[][][][][][][][][[1]]
[[2]]
[[3]]
[[4]][[5]]
[6]
[7]
[8]
[9]
1 *[10]
[11]
[12]
[13]
[14]
[15]
[16]
[17]
2[18]
[19]
*[20]
[21]
[22]
[23]
[24]
[25]
2 *[26]
[27]
[28]
[29]
[30]
[31]
[32]
[33]
[34]
[35]
*[36]
[37]
[38]
[39]
[40]
[41]
3 *[42]
[43]
[44]
[45]
[46]
[47]
[48]
[49]
4[50]I.
[51]Il.
*[52]III.
[53]
[54]IV.
[55]
[56]
[57]V.
4 *[58]VI.
[59]
[60]VII.
[61]VIII.
[62]IX.
[63]
[64]
[65]
5[66]
[67]
*[68]
[69]
[70]
[71]X.
[72]
[73]
5 *[74]XI.
[75]
[76]XII.
[77]XIII.
[78]XIV.
[79]XV.
[80]
[81]
6[82]XVI.
[83]
[84]XVII.
[85]
[86]XVIII.
[87]
[88]
[89]XIX.
6 *[90]XX.
[91]
[92]An meine Mutter, B. Heine,
[93]
[94]
[95]
[96]
[97]
7[98]
[99]
*[100]
[101]
[102]
[103]
[[104]][[105]]
7 *[[106]][[107]][[108]][[109]]
[110]
[111]
[112]
[113]
8[114]
[115]
*[116]
[117]
[118]
[119]
[120]
[121]
8 *[122]
[123]
[124]
[125]
[126]
[127]
[128]
[129]
9[130]
[131]
*[132]
[133]
[134]
[135]
[136]
[137]
9 *[138]
[139]
[140]
[141]
[142]
[143]
[144]
[145]
10[146]
[147]
*[148]
[149]
[150]
[151]
[152]
[153]
10 *[154]
[155]
[156]
[157]
[158]
[159]
[160]
[161]
11[162]
[163]
*[164]
[165]
[166]
[167]
[168]
[169]
11 *[170]
[171]
[[172]][[173]]
[[174]][[175]][[176]][[177]]
12[178]
[179]
*[180]
[181]
[182]
[183]
[184]
[185]
12 *[186]
[187]
[188]
[189]
[190]
[191]
[192]
[193]
13[194]
[195]
*[196]
[197]
[198]
[199]
[200]
[201]
13 *[202]
[203]
[204]
[205]
[206]
[207]
[208]
[209]
14[210]
[211]
*[212]
[213]
[214]
[215]
[216]
[217]
14 *[218]
[219]
[220]
[221]
[222]
[223]
[224]
[225]
15[226]
[227]
*[228]
[229]
[230]
[231]
[232]
[233]
15 *[234]
[235]
[236]
[237]
[238]
[239]
[240]
[241]
16[242]
[243]
*[244]
[245]
[246]
[247]
[248]
[249]
16 *[250]
[251]
[252]
[253]
[254]
[255]
[256]
[257]
17[258]
[259]
*[260]
[261]
[262]
[263]
[264]
[265]
17 *[266]
[267]
[268]
[269]
[270]
[271]
[272]
[273]
18[274]
[275]
*[276]
[277]
[278]
[279]
[280]
[281]
18 *[282]
[283]
[[284]][[285]]
[[286]][[287]]
[288]
[289]
19[290]
[291]
*[292]
[293]
[294]
[295]
[296]
[297]
19 *[298]
[299]
[300]
[301]
[302]
[303]
[304]
[[305]]
20[[306]][[307]]*[[308]][[309]]I.
[310]
[311]II.
[312]
[313]III.
20 *[314]
[315]
[316]IV.
[317]
[318]
[319]
[320]V.
[321]
21[322]
[323]VI.
*[324]
[325]VII.
[326]
[327]
[328]
[329]
21 *[330]VIII.
[331]
[332]IX.
[333]
[334]X.
[335]
[336]
[337]
22[338]XI.
[339]
*[340]XII.
[341]
[342]
[]I.
[344]
[345]
22 *[346]II.
[347]
[348]III.
[349]
[350]
[351]IV.
[352]
[353]
23[354]V.
[355]
*[356]
[357]
[358]VI.
[359]
[360]
[361]
23 *[362]
[363]VII.
[364]
[365]VIII.
[366]
[367]IX.
[368]
[369]
24[370]
[371]X.
*[372]
[][][]
Buch der Lieder
[figure]
Hamburg:
bei Hoffmann und Campe.
1827.
bei Hoffmann und Campe.
1827.
[[2]]
Druck und Papier
der Campeſchen Officin
in Nürnberg.
Junge Leiden.
1817 — 1821.
[[4]][[5]]
Traumbilder.
I.
Mir träumte einſt von wildem Liebesglühen,
Von hübſchen Locken, Myrthen und Reſede,
Von ſüßen Lippen und von bittrer Rede,
Von düſtrer Lieder düſtern Melodien.
Verblichen und verweht ſind längſt die Träume,
Verweht iſt gar mein liebſtes Traumgebild!
Geblieben iſt mir nur, was glutherfüllt
Ich einſt gegoſſen hab' in weiche Reime.
Du bleibſt, verwaiſtes Lied! Verweh' jetzt auch,
Und ſuch' das Traumbild, das mir längſt entſchwunden,
Und grüß' es mir, wenn du es aufgefunden —
Dem luft'gen Schatten ſend' ich luft'gen Hauch.
II.
Ein Traum, gar ſeltſam ſchauerlich,
Ergötzte und erſchreckte mich.
Noch ſchwebt mir vor manch grauſig Bild,
Und in dem Herzen wogt's mir wild.
Da war ein Garten, wunderſchön,
Da wollt' ich luſtig mich ergehn;
Viel ſchöne Blumen ſahn mich an,
Ich hatte meine Freude dran.
Es zwitſcherten die Vögelein
Viel muntre Liebesmelodei'n;
Die Sonne war von Gold umſtrahlt,
Die Blumen luſtig bunt bemalt.
Viel Balſamduft aus Kräutern rinnt,
Die Lüfte wehen lieb und lind;
Und Alles ſchimmert, Alles lacht,
Und zeigt mir freundlich ſeine Pracht.
Inmitten in dem Blumenland
Ein klarer Marmorbrunnen ſtand;
Da ſchaut' ich eine ſchöne Maid,
Die emſig wuſch ein weißes Kleid.
Die Wänglein ſüß, die Aeuglein mild,
Ein blondgelocktes Heil'genbild;
Und wie ich ſchau, die Maid ich fand
So fremd und doch ſo wohl bekannt.
Die ſchöne Maid, die ſputet ſich,
Sie ſummt ein Lied gar wunderlich:
„Rinne, rinne, Wäſſerlein,
„Waſche, waſche Hemde rein.“
Ich ging und nahete mich ihr,
Und flüſterte: O ſage mir,
Du wunderſchöne, ſüße Maid!
Für wen iſt dieſes weiße Kleid?
Da ſprach ſie ſchnell: Sey bald bereit,
Ich waſche dir dein Todtenkleid!
Und als ſie dieß geſprochen kaum,
Zerfloß das ganze Bild, wie Schaum. —
Schnell fortgezaubert ſtand ich bald
In einem düſtern, wilden Wald.
Die Bäume ragten himmelan;
Ich ſtand erſtaunt und ſann und ſann.
Und horch! welch dumpfer Wiederhall!
Wie ferner Aextenſchläge Schall;
Ich eil' durch Buſch und Wildniß fort,
Und komm' an einen freien Ort.
Inmitten in dem grünen Raum,
Da ſtand ein großer Eichenbaum;
Und ſieh! mein Mägdlein wunderſam
Haut mit dem Beil den Eichenſtamm.
Und Schlag auf Schlag, und ſonder Weil',
Summt ſie ein Lied und ſchwingt das Beil:
„Eiſen blink, Eiſen blank,
„Zimmre hurtig Eichenſchrank.“
Ich ging und nahete mich ihr,
Und flüſterte: O ſage mir,
Du wunderſüßes Mägdelein,
Wem zimmerſt du den Eichenſchrein?
Da ſprach ſie ſchnell: Die Zeit iſt karg,
Ich zimmre deinen Todtenſarg!
Und als ſie dieß geſprochen kaum,
Zerfloß das ganze Bild, wie Schaum. —
Es lag ſo bleich, es lag ſo weit
Ringsum nur kahle, kahle Heid;
Ich wußte nicht wie mir geſchah,
Und heimlich ſchauernd ſtand ich da.
Und nun ich eben fürder ſchweif',
Gewahr' ich einen weißen Streif;
Ich eilt' drauf zu, und eilt' und ſtand,
Und ſieh! die ſchöne Maid ich fand.
Auf weiter Heid ſtand weiße Maid,
Grub tief die Erd' mit Grabeſcheit.
Kaum wagt ich noch ſie anzuſchau'n,
Sie war ſo ſchön und doch ein Grau'n.
Die ſchöne Maid, die ſputet ſich,
Sie ſummt ein Lied gar wunderlich:
„Spaten, Spaten, ſcharf und breit,
„Schaufle Grube tief und weit.“
Ich ging und nahete mich ihr
Und flüſterte: O ſage mir,
Du wunderſchöne, ſüße Maid,
Was dieſe Grube hier bedeut't?
Da ſprach ſie ſchnell: Sey ſtill, mein Knab',
Ich ſchaufle dir ein kühles Grab.
Und als ſo ſprach die ſchöne Maid,
Da öffnet ſich die Grube weit;
Und als ich in die Grube ſchaut',
Ein kalter Schauer mich durchgraut;
Und in die dunkle Grabesnacht
Stürzt' ich hinein, — und bin erwacht.
III.
Im nächt'gen Traum hab' ich mich ſelbſt geſchaut,
Im ſchwarzen Gallafrack und ſeidner Weſte,
Manſchetten an der Hand, als ging's zum Feſte,
Und vor mir ſtand mein Liebchen, ſüß und traut.
Ich beugte mich und ſagte: „Sind Sie Braut?
Ei! ei! ſo gratulir' ich, meine Beſte!“
Doch faſt die Kehle mir zuſammenpreſte
Der langgezog'ne, vornehm kalte Laut.
Und bitt're Thränen plötzlich ſich ergoſſen
Aus Liebchens Augen, und in Thränenwogen
Iſt mir das holde Bildniß faſt zerfloſſen.
O ſüße Augen, fromme Liebesſterne,
Obſchon ihr mir im Wachen oft gelogen,
Und auch im Traum, glaub' ich euch dennoch gerne!
IV.
Im Traum ſah ich ein Männchen klein und putzig,
Das ging auf Stelzen, Schritte ellenweit,
Trug weiße Wäſche und ein feines Kleid,
Inwendig aber war es grob und ſchmutzig.
Inwendig war es jämmerlich, nichtsnutzig,
Jedoch von außen voller Würdigkeit;
Von der Courage ſprach es lang und breit,
Und that ſogar recht trotzig und recht ſtutzig.
„Und weißt du, wer das iſt? Komm her und ſchau'!“
So ſprach der Traumgott, und er zeigt mir ſchlau
Die Bilderfluth in eines Spiegels Rahmen.
Vor einem Altar ſtand das Männchen da,
Mein Lieb daneben, Beide ſprachen: Ja!
Und tauſend Teufel riefen lachend: Amen!
V.
Was treibt und tobt mein tolles Blut?
Was flammt mein Herz in wilder Gluth?
Es kocht mein Blut und ziſcht und gährt,
Und grimme Gluth mein Herz verzehrt.
Das Blut iſt toll, die Flamme wild,
Weil zu mir kam ein Traumgebild;
Es kam der finſtre Sohn der Nacht,
Und hat mich keuchend fortgebracht.
Er bracht' mich in ein helles Haus,
Wo Harfenklang und Saus und Braus,
Und Fackelglanz und Kerzenſchein;
Ich kam zum Saal, ich trat hinein.
Das war ein luſtig Hochzeitfeſt;
Zu Tafel ſaßen froh die Gäſt'.
Und wie ich nach dem Brautpaar ſchaut', —
O weh! mein Liebchen war die Braut.
Das war mein Liebchen wunneſam,
Ein fremder Mann war Bräutigam;
Dicht hinter'm Ehrenſtuhl der Braut,
Da blieb ich ſtehn, gab keinen Laut.
Es rauſcht Muſik, — gar ſtill ſtand ich;
Der Freudenlärm betrübte mich.
Der Bräutgam oft gar zärtlich blickt,
Die Braut erwiedert's hold und nickt.
Der Bräutgam füllt den Becher ſein,
Und trinkt daraus, und reicht gar fein
Der Braut ihn hin; ſie lächelt Dank, —
O Weh! mein rothes Blut ſie trank.
Die Braut ein hübſches Aepflein nahm,
Und reicht es hin dem Bräutigam.
Der nahm ſein Meſſer, ſchnitt hinein, —
O Weh! das war das Herze mein.
Sie äugeln ſüß, ſie äugeln lang,
Der Bräut'gam kühn die Braut umſchlang,
Und küßt ſie auf die Wangen roth, —
O Weh! mich küßt der kalte Tod.
Wie Blei lag meine Zung' im Mund',
Daß ich kein Wörtlein ſprechen kunt.
Da rauſcht es auf, der Tanz begann;
Das ſchmucke Brautpaar tanzt voran.
Und wie ich ſtand ſo leichenſtumm,
Die Tänzer ſchweben flink herum; —
Ein leiſes Wort der Bräut'gam ſpricht,
Die Braut wird roth, doch zürnt ſie nicht. — —
VI.
Im ſüßen Traum bei ſtiller Nacht,
Da kam zu mir, mit Zauberpracht,
Die lang erſehnte Liebſte mein,
Und goß mir Gluth in's Herz hinein.
Und wie ich ſchau', erglüh ich wild
Und wie ich ſchau, ſie lächelt mild,
Und lächelt bis das Herz mir ſchwoll,
Und ſtürmiſch kühn das Wort entquoll:
„Nimm hin, nimm alles was da mein,
Mein Liebſtes will ich gern dir weih'n,
Dürft' ich dafür dein Buhle ſeyn,
Von Mitternacht bis Hahnenſchrei'n.“
Da ſtaunt' mich an gar ſeltſamlich,
So lieb, ſo weh, und inniglich,
Und ſprach zu mir die ſchöne Maid:
So gieb mir deine Seligkeit.
„Mein Leben ſüß, mein junges Blut,
Gäb' ich, mit Freud und wohlgemuth,
Für dich, o Mädchen, engelgleich, —
Doch nimmermehr das Himmelreich.“
Wohl brauſt hervor mein raſches Wort,
Doch blühet ſchöner immerfort,
Und immer ſpricht die ſchöne Maid:
O gieb mir deine Seligkeit!
Dumpf dröhnt dieß Wort mir in's Gehör,
Und ſchleudert mir ein Gluthenmeer
Wohl in den tiefſten Seelenraum;
Ich athme ſchwer, ich athme kaum. —
Da waren weiße Engelein,
Die glänzten hell im Roſenſchein;
Nun aber ſtürmte wild herauf
Ein gräulich ſchwarzer Koboldhauf'.
Die rangen mit den Engelein,
Und drängten fort die Engelein;
Und endlich auch die ſchwarze Schaar
In Nebelduft zerronnen war. —
Ich aber wollt' in Luſt vergehn,
Ich hielt im Arm mein Liebchen ſchön;
Wie'n Rehlein ſüß umſchmiegt ſie mich,
Doch weint ſie auch recht bitterlich.
Feins Liebchen weint; ich weiß warum,
Und küß' ihr Roſenmündlein ſtumm. —
„O ſtill', feins Lieb, die Thränenfluth,
Gieb her, feins Lieb, nur Minnegluth.“
„Ergieb dich meiner Minnegluth — “
Da plötzlich ſtarr't zu Eis mein Blut;
Laut bebet auf der Erde Grund,
Und öffnet gähnend ſeinen Schlund.
Und aus dem Abgrund ſchwarz und graus
Stieg wild die ſchwarze Schaar heraus.
Aus meinen Armen ſchwand feins Lieb;
Ich ganz alleine ſtehen blieb.
Da tanzt im Kreiſe wunderbar,
Um mich herum, die ſchwarze Schaar,
Und drängt heran, erfaßt mich bald,
Und gellend Hohngelächter ſchallt.
Und immer enger wird der Kreis,
Und immer ſummt die Schauerweiſ':
Du gabeſt hin die Seligkeit,
Gehörſt uns nun in Ewigkeit!
VII.
Nun haſt du das Kaufgeld, nun zögerſt du doch?
Blutfinſtrer Geſell, was zögerſt du noch?
Schon ſitze ich harrend im Kämmerlein traut,
Und Mitternacht nah't ſchon, — es fehlt nur die Braut.
Viel ſchauernde Lüftchen vom Kirchhofe wehn;
Ihr Lüftchen! habt ihr mein Bräutchen geſehn?
Viel blaſſe Larven geſtalten ſich da,
Umknixen mich grinſend, und nicken: O ja!
Pack' aus, was bringſt du für Bothſchafterei,
Du ſchwarzer Schlingel in Feuerlivrei?
„Die gnädige Herrſchaft meldet ſich an,
Gleich kommt ſie gefahren im Drachengeſpann.“
Du lieb grau Männchen, was iſt dein Begehr?
Mein todter Magiſter, was treibt dich her?
Er ſchaut mich mit ſchweigend trübſeligem Blick,
Und ſchüttelt das Haupt, und wandelt zurück.
Was winſelt und wedelt mein zott'ger Geſell?
Was glimmert ſchwarz Katers Auge ſo hell?
Was heulen die Weiber mit fliegendem Haar?
Was lullt mir Frau Amme mein Wiegenlied gar?
Frau Amme bleib heut mit dem Singſang zu Haus,
Das Eiapopeia iſt lange ſchon aus;
Ich fey're gar heute mein Hochzeitfeſt, —
Da ſchau' mal, dort kommen ſchon zierliche Gäſt'.
Da ſchau' mal! Ihr Herren, das nenn' ich galant!
Ihr tragt, ſtatt der Hüte, die Köpf' in der Hand!
Ihr Zappelbein-Leutchen im Galgen-Ornat,
Der Wind iſt ſtill, was kommt Ihr ſo ſpat?
Da kommt auch alt Beſenſtielmütterchen ſchon,
Ach ſegne mich, Mütterchen, bin ja dein Sohn;
Da zittert der Mund im weißen Geſicht:
„In Ewigkeit Amen!“ alt Mütterchen ſpricht.
Zwölf winddürre Muſiker ſchlendern herein;
Blind Fidelweib holpert wohl hintendrein.
Da ſchleppt der Hanswurſt, in buntſcheckiger Jack',
Den Todtengräber huckepack.
Da tanzen zwölf Kloſterjungfrauen herein;
Die ſchielende Kupplerin führet den Reih’n.
Da folgen zwölf lüſterne Pfäffelein ſchon,
Und pfeifen ein Schandlied im Kirchenton’.
Herr Trödler, o ſchrei dir nicht blau das Geſicht.
Im Fegfeuer nützt mir dein Pelzröckel nicht;
Dort heizet man gratis jahraus, jahrein,
Statt mit Holz, mit Fürſten- und Bettlergebein.
Die Blumenmädchen ſind bucklicht und krumm,
Und purzeln kopfüber im Zimmer herum.
Ihr Eulengeſichter mit Heuſchreckenbein,
Hei! laßt mir das Rippengeklapper nur ſeyn!
Die ſämmtliche Höll' iſt los fürwahr!
Und lärmet und ſchwärmet in wachſender Schaar;
Sogar der Verdammniß-Walzer erſchallt, —
Still, ſtill! nun kommt mein feins Liebchen auch bald.
Geſindel ſey ſtill, oder trolle dich fort!
Ich höre kaum ſelber mein leibliches Wort, —
Ei, raſſelt nicht eben ein Wagen vor?
Frau Köchin! wo biſt du? ſchnell öffne das Thor.
Willkommen, feins Liebchen, wie geht's dir, mein
Schatz?
Willkommen Herr Paſtor, ach nehmen Sie Platz!
Herr Paſtor mit Pferdefuß und Schwanz,
Ich bin Eu'r Hochwürden Dienſteigener ganz!
Lieb Bräutchen, was ſtehſt du ſo ſtumm und bleich?
Der Herr Paſtor ſchreitet zur Trauung ſogleich;
Wohl zahl ich ihm theure, bluttheure Gebühr,
Doch dich zu beſitzen gilt's Kinderſpiel mir.
Knie' nieder, ſüß Bräutchen, knie' hin mir zur
Seit'! —
Da kniet ſie, da ſinkt ſie, — o ſelige Freud! —
Sie ſinkt mir an's Herz, an die ſchwellende Bruſt,
Ich halt' ſie umſchlungen mit ſchauernder Luſt.
Die Goldlockenwellen umſpielen uns beid';
An mein Herze pocht das Herze der Maid.
Sie pochen wohl beide vor Luſt und vor Weh,
Und ſchweben hinauf in die Himmelshöh'.
Die Herzlein ſchwammen im Freudenſee,
Dort oben in Gottes heil'ger Höh';
Doch über den Häuptern viel Grauſen ſich regt,
Da hat die Hölle die Hand gelegt,
Das iſt der finſtre Sohn der Nacht,
Der hier den ſegnenden Prieſter macht;
Er murmelt die Formel aus blutigem Buch,
Sein Beten iſt Läſtern, ſein Segnen iſt Fluch.
Und es krächzet und ziſchet und heulet toll,
Wie Wogengebrauſe, wie Donnergeroll;
Da blitzet auf einmal ein bläuliches Licht, —
„In Ewigkeit Amen!“ alt Mütterchen ſpricht.
VIII.
Ich kam von meiner Herrin Haus,
Und wandelt' in Wahnſinn und Mitternachtgraus.
Und wie ich am Kirchhof vorüber gehn will,
Da winken die Gräber ernſt und ſtill.
Da winkt's von des Spielmanns Leichenſtein;
Das war der flimmernde Mondesſchein.
Da lispelt's: Lieb Bruder, ich komme gleich!
Da ſteigt's aus dem Grabe nebelbleich.
Der Spielmann war's, der entſtiegen jetzt,
Und hoch auf den Leichenſtein ſich ſetzt.
In die Saiten der Zither greift er ſchnell,
Und ſingt dabei recht hohl und grell:
Ei! kennt Ihr noch das alte Lied,
Das einſt ſo wild die Bruſt durchglüht,
Ihr Saiten dumpf und trübe?
Die Engel, die nennen es Himmelsfreud,
Die Teufel, die nennen es Höllenleid,
Die Menſchen, die nennen es: Liebe!
Kaum tönte des letzten Wortes Schall,
Da thaten ſich auf die Gräber all';
Viel Luftgeſtalten dringen hervor,
Und umſchweben den Spielmann und ſchrillen im Chor:
Liebe! Liebe! deine Macht
Hat uns hier zu Bett gebracht,
Und die Augen zugemacht, —
Ei, was rufſt du in der Nacht?
So heult es verworren, und ächzet und girrt,
Und brauſet und ſauſet, und krächzet und klirrt;
Und der tolle Schwarm den Spielmann umſchweift,
Und der Spielmann wild in die Saiten greift:
Bravo! bravo! immer toll!
Seyd willkommen!
Habt vernommen
Daß mein Zauberwort erſcholl,
Liegt man doch jahraus, jahrein,
Mäuschenſtill im Kämmerlein;
Laßt uns heute luſtig ſeyn!
Mit Vergunſt, —
Seht erſt zu, ſind wir allein? —
Narren waren wir im Leben,
Und mit toller Wuth ergeben
Einer tollen Liebesbrunſt.
Kurzweil ſoll uns heut nicht fehlen,
Jeder ſoll hier treu erzählen,
Was ihn weiland hergebracht,
Wie gehetzt,
Wie zerfetzt
Ihn die tolle Liebesjagd.
Da hüpft aus dem Kreiſe, ſo leicht, wie der Wind,
Ein mageres Weſen, das ſummend beginnt:
Ich war ein Schneidergeſelle,
Mit Nadel und mit Scheer';
Ich war ſo flink und ſchnelle
Mit Nadel und mit Scheer'.
Da kam die Meiſterstochter
Mit Nadel und mit Scheer';
Und hat mir in's Herz geſtochen
Mit Nadel und mit Scheer'.
Da lachten die Geiſter im luſtigen Chor;
Ein Zweiter trat ſtill und ernſt hervor:
Den Rinaldo Rinaldini,
Schinderhanno, Orlandini,
Und beſonders Carlo Moor
Nahm ich mir als Muſter vor.
Auch verliebt — mit Ehr' zu melden —
Hab' ich mich, wie jene Helden,
Und das ſchönſte Frauenbild
Spukte mir im Kopfe wild.
Und ich ſeufzte auch und girrte;
Und wenn Liebe mich verwirrte,
Steckt' ich meine Finger raſch
In des Herren Nachbars Taſch'.
Doch der Gaſſenvogt mir grollte,
Daß ich Sehnſuchtsthränen wollte
Trocknen mit dem Taſchentuch,
Das mein Nachbar bei ſich trug.
Und nach frommer Häſcherſitte
Nahm man ſtill mich in die Mitte,
Und das Zuchthaus, heilig groß,
Schloß mir auf den Mutterſchooß.
Schwelgend ſüß in Liebesſinnen,
Saß ich dort beim Wolleſpinnen,
Bis Rinaldos Schatten kam,
Und die Seele mit ſich nahm.
Da lachten die Geiſter im luſtigen Chor;
Geſchminkt und geputzt trat ein Dritter hervor:
Ich war ein König der Bretter,
Und ſpielte das Liebhaberfach,
Ich brüllte manch wildes: Ihr Götter!
Ich ſeufzte manch zärtliches: Ach!
Den Mortimer ſpielt' ich am beſten,
Maria war immer ſo ſchön!
Doch trotz der natürlichſten Geſten
Sie wollte mich nimmer verſteh'n. —
Einſt als ich verzweifelnd am Ende
„Maria, du Heilige!“ rief,
Da nahm ich den Dolch behende —
Und ſtach mich ein bischen zu tief.
Da lachten die Geiſter im luſtigen Chor;
Im weißen Flauſch trat ein Vierter hervor:
Vom Katheder ſchwatzte herab der Profeſſor,
Er ſchwatzt', und ich ſchlief oft gut dabei ein;
Doch hätt' mir's behagt noch tauſendmal beſſer
Bei ſeinem holdſeligen Töchterlein.
Sie hatt' mir oft zärtlich am Fenſter genicket,
Die Blume der Blumen, mein Lebenslicht!
Doch die Blume der Blumen ward endlich gepflücket
Vom dürren Philiſter, dem reichen Wicht.
Da flucht ich den Weibern und reichen Halunken,
Und miſchte mir Teufelskraut in den Wein, —
Und hab' mit dem Tode Smollis getrunken,
Der ſprach: Fiduzit, ich heiße Freund Hein!
Da lachten die Geiſter im luſtigen Chor,
Einen Strick um den Hals trat ein Fünfter hervor:
Es prunkte und prahlte der Graf beim Wein
Mit dem Töchterchen ſein und dem Edelgeſtein.
Was ſcheert mich, du Gräflein, dein Edelgeſtein,
Mir mundet weit beſſer dein Töchterlein.
Sie lagen wohl beid' unter Riegel und Schloß,
Und der Graf beſold'te viel Dienergetroß.
Was ſcheeren mich Diener und Riegel und Schloß, —
Ich ſtieg getroſt auf die Leiterſproß.
An Liebchens Fenſterlein klettr' ich getroſt,
Da hör' ich es unten fluchen erboſt:
„Fein ſachte, mein Bübchen, muß auch dabei ſeyn,
Ich liebe ja auch die Edelgeſtein.“
So ſpöttelt der Graf und erfaßt mich gar,
Und jauchzend umringt mich die Dienerſchaar.
„Zum Teufel, Geſindel! Ich bin ja kein Dieb;
Ich wollte nur ſtehlen mein trautes Lieb!“
Da half kein Gerede, da half kein Rath,
Da machte man hurtig die Stricke parat;
Wie die Sonne kam, da wundert ſie ſich,
Am hellen Galgen fand ſie mich.
Da lachten die Geiſter im luſtigen Chor;
Den Kopf in der Hand trat ein Sechster hervor.
Zum Waidwerk trieb mich Liebesharm;
Ich ſchlich umher, die Büchſ' im Arm.
Da ſchnarret's hohl vom Baum herab,
Der Rabe rief: Kopf — ab! Kopf — ab!
O, ſpürt' ich doch ein Täubchen aus,
Ich brächt' es meinem Lieb nach Haus!
So dacht' ich, und in Buſch und Strauch
Späh't rings umher mein Jägeraug'.
Was koſet dort? was ſchnäbelt fein?
Zwei Turteltäubchen mögen's ſeyn.
Ich ſchleich herbei, — den Hahn geſpannt, —
Sieh' da! mein eignes Lieb ich fand.
Das war mein Täubchen, meine Braut,
Ein fremder Mann umarmt ſie traut, —
Nun, alter Schütze, treffe gut!
Da lag der fremde Mann im Blut'.
Bald drauf ein Zug mit Henkersfrohn —
Ich ſelbſt dabei als Hauptperſon —
Den Wald durchzog. Vom Baum herab
Der Rabe rief: Kopf — ab! Kopf — ab!
Da lachten die Geiſter im luſtigen Chor;
Da trat der Spielmann ſelber hervor:
Ich hab' mal ein Liedchen geſungen,
Das ſchöne Lied iſt aus;
Wenn das Herz im Leibe zerſprungen,
Dann gehen die Lieder nach Haus!
Und das tolle Gelächter ſich doppelt erhebt,
Und die bleiche Schaar im Kreiſe ſchwebt.
Da ſcholl vom Kirchthurm' „Eins“ herab,
Da ſtürzten die Geiſter ſich heulend in's Grab.
IX.
Ich lag und ſchlief, und ſchlief recht mild,
Verſcheucht war Gram und Leid;
Da kam zu mir ein Traumgebild,
Die allerſchönſte Maid.
Sie war wie Marmelſtein ſo bleich,
Und heimlich wunderbar;
Im Auge ſchwamm es perlengleich,
Gar ſeltſam wallt' ihr Haar.
Und leiſe, leiſe ſich bewegt
Die marmorblaſſe Maid,
Und an mein Herz ſich niederlegt
Die marmorblaſſe Maid.
Wie bebt und pocht vor Weh und Luſt,
Mein Herz, und brennet heiß!
Nicht bebt, nicht pocht der Schönen Bruſt,
Die iſt ſo kalt wie Eis.
„Nicht bebt, nicht pocht wohl meine Bruſt,
Die iſt wie Eis ſo kalt;
Doch kenn' auch ich der Liebe Luſt,
Der Liebe Allgewalt.
Mir blüht kein Roth auf Mund und Wang,
Mein Herz durchſtrömt kein Blut;
Doch ſträube dich nicht ſchauernd bang,
Ich bin dir hold und gut.“
Und wilder noch umſchlang ſie mich,
Und that mir bald ein Leid;
Da kräht der Hahn — und ſtumm entwich
Die marmorblaſſe Maid.
X.
Da hab' ich viel blaſſe Leichen
Beſchworen mit Wortesmacht;
Die wollen nun nicht mehr weichen
Zurück in die alte Nacht.
Das zähmende Sprüchlein vom Meiſter
Vergaß ich vor Schauer und Graus,
Nun zieh'n die eig'nen Geiſter
Mich ſelber in's neblichte Haus.
Laßt ab, ihr finſtren Dämonen!
Laßt ab, und drängt mich nicht!
Noch manche Freude mag wohnen
Hier oben im Roſenlicht.
Ich muß ja immer ſtreben
Nach der Blume wunderhold;
Was bedeutet' mein ganzes Leben,
Wenn ich Sie nicht lieben geſollt?
Ich möcht ſie nur einmal umfangen,
Und preſſen an's glühende Herz!
Nur einmal die Lippen und Wangen
Küſſen mit ſel'gem Schmerz.
Nur einmal aus ihrem Munde
Möcht' ich hören ein liebendes Wort, —
Alsdann wollt' ich folgen zur Stunde
Euch, Geiſter, zum finſtern Ort.
Die Geiſter haben's vernommen,
Und nicken grauſiglich.
Feins Liebchen, nun bin ich gekommen;
Feins Liebchen, liebſt du mich?
Lieder.
I.
Morgens ſteh ich auf und frage:
Kommt feins Liebchen heut?
Abends ſink' ich hin und klage:
Ausblieb ſie auch heut.
In der Nacht mit meinem Kummer
Lieg ich ſchlaflos, wach;
Träumend, wie im halben Schlummer,
Wandle ich bei Tag.
II.
Es treibt mich hin, es treibt mich her!
Nach wenigen Stunden dann ſoll ich ſie ſchauen
Sie ſelber die Schönſte der ſchönen Jungfrauen;
Du treues Herz, was pochſt du ſchwer!
Die Stunden ſind aber ein faules Volk!
Schleppen ſich behaglich träge,
Schleichen gähnend ihre Wege;
Tummle dich, du faules Volk!
Tobende Eile mich treibend erfaß't!
Aber wohl niemals liebten die Horen;
Heimlich im grauſamen Bunde verſchworen,
Spotten ſie tückiſch der Liebenden Haſt.
III.
Ich wandelte unter den Bäumen
Mit meinem Gram allein;
Da kam das alte Träumen,
Und ſchlich mir in's Herz hinein.
Wer hat Euch dieß Wörtlein gelehret,
Ihr Vöglein in luftiger Höh?
Schweigt ſtill, wenn mein Herz es höret,
Dann thut es noch einmal ſo weh.
„Es kam ein Jungfräulein gegangen,
Die ſang es immerfort,
Da haben wir Vöglein gefangen
Das hübſche, goldne Wort.“
Das ſollt Ihr mir nicht mehr erzählen,
Ihr Vöglein wunderſchlau;
Ihr wollt meinen Kummer mir ſtehlen,
Ich aber Niemanden trau'.
IV.
Lieb Liebchen, leg's Händchen auf's Herze mein;
Ach, hörſt du, wie's pochet im Kämmerlein?
Da hauſet ein Zimmermann ſchlimm und arg,
Der zimmert mir einen Todtenſarg.
Es hämmert und klopfet bei Tag und bei Nacht;
Es hat mich ſchon längſt um den Schlaf gebracht.
Ach! ſputet Euch, Meiſter Zimmermann,
Damit ich balde ſchlafen kann.
V.
Schöne Wiege meiner Leiden,
Schönes Grabmal meiner Ruh,
Schöne Stadt, wir müſſen ſcheiden, —
Lebe wohl! ruf' ich dir zu.
Lebe wohl, du heilge Schwelle,
Wo da wandelt Liebchen traut:
Lebe wohl! du heilge Stelle,
Wo ich ſie zuerſt geſchaut.
Hätt' ich dich doch nie geſehen,
Schöne Herzenskönigin!
Nimmer wär es dann geſchehen,
Daß ich jetzt ſo elend bin.
Nie wollt' ich dein Herze rühren,
Liebe hab' ich nie erfleht;
Nur ein ſtilles Leben führen
Wollt' ich, wo dein Odem weht.
Doch du drängſt mich ſelbſt von hinnen,
Bittre Worte ſpricht dein Mund;
Wahnſinn wühlt in meinen Sinnen,
Und mein Herz iſt krank und wund.
Und die Glieder matt und träge
Schlepp' ich fort am Wanderſtab,
Bis mein müdes Haupt ich lege
Ferne in ein kühles Grab.
VI.
Warte, warte, wilder Schiffmann,
Gleich folg' ich zum Hafen dir;
Von zwei Jungfraun nehm' ich Abſchied,
Von Europa und von Ihr.
Blutquell, rinn' aus meinen Augen,
Blutquell, brich aus meinem Leib,
Daß ich mit dem heißen Blute
Meine Schmerzen niederſchreib'.
Ei, mein Lieb, warum juſt heute
Schauderſt du, mein Blut zu ſehn?
Sahſt mich bleich und herzeblutend
Lange Jahre vor dir ſtehn!
Kennſt du noch das alte Liedchen
Von der Schlang im Paradies,
Die durch ſchlimme Apfelgabe
Unſern Ahn in's Elend ſtieß?
Alles Unheil brachten Aepfel!
Eva bracht' damit den Tod,
Eris brachte Trojas Flammen,
Du bracht'ſt beides, Flamm' und Tod.
VII.
Berg' und Burgen ſchau'n herunter
In den ſpiegelhellen Rhein,
Und mein Schiffchen ſegelt munter,
Rings umglänzt von Sonnenſchein.
Ruhig ſeh' ich zu dem Spiele
Goldner Wellen, kraus bewegt;
Still erwachen die Gefühle,
Die ich tief im Buſen hegt'.
Freundlich grüßend und verheißend
Lockt hinab des Stromes Pracht;
Doch ich kenn' ihn, oben gleißend,
Bringt ſein Inn'res Tod und Nacht.
Oben Luſt, im Buſen Tücken,
Strom, du biſt der Liebſten Bild!
Die kann auch ſo freundlich nicken,
Lächelt auch ſo fromm und mild.
VIII.
Anfangs wollt ich faſt verzagen,
Und ich glaubt' ich trüg' es nie,
Und ich hab' es doch getragen, —
Aber fragt mich nur nicht, wie?
IX.
Mit Myrthen und Roſen, lieblich und hold,
Mit duft'gen Zypreſſen und Flittergold,
Möcht' ich zieren dieß Buch wie 'nen Todtenſchrein,
Und ſargen meine Lieder hinein.
O könnt' ich die Liebe ſargen hinzu!
Auf dem Grabe der Liebe wächſt Blümlein der Ruh,
Da blüht es hervor, da pflückt man es ab, —
Doch mir blüht's nur, wenn ich ſelber im Grab.
Hier ſind nun die Lieder, die einſt ſo wild,
Wie ein Lavaſtrom, der dem Aetna entquillt,
Hervorgeſtürzt aus dem tiefſten Gemüth,
Und rings viel blitzende Funken verſprüh't!
Nun liegen ſie ſtumm und todtengleich,
Nun ſtarren ſie kalt und nebelbleich.
Doch auf's neu' die alte Gluth ſie belebt,
Wenn der Liebe Geiſt einſt über ſie ſchwebt.
Und es wird mir im Herzen viel Ahnung laut:
Der Liebe Geiſt einſt über ſie thaut;
Einſt kommt dieß Buch in deine Hand,
Du ſüßes Lieb im fernen Land.
Dann löſt ſich des Liedes Zauberbann,
Die blaſſen Buchſtaben ſchaun dich an,
Sie ſchauen dir flehend in's ſchöne Aug',
Und flüſtern mit Wehmuth und Liebeshauch.
Romanzen.
I.
Der Traurige.
Allen thut es weh im Herzen,
Die den bleichen Knaben ſehn,
Dem die Leiden, dem die Schmerzen
Auf's Geſicht geſchrieben ſtehn.
Mitleidvolle Lüfte fächeln
Kühlung ſeiner heißen Stirn;
Labung möcht' ins Herz ihm lächeln
Manche ſonſt ſo ſpröde Dirn'.
Aus dem wilden Lärm der Städter
Flüchtet er ſich nach dem Wald.
Luſtig rauſchen dort die Blätter,
Luſt'ger Vogelſang erſchallt.
Doch der Sang verſtummet balde,
Traurig rauſchet Baum und Blatt,
Wenn der Traurige dem Walde
Langſam ſich genähert hat.
Il.
Die Bergſtimme.
Ein Reiter durch das Bergthal zieht,
Im traurig ſtillen Trab':
Ach! zieh' ich jetzt wohl in Liebchens Arm,
Oder zieh' ich in's dunkle Grab?
Die Bergſtimm Antwort gab:
In's dunkle Grab!
Und weiter reitet der Reitersmann,
Und ſeufzet ſchwer dazu:
So zieh' ich denn hin in's Grab ſo früh, —
Wohlan im Grab iſt Ruh.
Die Stimme ſprach dazu:
Im Grab iſt Ruh!
Dem Reitersmann eine Thräne rollt
Von der Wange bleich und kummervoll:
Und iſt nur im Grabe die Ruhe für mich, —
So iſt mir im Grabe wohl.
Die Stimm' erwiedert hohl:
Im Grabe wohl!
III.
Zwei Brüder.
Oben auf der Bergesſpitze
Liegt das Schloß in Nacht gehüllt;
Doch im Thale leuchten Blitze,
Helle Schwerter klirren wild.
Das ſind Brüder, die dort fechten
Grimmen Zweikampf, wuthentbrannt.
Sprich, warum die Brüder rechten
Mit dem Schwerte in der Hand?
Gräfin Laura's Augenfunken
Zündeten den Brüderſtreit;
Beide glühen liebestrunken
Für die adlig holde Maid.
Welchem aber von den beiden
Wendet ſich ihr Herze zu?
Kein Ergrübeln kann's entſcheiden, —
Schwert heraus, entſcheide du!
Und ſie fechten kühn verwegen,
Hieb auf Hiebe niederkracht's.
Hütet euch, Ihr wilden Degen,
Grauſig Blendwerk ſchleichet Nachts.
Wehe! Wehe! blut'ge Brüder!
Wehe! Wehe! blut'ges Thal!
Beide Kämpfer ſtürzen nieder,
Einer in des andern Stahl. —
Viel Jahrhunderte verwehen‚
Viel Geſchlechter deckt das Grab;
Traurig von des Berges Höhen
Schaut das öde Schloß herab.
Aber Nachts, im Thalesgrunde,
Wandelt's heimlich, wunderbar‚
Wenn da kommt die zwölfte Stunde,
Kämpfet dort das Brüderpaar.
IV.
Der arme Peter.
1.
Der Hans und die Grete tanzen herum,
Und jauchzen vor lauter Freude.
Der Peter ſteht ſo ſtill und ſtumm,
Und iſt ſo blaß wie Kreide.
Der Hans und die Grete ſind Bräut'gam und Braut,
Und blitzen im Hochzeitgeſchmeide.
Der arme Peter die Nägel kau't
Und geht im Werkeltagskleide.
Der Peter ſpricht leiſe vor ſich her,
Und ſchaut betrübet auf beide:
Ach! wenn ich nicht gar zu vernünftig wär',
Ich thät' mir was zu leide.
2.
„In meiner Bruſt, da ſitzt ein Weh,
Das will die Bruſt zerſprengen;
Und wo ich ſteh' und wo ich geh',
Will's mich von hinnen drängen.
Es treibt mich nach der Liebſten Näh',
Als könnt's die Grete heilen;
Doch wenn ich der in's Auge ſeh',
Muß ich von hinnen eilen.
Ich ſteig' hinauf des Berges Höh',
Dort iſt man doch alleine;
Und wenn ich ſtill dort oben ſteh',
Dann ſteh' ich ſtill und weine.“
3.
Der arme Peter wankt vorbei,
Gar langſam, leichenblaß und ſcheu.
Es bleiben faſt, wenn ſie ihn ſehn,
Die Leute auf der Straße ſtehn.
Die Mädchen flüſtern ſich in's Ohr:
„Der ſtieg wohl aus dem Grab' hervor.“
Ach nein, Ihr lieben Jungfräulein,
Der legt ſich erſt in's Grab hinein.
Er hat verloren ſeinen Schatz,
Drum iſt das Grab der beſte Platz
Wo er am beſten liegen mag,
Und ſchlafen bis zum jüngſten Tag.
V.
Lied des Gefangenen.
Als meine Großmutter die Liſe behext,
Da wollten die Leut ſie verbrennen.
Schon hatte der Amtmann viel Dinte verklext,
Doch wollte ſie nicht bekennen.
Und als man ſie in den Keſſel ſchob,
Da ſchrie ſie Mord und Wehe;
Und als ſich der ſchwarze Qualm erhob,
Da flog ſie als Rab' in die Höhe.
Mein ſchwarzes, gefiedertes Großmütterlein!
O komm' mich im Thurme beſuchen,
Komm'! fliege geſchwinde durch's Gitter herein,
Und bringe mir Käſe und Kuchen.
Mein ſchwarzes, gefiedertes Großmütterlein!
O möchteſt du nur ſorgen,
Daß die Muhme nicht auspickt die Augen mein,
Wenn ich luftig ſchwebe morgen.
VI.
Die Grenadiere.
Nach Frankreich zogen zwei Grenadier',
Die waren in Rußland gefangen.
Und als ſie kamen in's deutſche Quartier,
Sie ließen die Köpfe hangen.
Da hörten ſie beide die traurige Mähr:
Daß Frankreich verloren gegangen,
Beſiegt und zerſchlagen das tapfere Heer, —
Und der Kaiſer, der Kaiſer gefangen.
Da weinten zuſammen die Grenadier'
Wohl ob der kläglichen Kunde.
Der Eine ſprach: Wie weh wird mir,
Wie brennt meine alte Wunde.
Der Andre ſprach: das Lied iſt aus,
Auch ich möcht mit dir ſterben,
Doch hab' ich Weib und Kind zu Haus,
Die ohne mich verderben.
Was ſcheert mich Weib, was ſcheert mich Kind,
Ich trage weit beſſ'res Verlangen;
Laß ſie betteln gehn, wenn ſie hungrig ſind, —
Mein Kaiſer, mein Kaiſer gefangen!
Gewähr' mir Bruder eine Bitt':
Wenn ich jetzt ſterben werde,
So nimm meine Leiche nach Frankreich mit,
Begrab' mich in Frankreichs Erde.
Das Ehrenkreuz am rothen Band
Sollſt du auf's Herz mir legen;
Die Flinte gieb mir in die Hand,
Und gürt' mir um den Degen.
So will ich liegen und horchen ſtill,
Wie eine Schildwach, im Grabe,
Bis einſt ich höre Kanonengebrüll,
Und wiehernder Roſſe Getrabe.
Dann reitet mein Kaiſer wohl über mein Grab,
Viel Schwerter klirren und blitzen;
Dann ſteig' ich gewaffnet hervor aus dem Grab', —
Den Kaiſer, den Kaiſer zu ſchützen.
VII.
Die Botſchaft.
Mein Knecht! ſteh auf und ſattle ſchnell,
Und wirf dich auf dein Roß,
Und jage raſch, durch Wald und Feld,
Nach König Dunkans Schloß.
Dort ſchleiche in den Stall, und wart',
Bis dich der Stallbub ſchaut.
Den forſch' mir aus: Sprich, welche iſt
Von Dunkans Töchtern Braut?
Und ſpricht der Bub: „Die Braune iſt's“,
So bring mir ſchnell die Mähr.
Doch ſpricht der Bub: „Die Blonde iſt's“,
So eile nicht ſo ſehr.
Dann geh' zum Meiſter Seiler hin,
Und kauf' mir einen Strick,
Und reite langſam, ſprich kein Wort,
Und bring mir den zurück.
VIII.
Die Heimführung.
Ich geh' nicht allein, mein feines Lieb,
Du mußt mit mir wandern
Nach der lieben, alten, ſchaurigen Klauſe,
In dem trüben, kalten, traurigen Hauſe,
Wo meine Mutter am Eingang kau'rt,
Und auf des Sohnes Heimkehr lau'rt.
„Laß ab von mir, du finſtrer Mann!
Wer hat dich gerufen?
Dein Odem glüht, deine Hand iſt Eis,
Dein Auge ſprüht, deine Wang' iſt weiß;
Ich aber will mich luſtig freu'n
An Roſenduft und Sonnenſchein.“
Laß duften die Roſen, laß ſcheinen die Sonn',
Mein ſüßes Liebchen!
Hüll' ein dich im weiten, weißwallenden Schleier,
Spiel fein auf den Saiten der ſchallenden Leyer,
Und ſinge ein Hochzeitlied dabei;
Der Nachtwind pfeift die Melodei.
IX.
Don Ramiro.
„Donna Clara! Donna Clara!
Heißgeliebte langer Jahre,
Haſt beſchloſſen mein Verderben,
Haſt beſchloſſen ohn' Erbarmen.
Donna Clara! Donna Clara!
Iſt doch ſüß die Lebensgabe!
Aber unten iſt es grauſig,
In dem dunkeln, kalten Grabe.
Donna Clara! Freu' dich, morgen
Wird Fernando, am Altare,
Dich als Ehgemahl begrüßen.
Wirſt du mich zur Hochzeit laden?“
„Don Ramiro! Don Ramiro!
Deine Worte treffen bitter,
Bitt'rer als der Spruch der Sterne,
Die da ſpotten meines Willens.
Don Ramiro! Don Ramiro!
Rüttle ab den dumpfen Trübſinn;
Mädchen giebt es viel auf Erden,
Aber uns hat Gott geſchieden.
Don Ramiro! Ueberwinder
Vieler tauſend Mohrenritter!
Ueberwinde nun dich ſelber, —
Komm' auf meine Hochzeit, Lieber.“
„Donna Clara! Donna Clara!
Ja, ich ſchwör' es, ja ich komme!
Will mit dir den Reihen tanzen;
Gute Nacht, ich komme morgen.“
„Gute Nacht!“ — Das Fenſter klirrte.
Seufzend ſtand Ramiro unten,
Stand noch lange wie verſteinert;
Endlich ſchwand er fort im Dunkeln. —
Endlich auch nach langem Ringen,
Muß die Nacht dem Tage weichen;
Wie ein bunter Blumengarten
Liegt Toledo ausgebreitet.
Prachtgebäude und Paläſte
Schimmern hell im Glanz der Sonne;
Und der Kirchen hohe Kuppeln
Leuchten ſtattlich wie vergoldet.
Dumpfig und wie Bienenſummen
Klingt der Glocken Feſtgeläute,
Lieblich ſteigen Betgeſänge
Aus den frommen Gotteshäuſern.
Aber dorten, ſiehe! ſiehe!
Dorten aus der Marktkapelle
Strömt die bunte Volkesmenge,
Im Gewimmel und Gedränge.
Blanke Ritter, ſchmucke Frauen,
Hofgeſinde feſtlich blinkend,
Und die hellen Glocken läuten,
Und die Orgel rauſcht dazwiſchen.
Doch mit Ehrfurcht ausgewichen
Schreitet ſtolz das junge Ehpaar;
Donna Clara ſchwarz verſchleiert,
Don Fernando, waffenglänzend.
Tauſend Augen ſchaun nach ihnen,
Tauſend frohe Stimmen rufen:
Heil Kaſtiliens Mädchenſonne!
Heil Kaſtiliens Ritterblume!
Bis an Bräutigams Palaſtthor
Wälzet ſich das Volksgewühle;
Dort beginnt die Hochzeitfeier,
Prunkhaft und nach alter Sitte.
Ritterſpiel und frohe Tafel
Wechſeln unter lautem Jubel;
Rauſchend ſchnell entfliehn die Stunden
Bis die Nacht herabgeſunken.
Und zum Tanze ſich verſammeln
Dort im Saal die Hochzeitgäſte;
Alle funkeln buntbeleuchtet
Von dem Lichterheer der Kerzen.
Don Fernando ſtralt wie'n König
In dem güldnen Purpurmantel;
Clara wie die junge Roſe,
Blüht im weißen Brautgewande.
Auf erhobne Ehrenſitze
Rings von Dienerſchaft umwoget,
Ließen ſich die beiden nieder,
Und ſie tauſchten ſüße Worte.
Und im Saale brauſt es dumpfig,
Wie ein Meer von Sturm beweget!
Und die lauten Pauken wirbeln,
Und es ſchmettern die Trommeten.
„Doch warum, o ſchöne Herrin,
Sind gerichtet deine Blicke
Dorthin nach der Saalesecke?“
So verwundert ſprach der Ritter.
„Siehſt du denn nicht, Don Fernando,
Dort den Mann im ſchwarzen Mantel?“
Und der Ritter lächelt freundlich:
„Ach! das iſt ja nur ein Schatten.“
Doch es nähert ſich der Schatten,
Und es war ein Mann im Mantel;
Und Ramiro ſchnell erkennend,
Grüßt ihn Clara, gluthbefangen.
Und der Tanz hat ſchon begonnen,
Munter drehen ſich die Tänzer;
Und der Boden dröhnt und zittert
Von dem rauſchenden Getöſe.
„Wahrlich gerne, Don Ramiro,
Will ich dir zum Tanze folgen,
Doch im nächtlich ſchwarzen Mantel
Hätteſt du nicht kommen ſollen.“
Mit durchbohrend ſtieren Augen
Schaut Ramiro auf die Holde,
Sie umſchlingend ſpricht er düſter:
„Spracheſt ja ich ſollte kommen!“
Und in's wilde Tanzgetümmel
Drängen ſich die beiden Tänzer;
Und die lauten Pauken wirbeln,
Und es ſchmettern die Trommeten.
„Sind ja ſchneeweiß deine Wangen!“
Flüſtert Clara heimlich ſchauernd.
„Spracheſt ja ich ſollte kommen!“
Schallet dumpf Ramiros Stimme.
Und im Saal die Kerzen blinzeln
Durch das flutende Gedränge;
Und die lauten Pauken wirbeln,
Und es ſchmettern die Trommeten.
„Sind ja eiskalt deine Hände!“
Flüſtert Clara, ſchauerzuckend.
„Spracheſt ja ich ſollte kommen!“
Und ſie treiben fort im Strudel.
„Laß mich, laß mich! Don Ramiro!
Leichenduft iſt ja dein Odem!“
Wie als Echo ſchallen heiſer
Don Ramiros grauſe Worte.
Und der Boden raucht und glühet,
Luſtig fiedelen die Geiger;
Wie ein tolles Zauberweben,
Schwindelt alles im Gekreiſel.
„Laß mich, laß mich! Don Ramiro!“
Wimmert's immer im Gewoge.
Immer ſchnarret hohl die Antwort:
„Spracheſt ja ich ſollte [kommen]!“
„Nun ſo geh in Gottes Namen!“
Clara rief's mit feſter Stimme,
Und dies Wort war kaum entfahren,
Und verſchwunden war Ramiro.
Clara ſtarret, Tod im Antlitz,
Kaltumflirret, nachtumwoben;
Ohnmacht hat das lichte Bildniß
In ihr dunkles Reich gezogen.
Endlich weicht der Nebelſchlummer,
Endlich ſchlägt ſie auf die Wimper;
Aber Staunen will auf's neue
Ihre holden Augen ſchließen.
Denn derweil der Tanz begonnen
War ſie nicht vom Sitz gewichen,
Und ſie ſitzt noch bei dem Bräut'gam;
Und der Ritter ſorgſam bittet:
„Sprich, was bleichen deine Wangen?
Sprich, was wird dein Aug ſo dunkel? — “
„Und Ramiro? — — —“ ſchaudert Clara,
Und Entſetzen lähmt die Zunge.
Doch mit tiefen, ernſten Falten
Furch't ſich jetzt des Bräut'gams Stirne:
„Herrin, forſch' nicht blut'ge Kunde, —
Heute Mittag ſtarb Ramiro.“
X.
Belſatzar.
Die Mitternacht zog näher ſchon;
In ſtummer Ruh lag Babylon.
Nur oben, in des Königs Schloß,
Da flackert's, da lärmt des Königs Troß,
Dort oben, in dem Königsſaal,
Belſatzar hielt ſein Königsmahl.
Die Knechte ſaßen in ſchimmernden Reih'n,
Und leerten die Becher mit funkelndem Wein.
Es klirrten die Becher, es jauchzten die Knecht';
So klang es dem ſtörrigen Könige recht.
Des Königs Wangen leuchten Glut;
Im Wein erwuchs ihm kecker Muth.
Und blindlings reißt der Muth ihn fort;
Und er läſtert die Gottheit mit ſündigem Wort.
Und er brüſtet ſich frech, und läſtert wild;
Die Knechtenſchaar ihm Beifall brüllt.
Der König rief mit ſtolzem Blick;
Der Diener eilt und kehrt zurück.
Er trug viel gülden Geräth auf dem Haupt;
Das war aus dem Tempel Jehovas geraubt.
Und der König ergriff mit frevler Hand
Einen heiligen Becher, gefüllt bis am Rand'.
Und er leert ihn haſtig bis auf den Grund,
Und rufet laut mit ſchäumendem Mund:
Jehovah! dir künd' ich auf ewig Hohn, —
Ich bin der König von Babylon!
Doch kaum das grauſe Wort verklang,
Dem König ward's heimlich im Buſen bang.
Das gellende Lachen verſtummte zumal;
Es wurde leichenſtill im Saal.
Und ſieh! und ſieh! an weißer Wand
Da kam's hervor wie Menſchenhand;
Und ſchrieb, und ſchrieb an weißer Wand
Buchſtaben von Feuer, und ſchrieb und ſchwand.
Der König ſtieren Blicks da ſaß,
Mit ſchlotternden Knien und todtenblaß.
Die Knechtenſchaar ſaß kalt durchgraut,
Und ſaß gar ſtill, gab keinen Laut.
Die Magier kamen, doch keiner verſtand
Zu deuten die Flammenſchrift an der Wand.
Belſatzar ward aber in ſelbiger Nacht
Von ſeinen Knechten umgebracht.
XI.
Die Minneſänger.
Zu dem Wettgeſange ſchreiten
Minneſänger jetzt herbei;
Ei, das giebt ein ſeltſam Streiten,
Ein gar ſeltſames Turnei!
Phantaſie, die ſchäumend wilde,
Iſt des Minneſängers Pferd,
Und die Kunſt dient ihm zum Schilde,
Und das Wort, das iſt ſein Schwert.
Hübſche Damen ſchauen munter
Vom beteppichten Balkon',
Doch die rechte iſt nicht drunter
Mit des Sieges Myrthenkron'.
Andre Leute, wenn ſie ſpringen
In die Schranken, ſind geſund;
Aber Minneſänger bringen
Dort ſchon mit die Todeswund'.
Und wem dort am beſten dringen
Liedes Blutſtröm' aus der Bruſt,
Der wird's beſte Lob erringen,
Und ſein Weh giebt Andern Luſt.
XII.
Die Fenſterſchau.
Der bleiche Heinrich ging vorbei,
Schön Hedwig lag am Fenſter.
Sie ſprach halblaut: Gott ſteh mir bei,
Der unten ſchaut bleich wie Geſpenſter!
Der unten erhub ſein Aug in die Höh',
Hinſchmachtend nach Hedewigs Fenſter.
Schön Hedwig ergriff es wie Liebesweh,
Auch ſie ward bleich wie Geſpenſter.
Schön Hedwig ſtand nun mit Liebesharm
Alltäglich lauernd am Fenſter.
Bald aber lag ſie in Heinrichs Arm,
Allnächtlich zur Zeit der Geſpenſter.
XIII.
Der wunde Ritter.
Ich weiß eine alte Kunde,
Die hallet dumpf und trüb';
Ein Ritter lag liebeswunde,
Doch treulos iſt ſein Lieb.
Als treulos muß er verachten
Die eigne Herzliebſte ſein,
Als ſchimpflich muß er betrachten
Die eigne Liebespein.
Er möcht' in die Schranken reiten,
Und rufen die Ritter zum Streit:
Der mag ſich zum Kampfe bereiten,
Wer mein Lieb eines Makels zeih't!
Da würden wohl Alle ſchweigen,
Nur nicht ſein eigener Schmerz;
Da müßt' er die Lanze neigen
Wider's eigne klagende Herz.
XIV.
Waſſerfahrt.
Ich ſtand gelehnet an den Maſt,
Und zählte jede Welle.
Ade! mein ſchönes Vaterland
Mein Schiff, das ſegelt ſchnelle!
Ich kam ſchön Liebchens Haus vorbei,
Die Fenſterſcheiben blinken;
Ich guck' mir faſt die Augen aus,
Doch will mir niemand winken.
Ihr Thränen, bleibt mir aus dem Aug',
Daß ich nicht dunkel ſehe.
Mein krankes Herze, brich mir nicht
Vor allzugroßem Wehe.
XV.
Das Liedchen von der Reue.
Herr Ulrich reitet im grünen Wald,
Die Blätter luſtig rauſchen.
Er ſieht eine holde Mädchengeſtalt
Durch Baumeszweige lauſchen.
Der Junker ſpricht: Wohl kenne ich
Dies blühende, glühende Bildniß,
Verlockend ſtets umſchwebt es mich
In Volksgewühl und Wildniß.
Zwei Röslein ſind die Lippen dort,
Die lieblichen, die friſchen;
Doch manches häßlich bitt're Wort
Schleicht tückiſch oft dazwiſchen.
Drum gleicht dies Mündlein gar genau
Den hübſchen Roſenbüſchen,
Wo gift'ge Schlangen wunderſchlau
Im dunkeln Laube ziſchen.
Dort jenes Grübchen wunderlieb
In wunderlieben Wangen,
Das iſt die Grube, worein mich trieb
Wahnſinniges Verlangen.
Dort ſeh' ich ein ſchönes Lockenhaar
Vom ſchönſten Köpfchen hangen;
Das ſind die Netze wunderbar,
Womit mich der Böſe gefangen.
Und jenes blaue Auge dort,
So klar, wie ſtille Welle,
Das hielt ich für des Himmels Pfort',
Doch war's die Pforte der Hölle. —
Herr Ulrich reitet weiter im Wald,
Die Blätter rauſchen ſchaurig.
Da ſieht er von fern eine zweite Geſtalt,
Die iſt ſo bleich, ſo traurig.
Der Junker ſpricht: O Mutter dort,
Die mich ſo mütterlich liebte,
Der ich mit böſem Thun und Wort
Das Leben bitterlich trübte!
O, könnt ich dir trocknen die Augen naß,
Mit der Gluth von meinen Schmerzen!
O, könnt ich dir röthen die Wangen blaß
Mit dem Blut aus meinem Herzen!
Und weiter reitet Herr Ulerich,
Im Wald beginnt es zu düſtern,
Viel ſeltſame Stimmen regen ſich,
Die Abendwinde flüſtern.
Der Junker hört die Worte ſein
Gar vielfach wiederklingen.
Das thaten die ſpöttiſchen Waldvöglein,
Die zwitſchern laut und ſingen:
Herr Ulrich ſingt ein hübſches Lied,
Das Liedchen von der Reue,
Und hat er zu Ende geſungen das Lied,
So ſingt er es wieder auf's Neue.
XVI.
An eine Sängerin.
Als ſie eine alte Romanze ſang.
Ich denke noch der Zaubervollen,
Wie ſie zuerſt mein Auge ſah!
Wie ihre Töne lieblich klangen,
Und heimlich ſüß in's Herze drangen,
Entrollten Thränen meinen Wangen, —
Ich wußte nicht wie mir geſchah.
Ein Traum war über mich gekommen:
Als ſey ich noch ein frommes Kind,
Und ſäße ſtill, beim Lämpchenſcheine,
In Mutters warmem Kämmerleine,
Und läſe Mährchen wunderfeine,
Derweilen draußen Nacht und Wind.
Die Mährchen fangen an zu leben,
Die Ritter ſteigen aus der Gruft;
Bei Ronzisvall da giebt's ein Streiten,
Da kommt Herr Roland herzureiten,
Viel kühne Degen ihn begleiten,
Auch leider Ganelon, der Schuft.
Durch den wird Roland ſchlimm gebettet;
Er ſchwimmt in Blut, und athmet kaum;
Kaum mochte fern ſein Jagdhornzeichen
Das Ohr des großen Carls erreichen, —
Da muß der Ritter ſchon erbleichen, —
Und mit ihm ſtirbt zugleich mein Traum.
Das war ein laut verworr'nes Schallen,
Das mich aus meinem Träumen rief.
Verklungen war jetzt die Legende,
Die Leute ſchlugen in die Hände,
Und riefen „Bravo“ ohne Ende;
Die Sängerin verneigt ſich tief.
XVII.
Das Lied von den Dukaten.
Meine güldenen Dukaten,
Sagt wo ſeyd Ihr hingerathen?
Seyd Ihr bei den güldnen Fiſchlein,
Die im Bache froh und munter
Tauchen auf und tauchen unter?
Seyd Ihr bei den güldnen Blümlein,
Die auf lieblich grüner Aue
Funkeln hell vom Morgenthaue?
Seyd Ihr bei den güldnen Vöglein,
Die da ſchweifen glanzumwoben
In den blauen Lüften oben?
Seyd Ihr bei den güldnen Sternlein,
Die im leuchtenden Gewimmel
Lächeln jede Nacht am Himmel?
Ach! Ihr güldenen Dukaten
Schwimmt nicht in des Baches Well',
Funkelt nicht auf grüner Au',
Schwebet nicht in Lüften blau,
Lächelt nicht am Himmel hell, —
Meine Manichäer, traun!
Halten Euch in ihren Klau'n.
XVIII.
Geſpräch auf der Paderborner Haide.
Hörſt du nicht die fernen Töne,
Wie von Brummbaß und von Geigen?
Dorten tanzt wohl manche Schöne
Den geflügelt leichten Reigen.
„Ei, mein Freund, das nenn' ich irren,
Von den Geigen hör' ich keine,
Nur die Ferklein hör' ich quirren,
Grunzen nur hör' ich die Schweine.“
Hörſt du nicht das Waldhorn blaſen?
Jäger ſich des Waidwerks freuen;
Fromme Lämmer ſeh ich graſen,
Schäfer ſpielen auf Schallmeien.
„Ei, mein Freund, was du vernommen
Iſt kein Waldhorn, noch Schallmeie;
Nur den Sauhirt ſeh' ich kommen,
Heimwärts treibt er ſeine Säue.“
Hörſt du nicht das ferne Singen,
Wie von ſüßen Wettgeſängen?
Englein ſchlagen mit den Schwingen
Lauten Beifall ſolchen Klängen.
„Ei, was dort ſo hübſch geklungen,
Iſt kein Wettgeſang, mein Lieber!
Singend treiben Gänſejungen
Ihre Gänſelein vorüber.“
Hörſt du nicht die Glocken läuten,
Wunderlieblich, wunderhelle?
Fromme Kirchengänger ſchreiten
Andachtsvoll zur Dorfkapelle.
„Ei, mein Freund, das ſind die Schellen
Von den Ochſen, von den Kühen,
Die nach ihren dunkeln Ställen
Mit geſenktem Kopfe ziehen.“
Siehſt du nicht den Schleier wehen?
Siehſt du nicht das leiſe Nicken?
Dort ſeh' ich die Liebſte ſtehen,
Feuchte Wehmuth in den Blicken.
„Ei! mein Freund, dort ſeh' ich nicken
Nur das Waldweib, nur die Liſe;
Blaß und hager an den Krücken
Hinkt ſie weiter nach der Wieſe.“
Nun, mein Freund, ſo magſt du lachen
Ueber des Phantaſten Frage;
Kannſt doch nicht zur Täuſchung machen,
Was ich feſt im Buſen trage.
XIX.
Lebensgruß.
(Stammbuchblatt.)
Eine große Landſtraß' iſt unſre Erd',
Wir Menſchen ſind Paſſagiere;
Man rennet und jaget, zu Fuß und zu Pferd,
Wie Läufer oder Couriere.
Man fährt ſich vorüber, man nicket, man grüßt
Mit dem Taſchentuch' aus der Caroſſe;
Man hätte ſich gerne geherzt und geküßt, —
Doch jagen von hinnen die Roſſe.
Kaum trafen wir uns auf derſelben Station,
Herzliebſter Prinz Alexander,
Da bläſt ſchon zur Abfahrt der Poſtillon
Und bläſt uns ſchon auseinander.
XX.
Wahrhaftig.
Wenn der Frühling kommt mit dem Sonnenſchein,
Dann knospen und blühen die Blümlein auf;
Wenn der Mond beginnt ſeinen Stralenlauf,
Dann ſchwimmen die Sternlein hintendrein;
Wenn der Sänger zwei ſüße Aeuglein ſieht,
Dann quellen ihm Lieder aus tiefem Gemüth; —
Doch Lieder und Sterne und Blümelein,
Und Aeuglein und Mondglanz und Sonnenſchein,
Wie ſehr das Zeug auch gefällt,
So macht's doch noch lang keine Welt.
Sonette.
An A. W. v. Schlegel.
Im Reifrockputz, mit Blumen reich verzieret,
Schönpfläſterchen auf den geſchminkten Wangen,
Mit Schnabelſchuh'n, mit Stickerei'n behangen,
Mit Thurmfriſur, und wespengleich geſchnüret;
So war die Aftermuſe ausſtaffiret,
Als ſie einſt kam, dich liebend zu umfangen.
Du biſt ihr aber aus dem Weg gegangen,
Und irrteſt fort von dunkelm Trieb geführet.
Da fandeſt du ein Schloß in alter Wildniß,
Und drinnen lag, wie'n holdes Marmorbildniß,
Die ſchönſte Maid in Zauberſchlaf verſunken.
Doch wich der Zauber bald, bei deinem Gruße
Aufwachte lächelnd Deutſchlands ächte Muſe,
Und ſank in deine Arme liebestrunken.
An meine Mutter, B. Heine,
geborne v. Geldern.
I.
Ich bin's gewohnt den Kopf recht hoch zu tragen,
Mein Sinn iſt auch ein bischen ſtarr und zähe;
Wenn ſelbſt der König mir in's Antlitz ſähe,
Ich würde nicht die Augen niederſchlagen.
Doch, liebe Mutter, offen will ich's ſagen:
Wie mächtig auch mein ſtolzer Muth ſich blähe,
In deiner ſelig ſüßen, trauten Nähe
Ergreift mich oft ein demuthvolles Zagen.
Iſt es dein Geiſt, der heimlich mich bezwinget,
Dein hoher Geiſt, der Alles kühn durchdringet,
Und blitzend ſich zum Himmelslichte ſchwinget?
Quält mich Erinnerung, daß ich verübet
So manche That, die dir das Herz betrübet,
Das ſchöne Herz, das mich ſo ſehr geliebet?
II.
Im tollen Wahn hatt' ich dich einſt verlaſſen,
Ich wollte gehn die ganze Welt zu Ende,
Und wollte ſehn ob ich die Liebe fände,
Um liebevoll die Liebe zu umfaſſen.
Die Liebe ſuchte ich auf allen Gaſſen,
Vor jeder Thüre ſtreckt' ich aus die Hände,
Und bettelte um gringe Liebesſpende, —
Doch lachend gab man mir nur kaltes Haſſen.
Und immer irrte ich nach Liebe, immer
Nach Liebe, doch die Liebe fand ich nimmer,
Und kehrte um nach Hauſe, krank und trübe.
Doch da biſt du entgegen mir gekommen,
Und ach! was da in deinem Aug' geſchwommen,
Das war die ſüße, langgeſuchte Liebe.
An H. S.
Wie ich dein Büchlein haſtig aufgeſchlagen,
Da grüßen mir entgegen viel vertraute,
Viel goldne Bilder, die ich weiland ſchaute
Im Knabentraum und in den Kindertagen.
Ich ſehe wieder ſtolz gen Himmel ragen
Den frommen Dom, den deutſcher Glaube baute,
Ich hör' der Glocken und der Orgel Laute,
Dazwiſchen klingt's wie ſüße Liebesklagen.
Wohl ſeh' ich auch wie ſie den Dom umklettern,
Die flinken Zwerglein, die ſich dort erfrechen
Das hübſche Blum- und Schnitzwerk abzubrechen.
Doch mag man immerhin die Eich' entblättern.
Und ſie des grünen Schmuckes rings berauben, —
Kommt neuer Lenz, wird ſie ſich neu belauben.
Fresko-Sonette an Chriſtian S.
I.
Ich tanz' nicht mit, ich räuchre nicht den Klötzen,
Die außen goldig ſind, inwendig Sand,
Ich ſchlag' nicht ein, reicht mir ein Bub die Hand,
Der heimlich mir den Namen will zerfetzen.
Ich beug' mich nicht vor jenen hübſchen Metzen,
Die ſchamlos prunken mit der eignen Schand,
Ich zieh' nicht mit, wenn ſich der Pöbel ſpannt
Vor'n Siegeswagen ſeiner eiteln Götzen.
Ich weiß es wohl, die Eiche muß erliegen,
Derweil das Rohr am Bach, durch ſchwankes Biegen,
In Wind und Wetter ſtehn bleibt, nach wie vor.
Doch ſprich, wie weit bringt's wohl am End' ſolch Rohr?
Welch Glück! als ein Spazierſtock dient's dem Stutzer,
Als Kleiderklopfer dient's dem Stiefelputzer.
II.
Gieb her die Larv', ich will mich jetzt maskieren
In einen Lumpenkerl, damit Halunken,
Die prächtig in Charaktermasken prunken,
Nicht wähnen Ich ſey einer von den Ihren.
Gieb her gemeine Worte und Manieren,
Ich zeige mich in Pöbelart verſunken,
Verläugne all die ſchönen Geiſtesfunken,
Womit jetzt fade Schlingel kokettiren.
So tanz' ich auf dem großen Maskenballe,
Umſchwärmt von deutſchen Rittern, Mönchen, Kön'gen,
Von Harlekin gegrüßt, erkannt von wen'gen.
Mit ihrem Holzſchwert prügeln ſie mich alle.
Das iſt der Spaß. Denn wollt' ich mich entmummen,
So müßte all das Galgenpack verſtummen.
III.
Ich lache ob den abgeſchmackten Laffen,
Die mich anglotzen mit den Bocksgeſichtern;
Ich lache ob den Füchſen, die ſo nüchtern
Und hämiſch mich beſchnüffeln und begaffen.
Ich lache ob den hochgelahrten Affen,
Die ſich aufblähn zu ſtolzen Geiſtesrichtern;
Ich lache ob den feigen Böſewichtern,
Die mich umdrohn mit giftgetränkten Waffen.
Denn wenn des Glückes hübſche ſieben Sachen
Uns von des Schickſals Händen ſind zerbrochen,
Und ſo zu unſern Füßen hingeſchmiſſen;
Und wenn das Herz im Leibe iſt zerriſſen,
Zerriſſen, und zerſchnitten, und zerſtochen, —
Dann bleibt uns doch das ſchöne gelle Lachen.
IV.
Im Hirn ſpukt mir ein Mährchen wunderfein,
Und in dem Mährchen klingt ein feines Lied,
Und in dem Liede lebt und webt und blüht
Ein wunderſchönes, zartes Mägdelein.
Und in dem Mägdlein wohnt ein Herzchen klein,
Doch in dem Herzchen keine Liebe glüht;
In dieſes lieblos froſtige Gemüth
Kam Hochmuth nur und Uebermuth hinein.
Hörſt du wie mir im Kopf' das Mährchen klinget?
Und wie das Liedchen ſummet ernſt und ſchaurig?
Und wie das Mägdlein kichert leiſe, leiſe?
Ich fürchte nur, daß mir der Kopf zerſpringet:
Und, ach! da wär's doch gar entſetzlich traurig,
Käm' der Verſtand mir aus dem alten Gleiſe.
V.
In ſtiller, wehmuthweicher Abendſtunde,
Umklingen mich die längſt verſcholl'nen Lieder,
Und Thränen rollen von der Wange nieder,
Und Blut entquillt der alten Herzenswunde.
Und wie in eines Zauberſpiegels Grunde
Seh' ich das Bildniß meiner Liebſten wieder;
Sie ſitzt am Arbeitstiſch', im rothen Mieder,
Und Stille herrſcht in ihrer heilgen Runde.
Doch plötzlich ſpringt ſie auf vom Stuhl und ſchneidet
Von ihrem Haupt die ſchönſte aller Locken,
Und gibt ſie mir, — vor Freud bin ich erſchrocken
Mephiſto hat die Freude mir verleidet.
Er ſpann ein feſtes Seil von jenen Haaren,
Und ſchleift mich dran herum ſeit vielen Jahren.
VI.
„Du gabſt, als ich vor'm Jahr dich wiederblickte,
Mir keinen Kuß in jener Willkommſtund'.“
So ſprach ich, und der Liebſten rother Mund
Den ſchönſten Kuß auf meine Lippen drückte.
Und lächelnd ſüß ein Myrthenreis ſie pflückte
Vom Myrthenſtrauche, der am Fenſter ſtund:
„Nimm hin, und pflanz' dies Reis in friſchen Grund,
Und ſtell' ein Glas darauf,“ ſprach ſie und nickte. —
Schon lang iſt's her. Es ſtarb das Reis im Topf'.
Sie ſelbſt hab' ich ſeit Jahren nicht geſehn;
Doch brennt der Kuß mir immer noch im Kopf'.
Und aus der Ferne trieb's mich jüngſt zum Ort,
Wo Liebchen wohnt. Vor'm Hauſe blieb ich ſtehn
Die ganze Nacht, ging erſt am Morgen fort.
VII.
Hüt' dich, mein Freund, vor grimmen Teufelsfratzen,
Doch ſchlimmer ſind die ſanften Engelsfrätzchen.
Ein ſolches bot mir einſt ein ſüßes Schmätzchen,
Doch wie ich kam, da fühlt' ich ſcharfe Tatzen.
Hüt' dich, mein Freund, vor ſchwarzen, alten Katzen,
Doch ſchlimmer ſind die weißen, jungen Kätzchen.
Ein ſolches macht' ich einſt zu meinem Schätzchen,
Doch thät mein Schätzchen mir das Herz zerkratzen.
O ſüßes Frätzchen, wunderſüßes Mädchen!
Wie konnte mich dein klares Aeuglein täuſchen?
Wie konnt' dein Pfötchen mir das Herz zerfleiſchen?
O meines Kätzchens wunderzartes Pfötchen!
Könnt' ich dich an die glüh'nden Lippen preſſen,
Und könnt' mein Herz verbluten unterdeſſen!
VIII.
Du ſah'ſt mich oft im Kampf mit jenen Schlingeln,
Geſchminkten Katzen und gebrillten Pudeln,
Die mir den blanken Namen gern beſudeln,
Und mich ſo gerne in's Verderben züngeln.
Du ſaheſt oft, wie mich Pedanten hudeln,
Wie Schellenkappenträger mich umklingeln,
Wie gift'ge Schlangen um mein Herz ſich ringeln;
Du ſahſt mein Blut aus tauſend Wunden ſprudeln.
Du aber ſtandeſt feſt gleich einem Thurme;
Ein Leuchtthurm war dein Kopf mir in dem Sturme,
Dein treues Herz war mir ein guter Hafen.
Wohl wogt um jenen Hafen wilde Brandung,
Nur wen'ge Schiff' erringen dort die Landung,
Doch iſt man dort, ſo kann man ſicher ſchlafen.
IX.
Ich möchte weinen, doch ich kann es nicht;
Ich möcht' mich rüſtig in die Höhe heben,
Doch kann ich's nicht; am Boden muß ich kleben,
Umkrächzt, umziſcht von ekelm Wurmgezücht.
Ich möchte gern mein heitres Lebenslicht,
Mein ſchönes Lieb, allüberall umſchweben,
In ihrem ſelig ſüßen Hauche leben, —
Doch kann ich's nicht, mein krankes Herze bricht.
Aus dem gebrochnen Herzen fühl' ich fließen
Mein heißes Blut, ich fühle mich ermatten,
Und vor den Augen wird's mir trüb und trüber.
Und heimlich ſchauernd ſehn' ich mich hinüber
Nach jenem Nebelreich, wo ſtille Schatten
Mit weichen Armen liebend mich umſchließen.
Lyriſches Intermezzo.
1822 — 1823.
7 *[[106]][[107]]
Salomon Heine
empfange dieſe Blätter auf's neue als ein Zeichen
der Verehrung und Zuneigung
des Verfaſſers.
Prolog.
Es war mal ein Ritter, trübſelig und ſtumm,
Mit hohlen, ſchneeweißen Wangen;
Er ſchwankte und ſchlenderte ſchlotternd herum,
In dumpfen Träumen befangen.
Er war ſo hölzern, ſo täppiſch, ſo links,
Die Blümlein und Mägdlein, die kicherten rings,
Wenn er ſtolpernd vorbeigegangen.
Oft ſaß er im finſterſten Winkel zu Haus;
Er hatt' ſich vor Menſchen verkrochen.
Da ſtreckte er ſehnend die Arme aus,
Doch hat er kein Wörtlein geſprochen.
Kam aber die Mitternachtſtunde heran,
Ein ſeltſames Singen und Klingen begann.
An die Thüre da hört er es pochen.
Da kommt ſeine Liebſte geſchlichen herein,
Im rauſchenden Wellenſchaumkleide.
Sie blüht und glüht, wie ein Röſelein,
Ihr Schleier iſt eitel Geſchmeide.
Goldlocken umſpielen die ſchlanke Geſtalt,
Die Aeugelein grüßen mit ſüßer Gewalt —
In die Arme ſinken ſich beide.
Der Ritter umſchlingt ſie mit Liebesmacht,
Der Hölzerne ſteht jetzt in Feuer,
Der Blaſſe erröthet, der Träumer erwacht,
Der Blöde wird freier und freier.
Sie aber, ſie hat ihn gar ſchalkhaft geneckt,
Sie hat ihm ganz leiſe den Kopf bedeckt
Mit dem weißen, demantenen Schleier.
In einen kriſtallenen Waſſerpalaſt
Iſt plötzlich gezaubert der Ritter.
Er ſtaunt, und die Augen erblinden ihm faſt,
Vor alle dem Glanz und Geflitter.
Doch hält ihn die Nixe umarmet gar traut,
Der Ritter iſt Bräut'gam, die Nixe iſt Braut,
Ihre Jungfraun ſpielen die Zither.
Sie ſpielen und ſingen; es tanzen herein
Viel winzige Mädchen und Bübchen.
Der Ritter, der will ſich zu Tode freu'n,
Und feſter umſchlingt er ſein Liebchen —
Da löſchen auf einmal die Lichter aus,
Der Ritter ſitzt wieder ganz einſam zu Haus,
In dem duſtern Poetenſtübchen.
l.
Im wunderſchönen Monat Mai,
Als alle Knospen ſprangen,
Da iſt in meinem Herzen
Die Liebe aufgegangen.
Im wunderſchönen Monat Mai,
Als alle Vögel ſangen,
Da hab ich ihr geſtanden
Mein Sehnen und Verlangen.
II.
Aus meinen Thränen ſprießen
Viel blühende Blumen hervor,
Und meine Seufzer werden
Ein Nachtigallenchor.
Und wenn du mich lieb haſt, Kindchen,
Schenk' ich dir die Blumen all',
Und vor deinem Fenſter ſoll klingen
Das Lied der Nachtigall.
III.
Die Roſe, die Lilie, die Taube, die Sonne,
Die liebt' ich einſt alle in Liebeswonne.
Ich lieb' ſie nicht mehr, ich liebe alleine
Die Kleine, die Feine, die Reine, die Eine;
Sie ſelber, aller Liebe Bronne,
Iſt Roſe und Lilie und Taube und Sonne.
IV.
Wenn ich in deine Augen ſeh',
So ſchwindet all mein Leid und Weh;
Doch wenn ich küſſe deinen Mund,
So werd' ich ganz und gar geſund.
Wenn ich mich lehn' an deine Bruſt,
Kommt's über mich wie Himmelsluſt;
Doch wenn du ſprichſt: ich liebe dich!
So muß ich weinen bitterlich.
V.
Dein Angeſicht ſo lieb und ſchön,
Das hab' ich jüngſt im Traum geſehn;
Es iſt ſo mild und engelgleich,
Und doch ſo bleich, ſo ſchmerzenbleich.
Und nur die Lippen, die ſind roth;
Bald aber küßt ſie bleich der Tod.
Erlöſchen wird das Himmelslicht,
Das aus den frommen Augen bricht.
VI.
Lehn' deine Wang' an meine Wang',
Dann fließen die Thränen zuſammen;
Und an mein Herz drück' feſt dein Herz,
Dann ſchlagen zuſammen die Flammen!
Und wenn in die große Flamme fließt
Der Strom von unſern Thränen,
Und wenn dich mein Arm gewaltig umſchließt —
Sterb' ich vor Liebesſehnen!
VIl.
Ich will meine Seele tauchen
In den Kelch der Lilie hinein;
Die Lilie ſoll klingend hauchen
Ein Lied von der Liebſten mein.
Das Lied ſoll ſchauern und beben,
Wie der Kuß von ihrem Mund',
Den ſie mir einſt gegeben
In wunderbar ſüßer Stund'.
VIII.
Es ſtehen unbeweglich
Die Sterne in der Höh',
Viel tauſend Jahr', und ſchauen
Sich an mit Liebesweh.
Sie ſprechen eine Sprache,
Die iſt ſo reich, ſo ſchön;
Doch keiner der Philologen
Kann dieſe Sprache verſtehn.
Ich aber hab' ſie gelernet,
Und ich vergeſſe ſie nicht;
Mir diente als Grammatik
Der Herzallerliebſten Geſicht.
IX.
Auf Flügeln des Geſanges,
Herzliebchen trag' ich dich fort,
Fort nach den Fluren des Ganges,
Dort weiß ich den ſchönſten Ort.
Dort liegt ein rothblühender Garten
Im ſtillen Mondenſchein;
Die Lotosblumen erwarten
Ihr trautes Schweſterlein.
Die Veilchen kichern und koſen,
Und ſchau'n nach den Sternen empor;
Heimlich erzählen die Roſen
Sich duftende Mährchen in's Ohr.
Es hüpfen herbei und lauſchen
Die frommen, klugen Gazell'n;
Und in der Ferne rauſchen
Des heiligen Stromes Well'n.
Dort wollen wir niederſinken
Unter dem Palmenbaum,
Und Liebe und Ruhe trinken,
Und träumen ſeligen Traum.
X.
Die Lotosblume ängſtigt
Sich vor der Sonne Pracht,
Und mit geſenktem Haupte
Erwartet ſie träumend die Nacht.
Der Mond, der iſt ihr Buhle.
Er weckt ſie mit ſeinem Licht',
Und ihm entſchleiert ſie freundlich
Ihr frommes Blumengeſicht.
Sie blüht und glüht und leuchtet,
Und ſtarret ſtumm in die Höh';
Sie duftet und weinet und zittert
Vor Liebe und Liebesweh'.
XI.
Im Rhein, im heiligen Strome,
Da ſpiegelt ſich in den Well'n,
Mit ſeinem großen Dome,
Das große, heilige Cöln.
Im Dom da ſteht ein Bildniß,
Auf goldenem Leder gemalt;
In meines Lebens Wildniß
Hat's freundlich hineingeſtrahlt.
Es ſchweben Blumen und Englein
Um unſre liebe Frau;
Die Augen, die Lippen, die Wänglein,
Die gleichen der Liebſten genau.
XII.
Du liebſt mich nicht, du liebſt mich nicht,
Das kümmert mich gar wenig;
Schau' ich dir nur in's Angeſicht,
So bin ich froh wie'n König.
Du haſſeſt, haſſeſt mich ſogar,
So ſpricht dein rothes Mündchen;
Reich' mir es nur zum Küſſen dar,
So tröſt' ich mich, mein Kindchen.
XIII.
O ſchwöre nicht und küſſe nur,
Ich glaube keinem Weiberſchwur!
Dein Wort iſt ſüß, doch ſüßer iſt
Der Kuß, den ich dir abgeküßt;
Den hab' ich, und dran glaub' ich auch,
Das Wort iſt eitel Dunſt und Hauch.
O ſchwöre, Liebchen, immerfort,
Ich glaube dir auf's bloße Wort!
An deinen Buſen ſink' ich hin,
Und glaube, daß ich ſelig bin;
Ich glaube, Liebchen, ewiglich,
Und noch viel länger, liebſt du mich.
XIV.
Auf meiner Herzliebſten Aeugelein
Mach' ich die ſchönſten Canzonen.
Auf meiner Herzliebſten Mündchen klein
Mach' ich die beſten Terzinen.
Auf meiner Herzliebſten Wängelein
Mach' ich die herrlichſten Stanzen.
Und wenn meine Liebſte ein Herzchen hätt',
So wollt' ich drauf machen ein hübſches Sonett.
XV.
Die Welt iſt dumm, die Welt iſt blind,
Wird täglich abgeſchmackter;
Sie ſpricht von dir, mein ſchönes Kind,
Du haſt keinen guten Charakter.
Die Welt iſt dumm, die Welt iſt blind,
Und dich wird ſie immer verkennen;
Sie weiß nicht wie weich deine Arme ſind,
Und wie deine Küſſe brennen.
XVI.
Liebſte, ſollſt mir heute ſagen:
Biſt du nicht ein Traumgebild',
Wie's in ſchwülen Sommertagen
Aus dem Hirn des Dichters quillt?
Aber nein, ein ſolches Mündchen,
Solcher Augen Zauberlicht,
Solch ein liebes, ſüßes Kindchen,
Das erſchafft der Dichter nicht.
Baſilisken und Vampyre,
Lindenwürm' und Ungeheu'r,
Solche ſchlimme Fabelthiere,
Die erſchafft des Dichters Feu'r.
Aber dich und deine Tücke,
Und dein ſüßes Angeſicht,
Und die falſchen, frommen Blicke —
Das erſchafft der Dichter nicht.
XVII.
Wie die Wellenſchaumgeborene
Stralt mein Lieb in Schönheitsglanz,
Denn ſie iſt das auserkorene
Bräutchen eines fremden Manns.
Herz, mein Herz, du vielgeduldiges,
Grolle nicht ob dem Verrath;
Trag es, trag es, und entſchuldig' es,
Was die holde Thörin that.
XVIII.
Ich grolle nicht, und wenn das Herz auch bricht,
Ewig verlor'nes Lieb! ich grolle nicht.
Wie du auch ſtrahlſt in Diamantenpracht,
Es fällt kein Strahl in deines Herzens Nacht.
Das weiß ich längſt. Ich ſah dich ja im Traume,
Und ſah die Nacht in deines Herzens Raume,
Und ſah die Schlang', die dir am Herzen frißt,
Ich ſah mein Lieb, wie ſehr du elend biſt.
XIX.
Ja, du biſt elend, und ich grolle nicht;
Mein Lieb, wir ſollen beide elend ſeyn!
Bis uns der Tod das kranke Herze bricht,
Mein Lieb, wir ſollen beide elend ſeyn.
Wohl ſeh ich Spott, der deinen Mund umſchwebt,
Und ſeh dein Auge blitzen trotziglich,
Und ſeh den Stolz, der deinen Buſen hebt, —
Und elend biſt du doch, elend wie ich.
Unſichtbar zuckt auch Schmerz um deinen Mund,
Verborgne Thräne trübt des Auges Schein,
Der ſtolze Buſen hegt geheime Wund', —
Mein Lieb, wir ſollen beide elend ſeyn.
XX.
Das iſt ein Flöten und Geigen,
Trompeten ſchmettern drein;
Da tanzt den Hochzeitreigen
Die Herzallerliebſte mein.
Das iſt ein Klingen und Dröhnen
Von Pauken und Schallmei'n;
Dazwiſchen ſchluchzen und ſtöhnen
Die guten Engelein.
XXI.
So haſt du ganz und gar vergeſſen,
Daß ich ſo lang dein Herz beſeſſen,
Dein Herzchen ſo ſüß und ſo falſch und ſo klein,
's kann nirgend was ſüß'res und falſcheres ſeyn.
So haſt du die Lieb' und das Leid vergeſſen,
Die's Herz mir thäten zuſammen preſſen.
Ich weiß nicht war Liebe größer als Leid?
Ich weiß nur ſie waren groß allebeid'!
XXII.
Und wüßten's die Blumen, die kleinen,
Wie tief verwundet mein Herz,
Sie würden mit mir weinen,
Zu heilen meinen Schmerz.
Und wüßten's die Nachtigallen
Wie ich ſo traurig und krank,
Sie ließen fröhlich erſchallen
Erquickenden Geſang.
Und wüßten ſie mein Wehe,
Die goldnen Sternelein,
Sie kämen aus ihrer Höhe,
Und ſprächen Troſt mir ein.
Die alle können's nicht wiſſen,
Nur Eine kennt meinen Schmerz;
Sie hat ja ſelbſt zerriſſen,
Zerriſſen mir das Herz.
XXIII.
Warum ſind denn die Roſen ſo blaß,
O ſprich, mein Lieb, warum?
Warum ſind denn im grünen Gras
Die blauen Veilchen ſo ſtumm?
Warum ſingt denn mit ſo kläglichem Laut
Die Lerche in der Luft?
Warum ſteigt denn aus dem Balſamkraut
Hervor ein Leichenduft?
Warum ſcheint denn die Sonn' auf die Au'
So kalt und verdrießlich herab?
Warum iſt denn die Erde ſo grau
Und öde wie ein Grab?
Warum bin ich ſelbſt ſo krank und ſo trüb',
Mein liebes Liebchen, ſprich?
O ſprich, mein herzallerliebſtes Lieb,
Warum verließeſt du mich?
XXIV.
Sie haben dir viel erzählet,
Und haben viel geklagt;
Doch was meine Seele gequälet,
Das haben ſie nicht geſagt.
Sie machten ein großes Weſen,
Und ſchüttelten kläglich das Haupt;
Sie nannten mich den Böſen,
Und du haſt alles geglaubt.
Jedoch das Allerſchlimmſte,
Das haben ſie nicht gewußt;
Das Schlimmſte und das Dümmſte,
Das trug ich geheim in der Bruſt.
XXV.
Die Linde blühte, die Nachtigall ſang,
Die Sonne lachte mit freundlicher Luſt;
Da küßteſt du mich, und dein Arm mich umſchlang,
Da preßteſt du mich an die ſchwellende Bruſt.
Die Blätter fielen, der Rabe ſchrie hohl,
Die Sonne grüßte verdrießlichen Blicks;
Da ſagten wir froſtig einander: „Lebwohl!“
Da knixteſt du höflichſt den höflichſten Knix.
XXVI.
Wir haben viel für einander gefühlt,
Und dennoch uns gar vortrefflich vertragen.
Wir haben oft „Mann und Frau“ geſpielt
Und dennoch uns nicht gerauft und geſchlagen.
Wir haben zuſammen gejauchzt und geſcherzt,
Und zärtlich uns geküßt und geherzt.
Wir haben am Ende, aus kindiſcher Luſt,
„Verſtecken“ geſpielt in Wäldern und Gründen,
Und haben uns ſo zu verſtecken gewußt,
Daß wir uns nimmermehr wiederfinden.
XXVII.
Du bliebeſt mir treu am längſten,
Und haſt dich für mich verwendet,
Und haſt mir Troſt geſpendet
In meinen Nöthen und Aengſten.
Du gabeſt mir Trank und Speiſe,
Und haſt mir Geld geborget,
Und haſt mich mit Wäſche verſorget,
Und mit dem Paß für die Reiſe.
Mein Liebchen! daß Gott dich behüte,
Noch lange, vor Hitz' und vor Kälte,
Und daß er dir nimmer vergelte
Die mir erwieſene Güte.
XXVIII.
Die Erde war ſo lange geizig,
Da kam der Mai, und ſie ward ſpendabel,
Und alles lacht, und jauchzt, und freut ſich,
Ich aber bin nicht zu lachen kapabel.
Die Blumen ſprießen, die Glöcklein ſchallen,
Die Vögel ſprechen wie in der Fabel;
Mir aber will das Geſpräch nicht gefallen,
Ich finde Alles miſerabel.
Das Menſchenvolk mich ennuyiret,
Sogar der Freund, der ſonſt paſſabel; —
Das kömmt, weil man Madame tituliret
Mein ſüßes Liebchen, ſo ſüß und aimabel.
XXIX.
Und als ich ſo lange, ſo lange geſäumt,
In fremden Landen geſchwärmt und geträumt;
Da ward meiner Liebſten zu lang die Zeit,
Und ſie nähete ſich ein Hochzeitkleid,
Und hat mit zärtlichen Armen umſchlungen,
Als Bräut'gam, den dümmſten der dummen Jungen.
Mein Liebchen iſt ſo ſchön und mild,
Noch ſchwebt mir vor ihr ſüßes Bild;
Die Veilchenaugen, die Roſenwänglein,
Die glühen und blühen, jahraus jahrein.
Daß ich von ſolchem Lieb konnt weichen,
War der dümmſte von meinen dummen Streichen.
XXX.
Die blauen Veilchen der Aeugelein,
Die rothen Roſen der Wängelein,
Die weißen Lilien der Händchen klein,
Die blühen und blühen noch immerfort,
Und nur das Herzchen iſt verdorrt.
XXXI.
Die Welt iſt ſo ſchön und der Himmel ſo blau,
Und die Lüfte die wehen ſo lind und ſo lau,
Und die Blumen winken auf blühender Au',
Und funkeln und glitzern im Morgenthau,
Und die Menſchen jubeln, wohin ich ſchau', —
Und doch möcht' ich im Grabe liegen,
Und mich an ein todtes Liebchen ſchmiegen.
XXXII.
Mein ſüßes Lieb, wenn du im Grab,
Im dunkeln Grab wirſt liegen,
Dann ſteig' ich langſam zu dir hinab,
Und will mich an dich ſchmiegen.
Ich kuſſ', ich umſchlinge, ich preſſe dich wild,
Du Stille, du Kalte, du Bleiche!
Ich jauchze, ich zitt're, ich weine mild,
Ich werde ſelber zur Leiche.
Die Todten ſtehn auf, die Mitternacht ruft,
Sie tanzen im luftigen Schwarme;
Wir beide bleiben in der Gruft,
Ich liege in deinem Arme.
Die Todten ſtehn auf, der Tag des Gerichts
Ruft ſie zu Qual und Vergnügen;
Wir beide bekümmern uns um nichts,
Und bleiben umſchlungen liegen.
XXXIII.
Ein Fichtenbaum ſteht einſam
Im Norden auf kahler Höh'.
Ihn ſchläfert; mit weißer Decke
Umhüllen ihn Eis und Schnee.
Er träumt von einer Palme,
Die, fern im Morgenland,
Einſam und ſchweigend trauert
Auf brennender Felſenwand.
XXXIV.
(Der Kopf ſpricht:)
Ach, wenn ich nur der Schemel wär',
Worauf der Liebſten Füße ruhn!
Und ſtampfte ſie mich noch ſo ſehr,
Ich wollte doch nicht klagen thun.
(Das Herz ſpricht:)
Ach, wenn ich nur das Kißchen wär',
Wo ſie die Nadeln ſteckt hinein!
Und ſtäche ſie mich noch ſo ſehr,
Ich wollte mich der Stiche freu'n.
(Das Lied ſpricht:)
Ach, wär' ich nur das Stück Papier,
Das ſie als Papillote braucht!
Ich wollte heimlich flüſtern ihr
In's Ohr, was in mir lebt und haucht.
XXXV.
Seit die Liebſte war entfernt,
Hatt' ich's Lachen ganz verlernt.
Schlechten Witz riß mancher Wicht,
Aber lachen konnt' ich nicht.
Seit ich ſie verloren hab',
Schafft' ich auch das Weinen ab,
Faſt vor Weh' das Herz mir bricht,
Aber weinen kann ich nicht.
XXXVI.
Aus meinen großen Schmerzen
Mach' ich die kleinen Lieder;
Die heben ihr klingend Gefieder
Und flattern nach ihrem Herzen.
Sie fanden den Weg zur Trauten,
Doch kommen ſie wieder und klagen,
Und klagen, und wollen nicht ſagen,
Was ſie im Herzen ſchauten.
XXXVII.
Ich kann es nicht vergeſſen,
Geliebtes, holdes Weib,
Daß ich dich einſt beſeſſen,
Die Seele und den Leib.
Den Leib möcht' ich noch haben,
Den Leib ſo zart und jung;
Die Seele könnt Ihr begraben,
Hab' ſelber Seele genung.
Ich will meine Seele zerſchneiden,
Und hauchen die Hälfte dir ein,
Und will dich umſchlingen, wir müſſen
Ganz Leib und Seele ſeyn.
XXXVIII.
Philiſter in Sonntagsröcklein
Spazieren durch Wald und Flur;
Sie jauchzen, ſie hüpfen wie Böcklein,
Begrüßen die ſchöne Natur.
Betrachten mit blinzelnden Augen,
Wie Alles romantiſch blüht;
Mit langen Ohren ſaugen
Sie ein der Spatzen Lied.
Ich aber verhänge die Fenſter
Des [Zimmers] mit ſchwarzem Tuch;
Es machen mir meine Geſpenſter
Sogar einen Tagesbeſuch.
Die alte Liebe erſcheinet,
Sie ſtieg aus dem Todtenreich,
Sie ſetzt ſich zu mir und weinet,
Und macht das Herz mir weich.
XXXIX.
Manch Bild vergeſſener Zeiten
Steigt auf aus ſeinem Grab,
Und zeigt wie in deiner Nähe
Ich einſt gelebet hab'.
Am Tage ſchwankte ich träumend
Durch alle Straßen herum;
Die Leute verwundert mich anſah'n,
Ich war ſo traurig und ſtumm.
Des Nachts da war es beſſer,
Da waren die Straßen leer;
Ich und mein Schatten ſelbander,
Wir wandelten ſchweigend einher.
Mit wiederhallendem Fußtritt
Wandelt ich über die Brück';
Der Mond brach aus den Wolken,
Und grüßte mit ernſtem Blick'.
Steh'n blieb ich vor deinem Hauſe
Und ſtarrte in die Höh',
Und ſtarrte nach deinem Fenſter, —
Das Herz that mir ſo weh'.
Ich weiß du haſt aus dem Fenſter
Gar oft herab geſeh'n,
Und ſah'ſt mich im Mondenlichte
Wie eine Säule ſteh'n.
XL.
Ein Jüngling liebt ein Mädchen,
Die hat einen Andern erwählt;
Der Andre liebt eine Andre,
Und hat ſich mit dieſer vermählt.
Das Mädchen heurathet aus Aerger
Den erſten beſten Mann,
Der ihr in den Weg gelaufen;
Der Jüngling iſt übel dran.
Es iſt eine alte Geſchichte,
Doch bleibt ſie immer neu;
Und wem ſie juſt paſſiret,
Dem bricht das Herz entzwei.
XLI.
Hör' ich das Liedchen klingen,
Das einſt die Liebſte ſang,
So will mir die Bruſt zerſpringen,
Vor wildem Schmerzendrang.
Es treibt mich ein dunkles Sehnen
Hinauf zur Waldeshöh',
Dort löſ't ſich auf in Thränen
Mein übergroßes Weh'.
XLII.
Mir träumte von einem Königskind',
Mit naſſen, blaſſen Wangen;
Wir ſaßen unter der grünen Lind',
Und hielten uns liebumfangen.
„Ich will nicht deines Vaters Thron,
Ich will nicht ſein Scepter von Golde,
Ich will nicht ſeine demantene Kron',
Ich will dich ſelber, du Holde!“
Das kann nicht ſeyn, ſprach ſie zu mir,
Ich liege ja im Grabe,
Und nur des Nachts komm' ich zu dir,
Weil ich ſo lieb dich habe.
XLIIl.
Mein Liebchen, wir ſaßen beiſammen,
Traulich im leichten Kahn.
Die Nacht war ſtill, und wir ſchwammen
Auf weiter Waſſerbahn.
Die Geiſterinſel, die ſchöne,
Lag dämm'rig im Mondenglanz;
Dort klangen liebe Töne,
Und wogte der Nebeltanz.
Dort klang es lieb und lieber,
Und wogt' es hin und her;
Wir aber ſchwammen vorüber,
Troſtlos auf weitem Meer.
XLIV.
Aus alten Mährchen winkt es
Hervor mit weißer Hand,
Da ſingt es und da klingt es
Von einem Zauberland';
Wo bunte Blumen blühen
Im goldnen Abendlicht',
Und lieblich duftend glühen,
Mit bräutlichem Geſicht;
Und grüne Bäume ſingen
Uralte Melodein,
Die Lüfte heimlich klingen,
Und Vögel ſchmettern drein;
Und Nebelbilder ſteigen
Wohl aus der Erd' hervor,
Und tanzen luft'gen Reigen,
Im wunderlichen Chor;
Und blaue Funken brennen
An jedem Blatt und Reis,
Und rothe Lichter rennen
Im irren, wirren Kreis;
Und laute Quellen brechen
Aus wildem Marmorſtein,
Und ſeltſam in den Bächen
Strahlt fort der Wiederſchein.
Ach! könnt' ich dorthin kommen,
Und dort mein Herz erfreu'n,
Und aller Qual entnommen,
Und frei und ſelig ſeyn!
Ach! jenes Land der Wonne,
Das ſeh' ich oft im Traum,
Doch kommt die Morgenſonne,
Zerfließt's wie eitel Schaum.
XLV.
Ich hab' dich geliebet und liebe dich noch!
Und fiele die Welt zuſammen,
Aus ihren Trümmern ſtiegen doch
Hervor meiner Liebe Flammen.
Und wenn ich dich geliebet hab',
Bis in meiner Todesſtunde,
So nehm' ich mit in's ew'ge Grab
Die große Liebeswunde.
XLVI.
Am leuchtenden Sommermorgen
Geh' ich im Garten herum.
Es flüſtern und ſprechen die Blumen,
Ich aber wandle ſtumm.
Es flüſtern und ſprechen die Blumen,
Und ſchau'n mitleidig mich an:
Sey unſerer Schweſter nicht böſe,
Du trauriger, blaſſer Mann.
XLVII.
Es leuchtet meine Liebe,
In ihrer dunkeln Pracht,
Wie'n Mährchen traurig und trübe,
Erzählt in der Sommernacht.
Im Zaubergarten wallen
Zwei Buhlen, ſtumm und allein;
Es ſingen die Nachtigallen,
Es flimmert der Mondenſchein.
Die Jungfrau ſteht ſtill wie ein Bildniß,
Der Ritter vor ihr kniet.
Da kommt der Rieſe der Wildniß,
Die bange Jungfrau flieht.
Der Ritter ſinkt blutend zur Erde,
Es ſtolpert der Rieſe nach Haus;
Wenn ich begraben werde,
Dann iſt das Mährchen aus.
XLVIII.
Sie haben mich gequälet,
Geärgert blau und blaß,
Die Einen mit ihrer Liebe,
Die Andern mit ihrem Haß.
Sie haben das Brod mir vergiftet,
Sie goſſen mir Gift in's Glas,
Die Einen mit ihrer Liebe,
Die Andern mit ihrem Haß.
Doch die mich am meiſten gequälet,
Geärgert und betrübt,
Die hat mich nie gehaſſet,
Und hat mich nie geliebt.
XLIX.
Es liegt der heiße Sommer
Auf deinen Wängelein;
Es liegt der Winter, der kalte,
In deinem Herzchen klein.
Das wird ſich bei dir ändern,
Du Vielgeliebte mein!
Der Winter wird auf den Wangen,
Der Sommer im Herzen ſeyn.
L.
Wenn zwei von einander ſcheiden,
So geben ſie ſich die Händ',
Und fangen an zu weinen,
Und ſeufzen ohne End'.
Wir haben nicht geweinet,
Wir ſeufzten nicht Weh und Ach!
Die Thränen und die Seufzer,
Die kamen hintennach.
LI.
Sie ſaßen und tranken am Theetiſch,
Und ſprachen von Liebe viel.
Die Herren, die waren äſthetiſch,
Die Damen von zartem Gefühl.
Die Liebe muß ſeyn platoniſch,
Der dürre Hofrath ſprach.
Die Hofräthin lächelt ironiſch,
Und dennoch ſeufzet ſie: Ach!
Der Domherr öffnet den Mund weit:
Die Liebe ſey nicht zu roh,
Sie ſchadet ſonſt der Geſundheit.
Das Fräulein lispelt: wie ſo?
Die Gräfin ſpricht wehmüthig:
Die Liebe iſt eine Paſſion!
Und präſentiret gütig
Die Taſſe dem Herren Baron.
Am Tiſche war noch ein Plätzchen;
Mein Liebchen, da haſt du gefehlt.
Du hätteſt ſo hübſch, mein Schätzchen,
Von deiner Liebe erzählt.
LII.
Vergiftet ſind meine Lieder;
Wie könnt' es anders ſeyn?
Du haſt mir ja Gift gegoſſen
In's blühende Leben hinein.
Vergiftet ſind meine Lieder;
Wie könnt' es anders ſeyn?
Ich trage im Herzen viel Schlangen,
Und dich, Geliebte mein.
LIII.
Mir träumte wieder der alte Traum:
Es war eine Nacht im Maie,
Wir ſaßen unter dem Lindenbaum,
Und ſchwuren uns ewige Treue.
Das war ein Schwören und Schwören auf's Neu',
Ein Kichern, ein Koſen, ein Küſſen;
Daß ich gedenk des Schwures ſey,
Haſt du in die Hand mich gebiſſen.
O Liebchen mit den Aeuglein klar!
O Liebchen ſchön und biſſig!
Das Schwören in der Ordnung war.
Das Beißen war überflüſſig.
LIV.
Ich ſteh' auf des Berges Spitze,
Und werde ſentimental.
„Wenn ich ein Vöglein wäre!“
Seufz' ich viel tauſendmal.
Wenn ich eine Schwalbe wäre,
So flög' ich zu dir, mein Kind,
Und baute mir mein Neſtchen
Wo deine Fenſter ſind.
Wenn ich eine Nachtigall wäre,
So flög' ich zu dir, mein Kind,
Und ſänge dir Nachts meine Lieder
Herab von der grünen Lind'.
Wenn ich ein Gimpel wäre,
So flög' ich gleich an dein Herz;
Du biſt ja hold den Gimpeln,
Und heileſt Gimpelſchmerz.
LV.
Mein Wagen rollet langſam
Durch luſtiges Waldesgrün,
Durch blumige Thäler, die zaubriſch
Im Sonnenglanze blüh'n.
Ich ſitze und ſinne und träume,
Und denk' an die Liebſte mein;
Da grüßen drei Schattengeſtalten
Kopfnickend zum Wagen herein.
Sie hüpfen und ſchneiden Geſichter,
So ſpöttiſch und doch ſo ſcheu,
Und quirlen wie Nebel zuſammen,
Und kichern und huſchen vorbei.
LVI.
Ich hab' im Traum' geweinet,
Mir träumte du lägeſt im Grab'.
Ich wachte auf und die Thräne
Floß noch von der Wange herab.
Ich hab' im Traum' geweinet,
Mir träumt' du verließeſt mich.
Ich wachte auf, und ich weinte
Noch lange bitterlich.
Ich hab' im Traum' geweinet,
Mir träumte du wärſt mir noch gut.
Ich wachte auf, und noch immer
Strömt meine Thränenfluth.
LVII.
Allnächtlich im Traume ſeh' ich dich,
Und ſehe dich freundlich grüßen,
Und lautaufweinend ſtürz' ich mich
Zu deinen ſüßen Füßen.
Du ſiehſt mich an wehmüthiglich,
Und ſchüttelſt das blonde Köpfchen;
Aus deinen Augen ſchleichen ſich
Die Perlenthränentröpfchen.
Du ſagſt mir heimlich ein leiſes Wort,
Und giebſt mir den Strauß von Zypreſſen.
Ich wache auf, und der Strauß iſt fort,
Und's Wort hab' ich vergeſſen.
LVIII.
Das iſt ein Brauſen und Heulen,
Herbſtnacht und Regen und Wind;
Wo mag wohl jetzo weilen
Mein armes, banges Kind?
Ich ſeh' ſie am Fenſter lehnen,
Im einſamen Kämmerlein;
Das Auge gefüllt mit Thränen
Starrt ſie in die Nacht hinein.
LIX.
Der Herbſtwind rüttelt die Bäume,
Die Nacht iſt feucht und kalt;
Gehüllt im grauen Mantel,
Reite ich einſam im Wald!
Und wie ich reite, ſo reiten
Mir die Gedanken voraus;
Sie tragen mich leicht und luftig
Nach meiner Liebſten Haus.
Die Hunde bellen, die Diener
Erſcheinen mit Kerzengeflirr;
Die Wendeltreppe ſtürm' ich
Hinauf mit Sporengeklirr.
Im leuchtenden Teppichgemache,
Da iſt es ſo duftig und warm,
Da harret meiner die Holde —
Ich fliege in ihren Arm.
Es ſäuſelt der Wind in den Blättern,
Es ſpricht der Eichenbaum:
Was willſt du, thörichter Reiter,
Mit deinem thörichten Traum?
LX.
Es fällt ein Stern herunter
Aus ſeiner funkelnden Höh';
Das iſt der Stern der Liebe,
Den ich dort fallen ſeh'.
Es fallen vom Apfelbaume
Der weißen Blätter viel;
Es kommen die neckenden Lüfte,
Und treiben damit ihr Spiel.
Es ſingt der Schwan im Weiher,
Und rudert auf und ab,
Und immer leiſer ſingend,
Taucht er in's Fluthengrab.
Es iſt ſo ſtill und ſo dunkel!
Verweht iſt Blatt und Blüth',
Der Stern iſt kniſternd zerſtoben,
Verklungen das Schwanenlied.
LXI.
Der Traumgott bracht' mich in ein Rieſenſchloß,
Wo ſchwüler Zauberduft und Lichterſchimmer,
Und bunte Menſchenwoge ſich ergoß
Durch labyrinthiſch vielverſchlungne Zimmer.
Die Ausgangspforte ſucht der bleiche Troß,
Mit Händeringen und mit Angſtgewimmer.
Jungfrau'n und Ritter ragen aus der Menge,
Ich ſelbſt bin fortgezogen im Gedränge.
Doch plötzlich ſteh' ich ganz allein, und ſeh',
Und ſtaun', wie ſchnell die Menge konnt' verſchwinden,
Und wandre fort allein, und eil', und geh'
Durch die Gemächer, die ſich ſeltſam winden.
Mein Fuß wird Blei, im Herzen Angſt und Weh,
Verzweifl' ich faſt den Ausgang je zu finden.
Da komm' ich endlich an das letzte Thor;
Ich will hinaus — o Gott, wer ſteht davor!
Es war die Liebſte, die am Thore ſtand,
Schmerz um die Lippen, Sorge auf der Stirne.
Ich ſoll zurückgehn, winkt ſie mit der Hand;
Ich weiß nicht ob ſie warne oder zürne.
Doch aus den Augen bricht ein ſüßer Brand,
Der mir durchzuckt das Herz und das Gehirne.
Wie ſie mich anſah, ſtreng und wunderlich,
Und doch ſo liebevoll, erwachte ich.
LXII.
Die Mitternacht war kalt und ſtumm;
Ich irrte klagend im Wald herum.
Ich habe die Bäum' aus dem Schlaf' gerüttelt;
Sie haben mitleidig die Köpfe geſchüttelt.
LXIII.
Am Kreuzweg wird begraben
Wer ſelber ſich brachte um;
Dort wächſt eine blaue Blume,
Die Armeſünderblum'.
Am Kreuzweg ſtand ich und ſeufzte;
Die Nacht war kalt und ſtumm.
Im Mondſchein bewegte ſich langſam
Die Armeſünderblum'.
LXIV.
Wo ich bin, mich rings umdunkelt
Finſterniß, ſo dumpf und dicht,
Seit mir nicht mehr leuchtend funkelt,
Liebſte, deiner Augen Licht.
Mir erloſchen iſt der ſüßen
Liebesſterne goldne Pracht,
Abgrund gähnt zu meinen Füßen —
Nimm mich auf, uralte Nacht!
LXV.
Nacht lag auf meinen Augen,
Blei lag auf meinem Mund,
Mit ſtarrem Hirn und Herzen
Lag ich in Grabesgrund.
Wie lang kann ich nicht ſagen,
Daß ich geſchlafen hab';
Ich wachte auf und hörte
Wie's pochte an mein Grab.
„Willſt du nicht aufſtehn, Heinrich?
Der ew'ge Tag bricht an,
Die Todten ſind erſtanden,
Die ew'ge Luſt begann.“
Mein Lieb, ich kann nicht aufſtehn,
Bin ja noch immer blind;
Durch Weinen meine Augen
Gänzlich erloſchen ſind.
„Ich will dir küſſen, Heinrich,
Vom Auge fort die Nacht;
Die Engel ſollſt du ſchauen,
Und auch des Himmels Pracht.“
Mein Lieb ich kann nicht aufſtehn,
Noch blutet's immerfort,
Wo du in's Herz mir ſtacheſt
Mit einem ſpitz'gen Wort'.
„Ganz leiſe leg' ich, Heinrich,
Dir meine Hand auf's Herz;
Dann wird es nicht mehr bluten,
Geheilt iſt all ſein Schmerz.“
Mein Lieb, ich kann nicht aufſtehn,
Es blutet auch mein Haupt;
Hab' ja hinein geſchoſſen,
Als du mir wurdeſt geraubt.
„Mit meinen Locken, Heinrich,
Stopf' ich des Hauptes Wund',
Und dräng' zurück den Blutſtrom,
Und mache dein Haupt geſund.“
Es bat ſo ſanft, ſo lieblich,
Ich konnt' nicht widerſtehn;
Ich wollte mich erheben,
Und zu der Liebſten gehn.
Da brachen auf die Wunden,
Da ſtürzt' mit wilder Macht
Aus Kopf und Bruſt der Blutſtrom,
Und ſieh! — ich bin erwacht.
LXVI.
Die alten, böſen Lieder,
Die Träume ſchlimm und arg,
Die laßt uns jetzt begraben,
Holt einen großen Sarg.
Hinein leg' ich gar manches,
Doch ſag' ich noch nicht was;
Der Sarg muß ſeyn noch größer
Wie's Heidelberger Faß.
Und holt eine Todtenbahre,
Von Brettern feſt und dick;
Auch muß ſie ſeyn noch länger
Als wie zu Mainz die Brück'.
Und holt mir auch zwölf Rieſen,
Die müſſen noch ſtärker ſeyn
Als wie der ſtarke Chriſtoph
Im Dom zu Cöln am Rhein.
Die ſollen den Sarg forttragen,
Und ſenken in's Meer hinab;
Denn ſolchem großen Sarge
Gebührt ein großes Grab.
Wißt Ihr warum der Sarg wohl
So groß und ſchwer mag ſeyn?
Ich legt' auch meine Liebe
Und meinen Schmerz hinein.
Die Heimkehr.
1823 – 1824.
[[174]][[175]]
Friedrike Varnhagen von Enſe
werden die Lieder der Heimkehr, als eine heitere
Huldigung, gewidmet
vom
Verfaſſer.
I.
In mein gar zu dunkles Leben
Strahlte einſt ein ſüßes Bild;
Nun das ſüße Bild erblichen,
Bin ich gänzlich nachtumhüllt.
Wenn die Kinder ſind im Dunkeln,
Wird beklommen ihr Gemüth,
Und um ihre Angſt zu bannen,
Singen ſie ein lautes Lied.
Ich, ein tolles Kind, ich ſinge
Jetzo in der Dunkelheit;
Iſt das Lied auch nicht ergötzlich,
Hat's mich doch von Angſt befreit.
II.
Ich weiß nicht, was ſoll es bedeuten,
Daß ich ſo traurig bin;
Ein Mährchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Die Luft iſt kühl und es dunkelt,
Und ruhig fließt der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt
Im Abendſonnenſchein.
Die ſchönſte Jungfrau ſitzet
Dort oben wunderbar
Ihr gold'nes Geſchmeide blitzet,
Sie kämmt ihr gold'nes Haar.
Sie kämmt es mit gold'nem Kamme,
Und ſingt ein Lied dabei;
Das hat eine wunderſame,
Gewaltige Melodei.
Den Schiffer im kleinen Schiffe
Ergreift es mit wildem Weh;
Er ſchaut nicht die Felſenriffe,
Er ſchaut nur hinauf in die Höh'.
Ich glaube, die Wellen verſchlingen
Am Ende Schiffer und Kahn;
Und das hat mit ihrem Singen
Die Lore-Ley gethan.
III.
Mein Herz, mein Herz iſt traurig,
Doch luſtig leuchtet der Mai;
Ich ſtehe, gelehnt an der Linde,
Hoch auf der alten Baſtei.
Da drunten fließt der blaue
Stadtgraben in ſtiller Ruh';
Ein Knabe fährt im Kahne,
Und angelt und pfeift dazu.
Jenſeits erheben ſich freundlich,
In winziger, bunter Geſtalt,
Luſthäuſer, und Gärten, und Menſchen,
Und Ochſen, und Wieſen, und Wald.
Die Mädchen bleichen Wäſche,
Und ſpringen im Graſ' herum;
Das Mühlrad ſtäubt Diamanten,
Ich höre ſein fernes Geſumm'.
Am alten grauen Thurme
Ein Schilderhäuschen ſteht;
Ein rothgeröckter Burſche
Dort auf und nieder geht.
Er ſpielt mit ſeiner Flinte,
Die funkelt im Sonnenroth,
Er präſentirt und ſchultert —
Ich wollt', er ſchöſſe mich todt.
IV.
Im Walde wandl' ich und weine,
Die Droſſel ſitzt in der Höh';
Sie ſpringt und ſingt gar feine:
Warum iſt dir ſo weh?
„Die Schwalben, deine Schweſtern,
Die können's dir ſagen, mein Kind;
Sie wohnten in klugen Neſtern,
Wo Liebchens Fenſter ſind.“
V.
Die Nacht iſt feucht und ſtürmiſch,
Der Himmel ſternenleer;
Im Wald, unter rauſchenden Bäumen,
Wandle ich ſchweigend einher.
Es flimmert fern ein Lichtchen
Aus dem einſamen Jägerhauſ';
Es ſoll mich nicht hin verlocken,
Dort ſieht es verdrießlich aus.
Die blinde Großmutter ſitzt ja
Im ledernen Lehnſtuhl dort,
Unheimlich und ſtarr, wie ein Steinbild,
Und ſpricht kein einziges Wort.
Fluchend geht auf und nieder
Des Förſters rothköpfiger Sohn,
Und wirft an die Wand die Büchſe,
Und lacht vor Wuth und Hohn.
Die ſchöne Spinnerin weinet,
Und feuchtet mit Thränen den Flachs;
Wimmernd zu ihren Füßen
Schmiegt ſich des Vaters Dachs.
VI.
Als ich, auf der Reiſe, zufällig
Meines Liebchens Familie fand,
Schweſterchen, Vater und Mutter,
Sie haben mich freudig erkannt.
Sie fragten nach meinem Befinden,
Und ſagten ſelber ſogleich:
Ich hätte mich gar nicht verändert,
Nur mein Geſicht ſey bleich.
Ich fragte nach Muhmen und Baſen,
Nach manchem langweil'gen Geſell'n,
Und nach dem kleinen Hündchen,
Mit ſeinem ſanften Bell'n.
Auch nach der vermählten Geliebten
Fragte ich nebenbei;
Und freundlich gab man zur Antwort:
Daß ſie in den Wochen ſey.
Und freundlich gratulirt' ich,
Und lispelte liebevoll:
Daß man ſie von mir recht herzlich
Viel tauſendmal grüßen ſoll.
Schweſterchen rief dazwiſchen:
Das Hündchen, ſanft und klein,
Iſt groß und toll geworden,
Und ward ertränkt, im Rhein.
Die Kleine gleicht der Geliebten,
Beſonders, wenn ſie lacht;
Sie hat dieſelben Augen,
Die mich ſo elend gemacht.
VII.
Wir ſaßen am Fiſcherhauſe,
Und ſchauten nach der See;
Die Abendnebel kamen,
Und ſtiegen in die Höh'.
Im Leuchtthurm wurden die Lichter
Allmählig angeſteckt,
Und in der weiten Ferne
Ward noch ein Schiff entdeckt.
Wir ſprachen von Sturm und Schiffbruch,
Vom Seemann, und wie er lebt,
Und zwiſchen Himmel und Waſſer,
Und Angſt und Freude ſchwebt.
Wir ſprachen von fernen Küſten,
Vom Süden und vom Nord,
Und von den ſeltſamen Menſchen,
Und ſeltſamen Sitten dort.
Am Ganges duftet's und leuchtet's
Und Rieſenbäume blüh'n.
Und ſchöne, ſtille Menſchen
Vor Lotosblumen knie'n.
In Lappland ſind ſchmutzige Leute,
Plattköpfig, breitmäulig und klein;
Sie kauern um's Feuer, und backen
Sich Fiſche, und quäken und ſchrei'n.
Die Mädchen horchten ernſthaft,
Und endlich ſprach Niemand mehr;
Das Schiff war nicht mehr ſichtbar,
Es dunkelte gar zu ſehr.
VIII.
Du ſchönes Fiſchermädchen,
Treibe den Kahn an's Land;
Komm zu mir und ſetze dich nieder,
Wir koſen Hand in Hand.
Leg' an mein Herz dein Köpfchen.
Und fürchte dich nicht zu ſehr,
Vertrau'ſt du dich doch ſorglos
Täglich dem wilden Meer.
Mein Herz gleicht ganz dem Meere,
Hat Sturm und Ebb' und Fluth,
Und manche ſchöne Perle
In ſeiner Tiefe ruht.
IX.
Der Mond iſt aufgegangen
Und überſtrahlt die Well'n;
Ich halte mein Liebchen umfangen,
Und unſre Herzen ſchwell'n.
Im Arm des holden Kindes
Ruh' ich allein am Strand;
Was horchſt du bei'm Rauſchen des Windes?
Was zuckt deine weiße Hand?
„Das iſt kein Rauſchen des Windes,
Das iſt der Seejungfern Geſang,
Und meine Schweſtern ſind es,
Die einſt das Meer verſchlang.“
X.
Der Wind zieht ſeine Hoſen an,
Die weißen Waſſerhoſen;
Er peitſcht die Wellen ſo ſtark er kann,
Die heulen und brauſen und toſen.
Aus dunkler Höh', mit wilder Macht,
Die Regengüſſe träufen;
Es iſt als wollt' die alte Nacht
Das alte Meer erſäufen.
An den Maſtbaum klammert die Möve ſich,
Mit heiſerem Schrillen und Schreien;
Sie flattert und will gar ängſtiglich
Ein Unglück prophezeien.
XI.
Der Sturm ſpielt auf zum Tanze,
Er pfeift und ſauſt und brüllt;
Heiſa, wie ſpringt das Schifflein!
Die Nacht iſt luſtig und wild.
Ein lebendes Waſſergebirge
Bildet die toſende See;
Hier gähnt ein ſchwarzer Abgrund,
Dort thürmt es ſich weit in die Höh'.
Ein Fluchen, Erbrechen und Beten,
Schallt aus der Kajüte heraus;
Ich halte mich feſt am Maſtbaum,
Und wünſche: wär ich zu Haus.
XII.
Der Abend kommt gezogen,
Der Nebel bedeckt die See;
Geheimnißvoll rauſchen die Wogen,
Da ſteigt es weiß in die Höh'.
Die Meerfrau ſteigt aus den Wellen,
Und ſetzt ſich zu mir, am Strand;
Die weißen Brüſte quellen
Hervor aus dem Schleiergewand.
Sie drückt mich und ſie preßt mich
Und thut mir faſt ein Weh';
Du drückſt ja viel zu feſt mich,
Du ſchöne Waſſerfee!
„Ich preſſe dich, in meinen Armen,
Und drücke dich mit Gewalt;
Ich will bei dir erwarmen,
Der Abend iſt gar zu kalt.“
Der Mond ſchaut immer blaſſer
Aus dämmriger Wolkenhöh';
Dein Auge wird trüber und naſſer,
Du ſchöne Waſſerfee!
„Es wird nicht trüber und naſſer,
Mein Aug' iſt naß und trüb',
Weil, als ich ſtieg aus dem Waſſer,
Ein Tropfen im Auge blieb.“
Die Möven ſchrillen kläglich,
Es grollt und brandet die See;
Dein Herz pocht wild beweglich,
Du ſchöne Waſſerfee!
„Mein Herz pocht wild beweglich,
Es pocht beweglich wild;
Weil ich dich liebe unſäglich,
Du liebes Menſchenbild!“
XIII.
Wenn ich an deinem Hauſe
Des Morgens vorüber geh',
So freut's mich, du liebe Kleine,
Wenn ich dich am Fenſter ſeh'.
Mit deinen ſchwarzbraunen Augen
Siehſt du mich forſchend an:
Wer biſt du, und was fehlt dir,
Du fremder, kranker Mann?
„Ich bin ein deutſcher Dichter,
Bekannt im deutſchen Land;
Nennt man die beſten Namen,
So wird auch der meine genannt.
Und was mir fehlt, du Kleine,
Fehlt Manchem im deutſchen Land;
Nennt man die ſchlimmſten Schmerzen,
So wird auch der meine genannt.“
XIV.
Das Meer erglänzte weit hinaus,
Im letzten Abendſcheine;
Wir ſaßen am einſamen Fiſcherhaus,
Wir ſaßen ſtumm und alleine.
Der Nebel ſtieg, das Waſſer ſchwoll,
Die Möve flog hin und wieder;
Aus deinen Augen, liebevoll,
Fielen die Thränen nieder.
Ich ſah ſie fallen auf deine Hand,
Und bin auf's Knie geſunken;
Ich hab' von deiner weißen Hand
Die Thränen fortgetrunken.
Seit jener Stunde verzehrt ſich mein Leib,
Die Seele ſtirbt vor Sehnen; —
Mich hat das unglückſeel'ge Weib
Vergiftet mit ihren Thränen.
XV.
Da droben auf jenem Berge,
Da ſteht ein feines Schloß,
Da wohnen drei ſchöne Fräulein,
Von denen ich Liebe genoß.
Sonnabend küßte mich Jette,
Und Sonntag die Julia,
Und Montag die Kunigunde,
Die hat mich erdrückt beinah.
Doch Dienſttag war eine Fete
Bei meinen drei Fräulein im Schloß;
Die Nachbarſchafts-Herren und Damen,
Die kamen zu Wagen und Roß.
Ich aber war nicht geladen,
Und das habt ihr dumm gemacht!
Die ziſchelnden Muhmen und Baſen,
Die merkten's und haben gelacht.
XVI.
Am fernen Horizonte
Erſcheint, wie ein Nebelbild,
Die Stadt mit ihren Thürmen,
In Abenddämmrung gehüllt.
Ein feuchter Windzug kräuſelt
Die graue Waſſerbahn;
Mit traurigem Tacte rudert
Der Schiffer in meinem Kahn.
Die Sonne hebt ſich noch einmal
Leuchtend vom Boden empor,
Und zeigt mir jene Stelle,
Wo ich das Liebſte verlor.
XVII.
Sey mir gegrüßt, du große,
Geheimnißvolle Stadt,
Die einſt in ihrem Schooße
Mein Liebchen umſchloſſen hat.
Sagt an, ihr Thürme und Thore,
Wo iſt die Liebſte mein?
Euch hab' ich ſie anvertrauet,
Ihr ſolltet mir Bürge ſeyn.
Unſchuldig ſind die Thürme,
Sie konnten nicht von der Stell',
Als ſie mit Koffern und Schachteln
Die Stadt verlaſſen ſo ſchnell.
Die Thore jedoch, die ließen
Mein Liebchen entwiſchen gar ſtill;
Ein Thor iſt immer willig,
Wenn eine Thörin will.
XVIII.
So wandl' ich wieder den alten Weg,
Die wohlbekannten Gaſſen;
Ich komme von meiner Liebſten Haus,
Das ſteht ſo leer und verlaſſen.
Die Straßen ſind doch gar zu eng'!
Das Pflaſter iſt unerträglich!
Die Häuſer fallen mir auf den Kopf!
Ich eile ſo viel als möglich!
XIX.
Ich trat in jene Hallen,
Wo ſie mir Treue verſprochen;
Wo einſt ihre Thränen gefallen,
Sind Schlangen hervor gekrochen.
XX.
Still iſt die Nacht, es ruhen die Gaſſen,
In dieſem Hauſe wohnte mein Schatz;
Sie hat ſchon längſt die Stadt verlaſſen,
Doch ſteht noch das Haus auf demſelben Platz.
Da ſteht auch ein Menſch und ſtarrt in die Höhe,
Und ringt die Hände, vor Schmerzensgewalt;
Mir grauſt es, wenn ich ſein Antlitz ſehe, —
Der Mond zeigt mir meine eigne Geſtalt.
Du Doppeltgänger! du bleicher Geſelle!
Was äffſt du nach mein Liebesleid,
Das mich gequält auf dieſer Stelle,
So manche Nacht, in alter Zeit?
XXI.
Wie kannſt du ruhig ſchlafen,
Und weißt, ich lebe noch?
Der alte Zorn kommt wieder,
Und dann zerbrech' ich mein Joch.
Kennſt du das alte Liedchen:
Wie einſt ein todter Knab'
Um Mitternacht die Geliebte
Zu ſich geholt in's Grab?
Glaub' mir, du wunderſchönes,
Du wunderholdes Kind,
Ich lebe und bin noch ſtärker
Als alle Todten ſind!
XXII.
„Die Jungfrau ſchläft in der Kammer,
Der Mond ſchaut zitternd hinein;
Da draußen ſingt es und klingt es,
Wie Walzermelodein.
Ich will mal ſchaun aus dem Fenſter,
Wer drunten ſtört meine Ruh'.
Da ſteht ein Todtengerippe,
Und fidelt und ſingt dazu:
Haſt einſt mir den Tanz verſprochen,
Und haſt gebrochen dein Wort,
Und heut iſt Ball auf dem Kirchhof,
Komm mit, wir tanzen dort.
Die Jungfrau ergreift es gewaltig,
Es lockt ſie hervor aus dem Haus;
Sie folgt dem Gerippe, das ſingend
Und fidelnd ſchreitet voraus.
Es fidelt und tänzelt und hüpfet,
Und klappert mit ſeinem Gebein,
Und nickt und nickt mit dem Schädel
Unheimlich im Mondenſchein.“
XXIII.
Ich ſtand in dunkeln Träumen
Und ſtarrte ihr Bildniß an,
Und das geliebte Antlitz
Heimlich zu leben begann.
Um ihre Lippen zog ſich
Ein Lächeln wunderbar,
Und wie von Wehmuthsthränen
Erglänzte ihr Augenpaar.
Auch meine Thränen floſſen
Mir von den Wangen herab —
Und ach, ich kann es nicht glauben,
Daß ich Dich verloren hab'!
XXIV.
Ich unglückſel'ger Atlas! eine Welt,
Die ganze Welt der Schmerzen muß ich tragen,
Ich trage Unerträgliches, und brechen
Will mir das Herz im Leibe.
Du ſtolzes Herz! du haſt es ja gewollt,
Du wollteſt glücklich ſeyn, unendlich glücklich
Oder unendlich elend, ſtolzes Herz,
Und jetzo biſt du elend.
XXV.
Die Jahre kommen und gehen,
Geſchlechter ſteigen in's Grab,
Doch nimmer vergeht die Liebe,
Die ich im Herzen hab'.
Nur einmal noch möcht' ich dich ſehen,
Und ſinken vor dir auf's Knie,
Und ſterbend zu dir ſprechen:
Madame, ich liebe Sie!
XXVI.
Mir träumte: traurig ſchaute der Mond,
Und traurig ſchienen die Sterne;
Es trug mich zur Stadt, wo Liebchen wohnt,
Viel hundert Meilen ferne.
Es hat mich zu ihrem Hauſe geführt,
Ich küßte die Steine der Treppe,
Die oft ihr kleiner Fuß berührt,
Und ihres Kleides Schleppe.
Die Nacht war lang, die Nacht war kalt,
Es waren ſo kalt die Steine;
Es lugt' aus dem Fenſter die blaſſe Geſtalt,
Beleuchtet vom Mondenſcheine.
XXVII.
Was will die einſame Thräne?
Sie trübt mir ja den Blick.
Sie blieb aus alten Zeiten
In meinem Auge zurück.
Sie hatte viel leuchtende Schweſtern,
Die alle zerfloſſen ſind,
Mit meinen Qualen und Freuden,
Zerfloſſen in Nacht und Wind.
Wie Nebel ſind auch zerfloſſen
Die blauen Sternelein,
Die mir jene Freuden und Qualen
Gelächelt in's Herz hinein.
Ach, meine Liebe ſelber
Zerfloß wie eitel Hauch!
Du alte, einſame Thräne,
Zerfließe jetzunde[r] auch.
XXVIII.
Der bleiche, herbſtliche Halbmond
Lugt aus den Wolken heraus;
Ganz einſam liegt auf dem Kirchhof'
Das ſtille Pfarrerhaus.
Die Mutter lieſt in der Bibel,
Der Sohn, der ſtarret in's Licht,
Schlaftrunken dehnt ſich die ält're,
Die jüngere Tochter ſpricht:
Ach Gott! wie Einem die Tage
Langweilig hier vergeh'n;
Nur wenn ſie Einen begraben,
Bekommen wir etwas zu ſehn.
Die Mutter ſpricht zwiſchen dem Leſen:
Du irrſt, es ſtarben nur Vier,
Seit man deinen Vater begraben,
Dort an der Kirchhofsthür'.
Die ält're Tochter gähnet:
Ich will nicht verhungern bei Euch,
Ich gehe morgen zum Grafen,
Und der iſt verliebt und reich.
Der Sohn bricht aus in Lachen:
Drei Jäger zechen im Stern,
Die machen Gold und lehren
Mir das Geheimniß gern.
Die Mutter wirft ihm die Bibel
In's mag're Geſicht hinein:
So willſt du, Gottverfluchter,
Ein Straßenräuber ſeyn!
Sie hören pochen an's Fenſter,
Und ſehn eine winkende Hand;
Der todte Vater ſteht draußen
Im ſchwarzen Pred'gergewand.
XXIX.
Das iſt ein ſchlechtes Wetter,
Es regnet und ſtürmt und ſchnei't;
Ich ſitze am Fenſter und ſchaue
Hinaus in die Dunkelheit.
Da ſchimmert ein einſames Lichtchen,
Das wandelt langſam fort;
Ein Mütterchen mit dem Laternchen
Wankt über die Straße dort.
Ich glaube, Mehl und Eier
Und Butter kaufte ſie ein;
Sie will einen Kuchen backen
Für's große Töchterlein.
Die liegt zu Haus im Lehnſtuhl,
Und blinzelt ſchläfrig in's Licht;
Die goldnen Locken wallen
Ueber das ſüße Geſicht.
XXX.
Man glaubt, daß ich mich gräme
In bitter'm Liebesleid,
Und endlich glaub' ich es ſelber,
So gut wie andre Leut'.
Du Kleine mit großen Augen,
Ich hab' es dir immer geſagt,
Daß ich dich unſäglich liebe,
Daß Liebe mein Herz zernagt.
Doch nur in einſamer Kammer
Sprach ich auf ſolche Art,
Und ach! ich hab' immer geſchwiegen
In deiner Gegenwart.
Da gab es böſe Engel,
Die hielten mir zu den Mund;
Und ach! durch böſe Engel
Bin ich ſo elend jetzund.
XXXI.
Deine weichen Lilienfinger,
Könnt' ich ſie noch einmal küſſen,
Und ſie drücken an mein Herz,
Und vergehn in ſtillem Weinen!
Deine klaren Veilchenaugen
Schweben vor mir Tag und Nacht,
Und mich quält es: was bedeuten
Dieſe ſüßen, blauen Räthſel?
XXXII.
„Hat ſie ſich denn nie geäußert
Ueber dein verliebtes Weſen?
Konnteſt du in ihren Augen
Niemals Gegenliebe leſen?
Konnteſt du in ihren Augen
Niemals bis zur Seele dringen?
Und du biſt ja ſonſt kein Eſel,
Theurer Freund, in ſolchen Dingen.“
XXXIII.
Sie liebten ſich beide, doch keiner
Wollt' es dem andern geſtehn;
Sie ſahen ſich an ſo feindlich,
Und wollten vor Liebe vergehn.
Sie trennten ſich endlich und ſah'n ſich
Nur noch zuweilen im Traum;
Sie waren längſt geſtorben,
Und wußten es ſelber kaum.
XXXIV.
Und als ich Euch meine Schmerzen geklagt,
Da habt Ihr gegähnt und nichts geſagt;
Doch als ich ſie zierlich in Verſe gebracht,
Da habt Ihr mir große Elogen gemacht.
XXXV.
Ich rief den Teufel und er kam,
Und ich ſah ihn mit Verwund'rung an.
Er iſt nicht häßlich, und iſt nicht lahm,
Er iſt ein lieber, ſcharmanter Mann,
Ein Mann in ſeinen beſten Jahren,
Verbindlich und höflich und welterfahren.
Er iſt ein geſcheuter Diplomat,
Und ſpricht recht ſchön über Kirch' und Staat.
Blaß iſt er etwas, doch iſt es kein Wunder,
Sanskritt und Hegel ſtudiert er jetzunder.
Sein Lieblingspoet iſt noch immer Fouqué.
Doch will er nicht mehr mit Kritik ſich befaſſen,
Die hat er jetzt gänzlich überlaſſen
Der theuren Großmutter Hekate.
Er lobte mein juriſtiſches Streben,
Hat früher ſich auch damit abgegeben.
Er ſagte, meine Freundſchaft ſey
Ihm nicht zu theuer, und nickte dabei,
Und frug: ob wir uns früher nicht
Schon einmal geſehn bei'm ſpan'ſchen Geſandten?
Und als ich recht beſah ſein Geſicht,
Fand ich in ihm einen alten Bekannten.
XXXVI.
Menſch, verſpotte nicht den Teufel,
Kurz iſt ja die Lebensbahn,
Und die ewige Verdammniß
Iſt kein bloßer Pöbelwahn.
Menſch, bezahle deine Schulden,
Lang iſt ja die Lebensbahn,
Und du mußt noch manchmal borgen,
Wie du es ſo oft gethan.
XXXVII.
Die heil'gen drei Könige aus Morgenland,
Sie frugen in jedem Städtchen:
Wo geht der Weg nach Bethlehem,
Ihr lieben Buben und Mädchen?
Die Jungen und Alten, ſie wußten es nicht,
Die Könige zogen weiter;
Sie folgten einem goldenen Stern,
Der leuchtete lieblich und heiter.
Der Stern blieb ſtehn über [Joſephs] Haus,
Da ſind ſie hineingegangen;
Das Oechslein brüllte, das Kindlein ſchrie,
Die heil'gen drei Könige ſangen.
XXXVIII.
Mein Kind, wir waren Kinder,
Zwei Kinder, klein und froh;
Wir krochen in's Hühnerhäuschen
Und ſteckten uns unter das Stroh.
Wir krähten wie die Hähne,
Und kamen Leute vorbei —
Kikereküh! ſie glaubten,
Es wäre Hahnengeſchrei.
Die Kiſten auf unſerem Hofe,
Die tapezirten wir aus,
Und wohnten drin beiſammen,
Und machten ein vornehmes Haus.
Des Nachbars alte Katze
Kam öfters zum Beſuch;
Wir machten ihr Bückling' und Knixe,
Und Complimente genug.
Wir haben nach ihrem Befinden
Beſorglich und freundlich gefragt;
Wir haben ſeitdem dasſelbe
Mancher alten Katze geſagt.
Wir ſaßen auch oft und ſprachen
Vernünftig, wie alte Leut',
Und klagten, wie Alles beſſer
Geweſen zu unſerer Zeit;
Wie Lieb' und Treu' und Glauben
Verſchwunden aus der Welt,
Und wie ſo theuer der Kaffee,
Und wie ſo rar das Geld! — — —
Vorbei ſind die Kinderſpiele
Und Alles rollt vorbei, —
Das Geld und die Welt und die Zeiten,
Und Glauben und Lieb' und Treu'.
XXXIX.
Das Herz iſt mir bedrückt, und ſehnlich
Gedenke ich der alten Zeit;
Die Welt war damals noch ſo wöhnlich,
Und ruhig lebten hin die Leut'.
Doch jetzt iſt alles wie verſchoben,
Das iſt ein Drängen! eine Noth!
Geſtorben iſt der Herrgott oben,
Und unten iſt der Teufel todt.
Und Alles ſchaut ſo grämlich trübe,
Und krausverwirrt und morſch und kalt,
Und wäre nicht das bischen Liebe,
So gäb' es nirgends einen Halt.
XL.
Wie der Mond ſich leuchtend dränget
Durch den dunkeln Wolkenflor,
Alſo taucht aus dunkeln Zeiten
Mir ein lichtes Bild hervor.
Saßen all auf dem Verdecke,
Fuhren ſtolz hinab den Rhein,
Und die ſommergrünen Ufer
Glühn im Abendſonnenſchein.
Sinnend ſaß ich zu den Fußen
Einer Dame, ſchön und hold;
In ihr liebes, bleiches Antlitz
Spielt' das rothe Sonnengold.
Lauten klangen, Buben ſangen,
Wunderbare Fröhlichkeit!
Und der Himmel wurde blauer,
Und die Seele wurde weit.
Mährchenhaft vorüberzogen
Berg und Burgen, Wald und Au';
Und das Alles ſah ich glänzen
In dem Aug' der ſchönen Frau.
XLI.
Im Traum ſah ich die Geliebte,
Ein banges, bekümmertes Weib,
Verwelkt und abgefallen
Der ſonſt ſo blühende Leib.
Ein Kind trug ſie auf dem Arme,
Ein andres führt ſie an der Hand,
Und ſichtbar iſt Armuth und Trübſal
Am Gang und Blick und Gewand.
Sie ſchwankte über den Marktplatz,
Und da begegnet ſie mir,
Und ſieht mich an, und ruhig
Und ſchmerzlich ſag' ich zu ihr:
Komm mit nach meinem Hauſe,
Denn du biſt blaß und krank;
Ich will durch Fleiß und Arbeit
Dir ſchaffen Speiſ' und Trank.
Ich will auch pflegen und warten
Die Kinder, die bei dir ſind,
Vor Allem aber dich ſelber,
Du armes, unglückliches Kind.
Ich will dir nie erzählen,
Daß ich dich geliebet hab',
Und wenn du ſtirbſt, ſo will ich
Weinen auf deinem Grab.
XLII.
„Theurer Freund! Was ſoll es nützen,
Stets das alte Lied zu leiern?
Willſt du ewig brütend ſitzen
Auf den alten Liebes-Eiern!
Ach! das iſt ein ewig Gattern,
Aus den Schaalen kriechen Küchlein,
Und ſie piepſen und ſie flattern,
Und du ſperrſt ſie in ein Büchlein!“
XLIII.
Werdet nur nicht ungeduldig,
Wenn von alten Schmerzensklängen
Manche noch vernehmlich klingen
In den neueſten Geſängen.
Wartet nur, es wird verhallen
Dieſes Echo meiner Schmerzen,
Und ein neuer Liederfrühling
Sprießt aus dem geheilten Herzen.
XLIV.
Nun iſt es Zeit, daß ich mit Verſtand
Mich aller Thorheit entled'ge;
Ich hab' ſo lang als ein Comödiant
Mit dir geſpielt die Comödie.
Die prächt'gen Couliſſen, ſie waren bemalt
Im hochromantiſchen Style,
Mein Rittermantel hat goldig geſtrahlt,
Ich fühlte die feinſten Gefühle.
Und nun ich mich gar ſäuberlich
Des tollen Tands entled'ge.
Noch immer elend fühl' ich mich,
Als ſpielt' ich noch immer Comödie.
Ach Gott! im Scherz und unbewußt
Sprach ich was ich gefühlet;
Ich hab' mit dem eignen Tod in der Bruſt
Den ſterbenden Fechter geſpielet.
XLV.
Den König Wiswamitra,
Den treibt's ohne Raſt und Ruh',
Er will durch Kampf und Büßung
Erwerben Waſiſchtas Kuh.
O, König Wiswamitra,
O, welch ein Ochs biſt du,
Daß du ſo viel kämpfeſt und büßeſt,
Und Alles für eine Kuh!
XLVI.
Herz, mein Herz, ſey nicht beklommen,
Und ertrage dein Geſchick,
Neuer Frühling giebt zurück,
Was der Winter dir genommen.
Und wie viel iſt dir geblieben!
Und wie ſchön iſt noch die Welt;
Und, mein Herz, was dir gefällt,
Alles, Alles darfſt du lieben!
XLVII.
Du biſt wie eine Blume,
So hold und ſchön und rein;
Ich ſchau' dich an, und Wehmuth
Schleicht mir in's Herz hinein.
Mir iſt, als ob ich die Hände
Auf's Haupt dir legen ſollt',
Betend, daß Gott dich erhalte
So rein und ſchön und hold.
XLVIII.
Kind! Es wäre dein Verderben,
Und ich geb' mir ſelber Mühe,
Daß dein liebes Herz in Liebe
Nimmermehr für mich erglühe.
Nur daß mir's ſo leicht gelinget,
Will mich dennoch faſt betrüben,
Und ich denke manchmal dennoch:
Möchteſt du mich dennoch lieben!
XLIX.
Wenn ich auf dem Lager liege,
In Nacht und Kiſſen gehüllt,
So ſchwebt mir vor ein ſüßes,
Anmuthig liebes Bild.
Wenn mir der ſtille Schlummer
Geſchloſſen die Augen kaum,
So ſchleicht das Bild ſich leiſe
Hinein in meinen Traum.
Doch mit dem Traum des Morgens
Zerrinnt es nimmermehr;
Dann trag' ich es im Herzen
Den ganzen Tag umher.
L.
Mädchen mit dem rothen Mündchen,
Mit den Aeuglein ſüß und klar,
Du mein liebes, kleines Mädchen,
Deiner denk' ich immerdar.
Lang iſt heut der Winterabend,
Und ich möchte bei dir ſeyn,
Bei dir ſitzen, mit dir ſchwatzen,
Im vertrauten Kämmerlein.
An die Lippen wollt' ich preſſen
Deine kleine, weiße Hand,
Und mit Thränen ſie benetzen,
Deine kleine, weiße Hand.
LI.
Mag da draußen Schnee ſich thürmen
Mag es hageln, mag es ſtürmen,
Klirrend mir an's Fenſter ſchlagen,
Nimmer will ich mich beklagen,
Denn ich trage in der Bruſt
Liebchens Bild und Frühlingsluſt.
LII.
Andre beten zur Madonne,
Andre auch zu Paul und Peter;
Ich jedoch, ich will nur beten,
Nur zu dir, du ſchöne Sonne.
Gieb mir Küſſe, gieb mir Wonne,
Sey mir gütig, ſey mir gnädig,
Schönſte Sonne unter den Mädchen,
Schönſtes Mädchen unter der Sonne!
LIII.
Verrieth mein blaſſes Angeſicht
Dir nicht mein Liebeswehe?
Und willſt du, daß der ſtolze Mund
Das Bettelwort geſtehe?
O, dieſer Mund iſt gar zu ſtolz,
Und kann nur küſſen und ſcherzen;
Er ſpräche vielleicht ein höhniſch Wort,
Während ich ſterbe vor Schmerzen.
LIV.
Theurer Freund, du biſt verliebt,
Und dich quälen neue Schmerzen;
Dunkler wird es dir im Kopf',
Heller wird es dir im Herzen.
Theurer Freund, du biſt verliebt,
Und du willſt es nicht bekennen,
Und ich ſeh' des Herzens Gluth
Schon durch deine Weſte brennen.
LV.
Ich wollte bei dir weilen,
Und an deiner Seite ruhn;
Du mußteſt von mir eilen,
Du hatteſt viel zu thun.
Ich ſagte, daß meine Seele
Dir gänzlich ergeben ſey;
Du lachteſt aus voller Kehle,
Und machteſt 'nen Knix dabei.
Du haſt noch mehr geſteigert
Mir meinen Liebesverdruß,
Und haſt mir ſogar verweigert
Am Ende den Abſchiedskuß.
Glaub' nicht, daß ich mich erſchieße,
Wie ſchlimm auch die Sachen ſtehn!
Das Alles, meine Süße,
Iſt mir ſchon einmal geſchehn.
LVI.
Saphire ſind die Augen dein,
Die lieblichen, die ſüßen.
O, dreimal glücklich iſt der Mann,
Den ſie mit Liebe grüßen.
Dein Herz, es iſt ein Diamant,
Der edle Lichter ſprühet.
O, dreimal glücklich iſt der Mann,
Für den es liebend glühet.
Rubinen ſind die Lippen dein,
Man kann nicht ſchön're ſehen.
O, dreimal glücklich iſt der Mann,
Dem ſie die Liebe geſtehen.
O, kennt' ich nur den glücklichen Mann,
O, daß ich ihn nur fände,
So recht allein im grünen Wald,
Sein Glück hätt' bald ein Ende.
LVII.
Habe mich mit Liebesreden
Feſtgelogen an dein Herz,
Und, verſtrickt in eignen Fäden,
Wird zum Ernſte mir mein Scherz.
Wenn du dich, mit vollem Rechte,
Scherzend nun von mir entfernſt,
Nah'n ſich mir die Höllenmächte,
Und ich ſchieß' mich todt im Ernſt.
LVIII.
Zu fragmentiſch iſt Welt und Leben,
Ich will mich zum deutſchen Profeſſor begeben,
Der weiß das Leben zuſammen zu ſetzen,
Und er macht ein verſtändlich Syſtem daraus;
Mit ſeinen Nachtmützen [und] Schlafrockfetzen
Stopft er die Lücken des Weltenbau's.
LIX.
Ich hab' mir lang den Kopf zerbrochen
Mit Denken und Sinnen, Tag und Nacht,
Doch deine liebenswürdigen Augen
Sie haben mich zum Entſchluß gebracht.
Jetzt bleib' ich, wo deine Augen leuchten,
In ihrer ſüßen, klugen Pracht —
Daß ich noch einmal würde lieben,
Ich hätt' es nimmermehr gedacht.
LX.
Sie haben heut Abend Geſellſchaft,
Und das Haus iſt lichterfüllt.
Dort oben am hellen Fenſter
Bewegt ſich ein Schattenbild.
Du ſchauſt mich nicht, im Dunkeln
Steh' ich hier unten allein;
Noch wen'ger kannſt du ſchauen
In mein dunkles Herz hinein.
Mein dunkles Herze liebt dich,
Es liebt dich und es bricht,
Und bricht und zuckt und verblutet,
Aber du ſiehſt es nicht.
LXI.
Ich wollt', meine Schmerzen ergöſſen
Sich all' in ein einziges Wort,
Das gäb' ich den luſtigen Winden,
Die trügen es luſtig fort.
Sie tragen zu dir, Geliebte,
Das ſchmerzerfüllte Wort;
Du hörſt es zu jeder Stunde,
Du hörſt es an jedem Ort.
Und haſt du zum nächtlichen Schlummer
Geſchloſſen die Augen kaum,
So wird dich mein Auge verfolgen
Bis in den tiefſten Traum.
LXII.
Du haſt Diamanten und Perlen,
Haſt alles, was Menſchenbegehr,
Und haſt die ſchönſten Augen —
Mein Liebchen, was willſt du mehr?
Auf deine ſchönen Augen
Hab' ich ein ganzes Heer
Von ewigen Liedern gedichtet —
Mein Liebchen, was willſt du mehr?
Mit deinen ſchönen Augen
Haſt du mich gequält ſo ſehr,
Und haſt mich zu Grunde gerichtet —
Mein Liebchen, was willſt du mehr?
LXIII.
Wer zum erſtenmale liebt,
Sey's auch glücklos, iſt ein Gott;
Aber wer zum zweitenmale
Glücklos liebt, der iſt ein Narr.
Ich, ein ſolcher Narr, ich liebe
Wieder ohne Gegenliebe!
Sonne, Mond und Sterne lachen,
Und ich lache mit — und ſterbe.
LXIV.
Gaben mir Rath und gute Lehren,
Ueberſchütteten mich mit Ehren,
Sagten, daß ich nur warten ſollt',
Haben mich protegiren gewollt.
Aber bei all ihrem Protegiren,
Hätte ich können vor Hunger krepiren,
Wär' nicht gekommen ein braver Mann,
Wacker nahm er ſich meiner an.
Braver Mann! Er ſchafft mir zu eſſen!
Will es ihm nie und nimmer vergeſſen!
Schade, daß ich ihn nicht küſſen kann!
Denn ich bin ſelbſt dieſer brave Mann.
LXV.
Dieſen liebenswürd'gen Jüngling
Kann man nicht genug verehren;
Oft traktirt er mich mit Auſtern,
Und mit Rheinwein und Liquören.
Zierlich ſitzt ihm Rock und Höschen,
Doch noch zierlicher die Binde,
Und ſo kommt er jeden Morgen;
Fragt, ob ich mich wohlbefinde;
Spricht von meinem weiten Ruhme,
Meiner Anmuth, meinen Witzen;
Eifrig und geſchäftig iſt er
Mir zu dienen, mir zu nützen.
Und des Abends, in Geſellſchaft,
Mit begeiſtertem Geſichte,
Deklamirt er vor den Damen
Meine göttlichen Gedichte.
O, wie iſt es hoch erfreulich,
Solchen Jüngling noch zu finden,
Jetzt in unſrer Zeit, wo täglich
Mehr und mehr die Beſſern ſchwinden.
LXVI.
Mir träumt': ich bin der liebe Gott,
Und ſitz' im Himmel droben,
Und Englein ſitzen um mich her,
Die meine Verſe loben.
Und Kuchen eſſ' ich und Confekt
Für manchen lieben Gulden,
Und Kardinal trink' ich dabei,
Und habe keine Schulden.
Doch Langeweile plagt mich ſehr,
Ich wollt', ich wär' auf Erden,
Und wär' ich nicht der liebe Gott,
Ich könnt' des Teufels werden.
Du langer Engel Gabriel,
Geh', mach' dich auf die Sohlen,
Und meinen theuren Freund Eugen
Sollſt du herauf mir holen.
Such' ihn nicht im Collegium,
Such' ihn beim Glas Tokaier;
Such' ihn nicht in der Hedwigskirch,
Such' ihn bei Mamſell Meyer.
Da breitet aus ſein Flügelpaar
Und fliegt herab der Engel,
Und packt ihn auf, und bringt herauf
Den Freund, den lieben Bengel.
Ja, Jung', ich bin der liebe Gott,
Und ich regier' die Erde!
Ich hab's ja immer dir geſagt,
Daß ich was Rechts noch werde.
Und Wunder thu' ich alle Tag,
Die ſollen dich entzücken,
Und dir zum Spaße will ich heut
Die Stadt Ix-Ix beglücken.
Die Pflaſterſteine auf der Straß',
Die ſollen jetzt ſich ſpalten,
Und eine Auſter, friſch und klar,
Soll jeder Stein enthalten.
Ein Regen von Zitronenſaft
Soll thauig ſie begieſſen,
Und in den Straßengöſſen ſoll
Der beſte Rheinwein fließen.
Wie freuen die Ix-Ixer ſich,
Sie gehen ſchon an's Freſſen;
Die Herren von dem Landgericht,
Die ſaufen aus den Göſſen.
Wie freuen die Poeten ſich
Bei ſolchem Götterfraße!
Die Leutnants und die Fähnderichs,
Die lecken ab die Straße.
Die Leutnants und die Fähnderichs,
Das ſind die klügſten Leute,
Sie denken, alle Tag' geſchieht
Kein Wunder ſo wie heute.
LXVII
Ich hab' Euch im beſten Juli verlaſſen,
Und find' Euch wieder im Januar;
Ihr ſaßet damals ſo recht in der Hitze.
Jetzt ſeyd ihr gekühlt und kalt ſogar.
Bald ſcheid' ich nochmals und komm' ich einſt wieder,
Dann ſeyd ihr weder warm noch kalt,
Und über Eure Gräber ſchreit' ich,
Und das eigne Herz iſt arm und alt.
LXVIII.
Von ſchonen Lippen fortgedrängt, getrieben
Aus ſchönen Armen, die uns feſt umſchloſſen!
Ich wäre gern noch einen Tag geblieben.
Doch kam der Schwager ſchon mit ſeinen Roſſen.
Das iſt das Leben, Kind, ein ewig Jammern,
Ein ewig Abſchiednehmen, ew'ges Trennen!
Konnt' denn dein Herz das mein'ge nicht umklammern?
Hat ſelbſt dein Auge mich nicht halten können?
LXIX.
Wir fuhren allein im dunkeln
Poſtwagen die ganze Nacht;
Wir ruhten einander am Herzen,
Wir haben geſcherzt und gelacht.
Doch als es Morgens tagte,
Mein Kind, wie ſtaunten wir!
Denn zwiſchen uns ſaß Amor,
Der blinde Paſſagier.
LXX.
Das weiß Gott, wo ſich die tolle
Dirne einquartieret hat;
Fluchend, in dem Regenwetter,
Lauf' ich durch die ganze Stadt.
Bin ich doch von einem Gaſthof
Nach dem andern hingerannt,
Und an jeden groben Kellner
Hab' ich mich umſonſt gewandt.
Da erblick’ ich ſie am Fenſter,
Und ſie winkt und kichert hell.
Konnt' ich wiſſen, du bewohnteſt,
Mädchen, ſolches Pracht-Hotel!
LXXI.
Wie dunkle Träume ſtehen
Die Häuſer in langer Reih';
Tief eingehüllt im Mantel
Schreite ich ſchweigend vorbei.
Der Thurm der Cathedrale
Verkündet die zwölfte Stund';
Mit ihren Reizen und Küſſen
Erwartet mich Liebchen jetzund.
Der Mond iſt mein Begleiter,
Er leuchtet mir freundlich vor;
Da bin ich an ihrem Hauſe,
Und freudig ruf' ich empor:
Ich danke dir, alter Vertrauter,
Daß du meinen Weg erhellt;
Jetzt will ich dich entlaſſen,
Jetzt leuchte der übrigen Welt!
Und findeſt du einen Verliebten,
Der einſam klagt ſein Leid,
So tröſt' ihn, wie du mich ſelber
Getröſtet in alter Zeit.
LXXII.
Und biſt du erſt mein eh'lich Weib,
Dann biſt du zu beneiden,
Dann lebſt du in lauter Zeitvertreib,
In lauter Plaiſir und Freuden.
Und wenn du ſchiltſt und wenn du tobſt,
Ich werd' es geduldig leiden;
Doch wenn du meine Verſe nicht lobſt,
Laß ich mich von dir ſcheiden.
LXXIII.
Auf deinen ſchneeweißen Buſen
Hab' ich mein Haupt gelegt,
Und heimlich kann ich behorchen,
Was dir dein Herz bewegt.
Es blaſen die blauen Huſaren,
Und reiten zum Thor herein,
Und morgen will mich verlaſſen
Die Herzallerliebſte mein.
Und willſt du mich morgen verlaſſen
So biſt du doch heute noch mein,
Und in deinen ſchönen Armen
Will ich doppelt ſelig ſeyn.
LXXIV.
Es blaſen die blauen Huſaren,
Und reiten zum Thor hinaus;
Da komm' ich, Geliebte, und bringe
Dir einen Roſenſtrauß.
Das war eine wilde Wirthſchaft,
Viel Volk und Kriegesplag'!
Sogar in deinem Herzchen
Viel Einquartierung lag.
LXXV.
Habe auch, in jungen Jahren,
Manches bitt're Leid erfahren
Von der Liebe Gluth.
Doch das Holz iſt gar zu theuer,
Und erlöſchen will das Feuer,
Ma foi! und das iſt gut.
Das bedenke, junge Schöne,
Schicke fort die dumme Thräne,
Und den dummen Liebesharm.
Iſt das Leben dir geblieben,
So vergiß das alte Lieben,
Ma foi! in meinem Arm.
LXXVI.
Biſt du wirklich mir ſo feindlich,
Biſt du wirklich ganz verwandelt?
Aller Welt will ich es klagen,
Daß du mich ſo ſchlecht behandelt.
O Ihr undankbaren Lippen,
Sagt, wie könnt Ihr Schlimmes ſagen
Von dem Manne, der ſo liebend
Euch geküßt, in ſchönen Tagen?
LXXVII.
Ach, die Augen ſind es wieder,
Die mich einſt ſo lieblich grüßten,
Und es ſind die Lippen wieder,
Die mir's Leben einſt verſüßten;
Auch die Stimme iſt es wieder,
Die ich einſt ſo gern gehöret,
Nur ich ſelber bin's nicht wieder,
Bin verändert heimgekehret.
Von den weißen, ſchönen Armen
Feſt und liebevoll umſchloſſen,
Lieg ich jetzt an ihrem Herzen,
Dumpfen Sinnes und verdroſſen.
LXXVIII.
Selten habt Ihr mich verſtanden,
Selten auch verſtand ich Euch,
Nur wenn wir im Koth uns fanden
So verſtanden wir uns gleich.
LXXIX.
Doch die Kaſtraten klagten
Als ich meine Stimm' erhob;
Sie klagten und ſie ſagten:
Ich ſänge viel zu grob.
Und lieblich erhoben ſie alle
Die kleinen Stimmelein,
Die Trillerchen, wie Kriſtalle,
Sie klangen ſo fein und rein.
Sie ſangen von Liebesſehnen,
Von Lieb' und Liebeserguß;
Die Damen ſchwammen in Thränen,
Bei ſolchem Kunſtgenuß.
LXXX.
Auf den Wällen Salamankas
Sind die Lüfte lind und labend;
Dort, mit meiner holden Donna,
Wandle ich am Sommerabend.
Um den ſchlanken Leib der Schönen
Hab' ich meinen Arm gebogen,
Und mit ſel'gem Finger fühl' ich
Ihres Buſens ſtolzes Wogen.
Doch ein ängſtliches Geflüſter
Zieht ſich durch die Lindenbäume,
Und der dunkle Mühlbach unten
Murmelt böſe, bange Träume.
„Ach, Sennora, Ahnung ſagt mir:
Einſt wird man mich relegiren,
Und auf Salamankas Wällen
Geh'n wir nimmermehr ſpazieren.“
LXXXI.
Neben mir wohnt Don Henriques,
Den man auch den Schönen nennet;
Nachbarlich ſind unſre Zimmer
Nur von dünner Wand getrennet.
Salamanka's Damen glühen,
Wenn er durch die Straßen ſchreitet,
Sporenklirrend, ſchnurrbartkräuſelnd,
Und von Hunden ſtets begleitet.
Doch in ſtiller Abendſtunde
Sitzt er ganz allein daheime,
In den Händen die Guitarre,
In der Seele ſüße Träume.
In die Saiten greift er bebend
Und beginnt zu phantaſiren,
Ach! wie Katzenjammer quält mich
Sein Geſchnarr und Quinquiliren.
LXXXII.
Kaum ſahen wir uns, und an Augen und Stimme
Merkt' ich, daß du mir gewogen biſt;
Und ſtand nicht dabei die Mutter, die ſchlimme,
Ich glaube, wir hätten uns gleich geküßt.
Und morgen verlaſſe ich wieder das Städtchen,
Und eile fort im alten Lauf;
Dann lauert am Fenſter mein blondes Mädchen,
Und freundliche Grüße werf' ich hinauf.
LXXXIII.
Ueber die Berge ſteigt ſchon die Sonne,
Die Lämmerheerde läutet fern;
Mein Liebchen, mein Lamm, meine Sonne und Wonne,
Noch einmal ſäh' ich dich gar zu gern!
Ich ſchaue hinauf, mit ſpähender Miene —
Leb' wohl, mein Kind, ich wandre von hier!
Vergebens! Es regt ſich keine Gardine; —
Sie liegt noch und ſchläft, und träumt von mir.
LXXXIV.
Zu Halle auf dem Markt,
Da ſtehn zwei große Löwen.
Ei, du halliſcher Löwentrotz,
Wie hat man dich gezähmet!
Zu Halle auf dem Markt,
Da ſteht ein großer Rieſe.
Er hat ein Schwert und regt ſich nicht,
Er iſt vor Schreck verſteinert.
Zu Halle auf dem Markt,
Da ſteht eine große Kirche.
Die Burſchenſchaft und die Landsmannſchaft,
Die haben dort Platz zum Beten.
LXXXV.
Dämmernd liegt der Sommerabend
Ueber Wald und grünen Wieſen;
Goldner Mond, am blauen Himmel,
Strahlt herunter, duftig labend.
An dem Bache zirpt die Grille,
Und es regt ſich in dem Waſſer,
Und der Wandrer hört ein Plätſchern,
Und ein Athmen in der Stille.
Dorten, an dem Bach alleine,
Badet ſich die ſchöne Elfe;
Arm und Nacken, weiß und lieblich,
Schimmern in dem Mondenſcheine.
LXXXVI.
Nacht liegt auf den fremden Wegen, —
Krankes Herz und müde Glieder; —
Ach, da fließt, wie ſtiller Segen,
Süßer Mond, dein Licht hernieder.
Süßer Mond, mit deinen Strahlen
Scheucheſt du das nächt'ge Grauen;
Es zerrinnen meine Qualen,
Und die Augen überthauen.
LXXXVII.
Der Tod das iſt die kühle Nacht,
Das Leben iſt der ſchwüle Tag.
Es dunkelt ſchon, mich ſchläfert,
Der Tag hat mich müd' gemacht.
Ueber mein Bett erhebt ſich ein Baum,
Drin ſingt die junge Nachtigall;
Sie ſingt von lauter Liebe,
Ich hör' es ſogar im Traum.
LXXXVIII.
„Sag', wo iſt dein ſchönes Liebchen,
Das du einſt ſo ſchön beſungen,
Als die zaubermächt'gen Flammen
Wunderbar dein Herz durchdrungen?“
Jene Flammen ſind erloſchen,
Und mein Herz iſt kalt und trübe,
Und dies Büchlein iſt die Urne
Mit der Aſche meiner Liebe.
Götterdämmerung.
Der May iſt da mit ſeinen goldnen Lichtern,
Und ſeidnen Lüften und gewürzten Düften,
Und freundlich lockt er mit den weißen Blüthen,
Und grüßt aus tauſend blauen Veilchenaugen,
Und breitet aus den blumreich grünen Teppich,
Durchwebt mit Sonnenſchein und Morgenthau,
Und ruft herbei die lieben Menſchenkinder.
Das blöde Volk gehorcht dem erſten Ruf;
Die Männer ziehn die Nankinhoſen an,
Und Sonntagsröck' mit goldnen Spiegelknöpfen;
Die Frauen kleiden ſich in Unſchuldweiß,
Jünglinge kräuſeln ſich den Frühlingsſchnurrbart,
Jungfrauen laſſen ihre Buſen wallen,
Die Stadtpoeten ſtecken in die Taſche
Papier und Bleiſtift und Lorgnett'; und jubelnd
Zieht nach dem Thor die krausbewegte Schaar,
Und lagert draußen ſich auf grünem Raſen,
Bewundert, wie die Bäume fleißig wachſen,
Spielt mit den bunten, zarten Blümelein,
Horcht auf den Sang der luſt'gen Vögelein,
Und jauchzt hinauf zum blauen Himmelszelt.
Zu mir kam auch der Mai. Er klopfte dreimal
An meine Thür', und rief: Ich bin der Mai,
Du bleicher Träumer, komm, ich will dich küſſen!
Ich hielt verriegelt meine Thür', und rief:
Vergebens lockſt du mich, du ſchlimmer Gaſt;
Ich habe dich durchſchaut, ich hab' durchſchaut
Den Bau der Welt, und hab' zu viel geſchaut,
Und viel zu tief, und hin iſt alle Freude,
Und ew'ge Qualen zogen in mein Herz.
Ich ſchaue durch die ſteinern harten Rinden
Der Menſchenhäuſer und der Menſchenherzen,
Und ſchau' in beiden Lug und Trug und Elend.
Auf den Geſichtern leſ' ich die Gedanken,
Viel ſchlimme. In der Jungfrau Scham-Erröthen
Seh' ich geheime Luſt begehrlich zittern;
Auf dem begeiſtert ſtolzen Jünglingshaupt'
Seh' ich die bunte Schellenkappe ſitzen;
Und Fratzenbilder nur und ſieche Schatten
Seh' ich auf dieſer Erde, und ich weiß nicht,
Iſt ſie ein Tollhaus oder Krankenhaus.
Ich ſehe durch den Grund der alten Erde,
Als ſey ſie von Kriſtall, und ſeh' das Grauſen,
Das mit dem freud'gen Grüne zu bedecken
Der Mai vergeblich ſtrebt. Ich ſeh' die Todten,
Sie liegen unten in den ſchmalen Särgen,
Die Händ' gefaltet und die Augen offen,
Weiß das Gewand und weiß das Angeſicht,
Und durch die gelben Lippen kriechen Würmer.
Ich ſeh', der Sohn ſetzt ſich mit ſeiner Buhle
Zur Kurzweil nieder auf des Vaters Grab;
Spottlieder ſingen rings die Nachtigallen;
Die ſanften Wieſenblümchen lachen hämiſch,
Der todte Vater regt ſich in dem Grab',
Und ſchmerzhaft zuckt die alte Mutter Erde.
Du arme Erde, deine Schmerzen kenn' ich!
Ich ſeh' die Gluth in deinem Buſen wühlen,
Und deine tauſend Adern ſeh' ich bluten,
Und ſeh', wie deine Wunde klaffend aufreißt,
Und wild hervorſtrömt Flamm' und Rauch und Blut.
Ich ſeh' die Rieſenſöhn' der alten Nacht,
Sie ſteigen aus der Erde off'nem Schlund,
Und ſchwingen rothe Fackeln in den Händen,
Und legen ihre Eiſenleiter an,
Und ſtürmen wild hinauf zur Himmelsveſte;
Und ſchwarze Zwerge klettern nach; und kniſternd
Zerſtieben droben alle goldnen Sterne.
Mit frecher Hand reißt man den goldnen Vorhang
Vom Zelte Gottes, heulend ſtürzen nieder,
Auf's Angeſicht, die frommen Engelſchaaren.
Auf ſeinem Throne ſitzt der bleiche Gott,
Reißt ſich vom Haupt die Kron', zerrauft ſein Haar —
Und näher drängt heran die wilde Rotte;
Die Rieſen werfen ihre rothen Fackeln
In's Reich der Ewigkeit, die Zwerge ſchlagen
Mit Flammengeißeln auf der Englein Rücken;
Die winden ſich und krümmen ſich vor Qualen,
Und werden bei den Haaren fortgeſchleudert.
Und meinen eignen Engel ſeh' ich dort,
Mit ſeinen blonden Locken, ſüßen Zügen,
Und mit der ew'gen Liebe um den Mund,
Und mit der Seligkeit im blauen Auge —
Und ein entſetzlich häßlich ſchwarzer Kobold
Reißt ihn vom Boden, meinen bleichen Engel,
Beäugelt grinſend ſeine edlen Glieder,
Umſchlingt ihn feſt mit zärtlicher Umſchlingung —
Und gellend dröhnt ein Schrei durch's ganze Weltall,
Die Säulen brechen, Erd' und Himmel ſtürzen
Zuſammen, und es herrſcht die alte Nacht.
Ratcliff.
Der Traumgott brachte mich in eine Landſchaft,
Wo Trauerweiden mir „Willkommen“ winkten,
Mit ihren langen, grünen Armen, wo die Blumen
Mit klugen Schweſteraugen ſtill mich anſah'n,
Wo mir vertraulich klang der Vögel Zwitſchern,
Wo gar der Hunde Bellen mir bekannt ſchien,
Und Stimmen und Geſtalten mich begrüßten,
Wie einen alten Freund, und wo doch Alles
So fremd mir ſchien, ſo wunderſeltſam fremd.
Vor einem ländlich ſchmucken Hauſe ſtand ich,
In meiner Bruſt bewegte ſich's, im Kopfe
War's ruhig, ruhig ſchüttelte ich ab
Den Staub von meinen Reiſekleidern,
Dumpf klang die Klingel, und die Thür ging auf.
Da waren Männer, Frauen, viel bekannte
Geſichter. Stiller Kummer lag auf allen
Und heimlich ſcheue Angſt. Seltſam verſtört,
Mit Beileidsmienen faſt, ſah'n ſie mich an,
Daß es mir ſelber durch die Seele ſchauert',
Wie Ahnung eines unbekannten Unheils.
Die alte Marg'reth hab' ich gleich erkannt;
Ich ſah ſie forſchend an, jedoch ſie ſprach nicht.
„Wo iſt Maria?“ fragt' ich, doch ſie ſprach nicht,
Griff leiſe meine Hand, und führte mich
Durch viele lange, leuchtende Gemächer,
Wo Prunk und Pracht und Todtenſtille herrſchte,
Und führt' mich endlich in ein dämmernd Zimmer,
Und zeigt' mit abgewandtem Angeſicht',
Nach der Geſtalt, die auf dem Sopha ſaß.
„Sind Sie Maria?“ fragt' ich. Innerlich
Erſtaunt' ich ſelber ob der Feſtigkeit,
Womit ich ſprach. Und ſteinern und metalllos
Scholl eine Stimm': „So nennen mich die Leute.“
Ein ſchneidend Weh durchfröſtelte mich da,
Denn jener hohle, kalte Ton war doch —
Die einſt ſo ſüße Stimme von Maria!
Und jenes Weib im fahlen Lillakleid,
Nachläſſig angezogen, Buſen ſchlotternd,
Die Augen gläſern ſtarr, die Wangenmuskeln
Des weißen Angeſichtes lederſchlaff —
Ach, jenes Weib war doch die einſt ſo ſchöne,
Die blühend holde, liebliche Maria!
„Sie waren lang auf Reiſen!“ ſprach ſie laut,
Mit kalt unheimlicher Vertraulichkeit,
„Sie ſchaun nicht mehr ſo ſchmachtend, liebſter Freund,
Sie ſind geſund, und pralle Lend' und Wade
Bezeugt Solidität.“ Ein ſüßlich Lächeln
Umzitterte den gelblich blaſſen Mund.
In der Verwirrung ſprach's aus mir hervor:
„Man ſagte mir, Sie haben ſich vermählt?“
„Ach ja!“ ſprach ſie gleichgültig laut und lachend,
„Hab' einen Stock von Holz, der überzogen
Mit Leder iſt, Gemahl ſich nennt; doch Holz
Iſt Holz!“ Und klanglos widrig lachte ſie,
Daß kalte Angſt durch meine Seele rann,
Und Zweifel mich ergriff: — ſind das die keuſchen,
Die blumenzarten Lippen von Maria?
Sie aber hob ſich in die Höh', nahm raſch
Vom Stuhl den Türken-Shwal, warf ihn
Um ihren Hals, hing ſich an meinen Arm,
Zog mich von hinnen, durch die offne Hausthür,
Und zog mich fort durch Feld und Buſch und Au'.
Die glühend rothe Sonnenſcheibe ſchwebte
Schon niedrig, und ihr Purpur überſtrahlte
Die Bäume und die Blumen und den Strom,
Der in der Ferne majeſtätiſch floß.
„Sehn Sie das große, goldne Auge ſchwimmen
Im blauen Waſſer?“ rief Maria haſtig.
„Still, armes Weſen!“ ſprach ich, und ich ſchaute
Im Dämmerlicht' ein mährchenhaftes Weben.
Es ſtiegen Nebelbilder aus den Feldern,
Umſchlangen ſich mit weißen, weichen Armen;
Die Veilchen ſahn ſich zärtlich an, ſehnſüchtig
Zuſammenbeugten ſich die Lilienkelche;
Aus allen Roſen glühten Wolluſtgluthen!
Die Nelken wollten ſich im Hauch entzünden;
In ſel'gen Düften ſchwelgten alle Blumen,
Und alle weinten ſtille Wonnethränen,
Und alle jauchzten: Liebe! Liebe! Liebe!
Die Schmetterlinge flatterten, die hellen
Goldkäfer ſummten Lieblingsliedchen,
Die Abendwinde flüſterten, es rauſchten
Die Eichen, ſchmelzend ſang die Nachtigall —
Und zwiſchen all dem Flüſtern, Rauſchen, Singen,
Schwatzte mit blechern klanglos kalter Stimme
Das welke Weib, das mir am Arme hing.
„Ich kenn' Ihr nächtlich Treiben auf dem Schloß;
Der lange Schatten iſt ein guter Tropf,
Er nickt und winkt zu allem was man will;
Der Blaurock iſt ein Engel; doch der Rothe,
Mit blankem Schwert, iſt Ihnen ſpinnefeind.“
Und noch viel bunt're, wunderliche Reden
Schwatzt ſie in einem fort, und ſetzte ſich,
Ermüdet, mit mir nieder auf die Moosbank,
Die unterm alten Eichenbaume ſteht.
Da ſaßen wir beiſammen, ſtill und traurig,
Und ſahn uns an, und wurden immer traur'ger.
Die Eiche ſäuſelte wie Sterbeſeufzer,
Tiefſchmerzlich ſang die Nachtigall herab.
Doch rothe Lichter drangen durch die Blätter,
Umflimmerten Maria's weißes Antlitz,
Und lockten Gluth aus ihren ſtarren Augen,
Und mit der alten, ſüßen Stimme ſprach ſie:
„Wie wußteſt Du, daß ich ſo elend bin,
Ich las es jüngſt in deinen wilden Liedern?“
Eiskalt durchzog's mir da die Bruſt, mir grauſte
Ob meinem eig'nen Wahnſinn, der die Zukunft
Geſchaut, es zuckte dunkel durch mein Hirn,
Und vor Entſetzen bin ich aufgewacht.
Donna Clara.
In dem abendlichen Garten
Wandelt des Alkaden Tochter;
Pauken- und Trommetenjubel
Klingt herunter von dem Schloſſe.
„Läſtig werden mir die Tänze
Und die ſüßen Schmeichelworte,
Und die Ritter, die ſo zierlich
Mich vergleichen mit der Sonne.
„Ueberläſtig wird mir Alles,
Seit ich ſah, bei'm Strahl des Mondes,
Jenen Ritter, deſſen Laute
Nächtens mich an's Fenſter lockte.
„Wie er ſtand ſo ſchlank und muthig,
Und die Augen leuchtend ſchoſſen
Aus dem edelblaſſen Antlitz,
Glich er wahrlich Sanct Georgen.“
Alſo dachte Donna Clara,
Und ſie ſchaute auf den Boden;
Wie ſie aufblickt, ſteht der ſchöne,
Unbekannte Ritter vor ihr.
Händedrückend, liebeflüſternd,
Wandeln ſie umher im Mondſchein,
Und der Zephyr ſchmeichelt freundlich,
Mährchenartig grüßen Roſen.
Mährchenartig grüßen Roſen,
Und ſie glüh'n wie Liebesboten.
Aber ſage mir, Geliebte,
Warum du ſo plötzlich roth wirſt?
„Mücken ſtachen mich, Geliebter,
Und die Mücken ſind, im Sommer,
Mir ſo tief verhaßt, als wären's
Langenaſ'ge Judenrotten.“
Laß die Mücken und die Juden,
Spricht der Ritter, freundlich koſend.
Von den Mandelbäumen fallen
Tauſend weiße Blüthenflocken.
Tauſend weiße Blüthenflocken
Haben ihren Duft ergoſſen.
Aber ſage mir, Geliebte,
Iſt dein Herz mir ganz gewogen?
„Ja, ich liebe dich, Geliebter,
Bei dem Heiland ſey's geſchworen,
Den die gottverfluchten Juden
Boshaft tückiſch einſt ermordet.“
Laß den Heiland und die Juden,
Spricht der Ritter, freundlich koſend.
In der Ferne ſchwanken traumhaft
Weiße Liljen, lichtumfloſſen.
Weiße Liljen, lichtumfloſſen,
Blicken nach den Sternen droben.
Aber ſage mir, Geliebte,
Haſt du auch nicht falſch geſchworen.
„Falſch iſt nicht in mir, Geliebter,
Wie in meiner Bruſt kein Tropfen
Blut iſt von dem Blut der Mohren
Und des ſchmutz'gen Judenvolkes.“
Laß die Mohren und die Juden
Spricht der Ritter, freundlich koſend;
Und nach einer Myrthenlaube
Führt er die Alkadentochter.
Wie mit weichen Liebesnetzen
Hat er heimlich ſie umflochten;
Kurze Worte, lange Küſſe,
Und die Herzen überfloſſen.
Und ein ſchmelzend ſüßes Brautlied
Singt im Laub' ein Zaubervogel;
Wie zum Fackeltanze hüpfen
Feuerwürmchen auf dem Boden.
In der Laube wird es ſtiller,
Und es ſchweigen die Verborgnen;
Nur die heimlich klugen Myrthen
Hört man flüſtern, wie verſtohlen.
Aber Pauken und Trommeten
Schallen plötzlich aus dem Schloſſe,
Und erwachend hat ſich Clara
Aus des Ritters Arm gezogen.
„Horch! da ruft es mich, Geliebter,
Doch, bevor wir ſcheiden, ſollſt du
Nennen deinen lieben Namen,
Den du mir ſo lang verborgen.“
Und der Ritter, heiter lächelnd,
Küßt die Finger ſeiner Holden,
Küßt die Lippen und die Stirne,
Und er ſpricht die langen Worte:
„Ich, Sennora, Eu'r Geliebter,
Bin der Sohn des vielbelobten,
Großen, ſchriftgelehrten Rabbi
Iſrael von Saragoſſa.“
Almanſor.
I.
In dem Dome zu Corduva
Stehen Säulen, dreizehnhundert,
Dreizehnhundert Rieſenſäulen
Tragen die gewalt'ge Kuppel.
Und auf Säulen, Kuppel, Wänden,
Ziehn von oben ſich bis unten
Des Corans arab'ſche Sprüche,
Klug und blumenhaft verſchlungen.
Mohrenkön'ge bauten weiland
Dieſes Haus zu Allahs Ruhme,
Doch hat Alles ſich verwandelt
In der Zeiten dunkelm Strudel.
Auf dem Thurme, wo der Thürmer
Zum Gebete aufgerufen,
Hebt ſich jetzt der Chriſtenglocken
Melancholiſches Geſumme.
Auf den Stufen, wo die Gläub'gen
Das Prophetenwort geſungen,
Zeigen jetzt die Glatzenpfäfflein
Ihrer Meſſe fades Wunder.
Und das iſt ein Drehn und Winden
Vor den buntbemalten Puppen,
Und das blöckt und dampft und klingelt,
Und die dummen Kerzen funkeln.
In dem Dome zu Corduva
Steht Almanſor ben Abdullah,
All die Säulen ſtill betrachtend,
Und die ſtillen Worte murmelnd:
„O, ihr Säulen, ſtark und rieſig,
Einſt geſchmückt zu Allahs Ruhme,
Jetzo müßt Ihr dienend huld'gen
Dem verhaßten Chriſtenthume!
„Ihr bequemt Euch in die Zeiten,
Und Ihr tragt die Laſt geduldig; —
Ei, da muß ja wohl der Schwäch're
Noch viel leichter ſich beruh'gen.“
Und ſein Haupt, mit heiterm Antlitz,
Beugt Almanſor ben Abdullah
Ueber den gezierten Taufſtein,
In dem Dome zu Corduva.
II.
Haſtig ſchritt er aus dem Dome,
Jagte fort auf ſeinem Rappen,
Daß im Wind die feuchten Locken
Und des Hutes Federn wallen.
Auf dem Weg' nach Alkolea,
Dem Guadalquivir entlange,
Wo die weißen Mandeln blühen,
Und die duft'gen Gold-Orangen;
Dorten jagt der luſt'ge Ritter,
Pfeift und ſingt, und lacht behaglich.
Und es ſtimmen ein die Vögel,
Und des Stromes laute Waſſer.
In dem Schloß zu Alkolea
Wohnet Clara de Alvares,
In Navarra kämpft ihr Vater
Und ſie freut ſich mindern Zwanges.
Und Allmanſor hört ſchon ferne
Pauken und Trommeten ſchallen,
Und er ſieht des Schloſſes Lichter
Blitzen durch der Bäume Schatten.
In dem Schloß zu Alkolea
Tanzen zwölf geſchmückte Damen,
Tanzen zwölf geſchmückte Ritter,
Doch am ſchönſten tanzt Almanſor.
Wie beſchwingt von muntrer Laune
Flattert er herum im Saale,
Und er weiß den Damen allen
Süße Schmeichelein zu ſagen.
Iſabellens ſchöne Hände
Küßt er raſch, und ſpringt von dannen;
Und er ſetzt ſich vor Elviren
Und er ſchaut ihr froh in's Antlitz.
Lachend fragt er Leonoren:
Ob er heute ihr gefalle?
Und er zeigt die goldnen Kreuze
Eingeſtickt in ſeinen Mantel.
Und zu jeder Dame ſpricht er:
Daß er ſie im Herzen trage;
Und „ſo wahr ich Chriſt bin“ ſchwört er
Dreißig Mal an jenem Abend.
III.
In dem Schloß zu Alkolea
Iſt verſchollen Luſt und Klingen,
Herr'n und Damen ſind verſchwunden,
Und erloſchen ſind die Lichter.
Donna Clara und Almanſor
Sind allein im Saal geblieben;
Einſam ſtreut die letzte Lampe
Ueber beide ihren Schimmer.
Auf dem Seſſel ſitzt die Dame,
Auf dem Schemel ſitzt der Ritter,
Und ſein Haupt, das ſchlummermüde,
Ruht auf den geliebten Knieen.
Roſenöhl, aus gold'nen Fläſchchen,
Gießt die Dame, ſorgſam ſinnend,
Auf Almanſors braune Locken —
Und er ſeufzt aus Herzenstiefe.
Süßen Kuß, mit ſanftem Munde,
Drückt die Dame, ſorgſam ſinnend,
Auf Almanſors braune Locken —
Und es wölkt ſich ſeine Stirne.
Thränenfluth, aus lichten Augen,
Weint die Dame, ſorgſam ſinnend,
Auf Almanſors braune Locken —
Und es zuckt um ſeine Lippen.
Und er träumt: er ſtehe wieder,
Tief das Haupt gebeugt und triefend,
In dem Dom zu Corduva,
Und er hört' viel dunkle Stimmen.
All die hohen Rieſenſäulen
Hört er murmeln unmuthgrimmig,
Länger wollen ſie's nicht tragen,
Und ſie wanken und ſie zittern;
Und ſie brechen wild zuſammen,
Es erbleichen Volk und Prieſter,
Krachend ſtürzt herab die Kuppel,
Und die Chriſtengötter wimmern.
Die Wallfahrt nach Kevlaar.
I.
Am Fenſter ſtand die Mutter,
Im Bette lag der Sohn.
„Willſt du nicht aufſtehn, Wilhelm,
Zu ſchau'n die Prozeſſion?“ —
„Ich bin ſo krank, o Mutter,
Daß ich nicht hör' und ſeh';
Ich denk' an das todte Gretchen,
Da thut das Herz mir weh.“ —
„Steh' auf, wir wollen nach Kevlaar,
Nimm Buch und Roſenkranz;
Die Mutter Gottes heilt dir
Dein krankes Herze ganz.“
Es flattern die Kirchenfahnen,
Es ſingt im Kirchenton;
Das iſt zu Cölln am Rheine,
Da geht die Prozeſſion.
Die Mutter folgt der Menge,
Den Sohn, den führet ſie,
Sie ſingen beide im Chore:
Gelobt ſey'ſt du Marie!
II.
Die Mutter Gottes zu Kevlaar
Trägt heut' ihr beſtes Kleid;
Heut' hat ſie viel zu ſchaffen,
Es kommen viel' kranke Leut'.
Die kranken Leute bringen
Ihr dar, als Opferſpend',
Aus Wachs gebildete Glieder,
Viel wächſerne Füß' und Händ'.
Und wer eine Wachshand opfert,
Dem heilt an der Hand die Wund';
Und wer einen Wachsfuß opfert,
Dem wird der Fuß geſund.
Nach Kevlaar ging Mancher auf Krücken,
Der jetzo tanzt auf dem Seil',
Gar Mancher ſpielt jetzt die Bratſche,
Dem dort kein Finger war heil.
Die Mutter nahm ein Wachslicht,
Und bildete d'raus ein Herz.
„Bring das der Mutter Gottes,
Dann heilt ſie deinen Schmerz.“
Der Sohn nahm ſeufzend das Wachsherz
Ging ſeufzend zum Heiligenbild;
Die Thräne quillt aus dem Auge,
Das Wort aus dem Herzen quillt:
„Du Hochgebenedeite,
Du reine Gottesmagd,
Du Königin des Himmels,
Dir ſey mein Leid geklagt!
„Ich wohnte mit meiner Mutter
Zu Cöllen in der Stadt,
Der Stadt, die viele hundert
Kapellen und Kirchen hat.
„Und neben uns wohnte Gretchen,
Doch die iſt todt jetzund —
Marie, dir bring' ich ein Wachsherz,
Heil' du meine Herzenswund'.
„Heil' Du mein krankes Herze,
Ich will auch ſpät und früh'
Inbrünſtiglich beten und ſingen:
Gelobt ſeyſt du, Marie!“
III.
Der kranke Sohn und die Mutter,
Die ſchliefen im Kämmerlein;
Da kam die Mutter Gottes
Ganz leiſe geſchritten herein.
Sie beugte ſich über den Kranken,
Und legte ihre Hand
Ganz leiſe auf ſein Herze,
Und lächelte mild und ſchwand.
Die Mutter ſchaut Alles im Traume,
Und hat noch mehr geſchaut;
Sie erwachte aus dem Schlummer,
Die Hunde bellten zu laut.
Da lag dahingeſtrecket
Ihr Sohn, und der war todt;
Es ſpielt auf den bleichen Wangen
Das lichte Morgenroth.
Die Mutter faltet die Hände,
Ihr war, ſie wußte nicht wie;
Andächtig ſang ſie leiſe:
Gelobt ſey'ſt du, Marie!
Aus der Harzreiſe.
1824.
[[286]][[287]]
Prolog.
Schwarze Röcke, ſeid'ne Strümpfe,
Weiße, höfliche Manſchetten,
Sanfte Reden, Embraſſiren —
Ach, wenn ſie nur Herzen hätten!
Herzen in der Bruſt, und Liebe,
Warme Liebe in dem Herzen —
Ach, mich tödtet ihr Geſinge
Von erlog'nen Liebesſchmerzen.
Auf die Berge will ich ſteigen,
Wo die frommen Hütten ſtehen,
Wo die Bruſt ſich frei erſchließet,
Und die freien Lüfte wehen.
Auf die Berge will ich ſteigen,
Wo die dunkeln Tannen ragen,
Bäche rauſchen, Vögel ſingen,
Und die ſtolzen Wolken jagen.
Lebet wohl, ihr glatten Säle!
Glatte Herren! glatte Frauen!
Auf die Berge will ich ſteigen,
Lachend auf Euch niederſchauen.
Bergidylle.
I.
Auf dem Berge ſteht die Hütte,
Wo der alte Bergmann wohnt;
Dorten rauſcht die grüne Tanne,
Und erglänzt der gold'ne Mond.
In der Hütte ſteht ein Lehnſtuhl,
Reich geſchnitzt und wunderlich,
Der darauf ſitzt, der iſt glücklich,
Und der Glückliche bin Ich!
Auf dem Schemel ſitzt die Kleine,
Stützt den Arm auf meinen Schooß;
Aeuglein wie zwei blaue Sterne,
Mündlein wie die Purpurroſ'.
Und die lieben, blauen Sterne
Schau'n mich an ſo himmelgroß,
Und ſie legt den Lilienfinger
Schalkhaft auf die Purpurroſ'.
Nein, es ſieht uns nicht die Mutter,
Denn ſie ſpinnt mit großem Fleiß,
Und der Vater ſpielt die Zitter,
Und er ſingt die alte Weiſ'.
Und die Kleine flüſtert leiſe,
Leiſe, mit gedämpftem Laut;
Manches wichtige Geheimniß
Hat ſie mir ſchon [anvertraut].
„Aber ſeit die Muhme todt iſt,
Können wir ja nicht mehr geh'n
Nach dem Schützenhof zu Goslar,
Und dort iſt es gar zu ſchön.
„Hier dagegen iſt es einſam,
Auf der kalten Bergeshöh',
Und des Winters ſind wir gänzlich
Wie vergraben in dem Schnee.
„Und ich bin ein banges Mädchen,
Und ich fürcht' mich wie ein Kind
Vor den böſen Bergesgeiſtern,
Die des Nachts geſchäftig ſind.“
Plötzlich ſchweigt die liebe Kleine,
Wie vom eignen Wort erſchreckt,
Und ſie hat mit beiden Händchen
Ihre Aeugelein bedeckt.
Lauter rauſcht die Tanne draußen,
Und das Spinnrad ſchnarrt und brummt,
Und die Zither klingt dazwiſchen,
Und die alte Weiſe ſummt:
Fürcht' dich nicht, du liebes Kindchen,
Vor der böſen Geiſter Macht;
Tag und Nacht, du liebes Kindchen,
Halten Englein bei dir Wacht!“
II.
Tannenbaum, mit grünen Fingern,
Pocht an's nied're Fenſterlein,
Und der Mond, der gelbe Lauſcher,
Wirft ſein ſüßes Licht herein.
Vater, Mutter ſchnarchen leiſe
In dem nahen Schlafgemach,
Doch wir beide, ſelig ſchwatzend,
Halten uns einander wach.
„Daß du gar zu oft gebetet,
Das zu glauben wird mir ſchwer,
Jenes Zucken deiner Lippen
Kommt wohl nicht vom Beten her.
„Jenes böſe, kalte Zucken,
Das erſchreckt mich jedesmal,
Doch die dunkle Angſt beſchwichtigt
Deiner Augen frommer Strahl.
„Auch bezweifl' ich, daß du glaubeſt,
Was ſo rechter Glauben heißt,
Glaubſt wohl nicht an Gott den Vater,
An den Sohn und heil'gen Geiſt?“ —
Ach, mein Kindchen, ſchon als Knabe,
Als ich ſaß auf Mutters Schooß,
Glaubte ich an Gott den Vater,
Der da waltet gut und groß;
Der die ſchöne Erd' erſchaffen,
Und die ſchönen Menſchen d'rauf,
Der den Sonnen, Monden, Sternen
Vorgezeichnet ihren Lauf.
Als ich größer wurde, Kindchen,
Noch viel mehr begriff ich ſchon,
Und begriff, und ward vernünftig,
Und ich glaub' auch an den Sohn;
An den lieben Sohn, der liebend
Uns die Liebe offenbart,
Und zum Lohne, wie gebräuchlich,
Von dem Volk gekreuzigt ward.
Jetzo, da ich ausgewachſen,
Viel geleſen, viel gereiſt,
Schwillt mein Herz, und ganz von Herzen
Glaub' ich an den heil'gen Geiſt.
Dieſer that die größten Wunder,
Und viel größ're thut er noch;
Er zerbrach die Zwingherrnburgen,
Und zerbrach des Knechtes Joch.
Alte Todeswunden heilt er,
Und erneut das alte Recht:
Alle Menſchen, gleichgeboren,
Sind ein adliges Geſchlecht.
Er verſcheucht die böſen Nebel,
Und das dunkle Hirngeſpinſt,
Das uns Lieb' und Luſt verleidet,
Tag und Nacht uns angegrinzt.
Tauſend Ritter, wohlgewappnet,
Hat der heil'ge Geiſt erwählt,
Seinen Willen zu erfüllen,
Und er hat ſie muthbeſeelt.
Ihre theuern Schwerdter blitzen,
Ihre guten Banner weh'n!
Ei, du möchteſt wohl, mein Kindchen,
Solche ſtolze Ritter ſeh'n?
Nun, ſo ſchau' mich an, mein Kindchen,
Küſſe mich und ſchaue dreiſt;
Denn ich ſelber bin ein ſolcher
Ritter von dem heil'gen Geiſt.
III.
Still verſteckt der Mond ſich draußen
Hinter'm grünen Tannenbaum,
Und im Zimmer unſre Lampe
Flackert matt und leuchtet kaum.
Aber meine blauen Sterne
Strahlen auf in heller'm Licht,
Und es glühn die Purpurröslein,
Und das liebe Mädchen ſpricht:
„Kleines Völkchen, Wichtelmännchen,
Stehlen unſer Brod und Speck,
Abends liegt es noch im Kaſten,
Und des Morgens iſt es weg.
„Kleines Völkchen, unſre Sahne
Naſcht es von der Milch, und läßt
Unbedeckt die Schüſſel ſtehen,
Und die Katze ſäuft den Reſt.
„Und die Katz' iſt eine Hexe,
Denn ſie ſchleicht, bei Nacht und Sturm,
Drüben nach dem Geiſterberge,
Nach dem altverfall'nen Thurm.
„Dort hat einſt ein Schloß geſtanden,
Voller Luſt und Waffenglanz;
Blanke Ritter, Frau'n und Knappen
Schwangen ſich im Fackeltanz.
„Da verwünſchte Schloß und Leute
Eine böſe Zauberin,
Nur die Trümmer blieben ſtehen,
Und die Eulen niſten d'rin.
„Doch die ſel'ge Muhme ſagte:
Wenn man ſpricht das rechte Wort,
Nächtlich zu der rechten Stunde,
Drüben an dem rechten Ort:
„So verwandeln ſich die Trümmer
Wieder in ein helles Schloß,
Und es tanzen wieder luſtig
Ritter, Frau'n und Knappentroß;
„Und wer jenes Wort geſprochen,
Dem gehören Schloß und Leut',
Pauken und Trompeten huld'gen
Seiner jungen Herrlichkeit.“
Alſo blühen Mährchenbilder
Aus des Mundes Röſelein,
Und die Augen gießen drüber
Ihren blauen Sternenſchein.
Ihre gold'nen Haare wickelt
Mir die Kleine um die Händ',
Giebt den Fingern hübſche Namen,
Lacht und küßt, und ſchweigt am End'.
Und im ſtillen Zimmer Alles
Blickt mich an ſo wohlvertraut;
Tiſch und Schrank, mir iſt als hätt' ich
Sie ſchon früher mal geſchaut.
Freundlich ernſthaft ſchwatzt die Wanduhr,
Und die Zither, hörbar kaum,
Fängt von ſelber an zu klingen,
Und ich ſitze wie im Traum.
Jetzo iſt die rechte Stunde,
Und es iſt der rechte Ort;
Staunen würdeſt du, mein Kindchen,
Spräch' ich aus das rechte Wort.
Sprech' ich jenes Wort, ſo dämmert
Und erbebt die Mitternacht,
Bach und Tannen brauſen lauter,
Und der alte Berg erwacht.
Zitherklang und Zwergenlieder
Tönen aus des Berges Spalt,
Und es ſprießt, wie'n toller Frühling,
D'raus hervor ein Blumenwald;
Blumen, kühne Wunderblumen,
Blätter, breit und fabelhaft,
Duftig bunt und haſtig regſam.
Wie gedrängt von Leidenſchaft.
Roſen, wild wie rothe Flammen,
Sprüh'n aus dem Gewühl hervor;
Lilien, wie kryſtall'ne Pfeiler,
Schießen himmelhoch empor.
Und die Sterne, groß wie Sonnen,
Schau'n herab mit Sehnſuchtgluth;
In der Lilien Rieſenkelche
Strömet ihre Strahlenfluth.
Doch wir ſelber, ſüßes Kindchen,
Sind verwandelt noch viel mehr;
Fackelglanz und Gold und Seide
Schimmern luſtig um uns her.
Du, du wurdeſt zur [Prinzeſſin],
Dieſe Hütte ward zum Schloß,
Und da jubeln und da tanzen
Ritter, Frau'n und Knappentroß.
Aber Ich, ich hab' erworben
Dich und Alles, Schloß und Leut';
Pauken und Trompeten huld'gen
Meiner jungen Herrlichkeit!
Der Hirtenknabe.
König iſt der Hirtenknabe,
Grüner Hügel iſt ſein Thron,
Ueber ſeinem Haupt die Sonne
Iſt die große, goldne Kron'.
Ihm zu Füßen liegen Schafe,
Weiche Schmeichler, rothbekreuzt;
Kavaliere ſind die Kälber,
Und ſie wandeln ſtolzgeſpreizt.
Hofſchauſpieler ſind die Böcklein,
Und die Vögel [und] die Küh',
Mit den Flöten, mit den Glöcklein,
Sind die Kammermuſizi.
Und das klingt und ſingt ſo lieblich,
Und ſo lieblich rauſchen drein
Waſſerfall und Tannenbäume,
Und der König ſchlummert ein.
Unterdeſſen muß regieren
Der Miniſter, jener Hund,
Deſſen knurriges Gebelle
Wiederhallet in der Rund'.
Schläfrig lallt der junge König:
„Das Regieren iſt ſo ſchwer,
Ach, ich wollt', daß ich zu Hauſe
Schon bei meiner Kön'gin wär'!
„In den Armen meiner Kön'gin
Ruht mein Königshaupt ſo weich,
Und in ihren lieben Augen
Liegt mein unermeßlich Reich!“
Auf dem Brocken.
Heller wird es ſchon im Oſten
Durch der Sonne kleines Glimmen,
Weit und breit die Bergesgipfel
In dem Nebelmeere ſchwimmen.
Hätt' ich Siebenmeilenſtiefel,
Lief ich mit der Haſt des Windes,
Ueber jene Bergesgipfel,
Nach dem Haus des lieben Kindes.
Von dem Bettchen, wo ſie ſchlummert,
Zög' ich leiſe die Gardinen,
Leiſe küßt' ich ihre Stirne,
Leiſe ihres Munds Rubinen.
Und noch leiſer wollt' ich flüſtern
In die kleinen Lilien-Ohren:
Denk' im Traum, daß wir uns lieben,
Und daß wir uns nie verloren.
Die Ilſe.
Ich bin die Prinzeſſin Ilſe,
Und wohne im Ilſenſtein;
Komm mit nach meinem Schloſſe,
Wir wollen ſelig ſeyn.
Dein Haupt will ich benetzen
Mit meiner klaren Well',
Du ſollſt deine Schmerzen vergeſſen,
Du ſorgenkranker Geſell!
In meinen weißen Armen,
An meiner weißen Bruſt,
Da ſollſt du liegen und träumen
Von alter Mährchenluſt.
Ich will dich küſſen und herzen
Wie ich geherzt und geküßt
Den lieben Kaiſer Heinrich,
Der nun geſtorben iſt.
Es bleiben todt die Todten,
Und nur der Lebendige liebt;
Und ich bin ſchön und blühend,
Mein lachendes Herze bebt.
Und bebt mein Herz dort unten,
So klingt mein kriſtallenes Schloß,
Es tanzen die Fräulein und Ritter,
Es jubelt der Knappentroß.
Es rauſchen die ſeidenen Schleppen,
Es klirren die Eiſenſpor'n,
Die Zwerge trompeten und pauken,
Und fiedeln und blaſen das Horn.
Doch dich ſoll mein Arm umſchlingen
Wie er Kaiſer Heinrich umſchlang;
Ich hielt ihm zu die Ohren,
Wenn die Trompet' erklang.
Die Nordſee.
1825 – 1826.
20[[306]][[307]]
Friedrich Merkel
ſind die Bilder der Nordſee freundſchaftlichſt
zugeeignet
vom
Verfaſſer.
Erſter Cyklus.
I.
Krönung.
Ihr Lieder! Ihr meine guten Lieder!
Auf, auf! und wappnet Euch!
Laßt die Trompeten klingen,
Und hebt mir auf den Schild
Dies junge Mädchen,
Das jetzt mein ganzes Herz
Beherrſchen ſoll, als Königin.
Heil dir! du junge Königin!
Von der Sonne droben
Reiß' ich das ſtrahlend rothe Gold,
Und webe d'raus ein Diadem
Für dein geweihtes Haupt,
Von der flatternd blauſeid'nen Himmelsdecke,
Worin die Nachtdiamanten blitzen,
Schneid' ich ein koſtbar Stück,
Und häng' es dir, als Krönungsmantel,
Um deine königliche Schulter.
Ich gebe dir einen Hofſtaat
Von ſteifgeputzten Sonetten,
Stolzen Terzinen und höflichen Stanzen;
Als Läufer diene dir mein Witz,
Als Hofnarr meine Phantaſie,
Als Herold die lachende Thräne im Wappen,
Diene dir mein Humor.
Aber ich ſelber, Königin,
Ich kniee vor dir nieder,
Und huld'gend, auf rothem Sammetkiſſen,
Ueberreiche ich Dir
Das bischen Verſtand,
Das mir aus Mitleid noch gelaſſen hat
Deine Vorgängerin im Reich.
II.
Abenddämmerung.
Am blaſſen Meeresſtrande
Saß ich gedankenbekümmert und einſam.
Die Sonne neigte ſich tiefer, und warf
Glührothe Streifen auf das Waſſer,
Und die weißen, weiten Wellen,
Von der Fluth gedrängt,
Schäumten und rauſchten näher und näher —
Ein ſeltſam Geräuſch, ein Flüſtern und Pfeifen,
Ein Lachen und Murmeln, Seufzen und Sauſen,
Dazwiſchen ein wiegenliedheimliches Singen —
Mir war als hört' ich verſcholl'ne Sagen,
Uralte, liebliche Mährchen,
Die ich einſt, als Knabe,
Von Nachbarskindern vernahm,
Wenn wir am Sommerabend,
Auf den Treppenſteinen der Hausthür,
Zum ſtillen Erzählen niederkauerten,
Mit kleinen, horchenden Herzen
Und neugierklugen Augen; —
Während die großen Mädchen,
Neben duftenden Blumentöpfen,
Gegenüber am Fenſter ſaßen,
Roſengeſichter,
Lächelnd und mondbeglänzt.
III.
Sonnenuntergang.
Die glühend rothe Sonne ſteigt
Hinab in's weitaufſchauernde,
Silbergraue Weltmeer;
Luftgebilde, roſig angehaucht,
Wallen ihr nach, und gegenüber,
Aus herbſtlich dämmernden Wolkenſchleiern,
Ein traurig todtblaſſes Antlitz,
Bricht hervor der Mond,
Und hinter ihm, Lichtfünkchen,
Nebelweit, ſchimmern die Sterne.
Einſt am Himmel glänzten,
Ehlich vereint,
Luna, die Göttin, und Sol, der Gott,
Und es wimmelten um ſie her die Sterne,
Die kleinen, unſchuldigen Kinder.
Doch böſe Zungen ziſchelten Zwieſpalt,
Und es trennte ſich feindlich
Das hohe, leuchtende Eh'paar.
Jetzt am Tage, in einſamer Pracht,
Ergeht ſich dort oben der Sonnengott,
Ob ſeiner Herrlichkeit
Angebetet und vielbeſungen
Von ſtolzen, glückgehärteten Menſchen.
Aber des Nachts
Am Himmel wandelt Luna,
Die arme Mutter
Mit ihren verwaiſten Sternenkindern,
Und ſie glänzt in ſtummer Wehmuth,
Und liebende Mädchen und ſanfte Dichter
Weihen ihr Thränen und Lieder.
Die weiche Luna! Weiblich geſinnt
Liebt ſie noch immer den ſchönen Gemahl.
Gegen Abend, zitternd und bleich,
Lauſcht ſie hervor aus leichtem Gewölk,
Und ſchaut nach dem Scheidenden, ſchmerzlich,
Und möchte ihm ängſtlich rufen: „Komm!
Komm! die Kinder verlangen nach Dir — “
Aber der trotzige Sonnengott,
Bei dem Anblick der Gattin erglüht' er
In doppeltem Purpur,
Vor Zorn und Schmerz,
Und unerbittlich eilt er hinab
In ſein fluthenkaltes Wittwerbett.
Böſe, ziſchelnde Zungen
Brachten alſo Schmerz und Verderben
Selbſt über ewige Götter.
Und die armen Götter, oben am Himmel
Wandeln ſie, qualvoll,
Troſtlos unendliche Bahnen,
Und können nicht ſterben,
Und ſchleppen mit ſich
Ihr ſtrahlendes Elend.
Ich aber, der Menſch,
Der niedriggepflanzte, der Tod-beglückte.
Ich klage nicht länger.
IV.
Die Nacht am Strande.
Sternlos und kalt iſt die Nacht,
Es gährt das Meer;
Und über dem Meer', platt auf dem Bauch,
Liegt der ungeſtaltete Nordwind,
Und heimlich, mit ächzend gedämpfter Stimme,
Wie'n ſtörriger Griesgram, der gutgelaunt wird,
Schwatzt er in's Waſſer hinein,
Und erzählt viel tolle Geſchichten,
Rieſenmährchen, todtſchlaglaunig,
Uralte Sagen aus Norweg,
Und dazwiſchen, weitſchallend, lacht er und heult er
Beſchwörungslieder der Edda,
Graue Runenſprüche,
So dunkeltrotzig und zaubergewaltig,
Daß die weißen Meerkinder
Hochaufſpringen und jauchzen,
Uebermuth-berauſcht.
Derweilen, am flachen Geſtade,
Ueber den fluthbefeuchteten Sand,
Schreitet ein Fremdling, mit einem Herzen,
Das wilder noch als Wind und Wellen;
Wo es hintritt,
Sprühen Funken und kniſtern die Muſcheln,
Und er hüllt ſich feſt in den grauen Mantel,
Und ſchreitet raſch durch die wehende Nacht;
Sicher geleitet vom kleinen Lichte,
Das lockend und lieblich ſchimmert
Aus einſamer Fiſcherhütte.
Vater und Bruder ſind auf der See,
Und mutterſeelallein blieb dort
In der Hütte die Fiſchertochter,
Die wunderſchöne Fiſchertochter.
Am Heerde ſitzt ſie
Und horcht auf des Waſſerkeſſels
Ahnungsſüßes, heimliches Summen,
Und ſchüttet kniſterndes Reiſig in's Feuer,
Und bläßt hinein,
Daß die flackernd rothen Lichter
Zauberlieblich wiederſtrahlen
Auf das blühende Antlitz,
Auf die zarte, weiße Schulter,
Die rührend hervorlauſcht
Aus dem groben, grauen Hemde,
Und auf die kleine, ſorgſame Hand,
Die das Unterröckchen feſter bindet
Um die feine Hüfte.
Aber plötzlich, die Thür ſpringt auf,
Und es tritt herein der nächtige Fremdling;
Liebeſicher ruht ſein Auge
Auf dem weißen, ſchlanken Mädchen,
Das ſchauernd vor ihm ſteht,
Gleich einer erſchrockenen Lilie;
Und er wirft den Mantel zur Erde,
Und lacht und ſpricht:
Siehſt du, mein Kind, ich halte Wort,
Und ich komme, und mit mir kommt
Die alte Zeit, wo die Götter des Himmels
Niederſtiegen zu Töchtern der Menſchen,
Und die Töchter der Menſchen umarmten,
Und mit ihnen zeugten
Zeptertragende Königsgeſchlechter
Und Helden, Wunder der Welt.
Doch ſtaune, mein Kind, nicht länger
Ob meiner Göttlichkeit,
Und ich bitte dich, koche mir Thee mit Rum,
Denn draußen war's kalt,
Und bei ſolcher Nachtluft
Frieren auch wir, wir ewigen Götter,
Und kriegen wir leicht den göttlichſten Schnupfen,
Und einen unſterblichen Huſten.
V.
Poſeidon.
Die Sonnenlichter ſpielten
Ueber das weithinrollende Meer;
Fern' auf der Rhede glänzte das Schiff,
Das mich zur Heimath tragen ſollte;
Aber es fehlte an gutem Fahrwind,
Und ich ſaß noch ruhig auf weißer Dühne,
Am einſamen Strand,
Und ich las das Lied vom Odyſſeus,
Das alte, das ewig junge Lied,
Aus deſſen meerdurchrauſchten Blättern
Mir freudig entgegenſtieg
Der Athem der Götter,
Und der leuchtende Menſchenfrühling,
Und der blühende Himmel von Hellas.
Mein edles Herz begleitete treulich
Den Sohn des Laertes, in Irrfahrt und Drangſal,
Setzte ſich mit ihm, ſeelenbekümmert,
An gaſtliche Heerde,
Wo Königinnen Purpur ſpinnen,
Und half ihm lügen und glücklich entrinnen
Aus Rieſenhöhlen und Nymphenarmen,
Folgte ihm nach in kimmeriſche Nacht,
Und in Sturm und Schiffbruch,
Und duldete mit ihm unſägliches Elend.
Seufzend ſprach ich: Du böſer Poſeidon,
Dein Zorn iſt furchtbar,
Und mir ſelber bangt
Ob der eignen Heimkehr.
Kaum ſprach ich die Worte,
Da ſchäumte das Meer,
Und aus den weißen Wellen ſtieg
Das ſchilfbekränzte Haupt des Meergotts,
Und höhniſch rief er:
Fürchte dich nicht, Poetlein!
Ich will nicht im g'ringſten gefährden
Dein armes Schiffchen,
Und nicht dein liebes Leben beängſt'gen
Mit allzubedenklichem Schaukeln.
Denn Du, Poetlein, haſt nie mich erzürnt,
Du haſt kein einziges Thürmchen verletzt
An Priamos heiliger Veſte,
Kein einziges Härchen haſt du verſengt
Am Aug' meines Sohns Polyphemos,
Und dich hat niemals rathend beſchützt
Die Göttin der Klugheit, Pallas Athene.
Alſo rief Poſeidon
Und tauchte zurück in's Meer;
Und über den groben Seemannswitz
Lachten unter dem Waſſer
Amphitrite, das plumpe Fiſchweib,
Und die dummen Töchter des Nereus.
VI.
Erklaͤrung.
Herangedämmert kam der Abend,
Wilder toſ'te die Fluth,
Und ich ſaß am Strand, und ſchaute zu
Dem weißen Tanz der Wellen,
Und meine Bruſt ſchwoll auf wie das Meer,
Und ſehnend ergriff mich ein tiefes Heimweh
Nach dir, du holdes Bild,
Das überall mich umſchwebt,
Und überall mich ruft,
Ueberall, überall,
Im Sauſen des Windes, im Brauſen des Meers,
Und im Seufzen der eigenen Bruſt.
Mit leichtem Rohr ſchrieb ich in den Sand:
„Agnes, ich liebe Dich!“
Doch böſe Wellen ergoſſen ſich
Ueber das ſüße Bekenntniß,
Und löſchten es aus.
Zerbrechliches Rohr, zerſtiebender Sand,
Zerfließende Wellen, Euch trau' ich nicht mehr!
Der Himmel wird dunkler, mein Herz wird wilder,
Und mit ſtarker Hand, aus Norwegs Wäldern
Reiß ich die höchſte Tanne,
Und tauche ſie ein
In des Aetnas glühenden Schlund, und mit ſolcher
Feuergetränkten Rieſenfeder
Schreib' ich an die dunkle Himmelsdecke:
„Agnes, ich liebe Dich!“
Jedwede Nacht lodert alsdann
Dort oben die ewige Flammenſchrift,
Und alle nachwachſende Enkelgeſchlechter
Leſen jauchzend die Himmelsworte:
„Agnes, ich liebe Dich!“
VII.
Nachts in der Cajüte.
Das Meer hat ſeine Perlen,
Der Himmel hat ſeine Sterne,
Aber mein Herz, mein Herz,
Mein Herz hat ſeine Liebe.
Groß iſt das Meer und der Himmel,
Doch größer iſt mein Herz,
Und ſchöner als Perlen und Sterne
Leuchtet und ſtrahlt meine Liebe.
Du kleines, junges Mädchen,
Komm an mein großes Herz;
Mein Herz und das Meer und der Himmel
Vergehn vor lauter Liebe.
An die blaue Himmelsdecke,
Wo die ſchönen Sterne blinken,
Möcht' ich preſſen meine Lippen,
Preſſen wild und ſtürmiſch weinen.
Jene Sterne ſind die Augen
Meiner Liebſten, tauſendfältig
Schimmern ſie und grüßen freundlich,
Aus der blauen Himmelsdecke.
Nach der blauen Himmelsdecke,
Nach den Augen der Geliebten,
Heb' ich andachtsvoll die Arme,
Und ich bete und ich flehe:
Holde Augen, Gnadenlichter,
O, beſeligt meine Seele,
Laßt mich ſterben und erwerben
Euch und Euren ganzen Himmel!
Aus den Himmelsaugen droben
Fallen zitternd lichte Funken
Durch die Nacht, und meine Seele
Dehnt ſich liebeweit und weiter.
O, Ihr Himmelsaugen droben!
Weint Euch aus in meine Seele,
Daß von lieben Sternenthränen
Ueberfließet meine Seele.
Eingewiegt von Meereswellen,
Und von träumenden Gedanken,
Lieg' ich ſtill in der Kajüte,
In dem dunkeln Winkelbette.
Durch die off'ne Luke ſchau' ich
Droben hoch die hellen Sterne,
Die geliebten, ſüßen Augen
Meiner ſüßen Vielgeliebten.
Die geliebten, ſüßen Augen,
Wachen über meinem Haupte,
Und ſie klingen und ſie winken
Aus der blauen Himmelsdecke.
Nach der blauen Himmelsdecke
Schau' ich ſelig lange Stunden,
Bis ein weißer Nebelſchleier
Mir verhüllt die lieben Augen.
An die bretterne Schiffswand,
Wo mein träumendes Haupt liegt,
Branden die Wellen, die wilden Wellen.
Sie rauſchen und murmeln
Mir heimlich in's Ohr:
„Bethörter Geſelle!
Dein Arm iſt kurz, und der Himmel iſt weit
Und die Sterne droben ſind feſtgenagelt,
Vergebliches Sehnen, vergebliches Seufzen,
Das Beſte wäre, du ſchliefeſt ein.“
Es träumte mir von einer weiten Haide,
Weit überdeckt von weißem, weißem Schnee,
Und unter'm weißen Schnee lag ich begraben
Und ſchlief den einſam kalten Todesſchlaf.
Doch droben aus dem dunkeln Himmel ſchauten
Herunter auf mein Grab die Sternenaugen,
Die ſüßen Augen! und ſie glänzten ſieghaft
Und ruhig heiter, aber voller Liebe.
VIII.
Sturm.
Es wüthet der Sturm,
Und er peitſcht die Well'n,
Und die Wellen, wuthſchäumend und bäumend,
Thürmen ſich auf, und es wogen lebendig
Die weißen Waſſerberge,
Und das Schifflein erklimmt ſie
Haſtig mühſam,
Und plötzlich ſtürzt es hinab
In ſchwarze, weitgähnende Fluthabgründe —
O Meer!
Mutter der Schönheit, der Schaumentſtiegenen!
Großmutter der Liebe! ſchone meiner!
Schon flattert, leichenwitternd,
Die weiße, geſpenſtiſche Möve,
Und wetzt an dem Maſtbaum den Schnabel
Und lechzt, voll Fraßbegier, nach dem Mund,
Der vom Ruhm deiner Tochter ertönt,
Und lechzt nach dem Herzen,
Das dein Enkel, der kleine Schalk,
Zum Spielzeug erwählt.
Vergebens mein Bitten und Flehn!
Mein Rufen verhallt im toſenden Sturm,
Im Schlachtlärm der Winde;
Es braußt und pfeift und praſſelt und heult,
Wie ein Tollhaus von Tönen!
Und zwiſchendurch hör' ich vernehmbar
Lockende Harfenlaute,
Sehnſuchtwilden Geſang,
Seelenſchmelzend und ſeelenzerreißend,
Und ich erkenne die Stimme.
Fern an ſchottiſcher Felſenküſte,
Wo das graue Schlößlein hinausragt
Ueber die brandende See,
Dort am hochgewölbten Fenſter,
Steht eine ſchöne, kranke Frau,
Zartdurchſichtig und marmorblaß,
Und ſie ſpielt die Harfe und ſingt,
Und der Wind durchwühlt ihre langen Locken,
Und trägt ihr dunkles Lied
Ueber das weite, ſtürmende Meer.
IX.
Meeresſtille.
Meeresſtille! Ihre Strahlen
Wirft die Sonne auf das Waſſer,
Und im wogenden Geſchmeide
Zieht das Schiff die grünen Furchen.
Bei dem Steuer liegt der Bootsmann
Auf dem Bauch, und ſchnarchet leiſe.
Bei dem Maſtbaum, ſeegelflickend,
Kauert der betheerte Schiffsjung.
Hinter'm Schmutze ſeiner Wangen
Sprüht es roth, wehmüthig zuckt es
Um das breite Maul, und ſchmerzlich
Schau'n die großen, ſchönen Augen.
Denn der Capitän ſteht vor ihm,
Tobt und flucht und ſchilt ihn: Spitzbub.
„Spitzbub! einen Hering haſt du
Aus der Tonne mir geſtohlen!“
Meeresſtille! Aus den Wellen
Taucht hervor ein kluges Fiſchlein,
Wärmt das Köpfchen in der Sonne,
Plätſchert luſtig mit dem Schwänzchen.
Doch die Möve, aus den Lüften,
Schießt herunter auf das Fiſchlein,
Und den raſchen Raub im Schnabel
Schwingt ſie ſich hinauf in's Blaue.
X.
Seegeſpenſt.
Ich aber lag am Rande des Schiffes,
Und ſchaute, träumenden Auges,
Hinab in das ſpiegelklare Waſſer,
Und ſchaute tiefer und tiefer —
Bis tief, im Meeresgrunde,
Anfangs wie dämmernde Nebel,
Jedoch allmählig farbenbeſtimmter,
Kirchenkuppel und Thürme ſich zeigten
Und endlich, ſonnenklar, eine ganze Stadt,
Alterthümlich niederländiſch,
Und menſchenbelebt.
Bedächtige Männer, ſchwarzbemäntelt,
Mit weißen Halskrauſen und Ehrenketten
Und langen Degen und langen Geſichtern,
Schreiten über den wimmelnden Marktplatz
Nach dem treppenhohen Rathhauſ',
Wo ſteinerne Kaiſerbilder
Wacht halten mit Zepter und Schwerdt.
Unferne, vor langen Häuſer-Reih'n
Mit ſpiegelblanken Fenſtern,
Stehn pyramidiſch beſchnittene Linden,
Und wandeln ſeidenrauſchende Jungfrau'n,
Ein gülden Band um den ſchlanken Leib,
Die Blumengeſichter ſittſam umſchloſſen
Von ſchwarzen, ſammtnen Mützchen,
Woraus die Lockenfülle hervordringt.
Bunte Geſellen, in ſpaniſcher Tracht,
Stolziren vorüber und nicken.
Bejahrte Frauen,
In braunen, verſchollnen Gewändern,
Geſangbuch und Roſenkranz in der Hand,
Eilen, trippelnden Schritts,
Nach dem großen Dome,
Getrieben von Glockengeläute
Und rauſchendem Orgelton.
Mich ſelbſt ergreift des fernen Klangs
Geheimnißvoller Schauer,
Unendliches Sehnen, tiefe Wehmuth
Beſchleicht mein Herz,
Mein kaum geheiltes Herz;
Mir iſt als würden ſeine Wunden
Von lieben Lippen aufgeküßt,
Und thäten wieder bluten,
Heiße, rothe Tropfen,
Die lang und langſam niederfall'n
Auf ein altes Haus dort unten
In der tiefen Meerſtadt,
Auf ein altes, hochgegiebeltes Haus,
Das melancholiſch menſchenleer iſt,
Nur daß am untern Fenſter
Ein Mädchen ſitzt,
Den Kopf auf den Arm geſtützt,
Wie ein armes, vergeſſenes Kind —
Und ich kenne dich armes, vergeſſenes Kind!
So tief, ſo tief alſo
Verſteckteſt du dich vor mir,
Aus kindiſcher Laune,
Und konnteſt nicht mehr herauf,
Und ſaßeſt fremd unter fremden Leuten,
Fünfhundert Jahre lang,
Derweilen ich, die Seele voll Gram,
Auf der ganzen Erde dich ſuchte,
Und immer dich ſuchte,
Du Immergeliebte,
Du Längſtverlorene,
Du Endlichgefundene, —
Ich hab' dich gefunden und ſchaue wieder
Dein ſüßes Geſicht,
Die klugen, treuen Augen,
Das liebe Lächeln —
Und nimmer will ich dich wieder verlaſſen,
Und ich komme hinab zu dir,
Und mit ausgebreiteten Armen
Stürz' ich hinab an dein Herz —
Aber zur rechten Zeit noch
Ergriff mich beim Fuß der Capitän,
Und zog mich vom Schiffsrand,
Und rief, ärgerlich lachend:
Doktor, ſind Sie des Teufels?
XI.
Reinigung.
Bleib' du in deiner Meerestiefe,
Wahnſinniger Traum,
Der du einſt ſo manche Nacht
Mein Herz mit falſchem Glück gequält haſt
Und jetzt, als See-Geſpenſt,
Sogar am hellen Tag' mich bedroheſt —
Bleib' Du dort unten, in Ewigkeit,
Und ich werfe noch zu dir hinab
All meine Schmerzen und Sünden
Und die Schellenkappe der Thorheit,
Die ſo lange mein Haupt umklingelt,
Und die kalte, gleißende Schlangenhaut
Der Heuchelei,
Die mir ſo lang' die Seele umwunden,
Die kranke Seele,
Die gottverleugnende, engelverleugnende,
Unſelige Seele —
Hoiho! hoiho! Da kommt der Wind!
Die Segel auf! Sie flattern und ſchwell'n;
Ueber die ſtillverderbliche Fläche
Eilet das Schiff,
Und es jauchzt die befreite Seele.
XII.
Frieden.
Hoch am Himmel ſtand die Sonne,
Von weißen Wolken umwogt,
Das Meer war ſtill,
Und ſinnend lag ich am Steuer des Schiffes,
Träumeriſch ſinnend, — und halb im Wachen
Und halb im Schlummer, ſchaute ich Chriſtus,
Den Heiland der Welt.
Im wallend weißen Gewande
Wandelt' er rieſengroß
Ueber Land und Meer;
Es ragte ſein Haupt in den Himmel,
Die Hände ſtreckte er ſegnend
Ueber Land und Meer;
Und als ein Herz in der Bruſt
Trug er die Sonne,
Die rothe, flammende Sonne,
Und das rothe, flammende Sonnenherz
Goß ſeine Gnadenſtrahlen
Und ſein holdes, liebſeliges Licht,
Erleuchtend und wärmend,
Ueber Land und Meer.
Glockenklänge zogen feierlich
Hin und her, zogen wie Schwäne,
Am Roſenbande, das gleitende Schiff,
Und zogen es ſpielend an's grüne Ufer,
Wo Menſchen wohnen, in hochgethürmter,
Ragender Stadt.
O Friedenswunder! Wie ſtill die Stadt!
Es ruhte das dumpfe Geräuſch
Der ſchwatzenden, ſchwülen Gewerbe,
Und durch die reinen, hallenden Straßen
Zogen Menſchen, weißgekleidete,
Palmzweig-tragende,
Und wo ſich Zwei begegneten,
Sahn ſie ſich an, verſtändnißinnig,
Und ſchauernd, in Liebe und ſüßer Entſagung,
Küßten ſie ſich auf die Stirne,
Und ſchauten hinauf
Nach des Heilands Sonnenherzen,
Das freudig verſöhnend ſein rothes Blut
Hinunterſtrahlte,
Und dreimalſelig ſprachen ſie:
Gelobt ſey Jeſu Chriſt!
Zweiter Cyklus.
I.
Meergruß.
Thalatta! Thalatta!
Sey mir gegrüßt, du ewiges Meer!
Sey mir gegrüßt zehntauſendmal
Aus jauchzendem Herzen
Wie einſt dich begrüßten
Zehntauſend Griechenherzen,
Unglückbekämpfende, heimathverlangende,
Weltberühmte Griechenherzen.
Es wogten die Fluthen,
Sie wogten und brauſten,
Die Sonne goß eilig herunter
Die ſpielenden Roſenlichter,
Die aufgeſcheuchten Mövenzüge
Flatterten fort, lautſchreiend,
Es ſtampften die Roſſe, es klirrten die Schilde,
Und weithin erſcholl es, wie Siegesruf:
Thalatta! Thalatta!
Sey mir gegrüßt, du ewiges Meer,
Wie Sprache der Heimath rauſcht mir dein Waſſer,
Wie Träume der Kindheit ſeh' ich es flimmern
Auf deinem wogenden Wellengebiet,
Und alte Erinn'rung erzählt mir auf's neue,
Von all dem lieben, herrlichen Spielzeug,
Von all den blinkenden Weihnachtsgaben,
Von all den rothen Corallenbäumen,
Goldfiſchchen, Perlen und bunten Muſcheln,
Die du geheimnißvoll bewahreſt
Dort unten im klaren Kriſtallhaus.
O! wie hab' ich geſchmachtet in öder Fremde!
Gleich einer welken Blume
In des Botanikers blecherner Kapſel,
Lag mir das Herz in der Bruſt;
Mir iſt, als ſaß ich winterlange,
Ein Kranker, in dunkler Krankenſtube,
Und nun verlaß ich ſie plötzlich,
Und blendend ſtrahlt mir entgegen
Der ſchmaragdne Frühling, der ſonnengeweckte,
Und es rauſchen die weißen Blüthenbäume,
Und die jungen Blumen ſchauen mich an,
Mit bunten, duftenden Augen,
Und es duftet und ſummt, und athmet und lacht,
Und im blauen Himmel ſingen die Vöglein —
Thalatta! Thalatta!
Du tapferes Rückzugherz!
Wie oft, wie bitteroft
Bedrängten dich des Nordens Barbarinnen!
Aus großen, ſiegenden Augen
Schoſſen ſie brennende Pfeile;
Mit krummgeſchliffenen Worten
Drohten ſie mir die Bruſt zu ſpalten,
Mit Keilſchriftbillets zerſchlugen ſie mir
Das arme, betäubte Gehirn —
Vergebens hielt ich den Schild entgegen,
Die Pfeile ziſchten, die Hiebe krachten,
Und von des Nordens Barbarinnen
Ward ich gedrängt bis an's Meer,
Und freiaufathmend begrüß' ich das Meer,
Das liebe, rettende Meer,
Thalatta! Thalatta!
II.
Gewitter.
Dumpf liegt auf dem Meer' das Gewitter,
Und durch die ſchwarze Wolkenwand
Zuckt der zackige Wetterſtrahl,
Raſch aufleuchtend und raſch verſchwindend,
Wie'n Witz aus dem Haupte Kronions.
Ueber das wüſte, wogende Waſſer
Weithin rollen die Donner
Und ſpringen die weißen Wellenroſſe,
Die Boreas ſelber gezeugt
Mit des Erichthons reizenden Stuten,
Und es flattert ängſtlich das Seegevögel,
Wie Schattenleichen am Styx,
Die Charon abwies vom nächtlichen Kahn.
Armes, luſtiges Schifflein,
Das dort dahintanzt den ſchlimmſten Tanz!
Aeolus ſchickt ihm die flinkſten Geſellen,
Die wild aufſpielen zum fröhlichen Reigen;
Der Eine pfeift, der Andre bläſt,
Der Dritte ſtreicht den dumpfen Brummbaß —
Und der ſchwankende Seemann ſteht, am Steuer,
Und ſchaut beſtändig nach der Buſſole,
Der zitternden Seele des Schiffes,
Und hebt die Hände flehend zum Himmel:
O rette mich, Kaſtor, reiſiger Held,
Und Du, Kämpfer der Fauſt, Polydeukes!
III.
Der Schiffbrüchige.
Hoffnung und Liebe! Alles zertrümmert!
Und ich ſelber, gleich einer Leiche,
Die grollend ausgeworfen das Meer,
Lieg' ich am Strande,
Am öden, kahlen Strande.
Vor mir woget die Waſſerwüſte,
Hinter mir liegt nur Kummer und Elend,
Und über mich hin ziehen die Wolken,
Die formlos grauen Töchter der Luft,
Die aus dem Meer', in Nebeleimern,
Das Waſſer ſchöpfen,
Und es mühſam ſchleppen und ſchleppen,
Und es wieder verſchütten in's Meer,
Ein trübes, langweil'ges Geſchäft,
Und nutzlos, wie mein eignes Leben.
Die Wogen murmeln, die Möven ſchrillen,
Alte Erinn'rungen wehen mich an,
Vergeſſene Träume, erloſchene Bilder,
Qualvoll ſüße, tauchen hervor!
Es lebt ein Weib im Norden,
Ein ſchönes Weib, königlich ſchön.
Die ſchlanke Zypreſſengeſtalt
Umſchließt ein lüſtern weißes Gewand;
Die dunkle Lockenfülle,
Wie eine ſelige Nacht, ergießt ſich
Von dem hohen, flechtengekrönten Haupte,
Sie ringelt ſich träumeriſch ſüß
Um das ſüße, blaſſe Antlitz;
Und aus dem ſüßen, blaſſen Antlitz,
Groß und gewaltig, ſtrahlt ein Auge,
Wie eine ſchwarze Sonne.
O, du ſchwarze Sonne, wie oft,
Entzückend oft, trank ich aus dir
Die wilden Begeiſt'rungsflammen,
Und ſtand und taumelte, feuerberauſcht —
Dann ſchwebte ein taubenmildes Lächeln
Um die hochgeſchürzten, ſtolzen Lippen,
Und die hochgeſchürzten, ſtolzen Lippen
Hauchten Worte, ſüß wie Mondlicht,
Und zart wie der Duft der Roſe —
Und meine Seele erhob ſich
Und flog, wie ein Aar, hinauf in den Himmel!
Schweigt, ihr Wogen und Möven!
Vorüber iſt Alles, Glück und Hoffnung,
Hoffnung und Liebe! Ich liege am Boden,
Ein öder, ſchiffbrüchiger Mann,
Und drücke mein glühendes Antlitz
In den feuchten Sand.
IV.
Untergang der Sonne.
Die ſchöne Sonne
Iſt ruhig hinabgeſtiegen in's Meer;
Die wogenden Waſſer ſind ſchon gefärbt
Von der dunkeln Nacht,
Nur noch die Abendröthe
Ueberſtreut ſie mit goldnen Lichtern,
Und die rauſchende Fluthgewalt
Drängt an's Ufer die weißen Wellen,
Die luſtig und haſtig hüpfen,
Wie wollige Lämmerheerden,
Die Abends der ſingende Hirtenjunge
Nach Hauſe treibt.
Wie ſchön iſt die Sonne!
So ſprach nach langem Schweigen der Freund,
Der mit mir am Strande wandelte,
Und ſcherzend halb und halb wehmüthig,
Verſichert' er mir: die Sonne ſey
Eine ſchöne Frau, die den alten Meergott
Aus Convenienz geheurathet;
Des Tages über wandle ſie freudig
Am hohen Himmel, purpurgeputzt,
Und diamantenblitzend,
Und allgeliebt und allbewundert
Von allen Weltkreaturen,
Und alle Weltkreaturen erfreuend
Mit ihres Blickes Licht und Wärme;
Aber des Abends, troſtlos gezwungen,
Kehre ſie wieder zurück
In das naſſe Haus, in die öden Arme
Des greiſen Gemahls.
Glaub mir's — ſetzte hinzu der Freund,
Und lachte und ſeufzte und lachte wieder —
Die führen dort unten die zärtlichſte Ehe!
Entweder ſie ſchlafen oder ſie zanken ſich,
Daß hochaufbrauſt hier oben das Meer,
Und der Schiffer im Wellengeräuſch es hört
Wie der Alte ſein Weib ausſchilt:
„Runde Metze des Weltalls!
Strahlenbuhlende!
Den ganzen Tag glühſt du für Andre,
Und Nachts, für Mich, biſt du froſtig und müde!“
Nach ſolcher Gardinenpredigt,
Verſteht ſich! bricht dann aus in Thränen
Die ſtolze Sonne und klagt ihr Elend,
Und klagt ſo jammerlang, daß der Meergott
Plötzlich verzweiflungsvoll aus dem Bett ſpringt,
Und ſchnell nach der Meeresfläche heraufſchwimmt,
Um Luft und Beſinnung zu ſchöpfen.
So ſah ich ihn ſelbſt, verfloſſene Nacht,
Bis an die Bruſt dem Meer' enttauchen.
Er trug eine Jacke von gelbem Flanell,
Und eine lilienweiße Schlafmütz,
Und ein abgewelktes Geſicht.
V.
Der Geſang der Okeaniden.
Abendlich blaſſer wird es am Meere,
Und einſam, mit ſeiner einſamen Seele,
Sitzt dort ein Mann auf dem kahlen Strand,
Und ſchaut, todtkalten Blickes, hinauf
Nach der weiten, todtkalten Himmelswölbung,
Und ſchaut auf das weite, wogende Meer,
Und über das weite, wogende Meer,
Wie Lüfteſegler, ziehn ſeine Seufzer,
Und kehren wieder, trübſelig,
Und hatten verſchloſſen gefunden das Herz,
Worin ſie ankern wollten —
Und er ſtöhnt ſo laut, daß die weißen Möven,
Aufgeſcheucht aus den ſandigen Neſtern,
Ihn heerdenweiſ' umflattern,
Und er ſpricht zu ihnen die lachenden Worte:
Schwarzbeinigte Vögel,
Mit weißen Flügeln Meer-überflatternde,
Mit krummen Schnäbeln Seewaſſer-ſaufende‚
Und thranigtes Robbenfleiſch-freſſende,
Eu'r Leben iſt bitter wie Eure Nahrung!
Ich aber, der Glückliche, koſte nur Süßes!
Ich koſte den ſüßen Duft der Roſe,
Der Mondſchein-gefütterten Nachtigallbraut;
Ich koſte noch ſüßere Joſty-Baiſers,
Mit weißer Seligkeit gefüllte;
Und das Allerſüßeſte koſt' ich:
Süße Liebe und ſüßes Geliebtſeyn.
Sie liebt mich! Sie liebt mich! die holde Jungfrau!
Jetzt ſteht ſie daheim, am Erker des Hauſes,
Und ſchaut in die Dämm'rung hinaus, auf die Landſtraß',
Und horcht, und ſehnt ſich nach mir — wahrhaftig!
Vergebens ſpäht ſie umher und ſie ſeufzet,
Und ſeufzend ſteigt ſie hinab in den Garten,
Und wandelt in Duft und Mondſchein,
Und ſpricht mit den Blumen, erzählet ihnen:
Wie ich, der Geliebte, ſo lieblich bin
Und ſo liebenswürdig — wahrhaftig!
Nachher im Bette, im Schlafe, im Traum,
Umgaukelt ſie ſelig mein theures Bild,
Sogar des Morgens, beim Frühſtück,
Auf dem glänzenden Butterbrodte,
Sieht ſie mein lächelndes Antlitz,
Und ſie frißt es auf vor Liebe — wahrhaftig!
Alſo prahlt er und prahlt er,
Und zwiſchendrein ſchrillen die Möven,
Wie kaltes, ironiſches Kichern;
Die Dämm'rungsnebel ſteigen herauf;
Aus violettem Gewölk, unheimlich,
Schaut hervor der grasgelbe Mond;
Hochauf rauſchen die Meereswogen,
Und tief aus Hochauf rauſchendem Meer,
Wehmüthig wie flüſternder Windzug,
Tönt der Geſang der Okeaniden,
Der ſchönen, mitleidigen Waſſerfrau'n,
Vor allen vernehmbar die liebliche Stimme
Der ſilberfüßigen Peleus-Gattin,
Und ſie ſeufzen und ſingen:
O Thor, du Thor! du prahlender Thor!
Du kummergequälter!
Dahingemordet ſind all deine Hoffnungen,
Die tändelnden Kinder des Herzens,
Und ach! dein Herz, dein Niobe-Herz
Verſteinert vor Gram!
In deinem Haupte wird's Nacht,
Und es zucken hindurch die Blitze des Wahnſinns,
Und du prahlſt vor Schmerzen!
O Thor, du Thor! du prahlender Thor!
Halsſtarrig biſt du wie dein Ahnherr,
Der hohe Titane, der himmliſches Feuer
Den Göttern ſtahl und den Menſchen gab,
Und Geier-gequälet, Felſen-gefeſſelt,
Olympauftrotzte und trotzte und ſtöhnte,
Daß wir es hörten im tiefen Meer,
Und zu ihm kamen mit Troſtgeſang.
O Thor, du Thor! du prahlender Thor!
Du aber biſt ohnmächtiger noch,
Und es wäre vernünftig, du ehrteſt die Götter,
Und trügeſt geduldig die Laſt des Elends,
Und trügeſt geduldig ſo lange, ſo lange,
Bis Atlas ſelbſt die Geduld verliert,
Und die ſchwere Welt von den Schultern abwirft
In die ewige Nacht.
So ſcholl der Geſang der Okeaniden,
Der ſchönen, mitleidigen Waſſerfrau'n,
Bis lautere Wogen ihn überrauſchten —
Hinter die Wolken zog ſich der Mond,
Es gähnte die Nacht,
Und ich ſaß noch lange im Dunkeln und weinte.
VI.
Die Götter Griechenlands.
Vollblühender Mond! In deinem Licht,
Wie fließendes Gold, erglänzt das Meer;
Wie Tagesklarheit, doch dämm'rig verzaubert,
Liegt's über der weiten Strandesfläche;
Und am hellblau'n ſternloſen Himmel
Schweben die weißen Wolken,
Wie koloſſale Götterbilder
Von leuchtendem Marmor.
Nein, nimmermehr, das ſind keine Wolken!
Das ſind ſie ſelber, die Götter von Hellas,
Die einſt ſo freudig die Welt beherrſchten,
Doch jetzt, verdrängt und verſtorben,
Als ungeheure Geſpenſter dahinziehn
Am mitternächtlichen Himmel
Staunend, und ſeltſam geblendet, betracht' ich
Das luftige Pantheon,
Die feierlich ſtummen, grau'nhaft bewegten
Rieſengeſtalten.
Der dort iſt Kronion, der Himmelskönig,
Schneeweiß ſind die Locken des Haupts,
Die berühmten, olymposerſchütternden Locken.
Er hält in der Hand den erloſchenen Blitz,
In ſeinem Geſichte liegt Unglück und Gram,
Und doch noch immer der alte Stolz.
Das waren beſſere Zeiten, o Zeus,
Als du dich himmliſch ergötzteſt
An Knaben und Nymphen und Hekatomben!
Doch auch die Götter regieren nicht ewig,
Die jungen verdrängen die alten,
Wie du einſt ſelber den greiſen Vater
Und deine Titanen-Oehme verdrängt,
Jupiter Parricida!
Auch dich erkenn' ich, ſtolze Here!
Trotz all deiner eiferſüchtigen Angſt,
Hat doch eine andre das Zepter gewonnen,
Und du biſt nicht mehr die Himmelskön'gin,
Und dein großes Aug' iſt erſtarrt,
Und deine Lilienarme ſind kraftlos,
Und nimmermehr trifft deine Rache
Die gottbefruchtete Jungfrau
Und den wunderthätigen Gottesſohn.
Auch dich erkenn' ich, Pallas Athene!
Mit Schild und Weisheit konnteſt du nicht
Abwehren das Götterverderben?
Auch dich erkenn' ich, auch dich, Aphrodite,
Einſt die goldene! jetzt die ſilberne!
Zwar ſchmückt dich noch immer des Gürtels Liebreiz;
Doch graut mir heimlich vor deiner Schönheit,
Und wollt' mich beglücken dein gütiger Leib,
Wie andre Helden, ich ſtürbe vor Angſt;
Als Leichengöttin erſcheinſt du mir,
Venus Libitina!
Nicht mehr mit Liebe ſchaut nach dir,
Dort, der ſchreckliche Ares.
Es ſchaut ſo traurig Phöbos Apollo,
Der Jüngling. Es ſchweigt ſeine Lei'r,
Die ſo freudig erklungen beim Göttermahl.
Noch trauriger ſchaut Hephaiſtos,
Und wahrlich, der Hinkende! nimmermehr
Fällt er Hebe'n in's Amt,
Und ſchenkt geſchäftig, in der Verſammlung,
Den lieblichen Nektar — Und längſt iſt erloſchen
Das unauslöſchliche Göttergelächter.
Ich hab' Euch niemals geliebt, Ihr Götter!
Denn widerwärtig ſind mir die Griechen,
Und gar die Römer ſind mir verhaßt.
Doch heil'ges Erbarmen und ſchauriges Mitleid
Durchſtrömt mein Herz,
Wenn ich Euch jetzt da droben ſchaue,
Verlaſſene Götter,
Todte, nachtwandelnde Schatten,
Nebelſchwache, die der Wind verſcheucht —
Und wenn ich bedenke, wie feig und windig
Die Götter ſind, die Euch beſiegten,
Die neuen, herrſchenden, triſten Götter.
Die Schadenfrohen im Schafspelz der Demuth —
O da faßt mich ein düſterer Groll,
Und brechen möcht' ich die neuen Tempel,
Und kämpfen für Euch, Ihr alten Götter,
Für Euch und Eu'r gutes, ambroſiſches Recht,
Und vor Euren hohen Altären,
Den wiedergebauten, den opferdampfenden
Möcht' ich ſelber knien und beten,
Und flehend die Arme erheben —
Denn, immerhin, Ihr alten Götter,
Habt Ihr's auch eh'mals, in Kämpfen der Menſchen,
Stets mit der Parthei der Sieger gehalten,
So iſt doch der Menſch großmüth'ger als Ihr,
Und in Götterkämpfen halt' ich es jetzt
Mit der Parthei der beſiegten Götter.
Alſo ſprach ich, und ſichtbar errötheten
Droben die blaſſen Wolkengeſtalten,
Und ſchauten mich an wie Sterbende,
Schmerzenverklärt, und ſchwanden plötzlich.
Der Mond verbarg ſich eben
Hinter Gewölk, das dunkler heranzog;
Hochauf rauſchte das Meer,
Und ſiegreich traten hervor am Himmel
Die ewigen Sterne.
VII.
Fragen.
Am Meer, am wüſten, nächtlichen Meer
Steht ein Jüngling-Mann,
Die Bruſt voll Wehmuth, das Haupt voll Zweifel,
Und mit düſtern Lippen fragt er die Wogen:
„O löſ't mir das Räthſel des Lebens,
Das qualvoll uralte Räthſel,
Worüber ſchon manche Häupter gegrübelt,
Häupter in Hieroglyphenmützen,
Häupter in Turban und ſchwarzem Barett,
Perückenhäupter und tauſend andre
Arme, ſchwitzende Menſchenhäupter —
Sagt mir, was bedeutet der Menſch?
Woher iſt er kommen? Wo geht er hin?
Wer wohnt dort oben auf goldenen Sternen?
Es murmeln die Wogen ihr ew'ges Gemurmel,
Es wehet der Wind, es fliehen die Wolken,
Es blinken die Sterne, gleichgültig und kalt,
Und ein Narr wartet auf Antwort.
VIII.
Der Phönix.
Es kommt ein Vogel geflogen aus Weſten,
Er fliegt gen Oſten,
Nach der öſtlichen Gartenheimath,
Wo Spezereien duften und wachſen,
Und Palmen rauſchen und Brunnen kühlen —
Und fliegend ſingt der Wundervogel:
„Sie liebt ihn! ſie liebt ihn!
Sie trägt ſein Bildniß im kleinen Herzen,
Und trägt es ſüß und heimlich verborgen,
Und weiß es ſelbſt nicht!
Aber im Traume ſteht er vor ihr,
Sie bittet und weint und küßt ſeine Hände,
Und ruft ſeinen Namen
Und rufend erwacht ſie und liegt erſchrocken,
Und reibt ſich verwundert die ſchönen Augen —
Sie liebt ihn! Sie liebt ihn!“
Am Maſtbaum gelehnt, auf dem hohen Verdeck,
Stand ich und hört' ich des Vogels Geſang.
Wie ſchwarzgrüne Roſſe mit ſilbernen Mähnen,
Sprangen die weißgekräuſelten Wellen,
Wie Schwänenzüge ſchifften vorüber,
Mit ſchimmernden Segeln, die Helgolander,
Die kecken Nomaden der Nordſee;
Ueber mein Haupt, im ewigen Blau,
Hinflatterte weißes Gewölk
Und prangte die ewige Sonne,
Die Roſe des Himmels, die feuerblühende,
Die freudvoll ſich im Meer beſpiegelte;
Und Himmel und Meer und mein eignes Herz
Ertönten im Nachhall:
Sie liebt ihn! ſie liebt ihn!
IX.
Im Hafen.
Glücklich der Mann, der den Hafen erreicht hat,
Und hinter ſich ließ das Meer und die Stürme,
Und jetzo warm und ruhig ſitzt
Im guten Rathskeller zu Bremen.
Wie doch die Welt ſo traulich und lieblich
Im Römerglas ſich wiederſpiegelt,
Und wie der wogende Mikrokosmus
Sonnig hinabfließt in's durſtige Herz!
Alles erblick' ich im Glas,
Alte und neue Völkergeſchichte,
Türken und Griechen, Hegel und Gans,
Zitronenwälder und Wachtparaden,
Berlin und Schilda und Tunis und Hamburg,
Vor allem aber das Bild der Geliebten,
Das Engelköpfchen auf Rheinweingoldgrund.
O, wie ſchön! wie ſchön biſt du, Geliebte!
Du biſt wie eine Roſe!
Nicht wie die Roſe von Schiras,
Die hafisbeſungene Nachtigallbraut;
Nicht wie die Roſe von Saron,
Die heiligrothe, prophetengefeierte;
Du biſt wie die Roſ' im Rathskeller zu Bremen!
Das iſt die Roſe der Roſen,
Je älter ſie wird, je lieblicher blüht ſie,
Und ihr himmliſcher Duft, er hat mich beſeligt,
Er hat mich begeiſtert, er hat mich berauſcht,
Und hielt mich nicht feſt, am Schopfe feſt,
Der Rathskellermeiſter von Bremen,
Ich wäre gepurzelt!
Der brave Mann! wir ſaßen beiſammen
Und tranken wie Brüder,
Wir ſprachen von hohen, heimlichen Dingen,
Wir ſeufzten und ſanken uns in die Arme,
Und er hat mich bekehrt zum Glauben der Liebe,
Ich trank auf das Wohl meiner bitterſten Feinde,
Und allen ſchlechten Poeten vergab ich,
Wie einſt mir ſelber vergeben ſoll werden;
Ich weinte vor Andacht, und
Erſchloſſen ſich mir die Pforten des Heils,
Wo die zwölf Apoſtel, die heil'gen Stückfäſſer,
Schweigend pred'gen, und doch ſo verſtändlich
Für alle Völker.
Das ſind Männer!
Unſcheinbar von außen, in hölzernen Röcklein,
Sind ſie von innen ſchöner und leuchtender
Denn all die ſtolzen Leviten des Tempels,
Und des Herodes Trabanten und Höflinge,
Die goldgeſchmückten, die purpurgekleideten —
Hab' ich doch immer geſagt
Nicht unter ganz gemeinen Leuten,
Nein, in der allerbeſten Geſellſchaft,
Lebte beſtändig der König des Himmels.
Hallelujah! Wie lieblich umwehen mich
Die Palmen von Beth El!
Wie duften die Myrrhen von Hebron!
Wie rauſcht der Jordan und taumelt vor Freude! —
Auch meine unſterbliche Seele taumelt,
Und ich taum'le mit ihr und taumelnd
Bringt mich die Treppe hinauf, an's Tagslicht,
Der brave Rathskellermeiſter von Bremen.
Du braver Rathskellermeiſter von Bremen!
Siehſt du, auf den Dächern der Häuſer ſitzen
Die Engel und ſind betrunken und ſingen;
Die glühende Sonne dort oben
Iſt nur eine rothe, betrunkene Naſe,
Und um die rothe Weltgeiſt-Naſe
Dreht ſich die ganze, betrunkene Welt.
X.
Epilog.
Wie auf dem Felde die Weizenhalmen,
So wachſen und wogen im Menſchengeiſt
Die Gedanken.
Aber die zarten Gedanken der Liebe
Sind wie luſtig dazwiſchenblühende,
Roth' und blaue Blumen.
Roth' und blaue Blumen!
Der mürriſche Schnitter verwirft Euch als nutzlos,
Hölzerne Flegel zerdröſchen Euch höhnend,
Sogar der habloſe Wanderer,
Den Eu'r Anblick ergötzt und erquickt,
Schüttelt das Haupt,
Und nennt Euch ſchönes Unkraut.
Aber die ländliche Jungfrau,
Die Kränzewinderin,
Verehrt Euch und pflückt Euch
Und ſchmückt mit Euch die ſchönen Locken,
Und alſo geziert, eilt ſie zum Tanzplatz,
Wo Pfeifen und Geigen lieblich ertönen,
Oder zur ſtillen Buche,
Wo die Stimme des Liebſten noch lieblicher tönt
Als Pfeifen und Geigen.
- Holder of rights
- Kolimo+
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Buch der Lieder. Buch der Lieder. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bj4r.0