um die Mitte des 18. Jahrhunderts.
Ueberſetzungsrecht von der Verlagshandlung vorbehalten.
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um die Mitte des 18. Jahrhunderts.
Friedrich Andreas Perthes.
1876.
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Der
Akademie der Wiſſenſchaften
in
Krakau.
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Inhalt.
- Seite
- 1. Die Republik 1
- 2. Idee der Reform. Erſtes Emporſteigen der Czartoryski 26
- 3. Die Kriſis von 1733—1736 39
- 4. Die „Familie“ 48
- 5. Die Czartoryski als Hoſparthei. Erſte Verſuche der Reform.
1736—1750 56 - 6. Bildung der Parthei der „Patrioten“. Auseinanderweichen des
Hofes und der Czartoryski. 1750—1754 82 - 7. Der ſiebenjährige Krieg. Die Czartoryski in der Oppoſition gegen
den Hof 107 - 8. Die Kriſen von 1762 und 1763. Tod Auguſt III.146
- Anhang.
- 1. Das Tribunal von Petrikau 202
- 2. Traduction d’une lettre d’un gentilhomme Polonois de Pro-
vince, à un de ses amis d’un autre Palatinat207 - 3. Die Conſtituirung des Petrikauer Tribunals im Jahre 1749 225
- 4. Traduction d’un manifeste fait par quelques senateurs et
nonces contre la rupture de la Diete235
[]
1. Die Republik.
Unter welchen Geſichtspunkten man auch die Zuſtände Polens
um die Mitte des 18. Jahrhunderts betrachten mag, unter
dem politiſchen und ſocialen, oder dem allgemein geiſtigen und
moraliſchen, immer erhält man denſelben Eindruck des troſt-
loſeſten Verfalls, deſſen Keime freilich bereits ſeit längerer
Zeit in dem Leben der Nation und ihres Reiches vorhanden
waren, zu voller Reife ſich aber doch erſt unter der Re-
gierung der beiden Auguſte, ſächſiſchen Stammes (1697—1763)
entwickelten.
Nach den unglücklichen Zeiten Johann Kaſimirs, in welchen
die Republik bereits der Gefahr ganz nahe geweſen war, aus-
einandergeriſſen zu werden, hatte ſie ſich unter der Führung
Johann Sobieski’s noch einmal als Macht in der Welt erwieſen.
Aber auch ſein ruhmvollſtes Unternehmen, die Rettung Wiens
vor den Türken, hatte ihr keine rechte Frucht mehr getragen.
Sie war vielmehr wie ein letzter hellſtrahlender Lichtblick der
untergehenden Sonne vorübergegangen, und als dieſer König
in die Gruft geſenkt ward, ward mit ihm zugleich zwar nicht
die Freiheit mit begraben, deren die Polen ſich ſo oft und ſo
ſtolz zu rühmen pflegten, wohl aber ihre nationale Selbſtſtän-
digkeit und Macht.
Gleich der erſte Anfang der ſächſiſchen Epoche war für die
Stellung der Republik nach außen, wie für ihre inneren Zu-
Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 1
[2] ſtände eben ſo characteriſtiſch als folgenſchwer. Denn Frie-
drich Auguſt erreichte ſeine Erhebung auf den Thron im weſent-
lichen dadurch, daß er kein Gold zur Beſtechung ſparte, mit
mehreren tauſend Mann tüchtiger ſächſiſcher Truppen ſofort
ins Land rückte und die Unterſtützung Öſtreichs, Rußlands
und Roms für ſich hatte.
Und wie der Anfang, war auch der Fortgang. Dieſelben
Mächte, welche ihn auf den Thron geſetzt, mußten ihn
auch auf demſelben erhalten. Ohne die Siege Peters
des Großen über Karl XII. wäre er, nach ſeiner ſchon er-
folgten Abdankung zu Gunſten Stanislaw Leszczynski’s, ſchwer-
lich jemals wieder als Herrſcher nach Polen zurückgekehrt.
Und als er ſtarb (1733), waren es wiederum Öſtreich und
Rußland, vornämlich aber des letzteren Waffen, welche für
ſeinen Sohn die Entſcheidung gaben. Die Nation ſelbſt hatte
ſich in ihrer überwiegenden Mehrzahl für Stanislaw Leszczynski
erklärt, ließ ihn aber nach kurzem und kraftloſem Wider-
ſtande wieder fallen, weil ſie einmal keine Armee hatte,
welche den waffengeübten, disciplinirten ruſſiſchen und ſäch-
ſiſchen Truppen Stand zu halten vermochte, und weil zum
andern das alte allgemeine Aufgebot des Adels (Pospolite
ruszenie) bei dieſem keinen hinreichenden Anklang mehr
fand. Hatte man doch bereits zur Zeit der Wahl des
erſten Sachſen vielfach die Rede gehört: „ſie könnten Könige
genug haben, ohne für irgend einen ihr Blut zu vergießen“ 1).
Die Folge war, daß der Einfluß Rußlands in Polen je
länger, je höher ſtieg, die Selbſtſtändigkeit und Unabhängigkeit
der Republik je länger, je tiefer ſank. Alle Verhältniſſe, die
Conſtellation der allgemeinen europäiſchen Politik, wie die in-
neren Zuſtände Polens waren günſtig für Rußland. Öſtreich,
in den nächſten Jahrzehnten faſt ſtets mit Rußland enge ver-
bündet, hatte eben daher keinen Grund, ihm in Warſchau ent-
gegen zu ſein; Frankreich aber vermochte es anfangs nicht, und
durfte ſpäter ſelbſt es nicht wollen, ſeitdem Ludwig XV. in
die öſtreichiſch-ruſſiſche Alliance gegen Friedrich II. getreten war.
[3] Rußland konnte daher durch keine Rivalität einer anderen
Macht dort geſtört, über ein Menſchenalter hindurch ſeinen
Einfluß ſtätig zur Geltung bringen, tiefer begründen, weiter
ausbreiten. Der König Auguſt III., geiſtig gering begabt, von
ſchwachem, faſt indolentem Character, bot ſelbſt hiezu willig
die Hand. Wie er Rußland und Öſtreich ſeine Krone ver-
dankte, ſo blieb er auch mit ihnen in enger Verbindung. Von
ſeinen ſächſiſchen Intereſſen beſtimmt, ward auch er ein Gegner
Friedrichs II., ſchloß ſich dem großen Bunde gegen dieſen an,
und nahm als Kurfürſt von Sachſen an dem ſiebenjährigen
Kriege Theil, während die Republik ſelbſt mit Preußen im
Frieden blieb. Aber ſie litt es, daß die ruſſiſchen Heere zur
Bekämpfung des großen Königs nicht nur durch ihr Gebiet
zogen, ſondern auch auf dieſem ihre Standquartiere hatten,
Lieferungen ausſchrieben, Magazine errichteten, mit einem Wort
ſich im Einverſtändniß mit dem Könige als Herren des Landes
benahmen, während Auguſt, durch Friedrich aus ſeinem Erb-
lande vertrieben, ſeiner ſächſiſchen Einkünfte und Armee be-
raubt, nur unter dem Schutz der Ruſſen ſicher in Warſchau ſaß.
Und nicht allein ſeine auswärtige Politik hielt ihn in der
Abhängigkeit von Rußland feſt: auch in ſeiner ganzen Lage
und Stellung zur inneren Regierung Polens konnte er kaum
einer auswärtigen Hilfe und Stütze entbehren. Die Ohnmacht
der polniſchen Krone in dieſen Zeiten iſt weltbekannt. Zwar
war der König noch immer, wie man ſich auszudrücken liebte,
„der Quell aller Gnaden“, d.h. er vergab noch immer nach ſeinem
Ermeſſen und Belieben nicht nur die großen Kronämter, welche
wie Kanzler, Schatzmeiſter, Feldherren an der Spitze der Juſtiz,
der Finanzen und der Armee ſtanden; nicht nur die Erzbis-
thümer, Bisthümer und größeren Abteien, ſondern auch die
Palatinate, die Kaſtellaneien, Staroſteien und eine Maſſe ge-
ringerer Ämter und Würden. Ihre Inhaber waren die
Träger, die Organe der öffentlichen Gewalt; ſie gaben, da ſie
in der Regel mit Landgütern reich ausgeſtattet waren, dem,
der ſie davontrug, je nach dem Verhältniß ihrer Rangord-
nung Einkommen und Anſehen, Einfluß und Macht im Lande,
1*
[4] und wurden daher zu allen Zeiten von dem Adel eifrig ge-
ſucht, ſo daß das Recht der Krone ſie alle zu verleihen ihr einen
großen Einfluß ſichern zu müſſen ſchien. Allein wie vollkommen
frei auch der König nach dem Wortlaut der Geſetze dieſe ſeine
Prärogative ausüben durfte, thatſächlich mußte er dabei die
mannichfaltigſten Rückſichten nehmen. Zunächſt durfte er kein
weltliches und kein kirchliches Amt einem andern verleihen als
ſolchem, der von Geburt ein polniſcher Edelmann war. Grade
aber je größer das Einkommen, der Einfluß und die Macht
waren, welche die Ämter gewährten, um ſo heftiger und
leidenſchaftlicher war von Seiten des Adels das Ringen um
ſie. Bei jeder Erledigung ſtanden ſich die rivaliſirenden großen
Familien des Landes, für welche es nicht ſelten nicht nur eine
politiſche, ſondern ſelbſt eine wirthſchaftliche Lebensfrage war
ſich in ihrem Genuß zu erhalten, gegenüber, und ſuchten mit
allen Mitteln, Kabalen, Intriguen, Beſtechungen u. ſ. w. ſich
gegenſeitig den Rang abzulaufen 1). Es erſcheint daher ſehr
fraglich, ob die Krone, welche mitten in dieſes von Generation
zu Generation ſich vererbende, in jedem Augenblick ſich er-
neuernde Partheitreiben hineingeſtellt war, mehr Vortheil oder
mehr Nachtheil von dieſer Prärogative hatte. Denn was ſie
bei den einen durch die Gewährung gewann, verlor ſie bei den
andern durch die Verſagung, und wer einmal das Amt davon-
[5] getragen hatte, hatte bei der Lebenslänglichkeit aller, keine Ur-
ſache mehr dem Könige dankbar und verpflichtet zu ſein, es ſei
denn, daß er auf der Rangleiter der Würden noch höher em-
porſtrebte 1). Außerdem aber waren die hohen Kron- und
Landesämter, deren Träger an der Spitze, die einen der Cen-
tralregierung, die andern der Provincialverwaltung, ſtanden,
die Kanzler, Feldherren, Schatzmeiſter, Marſchälle, Woiwoden,
Kaſtellane und Staroſten, reichsgeſetzlich neben der Lebensläng-
lichkeit ihrer Amter und Würden auch noch mit ſo ſelbſtſtändigen
Rechten und Machtvollkommenheiten ausgeſtattet, daß ſie, jeder
in ſeiner Sphäre, faſt unabhängig vom Könige ſchalten und
walten konnten. Als Friedrich Auguſt zum erſtenmale ins
Land kam und die faſt unumſchränkte Gewalt des Großfeld-
herrn kennen lernte, ſoll er geſagt haben, wenn er gewußt,
was hier im Lande ein Krongroßfeldherr ſei, ſo würde er ſich
lieber um dieſes Amt als um die Krone beworben haben.
Iſt dies Wort erfunden, ſo iſt es treffend erfunden 2). Und
wie die Feldherren, ſo waren die Kanzler u. ſ. w. geſtellt.
Waren die Decrete des Königs, ſeine Amtsernennungen dem
Kanzler nicht genehm, ſo verweigerte er einfach ſein Siegel,
ohne welches ſie nicht geſetzkräftig waren. Der König aber
[6] hatte bei der Lebenslänglichkeit der Ämter perſönlich keine
Macht und kein Mittel, die einmal von ihm zu den Landes-
und Kronämtern Ernannten — und die letzteren waren ſeine
Miniſter — aus denſelben wieder zu entfernen; nur der Reichs-
tag vermochte ſie ihres Amtes zu entſetzen.
Und wie die Verwaltung, ſo lag auch die Geſetzgebung und
die Juſtiz, die Finanzen und das Kriegsweſen weit über-
wiegend, ja faſt ausſchließlich in den Händen des Adels. Die
Geſetzgebung hing von den Land- und Reichstagen ab, auf
welchen er, auf den erſtern Mann für Mann, auf den letztern
durch ſeine gewählten Vertreter, allein Sitz und Stimme hatte;
die Juſtiz ward von den Land- und Grodgerichten und den
Tribunalen gehandhabt, deren Mitglieder er allein wählte; die
Steuern hingen von ſeiner Bewilligung ab und der Kern der
Kriegsmacht lag in dem allgemeinen Aufgebot, in Folge deſſen,
ſobald es vom Reichstage erging, jeder Edelmann zu Pferd
ſitzen ſollte (Pospolite ruszenie). Mit einem Wort: der Adel
allein hatte die Macht im Lande, er war in ſeiner Geſamt-
heit der Souverain dieſes Staatsweſens, welches nicht mit Un-
recht die „Republik“ genannt ward.
Dieſe Republik aber war ihrem Staatsrechte nach zwar
inſofern eine Demokratie, als jeder Edelmann dem andern in
Rechten und Pflichten geſetzlich völlig gleich ſtand, und die fürſt-
lichen und gräflichen Titel, welche einzelne Familien führten,
dieſen auch nicht das geringſte politiſche Vorrecht vor dem
ärmſten Edelmann gewährten 1). Auch lag der Form nach
auf allen Land- und Reichstagen noch immer die Entſcheidung
in der Hand der Adelsmaſſe, und jeder einzelne Edelmann
konnte durch ſein nie pozwalam (ich will nicht) in jedem
Augenblick Land- und Reichstage zerreißen und hiedurch jeden
Beſchluß derſelben verhindern. Aber dieſe Freiheit, deren die
Nation ſich rühmte, in deren Bewußtſein der Pole mit Stolz,
[7] ja Hochmuth auf alle andern Völker herabſah, war im weſent-
lichen doch mehr Schein als Wirklichkeit, und die Republik
mindeſtens eben ſo ſehr eine Oligarchie als Demokratie. Denn
thatſächlich ſtand die Entſcheidung aller wichtigen Dinge dort
ſchon lange nicht mehr bei dem Maſſenadel, ſondern bei den
großen Familien des Landes, den ſog. Magnaten oder „Herren“
(panowie) wie ſie κατ̕ ἐξοχην im Lande ſelbſt genannt wurden.
Sie regierten thatſächlich das Reich, ſoweit überhaupt damals
von einer Regierung noch die Rede ſein kann.
An Grundbeſitz, Reichthum und Bildung allen mittlern
und kleinern Adel weit überragend — man berechnete das
Einkommen der Potocki, Radzivil, Sapieha, Lubomirski, Czar-
toryski u. a. nicht nur nach Hunderttauſenden, ſondern auch nach
Millionen —, in faſt ausſchließlichem Beſitz aller Einfluß und
Macht verleihenden Ämter 1), ohne das Gegengewicht eines
ſtarken Königthums, gab den „Herren“ dieſe ihre ſociale und
politiſche Stellung die Mittel jeder Art in die Hand, um ſich
unter der Maſſe des Adels eine Clientel zu bilden, welche
durch die mannichfaltigſten perſönlichen und öffentlichen Intereſſen
und Rückſichten mit ihnen verbunden und von ihnen abhängig
war. Hunderte und Tauſende vom Adel (szlachta) ſtanden
an den Höfen, bei den Haustruppen, bei der Güterverwaltung
[8] dieſer „Herren“, in deren unmittelbaren Dienſt; andere hingen
als Pächter, Pfandinhaber einzelner Güter, als Schuldner
oder Gläubiger von ihnen ab; noch andere ſuchten und fanden
im Anſchluß an ſie den Weg emporzukommen, oder den
Schutz, den ihnen weder die Krone, noch die Gerichte, noch
irgend eine öffentliche Gewalt als ſolche gewährte 1). Denn
Geſetz und Recht waren längſt zu todten Buchſtaben geworden
und an deren Stelle, dieſen Zuſtänden ganz entſprechend, die
„Protection“ getreten. Auf allen Stufen der Geſellſchaft, ketten-
artig von oben nach unten alle Stände und Klaſſen umfaſſend,
war ſie die alles, die höchſten öffentlichen wie die niedrigſten
perſönlichen Intreſſen, entſcheidende Macht. Vom Könige und
deſſen Regierung hatte der Maſſenadel nichts zu hoffen und
nichts zu fürchten; deſto mehr aber von denen, deren Protec-
tion naturgemäß die weitreichendſte, alſo geſuchteſte war, von
den „Herren“. Sie ſtanden, jeder in ſeinem Kreiſe bald mehr,
bald weniger als Herrſcher da, und fühlten und wußten ſich
als ſolche ſichrer als der gewählte König in Warſchau. Wohl
redeten ſie noch immer nach alter Sitte in den Verſamm-
lungen aller Art den Maſſenadel als ihre „Herren Brüder“
an, aber daneben behandelten ſie mit Stolz und Hochmuth,
ja mit offener Miß- und Verachtung den geringen Edelmann,
[9] der ſeinerſeits, eben weil er ihrer Gewalt und Willkühr in der
Regel ſchutzlos preisgegeben war und ihrer Protection nicht
entbehren konnte, ſich ihnen gegenüber duldend, demüthig und
oft genug ſelbſt kriechend verhielt. Die bekannten im Verkehr
mit den „Herren Brüdern“ gebräuchlichen Redeformen, wie: „ich
falle dem Herrn zu Füßen“, „ich küſſe des Herrn Füße“, „ich
bin ein unwürdiger Fußſchemel des Herrn“, characteriſiren
treffend das ganze Verhältniß, in welchem die „Herren“ und
der Maſſenadel trotz aller ſo gerühmten Rechtsgleichheit zu
einander ſtanden 1).
Solche Verhältniſſe, von Generation zu Generation ſich
vererbend, konnten aber nicht anders als ſeelenverderblich ſowohl
auf die wirken, welche die Macht hatten und übten, als auch
auf die, welche ſich in der einen oder der andern Weiſe mit
jenen zu ſtellen ſich abzufinden gezwungen waren. Und da
das Syſtem der Protection ſich, wie geſagt, durch alle Schichten
und durch alle Verhältniſſe der Geſellſchaft und des Lebens
hindurchzog, entſittlichte es auch je länger je mehr die geſamte
Nation. Der Sinn und die Achtung vor Recht und Geſetz
verſchwanden faſt gänzlich. Die „Herren“ konnten ſich alles
erlauben, und erlaubten ſich alles; und die Schlachta war für
alles, was die „Herren“ nur wünſchten und wollten, zu haben.
Jene ſteigerten nicht ſelten ihren Übermuth und ihre Willkühr
bis zur Verachtung aller göttlichen und menſchlichen Rechte
und gewöhnten ſich daran Mord, Meineid, Diebſtahl an
[10] öffentlichem Gut, gewaltſamen Raub an dem Eigenthum
ſchwächerer Nachbarn für nichts zu achten: dieſe bot zu allen
Gewaltthaten und Verbrechen die dienſtbare Hand, und übte
im kleinen, ſo weit ſie konnte, was jene im großen 1). Ge-
wiß, es fehlte weder unter den „Herren“ noch unter der
Schlachta an ſolchen, die ſich entweder völlig rein, oder doch
von den äußerſten Auswüchſen dieſer Verderbniß frei erhielten:
namentlich unter dem mittleren Adel gab es Familien, die in
alter, man möchte faſt ſagen, patriarchaliſcher Einfachheit, Zucht
und Sitte lebten, aber ſie hielten ſich zurückgezogen und hatten
keinen Einfluß auf das öffentliche Leben. In dieſem führte
weit überwiegend die Selbſtſucht die Herrſchaft, mit all den
Laſtern im Bunde, deren fruchtbare Mutter ſie iſt.
Es waren jedoch dieſe politiſch-ſocialen Verhältniſſe zwiſchen
Krone, Herrn und Adel nicht allein, welche die allgemeine
Entſittlichung der Nation herbeiführten: eben ſo ſehr und in
ſteter natürlicher Wechſelwirkung mit jenen Verhältniſſen
wirkte darauf die Richtung, der Character ein, welchen das
nationale Leben überhaupt ſeit dem 17. Jahrhundert je länger
je mehr entwickelte. Nach den gewaltigen Kämpfen und Schick-
ſalswechſeln, welche die Nation im 17. Jahrhundert in dem
Ringen mit dem Proteſtantismus wie in den Kriegen mit
den Schweden, Ruſſen und Koſacken durchgemacht hatte, trat
in ihr eine geiſtige Abſpannung ein, deren Symptome bereits
während des nordiſchen Krieges ſich zeigen. Seitdem ward ihr
[11] Leben von keinen großen allgemeinen Ideen mehr ergriffen und
bewegt. Sie ſtrebt weder nach Macht nach außen, noch nach
irgend einem Fortſchritt nach innen: ſie hat mit einem Worte
keine ihr Geſamtleben tief berührende, es ergreifende Ziele
und Zwecke vor Augen. Auf den erſten Blick freilich ſcheint
die Republik noch immer von lebensvoller Bewegung erfüllt.
Nach wie vor dauern die Partheikämpfe der mit einander ri-
valiſirenden großen Familien fort und erhalten den
Hof wie das geſamte Reich, die Land- und Reichstage wie
die Gerichte und Tribunale in unaufhörlicher Gährung und
Unruhe. Allein wie geräuſchvoll und laut auch dies Leben iſt,
es hat keinen wahrhaft geſchichtlichen Inhalt mehr. Denn es
iſt aller höheren und edleren auf das Allgemeine gerichteten
Abſichten vollkommen ledig und bar und geht vielmehr faſt
ausſchließlich von der Selbſtſucht der großen Familien
aus, welche mit einander um Ämter, Einfluß und Macht
ringen, nicht um als Sieger im Kampf die Intereſſen
der Nation, ſondern ihre eignen und die ihrer Clienten zu be-
friedigen und zu fördern. Für die Republik als Ganzes
bleibt es vollkommen ohne Frucht, ob die Radzivil, die Potocki
oder welche ſonſt von dieſen Familien der „Herren“ obenauf
kommen: ihre Zuſtände bleiben nach jedem Wechſel der Art
ganz dieſelben, die ſie bisher geweſen. Die Bewegung iſt nur
äußerlich, ſcheinbar; in Wahrheit ſtagnirt das politiſche Leben
und depravirt ſich naturgemäß in dieſer Stagnation je länger
je mehr 1).
Und nicht nur in der politiſchen, auch in allen andern
Sphären des Lebens tritt uns dieſelbe Erſcheinung entgegen.
Die allgemein geiſtige Bildung der Nation wie ihre ganze
[12] Literatur gehen unaufhaltſam rückwärts. Die erſtere ſinkt ſehr
raſch auf einen Grad der Unwiſſenheit und der Unbildung in
der Maſſe des Adels, die ihres Gleichen nicht hat 1); die an-
dere verfällt in eine Geſchmackloſigkeit und Barbarei, welche
im grellſten Contraſt mit dem geiſtigen Aufſchwung ſteht, der
ſonſt allgemein das 18. Jahrhundert characteriſirt. Die Je-
ſuiten, in deren Händen der Unterricht und die Erziehung der
adlichen Jugend weit überwiegend lag, in deren Orden der le-
bendig aufſtrebende Geiſt, durch den er emporgekommen, er-
loſchen war, unterrichteten nach ihrer äußerlichen Methode faſt
ausſchließlich nur Religion und Latein, und erzogen nach einem
pädagogiſchen Syſtem, welches nur ſchädlich und verderblich auf die
Moralität ihrer Schüler wirken konnte. Ihr Haupthebel war
in den untern Klaſſen der Kantſchu, in den obern Spionerie,
Angeberei, Stachelung des Ehrgeizes und Nachſicht gegen die
Ausbrüche des Übermuthes dieſer Jugend, welche von Kindes-
beinen das lebendigſte Bewußtſein in ſich trug, daß ein polni-
ſcher Edelmann über alle Menſchenkinder hoch erhaben und
ſeine perſönliche Freiheit ſchrankenlos und unantaſtbar ſei. Er-
wägt man hiezu noch, wie lax und caſuiſtiſch die Moral war,
die ſie lehrten, welchen Werth ſie auf den äußerlichen Werkdienſt
und den Gehorſam gegen die Kirche legten, ſo begreift man
leicht, welche Frucht dieſer Unterricht und dieſe Erziehung für
das ſpätere Leben im Durchſchnitt tragen mußten und trugen 2).
[13]
Aus den Schulen entlaſſen, trat dieſe Jugend nun aber in
ein Leben ein, deſſen herrſchenden Geiſt auf der einen Seite
die ſtärkſte kirchliche Devotion und Werkheiligkeit, auf der andern
die größte Ausgelaſſenheit, Unbändigkeit und Entſittlichung
characteriſirt. Der höhere Klerus, wie er größtentheils aus
den angeſehenſten Familien hervorging, theilte ganz die An-
ſchauungen, Sitten, Gewohnheiten, Leidenſchaften und Fehler
der „Herren“; der niedere erhob ſich in ſeiner Bildung und
ſeinen Lebensweiſen nur wenig über die Maſſe des kleinſten
Adels und des gemeinen Volkes. An den Höfen der Herren
leiteten die Jeſuiten, auf den Gütern der Schlachta die Bettel-
orden, Bernhardiner, Reformaten, Kapuciner u. a. das reli-
giöſe Leben. Beide förderten in gleicher Weiſe mit allen
Mitteln, die ihnen ihre Stellung gab, die äußerſte kirchliche
Devotion und Bigotterie, die Werkheiligkeit und den Fanatismus
gegen alle Ketzer, hatten aber nur ſelten den Muth der vor-
herrſchenden Sittenloſigkeit ihrer Beichtkinder irgendwie nach-
drücklich entgegenzutreten, ſondern gaben für alle Sünden ihnen
leicht Abſolution und zeigten ihnen Glaubenseifer und Wohl-
thätigkeit gegen die Kirche als den ſicherſten Weg zur ewigen
Seligkeit 1). Demgemäß baute der Adel auch noch in dieſer
2)
[14] Zeit zahlreiche Kirchen und Klöſter, ſtattete ſie mit reichen
Gütern aus, zierte ſie mit koſtbarem Schmuck, ließ aber ſeine
Unterthanen in der troſtloſeſten Lage verkommen und behan-
delte ſie mit einer Willkühr, Härte und Grauſamkeit, welche
in ihrer Herzloſigkeit „jedes chriſtlichen Gefühls entbehrte, und
die gerechte Strafe des Himmels über ſie herbeirief“ 1). Das
Leben aber, welches dieſer Adel ſelbſt im Durchſchnitt führte,
ſchildert, wie Polen ſelbſt verſichern, treffend das Sprüchwort:
„Unter dem ſächſiſchen König aßen ſie, tranken ſie und machten
ſich den Leibgürtel weiter“ („Za króla Sasa jedli pili, popus-
zali pasa“). Es mag immerhin ſein, daß das prunkvolle und
verſchwenderiſche, genußreiche und ausſchweifende Leben Auguſts II.
und ſeines Hofes als böſes Beiſpiel verderblich auf die Sitten
der Nation wirkte: die Hauptquelle ihrer Entſittlichung lag
jedenfalls daran, daß ſie alle und jede höhere und edlere Auf-
gaben und Ziele des Lebens aus den Augen verlor, und in
Folge hiervon während eines langjährigen Friedens nach
außen einem allgemeinen Hange zum Müßiggange — le-
nistwo2) — und einem Genußleben anheimfiel, welches ſie
raſch zu jeder ernſten Arbeit und Anſtrengung unfähig machte.
„Die ganze Fülle von üppiger Kraft, das aufbrauſende, ſtür-
miſche Element, welches in der Natur dieſes Adels lag und
früher im Kriege und auf den Reichstagen Gelegenheit gehabt
hatte, ſich auszuzeichnen, wurden jetzt in jubelnden Luſtbarkeiten
und Saufereien daheim oder auf den Land- und Gerichtstagen
vergeudet. Die größten Säufer und Raufbolde wurden be-
rühmt, wie früher Helden des Krieges oder Redner des Reichs-
tages. Man pries rieſenhafte Humpen und erzählte ſich weit
und breit von den Helden, welche in einem Zuge ſie aus-
tranken. Das ganze Jahr verfloß in dem ſeligen Genuß un-
aufhörlich aufeinander folgender Feſtlichkeiten, zu welchen der
1)
[15] Adel auf die verſchiedenſten Veranlaſſungen, auch bei den
häufigen kirchlichen Feſten, zuſammenkam, wo dann nach ge-
wiſſenhafter Theilnahme am Gottesdienſt der heil. Meſſe reiche
Gaſtmähler und der Vesperandacht rauſchende Trinkgelage und
Tänze erfolgten“1). Solche Gelage, überhaupt die Zuſam-
[16] menkünfte des Adels endeten aber oft mit Schlägereien der
ſchlimmſten Art, ſo daß die Tiſchtücher häufig eben ſo ſehr
mit Blut wie mit Wein getränkt waren. Seit dem Jahre
1717, als das Heer in Folge des Warſchauer Tractats we-
ſentlich verringert wurde, vermehrte ſich zuſehends die Zahl
der Raufbolde vom Handwerk, die jede Gelegenheit zu blutigen
Händeln aufſuchten. Es gab ganze Familien, welche den Ruhm
der Junakerei (Junak = Raufbold) wie eine beſondere Aus-
zeichnung pflegten; wo ſie erſchienen, ging es ohne Gemetzel
nicht ab1).
[17]
Die nothwendigen Folgen eines ſolchen ſorgloſen in den
Tag Hineinlebens blieben nicht aus. Garczynski leitete bereits
um die Mitte des Jahrhunderts aus dieſem Leben in Müßig-
gang und Genußſucht den faſt allgemeinen Mangel an Ord-
nung und Sparſamkeit her, und tadelte auf das lebhafteſte die
Verſchwendung des Adels, der für ſeine armen, im bitterſten
Elend dahin lebenden Bauern auch nicht einen Groſchen aus-
gäbe, während er alle ſeine Einkünfte in ſo maßloſer Schwel-
gerei vergeude, daß, „wenn der allmächtige Gott ſolchen Regen
auf uns herniederfallen ließe, daß wie viele Tropfen ſo viele
Dukaten herabfielen und Polen bis an die Knöchel mit ihnen
bedeckt wäre, dennoch all dieſes Geld nicht lange bei uns vor-
halten, ſondern ſo wie die Waſſer von den Hügeln und Bergen
zu den Strömen und Niederungen ihren Fall haben, nach
Breslau, Leipzig, Frankfurt, Berlin, Danzig, Riga und Kö-
nigsberg für Silbergeſchirr, Wagen, Möbeln u. dgl. raſch ab-
fließen würde.“ Solche tolle Verſchwendung, verbunden mit
wirthſchaftlicher Unordnung, ſtürzte allmählich ſelbſt die reichſten
Familien in rieſige Schulden, zog den Verfall der Landwirth-
ſchaft nach ſich, und vermehrte den Druck, unter welchem die
Bauern ein elendes Leben in tiefer Verſunkenheit führten. Die Städte
aber, welchen die Rechte und Freiheiten, deren ſie ſich in
früheren Jahrhunderten erfreut hatten, längſt entriſſen waren,
und welche jetzt, jedes Schutzes einer ſtarken Regierungsgewalt
entbehrend, der Willkühr und dem Übermuth der Staroſten
und des Adels überhaupt preisgegeben waren, verblieben in den
Trümmern und in der Verarmung, in die ſie die Kriege des
vorangegangenen Jahrhunderts geſtürzt. Denn ihr Handel und
ihr Gewerbe, welche nur bei Freiheit und Sicherheit gedeihen,
ſanken immer tiefer; aller Unternehmungsgeiſt erſtarb, und mit
der allgemeinen Verarmung erloſch zugleich auch in ihnen jeg-
licher Bürgerſinn und jegliche Bürgertugend.
Die Rückwirkung aber, welche dieſer Lebenszuſchnitt und
Lebensgeiſt nothwendig auf das öffentliche Leben, auf die Re-
publik als ſolche und ihre einzelnen Inſtitutionen ausüben
mußte, mußte um ſo verderblicher ſein, je ſchwächer, wie wir
Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 2
[18] wiſſen, die Macht der Krone, je ſtärker dagegen die Macht
des Adels im Ganzen und je ungebundener die Freiheit jedes
einzelnen Edelmannes war. Man kann in der That ſagen,
daß in demſelben Maße, in welchem Zügelloſigkeit, Unbändig-
keit das geſellſchaftliche Leben der Einzelnen characteriſirten, ſie
auch das öffentliche Leben der Nation beherrſchten. Wohl
lebte in den Herren wie in der Schlachta ein kräftiges, natio-
nales Selbſtgefühl und ein Patriotismus, der für das Vater-
land Gut und Leben zu opfern oft genug bereit war,
aber es fehlte den einen wie den andern, wie der Sinn
für Geſetz und Recht, ſo auch der Sinn für bürgerliche und
ſtaatliche Pflicht. Jeder handelte nur nach ſeinem perſönlichen
Ermeſſen und Belieben: dieſem gemäß war er fähig dem
Vaterlande alles zu opfern, aber im Gegentheil auch eben ſo
bereit alles und ſelbſt das Wohl des Landes ſeinem Belieben
und ſeinen perſönlichen Intereſſen zum Opfer zu bringen.
„Von allen Fehlern und Tugenden der Nation“ — geſteht einer
der talentvollſten und unbefangenſten ihrer neuern Ge-
ſchichtsſchreiber1) — „war der Stolz am mächtigſten. Er
ließ keine Unterordnung des einen unter den andern zu, dul-
dete keinen Vorrang irgend welcher Art und machte jeden
Polen dem eigenen Landsmann gegenüber eben ſo unzugänglich
und unbeugſam als dem Fremden gegenüber duldſam und
unterwürfig.“ Vor allen aber waren von ſolchem Stolz die
„Herren“ erfüllt, in deren Händen, wie bemerkt, aller Einfluß
und alle Macht im Lande faſt ausſchließlich lag. In ihren
Familien, welche ſeit mehr als einem Jahrhundert mit einander
rivaliſirten, vererbten ſich die Feindſchaften von Generation zu
Generation und ſteigerten ſich nicht ſelten zu einem gegen-
ſeitigen Haß, dem jede andere Rückſicht untergeordnet
ward. Jedem König, den nicht ſie, ſondern ihre Gegner
auf den Thron gebracht, jeder Regierung, die nicht in ihren
Händen lag, machten die einen oder die andern dieſer Familien
auf jegliche Weiſe, oft mit den verwerflichſten Mitteln den
[19] Krieg und ſcheuten ſelbſt nicht, um die Gunſt und Unter-
ſtützung auswärtiger Höfe, ſogar der erklärten Feinde ihres
Vaterlandes zu buhlen, nur um ihre eignen Gegner aus der
Regierung zu vertreiben oder auch denſelben König, dem ſie
ſich unterworfen, Treue und Gehorſam gelobt hatten, ſobald
als möglich wieder vom Thron herabzuſtürzen. „Laſſen wir
es jetzt zu, daß er König wird, aber denken wir ſofort daran,
wie wir ihn wieder vom Thron werfen können.“ Dies Wort,
das der bekannte Biſchof Soltyk zu ſeinen Freunden ſprach,
als die Wahl Stanislaw Poniatowski’s unvermeidlich erſchien,
ſpricht treffend die Stellung aus, die all’ dieſe „Herren“ zur
Krone einnahmen und einzunehmen ſich vollkommen für berech-
tigt hielten.
Als Haupthebel aber für all ihr Thun und Treiben diente
ihnen die Maſſe der Schlachta. Aufgewachſen in der größten
Unwiſſenheit und Unbildung, hatte dieſe Maſſe keine Vorſtel-
lung und Kenntniß weder von der wahren Lage ihres Vater-
landes, noch von deſſen Verhältniſſen zu den Nachbarn in der
Welt, und am wenigſten von den erſten Grundlagen und
Bedingungen einer guten Regierung. Ihr ganzes politiſches
Credo beſtand in den zwei Worten „Freiheit und Glaube“,
und wie unglaublich auch es erſcheint, ſo wahr iſt es doch,
daß die Maſſe des Adels in der That an das ungeheuerliche
Sprüchwort glaubte, „Polen beſtehe durch ſeine Anarchie“1).
In dieſer Unbildung war ſie zugänglich für alle, auch die ge-
meinſten Künſte der Verführung der Herren, welche neben der
„Protection“, trotz all ihres Stolzes es nicht verſchmähten,
ſich um Popularität bei den „Herren Brüdern“ zu bewerben.
Populär aber ward, wer mit dem Maſſenadel nach deſſen
Weiſe und Geſchmack am beſten umzugehen verſtand, ihm am
2*
[20] reichlichſten zu ſchmauſen und zu ſaufen gab, die Dukaten nicht
ſparte, die kräftigſten, berühmteſten Raufbolde in ſeinem Solde
hatte, ſeine Clienten in jedem Fall, mochten ſie im Recht oder
Unrecht ſein, erfolgreich beſchützte, für ihr Fortkommen ſorgte
und endlich auf den Landtagen am derbſten, rückſichtsloſeſten
für „Freiheit und Glauben“ zu ſprechen und den Leiden-
ſchaften der Maſſe zu ſchmeicheln verſtand. „Wer war“ — ge-
ſteht einer der unterrichtetſten polniſchen Hiſtoriker und Poli-
tiker der Gegenwart — „das Ideal eines ‚Herrn‘ in den Augen
unſrer Schlachta des 18. Jahrhunderts? Etwa der große
Kanzler Lithauens oder Andreas Zamoyski? Nein, ſein Ideal,
ſein Abgott war jener Radzivil, ‚Herrchen liebes‘ genannt,
halb Thier, halb Menſch, in jeder Beziehung ein Dummkopf,
der wahrhaftige Falſtaff in unſrer nationalen Tragödie, der
‚Weißhemd‘ ohne Geiſt, ohne Willen und ohne Grundſätze.“1)
Auf dieſen Landtagen, auf welchen die Abgeordneten zum
Reichstage gewählt und deren ſie bindende Inſtructionen be-
ſchloſſen wurden, auf welchen die Landboten nach ihrer Rückkehr
vom Reichstage Bericht zu erſtatten hatten, auf welchem end-
lich der verſammelte Adel — auch der nichts Beſitzende nahm
dem Geſetz zuwider herkömmlich an ihnen Theil — die Beiſitzer der
Landgerichte bis zu den höchſten Tribunalen hinauf wählte,
und alle Landämter, ſo weit ſie von ſeiner Wahl abhingen,
beſetzte, — erſchienen nun die „Herren“ in der Regel mit einem
zahlreichen bewaffneten Gefolge, welches in Verbindung mit
den Hunderten, bisweilen Tauſenden ihrer Clienten, die vorn-
herein bereit waren zu ſtimmen und zu thun, wie und was
der „Herr“ wollte, dazu beſtimmt war, nöthigenfalls auch mit
offner Gewalt deren Candidaten, überhaupt deren Willen durch-
zuſetzen. War dies nicht zu erreichen, ſo führte man entweder
Doppelwahlen herbei, oder ließ den Landtag ſprengen, und
verhinderte dadurch jeden Beſchluß, zu deſſen Gültigkeit auf
den Land- wie auf den Reichstagen Einſtimmigkeit erforderlich
[21] war! Inmitten der Kirchen, in welchen die Verſammlungen
gehalten zu werden pflegten, ſpielten dieſe tumultuariſchen
Scenen; ſelten ging ein Landtag ohne Blutvergießen vorüber,
und man erachtete es für einen ruhigen Verlauf eines ſolchen,
wenn nur zwei bis drei Edelleute in Folge der faſt allgemeinen
Trunkenheit und der aus ihr entſpringenden Händel dabei ihr
Leben verloren.
Nicht viel beſſer ging es auf den Reichstagen zu. Es fehlte
faſt nie an Landboten, welche, ſei es aus Eigenſinn und
Rechthaberei, ſei es im Dienſt von „Herren“ oder auch ſelbſt
der Krone, ſei es von den Geſandten auswärtiger Höfe be-
ſtochen, die Reichstage durch das ihnen zuſtehende liberum veto
— der „Augenſtern“ der Freiheit genannt1) — zerriſſen.
Von den 18 Reichstagen, welche 1717—1733 gehalten wurden,
ſind 11 geſprengt worden; 5 kamen zu Stande; 2 blieben un-
fruchtbar, weil die geſetzmäßige Friſt ihrer Dauer abgelaufen
war2). Es wurde geradezu zur Gewohnheit, die Beſchlüſſe
abſichtlich bis zur letzten Stunde zu verzögern. Selbſt die ge-
waltſamſten Auftritte fehlten nicht. „Die Reichstage waren die
ſtürmiſchſten Verſammlungen, in welche ſich die Haiducken der
‚Herren‘ eindrängten, die Zuſchauer die Landboten von ihren
Seſſeln warfen und, mit einem Wort, auf welchen der erſte
beſte Händelmacher oder Erkaufte der ganzen Republik Hohn
ſprach“3).
[22]
Und heftiger, leidenſchaftlicher noch als bei den Wahlen
der Landboten und auf dem Reichstage ſelbſt, geſtaltete ſich der
Kampf der Partheien bei der alljährlich wiederkehrenden Er-
neuerung der höchſten Reichsgerichte, der Tribunale, deren
Richter, wie ſchon bemerkt, gleichfalls auf dem Landtage ge-
wählt wurden. Denn dieſe Wahlen hatten für die „Herren“
und deren Clienten nicht nur, ſondern auch für den geſamten Adel in-
ſofern noch eine ganz andre Bedeutung, als die Entſcheidung zahlloſer
Proceſſe über „Mein und Dein“ durchſchnittlich von ihrem Ausfall
abhing. Welche Parthei in dieſen Wahlen die Majorität gewann, be-
kam durch ihren Sieg eine Waffe in die Hand, durch welche ſie unter
dem Scheine des Rechts ihre politiſchen wie perſönlichen Gegner
und all deren Anhänger nach jeder Richtung hin ſchädigen, ja
bisweilen ſie in ihrem ganzen Beſitz und Wohlſtand zu Grunde
richten konnte. Denn dieſe Gerichte waren ſchon lange durch
und durch corrumpirt. Nicht allein die größte Unord-
nung im Geſchäftsbetriebe und die größte Trunkſucht waren
bei ihnen herkömmlich1), ſie ſprachen überhaupt nicht mehr nach
3)
[23] Recht und Gerechtigkeit, und ihre Entſcheidungen, ſo weit ſie
nicht durch Betrug, Fälſchung und Beſtechung erſchlichen oder
erkauft waren, waren nichts anderes als Entſcheidungen zu
Gunſten der Parthei, die in den Wahlen der Richter geſiegt
hatte. Eben daher ſetzte ſich auch nicht grade ſelten der Kampf
der Partheien ſelbſt noch bei der Conſtituirung der Tribunale
fort, welche von der einen oder der andern zugleich mit der
Einſetzung ihres Marſchalls (Präſidenten) mit offener Waffen-
gewalt nach ihrem Sinn und Intereſſe durchgeſetzt ward. Be-
reits der Reichstag von 1726 hatte durch eine lange Reihe
von Beſchlüſſen, aus welchen man allein ſchon das tiefe Ver-
derben des geſamten Gerichtsweſens jener Zeit kennen lernen
kann, demſelben zu ſteuern verſucht1). Dieſe Beſchlüſſe aber
wurden nicht durchgeführt, und wie oft auch noch ſpäter die
Klagen über dies Unweſen laut erhoben wurden, es kam hierin
eben ſo wenig wie in allen andern Verhältniſſen zu irgend
einer Verbeſſerung. Vergebens rief Garczynski ſeinen Lands-
leuten zu: „Regna sine justitia sunt mera latrocinia! — das
durch dieſe Zuſtände hervorgerufene polniſche Sprüchwort, daß
in Polen das Recht einem Spinnengewebe gleiche, welches der
Sperling zerreiße, in dem aber die Mücke ſich fange, behielt
nach wie vor ſeine Wahrheit.
Ziehen wir von all dieſem ſchließlich die Summe, ſo müſſen
wir geſtehen, die Republik lag um die Mitte des 18. Jahr-
hunderts im tiefſten Verfall. Das ſociale wie politiſche Leben
all ihrer Glieder war durch und durch krank. In den höheren
Ständen, den gebildeten „Herren“ herrſchten Stolz und Ehr-
geiz und ein Selbſtgefühl vor, welches faſt nur darauf bedacht
war, den Einfluß und die Macht, welche ihre Stellung ihnen
im öffentlichen Leben gab, zur Befriedigung ihrer Leidenſchaften,
der Herrſchſucht und des Genuſſes, nach Willkühr auszubeuten.
Der Maſſenadel, im Durchſchnitt ungebildet und roh, gewalt-
thätig und unterwürfig zugleich, dem Müßiggang und zügel-
loſer Genußſucht hingegeben, lebte ohne viel Beſinnung von
[24] einem Tage zum andern; die Bauern in fürchterlicher Ver-
ſunkenheit, Unterdrückung und Noth; die Städte in Trümmern
und verarmt, ohne Gewerbe und Handel; Erziehung und Un-
terricht in der gröbſten Vernachläßigung; Schulen und Uni-
verſitäten in den Händen einer unwiſſenden weltlichen und
Ordens-Geiſtlichkeit, welche ſich zu keiner lebendigen Theil-
nahme an dem Fortſchritte der Wiſſenſchaften und Kennt-
niſſe ihrer Zeit zu erheben vermochte; das religiöſe Leben in
äußeren Formen und bigotter Devotion erſtarrt, und endlich
bei alledem der naive Glaube, daß jeder polniſche Edelmann
der freiſte Mann auf der Welt ſei, und die Republik durch
ihre Anarchie beſtehe.
In der That und Wahrheit aber hatte dieſe Republik,
ſeitdem das Zerreißen der Reichstage herkömmlich geworden,
keine Macht mehr, über ſich ſelbſt zu beſtimmen, einen Willen
zu haben. Sie hatte factiſch ſo gut wie keine Geſetzgebung,
keine Verwaltung und Regierung mehr. Ihre Finanzen lagen
in der tiefſten Unordnung, denn niemand nahm Anſtoß daran,
ſie um die Steuern zu betrügen, und die Schatzmeiſter unter-
lagen, da die Reichstage, welchen allein ſie Rechnung zu legen
verpflichtet waren, in der Regel zerriſſen wurden, keiner Con-
trolle. Die kleine Armee, oft genug unbezahlt, war eben des-
halb ohne Zucht, ohne Übung, in halber Auflöſung; die Ge-
richte eine Verſpottung jeder Gerechtigkeit. An der Stelle
von Recht und Pflicht herrſchten Willkühr und Gewalt in
allen Schichten und Sphären des Lebens, und den Schutz,
welchen der Staat allen gleich gewähren ſollte, ſuchten und
fanden die Einen in der eignen Familienmacht und ihrem
Reichthum, die Andern in der Dienſtbarkeit bei jenen und in
deren Protection.
Mit einem Wort: die Republik war den Intereſſen, In-
triguen und Partheikämpfen ihrer großen „Herren“ und der
Nachbarmächte widerſtandslos dahingegeben; denn an die letztern
ſich anzuſchließen, um deren Schutz und Unterſtützung gegen
ihre Gegner und ihren König zu bitten und zu buhlen, von
ihnen Orden und Penſionen zu nehmen, waren die „Herren“
[25] längſt gewohnt. „Die Könige ſtarben, die Führer der Oppo-
ſition wechſelten, aber unaufhörlich erneute ſich in der Nation
die Neigung, gegen die eigne Regierung und zu deren Sturz
die Hilfe des Auslandes zu ſuchen.“1) Gegen dies Treiben
konnte ſich kein König ohne fremde Stütze auf dem Thron er-
halten. Die Nation ſelbſt zwang ihn, eine ſolche zu ſuchen;
ſie ſelbſt zog die fremden Mächte beharrlich ins Land, ohne zu
bedenken, daß hieraus ſchließlich die Abhängigkeit vom Aus-
lande folgen mußte. Der ſchreiendſte Mißbrauch der Freiheit
führte auch hier zur Knechtſchaft.
[[26]]
2. Idee der Reform. Erſtes Emporſteigen der
Czartoryski.
Inmitten des allgemeinen Verfalls, in welchen die Republik
ſeit dem Ende des 17. Jahrhunderts je länger je mehr ver-
ſank, fehlte es freilich nicht an einzelnen Männern, welche mit
ſchärferem Blick als die Maſſe der Nation die zahlreichen
Schäden, an welchen ſie krankte, erkannten, die Gefahren, welche
ihr in der Zukunft drohten, vorausſahen und Mittel und Wege
zur Heilung und Rettung dringend empfahlen. Sagte doch
ſchon König Johann Kaſimir im Jahre 1661 der Nation ihr
Geſchick wahrhaft prophetiſch voraus. „O möchte ich ein fal-
ſcher Prophet ſein“, ſprach er zu den verſammelten Reichs-
ſtänden, „wir haben eine Theilung der Republik zu fürchten.
Moskau wird ſich Lithauens bemächtigen, der Brandenburger
ſich nach Großpolen vergrößern und über Preußen ſich ent-
weder mit dem Schweden verſtändigen oder mit ihm darum
kämpfen, und auch Öſtreich wird, wenn es auch die reinſten
Abſichten hegt, ſich ſelbſt nicht vergeſſen und nach Krakau und
den benachbarten Palatinaten greifen.“1)
[27]
Ein ganzes Jahrhundert ging vorüber, bevor ſich dieſe
Prophezeiung erfüllte, und auch in dieſem fehlte es nicht an
Stimmen, welche die Nation zur Einkehr bei ſich ſelbſt und
zur Umkehr mahnten. Die einen faßten die tiefe Verſumpfung
ihres geiſtigen und moraliſchen Lebens, die anderen die poli-
tiſchen Schäden, die Gebrechen und Mängel des ſtaatlichen Or-
ganismus der Republik und ihrer einzelnen Inſtitutionen über-
wiegend ins Auge. Zu den erſteren gehört der Fürſt Jan
Jablonowski, Woiwode von Rußland († 1731), und Stephan
Garczynski, Woiwode von Poſen, beide Senatoren der Repu-
blik; zu den letzteren Stanislaw Dunin Karwicki (um 1706) und
König Stanislaw Leszczynski 17331). Allen gemeinſam iſt die
Offenheit, Ungeſchminktheit, mit der ſie die beſtehenden Zuſtände
ſchildern; Jablonowski aber erſcheint in ſeiner Schrift „Be-
denken ohne Bedenken“, in welcher er rückhaltlos „die Sünden,
welche niemand für Sünden hält“, und die eben daher die
allgemeinſten waren, aufdeckt, mehr als Satyriker, wie als
Moraliſt, während Garczynski in ſeiner „Anatomie“ (1751)
auf das erregteſte „warnen und beſſern“ will. Eben ſo ſtimmen
auch die Politiker weſentlich ſowohl darin überein, in welchen
Inſtitutionen die Quelle des politiſchen Verfalls der Republik
hauptſächlich liege, als auch meiſtentheils darin, welche Heil-
mittel ſie vorſchlagen. Aber bei alledem beſteht dennoch ein
weſentlicher Unterſchied zwiſchen den letzten Zielen, welche Kar-
wicki auf der einen, Leszczynski auf der anderen Seite, auf-
ſtellen und erſtreben. Karwicki, von dem Grundgedanken aus-
gehend, daß die Principien der Monarchie, Ariſtokratie und
Demokratie in einem unverſöhnbaren Gegenſatz ſtänden, und
daß daher alles Unheil der Republik, alle Unruhe und Ver-
wirrung von der Miſchung jener drei Staatsformen in ihrem
1)
[28] ſtaatlichen Organismus herrühre, gelangt zu dem Schluß, es
ſei daher für Polen kein Heil zu hoffen, ſofern die Nation
nicht entweder die reine Monarchie oder die reine Republik
herſtelle. Zwar erkennt er an, daß die Monarchie die beſte
Staatsform, zumal in der Gegenwart, ſei; aber er entſcheidet
ſich doch für die reine Republik, weil für jeden Staat diejenige
Regierungsform die beſte ſei, welche die dem Genius der Nation
angemeſſenſte wäre, und dies ſei für die Polen ihrem Character
und ihrer Geſchichte gemäß die Republik.
Das Königthum ſo gut wie völlig zu beſeitigen, den
Einfluß und die Macht der Ariſtokratie zu brechen und der
Maſſe des Adels die unbeſtrittene Herrſchaft in die Hand zu
geben: auf dieſes Ziel gehen alle ſeine Vorſchläge zur Reform
ſchließlich hinaus, wenn er auch einſichtig genug iſt, zugleich
Mittel und Wege anzugeben, geeignet, das Umſchlagen der
Demokratie in eine Ochlokratie zu verhindern.
Von ſolchem Radicalismus iſt Leszczynski — welchem Kar-
wicki’s Schrift offenbar bekannt war — weit entfernt. Er
findet den Grund aller Übel nicht in der Unmöglichkeit des
Nebeneinanderbeſtehens von „Majeſtät und Freiheit“, ſondern
darin, daß ſie beide in Polen nicht in das richtige Gleichgewicht
gebracht wären. Ihm ſchwebt im gewiſſen Sinne die Ver-
faſſung Englands als Ideal vor. Da er aber ſeine Schrift
während des Interregnums nach dem Tode Auguſt II. als Wahl-
manifeſt herausgab, um die Polen für ſeine Wahl zu gewinnen,
vermeidet er es ſichtlich durch ſeine Reformvorſchläge ihrem
Freiheitsbegriff und Freiheitsſinn etwa zu ſchroff entgegenzu-
treten. Immer aber iſt ſein letztes Ziel nicht nur die Krone,
ſondern auch die Freiheit des Adels in feſte Schranken einzu-
ſchließen, und hiedurch beide in das richtige Gleichgewicht zu
einander zu ſetzen. Allerdings ſind ſeine Rathſchläge ſowohl
wie die Karwicki’s ab und zu nicht frei von einem abſtract-
theoretiſchen, zur politiſchen Künſtelei neigendem Zuge; allein
im Großen und Ganzen ſchließen ſie ſich ſoweit als irgend
möglich an die beſtehenden Einrichtungen und Zuſtände an.
Trotzdem aber haben all’ dieſe Schriften auf die Nation
[29] im Großen, weder in dem Augenblick, in welchem ſie erſchienen,
noch Jahre lang nachher eine beſondere Wirkung gehabt. Die
Maſſe des Adels las damals, und ſelbſt noch in den erſten
Jahrzehnten der Regierung Stanislaw Auguſts überhaupt ſo
gut wie gar nicht1), und es erklärt ſich hieraus ſchon allein,
daß jene Schriften ſehr bald nach ihrem Erſcheinen in Ver-
geſſenheit kamen2).
Erſt als ein jüngeres Geſchlecht aufwuchs, fanden ihre
Ideen, zunächſt auch nur bei wenigen, einen Anklang. Der
reißende Fortſchritt des inneren Verfalls der Republik, ihre
immer ſich ſteigernde Abhängigkeit von Rußland öffneten doch
manchem die Augen. Die Reiſen der jüngeren „Herren“ ins
Ausland; der längere Aufenthalt, welchen mehrere am Hofe
Leszczynski’s in Lüneville und Nancy nahmen, der eine Pflanz-
ſchule höherer Bildung für dieſe Jugend ward; die Vergleichung
der Zuſtände anderer Nationen mit den heimiſchen; endlich
der neue Geiſt der Aufklärung, welcher gegen die Mitte des
Jahrhunderts ſich überall in Europa Bahn zu brechen begann:
das alles ſchärfte allmählig den Blick für die tiefen Schäden,
an welchen die Republik krankte, für die Gefahren, welche
hieraus ihr drohten, und führte zugleich zu der Einſicht, daß
Polen ohne tiefgreifende innere Reformen ſeinem Untergange
entgegeneile. Schon Karwicki hatte gemahnt: die Nation müſſe
nur nicht ſelbſt ſich verlaſſen und nicht müßig erwarten, was
das Geſchick über ſie verhänge, ſondern vielmehr zu handeln
ſich entſchließen, und nicht dem Zufall überlaſſen, was durch
entſchloſſene Weisheit verbeſſert werden könne3).
Können wir nun auch nicht nachweiſen, daß jene Schriften
auf dies jüngere Geſchlecht unmittelbar eingewirkt haben, ſo
[30] ſind wir doch zu der Annahme berechtigt, daß ſie nicht ver-
gebens geſchrieben wurden, wenn auch die Saat, die ſie aus-
ſtreuten, erſt ſpät aufging. Denn faſt alle die Reformideen,
welche faſt ein Menſchenalter nach ihnen, die Czartoryski und
Poniatowski praktiſch einzuführen verſuchten, welche dann gegen
das Ende des Jahrhunderts die Führer des ſogenannten vier-
jährigen Reichstages (1788—92) der Verfaſſung vom 31. Mai
1791 zu Grunde legten, ſind im weſentlichen dieſelben, welche
Karwicki und Leszczynski zuerſt theoretiſch ausſprachen: Be-
ſchränkung, reſp. gänzliche Aufhebung des liberum veto, Ver-
beſſerung des Geſchäftsganges auf den Land- und Reichstagen,
Beſchränkung der Machtfülle der großen Kronämter, Reform
des Gerichtsweſens, Vermehrung der Armee und finanzielle
Sicherſtellung ihrer Erhaltung u. ſ. f.1).
Unter den Männern nun, welche dieſe Reformideen ins
praktiſche Leben einzuführen ſtrebten, ſtehen bekanntlich die
Brüder Fürſten Czartoryski, Michael Friedrich und Auguſt
Alexander, in erſter Reihe. Ihr ganzes Leben war von
dieſem Streben erfüllt und beherrſcht: auf die Geſchicke der
Nation in ihrer Epoche haben ſie vor allen anderen den tief-
greifendſten Einfluß geübt.
Ihr Geſchlecht leitete ſich von den alten Fürſten Lithauens
her; von Gedimin, deſſen Söhnen und Enkeln, deren Wappen,
den daherſprengenden Reiter (pogon) es heute noch führt.
Wie andere Zweige dieſes Fürſtengeſchlechtes, ſind auch ihre
näheren Vorfahren wahrſcheinlich früh in die bereits im
14. Jahrhundert von den Lithauern eroberten ruſſiſchen Land-
ſchaften übergeſiedelt. Wenigſtens erſcheinen Fürſten Czartoryski
bereits urkundlich gegen die Mitte des 15. Jahrhunderts (1422);
woher der Schluß wohl gerechtfertigt ſein dürfte, daß die ur-
alte Veſte Czartorysk, am Fluſſe Styr in Volhynien, damals
bereits ſeit längerer Zeit der Mittelpunkt ihrer dortigen Be-
ſitzungen war. Wie früh ſie ſich dem Glauben der griechiſchen
[31] Kirche zugewandt haben, wiſſen wir nicht, wohl aber daß ſie
demſelben gleich anderen fürſtlichen und adlichen Geſchlechtern
in jenen Landſchaften faſt zwei Jahrhunderte hindurch treu er-
geben blieben. Erſt im Beginn des 17. Jahrhunderts trat
Jerz̀y Iwanowicza Czartoryski zum römiſchen Katholicismus
über, und ward einer der eifrigſten Anhänger und Beſchützer
der Jeſuiten.
Es mag dahingeſtellt bleiben, inwieweit es mit ihrem grie-
chiſchen Glauben zuſammenhängt, daß die Familie, ſo lange ſie
ihn bekannte, zu keinem irgendwie hervorragenden Einfluß in
der Republik gelangte. Ihre Mitglieder verwalteten wohl in
ihren heimiſchen Landſchaften höhere und niedere Ehrenämter,
wurden Woiwoden, Kaſtellane u. ſ. w., und tummelten ſich
nicht ſelten in den damals ſo zahlreichen Kämpfen mit den
Türken, Tartaren und Ruſſen. Zu einer höheren politiſchen
Lebensſtellung brachte es aber doch erſt der Enkel jenes erſten
zum Katholicismus übergetretenen Czartoryski, Florian. Von
Jugend auf dem geiſtlichen Stande gewidmet, ſeit 1650 Bi-
ſchof von Poſen, ſpäter von Cujavien, nahm dieſer in den
wirren Zeiten Johann Kaſimirs als Senator an allen wich-
tigeren politiſchen Verhandlungen einen nicht ſelten hervor-
ragenden Antheil, ohne doch ſeine biſchöflichen Pflichten irgend-
wie zu vernachläßigen. Im Gegentheil, er war ein ebenſo
eifriger Hirt ſeiner Heerde, als Patriot, und ward noch kurz
vor ſeinem Tode († 1674) Erzbiſchof von Gneſen und Primas
des Reiches. Durch ihn zuerſt gewann der Name Czartoryski
in der Republik Ruf und Glanz.
Grade in dem Jahre, in welchem der Erzbiſchof von
Gneſen ins Grab ſank, ward ſeinem Bruder, Woiwoden von
Sandomir, ein Sohn, Kaſimir, geboren, der auch ſeinerſeits,
freilich auf anderem Wege als der Oheim, das weitere Empor-
kommen der Familie förderte. Indem er ſich mit Iſabella
Morstyn vermählte, erwarb er nicht nur ein nicht unbedeu-
tendes Vermögen, ſondern kam auch durch ſie mit dem Hofe
in nähere Verbindung, an welchem ihre Schweſter, die Kron-
großmarſchallin Bielinska, Geltung und Einfluß beſaß. Sie war
[32] eine in Polen damals noch ſeltene Erſcheinung. In Paris,
am Hofe Ludwig XIV. aufgewachſen, hatte ſie den dort herr-
ſchenden Lebensgeiſt, Anſchauungen, Sitten und Gewohnheiten
in ſich aufgenommen und blieb dieſen auch nach ihrer Rückkehr
nach Polen ihr Leben lang getreu. Sie eröffnete als die erſte
in Warſchau Salons nach dem Muſter von Verſailles und
Paris und zog, anmuthig und geiſtreich wie ſie war, bald die
ganze vornehme Welt, Miniſter, Hofleute und Adel in ihre
Kreiſe und ihre Richtung: die erſte polniſche Frau, welche an
der Politik, den großen Geſchäften des Landes Theil nahm. Die
Verbindungen, der Einfluß, den ſie hiedurch gewann, förderten
natürlich auch ihren Mann, wie ihre drei Söhne. Sie iſt die
Mutter von Michael Friedrich (geb. 1696 im April) und
Auguſt Alexander (geb. 1697 im Oktober oder November)
Czartoryski, deren Name untrennbar mit der Geſchichte Polens
verknüpft iſt; der dritte Sohn Theodor Kaſimir war Bi-
ſchof von Poſen (geb. 1704 oder 1709). Von zwei Töchtern
ging die eine, Ludwika, ins Kloſter; die andere, Conſtantia,
heirathete den General Stanislaw Poniatowski, den Vater des
letzten Königs von Polen. Die Mutter aber erlebte noch der
beiden älteren Söhne Emporſteigen zu dem größten Einfluß in
der Republik. Bis in ihr höchſtes Alter — ſiebenundachtzig Jahre
alt, ſtarb ſie erſt 1758 am 24. Februar — ſoll ſie allwöchentlich
an einem beſtimmten Tage ſie bei ſich geſehen und mit ihnen
alle wichtigen Angelegenheiten berathen haben1).
Nach alledem darf man wohl, auch ohne daß beſondere
Nachrichten hierüber vorliegen, annehmen, daß dieſe Mutter
auf die Erziehung, Bildung und die ganze Lebensrichtung der
Söhne einen großen Einfluß geübt hat. Aus deren Jugendzeit
wiſſen wir nur, daß die beiden älteren, der eine achtzehn-, der
andere ſiebenzehnjährig, zuſammen auf Reiſen geſchickt wurden,
in deren Verlauf ſie auch nach Frankreich, aber erſt nach dem
Tode Ludwig XIV. kamen2).
[33]
Von dort ſcheint der ältere ſofort nach Polen zurückgekehrt
zu ſein; der jüngere aber trat in den Orden der Malteſer ein
und begann auf deſſen Galeeren ſeine Laufbahn. Nach ein
paar Jahren jedoch ging er in die Dienſte Öſtreichs, in
welchen er an mehreren Feldzügen, unter anderen an der be-
rühmten Schlacht bei Belgrad unter der Führung des Prinzen
Eugen Theil nahm (1717). Dennoch brachte er es nicht bis
zum Oberſten, angeblich, weil er mit den Gegnern Eugens,
den Generalen Guido Stahrenberg, de Mercy und Bonnechoſe
in freundſchaftlichem Verkehr ſtand. Trotzdem aber hätte er
den öſtreichiſchen Dienſt ſchwerlich verlaſſen, wenn ihn nicht
bei einem Beſuch im Vaterlande die ſchöne, liebenswürdige
Wittwe des Woiwoden Dehnhof von Poloczk, geb. Sieniawa,
angezogen hätte, die einzige Erbin des ſehr bedeutenden Ver-
mögens ihrer alten Familie. Eben daher bewarben ſich auch
gar viele aus den reichſten Familien des Landes, unter anderen
Franz Saleſi Potocki, der ſpätere Woiwode von Kiew, Michael
Kaſimir Radzivil, Jan Clemens Branicki, der nachherige Kron-
großfeldherr und Schwager des Königs Stanislaw Poniatowski,
Adam Tarlo, Woiwode von Lublin, um ihre Hand. Erſt nach
dreijähriger Bemühung erreichte der Fürſt das Ziel ſeiner
Wünſche: ein Erfolg von der weittragendſten Bedeutung für
ſeine geſamte Familie. Denn bisher waren die Czartoryski,
wenn auch nicht grade arm, ſo doch auch nicht reich geweſen.
In dieſer Beziehung konnten ſie mit den Radzivil, Potocki,
Sanguszko, Sapieha u. a. nicht rivaliſiren; erſt dieſe Heirath
(1731, 11. Juni) gab ihnen die finanziellen Mittel, deren ſie,
wie einmal die ſocialen und politiſchen Verhältniſſe in Polen
waren, bei ihrem Emporſteigen zu Einfluß und Macht nicht
entbehren konnten.
Inzwiſchen hatte der ältere Bruder, Michael, bereits im
Dienſt der Republik eine angeſehene Stellung erworben. Zwar
hatte der Vater, wie dies bei der ganzen in der Familie herr-
ſchenden Richtung nicht anders zu erwarten war, nach dem
Tode Sobieski’s, ſich mit ſeinem Schwager Bielinski der fran-
zöſiſchen Parthei des Prinzen Conti, und auch ſpäter, als
Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 3
[34] Stanislaw Leszczynski von Karl XII. gegen König Auguſt II.
auf den Thron erhoben ward, dem erſteren angeſchloſſen;
ſchließlich aber hatte er wie alle anderen mit König Auguſt
ſeinen Frieden gemacht, und ſelbſt deſſen Wohlwollen gewonnen 1).
Gleiche und wohl noch höhere Gunſt des Königs genoß auch
ſein Schwiegerſohn Poniatowski. Aus einer Familie des klei-
neren Adels entſproſſen, war dieſer, zwanzig Jahre älter als
die beiden Brüder Czartoryski, zuerſt im Kriegsdienſt Leszczynki’s
emporgekommen, hatte dann bei Pultawa weſentlich zur Lebens-
rettung Karl XII. beigetragen und dieſem ſeitdem in der Türkei,
wie in Stralſund und Schweden als Diplomat und Soldat
aufs treuſte gedient 2). Nach dem Tode Karls ging er von
der Königin Ulrike Eleonore mit Anträgen zum Frieden be-
traut, nach Polen zurück und ſoll König Auguſt gleich bei ſeiner
erſten Vorſtellung dadurch für ſich eingenommen haben, daß er
ihm das Original ſeiner Abdankung zu Gunſten Leszczynski’s,
aus Schweden zurückbrachte 3). In der Reife männlicher Kraft
[35] — bei ſeiner Rückkehr nach Polen war er etwa 42 Jahre
alt — von vielſeitiger Lebenserfahrung, im Kriegsweſen und
den großen Geſchäften überhaupt geübt, dazu redlich, offen, zu-
verläßig, thätig und heiter, ſtieg er raſch auf der Stufenleiter
der Ämter empor. Bereits 1724 ward er Schatzmeiſter von
Lithauen und General der Krongarde; vier Jahre ſpäter wollte
ihn der König zum Großfeldherrn der Krone erheben, ſtand
aber hievon in Folge des Widerſpruchs der Sapieha, Radzivil,
Lubomirski und Potocki ab, welche letzteren, da faſt immer einer
ihrer Familie Großfeldherr geweſen war, den Feldherrnſtab
(bulawa) gewiſſermaßen als einen Familienbeſitz zu betrachten
ſich gewöhnt hatten und wie alle anderen mit Stolz auf den
Emporkömmling herabſahen 1). Der König ließ damals das
Amt unbeſetzt, ernannte aber Poniatowski zum General-Regi-
mentarius der Armee, und erhob ihn im Jahre 1731 zum
Woiwoden von Maſowien und als ſolchen zum Mitgliede des
Senats 2). Wie viel er bei ſeinem Emporſteigen ſeiner Heirath
3)
3*
[36] (1720) verdankte, oder umgekehrt ſeinerſeits die Czartoryski
förderte, mag dahingeſtellt bleiben. Thatſache iſt, daß er, ſo
lange er lebte (er ſtarb 1762, 29. Auguſt) 1), mit den Ältern
und den Brüdern der Frau im engſten Vertrauen ſtand und
mit ihnen Hand in Hand in den öffentlichen Geſchäften wirkte.
Demgemäß hat er wahrſcheinlich auch dem Schwager Michael,
als dieſer als ein junger Mann von etwa 20 Jahren aus
dem Auslande in die Heimath zurückkehrte, eben ſo zur Seite
geſtanden, als er die Heirath des jüngeren Auguſt mit der
Wittwe Dehnhof durch ſeine geſchickten und ſtetigen Bemühungen
förderte 2). Michael aber erwarb ſich raſch die beſondere Gunſt
des Feldmarſchall Flemming, der als der erſte und vertrauteſte
Miniſter Auguſt II. auch in den polniſchen Geſchäften der
damals einflußreichſte Mann war 3). Bereits mit 28 Jahren
ward er Unterkanzler von Lithauen (1724) und erfreute ſich
des. Wohlwollens des Königs, der ſeinerſeits weſentlich auch
dazu beigetragen haben ſoll, daß die Wittwe Dehnhof vor allen
anderen Freiern Auguſt Czartoryski vorzog. Wenige Tage
2)
[37] nach der Hochzeit verlieh ihm Auguſt den Orden des weißen
Adler und erhob ihn ein paar Monate darauf zum Woiwoden
von Rußland (11. November 1731), in welcher Landſchaft die
Mehrzahl der Güter der Frau lag 1).
Solchergeſtalt nahm die „Familie“ — mit welchem Aus-
druck man ſehr bald die Czartoryski, Poniatowski und deren
nähere Verwandten zu bezeichnen anfing — bereits in dem
letzten Jahrzehnt der Regierung Auguſt II. eine ſehr bedeutende
Stellung ein. Poniatowski galt gegenüber der Oppoſition der
Potocki, Radzivil, Sapieha u. a. als das Haupt der Parthei
des Königs, und ſoll nebſt ſeinem Schwager, dem lithauiſchen
Unterkanzler, als Dank für die Unterſtützung, welche Auguſt II.
der Familie bei der Heirath Auguſt Czartoryski’s geleiſtet hatte,
dem Könige das Verſprechen gegeben haben, bei der nächſten
Königswahl für ſeinen älteſten Sohn zu ſtimmen und zu
wirken 2). In wie fern ſie aber auf die weiteren Pläne des
Königs, ſich zum „Erbkönig“ in Polen zu machen, eingegangen
ſind, wiſſen wir bis jetzt mit Sicherheit nicht 3). An und für
ſich wäre es grade nicht unwahrſcheinlich. Denn Poniatowski,
damals der politiſche Führer der „Familie“, war als treuer
Diener und Freund Karl XII. unzweifelhaft auch ein Freund
eines ſtarken Königthums; die Czartoryski aber aufgewachſen
unter dem Einfluß einer Mutter, welche Ludwig XIV. auf das
lebhafteſte verehrte und alles polniſche Weſen verachtete, haben
gewiß von früher Jugend an die Reformidee in ſich aufge-
nommen, deren Durchführung die Arbeit ihres Lebens ward.
Von dem jüngern, Auguſt, wiſſen wir beſtimmt, daß ihm, be-
reits als er noch ein junger Mann war, die altväterlichen
[38] Sitten und Lebensweiſen, die ganze Regierungsart im Vater-
lande, widerwärtig, ja verhaßt war, und wenn uns auch in
dem älteren ein viel ſtärkeres Element ächt nationalen Cha-
racters entgegentritt, ſo ward er doch zugleich recht eigentlich
der politiſche Kopf der Familie, der thatſächlichſte Träger und
Förderer der großen Reform, die ſie erſtrebte.
Wie nun aber auch die „Familie“ ſich zu den letzten Plänen
Auguſt II. verhalten haben mag; ſie wurden, als er plötzlich
eines unerwarteten Todes ſtarb (1. Februar 1733), mit ihm
begraben.
[[39]]
3. Die Kriſis von 1733—1736.
Unmittelbar nach dem Tode des Königs übernahm der Erz-
biſchof von Gneſen Theodor Potocki als Primas dem Reichs-
recht gemäß die Leitung der Dinge; ein Mann von hohen
Jahren zwar, aber noch friſchen, rüſtigen Geiſtes. Sein und
ſeiner Familie und Parthei Kandidat für den erledigten Thron
war ſchon lange Stanislaw Leszczynski. Sie rechneten auf die
Unterſtützung Ludwig XV., deſſen Schwiegervater Leszczynski
ſeit 1725 war, und hatten um ſo mehr Grund hiezu, als der
franzöſiſche Geſandte in Warſchau, Graf Monti, ſeit 1729
nicht ohne Erfolg, auch mit vielem Golde für jenen gewirkt
hatte. Jetzt aber gelang es dem Primas, auch die bisherige
Hofparthei für ihn zu gewinnen; ſei es, daß die „Familie“
aus alter Vorliebe für Frankreich und Anhänglichkeit an Sta-
nislaw, von dem als König ein Eingehen auf die Idee der Reform
zu erwarten war, für ihn Parthei nahm; ſei es, daß ſie von
dem Strom der nationalen Bewegung mit fortgeriſſen oder
vielmehr von all dieſem zuſammen beſtimmt ward. Denn der
Ruf, den die Potocki zunächſt erhoben, „kein Fremder“, ſondern
ein „Piaſt“ müſſe gewählt werden, hatte ſofort in der Maſſe
des Adels einen um ſo lebhafteren Anklang gefunden, je höher
von Jahr zu Jahr das Mißvergnügen mit der Regierung
Auguſt II. geſtiegen war, welche das Intereſſe ſeiner Dynaſtie
[40] vielmehr als das der Republik ſtets im Auge gehabt, und noch
dazu die Freiheit der Nation bedroht hatte. Die große Mehr-
zahl der Landtage, welche herkömmlich dem Convocationsreichs-
tage vorangingen, erklärte ſich für einen „Piaſten“. Der
Kurprinz hatte anfangs für ſich ſo gut wie keine Parthei.
Denn auch den einflußreichen Familien, welche wie die Wisno-
wiecki, Radzivil, Lubomirski u. a. gegen die Wahl Leszczynski’s
waren, war die Ausſchließung jedes fremden Thronkandidaten
ganz genehm, weil Theodor Lubomirski, der Woiwode von
Krakau, ſowohl wie die beiden Wisnowiecki, Michael, der Groß-
kanzler und Regimentarius von Lithauen und Jan, Kaſtellan
von Krakau, ſelbſt ſich mit dem Wunſche trugen, auf den
Thron zu gelangen.
Mit der ſolchergeſtalt in Polen beginnenden Wahlbewegung
kam gleichzeitig natürlich auch die Diplomatie von ganz Europa
in die lebhafteſte Thätigkeit. Noch immer beherrſchte der Gegen-
ſatz der Häuſer Bourbon und Habsburg, in welchen damals
bereits die öſtreichiſche Erbfolgefrage hineinſpielte, die poli-
tiſche Welt. Für keine der großen Mächte konnte es gleich-
gültig ſein, wer auf den Thron gelangte, am wenigſten für die
drei, Polen zunächſt benachbarten, Rußland, Preußen und Öſt-
reich. Sollten ſie es in Ruhe mit anſehen, daß durch die
Wahl Leszczynski’s Frankreich von neuem Polen in ſein poli-
tiſches Syſtem hinüberzog? Schon lange vor dem Tode
Auguſt II. hatten ſie hierüber untereinander verhandelt und
waren bei jeder dieſer Verhandlungen (1726, 1730, 1732)
darüber einig geworden, daß weder Leszczynski noch der Kur-
prinz zum Throne gelangen dürfe. Ihr Sinn war, daß „der
polniſche Thron mit einem Succeſſor beſetzt werden möge, der
ſo wenig der polniſchen Libertät als der Nachbarſchaft gefähr-
lich ſei“.
In Paris dagegen war man trotz der früheren Bemühungen
für Leszczynski, in den erſten Momenten nach dem Tode
Auguſt II. doch zweifelhaft, ob Frankreich ſich ſeiner ernſt an-
nehmen ſolle. Kardinal Fleury hätte gern den Krieg ver-
mieden, der die nothwendige Folge davon ſein mußte. Allein
[41] der Hof und die Generale drängten, und als eine Bitte des
Primas von Polen um den Schutz Frankreichs für die Wahl-
freiheit der Nation, eingetroffen war 1), entſchied ſich Ludwig XV.
Am 11. März las der Kardinal in Perſon den fremden Ge-
ſandten in Paris eine Declaration vor, daß Frankreich das
freie Wahlrecht der Polen in ſeinen Schutz nehmen, und jede
Unternehmung gegen daſſelbe als einen Angriff auf die Ruhe
Europa’s betrachten werde. Als ihn darauf die Prinzen und
der Hof mit Jubel begrüßten, ſagte er: „Sie haben den Krieg
gewollt, da iſt er“ 2).
Auf der anderen Seite blieben die Oſtmächte wohl einig
darin, Leszczynski in keinem Fall auf den Thron gelangen zu
laſſen; aber nicht einig blieben ſie in Betreff der früher gleich-
falls ins Auge gefaßten Ausſchließung des Kurprinzen. Daß
er die pragmatiſche Sanction Karl VI., deren Durchſetzung der
Mittelpunkt der damaligen Wiener Politik war, anzuerkennen
ſich erbot, gab dort die Entſcheidung für ihn. Rußland ge-
wann er dadurch, daß er dem einflußreichſten Mann des Hofes
von Petersburg, dem Grafen Biron, die Belehnung mit dem
Herzogthum Kurland verſprach. Beide Mächte bemühten ſich
dann auch Preußen für ihn zu gewinnen, aber vergebens. Der
Dresdner Hof ließ ſich nicht darauf ein, auch nur eine der
Forderungen, welche Friedrich Wilhelm I. in ſeinem Intereſſe
ſtellte, zu bewilligen. „Wenn Sachſen nicht andere Saiten auf-
zieht“, ſagte er Anfang Juni, „ſo bleibe ich neutral.“ 3)
Hiebei blieb er ſtehen. Öſtreich ſchloß ſeinen Tractat mit
dem Kurprinzen am 16. Juli allein ab, in welchem dieſer
neben der Anerkennung der pragmatiſchen Sanction auch noch
die Verpflichtung übernahm mit Öſtreich und Rußland in
ewiger Alliance zu bleiben 4). Der ruſſiſche Hof trat dieſem
Vertrage ſofort bei. Man ſieht, es war ein hoher Preis, den
der Kurprinz für den Thron Polens zahlte, ein Preis, der,
[42] ſofern er ſein Ziel erreichte, ſeine und der Republik politiſche
Selbſtbeſtimmung auf lange hinaus vernichtete.
Die Nation aber, deren Krone er erſtrebte, wollte nach
wie vor nichts von ihm wiſſen.
Wie auf den Landtagen, ſo ging es auch auf dem Convo-
cations- und Wahlreichtstag (26. April, 25. Auguſt). Ein-
müthiger wie je wählten die Polen — auf dem Wahlfelde
Wola bei Warſchau waren an 100,000 Edelleute, alle zu Pferde
und in Waffen zuſammen — Stanislaw Leszczynski zu ihrem
König (12. September); nur ein einziger Edelmann hatte bei
der Abſtimmung den Kurfürſten von Sachſen genannt. Trotz-
dem aber trennten ſich die Lubomirski, Sapieha, Wisnowiecki,
Radzivil — von welchen keiner dem anderen die Krone gönnte — 1)
und ihr Anhang von der beinahe einmüthigen Nation, gingen
zu Auguſt über und riefen ſelbſt die Ruſſen herbei, deren Heer
in dieſen Tagen bereits in der Nähe von Warſchau ſtand.
Unter deſſen Schutz wählten ſie, eine verſchwindende Mino-
rität, am 5. Oktober in Praga Auguſt III., den Kandidaten
Öſtreichs und Rußlands.
Bekannt iſt der Ausgang. Die Polen hatten trotzdem, daß
Rußland bereits lange vor der Wahl Leszczynski’s ihnen offi-
ciell erklärt hatte, es werde dieſe Wahl für einen casus belli
betrachten, es vollkommen verſäumt, ſich zur Vertheidigung
ihrer Freiheit zu rüſten. Ohne alle Erkenntniß der Lage, in
der ſie ſich fanden, hatten ſie ſich in dies Unternehmen ge-
worfen, darauf vertrauend, daß Schweden und Türken in ihrem
eigenen Intereſſe, welches die Erhaltung der Unabhängigkeit der
Republik fordere, ſie gegen Rußland, Frankreich ſie gegen Öſt-
reich und Preußen ſchützen müßten 2). Auf ſo weite und un-
[43] ſichere politiſche Combinationen bauten ſie, ohne daran zu
denken, daß jede Nation in erſter Reihe nur auf die eigne
Kraft und Macht vertrauen darf. Als Schweden und Türken
ruhig ſitzen blieben, Frankreich aber ſie, wie es ſtets gethan, ſo
gut wie völlig im Stich ließ, was half es da, daß die Bürger-
ſchaft von Danzig ſich und den zu ihr geflüchteten Stanislaw
tapfer und ausdauernd eine Zeitlang gegen die Ruſſen ver-
theidigte, daß ein Paar Tauſend Edelleute dort, andere in
Lithauen, noch andere in Kronpolen während des Jahres 1734
einen kleinen Partheigängerkrieg führten? Ohne Zuſammen-
hang untereinander, nicht ſelten ſelbſt unter ſich im Hader,
ward ein Haufen nach dem anderen von den ruſſiſchen oder
ſächſiſchen Truppen auseinandergeſprengt. Ohne allen Nutzen
für die Sache, für welche ſie ihr Gut und Blut opferten,
trugen ſie nur zur Verheerung des Landes bei.
Eine Zeitlang hielt Leszczynski, nachdem er unmittelbar
vor der Übergabe Danzigs von dort entflohen war (27. Juni),
die Hoffnung feſt. Von Königsberg aus rief er, obwohl ſelbſt
ohne Vertrauen auf den Erfolg, die Nation zum allgemeinen
Aufſitzen auf (24. Dezember 1734, 20. Auguſt 1735) 1), in der
Erwartung, daß Ludwig XV. deſſen Heere ſiegreich gegen Öſt-
reich fochten, ihn auf dem Throne erhalten würde. Als er
ſich aber auch in dieſer Erwartung durch den Abſchluß der
Friedenspräliminarien in Wien (3. Oktober 1735) getäuſcht
ſah, unterzeichnete er, von Ludwig XV. ſelbſt dazu gedrängt,
ſeine Abdankung (26. Januar 1736) und kehrte im März nach
Frankreich zurück.
[44]
Unter den Polen, welche ihm nach Danzig gefolgt waren
und bis zum Ende der Belagerung mit ihm aushielten, war
auch die „Familie“, die faſt 60jährigen Alten, Kaſimir Czar-
toryski und Poniatowski, ſo wie alle drei Söhne des erſteren
und deren Vetter Stanislaw. Noch vor dem Anmarſch der
Ruſſen, Ende November 1733, hatte der König Poniatowski
nach Berlin geſandt, um im Verein mit dem dortigen franzö-
ſiſchen Geſandten Friedrich Wilhelm I. für ſeine Sache zu ge-
winnen. Er ließ damals im Einverſtändniß mit den Polen,
die bei ihm waren, dem Könige die Abtretung eines Land-
ſtriches anbieten, der Oſtpreußen und Pommern unmittelbar
verbände, während faſt gleichzeitig Rußland in Berlin die
Woiwodſchaft Pommerellen und den Beſitz der Stadt Elbing
antrug 1). Friedrich Wilhelm lehnte beide Anträge ab. Ponia-
towski aber übernahm nach ſeiner Rückkehr aus Berlin die
Leitung der Vertheidigung der Vorſtädte Danzigs; ſein Schwager
Auguſt Czartoryski befehligte die polniſche Krongarde, welche
auf dem Biſchofsberge lag, bis er von einer ſchweren Krank-
heit ergriffen ward, die ihn dem Tode nahe brachte. Nach
der Kapitulation der Stadt unterſchrieb die Familie, mit Aus-
nahme des lithauiſchen Kanzlers, welcher vorher Danzig ver-
laſſen zu haben ſcheint, nebſt der Mehrzahl ihrer Landsleute,
auch die Acte, durch welche ſie Auguſt III. als ihren König
und Herrn anerkannten. Die Acte war würdig gefaßt. Sie
erklärten darin, dem göttlichen Willen, der nach dem ganzen
Verlaufe der Dinge deutlich zu Tage liege, ſich unterwerfen zu
wollen, in der Zuverſicht, daß der König die Gerechtſamen,
Freiheiten und Vorrechte, welche ihnen von allen ſeinen Vor-
gängern verliehen worden, ungekränkt beſchützen und erhalten
werde 2). Und als dann Auguſt III. in Perſon nach Danzig
[45] kam, ſchwur Poniatowski ihm perſönlich neben anderen den
Treueid (26. Juli), worauf der König alle in ihren Ämtern
und Würden beſtätigte 1). Schon vorher hatte ihm, auf ſeiner
Reiſe nach Danzig, auch der lithauiſche Unterkanzler ge-
huldigt 2).
Nun ſetzte ſich freilich noch durch das ganze Jahr 1735
die einmal vorhandene Unruhe und Bewegung in einzelnen
Zuckungen fort. Hier und dort verſuchte man es immer wieder
mit neuen Conföderationen: allmählig aber unterwarf ſich doch
einer nach dem anderen dem König. Bereits im Februar ſagte
ſich Joſeph Potocki von der Sache Leszczynski’s los und ſchwur
perſönlich im Mai dem Könige den Eid der Treue. Ihm
folgte am 16. Juli der Primas, welchen die Ruſſen nach der
Kapitulation von Danzig in Thorn lange gefangen gehalten
hatten, nicht ohne daß er ſich vorher durch den Pabſt von dem
Leszczynski geleiſteten Eide hatte entbinden laſſen 3). Trotzdem
aber ſcheiterte noch der erſte Verſuch, den Auguſt III. im
September 1735 mit einem ſogenannten Pacificationsreichstage
machte. Erſt der zweite im Juni 1736 hatte Erfolg, ob-
wohl viele Anhänger Leszczynski’s zu Landboten gewählt waren,
und einer der Führer dieſer Parthei, Waclaw Rzewuski, ein-
ſtimmig zum Marſchall gewählt ward. Indem der König alle
während des Interregnums gefaßten Beſchlüſſe mit Ausnahme
des die Wahl eines Piaſten betreffenden Artikels anerkannte,
ferner den Abmarſch der ruſſiſchen und ſächſiſchen Truppen
aus dem Gebiete der Republik innerhalb 40 Tagen nach dem
9. Juli verſprach und endlich dem ihm ſchon früher von Peters-
burg aus gegebenen Rath folgend 4), bei der Verleihung der
erledigten Würden und Ämter in gleicher Weiſe wie ſeine An-
[46] hänger auch ſeine bisherigen Gegner bedachte, beruhigte er die
Nation.
Es iſt für die Stellung, welche die „Familie“ ungeachtet
der politiſchen Niederlage, die ſie erlitten, in der Republik
damals einnahm, höchſt bezeichnend, daß ſie neben dem Biſchof
von Plock Zaluski, vornämlich in dem eben erwähnten ruſſiſchen
Rathſchlag dem Könige empfohlen ward, da ſie „bekanntermaßen
durch ihre Fähigkeiten, durch ihre Rathſchläge und ihren Einfluß
mehr als andere im Stande wäre, die Generalpacification zu
befördern; der König möge daher keinem von ihnen ſeine Ämter
nehmen und namentlich dem Woiwoden von Rußland, Auguſt
Czartoryski, den Oberbefehl über die Krongarde laſſen; übrigens
werde man auch ruſſiſcherſeits es an nichts ermangeln laſſen,
um denſelben bei der Parthei des Königs beſtändig zu er-
halten“ 1). Die „Familie“ ſoll in der That zu der Pacifi-
cation weſentlich beigetragen haben. Ihrem Einfluß ſchrieb man
die Unterwerfung Joſeph Potocki, ſowie die des Primas zu,
und Poniatowski iſt zu demſelben Zweck im Dezember 1735
und Januar 1736 in Danzig und Königsberg geweſen und
nicht ohne Erfolg 2). Wir wiſſen freilich nicht beſtimmt, in-
wieweit die „Familie“ zu den „Herren“ gehörte, welche, wie
der Oberſtallmeiſter Loewenwolde in Petersburg zu dem ſäch-
ſiſchen Geſandten Grafen Lynar damals ſagte, ihn mit Briefen
„überhäuften, deren Rathſchläge ſowohl als die beſtändigen An-
fragen, wie ſie ſich zur Zufriedenheit des Königs
und des hieſigen Hofes zu verhalten hätten, ihn
überzeugten, daß ihre Abſichten aufrichtig wären, und daß ſie
es vielen anderen an nützlichen Dienſten zuvor thun würden,
denen man weiter nichts nachrühmen könnte, als daß ſie ſich
von Anfang an zu der Zahl der Wohlgeſinnten bekannt hätten“.
Sicher iſt, daß bereits während des Krieges Rußland die
[47] „Familie“ inſofern beſonders berückſichtigte, als die ruſſiſchen
Heerführer in Polen angewieſen wurden, ſich keinerlei Eigen-
mächtigkeiten auf deren Gütern zu erlauben 1). Der ruſſiſche
Hof handelte hiebei viel umſichtiger als der neue König von
Polen. Noch viele Jahre ſpäter erzählte wenigſtens der junge
Stanislaw Poniatowski in Gegenwart des preußiſchen Agenten
v. Korff, daß die „Familie“ nach der Einnahme von Danzig,
trotz alledem, was ſie that, um ſich mit dem ſächſiſchen Hauſe
auszuſöhnen, dies nicht erreicht habe, und daß der Haß des
damaligen Miniſters, Sulkowski, gegen ſie, ſie gänzlich zu
Grunde gerichtet hätte, wenn ſich Rußland nicht hätte bewegen
laſſen, ſie zu beſchützen; der Hof hätte ihr Alles rauben wollen,
„Rußland bewirkte, daß wir Alles wiedererhielten und ver-
pflichtete uns durch ſeine wirkſame und dauernde Protection
auf ſeiner Seite zu bleiben, ſo lange es nichts gegen unſere
Geſetze unternahm“ 2). Seitdem hielt die „Familie“ Jahre lang
die ruſſiſche Parthei in Polen, ganz in Übereinſtimmung mit
dem König, der ſeine Stütze in Petersburg ſuchte und fand.
Nach der zweimaligen Enttäuſchung, welche ſie 1697 und 1733
in Betreff der Politik Frankreichs in Polen erfahren hatte,
kam ſie zu der feſten Überzeugung, daß für ihr Vaterland kein
Heil von dort zu erwarten ſei, und entäußerte ſich all der
politiſchen Sympathien, die ſie früher für Frankreich gehegt.
[[48]]
4. Die „Familie“.
Wie bald nun nach dieſer entſcheidenden Wendung in den
Czartoryski’s der Gedanke lebendig geworden iſt, Form und
Geſtalt angenommen hat, in Verbindung mit dem neuen Könige
und geſtützt auf Rußland die von ihnen für Polen als noth-
wendig erkannten Reformen auch durchzuſetzen, wiſſen wir nicht
mit Beſtimmtheit. Unzweifelhaft haben ſie die Ideen, welche
ſie dreißig Jahre ſpäter, auf dem Zenith ihres Einfluſſes und
ihrer Macht ins praktiſche Leben wirklich einzuführen begannen,
lange vorher nicht nur mit ſich herumgetragen und erwogen,
ſondern auch für ſie andere zu gewinnen ſich bemüht. Allein
es verging doch ein ganzes Decennium, ehe ſie, ſoviel wir
wiſſen, den erſten Verſuch zu einem Anfang der Reform machten.
Bis dahin finden wir ſie politiſch nur in altpolniſcher Weiſe
eifrig beſchäftigt ſich ſelbſt in der Stellung, die ſie einnehmen,
dadurch zu befeſtigen, daß ſie ſich in der Gunſt des Hofes und
Rußlands erhalten, und durch dieſe ſich, ihre Verwandten, Freunde
und Clienten in Ämter und Würden bringen. Ob und in wie
weit ſie hiebei von vornherein mit vollem Bewußtſein ge-
handelt haben, um ſich auf dieſe Weiſe zunächſt eine feſte Grund-
lage der Macht für ſpätere Reformen oder gar für den Über-
gang der Krone an ihr eignes Haus zu ſchaffen, wie von
vielen, welche von Späterem auf Früheres ſchließen, behauptet
[49] wird, kann man für jetzt weder entſchieden bejahen, noch ver-
neinen. Dem gewöhnlichen Gange menſchlicher Dinge gemäß
erſcheint es wahrſcheinlicher, daß ſie erſt im Verlaufe der Zeit
und der Entwickelung der Verhältniſſe zur Feſtſtellung ihres
Ziels und der Mittel und Wege zu demſelben gelangten 1).
Und nun glückte es ihnen in der That, ſich zwanzig Jahre
hindurch in der Gunſt des Hofes zu erhalten. In dieſer Zeit
fiel die Leitung der Familie je länger je mehr dem Unter-
kanzler von Lithauen zu, dem ſich der jüngere Bruder von
Jugend auf unterzuordnen gewohnt war. Alle aber hielten
aufs engſte zuſammen 2). Alle wichtigern Fragen wurden im
Familienrath, von dem ſelbſt die Frauen, die alte Mutter und
die Frau Poniatowski’s, nicht ausgeſchloſſen waren, berathen
und die Entſchlüſſe gemeinſam gefaßt. Der Kanzler eröffnete
in der Regel die Berathung, indem er die Frage nach allen
ihren Seiten beleuchtete; ihm folgten die zuverläſſigen Freunde,
die man zugezogen, dann der Woiwode von Rußland und die
Schweſter, zuletzt gab der alte Poniatowski ſeine Meinung ab.
Keiner erkannte ſo ſchnell und richtig, als er, was zu thun ſei,
und meiſtentheils folgten ihm die anderen. Bis in ſein ſechs-
undſiebzigſtes Jahr blieb er körperlich und geiſtig rüſtig; erſt
ſeit 1752 begann er ſichtlich zu altern und zog ſich ſeitdem
mit der Frau mehr von den öffentlichen Geſchäften zurück. Die
Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 4
[50] Stellung und der Einfluß der beiden Czartoryski war damals
feſt begründet, ſie bedurften ſeiner Unterſtützung nicht mehr,
und fingen an ſolche auch nicht mehr zu wünſchen 1).
Wie verſchieden auch der Character der Brüder war, ſo
waren ſie doch beide — auch die Gegner erkennen dies an —
von ſelten hoher Begabung und ragten an Bildung nicht nur
über die Maſſe des vorurtheilsvollen und unaufgeklärten Adels,
ſondern auch über ihre beſſeren Standesgenoſſen weit hinaus.
Von Jugend auf nicht genußſüchtig und verſchwenderiſch wie
dieſe, ſondern arbeitſam und ſparſam, hielten ſie ihre Finanzen
in Ordnung und brachten ihre Güter empor, während die
Mehrzahl der anderen „Herren“ bei all ihrem Reichthum in
der Regel in ungeordneten Vermögensverhältniſſen, vielſeitig
verſchuldet lebte. Vornämlich der jüngere Bruder, der Woi-
wode von Rußland, war ein vorzüglicher Wirth. Er widmete
ſich unausgeſetzt mit großer Einſicht der Verwaltung ſeiner
durch ſeine Heirath erworbenen zahlreichen Güter, und mit
ſolchem Erfolge, daß man allgemein annahm, er habe über
eine Million Dukaten auf ihnen laſtender Schulden abgezahlt
und daneben doch ihre Einkünfte verdoppelt. Grade hiedurch
hatte er ſtets die finanziellen Mittel bereit, deren die Familie
für die Durchſetzung ihrer politiſchen Zwecke nothwendig be-
durfte. Hiefür hatte er ſtets eine offene Kaſſe, weil er der
„Herr und nicht der Sclave des Geldes war“; wie denn
überhaupt beide Brüder bei all ihrer wirthſchaftlichen Ordnung
und Sparſamkeit ihrem Stande und ihrer hohen Stellung
gemäß lebten, eine glänzende Gaſtfreundſchaft übten und, wenn
es ihnen darauf ankam, in hohem Maaße ſich freigebig erwieſen.
Es war ein Hebel ihrer Politik, junge Leute von Talent zu
ſuchen, an ſich zu ziehen, für ihre Bildung ſie reichlich zu unter-
ſtützen und für ihr weiteres Fortkommen zu ſorgen. Auch
hiefür war der Woiwode beſonders begabt. Mit ſcharfem und
raſchem Blick verſtand er es vortrefflich die Menſchen zu er-
kennen, ihren Character, ihre Vorzüge und ihre Mängel zu
[51] würdigen, ihrer Eigenliebe aufs feinſte zu ſchmeicheln und Herz
und Geiſt junger Leute zu gewinnen. Wie in ſich geſchloſſen,
ſchweigſam und vornehm auch ſeine Haltung im ganzen war,
es lag doch in ſeinem Benehmen ein gewiſſer Zauber; er ver-
ſtand in gewinnender Weiſe zu geben. Freilich war er im
Grunde ſeines Weſens eine überwiegend kalte Natur, in der
der Verſtand das Herz weit überwog. Bei allem, was er
that, auch bei ſeiner Freigebigkeit, hatte er immer einen Zweck
im Auge, der ſich auf ihn ſelbſt bezog; aber er hatte die Gabe,
dies nicht merken zu laſſen und ſeine eigentlichen Abſichten und
Zwecke ſo zu verhüllen, daß er oft um das gebeten wurde,
was er in Wahrheit aufs lebhafteſte wünſchte. Die Vorſicht,
die er in ſeinen Reden beobachtete, der tiefe Verſtand, der all’
ſeine Schritte leitete, ſo oft er ſich nicht, was ſelten der Fall
war, übereilte; ſeine edle und einfach nüchterne Redeweiſe, das
Talent ſelbſt den Schatten eines Zweifels, daß er es nicht ſo
meine, wie er ſich gab, nicht aufkommen zu laſſen, täuſchten
alle Welt. Er galt allgemein als ein Muſter von Klugheit,
Rechtſchaffenheit und Milde, und erhaben über alle Leiden-
ſchaften und Schwächen der Menge. Ja, er verſtand es, ſelbſt
die erbittertſten Feinde der Familie und ihrer Intereſſen zu
überreden, daß er perſönlich eine ausnahmsweiſe Berückſich-
tigung von ihrer Seite verdiene. Daher ward nicht ihm,
ſondern dem Bruder alles zugeſchrieben, was die Gegner der
Familie am meiſten kränkte und verwundete, während von der
ganzen Familie doch grade er derjenige war, der den Grund-
ſatz unbedingter Herrſchaft und Eigenſucht am nachdrücklichſten
vertrat, ſobald er glaubte, ſo etwas durchſetzen zu können,
ohne die Hand erkennen zu laſſen, von welcher der Schlag
kam.
Ganz anders der Kanzler. Von Natur herzlich und heiter,
witzig und geſellig, liebte er es ſeine Gedanken ohne viel Um-
ſchweife auszuſprechen. In der Schule des alten Feldmarſchall
Flemming, der ihn in die Geſchäfte einführte, und ſelbſt heiteren
Witz, ſcharfe Ironie und beißenden Sarcasmus ſchätzte, hatte
er ſich in jungen Jahren gewöhnt, ſich gehen zu laſſen, und
4*
[52] da alle Welt wußte, wie groß ſein Einfluß bei Flemming war,
ließen gar viele ſich dieſen Ton von ihm gefallen. Selbſt-
ſtändig geworden, behielt er ihn bei. Er betrachtete es faſt
als ſein Recht, jedermann, ſelbſt denen, welchen er wohl-
wollte und wohlthat, rückſichtslos die Wahrheit, ſei es un-
geſchminkt, ſei es ironiſch oder ſarcaſtiſch zu ſagen 1). Begreif-
lich verletzte er dadurch viele aufs tiefſte; aber im ganzen
und großen ließ man ihm ſeine Art und Weiſe durchgehen,
und zuletzt ſahen er und viele andere in ihr eine catoniſche
Tugend, zumal er für ſein Amt und ſeine Stellung in der
That die größte Begabung beſaß. In der Kenntniß des pol-
niſchen Staats- und Civilrechtes übertraf ihn kein Anderer;
mit großer Geduld hörte er die Partheien, und ſein Urtheil
war raſch und treffend. Bei der Beſetzung der Tribunale,
Ämter und Staroſteien wußte er die fähigſten und geeignetſten
Männer herauszufinden und ſo weit ſein Einfluß reichte wählen
zu laſſen. Er nahm dabei wenig Rückſicht, aus welchen Fa-
milien, vornehmern oder geringern, die Leute ſtammten, und
wählte mitunter auch ſolche aus, welche durch Geburt oder
Verhältniſſe zu der Parthei ſeiner politiſchen Gegner gerechnet
wurden. Freilich war er dabei ſo vorſichtig, daß ſolche nicht
durch ihre Zahl ſeinen Plänen hinderlich werden konnten;
immer aber gewann er hiedurch den Ruhm der Unpartheilich-
keit und vermehrte zugleich ſeiner Anhänger Zahl. Zum Par-
theiführer war er überhaupt wie geboren. Er ſcheute keine
körperliche und geiſtige Anſtrengung, und verfolgte mit der
zäheſten Ausdauer ſeine Pläne und Ziele. Bevor ihn Alter
und Mißgeſchick nicht in ſeiner Kraft geſchwächt, verlor er nie
die Hoffnung des Gelingens; auch wenn es nicht gut ging,
ſah er immer die beſſere Seite der Dinge und hielt ſich an
ſie. Niemand verſtand es beſſer wie er, auf den Landtagen
mit dem Adel umzugehen. Mit ſeiner Heiterkeit und ſeinem
[53] Witz, ſeiner Offenheit, Schlagfertigkeit und Beredtſamkeit riß
er die Maſſe mit ſich fort. Daneben kannte er wie kein An-
derer hunderte, ja tauſende von Edelleuten nicht nur mit
ihren Vor- und Zunamen, ſondern auch ihre Verwandtſchaft,
ihre Wünſche und Intereſſen, und wußte, ein raſcher Menſchen-
kenner wie er war, faſt augenblicklich, von welcher Seite jeder
einzelne zu faſſen und zu gewinnen ſei 1).
Man ſieht, die Brüder ergänzten trefflich einander. Ge-
meinſam aber war ihnen ein kräftiges Selbſtgefühl, welches
bei beiden in hohen Stolz, bei dem Älteren in Eitelkeit, ſeine
Achillesferſe, überging. Mit lebendigem, aber auch thatkräftigem
Ehrgeiz ſtrebten ſie unabläßig nach Einfluß und Macht, und
haben ſchließlich als letztes Ziel die Erwerbung der vater-
ländiſchen Krone für ihr Haus ins Auge gefaßt. An und für
[54] ſich lag in alledem kein Unrecht. Wurde doch jedem polniſchen
Edelmann von Kindesbeinen an geſagt, daß auch er dermaleinſt
König werden könne, daß die Kronwahl das größte Palladium
der nationalen Freiheit ſei.
Die ganze Generation aber der anderen großen Familien,
die ſie umgab, ſtand an Geiſt und Talent, an Wiſſen und
Können, an politiſcher und ſittlicher Bildung, tief unter ihnen,
und während die Potocki und Radzivil u. ſ. w. vor allem nur
an ſich und ihre ſelbſtſüchtigen Intereſſen dachten, verbanden
ſie mit ihrem Intereſſe doch auch zugleich das Intereſſe des
Vaterlandes, deſſen heilloſe Schäden und Gebrechen ſie durch
eine durchgreifende Reform zu heilen gedachten. Wer ihr
Leben und Wirken als Ganzes betrachtet und wägt, kann
ſchwerlich ſagen, daß ſie die Macht nur um der Macht willen
erſtrebt, und ebenſo wenig, daß ſie ihnen nur Mittel zum
Zweck war. Wie einmal die Lage der Dinge in Polen, die
Stellung ihrer Familie in der Republik waren, blieb ihnen in
der That nur die Wahl, Hammer oder Ambos zu ſein. Iſt
es ihnen als Schuld anzurechnen, daß ſie lieber das Erſtere
als das Letztere ſein wollten? daß ſie hiezu die Wege ein-
ſchlugen und die Mittel ergriffen, ohne welche ſie bei der ge-
ſamten Natur der Republik, bei dem Character, der Denk-
und Lebensweiſe ihrer Nation auf dieſe nicht einzuwirken, ihrer
Gegner nicht Herr zu werden vermocht hätten? Gewiß, es
iſt wahr, daß ſie ganz eben ſo wie die Anderen, in ihrem Kampf
auch ihrerſeits die Mittel der Beſtechung und Gewalt nicht ver-
ſchmähten, daß ſie die ſchlagfertigſten und verrufenſten Rauf-
bolde, die ſogenannten Wolczynskiſchen Wölfe 1), in ihrem Dienſt
hielten, ſo oft es ihnen nothwendig ſchien, die Land- und Reichs-
tage ſprengen, die Tribunale mit Gewalt einſetzen ließen, und
ſich auf die ruſſiſche Macht ſtützten. Aber nicht ſie zuerſt haben
die Ruſſen nach Polen gerufen. Bevor ſie ſich ihnen anſchloſſen,
hatten ſie bereits zweimal die Erfahrung gemacht (1717 und
1733), daß ſich in Polen gegen den Willen Rußlands dauernd
[55] nichts durchſetzen laſſe; im übrigen zahlten ſie ihrer Zeit und
ihrer Nation, in deren Mitte ſie lebten, als Menſchen dieſer
Zeit und dieſer Nation den unvermeidlichen Tribut. Was ſie
gefehlt und geſündigt, ſie haben es ſchwer gebüßt. Nach einem
langen Leben voll Arbeit, Mühen und Kampf haben ſie in
hohem Alter ihr Werk ſcheitern und die Ausſicht auf eine
Wiedergeburt des Vaterlandes in unabſehbare Ferne hinaus-
gerückt ſehen müſſen!
[[56]]
5. Die Czartoryski als Hofparthei. Erſte Ver-
ſuche der Reform. 1736—1750.
Damals, als ſich die Brüder König Auguſt III. unter-
warfen, hatten beide eben erſt die Jahre männlicher Reife er-
reicht. Sie hatten es jetzt mit einem Könige ganz anderer
Art, als der Vater geweſen, zu thun. Man mag über
Auguſt II. urtheilen, wie man will; immer wird man ein-
räumen müſſen, daß er ein Mann von ganz ſeltener Lebens-
fülle war, rüſtig und regſam, ſtets von weit ausſehenden großen,
freilich oft luftigen Ideen, Plänen und Unternehmungen erfüllt.
Von all dem war der Sohn das Gegentheil. Körperlich frei-
lich war auch er eine ſtattlich majeſtätiſche Erſcheinung, aber
von lebendigem Geiſt trug er keine Ader in ſich. Mit der
größten Vorſtellung von ſeiner königlichen Würde, war in ihm
die größte Unfähigkeit zu regieren verbunden. Geiſtig in höchſtem
Maße träge, war er in jeder Beziehung und in jedem Ver-
hältniß indolent. Aus geiſtiger Trägheit war er ohne Liebe
ſeiner Frau, die ihm zahlreiche Kinder gebar, ein treuer und
gehorſamer Mann; ohne alles innere religiöſe Leben ſeinem
Beichtvater in allem gehorſam; ohne eigentliches Wohlwollen
gegen ſeine Diener und Unterthanen ein milder Herr. Aus
dieſer ſtumpfen Trägheit erweckten ſelbſt die wichtigſten Ge-
ſchäfte ihn nicht. In der Konferenz, welche Friedrich der Große
[57] im Januar 1742 mit ihm in Dresden hatte, in der es ent-
ſchieden werden ſollte, ob die ſächſiſchen Truppen, mit den
preußiſchen vereint, einen Einfall in Mähren machen ſollten, um
Mähren für Sachſen zu erobern, ſaß Auguſt III. mit dem
Ausdruck der Langenweile da, und ſagte zu allem nichts weiter
als ja. Brühl, dem die Scene peinlich ward, unterbrach plötz-
lich die Verhandlung mit der Bemerkung, daß die Oper be-
ginne. „Hätte er“, ſagt Friedrich der Große, „zehn König-
reiche erobern können, das hätte den König von Polen nicht
eine [Minute] länger gehalten. Er ging in die Oper.“ 1) Daß
ein König dieſer Art die Geſchäfte Anderen überließ, verſteht
ſich von ſelbſt, und eben ſo, daß er ſie möglichſt einem über-
ließ, der ihn nicht langweilte, ſeinem Selbſtbewußtſein nicht zu
nahe trat und dafür unter allen Umſtänden ſorgte, daß es
nie an den Mitteln fehlte, das Leben des Hofes mit herkömm-
lichem Glanze zu führen. Zwei Männer nahmen nacheinander
bei ihm dieſe Stellung ein. Zunächſt Graf, ſeit 1752 Fürſt
Sulkowski, aber nur wenige Jahre. Er war ein natürlicher
Sohn Auguſt des Starken und ſcheint bis auf einen gewiſſen
Grad etwas von der Natur des Vaters geerbt zu haben.
Wenigſtens war er wie dieſer zur Leichtfertigkeit und zum Ent-
werfen großer politiſcher Plane geneigt. Das erſte zog ihm
die Abneigung der Königin Maria Joſepha, Tochter Kaiſer
Joſeph I. zu, einer durch und durch bigotten Frau, welche,
wenn ſie es vermocht, am liebſten ganz Sachſen katholiſch ge-
macht hätte. Das Letztere führte ſeinen Sturz herbei. Er
entwarf den Plan, Auguſt ſolle ſich auf Grund der Erb-
anſprüche ſeiner Frau trotz ſeiner vorausgegangenen Anerkennung
der pragmatiſchen Sanction ſofort nach dem Tode Kaiſer Karl VI.
Böhmens bemächtigen. Allein Graf Brühl, voll Eiferſucht auf
die Gunſt Sulkowski’s und nach deſſen Stellung lüſtern, ver-
rieth das Project dem Hofe von Wien.
Mit Unterſtützung des öſtreichiſchen Geſandten, der Kö-
nigin und ihres Beichtvaters Guarini erreichte er ſein Ziel.
[58] Im Jahre 1738 ward Sulkowski entlaſſen und Brühl trat
an die Spitze der Geſchäfte, die er bis an ſeinen Tod in
Händen gehabt hat. Nur bei einem König, wie Auguſt III.
war, konnte ein Mann wie Brühl ſich ſo lange als erſter
Miniſter erhalten. In der großen Politik kannte er nur die
gewöhnlichen Künſte der kleineren Höfe, das Doppelſpiel der
Schlauheiten, Liſten und Intriguen. Ohne Grundſätze und
ohne Plan ſchwankte ſeine Politik bald dahin bald dorthin,
während ſeine innere Verwaltung willkührlich, ordnungslos und
nur darauf berechnet war, für ſich und den Hof ſo viel Geld
als nur irgend möglich herauszuſchlagen. Verſchwenderiſch und
beſtechlich im höchſten Grade, und in jeder Beziehung gewiſſenlos,
hatte er, nach den Worten des großen Friedrich, nur das eine
Ziel, ſich durch jedes Mittel, auch das infamſte, in der Gunſt
ſeines Herrn und durch ſie in der Macht zu behaupten.
Solcher Art waren die Menſchen, mit welchen die „Fa-
milie“ in erſter Reihe zu rechnen hatte. Dem polniſchen
Staatsrecht nach hatte Brühl freilich in Polen als ein Aus-
länder gar nichts zu ſagen; als ſolcher konnte er nach dem
Geſetze nicht das geringſte Amt bekleiden. Allein thatſächlich
war er doch der allmächtige Mann, und nur wer ihn für ſich
gewann, konnte hoffen etwas für ſich oder die Republik zu
erreichen. Es begreift ſich leicht, wie dieſer Hof und dieſe
Nation, bei den politiſchen ſocialen und ſittlichen Zuſtänden, in
denen ſie war, gegenſeitig nur verderblich auf einander einwirken
konnten. Gewiß, es hat der Nation zum unermeßlichen Un-
heil gereicht, daß grade dieſer König ihr von den beiden
Kaiſerhöfen aufgezwungen ward; auf der anderen Seite aber
iſt es doch auch nicht minder wahr und characteriſtiſch für ſie,
daß ſie nach ſeinem Tode ſeine Zeit als eine „glückliche“ ge-
prieſen hat 1). Freilich hat König Auguſt das um keine Zu-
kunft bekümmerte, ausſchweifende Genußleben, in welches unter
ſeiner Herrſchaft die Nation mit Behagen verſank, niemals ge-
ſtört. Wie unruhig und wechſelvoll auch Brühls auswärtige
[59] Politik war, er hat ernſtlich nie darauf beſtanden, auch die
Republik in ſie zu verwickeln, und eben ſo wenig darnach ge-
ſtrebt, ſei es die Macht der Krone zu erweitern, ſei es an
irgend einem Punkt der innern Anarchie durch Reformen zu
ſteuern. Abgeſehen von den Jahren des 7jährigen Krieges, in
welchen Auguſt III. nothgedrungen in Warſchau ſaß, war er
während der ganzen 30 Jahre ſeiner Herrſchaft nur die kür-
zeſte Zeit in Polen. Nur wenn ein Reichstag oder ein Con-
ſilium des Senats, welches geſetzlich nur auf dem Grund und
Boden der Republik ſtattfinden konnte, gehalten werden mußte,
kam er auf wenige Wochen, bisweilen nur auf Tage dorthin.
Um ſobald als möglich nach dem geliebten Dresden zurückeilen
zu können, hat er ab und zu einen Senat nahe der Gränze,
z. B. in Frauſtadt, gehalten. Für Brühl aber, dem die pol-
niſchen Dinge fremd genug ſein mußten, war faſt allein die
Vergebung der Würden und Ämter von Intereſſe, weil ſie für
ihn eine reiche Einnahmequelle war. Ohne bedeutende Summen
dabei zu erhalten, hat er ſie ſelten verliehen; häufig genug ſie
gradezu an den Meiſtbietenden verkauft.
Sehr natürlich daher, daß die Geſchichte Polens in dieſer
Zeit auf den erſten Blick ſo gut wie keine innere Entwickelung
zeigt. Sie iſt in der That nur in der Tiefe des Lebens und
zwar in zwei verſchiedenen Richtungen vorhanden: einmal in
der fort und fort ſteigenden Entſittlichung der Maſſe des
Adels, und zum anderen in der allmähligen langſamen Ver-
breitung der Reformideen in einem im Vergleich zu jener
Maſſe ſehr kleinen Kreiſe. Weder die eine noch die andere
läßt ſich der Natur der Sache nach ſo zu ſagen von Etappe
zu Etappe verfolgen: erſt dadurch, daß am Ende der Epoche
die Früchte beider zu Tage treten, offenbart es ſich unzweifel-
haft, daß ſie vorhanden geweſen. Die äußere Erſcheinung des
nationalen Lebens beherrſcht vollkommen das alte Treiben; in
der Maſſe zügelloſes Genießen, in den großen Familien das
Ringen um Macht, welches ſich ab und zu mit den wechſeln-
den Conſtellationen der allgemeinen europäiſchen Politik ver-
knüpft.
[60]
Daß die „Familie“, wenn ſie ſich überhaupt in der Stel-
lung, die ſie einnahm, erhalten, ihre Macht für die Zukunft
ſtärken wollte, auf die Art und Weiſe des Hofes, namentlich
Brühls eingehen mußte, liegt klar zu Tage. Sie hat ihn für
ſich gewonnen mit den Mitteln, mit denen er allein zu ge-
winnen war: durch Nachgiebigkeit und Schmeichelei, durch Be-
ſtechung und Förderung ſeiner perſönlichen Intereſſen, ſo wie
endlich dadurch, daß ſie Jahre hindurch aufs ſtandhafteſte die
Parthei des Hofes gegenüber der nie fehlenden Oppoſition an-
derer großer Familien hielt. Schwerlich hat ſie jemals ſich
der Hoffnung dauernd hingegeben durch ihn und den König
Reformen durchſetzen zu können; aber das Ziel erreichte ſie
durch ihre Politik, daß ſie die Wurzeln ihres Einfluſſes im
ganzen Lande weiter ausbreitete und in die Tiefe trieb. Es
hat eine Zeit gegeben, in der ſie, ſo weit das überhaupt neben
der Krone möglich war, der „Spender aller Gnade“ war, in
allen Landſchaften ihre Verwandten, Freunde und Clienten in
die Ämter brachte. Auch hiebei ging ſie eben ſo planvoll als
ausdauernd, eben ſo vorſichtig als folgerichtig zu Werke. In
den meiſten Landſchaften mit theils eignen, theils von der Krone
verliehenen Gütern anſäßig, ſchuf ſie ſich auch in allen einen
bedeutenden Einfluß, und als die Kinder heranwuchſen, verſtärkte
ſie ſich durch Söhne und Schwiegerſöhne, welche die Alten an
ſich und das Intereſſe der Familie zu ketten verſtanden. Zwei
ſeiner Töchter — einen Sohn hatte er nicht — verheirathete der
Kanzler nach einander an den Grafen Georg Flemming, der in
der Gegend von lithauiſch Brzesz reich begütert war und den
uns Niemczewicz in ſeinen „Erinnerungen“ als einen aufge-
klärten, thätigen Mann von höherer Bildung und weiteren
Kenntniſſen als die meiſten ſeiner Standesgenoſſen ſchildert.
Die dritte Tochter vermählte ſich mit dem Fürſten Michael
Sapieha, deſſen Familie zu den angeſehenſten, einflußreichſten
in Lithauen gehörte. An demſelben Tage (Oktober 1749)
feierte auch deren Couſine, die Tochter Poniatowsky’s, ihre
Hochzeit mit dem viel älteren Jan Clemens Branicki, einem
der reichſten Magnaten der Republik, zu welchen endlich auch
[61] der Fürſt Lubomirski, der Schwiegerſohn Auguſt Czartoryski’s,
des Woiwoden von Rußland, gehörte 1). Sie alle folgten
meiſtentheils den Impulſen des Kanzlers, und trotz einzelner
Mißverſtändniſſe hielt auch die weitere „Familie“ zuſammen 2).
Die Oppoſition führten wie ſo oft die Potocki, an ihrer
Spitze Joſeph Potocki, welchen Auguſt III. auf dem Pacifi-
cationsreichstage 1736 nach dem Rathe Rußlands zum Groß-
feldherrn der Krone erhoben hatte. Auch bei ihm zeigte ſich
wieder, wie wenig der König durch ſolche Verleihungen auf
dauernde Dankbarkeit rechnen konnte. Zur Wahl Leszcynski’s
hatten ſich die Potocki mit den Czartoryski ausgeſöhnt; jetzt
wachte die alte Feindſchaft der erſtern gegen die letztern von
neuem auf. Die günſtige Gelegenheit hiezu bot ihnen das
Verhalten Rußlands zur Republik. In dem Kriege, welchen
Rußland ſeit 1736 mit Türken und Tartaren ſiegreich führte,
achtete Münnich nicht im mindeſten die Neutralität der Re-
publik. Auf ſeinen Befehl zogen ruſſiſche Truppen ohne wei-
teres wiederholt durch ihr Gebiet (1738 u. 1739). „Die
Polen“, ſchrieb damals Friedrich Wilhelm I., „werden als
Leute gehalten, vor welchen die Ruſſen nicht die geringſte Con-
ſideration mehr zu tragen haben“ 3). Schon auf dem Reichs-
tage im Oktober 1738 wurde natürlich hierüber bittere Klagen
erhoben. Die Landboten der Woiwodſchaften Kiew, Braclaw,
Volhynien u. a. forderten laut den Abmarſch der ruſſiſchen
Truppen von dem Boden der Republik, den Erlaß eines Pro-
teſtes gegen die unerhörte Verletzung ihrer Neutralität, und
eine Vermehrung ihres Heeres. „Was nützen uns“, rief Ko-
narski, der Kaſtellan von Wislica, aus, „alle Bände unſerer
[62] Rechte und Geſetze, was nützen uns alle Beſchwerden bei den
gewaltthätigen Nachbarn, wenn wir nicht ein Heer beſitzen,
welches im Verhältniß zu der weiten Ausdehnung des Vaterlandes
hinreichend iſt, ad manutentionem unſerer Rechte, und zugleich
ad tuitionem der Ehre Ew. Königl. Majeſtät!“ Der Hof ver-
ſprach in Petersburg vorſtellig zu werden, aber der Reichstag
ward zerriſſen, und der ruſſiſche Hof kehrte ſich an die Klage
Auguſts (December 1738) nicht, daß die ruſſiſchen Truppen die
Urſache großer und gefährlicher Unruhe in Polen wären.
Nun begann der Krongroßfeldherr, wie es früher bereits
oft genug da geweſen war, auf eigne Hand neben der Krone
große Politik zu treiben. Bereits während des Jahres 1738
hatte er mit franzöſiſchen und ſchwediſchen Agenten in Ver-
bindung geſtanden 1). Jetzt nahm er den Plan einer Erhebung
der Nation in der Form einer Conföderation zum Kriege gegen
die Ruſſen in Verbindung mit den Schweden und Türken leb-
hafter auf. Anfang 1739 ſandte er einen Vertrauten, Gu-
rowski, nach Konſtantinopel, und verhieß, wenn die Pforte
50,000 Türken und 50,000 Tartaren nach Polen zur Hilfe
ſenden würde, einen allgemeinen Aufſitz des polniſchen Adels
in der Stärke von 200,000 Mann. Ja, als Münnich im
Mai 1739 ſein Heer wiederum durch polniſches Gebiet nach
dem Dnieſter führte, begann der Krongroßfeldherr auf eigne
Fauſt gewiſſermaßen den Krieg. Er ließ durch Reiterſchaaren
die Ruſſen auf ihrem Marſch umſchwärmen und einzelne
Kommandos derſelben überfallen. Allein durch den Sieg
Münnichs bei Chocim (28. Auguſt) und den Abſchluß des
Friedens zu Belgrad (17. September), welchem im December
der Frieden zwiſchen Rußland und der Pforte folgte, fielen
Potocki’s Pläne zu Boden. Am Ende des Jahres machte er
ſeinen Frieden mit dem Hofe, der freilich nicht von langer
Dauer war.
[63]
Denn kaum hatte der Tod Kaiſer Karl VI. (20. Oktober
1740) die europäiſche Welt in neue kriegeriſche Bewegung ver-
ſetzt, ſo nahm der Großhetman die alten Pläne von neuem
auf. Nach den erſten Erfolgen Friedrich II. hatte ſich König
Auguſt III. auf die Seite Öſtreichs geſtellt. Auch in der Maſſe
des Adels, welchem der Klerus vorhielt, daß Schleſien unter
eine proteſtantiſche Herrſchaft kommen zu laſſen eine Sünde
ſei, brauſte die Luſt auf, Öſtreich zu Hilfe zu eilen. Ein
preußiſcher Offizier, der in Polen reiſte, berichtete, es würden
nur ein paar hunderttauſend Gulden nöthig ſein, um den Adel
von Krakau, Maſovien und Lithauen zu einem Einfall in Preußen
zu bewegen 1). Allein Brühls Politik wechſelte ſehr bald. Nach-
dem durch eine Erklärung von Rom aus das Gewiſſen Auguſts
darüber beruhigt war, daß er ohne Sünde die Rechte ſeiner
Frau auf einen Theil der öſtreichiſchen Monarchie trotz ſeiner
frühern Anerkennung der pragmatiſchen Sanction, mit den
Waffen aufrecht erhalten könne, trat er bereits im Mai 1741
mit Frankreich und Baiern in Verhandlung und ſchloß ſich im
September dem Bündniß von Nymphenburg gegen Öſtreich
an. Anfang November rückten ſeine Truppen über das Erz-
gebirge in Böhmen ein.
Potocki aber plante in derſelben Zeit von neuem den Krieg
gegen Rußland, wo nach dem Tode der Kaiſerin Anna (28. Ok-
tober 1740) Birons Regentſchaft für den unmündigen Kaiſer
Iwan keineswegs auf feſten Füßen ſtand. Als ſich Schweden,
von Frankreich bearbeitet, zum Kriege gegen das mit Öſtreich
es haltende Rußland rüſtete, trat er mit dem Hofe von Stock-
holm in Verbindung und ließ, als der Krieg erklärt war
(24. Juli 1741), in Polen eine Schrift verbreiten, um die
Nation mit ſich fortzureißen. „Es erinnern uns“ — hieß es
in dieſer — „befreundete Mächte, daß unſere uns von Gott
geſchenkte Freiheit mit Füßen getreten wird, daß unſere Wahlen
mit Zwang und Gewalt ſtattfinden, daß das Land durch fremde
Armeen verwüſtet und unſer Recht auf Kurland uns ſchmählich
[64] geraubt iſt 1). — — Die rechte Zeit iſt gekommen, der Krieg
zwiſchen Schweden und Rußland hat begonnen; unſer ſchlimmſter
Feind, der Ruſſe, iſt bei ſich beſchäftigt, und im Weſten ſtehen
große Stürme unmittelbar bevor.“ Schließlich fordert er die
Nation auf zu einer allgemeinen Conföderation und zu einem
Bunde mit Schweden gegen Rußland. Auf den Landtagen, in
der Armee ſuchte er hiefür zu wirken und verſammelte die
Truppen bei Sulejow und Piotrovin. Der Hof, in lebhafter
Unruhe, ſuchte ſeinerſeits bald mit Drohungen bald durch
Überredungen ihn von ſeinem Treiben abzubringen. Dem Be-
fehl, die Truppen nach Großpolen zu führen, kam er nicht
nach. Er rechtfertigt ſich damit, daß die vorausgegangenen
Reichstage die Vermehrung der Armee, welche die Woiwod-
ſchaften des Oſtens beharrlich verlangten, nicht zu Stande ge-
bracht hätten. Aber er fand mit allem ſeinem Thun und
Treiben keinen Anklang im Lande. Die Maſſe des Adels blieb
gleichgültig; Podolien und Chelm ſetzten ihm ſogar einen offenen
Widerſtand entgegen. Am 18. Oktober 1741 ließen die Gegner
im Grod zu Chelm ein mit zahlreichen Unterſchriften verſehenes
Manifeſt eintragen, in welchem im Namen des Adels Klein-
polens gegen jede Conföderation, als durch die — auf Ruß-
lands Antrieb beſchloſſene — Conſtitution von 1717 verboten,
proteſtirt ward. Ein ähnliches Manifeſt ging von dem Adel
Podoliens aus. Da gab ſchließlich der Krongroßfeldherr ſeinen
Plan auf. Bis zur Conföderation von Bar hat niemand
wieder den Gedanken aufgenommen, die Republik auf dieſem
Wege von dem Übergewicht Rußlands zu befreien 2).
[65]
Von dieſer Sorge frei verfolgte Brühl ſeine wechſelvolle
Politik. Nachdem er ſich mit Frankreich und Baiern geeinigt,
nahm er an der Kaiſerwahl Karl Albrechts von Baiern Theil
(24. Januar 1742). Gleich darauf aber lenkte er wieder in
eine andere Bahn ein. Obwohl er im Frühjahre die ſäch-
ſiſchen Truppen zu dem Einfall Friedrichs in Mähren mit den
preußiſchen ſich vereinigen ließ, ſcheiterte doch dies Unternehmen
weſentlich an ſeinem Mißtrauen gegen Preußen. Noch bevor
der Friede Friedrichs mit Öſtreich ratificirt war (28. Juli),
ſchloß er für Sachſen ab (23. Juli) und ging dann mit vollen
Segeln ins öſtreichiſche Lage hinüber. Seit dem Frieden mit
Preußen war das Kriegsglück den Öſtreichern gegen Baiern
und Franzoſen hold, und die Ausſicht im Bunde mit dem
Sieger Gewinn für Sachſen machen zu können, zu lockend, als
daß er ihr wiederſtehen konnte. Dazu gab England ihm Gold,
Maria Thereſia reiche Güter in Böhmen. Am 20. December
1743 ſchloß er in Wien einen Vertrag mit Öſtreich, in welchem
er die pragmatiſche Sanction, ohne den Breslauer Frieden
auszunehmen, von neuem garantirte. Der Vertrag war gegen
Preußen gerichtet, und als Friedrich von neuem ſich zum An-
griff gegen Öſtreich erhebend, im Auguſt 1744 durch Sachſen
nach Böhmen rückte, ließ Auguſt III. 20,000 Mann ſeiner
Truppen ſich mit den Öſtreichern vereinigen und verſuchte
gleich darauf, „faſt öffentlich“ 1), auch die Republick in den
Krieg gegen Preußen hereinzuziehen.
In dem Ausſchreiben nämlich, durch welches er den Reichs-
tag auf den 5. Oktober 1744 nach Grodno berief, empfahl er
neben einer Reform der Geſchäftsordnung der Reichstage und
der Verbeſſerung der Lage des „leidenden Volks“, die Ver-
mehrung des Heeres als einen Hauptgegenſtand der Be-
rathung. Daß aber auch die Familie hiemit, bis auf einen ge-
2)
Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 5
[66] wiſſen Grad jedenfalls, einverſtanden war, beweiſt eine Schrift,
welche der alte Stanislaw Poniatowski, zur Zeit der Land-
tage, auf welchen die Landboten zum Reichstage gewählt wurden
und ihre Inſtructionen für den letztern erhielten, im Lande,
freilich ohne ſeinen Namen zu nennen, verbreiten ließ. Unter
dem unſcheinbaren Titel eines „Briefes eines polniſchen Edel-
mannes an einen ſeiner Freunde in einem anderen Palatinat“
enthält dieſe Schrift einen ebenſo durchdachten als für ſeine
Zeit höchſt kühnen Plan zur Reform der Republik; der Mittel-
punkt des Ganzen aber iſt: die Vermehrung des Heeres. Sie
wird als der erſte, dringendſte und nothwendigſte Schritt dar-
geſtellt, um das Vaterland aus der „deplorablen“ Lage heraus-
zureißen, in der es ſich finde. Alle anderen Reformvorſchläge
ſind unter dieſen Geſichtspunkt geſtellt und von ihm abhängig;
ſie verhalten ſich zur Armeefrage wie Mittel zum Zweck. „Ich
bekenne“ — heißt es in der Einleitung —, „daß das Kriegsfeuer,
welches in der letzten Zeit bei unſeren Nachbarn aufgegangen
iſt, mich ſo erſchreckt hat, daß ich mich bis zu dieſer Stunde
von dieſem Schrecken noch nicht befreien kann, und ich kann
ihn nicht für unbegründet erachten, in der Erwägung, wie un-
genügend unſere Streitkräfte (forces) und wie groß unſere
Sorgloſigkeit und unſere Trägheit ſind. Wir haben weder
eine Armee, noch Arſenale, noch Geld, und ſind mit einem
Wort von allem entblößt, was zur Sicherung und Verthei-
digung des Landes erforderlich iſt. — Ich ſpreche meine Furcht
öffentlich aus, nicht in der Abſicht, Gott behüte mich davor,
den Reichstag gegen irgend einen von unſeren Nachbarn auf-
zureizen; der Friede mit ihnen bleibe aufs gewiſſenhafteſte be-
wahrt; aber ich möchte zugleich, daß wir gegen jede Art eines
unerwarteten Einfalls geſchützt wären, und dieſen Schutz kann
uns nur eine raſche und beträchtliche Vermehrung der Armee
verſchaffen, ſonſt werden wir ſtets genöthigt ſein dem Geſetz des
Stärkeren uns zu unterwerfen.“ Jahre lang, fährt er fort,
habe man ſich mit dieſer Frage beſchäftigt, Pläne aller Art
entworfen, aber nichts ſei zu Stande gekommen, alles ſei auf
leere Schwätzerei hinausgelaufen und alle Projecte Luftſchlöſſern
[67] gleich. Um endlich zum Ziele zu kommen, müſſe man vor
allen Dingen auf Vermehrung der Einkünfte der Republik
denken, zu dieſem Zweck einen allgemeinen Zoll für alle Waaren
einführen, von dem niemand ohne alle Ausnahme befreit ſein
dürfe. Um aber dieſen Zoll einträglich zu machen, ſei es
nöthig, Handel und Gewerbe zu fördern durch Befreiung von
den Laſten, die ſie durch die Willkühr der einzelnen zu tragen
hätten. Ein weiteres Mittel ſei dann darauf zu halten, daß
von den Staroſteien auch in der That und nicht wie bisher
nur dem Namen nach, der vierte Theil aller ihrer Einkünfte
für die Erhaltung der Armee in den Schatz gezahlt werde.
Außerdem müſſe die bisherige Freiheit des Adels und Klerus
von der Trank- und Zapfenſteuer aufhören, und der reiche
Ertrag, den ſie fortan bringen werde zwiſchen den einzelnen
Palatinaten und der Republik getheilt werden. Die letztere
könnte ihren Antheil für die Armee verwenden, die erſtere zu
regelmäßigen Diäten für Landboten und Tribunale, wodurch
zugleich beider Corruption, zu der häufig nur die Noth ver-
führe, geſteuert werden würde. Entſchlöſſe man ſich ferner für
Tabak und Papier ein Monopol zu Gunſten der Republik ein-
zuführen, die Poſten an den Meiſtbietenden zu verpachten,
Brief- und Perſonenporto verſtändig zu bemeſſen, ſo würde
man große Summen gewinnen. Demungeachtet würden alle
dieſe Maßregeln nicht hinreichen, die Mittel für die Erhaltung
einer Armee in der Stärke, wie ſolche das Land bedürfe, zu
ſchaffen; das Letzte und Sicherſte hiezu ſei, daß jeder Edelmann,
der wahrhaft ſein Vaterland, deſſen Ehre und Ruhm liebe,
dieſe Liebe auch durch die That, wie der Kaſtellan von Kiew
auf dem letzten Reichstage, beweiſe, der den Zehnten aller ſeiner
Einkünfte der Republik angeboten habe. Der geſamte Adel
und Klerus müßten auf ihre Güter nach gewiſſenhafter Selbſt-
einſchätzung ſolche Steuer übernehmen, von der auch die könig-
lichen nicht frei ſein dürften. Wolle man nur ernſt und lege
die Hände raſch ans Werk, ſo würde die Nation auch raſch
in der Achtung ihrer Nachbarn ſteigen; ſie würden ihre Freund-
ſchaft ſuchen, weil dieſe ihnen dann auch nützen könne. Ohne
5*
[68] Verzug müſſe daher jeder Freund des Vaterlandes auf den
bevorſtehenden Landtagen dafür wirken, daß den Landboten die
bindendſten Inſtructionen in dieſer Richtung gegeben und ſie
angewieſen würden, keine Mühe, keine Arbeit zu ſcheuen, damit
der Reichstag endlich in dieſer Lebensfrage der Nation die
rechten Beſchlüſſe faſſe.
Höchſt merkwürdig ſind dann die Vorſchläge, welche er
macht, um den Einwand zu entkräften, daß Polen nicht hin-
reichend bevölkert ſei, um eine große Armee zu erhalten. Man
ſolle nur, meint er, die Ehen begünſtigen und die übermäßige
Zahl der Klöſter beſchränken. Die Ehe ſei ein Sacrament,
der Verehrung würdig, ein Stand, den Gott ſelbſt eingeſetzt
habe, um die Erde mit Menſchen zu erfüllen. In die Klöſter
aber gingen alle Tage eine Menge von Menſchen rein aus
Unbedachtſamkeit, Übereilung und Faulheit, woher es dringend
nothwendig ſei, die Ablegung der Gelübde vor dem 25. Lebens-
jahre durch ein Geſetz zu verbieten. Er fragt, ob denn das
Gebet eines unwiſſenden Bauern oder eines einfachen Soldaten
Gott nicht ebenſo angenehm ſei, wie das eines Mönchs oder
einer Nonne? Aus dem Vermögen der aufzuhebenden Klöſter
könne man aber die Fonds gewinnen, ſich der Erziehung der
armen Kinder, um welche ſich bisher niemand bekümmere,
beſſer anzunehmen, Hospitäler und Invalidenhäuſer zu gründen.
Auch möge man, dem Beiſpiel anderer katholiſcher Staaten
folgend, vom päbſtlichen Stuhl die Aufhebung der übermäßig
zahlreichen kirchlichen Wochenfeſte verlangen, welche der Regel
nach ſtatt zur Frömmigkeit, zum Müßiggange und zu Aus-
ſchweifungen Anlaß gäben. Wenn man dann ſchließlich die
Städte von der Willkühr und Sclaverei, unter der ſie ſeufzten,
befreie, ihnen ihre alten Rechte zurückgäbe, die Akatholiken mit
mehr Duldung und Humanität behandle und ihnen Religions-
freiheit ſo weit allgemein gewähre, daß ſie ihren Gottesdienſt
in ihren Häuſern ungeſtört halten dürften, ſo würde man durch
all dieſes nicht nur ein raſches Anwachſen der einheimiſchen
Bevölkerung bewirken, ſondern auch zahlreiche Einwanderer her-
beiziehen.
[69]
Für die Armee ſelbſt aber fordert er Erhöhung des Soldes,
beſſere Disciplin und Einführung eines Rekrutirungsſyſtems
nach Analogie der preußiſchen Kantonverfaſſung!
Man ſieht, gegenüber den in der Nation herrſchenden An-
ſchauungen, Vorurtheilen und Denkweiſen waren dieſe Vorſchläge
kühn, und eben ſo kühn war alles, was er außerdem noch
über die theilweiſe Abſchaffung des liberum veto, die Reform
des Gerichtsweſens u. ſ. w. vorbrachte. „Stellen wir eine gute
Ordnung in der Republik her“ — ſchließt die Schrift — „ſo
wird alles gut gehen. Unſere Freundſchaft wird geſchätzt
werden, man wird ſich beeilen mit uns in Alliancen zu treten,
der Ruhm unſrer Nation wird wachſen und alle anderen Völker
werden uns achten!“ 1)
Wir wiſſen nun freilich nicht ſicher, in wie weit die „Fa-
milie“ durch die Veröffentlichung dieſer Schrift die kriegeriſchen
Pläne Auguſt III. mit fördern wollte, oder dieſelben nur als
günſtige Gelegenheit benutzte, einen Verſuch mit der Durch-
führung ihrer Reformideen zu machen. Die Thatſache, daß der
alte Poniatowski zweimal mit politiſch-wichtigen Aufträgen
Auguſts in Paris geweſen iſt (November 1740, December
1741) 2), deutet allerdings darauf hin, daß die Familie an der
großen Politik des Königs Theil nahm, und Poniatowski’s Ver-
ſicherung in jener Schrift, er wolle mit ſeinem Dringen auf
die Vermehrung des Heeres keineswegs die Nation gegen einen
ihrer Nachbarn aufreizen, ſollte möglicherweiſe nur ein Kunſt-
griff ſein, um zu verhindern, daß die friedliebende Maſſe des
Adels nicht gleich von vornherein ſeine Vorſchläge verwerfe.
Auch der Umſtand, daß im Herbſt 1744 der Vicekanzler
[70] Beſtucheff, der ſtandhafte Vertreter des Bundes Rußlands mit
Öſtreich, einen allgemeinen Angriffskrieg gegen Friedrich II.
plante, und in Folge des gehofften Sieges das eroberte Oſtpreußen
den Polen gegen Entſchädigung durch die Abtretung öſtlicher
Landſtriche der Republik abzutreten gedachte, fällt für dieſe
Auffaſſung ins Gewicht, da die „Familie“ in ihrer Politik ſich
zu Rußland ſtetig hielt. Es verhalte ſich indeß hiemit, wie es
wolle: jedenfalls fand Poniatowski’s Mahnung diesmal keinen
ganz unfruchtbaren Boden. Auf dem Reichstage fielen die
Vota der Senatoren einſtimmiger als jemals für die Ver-
mehrung des Heeres. „Es iſt beſſer“ — rief Waclaw Rze-
wuski, der Woiwode von Podolien, aus — „die Rauchfangſteuer
zu bezahlen, als in Rauch aufzugehen; beſſer die Trankſteuer
zu bezahlen, als den letzten Schilling zu verlieren; beſſer Kopf-
geld zu entrichten, als den eignen Kopf herzugeben.“ Andere,
welche die Pläne des Hofes kennen mochten, gingen noch weiter.
Sie forderten einen allgemeinen Aufſitz des Adels, und der
Woiwode von Krakau, Fürſt Lubomirski, erklärte, er ſei bereit
12,000 Mann zum Dienſt für Maria Thereſia zu ſtellen.
So weit gingen freilich die Landboten nicht. Viele erklärten,
daß ſie zwar die Vermehrung des Heeres, keineswegs aber
den Abſchluß neuer Allianzen oder gar einen Krieg wollten.
Mehrere der öſtlichen Provinzen boten freilich große Summen
an. Man verhandelte lange in aller Einigkeit über verſchiedene
Vorſchläge zur Aufbringung der financiellen Mittel, über deren
Vertheilung auf die einzelnen Woiwodſchaften, wie über die
Zahl und Organiſation der neuen Regimenter. Vor allem
bemühte ſich der Kardinal Lipski, Biſchof von Krakau, der
Auguſt III. gekrönt hatte, auf alle Weiſe die Eintracht unter
den Gemüthern herzuſtellen und zu erhalten. Da trat plötzlich
ein Zwiſchenfall ein, der alles vereitelte.
Frankreich und Preußen hatten begreiflich das größte In-
tereſſe daran, daß der Plan des Hofes, die Republik in den
Krieg gegen ſie fortzureißen, nicht gelänge. Ihre Geſandten in
Warſchau arbeiteten daher von vornherein auf eine Zerreißung
des Reichstages und fanden an den Führern der Oppoſition,
[71] dem Krongroßfeldherrn J. Potocki, den Palatinen von San-
domir, Belz und Smolensk, den Grafen Tarlo, Potocki und
und Sapieha die bereiteſten Bundesgenoſſen. Zwei Landboten
Maſowiens, Karwowski und Wilczewski boten ſich ihnen frei-
willig an, dieſen Dienſt zu leiſten. Der letztere erhielt nach
und nach 350 Dukaten, und verpflichtete ſich für 3000 Du-
katen und eine Obriſtlieutenantſtelle in der Armee Friedrich II.
den Reichstag zu zerreißen. Allein an dem hiezu beſtimmten
Tage erklärte er im Reichstage, er wolle nicht „der Judas
ſeines Vaterlandes“ ſein, warf den Beutel mit den empfangenen
350 Dukaten mitten in den Saal, und mahnte alle, welche
ſich gleichen Verbrechens ſchuldig gemacht, ſeinem Beiſpiel zu
folgen, widrigenfalls er ſich genöthigt ſehen würde, ſie öffent-
lich anzuklagen. Der Eindruck war ungeheuer. Viele Stimmen
forderten ſofort die Nennung der Namen. Deſſen weigerte ſich
zunächſt Wilczewski, ſchließlich aber nannte er den preußiſchen
Miniſter und neun Landboten. Der Tumult ward groß. Grod-
zicki, einer der Angeklagten ſchrie: „Beweiſe es mir!“ Wilczewski
antwortete: „Ich weiß es“, worauf der andere: „Du lügſt“.
Mehrere der Angeklagten behaupteten, ſie hätten niemals mit
dem preußiſchen Reſidenten auch nur den geringſten Verkehr
gehabt; zwei andere geſtanden, der eine, daß er mit Vorwiſſen,
der andere, daß er auf Antrieb Brühls mit jenem in Ver-
bindung getreten ſei, um ihm „Schlingen“ zu legen. Dieſe
Erklärungen öffneten vielen die Augen darüber, daß auch
Wilczewski im Auftrage Brühls gehandelt habe, und als ihn
der Hof unmittelbar darauf zum Kammerherrn ernannte, zwei-
felte faſt niemand in Warſchau mehr daran, daß Brühl den
ganzen Vorgang angezettelt habe, um den Adel gegen Frie-
drich II. in den Harniſch zu bringen. Allein die ganze In-
trigue ſchlug ſchließlich zu ſeinem Nachtheile aus. Alle Be-
ſchuldigten forderten eine Unterſuchung. Ihre Freunde er-
klärten, ſo lange dieſe Sache nicht entſchieden ſei, auf keinen
anderen Gegenſtand der Berathung mehr eingehen zu wollen,
und da es nicht möglich war, zu einem einmüthigen Beſchluß
in Betreff des Ob und Wie der Unterſuchung zu gelangen, ſo
[72] ging in dieſen unfruchtbaren Debatten ein Tag nach dem an-
deren vorüber, bis am 16. die geſetzliche Dauer des Reichs-
tages ablief und derſelbe fruchtlos auseinanderging. Noch
vor ſeinem Schluß proteſtirten die preußiſchen Bevollmächtigten
bei dem Könige und Senat gegen die Anklage Wilczewski’s,
welche von einer Cabale ausgegangen, die keinen anderen Zweck
gehabt, als die Republik und ihren König mit einander zu ent-
zweien: ſie forderten für die ihnen angethane Beleidigung eine
gebührende Genugthuung. Allein nach Schluß des Reichstages
fiel die ganze Sache zu Boden: mit ihr zugleich aber auch die
Vermehrung der Armee, ſo wie der Plan, die Republik zum
Kriege gegen Friedrich II. fortzuziehen. Seine Geſandten ver-
glichen dieſen Ausgang des Reichstages mit dem Gewinne einer
großen Bataille 1).
Trotzdem aber blieb diesmal Brühl in der einmal einge-
ſchlagenen Bahn. Vergebens bemühten ſich Friedrich und Frank-
reich ihn zu ſich herüberzuziehen. Sie verſprachen ihm die
Reichsfürſtenwürde und ein Fürſtenthum, dem Beichtvater
Guarini einen Kardinalshut, dem Könige ſelbſt ihre Unter-
ſtützung, wenn er die Krone Polens in ſeinem Hauſe
erblich machen wolle, und außerdem noch ein Stück von
Böhmen und Schleſien. Der Hof von Warſchau — ſeit dem
Juni ſaß der König hier — hatte aber ein größeres Vertrauen
auf Öſtreich und die Seemächte. Sie ſchloſſen dort mit ihm
am 8. Januar 1745 die ſogenannte Quadrupelalliance, in
deren geheimen Artikeln Auguſt die Nachfolge ſeines Sohnes
auf den polniſchen Thron zugeſichert ward, wogegen er für
150,000 Pfd. Subſidien 30,000 Mann ins Feld zu ſtellen
verſprach. In Warſchau und Wien faßte man dabei ſogleich
eine Zerſtückelung der Monarchie Friedrichs ins Auge. Beide
Höfe einigten ſich in einem geheimen Vertrage (18. Mai 1745),
die Waffen nicht eher niederzulegen, ehe nicht ganz Schleſien
[73] mit Glatz für Maria Thereſia wiedererobert und der König
von Preußen noch weiter eingeſchränkt worden ſei. Dann
ſollte Auguſt das Herzogthum Magdeburg mit dem Saal-
kreiſe, das Fürſtenthum Croſſen u. a. als Beute davontragen.
Allein die Hoffnungen auf Sieg erfüllten ſich nicht. Friedrich
ſchlug die Sachſen wie die Öſtreicher und zwang beide zum
Frieden von Dresden (25. December 1745). Statt des ge-
hofften Ländererwerbes mußte Auguſt III. an Preußen eine
Million Thaler bezahlen. Seitdem nahm er an dem öſt-
reichiſchen Erbfolgekriege keinen Antheil mehr, ſondern trat
vielmehr in eine engere Verbindung mit Frankreich. Im Früh-
jahr 1746 ſchloß er mit dieſem einen Subſidientractat auf drei
Jahre und verheirathete im folgenden Jahre ſeine Tochter mit
dem Dauphin, einem Enkel Stanislaw Leszczynski’s, ſeinen Sohn,
den Erbpinzen, mit einer Tochter Kaiſer Karl VII. (Februar
und Juni 1747). Es ſchien eine Zeitlang, als ob ſich Sachſen
von Öſtreich gänzlich losſagen wolle; in der Stille aber ſetzte
Brühl ſeine Politik des Doppelſpieles fort. Als Öſtreich und
Rußland ihn aufforderten, ihrem Bündniß vom 2. Juni 1746,
deſſen Spitze gegen Preußen gerichtet war, und welches der Aus-
gangspunkt des 7jährigen Krieges ward, beizutreten, lehnte er
nicht geradezu ab, ſondern verſchob nur den Beitritt und unter-
handelte fort und fort mit beiden Mächten, um für Sachſen
die Verſicherung eines größeren Antheils an den von Preußen
zu machenden Eroberungen zu erhalten.
In Polen aber ward inzwiſchen der Gegenſatz der Czarto-
ryski und Potocki von Jahr zu Jahr ſchärfer und entwickelte
einen immer gewaltthätigern Character. In zwei Linien, die
ſilberne und die goldene getheilt, übertrafen die Potocki durch
ihren Grundbeſitz, ihre Verwandtſchaft und ihren alten Ruhm
die Gegner. Sie beſaßen in der Ukraine, Podolien, Rußland
und Kleinpolen zahlloſe Güter und hatten ihre fürſtlichen Pa-
läſte, der Großhetman Joſeph in Niemirow und Stanislawow,
der Woiwode von Volhynien Michael in Sędziszów, Franz
Salezy, ſpäter Woiwode von Kiew in Kryſtynopol, Georg
Staroſt von Grabowiec in Podhaice. Ihr Hofſtaat war dem
[74] königlichen nachgebildet: ſie hatten ihre Hofmarſchälle, Jäger
und Stallmeiſter, Kammerherren u. ſ. w., alle aus guten Fa-
milien; hielten nicht nur Dragoner und Koſacken und In-
fanterie als Leibgarden, ſondern auch eine zahlreiche Miliz und
Artillerie, deren Offiziere, von dem Könige patentirt, mit den
Offizieren der Kronarmee gleichen Rang hatten. In dieſen
öſtlichen Landſchaften konnte, wie eine gleichzeitige Aufzeichnung
ſagt 1), niemand ein Amt erhalten, niemand einen Proceß ge-
winnen, niemand zum Reichstage oder zum Tribunal gewählt
werden, niemand eine Prälatur oder reiche Pfarre erhalten,
ohne die Protection der Potocki.
Die Czartoryski ſtützten ſich auf den Hof, die Potocki
auf ihre Popularität bei der Maſſe des mittleren und nie-
deren Adels. Während jene ſich franzöſiſch trugen und in
ihrem ganzen Lebenszuſchnitt ihre Abneigung, bisweilen ſelbſt
ihre Geringſchätzung des altpolniſchen Weſens hervortrat, klei-
deten ſich und lebten die Potocki nach altem Brauche der Väter.
Sie verſchmähten es nicht, trotz alles Stolzes, der auch in
ihnen mächtig war, mit den „Herren Brüdern“ auf deren
Weiſe einzugehen, verheiratheten ſelbſt ihre Töchter in geringere
Familien und übten die „altſarmatiſche“ Tugend der Gaſt-
freundſchaft in ausgedehnteſter Weiſe. Unter ihren Parthei-
gängern ragten vornämlich der Woiwode von Krakau, Lubo-
mirski, und die beiden Tarlo aus altberühmtem Geſchlecht,
Oheim und Neffe hervor, beide Woiwoden, der ältere von
Sandomir, der jüngere von Lublin. Der letztere, Adam, kaum
30 Jahre alt, ein ſchöner, lebensvoller und feuriger Mann,
hatte ſich ſchon als Partheigänger Stanislaw Leszczynski’s bei
deſſen zweiter Wahl einen bedeutenden Ruf erworben. Er war
der Marſchall der Conföderation von Dzikow geweſen und
hatte am längſten den König ſeiner Wahl mit dem Säbel in
der Hand vertheidigt. Bei der Pacification hatte König Auguſt
ihn, den damals 22jährigen, zum Woiwoden von Lublin er-
hoben, ſeitdem blieb er einer der populärſten Männer in der
[75] ganzen Republik, man könnte faſt ſagen, der Abgott des kleinen
Adels. Im Winter 1744 war er in Warſchau. Mit einer
Frau viel älter als er verheirathet, entbrannte er in Liebe
für die junge und ſchöne Tochter des Woiwoden von Krakau,
deren Mutter der Woiwode ihrem Manne, einem Bürger von
Krakau, entführt hatte. Auf einem Balle beim Kronmarſchall
Bielinski tanzte er die erſten Tänze mit ihr und forderte dann
die Tochter des alten Poniatowski auf. Dieſe aber — man
ſagt auf Anſtiften der ſtolzen Mutter — lehnte den Tanz mit
den Worten ab: „Tanze Ew. Gnaden, mit wem Sie den ganzen
Abend getanzt.“ Heftig und raſch wie Tarlo war, rief er
laut: „Ein Schelm, wer noch mit der Tochter des Woiwoden
von Maſovien tanzt“, und als ihr älteſter Bruder Kaſimir
mit ihr ſofort in die Reihen trat, ſchrie Tarlo durch den
Saal: „Du biſt alſo ein Schelm.“ Am anderen Morgen
ſchoſſen ſie ſich zu Pferde. Als Tarlo des Gegners Pferd
traf und Poniatowski mit dieſem zugleich ſtürzte, ſoll er aus
Schreck gerufen haben: „Ich liebe den Woiwoden.“ Dem
Duell folgten von beiden Seiten Pasquille, und zum zweiten-
male forderte Tarlo den jungen Poniatowski heraus. Jetzt
gerieth ganz Warſchau in Aufregung. Der Kanzler der Krone
Zaluski verbot im Namen des Königs das Duell, das geiſt-
liche Gericht in Warſchau bedrohte die Ungehorſamen mit der
Excommunication, aber vergebens. Am 16. März 1744 fand
es dennoch, und keineswegs heimlich, in Mariemont bei War-
ſchau ſtatt. Große Schaaren von Bürgern eilten hinaus, um
dabei zu ſein, ſelbſt die Schüler der Jeſuiten verſäumten ihre
Stunden. Poniatowski erſchien von großem Gefolge begleitet,
Tarlo mit wenigen Freunden. Zweimal ſchoſſen ſie auf ein-
ander, ohne zu treffen. Dann griffen ſie zum Degen und nach
einigen Gängen erhielt Tarlo einen Stich mitten ins Herz.
Mit dem Ruf: „O mon Dieu!“ ſank er hin und verſchied
augenblicklich. Die einen ſagten, er habe ſich in der Leiden-
ſchaft ſelbſt aufgerannt, die andern, der Secundant Ponia-
towski’s, ein Major v. Korff, habe ihm den Todesſtoß un-
vermerkt gegeben.
[76]
Sein Tod und dieſes raſch verbreitete und geglaubte Ge-
rücht, regten begreiflich die öffentliche Meinung nicht nur in
Kleinpolen, ſondern faſt in der geſamten Republik gegen die
„Familie“ aufs furchtbarſte auf. Vielfach erwartete man, daß
die Potocki und die Tarlo Rache nehmen würden; man ſprach
von einer Conföderation, allein die Potocki erhoben ſich nicht,
und der alte Tarlo beſchränkte ſich auf eine gerichtliche Klage.
Von der andern Seite ſtrengten die Czartoryski bei dem Tri-
bunal von 1745 einen Proceß gegen Anhänger der Tarlo
wegen Verbreitung von Pasquillen an, welche die Ehre ihres
Hauſes verletzten, und erreichten deren Verurtheilung. Durch
Brühl ſetzten ſie es ſelbſt durch, daß der König dem jungen
Poniatowski den Orden des weißen Adler verlieh.
Immer aber hatte dieſe Sache ihre ganze Stellung er-
ſchüttert. In Lithauen regten ſich die Radzivil, Sapieha,
Oginski gegen ſie lebendiger als früher, indem ſie ihnen bei
jeder Gelegenheit in den Weg traten. Am Hofe aber fing da-
mals bereits Georg Wandalin Mniszek, ſeit 1742 Hofmar-
ſchall, in der Stille und ſehr vorſichtig an, ſie aus der Gunſt
Brühls zu verdrängen, und um ſich ſelbſt eine neue Parthei
für den Hof zu bilden.
Zunächſt freilich überſtanden ſie den Sturm, zumal unter
all ihren zahlreichen Gegner kein Mann war, der ſich in Ta-
lent und Thatkraft mit ihnen hätte vergleichen können. Auf
den Reichstagen ſich der Angriffe der Gegner zu erwehren,
waren in letzter Inſtanz die Einlegung des liberum veto
irgend eines Landboten oder das Verzögern der Unterſchrift
der gefaßten Beſchlüſſe bis zum letzten Augenblick der geſetz-
lichen Dauer des Reichstages die immer bereiten und wirk-
ſamen Mittel. Der Reichstag des Jahres 1746, auf welchem
die Potocki die Wahl eines ihrer Partheigänger zum Marſchall
durchſetzten, ging unfruchtbar auseinander, weil, als in ſpäter
Abendſtunde die Beſchlüſſe unterſchrieben werden ſollten, deren
Gegner hartnäckig proteſtirten, daß dazu Lichter in den Saal
gebracht würden. Die einen löſchten die Lichter aus, die andern
zündeten ſie wieder an. König und Senat warteten daneben
[77] bis in die zehnte Stunde; der Reichstag wurde, wie ein Zeit-
genoſſe ſich ausdrückt, „nicht zerriſſen, nicht beendet, er ver-
löſchte“. Eben ſo fruchtlos endete der folgende des Jahres
1748, und vergebens erinnerte in der Sitzung des Senats der
greiſe Woiwode von Ploczk, Nicolaus Podoski im Hinblick auf
dieſen Gang der Dinge, an das alte claſſiſche Wort: „Venit
summa dies et inevitabile fatum.“ Heftiger aber noch ward
der Kampf der Partheien bei der jährlichen Erneuerung der
Tribunale. Der Sieg bei den Wahlen zu dieſen war für ſie
und alle ihre Anhänger weit wichtiger als ein Sieg bei den
Wahlen zum Reichstag 1), wofür ein Vorgang im Tribunal
von 1748 ein treffendes Beiſpiel iſt. Als ein Fremder durfte
Graf Brühl geſetzlich weder ein Amt noch ein Gut in der Re-
publik beſitzen, natürlich wünſchte er das Indigenat zu erhalten;
aber nur durch einen Beſchluß des Reichstags konnte daſſelbe
verliehen werden, und die Reichstage kamen zu keinen Be-
ſchlüſſen. Er ſuchte daher auf einem andern Wege zum Ziele
zu kommen, und die Czartoryski boten ihm, wie die Sage
geht, die Hand dazu 2). In der Woiwodſchaft Poſen fand ſich
ein Dorf Brylewo, in deſſen Beſitz ein gewiſſer Granowski
war. Nun wurde ein Document fabricirt, aus welchem her-
vorging, daß vor 300 Jahren dies Dorf im Beſitz von Grafen
Ocieszyna Brylowie geweſen wäre. Hierauf ſtellten die ge-
riebenſten Advocaten des Tribunals eine Genealogie jener Bry-
lowie auf, welche die Abſtammung Brühls von ihnen erwies.
Auf dieſe beiden Documente geſtützt, klagte der Sohn des Mi-
niſters bei dem Tribunal auf Herausgabe des Dorfes durch
deſſen gegenwärtigen Beſitzer, und erreichte ein ihm günſtiges
Urtheil. Granowski, durch reiche Bezahlung gewonnen, be-
ruhigte ſich; Graf Brühl aber war durch den Spruch des Tri-
bunals als eingeborner polniſcher Edelmann mit allen Rechten
eines ſolchen anerkannt, kaufte Güter und erwarb für ſich und
ſeinen Sohn Staroſteien. Zwei Jahre darauf (1750) trat
[78] dem letztern Auguſt Czartoryski die einträgliche Staroſtei von
Warſchau ab.
Noch ſcandalöſer waren die Vorgänge bei der Einſetzung
des Tribunals im Jahre 1749. Der Führer der Parthei der
Potocki in allen Wahlen, Michael Potocki, war geſtorben, der
Großfeldherr Joſeph Potocki durch die Laſt ſeiner Jahre ent-
kräftet. Dieſe Gunſt des Schickſals auszunutzen, ſtrengten natür-
lich die Czartoryski alle Kräfte an. Auf allen Landtagen boten
ſie alles auf, die Wahl ihrer Kandidaten durchzuſetzen und, wo
dies nicht gelang, wenigſtens Doppelwahlen herbeizuführen.
Ihre Abſicht war, ihren Neffen, den Unterkämmerer Kaſimir
Poniatowski, denſelben, der Adam Tarlo im Duell erſtochen,
zum Marſchall wählen zu laſſen. Er kam mit großem Gefolge
nach Petrikau, wo unter dem Vorſitz des hiezu vom König er-
nannten Biſchofs von Poſen, Theodor Czartoryski, die Prüfung
der Wahlen und die Einſetzung des Tribunals herkömmlich ſtatt-
finden ſollte. Seine Anhänger riefen ihn zum Marſchall aus,
aber die Partheigänger der Potocki griffen zu den Säbeln und der
junge Poniatowski entfloh aus der Kirche wie der Stadt. Seine
Parthei dagegen hielt Stand. Da der Kandidat der „Fa-
milie“ zum Marſchall nicht durchzuſetzen war, kam es darauf
an, daß das Tribunal überhaupt nicht zu Stande kam. Nach
dem Herkommen rief man die von den einzelnen Woiwod-
ſchaften gewählten nach einander zur Eidleiſtung auf, bei jedem
Namen aber, der nicht zu ihrer Parthei gehörte, ſchrien die
Czartoryskiſchen vacat, d. h. ſie proteſtirten gegen die Recht-
mäßigkeit der Wahl, und umgekehrt ſchrien eben ſo die Po-
tockiſchen bei jedem Namen ihrer Gegner. Auf dieſe Weiſe
ward die Einſetzung des Tribunals zum erſtenmale ſeitdem
es überhaupt beſtand, verhindert. Ein ganzes Jahr hindurch
entbehrte in Folge hievon Kronpolen ſeines höchſten Gerichts-
hofes. Nachdem die Geſetzgebung der Republik durch die Ge-
wohnheit der Zerreißung der Reichstage zum Stillſtand ge-
bracht worden war, war jetzt der Anfang damit gemacht, auch
die Rechtspflege gewaltſam zu hemmen 1).
[79]
Wie immer, ſo ſchoben ſich beide Partheien wechſelſeitig
die Schuld dieſes Scandales zu, der auf das Land wie den
Hof einen ungewöhnlichen Eindruck gemacht zu haben ſcheint.
Wenigſtens ſchrieb der König einen außerordentlichen Reichstag
auf den 4. Auguſt 1750 in Warſchau aus und kam ſelbſt be-
reits im April (24.) dorthin, um mit dem Senat die Vor-
lagen zu berathen. Man dachte von Seiten des Hofes zum
erſtenmale ernſtlicher an eine Durchführung der dringendſten Re-
formen. Zu dieſem Zweck ſollten die ukrainiſchen Landtage,
welche von den Potockis beherrſcht wurden, planmäßig zer-
riſſen werden, der Reichstag ſelbſt aber ſich in eine Conföde-
ration, bei welcher Stimmenmehrheit entſchied, unter dem Titel
unio salvandae reipublicae, verwandeln, und ſowohl eine neue
Luſtration, gegen welche ſich am meiſten die öſtlichen Land-
ſchaften zu ſträuben pflegten, beſchließen, als auch die Ein-
führung der Stimmenmehrheit für alle Reichstagsbeſchlüſſe in
Angelegenheiten des Schatzes. Das erſte hatte den Zweck, durch
eine neue Einſchätzung aller Güter die Steuereinnahmen der
Krone zu vermehren; das zweite ſchloß eine weſentliche Be-
ſchränkung des liberum veto ein. Den Erfolg zu ſichern, ſollte
Waclaw Rzewuski, der Woiwode von Podolien, der als „ein
Mann von großem Verſtande, milden Sinnes und aufrichtiger
Vaterlandsliebe bekannt und zugleich am Hofe und bei der
„Familie“ wie im Lande angeſehen und populär war 1), Mar-
ſchall werden, und da nach den Geſetzen kein Woiwode Land-
bote ſein durfte, vor den Wahlen auf ſein Amt verzichten.
Wie ernſt es der herrſchenden Parthei damals mit dieſen
Plänen war, welche mit den Reformen der Czartoryski vom
Jahre 1764 faſt völlig übereinſtimmen, geht daraus hervor,
1)
[80] daß der Hof bereits im Anfang 1749 durch ſeinen Geſandten
in Wien, v. Loos, die Zuſtimmung Öſtreichs zur Aufhebung
des liberum veto zu erhalten ſuchte und ungeachtet der erſten
Ablehnung wiederholt die Unterhandlung aufnhmeen ließ. In Öſt-
reichs Intereſſe aber lag eben ſo wenig wie in dem der andern
Mächte, Frankreich ſelbſt nicht ausgenommen, eine Stärkung
der königlichen Gewalt in Polen; man blieb daher in Wien
bei der erſten Antwort ſtehen, daß der Moment nicht geeignet
ſei, indem ein ſolcher Verſuch ſofort ein Bündniß Preußens,
Frankreichs, Schwedens und der Pforte zur Beſchützung der
polniſchen Freiheit heraufbeſchwören würde 1).
Waclaw Rzewuski legte nun in der That ſein Amt nieder
und wurde zum Landboten gewählt. Kaum aber eröffnete dem
Herkommen nach der Marſchall des letzten Reichstages am
4. Auguſt den neuen, als ſofort das Geſchrei ſich erhob, in der
Landbotenſtube ſitze gegen alles Recht und Geſetz ein Senator.
Vergebens erklärte Rzewuski, er ſei kein Woiwode mehr; die
Gegner antworteten, die Niederlegung ſeines Amtes ſei eine
abgekartete Komödie, man wiſſe, daß er nach dem Schluß des
Reichstages wieder Woiwode ſein werde. Sie weigerten ſich
zur Wahl des Marſchalls zu ſchreiten, ſo lange er ſeinen Sitz
nicht verlaſſe. Drei Tage dauerte hierüber der Streit. Am
Abend des 3. Auguſt brachte man ein Manifeſt ein, welches
Wydzga, der Landbote von Belz, bei dem Warſchauer Grod-
gericht eingereicht hatte, in dem er gegen alle Beſchlüſſe des
Reichstages aus dem angegebenen Grunde proteſtirte. Darauf
blieb zwar der Reichstag noch einige Tage zuſammen und der
Marſchall ſandte zwei Boten aus, um Wydzga zur Zurücknahme
ſeines Proteſtes zu bewegen. Alle aber wußten, daß er ſofort
nach Eintragung ſeines Manifeſtes Warſchau verlaſſen hatte 2).
Am 18. Auguſt ging der Reichstag wiederum ohne alle
Frucht auseinander. In der Sitzung des Senates, die ihm
folgte, erklärte Michael Czartoryski öffentlich, dieſelbe Hand,
[81] welche das Petrikauer Tribunal zerriſſen, habe auch den Reichstag
geſprengt. Der alte Krongroßfeldherr Joſeph Potocki aber
ſchrieb an die Deputat-Landtage (30. Auguſt), der Reichstag
ſei Rzewuski’s wegen zerriſſen, und die ihn zerriſſen, hätten
nichts weiter gethan, als das Recht des Adels vor Unbill ge-
ſchützt 1)!
Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 6
[[82]]
6. Bildung der Parthei der ſog. Patrioten,
Auseinanderweichen des Hofes und der Czarto-
ryski 1750 — 1754.
Solchergeſtalt war zwar auch der zweite Verſuch mit dem
Reichstage zu einer Reform zu gelangen geſcheitert, aber die
„Familie“ ſtieg dennoch zunächſt noch zu größerem Einfluß
empor. Das Glück war ihr hold. Die Oppoſition verlor
ihre beſten bisherigen Führer. Nachdem Michael Potocki ge-
ſtorben, ſank auch der greiſe Krongroßfeldherr Joſeph ins Grab
(Mai 1751). In ihrer Familie war in dieſem Moment
keiner, der ihre politiſche Stellung hätte einnehmen können,
und von dieſer Nebenbuhlerſchaft befreit, durfte die „Familie“
ſich ſchmeicheln, neben der Krone zur unbeſtrittenen Herrſchaft ſich
zu erheben. Der Primas und Erzbiſchof von Gneſen, Adam
Komorowski, gehörte eben ſo wie der Kanzler der Krone, An-
dreas Zaluski, zu ihren Freunden. Und als nun der König
den erledigten Feldherrenſtab an Jan Clemens Branicki, den
Schwiegerſohn des alten Poniatowski, verlieh, zum Unterfeld-
herrn der Krone Waclaw Rzewuski erhob (beides 1751), das
Jahr darauf aber Poniatowski zum Kaſtellan von Krakau,
Michael Czartoryski zum Kanzler von Lithauen machte, waren
die einflußreichſten Ämter faſt alle mit ihren Verwandten oder
[83] Partheigängern beſetzt. Unter dieſen ragte in mehr als einer
Beziehung Branicki hervor. Der letzte männliche Sproß
ſeiner Familie, perſönlich mehrere Jahre älter als die
Brüder Czartoryski (geboren 1688) und reich begütert, hatte er
ſeine gewöhnliche Reſidenz in Bialyſtock, wo er in prachtvollem
Schloß mit fürſtlichem Glanze lebte 1). In ſeiner Jugend
hatte er in franzöſiſchen Kriegsdienſten ſich Ruf erworben,
und bewahrte ſeitdem ſein Lebenlang eine entſchiedene Vorliebe
für Frankreich und die Franzoſen. Nach Polen zurückgekehrt, ſtieg
er dann auf der Stufenleiter der Würden der Republik empor
und ſtand, obwohl er dem Luxus aller Art, auch dem Genuß der
Frauen lebhaft ergeben war, in allgemeiner Achtung und hohem
Anſehen. Er galt lange als einer der beſten Patrioten und
als reiner und feſter Character. In der That und Wahrheit
aber war er eben ſo wenig frei von Eitelkeit und Eigenſucht
als von Schwäche. Der Schmeichelei zugänglich, unterlag er
um ſo mehr ihrer Verführung, je weniger ſcharf ſein Blick
für Menſchen und Dinge war. Noch als 75 jähriger ließ er
ſich nach dem Tode Auguſt III. zu dem Glauben verleiten, er
könne deſſen Nachfolger auf dem Throne werden, zeigte ſich
aber während der ganzen Kriſis des Interregnums durchaus
ohne Entſchiedenheit, in ſeinem Wollen und Thun ſchwankend
und durchaus untauglich zum politiſchen und militäriſchen
Führer, zu welchem ihn die Gegner der Czartoryski damals
erhoben. Gewiß trug hiezu ſein hohes Alter weſentlich bei;
aber auch bereits früher hatte ſich bei ihm der Mangel an
Entſchiedenheit wie ſeine Eigenſucht offenbart. Als im Jahre
1749 die „Familie“ dem faſt 60 jährigen die junge und
ſchöne Iſabella Poniatowska zur Frau gab, hofften ſie wohl eben
deshalb ihn dauernd leiten zu können. Nur zu bald aber
machten ſie die Erfahrung, daß auf ihn kein ſicherer Verlaß ſei 2).
6*
[84]
Gleich das erſte wieder lebendigere Eingreifen der großen
europäiſchen Politik in die Partheiverhältniſſe Polens führte
für ſie dieſe Erfahrung herbei. Seit dem Frieden von Achen
(18. Oct. 1748) beherrſchte bekanntlich der Gegenſatz von
Frankreich und England die europäiſche Politik. Überall in
der Welt bekämpften ſich beide Mächte zunächſt diplomatiſch,
und überall, in Holland, Dänemark, Schweden, wirkte ihr
Streit auf die inneren Verhältniſſe der einzelnen Staaten zu-
rück. Mit Frankreich war Preußen, mit England Öſtreich und
Rußland verbunden, und bis auf einen gewiſſen Grad auch
König Auguſt III., indem er engliſche Subſidien bezog. Als
Kurfürſt von Sachſen und König von Polen nahm er ſchon
in Folge der geographiſchen Lage ſeiner Länder eine Stellung
ein, welche es beiden mit einander ringenden Mächten gleich
wichtig erſcheinen ließ, ob er im Fall des Ausbruchs eines
Krieges auf die eine oder die andere Seite trat. Gelang es
Frankreich, ihn zu ſich hinüberzuziehen, ſo beherrſchte dieſes durch
ſeine Verbindung mit Preußen und Sachſen nicht nur das ganze
nördliche Deutſchland, ſondern durfte auch hoffen, die Repu-
blik in ſein politiſches Syſtem zu ziehen. Im Bunde mit
Dänemark und Schweden, mit Preußen und Sachſen, mit
Polen und der Pforte, konnte dann die franzöſiſche Politik dem
engliſch-öſtreichiſch-ruſſiſchen Bunde Schach bieten, während um-
gekehrt, wenn Auguſt III. ſich zu dem letztern hielt, nicht nur
Rußland ſeine Heere durch Polen Öſtreich zu Hilfe ſenden
konnte, wie es ſchon einmal gegen das Ende des öſtreichiſchen
Erbfolgekrieges gethan, ſondern auch Preußen durch den ganzen
verbündeten Oſten aufs höchſte bedroht und gefährdet war.
Sehr natürlich daher, daß man in Paris den Gedanken er-
griff, König Auguſt III. und Polen für Frankreich zu gewinnen.
2)
[85] Der Miniſter des Auswärtigen, d’Argenſon war der Anſicht,
daß dies am leichteſten zu erreichen ſei, wenn Frankreich dem
Könige für die Thronfolge ſeines Sohnes in Polen ſeine Un-
terſtützung in Ausſicht ſtelle, überhaupt in Warſchau die Pläne
des Hofes fördere, und dadurch dieſen von der Nothwendigkeit
befreie, ſeine Stütze in Rußland zu ſuchen. Ludwig XV. aber
hielt noch immer an dem Gedanken feſt, auf den polniſchen
Thron im Falle von deſſen Erledigung den Prinzen Conti zu
erheben, der bekanntlich der Chef ſeiner geheimen Diplomatie
war, welche er hinter dem Rücken des Miniſteriums betrieb.
Bereits vor dem Achner Frieden, als Frankreich und Preußen
nach dem Tode Kaiſer Carl VII. (20. Jan. 1745) den Ver-
ſuch machten, Auguſt III. durch das Angebot der deutſchen
Kaiſerkrone von Öſtreich abzuziehen, hatte Frankreich in Polen
für die Erhebung Conti’s Freunde gewonnen. Damals ſandte
Jan Clements Branicki, deſſen Sympathie für Frankreich ſo
zu ſagen einer alten Jugendliebe glich, ſeinen Vertrauten
Mokranowski, der wie er ſelbſt früher in franzöſiſchen Dienſten
geweſen war, zur Verhandlung hierüber nach Paris. Er hatte
damals mit Vorwiſſen Ludwigs XV. mehrfache Unterredungen
mit dem Prinzen Conti, an welche ſich die erwähnte Organi-
ſation der geheimen Diplomatie anſchloß. Auch im Frühjahr
1746 ſoll ein anderer Pole, Blandowski, zu demſelben Zweck
in Paris geweſen ſein und das Geheimniß d’Argenſon mitge-
theilt haben 1). Dieſe Verhandlungen bedürfen noch einer
nähern Aufklärung. Gewiß aber iſt, daß andre Höfe von
ihnen eine gewiſſe Kenntniß erhielten. In Wien und in Pe-
tersburg war man mehrere Jahre wegen dieſes Projectes in
Unruhe. Schon die Heirath der Tochter Auguſt III. mit dem
Dauphin hatte den ruſſiſchen Hof verſtimmt, der ſeinerſeits wie
auch der Wiener ſeine eignen Pläne in Betreff der polniſchen
Thronfolge hatte. Öſtreich befürwortete wiederholt die Wahl
eines Piaſten, fand aber hiemit in Petersburg keinen Anklang.
[86] So „gutgeſinnt“ auch ein Piaſt ſein möchte — ſagte der
Kanzler Beſtucheff zu dem öſtreichiſchen Geſandten Bernes —,
ſo böte er für ein dauerndes Zuſammengehen mit Rußland
und Öſtreich dennoch keine vollſtändige Garantie. Man könne
wohl einen oder zwei Piaſten in Antrag bringen, um dem
Schein auszuweichen, als wolle man Polen mit Gewalt einen
König aufdringen. Inzwiſchen müßten aber alle Anſtalten ge-
macht werden, die Wahl Karls von Lothringen, des Bruders
Kaiſer Franz I., zu ſichern und ein Heer an der livländiſchen
ſowie der öſtreichiſchen Grenze bereit ſtehen, um die Zuſtimmung
der Republik nöthigenfalls mit den Waffen zu erzwingen 1).
In Wien aber hielt man ſich dieſem Plan gegenüber ſehr
zurück; noch im Februar 1750 herrſchte dort die Meinung
vor, es ſei beſſer, Rußland es zu überlaſſen, den Weg anzu-
deuten, den man wandeln wolle. Beide Höfe theilten die
Überzeugung, daß bei der Intimität Preußens mit Frankreich
auch Friedrich II. die Pläne in Betreff Conti’s billige und
fördere. Im Jahre 1748 ſprach Kaunitz in einem politiſchen
Gutachten, von dem „Anhange“, den Friedrich in Polen habe,
und im Miniſterium war man gleichzeitig der Anſicht, daß
man öſtreichiſcherſeits ſich angelegen ſein laſſen müſſe, allen,
„insbeſondere von Preußen“ zu Tage tretenden Beſtrebungen
auf Veränderung der Verfaſſung der Republik in Gemeinſchaft
mit Rußland entgegenzutreten. Noch im Jahre 1752 wollte
man in Wien wiſſen, Friedrich habe von Paris aus große
Summen zur Vertheilung unter polniſche Große, der Palatin
von Rawa, Stanislaw Jablonowski, allein 100000 Livres, er-
halten 2). An ſich unwahrſcheinlich erſcheint dies nicht: Frie-
drich fürchtete in der That, es werde Öſtreich und Rußland
gelingen, den Prinzen Carl von Lothringen auf den Thron
Polens zu erheben 3), deſſen Herrſchaft in Warſchau bei der
[87] damaligen allgemeinen politiſchen Conſtellation für ihn noch
unangenehmer als die Conti’s erſcheinen mußte.
Auch dieſe Vorgänge bedürfen noch einer näheren Auf-
klärung, namentlich in Betreff des Verhaltens der Polen ſelbſt 1).
Unzweifelhaft aber beweiſen ſie, daß keine der beiden in Europa
einander gegenüber ſtehenden Staatengruppen Polen aus dem
Auge verlor; ſie waren nur die Vorſpiele ihrer noch ernſteren
Anſtrengungen, um ihren Einfluß dort zur Herrſchaft zu bringen.
Im Sommer 1752 — im Herbſt ſtand ein neuer Reichstag
in Polen bevor — ſchickten England und Frankreich faſt gleich-
zeitig neue Geſandten nach Warſchau: England, um den Zu-
tritt der Republik zu dem öſtreichiſch-ruſſiſchen Bündniſſe vom
2. Juni 1746, welchem es ſelbſt, ohne deſſen geheimen,
gegen Preußen gerichteten Artikel, beigetreten war, zu be-
wirken, Frankreich um dieſen Zutritt mit allen Mitteln zu
hindern. Sir Hanbury Williams, ein entſchiedener Gegner
Friedrichs II. und Freund Robert Walpole’s, ein Lebemann
nach Art dieſer Zeit, hatte zwar vielen und lebhaften Geiſt,
aber ſein Blick und Urtheil waren nicht ſcharf. Seine ſtarke
Einbildungskraft verleitete ihn bisweilen die Dinge in einem
ganz anderen Licht zu ſehen, als ſie in der That waren, und
ſeine Raſchheit und Energie artete auch wohl in Reizbarkeit
[88] und Überſtürzung aus 1). Auch Graf Broglie, mit ſeinen 32
Jahren jünger als der Engländer, hatte Geiſt und große Leb-
haftigkeit; wenn er heftig wurde, brannten ſeine leuchtenden
Augen wie das Feuer eines Vulkan; von ſehr kleiner Geſtalt,
trug er, wie ſich ſein Miniſter d’Argenſon ausgedrückt hat, den
Kopf hoch wie ein kleiner Hahn. Und in der That er war
dreiſt und kühn in ſeinen politiſchen Combinationen, wie in
ſeinem perſönlichen Auftreten: ein eben ſo treuer Freund als
unverſöhnlicher Feind; man ſagte bei ſeiner Ernennung nach
Warſchau in Paris ſcherzhaft, ob Ludwig XV. mit dem Könige
von Polen Krieg anfangen wolle 2). Auf dem Wege nach
Dresden ſah er Friedrich II., der ihn zum Diner einlud. Als
der König im Geſpräch bemerkte, daß ihre Freunde in Polen
ſtark entmuthigt wären, er aber die Mittel kenne ihnen Muth
zu machen, antwortete Broglie, er hoffe, daß Se. Majeſtät,
da ſie die Mittel kenne, auch ihrerſeits von ihnen Gebrauch
machen werde 3). Als er dann nach Dresden kann, war der
Hof ſchon nach Polen. Er holte ihn in Bialyſtock ein, wo-
ſelbſt Branicki den König aufs glänzendſte bewirthete. In Bezug
auf die Thronfolge ſchrieb ihm ſeine Inſtruction vor, zu ſagen:
die Freiheit Polens ſei König Ludwig XV. heilig, unter allen Um-
ſtänden werde er ſie ſchützen. Der Prinz, den die Polen frei
und einmüthig wählen würden, würde Frankreich immer als
der würdigſte erſcheinen: dabei aber ſollte er durchſchimmern
laſſen, das ſich Ludwig mehr für das Haus Sachſen als für
irgend ein anderes intereſſire. In Bialyſtock fand er Williams
[89] ſchon vor, und in engem, vertrauten Verkehr mit der „Familie“.
Williams war außerordentlich regſam und thätig, Broglie ver-
legte ſich zunächſt aufs Hören. Gegenüber der Geſchäftigkeit
des Engländers legte er ſeiner eignen Natur den Zwang auf,
den ruhigen Beobachter zu ſpielen. Die frühere franzöſiſche
Parthei hatte ſich faſt aufgelöſt; ſie neu zu beleben fand er
nur einige alte verbrauchte Agenten, aber mit den 80000 Fr.,
die er zur Dispoſition hatte, verſchaffte er ſich bald jüngere
Kräfte. Er lebte in Grodno mit dem Adel, der in „einem
repas für 100 Ducaten Ungarwein trank“, auf deſſen Weiſe.
Ohne 26 bis 30 Perſonen und Pferde in ſeinem Gefolge,
dürfe er, ſchrieb er nach Paris, nicht öffentlich erſcheinen;
man habe hier nichts zu hoffen, wenn man ſich nicht durch
die Art, wie man lebe, einige Beachtung erwerbe. Bis Ende
December hatte er freilich 100 und einige Tauſend Francs
außer jenen 80 Tauſend bereits ausgegeben, aber er hatte auch
ſeine nächſten Zwecke und mehr als ſie erreicht.
Übrigens war es für ihn nicht ſchwer für die Wiederbe-
lebung einer franzöſiſchen Parthei die geeigneten Führer zu
finden und zu gewinnen. Der alte Branicki, ſtets voll Sym-
pathie für Frankreich und noch vor wenigen Jahren für Conti
thätig, bot ſich hiezu wie von ſelbſt dar, zumal er jetzt als
Krongroßfeldherr faſt eine unbeſchränkte Gewalt über die Armee
hatte und in der Republik in hoher Achtung ſtand. Sein
Vertrauter Mokranowski war ſogar ſeit ſeiner Sendung nach
Paris (1745) in die geheime Cabinetspolitik Ludwig XV. ein-
geweiht und bezog wahrſcheinlich ſchon damals eine franzöſiſche
Penſion 1). Durch ſeine männliche Schönheit, ſeine körperliche
[90] Kraft und Gewandtheit, ſein feuriges beredtes Weſen war er
der Liebling der vornehmen Jugend, und auch die junge ſchöne
Frau des alten Branicki ſoll für die Liebe und Verehrung,
welche ihr Mokranowsky widmete, nicht unempfindlich geweſen
ſein. Mit ihm verſtändigte ſich daher Broglie wohl leicht und
raſch, und noch in Grodno erfolgte der erſte Schlag gegen die
Familie.
Am 1. Oct. 1752 ward der Reichstag eröffnet, auf welchem
der junge Stanislaw Poniatowski, der ſpätere König, eben 20
Jahre alt, zum erſtenmale unter den Landboten erſchien.
Die erſten Tage wurden mit leerem Gerede zugebracht, ohne
daß es zur Wahl des Marſchalls kam. Der Grund war eine
Differenz zwiſchen Brühl und der „Familie“ über die Ver-
leihung des lithauiſchen Unterkanzleramts, welches durch die
Erhebung Michael Czartoryski’s zum Kanzler erledigt war.
Zwei Sapieha waren die Candidaten, um welche es ſich han-
delte. Der eine, der Schwiegerſohn des Kanzlers, ward von
der Familie, der andere, Woiwode von Mscislaw, von den
Potocki, Radzivil und ſelbſt Branicki unterſtützt. Brühl, be-
reits in der Stille der „Familie“ abgeneigt, deren Einfluß ihm
unbequem und läſtig geworden, dazu vom Hofmarſchall Mniszeck,
ſeit 1750 ſeinem Schwiegerſohn, berathen, der ihm die Ausſicht
zeigte durch die Bildung einer neuen Hofparthei ſich von der „Fa-
milie“ befreien zu können, neigte ſich auf die Seite ihrer Gegner.
Da that der Kanzler einen Schritt, der ihn perſönlich ſo wie das
ganze damalige Getriebe am Hofe characteriſirt. Er ſtellte Brühl
vor, daß dem Geſetz und Herkommen nach die Siegel nur im
Reichstage nach der Conſtituirung deſſelben durch die Wahl
ſeines Marſchalls, verliehen werden dürften; er gebe ſein Wort,
daß, wenn Brühl ſich nicht verpflichte, das Amt ſeinem Schwie-
1)
[91] gerſohn zu geben, keine Wahl eines Marſchalls ſtattfinden,
der Reichstag nicht zu Stande kommen, die Reiſe des Königs
bis Grodno alſo völlig fruchtlos bleiben und dieſer genöthigt
ſein werde in zwei Jahren von neuem nach Grodno zu kommen.
Dieſe Drohung ſchlug durch. Die Reiſen von Dresden nach
Polen waren dem Könige und dem Hofe, der Koſten, Be-
ſchwerden und des ganzen polniſchen Treibens wegen, ſtets
höchſt unangenehm. Nach Warſchau zu kommen, koſtete dem
König ſchon einen Entſchluß, wie viel mehr noch eine Reiſe
nach dem entlegenen Lithauen. Brühl gab das geforderte Ver-
ſprechen 1); zum Marſchall ward Maſſalski, Staroſt von
Grodziec, der Sohn des lithauiſchen Unterfeldherrn, gewählt.
Die weſentlichen Vorlagen der Regierung betrafen die Ver-
mehrung des Heeres, die Aufbringung der Mittel zu deſſen
Erhaltung, Reform der Juſtiz und Conferenzen von Seiten der
Republik mit den Geſandten der fremden Mächte. Außerdem
war aber in die Univerſalien wie in die Inſtruction des Königs
für die Landtage noch ein Artikel aufgenommen, der, wenn er
die Zuſtimmung des Reichstages fand, zu weiteren Reformen
den Weg zu öffnen geeignet war. Denn der König forderte
darin, daß man wieder zu dem Brauch der alten Reichstage
zurückkehre, nach welchem die mit Einſtimmigkeit gefaßten Be-
ſchlüſſe ihre Gültigkeit behalten hatten, auch wenn man ſich
über andre Fragen nicht einigen konnte. Das liberum veto
alſo hätte hiernach nach wie vor für jede einzelne Frage als
entſcheidend gegolten; aber der Mißbrauch, daß man durch
daſſelbe auch alle bereits einmüthig gefaßten Beſchlüſſe wieder
rückgängig und den Reichstag einer Frage wegen gänzlich un-
fruchtbar machen konnte, wäre beſeitigt worden 2).
[92]
Begreiflich geriethen alle Gegner des Hofes und der Re-
form hierüber in große Aufregung. Der Palatin von Belz
(Potocki) erließ Circulare an die Landtage, in welchen er ſie
aufforderte ihren Landboten aufzugeben, nichts zuzulaſſen, was
die Privilegien des Adels verringern könnte, und demgemäß
ſich jeder Neuerung, die man verſchlagen könnte, zu widerſetzen.
Die Czartoryski ließen dagegen alle Landtage zerreißen, auf
welchen ihre Gegner die Mehrheit hatten, und ſprachen laut
davon, daß, wenn auf dem Reichstage etwas erreicht werden
ſolle, dieſer in eine Conföderation verwandelt werden müſſe 1).
Um ſo unruhiger wurden die Gegner. Seit dem Tode des
Krongroßfeldherrn J. Potocki waren die Mittel verſiegt, die
er ſtets mit freigebiger Hand zur Aufrechthaltung der Oppo-
ſition hergegeben hatte, und dringender als je früher forderten
der Palatin von Belz u. a. von dem preußiſchen und fran-
zöſiſchen Geſandten reichliche Unterſtützung an Geld 2). Selbſt
der neue Krongroßfeldherr Branicki erklärte, er werde mit
ſeinen Freunden alle Kräfte zur Zerreißung des Landtages ein-
ſetzen, weil, wenn es dem Hofe gelänge, vermittelſt einer Con-
föderation die Republik in ein Bündniß mit Rußland zu
führen, dieſe ohne Armee, wie ſie ſei, dies Bündniß mit der
Abtretung einer ihrer Provinzen werde bezahlen müſſen. Nur
über die Art und Weiſe, in der der Reichstag zerriſſen werden
ſolle, konnten ſich die Oppoſition und die beiden Geſandten
lange nicht einigen. Zwar verſicherten Brühl ſowohl wie der
König ſelbſt dem Grafen Broglie auf ihr Ehrenwort, daß ein
Zutritt zu der Petersburger Alliance nicht im entfernteſten in
ihrer Abſicht liege; niemand aber glaubte ihnen mehr und hatte
Recht, nicht zu glauben. Schließlich kamen Broglie und
Maltzahn, den Friedrich II. von Dresden aus zu dieſem Reichs-
2)
[93] tage geſandt hatte, mit ihren polniſchen Freunden überein,
daß ein Landbote den Zutritt der Republik zu dem Peters-
burger Vertrage fordern, ein andrer dem Antrage widerſprechen
und die Activität des Reichstages dadurch hemmen ſolle. Für
dieſe Rollen waren die betreffenden Landboten bereits gefunden,
als unerwartet der Geſandte Rußlands öffentlich erklärte, er
habe keine Inſtruction, über ein Bündniß mit der Republik
zu verhandeln. Die Oppoſition hielt auch dieſe Erklärung für
ein Scheimanoeuvre der Czartoryski, mußte aber nun ihren
Schlachtplan ändern 1). Schon vorher, am 16. Oct., hatten
die Landboten Swidzenski und Chajecki die Activität des
Reichstages gehemmt, indem ſie verſchiedene Klagen gegen
den König vorbrachten, namentlich in Betreff der Ver-
leihung der Warſchauer Staroſtei an Brühls Sohn, der
als Proteſtant von dieſem Amt geſetzlich ausgeſchloſſen ſei: am
24. Oct. aber ſprengte der Landbote von Sochaczew, Morski,
den Reichstag durch ein im Grod eingereichtes Manifeſt,
in welchem er den König perſönlich die Urſache alles Übels in
der Republik nannte und ihn offen des Bruches der Pacta
conventa beſchuldigte 2).
Allein die Czartoryski und ihre Freunde waren bereits für
dieſen Ausgang des Reichstages gerüſtet 3). Sie hatten ganz
in der Stille und im Einverſtändniß mit den Geſandten Ruß-
lands und Englands ein Manifeſt vorbereitet, welches ihnen den
Weg zu einer Conföderation bahnen ſollte. In dieſem Manifeſt,
deſſen Eingang und Schluß in Form und Styl an eine Conföde-
[94] rations-Acte erinnerte, erklärten ſie, daß nach dem unfruchtbaren
Ausgange aller Reichstage das Vaterland einer anderen „Hilfe“
bedürfe; nicht der König trage die Schuld an allen den Übeln,
an welchen es leide, er habe vielmehr der Nation das Glück
und den Genuß eines langen Friedens verſchafft und die Pacta
conventa in allen Punkten redlich gehalten; der Grund aller
Übel läge in der Unfruchtbarkeit der Reichstage. „So er-
klären wir demnach vor Gott und den Menſchen, daß wir ſtets
gewünſcht haben, die Zeit einer ſo milden Regierung benutzen
zu können, um dem Vaterlande zu Hilfe zu kommen. Wir
verlangen nichts anderes, als daß der Reichstag Beſtand habe,
damit er den Geſetzen die Kraft, die ſie verloren, wiedergeben
und ihre Beobachtung in allen Punkten ſichern könne; nichts
anderes, als daß das Vaterland unter der Gunſt des Friedens,
deſſen wir ſo lange genießen, ſeinen alten Glanz wiedergewinne,
daß die Pflege der Gerechtigkeit, welche unter zahlreichen Miß-
bräuchen leidet, durch eine neue Conſtitution wieder hergeſtellt,
der Schild aller Unterdrückten ſein könne. Auch wünſchen wir
derart zu handeln, daß alle andern dem öffentlichen Wohl
nützlichen Vorſchläge zur Ausführung gebracht würden. — —
Wir verſichern im Angeſicht des Vaterlandes, daß unſer ein-
ziger Zweck die Erhaltung des Friedens und der Autorität der
Krone, der heiligen Kirche und des römiſch-katholiſchen Glau-
bens, unſrer Geſetze und Freiheiten iſt, für welche wir zu leben
und zu ſterben bereit ſind.“ 1)
Dieſes vom 17. Oct. datirte Manifeſt unterſchrieben der
Primas Komorowski, die Biſchöfe Zaluski von Krakau, Dem-
bowski von Kujavien, Sierakowski von Przemysl, Leſtki von
Kulm, die beiden Kanzler der Krone und Lithauens, Mala-
chowski und Czartoryski, der Großgeneral Lithauens, Radzivil,
Podoski Palatin von Plock und eine Reihe von Landboten,
unter welchen ſich auch der junge Stanislaw Poniatowski be-
findet. Am 25. Oct., am Tage nach der Zerreißung des
Reichstages, brachte man daſſelbe dem Krongroßfeldherrn Bra-
[95] nicki, als dieſer grade die Mehrzahl der Senatoren bei ſich zu
einer Berathung verſammelt hatte. Man ſtellte ihm vor, daß
das vom Primas und den Biſchöfen u. a. bereits unterſchrie-
bene Manifeſt keinen anderen Zweck habe, als den König, der
durch die Zerreißung des Reichstages wegen angeblichen Bruchs
der Pacta conventa höchlichſt gekränkt ſei, einigermaßen zu
tröſten und zu beruhigen, und der Krongroßfeldherr, der in
dieſem Augenblick keinen ſeiner vertrauten Berather bei ſich
hatte, ließ ſich leicht überreden und unterſchrieb, worauf das
Manifeſt in einen großen Saal gebracht ward, in welchem man
eine zahlreiche Menge von Landboten u. a. bereits verſammelt
hatte. Während nun hier der Palatin von Plock, Podoski,
die Zweifelnden mit der Feder in der Hand zur Unterſchrift
drängte, erſchien plötzlich Mokranowski, welcher von einigen
Landboten, die, ohne zu unterſchreiben, ſich entfernt hatten, von
dem, was vorging, unterrichtet worden war, in dem Saal,
bemächtigte ſich unter dem Vorwande auch ſeinerſeits von dem
Manifeſt Kenntniß nehmen zu wollen des Actenſtücks, und eilte
mit ihm durch eine Hinterthür zum preußiſchen Geſandten, bei
welchem eben zufällig in dieſem Augenblick auch Graf Broglie
war. Aufgeregt und faſt athemlos kann er ihnen nur die
Worte zurufen: ſiehe da, die Conföderation, deren ich mich
ſo eben in Mitte von 300 Perſonen bemächtigt habe. Die Ge-
ſandten überraſcht und erſtaunt ſenden ſofort zu ihren polniſchen
Freunden, den Palatinen von Belz und Smolensk, um mit
ihnen zu berathen, wie der drohende Schlag zu pariren ſei.
Deren erſter Gedanke war, ein Gegenmanifeſt zu erlaſſen und
der Conföderation eine Gegenconföderation entgegenzuſetzen:
man würde dann ſehen, meinte der Palatin von Smolensk,
wer der ſtärkere ſei. Allein die Geſandten waren anderer
Anſicht. Sie wollten es nicht zu dem Äußerſten eines Bürger-
krieges kommen laſſen, deſſen Ausbruch Rußland ſofort zum
Einſchreiten mit Waffengewalt benutzen und ihre Regierungen
nur in neue Verwicklungen führen würde. Im Beſitz des
Originals des Manifeſtes mit allen Unterſchriften, erachteten
ſie daſſelbe als ſchon jetzt nicht mehr vorhanden, und daher
[96] ein Gegenmanifeſt für überflüßig. Ihrer Anſicht nach käme
es nur darauf an, dem Krongroßfeldherrn die Augen zu
öffnen und ihn zum Rücktritt von dem Manifeſt zu bewegen.
Der Palatin von Smolensk übernahm es, den Verſuch zu
machen. Er eilte ſofort zum Krongroßfeldherrn, bei welchem
er den Großkanzler traf und ſetzte in Gegenwart deſſelben dem
General auseinander, daß das Manifeſt, das er unterſchrieben,
der Anfang einer Conföderation ſei, daß man ſein Vertrauen
ſchmählich getäuſcht und ihn zu einem Schritt verleitet habe,
der ſeine Ehre als Patriot in Frage ſtelle. Branicki, von
Natur und durch Alter ſchwach und unentſchieden, gerieth in
die größte Beſtürzung, und als der Kanzler ſich der für ihn
peinlichen Scene entzogen hatte, beſchwor jener den Palatin,
ihm das Manifeſt wieder zu verſchaffen. Nun erſt trat
Mokranowski ein, und wurde von Branicki mit den wärmſten
Dankesworten empfangen. Das Manifeſt ward zerriſſen und
die Conföderation, welche auf Grund deſſelben auf den Relations-
landtagen ins Leben gerufen werden ſollte, war im Keime
erſtickt 1).
Es war die erſte große Niederlage, welche die „Familie“
erlitt, um ſo ſchmerzlicher für ſie, als der Abfall Branicki’s
von ihr ſie herbeiführte. „Wir werden“ — ſchrieb Maltzahn
triumphirend nach Hauſe — „den Krongroßfeldherrn für immer
mit den Czartoryskis und deren Faction auseinander bringen.“
Bald folgte eine zweite für ſie noch empfindlichere. Im Spät-
herbſt 1752 war Graf Broglie mit dem Hofe nach Dresden ge-
gangen. Von dort ſetzte er ſeine Bemühungen, die große nor-
diſche Liga gegen Rußland und Öſtreich zu Stande zu bringen,
unermüdlich fort. Mit den franzöſiſchen Geſandten in Kopen-
hagen, Stockholm und Conſtantinopel ſtand er in unausgeſetzter
Correſpondenz, und da Polen ſo zu ſagen das Pivot der Liga
ſein ſollte, ſo ſparte er keine Mühe und kein Geld, die Parthei
Frankreichs dort zu vergrößern und zu ſtärken. Seine Stel-
[97] lung zu der geheimen Cabinetspolitik Ludwigs XV., ſo wie
ſeine weit ausſehenden politiſchen Pläne, theilte er nur Mokra-
nowski und einigen anderen großen Herren mit. In Dresden
mißtraute man ihm. Die Königin ſelbſt mußte ſich in einem
Briefe an ihre Tochter über ihn beklagen, und das Miniſterium
in Paris mißbilligte in der That ſein Treiben. Aber der
König ſelbſt hielt ihn, und vergebens ſtellte Brühl den Polen
vor, welches Vertrauen ſie zu einem Geſandten haben könnten,
deſſen Schritte ſein eignes Miniſterium nicht billige, deſſen
Abberufung bald erfolgen werde. Da er aber doch nicht ab-
berufen ward, glaubten die Polen, daß Ludwig XV. den Pa-
trioten noch günſtiger ſei, als dies der officielle Geſandte am
Hofe zeigen könne. Auch verſchmähte Broglie es nicht, den
Frauen, die in Polen damals ſtets einen bedeutenden Einfluß
übten, den Hof zu machen. Die Töchter Brühls, die Frau
des Hofmarſchall Mniszeck, die Woiwodin von Krakau, Lubo-
mirska, u. a. gewann er für ſich. „Miſſionäre dieſer Art“,
ſchrieb er nach Paris, „haben es immer leicht, Proſelyten zu
machen.“ Bereits im Herbſt 1753 glaubte der Hof von Wien
zu wiſſen, daß für den Plan, Conti auf den polniſchen Thron
zu erheben, die ganze Potockiſche Parthei gewonnen ſei und
Frankreich daran arbeite, durch eine Alliance mit der Pforte
und die Unterſtützung des Königs von Preußen die Sache
durchzuführen. Dem Berliner Hof ſtellte er vor, wie ſehr es
dem preußiſchen Intereſſe zuwider ſei, die Wahlfreiheit in Polen
durch die Übermacht Rußlands faſt gänzlich vernichten und
künftig nur ſolchen Kandidaten zur polniſchen Krone gelangen
zu laſſen, welcher von Rußlands Führung vollkommen abhänge
und daher für Preußen ein ſehr unbequemer Nachbar werden
könne; Rußland aber habe bereits den Entſchluß gefaßt, eine
Armee von 60000 Mann in Liefland zuſammenzuziehen 1). In
derſelben Zeit im Verlauf des Jahres 1753 wurden aber auch
die Beſtrebungen Mniszecks lebhafter und erfolgreicher, Brühl
und die „Familie“ dadurch auseinander zu bringen, daß er
Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 7
[98] aus deren Gegnern eine neue Hofparthei zu bilden bemüht
war. In der That näherte ſich die bisherige Oppoſition, die
Rzewuski, Malachowski, Kraſinski, Wielopolski, Zaluski, und
in Lithauen die Radzivil, Sapieha, Oginski dem Hofe, und
Brühl berückſichtigte ſie je länger je mehr bei der Austheilung
der Gnaden des Königs. Die bisweilen ſchroffe, ſarkaſtiſche
Weiſe des lithauiſchen Kanzlers hatte ihn ſchon lange verſtimmt;
vollends erbittert aber ſoll er gegen die „Familie“ dadurch
geworden ſein, daß ſie eine Familienverbindung mit ihm, die
er wünſchte, mit wenig verdecktem Stolz ablehnte 1). Den
offnen Bruch führte ein Streit über das Ordinat (Majorat)
von Oſtrog herbei, der mehrere Jahre hindurch die geſamte
Republik in Spannung und Aufregung hielt. Der polniſche
Adel hat die Errichtung von Majoraten zu keiner Zeit geliebt;
ſie ſchienen ſeiner Rechtsgleichheit gefährlich, und es gehörte eine
Bewilligung des Reichstags zu ihrer Gründung. Eine ſolche
hatte der Fürſt Janusz Oſtrogski im Jahre 1609 erlangt.
Aus altruſſiſchem, griechiſch gläubigem Geſchlecht, war er in
ſeiner Jugend zum Katholicismus übergetreten und ſtand ſpäter
als Kaſtellan von Krakau und ſeines coloſſalen Reichthums
wegen in hohem Anſehen. Er ſoll bei ſeinem Tode außer
einem reichen Schatz von goldnen und ſilbernen Geräthen,
Kleinodien, Perlen u. dgl. in baarem Golde an 300,000 un-
gariſche Dukaten hinterlaſſen haben 2); ſeine zahlloſen Güter
aber, deren Hauptmaſſe in Volhynien und den andern ruſſi-
ſchen Landſchaften lag, hinterließ er vereinigt als Ordinat von
Oſtrog, mit der Verpflichtung des jedesmaligen Beſitzers, eine
Kriegsſchaar von 600 Mann auf ſeine Koſten zur Verthei-
digung der Republik jeden Augenblick bereit zu halten. Im
Falle des Ausſterbens des Mannsſtammes der Oſtrogski ſollte
das Ordinat auf den Mannsſtamm ſeiner an einen Fürſten
Zaslawski verheiratheten Tochter, und nach deſſen Ausſterben
auf den von ſeiner Schweſter ſtammenden Mannsſtamm der
[99] Radzivil-Birz-Sluck, endlich, wenn auch von dieſem keiner vor-
handen ſei, auf den Orden der Malteſer übergehen. Andert-
halbtauſend Dörfer, Städtchen und Städte gehörten zum Or-
dinat; die einen waren ſo zu ſagen die Tiſchgüter des jedes-
maligen Ordinatsherrn, die andern wurden an den Adel zu
theils lebenslänglicher, theils zeitweiliger Pacht ausgethan. Nach
des Stifters Tode ging das Ordinat, da er keinen Sohn
hinterließ, an die Fürſten Zaslawski über; von dieſen kam es,
als ihr Mannsſtamm im Jahre 1673 ausſtarb, und die von
dem Stifter für dieſen Fall zur Succeſſion berufene Linie der
Radzivil gleichfalls erloſchen war, an den Sohn der Schweſter
des letzten Zaslawski und des Hofmarſchalls Lubomirski, deſſen
männliche Nachkommenſchaft wiederum 1720 mit Alexander,
Staroſt von Sandomir, ausſtarb. Schon im Jahre 1673
hatte ein Mitglied des Malteſerordens, Hieronymus Auguſtin
Fürſt Lubomirski, Adminiſtrator der Abtei Tyniec, das An-
recht des Ordens geltend zu machen verſucht, welches jetzt
Auguſt Czartoryski, der vielleicht grade im Hinblick auf das-
ſelbe in den Orden getreten war, durchzuſetzen ſich bemühte.
Als Generalbevollmächtigter des Ordens verbreitete er im
Lande gedruckte gründliche Informationen, wahrſcheinlich in der
Hoffnung als Prior oder Commandeur in dem Ordinat ſeine
lebenslängliche reiche Verſorgung zu finden. Andrerſeits erhob
der Fürſt Paul Sanguſzko, der mit der Schweſter Alexander
Lubomirski’s verheirathet war, auf dieſe Verwandtſchaft ge-
ſtützte Anſprüche und ſetzte ſich mit Waffengewalt in Beſitz.
Allein König Auguſt II., der das Ordinat am liebſten für die
Krone eingezogen hätte, jedenfalls aber daſſelbe in ihm zuver-
läßigen Händen ſehen wollte, erklärte ſich entſchieden gegen die
Anſprüche beider Prätendenten, und ſandte den General Po-
niatowski und Jan Tarlo, den Woiwoden von Lublin, nach
Dubno, der Hauptfeſte des Ordinats, um dieſe und ſämtliche
Güter unter den Sequeſter der Krone zu nehmen. Auf die
Nachricht, daß Sanguszko ſich in Beſitz geſetzt, war ſein erſter
Gedanke, dieſen mit Gewalt zu vertreiben; er unterließ es je-
doch bei reiferer Überlegung, und ſeine Bevollmächtigten ſchloſſen
7*
[100] mit Sanguszko einen Vertrag (7. Juli 1721), nach welchem
dieſer vorläufig bis zu der Entſcheidung des nächſten Reichs-
tages in Beſitz bleiben ſollte. Man ſagte, Poniatowski habe
von ihm hiefür 30,000, Tarlo 70,000 fl. erhalten. Auf dem
nächſten Reichstag (5. October 1722) proteſtirten jedoch von
Sanguszko, wie man ſagt, beſtochne Landboten gegen die Com-
petenz des Reichstagsgerichts in dieſer Sache, wie gegen den
Orden von Malta, und der Stolnik von Volhynien, Czacki, ein
Nachbar Sanguszko’s, hemmte die Activität des Reichstags, der
ſchließlich (16. November) gänzlich zerriſſen ward. Die San-
guszko blieben ungeachtet mehrerer Gegenbeſtrebungen ſeitdem
über dreißig Jahre im Beſitz und Genuß des Ordinats 1).
Wie reich aber auch deſſen Einkünfte waren, ſie reichten
für das Leben, welches der Fürſt Janusz, lithauiſcher Hof-
marſchall, führte, nicht aus. Er gehörte zu den berühmteſten
Säufern ſeiner Zeit 2), jeder Art von Lüderlichkeit und Aus-
ſchweifung ergeben. Die Folge waren ungeheure perſönliche
Schulden, da das Majorat nicht belaſtet werden durfte. Zuletzt
wußte er ſich vor dem Drängen der Gläubiger nicht anders
zu retten, als daß er von Dubno nach Kolbuszow im Sando-
mirſchen entfloh. Kinderlos, wie er war, verfiel er dann auf
den Gedanken, das Ordinat an mehrere Familien, welche zum
Theil Anſprüche auf daſſelbe zu haben glaubten, in einzelnen
Parcellen zu verkaufen. Mit dem Erlös hoffte er ſich von
ſeinen Schulden befreien und außerdem nach ſeiner Art weiter
leben zu können. Zwar war es mindeſtens zweifelhaft, ob er
[101] ein Recht zum Verkauf habe; er war nur Nutznießer, nicht
Eigenthümer; „wer aber“, ſchreibt Szujski, „war in dieſer
Zeit gewohnt, ſich ans Recht zu kehren“. Am 7. Dezember
1753 ward der Kauf zu Kolbuczow abgeſchloſſen. Die erſten
Familien der Republik, die Lubomirski, Sapieha, Potocki, der
Kanzler der Krone Malachowski und auch der Woiwode von
Rußland Auguſt Czartoryski, betheiligten ſich an ihm; der da-
mals berühmteſte Advocat und Rechtsconſulent der Czartoryski
hatte den Vertrag verfaßt.
Als er bekannt ward, rief er eine weitverbreitete und ge-
waltige Aufregung in der Republik hervor. Alle ſo zahlreichen
Gegner der Czartoryski ergriffen ſofort die günſtige Gelegen-
heit gegen dieſe gewiſſermaßen Sturm zu läuten. Der Adel,
der auf den Gütern des Ordinats ſaß, erhob laute Klage, und
die Miliz, welche, obwohl ihre fernere Erhaltung in dem Kauf-
vertrage trotz der Zerreißung des Ordinats geſichert war, den-
noch ihre Zukunft gefährdet glaubte, wandte ſich an Branicki
und forderte von ihm als Krongroßfeldherrn Schutz und Hilfe.
Branicki ſchrieb an den König nach Dresden, und ging per-
ſönlich nach Lemberg, woſelbſt ſich mit ihm der Unterfeldherr
der Krone Rzewuski, der lithauiſche Großhetman Radziwil,
einige Biſchöfe und Senatoren, ſo wie ein zahlreicher Adel aus
Volhynien, Podolien und Rußland zuſammenfanden. Sie er-
ließen von dort ein Manifeſt, in welchem ſie gegen die Thei-
lung des Ordinats proteſtirten, und ſchickten es an die Grod-
gerichte, in welchen es faſt überall zahlreiche Unterſchriften
fand.
Als die Kunde von all dieſem nach Dresden kam, erkannte
Broglie ſogleich mit ſcharfem Blick die Bedeutung der Sache
und wie er ſie im Intereſſe Frankreichs und ſeiner Pläne aus-
beuten könne. Aus einigen alten Pergamenten entnahm er,
daß die Königin von Frankreich, Maria Leszczynska, in irgend
einer Verwandtſchaft mit den Fürſten Oſtrogski ſtände, und
dies genügte ihm in ihrem Namen den Proteſt gegen den
Kauf zu unterſchreiben. Auch ließ er es ſicher nicht daran
fehlen, Branicki zu weiterm entſchiedenen Handeln aufzuſtacheln,
[102] wie denn dieſer in der That Mokranowski an der Spitze von
Krontruppen nach Dubno ſandte und durch ihn die Feſtung
wie die Güter des Ordinats beſetzen ließ. Auf der andern
Seite rüſteten ſich die Lubomirski Dubno wieder zu nehmen;
Streitſchriften für und wider erfüllten das Land und ver-
mehrten die Aufregung; es ſchien, als ob es dieſer Frage wegen
zum Bürgerkriege kommen werde. Man ſprach von einer Con-
föderation und bereits wandten ſich die Gegner der Czarto-
ryski an Broglie, er ſolle ihnen die Geldmittel ſchaffen, ſich
zu rüſten. Branicki forderte zur Ausrüſtung der Kronarmee
allein 60,000 Dukaten, und erklärte gleichzeitig dem preußiſchen
Reſidenten, daß er für den Fall einer Unterſtützung der Czar-
toryski durch ruſſiſche Truppen auf eine gleiche Hilfe von
Preußen vertraue 1). Auch Broglie’s heißeſter Wunſch war
die Conföderation; ſie ſollte den Einfluß Rußlands durch den
Sturz der Czartoryski verdrängen, und überhaupt der Anfang
der Ausführung ſeiner weitausſehenden Pläne ſein 2). Aber
Geld hatte auch er nicht und half ſich daher mit Verheißungen,
während ſein Miniſterium in Paris darüber in Schrecken ge-
rieth, daß die Freunde Frankreichs ſich conföderiren wollten.
Es erwog, wie Frankreich, durch ganz Deutſchland von
Polen getrennt, ſeinen Freunden dort helfen ſollte, falls die
Ruſſen zu Gunſten der Czartoryski einrückten? Selbſt Conti
ſchrieb an Broglie, der König wolle keinen gewaltſamen Zu-
ſammenſtoß der Partheien; nur wenn die Czartoryski — welchen,
wie Broglie wiſſen wollte, Williams Geld und der ruſſiſche
Geſandte Truppen angeboten hatten — zuerſt angriffen, ſei er
geneigt, etwas Geld herzugeben. Inzwiſchen wandte ſich der
Primas Komorowski, ein Freund der Czartoryski, an den
König, den Sturm zu beſchwören. Auf ſeine Vorſtellung be-
fahl dieſer Branicki, die Krontruppen von Dubno wegzuziehen
und mahnte gleichzeitig die Lubomirski von allen Gewalt-
ſchritten ab. Aller Erwartung wandte ſich nun dem bevor-
[103] ſtehenden Reichstage zu. Am 21. Juni 1754 kam Auguſt
nach Warſchau und erließ von dort aus die üblichen Univer-
ſalien zur Berufung des Reichstags. Wenn man ſie liest,
ſollte man meinen den beſten der Könige vor ſich zu haben.
Er giebt ſich darin zunächſt ſelbſt das Zeugniß, daß er nicht
daran Schuld ſei, daß „das liebe Vaterland von allem guten
Rath entblößt, entkräftet und beinahe ohne Leben ſei. Er habe
nie eigennützige Abſichten weder für ſeine Perſon noch ſeine
Dynaſtie gehegt, ſondern ſtets nur das Wohl der Republik,
ihre Befeſtigung, die Abſtellung von Mißbräuchen, eine gute
Rechtspflege und Verwaltung, und die Vermehrung der Armee
im Auge gehabt. Auch jetzt wolle er als ein liebreicher Vater
allein für ſeiner Kinder Beſtes ſorgen; auch ſie möchten ſich
als ächte und wohlgeartete Söhne des Vaterlandes erweiſen.
Er hoffe darauf, damit nicht auch dieſer Reichstag fruchtlos
bleibe, ſondern der Anfang des Wohlergehens werde.“ 1) Am
19. Auguſt fanden die Landtage ſtatt, auf welchen es, wie her-
kömmlich, vielfach zu ſchlimmen Gewaltſcenen kam. Viele, wie
die in Poſen, Kaliſch, Sieradz, Sandomir, Lublin, Brzesc,
Marienburg, Pommerellen, Volhynien, Rußland u. a., zer-
ſchlugen ſich, ohne daß es zur Wahl kam. In Lucko wurden
etwa 40 Edelleute verwundet und zu Brzesc ward ein Edel-
mann an Seite des lithauiſchen Schatzmeiſters Flemming in
Stücke gehauen; mit genauer Noth entging der letztere ſelbſt
der Lebensgefahr.
Am 30. September wurde der Reichstag eröffnet. Die
wichtigern Vorlagen der Regierung waren theils die ſo oft
und immer vergeblich vorgebrachten, wie Vermehrung des
Heeres und der Kroneinkünfte, Abſendung von Geſandten an
auswärtige Höfe u. a., theils neue aus den Zeitumſtänden her-
vorgangene, wie die Schlichtung der Oſtrogkiſchen Angelegen-
heit und der Irrungen, welche zwiſchen Adel und Klerus ent-
ſtanden waren.
Die Inſtructionen der größten Mehrzahl der Landboten
[104] wieſen dieſe an, den ungeſchmälerten Fortbeſtand des Ordinats
Oſtrog zu ſichern. Aber obgleich der Reichstag bis zum
31. October zuſammen blieb, kam es nicht einmal zur Wahl
eines Marſchalls. Hauptgegenſtand der Verhandlungen war na-
türlich die Frage über das Ordinat. Die einen wollten zu
keiner andern Berathung ſich herbeilaſſen, bevor nicht hierüber
entſchieden ſei; die andern proteſtirten dagegen. So ſtritt man
hinüber und herüber unter gegenſeitigen heftigen Vorwürfen,
bis man am 21. October erfuhr, der Landbote von Upita,
Strawinski, habe bei dem Warſchauer Grod einen Proteſt gegen
alles fernere Verfahren des Reichstages eingereicht. Die Ent-
ſcheidung über das Ordinat, behauptete er, gebühre nicht dem
Reichstage, ſondern den Gerichten; durch der erſtern Einmiſchung
in das Güterrecht des Landes ſei alle Freiheit der Republik
bedroht, woher er von ſeinem Recht des liberum veto Ge-
brauch mache. Er war, nach Kitowicz’ Bericht, von den Käufern
des Ordinats erkauft 1). Nun blieb zwar der Reichstag noch
bis zum 31. October in der Hoffnung zuſammen, daß der
Proteſt zurückgenommen werden könne; man ordnete ſogar eine
Deputation ab, Strawinski dazu zu bewegen. Allein er hatte,
wie es herkömmlich in ſolchen Fällen geſchah, nach ſeinem Proteſt
Warſchau ſofort verlaſſen, und es blieb nichts übrig, als den
Reichstag zu ſchließen. Höchſt beweglich klang die Schlußrede
des Marſchall des letzten Reichstages, Maſſalski. „Wie lange“,
ſagte er, „wird die an Barmherzigkeit wunderbare Vorſicht
Gottes dieſe zügelloſe Republik dulden? Die öffentlichen Be-
rathſchlagungen ſind nichts als eine Verhöhnung ihrer ſelbſt;
man darf nicht erſt lange rathen, welches Schickſal uns erwartet,
wofern wir uns nicht eher beſinnen wollen, bevor wir uns in
der Grube befinden.“ Darauf apoſtrophirte er die Landboten,
die der „Ruhm des Vaterlandes“ und das Leben für daſſelbe
zu laſſen bereit wären, ſie auffordernd bei ihrer Heimkehr
ihren Brüdern zu ſagen, wie „hinfällig die Reichstage ſeien,
aber doch auch zugleich, daß ſich noch Söhne des Vaterlandes
[105] fänden, welche im Stande wären, deſſen Noth und Angſt zu
ſtillen 1).
Solchergeſtalt endete auch dieſer Reichstag, wie ſeine Vor-
gänger. Der König aber ſetzte nach einem Senatsconſilium eine
Kommiſſion, aus dem Biſchof Andreas Zaluski, den drei Feld-
herren und fünf Mitgliedern des Adels beſtehend, ein, welche
ſich nach Dubno begeben, ein Inventar aller Güter des Or-
dinats aufſetzen und alle Beſitztitel revidiren ſollte. Die laufende
Verwaltung übertrug er dem Woiwoden von Inowraclaw,
Szoldrski, einem, wie es in der Acte hieß, „partheiloſen
Herren“; Sanguszko ward ein Unterhalt von 160,000 poln.
Gulden ausgeſetzt. Am 16. Dezember 1754 verließ Auguſt
Warſchau und ging nach Dresden zurück.
Dieſe Entſcheidung war das gemeinſame Werk von Broglie,
Branicki und Brühl. Der letztere, ſchon längſt innerlich der
Czartoryski überdrüßig und jetzt durch das Aufbrauſen der
öffentlichen Meinung gegen ſie und die Gefahr des drohenden
Bürgerkrieges erſchreckt und gereizt, äußerte zu Branicki, da
der gegenwärtige Nutznießer des Ordinats es nicht mehr haben
wolle, könne der König die Adminiſtration übernehmen. Bra-
nicki theilte dieſe Äußerung an Broglie mit, und beide kamen
überein, dem Miniſter 10,000 Dukaten anzubieten, wenn er
den Reichstag zerreißen und die Verwaltung des Ordinats zweien
von Branicki bezeichneten Patrioten übergeben wolle. Zum
Unterhändler zwiſchen ihnen und Brühl wählten ſie deſſen
Schwiegerſohn Mniszeck. Bei der erſten Conferenz erklärte
dieſer ihnen, der König ſei innerlich ſchon entſchloſſen, die Ver-
waltung des Ordinats an ſich zu nehmen, man könne daher die
10,000 Dukaten ſparen, und ſtatt ihrer Brühl eine jährliche
Penſion zuſichern. Durch ſie könne man ihn für den Verluſt
der Einnahmen, welche er von den Czartoryski beziehe, entſchä-
digen und dauernd für die Patrioten gewinnen. Hierauf ſtellten
[106] die andern ihm die 10,000 Dukaten zur Dispoſition. Am
28. October hatte die letzte Verhandlung zwiſchen ihnen ſtatt-
gefunden, am 31ſten wurde der Reichstag entlaſſen, und am
31. November erfolgte die Ernennung der Commiſſion, deren
Mitglieder überwiegend zu den Gegnern der „Familie“ gehörten.
Der ganze Hof war überraſcht und erſtaunt, die Czarto-
ryski wie von einem Donnerſchlage getroffen. Noch eine Stunde
bevor die Entſcheidung bekannt ward, ſoll nach Broglie’s Be-
richt Sir Williams, dem eine Andeutung von dem, was be-
vorſtehe, zugekommen war, um 100 Dukaten gewettet haben,
der König werde ſo etwas nicht wagen, es ſei ſchlechterdings
unmöglich. Nicht weniger wie der Engländer war auch der
Geſandte Rußlands aufs äußerſte beſtürzt 1). So viele Jahre
hatte Rußland in der Verbindung mit den Czartoryski am
Hof von Warſchau den größten Einfluß geübt; indem ſie ſanken,
mußte auch dieſer ſinken.
Die „Familie“ aber bot ſtolz dem Sturme die Stirn.
Zwiſchen ihr und Brühl war ein- für allemal das Tiſchtuch
zerſchnitten. Sie wirkte mit ihm nur noch zeitweiſe und äußer-
lich in den Geſchäften zuſammen; dann trat ſie in die ent-
ſchiedenſte Oppoſition gegen ihn und den Hof 2).
[[107]]
7. Der ſiebenjährige Krieg. Die Czartoryski
in der Oppoſition gegen den Hof.
Man weiß, wie lebhaft in den beiden Jahren, welche dem
Ausbruch des ſiebenjährigen Krieges vorausgingen, der diplo-
matiſche Kampf der beiden ſich gegenüberſtehenden Staaten-
ſyſteme ward, und wie dann der unerwartete Umſchlag der
öſtreichiſchen Politik eben jenen Krieg herbeiführte. Auch die
Republik ward, obwohl ſie als ſolche an jenen diplomatiſchen
Kämpfen keinen activen Theil nahm, dennoch durch ſie außer-
ordentlich bewegt. Graf Broglie ſtrebte natürlich den Sieg,
welchen er über die Czartoryski und den ruſſiſchen Einfluß in
Warſchau errungen hatte, mit dem ganzen Ungeſtüm ſeiner
Natur für die Politik, die er vertrat, noch fruchtbarer zu
machen. Anfangs ſchien es, als ob Rußland ſeine Freunde in
Polen nicht im Stich laſſen werde. Rulhiere will wenigſtens
wiſſen, daß der Petersburger Hof die Drohung ausgeſprochen
habe, als Garant der Verfaſſung und Freiheit der Republik,
welche der König durch die Anordnung der Sequeſtration des
Ordinats Oſtrog verletzt habe, ſeine ganze Macht für die
Czartoryski einſetzen zu wollen. Überall im Lande habe man
von dem nahe bevorſtehenden Einmarſch ruſſiſcher Truppen ge-
ſprochen, und die Czartoryski hätten eine Sprache und Haltung
angenommen, als wenn ſie entſchloſſen geweſen wären, die
[108] Waffen zu ergreifen, ja ſelbſt den Thron für erledigt zu er-
klären 1). Allein weder das eine noch das andere trat ein.
Allerdings nahm Rußland ſich ſeiner Freunde an. Der Re-
ſident Groß wurde beauftragt, Brühl ſehr nachdrückliche Vor-
ſtellungen darüber zu machen, daß bei der Vertheilung der
Ämter und Würden die Freunde Frankreichs begünſtigt, die
Freunde Rußlands zurückgeſetzt würden. Der ganze Vorgang
characteriſirt, wie ſchon damals die Stellung Rußlands zu
Polen war. Am 20. März 1755 hatte Groß ſeine Audienz
bei Brühl, an der auch Williams Theil nahm. Gleich anfangs
unterbrach Brühl in großer Gereiztheit das Vorleſen der
ruſſiſchen Note. Die Kaiſerin, meinte er, müſſe ohne Zweifel
über die Aufführung der Czartoryski falſch berichtet ſein, weil
ſie ſonſt „den Feinden des Königs“ nicht beiſtehen würde.
Mehrmals wiederholte er: „Se. Majeſtät wird ſich vor jenen
nie beugen“ und beſtritt lebhaft dem Petersburger Hofe das
Recht, Vorſtellungen ſolcher Art zu machen. „Se. Majeſtät“,
ſagte er, „wird es nicht dulden, daß man ihr Geſetze vor-
ſchreibt, ſie würde, wenn der Kroneid ſie nicht davon abhielte,
lieber auf die Krone verzichten. — Eine Veröffentlichung dieſer
Note würde den größten Aufruhr in Polen hervorbringen;
ſchon jetzt brüſteten ſich die Czartoryski und deren Freunde mit
der Protection Rußlands.“ Als dann Groß darauf hinwies,
daß die Note in voller Übereinſtimmung mit dem Tractat von
1716 ſei, der Rußland die Verpflichtung auferlegt habe, alles
abzuwenden, was in Polen zur Erweckung des Partheigeiſtes,
zum Streit des einen Theils der Nation mit dem andern oder
mit der Regierung führen könne, rief Brühl zornig aus: „Der
König allein hat das Recht, dieſe oder andre Maaßregeln zur
Erhaltung der Ruhe in ſeinem Reich zu ergreifen“, worauf
Williams bemerkte, der König habe 1716 einen Vertrag mit
ſeinen Unterthanen geſchloſſen, deren Garantie Rußland mit
Einſtimmung beider Contrahenten übernommen habe; unmög-
lich könne der König über die Haltung dieſes Vertrages Parthei
[109] und Richter zugleich ſein. Brühl wiederholte, der König würde
lieber dem Thron entſagen, als ſolche Vormundſchaft, käme ſie,
von wem ſie wolle, über ſich zulaſſen; er beſäße hinlängliche
Macht, um ſeine hochmüthigen Unterthanen zu bändigen.
Allein trotz all dieſer tapfern Erklärungen Brühls blieb doch
die Vorſtellung auf ihn nicht ohne alle Wirkung. Er nahm
thatſächlich mehr Rückſicht auf die Candidaten, die Rußland
empfahl 1); wie es denn überhaupt ſein Syſtem war, die
Partheien in Polen in einem gewiſſen Gleichgewicht zu halten 2).
Allein der Strom der öffentlichen Meinung war einmal den
Patrioten günſtig. Der Hof ſöhnte ſich ſichtlich mit ihnen
aus; Mokranowski erhielt eine Staroſtei mit reichen Einkünften
und von Ludwig XV. den Titel eines franzöſiſchen Generals.
Zugleich wuchs die Zahl der Anhänger Frankreichs, und je
mehr ſie wuchs, um ſo eifriger trieb Broglie vorwärts. Ihm
war es weniger um die dereinſtige Erhebung Conti’s auf den
polniſchen Thron, als um die Durchführung ſeiner umfaſſenden
politiſchen Pläne zu thun; Frankreichs Intereſſe ſtand ihm
höher, als das Conti’s; konnte er ſein Ziel mit dem Hauſe
Sachſen leichter erreichen, ſo mußte Conti zurücktreten. Der
Krongroßfeldherr Branicki ging lebendig in alle ſeine Ideen
ein. Er traf eifrig alle Vorbereitungen zu einer Conföderation,
an die der König ſich anſchließen ſollte; arbeitete fleißig daran,
die Kronarmee ſchlagfertig zu machen, und ſandte einen Agenten
nach Conſtantinopel, um eine Verſtändigung mit der Pforte
einzuleiten und im Verſtändniß mit dem dortigen franzöſiſchen
Geſandten, die Türken zu einem mit Polen gemeinſchaftlichen
Angriff auf Rußland zu treiben 3).
Dieſer Umſchlag der Partheiverhältniſſe und die ſich an
ihn anſchließenden Bewegungen in Polen blieben auch an andern
Höfen nicht unbemerkt. Selbſt Kaunitz legte den Umtrieben
der franzöſiſchen Politik in Polen eine große Bedeutung bei,
[110] und da er noch immer meinte, es handle ſich dabei in erſter
Reihe um die Abſicht Ludwigs XV., den Prinzen Conti dort
auf den Thron zu bringen, war er bereit um den Preis eines
Bündniſſes mit Frankreich unter die dieſem zu machenden Con-
ceſſionen auch die einer Unterſtützung jener Abſichten aufzu-
nehmen. Zwar verkannte er nicht die Nachtheile für Öſtreich,
wenn ein franzöſiſcher Prinz in Warſchau herrſche, allein er
erachtete ſie durch die Wiedereroberung Schleſiens reichlich auf-
gewogen (Mitte Auguſt 1755 1).
Um dieſelbe Zeit ging Graf Broglie mit Urlaub nach
Paris. Er betrieb dort eine nähere Vereinigung Sachſens
mit Frankreich und kam im November mit dem Entwurf eines
Subſidientractats nach Dresden zurück. Ein ähnlicher von
Seiten Sachſens mit England früher abgeſchloſſener Vertrag
lief mit Ende des Jahres ab. Sachſen konnte der Subſidien
nicht entbehren. Bereits im Frühjahre hatte es durch ſeinen
Geſandten im Haag Frankreich eine Andeutung davon zu-
kommen laſſen 2); es war die günſtigſte Gelegenheit den
Dresdner Hof ganz zu Frankreich hinüberzuziehen. Frankreich
bot 2 Millionen, wofür Sachſen ein Corps von 6000 Mann
für den franzöſiſchen Dienſt bereit halten und zugleich ſich ver-
pflichten ſollte, am Reichstage ſo zu ſtimmen, wie Frankreich
es wünſche. In Betreff Polens aber ſollte Auguſt III. ſich
verpflichten, keinen ruſſiſchen Soldaten über die Gränze zu
laſſen, und im voraus jene Conföderation genehmigen, an deren
Bildung Branicki im Einverſtändniß mit Broglie arbeitete, und
von der ſie hofften, daß ſie einen gewaltſamen Einmarſch der
Ruſſen werde verhindern können. Die letzte Bedingung einzu-
gehen, konnte man ſich indeß in Dresden nicht entſchließen
und brach am 11. Dezember vorläufig dieſe Unterhandlungen
ab 3).
[111]
Inzwiſchen hatte Frankreich bei ſeinen gleichzeitigen Unter-
handlungen mit Friedrich II. auch dieſem die Mittheilung ge-
macht, daß es, um Preußen gegen einen etwaigen Angriff von
Rußland ſicher zu ſtellen, eine Conföderation in Polen ins
Leben rufen wolle, um den Durchzug der Ruſſen mit gewaff-
neter Hand zu verhindern 1). Allein Friedrich lehnte ſchließlich
alle franzöſiſchen Anträge ab und ſchloß am 18. Januar 1756
ſeinen Vertrag mit England. Er veränderte die geſamte po-
litiſche Situation und brachte die Entwickelung derſelben in
raſchern Fluß.
Auch in Polen ward ſeine Wirkung faſt augenblicklich be-
merkbar. Der Krongroßfeldherr ſtellte die Ausrüſtung der
Armee, ſo wie die Vorbereitungen zu einer Conföderation ein,
und rief ſeine Agenten von Conſtantinopel zurück 2). Ver-
gebens bemühte ſich Broglie durch Mokranowski, ſeine Frau
und ſeine Schweſter, die Fürſtin Lubomirski, auf ihn zu wirken;
„der Alte zog ſeine Segel ein, um abzuwarten, welcher Wind
ſich erheben würde“.
Während Broglie ſolchergeſtalt das ganze Jahr 1755 hin-
durch, ohne alle Kenntniß der Verhandlungen, welche zwiſchen
Öſtreich und Frankreich gleichzeitig in der Stille ſpielten, ſeine
antiruſſiſche Politik betrieb, unterhandelte England gleichfalls
noch in der Richtung ſeines bisherigen politiſchen Syſtems
eifrigſt in St. Petersburg, um ſich durch einen neuen Sub-
ſidienvertrag die Hilfe Rußlands für den Ausbruch des Krieges
mit Frankreich, namentlich gegen einen Angriff Preußens auf
Hannover, zu ſichern. Die Unterhandlung führte Sir Wil-
liams, der zu dieſem Zweck von Dresden nach Petersburg ver-
ſetzt war, woſelbſt er am 16. Juni 1755 ankam.
Von Warſchau her mit den Czartoryskis enge befreundet,
von welchen er den Woiwoden von Rußland beſonders hoch
ſchätzte 3), forderte Williams deſſen Neffen, den jungen Sta-
[112] nislaw Auguſt Poniatowski auf, ihm nach Petersburg zu
folgen. Den Czartoryskis wie den Poniatowskis konnte es
nur erwünſcht ſein, daß der junge Mann den Hof von Peters-
burg perſönlich kennen lerne, dort ihr Intereſſe wahrnehme
und Verbindungen für die Zukunft knüpfe. Bekannt iſt, welche
Folge ſeine Reiſe für die ganzen ſpäteren Geſchicke Polens
gehabt hat. Stanislaw Auguſt, der vierte Sohn ſeiner Eltern,
kurz vorher von ſeinen Reiſen durch Deutſchland, Holland,
Frankreich und England zurückgekehrt und eben 23 Jahre alt
(geb. 17. Januar 1732), vereinigte mit einer ſeltnen körper-
lichen Schönheit eine vielſeitige geiſtige Bildung, mit Heiterkeit
und Witz viel Herzensgüte und alle Vorzüge eines gewandten
Weltmannes. Durch Williams beim Hofe eingeführt, zog er
die Aufmerkſamkeit der kaum 3 Jahre ältern Großfürſtin Ka-
tharina auf ſich, und gewann ihre Liebe. Aus der Wärme,
mit der er noch in ſeinen ſpätern Lebensjahren, nach den
herbſten Erfahrungen, die ſie ihm bereitet, ſie ſelbſt, ſeine
erſte Bekanntſchaft mit ihr und ihren Liebesverkehr ſchildert 1),
erſieht man, wie tief der Eindruck war, den ſie auf ihn ge-
macht; er hat ihn Zeit ſeines Lebens nie völlig überwunden.
Gleichzeitig mit Williams unterhandelte Eſterhazy in Peters-
burg, um Rußlands für Öſtreich ſicher zu werden. Beiden
kam der Haß der Kaiſerin Eliſabeth gegen Friedrich II. ent-
gegen, und öſtreichiſches wie engliſches Gold wirkten auf die
ruſſiſchen Staatsmänner und Günſtlinge des Hofes. Anfang
Auguſt 1755 waren Rußland und Öſtreich im weſentlichen
einig, worauf von Wien die erſten Weiſungen für den öſt-
reichiſchen Geſandten nach Paris zur Einleitung eines Bünd-
niſſes mit Frankreich abgingen 2). Im September brachte
Williams ſeinen Vertrag zu Stande, nachdem er die Verſiche-
rung gegeben, die ruſſiſche Armee im Solde Englands ſolle
[113] nur gegen Preußen gebraucht werden 1). Aber der Vertrag
war in Folge von Formfragen noch nicht ratificirt, als die
Nachricht von dem Abſchluß Englands mit Preußen in Peters-
burg ankam. Die ganze politiſche Konſtellation war verändert:
der Vertrag blieb ein Stück Papier. Rußland trat vielmehr
dem franzöſiſch-öſtreichiſchen Tractat vom 1. Mai 1756 bei
und fing an ſeiner Gränze mit Polen an, ſeine Truppen zu-
ſammenzuziehen 2).
Nun klagten die Patrioten in Warſchau bei Durand und
in ihren Briefen an Broglie nach Dresden, was denn aus
ihnen werden ſolle, ob Frankreich ſie ſeiner neuen Freundſchaft
mit Rußland opfern wolle? Sie erhielten nur leere Worte.
Der franzöſiſche Bevollmächtigte in Petersburg, Douglas, habe
die Inſtruction, „ſeine guten Dienſte zu Gunſten der Polen
zu verwenden“; Ludwig XV. habe in Wien wie in Petersburg
Ordre gegeben, vorzuſtellen, daß „jedes Unternehmen gegen die
Rechte, Freiheit und die territoriale Integrität Polens dem
neuen Bündniß entgegen ſei“. Broglie erhielt die Weiſung,
er ſolle ſeine Sprache in Polen nicht ändern, ſondern fort-
fahren zu verſichern, daß „Se. Majeſtät ſtets die Freiheit der
Republik ſchützen werde, ſowohl durch die guten Dienſte, zu
welchen ihre neuen Verbindungen ihr die Möglichkeit gäben,
als auch durch die Begünſtigung (graces), welche die ihr Vater-
land liebenden Bürger von ihr erhalten würden, um ſie in den
Stand zu ſetzen, ihre Freiheit aufrecht zu halten“. Broglie
ſelbſt ſagte bei Empfang dieſer Inſtruction, dies Alles ſei
leichter geſagt als gethan. Er that, was er konnte, und for-
derte Douglas in Petersburg auf, ſich darum zu bemühen, daß
Rußland keine Truppen in Polen einrücken laſſe, ohne ſich vorher
mit Branicki geeinigt zu haben 3).
Rußland that grade das Gegentheil. Nicht mit den Pa-
trioten, ſondern mit ſeinen alten Freunden verhandelte es über
Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 8
[114] den Ein- und Durchmarſch ſeiner Truppen. Noch vor Aus-
bruch des Krieges, im Juni 1756, kam der General von
Weimarn nach Polen. Er hatte den Auftrag, den Führern
der ruſſiſchen Parthei perſönlich Mittheilung über die Abſichten
Rußlands zu machen, andern einflußreichen Perſönlichkeiten
Briefe zu ſenden, welche theils die Unterſchrift der Kaiſerin
ſelbſt, theils die des Großkanzlers Beſtucheff trugen; noch
andre Schreiben, welche ihm ohne Adreſſe mitgegeben wurden,
ſollte er denjenigen zukommen laſſen, welche ihm die Czartoryski
bezeichnen würden. Der General, deſſen Inſtruction ihn unter
andern auch anwies, auf eine gegenſeitige Annäherung und Ver-
ſtändigung der Partheien in Polen zu wirken, beſuchte zuerſt die
Wittwe des Woiwoden von Nowogrodeck, Fürſtin Radzivil.
Eine Ausſöhnung ihrer Familie mit den Czartoryski erklärte
ſie für außerordentlich ſchwer, wohl aber das Bündniß Polens
mit Rußland für die Grundlage des Wohles der Republik 1).
Von hier reiſte Weymarn nach Warſchau, um ſich mit dem
Kronkanzler Malachowski zu beſprechen, und fuhr dann nach
Pulawy, wo er beide Brüder Czartoryski traf. Sie nahmen
die Briefe der Kaiſerin mit der größten Ehrerbietung und
Dankbarkeit auf. „Dieſes Zeichen der höchſten Gunſt und des
Wohlwollens einer ſo großen, über Alle erhabnen Kaiſerin“, ſagte
Auguſt Czartoryski, „werde in ihrer Familie durch alle Jahr-
hunderte heilig bewahrt werden.“ Die Beſprechungen, über welche
der General in einer ſehr umfangreichen Depeſche vom 18. Sep-
tember berichtete, dauerten mehrere Tage. Gleich nach den
erſten Eröffnungen ſeinerſeits machten ihm die Czartoryski den
Vorſchlag, ihm einen Bericht über die Lage Polens an die
Kaiſerin in die Feder zu dictiren, welchen er durch einen ſichern
Courier abſenden ſolle. Jedes Wort, ſagten ſie, müſſe dabei
genau erwogen und das größte Geheimniß beobachtet werden.
Weymarn ging hierauf ein. Im Eingange zu dieſem Bericht,
welcher der Depeſche vom 18. September beiliegt, wird aus-
geführt, daß der Einfluß Rußlands in Polen zum Schaden
[115] beider Staaten merklich abgenommen habe, und daß dies wahr-
ſcheinlich ſeinen Grund nur in einer mangelhaften Information
der Kaiſerin in Betreff der polniſchen Dinge fände. Es ſei
zur Beſſerung vor allem nothwendig, von neuem die Conſti-
tutionen von 1717 nachdrücklich zur Anwendung zu bringen,
welche Polen Peter dem Großen verdanke und auf deren Er-
haltung die Ruhe, Freiheit und Wohlfahrt der Republik be-
ruhe. „Unſer Vaterland“, fuhren die Czartoryski fort, „würde
die Kaiſerin preiſen, wenn ſie das Beſtehen deſſelben mit den
wirklichen Intereſſen ihres Reiches ſo feſt verbände, daß keine
Veränderung in der Republik ohne Einverſtändniß mit Ruß-
land ſtattfinden könnte.“ Sie ſchilderten dann, wie Brühl und
Mniszek im Beſitz des unbegränzten Vertrauens des Königs,
den Einfluß aller andern ſo weit zurückgedrängt hätten, daß,
wer ſich nicht ihnen anſchließe, gleichſam in der Acht lebe.
Der Senat ſei verachtet, der größere Theil ſeiner Mitglieder
neige ſich auf die Seite, von welcher der Wind wehe; es ſei
mit einem Wort kein Gegengewicht mehr gegen die Parthei
vorhanden, welche ſich unter dem Einfluß Frankreichs durch die
Verbindung der Feldherren mit der Krone gebildet habe. Auf
einem der letzten Reichstage wären gegen 100,000 poln. Gulden
durch den franzöſiſchen Geſandten vertheilt worden, ganz abge-
ſehen noch von den Penſionen, welche eine große Zahl einfluß-
reicher Perſonen aus derſelben Quelle bezögen. Es ſei daher
ſowohl im Intereſſe Rußlands, wie in dem der Republik
dringend nothwendig, daß die Kaiſerin jenem einſeitigen Treiben
kräftig entgegenwirke, wozu ſie nach den Verträgen, in welchen
ſie mit der Republik ſtehe, ein volles Recht beſitze.
In Betreff der Mittel aber, welche der Hof von Peters-
burg zur Kräftigung ſeines Einfluſſes anzuwenden habe, kamen
die Czartoryski in allen Unterredungen immer darauf zurück,
daß „wie in allen Freiſtaaten, ſo insbeſondere in Polen ohne
Geld nichts zu machen ſei“. Im Verlaufe zweier Jahre, ſagte
der Kanzler, hätten ſein Bruder und ſeine Schwiegerſöhne
Sapieha und Flemming über 100,000 Albertusthaler geopfert,
um den Intriguen Frankreichs entgegenzuwirken; unmöglich
8*
[116] könnten Privatleute ſolche coloſſalen Ausgaben aus ihrem eignen
Vermögen beſtreiten, und es ſei daher durchaus nothwendig,
daß die Kaiſerin eine beſtimmte Summe für dieſe Zwecke be-
ſtimme. Befragt über die Höhe dieſer Summe, meinte dann
der Kanzler, zuweilen werde ſie höher ſein müſſen, zuweilen
kleiner ſein können. In dieſem Augenblick wären unumgänglich
100,000 Albertsthaler nothwendig; in den nächſten Jahren
könnten 25- bis 50,000 poln. Gulden genug ſein. Dieſe Summen
müßten aber ein- für allemal zur Dispoſition des ruſſiſchen
Geſandten ſtehen, ſo daß er, der Kanzler, zu jeder Zeit je
nach Maßgabe des Bedürfniſſes aus dieſem Fonds ſchöpfen,
und die einzelnen Summen nicht nur nach ſeinem Ermeſſen,
ſondern auch im Namen der „Familie“ vertheilen könne; das
letztere, damit die Empfänger nicht erführen, daß das Geld
vom ruſſiſchen Hofe käme, weil ſie entgegengeſetzten Falls, viel-
leicht — — mehr fordern dürften!
Und dies war nicht nur die Auffaſſung der Czartoryski.
Als General Weymarn am 1. October beim Fürſten Auguſt
den Primas, den Kronkanzler Malachowski, den alten Ponia-
towski, deſſen Sohn Stanislaw u. a. traf, waren ſie alle ein-
ſtimmig darin, daß Geld und ein nachdrückliches Halten auf
die Conſtitutionen von 1716—1717 von Seiten Rußlands
durchaus nothwendig wären 1). Mehr Geld und mehr Energie,
das war die Forderung, die Weymarn von allen Seiten ver-
nahm. Mahnte er ſie, ſeiner Inſtruction gemäß, den Hof
nicht zu reizen, ſondern ſich ihm zu nähern, dem Könige Zeichen
der größtmöglichſten Verehrung zu geben und den Anhängern
[117] der franzöſiſchen Parthei gegenüber ſo maaßvoll als möglich ſich
zu verhalten, — ſo antworteten ſie, ohne die geforderte Unter-
ſtützung würden alle dieſe Rathſchläge zum Maaßhalten bei ihrer
Parthei nichts fruchten; es würde ihr doch nichts übrig bleiben,
als der Gewalt mit Gewalt zu begegnen. „So viel ich be-
merken kann“, berichtete Weymarn, „werden dieſe Rathſchläge
kaum zu etwas führen. Es kann nicht anders ſein, als daß
der lithauiſche Kanzler gemäß ſeines angebornen Characters
zur Zeit einige anzügliche Reden über einige Perſonen der
Gegenparthei loslaſſen wird.“
Während der ruſſiſche General in Polen verhandelte, hatte
Friedrich II. bereits ganz Sachſen bis Dresden beſetzt, die
Öſtreicher bei Lowoſitz (10. October) geſchlagen und die ſäch-
ſiſche Armee im Lager bei Pirna zur Capitulation gezwungen
(17. October). König Auguſt erhielt darauf von ihm Päſſe
nach Polen; er kam am 27. October mit Brühl in Warſchau
an. Hier hatte bereits vorher (26. September) der franzö-
ſiſche Geſchäftsträger Durand erklärt, der König, ſein Herr,
ſei außerordentlich erſtaunt über die Nachricht, daß ein ruſ-
ſiſches Heer durch Polen den Öſtreichern zu Hilfe ziehen ſolle;
er fordere, daß die Republik ſich dieſem Marſche in jeder Weiſe
widerſetze 1). Einige Wochen nach dem Könige kam auch Graf
Broglie, von Friedrich II. aus Dresden gewieſen, nach Warſchau,
und es war wohl auf ſeine Veranlaſſung, daß der Krongroß-
feldherr Branicki alles aufbot, um den Marſch der Ruſſen
zu hindern. Mit dem größten Eifer bekämpften er und ſeine
Parthei im folgenden Winter dieſen Plan; die Aufregung in
Polen ward ſo groß, daß man in Wien fürchtete, es werde
ſich eine Conföderation in Polen bilden, um Gewalt mit Ge-
walt zu vertreiben 2). In der That ſcheint der Hof in War-
[118] ſchau im Januar und Februar 1757 einen plötzlichen Überfall
gefürchtet zu haben. Der König zog aus dem ſächſiſchen Palaſt
in das Schloß und die Wachen zogen ein paar Wochen mit
geladnen Gewehren und Geſchützen auf 1). Allein die Ruhe
ward in Warſchau nicht im mindeſten geſtört, und im Lande
erhob ſich keine Conföderation. Trotz aller ſo lebhaften Pro-
teſtationen der Patrioten, rückten die ruſſiſchen Truppen im
Frühjahr 1757, ohne irgend einen Widerſtand zu finden, in
das Gebiet der Republik ein. Mitte Juni ſchlug General
Apraxin ſein Hauptquartier in Kowno auf; gegen Ende Juni
2)
[119] überſchritten ſeine Truppen die Gränzen Oſtpreußens; am
5. Juli capitulirte Memel, und am 30. Auguſt ſiegten die
Ruſſen bei Großjägerndorf über das kleine Heer, welches
Friedrich ihnen nur hatte entgegenſtellen können. Ohne
dieſen Sieg zu verfolgen, kehrte Apraxin darauf nach Polen
zurück.
Inzwiſchen war der junge Stanislaw Poniatowski von den
Eltern im Auguſt 1756 aus Petersburg zurückgerufen worden,
damit er ſich zum Landboten für den im Herbſt bevorſtehenden
Reichstag wählen ließe. Er verließ Petersburg mit dem heißen
Wunſche baldmöglichſt wieder dorthin zurückzukehren, und die
Rückſicht, welche der Großkanzler Beſtucheff auf die Wünſche
der jungen Großfürſtin nahm, öffneten ihm den Weg dazu.
Ein Brief des Kanzlers an Brühl, der die Sendung des
Grafen als Geſandten der Republik empfahl, blieb um ſo
weniger ohne Wirkung, als auch Brühl im Hinblick auf die
Zukunft den „jungen“ ruſſiſchen Hof ſich zu verbinden
wünſchte. Der alte Poniatowski und die Oheime Czartoryski
kamen den Wünſchen des Sohnes und Neffen im Intereſſe der
„Familie“ entgegen; nur die Mutter, ſtreng religiös, fügte
ſich ſchwer. Die Schwierigkeit lag nur darin, daß nach pol-
niſchem Staatsrecht der König ohne einen Senatsbeſchluß keine
Geſandten ernennen durfte, ein Senat aber in dieſem Moment
nicht zuſammenzubringen war. Man fand den Ausweg, daß
der König ihn als Churfürſt von Sachſen zu ſeinem Geſandten
ernannte, und der Oheim ſich entſchloß, ihm unter dem lithaui-
ſchen Siegel eine Vollmacht zur Vertretung polniſcher Intereſſen
zu geben. Die Koſten übernahm die „Familie“, da König Auguſt,
ſeiner Einkünfte aus Sachſen beraubt, ſie nicht beſtreiten zu
können erklärte; er verlieh zum Zeichen ſeines Wohlwollens
ſeinem neuen Geſandten den Orden des weißen Adlers. Erſt
als die Ernennung ſchon erfolgt war, widerſprachen der fran-
zöſiſche und der öſtreichiſche Geſandte derſelben, weil ſie Ponia-
towski in Folge ſeines vertrauten Verhältniſſes zu Williams
und dem großfürſtlichen Hofe, deſſen Sympathien für Eng-
land und Preußen kein Geheimniß waren, mißtrauten. Ihre
[120] Einſprache blieb jedoch erfolglos, zumal die „Familie“ laut
erklärte, ſie bürge für des Neffen Treue 1).
Am 13. Dezember 1756 reiſte er von Warſchau ab, traf
am 3. Januar 1757 in Petersburg ein und hatte am 11. Ja-
nuar ſeine erſte Audienz bei der Kaiſerin. Seine etwas hoch-
trabende Anrede gefiel dieſer ſo gut, daß ſie dieſelbe in der
Zeitung abdrucken ließ. Er hatte darin Friedrich II. mit der
giftigen Hydra verglichen, und als ſeine Familie ſie in War-
ſchau las, fürchtete ſie, daß dieſer Vergleich ihr die Rache des
Königs zuziehen könne; dieſer war jedoch weit entfernt davon.
„Ich wünſchte“, ſoll er geſagt haben, „er hätte die Wahrheit
geſprochen, und mir wüchſe ſtatt jedes abgeſchlagnen ein neuer
Kopf.“ 2) Der junge Diplomat aber bewegte ſich auf dem be-
kanntlich höchſt ſchlüpfrigen und gefährlichen Boden des Peters-
burger Hofes mit Geſchick und Glück. Sein Liebesverkehr mit
der Großfürſtin auf der einen, und auf der andern Seite die
Gunſt des Kanzlers, der mit im Geheimniß war, kamen ihm
hiebei weſentlich zu ſtatten. Dem öſtreichiſchen Geſandten Eſter-
hazy, welcher im Frühjahr 1757 eine neue Convention zwi-
ſchen Öſtreich und Rußland verhandelte, leiſtete er bei der
Großfürſtin ſo gute Dienſte, daß Fürſt Kaunitz in einem
Reſcript an jenen (26. Mai 1757) erklärte, das Vorurtheil,
welches er früher gegen Poniatowski gehabt, habe ſich zu ſeiner
wahrhaften Freude nicht gerechtfertigt, der Geſandte könne
dieſem das größte Vertrauen zollen und mit ihm in Allem zu-
ſammenwirken 3). Frankreichs Mißtrauen ließ ſich dagegen nicht
überwinden. Graf Broglie hatte von ſeinem erſten Auftreten
[121] in Polen gegen die Czartoryski als Führer der verhaßten ruſ-
ſiſchen Parthei eine ſo tiefe Abneigung gefaßt, daß dieſe noch
nach einem Decennium auf die franzöſiſche Politik gegenüber
Polen beſtimmend eingewirkt hat. Gleich damals, als l’Hopital,
der neue franzöſiſche Geſandte in Petersburg, auf ſeiner Reiſe
dorthin nach Warſchau kam (Juni 1757), nahm er ihn gegen
Poniatowski ein, wie man denn überhaupt in Paris deſſen Er-
nennung als eine Annäherung Brühls an die „Familie“ be-
trachtete und darüber gegen Brühl aufgebracht war 1). Ja,
es ſcheint, nach einigen leider nur bruchſtückartigen Nachrichten
zu ſchließen, daß Broglie im Einverſtändniß mit ſeinem
Hofe während des Jahres 1757 einen Sturz Brühls und die
Abdankung Auguſt III. betrieb. Anfang April beſprach
Ludwig XV. mit ſeinem geheimen Kabinet eine eventuelle Be-
ſetzung des polniſchen Thrones durch einen der beiden Söhne
Philipp V. von Spanien, Don Philipp oder Don Louis, von
welchen der erſtere Herzog von Parma, der letztere des fran-
zöſiſchen Königs Schwiegerſohn war. Man müſſe, meinte
Ludwig XV., dieſe Idee den Polen beibringen und ſie von
dort nach Spanien gelangen laſſen; Subſidien könne er aber
nicht geben: wenn ſie (die Polen) ihn zum Könige haben
wollten, ſo müßten ſie ihn auch erhalten; daſſelbe gelte auch
vom Prinzen Xaver, dem Sohne Auguſt III. Gleichzeitig be-
mühte ſich Prinz Conti durch den Ritter d’Eon in Petersburg
das Commando der ruſſiſchen Armee und das Herzogthum
Kurland zu erhalten, um entweder hiedurch dem Throne Po-
lens näher zu kommen, oder durch eine Heirath mit der Kai-
ſerin Eliſabeth ſelbſt Kaiſer zu werden 2). Um die Mitte Juni
[122] ſpäteſtens war der Ritter d’Eon mit einer Miſſion Woronzews
in Paris, um Conti die Zuſtimmung der Kaiſerin in Betreff
des Armeecommandos und Kurlands mitzutheilen, worauf Conti
auf den polniſchen Thron verzichtet zu haben ſcheint. Anfang
Dezember aber meinte Ludwig XV. wiederum, es ſei beſſer,
die Abdankung Auguſt III. zu verſchieben, als ſie zu be-
treiben 1); er ziehe den Prinzen Xaver dem Kronprinzen vor,
obenan ſtehe jedoch die Freiheit der Polen. Noch im Januar
1758 erwog er, ob er dieſen oder deſſen Bruder Karl vor-
ziehen ſolle, und wiederholte dabei, ſein Augenmerk ſei immer
die Freiheit der Polen geweſen und allein derjenige, der ihnen
der annehmbarſte ſchiene 2).
Mag es ſich nun mit dieſen Beſtrebungen, deren nähere
Kenntniß uns noch fehlt, wie es wolle, verhalten haben; ſicher
iſt, daß Graf Broglie ſich bereits im Auguſt 1757 bei Brühl
bemühte, die Zurückberufung Poniatowski’s durchzuſetzen. Aber
Beſtucheff ließ durch den ſächſiſchen Geſchäftsträger Praſſe in
Warſchau mahnen, den jungen Poniatowski ja zu „menagiren“
und „an deſſen Rappel nicht anders zu denken, als wenn es
mit ſo guter Art geſchehen könnte, daß dadurch weder dem
Warſchauer Hofe noch ihm, dem Kanzler, Verdruß zugezogen
würde“ 3). Die von Zeit zu Zeit eintretenden Krankheits-
anfälle der Kaiſerin Eliſabeth hielten eben alle Welt in Peters-
burg in Spannung, und nöthigten alle Partheien eine mehr
oder weniger große Rückſicht auf den „jungen“ Hof zu nehmen,
der jeden Augenblick an die Regierung kommen konnte. Im
Hinblick hierauf ließ Beſtucheff nach einem ſolchen Krankheits-
2)
[123] anfall Eliſabeths, durch Praſſe Brühl „nachdrücklich“ vorſtellen,
daß er „die oſtrog’ſche Frage je eher je lieber ausmachen und ſich
mit der Czartoryskiſchen Familie ſetzen möchte, ehe etwa ein
Fall geſchähe, nach welchem dieſe Familie ſich durch den Kanal
des jungen Grafen Poniatowski eine ſolche decidirte Protection
zu verſprechen hätte, daß man würde gezwungen ſein, dasjenige
nolens volens zu thun, wodurch man, wenn man es jetzt frei-
willig thäte, ſich ſolche Familie verbinden könne“ 1). Es be-
durfte daher des ernſteſten Auftretens Frankreichs in Warſchau,
um die Zurückberufung Poniatowski’s durchzuſetzen. Broglie
erklärte im October dem Grafen Brühl, der König von Frank-
reich werde es als eine Probe für die gute Geſinnung Auguſts
gegen ihn betrachten, ob Poniatowski abberufen werden würde
oder nicht. Gleichzeitig ſpielten auch Einflüſſe von Petersburg
von Woronzow, Iwan Szuwalow und Praſſe zu demſelben
Zweck.
Da gab Brühl nach. Am 30. October unterſchrieb der
König die Zurückberufung, nicht ohne in demſelben Schreiben
es auszuſprechen, daß er ſelbſt mit ſeinem Geſandten voll-
kommen zufrieden ſei, und nur dem Andringen des franzöſiſchen
Königs habe nachgeben müſſen. In einer Unterredung mit
dem Vater Poniatowski’s geſtand er offen: er habe nicht anders
handeln können, denn er lebe nur von den Subſidien Frank-
reichs und Rußlands und habe ohne dieſelben weder für ſich
noch ſeine Familie einen Biſſen Brod! Auch Brühl entſchul-
digte in einem eignen Briefe die Maaßregel mit der Noth-
wendigkeit, und er ſowohl wie der König verſicherten dem Ge-
ſandten ihr ferneres Wohlwollen 2).
Als die Abberufung in Petersburg ankam, rief ſie am Hofe
eine entſchiedne Bewegung für Poniatowski hervor. Die Kai-
ſerin verſchob die Abſchiedsaudienz, um welche er bat, und er-
klärte, obwohl ſie ſeit längerer Zeit nicht ohne Kunde von
[124] ſeinem Liebesverkehr mit der Großfürſtin war 1), wiederholt
öffentlich ihr Bedauern über ſeine Abberufung. Woronzow und
Szuwalow boten ihre Dienſte an, die Sache rückgängig zu
machen; Eſterhazy und ſelbſt l’Hopital ſchrieben deshalb an
Brühl 2). Am wirkſamſten aber war, was Beſtucheff, von
der Großfürſtin gedrängt, that. Er nahm das Notifications-
ſchreiben des Warſchauer Hofes gar nicht an, ſondern bat
Praſſe, Brühl zu erſuchen, ihn zu den Füßen des Königs zu
legen und von Ihrer Majeſtät die Gnade zu erbitten, daß
doch dieſer Rappel noch einige Zeit ausgeſtellt bleiben möchte,
weil ſonſt der ſächſiſche Hof auf einmal ſeine Sachen in Peters-
burg für jetzt und künftig verderben, er ſelbſt aber dabei
auf eine ſo grauſame Art ſacrificirt werden würde, daß er
nicht wüßte, womit er dies verdient. Er könne verſichern, daß
Poniatowski ſeit langer Zeit weder in polniſchen Sachen, noch
wider die Franzoſen, noch in faveur des engliſchen Hofes was
vorgenommen. Als Praſſe darauf vorſtellte, die Rückberufung
ſei nicht mehr rückgängig zu machen, entgegnete der Kanzler:
„Wohlan, ſo kommt es darauf an, daß Sie Ihrem Hof in
meinem Namen die Erklärung thun, daß, wenn es dabei ſein
Bewenden haben ſoll, man ſich keine Rechnung mehr auf
mich zu machen hat.“ Er ſelbſt, den Praſſe in ſeinen Be-
richten einmal „den beſten und einzigen Freund und größte
Stütze“ Brühls nannte, ſchrieb in demſelben Sinne nach
Warſchau. Der Erfolg war, daß Poniatowski am 12. Ja-
nuar 1758 die Zurücknahme ſeiner Abberufung in Händen
hatte 3).
[125]
Zugleich forderte aber Brühl, wohl nicht ohne Rückſicht auf
die oben erwähnten Umtriebe Broglie’s, in Petersburg ihn von
jenem zu befreien, und die ruſſiſchen Geſandten in Wien und
Paris erhielten in der That Befehl über deſſen Verhalten in
Warſchau ſich zu beſchweren. Broglie ſelbſt fand ſeitdem ſeine
Stellung in Warſchau unhaltbar. Er bat und erhielt ſeinen
Abſchied und kam im Winter 1758 nach Paris zurück. „Der
Graf Broglie“, ſchrieb Ludwig XV. (20. April 1758) an
Tercier, „hat gute Dienſte geleiſtet, aber er iſt ein wenig
lebhaft.“ Dem Grafen ſelbſt aber ſchrieb er (21. Mai 1758):
„Es iſt nach alle dem, was zwiſchen Ihnen und dem Grafen
Brühl vorgegangen iſt, nicht möglich Sie nach Polen zurück-
zuſenden, zumal der König von Polen ſich von jenem nicht
trennen will.“ 1) Broglie’s Abberufung ſchloß eine Niederlage
der franzöſiſchen Parthei in Polen in ſich, von der ſie ſich
nicht zu erholen vermochte.
Die Zurücknahme der Abberufung Poniatowski’s war indeß
der letzte Dienſt, welchen der Kanzler der Großfürſtin leiſten
konnte. Apraxins Rückzug aus Preußen nach dem Siege bei
Jägerndorf erſchien den Verbündeten Rußlands als ein offen-
barer Verrath. Sie erhoben laute Klagen gegen ihn in Peters-
burg, in Folge deren er ſeines Kommando’s enthoben, gefangen
geſetzt und in Unterſuchung gezogen ward. In dieſe ward
auch Beſtucheff, ſein alter Gönner, und bis auf einen gewiſſen
Grad auch die Großfürſtin verwickelt. Am 25. Februar 1758
ward der erſtere, nachdem er noch Zeit gehabt hatte, eine
Menge ſeiner Papiere zu vernichten, verhaftet, und gleich darauf
ein italieniſcher Juwelier Berardi, welcher häufig die Briefe
des Kanzlers und Poniatowski’s an die Großfürſtin, und deren
Antworten überbracht hatte. Vor Schrecken erkrankte Ponia-
towski ernſtlich, ſie aber raſch gefaßt, verbrannte auch ihrer-
ſeits ihre Papiere. Beide verſichern übereinſtimmend und un-
abhängig von einander, daß ſowohl der Kanzler als Katharina
an Apraxins Rückzuge vollkommen unſchuldig geweſen wären
[126] und die öffentliche Meinung in Petersburg dieſelbe Überzeugung
gehabt habe 1). In der That ſcheint die Unterſuchung gegen
Beſtucheff keine hinlänglichen Beweiſe geliefert zu haben. Wohl
hatte er einmal den Plan entworfen, und mit Katharina be-
ſprochen, ſie bei dem Tode Eliſabeths zur Mitregentin Peters
erheben zu laſſen, aber Katharina ſelbſt hatte damals nach
einer Berathung mit Poniatowski darauf einzugehen abgelehnt
und der Kanzler den betreffenden Entwurf vor ſeiner Verhaf-
tung verbrannt 2). Hätte die Unterſuchung wirklich den Be-
weis geliefert, daß er, wie man in jenen Tagen in den diplo-
matiſchen Kreiſen Petersburgs ſich erzählte, darauf ausgegangen
ſei, den Großfürſten von der Thronfolge auszuſchließen, ſo
würde ſeine Strafe ſicher viel härter geweſen ſein, als ſie war.
Eliſabeth begnügte ſich damit, ihn ſeiner Ämter zu entheben
und auf eines ſeiner Güter in der Gegend von Moskau zu
verbannen 3). Katharina aber gelang es in zwei Unterredungen,
die ihr die Kaiſerin gewährte, und in welchen ſie bat, ſie
nach Deutſchland zurückzuſchicken, dieſe mit ſich zu verſöhnen
(24. April und im Mai) 4). Bei der ganzen Sache hatten
der franzöſiſche und der öſtreichiſche Geſandte eine Hauptrolle
geſpielt, und es ſcheint faſt, daß man franzöſiſcherſeits ſelbſt
[127] einen Augenblick daran gedacht hat, in den Sturz des ruſſiſchen
Kanzlers auch Brühl zu verwickeln 1).
Genug, die Großfürſtin und Poniatowski beſtanden glück-
[128] lich den Sturm, der anfangs beide zu verderben drohte. Allein
der letztere fühlte ſchließlich doch ſelbſt, daß ſeine Stellung in
Petersburg erſchüttert und für ihn höchſt gefährlich ſei. Be-
reits im April 1758 bat er in Warſchau um einen Urlaub
zur Rückkehr. Aber erſt am 15. Auguſt reiſte er von Peters-
burg ab, nicht ohne Hoffnung unter günſtigern Verhältniſſen
dorthin zurückzukommen. Der Großfürſt Peter verwandte ſich
bei dem Kanzler Woronzow ſelbſt dafür 1).
Als Poniatowski nach Polen zurückkam, fand er weite
Landſtriche der Republik von ruſſiſchen Truppen beſetzt. Im
Jahre 1757 hatten dieſe nur die nordöſtlichen Gegenden durch-
zogen; jetzt ſtanden ſie am mittlern Niemen ebenſo wie an
der Weichſel und Wartha. Am 22. Januar 1758 war Ge-
neral Fermor in Königsberg eingezogen und hatte zwei Tage
darauf, am Geburtstag Friedrich II., die preußiſchen Behörden
und Einwohner ſeiner Kaiſerin und dem Thronfolger den Eid
der Treue ſchwören laſſen. Dann rückten ſeine Truppen
langſam zur Weichſel vor. Am 4. März beſetzten ſie Elbing,
dann Marienburg, Graudenz und Thorn. Die kleinen pol-
niſchen Garniſonen wichen überall zur Seite, nur Danzig
ſchlug die Forderung, eine ruſſiſche Garniſon aufzunehmen,
entſchieden ab. Rath und Bürgerſchaft waren darin voll-
kommen einig, etwaige Gewalt mit Gewalt zu vertreiben; die
Stadtgarniſon ward verſtärkt, die Bürgercompagnien aufge-
boten, die Kanonen auf die Wälle gefahren. Der Hof in
Warſchau war mit ihnen ganz einverſtanden und ließ durch
Poniatowski in Petersburg den ganzen Sommer hindurch zu
Gunſten der Stadt Vorſtellungen machen. Anfangs behauptete
Fermor, er könne ohne den Beſitz dieſer wichtigen Feſtung
nicht weiter nach Weſten vorrücken, aber zur Gewalt ſchritt er
nicht, ſondern zog, nachdem er Magazine errichtet, Ende Mai
über die Weichſel nach Großpolen. Im Juni traf er bei Poſen
ein, bombardirte Mitte Auguſt Küſtrin und ſchlug am 28. Auguſt
[129] die Schlacht bei Zorndorf. Dann aber ging er ſofort nach
Polen zurück und ließ durch eine Abtheilung ſeiner Truppen
Anfang October Colberg belagern, während man in Peters-
burg daran dachte, auch Danzig zur Strafe für ſeinen Wider-
ſtand bombardiren zu laſſen. Allein Öſtreich rieth unter Hin-
weis auf die Wirkung, welche das auf die Polen haben würde,
ſo dringend davon ab, daß man dort den Plan zunächſt auf-
ſchob, und ſchließlich ganz fallen ließ. Die Entſchloſſenheit ihrer
Bürger und ihre reichlichen Geldſpenden an die Ruſſen, be-
wahrten der Stadt ihre Selbſtſtändigkeit 1).
Seitdem machten die Ruſſen Polen weſtwärts der Weichſel
zur Operationsbaſis ihres Krieges gegen Friedrich II. Jahr
aus Jahr ein blieben ihre Truppen hier ſtehn, zogen ihren
Erſatz aus dem Innern Rußlands durch die öſtlichen polniſchen
Landſchaften an ſich, legten hier ihre Magazine an, ſuchten von
hier aus, neben ihren größern militairiſchen Operationen, die
preußiſchen Gränzlandſchaften, Schleſien und die Neumark,
Pommern und Brandenburg in zahlloſen Streifereien heim und
brachten hierhin ihren Raub und ihre Beute in Sicherheit.
Sie betrachteten ſich mit einem Wort als die Herren des
Landes, ſchrieben nach Willkühr Lieferungen aller Art aus und be-
handelten den Adel und deſſen Bauern ſehr „indiskret, ſelbſt mit
Prügel und Todſchlag“ 2). Die polniſchen Bauern und auch
viele vom kleinen Adel fanden freilich für den Schaden, den
ſie erlitten, einen gewiſſen Erſatz darin, daß ſie die räuberiſchen
Streifereien der Ruſſen ins preußiſche Gebiet mitmachten, oder
den Ruſſen die dort gemachte Beute, den zahlreichen preußiſchen
Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 9
[130] und öſtreichiſchen und auch ruſſiſchen Deſerteure Waffen und
Uniformen abkauften. Der Edelmann aber bekam für ſeine
Lieferungen nur ſelten baares Geld, meiſtentheils vielmehr nur
Verſchreibungen auf die Zukunft. Dazu wurde das Land mit
ſchlechter Münze, welche Friedrich II. in Dresden mit polniſch-
ſächſiſchem Stempel prägen ließ, überſchwemmt; die gute ward
von den Juden ausgeführt, und beides zuſammen trieb die
Preiſe aller Lebensmittel und Waaren auf eine bis dahin un-
bekannte Höhe. Der Schatzmeiſter der Krone, Weſſel, ſuchte
durch eine zweimalige Reduction der ſchlechten Münze, gemäß
ihres Werthes, der Großmarſchall Bielinski durch eine Taxe
für alle Waaren zu helfen (October 1761 und März 1762).
Sie riefen aber hiedurch nur einen offnen Widerſtand der
Käufer wie der Verkäufer, und zahlreiche Bitten des Adels an
den König, auch die ſchlechte Münze nach ihrem Nennwerth
curſiren zu laſſen, hervor.
Von der andern Seite achtete natürlich auch Friedrich II.
die Neutralität der Republik nicht. Ende Februar 1759 ſandte
er den General Wobersno mit 5000 Mann und 5 Geſchützen
von Glogau aus nach Großpolen. Am 24. Februar hob dieſer
den Fürſten Sulkowski, den frühern Miniſter und Günſtling
Auguſt III., der auf eigne Hand Truppen gegen Friedrich ge-
worben und die Ruſſen auf jede Weiſe gefördert hatte, in
ſeinem Schloß Reiſen auf und zerſtörte dann die großen Ma-
gazine, welche die Ruſſen in Poſen und an andern Orten er-
richtet hatten. In einem Manifeſt vom 2. März erklärte der
König der Republik, es ſei nicht ſeine Abſicht, gegen ſie als
Feind aufzutreten, aber er müſſe den Abſichten ſeiner Feinde
zuvorkommen und würde alle diejenigen, welche den Ruſſen
Beiſtand leiſteten, als ſeine Feinde anſehen. Demgemäß ver-
fuhr er mehrmals im weitern Verlaufe des Krieges. Ende
Juni und Anfang Juli 1759 drang ſein General Graf Dohna
bis Poſen vor, zerſtörte die ruſſiſchen Magazine in Bromberg
und andern Orten, trieb Lieferungen aller Art ohne Bezahlung
ein und ſtellte eine Menge polniſcher Bauern als Rekruten in
ſeine Truppen ein. Einen gleichen Zug durch Großpolen
[131] unternahm General v. Platen mit denſelben Erfolgen im Sep-
tember 1761. Bei Goſtyn, woſelbſt er die Ruſſen in einer
Art von Wagenburg von 5000 mit Geld, Munition und
Proviant beladenen Wagen traf, nahm er dieſelbe mit Sturm,
vernichtete dann die Magazine in Poſen und zog von dort
durch das polniſche Gebiet bis Landsberg zurück 1).
Gar gern hätten der Hof und deſſen Parthei dieſe preu-
ßiſchen Einfälle benutzt, um die Republik zum offnen Kriege
gegen Friedrich II. mit fortzureißen. Allein die Nation wollte
hievon nichts wiſſen. In ihrer Maſſe hatte ſich bereits ſeit
lange die wunderbare Vorſtellung eingewurzelt, daß ihre Un-
abhängigkeit und die Integrität ihres Landes am beſten gewahrt
würden, wenn ſie ſich in keine politiſche Verwicklung nach Außen
einlaſſe, daß die gegenſeitige Eiferſucht der Nachbarn ſie aus-
reichend ſchütze und ſie ſich daher jede Anſpannung der eignen
Kräfte erſparen könne. Die Erinnerung, daß ſich ihre Republik
nach all den gewaltigen Stürmen, die ſie im 17. Jahrhundert
mehr als einmal niedergeworfen, immer wieder erhoben habe,
beſtärkte ſie in Verbindung mit der allgemeinen Genußſucht,
geiſtigen Ermattung und Unbildung in jenem Wahne, der ihr
ſchließlich nur verderblich werden konnte.
Außerdem trat faſt bei allen die Noth des Landes weit
hinter die perſönlichen und Parthei-Intereſſen zurück. Schroffer
noch wie bisher ſtellte ſich die „Familie“ dem Hofe gegenüber.
Zwar hatte Brühl bereits im März 1758 den Rath, den ihm
Beſtucheff noch kurz vor ſeinem Sturze gegeben, befolgt, indem
er den König die Sequeſtration der Oſtrogſchen Güter auf-
heben ließ. Auch hatte ihm der junge Stanislaw Poniatowski
hiefür noch aus Petersburg aufs wärmſte gedankt, indem er
ihm am 23. Mai d. J. ſchrieb: „Es iſt dies eine Wohlthat,
welche alle das Vaterland und die Freiheit liebenden Herzen
mit neuen Banden der Dankbarkeit dem Monarchen verbindet.“
Allein, wenn Brühl neben der Rückſicht auf Rußland hiedurch
die „Familie“ ſich wieder zu gewinnen gedacht haben ſollte,
9*
[132] ſo machte er bald die Erfahrung, wie ſehr er ſich getäuſcht
habe. Es war damals ein Lieblingswunſch Auguſt III., ſeinem
Sohne Karl das Herzogthum Kurland zuzuwenden, welches ſeit
dem Sturze Birons Jahre lang durch die vier ſog. ſtändiſchen
Oberräthe, zwar im Namen des Königs und der Republik, aber
thatſächlich nur nach dem Willen Rußlands verwaltet worden
war. Um die Kaiſerin Eliſabeth hiefür zu gewinnen, ward
Prinz Carl im April 1758 mit ſtattlichem Gefolge nach
Petersburg geſandt. Sprößlinge der angeſehenſten Familien
Polens begleiteten ihn: ein Lubomirski, ein Potocki, ein
Rzewuski, den man den „Schönen“ nannte, zwei Fürſten
Sulkowski, und endlich Franz Xaver Branicki. Aus einer andern
Familie als der Krongroßfeldherr entſproſſen, gewann der
letztere damals durch den Dienſt, den er Poniatowski bei dem
Verkehr mit der Großfürſtin leiſtete, zuerſt deſſen Gunſt, die
ihn ſpäter ſo raſch emporhob und der er bekanntlich mit dem
ſchwärzeſten Undank lohnte. Mehrere Monate verweilte Prinz
Karl am Hofe und erreichte das Ziel ſeiner Wünſche 1). Die
Kaiſerin erklärte, daß Biron, welchen ſie zwar aus Sibirien
zurückkommen laſſen, aber in Jaroslaw internirt hatte, niemals
wieder als Herzog nach Kurland zurückkehren dürfe, und kün-
digte dann den kurländiſchen Ständen an, daß ſie mit der Er-
hebung Karls einverſtanden ſei. Auch die Stände willigten
darein, worauf Auguſt III. ein Senatsconſilium zum 30. Oktober
nach Warſchau berief, um die ganze Sache zum Abſchluß zu
bringen. Als er aber in demſelben erklärte, daß er gemäß
der Conſtitution von 1736 ſeinen Sohn mit dem Herzogthum
belehnen wolle, widerſprachen die Czartoryski aufs entſchiedenſte,
daß ihm das Recht hiezu zuſtehe. Die Conſtitution von 1736,
eine der Früchte des Pacificationsreichstages, hatte dem König
das Recht zugeſprochen, nach dem Tode des Herzog Ferdinand
von Kurland „einem anderncum successoribus ejus ma-
[133] sculis die Belehnung zu ertheilen. Mit dieſem Beſchluß war
allerdings die frühere Abſicht der Polen, Kurland nach dem
Ausſterben des Kettlerſchen Mannesſtammes ihrem Reich völlig
zu incorporiren, in eine unbeſtimmte Ferne gerückt worden, und
Auguſt hatte ſein bei ſeiner Wahl Biron gegebenes Verſprechen,
ihn mit Kurland zu beleihen, ausführen können. Aus der
gegenwärtigen Lage der Sache entſprang aber die doppelte
Frage, einmal ob Biron und deſſen Nachkommenſchaft in der
That das Lehn verwirkt hätten, und zum andern, ob, ſelbſt
wenn dies der Fall wäre, der König nach der Conſtitution
von 1736 das Recht habe, allein ohne den Reichstag das
Herzogthum zu vergeben. Die Czartoryski verneinten beide
Fragen. In Betreff der erſten führten ſie aus, daß das Ver-
brechen Birons, für welches er in Rußland durch ſeine Ver-
bannung beſtraft worden ſei, auf ſein Verhältniß zu Polen,
gegen welches er ſich nie vergangen, keine Rückwirkung, am
wenigſten auf ſeine Nachkommen, haben könne, und außerdem
die Erfahrung zeige, daß dergleichen Strafen in Rußland, bei
den häufig dort eintretenden Wechſeln wieder zurückgenommen
würden, alſo auch Biron noch einmal in alle ſeine Ehren und
Würden wieder eingeſetzt werden könnte. In Bezug auf die
zweite Frage aber vertraten ſie die Anſicht, daß die Conſtitution
von 1736 nur den einen Fall des Ausſterbens des Kettler-
ſchen Stammes im Auge gehabt, und nur für dieſen Fall und
nicht für alle Ewigkeit dem Könige ausſchließlich das Recht der
Belehnung überlaſſen habe. Der Wortlaut der Conſtitution 1)
ſpricht allerdings für dieſe letztere Auffaſſung; ob aber die
Czartoryski in der That das Verfahren des Königs für „mit
[134] dem Recht nicht vereinbar“ hielten 1), oder ob ſie nur in Folge
ihrer allgemeinen Oppoſition gegen Brühl und den Hof, und
im Hinblick auf den „jungen Hof“ in Petersburg, widerſprachen,
muß für jetzt dahingeſtellt bleiben 2). Das Gutachten der
weitüberwiegenden Mehrheit der verſammelten Senatoren fiel
gegen ſie aus, worauf der König am 16. November das
Diplom für den Prinzen Karl unterſchrieb und dieſer am
8. Januar 1759 feierlich mit Kurland belehnt ward. Am
29. März hielt der neue Herzog ſeinen Einzug in Mitau, reiſte
von dort nach Petersburg, weſelbſt er bis gegen den Auguſt
blieb und von der Kaiſerin eine Urkunde (16. Juli) erhielt,
in der ſie auf alle Anſprüche an die Tafelgüter in Kurland,
welche ſich an die Mitgift der verſtorbenen Kaiſerin Anna
knüpften, entſagte. Am 5. November 1759 huldigten die kur-
ländiſchen Stände dem neuen Herrn 3).
Aber auch die „Familie“ wandte ſich nach Petersburg, ge-
ſtützt auf ihre auch nach Poniatowski’s Rückkehr von dort fort-
dauernde Verbindung mit dem jungen Hofe, mit welchem es jetzt
grade auch die einflußreiche Familie der Szuwalows hielt 4). An-
fang 1759 ging Adam Czartoryski, der nur um ein Jahr ältere
Vetter Poniatowski’s, nach Petersburg, um die Intereſſen der
Familie zu fördern. Brühl ſcheint damals in der That eine
Conföderation ſeiner Gegner gefürchtet und in Petersburg um
Schutz gegen eine ſolche gebeten zu haben. Sein Agent Praſſe
ſchrieb ihm am 30. Januar 1759, „der Kanzler Graf Woron-
[135] zow habe ihm ſeine Parole gegeben, daß bei der geringſten
aufrühreriſchen Bewegung der Czartoryski etliche Regimenter
ſogleich bei der Hand ſein ſollten, um ihnen „den Daumen
aufs Auge zu halten“ 1). Derſelbe habe ihm auch verſprochen,
daß er, falls der Prinz Adam auch nur den Mund aufthun
würde, um einige Beſchwerden wider den Hof und deſſen Mini-
ſterium anzubringen, ihn ſogleich befragen wolle, wer ihn zu
dergleichen ermächtigt. Der Prinz ließ ſich indeß nicht ſo leicht
einſchüchtern. Er hielt ſich an die Szuwalows, welche ihn aus
Rückſicht auf den großfürſtlichen Hof protegirten, und brachte
unter andern Mitte März ſeine Beſchwerde auch bei dem Kanz-
ler ſelbſt vor. Die Freiheit und die Vorrechte der Republik
würden gekränkt und ſeine Familie unterdrückt, ſagte er dieſem
und fügte hinzu, daß ſie, welche ſie immer die Freunde Ruß-
lands geweſen wären, auch von Rußland geſchützt und vertreten
zu werden hoffen wollten 2). Was er im einzelnen etwa ge-
fördert und erreicht, wiſſen wir bis jetzt nicht; jedenfalls aber
nahm er, als er nach mehrmonatlichem Aufenthalt von dort
nach Polen zurückkehrte, wenigſtens vom jungen Hofe Zuſicher-
ungen für die Zukunft mit, deſſen Sympathien für Friedrich II.
auch die „Familie“ jetzt theilte.
Bei jeder Gelegenheit trat ſie mit dieſen dem Hofe offen
gegenüber 3). Als der Hof in Folge des Einfalls des Generals
Wobersnow Conferenzen mit mehreren Senatoren hielt, und
[136] in dieſen Soltyk, der Biſchof von Krakau, Mniszek, der Hof-
marſchall u. a. auf energiſche Maßregeln gegen Preußen drangen,
ſprachen ſich der alte Poniatowski, Auguſt Czartoryski u. a.
auf das Entſchiedenſte dagegen aus und hatten auch die ſoge-
nannten „Patrioten“ auf ihrer Seite 1). Denn dieſer Parthei,
welche ſich, wie wir ſahen, unter dem Einfluß Graf Broglie’s
mit der ausgeſprochnen Tendenz, Polen von dem Übergewicht
Rußlands zu befreien, gebildet hatte, war nach dem Abſchluß
des Bündniſſes zwiſchen Frankreich und Rußland, ſo zu ſagen,
der Boden unter den Füßen fortgezogen. Eine Zeitlang
hielt Broglie ſie noch zuſammen: ſeitdem er aber nach dem
verfehlten Verſuch, die Abberufung Poniatowski’s von Peters-
burg durchzuſetzen, Warſchau verlaſſen hatte, löſte ſie ſich
faſt völlig auf. Die Inſtructionen, die ſein Nachfolger Paulmy
im Frühjahr 1760 erhielt, waren am wenigſten geeignet, ihn
zu veranlaſſen, ſie von neuem zu beleben 2). Sie ſchrieben
ihm vielmehr eine paſſive als aktive Politik vor und warfen
ein helles Licht auf die Stellung, welche Frankreich ſeitdem zu
den polniſchen Dingen in der That einnahm. Man habe,
heißt es in ihrem Eingange, bisher mit der Krone Polen wie
mit einer Macht verhandelt, von der man irgend einen Ein-
fluß in der allgemeinen Politik zu fürchten oder zu hoffen
hätte. Dies ſei ein politiſcher Irrthum. Der König von Polen
ſei als ſolcher ohne Macht, ſeine Revenüen höchſt mäßig, ſein
Reich ein weites, aller Welt offenſtehendes Land; Partheiung
und Egoismus des Adels und das liberum veto verhinderten
jeden ſtetigen Gang. Man könne die Verfaſſung Polens nicht
anders als eine Anarchie betrachten; da aber der Fortbeſtand
dieſer Anarchie dem Intereſſe Frankreichs ent-
ſpräche, ſo müſſe ſich deſſen Politik auf die Erhaltung der-
ſelben und darauf beſchränken zu verhindern, daß keine andere
[137] Macht ſich auf Koſten Polens vergrößere. Polen ſelbſt würde
das Letztere nicht verhindern können, woher die polniſchen
„Herren“ zu dieſem Zweck weder um Rath gefragt, noch be-
zahlt werden dürften, es ſei denn in beſonderen Fällen, in un-
umgänglicher Nothwendigkeit. Zwar werde der König fort-
fahren ſich für die Freiheit Polens zu intereſſiren, aber er
wolle für jetzt nicht ſich zum Chef einer Parthei machen, noch
ſich auf die perſönlichen Factionen und Intereſſen einlaſſen,
welche jeder Pole unter dem Vorwande, es ſei das Intereſſe
Frankreichs, ihm aufdrängen zu müſſen glaube, und dabei
eigentlich nur ſein eignes Intereſſe im Auge habe. Demgemäß
ſolle ſich der Geſandte, wie die Miniſter von England und
Spanien dort verhalten, dabei jedoch ſtets die Protection durch-
blicken laſſen, welche der König der Freiheit der Polen und
den Freunden derſelben gewähre 1). Conföderationen ins Leben
zu rufen ſei kein Vortheil. Eine ziehe die andere nach ſich
und ſie hätten keine andere Folge als die Plünderung von
Feind und Freund. Auch ſei für Frankreich zu fürchten, daß
die Übel, welche jede Conföderation mit ſich führe, die Polen,
auch gegen ihre eigne innere Neigung, zu einem Grad der Ein-
müthigkeit brächte, welche der Verkehrtheit der Regierungsform
ein Ende machen und der Republik Conſiſtenz wiedergeben
könnte, während die Aufrechthaltung der Anarchie ſtets der
wichtigſte Punkt für Frankreich und daher die Baſis für das
Verhalten ſeines Geſandten ſein müſſe 2).
Man ſieht, trotz aller ſchönen Worte Ludwig XV. von
ſeinem Intereſſe für die Freiheit der Polen, betrachtete doch
die franzöſiſche Politik die Aufrechthaltung der Anarchie in
Polen ganz eben ſo als ihre Hauptaufgabe dort, wie die Höfe
von Berlin, Petersburg und Wien ſeit langer Zeit hierin ein-
verſtanden waren. Im übrigen verſteht es ſich von ſelbſt, daß
[138] Paulmy nach dieſer Inſtruction keine einflußreiche Rolle ſpielen
konnte. Er beſchränkte ſich darauf, eine perſönliche vertraute
Verbindung mit den Häuptern der früheren franzöſiſchen Par-
thei zu erhalten, welche auch ihrerſeits wie bisher in einem
Verkehr mit Paris blieben. Im November 1758 beſchäftigte
ſich Ludwig XV. mit einem Briefe Branicki’s, Anfang Dezem-
ber mit einem Manifeſt Mokranowski’s, im März 1759 mit
einer geheimen Verhandlung, welche noch Broglie während
ſeiner Geſandtſchaft mit Eifer und Erfolg betrieben hatte.
Ende dieſes und Anfang des folgenden Jahres war Lameth,
ein Stiefbruder oder Schwager Broglie’s, als franzöſiſcher
Agent in Polen; 1761 im Winter befand ſich Mokranowski
perſönlich in Paris, woſelbſt er bis in den Juni geblieben zu
ſein ſcheint und eine Gratification von 2400 Dukaten erhielt.
Wir kennen zwar den näheren Zuſammenhang dieſer That-
ſachen nicht: immer aber reichen ſie an ſich aus, den fort-
dauernden Verkehr dieſer Parthei mit dem franzöſiſchen Hofe
zu beweiſen 1).
Auf der andern Seite näherte ſie ſich aber auch je länger
je mehr ihren bisherigen Gegnern, den Czartoryski. Beide
fürchteten in gleicher Weiſe, daß der Hof unter dem Schutz und
mit Hilfe der im Lande dauernd ſtehenden ruſſiſchen Truppen,
die Nation zu allem, was er wünſche und wolle, zwingen werde,
und ſuchten im Bewußtſein daran, daß die Polen für ſich allein
viel zu ſchwach wären, um Rußland die Spitze bieten zu können,
einen Rückhalt an — Preußen. Wiederholt erklärten ſie dem
preußiſchen Geſandten in Warſchau: „Sie und ihre Freiheit
würden verloren ſein, wenn Friedrich ſeinen zahlreichen Feinden
unterläge“ 2), und als der Reichstag von 1760 herannahte,
[139] verlangten ſie ſelbſt dringend von dem Reſidenten, daß er den-
ſelben zerreißen laſſe, weil der Hof die Abſicht, die Republik
zu einer Kriegserklärung gegen Friedrich zu bringen, ſicher mit
Hilfe Rußlands durchſetzen werde 1). Unter dieſen Umſtänden
waren natürlich die Wahlen ſo ſtürmiſch wie nur immer. Von
beiden Seiten zerriß man die Landtage; der von Warſchau
dauerte nicht über eine Viertelſtunde 2). Branicki und die Pa-
trioten gingen mit der „Familie“ Hand in Hand und be-
ſtimmten Mokranowski zum Marſchall des Reichstags. Gegen
dieſen erklärte ſich aber der Hof auf das Entſchiedenſte. Mniszek
und Soltyk ſagten ihm ins Geſicht, daß ſie als die erſten ſich
ſeiner Wahl widerſetzen würden, und als es ſchien, daß dieſe
dennoch nicht verhindert werden könne, ließ der Hof durch einen
Landboten aus Podolien, Lezenski, den Reichstag noch vor der
Wahl des Marſchalls zerreißen. Der Palatin von Kiew, der
Schwiegervater von Brühls älteſtem Sohn, hatte dazu 20,000
Timpfe gegeben 3).
Und eben ſo wenig wie dieſer kam der außerordentliche
Reichstag, welchen der Hof im Frühjahr 1761 berief, zu einem
gedeihlichen Schluß. Die Hofparthei trug ſich mit dem Plan,
ihn in eine Conföderation zu verwandeln, weil ſie hoffte unter
dem Schutz und Druck der ruſſiſchen Truppen im Lande eine
Mehrheit von Stimmen zu gewinnen. Und in der That er-
reichte ſie dies Ziel zum Theil auch dadurch, daß ſie eine An-
zahl von Landtagen, die ſchon einmal zerriſſen waren, von
neuem wählen ließ. Man ſprach davon, daß der Hof in Über-
2)
[140] einſtimmung mit Rußland die Thronfolge des Kurprinzen durch
dieſen Reichstag wolle durchſetzen laſſen, und die Oppoſition
hegte, als Anfang April ſich ruſſiſche Truppen in der Nähe
von Warſchau zuſammenzogen, die lebhafteſte Beſorgniß, daß
es auf Gewaltſchritte abgeſehen ſei. Selbſt die Muthigſten er-
klärten dem preußiſchen Reſidenten, daß ſie nicht im Stande
ſein würden, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben, weil ſie von
jeder auswärtigen Macht verlaſſen, von den Ruſſen unterdrückt
wären, welche ihnen das Meſſer an der Kehle hielten und, bei
den erſten Anzeichen eines Widerſtandes von Seiten der Pa-
trioten, dieſe alle „ecraſiren“ würden. Nur wenn der König
von Preußen ſolche Erhebung gegen die Ruſſen durch den Ein-
marſch einer ſeiner Armeen unterſtütze, könnte Polen gerettet
werden 1).
Allein der Hof trieb es nicht ſo weit, als die Oppoſition
gefürchtet hatte; ſei es, daß er früher gefaßte Pläne von ſelbſt
fallen ließ, ſei es, daß Rußland auf ſie nicht eingehen wollte.
Nach der Mitte April zogen die ruſſiſchen Truppen ab nach
Großpolen, und der ruſſiſche Geſandte erklärte, daß ſein Hof
ſich in die Thronfolgefrage nicht miſchen wolle, und es ſchien,
als der Reichstag am 27. April begann, daß in der ihm vor-
liegenden Hauptfrage, der Münzregulirung, die Partheien ſich
verſtändigen würden. Allein bereits wenige Tage nach der
Eröffnung, noch vor der Wahl des Marſchalls ward dennoch
der Reichstag und zwar auf eine ungewöhnliche, ſolenne Weiſe
zerriſſen. Mehr als 40 Landboten, und unter ihnen Mit-
glieder der erſten Familien, unterzeichneten in Gegenwart der
beiden Kanzler, ſowie der beiden Feldherren der Krone und
Lithauens ein Manifeſt gegen die Gültigkeit jedes Beſchluſſes,
weil der Reichstag ohne verhergehenden Beſchluß des Senats
von der Krone allein berufen ſei 2). Beide Partheien der
[141] Oppoſition hatten ſich hiezu vereinigt. Selbſt der Palatin
von Kiew wollte von Brühl nichts mehr wiſſen 1).
Inzwiſchen ward der Druck, den die ruſſiſchen Truppen
im Lande übten, je länger, je ärger. Vergebens brachte
der großpolniſche Adel, welcher ſich, wie Kitowicz ſagt, „den
Ruſſen gar nicht für ihre Kriegführung obligirt hielt“, ſeine
Klagen bei dem Hofe in Warſchau vor. „Graf Brühl,
der Hofmarſchall Mniszek und Soltyk, der Biſchof von
Krakau, die drei Meteore des Hofes, dämpften ſo viel ihnen
möglich die Klagen, indem ſie mit verſchiednen Mitteln den
Klagenden den Mund ſtopften.“ Sie nannten auch wohl
dieſe Klagen „eine Indiscretion gegen den Monarchen, der
ſeiner eignen Herrſchaft beraubt ſei“. Bewarben ſich zwei um
ein erledigtes Amt, von welchen der eine die „Exorbitancien
der Ruſſen, die ihm auf der eignen Haut gebrannt hatten“, zur
Sprache brachte, der andre aber als „Schlaukopf“ verſicherte,
daß das Land durch die Ruſſen gar nicht litte, ſondern vielmehr
„profitire“, ſo erhielt ſicher der erſtere „als ein Menſch von
nichtswürdiger Geſinnung und Gegner des Hofes — nichts“ 2).
Allein auf die Länge reichten dieſe Mittel nicht aus.
Der König ſandte (1760) den Staroſten von Obornik,
Rogalinski, nach Petersburg, um dort Erſatz für die Verluſte
und Schäden ſeiner Unterthanen zu fordern. Der Staroſt
brachte allerdings „roſige“ Verſprechungen des Kanzler Wo-
ronzow zurück. Eine Liquidationscommiſſion, aus einem ruſ-
ſiſchen Oberſt Putzkow und dem Staroſt von Czerwenigrod,
Wychowski, ward in Thorn eingeſetzt (18. Mai 1761). Der
Ruſſe entſchied aber alles allein nach Gunſt und Willkühr, und
die ganze Liquidation ward von Rußland abſichtlich Jahre lang
hingezogen, um die Polen durch die Furcht am Ende gar nichts
zu bekommen, in Abhängigkeit von ſich zu erhalten 3). Um
[142] ſo weniger fand ſich der großpolniſche Adel, welcher am meiſten
unter dem Kriege litt, durch dieſe Maaßregel befriedigt. Die
Woiwodſchaften Poſen und Kaliſch, Sieradz und Kujawien
ſandten eine eigne Deputation nach Warſchau, um ihre Klagen
dem König perſönlich vorzubringen und den Abzug der ruſ-
ſiſchen Truppen zu fordern. Sie erhielten zur Antwort, Se.
Majeſtät ſelbſt würden höchſt gern die Befreiung des Bodens
der Republik von den Ruſſen bis auf den letzten Mann ſehen;
da aber die Erreichung dieſes Wunſches nicht in ihrer Macht
liege, ſo wolle ſie wenigſtens einen Beweis ihrer väterlichen
Geſinnung für Polen dadurch geben, daß ſie ſich bei der ruſ-
ſiſchen Kaiſerin um den Erſatz aller von den Polen erlittnen
Schäden und Gewaltthätigkeiten bemühen werde. In der That
bemühte ſich Brühl zu wiederholtenmalen hierum, zumal ihn
die Furcht beunruhigte, der großpolniſche Adel könne ſich „gar
leicht zu Extremitäten verleiten laſſen, wenn ein feindliches
Corps dort einrücken ſollte. Allein ſeine Klagen blieben that-
ſächlich unberückſichtigt; noch im Jahre 1762, als die Ruſſen
nach ihrem Frieden mit Friedrich II. heimmarſchirten, be-
zahlten ſie im preußiſchen Gebiet die Lieferungen, in Polen
nicht 1).
Natürlich wurde die Stimmung des Adels gegen den Hof
und die Ruſſen je länger je bitterer. Bereits im Herbſt 1759
[143] waren in Großpolen Briefe aufgefangen worden, in welchen
Friedrich II. unter der Verſicherung, daß ihm mindeſtens
100,000 Mann zufallen würden, aufgefordert ward, eine größere
Armee in Polen einrücken zu laſſen 1). Jetzt, im Herbſt 1762,
erklärten viele dem preußiſchen Reſidenten in Warſchau, ſie
würden keinen Augenblick Bedenken tragen, ſich mit Sr. Ma-
jeſtät von Preußen zur Vertreibung der Ruſſen aus Polen zu
verbinden, wenn ſie nur ſicher wären, an einer Armee von
20,000 Preußen einen Rückhalt zu finden. Friedrich hatte
nicht die Mittel, dieſen Wünſchen, ſelbſt wenn er es gewollt,
zu genügen; er beſchränkte ſich darauf, die Sympathien der
Polen zu ſeinen diplomatiſchen Zwecken zu benutzen. In dieſer
Beziehung haben ihm in den letzten Jahren des Krieges der
Fürſt Jan Jablonowski, Palatin von Braclaw, Paul Peter
Sapieha, Palatin von Smolensk, ein Fürſt Ulrich Radzivil,
Großſtallmeiſter von Lithauen, u. A. weſentliche Dienſte geleiſtet.
Sie unterrichteten ihn von der Lage der Dinge in Polen, ver-
mittelten durch ihre Commiſſare und Agenten ſeine Korreſpondenz
und ſeine Sendungen nach Jaſſy, nach Conſtantinopel und der
Krim und ſchrieben auch ſelbſt Briefe dorthin, in welchen ſie
in den „energiſchſten und beweglichſten“ Ausdrücken über die
Gewaltthaten der Ruſſen in Polen klagten, um Türken und
Tartaren zum Kriege gegen Rußland anzuregen. Wie weit
hiebei Sympathien für den großen König, politiſche oder rein
egoiſtiſche perſönliche Intereſſen eine Rolle ſpielten, iſt ſchwer
zu entſcheiden: gewiß iſt nur, daß Friedrich Tauſende von
Dukaten den Herren zahlte und mitunter die Koſten beanſtan-
dete, welche dieſer ganze Verkehr erforderte 2).
[144]
Die Gährung in den Gemüthern der Polen aber ward
gegen Ende des Jahres ſo ſtark, daß der ruſſiſche Miniſter in
Warſchau, General Wojejkow, ſich veranlaßt ſah, eine öffentliche
Declaration zu erlaſſen, worin er erklärte, daß die Kaiſerin,
von dem Haß des großpolniſchen Adels und ſeiner Sympathie
für Friedrich II. unterrichtet, beſchloſſen habe, den General
Wolchonski mit 12,000 Mann friſcher Truppen dorthin zu
ſenden, der gegen alle „Widerſpenſtigen“ mit aller Strenge
vorgehen werde 1).
Man ſieht, wie es mit der Selbſtſtändigkeit und Wehr-
haftigkeit der Republik ſchon damals ſtand. Sie wollte in dem
großen Kampf der Nachbarn neutral bleiben und mußte es
dulden, daß derſelbe unaufhörlich auf ihr Gebiet hinübergriff
und die Ruſſen im ganzen Lande die Herren waren. Brühl
konnte im äußerſten Fall auf deren Unterſtützung ſicher rechnen.
Das wußte, wie jedermann, ſo auch die „Familie“. Der ruſſiſche
Geſandte in Warſchau, Wojejkow, beachtete ſie während ſeines
ganzen Aufenthalts dort (ſeit 1758) ſo gut wie gar nicht, während
der preußiſche Reſident Benoit, der die Neigung der Großfürſtin
2)
[145] Katharina für den jungen Poniatowski kannte, und wohl wußte,
daß dieſer auf ein künftiges „glänzendes Geſchick“ am ruſſiſchen
Hofe rechne, ihm mit der größten Rückſicht entgegenkam. Sie
traten zu einander in ein vertrautes Freundſchaftsverhältniß
und theilten ſich gegenſeitig die Nachrichten mit, welche dem
einen oder dem andern von Intereſſe ſein konnten 1). So
knüpfte ſich ſchon damals eine nähere Verbindung zwiſchen
Poniatowski und Friedrich II. an; im übrigen wartete die
„Familie“ im Hinblick auf den immer ſchwankenderen Geſund-
heitszuſtand der Kaiſerin Eliſabeth ihre Zeit ab, und dieſe Zeit
kam ſchneller heran, als Brühl ſich gedacht zu haben ſcheint.
Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 10
[[146]]
8. Die Kriſen von 1762 und 1763. Tod
Auguſt III.
Am 5. Januar 1762 ſtarb die Kaiſerin Eliſabeth, am
16ten war die Nachricht in Warſchau. Sie verſetzte den Hof
in die äußerſte Beſtürzung. Zwar tröſtete ſich Brühl anfangs
— wie er an ſeinen Vertrauten Riedeſel ſchrieb — durch die
in dem Notificationsſchreiben des neuen Kaiſers gegebenen
„freundſchaftlichen“ Verſicherungen 1), konnte ſich aber dabei
doch nicht verhehlen, daß ein Wechſel der ruſſiſchen Politik
höchſt wahrſcheinlich eintreten werde. Die langſam einander
folgenden Entſchließungen und Maßnahmen Peter III. hielten
ihn in lebhafter Spannung, bis deſſen Declaration vom
1. Februar ihm die Gewißheit gab, daß dieſer dem langen
Kriege ein Ende ſetzen wolle. In ſeiner Antwort nach Peters-
burg ging er ſofort auf den Friedensgedanken, der „eines ſo
großen Monarchen würdig ſei“, mit der Erklärung ein, daß
ſein König zum Frieden auf billige Bedingungen bereit ſei,
und hiedurch den Beweis liefere, mit welchem Eifer er allezeit
die Alliance „cultiviren“ werde, welche ſein Haus ſeit 60 Jahren
mit dem Peter des Großen verbinde. Gleichzeitig ward Brühls
älteſter Sohn nach Petersburg geſandt; er ſollte den Kaiſer
begrüßen und um die Unterſtützung Rußlands, ſowohl in Be-
[147] treff einer Entſchädigung Sachſens bei dem Frieden, als auch
für die eventuelle Thronfolge des Kurprinzen in Polen, ſich
bemühen. Schmeichelte man ſich doch in Brühls vertrautem
Kreiſe mit der Hoffnung, daß Friedrich II., froh „ſich mit
einem blauen Auge aus der Schlinge ziehen zu können“, gern
irgend etwas zu Gunſten Sachſens opfern werde 1).
Neben dieſen diplomatiſchen Schritten verſäumte der War-
ſchauer Hof auch nicht die Polen näher als bisher an ſich zu
ziehen. Er ließ überall im Lande ausbreiten, wie große Ge-
fahren für die Republik in einer Verſtändigung Rußlands mit
Preußen lägen, indem in ſolchem Falle Rußland für die Heraus-
gabe des eroberten Oſtpreußens an Friedrich II. ſich im Ein-
verſtändniß mit dieſem durch Abreißung irgend einer polniſchen
Landſchaft entſchädigen würde: es ſei daher dringend nothwen-
dig, daß die Nation ſich einig um ihren König ſchaare. In
gleicher Richtung arbeitete die öſtreichiſche und franzöſiſche
Diplomatie. Auch ſie ſtreute in allen Palatinaten, um das
Mistrauen der Polen gegen Rußland und Preußen zu ſteigern
und ſie zu gewaltthätigen Schritten zu treiben, allerhand falſche
Gerüchte aus; unter anderen, daß Friedrich in Wien die Rück-
gabe von Glatz und Oberſchleſien unter der Bedingung an-
geboten habe, daß Öſtreich ihm nicht entgegen ſei, ſich dafür
im polniſchen Preußen zu entſchädigen; Maria Thereſia aber
habe dies Anerbieten aus Liebe für die Polen abgelehnt. Ver-
gebens bemühte ſich Benoit in Übereinſtimmung mit ſeinem
Hofe dieſen Gerüchten durch die bündigſten Verſicherungen, daß
von ſolchen Plänen nie die Rede geweſen ſei und ſein werde,
entgegenzutreten; die Maſſe der Nation glaubte dennoch an
ſie. Der Krongroßfeldherr Branicki ſchrieb an den franzöſiſchen
Geſandten: „Ich ſehe die ganze Größe des Unheils voraus,
welches uns treffen kann, wenn der Czar und der König von
Preußen im Einverſtändniß mit einander ehrgeizige Abſichten
zum Schaden Polens faſſen, dieſes Königreichs, welches, obwohl
10*
[148] es ſo ausgedehnt, ſo fruchtbar und ſo reich an Menſchen iſt,
dennoch niemals ſeine Nachbarn bedroht hat, und dem auch
jetzt die eigne Kraft zur Vertheidigung nicht fehlen würde, wenn
nicht diejenigen, welche an ſeiner Kräftigung am eifrigſten ar-
beiten ſollten, und ſelbſt ſeine Freunde es dem ſichern Unter-
gang anheimfallen ließen. — Die Zukunft wird zeigen, was
daraus folgen wird; je mehr wir Zeit verlieren, um ſo ſchwie-
riger wird die Heilung unſrer Leiden ſein. Denn, wenn wir
auch ſo glücklich ſein ſollten, bei dem allgemeinen Frieden ohne
Schädigung davon zu kommen, wer ſichert uns davor, daß
unſre gierigen Nachbarn, ſobald nur der Friede geſchloſſen ſein
wird, nicht aus unſrer Schwäche und Anarchie für ſich Vor-
theil ziehen wollen. Unſre beſte Hoffnung beruht auf der Re-
gierung und der Hilfe Frankreichs: ich weiß, daß wir an keiner
andern Macht eine ſo zuverläßige und ſo unintereſſirte Stütze
haben.“ Paulmy ſandte eine Abſchrift dieſes Briefes nach
Frankreich (3. Februar), aber Choiſeul antwortete: „Nichts
Wahreres als die Bemerkungen des Krongroßfeldherrn; aber
es giebt für jetzt keine Arznei für dieſe Übel. Es iſt beſſer,
daß Polen in ſeiner gegenwärtigen Lage verbleibt, als das-
ſelbe zu einer Thatkraft anzufeuern, welche nicht zu unſerm
Vortheil gereichen dürfte. Es iſt daher nothwendig, die
Polen zu beruhigen und ſie davon zurückzuhalten, irgend etwas
in dieſen kritiſchen Momenten zu beginnen 1). Nach dieſer
Antwort war es natürlich, daß Branicki den etwas ſpätern
Vorſchlag Paulmy’s, er ſolle in Konſtantinopel energiſche Vor-
ſtellungen über den Aufenthalt der Ruſſen in Polen erheben,
und Türken und Tartaren zu einem Einfall nach Rußland an-
ſtacheln, zurückwies 2). Selbſt die Czartoryski, welchen Brühl
Regimenter, Staroſteien und andre „Gnaden“ bot, um ſie
zum Hofe hinüberzuziehen, nahmen anfangs die Miene an, als
ob auch ſie an jene Gefahren glaubten, ſo daß Benoit es ſich
[149] um ſo mehr angelegen ſein ließ, „den Depit und die Animo-
ſität, welche die Familie gegen alles, was Brühl iſt“, hatte,
nach Kräften zu ſchüren 1). Brühls Bemühungen blieben
in dieſer Beziehung ſchließlich eben ſo ohne Erfolg wie ſeine
Verſuche, für Sachſen zu einem Neutralitätsvertrag mit Friedrich
zu kommen, und die Gunſt des neuen Hofes in Petersburg zu
gewinnen. Seinen Sohn nahm Peter III. nicht nur kalt auf,
ſondern vernachläßigte ihn ſogar in auffallender Weiſe und ver-
lieh, in ſchneidendem Contraſt hiezu, dem jungen Adam Czar-
toryski gleich darauf den Orden des heiligen Andreas. Der
ruſſiſche Geſandte Wojikow überbrachte denſelben noch kurz vor
ſeiner Abberufung in Perſon nach Pulawy. Es war dies das
erſte Zeichen der Gunſt, welches die Familie von dort erhielt;
Katharina hatte es ſeit der Thronbeſteigung nicht mehr gewagt,
an Poniatowski zu ſchreiben 2).
Allmählig beruhigte ſich in dem Maaße, in welchem ſich
der politiſche Horizont klärte, auch die Aufregung unter den
Polen. Gleich nachdem zwiſchen Rußland und Preußen ein
Waffenſtillſtand (16. März) geſchloſſen war, welchem der Frieden
nach wenigen Wochen folgte (5. Mai), fingen die ruſſiſchen
Truppen an aus Polen abzuziehen und ließen nur an einzelnen
Punkten kleine Detachements zur Bedeckung ihrer Magazine
ſtehen. Großpolen und Polniſch-Preußen athmeten ſo zu ſagen
von neuem auf, und nur kurze Zeit dauerte die Unruhe, in
welche die Nation im Juni durch das Erſcheinen eines Tar-
tare[n]heeres an ihren Gränzen verſetzt ward. Man unterhandelte
mit dem Chan, welcher auf einige Gränzſtriche Anſprüche zu
haben glaubte, ſandte auch einige Krontruppen dorthin, wandte
ſich zu gleicher Zeit nach Konſtantinopel und bewog ſchließlich
den Chan durch „anſehnliche Geſchenke“, zu welchen auch der
König 1000 Dukaten beiſteuerte, zum Rückzuge 3). Unter
[150] dieſen Umſtänden trat das gewöhnliche Treiben und Leben
wieder in den Vordergrund, und mit ihm der Wettlauf um
die grade damals zahlreich erledigten Ämter und Würden.
Den durch den Tod des Fürſten Michael Radzivil (Mai) er-
ledigten lithauiſchen Feldherrnſtab trug, dem geſetzlichen Her-
kommen nach, der bisherige Unterfeldherr Maſſalski davon,
deſſen Sohn nicht lange vorher (Februar) zum Biſchof von
Wilna ernannt worden war. Dagegen um das durch Maſ-
ſalski’s Beförderung erledigte Unterfeldherrnthum, wie um
das Palatinat Wilna u. a. wurde der Streit der Perſonen
und Partheien außerordentlich lebhaft. Um beide Ämter be-
warb ſich zunächſt der Sohn des verſtorbenen Radzivil, der
ſpäter unter dem Namen des „Herrchen liebes“ (panie
Kochanku) ſo bekannt gewordene Fürſt Karl, aber er fand in
Bezug auf das eine wie das andre an zwei Sapiehas Con-
currenten, deren Familie ſeit undenklichen Zeiten den Radzivil
in Lithauen ſtets das Widerpart hielt. Michael Alexander
Sapieha, Palatin von Poloczk, ſtrebte nach dem niedern Feld-
herrnſtabe; Paul Peter Sapieha nach dem Palatinat von
Wilna, welches er durch die Protection Friedrich II. und
Peter III. zu erreichen hoffte. Außer dieſen traten als Be-
werber noch ein Pocieji, ein Potocki und ein Schwiegerſohn
des lithauiſchen Kanzlers, Michael Oginski, auf. Brühl hatte,
ſo lange der Krieg dauerte, die Ämter größtentheils an den
Meiſtbietenden verkauft, und die Polen waren hieran ſo ge-
wöhnt, daß niemand Anſtoß daran nahm; ſie betrachteten es
als eine Art von generosité, dem Könige dieſe Einnahmequelle,
ſo lange der Krieg dauere, zu laſſen. So bei denn auch jetzt
der junge Radzivil 40000 Dukaten für den kleinen Feldherrn-
ſtab, wohl in der Hoffnung, die Gegner, die an Reichthum weit
hinter ihm ſtanden, dadurch zu beſiegen. Im Juni ward nun
auch noch durch den Tod des Kronkanzles Jan Malachowski
(† 18.. Juni) das Unterkanzleramt der Krone erledigt, welches
ebenſo wie das gleichfalls erledigte litauiſche von nicht ge-
ringer politiſcher Bedeutung war. Um das erſtere bewarb ſich
der Palatin von Braclaw, Fürſt Jablo[no]wski und bat in einem
[151] eigenhändigen Briefe (16. Auguſt 1762) um Friedrichs Für-
ſprache in Petersburg, damit Katharina, die ſich für die Czar-
toryskis intereſſire, ihm nicht entgegen ſei 1).
Wie herkömmlich ward die ſchließliche Verleihung der großen
Würden und Ämter bis auf den in dieſem Jahr bevorſtehenden
ordentlichen Reichstag ausgeſetzt, zu dem der König unter dem
31. Mai die üblichen Univerſalien erließ. Er ſchlug in ihnen,
wie ſchon einmal früher, einen höchſt beweglichen Ton an.
Nachdem er darüber geklagt, daß alle ſeine Bemühungen für
die Wohlfahrt der Republik ohne ſeine Schuld geſcheitert
wären, ſprach er aus, daß ihm „endlich die Luſt vergehen
müſſe, in den öffentlichen Angelegenheiten des Staats nach
Rath zu ſuchen“, daß er aber dennoch den Reichstag berufe
in der Hoffnung, „es werde doch endlich die erwünſchte Zeit
kommen, das Vaterland zu beleben, in dem man wegen des
von einem wider den andern gefaßten Widerwillens bisher alle
Hoffnung aufgeben müſſen, etwas zum allgemeinen Beſten zu
Stande gebracht zu ſehen 2). Solchergeſtalt waren Regierung
und Nation mit den erſten Vorbereitungen zu den Reichstags-
wahlen beſchäftigt, als, den meiſten unerwartet, ein Ereigniß
eintrat, deſſen Bedeutung für die Geſchicke beider gleich im
erſten Moment, wenn auch nicht in ſeiner ganzen Tragweite
erkannt, ſo doch im allgemeinen gefühlt ward.
Am 9. Juli ſtürzte Katharina ihren Gemahl vom Thron
und erhob ſich zur Selbſtherrſcherin aller Reuſſen. Am 16.
oder 17. d. M. war die erſte Nachricht davon in Warſchau.
Brühl hatte ſie auf einem Nebenwege erhalten, zugleich mit
der Mittheilung, daß die auf dem Rückmarſch im polniſchen
Preußen befindlichen ruſſiſchen Truppen Halt machen ſollten.
War es Wahrheit oder Diplomatie, daß er ſeinen König ſofort
an deren Commandirenden Soltikoff ſchreiben ließ, er hoffe
zuverſichtlich, „bei der ſich durch die augenſcheinliche Fügung
des Allerhöchſten kürzlich ergebenen großen Veränderung im
[152] ruſſiſchen Kaiſerreiche — das natürliche Syſtema und die
gemeinnützigen Verbindungen des dortigen Hofes mit den
übrigen jedesmal freundlichen Mächten vollkommen wieder her-
geſtellt zu ſehen“ (19. Juli) 1). Freilich hatte Katharina noch
im März dem öſtreichiſchen Geſandten in Petersburg, Grafen
Mercy d’Argenteau, „die bündigſten Verſicherungen zugelangen
laſſen, daß, wann ſie nur das mindeſte Vermögen hätte, ſie
ſolches gewiß zur Aufrechthaltung des alten systematis ge-
brauchen würde“, und auch Kaunitz wünſchte, als er die Nach-
richt empfing, Maria Thereſia Glück zu dem Ereigniß, welches
er als eins der glücklichſten bezeichnete 2). Brühl ward jedoch
bald enttäuſcht. Das Erſte, was ihm über die Stellung, welche
Katharina zu den innern Partheiverhältniſſen in Polen ein-
nehmen würde, die Augen öffnete, war die ſtolze und zuver-
ſichtliche Haltung, welche die „Familie“ ſofort annahm. Zwar
war der junge Poniatowski, der bisher keine directe Nachricht
von der neuen Kaiſerin erhalten hatte, am 22. Juli aufs
Land gegangen; kaum aber hatte er die Stadt verlaſſen, als
ein ruſſiſcher Courier mit Depeſchen an ihn eintraf und ihm
ſofort nacheilte. So geheim dies auch gehalten werden ſollte,
Brühl erfuhr davon doch ſehr raſch und wollte darüber vor
„Ärger platzen“ 3). Der preußiſche Reſident aber wußte ſchon
am 29ſten durch Poniatowski ſelbſt, daß für dieſen alles gut
ſtehe, und er für Preußen recht nützlich werden zu können ver-
traue. Bald darauf theilte er mit: „Die Kaiſerin ſei höchſt
empfänglich für die Rückſichten und Artigkeiten, die Friedrich
ihr bezeigt, und würde ihr Lebelang dafür dankbar ſein“ 4).
Natürlich ward Benoit, deſſen Verhältniß zu Poniatowski je
länger, je vertrauter ward, wiederholt von Berlin angewieſen,
dies Verhältniß mit allen Mitteln zu erhalten und zu för-
dern 5), und er that es mit großem Erfolge. „Niemand viel-
[153] leicht als ich“ — ſchrieb er am 25. September nach Berlin —
„weiß, wie ſehr er alle Urſache hat, mit der Stimmung
(sentiments) zufrieden zu ſein, in welcher die Kaiſerin gegen
ihn fortdauernd iſt.“ In der That unterhielt Katharina,
ſeitdem ſie den Thron beſtiegen, nach wie vor einen vertrauten
Briefwechſel mit ihm. Sie hatte ihm oft wiederholt, daß ein
Mann ohne Ehrgeiz ihr nicht gefallen könne, und den ſeinigen
erweckt und geſtachelt durch die Ausſicht auf den Thron ſeines
Vaterlandes, welche ſie zuerſt ihm, der ſelbſt bis dahin nie
daran gedacht hatte, eröffnete 1). Jetzt ſandte ſie ihm unter
dem 2./13. Auguſt einen ſehr ausführlichen Bericht über die
Revolution, welche ſie zum Thron geführt, und bat ihn in
dieſem Moment nicht nach Petersburg zu kommen; ſie habe
tauſende von Rückſichten zu nehmen, werde aber für ihn und
ſeine Familie alles thun und den Grafen Keyſerling als ihren
Geſandten nach Polen ſenden, um ihn, oder wenn dies nicht
durchzuſetzen, den Prinzen Adam auf den Thron zu ſetzen 2).
Acht Tage darauf (9./20. Auguſt): er ſolle ſich ruhig halten,
ſich nicht beunruhigen, ſie werde ſeine Familie ſchützen; ſchreiben
könne ſie nicht, ſie dürfe ſich nicht verdächtig machen; wenn
man ihm von Aufregungen unter den Truppen erzähle, ſo
möge er wiſſen, daß das nur Exceſſe ihrer Liebe für ſie wären,
welche bereits anfingen ihr läſtig zu ſein; ſie ſtürben aus
Furcht, ihr könne das geringſte paſſiren, und ſie könne nicht
ihr Zimmer verlaſſen, ohne mit enthuſiaſtiſchen Zurufen em-
pfangen zu werden; die Schlüſſel zu den Chiffren ihres Brief-
[154] verkehrs wären ihr in den kritiſchen Tagen abhanden gekommen;
er möge ihr ſo wenig als möglich, oder vielmehr ohne zwingende
Noth gar nicht ſchreiben. In allen ihren folgenden Briefen
bis gegen den Schluß des Jahres wiederholt ſie die Verſiche-
rungen ihrer Freundſchaft und ihres Schutzes für ihn und die
„Familie“, aber auch zugleich, daß er ſeinen, wie es ſcheint
wiederholt ausgeſprochnen Wunſch, nach Petersburg zu kommen,
unter keinen Umſtänden ausführen ſolle. „Ihre Ankunft hier
würde die traurigſten Folgen nach ſich ziehen“, ſchrieb ſie ihm
am 3./12. September, und am 27. November (8. December),
„wenn Sie hierher kommen, ſo laufen wir Gefahr, beide
maſſacrirt zu werden“. Daneben zeigt ſie ſich ihm an Geiſt
und Character ſchon damals weit überlegen und ſagt ihm ernſt
die Wahrheit. „Ich kann und ich will mich über viele Dinge
nicht äußern — mein Verhalten muß ſo ſein, wie es iſt —
ich habe es wiederholt geſagt und ſage es wieder, Sie wollen
geſchmeichelt ſein, ich aber kann das nicht und will es nicht,
und bedarf tauſendmal am Tage gleicher Feſtigkeit, und will
uns nicht verderben.“ (12/3. September.) Und dann wieder:
„Nur ich allein kann mich in allen Lagen meines Lebens be-
ſtimmen — ich habe es Ihnen geſagt, daß Ihre Briefe nichts,
gar nichts vermögen, und daß, wenn Sie weiſe wären, Sie
ſich hüten würden, ſie zu ſchreiben; ſtatt deſſen ſollten Sie
alles, was die Geſchäfte betrifft, einfach an Keyſerling geben,
um es mir zu überſenden. — Sagen Sie, was Sie wollen,
ich werde inzwiſchen die guten Wünſche, die ich für Ihre Fa-
milie hege, durch die That beweiſen, indem ich Sie nach beſten
Kräften unterſtütze.“ (22./11. November, 8. December / 27. No-
vember 1).)
Während Katharina ſolchergeſtalt die Hoffnungen der „Fa-
milie“ in der Gegenwart und für die Zukunft im Geheimen
nährte, trat ſie auch öffentlich ſehr bald dem Warſchauer Hofe
gegenüber mit einer Forderung auf, welche dieſen in die pein-
[155] lichſte Verlegenheit ſetzen mußte. Bereits Peter III. hatte neben
den andern Verbannten, die er zurückkommen ließ, auch den
Herzog Ernſt Johann v. Biron nicht nur von neuem zu
Gnaden wieder angenommen, ſondern ihn auch als den recht-
mäßigen Herzog von Kurland anerkannt, nicht in der Abſicht,
ihn in die Regierung dort wieder einzuſetzen, ſondern um von
ihm gegen anderweitige Schadloshaltung eine Verzichtleiſtung
zu Gunſten des Herzogs Georg Ludwig von Holſtein-Gottorp
zu erhalten. Für dieſen Plan ließ er ſich in dem Alliance-
tractat, den er am 8. Juni mit Friedrich II. abſchloß, von
dieſem das Verſprechen geben, jenes Abkommen zu fördern und
Biron in die Standesherrſchaft Wartenberg in Schleſien wieder
einzulaſſen. In dieſer Lage befand ſich die kurländiſche Sache
noch, als Katharina die Regierung übernahm. Sie am wenigſten
war gewillt, den Einfluß, welchen Rußland ſeit Peter d. Gr.
dort geübt hatte, zu Gunſten der ſächſiſchen Dynaſtie aufzu-
geben, und da der Herzog von Holſtein nach dem Tode
Peters Rußland verließ, verhandelte ſie um ſo mehr mit Biron
über die Bedingungen ſeiner Wiedereinſetzung, als es in Kur-
land ſelbſt eine Parthei gab, welche dieſe wünſchte 1). Als
erſten Schritt zur Ausführung forderte ſie in Kurland Winter-
quartiere für ihre aus Preußen heimkehrenden Truppen, — eine
Forderung, welche Brühl ſofort auf den Gedanken brachte, daß
hinter ihr noch eine andere, weitergehende Abſicht liege 2).
Herzog Karl lehnte die Forderung, weil dazu die Genehmigung
ſeines Vaters des Königs nothwendig ſei, vorläufig ab; allein
da Katharina gleich darauf die Verhandlung mit Biron ge-
ſchloſſen hatte (5. Auguſt), richtete ſie an König Auguſt ſelbſt
die Aufforderung, er möge ſeinen Sohn zur Verzichtleiſtung
bewegen, wogegen ſie die Räumung Sachſens von den Preußen
vermitteln wolle, um welche ſie ſich wirklich bemühte (8./19. Auguſt).
Vergebens berief ſich Auguſt darauf, daß er und die Republik
allein und ausſchließlich über die Rechtsfrage zu entſcheiden
[156] hätten, und bat, indem er ſich zu allem erbot, was ſich mit
den wohlerworbnen Rechten ſeines Sohnes nur irgend ver-
einigen ließe, um die „großmüthigen Abſichten“ der Kaiſerin
gegen die Familie Biron zu fördern, es möchte ſeinem väter-
lichen Herzen jene Zumuthung erſpart werden. Die Kaiſerin
erklärte, ſie könne die Erhebung des Prinzen Karl nicht für
rechtmäßig anerkennen, weil ſie nur auf das Gutachten eines
Senatconſiliums und nicht in Folge eines Beſchluſſes des
Reichstages ſtattgefunden habe. Ihr Geſandter berief ſich dabei
wiederum auf die Mediationsacte von 1716, nach welcher Ruß-
land nicht nur das Recht, ſondern auch die Pflicht habe, die
Rechte und Freiheiten der Republik, die durch jene Erhebung
verletzt wären, zu ſchützen. In der That fehlte es auf beiden
Seiten an Rechtsgründen nicht, die ſich für die eine und die
andre Auffaſſung geltend machen ließen. Das Entſcheidende
aber war wie immer die Macht. Was konnten König Auguſt
und ſein Sohn den in Kurland einrückenden ruſſiſchen Truppen
entgegenſtellen? Wie einmal die Lage der Dinge in Polen
war, konnte niemand auch nur entfernt den Gedanken hegen,
einen Beſchluß des Reichstags für eine Kriegserklärung gegen
Rußland zu Stande zu bringen.
Zu dieſer Bedrängniß von auswärts geſellte ſich für Brühl
gleichzeitig eine innere. Er hatte es nachgerade mit allen Par-
theien verdorben; die Czartoryski hatte er von ſich geſtoßen,
die „Patrioten“ dann wieder durch ſeine Verbindung mit
Rußland ſich entfremdet; die Maſſe des Adels war durch all’
die Kalamitäten, unter welchen, mit oder ohne ſeine Schuld,
das Land während des Kriegs gelitten hatte, verſtimmt und
gereizt. Auf den Landtagen ging es bei der Wahl der Land-
boten in gewohnter tumultuariſcher Weiſe zu. Sehr viele
wurden, ohne daß es zu einer Wahl kam, zerriſſen, wobei es
an Verwundungen und Todſchlägen, namentlich in Plock und
Zakroczyn, nicht fehlte 1); wo aber die Wahlen zuſtandekamen,
unterlag die Parthei des Hofes faſt überall. Brühl geſtand
[157] dem preußiſchen Reſidenten, daß drei Viertel aller Landboten
gegen den Hof ſein würden. Alle ſeine Bemühungen, ſich über
die Beſetzung der Ämter mit den Partheien zu verſtändigen,
waren geſcheitert. Er hatte anfangs ſich bereit erklärt, ſo viel
als möglich hiebei auf die Empfehlungen des Krongroßfeldherrn
Rückſicht nehmen zu wollen; dieſer näherte ſich aber grade jetzt
wieder der „Familie“ und dieſe hiedurch im Bewußtſein ihrer
Macht noch mehr geſtärkt, ſprach es unumwunden aus, daß,
falls nicht diejenigen, welche ſie vorſchlüge, die Ämter erhielten,
ſie ſich im Reichstage Allem ohne Ausnahme widerſetzen würde.
Noch kurz vor der Eröffnung deſſelben, verſuchten Brühl und
ſein Schwiegerſohn Mniſzek ſich mit dem Primas und dem
Krongroßfeldherrn, welchem letztern der Hof eine „beiſpielloſe
Berückſichtigung“ hatte zu Theil werden laſſen, in einer Con-
ferenz zu verſtändigen. Branicki wollte im Einverſtändniß mit
den Czartoryski, daß der Palatin von Inowraclaw, Andreas
Zamoyski, welcher durch ſeinen ehrenwerthen Character und
ſeine Tüchtigkeit in Geſchäften, in der That die öffentliche Mei-
nung für ſich hatte, das Amt des Kanzlers erhalte; aber
Mniſzek wollte durchaus an deſſen Stelle den Kaſtellan von
Poſen, Twardowski 1), und wie über dies Amt kam man auch
über die andern zu keiner Einigung. Die Czartoryski erklärten
nach wie vor, entweder alles oder nichts; ſie hätten niemanden
vorgeſchlagen, der zu ihrer eigentlichen Familie gehöre, aber
außer Zamoyski wollten ſie auch ihre andern Freunde berück-
ſichtigt ſehen, und unter dieſen den Grafen Oginski für das
Palatinat von Wilna, den Kaſtellan Broſtowski für den kleinen
lithauiſchen Feldherrnſtab 2). Und wie über die Vertheilung
der Ämter, ſo verhandelte man auch nach Herkommen bereits
lange vorher über die Frage, wer zum Marſchall des Reichs-
[158] tages gewählt werden ſolle. Gegen die Mitte September einigte
man ſich auf Mokranowski, aber ſchon damals gab der Hof
hierin nur mit Widerſtreben und nur deshalb nach, weil eine
Reihe von Landtagen ihren Boten die Inſtruction gegeben
hatten, keinen andern als Marſchall zuzulaſſen. Mokranowski
wünſchte dringend einen fruchtbaren Reichstag. Er gab Benoit
die bündigſten Verſicherungen, daß keine Beſchlüſſe gegen das
Intereſſe Friedrichs gefaßt werden ſollten; ein beſſres Reglement
für die Tribunale und Wiederaufnahme der Münzfrage würden
die Hauptgegenſtände der Berathung ſein; man habe ſich ent-
ſchloſſen, die Vermehrung der Armee und die Einführung der
Stimmenmehrheit bei den Reichstagen für gewiſſe Fälle fallen zu
laſſen, weil ihre Einbringung zur Sprengung des Reichstags
führen würde. Allein gegen Ende September ſträubte ſich
der Hof wieder gegen die Wahl Mokranowski’s. Auguſt III.
Geſundheitszuſtand ſchwankte je länger je mehr; ſeine Kräfte
nahmen ab und es ſchien, als ob er nicht lange mehr leben
würde. Unter dieſen Umſtänden fürchtete der Hof, daß, wenn
Mokranowski, der in der Thronfolgefrage ein entſchiedener An-
hänger Frankreichs war und ein „unbegränztes Vertrauen“
(un credit infini) in der Nation beſaß, bei dem Tode des
Königs Marſchall wäre, dies dem Intreſſe der ſächſiſchen Dy-
naſtie höchſt ſchädlich werden könne 1). Um aber Mokranowski’s
Wahl zu verhindern, ſchien kein andres Mittel übrig, als den
Reichstag noch vor der Wahl des Marſchall zerreißen zu laſſen.
Die Freunde des Hofes forderten unter dem Siegel des Ge-
heimniſſes den preußiſchen Reſidenten auf, daß er die Zer-
reißung beſorge: es ſollte ſeinem Könige keinen Groſchen koſten,
ſie wollten alle Ausgaben decken. Benoit lehnte dies ab, aber
er ſah ganz richtig voraus, daß der Reichstag unter allen Um-
ſtänden zerriſſen werden würde, da der Hof, um Mokra-
[159] nowski’s Wahl um jeden Preis zu verhindern, es ſelbſt
wünſche 1).
Kurz vor Eröffnung des Reichstages ſtrömten die Land-
boten in Warſchau zuſammen. Die Mächtigern und Ange-
ſehnern unter ihnen kamen diesmal mit ſo großem, herkömmlich
bewaffnetem, Gefolge, wie man ſolches früher nicht geſehen
hatte; der junge Fürſt Radzivil zeichnete ſich hiedurch beſon-
ders aus. Noch vor der Eröffnung hatte der König ihn zum
Palatin von Wilna, und Michael Alexander Sapieha zum
Unterfeldherrn von Lithauen ernannt. Branicki, der ein ver-
trauter Freund des Vaters geweſen, hatte ſich für Radzivil
verwandt, und dieſer ſelbſt verſprochen in 6 Wochen 60,000
Dukaten zu zahlen, von welcher Summe er die Hälfte der
Wittwe Lubomirska, der Freundin Brühls, ſofort baar über-
gab; er hatte zu dem Zweck ein halbes Schock ſeiner zahl-
reichen Güter verpfändet 2). Dieſe Ernennungen ſteigerten die
Leidenſchaft der Partheien. Die „Familie“, deren Kandidaten
nicht berückſichtigt waren, grollte von neuem dem Krongroß-
feldherrn, der indeß in Betreff Zamoyski’s Farbe hielt.
Am 4. October wurde der Reichstag eröffnet. Der Saal
war nicht nur von den Landboten, ſondern auch von dem Ge-
folge der „Herren“ und andern Zuhörern dicht gefüllt. Jeder-
mann wußte vorher, daß es tumultuariſch zugehen werde, und
die Landboten ſaßen daher nicht in ihrer herkömmlichen Ord-
nung nach Woiwodſchaften und Kreiſen, ſondern es hielten ſich,
ſoweit das bei dem Gedränge möglich war, die Partheien bei
einander. Seit 1758 war kein Reichstag mehr dazu gelangt,
[160] einen Marſchall zu wählen, und der damals gewählte Adam
Malachowski übernahm daher jetzt wieder den Vorſitz. In
ſeiner Begrüßungsrede ſprach er ſich ſehr energiſch darüber
aus, daß es Zeit ſei, das Vaterland aus dem Zuſtand von
Barbarei zu erlöſen, in welchem es ſeit langen Jahren ſchmachte.
Dann ermahnte er zu einer einhelligen Wahl eines Marſchalls
zu ſchreiten und wollte darauf die Stimmen ſammeln, allein
er fand auf allen Seiten Widerſpruch. Zwar empfahl der
Landbote von Sochaczew, Wielohorski, ein Partheigänger des
Hofes, dringend die Wahl, aber der junge Poniatowski, und
ein Lubomirski, welche nicht wußten, daß Wielohorski nur des-
halb ſo warm auftrat, um das Spiel des Hofes zu verdecken,
widerſetzten ſich lebhaft. Als ſie ihrer Täuſchung inne wurden,
waren ſie verſucht, die Wahl Mokranowski’s vor ſich gehen zu
laſſen, aber ehe ſie zu einem Entſchluß kamen, ward die
Sitzung, die bis 6 Uhr fruchtlos gedauert hatte, auf den
folgenden Morgen vertagt.
Kaum war die neue Sitzung am 5. October eröffnet, als
von allen Seiten die alten Klagen erſchollen. Mokranowski
griff den Mißbrauch an, welchen gewiſſe Perſonen von ihrer
Autorität machten, und erſt nach vielen Reden und Geſchrei
kam Poniatowski zum Wort. Alle ſchönen Reden, ſagte er,
würden nicht das Geringſte bewirken, ſo lange ſich Ausländer
in ihre Regierung miſchten; ein ſolcher ſei ſelbſt unter den
Landboten und es ſei vor allem nothwendig, dieſem Mißbrauch zu
ſteuern; perſönlich achte er den jungen Grafen Brühl, der ſich
in Warſchau zum Landboten habe wählen laſſen, er wünſche
ihm alles Gute und ſei betrübt, daß er grade gegen dieſen
auftreten müſſe, aber als Pole könne er nicht anders denken
und müſſe feierlich erklären, daß, ſo lange Graf Brühl die
Landbotenſtube nicht verlaſſen habe, er jeder Activität des
Reichstages widerſpräche 1). Ein unbeſchreiblicher Tumult folgte
[161] dieſen Worten. Die Freunde Brühls, die in ſeiner Nähe waren,
zogen die Säbel und in einem Augenblick fuhren auf allen
Seiten die Säbel aus den Scheiden. Es war ein in dieſen
Räumen, wie man ſagte, unerhörter Vorgang. Der alte
Marſchall Malachowski, Mokranowski, der Großmeiſter der
Artillerie Potocki warfen ſich, von einigen Freunden unter-
ſtützt, zwiſchen die Partheien und bewogen ſie die Säbel
wieder einzuſtecken. Mokranowski forderte darauf, daß die be-
waffneten Gefolge, welche mehrere „Herren“ mit in den Saal
gebracht hatten, dieſen verließen; allein Radzivil widerſprach mit
einigen ſeiner Freunde, während gleichfalls die Parthei der
Czartoryski ſtürmiſch verlangte, man ſolle ſofort unterſuchen,
wer zuerſt zum Säbel gegriffen. Mitten unter der allgemeinen
fortdauernden Unruhe konnte Poniatowski ſeine Rede kaum
vollenden. „Wir eingeborne Edelleute dieſes Landes“, rief
er aus, „haben allein das Recht, uns ſelbſt und unſern Nach-
kommen die Geſetze zu geben, kein Ausländer darf daran Theil
nehmen. Den Namen Brühl haben wir aber ſeit Jahr-
hunderten unter uns nie gehört, und vor dem Jahre 1749
hat dieſe Familie niemals hier ein adliches Gut beſeſſen.
Zwar habe ich wohl von einem Decret des Tribunals von
Petrikau gehört, aber auch abgeſehen davon, daß ein ſpäteres
Decret des Tribunals von Lublin vorhanden iſt, welches jenes
aufhebt, ſchreiben nicht unſre Geſetze, vor allen das von 1633,
es vor, daß das Indigenat bei uns nur durch die Reichstage
erlangt werden kann? Seit 1749 iſt jedoch kein Reichstag zu
Beſchlüſſen gelangt. Hüten wir uns, daß dieſes Beiſpiel nicht
künftigen Günſtlingen der Könige den Weg bahnt, ſich den
Titel und die Privilegien unſres Adels anzumaaßen, und daß auf
dieſem Wege Fremde bei uns ſich ausbreiten, die ächte Nach-
kommenſchaft der alten Polen verdrängend!“ Inzwiſchen hatte
bereits Szymakowski, Landbote von Ciechianow, zur Parthei
des Hofes gehörig, bei dem Grodgericht in Warſchau ein
Manifeſt eingelegt, durch welches er gegen jede fernere Ver-
handlung proteſtirte und dadurch den Reichstag zerriß. Er
habe, ſagte er darin, dies für angezeigt gehalten, weil die
Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 11
[162] Sicherheit der Landboten in ihrem Heiligthum durch Waffen
gefährdet, und die Freiheit der Republik durch die im Lande
ſtehenden ruſſiſchen Truppen und deren Exceſſe verletzt ſei. Als
dies in der Verſammlung bekannt ward, blieb dem Marſchall
nichts übrig, als die Sitzung auf den folgenden Tag zur Ver-
abſchiedung zu vertagen 1).
Während dieſer tumultuariſchen Auftritte geriethen der alte
Brühl und der Kanzler Czartoryski perſönlich auf das heftigſte
aneinander. Zur Feier des Krönungsfeſtes des Königs gab
[163] der Krongroßfeldherr ein Diner, zu dem er Brühl, die fremden
Miniſter und den Kanzler eingeladen hatte. Unmittelbar bevor
man ſich zu Tiſch ſetzte, kam die Nachricht von dem Tumult
im Reichstage. Graf Brühl ſagte, daß es nicht geſtattet ſein
ſollte, ſo mit ihm umzugehen, da alle Geſetze dergleichen Ge-
walthätigkeiten verböten. Da rief der Kanzler, der am andern
Ende des Zimmers ſaß, herüber: „Es ſteht Ihnen ſchlecht an,
von den Geſetzen zu ſprechen, da Sie kein Pole ſind.“ Dies
wird man mir beweiſen müſſen, entgegnete Brühl, worauf der
Kanzler: dies wird nicht ſchwer ſein und man wird Mittel
finden, daß Sie ſelbſt es zugeben müſſen; es iſt Zeit, daß
man erwacht, die Republik wird es Ihnen beweiſen. Alle
Herren geriethen in Aufregung und die Damen fingen an zu
weinen. „Die Republik weiß nicht, was ſie will“, rief darauf
die Fürſtin Lubomirska aus, und fügte zum Kanzler ſich wendend
hinzu, „grade Sie und Ihre Familie haben Brühl zum pol-
niſchen Edelmann gemacht.“ Er antwortete höchſt trocken:
„Grade dies beweiſt am beſten, daß er es nicht iſt, weil wir
ihn dazu gemacht haben ſollen; woher ſollten wir das Recht
dazu haben? Die ganze Acte iſt null und nichtig.“ Auf einer
andern Seite ging die Frau des Krongroßfeldherrn, welche
für ihre Brüder Poniatowski fürchtete, mit ſtolzen Schritten
durch den Saal und rief mit lauter Stimme, es ſei doch
ſchrecklich, daß Ausländer die Ruhe des Staats ſtörten und
ob ein Brühl es werth ſei, daß man ſich um ſeinetwillen die
Hälſe bräche. „Sie werden“, ſagte ſie ihm, „ſchon Leute
finden, die Ihnen zu widerſtehen wiſſen und Sie binnen kurzer
Zeit zur Vernunft (mettre à la raison) bringen werden, es
giebt noch Polen in Polen!“ Der öſtreichiſche Geſandte, Graf
Sternberg, wollte die Gemüther beruhigen und erinnerte die
Krongroßfeldherrin an das göttliche Gebot, daß man ſeinem
Nächſten nichts Übles wünſchen ſolle; allein dieſe fromme Er-
innerung fruchtete wenig. Brühl verließ, ſobald ſein Wagen
gekommen war, die Geſellſchaft 1).
11*
[164]
Ganz Warſchau war in der höchſten Aufregung. Mokranowski
und mehrere andre hatten noch in der Sitzung am 5ten vor-
geſchlagen, den Reichstag zu Pferde abzuhalten, um durch dieſes
Mittel die Unruhſtifter zu bändigen. Am folgenden Tage ſprengten
die Landboten, von zahlreichem Gefolge begleitet, mit geladnen
Piſtolen durch die Straßen der Stadt; einige der „Herren“
hatten 3- bis 400 Bewaffnete um ſich und man ſprach von nichts
anderm als von einer Conföderation. Der Primas Lubienski
begab ſich zum Könige, um ihm die Gefahr vorzuſtellen, in
der man ſchwebe; die Unzufriedenheit und die Aufregung der
Nation hätten einen ſo hohen Grad erreicht, daß, wenn es
auch jetzt gelänge, die Gemüther zu beruhigen, die Ruhe nicht
lange vorhalten würde. Von allen Seiten bemühte man ſich,
es nicht zum Äußerſten kommen zu laſſen. Auch Benoit ſtellte
ſeinen Freunden aufs nachdrücklichſte vor, wie gefährlich eine
Conföderation und ein durch ſie herbeigeführter Bürgerkrieg in
dieſem Moment ſein würde, in welchem noch fremde Truppen
im Lande ſtänden. Im erſten Augenblik machte er auch hiemit
keinen Eindruck. „Es ſcheint“, ſchrieb er am 6. October,
„daß der Haß gegen Graf Brühl und alles, was Sachſe heißt,
auf den höchſten Grad geſtiegen iſt; alle Welt iſt in einer
ſtaunenswürdigen Aufregung. Ich hoffe, daß man noch einmal
den Sturm beſchwören wird, aber ich kann für nichts ſtehen;
ſollte etwas Außerordentliches ſich ereignen, werde ich eine
Stafette ſenden.“ Der Hof beſchäftigte ſich bereits mit dem
Gedanken, ſächſiſche Truppen kommen zu laſſen 1). So weit
kam es indeß nicht.
[165]
Bereits am 9. October konnte Benoit ſeinem Hofe melden,
daß ſich die allgemeine Aufregung beruhige. Die Parthei der
Czartoryski begnügte ſich mit der Veröffentlichung eines Mani-
feſtes, in welchem ſie gegen die gewaltſamen Auftritte im Reichs-
tage und den Bruch deſſelben Proteſt einlegte: letzterer habe ſie
verhindert, der Nation die Beweiſe dafür vorzulegen, daß
Brühl kein polniſcher Edelmann ſei. Dies Manifeſt unter-
ſchrieben die Czartoryski, Kaſimir und Stanislaw Poniatowski,
der General der Artillerie Potocki, ein Lubomirski, ein Pociey,
Franz Rzewuski, Franz Xaver Branicki, ein Wielopolski, Ra-
fael Skarbeck und etwa 30 andre Landboten. Die Hofparthei,
der ſich jetzt auch wieder der Krongroßfeldherr näherte, ant-
wortete mit einem Gegenmanifeſt, in welchem ſie ausführte,
daß die Czartoryski ſelbſt Brühl die Anerkennung als polniſchen
Edelmann verſchafft und daß, was in der That nicht der Fall
war, ihre Kreaturen im Reichstage zuerſt zu den Säbeln ge-
griffen hätten. Dies Manifeſt unterſchrieben Severyn und
Joſeph Rzewuski, Michael Wielhorski, Karl, Stanislaw und
Michael Radzivil, Joſeph Sapieha, Ignatz Bohuß, A. Mokra-
nowski, Friedrich Brühl u. a. 1). In dem Senatsconſilium,
welches dem Reichstage am 25. October folgte, ſtießen die
Partheien noch einmal hart aufeinander. Der lithauiſche
Kanzler verurtheilte ſchonungslos die ganze bisherige Regierung
Brühls und ward hiebei von Andreas Zamoyski, der ſeitdem
als einer der beſten Männer der Republik hervortrat, aufs
nachdrücklichſte unterſtützt 2). Allein die Mehrheit des Senats
war gegen ſie. Man beſchloß, es dem König zu überlaſſen,
ſobald er es nothwendig fände, einen außerordentlichen Reichstag
zu berufen, und daß die Marſchälle die ſtrengſte Unterſuchung
in Betreff der Urheber des Tumults im Reichstage anſtellen
[166] ſollten u. a. m. 1). „Wird nicht ausgeführt werden“, ſetzte
Benoit ſeinem Bericht hierüber hinzu, und behielt damit Recht 2).
Gleich auf die erſten Nachrichten von den Tumulten im
Reichstage hatte Friedrich II. gemeint, es würde aus all’ dem
Spectakel nicht viel herauskommen 3); aber die Czartoryski
unterließen in dieſem Moment, wie wir ſehen werden, nicht
aus eignem Entſchluß die Bildung einer Conföderation, ſie wurden
daran nur durch Katharina und Friedrich ſelbſt verhindert.
Beide hatten ſich ſehr bald nach der Thronbeſteigung
Katharina’s trotz aller Gegenwirkungen Öſtreichs, Frankreichs
und des von ihr zurückgerufenen Beſtuchefs einander genähert.
Sie beſtätigte den Frieden, welchen Peter III. mit Friedrich
geſchloſſen, und ſchon im Auguſt äußerte Keyſerling, den ſie
als ihren Geſandten nach Warſchau ſenden wollte, zu Goltz
in Petersburg, ſie ſei nicht abgeneigt, durch einen Allianztractat
in nähere Verbindung mit Friedrich zu treten. Dabei trat
ſofort der Punkt hervor, in welchem ſich ihre beiderſeitigen
Intereſſen vornämlich berührten: man könnte, fügte Keyſerling
ſeiner Eröffnung hinzu, dann zugleich ſich über Maßregeln
in Betreff Polens verſtändigen; wenn Friedrich hiezu geneigt
ſei, werde er (K.) die erſte Gelegenheit ergreifen, mit der
Kaiſerin zu reden 4). Keyſerling war ſchon einmal Geſandter
in Warſchau geweſen, hatte dort in vertrautem Verhältniß zur
„Familie“ geſtanden und damals den jungen Stanislaw
Poniatowski ſelbſt unterrichtet. Jetzt war er neben Panin, und
vielleicht noch in höherem Grade als dieſer, der Vertraute
Katharina’s in Betreff ihrer Pläne für Polen. Und wie ſie
es erkannte, daß ſie dieſe Pläne am leichteſten im Bunde mit
Preußen werde durchführen können, eben ſo ſehr war hievon
auch Poniatowski überzeugt und bemühte ſich bereits lange vor
[167] den Thronveränderungen in Rußland um das Vertrauen des
preußiſchen Reſidenten in Warſchau und die Gunſt des Berliner
Hofes, während Friedrich ſeinerſeits gleich nach Katharina’s
Thronbeſteigung erkannte, welche guten Dienſte jener ihm bei
dieſer leiſten könne 1). Bevor noch in Petersburg nach jenem
Geſpräch Keyſerlings mit Goltz ein weiterer Austauſch der
Anſichten erfolgte, ſprach Benoit in einer ſeiner Depeſchen
(18. September) beiläufig den Gedanken aus, daß die Intereſſen
Preußens und Rußlands in Betreff Polens übereinſtimmten,
und es demgemäß gut ſein würde, wenn ſie ſtets miteinander
enge verbunden wären: ſie würden dann den Polen
einen König geben, der ihnen gefalle. Als dann
Graf Solms, der neue Geſandte Friedrichs für Petersburg,
im October dorthin abging, nahm er in ſeiner Inſtruction die
Weiſung mit, daß er, wenn man ruſſiſcherſeits die Frage der
polniſchen Thronfolge berühre, davon ausgehen ſolle, es ſei
für Friedrich die Hauptſache, einen Prinzen aus dem Hauſe
Öſtreich fern zu halten: außerdem würde es leicht ſein, ſich
über jeden andern Kandidaten, Prinz oder Piaſt, was ihm
gleichgültig ſei, mit Rußland zu verſtändigen, vorausgeſetzt, daß
der erſtere nicht aus einem Hauſe ſtamme, deſſen Macht die
Nachbarn allarmiren könne: in dieſem Punkt ſeien die Intereſſen
Rußlands und Preußens dieſelben 2). Wiederum war es
Keyſerling, der die nächſten Schritte vermittelte. Auf ſeiner
Reiſe nach Warſchau ſprach er ſich in Königsberg gegen den
[168] Präſidenten Domhardt dahin aus, er wünſche lebhaft dazu bei-
tragen zu können, die gute Eintracht, welche gegenwärtig glück-
licherweiſe zwiſchen Preußen und Rußland beſtehe, zu erhalten
und zu befeſtigen, und es würde ihm demgemäß außerordent-
lich angenehm ſein, wenn der König zu ihm nach Warſchau
einen Vertrauten ſenden wolle, um mit dieſem über ſeine Ideen
und die Mittel, welche er (K.) für die geeignetſten zum Zwecke
halte, vertraulich zu ſprechen. Gleich nach ſeiner Ankunft in
Warſchau, woſelbſt beide Partheien ſofort wetteiferten, ihn durch
Aufmerkſamkeiten aller Art zu gewinnen 1), ließ er dann durch
Benoit dem Könige mittheilen (18. December), dieſer möge
der Kaiſerin, welche für Artigkeiten ſehr empfänglich ſei, in
einem eigenhändigen Briefe ſeine Freundſchaft verſichern, und
ſich zunächſt auf einen einfachen Freundſchafts- und Handels-
vertrag beſchränken, ohne irgend einer anderen Sache zu er-
wähnen; das Weitere würde ſich von ſelbſt ergeben. Friedrich
hatte ſich bereits auf die erſte Mittheilung aus Königsberg
entſchloſſen, auf Keyſerlings Wunſch einzugehen, und wurde
durch die zweite um ſo mehr wahrſcheinlich in dieſem Entſchluſſe
beſtärkt, als ihm inzwiſchen auch Poniatowski hatte melden
laſſen, die Kaiſerin ſei zwar durch ſeine Ablehnung einer Ent-
ſchädigung für Sachſen etwas verſtimmt, es würde dies aber
nichts zu bedeuten haben, wenn er ſich zu einem allgemeinen
Frieden entſchließen wolle, welcher ihr ganz außerordentlich
(extremement) am Herzen liege: in dieſem Falle könnte er
mit ihr ein enges Freundſchaftsbündniß ſchließen und in dieſer
Verbindung jeden nur denkbaren Einfluß auf die nächſte Königs-
wahl in Polen üben; denn die Nation, welche von ihren Vor-
urtheilen gegen ihn zurückgekommen ſei und die Ruſſen allge-
mein verabſcheue, würde hundertmal lieber ihn als jene zum
Schiedsrichter (arbitre) in der Zeit eines Interregnums an-
[169] nehmen 1). In Folge von dieſem Allen ſandte Friedrich den
Geh. Legationsrath v. Korff nach Warſchau, welcher dort nach
der Mitte Januar 1763 eintraf 2). Seine Sendung ſollte ein
„undurchdringliches Geheimniß“, ſelbſt für Benoit, bleiben;
ihr Zweck war, von Keyſerling genau (exactement) zu er-
fahren, auf welchem Wege nach deſſen Meinung der König
zum Abſchluß eines Freundſchafts- und Handelsvertrages mit
Rußland gelangen und wie er den Vorſchlag hiezu mit Be-
wahrung des Geheimniſſes am beſten machen könne. Keyſer-
ling empfahl, die Angelegenheit durch Solms in Petersburg
einzuleiten und zugleich die Sache Birons diplomatiſch zu
unterſtützen, zumal Öſtreich, welches für den Herzog Karl ſich
verwendet, ſoeben eine ſehr energiſche Zurückweiſung erhalten
habe: in dem Alliancetractat aber müſſe neben der Verein-
barung über die künftige Königswahl in Polen auch feſtgeſetzt
werden, daß Preußen in allen Polen und Schweden betreffen-
den Vorkommniſſen nicht anders als im Einverſtändniß mit
Rußland handeln wolle, und daß beide Mächte, ſowohl durch ihre
Rathſchläge, wie durch die That gemeinſam dahin arbeiten
würden, die Ruhe und Sicherheit ihrer Nachbarn zu erhalten 3).
„Nach allem, was ich ſehe und, namentlich vom Kammerherrn
Poniatowski, höre, wird der Stolnik (Stanislaw Auguſt) der
Thronkandidat Katharina’s ſein“, meldete Korff bereits am
21. Februar 1763. Der Kammerherr hatte mit ihm über
die Hoffnungen des Bruders ſehr offen geſprochen, aber auch
dabei wiederholt betont, daß ſeiner Meinung nach ohne die
Mitwirkung Preußens das Gelingen ſo wenig geſichert erſcheine,
daß er, ohne auf ſie bauen zu können, ſich perſönlich in nichts
miſchen würde 4). Auch der Hof von Verſailles bemühte ſich
[170] bereits um die „Familie“. Er ließ die Czartoryski durch
ſeinen Geſandten in Warſchau verſichern, daß ſie auf ſeine
Protection und Unterſtützung ſicher rechnen könnten, ſofern ſie
ſich dazu verſtänden, der weiteren Vermehrung des ruſſiſchen
Einfluſſes in Polen fortan entgegenzutreten. Frankreich
— ſagte Keyſerling zu Korff — werde im Verein mit Öſtreich 1)
in Polen entſchieden das Übergewicht erhalten, wenn Rußland
und Preußen ſich nicht weiſe verſtändigten, und habe Frankreich
einmal einen König de sa façon in Polen, ſo werde es ſich
mächtig genug halten, jeden Augenblick ſo oft es ihm gefiele,
die Ruhe des Nordens zu ſtören. Friedrich, fügte er hinzu,
möge ſich hüten, daß Öſtreich, welches aus allen Kräften bereits
daran arbeite, ſich nicht früher als er eine einflußreiche Parthei
in Rußland gewönne. Der König möge dem zuvorkommen,
was freilich ohne Gold nicht zu machen ſei: er ſolle dem
General Panin, dem Bruder des Miniſters und ſelbſt dem
General Szuwalow, welcher es zwar nicht verdiene, einige
Zeichen ſeines Wohlwollens zukommen laſſen, wodurch und
durch andere Spenden (largesses) man die durch den letzten
Krieg entfremdeten Herzen ſich gewinnen könne 2). Und wie
Keyſerling ſolchergeſtalt für das Zuſtandekommen einer ruſſiſch-
preußiſchen Allianz auf Friedrich zu wirken ſich bemühte, ſo
war er zu demſelben Zweck eben ſo unermüdlich in ſeinen
Vorſtellungen in Petersburg. Bei jeder Gelegenheit, z. B. als
der Durchmarſch und die Requiſitionen des preußiſchen General
v. Loſſow in Polen die Gemüther vieler wiederum in lebhafte
[171] Unruhe verſetzten, trat er aufs nachdrücklichſte in Warſchau
für Preußen auf, deſſen Gegner jeden Anlaß, ſeine Abſichten
zu verdächtigen, begierig ergriffen 1).
Bei alledem kamen die Verhandlungen zwiſchen Preußen
und Rußland nur ſehr langſam vorwärts. Kaiſerin und
König wechſelten wohl gegen Ende 1762 freundliche Briefe in
Betreff des von beiden erwünſchten Friedens 2), aber auch der
Abſchluß deſſelben zu Hubertsburg (15. Febr. 1763), und die
faſt gleichzeitig eintretende recht ernſtliche Erkrankung König
Auguſt III.3) führten zu keinem lebhafteren Fortſchritt der
miniſteriellen Beſprechungen in Petersburg. Dagegen tauſchten
beide Monarchen in eigenhändigem Briefwechſel ihre Auffaſſung
in Betreff der Zukunft Polens aus. Nachdem Friedrich der
Kaiſerin zugleich mit der Mittheilung des Abſchluſſes des
Friedens erklärt hatte, daß er bereit ſei ſich mit ihr in dieſer
Beziehung zu verſtändigen und ſie auf ihn hiebei durchaus
rechnen könne (15. Februar), ſprach ſie ſich dahin aus, daß
auch ſie einen Piaſten allen andern Kandidaten vorziehe, nur
müſſe es keiner ſein, der am Rande des Grabes ſtehe und von
irgend einer Macht eine Penſion beziehe (21. Februar / 4. März).
In gleichem Sinne ſprach ſich auch Panin gegen Solms, etwa
gleichzeitig, aus, und wenn auch der erſtere die Unterredung
abzubrechen ſuchte, als Solms den Namen Poniatowski’s
nannte, glaubte dieſer doch annehmen zu dürfen, daß die
Kaiſerin ſicher keinen andern im Sinne habe 4). Dem Wunſche
[172] Rußlands, im Falle daß ſächſiſche Truppen, wie es hieß,
nach Polen gezogen werden ſollten, dieſe nicht durch Preußen
durchzulaſſen, entſprach Friedrich eben ſo raſch, als er in War-
ſchau, gleichfalls auf Rußlands Verlangen erklären ließ, daß er
keinen andern wie Biron als Herzog von Kurland anerkenne 1).
Dieſe Dienſte und die wiederholte Erklärung Friedrichs (5. April),
er ſei in Betreff Polens unbedingt mit Katharina einverſtan-
den, bewirkten, daß ſie bereits am 26. April / 11. Mai ihm
ſchrieb, die intime Verbindung, welche ihre beiderſeitigen In-
tereſſen forderten, beſtehe bereits, wenn auch die Formalitäten
noch fehlten. Am 9./18. Juli forderte ſie ihn auf, ihr den
Entwurf einer Alliance zwiſchen ihnen zu ſenden 2).
Grade in denſelben Monaten, in welchen ſich ſolchergeſtalt
die Alliance zwiſchen Rußland und Preußen anbahnte, trat
Katharina in der kurländiſchen Sache Auguſt III. immer
ſchroffer entgegen. In Warſchau, woſelbſt ſich der Hof noch
immer mit der Erwartung, welche ſelbſt in Petersburg von
vielen getheilt ward, ſchmeichelte, daß Katharina’s Herrſchaft
nur von ſehr kurzer Dauer ſein würde 3), zeigte man bei
4)
[173] jedem Gerücht von Unruhen in Rußland unverhohlen ſeine
Freude, und übergab Keyſerling eine Note, in welcher nicht nur
höchſt energiſch gegen Rußlands Vorgehen in Kurland proteſtirt,
ſondern auch ziemlich unverhüllt die Rechtmäßigkeit von Katha-
rinens Regierung in Zweifel gezogen ward (10. Januar). Die
Note war von dem Unterkanzler Wodzicki, dem Unterſchatz-
meiſter Weſſel, dem Hofmarſchall Mniszek und Bielinski, den
Partheigängern Brühls, allein unterzeichnet: der Kanzler Czar-
toryski hatte die Zeichnung verweigert 1). Katharina antwor-
tete auf ſie nicht nur mit der Forderung einer eclatanten
Satisfaction für dieſe Beleidigung, ſondern ließ zugleich durch
Simolin, ihren Reſidenten in Mitau, ſämtliche herzogliche Ein-
künfte mit Beſchlag belegen 2). Am 21. Januar zog Herzog
Biron unter dem Schutz ruſſiſcher Truppen in Mitau ein;
Herzog Karl aber antwortete auf die Aufforderung, das Land
zu verlaſſen, als Vaſall und Sohn habe er den Befehlen
ſeines Vaters zu folgen, und blieb in ſeinem Palais. Dagegen
erklärten die kurländiſchen Stände, welche Biron zuſammen-
berufen hatte, am 21. Februar Karls Herrſchaft für aufgedrun-
gen und ungeſetzlich 3), und erkannten die von Warſchau geſandten
Commiſſare nicht an 4). So geſpannt war dort bereits die
Lage, als in Warſchau das Senatsconſilium, welches der
König auf den 28. Februar berufen, ſeiner Krankheit wegen
aber aufgeſchoben hatte, am 7. März eröffnet ward. Auguſt
war noch ſo angegriffen und ſchwach, daß er ſich in einem
Lehnſeſſel in die Sitzung tragen ließ, in welcher es zu den
heftigſten Debatten kam. Die Berathungen dauerten bis zum
[174] 15. März: der Kanzler Czartoryski, der Woiwode von Inow-
raclaw, Andreas Zamoyski, der Biſchof von Ploczk, Szep-
ticki u. A. ſprachen ſich gegen den Herzog Karl aus, und der
erſtere verſagte es ſich dabei nicht, den König daran zu erinnern,
daß er ihm die böſen Folgen der Erhebung des Prinzen ſchon
im Jahre 1758 vorausgeſagt habe. Er rechtfertigte zugleich
die Intervention Rußlands durch eine Begründung, welche
ſpäter von dieſem ihm ſelbſt und ſeinen ihm theuerſten Lebens-
plänen entgegengehalten ward. „Denn“ — ſagte er — „wie
es ein eſſentieller politiſcher Grundſatz in ganz Europa iſt, ſo
iſt es am eſſentiellſten für das uns benachbarte, befreundete
und in Vertragsverhältniſſen mit uns ſtehende Rußland, das
Recht und die Freiheiten, auf welchen unſre Republik ruht, in
der Form des einmal feſtgeſtellten regiminis unerſchüttert
aufrecht zu halten.“ Allein die Majorität der Senatoren
(48 c. 12) 1) ſtimmte dafür, daß der Prinz in Kurland, ſei
es auch mit Gewalt, gehalten werden ſolle: einig waren beide
Partheien nur darin, daß ein außerordentlicher Reichstag aus-
zuſchreiben ſei, gegen welchen ſich wieder der König anfangs
ſträubte, weil er, nach ſiebenjährigem Exil und krank wie er
war, die Rückkehr nach Dresden dringend erſehnte. Der
Senatsbeſchluß übertrug dem Primas und den Feldherren der
Krone und Lithauens, während der Abweſenheit des Königs
auf die Erhaltung der Sicherheit der Gränzen der Republik
und ihrer Lehen Bedacht zu nehmen, wies die Kronanwälte
von Polen und Lithauen an, den Ernſt Johann Grafen Biron
als Störer des öffentlichen Friedens vor Gericht zu laden, er-
mächtigte die nach Kurland geſandten Kommiſſaire dem Herzog
Karl und deſſen Rechten auch ferner beizuſtehen, und ſprach
die Nothwendigkeit der Berufung eines außerordentlichen Reichs-
tages aus. Nachdem Auguſt dann die dieſen betreffenden
Univerſalien, ohne jedoch den Tag der Berufung zu beſtimmen
unterzeichnet hatte (22. April), verließ er drei Tage darauf
Warſchau, um es nicht wieder zu ſehen 2).
[175]
„Alle dieſe Reden und Beſchlüſſe können zu nichts führen“,
urtheilte Benoit am 9. März, und bereits in denſelben Tagen,
in welchen der König Warſchau verließ, entſchied ſich das
Schickſal ſeines Sohnes. Die Feldherren rührten ſich trotz des
Senatsbeſchluſſes für ihn nicht, und die Popularität, deren er
ſich in Polen, zum Theil in Folge ſeiner heimlichen Ehe mit
einer Kraſinska erfreute, reichte nicht aus, um die Maſſe des
Adels für ihn zum Aufſitzen zu bewegen. Nur etwa 40 Edel-
leute aus Lithauen ritten ihm in ſeiner Bedrängniß nach Mitau
zu: am 26. April räumte er für immer die Stadt und das Land.
Es war weder ein rein perſönliches, noch ſchlechthin ein
Partheiintereſſe, welches die Czartoryski in der kurländiſchen
Frage zu einer ſo ſchroffen Haltung und einer ſo enſchiednen
Partheinahme für Rußland beſtimmt hatte. Allerdings war
der Kampf, den ſie mit ihren Gegnern führten, auch ein Kampf
um Einfluß und Macht, wie er zu allen Zeiten in Polen
zwiſchen den großen Familien geführt worden iſt; ſie hatten
aber vor ihren Gegnern das voraus, daß ſie zugleich die Idee
der Reform vertraten, von welcher jene nichts wiſſen wollten.
Nachdem ſie mehrmals vergebens verſucht hatten, in der Ver-
bindung mit dem Hofe mit der Durchführung dieſer Idee
wenigſtens einen Anfang zu machen, hatten ſie, durch den Hof
ſelbſt in die Oppoſition getrieben, jene Ideen keineswegs fallen
laſſen, vielmehr für deren Verbreitung in der Nation nach
Kräften gewirkt. Die berühmte Schrift des Piariſten Stanis-
law Konarski, welcher in ſeiner Jugend gleich den Czartoryski
zur Parthei Leszczynski’s gehört hatte, „Über das Mittel zu er-
folgreichen Berathungen“, in den Jahren 1760—1763 erſchienen,
2)
[176] kam ihren Beſtrebungen weſentlich zu Hilfe 1). Mit lebhaften
Farben ſchildert er darin die beſtehende allgemeine Anarchie,
als deren Hauptquelle er die höchſt ſchlechten Formen der öffent-
lichen Berathungen auf den Land- und Reichstagen darſtellt.
Ihre Zerreißung habe ſich in immer ſchlimmeren Formen
entwickelt: zuerſt ſei ſie nur durch einen Proteſt der Mehrheit,
dann der Minderheit, dann einiger und ſchließlich, ſeit 1652,
eines einzelnen bewirkt worden. Es ſei daher vor allem das
[177]liberum veto zu verwerfen und nicht minder die Conföderationen,
welche nur ein gewagtes, gewaltſames und zugleich entkräfti-
gendes Gegenmittel gegen das Uebel des Veto wären.
Dabei ſpricht er es kühn aus, daß die ſo weit verbreitete
Meinung, daß die Nachbarn den Untergang Polens nicht zu-
geben würden, eine durchaus irrige ſei, vielmehr ſönnen ſie
ſchon auf Theilung, und hätten daher alle den Wunſch, die
Republik in ihrer Agonie zu erhalten. Ihnen wäre jedes Zer-
reißen der Reichstage gelegen, und ſchon aus dieſem Grunde
ſei ein ſolches, wenn es auch in der beſten Abſicht erfolge,
ein Verrath am Vaterlande. Das liberum veto ſei weder
ein altes hiſtoriſches Recht, noch, wie man meine, der „Aug-
apfel der Freiheit“, es ſei vielmehr gerade im Gegentheil die
größte Tyrannei eines Einzelnen gegenüber der Geſamtheit, und
würde nur durch die Selbſtſucht und den Ehrgeiz der „Herren“ und
der fremden Mächte erhalten. Die große Maſſe des Adels würde
ſich gerade durch die Aufhebung deſſelben von dem politiſchen Druck
der „Herren“ befreien. Die Entſcheidung durch Stimmenmehrheit
ſei das einzig Vernünftige, die Einſtimmigkeit „erſchwere jedes
Gute und befördere das Schlechte“. Er widerlegt ferner neben
anderm auch den Einwand der Gegner der Stimmenmehrheit,
daß, wenn ſie gelte, der König durch ſein Recht der Ver-
leihung der Ämter ſtets eine Mehrheit im Reichstage ſich
ſchaffen und der Freiheit gefährlich werden würde. Wie vor
ihm Karwicki und Leszczynski, räth auch er, der Krone durch
die Wahlcapitulation bei der nächſten Thronwahl dieſes Recht
zu nehmen. Im Vorbeigehen wirft er bereits den Gedanken
hin, den Thron erblich zu machen und das in unzähligen Con-
ſtitutionen zerſplitterte Landrecht zu codificiren. Er ſchließt
endlich mit einer Schilderung der unausbleiblichen Folgen
der Anarchie, aus welcher eine Abſolutie hervorgehen werde,
welcher auch die Nachbarmächte eine etwas geordnetere Regierung
vorziehen dürften. In ihrer Anarchie aber habe die Nation,
obwohl mit allen in Frieden lebend, einige Zehntauſende von
Menſchen und den Ruhm der Vorfahren verloren; anſtatt wie
früher geachtet zu werden, werde ſie jetzt nur verachtet.
Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 12
[178]
Dieſes Werk, deſſen einzelne Theile nur allmählig erſchienen,
und welches demgemäß nicht ſyſtematiſch angelegt und nicht frei
von Wiederholungen und ſelbſt einzelnen Widerſprüchen iſt,
fand anfangs zahlreiche Gegner. Aber allmählig brach es ſich
doch eine Bahn. Die Erfahrungen, welche die Nation in dem
letzten Decennium gemacht, kamen ihm weſentlich zu ſtatten.
Brühls Käuflichkeit und Verſchwendung, ſein ausſchließlicher Ein-
fluß auf den König, von dem er ſyſtematiſch jeden andern Verkehr
als mit ihm ſelbſt und ſeinen Kreaturen abſchloß, ſeine Gleich-
gültigkeit gegen alle, auch die ſchreiendſten, Mißbräuche der
Verwaltung, endlich die zahlloſen Leiden und Schäden, welche
der 7jährige Krieg über das Land brachte, riefen das Bewußt-
ſein der Ohnmacht wach, in welche die Republik verſunken war,
und öffneten vielen die Augen über die letzten Urſachen des
allgemeinen Verfalls. Bereits am 18. September 1762, kurz
vor dem damals bevorſtehenden Reichstage, berichtete Benoit
nach Berlin, daß die Einführung der Stimmenmehrheit „nach
der Idee, welche davon der Pater Konarski in einem polniſch
geſchriebnen Buche gegeben, ſeit einiger Zeit ſehr viele Anhänger
gefunden habe“. Wenige Monate darauf, am 22. Juni 1763,
kommt er von neuem hierauf zurück. „Der Pater Konarski“,
ſchreibt er, „welcher ſeit einem oder zwei Jahren eine Reform
der Verfaſſung Polens predigt, findet gegenwärtig eben ſo viele
Anhänger, als er früher Gegner gehabt hat. Man ſagt, die
Nation würde wenigſtens dafür Ew. Majeſtät verpflichtet werden,
daß Sie ſie gezwungen, eine reſpectable Macht zu werden 1).
Sie ſprechen von nichts als von dem Ruhm der Verfaſſung
Englands, welche ſie ſich zum Muſter nehmen wollen.“ Am
25. Juni meldete er von neuem: „Ganz Polen iſt von der
Idee einer Conföderation ergriffen, welche den Zweck haben
ſoll, die Mißbräuche ihrer Regierungsform und vor allem die
Tribunale zu reformiren. — Die Polen ſind gegenwärtig aufs
ſtärkſte von einem patriotiſchen Eifer ergriffen.“ Und wieder
[179] am 20. Juli: „Die Familie und beſonders der Stolnik Ponia-
towski iſt gegenwärtig von ſo großem patriotiſchen Eifer beſeelt,
daß ſie nichts andres im Kopfe haben, als die Reform ihrer
Verfaſſung, zu der die Conföderation die Gelegenheit geben ſoll.“
Wie wenig tief begründet dieſer Eifer bei der Maſſe war,
hat ſich ſpäter erwieſen: in dieſem Augenblick aber war er
wirklich vorhanden, und die „Familie“ plante in der That
ſeit dem letzten Reichstage nichts anderes als die Reform ver-
mittelſt einer Conföderation in Angriff zu nehmen. Die Nieder-
lagen, welche ſie damals bei der Vertheilung der hohen Ämter
erfahren hatte und ſeitdem in Bezug auf die geringern noch
alle Tage erlitt, waren für ſie um ſo empfindlicher, je näher
nach allgemeiner Überzeugung der Tod des Königs zu er-
warten war. In weſſen Händen ſich während eines Inter-
regnums die Ämter befanden, war ſtets in Polen für alle
Partheien von ſehr entſcheidender Bedeutung geweſen, und
konnte es jetzt für die Czartoryski um ſo mehr werden, als
ſie für den Fall der Thronerledigung auf die Unterſtützung
Rußlands zur Erhebung eines Königs rechnen durften, der
nicht nur ihre Reformideen theilte, ſondern ſogar zu ihrer
Familie gehörte. Denn Katharina hatte vom erſten Moment
ihrer Thronbeſteigung an, nicht nur in ihrem vertrauten Brief-
wechſel mit Poniatowski, dieſem hiefür die beſten Verſiche-
rungen gegeben, ſondern auch officiell durch ihren Geſandten
in Warſchau wiederholt erklären laſſen, daß ſie die Czartoryski
in ihren Schutz nehme und von dem dortigen Hofe ihre Be-
rückſichtigung verlange 1). Es war mithin für ſie von der
größten Wichtigkeit, daß im Moment des Todes des Königs
ihre eigne Stellung in Polen feſt begründet ſei, und indem
ſie dies Ziel nach allem, was auf dem letzten Reichstage vor-
gefallen, nicht mehr durch den Hof zu erreichen hoffen durften,
12*
[180] blieb ihnen kein andrer Weg, als die Bildung einer Conföde-
ration, der die ganze Stimmung der Nation entgegenzukommen
ſchien.
Sie wandten ſich daher mit dieſer Idee bereits nur einige
Wochen nach dem Reichstage an die Kaiſerin. In zwei, von
Poniatowski ſelbſt entworfenen Denkſchriften vom 14. und
15. December 1762 1) führten ſie zunächſt aus, daß und
woher nach der ganzen Lage der Dinge in Polen eine Con-
föderation durchaus nothwendig ſei; von Brühl, deſſen Miß-
regierung in kurzen kräftigen Zügen characteriſirt wird, ſei
nichts mehr zu erwarten, eine Ausſöhnung der Familie mit
ihm unmöglich: auf den gewohnten Wegen käme man nicht
zum Ziele, nur durch eine Conföderation ließe ſich die Heilung
der Übel, eine beſſre Form der Berathſchlagungen
der Nation und die Sicherſtellung eines dauernd guten Ein-
verſtändniſſes zwiſchen Polen und Rußland erreichen. Die
Nation, erwarte ſeit lange, daß die Familie das Zeichen der
Erhebung gebe; aber ſie bedürften Geld und Feuerwaffen, und
nach dem Maaß ihrer Unterſtützung von Rußland, würden ſie
ihre Schritte bemeſſen. Eine kurze Revolution ſei das geringſte
Unglück für ein Land: je kräftiger ſie von Anfang ſei, deſto
beſſer; aber kräftig könne ſie nicht ſein, wenn im Anfange an
den weſentlichen Mitteln geſpart und dieſe nur langſam dar-
gereicht würden.
Katharina antwortete auf dieſe Denkſchriften zunächſt in
einem kurzen Privatbriefe an Poniatowski vom 16./5. Januar,
ſodann in einer Depeſche an Keyſerling vom 23./12. Januar.
In dem erſten verſicherte ſie ihm: „Das Gewicht meines
Namens wird Ihnen nicht fehlen. Sie und ihre Familie
können der äußerſten Rückſicht von meiner Seite, ſo wie meiner
[181] Freundſchaft und jeder möglichen Achtung verſichert ſein.“ 1) In
der Depeſche an. Keyſerling ging ſie weiter ins Einzelne ein.
„Danken Sie“, ſchrieb ſie, „meinen Freunden für die mir zu-
geſandten Denkſchriften und für das Vertrauen, welches ſie mir
bezeigen, und verſichern Sie dieſelben, daß ſie auf meine Freund-
ſchaft und meine Unterſtützung vollkommen rechnen können.
Ich kenne ſie als die Freunde Rußlands und im Beſondern
die meinigen. Sie können den Fürſten Czartoryski als Ant-
wort ſagen, daß auch ich wünſchen würde, die Republik
aus der Anarchie zu ziehen, in der ſie ſich unglücklicher-
weiſe befindet, und daß ich ſicher meine Freunde mit Geld
und Truppen unterſtützen werde, um ſie aufrechtzuhalten: aber
vor allem möchte ich wiſſen, wie viel Geld und wie viel
Truppen nothwendig ſein werden, ob die Conföderation gegen
den König oder die Mißbräuche gerichtet ſein ſoll, auf welche
Art und wann man ſie ins Leben rufen, und wer ſich an die
Spitze ſtellen will.“ 2)
Aus dieſer Antwort glaubten die Czartoryski mit vollem
Recht folgern zu dürfen, daß Katharina ihrer Idee nicht ent-
gegen ſei, noch bei Lebzeiten des Königs zu einer Conföderation
zu ſchreiten, deren Ziel nicht die Abſetzung des Königs, ſondern
die Reform der Mißbräuche ſei 3). Sie reichten daher am
12. Februar eine neue Denkſchrift ein, in welcher ſie den Plan
der Conföderation entwickelten, an deren Spitze ſie ſich ſelbſt
ſtellen würden. Sie würden zu Auguſt III. ſprechen wie Gram-
mont zu Ludwig XIV.: „Wir führen im Dienſt Ihrer Ma-
jeſtät gegen Mazarin Krieg.“ Zur Ausführung baten ſie um
Bereithaltung von Waffen aller Art für etwa 15,000 Mann
in Smolensk und in Kiew, und um 50,000 Dukaten, um als
Kern der Erhebung und zu ihrem perſönlichen Schutz in den
nächſten drei Monaten ein kleines Corps ausrüſten zu können.
Dieſer Denkſchrift ſandten ſie am 2. April ein neues Schreiben
[182] nach, in dem ſie unter Erinnerung an das Schickſal der So-
bieski und Jablonowski, welche Auguſt II. hatte überfallen
und nach dem Königſtein bringen laſſen, mittheilten, wie auch
ihre perſönliche Sicherheit in Pulawy bedroht und daher die
ſofortige Formirung jenes kleinen Corps nothwendig ſei 1).
Katharina, deren Truppen ſich bereits in der zweiten Hälfte
des März gegen Polen in Bewegung geſetzt hatten 2), beauf-
tragte hierauf Keyſerling, dem polniſchen Hofe mitzutheilen, daß,
„wenn ſie es wagen, einen der Freunde Rußlands aufzuheben
und nach dem Königſtein abzuführen, ich Sibirien mit meinen
Feinden bevölkern und die Saporoger Koſacken loslaſſen werde,
die mir eine Deputation mit der Bitte ſchicken wollen, ihnen zu
erlauben, für die Beleidigungen, die der König von Polen ihnen
zugefügt hat, Rache zu nehmen 3). Bereits in einer frühern
Depeſche vom 23. März / 3. April an Keyſerling hatte ſie
dieſen beauftragt, ihren Freunden mitzutheilen, daß in Smo-
lensk und Kiew alles bereit ſein und im Mai ein ruſſiſches
Corps von 30,000 Mann in Smolensk, ein zweites von
44,000 Mann an den Gränzen von Kurland ſtehen würden.
Von den verlangten 50,000 Dukaten ſtellte ſie ihnen 30,000
zu ſofortiger Dispoſition, und verſprach den Reſt ſofort nach-
zuſenden. „Aber“, fügte ſie hinzu, „halten Sie unſre Leute
im Zügel, ſo lange als bis es Zeit ſein wird.“ Sie wollte
die Zeit beſtimmen 4).
Inzwiſchen war die Zeit der jährlichen Conſtituirung
des Wilnaer Tribunals herangerückt. Seit undenklicher Zeit
hatte ſich Lithauen durch den feindlichen Gegenſatz der Rad-
[183] zivil und Sapieha, dann der Czartoryski, ſo zu ſagen in
einem nur ſelten unterbrochenem Kriegszuſtande befunden 1).
Auch jetzt ſtrömte gegen die Mitte April eine ganz beſonders
große Maſſe von Anhängern beider Partheien nach Wilna.
Die ganze Stadt ward auf der einen Seite von den „Al-
benczyk“ (Weißhemden) und Partheigängern Radzivils, auf
der andern von Haufen des lithauiſchen Heeres und den
Partheigängern des alten Feldherrn Maſſalski erfüllt, der es
mit den Czartoryskis hielt. Von dieſen fand ſich der alte
Kanzler mit ſeinem Neffen Stanislaw Poniatowski und ſeinen
Schwiegerſöhnen Oginski und Flemming, von welchen der erſte
Staatsſecretair und der letztere Unterſchatzmeiſter von Lithauen
war, in Perſon ein. Die Wahlen der Deputirten zum Tri-
bunal waren ſo überwiegend für die Parthei Radzivils ausge-
fallen, daß ſeine Wahl zum Marſchall, wie unfähig er auch zu
dieſem Amt ſeinem ganzen Weſen nach war, geſichert erſchien.
Die Kommiſſare der Krone, Adam Kraſinski, Biſchof von Ka-
miniec, und Adam Brzostowski, Kaſtellan von Poloczk, ſahen
den kommenden Sturm voraus, ohne ihn bei aller Bemühung
verhindern zu können. Als in der Verſammlung der Parthei
der Czartoryski mitgetheilt ward, daß Radzivil, wie es aller-
dings von ihm erwartet werden konnte, ſeine Wahl mit Ge-
walt erzwingen wolle, ſtellte Tyzenhaus, der Staatsſecretair
von Lithauen, den ruſſiſchen Oberſten Puszkin als einen Ab-
geſandten der Kaiſerin vor, welche für die „Freiheit des Adels“
einzutreten bereit ſei. „Der erkaufte Adel ſchrie, daß er dies
Tribunal nicht wolle, und um die Protection der Kaiſerin bitte.“
Sofort verlas Odachowski, Staroſt von Poloczk, ein Manifeſt,
in welchem gegen Radzivils Verfahren proteſtirt und die Hilfe
der Kaiſerin erbeten ward. Die Verſammlung unterſchrieb.
Neue Unterhandlungen mit Radzivil folgten, ohne zum Ziele
zu führen. Endlich entſchloß ſich Radzivil, auf ſeine eigne
Hand das Tribunal zu conſtituiren. Da er die Kathedral-
kirche, in welcher der herkömmlich vorangehende Gottesdienſt
[184] ſtattzufinden pflegte, verſchloſſen fand — der Biſchof Maſſalski
war der Sohn des Feldherrn —, conſtituirte er das Tribunal
in deſſen Sitzungsſaal. Kein Anhänger der Czartoryski war
zugegen. Sie reichten ein proteſtirendes Manifeſt bei dem
Grodgericht ein: der Feldherr Maſſalski verweigerte dem Tri-
bunal die gewohnte Ehrenwache. Am folgenden Morgen ver-
breitete ſich die Kunde, daß die Ruſſen nächſtens über die
Düna gehen würden. Ein ruſſiſcher Offizier (Puſzkin?) er-
klärte Radzivil, daß er nach dem Willen der Kaiſerin be-
obachten werde, wie das Tribunal in Sachen der Gegenparthei
verfahren werde. Radzivil antwortete mit Würde, er ſei nur
dem Könige und der Republik verantwortlich. An demſelben
Tage wurden aus unbekannter Veranlaſſung in den Straßen
von Wilna mehrfache Schüſſe gewechſelt. Wie die Urtheile des
Tribunals in Proceſſen der Gegenparthei ausfielen, kann man
ſich leicht denken 1).
Ganz Lithauen ſtand ſofort ſo zu ſagen in Flammen. Jede
Parthei fürchtete von der andern jeden Augenblick überfallen
und gemißhandelt zu werden. Beide fingen an, ſich zur Ver-
theidigung zu rüſten. Radzivil vermehrte ſeine Truppen und
die Zahl ſeiner „Weißhemden“, während auf der andern Seite
Flemming, der Schwiegerſohn des Kanzlers, unter dem Vor-
wande der Übung die ſeinigen um Terespol und Woljn zu-
ſammenzog; um die Mitte Juni hatte er bereits 2 Mil-
[185] lionen polniſche Gulden für ſeine Rüſtung ausgegeben, und
ſuchte, obwohl er den Ruſſen wegen ihrer vielen „wenn und
aber“ nicht recht traute, dennoch in Holland noch mehr Geld
aufzunehmen 1). Und wie hier im Oſten der Republik, ſo war
auch in ihrem Weſten alles in Gährung. Die gewaltthätigen
Schritte, welche ſich preußiſche Offiziere und Beamten an den
Gränzen Polens erlaubten, hatten hier alle Welt fortwährend
in Aufregung erhalten. Sie erpreßten große Summen und
Lieferungen, hoben ganze Bauernfamilien mit Hab und Gut
auf, und führten ſie nach der Neumark und Pommern. Mochten
die Klagen der Polen auch in einzelnen Fällen übertrieben ſein,
wie Friedrich in einem Schreiben an Branicki behauptete, mochten
auch ſolche Räubereien vielfach von Privatleuten, die zu dem
Ihrigen kurzer Hand zu kommen ſuchten, oder auch von einem
Raubgeſindel ausgehen, welches in preußiſchen Uniformen ſein
Unweſen trieb 2), ſo iſt es andrerſeits doch auch unleugbar, daß
die von Friedrich in Drieſen eingeſetzte Gränzcommiſſion ſelbſt
ſich die ſchreiendſten Mißbräuche und Gewaltthätigkeiten gegen
die Polen erlaubte, welche, Monate hindurch fortgeſetzt, dieſen
gerechte Urſache zu ihren Klagen gaben 3). Je länger dies
[186] Unweſen dauerte, deſto mehr wuchs die Aufregung unter den
Polen. „Man fängt an Himmel und Erde in Bewegung zu
ſetzen“, ſchrieb Benoit am 1. Juni 1763, um den Krongroß-
feldherrn zu bewegen, ſeine Armee zum Schutz der Gränz-
provinzen zu verſammeln. Man fordert den Adel auch der
entfernteren Palatinate auf, zu Pferde zu ſteigen.“ In weitern
Berichten meldet er, man wolle zuerſt die Contribution zur
Bezahlung der Kronarmee nicht mehr leiſten, weil der Groß-
feldherr dieſe zur Vertheidigung des Staats und ſeiner Bürger
nicht verwende, und habe bereits ein Manifeſt zu einer Con-
föderation entworfen, welches mehr als 600 Edelleute unter-
ſchreiben würden; mit Mühe habe er bisher den Primas und
den Krongroßfeldherrn, welche gleichfalls zu unterſchreiben ge-
drängt würden, davon zurückgehalten; überall würden auf-
regende Schriften verbreitet, und es gebe Diſtricte, welche ſich
verpflichten wollten, 8000 Mann zu ſtellen und zu unterhalten 1).
Er war außerordentlich erfreut, als Friedrich endlich ernſtlich
gegen das Unweſen einſchritt: aber die einmal entſtandene
Gährung in Verbindung mit den Reformideen hielt ſich auch
in dieſen Theilen der Republik.
Seit 1715 hatte Polen keine Conföderation erlebt; jetzt
war die allgemeine Stimmung der Nation auf den Eintritt
eines Ereigniſſes von ſolcher Tragweite wie eine Conföderation
unter allen Umſtänden war, vollkommen vorbereitet. Die Czar-
toryski konnten aber, nachdem ſie einmal ſo weit in ihrer Oppo-
ſition gegen den Hof gegangen, nicht mehr zurückweichen, es ſei
denn, daß die zwingendſten Umſtände ſie dazu nöthigten. In
all den Jahren, in welchen Rußland den Hof begünſtigte und
ſie und ihre Freunde unter der Ungunſt des letztern gelitten
hatten, hatten ſie ſich und dieſe ſtets auf die Zeit vertröſtet, in
3)
[187] der Katharina herrſchen würde 1). Jetzt, nach den Vorgängen
in Wilna, konnten ſie und alle ihre Anhänger in Lithauen nur
die bitterſte Verfolgung durch ihre mit dem Hofe verbundnen
Gegner erwarten, und ſchon ließ ſich Radzivil vernehmen, daß
er im Herbſt nach Petrikau ziehen wolle, um auch dort ein
Tribunal nach ſeinem Willen durchzuſetzen. Glückte ihm das,
ſo kamen ſie im Kronlande genau in dieſelbe Lage, in welcher
ſie ſich jetzt bereits in Lithauen befanden. Ihr ganzer Credit
im Lande ſtand auf dem Spiel, wenn ſie ihre Parthei, ſelbſt
nachdem Rußland ſeine Gunſt ihnen wieder zugewendet, nicht
zu ſchützen vermochten. Grade die ſchroffe Haltung, welche
Katharina von Anfang an gegen den Hof eingenommen, hatte
alle lauen, ängſtlichen und ſchwankenden Elemente ihrer Parthei
mit neuem Eifer und neuer Zuverſicht belebt, und als nun
die Declaration allgemein bekannt ward, welche die Kaiſerin
in Folge der Wilnaer Ereigniſſe dem Geſchäftsträger Auguſt III.
Praſſe hatte übergeben laſſen, erfuhr jedermann, was bisher nur
die Eingeweihtern gewußt hatten, daß ſie entſchloſſen ſei die Parthei
mit all ihrer Macht zu unterſtützen 2). Die Wirkung dieſer
gedruckten und überall im Lande verbreiteten Proclamation war
auf beide Partheien gleich groß. Die einen ließen ihren
Übermuth ſinken, die andern glaubten allgemein endlich den
Moment zur Bildung einer Conföderation gekommen und
drängten die Führer zur That.
Gewiß, hätten die Czartoryski nicht bereits ſeit dem Herbſt
ſich mit der Idee einer Conföderation getragen, die Verhältniſſe,
wie ſie jetzt lagen, hätten ſie dazu gedrängt. Nach Katharina’s
Depeſche an Keyſerling vom 3. April konnten ſie auf deren
[188] Unterſtützung vertrauen, und in dieſem Vertrauen griffen ſie
bald nach den Wilnaer Vorgängen mit allem Eifer das Werk
an. Ihr Plan, welchen ſie in einer Denkſchrift vom 20. Mai
nach Petersburg mittheilten 1), war, ſobald die erſten 10,000
Ruſſen in Lithauen eingerückt wären, hier Ende Juli die Con-
föderation zu errichten. Gleichzeitig ſollte ein zweites ruſſiſches
Corps nach Weißrußland unter dem Vorwande vorrücken, von
König Auguſt die Satisfaction zu erzwingen, welche er der
Kaiſerin für die ihr durch das Schreiben vom 10. Januar zu-
gefügte Beleidigung ungeachtet ihrer mehrmaligen Forderung
bisher nicht gegeben hatte. Ein drittes Corps ſollte von Kiew
aus vorgehen, um die Kronarmee im Zaum zu halten, und
hierauf die Güter Mniszeks, Weſſels, Wodzinski’s heimzuſuchen.
Wenn dann die Truppen, wie ſie könnten, bis Mitte Auguſt
ins Herz der Kronlande vorgedrungen wären, wollte man am
12. September, an welchem Tage der Adel zu den Landtagen
überall in Maſſen verſammelt ſein würde, auch für dieſe Lan-
destheile die Conföderationen ins Leben rufen. Gleich auf den
Landtagen ſollten die Marſchälle der einzelnen Conföderationen
gewählt werden, welche dann ihrerſeits wieder einen General-
marſchall wählen und in Warſchau oder einem andern Ort
zuſammenkommen würden, um die Generalconföderation zu er-
richten; alles in den herkömmlichen legalen Formen. Sobald
die Generalconföderation conſtituirt ſei, ſollte ſie ſofort die
Anerkennung des bisher von der Republik den Czaren Ruß-
lands verweigerten kaiſerlichen Titels ausſprechen, Biron als
rechtmäßigen Herzog von Kurland proclamiren, der Kaiſerin
für ihre Unterſtützung Dank ſagen, ſich zu der von Rußland
oft, aber vergebens geforderten Gränzregulirung bereit erklären,
und alles thun, um ein dauernd gutes Vernehmen mit Ruß-
land ſicher zu begründen. In Betreff der fernern Schritte
ließen ſie Katharina die Wahl, entweder nach dem Beiſpiel
Peter des Großen vom Jahre 1716—1717 einen Pacifications-
reichstag unter ihrer Vermittelung zur Ausgleichung mit dem
[189] Könige zu fordern und durchzuſetzen, oder die Conföderation bis
zum Tode des Königs beſtehen zu laſſen. Das letztere, führten
ſie aus, würde das Vortheilhaftere ſein. Denn in dieſem Falle
bleibe ihre Parthei organiſirt zuſammen; das Interregnum könne
verkürzt werden, und Katharina, ohne von neuem Truppen
und Geld aufzuwenden, in der Lage ſein, einen König ihrer
Wahl auf den Thron zu ſetzen. Zur Ausführung würden
200000 Ducaten nothwendig ſein, von welchen mindeſtens
150000 gleich anfangs bereit liegen müßten. „Wir haben“,
— ſagten ſie — „unſre Pläne und die Mittel zu ihrer Aus-
führung in voller Aufrichtigkeit mitgetheilt, weil wir die Kai-
ſerin nicht durch eine Überraſchung weiter mit uns fortreißen
wollen, als ſie ſelbſt zu gehen gewillt iſt.“
Und nun entwickelten ſie in den Monaten Juni und Juli
eine fieberhafte Thätigkeit. Mit ihren Correſpondenzen und
Agenten erfüllten ſie das ganze Land, ſammelten und rüſteten
Truppen und verbreiteten ein Manifeſt, in welchem ſie, ohne
ſich zu nennen, nach einer kurzen Schilderung der unglücklichen
Lage des Vaterlandes alle guten Bürger zu einer Conföderation
„für den Glauben, den König, die Geſetze und die
Freiheit“ aufforderten und im Fall der Noth die Unterſtützung
durch eine auswärtige Macht in Ausſicht ſtellten 1). Bei allen ihren
Berathungen und Schritten wurden ſie von Keyſerling unterſtützt.
Er nahm an ihren Verſammlungen in Pulawy Theil 2), empfahl,
da er, wie die Czartoryski es in ihrer Denkſchrift vom 20. Mai
verlangt hatten, die Vollmacht erhalten hatte, alle Schritte der
ruſſiſchen Generale zu leiten, an Soltikow die Agenten der
„Familie“, wies ihn an nach deren Vorſchlägen ſeinen Marſch
einzurichten, die Güter der Freunde zu ſchonen, und wenn er
von ihnen um Hilfe angeſprochen würde, ſolche zu leiſten; im
übrigen ſollte er die ſtrengſte Disciplin halten und ſeine Be-
dürfniſſe baar bezahlen 3). Er verhehlte Benoit ſeine Ueber-
[190] zeugung nicht, daß eine Conföderation ganz unvermeidlich ſei,
weil, wenn jetzt die Freunde Rußlands nachgäben, ſie unfehlbar
gänzlich unterdrückt werden würden, und geſtand, daß er in
dieſem Sinne nach Petersburg geſchrieben habe 1). Als der
Krongroßfeldherr Branicki in Folge einer Berathung mit den
angeſehenſten Senatoren bei ſich in Bialyſtok in einem Schreiben
vom 18. Juli um Auskunft bat, was an den immer ſtärker
auftretenden Gerüchten von einem nah bevorſtehendem Einmarſch
der Ruſſen Wahres ſei, antwortete er dieſem nur, er habe
ſeinen Brief nach Petersburg geſandt 2), während er gleich-
zeitig dort wiederholt auf Vermehrung der für Polen be-
ſtimmten ruſſiſchen Truppen drang. „In vierzehn Tagen“
— ſchrieb Poniatowski im Juli an Flemming — „wird der
Courier aus Petersburg da ſein, der uns die Hände völlig
löſen wird; bis dahin müſſen wir noch ein wenig die Zügel
anhalten.“ 3)
Ganz kurze Zeit darauf, am 22. Juli, rückte Soltykows
Corps in der That in Lithauen unter dem Vorwande eines
Durchzuges nach Kiew ein, und bewegte ſich in ſehr lang-
ſamen Märſchen vorwärts 4). Auf allen Seiten ſtieg die
Leidenſchaft. Radzivil erklärte, daß, wenn die Ruſſen auf
ſeinen Gütern Exceſſe verüben würden, er mit ſeinen eignen
Truppen die Güter Flemmings, Oginski’s und der Czartoryski
ſelbſt noch vor der Ankunft der Ruſſen überfallen und plündern
werde 5). Er ſandte eiligſt Rzewuski und Pac nach Dresden,
[191] um Inſtructionen zu holen 1). In dieſen Kreiſen ſprach man
davon, die Türken gegen Rußland in Bewegung zu ſetzen, und
rechnete zugleich auch auf Öſtreichs Unterſtützung, da der Wiener
Hof die Straßen von Oberſchleſien nach Polen eben in Stand
ſetzen ließe, offenbar, um den Marſch ſeiner Truppen, wenn
er nothwendig würde, zu erleichtern 2). Kaunitz beſchäftigte
ſich damals wirklich mit dem Gedanken, auf die eine oder die
andre Weiſe Rußland entgegenzutreten, und verhandelte dar-
über den ganzen Sommer hindurch mit Frankreich, ohne jedoch
zu einem Reſultate zu kommen 3).
Während ſolchergeſtalt der Ausbruch eines blutigen Bürger-
krieges ernſtlich zu drohen ſchien 4), trat plötzlich allen uner-
wartet eine entſcheidende Wendung ein. Katharina gebot ihren
Freunden Halt. In zwei raſch aufeinanderfolgenden De-
peſchen vom 5. und 18. Auguſt erklärte ſie Keyſerling, ſie
wolle keine Conföderation vor dem Tode des Königs. In
ihrem Styl und Ton prägt ſich die innere Aufregung aus,
in der ſie in dem Moment der Abfaſſung war. Sie be-
greife, ſchrieb ſie, die Ungeduld ihrer Freunde, deren In-
tereſſe bei der Sache ſo groß wäre, daß ſie vor aller Welt
zu entſchuldigen ſeien. Auch wolle ſie dieſelben gegen jede
Unbill und im Genuß ihrer Freiheit und ihrer Rechte ſchützen:
er ſolle ihnen die poſitivſten Verſicherungen hierüber geben
ſowie auch darüber, daß ſie nach dem Tode des Königs un-
zweifelhaft zu ihren Gunſten handeln werde; aber ſie ſelbſt
habe noch andre Rückſichten zu nehmen. Sie könne, ohne ihren
Ruhm zu ſchädigen, nicht zugeben, daß man den König ent-
throne, aus keiner andern Urſache, als weil er ein zu großes
Zutrauen zu einem Schelm und Schwächling von Miniſter
habe, der eben ſo verwegen in ſeinen Unternehmungen, als
ſchlaff in der Ausführung geweſen ſei und jetzt am Rande des
Grabes ſtehe. Außerdem wären ihre Koffer leer und würden
[192] es ſo lange bleiben, als ſie ihre Finanzen geregelt habe, was
nicht das Werk eines Augenblickes ſei. Auch ihre Armee könne
in dieſem Jahre das Feld nicht halten und ſie habe noch keine
Alliance, an der ſie erſt arbeite. Sie wolle nicht weiter fort-
geriſſen werden, als ihr Intereſſe es verlange, und befehle ſie
daher aufs ernſtlichſte, den Ungeſtüm ihrer Freunde zu mäßigen.
Sie wolle keinen offenen Bruch, habe ihre Miniſter beauftragt,
mit dem ſächſiſchen in Verhandlung zu treten, und wolle da-
her, daß ihre Regimenter ihren Aufenthalt ſo viel wie möglich
abkürzten, und in ihre Quartiere ohne viel Aufſehen zurück-
kehrten 1).
Wie aufrichtig ſich aber auch Katharina in dieſen Depeſchen
ausgeſprochen zu haben ſcheint, eines Motivs, welches zu
ihrem Entſchluß weſentlich mitgewirkt hat, gedenkt ſie nur mit
dem kurzen Wort: „Ich will keine Rußland ſchädliche Neuerung
zugeben.“ Es mag dahingeſtellt bleiben, in wie weit ſie
von den Reformideen der Czartoryski unterrichtet war, aber
ſo viel wußte ſie, daß jene die Conföderation als einen Weg
zur Reform der Mißbräuche betrieben. Alle Welt in Polen
ſprach öffentlich davon 2); noch vor wenigen Monaten hatten
die Czartoryski ihr ſelbſt dies mitgetheilt und ſie hatte ſeitdem
noch keinen Einſpruch dagegen erhoben. Überſahen ſie und
ihre Miniſter anfangs die Tragweite der Frage? Daß Key-
ſerling den Reformplänen der Czartoryski bis auf einen ge-
wiſſen Grad mindeſtens nicht abgeneigt war, iſt ſicher, und
ebenſo ſicher iſt, daß Panin noch nach dem Tode Auguſt III.
einer ſich in gewiſſen Schranken haltenden Reform in Polen
das Wort geredet hat 3).
Es ſcheint in der That, daß die Kaiſerin ſowohl wie ihre
[193] vertrauteſten Rathgeber anfangs auch auf die Reformgedanken
der Czartoryski eingegangen ſind und erſt auf die ernſten Vor-
ſtellungen Friedrich II. ihre Einwilligung zur Conföderation zu-
rückzogen. Faſt in allen Depeſchen Benoits, vom erſten
Moment an, daß die Reformidee wieder lebendiger hervor-
trat, ſpricht ſich die Sorge aus, daß, wenn ſie realiſirt würde,
Polen von neuem eine den Nachbarn gefährliche Macht werden
könne. Zu ſolcher Realiſirung ſchien ihm die Conföderation
gradeswegs zu führen, und er bemühte ſich wiederholt Keyſer-
ling hievon zu überzeugen und ihn zu bewegen der Conföderation
entgegen zu wirken. Er forderte Solms auf, auch ſeinerſeits
in derſelben Richtung zu arbeiten, und ließ es hierin ſo wenig
an ſich fehlen, daß, als Katharina wirklich dazwiſchentrat, die
„Familie“ von ihm als dem „preußiſchen Teufel, der den
Grafen Keyſerling ihr verführt habe“ ſprach 1). Friedrich
ſtimmte ihm vollkommen bei, zumal die Conföderation leicht
einen neuen Krieg herbeiführen konnte, während für ihn die
Erhaltung des allgemeinen Friedens der Hauptgeſichtspunkt
ſeiner Politik war. Zwar wies er Benoit an, ſich in dieſer
Frage möglichſt zurückzuhalten, indem er zugleich ſeinen
Zweifel ausſprach, daß Katharina, welche eben ſo wenig wie
er ein Intereſſe habe, die Polen eine reſpectable Macht werden
zu laſſen, die Reformideen unterſtützen würde 2). Aber zu-
gleich theilte er Solms ſeine Sorgen in dieſer Beziehung
mit, der es an Vorſtellungen nicht fehlen ließ. Der däniſche
Geſandte v. Oſten in Petersburg, ein Freund Poniatowski’s,
ſchrieb dieſem am 6. September, Solms habe ihm geſagt,
der König von Preußen wolle vor dem Tode Auguſt III. keine
Conföderation; und ein andrer Vertrauter ſchrieb etwa in den-
ſelben Tagen von ebendaher: „Ich weiß nicht, was den plötz-
lichen Wechſel in dem Entſchluß der Kaiſerin in Betreff Ihrer
Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 13
[194] Angelegenheiten hervorgebracht hat, aber das weiß ich, daß
der König von Preußen vor dem Tode des Königs von Polen
keine Conföderation will und daß der Graf Solms hierüber
Vorſtellungen gemacht hat.“ 1)
Dieſe Wendung in Petersburg erfolgte kurz nach der Mitte
des Juli, wenn auch der letzte Entſchluß etwas ſpäter gefaßt
ſein mag. Denn bereits am 26. Juli übergab Katharina eine
Declaration an den ſächſiſchen Geſchäftsführer Praſſe, in welcher
ſie den Wunſch ausſprach, ſich mit ſeinem Könige friedlich zu
verſtändigen, und ihre Beſchwerden in 3 Punkte zuſammenfaßte.
Unter dieſen war auch die Zurückſetzung ihrer Freunde in
[195] Polen, aber auch hier mit der Erklärung verbunden, daß ſie
keine Veränderung der Verfaſſung der Republik zulaſſen,
ſondern deren feſteſte Stütze ſein werde 1).
Am 10. Auguſt ſpäteſtens war die Nachricht von all dieſem
in Warſchau 2). Die Überraſchung, Beſtürzung und der Un-
muth der Czartoryski war groß; der alte Kanzler erkrankte.
Im erſten Moment forderten ſie von Keyſerling, er ſolle bei
der Kaiſerin auf eine Zurücknahme ihrer letzten Entſchlüſſe
dringen. Er lehnte das in einem Briefe an Poniatowski vom
21. Auguſt entſchieden ab, ſuchte ſie aber zugleich durch die
Vorſtellung zu beruhigen, die Kaiſerin habe, wie es ja in der
That der Fall war, ſich nicht gegen die Conföderation an ſich,
ſondern nur dahin erklärt, daß ſie gegenwärtig nicht an der
Zeit ſei 3).
Von Keyſerling abgewieſen, wandten ſich die Czartoryski mit
einer neuen Denkſchrift vom 21. Auguſt an Katharina. Nachdem
ſie darin eine Überſicht des bisherigen Ganges der Dinge zwiſchen
ihnen und ihr gegeben, erklärten ſie ſich bereit ihrem Willen ſich
zu unterwerfen. Zugleich baten ſie aber, daß ſie ihnen beiſtehe,
mit Ehren aus dieſer Sache, in der auch ihre Ehre verpfändet
ſei, hervorgehen zu können. Auf Grund einer Schilderung,
von welchen Gefahren ſie und die Parthei Rußlands von allen
Seiten bedroht wären, forderten ſie, daß die ruſſiſchen Truppen
noch einige Monate in Polen ſtehen blieben, damit ſie und
ihre Freunde nicht auch noch im Tribunal von Petrikau unter-
lägen. Dies würde ihre Anhänger ermuthigen, die Gegner
im Zaum halten. „Wir, die wir Ew. Majeſtät kennen“
— ſchloſſen ſie —, „geben uns der Hoffnung hin, daß Sie,
wenn Sie uns auch die Conföderation verweigern, mindeſtens
wollen werden, daß Ihre Parthei in Polen die Bedeutung und
den Glanz wiedergewinnt, welche ſie unter der Regierung
13*
[196] Ihrer Vorgänger verloren hat.“ 1) Die ruſſiſchen Truppen
blieben in der That zunächſt in Polen ſtehen.
Inzwiſchen hatte Keyſerling ſich bereits an dem Verſuch
betheiligt ein Abkommen zwiſchen den Partheien zu Stande
zu bringen, um zu verhüten, daß ſie nicht dennoch bei Ge-
legenheit der Anfang October bevorſtehenden Conſtituirung des
Tribunals von Petrikau gewaltſam aufeinander ſtießen. Die
Hofparthei, von Mniszek, der beim Könige in Dresden war,
und von Radzivil vornämlich geleitet, rüſtete ſchon lange und
war entſchloſſen, alles aufzubieten, um die Gegner auch hiebei
völlig zu ſchlagen 2). Dagegen waren der Primas und der
Großkronfeldherr zu einer Vermittlung geneigt. Am 10. Auguſt
war der erſtere, Lubienski, bereits zu dieſem Zweck in War-
ſchau angekommen; am 21. Auguſt erſchien auch Branicki, und
es begannen ſofort die Unterhandlungen. Beide Partheien
ſtreubten ſich: Poniatowski weigerte ſich an den Verhandlungen
Theil zu nehmen. Die Czartoryski erklärten in ihrem Unmuth,
die Reform ſei ihnen die Hauptſache geweſen, alles Übrige, was
man zu ihrem Vortheil ausmachen wolle, ſei ihnen gleichgültig.
Keyſerling mahnte aufs nachdrücklichſte, daß Poniatowski er-
ſcheine 3). Sie ſpannten anfangs ihre Forderungen ſehr hoch.
Der Hof ſolle das Tribunal von Wilna für ungeſetzlich con-
ſtituirt anerkennen und ihnen freie Hand in Betreff des Petri-
kauer laſſen. Auf der andern Seite war man anfangs eben ſo
hartnäckig, zumal in Lithauen der Adel bereits anfing ſich zu
Pferde zu ſetzen, um das Tribunal in Wilna gegen die Ruſſen
zu vertheidigen, denen Keyſerling, um den Zuſammenſtoß zu
vermeiden, Ordre ſandte, nicht bis Wilna vorzugehen. All-
mählig aber kam man doch zu einer Verſtändigung. Am
29. Auguſt unterzeichneten der Primas und der Krongroßfeld-
herr das Protokoll, welches die Bedingungen derſelben enthielt,
[197] von welchen die weſentlichſte war, daß das Tribunal in Wilna
die bereits gegen die Anhänger der Czartoryski erlaſſenen De-
krete nicht vollſtrecken und keine neuen erlaſſen ſollte. Von
der einen Seite hatte ſich hiebei Poniatowski „ſehr verſtändig“
erwieſen, von der andern Mokranowski am meiſten zum Ge-
lingen beigetragen 1).
Gleichzeitig unterhandelte Katharina in Petersburg mit dem
ächſiſchen Geſchäftsträger ihre beſondern Beſchwerden. Sie
verlangte Anerkennung Birons als Herzog von Kurland, wo-
gegen ſie dem Prinzen Karl ein „Etabliſſement“ zu verſchaffen
jede Gelegenheit benutzen werde und inzwiſchen ſich dazu ver-
ſtehen könne, ihm eine „anſtändige Penſion“ auszuſetzen. Sodann
verlangte ſie eine hinreichende Satisfaction in Betreff der vier
Miniſter, welche das Schreiben vom 10. Januar unterſchrieben
hatten; ferner, daß der König künftig ihre Freunde in Polen
nicht mehr zurückſetze, ſondern ſeine „Gnade“ in Betreff der
Ämter ihnen, wie allen andern Polen zu Theil werden laſſe;
daß auf dem nächſten Reichstage ein beiden Partheien gleich-
genehmer Marſchall gewählt, das Amt des Kanzlers mit einem
Freunde Rußlands beſetzt, Radzivils Autorität in Lithauen ge-
mindert und endlich ihr Titel als Kaiſerin von der Republik
anerkannt werde. Dagegen wolle ſie jeder Conföderation in
Polen entſchieden entgegentreten. Man würde es ruſſiſcher-
ſeits für ein Zeichen der Freundſchaft anſehen, ſagte Panin zu
Solms, wenn Friedrich ſeine Vorſtellungen in Dresden dahin
mit denen Rußlands verbände, daß die Ruhe in Polen her-
geſtellt werde 2).
Solchergeſtalt ließ ſich die völlige Beruhigung in Polen
hoffen, und in dieſer Hoffnung hatte Keyſerling gegen Ende
Auguſt an Soltykow die Ordre zum Rückmarſch ertheilt 3).
[198] Allein dieſe Hoffnung erfüllte ſich nicht. Katharina hatte
ihre Freunde von neuem mit Hoffnung und Muth erfüllt,
indem ſie ihnen durch Keyſerling ſagen ließ, ſie mißbillige
nicht, was ſie bisher gethan: ſie würden die Folgen ſehen
und es nicht bereuen; ihre Feinde ſeien ſchon jetzt über-
zeugt, und würden immer mehr davon überzeugt werden, daß
die Protection, die ſie ihren Freunden gewähre, und die Ach-
tung, welche ſie für dieſelben habe, unveränderlich ſeien; „ſie
werden beſtändig in mir eine Stütze für ihre gerechte Sache
finden, und ich werde, ſo viel ich nur vermag, ihre Intereſſen
fördern“ 1). Auch war die Conſtituirung des Tribunals von
Petrikau für beide Partheien zu wichtig, als daß ſie es hätten
über ſich gebracht, nicht alle Kräfte daran zu ſetzen, um dort
zu ſiegen. Bereits bei den Wahlen der Deputirten ging es
faſt auf allen Landtagen nicht ohne Blutvergießen ab. Auf
dem ſiradiſchen erzwang Jakob Malachowski, ein Partheigänger
der Czartoryski, mit Gewalt die Wahlen im Sinne ſeiner Par-
thei; in Wißnia, wo Adam Czartoryski und Stanislaw Lubo-
mirski gegen den Sohn Mniszeks ſtanden, proclamirten nach
gewaltthätigem Tumult die Partheigänger der erſtern den
Fürſten Adam zum Marſchall und zwangen die Gegner mit
einem Proteſt zu weichen; viele Landtage wurden gleich an-
fangs zerriſſen und gelangten zu gar keiner Wahl. Schon
hieraus konnte man vorausſehen, daß die Conſtituirung des
Tribunals nicht in Ruhe vor ſich gehen werde 2).
In der That zogen, als die geſetzmäßige Zeit zur Conſti-
tuirung des Tribunals herankam — Montag nach dem Feſt
des heiligen Franziskus (4. October) —, beide Partheien mit
zahlreichen bewaffneten Schaaren gen Petrikau. Franz Salezy
Potocki, ſeit ein paar Jahren der Schwiegervater des jungen
Brühl, ſoll 15,000 Edelleute mit ſich gehabt und Branicki
einen beträchtlichen Theil der Krontruppen dorthin geſandt
[199] haben, während die Czartoryski auch ihrerſeits ſo viel Mann-
ſchaft aufbrachten, als ſie nur konnten. Kitowicz berichtet, ſie
hätten die Abſicht gehabt, bei dieſer Gelegenheit es doch noch
zu einer Conföderation zu bringen, und den König für abge-
ſetzt zu erklären. Verhalte es ſich hiemit, wie es wolle: gewiß
iſt, daß beide Partheien bereits in Petrikau gerüſtet zum offnen
Kampfe einander gegenüberſtanden, als am 8. October die
Nachricht dorthin kam, König Auguſt ſei am 5ten in Dresden
geſtorben.
Während eines Interregnums ruhten in Polen alle gewöhn-
lichen Gerichte. Die Conſtituirung des Tribunals in Petrikau
hatte keinen Zweck mehr; jedermann kehrte alſo in die Heimath
zurück. Der Bürgerkrieg war noch einmal vermieden. Eine neue
Epoche der Geſchicke Polens trat ein!
[[200]][[201]]
Anhang.
[[202]][[203]]
I.
Das Tribunal von Petrikau.
(Zu Seite 23.)
Zur Ergänzung deſſen, was ich über das Tribunal von
Petrikau S. 23 geſagt, theile ich aus den „Erinnerungen“ des
Königs Stanislaw Poniatowski’s (Pamiętniki, p. 29 sqq.) die
Schilderung mit, welche derſelbe ſowohl von den Formen, in
welchen das Tribunal herkömmlich conſtituirt ward, als auch von
der Art und Weiſe giebt, in welcher die einander gegenüber-
ſtehenden Parteien dieſe Formen zu ihrem Vortheil auszunutzen
gewohnt waren:
„Seit der Errichtung dieſes höchſten Gerichtshofes durch den
König Stephan Bathory waren alle Woiwodſchaften der Krone
verpflichtet am erſten Montag nach dem Feſt Mariä Geburt
(8. Septbr.) zwei oder drei Deputirte zu erwählen, welche ſich am
erſten Montag nach dem Feſt des heiligen Franziskus (4. Octbr.)
in Petrikau einfinden mußten, um zuſammen das Tribunal zu
conſtituiren, welches alle vor den Land- und Schloßgerichten ge-
führten Rechtshändel in letzter Inſtanz zu entſcheiden hatte. Be-
vor die Deputirten jedoch die ihnen im ſtädtiſchen Rathhauſe be-
ſtimmten Seſſel einnehmen durften, mußten ſie die Rechtmäßigkeit
ihrer Wahl vor einer Prüfungscommiſſion beweiſen, welche aus
dem Landrichter und Landſchreiber der Woiwodſchaft Sieradz,
[204] oder in Vertretung dieſer, aus dem Staroſt von Petrikau und
deſſen richterlichen Beamten beſtand.
„Zur Gültigkeit der Wahl war damals erforderlich, daß der
Deputirte einſtimmig von allen zur Wahl Berechtigten und an
ihr Theilnehmenden gewählt war. Um nun die Ungültigkeit
einer Wahl zu beweiſen und den Gewählten von dem Eide aus-
zuſchließen, welchen die Prüfungscommiſſion nach der Anerkennung
der Rechtmäßigkeit der Wahl jedem einzelnen abzunehmen hatte,
bediente man ſich folgender Mittel: man reichte einen Proteſt
oder ein Manifeſt des Landtages, welcher den Deputirten, deſſen
Wahl man anfechten wollte, gewählt hatte, ein, in dem ausge-
führt war, daß die und die adlichen und angeſeſſenen Einwohner
des Bezirks auf dem in Rede ſtehenden Landtage laut und ver-
nehmlich der Wahl dieſes Deputirten widerſprochen, durch ihren
Widerſpruch den Landtag zerriſſen und dieſen ihren Proteſt im
Grodgericht hätten eintragen laſſen. Ein zweites Mittel, um die
Verwerfung der Wahl eines Deputirten herbeizuführen, war,
daß man der Prüfungscommiſſion ein gegen ihn erlaſſenes Con-
demnat einreichte, d. h. ein von irgend einem Gericht im Lande
gegen ihn, ſei es vor, ſei es nach ſeiner Wahl, erlaſſenes Con-
tumacial-Dekret vorlegte.
„Die Mittel der Vertheidigung gegen ſolche Angriffe waren:
1) die Vorlage eines laudum, d. h. eines den Würdenträgern der
Woiwodſchaft vorgelegten Atteſtes der Wahlbeamten, daß dieſer
und dieſer rechtmäßig gewählt ſei; 2) der Nachweis, daß der
gegen den Gewählten eingelegte Proteſt von ſolchen unterſchrieben
ſei, welche perſönlich auf dem Landtage nicht gegenwärtig ge-
weſen wären, oder daß ſie 3) obwohl gegenwärtig ihren Wider-
ſpruch bei der Wahl nicht laut erklärt hätten; 4) daß die Pro-
teſtirenden ohne Grundbeſitz im Bezirk wären; 5) daß gegen ſie
ſelbſt Condemnate vorlägen, oder endlich 6) das Einbringen eines
Verzichts auf das Condemnat von Seiten deſſen, auf deſſen Klage
es erlaſſen war. Ueber alle dieſe Einreden und Vertheidigungen
entſchied die Prüfungscommiſſion endgültig; von ihr allein hing
es ab, ob der eine als rechtmäßig gewählter Deputirter zum
Eide zugelaſſen, der andere gänzlich zurückgewieſen oder die Zu-
[205] laſſung ſo lange aufgeſchoben wurde, bis ſeine Sache von den
bereits als rechtmäßig gewählt anerkannten Deputirten unter-
ſucht und entſchieden ſei.
„So ſchrieb es das Recht vor, deſſen Beſtimmungen nun durch
folgende Misbräuche verletzt wurden. Wer in Polen einen Proceß
beim Tribunal hatte, oder Anſehen und Einfluß im Lande er-
werben wollte, bemühte ſich darum eine aus ſeinen Freunden be-
ſtehende Mehrheit unter den Deputirten zu erreichen. Man be-
eiferte ſich daher auf allen Landtagen gleichzeitig, ſo viel man
nur irgend konnte, die Wahl ſolcher Perſonen durchzuſetzen, auf
welche man mit Sicherheit rechnen konnte und umgekehrt alle die
Landtage zu zerreißen, auf welchen man keinen ausreichenden
Einfluß zu haben glaubte. Da aber die Einſtimmigkeit der
Vota auf den Landtagen ein geſetzliches und zwar das unent-
behrlichſte Erforderniß für die Gültigkeit der Wahl war, dieſe
Einſtimmigkeit jedoch durch irgend einen Proteſt unmöglich ge-
macht werden konnte, ſo konnte es ſich ereignen und hat ſich in
Folge des in Polen herrſchenden Partheikampfes in der That
öfter ereignet, daß unter den in Petrikau zuſammentretenden
weltlichen Deputirten nicht ſieben waren, gegen deren Wahl kein
im Recht begründeter Einwand vorlag. Und da das Geſetz end-
lich beſtimmte, daß zur Conſtituirung des Tribunals wenigſtens
ſieben Deputirte vorhanden ſein müßten, ſo hätte das Land gar
oft ſeinen höchſten Gerichtshof entbehren müſſen, wenn nicht die
Prüfungscommiſſare und die zur Conſtituirung des Tribunals
herkömmlich zuſammenſtrömenden Perſonen jeden Standes zur Ver-
meidung ſolchen Übels alle Mühe angewandt hätten, diejenigen,
die mit Proteſten und Condemnaten gegen die Deputirten herbei-
gekommen waren, zu beſtimmen, daß ſie freiwillig deren Ein-
bringung unterließen.
„Bis dahin war noch kein Misbrauch; ſobald aber die Prü-
fungscommiſſare ſich erlaubten, die Deputirten anzunehmen oder
abzuweiſen, ohne Rückſicht auf die Documente, welche jene recht-
fertigten oder verurtheilten, rein nach perſönlichen Rückſichten oder
aus Haß, fingen auch die Privatperſonen, die hiebei betheiligt
waren, an ſie zu erkaufen, um ſich hiedurch der Annahme oder
[206] Verwerfung beſtimmter Deputirter zu verſichern. Waren die
Prüfungscommiſſare nicht käuflich oder bereits von der Gegen-
parthei gewonnen, ſo nahmen die tobenden Magnaten auch zu
andern Mitteln ihre Zuflucht.
„Das Geſetz beſtimmte den erſten Montag nach dem Feſttag
des heiligen Franziskus im October zur endgültigen Prüfung der
Wahlen der Deputirten: an dieſem Tage nahm der älteſte der
Prüfungscommiſſare in der Kathedrale in Petrikau nach einer
hohen Meſſe den Richtereid ab. Er ſaß hiebei hinter einem
Tiſch, auf welchem vorher alle Proteſte, Condemnate, lauda und
Atteſte niedergelegt waren, auf Grund welcher die Deputirten
zum Eide zugelaſſen oder zurückgewieſen wurden.
„Dieſer Tiſch war daher der Punkt, welchem ſoviel als irgend
möglich nahe zu kommen jeder ein Intereſſe hatte, der ein Mani-
feſt, Condemnat, laudum oder Atteſt einbringen wollte. Es war
daher ein Intereſſe der Partheien und ihrer Führer, von deren
Geiſt und Witz das Gelingen abhing, dieſen Tiſch mit den eigenen
Anhängern zu umgeben und die Gegner von demſelben abzu-
halten, denn alles was dort nicht niedergelegt war, hatte nicht
die geringſte Bedeutung. Anfangs bediente man ſich hiezu nur
der Gewandtheit, aber in kurzem trat dieſe hinter den Maſſen-
andrang der Anweſenden zurück, die ſich beeiferten zuerſt den Platz
einzunehmen: dann wurden die Mitbürger, welche ſich dorthin durch-
drängen wollten, mit Gewalt weggeſtoßen oder man riß ihnen
die Papiere aus den Händen, durch welche ſie die erwählten
Deputirten ſei es ſtützen, ſei es ſtürzen wollten.“
[[207]]
II.
Traduction d’une lettre d’un gentilhomme Polonois de
Province, à un de ses amis d’un autre Palatinat.
Geheimes Staatsarchiv. Repoſitur 9, No. 27, ad Relation des von
Wallenrod vom 12. September 1744.
(Zu Seite 69.)
Comme le Roi a rejoui le coeur de son peuple par son
heureux retour dans le royaume, retour que nous avons sou-
haité depuis longtems et que nous voyons, que les demandes
et les desseins de ce prince, pleins de droiture et de sin-
cerité, ne tendent, qu’à la conservation du bien public, rien
ne sauroit etre plus conforme au zele de l’ordre equestre,
rien plus digne de son attention, que de deliberer en freres,
avec une union parfaite, sur les moyens les plus salutaires
et efficaces à aider à la prosperité de notre chere patrie. Le
tems et l’occasion nous favorisent, nous sommes en etat d’ef-
fectuer aisement tout ce que notre bonheur et la conser-
vation du bien public demandent; il ne s’agit que de le vou-
loir et de prendre de telles mesures, que la circonspection pour
remedier au deplorable etat de la Republique jointe aux re-
flexions sur la decadence considerable de la gloire de notre
nation nous peuvent fournir. Ce sont ces reflexions, Mon-
sieur, qui en consequence de notre amitié reciproque m’en-
gagent à vous ouvrir mon coeur et à vous dire mes senti-
[208] ments sur la situation presente de nos affaires. Je les sou-
mets à la decision de votre esprit eclairé. Si je parle libre-
ment, souvenez vous, Monsieur, que je me sers du privilege
de ma nation. Vous savez que selon nos loix il m’est permis
de penser ce que je veux et de dire ce que je pense. Sen-
tire quid velim, dicere quod sentiam.
Le terme de la Diete ordinaire s’approche et le tems
pour l’Election des nonces s’avance à grands pas. Si nous
voulons comme il n’en faut pas douter, que la Diete sub-
siste efficacement pour l’avancement du bien public, c’est aux
dietines, ou il faut songer aux moyens reels pour la soutenir.
Je ne sais pas, si je serai elû nonce, quoique j’avoüe, que j’em-
ployerai tous les moyens permis a le devenir, puisque je me
crois dans le devoir de sacrifier ma vie et tout ce que j’ai,
au bien public.
Cependant que cela arrive ou non, je vous supplie, Mon-
sieur, de communiquer à Messieurs nos frères, tant particu-
lierement chez eux, que dans les conferences publiques les
reflexions suivantes, reflexions qui me semblent assez con-
venir à l’etat present de nos affaires.
Remplissez, je vous prie, le vide, que vous trouverez et
ajoutez de vos propres lumieres, ce qui leur manque de per-
fection, afin que ce qui en paroitra utile à la patrie, puisse
etre inséré dans les instructions des nonces de la diete pro-
chaine. J’avoüe Monsieur, que le feu de guerre, qui a em-
brasé dernierement notre voisinage, m’a tellement epouvanté
que jusqu’à cette heure je ne saurois sortir de ma frayeur.
Je la crois fondée, quand je considere l’insuffisance de nos
forces et la nonchalance et l’assoupissement, où nous nous
trouvons. Nous sommes sans armée, sans argent, sans con-
seil, bref nous sommes depourvus de tout ce que la sureté
et la defense du pais demandent. Ce sont ces considerations,
qui m’affligent, ce sont elles qui me font craindre qu’en peu
de tems il nous pourroit bien arriver ce que nous avons vû
arriver à d’autres pais beaucoup mieux munis et defendus que
le notre. Je ne publie point ma crainte (Dieu m’en preserve)
[209] dans le dessein d’exciter les etats du Royaume, contre qui
que ce soit; la paix avec nos voisins soit exactement gardée;
mais en même tems je souhaiterois, que nous fussions ga-
rantis de toute sorte d’invasion imprevue. Le seul et l’unique
moyen d’y reüssir est une considerable augmentation de notre
armée; comme c’est une affaire decidée hors de doute et d’ex-
ception, il seroit raisonnable de la mettre au plutot en pra-
tique; autrement nous serons obligés de suivre toujours les
regles du plus fort et de nous soumettre à ses loix. Nous
nous apercevons, il est vrai, qu’une nombreuse armée nous
est d’une necessité absolue. Nous pensons à cela depuis tant
d’années, ou pour mieux dire, il nous semble d’y avoir pensé;
toutefois cela s’est fait sans succès et sans realité. Peut-etre
que nous n’y pensons pas serieusement, ou que chacun, pour
s’epargner soi meme, fait de propos deliberé trainer en lon-
gueur une affaire, que pour la conservation de notre bonheur
et de notre sureté, nous trouvons tous indispensablement ne-
cessaire.
Nous nous efforçons de trouver des fonds suffisants pour
faire la levée des troupes. Nous voulons tripler les impots,
que nous payons actuellement, pour tripler l’armée. Nous
destinons à cet usage le Czopowe et le Szelezne (impots qu’on
paye des tonneaux et de la boisson) et quelques autres fonds
dans la persuasion, que cela suffit; mais nous ne considerons
pas, dans quelle misere et dans quelle desolation le païs se
trouve partout et à quel point les villes sont ruinées et les
pauvres sujets accablés. Nous ne faisons point reflexion,
qu’une grande partie de noblesse rejette avec raison la capi-
tation, comme un impot trop onereux, trop honteux et peu
convenable à la liberté de la nation.
Or comme nous traitons cette affaire avec peu de soli-
dité, tout finit par un vain verbiage et nos projets ressem-
blent à des chateaux en l’air. Dites-moi, Monsieur, je vous
prie, s’il est possible, de tripler les impots ordinaires dans le
tems, que la necessité nous oblige, d’assigner des endroits
deserts pour la paye de l’armée quoique peu nombreuse.
Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 14
[210]
Seroit-il juste, seroit-il de l’equité, d’accabler nos pauvres
confreres par un rehaussement de capitation, pendant qu’ils
nous demandent des egards et de la compassion. Vous me
demanderez peut-etre, de quoi je veux donc faire subsister
l’armée, surtout une armée nombreuse, proportionnée à l’eten-
due de notre Royaume, bien reglée, bien exercée et payée,
de la façon, qu’elle ne soit à charge à qui que ce soit. Vous
etes curieux de savoir, d’où je veux prendre les fraix pour
les armes, l’artillerie, l’amunition et autres appareils de
guerre.
Je vous repondrai, Monsieur, que le veritable amour de
la patrie, un zele sincere pour le bien public et une serieuse
reflexion sur notre propre sureté et conservation, sont pour
moi les fonds les plus surs. C’est dans ces sources intaris-
sables que je m’en vais puiser des tresors pour tous les be-
soins de la Republique. Tout ce que je souhaite, est, qu’il
plaise à Dieu, de diriger si efficacement nos coeurs, que tous
les interêts particuliers, qui nous seduisent si honteusement
et qui nous font un tort inexprimable disparoissent et fassent
place à l’utilité publique.
Avant que de proposer le principal expedient, pour l’en-
tretien de l’armée, je m’en vais alleguer quelques uns de
moindre importance. Je commencerai par le tresor de la cou-
ronne. Le Roi ayant confié l’administration du dit tresor à
un de nos confreres bien intentionnés pour le bien public,
celui-ci s’en est acquitté avec tant de zele, moderation et
désinteressement, qu’à son propre aveu, il a doublé les re-
venus de la Republique.
Que cela nous serve d’avis et nous fasse remarquer, ce
qu’une conduite désinteressée, jointe à une bonne econo-
mie, peut effectuer et que ceux qui auront desormais l’ad-
ministration du dit Tresor en prennent un bon exemple.
Voulons nous encore augmenter les revenus du Tresor, eta-
blissons une Douane generale, non seulement du blé et de
tout ce que notre païs produit, mais aussi d’autres marchan-
dises.
[211]
Que cette Douane soit universelle, egale partout et sans
exception. Ce n’est pas un nouvel expedient, que je propose,
nous nous en sommes servis en d’autres occasions, lorsque
les besoins de la Republique l’ont demandé et que l’amour
de la patrie l’a exigé; qu’on lise la dessus la constitution de
l’année 1710.
Etablissons par exemple, qu’on doit payer d’un Last (ou
de soixante mesures de blé) un ecû espece; qu’y a-t-il, que
le gentilhomme vendeur pourra perdre par la? rien, ou fort
peu de chose; car il ne manquera pas de se faire payer par
l’acheteur ce qu’il a donné; l’argent lui revient et les re-
venus du tresor seront de cette façon notablement augmentés.
Avant toutes choses nous devrions faire reflexion, que
puisque la quantité des commerces et le nombre des nego-
ciants est presque dans tous les pays la source de l’abon-
dance, la prudence veut, que nous favorisions par toutes voyes
raisonnables le commerce. Nous avons agi jusqu’ici, d’une
maniere tout a fait opposée. C’est la veritable raison, pour-
quoi il y a peu de marchands, qui veulent entrer avec nous
en negoce, et que ceux qui restent parmi nous, sont visible-
ment ruinés.
De la vient la decadence des villes et pauvreté des ha-
bitans au grand prejudice de la Republique. Je ne veux point
alleguer mille difficultés, charges et redevances, que les par-
ticuliers font naitre aux negociants; qu’on regarde seulement
la Douane, qu’ils sont obligés de payer actuellement a la
Republique; n’est elle pas si exorbitante, si disproportionnée
et outre toute equité, qu’il est naturel, qu’elle degoute les
gens du trafic et du commerce? Or il evident, que plus la
taxe des impots sera diminuée, plus le nombre des commer-
çans croitra et les revenus du Tresor augmenteront. Il suffit
de garder cette seule proportion et d’établir, que les marchan-
dises d’entrée doivent payer plus de douane, que celles qui
sortent du Royaume. Comme le credit public est l’ame et
le fondement du negoce, prenons à coeur de le maintenir,
ayons soin, que les lettres de change, les billets et les obli-
14*
[212]gations soient exactement payées, car sans cela, nous ne fe-
rons jamais rien qui vaille.
Pour donner à cette maxime son lustre et sa perfection,
il seroit necessaire, d’abolir absolument toutes les libertations
et exemtions et faire des loix contre ceux, qui se voudront
opposer à cette reforme. Peut-etre ne sera-t-il pas hors de
propos, de faire ici quelque mention des Juifs.
Tout le monde sait, que cette race repandue dans tout
le Royaume est dans une situation beaucoup plus heureuse,
que nos bourgeois et nos païsans, de la maniere, qu’un cer-
tain auteur a appelé à juste titre la Pologne, le Paradis des
Juifs. Comme on protege partout les Juifs, ils ont trouvé
par leurs ruses, friponneries et leur industrie le moyen d’oter
aux Chretiens tout le negoce et les moyens de gagner leur
vie. Avec tout cela, ils payent fort peu à la Republique.
Pour obvier à cet inconvenient, il ne faut que mettre en pra-
tique les loix et les constitutions ecrites à ce sujet, en leur
defendant d’avoir d’autres marchandises à vendre, que celles
qui leur sont promises. Qu’on fasse outre cela un reglement,
que les Juifs à proportion de leur grande multitude, doivent
fournir leur contingent aux impots publics.
La capitation generale des Juifs a été autrefois pratiquée.
On le peut voir dans la constitution de l’an 1564. Seroit-il
impraticable, de renouveller dans le tems ou nous sommes le
meme reglement? En voici le moyen.
Apres avoir fait une specification generale des Juifs dans
toutes les provinces, ce qu’on pourra facilement executer,
qu’on fasse alors une taxe une fois pour toutes, tant et tant
pour chaque tête.
Je suis convaincu, que la somme, qui en reviendra, sera
plus importante, qu’on ne le saurait croire. De cette façon
là, on pourra toujours savoir, combien il y a des Juifs dans
le païs et juger de l’accroisement, ou de la diminution de
cette nation, chose toujours pratiquée et absolument neces-
saire, dans tous les païs bien reglés.
Apres avoir parlé du tresor, je m’en vais parler des Sta-
[213] rosties. Nous savons, qu’elles sont destinées en premier lieu,
à la defense de la Republique et en second lieu à recom-
penser le merite. Pour obtenir le but de leur destination,
rien n’est plus juste, que de faire observer inviolablement
les loix la dessus données. Qu’on fasse payer exactement le
quart de ce qu’elles rapportent, pour l’entretien de l’armée.
Je remets la maniere de savoir au juste combien ce quart
de revenus peut valoir, a la recherche et à la decision des
Etats de la Republique, car peut-etre, que ce point ne sauroit
etre epluché sans le secours et la rigueur des loix.
L’impot du Czopowe et du Szelezne, de qui on a
tant parlé, qu’il fut entierement employé à l’entretien de
l’armée, pourroit, je l’avoue, faire une somme assez conside-
rable. Toutefois j’ai des raisons assez solides, qui me font
entrevoir la chose d’un oeil different. Il me semble etre hors
de l’equité de priver entierement les Palatinats de ce revenû
domestique, dans le tems, que pour fournir à leur depenses
annuelles, ils ont besoin d’un fond certain et fixé. Cepen-
dant je crois, que si on faisoit les choses de la maniere, que
je m’en vais indiquer, on pourroit satisfaire en meme tems
aux besoins publics de la Republique et aux depenses par-
ticulieres des Palatinats.
1mo. On pourroit etablir, que le Szelezne et le Czopowe
fut universellement payé, non seulement dans les villes ro-
yales, mais aussi par tous les biens du clergé et de la
noblesse.
2do. On pourroit hausser le prix des boissons, en faisant
payer un Garniec de bierre six gros et autant la quarte d’un
Garniec de brandevin. Depense tres petite en particulier et
tres grande pour le profit public.
Or ayant fait de ce revenu une somme totale, qui cer-
tainement ne seroit pas petite, on en pourroit laisser une
certaine portion à chaque Palatinat, à proportion de son
etendue.
On employeroit cet argent tant à la pension des nonces
à la Diete et des Deputés aux tribunaux, qu’à la recompense
[214] des personnes bien meritées et aux aumones à donner aux
gens que le feu a ruinés.
Le reste de la somme reviendroit à la Republique pour
l’entretien de l’armée. J’espere que personne ne trouvera à
redire, à ce que je viens d’avancer à l’egard des nonces et
des Deputés, qu’il faut fournir a leur entretien, qu’on con-
sidere un peu, combien il se fait, a cette occasion de cor-
ruptions honteuses et combien il se commet de parjures,
crimes, auxquels ou l’indigence, ou les depenses mal reglées
donnent lieu.
Par cette raison assignons une subsistence honnette et due
aux gens, qui servent la patrie et travaillent pour le bien
public, mais imposons en meme tems une marque d’infamie
eternelle et ineffaçable aux memes gens, s’ils auront la bas-
sesse de commettre des crimes susmentionnés. Tachons à de-
raciner des injustices si honteuses et si frequentes, qui ne
peuvent qu’exiter la colere de Dieu et provoquer ses cha-
timents sur tout le Royaume.
Comme ce que je viens de dire à l’egard du Czopowe
que le reste de revenu doit etre employé au profit de l’armée
est evident, il seroit inutile d’en parler d’avantage. Toutefois
je ne crois pas pecher contre l’ordre de mon propos, en fai-
sant ici mention de quelques moyens, qu’on a deja proposés
à plusieurs reprises, savoir le monopole du tabac et du pa-
pier. L’impot sur les moulins, que la Republique a proposé
il n’y a pas longtems qu’on devoit payer d’un rouage, un
ou deux ecus, selon la difference des moulins; l’egalité des
mesures et des poids dans tout le Royaume pour le blé, pour
les boissons et autres marchandises, ne peut etre que d’une
tres grande utilité.
Nous avons des loix, qui en parlent; il seroit facile de
les renouveler. Au reste comme nous voyons les soins pa-
ternels, que le Roy prend pour l’avancement du bien public,
prions le qu’il plaise à sa Majesté de rassembler les postes de
la couronne de Lithuanie et celles de Prusse en un seul corps
et d’en faire un seul sisteme; je ne doute aucunement, que
[215] le coeur genereux de sa Majesté ne soit porté à nous accorder
cette grace.
Si notre demande reussit, faisons une Taxe raisonnable
et juste pour le port des lettres, etablissons, qu’il la faut
payer generalement et sans exception. Reglons des stations
dans toute l’etendue du Royaume, pour la commodité des Pas-
sagers à la maniere d’autres païs. Cela etant fait, donnons
le tout en ferme au plus offrant. J’espere, que cela fera
un profit assez considerable sans compter la commodité et
l’avantage, qui en reviendra aux passagers, n’etant plus obligés
d’avoir leurs propres chevaux, attelages, cochers et postillons,
choses, qui pour faire un voyage à l’heure qu’il est, sont in-
dispensablement necessaires, tant à un grand seigneur, qu’à
un simple gentilhomme et aux gens d’un etat plus bas. Comme
tous ces moyens ont été autrefois pratiqués, je ne doute pas,
qu’ils ne puissent reussir.
Cependant puisque tout ce que je viens de proposer
jusqu’ici ne suffit pas à l’entretien d’une nombreuse armée,
telle qu’il nous faut, ni aux autres fraix à faire, proposons
le dernier moyen le plus certain, infaillible et suffisant pour
tous les besoins de la Republique. Pour reussir dans ce
projet salutaire, il ne faut que tous ceux, qui aiment veri-
tablement leur patrie, leur honneur et la gloire de la nation,
fassent paroitre le zele, qu’ils ont pour l’avancement du
bien public. Il ne faut, dis-je, que ceux, qui au milieu d’une
paix profonde aiment la douceur de la liberté, prouvent à
quel point la conservation de la sureté publique leur est
chere.
C’est ici que je les prie de se souvenir de l’ancienne ge-
nerosité Polonoise, generosité, par laquelle leur ancetres ont
rendu leur nom fameux et respectable parmi toutes les na-
tions.
Prets à sacrifier leur bien et leur vie à la defense de la
patrie, rien ne leur etoit trop cher. Pensons de la meme
façon, puisque le meme sang coule dans nos veines. Prou-
vons que le meme esprit nous anime et que rien ne nous
[216] sauroit etre ni de trop cher, ni de trop precieux en compa-
raison de notre patrie.
Tous les attachemens doivent, selon le dire d’un ancien
Romain, faire place à l’amour de la patrie. Je doute qu’il
y aura personne, qui se voudroit opposer à cette resolution
salutaire, à moins que ce ne fût un homme, qui ne meritât
point le nom d’un veritable fils de la patrie, mais d’un fils
denaturé, separé de la Societé fraternelle, condamné à une
ignominie eternelle et indigne de jouir à jamais des libertés
et privileges de la noblesse. Je me souviens de l’offre, que
le Castellan de Kyovie fit à la derniere diete. C’etoit la di-
zieme de ses revenus, qu’il s’offrit à donner, pour etre em-
ploié aux besoins de la Republique.
Suivons un aussi bel exemple et des sentiments si dignes
d’un citoien de la Republique. Accordons-nous, joignons nos
mains et nos coeurs pour soutenir une si belle et une si
louable resolution. Considerons, que sans une formidable armée
et sans des forces requises, pour parer les coups, qu’on nous
voudra porter, nous serons toujours en danger exposés à es-
suyer honteusement les memes, ou peut-etre encore de plus
grands malheurs.
Ne refusons point à faire cette offrande, qui tend à notre
gloire et à notre profit. N’epargnons rien pour secourir la
Republique. Que les biens hereditaires aussi bien que ceux
du Roi et du clergé, de meme que les sommes placées en
Banque et pretées à interêt fournissent egalement leur cote-
part au besoin public.
Avouons nos revenus de bonne fois et sous l’examen de
la conscience. Mettons en quelque partie part, pour con-
server le total.
Pour eviter que cette collecte ne paroisse point forcée
et de la nature de la capitation (impot digne d’etre aboli et
dont meme le nom choque la liberté de la nation) faisons
une constitution, que la dite collecte ne doit durer, que d’une
diete ordinaire à l’autre, mais fixons en meme tems le terme
le plus court pour la commencer. Ayons soins qu’elle soit
[217] bien administrée et l’argent, qui en reviendra, bien placé et
employé aux besoins les plus pressants et essentiels de la
Republique.
Outre une bonne armée, que nous paroissons generalement
souhaiter, il y a plusieurs choses tres necessaires à la guerre,
qui nous manquent. Point d’arsenaux, ou s’il y en a, ils
sont vides, point d’artillerie, point d’armes, point de muni-
tions, bref il nous manque tout. Pour remedier à cela, je
veux que cette collecte serve de fond pour tous les besoins
et appareils de guerre.
Je suis persuadé, Monsieur, que mettant serieusement et
sans delai la main à l’ouvrage, nous trouverons des egards
et de la consideration aupres de nos voisins. La prompte
levée d’une bonne armée et l’acquisition de tout ce qu’il lui
faut, les engagera à rechercher notre amitié, voyant qu’elle
leur peut etre utile et secourable. Mais si au contraire, nous
economisons à contre tems, si dis-je trop menagers et trop
lents à faire tout d’un coup une depense raisonnable, nous ne
faisons, qu’une petite augmentation d’armée, nous verrons à
notre honte et prejudice, que cette epargne deplacée, qu lieu
de profit, nous exposera à la risée publique, sans parler des
calamités, qui pourroient bien naitre de ce manque des forces
et que je prie Dieu de detourner. C’est pourquoi travaillons
avec assiduité pour faire reussir un dessein si salutaire. Ac-
cordons-nous d’abord aux dietines, afin qu’on puisse donner
des instructions les plus fortes aux nonces de la diete et leur
recommander de n’epargner ni peines ni soins pour maintenir
absolument cet article.
En ecrivant ceci, il me vient une pensée. Ne pourroit-
on pas en cette occasion corriger l’habitude, qu’on a de
rompre les dietines, habitude si pernicieuse au bien public,
et dont nous nous plaignons tous les jours avec raison.
Vous savez, Monsieur, que quelquefois, pour soutenir un
miserable interet particulier, on se sert dans les instructions
de cette clause formelle et bien extraordinaire: etiam cum
discrimine comitiorum, c’est à dire, il faut soutenir
[218] cet interet meme aux depens de la Diete. Seroit-il pos-
sible, qu’un homme de bon sens, qui aime l’honneur, puisse
approuver un tel abus, que nous emploions si mal notre li-
berté, que nous changeons plutot en licence, que nous fai-
sons si peu de cas d’un bijoux si precieux et inestimable que
la liberté?
Qu’on me dise tant qu’on voudra, qu’il y a des points sur
lesquels il y a des contestations sans accord, à la bonne
heure, pourquoi ne les met-on pas à part et en arriere pour
etre examinés une autre fois, laissant toujours subsister les
autres points, où il n’y a point de contradiction?
Or pour empecher que l’article de l’augmentation de l’armée
n’aye pas le meme sort, mettons dans les instructions des
nonces, que puisque le dit article avoit deja eté epluché et
decidé aux Dietines, il devoit absolument avoir lieu et etre
maintenu à la Diete. Comme dans tout ce que je viens de
proposer, il n’y a rien de contraire à la liberté, il ne faut
point craindre, que cette paupiere si delicate, comme nous
aimons à appeler la liberté en sera blessée. Le liberum veto,
que j’estime infinement, restera toujours dans sa vigueur. C’est
à l’abus, que j’en veux, qu’il soit reformé.
J’ai dit plus haut que parmi la noblesse plusieurs de nos
confreres se plaignent de la capitation. Ayons des egards
et de la compassion pour eux. Comme nous voyons qu’il
y en a, qui sont dans la derniere indigence, affranchissons
les de toute contribution. Cela a besoin de quelque eclaircis-
sement.
1mo. Cette exemtion ne doit servir qu’à ceux de nos con-
freres, dont les revenues ne passent pas mille florins de Po-
logne.
2do. Afin qu’un tel privilege rapporte quelque utilité au
public, etablissons, que ceux qui ne contribuent rien à l’en-
tretien de l’armée doivent elever leur enfants pour le service
de la Republique.
Formons de cette jeunesse des cadets pour recruter les
Regimens et qu’une partie d’eux serve de Pocztowy (ou des
[219] Dragons) dans les Drapeaux Polonois. Faisons quelque distine-
tion entre eux et les simples soldats, qui n’ont point de nais-
sance. Par exemple donnons aux dits cadets quelque chose
de plus et que les officiers les traitent avec plus de menage-
ment. Mais que les peres par reconnoissance soient obligés
de donner de bon gré leur fils à l’armée à proportion de leur
famille selon qu’elle se trouvera ou grande, ou petite. Nous
avons eu autrefois en Pologne des Regimens de Cuirassiers et
de Fuseliers formés de la noblesse; pourquoi la meme chose
ne se pourroit il pas pratiquer maintenant? En attendant don-
nons à chaque Regiment deux cents cadets et dans les Dra-
peaux Polonois trois Pocztowy par Towarzysz, abolissons la hon-
teuse maniere de chatier un soldat à coup de Kanszuk et de
Canne. Reformons la jurisdiction, que le Towarzysz a sur
son Pocztowy. Que le soldat une fois enrollé ne depende
plus de lui, ni à l’egard de sa personne, ni à l’egard de son
cheval. Confions la jurisdiction de Pocztowy aux officiers
commandants dans les Drapeaux, qui seront obligés de les
tenir sous une bonne discipline, de les exercer et de leur
faire observer leur devoir. Et puisque la derniere disposition
de la Republique à l’egard de la subsistence de la Cavallerie
n’est pas suffisante, il faut absolument augmenter sa paye,
pour exercer les troupes. Assignons une certaine quantité
de poudre des arsenaux, tant pour les Regimens etrangers,
que pour les Drapeaux Polonois. Je suis sur, que par un bon
arrangement et application, nous aurons non seulement une
nombreuse armée, mais aussi une armée bien reglée, mobile
et de service.
Peut-etre, Monsieur, qu’en cet endroit vous me formerez
une objection et me direz, que, quoique nous puissions trouver
des fonds suffisants, pour nourrir nos troupes, il nous man-
quera des hommes, pour en faire une armée nombreuse, la
Pologne etant un païs desert et peu peuplé. Je le sais très
bien, Monsieur, à quel point la peste, la famine, les mala-
dies epidemiques et autres revolutions ont depeuplé le
Royaume. Je ne l’ignore non plus, que personne ne permet,
[220] que les enrollements se fassent dans ses biens et que chaque
jour on redemande des sujets des terres.
Mais avec tout cela, je voudrois bien savoir comment com-
biner des choses si opposées, savoir que la Republique doit
mettre sur pied une armée, et les levées ne doivent pas etre
permises.
C’est une pure contradiction. Cependant j’espere que
l’amour de la patrie applanira facilement cette difficulté. Le
meilleur seroit, d’assigner les Palatinats et les Districts aux
Regimens et aux Drapeaux et de donner au Regiment le nom
du Palatinat, où il sera levé. Voila un moyen raisonnable
et qui ne manquera point d’utilité, car ordinairement les gens
du meme païs et de la meme province, se comportent mieux
et s’assistent reciproquement avec plus de sincerité. Pour
suppleer à la disette d’hommes dans le Royaume, je m’en
vais proposer un remede assez efficace, mais je vous prie Mon-
sieur, de m’entendre avec patience et sans prevention. Je
m’addresse d’abord avec une entiere confiance à la sainte
eglise. Comme j’adore avec un coeur veritablement catho-
lique la sainteté de son institution, et que je sais qu’elle est
etablie par le saint esprit, je suis persuadé, qu’elle est tres-
portée de reformer tous les abus nuisibles à la Republique.
Les fondations des couvents sont dans leur but tout a
fait pieuses. Mais puisque les meilleurs etablissements, qu’on
trouve dans ce monde sont sujets à la corruption et au chan-
gement, je suis persuadé que l’Eglise meme ne sauroit ap-
prouver les abus, que le tems a introduits en fait des mo-
nasteres.
Quelles resolutions ne suit-on pas tous les jours dans le
choix de la vie du couvent? resolutions, où l’etourderie, la
legereté et la precipitation ont toutes part.
Que les suites, qui en resultent, sont pernicieuses, terribles
et meme prejudiciables a la pureté de la foy catholique! Que
le danger, qui en provient, est grand pour les ames, que le
sauveur du genre humain a si cherement achetées par sa pas-
sion! Le souvenir meme en est affligeant. Que le nombre
[221] de ceux est petit, qui par la voye d’une vocation legitime
entrent dans le monastere, dans le dessein de faire penitence
et sauver leurs ames. La pluspart des hommes choisissent
le Couvent dans l’enfance, avant que l’age ait meuri la
raison, pour faire entre le bon et le mauvais un discerne-
mcnt juste. Co mbien n’y en a-t-il pas, qui ou par eblouisse-
ment, bigotterie, ou persuasion, se font religieux, sans avoir
pensé à ce qu’ils font. Il est certain, que cela ne s’appelle
point suivre la sainte institution des premiers fondateurs, qui
a été tout autre à cet egard.
Ils n’ont pas voulû, que les couvents cherchassent des
hommes, mais bien que les hommes cherchassent les cou-
vents. Cependant si on ne prend pas garde de reformer à
tems une si mauvaise coutume il faut apprehender les suites,
qui en pourront naitre.
Un Edit general de n’admettre personne dans un couvent
pour y faire profession, avant l’age de vingt cinq ans, chan-
geroit bien la face des choses. Au lieu de tant de scandales,
que nous voyons arriver tous les jours, nous verrions grand
nombre de gens embrasser d’autres Etats de vie au profit du
bien public.
Les uns choisiroient les armes, les autres le commerce,
les manufactures, les metiers, ou l’agriculture et tous choi-
siroient le mariage. On travailleroit tranquillement pour le
bien public, chacun remplissant les devoirs de sa fonction
avec assiduité, aisance et satisfaction. La meme autorité qui
a relevé l’etablissement des couvents pourroient, sur des re-
presentations fortes et fondamentales, corriger les abus et con-
duire dans un chemin droit ce qui s’en est detourné. Quant
à nous, favorisons toujours le mariage, c’est un sacrement
digne de veneration, un etat, que Dieu a etabli pour peupler
la terre à l’accroissement de sa gloire.
Les prieres d’un laboureur ignorant, ou d’un simple sol-
dat, ne seroient-elles pas aussi agreables à Dieu, que celles
d’un Religieux enfermé dans sa cellule? Y a-t-il du doute,
que celui, qui à la sueur de son front laboure la terre avec
[222] la charrue et celui qui, remplissant la charge de sa fonction,
sacrifie à Dieu ses travaux avec plus de peine et d’applica-
tion, que le moine assis dans le couvent ne sauroit aussi bien
sauver son ame, que l’hermite le plus attentif aux devoirs de
la mortification de son corps? Regardant d’un oeil de com-
passion la desolation de notre Royaume et la vaste entendue
de ses champs en friche et sans culture, nous avons de justes
raisons de prier le Saint Siege, qu’il lui plaise de diminuer
le grand nombre des fetes hebdomadaires, qui au lieu de la
devotion donnent occasion aux faineants de commettre tant
d’excès.
Nous avons des exemples, que presque dans tous les etats
catholiques, le Saint Pere d’aujourd’huy a fait publier des or-
donnances si salutaires. Prenons seulement à tache de pra-
tiquer les vertus, que le Christianisme nous enseigne, ayons
de l’amour et de la compassion pour notre prochain et nous
nous apercevrons, que la benediction divine accompagnera
toutes nos actions. Ne souffrons point de faineants ni de
vagabonds, ni de mendiants. Qu’on donne à travailler aux
gens desoeuvrés, que les vagabonds soient arretés et chatiés
et les pauvres nourris dans les Hospitaux, ou d’aumones des
eglises. Ayons soins des orphelins et des enfans exposés,
nourrissons les dans le dessein de les rendre un jour utiles
à la Republique. Etablissons au lieu des couvents dont il
n’y a deja que trop, des Hospitaux dans les Diöceses.
Que les Eveques en ayent la direction pour faire elever
des dits enfants, selon la disposition de leur corps et la ca-
pacité de leur genie. Sans remplir inutilement les couvents,
nous en pourrons un jour former des colonies.
Les maisons d’invalides sont d’une grande utilité. Nous
le voyons en d’autres païs.
Joignons quelques fondations peu necessaires ensemble et
employons-les a un dessein si beau et si profitable à la Re-
publique.
Examinons encore ce qui se passe parmi les gens du rite
Grec en Russie. Les mariages des gens d’eglises y ont produit
[223] beaucoup de jeunes faineants. Laissons autant qu’il en faut,
pour servir l’église et que le reste cultive bon gré ou mal gré
la terre, ou s’applique aux metiers, ou suive la voye des
armes. Par de tels moyens raisonnables et fondés sur l’equité
nous verrons en peu de tems notre Royaume plus peuplé
et plus florissant. C’est ce qui s’appelle le veritable amour
de la patrie. Vera et perfecta caritas.
Enfin recourons à la clemence et à la generosité du
Roy. Supplions Sa Majesté, qu’il lui plaise d’accorder aux
grandes et aux petites villes du Royaume sa protection,
de la sorte, que les pauvres citoiens exposés à de conti-
nuelles vexations et gemissant, pour ainsi dire, sous l’esclavage,
puissent mener une vie tranquille sans troubles et sans agi-
tation. Qu’ils puissent, dis-je, jouir en paix du travail de leur
mains, tant à l’egard de leur privileges, qu’à l’egard du libre
exercice de la Religion, avec la limitation pourtant, que cela
ne se fasse, que dans leurs propres maisons.
Nous verrons, qu’en peu de tems il en reviendra un profit
considerable à la Republique. Les villes seront bientot rem-
plies de marchands et enrichies par la voye des metiers et
des manufactures et deviendront florissantes.
Autrefois les villes donnoient des recrues à l’armée. Cela
se pourra faire encore avec le tems, principalement, si nous
defendons rigoureusement au clergé et à la noblesse, d’ac-
querir des maisons et des fonds dans les villes, ce qui ruine
totalement les pauvres bourgeois opprimés sans cela par des
impots publics.
Qu’on ne prenne point ce que je viens de dire par rap-
port au libre exercice de la religion, pour un sujet de scan-
dale. Je ne veux point, Dieu m’en preserve, introduire par
là des heresies, je ne passe point les bons prescripts à ce
sujet.
Tout ce que je souhaite en bon chretien est, qu’à l’imi-
tation de notre Sauveur, qui est venu en ce monde pour sauver
generalement et sans exception tous, nous traitions nos pro-
chains avec plus d’indulgence et avec plus d’humanité.
[224]
Voila ce que je veux, etant persuadé, que le clergé par
la regularité de sa vie, par ses instructions, catechisme et
la solidité de ses sermons, trouvera l’occasion de ramener
plus de gens au sein de l’eglise, que si, au lieu de la dou-
ceur, on employeroit la force et la persecution.
Je pourrois finir ici, Monsieur, si je ne trouvois point
necessaire, d’ajouter encore quelque reflexions pour l’utilité
publique. La confiance que j’ai en vous, jointe à l’empres-
sement de communiquer par votre canal mes pensées à nos
confreres m’enhardissent de vous supplier, Monsieur, d’avoir
encore un peu de patience et de m’ecouter.
Les grandes et frequentes emulations ou jalousies dans
les Palatinats ne nous permettent pas de parvenir facilement
à l’election des jugéments provinciaux, dits jugements ter-
restres, ce qui fait un tort considerable à tant de gens en leurs
procès.
Vous savez, Monsieur, que les jugements terrestres ad-
ministrés de la maniere qu’il faut, diminuent de beaucoup
les proces dans les tribunaux; car les juges provinciaux ou
terrestres relevant d’une cour superieure, qui est celle de
leur Tribunal, sont obligés de prononcer leur sentences, selon
la justice, avec beaucoup de circonspection. Entre autres ju-
gemens terrestres d’à present vaquent ceux de Siradie et de
Lublin, demandent une plus particuliere attention.
Comme les greffiers terrestres des dits Palatinats n’existent
point jüsqu’à present, la fonction d’ecrire des sentences dans
les Tribunaux sera conferée à un des Deputés.
Combien de tours et d’intrigues n’employe-t-on pas pour
briguer cette charge, qu’on achete le plüs souvent bien cher
en payant des sommes considerables. Or le Deputé, qui a
reüssi dans son dessein et a obtenu la dite fonction, poür
rattraper les fraix, qu’il a depensés et meme pour gagner
aü marché, met les Decrets à un prix, qu’il veut.
Il ecorche sans misericorde, sans craindre ses compag-
nons, puisque c’est d’eux qu’il a acheté cette abominable per-
mission.
[225]
Il ajoute souvent des menaces à ses demandes outrées
disant, si vous ne me payez tant et tant de votre Decret,
je vous taillerai bien de la besogne, en mettant des clauses,
que vous aurez de la peine d’effacer si tot. Le pauvre solli-
citeur voyant qu’on lui tient le poignard sur la gorge, hors
d’etat de s’opposer à une telle injustice et de parer le coup
consent à tout ce que l’autre demande.
Pour obvier sans delai à ce grand scandale, il suffit,
puisqu’on a coutume d’elire les membres, qui composent les
jugements terrestres par la pluralité des voix, de se donner
la main et de compromettre, qu’on ne veut point rompre
les dietines sur l’election du marechal, alors j’espere, qu’on
reussira facilement dans l’election des jugements terrestres.
A cette occasion il me vient dans l’esprit et me semble,
qu’on fait bien d’envoyer les jeunes seigneurs de notre
royaume dans les pays etrangers, pour se former et gagner
de l’experience. C’est là, où ils se pourront informer de
la situation, du gouvernement, de l’economie, des revenus et
des forces des differents etats, et examiner les interêts et
manieres de chaque païs, pour en choisir les meilleurs et
l’appliquer au profit de la Republique. Comme je suis in-
formé de quelques coutumes et usages, qui se pratiquent dans
des païs etrangers, je souhaiterois, que nous les puissions
imiter.
Entre autres choses je trouve, que la plupart des affaires
les plus difficiles se terminent heureusement par la plura-
lité des voix. Or puisqu’il y a quelques fois des matieres
tres-delicates sur le tapis, ou quelques uns de ceux, qui
donnent des suffrages ne veulent point contredire publique-
ment aux avis des autres, crainte d’offenser leur superieurs,
ou des personnes d’un credit relevé, on traite les dites af-
faires par la voye du scrutin. Chacun des assesseurs choisit
deux ballotes diversement colorées, savoir du blanc et du noir.
La premiere signifie l’approbation, l’autre la negation ou
l’exclusion. Alors il met conformement à son sentiment et
selon le dictamen de sa conscience une des dites ballotes
Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 15
[226]dans une bourse destinée à cet usage, en gardant l’autre.
Cela etant fait à la ronde on suppute publiquement ces suf-
frages muets et c’est de cette façon que les affaires se ter-
minent aisement.
Ne seroit-il pas à propos de se servir du meme moyen
dans nos dietines d’election?
Je retourne aux Tribunaux et à l’administration de la
justice. Il est impossible d’exprimer les injustices, les hor-
reurs et les inconvenients, qu’on voit arriver tous les ans,
dans les reassomtions et dans les seances des tribunaux.
On en pourroit citer une grande quantité d’exemples.
Pour remedier à l’avenir à de tels excés, prions le
roy, qu’il lui plaise, de nommer, comme cela se pratique
à la commission de Radom, deux senateurs de l’ordre eccle-
siastique et deux de l’ordre seculier pour assister à la
reassomtion des tribunaux. Qu’il leur soit ordonné d’avoir
soin, qu’il ne soit admis aucun deputé, sans pouvoir prouver
la legalité de son election et qu’ils ayent l’oeil sur l’admi-
nistration de la justice, dans toutes les affaires, qu’on jugera
aux tribunaux.
Pour abreger les cours des procès et de les finir au
plutot, il faut beaucoup de deliberation.
Sans entrer dans le detail de ces choses, je dirai seule-
ment que les procès concernant les possessions des biens
obérés pourroient etre abregés, si on etablissoit, que toutes
les dettes contractées sur des terres fussent presentées dans
les Grods, auxquels elles appartiennent pour y etre enre-
gistrées, imprimées et exposées aux yeux du public, aver-
tissement fait, que les pretensions, qui ne se trouveront point
enregistrées et hypothequées dans le Grod, doivent etre de-
clarées nulles et sans valeur. On eviteroit par là beaucoup
de difficultés, confusions, priorités, depenses et autres em-
brouillements.
Dans tout le royaume l’ordre et la sureté interieure se
conservent le mieux par le maintien de la justice; mais pour
maintenir la justice, il faut de l’execution.
[227]
Or comme l’execution des decrets dans notre Royaume
appartient aux starostes du Grod, rien ne sauroit etre plus
juste, ni plus equitable, que de rendre aux starosties des grods
les biens, qu’on leur a otés.
Les starosties etant obligées par les loix d’entretenir des
revenus des dits biens, des gardes et des gens pour le ser-
vice du public, il y en a plusieurs, qui faute de revenu ne
sont pas en etat de satisfaire à leur devoir.
Une garde particuliere par exemple de cent hommes, qui
ne dependroit que des ordres des tribunaux, contribueroit
beaucoup au relief et au maintien de la justice et rendroit
les decrets des dites cours plus respectables.
Au reste pour conserver la justice dans toute sa vigueur,
nous avons la charge d’instigateur de la couronne, fonction,
qu’on a negligée depuis quelque tems.
Pourvu qu’il fut toujours attentif à son devoir, pour-
suivant en justice, sans delateur, en vertu de sa charge ceux,
qui pechent contre les loix et que, par une pension honorable,
il fut payé de la Republique regulierement de ses peines,
depenses et fraix de voyage, nous verrions bientot cesser
un grand nombre de violences, qui se commettent sans
crainte. Le plus fort n’opprimeroit plus impunement celui,
qui n’est point en etat de lui faire tête et se trouve plus
foible que lui. Enfin rien ne manqueroit à notre bonheur,
pourvu que nous fussions assez disposés à employer des
moyens convenables à maintenir la regularité et le bon ordre
dans notre Royaume. Regardons d’autres etats libres et
d’autres Republiques en Europe. L’arrangement interieur et
les loix fondamentales de l’Angleterre ne different pas beau-
coup des notres; cependant que le gouvernement en est beau
et la gloire de la nation bien soutenue!
Que la Hollande, la Venise et les Cantons Suisses se
gouvernent bien, etant partout admirés et respectés.
Imitons ces beaux exemples, ayons des forces requises,
tachons d’introduire partout le bon ordre, alors tout ira
bien.
15*
[228]
Notre amitié sera cherie, on s’empressera d’entrer avec
nous en alliance.
La gloire de notre nation croitra et s’etablira parmi toutes
les nations etrangeres.
Ce projet a été imprimé en Polonois et publié à Varsovie
avant les dietines de l’an 1744; l’auteur en est 20771).
[[229]]
III.
Die Conſtituirung des Petrikauer Tribunals
im Jahre 1749.
(Zu Seite 78.)
Von den Vorgängen bei der Conſtituirung des Petrikauer
Tribunals im Jahre 1749 giebt neben Kitowicz, welchem ich
im Text gefolgt bin, auch der König Stanislaw Poniatowski in
ſeinen „Erinnerungen“ (Pamiętniki, p. 33 sqq.) eine recht leben-
dige Schilderung, welche ich, da er Augenzeuge dabei war und
ſeine Auffaſſung und Darſtellung von der des Kitowicz mannichfach
abweicht, noch nachträglich mittheilen will.
„Um die Beſtimmung des Geſetzes von 1717 zu umgehen,
welches den Feldherren verbot jemals mit dem Heer der Republik
ſich in die Conſtituirung des Tribunals zu miſchen, ließ die
Parthei der Potocki bereits im Auguſt 1749 das Gerücht ver-
breiten, daß ein gewiſſer Pęcherzewski an der Spitze einer Räuber-
bande die Umgegend von Petrikau heimſuche. Dieſer Pęcherzewski
exiſtirte in der Wirklichkeit ebenſo wenig als ſeine Bande; gleich-
wohl aber benutzte der Großfeldherr der Krone, Potocki, dieſes
falſche Gerücht, gab dem Woiwoden von Smolenski, Sapieha,
welcher damals Regimentarius in Großpolen war, den Befehl,
einen Theil der Kronarmee zur Ausrottung der vermeintlichen
Störer der öffentlichen Ordnung zuſammenzuziehen, und der
Woiwode benutzte dies, um die wahren Abſichten des Kron-Groß-
[230] feldherrn auszuführen: er befahl einem Theil der Kronarmee, ihn
nach Petrikau zu begleiten.
„Ein anderer von den Potocki, derſelbe, der als General der
Artillerie von Lithauen ſtarb, damals aber nur erſt Staroſt von
Tlomacz war, ein Schweſterſohn des Kron-Großfeldherrn, hatte
ſich auf dem Landtage von Belz zum Deputirten wählen laſſen:
der damalige Kaſtellan von Belz aber, Lipski, reiſte ſelbſt nach
Petrikau, um dort die Ungültigkeit dieſer Wahl zu beweiſen.
Potocki wollte Marſchall des Tribunals werden, weſentlich um
durch ſein eigenes Anſehen und durch ſeinen Einfluß auf die
Collegen alle die Rechtsacte wieder für ungültig erklären zu laſſen,
welche bei dem Tribunal in den letzten Jahren zu dem Zweck
eingebracht worden waren, den Beweis zu liefern, daß Graf
Brühl in grader Linie aus einem alten polniſchen Hauſe ſtamme,
welches einſt in der Republik gelebt und von dem ein Zweig
vor zwei Jahrhunderten das Land verlaſſen habe. Außerdem
aber beabſichtigte Potocki gegen meinen älteſten Bruder, den Groß-
Kammerherrn, den Proceß zu erneuern, welcher die Folge des
Zweikampfs geweſen war, in dem mein Bruder im Jahre 1744
das Unglück gehabt hatte, den Grafen Tarlo, Woiwoden von
Lublin, zu tödten.“ (S. oben S. 75.)
„Einer der Hauptmängel unſerer Geſetzgebung war, daß die
Proceſſe am Tribunal ins Unendliche fortgeſponnen werden konnten.
Wer ſeinen Proceß verlor, konnte im folgenden Jahr und ſelbſt
noch nach mehreren Jahren ihn unter dem Vorwande wieder an-
ſtrengen, daß das Urtheil, über welches er ſich beklage, das Geſetz
verletze. Die Formel hiefür lautete: quod vim legis sapit.
Gewann er jetzt, ſo konnte aber auch ſein Gegner im dritten
Tribunal von neuem ihm Gleiches mit Gleichem vergelten und
ſo bis ins Unendliche fort. Es iſt auf dieſe Weiſe in einzelnen
Proceſſen 12 Mal abgeurtheilt worden. Im Jahre 1768 aber
wurde dieſer Mißbrauch aufgehoben: ein Geſetz aus dieſem Jahre
ſtellte feſt, daß zwei in einer Sache von zwei Tribunalen über-
einſtimmend erlaſſene Dekrete dieſelbe endgültig entſcheiden ſollten.
Die Proceßſüchtigen bemühen ſich ſeitdem, die Dekrete nicht über-
einſtimmend werden zu laſſen.
[231]
„Die Potocki konnten bei dieſer Lage der Dinge meinem Bru-
der leicht die bitterſten Früchte ihres Haſſes fühlen laſſen, deſſen
Quelle die alte Nebenbuhlerſchaft des Groß-Kronfeldherrn und
meines Vaters war, der aber jetzt noch einen neuen Stachel der
Neid gab, welchen die damals ſehr einflußreiche Stellung meiner
Familie am Hofe in ihnen erweckte.
„Meine Familie mußte daher zu ihrer eignen Vertheidigung
ſich der in der That ungültigen Wahl Potocki’s widerſetzen, der
nach dem Amt des Marſchalls im Tribunal ſtrebte.
„Zum Unglück gab es diesmal nur fünf gültig erwählte De-
putirte, und die Potocki wollten ſich nicht anders dazu verſtehen,
daß die Hinderniſſe für die Anerkennung von zwei andern Wahlen,
durch welche dies Tribunal complet gemacht werden konnte, be-
ſeitigt würden, als unter der Bedingung, daß auch wir ihren
Candidaten zum Marſchallsamt unterſtützten.
„Alle Verhandlungen in dieſer Hinſicht waren bis zum Mittag
des 6. October fruchtlos. Die Stunde des Gottesdienſtes, welcher
herkömmlich der Einſetzung des Tribunals vorausgehen mußte,
war bereits vorüber und es waren nur noch wenige Stunden
übrig, innerhalb deren leicht die Sonne untergehen konnte, welche
nach der Forderung des Geſetzes noch am Himmel ſtehen mußte,
wenn die Einſetzung des Tribunals nicht rechtsungültig werden
ſollte. Es verſammelten ſich daher beide Partheien ſchon um
1 Uhr in der Kirche zu Petrikau, nicht ſowohl in der Hoffnung
noch etwas Gutes zu Stande bringen, als vielmehr in der Er-
wartung blutiger Scenen.
„Da wir nicht die Schuld an ſolchen tragen wollten, em-
pfahlen wir ausdrücklich dem Adel unſerer Parthei nicht zuerſt
zu den Säbeln zu greifen, und nicht eher auf die Gegner los-
zuſchlagen, als bis einer von den Unſrigen verwundet wäre. Es
waren von unſerer Parthei etwa 1000 Edelleute dort; die Gegner
etwas weniger ſtark, aber dieſer Nachtheil ward für ſie reichlich
dadurch aufgewogen, daß die anweſenden Krontruppen auf ihrer
Seite ſtanden. Sapieha, der Woiwode von Smolensk, kam unter
Vorantritt einer Compagnie Tartaren mit der Mütze auf dem
Kopf und die Hand am Säbelgriff in die Kirche. Vergebens
[232] ſetzte ihm der Unterkanzler von Lithauen, Sapieha, ſein Blutsver-
wandter, der dort aber mit uns war, das Ungewöhnliche und Geſetz-
widrige ſeines Benehmens auseinander. Einige hundert Dragoner
und Tartaren ſtanden unter dem Befehl des Smolensker Woiwoden
und des Staroſten von Auſchwitz, Malachowski, der damals der
zweite Unterbefehlshaber des Kron-Großfeldherrn und ſpäter Kron-
vorſchneider war, an der Kirche, bereit, auf die erſte Aufforderung
dreinzuſchlagen. Der Großkammerherr ſah bei ſeinem Eintritt
die Staroſten von Tlomacz und Auſchwitz in der erſten Kirchen-
bank ſitzen und nahm abſichtlich zwiſchen ihnen Platz. Den Grund
werden wir ſpäter ſehen. Einer von unſern Freunden, Glienka,
damals Landſchreiber und ſpäter Unterkämmerer in Lomz̀a, redete
laut zu den Verſammelten und ſprach ſeine Verwunderung und
ſeinen Unwillen darüber aus, daß mit unzweifelhafter Verletzung
des Geſetzes von 1717 Krontruppen bei der Conſtituirung des
Tribunals herangezogen wären. Ihm antwortete zwar der Staroſt
von Auſchwitz, aber ſeine Rede beſtand aus nichts als aus leeren
Phraſen, das Factum ſelbſt verurtheilte ihn hinlänglich. Bald
darauf begaben ſich einige Edelleute, welche dadurch gelangweilt
waren, daß man nicht zum Geſchäft des Tages kam, zur Sa-
kriſtei an den Tiſch, an welchem der Eid geleiſtet wurde. Dies,
was jährlich ein Gegenſtand allgemeiner Beachtung war, rief,
ohne daß von den Partheiführern ein Befehl dazu ausgegangen
wäre, bei allen Untergeordneten den Eifer hervor, ſo viel wie
möglich in die Nähe des Tiſches zu drängen. Der allgemeine
laute Lärm, der hiedurch entſtand, irrte den Anführer der von
dem Smolensker Woiwoden mitgebrachten Tartaren: er gab, in-
dem er ſeine Mütze in die Höhe hob, das verabredete Zeichen,
und in demſelben Moment zogen die Tartaren die Säbel und
viele Edelleute unſrer Parthei eilten, da mit ihnen kein Zeichen,
keine Loſung verabredet war, ſie auch keinen Befehl zum Kampf
hatten und unſere Stärke nicht kannten, zur Kirche hinaus. Gleich-
zeitig ſtellte ſich ein gewiſſer Czarnecki, ein von Potocki bezahlter
Lärmmacher, in der Meinung, daß es losgehen ſollte, mit blankem
Säbel in der Hand vor meinen Bruder und ſchrie: ‚Du haſt
den Woiwoden von Lublin erſchlagen, du willſt den Herrn Po-
[233] tocki nicht Marſchall des Tribunals werden laſſen, du bildeſt
dir ein, daß du ein ‚Herr’ biſt, ich werde dir auf deine Koſten
zeigen, daß es nichts damit iſt.‘ Während des ſchrie ein gewiſſer
Komorowski, der Stallmeiſter der Kaſtellanin von Kaminiec, der
Schweſter des Staroſten von Tlomacz, war, daſſelbe auf der
rechten Seite des Großkammerherrn, während ein Bruder von
jenem, ein Offizier in der Artillerie, über einige Bänke hinweg-
ſpringend, ſich mit zur Hälfte gezogenem Säbel hinter den
Kammerherrn ſtellte. Dies bemerkte der Kronmundſchenk der Krone
Gozdzki, ſpäter Woiwode von Podlachien, der zu keiner Parthei ge-
hörte, indem er ſich zufällig umdrehte, und rief entrüſtet dem Offizier
zu, wozu er den Säbel zöge. Komorowski, in Verwirrung ge-
bracht, antwortete: zur Vertheidigung. In dem Fall, entgegnete
Gozdzki, konnteſt du an deinem Ort bleiben, und nöthigte ihn,
indem er ihn zurückſtieß, ſeinen Säbel wieder in die Scheide zu
ſtecken. Gleichzeitig ergriff mein Bruder die Hände ſeiner Nach-
barn, der Staroſten von Tlomacz und Auſchwitz, legte ſie auf die
Taſchen ſeines Rockes und ſagte: ‚Fühlt nur, ihr Herren, ihr
ſeht, ich habe zwei Piſtolen bei mir die für euch beſtimmt ſind,
wenn ihr nicht im Augenblick euren Schreiern und Soldaten be-
fehlt Ruhe zu halten und die Säbel einzuſtecken; ich habe von
eurer Abſicht gewußt, ich hätte mich mit dem Adel, der zu mir
hält, auch ſchlagfertig machen können, aber ich habe ſolche Sünde
nicht auf mich nehmen wollen; ich ſetzte mich abſichtlich in eure
Mitte, damit für den Fall, daß ihr es auf mein Leben abge-
ſehen hättet, ihr mir Geſellſchaft leiſtetet.‘ Während er dies
ſprach, warf ſich der Oberſt Bledowski, ohne den Säbel zu ziehen,
mitten unter die Tartaren und rief: ‚Brüder, erinnert euch eures
alten Führers, denkt daran, ich ſage euch dies, daß ſie euch zum
Böſen mißbrauchen.‘ Dies hielt ſie in Schranken. Der General
Mokranowski, ein ſehr populärer Mann, hielt, ohne den Säbel
zu ziehen, die Maſſe des Adels der Potocki dadurch in Schranken,
daß er ihnen das Schreckliche der That, zu der ſie gedrängt
wurden, vorſtellte. Malachowski und Potocki ſahen jetzt, daß der
erſte Rauſch des Haufens vorüber war, und wagten nach der
Drohung meines Bruders es nicht mehr laut den Ihrigen neuen
[234] Befehl zum Blutvergießen zu geben. Sie ſchrieen vielmehr, daß
man die Säbel einſtecke, und forderten kurz darauf meinen Bru-
der zu einer Conferenz in der Sakriſtei auf. Das Ergebniß
derſelben war, daß aus Mangel einer hinreichenden Anzahl rechts-
gültig gewählter Deputirten das Tribunal nicht eröffnet werden
konnte. Mein Bruder ſagte ihnen: ‚Ihr werdet das zu verant-
worten haben.‘ Es wurde ein Manifeſt beim Grod eingereicht,
welches die Urſachen nachwies, woher das Tribunal nicht eröffnet
worden ſei. Wir gingen alle zur Kaſtellanin von Kaminiec,
welche, für eine Frau ſehr unpaſſend, die ganze Scene in der
Kirche von der Tribüne der Orgel mit angeſehen hatte, und
jetzt mit einem halben Dutzend ſchöner Nichten und Dienerinnen
beſchäftigt war, den Partheigängern ihres Bruders die Humpen
mit Ungarwein zu füllen. Sie nahm uns mit der größten Artig-
keit auf, wiederholte aber nach links und nach rechts halblaut,
es ſei doch ſehr ſchade, daß die Arbeit nicht zu Ende ge-
bracht ſei.
„Am folgenden Morgen verließen alle Petrikau in banger Er-
wartung der Folgen, welche es nach ſich ziehen würde, daß Polen
zum erſtenmal auf ein ganzes Jahr kein höchſtes Tribunal hatte.
Aber es ereignete ſich nichts Ungewöhnliches; die öffentliche Ruhe
ward nicht geſtört, und man wartete, ohne irgend einen Schritt
zu thun, bis zur Eröffnung des Tribunals im Mai 1750. (?)
Dies beweiſt einerſeits, wie gut dieſe Geſellſchaft iſt, und zum
andern, daß, ſo lange ein Volk, wie die Engländer ſagen, nicht
reif für eine Revolution iſt, dieſe auch trotz der wunderbarſten
Ereigniſſe nicht möglich iſt.“
[[235]]
IV.
Traduction d’un manifeste fait par quelques senateurs
et nonces contre la rupture de la diette.
(Zu Seite 94.)
Nous Senateurs, Ministres d’Etat et Nonces des Palati-
nats, Terres et districts assemblés à diette generale de Grodno,
considerant que notre patrie demande un secours, que la
mauvaise issue des diettes ne lui permet pas d’obtenir, nous
sommes determinés à rendre la presente protestation publique,
afin que les siecles presentes et à venir soient instruits de
la sincerité de nos intentions.
En premier lieu depuis que les troubles domestiques ont
été appaisés et que la diette de pacification a fixé le re-
tablissement de la paix et de la tranquillité publique, sa
Maj. a pris tant de soin de l’affermir, que le bruit des
armes, qui s’est fait entendre au loin, n’a porté aucune
atteinte à notre felicité. L’application que S. M. a donnée
à nous conserver cette douce paix, a rendu tout le monde
envieux de notre bonheur et excite en nous une juste re-
connoissance pour un si bon maitre, puisque nous ne devons
attribuer notre prosperité qu’à la sagesse de son gouverne-
ment. Mais ce n’est pas encore à quoi s’est borné notre
felicité; non seulement le feu de guerre n’a pu nous ap-
procher, mais même celui des divisions internes n’a pu se
glisser parmi nous et si nous voulons compter nos années
[236] malheureuses par le nombre des diettes infructueusement ter-
minées, il est evident qu’à commencer par S. M. la liberté
du suffrage qui nous est si precieuse a été conservée en son
entier. Enfin S. M. ayant affermi les fondements de notre
liberté, en nous faisant jouir dans une paix constante de
notre droit de suffrage et de tous les avantages, que nos loix
nous procurent; pouvoit-elle faire rien de plus pour nous?
Le Roi a convoqué la presente diette ordinaire à Grodno
dans le tems prescrit par les loix. Il a fait voir par les
propositions emanées de son throne, que sa vigilance pater-
nelle n’avoit en vue que le bien de la patrie et non son
interet particulier. Il n’a rien demandé pour lui même; con-
tent de satisfaire aux desseins et aux volontés des états de
la republique et quoiqu’il soit seul le juge equitable du me-
rite, il a distribué les charges vacantes avec l’approbation ge-
nerale de la nation. Les voix des nonces se sont fait en-
tendre et tous ceux qui ont voulu parler, ont été ecoutés.
Quelques uns d’eux ont desiré des reponses à leurs demandes,
et ils en ont reçu de suffisantes par la bouche du marechal.
Ici s’arrete la plume dont nous ne nous servons que pour
faire voir la sincerité de nos intentions pour le bien public,
et non pour accuser personne.
Ainsi nous protestons devant dieu et les hommes que
nous avons toujours souhaité de profiter d’un si doux regne,
comme d’un tems salutaire pour secourir la patrie. Nous ne
desirions autre chose, si non, que la tenue de la diette put
rendre aux loix leur premiere vigueur, qu’elles ont perduë
et qu’elles fussent observées en tout point: que grace à la
paix dont nous jouissons depuis si longtems, la Patrie put
recouvrer son ancien lustre, que la justice qui a souffert par
l’introduction de plusieurs abus fut retablie par une nouvelle
constitution et put servir de bouclier aux opprimés. Nous
souhaitions aussi de faire en sorte que toutes les autres pro-
positions salutaires pour le bien public fussent mises en exe-
cution. Mais qu’ont produit nos desirs? Qu’avons nous re-
cueilli de nos soins et de nos fatigues que de voir notre
[237] patrie destituée de conseil, tomber de plus en plus en deca-
dence?
Maintenant donc que la tranquillité publique est le seul
bien dont nous jouissons, nous protestons devant la patrie
que notre unique but est le maintien de la paix et de l’auto-
rité royale, ainsi que la conservation de la sainte eglise, de la
religion catholique romaine, de nos loix et libertés, pour le
soutien desquelles nous voulons vivre et mourir.
Fait à Grodno ce 17 Oct. 1752.
Komorowski, Primas; Zaluski, Evêque de Cracovie; Deur-
bowski, Evêque de Cujavie; Sierakowski, Evêque de
Przemisl; Lestki, Evêque de Chelm; Jean Branicki, gr.
general; Radzivil, gr. general; Malachowski, gr. chancelier;
Czartoryski, gr. chancelier; Podoski, Palatin de Plock;
Fr. Rzewuski, notaire de la couronne, nonce de Chelm;
Joh. Wilizewski, nonce du district de Wistk; St. Ponia-
towski, Colonel, nonce de Lomzyn du palatinat de Masovie;
Ant. Glinka, nonce du même endroit, a ajouté, salva libera
voce je me soussigne; Ant. Kossowski, thresorier de la
cour, nonce du palatinat de Kujavie; J. Podoski, Staroste
de Zlatovie, nonce de Dobrzyn; Ant. Sollchub, general d’Ar-
tillerie de Lithuanie, nonce de Livonie; Weresczinski, Co-
lonel du petit general de la couronne Pioro staroste de
Rydikow, nonce de Livonie
(L. Z.?).
Appendix A
Druck von Friedr. Andr. Perthes in Gotha.
[][][][]
weilen noch im Knabenalter mit ſolchen Gütern, die urſprünglich, wie
man ſich auszudrücken pflegte, panis bene merentium ſein ſollten. Wie
viel ſie eintrugen, davon nur ein, und zwar ein geringes, Beiſpiel.
Der Vater des Königs Stanislaw Auguſt Poniatowski hatte für ſeinen
älteſten Sohn Caſimir ſo gut geſorgt, daß derſelbe im Jahre 1759 allein
aus den Staroſteien Czehryn, Sokal und Stryi jährlich etwa 220,000
P. G. bezog; außer dieſen hatte er noch die Staroſteien Ryk und
Tyszowice inne, ſo daß man ſein jährliches Einkommen auf ſicher
300000 P. G. (50000 Rthlr.) anſchlagen konnte. Vgl. Bartoszewicz,
Znakomici męźowie polscy w 18. wieku (Petersburg 1856) III, 207.
(Die angeſehenen Männer in Polen im 18. Jahrhundert.) Man kann
in der That ſagen, die großen Familien lebten zum Theil weſentlich auf
Koſten der Republik.
ordinanda republica, welche Stan. Krzyzanowski 1871 in Krakau hat
drucken laſſen, hebt bereits im Anfange des 18. Jahrhunderts dieſe
Schattenſeite hervor und gründet auf ſie die Forderung der Krone dieſe
Prärogative zu entziehen.
Unterkämmerer von Poſen), Kwestye politycze 1743: „Es iſt ein großes
arcanum status nostri, daß unſere Vorfahren gleichſam altare contra
altare majestatis aufrichteten, in dem ſie die Feldherren mit ſo großen
Prärogativen ausſtatteten.“ Man nannte das Amt des Krongroßfeld-
herrn palladium libertatis. Stanislaw Leszczynski ſagt in
ſeiner 1733 veröffentlichten Glos wolny, p. 32: „Die exorbitante Macht
der Feldherren ſchließt eine abſolute Gewalt in Betreff des Kommandos
über das Heer in ſich.“ Des Polniſchen Unkundige finden eine freie, an
vielen Stellen erweiterte franzöſiſche Umarbeitung der Glos wolny im 2.
und 3. Bande der Oeuvres d’un philosophe bienfaisant (d. i. Leszczynski),
Paris 1764.
na zagrodzie, rowny wojewodzie“ („Der Edelmann auf ſeinem Morgen
Landes iſt gleich dem Woiwoden“) aus.
dem Beſitz ein und derſelben Geſchlechter, daß ſie gewiſſermaßen erblich
waren, nur nicht immer von Vater auf Sohn. So waren z. B. in der
Woiwodſchaft Lublin ſeit den älteſten Zeiten nur die Firley, Tarlo,
Lubomirski, Zamoyski, Woiwoden, Kaſtellane und Staroſten! Ja es fehlt
nicht an Beiſpielen, daß die Staroſteien und andere Ämter, wie eine
Ausſteuer vom Schwiegervater auf den Schwiegerſohn übergingen und
ſelbſt Wittwen und geſchiedene Frauen ſolche in die neue Ehe dem zweiten
Mann gleichſam als Mitgift mitbrachten. Hierzu war allerdings eine
Bewilligung des Königs nothwendig. Allein gar häufig ließ man ſich
gleich bei der erſten Verleihung dieſelbe mit dem ſog. jus communi-
cativum geben, d. h. man erhielt das Recht, dieſelben auch auf andere
übertragen zu dürfen. Die höchſte Landwürde, zu der es ein szlachcić
(gewöhnlicher Edelmann, der nicht zu den Familien der „Herren“ gehörte)
zu bringen pflegte, war das Amt des ſog. Unterkämmerers [eines beſtimmten]
Bezirks (podkomorstwo). Cf. Kaj. Koz̀mian, Pamiętniki I, 162.
Die Eltern, welche im Dienſt oder durch Anſchluß an gewiſſe Herren-
geſchlechter emporgekommen waren, gaben ihre Söhne und Töchter, ſobald
ſie das Kindesalter hinter ſich hatten, zur Erziehung und Dienſt an die
Höfe derſelben Herren, welche oft ganze Schaaren ſolcher adlichen Jugend
auf ihre Koſten erzogen, die Töchter verheiratheten und die Söhne auf
mannichfaltige Weiſe verſorgten. Sie liebten es, bei öffentlichen
Gelegenheiten in Mitte ihrer zahlreichen Hofleute, Diener und Clienten
zu erſcheinen, welche zugleich für alle Fälle ihre ſchlagfertige Leibwache
waren. Als im Jahre 1778 Fürſt Stanislaw Lubomirski, Woiwode von
Kiew, zum Landtage (seymik) nach Zytomierz kam und zur Eröffnung
deſſelben nach der Kathedrale fuhr, begleitete ihn eine Kavalkade von 85
Hofleuten, und hinter ihm folgten eben ſo viele Diener (pacholiki), alle zu
Pferde in prächtigen Kleidern und mit glänzendem Reitzeug. S. Ochocki,
Pamiętniki I, 149. 150.
Einfluß und Macht gehörten den ‚Herren‘ allein: der kleinere und ärmere
Adel diente, kroch und erniedrigte ſich.“ Staszic, Uwagi, p. 190:
„Kein Bürger und kein Bauer kennt in irgend einer Monarchie die niedrige
Unterwürfigkeit (podlość), an welche der polniſche kleine Edelmann in der
freien Republik gewöhnt iſt.“ — Eine Flugſchrift aus der Zeit des vier-
jährigen Reichstages (1788—92) ſagt ſehr characteriſtiſch, die Staroſten
ſähen auf den kleinen Edelmann herab, wie die Cedern des Libanon auf
das kleine Geſträuch und Geſtrüpp. Vgl. Pilat im Przegląd Polski
1871, Novbr., p. 267. Dieſe höchſt intereſſanten und lehrreichen Artikel
„Über die polit. Literatur der Polen während des vierjährigen Reichs-
tages“ ſind als beſondere Schrift in Krakau 1872 erſchienen.
Karpinskiego (Poznan 1844) entlehnt, welcher eine ganze Reihe
einzelner concreter Beiſpiele von dem gewaltthätigen Ubermuth der Herren
und der Dienſtbarkeit und Unterwürfigkeit der Schlachta erzählt. Seine
Mittheilungen ſind keineswegs etwa die einzigen der Art; ähnliche und
gleiche findet man in faſt allen Denkwürdigkeiten aus dem 18. Jahrhun-
dert, und eben ſo allgemein kehren in ihnen faſt einſtimmig die bitterſten
Klagen über das Treiben der „Herren“ wieder, welchen nicht ſelten die
Hauptſchuld an dem Verfall und Untergang Polens zugeſchrieben wird.
Meiner Meinung nach nicht ganz mit Recht, denn die Schlachta trieb,
nach einem treffenden Ausdruck, wenn ich nicht irre, Kladzko’s, das Ge-
ſchäft en detail, was die Herren en gros trieben.
der großen Familien auch allgemeinere politiſche Tendenzen. Doch bleibt
es in dieſen ſeltnen Fällen, wie z. B. bei dem Krongroßfeldherrn Joſeph
Potocki, ſehr fraglich, inwieweit das allgemeine oder das Familien-Inter-
eſſe die eigentliche Triebfeder war. Jedenfalls aber fand das erſtere keinen
Anklang in der Nation, ſondern vielmehr einen ſehr entſchiedenen Wider-
ſtand.
innere mich, daß in Opol bei der Fürſtin Kaſtellanin Lubomirski (ſie war eine ge-
borene Kraſinska und Tante der mit dem Sohne Auguſts III., Prinzen
Carl, verheiratheten Kraſinska) ein recht ordentlicher Mann und Senator,
der Woiwode von Lublin, Hryniewiecki, als in meiner Gegenwart der
gebildete Prälat Kulagowski, der bei der Fürſtin Lector war, aus der
Zeitung etwas von den Dardanellen vorlas, fragte: ‚Was ſind das, die
Dardanellen?‘ Die Fürſtin lächelte und Kulagowski mußte es ihm er-
klären. Solche bei einem Senator unverzeihliche Ignoranz in den erſten
Schulkenntniſſen war bei den alten Polen gang und gebe.“
vor allem Kitowicz, Opis obyczajow i Zwyczajow za panowania
Augusta III. (Schilderungen der Sitten und Gewohnheiten), ſowie
lich geſinnte Kalinka ſagt in den Ostatnie lata Stanisl. Aug. I., p. 50:
Augusta III. (Stand der Bildung in Polen) leſen, um eine lebendige
Anſchauung von dem Zuſtande der Jeſuitenſchulen und der ſchreckenerre-
genden Verwahrloſung der Erziehung und Bildung der in dieſen Zeiten
aufwachſenden Generationen des Adels zu gewinnen. Schon der Woiwode
von Poſen und als ſolcher Senator der Republik, Stephan Garczynski,
hebt in einer 1751 gedruckten Schrift aufs nachdrücklichſte hervor, daß
man die Wahrheit des Spruchs, der die diſſidentiſche Schule in Frau-
ſtadt ziere: „fundamentum reipublicae recta adolescentum educatio“,
„gänzlich vergeſſen und die Vernachläſſigung der Kinder eine allge-
meine Sünde, die wir alle begehen“ ſei. Dieſe überhaupt höchſt lehrreiche
Schrift führt den characteriſtiſchen Titel: Anatomia Rzeczypospolitej
Polskiej, synom oiczyzny ku przestrodze i poprawie tego, co z kluby
wypadlo, d. h. Anatomie der Republik Polen, zur Warnung und Beſſe-
rung deſſen, was aus den Fugen gegangen iſt.
als er keiner der nationalen Schwächen und Fehler entgegentrat, ſondern
faſt alle, ſowohl im Privat- wie im öffentlichen Leben ſelbſt theilte.“
Pamiętniki I, 111 sqq. — Ich füge dieſer allgemeinen Schilderung
zwei ſie illuſtrirende concrete Beiſpiele hinzu. Michael Granowski war
— wie Kajetan Koz̀mian in den Denkwürdigkeiten erzählt (I, 51) — ein
Schweſterſohn der Frau des Kanzlers Mich. Czartoryski und hatte ſelbſt
eine Radzivil zur Frau. Er beſaß große Güter in Lithauen, war Staroſt
von Przybyslaw bei Lublin, und von Tarnogrod im Chelmer Lande.
Zugleich beliebt beim Könige und populär bei dem Adel, wurde er mit
dem Staroſt Ouufricki häufig gebraucht auf die Landtage einzuwirken
oder im Tribunal die Partheien zu unterſtützen, die ſich zum Hofe haltend
der königlichen Protection genoſſen. Gut erzogen, hatte er in ſeiner Ju-
gend bei den Öſtreichern gedient, war aber von dort irgend eines
Abenteuers halber deſertirt. Ein ſchöner, gut gewachſener, kräftiger Mann,
artig und vornehm; ſich auf Piſtolen oder Säbel zu ſchlagen, war ihm
eine Kurzweil, aber vorzüglich war er König beim Humpen. „Wenn er
aber voll Weines war, hatte er die Manie ſich halbnackt auszukleiden
und die Genoſſen auch dazu zu zwingen. Dann wagte niemand dem
von Wein Erhitzten zu widerſprechen, und jedermann mußte entweder
gehorchen oder fliehen. ‚Wer mich liebt, der thue daſſelbe wie ich‘, ſagte
er dann. Einmal ging er in Lublin mit dem Pokal ſo halb nackt, das
Hemde als Leibbinde (pas) umgeſchürzt, auf die Straße. Auf ſeine Aufforde-
rung ihn zu begleiten, warfen diejenigen, die anſtändig gekleidet waren, die
Kleider ab. Der kleinere Adel aber, der ſich des unter dem langen pol-
niſchen Kleide verdeckten Schmutzes bewußt war, wollte ſich davon machen,
aber die Lakaien und Haiducken des Herrn hielten die Fliehenden feſt und
kleideten ſie mit der Beihilfe der anderen Gäſte aus. In einem Augen-
blick ſtand die ganze Geſellſchaft halb nackt auf der Straße. Ein Wagen
mit kräftigen Pferden, auf dem 2 Fäſſer Wein lagen, fuhr vor; Badowski,
ein Advocat beim hohen Tribunal, ſetzte ſich, halbnackt wie er war, gleich
einem Bachus auf eins der Fäſſer, und die andern gaben ihm einen
großen ſilbernen Vorlegelöffel in die Hand, womit er die Gläſer aus dem
Faß füllt, und ſo zieht der ganze trunkne Troß in Proceſſion durch die
Straßen der Stadt bis zum Krakauer Thor. Welch ein Anblick! An
80 halbnackte Menſchen, viele in ſchmutzigen Lumpen, welche das lange
Kleid vorher verdeckte, tanzend, ſpringend, taumelnd, lachend und ſingend,
oder beſoffen niederſtürzend und das Genoſſene ausſpeiend. ‚Gehen wir
im Lublinſchen. Er ſelbſt hat noch 3 Brüder derſelben gekannt, alle drei
von herkuliſchem Wuchs, die an der Seite Säbel ſo breit wie eines Hen-
kers Schwerdt führten und von deren Gebahren er einzelne Geſchichten erzählt.
ſchall, gewarnt, hob raſch die Sitzung auf; der Troß aber zog beim Rathhauſe
vorbei zu dem Hauſe, welches der Präſident bewohnte, ſchlug die ver-
ſchloſſenen Thüren der Zimmer ein, zog den Präſidenten aus dem Bette
(in das er ſich geflüchtet), um ihn mitzunehmen. Kaum bat er ſich los
wegen ſeiner Krankheit. Erſt am Abend kehrte der Troß zum Hauſe
des Granowski zurück. Ich habe das mit eignen Augen geſehen, deſſen
Staszić in der Schrift über Zamoyski vom Hörenſagen gedenkt.“
Derſelbe Koz̀mian erzählt S. 57: „Als Stanislaw Auguſt dem Biſchof
Lenczewski von Abdera, bei welchem der König leſen und ſchreiben gelernt
hatte, den Stanislaw-Orden verlieh, gab der Biſchof ein großes Diner in
Lublin, welches bis zum Dunkelwerden dauerte und bei welchem natürlich
ſtark getrunken wurde. Da rief einer aus: ‚Ziehen wir mit der Muſik
auf den Markt.‘ Der Biſchof, bereits angetrunken, rief: ‚Auch ich bin ein
Kavalier und werde mit Euch gehen.‘ Es wird ein Korb Wein mitge-
nommen, die Muſik ſpielt auf und die ganze Geſellſchaft, der Biſchof an
ihrer Spitze, ſetzt ſich in Bewegung; alle tanzen und ſpringen um ihn
herum, er aber ſingt mit halber Stimme ein etwas freies Liedchen:
‚Laß mich bei dir ſchlafen, denn der Regen durchnäßt mich.‘ So
ſingend tritt er mit den Füßen den Takt, hüpft auf dem Markt herum,
ruft wiederholend: ‚Auch ich bin ein Kavalier‘ und trinkt mit den Genoſſen
auf die Geſundheit des Königs.“ — „Solchergeſtalt“, ſetzt Koz̀mian hinzu,
„führte das Übermaß im Trinken die würdigſten Leute in Folge der
Sitten und Fehler jener Zeit dazu, ſich ſelbſt und ihren Beruf zu entwürdigen.
Denn Lenczewski war ſonſt ein muſterhafter, eifriger Prieſter, von reinen
Sitten, wenn auch von geringer Fähigkeit.“
p. 2: „Wie ſchwer iſt es … zur guten Ordnung zu mahnen, dort, wo das
Sprüchwort für unfehlbar gilt, daß Polen durch ſeine Unordnung beſtehe;
in Summa, die beſten Mittel zur Rettung erweiſen ſich als vergebliche
dort, wo jeder ſelbſt in ſeinem eignen Untergange noch Freiheit ſieht.
Summa libertas etiam perire volentibus.“
[Kladsko?] Roczniki polskie z lat 1857—61. Paryź 1863. I, p. 385.
heit kann ohne das liberum veto eben ſo wenig beſtehen, als der jüdiſche
Oſterkuchen (Matz) ohne Chriſtenblut.“
faßten Beſchlüſſe bis zum Abend des letzten geſetzmäßigen Tages hin.
Man brachte, da es dunkel geworden, Licht in den Saal; da aber
wurde der Ruf laut: „Wir wollen kein Licht“ (nie ma zgody na
swiatlo). Vergebens bat der Reichstagsmarſchall, man ſolle durch Beſchluß
den Reichstag nur bis zum folgenden Morgen verlängern: „Wir wollen
kein Licht!“ war die Antwort und der Reichstag ging ohne Frucht ausein-
ander wegen der Lichter! Szujski l. c. IV, p. 336.
in ſeinem Glos wolny p. 56 das Treiben auf den Reichstagen mit
trachtungen über das Leben J. Z. 1785) erwähnt als bekannte
polniſche Sprüchwörter: „Unordnungen wie im Tribunal“ und „Der Richter
betrinkt ſich“ p. 57 der Krakauer Ausgabe von 1861. Stanislaw
Poniatowski, Pam., p. 68: „Nirgends in Polen wurden ſo viele Bück-
linge gemacht und ſo viel getrunken, als (beim Tribunal) in Radom.“
ſoll, kann ich ſie nicht beſſer vergleichen als mit einer ausgezeichneten,
aus den beſten Muſikanten zuſammengeſetzten Kapelle, in welcher aber
jeder auf ungeſtimmten Inſtrumenten eine andere Note oder Melodie ſtatt
einer lieblichen Harmonie ſpielt und die Zuhörer aufs unangenehmſte
betäubt. Keiner, der in unſere Berathungen, ihrer ungewohnt, hinein-
tritt, kann auf den Gedanken kommen, daß hier agitur de sorte des Kö-
nigreiches; denn er findet weder die ehrfurchtgebietende Haltung, welche
ſolche anſehnliche Verſammlung zu bewahren verpflichtet iſt, noch Auf-
merkſamkeit auf kluge und nützliche Rathſchläge, noch eine Berückſichti-
gung der gefährlichen Zeitläufe, welche von allen Seiten premunt, obwohl
das Vaterland ſeine Schmerzenswunden offen zur Schau trägt. Wir aber,
ſtatt ſie zu heilen machen ſie nur noch ſchlimmer, ſo ſehr, daß man berechtigt
iſt, über uns Wehe zu rufen und auf uns das Wort anzuwenden: heu
patior telis vulnera facta meis.“
weniger abweichenden Faſſungen überliefert, welche jedoch in dem Haupt-
gedanken vollkommen übereinſtimmen. Vgl. hierüber Bandtkie, Dzieje
ſächſiſchen Epoche (1760) erſchienenen Buch O skutecznym rad sposobie
(über eine fruchtreiche Art der Berathungen) wird ſpäter zu ſprechen ſein.
Historya wyzwolonej rzeczypospolitej, wpadającej pod jarz̀mo domowe
za panowania Jana Kazimierza. Krakow 1872. II, p. 274 sqq.
1858 mitgetheilt wird, im Jahre 1790 von einem gewiſſen Bukara
wieder abgedruckt worden ſein. Karwicki und Jablonowski ſind erſt vor
einigen Jahren von neuem gedruckt. Garczynski iſt meines Wiſſens auch
jetzt nur in dem höchſt ſeltenen erſten Druck vorhanden.
Vertreter in Felix Potocki. Vgl. Szujski IV, p. 590.
der Encyklopedya powszechna VI, p. 238.
p. 263. 274 erſieht man, daß Kaſimir Czartoryski in Perſon zum
Prinzen Conti nach Danzig geeilt war und nach deſſen Abzuge dort mit
anderen polniſchen Herren gefangen ward. Wie er ſich dagegen zur Con-
föderation von Tarnogrodzk (1715) verhielt, weiß ich bis jetzt nicht mit
Beſtimmtheit zu ſagen. Nach Bartoszewicz in der Encyklopedya
a. a. O. ſaß er während derſelben ruhig in Krasnymſtaw in Gallizien.
1770. S. 101. Otwinowski, Pamiętniki. Poznaniu 1838. p. 148
et 149: in den polniſchen Mittheilungen oft wiederholt. Nordberg
(Histoire de Charles XII, à la Haye 1748) erwähnt jedoch in ſeiner
Schilderung der Schlacht bei Pultawa (II, p. 310—15) der Theilnahme
Poniatowski’s an Karls Lebensrettung nicht, obwohl er ſonſt deſſen treue
Karl geleiſtete Dienſte vielfach hervorhebt. — Die Remarques d’un
Seigneur Polonois sur l’histoire de Charles XII par Voltaire,
Haye 1741, gelten für ein Werk des Generals.
Bruxella 1847. p. 190. Auch Parthenay (Geſchichte von Polen unter
der Regierung Auguſt II., aus dem Franzöſiſchen, Mietau 1772) er-
wähnt, daß Poniatowski bei dieſen Friedensverhandlungen mitwirkte.
Nach Rulhiere I, p. 197 ſagte Poniatowski dem Könige: „‚J’étais
trop jeune pour faire choix d’un parti, quand le roi de Suède vous
(p. 67) entnommen. In Betreff der Ämter ſ. Lengnich, Geſchichte des
poln. Preußens IX, S. 349—370; und Bartoszewicz a. a. O. —
Der General war in der That ein homo novus, der durch ſeine eigne
Tüchtigkeit emporgeſtiegen war. Über ſeine Vorfahren haben wir nur Ge-
rüchte und Sagen. Rulhiere I, p. 196 erzählt, ſein Vater ſei ein
Baſtard eines Sapieha und Verwalter auf einem der vielen Güter dieſer
Familie geweſen, welche den Sohn erziehen ließ, ihn als Pagen mit auf
Reiſen ins Ausland nahm und ihn ſchließlich mit einer Sendung an
Karl XII. betraute, durch welche Poniatowski zuerſt mit erſterem in per-
ſönliche Berührung gekommen ſei. Faſt dieſelbe Erzählung, nur mit dem
Unterſchiede, daß die Sapieha nicht mit Namen genannt ſind, und von
dem Makel der Geburt keine Rede iſt, finden wir noch in Adam
Mickiewicz, Vorleſungen über ſlawiſche Literatur und Zuſtände. Leipzig
puis ce temps ma fortune fut de lui plaire, mon devoir de le servir:
aujourd’hui que sa mort me rend à moi même je ne reconnais plus
d’autre maitre que votre Majesté.‘ Le Roi le pressant entre ses
bras, lui repondit: ‚C’est un grand bonheur d’être servi par un homme
tel que vous‘ et depuis ce moment, il le combla constamment de
bienfaits.“
tember, in der Nouvelle Biographie generale. Paris 1862. vol. XL,
p. 748 der 3. Auguſt, in den Rodowody ksiąz̀at i Krolow polskich etc.
Petersb. 1861 (Genealogie der Fürſten und Könige Polens) der 30. Auguſt
angegeben. Ich habe den Bericht ſeines Beichtvaters, der ihm die letzte
Ölung gab, vorgezogen. Er iſt als Anhang zu den Denkwürdigkeiten
des Sohnes (S. 460 ff.) gedruckt.
Pamiętniki p. 31 mit, daß ein italieniſcher Edelmann Torelli, der am
Ende des 16. Jahrhunderts nach Polen gekommen ſei, ſich mit einer
Poniatowska, der letzten ihres Geſchlechtes, verheirathet und ihren Namen
angenommen habe, nicht ohne dieſem den eignen Torelli in polniſcher
Überſetzung Cioleck (ein junger Stier) hinzuzufügen. Dieſer Italiener ſei
der Urgroßvater des Generals geweſen, deſſen Vater erſt in ſeinem Ver-
mögen heruntergekommen ſei. Dieſe Sage, welche ihren Ausgangspunkt
vielleicht in dem Wappen der Poniatowski, einem jungen Stier, hat, iſt
ſelbſt in die berühmte „L’art de verifier les dates“ übergegangen; in
Polen fand man ſie, nach Lelewel, lächerlich.
ſich ſehr vorſichtig hierüber aus, indem er ſchreibt: „vielleicht gingen ſie
in die Pläne des Kurfürſten ein, und wollten ihn thätig bei einer Ver-
änderung der Verfaſſung unterſtützen.“ In der Encycl. powsz. dagegen
ſpricht er ſehr beſtimmt von „Verpflichtungen“, welche der Kanzler „ſogar
ſchriftlich“ dem Könige gegenüber eingegangen ſei, ohne doch deren Inhalt
anzugeben.
aus Lithauen. S. RankeI, S. 386.
fehlte, dafür bringt Szujski IV, p. 302, aus dem Manifeſt der Sendo-
mirer Konföderation ein ſchlagendes Beiſpiel. In dieſem Manifeſt heißt
es: sole clarius patet, daß nicht Rußland, deſſen Intereſſen der ganze
Angriff auf Polen von Grund aus widerſpräche, der Urheber deſſelben
„ſich des Gedankens völlig entſchlagen, daß hier die heimiſchen Haufen
(czeladka domowa) irgend etwas ausrichten werden.“ Szujski IV,
p. 302.
Einrücken der ruſſiſchen Heere ſei nicht consilio primorum der ehr-
würdigen und rechtſchaffenen Vertreter des ruſſiſchen Namens erfolgt,
weshalb der Marſchall der Conföderation den ruſſiſchen Truppen und
ſpäter den Ständen der ruſſiſchen Länder erklären ſolle, ſie wollten gegen
ſie keine hostilitates exercere.
Ausgabe Bd. III u. IV, S. 218.
ſetzung in Seyler und Schultz, Alte und Neue preußiſche Chronika,
1762, S. 629. Es iſt dies noch heute ein für uns ſehr nützliches Buch,
da es eine Menge von Actenſtücken in Überſetzung vollſtändig enthält.
1735, ſo wie die Rede, die er bei ſeinem erſten Erſcheinen vor Auguſt III.
hielt (ebendaſ. S. 1160—1169), ſind gemeſſen und würdig.
S. 559 f.
an Adam Tarlo: „La Russe se declare hautement, daß es unſere
Rechte und Freiheiten in toto aufrechthalten will.“ S. Adam Tarlo von
Hubert in der Bibliotheka Warszawska 1859 I, p. 33.
Aufſatz über „die ruſſiſche Politik und die ruſſiſche Parthei in Polen“.
Er bezieht ſich hiefür auf Verfügungen Loewenwolde’s und Münnichs im
Archiv des topographiſchen Bureaus.
IV, 331 meint, daß ſie allerdings in der erſten Zeit nach dem Paci-
ficationsreichstag die Reformideen nur vertagt hätten, mit der Zeit aber
dieſe vollkommen zu Boden gefallen wären, und ſie ſowohl wie ihre Gegner,
die Potocki, nur rein um das Übergewicht von Einfluß und Macht mit
einander gekämpft hätten.
Freund der Familie, ſoll von ihr geſagt haben, ſie ſei eine kleine in vor-
trefflicher Ordnung regierte Republik in der großen, aufs ſchlechteſte re-
gierten. Nach dem Bericht eines offenbar ſächſiſchen Agenten aus der
Zeit des Interregnums von 1763—1764, deſſen Briefe unter dem Titel
Correspondance sur les affaires politiques du royaume de Pologne (1764
bis 1766) in Büſchings Magazin für die neue Geſchichte und Geographie,
Thl. XIII, gedruckt ſind.
de plaire, ou plutot qui se faisait un plaisir malin de l’ironie et de
l’injure, devenu le dispensateur de tous les bienfaits, choquait ceux
mêmes, qu’il obligeait.“
theilungen zu Grunde, welche der König Stanislaw Poniatowski in
ſeinen Denkwürdigkeiten über ſie hinterlaſſen hat. Ich will nicht in Ab-
rede ſtellen, daß auf ſeine Schilderung der Oheime, ganz beſonders des
Woiwoden von Rußland, die bittere Stimmung von Einfluß geweſen
ſein mag, in der er ſich nach der erſten Theilung — die Denkwürdig-
keiten ſind in den 70r Jahren geſchrieben — den Czartoryski gegenüber
befand, welchen er, noch abgeſehen davon, daß ſie ihm das Leben oft
ſchwer gemacht hatten, ſehr weſentlich mit das Scheitern ſeiner Pläne
1766 und 1767 zuſchrieb. Auf der anderen Seite aber hatte er von
Jugend auf lange Jahre in der engſten Verbindung mit ihnen gelebt,
und konnte ſie daher beſſer als viele Andere kennen. Auch fällt es ins
Gewicht, daß er von dem Kanzler, der ſeine Politik mehr durchkreuzte
als der Woiwode, nur Gutes ſagt. Dazu bewährt er durchweg in ſeinen
Schriften eine feine Auffaſſung der Perſonen, und ſeinem Character war
langes Nachtragen durchaus fremd. Leider ſind ſeine Denkwürdigkeiten,
ſo weit ſie überhaupt bekannt geworden, zum allergrößten Theil nur in
polniſcher Überſetzung gedruckt, welche, ſo viel ich durch die Vergleichung
einzelner, nach dem franzöſiſchen Original gedruckter Bruchſtücke ſehen kann,
nicht grade ſehr ſorgfältig gemacht zu ſein ſcheint. Es iſt daher möglich,
daß die Überſetzung die dunklen Parthien ſeiner Schilderung unabſichtlich
noch dunkler gemacht hat, als ſie in franzöſiſchem Original ſind; wie es denn
überhaupt dringend zu wünſchen iſt, daß dieſe höchſt intereſſanten Denk-
würdigkeiten, welche vollſtändig nur in Petersburg zu ſein ſcheinen, endlich
vollſtändig und in der Sprache, in der ſie geſchrieben ſind, gedruckt würden.
Gaben ermangle, auch Antheil an den Geſchäften nehme, aber ſich von
dem Willen des Schwiegervaters nicht entfernen könne, obwohl er auf
dieſen dann und wann durch geheime Vorſtellungen Eindruck mache.
D. Theiner, Monum. Poloniae IV, 2. p. 96.
man kennen, wenn man die Geſchichte Polens, namentlich die der letzten
Jahrzehnte der Republik, verſtehen will.
Agenten Sinclair in Schleſien zuſammen. Vgl. über dieſen Vorgang die
Aufzeichnung eines zeitgenöſſiſchen Breslauers, in der Zeitſchrift für
Geſchichte und Alterthum Schleſiens 1855 I, 178—189.
S. oben S. 41.
Schrift lautete: „Causae quae moveant rempublicam ad ineundam
confoederationem et ineundam colligationem cum Suecis.“ In einem
von DroyſenV, 422 auszugsweiſe mitgetheilten Schreiben Friedrichs
an den Kardinal Fleury (April 1742) erwähnt der König, daß öſt-
reichiſche Agenten alles aufböten, um eine Conföderation in Polen herbei-
zuführen, deren ſich Öſtreich gegen Auguſt und Preußen zu bedienen ge-
dächte. Nach der Schlacht bei Chotuſitz (17. Mai 1742) heißt es, ſie habe
herrn vom 5. Juni 1745. S. Adelung, Pragmatiſche Staatsgeſchichte
IV, 411.
qui auroient voulu grouiller. Ebendaſ. S. 456.
welche der preußiſche Reſident in Warſchau, v. Wallenrodt, im Sep-
tember 1744 dem Miniſterium in Berlin mit der Bemerkung einſandte,
daß das polniſche, in Warſchau gedruckte Original vor den Landtagen
von 1744 verbreitet und ſein Verfaſſer Graf Poniatowski ſei. Herr Prof.
Dr. Droyſen fand ſie im geh. Staatsarchiv und theilte ſie mir freund-
ſchaftlichſt mit.
Szujski IV, p. 326 — 28. v. Wallenrodts und Hoffmanns
Berichte vom 19 Auguſt, 7. September, 3. u. 13. October, 7. u. 18. No-
vember.
das letztere als feſte Thatſache. Flassan V, 516.
fend, und mit den gezogenen Säbeln ſich bedrohend, verließen alle beim
Dunkelwerden die Kirche und Petrikau, da ihnen der junge Stier ent-
gangen war, deſſen Fleiſch in Stücke zu zerhauen ſie Appetit gehabt
hatten.“ Mit dem „jungen Stier“ ſpielt er auf das Wappen der Po-
niatowski, Ciolek, an.
p. CXIX.
öfter in Bialyſtock war, ſchätzte die Einkünfte Branicki’s auf 1,200000
Livres jährlich. Revue des deux mondes 1870, Vol. 87.
unpartheiiſcher hat ihn Nabielak, ſelbſt ein entſchiedener Gegner der
linskich. Poczet nowy t. V. Lwów 1864 beurtheilt. — v. Maltzahn
und Benoit, die preußiſchen Bevollmächtigten in Warſchau zu dieſer Zeit,
ſchrieben von ihm am 28. October 1752: „Le grand General, qui est
naturellement indolent, et que son âge et ses infirmités mettent ab-
solument dans le cas d’être gouverné et mené“, und wiederholen dieſes
Urtheil öfter in ihren Depeſchen.
taric, Corresp. secrète et inédite de Louis XV. Paris 1860.
Szujski IV, 339.
zeichnungen des Grafen Bentink, S. CII.
latin von Belz, welche Anſicht dieſer in Betreff des Projects der Czarto-
ryski habe, den Prinzen Karl von Lothringen dereinſt auf den Thron
Polens zu erheben: Il repondit comme tous ceux, qui m’ont parlé à
ce sujet m’ont dit, que c’étoit une chose, qui se tranoit depuis long
temps, mais que l’on n’en avoit jamais tant parlé qu’à present, qu’à
Fraustadt on lui avoit tenu des longs discours sur ce chapitre, et
que tout bien consideré il paroissoit assez clairement, que la famille
de Czartoryski ne faisoit pas peu de fond sur un evenement, qui ne
manqueroit pas de leur donner un nouveau lustre et de reveler l’autho-
rité, qu’ils avoient dans ce royaume; que leur fille étant en age de
se marier, on auroit sans doute deja trouvé des parties considerables
pour elle, si l’ambition de la voir reine, ne les alienoit de plus en
plus. Le grand marechal me dit la même chose à cet egard. Cepen-
dant on ajoute que selon toute apparence on n’en parleroit jamais du
vivant de ce roi.
des engliſchen Geſandten bei Friedrich II., Urtheil über ihn in Schaefers
Geſchichte des ſiebenjährigen Krieges I, 141.
in der Revue des deux mondes 1870, Vol. 87, p. 257 sq. nach den
Papieren der Familie und der franz. Archive von Herzog Albert de
Broglie. Rulhiere I, 210. Stanislaw Aug., Pam., p. 265.
Paris anbieten laſſen, etwa ⅓ der zur Wiederbelebung der franzöſiſchen
Parthei in Polen erforderlichen Koſten zu übernehmen; Frankreich lehnte
das ab. S. Revue l. c., p. 770.
kam, bewilligte er auf den Bericht Broglie’s für Mokranowski eine lebens-
längliche Penſion von 20000 Livres jährlich, S. 440. Daß er ſchon
früher eine ſolche hatte, iſt unzweifelhaft, fraglich nur, ſeit wann er die
20000 Livres bezog. 1761 erhielt er eine Gratification von 2400 Ducaten,
ebend. I, 265. RulhiereI, 294 hat mit all der Kunſt, die ihm
eigen iſt, M. faſt wie einen jungen Alcibiades, nur noch von reinerem
Patriotismus erfüllt, characteriſirt. Daß Iſabella Branicka gegen ihn
nicht unempfindlich geweſen, ſagt Broglie. — M. ſoll, wie Dorow,
großem hiſtoriſchen Werthe hinterlaſſen haben. Da M. faſt bis ans Ende
der Republik in alle ihre Verhältniſſe tief eingeweiht war, können ſeine
Memoiren, falls er ſie in der That geſchrieben, allerdings von großem
Werthe ſein und ihre Auffindung und Veröffentlichung wäre höchſt wün-
ſchenswerth. Bis jetzt habe ich keine Spur als dieſe von ihnen gefunden.
Denkwürdigkeiten, S. 78—80.
ſtruction [entnehme], welche der preußiſche Reſident Benoit unter dem
22. Juli nach Berlin ſandte, iſt: Enfin sachant, que quand dans les
anciennes diettes, il y avoit quelsques points contestés, les points
acceptés d’un consentement unanime n’en étoient pas censés moins
valables et qu’on ne tiroit point de la une raison pour ruiner le
tellement, que les articles par les quelles on ne pourra s’accorder
soient renvoyés à d’autres tems et que ceux, dont on conviendra
passent sur le champ en constitution et obtiennent la force de loi.
24. October.
Reichstages von der Zerreißung. Die erſtere wurde durch die Erklärung
eines Mitgliedes, es gäbe die fernere Berathung nicht zu, ſo lange nicht die von
ihm in Anregung gebrachte Frage entſchieden ſei, herbeigeführt, hob aber nicht
die früher gefaßten Beſchlüſſe auf, und konnte jederzeit wieder beſeitigt
werden. Die Zerreißung erfolgte erſt durch die ausdrückliche Erklärung
eines oder mehrerer Landboten, daß ſie gegen die Gültigkeit aller Be-
ſchlüſſe, der vorausgegangenen ſo wie der etwa noch folgenden proteſtirten.
eingeſandt, im Anhange.
neben welchen ſich die Darſtellung Rulhiere’s von dieſem Vorgange nicht
aufrecht erhalten läßt.
II, 43. Er beruft ſich auf Piaſecki.
im Dziennick literacki 1863, n. 39 sq., auf welche Szujski ſich beruft,
habe ich leider nicht einſehen können. Eine zweite neuere Arbeit über
dieſen Gegenſtand findet ſich in der Biblioteka Warzawska 1873, t. II,
p. 95 sq. So lange nicht das Ordinatsſtatut von 1618 in extenso ge-
druckt iſt, kann man die Frage, ob nicht ſchon bei dem Ausſterben der
Zaslawski der Orden zur Succeſſion berechtigt war, nicht entſcheiden.
Der Übergang von den Lubomirski auf die Sanguszko entſprach aller-
dings vollkommen dem von den Zaslawski’s auf die Lubomirski.
III, 188.
p. 169.
Leipzig 1768, — ein Buch, welches für die ſächſiſche Zeit durch ſeine ſtreng
chronologiſche Zuſammenſtellung einer Menge von Facten noch heute für
uns nützlich iſt.
1754. Revue etc. p. 303.
Friedrich II. als Bundesgenoſſe Frankreichs in der Oſtrogſchen Angelegen-
heit Broglie diplomatiſch unterſtützt haben. In Petersburg ſprach der
engliſche Geſandte im Februar 1755 davon, daß Friedrich von Frankreich
für deſſen Pläne mit Conti, durch das Verſprechen der Abtretung von
Polniſch-Preußen an ihn gewonnen ſei. Beer, Erſte Theilung Polens
I, 57.
1755 im Moskauer Archiv der ausw. Angel.
Arneth, Maria Thereſia IV, 395.
Vitzthum, Geheimniſſe des ſächſ. Kabinets I, 281 bezieht.
Broglie vom 4. März 1756. Revue l. c., p. 782.
aus den Jahren 1763 u. 1764 bei Schmitt, Panowanie Stanislawa
Augusta. Lwór 1868. I, 377. 390.
erſt 11. Januar 1757.
als der Kronkanzler Malachowski in demſelben Sinne nach Petersburg.
Letzterer fagte von Peter dem Großen in einem Briefe vom 17. Dezember
1756: „Dieſer Herrſcher, deſſen Gedächtniß immer gerühmt werden wird,
hat durch ſeine Mediation die Ordnung in Polen wiederhergeſtellt.“ Wie
die Polen aller Partheien ſich zur Erlangung von Ämtern und Würden
der Republik um Empfehlungen nach Petersburg wandten, dort um ruſ-
ſiſche Orden ſich bewarben, wiſſen wir ſchon aus Herrmanns Geſchichte
von Rußland (V, 228. 231 u. f.); auch hiefür giebt Szczebalski neue ur-
kundliche Belege.
träge ꝛc. II, 404.
Forſchung I, 280; Arneth a. a. O. V, 55. In wie weit dieſe aus diplo-
matiſchen Berichten entnommenen Nachrichten ſich mit Rulhiere’s Erzäh-
lung (I, 227), daß beide Partheien in Polen, ſich wechſelſeitig den Rang
es ſei in Folge der Verhaftung eines Menſchen geſchehen, von dem es
geheißen habe, er ſei abgeſandt, um die ruſſiſchen Magazine zu ver-
brennen; dies ſei aber gewiß nicht richtig, weil in dieſer Zeit weder ruſ-
ſiſche Magazine noch ruſſiſche Truppen in Polen geweſen wären; wahr-
ſcheinlicher ſei ein andres Gerücht, nach welchem Graf Brühl auf Ver-
anlaſſung Friedrichs habe in Warſchau aufgehoben werden ſollen. Bei-
läufig bemerke ich, daß der Text des Abdrucks der Denkwürdigkeiten von
Kitowicz in dem Skarbiec von Sienkowski (Paris 1839, I, 26) von
dem der Poſener Ausgabe merklich verſchieden iſt. Woher die im Skar-
biec ſich findende Note, daß der auf Requiſition des ruſſiſchen Geſandten
Verhaftete Lembert geheißen, ſich Kapitain genannt habe, und im Juli
1757 durch einen Haufen unbekannter Leute aus ſeinem Gefängniß be-
freit worden ſei, ſtammt, iſt dort nicht angegeben. Szujski IV, 345
bringt den Vorfall mit einer Agitation der Czartoryski zur Bildung einer
Conföderation zu Gunſten Friedrich II. in Verbindung. Für das letztere
bezieht er ſich auf einen ungedruckten Brief des Kronſchreiber Rzewuski,
des podoliſchen Woiwoden Michael Sohn, welcher ausnahmsweiſe zur
Czartoryskiſchen Parthei gehört habe, in dem dieſer ſchreibt, daß für eine
gegen Auguſt III. gerichtete Conföderation auf Anlaß Auguſt Czartoryski’s,
im Chelmer Lande Romanowski, im Kiew’ſchen Wolanski, in Lithauen
Przezdziecki und Sosnowski thätig ſei und für welche ſich auch der Biſchof
von Kujawien Dębowski intereſſire. In demſelben Briefe mache ſich Rzewuski
auch über die Angſt des Hofes luſtig und ſetze hinzu: „Wir berichten alles
nach Berlin.“ Auch dieſe Nachricht bedarf jedenfalls noch näherer Auf-
klärung.
boten hätten, um unter dieſem Vorwande, die einen mit Hilfe Frank-
reichs, die andern mit Hilfe Rußlands eine Conföderation zu Stande zu
bringen — vereinigen läßt, muß ich für jetzt dahingeſtellt ſein laſſen.
Kitowicz, Pam., p. 34 erzählt als ein Prognoſticon für Poniatowski’s
ſpätere Erhebung auf den Thron, daß er durch eine Verwechslung des
königlichen Kammerdieners ein Ordenszeichen mit der Inſchrift pro fide,
lege et grege erhalten habe, wie ſolches nur der König allein zu tragen
pflegte, während auf allen andern die Inſchrift pro fide lege et rege
ſtand.
keiten S. 266 gedruckt.
I, 296.
im Anfange des Jahres 1757 in Petersburg über den Abſchluß eines
neuen Vertrages ſtattfanden, forderte Rußland ſehr nachdrücklich von
Seiten Öſtreichs das Verſprechen, ihm Kurland und Semgallen und ſelbſt
Oſtpreußen als Preis des gemeinſchaftlichen Sieges zu ſichern. In Bezug
hierauf ſchrieb Maria Thereſia an Eſterhazy, man habe in Wien auf
von Gerüchten die Rede, daß Auguſt III. zu Gunſten ſeines Sohnes
Karl abdanken wolle. Flassan VI, 141.
auf die Spur einer geheimen Abrede wegen Kurland gekommen ſei; Polen
wie Frankreich würden alles aufbieten, um das Geheimniß zu entdecken;
Frankreich werde widerſtreben, Stahrenberg wage kein Wort davon in
Paris zu ſagen (26. März 1757). ArnethV, 69.
p. 269—277.
er Antheil an der Zurückberufung Poniatowski’s gehabt hat. Ob an
dieſer oder an der 1758, weiß ich nicht. Die Notiz iſt vom 16. Mai
1760.
lands V, 221. 222. 226. Katharina II. erzählt in ihren Mémoires
(London 1859, p. 302), daß der Kanzler das Notificationsſchreiben der
Abberufung Poniatowski’s unter dem Vorwande eines Formfehlers nach
Warſchau zurückgeſandt habe.
Pam., p. 240. 418. 422.
Eliſabeth ſelbſt, da keine Beweiſe zu finden waren, ſchon zu bedauern an-
gefangen habe, ſich überhaupt auf die Sache eingelaſſen zu haben. Daß
der Kanzler einen falſchen Eid in der Unterſuchung ſchwur, verdarb ihn.
Praſſe, der im ganzen ſtets wohl unterrichtet ſcheint, glaubte ſelbſt
nicht an das crimen laesae majestatis des Kanzlers. S. Herrmann
a. a. O., S. 226. Die Berichte Eſterhazy’s bei Schäfer a. a. O. II, 1.
S. 544—547 geben über den Hauptpunkt doch auch nur Gerüchte.
Arneth a. a. O. V, 286 hat die Berichte Eſterhazy’s vom 24. und
26. Februar, nach welcher Beſtuchef den Großfürſten habe von der Thron-
folge ausſchließen wollen, und dieſer die Kaiſerin zur Verhaftung des
Kanzlers gedrängt habe, nicht abdrucken laſſen.
p. 343. 362. Raumer, Beitr. II, 458.
richten, welche einer nähern Aufklärung bedürfen. Am 24. und 25. Ja-
nuar 1758 argwöhnte Bernis in Paris, daß Brühl und Beſtucheff mit
dem Gedanken umgingen, von Frankreich und Öſtreich zu Preußen über-
zugehen. Am 25. Februar 1758 ſchrieb l’Hopital aus Petersburg, der
junge Brühl werde dort erwartet, um mit Poniatowski gemeinſam zu
verlangen, daß die Provinz Preußen zu Gunſten Sachſens in Sequeſter
genommen und durch das in Ungarn aus den Sachſen, welche aus den
preußiſchen Regimentern ausgetreten, gebildete Truppencorps beſetzt werden
ſollte. Ce plan captieux éclaire encore mieux les vues particulières,
dont a lieu de soupconner le chancelier Bestuchef et le comte Brühl.
S. Stuhr, Forſchungen I, 309. Auguſt III. bemühte ſich damals
in der That, wie aus Stanislaw Auguſts Denkwürdigkeiten S. 290—291
erhellt, in Petersburg darum, daß ſein in Ungarn ſtehendes Truppen-
corps ſich mit den Truppen Fermors in Preußen vereinigen und mit
dieſen die bevorſtehende Campagne mitmachen dürfe. Ferner ſchrieb der
franzöſiſche Geſandte in Wien Stainville am 14. März 1758 an l’Ho-
pital nach Petersburg, es wäre viel daran gelegen, beſtimmte Thatſachen,
die gegen Brühl ſprächen, in Erfahrung zu bringen; er (Stainville) hielte
es für wahrſcheinlich, daß Brühl weniger wie man glaube mit den Czar-
toryski’s veruneinigt wäre, und daß er die auf die Abſichten dieſes von
England und für den damaligen Augenblick auch von Preußen unter-
ſtützten Hauſes eingegangen ſei, um demſelben den Weg zum Throne zu
bahnen, und daß durch Poniatowski dem Großkanzler und der Groß-
fürſtin Eröffnungen in Abſicht auf dieſen Plan gemacht wären. Wäre
dieſer Verdacht gegründet, würde Brühl ſicher fallen. Stuhr a. a. O.
I, 311—312. Auch Praſſe deutete in ſeinem Bericht vom 28. November
1758 auf letzteres hin. Er habe, ſchreibt er, Mühe zu glauben, daß die
Abſichten der Familie ſich auf Kurland einſchränken; er befürchte viel-
mehr, daß ſelbige viel weiter gehen, und daß man ſich den Beiſtand und
die Gunſt der künftigen Regenten in Rußland zu Ausführung weit
größerer desseins zu Nutzen zu machen geſinnt ſei. So viel ſei gewiß,
daß die Ambition dieſer Familie und beſonders auch des jungen Ponia-
towski unendlich weit gehe, und wenn man zugleich das böſe Herz und
den böſen Willen dieſes jungen Menſchen in Erwägung ziehe, könne man
ſich in ſeiner Perſon nichts anders als einen gefährlichen Feind vor das
künftige vorſtellen. S. Herrmann, Geſch. Rußlands V, 230—31. —
Man ſieht, die kommenden Ereigniſſe warfen ihren Schatten voraus.
Peter III. I, 121.
Arneth a. a. O. V, 448—449. Im November 1760 kamen die
Ruſſen, als ſie die Winterquartiere in Polniſch-Preußen bezogen, noch
einmal auf den Gedanken, auch Danzig zu beſetzen, gaben ihn aber auf
Vorſtellungen Brühls, der die Rückwirkung auf die Polen, ſowie auf
Frankreich, Schweden und Dänemark ſehr richtig fürchtete, wieder auf.
S. v. Eelking, Correſp. Brühls ꝛc., S. 167 f.
und Offiziere ſetzten auch angeſehene Leute willkührlich feſt. Ein Beiſpiel
in Brühls Correſpondenz mit Riedeſel aus dem Jahre 1760, S. 60.
in Petersburg an und blieb bis zum 4. Juli. Poniatowski berichtete
dem Hofe ſehr ausführlich über deſſen Aufenthalt, und auch Katharina
ſpricht in ihren Memoiren mehrfach von ihm.
Kurlands) folgendes beſtimmt, daß wir nämlich post decessum moderni
principis Ferdinandi und in ihm stirpis Ketlerianae, welchen wir ad
vitae tempora circa feudum et jura ejusdem in Beſitz laſſen wollen,
einem andern cum successoribus ejus masculis de lumbis procedentibus
investituram des Herzogthums Kurland diplomate nostro nach der in
simili Falle gebrauchten Form ertheilen werden. Volum. legum (alte
Ausgabe) VI, 664.
„Ob Poniatowski jemals Abſichten auf Kurland gehabt hat, oder ihm
darüber vom jungen Hof Verſprechungen geſchehen und ob die Widerſetz-
lichkeit ſeiner und der Czartoryskiſchen Familie aus dieſem Grunde her-
zuleiten ſei, kann ich wohl eigentlich nicht wiſſen.“ Dann ſpricht er ſeine
Meinung dahin aus, daß die Abſichten der Familie viel weiter als auf
Kurland gingen. Herrmann a. a. O. V, 230. Vergl. oben S. 84.
Die Verbindung Poniatowski’s mit dem jungen Hofe wurde durch den
däniſchen Geſandten Baron v. Oſten vermittelt.
hatte, in dem „unverhofften Fall einer verſpürenden innerlichen Bewegung
im hieſigen Königreich, die bündigſten Declarationen wegen der ruſſiſcher-
ſeits für die allgemeine Ruhe und Sicherheit tragenden Sorgfalt öffentlich
bekannt zu machen, und dadurch allen etwaigen widrigen Bewegungen
in Zeiten vorzukommen“, ſchrieb Brühl ſelbſt 1761 27. April an Riedeſel.
S. Eelking, Correſp. u. ſ. w., S. 223.
nuar und 18. März 1759.
tenus pour être trop ouvertement dévouées à V. M. et sont plus en
detestés par la cour, parce qu’ils sont les premiers à defendre en toute
occasion les demarches, que V. M. fait …“
Boutaric I, 253 ergiebt ſich aber, daß ſeine Inſtruction erſt Ende März
oder Anfang April 1760 im Conſeil verleſen wurde und er damals noch
nicht in Warſchau war. Er kam nach Benoits Berichten erſt zwiſchen
dem 21. und 25. Juni dorthin.
Herrmann hat überſetzt „den Schein annehmen“; da aber l’apparence
auch die Wahrſcheinlichkeit, Ausſicht bedeutet, habe ich den etwas milderen
Ausdruck vorgezogen.
de plus en plus, que tout seroit perdu pour eux et pour leur liberté,
si V. M. succomboit sous le poids de ses nombreux ennemis.“ In einer
Unterredung, welche Benoit mit dem Primas hatte, ſagte dieſer zu jenem,
„qu’eux, les Polonois mettoient toute leur confiance à V. M. et dans
les succès de ses armes, que sans V. M. ils seroient perdus, puisque
tober an Riedeſel: „Wir halten dafür, daß man bei dem ruſſiſchen Hofe
ſowohl, als von Seiten der Generalität mit ſolchem Ausſchlage nicht übel
zufrieden ſein dürfte, indem wenigſtens vielem Geſchrei und Vorwürfen
wegen des Verbleibens und der angeblichen Bedrückungen der Ruſſen in
dieſem Königreich vorgekommen iſt.“ S. v. Eelking, Correſp., S. 118.
faible pour pouvoir le moins du monde s’opposer aux Russes.“ Be-
richt vom 18. Juni 1760.
ſchrieben unter andern: Lubomirski, Straz̀nik; Rzewuski, Pisarz; Ponia-
towski, Stolnik; Siemienski, referendarz; Adam Czartoryski, Humiecki,
Ossolinski, Malachowski, Mokranowski, Oskierka.
Kitowicz, Pam., p. 45—46 in ſeiner Art eine höchſt draſtiſche Schil-
derung. Vgl. auch Rulhiere I, 260.
zu erſehen, in welcher Zeit die Deputation nach Warſchau kam. Dem
Zuſammenhang ſeiner Erzählung nach ſcheint ſie erſt nach der Reduction
der Münze (October 1761) abgeſandt zu ſein. — Brühl ſchrieb ſchon am
8. Juni 1760 an Riedeſel über die „immer mehr zunehmende Fermen-
tation der großpolniſchen Nobleſſe“ und daß nicht zu leugnen ſei, daß
durch das bisherige Benehmen [der Ruſſen] und zurückgebliebene Ver-
gütung der erfolgten Lieferungen und veranlaßten Schäden, gedachte
Nobleſſe ſehr aufgebracht iſt, — wegen des eignen Intereſſes der ruſſiſchen
Armee und zu Beförderung ihres Verproviantirungswerkes ſei es allemal
ſo billig als nöthig, Polen zu menagiren und durch ein freundſchaftliches
Betragen und ſo viel als möglich richtige Bezahlung derer Lieferungen
bei guter Geſinnung zu erhalten. — Im October 1761 klagte er mehr-
mals über dieſe Zuſtände in Petersburg. S. v. Eelking, Correſp.,
S. 20. 321. 416.
24. November. Bei Stuhr a. a. O. II, 274—275.
2., 23., 30. Januar, 11. Mai, 23. Juni, 3. Juli 1762. In einem
Schreiben vom 15. April deſſelben Jahres dankt Fürſt Radzivil für
empfangene 1600 Dukaten, erbietet ſich zu ferneren Dienſten und theilt
mit, daß er ſich „zu dem Ende“ zum Reichstage wählen laſſen wolle,
wobei er von dem Woiwoden von Smolensk, Sapieha, welcher Sr. Maje-
ſtät von Preußen ſehr zugethan iſt, wie auch von anderen guten Freunden
doppeltes Spiel. So z. B. erſieht man aus den Acten, betreffend die
Beſchwerden der Polen über die königlichen Truppen und den Geh.-R.
v. Brenkenhof 1762—1763, daß Sapieha, der Woiwode von Smolensk,
das Vorrücken der ruſſiſchen Truppen benutzte, um mit Hilfe ruſſiſcher
Soldaten die von ſeinen Gütern über die Gränze nach Preußen entlau-
fenen Bauern, Gärtner u. ſ. w. aufheben und mit Sack und Pack
wieder zurückbringen zu laſſen. Auch diente er dadurch den Ruſſen, daß
er ihnen durch ſeine Beamten Nachrichten über die Bewegungen der
preußiſchen Truppen zukommen ließ. Zugleich ſchreibt er 26. März 1763
an den Chef Brenkenhofs: „Il sera connue à V. Excellence combien dans
toutes les occurrences j’ai taché avec empressement de me rendre digne
des bonnes graces et de la protection de s. Majesté.“ — Im Sommer
1760 erließ auch Prinz Heinrich ein Manifeſt an die Polen, ähnlich dem
Friedrichs vom 2. März (ſ. oben S. 87). In Bezug hierauf ſchrieb
Brühl an Riedeſel (a. a. O., S. 80): „Daß übrigens die Einwohner von
Poſen das Manifeſt ſo geheim gehalten, zeiget nicht undeutlich an, daß
ſie mehr preußiſch als ruſſiſch geſinnt ſein müſſen.“
d. M. in v. Eelkings Correſp., S. 363.
und 27. März.
sous le sceau du secrét etc.“ Mokranowski ſcheint überhaupt nicht ſelten
eine Doppelrolle geſpielt zu haben.
ſcripte an ihn vom 15. Februar und 24. April.
Bericht vom 3., 14. u. 1. Juni.
vom 2. u. 7. Juni.
SchmittI, 373: „Vous vous souvenez, Madame, que vous avez été
la première à m’offrir des vues d’ambition, dont je ne vous avais pas
parlé. Vous m’avez dit souvent, qu’un homme sans ambition ne vous
plairait pas. Vous avez donc nourri la mienne par l’objet meme de
ma plus forte passion. Si j’ai desiré le trône c’est que je vous y
voyais.“
Katharina’s, in den Memoires de Stanisl. Aug. Poniatowski. Posen
1862 gedruckt. Daß Mercy d’Argenteau den Briefwechſel vermittelt hat,
beſtätigt aus deſſen Depeſchen Beer (Die erſte Theilung Polens I, 67).
„ungedruckt“ bei Beer, Erſte Theilung Polens II, 323 abgedruckt.
nennt als ſolche die Medem, Sacken, Keyſerling, Saß u. a.
etwas kürzer gefaßtes Journal übergab Stanislaw Poniatowski dem
preußiſchen Reſidenten mit der Bitte, daſſelbe in die Berliner Zeitung
einrücken zu laſſen; außerdem ſollte es auch in der von Utrecht erſcheinen.
Beide im Geh. Staatsarchiv in Berlin.
Reichstagsmarſchall ſein Amt bis zur Wahl eines neuen, und da nur
alle 2 Jahre ein ordentlicher Reichstag zuſammenkam, würde Mokra-
nowski bis Herbſt 1764 Marſchall geblieben ſein.
Radzivil ſeinen Secretair Bohuß zu Mniszek mit dem Angebot von
40,000 Dukaten geſchickt, habe letzterer geſagt: „Aber mein Herr, wie
kann man eine ſo hohe Würde einem ſolchen verrückten Menſchen ver-
leihen“, worauf Bohuß erwiederte: „Grade deshalb, denn wenn Sie das
Amt einem klugen geben, ſo findet der lithauiſche Kanzler Verſtändniß
für ſeinen Verſtand und zieht den Klugen auf ſeine Seite; den Ver-
rückten für ſeine Parthei zu werben, wird er nie zu Stande bringen.“
„Bravo mein Herr! zählt Euer Geld auf.“
es nicht gewußt, daß die dem Tribunal für den Anſpruch Brühls als
indigena anerkannt zu werden vorgelegten Actenſtücke gefälſcht geweſen
wären. S. ihre Denkſchrift vom 21. Auguſt 1763 bei SchmittI, 366.
war und von ſeinem Sitz aus den ganzen Raum überſehen konnte, ge-
ſteht S. 53, daß der erſte blinkende Säbel ein lithauiſcher mit einem
Stichblatt war, in einer Hand, welche in einem Handſchuh von Elends-
haut ſteckte, deſſen oberes Ende bis an den Ellbogen mit eiſernen Schienen
verſehen war. „Der Kopf des Raufboldes war bis an die Augen mit
einer dicken aus Draht und Seide zuſammengearbeiteten Mütze bedeckt, wie
ſolcher ſich die Lithauer bei ihren Schlägereien zu bedienen pflegen, daher
ich wohl ſchließen kann, daß man zuerſt von Seiten der Parthei Radzivils,
(d. i. auch der Hofparthei) zum Säbel gegriffen hat.“ Seine weitere
Schilderung der Vorgänge iſt noch detaillirter als die des Journals und
weicht von dieſem im weſentlichen davon ab, daß er den Tumult gleich
in die erſte Sitzung verlegt. Außerdem ſagt er ausdrücklich, daß der
Marſchall Malachowski, als der Hofparthei angehörig, ganz genau wußte,
wer den Reichstag zu zerreißen befohlen, wer den Dienſt geleiſtet, und
daß dieſer ſofort mit ſeinen Dukaten Warſchau verlaſſen hatte; trotzdem
aber habe Malachowski ihn zum Schein ſuchen laſſen und ihn in ſeiner
Schlußrede verflucht. Nach Kitowicz’ Überzeugung (S. 56) war der ganze
Tumult nicht zufällig, ſondern vorbereitet. Er führt dafür an, daß die
Landboten nicht in ihrer Ordnung, ſondern nach Partheien Platz ge-
nommen hätten, daß ſie eben ſo partheiweiſe den Saal verließen, daß
denen, welche franzöſiſch gekleidet waren, beim erſten Blinken der Säbel
ſtatt ihrer Degen Dragonerſäbel gereicht wurden, und daß die Land-
boten, die zur Sitzung gefahren waren, ſich am Schluß zu Pferde ſetzten,
weil ſie einen Straßenkampf erwarteten. — Daß die Zerreißung als vom
Hofe ausgegangen betrachtet wurde, ſagt auch der Nuntius in ſeinem
Bericht vom 13. October 1762: „Il tumulto nato nella seconda ses-
sione della dieta, e l’apprensione di piú funeste conseguenze fece pren-
dere il partito di romperla, e si crede che la corte medesima abbia
cio procurato.“ Bei Theiner, Monumenta Poloniae IV, 2. p. 23.
Daß der Hof ſchon vorher dieſe Abſicht hatte, wiſſen wir durch Benoit.
aussi bruijante se passa en meme tems chez le grand general de la
couronne, ou le prince Czartoryski, grand chancelier de Lithuanie et
le premier ministre Comte Brühl se trouvoient justement à diner. Ils
s’y sont dit tout ce que la haine et l’animosité peuvent inspirer.
Ce dernier y a été menacé par le dit prince et par d’autres, que
comme il n’étoit pas gentilhomme polonois, on sauroit a l’avenir
l’empecher de se meler des affaires du gouvernement du royaume.“
9. October, den Angaben des Journal de la diète und Szujski IV,
354 zuſammengeſtellt.
qui a rompu la diette vient de recevoir un bien royal pour recom-
pense“.
ſetzung.
IX, 60.
lution il faut, que vous n’oublierez rien pour flatter le Stolnik Po-
niatowski, afin de mettre tout a fait dans mes intérêts, car je présume
que dans la situation présente vis-à-vis de la cour de Petersbourg
il sera a même de me rendre des services bons et efficaces auprès de sa
Majesté l’imperatrice regnante. Auch in Paris war man von Ponia-
towski’s Verhältniß zu Katharina natürlich unterrichtet. Breteuil hatte
mit ihr ſelbſt darüber geſprochen und berichtet: denn am 10. September
1762 ſchrieb dieſem Ludwig XV.: „— — malgré des assurances, que
l’Imperatrice vous a données, qu’il ne la gouverneroit jamais, il sera
difficile qu’il n’ait au moins un grand credit.“ Flassan IV, 340.
procurino ambedue i partiti di guadagnarsi la confidenza del conte
di Keiserling, nuovo ambasiatore Russo, a questa corte. Egli riceve
continui regali e finezze, tanto della casa Czartoryski che dal conte
di Brühl.“ Theiner, Mon. Polon. IV, 23.
Deſſen Inſtruction iſt vom 27. December und er reiſte am 29ſten über
Berlin und Danzig nach Warſchau. Acten, Korffs geheime Sendung
betreffend, im Geh. Staatsarchiv in Berlin.
ſich Frankreich und Öſtreich im Art. 20 dahin geeinigt, im Fall einer
Erledigung des polniſchen Thrones nur im gegenſeitigen Einverſtändniß
zu handeln und, wenn die freie Wahl der Republik auf einen Prinzen
der ſächſiſchen Dynaſtie fiele, dieſen auf’s kräftigſte zu unterſtützen. —
Keyſerling theilte eine Abſchrift dieſes Artikels an Korff mit. Auch hatte
in der That der Wiener Hof bereits während der Krankheit Auguſts
ſowohl in Paris wie in Petersburg alle Anſtrengungen gemacht, um ſich
bereits jetzt über die Thronfolge zu verſtändigen. S. Beer a. a. O.
I, 87 f.
Man ſprach damals in Warſchau davon, zur Abwehr Truppen zuſammen-
zuziehen, und Benoit und Korff riethen auf Andringen Keyſerlings wie
Poniatowski’s wiederholt und dringend Friedrich II., dieſen Beſchwerden
gerecht zu werden. Als er dieſem Rath nachkam, war die Freude der
Polen „unbeſchreiblich“ (Benoits Depeſche vom 9. März).
Antwort vom 22. December jetzt vollſtändig gedruckt bei Schäfer a. a. O.
II, 2. S. 759 f.
Mal wieder am 7. März. Stolterfoth a. a. O., S. 827. 831.
26. März und ſein Brief an Katharina vom 5. April bei Häuſſer
S. 75. 76. Korffs Depeſche vom 16. März. Am 5. März meldete
bereits Benoit, die Erklärung zu Gunſten Birons ſei zur rechten Zeit
gekommen und habe „Waſſer in den Wein der Freunde des Prinzen
Karl gegoſſen“.
für Preußiſche Geſchichte“, S. 7. In dieſen erſten Monaten des Jahres
1763 hat Katharina auch in Wien wegen einer Verſtändigung über
Polen angeklopft. Maria Thereſia hielt wohl mit Recht die betreffende
Anfrage von vornherein für „un piege pour savoir nos intentions“.
S. BeerI, 77; II, 324. Eine Verbindung mit Öſtreich ſchloß
die bereits ſo weit gediehene Verſtändigung mit Preußen aus. Daſſelbe
gilt ſicher von den gleichzeitigen Anwürfen in Paris. S. Saint Priest,
Etudes I, 90.
dieſe Meinung faſt allgemein ſei. Häuſſer, S. 78.
einem Piaſten niemand anders als ein Mitglied der Familie Czartoryski
verſtehe. Bericht vom 16. März.
foth a. a. O., S. 845.
Lęczycz und Graf Plater, Woiwoden von Mcislaw: ſtatt des erſtern
hat SzujskiIV, 355 Jozef Waleski, welcher indeß nach Stolterfoth
S. 826 bereits am 5. Januar 1763 geſtorben war, worauf am 7. Januar
Lipski die Kaſtellanei Lęczycz erhalten hatte.
ſtändig giebt (S. 835), die folgenden 11 Senatoren nicht: Maſſalski,
Biſchof von Wilna; Szepticki, Biſchof von Ploczk; Anton Oſtrowski,
Biſchof von Liefland; Michael Maſſalski, Kaſtellan von Wilna; Andreas
Zamoyski, Palatin von Inowraclaw; Michael und Auguſt Czartoryski;
Michael Rzewuski, Palatin von Podolien; Andreas Moszczenski, Kaſtellan
von Inowraclaw; Matthias Soltyk, Kaſtellan von Sandomir; Joſeph
Jaklinski, Kaſtellan von Oſwięcim (Auſchwitz).
Werk ſelbſt einſehen zu können. Ich kann mich alſo nur an die Analyſe
halten, welche Szujski IV, 370—372 gegeben hat, trage aber vor-
läufig Bedenken, dem Urtheil des letzteren beizuſtimmen, daß der politiſche
Standpunkt Konarski’s ein dem der Czartoryskis völlig entgegengeſetzter
geweſen ſei. Nach Sz.’s eigner Analyſe ſind alle Reformideen, welche K.
vorbringt, ganz dieſelben, wie die der Czartoryski, und Sz. bringt für ſeine
Auffaſſung nur die eine Begründung vor, daß ſich K. gegen eine Con-
föderation als Mittel zum Ziele zu kommen, ausgeſprochen habe, während
die Czartoryski gerade auf ſolche Conföderation losſteuerten. Daß
Konarski, bei ſeinem entſchieden ſcharfen politiſchen Blick und Urtheil nicht
auch ſelbſt die Überzeugung, welche damals alle Einſichtigern hatten, daß
eine Reform niemals, ſo lange auf den Reichstagen Einſtimmigkeit zu
jedem Beſchluß nothwendig war, durchzuſetzen ſei, getheilt haben ſollte,
kann ich kaum bezweifeln. Dabei konnte er ſich zugleich gegen die Con-
föderationen im allgemeinen, als ein höchſt gefährliches Correctiv gegen
das liberum veto, auf das nachdrücklichſte ausſprechen: auch die Czartoryski
hatten nicht die Abſicht, nach Durchführung der Reform die Conföderation
als verfaſſungsmäßiges Recht noch ferner anzuerkennen. Ganz im Gegen-
ſatz gegen S. möchte ich vermuthen, daß die Schrift von Konarski im
Einverſtändniß mit den Czartoryskis entſtanden iſt, welche bekanntlich
die Beſtrebungen der Piariſten in Betreff des Jugendunterrichts und der
Erziehung gegenüber den Jeſuiten entſchieden unterſtützten. Konarski
war keineswegs ſo weit ein reiner Ideolog, wie er es hätte ſein müſſen,
wenn er ſich wirklich der Hoffnung hätte hingegeben, eine Parthei ins
Leben rufen zu können, welche die Reform ohne die Czartoryski und gegen
ſie durchzuſetzen im Stande ſein würde. Jedenfalls iſt es bei der Wich-
tigkeit der Frage für die geſammte Reformbewegung höchſt wünſchens-
werth, eine nähere Aufklärung über das perſönliche Verhältniß Konarski’s
zu den Czartoryskis zu erhalten. In der ſoeben in Paris erſchienenen
Correſpondenz des Königs Stanisl. Poniatowski mit Madame Geoffrin
wird S. 395 Konarski’s als eines Freundes der Krongroßfeldherrin
Branicki, der Schweſter des Königs, gedacht.
die ſie preußiſcherſeits erlitten, und von den Mitteln die Rede, die ſie zur
Abwehr ergreifen wollten.
Der ruſſiſche Geſchäftsträger habe auf Weiſung ſeines Hofes Brühl er-
klärt, daß ſeine Souverainin die Familie „Czartoryski pretendoit soutenir,
parceque leurs sentiments pour leur patrie etoient ceux de veritables
citoyens“.
welches in der Biblioteka Ossolinskich. Nowy poczet. t. 8 (1866) gedruckt
iſt, lernt man den weſentlichen Inhalt der vorausgegangenen Denkſchriften
kennen. Seitdem hat Schmitt in ſeinen Dzieje panowania Stanislawa.
Lwów 1868. I, 321 sq. die letztern aus dem eigenhändigen Brouillon
Poniatowski’s vollſtändig abdrucken laſſen.
in der Bibl. Ossol. VIII, 15.
Spörer. Gotha 1865. S. 14. Hier iſt der Brief vom 1. April datirt.
Es muß der alte Styl, alſo 12. April n. St. ſein, wie ſich aus der
Denkſchrift der Czartoryski vom 2. April ergiebt. Es iſt überhaupt zu
bedauern, daß in dieſer Überſetzung die Verſchiedenheit des alten und neuen
Styls nicht immer bemerkt worden iſt.
gefolgt, welcher ſich für die Einzelheiten auf ungedruckte Briefe des Bi-
ſchofs Kraſinski und Brzoſtowski an Mniszek beruft. Rulhiere II, 48
berichtet mehrfach abweichend. — Die Czartoryski meldeten in ihrem Me-
morial vom 21. Auguſt nach Petersburg (Biblioteka Ossol., p. 19 und
SchmittI, 369), daß das Tribunal einen Sielicki, der den Schädel
eines ſeiner von dem Chef der Radzivilſchen Raufbolde, Wolodkowicz,
erſchlagnen Leute, bei ſeiner Klage vorzeigte, zu einer Buße zu Gunſten
des Todſchlägers verurtheilt habe. Das Andenken an Wolodkowicz hat
ſich mit dem ſeines Herrn Radzivil in der Überlieferung bis heute er-
halten. Daß die ſchwerſten Gewaltthaten von beiden Seiten in dieſen
Partheikämpfen verübt wurden, iſt notoriſch. Ob der einzelne Fall wahr-
heitsgemäß uns berichtet iſt oder nicht, iſt daher völlig gleichgültig.
I, 344.
1763 in Folge einer Beſchwerde des Grafen Stecki gegen die Com-
miſſion in Drieſen an den Geh. Finanzrath v. Brenkenhof: „Auf was
für eine höchſt unverantwortliche und bis dahin in den königlichen Landen
noch unerhörte Weiſe die Commiſſion wider den Herrn Grafen S. — zu
verfahren ſich unterfangen ..... Dergleichen Behandlungen ſind wider
alle Völkerrechte.“ — Sie ſprechen dann ihre Überzeugung aus, daß B.
„dergleichen unverantwortliches Verfahren“ gewiß wie ſie ſelbſt „verab-
ſcheuen“ und ſofort ſowohl Abhilfe eintreten laſſen, als auch der Commiſſion
„nachdrücklichſt“ daſſelbe „verweiſen“ werde. (Aus den Acten, betreffend
die Beſchwerden der Polen über die königlichen Truppen und Geh.-Rath
v. Brenkenhof 1762—1763.) Friedrich hob ſofort die Commiſſion auf,
weil ſie, wie ſein dieſe Aufhebung an Benoit mittheilendes Reſcript vom
7. Juni 1763 ſich ausdrückt, „a effectivement abusé contre mes intentions
chements aus Polen zurück, kaſſirte nach einem Reſcript an B. vom
1. Juli einen Hauptmann Paczkowski und ließ einen Lieutenant Mala-
chowski beſtrafen „comme il le meritoit“.
Schmitt a. a. O., S. 364.
Recht und Geſetz wieder herzuſtellen, widrigenfalls ſie den Wünſchen und
Bitten der wohlgeſinnten und patriotiſchen Polen nachgebend ſich ge-
zwungen ſehen würde „d’employer pour cet objet les moyens efficaces
que la puissance que dieu lui a mise en main et les droits de son
empire lui dont pour l’avantage et le bonheur general“.
10. Auguſt bei.
deſſelben legte Benoit ſeiner Depeſche vom 30. Juli bei und theilte die
Antwort Keyſerlings mit.
u. 352. Panin ſagte etwas ſpäter zu Solms, Keyſerling ſei un peu
trop partial und aigrissait les choses. Solms’ Bericht vom 23. Aug.
bei Häuſſer, S. 82.
des Marſches Depeſche vom 10. Auguſt.
étoit le seul moyen par lequel ils puissent refondre leur état et en
faire une puissance“.
Solms’ Bericht vom 18. September 1764 bei Häuſſer, S. 11 und
S. 119.
17. Auguſt 1763: „C’est ce diable prussien, qui nous a gaté le comte
de Keyserling.“
88 iſt der Anſicht, daß Friedrichs Widerſpruch gegen die Conföderation
ein Hauptmotiv der Entſchließung Katharina’s geweſen. — Nabielac
erzählt in ſeinem Aufſatz über Branicki in der Biblioteka Ossol. V,
41, daß, als die ruſſiſchen Truppen in Lithauen unter Soltykow ein-
rückten, Friedrich auf die Nachricht hiervon den ruſſiſchen Geſandten habe
zu ſich rufen und auch ſeinerſeits einige Truppen in Lithauen über die
Gränze gehen laſſen. Zu dem Geſandten aber habe er geſagt, er wolle
Bundesgenoſſe Rußlands ſein, aber ruhig könne er nicht zuſehen, wenn
dieſes ein fremdes Reich überfalle. Der Geſandte möge hievon ſeinem Hofe
Mittheilung machen und zugleich, daß den Ereigniſſen in Lithauen eine
andre Wendung gegeben werde. Er habe mit großer Verwunderung
von dem Verfahren der Ruſſen gehört, und wünſche nicht in die Noth-
wendigkeit verſetzt zu werden, ſich nochmals darüber zu beklagen. Katha-
rina habe aus dem Tone erſehen, daß ſie ihre Abſichten auf Polen auf
eine gelegnere Zeit verſchieben müſſe, und den Abzug der Truppen be-
fohlen. — Eine Quelle für dieſe an ſich nicht ſehr wahrſcheinliche Er-
zählung führt Nabielac nicht an. — — Poniatowski ſchreibt in ſeinen
Mémoires (Posner Ausg. von 1862, S. 79) die Umſtimmung Katha-
rina’s weſentlich der Eiferſucht Panins gegen Keyſerling zu, welchem letztere
ſie ohne Panin Kenntniß von ihren Abſichten in Polen zu geben un-
mittelbar ihre Aufträge ſandte. Panin habe ihr über dieſe Pläne die
ſtärkſten Vorſtellungen gemacht, welche um ſo mehr auf ſie gewirkt hätten,
als ſie gerade damals von Moskau zurückgekommen wäre, und noch unter
dem friſchen Eindruck geſtanden hätte, welchen ſowohl die während der
Krankheit ihres Sohnes ſtattgehabten meuteriſchen Bewegungen als auch
das Auftreten Woronzows, Razumoffski’s u. a. gegen ihre von ihr beab-
ſichtigte Heirath mit Orlow auf ſie gemacht hätten.
16/27. Juli. In dem Abdruck bei Schmitt ſteht 15/26. Juli.
Ossol. VIII, 14. Schmitt I, 366.
vom 21. d. M. bei Schmitt a. a. O.
Benoit von Mokranowski: „Ce galant homme qui possede le coeur et
la confiance de presque tous ses compatriotes.“
23. September bei Häuſſer, S. 84—85.
bei SchmittI, 372.
Benoit, Dep. vom 14. September.
- License
-
CC-BY-4.0
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- Citation Suggestion for this Edition
- TextGrid Repository (2025). Roepell, Richard. Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bj29.0