groſsstädte,
dem Auftreten neuer Bedürf-
nisse, der regen Erfindung be-
züglich der technischen Form,
in der den Bedürfnissen ge-
nügt wird, anzugeben, welche
tief einschneidende Bedeutung
solche verliehenen Rechte in
der Zukunft haben können, wie
sehr sie hindern und hemmen
können, welche Opfer gebracht
werden müssen, um sie ge-
gebenenfalls abzulösen. Die Ver-
waltungen der Groſsstädte üben
Hoheitsrechte aus, und sie dürfen
auf Straſsen und Plä-
tzen, also auf öffent-

Grundriſs.
Straſse mit Leitungstunnel in London.
(Vgl. hierzu Seite 375 in Nr. 36 d. Bl.)


lichem Grund und
Boden, diese Rechte
mit keinem Privaten
theilen. Daſs dieser
im Streitfalle nur
seine Privatrechte
wahrnimmt, ist na-
türlich und von
seinem Standpunkt
auch gerechtfertigt;
daſs aber dann die
öffentlichen Inter-
essen darunter leiden,
ist selbstverständlich,
und zuerst diejenigen,
welche bei der Ver-
theilung, Gröſsenbe-
messung, Trace, Hö-
henlage usw. der Ver-
sorgungs-Leitungen
auftauchen.


Wenn es sich
darum handelt, eine
Stadt mit Leitungen
zu versehen, um ir-
gend eine Art der
Versorgung, z. B. mit
Gas, Wasser, Druck-
luft usw. eintreten
zu lassen, so ist es
üblich, den sogenann-
ten Maximalconsum
für die ganze Stadt
festzustellen.


Es wird die Einwohnerzahl und die jährliche procentualische
Steigerung derselben in der Vergangenheit ermittelt; daraus wird
berechnet, daſs nach einer Reihe von Jahren, für welche man noch,
weitgegriffen, die Leistungsfähigkeit des Werkes ausreichend haben
will, die Einwohnerzahl eine solche oder eine solche sein werde.


Diese Zahl, mit einem Maximal-Consum auf den Kopf und Tag
multiplicirt, ergiebt die Stoffmenge, auf welche sich das Versorgungs-
werk einzurichten hat. Dann wird in ähnlicher Weise die Ausdeh-
nung des Leitungsnetzes bestimmt, indem auf Grund der Erfahrungen,
die die Vergangenheit an die Hand giebt, die räumliche Vergröſse-
rung der Stadt — wiederum weit gegriffen und für eine längere Reihe
von Jahren — in Betracht gezogen wird.


Wenn es sich wirklich um Groſsstädte handelt, kann dieses Ver-
fahren nicht als das richtige bezeichnet werden. Es wird zunächst
wohl zugegeben werden können, daſs es für Werke derart beziehent-
lich ihrer Gröſse technisch
eine Grenze giebt, über die
hinaus financiell ein Vortheil
aus einer Vergröſserung nicht
mehr erwächst, insofern sich
dabei die Kosten für eine ge-
lieferte Stoff-Einheit nicht weiter
vermindern, sondern die gleichen
bleiben. Eine solche Grenze
liegt in der Stärke der ein-
zelnen Maschinen, die über ein
gewisses Maſs hinaus gehen zu
lassen unwirthschaftlich sein
würde, in dem Durchmesser der
eisernen Hauptleitungen, in der
bereits erreichten vollkommenen
Ausnutzung der Bedienungs-
und Aufsichtskräfte, der Bau-
lichkeiten und der verfügbaren
Baustelle.


Wenn also, wie
es bei Groſsstädten
in der Regel der Fall
sein wird, der Ge-
samtconsum erheb-
lich noch die Lei-
stungsfähigkeit einer
einzelnen solchen be-
grenzten Station über-
steigt, so wird es
schon zulässig, ja in
vielen Fällen auch
wirthschaftlich rich-
tig sein, die Versor-
gung von einer Stelle
aus aufzugeben und
mehrere einzelne
Stationen anzulegen.


Aber es ist für
mich hier nicht Auf-
gabe, die Theilung
aus wirthschaft-
lichen
Gründen zu
empfehlen. Ich habe
hier nur nachweisen
wollen, daſs eine
Theilung, die aus
andern Gründen ge-
fordert werden muſs,
keinesweges aus
wirthschaftlichen
Gründen unausführ-
bar erscheint. Diese
Gründe bestehen aber
darin, daſs die Lei-
stungsfähigkeit eines
Werkes, welches ein räumlich bestimmt abgegrenztes Gebiet
versorgen soll, nicht aus höchst unsicheren Wahrscheinlichkeitszahlen
ermittelt, nicht für einen mehr oder minder langen, schlieſslich
doch willkürlich gegriffenen Zeitraum festgestellt zu werden braucht,
sondern daſs sie — wenigstens der Hauptsache nach — aus einem
stabilen Maximalconsum ermittelt werden kann, und daſs die
Leitungen, angemessen in dem räumlich fest begrenzten Bezirk ver-
theilt und danach berechnet, im wesentlichen einer Vermehrung oder
Vergröſserung auch in der Zukunft nicht bedürfen werden.


Ich will hier Beispiele anführen: Es giebt wohl keine Stadt,
[387]Nr. 37.Centralblatt der Bauverwaltung.
welche nicht sich genöthigt gesehen hätte, mindestens in den Boden-
falten, welche nach dem Flusse zu sich öffnen, Entwässerungs-
leitungen zu bauen. Sicher und nachweislich hat man dabei die
Leitung nicht am letzten Hause begonnen, sondern in Erwartung
weiterer städtischer Ausdehnung der Leitung anfänglich gröſsere
Maſse gegeben, um sie nach oben hin fortsetzen zu können. Was
hat diese Aufmerksamkeit genützt? Wir sehen jetzt, daſs auch die
weitgehendste Fürsorge in dieser Beziehung längst durch die Ent-
wicklung überholt ist. Nicht allein, daſs die Verlängerung der
Leitungen, schlieſslich in kleinster zulässiger Abmessung, weit über
das rechnerisch bestimmte Maſs hinaus vor sich gegangen, — nein,
man hat auf einmal wieder ein gröſseres Profil oberhalb an das kleinere
unterhalb angeschlossen und sogar die Sohle der oben angeflickten
Leitung, da die alte mit Gefälle sich der Oberfläche zu sehr näherte,
plötzlich beliebig

Holzstich v. O. Ebel.


Kaiser Wilhelm-Denkmal an der Porta Westfalica.
Entwurf von Bruno Schmitz in Berlin. Ein erster Preis.


tiefer gelegt. Na-
türlich war es nur
eine Täuschung,
davon einen Erfolg
zu erwarten, aber
geschehen ist es im
Drange der Noth in
zahlreichen Fällen.


Als im Jahr 1860
eine preuſsische Tech-
niker-Commission
die Entwässerungs-
anlagen des Auslan-
des studirte und ihren
Reisebericht nebst
einem generellen Ent-
wässerungsplane für
Berlin veröffentlichte,
glaubte sie das
äuſserste gethan zu
haben, wenn sie für
Berlin eine gröſste
Einwohnerzahl von
775 000 in Ansatz
brachte. Es heiſst
in jenem Bericht:
„Diese Zunahme der
Bevölkerung um bei-
nahe 59 pCt. dürfte
so reichlich gerechnet
sein, daſs eine baldige
Ueberschreitung der-
selben nicht leicht
anzunehmen ist.“
Wenn wir aber nun
sehen, welch ein schwerer Irrthum in jener Annahme lag, wenn wir
wissen, daſs in noch nicht 30 Jahren jene Annahme um weitere 50 pCt.
hinter der Wirklichkeit zurückgeblieben ist, so mache ich doch
daraus niemandem einen Vorwurf; ich müſste mir ihn vor allem selbst
machen, da ich seiner Zeit an jener Arbeit betheiligt war. Wären
aber die Röhren und Canäle nach dem damaligen Entwurf, welcher
die ganze Stadt in ein System zusammenfaſste, gelegt worden, sie
hätten, zum gröſseren Theil wenigstens, seitdem schon herausge-
nommen und durch gröſsere ersetzt werden müssen.


Wird nun nach dem von mir empfohlenen und bei der jetzigen
Entwässerung Berlins zur Ausführung gebrachten Verfahren die
ganze Stadt räumlich in einzelne Systeme zerlegt, so ist jede spätere
unvorhergesehene und nicht vorherzusehende peripherische Ver-
gröſserung
des einzelnen Versorgungsgebiets ausgeschlossen; aus-
geschlossen ist auch, wenigstens im wesentlichen, eine Vermehrung
oder Vergröſserung der Stoffmenge, auf welche sich das einzelne
Werk einzurichten hat. Wie schon gesagt, ist diese Stoffmenge ein
Product, dessen beide Factoren erstens die Bevölkerungszahl und
zweitens die Beanspruchung auf den Kopf und Tag an das Werk
sind. Ist das System räumlich begrenzt, so fällt jede Unsicherheit
bezüglich des ersten Factors ganz und gar fort; man kann mit Be-
stimmtheit sagen, daſs die Bevölkerungsdichtigkeit über ein gewisses
Maſs hinaus, welches dann allerdings überall zu Grunde zu legen
ist, nicht steigt. Ja, die Erfahrung hat gelehrt, daſs die Dichtigkeit
der Bevölkerung in einer Groſsstadt abzunehmen pflegt, sobald ein
gewisser, hoher Grad groſsstädtischer Entwicklung erreicht ist oder
überschritten wird.


Weniger sicher ist freilich die Bestimmung des zweiten Factors,
aber auch hier liegen Erfahrungen genug vor, wie diejenige über den
Maximalconsum an Wasser auf den Kopf und Tag, über den Gas-
verbrauch auf den Kopf und Tag, über die abzuleitende Regenmenge
für die Flächeneinheit in der Secunde usw., welche, unter Hinzu-
rechnung eines gewissen Sicherheits-Coefficienten, es möglich machen,
für die Versorgungsnetze eine Gröſse zu ermitteln, die dauernd ge-
nügt, und welche daher ein Herausnehmen und Verändern der
Leitungen unnöthig macht.


Unerläſslich erscheint in Groſsstädten endlich, daſs die Verwal-
tung der verschiedenen Versorgungswerke, wenigstens so weit als es
sich um die Versorgungsnetze handelt, technisch in einer Hand ruhe.


Darf ich also noch einmal die Maſsnahmen kurz aufführen, die
nach meinem Ermessen, abgesehen von dem oben über die Einbettung
der Versorgungsnetze in die Bürgersteige bereits Gesagten, geeignet
sind der Noth der Groſsstädte auf diesem Gebiet zu steuern, so sind
dies folgende:
1. Subways, wo deren Erbauung möglich ist, und wo sie nach
den gegebenen Ver-
hältnissen eine durch-
greifende Ordnung
und Unterbringung
der Leitungen dau-
ernd
in Aussicht
stellen.
2. Herstellung
eines administra-
tiven Verbandes

der Groſsstädte
und ihrer Vororte
.
3. Erlaſs eines
die Feststellung
der Bebauungs-
pläne und die Aus-
führung neuer
Straſsen regeln-
den Gesetzes nach
Art des in Preu-
ſsen gültigen Ge-
setzes vom 2. Juli

1875, wo solches noch
nicht vorhanden, und
Erlaſs der nach die-
sem Gesetz zulässigen
Ortsstatute, wo dies
noch nicht geschehen.
4. Eintheilung
neuer Straſsen der-
art, daſs mehr als
bisher den Bürger-
steigen
eine gröſsere
Breite, nöthigen-
falls auf Kosten der
Straſsendämme, ge-
geben wird; auch selbst bei schon vorhandenen Straſsen wird es sich
sehr empfehlen, zu prüfen, ob eine Anordnung in dem angedeuteten
Sinne nicht vom Verkehrs-Standpunkt zulässig und vom Standpunkt
der Versorgungsnetze aus sehr wünschenswerth ist.
5. Nichtertheilung weiterer Concessionen an Privat-Unter-
nehmer
(Actien-Gesellschaften) zur Ausführung und financiellen
Ausbeutung von Versorgungsnetzen irgend welcher Art; wo solche
Concessionen aber bestehen, Ablösung derselben.
6. Theilung jeder Versorgungsanlage einer Stadt in be-
stimmte räumlich abgetrennte Einzelsysteme
.
7. Stellung der verschiedenen Versorgungswerke der Groſsstadt
unter eine und dieselbe technische Leitung.


Und nun, m. H., nur noch wenige Worte. Es ist eine billige
Weisheit, vor erkannten Schädlichkeiten zu warnen, aber in Vor-
aussicht die nachtheiligen Einflüsse zu erkennen, welche die Begleiter
von Zuständen sind, die wir erstreben, von Genüssen, die wir begehren,
ist verdienstlich. Der Geschichtschreiber weiſs heute davon zu erzählen,
wie der römische Caesarismus den Schwerpunkt der Reichsverwaltung
den Freigelassenen und den Prätorianern zuschob und damit den Zer-
fall einer Weltherrschaft bedingte; daſs aber eine hochmüthige, stets
erobernde Republik zu einem Caesar führen muſste, sagten zur richtigen
Zeit nur wenige, und diesen wenigen wurde es nicht geglaubt.


Es ist jetzt, wie niemand leugnen wird, eine Art Sport ge-
worden, Groſsstädte mit einander in Vergleich zu stellen und
derjenigen den Preis zuzuerkennen, welche es im Wachsthum, in der
Einwohnerzahl, in öffentlich Einrichtungen am weitesten gebracht
hat. Unentgeltliche Schulen, Feriencolonieen, Stadtmissionen, Fach-
schulen, Volksbäder, Asyle, Bürger-Rettungshäuser und ähnliches in
hunderterlei Gestalt erfüllt die Seele der dabei Thätigen mit Selbst-
zufriedenheit und tugendlichem Muth; es ist ein Retten des Geistes,
des Körpers, der unsterblichen Seele unserer armen oder verkommenen
[388]Centralblatt der Bauverwaltung.13. September 1890.
Mitmenschen, das unsere Brust schwellt, das unsern philantropischen
Charakter stählt.


„Berlin wird Weltstadt“ rief man begeistert vor Jahren aus;
„Berlin ist Weltstadt“ flüstern jetzt dort schon Tausende.


Ich meine, ein solches Wachsthum hat auch seine Kehrseite!


Ein geistvoller Kritiker der Nationalzeitung schlieſst seinen Be-
richt über das eben stattgehabte Schützenfest in Berlin mit den Worten:
„So bietet der Schützenplatz für Fremde wie für Einheimische unend-
lich viel des Sehenswerthen. Kurz zuvor aber, ehe man dort ankommt,
sieht man zur linken Hand ein Kornfeld, das recht schön steht, und
zur rechten einen Acker mit Kartoffeln, die eben blühen. Berliner,
die dergleichen noch nie gesehen haben — und wie groſs mag ihre
Zahl sein! — seien darauf aufmerksam gemacht; diese beiden Eigen-
thümlichkeiten lohnen allein schon eine Fahrt nach Pankow!“


Es wird leider ein solches Urtheil nicht wohl bestritten werden
können. Einfachheit, Naturnähe, ungekünstelte Verhältnisse schwinden
aus den Groſsstädten; Gemachtheit in der Lebensführung und Lebens-
weise nehmen zu, eine einheitliche Betriebs-Organisation im Wohnen,
Miethen, in der Bedienung, im Bezug der Lebensmittel, in der Art
der Vergnügungen und Genüsse entwickelt sich und bezwingt
immer gebieterischer alles individuelle Leben. Licht in mancherlei
Gestalt, Wasser, Luft, Unterhaltung, gleiches Zeitmaſs, fehlerlos
bis auf den Bruchtheil von Secunden, Paket-Vertheilung und Arbeits-
kraft vermitteln jetzt schon Central-Versorgungen in gröſseren
Städten durch Leitungen. Die Versendung von Nahrungsmitteln
auſser dem Wasser scheint technisch wenigstens keine unüberwind-
lichen Schwierigkeiten zu haben. Ist erst die Sitte des warmen Bades
eine allgemeine geworden — wer hindert, das erwärmte Badewasser
jeder Familie in die Badestube durch Druckröhren zu fördern? Ja,
daſs die winterliche Heizung einer ganzen Stadt — wie jetzt ganzer
Häuser — mehr oder minder centralisirt werden kann, unterliegt
keinem Zweifel usw. Solche Centralversorgungen liefern das Be-
gehrte unzweifelhaft billiger als es durch die Einzelbereitung ge-
schieht, und sie sind darum, für sich genommen, nützlich. Wenn es
nun gar einmal dahin käme, daſs das Dienstbotenverhältniſs als eine
moderne Sclaverei angesehen wird — was gar nicht so fern liegt —,
und daſs die Hausarbeit der Dienstboten als geradezu unsittlich be-
zeichnet wird, wie es die Nähmaschinenverkäufer thun, wenn sie von
der Handarbeit des Nähens und des Strickens reden, so ist weiterer
und weitester Entwicklung, wie angedeutet, Thor und Thür geöffnet.
Man darf sich dann vielleicht vorstellen, daſs der wesentlichste
Bestandtheil einer menschlichen Wohnung eine Wand mit Hähnen
ist, die geöffnet, mit Knöpfen, die gedrückt werden. Groſses und
Gewaltiges ist es zweifelsohne, was solchergestalt geschaffen werden
kann — aber ich meine, es kommt nicht darauf an und ist nicht
unser Lebenszweck, daſs wir Groſses und Gewaltiges schaffen;
sondern daſs wir, wenn möglich, selbst groſs und gewaltig seien,
und dieses Ziel erreicht der Weg, der die Eigenart schafft und
erhält, der davor bewahrt, in heerdenhafte Allgemeinheit zu versinken,
der uns mehr unserem eigenen geistigen und wirthschaftlichen Ge-
staltungstrieb überläſst. Dann möchten wir leichtlich unsere Auf-
gabe als Mensch vollkommener erfüllen als die, denen der geistige und
physische Bedarf durch centrale Versorgungsleitungen zugeführt wird.


Und so sei gesagt, daſs wir das Wachsthum groſser Städte —
Weltstädte —, wenn wir es auch nicht hindern dürfen und ganz
sicher auch nicht können, doch nicht als ein Ziel ansehen sollten,
dem wir durchaus zustreben müſsten. Die wachsende Schwierigkeit
bei Unterbringung der Versorgungsnetze ist doch nur eine der vielen
Sorgen, welche das riesenhafte Anwachsen der Groſsstädte ehrlichen
Verwaltungen bereiten wird und schon bereitet.


Nehmen aber die Groſsstädte auch ferner intensiv und extensiv
noch in ihrem Wachsthum zu, dann wird der Tag kommen, wo den ge-
bieterischen Forderungen der Versorgungsnetze gegenüber auſser den
Bürgersteigen die Straſsendämme für die Versorgungsnetze Preis ge-
geben werden müssen, und dann hat das Definitivum der Straſsendamm-
Befestigung ein Ende! Aber ehe dieser Augenblick eintritt, wird sich
gewiſs schon herausgestellt haben, daſs Subways, wo solche ausgeführt
sind, trotz weitgegriffenster Bemessung, den wachsenden Ansprüchen
nicht mehr zu genügen vermögen. Und dieses möchte ich dann für
das Bedenklichere halten.


Hobrecht.


[][]
Notes
*)
Die Zeichnungen folgen in der nächsten Nummer d. Bl.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2025). Collection 1. Die modernen Aufgaben des großstädtischen Straßenbaues mit Rücksicht auf die Unterbringung der Versorgungsnetze. Die modernen Aufgaben des großstädtischen Straßenbaues mit Rücksicht auf die Unterbringung der Versorgungsnetze. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bj4s.0