SIMPLICISSIMUS
Teutſch/
Die Beſchreibung deß Lebens eines
ſeltzamen Vaganten/ genant Melchior
Sternfels von Fuchshaim/ wo und welcher
geſtalt Er nemlich in dieſe Welt kommen/ was
er darinn geſehen/ gelernet/ erfahren und auß-
geſtanden/ auch warumb er ſolche wieder
freywillig quittirt.
Überauß luſtig/ und maͤnniglich
nutzlich zu leſen.
Gedruckt beyJohann Fillion/
Jm JahrM DC LXIX.
Jch wurde durchs Fewer wie Phoenix geborn.
Jch flog durch die Lüffte! wurd doch nit verlorit,
Jch wandert durchs Waſſer, Jch raißt über Landt,
in ſolchem Umbſchwermen macht ich mir bekandt
was mich offt betrüebet und ſelten ergetzt
was war das? Jch habs in diß Buche geſetzt,
damit ſich der Leſer gleich wie ich itzt thue,
entferne der Thorheit und lebe in Rhue.
[[2]][3]
Jnhalt deß Erſten Buchs.
- Das 1. Capitel.
VermeldetSimpliciiBaͤuriſch Herkommen/
und gleichfoͤrmige Aufferziehung. - Das 2. Capitel.
Beſchreibet die erſte Staffel der Hoheit/
welcheSimpliciusgeſtiegen/ ſam̃t dem Lob der
Hirten/ und angehaͤngter trefflichenInſtru-
ction. - Das 3. Capitel.
Meldet von dem Mitleiden einer getreuen
Sackpfeiff. - Das 4. Capitel.
Simplicii Reſidenzwird erobert/ gepluͤndert
und zerſtoͤrt/ darinn die Krieger jaͤmmerlich
hauſen. - Das 5. Capitel.
WieSimpliciusdas Reiß-auß ſpielt/ und von
faulen Baͤumen erſchrecket wird. - Das 6. Capitel.
Jſt kurtz/ und ſo andaͤchtig/ daß demSim-
pliciodaruͤber ohnmaͤchtig wird. - Das 7. Capitel.
Simpliciuswird in einer armen Herberg
freundlich tractirt. - Das 8. Capitel.
WieSimpliciusdurch hohe Reden ſeine Voꝛ-
trefflichkeit zu erkennen gibt.
A ijDas
[4]Jnhalt
- Das 9. Capitel.
Simpliciuswird auß einer Beſtia zu einem
Chriſtenmenſchen. - Das 10. Capitel.
Was geſtalten er ſchreiben und leſen im
wilden Wald gelernet. - Das 11. Capitel.
Redet von Eſſenſpeiß/ Haußrath und an-
dern nothwendigen Sachen/ die man in die-
ſem zeitlichen Leben haben muß. - Das 12. Capitel.
Vermerckt ein ſchoͤne Art ſeelig zu ſterben/
und ſich mit geringem Unkoſten begraben zu
laſſen. - Das 13. Capitel.
Simpliciuslaͤſt ſich wie ein Rohr im Weyer
umbtreiben. - Das 14. Capitel.
Jſt ein ſeltzameComœdia,von 5. Bauern. - Das 15. Capitel.
Simpliciuswirdſpolirt,und laͤſt ihm von de-
nen Baurn wunderlich traͤumen/ wie es zu
Kriegszeiten hergehet. - Das 16. Capitel.
Heutiger Soldaten Thun und Laſſen/ und
wie ſchwerlich ein gemeiner Kriegsmann
befoͤrdert werde. - Das 17. Capitel.
Ob ſchon im Krieg der Adel/ wie billich/
dem gemeinen Mann vorgezogen wird/ ſo
kommen doch viel außveraͤchtlichem Stand
zu hohen Ehren.
Das
[5]deß Erſten Buchs.
- Das 18. Capitel.
Simpliciusthut den erſten Sprung in die
Welt/ mit ſchlechtem Gluͤck. - Das 19. Capitel.
Wie Hanau vonSimplicio,undSimplicius
von Hanau eingenommen wird. - Das 20. Capitel.
Was geſtalten er von der Gefaͤngnus und
der Folter erꝛettet worden. - Das 21. Capitel.
Das betrůgliche Gluͤck gibtSimplicioeinen
freundlichen Blick. - Das 22. Capitel.
Wer der Einſidel geweſen/ deſſenSimplicius
genoſſen. - Das 23. Capitel.
Simpliciuswird ein Page/ item/ wie deß Ein-
ſidlers Weib verloren worden. - Das 24. Capitel.
Simpliciustadelt die Leut/ und ſthet viel Ab-
goͤtter in der Welt. - Das 25. Capitel.
Dem ſeltzamenSimpliciokompt in der Welt
alles ſeltzam vor/ und er hingegen der Welt
auch. - Das 26. Capitel.
Ein ſonderbarer neuer Brauch/ einander
Glůck zu wůnſchen/ und zu bewillkommen. - Das 27. Capitel.
DemSecretariowird ein ſtarcker Geruch
in die Cantzley geraͤuchert.
A iijDas
[6]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
- Das 28. Capitel.
Einer lernet denSimpliciumauß Neid wahr-
ſagen; ja noch wol ein andere zierliche Kunſt. - Das 29. Capitel.
Simpliciowerden zwey Augen auß einem
Kalbskopff zu theil. - Das 30. Capitel.
Wie man nach und nach einen Rauſch be-
kompt/ und endlich ohnvermerckt blind-voll
wird. - Das 31. Capitel.
Wie uͤbel demSimpliciodie Kunſt mißlingt/
und wie man ihme den klopffenden Paſſion
ſingt. - Das 32. Capitel.
Handelt abermal von nichts anders/ als
der Saͤufferey/ und wie man die Pfaffen da-
von ſoll abſchaffen. - Das 33. Capitel.
Wie der HerꝛGubernatorein abſcheulichen
Fuchs geſchoſſen. - Das 34. Capitel.
WieSimpliciusden Tantz verderbt.
Das Erſte Capitel.
ES eroͤffnet ſich zu dieſer unſerer Zeit (von
welcher man glaubt/ daß es die letzte ſeye)
unter geringen Leuten eine Sucht/ in deren
die Patienten/ wann ſie daran kranck ligen/ und ſo
viel zuſammen geraſpelt und erſchachert haben/ daß
ſie neben ein paar Hellern im Beutel/ ein naͤrꝛiſches
Kleid
[7]Erſtes Buch.
Kleid auff die neue Mode/ mit tauſenderley ſeidenen
Banden/ antragen koͤnnen/ oder ſonſt etwan durch
Gluͤcksfall mannhafft und bekant worden/ gleich
Rittermaͤſſige Herꝛen/ und Adeliche Perſonen von
uhraltem Geſchlecht/ ſeyn wollen; da ſich doch offt
befindet/ daß ihre Vor-Eltern Tagloͤhner/ Karchel-
zieher und Laſttraͤger: ihre Vettern Eſeltreiber: ihre
Bruͤder Buͤttel und Schergen: ihre Schweſtern Hu-
ren: ihre Muͤtter Kupplerin/ oder gar Hexen: und
in Summa/ ihr gantzes Geſchlecht von allen 32.
Anichen her/ alſo beſudelt und befleckt geweſen/ als
deß Zuckerbaſtels Zunfft zu Prag immer ſeyn moͤ-
gen; ja ſie/ dieſe neue Nobiliſten/ ſeynd offt ſelbſt ſo
ſchwartz/ als wann ſie in Guinea geboren und erzogen
waͤren worden.
Solchen naͤrꝛiſchen Leuten nun/ mag ich mich
nicht gleich ſtellen/ ob zwar/ die Warheit zu beken-
nen/ nicht ohn iſt/ daß ich mir offt eingebildet/ ich
muͤſſe ohnfehlbar auch von einem groſſen Herꝛn/
oder wenigſt einem gemeinen Edelmann/ meinen Ur-
ſprung haben/ weil ich von Natur geneigt/ das Jun-
ckern-Handwerck zu treiben/ wann ich nur den Ver-
lag und den Werckzeug darzu haͤtte; Zwar ohnge-
ſchertzt/ mein Herkommen und Aufferziehung laͤſt
ſich noch wol mit eines Fuͤrſten vergleichen/ wann
man nur den groſſen Unterſcheid nicht anſehen wol-
te/ was? Mein Knan (dann alſo nennet man die
Vaͤtter im Speſſert) hatte einen eignen Pallaſt/ ſo
wol als ein anderer/ ja ſo artlich/ dergleichen ein je-
der Koͤnig mit eigenen Haͤnden zu bauen nicht ver-
mag/ ſondern ſolches in Ewigkeit wol unterwegen
laſſen wird; er war mit Laimen gemahlet/ und an
A jvſtatt
[8]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ſtatt deß unfruchtbaren Schifers/ kalten Bley/ und
roten Kupffers/ mit Stroh bedeckt/ darauff das edel
Getraid waͤchſt; und damit er/ mein Knan/ mit ſei-
nem Adel und Reichthum recht prangen moͤchte/ ließ
er die Mauer umb ſein Schloß nicht mit Mauerſtei-
nen/ die man am Weg findet/ oder an unfruchtbaren
Orten auß der Erden graͤbt/ viel weniger mit lieder-
lichen gebachenen Steinen/ die in geringer Zeit ver-
fertigt und gebraͤndt werden koͤnnen/ wie andere groſ-
ſe Herꝛen zu thun pflegen/ aufffuͤhren; ſondern er
nam Eichenholtz darzu welcher nutzliche edle Baum/
als worauff Bratwuͤrfte und fette Schuncken wach-
ſen/ biß zu ſeinem vollſtaͤndigen Alter uͤber 100. Jahr
erfordert: Wo iſt ein Monarch/ der ihm dergleichen
nachthut? Seine Zimmer/ Saͤaͤl und Gemaͤcher
hatte er inwendig vom Rauch gantz erſchwartzen laſ-
ſen/ nur darumb/ dieweil diß die beſtaͤndigſte Farb
von der Welt iſt/ und dergleichen Gemaͤhld biß zu
ſeiner Perfection mehr Zeit brauchet/ als ein kuͤnſtli-
cher Mahler zu ſeinen trefflichſten Kunſtſtuͤcken erfor-
dert; Die Tapezereyen waren das zaͤrteſte Geweb
auff dem gantzen Erdboden/ dann die jenige machte
uns ſolche/ die ſich vor Alters vermaß/ mit der Mi-
nerva ſelbſt umb die Wett zu ſpinnen; Seine Fenſter
waren keiner anderer Urſachen halber dem Sandt
Nitglaß gewidmet/ als darumb/ dieweil er wuſte/
daß ein ſolches vom Hanff oder Flachsſamen an zu
rechnen/ biß es zu ſeiner vollkommenen Verfertigung
gelangt/ weit mehrere Zeit und Arbeit koſtet/ als das
beſte und durchſichtigſte Glas von Muran/ dann
ſein Stand macht ihm ein Belieben zu glauben/ daß
alles das jenige/ was durch viel Muͤhe zu wegen ge-
bracht
[9]Erſtes Buch.
bracht wuͤrde/ auch ſchaͤtzbar/ und deſto koͤſtlicher
ſey/ was aber koͤſtlich ſeye/ das ſeye auch dem Adel
am anſtaͤndigſten; An ſtatt der Pagen/ Laqueyen
und Stallknecht/ hatte er Schaf/ Boͤcke und Saͤu/
jedes fein ordenlich in ſeine natuͤrliche Liberey geklei-
det/ welche mir auch offt auff der Waid auffgewar-
tet/ biß ich ſie heim getrieben; Die Ruſt- oder Har-
niſch-Kammer war mit Pfluͤgen/ Kaͤrſten/ Aexten/
Hauen/ Schaufeln/ Miſt- und Heugabeln genugſam
verſehen/ mit welchen Waffen er ſich taͤglich uͤbet;
dann hacken und reuthen war ſeine diſciplina milita-
ris, wie bey den alten Roͤmern zu Friedens-Zeiten/
Ochſen anſpannen/ war ſein Hauptmannſchafftli-
ches Commando, Miſt außfuͤhren/ ſein Fortifica-
tion-weſen/ und Ackern ſein Feldzug/ Stall-außmi-
ſten aber/ ſein Adeliche Kurtzweil und Turnierſpiel;
hiermit beſtritte er die gantze Weltkugel/ ſo weit er
reichen konte/ und jagte ihr damit alle Ernd ein rei-
che Beut ab. Dieſes alles ſetze ich hindan/ und uͤber-
hebe mich deſſen gantz nicht/ damit niemand Urſach
habe/ mich mit andern meines gleichen neuen Nobi-
liſten außzulachen/ dann ich ſchaͤtze mich nicht beſſer/
als mein Knan war/ welcher dieſe ſeine Wohnung
an einem ſehr luſtigen Ort/ nemlich im Speſſert li-
gen hatte/ allwo die Woͤlff einander gute Nacht ge-
ben. Daß ich aber nichts außfuͤhrliches von meines
Knans Geſchlecht/ Stammen und Nahmen vor diß-
mal docirt/ beſchibet umb geliebter Kuͤrtze willen/
vornemlich/ weil es ohne das allhier umb keine Ade-
liche Stifftung zu thun iſt/ da ich ſoll auff ſchwoͤren;
genug iſts/ wann man weiß/ daß ich im Speſſert ge-
boren bin.
A vGleich
[10]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Gleich wie nun aber meines Knans Haußweſen
ſehr Adelich vermerckt wird/ alſo kan ein jeder Ver-
ſtaͤndiger auch leichtlich ſchlieſſen/ daß meine Auff-
erziehung derſelben gemaͤß und aͤhnlich geweſen; und
wer ſolches davor haͤlt/ findet ſich auch nicht betro-
gen/ dann in meinem zehen-jaͤhrigen Alter/ hatte ich
ſchon die principia in obgemeldten meines Knans
Adelichen Exercitien begriffen/ aber der Studien hal-
ber konte ich neben dem beruͤhmten Ampliſtidi hin paſ-
ſiren/ von welchem Suidas meldet/ daß er nicht uͤber
fuͤnffe zehlen konte; dann mein Knan hatte vielleicht
einen viel zu hohen Geiſt/ und folgte dahero dem ge-
woͤhnlichen Gebrauch jetziger Zeit/ in welcher viel
vornehme Leut mit ſtudiren/ oder wie ſie es nennen/
mit Schulpoſſen ſich nicht viel bekuͤmmern/ weil ſie
ihre Leut haben/ der Plackſcheiſſerey abzuwarten:
Sonſt war ich ein trefflicher Muſicus auff der Sack-
pfeiffen/ mit deren ich ſchoͤne Jalemi-Geſaͤng machen
konte: Aber die Theologiam anbelangend/ laß ich
mich nicht bereden/ daß einer meines Alters damals
in der gantzen Chriſtenwelt geweſt ſeye/ der mir da-
rinn haͤtte gleichen moͤgen/ dann ich kennete weder
GOtt noch Menſchen/ weder Himmel noch Hoͤll/
weder Engel noch Teuffel/ und wuſte weder Gutes
noch Boͤſes zu unterſcheiden: Dahero ohnſchwer zu
gedencken/ daß ich vermittelſt ſolcher Theologiæ wie
unſere erſte Eltern im Paradis gelebt/ die in ihrer
Unſchuld von Kranckheit/ Todt und Sterben/ weni-
ger von der Aufferſtehung nichts gewuſt/ O edels Le-
ben! (du moͤgſt wol Eſelsleben ſagen) in welchem
man ſich auch nichts umb die Medicin bekuͤmmert.
Eben auff dieſen Schlag kan man mein Erfahrenheit
in
[11]Erſtes Buch.
in dem Studio legum und allen andern Kuͤnſten und
Wiſſenſchafften/ ſo viel in der Welt ſeyn/ auch ver-
ſiehen; Ja ich war ſo perfect und vollkommen in der
Unwiſſenheit/ daß mir unmuͤglich war zu wiſſen/ daß
ich ſo gar nichts wuſte. Jch ſage noch einmal/ O ed-
les Leben/ das ich damals fuͤhrete! Aber mein Knan
wolte mich ſolche Gluͤckſeeligkeit nicht laͤnger genieſ-
ſen laſſen/ ſondern ſchaͤtzte billich ſeyn/ daß ich mei-
ner Adelichen Geburt gemaͤß/ auch Adelich thun
und leben ſolte/ derowegen fienge er an/ mich zu hoͤ-
hern Dingen anzuziehen/ und mir ſchwerere Lectio-
nes auffzugeben.
DasII.Capitel.
ER begabte mich mit der herꝛlichſten Dignitaͤt/ ſo
ſich nicht allein bey ſeiner Hofhaltung/ ſondern
auch in der gantzen Welt befande/ nemlich mit dem
Hirten-Ampt: Er vertraut mir erſtlich ſeine Saͤu/
zweytens ſeine Ziegen/ und zuletzt ſeine gantze Heerd
Schaf/ daß ich ſelbige huͤten/ waiden/ und vermittelſt
meiner Sackpfeiffen (welcher Klang ohne das/ wie
Strabo ſchreibet/ die Schaf und Laͤmmer in Arabia
fett macht) vor dem Wolff beſchuͤtzen ſolte; damal
gleichete ich wol dem David/ auſſer daß jener/ an ſtatt
der Sackpfeiffe/ nur eine Harpffe hatte/ welches kein
ſchlimmer Anfang/ ſondern ein gut Omen fuͤr mich
war/ daß ich noch mit der Zeit/ wann ich anders das
Gluͤck darzu haͤtte/ ein Weltberuͤhmter Mann wer-
den ſolte; dann von Anbegin der Welt ſeynd jeweils
hohe Perſonen Hirten geweſen/ wie wir dann vom
Abel/ Abraham/ Jſaac/ Jacob/ ſeinen Soͤhnen/ und
Moyſe ſelbſt/ in H. Schrifft leſen/ welcher zuvor ſei-
nes Schwehers Schaf huͤten muſte/ ehe er Heer-
A vjfuͤhrer
[12]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
fuͤhrer und Legislator uͤber 600000. Mann in Jſrael
ward. Ja/ moͤchte mir jemand vorwerffen/ das wa-
ren heilige Gott[-]ergebene Menſchen/ und keine Speſ-
ferter Baurenbuben/ die von GOtt nichts wuſten;
Jch muß geſtehen/ aber was hat meine damalige Un-
ſchuld deſſen zu entgelten? bey den alten Heyden
fande man ſo wol ſolche Exempla, als bey dem auß-
erwehlten Volck Gottes: Unter den Roͤmern ſeynd
vornehme Geſchlechter geweſen/ ſo ſich ohn Zweiffel
Bubulcos, Statilios, Pomponios, Vitulos, Vitellios,
Annios, Capros, und dergleichen genennet/ weil ſie
mit dergleichen Viehe umbgangen/ und ſolches auch
vielleicht gehuͤtet: Zwar Romulus und Remus ſeyn
ſelbſt Hirten geweſt; Spartacus, vor welchem ſich die
gantze Roͤmiſche Macht ſo hoch entſetzet/ war ein
Hirt. Was? Hirten ſind geweſen (wie Lucianus
in ſeinem Dialogo Helenæ bezeuget) Paris, Priami
deß Koͤnigs Sohn/ und Anchiſes, deß Trojaniſchen
Fuͤrſten Æneæ Vatter: Der ſchoͤne Eudimion, umb
welchen die keuſche Luna ſelbſt gebulet/ war auch ein
Hirt: Jtem der greuliche Polyphemus: ja die Goͤt-
ter ſelbſt (wie Phornutus ſagt) haben ſich dieſer Pro-
feſſion nicht geſchaͤmt/ Apollo huͤtet Admeti deß Koͤ-
nigs in Theſſalia Kuͤhe/ Mercurius, ſein Sohn
Daphnis, Pan und Protheus, waren Ertzhirten/ da-
hero ſeynd ſie noch bey den naͤrꝛiſchen Poëien der Hir-
ten Patronen; Meſa, Koͤnig in Moab/ iſt/ wie man
im zweyten Buch der Koͤnig lieſet/ ein Hirt geweſen/
Cyrus der gewaltige Koͤnig Perſarum, iſt nicht allein
von Mithridate, einem Hirten/ erzogen worden/ ſon-
dern hat auch ſelbſt gehuͤtet: Gygas war ein Hirt/
und hernach durch Krafft eines Rings ein Koͤnig:
Jßmael
[13]Erſtes Buch.
Jßmael Sophj ein Perſiſcher Koͤnig/ hat in ſeiner
Jugend ebenmaͤſſig das Viehe gehuͤtet/ alſo daß Phi-
lo der Jud in vita Moyſis trefflich wol von der Sach
redet/ wann er ſagt: Das Hirten-Ampt ſey ein Vor-
bereitung und Anfang zum Regiment; dann gleich
wie die Bellicoſa und Martialia Ingenia erſtlich auff
der Jagd geuͤbt und angefuͤhrt werden/ alſo ſoll man
auch die jenige/ ſo zum Regiment gezogen ſollen wer-
den/ erſtlich in dem lieblichen und freundlichen Hir-
ten-Ampt anleiten. Welches alles mein Knan wol
verſtanden haben muß/ und mir noch biß auff dieſe
Stund keine geringe Hoffnung zu kuͤnfftiger Herꝛ-
lichkeit macht.
Aber indeſſen wieder zu meiner Heerd zu kommen/
ſo wiſſet/ daß ich den Wolff eben ſo wenig kennet/
als meine eigene Unwiſſenheit ſelbſten; derowegen
war mein Knan mit ſeiner Inſtruction deſto fleiſſiger:
Er ſagte/ Bub biß fleiſſig/ loß di Schoff nit ze weit
vunananger laffen/ un ſpill wack er uff der Sackpfeif-
fa/ daß der Wolff nit kom/ und Schada dau/ dann
he yß a ſolcher feyerboinigter Schelm und Dieb/ der
Menſcha und Vieha friſſt/ un wan dau awer farlaͤſſj
biſſt/ ſo will eich dir da Buckel arauma. Jch ant-
wortet mit gleicher Holdſeeligkeit: Knano/ ſag
mir aa/ wey der Wolff ſeyhet? Eich huun
noch kan Wolff geſien: Ah dau grober Eſel-
kopp/replicirt er hinwieder/ dau bleiweſt dein
Lewelang a Narꝛ/ geith meich wunner/ was
auß dir wera wird/ bißt ſchun ſu a gruſſer
Doͤlpel/ un waiſt noch neit/ was der Wolff
fuͤr a fey erfeuſſiger Schelm iß. Er gab mir
noch mehr Unterweiſungen/ und wurde zuletzt un-
willig
[14]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
willig/ maſſen er mit einem Gebruͤmmel fort gieng/
weil er ſich beduncken lieſſe/ mein grober Verſtand
koͤnte ſeine ſubtile Unterweiſungen nicht faſſen.
DasIII.Capitel.
DA fienge ich an mit meiner Sackpfeiffen ſo gut
Geſchirꝛ zu machen/ daß man den Krotten im
Krautgarten damit haͤtte vergeben moͤgen/ alſo daß
ich vor dem Wolff/ welcher mir ſtetig im Sinn lag/
mich ſicher genug zu ſeyn bedunckte; und weilen ich
mich meiner Meuͤder eriñert (alſo heiſſen die Muͤt-
ter im Speſſert und am Vogelsberg) daß ſie offt ge-
ſagt/ ſie beſorge/ die Huͤner wuͤrden dermaleins von
meinem Geſang ſterben/ als beliebte mir auch zu fin-
gen/ damit das Remedium wider den Wolff deſto
kraͤfftiger waͤre/ und zwar ein ſolch Lied/ das ich von
meiner Meuͤder ſelbſt gelernet hatte.
Von
[15]Erſtes Buch.
Biß hieher/ und nicht weiter/ kam ich mit meinem
Geſang/ dann ich ward gleichſam in einem Augen-
blick
[16]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
blick von einem Trouppen Couraſſirer ſampt meiner
Heerd Schaf umbgeben/ welche im groſſen Wald
verirꝛet geweſen/ und durch meine Muſic und Hirten-
Geſchrey wieder zu recht gebracht worden waren.
Hoho/ gedachte ich/ diß ſeynd die rechte Kaͤutz!
diß ſeynd die vierdeinigte Schelmen und Dieb/ dar-
von dir dein Knan ſagte/ dann ich ſahe anfaͤnglich
Roß und Mann (wie hiebevor die Americaner die
Spaniſche Cavallerey) vor ein einzige Creatur an/
und vermeynte nicht anders/ als es muͤſten Woͤlffe
ſeyn/ wolte derowegen dieſen ſchroͤcklichen Centauris
den Hundsſprung weiſen/ und ſie wieder abſchaffen;
Jch hatte aber zu ſolchem End meine Sackpfeiffe
kaum auffgeblaſen/ da erdappte mich einer auß ihnen
beym Fluͤgel/ und ſchlendert mich ſo ungeſtuͤmm auff
ein laͤer Baurenpferd/ ſo ſie neben andern mehr auch
erbeutet hatten/ daß ich auff der andern Seiten wie-
der herab auff meine liebe Sackpfeiffe fallen muſte/
welche ſo erbaͤrmlich anfieng zu ſchreyen/ als wann
ſie alle Welt zu Barmhertzigkeit bewegen haͤtte wol-
len: aber es halff nichts/ wiewol ſie den letzten Athem
nicht ſparete/ mein Ungefaͤll zu beklagen/ ich muſte
einmal wieder zu Pferd/ GOtt geb was meine Sack-
pfeiffe ſang oder ſagte; und was mich zum meiſten
verdroß/ war dieſes/ daß die Reuter vorgaben/ ich
haͤtte der Sackpfeiff im fallen wehe gethan/ darumb
ſie dann ſo Ketzerlich geſchryen haͤtte; Alſo gieng mei-
ne Mehr mit mir dahin/ in einem ſtetigen Trab/ wie
das Primum mobile, biß in meines Knans Hof.
Wunderſeltzame Dauben ſtiegen mir damals ins
Hirn/ dann ich bildete mir ein/ weil ich auff einem
ſolchen Thier ſaͤſſe/ dergleichen ich niemals geſehen
hatte
[17]Erſtes Buch.
hatte/ ſo wuͤrde ich auch in einen eiſernen Kerl ver-
aͤndert werden/ weil aber ſolche Verwandlung nicht
folgte/ kamen mir andere Grillen in Kopff/ ich ge-
dachte/ dieſe fremde Dinger waͤren nur zu dem Ende
da/ mir die Schafe helffen heimzutreiben/ ſintemal
keiner von ihnen keines hinweg fraß/ ſondern alle ſo
einhellig/ und zwar deß geraden Wegs/ meines
Knans Hof zu-eyleten: Derowegen ſahe ich mich
fleiſſig nach meinem Knan umb/ ob er und mein Meuͤ-
der uns nicht bald entgegen gehen/ und uns willkom̃
ſeyn heiſſen wolten; aber vergebens/ er und meine
Meuͤder/ ſampt unſerm Urſele/ welches meines Knans
einige Tochter war/ hatten die Hinderthuͤr troffen/
und wolten dieſer Gaͤſt nicht erwarten.
DasIV.Capitel.
WJewol ich nicht bin geſinnet geweſen/ den Fried-
liebenden Leſer/ mit dieſen Reutern/ in meines
Knans Hauß und Hof zu fuͤhren/ weil es ſchlim ge-
nug darinn hergehen wird: So erfordert jedoch die
Folge meiner Hiſtori/ daß ich der lieben poſteritaͤt
hinderlaſſe/ was vor Grauſamkeiten in dieſem un-
ſerm Teutſchen Krieg hin und wieder veruͤbet wor-
den/ zumalen mit meinem eigenen Exempel zu bezeu-
gen/ daß alle ſolche Ubel von der Guͤte deß Allerhoͤch-
ſten/ zu unſerm Nutz/ offt notwendig haben verhaͤngt
werden muſſen: Dann lieber Leſer/ wer haͤtte mir
geſagt/ daß ein GOtt im Himmel waͤre/ wann keine
Krieger meines Knans Hauß zernichtet/ und mich
durch ſolche Fahung unter die Leut gezwungen haͤt-
ten/ von denen ich genugſamen Bericht empfangen?
Kurtz zuvor konte ich nichts anders wiſſen noch mir
einbilden/ als daß mein Knan/ Meuͤder/ ich und das
uͤbrige
[18]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
uͤbrige Haußgeſind/ allein auff Erden ſeye/ weil mir
ſonſt kein Menſch/ noch einige andere menſchliche
Wohnung bekant war/ als die jenige/ darinn ich
taͤglich auß und ein gieng: Aber bald hernach erfuhr
ich die Herkunfft der Menſchen in dieſe Welt/ und
daß ſie wieder darauß muͤſten; ich war nur mit der
Geſtalt ein Menſch/ und mit dem Nahmen ein Chri-
ſtenkind/ im uͤbrigen aber nur ein Beſtia! Aber der
Allerhoͤchſte ſahe meine Unſchuld mit barmhertzigen
Augen an/ und wolte mich beydes zu ſeiner und mei-
ner Erkantnus bringen: Und wiewol er tauſender-
ley Weg hierzu hatte/ wolte er ſich doch ohn zweiffel
nur deß jenigen bedienen/ in welchem mein Knan und
Meuͤder/ andern zum Exempel/ wegen ihrer lieder-
lichen Aufferziehung geſtrafft wuͤrden.
Das erſte/ das dieſe Reuter thaͤten/ war/ daß ſie
ihre Pferd einſtelleten/ hernach hatte jeglicher ſeine
ſonderbare Arbeit zu verꝛichten/ deren jede lauter
Untergang und Verderben anzeigte/ dann ob zwar
ẽtliche anfiengen zu metzgen/ zu ſieden und zu braten/
daß es ſahe/ als ſolte ein luſtig Panquet gehalten
werden/ ſo waren hingegen andere/ die durch-ſtuͤrm-
ten das Hauß unden und oben/ ja das heimlich Ge-
mach war nicht ſicher/ gleichſam ob waͤre das guͤl-
den Fell von Colchis darinnen verborgen; Andere
machten von Tuch/ Kleidungen und allerley Hauß-
rath/ groſſe Paͤck zuſammen/ als ob ſie irgends ein
Krempelmarckt anrichten wolten/ was ſie aber nicht
mit zu nehmen gedachten/ wurde zerſchlagen/ etliche
durchſtachen Heu und Stroh mit ihren Degen/ als
ob ſie nicht Schaf und Schwein genug zu ſtechen
gehabt haͤtten/ etliche ſchuͤtteten die Federn auß den
Betten
[19]Erſtes Buch.
Betten/ und fuͤlleten hingegen Speck/ andere duͤrꝛ
Fleiſch und ſonſt Geraͤth hinein/ als ob alsdann beſ-
ſer darauff zu ſchlaffen geweſt waͤre; Andere ſchlu-
gen Ofen und Fenſter ein/ gleichſam als haͤtten ſie
ein ewigen Sommer zu verkuͤndigen/ Kupffer und
Zinnengeſchirꝛ ſchlugen ſie zuſammen/ und packten
die gebogene und verderbte Stuck ein/ Bettladen/
Tiſch/ Stuͤl und Baͤnck verbrannten ſie/ da doch viel
Claffter duͤrꝛ Holtz im Hof lag/ Haͤfen und Schuͤſ-
ſeln muſte endlich alles entzwey/ entweder weil ſie
lieber Gebraten aſſen/ oder weil ſie bedacht waren/
nur ein einzige Mahlzeit allda zu halten/ unſer Magd
ward im Stall dermaſſen tractirt/ daß ſie nicht mehr
darauß gehen konte/ welches zwar eine Schand iſt
zu melden! den Knecht legten ſie gebunden auff die
Erd/ ſtecketen ihm ein Sperꝛholtz ins Maul/ und
ſchuͤtteten ihm einen Melckkuͤbel voll garſtig Miſtla-
chen-waſſer in Leib/ das nenneten ſie ein Schwedi-
ſchen Trunck/ wordurch ſie ihn zwungen/ eine Par-
they anderwerts zu fuͤhren/ allda ſie Menſchen und
Viehe hinweg namen/ und in unſern Hof brachten/
unter welchen mein Knan/ mein Meuͤder/ und unſer
Urſele auch waren.
Da fieng man erſt an/ die Stein von den Piſtolen/
und hingegen an deren ſtatt der Bauren Daumen auf-
zuſchrauben/ und die arme Schelmen ſo zufoltern/
als wann man haͤtt Hexen brennen wollen/ maſſen
ſie auch einen von den gefangenen Bauren bereits in
Bachofen ſteckten/ und mit Feuer hinder ihm her
warn/ ohnangeſehen er noch nichts bekennt hatte; ei-
nem andern machten ſie ein Sail umb den Kopff/ und
raittelten es mit einem Bengel zuſammen/ daß ihm
das
[20]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
das Blut zu Mund/ Nas und Ohren herauß ſprang.
Jn Summa/ es hatte jeder ſein eigene invention, die
Bauren zu peinigen/ und alſo auch jeder Bauer ſeine
ſonderbare Marter: Allein mein Knan war meinem
damaligen Beduncken nach der gluͤckſeeligſte/ weil
er mit lachendem Mund bekennete/ was andere mit
Schmertzen und jaͤmmerlicher Weheklag ſagen mu-
ſten/ und ſolche Ehre widerfuhr ihm ohne Zweiffel
darumb/ weil er der Haußvatter war/ dann ſie ſetzten
ihn zu einem Feuer/ banden ihn/ daß er weder Haͤnd
noch Fuͤß regen konte/ und rieben ſeine Fußſolen mit
angefeuchtem Saltz/ welches ihm unſer alte Geiß
wieder ablecken/ und dardurch alſo kuͤtzeln muſte/ daß
er vor lachen haͤtte zerberſten moͤgen; das kam ſo art-
lich/ daß ich Geſellſchafft halber/ oder weil ichs nicht
beſſer verſtunde/ von Hertzen mit lachen muſte: Jn
ſolchem Gelaͤchter bekante er ſeine Schuldigkeit/
und oͤffnet den verborgenen Schatz/ welcher von
Gold/ Perlen und Cleinodien viel reicher war/ als
man hinder Bauren haͤtte ſuchen moͤgen. Von den
gefangenen Weibern/ Maͤgden und Toͤchtern/ weiß
ich ſonderlich nichts zu ſagen/ weil mich die Krieger
nicht zuſehen lieſſen/ wie ſie mit ihnen umbgiengen:
Das weiß ich noch wol/ daß man theils hin und wi-
der in den Winckeln erbaͤrmlich ſchreyen hoͤrte/ ſchaͤ-
tze wol/ es ſey meiner Meuͤder und unſerm Urſele nit
beſſer gangen/ als den andern. Mitten in dieſem
Elend wendet ich Braten/ und halff Nachmittag die
Pferd traͤncken/ durch welches Mittel ich zu unſerer
Magd in Stall kam/ welche wunderwercklich zer-
ſtrobelt außſahe/ ich kennete ſie nicht/ ſie aber ſprach
zu mir mit kraͤncklichter Stimm: O Bub lauff weg/
ſonſt
[21]Erſtes Buch.
ſonſt werden dich die Reuter mit nemmen/ guck daß
du davon kommſt/ du ſiheſt wol/ wie es ſo uͤbel: meh-
rers konte ſie nicht ſagen.
DasV.Capitel.
DA machte ich gleich den Anfang/ meinen un-
gluͤcklichen Zuſtand/ den ich vor Augen ſahe/
zu betrachten/ und zu gedencken/ wie ich mich foͤrder-
lichſt außdrehen moͤchte; wohin aber? darzu war
mein Verſtand viel zu gering/ einen Vorſchlag zu
thun/ doch hat es mir ſo weit gelungen/ daß ich gegen
Abend in Wald bin entſprungen. Wo nun aber
weiters hinauß? ſintemahl mir die Wege und der
Wald ſo wenig bekant waren/ als die Straß durch
das gefrorne Meer/ hinder Nova Zembla, biß gen
China hinein: die ſtockfinſtere Nacht bedeckte mich
zwar zu meiner Verſicherung/ jedoch bedauchte ſie
meinen finſtern Verſtand nicht finſter genug/ dahero
verbarg ich mich in ein dickes Geſtraͤuch/ da ich ſo
wol das Geſchrey der getrillten Bauren/ als das Ge-
ſang der Nachtigallen hoͤren konte/ welche Voͤgelein
ſie die Bauren/ von welchen man theils auch Voͤgel
zu nennen pflegt/ nicht angeſehen hatten/ mit ihnen
Mitleiden zu tragen/ oder ihres Ungluͤcks halber das
liebliche Geſang einzuſtellen/ darumb legte ich mich
auch ohn alle Sorge auff ein Ohr/ und entſchlieff.
Als aber der Morgenſtern im Oſten herfuͤr flackerte/
ſahe ich meines Knans Hauß in voller Flamme ſte-
hen/ aber niemand der zu leſchen begehrte; ich begab
mich herfuͤr/ in Hoffnung/ jemand von meinem Knan
anzutreffen/ wurde aber gleich von fuͤnff Reutern er-
blickt/ und angeſchryen: Junge/ kom heroͤfer/
oder ſchall my de Tuͤfel halen/ ick ſchiedte
dick/
[22]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
dick/ dat di de Dampff zum Hals utgaht;
Jch hingegen blieb gantz ſtockſtill ſtehen/ und hatte
das Maul offen/ weil ich nicht wuſte/ was der Reu-
ter wolte oder meynte/ und in dem ich ſie ſo anſahe/
wie ein Katz ein neu Scheurthor/ ſie aber wegen ei-
nes Moraſtes nicht zu mir kommen konten/ welches
ſie ohn Zweiffel rechtſchaffen vexierte/ loͤſete der eine
ſeinen Carbiner auff mich/ von welchem urploͤtzli-
chen Feuer und unverſehnlichem Klapff/ den mir
Echo durch vielfaͤltige Verdoppelung grauſamer
machte/ ich dermaſſen erſchreckt ward/ weil ich der-
gleichen niemals gehoͤret oder geſehen hatte/ daß ich
alſobald zur Erden niderfiele/ ich regete vor Angſt
keine Ader mehr/ und wiewol die Reuter ihres Wegs
fort ritten/ und mich ohn Zweiffel vor todt ligen lieſ-
ſen/ ſo hatte ich jedoch denſelbigen gantzen Tag das
Hertz nicht/ mich auffzurichten; Als mich aber die
Nacht wieder ergriffe/ ſtunde ich auff/ und wanderte
ſo lang im Wald fort/ biß ich von fern einen faulen
Baum ſchimmern ſahe/ welcher mir ein neue Forcht
einjagte/ kehrete derowegen Sporenſtreichs wieder
umb/ und gieng ſo lang/ biß ich wieder einen andern
dergleichen Baum erblickte/ von dem ich mich gleich-
falls wieder fort machte/ und auff dieſe Weiſe die
Nacht mit hin und wieder rennen/ von einem faulen
Baum zum andern/ vertriebe/ zuletzt kam mir der
liebe Tag zu Huͤlff/ welcher den Baͤumen gebotte/
mich in ſeiner Gegenwart ohnbetruͤbt zu laſſen/ aber
hiermit war mir noch nichts geholffen/ dann mein
Hertz ſieckte voll Angſt und Forcht/ die Schenckel
voll Muͤdigkeit/ der laͤere Magen voll Hunger/ das
Maul voll Durſt/ das Hirn voll naͤrꝛiſcher Einbil-
dung
[23]Erſtes Buch.
dung/ und die Augen voller Schlaff: Jch gieng dan-
noch fuͤrter/ wuſte aber nicht wohin/ je weiter ich
aber gieng/ je tieffer ich von den Leuten hinweg in
Wald kam: Damals ſtunde ich auß/ und empfande
(jedoch gantz unvermerckt) die Wuͤrckung deß Un-
verſtands und der Unwiſſenheit/ wann ein unver-
nuͤnfftig Thier an meiner Stell geweſen waͤre/ ſo
haͤtte es beſſer gewuſt/ was es zu ſeiner Erhaltung
haͤtte thun ſollen/ als ich/ doch war ich noch ſo witzig/
als mich abermal die Nacht ereylte/ daß ich in einen
holen Baum kroche/ mein Nachtlaͤger darinnen zu
halten.
DasVI.Capitel.
KAum hatte ich mich zum Schlaff accommodiret/
da hoͤrete ich folgende Stimm: O groſſe Liebe/
gegen uns und anckbarn Menſchen! Ach mein eini-
ger Troſt! mein Hoffnung/ mein Reichthum/ mein
GOtt! und ſo dergleichen mehr/ das ich nicht alles
mercken noch verſtehen koͤnnen.
Dieſes waren wol Wort/ die einen Chriſten men-
ſchen/ der ſich in einem ſolchen Stand/ wie ich mich
dazumal befunden/ billich auffmuntern/ troͤſten und
erfreuen haͤtten ſollen: Aber/ O Einfalt und Unwiſ-
ſenheit! es waren mir nur Boͤhmiſche Doͤrffer/ und
alles ein gantz unverſtaͤndliche Sprach/ auß deren
ich nicht allein nichts faſſen konte/ ſondern auch ein
ſolche/ vor deren Selzamkeit ich mich entſetzte; da
ich aber hoͤrete/ daß deſſen/ der ſie redete/ Hunger und
Durſt geſtillt werden ſolte/ riethe mir mein ohner-
[tr]aͤglicher Hunger/ mich auch zu Gaſt zu laden/ de-
[r]owegen faſſte ich das Hertz/ wieder auß meinem
holen Baum zu gehen/ und mich der gehoͤrten Stim̃
Bzu
[24]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
zu naͤhern/ da wurde ich eines groſſen Manns ge-
wahr/ in langen ſchwartzgrauen Haaren/ die ihm
gantz verworꝛen auff den Achſeln herumb lagen/ er
hatte einen wilden Bart/ faſt formirt wie ein Schwei-
tzer-Kaͤß/ ſein Angeſicht war zwar bleich-gelb und
mager/ aber doch zimlich lieblich/ und ſein langer
Rock mit mehr als 1000. Stückern/ von allerhand
Tuch uͤberflickt und auffeinander geſetzt/ umb Hals
und Leib hatte er ein ſchwere eiſerne Ketten gewunden
wie S. Wilhelmus, und ſahe ſonſt in meinen Augen
ſo ſcheußlich und foͤrchterlich auß/ daß ich anfienge
zu zittern/ wie ein naſſer Hund/ was aber meine Angſt
mehret/ war/ daß er ein Crucifix ungefaͤhr 6. Schuh
lang/ an ſeine Bruſt druckte/ und weil ich ihn nicht
kennete/ konte ich nichts anders erſinnen/ als dieſer
alte Greiß muͤſte ohn Zweiffel der Wolff ſeyn/ da-
von mir mein Knan kurtz zuvor geſagt hatte: Jn ſol-
cher Angſt wiſchte ich mit meiner Sackpfeiff herfuͤr/
welche ich als meinen einigen Schatz noch vor den
Reutern ſalvirt hatte; ich bließ zu/ ſtimmte an/ und
lieſſe mich gewaltig hoͤren/ dieſen greulichen Wolff
zu vertreiben/ uͤber welcher gehlingen und ohnge-
woͤhnlichen Muſic, an einem ſo wilden Ort/ der Ein-
ſidel anfaͤnglich nicht wenig ſtutzte/ ohn Zweiffel ver-
meynende/ es ſeye etwan ein teuffliſch Geſpenſt hin
kommen/ ihne/ wie etwan dem groſſen Anthonio wi-
derfahren/ zu tribuliren/ und ſeine Andacht zu zerſtoͤ-
ren: So bald er ſich aber wieder erholete/ ſpottet er
meiner/ als ſeines Verſuchers im holen Baum/ wo
hinein ich mich wieder retirirt hatte/ ja er war ſo ge-
troſt/ daß er gegen mir gieng/ den Feind deß menſch-
lichen Geſchlechts genugſam außzuhoͤhnen; Ha/
ſagte
[25]Erſtes Buch.
ſagte er/ du biſt ein Geſell darzu/ die Heiligen ohne
goͤttliche Verhaͤngnus/ ꝛc. mehrers habe ich nicht
verſtanden/ dann ſeine Naͤherung ein ſolch Grauſen
und Schrecken in mir erꝛegte/ daß ich deß Ampts
meiner Sinne beraubt wurde/ und dorthin in Ohn-
macht nider ſanck.
DasVII.Capitel.
WAs geſtalten mir wieder zu mir ſelbſt geholffen
worden/ weiß ich nicht/ aber dieſes wol/ daß
der Alte meinen Kopff in ſeinem Schos/ und vornen
meine Juppen geoͤffnet gehabt/ als ich mich wieder
erholete/ da ich den Einſidler ſo nahe bey mir ſahe/
fieng ich ein ſolch grauſam Geſchrey an/ als ob er
mir im ſelben Augenblick das Hertz auß dem Leib haͤt-
te reiſſen wollen: Er aber ſagte/ mein Sohn/ ſchweig/
ich thue dir nichts/ ſey zu frieden/ ꝛc. je mehr er mich
aber troͤſtete/ und mir liebkoſte: Je mehr ich ſchrye/
O du friſſt mich! O du friſſt mich! du biſt der Wolf/
und wilſt mich freſſen: Ey ja wol nein/ mein Sohn/
ſagte er/ ſey zu frieden/ ich friß dich nicht. Diß Ge-
fecht waͤhrete lang/ biß ich mich endlich ſo weit lieſſe
weiſen/ mit ihm in ſeine Huͤtten zu gehen/ darin war
die Armut ſelbſt Hofmeiſterin/ der Hunger Koch/
und der Mangel Kuͤchenmeiſter/ da wurde mein Ma-
gen mit einem Gemuͤß und Trunck Waſſers gelabt/
und mein Gemuͤt/ ſo gantz verwirꝛet war/ durch deß
Alten troͤſtliche Freundligkeit wieder auffgericht und
zu recht gebracht: Derowegen ließ ich mich durch
die Anreitzung deß ſuͤſſen Schlaffes leicht bethoͤren/
der Natur ſolche Schuldigkeit abzulegen. Der Ein-
ſidel merckte meine Notdurfft/ darumb lieſſe er mir
den Platz allein in ſeiner Huͤtten/ weil nur einer darin
B ijligen
[26]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
ligen konte; ohngefaͤhr umb Mitternacht erwachte
ich wieder/ und hoͤrete ihn folgendes Lied ſingen/ wel-
ches ich hernach auch gelernet:
Die
[27]Erſtes Buch.
Unter waͤhrendem dieſem Geſang bedunckte mich
warhafftig/ als wann die Nachtigal ſo wol/ als die
Eul und Echo, mit eingeſtimmt haͤtten/ und wann ich
den Morgenſtern jemals gehoͤrt/ oder deſſen Melo-
dey auff meiner Sackpfeiffen aufzumachen vermoͤcht/
ſo waͤre ich auß der Huͤtten gewiſcht/ meine Karten
mit einzuwerffen/ weil mich dieſe Harmonia ſo lieb-
lich zu ſeyn bedunckte/ aber ich entſchlieff/ und er-
wachte nicht wieder/ biß wol in den Tag hinein/ da
der Einfidel vor mir ſtunde/ und ſagte: Uff Kleiner/
ich will dir Eſſen geben/ und alsdann den Weg durch
den Wald weiſen/ damit du wieder zu den Leuten/
und noch vor Nacht in das nachſte Dorff kommeſt;
Jch fragte ihn/ was ſind das fuͤr Dinger/ Leuten und
B iijDorff
[28]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
Dorff? Er ſagte/ biſt du dann niemalen in keinem
Dorff geweſt/ und weiſt auch nicht/ was Leut oder
Menſchen ſeynd? Nein/ ſagte ich/ nirgends als bier
bin ich geweſt/ aber ſag mir doch/ was ſeynd Leut/
Menſchen und Dorff? Behuͤt GOtt/ antwortet der
Einſidel/ biſt du naͤrꝛiſch oder geſcheid? Nein/ ſagte
ich/ meiner Meuͤder und meines Knans Bub bin ich/
und nicht der naͤrꝛiſch oder der geſcheid: Der Einſi-
del verwundert ſich mit Seufftzen und Becreutzi-
gung/ und ſagte: Wol liebes Kind/ ich bin gehal-
ten/ dich umb GOttes willen beſſer zu unterꝛichten:
Darauff fielen unſere Reden und Gegen-Reden/ wie
folgend Capitel außweiſet.
DasVIII.Capitel.
EJnſidel: Wie heiſſeſtu? Simpl. Jch heiſſe Bub.
Einſid. Jch ſihe wol/ daß du kein Maͤgdlein biſt/
wie hat dir aber dein Vatter und Mutter geruffen?
Simpl. Jch habe keinen Vatter oder Mutter gehabt:
Einſid. Wer hat dir dann das Hemd geben? Simpl.
Ey mein Meuͤder: Einſ. Wie heiſſet dich dann dein
Meuͤder? Simpl. Sie hat mich Bub geheiſſen/ auch
Schelm/ ungeſchickter Doͤlpel/ und Galgenvogel:
Einſ. Wer iſt dann deiner Mutter Mann geweſt?
Simpl. Niemand: Einſid. Bey wem hat dann dein
Meuͤder deß Nachts geſchlaffen? Simpl. bey meinem
Knan: Einſid. Wie hat dich dann dein Knan ge-
heiſſen? Simpl. Er hat mich auch Bub genennet:
Einſid. Wie hieſſe aber dein Knan? Simpl. Er heiſt
Knan: Einſid. Wie hat ihm aber dein Meuͤder ge-
ruffen? Simpl. Knan/ und auch Meiſter: Einſid.
Hat ſie ihn niemals anders genennet? Simpl. Ja/
ſie
[29]Erſtes Buch.
hat: Einſid. Wie dann? Simp Ruͤlp/ grober Ben-
gel/ volle Sau/ und noch wol anders/ wann ſie ha-
derte: Einſid. Du biſt wol ein unwiſſender Tropff/
daß du weder deiner Eltern noch deinen eignen Nah-
men nicht weiſt! Simpl. Eya/ weiſt dus doch auch
nicht: Einſid. Kanſtu auch beten? Simpl. Nain/
unſer Ann und mein Meuͤder haben als das Bett ge-
macht: Einſid. Jch frage nicht hiernach/ ſondern
ob du das Vatter unſer kanſt? Simpl. Ja ich: Einſ.
Nun ſo ſprichs dann: Simpl. Unſer lieber Vatter/
der du biſt Himel/ hailiget werde nam/ zrkommes d
Reich/ dein Will ſchee Himmel ad Erden/ gib uns
Schuld/ als wir unſern Schuldigern geba/ ſuͤhr
uns nicht in kein doͤß Verſucha/ ſondern erloͤß uns
von dem Reich/ und die Krafft/ und die Herꝛlichkeit/
in Ewigkeit/ Ama. Einſid. Biſtu nie in die Kirchen
gangen? Simp. Ja ich kan wacker ſteigen/ und hab
als ein gantzen Buſem voll Kirſchen gebrochen:
Einſid. Jch ſage nicht von Kirſchen/ ſondern von
der Kirchen:Simpl. Haha/ Kriechen/ gelt es
ſeynd ſo kleine Pflaͤumlein? gelt du? Einſid. Ach
daß GOtt walte/ weiſtu nichts von unſerm Herr
Gott? Simpl. Ja/ er iſt daheim an unſerer Stuben-
thuͤr geſtanden auff dem Helgen/ mein Meuͤder hat
ihn von der Kuͤrbe mitgebracht/ und hin gekleibt:
Einſid. Ach guͤtiger GOtt/ nun erkenne ich erſt/
was vor eine groſſe Gnad und Wolthat es iſt/ wem
du deine Erkantnus mittheileſt/ und wie gar nichts
ein Menſch ſeye/ dem du ſolche nicht gibſt: Ach HErꝛ
verleyhe mir deinen heiligen Nahmen alſo zu ehren/
daß ich wuͤrdig werde/ umb dieſe hohe Gnad ſo eyfe-
rig zu dancken/ als freygebig du geweſt/ mir ſolche
B jvzu
[30]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
zu verleyhen: Hoͤre du Simpl. (dann anderſt kan ich
dich nicht nennen) wann du das Vatter unſer beteſt/
ſo muſtu alſo ſprechen: Vatter unſer/ der du biſt im
Himmel/ geheiliget werde dein Nahm/ zukomme uns
dein Reich/ dein Will geſchehe auff Erden wie im
Himmel/ unſer taͤglich Brod gib uns heut/ und:
Simpl. Gelt du/ auch Kaͤß darzu? Einſid. Ach lie-
bes Kind/ ſchweige und lerne/ ſolches iſt dir viel noͤ-
tiger als Kaͤß/ du biſt wol ungeſchickt/ wie dein Meu-
der geſagt hat/ ſolchen Buben wie du biſt/ ſtehet nicht
an/ einem alten Mann in die Red zu fallen/ ſondern
zu ſchweigen/ zuzuhoͤꝛen und zu lernen/ wuͤſte ich nur/
wo deine Eltern wohneten/ ſo wolte ich dich gerne
wieder hin bringen/ und ſie zugleich lehren/ wie ſie
Kinder erziehen ſolten; Simpl. Jch weiß nicht/ wo
ich hin ſoll/ unſer Hauß iſt verbrennet/ und mein
Meuͤder hinweg geloffen/ und wieder kommen mit
dem Urſele/ und mein Knan auch/ und unſer Magd
iſt kranck geweſt/ und iſt im Stall gelegen. Einſid.
Wer hat dann das Hauß verbrennt? Simpl. Ha/ es
ſind ſo eiſerne Maͤnner kommen/ die ſeynd ſo auff
Dingern geſeſſen/ groß wie Ochſen/ haben aber keine
Hoͤrner/ dieſelbe Maͤnner haben Schafe und Kuͤbe
und Saͤu geſtochen/ und da bin ich auch weg gelof-
fen/ und da iſt darnach das Hauß verbrennt geweſt:
Einſid. Wo war dann dein Knan? Simpl. Ha/ die
eiferne Maͤnner haben ihn angebunden/ da hat ihm
unſer alte Gaiß die Fuͤß geleckt/ da hat mein Knau
lachen muͤſſen/ und hat denſelben eiſernen Mannen
viel Weißpfenning geben/ groſſe und kleine/ auch
huͤbſche gelbe/ und ſonſt ſchoͤne klitzerechte Dinger/
und huͤbſche Schnuͤr voll weiſſe Kuͤgelein. Einſ. wañ
iſt
[31]Erſtes Buch.
iſt diß geſchehen? Simpl. Ey wie ich der Schaf hab
huͤten ſollen/ ſie haben mir auch mein Sackpfeiff wol-
len nemmen: Einſid. Wann haſtu der Schaf ſol-
len huͤten? Simpl. Ey hoͤrſtus nicht/ da die eiſerne
Maͤnner kommen ſind/ und darnach hat unſer Ann
geſagt/ ich ſoll auch weg lauffen/ ſonſt wuͤrden mich
die Krieger mit nehmen/ ſie hat aber die eiſerne Maͤn-
ner gemeynet/ und da ſein ich weg geloffen/ und ſein
hieher kommen: Einſid. Wo hinauß wilſt du aber
jetzt? Simpl. Jch weiß weger nit/ ich will bey dir hier
bleiben: Einſid. Dich hier zu behalten/ iſt weder
mein noch dein Gelegenheit/ eſſe/ alsdann will ich
dich wieder zu Leuten fuͤhren: Simpl. Ey ſo ſag mir
dann auch/ was Leut vor Dinger ſeyn? Einſid.
Leut ſeynd Menſchen wie ich und du/ dein Knan/ dein
Meuͤder und euer Ann ſeynd Menſchen/ und wann
deren viel beyeinander ſeynd/ ſo werden ſie Leut ge-
nennt: Simpl. Haha; Einſid. Nun gehe und eſſe.
Diß war unſer Diſcurs, unter welchem mich der Ein-
ſidel offt mit den allertieffſten Seufftzen anſchauete/
nicht weiß ich/ ob es darumb geſchahe/ weil er ein ſo
groß Mitleiden mit meiner Einfalt und Unwiſſen-
heit hatte/ oder auß der Urſach/ die ich erſt uͤber etli-
che Jahr hernach erfuhr.
DasIX.Capitel.
JCh fieng an zu eſſen/ und hoͤrete auff zu papplen/
welches nicht laͤnger waͤhrete/ als biß ich nach
Notdurfft gefuͤttert hatte/ und mich der Alte fort ge-
hen hieſſe: Da ſuchte ich die allerzarteſte Wort her-
fuͤr/ die mir mein baͤuriſche Grobheit immermehr
eingeben konte/ welche alle dahin giengen/ den Ein-
B vfidel
[32]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
ſidel zu bewegen/ daß er mich bey ihm behielte: Ob
es ihm nun zwar beſchwerlich gefallen/ meine ver-
druͤßliche Gegenwart zu gedulden/ ſo hat er jedoch
beſchloſſen/ mich bey ihm zu leiden/ mehr/ daß er
mich in der Chriſtlichen Religion unterꝛichtete/ als
ſich in ſeinem vorhandenen Alter meiner Dienſte zu
bedienen/ ſein groͤſte Sorg war/ mein zarte Jugend
doͤrffte ein ſolche harte Art zu leben/ in die Laͤnge nit
außharꝛen moͤgen.
Eine Zeit von ungefaͤhr drey Wochen war mein
Probier-Jahr/ in welcher eben S. Gertraud mit
den Gaͤrtnern zu Feld lag/ alſo daß ich mich auch
in deren Profeſſion gebrauchen lieſſe/ ich hielte mich
ſo wol/ daß der Einſidel ein ſonderliches Gefallen
an mir hatte/ nicht zwar der Arbeit halber/ ſo ich zu-
vor zu vollbringen gewohnet war/ ſondern weil er
ſahe/ daß ich eben ſo begierig ſeine Unterweiſungen
hoͤrete/ als geſchickt die Waxwaiche/ und zwar noch
glatte Tafel meines Hertzens ſolche zu faſſen/ ſich er-
zeigte: Solcher Urſachen halber wurde er auch de-
ſto eyferiger/ mich in allem Guten anzufuͤhren/ er
machte den Anfang ſeiner Unterꝛichtungen vom Fall
Lucifers/ von dannen kam er in das Paradeis/ und
als wir mit unſern Eltern dar auß verſtoſſen wurden/
paſſirte er durch das Geſetz Moſis/ und lernete mich
vermittelſt der zehen Gebot Gottes und ihrer Außle-
gungen (von denen er ſagte/ daß ſie ein wahre Richt-
ſchnur ſeyen/ den Willen GOttes zu erkennen/ und
nach denſelben ein heiliges Gott wolgefaͤlliges Leben
anzuſtellen) die Tugenden von den Laſtern zu unter-
ſcheiden/ das gute zu thun/ und das boͤſe zu laſſen:
Endlich kam er auff das Evangelium/ und ſagte mir
von
[33]Erſtes Buch.
von Chriſti Geburt/ Leiden/ Sterben und Aufferſte-
hung; zuletzt beſchloſſe ers mit dem juͤngſten Tag/
und ſtellet mir Himmel und Hoͤll vor Augen/ und
ſolches alles mit gebuͤhrenden Umbſtaͤnden/ doch nit
mit gar zu uͤberfluͤſſiger Weitlaͤufftigkeit/ ſondern
wie ihn duͤnckte/ daß ichs am allerbeſten faſſen und
verſtehen moͤchte/ wann er mit einer materia fertig
war/ hub er ein andere an/ und wuſte ſich bißweilen in
aller Gedult nach meinen Fragen ſo artlich zu regu-
liren/ und mit mir zu verfahren/ daß er mirs auch
nicht beſſer haͤtte eingieſſen koͤnnen/ ſein Leben und ſei-
ne Reden waren mir eine immerwaͤhrende Predigt/
welche mein Verſtand/ der eben nicht ſo gar dumm
und hoͤltzern war/ vermittels Goͤttlicher Gnad/ nicht
ohne Frucht abgehen lieſſe/ allermaſſen ich alles das
jenige/ was ein Chriſt wiſſen ſoll/ nicht allein in ge-
dachten dreyen Wochen gefaſt/ ſondern auch ein ſol-
che Lieb zu deſſen Unterꝛicht gewonnen/ daß ich deß
Nachts nicht darvor ſchlaffen konte.
Jch habe ſeithero der Sach vielmal nachgedacht/
und befunden/ daß Ariſtot. lib. 3. de Anima wol ge-
ſchloſſen/ als er die Seele eines Menſchen einer laͤe-
ren ohnbeſchriebenen Tafel verglichen/ darauff man
allerhand notiren koͤnne/ und daß ſolches alles da-
rumb von dem hoͤchſten Schoͤpffer geſchehen ſeye/
damit ſolche glatte Tafel durch fleiſſige Impreſſion
und Ubung gezeichnet/ und zur Vollkommenheit
und perfection gebracht werde; dahero dann auch
ſein Commentator Averroes lib. 2. de Amma (da der
Philoſophus ſagt/ der Intellectus ſey als potentia,
werde aber nichts in actum gebracht/ als durch die
Scientiam, das iſt/ es ſeye deß Menſchen Verſtand
B vjaller-
[34]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
allerdings faͤhig/ koͤnne aber nichts ohne fleiſſige
Ubung hinein gebracht werden) dieſen klaren Auß-
ſchlag gibt: nemlich/ es ſeye dieſe Scientia oder U-
bung die perfection der Seelen/ welche fuͤr ſich ſelbſt
uͤberall nichts an ſich habe; Solches beſtaͤtigt Cice-
ro lib. 2. Tuſcul. quæſt. Welcher die Seel deß Men-
ſchen ohne Lehr/ Wiſſenſchafft und Ubung/ einem
ſolchen Feld vergleicht/ das zwar von Natur frucht-
bar ſeye/ aber wann man es nicht baue und beſaame/
gleichwol keine Frucht bringe.
Solches alles erwieſe ich mit meinem eigenen
Exempel/ denn daß ich alles ſo bald gefaſſt/ was mir
der fromme Einſidel vorgehalten/ iſt daher kommen/
weil er die geſchlichte Tafel meiner Seelen gantz
laͤer/ und ohn einige zuvor hinein gedruckte Bildnuſ-
ſen gefunden/ ſo etwas anders hinein zu bringen haͤtt
hindern moͤgen; gleichwol aber iſt die pure Einfalt
gegen andern Menſchen zu rechnen/ noch immerzu
bey mir verblieben/ dahero der Einſidel (weil weder
er noch ich meinen rechten Nahmen gewuſt) mich
nur Simplicium genennet.
Mithin lernete ich auch beten/ und als er meinem
ſteiffen Vorſatz/ bey ihm zu bleiben/ ein Genuͤgen zu
thun entſchloſſen/ baueten wir vor mich eine Huͤtten
gleich der ſeinigen/ von Holtz/ Reiſern und Erden/
faſt formirt wie der Muſquetirer im Feld ihre Zelten/
oder beſſer zu ſageu/ die Bauren an theils Orten ihre
Rubenloͤcher haben/ zwar ſo nider/ daß ich kaum auff-
recht darinn ſitzen konte/ mein Bett war von duͤrꝛem
Laub und Gras/ und eben ſo groß als die Huͤtte ſelbſt/
ſo daß ich nit weiß/ ob ich dergleichen Wohnung oder
Hoͤlen eine bedeckte Laͤgerſtatt/ oder eine Huͤtte neñen
ſoll.
Das
[35]Erſtes Buch.
DasXCapitel.
ALs ich das erſte mal den Einſidel in der Bibel le-
ſen ſahe/ konte ich mir nicht einbilden/ mit wem
er doch ein ſolch heimlich/ und meinem Beduncken
nach ſehr ernſtlich Geſpraͤch haben muͤſte; ich ſahe
wol die Bewegung ſeiner Lippen/ hingegen aber nie-
mand/ der mit ihm redet/ und ob ich zwar nichts vom
leſen und ſchreiben gewuſt/ ſo merckte ich doch an ſei-
nen Augen/ daß ers mit etwas in ſelbigem Buch zu
thun hatte: Jch gab Achtung auff das Buch/ und
nachdem er ſolches beygelegt/ machte ich mich dar-
hinder/ ſchlugs auff/ und bekam im erſten Griff das
erſte Capitel deß Hiobs/ und die davor ſtehende Fi-
gur/ ſo ein feiner Holtzſchnitt/ und ſchoͤn illuminirt
war/ in die Augen; ich fragte dieſelbige Bilder ſel-
zame Sachen/ weil mir aber kein Antwort widerfah-
ren wolte/ wurde ich ungedultig/ und ſagte eben/ als
der Einſidel hinder mich ſchlich: Jhr kleine Hudler/
habt ihr dann keine Maͤuler mehr? habt ihr nicht al-
lererſt mit meinem Vatter (dann alſo muſte ich den
Einſidel nennen) lang genug ſchwaͤtzen koͤnnen? ich
ſihe wol/ daß ihr auch dem armen Knan ſeine Schaf
heim treibt/ und das Hauß angezuͤndet habt/ halt/
halt/ ich will diß Feuer noch wol leſchen/ damit
ſtunde ich auff Waſſer zu holen/ weil mich die Noth
vorhanden zu ſeyn bedunckte. Wohin Simplici? ſagt
der Einſidel/ den ich binder mir nicht wuſte/ Ey
Vatter/ ſagte ich/ da ſind auch Krieger/ die haben
Schaf/ und wollens weg treiben/ ſie habens dem
armen Mann genommen/ mit dem du erſt geredet
haſt/ ſo brennet ſein Hauß auch ſchon liechterlohe/
und wann ich nicht bald leſche/ ſo wirds verbrennen;
B vijmit
[36]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
mit dieſen Worten zeigte ich ihm mit dem Finger/
was ich ſahe: Bleib nur/ ſagte der Einſidel/ es iſt
noch keine Gefahr vorhanben; Jch antwortete/
meiner Hoͤfligkeit nach/ biſt du dann blind/ wehre du/
daß ſie die Schaf nicht fort treiben/ ſo will ich Waſ-
ſer holen: Ey/ ſagte der Einſidel/ dieſe Bilder leben
nicht/ ſie ſeynd nur gemacht/ uns vorlaͤngſt geſche-
hene Dinge vor Augen zu ſtellen/ ich antwortet/ du
haſt ja erſt mit ihnen geredt/ warumb wolten ſie dann
nicht leben?
Der Einſidel muſte wider ſeinen Willen und Ge-
wonheit lachen/ und ſagte: Liebes Kind/ dieſe Bilder
koͤnnen nicht reden/ was aber ihr Thun und Weſen
ſey/ kan ich auß dieſen ſchwartzen Linien ſehen/ wel-
ches man leſen nennet/ und wann ich dergeſtalt leſe/
ſo haͤlteſt du darvor/ ich rede mit den Bildern/ ſo aber
nichts iſt: Jch antwortet/ wann ich ein Menſch bin
wie du/ ſo muͤſte ich auch an denen ſchwartzen Zeilen
koͤnnen ſehen/ was du kanſt/ wie ſoll ich mich in dein
Geſpraͤch richten? Lieber Vatter/ berichte mich
doch eygentlich/ wie ich die Sach verſtehen ſolle?
Darauff ſagte er/ nun wolan mein Sohn/ ich will
dich lehren/ daß du ſo wol als ich mit dieſen Bildern
wirſt reden koͤnnen/ allein wird es Zeit brauchen/
in welcher ich Gedult/ und du Fleiß anzulegen; dem-
nach ſchriebe er mir ein Alphabet auff dirckene Rin-
den/ nach dem Druck formirt/ und als ich die Buch-
ſtaben kennete/ lernete ich buchſtabiren/ folgends
leſen/ und endlich beſſer ſchreiben/ als es der Ein-
ſidel ſelber konte/ weil ich alles dem
Druck nachmahlet.
Das
[37]Erſtes Buch.
DasXI.Capitel.
ZWey Jahr ungefaͤhr/ nemlich biß der Einfidel
geſtorben/ und etwas laͤnger als ein halbes Jahr
nach deſſen Todt/ bin ich in dieſem Wald verblieben/
derohalben ſihet mich vor gut an/ dem curioſen Leſer/
der auch offt das geringſte wiſſen will/ unſer Thun/
Handel und Wandel/ und wie wir unſer Leben durch
gebracht/ zu erzehlen.
Unſere Speiß war allerhand Gartengewaͤchs/
Ruͤben/ Kraut/ Bonen/ Erbſen und dergleichen/ wir
verſchmaͤheten auch keine Buchen/ wilde Aepffel/
Pirn/ Kirſchen/ ja die Eicheln machte uns der Hun-
ger offt angenehm; das Brot/ oder beſſer zu ſagen/
unſere Kuchen backten wir in heiſſer Aſchen/ auß zer-
ſtoſſenem Welſchen Korn/ im Winter fiengen wir
Voͤgel mit Sprincken und Stricken/ im Fruͤhling
und Sommer aber beſchehrte uns GOtt Junge auß
den Neſtern/ wir behalffen uns offt mit Schnecken
und Froͤſchen/ ſo war uns auch mit Reuſſen und Ang-
len das fiſchen nicht zu wider/ in dem ohnweit von
unſerer Wohnung ein Fiſch- und Krebsreicher Bach
bin floß/ welches alles unſer grob Gemuͤß hinunder
convoyren muſte; wir hatten auff eine Zeit ein jun-
ges wildes Schweinlein auffgefangen/ welches wir
in einen Pferch verſperꝛet/ mit Eicheln und Buchen
aufferzogen/ gemaͤſtet/ und endlich verzehret/ weil
mein Einſidel wuſte/ daß ſolches keine Suͤnde ſeyn
koͤnte/ wann man genieſſet/ was GOtt dem gantzen
menſchlichen Geſchlecht zu ſolchem End erſchaffen/
Saltz drauchten wir wenig/ und von Gewuͤrtz gar
nichts/ dann wir doͤrfften den Luſt zum Trunck nicht
erwecken/ weil wir keinen Keller hatten/ die Notdurfft
an
[38]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
an Saltz gab uns ein Pfarꝛer/ der ohngefaͤhr 3. Meil
Wegs von uns wohnete/ von welchem ich noch viel
zu ſagen habe.
Unſern Haußrath betreffend/ deſſen war genug
vorhanden/ dann wir hatten eine Schauffel/ eine
Haue/ eine Axt/ ein Beyl/ und einen eiſernen Hafen
zum kochen/ welches zwar nicht unſer eigen/ ſondern
von obgemeldtem Pfarꝛer entlehnet war/ jeder hatte
ein abgenuͤtztes ſtumpffes Meſſer/ ſelbige waren unſer
Eigenthum/ und ſonſten nichts; ferner bedorfften
wir auch weder Schuͤſſeln/ Deller/ Leffel/ Gabeln/
Keſſel/ Pfannen/ Roſt/ Bratſpieß/ Saltzbuͤchs noch
ander Tiſch- und Kuͤchengeſchirꝛ/ dann unſer Hafen
war zugleich unſer Schuͤſſel/ und unſere Haͤnde wa-
ren auch unſere Gabeln und Leffel/ wolten wir aber
trincken/ ſo geſchahe es durch ein Rohr auß dem
Brunnen/ oder wir henckten das Maul hinein/ wie
Gedeons Kriegs-Leute; Von allerhand Gewand/
Wollen/ Seiden/ Baumwollen und Leinen/ beydes
zu Betten/ Tiſchen und Tapezereyen/ hatten wir
nichts/ als was wir auff dem Leib trugen/ weil wir
vor uns genug zu haben ſchaͤtzten/ wann wir uns vor
Regen und Froſt beſchuͤtzen koͤnten: Sonſten hiel-
ten wir in unſerer Haußhaltung keine gewiſſe Regul
oder Ordnung/ auſſerhalb an Sonn- und Feyer-
taͤgen/ an welchen wir ſchon umb Mitternacht hin-
zugehen anfiengen/ damit wir noch fruͤhe genug/
ohne maͤnniglichs Vermercken/ in obgemeldten
Pfarꝛherꝛns Kirche/ die etwas vom Dorff abgele-
gen war/ kommen/ und dem Gottesdienſt abwarten
koͤnnen/ in derſelben verfuͤgten wir uns auff die zer-
brochne Orgel/ an welchem Ort wir ſo wol auff den
Altar
[39]Erſtes Buch.
den Altar/ als zu der Cantzel ſehen konten; Als ich
das erſte mal den Pfarꝛherꝛn auff dieſelbige ſteigen
ſahe/ fragete ich meinen Einſidel/ was er doch in
demſelben groſſen Zuber machen wolte? nach ver-
richtetem Gottesdienſt aber/ giengen wir eben ſo
verſtolen wieder heim/ als wir hin kommen waren/
und nachdem wir mit muͤdem Leib und Fuͤſſen zu un-
ſerer Wohnung kamen/ aſſen wir mit guten Zaͤhnen
uͤbel/ alsdann brachte der Einſidel die uͤbrige Zeit
zu mit beten/ und mich in gottſeeligen Dingen zu un-
terꝛichten.
An den Wercktaͤgen thaͤten wir/ was am noͤtig-
ſten zu thun war/ je nachdem ſichs fuͤgte/ und ſolches
die Zeit deß Jahrs/ und unſer Gelegenheit erforder-
te/ einmal arbeiteten wir im Garten/ das ander
mal ſuchten wir den feiſten Grund an ſchattigten
Orten/ und auß holen Baͤumen zuſammen/ unſern
Garten/ an ſtatt der Tung/ damit zu beſſern/ bald
flochten wir Koͤrbe oder Fiſch-Reuſſen/ oder mach-
ten Brennholtz/ fiſchten/ oder thaͤten ja ſo etwas
wider den Muͤſſiggang. Und unter allen dieſen Ge-
ſchaͤfften lieſſe der Einſidel nicht ab/ mich in allem
Guten getreulichſt zu unterweiſen/ unterdeſſen ler-
nete ich in ſolchem harten Leben Hunger/ Durſt/
Hitz/ Kaͤlte/ und groſſe Arbeit uͤberſtehen/ und zu-
vorderſt auch GOTT erkennen/ und wie man Jhm
rechtſchaffen dienen ſolte/ welches das vornehmſte
war. Zwar wolte mich mein getreuer Einſidel ein
mehrers nicht wiſſen laſſen/ dann er hielte darvor/
es ſeye einem Chriſten genug/ zu ſeinem Ziel und
Zweck zu gelangen/ wann er nur fleiſſig bete und
arbeite/ dahero es kommen/ ob ich zwar in geiſt-
lichen
[40]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
lichen Sachen zimlich berichtet wurde/ mein Chri-
ſtenthum wol verſtunde/ und die Teutſche Sprach
ſo ſchoͤn redete/ als wann ſie die Orthographia ſelbſt
außſpraͤche/ daß ich dannoch der einfaͤltigſte verblie-
be; geſtalten ich/ wie ich den Wald verlaſſen/ ein
ſolcher elender Tropff in die Welt war/ daß man kei-
nen Hund mit mir auß dem Ofen haͤtte locken koͤnnen.
DasXII.Capitel.
ZWey Jahr ungefaͤhr hatte ich zugebracht/ und
das harte Eremitiſch Leben kaum gewohnet/ als
mein beſter Freund auff Erden ſeine Haue nam/ mir
aber die Schauffel gab/ und mich ſeiner taͤglichen
Gewonheit nach/ an der Hand in unſern Garten
fuͤhrte/ da wir unſer Gebet zu verꝛichten pflegten:
Nun Simplici/ liebes Kind/ ſagte er/ dieweil GOtt
Lob die Zeit vorhanden/ daß ich auß dieſer Welt
ſcheiden/ die Schuld der Natur bezahlen/ und dich
in dieſer Welt hinder mir verlaſſen ſolle/ zumalen
deines Lebens kuͤnfftige Begegnuſſen beylaͤuffig ſehe/
und wol weiß/ daß du in dieſer Einoͤde nicht lang
verharꝛen wirſt/ ſo hab ich dich auff dem angetrette-
nen Weg der Tugend ſtaͤrcken/ und dir einige Lehren
zum Unterꝛicht geben wollen/ vermittelſt deren du/
als nach einer ohnfehlbaren Richtſchnur/ zur ewigen
Seeligkeit zu gelangen/ dein Leben anſtellen ſolleſt/
damit du mit allen heiligen Außerwehlten das Ange-
ſicht GOttes in jenem Leben ewiglich anzuſchauen
gewuͤrdiget werdeſt.
Dieſe Wort ſetzten meine Augen ins Waſſer/ wie
hiebevor deß Feinds Erfindung die Statt Villingen/
einmal/ ſie waren mir ſo unertraͤglich/ daß ich ſie
nicht
[41]Erſtes Buch.
nicht ertragen koͤnte/ doch ſagte ich: Hertzliebſter
Vatter/ wilſt du mich dann allein in dieſem wilden
Wald verlaſſen? ſoll dann: mehrers vermochte ich
nicht herauß zu bringen/ dann meines Hertzens Qual
ward auß uͤberfluͤſſiger Lieb/ die ich zu meinem ge-
treuen Vatter trug/ alſo hefftig/ daß ich gleichſam
wie todt zu ſeinen Fuͤſſen nider ſanck; Er hingegen
richtet mich wieder auff/ troͤſtet mich ſo gut es Zeit
und Gelegenheit zulieſſe/ und verwieſe mir gleichſam
fragend/ meinen Fehler/ Ob ich nemlich der Ord-
nung deß Allerhoͤchſten widerſtreben wolte? weiſtu
nicht/ ſagt er weiters/ daß ſolches weder Himmel
noch Hoͤll zu thun vermoͤgen? nicht alſo mein Sohn!
was unterſteheſt du dich/ meinem ſchwachen Leib
(welcher vor ſich ſelbſt der Ruhe begierig iſt) auffzu-
buͤrden? vermeyneſt du mich zu noͤtigen/ laͤnger in
dieſem Jam̃erthal zu leben? Ach nein/ mein Sohn/
laſſe mich fahren/ ſintemal du mich ohne das weder
mit heulen noch weynen/ und noch viel weniger mit
meinem Willen/ laͤnger in dieſem Elend zu verhar-
ren/ wirſt zwingen koͤnnen/ in dem ich durch GOttes
außtruͤcklichen Willen darauß gefordert werde; fol-
ge an ſtatt deines unnuͤtzen Geſchreys meinen letzten
Worten/ welche ſeynd/ daß du dich je laͤnger je mehr
ſelbſt erkennen ſolleſt/ und wann du gleich ſo alt als
Mathuſalem wuͤrdeſt/ ſo laß ſolche Ubung nicht auß
dem Hertzen/ dann daß die meiſte Menſchen verdam̃t
werden/ iſt die Urſach/ daß ſie nicht gewuſt haben/
was ſie geweſen/ und was ſie werden koͤnnen/ oder
werden muͤſſen. Weiters riethe er mir getreulich/
ich ſolte mich jederzeit vor boͤſer Geſellſchafft huͤten/
dann derſelben Schaͤdlichkeit waͤre unaußſprechlich:
Er
[42]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
Er gab mir deſſen ein Exempel/ und ſagte/ wann
du einen Tropffen Malvaſier in ein Geſchirꝛ voll
Eſſig ſchuͤtteſt/ ſo wird er alſobald zu Eſſig; wirſtu
aber ſo viel Eſſig in Malvaſier gieſſen/ ſo wird er
auch unter dem Malvaſier hingehen: Liebſter Sohn/
ſagte er/ vor allen Dingen bleibe ſtandhafftig/ dann
wer verharꝛet biß aus End/ der wird ſeelig/ geſchihet
aber wider mein Verhoffen/ daß du auß menſchlicher
Schwachheit faͤllſt/ ſo ſtehe durch ein rechtſchaffene
Buß geſchwind wieder auff.
Dieſer ſorgfaͤltige fromme Mann hielte mir allein
diß wenige vor/ nicht zwar/ als haͤtte er nichts meh-
rers gewuſt/ ſondern darumb/ dieweil ich ihn erſtlich
meiner Jugend wegen/ nicht faͤhig genug zu ſeyn be-
dunckte/ ein mehrers in ſolchem Zuſtand zu faſſen/
und dann weil wenig Wort beſſer/ als ein langes
Geplauder/ im Gedaͤchtnus zu behalten ſeynd/ und
wann ſie anders Safft und Nachtruck haben/ durch
das Nachdencken groͤſſern Nutzen ſchaffen/ als eine
lange Sermon, die man außtruͤcklich verſtanden hat/
und bald wieder zu vergeſſen pflegt.
Dieſe drey Stuͤck/ ſich ſelbſt erkennen/ boͤſe Ge-
ſellſchafft meiden/ und beſtaͤndig verbleiben/ hat die-
ſer fromme Mann ohne Zweiffel deßwegen vor gut
und noͤtig geachtet/ weil er ſolches ſelbſten practicirt/
und daß es ihme darbey nicht mißlungen iſt; denn
nachdem er ſich ſelbſt erkant/ hat er nicht allein boͤſe
Geſellſchafften/ ſondern auch die gantze Welt ge-
flohen/ iſt auch in ſolchem Vorſatz biß an das Ende
verharꝛet/ an welchem ohn Zweiffel die Seeligkeit
haͤngt/ welcher geſtalt aber/ folgt hernach.
Nachdem er mir nun obige Stuͤck vorgehalten/
hat
[43]Erſtes Buch.
hat er mit ſeiner Reithaue angefangen ſein eigenes
Grab zu machen/ ich halff ſo gut ich konte/ wie
er mir befahl/ und bildete mir doch das jenige nicht
ein/ worauff es angeſehen war/ indeſſen ſagte er:
Mein lieber und wahrer einiger Sohn (dann ich ha-
be ſonſten keine Creatur als dich/ zu Ehren unſers
Schoͤpffers erzeuget) wann meine Seele an ihren
Ort gangen iſt/ ſo leiſte meinem Leib deine Schul-
digkeit und die letzte Ehre/ ſcharꝛe mich mit der je-
nigen Erden wieder zu/ die wir anjetzo auß dieſer
Gruben gegraben haben/ darauff nam er mich in
ſeine Arm/ und druckte mich kuͤſſend/ viel haͤrter
an ſeine Bruſt/ als einem Mann/ wie er zu ſeyn
ſchiene/ haͤtte muͤglich ſeyn koͤnnen: Liebes Kind/
ſagte er/ ich befehle dich in GOttes Schutz/ und
ſterbe umb ſo viel deſto froͤlicher/ weil ich hoffe/ er
werde dich darin auffnemmen; Jch hingegen konte
nichts anders/ als klagen und heulen/ ich haͤngete
mich an ſeine Ketten/ die er am Hals trug/ und ver-
meynte ihn damit zu halten/ damit er mir nicht ent-
gehen ſolte: Er aber ſagte/ mein Sohn laſſe mich/
daß ich ſehe/ ob mir das Grab lang genug ſeye/ leg-
te demnach die Ketten ab/ ſampt dem Ober-Rock/
und begab ſich in das Grab/ gleichſam wie einer/
der ſich ſonſt ſchlaffen legen will/ ſprechende: Ach
groſſer GOtt/ nun nimm wieder hin die Seele/ die
du mir gegeben/ HERR/ in deine Haͤnde befehl ich
meinen Geiſt/ ꝛc. Hierauff beſchloß er ſeine Lippen und
Augen ſanfftiglich/ ich aber ſtund da wie ein Stock-
fiſch/ und meynte nicht/ daß ſeine liebe Seel den Leib
gar verlaſſen haben ſolte/ dieweil ich ihn oͤffters in
dergleichen Verzuckungen geſehen hatte.
Jch
[44]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
Jch verharꝛete/ wie mein Gewonheit in derglei-
chen Begebenheiten war/ etlich Stund neben dem
Grab im Gebet/ als ſich aber mein allerliebſter Ein-
ſidel nicht mehr auffrichten wolte/ ſtiege ich zu ihm
ins Grab hinunder/ und fieng ihn an zu ſchuͤttlen/ zu
kuͤſſen und zu liebeln/ aber da war kein Leben mehr/
weil der grimmige ohnerbittliche Todt den armen
Simplicium ſeiner holden Beywohnung beraubt hat-
te; ich begoſſe/ oder beſſer zu ſagen/ ich balſamirte
den entſeelten Coͤrper mit meinen Zaͤhren/ und nach-
dem ich lang mit jaͤmmerlichem Geſchrey hin und
her geloffen/ fienge ich an/ ihn mit mehr Seufftzen
als Schauffeln voller Grund zuzuſcharꝛen/ und
wann ich kaum ſein Angeſicht bedeckt hatte/ ſtiege ich
wieder hinunder/ entbloͤſte es wieder/ damit ichs
noch einmal ſehen und kuͤſſen moͤchte/ ſolches trieb
ich den gantzen Tag/ biß ich fertig worden/ und auff
dieſe Wets die funeralia exequias und luctus gladia-
torios allein geendet/ weil ohne das weder Baar/
Sarch/ Decken/ Liechter/ Todtentraͤger noch Ge-
laits-Leut/ und auch kein Cleriſey vorhanden geweſt/
die den Todten beſungen haͤtte.
DasXIII.Capitel.
ÜBer etlich Tag nach deß Einſidels Ableiben/ ver-
fuͤgte ich mich zu obgemeldtem Pfarꝛern/ und of-
fenbarte ihm meines Herꝛn Todt/ begehrte benebens
Rath von ihm/ wie ich mich bey ſo geſtalter Sache
verhalten ſolte? Unangeſehen er mir nun ſtarck wi-
derꝛathen/ laͤnger im Wald zu verbleiben/ ſo bin ich
jedoch dapffer in meines Vorgaͤngers Fußſtapffen
getretten/ maſſen ich den gantzen Sommer hindurch
thaͤt
[45]Erſtes Buch.
thaͤt/ was ein frommer Monachus thun ſoll; Aber
gleich wie die Zeit alles aͤndert/ alſo ringert ſich auch
nach und nach das Leyd/ ſo ich umb meinen Einſidel
trug/ und die aͤuſſerliche ſcharffe Winterskaͤlt leſch-
te die innerliche Hitz meines ſteiffen Vorſatzes zu-
gleich auß/ je mehr ich anfieng zu wancken/ je traͤger
wurde ich in meinem Gebet/ weil ich an ſtatt/ goͤtt-
liche und himmliſche Ding zu betrachten/ mich die
Begierde/ die Welt auch zu beſchauen/ uͤberherꝛſchen
lieſſe/ und als ich dergeſtalt nichts nutz wuͤrde im
Wald laͤnger gut zu thun/ gedachte ich wieder zu
gedachtem Pfarꝛer zu gehen/ zu vernehmen/ ob er
mir noch wie zuvor auß dem Wald rathen wolte?
zu ſolchem End machte ich mich ſeinem Dorff zu/
und als ich hin kam/ fande ichs in voller Flamm ſte-
hen/ dann es eben ein Partey Reuter außgepluͤndert/
augezuͤndet/ theils Bauren nidergemacht/ viel ver-
jagt/ und etliche gefangen hatten/ darunter auch der
Pfarꝛer ſelbſt war. Ach GOtt! wie iſt das menſch-
liche Leben ſo voll Muͤhe und Widerwertigkeit/ kaum
hat ein Ungluͤck auffgehoͤrt/ ſo ſtecken wir ſchon in
einem andern/ mich verwundert nicht/ daß der Heyd-
niſche Philoſophus Timon zu Athen viel Galgen auf-
richtete/ daran ſich die Menſchen ſelber auffknuͤpffen/
und alſo ihrem elenden Leben durch ein kurtze Grau-
ſamkeit ein Ende machen ſolten; die Reuter waren
eben wegfertig/ und fuͤhrten den Pfarꝛer an einem
Strick daher/ unterſchiedliche ſchryen/ ſchieſſe den
Schelmen nider! andere aber wolten Gelt von ihm
haben/ er aber hub die Haͤnd auff/ und bat umb deß
Juͤngſten Gerichts willen/ umb Verſchohnung und
Chriſtliche Barmhertzigkeit/ aber umbſonſt/ dann
einer
[46]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
einer ritte ihn uͤbern Hauffen/ und verſetzte ihm zu-
gleich eins an Kopff/ davon er alle vier von ſich ſtreck-
te/ und Gott ſeine Seel befahl/ den andern noch uͤb-
rigen gefangenen Bauren giengs gar nicht beſſer.
Da es nun ſahe/ als ob dieſe Reuter in ihrer ty-
ranniſchen Grauſamkeit gantz unſinnig worden waͤ-
ren/ kam ein ſolcher Schwarm bewehrter Bauren
auß dem Wald/ als wann man in ein Weſpen-Neſt
geſtochen haͤtte/ die fiengen an ſo greulich zu ſchreyen/
ſo grimmig darein zu ſetzen/ und darauff zu ſchieſſen/
daß mir alle Berg gen Haar ſtunden/ weil ich noch
niemals bey dergleichen Kuͤrben geweſen/ dann die
Speſſerter und Vogelsberger Bauren laſſen ſich
fuͤrwahr ſo wenig als die Heſſen/ Sauerlaͤnder und
Schwartzwaͤlder/ auff ihrem Miſt foppen; darvon
riſſen die Reuter auß/ und lieſſen nicht allein das
eroberte Rindviehe zuruͤck/ ſondern warffen auch
Sack und Pack von ſich/ ſchlugen alſo ihre gantze
Beut in Wind/ damit ſie nicht ſelbſt den Bauren zur
Beut wuͤrden doch kamen ihnen theils in die Haͤnd.
Dieſe Kurtzweil bename mir bey nahe den Luſt/
die Welt zu beſchauen/ dann ich gedachte/ wann es
ſo darinnen hergehet/ ſo iſt die Wildnus weit anmu-
tiger/ doch wolte ich auch hoͤren/ was der Pfarꝛer
darzu ſagte/ derſelbe war wegen empfangener Wun-
den und Stoͤß gantz matt/ ſchwach und Krafftloß/
doch hielte er mir vor/ daß er mir weder zu helffen
noch zu rathen wiſſe/ weil er dermalen ſelbſt in einen
ſolchen Stand gerathen worden waͤre/ in welchem
er beſorglich das Brot am Bettelſtab ſuchen muͤſte/
und wann ich gleich noch laͤnger im Wald verblei-
ben wuͤrde/ ſo haͤtte ich mich ſeiner Huͤlff-leiſtung
nichts
[47]Erſtes Buch.
nichts zu getroͤſten/ weil/ wie ich vor Augen ſehe/ bey-
des ſein Kirch und Pfarꝛhof im Feuer ſtunde. Hier-
auf verfuͤgte ich mich gantz traurig gegen dem Wald
zu meiner Wohnung/ und demnach ich auff dieſer
Raͤis ſehr wenig getroͤſt/ hingegen aber umb viel an-
daͤchtiger worden/ beſchloſſe ich bey mir/ die Wild-
nus nimmermehr zu verlaſſen; maſſen ich ſchon
nachgedachte/ ob nicht muͤglich waͤre/ daß ich ohne
Saltz (ſo mir bißher der Pfarꝛer mitgetheilt hatte)
leben/ und alſo aller Menſchen entberen koͤnte?
DasXIV.Capitel.
DAmit ich aber dieſem meinem Entſchluß nach-
kommen/ und ein rechter Wald-Bruder ſeyn
moͤchte/ zoge ich meines Einſidlers hinderlaſſen haͤ-
rin Hemd an/ und guͤrtet ſeine Kette daruͤber; nicht
zwar/ als haͤtt ich ſie bedoͤrfft/ mein unbaͤndig Fleiſch
zu mortificiren/ ſondern damit ich meinem Vorfah-
ren ſo wolim Leben/ als im Habit gleichen/ mich
auch durch ſolche Kleidung deſto beſſer vor der rau-
hen Winters-Kaͤlt beſchuͤtzen moͤchte.
Den zweyten Tag/ nachdem obgemeldtes Dorff
gepluͤndert und verbrennt worden/ als ich eben in
meiner Huͤtten ſaſſe/ und zugleich neben dem Gebet
gelbe Ruͤben/ zu meinem Auffenthalt/ im Feuer brie-
te/ umbringten mich bey 40. oder 50. Mußquetier;
dieſe/ ob ſie zwar ob meiner Perſon Seltzamkeit er-
ſtauneten/ ſo durchſtuͤrmten ſie doch meine Huͤtten/
und ſuchten/ was da nicht zu finden war/ dañ nichts
als Buͤcher hatte ich/ die ſie mir durcheinander ge-
worffen/ weil ſie ihnen nichts taugten: Endlich/ als
ſie mich beſſer betrachteten/ und an meinen Federn
Cſahen
[48]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
ſahen/ was vor einen ſchlechten Vogel ſie gefangen
haͤtten/ konten ſie leicht die Rechnung machen/ daß
bey mir ein ſchlechte Beut zu hoffen; Demnach ver-
wunderten ſie ſich uͤber mein hartes Leben/ und hat-
ten mit meiner zarten Jugend ein groſſes Mitleiden/
ſonderlich der Officier/ ſo ſie commandirte; ja er
ehrte mich/ und begehrte gleichſam bittend/ ich wolte
ihm und den ſeinigen den Weg wider auß dem Wald
weiſen/ in welchem ſie ſchon lang in der Jrꝛe herumb
gangen waͤren; Jch widerte mich gantz nicht/ ſon-
dern fuͤhrte ſie den naͤchſten Weg gegen dem Dorff
zu/ allwo der obgemeldte Pfarꝛer ſo uͤbel tractirt
worden/ dieweil ich ſonſt keinen andern Weg wuſte:
Ehe wir aber vor den Wald kamen/ ſahen wir ohn-
gefaͤhr einen Bauren oder zehen/ deren ein Theil mit
Feuer-rohren bewehrt/ die uͤbrige aber geſchaͤfftig
waren/ etwas einzugraben; die Mußquetierer gien-
gen auff ſie loß/ und ſchryen/ halt! halt! jene aber
antworteten mit Rohren: Und wie ſie ſahen/ daß ſie
von den Soldaten uͤbermannet waren/ giengen ſie
ſchnell durch/ alſo daß die muͤden Mußquetierer kei-
nen von ihnen ereylen konten; derowegen wolten ſie
wieder herauß graben/ was die Bauren eingeſcharꝛt/
das ſchickte ſich umb ſo viel deſto beſſer/ weil ſie die
Hauen und Schauffeln/ ſo ſie gebraucht/ ligen lieſ-
ſen: Sie hatten aber wenig Streich gethan/ da hoͤ-
reten ſie eine Stimm von unden herauff/ die ſagte:
O ihr leichtfertige Schelmen! O ihr Ertz-
Boͤßwichter/ vermeynt ihr wol/ daß der Him-
mel euer un-Chriſtliche Grauſamkeit und
Bubenſtuͤck ungeſtrafft hingehen laſſen wer-
de? Nein/ es lebt noch manch redlicher Kerl/
durch
[49]Erſtes Buch.
durch welche eure Unmenſchlichkeit dermaſ-
ſen vergolten werden ſoll/ daß euch keiner
von euren Neben-Menſchen mehr den Hin-
dern lecken doͤrffe. Hieruͤber ſahen die Solda-
ten einander an/ weil ſie nicht wuſten/ was ſie thun
ſolten: Etliche vermeynten/ ſie haͤtten ein Geſpenſt/
ich aber gedachte/ es traͤume mir; ihr Officier hieſſe
dapffer zugraben: Sie kamen gleich auff ein Faß/
ſchlugens auff/ und fanden einen Kerl darinnen/ der
weder Naſen noch Ohren mehr hatte/ und gleichwol
noch lebte: So bald ſich derſelbe ein wenig ermun-
terte/ und vom Hauffen etliche kennete/ erzehlet er/
was maſſen die Bauren den vorigen Tag/ als einige
ſeines Regiments auff Fuͤtterung geweſt/ ihrer ſechs
gefangen bekommen/ davon ſie allererſt vor einer
Stund fuͤnffe/ ſo hinder-einander ſtehen muͤſſen/ todt
geſchoſſen; und weil die Kugel ihn/ weil er der ſechſte
und letzte geweſt/ nicht erlangt/ in dem ſie ſchon zu-
vor durch fuͤnff Coͤrper gedrungen/ haͤtten ſie ihm Na-
ſen und Ohren abgeſchnitten/ zuvor aber gezwungen/
daß er ihrer fuͤnffen (ſ.v.) den Hindern lecken muͤſſen:
Als er ſich nun von den Ehr- und Gotts-vergeſſenen
Schelmen ſo gar geſchmaͤhet geſehen/ haͤtte er ihnen/
wiewol ſie ihn mit dem Leben darvon laſſen wolten/
die aller-unnuͤtzſte Wort gegeben/ die er erdencken
moͤgen/ und ſie alle bey ihrem rechten Nahmen genen-
net/ der Hoffnung/ es wuͤrde ihm etwan einer auß
Ungedult eine Kugel ſchencken/ aber vergebens; ſon-
dern nachdem er ſie verbittert gemacht/ haͤtten ſie ihn
in gegenwaͤrtig Faß geſteckt/ und alſo lebendig begra-
den/ ſprechend: Weil er deß Todts ſo eyferig begehr/
wolten ſie ihm zum Poſſen hierinn nicht willfahren.
C ijJn
[50]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
Jn dem dieſer ſeinen uͤberſtandenen Jammer alſo
klaget/ kam ein andere Partey Soldaten zu Fuß
uͤberzwergs den Wald herauff/ die hatten obgedach-
te Bauren angetroffen/ fuͤnff davon gefangen bekom-
men/ und die uͤbrigen todt geſchoſſen; unter den Ge-
fangenen waren vier/ denen der uͤbel-zugerichte Reu-
ter kurtz zuvor ſo ſchaͤndlich zu Willen ſeyn muͤſſen.
Als nun beyde Parteyen auß dem Anſchreyen ein-
ander erkenneten/ einerley Volck zu ſeyn/ tratten ſie
zuſammen/ und vernamen wiederumb vom Reuter
ſelbſt/ was ſich mit ihm und ſeinen Cammeraden zu-
getragen; da ſolte man ſeinen blauen Wunder geſe-
hen haben/ wie die Bauren getrillt wurden/ etliche
wolten ſie gleich in der erſten Furi todt ſchieſſen/ an-
dere aber ſagten: Nein/ man muß die leichtfertigen
Voͤgel zuvor rechtſchaffen quaͤlen/ und ihnen ein-
traͤncken/ was ſie an dieſem Reuter verdient haben/
indeſſen bekamen ſie mit den Mußqueten ſo treffliche
Ribbſtoͤß/ daß ſie haͤtten Blut ſpeyen moͤgen; zuletzt
tratte ein Soldat hervor/ und ſagte: Jhr Herꝛen/
dieweil es der gantzen Soldateſca ein Schand iſt/
daß dieſen Schurcken (deutet damit auff den Reuter)
fuͤnff Bauren ſo greulich getrillt haben/ ſo iſt billich/
daß wir ſolchen Schandflecken wieder außleſchen/
und dieſe Schelmen den Reuter wieder hundert mal
lecken laſſen: Hingegen ſagte ein anderer/ dieſer
Kerl iſt nicht werth/ daß ihm ſolche Ehr widerfahre/
dann waͤre er kein Bernheuter geweſen/ ſo haͤtte er
allen redlichen Soldaten zu Spott dieſe ſchandliche
Arbeit nicht verꝛichtet/ ſondern waͤre tauſend mal
lieber geſtorben. Endlich wurde einhellig beſchloſſen/
daß ein jeder von den ſauber-gemachten Bauren/ ſol-
ches
[51]Erſtes Buch.
ches an zehen Soldaten alſo wett machen/ und zu
jedem mal ſagen ſolte: Hiermit leſche ich wider
auß/ und wiſche ab die Schand/ die ſich die
Soldaten einbilden empfangen zu haben/
als uns ein Bernheuter hinden leckte. Nach-
gehends wolten ſie ſich erſt reſolviren/ was ſie mit
den Bauren weiters anfahen wolten/ wenn ſie dieſe
ſaubere Arbeit verꝛichtet haben wuͤrden: Hierauff
ſchritten ſie zur Sach/ aber die Baurn warn ſo hals-
ſtarꝛig/ daß ſie weder durch Verheiſſung/ ſie mit dem
Leben darvon zu laſſen/ noch durch einigerley Mar-
ter/ hierzu gezwungen werden kunten. Einer fuͤhrte
den fuͤnfften Bauren/ der nicht geleckt war worden/
etwas beyſeits/ und ſagte zu ihm: Wenn du GOtt
und alle ſeine Heiligen verleugnen wilt/ ſo werde ich
dich lauffen laſſen/ wohin du begehreſt; Hierauff
antwortet der Baur/ Er haͤtte ſein Lebtag nichts auff
die Heilige gehalten/ und auch bißher noch geringe
Kundſchafft mit GOtt ſelbſt gehabt/ ſchwur auch
darauff ſolenniter, daß er Gott nicht kenne/ und kein
Theil an ſeinem Reich zu haben begehre; hierauff
jagte ihm der Soldat ein Kugel an die Stirn/ wel-
che aber ſo viel effectuirt/ als wann ſie an einen ſtaͤb-
lernen Berg gangen waͤre/ darauff zuckte er ſeine
Plauten/ und ſagte: Holla/ biſtu der Haar? ich hab
verſprochen/ dich lauffen zu laſſen/ wohin du begeh-
reſt/ ſihe/ ſo ſchicke ich dich nun ins hoͤlliſche Reich/
weil du nicht in Himmel wilt/ und ſpaltete ihm da-
mit den Kopff biß auff die Zaͤhn voneinander/ als er
dorthin fiele/ ſagte der Soldat: So muß man ſich
raͤchen/ und dieſe loſe Schelmen zeitlich und ewig
ſtraffen.
C iijJn
[52]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
Jndeſſen hatten die andern Soldaten die uͤbrigen
vier Bauren/ ſo geleckt waren worden/ auch unter-
handen/ die banden ſie uͤber einen umbgefallenen
Baum/ mit Haͤnden und Fuͤſſen zuſammen/ ſo art-
lich/ daß ſie (ſ.v.) den Hindern gerad in die Hoͤhe
kehrten/ und nachdem ſie ihnen die Hoſen abgezogen/
namen ſie etliche Klaffter Lunden/ machten Knoͤpff
daran/ und fidelten ihnen ſo unſaͤuberlich durch ſol-
chen hindurch/ daß der rothe Safft hernach gienge;
Alſo/ ſagten ſie/ muß man euch Schelmen den gerei-
nigten Hindern außtroͤcknen. Die Bauren ſchryen
zwar jaͤmmerlich/ aber es war den Soldaten nur ein
Kurtzweil/ dann ſie hoͤreten nicht auff zu ſaͤgen/ biß
Haut und Fleiſch gantz auff das Bein hinweg war;
mich aber lieſſen ſie wieder nach meiner Huͤtten ge-
ben/ weil die letzt-gemeldte Parthey den Weg wol
wuſte/ alſo kan ich nicht wiſſen/ was ſie endlich mit
den Bauren vollends angeſtellt haben.
DasXV.Capitel.
ALs ich wieder heim kame/ befand ich/ daß mein
Feurzeug und gantzer Haußrath/ ſampt allem
Vorꝛath an meinen armſeeligen Eſſenſpeiſen/ die
ich den Sommer hindurch in meinem Garten erzo-
gen/ und auff kuͤnfftigen Winter vorm Maul erſpart
hatte/ miteinander fort war: Wo nun hinauß? ge-
dachte ich/ damals lernete mich die Noth erſt recht
beten; Jch gebotte aller meiner wenigen Witz zu-
ſammen/ zu berathſchlagen/ was mir zu thun oder
zu laſſen ſeyn moͤchte? Gleich wie aber meine Er-
fahrenheit ſchlecht und gering war/ alſo konte ich
auch nichts rechtſchaffenes ſchlieſſen/ das beſte war/
daß
[53]Erſtes Buch.
daß ich mich GOtt befahl/ und mein Vertrauen al-
lein auff ihn zu ſetzen wuſte/ ſonſt haͤtte ich ohn Zweif-
fel deſperiren und zu Grund gehen muͤſſen: Uber das
lagen mir die Sachen/ ſo ich denſelben Tag gehoͤret
und geſehen/ ohn Unterlaß im Sinn/ ich dachte nicht
ſo viel umb Eſſenſpeiß und meiner Erhaltung nach/
als der jenigen Antipathia, die ſich zwiſchen Solda-
ten und Bauren enthaͤlt/ doch konte meine Alberkeit
nichts erſinnen/ als daß ich ſchloſſe/ es muͤſten ohn-
fehlbar zweyerley Menſchen in der Welt ſeyn/ ſo
nicht einerley Geſchlechts von Adam her/ ſondern
wilde und zabme waͤren/ wie andere unvernuͤnfftige
Thier/ weil ſie einander ſo grauſam verfolgen.
Jn ſolchen Gedancken entſchlieff ich vor Unmuth
und Kaͤlte/ mit einem hungerigen Magen/ da duͤnckte
mich/ gleich wie in einem Traum/ als wenn ſich alle
Baͤum/ die umb meine Wohnung ſtunden/ gaͤhling
veraͤnderten/ und ein gantz ander Anſehen gewoͤnnen/
auff jedem Giffel ſaſſe ein Cavallier/ und alle Aeſt
wurden an ſtatt der Blaͤtter mit allerhand Kerlen ge-
ziert; von ſolchen hatten etliche lange Spieß/ andere
Mußqueten/ kurtze Gewehr/ Partiſanen/ Faͤhnlein/
auch Trommeln und Pfeiffen Diß war luſtig anzu-
ſehen/ weil alles ſo ordentlich und fein grad-weis ſich
außeinander theilete; die Wurtzel aber war von un-
guͤltigen Leuten/ als Handwerckern/ Tagloͤhnern/
mehrentheils Bauren und dergleichen/ welche nichts
deſto weniger dem Baum ſeine Krafft verliehen/
und wieder von neuem mittheilten/ wann er ſolche
zu Zeiten verlor; ja ſie erſetzten den Mangel der ab-
gefallenen Blaͤtter auß den ihrigen/ zu ihrem eigenen
noch groͤſſeren Verderben; benebens ſeufftzeten ſie
C jvuͤber
[54]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
uͤber die jenige/ ſo auff dem Baum ſaſſen/ und zwar
nicht unbillich/ dann der gantze Laſt deß Baums lag
auff ihnen/ und druckte ſie dermaſſen/ daß ihnen alles
Geld auß den Beuteln/ ja hinder ſieben Schloſſen
herfuͤr gieng/ wann es aber nicht herfuͤr wolte/ ſo
ſtriegelten ſie die Commiſſarios mit Beſemen/ die
man militariſche Execution nennete/ daß ihnen die
Seufftzer auß dem Hertzen/ die Threnen auß den
Augen/ das Blut auß den Naͤgeln/ und das Marck
auß den Beinen herauß gienge/ noch dannoch waren
Leut unter ihnen/ die man Fatzvoͤgel nennete; dieſe
bekuͤmmerten ſich wenig/ namen alles auff die leichte
Achſel/ und hatten in ihrem Creutz an ſtatt deß Troſts
allerhand Geſpey.
DasXVI.Capitel.
ALſo muſten ſich die Wurtzeln dieſer Baͤume in
lauter Muͤhſeeligkeit und lamentiren/ die jenige
aber auff den unterſten Aeſten in viel groͤſſerer Muͤh/
Arbeit und Ungemach gedulden und durchbringen;
doch waren dieſe jeweils luſtiger als jene/ darneben
aber auch trotzig/ tyranniſch/ mehrentheils gottlos/
und der Wurtzel jederzeit ein ſchwerer unertraͤglicher
Laſt/ umb ſie ſtunde dieſer Reim:
Dieſe Reimen waren umb ſo viel deſto weniger
erlogen/ weil ſie mit ihren Wercken uͤberein ſtimm-
ten/ dem Freſſen und Sauffen/ Hunger und Durſt
leiden/ huren und buben/ raßlen und ſpielen/ ſchlem-
men
[55]Erſtes Buch.
men und demmen/ morden/ und wieder ermordet
werden/ todt ſchlagen/ und wieder zu todt geſchla-
gen werden/ tribulirn/ und wieder getrillt werden/
jagen/ und wieder gejaget werden/ aͤngſtigen/ und
wieder geaͤngſtiget werden/ rauben/ und wieder be-
raubt werden/ pluͤndern/ und wieder gepluͤndert wer-
den/ ſich foͤrchten/ und wieder gefoͤrchtet werden/
Jammer anſtellen/ und wieder jaͤmmerlich leiden/
ſchlagen/ und wieder geſchlagen werden; und in
Summa nur verderben und beſchaͤdigen/ und hin-
gegen wieder verderbt und beſchaͤdigt werden/ war
ihr gantzes Thun und Weſen; Woran ſie ſich we-
der Winter noch Som̃er/ weder Schnee noch Eiß/
weder Hitz noch Kaͤlt/ weder Regen noch Wind/
weder Berg noch Thal/ weder Felder noch Moraſt/
weder Graͤben/ Paͤß/ Meer/ Mauren/ Waſſer/
Feuer/ noch Waͤlle/ weder Vatter noch Mutter/
Bruͤder und Schweſtern/ weder Gefahr ihrer eige-
nen Leiber/ Seelen und Gewiſſen/ ja weder Verluſt
deß Lebens/ noch deß Himmels/ oder ſonſt einig an-
derer Ding/ wie das Nahmen haben mag/ verhin-
dern lieſſen: Sondern ſie weberten in ihren Wer-
cken immer embſig fort/ biß ſie endlich nach und nach
in Schlachten/ Belaͤgerungen/ Stuͤrmen/ Feld-
Zůgen/ und in den Quartieren ſelbſten/ (ſo doch der
Soldaten irdiſche Paradeis ſind/ ſonderlich wenn
ſie fette Bauren antreffen) umbkamen/ ſtarben/ ver-
darben und crepirten; biß auff etlich wenige/ die in
ihrem Alter/ wann ſie nicht wacker geſchunden und
geſtolen hatten/ die allerbeſte Bettler und Landſtuͤr-
tzer abgaben: Zu naͤchſt uͤber dieſen muͤhſeeligen Leu-
ten ſaſſen ſo alte Huͤnerfaͤnger/ die ſich etlich Jahr
C vmit
[56]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
mit hoͤchſter Gefahr auff den unterſten Aeſten beholf-
fen/ durch gebiſſen/ und das Gluͤck gehabt hatten/ dem
Todt biß dahin zu entlauffen/ dieſe ſahen ernſtlich und
etwas reputirlicher auß/ als die unterſte/ weil ſie
umb einen gradum hinauff geſtiegen waren; aber
uͤber ihnen befanden ſich noch hoͤhere/ welche auch
hoͤhere Einbildungen hatten/ weil ſie die unterſte zu
commandiren/ dieſe nennte man Wammesklopffer/
weil ſie den Picquenirern mit ihren Pruͤgeln und
Hellenpotzmarter den Rucken ſo wol/ als den Kopff
abzufegen/ und den Mußquetierern Baumoͤl zu ge-
ben pflegten/ ihr Gewehr damit zu ſchmieren. Uber
dieſen hatte deß Baumes Stamm einen Abſatz oder
Unterſcheid/ welches ein glattes Stuͤck war/ ohne
Aeſt/ mit wunder barlichen Materialien und ſeltzamer
Saiffen deß Mißgunſts geſchmieret/ alſo daß kein
Kerl/ er ſey dann vom Adel/ weder durch Mannheit/
Geſchickligkeit noch Wiſſenſchafft hinauff ſteigen
konte/ Gott geb wie er auch klettern koͤnte; dann es
war glaͤtter polirt/ als ein marmorſteinerne Saͤul/
oder ſtaͤhlerner Spiegel; uͤber demſelben Ort ſaſſen
die mit den Faͤhnlein/ deren waren theils jung/ und
theils bey zimlichen Jahren/ die Junge hatten ihre
Vettern hinauff gehoben/ die Alte aber waren zum
theil von ſich ſelbſt hinauff geſtiegen/ entweder auff
einer ſilbernen Laͤiter/ die man Schmiralia nennet/
oder ſonſt auff einem Steg/ den ihnen das Gluͤck auß
Mangel anderer gelegt hatte. Beſſer oben ſaſſen noch
boͤhere/ die auch ihre Muͤhe/ Sorg und Anfechtung
hatten/ ſie genoſſen aber dieſen Vortheil/ daß ſie ihre
Beutel mit dem jenigen Speck am beſten ſpicken koͤn-
nen/ welchen ſie mit einem Meſſer/ das ſie Contribu-
tion
[57]Erſtes Buch.
tion nenneten/ auß der Wurtzel ſchnitten; am thun-
lichſten und geſchickteſten fiele es ihnen/ wann ein
Commiſſarius daher kam/ und ein Wanne voll Geld
uͤber den Baum abſchuͤttete/ ſolchen zu erquicken/ daß
ſie das beſte von oben herab aufffiengen/ und den un-
terſten ſo viel als nichts zukommen lieſſen; dahero
pflegten von den unterſten mehr Hungers zu ſterben/
als ihrer vom Feind umbkamen/ welcher Gefahr
miteinander die hoͤchſte entuͤbriget zu ſeyn ſchienen.
Dahero war ein unauffhoͤrliches gegrabel und auff-
kletterns an dieſen Baum/ weil jeder gerne an den
obriſten gluͤckſeeligen Orten ſitzen wolte/ doch wa-
ren etliche faule liederliche Schlingel/ die das Com-
miſs brot zu freſſen nicht werth waren/ welche ſich
wenig umb ein Oberſtell bemuͤheten/ und ein weg als
den andern thun muſten/ was ihr Schuldigkeit er-
fordert; die unterſte/ was Ehrgeitzig war/ hoffeten
auff der obern Fall/ damit ſie an ihren Ort ſitzen
moͤchten/ und wann es unter zehentauſenden einem
geriethe/ daß er ſo weit gelangte/ ſo geſchahe ſolches
erſt in ihrem verdruͤßlichen Alter/ da ſie beſſer hindern
Ofen taugten Aepffel zu braten/ als im Feld vorm
Feind zu ligen/ und wann ſchon einer wol ſinnde/
und ſeine Sach rechtſchaffen verꝛichtete/ ſo wurde
er von andern geneidet/ oder ſonſt durch einen ohn-
verſehenlichen ungluͤcklichen Dunſt beydes der Schar-
ge und deß Lebens beraubt/ nirgends hielte es haͤr-
ter/ als an obgemeldtem glatten Ort/ dann welcher
einen guten Feldwaibel oder Schergianten hatte/ ver-
lor ihn ungern/ welches aber geſchehen muſte/ wenn
man ein Faͤhnrich auß ihm gemacht haͤtte. Man nam
dahero/ an ſtatt der alten Solbaten/ viel lieber
C vjPlanck-
[58]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Planckſchmeiſſer/ Cammerdiener/ erwachſene Page/
arme Edelleut/ irgends Vettern und ſonſt Schma-
rotzer und Hungerleider/ die denen/ ſo etwas meri-
tirt/ das Brot vorm Maul abſchnitten/ und Faͤhnrich
wurdeu.
DasXVII.Capitel.
DJeſes verdroß einen Feldwaibel ſo ſehr/ daß er
trefflich anfienge zu ſchmaͤlen/ aber Adelhold
ſagte: Weiſtu nicht/ daß man je und allwegen die
Kriegs-Aempter mit Adelichen Perſonen beſetzt hat?
als welche hierzu am tauglichſten ſeyn; graue Baͤrt
ſchlagen den Feind nicht/ man koͤnte ſonſt ein Heerd
Boͤck zu ſolchem Geſchaͤfft dingen/ es heiſt:
Sag mir/ du alter Krachwadel/ ob nicht Edel-ge-
borne Officier von der Soldateſca beſſer reſpectiret
werden/ als die jenige/ ſo zuvor gemeine Knecht ge-
weſen? und was iſt vor Kriegs-Diſciplin zu halten/
wo kein rechter Reſpect iſt? darff nicht der Feldherꝛ
einem Cavallier mehr vertrauen/ als einem Bauren-
buden/ der ſeinem Vatter vom Pflug entloffen/ und
ſeinen eigenen Eltern kein gut thun wollen? Ein
rechtſchaffener Edelmann/ ehe er ſeinem Geſchlecht
durch Ureu/ Feld-Flucht/ oder ſonſt etwas der-
gleichen
[59]Erſtes Buch.
gleichen einen Schandflecken anhenckte/ ehe wuͤrde
er ehrlich ſterben: Zu dem gebuͤhrt dem Adel der Voꝛ-
zug in allwege/ wie ſolches leg. Honor. dig. de honor.
zu ſehen. Joannes de Platea will außdruͤcklich/ daß
man in Beſtallung der Aempter dem Adel den Vor-
zug laſſen/ und die Edelleut den Plebejis ſchlecht ſoll
vorziehen; ja ſolches iſt in allen Rechten braͤuchlich/
und wird in H. Schrifft beſtetigt/ dann Beata terra,
cujus Rex nobilis eſt, ſagt Syrach cap. 10. welches ein
herꝛlich Zeugnus iſt deß Vorzugs/ ſo dem Adel ge-
buͤhrt. Und wann ſchon einer von euch ein guter
Soldat iſt/ der Pulver riechen/ und in allen Bege-
benheiten treffliche Anſchlaͤg geben kan/ ſo iſt er da-
rumb nicht gleich tuͤchtig/ andere zu commandiren;
da hingegen dieſe Tugend dem Adel angeborn/ oder
von Jugend auff angewehnet wird. Seneca ſagt:
Habet hoc proprium generoſus animus, quod con-
citatur ad honeſta, \& neminem excelſi Ingenij Virum
humilia delectant, \& ſordida. Welches auch Fauſtus
Poëta in dieſem Dyſticho exprimirt hat:
Si te ruſticitas vilem genuiſſet agreſtis,
Nobilitas animi non foret iſta tui.
Uber das hat der Adel mehr Mittel/ ihren Untergehoͤ-
rigen mit Geld/ und den ſchwachen Compagnien
mit Volck zu helffen/ als ein Bauer: So ſtuͤnde es
auch nach dem gemeinen Spruͤchwort nicht fein/
wann man den Bauren uͤber den Edelmann ſetzte;
auch wuͤrden die Bauren viel zu hoffaͤrtig/ wenn man
ſie alſo ſtrack zu Herꝛen machte/ dann man ſagt:
Haͤtten die Bauren durch lang-hergebrachte loͤbliche
C vijGewon-
[60]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Gewonheit die Kriegs- und andere Aempter in Poſ-
ſeſſion, wie der Adel/ ſo wuͤrden ſie gewißlich ſo bald
keinen Edelmann einkom̃en laſſen; zu dem/ ob man
euch Soldaten von Fortun (wie ihr genennet werdet)
ſchon offt gerne helffen wolte/ daß ihr zu hoͤhern Eh-
ren erhaben wuͤrdet/ ſo ſeyt ihr aber alsdann gemei-
niglich ſchon ſo abgelebt/ wenn man euch probirt
hat/ und eines beſſern wuͤrdig ſchaͤtzet/ daß man Be-
denckens haben muß/ euch zu befoͤrdern; dann da iſt
die Hitz der Jugend verloſchen/ und gedencket ihr nur
ſchlechts dahin/ wie ihr euren krancken Leibern/ die
durch viel erſtandene Widerwertigkeit außgemer-
gelt/ und zu Kriegs-Dienſten wenig mehr nutz ſeyn/
guͤtlich thun/ und wol pflegen moͤget/ GOtt geb/
wer fechte und Ehr einlege; hingegen aber iſt ein
junger Hund zum Jagen viel freudiger/ als ein alter
Loͤw.
Der Feldwaibel antwortet: Welcher Narꝛ wolte
dann dienen/ wenn er nicht hoffen darff/ durch ſein
Wolverhalten befoͤrdert/ und alſo umb ſeine getreue
Dienſt belohnt zu werden: Der Teuffel hol ſolchen
Krieg! Auff dieſe Weis gilts gleich/ ob ſich einer
wol haͤlt/ oder nicht. Jch hab von unſerm alten Ob-
riſten vielmals gehoͤrt/ daß er keinen Soldaten un-
ter ſein Regiment begehre/ der ihm nicht veſtiglich
einbilde/ durch Wolverhalten ein General zu werden.
So muß auch alle Welt bekennen/ daß die jenige
Nationen/ ſo gemeinen/ aber doch rechtſchaffenen
Soldaten foꝛt helffen/ und ihre Dapfferkeit bedencken/
gemeiniglich victoriſiren/ welches man an den Per-
ſern und Tuͤrcken wol ſihet. Es heiſt/
Die
[61]Erſtes Buch.
Adelhold antwortet: Wenn man eines redlichen
Manns rechtſchaffene Qualitaͤten ſihet/ ſo wird er
freylich nicht uͤberſehen/ maſſen man heutiges Tags
viel findet/ welche vom Pflug/ von der Nadel/ von
dem Schuſter-Laͤiſt/ und vom Schaͤferſtecken zum
Schwerd gegriffen/ ſich wol gehalten/ und durch
ſolche ihre Dapfferkeit/ weit uͤber den gemeinen Adel/
in Grafen- und Freyherꝛen- Stand geſchwungen;
Wer war der Kaͤiſerliche Johann von Werd? wer
der Schwediſche Stallhans? wer der Heſſiſche
Kleine Jacob und S. Andreas? Jhres gleichen ſind
noch viel bekant/ die ich Kuͤrtze halber nicht alle nen-
nen mag. Jſt alſo gegenwaͤrtiger Zeit nichts neues/
wird auch bey der Poſteritaͤt nicht abgehen/ daß ge-
ringe/ doch redliche Leut/ durch Krieg zu hohen Eh-
ren gelangen/ welches auch bey den Alten geſchehen:
Tamerlanes iſt ein maͤchtiger Koͤnig/ und ſchroͤckliche
Forcht der gantzen Welt worden/ der doch zuvor
nur ein Saͤuhirt war; Agathocles Koͤnig in Sicilien/
iſt eines Hafners Sohn geweſen; Thelephas ein
Wagner/ wurde Koͤnig in Lydien; deß Kaͤiſers Va-
lentiniani Vatter war ein Saͤiler; Mauritius Cappa-
dox, ein leib eigener Knecht/ ward nach Tiberio Kaͤi-
ſer; Joannes Zemiſces kam auß der Schulen zum
Kaͤiſer-
[62]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Kaͤiſerthumb. So bezeuget Flavius Vobiſcus, daß
Bonoſus Imperator eines armen Schul-Meiſters
Sohn geweſt ſeye; Hyperbolus, Chermidis Sohn/
war erſtlich ein Laternen-macher/ und nachgehends
Fuͤrſt zu Athen; Juſtinus, ſo vor Juſtiniano regierte/
war vor ſeinem Kaͤiſerthumb ein Saͤuhirt; Hugo
Capetus eines Metzgers Sohn/ hernach Koͤnig in
Franckreich; Pizarrus gleichfalls ein Schweinhirt/
und hernach Marggraf in den Weſt-Jndianiſchen
Laͤndern/ welcher das Gold mit Centern außzuwaͤ-
gen hatte.
Der Feldwaibel antwort: Diß alles lautet zwar
wol auff meinen Schrot/ indeſſen ſehe ich aber wol/
daß uns die Thuͤren/ zu ein und anderer Wuͤrde zu
gelangen/ durch den Adel verſchloſſen gehalten wer-
den. Man ſetzt den Adel/ wann er nur auß der Scha-
len gekrochen/ gleich an ſolche Ort/ da wir uns nim-
mermehr keine Gedancken hin machen doͤrffen/ wenn
wir gleich mehr gethan haben/ als mancher Nobiliſt,
den man jetzt fuͤr einen Obriſten vorſtellet. Und gleich
wie unter den Bauren manch edel Ingenium verdirbt/
weil es auß Mangel der Mittel nicht zu den Studiis
angehalten wird: Alſo veraltet mancher wackerer
Soldat unter ſeiner Mußquet/ der billicher ein Re-
giment meritirte/ und dem Feldherꝛn groſſe Dienſte
zu leiſten wuͤſte.
DasXVIII.Capitel.
JCh mochte dem alten Eſel nicht mehr zuhoͤren/
ſondern goͤnnete ihm/ was er klagte/ weil er offt
die arme Soldaten pruͤgelte wie die Hund: Jch wen-
det mich wieder gegen den Baͤumen/ deren das gantze
Land
[63]Erſtes Buch.
Land voll ſtunde/ und ſahe/ wie ſie ſich bewegten/
und zuſammen ſtieſſen/ da praſſelten die Kerl Hauf-
fenweis herunder/ Knall und Fall war eins; augen-
blicklich friſch und todt/ in einem Huy verlor einer
ein Arm/ der ander ein Bein/ der dritte den Kopff
gar. Als ich ſo zuſahe/ bedauchte mich/ alle die je-
nige Baͤum/ die ich ſahe/ waͤren nur ein Baum/ auff
deſſen Gipffel ſaſſe der Kriegs-Gott Mars, und bedeck-
te mit deß Baums Aeſten gantz Europam; Wie ich
davor hielte/ ſo haͤtte dieſer Baum die gantze Welt
uͤberſchatten koͤnnen/ weil er aber durch Neid und
Haß/ durch Argwohn und Mißgunſt/ durch Hoffart/
Hochmuth und Geitz/ und andere dergleichen ſchoͤne
Tugenden/ gleich wie von ſcharffen Nord-Winden
angewehet wuͤrde/ ſchiene er gar duͤnn und durch-
ſichtig/ dahero einer folgende Reimen an den Stam̃
geſchrieben hat:
Von dem gewaltigen Geraſſel dieſer ſchaͤdlichen
Wind/ und Zerſtuͤm̃lung deß Baums ſelbſten/ ward
ich auß dem Schlaff erweckt/ und ſahe mich nur al-
lein in meiner Huͤtten. Dahero fieng ich wieder an
zu gedencken/ was ich doch immermehr anfangen
ſolte? im Wald zu bleiben war mir unmuͤglich/ weil
mir alles ſo gar hinweg genommen worden/ daß ich
mich
[64]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
mich nicht mehr auffhalten konte/ nichts war mehr
uͤbrig/ als noch etliche Buͤcher/ welche hin und her
zerſtreut/ und durcheinander geworffen lagen: Als
ich ſolche mit weynenden Augen wieder aufflaſe/ und
zugleich Gott inniglich anruffte/ er wolte mich doch
leiten und fuͤhren/ wohin ich ſolte/ da fand ich ohn-
gefaͤhr ein Brieflein/ das mein Einſidel bey ſeinem
Leben noch geſchrieben hatte/ das lautet alſo: Lieber
Simplici, wann du diß Briefflein findeſt/ ſo gehe als-
bald auß dem Wald/ und erꝛette dich und den Pfarꝛer
auß gegenwaͤrtigen Noͤthen/ denn er hat mir viel
guts gethan: Gott/ den du allweg vor Augen haben/
und fleiſſig beten ſolleſt/ wird dich an ein Ort bringen/
das dir am bequemſten iſt. Allein habe denſelbigen
ſtets vor Augen/ und befleiſſige dich/ ihm jederzeit
dergeſtalt zu dienen/ als wann du noch in meiner Ge-
genwart im Wald waͤreſt/ bedencke und thue ohne
Unterlaß meine letzte Reden/ ſo wirſtu beſtehen moͤ-
gen: Vale.
Jch kuͤßte diß Briefflein und deß Einſidlers Grab
zu viel 1000. malen/ und machte mich auff den
Weg/ Menſchen zu ſuchen/ biß ich deren finden moͤch-
te/ gieng alſo zween Tag einen geraden Weg fort/
und wie mich die Nacht begriff/ ſuchte ich ein holen
Baum zu meiner Herberg/ mein Zehrung war nichts
anders als Buchen/ die ich unterwegs aufflaſe/ den
dritten Tag aber kame ich ohnweit Gelnhauſen auff
ein zimlich eben Feld/ da genoſſe ich gleichſam eines
Hochzeitlichen Mahls/ dann es lag uͤberall voller
Garben auff dem Feld/ welche die Bauren/ weil ſie
nach der nahmhafften Schlacht vor Noͤrdlingen ver-
jagt worden/ zu meinem Gluͤck nicht einfuͤhren koͤn-
nen/
[65]Erſtes Buch.
nen/ in deren einer macht ich mein Nachtlaͤger/ weil
es grauſam kalt war/ und ſaͤttigte mich mit außge-
riebenen Waitzen/ dergleichen ich lang nicht genoſ-
ſen.
DasXIX.Capitel.
DA es taget/ fuͤttert ich mich wieder mit Waitzen/
begab mich zum naͤchſten auff Gelnhauſen/ und
fande daſelbſt die Thor offen/ welche zum theil ver-
brennet/ und jedoch noch halber mit Miſt verſchantzt
waren: Jch gieng hinein/ konte aber keines leben-
digen Menſchen gewahr werden/ hingegen lagen die
Gaſſen hin und her mit Todten uͤberſtreut/ deren et-
liche gantz/ etliche aber biß auffs Hemd außgezogen
waren. Dieſer jaͤmmerliche Anblick war mir ein er-
ſchroͤcklich Spectacul, maſſen ihm jederman ſelbſten
wol einbilden kan/ meine Einfalt konte nicht erſin-
nen/ was vor ein Ungluͤck das Ort in einen ſolchen
Stand geſetzt haben muͤſte. Jch erfuhre aber ohn-
laͤngſt hernach/ daß die Kaͤiſerliche Voͤlcker etliche
Weymariſche daſelbſt uͤberꝛumpelt. Kaum zween
Steinwuͤrff weit kam ich in die Statt/ als ich mich
derſelben ſchon ſatt geſehen hatte/ derowegen kehrete
ich wieder umb/ gieng durch die An neben hin/ und
kam auff ein gaͤnge Landſtraß/ die mich vor die herꝛ-
liche Veſtung Hanau trug: So bald ich deren erſte
Wacht erſahe/ wolte ich durchgehen/ aber mir ka-
men gleich zween Mußquetier auff den Leib/ die mich
anpackten/ und in ihre Corps de Guarde fuͤhrten.
Jch muß dem Leſer nur auch zuvor meinen dama-
ligen viſirlichen Auffzug erzehlen/ ehe daß ich ihm
ſage/ wie mirs weiter gieng/ dann meine Kleidung
und
[66]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
und Geberden waren durchauß ſeltzam/ verwunder-
lich und widerwertig/ ſo/ daß mich auch der Gouver-
neur abmahlen laſſen: Erſtlich waren meine Haar
in dritthalb Jahren weder auff Griechiſch/ Teutſch
noch Frantzoͤſtſch abgeſchnitten/ gekampelt noch ge-
kraͤuſelt oder gebuͤfft worden/ ſondern ſie ſtunden in
ihrer natuͤrlichen Verwirꝛung noch/ mit mehr als
jaͤhrigem Staub/ an ſtatt deß Haar-Plunders/ Pu-
ders oder Pulvers (wie man das Narꝛen- oder Naͤr-
rin-werck nennet) durchſtreuet/ ſo zierlich auff mei-
nem Kopff/ daß ich darunter herfuͤr ſahe mit meinem
bleichen Angeſicht/ wie ein Schleyer-Eul die knap-
pen will/ oder ſonſt auff eine Mauß ſpannet. Und weil
ich allzeit paarhaͤuptig zu gehen pflegte/ meine Haar
aber von Natur krauß waren/ hatte es das Anſehen/
als wenn ich ein Tuͤrckiſchen Bund auffgehabt haͤtte;
Der uͤbrige Habit ſtimmte mit der Hauptzierd uͤber-
ein/ dann ich hatte meines Einſidlers Rock an/ wann
ich denſelben anders noch einen Rock nennen darff/
dieweil das erſte Gewand/ darauß er geſchnitten wor-
den/ gaͤntzlich verſchwunden/ und nichts mehr dar-
von uͤbrig geweſen/ als die bloſſe Form/ welche mehr
als tauſend Stuͤcklein allerhand-faͤrbiges zuſammen
geſetztes/ oder durch vielfaͤltiges flicken aneinander
genaͤhetes Tuch/ noch vor Augen ſtellte. Uber dieſem
abgangenem/ und doch zu vielmalen verbeſſertem
Rock/ trug ich das haͤrin Hemd/ an ſtatt eines Schul-
der-Kleids/ (weil ich die Ermel an ſtatt eines paar
Struͤmpffs brauchte/ und dieſelbe zu ſolchem Ende
herab getrennet hatte) der gantze Leib aber war mit
eiſernen Ketten/ hinden und vornen fein Creutz-
weis/ wie man Sanctum Wilhelmum zu mahlen
pflegt
[67]Erſtes Buch.
pflegt/ umbguͤrtet/ ſo daß es faſt eine Gattung abgab/
wie mit denen/ ſo vom Tuͤrcken gefangen/ und vor
ihre Freunde zu bettlen/ im Land umbziehen; meine
Schuh waren auß Holtz geſchnitten/ und die Schuh-
baͤndel auß Rinden von Lindeubaͤumen geweben/ die
Fuͤß ſelbſt aber ſahen ſo Krebs-roth auß/ als wann
ich ein paar Struͤmpff von Spaniſch Leibfarb an-
gehabt/ oder ſonſt die Haut mit Fernambuc gefaͤrbt
haͤtte: Jch glaube/ wenn mich damals ein Gauck-
ler/ Marcktſchreyer oder Landfahrer gehabt/ und vor
einen Samojeden oder Gruͤnlaͤnder dargeben/ daß er
manchen Narꝛen angetroffen/ der ein Creutzer an
mir verſehen haͤtte. Ob nun zwar ein jeder Verſtaͤn-
diger auß meinem magern und außgehungerten An-
blick/ und hinlaͤſſiger Auffziehung ohnſchwer ſchlieſ-
ſen koͤnnen/ daß ich auß keiner Garkuͤchen/ oder auß
dem Frauenzimmer/ weniger von irgend eines groſ-
ſen Herꝛn [Hofhaltung] entloffen/ ſo wurde ich jedoch
unter der Wacht ſtreng examinirt/ und gleich wie
ſich die Soldaten an mir vergafften/ alſo betrachtet
ich hingegen ihres Officiers dollen Auffzug/ dem ich
Red und Antwort geben muſte; Jch wuſte nicht/ ob
er Sie oder Er waͤre/ dann er trug Haar und Bart
auff Frantzoͤſtſch/ zu beyden Seiten hatte er lange
Zoͤpff herunder hangen wie Pferds-Schwaͤntz/ und
ſein Bart war ſo elend zugerichtet/ und verſtuͤmpelt/
daß zwiſchen Maul und Naſen nur noch etlich wenig
Haar ſo kurtz darvon kommen/ daß man ſie kaum ſe-
hen konte: Nicht weniger ſetzten mich ſeine weite
Hoſen/ ſeines Geſchlechts halber in nicht geringen
Zweiffel/ als welche mir vielmehr einen Weiber-
Rock/ als ein paar Manns-Hoſen vorſtelleten. Jch
gedach-
[68]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
gedachte bey mir ſelbſt/ iſt diß ein Mann? ſo ſolte er
auch einen rechtſchaffenen Bart haben/ weil der Geck
nicht mehr ſo jung iſt/ wie er ſich ſtellet: Jſts aber ein
Weib/ warumb hat die alte Hur dann ſo viel Stupf-
feln umbs Maul? Gewißlich iſts ein Weib/ gedacht
ich/ dann ein ehrlicher Mann wird ſeinen Bart wol
nimmermehr ſo jaͤmmerlich verketzern laſſen; maſſen
die Boͤcke auß groſſer Schamhafftigkeit keinen Tritt
unter frembde Heerden gehen/ wenn man ihnen die
Baͤrt ſtutzet. Und demnach ich alſo im Zweiffel ſtun-
de/ und nicht wuſte/ was die jetzige Mode war/ hielte
ich ihn endlich vor Mann und Weib zugleich.
Dieſes maͤnniſche Weib/ oder dieſer weibiſche
Mann/ wie er mir vorkam/ lieſſe mich uͤberall beſu-
chen/ fande aber nichts bey mir/ als ein Buͤchlein
von Bircken-Rinden/ darinn ich meine taͤgliche Ge-
bet geſchrieben/ und auch das jenige Zettelein ligen
hatte/ das mir mein frommer Einſidel/ wie in vori-
gem Capitel gemeldet worden/ zum Valete hinder-
laſſen/ ſolches nam er mir; weil ichs aber ohngern
verlieren wolte/ fiel ich vor ihm nider/ faßte ihn umb
beyde Knie/ und ſagte: Ach mein lieber Hermaphro-
dit, laſt mir doch mein Gebetbuͤchlein! Du Narꝛ/
antwortet er/ wer Teuffel hat dir geſagt/ daß ich
Herman heiſſe? Befahl darauff zweyen Solda-
ten/ mich zum Gubernator zu fuͤhren/ welchen er
beſagtes Buch mit gab/ weil der Phantaſt ohne das/
wie ich gleich merckte/ ſelbſt weder leſen noch ſchrei-
ben konte.
Alſo fuͤhrete man mich in die Statt/ und jederman
lieff zu/ als wenn ein Meer-Wunder auff die Schau
gefuͤhrt wurde; und gleich wie mich jedweder ſehen
wolte
[69]Erſtes Buch.
wolte/ alſo machte auch jeder etwas beſonders auß
mir/ etliche hielten mich vor einen Spionen/ andere
vor ein Unſinnigen/ andere vor ein wilden Menſchen/
und aber andere vor ein Geiſt/ Geſpenſt/ oder ſonſt
vor ein Wunder/ welches etwas beſonders bedeuten
wuͤrde: Auch waren etliche/ die hielten mich vor ein
Narꝛen/ welche wol am naͤchſten zum Zweck geſchoſ-
ſen haben moͤchten/ wann ich den lieben GOtt nicht
gekennet haͤtte.
DasXX.Capitel.
ALs ich vor den Gubernator gebracht wurde/ fragte
er mich/ wo ich herkaͤme? Jch aber antwortet/
ich wuͤſte es nicht: Er fragt weiter/ wo wilſtu dann
hin? Jch antwortet abermal/ ich weiß nicht: was
Teuffel weiſtu dann/ fragte er ferner/ was iſt dann
dein Handtierung? Jch antwortet noch wie vor/
ich wuͤſte es nicht: Er fragte/ wo biſtu zu Hauß?
und als ich wiederumb antwortet/ ich wuͤſte es nicht/
veraͤndert er ſich im Geſicht/ nicht weiß ich/ obs auß
Zorn oder Verwunderung geſchahe? Dieweil aber
jederman das Boͤſe zu argwohnen pflegt/ zumalen
der Feind in der Naͤhe war/ als welcher allererſt/ wie
gemeldt/ die vorige Nacht Gelnhauſen eingenom̃en/
und ein Regiment Dragoner darinn zu ſchanden ge-
macht hatte/ fiele er denen bey/ die mich vor einen
Verꝛaͤther oder Kundſchaffter hielten/ befahl da-
rauff/ man ſolte mich beſuchen; Als er aber von den
Soldaten von der Wacht/ ſo mich zu ihm gefuͤhret
hatten/ vername/ daß ſolches ſchon beſchehen/ und
anders nichts bey mir gefunden worden waͤre/ als
gegenwaͤrtiges Buͤchlein/ welches ſie ihm zugleich
uͤber-
[70]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
uͤberꝛeichten/ laſe er ein paar Zeilen darnach/ und
fragte mich/ wer mir das Buͤchlein geben haͤtte? ich
antwortet/ es waͤre von Anfang mein eigen geweſt/
dann ich haͤtte es ſelbſt gemacht und uͤberſchrieben:
Er fragte/ warumb eben auff birckene Rinden? Jch
antwortet/ weil ſich die Rinden von andern Baͤumen
nicht darzu ſchicken: Du Flegel/ ſagte er/ ich frage/
warumb du nicht auff Papier geſchrieben haſt? Ey/
antwortet ich/ wir haben keins mehr im Wald ge-
habt: Der Gubernator fragte/ Wo? in welchem
Wald? Jch antwortet wieder auff meinen alten
Schrot/ ich wuͤſte es nicht.
Da wandte ſich der Gubernator zu etlichen von
ſeinen Officiern/ die ihm eben auffwarteten/ und ſag-
te: Entweder iſt dieſer ein Ertz-Schelm/ oder gar
ein Narꝛ! zwar kan er kein Narꝛ ſeyn/ weil er ſo
ſchreibt; und in dem als er ſo redet/ blaͤttert er in
meinem Buͤchlein ſo ſtarck herumb/ ihnen mein ſchoͤ-
ne Handſchrifft zu weiſen/ daß deß Einſidlers Brief-
lein herauß fallen muſte/ ſolches lieſſe er auffheben/
ich aber entfaͤrbte mich daruͤber/ weil ich ſolches vor
meinen hoͤchſten Schatz und Heiligthumb hielte;
welches der Gubernator wol in acht nam/ und daher
noch ein groͤſſern Argwohn der Verꝛaͤtherey ſchoͤpff-
te/ vornemlich als er das Briefflein auffgemacht
und geleſen hatte/ dann er ſagte: Jch kenne einmal
dieſe Hand/ und weiß/ daß ſie von einem mir wolbe-
kandten Kriegs-Officier geſchrieben worden iſt/ ich
kan mich aber nicht erinnern/ von welchem? ſo kam
ihm auch der Jnhalt ſelbſt gar ſeltzam und ohnver-
ſtaͤndlich vor/ dann er ſagte: Diß iſt ohne Zweiffel
eine abgeredte Sprach/ die ſonſt niemand verſtehet/
als
[71]Erſtes Buch.
als der jenig/ mit dem ſie abgeredt worden. Mich
aber fragte er/ wie ich hieſſe? und als ich antwortet
Simplicius, ſagte er: Ja ja/ du biſt eben deß rechten
Krauts! fort/ fort/ daß man ihn alſobald an Hand
und Fuß in Eiſen ſchlieſſe: Alſo wanderten beyde ob-
gemeldte Soldaten mit mir nach meiner beſtim̃ten
neuen Herberg/ nemlich dem Stock-Hauß zu/ und
uͤberantworteten mich dem Gewaltiger/ welcher
mich ſeinem Befelch gemeß/ mit eiſernen Banden
und Ketten an Haͤnden und Fuͤſſen/ noch ein mehrers
zierte/ gleichſam als haͤtte ich nicht genug an deren
zu tragen gehabt/ die ich bereits umb den Leib herumb
gebunden hatte.
Dieſer Anfang mich zu bewillkommen/ war der
Welt noch nicht genug/ ſondern es kamen Hencker
und Steckenknecht/ mit grauſamen Folterungs-In-
ſtrumenten/ welche mir/ ohnangeſehen ich mich mei-
ner Unſchuld zu getroͤſten hatte/ meinen elenden Zu-
ſtand allererſt grauſam machten: Ach GOtt! ſagte
ich zu mir ſelber/ wie geſchicht mir ſo recht/ Simpli-
cius iſt darumb auß dem Dienſt GOttes in die Welt
geloffen/ damit ein ſolche Mißgeburt deß Chriſten-
thumbs den billichen Lohn empfahe/ den ich mit mei-
ner Leichtfertigkeit verdienet habe: O du ungluͤckſe-
liger Simplici! wohin bringt dich deine Undanckbar-
keit? Sihe/ Gott hatte dich kaum zu ſeiner Erkant-
nus und in ſeine Dienſt gebracht/ ſo lauffſt du hinge-
gen auß ſeinen Dienſten/ und kehreſt ihm den Rucken!
Haͤtteſtu nicht mehr Eicheln und Bohnen eſſen koͤn-
nen wie zuvor/ deinem Schoͤpffer ohnverhindert zu
dienen? Haſtu nicht gewuſt/ daß dein getreuer Ein-
ſidel und Lehrmeiſter die Welt geflohen/ und ihme
Ddie
[72]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
die Wildnus außerwehlt? O blindes Ploch/ du haſt
dieſelbe verlaſſen/ in Hoffnung/ deinen ſchaͤndlichen
Begierden (die Welt zu ſehen) genug zu thun. Aber
nun ſchaue/ in dem du vermeyneſt/ deine Augen zu
waͤiden/ muſtu in dieſem gefaͤhrlichen Jrꝛgarten un-
tergeben und verderben; Haſtu unweiſer Tropff dir
nicht zuvor koͤnnen einbilden/ daß dein ſeeliger Vor-
gaͤnger der Welt Freude umb ſein hartes Leben/ das
er in der Einoͤde gefuͤhrt/ nicht verdauſcht haben wuͤr-
de/ wenn er in der Welt den wahren Frieden/ eine
rechte Ruhe/ und die ewige Seeligkeit zu erlangen
getraut haͤtte? Du armer Simplici, jetzt fahr hin/ und
empfahe den Lohn deiner gehabten eitelen Gedancken
und vermeſſenen Thorheit; Du haſt dich keines Un-
rechts zu beklagen/ auch keiner Unſchuld zu getroͤ-
ſten/ weil du ſelber deiner Marter und darauff fol-
gendem Todt entgegen biſt geeylet. Alſo klagte ich
mich ſelber an/ bat GOtt umb Vergebung/ und be-
fahl ihm meine Seel: Jndeſſen naͤherten wir dem
Diebs-Thurn/ und als die Noth am groͤſten/ da war
die Huͤlff Gottes am naͤchſten; dann als ich mit den
Schergen umdgeben war/ und ſampt einer groſſen
Menge Volcks vorm Gefaͤngnus ſtund/ zu warten
biß es auffgemacht/ und ich hinein gethan wuͤrde/
wolte mein Pfarꝛherꝛ/ dem neulich ſein Dorff ge-
pluͤndert und verbrennt worden/ auch ſehen/ was da
vorhanden waͤre: (dann er lag zunaͤchſt darbey auch
im Arreſt) Als dieſer zum Fenſter außſahe/ und mich
erblickte/ ruffte er uͤberlaut: ô Simplici biſtus? Als
ich ihn hoͤrte und ſahe/ konte ich nichts anders/ als
daß ich beyde Haͤnd gegen ihm auffhube/ und ſchrye:
ô Vatter! ô Vatter! ô Vatter! Er aber fragte/
was
[73]Erſtes Buch.
was ich gethan haͤtte? Jch antwortet/ ich wuͤſte es
nicht/ man haͤtte gewißlich mich darumb daher ge-
fuͤhrt/ weil ich auß dem Wald entloffen waͤre: Als
er aber vom Umbſtand vernam/ daß man mich vor
einen Verꝛaͤther hielte/ bat er/ man wolte mit mir
inhalten/ biß er meine Beſchaffenheit den Herꝛn
Gouverneur berichtet haͤtte/ dann ſolches wuͤrde bey-
des zu meiner und ſeiner Erledigung taugen/ und ver-
huͤten/ daß ſich der Herꝛ Gouverneur an uns beyden
nicht vergreiffen wuͤrde/ ſintemal er mich beſſer ken-
ne/ als ſonſt kein Menſch.
DasXXI.Capitel.
JHm wurde erlaubt/ zum Gubernator zu gehen/
und uͤber ein halbe Stund hernach wurd ich auch
geholt/ und in die Geſind-Stube geſetzt/ allwo ſich
ſchon zween Schneider/ ein Schuſter mit Schuhen/
ein Kauffmann mit Huͤten und Struͤmpffen/ und ein
anderer mit allerhand Gewand eingeſtellt/ damit ich
ehiſt gekleidet wuͤrde; da zog man mir den Rock ab/
ſampt der Ketten und dem haͤrinen Hemd/ auff daß
die Schneider das Maaß recht nehmen koͤnten; fol-
gends erſchiene ein Feldſcherer/ mit ſcharffer Laugen
und wolriechender Saͤiffen/ und eben als dieſer ſeine
Kunſt an mir uͤben wolte/ kam ein anderer Befelch/
welcher mich greulich erſchreckte/ weil er lautet/ ich
ſolte meinen Habit wieder anziehen; ſolches war
nicht ſo boͤß gemeynt/ wie ich wol beſorgte/ dann es
kam gleich ein Mahler mit ſeinem Werckzeug da-
ber/ nemlich mit Minien und Zinober zu meinen
Augliedern/ mit Lack/ Endig und Laſur zu meinen
Corallen-rothen Lippen/ mit Auripigmentum/
D ijRauſch
[74]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Rauſch-ſchuͤtt und Bleygelb zu meinen weiſſen Zaͤh-
nen/ oie ich vor Hunger bleckte/ mit Kuͤhnruß/ Kohl-
ſchwartz und Umbra zu meinen gelben Haaren/ mit
Bleyweiß zu meinen greßlichen Augen/ und mit
ſonſt vielerley Farben zu meinem Wetterfarbigen
Rock/ auch hatte er eine gantze Hand voll Benſel.
Dieſer fieng an mich zu beſchauen/ abzureiſſen/ zu un-
termahlen/ den Kopff uͤber eine Seite zu hencken/
umb ſeine Arbeit gegen meiner Geſtalt genau zu be-
trachten; bald aͤndert er die Augen/ bald die Haar/
geſchwind die Nasloͤcher/ und in Sum̃a alles/ was
er im Anfang nicht recht gemacht/ biß er endlich ein
natuͤrliches Muſter entworffen hatte/ wie Simplicius
eins war: Alsdann dorffte allererſt der Feldſcherer
auch uͤber mich herwiſchen/ derſelbe zwagte mir den
Kopff/ und richtet wol anderthalbe Stund an mei-
nen Haaren/ folgends ſchnitte er ſie ab auff die da-
malige Mode, dann ich hatte Haar uͤbrig. Nachge-
hends ſetzt er mich in ein Badſtuͤblein/ und ſaͤubert
meinen mageren außgehungerten Leib von mehr als
drey- oder vierjaͤhrigem Unluſt: Kaum war er fertig/
da bracht man mir ein weiſſes Hemd/ Schuhe und
Struͤmpff/ ſampt einem Uberſchlag oder Kragen/
auch Hut und Feder/ ſo waren die Hoſen auch ſchoͤn
außgemacht/ und uͤberall mit Galaunen verpremt/
allein manglets noch am Wambs/ daran die Schnei-
der zwar auff die Eyl arbeiteten; der Koch ſtellet ſich
mit einem kraͤfftigen Suͤpplein ein/ und die Kellerin
mit einem Tranck: Da ſaſſe mein Herꝛ Simplicius
wie ein junger Graf/ zum beſten accommodirt; Jch
zehrte dapffer zu/ ohnangeſehen ich nicht wuſte/ was
man mit mir machen wolte/ dann ich wuſte noch von
keinem
[75]Erſtes Buch.
keinem Hencker-Mahl nichts/ dahero thaͤt mir die
Erkoſtung dieſes herꝛlichen Anfangs ſo trefflich kirꝛ
und ſanfft/ daß ichs keinem Menſchen genugſam ſa-
gen/ ruͤhmen und außſprechen kan; Ja ich glaube
ſchwerlich/ daß ich mein Lebtag einiges mal einen
groͤſſern Wolluſt empfunden/ als eben damals. Als
nun das Wambs fertig war/ zog ichs auch an/ und
ſtellte in dieſem neuen Kleid ein ſolch ungeſchickte Po-
ſtur vor Augen/ daß es ſahe wie ein Trophæum, oder
als wenn man ein Zaunſtecken geziert haͤtte/ weil mir
die Schneider die Kleider mit Fleiß zu weit machen
muſten/ umb der Hoffnung willen die man hatte/ ich
wuͤrde in kurtzer Zeit zulegen/ welches auch bey ſo
gutem Futter augenſcheinlich geſchahe. Mein Wald-
Kleid/ ſampt der Ketten und aller Zugehoͤr/ wurde
hingegen in die Kunſt-Kammer zu andern raren Sa-
chen und Antiquitaͤten gethan/ und mein Bildnus in
Lebensgroͤß darneben geſtellt.
Nach dem Nacht-Eſſen wurde mein Herꝛ in ein
Bett gelegt/ dergleichen mir niemals weder bey mei-
nem Knan noch Einſidel zu theil worden; aber mein
Bauch kurꝛet und murꝛet die gantze Nacht hindurch/
daß ich nicht ſchlaffen konte/ vielleicht keiner andern
Urſach halber/ als weil er entweder noch nicht wuſte
was gut war/ oder weil er ſich uͤber die anmuͤtige neue
Speiſen/ die ihm zu theil worden/ verwunderte/ ich
blieb aber ein weg als den andern ligen/ biß die liebe
Sonn wieder leuchtet (deñ es war kalt) und betrach-
tet/ was vor ſeltzame Anſtaͤnd ich nun etliche Tag ge-
habt/ und wie mir der liebe GOtt ſo treulich durch
geholffen/ und mich an ein ſo gutes Ort gefuͤhret
haͤtte.
D iijDas
[76]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
DasXXII.Capitel.
DEnſelben Morgen befahl mir deß Gouverneurs
Hofmeiſter/ ich ſolte zu obgemeldtem Pfarꝛern
geben/ und vernehmen/ was ſein Herꝛ meinetwegen
mit ihm geredt haͤtte: Er gab mir einen Leibſchuͤtzen
mit/ der mich zu ihm brachte/ der Pfarꝛer aber fuͤhret
mich in ſein Muſeum, ſetzt ſich/ hieß mich auch ſitzen/
und ſagte: Lieber Simplici, der Einſidel/ bey dem du
dich im Wald auffgehalten/ iſt nicht allein deß hie-
ſigen Couverneurs Schwager/ ſondern auch im Krieg
ſein Befoͤrderer und wertheſter Freund geweſen; wie
dem Gubernator mir zu erzehlen beliebt/ ſo iſt dem-
ſelben von Jugend auff weder an Dapfferkeit eines
heroiſchen Soldaten/ noch an Gottſeeligkeit und
Andacht/ die ſonſt einem Religioſo zuſtaͤndig/ niemal
nichts abgangen/ welche beyde Tugenden man zwar
ſelten beyeinander zu finden pflegt; Sein geiſtlicher
Sinn und widerwertige Begegnuͤſſen/ hem̃eten end-
lich den Lauff ſeiner weltlichen Gluͤckſeeligkeit/ ſo/
daß er ſeinen Adel und anſehenliche Guͤter in Schot-
ten/ da er gebuͤrtig/ verſchmaͤhet und hindan ſetzet/
weil ihm alle Welthaͤndel abgeſchmack/ eitel und
verwerfflich vorkamen: Er verhoffte/ mit einem
Wort/ ſeine gegenwaͤrtige Hoheit/ umb ein kuͤnffti-
ge beſſere Glory zu verwechſeln/ weil ſein hoher Geiſt
einen Eckel an allem zeitlichen Pracht hatte/ und
ſein Dichten und Trachten war nur nach einem ſol-
chen erbaͤrmlichen Leben gerichtet/ darinn du ihn im
Wald angetroffen/ und biß in ſeinen Todt Geſell-
ſchafft geleiſtet haſt: Meines Erachtens iſt er durch
Leſung vieler Papiſtiſchen Buͤcher/ von dem Leben
der
[77]Erſtes Buch.
der Alten Eremiten/ hierzu verleitet worden.
Jch will dir aber auch ohnverhalten/ wie er in den
Speſſert und ſeinem Wunſch nach/ zu ſolchem arm-
ſeeligen Einſidler-Leben kommen ſeye/ damit du ins
kuͤnfftig auch andern Leuten etwas darvon zu erzeh-
len weiſt: Die zweyte Nacht hernach/ als die bluti-
ge Schlacht vor Hoͤchſt verloren worden/ kam er ei-
nig und allein vor meinen Pfarꝛhof/ als ich eben mit
meinem Weib und Kindern gegen dem Morgen ent-
ſchlaffen war/ weil wir wegen deß Lermens im Land/
den beydes die Fluͤchtige und Nachjagende in der-
gleichen Faͤllen zu erꝛegen pflegen/ die vorige gantze/
und auch ſelbige halbe Nacht durch und durch ge-
wacht hatten: Er klopffte erſtlich ſittig an/ und fol-
gends ungeſtuͤmm genug/ biß er mich und mein
Schlafftruncken Geſind erweckte/ und nachdem ich
auff ſein Anhalten und wenig Wortwechſeln/ wel-
ches beyderſeits gar beſcheiden fiele/ die Thuͤr geoͤff-
net/ ſahe ich den Cavallier von ſeinem mutigen Pferd
ſteigen/ ſein koſibarlich Kleid war eben ſo ſehr mit
ſeiner Feinde Blut beſprengt/ als mit Gold und Sil-
ber verpremt; und weil er ſeinen bloſſen Degen noch
in der Fauſt hielte/ ſo kam mich Forcht und Schre-
cken an/ nachdem er ihn aber einſteckte/ und nichts als
lauter Hoͤflichkeit vorbrachte/ hatte ich Urſach/ mich
zu verwundern/ daß ein ſo braver Herꝛ einen ſchlech-
ten Dorff-Pfarꝛer ſo freundlich umb Herberg anre-
det: Jch ſprach ihn wegen ſeiner ſchoͤnen Perſon/
und ſeines berꝛlichen Anſehens halber/ vor den Mans-
felder ſelbſt an/ Er aber ſagte/ er ſey demſelben vor
dißmal nur in der Ungluͤckſeeligkeit nicht allein zu
vergleichen/ ſondern auch vorzuziehen; drey Ding
D jvbeklag-
[78]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
beklagte er/ nemlich ſein verlorne hoch-ſchwangere
Gemahlin/ die verlorne Schlacht/ und daß er nicht
gleich andern redlichen Soldaten/ in derſelben vor
das Evangelium ſein Leben zu laſſen/ das Gluͤck ge-
habt haͤtte. Jch wolte ihn troͤſten/ ſahe aber bald/
daß ſeine Großmuͤthigkeit keines Troſtes bedorffte/
demnach theilte ich mit/ was das Hauß vermochte/
und ließ ihm ein Soldaten-Bett von friſchem Stroh
machen/ weil er in kein anders ligen wolte/ wiewol er
der Ruhe ſehr beduͤrfftig war. Das erſte/ das er den
folgenden Morgen thaͤt/ war/ daß er mir ſein Pferd
ſchenckte/ und ſein Gelt (ſo er an Gold in keiner klei-
nen Zahl bey ſich hatte) ſampt etlich koͤſtlichen Rin-
gen/ unter meine Frau/ Kinder und Geſind außthei-
lete. Jch wuſte nicht wie ich mit ihm dran war/ weil
die Soldaten viel eher zu nemmen als zu geben pfle-
gen; trug derowegen Bedenckens/ ſo groſſe Vereh-
rungen anzunemmen/ und wandte vor/ daß ich ſol-
ches umb ihn nicht meritirt/ noch hinwiederumb zu
verdienen wiſſe/ zu dem ſagte ich/ wenn man ſolchen
Reichthum/ und ſonderlich das koͤſtliche Pferd/ wel-
ches ſich nicht verbergen lieſſe/ bey mir und den Mei-
nigen ſehe/ ſo wuͤrde maͤnniglich ſchlieſſen/ ich haͤtte
ihn berauben/ oder gar ermorden helffen. Er aber
ſagte/ ich ſolte dißfalls ohne Sorg leben/ er wolte
mich vor ſolcher Gefahr mit ſeiner eigenen Hand-
ſchrifft verſichern/ ja er begehre ſo gar ſein Hemd/ ge-
ſchweige ſeine Kleider auß meinem Pfarꝛhof nicht zu
tragen/ und mit dem oͤffnet er mir ſeinen Vorſatz/ ein
Einſidel zu werden: Jch wehrete mit Haͤnden und
Fuͤſſen was ich konte/ weil mich beduͤnckte/ daß ſolch
Vorhaben zumal nach dem Pabſtum ſchmeckte/ mit
Erin-
[79]Erſtes Buch.
Erinnerung/ daß er dem Evangelio mehr mit ſeinem
Degen wuͤrde dienen koͤnnen; Aber vergeblich/ denn
er machte ſo lang und viel mit mir/ biß ich alles ein-
gieng/ und ihn mit den jenigen Buͤchern/ Bildern und
Haußrath mondirte/ die du bey ihm gefunden/ wie-
wol er nur der wuͤllinen Decke/ darunter er dieſelbige
Nacht auff dem Stroh geſchlaffen/ vor all das jeni-
ge begehrte/ das er mir verehrt hatte/ darauß ließ er
ihm einen Rock machen; So muſte ich auch meine
Wagenketten/ die er ſtetig getragen/ mit ihm umb
eine guͤldene/ daran er ſeiner Liebſten Conterfait trug/
vertauſchen/ alſo daß er weder Gelt noch Gelts werth
behielte/ mein Knecht fuͤhrte ihn an das einoͤdiſte Ort
deß Walds/ und halff ihm daſelbſt ſeine Huͤtten auff-
richten. Was geſtalt er nun ſein Leben daſelbſt zuge-
bracht/ und wormit ich ihm zu Zeiten an die Hand
gangen und außgeholffen/ weiſt du ſo wol/ ja zum
theil beſſer als ich.
Nachdem nun neulich die Schlacht vor Noͤrd-
lingen verloren/ und ich/ wie du weiſt/ rein außge-
pluͤndert/ und zugleich uͤbel beſchaͤdiget worden/ hab
ich mich hieher in Sicherheit geflehnet/ weil ich ohn
das ſchon meine beſte Sachen hier hatte: Und als
mir die paare Geltmittel auffgehen wolten/ nam ich
drey Ring/ und obgemeldte guͤldene Ketten/ mit
ſampt dem anhangenden Conterfait/ ſo ich von dei-
nem Einſidel hatte/ maſſen ſein Pettſchier-Ring
auch darunter war/ und trugs zu einem Juden/ ſol-
ches zu verſilbern/ der hat es aber der Koͤſtlichkeit
und ſchoͤnen Arbeit wegen dem Gubeinator kaͤufflich
angetragen/ welcher das Wappen und Conterfait
ſtracks gekennet/ nach mir geſchickt/ und gefragt/
D vwoher
[80]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
woher ich ſolche Cleinodien bekommen? Jch ſagte
ihm die Warheit/ wieſe deß Einſidlers Handſchrifft
oder Ubergabs-Brieff auff/ und erzehlet allen Ver-
lauff/ auch wie er im Wald gelebt und geſtorben:
Er wolte ſolches aber nicht glauben/ ſondern kuͤndet
mir den Arreſt an/ biß er die Warheit beſſer erfuͤhre/
und in dem er im Werck begriffen war/ eine Partey
außzuſchicken/ den Augenſchein ſeiner Wohnung
einzunehmen/ und dich hieher holen zu laſſen/ ſo ſehe
ich dich in Thurn fuͤhren. Weil dann der Guberna-
tor nunmehr an meinem Vorgeben nicht zu zweifflen
Urſach hat/ in dem ich mich auff den Ort/ da der
Einſidel gewohnet/ item auff dich und andere leben-
dige Zeugen mehr/ inſonderheit aber auff meinen
Meßner beruffen/ der dich und ihn offt vor Tags in
die Kirch gelaſſen/ zumalen auch das Briefflein/ ſo
er in deinem Gebet-Buͤchlein gefunden/ nicht allein
der Warheit/ ſondern auch deß ſeeligen Einſidlers
Heiligkeit/ ein treffliches Zeugnus gibt; Als will er
dir und mir wegen ſeines Schwagers ſel. gutes thun/
du darffſt dich jetzt nur reſolvirn/ was du wilt/ daß
er dir thun ſoll? wiltu ſtudirn/ ſo will er die Unkoſten
darzu geben; haſt du Luſt ein Handwerck zu lernen/
ſo will er dich eins lernen laſſen; wiltu aber bey ihm
verbleiben/ ſo will er dich wie ſein eigen Kind halten/
denn er ſagte/ wenn auch ein Hund von ſeinem
Schwager ſel. zu ihm kaͤme/ ſo wolle er ihn auffneh-
men: Jch antwortet/ es gelte mir gleich/ was der
Herꝛ Gubernator mit mir machte.
DasXXIII.Capitel.
DEr Pfarꝛer zoͤgerte mich auff in ſeinem Loſa-
ment
[81]Erſtes Buch.
ment biß 10. Uhr/ ehe er mit mir zum Gouverneur
gieng/ ihm meinen Entſchluß zu ſagen/ damit er bey
demſelben/ weil er ein freye Tafel hielte/ zu Mittags
ein Gaſt ſeyn koͤnne; dann es war damals Hanau
blocquirt/ und ein ſolche klemme Zeit bey dem gemei-
nen Mann/ bevorab den geflehnten Leuten in ſelbiger
Veſtung/ daß auch etliche/ die ſich etwas einbildeten/
die angefrorne Ruͤbſchaͤlen auff der Gaſſen/ ſo die
Reiche etwan hinwarffen/ auffzuheben nit verſchmaͤ-
heten: Es gluͤckte ihm auch ſo wol/ daß er neben den
Gouverneur ſelbſt uͤber der Tafel zu ſitzen kam/ ich
aber wartete auff mit einem Deller in der Hand/ wie
mich der Hofmeiſter anwieſe; in welches ich mich
zu ſchicken wuſte/ wie ein Eſel ins Schach-Spiel:
Aber der Pfarꝛer erſetzte allein mit ſeiner Zung/ was
die Ungeſchicklichkeit meines Leibs nicht vermochte/
Er ſagte/ daß ich in der Wildnus erzogen/ niemals
bey Leuten geweſen/ und dahero wol vor entſchuldigt
zu halten/ weil ich noch nicht wiſſen koͤnte/ wie ich
mich halten ſolte; meine Treu/ die ich dem Einſidel
erwieſen/ und das harte Leben/ ſo ich bey demſelben
uͤberſtanden/ waͤren verwunderns wuͤrdig/ und allein
werth/ nicht allein meine Ungeſchicklichkeit zu ge-
dulden/ ſondern auch mich dem feinſten Edelknaben
vorzuziehen. Weiters erzehlte er/ daß der Einſidel
alle ſeine Freud an mir gehabt/ weil ich/ wie er oͤff-
ters geſagt/ ſeiner Liebſten von Angeſicht ſo aͤhnlich
ſeye/ und daß er ſich offt uͤber meine Beſtaͤndigkeit
und ohnveraͤnderlichen Willen/ bey ihm zu bleiben/
und ſonſt noch uͤber viel Tugenden/ die er an mir ge-
ruͤhmt/ verwundert haͤtte. Jn Summa/ er konte nicht
genugſam außſprechen/ wie mit ernſtlicher Jnbruͤn-
D jvſtigkeit
[82]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ſtigkeit er kurtz vor ſeinem Todt mich ihme Pfarꝛern
recommendirt/ und bekennet haͤtte/ daß er mich ſo
ſehr als ſein eigen Kind liebe.
Dieſes kuͤtzelt mich dermaſſen in Ohren/ daß mich
beduͤnckte/ ich haͤtte ſchon Ergoͤtzlichkeit genug vor
alles das jenige empfangen/ das ich je bey dem Ein-
ſidel außgeſtanden. Der Gouverneur fragte/ ob ſein
ſeel. Schwager nicht gewuſt haͤtte/ daß er der Zeit
in Hanau commandire? Freylich/ antwortet der
Pfarꝛer/ ich habs ihm ſelbſt geſagt; Er hat es aber
(zwar mit einem froͤlichen Geſicht und kleinem laͤch-
len) ſo kaltſinnig angehoͤrt/ als ob er niemals keinen
Ramſay gekennt haͤtte/ alſo daß ich mich noch/ wenn
ich der Sach nachdencke/ uͤber dieſes Manns Beſtaͤn-
digkeit und veſten Vorſatz verwundern muß/ wie er
nemlich uͤbers Hertz bringen koͤnnen/ nicht allein der
Welt abzuſagen/ ſondern auch ſeinen beſten Freund/
den er doch in der Naͤhe hatte/ ſo gar auß dem Sinn
zu ſchlagen! Dem Gouverneur, der ſonſt kein waͤich-
hertzig Weiber-Gemuͤt hatte/ ſondern ein dapfferer
heroiſcher Soldat war/ ſtunden die Augen voll Waſ-
ſer: Er ſagte/ haͤtte ich gewuͤſt/ daß er noch im Le-
ben/ und wo er anzutreffen geweſt waͤre/ ſo wolte ich
ihn auch wider ſeinen Willen haben zu mir holen
laſſen/ damit ich ihm ſeine Gutthaten haͤtte erwie-
dern koͤnnen/ weil mirs aber das Gluͤck mißgoͤnnet/
als will ich an ſeiner ſtatt ſeinen Simplicium verſor-
gen: Ach! ſagte er weiters/ der redliche Cavallier
hat wol Urſach gehabt/ ſeine ſchwangere Gemahlin
zu beklagen/ dann ſie iſt von einer Partey Kaͤiſerl.
Reuter im Nachhauen/ und zwar auch im Speſſert
gefangen woꝛden. Als ich ſolches erfahren/ und nichts
anders
[83]Erſtes Buch.
anders gewuſt/ als mein Schwager ſeye bey Hoͤchſt
todt geblieben/ habe ich gleich einen Trompeter zum
Gegentheil geſchickt/ meiner Schweſter nachzufra-
gen/ und dieſelbe zu ranzioniren/ hab aber nichts an-
ders damit außgerichtet/ als daß ich erfahren/ ge-
meldte Partey Reuter ſey im Speſſert von etlichen
Bauren zertrennt/ und in ſolchem Gefecht meine
Schweſter von ihnen wieder verloren worden/ alſo
daß ich noch biß auff dieſe Stund nicht weiß/ wo ſie
hin kommen.
Dieſes und dergleichen war deß Gouverneurs und
Pfarꝛern Tiſch-Geſpraͤch/ von meinem Einſidel und
ſeiner Liebſten/ welches paar Ehevolck umb ſo viel
deſto mehr bedauret wurde/ weil ſie einander nur ein
Jahr gehabt hatten. Aber ich wurde alſo deß Guber-
nators Page, und ein ſolcher Kerl/ den die Leut/ ſon-
derlich die Bauren/ wenn ich ſie bey meinem Herꝛn
anmelden ſolte/ bereits Herꝛ Jung nenneten/ wiewol
man ſelten einen Jungen ſihet/ der ein Herꝛ geweſen/
aber wol Herꝛen/ die zuvor Jungen waren.
DasXXIV.Capitel.
DAmals war bey mir nichts ſchaͤtzbarliches/ als
ein reines Gewiſſen/ und auffrichtig frommes
Gemuͤt zu finden/ welches mit der edlen Unſchuld
und Einfalt begleitet und umbgeben war; ich wuſte
von den Laſtern nichts anders/ als daß ich ſie etwan
hoͤren nennen/ oder darvon geleſen hatte/ und wenn
ich deren eins wuͤrcklich begeben ſahe/ war mirs ein
erſchroͤckliche und ſeltene Sach/ weil ich erzogen und
gewehnet worden/ die Gegenwart GOttes allezeit
vor Augen zu haben/ und auffs ernſtlichſt nach ſeinem
D vijheili,
[84]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
heiligen Willen zu leben/ und weil ich denſelben wu-
ſte/ pflegte ich der Menſchen Thun und Weſen ge-
gen demſelben abzuwegen/ in ſolcher Ubung beduͤnck-
te mich/ ich ſehe nichts als lauter Greuel: HErꝛ
GOtt! wie verwundert ich mich anfaͤnglich/ wann
ich das Geſetz und Evangelium/ ſampt den getreuen
Warnungen Chriſti betrachtete/ und hingegen der
jenigen Werck anſahe/ die ſich vor ſeine Jůnger und
Nachfolger außgaben; An ſtatt der auffrichtigen
Meynung/ die ein jedweder rechtſchaffener Chriſt
haben ſoll/ fand ich eitel Heucheley/ und ſonſt ſo un-
zehlbare Thorheiten bey allen Welt Menſchen/ daß
ich auch zweiffelte/ ob ich Chriſten vor mir haͤtte oder
nicht? dann ich konte leichtlich mercken/ daß maͤn-
niglich den ernſtlichen Willen GOttes wuͤſte/ ich
merckte aber hingegen keinen Ernſt/ denſelben zu voll-
bringen.
Alſo hatte ich wol tauſenderley Grillen und ſeltza-
me Gedancken in meinem Gemuͤt/ und gerieth in
ſchwere Anfechtung/ wegen deß Befelchs Chriſti/
da er ſpricht: Richtet nicht/ ſo werdet ihr auch nicht
gerichtet. Nichts deſto weniger kamen mir die Wort
Pauli zu Gedaͤchtnus/ die er zun Gal. am 5. Cap.
ſchreibt: Offenbar ſind alle Wercke deß Fleiſches/
als da ſind Ehebruch/ Hurerey/ Unreinigkeit/ Un-
zucht/ Abgoͤtterey/ Zauberey/ Feindſchafft/ Hader/
Neid/ Zorn/ Zanck/ Zweytracht/ Rotten/ Haß/
Mord/ Sauffen/ Freſſen und dergleichen/ von wel-
chen ich euch habe zuvor geſagt/ und ſage es noch wie
zuvor/ daß die ſolches thun/ werden das Reich Got-
tes nicht ererben! Da gedachte ich/ das thut ja faſt
jederman offentlich/ warumb ſolte ich dann nicht
auch
[85]Erſtes Buch.
auch auff deß Apoſtels Wort offenbertzig ſchlieſſen
doͤrffen/ daß auch nicht jederman ſeelig werde.
Naͤchſt der Hoffart und dem Geitz/ ſampt deren
erbaren Anhaͤngen/ waren Freſſen und Sauffen/
Huren und Buben/ bey den Vermoͤglichen ein taͤgli-
che Ubung; was mir aber am aller-erſchroͤcklichſten
vorkam/ war dieſer Greuel/ daß etliche/ ſonderlich
Soldaten-Burſch/ bey welchen man die Laſter nicht
am ernſtlichſten zu ſtraffen pflegt/ beydes auß ihrer
Gottloſigkeit und dem beiligen Willen GOttes ſeld-
ſten/ nur einen Schertz machten. Zum Exempel/
ich hoͤrete einsmals einen Ehebrecher/ welcher we-
gen vollbrachter That noch geruͤhmt ſeyn wolte/ die-
ſe gottloſe Wort ſagen: Es thuts dem gedultigen
Hanrey genug/ daß er meinetwegen ein paar Hoͤrner
traͤgt/ und wenn ich die Warheit bekennen ſoll/ ſo
hab ichs mehr dem Mann zu Leyd/ als der Frauen zu
Lieb gethan/ damit ich mich an ihm raͤchen moͤge.
O kahle Rach! antwortet ein ehrbar Gemuͤt/ ſo da-
bey ſtunde/ dardurch man ſein eigen Gewiſſen befle-
cket/ und den ſchaͤndlichen Nahmen eines Ehebre-
chers uͤberkompt! was Ehebrecher? antwortet er
ihm mit einem boͤniſchen Gelaͤchter/ ich bin darumb
kein Ehebrecher/ wenn ich ſchon dieſe Ehe ein wenig
gebogen habe; diß ſeynd Ehebrecher/ worvon das
ſechſte Gebot ſagt/ allwo es verdeut/ daß keiner einem
andern in Garten ſteigen/ und die Kirſchen ehe bre-
chen ſolle/ als der Eigenthums-Herꝛ! Und daß ſol-
ches alſo zu verſteben ſeye/ erklaͤrte er gleich darauff/
nach ſeinem Teuffels-Catechiſmo/ das ſiebende Ge-
bot/ welches dieſe Meynung deutlicher vorbringe/
in dem es ſagt: Du ſolt nicht ſtelen/ ꝛc. Solcher
Wort
[86]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Wort trieb er viel/ alſo daß ich bey mir ſelbſt ſeufftzt
und gedachte: O Gottslaͤſterlicher Suͤnder! du nen-
neſt dich ſelbſt einen Ehebieger/ und den guͤtigen Gott
einen Ehebrecher/ weil er Mann und Weib durch
den Todt voneinander trennet; meyneſtu nicht/ ſagt
ich auß uͤbrigem Eyfer und Verdruß zu ihm/ wiewol
er ein Officier war/ daß du dich mit dieſen gottloſen
Worten mehr verſuͤndigeſt/ als mit dem Ehebruch
ſelbſten? Er aber autwortet mir: Du Maußkopff/
ſoll ich dir ein paar Ohrfeigen geben? Jch glaub
auch/ daß ich ſolche dicht bekommen haͤtte/ wenn der
Kerl meinen Herꝛn nicht haͤtte foͤrchten muͤſſen: Jch
aber ſchwieg ſtill/ und ſahe nachgehends/ daß es gar
kein ſeltene Sach war/ wenn ſich Ledige nach Ver-
ehelichten/ und Verehelichte nach Ledigen umb-
ſahen.
Als ich noch bey meinem Einſidel den Weg zum
ewigen Leben ſtudirte/ verwundert ich mich/ warumb
doch Gott ſeinem Volck die Abgoͤtterey ſo hochſtraͤff-
lich verbotten? dann ich bildete mir ein/ wer einmal
den wahren ewigen GOtt erkennet haͤtte/ der wuͤrde
wol nimmermehr keinen andern ehren und anbeten;
ſchloſſe alſo in meinem dummen Sinn/ diß Gebot
ſeye ohnnoͤtig/ und vergedlich gegeben worden: Aber
Ach! ich Narꝛ wuſte nicht was ich gedachte/ dann
ſo bald ich in die Welt kam/ vermerckte ich/ daß (diß
Gebot ohnangeſehen) bey nahe jeder Welt-Menſch
einen beſondern Neben-Gott hatte/ ja etliche hatten
wol mehr/ als die Alte und Neue Heyden ſelbſten/
etliche hatten den Jhrigen in der Kuͤſten/ auff wel-
chen ſie allen Troſt und Zuverſicht ſetzten; mancher
hatte den ſeinen bey Hof/ zu welchem er allen Zuflucht
geſtellt/
[87]Erſtes Buch.
geſtellt/ der doch nur ein Favorit, und offt ein lieder-
licher Bernheuter war/ als ſein Anbeter ſelbſt/ weil
ſein luͤfftige Gottheit nur auff deß Printzen Aprillen-
wetteriſchen Gunſt beſtunde; andere hatten den ihri-
gen in der Reputation, und bildeten ſich ein/ wann
ſie nur dieſelbige erhielten/ ſo waͤren ſie ſelbſt auch
halbe Goͤtter; noch andere hatten den ihrigen im
Kopff/ nemlich die jenige/ denen der wahre Gott ein
geſund Hirn verliehen/ alſo daß ſie einige Kuͤnſte und
Wiſſenſchafften zu faſſen geſchickt waren/ dieſelbe
ſetzten den guͤtigen Geber auff ein Seit/ und verlieſ-
ſen ſich auff die Gab/ in Hoffnung/ ſie wuͤrde ihnen
alle Wolfahrt verleyhen; Auch waren viel/ deren
Gott ihr eigener Bauch war/ welchem ſie taͤglich
die Opffer raichten/ wie vor Zeiten die Heyden dem
Baccho und der Cerere gethan/ und wann ſolcher ſich
unwillig erzeigte/ oder ſonſt die menſchliche Gebre-
chen ſich anmeldeten/ ſo machten die elende Men-
ſchen einen Gott auß dem Medico, und ſuchten ihres
Lebens Auffenthalt in der Apotheck/ auß welcher ſie
zwar oͤffters zum Todt befoͤrdert wurden. Manche
Narꝛen machten ihnen Goͤttinnen auß glatten Me-
tzen/ dieſelbe nenneten ſie mit andern Nahmen/ bete-
ten ſie Tag und Nacht an mit viel tauſend Seufftzen/
und machten ihnen Lieder/ welche nichts anders/ als
ihr Lob in ſich hielten/ benebens einem demuͤtigen
Bitten/ daß ſolche mit ihrer Thorheit ein barmher-
tziges Mitleiden tragen/ und auch zu Naͤrꝛinnen wer-
den wolten/ gleich wie ſie ſelbſt Narꝛen ſeyen. Hin-
gegen waren Weibsbilder/ die hatten ihre eigene
Schoͤnheit vor ihren Gott auffgeworffen dieſe/ ge-
dachten ſie/ wird mich wol vermannen/ GOTT im
Him̃el
[88]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Him̃el ſage darzu/ was er will; dieſer Abgott ward
an ſtatt anderer Opffer taͤglich mit allerhand Schmin-
cke/ Salben/ Waſſern/ Pulvern und ſonſt Schmir-
ſel unter halten und verehrt. Jch ſahe Leut/ die wol-
gelegene Haͤuſer vor Goͤtter hielten/ dann ſie ſagten/
ſo lang ſie darinn gewohnet/ waͤre ihnen Gluͤck und
Heyl zugeſtanden/ und das Gelt gleichſam zum
Fenſter hinein gefallen; welcher Thorheit ich mich
hoͤchſtens verwundert/ weil ich die Urſach ſahe/ wa-
rumb die Jnwohner ſo guten Zuſchlag gehabt: Jch
kante einen Kerl/ der konte in etlich Jahren vor dem
Toback-Handel nicht recht ſchlaffen/ weil er demſel-
ben ſein Hertz/ Sinn und Gedancken/ das allein
GOtt gewidmet ſeyn ſolte/ geſchenckt hatte/ er ſchick-
te demſelben ſo Tags als Nachts viel 1000. Seuff-
tzer/ weil er dardurch proſperirte; Aber was geſcha-
be? der Phantaſt ſtarb/ und fuhr dahin/ wie der
Toback-Rauch ſelbſt. Da gedacht ich/ O du elender
Menſch! waͤre dir deiner Seelen Seeligkeit und deß
wahren GOttes Ehr/ ſo hoch angelegen geweſen/
als der Abgott/ der in Geſtalt eines Braſilianers mit
einer Roll Toback unterm Arm/ und einer Pfeiffen
im Maul/ auff deinem Gaden ſtehet/ ſo lebte ich der
ohnzweifflichen Zuverſicht/ du haͤtteſt ein herꝛliches
Ehren-Kraͤntzlein/ in jener Welt zu tragen/ erwor-
ben. Ein anderer gEſell hatte noch wol liederlichere
Goͤtter/ dann als bey einer Geſellſchafft von jedem
erzehlt wurde/ auff was Weis er ſich in dem grenli-
lichen Hunger und theuren Zeit ernehret und durch
gebracht/ ſagte dieſer mit Teutſchen Worten: Die
Schnecken und Froͤſch ſeyen ſein Herꝛ Gott geweſen/
er haͤtte ſonſt in Mangel ihrer muͤſſen Hungers ſter-
ben:
[89]Erſtes Buch.
ben: Jch fragte ihn/ was ihm denn damals GOtt
ſelbſt geweſt waͤre/ der ihm ſolche Inſecta zu ſeinem
Auffenthalt beſchehrt haͤtte? Der Tropff aber wuſte
nichts zu antworten/ und ich muſte mich umb ſo viel
deſto mehr verwundern/ weil ich noch nirgends gele-
ſen/ daß die Alte abgoͤttiſche Egyptier/ noch die Neu-
lichſte Americaner/ jemals dergleichen Ungeziefer
vor Gott außgeſchryen/ wie dieſer Geck thaͤte.
Jch kam einsmals mit einem vornehmen Herꝛn
in eine Kunſt-Kam̃er/ darinnen ſchoͤne Raritaͤten wa-
ren/ unter den Gemaͤhlden gefiele mir nichts beſſer/
als ein Ecce Homo! wegen ſeiner erbaͤrmlichen Dar-
ſtellung/ mit welcher es die Anſchauer gleichſam
zum Mitleiden verzuckte; darneben hienge eine pa-
pierne Charte in China gemahlt/ darauff ſtunden der
Chineſer Adgoͤtter in ihrer Majeſtaͤt ſitzend/ deren
theils wie die Teuffel geſtaltet waren/ der Herꝛ im
Hauß fragte mich/ welches Stuͤck in ſeiner Kunſt-
Kammer mir am beſten gefiele? Jch deutet auff be-
ſagtes Ecce Homo, Er aber ſagte/ ich irꝛe mich/ das
Chineſer Gemaͤhld waͤre rarer/ und dahero auch
koͤſilicher/ er wolte es nicht umb zehen ſolcher Ecce
Homo manglen: Jch antwortet/ Herꝛ/ iſt euer Hertz
wie euer Mund? Er ſagt/ ich verſehe michs; Da-
rauff ſagte ich: So iſt auch euers Hertzen Gott der
jenige/ deſſen Conterfait ihr mit dem Mund beken-
net/ das koͤſtlichſte zu ſeyn: Phantaſt/ ſagt jener/
ich æſtimire die Raritaͤt! Jch antwortet/ was iſt ſel-
tener und verwunderns wuͤrdiger/ als daß GOttes
Sohn ſelbſt unſert wegen gelitten/ wie uns diß
Bildnus vorſtellt?
Das
[90]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
DasXXV.Capitel.
SO ſehr wurden nun dieſe und noch eine groͤſſere
Menge anderer Art Abgoͤtter nicht geehrt/ ſo
ſehr wurde hingegen die wahre Goͤttliche Majeſtaͤt
verachtet/ denn gleich wie ich niemand ſahe/ der ſein
Wort und Gebot zu halten begehrte/ alſo ſahe ich
hingegen viel/ die ihm in allem widerſtrebten/ und
die Zoͤllner (welche zu den Zeiten/ als Chriſtus noch
auff Erden wandelt/ offene Suͤnder waren) mit Boß-
heit uͤbertraffen: Chriſtus ſpricht/ liebet eure Fein-
de/ ſeguet die euch fluchen/ thut wol denen die euch
haſſen/ bittet vor die ſo euch beleydigen und verſol-
gen/ auff daß ihr Kinder ſeyt euers Vatters im Him-
mel; dann ſo ihr liebet/ die euch lieben/ was werdet
ihr fuͤr Lohn haben? thun ſolches nicht auch die Zoͤll-
ner? und ſo ihr euch nur zu euren Bruͤdern freund-
lich thut/ was thut ihr ſonderliches? thun nicht die
Zoͤllner auch alſo? Aber ich fande nicht allein nie-
mand/ der dieſem Befelch Chriſti nachzukommen be-
gehrte/ ſondern jederman thaͤt gerad das Widerſpil/
es hieſſe/ viel Schwaͤger/ viel Knebel-Spieß; und
nirgends fande ſich mehr Neid/ Haß/ Mißgunſt/
Hader und Zanck/ als zwiſchen Bruͤdern/ Schwe-
ſtern/ und andern angebornen Freunden/ ſonderlich
wenn ihnen ein Erb zu theilen/ zugefallen war; auch
ſonſt haßte das Handwerck aller Orten einander/ al-
ſo daß ich handgreifflich ſehen und ſchlieſſen muſte/
daß vor dieſem die offene Suͤnder/ Publicanen und
Zoͤllner/ welche wegen ihrer Boßheit und Gottloſig-
keit bey maͤnniglich verhaßt waren/ uns heutigen
Chriſten mit Ubung Bruͤderlicher Liebe weit uͤber-
legen
[91]Erſtes Buch.
legen geweſen; maſſen ihnen Chriſtus ſelbſten das
Zeugnus gibt/ daß ſie ſich untereinander geliebet ha-
ben: Dahero betrachtete ich/ wenn wir keinen Lohn
haben/ ſo wir die Feinde nicht lieben/ was vor groſſe
Straffen wir dann gewaͤrtig ſeyn muͤſſen/ wann wir
auch unſere Freund haſſen; wo die groͤſte Lieb und
Treu ſeyn ſolte/ fande ich die hoͤchſte Untreu/ und den
gewaltigſten Haß. Mancher Herꝛ ſchunde ſeine ge-
treue Diener und Underthanen/ hingegen wurden
etliche Underthanen an ihren frommen Herꝛen zu
Schelmen. Den continuirlichen Zanck vermercket
ich zwiſchen vielen Eheleuten/ mancher Tyrann hiel-
te ſein ehrlich Weib aͤrger als einen Hund/ und man-
che loſe Vettel ihren from̃en Mann vor einen Narꝛn
und Eſel. Viel Huͤndiſche Herꝛn und Meiſter betro-
gen ihre fleiſſige Dienſtbotten umb ihren gebuͤhren-
den Lohn/ und ſchmaͤlerten beydes Speiß und Tranck/
hingegen ſahe ich auch viel untreu Geſind/ die ihre
fromme Herꝛen entweder durch Diebſtal oder Fahr-
laͤſſigkeit ins Verderben ſetzten. Die Handels-Leut
und Handwercker renneten mit dem Juden-Spieß
gleichſam umb die Wett/ und ſogen durch allerhand
Fuͤnde und Voͤrthel dem Bauersmann ſeinen ſauren
Schweiß ab; hingegen waren theils Bauren ſo gar
gottloß/ daß ſie ſich auch darumb bekuͤmmerten/ wenn
ſie nicht rechtſchaffen genug mit Boßheit durchtrie-
ben waren/ andere Leut/ oder auch wol ihre Herꝛen
ſelbſt/ unterm Schein der Einfalt zu beruffen. Jch
ſahe einsmals einen Soldaten einem andern eine
dichte Maulſchelle geben/ und bildete mir ein/ der
Geſchlagene wuͤrde den andern Backen auch dar-
bieten: (weil ich noch niemal bey keiner Schlaͤgerey
gewe-
[92]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
geweſen) Aber ich irꝛete/ dann der Beleydigte zoge
von Leder/ und verſetzte dem Thaͤter eine Wunde
davor an Kopff: Jch ſchrye ihm uͤberlaut zu/ und
ſagte: Ach Freund/ was machſtu? Da waͤr einer
ein Bernheuter/ antwort jener/ ich will mich der
Teuffel hol ꝛc. ſelbſt raͤchen/ oder das Leben nicht
haben! bey/ muͤſte doch einer ein Schelm ſeyn/ der
ſich ſo coujoniren lieſſe. Der Lermen zwiſchen dieſen
zweyen Duellanten ergroͤſſert ſich/ weilen beyderſeits
Beyſtaͤnder/ ſampt dem Umbſtand und Zulauff/ ein-
ander auch in die Haar kamen; da hoͤrte ich ſchwoͤ-
ren bey Gott und ihren Seelen ſo leichtfertig/ daß
ich nicht glauben konte/ daß ſie dieſe vor ihr edelſt
Kleinod hielten: Aber das war nur Kinderſpiel/ deñ
es blieb bey ſo geringen Kinderſchwüren nicht/ ſon-
dern es folgte gleich hernach: Schlag mich der Don-
ner/ der Blitz/ der Hagel/ zerꝛeiß und hol mich der ꝛc.
ja nicht einer allein/ ſondern hundert tauſend/ und
führen mich in die Luͤfft hinweg! Die H. Sacra-
menta muſten nicht nur ſiebenfaͤltig/ ſondern auch
mit hundert tauſenden/ ja ſo viel Thonnen/ Galleern
und Stattgraͤben voll herauß/ alſo daß mir abermal
alle Haar gen Berg ſtunden. Jch gedachte wiede-
rumb an den Befelch Chriſti/ da er ſagt: Jhr ſolt
allerdings nicht ſchwoͤren/ weder bey dem Himmel/
dann er iſt Gottes Stul/ noch bey der Erden/ dann
ſie iſt ſeiner Fuͤſſe Schemel/ noch bey Jeruſalem/
dann ſie iſt eines groſſen Koͤnigs Statt/ auch ſolt du
nicht bey deinem Haupt ſchwoͤren/ dann du vermagſt
nicht ein einiges Haar weiß und ſchwartz zu machen/
euer Rede aber ſey Ja Ja/ Nein Nein/ was druͤber
iſt/ das iſt vom Ubel. Dieſes alles/ und was ich ſahe
und
[93]Erſtes Buch.
und hoͤrete/ erwog ich/ und ſchloß veſtiglich/ daß dieſe
Balger keine Chriſten ſeyen/ ſuchte derowegen eine
andere Geſellſchafft.
Zum aller-erſchroͤcklichſten kam mirs vor/ wenn
ich etliche Großſprecher ſich ihrer Boßhett/ Suͤnd/
Schand und Laſter ruͤhmen hoͤrete/ dann ich vernam
zu unterſchiedlichen Zeiten/ und zwar taͤglich/ daß
ſie ſagten: Potz Blut/ wie haben wir geſter geſoffen!
Jch hab mich in einem Tag wol dreymal voll geſof-
fen/ und eben ſo vielmal gekotzt. Potz Stern/ wie
haben wir die Bauren/ die Schelmen/ tribulirt. Potz
Stral/ wie haben wir Beuten gemacht. Potz hun-
dert Gifft/ wie haben wir ein Spaß mit den Wei-
hern und Maͤgden gehabt. Jtem/ ich hab ihn darni-
der gehauen/ als wenn ihn der Hagel haͤtte nider ge-
ſchlagen. Jch hab ihn geſchoſſen/ daß er das Weiß
uͤberſich kehrte. Jch hab ihn ſo artlich uͤber den Doͤl-
pel geworffen/ daß ihn der Teuffel haͤtte holen moͤgen.
Jch hab ihm den Stein geſtoſſen/ daß er den Hals
haͤtt brechen moͤgen. Solche und dergleichen un-
Chriſtliche Reden erfuͤllten mir alle Tag die Ohren/
und uͤber das/ ſo hoͤrte und ſahe ich auch in GOttes
Nahmen ſuͤndigen/ welches wol zu erbarmen iſt; von
den Kriegern wurde es am meiſten practicirt/ wenn
ſie nemlich ſagten: Wir wollen in Gottes Nahmen
auff Partey/ Pluͤndern/ Mitnemmen/ Todtſchieſ-
ſen/ Nidermachen/ Angreiffen/ gefangen nemmen/
in Brand ſtecken/ und was ihrer ſchroͤcklichen Arbei-
ten und Verꝛichtungen mehr ſeyn moͤgen. Alſo wa-
gens auch die Wucherer mit dem Verkauff in Got-
tes Nahmen/ damit ſie ihrem Teuffliſchen Geitz nach
ſchinden und ſchaben moͤgen. Jch habe zween Mauß-
koͤpff
[94]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
koͤpff ſehen hencken/ die wolten einsmals bey Nacht
ſtelen/ und als ſie die Leiter angeſtellt/ und der eine in
GOttes Nahmen einſteigen wolte/ warff ihn der
wachtſame Haußvatter ins Teuffels Nahmen wie-
der herunter/ davon er ein Bein zerbrach/ und alſo
gefangen/ und uͤber etlich Tag hernach ſampt ſeinem
Camerad auffgeknuͤpffet ward. Wann ich nun ſo
etwas hoͤret/ ſahe/ und beredet/ und wie meine Ge-
wonheit war/ mit der H. Schrifft hervor wiſchte/
oder ſonſt treuhertzig abmahnete/ ſo hielten mich die
Leut vor einen Narꝛen/ ja ich wrrde meiner guten
Meynung halber ſo offt außgelacht/ daß ich endlich
auch unwillig wurde/ und mir vorſetzte/ gar zu
ſchweigen/ welches ich doch auß Chriſtlicher Liebe
nicht halten konte. Jch wuͤnſchte/ daß jederman bey
meinem Einſidel aufferzogen worden waͤre der Mey-
nung/ es wuͤrde alsdann auch maͤnniglich der Welt
Weſen mit Simplicii Augen anſehen/ wie ichs da-
mals beſchauet. Jch war nicht ſo witzig/ wann lau-
ter Simplici in der Welt waͤren/ daß man alsdann
auch nicht ſo viel Laſter ſehen werde. Jndeſſen iſts
doch gewiß/ daß ein Welt-Menſch/ welcher aller
Untugenden und Thorheiten gewohnt/ und ſelbſten
mit macht/ im wenigſten nicht empfinden kan/ auff
was vor einer boͤſen Sproſſen er mit ſeinen Geferten
wandelt.
DasXXVI.Capitel.
ALs ich nun vermeynte/ ich haͤtte Urſach zu zweif-
feln/ ob ich unter Chriſten waͤre oder nicht? gien-
ge ich zu dem Pfarꝛer/ und erzehlte alles/ was ich
gehoͤret und geſehen/ auch was ich vor Gedancken
hatte
[95]Erſtes Buch.
hatte/ nemlich daß ich die Leut nur vor Spoͤtter Chri-
ſti und ſeines Worts/ und vor keine Chriſten hielte/
mit Bitt/ er wolte mir doch auß dem Traum helffen/
damit ich wiſſe/ worvor ich meine Neben-Menſchen
halten ſolte; Der Pfarꝛer antwortet/ freylich ſind
ſie Chriſten/ und wolt ich dir nicht rathen/ daß du ſie
anderſt nennen ſolteſt; Mein GOtt! ſagte ich/ wie
kans ſeyn? dann wann ich einem oder dem andern
ſeinen Fehler/ den er wider GOtt begehet/ verweiſe/
ſo werde ich verſpottet und außgelacht: Deſſen ver-
wundere dich nicht/ antwortet der Pfarꝛer/ ich
glaube/ wenn unſere erſte fromme Chriſten/ die zu
Chriſti Zeiten gelebt/ ja die Apoſtel ſelbſt/ anjetzo
aufferſtehen/ und in die Welt kommen ſolten/ daß ſie
mit dir ein gleiche Frag thun/ und endlich auch ſo
wol als du/ von jedermaͤnniglich vor Narꝛen gehal-
ten wuͤrden; das/ was du bißher ſiheſt und hoͤreſt/ iſt
ein gemeine Sach/ und nur Kinderſpiel gegen dem
jenigen/ das ſonſten ſo heimlich als offentlich und
mit Gewalt/ wider GOtt und den Menſchen vorge-
het/ und in der Welt veruͤbet wird/ aber laß dich das
nicht aͤrgern/ du wirſt wenig Chriſten finden/ wie Herꝛ
Samuel ſel. einer geweſen iſt.
Jn dem als wir ſo miteinander redeten/ fuͤhret
man etliche/ ſo vom Gegentheil gefangen waren
worden/ uͤbern Platz/ welches unſern Diſcurs zerſtoͤ-
ret/ weil wir die Gefangene auch beſchauten: Da
vername ich eine Unſinnigkeit/ dergleichen ich mir
nicht haͤtte traͤumen doͤrffen laſſen: Es war aber ein
neue Mode einander zu gruͤſſen und zu bewillkom̃en/
dann einer von unſerer Guarniſon, welcher hiebevor
dem Kaͤiſer auch gedient hatte/ kante einen von den
EGefan-
[96]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Gefangenen/ zu dem gieng er/ gab ihm die Hand/
druckt jenem die ſeinige vor lauter Freud und Treu-
hertzigkeit/ und ſagte: Daß dich der Hagel erſchlag/
(Alt-Teutſch) lebſtu auch noch Bruder? Potz Fi-
ckerment/ wie fuͤhrt uns der Teuffel hier zuſammen!
ich hab ſchlag mich der Donner vorlaͤngſt gemeynt/
du waͤrſt gehenckt worden: Darauff antwortet der
ander/ potz Blitz Bruder! biſtus/ oder biſtus nicht?
daß dich der Teuffel hol/ wie biſtu hieher kom̃en? ich
haͤtte mein Lebtag nicht gemeynt/ daß ich dich wieder
antreffen wuͤrde/ ſondern hab gedacht/ der Teuffel
hab dich vorlaͤngſt hingefuͤhrt. Und als ſie wieder
voneinander giengen/ ſagt einer zum andern/ an ſtatt
behuͤt dich Gott; Strick zu/ Strick zu/ morgen kom-
men wir vielleicht zuſammen/ dann wollen wir brav
miteinander ſauffen.
Jſt das nicht ein ſchoͤner gottſeeliger Willkomm?
ſagt ich zum Pfarꝛer/ ſind das nicht herꝛliche Chriſt-
liche Wuͤnſch? haben dieſe nicht einen heiligen Vor-
ſatz auff den morgenden Tag? wer wolte ſie vor
Chriſten erkennen/ oder ihnen ohne Erſtaunen zuhoͤ-
ren? wenn ſie einander auß Chriſtlicher Liebe ſo zu-
ſprechen/ wie wirds denn hergehen/ wenn ſie mitein-
ander zancken? Herꝛ Pfarꝛer/ wenn diß Schaͤflein
Chriſti ſind/ ihr aber deſſen beſtellter Hirt/ ſo will
euch gebuhren/ ſie auff eine beſſere Waͤid zu fuͤhren;
Ja/ antwort der Pfarꝛer/ Liebes Kind/ es gehet bey
den gottloſen Soldaten nicht anders her/ GOtt er-
barms! wann ich gleich etwas ſagte/ ſo waͤre es ſo
viel/ als wenn ich den Tauben predigte/ und ich haͤtte
nichts anders davon/ als dieſer gottloſen Burſch ge-
faͤhrlichen Haß. Jch verwundert mich/ ſchwaͤtzte
noch
[97]Erſtes Buch.
noch ein Weil mit dem Pfarꝛer/ und gieng dem Gu-
bernator auffzuwarten/ dann ich hatte gewiſſe Zeiten
Erlaubnus/ die Statt zu beſchauen/ und zum Pfar-
rer zu gehen/ weil mein Herꝛ von meiner Einfalt
Wind hatte/ und gedachte/ ſolche wuͤrde ſich legen/
wann ich herumb terminirte/ etwas ſehe/ hoͤrte/ und
von andern geſchulet/ oder wie man ſagt/ gehobelt
und geruͤlpt wuͤrde.
DasXXVII.Capitel.
MEines Herꝛn Gunſt vermehrte ſich taͤglich/ und
wurde je laͤnger je groͤſſer gegen mir/ weil ich
nicht allein ſeiner Schweſter/ die den Einſidel ge-
habt hatte/ ſondern auch ihm ſelbſten je laͤnger je glei-
cher ſahe/ in dem die gute Speiſen und faule Taͤg
mich in Kuͤrtze glatthaͤrig machten. Dieſe Gunſt ge-
noſſe ich bey jedermaͤnniglich/ dann wer etwas mit
dem Gubernator zu thun hatte/ der erzeigte ſich mir
auch guͤnſtig/ und ſonderlich mochte mich der Secre-
tarius wol leiden/ in dem mich derſelbe rechnen lernen
muſte/ hatte er manche Kurtzweil von meiner Einfalt
und Unwiſſenheit; er war erſt von den Studien kom-
men/ und ſtack dahero noch voller Schulpoſſen/ die
ihm zu Zeiten ein Anſehen gaben/ als wann er einen
Sparꝛen zu viel oder zu wenig gehabt haͤtte/ er uͤber-
redete mich offt/ ſchwartz ſey weiß/ und weiß ſey
ſchwartz/ dahero kam es/ daß ich ihm in der erſte al-
les/ und auffs letzte gar nichts mehr glaubte: Jch
tadelt ihm einsmals ſein ſchmierig Dintenfaß/ er
aber antwortet/ ſolches ſey ſein beſtes Stück in der
gantzen Cantzley/ dann auß demſelben lange er her-
auß was er begehre/ die ſchoͤnſte Ducaten/ Kleider/
E ijund
[98]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
und in Summa was er vermoͤchte/ haͤtte er nach und
nach herauß gefiſcht: Jch wolte nicht glauben/ daß
auß einem ſo kleinen veraͤchtlichen Ding ſo herꝛliche
Sachen zu bekommen waͤren; hingegen ſagt er/ ſol-
ches vermoͤg der Spiritus Papyri (alſo nennet er die
Dinten) und das Dintenfaß wuͤrde darumb ein Faß
genennet/ weil es groſſe Sachen faſſe: Jch fragte/
wie mans dann herauß bringen koͤnte/ ſintemal man
kaum zween Finger hinein ſtecken moͤchte? Er ant-
wortet/ er haͤtte einen Arm im Kopff/ der ſolche Arbeit
verꝛichten muͤſſe/ er verhoffe ihm bald auch ein ſchoͤ-
ne reiche Jungfrau herauß zu langen/ und wann er
das Gluͤck haͤtte/ ſo getraute er auch eigen Land und
Leut herauß zu bringen/ welches wol ehemals ge-
ſchehen waͤre: Jch muſte mich uͤber dieſe kuͤnſtliche
Griff verwundern/ und fragte/ ob noch mehr Leute
ſolche Kunſt koͤnten? Freylich/ antwortet er/ alle
Cantzler/ Doctorn, Secretarii, Procuratorn oder Ad-
vocaten/ Commiſſarii, Notarii, Kauff- und Han-
dels-Herꝛen/ und ſonſt unzehlich viel andere mehr/
welche gemeiniglich/ wann ſie nur fleiſſig fiſchen/ zu
reichen Herꝛen darauß werden: Jch ſagte/ ſo ſeynd
die Bauren und andere arbeitſame Leut nicht witzig/
daß ſie im Schweiß ihres Angeſtchts ihr Brot eſ-
ſen/ und dieſe Kunſt nicht auch lernen: Er antwor-
tet/ etliche wiſſen der Kunſt Nutzen nicht/ dahero be-
gehren ſie ſolche auch nicht zu lernen; etliche wol-
tens gerne lernen/ manglen aber deß Arms im Kopff/
oder anderer Mittel; etliche lernen die Kunſt/ und
haben Arms genug/ wiſſen aber die Griff nicht/ ſo
die Kunſt erfordert/ wenn man dardurch will reich
werden; andere wiſſen und koͤnnen alles was darzu
gehoͤrt
[99]Erſtes Buch.
gehoͤrt/ ſie wohnen aber an der Feblhalden/ und ba-
ben keine Gelegenheit wie ich/ die Kunſt rechtſchaffen
zu uͤben.
Als wir dergeſtalt vom Dintenfaß (welches mich
allerdings an deß Fortunati Saͤckel gemahnet) di-
ſcurirten/ kam mir das Titular-Buch ohngefaͤbr in
die Haͤnd/ darinnen fande ich/ meines damaligen
Davorhaltens/ mehr Thorheiten/ als mir bißhero
noch nie vor Augen kommen; Jch ſagte zum Secre-
tario, dieſes alles ſind ja Adams-Kinder/ und eines
Gemaͤchts miteinander/ und zwar nur von Staub
und Aſchen! Wo kompt dann ein ſo groſſer Unter-
ſcheid her? Allerheiligſt/ Unuͤberwindlichſt/ Durch-
leuchtigſt! Sind das nicht Goͤttliche Eigenſchaff-
ten? hier iſt einer Gnaͤdig/ dort iſt der ander Ge-
ſtreng; und was muß allzeit das Geborn darbey
thun? man weiß ja wol/ daß keiner vom Him̃el faͤllt/
auch keiner auß dem Waſſer entſtehet/ und daß kei-
ner auß der Erden waͤchſt/ wie ein Krautskopff; wa-
rumb ſtehen nur Hoch-Wol. Vor- und Großgeach-
te da/ und keine geneunte? oder wo bleiben die ge-
fuͤnffte/ geſechſte/ und geſibende? was iſt das vor ein
naͤrꝛiſch Wort/ Vorſichtig? welchem ſtehen dann
die Augen hinden im Kopff? Der Secretarius muſte
meiner lachen/ und nam die Muͤhe/ mir eines und
deß andern Titul/ und alle Wort inſonderheit auß-
zulegen/ ich aber beharꝛete darauff/ daß die Titul
nicht recht geben wuͤrden/ es waͤre einem viel ruͤhm-
licher/ wann er Freundlich titulirt wuͤrde/ als Ge-
ſtreng; Jtem/ wann das Wort Edel an ſich ſelb-
ſten nichts anders/ als hochſchaͤtzbarliche Tugenden
dedeute/ warumb es dann/ wann es zwiſchen Hoch-
E iijgeborn
[100]Deß Abenth. Simpliciſſimi
geborn (welches Wort einen Fuͤrſten oder Grafen
anzeige) geſetzt werde/ ſolchen Fuͤrſtlichen Titul
verꝛingere? das Wort Wolgeborn ſey eine gantze
Unwarheit/ ſolches wuͤrde eines jeden Barons Mutter
bezeugen/ wenn man ſie fraget/ wie es ihr bey ihres
Sohns Geburt ergangen waͤre?
Jn dem ich nun dieſes alſo belachte/ entranne mir
ohnverſehens ein ſolcher grauſamer Leibs-Dunſt/ daß
beydes ich und der Secretarius daruͤber erſchracken;
dieſer meldet ſich augenblicklich ſo wol in unſern Na-
ſen/ als in der gantzen Schreibſtuben ſo kraͤfftig an/
gleichſam als wenn man ihn zuvor nicht genug ge-
hoͤret haͤtte: Troll dich du Sau/ ſagt der Secretarius
zu mir/ zu andern Saͤuen in Stall/ mit denen du
Ruͤlp beſſer zuſtimmen/ als mit ehrlichen Leuten
converſiren kanſt; er muſte aber ſo wol als ich den
Ort raͤumen/ und dem greulichen Geſtanck den Platz
allein laſſen. Und alſo habe ich meinen guten Handel/
den ich in der Schreib-Stub hatte/ dem gemeinen
Spruͤchwort nach/ auff einmal verkerbt.
DasXXVIII.Capitel.
JCh kam aber ſehr unſchuldig in diß Ungluͤck/ denn
die ohngewoͤhnliche Speiſen und Artzneyen/ die
man mir taͤglich gab/ meinen zuſammen geſchrum-
pelten Magen und eingeſchnorꝛtes Gedaͤrm wieder
zu recht zu bringen/ erꝛegten in meinem Bauch viel
gewaltige Wetter und ſtarcke Sturmwind/ welche
mich treff ich quaͤlten/ wann ſie ihren ungeſtuͤmmen
Außbruch ſuchten; und demnach ich mir nicht ein-
bildete/ daß es uͤbel gethan ſey/ wenn man diß Orts
der Natur willfahre/ maſſen einem ſolchen innerli-
chen
[101]Erſtes Buch.
chen Gewalt in die Laͤng zu widerſtehen/ ohne das
ohnmuͤglich/ mich auch weder mein Einſidel (weil
ſolche Gaͤſt gar duͤnn bey uns geſaͤet wurden) niemal
nichts darvon unterꝛichtet/ noch mein Knan verbot-
ten/ ſolche Kerl ihres Wegs nicht ziehen zu laſſen/
als lieſſe ich ihnen Lufft/ und alles paſſirn/ was nur
fort wolte/ diß ich erzehlter maſſen mein Credit beym
Secretario verloren: Zwar waͤre deſſen Gunſt noch
wol zu entberen geweſt/ wenn ich in keinen groͤſſern
Unfall kommen waͤre/ dann mir giengs/ wie einem
frommen Menſchen der nach Hof kompt/ da ſich die
Schlang wider den Naſicam, Goliath wider den
David/ Minotaurus wider Theſeum, Meduſa wider
Perſeum, Circe wider Ulyſſem, Ægiſthus wider Me-
nelaum, Paludes wider Coræbum, Medea wider den
Peliam, Neſſus wider Herculem, und was mehr iſt/
Althea wider ihren eigenen Sohn Meleagrum ru-
ſtet.
Mein Herꝛ hatte einen außgeſtochenen Eſſig zum
Page neben mir/ welcher ſchon ein paar Jahr bey
ihm geweſen/ demſelben ſchenckt ich mein Hertz/ weil
er mit mir gleiches Alters war: Jch gedachte/ dieſer
iſt Jonathan/ und du biſt David; aber er eyfert mit
mir/ wegen der groſſen Gunſt/ die mein Herꝛ zu mir
trug/ und taͤglich vermehrte; er beſorgt/ ich moͤchte
ihm vielleicht die Schuh gar außtretten/ ſahe mich
derowegen heimlich mit mißgoͤnſtigen neidigen Au-
gen an/ und gedachte auff Mittel/ wie er mir den
Stein ſtoſſen/ und durch meinen Unfall dem ſeini-
gen vorkommen moͤchte: Jch aber hatte Dauben-
Augen/ und auch einen andern Sinn als er/ ja ich
vertraute ihm alle meine Heimlichkeiten/ die zwar
E jvauff
[102]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
auff nichts anders/ als auff kindiſcher Einfalt und
Frommkeit beſtunden/ dahero er mir auch nirgends
zukommen konte. Einsmals ſchwaͤtzten wir im Bett
lang miteinander/ ehe wir entſchlieffen/ und in dem
wir vom Wahrſagen redeten/ ver ſprach er mich ſol-
ches auch umbſonſt zu lernen; hieſſe mich darauff
den Kopff unter die Decke thun/ dann er uͤberꝛedet
mich/ auff ſolche Weis muͤſte er mir die Kunſt bey-
bringen; Jch gehorchte fleiſſig/ und gab auff die
Ankunfft deß Wahrſager-geiſtes genaue Achtung/
potz Gluͤck! derſelbe nam ſeinen Einzug in meiner
Naſen/ und zwar ſo ſtarck/ daß ich den gantzen Kopff
wieder unter der Decken herfuͤr thun muſte: Was
iſts? ſagt mein Lehrmeiſter/ Jch antwortet/ du haſt
einen ſtreichen laſſen; Und du/ antwortet er/ haſt
wahr geſagt/ und kanſt alſo die Kunſt am beſten. Die-
ſes empfande ich vor keinen Schimpff/ dann ich hat-
te damals noch keine Gall/ ſondern begehrte allein
von ihm zu wiſſen/ durch was vor einen Vortel man
dieſe Kerl ſo ſtillſchweigend abſchaffen koͤnte? mein
Camerad antwortet/ dieſe Kunſt iſt gering/ du darffſt
nur das lincke Bein auffheben/ wie ein Hund der an
ein Eck bruntzt/ darneben heimlich ſagen: Je pete, Je
pete, Je pete, und mithin ſo ſtarck gedruckt/ als du
kanſt/ ſo ſpatzieren ſie ſo ſtillſchweigends dahin/ als
wann ſie geſtolen haͤtten. Es iſt gut/ ſagte ich/ und
wanns hernach ſchon ſtinckt/ ſo wird man vermey-
nen/ die Hund haben den Lufft verfaͤlſcht/ ſonderlich
wann ich das lincke Bein fein doch auffgehebt werde
haben. Ach/ dachte ich/ haͤtte ich doch dieſe Kunſt
heute in der Schreib-Stuben
gewuſt.
Das
[103]Erſtes Buch.
DasXXIX.Capitel.
DEß andern Tags hatte mein Herꝛ ſeinen Offi-
ciern und andern guten Freunden/ eine Fuͤrſt-
liche Gaſterey angeſtellt/ weil er die angenehme Zei-
tung bekommen/ daß die Seinigen das veſte Hauß
Braunfels ohne Verluſt einigen Manns eingenom-
men; da muſte ich/ wie dann mein Ampt war/ wie
ein anderer Tiſch-Diener helffen Speiſen aufftra-
gen/ einſchencken/ und mit einem Deller in der Hand
auffwarten: Den erſten Tag wurde mir ein groſſer
fetter Kalbskopff (von welchen man zu ſagen pflegt/
daß ſie kein Armer freſſen doͤrffe) auffzutragen ein-
gehaͤndigt; weil nun derſelbig zimlich muͤrd geſot-
ten war/ lieſſe er das eine Aug mit zugehoͤriger gan-
tzen Subſtanz zimlich weit herauß lappen/ welches
mir ein anmuthiger und verfuͤhriſcher Anblick war:
Und weil mich der friſche Geruch von der Speck-
Bruͤhe und auffgeſtreutem Jngwer zugleich anrei-
tzete/ empfand ich einen ſolchen Appetit/ daß mir
das Maul gantz voll Waſſer wurde: Jn Summa/
das Aug lachte meine Augen/ meine Naſen/ und
meinen Mund zugleich an/ und bate mich gleichſam/
ich wolte es doch meinem heiß-hungerigen Magen
einverleiben: Jch lieſſe mir nicht lang den Rock zer-
reiſſen/ ſondern folgte meinen Begierden/ im Gang
hub ich das Aug mit meinem Leffel/ den ich erſt den-
ſelben Tag bekommen hatte/ ſo meiſterlich herauß/
und ſchickte es ohne Anſtoß ſo geſchwind an ſeinen
Ort/ daß es auch kein Menſch innen ward/ biß das
Schuͤppen-Eſſen auff den tiſch kam/ und mich und
ſich ſelbſt verꝛiethe; dañ als man ihn zerlegen wolte/
E vund
[104]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
und eins von ſeinen allerbeſten Gliedmaſſen mangel-
te/ ſahe mein Herꝛ gleich/ warumb der Vorſchnei-
der ſtutzte; Er wolte fuͤrwahr den Spott nicht ha-
ben/ daß man ihm einen einaͤugigen Kalbskopff auff-
zuſtellen/ das Hertz haben ſolte! Der Koch muſte
vor die Tafel/ und die ſo auffgetragen hatten/ wurden
mit ihm examinirt; zuletzt kame das Facit uͤber den
armen Simplicium herauß/ daß nemlich ihme der
Kopff mit beyden Augen auffzutragen gegeben wor-
den waͤre/ wie es aber weiter gangen/ darvon wuſte
niemand zu ſagen. Mein Herꝛ fragte/ meines Be-
duͤnckens mit einer ſchroͤcklichen Mine, wohin ich mit
dem Kalbs-Aug kommen waͤre? geſchwind wiſchte
ich mit meinem Leffel wieder auß dem Sack/ gab
dem Kalbskopff den andern Fang/ und wieſe kurtz
und gut/ was man von mir wiſſen wolte/ maſſen ich
das ander Aug/ gleich wie das erſte/ in einem Huy
verſchlang: Par Dieu, ſagte mein Herꝛ/ dieſer Act
ſchmeckt beſſer/ als zehen Kaͤlber! Die anweſende
Herꝛen lohten dieſen Außſpruch/ und nenneten meine
That/ die ich auß Einfalt begangen/ eine Wunder-
kluge Erfindung/ und Vorbedeutung kuͤnfftiger
Dapfferkeit und unerſchrockenen Reſolution. Alſo
daß ich vor dißmal meiner Straff/ durch Widerho-
lung eben deß jenigen/ damit ich ſolche verdient hat-
te/ nicht allein gluͤcklich entgieng/ ſondern auch von
etlichen kurtzweiligen Poſſenreiſſern/ Fuchsſchwaͤn-
tzern und Tiſch-Raͤthen/ diß Lob erlangte/ ich haͤtte
weislich gehandelt/ daß ich beyde Augen zuſammen
logirt/ damit ſie gleich wie in dieſer/ alſo auch in je-
ner Welt einander Huͤlff u[n]d Geſellſchafft leiſten
koͤnten/ worzu ſie dann anfaͤnglich von der Natur ge-
widmet
[105]Erſtes Buch.
widmet waͤren. Mein Herꝛ aber ſagte/ ich ſolte ihm
ein ander mal nicht wieder ſo kommen.
DasXXX.Capitel.
BEy dieſer Mahlzeit (ich ſchaͤtze/ es geſchicht bey
andern auch) tratte man gantz Chriſtlich zur
Tafel/ man ſprach das Tiſchgebet ſehr ſtill/ und al-
lem Anſehen nach auch ſehr andaͤchtig: Solche ſtille
Andacht continuirte ſo lang/ als man mit der Supp
und den erſten Speiſen zu thun hatte/ gleichſam als
wenn man in einem Capucciner-Convent geſſen baͤt-
he; Aber kaum hatte jeder drey oder viermal geſeg-
ne Gott geſagt/ da wurde ſchon alles viel lauter:
Jch kan nicht beſchreiben/ wie ſich nach und nach ei-
nes jeden Stimm je laͤnger je hoͤher erhebte/ ich wol-
te dann die gantze Geſellſchafft einem Orator ver-
gleichen/ der erſtlich ſachte anfaͤhet/ und endlich
herauß donnert: Man brachte Gerichter/ deßwegen
Vor-Eſſen genant/ weil ſie gewuͤrtzt/ und vor dem
Trunck zu genieſſen verordnet waren/ damit derſelbe
deſto beſſer gienge: Jtem Bey-Eſſen/ weil ſie bey
dem Trunck nicht uͤbel ſchmecken ſolten/ allerhand
Frantzoͤſiſchen Potagen und Spaniſchen Olla Pot-
triden zu geſchweigen; welche durch tauſendfaͤltige
kuͤnſtliche Zubereitungen und ohnzahlbare Zuſaͤtze/
dermaſſen verpfeffert/ uͤberdummelt/ vermummet/
mixtirt/ und zum Trunck geruͤſtet waren/ daß ſie
durch ſolche zufaͤllige Sachen und Gewuͤrtz mit ih-
rer Subſtanz ſich weit anders veraͤndert hatten/ als
ſie die Natur anfaͤnglich hervor gebracht/ alſo daß
ſie Cneus Manlius ſelbſten/ wann er ſchon erſt auß
Aſia kommen waͤre/ und die beſte Koͤch bey ſich ge-
E vjhabt
[106]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
habt haͤtte/ dennoch nicht gekennet haͤtte. Jch ge-
dachte/ warumb wolten dieſe einem Menſchen/ der
ihm ſolche/ und den Trunck darbey ſchmecken laͤſt/
(worzu ſie dann vornemlich bereitet ſind) nicht auch
ſeine Sinne zerſtoͤren/ und ihn veraͤndern/ oder gar
zu einer Beſtia machen koͤnnen? Wer weiß/ ob Circe
andere Mittel gebraucht hat/ als eben dieſe/ da ſie
deß Ulyſſis Geferten in Schwein veraͤndert? Jch
ſahe einmal/ daß dieſe Gaͤſt die Trachten fraſſen wie
die Saͤu/ darauff ſoffen wie die Kuͤhe/ ſich darbey
ſtellten wie die Eſel/ und alle endlich kotzten wie die
Gerberhund! Den edlen Hochheimer/ Bacheracher
und Klingenberger/ goſſen ſie mit Kuͤbelmaͤſſigen
Glaͤſern in Magen hinunder/ welche ihre Wuͤrckun-
gen gleich oben im Kopffverſpůren lieſſen. Darauff
ſahe ich meinen Wunder/ wie ſich alles veraͤnderte;
nemlich verſtaͤndige Leut/ die kurtz zuvor ihre fuͤnff
Sinn noch geſund beyeinander gehabt/ wie ſie jetzt
urploͤtzlich anfiengen naͤrꝛiſch zu thun/ und die al-
derſte Ding von der Welt vorzubringen; die groſſe
Thorheiten die ſie begiengen/ und die groſſe Truͤnck/
die ſie einander zubrachten/ wurden je laͤnger je groͤſ-
ſer/ alſo daß es ſchiene/ als ob dieſe beyde umb die
Wett miteinander ſtritten/ welches unter ihnen am
groͤſten waͤre/ zuletzt verkehrte ſich ihr Kampff in eine
unflaͤtige Sauerey. Nichts artlichers war/ als daß
ich nicht wuſte/ woher ihnen der Duͤrmel kam/ ſinte-
mal mir die Wuͤrckung deß Weins/ oder die Trun-
ckenheit ſelbſt/ noch allerdings unbekant geweſen/
welches dann luſtige Grillen und Phantaſten-Ge-
dancken in meinem wercklichen Nachſinnen ſetzte/ ich
ahe wol ihre ſeltzame Minas, ich wuſte aber den Ur-
ſprung
[107]Erſtes Buch.
ſprung ihres Zuſtands nicht. Biß dahin hatte jeder
mit gutem Appetit das Geſchirꝛ gelaͤert/ als aber die
Maͤgen gefuͤllt waren/ hielte es haͤrter als bey einem
Fuhrmann/ der mit geruhtem Geſpann auff der
Ebne wol fort kompt/ am Berg aber nicht hotten
kan. Nachdem aber die Koͤpff auch doll wurden/ er-
ſetzte ihre Unmuͤglichkeit entweder deß einen Coura-
ge, die er im Wein eingeſoffen; oder beym andern
die Treuhertzigkeit/ ſeinem Freund eins zu bringen;
oder beym dritten die Teutſche Redlichkeit/ Ritter-
lich Beſcheid zu thun: Nachdeme aber ſolches die
Laͤnge auch nicht beſtehen konte/ beſchwur je einer
den andern bey groſſer Herꝛen und ſonſt lieber Freund/
oder bey ſeiner Liebſten Geſundheit/ den Wein Maß-
weis in ſich zu ſchuͤtten/ woruͤber manchem die Au-
gen uͤbergiengen/ und der Angſtſchweiß außdrach;
doch muſte es geſoffen ſeyn: Ja man machte zuletzt
mit Trommeln/ Pfeiffen und Saͤitenſpiel Lermen/
und ſchoß mit Stücken darzu/ ohn Zweiffel darumb/
dieweil der Wein die Maͤgen mit Gewalt einnem-
men muſte. Mich verwundert/ wohin ſie ihn doch
alle ſchuͤtten koͤnten/ weil ich noch nicht wuſte/ daß ſie
ſolchen/ ehe er recht warm bey ihnen ward/ wiederum
mit groſſem Schmertzen auß eben dem Ort herfuͤr
gaben/ wohinein ſie ihn kurtz zuvor mit hoͤchſter Ge-
fahr ihrer Geſundheit gegoſſen hatten.
Mein Pfarꝛer war auch bey dieſer Gaſterey/ ihm
beliebte ſo wol als andern/ weil er auch ſo wol als
andere ein Menſch war/ ein Abtritt zu nemmen: Jch
gieng ihm nach/ und ſagte: Mein Herꝛ Pfarꝛer/
warumb thun doch die Leut ſo ſeltzam? woher kom̃t
es doch/ daß ſie ſo hin und her dorckeln? mich duͤnckt
E vijſchier
[108]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ſchier/ ſie ſeyen nicht mehr recht witzig/ ſie haben ſich
alle ſatt geſſen und getruncken/ und ſchwoͤren bey
Teuffel holen/ wann ſie mehr ſauffen koͤnnen/ und
dennoch hoͤren ſie nicht auff/ ſich außzuſchoppen!
muͤſſen ſie es thun/ oder verſchwenden ſie GOtt zu
Trutz/ auß freyem Willen ſo unnuͤtzlich? Liebes
Kind/ antwortet der Pfarꝛer/ Wein ein/ Witz auß!
das iſt noch nichts gegen dem/ das kuͤnfftig iſt: Mor-
gen gegen Tag iſts noch ſchwerlich Zeit/ bey ihnen
voneinander zu gehen/ dann wenn ſchon ihre Maͤgen
gedrungen voll ſtecken/ ſo ſind ſie jedoch noch nicht
recht luſtig geweſt; zerberſten dann/ ſagte ich/ ihre
Baͤuch nicht/ wenn ſie immer ſo unmaͤſſig einſchte-
ben? koͤnnen dann ihre Seelen/ die Gottes Ebenbild
ſeyn/ in ſolchen Maſtſchwein-Coͤrpern verharꝛen?
in welchen ſie doch/ gleichſam wie in finſtern Gefaͤng-
nuſſen und Ungezifer-maͤſſigen Diebs-Thuͤrnen/ ohn
alle gottſeelige Regungen gefangen ligen? Jhre edle
Seelen/ ſage ich/ wie moͤgen ſich ſolche ſo martern
laſſen; ſeynd nicht ihre Sinne/ welcher ſich ihre See-
len bedienen ſolten/ wie in dem Eingeweid der un-
vernuͤnfftigen Thier begraben? Halts Maul/ ant-
wortet der Pfarꝛer/ du doͤrffteſt ſonſt greulich Pum-
pes kriegen/ hier iſt kein Zeit zu predigen/ ich wolts
ſonſt beſſer als du verꝛichten. Als ich dieſes hoͤrte/
ſahe ich ferner ſtillſchweigend zu/ wie man Speiß und
Tranck muthwillig verderbte/ unangeſehen der arme
Lazarus/ den man damit haͤtte laben koͤnnen/ in Ge-
ſtalt vieler 100. vertriebener Wetterauer/ denen der
Hunger zu den Augen herauß guckte/ vor unſern
Thuͤren verſchmachtete/ weil naut
im Schanck war.
Das
[109]Erſtes Buch.
DasXXXI.Capitel.
ALs ich dergeſtalt mit einem Deller in der Hand
vor der Tafel auffwartete/ und in meinem Ge-
muͤt von allerhand Dauben und wercklichen Gedan-
cken geplagt wurde/ lieſſe mich mein Bauch auch
nicht zu frieden/ er kurꝛet und murꝛet ohn Unterlaß/
und gab dardurch zu verſtehen/ daß Burſch in ihm
vorhanden waͤren/ die in freyen Lufft begehrten; ich
gedacht/ mir von dem ungeheuren Geruͤmpel abzu-
helffen/ den Paß zu oͤffnen/ und mich darbey meiner
Kunſt zu bedienen/ die mich erſt die vorig Nacht mein
Camerad gelernet hatte; ſolchem Unterꝛicht zu folg/
hub ich das lincke Bein ſampt dem Schenckel in alle
Hoͤhe auff/ druckte von allen Kraͤfften was ich konte/
und wolte meinen Spruch/ Je pete, zugleich dreymal
heimlich ſagen; Als aber der ungeheure Geſpan/ der
zum Hindern hinauß wiſchte/ wider mein Verhoffen
ſo greulich thoͤnete/ wuſte ich vor Schrecken nit mehr
was ich thaͤte/ mir wurde einsmals ſo bang/ als weñ
ich auff der Laͤiter am Galgen geſtanden waͤre/ und
mir der Hencker bereits den Strick haͤtte anlegen
wollen/ und in ſolcher gaͤhlingen Angſt ſo verwirꝛet/
daß ich auch meinen eigenen Gliedern nicht mehr be-
fehlen konte/ maſſen mein Maul in dieſem urploͤtz-
lichen Lermen auch rebelliſch wurde/ und dem Hin-
dern nichts bevor geben/ noch geſtatten wolte/ daß
er allein das Wort haben/ es aber/ das zum reden
und ſchreyen erſchaffen/ ſeine Reden heimlich drum-
len ſolte/ derowegen lieſſe ſolches das jenige/ ſo ich
heimlich zu reden im Sinn hatte/ dem Hindern zu
Trutz uͤberlaut hoͤren/ und zwar ſo ſchroͤcklich/ als
wann
[110]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
wann man mir die Kehl haͤtte abſtechen wollen: Je
greulicher der Unterwind knallete/ je grauſamer das
Je pete oben herauß fuhr/ gleichſam als ob meines
Magens Ein- und Außgang einen Wettſtreit mitein-
ander gehalten haͤtten/ welcher unter ihnen beyden
die ſchroͤcklichſte Stimm von ſich zu donnern ver-
moͤchte. Hierdurch bekam ich wol Linderung in mei-
nem Eingeweid/ dargegen aber einen ungnaͤdigen
Herꝛn an meinem Gouverneur; Seine Gaͤſt wurden
uͤber dieſem unverſehenen Knall faſt wieder alle nuͤch-
tern/ ich aber/ weil ich mit aller meiner angewandten
Muͤhe und Arbeit keinen Wind bannen koͤnnen/ in
eine Futterwanne geſpannet/ und alſo zerkarbaͤitſcht/
daß ich noch biß auff dieſe Stund daran gedencke.
Solches waren die erſte Paſtonaden die ich kriegte/
ſeit ich das erſte mal Lufft geſchoͤpfft/ weil ich den-
ſelben ſo abſcheulich verderbt hatte/ in welchem wir
doch gemeinſchafftlicher Weis leben muͤſſen/ da
brachte man Rauch-taͤfelein und Kertzen/ und die
Gaͤſt ſuchten ihre Biſemknoͤpff und Balſambuͤchs-
lein/ auch ſo gar ihren Schnupfftoback hervor/ aber
die beſte arommata wolten ſchier nichts erklecken.
Alſo hatte ich von dieſem Actu, den ich beſſer als der
beſte Comœdiant in der Welt ſpielte/ Friede in mei-
nem Bauch/ hingegen Schlaͤg auff den Buckel/ die
Gaͤſt aber ihre Nafen voller Geſtanck/ und die Auff-
warter ihre Muͤhe/ wieder einen guten Geruch ins
Zimmer zu machen.
DasXXXII.Capitel.
WJe diß voruͤber/ muſte ich wieder auffwarten/
wie zuvor/ mein Pfarꝛer war noch vorhanden/
und
[111]Erſtes Buch.
und wurde ſo wol als andere zum Trunck genoͤtiget/
er aber wolte nicht recht daran/ ſondern ſagte: Er
moͤchte ſo beſtialiſch nicht ſauffen; hingegen erwieſe
ihm ein guter Zech-Bruder/ daß er Pfarꝛer wie eine
Beſtia/ er der Saͤuffer und andere Anweſende aber/
wie Menſchen ſoͤffen; dann/ ſagte er/ ein Vieh ſaͤufft
nur ſo viel als ihm wol ſchmecket/ und den Durſt
leſcht/ weil ſie nicht wiſſen was gut iſt/ noch den
Wein trincken moͤgen; uns Menſchen aber beliebt/
daß wir uns den Trunck zu nutz machen/ und den ed-
len Reben-Safft einſchleichen laſſen/ wie unſer Vor-
Eltern auch gethan haben: So wol/ ſagt der Pfar-
rer/ es gebuͤhrt mir aber rechte Maaß zu halten;
Wol/ antwort jener/ ein ehrlicher Mann haͤlt ſein
Wort/ und ließ ihm darauff einen maͤſſigen Becher
einſchencken/ denſelben dem Pfarꝛer zuzuzottlen; er
hingegen gieng durch/ und ließ den Saͤuffer mit ſei-
nem Eymer ſtehen.
Als dieſer abgeſchafft war/ gieng es drunter und
druͤber/ und lieſſe ſich anſehen/ als wenn dieſe Gaſte-
rey ein beſtimpte Zeit und Gelegenheit ſeyn ſolte/ ſich
gegeneinander mit Vollſauffen zu raͤchen/ einander
in Schand zu bringen/ oder ſonſt ein Poſſen zu reiſ-
ſen; dann wann einer expedirt wurde/ daß er weder
ſitzen/ gehen oder ſtehen mehr konte/ ſo bieß es: Nun
iſts Wett! Du haſt mirs hiebevor auch ſo gekocht/
jetzt iſt dirs eingetraͤnckt/ und ſo fortan/ ꝛc. Welcher
aber außdauren/ und am beſten ſauffen konte/ wuſte
ſich deſſen groß zu machen/ und duͤnckte ſich kein ge-
ringer Kerl zu ſeyn; zuletzt duͤrmelten ſie alle herum/
als
[112]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
als wenn ſie Bilſenſamen genoſſen haͤtten. Es war
eben ein wunderliches Faßnacht-Spiel an ihnen zu
ſehen/ und war doch niemand/ der ſich daruͤber ver-
wundert/ als ich; einer ſang/ der ander weynet/
einer lachte/ der ander traurete/ einer fluchte/ der
ander betete/ einer ſchrye uͤberlaut Courage, der
ander konte nicht mehr reden/ einer war ſtille und
friedlich/ der ander wolte den Teuffel mit Rauff-
Haͤndeln bannen/ einer ſchlieff und ſchwiege ſtill/
der ander plaudert/ daß ſonſt keiner vor ihm zukom-
men konte; Einer erzehlte ſeine liebliche Bulerey/
der ander ſeine erſchroͤckliche Kriegs-Thaten/ etli-
che redeten von der Kirch und geiſtlichen Sachen/
andere von Ratione Status, der Politic, Welt- und
Reichs-Haͤndeln; theils lieffen hin und wider/ und
konten an keiner Stelle bleiben/ andere lagen und
vermochten nicht/ den kleineſten Finger zu regen/
geſchweige auffrecht zu gehen oder zu ſtehen/ etliche
fraſſen wie die Dreſcher/ und als ob ſie acht Tage
Hunger gelitten haͤtten/ andere kotzten wieder/ was
ſie denſelbigen gantzen Tag eingeſchlucket hatten.
Einmal/ ihr gantzes Thun und Laſſen war dermaſ-
ſen poſſierlich/ naͤrꝛiſch/ ſeltzam/ und darbey ſo
ſuͤndhafftig und gottloß/ daß der mir entwiſchte
uͤble Geruch/ darumb ich gleichwol ſo greulich zer-
ſchlagen worden/ nur ein Schertz dargegen zu rech-
nen. Endlich ſetzt es unden an der Tafel ernſtliche
Streit-Haͤndel/ da warff man einander Glaͤſer/
Becher/ Schuͤſſel und Deller an die Koͤpff/ und
ſchlug nicht allein mit Faͤuſten/ ſondern auch mit
Stuͤlen/ Stul-Beinen/ Degen/ und allerhand
ſiben-
[113]Erſtes Buch.
ſiben-Sachen drein/ daß etlich der rothe Safft uͤber
die Ohren lieffe/ aber mein Herꝛ ſtillete den Handel
gleich wiederumb.
DasXXXIII.Capitel.
DA es nun wieder Fried worden/ namen die Mei-
ſter-Saͤuffer die Spielleut ſampt dem Frauen-
Zimmer/ und wanderten in ein ander Hauß/ deſſen
Saal auch zu einer andern Thorheit erkoren und
gewidmet war; Mein Herꝛ aber ſetzte ſich auff ſein
Lotterbett/ weil ihm entweder vom Zorn oder der
Uberfuͤllung wehe war/ ich lieſſe ihn ligen/ wo er
lag/ damit er ruhen und ſchlaffen koͤnte/ war aber
kaum unter die Thuͤr deß Zimmers kommen/ als er
mir pfeiffen wolte/ und ſolches doch nicht konte:
Er rieff/ aber nicht anders als Simpls: Jch ſprang
zu ihm/ und fand ihn die Augen verkehren wie ein
Viehe/ das man abſticht; Jch ſtund da vor ihm wie
ein Stockfiſch/ und wuſte nicht was zu thun war:
er aber deutet auffs Tryſor/ und lallete: Br/ bra/
dring da das; du Schufft/ la/ la/ lang/ langs La-
vor/ ich m/ mu/ muß e/ ein/ Fu/ Fuchs ſchieſſen!
Jch eylete und brachte das Lavor-Becken/ und als
ich zu ihm kame/ hatte er ein paar Backen wie ein
Trompeter; Er erwiſchte mich geſchwind bey dem
Arm/ und accommodirte mich zu ſtehen/ daß ich
ihm das Lavor gerad vors Maul halten muſte/ ſol-
ches brach ihme mit ſchmertzlichen Hertz-Stoͤſſen
ohnverſehens auff/ und goſſe eine ſolche wuͤſte Ma-
teri in bemeldtes Lavor/ daß mir vor unleidenlichem
Geſtanck ſchier ohnmaͤchtig wurde/ ſonderlich weil
mir
[114]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
mir etliche Brocken (ſal. ven.) ins Geſicht ſpritz-
ten: Jch haͤtte bey nahe auch mit gemacht/ aber als
ich ſahe/ wie er verblaichte/ lieſſe ichs auß Forcht
unterwegen/ und beſorgte/ die Seel wuͤrde ihm ſampt
dem Unflat durchgeben/ weil ihm der kalte Schweiß
außbrach/ und ſein Angeſicht einem Sterbenden aͤhn-
lich ſahe: Als er ſich aber gleich wieder erholte/ hieß
er mich friſch Waſſer holen/ damit er ſeinen Wein-
ſchlauch wieder außſpuͤlete.
Demnach befahl er mir den Fuchs hinweg zu tra-
gen/ welcher mich/ weil er in einem ſilbern Lavor
lag/ nichts veraͤchtliches/ ſondern ein Schuͤſſel
voller Vor-Eſſen vor vier Mann zu ſeyn/ beduͤnckt/
das ſich bey Leib nicht hinweg zu ſchuͤtten gebuͤhrte;
zu dem wuſte ich wol/ daß mein Herꝛ nichts ſchlim-
mes in ſeinen Magen geſamlet/ ſondern herꝛliche
und delicate Paſtetlein/ wie auch von allerhand Ge-
baches/ Gefluͤgel/ Wildpret und zahmen Viehe/
welches man alles noch artlich unterſcheiden und
kennen konte/ ich ſchumelte mich darmit/ wuſte
aber nicht wohin/ oder was ich drauß machen ſolte/
dorffte auch meinen Herꝛn nicht fragen. Jch gieng
zum Hofmeiſter/ dem wieſe ich dieſes ſchoͤne Tracta-
ment, und fragte/ was ich mit dem Fuchs machen
ſolte? Er antwortet/ Narꝛ gebe/ und bring ihn dem
Kirſchner/ daß er den Balg bereite; Jch fragte/
wo der Kirſchner ſeye? Nein/ antwortet er/ da er
mein Einfalt ſahe/ bring ihn dem Doctor, damit er
daran ſehe/ was vor ein Zuſtand unſer Herꝛ habe:
Solchen Aprillen-Gang haͤtte ich gethan/ wann der
Hofmeiſter nicht was anders gefoͤrcht haͤtte/ er hieß
mich
[115]Erſtes Buch.
mich derowegen den Bettel in die Kuͤche tragen/ mit
Befelch/ die Maͤgd ſoltens auffheben/ und ein Pfef-
fer druͤber machen/ welches ich ernſtlich außrichtet/
und deßwegen von den Schlaͤpp-ſaͤcken maͤchtig
agirt worden.
DasXXXIV.Capitel.
MEin Herꝛ gieng eben auß/ als ich meines Lavors
loß worden/ ich trat ihm nach gegen einem
groſſen Hauß zu/ allwo ich im Saal Maͤnner/ Wei-
ber und ledige Perſonen/ ſo ſchnell untereinander
herumb haſpeln ſahe/ daß es frey wim̃elte; die hatten
ein ſolch Getreppel und Gejoͤhl/ daß ich vermeynte/
ſie waͤren alle raſend worden/ dann ich konte nicht
erſinnen/ was ſie doch mit dieſem Wuͤten und Toben
vorhaben moͤchten? ja ihr Anblick kam mir ſo grau-
ſam/ foͤrchterlich und ſchroͤcklich vor/ daß mir alle
Berg gen Haar ſtunden/ und konte nichts anders
glauben/ als ſie muͤſten aller ihrer Vernunfft beraubt
ſeyn: Da wir naͤher hinzu kamen/ ſahe ich/ daß es
unſere Gaͤſt waren/ welche den Vormittag noch wi-
tzig geweſen; mein GOtt! gedacht ich/ was haben
doch dieſe arme Leut vor? Ach/ es hat ſie gewißlich
eine Unſinnigkeit uͤberfallen. Bald fiele mir ein/ es
moͤchten vielleicht hoͤlliſche Geiſter ſeyn/ welche in
dieſer angenommenen Weis dem gantzen menſchli-
chen Geſchlecht/ durch ſolch leichtfertig Gelaͤuff und
Affenſpiel ſpotteten/ dann ich gedachte/ haͤtten ſie
menſchliche Seelen und Gottes Ebenbild in ſich/ ſo
thaͤten ſie auch wol nicht ſo unmenſchlich. Als mein
Herꝛ in Hauß-ehren kam/ und zum Saal eingehen
wolte
[116]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
wolte/ hoͤrete die Wut eben auff/ ohne daß ſie noch
ein buckens und duckens mit den Koͤpffen/ und ein kra-
tzens und Schuh-ſchleiffens mit den Fuͤſſen auff dem
Boden machten/ daß mich deuchte/ ſie wolten die
Fußſtapffen wieder außtilgen/ die ſie in waͤhrender
Raſerey getretten; Am Schweiß/ der ihnen uͤber
die Geſichter floß/ und an ihrem Geſchnaͤuff/ konte
ich abnehmen/ daß ſie ſich ſtarck zerarbeitet hatten;
aber ihre froͤliche Angeſichter gaben zu verſiehen/ daß
ſie ſolche Bemuͤhungen nicht ſauer ankommen.
Jch haͤtte trefflich gern gewuſt/ wohin doch das
naͤrꝛiſch Weſen gemeynt ſeyn moͤchte? fragte dero-
wegen meinen Cameraden/ und vertrauten Hertz-
Bruder/ der mich erſt kuͤrtzlich das Wahrſagen ge-
lernet/ was ſolche Wut bedeute? oder worzu dieſes
raſende trippen und trappen angeſehen ſeye? Der be-
richtet mich vor eine grundliche Warheit/ daß ſich
die Anweſende vereinbart haͤtten/ dem Saal den Bo-
den mit Gewalt einzutretten; Warumb vermeynſt
du wol/ ſagt er/ daß ſie ſich ſonſt ſo dapffer dummlen
ſolten? haſiu nicht geſehen/ wie ſie die Fenſter vor
Kurtzweil ſchon außgeſchlagen? eben alſo wird es
auch dieſem Boden gehen: HErꝛ GOtt/ antwortet
ich/ ſo muͤſſen wir ja mit zu Grund gehen/ und im
hinunder fallen/ ſampt ihnen/ Hals und Bein bre-
chen? Ja/ ſagt mein Camerad/ darauff iſts ange-
ſehen/ und da geheyen ſie ſich den Teuffel darumb/
du wirſt ſehen/ wann ſie ſich alſo in Todts-Gefahr
begeben/ daß jeder ein huͤbſche Frau oder Jungfer
erwiſcht/ dann man ſagt/ es pflege denen Paaren/
ſo alſo zuſammen haltend fallen/ nicht bald wehe zu
geſchehen. Jn dem ich dieſes alles glaubte/ uͤber-
fiele
[117]Erſtes Buch.
fiele mich eine ſolche Angſt und Todtes. Sorg/ daß
ich nicht mehr wuſte/ wo ich bleiben ſolte/ und als
die Muſicanten/ deren ich bißher noch nicht wahrge-
nommen/ noch darzu ſich hoͤren lieſſen/ auch die Kerl
den Damen zulieffen/ wie die Soldaten ihrem Ge-
wehr und Poſten/ wann ſie die Trommel Lermen
ruͤhren hoͤren/ und jeder eine bey der Hand erdappte/
wurde mir nicht anders/ als wenn ich allbereit den
Boden eingehen/ und mich und viel andere mehr die
Haͤls abſtuͤrtzen ſaͤhe: Da ſie aber anfiengen zu gum-
pen/ daß der gantze Bau zitterte/ weil man eben ein
trollichten Gaſſenhauer auffmachte/ gedachte ich/
nun iſts umb dein Leben geſchehen! Jch vermeynte
nicht anders/ als der gantze Bau wuͤrde urploͤtzlich
einfallen; Derowegen erwiſchte ich in der allerhoͤch-
ſten Angſt eine Dame von hohem Adel und vortreff-
lichen Tugenden/ mit welcher mein Herꝛ eben con-
verſirte/ unverſehens beym Arm wie ein Beer/ und
hielte ſie wie eine Klett; Da ſie aber zuckte/ und nicht
wuſte/ was vor naͤrꝛiſche Grillen in meinem Kopff
ſieckten/ ſpielte ich das Deſperat. und fieng auß Ver-
zweifflung an zu ſchreyen/ als wenn man mich haͤtte
ermorden wollen: Das war aber noch nicht genug/
ſondern es entwiſchte mir auch ohngefaͤhr etwas in
die Hoſen/ ſo einen uͤber alle maſſen uͤblen Geruch
von ſich gabe/ dergleichen meine Naſe lange Zeit
nicht empfunden. Die Muſicanten wurden gaͤhling
ſtill/ die Taͤntzer und Taͤntzerin hoͤreten auff/ und
die ehrliche Dam/ deren ich am Arm hieng/ befand
ſich offendirt/ weil ſie ihr einbildet/ mein Herꝛ haͤtte
ihr ſolches zum Schimpff thun laſſen: Darauff be-
fohl mein Herꝛ/ mich zu pruͤgeln/ und hernach irgend-
hin
[118]Deß Abenth. Simpl. I. Buch.
hin einzuſperꝛen/ weil ich ihm denſelben Tag ſchon
mehr Poſſen geriſſen hatte: Die Fourierſchuͤtzen/
ſo exequiren ſolten/ hatten nicht allein Mitleiden mit
mir/ ſondern konten auch vor Geſtanck nicht bey
mir bleiben; entuͤbrigten mich derohalben der Stoͤß/
und ſperꝛeten mich unter eine Stege in Gaͤns-ſtall.
Seithero hab ich der Sach vielmals nachgedacht/
und bin der Meynung worden/ daß ſolche Excremen-
ta, die einem auß Angſt und Schrecken entgehen/
viel uͤblern Geruch von ſich geben/ als wenn
einer ein ſtarcke Purgation ein-
genommen.
ENDE deß I. Buchs.
[119]
Abentheurlicher
Simpliciſſimus
Teutſch:
Das Zweyte Buch.
Jnhalt deß II. Buchs.
- Das 1. Capitel.
Wie ſich ein Ganſer und eine Gaͤnſin ge-
paart. - Das 2. Capitel.
Wann trefflich Gut zu baden ſeye. - Das 3. Capitel.
Der ander Page bekompt ſein Lehrgelt/
undSimpliciuswird zum Narꝛn erwehlt. - Das 4. Capitel.
Vom Mann der Geld gibt/ und was vor
Kriegs-DienſteSimpliciusder Kron Schwe-
den geleiſtet/ wordurch er den NahmenSim-
pliciſſimusbekommen. - Das 5. Capitel.
Simpliciuswird von 4. Teuffeln in die Hoͤll
gefuͤhrt/ und mit Spaniſchem Wein tractirt.
FDas
[120]Jnhalt
- Das 6. Capitel.
Simpliciuskompt in Himmel/ und wird in
ein Kalb verwandelt. - Das 7. Capitel.
Wie ſichSimpliciusin dieſen beſtialiſchen
Stand geſchickt. - Das 8. Capitel.
Redet von Etlicher wunderbarlichem Ge-
daͤchtnus/ und von Anderer Vergeſſenheit. - Das 9. Capitel.
Ein uͤberzwerches Lob einer ſchoͤnen Da-
men. - Das 10. Capitel
Redet von lauter Helden und nahmhaff-
ten Kuͤnſtlern. - Das 11. Capitel.
Von dem muͤheſeeligen und gefaͤhrlichen
Stand eines Regenten. - Das 12. Capitel.
Von Verſtand und Wiſſenſchafft etlicher
unvernuͤnfftigen Thier. - Das 13. Capitel.
Haͤlt allerley Sachen in ſich/ wer ſie wiſ-
ſen will/ muß es nur ſelbſt leſen/ oder ihm le-
ſen laſſen. - Das 14. Capitel.
WasSimpliciusferner vor ein edel Leben
gefůhrt/ und wie ihndeſſen die Croaten be-
raubt/ als ſie ihn ſelbſt raubten. - Das 15. Capitel.
SimpliciReuter-Leben/ und was er bey den
Croaten geſehen und erfahren.
Das
[121]deß Zweyten Buchs.
- Das 16. Capitel.
Simpliciuserſchnappet ein gute Beut/ und
wird darauff ein diebiſcher Waldbruder. - Das 17. Capitel.
WieSimpliciuszu den Hexen auff den Tantz
gefahren. - Das 18. Capitel.
Warumb manSimplicionicht zutrauen ſol-
le/ daß er ſich deß groſſen Meſſers bediene. - Das 19. Capitel.
Simpliciuswird wieder ein Narꝛ/ wie er zu-
vor einer geweſen. - Das 20. Capitel.
Jſt zimlich lang/ und handelt vom ſpielen
mit Wuͤrffeln/ und was dem anhaͤngig. - Das 21. Capitel.
Jſt etwas kuͤrtzer/ und kurtzweiliger als
das vorige. - Das 22. Capitel.
Ein Schelmiſche Diebs-Kunſt/ einander
die Schuh außzutretten. - Das 23. Capitel.
Ulrich Hertzbruder verkaufft ſich umb 100.
Ducaten. - Das 24. Capitel.
Zwo Wahrſagungen werden auff einmal
erfuͤllt. - Das 25. Capitel.
Simpliciuswird auß einem Juͤngling in ein
Jungfrau verwandelt/ und bekompt unter-
ſchiedliche Bulſchafften.
F ijDas
[122]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
- Das 26. Capitel.
Wie er vor einen Verꝛaͤther und Zauberer
gefangen gehalten wird. - Das 27. Capitel.
Wie es dem Profoſen in der Schlacht bey
Wittſtock ergangen. - Das 28. Capitel.
Von einer groſſen Schlacht/ in welcher der
Triumphatoruͤber dem obſiegen gefangen
wird. - Das 29. Capitel.
Wie es einem frommen Soldaten im Pa-
radeis ſo wol ergieng/ ehe er ſtarb/ und wie
nach deſſen Todt der Jaͤger an ſeine Stell
getretten. - Das 30. Capitel.
Wie ſich der Jaͤger angelaſſen/ als er an-
fienge das Soldaten-Handwerck zu trei-
ben/ darauß ein junger Soldat etwas zu
lernen. - Das 31. Capitel.
Wie der Teuffel dem Pfaffen ſeinen Speck
geſtolen/ und ſich der Jaͤger ſelbſt faͤngt.
Das Erſte Capitel.
JN meinem Gaͤns-Stall concipirte ich/ was
beydes vom Tantzen und Sauffen ich im er-
ſten Theil meines Schwartz und Weiß
hiebevor geſchrieben/ iſt derowegen ohnnoͤtig/ diß
Orts etwas ferners darvon zu melden: Doch kan ich
nicht verſchweigen/ daß ich damals noch zweiffelte/
ob
[123]Zweytes Buch.
ob die Taͤntzer den Boden einzutretten/ ſo gewuͤtet/
oder ob ich nur ſo uͤberꝛedet worden? Jetzt will ich
ferner erzehlen/ wie ich wieder auß dem Gaͤns-Ker-
cker kame; Drey gantzer Stund/ nemlich biß ſich
das Præludium Veneris (der ehrlich Tantz ſolt ich
geſagt haben) geendet hatte/ muſte ich in meinem
eigenen Unluſt ſitzen bleiben/ ehe einer herzu ſchlich/
und an dem Rigel anfieng zu rappeln; Jch lauſterte
wie ein San die ins Waſſer harnt/ der Kerl aber/
ſo an der Thuͤr war/ machte ſolche nicht allein auff/
ſondern wiſchte auch eben ſo geſchwind hinein/ als
gern ich herauſſen geweſt waͤre/ und ſchleppte noch
darzu ein Weibsbild an der Hand mit ſich daher/
gleich wie ich beym Tantz hatte thun ſehen: Jch kon-
te nicht wiſſen/ was es abgeben ſolte/ weil ich aber
vielen ſeltzamen Abentheuren/ die meinem naͤrꝛiſchen
Sinn denſelben Tag begegnet/ ſchier gewohnt war/
und ich mich drein ergeben hatte/ fuͤrterhin alles mit
Gedult und Stillſchweigen zu ertragen/ was mir
mein Verhaͤngnus zuſchicken wuͤrde; Als ſchmiegt
ich mich zu der Thuͤr mit Forcht und Zittern/ das
End erwartete; gleich darauff erhub ſich zwiſchen
dieſen beyden ein Geliſpel/ darauß ich zwar nichts
anders verſtunde/ als daß ſich das eine Theil uͤber
den boͤſen Geruch deſſelben Orts beklagte/ und hin-
gegen der ander Theil das erſte hinwiederum troͤſtete:
Gewißlich ſchoͤnſte Dame/ ſagt er/ mir iſt verſichert
von Hertzen leyd/ daß uns die Fruͤchte der Lieb zu
genieſſen/ vom mißgoͤnſtigen Gluͤck kein ehrlicher
Ort gegoͤnnet wird; Aber ich kan darneben betheu-
ren/ daß mir ihre holdſeelige Gegenwart dieſen ver-
aͤchtlichen Winckel anmutiger macht/ als das lieb-
F iijlichſte
[124]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
lichſte Paradeis ſelbſten: Hierauff hoͤrte ich kuͤſſen/
und vermerckte ſeltzame Poſturen/ ich wuſie aber nicht
was es war oder bedeuten ſolte/ ſchwieg derowegen
noch fuͤrters ſo ſtill als ein Mauß. Wie ſich aber
auch ſonſt ein poſſirlich Geraͤuſch erhube/ und der
Gaͤnsſtall/ ſo nur von Brettern unter die Stege ge-
taͤfelt war/ zu krachen anfienge/ zumaln das Weibs-
bild ſich anſtellte/ als ob ihr gar wehe bey der Sach
geſchehe/ da gedachte ich/ das ſeynd zwey von denen
wuͤtenden Leuten/ die den Boden helffen eintretten/
und ſich jetzt hieher begeben haben/ da gleicher weis
zu hauſen/ und dich umbs Leben zu bringen. So bald
dieſe Gedancken mich einnamen/ ſo bald nam ich
hingegen die Thuͤr ein/ dem Todt zu entfliehen/ dar-
durch ich mit einem ſolchen Mordio-Geſchrey hin-
auß wiſchte/ das natuͤrlich lautet/ wie das jenige/
das mich an denſelben Ort gebracht hatte/ doch war
ich ſo geſcheid/ daß ich die Thuͤr hinder mir wieder
zurigelte/ und hingegen die offene Haußihuͤr ſuchte.
Dieſes nun war die erſte Hochzeit/ bey deren ich mich
mein Lebtag befunden/ unangeſehen ich nicht darzu
geladen woꝛden hingegen dorffte ich aber auch nichts
ſchencken/ wiewol mir hernach der Hochzeiter die
Zech deſto theurer rechnete/ die ich auch redlich be-
zahlte. Guͤnſtiger Leſer/ ich erzehle dieſe Geſchicht
nicht darumb/ damit Er viel daruͤber lachen ſolle/
ſondern damit meine Hiſtori gantz ſeye/ und der Leſer
zu Gemuͤt fuͤhre/ was vor ehrbare Fruͤchten von dem
Tantzen zu gewarten ſeyen. Diß halte ich einmal vor
gewiß/ daß bey den Taͤntzen mancher Kauff gemacht
wird/ deſſen ſich hernach eine gantze Freundſchafft
zu ſchaͤmen hat.
Das
[125]Zweytes Buch.
DasII.Capitel.
OB ich nun zwar dergeſtalt auß dem Gaͤns-ſtall
gluͤcklich entronnen/ ſo wurde ich jedoch erſt mei-
nes Ungluͤcks recht gewahr/ dann meine Hoſen wa-
ren voll/ und ich wuſte nicht wohin damit; in meines
Herꝛn Quartier war alles ſtill und ſchlaffend/ dahero
dorffte ich mich zur Schildwacht/ die vorm Hauß
ſtunde/ nicht naͤhern/ in der Hauptwach Corps de
Guarde wolte man mich nicht leiden/ weil ich viel zu
uͤbel ſtanck/ auffder Gaſſen zu bleiben war mirs gar
zu kalt und ohnmuͤglich/ alſo daß ich nicht wuſte wo
auß noch ein. Es war ſchon weit nach Mitternacht/
als mir einfiele/ ich ſolte mein Zuflucht zu dem viel-
gemeldten Pfarꝛer nemmen; Jch folgete meinem
Gutbefinden/ vor der Thuͤr anzuklopffen/ damit war
ich ſo importun, daß mich endlich die Magd mit Un-
willen einlieſſe. Als ſie aber roche was ich mit brach-
te/ (dann ihre lange Nas verꝛieth gleich meine Heim-
lichkeit) wurde ſie noch ſchelliger; Derowegen fien-
ge ſie an mit mir zu keifen/ welches ihr Herꝛ/ ſo nun-
mehr faſt außgeſchlaffen hatte/ bald hoͤrete: Er ruffte
uns bey den vor ſich ans Bett/ ſo bald er aber merckte/
wo der Has im Pfeffer lag/ und die Nas ein wenig
geruͤmpfft hatte/ ſagte er: Es ſeye niemals/ ohnan-
geſehen was die Calender ſchreiben/ beſſer baden/
als in ſolchem Stand/ darinn ich mich befuͤnde/ er
befahl auch ſeiner Magd/ ſie ſolte biß es vollends
Tag wuͤrde/ meine Hoſen waͤſchen/ und vor den Stu-
ben-Ofen haͤngen/ mich ſelbſt aber in ein Bett legen/
dann er ſahe wol/ daß ich vor Froſt gantz erſtarꝛt
war: Jch war kaum erwarmt/ da es anfieng zu ta-
F jvgen/
[126]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
gen/ ſo ſtunde der Pfarꝛer ſchon vorm Bett/ zu ver-
nehmen wie mirs gangen/ und wie meine Haͤndel
beſchaffen waͤren/ weil ich meines naſſen Hemds
und der Hoſen halber noch nicht auffſtehen konte/ zu
ihm zu gehen: Jch erzehlte ihm alles/ und machte
den Anfang an der Kunſt/ die mich mein Camerad
gelernet/ und wie uͤbel ſie gerathen. Folgends meldet
ich/ daß die Gaͤſt/ nachdem Er der Pfarꝛer hinweg
geweſt/ gantz unſinnig worden waͤren/ und (maſſen
mich mein Camerad alſo berichtet) ihnen vorgenom-
men haͤtten/ dem Hauß den Boden einzutretten; item
in was vor ein ſchroͤckliche Angſt ich daruͤber gerah-
ten/ und auff was Weis ich mich vorm Untergang
conſerviren wollen/ daruͤber aber in Gaͤns-ſtall ge-
ſperꝛet worden/ auch was ich in demſelben von den
Zweyen/ ſo mich wieder erloͤſt/ vor Wort und Werck
vernommen/ und welcher geſtalt ich ſie beyde an
meine ſtatt eingeſperꝛet haͤtte. Simplici, ſagt der Pfar-
rer/ deine Sachen ſtehen lauſig/ du hatteſt einen gu-
ten Handel/ aber ich ſorg! ich ſorg! es ſey ver-
ſchertzt; pack dich nur geſchwind auß dem Bett/ und
troll dich auß dem Hauß/ damit ich nicht ſampt dir
in deines Herꝛn Ungnad komme/ wenn man dich bey
mir findet. Alſo muſte ich mit meinem fenchten Ge-
wand hinziehen/ und zum erſten mal erfahren/ wie
wol einer bey maͤnniglich daran iſt/ wenn er ſeines
Herꝛn Gunſt hat/ und wie ſcheel einer hingegen an-
geſehen wird/ wann ſolche hincket.
Jch gieng in meines Herꝛn Quartier/ darinn noch
alles ſteinhart ſchlieff/ biß auff den Koch und ein paar
Maͤgd/ dieſe butzten das Zimmer/ darinnen man ge-
ſtern gezecht/ jener aber ruͤſtete auß den Abſchroͤtlin
wieder
[127]Zweytes Buch.
wieder ein Fruͤhſtuͤck/ oder vielmehr ein Jmbis zu;
Am erſten kam ich zu den Maͤgden/ bey denen lag es
hin und wider voller zerbrochener ſo Trinck- als Fen-
ſter-Glaͤſer/ an theils Orten war es von dem/ ſo un-
den und oben weg gangen/ und an andern Orten wa-
ren groſſe Lachen von verſchuͤttem Wein und Bier/
alſo daß der Boden einer Land-Karten gleich ſahe/
darinnen man unterſchiedliche Meer/ Jnſuln und
truckene oder Fußveſte Laͤnder haͤtte abbilden/ und
vor Augen ſtellen wollen. Es ſtanck im gantzen Zim-
mer viel uͤbler/ als in meinem Gaͤns-ſtall; derowe-
gen war auch meines bleibens nicht lang daſelbſten/
ſondern ich machte mich in die Kuͤchen/ und lieſſe
meine Kleider beym Feur am Leib vollends truͤcknen/
mit Forcht und Zittern erwartend/ was das Gluͤck/
wenn mein Herꝛ außgeſchlaffen haͤtte/ ferners in mir
wuͤrcken wolte; Darneben betrachtet ich der Welt
Thorheit und Unſinnigkeit/ und zog alles zu Gemuͤt/
was mir verwichenen Tag und ſelbige Nacht begeg-
net war/ auch was ich ſonſt geſehen/ gehoͤrt und er-
fahren hatte. Solche Gedancken verurſachten/ daß
ich damals meines Einſidlers gefuͤhrtes doͤrfftig und
elend Leben vor gluͤckſeelig ſchaͤtzte/ und ihn und mich
wieder in vorigen Stand wuͤnſchete.
DasIII.Capitel.
ALs mein Herꝛ auffgeſtanden/ ſchickte er ſeinen
Leibſchuͤtzen hin/ mich auß dem Gaͤnsſtall zu ho-
len/ der brachte Zeitung/ daß er die Thuͤr offen/ und
ein Loch hinder dem Rigel mit einem Meſſer geſchnit-
ten gefunden/ vermittelſt deſſen der Gefangene ſich
ſelbſt erledigt haͤtte: Ehe aber ſolche Nachricht ein-
F vkam
[128]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
kam/ verſtunde mein Herꝛ von andern/ daß ich vor
laͤngſt in der Kuͤchen geweſen: Jndeſſen muſten die
Diener hin und wieder lauffen/ die geſtrige Gaͤſt zum
Fruͤheſtuͤck einzuholen/ unter welchen der Pfarꝛer
auch war/ welcher zeitlicher als andere erſcheinen
muſte/ weil mein Herꝛ meinetwegen mit ihm reden
wolte/ ehe man zur Tafel ſaͤſſe. Er fragte ihn erſtlich/
ob er mich vor witzig oder vor naͤrꝛiſch hielte? oder
ob ich ſo einfaͤltig/ oder ſo boßhafftig ſeye? und er-
zehlet ihm damit alles/ wie unehrbarlich ich mich den
vorigen Tag und Abend gehalten/ welches theils
von ſeinen Gaͤſten uͤbel empfunden/ und auffgenom-
men werde/ als waͤre es ihnen zum Deſpect mit Fleiß
ſo angeſtellt worden/ item daß er mich haͤtte in einen
Gaͤnsſtall verſperꝛen laſſen/ ſich vor dergleichen
Spott/ ſo ich ihm noch haͤtte zufuͤgen koͤnnen/ zu ver-
ſichern/ auß welchem ich aber gebrochen/ und nun in
der Kuͤchen umbgehe/ wie ein Juncker/ der ihm nicht
mehr auffwarten doͤrffe/ ſein Lebtag ſey ihm kein ſol-
cher Poß widerfahren/ als ich ihm in Gegenwart ſo
vieler ehrlichen Leut geriſſen/ er wiſſe nichts anders
mit mir anzufangen/ als daß er mich laſſe abpruͤgeln/
und weil ich mich ſo dumm anlieſſe/ wieder vor den
Teuffel hin jage.
Jnzwiſchen als mein Herꝛ ſo uͤber mich klagte/
ſamleten ſich die Gaͤſt nach und nach/ da er aber auß-
geredet hatte/ antwort der Pfarꝛer: Wann ihm der
Herꝛ Gouverneur ein kleine Zeit mit ein wenig Ge-
dult zuzuhoͤren beliebte/ ſo wolte er von Simplicio
der Sachen halber eines und anders erzehlen/ darauß
nicht allein ſeine Unſchuld zu vernehmen ſeyn/ ſon-
dern auch denen/ ſo ſich ſeines Verhaltens halber
diſgu-
[129]Zweytes Buch.
diſguſtirt befinden wolten/ alle ungleiche Gedancken
benommen wuͤrden.
Als man dergeſtalt oben in der Stuben von mir
redete/ accordirt der dolle Faͤhnrich/ den ich an mei-
ne Stell ſelb ander angeſperꝛt hatte/ unden mit mir
in der Kuͤchen/ und brachte mich durch Drohwort
und einen Thaler/ den er mir zuſteckte/ dahin/ daß
ich ihm verſprach/ von ſeinen Haͤndeln reinen Mund
zu halten.
Die Tafeln wurden gedeckt/ und wie den vorigen
Tag mit Speifen und Leuten beſetzt/ Wermut-
Salbey-Alant-Quitten- und Citronen-Wein muſte
neben dem Hippocras den Saͤuffern ihre Koͤpff und
Maͤgen wieder beguͤtigen/ denn ſie waren ſchier alle
deß Teuffels Maͤrtyrer. Jhr erſtes Geſpraͤch war
von ihnen ſelbſten/ nemlich wie ſie geſtern einander ſo
brav voll geſoffen haͤtten/ und war doch keiner unter
ihnen/ der gruͤndlich geſtehen wolte/ daß er voll ge-
weſen/ wiewol den Abend zuvor theils bey Teuffel
holen geſchworen/ ſie koͤnten nicht mehr ſauffen/
auch Wein mein Herꝛ! geſchryen und geſchrie-
ben hatten. Etliche zwar ſagten/ ſie haͤtten gute
Raͤuſch gehabt/ andere aber bekenneten/ daß ſich kei-
ner mehr voll ſoͤffe/ ſint die Raͤuſch auffkommen. Als
ſie aber von ihren eigenen Thorheiten beydes zu re-
den und zu hoͤren muͤd waren/ muſie ſich der arme
Simplicius leiden: Der Gouverneur ſelbſt erinnerte
den Pfarꝛer/ die luſtige Sachen zu eroͤffnen/ wie er
verſprochen haͤtte.
Dieſer bate zuvoͤrderſt/ man wolte ihm nichts vor
ungut halten/ dafern er etwan Woͤrter reden muͤſte/
die ſeiner geiſtlichen Perſon uͤbel anſtaͤndig zu ſeyn
F vjver-
[130]Deß Abenth. Simpliciſſimi
vermerckt wuͤrden; Fienge darauff an zu erzehlen/
erſtlich auß was vor natuͤrlichen Urſachen mich die
Leibs-Duͤnſte zu plagen pflegten/ was ich durch ſol-
che dem Secretario vor einen Unluſt in die Cantzley
angerichtet: Was ich neben dem Wahrſagen vor
ein Kunſt darwider gelernet/ und wie ſchlim ſolche in
der Prob beſtanden. Jtem wie ſeltzam mir das tan-
tzen vorkommen/ weil ich dergleichen niemalen geſe-
hen/ was ich vor Bericht deßhalber von meinem
Cameraden eingenommen/ welcher Urſachen halder
ich dann die vornehme Dame ergriffen/ und daruͤber
in Gaͤnsſtall kommen. Solches aber brachte er mit
einer wol-anſtaͤndigen Art zu reden vor/ daß ſie ſich
trefflich zerlachen muſten/ entſchuldigt darbey meine
Einfalt und Unwiſſenheit ſo beſcheidenlich/ daß ich
wieder in meines Herꝛn Gnad kame/ und vor der
Tafel auffwarten dorffte/ aber von dem was mir im
Gaͤnsſtall begegnet/ und wie ich wieder darauß er-
loͤſt worden/ wolte er nichts ſagen/ weil ihn beduͤnck-
te/ es haͤtten ſich an ſeiner Perſon etliche Saturni-
ſche Holtzboͤck geaͤrgert/ die da vermeynten/ Geiſt-
liche ſolten nur immer ſauer ſehen; hingegen fragte
mich mein Herꝛ/ ſeinen Gaͤſten ein Spaß zu machen/
was ich meinem Cameraden geben haͤtte/ daß er mich
ſo ſaubere Kuͤnſte gelehret? und als ich antwortet/
nichts! ſagte er/ ſo will ich ihm das Lehrgelt vor
dich bezahlen/ wie er ihn dann hier auff in ein Futter-
wanne ſpannen/ und allerdings karbaͤitſchen lieſſe/
wie man mirs den vorigen Tag gemacht/ als ich die
Kunſt probirt/ und falſch befunden hatte.
Mein Herꝛ hatte nunmehr genug Nachricht von
meiner Einfalt/ wolte mich derowegen ſtimmen/ ihm
und
[131]Zweytes Buch.
und ſeinen Gaͤſten mehr Luſt zu machen/ er ſahe wol/
daß die Muſicanten nichts galten/ ſo lang man mich
unterhanden haben wuͤrde/ denn ich beduͤnckte mit
meinen naͤrꝛiſchen Einfaͤllen jederman uͤber 17. Lau-
ten zu ſeyn. Er fragte/ warumb ich die Thuͤr an dem
Gaͤnsſtall zerſchnitten haͤtte? Jch antwortet/ das
mag jemand anders gethan haben; Er fragte/ wer
dann? Jch ſagte/ vielleicht der ſo zu mir kommen;
Wer iſt denn zu dir kommen? Jch antwortet/ das
darff ich niemand ſagen; Mein Herꝛ war ein ge-
ſchwinder Kopff/ und ſahe wol wie man mir lauſen
muſte/ derowegen uͤbereylt er mich/ und fragte/ wer
mir ſolches dann verbotten haͤtte? Jch antwortet
gleich/ der dolle Faͤhnrich; und demnach ich an je-
dermans Gelaͤchter merckete/ daß ich mich gewaltig
verhauen haben muͤſte/ der dolle Faͤhnrich/ ſo mit am
Tiſch ſaſſe/ auch ſo roth wurde/ wie ein gluͤhende
Kohl; als wolte ich nichts mehr ſchwaͤtzen/ es wuͤr-
de mir denn von demſelben erlaubt. Es war aber nur
umb einen Wunck zu thun/ den mein Herꝛ dem dollen
Faͤhnrich an ſtatt eines Befehls gab/ da dorfft ich
reden was ich wuſte. Darauff fragte mich mein Herꝛ/
was der dolle Faͤhnrich bey mir im Gaͤns-Stall zu
thun gehabt? ich antwortet/ er brachte eine Jungfer
zu mir hinein: Was thaͤt er aber weiters? ſagte
mein Herꝛ/ Jch antwortet/ mich deuchte/ er wolte
im Stall ſein Waſſer abgeſchlagen haben. Mein
Herꝛ fragte/ was thaͤt aber die Jungfer darbey/
ſchaͤmte ſie ſich nicht? Ja wol nein Herꝛ! ſagte ich/
ſie hub den Rock auff/ und wolte darzu (mein hoch-
geehrter/ Zucht- Ehr- und Tugendliebender Leſer
verzeyhe meiner unhoͤflichen Feder/ daß ſie alles ſo
F vijgrob
[132]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
grob ſchreibt/ als ichs damals vorbrachte) ſcheiſſen.
Hieruͤber erhub ſich bey allen Anweſenden ein ſolch
Gelaͤchter/ daß mich mein Herꝛ nicht mehr hoͤren/
geſchweige etwas weiters fragen konte/ und zwar
war es auch nicht weiters vonnoͤten/ man haͤtte dann
die ehrliche fromme Jungfer ſcil. auch in Spott brin-
gen wollen.
Hierauff erzehlte der Hofmeiſter vor der Tafel/
daß ich neulich vom Bollwerck oder Wall heim kom-
men/ und geſagt: Jch wuͤſte wo der Donner und
Blitz herkaͤme/ ich haͤtte groſſe Ploͤcher auff halben
Waͤgen geſehen/ die inwendig hol geweſen/ in die-
ſelbe haͤtte man Zwibelſaamen ſampt einer eiſernen
weiſſen Ruͤben/ deren der Schwantz abgeſchnitten/
geſtopfft/ hernach die Ploͤcher hinden her ein wenig
mit einem zinckigten Spieß gekuͤtzelt/ darvon waͤre
vornen herauß Dampff/ Donner und hoͤlliſch Feuer
geſchlagen. Sie brachten noch mehr dergleichen
Poſten auff die Bahn/ alſo daß man ſchier denſelben
gantzen Jmbiß von ſonſt nichts/ als nur von mir zu
reden und zu lachen hatte. Solches verurſachte ei-
nen allgemeinen Schluß zu meinem Untergang/ wel-
cher war/ daß man mich dapffer agiren ſolte/ ſo wuͤr-
de ich mit der Zeit einen raren Tiſchrath abgeben/
mit dem man auch den groͤſten Potentaten von der
Welt verehren/ und die Sterbende zu lachen machen
koͤnte.
DasIV.Capitel.
WJe man nun alſo ſchlampamte/ und wieder wie
geſter gut Geſchirꝛ machen wolte/ meldet die
Wacht mit Einhaͤndigung eines Schreibens an den
Gou-
[133]Zweytes Buch.
Gouverneur, einen Commiſſarium an/ der vor dem
Thor ſeye/ welcher von der Kron Schweden Kriegs-
Raͤthen abgeordnet war/ die Guarmſon zu muſtern/
und die Veſtung zu viſitiren. Solches verſaltzte allen
Spaß/ und alles Freuden-Gelach verlummerte wie
ein Sackpfeiffen-Zipffel/ dem der Plaſt entgangen:
Die Muſicanten und die Gaͤſt zerſtoben wie Toback-
Rauch verſchwindet/ der nur den Geruch hinder ſich
laͤſt; mein Herꝛ trollte ſelbſt mit dem Adjutanten/ der
die Schluͤſſel trug/ ſampt einem Außſchuß von der
Hauptwacht und vielen Windliechtern/ dem Thor
zu/ den Plackſchmeiſſer/ wie er ihn nennete/ ſelbſt ein-
zulaſſen: Er wuͤnſchte/ daß ihm der Teuffel den Hals
in tauſend Stuͤck brechen/ ehe er in die Veſtung kaͤ-
me! So bald er ihn aber eingelaſſen/ und auff der
innern Fallbruͤcken bewillkommte/ fehlte wenig oder
gar nichts/ daß er ihm nicht ſelbſt an Stegraͤiff griff/
ſeine Devotion gegen ihm zu bezeugen/ ja die Ehr-
erbietung wurde augenblicklich zwiſchen beyden ſo
groß/ daß der Commiſſarius abſtieg/ und zu Fuß mit
meinem Herꝛn gegen ſeinem Loſament fort wander-
te/ da wolte jeder die lincke Hand haben/ ꝛc. Ach! ge-
dachte ich/ was vor ein Wunder-falſcher Geiſt re-
giert doch die Menſchen/ in dem er je den einen durch
den andern zum Narꝛen macht. Wir naͤherten alſo
der Haupt-Wacht/ und die Schildwacht ruffte ihr
Wer da? wiewol ſie ſahe/ daß es mein Herꝛ war;
Dieſer wolte nicht antworten/ ſondern jenem die Ehr
laſſen/ daher ſtellte ſich die Schildwacht mit Wider-
holung ihres Geſchreys deſto hefftiger: Endlich ant-
wortet er auff das letztere Wer da? Der Mann
ders Geld gibt! Wie wir nun bey der Schild-
wacht
[134]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
wacht vorbey paſſirten/ und ich ſo hinden nach zog/
hoͤrete ich ermeldte Schildwacht/ die ein neugewor-
bener Soldat/ und zuvor ihres Handwercks ein wol-
haͤbiger junger Bauresmann auff dem Vogelsberg
geweſt war/ dieſe Wort brumlen: Du magſt wol ein
verlogener Kund ſeyn; ein Mann ders Geld gibt!
Ein Schindhund ders Geld nimmt! das biſt
du; So viel Gelds haſtu mir abgeſchweiſt/ daß ich
wolte/ der Hagel erſchluͤg dich/ ehe du wieder auß
der Statt kaͤmeſt. Von dieſer Stund an faßte ich
die Gedancken/ dieſer fremde Herꝛ im ſam̃eten Mu-
tzen muͤſſe ein heiliger Mann ſeyn/ weil nicht allein
keine Fluͤch an ihm haffteten/ ſondern dieweil ihm
auch ſeine Haſſer alle Ehr/ alles Liebs und alles Gu-
tes erwieſen/ er wurde noch dieſelbe Nacht Fuͤrſt-
lich tractirt/ blind voll geſoffen/ und noch darzu in
ein herꝛlich Bett gelegt.
Folgende Taͤge giengs bey der Muſterung bund
uͤber Eck her/ ich einfaͤltiger Tropff war ſelbſt ge-
ſchickt genug/ den klugen Commiſſarium (zu welchen
Aemptern und Verꝛichtungen man Warlich keine
Kinder nimmt) zu betruͤgen/ welches ich eher als in
einer Stund lernete/ weil die gantze Kunſt nur in 5.
und 9. beſtunde/ ſelbige auff einer Trommel zu ſchla-
gen/ weil ich noch zu klein war/ einen Mußquetierer
zu præſentiren; man ſtaffirte mich zu ſolchem End
mit einem entlehnten Kleid/ und auch mit einer ent-
lehnten Trommel/ (denn meine geſchuͤrtzte Page-
Hoſen taugten nichts zum Handel) ohne Zweiffel
darumb/ weil ich ſelbſt entlehnt war/ damit paſſirte
ich gluͤcklich durch die Muſterung: Demnach man
aber meiner Einfalt nicht zugetraute/ ein frembden
Nahmen
[135]Zweytes Buch.
Nahmen im Sinn zu behalten/ auff welchen ich ant-
worten und hervor tretten ſolte/ muſte ich der Sim-
plicius verbleiben/ den Zunahmen erſetzte der Gou-
verneur ſelbſten/ und lieſſe mich Simplicius Simpliciſ-
ſimus in die Roll ſchreiben/ mich alſo wie ein Huren-
kind zum erſien meines Geſchlechts zu machen/ wie-
wol ich ſeiner eigenen Schweſter/ ſeiner ſeldſt-Be-
kantnus nach/ aͤhnlich ſahe. Jch behielt auch nach-
gehends dieſen Nahmen und Zunahmen/ biß ich den
rechten erfuhr/ und ſpielte unter ſolchem meine Per-
ſon zu Nutz deß Gouverneurs, und geringen Schad
der Kron Schweden zimlich wol/ welches denn alle
meine Kriegs Dienſte ſeyn/ die ich derſelben mein
Lebtag geleiſtet/ derowegen dann ihre Feinde mich
deßwegen zu neiden kein Urſach haben.
DasV.Capitel.
ALs der Commiſſarius wieder hinweg war/ lieſſe
vielgemeldter Pfarꝛer mich heimlich zu ſich in
ſein Loſament kommen/ und ſagte: ô Simplici, deine
Jugend dauret mich/ und deine kuͤnfftige Ungluͤck-
ſeeligkeit bewegt mich zum Mitleiden; Hoͤre mein
Kind/ und wiſſe gewiß/ daß dein Herꝛ dich aller Ver-
nunfft zu beranben/ und zum Narꝛen zu machen ent-
ſchloſſen/ maſſen er zu ſolchem End bereits ein Kleid
vor dich verfertigen laͤſt/ morgen muſt du in die jeni-
ge Schul/ darinn du deine Vernunfft verlernen ſolt;
in derſelben wird man dich ohne Zweiffel ſo greulich
trillen/ daß du/ wenn anders GOtt und natuͤrliche
Mittel ſolches nicht verhindern/ ohne Zweiffel zu ei-
nem Phantaſten werden muſt. Weil aber ſolches
ein mißlich und ſorglich Handwerck iſt/ als hab ich
umb
[136]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
umb deines Einfidlers Frommkeit/ und umb deiner
eigenen Unſchuld willen/ auß getreuer Chriſtlicher
Liebe/ dir mit Rath und nothwendigen guten Mitteln
beyſpringen/ und gegenwaͤrtige Artzney zuſtellen
wollen; Darumb folge nun meiner Lehr/ und nimm
dieſes Pulver ein/ welches dir das Hirn und Ge-
daͤchtnus dermaſſen ſtaͤrcken wird/ daß du unverletzt
deines Verſtands alles leicht uͤberwinden magſt:
Auch haſtu hierbey einen Balſam/ damit ſchmiere die
Schlaͤff/ den Wuͤrbel/ und das Knick ſampt den Nas-
loͤchern/ und dieſe beyde Stuͤck brauche auff den A-
bend/ wenn du ſchlaffen geheſt/ ſintemal du keine
Stund ſicher ſeyn wirſt/ daß du nicht auß dem Bett
abgeholet werdeſt/ aber ſehe zu/ daß niemand dieſer
meiner Warnung und mitgetheilten Artzney gewahr
werde/ es moͤchte ſonſt dir und mir uͤbel außſchlagen/
und wenn man dich in dieſer verfluchten Cur haben
wird/ ſo achte und glaube nicht alles/ was man dich
uͤberꝛeden will/ und ſtelle dich doch/ als wenn du alles
glaubteſt/ rede wenig/ damit deine Zugeordnete nicht
an dir mercken/ daß ſie laͤer Stroh dreſchen/ ſonſten
werden ſich deine Plagen veraͤndern/ wiewol ich nit
wiſſen kan/ auff was Weis ſie mit dir umgehen wer-
den; Wenn du aber den Strauß und das Narꝛen-
Kleid anhaben wirſt/ ſo komm wieder zu mir/ damit
ich deiner mit fernerm Rath pflegen moͤge. Jndeſſen
will ich Gott vor dich bitten/ daß er deinen Verſtand
und Geſundheit erhalten wolle: Hier auff ſtellt er mir
gemeldtes Pulver und Saͤlblein zu/ und wandert da-
mit wieder nach Hauß.
Wie der Pfarꝛer geſagt hatte/ alſo giengs; Jm
erſten Schlaff kamen vier Kerl in ſchroͤcklichen Teuf-
fels-
[137]Zweytes Buch.
fels-Larven vermummt/ zu mir ins Zim̃er vors Bett/
die ſprangen herumb wie Gauckler und Faßnachts-
Narꝛen/ einer hatte einen gluͤenden Hacken/ und der
ander eine Fackel in Haͤnden/ die andere zween aber
wiſchten uͤber mich her/ zogen mich auß dem Bett/
tantzten ein Weil mit mir hin und her/ und zwangen
mir meine Kleider an Leib/ ich aber ſtellte mich/ als
wenn ich ſie vor rechte natürliche Teuffel gehalten
haͤtte/ verfuͤhrte ein jaͤmmerliches Zettergeſchrey/ und
lieſſe die aller-forchtſamſte Geberden erſcheinen;
aber ſie verkuͤndigten mir/ daß ich mit ihnen fort muͤ-
ſie/ hierauff verbanden ſie mir den Kopff mit einer
Handzwell/ daß ich weder hoͤren/ ſehen noch ſchreyen
konte: Sie fuͤhrten mich unterſchiedliche Umbweg/
viel Stegen auff und ab/ und endlich in einen Keller/
darinn ein groſſes Feuer branne/ und nachdeme ſie
mir die Handzwell wieder abgebunden/ fiengen ſie an
mir in Spaniſchem Wein und Malvaſier zuzutrin-
cken. Sie hatten mich gut uͤberꝛeden/ ich waͤre ge-
ſtorben/ und nunmehr im Abgrund der Hoͤllen/ weil
ich mich mit Fleiß alſo ſtellete/ als wenn ich alles
glaubte/ was ſie mir vor logen: Sauffe nur dapffer
zu/ ſagten ſie/ weil du doch ewig bey uns bleiben
muſt/ wilſtu aber nicht ein gut Geſell ſeyn/ und mit
machen/ ſo muſtu in gegenwaͤrtiges Feur: Die arme
Teuffel wolten ihre Sprach und Stimm verquan-
ten/ damit ich ſie nicht kennen ſolte/ ich merckte aber
gleich/ daß es meines Herꝛn Fourierſchuͤtzen waren/
doch ließ ichs mich nicht mercken/ ſondern lachte in
die Fauſt/ daß dieſe/ ſo mich zum Narꝛen machen ſol-
ten/ meine Narꝛen ſeyn muſten. Jch tranck meinen
Theil mit vom Spaniſchen Wein/ ſie aber ſoffen
mehr
[138]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
mehr als ich/ weil ſolcher himmliſche Nectar ſelten
an ſolche Geſellen kompt/ maſſen ich noch ſchwoͤren
doͤrffte/ daß ſie eher voll worden/ als ich; Da michs
aber Zeit zu ſeyn beduͤnckte/ ſtellte ich mich mit hin
und her dorckeln/ wie ichs neulich an meines Herꝛn
Gaͤſten geſehen hatte; und wolte endlich gar nicht
mehr ſauffen/ ſondern ſchlaffen/ hingegen jagten und
ſtieſſen ſie mich mit ihrem Hacken/ den ſie allezeit im
Feuer ligen hatten/ in allen Ecken deß Kellers herum/
daß es ſahe/ als ob ſie ſelbſt naͤrꝛiſch worden waͤren/
entweder daß ich mehr trincken/ oder auffs wenigſte
nicht ſchlaffen ſolte/ und wenn ich in ſolcher Hatz
nider fiele/ wie ich denn offt mit Fleiß thaͤt/ ſo pack-
ten ſie mich wieder auff/ und ſtellten ſich/ als wann
ſie mich ins Feuer werffen wolten: Alſo gieng mirs
wie einem Falcken dem man wacht/ welches mein
groſſes Creutz war. Jch haͤtte ſie zwar Trunckenheit
und Schlaffs halber wol außgedauret/ aber ſie ver-
blieben nicht allweg beyeinander/ ſondern loͤſten ſich
untereinander ab/ darumb haͤtte ich zuletzt den Kuͤr-
tzern ziehen muͤſſen: Drey Taͤg und zwo Naͤcht hab
ich in dieſem raucherichten Keller zubracht/ welcher
kein ander Liecht hatte/ als was das Feur von ſich
gab/ der Kopff fieng mir dahero an zu brauſen und zu
wuͤten/ als ob er zerꝛeiſſen wolte/ daß ich endlich ei-
nen Fund erſinnen muſte/ mich meiner Qual ſampt
den Peinigern zu entledigen/ ich machte es wie der
Fuchs/ welcher den Hunden ins Geſicht harnt/ weñ
er ihnen nicht mehr zu entrinnen getraut/ dann weil
mich eben die Natur triebe/ meine Notdurſſt (ſ. v.)
zu thun/ bewegte ich mich zugleich mit einem Finger
im Hals zum Unwillen/ dergeſtalt/ daß ich mit einem
unlei-
[139]Zweytes Buch.
unleidenlichen Geſtanck die Zech bezahlte/ alſo daß
auch meine Teuffel ſelbſt ſchier nicht mehr bey mir
bleiben konten; damals legten ſie mich in ein Ley-
lach/ und zerplotzten mich ſo unbarmbertzig/ daß mir
alle innerliche Glieder ſampt der Seelen herauß haͤt-
ten fahren moͤgen. Worvon ich dermaſſen auß mir
ſelber kam/ und deß Gebrauchs meiner Sinnen be-
raubt wurde/ daß ich gleichſam wie todt da lag/ ich
weiß auch nicht was ſie ferners mit mir gemacht ha-
ben/ ſo gar war ich allerdings dahin.
DasVI.Capitel.
ALs ich wieder zu mir ſelber kam/ befand ich mich
nicht mehr in dem oͤden Keller bey den Teuffeln/
ſondern in einem ſchoͤnen Saal/ unter den Haͤnden
dreyer der allergarſtigſten alten Weiber/ ſo der Erd-
boden je getragen; ich hielte ſie anfaͤnglich/ als ich
die Augen ein wenig oͤffnete/ vor natuͤrliche hoͤlliſche
Geiſter/ haͤtte ich aber die alte Heydniſche Poëten
ſchon geleſen gehabt/ ſo haͤtte ich ſie vor die Eumeni-
des, oder wenigſt die eine eigentlich vor die Thiſipho-
ne gehalten/ welche mich wie den Athamantem mei-
ner Sinn zu berauben/ auß der Hoͤllen ankommen
waͤre/ weil ich zuvor wol wuſte/ daß ich darumb da
war/ zum Narꝛen zu werden: Dieſe hatte ein paar
Augen wie zween Jrꝛwiſch/ und zwiſchen denſelben
eine lange magere Habichs-Nas/ deren Ende oder
Spitz die undere Lefftzen allerdings erꝛeichte/ nur
zween Zaͤhn ſahe ich in ihrem Maul/ ſie waren aber
ſo vollkommen/ lang/ rund und dick/ daß ſich jeder bey
nahe der Geſtalt nach mit dem Goldfinger/ der Farb
nach aber ſich mit dem Gold ſelbſt haͤtte vergleichen
laſſen
[140]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
laſſen; Jn Sum̃a/ es war Gebeins genug vorhan-
den zu einem gantzen Maul voll Zaͤhn/ es war aber
gar uͤbel außgetheilt/ ihr Angeſicht ſahe wie Spa-
niſch Leder/ und ihre weiſſe Haar hiengen ihr ſeltzam
zerſtrobelt umb den Kopff herumb/ weil man ſie erſt
auß dem Bett geholt hatte; ihre lange Bruͤſt weiß
ich nichts anders zu vergleichen/ als zweyen lumme-
richten Kuh-Blaſen/ denen zwey Drittel vom Blaſt
entgangen/ unden hienge an jeder ein ſchwartz-brau-
ner Zapff halb Fingers lang; Warhafftig ein er-
ſchroͤcklicher Anblick/ der zu nichts anders/ als vor
eine treffliche Artzney wider die unſinnige Liebe der
gailen Boͤck haͤtte dienen moͤgen/ die andere zwo wa-
ren gar nicht ſchoͤner/ ohne daß dieſelbe ſtumpffe Af-
fen-Naͤslein/ und ihre Kleider etwas ordentlicher
angethan hatten: Als ich mich beſſer erkoverte/ ſahe
ich/ daß die eine unſer Schuͤſſelwaͤſcherin/ die andere
zwo aber zweyer Fourierſchuͤtzen Weiber waren.
Jch ſtellte mich/ als wenn ich mich nicht zu regen
vermochte/ wie mich dann in Warheit auch nicht
tantzerte/ als dieſe ehrliche alte Muͤtterlein mich
ſplitter-nackend außzogen/ und von allem Unrath wie
ein junges Kind ſaͤuberten: Doch thaͤt mir ſolches
trefflich ſanfft/ ſie bezeugten unter waͤhrender Arbeit
ein groſſe Gedult und treffliches Mitleiden/ alſo daß
ich ihnen bey nahe offenbart haͤtte/ wie wol mein Han-
del noch ſtuͤnde; doch gedacht ich/ Nein Simplici!
vertraue keinem alten Weib/ ſondern gedencke/ du
habeſt Victori genug/ wenn du in deiner Jugend drey
abgefaͤumte alte Vetteln/ mit denen man den Teuffel
im weiten Feld fangen moͤchte/ betruͤgen kanſt; du
kanſt auß dieſer Occaſion Hoffnung ſchoͤpffen/ im
Alter
[141]Zweytes Buch.
Alter mehrers zu leiſten. Da ſie nun mit mir fertig
waren/ legten ſie mich in ein koͤſtlich Bett/ darinnen
ich ohngewieget entſchlieff/ ſie aber giengen/ und
namen ihre Kuͤbel und andere Sachen/ damit ſie mich
gewaſchen hatten/ ſampt meinen Kleidern und allen
Unflat mit ſich hinweg. Meines Davorhaltens
ſchlieffe ich dieſen Satz laͤnger als 24. Stund/ und
da ich wieder erwachte/ ſtunden zween ſchoͤne gefluͤ-
gelte Knaben vorm Bett/ welche mit weiſſen Hem-
dern/ daffeten Binden/ Perlen/ Cleinodien/ guͤldenen
Ketten und andern ſcheinbarlichen Sachen koͤſtlich
gezieret waren: Einer hatte ein verguldtes Lavor
voller Hippen/ Zuckerbrot/ Marzeban und ander
Confect, der ander aber einen verguͤldten Becher in
Handen. Dieſe als Engel/ davor ſie ſich außgaben/
wolten mich bereden/ daß ich nunmehr im Himmel
ſey/ weil ich das Fegfeuer ſo glucklich uͤberſtanden/
und dem Teuffel ſampt ſeiner Mutter entgangen/ de-
rohalben ſolte ich nur begehren/ was mein Hertz
wuͤnſchte/ ſintemal alles/ was mir nur beliebte/ ge-
nug vorhanden waͤre/ oder doch ſonſt herbey zu ſchaf-
fen/ in ihrer Macht ſtuͤnde. Mich quaͤlte der Durſt/
und weil ich den Becher vor mir ſahe/ verlangte ich
nur den Trunck/ der mir auch mehr als gutwillig ge-
raicht wurde; Solches war aber kein Wein/ ſon-
dern ein lieblicher Schlafftrunck/ welchen ich ohn-
abgeſetzt zu mir nam/ und davon wieder entſchlieff/
ſo bald er bey mir erwarmt.
Den andern Tag erwachte ich wiederumb/ (dann
ſonſt ſchlieffe ich noch) befand mich aber nicht mehr
im Bett/ noch in vorigem Saal/ ſondern in meinem
alten Gaͤns-Kercker/ da war abermal eine greuliche
Fin-
[142]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Finſternus wie in vorigem Keller/ und uͤber das hat-
te ich ein Kleid an von Kalb-Fellen/ daran das rauhe
Theil auch außwendig gekehrt war/ die Hoſen wa-
ren auff Polniſch oder Schwaͤbiſch/ und das Wambs
noch wol auff ein naͤrꝛiſchere Manier gemacht/ oben
am Hals ſtunde eine Kappe wie ein Moͤnchs-gugel/
die war mir uͤber den Kopff geſtreifft/ und mit einem
ſchoͤnen paar groſſer Eſels-Ohren geziert. Jch mu-
ſte meines Unſterns ſelbſt lachen/ weil ich beydes am
Neſt und den Federn ſahe/ was ich vor ein Vogel
ſeyn ſolte: Dam als fieng ich erſt an/ in mich ſelbſt
zu gehen/ und auff mein Beſtes zu gedencken. Jch
ſetzte mir vor/ mich auff das naͤrꝛiſchte zu ſtellen/ als
mir immer moͤglich ſeyn moͤchte/ und darneben mit
Gedult zu erharꝛen/ wie ſich mein Verhaͤnguns wei-
ters anlaſſen wuͤrde.
DasVII.Capitel.
VErmittelſt deß Lochs/ ſo der dolle Faͤhnrich hie-
bevor in die Thuͤr geſchnitten/ haͤtte ich mich wol
erledigen koͤnnen/ weil ich aber ein Narꝛ ſeyn ſolte/
ließ ichs bleiben/ und thaͤt nicht allein wie ein Narꝛ/
der nicht ſo witzig iſt/ von ſich ſelbſt herauß zu gehen/
ſondern ſtellte mich gar wie ein hungerig Kalb/ das
ſich nach ſeiner Mutter ſehnet/ mein Geplerꝛ wurde
auch bald von den jenigen gehoͤrt/ die darzu beſtellt
waren; maſſen zween Soldaten vor den Gaͤnsſtall
kamen/ und fragten/ wer darinnen waͤre? Jch ant-
wortet/ Jhr Narꝛen/ hoͤrt ihr denn nicht/ daß ein
Kalb da iſt! Sie machten den Stall auff/ namen
mich herauß/ und verwunderten ſich/ daß ein Kalb
ſolte reden koͤnnen! Welches ihnen anſtunde/ wie die
gezwun-
[143]Zweytes Buch.
gezwungene Actionen eines neu-gewordenen unge-
ſchickten Comœdianten/ der die Perſon/ die er ver-
tretten ſoll/ nicht wol agiren kan/ alſo daß ich offt
meynte/ ich muͤſte ihnen ſelbſt zum Poſſen helffen:
Sie berathſchlagten ſich/ was ſie mit mir machen
wolten/ und wurden eins/ mich dem Gubernator zu
verehren/ als welcher ihnen/ weil ich reden koͤnte/
mehr ſchencken wuͤrde/ als ihnen der Metzger vor
mich bezahlte. Sie fragten mich/ wie mein Handel
ſtuͤnde? Jch antwortet/ liederlich genug; Sie frag-
ten/ Warumb? Jch ſagte/ darumb/ dieweil hier der
Brauch iſt/ redliche Kaͤlber in Gaͤnsſtall zu ſperꝛen:
Jhr Kerl muͤſt wiſſen/ dafern man will/ daß ein recht-
ſchaffener Ochs auß mir werden ſoll/ daß man mich
auch auffziehen muß/ wie einem ehrlichen Stier zu-
ſtehet. Nach ſolchem kurtzen Diſcurs fuͤhreten ſie
mich uͤber die Gaß gegen deß Gouverneurs Quartier
zu/ uns folgte eine groſſe Schaar Buben nach/ und
weil dieſelbe eben ſo wol als ich das Kaͤlber-geſchrey
ſchryen/ haͤtte ein Blinder auß dem Gehoͤr urtheilen
moͤgen/ man triebe ein Heerd Kaͤlber daher/ aber dem
Geſicht nach ſahe es einem Hauffen ſo junger als al-
ter Narꝛen gleich.
Alſo wurde ich von den beyden Soldaten dem
Gouverneur præſentirt/ gleichſam als ob ſie mich erſt
auff Partey erbeutet haͤtten/ dieſelbe beſchenckte er
mit einem Trinckgelt/ mir ſelbſt aber verſprach er die
beſte Sach/ ſo ich bey ihm haben ſolte: Jch gedachte
wie deß Goldſchmids Jung/ und ſagte: Wol Herꝛ/
man muß mich aber in keinen Gaͤnsſtall ſperꝛen/ dañ
wir Kaͤlber koͤnnen ſolches nicht erdulden/ wann wir
anders wachſen/ und zu einem Stuͤck Haupt-Viehe
Gwerden
[144]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
werden ſollen. Der Gouverneur vertroͤſtete mich ei-
nes beſſern/ und duͤnckte ſich gar geſcheid ſeyn/ daß
er einen ſolchen vifierlichen Narꝛen auß mir gemacht
haͤtte; hingegen gedacht ich/ Harꝛe mein lieber Herꝛ/
ich hab die Prob deß Feuers uͤberſtanden/ und bin
darinn gehaͤrtet worden; jetzt wollen wir probiren/
welcher den andern am beſten agiren wird koͤnnen.
Jn dem trieb ein geflehnter Baur ſein Vieh zur Traͤn-
cke/ ſo bald ich das ſahe/ verließ ich den Gouverneur,
und eylete mit einem Kaͤlber-Geplerꝛ den Kuͤhen zu/
gleichſam als ob ich an ihnen ſaugen wolte/ dieſe/
als ich zu ihnen kam/ entſetzten ſich aͤrger vor mir/
als vor einem Wolff/ wiewol ich ihrer Art Haar
trug/ ja ſie wurden ſo ſchellig/ und zerſtoben dermaſ-
ſen voneinander/ als wenn im Auguſto ein Neſt voll
Hornuſſen unter ſie gelaſſen worden waͤre; alſo daß
ſie ihr Herꝛ an ſelbigem Ort nicht mehr zuſammen
bringen konte/ welches ein artlichen Spaß abgabe.
Jn einem Huy war ein Hauffen Volck beyeinander/
das der Gauckelfuhr zuſahe/ und als mein Herꝛ lach-
te/ daß er haͤtte zerberſten moͤgen/ ſagte er endlich/ ein
Narꝛ macht ihrer hundert; Jch aber gedachte/ und
eben du biſt der jenige/ dem du jetzt wahr ſageſt.
Gleich wie mich nun jederman von ſelbiger Zeit
an das Kalb nennete/ alſo nennete ich hingegen auch
einen jeden mit einem beſonderen ſpoͤttiſchen Nach-
Nahmen/ dieſelbe fielen mehrentheils der Leut/ und
ſonderlich meines Herꝛn Beduͤncken nach gar Sinn-
reich/ dann ich tauffte jedwedern nachdem ſeine Qua-
litaͤten erforderten. Summariter davon zu reden/
ſo ſchaͤtzte mich maͤnniglich vor einen ohnweiſen
Thoren/ und ich hielte jeglichen vor einen geſcheiden
Narꝛn
[145]Zweytes Buch.
Narꝛn. Dieſer Gebrauch iſt meines Erachtens in
der Welt noch uͤblich/ maſſen ein jeder mit ſeiner
Witz zu frieden/ und ſich einbildet/ er ſey der Geſchei-
deſte unter allen.
Obige Kurtzweil/ die ich mit deß Bauren Rindern
anſtellete/ machte uns den kurtzen Vormittag noch
kuͤrtzer/ denn es war damals eben umb die Winter-
liche Sonnenwende: Bey der Mittags-Mahlzeit
wartete ich auff wie zuvor/ brachte aber benebens
ſeltzame Sachen auff die Bahn/ und als ich eſſen
ſolte/ konte niemand einige menſchliche Speiß oder
Tranck in mich bringen/ ich wolte kurtzum nur Gras
haben/ ſo damals zu bekommen ohnmuͤglich war.
Mein Herꝛ lieſſe ein paar friſche Kalb-Fell von den
Metzgern holen/ und ſolche zweyen kleinen Knaben
uͤber die Koͤpff ſtraiffen: Dieſe ſetzte er zu mir an den
Tiſch/ tractirte uns in der erſten Tracht mit Winter-
Salat/ und hieß uns wacker zuhauen/ auch lieſſe er
ein lebendig Kalb hinbringen/ und mit Saltz zum
Salat anfriſchen. Jch ſahe ſo ſtarꝛ darein/ als wenn
ich mich daruͤber verwunderte/ aber der Umbſtand
vermahnete mich mit zu machen; Ja wol ſagten ſie/
wie ſie mich ſo kaltfinnig ſahen/ es iſt nichts neues/
wenn Kaͤlber Fleiſch/ Fiſch/ Kaͤß/ Butter und an-
ders freſſen: Was? ſie ſauffen auch zu Zeiten ein
guten Rauſch! die Beſtien wiſſen nunmehr wol/ was
gut iſt; ja/ ſagten ſie ferner/ es iſt heutiges Tags ſo
weit kommen/ daß ſich nunmehr ein geringer Unter-
ſcheid zwiſchen ihnen und den Menſchen befindet/
wolteſt du dann allein nicht mit machen?
Dieſes lieſſe ich mich umb ſo viel deſto ehender
uͤberꝛeden/ weil mich hungerte/ und nicht darumb/
G ijdaß
[146]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
daß ich hiebevor ſchon ſelbſt geſehen/ wie theils Men-
ſchen ſaͤuiſcher als Schwein/ grimmiger als Loͤwen/
gaͤiler als Boͤck/ neidiger als Hund/ unbaͤndiger als
Pferd/ groͤber als Eſel/ verſoffener als Rinder/ li-
ſtiger als Fuͤchs/ gefraͤſſiger als Woͤlff/ naͤrꝛiſcher
als Affen/ und gifftiger als Schlangen und Krotten
waren/ welche dannoch alleſampt menſchlicher Nah-
rung genoſſen/ und nur durch die Geſtalt von den
Thieren unterſchieden waren/ zumalen auch die Un-
ſchuld eines Kalds bey weitem nicht batten. Jch
fuͤtterte mit meinen Mit Kaͤlbern/ wie ſolches mein
Appetit erforderte/ und wann ein Fremder uns ohn-
verſehens alſo beyeinander zu Tiſch haͤtte ſitzen ſehen/
ſo haͤtte er ſich ohne Zweiffel eingebildet/ die alte Cir-
ce waͤre wieder aufferſtanden/ auß Menſchen Thier
zu machen/ welche Kunſt damals mein Herꝛ konte
und practicirte. Eben auff den Schlag/ wie ich die
Mittags. Mahlzeit vollbrachte/ alſo wurde ich auch
auff den Nacht-Jmbis tractirt; Und gleich wie mei-
ne Mit. Eſſer oder Schmarotzer mit mir zehrten/
damit ich auch zehren ſolte/ alſo muſten ſie auch mit
mir zu Bett/ wann mein Herꝛ anders nicht zugeben
wolte/ daß ich im Kuͤheſtall uͤber Nacht ſchlieffe;
und das thaͤt ich darumb/ damit ich die jenige auch
genug narꝛete/ die mich zum Narꝛen zu haben ver-
meynten: Und machte dieſen veſten Schluß/ daß der
grundguͤtige GOtt einem jeden Menſchen in ſeinem
Stand/ zu welchem er ihn beruffen/ ſo viel Witz gebe
und verleyhe/ als er zu ſeiner ſelbſt-Erhaltung von-
noͤthen/ auch daß ſich dannenhero/ Doctor hin oder
Doctor her/ viel vergeblich einbilden/ ſie ſeyen allein
witzig
[147]Zweytes Buch.
witzig/ und Hans in allen Gaſſen/ dann hinder den
Bergen wohnen auch Leut.
DasVIII.Capitel.
AM Morgen als ich erwachte/ waren meine beyde
verkaͤlberte Schlaff Geſellen ſchon fort/ dero-
wegen ſtunde ich auch auff/ und ſchliche/ als der Ad-
jutant die Schluͤſſel holete/ die Statt zu oͤffnen/ auß
dem Hauß zu meinem Pfarꝛer/ demſelben erzehlte
ich alles/ wie mirs ſo wol im Him̃el als in der Hoͤll
ergangen. Und wie er ſahe/ daß ich mir ein Gewiſſen
machte/ weil ich ſo viel Leut/ und ſonderlich meinen
Herꝛn betroͤge/ wenn ich mich naͤrꝛiſch ſtellete/ ſagte
er: Hierumb darffſt du dich nicht bekuͤmmern/ die
naͤrꝛiſche Welt will betrogen ſeyn/ hat man dir deine
Witz noch uͤbrig gelaſſen/ ſo gebrauche dich derſelben
zu deinem Vortheil/ bilde dir ein/ als ob du gleich
dem Phœnix, vom Unverſtand zum Verſtand durchs
Feuer/ und alſo zu einem neuen menſchlichen Leben
auch neu geboren worden ſeyeſt: Doch wiſſe dabey/
daß du noch nicht uͤber den Graben/ ſondern mit Ge-
fahr deiner Vernunfft in dieſe Narꝛen-Kappe ge-
ſchloffen biſt/ die Zeiten ſeyn ſo wunderlich/ daß nie-
mand wiſſen kan/ ob du ohne Verluſt deines Lebens
wieder herauß kommeſt/ man kan geſchwind in die
Hoͤll rennen/ aber wieder herauß zu entrinnen/ wirds
Schnauffens und Bartwiſchens brauchen/ du biſt
bey weitem noch nicht ſo gemannet/ deiner bevorſte-
henden Gefahr zu entgehen/ wie du dir wol einbilden
moͤchteſt/ darumb wird dir mehr Vorſichtigkeit und
Verſtand vonnoͤthen ſeyn/ als zu der Zeit/ da du noch
nicht wuſteſt/ was Verſtand oder Unverſtand war/
G iijbleibe
[148]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
bleibe demuͤtig/ und erwarte der kuͤnfftigen Veraͤn-
derung.
Sein Diſcurs war vorſetzlich ſo variabel, dann ich
bilde mir ein/ er habe mir an der Stirn geleſen/ daß
ich mich groß zu ſeyn beduͤnckte/ weil ich mit ſo mei-
ſterlichem Betrug und ſeiner Kunſt durch geſchlof-
fen; und ich muthmaſſete hingegen auß ſeinem An-
geſicht/ daß er unwillig/ und meiner uͤberdruͤſſig wor-
den/ dann ſeine Minen gabens/ und was hatte er von
mir? Derowegen veraͤndert ich auch meine Reden/
und wuſte ihm groſſen Danck vor die herꝛliche Mittel/
die er mir zu Erhaltung meines Verſtands mitge-
theilt hatte/ ja ich thaͤt unmuͤgliche Promeſſen, alles/
wie meine Schuldigkeit erfordere/ wieder danckbar-
lich zu verſchulden: Solches kuͤtzelte ihn/ und brach-
te ihn auch wieder auff einen andern Laun/ dann er
ruͤhmte gleich darauff ſeine Artzney trefflich/ und er-
zehlte mir/ daß Simonides Melicus eine Kunſt auffge-
bracht/ die Metrodorus Sceptius nicht ohne groſſe
Muͤde perfectionirt haͤtte/ vermittelſt deren er die
Menſchen lehren koͤnnen/ daß ſie alles/ was ſie ein-
mal gehoͤret oder geleſen/ bey einem Wort nach-re-
den moͤgen/ und ſolches waͤre/ ſagte er/ ohne Haupt-
ſtaͤrckende Artzneyen/ deren er mir mitgetheilt/ nicht
zugangen! Ja/ gedachte ich/ mein lieber Herꝛ Pfar-
rer/ ich habe in deinen eigenen Buͤchern bey meinem
Einſidel viel anders geleſen/ worinnen Sceptii Ge-
daͤchtnus-Gunſt beſtehet/ doch war ich ſo ſchlau/ daß
ich nichts ſagte/ dann wann ich die Warheit beken-
nen ſoll/ ſo bin ich/ als ich zum Narꝛen werden ſolte/
allererſt witzig/ und in meinen Reden behutſamer
worden. Er der Pfarꝛer fuhr fort/ und ſagte mir/
wie
[149]Zweytes Buch.
wie Cyrus einem jeden von ſeinen 30000. Soldaten
mit ſeinem rechten Nahmen haͤtte ruffen/ Lucius Sci-
pio alle Buͤrger zu Rom bey den ihrigen nennen/ und
Cyneas Pyrihi Geſandter/ gleich den andern Tag
hernach/ als er gen Rom kom̃en/ aller Rahtsberꝛen
und Edelleute Nahmen daſelbſt/ ordentlich her ſa-
gen koͤnnen. Mithridates der Koͤnig in Ponto und
Bithynia/ ſagte er/ hatte Voͤlcker von 22. Sprachen
unter ihm/ denen er allen in ihrer Zungen Recht ſpre-
chen/ und mit einem jeden inſonderheit/ wie Sabell.
lib. 10. cap. 9. ſchreibet/ reden konte. Der gelehrte
Griech Charmides ſagte einem außwendig/ was ei-
ner auß den Buͤchern wiſſen wolte/ die in der gantzen
Liberey lagen/ wenn er ſie ſchon nur einmal uͤberleſen
hatte. Lucius Seneca konte 2000. Nahmen herwi-
der ſagen/ wie ſie ihm vorgeſprochen worden/ und
wie Raviſius meldet/ 200. Vers von 200. Schuͤ[ern]
geredet/ vom letzten an biß zum erſten/ hinwiederumb
erzehlen. Eßdras/ wie Euſeb. lib. temp. fulg. lib. 8.
cap. 7. ſchreibet/ konte die fuͤnff Buͤcher Moyſis auß-
wendig/ und ſelbige von Wort zu Wort den Schrei-
dern in die Feder dictiren. Themiſtocles lernete die
Perſiſche Sprach in einem Jahr. Craſſus konte in
Aſia die fuͤnff unterſchiedliche Dialectos der Griechi-
ſchen Sprach außreden/ und ſeinen Untergebenen da-
rinn Recht ſprechen. Julius Cæſar laſe/ dictirte/ und
gab zugleich Audienz Von Ælio Hadriano, Portio
Latrone, den Roͤmern und andern will ich nichts mel-
den/ ſondern nur von dem heiligen Hieronymo ſagen/
daß er Hebraiſch/ Chaldaiſch/ Griechiſch/ Perſiſch/
Mediſch/ Arabiſch und Lateiniſch gekoͤnt. Der Ein-
ſidel Antonius konte die gantze Bidel nur vom hoͤren
G jvleſen
[150]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
leſen/ außwendig. So ſchreibt auch Colerus lib. 18.
cap. 21. Auß Marco Antonio Mureto, von einem Cor-
ſicaner, welcher 6000. Menſchen-Nahmen ange-
hoͤret/ und dieſelbige hernach in richtiger Ordnung
ſchnell herwieder geſagt.
Dieſes erzehle ich alles darumb/ ſagte er ferner/
damit du nicht vor unmuͤglich halteſt/ daß durch Me-
dicin einem Menſchen ſein Gedaͤchtnus trefflich ge-
ſtaͤrcket und erhalten werden koͤnne/ gleich wie es
hingegen auch auff mancherley Weis geſchwaͤcht/
und gar außgetilgt wird/ maſſen Plinius lib. 7. cap.
24. ſchreibet/ daß am Menſchen nichts ſo bloͤd ſeye/
als eben das Gedaͤchtnus/ und daß ſie durch Kranck-
heit/ Schrecken/ Forcht/ Sorg und Bekůmmernus
entweder gantz verſchwinde/ oder doch einen groſſen
Theil ihrer Krafft verliere. Von einem Gelehrten
zu Athen wird geleſen/ daß er alles was er je ſtudiert
gehabt/ ſo gar auch das A B C vergeſſen/ nachdem
ein Stein von oben herab auff ihn gefallen. Ein an-
derer kam durch eine Kranckheit dahin/ daß er ſeines
Dieners Nahmen vergaß/ und Meſſala Corvinus wu-
ſie ſeinen eigenen Nahmen nicht mehr/ der doch vor-
hin ein gut Gedaͤchtnus gehabt. Schramhans ſchrei-
bet in faſciculo Hiſtoriarum, fol. 60. (welches aber
ſo Auffſchneideriſch klinget/ als ob es Plinius ſelbſt
geſchrieben) daß ein Prieſter auß ſeiner eigenen Ader
Blut getruncken/ und dardurch ſchreiben und leſen
vergeſſen/ ſonſt aber ſein Gedaͤchtnus unverꝛuckt be-
halten/ und als er uͤbers Jahr hernach eben an ſelbi-
gem Ort/ und damaliger Zeit/ abermal deſſelbigen
Bluts getruncken/ haͤtte er wieder wie zuvor ſchrei-
ben und leſen koͤnnen. Zwar iſts glaublicher/ was
Jo.
[151]Zweytes Buch.
Jo. Wierus de præſtigiis dæmon. lib. 3. cap. 18. ſchrei-
bet/ wenn man Beeren-Hirn einfreſſe/ daß man dar-
durch in ſolche Phantaſey und ſtarcke Imagination
gerathe/ als ob man ſelbſt zu einem Beeren worden
waͤre/ wie er dann ſolches mit dem Exempel eines
Spaniſchen Edelmanns beweiſet/ der/ nachdeme er
deſſen genoſſen/ in den Wildnuſſen umbgeloffen/ und
ſich nicht anders eingebildet/ als er ſeye ein Beer.
Lieber Simplici, haͤtte dein Herꝛ dieſe Kunſt gewuͤſt/
ſo doͤrffteſtu wol ehender in einen Beern/ wie die Cal-
liſto, als in einen Stier/ wie Jupiter, verwandelt
worden ſeyn.
Der Pfarꝛer erzehlte mir deß Dings noch viel/
gab mir wieder etwas von Artzney/ und inſtruirte
mich wegen meines fernern Verhalts/ damit machte
ich mich wieder nach Hauß/ und brachte mehr als
100. Buben mit/ die mir nachlieffen/ und abermals
alle wie Kaͤlber ſchryen/ derowegen lieff mein Herꝛ/
der eben auffgeſtanden war/ ans Fenſter/ ſahe ſo viel
Narꝛen auff einmal/ und lieſſe ihm belieben/ daruͤber
hertzlich zu lachen.
DasIX.Capitel.
SO bald ich ins Hauß kam/ muſte ich auch in die
Stub/ weil Adelich Frauenzimmer bey meinem
Herꝛn war/ welches ſeinen neuen Narꝛn auch gerne
haͤtte ſehen und hoͤren moͤgen. Jch erſchiene/ und
ſtund da wie ein Stumm/ dahero die jenige/ ſo ich
hiebevor beym Tantz erdappet hatte/ Urſach nam zu
ſagen: Sie haͤtte ihr ſagen laſſen/ dieſes Kalb koͤnne
reden/ ſd verſpuͤre ſie aber nunmehr/ daß es nicht wahr
G vſeye
[152]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ſeye; Jch antwortet/ ſo hab ich hingegen vermey-
net/ die Affen koͤnnen nicht reden/ hoͤre aber wol/ daß
dem auch nicht alſo ſey. Wie/ ſagte mein Herꝛ/ ver-
meynſt du dann/ dieſe Damen ſeyen Affen? Jch ant-
wortet/ ſeynd ſie es nicht/ ſo werden ſie es doch bald
werden/ wer weiß wie es faͤllt/ ich habe mich auch
nicht verſehen ein Kalb zu werden/ und bins doch!
Mein Herꝛ fragte/ woran ich ſehe/ daß dieſe Affen
werden ſollen? Jch amwortet/ unſer Aff traͤgt ſein
Hindern bloß/ dieſe Damen aber alldereit ihre Bruͤſt/
dann andere Maͤgdlein pflegten ja ſonſt ſolche zu be-
decken. Schlimmer Vogel/ ſagte mein Herꝛ/ du biſt
ein naͤrꝛiſch Kalb/ und wie du biſt/ ſo redeſiu/ dieſe
laſſen billich ſehen was ſehens werth iſt/ der Aff aber
gehet auß Armut nackend/ geſchwind bringe wieder
ein/ was du geſuͤndiget haſt/ oder man wird dich kar-
baͤitſchen/ und mit Hunden in Gaͤnsſtall hetzen/ wie
man Kaͤlbern thut/ die ſich nicht zu ſchicken wiſſen/
laß hoͤren/ weiſt du auch eine Dam zu loben/ wie ſichs
gebuͤhrt? Hierauff betrachtete ich die Dame von
Fuͤſſen an biß oben auß/ und hinwieder von oben biß
unden/ ſahe ſie auch ſo ſteiff und lieblich an/ als haͤtte
ich ſie heuraten wollen. Endlich ſagte ich/ Herꝛ/ ich
ſehe wol wo der Fehler ſteckt/ der Diebs-Schneider
iſt an allem ſchuldig/ er hat das Gewand/ das oben
umb den Hals gehoͤrt/ und die Bruͤſtbedecken ſolte/
unden an dem Rock ſtehen laſſen/ darumb ſchleifft er
ſo weit hinden hernach/ man ſolte dem Hudler die
Haͤnd abhauen/ wenn er nicht beſſer ſchneidern kan/
Jungfer/ ſagte ich zu ihr ſelbſt/ ſchafft ihn ab/ wenn
er euch nicht ſo verſchaͤnden ſoll/ und febet/ daß ihr
meines Knans Schneider bekompt/ der hieß Meiſter
Paul-
[153]Zweytes Buch.
Paulgen/ er hat meiner Meuͤder/ unſerer Ann und
unſerm Urſele ſo ſchoͤne gebrittelte Roͤck machen koͤn-
nen/ die unden herumb gantz eben geweſt ſeyn/ ſie ha-
ben wol nicht ſo im Dreck geſchlappt wie eurer/ ja
ihr glaubt nicht/ wie er den Huren ſo ſchoͤne Kleider
machen koͤnnen. Mein Herꝛ fragte/ ob dann meines
Knans Ann und Urſele ſchoͤner geweſen/ als dieſe
Jungfer? Ach wol Nein/ Herꝛ/ ſagte ich/ dieſe Jung-
frau hat ja Haar/ das iß ſo gelb wie kleiner Kinder-
Dreck/ und ihre Schaͤidel ſind ſo weiß und ſo gerad
gemacht/ als wenn man Saͤubuͤrſten auff die Haut
gekappt haͤtte/ ja ihre Haar ſeyn ſo huͤbſch zuſam̃en
gerollt/ daß es ſihet/ wie hole Pfeiffen/ oder als wenn
ſie auff jeder Seiten ein paar Pfund Liechter/ oder
ein Dutzet Bratwuͤrſt hangen haͤtte: Ach ſehet nur/
wie hat ſie ſo ein ſchoͤne glatte Stirn; iſt ſie nicht fei-
ner gewoͤlbet als ein fetter Kunſtbacken? und weiſſer
als ein Todtenkopff/ der viel Jahr lang im Wetter
gehangen; Jmmer Schad iſts/ daß ihre zarte Haut
durch das Haar-Puder ſo ſchlim bemackelt wird/
dann wanns Leut ſehen/ die es nicht verſtehen/ doͤrff-
ten ſie wol vermeynen/ die Jungfer habe den Erb-
grind/ der ſolche Schuppen von ſich werffe; welches
noch groͤſſerer Schad waͤre vor die funcklende Augen/
die von Schwaͤrtze klaͤrer zwitzern/ als der Ruß vor
meines Knans Ofenloch/ welcher ſo ſchroͤcklich
glaͤntzete/ wenn unſer Ann mit einem Strohwiſch
davor ſtunde/ die Stub zu hitzen/ als wenn lauter
Feuer darinn ſteckte/ die gantze Welt anzuzuͤnden:
Jhre Backen ſeyn ſo huͤbſch rotlecht/ doch nicht gar
ſo roth/ als neulich die neue Neſtel waren/ damit die
Schwaͤbiſche Fuhrleut von Ulm ihre Laͤtz gezieret
G vjhatten
[154]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
hatten: Aber die hohe Roͤte/ die ſie an den Lefftzen
hat/ uͤbertrifft ſolche Fard weit/ und wenn ſie lacht
oder redt (ich bitte/ der Herꝛ geb nur Achtung darauf)
ſo ſihet man zwey Reyhen Zaͤhn in ihrem Maul ſte-
hen/ ſo ſchoͤn Zeilweis und Zucker-aͤhnlich/ als wenn
ſie auß einem Stuͤck von einer weiſſen Ruͤben ge-
ſchnitzelt worden waͤren: O Wunderbild/ ich glaub
nicht/ daß es einem webe thut/ wenn du einen damit
beiſſeſt: So iſt ihr Hals ja ſchier ſo weiß/ als eine
geſtandene Saurmilch/ und ihre Bruͤſtlein/ die da-
runter ligen/ ſeyn von gleicher Farb/ und ohn Zweif-
fel ſo hart anzugreiffen/ wie ein Gaiß-Maͤmm/ die
von uͤbriger Milch ſtrotzt: Sie ſeynd wol nicht ſo
ſchlapp/ wie die alte Weiber hatten/ die mir neulich
den Hindern butzten/ da ich in Himmel kam. Ach
Herꝛ/ ſehet doch ihre Haͤnd und Finger an/ ſie ſind
ja ſo ſubtil/ ſo lang/ ſo gelenck/ ſo geſchmeidig/ und
ſo geſchicklich gemacht/ natuͤrlich wie die Zuͤgeine-
rinnen neulich hatten/ damit ſie einem in Schubſack
greiffen/ wenn ſie fiſchen wollen. Aber was ſoll dieſes
gegen ihrem gantzen Leib ſelbſt zu rechnen ſeyn/ den
ich zwar nicht bloß ſehen kan. Jſt er nicht ſo zart/
ſchmal und anmuthig/ als wenn ſie acht gantzer
Wochen die ſchnelle Catharina gehabt haͤtte? Hie-
ruͤber erhub ſich ein ſolch Gelaͤchter/ daß man mich
nicht mehr hoͤren/ noch ich mehr reden konte/ gienge
hiemit durch wie ein Hollaͤnder/ und lieſſe mich/ ſo
lang mirs gefiel/ von andern vexiern.
DasX.Capitel.
HJerauff erfolgte die Mittags-Mahlzeit/ bey wel-
cher ich mich wieder dapffer gebrauchen lieſſe/
dann
[155]Zweytes Buch.
dann ich hatte mir vorgeſetzt/ alle Thorheiten zu be-
reden/ und alle Eitelkeiten zu ſtraffen/ worzu ſich
dann mein damaliger Stand trefflich ſchickte; kein
Tiſchgenoß war mir zu gut/ ihm ſein Laſter zu ver-
weiſen und auffzurupffen/ und wenn ſich einer fand/
der ſichs nicht gefallen lieſſe/ ſo wurde er entweder
noch darzu von andern außgelacht/ oder ihme von
meinem Herꝛn vorgehalten/ daß ſich kein Weiſer
über einen Narꝛn zu erzoͤrnen pflege: Den dollen
Faͤhnrich/ welcher mein argſter Feind war/ ſetzte ich
gleich auff den Eſel. Der erſte aber/ der mir auß mei-
nes Herꝛn Wincken mit Vernunfft begegnete/ war
der Secretarius, dann als ich denſelben einen Titul-
Schmid nennete/ ihn wegen der eiteln Titul außlach-
te/ und fragte/ wie man der Menſchen erſten Vatter
titulirt haͤtte? Antwortet er/ du redeſt wie ein unver-
nuͤnfftig Kalb/ weil du nicht weiſt/ daß nach unſern
erſten Eltern unterſchiedliche Leut gelebt/ die durch
ſeltene Tugenden/ als Weisheit/ mannliche Helden-
Thaten/ und Erfindung guter Kuͤnſte/ ſich und ihr
Geſchlecht dermaſſen geadelt haben/ daß ſie auch
von andern uͤber alle irdiſche Ding/ ja gar uͤbers Ge-
ſtirn zu Goͤttern erhoben worden; Waͤreſt du ein
Menſch/ oder haͤtteſt auffs wenigſt wie ein Menſch
die Hiſtorien geleſen/ ſo verſtuͤndeſt du auch den Un-
terſcheid/ der ſich zwiſchen den Menſchen enthaͤlt/
und wuͤrdeſt dannenhero einem jeden ſeinen Ehren-
Titul gern goͤnnen/ ſintemal du aber ein Kalb/ und
keiner menſchlichen Ehr wuͤrdig noch faͤhig biſt/ ſo
redeſt du auch von der Sach wie ein dummes Kalb/
und mißgoͤnneſt dem edlen menſchlichen Geſchlecht
das jenige/ deſſen es ſich zu erfreuen hat. Jch ant-
G vijwor-
[156]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
wortet/ ich bin ſo wol ein Menſch geweſen als du/
hab auch zimlich viel geleſen/ kan dahero urtheilen/
daß du den Handel entweder nicht recht verſteheſt/
oder durch dein Intereſſe abgehalten wirſt/ anderſt zu
reden als du weiſt: Sag mir/ was ſeyn vor herꝛliche
Thaten begangen/ und vor loͤbliche Kuͤnſte erfunden
worden/ die genugſam ſeyen/ ein gantz Geſchlechte
etlich hundert Jahr nacheinander/ auff Abſterben der
Helden und Kuͤnſtler ſelbſt/ zu adlen? Jſt nicht bey-
des der Helden Staͤrck/ und der Kuͤnſtler Weisheit
und hoher Verſtand/ mit hinweg geſtorben? Wenn
du diß nicht verſteheſt/ und der Eltern Qualitaͤten auff
die Kinder erben/ ſo muß ich davor halten/ dein Vat-
ter ſey ein Stockfiſch/ und dein Mutter ein Platteiß
geweſen: Ha! antwort der Secretarius, wann es
damit wol außgericht ſeyn wird/ wann wir einander
ſchaͤnden wollen/ ſo koͤnte ich dir vorwerffen/ daß dein
Knan ein grober Speſſerter Baur geweſen/ und ob
es zwar in deiner Heimat und Geſchlecht die groͤſte
Knollfincken abgibt/ daß du dich annoch noch mehr
verꝛingert habeſt/ in dem du zu einem unvernuͤnffti-
gen Kalb worden biſt. Da recht/ antwortet ich/ das
iſts was ich behaupten will/ daß nemlich der Eltern
Tugenden nicht allweg auff die Kinder erben/ und
daß dahero die Kinder ihrer Eltern Tugend-Tituln
auch nicht allweg wuͤrdig ſeyen; mir zwar iſts kein
Schand/ daß ich ein Kalb bin worden/ dieweil ich
in ſolchem Fall dem Großmaͤchtigen Koͤnig Nabu-
chodonoſor nachzufolgen die Ehr habe/ wer weiß/
ob es nicht GOtt gefaͤllt/ daß ich auch wieder wie
dieſer/ zu einem Menſchen/ und zwar noch groͤſſer
werde/ als mein Kuan geweſen? Jch ruͤhme einmal
die
[157]Zweytes Buch.
die jenige/ die ſich durch eigene Tugenden edel ma-
chen. Nun geſetzt/ aber nicht geſtanden/ ſagt der Se-
cretarius, daß die Kinder ihrer Eltern Ehren-Titul
nicht allweg erben ſollen/ ſo muſt du doch geſtehen/
daß die jenige alles Lobswerth ſeyen/ die ſich ſelbſt
durch Wolverhalten Edel machen; wann dann dem
alſo/ ſo folget/ daß man die Kinder wegen ihrer El-
tern billich ehret/ dann der Apffel faͤllt nicht weit vom
Stamm: Wer wolte in Alexandri M. Nachkoͤmm-
lingen/ wenn anders noch einige vorhanden waͤren/
ihres alten Ur-Anherꝛn hertzhaffte Dapfferkeit im
Krieg nicht ruͤhmen: Dieſer erwieſe ſeine Begierde
zu fechten in ſeiner Jugend mit Weynen/ als er noch
zu keinen Waffen tuͤchtig war/ beſorgend/ ſein Vat-
ter moͤchte alles gewinnen/ und ihme nichts zu be-
zwingen uͤbrig laſſen; hat er nicht noch vor dem dreiſ-
ſigſten Jahr ſeines Alters die Welt bezwungen/ und
noch ein andere zu beſtreiten gewuͤnſcht? hat er nicht
in einer Schlacht/ die er mit den Jndianern gehal-
ten/ da er von den Seinigen verlaſſen war/ auß Zorn
Blut geſchwitzet? War er nicht anzuſehen/ als ob
er mit lauter Feurflammen umbgeben war/ ſo/ daß
ihn auch die Barbaren vor Forcht ſtreitend verlaſſen
muſten? Wer wolte ihn nicht hoͤher und edler/ als
andere Menſchen ſchaͤtzen/ da doch Quintus Curtius
von ihm bezeuget/ daß ſein Athem wie Balſam/ der
Schweiß nach Biſem/ und ſein todter Leib nach koͤſt-
licher Specerey gerochen: Hier koͤnte ich auch ein-
fuͤhren den Julium Cæſarem und den Pompejum, de-
ren der eine uͤber und neben den Victorien/ die er in
den Buͤrgerlichen Kriegen behauptet/ fuͤnfftzig mal
in offenen Feldſchlachten geſtritten/ und 1152000.
Mann
[158]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Mann erlegt und todt geſchlagen hat/ der ander hat
neben 940. den Meer-Raͤubern abgenom̃enen Schif-
fen/ vom Alpgebuͤrg an biß in das aͤuſſerſte Hiſpa-
nien/ 876. Staͤtt und Flecken eingenommen und
uͤberwunden. Den Ruhm Marci Sergii will ich ver-
ſchweigen/ und nur ein wenig von dem Lucio Sucio
Dentato ſagen/ welcher Zunfftmeiſter zu Rom war/
als Spurius Turpejus und Aulus Eternius Burger-
meiſter geweſen/ dieſer iſt in 110. Feld-Schlachten
geſtanden/ und hat achtmal die jenige uͤberwunden/
ſo ihn herauß gefordert/ er konte 45. Wundmaͤhler
an ſeinem Leib zeigen/ die er alle vor dem Mann/ und
keine ruͤckwarts empfangen/ mit neun Obriſt Feld-
Herꝛen iſt er in ihren Triumphen (die ſie vornemlich
durch ihre Mannheit erlangt) eingezogen. Deß Man-
lii Capitolini Kriegs-Ehr waͤre nicht geringer/ wenn
er ſie im Beſchluß ſeines Lebens nicht ſelbſt verklei-
nert/ dann er konte auch 33. Wundmaͤhler zeigen/
ohn daß er einsmals das Capitolium mit allen Schaͤ-
tzen allein vor den Frantzoſen erhalten. Wo bleibt
der ſtarcke Hercules, Theſeus und andere/ die beynahe
beydes zu erzehlen/ und ihr unſterbliches Lob zu be-
ſchreiben unmuͤglich! Solten dieſe in ihren Nach-
koͤmmlingen nicht zu ehren ſeyn?
Jch will aber Wehr und Waffen fahren laſſen/
und mich zu den Kuͤnſten wenden/ welche zwar etwas
geringer zu ſeyn ſcheinen/ nichts deſto weniger aber
ihre Meiſter gantz Ruhmreich machen. Was findet
ſich nur fuͤr ein Geſchicklichkeit am Zeuxe, welcher
durch ſeinen Kunſtreichen Kopff und geſchickte Hand
die Voͤgel in der Lufft betrog; item am Apelle, der ei-
ne Venus ſo natuͤrlich/ ſo ſchoͤn/ ſo außbuͤndig/ und
mit
[159]Zweytes Buch.
mit allen Lineamenten ſo ſubtil und zart daher mah-
let/ daß ſich auch die Junggeſellen darein verliebten.
Plutarchus ſchreibet/ daß Archimedes ein groß Schiff
mit Kauffmanns-Wahren beladen/ mitten uͤber den
Marckt zu Syracuſis nur mit einer Hand/ an einem
einzigen Sail daher gezogen/ gleich als ob er ein
Saumthier an einem Zaum gefuͤhrt/ welches 20.
Ochſen/ geſchweige 200. deines/ gleichen Kaͤlber/
nicht haͤtten zu thun vermoͤcht. Solte nun dieſer
rechtſchaffene Meiſter nicht mit einem beſondern Eh-
ren-titul/ ſeiner Kunſt gemaͤß/ zu begaben ſeyn? Wer
wolte nicht vor andern Menſchen preiſen den jeni-
gen/ der dem Perſiſchen Koͤnig Sapor ein glaͤſernes
Werck machte/ welches ſo weit und groß war/ daß
er mitten in demſelben auff deſſen Centro ſitzen/ und
unter ſeinen Fuͤſſen das Geſtirn auff und nider gehen
ſehen konte? Archimedes machte einen Spiegel/
damit er der Feinde Kriegs-Schiff mitten im Meer
anzuͤndet: So gedencket auch Ptolomeus eine wun-
derliche Art Spiegel/ die ſo viel Angeſichter zeigten/
als Stund im Tag waren. Welcher wolte den nicht
preiſen/ der die Buchſtaben zu erſt erfunden? ja wer
wolte nicht vielmehr den uͤber alle Kuͤnſtler erheben/
welcher die Edle und der gantzen Welt hoͤchſt nutz-
bare Kunſt der Buchdruckerey erfunden? Jſt
Ceres, weil ſie den Ackerbau und das Muͤhlwerck er-
funden haben ſolle/ vor eine Goͤttin gehalten worden/
warumb ſolte dann unbillich ſeyn/ wenn man an-
dern/ ihren Qualitaͤten gemaͤß/ ihr Lob mit Ehren-
Tituln beruͤhmt? Zwar iſt wenig daran gelegen/ ob
du grobes Kalb ſolches in deinem unvernuͤnfftigen
Ochſenhirn faſſeſt oder nicht: Es gehet dir eben wie
jenem
[160]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
jenem Hund/ der auff einem Hauffen Heu lag/ und
ſolches dem Ochſen auch nicht goͤnnete/ weil er es
ſelbſt nicht genieſſen konte; du biſt keiner Ehr faͤhig/
und eben dieſer Urſachen halber mißgoͤnneſt du ſolche
den jenigen/ die ſolcher werth ſeyn.
Da ich mich ſo gehetzt ſahe/ antwortet ich/ die
herꝛliche Helden-Thaten waͤren hoͤchlich zu ruͤhmen/
wann ſie nicht mit anderer Menſchen Untergang und
Schaden vollbracht worden waͤren. Was iſt das
aber vor ein Lob/ welches mit ſo vielem unſchuldig-
vergoſſenem Menſchen-Blut beſudelt: Und was iſt
das vor ein Adel/ der mit ſo vieler tauſend anderer
Menſchen Verderben erobert und zu wegen gebracht
worden iſt? Die Kuͤnſte betreffend/ was ſeynds an-
ders als lauter Vanitaͤten und Thorheiten? Ja ſie
ſeynd eben ſo laͤer/ eitel und unnuͤtz/ als die Titul
ſelbſt/ die einem von denſelbigen zuſtehen moͤchten;
dann entweder dienen ſie zum Geitz/ oder zur Wol-
luſt/ oder zur Uppigkeit/ oder zum Verderben ande-
rer Leut/ wie dann die ſchroͤckliche Dinger auch ſind/
die ich neulich auff den halben Waͤgen ſahe; ſo koͤn-
te man der Druckerey und Schrifften auch wol ent-
beren/ nach Außſpruch und Meynung jenes heiligen
Manns/ welcher darvor hielte/ die gantze weite Welt
ſey ihm Buchs genug/ die Wunder ſeines Schoͤpf-
fers zu betrachten/ und die goͤttliche Allmacht darauß
zu erkennen.
DasXI.Capitel.
MEin Herꝛ wolte auch mit mir ſchertzen/ und
ſagte: Jch mercke wol/ weil du nicht Edel zu
werden getraueſt/ ſo verachteſt du deß Adels Ehren-
Titul
[161]Zweytes Buch.
Titul; Jch antwortet/ Herꝛ/ wann ich ſchon in die-
ſer Stund andeine Ehrenſtell tretten ſolte/ ſo wolte
ich ſie doch nicht annehmen! Mein Herꝛ lachte/ und
ſagte: Das glaube ich/ dann dem Ochſen gehoͤret
Haberſtroh; wann du aber einen hohen Sinn haͤt-
teſt/ wie Adeliche Gemuͤter haben ſollen/ ſo wuͤrdeſt
du mit Fleiß nach hohen Ehren und Dignitaͤten trach-
ten/ Jch meines theils/ achte es fuͤr kein geringes/
wenn mich das Gluͤck uͤber andere erhebt. Jch ſeuff-
tzete und ſagte: Ach/ arbeitſeelige Gluͤckſeeligkeit!
Herꝛ/ ich verſichere dich/ daß du der aller-elendeſte
Menſch in gantz Hanau biſt: Wie ſo? wie ſo? Kalb/
ſagte mein Herꝛ/ ſag mir doch die Urſach/ dann ich
befinde ſolches bey mir nicht: Jch antwortet/ wenn
du nicht weiſt und empfindeſt/ daß du Gubernator in
Hanau/ und mit wie viel Soꝛgen und Unruhe du deß-
wegen beladen biſt/ ſo verblendet dich die allzugroſſe
Begierd der Ehr/ deren du genieſſeſt/ oder du biſt ei-
ſern und gantz unempfindlich/ du haſt zwar zu beſeh-
len/ und wer dir unter Augen kompt/ muß dir gehor-
famen; thun ſie es aber umbſonſt? biſt du nicht ihrer
aller Knecht? muſt du nicht vor einen jedwedern in-
ſonderheit ſorgen? Schaue/ du biſt jetzt rund umb-
der mit Feinden umbgeben/ und die Conſervation
dieſer Veſtung ligt dir allein auff dem Hals/ du muſt
trachten/ wie du deinem Gegentheil einen Abbruch
thun moͤgeſt/ und muſt darneben ſorgen/ daß deine
Anſchlaͤg nicht verkundſchafftet werden; Bedoͤrffte
es nicht oͤffters/ daß du ſelber/ wie ein gemeiner
Knecht/ Schildwach ſtuͤndeſt? Uber das muſtu be-
dacht ſeyn/ daß kein Mangel an Geld/ Munition/
Proviant und Volck im Poſten erſcheine/ deßwegen
du
[162]Deß Abenth. Simpliciſſimi
du dann das gantze Land durch ſtetiges exequiren und
tribuliren in der Contribution erhalten muſt; Schi-
ckeſt du die Deinige zu ſolchem End hinauß/ ſo iſt
rauben/ pluͤndern/ ſtelen/ brennen und morden ihre
beſte Arbeit/ ſie haben erſt neulich Orb gepluͤndert/
Braunfels eingenommen/ und Staden in die Aſche
gelegt/ davon haben ſie zwar ihnen Beuten/ du aber
eine ſchwere Verantwortung bey GOtt gemachet:
Jch laſſe ſeyn/ daß dir vielleicht der Genuß neben der
Ehr auch wol thut/ weiſt du aber auch/ wer ſolche
Schaͤtz/ die du etwan ſamleſt/ genieſſen wird? Und
geſetzt/ daß dir ſolcher Reichthum verbleibt (ſo doch
mißlich ſtehet) ſo muſtu ſie doch in der Welt laſſen/
und nimmſt nichts darvon mit dir/ als die Sünde/
dardurch du ſelbigen erworben haſt: Haſt du dann
das Gluͤck/ daß du dir deine Beuten zu nutz machen
kanſt/ ſo verſchwendeſt du der Armen Schweiß und
Blut/ die jetzt im Elend Mangel leiden/ oder gar
verderden und Hungers ſterben. O wie offt ſehe ich/
daß deine Gedancken wegen Schwere deines Ampts
hin und wieder zerſtreut ſeyn/ und daß hingegen ich
und andere Kaͤlber ohn alle Bekuͤmmernus ruhig
ſchlaffen; thuſt du ſolches nicht/ ſo koſtet es deinen
Kopff/ dafern anders etwas verabſaͤumet wird/ das
zu Conſervation deiner untergebenen Voͤlcker und
der Veſtung haͤtte obſervirt werden ſollen; Schaue/
ſolcher Sorgen bin ich uͤberhoben! Und weil ich
weiß/ daß ich der Natur einen Todt zu leiſten ſchul-
dig bin/ ſorge ich nicht/ daß jemand meinen Stall
ſtuͤrmet/ oder daß ich mit Arbeit umb mein Leben
ſcharmuͤtzeln muͤſſe/ ſterbe ich jung/ ſo bin ich der
Muͤhſeeligkeit eines Zug-Ochſens uͤberhoben/ dir
aber
[163]Zweytes Buch.
aber ſtellt man ohne Zweiffel auff tauſendfaͤltige weis
nach/ deßwegen iſt dein gantzes Leben nichts anders
als ein immerwaͤhrende Sorg und Schlaffbrechens/
dann du muſt Freund und Feind foͤrchten/ die dich
ohn Zweiffel/ wie du auch andern zu thun gedenckeſt/
entweder umb dein Leben/ oder umb dein Geld/ oder
umb deine Reputation, oder umb dein Commando,
oder umb ſonſten etwas zu bringen nachſinnen/ der
Feind ſetzt dir offentlich zu/ und deine vermeynte
Freund beneiden heimlich dein Gluͤck; vor deinen
Untergebenen aber biſtu auch nicht allerdings verſi-
chert. Jch geſchweige hier/ wie dich taͤglich deine
brennende Begierden quaͤlen/ und hin und wider trei-
ben/ wenn du gedenckeſt/ wie du dir einen noch groͤſ-
ſern Nahmen und Ruhm zu machen/ hoͤher in Kriegs-
Aemptern zu ſteigen/ groͤſſern Reichthum zu ſamlen/
dem Feind einen Tuck zu beweiſen/ ein oder ander Ort
zu uͤberꝛumpeln/ und in Summa faſt alles zu thun/
was andere Leut geheyet/ und deiner Seelen ſchaͤd-
lich/ der Goͤttlichen Majeſtaͤt aber mißfaͤllig iſt! Und
was das aller-aͤrgſte iſt/ ſo biſt du von deinen Fuchs-
ſchwaͤntzern ſo verwaͤhnt/ daß du dich ſelbſten nicht
kenneſt/ und von ihnen ſo eingenommen und vergiff-
tet/ daß du den gefaͤhrlicheu Weg/ den du geheſt/
nicht ſehen kanſt/ denn alles was du thuſt/ heiſſen ſie
recht/ und alle deine Laſter werden von ihnen zu lau-
ter Tugenden gemacht und außgeruffen; dein Grim-
migkeit iſt ihnen eine Gerechtigkeit/ und wenn du
Land und Leut verderben laͤſt/ ſo ſagen ſie/ du ſeyſt ein
braver Soldat/ hetzen dich alſo zu ander Leut Scha-
den/ damit ſie deine Gunſt behalten/ und ihre Beutel
darbey ſpicken moͤgen.
Du
[164]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Du Beruheuter/ ſagte mein Herꝛ/ wer lernet dich
ſo predigen? Jch antwortet/ Liebſter Herꝛ/ ſage ich
nicht wahr/ daß du von deinen Ohrenblaͤſern und
Daumendrehern dergeſtalt verderbet ſeyeſt/ daß dir
bereits nicht mehr zu helffen; hingegen ſehen andere
Leut deine Laſter gar bald/ und urtheilen dich nicht
allein in hohen und wichtigen Sachen/ ſondern fin-
den auch genug in geringen Dingen/ daran wenig
gelegen/ an dir zu tadlen: Haſtu nicht Exempel ge-
nug an hohen Perſonen/ ſo vor der Zeit gelebt? die
Athenienſer murmelten wider ihren Simonidem, nur
darumb daß er zu laut redete; die Thebaner klagten
uͤber ihren Paniculum, dieweil er außwurffe; die La-
cedæmonier ſchalten an ihrem Lycuigo, daß er alle-
zeit mit nieder geneigtem Happt daher gienge; die
Roͤmer vermeynten/ es ſtuͤnde dem Scipione gar uͤbel
an/ daß er im Schlaff ſo laut ſchnarchte; es duͤnckte
ſie heßlich zu ſeyn/ daß ſich Pompejus nur mit einem
Finger kratzte; deß Julii Cæſaris ſpotteten ſie/ weil er
ſeinen Guͤrtel nicht artig und luſtig antrug; die Uti-
cenſer verleumdeten thren guten Catonem, weil er/
wie ſie beduͤnckte/ allzu-geitzig auff beyden Backen
aſſe; und die Carthaginenſer redeten dem Hannibali
uͤbel nach/ weil er immerzu mit der Bruſt auffgedeckt
und bloß daher gienge. Wie duͤnckt dich nun/ mein
lieber Herꝛ? vermeyneſt du wol noch/ daß ich mit ei-
nem tauſchen ſolte/ der vielleicht neben zwoͤlff oder
dreyzehen Tiſch Freunden/ Fuchsſchwaͤntzern und
Schmarotzern/ mehr als 100. oder vermuthlicher
mehr als 10000. ſo heimliche als offentliche Feind/
Verleumder und mißgoͤnſtige Neider hat? zu dem/
was vor Gluͤckſeeligkeit/ was fuͤr Luſt und was vor
Freud
[165]Zweytes Buch.
Freud ſolte doch ein ſolch Haupt haben koͤnnen/ un-
ter welches Pfleg/ Schutz und Schirm ſo viel Men-
ſchen leben? Jſts nicht vonnoͤten/ daß du vor alle die
Deinige wacheſt/ vor ſie ſorgeſt/ und eines jeden Klag
uud Beſchwerden anhoͤreſt? Waͤre ſolches allein
nicht muͤheſeelig genug/ wenn du ſchon weder Feinde
noch Mißgoͤnner haͤtteſt? Jch ſehe wol/ wie ſauer du
dirs muſt werden laſſen/ und wie viel Beſchwerden
du doch ertraͤgſt; Liebſter Herꝛ/ was wird doch end-
lich dein Lohn ſeyn/ ſage mir/ was haſt du darvon?
Wann du es nicht weiſt/ ſo laſſe dirs den Griecht-
ſchen Demoſthenem ſagen/ welcher/ nachdem er den
gemeinen Nutzen/ und das Recht der Athenienſer/
dapffer und getreulich befoͤrdert und beſchuͤtzt/ wider
alles Recht und Billichkeit/ als einer ſo ein greuliche
Miſſethat begangen/ deß Lands verwieſen/ und in
das Elend verjaget ward; dem Socrati ward mit
Gifft vergeben; dem Hannibal ward von den ſeinen
ſo uͤbel gelohnet/ daß er elendiglich in der Welt Land-
fluͤchtig herum ſchwaiffen muſte; alſo geſchahe dem
Roͤmiſchen Camillo; und dergeſtalt bezahlten die
Griechen den Lycurgum und Solonem, deren der eine
geſteiniget ward/ dem andern aber/ nachdem ihm ein
Aug außgeſtochen/ wurde als einem Moͤrder endlich
das Land verwieſen. Darumb behalte dein Com-
mando ſampt dem Lohn/ den du darvon haben wirſt/
du darffſt deren keins mit mir theilen/ dann wann al-
les wol mit dir abgehet/ ſo haſtu auffs wenigſte ſonſt
nichts/ das du davon bringeſt/ als ein boͤß Gewiſſen;
Wirſtu aber dein Gewiſſen in acht nemmen wollen/
ſo wirſtu als ein Untuͤchtiger bey Zeiten von deinem
Commando verſtoſſen werden/ nicht anders/ als
wann
[166]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
wann du auch/ wie ich/ zu einem dummen Kalb wor-
den waͤreſt.
DasXII.Capitel.
UNter waͤhrendem meinem Diſcours ſahe mich je-
derman an/ und verwunderten ſich alle Gegen-
waͤrtige/ daß ich ſolche Reden ſolte vorbringen koͤn-
nen/ welche wie ſie vorgaben/ auch einem verſtaͤndi-
gen Mann genug waͤren/ wann er ſolche ſo gar ohne
allen Vorbedacht haͤtte vortragen ſollen; Jch aber
machte den Schluß meiner Red/ und ſagte: Darum
dann nun/ mein liebſter Herꝛ/ will ich nicht mit dir
tauſchen; zwar ich bedarffs auch im geringſten nit/
dann die Quellen geben mir einen geſunden Tranck/
an ſtatt deiner koͤſtlichen Wein/ und der jenige/ der
mich zum Kalb werden zu laſſen beliebet/ wird mir
auch die Gewaͤchs deß Erdbodens dergeſtalt zu ſeg-
nen wiſſen/ daß ſie mir wie dem Nabuchodonoſore
zur Speiß und Auffenthalt meines Lebens auch nicht
unbequem ſeyn werden; ſo hat mich die Natur auch
mit einem guten Beltz verſehen/ da dir hingegen offt
vor dem beſten eckelt/ der Wein deinen Kopff zerꝛeiſt/
und dich bald in dieſe oder jene Kranckheit wirfft.
Mein Herꝛ antwortet: Jch weiß nicht was ich an
dir habe? du beduͤnckeſt mich vor ein Kalb viel zu ver-
ſtaͤndig zu ſeyn/ ich vermeyne ſchier/ du ſeyeſt unter
deiner Kalbs-Haut mit einer Schalcks-Haut uͤber-
zogen? Jch ſtellte mich zornig/ und ſagte: Vermey-
net ihr Menſchen dann wol/ wir Thiere ſeyen gar
Narꝛen? Das doͤrfft ihr euch wol nicht einbilden!
Jch halte darvor/ wann aͤltere Thier als ich/ ſo wol
als ich reden koͤnten/ ſie wuͤrden euch wol anders
auff-
[167]Zweytes Buch.
auffſchneiden: Wann ihr vermeynt/ wir ſeyen ſo
gar dumm/ ſo ſagt mir doch/ wer die wilde Bloch-
Dauben/ Haͤher/ Ambſeln und Rebhuͤner gelernet
hat/ wie ſie ſich mit Lorbeer-blaͤttern purgiren ſollen?
und die Dauben/ Turteldaͤublein und Huͤner mit S.
Peters Kraut? Wer lehret Hund und Katzen/ daß
ſie das bethaute Gras freſſen ſollen/ wann ſie ihren
vollen Bauch reinigen wollen? Wer die Schild-
Krott/ wie ſie die Biß mit Schirling heylen? und
den Hirſch/ wann er geſchoſſen/ wie er ſeine Zuflucht
zu dem Dictamno oder wilden Poley nehmen ſolle?
Wer hat das Wieſelin unterꝛichtet/ daß es Rauten
gebrauchen ſolle/ wenn es mit der Fledermauß oder
irgend einer Schlang kaͤmpffen will? Wer gibt den
wilden Schweinen den Epheu/ und den Beeren den
Alraun zu erkennen/ und ſagt ihnen/ daß es gut ſeye
zu ihrer Artzney? Wer hat dem Adler gerathen/ daß
er den Adlerſtein ſuchen und gebrauchen ſoll/ wann
er ſeine Eyer ſchwerlich legen kan? Und welcher gibt
es der Schwalbe zu verſtehen/ daß ſie ihrer Jungen
bloͤde Augen mit dem Chelidonio artzneyen ſolle?
Wer hat die Schlang inſtruirt/ daß ſie ſoll Fenchel
eſſen/ wann ſie ihre Haut abſtreiffen/ und ihren dun-
ckeln Augen helffen will? Wer lehret den Stock/
ſich zu clyſtieren? den Pelican/ ſich Ader zu laſſen?
und den Beeren/ wie er ihm von den Bienen ſolle
ſchrepffen laſſen? Was/ ich doͤrffte ſchier ſagen/
daß ihr Menſchen eure Kuͤnſte und Wiſſenſchafften
von uns Thieren erlernet habt! Jhr freſſt und ſaufft
euch kranck und todt/ das thun wir Thier aber nicht!
Ein Loͤw oder Wolff/ wenn er zu fett werden will/ ſo
faſtet er/ biß er wieder mager/ friſch und geſund wird.
HWelches
[168]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Welches Theil handelt nun am weislichſten? Uber
dieſes alles betrachtet das Gefluͤgel unter dem Him-
mel! betrachtet die unterſchiedliche Gebaͤue ihrer
artlichen Neſter/ und weil ihnen ihre Arbeit niemand
nachmachen kan/ ſo muͤſt ihr ja bekennen/ daß ſie
beydes verſtaͤndiger und kuͤnſtlicher ſeyn/ als ihr
[Menſchen] ſelbſt: Wer ſagt den Sommer-voͤgeln/
wann ſie gegen dem Fruͤhling zu uns kommen/ und
Jungen hecken? und gegen dem Herbſt/ wann ſie
ſich wieder von dannen in die warme Laͤnder verfuͤ-
gen ſollen? Wer unterꝛichtet ſie/ daß ſie zu ſolchem
End einen Sammelplatz beſtimmen muͤſſen? Wer
fuͤhret ſie/ oder wer weiſet ihnen den Weg/ oder ley-
het ihr Menſchen vielleicht ihnen euern See-Com-
paß/ damit ſie unterwegs nicht irꝛ fahren? Nein/ ihr
liebe Leut/ ſie wiſſen den Weg ohne euch/ und wie
lang ſie darauff muͤſſen wandern/ auch wann ſie von
einem und dem andern Ort auffdrechen muͤſſen; be-
doͤrffen alſo weder eures Compaſſes noch eures Ca-
lenders. Ferners beſchauet die muͤhſame Spinn/ de-
ren Geweb bey nahe ein Wunderwerck iſt! Sehet/
ob ihr auch einen einigen Knopff in aller ihrer Arbeit
finden moͤget? Welcher Jaͤger oder Fiſcher hat ſie
gelehret/ wie ſie ihr Netz außſpannen/ und ſich/ je
nachdem ſie ſich eines Netzes gebraucht/ ihr Wild-
bret zu belauſtern/ entweder in den hinderſten Win-
ckel/ oder gar in das Centrum ihres Gewebs ſetzen
ſolle? Jhr Menſchen verwundert euch uͤber den Ra-
ben/ von welchem Plutarchus bezeugt/ daß er ſo viel
Stein in ein Geſchirꝛ/ ſo halb voll Waſſer geweſen/
geworffen/ biß das Waſſer ſo wett oben geſtanden/
daß er bequemlich hab trincken moͤgen: Was wuͤrdet
ihr
[169]Zweytes Buch.
ihr erſt thun/ wann ihr bey und unter den Thieren
wohnen/ und ihre uͤbrige Handlungen/ Thun und
Laſſen anſehen und betrachten wuͤrdet; alsdeñ wuͤr-
det ihr erſt bekennen/ daß es ſich anſehen laſſe/ als haͤt-
ten alle Thier etwas beſonderer eigener natuͤrlicher
Kraͤfften und Tugenden/ in allen ihren Affectionibus
und Gemuͤts-Neigungen/ in der Fuͤrſichtigkeit/
Staͤrck/ Mildigkeit/ Forchtſamkeit/ Rauchheit/
Lehr und Unterꝛichtung; es kennet je eines das an-
der/ ſie unterſcheiden ſich vor einander/ ſie ſtellen dem
nach/ ſo ihnen nuͤtzlich/ fliehen das ſchaͤdlich/ meiden
die Gefahr/ ſamblen zuſammen/ was ihnen zu ihrer
Nahrung nothwendig iſt/ und betruͤgen auch bißwei-
len euch Menſchen ſelbſt. Dahero viel alte Philoſo-
phi ſolches ernſtlich erwogen/ und ſich nicht geſchaͤ-
met haben zn fragen und zu diſputiren/ ob die unver-
nuͤnfftige Thier nicht auch Verſtand haͤtten? Jch
mag aber nichts mehr von dieſen Sachen reden/ ge-
het hin zu den Jmmen/ und ſehet/ wie ſie Wachs und
Honig machen/ und alsdann ſagt mir euer Meynung
wieder.
DasXIII.Capitel.
HJerauff fielen unterſchiedliche Urtheil uͤber mich/
die meines Herꝛn Tiſchgenoſſen gaben/ der Se-
cretarius hielte darvor/ ichſeye vor naͤrriſch zuhalten/
weil ich mich ſelbſt vor ein vernuͤnfftig Thier ſchaͤtzte
und dargebe/ maſſen die jenige ſo ein Sparren zu
viel oder zu wenig haͤtten/ und ſich jedoch weis zu
ſeyn duͤnckten/ die aller-artlichſte oder viſierlichſte
Narꝛen waͤren: Andere ſagten/ wenn man mir die
Imagination benehme/ daß ich ein Kalb ſeye/ oder
H ijmich
[170]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
mich uͤberꝛeden koͤnte/ daß ich wieder zu einem Men-
ſchen worden waͤre/ ſo wuͤrde ich vor vernuͤnfftig oder
witzig genug zu halten ſeyn: Mein Herꝛ ſelbſt ſagte/
Jch halte ihn vor einen Narꝛn/ weil er jedem die
Wa[r]heit ſo ungeſcheut ſagt/ hingegen ſeynd ſeine
Dilcurſen ſo beſchaffen/ daß ſolche keinem Narꝛn zu-
ſiehen. Und ſolches alles redeten ſie auff Latein/ da-
mit ichs nicht verſtehen ſolte. Er fragte mich/ ob
ich ſtudirt haͤtte/ als ich noch ein Menſch geweſen?
Jch wuͤſte nicht/ was ſtudiren ſeye/ war mein Ant-
wort/ aber lieber Herꝛ/ ſagte ich weiters/ ſag mir/
was Studen vor Dinger ſeyn/ damit man ſtudiret?
Menneſt du vielleicht die Kegel ſo/ damit man keglet?
Hierauff antwortet der dolle Faͤhnrich: Watt
wolts met deeſem Kerl ſin/ hey hett den Tuͤ-
fel in Liff/ hey iſt beſeeten/ de Tuͤfel der kuͤh-
ret ut jehme: Dahero nam mein Herꝛ Urſach/
mich zu fragen/ ſintemal ich dann nunmehr zu einem
Kalb worden waͤre/ ob ich noch wie vor diſem/ gleich
andern Menſchen/ zu beten pflege/ und in Himmel
zu kommen getraue? Freylich/ antwortet ich/ ich
habe ja meine unſterbliche menſchliche Seel noch/
die wird ja/ wie du leichtlich gedencken kanſt/ nicht
in die Hoͤll begehren/ vornemlich weil mirs ſchon
einmal ſo uͤbel darinnen ergangen; Jch bin nur ver-
aͤndert/ wie vor dieſem Nabuchodonoſor/ und doͤrffte
ich noch wol zu ſeiner Zeit wieder zu einem Menſchen
werden. Das wuͤnſche ich dir/ ſagte mein Herꝛ mit
einem zimblichen Seufftzen: Darauß ich leichtlich
ſchlieſſen konte/ daß ihn eine Reu ankommen/ weil er
mich zu einem Narꝛen zu machen unterſtanden. Aber
laß hoͤren/ fuhr er weiter fort/ wie pflegſt du zu beten?
darauff
[171]Zweytes Buch.
darauff knyet er nider/ hube Augen und Haͤnde auff
gut Einſidleriſch gen Himmel/ und weilen meines
Herꝛn Reu/ die ich gemercht hatte/ mir das Hertz mit
trefflichem Troſt beruͤhrte/ konte ich auch die Thre-
nen nicht enthalten/ bat alſo dem aͤuſſerlichen Anſe-
hen nach/ mit hoͤchſter Andacht/ nach geſprochenem
Vatter unſer/ vor alles Anligen der Chriſtenheit/
vor meine Freund und Feind/ und daß mir GOtt in
dieſer Zeitlichkeit alſo zu leben verleyben wolle/ daß
ich wuͤrdig werden moͤchte/ ihn in ewiger Seeligkeit
zu loben; maſſen mich mein Einſidel ein ſolches Ge-
bet mit andaͤchtigen concipirten Worten gelehret
hat. Hiervon fiengen etliche waͤichhertzige Zuſeher
auch bey nahe an zu weynen/ weil ſie ein trefflich Mit-
leiden mit mir trugen/ ja meinem Herꝛu ſelbſt ſtun-
den die Augen voller Waſſer.
Nach der Mahlzeit ſchickte mein Herꝛ nach obge-
meldtem Pfarꝛherꝛn/ dem erzehlte er alles/ was ich
vorgebracht hatte/ und gab damit zu verſtehen/ daß
er beſorge/ es gehe nicht recht mit mir zu/ und daß
vielleicht der Teuffel mit unter der Decken lege/ die-
weil ich vor diſem gantz einfaͤltig und unwiſſend mich
erzeigt/ nunmehr aber Sachen vorzubringen wiſſe/
daß ſich daruͤber zu verwundern! Der Pfarꝛer/ dem
meine Beſchaffenheit am beſten bekant war/ antwor-
tet: Man ſolte ſolches bedacht haben/ ehe man mich
zum Narꝛn zu machen unterſtanden haͤtte/ Menſchen
ſeyen Edenbilder Gottes/ mit welchen/ und bevorab
mit ſo zarter Jugend/ nicht wie mit Beſtien zu ſcher-
tzen ſeye; doch wolle er nimmermehr glauben/ daß
dem boͤſen Geiſt zugelaſſen worden/ ſich mit in das
Spiel zu miſchen/ dieweil ich mich jederzeit durch
H iijin-
[172]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
inbruͤnſtiges Gebet Gott befohlen gehabt/ ſolte ihm
aber wider Verhoffen ſolches verhaͤngt und zugelaſ-
ſen worden ſeyn/ ſo haͤtte mans bey GOTT ſchwer-
lich zu verantworten/ maſſen ohne das bey nahe
keine groͤſſere Suͤnd ſey/ als wenn ein Menſch den
andern ſeiner Vernunfft berauben/ und alſo dem Lob
und Dienſt Gottes/ darzu er vornemlich erſchaffen
worden/ entziehen wolte: Jch habe hiebevor Verſi-
cherung gethan/ daß er Witz genug gehabt/ daß er
ſich aber in die Welt nicht ſchicken koͤnnen/ war die
Urſach/ daß er bey ſeinem Vatter einem groben Bau-
ren/ und bey eurem Schwager in der Wildnus/ in
aller Einfalt erzogen worden/ haͤtte man ſich anfaͤng-
lich ein wenig mit ihm geduldet/ ſo wuͤrde er ſich mit
der Zeit ſchon beſſer angelaſſen haben/ es war eben
ein fromm einfaͤltig Kind/ das die boßhafftige Welt
noch nicht kennete/ doch zweiffle ich gar nicht/ daß
er nicht wiederumb zu recht zu bringen ſeye/ wann
man ihm nur die Einbildung benehmen kan/ und ihn
dahin bringt/ daß er nicht mehr glaubt/ er ſey zum
Kalb worden: Man lieſet von einem/ der hat veſtig-
lich geglaubt/ er ſey zu einem irdinen Krug worden/
bat dahero die Seinige/ ſie ſolten ihn wol in die Hoͤ-
he ſtellen/ damit er nicht zerſtoſſen wuͤrde; Ein ande-
rer bildete ſich nicht anders ein/ als er ſey ein Han/
dieſer kraͤhete in ſeiner Kranckheit Tag und Nacht;
noch ein anderer vermeynte nicht anders/ als er ſeye
bereits geſtorben/ und wandere als ein Geiſt herumb/
wolte derowegen weder Artzney/ noch Speiß und
Tranck mehr zu ſich nemmen/ biß endlich ein kluger
Artzt zween Kerl anſtellete/ die ſich auch vor Geiſter
außgaben/ darneben aber dapffer zechten/ ſich zu je-
nem
[173]Zweytes Buch.
nem geſelleten/ und ihn uͤberꝛedeten/ daß jetziger Zeit
die Geiſter auch zu eſſen und zu trincken pflegten/
wordurch er dann wieder zu recht gebracht worden.
Jch habe ſelbſten einen krancken Bauren in meiner
Pfarꝛ gehabt/ als ich denſelben beſuchte/ klagte er
mir/ daß er auff drey oder vier Ohm Waſſer im Leib
haͤtte/ wann ſolches von ihm waͤre/ ſo getraute er wol
wieder geſund zu werden/ mit Bitt/ ich wolte ihn
entweder auffſchneiden laſſen/ damit ſolches von ihm
lauffen koͤnte/ oder ihn in Rauch hencken laſſen/ da-
mit daſſelbe außtroͤckne: Darauff ſprach ich ihm zu/
und uͤberꝛedet ihn/ ich koͤnte das Waſſer auff eine
andere Manier wol von ihm bringen/ name demnach
einen Hanen/ wie man zu den Wein- oder Bier-Faͤſ-
ſern braucht/ band einen Darm daran/ und das an-
der End band ich an den Zapffen eines Bauch-Zu-
bers/ den ich zu ſolchem End voll Waſſer tragen laſ-
ſen/ ſtellete mich darauff/ als wenn ich ihm den Ha-
nen in Bauch ſteckte/ welchen er uͤberall mit Lumpen
umbwinden laſſen/ damit er nicht zerſpringen ſolte:
Hier auff ließ ich das Waſſer auß dem Zuber durch
den Hanen hinweg lauffen/ daruͤber ſich der Tropff
hertzlich erfreuet/ nach ſolcher Verꝛichtung die Lum-
pen von ſich thaͤt/ und in wenig Tagen wieder aller-
dings zu recht kam. Auff ſolche Weis iſt einem an-
dern geholffen worden/ der ſich eingebildet/ er habe
allerhand Pferdgezeug/ Zaͤun und ſonſt Sachen im
Leib/ demſelben gab ſein Doctor eine Purgation ein/
und legte dergleichen Ding untern Nachtſtul/ alſo
daß der Kerl glauben muſte/ ſolches ſeye durch den
Stulgang von ihm kommen. So ſagt man auch von
einem Phantaſten/ der geglaubt habe/ ſeine Nas ſeye
H jvſo
[174]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ſo lang/ daß ſie ihm biß auff den Boden reiche/ dem
habe man eine Wurſt an die Nas gehenckt/ dieſelbe
nach und nach biß an die Nas ſelbſt binweg geſchnit-
ten/ und als er das Meſſer an der Nas empfunden/
haͤtte er geſchryen/ ſeine Nas ſeye jetzt wieder in rech-
ter Form/ kan alſo/ wie dieſen Perſonen/ dem guten
Simplicio wol auch wieder geholffen werden.
Dieſes alles glaubte ich wol/ antwortet mein
Herꝛ/ allein ligt mir an/ daß er zuvor ſo unwiſſend
geweſen/ nunmehr aber von Sachen zu ſagen weiß/
ſolche auch ſo perfect daher erzehlet/ dergleichen man
bey aͤlteren/ erfahrneren und beleſneren Leuten/ als
er iſt/ nicht leichtlich finden wird/ er hat mir viel Ey-
genſchafften der Thier erzehlt/ und mein eigene Per-
ſon ſo artlich beſchrieben/ als wenn er ſein Lebtag in
der Welt geweſen/ alſo daß ich mich daruͤber ver-
wundern/ und ſeine Reden bey nahe vor ein Oracul
oder Warnung Gottes halten muß.
Herꝛ/ antwortet der Pfarꝛer/ dieſes kan natuͤrli-
cher Weis wol ſeyn/ ich weiß/ daß er wol beleſen iſt/
maſſen er ſo wol als ſein Einſidel gleichſam alle mei-
ne Buͤcher die ich gehabt/ und deren zwar nicht we-
nig geweſen/ durch gangen/ und weil der Knab ein
gut Gedaͤchtnus hat/ jetzo aber in ſeinem Gemuͤth
muͤſſig iſt/ und ſeiner eigenen Perſon vergißt/ kan er
gleich hervor bringen/ was er hiebevor ins Hirn ge-
faſt; ich verſehe mich auch/ daß er mit der Zeit wie-
der zu recht zu bringen ſey. Alſo ſetzt der Pfarꝛer den
Gubernator zwiſchen Forcht und Hoffnung/ er ver-
antwortet mich und mein Sach auff das beſte/ und
bracht mir gute Tag/ ihme ſelbſt aber ein Zutritt bey
meinem Herꝛn zu wegen. Jhr endlicher Schluß war/
man
[175]Zweytes Buch.
man ſolte noch ein Zeitlang mit mir zuſehen; und
ſolches thaͤt der Pfarꝛer mehr umb ſeines als meines
Nutzens wegen/ dann mit dieſem/ daß er ſo ab und
zugieng/ und ſich ſtellet/ als wenn er meinet halben
ſich bemuͤhet/ und groſſe Sorg trug/ uͤberkam er deß
Gnbernators Gunſt/ dahero gab ihm derſelbige
Dienſt/ und machte ihn bey der Guarniſon zum Ca-
plan/ welches in ſo ſchwerer Zeit kein geringes war/
und ich ihm hertzlich wol goͤnnete.
DasXIV.Capitel.
VOn dieſer Zeit an beſaß ich meines Herꝛn Gnad/
Gunſt und Lieb vollkommenlich/ deſſen ich mich
wol mit Warheit ruͤhmen kan; nichts mangelt mir
zu meinem beſſern Gluͤck/ als daß ich an meinem
Kalbs Kleid zu viel/ und an Jahren noch zu wenig
hatte/ wiewol ich ſolches ſelbſt nicht wuſte; ſo wolte
mich der Pfarꝛer auch noch nicht witzig haben/ weil
ihn ſolches noch nicht Zeit/ und ſeinem Nutzen vor-
traͤglich zu ſeyn beduͤnckte. Und demnach mein Herꝛ
ſahe/ daß ich Luſt zur Muſic hatte/ ließ er mich ſolche
lernen/ und verdinget mich zugleich einem vortreffli-
chen Lauteniſten/ deſſen Kunſt ich in Baͤlde zimlich
begriffe/ und ihn umb ſo viel uͤbertraff/ weil ich beſſer
als er darein ſingen konte: Alſo dienete ich meinem
Herꝛn zum Luſt/ zur Kurtzweil/ Ergetzung und Ver-
wunderung. Alle Officier erzeigten mir ihren geneig-
ten Willen/ die reichſte Buͤrger verebrten mich/ und
das Haußgeſind neben den Soldaten wolten mir
wol/ weil ſie ſahen/ wie mir mein Herꝛ gewogen war;
einer ſchenckte mir hier/ der ander dort/ dann ſie wu-
ſten/ daß Schalcks-Narꝛen offt bey ihren Herꝛen
H vmehr
[176]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
mehr vermoͤgen/ als etwas rechtſchaffenes/ und da-
hin hatten auch ihre Geſchenck das Abſehen/ weil mir
etliche darumb gaben/ daß ich ſie nicht verſuchs.
ſchwaͤntzen ſolte/ andere aber eben deßwegen/ daß
ich ihrentwegen ſolches thun ſolte; Auff welche
Weis ich zimlich Geld zu wegen brachte/ welches
ich mehrentheils dem Pfarꝛer wieder zuſteckte/ weil
ich noch nicht wuſte/ worzu es nutzete. Und gleich
wie mich niemand ſcheel anſehen dõrffte/ alſo hatte
ich auch von nirgends her keine Anfechtung/ Sorg
oder Bekuͤmmernus; Alle meine Gedancken legte
ich auff die Muſic/ und wie ich dem einen und dem
andern ſeine Maͤngel artlich verweiſen moͤchte/ da-
her wuchſe ich auff wie ein Narꝛ im Zwibel-Land/
und meine Leibs. kraͤfften namen Handgreifflich zu;
man ſahe mir in Baͤlde an/ daß ich mich nicht mehr
im Wald mit Waſſer/ Eicheln/ Buchen/ Wurtzeln
und Kraͤutern mortificirte/ ſondern daß mir bey gu-
ten Bißlein der Rheiniſche Wein und das Hanaui-
ſche Doppelbier wol zuſchlug/ welches in ſo elender
Zeit vor ein groſſe Gnad von Gott zu ſchaͤtzen war/
denn damals ſtunde gantz Teutſchland in voͤlligen
Kriegsflammen/ Hunger und Peſtilentz/ und Hanau
ſelbſt war mit Feinden umblagert/ welches alles mich
im geringſten nicht kraͤncken konte. Nach auffge-
ſchlagener Belaͤgerung nam ihme mein Herꝛ vor/
mich entweder dem Cardinal Richelieu oder Hertzog
Bernhard von Weymar zu ſchencken/ dann ohne
daß er hoffte einen groſſen Danck mit mir zu ver die-
nen/ gab er auch vor/ daß ihm ſchier ohnmuͤglich
waͤre/ laͤnger zu ertragen/ weil ich ihm ſeiner ver-
lornen Schweſter Geſtalt/ deren ich je laͤnger je aͤbn-
licher
[177]Zweytes Buch.
licher wuͤrde/ in ſo naͤrꝛiſchem Habit taͤglich vor
Augen ſtellte/ ſolches widerꝛieth ihm der Pfarꝛer/
dann er hielte darvor/ die Zeit waͤre kommen/ in wel-
cher er ein Miracul thun/ und mich wieder zu einem
vernuͤnfftigen Menſchen machen wolte; gabe dem-
nach den Gubernator den Rath/ er ſolte ein paar
Kalbfell bereiten/ und ſolche andern Knaben anthun
laſſen/ hernach ein dritte Perſon beſtellen/ die in Ge-
ſtalt eines Artzts/ Propheten oder Landfahrers/ mich
und bemeldte zween Knaben mit ſeltzamen Ceremo-
nien außziehe/ und vorwenden/ daß er auß Thieren
Menſchen/ und auß Menſchen Thiere machen koͤnte/
auff ſolche Weis koͤnte ich wol wieder zu recht ge-
bracht/ und mir ohne ſonderliche groſſe Muͤhe ein-
gebildet werden/ ich ſeye wie andere mehr wieder zu
einem Menſchen worden: Als ihme der Gubernator
ſolchen Vorſchlag belieben lieſſe/ communicirt mir
der Pfarꝛer/ was er mit meinem Herꝛn abgeredt haͤt-
te/ und uͤberꝛedet mich leicht/ daß ich meinen Wil-
len darein gab. Aber das neidige Gluͤck wolte mich
ſo leichtlich auß meinem Narꝛnkleid nicht ſchlieſſen/
noch mich das herꝛliche gute Leben laͤnger genieſſen
laſſen; dann indem als Gerber und Schneider mit
den Kleidern umbgiengen/ die zu dieſer Comœdia ge-
hoͤrten/ terminirte ich mit etlich andern Knaben vor
der Veſtung auff dem Eiß herumb; da fuͤhrt/ ich
weiß nicht wer/ ohnverſehens eine Partey Croaten
daher/ die uns miteinander aupackten/ auff etliche
laͤere Bauren-Pferd ſetzten/ die ſie erſt geſtolen hat-
ten/ und miteinander darvon fuͤhrten. Zwar ſtunden
ſie erſilich im Zweiffel/ ob ſie mich mit nehmen wol-
ten oder nicht? biß endlich einer auff Boͤhmiſch ſagt:
H vjMih
[178]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Mih weme daho Blaſna ſebao, bo we deme ho gba-
bo Oberſto wi: Dem antwort ein anderer/ Prſchis
am bambo ano, mi ho nagonie poſſadeime, wan
roſumi niemezki, won bude mit Kratock wille ſe-
bao; Alſo muſte ich zu Pferd/ und innen werden/ daß
einem ein einzig ungluͤckliches Stůndlein aller Wol-
fahrt entſetzen/ und von allem Gluͤck und Heyl der-
maſſen entfernen kan/ daß es einem ſein Lebtag nach-
gehet.
DasXV.Capitel.
OB nun zwar die Hanauer gleich Lermen hatten/
ſich zu Pferd herauß lieſſen/ und die Croaten mit
einem Scharmuͤtzel etwas auffbielten und bekuͤm-
merten/ ſo mochten ſie ihnen jedoch nichts abgewin-
nen/ dann dieſe leichte Wahr gieng ſehr vortheil-
hafftig durch/ und nam ihren Weg auff Buͤdingen
zu/ allwo ſie fuͤtterten/ und den Buͤrgern daſelbſt die
gefangene Hanauiſche reiche Soͤhnlein wieder zu
loͤſen gaben/ auch ihre geſtolene Pferd und andere
Wahr verkaufften/ von dannen brachen ſie wieder
auff/ ſchier ehe es recht Nacht/ geſchweige wieder
Tag worden/ giengen ſchnell durch den Buͤdinger
Wald dem Stifft Fulda zu/ und namen unterwegs
mit/ was ſie fort bringen konten/ das Rauben und
Pluͤndern hinderte ſie an ihrem ſchleunigen Fort-
Zug im geringſten nichts/ dann ſie kontens machen
wie der Teuffel/ von welchem man zu ſagen pflegt/
daß er zugleich lauffe und (ſ. v.) hofiere/ und doch
nichts am Weg verſaume; maſſen wir noch denſel-
ben Abend im Stifft Hirſchfeld/ allwo ſie ihr Quar-
tier hatien/ mit einer groſſen Beut ankamen/ das
wurde
[179]Zweytes Buch.
wurde alles partirt/ ich aber wurde dem Obriſt Cor-
pes zu theil.
Bey dieſem Herꝛn kam mir alles widerwertig
und faſt Spaniſch vor/ die Hanauiſche Schlecker-
Bißlein hatten ſich in ſchwartzes grobes Brod/ und
mager Rindfleiſch/ oder wanns wol abgieng/ in ein
Stuͤck geſtolnen Speck veraͤndert; Wein und Bier
war mir zu Waſſer worden/ und ich muſte an ſtatt
deß Betts/ bey den Pferden in der Streu vor lieb
nemmen; vor das Lauten ſchlagen/ das ſonſt jeder-
man beluſtiget/ muſte ich zu Zeiten/ gleich andern
Jungen/ untern Tiſch kriechen/ wie ein Hund heu-
len/ und mich mit Sporen ſtechen laſſen/ welches
mir ein ſchlechter Spaß war; vor das Hanauiſche
ſpatzieren gehen/ dorffte ich nicht auff Fourage reu-
ten/ Pferd ſtrigeln/ und denſelben außmiſten; das
fouragirn aber iſt nichts anders/ als daß man mit
groſſer Muͤhe und Arbeit/ auch offt nicht ohne Leib-
und Lebens-Gefahr hinauß auff die Doͤrffer ſchwaif-
fet/ driſcht/ mahlt/ backt/ ſtilt und nimmt was man
findt/ trillt und verderbt die Bauren/ ja ſchaͤndet wol
gar ihre Maͤgd/ Weiber und Toͤchter! Und wann
den armen Baurn das Ding nicht gefallen will/ oder
ſie ſich etwan erkuͤhnen doͤrffen/ einen oder den andern
Fouragierer ũber ſolcher Arbeit auff die Finger zu
klopffen/ wie es denn damals dergleichen Gaͤſt in
Heſſen viel gabe/ ſo hauet man ſie nider/ wenn man
ſie hat/ oder ſchicket auffs wenigſte ihre Haͤuſer im
Rauch gen Himmel Mein Herꝛ hatte kein Weib
(wie dann dieſe Art Krieger keine Weiber mit zu fuͤh-
ren pflegen) keinen Page/ keinen Kammerdiener/
keinen Koch/ hingegen aber einen Hauffen Reutknecht
H vijund
[180]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
und Jungen/ welche ihm und den Pferden zugleich
abwarteten/ und ſchaͤmte er ſich ſelbſt nicht/ ein Roß
zu ſatteln/ oder demſelben Futter fuͤrzuſchuͤtten; er
ſchlieff allezeit auff Stroh/ oder auff der bloſſen Erd/
und bedeckte ſich mit ſeinem Beltz-Rock/ daher ſahe
man offt die Muͤller floͤhe auff ſeinen Kleidern herum
wandern/ deren er ſich im geringſten nicht ſchaͤmet/
ſondern noch darzu lachte/ wann ihm jemand eine
herab laſe; er trug kurtze Haupt-Haar/ und einen
breiten Schweitzer-Bart/ welches ihm wol zu ſtat-
ten kam/ weil er ſich ſelbſt in Bauren-Kleider zu ver-
ſtellen/ und darin auff Kundſchafft außzugehen pfleg-
te. Wiewol er nun/ wie gehoͤret/ keine Giandezza
ſpeiſet/ ſo wurde er jedoch von den Seinen und an-
dern die ihn kenneten/ geehrt/ geliebt und gefoͤrchtet;
Wir waren niemals ruhig/ ſondern bald hier/ bald
dort; bald fielen wir ein/ und bald wurde uns einge-
fallen/ ſo gar war keine Ruhe da/ der Heſſen Macht
zu ringern/ hingegen feyret uns Melander auch nicht/
als welcher uns manchen Reuter abjagte/ und nach
Caſſel ſchickte.
Dieſes unruhige Leben ſchmeckte mir gantz nicht/
dahero wuͤnſcht ich mich offt vergeblich wieder nach
Hanau; mein groͤſtes Creutz war/ daß ich mit den
Burſchen nicht recht reden konte/ und mich gleich-
ſam von jedwederm hin und wieder ſtoſſen/ plagen/
ſchlagen und jagen laſſen muſte/ die groͤſte Kurtzweil/
die mein Obriſter mit mir hatte/ war/ daß ich ihm
auff Teutſch ſingen/ und wie andere Reuter-Jungen
auffblaſen muſte/ ſo zwar ſelten geſchahe/ doch krieg-
te ich alsdann ſolche dichte Ohrfeigen/ daß der rothe
Safft hernach gieng/ und ich lang genug daran hatte/
zuletzt
[181]Zweytes Buch.
zuletzt fienge ich an/ mich deß Kochens zu unterwin-
den/ und meinem Herꝛn das Gewehr/ darauff er viel
hielte/ ſauber zu halten/ weil ich ohne das auff Fou-
rage zu reuten noch nichts nutz war/ das ſchlug mir
ſo trefflich zu/ daß ich endlich meines Herꝛn Gunſt
erwarbe/ maſſen er mir wieder auß Kalbfellen ein neu
Narꝛen-Kleid machen laſſen/ mit viel groͤſſern E-
ſels-Ohren/ als ich zuvor getragen; und weil meines
Herꝛn Mund nicht eckelicht war/ bedorfft ich zu mei-
ner Koch-Kunſt deſto weniger Geſchickligkeit; dem-
nach mirs aber zum oͤfftern an Saltz/ Schmaltz und
Gewuͤrtz mangelte/ wurde ich meines Handwercks
auch muͤd/ trachtet derowegen Tag und Nacht/ wie
ich mit guter Manier außreiſſen moͤchte/ vornemlich
weil ich den Fruͤling wieder erlangt hatte. Als ich
nun ſolches ins Werck ſetzen wolte/ nam ich mich
an/ die Schaf- und Kuͤbkutteln/ deren es voll umb
unſer Quartier lag/ ferne hinweg zu ſchlaͤiffen/ da-
mit ſolche kein ſo uͤblen Geruch mehr machten; ſol-
ches ließ ihm der Obriſte gefallen/ als ich nun damit
umbgieng/ blieb ich/ da es dunckel ward/ zuletzt gar
auß/ und entwiſcht in den naͤchſten Wald.
DasXVI.Capitel.
MEin Handel und Weſen wurde aber allem An-
ſehen nach/ je laͤnger je aͤrger/ ja ſo ſchlim/ daß
ich mir einbildete/ ich ſeye nur zum Ungluͤck geboren/
dannich war wenig Stunden von den Croaten hin-
weg/ da erhaſcheten mich etliche Schnapphanen;
dieſe vermeynteu ohn Zweiffel/ etwas rechts an mir
gefangen zu haben/ weil ſie bey finſterer Nacht mein
naͤrꝛiſch Kleid nicht ſahen/ und mich gleich durch
zween
[182]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
zween auß ihnen an einen gewiſſen Ort/ in Wald
hinein fuͤhren laſſen; Als mich dieſe dahin brachten/
und es zugleich ſtockfinſter wurde/ wolte der eine Kerl
kurtzumb Geld von mir haben/ zu ſolchem End legte
er ſeine Handſchuh ſampt dem Feur-rohr nider/ und
fieng an mich zu viſitiren/ fragend/ Wer biſtu? haſtu
Geld? So bald er aber mein haarig Kleid/ und die
lange Eſels-ohren an meiner Kappe (die er vor Hoͤr-
ner gehalten) begriffe/ und zugleich die hellſcheinende
Funcken (welchegemeiniglich der Thiere Haͤut ſehen
laſſen/ wenn man ſie in der Finſtere ſtreichet) gewahr
wurde/ erſchrack er/ daß er ineinander fuhr; ſolches
merckete ich gleich/ derowegen ſtrigelt ich/ ehe er
ſich wieder erholen/ oder etwas beſinnen konte/ mein
Kleid mit beyden Haͤnden dermaſſen/ daß es ſchim-
merte/ als wenn ich inwendig voller brennendem
Schwefel geſtocken waͤre/ und antwortet ihm mit
erſchroͤcklicher Stimm: Der Teuffel bin ich/ und
will dir und deinem Geſellen die Haͤls umbdrehen!
Welches dieſe zween alſo erſchreckte/ daß ſie ſich alle
beyde durch Stoͤck und Stauden ſo geſchwind dar-
von trolleten/ als wenn ſie das hoͤlliſch Feuer gejagt
haͤtte: Die finſtere Nacht konte ihren ſchnellen Lauff
nicht hindern/ und ob ſie gleich offt an Stoͤck/ Stein/
Staͤmm und Baͤum lieffen/ und noch oͤffter zu hauf-
fen fielen/ rafften ſie ſich doch geſchwind wieder auff/
ſolches trieben ſie/ biß ich keinen mehr hoͤren konte;
ich aber lachte unter deſſen ſo ſchroͤcklich/ daß es im
gantzen Wald erſchallete/ welches ohne Zweiffel in
einer ſolchen finſtern Einoͤde foͤrchterlich anzuhoͤren
war.
Als ich mich nun abwegs machen wolte/ ſtrauchelt
ich
[183]Zweytes Buch.
ich uͤber das Feuer-rohr/ das nam ich zu mir/ weil
ich bereits mit dem Geſchoß umbzugehen/ bey den
Croaten gelernet hatte; da ich weiter ſchritte/ ſtieß
ich auch an einen Knappſack/ welcher gleich meinem
Kleid von Kalbfellen gemacht war/ ich hnbe ihn eben-
maͤſſig auff/ und fand/ daß eine Patron-Daͤſche mit
Pulver/ Bley und aller Zugehoͤr wol verſehen/ un-
den daran hienge. Jch haͤngte alles an mich/ nam
das Rohr auff die Achſel wie ein Soldat/ und ver-
barg mich ohnweit darvon in einen dicken Buſch/ der
Meynung/ daſelbſt ein Weil zu ſchlaffen: Aber ſo
bald der Tag anbrach/ kam die gantze Parthey auff
vorbenanten Platz/ und ſuchten das verlorne Feur-
rohr ſampt dem Knappſack/ ich ſpitzte die Ohren wie
ein Fuchs/ und hielte mich ſtiller als eine Mauß/ wie
ſie aber nichts fanden/ verlachten ſie die zween/ ſo
von mir entflohen waren: Pfuy ihr faͤige Tropffen/
ſagten ſie/ ſchaͤmt euch ins Hertz hinein/ daß ihr euch
von einem einigen Kerl erſchrecken/ verjagen/ und
das Gewehr nemmen laßt! Aber der eine ſchwur/ der
Teuffel ſolt ihn holen/ wanns nicht der Teuffel ſelbſt
geweſen ſey/ er haͤtte ja die Hoͤrner und ſeine rauhe
Haut wol begriffen; der ander aber gehub ſich gar
uͤbel/ und ſagte: Es mag der Teuffel oder ſein Mut-
ter geweſen ſeyn/ wenn ich nur meinen Rantzen wie-
der haͤtte. Einer von ihnen/ welchen ich vor den vor-
nehmſten hielte/ antwortet dieſem/ und ſagte: Was
meynſtu wol/ daß der Teuffel mit deinem Rantzen
und dem Feuer rohr machen wolte/ ich doͤrffte mein
Hals verwetten/ wo nicht der Kerl/ den ihr ſo ſchaͤnd-
lich entlauffen laſſen/ beyde Stuͤck mit ſich genom-
men. Dieſem hielte ein anderer Widerpart/ und
ſagte
[184]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ſagte/ es koͤnne auch wol ſeyn/ daß ſeither etliche
Bauren da geweſen waͤren/ welche die Sachen ge-
junden und auffgehoben haͤtten/ ſolchem wurde end-
lich von Allen Beyfall gegeben/ und von der gantzen
Partey veſtiglich geglaubt/ daß ſie den Teuffel ſelbſt
unter Handen gehabt haͤtten/ vornemlich weil der je-
nige/ ſo mich in der Finſtere viſitiren wollen/ nicht
allein ſolches mit grauſamen Fluͤchen bekraͤfftiget/
ſondern auch die raube funcklende Haut und beyde
Hoͤrner/ als gewiſſe Wahrzeichen einer teuffliſchen
Eigenſchafft/ gewaltig zu beſchreiben und herauß zu
ſtreichen wuſte. Jch vermeyne auch/ wenn ich mich
unverſehens haͤtte wiederum ſehen laſſen/ daß die gan-
tze Partey entloffen waͤre.
Zuletzt/ als ſie lang genug geſucht/ und doch nichts
funden hatten/ namen ſie ihren Weg weiters/ ich
aber machte den Rantzen auff zu fruͤheſtuͤcken/ und
langte im erſten Griff einen Seckel herauß/ in wel-
chem dreyhundert und etlich ſechtzig Ducaten waren.
Ob ich nun hieruͤber erfreuet worden/ bedarff zwar
keines fragens: Aber der Leſer ſey verſichert/ daß
mich der Knappſack vielmehr erfreute/ weil ich ihn
mit Proviant ſo wol verſehen ſabe/ als dieſe ſchoͤne
Summa Golds ſelbſt. Und demnach dergleichen Ge-
ſellen bey den gemeinen Soldaten viel zu dinn geſaͤet
zu ſeyn pflegen/ daß ſie ſolche mit ſich auff Partey
ſchleppen ſolten/ als mache ich mir die Gedancken/
der Kerl muͤſſe diß Geld auff eben derſelbigen Partey
erſt heimlich erſchnappt/ und geſchwind zu ſich in
Rantzen geſchoben haben/ damit er ſolches mit den
andern nicht partirn doͤrffe.
Hierauff zehrte ich froͤlich zu morgen/ fand auch
bald
[185]Zweytes Buch.
bald ein luſtig Bruͤnnlein/ bey welchem ich mich er-
quickte/ und meine ſchoͤne Ducaten zehlete. Wann
mirs allbereit das Leben guͤlte/ ich ſolte anzeigen/ in
welchem Land oder Gegend ich mich damals befun-
den/ ſo koͤnte ichs nicht; ich blieb anfangs ſo lang im
Wald/ als mein Proviant waͤhrte/ mit welchem ich
ſparſam Hauß hielte/ als aber mein Rantzen laͤer
worden/ jagte mich der Hunger in die Bauren-Haͤu-
ſer/ da kroch ich bey Nacht in Keller und Kuͤchen/
und nam von Eſſenſpeiß/ was ich fand und tragen
mochte/ das ſchleppte ich mit mir in Wald/ wo er
am allerwildeſten war/ darinnen fuͤhrte ich wieder
uͤberall ein Einſidleriſch Leben wie hiebevor/ ohne daß
ich ſehr viel ſtale/ und deſto weniger betete/ auch kei-
ne ſtetige Wohnung hatte/ ſondern bald hie bald dort
hin ſchwaͤiffte. Es kam mir trefflich wol zu ſtatten/
daß es im Anfang deß Sommers war/ doch konte ich
auch mit meinem Rohr Feuer machen/ wann ich
wolte.
DasXVII.Capitel.
UNter waͤhrendem dieſem meinem Umbſchwaͤiffen
haben mich hin und wieder in den Waͤldern un-
terſchiedliche Baursleut angetroffen/ ſie ſeynd aber
allezeit vor mir geflohen/ nicht weiß ich/ wars die
Urſach/ daß ſie ohne das durch den Krieg ſcheu ge-
macht/ verjagt/ und niemals recht beſtaͤndig zu Hauß
waren; oder ob die Schnapphanen die jenige Aben-
theur/ ſo ihnen mit mir begegnet/ in dem Land auß-
geſprengt haben? Alſo daß hernach dieſe/ ſo mich
nachgehends geſehen/ ingleichem geglaubt/ der boͤſe
Feind wandere warhafftig in ſelbiger Gegend umb-
her
[186]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
her/ derowegen muſte ich ſorgen/ das Proviant
moͤchte mir außgehen/ und ich dardurch endlich ins
aͤuſſerſte Verderben kommen/ ich wolte dann wieder
Wurtzel und Kraͤuter eſſen/ deren ich nicht mehr ge-
wohnt war. Jn ſolchen Gedancken hoͤrte ich zween
Holtzbauer/ ſo mich hoͤchlich erfreute/ ich gieng dem
Schlag nach/ und als ich ſie ſahe/ nam ich ein Hand
voll Ducaten auß meinem Saͤckel/ ſchliche nahe zu
ihnen/ zeigte ihnen das anziehende Gold/ und ſagte:
Jhr Herꝛn/ wenn ihr meiner wartet/ ſo will ich euch
die Hand voll Gold ſchencken; Aber ſo bald ſie mich
und mein Gold ſahen/ eben ſo bald gaben ſie auch
Ferſengelt/ und lieſſen Schlegel und Keil/ ſampl
ihrem Kaͤß und Brot-Sack ligen/ mit ſolchem ver-
ſahe ich meinen Rantzen wieder/ verſchlug mich in
den Wald/ und verzweiffelte ſchier/ mein Lebtag wi-
der einmal zu Menſchen zu kommen.
Nach langem bin und her finnen gedacht ich: Wer
weiß wie dirs noch gehet/ daſtu doch Geld/ und wenn
du ſolches zu guten Leuten in Sicherheit bringeſt/ ſo
kanſtu zimlich lang wol darumb leben; Alſo fiel mir
ein/ ich ſolts einnaͤhen/ derowegen machte ich mir
auß meinen Eſels-obren/ welche die Leut ſo fluͤchtig
machten/ zwey Armbaͤnder/ geſellet meine Hanaui-
ſche zu den Schnapphaniſchen Ducaten/ thaͤt ſolche
in beſagte Armbaͤnder wol arreſtiren/ und oberhalb
den Elenbogen umb meine Arm binden. Wie ich nun
meinen Schatz dergeſtalt verſichert hatte/ fuhr ich
den Bauren wieder ein/ und holte von ihrem Vor-
rath was ich bedorffte und erſchnappen konte/ und
wiewol ich noch einfaͤltig geweſt/ ſo war ich jedoch
ſo ſchlau/ daß ich niemal/ wo ich einſt einen Particul
geholt
[187]Zweytes Buch.
geholt/ wieder an daſſelbig Ort kam/ dahero war ich
ſehr gluͤckſelig im ſielen/ und wurde niemals auff der
Mauſerey erdappt.
Einsmal zu End deß May/ als ich abermal durch
mein gewoͤhnlich/ ob zwar verbottenes Mittel/ meine
Nahrung holen wolte/ und zu dem Ende zu einem
Baurn-Hof geſtrichen war/ kam ich in die Kuͤchen/
merckte aber bald/ daß noch Leut auff waren (Nota,
wo ſich Hund befanden/ da kam ich wol nicht hin)
derowegen ſperꝛete ich die eine Kuͤchenthuͤr/ die in
Hof gieng/ Angelweit auff/ damit wann es etwan
Gefahr ſetzte/ ich ſtracks außreiſſen koͤnte blieb alſo
Maußſtill ſitzen/ biß ich erwarten moͤchte/ daß ſich
die Leut nidergelegt haͤtten: Unte[r]deſſen nam ich ei-
nes Spalts gewahr/ den das Kuͤchenſchaͤlterlein
hatte/ welches in die Stuben gieng; ich ſchlich hin-
zu/ zu ſehen/ ob die Leut nicht bald ſchlaffen gehen
wolten? aber meine Hoffnung war nichts/ dann ſie
hatten ſich erſt angezogen/ und an ſtatt deß Liechts/
ein ſchweflichte blaue Flamm auff der Banck ſtehen/
bey welcher ſie Stecken/ Beſem/ Gablen/ Stuͤl und
Baͤnck ſchmierten/ und nacheinander damit zum Feu-
ſter hinauß flogen. Jch verwundert mich ſchroͤcklich/
und empfand ein groſſes Grauſen; weil ich aber groͤſ-
ſerer Erſchroͤcklichkeiten gewohnt war/ zumal mein
Lebtag von den Unholden weder geleſen noch gehoͤrt
hatte/ achtet ichs nicht ſonderlich/ vornemlich weil
alles ſo ſtill hergieng/ ſondern verfuͤgte mich/ nach-
dem alles darvon gefahren war/ auch in die Stub/
bedachte was ich mit nemmen/ und wo ich ſolches
ſuchen wolte/ und ſetzte mich in ſolchen Gedancken
auff einen Banck ſchrittlings nider; Jch war aber
kaum
[188]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
kaum auffgeſeſſen/ da fuhr ich ſam̃t der Banck gleich-
ſam augenblicklich zum Fenſter hinauß/ und ließ mein
Rantzen und Feur-rohr/ ſo ich von mir gelegt hatte/
vor den Schmirberlohn und ſo kuͤnſtliche Salbe da-
hinden. Das Auffſitzen/ davon fahren und abſtei-
gen/ geſchahe gleichſam in einem Nu! dann ich kam/
wie mich beduͤnckte/ augenblicklich zu einer groſſen
Schaar Volcks/ es ſey dann/ daß ich auß Schrecken
nicht geacht hab/ wie lang ich auff dieſer weiten Raͤis
zugebracht/ dieſe tantzten einen wunderlichen Tantz/
dergleichen ich mein Lebtag nie geſehen/ dann ſie hat-
ten ſich bey den Haͤnden gefaſt/ und viel Ring inein-
ander gemacht/ mit zuſamm gekehrten Rucken/ wie
man die drey Gratien abmahlet/ alſo daß ſie die An-
geſichter heraußwarts kehrten; der inner Ring be-
ſtund etwan in 7. oder 8. Perſonen/ der ander hatte
wol noch ſo viel/ der dritte mehr als dieſe beyde/ und
ſo fortan/ alſo daß ſich in dem aͤuſſern Ring über
200. Perſonen befanden; und weil ein Ring oder
Craiß umb den andern lincks/ und die andere rechts
herumb tantzte/ konte ich nicht ſehen/ wie viel ſie ſol-
cher Ring gemacht/ noch was ſie in der Mitten/ da-
rumb ſie tantzten/ ſtehen hatten. Es ſahe eben greu-
lich ſeltzam auß/ weil die Koͤpff ſo poſſierlich durch-
einander haſpelten. Und gleich wie der Tantz ſeltzam
war/ alſo war auch ihre Muſic, auch ſange/ wie ich
vermeynte/ ein jeder am Tantz ſelber drein/ welches
ein wunderliche Harmoniam abgab/ meine Banck die
mich hin trug/ ließ ſich bey den Spiellenten nieder/
die auſſerhalb der Ringe umb den Tantz herum ſinn-
den/ deren etliche hatten an ſtatt der Floͤten/ Zwerch-
pfeiffen und Schalmeyen/ nichts anders als Natern/
Vipern
[189]Zweytes Buch.
Vipern und Blindſchleichen/ darauff ſie luſtig daher
pfiffen: Etliche hatten Katzen/ denen ſie in Hindern
blieſen/ und auff dem Schwantz fingerten/ das lau-
tet den Sack-pfeiffen gleich: Andere geigeten auff
Roßkoͤpffen/ wie auff dem beſten Diſcant, und aber
andere ſchlugen die Harpffe auff einem Kuͤhgeribbe/
wie ſolche auff dem Waſen ligen/ ſo war auch einer
vorhanden/ der hatte eine Huͤndin underm Arm/ de-
ren leyert er am Schwantz/ und fingert ihr an den
Dutten/ darunter trompeteten die Teuffel durch die
Naſe/ daß es im gantzen Wald erſchallete/ und wie
dieſer Tantz bald auß war/ fieng die gantze hoͤlliſche
Geſellſchafft an zu raſen/ zu ruffen/ zu rauſchen/ zu
brauſen/ zu heulen/ zu wuͤten und zu toben/ als ob ſie
alle toll und thoͤricht geweſt waͤren. Da kan jeder ge-
dencken/ in was Schrecken und Furcht ich geſteckt.
Jn dieſem Lermen kam ein Kerl auff mich dar/ der
hatte ein ungeheure Krott unterm Arm/ gern ſo groß
als eine Heerpaucke/ deren waren die Daͤrm auß dem
Hindern gezogen/ und wieder zum Maul hinein ge-
ſchoppt/ welches ſo garſtig außſahe/ daß mich darob
kotzerte; Sehin Simplici, ſagte er/ ich weiß/ daß du
ein guter Lauteniſt biſt/ laß uns doch ein fein Stuͤck-
gen hoͤren: Jch erſchrack daß ich ſchier umbfiel/ weil
mich der Kerl mit Nahmen nennete/ und in ſolchem
Schrecken verſtummte ich gar/ und bildete mir ein/
ich lege in einem ſo ſchweren Traum/ bat derowegen
innerlich im Hertzen/ daß ich doch erwachen moͤchte/
der mit der Krott aber/ den ich ſteiff anſahe/ zog ſeine
Naſen auß und ein/ wie ein Calecutſcher Han/ und
ſtieß mich endlich auff die Bruſt/ daß ich bald dar-
von erſtickte; derowegen fienge ich an uͤberlaut zu
Gott
[190]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Gott zu ruffen/ da verſchwand das gantze Heer. Jn
einem Huy wurde es ſtockfinſter/ und mir ſo foͤrchter-
lich umbs Hertz/ daß ich zu Boden fiele/ und wol
100. Creutz vor mich machte.
DasXVIII.Capitel.
DEmnach es etliche/ und zwar auch vornehme
gelehrte Leut darunter gibt/ die nicht glauben/
daß Hexen oder Unholden ſeyen/ geſchweige daß ſie
in der Lufft hin und wieder fahren ſolten; Als zweif-
fele ich nicht/ es werden ſich etliche finden/ die ſagen
werden/ Simplicius ſchneide hier mit dem groſſen
Meſſer auff: Mit denſelben begehre ich nun nicht zu
fechten/ dann weil auffſchneiden keine Kunſt/ ſondern
jetziger Zeit faſt das gemeineſte Handwerck iſt/ als
kan ich nicht leugnen/ daß ichs nicht auch koͤnte/
dann ich muͤſte ja ſonſt wol ein ſchlechter Tropf ſeyn.
Welche aber der Hexen Außfahren verneinen/ die
ſtellen ihnen nur Simonem den Zauberer vor/ wel-
cher vom boͤſen Geiſt in die Lufft erhaben wurde/
und auff S. Petri Gebet wieder herunter gefallen.
Nicolaus Remigius, welcher ein dapfferer/ gelehrter
und verſtaͤndiger Mann geweſen/ und im Hertzog-
thum Lothringen nicht nur ein halb Dutzet Hexen
verbrennen laſſen/ erzehlet von Johanne von Hem-
bach/ daß ihn ſeine Mutter/ die eine Hex war/ im 16.
Jahr ſeines Alters/ mit ſich auff ihre Verſamlung
genommen/ daß er ihnen/ weil er hatte lernen pfeiffen/
beym Tantz auffſpielen ſolte; zu ſolchem End ſtiege
er auff einen Baum/ pfiffe daher/ und ſihet dem Tantz
mit Fleiß zu (vielleicht weil ihm alles ſo wunderlich
vorkam) Endlich ſpricht er: Behuͤt lieber GOtt/
woher
[191]Zweytes Buch.
woher kompt ſo viel naͤrꝛiſch und unſinniges Geſind?
Er hatte aber kaum dieſe Wort außgeſagt/ ſo fiel er
vom Baum herab/ verꝛenckt eine Schulter/ und
rufft ihnen umb Huͤlff zu/ aber da war niemand als
er; Wie es dieſes nachmals ruchbar machte/ hiel-
tens die meiſte vor ein Fabel/ biß man kurtz hernach
Catharinam Prævotiam Zauberey halber fienge/ wel-
che auch bey ſelbigem Tantz geweſen/ die bekante al-
les wie es hergangen/ wiewol ſie von dem gemeinen
Geſchrey nichts wuſte/ das Hembach außgeſprengt
hatte. Majolus ſetzet zwey Exempel/ von einem
Knecht/ ſo ſich an ſein Frau gehaͤngt/ und von einem
Ehebrecher/ ſo der Ehebrecherin Büchſen genom̃en/
ſich mit deren Salben geſchmiert/ und alſo beyde zu
der Zauberer Zuſammenkunfft kommen ſeyn. So
ſagt man auch von einem Knecht/ der fruͤhe auffge-
ſtanden/ und den Wagen geſchmiert/ weil er aber
die unrechte Buͤchs in der Finſtere erdappt/ hat ſich
der Wagen in die Lufft erhoben/ alſo daß man ihn
wieder herab ziehen muͤſſen. Olaus Magnus erzehlet
in lib. 3. Hiſt. de gentibus Septentrional. 1. cap. 19. daß
Hadingus Koͤnig in Dennemarck wieder in ſein Koͤ-
nigreich/ worauß er durch etliche Auffruͤhrer vertrie-
den worden/ fern uͤber das Meer auff deß Othini Geiſt
durch die Lufft gefahren/ welcher ſich in ein Pferd
verſtellt haͤtte. So iſt auch mehr als genugſam be-
kant/ was geſtalt theils Weiber und ledige Dirnen
in Boͤhmen/ ihre Beyſchlaͤffer deß Nachts einen wei-
ten Weg auff Boͤcken zu ſich holen laſſen. Was Tor-
quemadius in ſeinem Hexamerone von ſeinem Schul-
geſellen erzehlt/ mag bey ihm geleſen werden. Ghir-
landus ſchreibet auch von einem vornehmen Mann/
Jwelcher
[192]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
welcher als er gemerckt/ daß ſich ſein Weib ſalbe/
und darauff auß dem Hauß fahre/ habe er ſie eins-
mals gezwungen/ ihn mit ſich auff der Zauberer Zu-
ſammenkunfft zu nehmen; Als ſie daſelbſt aſſen/ und
kein Saltz vorhanden war/ habe er deſſen begehrt/
mit groſſer Muͤhe auch erhalten/ und darauff geſagt:
GOtt ſey gelobt/ jetzt kompt das Saltz! Darauff die
Liechter erloſchen/ und alles verſchwunden. Als es
nun Tag worden/ hat er von den Hirten verſtanden/
daß er nahend der Statt Benevento, im Koͤnigreich
Neapolis/ und alſo wol 100. Meil von ſeiner Heimat
ſeye; Derowegen ob er wol reich geweſen/ habe er
doch nach Hauß bettlen muͤſſen/ und als er heim kam/
gab er alsbald ſein Weib vor eine Zauberin bey der
Obrigkeit an/ welche auch verbrennt worden. Wie
Doctor Fauſt neben noch andern mehr/ die gleichwol
keine Zauberer waren/ durch die Lufft von einem Ort
zum andern gefahren/ iſt auß ſeiner Hiſtori genug-
ſam bekant. So hab ich ſelbſt auch eine Frau und
eine Magd gekant/ ſeynd aber/ als ich dieſes ſchreibe/
beyde todt/ wiewol der Magd Vatter noch im Leben/
dieſe Magd ſchmierte einsmals auff dem Herd beym
Feuer ihrer Frauen die Schuh/ und als ſie mit einem
fertig war/ und ſolchen beyſeit ſetzte/ den andern auch
zu ſchmieren/ fuhr der geſchmierte ohnverſehens zum
Kamin hinauß; dieſe Geſchicht iſt aber verduſcht
geblieben. Solches alles melde ich nur darumb/ da-
mit man eigentlich darvor halte/ daß die Zauberin-
nen und Hexenmeiſter zu Zeiten leibhafftig auff ihre
Verſamlungen fahren/ und nicht deßwegen/ daß man
mir eben glauben müſſe/ ich ſey wie ich gemeldt hab/
auch ſo dahin gefahren/ dann es gilt mir gleich/ es
mags
[193]Zweytes Buch.
mags einer glauben oder nicht/ und wers nicht glau-
ben will/ der mag einen andern Weg erfinnen/ auff
welchem ich auß dem Stifft Hirſchfeld oder Fulda
(dann ich weiß ſelbſt nicht/ wo ich in den Waͤldern
herumb geſchwaifft hatte) in ſo kurtzer Zeit ins Ertz-
Stifft Magdeburg marchirt ſeye.
DasXIX.Capitel.
JCh fang meine Hiſtori wieder an/ und verſichere
den Leſer/ daß ich auff dem Bauch ligen bliebe/
biß es allerdings heller Tag war/ weil ich nicht das
Hertz hatte/ mich auffzurichten; zu dem zweiffelt ich
noch/ ob mir die erzehlte Sachen getraͤumt haͤtten/
oder nicht? und ob ich zwar in zimlichen Aengſten
ſtacke/ ſo war ich doch ſo kuͤhn zu entſchlaffen/ weil
ich gedachte/ ich koͤnte an keinem aͤrgern Ort/ als in
einem wilden Wald ligen/ in welchem ich die meiſte
Zeit/ ſint ich von meinem Knan war/ zubracht/ und
dahero derſelben zimlich gewohnt hatte. Ungefaͤhr
umb 9. Uhr Vormittag war es/ als etliche Fouragier
kamen/ die mich auffweckten/ da ſahe ich erſt/ daß ich
mitten im freyen Feld war; dieſe namen mich mit
ihnen zu etlichen Windmuͤhlen/ und nachdem ſie ih-
re Fruͤchten allda gemahlen hatten/ folgends in das
Laͤger vor Magdeburg/ allda ich einem Obriſten zu
Fuß zu theil ward/ der fragte mich/ wo ich her kaͤme/
und was vor einem Herꝛn ich zugehoͤrig waͤre? Jch
erzehlte alles Haar-klein/ und weil ich die Croaten
nicht nenneu konte/ beſchrieb ich ihre Kleidungen/
und gab Gleichnuſſen von ihrer Sprach/ auch daß
ich von denſelben Leuten geloffen waͤre; von meinen
Ducaten ſchwiege ich ſtill/ und was ich von meiner
J ijLufft-
[194]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Lufftfahrt und dem Hexen-Tantz erzehlete/ das hiel-
te man vor Einfaͤll und Narꝛentheidungen/ vornem-
lich weil ich auch ſonſt in meinem Diſcurs das tau-
ſend ins hunderte warff: Jndeſſen ſamblete ſich ein
Hauffen Volcks umb mich her/ (dann ein Narꝛ ma-
chet 1000. Narꝛen) unter denſelben war einer/ ſo
das vorig Jahr in Hanau gefangen geweſen/ und
allda Dienſt angenommen hatte/ folgends aber wie-
der unter die Kaͤiſerl. kommen war/ dieſer kante mich
und ſagte gleich: Hoho/ diß iſt deß Commandanten
Kalb zu Hanau! Der Obriſt fragte ihn meinet we-
gen mehrere Umbſtaͤnd/ der Kerl wuſte aber nichts
weiters von mir/ als daß ich wol auff der Lauten
ſchlagen koͤnte/ item daß mich die Croaten von deß
Obriſt Corpes Regiment/ zu Hanau vor der Veſtung
hinweg genommen haͤtten/ ſo dann/ daß mich beſag-
ter Commandant ungern verloren/ weil ich gar ein
artlicher Narꝛ waͤre. Hierauff ſchickte die Obriſtin
zu einer andern Obriſtin/ die zimlich wol auff der
Lauten konte/ und deßwegen ſtetig eine nachfuͤhrte/
die lieſſe ſie umb ihre Lauten bitten/ ſolche kam/ und
wurde mir præſentirt/ mit Befelch/ ich ſolte eins
hoͤren laſſen; Aber meine Meynung war/ man ſolte
mir zuvor etwas zu eſſen geben/ weil ein laͤerer und
dicker Bauch/ wie die Laut einen hatte/ nicht wol zu-
ſammen ſtimmen wuͤrden; Solches geſchahe/ und
demnach ich mich zimlich bekroͤpfft/ und zugleich ei-
nen guten Trunck Zerbſter Bier verſchlucket hatte/
ließ ich beydes mit der Lauten und meiner Stimme
hoͤren was ich konte/ darneben redete ich allerley un-
tereinander/ wie mirs einfiel/ ſo/ daß ich mit geringer
Muͤhe die Leut dahin brachte/ daß ſie glaubten/ ich
waͤre
[195]Zweytes Buch.
waͤre von der jenigen Qualitaͤt/ die meine Kleidung
vorſtellte. Der Obriſte fragte mich/ wo ich weiters
hin wolte? und da ich antwortet/ daß es mir gleich
gelte; wurden wir deß Handels eins/ daß ich bey
ihm bleiben/ und ſein Hof-Juncker ſeyn ſolte. Er
wolte auch wiſſen/ wo meine Eſels-Ohren hinkom-
men waͤren? Ja/ ſagte ich/ wann du wuͤſteſt/ wo ſie
waͤren/ ſo wurden ſie dir nicht uͤbel anſtehen: Aber
ich konte wol verſchweigen/ was ſie vermochten/ weil
all mein Reichthum darinn lagen.
Jch wurde in kurtzer Zeit bey den meiſten hohen
Officiern/ ſo wol im Chur Saͤchſiſchen als Kaͤiſerl.
Laͤger bekant/ ſonderlich bey dem Frauenzimmer/
welches meine Kappe/ Ermel und abgeſtutzte Ohren
uͤberall mit ſeidenen Banden zierte/ von allerhand
Farben/ ſo daß ich ſchier glaube/ daß etliche Stutzer
die jetzige Mode darvon abgeſehen. Was mir aber
von den Officierern an Geld geſchenckt wurde/ das
theilte ich wieder mildiglich mit/ dann ich verſpen-
dirte alles bey einem Heller/ in dem ichs mit guten
Geſellen in Hamburger und Zerbſter Bier/ welche
Gattungen mir trefflich wol zuſchlugen/ verſoffe;
unangeſehen ich an allen Orten/ wo ich nur hin kam/
genug zu ſchmarotzen hatte.
Als mein Obriſter aber ein eigene Lauten vor mich
uͤberkam/ denn er gedachte ewig an mir zu haben/ da
dorfft ich nicht mehr in den beyden Laͤgern ſo hin und
wieder ſchwermen/ ſondern er ſtellete mir einen Hof-
meiſter dar/ der mich beobachten/ und dem ich hin-
gegen gehorſamen ſolte: Dieſer war ein Mann nach
meinem Hertzen/ dann er war ſtill/ verſtaͤndig/ wol-
gelaͤhrt/ von guter/ aber nicht uͤberfluͤſſiger Conver-
J iijſation
[196]Deß Abenth. Simpliciſſimi
ſation, und was das groͤſte geweſen/ uͤberauß gotts-
foͤrchtig/ wol beleſen/ und voll allerhand Wiſſen-
ſchafften und Kuͤnſten/ bey ihm muſte ich deß Nachts
in ſeiner Zelten ſchlaffen/ und bey Tag dorfft ich ihm
auch nicht auß den Augen/ er war eines vornehmen
Fuͤrſten Rath und Beampter/ zumal auch ſehr reich
geweſen/ weil er aber von den Schwediſchen biß in
Grund ruinirt worden/ zumaln auch ſein Weib mit
todt abgangen/ und ſein einiger Sohn Armut halber
nicht mehr ſtudiren konte/ ſondern unter der Chur
Saͤchfiſchen Armee vor einen Muſterſchreiber die-
nete/ hielte er ſich bey dieſem Obriſten auff/ und lieſſe
ſich vor einen Stallmeiſter gebrauchen/ umb zu ver-
harꝛen/ biß die gefaͤhrliche Kriegslaͤufften am Elb-
Strom ſich aͤnderten/ und ihme alsdann die Sonne
ſeines vorigen Gluͤcks wieder ſcheinen moͤchte.
DasXX.Capitel.
WEil mein Hofmeiſter mehr alt als jung war/ al-
ſo konte er auch die gantze Nacht nicht durch-
gehend ſchlaffen/ ſolches war ein Urſach/ daß er mir
in der erſten Wochen hinder die Brieff kam/ und auß-
truͤcklich vernam/ daß ich kein ſolcher Narꝛ war/
wie ich mich ſtellete: Wie er denn zuvor auch etwas
gemerckt/ und von mir auß meinem Angeſicht ein
anders geurtheilet hatte/ weil er ſich wol auff die Phi-
ſiognomiam verſtund. Jch erwachte einsmals umb
Mitternacht/ und machte uͤber mein eygen Leben und
ſeltzame Begegnuſſen allerley Gedancken/ ſtunde auch
auff/ und erzehlte Danckſagungs-weis alle Guttha-
ten/ die mir mein lieber Gott erwieſen/ und alle Ge-
fahren/ auß welchen er mich erꝛettet; legte mich her-
nach
[197]Zweytes Buch.
nach wider nider mit ſchweren Seufftzen/ und ſchlieff
vollends auß.
Mein Hofmeiſter hoͤrete alles/ thaͤt aber/ als wenn
er hart ſchlieff/ und ſolches geſchahe etliche Naͤcht
nacheinander/ alſo daß er ſich genugſam verſichert
hielte/ daß ich mehr Verſtand haͤtte/ als mancher Be-
tagter/ der ſich viel einbilde; doch redet er nichts mit
mir im Zelt biervon/ weil ſie zu dinne Waͤnd hatte/
und er gewiſſer Urſachen halber nicht haben wolte/
daß noch zur Zeit/ und ehe er meiner Unſchuld verfi-
chert waͤre/ jemand anders dieſe Geheimnus wuͤſte.
Einsmals gieng ich hinder das Laͤger ſpatzieren/ wel-
ches er gern geſchehen lieſſe/ damit er Urſach haͤtte
mich zu ſuchen/ und alſo die Gelegenheit bekaͤme/
allein mit mir zu reden: Er fand mich nach Wunſch
an einem einſamen Ort/ da ich meinen Gedancken
Audienz gab/ und ſagte: Lieber guter Freund/ weil
ich dein beſies zu ſuchen unterſiehe/ erfreue ich mich/
daß ich hier allein mit dir reden kan; Jch weiß/ daß
du kein Narꝛ biſt/ wie du dich ſtelleſt/ zumalen auch
in dieſem elenden und veraͤchtlichen Stand nicht zu
leben begehreſt: Wenn dir nun deine Wolfahrt lieb
iſt/ auch zu mir als einem ehrlichen Mann/ dein Ver-
trauen ſetzen wilſt/ ſo kanſtu mir deiner Sachen Be-
wandnus erzehlen/ ſo will ich hingegen/ wo muͤglich/
mit Rath und That bedacht ſeyn/ wie dir etwan zu
helffen ſeyn moͤchte/ damit du auß deinem Narꝛnkleid
kommeſt.
Hierauff fiel ich ihm umb den Hals/ und erzeigte
mich vor uͤbriger Freud nicht anders/ als wann er
ein Prophet geweſt waͤre/ mich von meiner Narꝛn-
Kapp zu erloͤſen; und nachdem wir ſich auff die Erde
J jvgeſetzt
[198]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
geſetzt hatten/ erzehlte ich ihm mein gantzes Leben/ er
beſchaute meine Haͤnd/ und verwundert ſich beydes
uͤber die verwichene und kuͤnfftige ſeltzame Zufaͤlle;
Wolte mir aber durchauß nicht rathen/ daß ich in
Baͤlde mein Narꝛn-Kleid ablegen ſolte/ weil er/ wie
er ſagte/ vermittelſt der Chiromantia ſahe/ daß mir
mein fatum eine Gefaͤngnus androhe/ die Leib- und
Lebensgefahr mit ſich braͤchte. Jch bedanckte mich
ſeiner guten Neigung und mitgetheilten Raths/ und
bat GOtt/ daß er ihm ſeine Treuhertzigkeit belohnen/
Jhn ſelber aber/ daß er (weil ich von aller Welt ver-
laſſen waͤre) mein getreuer Freund und Vatter ſeyn
und bleiben wolte.
Demnach ſtunden wir auff/ und kamen auff den
Spielplatz/ da man mit Wuͤrffeln turnieret/ und alle
Schwur mit hundert tauſend mal tauſend/ Galleen/
Rennſchifflein/ Tonnen und Stattgraͤben voll/ ꝛc.
herauß fluchte; der Platz war ungefaͤhr ſo groß als
der Alte Marckt zu Coͤln/ uͤberall mit Maͤnteln uͤber-
ſtreut/ und mit Tiſchen beſtellt/ die alle mit Spielern
umbgeben waren; Jede Geſellſchafft hatte drey vier-
eckigte Schelmenbeiner/ denen ſie ihr Gluͤck vertrau-
ten/ weil ſie ihr Geld theilen/ und ſolches dem einen
geben/ dem andern aber nemmen muſten: So hatte
auch jeder Mantel oder Tiſch einen Schunderer/
(Scholderer wolte ich ſagen/ und haͤtte doch ſchier
Schinder geſagt) dieſer Ampt war/ daß ſie Richter
ſeyn/ und zuſehen ſolten/ daß keinem unrecht geſche-
he; ſie liehen auch Maͤntel/ Tiſch und Wuͤrffel her/
und wuſten deßwegen ihr Gebuͤhr ſo wol vom Ge-
win einzunem̃en/ daß ſie gewoͤhnlich das meiſte Geld
erſchnappten/ doch faſelt es nicht/ dann ſie verſpiel-
tens
[199]Zweytes Buch.
tens gemeiniglich wieder/ oder wenns gar wol an-
gelegt wurde/ ſo bekams der Marquetender/ oder
der Feldſcherer/ weil ihnen die Koͤpff offt gewaltig
geflickt wurden.
An dieſen naͤrꝛiſchen Leuten ſahe man ſein blauen
Wunder/ weil ſie alle zu gewinnen vermeynten/ wel-
ches doch unmuͤglich/ ſie haͤtten denn auß einer frem-
den Daſchen geſetzt/ und ob ſie zwar alle dieſe Hoff-
nung hatten/ ſo bieß es doch: Viel Koͤpff/ viel Sinn/
weil ſich jeden Kopff nach ſeinem Gluͤck ſinnete/ denn
etliche traffen/ etliche fehlten; etliche gewanen/ et-
liche verſpielten: Derowegen auch etliche fluchten/
etliche donnerten; etliche betrogen/ und andere wur-
den beſebelt; Dahero lachten die Gewinner/ und die
Verſpieler biſſen die Zaͤhn auffeinander; theils ver-
kaufften Kleider/ und was ſie ſonſt lieb hatten/ andere
aber gewinneten ihnen das Geld wieder ab; etliche
begehrten redliche Wuͤrffel/ andere hingegen wuͤnſch-
ten falſche auff den Platz/ und fuͤhrten ſolche unver-
merckt ein/ die aber andere wieder hinweg wurffen/
zerſchlugen/ mit Zaͤhnen zerbiſſen/ und den Scholde-
rern die Maͤntel zerꝛiſſen. Unter den falſchen Wuͤrf-
feln befanden ſich Niderlaͤnder/ welche man ſchlaͤif-
fend hinein rollen muſte/ dieſe hatten ſo ſpitzige Ru-
cken/ darauff ſie die fuͤnffer und ſechſer trugen/ als
wie die magere Eſel darauff man die Soldaten ſetzt.
Andere waren Oberlaͤndiſch/ denſelben muſte man die
Bayriſche Hoͤhe geben/ wenn man werffen wolte:
Etliche waren von Hirſchhorn/ leicht oben/ und
ſchwer unden gemacht: Andere waren mit Queck-
ſilber oder Bley/ und aber andere mit zerſchnittenen
Haaren/ Schwaͤmmen/ Spreu und Kolen gefuͤttert;
J vetliche
[200]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
etliche hatten ſpitzige Eck/ an andern waren ſolche
gar binweg geſchliffen; theils waren lange Kolben/
und theils ſahen auß wie breite Schildkrotten. Und
alle dieſe Gattungen waren auff nichts anders/ als
auff Betrug verfertigt/ ſie thaten das jenige/ worzu
ſie gemacht waren/ man mochte ſie gleich wippen/
oder ſanfft ſchleichen laſſen/ da halff kein knuͤpffens/
geſchweige jetzt deren/ die entweder zween fuͤnffer/
oder zween ſechſer/ und im Gegentheil entweder
zwey Eß oder zwey Dauß hatten: Mit dieſen Schel-
menbeinern zwackten/ laureten und ſtalen ſie einan-
der ihr Geld ab/ welches ſie vielleicht auch geraubt/
oder wenigſt mit Leib- und Lebensgefahr/ oder ſonſt
ſaurer Muͤhe und Arbeit erobert hatten.
Als ich nun ſo da ſtunde/ und den Spielplatz ſampt
den Spielern in ihrer Thorheit betrachte/ ſagte mein
Hofmeiſter/ wie mir das Weſen gefalle? Jch ant-
wortet/ daß man ſo greulich GOtt laͤſtert/ gefaͤllt
mir nicht/ im uͤbrigen aber laſſe ichs in ſeinem Werth
und Unwerth beruhen/ als eine Sach die mir unbe-
kant iſt/ und auff welche ich mich noch nichts ver-
ſtehe; Hierauff ſagte mein Hofmeiſter ferner: So
wiſſe/ daß dieſes der aller-aͤrgſte und abſcheulichſte
Ort im gantzen Laͤger iſt/ dann hier ſucht man eines
andern Geld/ und verlieret das ſeinige daruͤber:
Wann einer nur einen Fuß hieher ſetzt/ in Meynung
zu ſpielen/ ſo hat er das zehende Gebot ſchon uͤber-
tretten/ welches will/ Du ſolt deines Naͤchſten
Gut nicht begehren! Spieleſtu und gewinneſt/
ſonderlich durch Betrug und falſche Wuͤrffel/ ſo
uͤbertritteſt du das ſiebend und achte Gebot: Ja es
kan kommen/ daß du auch zu einem Moͤrder an dem
jenigen
[201]Zweytes Buch.
jenigen wirſt/ dem du ſein Geld abgewonnen haſt/
wenn nemlich deſſen Verluſt ſo groß iſt/ daß er da-
ruͤber in Armut/ in die aͤuſſerſte Noth und Deſpera-
tion, oder ſonſt in andere abſcheuliche Laſter geraͤth/
darvor die Außred nichts hilfft/ wenn du ſagſt: Jch
hab das Meinig daran geſetzt/ und redlich gewon-
nen; dann du Schalck biſt auff den Spielplatz gan-
gen/ der Meynung/ mit eines andern Schaden reich
zu werden: Verſpieleſt du dann/ ſo iſts mit der Buß
darumb nicht außgericht/ daß du deß Deinigen ent-
beren muſt/ ſondern du haſts/ wie der Reiche Mann/
bey GOtt ſchwerlich zu verantworten/ daß du das
jenige ſo unnuͤtz verſchwendet/ welches er dir zu dein
und der Deinigen Lebens. Auffenthalt verliehen ge-
habt! Wer ſich auff den Spielplatz begibt zu ſpie-
len/ derſelbe begibt ſich in eine Gefahr/ darinnen er
nicht allein ſein Geld/ ſondern auch ſein Leib/ Leben/
ja was das allerſchroͤcklichſte iſt/ ſo gar ſeiner See-
len Seeligkeit verlieren kan. Jch ſage dir dieſes zur
Nachricht/ liebſter Simplici, weil du vorgibſt/ das
Spielen ſey dir unbekant/ damit du dich all dein Le-
benlang darvor huͤten ſolleſt.
Jch antwortet/ Liebſter Herꝛ/ wann dann das
Spielen ein ſo ſchroͤcklich und gefaͤhrlich Ding iſt/
warumb laſſens dann die Vorgeſetzte zu? mein Hof-
meiſter antwortet mir/ Jch will nicht ſagen darum/
dieweil theils Officier ſelbſt mit machen; ſondern es
geſchicht deßwegen/ weil es die Soldaten nicht mehr
laſſen wollen/ ja auch nicht laſſen koͤnnen/ dann wer
ſich dem Spielen einmal ergeben/ oder welchen die
Gewonheit/ oder vielmehr der Spiel-Teuffel einge-
nommen/ der wird nach und nach (er gewinne oder
J vjver-
[202]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
verſpiele) ſo verpicht darauff/ daß ers weniger laſſen
kan/ als den natuͤrlichen Schlaff; wie man dann
ſihet/ daß etliche die gantze Nacht durch und durch
raßlen/ und vor das beſte Eſſen und Trincken hinein
ſpielen/ und ſolten ſie auch ohne Hemd davon gehen:
Das Spielen iſt bereits zu unterſchiedlichen malen
bey Leib- und Lebensſtraff verbotten/ und auß Befelch
der Generalitaͤt durch Rumormeiſter/ Provoſen/
Hencker und Steckenknecht/ mit gewaffneter Hand
offentlich und mit Gewalt verwehret worden; Aber
das halff alles nichts/ dann die Spieler kamen an-
derwerts in heimlichen Winckeln/ und hinder den
Hecken zuſammen/ gewannen einander das Geld ab/
entzweyten ſich/ und brachen einander die Haͤls da-
ruͤber: Alſo daß man ſolcher Mord und Todtſchlaͤg
halber/ und vornemlich auch/ weil mancher ſein Ge-
wehr und Pferd/ ja ſo gar ſein weniges Commiß-
Brot verſpielte/ das Spielen nicht allein wieder of-
fentlich erlauben/ ſondern ſo gar dieſen eigenen Platz
darzu widmen muſte/ damit die Haupt-wacht bey
der Hand waͤre/ die allem Unheyl/ ſo ſich etwan er-
eignen moͤchte/ vorkaͤme/ welche doch nicht allezeit
verhuͤten kan/ daß nicht einer oder der ander auff dem
Platz bleibt. Und weil das Spielen deß leydigen
Teuffels eigene Inv[e]ntion iſt/ und ihme nicht wenig
eintraͤgt/ alſo hat er auch abſonderliche Spiel-Teuf-
fel geordnet/ und in der Welt herumb ſchwermen/
die ſonſt nichts zu thun haben/ als die Menſchen zum
Spielen anzuraͤitzen; dieſen ergeben ſich unterſchied-
liche leichtfertige Geſellen durch gewiſſe Pacten und
Buͤndnus/ daß er ſie gewinnen laſſe; und wird man
doch unter zehentauſend Spielern ſelten einen reichen
finden
[203]Zweytes Buch.
finden/ ſondern ſie ſind gewoͤhnlich im Gegentheil
arm und duͤrfftig/ weil ihr Gewin leicht geſchaͤtzet/
und dahero gleich entweder wieder verſpielet/ oder
ſonſt liederlich verſchwendet wird: Hiervon iſt das
allzuwahre/ aber ſehr erbaͤrmliche Spruͤchwort ent-
ſprungen/ Der Teuffel verlaſſe keinen Spieler/ er
laſſe ſie aber Blut-arm werden; dann er raubet ihnen
Gut/ Muth und Ehr/ und verlaͤſt ſie alsdann nicht
mehr/ biß er ſie endlich auch gar (GOttes unendliche
Barmhertzigkeit komme ihm dann zuvor) umb ihrer
Seelen Seeligkeit bringt. Jſt aber ein Spieler von
Natur eines ſo luſtigen Humors/ und ſo großmuͤtig/
daß er durch kein Ungluͤck oder Verluſt zur Melan-
choley/ Unmuth und andere hierauß entſpringende
ſchaͤdliche Laſter gebracht werden mag/ ſo laͤſt ihn
der argliſtige boͤſe Feind deßwegen dapffer gewinnen/
damit er ihn durch Verſchwendung/ Hoffart/ Freſ-
ſen/ Sauffen/ Huren und Buben/ endlich ins Netz
bringe.
Jch vercreutzigte und verſegnete mich/ daß man
unter einem Chriſtlichen Heer ſolche Sachen uͤben
lieſſe/ die der Teuffel erfunden ſolt haben/ ſonderlich
weil augenſcheinlich und handgreifflich ſo viel zeit-
liche und ewige Schaͤden und Nachtheil darauß fol-
geten; Aber mein Hofmeiſter ſagte/ das ſeye noch
nichts was er mir erzehlt haͤtte/ wer alles Unheyl be-
ſchreiben wolte/ das auß dem Spielen entſtuͤnde/ der
nehme ihm eine ohnmuͤgliche Sach vor/ weil man
ſagt/ der Wurff/ wann er auß der Hand gangen/
ſeye deß Teuffels/ ſo ſolte ich mir nichts anders ein-
bilden/ als daß mit jedem Wuͤrffel (wann er auß deß
Spielers Hand auff dem Mantel oder Tiſch daher
J vijrolle
[204]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
rolle) ein kleines Teuffelgen daher lauffe/ welches
ihn regiere/ und Augen geben laſſe/ wie es ſeiner Prin-
cipalen Intereſſe erfordere. Darbey ſolte ich beden-
cken/ daß ſich der Teuffel freylich nicht umbſonſt deß
Spielens ſo eyferig annehme/ ſondern ohne Zweiffel
ſeinen trefflichen Gewin darbey zu ſchoͤpffen wiſſe.
Darbey mercke ferner/ daß gleich wie neben dem
Spielplatz auch einige Schacherer und Jnden zu ſie-
hen pflegen/ die von den Spielern wolfail auffkauf-
fen/ was ſie etwan an Ringen/ Kleidern oder Cleino-
dien gewonnen/ oder noch zu verſpielen verſilbern
wollen/ daß eben alſo auch allbier die Teuffel auff-
paſſen/ damit ſie bey den abgefertigten Spielern/ ſie
haben gleich gewonnen oder verloren/ andere See-
len-verderbliche Gedancken erꝛegen und hegen; bey
den Gewinnern zwar bauet er ſchroͤckliche Schloͤſ-
ſer in die Lufft/ bey denen aber ſo verſpielt haben/ de-
ren Gemuͤt ohne das gantz verwirꝛt/ und deſto be-
quemer iſt/ ſeine ſchaͤdliche Eingebungen anzuneh-
men/ ſetzet er ohne Zweiffel lauter ſolche Gedancken
und Anſchlaͤg/ die auff nichts anders als das endli-
che Verderben zielen. Jch verſichere dich/ Simplici,
daß ich willens bin/ von dieſer Materi ein gantz Buch
zu ſchreiben/ ſo bald ich wieder bey den Meinigen zu
Ruhe komme/ da will ich den Verluſt der edlen Zeit
beſchreiben/ die man mit dem Spielen unnuͤtz hin-
bringet; nicht weniger die grauſame Fluͤch/ mit wel-
chen man Gott bey dem Spielen laͤſtert; Jch will die
Scheliwort erzehlen/ mit welchen man einander an-
taſtet/ und viel ſchroͤckliche Exempel und Hiſtorien
mit einbringen/ die ſich bey/ mit/ und in dem Spielen
zutragen; dabey ich dann die Duell und Todtſchlaͤg/
ſo
[205]Zweytes Buch.
ſo Spielens wegen entſtanden/ nicht vergeſſen will;
ja ich will den Geitz/ den Zorn/ den Neid/ den Eyfer/
die Falſchheit/ den Betrug/ die Vortelſucht/ den
Diebſtal/ und mit einem Wort/ alle unſinnige Thor-
beiten beydes der Wuͤrffel- und Kartenſpieler mit ih-
ren lebendigen Farben dermaſſen abmahlen und vor
Augen ſtellen/ daß die jenige/ die ſolches Buch nur
einmal leſen/ ein ſolch Abſcheuen vor dem Spielen
gewinnen ſollen/ als wenn ſie Saͤn-Milch (welche
man den Spielſuͤchtigen wider ſolche ihre Kranck-
heit ohnwiſſend eingibt) geſoffen baͤtten. Und alſo
damit der gantzen Chriſtenheit darthun/ daß der liebe
GOtt von einer einzigen Compagnia Spieler mehr
gelaͤſtert/ als ſonſt von einer gantzen Armee bedienet
werde. Jch lobte ſeinen Vorſatz/ und wuͤnſchte ihm
Gelegenheit/ daß er ſolchen ins Werck ſetzen moͤchte.
DasXXI.Capitel.
MEin Hofmeiſter wurde mir je laͤnger je holder/
und ich ihm bingegen wiederumb/ doch hielten
wir unſere Vertraͤulichkeit ſehr geheim/ ich ag[i]rte
zwar einen Narꝛn/ brachte aber keine grobe Zotten
noch Buͤffelspoſſen vor/ ſo daß meine Gaben und
Auffzuͤg zwar einfaͤltig genug/ aber jedoch mehr
ſinnreich als naͤrꝛiſch fielen. Mein Obriſter/ der ein
trefflichen Luſt zum Waͤidwerck trug/ name mich
einsmal mit/ als er außſpatzierte Feldhuͤner zu fan-
gen mit dem Tyras/ welche Invention mir trefflich
wol gefiele; Dieweil aber der vorſtehende Hund ſo
hitzig war/ daß er einzufallen pflegte/ ehe man tyraſſi-
ren konte/ deßwegen wir dann wenig fangen konten:
Da gab ich dem Obriſten den Rath/ er ſolte die
Huͤndin
[206]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Huͤndin mit einem Falcken oder Stein-Adler belegen
laſſen/ wie man mit Pferden und Eſeln zu thun pfle-
ge/ wenn man gerne Manlthier baͤtte/ damit die jun-
ge Hund Fluͤgel bekaͤmen/ ſo koͤnte man alsdann mit
denſelbigen die Huͤner in der Lufft fangen. Auch gab
ich den Vorſchlag/ weil es mit Eroberung der Statt
Magdeburg/ die wir belaͤgert bielten/ ſo ſchlaͤfferig
bergieng/ man ſolte ein maͤchtig langes Saͤil/ ſo dick
als ein balb Fuͤderiges Faß verfertigen/ ſolches umb
die Statt zieben/ und alle Menſchen ſam̃t dem Vieh
in beyden Laͤgern daran ſpannen/ und dergeſtalt die
Statt in einem Tag uͤbern Hauffen ſchlaiffen laſſen.
Solcher naͤrꝛiſchen Dauben und Grillen erſanne ich
taͤglich einen Uberfluß/ weil es meines Handwercks
war/ ſo daß man meine Werckſtatt nie laͤer fand: So
gab mir auch meines Herꝛn Schreiber/ der ein arger
Gaſt und durchtriebener Schalck war/ viel Materi
an die Hand/ dadurch ich auff dem Weg unterhal-
ten wurde/ den die Narꝛen zu wandeln pflegen/ denn
was mich dieſer Speyvogel uberꝛedte/ das glaubte
ich nicht allein vor mich ſelbſten/ ſondern theilte es
auch andern mit/ wann ich etwan diſcurirte/ und ſich
die Sach dahin ſchickte.
Als ich ihn einsmals fragte/ was unſer Regi-
ments Caplan vor einer ſeye/ weil er mit Kleidungen
von andern unterſcheiden? ſagte er/ Es iſt der Herꝛ
Dicis \& non facis, das iſt auff Teutſch ſo viel geredt/
als ein Kerl/ der andern Leuten Weiber gibt/ und
ſelbſt keine nimmt: Dieſer iſt den Dieben Spinnen-
feind/ weil ſie nicht ſagen was ſie thun/ er aber hinge-
gen ſagt/ was er nicht thut; ſo koͤnnen ihm hingegen
die Dieb auch nicht ſo gar hold ſeyn/ weil ſie gemei-
niglich
[207]Zweytes Buch.
niglich gehenckt werden/ wenn ſie die beſte Kund-
ſchafft mit dieſen Leuten haben. Da ich nun nach-
gehends den guten ebrlichen Pater ſo nennete/ wurde
er außgelacht/ ich aber vor einen boͤſen ſchalckbaffti-
gen Narꝛn gehalten/ und ſeinet wegen gebaum[-]oͤlt.
Ferners uͤberꝛedet er mich/ man haͤtte die offentliche
gemeine Haͤuſer zu Prag hinder der Mauer abgebro-
chen und verbrennet/ darvon die Funcken und der
Staub/ wie der Samen eines Unkrauts/ in alle
Welt zerſtoben waͤre. Jtem/ es kaͤmen von den Sol-
daten keine dapffere Helden und hertzhaffte Kerl in
Himmel/ ſondern lauter einfaͤltige Tropffen/ Bern-
beuter und dergleichen/ die ſich an ihrem Sold ge-
nuͤgen lieſſen; ſo dann keine politiſche Alamode Ca-
valliers und gallante Dames, ſondern nur gedultige
Job/ Siemaͤnner/ langweilige Moͤnch/ melancho-
liſche Pfaffen/ Bett. Schweſtern/ arme Bettelhuren/
allerhand Außwuͤrffling/ die in der Welt weder zu
ſieden noch zu braten taugen/ und junge Kinder/ wel-
che die Baͤnck uͤberall voll hofierten. Auch loge er
mir vor/ man nenne die Gaſtgeber nur darumb
Wuͤrth/ weil ſie in ihrer Handierung under allen
Menſchen am fleiſſigſten betrachteten/ daß ſie entwe-
der GOtt oder dem Teuffel zu theil wuͤrden. Vom
Kriegsweſen uͤberꝛedte er mich/ daß man auch zu Zei-
ten mit guͤldenen Kuglen ſchieſſe/ und je koſtbarer
ſolche waͤren/ je groͤſſeren Schaden pflegten ſie zu
thun; ja/ ſagte er/ man fuͤhret wol ehe gantze Kriegs-
Heer mit ſampt der Artollerey, Munition und Baga-
ge, an guͤldenen Ketten gefangen daher! Weiters
uͤberꝛedet er mich von den Weibern/ daß mehr als der
halbe Theil Hoſen truͤgen/ ob man ſie ſchon nicht
ſehe
[208]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ſehe/ und daß viel ihren Maͤnnern/ wenn ſie ſchon
nicht zaubern koͤnten/ noch Goͤttinnen waͤren/ als
Diana geweſen/ groͤſſere Hoͤrner auff die Koͤpff gau-
ckelten/ als Actæon getragen; Welches ich ihme
alles glaubte/ ſo ein dummer Narꝛ war ich.
Hingegen unterhielte mich mein Hofmeiſter/ wenn
er allein bey mir war/ mit viel einem andern Diſcurs,
er brachte mich auch in ſeines Sohns Kundſchafft/
welcher wie biebevor gemeldet worden/ bey der Chur
Saͤchſiſchen Armee ein Muſterſchreiber war/ und
weit andere Qualitaͤten an ſich hatte/ als meines Obr.
Schreiber; dahero mochte ihn mein Obriſter nicht
allein gerne leiden/ ſondern er war auch bedacht/ ihn
von ſeinem Capitain loß zu handlen/ und zu ſeinem
Regiments-Secretario zu machen/ auff welche Stell
obgemeldter ſein Schreiber ſich auch ſpitzete.
Mit dieſem Muſterſchreiber/ welcher auch wie
ſein Vatter Ulrich Hertzbruder hieſſe/ machte ich ein
ſolche Freundſchafft/ daß wir ewige Bruͤderſchafft
zuſammen ſchwuren/ Krafft deren wir einander in
Gluͤck und Ungluͤck/ in Lieb und Leyd/ nimmermehr
verlaſſen wolten: Und weil dieſes mit Wiſſen ſeines
Vattern geſchahe/ hielten wir den Bund deſto veſter
und ſteifftr/ demnach lage uns nichts haͤrter an/ als
wie wir meines Narꝛen-Kleids mit Ehren loß wer-
den/ und einander rechtſchaffer dienen moͤchten; wel-
ches aber der alte Hertzbruder/ den ich als meinen
Vatter ehrete und vor Augen hatte/ nicht gut hieſſe/
ſondern außtrücklich ſagte: Wenn ich in kurtzer Zeit
meinen Stand aͤnderte/ daß mir ſolches ein ſchwere
Gefaͤngnus und groſſe Leib- und Lebensgefabr ge-
baͤren wuͤrde: Und weil er auch ihm ſelbſt und ſeinem
Sohn
[209]Zweytes Buch.
Sohn einen groſſen bevorſtehenden Spott progno-
ſticirte/ und dahero Urſach zu haben vermeynte/ deſto
vorſichtiger und behutſamer zu leben; Als wolte er
ſich umb ſo viel deſto weniger in einer Perſon Sa-
chen miſchen/ deren kuͤnfftige groſſe Gefahr er vor
Augen ſehen konte/ dann er beſorgte/ er moͤchte mei-
nes kuͤnfftigen Ungluͤcks theilhafftig werden/ wenn
ich mich offenbarte/ weil er bereits vorlaͤngſt meine
Heimlichkeit gewuſt/ und mich gleichſam in- und
außwendig gekant/ meine Beſchaffenheit aber dem
Obriſten nicht kund gethan hatte.
Kurtz hernach merckte ich noch beſſer/ daß meines
Obriſten Schreiber meinen neuen Bruder ſchroͤcklich
neidete/ weil er beſorgte/ er moͤchte vor ihme zu der
Secretariat-Stell erhoben werden/ dann ich ſahe wol/
wie er zu Zeiten grißgramete/ wie ihm die Mißgunſt
ſo getrang thaͤt/ und daß er in ſchweren Gedancken
allezeit ſeufftzete/ wenn er entweder den Alten oder
den Jungen Hertzbruder anſahe; Darauß urtheilte
ich/ und glaubte ohn allen Zweiffel/ daß er Calender
machte/ wie er ihm ein Bein vorſetzen/ und zu Fall
bringen moͤchte. Jch communicirte meinem Bru-
der/ beydes auß getreuer Affection und tragender
Schuldigkeit/ das jenige/ was ich argwohnete/
damit er ſich vor dieſem Judas-Bruder ein wenig
vorſehen ſolte; Er aber nam es auff die leichte Ach-
ſel/ Urſach/ weil er dem Schreiber ſo wol mit der
Feder/ als mit dem Degen/ mehr als genug uͤberle-
gen war/ und darzu noch deß Obriſten groſſe
Gunſt und Gnad hinweg
hatte.
Das
[210]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
DasXXII.Capitel.
WEil der Gebrauch im Krieg iſt/ daß man gemei-
niglich alte verſuchte Soldaten zu Provoſen
macht/ alſo hatten wir auch einen dergleichen bey
unſerm Regiment/ und zwar einen ſolchen abge-
faͤumten Ertz-Vogel und Kern-Boͤßwicht/ daß man
wol von ihm ſagen konte/ er ſeye vielmehr als von-
noͤthen/ erfahren geweſen; dann er war ein rechter
Schwartzkuͤnſtler/ Siebdreher und Teuffelsbau-
ner/ und von ſich ſelbſten nicht allein ſo veſt als
Stahl/ ſondern auch uͤber das ein ſolcher Geſell/
der andere veſt machen/ und noch darzu gantze E-
ſquadronen Reuter ins Feld ſtellen konte: Sein
Bildnus ſabe natuͤrlich auß/ wie uns die Mahler
und Poëten den Saturnum vorſtellen/ auſſer daß er
weder Steltzen noch Senſen trug. Ob nun zwar
die arme gefangene Soldaten/ ſo ihm in ſeine un-
barmbertzige Haͤnde kamen/ wegen dieſer ſeiner Be-
ſchaffenheit und ſtetiger Gegenwart ſich deſto un-
gluͤckſeeliger ſchaͤtzten/ ſo waren doch Leute/ die gern
mit dieſem Wendenſchimpff umbgiengen/ ſonder-
lich Olivier unſer Schreiber/ und je mehr ſich ſein
Neid wider den jungen Hertzbruder (der eines ſehr
froͤlichen Humors war) vermehrte/ je veſter wuchſe
die groſſe Vertraͤulichkeit zwiſchen ihme und dem
Provoſen; dahero konte ich mir gar leichtlich die
Rechnung machen/ daß die Conjunction Saturni
und Mercurii dem redlichen Hertzbruder nichts guts
bedeuten wuͤrde.
Eben damals wurde meine Obriſtin mit einem
jungen Sohn erfreuet/ und die Tauff-Suppe faſt
Fuͤrſt-
[211]Zweytes Buch.
Fuͤrſtlich dargereicht/ bey welcher der junge Hertz-
bruder auffzuwarten erſucht ward/ und weil er ſich
auß Hoͤflichkeit gern einſtellete/ war ſolches dem
Olivier ein erwuͤnſchte Gelegenheit/ ſein Schelmen-
ſtuͤck/ mit welchem er lang ſchwanger gangen/ auff
die Welt zu bringen: Dann als nun alles voruͤber
war/ manglete meines Obriſten groſſer verguldter
Tiſch-Becher/ welchen er ſo leichtlich nicht verlo-
ren haben wolte/ weil er noch vorhanden geweſen/
da alle fremde Gaͤſt ſchon hinweg waren; der Page
ſagte zwar/ daß er ihn das letzte mal bey dem Oli-
vier geſehen/ er war deſſen aber nicht geſtaͤndig;
Hierauff wurde der Provos geholet/ der Sachen
Rath zu ſchaffen/ und wurde ihm benebens anbefoh-
len/ wann er durch ſeine Kunſt den Diebſtal wieder
herzu koͤnte bringen/ daß er das Werck ſo einrichten
ſolte/ damit der Dieb ſonſt niemand/ als dem Obri-
ſten kund wuͤrde/ weil noch Officier von ſeinem Regi-
ment vorhanden waren/ welche er/ wenn ſich viel-
leicht einer darvon uͤberſehen haͤtte/ nicht gerne zu
ſchanden machen wolte.
Weil ſich nun jeder unſchuldig wuſte/ ſo kamen
wir auch alle luſtig in deß Obriſten groſſes Zelt/ da
der Zauberer die Sach vornam/ da ſahe je einer den
andern an/ und verlangte zu vernehmen/ was es end-
lich abgeben/ und wo der verlorne Becher doch her-
kom̃en wuͤrde: Als er nun etliche Woꝛt gemurmelt
hatte/ ſprangen einem hier/ dem andern doꝛt ein/ zwey/
drey/ auch mehr junge Huͤndlein auß den Hoſen-ſaͤ-
cken/ Ermeln/ Stieffeln/ Hoſen-Schlitzen/ und
wo ſonſt die Kleidungen offen waren: Dieſe wuſelten
behend in der Zelt hin und wieder herumb/ waren
alle
[212]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
alle uͤberauß ſchoͤn/ von mancherley Farben/ und je-
der auff ein ſonderbare Manier gezeichnet/ als daß
es ein recht luſtig Spectacul war/ mir aber wurden
meine enge Croatiſche Kaͤlber-Hoſen ſo voll junger
Hund gegauckelt/ daß ich ſolche abziehen/ und weil
mein Hemd im Wald vorlaͤngſt am Leib verfaulet
war/ nackend da ſtehen muſte; zuletzt ſprang eins dem
jungen Hertzbruder auß dem Schlitz/ welches das
allerhurtigſte war/ und ein guͤlden Halsband an
hatte/ dieſes verſchlang alle andere Huͤndlein/ deren
es doch ſo voll im Zelt herumb grabelte/ daß man
vor ihnen keinen Fuß weiters ſetzen konte: Wie es
nun alle auffgerieden hatte/ wurde es ſelbſten je laͤn-
ger je kleiner/ das Halsband aber nur deſto groͤſſer/
biß es ſich endlich gar in deß Obriſten Tiſch-Becher
verwandelte.
Da muſte nun nicht allein der Obriſte/ ſondern
auch alle andere Gegenwaͤrtige darvor halten/ daß
ſonſt niemand als der junge Hertzbruder den Becher
geſtolen/ derowegen ſagte der Obriſte zu ihm: Sihe
du/ du undanckbarer Gaſt/ hab ich dieſes Diebsſtuͤck/
das ich dir nimmermehr zugetraut haͤtte/ mit meinen
Gutthaten umb dich verdienet? Schaue/ ich habe
dich zu meinem Secretario deß morgenden Tags wol-
len machen/ aber nun haſt du verdienet/ daß ich dich
noch heut auffhencken lieſſe! welches auch ohnfehl-
bar geſchehen ſolte/ wenn ich deines ehrlichen alten
Vatters nicht verſchohnete; geſchwind packe dich
auß meinem Laͤger/ und laſſe dich die Tag deines
Lebens vor meinen Augen nicht mehr ſehen! Er wol-
te ſich entſchuldigen/ wur[de] aber nicht gehoͤrt/ die-
weil ſeine That ſo Sonnen-klar am Tag lag; und
in
[213]Zweytes Buch.
in dem er fort gieng/ wurde dem guten alten Hertz-
bruder gantz ohnmaͤchtig/ alſo daß man genug an
ihm zu laben/ und der Obriſt ſelbſt an ihm zu troͤſten
batte/ welcher ſagte: Daß ein frommer Vatter ſei-
nes ungerathenen Kinds gar nicht zu entgelten haͤtte.
Alſo erlangte Olivier durch Huͤlff deß Teuffels das
jenige/ wornach er vorlaͤngſt gerungen/ auff einem
ehrlichen Weg aber nicht ereylen moͤgen.
DasXXIII.Capitel.
SO bald deß jungen Hertzbruders Capitain dieſe
Geſchicht erfuhr/ nam er ihm auch die Muſter-
ſchreiber-Stell/ und lud ihm eine Bieque auff/ von
welcher Zeit an er bey maͤnniglich ſo veracht wurde/
daß ihn die Hund haͤtten anpiſſen moͤgen/ darumb er
ihme dann offt den Todt wuͤnſchete! Sein Vatter
aber bekuͤmmerte ſich dergeſtalt daruͤber/ daß er in
ein ſchwere Kranckheit fiel/ und ſich auff das Ster-
ben gefaſt machte. Und demnach er ihme ohne das
hiebevor ſelbſt prognoſticirt hatte/ daß er den 26.
Julii Leib- und Lebensgefahr außſtehen muͤſte: (wel-
cher Tag dann naͤchſt vor der Thuͤr war) Als er-
langte er bey dem Obriſten/ daß ſein Sohn noch ein-
mal zu ihm kommen dorffte/ damit er wegen ſeiner
Verlaſſenſchafft mit ihm reden/ und ſeinen letzten
Willen eroͤffnen moͤchte. Jch wurde bey ihrer Zu-
ſammenkunfft nicht außgeſchloſſen/ ſondern war der
dritte Mitgeſell ihres Leyds; Da ſahe ich/ daß der
Sohn keiner Entſchuldigung bedoͤrfft gegen ſeinem
Vatter/ weil er ſeine Art und gute Aufferziehung wol
wuſte/ und dahero ſeiner Unſchuld genugſam verſt-
chert war: Er als ein weiſer/ verſtaͤndiger und tieff-
ſinniger
[214]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ſinniger Mann ermaß ohnſchwer auß den Umbſtaͤn-
den/ daß Olivier ſeinem Sohn diß Bad durch den
Provoſen hatte zurichten laſſen/ was vermochte er
aber wider einen Zauberer? von dem er noch aͤrgers
zu beſorgen hatte/ wann er ſich anders einiger Rach
haͤtte unterfangen wollen; Uber diß verſahe er ſich
ſeines Todts/ und wuſte doch nicht geruhiglich zu
ſterben/ weil er ſeinen Sohn in ſolcher Schand hin-
der ſich laſſen ſolte: Jn welchem Stand der Sohn
deſto weniger zu leben getraute/ umb wie vielmehr
er ohne das wuͤnſchte/ vor dem Vatter zu ſterben.
Es war verſichert dieſer beyder Jammer ſo erbaͤrm-
lich anzuſchauen/ daß ich von Hertzen weynen muſte!
zuletzt war ihr gemeiner einhelliger Schluß/ GOtt
ihre Sach in Gedult heimzuſtellen/ und der Sohn
ſolte auff Mittel und Weg gedencken/ wie er ſich von
ſeiner Compagnia loß wuͤrcken/ und anderwerts ſein
Gluͤck ſuchen koͤnte; als ſie aber die Sach bey dem
Liecht beſahen/ da manglets am Geld/ mit welchem
er ſich bey ſeinem Capita[i]n loß kauffen ſolte/ und in
dem ſie betrachteten und bejammerten/ in was vor
einem Elend ſie die Armuth gefangen hielte/ und alle
Hoffnung abſchnitte/ ihren gegenwaͤrtigen Stand
zu verbeſſern/ erinnerte ich mich erſt meiner Duca-
ten/ die ich noch in meinen Eſels-Ohren vernaͤhet
hatte; Fragte derowegen/ wie viel ſie dann Gelds
zu dieſer ihrer Notdurfft haben muͤſten? der Junge
Hertzbruder antwortet/ wenn einer kaͤme/ und uns
bundert Thaler braͤchte/ ſo getraute ich auß allen
meinen Noͤthen zu kommen: Jch antwortet/ Bru-
der/ wann dir damit geholffen wird/ ſo hab ein gut
Hertz/ dann ich will dir hundert Ducaten geben: Ach
Bruder
[215]Zweytes Buch.
Bruder/ antwortet er mir hinwiederumb/ was iſt
das? biſtu dann ein rechter Narꝛ? oder ſo leicht-
fertig/ daß du uns in unſerer aͤuſſerſten Truͤbſeelig-
keit noch ſchertzeſt? Nein/ nein/ ſagte ich/ ich will
dir das Geld herſchieſſen; ſtraͤiffte darauff mein
Wambs ab/ und thaͤt das eine Eſels-ohr von mei-
nem Arm/ oͤffnete es/ und ließ ihn ſelbſt 100. Duca-
ten darauß zehlen und zu ſich nemmen/ das uͤbrige
behielt ich/ und ſagte: Hiermit will ich deinem kran-
cken Vatter außwarten/ wann er deſſen bedarff. Hie-
rauff fielen ſie mir umb den Hals/ kuͤßten mich/ und
wuſten vor Freuden nicht was ſie thaten/ wolten mir
auch eine Handſchrifft zuſtellen/ und mich darinnen
verſichern/ daß ich an dem alten Hertzbruder neben
ſeinem Sohn ein Mit-Erb ſeyn ſolte; oder daß ſie
mich/ wann ihnen Gott wieder zu dem Jhrigen huͤlf-
fe/ umb dieſe Summam ſampt dem Intereſſe wiede-
rumb mit groſſem Danck befriedigen wolten: Deren
ich aber keines annam/ ſondern allein mich in ihre
beſtaͤndige Freundſchafft befohle. Hierauff wolte
der junge Hertzbruder verſchwoͤren/ ſich an dem Oli-
vier zu raͤchen/ oder darumb zu ſterben! Aber ſein
Vatter verbotte ihm ſolches/ und verſichert ihn/ daß
der jenige/ der den Olivier todt ſchluͤg/ wieder von
mir dem Simplicio den Reſt kriegen werde; doch/
ſagte er/ bin ich deſſen wol vergewiſſert/ daß ihr beyde
einander nicht umbbringen werdet/ weil keiner von
euch durch Waffen umbkom̃en ſolle. Demnach hielte
er uns an/ daß wir Aydlich zuſammen ſchwuren/ ein-
ander biß in den Todt zu lieben/ und in allen Noͤthen
beyzuſtehen. Der junge Hertzbruder aber entledigte
ſich mit dreiſſig Reichsthalern/ darvor ihm ſein Ca-
Kpitain
[216]Deß Abenth. Simpliciſſimi
pitain einen ehrlichen Abſchied gab/ verfuͤgte ſich mit
dem uͤbrigen Geld und guter Gelegenheit nach Ham-
burg/ mondirte ſich allda mit zwenen Pferden/ und
lieſſe ſich unter der Schwediſchen Armee vor einen
Frey-Reuter gebrauchen/ mir indeſſen unſern Vat-
ter befehlende.
DasXXIV.Capitel.
KEiner von meines Obriſten Leuten ſchickte ſich
beſſer/ dem alten Hertzbruder in ſeiner Kranck-
heit abzuwarten/ als ich/ und weil der Krancke auch
mehr als wol mit mir zu frieden war/ ſo wurde mir
auch ſolches Ampt von der Obriſtin auffgetragen/
welche ihm viel Guts erwieſe/ und demnach er neben
ſo guter Pfleg auch wegen ſeines Sohns ſattſam er-
quickt worden/ beſſerte es ſich von Tag zu Tag mit
ihm/ alſo daß er noch vor dem 26. Julii faſt wieder
[uͤ]berall zu voͤlliger Geſundheit gelangte/ doch wolt er
ſich noch inhalten/ und kranck ſtellen/ biß bemeldter
Tag/ vor welchem er ſich mercklich entſetzte/ vorbey
waͤre: Jndeſſen beſuchten ihn allerhand Officier von
beyden Armeen/ die ihr kuͤnfftig Gluͤck und Ungluͤck
von ihm wiſſen wolten/ dann weil er ein guter Ma-
thematicus und Nativitaͤten-Steller/ benebens auch
ein vortrefflicher Phiſiognomiſt und Chiromanticus
war/ fehlte ihm ſeine Außſag ſelten; ja er nennete ſo
gar den Tag/ an welchem die Schlacht vor Witt-
ſtock nachgehends geſchabe/ ſirtemal ihm viel zuka-
men/ denen umb dieſelbige Zeit einen gewaltthaͤtigen
Todt zu leiden angedrohet war; Die Obriſtin verſt-
chert er/ daß ſie ihr Kindbett noch im Laͤger außhal-
ten wuͤrde/ weil vor Außgang der ſechs Wochen
Magbe-
[217]Zweytes Buch.
Magdeburg an die Unſerige nicht uͤbergeben wuͤrde:
Dem falſchen Olivier, der ſich gar zutaͤppiſch bey ihm
zu machen wuſte/ ſagte er außdruͤcklich/ daß er eines
gewaltthaͤtigen Todts ſterben muͤſte/ und daß ich
ſeinen Todt/ er geſchehe wann er wolle/ raͤchen/
und ſeinen Moͤrder wieder umbbringen wuͤrde/ weß-
wegen mich Olivier folgender Zeit hoch hielte; mir
ſeldſten aber erzehlet er meinen kuͤnfftigen gantzen Le-
benslauff ſo umbſtaͤndlich/ als wenn er ſchon vollen-
det/ und er allezeit bey mir geweſen waͤre/ welches
ich aber wenig achtet/ und mich jedoch nachgebends
vielen Dings erinnert/ das er mir zuvor geſagt/
nachdem es ſchon geſchehen oder wahr worden/ vor-
nemlich aber warnet er mich vorm Waſſer/ weil er
beſorgte/ ich wuͤrde meinen Untergang darinn leiden.
Als nun der 26. Julii eingetretten war/ vermahnet
er mich und einen Fourierſchuͤtzen (den mir der Ob-
riſte auff ſein Begehren denſelben Tag zugegeben
hatte) gantz treulich/ wir ſolten niemand zu ihm ins
Zelt laſſen: Er lag alſo allein darinnen/ und betet
ohn Unterlaß/ da es aber umb den Nachmittag wur-
de/ kam ein Leutenant auß dem Reuter-Laͤger daher
geritten/ welcher nach deß Obriſten Stallmeiſter
fragte; Er wurde zu uns/ und gleich darauff wieder
von uns abgewieſen/ er wolte ſich aber nicht abwei-
ſen laſſen/ ſondern bate den Fourierſchuͤtzen mit un-
tergemiſchten Verheiſſungen/ ihn vor den Stall-
meiſter zu laſſen/ als mit welchem er noch dieſen
Abend nothwendig reden muͤſte/ weil aber ſolches
auch nicht helffen wolte/ fieng er an zu fluchen/ mit
Donner und Hagel drein zu kollern/ und zu ſagen/
er ſeye ſchon ſo vielmal dem Stallmeiſter zu gefallen
K ijgerit-
[218]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
geritten/ und haͤtte ihn noch ntemals daheim ange-
troffen/ ſo er nun jetzt einmal vorhanden ſeye/ ſolte
er abermal die Ehr nicht haben/ nur ein einig Wort
mit ihm zu reden; ſtiege darauff ab/ und iteſſe ſich
nicht verwehren/ das Zelt ſelbſt auffzuknuͤpffen/ wo-
ruͤber ich ihn in die Hand biſſe/ aber ein dichte Maul-
ſchelle darvor bekam. So bald er meinen Alten ſahe/
ſagte er/ der Herꝛ ſey gebetten/ mir zu verzeyben/ daß
ich die Frechheit brauche/ ein Wort mit ihm zu re-
den: Wol/ antwort der Stallmeiſter/ was beliebt
dann dem Herꝛn? Nichts anders/ ſagte der Leute-
nant/ als daß ich den Herꝛn bitten wolte/ ob er ſich
lieſſe belieben/ mir meine Nativitaͤt zu ſtellen? Der
Stallmeiſter antwortet/ Jch will verhoffen/ mein
bochgeehrter Herꝛ werde mir vergeben/ daß ich dem-
ſelben vor dißmal meiner Kranckheit halber nicht
willfahren kan/ dann weil dieſe Arbeit viel Rechnens
braucht/ wirds mein bloͤder Kopff jetzo nicht ver-
richten koͤnnen/ wann er ſich aber biß morgen zu ge-
dulden beliebt/ will ich ihm verhoffentlich genugſa-
me Satisfaction thun; Herꝛ/ ſagte hierauff der Leu-
tenant/ er ſage mir nur etwas dieweil auß der Hand:
Mein Herꝛ/ antwort der alte Hertzbruder/ dieſelbe
Kunſt iſt gar mißlich und betruͤglich/ derowegen bitte
ich/ der Herꝛ wolle mich damit ſo weit verſchohnen/
ich will morgen hergegen alles gerne thun/ was der
Herꝛ an mich begehrt. Der Leutenant wolte ſich doch
nicht abweiſen laſſen/ ſondern tratte meinem Vatter
vors Bett/ ſtreckt ihm die Hand dar/ und ſagte: Herꝛ/
ich bitt uur umb ein paar Wort/ meines Lebens End
betreffend/ mit Verſicherung/ wann ſolches etwas
boͤſes ſeyn ſolte/ daß ich deß Herꝛn Red als ein War-
nung
[219]Zweytes Buch.
nung von GOtt annehmen will/ umb mich deſto beſ-
ſer vorzuſehen/ darumb bitte ich umb Gottes willen/
der Herꝛ wolle mir die Warheit nicht verſchweigen!
Der redliche Alte antwortet ihm hier auff kurtz/ und
ſagte: Nun wolan/ ſo ſehe ſich der Herꝛ dann wol
vor/ damit er nicht in dieſer Stund noch auffgehenckt
werde; Was/ du alter Schelm/ ſagte der Leute-
nant/ der eben ein rechten Hunds-ſoff hatte/ ſolleſt du
einem Cavallier ſolche Wort vorhalten doͤrffen? zog
damit von Leder/ und ſtach meinen lieben alten Hertz-
bruder im Bett zu todt! Jch und der Fourierſchuͤtz
rufften alsbald Lermen und Mordio/ alſo daß alles
dem Gewehr zulieffe/ der Leutenant aber machte ſich
unverweilt auff ſeinen Schnellſuß/ waͤre auch ohne
Zweiffel entritten/ wann nicht eben der Churfuͤrſt in
Sachſen mit vielen Pferden perſoͤhnlich vorbey ge-
ritten waͤre/ und ihn haͤtte einholen laſſen: Als Der-
ſelbe den Handel vernam/ wendet er ſich zu dem von
Hatzfeld/ als unſerm General/ und ſagte nichts an-
ders als dieſes: Das waͤre ein ſchlechteDiſciplin
in einem Kaͤiſerlichen Laͤger/ wann auch ein
Krancker im Bett vor den Moͤrdern ſeines
Lebens nicht ſicher ſeyn ſolte! Das war ein
ſcharffer Sentenz, und genugſam/ den Leutenant umb
das Leben zu bringen; geſtalt ihn unſer General als-
bald an ſeinen allerbeſten Hals auffhencken lieſſe.
DasXXV.Capitel.
AUß dieſer warhafftigen Hiſtori iſt zu ſehen/ daß
nicht ſo gleich alle Wahrſagungen zu verwerffen
ſeyen/ wie etliche Gecken thun/ die gar nichts glau-
ben koͤnnen. So kan man auch hierauß abnehmen/
K iijdaß
[220]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
daß der Menſch ſein auffgeſetztes Ziel ſchwerlich uͤ-
derſchreiten mag/ wann ihm gleich ſein Ungluͤck lang
oder kurtz zuvor durch dergleichen Weiſſagungen
angedeutet worden. Auff die Frag/ die ſich ereignen
moͤchte/ obs einem Menſchen noͤtig/ nuͤtzlich und gut
ſeye/ daß er ſich wahrſagen/ und die Nativitaͤt ſtellen
laſſe? Antworte ich allein dieſes/ daß mir der Alte
Hertzbruder ſo viel geſagt habe/ daß ich offt gewuͤn-
ſchet/ und noch wuͤnſche/ daß er geſchwiegen haͤtte/
dann die ungluͤckliche Faͤll/ die er mir angezeigt/ hab
ich niemals umbgehen koͤnnen/ und die jenige die mir
noch bevor ſtehen/ machen mir nur vergeblich graue
Haar/ weil mir beſorglich dieſelbige auch/ wie die
vorige/ zu handen gehen werden/ ich ſehe mich gleich
fuͤr denſelben vor oder nicht: Was aber die Gluͤcks-
Faͤlle anbelangt/ von denen einem geweiſſaget wird/
davon halte ich/ daß ſie oͤffter betruͤgen/ oder auffs
wenigſte den Menſchen nicht ſo wol gedeyen/ als die
ungluͤckſelige Prophezeyhungen: Was halff michs/
daß mir der alte Hertzbruder hoch und theur ſchwur/
ich waͤre von Edlen Eltern geboren und erzogen woꝛ-
den/ da ich doch von niemand anders wuſte/ als von
meinem Knan und meiner Meuͤder/ die grobe Baurs-
Leut im Speſſert waren. Jtem was halffs den von
Wallenſtein/ Hertzogen in Friedland/ daß ihm pro-
[v]hezeyt wurde/ er werde gleichſam mit Saͤitenſpiel
zum Koͤnig gekroͤnet werden? weiß man nicht/ wie
er zu Eger eingewieget worden? Moͤgen derowegen
andere ihre Koͤpff uͤber dieſer Frag zerbrechen/ ich
komme wieder auff meine Hiſtori.
Als ich erzehlter maſſen meine beyde Hertzbruͤder
verloren hatte/ verleydet mir das gantze Laͤger vor
Magde-
[221]Zweytes Buch.
Magdeburg/ welches ich ohne das nur ein leinene
und ſtroͤherne Statt/ mit irdenen Mauren/ zu nennen
pflegte. Jch wurde meines Stands ſo muͤd und ſatt/
als wenn ichs mit lauter eiſernen Kochleffeln gefreſ-
ſen haͤtte/ einmal/ ich gedachte mich nicht mehr von
jederman ſo voppen zu laſſen/ ſondern meines Narꝛn-
Kleids loß zu werden/ und ſolte ich gleich Leib und
Leben daruͤber verlieren. Das ſetzte ich folgender ge-
ſtalt ſehr liederlich ins Werck/ weil mir ſonſt keine
beſſere Gelegenheit anſtehen wolte.
Olivier der Secretarius, welcher nach deß Alten
Hertzbruders Todt mein Hofmeiſter worden war/
erlaubte mir offt mit den Knechten auff Fourage zu
reuten/ als wir nun einsmals in ein groß Dorff ka-
men/ darinnen etliche den Reutern zuſtaͤndige Bag[a]-
ge logirte/ und jeder hin und wieder in die Haͤuſer
gienge/ zu ſuchen was etwan mit zu nehmen waͤre/
ſtal ich mich auch hinweg/ und ſuchte/ ob ich nicht
ein altes Baurenkleid finden moͤchte/ umb welches
ich meine Narꝛn-Kappe verdauſchen koͤnte; Aber ich
ſande nicht was ich wolte/ ſondern muſte mit einem
Weiber-Kleid vor lieb nemmen; Jch zoge ſelbiges
an/ weil ich mich allein ſahe/ und warff das meinig
in ein Secret/ mir nicht anders einbildende/ als daß
ich nunmehr auß allen meinen Noͤthen erꝛettet wor-
den. Jn dieſem Auffzug gieng ich uͤber die Gaß ge-
gen etlichen Officiers-Weibern/ und macht ſo enge
Schrittlein/ als etwan Achilles gethan/ da ihn ſeine
Mutter dem Licomedi recommendirte/ ich war aber
kaum auſſer Dach her vor kommen/ da mich etliche
Fouragierer ſahen/ und beſſer ſpringen lernten/ dann
als ſie ſchryen/ Halt/ halt! lieffe ich nur deſto ſtaͤr-
K jvcker
[222]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
cker/ und kam ehender als ſie zu obgemeldten Officie-
rerin/ vor denſelben fiele ich auff die Knye nider/ und
bate umb aller Weiber Ehr und Tugend willen/ ſie
wolten meine Jungferſchafft vor dieſen gaͤilen Bu-
ben beſchuͤtzen! Allda meine Bitt nicht allein ſtatt
fande/ ſondern ich wurde auch von einer Rittmeiſterin
vor eine Magd angenommen/ bey welcher ich mich
deholffen/ biß Magdeburg/ item die Werberſchantz/
auch Havelberg und Perleberg von den Unſern ein-
genommen worden.
Dieſe Rittmeiſterin war kein Kind mehr/ wiewol
ſie noch jung war/ und vernarꝛete ſich dermaſſen in
meinen glatten Spiegel und geraden Leib/ daß ſie mir
endlich nach lang-gehabter Muͤhe und vergeblicher
umbſchwaiffender Weitlaͤuffigkeit nur allzu Teutſch
zu verſtehen gab/ wo ſie der Schub am meiſten druͤ-
cke; ich aber war damals noch viel zu gewiſſenhafft/
thaͤt als wenn ichs nicht merckte/ und ließ keine an-
dere Anzeigungen ſcheinen/ als ſolche/ darauß man
nichts anders als eine fromme Jungfrau urtheilen
mochte: Der Rittmeiſter und ſein Knecht lagen in
gleichem Spital kranck/ derowegen befahl er ſeinem
Weib/ fie ſolte mich beſſer kleiden laſſen/ damit ſie
ſich meines garſtigen Bauren-Kuͤttels nicht ſchaͤmen
doͤrffte. Sie thaͤt mehr als ihr befohlen war/ und
butzte mich her auß wie ein Frantzoͤſiſche Popp/ wel-
ches das Feuer bey allen dreyen noch mehr ſchuͤrete/
ja es wurde endlich bey ihnen ſo groß/ daß Herꝛ und
Knecht eyferigſt von mir begehrten/ was ich ihnen nit
leiſten konte/ und der Frauen ſelbſt mit einer ſchoͤnen
Manier verwaigerte. Zuletzt ſetzte ihm der Rittmel-
ſter vor/ eine Gelegenheit zu ergreiffen/ bey deren er
mit
[223]Zweytes Buch.
mit Gewalt von mir haben koͤnte/ was ihm doch zu
bekommen unmuͤglich war/ ſolches merckete ſein
Weib/ und weil ſie mich noch endlich zu uͤberwinden
verhoffte/ verlegte ſie ihm alle Paͤß/ und lieffe ihm
alle Raͤnck ab/ alſo daß er vermeynte/ er muͤſſe doll
und thoͤricht daruͤber werden. Einsmals als Herꝛ
und Frau ſchlaffen war/ ſtund der Knecht vor dem
Wagen/ in welchem ich alle Nacht ſchlaffen muſte/
klagte mir ſeine Lieb mit heiſſen Threnen/ und bat
eben ſo andaͤchtig umb Gnad und Barmhertzigkeit!
Jch aber erzeigte mich haͤrter als ein Stein/ und
gab ihm zu verſtehen/ daß ich meine Keuſchheit biß in
Eheſtand bewahren wolte; Da er mir nun die Ehe
wol 1000. mal anbotte/ und doch nichts anders dar-
gegen vernam/ als daß ich ihn verſicherte/ daß es un-
muͤglich ſeye/ mich mit ihm zu verehelichen/ ver-
zweiffelt er endlich gar/ oder ſtellte ſich doch auffs
wenigſt nur ſo/ dann er zoge ſeinen Degen auß/ ſetzte
die Spitz an die Bruſt/ und den Knopff an Wagen/
und thaͤt nicht anderſt/ als wenn er ſich jetzt erſtechen
wolte: Jch gedachte/ der Teuffel iſt ein Schelm/
ſprach ihm derowegen zu/ und gab ihm Vertroͤſtung/
am morgen fruͤhe einen endlichen Beſcheid zu erthei-
len/ davon wurde er content, und gieng ſchlaffen/ ich
aber wachte deſto laͤnger/ dieweil ich meinen ſeltza-
men Stand betrachtete: Jch befand wol/ daß mein
Sach in die Laͤnge kein gut thun wuͤrde/ dann die
Rittmeiſterin wurde je laͤnger je importuner mit ih-
ren Reitzungen/ der Rittmeiſter verwegener mit ſei-
nen Zumuthungen/ und der Knecht verzweiffelter in
ſeiner beſtaͤndigen Liebe/ ich wuſte mir aber darumb
nicht auß ſolchem Labyrinth zu belffen. Jch muſte
K vofft
[224]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
offt meiner Frau bey hellem Tag Floͤb faugen/ nur
darumb/ damit ich ihre Alabaſter-weiſſe Bruͤſt ſehen/
und ihren zarten Leib genug betaſten ſolte/ welches
mir/ weil ich auch Fleiſch und Blut hatte/ in die Laͤng
zu ertragen ſchwer fallen wolte; ließ mich dann die
Frau zu frieden/ ſo quaͤlte mich der Rittmeiſter/ und
wenn ich vor dieſen beyden bey Nacht Ruhe haben
ſotte/ ſo peinigte mich der Knecht/ alſo daß mich das
Weiber-Kleid viel ſaurer zu tragen ankam/ als mei-
ne Narꝛn-Kapp; Damal (aber viel zu ſpat) gedach-
te ich fleiſſig an meines Seel. Hertzbruders Weiſſa-
gung und Warnung/ und bildete mir nichts anders
ein/ als daß ich ſehon wuͤrcklich in der jenigen Ge-
ſaͤngnus auch Leib- und Lebensgeſahr ſteckte/ davon
er mir geſagt hatte/ dann das Weiber-Kleid hielte
mich gefangen/ weil ich darinn nicht außreiſſen kon-
te/ und der Rittmeiſter wuͤrde uͤbel mit mir geſpielet
haben/ wenn er mich erkant/ und einmal bey ſeiner
ſchoͤnen Frauen uͤber dem Floͤh fangen erdappt haͤtte.
Was ſolt ich thun? Jch beſchloß endlich dieſelbe
Nacht/ mich dem Knecht zu offenbaren/ ſo bald es
Tag wuͤrde/ dann ich gedachte/ ſeine Liebsregungen
werden ſich alsdann legen/ und wenn du ihm von dei-
nen Ducaten ſpendireſt/ ſo wird er dir wieder zu ei-
nem Mannskleid/ und alſo in demſelbigen auß allen
deinen Noͤthen helffen. Es waͤre wol außgeſonnen
geweſen/ wann nur das Glück gewolt haͤtte/ aber es
war mir zu wider.
Mein Hans lieſſe ihm gleich nach Mitternacht
tagen/ das Jawort zu holen/ und fieng an am Wagen
zu rapplen/ als ich eben anfieng am aller-ſtaͤrckſten zu
ſchlaffen; Er rieff etwas zu laut/ Sabina/ Sabina/
Ach
[225]Zweytes Buch.
Ach mein Schatz ſteht auff/ und balt mir euer Ver-
ſprechen! alſo daß er den Rittmeiſter eber als mich
darmit erweckte/ weil er ſe in Zelt am Wagen ſtehen
hatte/ dieſem wurde ohne Zweiffel gruͤn und gelb vor
den Augen/ weil ihn die Eifer ſucht ohne das zuvor
eingenommen/ doch kam er nicht berauß unſer Thun
zu zerſtoͤren/ ſondern ſtund nur auff/ zu ſehen/ wie der
Handel ablauffen wolte; Zuletzt weckte mich der
Knecht mit ſeiner Importunitaͤt/ und noͤtigte mich/
entweder auß dem Wagen zu ihm zu kommen/ oder
ihn zu mir einzulaſſen/ ich aber ſchalt ihn auß/ und
fragte/ ob er mich dann vor eine Hur anſebe? meine
geſtrige Zuſag ſey auff den Eheſtand gegruͤndet/ auſ-
ſer deſſen er meiner nicht theilhafftig werden koͤnte;
Er antwort/ ſo ſolte ich jedannoch auffſtehen/ weil
es anfieng zu tagen/ damit ich dem Geſind das Eſſen
bey Zeiten verfertigen koͤnte/ er wolte Holtz und
Waſſer holen/ und mir das Feuer zugleich anma-
chen/ Jch antwortet/ wenn du das thun wilt/ ſo kan
ich deſto laͤnger ſchlaffen/ gebe nur hin/ ich will bald
folgen: Weil aber der Narꝛ nicht ablaſſen wolte/
ſtunde ich auff/ mehr meine Arbeit zu verꝛichten/ als
ihm viel zu hofieren/ ſintemal wie mich deuchte/ ihn
die geſtrige verzweiffelte Thorheit wieder verlaſſen
hatte. Jch konte ſonſt zimlich wol vor eine Magd im
Feld paſſirn/ dann kochen/ bachen und waͤſchen hatte
ich bey den Croaten gelernet/ ſo pflegen die Solda-
ten-Weider ohne das im Feld nicht zu ſpinnen/ was
ich aber ſonſt vor Frauenzimmer Arbeit nicht konte/
als wenn ich etwan der Frauen buͤrſten/ und Zoͤpff
machen ſolte/ das uͤberſahe mir meine Rittmeiſterin
gern/ dann ſie wuſte wol/ daß ichs nicht gelernet.
K [vi]W[ir]
[226]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Wie ich nun mit meinen hinderſich geſtraifften
Ermeln vom Wagen herab ſtiege/ wurde mein Hans
durch meine weiſſe Arm ſo hefftig inflammirt/ daß er
ihm nicht abbrechen konte/ mich zu kuͤſſen/ und weil
ich mich nicht ſonderlich wehrte/ vermochte es der
Rittmeiſter/ vor deſſen Augen es geſchahe/ nicht zu
erdulden/ ſondern ſprang mit bloſſem Degen auß dem
Zelt/ meinem armen Liebhaber einen Fang zu geben/
aber er gieng durch/ und vergaß das wiederkom̃en;
der Rittmeiſter aber ſagte zu mir/ Du Blut-Hur/ ich
will dich lernen ꝛc. mehrers konte er vor Zorn nicht
ſagen/ ſondern ſchlug auff mich zu/ als wann er un-
ſinnig geweſt waͤre; Jch fieng an zu ſchreyen/ darum
muſte er auffboͤren/ damit er keinen Allarm erꝛegte/
dann beyde Armeen/ die Saͤchſtſche und Kaͤiſerliche/
lagen damals beyeinander/ weil ſich die Schwediſche
unter dem Banier naͤherte.
DasXXVI.Capitel.
ALs es nun Tag worden/ gab mich mein Herꝛ den
Reuter-Jungen preiß/ eben als beyde Armeen
voͤllig auffbrachen; das war nun ein Schwarm von
Lumpengeſind/ und dahero die Hatz deſto groͤſſer und
erſchroͤcklicher/ die ich außzuſtehen hatte/ ſie eyleten
mit mir einem Buſch zu/ ihre viehiſche Begierden
deſto beſſer zu ſaͤttigen/ wie dann dieſe Teuffelskinder
im Brauch haben/ wann ihnen ein Weibsbild derge-
ſtalt uͤbergeben wird: So folgeten ihnen auch ſonſt
viel Burſch nach/ die dem elenden Spaß zuſahen/
unter welchen mein Hans auch war/ dieſer ließ mich
nicht auß den Augen/ und als er ſahe/ daß es mir
gelten ſolte/ wolte er mich mit Gewalt erꝛetten/ und
ſolte
[227]Zweytes Buch.
ſolte es ſeinen Kopff koſten; Er bekam Beyſtaͤnder/
weil er ſagte/ daß ich ſein verſprochene Braut waͤre/
dieſe trugen ein Mitleiden mit mir und ihm/ und be-
gehrten ihm Huͤlff zu leiſten/ ſolches war aber den
Jungen/ die beſſer Recht zu mir zu haben vermeyn-
ten/ und ein ſo gute Beut nicht auß Haͤnden laſſen
wolten/ allerdings ungelegen/ derowegen gedachten
ſie Gewalt mit Gewalt abzutreiben/ da fienge man
an Stoͤß außzutheilen von beyden Seiten her/ der
Zulauff und der Lermen wurde je laͤnger je groͤſſer/
alſo daß es ſchier einem Turnier gleich ſahe/ in wel-
chem jeder umb einer ſchoͤnen Damen willen das beſte
thut. Jhr ſchroͤcklich Geſchrey lockte den Rumor-
Meiſter herzu/ welcher eben ankam/ als ſie mir die
Kleider vom Leib geriſſen/ und geſehen hatten/ daß
ich kein Weibsbild war/ ſeine Gegenwart machte
alles ſtockſtill/ weil er vielmehr gefoͤrcht wurde/ als
der Teuffel ſelbſt/ auch verſtoben alle die jenige/ die
widereinander Hand angelegt hatten/ er informirt
ſich der Sach kurtz/ und in dem ich hoffte/ er wuͤrde
mich erꝛetten/ nam er mich dargegen gefangen/ weil
es ungewoͤhnlich und faſt argwoͤhniſche Sach war/
daß ſich ein Mannsbild bey einer Armee in Weiber-
Kleidern ſolte finden laſſen/ dergeſtalt wanderten er
und ſeine Burſch mit mir neben den Regimentern
daher (welche alle im Feld ſtunden/ und marchiren
wolten) der Meynung/ mich dem General Auditor
oder General Gewaltiger zu uͤberliefern/ da wir aber
bey meines Obriſten Regiment vorbey wolten/ wur-
de ich erkant/ angeſprochen/ ſchlechtlich durch mei-
nen Obriſten bekleidet/ und unſerm alten Provoſen
K vijgefaͤng-
[228]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
geſaͤnglich uͤberliefert/ welcher mich an Haͤnde und
Fuͤß in die Eiſen ſchloſſe.
Es kam mich gewaltig ſauer an/ ſo in Ketten und
Banden zu marchirn/ ſo haͤtt mich auch der Schmal-
hans trefflich gequaͤlt/ wann mir der Secretarius Oli-
vier nicht ſpendirt haͤtte/ dann ich dorffte meine Du-
caten/ die ich noch bißher davon bracht hatte/ nicht
an deß Tages Liecht kommen laſſen/ ich baͤtte dann
ſolche miteinander verlieren/ und mich noch darzu in
groͤſſere Geſahr ſtecken wollen. Gedachter Olivier
communicirte mir noch denſelbigen Abend/ warumd
ich ſo hart gefangen gehalten wurde/ und unſer Re-
giments-Schultbeiß bekam gleich Befelch/ mich zu
examiniren/ damit meine Außſag dem General Au-
ditor deſto eber zugeſtellt werden moͤchte/ dann man
hielte mich nicht allein vor einen Kundſchaffter und
Spionen/ ſondern auch gar vor einen der bexen koͤn-
te/ dieweil man kurtz hernach/ als ich von meinem
Obriſten außgetretten/ einige Zauberinnen verbrennt/
die bekant hatten/ und darauff geſtorben waͤren/ daß
ſie mich auch bey ihrer General-Zuſammenkunfft ge-
ſehen baͤtten/ da ſie beyeinander geweſen/ die Elb auß-
zutruͤcknen/ damit Magdeburg deſto eher eingenom-
men werden koͤnte Die Puncten/ darauff ich Antwort
geben ſol[t]e/ waren dieſe:
Erſtlich/ ob ich nicht ſtudirt haͤtte/ oder auffs we-
nigſte ſchreibens und leſens erfahren waͤre?
Zweytens/ warumb ich mich in Geſtalt eines
Narꝛn dem Laͤger vor Magdeburg genaͤhert/ da ich
doch in deß Rittmeiſters Dienſten ſo wol als jetzt wi-
tzig genug ſeye?
Dri[t]-
[229]Zweytes Buch.
Drittens/ auß was Urſachen ich mich in Weiber-
Kleider verſtellet?
Viertens/ ob ich mich nicht auch neben andern
Unholden auff dem Hexentantz befunden?
Wo Fuͤnfftens mein Vatterland/ und wer meine
Eltern geweſen ſeyen?
Sechſtens/ wo ich mich auffgehalten/ ehe ich in
das Laͤger vor Magdeburg kommen?
Wo und zu was End ich Sibendens die Weiber-
Arbeit/ als waͤſchen/ bachen/ kochen/ ꝛc. gelernet?
Jtem das Lautenſchlagen?
Hierauff wolte ich mein gantzes Leben erzehlen/
damit die Umbſtaͤnd meiner ſeltzamen Begegnuſſen
alles recht erleutern/ und dieſe Fragen mit der War-
heit fein verſtaͤndlich unterſcheiden koͤnten; der Re-
giments-Schultheiß war aber nicht ſo curios, ſon-
dern vom marchiren muͤd und verdroſſen/ derowegen
begehrte er nur eine kurtze runde Antwort auff das/
was gefragt wuͤrde. Demnach antwortet ich folgen-
der geſtalt/ darauß man aber nichts eigentliches und
gruͤndliches faſſen konte/ und zwar
Auff die erſte Frag/ Jch haͤtte zwar nicht ſtudirt/
koͤnte aber doch Teutſch leſen und ſchreiben.
Auff die Zweyte/ weil ich kein ander Kleid gehabt/
haͤtte ich wol im Narꝛnkleid auffziehen muͤſſen.
Auff die Dritte/ weil ich meines Narꝛnkleids muͤd
geweſen/ und keine Mannskleider haben koͤnnen.
Auff die Vierte/ Ja/ ich ſey aber wider meinen
Willen hin gefahren/ koͤnte aber gleichwol nich
zaubern.
Auff die Fuͤnffte/ mein Vatterland ſey der Speſ-
fert/ und meine Eltern Bauersleut.
Auff
[230]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Auff die Sechſte/ zu Hanau bey dem Gubernator,
und bey einem Croaten Obriſt Corpes genant.
Auff die Stebende/ bey den Croaten hab ich waͤ-
ſchen/ bachen und kochen wider meinen Willen muͤſ-
ſen lernen/ zu Hanau aber das Lauten ſchlagen/ weil
ich Luſt darzu hatte.
Wie dieſe meine Außſag geſchrieben war/ ſagte
er: Wie kanſtu leugnen und ſagen/ daß du nicht
ſtudirt habeſt/ da du doch/ als man dich noch vor ei-
nen Narꝛn bielte/ einem Prieſter unter waͤhrender
Meß auff die Wort/ Domine, non ſum dignus, auch
in Latein geantwort/ Er doͤrffte ſolches nicht ſagen/
man wiſſe es zuvor wol? Herꝛ/ antwortet ich/ das
haben mich damals andere Leut gelernet/ und mich
uͤberꝛedet/ es ſeye ein Gebet/ das man bey der Meß
ſprechen muͤſſe/ wann unſer Caplan den Gottesdienſt
verꝛichte; Ja/ ja/ ſagte der Regim. Schultheiß/ ich
ſehe dich vor den Rechten an/ dem man die Zung mit
der Folter loͤſen muß. Jch gedachte/ ſo helff GOtt!
wanns deinem naͤrꝛiſchen Kopff nachgebet.
Am andern Morgen fruͤh kam Befehl vom General
Auditor an unſern Provoſen/ daß er mich wol in acht
nehmen ſolte/ dann er war gefinnt/ ſo bald die Armeen
ſtill laͤgen/ mich ſelbſt zu examiniren/ auff welchen
Fall ich ohne Zweiffel an die Folter gemuͤſt haͤtte/
wann es Gott nicht anders gefuͤgt. Jn dieſer Gefan-
genſchafft dachte ich ſtetigs an meinen Pfarꝛer zu
Hanau/ und den verſtorbenen alten Hertzbruder/
weil ſie beyde wahr geſagt/ wie mirs ergehen
wuͤrde/ wenn ich wieder auß meinem
Narꝛnkleid kaͤme.
Das
[231]Zweytes Buch.
DasXXVII.Capitel.
DEnſelben Abend/ als wir uns kaum gelaͤgert
batten/ wurde ich zum General Auditor gefuͤhrt/
der hatte meine Außſag ſampt einem Schreib-zeug
vor ſich/ und fieng an mich beſſer zu examiniren; ich
bingegen erzehlte meine Haͤndel/ wie ſie an ſich ſelbſt
waren/ es wurde mir aber nicht geglaubt/ und konte
der General Auditor nicht wiſſen/ ob er einen Narꝛn
oder außgeſtochenen Boͤßwicht vor ſich hatte/ weil
Frag und Antwort ſo artlich fiele/ und der Handel
an ſich ſelbſt ſeltzam war; Er hieſſe mich eine Feder
nehmen und ſchreiben/ zu ſehen was ich koͤnte/ und ob
etwan meine Handſchrifft bekant/ oder doch ſo be-
ſchaffen waͤre/ daß man etwas darauß abnehmen
moͤchte? Jch ergriff Feder und Papier ſo geſchick-
lich/ als einer der ſich taͤglich damit uͤbte/ und fragte/
was ich ſchreiben ſolte? der General Auditor (wel-
cher vielleicht unwillig war/ weil ſich mein Examen
tieff in die Nacht hinein verzog) antwortet: Hey
ſchreib deine Mutter die Hur! Jch ſetzte ihm dieſe
Wort dahin/ und da ſie geleſen wurden/ machten ſie
meinen Handel nur deſto ſchlimmer/ dann der Gene-
ral Auditor ſagte/ jetzt glaube er erſt/ daß ich ein rech-
ter Vogel ſey; Er fragte den Provoſen/ ob man
mich viſitirt/ und ob man nichts von Schrifften bey
mir funden haͤtte? Der Provos antwortet/ Nein/
was ſolt man an ihm viſitirn/ weil ihn der Rumor-
meiſter gleichſam nackend zu uns gebracht: Aber
Ach! das halff nichts/ der Provos muſte mich in
Gegenwart ihrer aller beſuchen/ und indem er ſolches
mit Fleiß verꝛichtet/ findet er/ O Ungluͤck! meine
beyde
[232]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
beyde Eſelsobren mit den Ducaten/ umb meine Arm
herumb gemacht. Da bieß es/ was doͤrffen wir ferner
Zeugnus? Dieſer Verꝛaͤther hat ohne Zweiffel ein
groß Schelmſtuͤck zu verꝛichten auff ſich genommen/
dann warumb ſolte ſich ſonſt ein Geſebeider in ein
Narꝛnkleid ſtecken? oder ein Mannsbild in ein Wei-
berkleid verſtellen? warumb vermeynt man wol/ zu
was End er ſonſt mit einem ſo anſehenlichen Stuͤck
Geld verſehen ſeye/ als etwas groſſes zu verꝛichten?
Sagt er nicht ſelbſt/ er habe bey dem Gubernator zu
Hanau den aller-verſchlagneſten Soldaten in der
Welt lernen auff der Lauten ſchlagen? Was ver-
meynt ihr Herꝛen wol/ was er ſonſt bey denſelben
Spitzkoͤpffen vor liſtige Practiquen ins Werck zu ſe-
tzen begriffen habe? der naͤchſte Weg iſt/ daß man
morgen mit ihm auff die Folter/ und wie ers verdient
haben wird/ dem Feur zueyle/ maſſen er ſich ohne das
bey den Zauber ern befunden/ und nichts beſſers werth
iſt. Wie mir damals zu Muth geweſen/ kan ſich je-
der leicht einbilden/ ich wuſte mich zwar unſchuldig/
und hatte ein ſtarckes Vertrauen zu Gott; Aber den-
noch ſahe ich meine Gefahr/ und bejammerte den
Verluſt meiner ſchoͤnen Ducaten/ welche der General
Auditor zu ſich ſteckte.
Aber ehe man dieſen ſtrengen Procefs mit mir ins
Werck ſetzte/ geriethen die Banieriſche den Unſeri-
gen in die Haar/ gleich anfaͤnglich kaͤmpfften die Ar-
meen umb den Vorthel/ und gleich darauff umb das
ſchwere Geſchuͤtz/ deſſen die Unſerige ſtracks verlu-
ſtigt wurden: Unſer Provos hielte zwar zimlich weit
mit ſeinen Leuten und den Gefangenen hinder der
Battalia, gleichwol aber waren wir unſer Brigade ſo
naht
[233]Zweytes Buch.
nahe/ daß wir jeden von hinderwerts an den Kleidern
erkennen konten; und als eine Schwediſche Eſqua-
dron auff die unſerige traff/ waren wir ſo wol als die
Fechtende ſelbſt in Todtsgefahr/ dann in einem Au-
genblick floge die Lufft ſo haͤuffig voller ſingenden Ku-
geln uͤber uns her/ daß es das Anſeden hatte/ als ob
die Salve uns zu gefallen gegeben worden waͤre/ dar-
von duckten ſich die Forchtſame/ als ob ſie ſich in ſich
ſelbſt haͤtten verbergen wollen; die jenige aber/ ſo
Courage hatten/ und mehr bey dergleichen Schertz
geweſen/ lieſſen ſolche ohnverblichen uͤber ſich hin
ſtreichen; Jm Treffen ſelbſt aber/ ſuchte ein jeder
ſeinem Todt mit Nidermachung deß Naͤchſten/ der
ihm auffſtieß/ vorzukommen/ das greuliche ſchieſſen/
das geklaͤpper der Harniſch/ das krachen der Biquen/
und das Geſchrey beydes der Verwundten und An-
greiffenden/ machten neben den Trompeten/ Trom-
meln und Pfeiffen ein erſchroͤckliche Muſic! da ſahe
man nichts als einen dicken Rauch und Staub/ wel-
cher ſchiene/ als wolte er die Abſcheulichkeit der Ver-
wundten und Todten bedecken/ in demſelbigen hoͤrete
man ein jaͤmmerliches Weheklagen der Sterbenden/
und ein luſtiges Geſchrey der jenigen/ die noch voller
Muth ſtacken/ die Pferd ſelbſt hatten das Anſehen/
als wenn ſie zu Verthedigung ihrer Herꝛn je laͤnger
je friſcher wuͤrden/ ſo hitzig erzeigten ſie ſich in dieſer
Schuldigkeit/ welche ſie zu leiſten genoͤtiget waren/
deren ſahe man etliche unter ihren Herꝛn todt darni-
der fallen/ voller Wunden/ welche ſie unverſchuldter
Weis zu Vergeltung ihrer getreuen Dienſte empfan-
gen hatten; andere fielen umb gleicher Urfach willen
auff ihre Reuter/ und hatten alſo in ihrem Todt die
Ehr
[234]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Ehr/ daß ſie von den jenigen getragen wurden/ wel-
che ſie in waͤhrendem Leben tragen muͤſſen; wiede-
rumb andere/ nachdem ſie ihrer hertzhafften Laſt/ die
ſie commandirt hatte/ entladen worden/ verlieſſen die
Menſchen in ihrer Wut und Raſerey/ riſſen auß/
und ſuchten im weiten Feld ihr erſte Freyhet: Die
Erde/ deren Gewonheit iſt/ die Todten zu bedecken/
war damals an ſelbigem Ort ſelbſt mit Todten uͤber-
ſtreut/ welche auff unterſchiedliche Manier gezeich-
net waren/ Koͤpff lagen dorten/ welche ihre natuͤr-
liche Herꝛen verloren hatten/ und hingegen Leiber/
die ihrer Koͤpff mangleten; etliche hatten grauſam-
und jaͤmmerlicher Weis das Jngeweid herauß/ und
andern war der Kopff zerſchmettert/ und das Hirn
zerſpritzt; da ſahe man/ wie die entſeel[t]e Leiber ih-
res eigenen Gebluͤts beraubet/ und hingegen die le-
bendige mit fremdem Blut befloſſen waren/ da lagen
abgeſchoſſene Aerm/ an welchen ſich die Finger noch
regten/ gleichſam als ob ſie wieder mit in das Ge-
draͤng wolten/ hingegen riſſen Kerles auß/ die noch
keinen Tropffen Blut vergoſſen hatten/ dort lagen
abgeloͤſte Schenckel/ welche ob ſie wol der Buͤrde ih-
res Coͤrpers entladen/ dannoch viel ſchwerer wor-
den waren/ als ſie zuvor geweſen; da ſahe man zer-
ſtuͤmmelte Soldaten umb Befoͤrderung ihres Todts/
hingegen andere umb Quartier u[n]d Verſchohnung
ihres Lebens bitten. Summa Summarum, da war
nichts anders als ein elender jaͤmmerlicher Anblick!
Die Schwediſche Sieger trieben unſere Uberwun-
dene von der Stell/ darauff ſie ſo uͤngluͤcklich gefoch-
ten/ nachdem ſie ſolche zuvor zertrennt hatten/ ſie
mit ihrer ſchnellen Verfolgung vollends zerſtrenende.
Bey
[235]Zweytes Buch.
Bey welcher Bewandnus mein Herꝛ Provos mit
ſeinen Gefangenen auch nach der Flucht griffe/ wie-
wol wir mit einiger Gegenwehr umb die Uberwinder
keine Feindſeeligkeit verdient hatten/ und indeme er
Provos uns mit dem Todt bedrohete/ und alſo noͤ-
tigte ſampt ihm durchzugehen/ jagte der junge Hertz-
bruder daher mit noch fuͤnff Pferden/ und gruͤſte ihn
mit einer Piſtoln: Sehe da/ du alter Hund/ ſagte
er/ iſts noch Zeit/ junge Huͤndlein zu machen? Jch
will dir deine Muͤhe bezahlen! Aber der Schuß be-
ſchaͤdigt den Provoſen ſo wenig/ als einen ſtaͤhlernen
Amboß; Oho biſtu der Haar? ſagt Hertzbruder/
ich will dir nicht vergeblich zu gefallen herkommen
ſeyn/ du muſt ſterben/ und waͤre dir gleich die Seel
angewachſen/ noͤtigt darauff einen Mußquetierer
von deß Provoſen bey ſich gehabter Wacht/ daß er
ihn/ dafern er anderſt ſelbſt Quartier haben wolte/
mit einer Axt zu todt ſchlug. Alſo bekam der Pro-
vos ſeinen Lohn/ ich aber wurde von Hertzbruder er-
kant/ welcher mich meiner Ketten und Band entledi-
gen/ auff ein Pferd ſetzen/ und durch ſeinen Knecht
in Sicherheit führen lieſſe.
DasXXVIII.Capitel.
GLeich wie mich nun meines Erꝛetters Knecht auß
fernerer Gefahr fuͤhrete/ alſo lieſſe ſich ſein Herꝛ
hingegen erſt durch Begierd der Ehr und Beut recht
hinein treiben/ allermaſſen er ſich ſo weit verhauen/
daß er gefangen wurde. Demnach die ſieghaffte Uber-
winder die Beuten theilten/ und ihre Todten begru-
ben/ mein Hertzbruder aber manglete/ erbte deſſen
Rittmeiſter mich mit ſampt ſeinem Knecht und Pfer-
den/
[236]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
den/ bey welchem ich mich vor einen Reuterjungen
muſte gebrauchen laſſen/ worvor ich nichts hatte/ als
dieſe Promeſſen/ wenn ich mich wol hielte/ und ein
wenig beſſer meiner Jugend entgienge/ daß er mich
alsdann auffſetzen/ das iſt/ zu einem Reuter machen
wolte/ wormit ich mich dann alſo dahin gedulden
muſte.
Gleich hernach wurde mein Rittmeiſter zum Obr.
Leutenant vorgeſtellt/ ich aber bekam das Ampt bey
ihm/ welches David vor alten Zeiten bey dem Koͤnig
Saul vertretten/ dann in den Quartieren ſchlug ich
auff der Lauten/ und im marchiren muſte ich ihm
ſeinen Kuͤriß nachfuͤhren/ welches mir ein beſchwer-
liche Sach war; Und ob zwar dieſe Waffen/ ihren
Traͤger vor feindlichen Buͤffen zu beſchuͤtzen/ erfun-
den worden/ ſo befande ich jedoch allerdings das
Widerſpil/ weil mich meine eigene Jungen/ die ich
außheckte/ unter ihrem Schutz deſto ſicherer verfolg-
ten/ darunter hatten ſie ihren freyen Paß/ Spaß und
Tummelplatz/ ſo daß es das Anſehen hatte/ als ob ich
den Harniſch ihnen und nicht mir/ zur Beſchuͤtzung
antruͤge/ ſintemal ich mit meinen Armen nicht da-
runter kommen/ und keinen Streiff unter ſie thun
konte. Jch war auff allerhand Stratagemata bedacht/
wie ich dieſe Armada vertilgen moͤchte/ aber ich hatte
weber Zeit noch Gelegenheit ſie durchs Feuer (wie
in den Bach-oͤfen geſchicht) noch durchs Waſſer/
oder durch Gifft (maſſen ich wol wuſte/ was das
Queckſilber vermochte) außzurotten; viel weniger
vermochte ich die Mittel/ ſie durch ein ander Kleid
oder weiſſe Hemder abzuſchaffen/ ſondern muſte mich
mit ihnen ſchleppen/ und Leib und Blut zum beſten
geben
[237]Zweytes Buch.
geben/ wenn ſie mich dann ſo unter dem Harniſch
plagten und nagten/ ſo wiſchte ich mit einer Piſtoln
herauß/ als ob ich haͤtte Kuglen mit ihnen wechſeln
wollen/ nam aber nur den Ladſtecken/ und ſtieſſe ſie
damit von der Koſt; endlich erfand ich die Kunſt/ daß
ich einen Beltzfleck darumb wickelte/ und ein artlich
Klebgarn vor ſie zurichtete/ wann ich dann mit die-
ſem Lauß. Angel unter den Harniſch fuhr/ fiſchte ich
ſie Dutzetweis auß ihrem Vortel/ welchen ich mit-
einander die Haͤls uͤber das Pferd abſtuͤrtzte/ es moch-
te aber wenig erklecken.
Einsmals wurde mein Obriſt Leutenant comman-
dirt/ eine Cavalcada mit einer ſtarcken Parthey in
Weſtphalen zu thun/ und waͤre er damals ſo ſtarck
an Reutern geweſen/ als ich an Laͤuſen/ ſo haͤtte er
die gantze Welt erſchreckt/ weil ſolches aber nicht
war/ muſte er behutſam gehen/ auch ſolcher Urſachen
halber ſich in der Gemmer Marck (das iſt ein ſo ge-
nanter Wald zwiſchen Ham und Soeſt) heimlich
halten; Damals wars mit den meinigen auffs hoͤch-
ſte kommen/ ſie quaͤlten mich ſo hart mit Miniren/
daß ich ſorgte/ ſie moͤchten ſich gar zwiſchen Fell
und Fleiſch hinein logiren. Kein Wunder iſts/ daß
die Braſtlianer ihre Laͤus auß Zorn und Rachgier
freſſen/ weil ſie einen ſo draͤngen! Einmal/ ich ge-
traute meine Pein nicht laͤnger zu gedulden/ ſondern
gienge als theils Reuter fuͤtterten/ theils ſchlieffen/
und theils Schildwacht hielten/ ein wenig beyſeits
unter einen Baum/ meinen Feinden eine Schlacht
zu liefern/ zu ſolchem End zog ich den Harniſch auß/
unangeſehen andere denſelben anziehen/ wann ſie
fechten wollen/ und fienge ein ſolches Wuͤrgen und
Morden
[238]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Morden an/ daß mir gleich beyde Schwerder an den
Daumen von Blut triefften/ und voller todten Coͤr-
per/ oder vielmehr Baͤlg hiengen/ welche ich aber
nicht umbbringen mochte/ die verwieſe ich ins Elend/
und ließ ſie unter dem Baum herumb ſpatzieren. So
offt mir dieſe Rencontre zu Gedaͤchtnus kompt/ beiſt
mich die Haut noch allenthalben/ natuͤrlich als ob
ich noch mitten in der Schlacht begriffen waͤre. Jch
dachte zwar/ ich ſolte nicht ſo wider mein eigen Ge-
bluͤt wuͤten/ vornemlich wider ſo getreue Diener/ die
ſich mit einem hencken und radbrechen lieſſen/ und
auff deren Menge ich offt im freyen Feld auff harter
Erde ſanfft gelegen waͤre; aber ich fuhr doch in mei-
ner Tyranney ſo unbarmhertzig fort/ daß ich auch
nicht gewahr wurde/ wie die Kaͤiſerl. meinen Obriſt
Leutenant chargirten/ biß ſie endlich auch an mich
kamen/ die arme Laͤus entſetzten/ und mich ſelbſt ge-
fangen namen/ dann dieſe ſcheuten meine Mannheit
gar nicht/ vermittelſt deren ich kurtz zuvor viel 1000.
erlegt/ und den Titul eines Schneiders (ſieben auff
einen Streich) uͤberſtiegen hatte. Mich kriegte ein
Dragoner/ und die beſte Beut die er von mir hatte/
war meines Obriſt Leutenants Kuͤrts/ welchen er zu
Soeſt/ da er im Quartier lag/ dem Commandanten
zimlich wol verkauffte. Alſo wurde er im Krieg mein
ſechſter Herꝛ/ weil ich ſein Jung ſeyn muſte.
DasXXIX.Capitel.
UNſere Wirthin/ wolte ſie nicht/ daß ich ſie und
ihr gantzes Hauß mit meinen Voͤlckern beſetzte/
ſo muſte ſie mich auch darvon entledigen; ſie machte
ihnen den Proceß kurtz und gut/ ſteckt meine Lumpen
in
[239]Zweytes Buch.
in Bach-ofen/ und brennet ſie ſo ſauber auß wie eine
alte Tabackpfeiffe/ alſo daß ich wieder diß Unziefers
halber wie in einem Roſengarten lebte/ ja es kan nie-
mand glauben/ wie mir ſo wol war/ da ich auß dieſer
Qual war/ in welcher ich etlich Monat wie in einem
Ameißhauffen geſeſſen; hingegen hatte ich gleich ein
ander Creutz auff dem Hals/ weil mein Herꝛ einer
von den jenigen Soldaten war/ die in Him̃el zu kom-
men getrauen/ er lieſſe ſich glatt an ſeinem Sold ge-
nuͤgen/ und betruͤbte im uͤbrigen kein Kind/ ſein gan-
tze Proſperitaͤt beſtunde in dem was er mit wachen
verdienet/ und von ſeiner wochentlichen Lehnung er-
kargte/ ſolches wiewol es wenig war/ hube er hoͤher
auff/ als mancher die Orientaliſche Perlen/ einen
jeden Blomeuſer naͤhete er in ſeine Kleider/ und da-
mit er deren einige in Vorꝛath kriegen moͤchte/ muſte
ich und ſein armes Pferd daran ſparen helffen/ dar-
von kams/ daß ich den treugen Pumpernickel gewal-
tig beiſſen/ und mich mit Waſſer/ oder wanns wol
gieng/ mit dinn Bier behelffen muſte/ welches mir ein
abgeſchmacke Sach war/ maſſen mir meine Keel von
dem ſchwartzen truckenen Brod gantz rauch/ und
mein gantzer Leib gantz mager wurde; wolt ich aber
beſſer freſſen/ ſo mochte ich ſtelen/ aber mit außtruͤck-
licher Beſcheidenheit/ daß er nichts darvon innen
wuͤrde: Seinet halben haͤtte man weder Galgen/
Eſel/ Hencker/ Steckenknecht noch Feldſcherer be-
doͤrfft/ auch keine Marquetender noch Trommel-
ſchlager/ die den Zapffenſtreich gethan haͤtten/ dann
ſein gantzes Thun war fern von Freſſen/ Sauffen/
Spielen und allen Duellen/ wann er aber irgends
hin auff Convoy/ Partey/ oder ſonſt einen Anſchlag
Lcom-
[240]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
commandirt wurde/ ſo ſchlendert er mit dahin/ wie
ein alt Weib am Stecken. Jch glaube auch gaͤntz-
lich/ wann dieſer gute Dragoner ſolche heroiſche
Soldaten-Tugenden nicht an ſich gehabt/ daß er
mich auch nicht gefangen bekommen haͤtte/ dann er
waͤre ja meinem Obriſt Leutenant nachgerennt. Jch
hatte mich keines Kleids bey ihm zu getroͤſten/ weil
er ſelbſt uͤber und uͤber zerflickt daher gieng/ gleichſam
wie mein Einſidel; So war ſein Sattel und Zeug
auch kaum drey Batzen werth/ und das Pferd von
Hunger ſo hinfaͤllig/ daß ſich weder Schwed noch
Heß vor ſeinem dauerhafften nachjagen zu foͤrchten
hatte.
Solches alles bewegte ſeinen Hauptmann/ ihn
ins Paradeis/ ein ſo genantes Frauen-Cloſter/ auff
Salvaguardi zu legen/ nicht zwar/ als waͤre er viel
nutz darzu geweſen/ ſondern damit er ſich begraſen/
und wieder mondiren ſolte/ vornemlich aber auch/
weil die Nonnen umb einen frommen/ gewiſſenhaff-
ten und ſtillen Kerl gebetten hatten. Alſo ritte er da-
hin/ und ich gieng mit/ weil er leyder nur ein Pferd
hatte: Botz Gluͤck Simbrecht, (dann er konte den
Nahmen Simplicius nicht behalten) ſagte er unter-
wegs/ kommen wir in das Paradeis/ wie wollen wir
freſſen! Jch antwortet/ der Nahm iſt ein gut Omen,
Gott geb daß der Ort auch ſo beſchaffen ſeye; Frey-
lich/ ſagte er/ (dann er verſtunde mich nicht recht)
wenn wir alle Tag zwey Ohmen von dem beſten Bier
ſauffen koͤnten/ ſo wirds uns nicht abgeſchlagen/
halt dich nur wol/ ich will mir jetzt bald ein braven
neuen Mantel machen laſſen/ alsdann haſtu den al-
ten/ das gibt dir noch einen guten Rock; Er nennet
ihn
[241]Zweytes Buch.
ihn recht den alten/ dann ich glaub/ daß ihm die
Schlacht vor Pavia noch gedachte/ ſo gar Wetter-
faͤrbig und abgeſchaben ſahe er auß/ alſo daß er mich
wenig damit erfreute.
Das Paradeis fanden wir/ wie wirs begehrten/
und noch daruͤber/ an ſtatt der Engel/ ſchoͤne Jung-
frauen darinnen/ welche uns mit Speiß und Tranck
alſo tractirten/ daß ich in Kuͤrtze wieder einen glatten
Balg/ dann da ſetzte es das fetteſte Bier/ die beſte
Weſtphaliſche Schincken und Knackwũrſt/ wolge-
ſchmack und ſehr delicat Rindfleiſch/ das man auß
dem Saltzwaſſer kochte/ und kalt zu eſſen pflegte;
da lernete ich das ſchwartze Brod Fingers dick mit
geſaltzenem Butter ſchmieren/ und mit Kaͤß belegen/
damit es deſto beſſer rutſchte/ und wann ich ſo uͤber
einen Hamelskolben kam/ der mit Knoblauch ge-
ſpickt war/ und ein gute Kanne Bier darneben ſtahn
hatte/ ſo erquickte ich Leib und Seel/ und vergaſſe all
meines außgeſtandenen Leyds. Jn Summa/ diß Pa-
radeis ſchlug mir ſo wol zu/ als ob es das rechte ge-
weſt waͤre; kein ander Anligen hatte ich/ als daß ich
wuſte/ daß es nicht ewig waͤhren wuͤrde/ und daß ich
ſo zerlumpt daher gehen muſte.
Aber gleich wie mich das Ungluͤck Hauffenweiß
uͤberfiele/ da es anfieng mich hiebevor zu reuten/ alſo
bedunckte mich auch jetzt/ das Gluͤck wolte es wieder
Wett ſpielen: Dann als mich mein Herꝛ nach Soeſt
ſchickte/ ſeine Bagage vollends zu holen/ fand ich un-
terwegs einen Pack/ und in demſelben etliche Ehlen
Scharlach zu einem Mantel/ ſampt rothem Sam̃et
zum Futter/ das nam ich mit/ und verdauſchte es zu
Soeſt mit einem Tuch-Haͤndler/ umb gemein gruͤn
L ijwuͤllen
[242]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
wuͤllen Tuch zu einem Kleid/ ſampt der Außſtaffie-
rung/ mit dem Geding/ daß er mir ſolches Kleid auch
machen laſſen/ und noch darzu einen neuen Hut auff-
geben ſolte; und demnach mir nur noch ein par neuer
Schuh und ein Hemd abgieng/ gab ich dem Kraͤmer
die filberne Knoͤpff und Galaunen auch/ die zu dem
Mantel gehoͤrten/ worvor er mir dann ſchaffte was
ich noch brauchte/ und mich alſo Nagelneu herauß
butzte. Alſo kchrte ich wieder ins Paradeis zu mei-
nem Herꝛn/ welcher gewaltig kollerte/ daß ich ihm
den Fund nicht gebracht hatte/ ja er ſagte mir vom
Bruͤgeln/ und haͤtte ein geringes genommen (wann
er ſich nicht geſchaͤmt/ und ihm das Kleid gerecht ge-
weſen waͤre) mich außzuziehen/ und das Kleid ſelbſt
zu tragen/ wiewol ich mir eingebildet/ gar wol ge-
handelt zu haben.
Jndeſſen muſte ſich der karge Filtz ſchaͤmen/ daß
ſein Jung beſſer gekleidet war als er ſelbſten/ dero-
wegen ritte er nach Soeſt/ borgte Geld von ſeinem
Hauptmann/ und mondirte ſich damit auffs beſte/
mit Verſprechen/ ſolches von ſeinen wochentlichen
Salvaguardi Geldern wieder zu erſtatten/ welches er
auch fleiſſig thaͤt/ er haͤtte zwar ſelbſten noch wol ſo
viel Mittel gehabt/ er war aber viel zu ſchlau ſich an-
zugreiffen/ dann haͤtte ers gethan/ ſo waͤre ihm die
Bernhaut entgangen/ auff welcher er denſelbigen
Winter im Paradeis ligen konte/ und waͤre ein an-
derer nackender Kerl an ſeine ſtatt geſetzt worden/ mit
der Weis aber muſte ihn der Hauptmann wol ligen
laſſen/ wolte er anders ſein außgeliehen Geld wieder
haben. Von dieſer Zeit an hatten wir das aller-
faͤulſte Leben von der Welt/ in welchem Keglen un-
ſer
[243]Zweytes Buch.
ſer allergroͤſte Arbeit war/ wann ich meines Drago-
ners Klepper geſtriegelt/ gefuͤttert und getraͤnckt hat-
te/ ſo trieb ich das Junckern-Handwerck/ und gieng
ſpatzieren; Das Cloſter war auch von den Heſſen
unſerm Gegentheil/ von der Lippſtatt auß/ mit einem
Mußquetier ſalvaguard rt/ derſelbe war ſeines Hand-
wercks ein Kuͤrſchner/ und dahero nicht allein ein
Meiſter-Saͤnger/ ſondern auch ein trefflicher Fech-
ter/ und damit er ſeine Kunſt nicht vergaͤſſe/ uͤbte er
ſich taͤglich mit mir vor die lange Weil in allen Ge-
wehren/ worvon ich ſo fir wurde/ daß ich mich nicht
ſcheute ihm Beſcheid zu thun wann er wolte; mein
Dragoner aber kegelte an ſtatt deß Fechtens mit
ihm/ und zwar umb nichts anders/ als wer uͤber
Tiſch das meiſte Bier außſauffen muſte/ damit gieng
eines jeden Verluſt uͤbers Cloſter.
Das Stifft vermochte ein eigene Wildbahn/ und
hielte dahero auch einen eigenen Jaͤger/ und weil ich
auch gruͤn gekleidet war/ geſellete ich mich zu ihm/
und lernete ihm denſelben Herbſt und Winter alle
ſeine Kuͤnſte ab/ ſonderlich was das kleine Waid-
werck angelangt. Solcher Urſachen halber/ und
weil der Nahm Simplicius etwas ungewoͤhnlich/ und
den gemeinen Leuten vergeßlich/ oder ſonſt ſchwer
außzuſprechen war/ nennete mich jederman dat
Jaͤjerken; darbey wurden mir alle Weg und Steg
bekant/ welches ich mir hernach trefflich zu Nutz
machte; Wann ich aber wegen uͤblen Wetters in
Waͤldern und Feldern nicht herumb konte ſchwer-
men/ ſo laſe ich allerhand Buͤcher/ die mir deß Clo-
ſters Verwalter leyhete. So bald aber die Adeliche
Cloſterfrauen gewahr wurden/ daß ich neben meiner
L iijguten
[244]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
guten Stimm auch auff der Lauten/ und etwas we-
nigs auffdem Jnſtrument ſchlagen konte/ ermaſſeu
ſie auch mein Thun deſto genauer/ und weil eine zim-
liche Leibs-Proportion und ſchoͤnes Angeſicht darzu
kam/ hielten ſie alle mein Sitten/ Weſen/ Thun und
Laſſen vor Adelich/ dergeſtalt nun muſte ich ohnver-
ſehens ein ſehr beliebter Juncker ſeyn/ uͤber welchem
man ſich verwundert/ daß er ſich bey einem ſo lieder-
lichen Dragoner behuͤlffe.
Als ich nun ſolcher geſtalt denſelben Winter in
aller Wolluſt hingebracht hatte/ wurde mein Herꝛ
abgeloͤſt/ welches ihm auff das gute Leben ſo and
thaͤt/ daß er daruͤber erkranckte/ und weil auch ein
ſtarckes Fieber darzu ſchlug/ zumalen auch die alte
Mucken/ die er ſein Lebtag im Krieg auffgefangen/
darzu kamen/ machte ers kurtz/ allermaſſen ich in
drey Wochen hernach etwas zu begraben hatte/ ich
machte ihm dieſe Grabſchrifft:
‘Der Schmalhans liget hier/ ein dapfferer
Soldat/
Der all ſein Lebetag kein Blut vergoſſen
hat.’ ()
Von Rechts und Gewonheit wegen haͤtte der Haupt-
mann Pferd und Gewehr/ der Fuͤhrer aber die uͤbri-
ge Verlaſſenſchafft zu ſich nehmen und erben ſollen/
weil ich aber damals ein friſcher auffgeſchoſſener
Juͤngling war/ und Hoffnung gabe/ ich wuͤrde mit
der Zeit meinen Mann nicht foͤrchten/ wurde mir al-
les zu uͤberlaſſen angebotten/ wenn ich mich an mei-
nes verſtorbenen Herꝛn ſtatt unterhalten laſſen wol-
te; ich nams umb ſo viel deſto lieber an/ weil mir
bekant/ daß mein Herꝛ in ſeinen alten Hoſen ein zim-
liche
[245]Zweytes Buch.
liche Anzahl Ducaten eingenaͤhet verlaſſen/ an wel-
chen er ſein Lebtag zuſammen gekratzt hatte/ und als
ich zu ſolchem End meinen Nahmen/ nemlich Simpli-
cius Simpliciſſimus angab/ der Muſter ſchreiber (wel-
cher Cyriacus genant war) ſolchen aber nicht ortho-
graphicè ſchreiben konte/ ſagte er: Es iſt kein Teuf-
fel in der Hoͤll/ der alſo heiſt; und weil ich ihn hier-
auff geſchwind fragte/ ob dann einer in der Hoͤll waͤ-
re/ der Cyriacus hieſſe? er aber nichts zu antworten
wuſte/ ob er ſich ſchon klug zu ſeyn duͤnckte/ gefiel ſol-
ches meinem Hauptmann ſo wol/ daß er gleich im
Anfang viel von mir hielte.
DasXXX.Capitel.
WEil dem Commandanten in Soeſt ein Kerl im
Stall mangelte/ wie ich ihn einer zu ſeyn ge-
duͤnckte/ ſahe er nicht gern/ daß ich ein Soldat wor-
den war/ ſondern unterſtunde ſich/ mich noch zu be-
kommen/ maſſen er meine Jugend vorwandte/ und
mich vor keinen Mann paſſiren laſſen wolte; und als
er ſolches meinem Herꝛn vorhielte/ ſchickte er auch
nach mir/ und ſagte: Hoͤr Jaͤgergen/ du ſolſt mein
Diener werden; Jch fragte/ was dann meine Ver-
richtungen ſeyn ſolten? Er antwort/ du ſolſt meiner
Pferd helffen warten; Herꝛ/ ſagte ich/ wir ſind nicht
voreinander/ ich haͤtte lieber einen Herꝛn/ in deſſen
Dienſten die Pferd auff mich warten/ weil ich aber
keinen ſolchen werde haben koͤnnen/ will ich ein Sol-
dat bleiben; Er ſagte/ dein Bart iſt noch viel zu
klein! O Nein/ ſagte ich/ ich getraue einen Mann zu
beſtehen der achtzig Jahr alt iſt/ der Bart ſchlaͤgt
keinen Mann/ ſonſt wuͤrden die Boͤ[ck] hoch æſtimirt
L jvwer-
[246]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
werden; Er ſagte/ wann die Courage ſo gut iſt/ als
das Maul-Leder/ ſo will ich dich noch paſſirn laſſen;
Jch antwortet/ das kan in der naͤchſten Occaſion
probirt werden/ und gab damit zu verſtehen/ daß ich
mich vor keinen Stallknecht wolte gebrauchen laſ-
ſen. Alſo ließ er mich bleiben der ich war/ und ſagte/
das Werck wuͤrde den Meiſter loben.
Hierauff wiſchte ich hinder meines Dragoners
alte Hoſen her/ und nachdem ich dieſelbe anatomirt
hatte/ ſchaffte ich mir auß deren Jngeweid noch ein
gut Soldaten-Pferd/ und das beſte Gewehr ſo ich
kriegen konte/ das muſte mir alles glaͤntzen wie ein
Spiegel: Jch lieſſe mich wieder von neuem gruͤn
kleiden/ weil mir der Nahm Jaͤger ſehr beliebte/ mein
altes Kleid aber gab ich meinem Jungen/ weil mirs
zu klein worden/ alſo ritte ich ſelb ander daher wie
ein junger Edelmann/ und duͤnckte mich fuͤrwahr kei-
ne Sau zu ſeyn; ich war ſo kuͤhn/ meinen Hut mit
einem dollen Federbuſch zu zieren wie ein Officier/
dahero bekam ich bald Neider und Mißgoͤnner/ zwi-
ſchen denſelben und mir ſetzte es zimlich empfindliche
Wort/ und endlich gar Ohrfeigen: Jch hatte aber
kaum einem oder drey gewieſen/ was ich im Paradeis
vom Kuͤrſchner gelernet hatte/ da ließ mich nicht al-
lein jederman zu frieden/ ſondern es ſuchte auch ein
jeglicher meine Freundſchafft. Darneben lieſſe ich
mich beydes zu Roß und Fuß auffs Partey gehen ge-
brauchen/ dann ich war wol beritten/ und ſchneller
auff den Fuͤſſen als einer meines gleichen/ und wenn
es etwas mit dem Feind zu thun gab/ warff ich mich
herfuͤr/ wie das Boͤß in einer Wannen/ und wolte
allzeit vorn dran ſeyn/ davon wurde ich in kurtzer Zeit
bey
[247]Zweytes Buch.
bey Freunden und Feinden bekant/ und ſo beruͤhmt/
daß beyde Theil viel von mir hielten/ allermaſſen mir
die gefaͤhrlichſte Anſchlaͤg zu verꝛichten/ und zu ſol-
chem End gantze Parteyen zu commandiren anver-
traut wurden/ da fienge ich an zuzugreiffen wie ein
Boͤhm/ und wann ich etwas namhafftes erſchnapp-
te/ gab ich meinen Officiern ſo reiche Part darvon/
daß ich ſelbig Handwerck auch an verbottenen Orten
treiben dorffte/ weil mir uͤberall durch geholffen wur-
de. Der General Graf von Goͤtz hatte in Weſtpha-
len drey feindliche Guarniſonen uͤbrig gelaſſen/ nem-
lich zu Dorſten/ Lippſtatt und Coeßfeld/ denen war
ich gewaltig moleſt, dann ich lag ihnen mit geringen
Partheyen bald hier bald dort ſchier taͤglich vor den
Thoren/ und erhaſchte manche gute Beut/ und weil
ich uͤberall gluͤcklich durch kam/ hielten die Leut von
mir/ ich koͤnte mich unſichtbar machen/ und waͤre ſo
veſt wie Eiſen und Stahl/ davon wurde ich gefoͤrcht
wie die Peſt/ und ſchaͤmten ſich 30. Mann vom Ge-
gentheil nicht/ vor mir durchzugehen/ wann ſie mich
nur mit 15. in der Naͤhe wuſten. Zuletzt kam es da-
hin/ wo nur ein Ort in Contribution zu ſetzen war/
daß ich ſolches alles verꝛichten muſte/ davon wurde
mein Beutel ſo groß als mein Nahm/ meine Officier
und Cameraden liebten ihren Jaͤger/ die vornehmſte
Parteygaͤuger vom Gegentheil entſetzten ſich/ und
den Landmann hielt ich durch Forcht und Liebe auff
meiner Seiten/ dann ich wuſte meine Widerwertige
zu ſtraffen/ und die ſo mir nur den geringſten Dienſt
thaͤten/ reichlich zu belohnen/ allermaſſen ich bey
nahe die Helffte meiner Beuten wieder verſpendirte/
und auff Kundſchafften außlegte. Solcher Urſachen
L vhalber
[248]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
halber gieng keine Partey/ keine Convoy/ noch keine
Raͤis auß deß Gegentheils Poſten/ deren Außfahrt
mir nicht zu wiſſen ward gethan/ alsdann conjectu-
rirt ich ihr Vorhaben/ und macht meine Anſchlaͤg
darauff/ und weil ich ſolche mehrentheils durch Bey-
ſtand deß Gluͤcks wol ins Werck ſetzte/ verwunderte
ſich jedweder uͤber meine Jugend/ ſo gar/ daß mich
auch viel Officier und brave Soldaten vom Gegen-
theil nur zu ſehen wuͤnſchten/ darneben erzeigte ich
mich gegen meinen Gefangenen uͤberauß diſcret, alſo
daß ſie mich offt mehr koſteten/ als meine Beuten
werth waren/ und wann ich einem vom Gegentheil/
ſonderlich den Officiern/ ob ich ſie ſchon nicht kante/
ohne Verletzung meiner Pflicht und Herꝛndienſt ein
Courtoiſie thun konte/ unterlieſſe ichs nicht.
Durch ſolch mein Verhalten waͤre ich zeitlich zu
Officien befoͤrdert worden/ wanns meine Jugend
nicht verhindert haͤtte/ dann welcher in ſolchem Alter
als ich trug/ ein Faͤhnlein haben wolte/ muſte ein
guter von Adel ſeyn/ zu dem konte mich mein Haupt-
mann nicht befoͤrdern/ weil keine ledige Stellen bey
ſeiner Comp. waren/ und keinem andern mochte er
mich goͤnnen/ weil er an mir mehr als eine melckende
Kuhe verloren haͤtte/ doch wurde ich ein Gefreyter.
Dieſe Ehr/ daß ich alten Soldaten vorgezogen wur-
de/ wiewol es ein geringe Sach war/ und das Lob/
das man mir taͤglich verliehe/ waren gleichſam wie
Sporn/ die mich zu hoͤhern Dingen antrieben: Jch
ſpeculirte Tag und Nacht/ wie ich etwas anſtellen
mōchte/ mich noch groͤſſer zu machen/ ja ich konte
vor ſolchem naͤrꝛiſchen Nachſinnen offt nicht ſchlaf-
fen: Und weil ich ſahe/ daß mirs an Gelegenheit
mang
[249]Zweytes Buch.
manglete/ im Werck zu erweiſen/ was ich vor einen
Muth truͤge/ bekuͤm̃erte ich mich/ daß ich nicht taͤg-
lich Gelegenheit haben ſolte/ mich mit dem Gegen-
theil in Waffen zu uͤben/ ich wuͤnſchte mir offt den
Trojaniſchen Krieg/ oder eine Belaͤgerung wie zu
Oſtende/ und ich Narꝛ gedachte nicht/ daß der Krug
ſo lang zum Brunnen gehet/ biß er einmal zerbricht.
Es gehet aber nicht anders/ wann ein junger unbe-
ſonnener Soldat Geld/ Gluͤck und Courage hat/
dann da folget Ubermuth und Hoffart/ und auß ſol-
cher Hoffart hielte ich an ſtatt eines Jungen zween
Knecht/ die ich trefflich herauß ſtaffierte/ und berit-
ten machte/ wormit ich mir aller Officierer Neid
auffbuͤrdete.
DasXXXI.Capitel.
JCh muß ein Stuͤcklein oder etliche erzehlen/ die
mir hin und wieder begegnet/ ehe ich wieder von
meinen Dragonern kam/ und ob ſie ſchon nicht von
importanz ſeyn/ ſind ſie doch luſtig zu hoͤren/ dann ich
nam nicht allein groſſe Ding vor/ ſondern verſchmaͤ-
het auch die geringe nicht/ wann ich nur muthmaſ-
ſete/ daß ich Ruhm bey den Leuten dardurch erwecken
moͤchte. Mein Hauptmann wurde mit etlich und
fuͤnfftzig Mann zu Fuß in das Veſt von Recklinckhu-
ſen commandirt/ einen Anſchlag daſelbſt zu verꝛich-
ten/ und weil wir gedachten/ wir wuͤrden/ ehe wir
ſolchen ins Werck ſetzen koͤnten/ einen Tag oder et-
lich uns in den Buͤſchen heimlich halten muͤſſen/ nam
jeder auff acht Tag Proviant zu ſich/ demnach aber
die reiche Caravana, deren wir auffpaßten/ die beſtim̃te
Zeit nicht ankam/ gieng uns das Brod auß/ welches
L vjwir
[250]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
wir nicht rauben dorfften/ wir haͤtten uns dann ſelbſt
verꝛathen/ und unſer Vorhaben zu nichts werden
laſſen wollen/ dahero uns der Hunger gewaltig
preßte/ ſo hatte ich auch diß Orts keine Kunden/ wie
anderswo/ die mir und den Meinigen etwas heimlich
zutrugen/ derowegen muſten wir/ Fuͤtterung zu be-
kommen/ auff andere Mittel bedacht ſeyn/ wenn wir
anders nicht wieder laͤer heim wolten; Mein Came-
rad/ ein Lateiniſcher Handwercks-Geſell/ der erſt
kuͤrtzlich auß der Schul entloffen/ und ſich unterhal-
ten laſſen/ ſeufftzete vergeblich nach den Gerſten-
Suppen/ die ihm hiebevor ſeine Eltern zum beſten
verordnet/ er aber verſchmaͤhet und verlaſſen hatte/
und als er ſo an ſeine vorige Speiſen gedachte/ erin-
nert er ſich auch ſeines Schul-ſacks/ bey welchem er
ſolche genoſſen: Ach Bruder/ ſagte er zu mir/ iſts
nicht eine Schand/ daß ich nicht ſo viel Kuͤnſte er-
ſtudirt haben ſoll/ vermittelſt deren ich mich jetzund
fuͤttern koͤnte/ Bruder/ ich weiß revera, wann ich nur
zum Pfaffen in jenes Dorff gehen doͤrffte/ daß es ein
trefflich Convivium bey ihm ſetzen ſolte! Jch uͤber-
lieff dieſe Wort ein wenig/ und ermaß unſern Zu-
ſtand/ und weil die jenige ſo Weg und Steg wuſten/
nicht hinauß doͤrfften/ dann ſie waͤren ſonſt erkant
worden/ die Unbekante aber keine Gelegenheit wu-
ſten/ etwas heimlich zu ſtehlen oder zu kauffen/ als
machte ich meinen Anſchlag auff unſern Studenten/
und hielte die Sach dem Hauptmann vor/ wiewol
nun daſſelbige Gefahr auff ſich hatte/ ſo war doch
ſein Vertrauen ſo gut zu mir/ und unſere Sach ſo
ſchlecht beſtellt/ daß er darem conſentirte.
Jch verwechſelte meine Kleider mit einem andern/
und
[251]Zweytes Buch.
und zottelt mit meinem Studenten beſagtem Dorff
zu durch einen weiten Umbſchweiff/ wiewol es nur
ein halbe Stund von uns lag/ in demſelben erkanten
wir das naͤchſte Hauß bey der Kirch vor deß Pfarꝛers
Wohnung/ weil es auff Staͤttiſch gebaut war/ und
an einer Mauer ſtunde/ die umb den gantzen Pfarꝛhof
gieng: Jch hatte meinen Cameraden ſchon inſtruirt/
was er reden ſolte/ dann er hatte ſein abgeſchaben
Studenten-Kleidlein noch an/ ich aber gab mich vor
einen Mahler-Geſellen auß/ dann ich gedachte/ ich
wuͤrde dieſelbe Kunſt im Dorff nicht uͤben doͤrffen/
weil die Bauren nicht bald gemahlte Haͤuſer haben.
Der Geiſtliche Herꝛ war hoͤflich/ als ihm mein Ge-
ſell ein tieffe Lateiniſche Reverenz gemacht/ und ei-
nen Hauffen daher gelogen hatte/ was geſtalt ihn die
Soldaten auff der Raͤis gepluͤndert/ und aller ſeiner
Zehrung beraubt haͤtten/ botte er ihm ſelbſt ein Stuͤck
Butter und Brod/ neben einem Trunck Bier an/ ich
aber ſtellte mich/ als ob ich nicht zu ihm gehoͤrte/ und
ſagte/ ich wolte im Wirthshauß etwas eſſen/ und
ihm alsdann ruffen/ damit wir noch denſelben Tag
ein ſtuͤck Wegs hinder ſich legen koͤnten: Alſo gieng
ich dem Wirthshauß zu/ mehr außzuſpehen was ich
dieſelbe Nacht holen wolte/ als meinen Hunger zu
ſtillen/ hatte auch das Gluͤck/ daß ich unterwegs ei-
nen Bauren antraff/ der ſeinen Bach-ofen zuklaibte/
welcher groſſe Pumpernickel darinnen hatte/ die 24.
Stund da ſitzen und außbachen ſolten. Jch machts
beym Wirth kurtz/ weil ich ſchon wuſte wo Brod zu
bekommen war/ kauffte etliche Stutten/ (das iſt ein
ſo genantes weiß Brod) ſolche meinem Hauptmann
zu bringen/ und da ich in Pfarꝛ-Hof kame/ meinen
L vijCame-
[252]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Cameraden zu mahnen/ daß er gehen ſolte/ hatte er
ſich auch ſchon gekroͤpfft/ und dem Pfarꝛer geſagt/
daß ich ein Mahler ſey/ und in Holland zu wandern
vorhabens waͤre/ meine Kunſt daſelbſten vollends zu
perfectioniren; der Pfarꝛherꝛ hieſſe mich ſehr will-
komm ſeyn/ und bat mich/ mit ihm in die Kirch zu
gehen/ da er mir etliche Stuͤck weiſen wolte/ die zu
repariren waͤren: Damit ich nun das Spiel nicht
verderbte/ muſte ich folgen: Er fuͤhrte uns durch die
Kuͤchen/ und als er das Nachtſchloß an der ſtarcken
eychenen Thuͤr auffmachte/ die auff den Kirch-Hof
gieng/ ô mirum! da ſahe ich/ daß der ſchwartze
Himmel auch ſchwartz voller Lauten/ Floͤten und
Geigen hienge/ ich vermeyne aber die Schincken/
Knackwuͤrſt und Speckſeiten/ die ſich im Kamin be-
fanden; dieſe blickte ich troſtmuͤthig an/ weil mich
beduͤnckte/ als ob ſie mit mir lachten/ und wuͤnſchte
ſie/ aber vergeblich/ meinen Cameraden in Wald/
dann ſie waren ſo hartnaͤckig/ daß ſie mir zu Trotz
hangen blieben/ da gedachte ich auff Mittel/ wie ich
ſie obgedachtem Bach-Ofen voll Brod zugeſellen
moͤchte/ konte aber ſo leicht keines erſinnen/ weil/
wie obgemeldt/ der Pfarꝛhof umbmauret/ und alle
Fenſter mit eiſernen Gittern genugſam verwahret
waren/ ſo lagen auch zween ungeheure groſſe Hund
im Hof/ welche/ wie ich ſorgte/ bey Nacht gewiß-
lich nicht ſchlaffen wuͤrden/ wann man das jenige
haͤtte ſtehlen wollen/ daran ihnen auch zu Belohnung
ihrer getreuen Hut zu nagen gebührte.
Wie wir nun in die Kirch kamen/ von den Ge-
maͤhlden allerhand diſcurirten/ und mir der Pfarꝛer
etliche Stuͤck außzuheſſern verdingen wolte/ ich aber
aller-
[253]Zweytes Buch.
allerhand Außfluͤcht ſuchte/ und meine Wander-
ſchafft vorwandte/ ſagte der Meßner oder Gloͤckner:
Du Kerl/ ich ſehe dich ehe vor einen verloffenen Sol-
daten-Jungen an/ als vor einen Mahler-Geſellen!
Jch war ſolcher Reden nicht mehr gewohnet/ und
ſolte ſie doch verſchmirtzen/ doch ſchuͤttelt ich nur den
Kopff ein wenig/ und antwortet ihm: O du Kerl/ gib
mir nur geſchwind Benfel und Farben her/ ſo will
ich dir in Huy einen Narꝛn daher gemahlt haben/ wie
du einer biſt; Der Pfarꝛer machte ein Gelaͤchter da-
rauß/ und ſagte zu uns beyden/ es gezieme ſich nicht
an einem ſo heiligen Ort einander wahr zu ſagen;
gab damit zu verſtehen/ daß er uns beyden glaubte/
ließ uns noch einen Trunck langen/ und alſo dahin
ziehen. Jch aber lieſſe mein Hertz bey den Knack-
wuͤrſten.
Wir kamen noch vor Nacht zu unſern Geſellen/
da ich meine Kleider und Gewehr wieder nam/ dem
Hauptmann meine Verꝛichtung erehlet/ und ſechs
gute Kerl außlaſe/ die das Brod heim tragen ſolten
helffen/ wir kamen umb Mitternacht ins Dorff/ und
huben in aller Stille das Brod auß dem Ofen/ weil
wir einen bey uns hatten/ der die Hund bannen konte/
und da wir bey dem Pfarꝛhof voruͤber wolten/ konte
ichs nicht uͤbers Hertz bringen/ ohne Speck weiters
zu paſſirn; Jch ſtund einsmals ſtill/ und betrachtete
mit Fleiß/ ob nicht in deß Pfaffen Kuͤchen zu kom-
men ſeyn moͤchte? ſahe aber keinen andern Eingang
als das Kamin/ welches vor dißmal meine Thuͤr
ſeyn muſte; Wir trugen Brod und Gewehr auff den
Kirchhof ins Beinhauß/ und brachten ein Laiter
und Sail auß einer Scheur zuwegen/ und weil ich
ſo
[254]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ſo gut als ein Schornſteinfeger in den Kaminen auff
und ab ſteigen konte/ (als welches ich von Jugend
auff in den holen Baͤumen gelernet hatte) ſtiege ich
ſelb ander auffs Dach/ welches von holen Ziegeln
doppelt belegt/ und zu meinem Vorhaben ſehr be-
quem gebaut war: Jch wickelt meine lange Haar
uͤber dem Kopff auff einen Buͤſchel zuſammen/ ließ
mich mit einem End deß Sails hinunder zu meinem
geliebten Speck/ und band einen Schincken nach dem
andern/ und eine Speckſeite nach der andern an das
Sail/ welches der auff dem Dach fein ordentlich
zum Dach hinauß fiſchete/ und den Andern in das
Beinhaͤußlein zu tragen gabe: Aber potz Unſtern!
da ich allerdings Feyrabend gemacht hatte/ und wie-
der uͤberſich wolte/ brach eine Stange mit mir/ alſo
daß der arme Simplicius herunder fiele/ und der elen-
de Jaͤger ſich ſelbſt/ wie in einer Maußfallen gefan-
gen befande: Meine Cameraden auff dem Dach lieſ-
ſen das Sail herunder/ mich wieder hinauff zu zie-
hen/ aber es zerbrach/ ehe ſie mich vom Boden brach-
ten. Jch gedachte/ nun Jaͤger/ jetzt muſt du eine
Hatz außſtehen/ in welcher dir ſelbſt/ wie dem Actæ-
on, das Fell gewaltig zerꝛiſſen wird werden/ dann
der Pfarꝛer war von meinem Fall erwacht/ und be-
fohl ſeiner Koͤchin/ alsbald ein Liecht anzuzuͤnden:
Sie kam im Hemd zu mir in die Kuͤchen/ hatte den
Rock uͤber der Achſel hangen/ und ſtunde ſo nahe
neben mich/ daß ſie mich damit ruͤhrte; ſie griff nach
einem Brand/ hielte das Liecht daran/ und fieng an
zu blaſen/ ich aber blieſe viel ſtaͤrcker zu/ als ſie ſelb-
ſten/ davon das gute Menſch ſo erſchrack/ daß ſie
Feur und Liecht fallen lieſſe/ und ſich zu ihrem Herꝛn
reti-
[255]Zweytes Buch.
retirirte; Alſo bekame ich Lufft/ mich zu bedencken/
durch was Mittel ich mir darvon helffen moͤchte/ es
wolte mir aber nichts einfallen: Meine Cameraden
gaben mir durchs Kamin herunder zu verſtehen/ daß
ſie das Hauß auffſtoſſen/ und mich mit Gewalt her-
auß nemmen wolten/ ich gabs ihnen aber nicht zu/
ſondern befohl/ ſie ſolten ihr Gewehr in acht nem-
men/ und allein den Spring-ins-feld oben bey dem
Kamin laſſen/ und erwarten/ ob ich ohne Lermen
und Rumor darvon kommen koͤnte/ damit unſer An-
ſchlag nicht zu Waſſer wuͤrde/ wofern aber ſolches
nicht ſeyn moͤchte/ ſolten ſie alsdenn ihr beſtes thun;
Interim ſchlug der Geiſtliche ſelbſt ein Liecht an/ ſei-
ne Koͤchin aber erzehlte ihm/ daß ein greulich Ge-
ſpenſt in der Kuͤchen waͤre/ welches zween Koͤpff
haͤtte (dann ſie hatte vielleicht meinen Buͤſchel Haar
auff dem Kopff geſehen/ und auch vor einen Kopff
gehalten) das hoͤrete ich alles/ machte mich dero-
wegen mit meinen ſchmutzigen Haͤnden/ darinn ich
Aſchen/ Ruß und Kohlen riebe/ im Angeſicht und
an Haͤnden ſo abſcheulich/ daß ich ohn Zweiffel kei-
nem Engel mehr (wie hiebevor die Cloſter-Frauen
im Paradeis ſagten) gleich ſahe; und der Meßner/
wann ers geſehen/ mich wol vor einen geſchwinden
Mahler haͤtte paſſiren laſſen. Jch fienge an in der
Kuͤchen ſchroͤcklich zu poldern/ und allerley Kuͤchen-
Geſchirꝛ untereinander zu werffen/ der Keſſel-Ring
gerieth mir in die Haͤnd/ den haͤngte ich an den Hals/
den Feuer-Hacken aber behielt ich in den Haͤnden/
mich damit auff den Nothfall zu wehren; Solches
lieſſe ſich aber der fromme Pfaff nicht irꝛen/ dann
er kam mit ſeiner Koͤchin Proceſſions-weis daher/
welche
[256]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
welche zwey Wachsliechter in den Haͤnden/ und
einen Weyhwaſſer-Keſſel am Armtrug/ er ſelbſten
aber war mit dem Chor-Rock bewaffnet/ ſampt den
Stollen/ und hatte den Sprengel in der einen/ und
ein Buch in der andern Hand/ auß demſelben fienge
er an mich zu exorciren/ fragende: Wer ich ſeye/
und was ich da zu ſchaffen haͤtte? Weil er mich dann
nun vor den Teuffel ſelbſt hielte/ ſo gedachte ich/ es
waͤre billich/ daß ich auch wie der Teuffel thaͤte/
daß ich mich mit Luͤgen behuͤlffe/ antwortet dero-
wegen: Jch bin der Teuffel/ und will dir und deiner
Koͤchin die Haͤls umbdraͤhen! Er fuhr mit ſeinem
Exorciſmo weiter fort/ und hielte mir vor/ daß ich
weder mit ihm noch ſeiner Koͤchin nichts zu ſchaffen
haͤtte/ hieſſe mich auch mit der allerhoͤchſten Be-
ſchwoͤrung wieder hinfahren/ wo ich herkommen
waͤre; Jch aber antwortet mit gantz foͤrchterlicher
Stimm/ daß ſolches unmuͤglich ſeye/ wenn ich ſchon
gern wolte. Jndeſſen hatte Spring ins-feld/ der ein
abgefaͤumter Ertz-Vogel war/ und kein Latein ver-
ſtunde/ ſeine ſeltzame Tauſendhaͤndel auff dem Dach/
dann da er hoͤrete/ umb welche Zeit es in der Kuͤchen
war/ daß ich mich nemlich vor den Teuffel außgab/
mich auch der Geiſtliche alſo hielte/ wixte er wie
eine Eul/ bellete wie ein Hund/ wiherte wie ein
Pferd/ plehckte wie ein Geißbock/ ſchrye wie ein
Eſel/ und lieſſe ſich bald durch den Kamin herunder
hoͤren wie ein Hauffen Katzen/ die im Hornung ram-
meln; bald wie eine Henne die legen wolte/ dann
dieſer Kerl konte aller Thier Stimme nachmachen/
und wann er wolte/ ſo natuͤrlich heulen/ als ob ein
gantzer Hauffen Woͤlff beyeinander geweſen waͤre.
Solches
[257]Zweytes Buch.
Solches aͤngſtigte den Pfarꝛer und ſeine Koͤchin
auff das hoͤchſte/ ich aber machte mir ein Gewiſſen/
daß ich mich vor den Teuffel beſchwoͤren lieſſe/ vor
welchen er mich eigentlich hielte/ weil er etwan ge-
leſen oder gehoͤret hatte/ daß ſich der Teuffel gern in
gruͤnen Kleidern ſehen laſſe.
Mitten in ſolchen Aengſten/ die uns beyderſeits
umbgeben hatte/ wurde ich zu allem Gluͤck gewahr/
daß das Nacht-Schloß an der Thuͤr/ die auff den
Kirch-Hof gienge/ nicht eingeſchlagen/ ſondern der
Rigel nur vorgeſchoben war: Jch ſchob denſelben
geſchwind zuruͤck/ wiſchte zur Thůr hinauß auff den
Kirch-Hof (da ich dann meine Geſellen mit auffge-
zogenen Hanen ſtehen fande) und ließ den Pfaffen
Teuffel beſchwoͤren/ ſo lang er immer wolte. Und
demnach Spring-ins-feld mir meinen Hut von dem
Dach gebracht/ wir auch unſer Proviant auffge-
ſackt hatten/ giengen wir zu unſerer Burſch/ weil
wir im Dorff nichts mehr zu verꝛichten hatten/ als
daß wir die entlehnte Laiter ſampt dem Sail wieder
haͤtten heim liefern ſollen.
Die gantze Partey erquickte ſich mit dem jeni-
gen das wir geſtolen hatten/ und bekam doch kein ei-
niger den Kluckſen darvon/ ſo geſegnete Leut waren
wir! Auch hatten alle uͤber dieſe meine Farth genug-
ſam zu lachen/ nur dem Studenten wolte es nicht
gefallen/ daß ich den Pfaffen beſtolen/ der ihm das
Muͤnckelſpiel ſo grandig beſteckt hatte/ ja er ſchwur
auch hoch und theur/ daß er ihm ſeinen Speck gern
bezahlen wolte/ wenn er die Mittel nur bey der Hand
haͤtte/ und fraſſe doch nichts deſto weniger mit/ als
ob ers verdingt haͤtte. Alſo lagen wir noch zween
Tag
[258]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Tag an ſelbigem Ort/ und erwarteten die jenige/
denen wir ſchon ſo lang auffgepaßt hatten/ wir ver-
loren keinen einigen Mann im Angriff/ und bekamen
doch uͤber dreiſſig Gefangene/ und ſo herꝛliche Beu-
ten/ als ich jemals theilen helffen: Jch hatte doppelt
Part/ weil ich das beſte gethan/ das waren drey
ſchoͤner Frießlaͤndiſcher Hengſt mit Kauffmanns-
Wahren beladen/ was ſie in Eyl fort tragen moͤch-
ten/ und wann wir Zeit gehabt/ die Beuten recht zu
ſuchen/ und ſolche in Salvo zu bringen/ ſo waͤre jeder
vor ſein Theil reich genug worden/ maſſen wir mehr
ſtehen laſſen/ als wir darvon brachten/ weil wir mit
dem was wir fort bringen konten/ ſich in ſchnellſter
Eyl dumlen muſten/ und zwar ſo retirirten wir uns
mehrer Sicherheit halber auff Rehnen/ da wir fuͤt-
terten/ und die Beuten theilten/ weil unſers Volcks
da lag. Daſelbſt gedachte ich wieder an den Pfaffen/
dem ich den Speck geſtolen hatte; der Leſer mag den-
cken/ was ich vor einen verwegenen/ freveln und ehr-
geitzigen Kopff hatte/ in dem mirs nicht genug war/
daß ich den frommen Geiſtlichen beſtolen/ und ſo
ſchroͤcklich geaͤngſtiget/ ſondern ich wolte noch Ehr
darvon haben; derowegen nam ich einen Sapphier
in einen guͤldenen Ring gefaſt/ den ich auff ſelbiger
Partey erſchnappt hatte/ und ſchickte ihn von Rehnen
auß durch einen gewiſſen Botten meinem Pfarꝛer/
mit folgendem Briefflein:
WOl-Ehrwuͤrdiger/ ꝛc. Wenn ich dieſer Tagen
im Wald noch etwas von Speiſen zu leben ge-
habt haͤtte/ ſo haͤtte ich nicht Urſach gehabt/ E. Wol-
Ehrw. ihren Speck zu ſtelen/ worbey Sie vermuth-
lich ſehr erſchroͤckt worden. Jch bezeuge beym Hoͤch-
ſten
[259]Zweytes Buch.
ſten/ daß Sie ſolche Angſt wider meinen Willen ein-
genommen/ hoffe derowegen die Vergebung deſto
ebender: Was aber den Speck ſelbſt anbelangt/ ſo
iſts billich/ daß ſelbiger bezahlt werde/ ſchicke dero-
halben an ſtatt der Bezahlung gegenwaͤrtigen Ring/
den die jenige hergeben/ umb welcher willen die Wahr
außgenommen werden muͤſſen/ mit Bitt/ E. Wol-
Ehrw. belieben damit vor lieb zu nehmen; verſichere
darneben/ daß dieſelbe im uͤbrigen auff alle Begeben-
heit einen dienſifertigen und getreuen Diener hat an
dem/ den dero Meßner vor keinen Mahler haͤlt/ wel-
cher ſonſt genant wird
Der Jaͤger.
Dem Bauren aber/ welchem ſie den Bach-Ofen
außgelaͤert hatten/ ſchickte die Partey auß gemeiner
Beut 16. Reichsthaler/ dann ich hatte ſie gelernet/
daß ſie ſolcher geſtalt den Landmann auff ihre Seite
bringen muͤſſen/ als welche einer Partey offt auß al-
len Noͤthen helffen/ oder hingegen eine andere ver-
rathen/ verkauffen/ und umb die Haͤls bringen koͤnten.
Von Rehnen giengen wir auff Muͤnſter/ und von dar
auff Ham/ und heim nach Soeſt in unſer Quartier/
allwo ich nach wenig Tagen ein Antwort von dem
Pfaffen empfieng/ die alſo lautet:
EDler Jaͤger/ ꝛc. Wann der jenige/ dem ihr den
Speck geſtolen/ haͤtte gewuſt/ daß Jhr ihme in
teuffliſcher Geſtalt erſcheinen wuͤrdet/ haͤtte er ſich
nicht ſo offt gewuͤnſcht/ den Land-beruffenen Jaͤger
auch zu ſehen: Gleich wie aber das geborgte Fleiſch
und Brod viel zu theuer bezahlt woꝛden/ alſo iſt auch
der eingenommene Schrecken deſto leichter zu ver-
ſchmirtzen/ vornemlich weil er von einer ſo beruͤhm-
ten
[260]Deß Abenth. Simpl. II. Buch.
ten Perſon wider ihren Willen verurſacht worden/
deren hiemit allerdings verziehen wird/ mit Bitt/
dieſelbe wolle ein ander mal ohne Scheu zuſprechen/
bey dem der ſich nicht ſcheuet/ den Teuffel zu be-
ſchwoͤren. Vale.
Alſo machte ichs aller Orten/ und uͤberkam dar-
durch einen groſſen Ruff/ und je mehr ich außgabe
und verſpendirte/ je mehr floſſen mir Beuten zu/ und
bildet ich mir ein/ daß ich dieſen Ring/ wiewol er bey
100. Reichstbaler werth war/ gar wol angelegt
haͤtte. Aber hiemit hat dieſes Zweyte
Buch ein Ende.
ENDE deß II. Buchs.
Aben-
[261]
Abentheurlicher
Simpliciſſimus
Teutſch:
Das Dritte Buch.
Jnhalt deß III. Buchs.
- Das 1. Capitel.
Wie der Jaͤger zu weit auff die lincke
Hand gehet. - Das 2. Capitel.
Der Jaͤger von Soeſt ſchafft den Jaͤger
von Werle ab. - Das 3. Capitel.
Der groſſe GottJupiterwird gefangen/
und eroͤffnet der Goͤtter Rathſchlaͤg. - Das 4. Capitel.
Von dem Teutſchen Helden/ der die gantze
Welt bezwingen/ und zwiſchen allen Voͤl-
ckern Fried ſtifften wird. - Das 5. Capitel.
Wie er dieReligionen miteinander vereini-
gen/ und in einen Model gieſſen wird.
Das
[262]Jnhalt
- Das 6. Capitel.
Was dieLegationder Floͤh beymJovever-
richtet. - Das 7. Capitel.
Der Jaͤger erjaget abermals Ehre und
Beuten. - Das 8. Capitel.
Wie er den Teuffel im Trog gefunden/
Spring-ins-feld aber ſchoͤne Pferd erwiſcht. - Das 9. Capitel.
Ein ungleicher Kampff/ in welchem der
Schwaͤchſte obſieget/ und der Uberwinder
gefangen wird. - Das 10. Capitel.
Der General Feld-Zeugmeiſter ſchencket
dem Jaͤger das Leben/ und macht ihm ſonſt
gute Hoffnung. - Das 11. Capitel.
Haͤlt allerhand Sachen in ſich/ von ge-
ringer Wichtigkeit und groſſer Einbildung. - Das 12. Capitel.
Das Gluͤck thut dem Jaͤger unverſehens
eine Adeliche Verehrung. - Das 13. Capitel.
Simpliciiſeltzame Grillen und Lufftgebaͤu/
auch wie er ſeinen Schatz verwahrt. - Das 14. Capitel.
Wie der Jaͤger vom Gegentheil gefangen
wird. - Das 15. Capitel.
Mit welchenConditionibusder Jaͤger wie-
der loß worden.
Das
[263]deß Dritten Buchs.
- Das 16. Capitel.
WieSimpliciusein Freyherꝛ wird. - Das 17. Capitel.
Womit der Jaͤger die ſechs Monat hinzu-
bringen gedenckt/ auch etwas von der Wahr-
ſagerin. - Das 18. Capitel.
Wie der Jaͤger anfahet zu bulen/ und ein
Handwerck darauß macht. - Das 19. Capitel.
Durch was Mittel ihm der Jaͤger Freund
gemacht/ und was vor Andacht er bey einer
Predigt hatte. - Das 20. Capitel.
Wie er dem treuhertzigen Pfarꝛer ander
Werck an die Kunckel legte/ damit er ſein
Epicuriſch Leben zucorrigiren vergeſſe. - Das 21. Capitel.
Wie der Jaͤger unverſehens zum Ehmann
wird. - Das 22. Capitel.
Wie es bey der Hochzeit ablieff/ und was
er weiter anzufangen ſich vorgeſtellt. - Das 23. Capitel.
Simpliciuskompt in eine Statt/ die er zwar
nurpro formaCoͤln nennet/ ſeinen Schatz ab-
zuholen. - Das 24. Capitel.
Der Jaͤger faͤngt einen Haſen mitten in
einer Statt.
MDas
[264]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Das Erſte Capitel.
DEr guͤnſtige Leſer wird in vorher-
gehendem Buch verſtanden haben/ wie Ehr-
geitzig ich in Soeſt worden/ und daß ich
Ehr/ Ruhm und Gunſt in Handlungen ſuchte und
auch gefunden/ die ſonſt bey andern waͤren Straff-
wuͤrdig geweſen: Jetzt will ich erzehlen/ wie ich
mich meine Thorheit weiter verleiten laſſen/ und da-
durch in ſtetiger Leib- und Lebensgefahr gelebt; Jch
war/ wie ich bereits erwehnet hab/ ſo befliſſen Ehr
und Ruhm zu erjagen/ daß ich auch nicht darvor
ſchlaffen konte/ und wann ich ſo Grillen hatte/ und
manche Nacht lag/ neue Fuͤnd und Liſt zu erſinnen/
hatte ich wunderliche Einfaͤll; dahero erfand ich ein
Gattung Schuh/ die man das hinderſt zu vorderſt
anziehen konte/ alſo daß die Abſaͤtz unter den Zaͤhen
ſtunden/ deren lieſſe ich auff meinen Koſten bey dreiſ-
ſig unterſchiedliche Paar machen/ und wann ich ſol-
che unter meine Burſch außtheilete/ und damit auff
Partey gienge/ wars unmuͤglich uns außzuſpuͤren/
dann wir trugen bald dieſe/ und bald unſere rechte
Schuh an den Fuͤſſen/ und hingegen die uͤbrige im
Rantzen/ und wann jemand an einen Ort kam/ da
ich die Schuh verwechſeln laſſen/ ſahe es nicht an-
ders in der Spur/ als wann zwo Partey allda zu-
ſammen kommen/ und miteinander auch wieder ver-
ſchwunden waͤren; behielte ich aber meine letzte
Schuh an/ ſo ſahe es/ als ob ich erſt hingangen waͤ-
[r]e/ wo ich ſchon geweſen/ oder als ob ich von dem
Ort
[265]Drittes Buch.
Ort herkaͤme/ dahin ich erſt gienge: So waren ob-
ne das meine Gaͤng/ wann es eine Spur batte/ viel
verwirꝛter als in einem Jrꝛgarten/ alſo daß es den
jenigen/ die mich vermittelſt der Spur haͤtten auß-
kuͤndigen/ oder ſonſt nach jagen ſollen/ unmuͤglich
gefallen waͤre/ mich zu kriegen. Jch war offt aller-
naͤchſt bey denen vom Gegentbeil/ die mich in der
Ferne ſolten ſuchen/ und noch oͤffters etliche Meil
Wegs von dem jenigen Buſch/ den ſie jetzt umb-
ſtellten und durchſtreifften/ mich darinn zu fangen/
und gleich wie ichs machte mit den Parteyen zu Fuß/
alſo thaͤt ich ihm auch/ wann ich zu Pferd darauß
war/ dann das war mir nichts ſeltzams/ daß ich an
Scheid- und Creutzwegen ohnverſehens abſteigen/
und den Pferden die Eiſen das binderſt zu voͤrderſt
auffſchlagen lieſſe; die gemeine Voͤrtel aber/ die
man brauchet/ wann man ſchwach auff Partey iſt/
und doch vor ſtarck auß der Spur judicirt/ oder wenn
man ſtarck iſt/ und doch vor ſchwach gehalten wer-
den will/ waren mir ſo gemein/ und ich achte ſie ſo
gering/ daß ich ſelbige zu erzeblen/ nicht werth achte.
Darneben erdachte ich ein Inſtrument, mit welchem
ich bey Nacht/ wann es Windſtill war/ ein Trompet
auff drey Stund Wegs von mir blaſen/ ein Pferd
auff zwo Stund ſchreyen/ oder Hunde bellen/ und
auff eine Stund weit die Menſchen reden hoͤren kon-
te/ welche Kunſt ich ſehr geheim hielte/ und mir da-
mit ein Anſehen machte/ weil es bey jederman ohn-
muͤglich zu ſeyn ſchiene/ bey Tag aber war mir be-
ſagtes Inſtrument, (welches ich gemeiniglich neben
einem Perſpectiv im Hoſenſack trug) nit ſo viel nutz/
es waͤre dann an einem einſamen ſtillen Ort geweſen/
M ijdann
[266]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
dann man muſte von den Pferden und dem Rindvieh
an/ biß auff den geringſten Vogel in der Lufft/ oder
Froſch im Waſſer alles hoͤren/ was ſich in der gan-
tzen Gegend nur regte/ und ein Stimm von ſich gab/
welches dann nicht anderſt lautet/ als ob man ſich
(wie mitten auff einem Marck) ſich unter viel Men-
ſchen und Thieren befaͤnde/ deren jedes ſich hoͤren
laͤſt/ da man vor deß einen Geſchrey den andern nicht
verſtehen kan.
Jch weiß zwar wol/ daß auff dieſe Stund Leut
ſeyn/ die mir dieſes nicht glauben/ aber ſie moͤgen es
glauben oder nicht/ ſo iſts doch die Warheit: Jch
will einen Menſchen bey Nacht/ der nur ſo laut re-
det als ſeine Gewonheit iſt/ an der Stimm durch ein
ſolches Inſtrument erkennen/ er ſey gleich ſo weit von
mir/ als ihn einer durch ein gut Perſpectiv bey Tag an
den Kleidern erkennen mag. Jch kan aber keinen ver-
dencken/ wann er mir nicht glaubt/ was ich jetzund
ſchreibe/ dann es wolte mir keiner glauben von den
jenigen/ die mit ihren Augen ſahen/ als ich mehrbe-
deut Inſtrument gebrauchte/ und ihnen ſagte: Jch
hoͤre Reuter reuten/ dann die Pferd ſeyn beſchlagen;
ich boͤre Baurn kommen/ dann die Pferd gehen bar-
fuß; ich hoͤre Fuhrleut/ aber es ſind nur Baurn/ ich
kenne ſie an der Sprach; es kommen Mußquetier/
ungefaͤhr ſo viel/ dann ich hoͤre es am Geklaͤpper ih-
rer Bandelier; es iſt ein Dorff umb dieſe oder jene
Gegend/ ich hoͤre die Hanen kraͤhen/ Hund bellen/ ꝛc.
dort geht eine Herd Vieh/ ich hoͤre Schaf plehcken/
Kuͤhe ſchreyen/ Schwein kruntzen/ und ſo fortan:
Meine eigene Cameraden hielten anfangs dieſe Reden
vor Auffſchneiderey/ und als ſie im Werck befanden/
daß
[267]Drittes Buch.
daß ich jederzeit wahr ſagte/ muſte alles Zauberey/
und mir/ was ich ihnen geſagt/ vom Teuffel und ſei-
ner Mutter offenbart worden ſeyn: Alſo/ glaub ich/
wird der guͤnſtige Leſer auch gedencken. Nichts deſto
weniger bin ich dem Gegentheil hierdurch offtmals
wunderlich entronnen/ wann er Nachricht von mir
kriegte/ und mich auffzuheben kam; halt auch davor/
wann ich dieſe Wiſſenſchafft offenbart haͤtte/ daß ſie
ſeither ſehr gemein worden waͤre/ weil ſie denen im
Krieg trefflich zu ſtatten kaͤme/ ſonderlich in Belaͤge-
rungen: Jch ſchreite aber zu meiner Hiſtori.
Wann ich nicht auff Partey dorffte/ ſo gieng ich
ſonſt auß zu ſtelen/ und dann waren weder Pferd/
Kuͤhe/ Schwein noch Schaf in den Staͤllen vor mir
ſicher/ welche ich auff etlich Meil Wegs bolete;
Rindviehe und Pferden wuſte ich Stiffel oder Schuh
anzulegen/ biß ich ſie auff eine gaͤnge Straß brachte/
damit man ſie nicht ſpuͤren konte/ als dann ſchlug ich
den Pferden die Eiſen hinderſt zu voͤrderſt auff/ oder
wanns Kuͤh und Ochſen warn/ thaͤt ich ihnen Schuh
an die ich darzu gemacht hatte/ und brachte ſie alſo in
Sicherheit; die groſſe fette Schweins. Perſonen/
die Faulheit halber bey Nacht nicht raͤiſen moͤgen/
wuſte ich auch meiſterlich fort zu bringen/ wann ſie
ſchon gruntzten/ und nicht dran wolten/ ich machte
ihnen mit Meel und Waſſer einen wolgeſaltzenen
Brey/ lieſſe ſolchen einen Baderſchwamm in ſich
ſauffen/ an welchen ich ein ſtarcken Bindfaden gebun-
den hatte/ ließ nachgehends die jenige umb welche ich
leffelte/ den Schwamm voll Muß freſſen/ und behielt
die Schnur in der Haud/ worauff ſie ohne ferneren
Wortwechſel gedultig mit giengen/ und mir die
M iijZech
[268]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Zech mit Schincken und Wuͤrſten bezahlten/ und
wann ich ſo was heim brachte/ theilte ich ſo wol den
Officiern als meinen Cameraden getreulich mit/ da-
hero dorffte ich ein ander mal wieder hinauß/ und
da mein Diebſtal verꝛathen oder außgekundſchafftet
wurde/ halffen ſie mir huͤbſch durch: Jm uͤbrigen
duͤnckte ich mich viel zu gut darzu ſeyn/ daß ich die
Arme beſtelen/ oder Huͤner fangen/ und andere ge-
ringe Sachen haͤtte mauſen ſollen. Darbey fieng ich
an/ nach und nach mit Freſſen und Sauffen ein Epi-
curiſch Leben zu fuͤhren/ weil ich meines Einſidlers
Lehr vergeſſen/ und niemand hatte/ der meine Jugend
regierte/ oder auff den ich ſehen dorffte/ dann meine
Officier machten ſelbſt mit/ wann ſie bey mir ſchma-
rotzten/ und die mich haͤtten ſtraffen und abmahnen
ſollen/ reitzten mich vielmehr zu allen Laſtern/ dar-
von wurde ich endlich ſo gottioß und verꝛucht/ daß
mir kein Schelmſtuͤck/ ſolches zu begehen/ zu groß
war. Zuletzt wurde ich auch heimlich geneidet/ zu-
mal von meinen Cameraden/ daß ich ein gluͤcklichere
Hand zu ſtelen hatte/ als ein anderer; von meinen
Officiern aber/ daß ich mich ſo doll hielte/ gluͤcklich
auff Parteyen handelte/ und mir ein groͤſſern Nah-
men und Anſehen machte/ als ſie ſelbſt hatten. Jch
halte auch gaͤntzlich darvor/ daß mich ein oder ander
Theil zeitlich auffgeopffert haͤtte/ wenn ich nicht ſo
ſpendirt haͤtte.
DasII.Capitel.
ALs ich nun ſo fort hauſete/ und im Werck begrif-
fen war/ mir einige Teuffels-Larven und darzu
gehoͤrige ſchroͤckliche Kleidungen mit Roß- und
Ochſen-
[269]Drittes Buch.
Ochſenfuͤſſen machen zu laſſen/ vermittelſt deren ich
die Feind erſchrecken/ zumal auch den Freunden als
unerkant das Jhrige zu nehmen/ darzu mir dann die
Begebenheit mit dem Speck-ſtehlen Anlaß gabe/ be-
kam ich Zeitung/ daß ein Kerl ſich in Werle auff hiel-
te/ welcher ein trefflicher Parteygaͤnger ſeye/ ſich
gruͤn kleiden laſſen/ und hin und her auff dem Land/
ſonderlich aber bey unſern Contribuenten/ unter mei-
nem Nahmen mit Weiberſchaͤnden und Pluͤnderun-
gen allerhand Exorbitantien veruͤbte/ maſſen dahero
greuliche Klagen auff mich einkamen/ dergeſtalt/
daß ich uͤbel eingebuͤſt haͤtte/ da ich nicht außtruͤcklich
dargethan/ daß ich in den jenigen Zeiten/ da er ein
und ander Stuͤcklein auff mich verꝛichtet/ mich an-
derswo befunden. Solches gedacht ich ihm nicht
zu ſchencken/ viel weniger zu leiden/ daß er ſich laͤnger
meines Nahmens bedienen/ unter meiner Geſtalt
Beuten machen/ und mich dadurch ſo ſchaͤnden ſolte.
Jch lieſſe ihn mit Wiſſen deß Commandanten in
Soeſt auff einen Degen oder paar Piſtoln ins freye
Feld zu Gaſt laden/ nachdem er aber das Hertz nicht
hatte zu erſcheinen/ ließ ich mich vernehmen/ daß ich
mich an ihm revangiren wolte/ und ſolt es zu Werle
in deſſelbigen Commandanten Schos geſchehen/ als
der ihn nicht drumb ſtraffte: Ja ich ſagte offentlich/
daß/ ſo ich jhn auff Partey erdappte/ er als ein Feind
von mir tractirt werden ſolte! Das machte/ daß ich
meine Larven ligen lieſſe/ mit denen ich ein groſſes
anzuſtellen vor hatte/ ſondern auch mein gantz gruͤnes
Kleid in kleine Stuͤck zerhackte/ und in Soeſt vor
meinem Quartier offentlich verbrennet/ unangeſehen
allein meine Kleider/ ohne Federn und Pferdgezeug/
M jvuͤber
[270]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
uͤber die 100. Ducaten werth ware; ja ich fluchte in
ſolcher Wuth noch druͤber hin/ daß der naͤchſte/ der
mich mehr einen Jaͤger nenne/ entweder mich ermor-
den/ oder von meinen Haͤnden ſterben muͤſſe/ und
ſolte es auch meinen Hals koſten! Wolt auch keine
Partey mehr fuͤhren (ſo ich ohne das nicht ſchuldig/
weil ich noch kein Officier war) ich haͤtte mich dann
zuvor an meinem Widerpart zu Werle gerochen.
Alſo hielte ich mich ein/ und thaͤt nichts Soldatiſch
mehr/ als daß ich meine Wacht verſahe/ ich waͤre
dann abſonderlich irgends hin commandirt worden/
welches jedoch alles wie ein anderer Bernheuter/
ſehr ſchlaͤfferig verꝛichtet. Diß erſcholl gar bald in
der Nachbarſchafft/ und wurden die Parteyen vom
Gegentheil ſo kuͤhn und ſicher davon/ daß ſie ſchier
taͤglich vor unſern Schlagbaͤumen lagen/ ſo ich in
die Laͤng auch nicht ertragen konte. Was mir aber
gar zu unleidenlich fiele/ war diß/ daß der Jaͤger von
Werle noch immerzu fort fuhr/ ſich vor mich auß-
zugeben/ und zimliche Beuten zu machen.
Jndeſſen nun/ als jederman vermeynte/ ich haͤtte
mich auff eine Bernhaut ſchlaffen gelegt/ von deren
ich ſo bald nicht wieder auffſtehen wuͤrde/ kuͤndigte
ich meines Gegentheils von Werle Thun und Laſſen
auß/ und befand/ daß er mir nicht nur mit dem Nah-
men und in den Kleidern nach-aͤffte/ ſondern auch
bey Nacht heimlich zu ſtehlen pflegte/ wann er etwas
erhaſchen konte/ derhalben erwachte ich wieder ohn-
verſehens/ und machte meinen Anſchlag darauff:
Mein beyde Knecht hatte ich nach und nach abgericht
wie die Wachtelhund/ ſo waren ſie mir auch dermaſ-
en getreu/ daß jeder auff den Nothfall fuͤr mich durch
ein
[271]Drittes Buch.
ein Feur geloffen waͤre/ weil ſie ihr gut Freſſen und
Sauffen bey mir batten/ und treffliche Beuten mach-
ten: Deren ſchickte ich einen nach Werle zu meinem
Gegentheil/ der wandte vor/ weil ich/ als ſein gewe-
ſener Herꝛ/ nunmehr anfienge zu leben wie ein ander
Coujon, und verſchworen haͤtte/ nimmermehr auff
Partey zu geben/ ſo haͤtte er nicht mehr bey mir blei-
ben moͤgen/ ſondern ſey kommen ihm zu dienen/ weil
er an ſeines Herꝛn ſtatt ein Jaͤgerkleid angenommen/
und ſich wie ein rechtſchaffener Sold at gebrauchen
laſſe; er wiſſe alle Weg und Steg im Land und koͤn-
te ihm manchen Anſchlag geben/ gute Beuten zu
machen/ ꝛc. Mein guter einfaͤltiger Narꝛ glaubte
meinem Kuecht/ und ließ ſich bereden/ daß er ihn an-
nam/ und auff eine beſtimpte Nacht mit ſeinem Ca-
meraden und ihm auff eine Schaͤferey gienge/ etliche
fette Haͤmmel zu holen/ da ich und Spring-ins-feld
mit meinem andern Knecht ſchon auffpaßten/ und
den Schaͤfer beſtochen hatten/ daß er ſeine Hund an-
binden/ und die Ankoͤmmling in die Scheur unver-
hindert miniren laſſen ſolte/ ſo wolte ich ihnen das
Hamelfleiſch ſchon geſegnen. Da ſie nun ein Loch
durch die Wand gemacht hatten/ wolte der Jaͤger
von Werle haben/ mein Knecht ſolte gleich zum er-
ſten hinein ſchlieffen; Er aber ſagte Nein/ es moͤchte
jemand drinn auffpaſſen/ und mir eins vorn Kopff
geben/ ich ſehe wol/ daß ihr nicht recht mauſen koͤnt/
man muß zuvor viſitiren; zog darauff ſeinen Degen
auß/ und henckte ſeinen Hut an die Spitz/ ſtieſſe ihn
alſo etlich mal durchs Loch/ und ſagte/ ſo muß man
zuvor ſehen/ ob Blaͤſy zu Hauß ſey oder nicht? Als
ſolches geſchehen/ war der Jaͤger von Werle ſelbſt
M vder
[272]Deß Abenth. Simpliciſſimi
der erſte ſo hinein kroch; Aber Spring-ins-feld er-
wiſchte ihn gleich beym Arm/ darinn er ſeinen Degen
hatte/ und fragte ihn/ ob er Quartier wolte? Das hoͤ-
ret ſein Geſell/ und wolt durchgehen/ weil ich aber
nicht wuſte/ welches der Jaͤger/ und geſchwinder als
dieſer auff den Fuͤſſen war/ eylet ich ihm nach/ und
erdappt ihn in wenig Spruͤngen; Jch fragte/ was
Volcks? Er antwortet/ Kaͤiſeriſch; Jch fragte/ was
Regiments? Jch bin auch Kaͤiſeriſch/ ein Schelm
der ſein Herꝛn verleugnet! Jener antwort/ wir ſeyn
von den Dragonern auß Soeſt/ und kommen ein par
Haͤmel zu holen/ Bruder ich hoffe/ wann ihr auch
Kaͤiſeriſch ſeyd/ ihr werdet uns paſſiren laſſen: Jch
antwortet/ wer ſeyd ihr denn auß Soeſt? jener ant-
wort/ mein Camerad im Stall iſt der Jaͤger; Schel-
men ſeyd ihr! ſagte ich/ warumb pluͤndert ihr denn
euer eigen Quartier? der Jaͤger von Soeſt iſt ſo kein
Narꝛ/ daß er ſich in einem Schafſtall fangen laͤſt:
Ach von Werle wolt ich ſagen/ antwort mir jener
wiederumb; und in dem ich ſo diſputirte/ kam mein
Knecht und Spring-ins-feld mit meinem Gegen-
theil auch daher; Sihe da/ du ehrlicher Vogel/ kom-
men wir hier zuſammen? wenn ich die Kaͤiſerliche
Waffen/ die du wider den Feind zu tragen auffge-
nommen haſt/ nicht reſpectirte/ ſo wolt ich dir gleich
eine Kugel durch den Kopff jagen! Jch bin der Jaͤ-
ger von Soeſt bißhero geweſen/ und dich halt ich vor
einen Schelmen/ biß du einen von gegenwaͤrtigen
Degen zu dir nimmſt/ und den andern auff Soldaten
Manier mit mir miſſeſt! Jn dem legte mein Knecht
(der ſo wol als Spring-ins-feld ein abſchenliches
Tenffels-Kleid mit groſſen Bockshoͤrnern an hatte)
uns
[273]Drittes Buch.
uns zween gleiche Degen vor die Fuͤß/ die ich mit auß
Soeſt genommen hatte/ und gab dem Jaͤger von
Werle die Wahl/ einen darvon zu nemmen welchen
er wolte; davon der arme Jaͤger ſo erſchrack/ daß es
ihm gienge wie mir zu Hanau/ da ich den Tantz ver-
derbte/ dann er hofierte die Hoſen ſo voll/ daß ſchier
niemand bey ihm bleiben konte/ er und ſein Camerad
zitterten wie naſſe Hund ſie fielen nider auff die Knye/
und baten umb Gnad! Aber Spring-ins-feld koller-
te wie auß einem holen Hafen herauß/ und ſagte zum
Jaͤger: Du muſt einmalrauffen/ oder ich will dir
den Hals brechen! Ach hochgeehrter Herꝛ Teuffel/
ich bin nicht rauffens halber her kommen/ der Herꝛ
Teuffel uͤberhebe mich deſſen/ ſo will ich hingegen
thun was du wilt; Jn ſolchen verwirꝛten Reden gab
ihm mein Knecht den einen Degen in die Hand/ und
mir den andern/ er zitterte aber ſo ſehr/ daß er ihn
nicht halten konte: Der Mond ſchiene ſehr hell/ ſo
daß der Schaͤfer und ſein Geſind alles auß ihrer Huͤt-
ten ſehen und hoͤren konten/ Jch ruffte demſelben/
herbey zu kommen/ damit ich einen Zeugen dieſes
Handels haͤtte/ dieſer als er kame/ ſtellte ſich/ als ob
er die zween in den Teuffels-Kleidern nicht ſehe/ und
ſagte/ was ich mit dieſen Kerlen lang in ſeiner Schaͤ-
ferey zu zancken/ wenn ich etwas mit ihnen haͤtte/
ſolte ichs an einem andern Ort außmachen/ unſere
Haͤndel giengen ihn nichts an/ er gebe monatlich
ſein Konterbiſſion/ hoffte darumb bey ſeiner Schaͤ-
ferey in Ruhe zu leben. Zu jenen Zweyen aber ſagte
er/ warumb ſie ſich nur ſo von mir geheyen lieſſen/
und mich nicht nider ſchluͤgen? Jch ſagte/ du Fle-
gel/ ſie haben dir deine Schaf wollen ſiehlen; Der
M vjBaur
[274]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Baur antwortet/ ſo wolt ich/ daß ſie mich und meine
Schaf muͤſten im Hindern lecken; und gienge damit
hinweg. Hierauff drang ich wieder auff das fechten/
mein armer Jaͤger aber konte ſchier nicht mehr vor
Forcht auff den Fuͤſſen ſtehen/ alſo daß er mich dau-
rete/ ja er und ſein Camerad brachten ſo bewegliche
Wort vor/ daß ich ihm endlich alles verziehe und
vergabe: Aber Spring-ins-feld war damit nicht zu
frieden/ ſondern zwang den Jaͤger/ daß er 3 Schaf
(denn ſo viel hatten ſie ſtelen wollen) muſte im Hin-
dern kuͤſſen/ und zerkratzte ihn noch dazu ſo abſcheu-
lich im Geſicht/ daß er außſahe/ als ob er mit den
Katzen gefreſſen haͤtte/ mit welcher ſchlechten Rach
ich zu frieden war. Aber der Jaͤger verſchwand bald
auß Werle/ weil er ſich viel zu ſehr ſchaͤmte/ dann
ſein Camerad ſprengte allẽr Orten auß/ und betheu-
rets mit hefftigen Fluͤchen/ daß ich warhafftig zween
leibhafftiger Teuffel haͤtte/ die mir auff den Dienſt
warteten/ darumb ich noch mehr gefoͤrchtet/ hinge-
gen aber deſto weniger geliebt wurde.
DasIII.Capitel.
SOlches wurde ich bald gewahr/ derhalben ſtellte
ich mein vorig gottloß Leben allerdings ab/ und
befliſſe mich allein der Tugend und Froͤmmigkeit;
ich gienge zwar wie zuvor/ wieder auff Partey/ er-
zeigte mich aber gegen Freunden und Feinden ſo
Leutſelig und diſcret, daß all die jenige/ ſo mir unter
die Haͤnd kamen/ ein anders glaubten/ als ſie von mir
gehoͤrt hatten/ uͤber das hielt ich auch mit den uͤber-
fluͤſſigen Verſchwendungen innen/ und ſamlete mir
viel ſchoͤne Ducaten und Cleinodien/ welche ich hin
und
[275]Drittes Buch.
und wieder in der Soeſtiſchen Boͤerde auff dem Land
in hole Baͤum verbarg/ weil mir ſolches die bekante
Wahrſagerin zu Soeſt riethe/ und mich verſicherte/
daß ich mehr Feind in der ſelben Statt und unter mei-
nem Regiment/ als auſſer halb und in den feindlichen
Guarniſonen haͤtte/ die mir und meinem Geld nach-
ſtellten. Und in dem man hin und her Zeitung hatte/
daß der Jaͤger außgeriſſen waͤre/ ſaſſe ich denen/ die
ſich damit kuͤtzelten/ wieder ohnverſehens auff der
Hauben/ und ehe ein Ort recht erfuͤhr/ daß ich an ei-
nem andern Schaden gethan/ empfande daſſelbige
ſchon/ daß ich noch vorhanden war; denn ich fuhre
herumb wie ein Windsbraut/ war bald hie bald dort/
alſo daß man mehr von mir zu ſagen wuſte als zuvor/
da ſich noch einer vor mich außgab.
Jch ſaſſe einsmals mit 25. Feur-Roͤhren nicht
weit von Dorſten/ und paßte einer Convoy mit etli-
chen Fuhrleuten auff/ die nach Dorſten kom̃en ſolte;
Jch hielte meiner Gewonheit nach ſelbſt Schild-
wacht/ weil wir dem Feind nahe waren; da kam ein
einziger Mann daher/ fein ehrbar gekleidet/ der redte
mit ihm ſelbſt/ und hatte mit ſeinem Meer-robr/ das
er in Haͤnden trug/ ein ſeltzam Gefecht; Jch konte
nichts anders verſtehen/ als daß er ſagte: Jch will
einmal die Welt ſtraffen/ es wolle mirs dann
das groſſeNumennicht zugeben! Worauß ich
muthmaſſete/ es moͤchte etwan ein maͤchtiger Fuͤrſt
ſeyn/ der ſo verkleidter Weis herumb gienge/ ſeiner
Underthanen Leben und Sitten zu erkundigen/ und
ſich nun vorgenommen haͤtte/ ſolche (weil er ſie viel-
leicht nicht nach ſeinem Willen gefunden) gehuͤh-
rend zu ſtraſſen: Jch gedachte/ iſt dieſer Mann vom
M vijFeind
[276]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Feind/ ſo ſetzts ein gute Ranzion, wo nicht/ ſo wiltu
ihn ſo hoͤflich tractiren/ und ihm dardurch das Hertz
dermaſſen abſtehlen/ daß es dir kuͤnfftig dein Lebtag
wol bekommen ſoll/ ſprang derhalben hervor/ præ-
ſentirt mein Gewehr mit auffgezogenem Hanen/
und ſagte: Der Herꝛ wird ihm belieben laſſen/ vor
mir hin in Buſch zu gehen/ wofern er nicht als Feind
tractirt ſeyn will; Er antwortet ſehr ernſthafftig:
Solcher Tractation iſt meines gleichen nit gewohnt.
Jch aber dummelt ihn hoͤflich fort/ und ſagte: Der
Herꝛ wird ihm nicht zu wider ſeyn laſſen/ ſich vor
dißmal in die Zeit zu ſchicken/ und als ich ihn in den
Buſch zu meinen Leuten gebracht/ und die Schild-
wachten wieder beſetzt hatte/ fragte ich ihn/ wer er
ſeye? Er antwortet gar großmuͤtig/ es wuͤrde mir
wenig daran gelegen ſeyn/ wenn ichs ſchon wuͤſte/
Er ſey auch ein Groſſer GOtt! Jch gedachte/ er
moͤchte mich vielleicht kennen/ und etwan ein Edel-
mann von Soeſt ſeyn/ und ſo ſagen mich zu hetzen/
weil man die Soeſter mit dem groſſen Gott und ſei-
nem guͤldenen Fuͤrtuch zu vexiren pflegt/ wurde aber
bald innen/ daß ich an ſtatt eines Fuͤrſten einen Phan-
taſten gefangen haͤtte/ der ſich uͤberſtudirt/ und in der
Poëterey gewaltig verſtiegen/ denn da er bey mir ein
wenig erwarmte/ gab er ſich vor den Gott Jupiter
auß.
Jch wuͤnſchte zwar/ daß ich dieſen Fang nicht ge-
than/ weil ich den Narꝛn aber hatte/ muſt ich ihn wol
behalten/ biß wir von dannen ruͤckten/ und demnach
mir die Zeit ohne das zimlich lang wurde/ gedachte
ich/ dieſen Kerl zu ſtimmen/ und mir ſeine Gaben zu
nutz zu machen/ ſagte derowegen zu ihm: Nun dann
mein
[277]Drittes Buch.
mein lieber Jove, wie kompts doch/ daß deine hohe
Gottheit ihren himmliſchen Thron verlaͤſt/ und zu
uns auff Erden ſteigt? vergebe mir/ ô Jupiter, meine
Frag/ die du vor fuͤrwitzig halten moͤchteſt/ dann
wir ſeynd den himmliſchen Goͤttern auch verwandt/
und eitel Sylvani, von den Faunis und N[i]mphis gebo-
ren/ denen dieſe Heimlichkeit billich ohnverborgen
ſeyn ſolle; Jch ſchwaͤre dir beym Styx, antwortet
Jupiter, daß du hiervon nichts erfahren ſolteſt/ wenn
du meinem Mund ſchencken Ganymede nicht ſo aͤhn-
lich ſeheſt/ und wenn du ſchon Pans eigener Sohn
waͤreſt/ aber von ſeinet wegen communicire ich dir/
daß ein groß Geſchrey uͤber der Welt Laſter zu mir
durch die Wolcken gedrungen/ daruͤber in aller Goͤt-
ter Rath beſchloſſen worden/ ich koͤnte mit Billich-
keit/ wie zu Lycaons Zeiten/ den Erdboden wieder
mit Waſſer außtilgen/ weil ich aber dem menſchli-
chen Geſchlecht mit ſonderbarer Gunſt gewogen
bin/ und ohne das allezeit lieber die Guͤte/ als eine
ſtrenge Verfahrung brauche/ vagire ich jetzt herum/
der Menſchen Thun und Laſſen ſelbſt zu erkuͤndigen/
und obwol ich alles aͤrger finde/ als mirs vorkom̃en/
ſo bin ich doch nicht geſinnt/ alle Menſchen zugleich
und ohne Unterſcheid außzurenten/ ſondern nur die
jenige zu ſtraffen/ die zu ſtraffen ſind/ und hernach die
uͤbrige nach meinem Willen zu ziehen.
Jch muſte zwar lachen/ verbiſſe es doch ſo gut als
ich konte/ und ſagte: Ach Jupiter, deine Muͤhe und
Arbeit wird beſorglich allerdings umb ſonſt ſeyn/ weñ
du nicht wieder/ wie vor dieſem/ die Welt mit Waſ-
ſer/ oder gar mit Feur heimſucheſt; dann ſchickeſt du
einen Krieg/ ſo lauffen alle boͤſe verwegene Buben
mit
[278]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
mit/ welche die friedliebende fromme Menſchen nur
quaͤlen werden; ſchickeſtu eine Theurung/ ſo iſts ein
erwuͤnſchte Sach vor die Wucherer/ weil alsdann
denſelben ihr Korn viel gilt; ſchickſtu aber ein Ster-
ben/ ſo haben die Geitzhaͤls und alle uͤbrige Menſchen
ein gewonnen Spiel/ in dem ſie hernach viel erben;
wirſt derhalben die gantze Welt mit Butzen und Stil
außrotten muͤſſen/ wenn du anders ſtraffen wilt.
DasIV.Capitel.
JUpiter antwortet/ du redeſt von der Sach wie ein
natuͤrlicher Menſch/ als ob du nicht wuͤſteſt/ daß
uns Goͤttern muͤglich ſey/ etwas anzuſtellen/ daß nur
die Boͤſe geſtrafft/ und die Gute erhalten werden; ich
will einen Teutſchen Helden erwecken/ der ſoll alles
mit der Schaͤrffe deß Schwerds vollenden/ er wird
alle verꝛuchte Menſchen umbbringen/ und die from̃e
erhalten und erhoͤhen; Jch ſagte/ ſo muß ja ein ſol-
cher Held auch Soldaten haben/ und wo man Sol-
daten braucht/ da iſt auch Krieg/ und wo Krieg iſt/
da muß der Unſchuldig ſo wol als der Schuldig ber-
halten! Seyd ihr irdiſche Goͤtter denn auch geſinnt
wie die irdiſche Menſchen/ ſagte Jupiter hier auff/ daß
ihr ſo gar nichts verſtehen koͤnnet? Jch will einen ſol-
chen Helden ſchicken/ der keiner Soldaten bedarff/
und doch die gantze Welt reformiren ſoll; in ſeiner
Geburt-Stund will ich ihm verleyhen einen wolge-
ſtalten und ſtaͤrckern Leib/ als Hercules einen hatte/
mit Fuͤrſichtigkeit/ Weisheit und Verſtand uͤber-
fluͤſſig geziert/ hierzu ſoll ihm Venus geben ein ſchoͤn
Angeficht/ alſo daß er auch Narciſſum, Adonidem,
und meinen Ganymedem ſelbſt uͤbertreffen ſolle/ ſie
ſoll
[279]Drittes Buch.
ſoll ihm zu allen ſeinen Tugenden ein ſonderbare Zier-
lichkeit/ Auffſehen und Anmuͤtigkeit vorſtrecken/ und
dahero ihn bey aller Welt beliebt machen/ weil ich
ſie eben der Urſachen halber in ſeiner Nativitaͤt deſto
freundlicher anblicken werde; Mercurius aber ſoll ihn
mit unvergleich lich-ſinnreicher Vernunfft begaben/
und der unbeſtaͤndige Mond ſoll ihm nicht ſchaͤdlich/
ſondern nuͤtzlich ſeyn/ weil er ihm eine unglaubliche
Geſchwindigkeit einpflantzen wird; die Pallas ſoll
ihn auff dem Parnaſſo aufferziehen/ und Vulcanus
ſoll ihm in Hora Martis ſeine Waffen/ ſonderlich aber
ein Schwerd ſchmiden/ mit welchem er die gantze
Welt bezwingen/ und alle Gottloſen nider machen
wird/ ohne fernere Huͤlff eines einigen Menſchen/ der
der ihme etwan als ein Soldat beyſtehen moͤchte/
er ſoll keines Beyſtands bedoͤrffen/ ein jede groſſe
Statt ſoll von ſeiner Gegenwart erzittern/ und ein
jede Veſtung/ die ſonſt unuͤberwindlich iſt/ wird er in
der erſten Viertelſtund in ſeinem Gehorſam haben/
zuletzt wird er den groͤſten Potentaten in der Welt
befehlen/ und die Regierung uͤber Meer und Erden
ſo loͤblich anſtellen/ daß beydes Goͤtter und Menſchen
ein Wolgefallen darob haben ſollen.
Jch ſagte/ wie kan die Nidermachung aller Gott-
lo ſen ohne Blutvergieſſen/ und das Commando uͤber
die gantze weite Welt ohne ſonderbaren groſſen Ge-
walt und ſtarcken Arm beſchehen/ und zu wegen ge-
bracht werden? ô Jupiter, ich bekenne dir unverho-
len/ daß ich dieſe Ding weniger als ein ſterblicher
Menſch begreiffen kan! Jupiter antwortet/ das gibt
mich nicht Wunder/ weil du nicht weiſt/ was meines
Helden Schwerd vor ein ſeltene Krafft an ſich haben
wird
[280]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
wird/ Vulcanus wirds auß denen Materialien verfer-
tigen/ darauß er mir meine Donnerkeil macht/ und
deſſen Tugenden dahin richten/ daß mein Held/ wenn
er ſolches entbloͤſſet/ und nur einen Streich damit
in die Lufft thut/ einer gantzen Armada, wenn ſie
gleich hinder einem Berg eine gantze Schweitzer-
Meilwegs weit von ihm ſtuͤnde/ auff einmal die Koͤpf
herunder hauen kan/ alſo daß die arme Teuffel ohne
Koͤpff da ligen muͤſſen/ ehe ſie einmal wiſſen wie ih-
nen geſchehen! Wenn er denn nun ſeinem Lauff den
Anfang macht/ und vor eine Statt oder Veſtung
kompt/ ſo wird er deß Tamerlani Manier brauchen/
und zum Zeichen/ daß er Friedens halber/ und zu Be-
foͤrderung aller Wolfahrt vorhanden ſeye/ ein weiſſes
Faͤhnlein auffſtecken/ kom̃en ſie dann zu ihm herauß/
und bequemen ſich/ wol gut; wo nicht/ ſo wird er
von Leder ziehen/ und durch Krafft mehrgedachten
Schwerds/ allen Zauberern und Zauberinnen/ ſo in
der gantzen Statt ſeyn/ die Koͤpff herunder hauen/
und ein rothes Faͤhnlein auffſtecken; wird ſich aber
dennoch niemand einſtellen/ ſo wird er alle Moͤrder/
Wucherer/ Dieb/ Schelmen/ Ehebrecher/ Huren
und Buben auff die vorige Manier umbbringen/ und
ein ſchwartzes Faͤhnlein ſehen laſſen/ wofern aber
nicht ſo bald die jenige/ ſo noch in der Statt uͤbrig
blieben/ zu ihm kommen/ und ſich demuͤtig einſtellen/
ſo wird er die gantze Statt und ihre Jnwohner als
ein halsſtarꝛig und ungehorſam Volck außrotten wol-
len/ wird aber nur die jenige hinrichten/ die den an-
dern abgewehrt haben/ und ein Urſach geweſen/ daß
ſich das Volck nicht ehe ergeben. Alſo wird er von
einer Statt zur andern ziehen/ einer jeden Statt ihr
Theil
[281]Drittes Buch.
Theil Lands umb ſie her gelegen/ im Frieden zu re-
gieren uͤbergeben/ und von jeder Statt durch gantz
Teutſchland zween von den kluͤgſten und gelehrteſten
Maͤnnern zu ſich nemmen/ auß denſelben ein Parla-
ment machen/ die Staͤtt miteinander auff ewig ver-
einigen/ die Leibeigenſchafften ſampt allen Zoͤllen/
Acciſen/ Zinſen/ Guͤlten und Umbgelten durch gantz
Teutſchland auffheben/ und ſolche Anſtalten ma-
chen/ daß man von keinem Fronen/ Wachen/ Con-
tribuiren/ Gelt geben/ Kriegen/ noch einiger Beſchwe-
rung beym Volck mehr wiſſen/ ſondern viel ſeeliger
als in den Elyſiſchen Feldern leben wird: Alsdann
(ſagt Jupiter ferner) werde ich offtmals den gantzen
Chorum Deorum nemmen/ und herunder zu den
Teutſchen ſteigen/ mich unter ihren Weinſtoͤcken und
Feigenbaͤumen zu ergoͤtzen/ da werde ich den Helicon
mitten in ihre Grentzen ſetzen/ und die Muſen von
neuem darauff pflantzen/ ich werde Teutſchland hoͤ-
her ſegnen mit allem Uberfluß/ als das gluͤckſeelige
Arabia, Meſopotamiam, und die Gegend umb Dama-
ſ[c]o; die Griechiſche Sprach werde ich als denn ver-
ſchwoͤren/ und nur Teutſch reden/ und mit einem
Wort mich ſo gut Teutſch erzeigen/ daß ich ihnen
auch endlich/ wie vor dieſem den Roͤmern/ die Beherꝛ-
ſchung uͤber die gantze Welt zukommen laſſen werde.
Jch ſagte/ Hoͤchſter Jupiter, was werden aber Fuͤr-
ſten und Herꝛn darzu ſagen/ wenn ſich der kuͤnfftige
Held unterſtehet/ ihnen das Jhrig ſo unrechtmaͤſſi-
ger Weis abzunehmen/ und den Staͤtten zu unter-
werffen? werden ſie ſich nicht mit Gewalt widerſe-
tzen/ oder wenigſt vor Goͤttern und Menſchen darwi-
der proteſtiren? Jupiter antwortet/ hierumb wird
ſich
[282]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ſich der Held wenig bekuͤmmern/ er wird alle Groſſe
in drey Theil unterſcheiden/ und die jenige/ ſo ohn-
exemplariſch und verꝛucht leben/ gleich den Gemei-
nen ſtraffen/ weil ſeinem Schwerd kein irdiſcher Ge-
walt widerſtehen mag/ denen uͤbrigen aber wird er
die Wahl geben/ im Land zu bleiben oder nicht; was
bleibt/ und ſein Vatterland liebet/ die werden leben
muͤſſen wie andere gemeine Leut/ aber das Privat-Le-
ben der Teutſchen wird alsdann viel vergnuͤgſamer
und glůckſeeliger ſeyn/ als jetzund das Leben und der
Stand eines Koͤnigs/ und die Teutſche werden als-
denn lauter Fabricii ſeyn/ welcher mit dem Koͤnig
Pyrrho ſein Koͤnigreich nicht theilen wolte/ weil er
ſein Vatterland neben Ehr und Tugend ſo hoch lieb-
te/ und das ſeyn die zweyte; die dritte aber/ die Ja-
Herꝛn bleiben/ und immerzu herꝛſchen wollen/ wird
er durch Ungarn und Jtalia in die Moldau/ Walla-
chey/ in Macedoniam, Thraciam, Græciam, ja uͤber
den Helleſpontum in Aſiam hinein fuͤhren/ ihnen die-
ſelbe Laͤnder gewinnen/ alle Kriegsgurgeln in gantz
Teutſchland mit geben/ und ſie alldort zu lauter Koͤ-
nigen machen; Alsdenn wird er Conſtantinopel in
einem Tag einnebmen/ und allen Tuͤrcken/ die ſich
nicht bekehren oder gehorſamen werden/ die Koͤpff
vor den Hindern legen/ daſelbſt wird er das Roͤmiſch
Kaͤiſerthumb wieder auffrichten/ und ſich wieder in
Teutſchland begeben/ und mit ſeinen Parlaments.
Herꝛen (welche er/ wie ich ſchon geſagt habe/ auß
allen Teutſchen Staͤtten paarweis ſamblen/ und die
Vorſteher und Vaͤtter ſeines Teutſchen Vatterlands
neñen wird) eine Statt mitten in Teutſchland bauen/
welche viel groͤſſer ſeyn wird/ als Manoah in America,
und
[283]Drittes Buch.
und Goldreicher als Jeruſalem zu Salomons Zei-
ten geweſen/ deren Waͤll ſich dem Tyroliſchen Ge-
buͤrg/ und ihre Waſſergraͤben der Breite deß Meers
zwiſchen Hiſpania und Africa vergleichen ſoll/ er wird
einen Tempel hinein bauen von lauter Diamanten/
Rubinen/ Smaragden und Saphiren; und in der
Kunſt-Kam̃er die er auffrichten wird/ werden ſich alle
Raritaͤten in der gantzen Welt verſamblen/ von den
reichen Geſchencken/ die ihm die Koͤnige in China/
in Perſta/ der Groſſe Mogor in den Orientaliſchen
Jndien/ der Groſſe Tartar Cham/ Prieſter Johann
in Africa, und der Groſſe Czar in der Moſcau ſchi-
cken; der Tuͤrckiſche Kaͤiſer wuͤrde ſich noch fleiſſiger
einſtellen/ wofern ihm bemeldter Held ſein Kaiſer-
thum nicht genommen/ und ſolches dem Roͤmiſchen
Kaͤiſer zu Lehen gegeben baͤtte.
Jch fragte meinen Jovem, was dann die Chriſtli-
chen Koͤnige bey der Sach thun wuͤrden? er antwor-
tet/ der in Engeland/ Schweden und Dennemarck
werden/ weil ſie Teutſchen Gebluͤts und Herkom̃ens:
der in Hiſpania/ Franckreich und Portugall aber/
weil die Alte Teutſchen ſelbige Laͤnder hiebevor auch
eingenommen und regiert haben/ ihre Kronen/ Koͤ-
nigreich und incorporirte Laͤnder/ von der Teutſchen
Nation auß freyen Stuͤcken zu Lehen empfahen/ und
alsdenn wird/ wie zu Auguſti Zeiten/ ein ewiger be-
ſtaͤndiger Fried zwiſchen allen Voͤlckern in der gan-
tzen Welt ſeyn.
DasV.Capitel.
SPring-ins-feld/ der uns auch zuhoͤrete/ haͤtte den
Jupiter ſchier unwillig gemacht/ und den Han-
del
[284]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
del bey nahe verderbt/ weil er ſagte: Und alsdann
wirds in Teutſchland hergehen wie im Schlauraf-
fenland/ da es lauter Muſcateller regnet/ und die
Creutzer-Paſtetlein uͤber Nacht wie die Pfifferling
wachſen! da werde ich mit beyden Backen freſſen
muͤſſen wie ein Dreſcher/ und Malvaſter ſauffen/ daß
mir die Augen uͤbergehen. Ja freylich/ antwortet
Jupiter, vornemlich wenn ich dir die Plag Eriſichto-
nis anhencken wuͤrde/ weil du/ wie mich duͤncken will/
meine Hodeit verſpotteſt; Zu mir aber ſagte er/ ich
habe vermeynt/ ich ſey bey lauter Sylvanis, ſo ſehe ich
aber wol/ daß ich den neidigen Momum oder Zoilum
angetroffen habe; Ja man ſolte ſolchen Verꝛaͤthern
das was der Himmel beſchloſſen/ offenbaren/ und ſo
edle Perlen vor die Saͤu werffen/ ja freylich/ auff
den Buckel geſchiſſen vor ein Bruſt-tuch! Jch ge-
dachte/ diß iſt mir wol ein viſierlicher und unflaͤtiger
Abgott/ weil er neben ſo bohen Dingen auch mit ſo
weicher Materi umbgehet. Jch ſahe wol/ daß er nicht
gern hatte/ daß man lachte/ verbiß es derowegen ſo
gut als ich immer konte/ und ſagte zu ihm: Allerguͤ-
tigſter Jove, du wirſt ja eines groben Waldgotts Un-
beſcheidenheit halber deinem andern Ganymede nicht
verhalten/ wie es weiter in Teutſchland hergehen
wird? O Nein/ antwortet er/ aber befehle zuvor die-
ſem Theoni, daß er ſeine Hipponacis Zunge fuͤrter-
hin im Zaum halten ſolle/ ehe ich ihn (wie Mercurius
den Battum) in einen Stein verwandele; Du ſelbſt
aber geſtehe mir/ daß du mein Ganymedes ſeyeſt/ und
ob dich nicht mein eyferſichtiger Juno in meiner Ab-
weſenheit auß dem himmliſchen Reich gejaget habe?
Jch verſprach ihm alles zu erzehlen/ da ich zuvor ge-
hoͤrt
[285]Drittes Buch.
hoͤrt haben wuͤrde/ was ich zu wiſſen verlangte: Da-
rauff ſagte er/ Lieber Ganymede, (leugne nur nicht
mehr/ dann ich ſehe wol daß du es biſt) es wird als-
denn in Teutſchland das Gold-machen ſo gewiß und
ſo gemein werden/ als das Hafner-Handwerck/ alſo
daß ſchier ein jeder Roßbub den Lapidem Philoſopho-
rum wird umbſchleppen! Jch fragte/ wie wird aber
Teutſchland bey ſo unterſchiedlichen Religionen ein
ſo langwierigen Frieden haben koͤnnen? werden ſo
unterſchiedliche Pfaffen nicht die Jhrige hetzen/ und
wegen ihres Glaubens wiederumb einen Krieg an-
ſpinnen? O Nein! ſagt Jupiter, mein Held wird
dieſer Sorg weislich vorkommen/ und vor allen
Dingen alle Chriſtliche Religionen in der gantzen
Welt miteinander vereinigen; Jch ſagte/ ô Wun-
der/ das waͤre ein groß Werck! wie muͤſte das zuge-
hen? Jupiter antwortet/ das will ich dir hertzlich
gern offenbaren: Nachdem mein Held den Univer-
ſal-Frieden der gantzen Welt verſchafft/ wird er die
Geiſt- und Weltliche Vorſteher und Haͤupter der
Chriſtlichen Voͤlcker und unterſchiedlichen Kirchen
mit einer ſehr beweglichen Sermon anreden/ und ih-
nen die bißherige hochſchaͤdliche Spaltungen in den
Glaubens-ſachen trefflich zu Gemuͤth fuͤhren/ ſie
auch durch hochvernuͤnfftige Gruͤnde und unwider-
treibliche Argumenta dahin bringen/ daß ſie von ſich
ſelbſt eine allgemeine Vereinigung wuͤnſchen/ und
ihme das gantze Werck/ ſeiner hohen Vernunfft nach
zu dirigirn/ uͤbergeben werden: Alsdann wird er die
aller-geiſtreichſte/ gelehrteſte und froͤmmſte Theologi
von allen Orten und Enden her/ auß allen Religionen
zuſammen bringen/ und ihnen einen Ort/ wie vor
dieſem
[286]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
dieſem Ptolomæus Philadelphus den 72. Dolmetſchen
gethan/ in einer luſtigen und doch ſtillen Gegend/ da
man wichtigen Sachen ungehindert nachſinnen kan/
zurichten laſſen/ ſie daſelbſt mit Speiß und Tranck/
auch aller anderer Nothwendigkeit verſehen/ und ih-
nen aufflegen/ daß ſie ſo bald immer moͤglich/ und
jedoch mit der aller-reiffſten und fleiſſigſten Wol-er-
wegung die Strittigkeiten/ ſo ſich zwiſchen ihren Re-
ligionen enthalten/ erſtlich beylegen/ und nachgehends
mit rechter Einhelligkeit die rechte/ wahre/ Heilige
und Chriſtliche Religion, der H. Schrifft/ der uhr-
alten Tradition, und der probirten H. Vaͤtter Mey-
nung gemaͤß/ ſchrifftlich verfaſſen ſollen: Umb die-
ſelbige Zeit wird ſich Pluto gewaltig hindern Ohren
kratzen/ weil er alsdann die Schmaͤlerung ſeines
Reichs beſorgen wird/ ja er wird allerley Fund und
Liſt erdencken/ ein Que darein zu machen/ und die
Sach/ wo nicht gar zu hindertreiben/ jedoch ſolche
ad infinitum oder indefinitum zu bringen/ ſich gewal-
tig bemuͤhen; er wird ſich unterſtehen/ einem jeden
Theologo ſein Intereſſe, ſeinen Stand/ ſein geruhig
Leben/ ſein Weib und Kind/ ſein Auſehen/ und je ſo
etwas/ das ihm ſeine Opinion zu behaupten einra-
then moͤchte/ vorzumahlen: Aber mein dapfferer
Held wird auch nicht feyren/ er wird/ ſo lang dieſes
Concilium waͤhret/ in der gantzen Chriſtenheit alle
Glocken laͤuten/ und damit das Chriſtlich Volck zum
Gebet an das hoͤchſte Numen ohnablaͤſſig anmah-
nen/ und umb Sendung deß Geiſtes der Warheit
bitten laſſen: Wenn er aber mercken wuͤrde/ daß ſich
einer oder ander von Plutone einnemmen laͤſt/ ſo wird
er die gantze Congregation, wie in einem Conclave,
mit
[287]Drittes Buch.
mit Hunger quaͤlen/ und wenn ſie noch nicht dran
wollen/ ein ſo hohes Werck zu befoͤrdern/ ſo wird er
ihnen allen vom Hencken predigen/ oder ihnen ſein
wunderbarlich Schwerd weiſen/ und ſie alſo erſtlich
mit Guͤte/ endlich mit Ernſt und Bedrohungen da-
hin bringen/ daß ſie ad rem ſchreiten/ und mit ihren
halsſtarꝛigen falſchen Meynungen/ die Welt nicht
mehr wie vor Alters foppen: Nach erlangter Einig-
keit wird er ein groß Jubelfeſt anſtellen/ und der gan-
tzen Welt dieſe gelaͤuterte Religion publiciren/ und
welcher alsdann darwider glaubt/ den wird er mit
Schwefel und Bech martyriſiren/ oder einen ſolchen
Ketzer mit Buxbaum beſtecken/ und dem Plutone zum
Neuen Jahr ſchencken. Jetzt weiſtu/ lieber Gany-
mede, alles was du zu wiſſen begehrt haſt/ nun ſage
mir aber auch/ was die Urſach iſt/ daß du den Him̃el
verlaſſen/ in welchem du mir ſo manchen Trunck
Nectar eingeſchenckt haſt?
DasVI.Capitel.
JCh gedachte bey mir ſelbſt/ der Kerl doͤrffte viel-
leicht kein Narꝛ ſeyn wie er ſich ſtellte/ ſondern
mirs kochen/ wie ichs zu Hanau gemacht/ umb deſto
beſſer von uns durch zu kommen; gedacht ihn dero-
wegen mit dem Zorn zu probiren/ weil man einen
Narꝛn am beſten bey ſolchem erkennet/ und ſagte/ die
Urſach/ daß ich auß dem Himmel kommen/ iſt/ daß
ich dich ſelbſt darinn manglete/ nam derowegen deß
Dædali Fluͤgel/ und flog auff Erden dich zu ſuchen/
wo ich aber nach dir fragte/ fand ich/ daß man dir
aller Orten und Enden ein ſchlechtes Lob verliehe/
dann Zoilus und Moſcus haben dich und alle andere
NGoͤtter
[288]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Goͤtter/ in der gantzen weiten Welt vor ſo verꝛucht/
leichtfertig und ſtinckend außgeſchryen/ daß ihr
bey den Menſchen allen Credit verloren; du ſelbſt/
ſagen ſie/ ſeyeſt ein Filtzlauſiger Ehebrecheriſcher
Hurenhengſt/ mit was vor Billichkeit du dann die
Welt wegen ſolcher Laſter ſtraffen moͤgeſt? Vulca-
nus ſey ein gedultiger Hanrey/ und habe den Ehebruch
Martis ohne ſonderbare nahmhaffte Rach muͤſſen
hingehen laſſen/ was der hinckende Gauch dann vor
Waffen werde ſchmiden koͤnnen? Venus ſey ſelbſten
die verhaßte Vettel von der Welt/ wegen ihrer Un-
keuſchheit/ was ſie denn vor Gnad und Gunſt einem
andern werde mittheilen koͤnnen? Mars ſey ein Moͤr-
der und Rauber; Apollo ein unverſchaͤmter Huren-
Jaͤger; Mercurius ein unnuͤtzer Planderer/ Dieb und
Kuppler/ Priapus ein Unflat/ Hercules ein Hirnſchaͤl-
liger Wuͤterich/ und in Summa die gantze Schaar
der Goͤtter ſey ſo verꝛucht/ daß man ſie ſonſt nirgends
hin als in deß Augei Stall logiren ſolte/ welcher
ohne das durch die gantze Welt ſtinckt. Ach! ſagte
Jupiter, waͤre es ein Wunder/ wenn ich meine Guͤte
beyſeit ſetzte/ und dieſe heylloſe Ehrendieb und Gotts-
ſchaͤndende Verleumder mit Donner und Blitz ver-
folgte? Was duͤnckt dich mein getreuer und aller-
liebſter Ganymede? Soll ich dieſe Schwaͤtzer mit
ewigem Durſt plagen wie den Tantalum? oder ſoll
ich ſie neben den muthwilligen Plauderer Daphitas
auff dem Berg Therace auffhencken laſſen? oder ſie
mit Anaxarcho in einem Moͤrſel zerſtoſſen? oder ſoll
ich ſie zu Agrigento in Phalaris gluͤhenden Ochſen ſte-
cken? Nein/ Nein Ganymede! dieſe Straffen und
Plagen ſind alle miteinander viel zu gering; ich will
der
[289]Drittes Buch.
der Pandora Buͤchſe von neuem fuͤllen/ und ſelbe den
Schelmen auff die Koͤpff außlaͤeren laſſen/ die Ne-
meſis ſoll die Alecto, Megæra und Theſiphone erwe-
cken/ und ihnen uͤber den Hals ſchicken/ und Hercu-
les ſoll den Cerberum vom Pluto entlehnen/ und dieſe
boͤſe Buben damit hetzen wie die Woͤlff/ wenn ich ſie
dann dergeſtalt genug gejagt und geplagt haben wer-
de/ ſo will ich ſie erſt neben den Heſiodum und Home-
rum in das hoͤlliſch Hauß an ein Saͤul binden/ und
ſie durch die Eumenides ohn einige Erbarmung ewig-
lich abſtraffen laſſen. Jn dem Jupiter ſo drohete/ zog
er in Gegenwart meiner und der gantzen Partey die
Hoſen herunder ohn einige Scham/ und ſtoͤbert die
Floͤh darauß/ welche ihn/ wie man an ſeiner ſprenck-
lichten Haut wol ſahe/ ſchroͤcklich tribulirt hatten:
Jch konte mir nicht einbilden/ was es abgeben ſolte/
biß er ſagte: Schert euch fort ihr kleine Schinder/
ich ſchwoͤre euch beym Styx, daß ihr in Ewigkeit nicht
erhalten ſolt/ was ihr ſo ſorgfaͤltig ſollicitirt! Jch
fragte ihn/ was er mit ſolchen Worten meyne? Er
antwortet/ daß das Geſchlecht der Floͤhe/ als ſie
vernommen/ daß er auff Erden kommen ſeye/ ihre
Geſandten zu ihm geſchickt haͤtten/ ihne zu compli-
mentiren: Dieſe haͤtten ihm darneben angebracht/
ob er zwar ihnen die Hunds-Haͤut zu bewohnen aſſi-
gnirt/ daß dennoch zu Zeiten wegen etlicher Eigen-
ſchafften/ welche die Weiber an ſich haͤtten/ theils
auß ihnen ſich verirꝛeten/ und den Weibern in die
Beltz geriethen; ſolche verirꝛte arme Tropffen aber
wuͤrden von den Weibern uͤbel tractirt/ gefangen/
und nicht allein ermordt/ ſondern auch zuvor zwi-
ſchen ihren Fingern ſo elendiglich gemartert und zer-
N ijrieben
[290]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
rieben/ daß es einen Stein erbarmen moͤchte: Ja/
(ſagte Jupiter ferner) ſie brachten mir die Sach ſo
beweglich und erbaͤrmlich vor/ daß ich Mitleiden
mit ihnen haben muſte/ und alſo ihnen Huͤlff zuſagte/
jedoch mit Vorbehalt/ daß ich die Weiber zuvor
auch hoͤren moͤchte; ſie aber wandten vor/ wenn den
Weibern erlaubt wuͤrde/ Widerpart zu halten/ und
ihnen zu widerſprechen/ ſo wuͤſten ſie wol/ daß ſie
mit ihren gifftigen Hunds-zungen entweder meine
Froͤmmigkeit und Guͤte beteuben/ die Floͤd ſelbſten
aber uͤberſchreyen/ oder aber durch ihre liebliche
Wort und Schoͤnheiten mich bethoͤren/ und zu ei-
nem falſchen Urtheil verleiten wuͤrden; mit fernerer
Bitt/ ich wolte ſie ihrer underthaͤnigen Treu genieſ-
ſen laſſen/ welche ſie mir allezeit erzeigt/ und ferner
zu leiſten gedaͤchten/ in dem ſie allezeit am naͤchſten
darbey geweſen/ und am beſten gewuſt haͤtten/ was
zwiſchen mir und der Jo, Caliſto, Europa, und andern
mehr vorgangen/ haͤtten aber niemal nichts auß der
Schul geſchwaͤtzt/ noch der Juno, wiewol ſie ſich
auch bey ihr pflegten auffzuhalten/ einiges Wort ge-
ſagt/ maſſen ſie ſich noch ſolcher Verſchwiegenheit
befliſſen/ wie dann kein Menſch biß dato (ohnange-
ſehen ſie ſich gar nahe bey allen Bulſchafften finden
lieſſe) von ihnen/ wie Apollo von den Raben/ etwas
dergleichen erfahren haͤtte: Wenn ich aber je zulaſ-
ſen wolte/ daß die Weiber ſie in ihrem Bann jagen/
fangen/ und nach Waidmanns Recht metzlen doͤrff-
ten/ ſo waͤre ihr Bitt/ zu verſchaffen/ daß ſie hinfort
mit einem heroiſchen Todt hingerichtet/ und entwe-
der mit einer Axt wie Ochſen nidergeſchlagen/ oder
wie Wildpret gefaͤllet wuͤrden/ und nicht mehr ſo
ſchimpff-
[291]Drittes Buch.
ſchimpfflich zwiſchen ihren Fingern zerquetſchen
und radbrechen ſolten/ wordurch ſie ohne das ihre
eigene Glieder/ damit ſie offt was anders beruͤhrten/
zu Henckers-Inſtrumenten machten/ welches allen
ehrlichen Mannsbildern ein Schand waͤre! Jch ſag-
te/ ihr Herꝛen muͤſt ſie greulich quaͤlen/ weil ſie euch
ſo ſchroͤcklich tyranniſiren? Ja wol/ gaben ſie mir
zur Antwort/ ſie ſind uns ſonſt ſo neidig/ und villeicht
darumb/ daß ſie ſorgen/ wir ſehen/ hoͤren und empfin-
den zu viel/ eben als ob ſie unſerer Verſchwiegenheit
nicht genugſam verſichert waͤren. Was wolts ſeyn?
koͤnnen ſie uns doch in unſerm eigenen Territorio nit
leiden/ geſtalt manche ihr Schoshuͤndlein mit Buͤr-
ſten/ Kaͤmmen/ Saͤiffen/ Laugen und andern Dingen
dermaſſen durchſtreifft/ daß wir unſer Vatterland
nothdringlich quittiren/ und andere Wohnungen
ſuchen muͤſſen/ ohnangeſehen ſie ſolche Zeit beſſer an-
legen/ und etwan ihre eigene Kinder von den Laͤufen
ſaͤubern koͤnten: Darauff erlaubte ich ihnen/ bey mir
einzukehren/ und meinen menſchlichen Leib ihre Bey-
wohnung/ Thun und Laſſen empfinden zu machen/
damit ich ein Urtheil darnach faſſen koͤnte; da fieng
das Lumpengeſind an/ mich zu geheyen/ daß ich ſie/
wie ihr geſehen habt/ wieder abſchaffen muͤſſen: Jch
will ihnen ein Privilegium auff die Nas hofieren/ daß
ſie die Weiber verꝛieblen und vertrieblen moͤgen/ wie
ſie wollen/ ja wenn ich ſelbſt ſo ein ſchlimmen Kunden
erdappe/ will ichs ihm nicht beſſer machen.
DasVII.Capitel.
WJr dorfften nicht rechtſchaffen lachen/ beydes
weil wir ſich ſtill halten muſten/ und weils der
N iijPhan-
[292]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Phantaſt nicht gern hatte/ worvon Spring-ins-feld
haͤtte zerſpringen moͤgen. Eben damals zeigte unſere
Hohewacht an/ die wir auff einem Baum hatten/ daß
er in der Ferne etwas kommen ſehe; Jch ſtieg auch
hinauff/ und ſahe durch mein Perſpectiv, daß es zwar
die Fuhrleute ſeyn muͤſten/ denen wir auffpaßten/ ſie
hatten aber niemand zu Fuß/ ſondern ohngefaͤhr et-
lich und dreiſſig Reuter zur Convoy bey ſich/ dahero
konte ich mir die Rechnung leicht machen/ daß ſie
nicht oben durch den Wald/ darin wir lagen/ gehen/
ſondern ſich im freyen Feld behelffen wuͤrden/ da wir
ihnen nichts haͤtten abgewinnen moͤgen/ wiewol es
daſelbſt einen boͤſen Weg hatte/ der ungefaͤhr 600.
Schritt von uns/ und etwan 300. Schritt vom End
deß Walds oder Bergs durch die Ebne voꝛbey gieng.
Jch wolte ungern ſo lang daſelbſt umbſonſt gelegen/
oder nur einen Narꝛn erbeutet haben/ machte derhal-
ben geſchwind einen andern Anſchlag/ der mir auch
angienge.
Von unſerer Laͤgerſtatt gienge ein Waſſer-runtze
in einer Klam̃en hinunder (die bequem zu reuten war)
gegen dem Feld warts/ deren Außgang beſetzte ich
mit 20. Mann/ nam auch ſelbſt meinen Stand bey
ihnen/ und ließ den Spring-ins-feld ſchier an dem
Ort/ wo wir zuvor gelegen warn/ ſich in ſeinem Vor-
theil halten/ befahl auch meiner Burſch/ wenn die
Convoy hin komme/ daß jeder ſeinen Mann gewiß
nemmen ſolte/ ſagte auch jedem/ wer Feuer geben/
und welcher ſeinen Schuß im Rohr zum Vorꝛath
behalten ſolte. Etliche alte Kerl ſagten/ was ich ge-
daͤchte? und ob ich wol vermeynte/ daß die Convoy
an dieſen Ort kommen wuͤrde/ da ſie nichts zu thun
haͤtten
[293]Drittes Buch.
haͤtten/ und dahin wol in 100. Jahren kein Bauer
kommen ſeye? Andere aber/ die da glauhten/ ich koͤn-
ne zaubern/ (maſſen ich damals deßwegen in einem
groſſen Ruff war) gedachten/ ich wuͤrde den Feind in
unſere Haͤnd bannen. Aber ich brauchte hierzu keine
Teuffels-Kunſt/ ſondern nur den Spring-ins-feld/
dann als die Convoy/ welche zimlich Trouppen hiel-
te/ recta gegen uns uͤber vorbey paſſiren wolte/ fieng
Spring-ins-feld auß meinem Befelch ſo ſchroͤcklich
an zu bruͤllen wie ein Ochs/ und zu wiehern wie ein
Pferd/ daß der gantze Wald einen Widerſchall dar-
von gab/ und einer hoch geſchworen haͤtte/ es waͤren
Roß und Rinder vorhanden: So bald die Convon
das hoͤrte/ gedachten ſie Beuten zu machen/ und an
dieſem Ort etwas zu erſchnappen/ das doch in der-
ſelben gantzen Gegend nicht anzutreffen/ weil das
Land zimlich eroͤſet war; ſie ritten ſaͤmptlich ſo ge-
ſchwind und unordentlich in unſern Halt/ als wenn
ein jeder der erſte haͤtte ſeyn wollen/ die beſte Schlappe
zu holen/ welche es dann ſo dichte ſetzt/ daß gleich im
erſten Willkomm/ den wir ihnen gaben/ 13. Saͤttel
gelaͤert/ und ſonſt noch etliche auß ihnen gequetſcht
wurden; Hierauff lieffe Spring-ins-feld gegen ih-
nen die Klamme herunder/ und ſchrye: Jaͤger/ hie-
her! darvon die Kerl noch mehr erſchreckt/ und ſo
irꝛ wurden/ daß ſie weder hinderſich/ fuͤrſich/ noch
neben auß reuten konten/ abſprangen/ und ſich zu
Fuß darvon machen wolten: Aber ich bekam ſie alle
ſibenzehen/ ſampt dem Leutenant der ſie commandirt
hatte/ gefangen/ und gieng damit auff die Waͤgen
loß/ ſpannete 24. Pferd auß/ und bekam nur etliche
wenige Seidenwahr und Hollaͤndiſch Tuch/ dann
N jvich
[294]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ich dorffte nicht ſo viel Zeit nehmen/ die Todte zu
pluͤndern/ geſchweig die Waͤgen recht zu durch ſu-
chen/ weil ſich die Fuhrleut zu Pferd bald auß dem
Staub gemacht/ als die Action angienge/ durch wel-
che ich zu Dorſten haͤtte verꝛathen/ und unterwegs
wieder auffgehebt werden koͤnnen Da wir nun auff-
gepackt hatten/ lieffe Jupiter auch auß dem Wald/
und ſchrye uns nach/ ob ihn dann Ganymedes ver-
laſſen wolte? Jch antwortet ihm ja/ wenn er den
Floͤhen das begehrte Privilegium nicht mittheilen
wolte: Jch wolte lieber (antwortet er wieder) daß
ſie miteinander im Cocyto legen! Jch muſte lachen/
und weil ich ohne das noch laͤere Pferd hatte/ lieffe
ich ihn auffſitzen/ demnach er aber nicht beſſer reuten
konte/ als eine Nuß/ muſte ich ihn auffs Pferd bin-
den laſſen/ da ſagte er/ daß ihn unſer Scharmuͤtzel an
die jenige Schlacht gemahnt haͤtte/ welche die Lapi-
thæ hiebevor mit den Centhauris bey deß Pirithoj
Hochzeit angefangen haͤtten.
Wie nun alles voruͤber war/ und wir mit unſern
Gefangenen davon poſtirten/ als ob uns jemand
jagte/ bedachte erſt der gefangene Leutenant/ was er
vor ein groben Fehler begangen/ daß er nemlichein
ſo ſchoͤnen Trouppen Reuter dem Feind ſo ohnvor-
ſichtig in die Haͤnd gefuͤhrt/ und 13. ſo brave Kerl auff
die Fleiſchbanck geliefert haͤtte/ fienge derowegen an
zu deſperiren/ und kuͤndete mir das Quartier wieder
auff/ das ich ihm ſelbſten gegeben hatte/ ja er wolte
mich gleichſam zwingen/ ich ſolte ihn todt ſchieſſen
laſſen/ denn er gedachte nicht allein/ daß dieſes Uber-
ſeben ihm eine groſſe Schand ſeyn/ und unverant-
wortlich fallen/ ſondern auch an ſeiner kuͤnfftigen
Befoͤr-
[295]Drittes Buch.
Befoͤrderung verhinderlich ſeyn wuͤrde/ wofern es
anders nicht gar darzu kaͤme/ daß er den Schaden
mit ſeinem Kopff bezahlen muͤſte: Jch aber ſprach
ihm zu/ und hielte ihm vor/ daß manchem rechtſchaf-
fenen Soldaten das unbeſtaͤndige Gluͤck ſeine Tuͤck
bewieſen/ ich haͤtte aber darumb noch keinen geſeben/
der deßwegen verzagt/ oder gar verzweiffelt ſeye/ ſein
Beginnen ſey ein Zeichen der Kleinmuͤtigkeit/ dapf-
fere Soldaten aber gedaͤchten/ die empfangne Schaͤ-
den ein ander mal wieder einzubringen; mich wuͤrde
er nimmermehr dahin bringen/ daß ich das Cartel
verletzte/ oder ein ſo ſchandliche That wider alle Bil-
lichkeit/ und loͤblicher Soldaten Gewonheit und
Herkommen begienge. Da er nun ſahe/ daß ich nicht
dran wolte/ fienge er an mich zu ſchmaͤhen/ in Mey-
nung/ mich zum Zorn zu bewegen/ und ſagte: Jch
haͤtte nicht auffrecht und redlich mit ihm gefochten/
ſondern wie ein Schelm und Strauch-Moͤrder ge-
handelt/ und ſeinen bey ſich gehabten Soldaten das
Leben als ein Dieb abgeſtolen; woruͤber ſeine eigene
Burſch/ die wir gefangen hatten/ maͤchtig erſchra-
cken/ die meinige aber eben ſo ſehr ergrimmten/ alſo
daß ſie ihn wie ein Sieb durchloͤchert haͤtten/ wann
ichs nur zugelaſſen/ maſſen ich genug abzuwehren
bekame. Jch aber bewegte mich nicht einmal uͤber
ſeine Reden/ ſondern nam beydes Freund und Feind
zum Zeugen deſſen was da geſchahe/ und lieſſe ihn
Leutenant binden/ und als einen Unſinnigen verwah-
ren; verſprach auch/ ihn Leutenant/ ſo bald wir in
unſern Poſten kaͤmen/ und es meine Officier zulaſſen
wolten/ mit meinen eigenen Pferden und Gewehr/
worunter er dann die Wahl haben ſolte/ außzuſtaf-
N vfiren
[296]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
firen/ und ihme offentlich mit Piſtolen und Degen
zu weiſen/ daß Betrug im Krieg wider ſeinen Ge-
gentheil zu uͤben/ in Rechten erlaubt ſeye/ warumb
er nicht bey ſeinen Waͤgen geblieben/ darauff er be-
ſtellt geweſen; oder da er ja haͤtte ſehen wollen/ was
im Wald ſtecke/ warumb er dann zuvor nicht recht-
ſchaffen haͤtte recognoſciren laſſen/ welches ihm beſ-
ſer angeſtanden waͤre/ als daß er jetzund ſo unſinnige
Narꝛenpoſſen anfienge/ daran ſich doch niemand keh-
ren wuͤrde. Hieruͤber gaben mir beydes Freund und
Feind recht/ und ſagten: Sie haͤtten unter hundert
Parteygaͤngern nicht einen angetroffen/ der auff ſol-
che Schmaͤhewort nicht nur den Leutenant todt ge-
ſchoſſen/ ſondern auch alle Gefangene mit der Leich
geſchickt haͤtte. Alſo brachte ich meine Beuten und
Gefangene den andern Morgen gluͤcklich in Soeſt/
und bekam mehr Ehr und Ruhm von dieſer Partey/
als zuvor nimmer/ jeder ſagte: Diß gibt wieder ein
jungen Joh. de Werd! Welches mich trefflich kuͤ-
tzelte; aber mit dem Leutenant Kugeln zu wechſeln
oder zu rauffen/ wolte der Commandant nicht zuge-
ben/ dann er ſagte/ ich haͤtte ihn ſchon zweymal uͤber-
wunden. Je mehr ſich nun dergeſtalt mein Lob wie-
der vermehrte/ je mehr nam der Neid bey denen zu/
die mir ohne das mein Gluͤck nicht goͤnneten.
DasVIII.Capitel.
MEines Jupiters konte ich nicht loß werden/ dann
der Commandant begehrte ihn nicht/ weil nichts
an ihm zu ropffen war/ ſondern ſagte/ er wolte mir
ihn ſchencken; Alſo bekam ich einen eigenen Narꝛn/
und dorffte keinen kauffen/ wiewol ich das Jahr zu-
vor
[297]Drittes Buch.
vor ſelbſt vor einen mich hatte gebrauchen laſſen muͤſ-
ſen. So wunderlich iſt das Gluͤck/ und ſo veraͤnder-
lich iſt die Zeit! Kurtz zuvor tribulierten mich die
Laͤus/ und jetzt habe ich den Floͤhe-Gott in meinem
Gewalt; vor einem halben Jahr dienete ich einem
ſchlechten Dragoner vor einen Jungen; nunmehro
aber vermochte ich zween Knecht/ die mich Herꝛ
hieſſen; es war noch kein Jahr vergangen/ daß mir
die Buben nachlieffen/ mich zur Hur zu machen/
jetzt wars an dem/ daß die Maͤgdlein ſelbſt auß Liebe
ſich gegen mir vernarꝛten: Alſo wurde ich bey Zei-
ten gewahr/ daß nichts beſtaͤndigers in der Welt iſt/
als die Unbeſtaͤndigkeit ſelbſten. Dahero muſte ich
ſorgen/ wann das Gluͤck einmal ſeine Mucken gegen
mich außlaſſe/ daß es mir meine jetzige Wolfahrt ge-
waltig eintraͤncken wuͤrde.
Damals zoge der Graf von der Wahl/ als Obri-
ſter Gubernator deß Weſtphaͤliſchen Craͤiſes/ auß
allen Guarniſonen einige Voͤlcker zuſammen/ eine
Cavalcada durchs Stifft Muͤnſter gegen der Vecht/
Meppen/ Lingen/ und der Orten zu thun/ vornemlich
aber zwo Compagnien Heſſiſche Reuter im Stifft
Paderborn außzuheben/ welche zwo Meilen von
Paderborn lagen/ und den Unferigen daſelbſten viel
Dampffs anthaͤten; ich wurde unter unſern Drago-
nern mit commandirt/ und als ſich einige Trouppen
zum Ham geſamblet/ giengen wir ſchnell fort/ und
berenneten bemeldter Reuter Quartier/ welches ein
ſchlecht-verwahrtes Staͤttlein war/ biß die Unſerige
hernach kamen; Sie unterſtunden durch zu gehen/
wir jagten ſie aber wieder zuruͤck in ihr Neſt/ es wur-
de jhnen angebotten/ ſie ohne Pſerd und Gewehr/
N vjjedoch
[298]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
jedoch mit dem was der Guͤrtel beſchlieſſe/ paſſiren
zu laſſen; Aber ſie wolten ſich nicht darzu verſtehen/
ſondern mit ihren Carbinern wie Mußquetierer weh-
ren: Alſo kams darzu/ daß ich noch dieſelbe Nacht
probieren muſte/ was ich vor Gluͤck in Stuͤrmen
haͤtte/ weil die Dragoner vorn an giengen/ da gelung
es mir ſo wol/ daß ich ſampt dem Spring-ins-feld
gleichſam mit den erſten gantz ohnbeſchaͤdigt in das
Staͤttlein kam/ wir laͤerten die Gaſſen bald/ weil ni-
dergemacht wurde/ was ſich im Gewehr befande/
und ſich die Burger nicht hatten wehren wollen/ alſo
gieng es mit uns in die Haͤuſer/ Spring-ins-feld ſag-
te: Wir muͤſten ein Hauß vornehmen/ vor welchem
eingroſſer Hauffen Miſt lege/ dañ in denſelben pfleg-
ten die reichſte Kautzen zu ſitzen/ denen man gemei-
niglich die Officier einlogirte/ darauff griffen wir ein
ſolches an/ in welchem Spring-ins-feld den Stall/
ich aber das Hauß zu viſitiren vor name/ mit dieſer
Abred/ daß jeder das jenige was er bekame/ mit dem
andern parten ſolte; Alſo zuͤndet jeder ſeinen Wax-
ſtock an/ ich ruffte nach dem Vatter im Hauß/ kriegte
aber kein Antwort/ weil ſich jederman verſteckt hatte/
geriethe indeſſen in eine Kammer/ fande aber nichts
als ein laͤer Bett darinnen/ und einen beſchloſſenen
Trog/ den haͤmmert ich auff/ in Hoffnung etwas
koſtbares zu finden/ aber da ich den Deckel auffthaͤt/
richtet ſich ein kohlſchwartzes Ding gegen mir auff/
welches ich vor den Lucifer ſelbſt anſahe: Jch kan
ſchwoͤren/ daß ich mein Lebtag nie ſo erſchrocken bin/
als eben damals/ da ich dieſen ſchwartzen Teuffel ſo
unverſehens erblickte; Daß dich bieſer und jener er-
ſchlag/ ſagte ich gleichwol in ſolchem Schrecken/
und
[299]Drittes Buch.
und zuckte mein Aextlein/ damit ich den Trog auffge-
macht/ und hatte doch das Hertz nicht/ ihm ſolches
in Kopff zu hauen; er aber knyete nider/ bud die
Haͤnd auff/ und ſagte: Min leve Heer/ ick bitte
ju doer Gott/ ſchinckt mi min Levent! Da hoͤ-
rete ich erſt/ daß es kein Teuffel war/ weil er von Gott
redet/ und umb ſein Leben bat; ſagte demnach/ er
ſolte ſich auß dem Trog geheyen/ das thaͤt er/ und
gieng mit mir ſo nackend/ wie ihn GOtt erſchaffen
hatte. Jch ſchnitte ein Stuͤck von meinem Wachs/
und gabs ihm mir zu leuchten/ das thaͤt er gehorſam-
lich/ und fuͤhret mich in ein Stuͤblein/ da ich den
Haußvatter fande/ der ſampt ſeinem Geſind diß lu-
ſtige Spectacul anſahe/ und mit Zittern umb Gnad
bate! Dieſe erhielte er leicht/ weil wir den Burgern
ohne das nichts thun dorfften/ und er mir deß Ritt-
meiſters Bagage, darunter ein zimlich wolgeſpickt
verſchloſſen Felleiſen war/ einhaͤndigte/ mit Bericht/
daß der Rittmeiſter und ſeine Leut/ biß auff einen
Knecht und gegenwaͤrtigen Mohren/ ſich zu wehren
auff ihre Poſten gangen waͤren; indeſſen hatte der
Spring-ins feld beſagten Knecht auch mit ſechs ge-
ſattelten ſchoͤnen Pferden auch im Stall erwiſcht/
die ſtellten wir ins Hauß/ verꝛigelten ſolches/ und
lieſſen den Mohren ſich anziehen/ den Wirth aber
aufftragen/ was er vor ſeinen Rittmeiſter zurichten
muͤſſen. Als aber die Thor geoͤffnet/ die Poſten be-
ſetzt/ und unſer General Feldzeugmeiſter Herꝛ Graf
von der Wahl eingelaſſen wurde/ nam er ſein Logi-
ment in eben demſelben Hauß darinn wir uns befan-
den/ darumb muſten wir bey finſterer Nacht wieder
ein ander Quartier ſuchen. Das fanden wir bey un-
N vijſern
[300]Deß Abenth. Simpliciſſimi
ſern Cameraden/ die auch mit Sturm ins Staͤnlein
kommen waren/ bey denſelbigen lieſſen wir uns wol
ſeyn/ und brachten den uͤbrigen Theil der Nacht mit
Freſſen und Sauffen zu/ nachdem ich und Spring-
ins-feld miteinander unſere Beuten getheilt hatten/
ich bekam vor mein Theil den Mohren und die zwey
beſte Pferd/ darunter ein Spaniſches war/ auff wel-
chem ein Soldat ſich gegen ſeinem Gegentheil dorff-
te ſehen laſſen/ mit dem ich nachgehends nicht we-
nig prangte/ auß dem Felleiſen aber kriegte ich un-
terſchiedliche koͤſtliche Ring/ und in einer guͤldenen
Cappel mit Rubinen beſetzt/ deß Printzen von Ura-
nien Conterfaͤit/ weil ich dem Spring-ins-feld das
uͤbrige alles lieſſe/ kam alſo/ wenn ich alles halber
hinweg haͤtte ſchencken wollen/ mit Pferden und al-
lem uͤber die 200. Ducaten/ vor den Mohren aber/
der mich am allerſaurſten ankommen war/ wurde mir
vom Gen. Feldzeugmeiſter/ als welchen ich ihm præ-
ſentirte/ nicht mehr als zwey Dutzet Thaler verehrt.
Von dannen giengen wir ſchnell an die Embs/ rich-
teten aber wenig auß/ und weil ſichs eben traff/ daß
wir auch gegen Recklinghauſen zukamen/ nam ich
Erlaubnus/ mit Spring-ins-feld meinem Pfaffen
zuzuſprechen/ dem ich hiebevor den Speck geſtohlen
hatte/ mit demſelben machte ich mich luſtig/ und er-
zehlte ihm/ daß mir der Mohr den Schrecken/ den er
und ſeine Koͤchin neulich empfunden/ wieder einge-
traͤnckt haͤtte/ verehrte ihm auch ein ſchoͤne ſchlagende
Hals-Uhr zum freundlichen Valete, ſo ich auß deß
Rittmeiſters Felleiſen bekommen hatte/ pflegte alſo
aller Orten die jenige zu Freunden zu machen/ ſo
ſonſten Urſach geha[b]t haͤtten/ mich zu haſſen.
Das
[301]Drittes Buch.
DasIX.Capitel.
MEine Hoffart vermehrte ſich mit meinem Gluͤck/
darauß endlich nichts anders als mein Fall er-
ſolgen konte; Ungefaͤhr ein halbe Stund von Reh-
nen campirten wir/ als ich mit meinen beſten Came-
raden Erlaubnus begehrte/ in daſſelbe Staͤttlein zu
gehen/ etwas an unſerm Gewehr flicken zu laſſen/ ſo
wir auch erhielten. Weil aber unſer Meynung war/
ſich einmal rechtſchaffen miteinander luſtig zu ma-
chen/ kehrten wir im beſten Wirtshauß ein/ und lieſ-
ſen Spilleut kommen/ die uns Wein und Bier hin-
under geigen muſten: Da giengs in floribus her/ und
blieb nichts unterwegen/ was nur dem Geld wehe
thun moͤchte/ ja ich hielte Burſch von andern Regi-
mentern zu Gaſt/ und ſtellte mich nicht anders/ als
wie ein junger Printz/ der Land und Leut vermag/
und alle Jahr ein groß Geld zu verzehren hat. Da-
hero wurde uns auch beſſer/ als einer Geſellſchafft
Renter/ die gleichfalls dort zehrte/ auffgewartet/
weils jene nicht ſo doll hergeben lieſſen/ das verdroß
ſie/ und fiengen an mit uns zu kippeln: woher kom̃ts/
ſagten ſie untereinander/ daß dieſe Stigelhupffer
(dann ſie hielten uns vor Mußauetterer/ maſſen kein
Thier in der Welt iſt/ das einem Mußquetierer glei-
cher ſihet als ein Dragoner/ und wenn ein Dragoner
vom Pferd faͤllt/ ſo ſtehet ein Mußquetierer wieder
auff) ihre Heller ſo weiſen? Ein anderer antwortet/
jener Saͤugling iſt gewiß ein Stroh-Juncker/ dem
ſeine Mutter etliche Milch-Pfenning geſchickt/ die er
jetzo ſeinen Cameraden ſpendirt/ damit ſie ihn kuͤnff-
tig irgendswo auß dem Dreck/ oder etwan durch ein
Graben
[302]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Graben tragen ſollen. Mit dieſen Worten zieleten
ſie auff mich/ dann ich wurde vor einen jungen Edel-
mann bey ihnen angeſehen. Solches wurd mir durch
die Keller in hinderbracht/ weil ichs aber nicht ſelbſt
gehoͤrt/ konte ich anders nichts darzu thun/ als daß
ich ein groß Bierglas mit Wein einſchencken/ und
ſolches auff Geſundheit aller rechtſchaffenen Muß-
quetierer herumb gehen/ auch jedesmal ſolchen Al-
larm darzu machen lieſſe/ daß keiner ſein eigen Wort
hoͤren konte; das verdroß ſie noch mehr/ derowegen
ſagten ſie offentlich: Was Teuffels haben doch die
Stigelhuͤpffer vor ein Leben? Spring-ins-feld ant-
wortet/ was gehts die Stiffelſchmierer an? Das
gieng ihm hin/ dann er ſahe ſo graͤßlich drein/ und
machte ſo grauſame und bedrohliche Minen/ daß ſich
keiner an ihn reiben dorffte. Doch ſtieß es ihnen wie-
der auff/ und zwar einen anſehnlichen Kerl/ der ſagte:
Und wenn ſich die Maurenſcheiſſer auch auff ihrem
Miſt (er vermeynte/ wir laͤgen da in der Guarniſon,
weil unſere Kleidungen nicht ſo Wetterfaͤrbig auß-
ſahen/ wie der jenigen Mußquetierer/ die Tag und
Nacht im Feld ligen) nicht ſo breit machen doͤrfften/
wo wolten ſie ſich dann ſehen laſſen? man weiß ja
wol/ daß jeder von ihnen in offenen Feldſchlachten
unſer Raub ſeyn muß/ gleich wie die Daub eines jeden
Stoß-Falcken! Jch antwortet ihm: Wir muͤſſen
Staͤtt und Veſtungen einnehmen/ und ſolche werden
uns auch zu verwahren vertrauet/ dahingegen ihr
Reuter auch vor dem geringſten Ratten-Neſt keinen
Hund auß dem Ofen locken koͤnnet; warumb wolten
wir ſich dann in dem/ was mehr unſer als euer iſt/
nicht doͤrffen luſtig machen? Der Reuter antwortet/
wer
[303]Drittes Buch.
wer Meiſter im Feld iſt/ dem folgen die Veſtungen/
daß wir aber die Feldſchlachten gewinnen muͤſſen/
folget auß dem/ daß ich ſo drey Kinder/ wie du eins
biſt/ mit ſampt ihren Mußqueten nicht allein nicht
foͤrchten/ ſondern ein paar darvon auff den Hut ſie-
cken/ und den dritten erſt fragen wolte/ wo deiner noch
mehr waͤren? und ſaͤſſe ich nur bey dir/ ſagte er gar
boͤniſch/ ſo wolte ich dem Junckern zu Beſtetigung
der Warheit ein par Dachteln geben! Jch antwor-
tet ihm/ ob ich zwar vermeyne/ ein ſo gut par Piſto-
len zu haben als du/ wiewol ich kein Reuter/ ſondern
nur ein Zwidder zwiſchen ihnen und den Mußque-
tierern bin/ ſchau! ſo hat doch ein Kind das Hertz/
mit ſeiner Mußqueten allein/ einem ſolchen Praler
zu Pferd/ wie du einer biſt/ gegen all ſeinem Gewehr
im freyen Feld/ nur zu Fuß zu erſcheinen. Ach du
Coujon, ſagte der Kerl/ ich balte dich vor einen
Schelmen/ wenn du nicht wie ein redlicher von Adel
alsbald deinen Worten eine Krafft gibſt. Hierauff
warff ich ihm einen Handſchuh zu/ und ſagte: Sihe
da/ wenn ich dieſen im freyen Feld durch meine Muß-
quete nicht zu Fuß wieder von dir bekomme/ ſo habe
genugſame Macht und Gewalt/ mich vor den jeni-
gen zu halten und außzuſchreyen/ wie mich deine Ver-
meſſenheit geſcholten hat. Hierauff zahlten wir den
Wirth/ und der Reuter machte ſeinen Carbiner und
Piſtolen/ ich aber meine Mußquete fertig/ und da er
mit ſeinen Cameraden von uns an den beſtim̃ten Ort
ritte/ ſagte er zu meinem Spring-ins-feld: Er ſolte
mir nur allgemach das Grab beſtellen; Dieſer aber
antwortet ihm/ er moͤchte ſolches auff ein Vorſorg
ſeinen eigenen Cameraden/ vor ihn ſelbſt zu beſtellen/
anbe-
[304]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
anbefehlen; mir aber verwieſe er meine Frechheit/
und ſagte unverholen/ Er beſorge/ ich werde auß
dem letzten Loch pfeiffen. Jch lachte hingegen/ weil
ich mich ſchon vor laͤngſt beſonnen hatte/ wie ich ei-
nem wol-mondirten Reuter begegnen muͤſſe/ wann
mich einmal einer zu Fuß mit meiner Mußquete im
weiten Feld feindlich angreiffen ſolte. Da wir nun
an den Ort kamen/ wo der Betteltantz angehen ſolte/
hatte ich meine Mußquet bereits mit zweyen Kuglen
geladen/ friſch Zindkraut auffgeruͤhrt/ und den De-
ckel auff der Zindpfannen mit Unſchlit verſchmiert/
wie vorſichtige Mußquetierer zu thun pflegen/ wenn
ſie das Zindloch und Pulver auff der Pfannen im
Regenwetter vor Waſſer verwahren wollen.
Ehe wir nun auffeinander giengen/ bedingten bey-
derſeits Cameraden miteinander/ daß wir uns im
freyen Feld angreiffen/ und zu ſolchem End der eine
von Oſt/ der ander aber von Weſt/ in ein umbzaͤuntes
Feld eintretten ſolten/ und alsdann moͤge ein jeder
ſein beſtes gegen dem andern thun/ wie ein Soldat
thun ſoll/ welcher dergeſtalt ſeinen Feind vor Augen
kriegt; Es ſolte ſich auch weder vor/ in/ noch nach
dem Kampff/ keiner von beyden Parteyen unterſte-
hen/ ſeinem Cameraden zu helffen/ noch deſſen Todt
oder Beſchaͤdigung zu raͤchen. Als ſie ſolches einan-
der mit Mund und Hand verſprochen hatten/ gaben
ich und mein Geguer einander auch die Haͤnd/ und
verziehe je einer dem andern ſeinen Todt: Jn welcher
aller-unſinnigſten Thorheit/ welche je ein vernuͤnff-
tiger Menſch begehen kan/ ein jeder hoffte/ ſeiner
Gattung Soldaten das Præ zu erhalten/ gleichſam
als ob deß einen oder andern Theils Ehr und Repu-
tation
[305]Drittes Buch.
tation an dem Außgang unſeres teuffliſchen Begin-
nens gelegen geweſt waͤre. Da ich nun an meinem
deſtimpten Ende mit doppelt-brennendem Lunden in
angeregtes Feld tratte/ und meinen Gegentheil vor
Augen ſahe/ ſtellte ich mich/ als ob ich das alte Zind-
kraut im Gang abſchuͤttete/ ich thaͤts aber nicht/
ſondern ruͤhrte Zindpulper nur auff den Deckel mei-
ner Zindpfannen/ bließ ab/ und baßte mit zweyen
Fingern auff der Pfann auff/ wie braͤuchlich iſt/ und
ehe ich meinem Gegentheil/ der mich auch wol im
Geſicht hielte/ das Weiſſe in Augen ſehen konte/
ſchlug ich auff ihn an/ und brennte mein falſch Zind-
kraut auff dem Deckel der Pfannen vergeblich hin-
weg; mein Gegner vermeynte/ die Mußquet haͤtte
mir verſagt/ und das Zuͤndloch waͤre mir verſtopfft/
ſprengte derowegen/ mit einer Piſtol in der Hand/
gar zu begierig recta auff mich dar/ in Meynung/ mir
meinen Frevel zu bezahlen; Aber ehe er ſichs verſahe/
hatte ich die Pfann offen/ und wieder angeſchlagen/
hieſſe ihn auch dergeſtalt willkomm ſeyn/ daß Knall
und Fall eins war.
Jch retirirte mich hierauff zu meinen Cameraden/
die mich gleichfam kuͤſſend empfiengen/ die ſeinige
aber entledigten ihn auß ſeinem Stegraiff/ und thaͤ-
ten gegen ihm und uns/ wie redliche Kerl/ maſſen ſie
mir auch meinen Handſchuh mit groſſem Lob wieder
ſchickten. Aber da ich meine Ehr am groͤſten zu ſeyn
ſchaͤtzte/ kamen 25. Mußquetier auß Rehnen/ welche
mich und meine Cameraden gefangen namen: Jch
zwar wurde alsbald in Ketten und Band geſchloſſen/
und der Generalitaͤt uͤberſchickt/ weil alle Duell bey
Leib- und Lebensſtraff verbotten waren.
Das
[306]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
DasX.Capitel.
DEmnach unſer General Feldzeugmeiſter ſtrenge
Kriegs-Diſciplin zu halten pflegte/ beſorgte ich
die Verlierung meines Kopffs; Hingegen hatte ich
noch Hoffnung darvon zu kommen/ weil ich bereits
in ſo bluͤhender Jugend jederzeit mich gegen dem
Feind wol gehalten/ und einen groſſen Ruff und Nah-
men der Dapfferkeit erwoꝛben. Doch war ſolche Hoff-
nung ungewiß/ weil dergleichen taͤglichen Haͤndel
halber die Notdurfft erfordert/ ein Exempel zu ſta-
tuiren. Die Unſerige hatten eben damals ein veſtes
Ratten-Neſt berennet und aufffordern laſſen/ aber ein
abſchlaͤgige Antwort bekommen/ weil der Feind wu-
ſte/ daß wir kein grob Geſchuͤtz fuͤhrten. Derowegen
ruckte unſer Graf von der Wahl mit dem gantzen
Corpo vor beſagten Ort/ begehrte durch einen Trom-
peter abermal die Ubergab/ und drohete zu ſtuͤrmen/
es erfolgte aber nicht anders/ als dieſes nachgeſetzte
Schreiben:
HOch-Wolgeborner Graf/ ꝛc. Auß E. Graͤfl.
Excell. an mich abgelaſſenem habe vernommen/
was Dieſelbe im Nahmen der Roͤm. Kaͤiſ. Maj. an
mich geſinnen: Nun wiſſen aber Euer Hoch-Graͤfl.
Excell. Dero hohen Vernunfft nach/ wie uͤbel- an-
ſtaͤndig/ ja unverantwortlich einem Soldaten fallen
wuͤrde/ wann er einen ſolchen Ort/ wie dieſer iſt/
dem Gegentheil ohne ſonderbare Noth einhaͤndigte:
Weſſentwegen Dieſelbe mich dann verhoffentlich
nicht verdencken werden/ wann ich mich bekleiſſige
zu verharꝛen/ biß die Waffen Euer Excell. dem Ort
zuſprechen. Kan aber E. Excell. meine Wenigkeit
auſſer-
[307]Drittes Buch.
auſſerhalb Herꝛen-Dienſten in ichtwas zu gehorſa-
men die Gelegenhett haben/ ſo werde ich ſeyn
E. Excell.
Aller-dienſtwilligſter Diener
N. N.
Hierauff wurde in unſerm Laͤger unterſchiedlich
von dem Ort diſcurirt/ dann ſolches ligen zu laſſen/
war gar nicht rathſam/ zu ſtuͤrmen ohn eine Preſſe/
haͤtte viel Blut gekoſtet/ und waͤre doch noch mißlich
geſtanden/ ob mans uͤbermeiſtert haͤtte oder nicht?
haͤtte man aber erſt die Stuͤck und alle Zugehoͤr von
Muͤnſter oder Ham her holen ſollen/ ſo waͤre gar viel
Muͤhe/ Zeit und Unkoſten darauff geloffen. Jn dem
man nun bey Groſſen und Kleinen rathſchlagte/ fiel
mir ein/ ich ſolte mir dieſe Occaſion zu nutz machen/
umb mich zu erledigen; Alſo gebot ich meiner Witz
zuſammen/ und bedachte mich/ wie man den Feind
betruͤgen moͤchte/ weils nur an den Stuͤcken man-
gelte. Und weil mir gleich zufiele/ wie der Sach zu
thun ſeyn moͤchte/ ließ ich meinen Obriſt Leutenant
wiſſen/ daß ich Anſchlaͤg haͤtte/ durch welche der Ort
ohne Muͤhe und Unkoſten zu bekommen waͤre/ wenn
ich nur Perdon erlangen/ und wieder auff freyen Fuß
geſtellt werden koͤnte. Etliche alte und verſuchte Sol-
daten lachten daruͤber/ und ſagten/ Wer hangt/ der
langt; der gut Geſell gedenckt ſich loß zu ſchwaͤtzen!
Aber der Obriſt Leutenant ſelbſt und andere die mich
kanten/ namen meine Reden an wie einen Glaubens-
Articul: Weßwegen er ſelbſten zum General Feld-
zeugmeiſter gienge/ und demſelben mein Vorgeben
anbrachte/ mit Erzehlung vieles Dings/ das er von
mir zu ſagen wuſte: Weil dann nun der Graf hie-
bevor
[308]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
hiebevor auch vom Jaͤger gehoͤrt hatte/ lieſſe er mich
vor ihn bringen/ und ſo lange meiner Band entledi-
gen; Der Graf hielte eben Tafel/ als ich hin kame/
und mein Obriſt Leutenant erzehlte ihm/ als ich ver-
wichenen Fruͤhling mein erſte Stund unter S. Ja-
cobs Pforten zu Soeſt Schildwacht geſtanden/ ſey
unverſehens ein ſtarcker Platzregen mit groſſem Don-
ner und Sturmwind kommen/ deßwegen ſich jeder-
man auß dem Feld und den Gaͤrten in die Statt ſal-
virt/ und weil das Gedraͤng beydes von lauffenden
und reutenden zimlich dick worden/ haͤtte ich ſchon
damals den Verſtand gehabt/ der Wacht ins Ge-
wehr zu ruffen/ weil in ſolchem Gelaͤuff eine Statt
am beſten einzunehmen ſeye; zuletzt (ſagte der Obriſt
Leutenant ferner) kam ein altes Weib gantz tropff-
naß daher/ die ſagte/ eben als ſie beym Jaͤger vorbey
paſſirte: Ja/ ich hab diß Wetter ſchou wol 14. Tag
in meinem Rucken ſtecken gehabt! Als der Jaͤger ſol-
ches hoͤret/ und eben einen Stecken in Haͤnden hatte/
ſchlug er ſie damit uͤbern Buckel/ und ſagte: Du alte
Hex/ haſtus dann nicht ehe herauß laſſen koͤnnen?
haſtu eben muͤſſen warten/ biß ich anfahe Schild-
wacht zu ſtehen? Da ihm aber ſein Officier abwehr-
te/ antwortet er: Es geſchicht ihr recht/ das alte
Raben-Aaß hat ſchon vor vier Wochen gehoͤrt/ daß
jederman nach einem guten Regen geſchryen/ warum
hat ſie ihn den ehrlichen Leuten nicht ehe gegoͤnnet?
ſo waͤre vielleicht Gerſt und Hopffen beſſer gerathen.
Woruͤber der General Feldzeugmeiſter/ wiewol er
ſonſt ein ernſthaffter Herꝛ war/ trefflich lachte: Jch
aber gedachte/ erzehlt der Obriſt Leutenant dem Gra-
fen ſolche Narꝛnpoſſen/ ſo hat er ihm gewißlich auch
nicht
[309]Drittes Buch.
nicht verſchwiegen/ was ich ſonſt angeſtellt habe. Jch
aber wurde vorgelaſſen.
Als mich nun der Gen. Feldzeugmeiſter fragte/
was mein Anbringen waͤre? Antwortet ich/ Gnaͤ-
diger Herꝛ/ ꝛc. Ob zwar mein Verbrechen und E.
Excell. rechtmaͤſſig Gebot und Verbot/ mir beyde
das Leben abſprechen; So heiſſet mich jedoch meine
aller- und erthaͤnigſte Treu (die ich Dero Roͤm. Kaͤiſ.
Maj. meinem Allergnaͤdigſten Herꝛn biß in Todt zu
leiſten ſchuldig bin) ein weg als den andern meines
wenigen Orts dem Feind einen Abbruch thun/ und
erſt-Aller hoͤchſtgedachter Roͤm. Kaͤiſ. Maj. Nutzen
und Kriegswaffen befoͤrdern; Der Graf fiele mir in
die Red/ und ſagte/ haſtu mir nicht neulich den Moh-
ren gebracht? Jch antwortet/ Ja Gnaͤdiger Herꝛ;
Da ſagte er/ Wol/ dein Fleiß und Treu moͤchte viel-
leicht meritirn/ dir das Leben zu ſchencken/ was haſtu
aber vor ein Anſchlag/ den Feind auß gegenwaͤrtigem
Ort zu bringen/ ohne ſonderbaren Verluſt der Zeit
und Mannſchafft? Jch antwortet/ weil der Ort vor
grobem Geſchuͤtz nicht beſtehen kan/ ſo haͤlt meine
Wenigkeit darvor/ der Feind wuͤrde bald accordirn/
wann er nur eigentlich glaubt/ daß wir Stuͤck bey
uns haben; Das haͤtte mir wol ein Narꝛ geſagt/
antwortet der Graf/ wer wird ſie aber uͤberꝛeden/ ſol-
ches zu glauben? Jch antwortet/ ihre eigene Augen;
Jch habe ihre hohe Wacht mit einem Perſpectiv ge-
ſehen/ die kan man betruͤgen/ wann man nur etliche
Ploͤcher/ den Brunnen-Teichlen gleich/ auff Waͤgen
ladet/ und dieſelbe mit einem ſtarcken Geſpann in das
Feld fuͤhret/ ſo werden ſie ſchon glauben/ es ſeyen
grobe Stuͤck/ vornemlich wann E. Graͤfl. Excell. ir-
gends-
[310]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
gendswo im Feld etwas auffwerffen laͤſt/ als ob man
Stuͤcke dahin pflantzen wolte; Mein liebes Buͤrſch-
lein/ antwortet der Graf/ es ſeyn keine Kinder drin-
nen/ ſie werden dieſem Spiegelfechten nicht glau-
ben/ ſondern die Stuͤck auch hoͤren wollen/ und wenn
der Poß dann nicht angehet/ ſagte er zu den umbſte-
henden Officiern/ ſo werden wir von aller Welt ver-
ſpottet! Jch antwortet/ Gnaͤd. Herꝛ/ ich will ſchon
Stuͤcke in ihren Ohren laſſen klingen/ wann man nur
ein paar Doppelhacken und ein zimlich groß Faß ha-
ben kan/ allein wird ohne den Knall ſonſt kein Effect
varhanden ſeyn; ſolte man aber ja wider Verhoffen
nur Spott damit erlangen/ ſo werde ich der Inventor,
weil ich ohne das ſterben muß/ ſolchen Spott mit mir
dahin nem̃en/ und denſelben mit meinem Leben auff-
heben. Ob nun zwar der Graf nicht daran wolte/ ſo
perſuadirte ihn jedoch mein Obriſt Leutenant dahin/
dann er ſagte/ daß ich in dergleichen Sachen ſo
gluͤckſeelig ſeye/ daß er im wenigſten zweiffele/ daß
dieſer Poß nicht auch angehen werde. Derowegen
befohl ihm der Graf die Sach anzuſtellen/ wie er ver-
meynte/ daß ſichs thun lieſſe/ und ſagte im Schertz zu
ihm: Die Ehr/ ſo er damit erwuͤrbe/ ſolte ihm allein
zuſtehen.
Alſo wurden drey ſolcher Ploͤcher zu wegen ge-
bracht/ und vor jedes 24. Pferd geſpannt/ wiewol
nur zwey genug geweſt waͤren/ dieſe fuͤhrten wir ge-
gen Abend dem Feind ins Geſicht/ indeſſen aber hatte
ich auch drey Doppelhacken/ und ein Stuͤck-Faß/ ſo
wir von einem Schloß bekamen/ unterhanden/ und
richtete ein und anders zu/ wie ichs haben wolte/ das
wurde bey Nacht zu unſerer viſierlichen Artollerey
ver,
[311]Drittes Buch.
verſchafft; den Doppelhacken gabe ich doppelte La-
dung/ und liefſe ſie durch beruͤhrtes Faß (deme der
voͤrdere Boden benommen war) loß gehen/ gleich
ob es drey Loſung-Schuͤſſe haͤtten ſeyn ſollen/ das
donnerte dermaſſen/ daß jederman Stein und Bein
verſchworen haͤtte/ es waͤren Quartier-Schlangen/
oder halbe Carthaunen geweſen; unſer Gen. Feld.
Zeugmeiſter muſte der Gauckelfuhr lachen/ und ließ
dem Feind abermal einen Accord anbieten/ mit dem
Anhang/ wann ſie ſich nicht noch dieſen Abend beque-
men wuͤrden/ daß es ihnen morgen nicht mehr ſo gut
werden ſolte: Darauff wurden alsbald beyderſeits
Geiſel geſchickt/ der Accord geſchloſſen/ und uns
noch dieſelbige Nacht ein Thor der Statt eingege-
ben. Welches mir trefflich zu gut kame/ dann der
Graf ſchenckte mir nicht allein das Leben/ das ich
Krafft ſeines Verbotts verwuͤrckt hatte/ ſondern ließ
mich noch ſelbige Nacht auff freyen Fuß ſtellen/ und
befohl dem Obriſt Leutenant in meiner Gegenwart/
daß er mir das erſte Faͤhnlein/ ſo ledig wuͤrde/ geben
ſolte: Welches ihm aber ungelegen war/ dann er
hatte der Vettern und Schwaͤger ſo viel/ die auff-
paßten/ daß ich vor denſelben nicht zugelaſſen werden
konte.
DasXI.Capitel.
ES begegnete mir auff demſelbigen March nichts
merckwuͤrdiges mehr; Da ich aber wieder nach
Soeſt kam/ hatten mir die Lippſtaͤttiſche Heſſen mei-
nen Knecht/ den ich bey meiner Bagage im Quartier
gelaſſen/ ſampt einem Pferd auff der Waid hinweg
gefangen/ von demſelben erkuͤndigte der Gegentheil
Omein
[312]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
mein Thun und Laſſen/ dahero hielten ſie mehr von
mir als zuvor/ weil ſie hiebevor durch das gemeine
Geſchrey beredt worden/ zu glauben/ daß ich zaubern
koͤnte. Er erzehlte ihnen auch/ daß er einer von denen
Teuffeln geweſen ſeye/ die den Jaͤger von Werle auff
der Schaͤferey ſo erſchroͤckt haͤtten; da ſolches erſt-
beſagter Jaͤger erfuhr/ ſchaͤmte er ſich ſo ſehr/ daß er
abermal das Reiß-auß ſpielete/ und von Lippſtatt zu
den Hollaͤndern lieffe: Aber es war mein groͤſtes
Gluͤck/ daß mir dieſer Knecht gefangen worden/ maſ-
ſen auß der Folge meiner Hiſtori zu vernehmen ſeyn
wird.
Jch fienge an mich etwas reputierlicher zu hal-
ten als zuvor/ weil ich ſo ſtattliche Hoffnung hatte/
in Baͤlde ein Faͤhnlein zu haben; Jch geſellete mich
allgemach zu den Officiern und jungen Edelleuten/
die eben auff das jenige ſpanneten/ was ich in Baͤlde
zu kriegen mir einbildete; Dieſe waren deßwegen
meine aͤrgſte Feinde/ und ſtellten ſich doch gegen mir/
als meine beſte Freunde/ ſo war mir der Obriſt Leu-
tenant auch nicht ſo gar gruͤn/ weil er Befelch hatte/
mich vor ſeinen Verwandten zu befoͤrdern; mein
Hauptmann war mir darumb abhold/ weil ich mich
an Pferden/ Kleidern und Gewehr viel braver hielte/
als er/ und dem alten Geitzhals nicht mehr wie hie-
bevor ſpendirte/ er haͤtte lieber geſehen/ daß mir neu-
lich der Kopff hinweg geſchlagen/ als ein Faͤhnlein
verſprochen worden waͤre/ denn er gedachte meine
ſchoͤne Pferd zu erben; ſo haßte mich mein Leute-
nant eines einzigen Worts halber/ das ich neulich
unbedachtſam lauffen laſſen/ das fuͤgte ſich alſo:
Wir waren miteinander in letzter Cavalcada com-
man-
[313]Drittes Buch.
mandirt/ eine gleichſam verlorne Wacht zu halten/
als nun das Schildwacht halten an mir war/ (wel-
ches ligend geſchehen muſte/ unangeſehen es ſiock-
finſter Nacht war) kroche er Leutenant auch auf dem
Bauch zu mir/ wie ein Schlang/ und ſagte: Schild-
wacht merckſtu was? Jch antwortet/ ja Herꝛ Leu-
tenant; Was da? Was da? ſagte er: Jch ant-
wortet/ Jch mercke/ daß ſich der Herꝛ foͤrchtet. Von
dieſer Zeit an hatte ich kein Gunſt mehr bey ihm/ und
wo es am ungeheurſten war/ wurde ich zum erſten
hin commandirt/ ja er ſuchte an allen Orten und En-
den Gelegenheit und Urſach/ mir/ noch ehe ich Faͤhn-
rich wuͤrde/ das Wambs außzuklopffen/ weil ich
mich gegen ihm nicht wehren doͤrffte. Nicht weniger
feindeten mich auch alle Feldwaibel an/ weil ich ih-
nen allen vorgezogen wurde. Was aber gemeine
Knecht waren/ die fiengen auch an/ in ihrer Liebe und
Freundſchafft zu wancken/ weil es das Anſehen hat-
te/ als ob ich ſie verachtete/ in deme ich mich nicht
ſonderlich mehr zu ihnen/ ſondern wie obgemeldt/ zu
groͤſſern Hanſen geſellete/ die mich drumb nicht deſto
lieber ſahen. Das alleraͤrgſte war/ daß mir kein ei-
niger Menſch ſagte/ wie jederman gegen mir geſin-
net/ ſo konte ichs auch nicht mercken/ weil mir man-
cher die beſte Wort unter Augen gabe/ der mich doch
lieber todt geſehen haͤtte! Jch lebte eben dahin wie
ein Blinder/ in aller Sicherheit/ und wurde laͤnger
je hoffaͤrtiger/ und wann ich ſchon wuſte/ daß es ein
oder andern verdroſſe/ ſo ichs etwan denen von Adel
und vornehmen Officiern mit Pracht bevor thaͤt/ ſo
lieſſe ichs drumb nicht unterwegen; ich ſcheute mich
nicht/ nachdem ich Gefreyter worden/ ein Koller von
O ijſechtzig
[314]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ſechtzig Reichsthalern/ rothe Scharlachne Hoſen/
und weiſſe Anlaſſene Ermel/ uͤberall mit Gold und
Silber verbremt/ zu tragen/ welches damals eine
Tracht der hoͤchſten Officier war/ darumb ſtachs ein
jeden in die Augen; ich war aber ein ſchroͤcklich jun-
ger Narꝛ/ daß ich den Haſen ſo lauffen lieſſe/ dann
haͤtte ich mich anders gehalten/ und das Geld/ das
ich ſo unnuͤtzlich an den Leib henckte/ an gehoͤrige Ort
und End verſchmieret/ ſo haͤtte ich nicht allein das
Faͤhnlein bald bekommen/ ſondern mir auch nicht ſo
viel zu Feinden gemacht. Jch ließ es aber hierbey
noch nicht bleiben/ ſondern butzte mein beſtes Pferd/
das Spring-ins-feld vom Heſſiſchen Rittmeiſter be-
kommen hatte/ mit Sattel/ Zeug und Gewehr der-
geſtalt herauß/ daß man mich/ wann ich darauff ſaß/
gar wol vor einen andern Ritter S. Georgen haͤtte
anſehen moͤgen. Nichts vexierte mich mehr/ als daß
ich mich keinen Edelmann zu ſeyn wuſte/ damit ich
meinen Knecht und Jungen auch in meine Liberey
haͤtte kleiden moͤgen: Jch gedachte/ alle Ding hat
ſeinen Anfang/ wann du ein Wappen haſt/ ſo haſt du
ſchon ein eigene Liberey/ und weñ du Faͤhnrich wirſt/
ſo muſtu ja ein Petſchier haben/ wenn du ſchon kein
Juncker biſt. Jch war nicht lang mit ſolchen Gedan-
cken ſchwanger gangen/ als ich mir durch einen Co-
mitem Palatinum ein Wappen geben lieſſe/ das wa-
ren drey rothe Larven in einem weiſſen Feld/ und
auff dem Helm ein Bruſtbild eines jungen Narꝛn/ in
Kaͤlbernem Habit/ mit einem paar Haſen-Ohren/
vornen mit Schellen geziert; denn ich dachte/ diß
ſchicke ſich am beſten zu meinem Nahmen/ weil ich
Simplicius hieſſe; ſo wolte ich mich auch deß Narꝛn
gebrau-
[315]Drittes Buch.
gebrauchen/ mich in meinem kuͤnfftigen hohen Stand
darbey zu erinnern/ was ich zu Hanau vor ein Geſell
geweſen/ damit ich nicht gar zu hoffaͤrtig wuͤrde/
weil ich mich ſchon jetzt keine Sau zu ſeyn beduͤncken
lieſſe: Alſo wurde ich erſt rechtſchaffen der erſte mei-
nes Nahmens/ Stam̃ens und Wappens/ und wenn
mich jemand damit haͤtte foppen wollen/ ſo baͤtte ich
ihm ohne Zweiffel einen Degen oder paar Piſtoln an-
præſentirt.
Wiewol ich damals noch nichts nach dem Wei-
bervolck fragte/ ſo gienge ich doch gleichwol mit de-
nen von Adel/ wenn ſie irgends Jungfrauen beſuch-
ten/ deren es dann viel in der Statt gabe/ mich ſehen
zu laſſen/ und mit meinen ſchoͤnen Haaren/ Kleidern
und Federbuͤſchen zu prangen. Jch muß bekennen/
daß ich meiner Geſtalt halber allen andern vorgezo-
gen wurde/ muſte aber darneben hoͤren/ daß mich die
verwehnte Schleppſaͤck einem ſchoͤnen und wolge-
ſchnitzten hoͤltzernen Bild verglichen/ an welchem
auſſer der Schoͤnheit ſonſt weder Krafft noch Safft
waͤre/ dann es war ſonſt nichts an mir das ihnen ge-
fiele/ ſo konte ich auch ohne das Lautenſchlagen ſonſt
noch nichts machen oder vorbringen/ das ihnen an-
genehm geweſt waͤre/ weil ich noch nichts vom Lie-
ben wuſte. Als mich aber auch die jenige/ die ſich
umb das Frauenzimmer umbthun konten/ meiner
Holtzboͤckiſchen Art und Ungeſchickligkeit halber an-
ſtachen/ umb ſich ſelbſt dardurch beliebter zu machen/
und ihre Wolredenheit zu ruͤhmen: Jch aber hinge-
gen ſagte/ daß mirs genug ſeye/ wenn ich noch zur
Zeit meine Freud an einem blancken Degen und ei-
ner guten Mußqueten haͤtte; Nachdem auch das
O iijFrauen-
[316]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Frauenzimmer dieſe meine Reden billichte/ verdroß
es ſie ſo ſehr/ daß ſie mir heimlich den Todt ſchwu-
ren/ ohnangeſehen keiner war/ der das Hertz hatte/
mich herauß zu fordern/ oder Urſach zu geben/ daß
ich einen von ihnen gefordert haͤtte/ darzu ein paar
Ohrfeigen/ oder ſonſt zimlich empfindliche Wort/
genug waͤren geweſt/ zu dem ich mich auch zimlich
breit machte. Worauß das Frauenzimmer muth-
maſſete/ daß ich ein reſoluter Juͤngling ſeyn muͤſte;
ſagten auch unverholen/ daß bloß meine Geſtalt und
ruͤhmlicher Sinn/ bey einer Jungfer das Wort beſ-
ſer thun koͤnne/ als alle andere Complimenten/ die
Amor je erfunden; welches die Anweſende noch mehr
verbitterte.
DasXII.Capitel.
JCh hatte zwey ſchoͤne Pferd/ die waren alle meine
Freud/ die ich ſelbiger Zeit in der Welt genoſſe;
alle Tag ritte ich mit denſelben auff die Reit-ſchul/
oder ſonſt ſpatzieren/ wann ich ſonſt nichts zu thun
hatte; nicht zwar/ als haͤtten die Pferd noch etwas
bedoͤrfft zu lernen/ ſondern ich thaͤts darumb/ damit
die Leut ſehen ſolten/ daß die ſchoͤne Creaturen mir
zugehoͤrten. Wann ich dann ſo durch eine Gaſſe da-
her prangte/ oder vielmehr das Pferd mit mir dahin
tantzte/ und das albere Volck zuſahe/ und zu-einan-
der ſagte: Sehet/ das iſt der Jaͤger! Ach welch ein
ſchoͤn Pferd! Ach wie ein ſchoͤner Federboſch! oder/
Min God/ wat vor en prave Kerl is mi dat!
ſo ſpitzte ich die Ohren gewaltig/ und lieſſe mirs ſo
ſanfft thun/ als ob mich die Koͤnigin Nichaula dem
Weiſen Salomon in ſeiner hoͤchſten Majeſtaͤt ſitzend/
ver-
[317]Drittes Buch.
verglichen haͤtte: Aber ich Narꝛ hoͤrete nicht/ was
vielleicht damals verſtaͤndige Leut von mir hielten/
oder meine Mißgoͤnner von mir ſagten; dieſe letztere
wuͤnſchten mir ohn Zweiffel/ daß ich Hals und Bein
brechen ſolte/ weil ſie mirs nicht gleich thun konten;
Andere aber gedachten gewißlich/ wann jederman
das Seinig haͤtte/ daß ich nicht ſo doll daher ziehen
wuͤrde; Jn Summa/ die Allerkluͤgſte muͤſſen mich
ohn allen Zweiffel vor einen jungen Lappen gehalten
haben/ deſſen Hoffart nothwendig nicht lang dauren
wuͤrde/ weil ſie auff einem ſchlechten Fundament be-
ſtuͤnde/ und nur auß ungewiſſen Beuten unterhalten
werden muͤſte. Und wann ich ſelber die Warheit be-
kennen ſoll/ muß ich geſtehen/ daß dieſe letztere nicht
unrecht urtheilten/ wiewol ichs damals nicht ver-
ſtunde/ dann es war nichts anders mit mir/ als daß
ich meinem Mann oder Gegentheil das Hemd haͤtte
rechtſchaffen heiß machen koͤnnen/ wenn einer mit
mir zu thun haͤtte bekommen/ alſo daß ich wol vor
einen einfachen guten Soldaten haͤtte paſſiren koͤn-
nen/ wiewol ich gleichſam noch ein Kind war. Aber
dieſe Urſach macht mich ſo groß/ daß jetziger Zeit
der geringſte Roß Bub den aller-dapfferſten Helden
von der Welt todt ſchieſſen kan/ waͤre aber das Pul-
ver noch nit erfunden geweſen/ ſo haͤtt ich die Pfeiffe
wol im Sack muͤſſen ſtecken laſſen.
Meine Gewonheit war/ wenn ich ſo herumb ter-
minirte/ daß ich alle Weg und Steg/ alle Graͤben/
Moraͤſt/ Buͤſch/ Buͤhel und Waſſer beritten/ dieſel-
bige mir bekant machte/ und ins Gedaͤchtnis faßte/
damit wanns etwan an ein oder anderm Ort kuͤnfftig
eine Occaſion ſetzte/ mit dem Feind zu ſcharmuͤtzeln/
O jvich
[318]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ich mir deß Orts Gelegenheit beydes offenſivè und
defenſivè zu nutz machen koͤnte. Zu ſolchem End
ritte ich einsmals ohnweit der Statt bey einem alten
Gemaͤur voruͤber/ darauff vor Zeiten ein Hauß ge-
ſtanden; Jm erſten Anblick gedachte ich/ diß waͤre
ein gelegener Ort darinn auffzupaſſen/ oder ſich da-
hin zu retirirn/ ſonderlich vor uns Dragoner/ wenn
wir von Reutern uͤbermannt und gejagt werden ſol-
ten: Jch [r]itte in den Hof/ deſſen Gemaͤur zimlich
verfallen war/ zu ſehen/ ob man ſich auch auff den
Nothfall zu Pferd dahin ſalvirn/ und wie man ſich zu
Fuß darauß wehren koͤnte. Als ich nun zu ſolchem
End alles genau beſichtigen/ und bey dem Keller/
deſſen Gemaͤur noch rund umbher auffrecht ſtunde/
voruͤber reuten wolte/ konte ich mein Pferd/ welches
ſonſt im geringſten nichts ſcheuete/ weder mit Lieb
noch Leyd nicht hinbringen/ wo ichs hin wolte/ ich
ſporte es/ daß michs daurte/ aber es halff nichts!
ich ſtieb ab/ und fuͤhrt es an der Hand die verfallene
Keller-Stegen hinunder/ worvon es doch ſcheuete/
damit ich mich ein ander mal darnach richten koͤnte;
Aber es huffte zuruͤck/ ſo ſehr es immer mochte/ doch
brachte ichs endlich mit guten Worten und Strei-
chen hinunder/ und in dem ichs ſtriche/ und ihm lieb-
koſte/ wurde ich gewahr/ daß es vor Angſt ſchwitzte/
und die Augen ſtets in ein Eck deß Kellers richtete/
dahin es am allerwenigſten wolte/ und ich auch das
geringſte nicht ſahe/ darob der ſchlimſte Kollerer haͤt-
te Wetterlaͤuniſch werden moͤgen. Als ich nun ſo mit
Verwunderung da ſtunde/ und dem Pferd zuſahe/
wie es vor Forcht zitterte/ kam mich auch ein ſolches
Grauſen an/ daß mir nicht anderſt wurde/ als ob
man
[319]Drittes Buch.
man mich bey den Haaren uͤber ſich zoͤge/ und einen
Kübel voll kalt Waſſer uͤber mich abgoͤſſe/ doch
konte ich nichts ſehen/ aber das Pferd ſtellte ſich viel
ſeltzamer/ alſo daß ich mir nichts anders einbilden
konte/ als ich muͤſte vielleicht mit ſampt dem Pferd
verzaubert ſeyn/ und in dem ſelben Keller mein Ende
nemmen; derowegen wolte ich wieder zuruͤck/ aber
mein Pferd thaͤt mir nicht folgen/ dahero wurde ich
noch aͤngſtiger/ und ſo verwirꝛt/ daß ich ſchier nicht
wuſte was ich thaͤt. Zuletzt nam ich eine Piſtol auff
den Arm/ und band das Pferd an einen ſtarcken Hol-
derſtock (der im Keller auffgewachſen war) der Mey-
nung/ auß dem Keller zu gehen/ und Leut in der Naͤhe
zu ſuchen/ die meinem Pferd wieder herauff huͤlffen/
und in dem ich ſo hiermit umbgehe/ faͤllt mir ein/ ob
nicht vielleicht in dieſem alten Gemaͤur ein Schatz
verborgen lege/ dahero es ſo ungeheur ſeyn moͤchte?
Jch glaubte meinem Einfall/ und ſahe mich genauer
umb/ und ſonderlich in dem Eck/ dahin mein Pferd
ſo gar nicht wolte/ wurde ich eines Stuͤck Gemaͤurs
gewahr/ ohngefaͤhr ſo groß als ein gemeiner Kam̃er-
Laden/ welches dem andern alten Gemaͤur beydes
an der Farb und Arbeit nicht allerdings gleichte/ da
ich aber hinzu gehen wolte/ wurde mir abermal wie
zuvor/ nemlich als ob mir alle Haar gen Berg ſtuͤn-
den/ welches mich in meiner Meynung ſtaͤrckte/ daß
nemlich ein Schatz daſelbſt verborgen ſeyn muͤſte.
Zehen/ ja hundert mal lieber haͤtte ich Kugeln ge-
wechſelt/ als mich in ſolcher Angſt befunden. Jch
wurde gequaͤlt/ und wuſte doch nicht von wem/ denn
ich ſahe oder hoͤrete nichts; ich nam das ander Pi-
ſtol auch von meinem Pferd/ und wolte damit durch
O vgehen
[320]Deß Abenth. Simpliciſſimi
gehen/ und das Pferd ſiehen laſſen/ vermochte aber
die Stegen nicht hinauff zu kommen/ weil mich/
wie mich deuchte/ ein ſtarcker Lufft auffhielte; Da
lieff mir erſt die Katz den Buckel hinauff! Zuletzt fiel
mir ein/ ich ſolte meine Piſtoln loͤſen/ damit die Bau-
ren/ ſo in der Naͤhe im Feld arbeiteten/ mir zulieffen/
und mit Rath und That zu Huͤlff kaͤmen; das thaͤt
ich/ weil ich ſonſt kein Mittel/ Rath noch Hoffnung
hatte oder wuſte auß dieſem ungeheuren Wunder-ort
zu kommen/ ich war auch ſo erzoͤrnt/ oder vielmehr
ſo deſperat, (dann ich weiß ſelber nicht mehr wie mir
geweſen iſt) daß ich im loßſchieſſen meine Piſtol ge-
rad an den Ort kehret/ allwo ich vermeynte/ daß die
Urſach meiner ſeltzamen Begegnus ſteckte/ und traff
obangeregtes Stuͤck Gemaͤur mit zweyen Kuglen ſo
hart/ daß es ein Loch gab/ darein man zwo Faͤuſt haͤt-
te ſtecken moͤgen. Als der Schuß geſchehen/ wieher-
te mein Pferd/ und ſpitzt die Ohren/ welches mich
bertzlich erquickte/ nicht weiß ich/ iſt damals das Un-
geheur oder Geſpenſt verſchwunden/ oder hat ſich
das arme Thier uͤber das ſchieſſen erfreut? Einmal/
ich faßte wieder ein friſch Hertz/ und gienge gantz
unverbindert und ohn alle Forcht zu dem Loch/ das
ich erſt durch den Schuß geoͤffnet hatte/ da fienge ich
an die Maur vollends einzubrechen/ und fande von
Silber/ Gold und Edelgeſteinen einen ſolchen rei-
chen Schatz/ der mir noch biß auff dieſe Stund wol
bekaͤme/ wenn ich ihn nur recht zu verwahren und
anzulegen gewuſt haͤtte: Es waren aber ſechs Dutzet
Altfraͤnckiſche ſilberne Tiſchbecher/ ein groß guͤlden
Pocal/ etliche Duplet/ vier ſilberne und ein guͤldenes
Saltzfaß/ ein Altfraͤnckiſche guͤldne Kette/ unterſchid-
liche
[321]Drittes Buch.
liche Demant/ Rubin/ Sapbier und Schmaragd/
beydes in Ringen und andern Cleinodien gefaſt/ item
ein gantz Laͤdlein voll groſſer Perlen/ aber alle ver-
dorben oder abgeſtanden/ und dann in einem verſpor-
ten ledernen Sack achtzig von den aͤltſten Joachims-
Thalern auß feinem Silber/ ſo dann 893. Goldſtuͤcke
mit dem Frantzoͤſ. Wappen und einem Adler/ welche
Muͤntz niemand kennen wolte/ weil man/ wie ſie ſag-
ten/ die Schrifft nicht leſen konte. Dieſe Muͤntz/
die Ring und Cleinodien ſteckte ich in meine Hoſen-
ſaͤck/ Stiffeln/ Hoſen und Piſtolhulfftern/ und weil
ich keinen Sack bey mir hatte/ ſintemal ich nur ſpa-
tzieren geritten war/ ſchnitte ich meine Schaberack
vom Sattel/ und packte in dieſelbige (weil ſie gefuͤt-
tert war/ und mir gar wol vor einen Sack dienen
konte) das uͤbrig Silbergeſchirꝛ/ henckte die guͤldene
Kette an Hals/ ſaſſe froͤlich zu Pferd/ und ritte mei-
nem Quartier zu. Wie ich aber auß dem Hof kam/
wurde ich zweyer Bauren gewahr/ welche darvon
lauffen wolten/ ſo bald ſie mich ſahen/ ich ereylte ſie
leichtlich/ weil ich ſechs Fuͤſſe und ein eden Feld hat-
te/ und fragte ſie/ warumb ſie haͤtten wollen außreiſ-
ſen? und warumb ſie ſich ſo ſchroͤcklich foͤrchteten?
Da erzehlten ſie mir/ daß ſie vermeynt haͤtten/ ich
waͤre das Geſpenſt/ das in gegenwaͤrtigem oͤden
Edelhof wohne/ welches die Leute/ wenn man ihm
zu nahe kaͤme/ elendiglich zu tractiren pflege; Und als
ich ferner umb deſſen Beſchaffenheit fragte/ gaben ſie
mir zur Antwort/ daß auß Forcht deß Ungeheners
offt in vielen Jahren kein Menſch an denſelben Ort
komme/ es ſey dann jemand fremder/ der verirꝛe/ und
ungefaͤhr dahin gerathe: Die gemeine Sag gienge
O vjim
[322]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
im Land/ es waͤre ein eiſerner Trog voller Gelds da-
rinnen/ den ein ſchwartzer Hund huͤte/ zuſampt einer
verfluchten Jungfrauen/ und wie die alte Sag gien-
ge/ ſie auch ſelbſten von ihren Groß-Eltern gehoͤrt
haͤtten/ ſo ſolte ein fremder Edelmann/ der weder ſei-
nen Vatter noch Mutter kenne/ ins Land kommen/
dieſelbe Jungfrau erloͤſen/ den eiſernen Trog mit ei-
nem feurigen Schluͤſſel auffſchlieſſen/ und das ver-
borgen Geld darvon bringen. Dergleichen albere
Fabeln erzeblten ſie mir noch viel/ weil ſie aber gar
zu ſchlecht klingen/ will ich geliebter Kuͤrtze halber
abbrechen. Hernach fragte ich ſie/ was ſie beyde dann
da gewolt haͤtten/ da ſie doch ohn das nicht in das Ge-
maͤur gehen doͤrfften? Sie antworteten/ ſie haͤtten
einen Schuß ſampt einem lauten Schrey gehoͤret/
da ſeyen ſie zugeloffen/ zu ſehen/ was da zu thun ſeyn
moͤchte? Als ich ihnen aber ſagte/ daß ich zwar ge-
ſchoſſen haͤtte/ der Hoffnung/ es wuͤrden Leut zu mir
ins Gemaͤur kommen/ weil mir auch zimlich angſt
worden/ wuͤſte aber von keinem Gefchrey nichts:
Da antworteten ſie/ man moͤchte in dieſem Schloß
lang hoͤren ſchieſſen/ biß jemand hinein laufft auß
unſerer Nachbarſchafft/ dann es iſt in Warheit ſo
abentheurlich damit beſchaffen/ daß wir dem Jun-
ckern nicht glauben wuͤrden/ wenn er ſagte/ er waͤre
darinnen geweſen/ dafern wir ihn nicht ſelbſt wieder
herauß haͤtten ſehen reuten. Hierauff wolten ſie viel
Dings von mir wiſſen/ vornemlich wie es darinn be-
ſchaffen waͤre/ und ob ich die Jungfrau ſampt dem
ſchwartzen Hund auff dem eiſernen Trog nicht geſe-
ben haͤtte? Alſo daß ich ihnen/ wenn ich nur auff-
ſchneiden wollen/ ſeltzame Beeren haͤtte anbinden
koͤnnen
[332[323]]Drittes Buch.
koͤnnen/ aber ich ſagte ihnen im geringſten nichts/
auch nicht einmal/ daß ich den koͤſtlichen Schatz auß-
gehoben/ ſondern ritte meines Wegs in mein Quar-
tier/ und beſchaute meinen Fund/ der mich hertzlich
erfreute.
DasXIII.Capitel.
DJe jenige/ die wiſſen was das Geld gilt/ und
dahero ſolches vor ihren GOtt halten/ haben
deſſen nicht geringe Urſach; dann iſt jemand in der
Welt/ der deſſen Kraͤfften und bey nahe Goͤttliche
Tugenden erfahren hat/ ſo bin ichs: Jch weiß/ wie
einem zu Muth iſt/ der deſſen einen zimlichen Vor-
rath hat/ ſo hab ich auch nicht nur einmal erfahren/
wie der jenige geſinnet ſey/ der keinen einigen Heller
vermag. Ja ich doͤrffte mich vermeſſen zu erweiſen/
daß es alle Tugend- und Wuͤrckungen viel kraͤfftiger
hat und vermag/ als alle Edelgeſtein/ dann es ver-
treibt alle Melancholey/ wie der Demant; es macht
Luſt und Beliebung zu den Studiis, wie der Smaragd/
darumb werden gemeiniglich mehr reicher als armer
Leut Kinder Studenten; es nimmt hinweg Furcht-
ſamkeit/ macht den Menſchen froͤlich und gluͤckſelig
wie der Rubin; Es iſt dem Schlaff offt binderlich/
wie die Granaten/ bingegen hat es auch eine groſſe
Krafft/ die Ruhe und den Schlaff zu befoͤrdern/ wie
der Jacint; es ſtaͤrcket das Hertz/ und machet den
Menſchen freudig/ ſittſam/ friſch und mild/ wie der
Saphir und Amethiſt; es vertreibet boͤſe Traͤum/
machet froͤlich/ ſchaͤrffet den Verſtand/ und ſo man
mit jemand zanckt/ macht es daß man ſiegt/ wie der
Sardus/ vornemlich wenn man alsdann den Rich-
O vijter
[324]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ter drav damit ſchmiert; es leſcht auß die gaͤile und
unkeuſche Begierden/ ſonderlich weil man ſchoͤne
Weiber umbs Geld kriegen kan. Jn Summa/ es
iſt nicht außzuſprechen/ was das liebe Geld vermag/
wie ich dann hiebevor in meinem Schwartz und
Weiß etwas darvon geſchrieben/ wenn mans nur
recht zu brauchen und anzulegen weiß.
Was das Meinige anbelangt/ das ich damals
beydes mit Rauben und Findung dieſes Schatzes zu
wegen gebracht/ ſo hatte daſſelbe ein ſeltzame Natur
an ſich/ denn erſtlich machte es mich hoffaͤrtiger/ als
ich zuvor war/ ſo gar/ daß mich auch im Hertzen da-
rinn verdroſſe/ daß ich nur Simplicius heiſſen ſolte;
Es hindert mir den Schlaff/ wie der Amethiſt/ denn
ich lag manche Nacht/ und ſpeculirte/ wie ich ſol-
ches anlegen/ und noch mehr darzu bekommen moͤch-
te. Es machte mich zu einem perfecten Rechenmei-
ſter/ dann ich uͤberſchlug/ was mein ungemuͤntztes
Silber und Gold werth ſeyn moͤchte/ ſummirte ſol-
ches zu dem jenigen/ das ich hin und wieder verbor-
gen/ und noch bey mir im Seckel hatte/ und befand
ohne die Edelgeſtein ein nahmhafftes Facit! Es gab
mir auch ſeine eigene angeborne Schalckheit und
boͤſe Natur zu verſuchen/ in dem es mir das Spruͤch-
wort (wo viel iſt/ begehrt man im̃er mehr) rechtſchaf-
fen außlegte/ und mich ſo geitzig machte/ daß mir
jederman haͤtte feind werden moͤgen. Jch bekam von
ihm wol naͤrꝛiſche Anſchlaͤg/ und ſeltzame Grillen
ins Hirn/ und folgte doch keinem einigen Einfall/
den ich kriegte: Einmal kam mirs in Sinn/ ich ſolte
den Krieg quittirn/ mich irgends hin ſetzen/ und mit
einem ſchmutzigen Maul zum Fenſter nauß ſehen;
Aber
[325]Drittes Buch.
Aber geſchwind reute michs wieder/ vornemlich da
ich bedachte/ was vor ein freyes Leben ich fuͤhrte/
und was vor Hoffnung ich hatte/ ein groſſer Hans
zu werden; da gedachte ich dann/ Huy Simplici, laſſe
dich Adeln/ und werbe dem Kaͤiſer ein eigene Com-
pagni Dragoner auß deinem Seckel/ ſo biſtu ſchon
ein außgemachter junger Herꝛ/ der mit der Zeit noch
hoch ſteigen kan. So bald ich aber zu Gemuͤt fuͤdrte/
daß meine Hoheit durch ein einzig ungluͤcklich Tref-
fen fallen/ oder ſonſt durch einen Friedenſchluß ſampt
dem Krieg in Baͤlde ein End nemmen koͤnte; ließ ich
mir dieſen Anſchlag auch nicht mehr belieben. Als-
denn fienge ich an/ mir mein vollkommen maͤnnlich
Alter zu wuͤnſchen/ dann wann ich ſolches haͤtte/
ſagte ich zu mir ſelber/ ſo nehmeſtu ein ſchoͤne junge
reiche Frau/ alsdenn kauffteſtu irgends einen Adeli-
chen Sitz/ und fuͤhrteſt ein geruhiges Leben; Jch
wolte mich auff die Viehzucht legen/ und mein ehr-
lich Außkommen reichlich haben koͤnnen/ da ich aber
wuſte/ daß ich noch viel zu jung hierzu war/ muſte ich
dieſen Anſchlag auch fahren laſſen. Solcher und der-
gleichen Einfaͤll hatte ich viel/ biß ich endlich reſol-
virte/ meine beſte Sachen irgend hin in einer wol-
verwahrten Statt einem beguͤterten Mann in Ver-
wahrung zu geben/ und zu verharꝛen/ was das Gluͤck
ferner mit mir machen wuͤrde. Damals hatte ich mei-
nen Jupiter noch bey mir/ dann ich konte ſeiner nicht
loß werden/ derſelbe redte zu Zeiten ſehr ſubtil/ und
thaͤt etliche Wochen gar klug ſeyn/ hatte mich auch
uͤber alle maſſen lieb/ weil ich ihm viel Guts thaͤte/
und demnach er mich immer in tieffen Gedancken
gehen ſahe/ ſagte er zu mir: Liebſter Sohn/ ſchencket
euer
[326]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
euer Schindgeld/ Gold und Silber weg; ich ſagte/
warumb mein lieber Jove? darumb/ antwortet er/
damit ihr euch Freunde dardurch machet/ und eurer
unnuͤtzen Sorgen loß werdet: Jch ſagte/ daß ich lie-
ber gern mehr haͤtte: Darauff ſagte er/ ſo ſehet/ wo
ihr mehr bekompt/ aber auff ſolche Weis werdet ihr
euch euer Lebtag weder Rube noch Freunde ſchaffen/
laſt die alte Schabhaͤls geitzig ſeyn/ ihr aber haltet
euch/ wie es einem jungen braven Kerl zuſtehet/ ihr
ſolt noch viel eher Mangel an guten Freunden/ als
Geld erfahren; Jch dachte der Sach nach/ und be-
fande zwar/ daß Jupiter wol von der Sach redte/ der
Geitz aber hatte mich ſchon dergeſtalt eingenommen/
daß ich gar nit gedachte etwas hinzuſchencken/ doch
verehrte ich zuletzt dem Commandanten ein paar ſil-
berne und uͤberguldte Duplet/ meinem Hauptmann
aber ein paar ſilberne Saltzfaͤſſer/ darmit ich aber
nichts anders außrichtete/ als daß ich ihnen nur das
Maul auch nach dem uͤbrigen waͤſſerig machte/ weil
es rare Antiquitaͤten waren; meinem getreuſten Ca-
meraden Spring-ins-feld ſchenckte ich 12. Reichs-
thaler/ der riethe mir dargegen/ ich ſolte mein Reich-
thum von mir thun/ oder gewaͤrtig ſeyn/ daß ich dar-
durch in Ungluͤck kaͤme/ dann die Officier ſehen nicht
gern/ daß ein gemeiner Soldat mehr Geld haͤtte als
ſie; So haͤtte er auch wol ehemals geſehen/ daß ein
Camerad den andern umbs Gelds halber heimlich
ermordet; bißher haͤtte ich wol heimlich halten koͤn-
nen/ was ich an Beuten erſchnappt/ dann jederman
glaubte/ ich haͤtte alles wieder an Kleider/ Pferd und
Gewehr gehenckt/ nunmehr aber wuͤrde ich niemand
kein Ding mehr verklaiben/ oder weiß machen koͤn-
nen/
[327]Drittes Buch.
nen/ daß ich kein uͤbrig Geld haͤtte/ dann jeder machte
den gefundenen Schatz jetzt groͤſſer/ als er an ſich
ſelbſt ſeye/ und ich ohne das nicht mehr wie hiebevor
ſpendire/ er muͤſſe offt hoͤren/ was unter der Burſch
vor ein Gemurmel gehe/ ſolte er an meiner ſtatt
ſeyn/ ſo lieſſe er den Krieg Krieg ſeyn/ ſetzte ſich irgend
bin in Sicherheit/ und ließ den lieben GOtt walten:
Jch antwortet/ Hoͤr Bruder/ wie kan ich die Hoff-
nung/ die ich zu einem Faͤhnlein habe/ ſo leichtlich
in Wind ſchlagen? Ja ja/ ſagte Spring-ins-feld/
bol mich dieſer und jener/ wenn du ein Faͤhnlein be-
kommſt/ die andere ſo auch darauff hoffen/ ſolten dir
ehe tauſendmal den Hals brechen helffen/ wenn ſie
ſehen/ daß eins ledig/ und du bekommen ſolteſt/ lerne
mich nur keine Karpffen kennen/ dann mein Vatter
iſt ein Fiſcher geweſt: Halt mirs zu gut Bruder/ deñ
ich laͤnger zugeſehen habe/ wie es im Krieg hergehet/
als du; ſiheſin nicht/ wie mancher Feldwaibel bey
ſeinem kurtzen Gewehr grau wird/ der vor vielen eine
Compagni zu haben meritirte/ vermeyneſtu/ ſie ſeyen
nicht auch Kerl/ die etwas haben hoffen doͤrffen? zu
dem ſo geduͤhret ihnen von Rechts wegen mehr als
dir ſolche Befoͤrderung/ wie du ſelber erkenneſt. Jch
muſte ſchweigen/ weil Spring-ins-feld auß einem
Teutſchen auffrichtigen Hertzen mir die Warheit ſo
getreulich ſagte/ und nicht heuchelte/ jedoch biſſe ich
die Zaͤhn heimlich uͤbereinander/ dann ich bildete mir
damals trefflich viel ein.
Doch erwog ich dieſe und meines Jupiters Reden
ſehr fleiſſig/ und bedachte/ daß ich keinen einigen an-
gebornen Freund haͤtte/ der ſich meiner in Noͤthen
annehmen/ oder meinen Todt/ er geſchehe heimlich
oder
[328]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
oder oͤffentlich/ raͤchen wuͤrde; Auch konte ich mir
leicht einbilden/ wie die Sach an ſich ſelbſten war/
dennoch aber lieſſe weder mein Ehr-noch Geldgeitz
zu/ viel weniger die Hoffnung groß zu werden/ den
Krieg zu quittirn/ und mir Ruhe zu ſchaffen/ ſondern
ich verbliebe bey meinem erſten Vorſatz/ und indem
ſich eben eine Gelegenheit auff Coͤln præſentirte/ (in
dem ich neben 100. Dragonern etliche Kauffleut und
Guͤter-Waͤgen von Muͤnſter dorthin convojrn helf-
fen muſte) packte ich meinen gefundenen Schatz zu-
ſammen/ name ihn mit/ und gab ihn einem von den
vornehmſten Kauffleuten daſelbſt/ gegen Außhaͤndi-
gung einer ſpecificierten Handſchrifft auffzuheben/
das waren 74. Marck ungemuͤntzt fein Silber/ 15.
Marck Gold/ 80. Joachimsthaler/ und in einem
verpetſchierten Kaͤſtlein unterſchiedliche Ringe und
Cleinodien/ ſo mit Gold und Edelgeſteinen achthalb
Pfund in allem gewogen/ ſampt 893. antiquiſche ge-
muͤntzte Goldſtuͤck/ deren jedes anderthalbe Gold-
guͤlden ſchwer war. Meinen Jupiter bracht ich auch
dahin/ weil ers begehrte/ und in Coͤln anſehenliche
Verwandten hatte/ gegen denſelben ruͤhmte er die
Gutthaten/ die er von mir empfangen/ und machte/
daß ſie mir viel Ehr erwieſen. Mir aber riethe er noch
allezeit/ ich ſolte mein Geld beſſer anlegen/ und mir
Freunde darvor kauffen/ die mich mehr als das Gold
in der Kuͤſten nutzen wuͤrden.
DasXIV.Capitel.
AUff dem Zuruck-Weg machte ich mir allerhand
Gedancken/ wie ich mich ins kuͤnfftig halten wol-
te/ damit ich doch jedermans Gunſt erlangen moͤchte/
dann
[329]Drittes Buch.
dann Spring-ins-feld hatte mir einen unruhigen Floh
ins Ohr geſetzt/ und mich zu glauben perſuadirt/ als
ob mich jederman neidete/ wie es deñ in der Warbeit
auch nicht anders war. So erinnerte ich mich auch
deſſen/ was mir die beruͤhmte Wahrſagerin zu Soeſt
ehemals geſagt/ und belude mich deßhalber mit noch
groͤſſern Sorgen. Mit dieſen Gedancken ſchaͤrffte
ich meinen Verſtand trefflich/ und nam gewahr/ daß
ein Menſch/ der ohne Sorgen dahin lebt/ faſt wie
ein Vieh ſeye. Jch ſonne auß/ welcher Urſach halber
mich ein oder ander haſſen moͤchte/ und erwoge/ wie
ich einem jeden begegnen muͤſte/ darmit ich deſſen
Gunſt wieder erlangte/ verwundert mich darneben
zum hoͤchſten/ daß die Kerl ſo falſch ſeyn/ und mir
lauter gute Wort geben ſolten/ da ſie mich nicht lieb-
ten! Derowegen gedachte ich mich anzuſtellen/ wie
die andere/ und zu reden was jedem gefiel/ auch jedem
mit Ehrerbietung zu begegnen/ ob mirs ſchon nicht
umbs Hertz waͤre; vornemlich aber merckte ich klar/
daß meine eigene Hoffart mich mit den meiſten Fein-
den beladen hatte/ deßwegen hielte ich vor noͤtig/ mich
wieder demuͤtig zu ſtellen/ ob ichs ſchon nicht ſey/ mit
den gemeinen Kerlen wieder unden und oben zu ligen/
vor den hoͤhern aber den Hut in Haͤnden zu tragen/
und mich deß Kleider-Prachts in etwas abzuthun/
biß ſich etwan mein Stand aͤnderte. Jch hatte mir
von dem Kauffherꝛn in Coͤln 100. Thaler geben laſ-
ſen/ ſolche ſampt Intereſſe wieder zu erlegen/ wenn er
mir meinen Schatz außhaͤndigte/ dieſelbe gedachte
ich unterwegs der Convoy halb zu verſpendirn/ weil
ich nunmehr erkennete/ daß der Geitz keine Freunde
macht. Solcher geſtalt war ich reſolvirt/ mich zu
aͤndern
[330]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
aͤndern/ und noch auff dieſem Weg den Anfang zu
machen: Jch machte aber die Zech ohn den Wirth.
Denn da wir durch das Bergiſche Land paſſirn wol-
ten/ paßten uns an einem ſehr vorthelhafften Ort 80.
Feur-roͤhr und 50. Reuter auff/ eben als ich ſelb
fuͤnfft mit einem Corporal geſchickt wurde voran zu
reuten/ und die Straß zu partirn: Der Feind hielte
ſich ſtill/ als wir in ihren Halt kamen/ lieſſe uns auch
paſſirn/ damit wenn ſie uns angegriffen haͤtten/ die
Convoy nicht gewarnet wuͤrde/ biß ſie auch zu ihnen
in die Enge kaͤme; Schickte uns aber einen Cornet
mit acht Reutern nach/ die uns im Geſicht behielten/
biß die Jhrige unſer Convoy ſelbſt angriffen/ und wir
umbkehrten/ uns auch zun Waͤgen zu thun; Da
giengen ſie auff uns loß/ und fragten/ ob wir Quartier
wolten? Jch vor meine Perſon war wol beritten/
denn ich hatte mein beſtes Pferd unter mir/ ich wolte
aber gleichwol nicht außreiſſen/ ſchwang mich her-
umb auff eine kleine Ebne/ zu ſehen/ ob da Ehr ein-
zulegen ſeyn moͤchte. Jndeſſen hoͤrte ich ſtracks an
der Salve, welche die Unſerigen empfiengen/ was die
Glock geſchlagen/ trachtete derowegen nach der
Flucht/ aber der Cornet hatte alles vorbedacht/ und
uns den Paß ſchon abgeſchnitten/ und in deme ich
durch zu hauen bedacht war/ botte er mir/ weil er
mich vor einen Officier anſahe/ nochmals Quartier
an; Jch gedachte/ das Leben eigentlich darvon zu
bringen/ iſt beſſer als ein ungewiſſe Hazart, ſagte dero-
wegen: Ob er mir Quartier halten wolte/ als ein
redlicher Soldat? Er antwortet/ ja rechtſchaffen!
Alſo præſentirte ich ihm meinen Degen/ und gab mich
dergeſtalt gefangen; Er fragte mich gleich/ was ich
vor
[331]Drittes Buch.
vor einer ſeye/ dann er ſehe mich vor einen Edelmañ/
und alſo auch vor einen Offiicier an? Da ich ihm
aber antwortet/ ich wuͤrde der Jaͤger von Soeſt ge-
nant/ antwortet er: So hat er gut Gluͤck/ daß er uns
vor 4. Wochen nicht in die Haͤnd gerathen/ dann zu
ſelbiger Zeit haͤtte ich ihm kein Quartier geben noch
halten doͤrffen/ dieweil man ihn damal bey uns vor
einen offentlichen Zauberer gehalten hat.
Dieſer Cornet war ein dapfferer junger Cavallier,
und nicht uͤber zwey Jahr aͤlter als ich/ er erfreute
ſich trefflich/ daß er die Ehr hatte/ den beruͤhmten
Jaͤger gefangen zu haben/ deßwegen hielte er auch
das verſprochen Quartier ſehr ehrlich und auff Hol-
laͤndiſch/ deren Gebrauch iſt/ ihren gefangenen Spa-
niſchen Feinden von dem jenigen/ was der Guͤrtel
beſchleuſt/ nichts zu nemmen; ja er lieſſe mich nicht
einmal viſitiren/ ich aber war ſelbſt der Beſcheiden-
heit/ das Geld auß meinen Schubſaͤcken zu thun/
und ihnen ſolches zuzuſtellen/ da es an ein partens
gienge; ſagte auch dem Cornet heimlich/ Er ſolte
ſeben/ daͤß ihm mein Pferd/ Sattel und Zeug zu theil
wuͤrde/ dann er im Sattel 30. Ducaten finden wuͤr-
de/ und das Pferd ohne das ſeines gleichen ſchwer-
lich haͤtte. Von deßwegen wurde mir der Cornet ſo
hold/ als ob ich ſein leiblicher Bruder waͤre/ er ſaſſe
auch gleich auff mein Pferd/ und ließ mich auff dem
ſeinigen reuten/ von der Convoy aber blieben nicht
mehr als 6. todt/ und 13. wurden gefangen/ darunter
8. beſchaͤdigt/ die uͤbrige giengen durch/ und hatten
das Hertz nicht/ dem Feind im freyen Feld die Beut
wieder abzujagen/ das ſie fein haͤtten thun koͤnnen/
weil ſie alle zu Pferd waren.
Nach
[332]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Nachdem die Beuten und Gefangene getheilet
worden/ giengen die Schweden und Heſſen (denn ſie
waren auß unterſchiedlichen Guarniſonen) noch ſel-
bigen Abend voneinander/ mich und den Corporal/
ſampt noch dreyen Dragonern/ behielt der Cornet/
weil er uns gefangen bekommen/ dahero wurden wir
in eine Veſtung gefuͤhrt/ die nicht gar 2. Meilen von
unſerer Guarniſon lag. Und weil ich hiebevor dem-
ſelben Ort viel Dampffs angethan/ war mein Nahm
daſelbſt wol bekant/ ich ſelber aber mehr gefoͤrcht als
geliebt: Da wir die Statt vor Augen hatten/ ſchickte
der Cornet einen Reuter voran/ ſeine Ankunfft dem
Commandanten zu verkuͤnden/ auch anzuzeigen/ wie
es abgeloffen/ und wer die Gefangene ſeyen; darvon
es ein Gelaͤuffin der Statt geb/ daß nit außzuſagen/
weil jeder den Jaͤger gern ſehen wolte; Da ſagte ei-
ner diß/ der ander jenes von mir/ und war nicht an-
ders anzuſehen/ als ob ein groſſer Potentat ſeinen
Einzug gebalten haͤtte.
Wir Gefangene wurden ſtrack zum Commandan-
ten gefuͤhrt/ welcher ſich ſehr uͤber meine Jugend ver-
wundert; Er fragte mich/ ob ich nie auff Schwedi-
ſcher Seiten gedient haͤtte/ und was ich vor ein Lands-
mann waͤre? Als ich ihme nun die Warheit ſagte/
wolte er wiſſen/ ob ich nicht Luſt haͤtte/ wieder auff ih-
rer Seiten zu bleiben? Jch antwortet ihm/ daß es
mir ſonſt gleich guͤlte/ allein weil ich dem Roͤmiſchen
Kaͤiſer einen Ayd geſchworen haͤtte/ ſo duͤnckte mich/
es gebuͤhre mir ſolchen zu halten. Darauff befohl er
uns zum Gewaltiger zu fuͤhren/ und erlaubte doch
dem Cornet auff ſein Anhalten/ uns zu gaſtirn/ weil
ich hiebevor meine Gefangene (darunter ſein Bru-
der
[333]Drittes Buch.
der ſich befunden) auch ſolcher geſtalt tractirt haͤtte.
Da nun der Abend kam/ fanden ſich unterſchiedliche
Officier, ſo wol Soldaten von Fortun als geborne
Cavallier, beym Cornet ein/ der mich und den Corpo-
ral auch holen lieſſe; da wurde ich/ die Warheit zu
bekennen/ von ihnen uͤberauß hoͤflich tractirt: Jch
machte mich ſo luſtig/ als ob ich nichts verloren ge-
habt/ und lieſſe mich ſo vertreulich und offenhertzig
vernehmen/ als ob ich bey keinem Feind gefangen/
ſondern bey meinen allerbeſten Freunden waͤre/ dar-
bey befliſſe ich mich der Beſcheidenheit/ ſo viel mir
immer muͤglich war/ denn ich konte mir leicht ein-
bilden/ daß dem Commandanten mein Verhalten
wieder notificirt wuͤrde/ ſo auch geſchehen/ maſſen
ich nachmals erfahren.
Den andern Tag wurden wir Gefangene/ und
zwar einer nach dem andern vor deu Regim. Schul-
tzen gefuͤhrt/ welcher uns examinirte; der Corporal
war der erſte/ und ich der ander. So bald ich in den
Saal trat/ verwundert er ſich auch uͤber meine Ju-
gend/ und ſagte/ mir ſolche vorzurucken: Mein Kind/
was hat dir der Schwed gethan/ daß du wider ihn
kriegeſt? Das verdroß mich/ vornemlich da ich eben
ſo junge Soldaten bey ihnen geſehen/ als ich war/
antwortet derhalben: Die Schwediſche Krieger ha-
ben mir meine Schnellkugeln oder Klicker genom̃en/
die wolte ich gern wieder holen; Da ich ihn nun der-
geſtalt bezahlte/ ſchaͤmten ſich ſeine beyſitzende Offi-
cier, maſſen einer anfieng auff Latein zu ſagen: Er
ſolte von ernſtlichen Sachen mit mir reden/ er hoͤrte
wol/ daß er kein Kind vor ſich haͤtte. Da merckte ich/
daß er Euſebius hieſſe/ weil ihn derſelbige Officier ſo
nenute
[334]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
nennte; Darauff fragte er mich umb meinen Nab-
men/ und nachdem ich ihm denſelben genennet/ ſagte
er: Es iſt kein Teuffel in der Hoͤll/ der Simpliciſſimus
heiſſet: Da antwortet ich/ ſo iſt auch vermuthlich
keiner in der Hoͤll/ der Euſebius heiſt! Bezahlte ihn
alſo wie unſern Muſterſchreiber Cyriacum, ſo aber
von den Officiern nicht am beſten auffgenom̃en wur-
de/ maſſen ſie mir ſagten/ ich ſolte mich erinnern/ daß
ich ihr Gefangener ſeye/ und nicht ſchertzens halber
ber geholt worden waͤre. Jch wurde dieſes Verwei-
ſes wegen drumb nicht roth/ bate auch nicht umb
Verzeyhung/ ſondern antwortete: Weil ſie mich vor
einen Soldaten gefangen hielten/ und nicht vor ein
Kind wieder lauffen laſſen wuͤrden/ ſo haͤtte ich mich
verſehen/ daß man mich auch nicht als ein Kind ge-
foppt haͤtte/ wie man mich gefragt/ ſo haͤtte ich ge-
antwortet/ hoffte auch/ ich wuͤrde nicht unrecht da-
ran gethan haben. Darauff fragten ſie mich umd
mein Vatterland/ Herkommen und Geburt/ und
vornemlich/ ob ich nit auch auff Schwediſcher Sei-
ten gedient haͤtte? item/ wie es in Soeſt beſchaffen?
wie ſtarck ſelbige Guarniſon ſey/ und was deß Dings
mehr iſt/ ꝛc. Jch antwortet auff alles behend/ kurtz
und gut/ und zwar wegen Soeſt und ſelbiger Guar-
niſon, ſo viel als ich zu verantworten getraute/ konte
aber wol verſchweigen/ daß ich das Narꝛn-Hand-
werck getrieben/ weil ich mich deſſen ſchaͤmte.
DasXV.Capitel.
JNdeſſen erfuhr man zu Soeſt/ wie es mit der
Convoy abgeloffen/ und daß ich mit dem Corpo-
ral und andern mehr gefangen/ auch wo wir hinge-
fuͤhrt
[335]Drittes Buch.
fuͤhrt worden/ derhalben kam gleich den andern Tag
ein Trommelſchlager/ uns abzuholen/ dem wurde
der Corporal und die drey andere gefolgt/ und ein
Schreiben mitgegeben folgenden Jnhalts/ das mir
der Commandant zu leſen uͤberſchickte:
MOnſieur, \&c. Durch Wiederbringern dieſen
Tambour iſt mir deſſen Schreiben eingehaͤndigt
worden/ ſchicke darauff hiermit gegen empfangener
Rantzion den Corporal/ ſampt den uͤbrigen dreyen
Gefangenen; Was aber Simplicium den Jaͤger an-
belangt/ kan ſelbiger/ weil er hiebevor auff dieſer
Seiten gedient/ nicht wieder hinuͤber gelaſſen wer-
den. Kan ich aber dem Herꝛn im uͤbrigen auſſerhalb
Herꝛn-Pflichten in etwas bedient ſeyn/ ſo hat derſel-
be an mir einen willigen Diener/ als der ich ſo weit
bin und verbleibe
Deß Herꝛn
Dienſt-bereitwilliger
N. de S. A.
Dieſes Schreiben gefiel mir nicht halb/ und muſte
mich doch vor die Communication bedancken. Jch
begehrte mit dem Commandanten zu reden/ bekam
aber die Antwort/ daß er ſchon ſelbſt nach mir ſchi-
cken wuͤrde/ wenn er zuvor den Trommelſchlager ab-
gefertigt haͤtte/ ſo morgen fruͤh geſchehen ſolte/ biß
dahin ich mich zu gedulden.
Da ich nun die beſtimmte Zeit uͤberwartet hatte/
ſchickte der Commandant nach mir/ als es eben Eſ-
ſens-Zeit war/ da widerfuhr mir das erſte mal die
Ehr/ zu ihm an ſeine Tafel zu ſitzen/ ſo lang man aſſe/
lieſſe er mir mit dem Trunck zuſprechen/ und gedachte
weder klein noch groſſes von dem jenigen/ was er mit
Pmir
[336]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
mir vor hatte/ und mir wolte es auch nicht anſtehen/
etwas davon anzufangen. Demnach man aber abge-
ſeſſen/ und ich einen zimlichen Dum̃el hatte/ ſagte er:
Lieber Jaͤger/ ihr habt auß meinem Schreiben ver-
ſtanden/ unter was vor einem Prætext ich euch hier
behalte; und zwar/ ſo hab ich gar kein unrechtmaͤſ-
ſige Sach/ oder etwas vor/ das wider Raiſon oder
Krtegsgebrauch waͤre/ dann ihr habt mir und dem
Regim. Schultheiß ſelbſt geſtanden/ daß ihr hiebe-
vor auff unſerer Seiten bey der Haupt-Armee gedie-
net/ werdet euch derhalben reſolviren muͤſſen/ unter
meinem Regiment Dienſt anzunehmen/ ſo will ich
euch mit der Zeit/ und wenn ihr euch wol verhaltet/
dergeſtalt accommodiren/ dergleichen ihr bey den
Kaͤiſerl. nimmer haͤttet hoffen doͤrffen: Widerigen
falls werdet ihr mich nicht verdencken/ wenn ich euch
wiederum dem jenigen Obriſt Leutenaut uͤberſchicke/
welchem euch die Dragoner hiebevor abgefangen
haben. Jch antwortet/ Hochgeehrter Herꝛ Obriſt/
(denn damals war noch nicht der Brauch/ daß man
Soldaten von Fortun Jhr Gnaden titulirte/ ob ſie
gleich Obriſte waren) ich hoffe/ weil ich der Kron
Schweden/ noch deren Confœderirten/ viel weniger
dem Obriſt Leutenant niemalen mit Ayd verpflichtet/
ſondern nur ein Pferd-Jung geweſen/ daß dannenher
ich nicht verbunden ſey/ Schwediſche Dienſte anzu-
nehmen/ und dardurch den Ayd zu brechen/ den ich
dem Roͤm. Kaͤiſer geſchworen/ derowegen meinen
Hochg. Herꝛn Obriſten allergehorſamſt bittend/ Er
beliebe mich dieſer Zumuthung zu uͤberheben: Was/
ſagt der Obriſte/ verachtet ihr dann die Schwediſche
Dienſte? Jhr muͤſt wiſſen/ daß ihr mein Gefangener
ſeyd
[337]Drittes Buch.
ſeyd/ und ehe ich euch wieder nach Soeſt laſſe/ dem
Gegentheil zu dienen/ ehe will ich euch einen andern
Proceß weiſen/ oder im Gefaͤngnus verderben laſſen/
darnach wiſſe ich mich zu richten. Jch erſchrack zwar
uͤber dieſe Wort/ gab mich aber drumb noch nicht/
ſondern antwortete: GOtt wolle mich vor ſolcher
Verachtung ſo wol als vorm Meineyd behuͤten; im
uͤbrigen ſtuͤnde ich in underthaͤniger Hoffnung/ der
Herꝛ Obriſte wuͤrde mich ſeiner weitberuͤhmten Di-
ſcretion nach/ wie einen Soldaten tractirn: Ja/ ſagte
er/ ich wuͤſte wol wie ich euch tractiren koͤnte/ da ich
der Strenge nach procediren wolte/ aber bedenckt
euch beſſer/ damit ich nicht Urſachen ergreiffe/ euch
etwas anders zu weiſen. Darauff wurde ich wieder
ins Stockhauß gefuͤhrt.
Jederman kan unſchwer erachten/ daß ich dieſelbe
Nacht nicht viel geſchlaffen/ ſondern allerhand Ge-
dancken gehabt habe; den Morgen aber kamen etlich
Officier mit dem Cornet/ ſo mich gefangen bekom-
men/ zu mir/ unterm Schein/ mir die Zeit zu kuͤr-
tzen/ in Warheit aber mir weiß zu machen/ als ob
der Obriſte geſinnt waͤre/ mir als einem Zauberer den
Proceß machen zu laſſen/ da ich mich nicht anders
bequemen wuͤrde. Wolten mich alſo erſchrecken/
und ſehen was hinder mir ſteckte/ weil ich mich aber
meines guten Gewiſſens troͤſtete/ nam ich alles gar
kaltſinnig an/ und redete nicht viel/ merckte darbey/
daß es dem Obriſten umb nichts anders zu thun war/
als daß er mich ungern in Soeſt ſahe/ ſo konte er ſich
auch leicht einbilden/ daß ich ſelbigen Ort/ wann er
mich ledig lieſſe/ wol nicht verlaſſen wuͤrde/ weil ich
meine Befoͤrderung dort hoffte/ und noch 2. ſchoͤne
P ijPferd
[338]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Pferd/ und ſonſt koͤſtliche Sachen allda hatte. Den
folgenden Tag lieſſe er mich wieder zu ſich kommen/
und fragte/ ob ich mich auff ein und anders reſolvirt
haͤtte? Jch antwortet/ diß/ Herꝛ Obriſter/ iſt mein
Entſchluß/ daß ich ehe ſterben/ als meineydig wer-
den will! Wenn aber mein Hochg. Herꝛ Obriſt mich
auff freyen Fuß zu ſtellen/ und mit keinen Kriegsdien-
ſten zu belegen belieben wird/ ſo will ich dem Herꝛn
Obriſten mit Hertz/ Mund und Haud verſprechen/
in 6. Monaten keine Waffen wider die Schwed- und
Heſſiſche zu tragen oder zu gebrauchen. Solches
ließ ihm der Obriſt ſtracks gefallen/ botte mir darauff
die Hand/ und ſchenckte mir zugleich die Rantzion/
defohl auch dem Secretatio, daß er deßwegen einen
Revers in duplo auffſetzte/ den wir beyde unterſchrie-
ben/ darinn er mir Schutz/ Schirm/ und alle Frey-
heit/ ſo lang ich in der ihme anvertrauten Veſtung
verbliebe/ verſprach: Jch hingegen reverſirte mich
uͤber obige 2 Puncten/ daß ich/ ſo lang ich mich in
derſelben Veſtung auffbalten wuͤrde/ nichts nachthei-
liges wider dieſelbige Guarniſon und ihren Comman-
danten practiciren/ noch etwas das ihr zu Nachtheil
und Schaden vorgenommen wuͤrde/ verhelen/ ſon-
dern vielmehr deren Nutzen und Frommen foͤrdern/
und ihren Schaden nach Muͤglichkeit wenden/ ja
wenn der Ort feindlich attaquirt wuͤrde/ denſelben
defend ren helffen ſolte und wolte.
Hier auff behielte er mich wieder bey dem Mittag-
Jmbiß/ und thaͤt mir mehr Chr an/ als ich von den
Kaͤiſerl. mein Lebtag haͤtte hoffen doͤrffen/ dardurch
gewan er mich dergeſtalt nach und nach/ daß ich nit
wieder nach Soeſt gangen waͤre/ wenn er mich ſchon
dahin
[339]Drittes Buch.
dahin laſſen/ und meines Verſprechens ledig zehlen
wollen.
DasXVI.Capitel.
WAnn ein Ding ſeyn ſoll/ ſo ſchickt ſich alles darzu/
ich vermeynte/ das Gluͤck haͤtte mich zur Ehe
genommen/ oder wenigſt ſich ſo eng zu mir verbun-
den/ daß mir die aller-widerwertigſte Begegnuſſen
zum beſten gedeyen muͤſten/ da ich uͤber deß Com-
mandanten Tafel ſaſſe/ und vernam/ daß mein Knecht
mit meinen zwey ſchoͤnen Pferden von Soeſt zu mir
kommen waͤre; Jch wuſte aber nicht (wie ichs her-
nach im Außkehren befand) daß das tuͤckiſche Gluͤck
der Syrenen Art an ſich bat/ die dem jenigen am uͤbel-
ſten wollen/ denen ſie ſich am geneigteſten erzeigen/
und einen der Urſach halber deſto hoͤher hebt/ damit
es ihn bernach deſto tieffer ſtuͤrtze.
Dieſer Kuecht (den ich hiebevor von den Schwe-
den gefangen bekom̃en hatte) war mir uͤber alle maſ-
ſen getreu/ weil ich ihm viel guts thaͤt/ dahero ſattelt
er alle Tag meine Pferd/ und ritte dem Trommel-
ſchlager/ der mich abholen ſolte/ ein gut ſtuͤck Wegs
von Soeſt auß entgegen/ ſo lang er auß war/ damit
ich nicht allein nicht ſo weit gehen/ ſondern auch nit
nackend oder zerlumpt (dann er vermeynte/ ich waͤre
außgezogen worden) in Soeſt kommen doͤrffte. Alſo
begegnet er dem Trom̃elſchlager und ſeinen Gefan-
genen/ und hatte mein beſtes Kleid auffgepackt. Da
er mich aber nicht ſahe/ ſondern vernam/ daß ich bey
dem Gegentheil Dienſt anzunehmen auffgehalten
werde/ gab er den Pferden die Sporn/ und ſagte:
Adjeu Tambour und ihr Corporal, wo mein Herꝛ iſt/
P iijda
[340]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
da will ich auch ſeyn; gieng alſo durch/ und kam zu
mir/ eben als mich der Commandant ledig geſprochen
hatte/ und mir groſſe Ehr anthaͤt. Er verſchaffte
darauff meine Pferd in ein Wirthshauß/ biß ich mir
ſelbſten ein Logiment nach meinem Willen beſtellen
moͤchte/ und prieſe mich gluͤckſeelig wegen meines
Knechts Treu/ verwundert ſich auch/ daß ich als ein
gemeiner Dragoner/ und noch ſo junger Kerl/ ſo
ſchoͤne Pferd vermoͤgen/ und ſo wol mondirt ſeyn
ſolte/ lobte auch das eine Pferd/ als ich Valet nam/
und in beſagtes Wirthshauß gieng/ ſo trefflich/ daß
ich gleich merckte/ daß er mirs gern abgekaufft haͤtte/
weil er mirs aber auß Diſcretion nicht feil machte/
ſagte ich/ wenn ich die Ehr begehren doͤrffte/ daß ers
von meinet wegen behalten wolte/ ſo ſtuͤnde es zu ſei-
nen Dienſten; Er ſchlugs aber anzunehmen rund ab/
mehr darumb/ dieweil ich ein zimlichen Rauſch hat-
te/ und er die Nachred nicht haben wolte/ daß er einem
Trunckenen etwas abgeſchwaͤtzt/ ſo ihn vielleicht
nuͤchtern reuen moͤchte/ alſo daß er deß edlen Pferds
gern gemangelt.
Dieſelbige Nacht bedachte ich/ wie ich kuͤnfftig
mein Leben anſtellen wolte: Entſchloß mich dero-
halben/ die 6. Monat uͤber zu verbleiben wo ich waͤre/
und alſo den Winter/ der nunmehr vor der Thuͤr war/
in Ruhe dahin zu bringen/ worzu ich dann Gelds ge-
nug wuſte hinauß zu langen/ wañ ich meinen Schatz
zu Coͤln ſchon nicht angriffe: Jn ſolcher Zeit/ ge-
dachte ich/ waͤchſt du vollends auß/ und erlangſt dei-
ne voͤllige Staͤrcke/ und kanſt dich darnach auff den
kuͤnfftigen Fruͤhling wieder deſto dapfferer unter die
Kaͤiſerl. Armee ins Feld begeben.
Deß
[341]Drittes Buch.
Deß morgens fruͤhe anatomirt ich meinen Sattel/
welcher weit beſſer geſpickt war/ als der jenige/ den
der Cornet von mir bekommen/ nach gehends ließ ich
mein beſtes Pferd vor deß Obriſten Quartier bringen/
und ſagte zu ihm: Demnach ich mich reſolvirt/ die
6. Monat/ in welchen ich nicht kriegen doͤrffte/ unter
deß Herꝛn Obriſten Schutz allhier ruhig zuzubrin-
gen/ als ſeyen mir meine Pferd nichts nutz/ umb
welche es ſchad waͤre/ wenn ſie verderben ſolten/ bitte
Jhn derowegen/ er wolte belieben/ gegenwaͤrtigem
Soldaten-Klepper einen Platz unter den ſeinigen zu
goͤnnen/ und ſolches von mir als ein Zeichen danck-
barer Erkantnus vor empfangene Gnaden unſchwer
annehmen: Der Obriſte bedanckte ſich mit groſſer
Hoͤfligkeit und ſehr courtoiſen Offerten/ ſchickte mir
auch denſelben Nachmittag ſeinen Hofmeiſter mit ei-
nem gemaͤſten lebendigen Ochſen/ 2. fetten Schwei-
nen/ 1. Tonne Wein/ 4. Tonnen Bier/ 12. Fuder
Brennholtz/ welches alles er mir vor mein neu Lo-
ſament/ das ich eben auff ein halb Jahr beſtellt hatte/
bringen/ und ſagen lieſſe: Weil er ſehe/ daß ich bey
ihm hauſen wolte/ und ſich leicht einbilden koͤnte/ daß
es im Anfang mit Victualien ſchlecht beſtellt ſeye/ ſo
ſchicke er mir zur Haußſteur neben einem Trunck/ ein
ſtuͤck Fleiſch mit ſampt dem Holtz/ ſolches dabey ko-
chen zu laſſen/ mit fernerm Anhang/ dafern er mir in
etwas beholffen ſeyn koͤnte/ daß ers nicht unterlaſſen
wolte: Jch bedanckte mich ſo hoͤflich als ich konte/
verehrte dem Hofmeiſter zwo Ducaten/ und bat ihn/
mich ſenem Herꝛn beſtens zu recommendiren.
Da ich ſahe/ daß ich meiner Freygebigkeit halber
bey dem Obriſten ſo hoch geehrt wurde/ gedachte ich
P jvmir
[342]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
mir auch bey dem gemeinen Mann ein gutes Lob zu
machen/ damit man mich vor keinen kahlen Bern-
heuter hielte; lieſſe derowegen in Gegenwart mei-
nes Haußwirths meinen Knecht vor mich kommen/
zu demſelben ſagte ich: Lieber Niclas/ du haſt mir
mehr Treu erwieſen/ als ein Herꝛ ſeinem Knecht zu-
muthen darff/ nun aber da ichs umb dich nicht zu ver-
ſchulden weiß/ weil ich dieſer Zeit keinen Herꝛn/ und
alſo auch keinen Krieg habe/ daß ich etwas erobern
koͤnte/ dich zu belohnen/ wie mirs wol anſtuͤnde; zu-
mal auch wegen meines ſtillen Lebens/ das ich hinfoꝛt
zu fuͤhren gedencke/ keinen Knecht mehr zu halten be-
dacht/ als gebe ich dir hiemit vor deinen Lohn das
ander Pferd/ ſampt Sattel/ Zeug und Piſtolen/ mit
Bitt/ du wolleſt damit vor lieb nehmen/ und dir vor
dißmal einen andern Herꝛn ſuchen/ kan ich dir ins
kuͤnfftig in etwas bedient ſeyn/ ſo magſtu jederzeit
mich drumb erſuchen. Hierauff kuͤßte er mir die Haͤnd/
und konte vor weynen ſchier nicht reden/ wolte auch
durchauß das Pferd nicht nem̃en/ ſondern hielte vor
deſſer/ ich ſolte es verſildern/ und zu meinem Unter-
halt gebrauchen/ zuletzt uͤberꝛedt ich ihn doch/ daß
ers annam/ nachdem ich ihm verſprochen/ ihn wie-
der in Dienſt zu nehmen/ ſo bald ich jemand brauchte.
Uber dieſem Abſcheid wurde mein Hauß-Vatter ſo
mitleidig/ daß ihm auch die Augen uͤbergiengen/ und
gleich wie mich mein Knecht bey der Soldateſca, alſo
erhub mich mein Haußvatter bey der Burgerſchafft/
wegen dieſer That mit groſſem Lob uͤber alle ſchwan-
gere Baurn; der Commandant hielte mich vor ei-
nen ſo reſoluten Kerl/ daß er auch getraute Schloͤſſer
auff meine Paroln zu bauen/ weil ich meinen Ayd/
dem
[343]Drittes Buch.
dem Kaͤiſer geſchworen/ nicht allein treulich/ ſondern
auch das jenig daß ich mich gegen ihm verſchrieben/
deſto ſteiffer zu halten/ mich ſelbſt meiner herꝛlichen
Pferd/ Gewehr und deß getreuen Knechts entbloͤſte.
DasXVII.Capitel.
JCh glaude/ es ſey kein Menſch in der Welt/ der
nicht einen Haſen im Buſem habe/ dann wir ſ[ind]
ja alle einerley Gemaͤchts/ und kan ich bey meinen
Pirn wol mercken/ wenn andere zeitig ſeyn. Huy
Geck/ moͤchte mir einer antworten/ Wann du ein
Narꝛ biſt/ meynſt du darumb/ andere ſeyens auch?
Nein/ das ſag ich nicht/ denn es waͤre zu viel geredt;
Aber diß halte ich darvor/ daß einer den Narꝛn beſſer
verbirgt als der ander: Es iſt einer drum kein Narꝛ/
wenn er ſchon naͤrꝛiſche Einfaͤll hat/ dann wir haben
in der Jugend gemeiniglich alle dergleichen/ welcher
aber ſolche herauß laͤſt/ wird vor einen gehalten/ weil
theils ihn gar nicht/ andere aber nur halb ſehen laſ-
ſen: Welche ihren gar unterdruͤcken/ ſeyn rechte
Saurtoͤpff; die aber den Jhrigen nach Gelegenheit
der Zeit bißweilen ein wenig mit den Ohren herfuͤr
gucken/ und Athem ſchoͤpffen laſſen/ damit er nicht
gar bey ihuen erſticke/ dieſelbige halte ich vor die be-
ſte und verſtaͤndigſte Leut. Jch lieſſe den meinen nur
zu weit herauß/ da ich mich in einem ſo freyen Stand
ſahe/ und noch Geld wuſte/ maſſen ich einen Jungen
anname/ den ich als einen Edel-Bage kleidete/ und
zwar in die naͤrꝛiſchte Farben/ nemlich Veyelbraun
und gelb außgemacht/ ſo meine Liberey ſeyn muſte/
weil mirs ſo gefiel; derſelbe muſte mir auffwarten/
als wenn ichein Freyherꝛ/ und kurtz zuvor kein Dra-
P vgoner
[344]Deß Abenth. Simpliciſſimi
goner/ oder vor einem halben Jahr ein armer Roß-
Bub geweſen waͤre.
Diß war die erſte Thorheit/ ſo ich in dieſer Statt
begieng/ welche/ ob ſie gleich zimlich groß war/ wur-
de ſie doch vo[n][nie]mand gemerckt/ viel weniger ge-
ta delt: Aber was machts? die Welt iſt der ſo voll/
daß ſie keiner mehr acht/ noch ſelbige verlacht/ oder
[ſich] druͤber verwundert/ weil ſie deren gewohnt iſt;
So hatte ich auch den Ruff eines klugen und guten
Soldaten/ und nicht eines Narꝛn/ der die Kinder-
Schuh noch traͤgt. Jch dingte mich und meinen
Jungen meinem Haußvatter in die Koſt/ und gab ihm
an Bezahlung auff Abſchlag/ was mir der Com-
mandant wegen meines Pferds an Fleiſch und Holtz
verehrt hatte/ zum Getraͤnck aber muſte mein Jung
den Schluͤſſel haben/ weil ich denen die mich beſuch-
ten/ gerne darvon mittheilte/ dann ſintemal ich weder
Burger noch Soldat war/ und alſo keinen meines
gleichen hatte/ der mir Geſellſchafft leiſten moͤgen/
hielt ich mich zu beyden Theilen/ und bekam dahero
taͤglich Cameraden genug/ die ich ungetraͤnckt nicht
bey mir lieſſe. Zum Organiſten allda machte ich auß
den Burgern die beſte Kundſchafft/ weil ich die Muſic
liebte/ und (ohne Ruhm zu melden) ein trefflich gute
Stimm hatte/ die ich bey mir nicht verſchimlen laſſen
wolte; dieſer lernte mich/ wie ich componirn ſolte/
item auff dem Jnſtrument beſſer ſchlagen/ ſowol als
auch auff der Harpffen/ ſo war ich ohne das auff der
Lauten ein Meiſter/ ſchaffte mir dahero eine eigene/
und hatte ſchier taͤglich meinen Spaß damit: Wenn
ich dann ſatt war zu muſiciren/ ließ ich den Kuͤrſch-
ner kommen/ der mich im Paradeis in allen Geweh-
ren
[345]Drittes Buch.
ren unterwieſen/ mit demſelben exercirte ich mich/
umb noch perfecter zu werden. So erlangte ich auch
beym Commandanten/ daß mich einer von ſeinen
Conſtablen die Buͤchſenmeiſterey Kunſt/ und etwas
mit dem Feurwerck umbzugehen/ umb die Gebuͤhr
lernete. Jm uͤbrigen hielte ich mich ſehr ſtill und ein-
gezogen/ alſo daß ſich die Leut verwunderten/ wann
ſie ſahen/ daß ich ſtets uͤber den Buͤchern ſaſſe wie ein
Student/ da ich doch Raubens und Blutvergieſſens
gewohnt geweſen.
Mein Haußvatter war deß Commandanten Spuͤr-
hund und mein Huͤter/ maſſen ich merckte/ daß er all
mein Thun und Laſſen demſelben hinderbracht/ ich
konte mich aber artlich darein ſchicken/ dann ich ge-
dachte deß Kriegsweſens kein einig mal/ und wann
man darvon redte/ thaͤt ich/ als ob ich niemals kein
Soldat geweſen/ und nur darumb da waͤre/ meinen
taͤglichen Exercitien/ deren ich erſt gedacht/ abzuwar-
ten. Jch wuͤnſchte zwar/ daß meine 6. Monat bald
herumb waͤren/ es konte aber niemand abnehmen/
welchem Theil ich alsdann dienen wolte. So offt
ich dem Obriſten auffwartete/ behielt er mich auch an
ſeiner Tafel/ da ſetzt es dann jezuweiln ſolche Diſcurs,
dardurch mein Vorſatz außgeholt werden ſolte/ ich
antwortet aber jederzeit ſo vorſtchtig/ daß man nicht
wiſſen konte/ was Sinns ich ſeye. Einsmals ſagte
er zu mir: Wie ſtehts Jaͤger/ wolt ihr noch nicht
Schwediſch werden/ geſtern iſt mir ein Faͤhnrich ge-
ſtorben? Jch antwortet/ Hochg. Herꝛ Obriſt/ ſtehet
doch einem Weib wol an/ weñ ſie nach ihres Manns
Todt nicht gleich wieder heurat/ warumb ſolte ich
mich dann nicht 6. Monat patientiren: Dergeſtalt
P vjent-
[346]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
entgieng ich jederzeit/ und kriegte doch deß Obriſten
Gunſt laͤnger je mebr/ ſo gar/ daß er mir ſo wol in-
als auſſerhalb der Veſtung herumb zu ſpatzieren/ ja
ich dorffte endlich den Haſen/ Feldhuͤnern und Voͤ-
geln nachſtellen/ welches ſeinen eigenen Soldaten
nicht gegoͤnnet war: So fiſchte ich auch in der Lipp/
und war ſo gluͤckſeelig darmit/ daß es das Anſehen
hatte/ als ob ich beydes Fiſch und Krebs auß dem
Waſſer bannen koͤnte. Darumb ließ ich mir nur ein
ſchlechtes Jaͤgerkleid machen/ in demſelbigen ſtriche
ich bey Nacht (dann ich wuſte alle Weg und Steg)
in die Soeſtiſche Boͤerde/ und holte meine verborgene
Schaͤtz hin und wider zuſammen/ ſchleppte ſolche in
gedachte Veſtung/ und ließ mich an/ als ob ich ewig
bey den Schweden wohnen wolte.
Auff demſelbigen Weg kam die Wahrſagerin von
Soeſt zu mir/ die ſagte: Schau mein Sohn/ hab ich
dir hiebevor nicht wol gerathen/ daß du dein Geld
auſſerhalb der Statt Soeſt verbergen ſolteſt? Jch
verſichere dich/ daß es dein groͤſtes Gluͤck geweſen/
daß du gefangen worden/ dann waͤreſt du heim kom-
men/ ſo haͤtten dich einige Kerl/ welche dir den Todt
geſchworen/ weil du ihnen beym Frauenzimmer biſt
vorgezogen worden/ auff der Jagd erwuͤrgt. Jch
antwortet/ wie kan jemand mit mir eyfern/ da ich
doch dem Frauenzimmer nichts nachfrage? Verſt-
chert/ ſagte ſie/ wirſtu deß Sinns nicht verbleiben/
wie du jetzt biſt/ ſo wird dich das Frauenzimmer mit
Spott und Schand zum Land hinauß jagen/ du haſt
mich jederzeit verlacht/ wenn ich dir etwas zuvor
geſagt habe/ wolteſt du mir abermal nicht glauben/
wann ich dir mehr ſagte/ findeſtu an dem Ort/ wo du
jetzt
[347]Drittes Buch.
jetzt biſt/ nicht geneigtere Leut als in Soeſt? Jch
ſchwoͤre dir/ daß ſie dich nur gar zu lieb haben/ und
daß dir ſolche uͤbermachte Lieb zum Schaden gerei-
chen wird/ wann du dich nicht nach derſelbigen ac-
commodireſt. Jch antwortet ihr/ wenn ſie ja ſo viel
wuͤſte/ als ſie ſich darvor außgebe/ ſo ſolte ſie mir dar-
vor ſagen/ wie es mit meinen Eltern ſtuͤnde/ und ob
ich mein Lebtag wieder zu denſelben kommen wuͤrde?
ſie ſolte aber nicht ſo dunckel/ ſondern fein Teutſch mit
der Sprach herauß: Darauff ſagte ſie/ ich ſolte als-
dann nach meinen Eltern fragen/ wann mir mein
Pflegvatter unverſehens begegne/ und fuͤhre meiner
Saͤug-Ammen Tochter am Strick daher; Lachte
darauff uͤberlaut/ und henckte dran/ daß ſie mir von
ſich ſelbſt mehr geſagt/ als andern die ſie drumb ge-
betten haͤtten: Hernach machte ſie ſich/ weil ich ſie
nur anfieng zu foppen/ geſchwind von mir/ als ich ihr
zuvor etliche Thaler verehrt/ weil ich doch ſchwer
am Silbergeld zu tragen hatte. Jch hatte damals
ein ſchoͤn ſtuͤck Geld/ und viel koͤſtliche Ring und Clei-
nodien beyeinander/ dann wo ich hiebevor unter den
Soldaten etwas von Edelgeſteinen wuſte/ oder auff
Parthey und ſonſt autraff/ brachte ichs an mich/
und darzu nicht einmal umbs halbe Geld/ was es
guͤltig war. Solches ſchrye mich immerzu an/ es
wolte gern wieder unter die Leut; ich folgte auch gar
gerue/ dann weil ich zimlich hoffaͤrtig war/ prangte
ich mit meinem Gut/ und ließ ſolches meinen Wirth
ohne Scheu ſehen/ der bey den Leuten mehr darauß
machte/ als es war: Dieſelbige aber verwunderten
ſich/ wo ich doch alles hergebracht haben muͤſte/ denn
es war genugſam erſchollen/ daß ich meinen gefun-
P vijdenen
[348]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
denen Schatz zu Coͤln ligen hatte/ weil der Cornet
deß Kauffmanns Handſchrifft geleſen/ da er mich ge-
fangen bekommen.
DasXVIII.Capitel.
MEin Vorſatz/ die Buͤchſenmeiſterey- und Fecht-
Kunſt in dieſen 6. Monaten vollkommen zu ler-
nen/ war gut/ und ich begriffs auch: Aber es war nit
genug/ mich vorm Muͤſſiggang/ der ein Urſprung
vieles Ubels iſt/ allerdings zu behuͤten/ vornemlich
weil niemand war/ der mir zu gebieten hatte. Jch ſaß
zwar embſig uͤber allerhand Buͤchern/ auß denen ich
viel Guts lernete/ es kamen mir aber auch theils un-
ter die Haͤnd/ die mir wie dem Hund das Gras ge-
ſegnet wurden: Die unvergleichliche Arcadia, auß
deren ich die Wolredenheit lernen wolte/ war das
erſte Stuͤck/ das mich von den rechten Hiſtorien zu
den Liebes-Buͤchern/ und von den warhafften Ge-
ſchichten zu den Helden-Gedichten zoge: Solcher-
ley Gattungen brachte ich zu wegen wo ich konte/
und wann mir eins zu theil wurde/ hoͤrte ich nit auff/
biß ichs durchgeleſen/ und ſolte ich Tag und Nacht
daruͤber geſeſſen ſeyn; dieſe lerneten mich vor das
Wol-reden mit der Leimſtangen lauffen. Doch wur-
de dieſer Mangel damals bey mir nicht ſo hefftig und
ſtarck/ daß man ihn mit Seneca ein goͤttliches Raſen/
oder wie er in Thomæ Thomaj Wald-Gaͤrtlein be-
ſchrieben wird/ eine beſchwerliche Kranckheit haͤtte
nennen koͤnnen; dann wo meine Lieb hinfiel/ da er-
hielte ich leichtlich und ohne ſonderbare Muͤhe/ was
ich begehrte/ alſo daß ich keine Urſach zu klagen be-
kam/ wie andere Buler und Leimſtaͤngler/ die voller
phan-
[349]Drittes Buch.
phantaſtiſcher Gedancken/ Muͤhe/ Begierden/ heim-
lich Leiden/ Zorn/ Eyfer/ Rachgier/ Raſen/ Wey-
nen/ Protzen/ Drohen/ und dergleichen tauſendfaͤlti-
gen Thorheiten ſtecken/ und ihnen vor Ungedult den
Todt wuͤnſchen; Jch hatte Geld/ und ließ mich daſ-
ſelbe nit dauren/ und uͤber das ein gute Stimm/ uͤbte
mich ſtetig auff allerhand Inſtrumenten; An ſtatt deß
Tantzens/ dem ich nie bin hold worden/ wieſe ich die
Gerade meines Leibs/ wenn ich mit meinem Kuͤrſch-
ner fochte; uͤber das hatte ich einen trefflich glatten
Spiegel/ und gewoͤhnte mich zu einer freundlichen
Liebligkeit/ alſo daß mir das Frauenzimmer/ wann
ich mich deſſen ſchon nicht ſonderlich anname/ wie
Aurora dem Clito, Cephalo und Vitoni, Venus dem
Anchiſe, Atidi und Adoni, Ceres dem Glauco, Ulyſſe
und Jaſoni, und die keuſche Diana ſelbſt ihrem Endi-
mione, von ſich ſelbſt nachlieffe/ mehr als ich deſſen
begehrte.
Umb dieſelbige Zeit fiel Martini ein/ da faͤngt bey
uns Teutſchen das Freſſen und Sauffen an/ und
waͤhret bey theils biß in die Faßnacht/ da wurde ich
an unterſchiedliche Ort/ ſo wol bey Officiern als Buͤr-
gern/ die Martins-Gans verzehren zu helffen/ einge-
laden; Da ſetzt es dann zu Zeiten ſo etwas/ weil ich
bey ſolchen Gelegenheiten mit dem Frauenzimmer
in Kundſchafft kame; meine Laute und Geſang die
zwangen ein jede/ mich anzuſchauen/ und wann ſie
mich alſo betrachteten/ wuſte ich zu meinen neuen
Bulen-Liedern/ die ich ſelber machte/ ſo anmuthige
Blick und Geberden hervor zu bringen/ daß ſich man-
ches huͤbſches Maͤgdlein daruͤber vernarꝛte/ und mir
unverſehens hold ward. Und damit ich nit vor einen
Hunger-
[350]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Hungerleider gehalten wuͤrde/ ſtellte ich auch zwo
Gaſtereyen/ die eine zwar vor die Officier/ und die
ander vor die vornehmſte Buͤrger an/ dardurch ich
mir bey beyden Theilen Gunſt/ und einen Zutritt ver-
mittelte/ weil ich koſtbar aufftragen lieſſe. Es war
mir aber alles nur umb die liebe Jungfrauen zu thun/
und ob ich gleich bey einer oder der andern nit fande/
was ich ſuchte (dann es gab auch noch etliche/ die es
verhalten konten) ſo gienge ich doch ein weg als den
andern zu ihnen/ damit ſie die jenige/ die mir mehr
Gunſt erzeigten/ als ehrlichen Jungfrauen gebuͤhrt/
in keinen boͤſen Verdacht bringen/ ſondern glauben
ſolten/ daß ich mich bey denſelbigen auch nur Diſcurs
halber auffhielte. Und das uͤberꝛedet ich ein jede in-
ſonderheit/ daß ſie es von den andern glaubte/ und nit
anders meynte/ als waͤre ſie allein die jenige/ die ſich
meiner erfreute.
Jch hatte gerad ſechs die mich liebten/ und ich ſie
hinwiederumb/ doch hat keine mein Hertz gar/ oder
mich allein; an der einen gefielen mir nur die ſchwar-
tze Augen/ an der andern die Goldgelbe Haar/ an der
dritten die liebliche Holdſeeligkeit/ und an den uͤbri-
gen auch ſo etwas/ das die andere nicht hatte. Wenn
ich aber ohne dieſe andere beſuchte/ ſo geſchahe es
nur entweder auß obgeſagter Urſach/ oder weilen es
fremd und neu war/ und ich ohne das nichts auß-
ſchlug oder verachtete/ indem ich nit immer an dem-
ſelben Ort zu bleiben gedachte. Mein Jung/ der ein
Ertz-Schelm war/ hatte genug zu thun mit Kupplen
und Bulen-Brieflein hin und wieder zu tragen/ und
wuſte reinen Mund/ und meine loſe Haͤndel gegen
einer und der andern ſo geheim zu halten/ daß nichts
druͤber
[351]Drittes Buch.
druͤber war; darvon bekam er von den Schleppſaͤ-
cken ein Hauffen Favor, ſo mich aber am meiſten ko-
ſteten/ maſſen ich hierdurch ein anſehenliches ver-
ſchwendete/ und wol ſagen konte: Was mit Trom-
meln gewonnen wird/ gehet mit Pfeiffen wieder da-
hin. Darbey hielte ich meine Sachen ſo geheim/ daß
mich der hunderte vor keinen Buler halten konte/ ohn
der Pfarꝛer/ bey welchem ich nit mehr ſo viel geiſt-
liche Buͤcher entlehnte/ als zuvor.
DasXIX.Capitel.
WAnn das Gluͤck einen ſtuͤrtzen will/ ſo hebt es ihn
zuvor in alle Hoͤhe/ und der guͤtige GOtt laͤſſet
auch einen jeden vor ſeinem Fall ſo treulich warnen.
Das widerfuhr mir auch/ ich nams aber nicht an!
Jch bielte in meinem gaͤntzlich darvor/ daß mein da-
maliger Stand ſo veſt gegruͤndet waͤre/ daß mich kein
Ungluͤck darvon ſtuͤrtzen koͤnte/ weil mir jederman/
inſonderheit aber der Commandant ſelbſt ſo wol wol-
te; die jenige/ auff welche er viel hielte/ gewanne ich
mit allerhand Ehrerbietungen/ ſeine getreue Diener
brachte ich durch Geſchenck auff meine Seiten/ und
mit denen/ ſo etwas mehr als meines gleichen warn/
ſoffe ich Bruͤderſchafft/ und ſchwur ihnen ohnver-
bruͤchliche Treue und Freundſchafft; die gemeine
Burger und Soldaten waren mir deßwegen hold/
weil ich jedem freundlich zuſprach. Ach was vor ein
freundlicher Menſch/ ſagten ſie offt zuſammen/ iſt
doch der Jaͤger er redt ja mit dem Kind auff der Gaſ-
ſen/ und erzoͤrnt keinen Menſchen! Wann ich ein
Haͤſgen oder etliche Feldhuͤner fieng/ ſo ſchickte ichs
denen in die Kuͤchen/ deren Freundſchafft ich ſuchte/
lude
[352]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
lude mich darbey zu Gaſt/ und ließ etwan ein Trunck
Wein/ welcher der Orten theuer war/ darzu holen/
ja ich ſtellte es ſo an/ daß ſchier aller Koſten uͤber mich
gieng. Wenn ich dann mit jemand bey ſolchen Ge-
lachen in ein Geſpraͤch kam/ lobte ich jederman ohne
mich ſelbſt nicht/ und wuſte mich ſo demuͤtig zu ſtel-
len/ als ob ich die Hoffart nie gekant haͤtte. Weil ich
dann nun hierdurch eines jeden Gunſt kriegte/ und
jederman viel von mir hielte/ gedachte ich nicht/ daß
mir etwas ungluͤcklichs widerfahren koͤnte/ vornem-
lich weil mein Saͤckel noch zimlich geſpickt war.
Jch gieng offt zum aͤlteſten Pfarꝛer derſelbigen
Statt/ als der mir auß ſeiner Bibliothec viel Buͤcher
lehnete/ und wenn ich ihm eins wieder brachte/ ſo
diſcurirte er von allerhand Sachen mit mir/ dann wir
accommodirten uns ſo miteinander/ daß einer den
andern gern leiden mochte: Als nun nicht nur die
Martins-Gaͤns und Metzelſuppen hin und wieder/
ſondern auch die H. Weyhnacht-Feyertaͤge vorbey
waren/ verehrte ich ihm eine Flaſchen voll Straß-
burger Brandtewein zum Neuen Jahr/ welchen er/
der Weſtphaͤlinger Gebrauch nach/ mit Candel-Zu-
cker gern einlaͤpperte/ und kam darauff hin ihn zu be-
ſuchen/ als er eben in meinem Joſeph laſe/ welchen
ihm mein Wirth ohne mein Wiſſen geliehen hatte:
Jch entfaͤrbte mich/ daß einem ſolchen gelehrten
Mann meine Arbeit in die Haͤnde kommen ſolte/ ſon-
derlich weil man darvor haͤlt/ daß einer am beſten auß
ſeinen Schrifften erkennet werde; Er aber machte
mich zu ihm ſitzen/ und lobte zwar meine Invention,
ſchalte aber/ daß ich mich ſo lang in der Seliche (die
Potiphars Weib geweſen) Liebes-Haͤndeln haͤtte
auff-
[353]Drittes Buch.
auffgehalten; Weſſen das Hertz voll iſt/ gehet der
Mund uͤber/ ſagte er ferners/ wenn der Herꝛ nicht
ſelbſten wuͤſte wie einem Buler umbs Hertz iſt/ ſo
haͤtte er dieſes Weibs Paſſiones nicht ſo wol außfůh-
ren/ oder vor Augen ſtellen koͤnnen: Jch antwortet/
was ich geſchrieben haͤtte/ das waͤre mein eigene Er-
findung nicht/ ſondern haͤtte es auß andern Buͤchern
extrahirt/ mich umb etwas im Schreiben zu uͤben:
Ja ja/ antwortet er/ das glaube ich gern/ (ſcil.) aber
er verſichere ſich/ daß ich mehr von ihm weiß/ als er
ſich einbildet! Jch erſchrack/ da ich dieſe Wort hoͤr-
te/ und gedachte/ hat dirs dann S. Velten geſagt;
Und weil er ſahe/ daß ſich meine Farb aͤnderte/ fuhr
er ferner fort/ und ſagte: Der Herꝛ iſt friſch und jung/
er iſt muͤſſig und ſchoͤn/ er lebt ohne Sorg/ und wie
ich vernehme/ in allem Uberfluß; darumb bitte und
ermahne ich ihn im HErꝛn/ daß er bedencken wolle/
in was vor einem gefaͤhrlichen Stand er ſich befindet/
er huͤte ſich vor dem Thier das Zoͤpff hat/ will er an-
ders ſein Gluͤck und Heyl beobachten; Der Herꝛ
moͤchte zwar gedencken/ Was gehts den Pfaffen an/
was ich thu und laſſe/ (Jch gedachte/ du haſts er-
rathen) oder was hat er mir zu befehlen? Es iſt
wahr/ ich bin ein Seelſorger! Aber/ Herꝛ ſeyd ver-
ſichert/ daß mir eure/ als meines Gutthaͤters/ zeit-
liche Wolfahrt auß Chriſtlicher Lieb ſo hoch ange-
legen iſt/ als ob ihr mein eigener Sohn waͤret; im-
mer Schad iſts/ und ihr koͤnts bey eurem him̃liſchen
Vatter in Ewigkeit nicht verantworten/ wenn ihr
euer Talent, das er euch verliehen/ vergrabt/ und euer
edel Ingenium, das ich auß gegenwaͤrtiger Schrifft
erkenne/ verderben laſſet/ mein getreuer und vaͤtter-
licher
[354]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
licher Rath waͤre/ ihr legtet eure Jugend und eure
Mittel/ die ihr hier ſo unnuͤtzlich verſchwendet/ zum
Studiren an/ damit ihr heut oder morgen beydes
GOtt und den Menſchen und euch ſelbſt bedient ſeyn
koͤnnet/ und lieſſet das Kriegsweſen/ zu welchem ihr/
wie ich hoͤre/ ſo groſſen Luſt traget/ ſeyn wie es iſt/
ehe ihr eine Schlappe darvon traget/ und das jenige
Spruͤchwort wahr zu ſeyn an euch befindet/ welches
beiſt: Junge Soldaten/ alte Bettler. Jch
hoͤrte dieſen Sentenz mit groſſer Ungedult/ weil ich
dergleichen zu vernehmen nicht gewohnt war/ jedoch
ſtellte ich mich viel anders als mirs umbs Hertz war/
damit ich mein Lob/ daß ich ein feiner Menſch waͤre/
nicht verliere; bedanckte mich zumal auch ſehr vor
ſeine erwieſene Treuhertzigkeit/ und verſprach/ mich
auff ſein Einrathen zu bedencken/ gedachte aber bey
mir ſelbſt/ wie deß Goldſchmids Jung/ und was es
den Pfaffen geheye/ wie ich mein Leben anſtelle/ weil
es damals mit mir auffs hoͤchſte kommen war/ und
ich die nunmehr gekoſte Liebs-Wolluͤſte nicht mehr
entberen wolte; Es gehet aber mit ſolchen War-
nungen nicht anders her/ wann die Jugend ſchon
Zaum und Sporn entwohnt hat/ und in vollen
Spruͤngen ihrem Verderben zurennt.
DasXX.Capitel.
JCh war in den Wolluͤſten doch nicht ſo gar erſof-
fen/ oder ſo dumm/ daß ich nicht gedacht haͤtte/
jedermans Freundſchafft zu behalten/ ſo lang ich
noch in derſelbigen Veſtung zu verbleiben (nemlich
biß der Winter voruͤber) willens war; So erkante
ich auch wol/ was es einen vor Unrath bringen koͤnte/
wann
[355]Drittes Buch.
wann er der Geiſtlichen Haß haͤtte/ als welche Leut
bey allen Voͤlckern/ ſie ſeyen gleich was Religion ſie
wollen/ einen groſſen Credit haben; derowegen nam
ich meinen Kopff zwiſchen die Ohren/ und tratte
gleich den andern Tag wieder auff friſchem Fuß zu
obgedachtem Pfarꝛer/ und loge ihm mit gelehrten
Worten ein ſolchen zierlichen Hauffen daher/ was
goſtalten ich mich reſolvirt haͤtte/ ihm zu folgen/ daß
er ſich/ wie ich auß ſeinen Geberden ſehen konte/
hertzlich daruͤber erfreute; Ja/ ſagte ich/ es hat mir
ſeithero/ auch ſchon in Soeſt/ nichts anders als ein
ſolcher Engliſcher Rathgeber gemangelt/ wie ich ei-
nen an meinem Hochg. Herꝛn angetroffen habe;
Wann nur der Winter bald voruͤber/ oder ſonſt das
Wetter bequem waͤre/ daß ich fort raͤiſen koͤnte/ bate
ihn darneben/ er wolte mir doch ferner mit gutem
Rath befoͤrderlich ſeyn/ auff welche Academiam ich
mich begeben ſolte? Er antwortet/ was ihn anbe-
langt/ ſo haͤtte er zu Leiden ſtudirt/ mir aber wolte er
nach Genff gerathen haben/ weil ich/ der Außſprech
nach/ ein Hochteutſcher waͤre; Jeſus Maria! ant-
wortet ich/ Genff iſt weiter von meinem Heimat/ als
Leiden: Was vernehme ich? ſagte er hierauff mit
groſſer Beſtuͤrtzung/ ich hoͤre wol/ der Herꝛ iſt ein
Papiſt/ O mein Gott/ wie finde ich mich betrogen!
Wie ſo/ wie ſo Herꝛ Pfarꝛer/ ſagte ich/ muß ich da-
rumb ein Papiſt ſeyn/ weil ich nicht nach Genff will?
O Nein/ ſagte er/ ſondern daran hoͤre ichs/ weil ihr
die Mariam anruffet; Jch ſagte/ ſolte denn einem
Chriſten nit gebuͤhren/ die Mutter ſeines Erloͤſers zu
nennen? Das wol/ antwortet er/ aber ich ermahne
und bitte ihn ſo hoch als ich kan/ er wolle GOtt die
Ehr
[356]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Ehr geben/ und mir geſtehen/ welcher Religion er
beygethan ſeye? denn ich zweiffle ſehr/ daß er dem
Evangelio glaube (ob ich ihn zwar alle Sonntag in
meiner Kirchen geſehen) weil er das verwichene Feſt
der Geburt Chriſti weder bey uns noch den Lutheri-
ſchen zum Tiſch deß Herꝛn gangen! Jch antwortet/
der Herꝛ Pfarꝛer hoͤrt ja wol/ daß ich ein Chriſt bin/
und wann ich keiner waͤre/ ſo wuͤrde ich mich nicht ſo
offt in der Predigt haben eingefunden/ im uͤbrigen
aber geſtehe ich/ daß ich weder Petriſch noch Pau-
liſch bin/ ſondern allein ſimpliciter glaube/ was die
12. Articul deß Allgemeinen H. Chriſtlichen Glau-
bens in ſich halten/ werde mich auch zu keinem Theil
vollkommen verpflichten/ biß mich ein oder ander
durch genugſame Erweiſungen perſuadirt zu glau-
ben/ daß es vor den andern die rechte wahre und al-
lein ſeeligmachende Religion habe. Jetzt/ ſagte er/
glaube ich erſt recht/ daß er ein kuͤhnes Soldaten-
Hertz habe/ ſein Leben dapffer dran zu wagen/ weil er
gleichſam ohne Religion und Gottesdienſt auff den
Alten Kaͤiſer hinein dahin leben/ und ſo frevelhafftig
ſeine Seeligkeit in die Schantz ſchlagen darff! Mein
Gott/ wie kan aber ein ſterblicher Menſch/ der entwe-
der verdammt oder ſeelig werden muß/ immermehr
ſo keck ſeyn? Jſt der Herꝛ in Hanau erzogen/ und nit
anders im Chriſtenthumb unterꝛichtet worden? Er
ſage mir doch/ warumb er ſeiner Eltern Fußſtapffen
in der reinen Chriſtlichen Religion nicht nach folget?
Oder warumb er ſich eben ſo wenig zu dieſer/ als zu
einer andern begeben will/ deren Fundamenta ſo wol
in der Natur als H. Schrifft/ doch ſo Sonnenklar
am Tag ligen/ daß ſie auch in Ewigkeit weder Papiſt
noch
[357]Drittes Buch.
noch Lutheraner nimmermehr wird umbſtoſſen koͤn-
nen? Jch antwortet/ Herꝛ Pfarꝛer/ das ſagen auch
alle andere von ihrer Religion/ welchem ſoll ich aber
glauben? vermeynt der Herꝛ wol/ es ſey ſo ein ge-
ringes/ wenn ich einem Theil/ den die andern zwey
laͤſtern/ und einer falſchen Lehr bezuͤchtigen/ meiner
Seelen Seeligkeit vertraue? Er ſehe doch (aber mit
memen unparteyiſchen Augen) was Conrad Vetter
und Johannes Naß wider Lutherum/ und hingegen
Luther und die Seinige wider den Pabſt/ ſonderlich
aber Spangenberg wider Franciſcum, der etlich hun-
dert Jahr vor einen heiligen und gottſeeligen Mann
gehalten worden/ in offenen Druck außgehen laſſen;
zu welchem Theil ſoll ich mich dann thun/ wann je
eins das ander außſchreyet/ es ſey kein gut Haar an
ihm! vermeynt der Herꝛ Pfarꝛer/ ich thue unrecht/
wenn ich einhalte/ biß ich meinen Verſtand voͤlliger
bekomme/ und weiß was Schwartz oder Weiß iſt?
Solte mir wol jemand rathen/ hinein zu plumpen/
wie die Fliege in ein heiſſen Brey? O Nein/ das wird
der Herꝛ Pfarꝛer verhoffentlich mit gutem Gewiſſen
nicht thun koͤnnen; Es muß ohnumbgaͤnglich eine
Religion recht haben/ und die andern beyde unrecht/
ſolte ich mich nun zu einer ohne reifflichen Vorbe-
dacht bekennen/ ſo koͤnte ich eben ſo bald ein unrechte
als die rechte erwiſchen/ ſo mich hernach in Ewig-
keit reuen wuͤrde/ ich will lieber gar von der Straß
bleiben/ als nur irꝛ lauffen; zu dem ſeynd noch mehr
Religionen/ denn nur die in Europa, als die Arme-
nier/ Abyſſiner/ Griechen/ Georgianer und derglei-
chen/ und Gott geb was ich vor eine davon annehme/
ſo muß ich mit meinen Religionsgenoſſen den andern
allen
[358]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
allen widerſprechen. Wird nun der Herꝛ Pfarꝛer
mein Ananias ſeyn/ ſo will ich ihm mit groſſer Danck-
barkeit folgen/ und die Religion annehmen/ die er
ſelbſt bekennt.
Darauff ſagte er: Der Herꝛ ſteckt in groſſem Jrꝛ-
thum/ aber ich hoffe zu GOtt/ er werde ihn erleuch-
ten/ und auß dem Schlamm heiffen; zu welchem
End ich ihm dann unſere Confeſſion ins kuͤnfftig der-
geſtalt auß H. Schrifft bewaͤhren will/ daß ſie auch
wider die Pforten der Hoͤllen beſtehen ſolle; Jch ant-
wortet/ deſſen wuͤrde ich mit groſſem Verlangen ge-
waͤrtig ſeyn/ gedachte aber bey mir ſelber/ wenn du
mir nur nichts mehr von meinen Liebgern vorhaͤltſt/
ſo bin ich mit deinem Glauben wol zu frieden. Hier-
bey kan der Leſer abnehmen/ was ich damals vor ein
gottloſer boͤſer Bub geweſen/ dann ich machte dem
guten Pfarꝛer deßwegen vergebliche Muͤhe/ damit
er mich in meinem ruchloſen Leben ungehindert lieſ-
ſe/ und gedachte: Biß du mit deinen Beweißthumen
fertig biſt/ ſo bin ich vielleicht wo der Pfeffer waͤchſt.
DasXXI.Capitel.
GEgen meinem Quartier uͤber wohnet ein Refor-
mirter Obriſt Leutenant/ der hatte ein uͤberauß
ſchoͤne Tochter/ die ſich gantz Adelich trug; ich haͤtte
laͤngſt gern Kundſchafft zu ihr gemacht/ unangeſe-
hen ſie mir anfaͤnglich nicht beſchaffen zu ſeyn deuch-
te/ daß ich ſie allein lieben/ und auff ewig haben moͤch-
te/ doch ſchenckte ich ihr manchen Gang/ und noch
vielmehr liebreicher Blick/ ſie wurde mir aber ſo fleiſ-
ſig verhuͤtet/ daß ich kein einig mal/ als ich mir wuͤn-
ſchete/ mit ihr zu reden kommen konte/ ſo dorffte ich
auch
[359]Drittes Buch.
auch ſo unverſchaͤmt nit hinein platzen/ weil ich mit
ihren Eltern keine Kundſchafft hatte/ und mir der
Ort vor einen Kerl von ſo geringem Herkom̃en/ als
mir das meinige bewuſt war/ viel zu hoch vor kam;
Am allernaͤchſten gelangte ich zu ihr/ wenn wir et-
wan in oder auß der Kirch giengen/ da nam ich dann
die Zeit ſo fleiſſig in acht/ mich ihr zu naͤhern/ daß ich
offt ein paar Seufftzer anbrachte/ das ich meiſterlich
konte/ ob ſie zwar alle auß falſchem Hertzen giengen:
Hingegen nam ſie ſolche auch ſo kaltſinnig an/ daß
ich mir einbilden muſte/ daß ſie ſich nicht ſo leicht wie
eines ſchlechten Burgers Tochter verführen laſſen
wuͤrde/ und in dem ich gedachte/ ſie wuͤrde mir ſchwer-
lich zu theil/ wurden meine Begierden nach ihr nur
deſto hefftiger.
Mein Stern/ der mich das erſte mal zu ihr vermit-
telte/ war der jenige/ den die Schuͤler zu immerwaͤh-
rendem Gedaͤchtnus umb ſelbige Zeit deß Jahrs
herumb tragen/ damit anzuzeigen/ daß die 3. Weiſen
durch einen ſolchen nach Bethlehem begleitet wor-
den/ ſo ich anfaͤnglich vor ein gut Omen hielte/ weil
mir dergleichen einer in ihre Wohnung leuchtete/
da ihr Vatter ſelbſt nach mir ſchickte: Monſieur, ſagte
er zu mir/ ſeine Neutralitaͤt/ die er zwiſchen Buͤrgern
und Soldaten haͤlt/ iſt eine Urſach/ daß ich ihn zu
mir bitten laſſen/ weil ich wegen einer Sach/ die ich
zwiſchen beyden Theilen ins Werck zu richten vor
habe/ einen unparteyiſchen Zeugen bedarff; ich ver-
meynte/ er haͤtte was Wundergroſſes im Sinn/ weil
Schreibzeug und Papier auff dem Tiſch war/ bote
ihm derowegen zu allen ehrlichen Geſchaͤfften meine
bereitfertigſte Dienſt an/ mit ſondern Complimenten/
Qdaß
[360]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
daß ich mirs nemlich vor eine groſſe Ehr halten wuͤr-
de/ wenn ich ſo gluͤckſeelig ſeye/ ihm beliebige Dienſt
zu leiſten. Es war aber nichts anders/ als (wie an
vielen Orten der Gebrauch iſt) ein Koͤnigreich zu
machen/ maſſen es eben an der H. drey Koͤnig Abend
war/ darbey ſolte ich zuſehen/ daß es recht zugienge/
und die Aempter ohne Anſehung der Perſonen durch
das Loß außgetheilt wuͤrden. Zu dieſem Geſchaͤfft/
bey welchem deß Obriſten Secretarius auch war/ lieſſe
der Obriſt Leutenant Wein und Confect langen/ weil
er ein trefflicher Zechbruder/ und es ohne das nach
dem Nacht-Eſſen war; der Secretarius ſchrieb/ ich
laſe die Nahmen/ und die Jungfer zog die Zettel/ ihre
Eltern aber ſahen zu; und ich mag eben nicht auß-
fuͤhrlich erzehlen/ wie es hergangen/ dann ich die er-
ſte Kundſchafft an dieſem Ort machte. Sie beklag-
ten ſich uͤber die lange Winter-Naͤcht/ und gaben mir
damit zu verſtehen/ daß ich ſolche deſto leichter zu
paſſiren/ wol zu ihnen zu Liecht kommen doͤrffte/ in
dem ſie ohne das keine beſonders groſſe Geſchaͤfften
haͤtten. Diß war nun eben das/ was ich vor laͤng-
ſten gewuͤnſcht.
Von dieſem Abend an (da ich mich zwar nur ein
wenig bey der Jungfer zutaͤppiſch machte) fieng ich
wieder auff ein neues an mit der Leimſtangen zu lauf-
fen/ und am Narꝛen-Sail zu ziehen; alſo daß ſich
beydes die Jungfer und ihre Eltern einbilden muſten/
ich haͤtte den Angel geſchluckt/ wiewol mirs nicht
halber Ernſt war; Jch butzte mich als nur gegen
der Nacht/ wenn ich zu ihr wolte/ wie die Hexen/ und
den Tag uͤber hatte ich mit den Liebes-Buͤchern zu
thun/ darauß ſtellte ich Bulenbrieflein an meine Lieb-
ſte/
[361]Drittes Buch.
ſie/ eben als ob ich hundert Meil Wegs von ihr ge-
wohnt haͤtte/ oder in viel Jahren nicht zu ihr kaͤme;
zuletzt machte ich mich gar gemein/ weil mir meine
Leffeley nicht ſonderlich von den Eltern gewehrt/
ſondern zugemuthet ward/ ich ſolte ihre Tochter auff
der Lauten lernen ſchlagen. Da hatte ich nun einen
freyen Zutritt/ bey Tag ſo wol/ als hiebevor deß A-
bends/ alſo daß ich meinen gewoͤhnlichen Reimen/
aͤnderte/ und ein Liedlein machte/ in welchem ich
mein Gluͤck lobte/ weil es mir auff ſo manchen guten
Abend auch ſo freudenreiche Taͤg verliehe/ an denen
ich in meiner Liebſten Gegenwart meine Augen wai-
den/ und mein Hertz umb etwas erquicken koͤnte/ hin-
gegen klagte ich auch in eben demſelbigen Lied uͤber
mein Ungluͤck/ und bezuͤchtigte daſſelbige/ daß es mir
die Naͤcht verbittere/ und mir nicht goͤnnete/ ſolche
auch wie die Taͤg mit liebreicher Ergetzung hinzu-
bringen; und ob es zwar umb etwas zu frey kam/ ſo
ſange ichs doch meiner Liebſten mit andaͤchtigen
Seufftzen und einer Luſtreitzenden Melodey/ darbey
die Laute das ihrig trefflich thaͤt/ und gleichſam die
Jungfer mit mir bate/ ſie wolte doch cooperiren/ daß
mir die Naͤchte ſo gluͤcklich als die Taͤge bekommen
moͤchten; Aber ich bekam zimlich abſchlaͤgige Ant-
wort/ dann ſie war trefflich klug/ und konte mich
auff meine Erfindungen/ die ich bißweilen artlich
anbrachte/ gar hoͤflich beſchlagen. Jch nam mich
gar wol in acht/ von der Verehelichung zu ſchwei-
gen/ ja wenn ſchon Diſcursweis davon geredt wurde/
ſtellete ich doch alle meine Wort auff Schrauben;
Q ijWel-
[362]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Welches meiner Jungfer Schweſter/ die ſchon ver-
heuratet war/ bald merckte/ und dahero mir und mei-
nem lieben Maͤgdlein alle Paͤß verlegte/ damit wir
nicht ſo offt wie zuvor allein beyſammen ſeyn ſolten/
denn ſie ſahe wol/ daß mich ihre Schweſter von Her-
tzen liebte/ und daß die Sach in die Laͤng kein gut
thun wuͤrde.
Es iſt ohnnoͤtig/ alle Thorheiten meiner Leffeley
umbſtaͤndlich zu erzehlen/ weil dergleichen Poſſen
ohne das alle Liebes. Schrifften voll ſeyn. Genug
iſts/ wenn der guͤnſtige Leſer weiß/ daß es zuletzt da-
hin kam/ daß ich erſtlich mein liebes Dingelgen zu
kuͤſſen/ und endlich auch andere Narꝛnpoſſen zu thun
mich erkuͤhnen dorffte/ ſolchen erwünſchten Fort-
gang verfolgte ich mit allerhand Reitzungen/ biß ich
bey Nacht von meiner Liebſten eingelaſſen wurde/
und mich ſo huͤbſch zu ihr ins Bett fuͤgte/ als wenn
ich zu ihr gehoͤrt haͤtte. Weil jederman weiß/ wie es
bey dergleichen Kuͤrben pfleget gemeiniglich her zu
geben/ ſo doͤrffte ſich wol der Leſer einbilden/ ich haͤtte
etwas ungebuͤhrliches begangen: Ja wol Nein!
dann alle meine Gedancken waren umbſonſt/ ich fand
einen ſolchen Widerſtand/ dergleichen ich mir nim-
mermehr bey keinem Weibsbild anzutreffen geden-
cken koͤnnen/ weil ihr Abſehen einig und allein auff
Ehr und den Eheſtand gegruͤndet war/ und wenn
ich ihr ſolchen gleich mit den allergrauſamſten Fluͤ-
chen verſprach/ ſo wolte ſie jedoch vor der ehelichen
Copulation kurtzumb nichts geſchehen laſſen/ doch
goͤnnete ſie mir/ auff ihrem Bett neben ihr ligen zu
bleiben/ auff welchem ich auch gantz ermuͤdet vor
Unmuth ſaufft einſchlummerte. Jch wurde aber gar
unge-
[363]Drittes Buch.
ungeſtuͤmm auffgeweckt/ dann morgens umb 4. Uhr
ſtund der Obriſt Leutenant vorm Bett/ mit einer Pi-
ſtol in der einen/ und einer Fackel in der andern Hand:
Crabat/ ſchrye er uͤberlaut ſeinem Diener zu/ der
auch mit einem blaſſen Sebel neben ihm ſtunde/ ge-
ſchwind Crabat/ hole den Pfaffen! Worvon ich
dann erwachte/ und ſahe/ in was vor einer Gefahr
ich mich befande; O Wehe/ gedacht ich/ du ſolleſt
gewiß zuvor beichten/ ehe er dir den Reſt gibt! Es
wurde mir gantz g[r]uͤn und gelb vor den Augen/ und
wuſte nicht/ ob ich ſie recht auffthun ſolte/ oder nit?
Du leichtfertiger Geſell/ ſagte er zu mir/ ſoll ich dich
finden/ daß du mein Hauß ſchaͤndeſt? thaͤt ich dir un-
recht/ wenn ich dir und dieſer Vettel/ die deine Hur
worden iſt/ den Hals breche? Ach du Beſtia, wie kan
ich mich doch nur enthalten/ daß ich dir nit das Hertz
auß dem Leib herauß reiſſe/ und zu kleinen Stuͤcken
zerhackt den Hunden darwerffe? damit biſſe er die
Zaͤhn uͤbereinander/ und verkehrte die Augen/ als ein
unſinnig Thier. Jch wuſte nicht was ich ſolte/ und
meine Beyſchlaͤfferin konte nichts als weynen; end-
lich da ich mich ein wenig erholete/ wolte ich etwas
von unſerer Unſchuld vorbringen/ er aber hieſſe mich
das Maul halten/ indem er wieder auff ein neues an-
fienge/ mir auffzurucken/ daß er mir viel ein anders
vertraut/ ich aber hingegen ihn mit der allergroͤſten
Untreu von der Welt gemeynt haͤtte: Jndeſſen kam
ſeine Frau auch darzu/ die fieng eine Nagelneue Pre-
digt an/ alſo daß ich wuͤnſchte/ ich lege irgends in
einer Dornhecken/ ich glaub auch/ ſie haͤtte in zweyen
Stunden nicht auffgehoͤrt/ wenn der Crabat mit dem
Pfarꝛer nicht kommen waͤre.
Q iijEhe
[364]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Ehe dieſer ankam/ unterſtund ich etlich mal auff-
zuſtehen/ aber der Obriſt Leutenant machte mich mit
bedrohlichen Minen ligen bleibend/ alſo daß ich er-
fahren muſte/ wie gar keine Courage ein Kerl hat/ der
auff einer boͤſen That erdappt wird/ und wie einem
Dieb umbs Hertz iſt/ den man erwiſcht/ wenn er ein-
gebrochen/ ob er gleich noch nichts geſtolen hat; ich
gedenck der lieben Zeit/ wenn mir der Obr. Leutenant
ſampt zwey ſolchen Croaten auffgeſtoſſen waͤre/ daß
ich ſie alle drey zu jagen unterſtanden/ aber jetzt lag
ich da wie ein ander Bernheuter/ und hatte nicht das
Hertz/ nur das Maul/ geſchweig die Faͤuſt recht auff-
zuthun. Seht Herꝛ Pfarꝛer/ ſagte er/ das ſchoͤne
Spectacul, zu welchem ich euch zum Zeugen meiner
Schand beruffen muß! und kaum hatte er diſe Wort
ordentlich vorgebracht/ da fieng er wieder an zu wuͤ-
ten/ und das tauſend ins hundert zu werffen/ daß ich
nichts anders als vom Halsbrechen/ und Haͤnd in
Blut waͤſchen verſtehen konte; er ſchaumte umbs
Maul wie ein Eber/ und ſtellte ſich nicht anders/ als
ob er gar von Sinnen kommen wolte/ alſo daß ich
alle Augenblick gedachte/ jetzt jagt er dir eine Kugel
durch den Kopff! Der Pfarꝛer aber wehrte mit Haͤn-
den und Fuͤſſen/ daß nichts toͤdtliches geſchehe/ ſo
ihn hernach reuen moͤchte; Was? ſagte er/ Herꝛ
Obriſt Leutenant/ braucht euer hohe Vernunfft/ und
bedenckt das Spruͤchwort/ daß man zu geſchehenen
Dingen das beſte reden ſoll; diß ſchoͤne junge Paar/
das ſeines gleichen ſchwerlich im Land hat/ iſt nicht
das erſte/ und auch nicht das letzte/ ſo ſich von den
unuͤberwindlichen Kraͤfften der Liebe meiſtern laſſen;
dieſer Fehler/ den ſie beyde begangen/ kan auch durch
ſie/
[365]Drittes Buch.
ſie/ da es anders ein Fehler zu nennen/ wieder leicht-
lich gebeſſert werden; Zwar lobe ichs nit/ ſich auff
dieſe Art zu verehelichen/ aber gleichwol hat dieſes
junge Paar hierdurch weder Galgen noch Rad ver-
dient/ der Herꝛ Obriſt Leutenant auch keine Schand
darvon zu gewarten/ wenn er nur dieſen Fehler (der
ohne das noch niemand bewuſt) heimlich halten und
verzeyhen/ ſeine Conſens zu beyder Verehelichung
geben/ und dieſe Ehe durch den gewoͤhnlichen Kirch-
gang offentlich beſtetigen laſſen wird. Was? ant-
wortet er/ ſolte ich ihnen an ſtatt billicher Straff/ erſt
noch hofieren/ und groſſe Ehr anthun? ich wolte ſie
ehe morgenden Tags beyde zuſammen binden/ und
in der Lipp ertraͤncken laſſen! Jhr muͤſt mir ſie in die-
ſem Augenblick copulirn/ maſſen ich euch deßwegen
holen laſſen/ oder ich will ſie alle beyde wie die Huͤner
erwuͤrgen.
Jch gedachte/ was wiltu thun/ es heiſt: Vogel
friß/ oder ſtirb; zu dem ſo iſt es eine ſolche Jungfer/
deren du dich nicht ſchaͤmen darffſt/ ja wenn du dein
Herkommen bedenckeſt/ ſo biſtu kaum werth/ hin zu
ſitzen/ wo ſie ihre Schuh hinſtellt; doch ſchwur ich/
und bezeugte hoch und theur/ daß wir nichts unehr-
lichs miteinander zu ſchaffen gehabt haͤtten; Aber mir
wurde geantwortet/ wir ſolten uns gehalten haben/
daß man nichts Boͤſes von uns argwohnen koͤnnen/
dieſen Weg aber wuͤrden wir dem einmal gefaſten
Verdacht niemand benehmen. Hierauff wurden wir
von gemeldtem Pfarꝛer im Bett ſitzend zuſamm ge-
geben/ und nachdem ſolches geſchehen/ auffzuſtehen/
und miteinander auß dem Hauß zu gehen gemuͤſſiget.
Unter der Thuͤr ſagte der Obriſt Leutenant zu mir
Q jvund
[366]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
und ſeiner Tochter/ wir ſolten ſich in Ewigkeit vor
ſeinen Augen nicht mehr ſehen laſſen. Jch aber/ als
ich mich wieder erholt/ und den Degen auch an der
Seiten hatte/ antwortet gleichſam im Schertz: Jch
weiß nicht/ Herꝛ Schwehrvatter/ warumb er alles
ſo widerſinns anſtellt/ wenn andere neue Eheleut co-
pulirt werden/ ſo fuͤhren ſie die naͤchſte Verwandte
ſchlaffen/ er aber jagt mich nach der Copulation nit
allein auß dem Bett/ ſondern auch gar auß dem Hauß/
und an ſtatt deß Gluͤcks/ das er mir in Ebeſtand wuͤn-
ſchen ſolte/ will er mich nicht ſo gluͤckſeelig wiſſen/
meines Schwehers Angeſicht zu ſehen/ und ihm zu
dienen; Warlich/ wenn dieſer Brauch auffkommen
ſolte/ ſo wuͤrden die Verebelichungen wenig Freund-
ſchafft mehr in der Welt ſtifften.
DasXXII.Capitel.
DJe Leut in meinem Loſament verwunderten ſich
alle/ da ich dieſe Jungfer mit mir heim brachte/
und noch vielmehr/ da ſie ſahen/ daß ſie ſo ungeſcheut
mit mir ſchlaffen gieng; dann ob mir zwar dieſer
Poß/ ſo mir widerfahren/ grandige Grillen in Kopff
brachte/ ſo war ich doch ſo naͤrꝛiſch nit/ meine Braut
zu verſchmaͤhen; ich hatte zwar die Liebſte im Arm/
hingegen aber tauſenderley Gedancken im Kopff/ wie
ich mein Sach heben und legen wolte; bald gedacht
ich/ es iſt dir recht geſchehen/ und bald vermeynt ich/
es waͤre mir der allergroͤſte Schimpff von der Welt
widerfahren/ welchen ich ohne billiche Rach mit Eh-
ren nicht verſchmirtzen koͤnte: Wann ich aber beſan-
ne/ daß ſolche Rach wider meinen Schwebrvatter/
und alſo auch wider meine unſchuldige from̃e Liebſte
lauffen
[367]Drittes Buch.
lauffen muͤſte/ ſielen alle meine Anſchlaͤg. Jch ſchaͤm-
te mich ſo ſehr/ daß ich mir vor nam/ mich einzuhal-
ten/ und vor keinem Menſchen mehr ſehen zu laſſen/
befande aber/ daß ich alsdann erſt die allergroͤſte Narꝛ-
heit begehen wuͤrde. Endlich war mein Schluß/ ich
wolte vor allen Dingen meines Schwehr-Vattern
Freundſchafft wieder gewinnen/ und mich im uͤbri-
gen gegen jederman anlaſſen/ als ob mir nichts uͤbels
widerfahren/ und wegen meiner Hochzeit alles wol
außgerichtet haͤtte. Jch ſagte zu mir ſelber/ weil alles
auff ein ſeltzame ungewoͤhnliche Weis ſich geſchickt
und ſeinen Anfang genommen/ ſo muſtu es auch auff
ſolche Gattung außmachen/ ſolten die Leut erfahren/
daß du Verdruß an deinem Heurath haͤtteſt/ und wi-
der deinen Willen copulirt worden waͤreſt/ wie ein
arme Jungfer an einen alten reichen Ehekrippel/ ſo
haͤtteſtu nur Spott darvon.
Jn ſolchen Gedancken ließ ich mir fruͤh tagen/ wie-
wol ich lieber laͤnger im Bett verblieben waͤre; Jch
ſchickte am allererſten nach meinem Schwager/ der
meines Weibs Schweſter hatte/ und hielt ihm kurtz
vor/ wie nahe ich ihm verwandt worden/ erſuchte ihn
darneben/ er wolte ſeine Liebſte kommen laſſen/ umb
etwas zurichten zu helffen/ damit ich den Leuten auch
bey meiner Hochzeit zu eſſen geben koͤnte/ Er aber
wolte belieben/ unſern Schwehr und Schwiger mei-
net wegen zu beguͤtigen/ ſo wolte ich indeſſen außge-
hen/ Gaͤſte zu bitten/ die den Frieden zwiſchen mir
und ihm vollends machten. Solches nam er zu ver-
richten auff ſich/ und ich verfuͤgte mich zum Com-
mandanten/ dem erzehlte ich mit einer kurtzweiligen
und artlichen Manier/ was ich und mein Schwehr-
Q vjvatter
[368]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Vatter vor ein neue Mode angefangen haͤtten/ Hoch-
zeit zu machen/ welche Gattung ſo geſchwind zugehe/
daß ich in einer Stund die Heurats-Abred/ den Kirch-
gang/ und die Hochzeit auff einmal vollzogen/ allein
weil mein Schwehrvatter die Morgenſupp geſparet
haͤtte/ waͤre ich bedacht/ an deren ſtatt ehrlichen Leu-
ten von der Speckſuppen mitzutheilen/ zu deren ich
ihn underthaͤnig eingeladen haben wolte. Der Com-
mandant wolte ſich meines luſtigen Vortrags ſchier
zu Stuͤckern lachen/ und weil ich ſahe/ daß ſein Kopff
recht ſtunde/ ließ ich mich noch freyer herauß/ und
entſchuldigte mich deßwegen/ daß ich nothwendig
jetzt nit wol klug ſeyn muͤſte/ weil andere Hochzeiter
4. Wochen vor und nach der Hochzeit nit recht bey
Sinnen ſeyen; andere Hochzeiter zwar haͤtten vier
Wochen Zeit/ in welchen ſie allgemach ihre Thor-
heiten unvermerckt herauß laſſen/ und alſo ihren
Mangel an der Witz zimlich verbergen koͤnten; weil
mich aber die gantze Braͤuterey vollkom̃en uͤberfallen/
ſo muͤſte ich auch die Narꝛnpoſſen haͤuffig fliegen laſ-
ſen/ damit ich mich hernach deſto vernuͤnfftiger im
Eheſtand anlaſſen koͤnte. Er fragte mich/ wie es mit
der Heurats Notul beſchaffen waͤre/ und wie viel mir
mein Schwehrvatter Fuͤchſe/ deren der alte Schab-
hals viel haͤtte/ zum Heurat-Gut gebe? Jch antwor-
tet/ daß unſer Heurats Abred nur in einem Puncten
beſtuͤnde/ der laute/ daß ich und ſeine Tochter ſich in
Ewigkeit vor ſeinen Augen nicht mehr ſolten ſehen
laſſen/ dieweil aber weder Norarien noch Zeugen da-
bey geweſen/ hoffe ich/ er ſolte wider revocirt werden/
vornemlich weil alle Heurat zu Fortpflantzung gu-
ter Freund ſchafft geſtifft wuͤrden/ es waͤre deñ Sach/
daß
[369]Drittes Buch.
daß er mir ſeine Tochter/ wie Pythagoras die ſeinige
verheuratet haͤtte/ ſo ich aber nimmermehr glauben
koͤnte/ weil ich ihn meines Wiſſens niemal beleydigt.
Mit ſolchen Schwaͤncken/ deren man an mir diß
Orts ſonſt nicht gewohnt war/ erhielte ich/ daß der
Commandant ſampt meinem Schwehrvatter/ wel-
chen er hierzu wol perſuadiren wolte/ bey meiner
Speckſuppen zu erſcheinen verſprach: Er ſchickt auch
gleich ein Faß Wein/ und einen Hirſch in meine
Kuͤchen/ ich aber lieſſe der geſtalt zurichten/ als ob ich
Fuͤrſten haͤtte tractiren wollen/ brachte auch ein an-
fehenliche Geſellſchafft zu wegen/ die ſich nit allein
brav miteinander luſtig machten/ ſondern auch vor
allen Dingen meinen Schwehrvatter und Schwiger
dergeſtalt mit mir und meinem Weib verſoͤhneten/
daß ſie uns mehr Gluͤcks wuͤnſchten/ als ſie uns die
vorige Nacht fluchten. Jn der gantzen Statt aber
wurde außgeſprengt/ daß unſere Copulation mit Fleiß
auff ſo ein fremde Gattung angeſtellt worden waͤre/
damit uns beyden kein Poß von boͤſen Leuten wider-
fahre; mir aber war dieſe ſchnelle Hochzeit trefflich
geſund/ dann wann ich doch verehelichet/ und gemei-
nem Gebrauch nach uͤber die Cantzel haͤtte abgeworf-
fen werden ſollen/ ſo haͤtten ſich beſorglich Schlepp-
ſaͤck gefunden/ die mir ein verhinderliches Gewirꝛ
drein zu machen unterſtanden/ dann ich hatte ſolcher
unter den Burgers-Toͤchtern ein gantz halb Dutzet/
die mich mehr als allzuwol kanten.
Den andern Tag tractirte mein Schwehrvatter
meine Hochzeitgaͤſt/ aber bey weitem nit ſo wol als
ich/ denn er war karg/ da wurde erſt mit mir geredt/
was ich vor eine Handierung treiben/ und wie ich die
Q vjHauß-
[370]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Haußhaltung anſtellen wolte/ da merckte ich erſt/
daß ich meine edle Freyheit verloren hatte/ und unter
einer Bottmaͤſſigkeit leben ſolte. Jch lieſſe mich gar
gehorſamlich an/ und begehrte zuvor meines lieben
Schwehrvattern als eines verſtaͤndigen Cavalliers,
getreuen Rath zu vernehmen/ und dem zu folgen/
welche Antwort der Commandant lobte/ und ſagte/
dieweil er ein junger friſcher Soldat iſt/ ſo waͤre es
ein groſſe Thorheit/ wañ er mitten in jetzigen Kriegs-
laͤufften ein anders/ als das Soldaten-Handwerck
zu treiben/ vor die Hand nehme/ es iſt weit beſſer/
ſein Pferd in eines andern Stall zu ſtellen/ als eines
andern in dem ſeinigen zu fuͤttern; Was mich anbe-
langt/ ſo will ich ihm ein Faͤhnlein geben/ wann er
will. Mein Schwehr und ich bedanckten ſich/ und
ich ſchl[u]gs nit mehr auß wie zuvor/ wieſe doch dem
Commandanten deß Kauffmanns Handſchrifft/ der
meinen Schatz zu Coͤln in Verwahrung hat/ dieſes/
ſagte ich/ muß ich zuvor holen/ ehe ich Schwediſche
Dienſt annehme/ dann ſolte man gewahr werden/
daß ich ihrem Gegentheil dienete/ ſo werden ſie mir
zu Coͤln die Feige weiſen/ und das meinige behalten/
welches ſich ſo leichtlich nicht im Weg finden laͤſt:
Sie gaben mir beyde recht/ und wurde alſo zwiſchen
uns dreyen abgeredt/ zugeſagt und beſchloſſen/ daß
ich in wenig Tagen mich nach Coͤln begeben/ mei-
nen Schatz dort erheben/ mich nach gehends wieder
damit in der Veſtung einſtellen/ und ein Faͤhnlein
annehmen ſolte; darbey wurde auch ein Tag ernen-
net/ an welchem meinem Schwehrvatter eine Com-
pagnie ſampt der Obriſt Leutenant-Stelle bey deß
Commandanten Regiment uͤbergeben werden ſolte/
dann
[371]Drittes Buch.
dann ſintemal der Graf von Goͤtz damals mit vielen
Kaͤiſerlichen Voͤlckern in Weſtphalen lag/ und ſein
Quartier zu Dortmund hatte/ verſahe ſich der Com-
mandant auff den kuͤnfftigen Fruͤhling einer Belaͤ-
gerung/ und bewarbe ſich dahero umb gute Solda-
ten/ wiewol dieſe Sorg vergeblich war/ dieweil er-
meldter Graf von Goͤtz/ weil Johann de Werd im
Brißgaͤu geſchlagen worden/ ſelbigen Fruͤhling
Weſtphalen quittiren/ und am Ober-Rheinſtrom
wegen Breyſach wider den Fuͤrſten von Weymar
agiren muſte.
DasXXIII.Capitel.
ES ſchickt ſich ein Ding auff mancherley Weis/
deß einen Unſtern kompt Staffelweis und allge-
mach/ und einen andern uͤberfaͤllt das Seinige mit
Hauffen; das meinige aber hatte einen ſo ſuͤſſen und
angenehmen Anfang/ daß ich mirs wol vor kein Un-
gluͤck/ ſondern vor das hoͤchſte Gluͤck rechnete. Kaum
uͤber acht Tag hatte ich mit meinem lieben Weib im
Eheſtand zugebracht/ da ich in meinem Jaͤgerkleid/
mit einem Feur-rohr auff der Achſel/ von ihr und
ihren Freunden meinen Abſchied nam/ ich ſchliche
mich gluͤcklich durch/ weil mir alle Weg bekant/ alſo
daß mir keine Gefahr unterwegs auffſtieſſe/ ja ich
wurde von keinem Menſchen geſehen/ biß ich nacher
Duͤtz/ ſo gegen Coͤln uͤber/ dißſeits Rhein ligt/ vor
den Schlagbaum kam. Jch aber ſahe viel Leut/ ſon-
derlich einen Bauren im Bergiſchen Land/ der mich
allerdings an meinen Knan im Speſſert gemahnte/
ſein Sohn aber deſſen Simplicio ſich am beſten ver-
gliche. Dieſer Baurenbub huͤtete der Schwein/ als
Q vijich
[372]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ich bey ihm voruͤber paſſiren wolte/ und weil die Saͤu
mich ſpuͤrten/ fiengen ſie an zu gruntzen/ der Knab
aber uͤber ſie zu fluchen daß ſie der Donner und Hagel
erſchlagen/ und de Tuͤfel dartoo halen ſolte; das
hoͤrte die Magd/ und ſchrye dem Jungen zu/ er ſolte
auffhoͤren zu fluchen/ oder ſie wolts dem Vatter ſa-
gen: Deren antwortet der Knab/ ſie ſolte ihn im
Hindern lecken/ und ihre Mour dartoo bruͤhen;
Der Baur hoͤrte ſeinem Sohn gleichfalls zu/ lieffe
derowegen mit ſeinem Bruͤgel auß dem Hauß/ und
ſchrye: Halt du hundert tauſend ꝛc. Schelm/ ick
ſall di lehren ſweren/ de Hagel ſchla di dann/
dat di der Tuͤfel int Liff fahr/ erwiſcht ihn dar-
mit bey der Cartauſen/ brůgelt ihn wie ein Tantz-
beeren/ und ſagte zu jedem Streich: Du boͤſe Bof/
ick ſall di leeren floeken/ de Tuͤfel hal di dann/
ick ſall di im Arſe lecken/ ick ſall di leeren dine
Mour brůhen/ ꝛc. Dieſe Zucht erinnert mich na-
tuͤrlich an mich und meinen Knan/ und ich war doch
nicht ſo ehrlich oder gottſelig/ daß ich GOtt gedanckt
haͤtte/ weil er mich auß ſolcher Finſternus und Igno-
ranz gezogen/ und zu einer beſſern Wiſſenſchafft und
Erkantnus gebracht/ warum wolte dañ mein Gluͤck/
das er mir taͤglich zuſchickt/ in die Laͤnge haben har-
ren koͤnnen? Da ich nun nach Coͤln kam/ kehrte ich
bey meinem Jupiter ein/ ſo damals gantz klug war;
Als ich ihm nun vertraute/ warumb ich da waͤre/
ſagte er mir gleich/ daß ich beſorglich laͤer Stroh dre-
ſchen wuͤrde/ weil der Kauffmann/ dem ich das mei-
nige auffzuheben geben/ Bancquerot geſpielt/ und
außgeriſſen waͤre/ zwar ſeyen meine Sachen Obrig-
keitlich petſchirt/ er ſelbſt aber/ ſich wieder einzuſtel-
len
[373]Drittes Buch.
len/ citirt worden/ aber man zweiffle ſehr an ſeiner
Wiederkunfft/ weil er das beſte ſo fort zu bringen ge-
weſen/ mit ſich genommen/ biß nun die Sach eroͤr-
tert wuͤrde/ koͤnte viel Waſſer den Rhein hinunder
lauffen. Wie angenehm mir dieſe Bottſchafft war/
kan ein jeder leicht ermeſſen; ich fluchte aͤrger als ein
Fuhrmann/ aber was halffs/ ich hatte drumb meine
Sache nit wieder/ und uͤber das keine Hoffnung/ ſol-
che zu bekommen; ſo hatte ich auch uͤber 10. Thaler
Zehrgelt nit zu mir genommen/ daß ich alſo mich nit
ſo lang auffhalten konte/ als es die Zeit erforderte.
Uber das hatte es auch Gefahr auff ſich/ ſo lange da
zu bleiben/ dann ich muſte ſorgen/ daß/ weil ich einer
feindlichen Guarniſon zugethan waͤre/ ich verkund-
ſchafft wuͤrde/ und alſo nicht allein gar umb das mei-
nige/ ſondern noch darzu in groͤſſere Ungelegenheit
kommen/ ſolte ich dann unverꝛichter Sach wieder
zuruͤck/ das meinige muthwillig dahinden laſſen/ und
den Hingang vor den Hergang haben/ das duͤnckte
mich auch nicht rathſam ſeyn. Zuletzt wurde ich mit
mir ſelber eins/ ich wolte mich in Coͤln auffhalten/
biß die Sach eroͤrtert wuͤrde/ und die Urſach meines
Außdleibens meiner Liebſten berichten/ verfuͤgte mich
demnach zu einem Procurator der ein Notarius war/
und erzehlte ihm mein Thun/ bat ihn/ mir umb die
Gebuͤhr mit Rath und That beyzuſpringen/ ich wol-
te ihm neben dem Tax, wenn er meine Sach beſchleu-
nigte/ mit einer guten Verehrung begegnen. Weil
er dann hoffte/ es wuͤrde an mir etwas zu fiſchen ſeyn/
nam er mich gutwillig an/ und dingte mich auch in
die Koſt/ darauff gienge er andern Tags mit mir zu
den jenigen Herꝛen/ welche die Falliments-Sachen
zu
[374]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
zu eroͤrtern haben/ gab vidimirte Copey von deß
Kauffmanns Handſchrifft ein/ und legte das Origi-
nal vor/ worauff wir zur Antwort bekamen/ daß wir
uns biß zu gaͤntzlicher Eroͤrterung der Sach patien-
tiren muͤſten/ weil die Sachen/ davon die Handſchrifft
ſage/ nicht alle vorhanden waͤren.
Alſo verſahe ich mich deß Muͤſſiggangs wider auff
ein Zeitlang/ biß ich ſehen wolte/ wie es in groſſen
Staͤtten hergehet; mein Koſt-Herꝛ war/ wie gehoͤrt/
ein Notarius und Procurator, darneben hatte er etwan
ein balb Dutzet Koſtgaͤnger/ und hielte ſtets 8. Pferd
auff der Streu/ welche er den Raͤiſenden umbs Geld
hinzuleyhen pflegte/ darbey hatte er einen Teutſchen
und einen Welſchen Knecht/ die ſich beydes zum fah-
ren und reuten gebrauchen lieſſen/ und der Pferd war-
teten/ mit welcher drey- oder vierthalbfachen Handie-
rung er nicht allein ſeine Nahrung reichlich gewann/
ſondern auch ohn Zweiffel trefflich vorſchlug/ dann
weil keine Juden in ſelbige Statt kommen doͤrffen/
konte er mit allerley Sachen deſto beſſer wuchern.
Jch lernete viel in der Zeit die ich bey ihm war/
vornemlich aber alle Kranckheiten kennen/ ſo die groͤ-
ſie Kunſt an einem Doctor Medicinæ iſt/ dann man
ſagt/ wenn man eine Kranckheit recht erkenne/ ſo ſey
dem Patienten ſchon halb geholffen. Daß ich nun ſol-
che Wiſſenſchafft begriffe/ daran war mein Wirth
Urſach/ denn von ſeiner Perſon fienge ich an/ auch
auff andere und deren Complexion zu ſehen. Da fand
ich manchen todt[k]ranck/ der ſeine Kranckheit offt ſelbſt
nit wuſte/ und auch von andern Menſchen/ ja von den
Doctoribus ſelbſt/ vor einen Geſunden gehalten wur-
de. Jch fande Leut/ die waren vor Zorn kranck/ und
wenn
[375]Drittes Buch.
wenn ſie dieſe Kranckheit anſtieß/ ſo verſtellten ſie die
Geſichter wie die Teuffel/ bruͤlleten wie die Loͤwen/
kratzten wie die Katzen/ ſchlugen umb ſich wie die
Beeren/ biſſen drein wie die Hund/ und damit ſie ſich
aͤrger ſtellen moͤchten als die raſende Thier/ warffen
ſie auch mit allem das ſie in die Haͤnde kriegten/ umb
ſich wie die Narꝛen. Man ſagt/ dieſe Kranckheit kom̃e
von der Gall her/ aber ich glaube/ daß ſie ihren Ur-
ſprung daher habe/ wenn ein Narꝛ hoffaͤrtig ſeye/
derhalben wenn du einen Zornigen raſen hoͤreſt/ ſon-
derlich uͤber ein gering Ding/ ſo halt kecklich darvor/
daß er mehr ſtoltz als klug ſeye. Auß dieſer Kranck-
heit folget unzehlich viel Ungluͤck/ ſo wol dem Kran-
cken ſelbſt als andern; dem Krancken zwar endlich
die Laͤhme/ Gicht/ und ein fruͤhzeitiger/ wo nicht gar
ewiger Todt! Und kan man dieſe Krancken/ ob ſie
ſchon gefaͤhrlich kranck ſeyn/ mit gutem Gewiſſen kei-
ne Patienten nennen/ weil ihnen die Patientz am aller-
meiſten mangelt. Etliche ſahe ich am Neid darnider
ligen/ von welchen man ſagt/ daß ſie ihr eigen Hertz
freſſen/ weil ſie im̃er ſo bleich und traurig daher tret-
ten. Dieſe Kranckheit halte ich vor die aller-gefaͤhr-
lichſte/ weil ſie vom Teuffel ihren Urſprung hat/ wie-
wol ſie von lauter Gluͤck herꝛuͤhret/ das deß Krancken
Feind hat/ und welcher einen ſolchen von Grund auß
curirt/ der doͤrffte ſich bey nahe ruͤhmen/ er haͤtte einen
Verlornen zum Chriſtlichen Glauben bekehrt/ weil
dieſe Kranckheit keinen rechtſchaffenen Chriſten an-
ſtoͤſt/ als die da nur die Suͤnd und Laſter neiden. Die
Spielſucht halte ich auch vor eine Kranckheit/ nicht
allein weil es der Nahm mit ſich bringt/ ſondern weil
die jenige ſo damit behafftet/ gantz gifftig darauff ver-
picht
[376]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
picht ſeyn. Dieſe hat ihren Urſprung vom Muͤſſig-
gang/ und nicht vom Geitz/ wie etliche vermeynen/
und wenn du Wolluſt und Muͤſſiggang hinweg nim-
meſt/ vergehet dieſe Kranckheit von ſich ſelbſt. So
befand ich/ daß Freſſen und Sauffen auch ein Kranck-
heit iſt/ und daß ſolche auß der Gewonheit/ und nicht
auß dem Uberfluß herkompt/ Armuth iſt zwar gut
darvor/ aber ſie wird dardurch nicht von Grund auß
geheylet/ dann ich ſahe Bettler im Luder/ und reiche
Filtz Hunger leiden/ ſie bringt ihre Artzney auff dem
Rucken mit ſich/ der heiſt Mangel/ wo nit am Gut/
doch an der uͤbrigen Geſundheit deß Leibs/ alſo daß
endlich dieſe Krancke gemeiniglich von ſich ſelbſt ge-
ſund werden muͤſſen/ wenn ſie nemlich entweder auß
Armut oder anderer Kranckheit halber nit mehr zeh-
ren koͤnnen. Die Hoffart hielte ich vor eine Art der
Phantaſterey/ welche ihren Urſprung auß der Un-
wiſſenheit habe/ dann wann ſich einer ſelbſt kennet/
und weiß wo er her iſt/ und endlich hin kompt/ ſo iſts
unmuͤglich/ daß er mehr ſo ein hoffaͤrtiger Narꝛ ſeyn
kan. Wenn ich einen Pfauen oder Welſchen Hanen
ſehe/ der ſich außſpreitet/ und ſo etwas daher kollert/
muß ich mich vernarꝛen/ daß dieſe unvernuͤnfftige
Thier dem armen Menſchen in ſeiner groſſen Kranck-
heit ſo artlich ſpotten koͤnnen; ich hab kein ſonderliche
Artzney darwider finden koͤnnen/ weil dieſe ſo daran
kranck ligen/ ohne die Demut eben ſo wenig als andere
Narꝛen zu curiren ſeyn. Jch fande auch/ daß Lachen
eine Kranckheit iſt/ dann Philemon iſt ja dran geſtor-
ben/ und Democritus iſt biß an ſein End damit inficirt
geweſt. So ſagen auch noch auff den heutigen Tag
unſere Weiber/ Sie moͤchten ſich zu todt lachen!
Man
[377]Drittes Buch.
Man ſagt/ es habe ſeinen Urſprung von der Leber/
aber ich glaube ehender/ es kom̃e auß uͤbriger Thor-
heit her/ ſintemal viel Lachen kein Anzeigen eines ver-
nuͤnfftigen Manns iſt. Es iſt unvonnoͤthen/ eine Artz-
ney darwider zu verordnen/ weil es nicht allein eine
luſtige Kranckheit iſt/ ſondern auch manchem verge-
het/ ehe ers gern hat. Nicht weniger merckte ich/ daß
der Fuͤrwitz auch eine Kranckheit/ und ſonderlich
dem Weiblichen Geſchlecht ſchier angeboren ſeye;
iſt zwar gering anzuſehen/ aber in Warheit ſehr ge-
faͤhrlich/ maſſen wir noch alle an unſerer erſten Mut-
ter Curioſitaͤt zu daͤuen haben. Von den uͤbrigen/ als
Faulheit/ Rachgier/ Eyfer/ Frevel/ Gebrechen der
Lieb/ und andern dergleichen Kranckheiten und La-
ſtern/ will ich vor dißmal ſchweigen/ weil ich mir
niemals vorgenommen/ etwas davon zu ſchreiben/
ſondern wieder auff meinen Koſt-Herꝛn kommen/ der
mir Urſach gab/ dergleichen Gebrechen nachzuſin-
nen/ weil er vom Geitz biß auffs aͤuſſerſte Haar ein-
genommen und beſeſſen war.
DasXXIV.Capitel.
DJeſer hatte/ wie obgemeldt/ unterſchidliche Han-
dierungen/ dadurch er Geld zuſammen kratzte/
er zehrte mit ſeinen Koſtgaͤngern/ und ſeine Koſtgaͤn-
ger nit mit ihm/ und er haͤtte ſich und ſein Haußgeſind
mit dem jenigen was ſie ihm eintrugen/ gar reichlich
ernehren koͤnnen/ wenns der Schindhund nur darzu
haͤtte angewendet/ aber er maͤſtete uns auff Schwaͤ-
biſch/ und hielte gewaltig zuruͤck; Jch aſſe anfangs
nit mit ſeinen Koſtgaͤngern/ ſondern mit ſeinen Kin-
dern und Geſind/ weil ich nit viel Geld bey mir hatte/
da
[378]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
da ſetzte es ſchmale Bißlein/ ſo meinem Magen/ der
nunmehr zu den Weſtphaͤliſchen Tractamenten ge-
wehnet war/ gantz Spaniſch vorkam/ kein gut ſtuͤck
Fleiſch kriegten wir auff den Tiſch/ ſondern nur das
jenige/ ſo acht Tag zuvor von der Studenten Tafel
getragen/ von denſelben zuvor uͤberall wol benagt/
und nunmehr vor Alter ſo grau als Mathuſalem woꝛ-
den war; daruͤber machte dann die Koſtfrau (welche
die Kuͤche ſelbſt verſehen muſte/ denn er dingte ihr kei-
ne Magd) ein ſchwartze ſaure Bruͤh/ und uͤberteuf-
felts mit Pfeffer/ da wurden dann die Beiner ſo ſau-
ber abgeſchleckt/ daß man alsbald Schachſtein da-
rauß haͤtte drehen koͤnnen/ und doch waren ſie alsdañ
noch nit recht außgenutzt/ ſondern ſie kamen in einen
hierzu verordneten Behalter/ und wenn unſer Geitz-
hals deren ein Quantitaͤt beyſammen hatte/ muſten ſie
erſt klein zerhackt/ und das uͤbrige Fett biß auff das
aller-aͤuſſerſte herauß geſotten werden/ nicht weiß ich/
wurden die Suppen darauß geſchmaͤltzt/ oder die
Schuh damit geſchmiert. An den Faſttaͤgen/ deren
mehr als genug einfielen/ und alle ſolenniter gehalten
wurden/ weil der Haußvatter dißfalls gar gewiſſen-
hafft war/ muſten wir uns mit ſtinckenden Buͤckingen/
verſaltznen Polchen/ faulen Stock- und andern ab-
geſtandenen Fiſchen herumb beiſſen/ dann er kieffe
alles der Wolfeile nach/ und ließ ſich die Muͤhe nicht
dauren/ zu ſolchem Ende ſelbſt auff den Fiſchmarckt
zu gehen/ und anzupacken/ was jetzt die Fiſcher auß-
zuſchmeiſſen im Sinn hatten. Unſer Brod war ge-
meiniglich ſchwartz und altbachen/ der Tranck aber
ein dinn ſaur Bier/ das mir die Daͤrm haͤtte zerſchnei-
den moͤgen/ und muſte doch gut abgelegen Mertzen-
Bier
[379]Drittes Buch.
Bier heiſſen. Uber das vernam ich von ſeinem Teut-
ſchen Knecht/ daß es Sommerszeit noch ſchlimmer
hergehe/ dann da ſey das Brod ſchimlich/ das Fleiſch
voller Wuͤrm/ und ihre beſte Speiſen waͤre irgends
zu Mittags ein paar Rettig/ und auff den Abend eine
Hand voll Salat. Jch fragte/ warumb er dann bey
dem Filtz bleibe? da antwort er mir/ daß er die mei-
ſte Zeit auff der Raͤis ſeye/ und derhalben mehr auff
der Raͤiſenden Trinckgelter/ als ſeinen Schimmel-
Juden bedacht ſeyn muͤſte; er getraute ſeinem Weib
und Kindern nicht in Keller/ weil er ihm ſelbſten den
Tropff-Wein kaum goͤnnete/ und ſeye in Summa
ein ſolcher Geld-Wolff/ dergleichen kaum noch einer
zu finden/ das ſo ich bißher geſehen/ ſey noch nichts/
wenn ich noch ein Weil da verbliebe/ wuͤrde ich ge-
wahr nehmen/ daß er ſich nicht ſchaͤme/ einen Eſel
umb ein Fettmoͤnch zu ſchinden. Einsmals brachte
er ſechs Pfund Suͤltzen oder Rindern Kuttlen heim/
das ſetzte er in ſeinen Speiß Keller/ und weil zu ſei-
ner Kinder groſſem Glūck das Tagfenſter offen ſtund/
banden ſie ein Eßgabel an einen Stecken/ und angel-
ten damit alle Kuttelfleck herauß/ welche ſie alſo halb
gekocht in groſſer Eyl verſchlangen/ und vorgaben/
die Katz haͤtte es gethan; Aber der Erbſenzehler wolt
es nit glauben/ fieng derhalben die Katz/ wog ſie/ und
befand/ daß ſie mit Haut und Haar nicht ſo ſchwer
war/ als ſeine Kuttlen geweſen. Weil er dann ſo gar
unverſchaͤmt handlete/ als begehrte ich nit mehr an
ſeiner Leute/ ſondern an gemeldter Studenten Tafel/
es koſte auch was es wolle/ zu eſſen/ worbey es zwar
etwas herꝛlicher hergieng/ wurde mir aber wenig da-
mit geholffen/ dann alle Speiſen die man uns fuͤr-
ſetzte/
[380]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ſetzte/ waren nur halb gar/ ſo unſerm Koſtherꝛn an 2.
Orten zu paß kam/ erſtlich am Holtz/ ſo er geſpart/
und daß wir nit ſo viel verdanen konten; uͤber das ſo
duͤnckte mich/ er zehlte uns alle Mund voll in Hals
hinein/ und kratzte ſich hindern Ohren/ weñ wir recht
fuͤtterten; ſein Wein war zimlich gewaͤſſert/ und nit
der Art/ die Daͤuung zu befoͤrdern; der Kaͤß/ den man
am End jeder Mahlzeit auffſtellte/ war gemeinlich
Steinhart/ die Hollaͤndiſche Butter aber dermaſſen
verſaltzen/ daß keiner uͤber ein Loth darvon auff einen
Jmbis genieſſen konte/ das Obs muſte man wol ſo
lang auff und abtragen/ biß es muͤrb/ und zu eſſen
tauglich war/ wann dann etwan ein oder ander da-
rauff ſtichelte/ ſo fieng er einen erbaͤrmlichen Hader
mit ſeinem Weib an/ daß wirs hoͤrten/ heimlich aber
befahl er ihr/ ſie ſolte nur bey ihrer alten Geigen blei-
ben. Einsmals brachte ihm einer von ſeinen Clien-
ten einen Haſen zur Verehrung/ den ſahe ich in der
Speißkam̃er hangen/ und gedachte/ wir wuͤrden ein-
mal Wildpret eſſen doͤrffen/ aber der Teutſche Knecht
ſagte mir/ daß er uns nicht an die Zaͤhn brennen wuͤr-
de/ dann ſein Herꝛ haͤtte den Koſtgaͤngern außgedingt/
daß er ſo keine Schnabelwaid ſpeiſen doͤrffte/ ich ſol-
te nur Nachmittag auff den Alten Marck gehen/ und
ſehen/ ob ich ihn nit dorten zu verkauffen finden wuͤr-
de: Darauff ſchnitte ich dem Haſen ein Stuͤcklein
vom Ohr/ und als wir uͤber dem Mittag-Jmbiß ſaſ-
ſen/ und unſer Koſtherꝛ nicht bey uns war/ erzehlte
ich/ daß unſer Geitzhals ein Haſen zu verkauffen haͤt-
te/ umb den ich ihn zu betruͤgen gedaͤchte/ wenn mir
einer auß ihnen folgen wolte/ alſo daß wir nicht allein
Kurtzweil anrichten/ ſondern den Haſen ſelbſt kriegen
wollen
[381]Drittes Buch.
wollen; Jeder ſagte ja/ denn ſie haͤtten unſerm Wirth
gern vorlaͤngſt ein Schabernack angethan/ deſſen er
ſich nit beklagen doͤrffte. Alſo verfuͤgten wir uns den
Nachmittag an den jenigen Ort/ den ich vom Knecht
erlernt hatte/ da unſer Koſtherꝛ zu ſiehen pflegte/ wenn
er ſo etwas zu verkauffen hingab/ umb auffzupaſſen/
was der Verkaͤuffer loͤſete/ damit er nicht etwan umb
ein Fettmoͤnch betrogen wuͤrde. Wir ſahen ihn bey
vornehmen Leuten/ mit denen er diſcurirte; ich hatte
einen Kerl angeſtellt/ der gieng zu dem Hocken/ der
den Haſen verkauffen ſolte/ und ſagte: Landsmann/
der Has iſt mein/ und ich nimm ihn als ein geſtolen
Gut auff Recht hinweg/ er iſt mir heunt Nacht von
meinem Fenſter hinweg gefiſcht worden/ und laͤſt du
ihn nicht gutwillig folgen/ ſo gebe ich auff deine Ge-
fahr und Unrechts Koſten mit dir hin/ wo du wilt;
Der Unterkaͤuffer antwort/ er ſolte ſehen/ was er zu
thun haͤtte/ dort ſtuͤnde ein vornehmer Herꝛ/ der ihm
den Haſen zu verkauffen geben haͤtte/ welcher ihn ohn
Zweiffel nicht geſtolen haben wuͤrde: Als nun dieſe
zween ſo Wortwechſelten/ bekamen ſie gleich einen
Umbſtand/ ſo unſer Geitzhals ſtracks in acht name/
und hoͤrte/ wie viel die Glock ſchlug/ winckte derowe-
gen dem Unterkaͤuffer/ daß er den Haſen folgen laſſen
ſolte/ weil er wegen der vielen Koſtgaͤnger noch mehr
Schimpff beſorgte. Mein Kerl aber/ den ich hierzu
angeſtellt hatte/ wuſte dem Umbſtand gar artlich das
Stuͤck vom Ohr zu weiſen/ und daſſelbe in dem Ritz
zu meſſen/ daß ihm alſo jederman recht gab/ und den
Haſen zuſprach. Jndeſſen naͤherte ich mich auch mit
meiner Geſellſchafft/ als ob wir ungefaͤhr daher kaͤ-
men/ ſtunde an dem Kerl der den Haſen hatte/ und
fieng
[382]Deß Abenth. Simpl. III. Buch.
fieng an mit ihm darumb zu marcken; und nachdem
wir deß Kauffs eins wurden/ ſtellt ich den Haſen mei-
nem Koſt-Herꝛn zu/ mit Bitt/ ſolchen mit ſich heim
zu nehmen/ und auff unſern Tiſch zurichten zu laſſen/
dem Kerl aber/ den ich hierzu beſtellt/ gab ich an ſtatt
der Bezahlung vor den Haſen/ ein Trinckgelt zu zwey
Kannen Bier. Alſo muſte uns unſer Geitzhals den
Haſen wider ſeinen Willen zukommen laſſen/ und
dorffte noch darzu nichts ſagen/ deſſen wir genug zu
lachen hatten/ und wenn ich laͤnger in ſeinem Hauß
haͤtte verbleiben ſollen/ wolte ich ihm noch viel
dergleichen Stuͤcklein bewieſen
haben.
ENDE deß III. Buchs.
Aben-
[383]
Abentheurlicher
Simpliciſſimus
Teutſch:
Das Vierte Buch.
Jnhalt deß IV. Buchs.
- Das 1. Capitel.
Wie und auß was Urſachen der Jaͤger in
Franckreichpracticirt woꝛden. - Das 2. Capitel.
Simpliciusbekom̃t einen beſſern Koſtherꝛn/
als er zuvor einen gehabt. - Das 3. Capitel.
Wie er ſich vor einen Comœdianten ge-
brauchen laͤſt/ und einen neuen Nahmen be-
kompt. - Das 4. Capitel.
Beau Almanwird wider ſeinen Willen in den
Venus-Berg gefuͤhrt. - Das 5. Capitel.
Wie es ihm darinnen ergieng/ und wie er
wieder herauß kam.
RDas
[384]Jnhalt
- Das 6. Capitel.
Simpliciusmacht ſich heimlich weg/ und wie
ihm der Stein geſchnitten wird/ als er ver-
meynt/ er habemal de Nable. - Das 7. Capitel.
WieSimpliciusCalender macht/ und als ihm
das Waſſer ans Maul gieng/ ſchwimmen
lernte. - Das 8. Capitel.
Wie er ein Landfahrender Storger und
Leutbetruͤger worden. - Das 9. Capitel.
Wie demDoctordie Mußquete zuſchlaͤgt
unter dem Hauptmann Schmalhanſen. - Das 10. Capitel
Simpliciusuͤberſtehet ein unluſtig Bad im
Rhein. - Das 11. Capitel.
Warumb die Geiſtliche keine Haſen eſſen
ſollen/ die mit Stricken gefangen worden. - Das 12. Capitel.
Simpliciuswird unverhofft von der Muß-
quete erloͤſt. - Das 13. Capitel.
Handelt von dem Orden der Merode-
Bruͤder. - Das 14. Capitel.
Ein gefaͤhrlicher Zwey-kampff umb Leib
und Leben/ in welchem doch jeder dem Todt
entrinnet. - Das 15. Capitel.
WieOlivierſeine Buſch-kloͤpfferiſche Ubel-
thaten
[385]deß Vierten Buchs.
thaten noch wolzu entſchuldigen vermeynte. - Das 16. Capitel.
Wie er Hertzbruders Weißſagung zu ſei-
nem Vorthel außlegt/ und deßwegen ſeinen
aͤrgſten Feind liebet. - Das 17. Capitel.
SimpliciiGedancken ſind andaͤchtiger/ weñ
er auff die Rauberey gehet/ als deßOliviersin
der Kirchen. - Das 18. Capitel.
Oliviererzehlt ſein Herkommen/ und wie er
ſich in ſeiher Jugend/ vornemlich aber in der
Schul gehalten. - Das 19. Capitel
Wi[e][er]zu Lůttig ſtudirt/ und ſich daſelbſt
gehalte[n] habe. - Das 20. Capitel.
Heimkunfft und Abſchied deß ehrbaren
Studioſi,und wie er im Krieg ſeine Befoͤrde-
rung geſucht. - Das 21. Capitel.
Wie deß Hertzbruders PropheceySimpli-
ciusdemOliviererfuͤllt/ als keiner den andern
kante. - Das 22. Capitel.
Wie es einem gehet/ und was es ſey/ wenn
es ihm Hund- und Katzen-uͤbel geht. - Das 23. Capitel.
Ein Stuͤcklein/ zum Exempel deß jenigen
Handwercks dasOliviertriebe/ worin er ein
Meiſter war/ undSimpliciusein Lehr-Jung
ſeyn ſolte.
R ijDas
[386]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
- Das 24. Capitel.
Olivierbeiſt ins Gras/ und nimmt noch ih-
rer ſechs mit ſich. - Das 25. Capitel.
Simpliciuskompt reich darvon/ hingegen
zeucht Hertzbruder ſehr elend auff. - Das 26. Capitel.
Jſt das letzte in dieſem Vierten Buch/ weil
keines mehr hernach folget.
Das Erſte Capitel.
Allzuſcharff macht ſcharttig/ und wenn man
den Bogen uͤberſpannet/ ſo muß er endlich
zerbrechen; der Poß/ den ich meinem Koſt-
Herꝛn mit dem Haſen riſſe/ war mir nicht genug/
ſondern ich unterſtunde noch mehr ſeinen unerſaͤttli-
chen Geitz zu ſtraffen/ ich lernete ſeine Koſtgaͤnger/
wie ſie die verſaltzene Butter waͤſſern/ und dardurch
das uͤberfluͤſſige Saltz herauß ziehen/ die harte Kaͤß
aber/ wie die Parmeſaner/ ſchaben/ und mit Wein
anfeuchten ſolten/ welches dem Geitzhals lauter
Stich ins Hertz waren; ich zog durch meine Kunſt-
ſtuͤck uͤber Tiſch das Waſſer auß dem Wein/ und
machte ein Lied/ in welchem ich den Geitzigen einer
Sau vergliche/ von welcher man nichts guts zu hof-
fen/ biß ſie der Metzger todt auff dem Schragen li-
gen haͤtte. Damit verurſachte ich/ daß er mich mit
folgender Untreu wieder brav bezahlte/ weil ich ſolche
Sachen in ſeinem Hauß zu uͤben nicht beſtellt war.
Die zween Junge von Adel bekamen einen Wexel/
und Befelch von ihren Eltern/ ſich in Franckreich zu
bege-
[387]Viertes Buch.
begeben/ und die Sprach zu lernen/ eben als unſers
Koſt-Herꝛn Teutſcher Knecht anderwerts auff der
Raͤis war/ und dem Welſchen (ſagt unſer Koſtherꝛ)
doͤrffte er die Pferd in Franckreich nicht vertrauen/
weil er ihn noch nit recht kennete/ denn er beſorgte/
wie er vorgab/ er moͤchte das Wiederkom̃en vergeſ-
ſen/ und ihn umb die Pferd bringen; bat mich dero-
wegen/ ob ich ihm nicht den groſſen Dienſt thun/ und
beyde Edelleut mit ſeinen Pferden/ weil ohne das
meine Sach in 4. Wochen noch nicht eroͤrtert wer-
den koͤnte/ nach Pariß fuͤhren wolte? Er hingegen
wolte indeſſen meine Geſchaͤfften/ wenn ich ihm deß-
wegen vollkom̃enen Gewalt geben wuͤrde/ ſo getreu-
lich befoͤrdern/ als ob ich perſoͤhnlich gegenwaͤrtig
waͤre. Die von Adel erſuchten mich deßwegen auch/
und mein eigener Fuͤrwitz/ Franckreich zu beſehen/
riethe mir ſolches gleichfalls/ weil ichs jetzt ohne
ſondern Unkoſten thun konte/ und ich ohne das die
vier Wochen auff der faulen Bernhaut da ligen/ und
noch Geld darzu verzehren muͤſte: Alſo machte ich
mich mit dieſen Edelleuten an ſtatt eines Poſtilionen
auff den Weg/ auff welchem mir nichts merckwuͤr-
diges zu handen ſtieſſe: Da wir aber nach Pariß ka-
men/ und bey unſers Koſt-Herꝛn Correſpondenten/
bey dem die Edelleut auch ihren Wexel empfiengen/
einkehrten/ wurde ich den andern Tag nit allein mit
den Pferden arreſtirt/ ſondern der jenige/ ſo vorgab/
mein Koſt-Herꝛ waͤre ihm ein Sum̃a Gelds zu thun
ſchuldig/ griffe mit Gutbeiſſung deſſelben Viertels-
Commiſſario zu/ und verſilberte die Pferd/ Gott geb/
was ich darzu ſagte; Alſo ſaß ich da/ wie Matz von
Dreßden/ und wuſte mir ſelbſt nicht zu helffen/ viel
R iijweni-
[388]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
weniger zu rathen/ wie ich einen ſo weiten und da-
mals ſehr unſichern Weg wieder zuruͤck kom̃en ſolte.
Die von Adel bezeugten ein groß Mitleiden mit mir/
und verehrten mich deſto ehrlicher mit einem guten
Trinckgelt/ wolten mich auch nicht ehender von ſich
laſſen/ biß ich entweder einen guten Herꝛn/ oder eine
gute Gelegenheit haͤtte/ wieder in Teutſchland zu
kommen: Sie dingten ihnen ein Loſament/ und ich
hielte mich etlich Tag bey ihnen auff/ damit ich dem
einen/ ſo wegen der fernen Raͤis/ deren er nicht ge-
wohnt/ etwas unpaͤßlich worden/ außwartete. Und
demnach ich mich ſo fein anlieſſe/ ſchenckt er mir ſein
Kleid/ ſo er ablegte/ dann er ſich auff die neue Mode
kleiden lieſſe. Jhr Rath war/ ich ſolte nur immer ein
paar Jahr in Pariß bleiben/ und die Sprach lernen/
das ich zu Coͤln zu holen haͤtte/ wuͤrde mir nicht ent-
lauffen. Da ich nun ſo in der Wahl ſtunde/ und
noch zweiffelte/ was ich thun wolte/ hoͤrte mich eins-
mals der Medicus, ſo meinen krancken Junckern zu
curiren alle Tag zu uns kame/ auff der Lauten ſchla-
gen/ und ein Teutſch Liedlein darein ſingen/ das ihm
ſo wol gefiele/ daß er mir ein gute Beſtallung anbotte/
ſampt ſei[ne]m Tiſch/ da ich mich zu ihm begeben/ und
ſeine 2. Soͤhn unterꝛichten wolte/ dañ er wuſte ſchon
beſſer wie mein Handel ſtunde/ als ich ſelbſt/ und daß
ich einen guten Herꝛn nit außſchlagen wuͤrde: Alſo
wurden wir deß Handels miteinander bald eins/ weil
beyde Edelleute das beſte darzu redeten/ und mich
trefflich recommendirten/ ich verdingte mich aber
nit laͤnger/ als von einem Vierteljahr zum andern.
Dieſer Doctor redte ſo gut Teutſch/ als ich/ und
das Jtaliaͤniſch/ wie ſeine Mutterſprach/ derhalben
ver-
[389]Viertes Buch.
verſprach ich mich deſto lieber zu ihm. Als ich nun
die Letze zehrte mit meinen Edelleuten/ war er auch
darbey/ und mir giengen uͤble Grillen im Kopff her-
umb/ dann da lag mir mein friſch-genommen Weib/
mein verſprochen Faͤhnlein/ und mein Schatz zu Coͤln
im Sinn/ von welchem allem ich mich ſo leichtfertig
hinweg zu begeben bereden laſſen/ und da wir von
unſers geweſten Koſt-Herꝛn Geitz zu reden kamen/
fiele mir zu/ und ich ſagte auch uͤber Tiſch: Wer
weiß/ ob vielleicht unſer Koſt-Herꝛ mich nicht mit
Fleiß hieher practicirt/ damit er das Meinig zu Coͤln
erheben und behalten moͤge: Der Doctor antwort/
das koͤnne wol ſeyn/ vornemlich wann er glaube/
daß ich ein Kerl von geringem Herkom̃en ſey; Nein/
antwort der eine Edelmann/ wenn er zu ſolchem End
hieher geſchickt worden iſt/ daß er hier bleiben ſolle/
ſo iſts darumb geſchehen/ weil er ihm ſeines Geitzes
wegen ſo viel Drangſal anthaͤte. Der Krancke fieng
an/ Jch glaub aber ein andere Urſach; Als ich neu-
lich in meiner Kammer ſtunde/ und unſer Koſt-Herꝛ
mit ſeinem Welſchen ein laut Geſpraͤch hielte/ horch-
te ich/ warumbs doch zu thun ſeyn moͤchte? und ver-
nam endlich auß deß Welſchen geradbrechten Wor-
ten: Der Jaͤger verfuchsſchwaͤntzte ihn bey der
Frauen/ und ſage/ er warte der Pferd nicht recht!
Welches aber der eyferſichtige Gauch/ wegen ſeiner
uͤblen Redkunſt/ unrecht/ und auff etwas unehrlichs
verſtunde/ und derowegen dem Welſchen zuſprach/
er ſolte nur b[l]eiben/ der Jaͤger muͤſſe bald hinweg.
Er hat auch ſeitber ſein Weib ſcheel angeſehen/ und
mit ihr viel ernſtlicher gekollert/ als zuvor/ ſo ich an
dem Narꝛn mit Fleiß in acht genommen.
R jvDer
[390]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Der Doctor ſagte/ es ſey geſchehen auß was vor
einer Urſach es wolle/ ſo laß ich wol gelten/ daß die
Sach ſo angeſtellt worden/ daß er hier bleiben muß;
Er laſſe ſich aber das nicht irꝛen/ ich will ihm ſchon
wieder mit guter Gelegenheit nach Teutſchland ver-
helffen/ er ſchreibe ihm nur/ daß er den Schatz wol
beobachte/ ſonſt werde er ſcharffe Rechenſchafft da-
rumb geben muͤſſen. Diß gibt mir einen Argwohn/
daß es ein angeſtellter Handel ſey/ weil der jenige/ ſo
ſich vor den Creditor dargeben/ eners Koſtherꝛn und
ſeines hieſigen Correſpondenten ſehr guter Freund
iſt/ und ich will glauben/ daß ihr die Obligation,
Krafft deren er die Pferd angepackt und verkaufft
hat/ jetzt erſt mit euch gebracht habt.
DasII.Capitel.
MOnſigneur Canard, ſo hieß mein neuer Herꝛ/ er-
botte ſich/ mir mit Rath und That beholffen zu
ſeyn/ damit ich deß Meinigen zu Coͤln nicht verlu-
ſtigt wuͤrde/ dann er ſahe wol/ daß ich traurig war.
So bald er mich in ſeine Wohnung brachte/ begehr-
te er/ ich wolte ihm erzehlen/ wie meine Sachen be-
ſchaffen waͤren/ damit er ſich drein finden/ und Rath-
ſchlaͤg erſinnen koͤnte/ wie mir am beſten zu helffen
ſeye. Jch gedachte wol/ daß ich nicht viel guͤlte/ weñ
ich mein Herkommen oͤffnen ſolte/ gab mich derhal-
ben vor einen armen Teutſchen Edelmann auß/ der
weder Vatter noch Mutter/ ſondern nur noch etliche
Verwandte in einer Veſtung haͤtte/ darin Schwedi-
ſche Guarniſon lege. Welches ich aber vor meinem
Koſt-Herꝛn und beyden von Adel/ als welche Kaͤiſ.
Partey hielten/ verborgen halten muͤſſen/ damit ſie
das
[391]Viertes Buch.
das Meinige/ als ein Gut ſo dem Feind zuſtaͤndig/
nit an ſich zoͤgen: Meine Meynung waͤre/ ich wolte
an den Commandanten bemeldter Veſtung ſchreiben/
als unter deſſen Regiment ich die Stell eines Faͤhn-
richs haͤtte/ und ihn nicht allein berichten/ was ge-
ſtalten ich hieher practicirt worden/ ſondern ihn auch
bitten/ daß er belieben wolte/ ſich deß Meinigen hab-
hafft zu machen/ und ſolches biß ich wieder Gelegen-
heit kriege/ zum Regiment zu kommen/ indeſſen mei-
nen Freunden zuzuſtellen. Canard befand mein Vor-
haben rathſam/ und verſprach mir/ die Schreiben an
ihren Ort zu beſtellen/ und ſolten ſie gleich nach Me-
xico oder in China lauten. Demnach verfertigte ich
Schreiben an meine Liebſte/ an meinen Schwehr-
Vatter/ und an den Obriſten de S. A. Commandanten
in L. an welchen ich auch das Copert richtete/ und
ihm die uͤbrige beyde beyſchloſſe: Der Jnhalt war/
daß ich mit ehiſtem mich wieder einſtellen wolte/ da
ich nur Mittel an die Hand kriegte/ ein ſo weite Raͤis
zu vollenden/ und bat beydes meinen Schweher und
den Obriſten/ daß ſie vermittels der Militiæ das mei-
nige zu bekommen unterſtehen wolten/ ehe Gras da-
ruͤber wachſe/ berichtete darneben/ wie viel es an
Gold/ Silber und Cleinodien ſeye. Solche Brieff
verfertigte ich in duplo, ein Theil beſtellt Monſ. Ca-
nard, das ander gab ich auff die Poſt/ damit wenn ir-
gend das eine nicht uͤberkaͤme/ jedoch das ander ein-
lieffe. Alſo wurde ich wieder froͤlich/ und inſtruirte
meines Herꝛn 2. Soͤhn deſto leichter/ die als junge
Printzen erzogen wurden/ dann weil Monſ. Canard
ſehr reich/ als war er auch uͤberauß hoffaͤrtig/ und
wolte ſich ſehen laſſen; Welche Kranckheit er von
R vgroſſen
[392]Deß Abenth. Simpliciſſimi
groſſen Herꝛen an ſich genommen/ weil er gleichſam
taͤglich mit Fuͤrſten umbgieng/ und ihnen alles nach-
aͤffte; Sein Hauß war wie eines Grafen Hofhal-
tung/ in welcher kein anderer Mangel erſchiene/ als
daß man ihn nit auch einen gnaͤd. Herꝛn nennete/ und
ſeine Imagination war ſo groß/ daß er auch einem
Marquis, da ihn etwan einer zu beſuchen kam/ nicht
hoͤher/ als ſeines gleichen tractirte; er theilte zwar
geringen Leuten auch von ſeinen Mitteln mit/ er nam
aber kein gering Geld/ ſondern ſchenckte ihnen eher
ihre Schuldigkeit/ damit er einen groſſen Nahmen
haben moͤchte. Weil ich zimlich cueioſ war/ und
wuſte/ daß er mit meiner Perſon prangte/ wenn ich
neben andern Dienern hinder ihm her tratte/ und er
Krancke beſuchte/ als halff ich ihm auch ſtets in ſei-
nem Laboratorio artzneyen/ davon wurde ich zimlich
gemein mit ihm/ wie er dann ohne das die Teutſche
Sprach gern redete/ ſagte derowegen einsmals zu
ihm: Warumb er ſich nit von ſeinem Adelichen Sitz
ſchreibe/ den er neulich nahend Pariß umb 20000.
Cronen gekaufft haͤtte? item/ warumb er lauter Do-
ctores auß ſeinen Soͤhnen zu machen gedencke/ und
ſie ſo ſtreng ſtudiren laſſe/ ob nicht beſſer waͤre/ daß er
ihnen (in dem er doch den Adel ſchon haͤtte) wie an-
dere Cavallier, irgends Aempter kauffe/ und ſie alſo
vollkommen in den Adelichen Stand tretten laſſe?
Nein/ antwortet er/ wenn ich zu einem Fuͤrſten kom̃e/
ſo heiſts: Herꝛ Doctor, er ſetze ſich nieder; zum Edel-
mann aber wird geſagt: Wart auff! Jch ſagte/ weiß
aber der Herꝛ Doctor nicht/ daß ein Artzt dreyerley
Angeſichter hat/ das erſte eines Engels/ wann ihn
der Krancke anſichtig wird/ das ander eines GOttes/
wenn
[393]Viertes Buch.
wenn er h[il]fft/ das dritte eines Teuffels/ wenn man
geſund iſt/ und ihn wieder abſchafft: Alſo waͤhrt ſol-
che Ehr nicht laͤnger/ als ſo lang dem Krancken der
Wind im Leib herumb gehet/ wenn er aber hinauß
iſt/ und das rumpeln auffhoͤret/ ſo hat die Ehr ein
End/ und heiſts alsdann auch: Doctor, vor der Thuͤr
iſts dein! Hat demnach der Edelmann mehr Ehr von
ſeinem ſitzen/ weil er nemlich ſeinem Printzen beſtaͤn-
dig auffwartet/ und die Ehr hat/ niemals von ſeiner
Seiten zu kommen; Der Herꝛ Doctor hat neulich
etwas von einem Fuͤrſten in Mund genommen/ und
demſelben ſeinen Geſchmack abgewinnen muͤſſen/ ich
wolte lieber zehen Jahr ſtehen und auffwarten/ ehe
ich eines andern Koth verſuchen wolte/ und wann
man mich gleich auff lauter Roſen ſetzen wolte: Er
antwortet/ das muſte ich nicht thun/ ſondern thaͤts
gern/ damit/ wenn der Fuͤrſt ſehe/ wie ſauer michs
ankaͤme/ ſeinen Zuſtand recht zu erkuͤndigen/ meine
Verehrung deſto groͤſſer wuͤrde; und warumb wolte
ich deſſen Koth nit verſuchen/ der mir etlich hundert
Piſtoln darvor zu Lohn gibt/ ich aber hingegen ihm
nichts gebe/ wenn er noch gar was anders von mir
muß freſſen? ihr redet von der Sach wie ein Teut-
ſcher/ wenn ihr aber einer andern Nation waͤret/ ſo
wolte ich ſagen/ ihr haͤttet davon geredt wie ein Narꝛ!
Mit dieſem Sentenz nam ich vor lieb/ weil ich ſahe/
daß er ſich erzoͤrnen wolte/ und damit ich ihn wieder
auff einen guten Laun braͤchte/ bate ich/ er wolte mei-
ner Einfalt etwas zu gut halten/ und brachte
etwas annehmlichers auff die
Bahn.
R vjDas
[394]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
DasIII.Capitel.
GLeich wie Monſ. Canard mehr Wildpret hinweg
zu werffen/ als mancher zu freſſen hat/ der ein ei-
gene Wildbahn vermag/ und ihm mehr zahmes ver-
ehrt wurde/ als er und die ſeinige verzehren konten;
Alſo hatte er taͤglich viel Schmarotzer/ ſo daß es ihm
gleich ſahe/ als ob er ein freye Tafel gehalten haͤtte:
Einsmals beſuchten ihn deß Koͤnigs Geremonien-
Meiſter/ und andere vornehme Perſonen vom Hof/
denen er ein Fuͤrſtliche Collation darſtellete/ weil er
wol wuſte/ wen er zum Freund behalten ſolte/ nem-
lich die jenige/ ſo ſtets umb den Koͤnig waren/ oder
ſonſt bey demſelben wol ſtunden/ damit er nun den-
ſelben den aller-geneigteſten Willen erzeige/ und ih-
nen allen Luſt machen moͤchte/ begehrte er/ ich wolte
ihm zu Ehren/ und der anſehenlichen Geſellſchafft zu
gefallen/ ein Teutſch Liedlein in meine Laute hoͤren
laſſen; ich folgte gern/ weil ich eben im Laun war/
wie dann die Muſici gemeiniglich ſeltzame Grillen-
faͤnger ſind/ befliſſe mich derhalben das beſte Geſchirꝛ
zu machen/ und contentirte demnach die Anweſende
ſo wol/ daß der Ceremonien-Meiſter ſagte: Es waͤre
immer Schad/ daß ich nit die Frantzoͤſiſche Sprach
koͤnte/ er wolte mich ſonſt trefflich wol beym Koͤnig
und der Koͤnigin anbringen; mein Herꝛ aber/ ſo be-
ſorgte/ ich moͤchte ihm auß ſeinen Dienſten entzuckt
werden/ antwortet ihm/ daß ich einer von Adel ſeye/
und nit lang in Franckreich zu verbleiben gedaͤchte/
wuͤrde mich demnach ſchwerlich vor einen Muſican-
ten gebrauchen laſſen: Darauff ſagte der Ceremo-
nien-Meiſter daß er ſein Tag nit ein ſo ſeltene Schoͤn-
heit/
[395]Viertes Buch.
heit/ ein ſo klare Stimm/ und ein ſo kuͤnſtlichen Lau-
teniſten an einer Perſon gefunden/ es ſolte ehiſt vorm
Koͤnig im Louvre eine Comœdia geſpielt werden/
wann er mich darzu gebrauchen koͤnte/ ſo verhoffte er
groſſe Ehr mit mir einzulegen; Das hielt mir Monſ.
Canard vor/ ich antwortet ihm/ wann man mir ſagt/
was vor eine Perſon ich præſentiren/ und was vor
Lieder ich in meine Lauten ſingen ſolte/ ſo koͤnte ich
ja beydes die Melodeyen und Lieder außwendig ler-
nen/ und ſolche in meine Laute ſingen/ wenn ſie ſchon
in Frantzoͤſ. Sprach waͤren/ es moͤchte ja leicht mein
Verſtand ſo gut ſeyn/ als eines Schuͤlerknaben/ die
man hierzu auch zu gebrauchen pflege/ unangeſehen
ſie erſt beydes Wort und Geberden lernen muͤſten. Als
mich der Ceremonien-Meiſter ſo willig ſahe/ muſte
ich ihm verſprechen/ den andern Tag ins Louvre zu
kommen/ umb zu probirn/ ob ich mich darzu ſchickte;
Alſo ſtellte ich mich auff die beſtimmte Zeit ein/ die
Melodeyen der unterſchiedlichen Lieder/ ſo ich zu fin-
gen hatte/ ſchlug ich gleich perfect auff dem Jnſtru-
ment/ weil ich das Tabulatur-buch vor mir hatte/ em-
pfieng demnach die Frantzoͤſiſche Lieder/ ſolche auß-
wendig/ und die Außſprach recht zu lernen/ welche
mir zugleich verteutſcht wurden/ damit ich mich mit
den Geberden darnach richten koͤnte; Solches kam
mich gar nicht ſchwer an/ alſo daß ichs eher konte/
als ſichs jemand verſahe/ und zwar dergeſtalt/ wenn
man mich ſingen hoͤrte (maſſen mir Monſig. Canard
das Lob gab) daß der tauſende geſchworen haͤtte/ ich
waͤre ein geborner Frantzos. Und da wir die Comœ-
dia zu probiren das erſte mal zuſammen kamen/ wuſte
ich mich ſo klaͤglich mit meinen Liedern/ Melodeyen
R vijund
[396]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
und Geberden zu ſtellen/ daß ſie alle glaubten/ ich
haͤtte deß Orphei Perſon mehr agirt/ als den ich da-
mals præſentiren/ und mich umb meine Euridice ſo
uͤbel geheben muſte. Jch hab die Tag meines Lebens
keinen ſo angenehmen Tag gedabt/ als mir der jenige
war/ an welchem dieſe Comœdia geſpielt wurde:
Monſ. Canard gab mir etwas ein/ meine Stimm de-
ſto klaͤrer zu machen/ und da er meine Schoͤnheit mit
Oleo Talci erhoͤhern/ und meine halb-krauſe Haar/
die von Schwaͤrtze glitzerten/ verpudern wolte/ fande
er/ daß er mich nur damit verſtellte/ ich wurde mit ei-
nem Lorbeer-Krantz bekroͤnet/ und in ein Antiquiſch
Meergruͤn Kleid angethan/ in welchem man mir den
gantzen Hals/ das Obertheil der Bruſt/ die Arm biß
hinder die Elendogen/ und die Knye von den halben
Schenckeln an biß auff die halbe Waden/ nackend
und bloß ſehen konte/ umb ſolches ſchlug ich einen
Leibfarben daffeten Mantel/ der ſich mehr einem
Feldzeichen vergliche; in ſolchem Kleid leffelt ich
umb meine Euridice, ruffte die Venus mit einem ſchoͤ-
nen Liedlein umb Beyſtand an/ und brachte endlich
meine Liebſte darvon; Jn welchem Actu ich mich
trefflich zu ſtellen/ und meine Liebſte mit Seufftzen
und ſpielenden Augen anzublicken wuſte. Nachdem
ich aber meine Euridicen verloren/ zog ich einen gantz
ſchwartzen Habit an auff die vorige Mode gemacht/
auß welchem meine weiſſe Haut hervor ſchiene/ wie
der Schnee; in ſolchem beklagte ich meine verlorne
Gemahlin/ und bildete mir die Sach ſo erbaͤrmlich
ein/ daß mir mitten in meinen traurigen Liedern und
Melodeyen die Threnen herauß rucken/ und das wey-
nen dem ſingen den Paß verlegen wolte/ doch langte
ich
[397]Viertes Buch.
ich mit einer ſchoͤnen Manier hinauß/ biß ich vor
Plu[t]onem und Proſerpinam in die Hoͤlle kam/ denſel-
ben ſtellte ich in einem ſehr beweglichen Lied ihre Lieb/
die ſie beyde zuſammen truͤgen/ vor Augen/ und bate
ſie/ darbey abzunehmen/ mit was groſſem Schmer-
tzen ich und Euridice voneinander geſchieden worden
waͤren/ bat demnach mit den aller- andaͤchtigſten Ge-
berden/ und zwar alles in meine Harffe ſingend/ ſie
wolten mir ſolche wider zukommen laſſen/ und nach-
dem ich das Jawort erhalten/ bedanckte ich mich mit
einem froͤlichen Lied gegen ihnen/ und wuſte das An-
geſicht ſampt Geberden und Stim̃e ſo froͤlich zu ver-
kehren/ daß ſich alle anweſende Zuſeher daruͤber ver-
wunderten. Da ich aber meine Euridice wieder ohn-
verſehens verlohr/ bildet ich mir die groͤſte Gefahr
ein/ darein je ein Menſch gerathen koͤnte/ und wurde
davon ſo bleich/ als ob mir ohnmaͤchtig werden wol-
len/ dann weil ich damals allein auff der Schaͤubuͤhne
war/ und alle Spectatores auff mich ſahen/ befliſſe ich
mich meiner Sachen deſto eyferiger/ und bekam die
Ehr darvon/ daß ich am beſten agirt haͤtte. Nachge-
hends ſetzte ich mich auff einen Felſen/ und fieng an
den Verluſt meiner Liebſten mit erbaͤrmlichen Wor-
ten und [e]iner traurigen Melodey zu beklagen/ und
alle Cre[n]turen umb Mitleiden anzuruffen/ darauff
ſtellten ſich allerhand zahme und wilde Thier/ Berg/
Baͤum und dergleichen bey mir ein/ alſo daß es in
Warheit ein Anſehen hatte/ als ob alles mit Zaube-
rey uͤber natuͤrlicher Weis waͤre zugericht worden.
Keinen andern Fehler begieng ich/ als zuletzt/ da ich
allen Weibern abgeſagt/ von den Bacchis erwuͤrgt/
und ins Waſſer geworffen war (welches zugericht
gewe-
[398]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
geweſen/ daß man nur meinen Kopff ſahe/ denn mein
uͤbriger Leib ſtunde unter der Schau-Buͤhne in guter
Sicherheit) da mich der Drach benagen ſolte/ der
Kerl aber ſo im Drachen ſtack/ denſelben zu regieren/
meinen Kopff nicht ſehen konte/ und dahero deß Dra-
chen Kopff neben dem meinigen graſen lieſſe/ das kam
mir ſo laͤcherlich vor/ daß ich mir nit abbrechen kon-
te/ daruͤber zu ſchmollen/ welches die Dames, ſo mich
gar wol betrachteten/ in Acht namen.
Von dieſer Comœdia bekam ich neben dem Lob/
das mir maͤnniglich gab/ nicht allein eine treffliche
Verehrung/ ſondern ich kriegte auch einen andern
Nahmen/ in dem mich forthin die Frantzoſen nicht
anders als Beau Alman nenneten. Es wurden noch
mehr dergleichen Spiel und Ballet gehalten/ dieweil
man die Faßnacht celebrirte/ in welchen ich mich
gleichfalls gebrauchen lieſſe/ befand aber zuletzt/ daß
ich von andern geneidet wurde/ weil ich die Specta-
tores, und ſonderlich die Weiber gewaltig zoge/ ihre
Augen auff mich zu wenden/ thaͤt michs derowegen
ab/ ſonderlich als ich einsmals zimlich Stoͤß krieg-
te/ da ich als ein Hercules, gleichſam nackend in einer
Loͤwenhaut/ mit Acheloo umb die Dejaniram kaͤmpff-
te/ da man mirs groͤber machte/ als in einem Spiel
der Gebrauch iſt.
DasIV.Capitel.
HJerdurch wurde ich bey hoben Perſonen bekant/
und es ſchiene/ als ob mir das Gluͤck wieder auff
ein neues haͤtte leuchten wollen/ dann mir wurden
gar deß Koͤnigs Dienſte angebotten/ welches man-
chem groſſen Hanſen nicht widerfaͤhrt. Einsmals
kam
[399]Viertes Buch.
kam ein Laquey/ der ſprach meinen Monſig. Canard
an/ und bracht ihm meinetwegen ein Brieflein/ eben
als ich bey ihm in ſeinem Laboratorio ſaſſe/ und re-
verberirte/ (denn ich hatte auß Luſt bey meinem Do-
ctor ſchon perlutirn/ reſolvirn/ ſublimirn/ coagulirn/
digerirn/ calcinirn/ filtrirn/ und dergleichen unzehlich
viel Alkuͤhmiſtiſche Arbeit gelernet/ dadurch er ſeine
Artzneyen zuzurichten pflegte) Monſieur Beau Alman,
ſagte er zu mir/ diß Schreiben betrifft euch: Es ſchi-
cket ein vornehmer Herꝛ nach euch/ der begehrt/ ihr
wollet gleich zu ihm kommen/ er wolle euch anſpre-
chen/ und vernehmen/ ob euch nicht beliebe/ ſeinen
Sohn auff der Lauten zu informiren? Er bitt mich/
euch zuzuſprechen/ daß ihr ihm dieſen Gang nit ab-
ſchlagen wollet/ mit ſehr cortoiſem Verſprechen/
euch dieſe Muͤhe mit freundlicher Danckbarkeit zu
belohnen: Jch antwortet/ wenn ich ſeinet (verſtehe
Monſ Canard.) wegen jemand wuͤrde dienen koͤnnen/
ſo wuͤrde ich meinen Fleiß nit ſparen; Darauff ſagte
er/ ich ſolte mich nur anders anziehen/ mit dieſem La-
queven zu gehen/ indeſſen biß ich fertig/ wolte er mir
etwas zu eſſen fertig machen laſſen/ dann ich haͤtte ein
zimlich weiten Weg zu gehen/ daß ich kaum vor A-
bend an den beſtim̃ten Ort kom̃en wuͤrde: Alſo butzte
ich mich zimlich/ und verſchluckte in Eyl etwas von
der Collation, ſonderlich aber ein paar kleiner delica-
ten Wuͤrſtlein/ welche/ als mich deuchte/ zimlich
ſtarck apotheckerten; gieng demnach mit gedachtem
Laqueyen durch ſeltzame Umbweg einer Stund lang/
biß wir gegen Abend vor eine Gartenthuͤr kamen/ die
nur zugelaͤhnt war/ dieſelbe ſtieß der Laquey vollends
auff/ und demnach ich hinder ihm hinein getretten/
ſchlug
[400]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ſchlug er ſelbige wieder zu/ fuͤhrte mich nachgehends
in das Luſt-Hauß/ ſo in einem Eck deß Gartens ſtun-
de/ und demnach wir einen zimlich langen Gang paſ-
ſirten/ klopffte er vor einer Thuͤr/ ſo von einer alten
Adelichen Damen ſtracks auffgemacht wurde; dieſe
hieſſe mich in Teutſcher Sprach ſehr hoͤflich Will-
komm ſeyn/ und zu ihr vollends hinein tretten/ der
Laquey aber/ ſo kein Teutſch konte/ nam mit tieffer
Reverenz ſeinen Abſchied. Die Alte nam mich bey
der Hand/ und fuͤhrte mich vollend ins Zimmer/ das
rund umbher mit den koͤſtlichſten Tapeten behenckt/
zumal ſonſten auch ſchoͤn geziert war; ſie hieſſe mich
nider ſitzen/ damit ich verſchnauben/ und zugleich
vernehmen koͤnte/ auß was Urſachen ich an dieſen
Ort geholet; Jch folgte gern/ und ſetzte mich auff
einen Seſſel/ den ſie mir zu einem Feuer ſtellte/ ſo in
demſelben Saal wegen zimlicher Kaͤlt braute/ ſie
aber ſetzte ſich neben mich auff einen andern/ und
ſagte: Monſieur, wenn er etwas von den Kraͤfften
der Liebe weiß/ daß nemlich ſolche die allerdapfferſte/
ſtaͤrckſte und kluͤgſte Maͤnner uͤberwaͤltige und zu be-
herꝛſchen pflege/ ſo wird er ſich umb ſo viel deſto we-
niger verwundern/ wann dieſelbe auch einſchwaches
Weibsbild meiſtert; er iſt nit ſeiner Lauten halber/
wie man ihn und Monſ. Canard uͤberꝛedt gehabt/ von
einem Herꝛn/ aber wol ſeiner uͤbertrefflichen Schoͤn-
heit halber von der aller-vortrefflichſten Damen in
Pariß hieher beruffen worden/ die ſich allbereit deß
Todts verſihet/ da ſie nit bald deß Herꝛn uͤber-irdiſche
Geſtalt zu beſchauen/ und ſich damit zu erquicken/
das Gluͤck haben ſolte: Derowegen hat ſie mir be-
fohlen/ dem Herꝛn/ als meinem Landsmann/ ſolches
anzu-
[401]Viertes Buch.
anzuzeigen/ und ihn hoͤher zu bitten/ als Venus ihren
Adonidem. daß er dieſen Abend ſich bey ihr einfinden/
und ſeine Schoͤnheit genugſam von ihr betrachten
laſſe/ welches er ihr verhoffentlich als einer vorneh-
men Damen nit abſchlagen wird. Jch antwortet/
Madame, ich weiß nicht was ich gedencken/ viel weni-
ger hierauff ſagen ſolle! Jch erkenne mich nicht dar-
nach beſchaffen zu ſeyn/ daß eine Dame von ſo hoher
Qualitat nach meiner Wenigkeit verlangen ſolte;
uͤber das kompt mir in Sinn/ wann die Dam/ ſo mich
zu ſehen begehrt/ ſo vortrefflich und vornehm ſey/ als
mir mein hochgeehrte Frau Landsmaͤñin vorbracht/
daß ſie wol bey fruͤherer Tagszeit nach mir ſchicken
doͤrffen/ und mich nicht erſt hieher an dieſen einſamen
Ort/ bey ſo ſpaͤtem Abend/ haͤtte beruffen laſſen; Wa-
rumb hat ſie nicht befohlen/ ich ſolle ſtracks Wegs zu
ihr kom̃en? Was hab ich in dieſem Garten zu thun?
Mein hochg Frau Landsmaͤnnin vergebe mir/ wenn
ich als ein verlaſſener Fremder in die Forcht gera-
the/ man wolle mich ſonſt hindergehen/ ſintemal man
mir geſagt/ ich ſolte zu einem Herꝛn kommen/ ſo ſich
ſchon im Werck anders befindet; ſolte ich aber mer-
cken/ daß man mir ſo verꝛaͤtheriſch mit boͤſen Tuͤcken
an Leib wolte kommen/ wuͤrde ich vor meinem Todt
meinen Degen noch zu gebrauchen wiſſen! Sachte/
ſachte/ mein hochgeehrter Herꝛ Landsmann/ er laſſe
dieſe unnoͤtige Gedancken auß dem Sinn/ (antwor-
tet ſie mir) die Weibsbilder ſind ſeltzam und vorſich-
tig in ihren Anſchlaͤgen/ daß man ſich nit gleich an-
fangs ſo leicht darein ſchicken kan; Wenn die jenige/
die ihn uͤber alles liebet/ gern haͤtte/ daß er Wiſſen-
ſchafft von ihrer Perſon haben ſolte/ ſo haͤtte ſie ihn
frey-
[402]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
freylich nit erſt bieher/ ſondern den geraden Weg zu
ſich kommen laſſen/ dort ligt eine Kappe (wieſe da-
mit auff den Tiſch) die muß der Herꝛ ohne das auff-
ſetzen/ wann er von hier auß zu ihr gefuͤhrt wird/ weil
ſie auch ſo gar nit will/ daß er den Ort/ geſchweig bey
wem er geſteckt/ wiſſeu ſolle; bitte und ermahne dem-
nach den Herꝛn ſo hoch als ich immer kan/ er erzeige
ſich gegen dieſer Dame/ ſo wol wie es ihre Hobeit/
als ihre gegen ihm tragende unaußſprechliche Liebe
meritirt/ da er anders gewaͤrtig ſeyn will zu erfahren/
daß ſie maͤchtig genug ſeye/ ſeinen Hochmuth und
Verachtung/ auch in dieſem Augenblick/ zu ſtraffen:
Wird er ſich aber der Gebuͤhr nach gegen Jhr ein-
ſtellen/ ſo ſey er verſichert/ daß ihm auch der geringſte
Tritt/ den er ihrentwegen gethan/ nicht ohnbelohnt
verbleiben wird.
Es wurde allgemach finſter/ und ich hatte aller-
hand Sorgen und forchtſame Gedancken/ alſo daß
ich da faſſe wie ein geſchnitzt Bild/ konte mir auch
wol einbilden/ daß ich von dieſem Ort ſo leicht nicht
wieder entrinnen koͤnte/ ich willigte dann in alles/ ſo
man mir zumuthete/ ſagte derhalben zu der Alten:
Nun dann/ mein hochgeehrte Frau Landsmaͤnnin/
wann ihm dann ſo iſt/ wie ſie mir vorgebracht/ ſo ver-
traue ich meine Perſon ihrer angebornen Teutſchen
Redlichkeit/ der Hoffnung/ ſie werde nicht zulaſſen/
viel weniger ſelbſt vermittlen/ daß einem unſchuldi-
gen Teutſchen eine Untreu widerfahre/ Sie voll-
bringe/ was ihr meinetwegen befohlen iſt/ die Dame/
von deren ſie mir geſagt/ wird verhoffentlich keine
Baſilisken-Augen haben/ mir den Hals abzuſehen;
Ey behuͤt GOtt/ ſagte ſie/ es waͤre Schad/ wann ein
ſolcher
[403]Viertes Buch.
ſolcher Leib/ mit welchem unſere gantze Nation pran-
gen kan/ jetzt ſchon ſterben ſolte/ Er wird mehr Er-
getzung finden/ als er ſich ſein Tag niemals einbilden
doͤrffen. Wie ſie meine Einwilligung hatte/ ruffte ſie
Jean und Piere, dieſe tratten alſobald/ jeder in vollem
plancken Kuͤriß/ von der Scheidel biß auff die Fuß-
ſolen gewaffnet/ mit einer Helleparten und Piſtol in
der Hand/ hinder einer Tapezerey herfuͤr/ darvon ich
dergeſtalt erſchrack/ daß ich mich gantz entfaͤrbte; die
Alte nam ſolches wahr/ und ſagte laͤchlend: Man
muß ſich ſo nit foͤrchten/ wenn man zum Frauenzim-
mer gehet/ befohl darauff ihnen beyden/ ſie ſolten ih-
ren Harniſch ablegen/ die Latern nehmen/ und nur
mit ihren Piſtolen mit gehen/ demnach ſtreiffte ſie mir
die Kappe/ die von ſchwartzem Sam̃et war/ uͤbern
Kopff/ trug meinen Hut unterm Arm/ und fuͤhret
mich durch ſeltzame Weg an der Hand: Jch ſpuͤrte
wol/ daß ich durch viel Thuͤren/ und auch uͤber einen
gepflaſterten Weg paſſirte/ endlich muſte ich etwan
nach einer halben Viertelſtund eine kleine ſteinerne
Stegen ſteigen/ da thaͤt ſich ein klein Thuͤrlein auff/
von dannen kam ich uͤber einen beſetzten Gang/ und
muſte eine Windelſtegen hinauff/ folgends etliche
Staffeln wieder hinab/ allda ſich etwa ſechs Schritt
weiters eine Thuͤr oͤffnet/ als ich endlich durch ſolche
kam/ zog mir die Alte die Kappe wieder herunder/
da befand ich mich in einem Saal/ der da uͤberauß
zierlich auffgebutzet war/ die Waͤnde waren mit
ſchoͤnen Gemaͤhlden/ das Tryſur mit Silber-Ge-
ſchirꝛ/ und das Bett ſo darinnen ſtunde/ mit Umb-
haͤngen von guͤldenen Stuͤcken geziert; Jn der Mit-
ten ſtunde der Tiſch praͤchtig gedeckt/ und bey dem
Feur
[404]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Feur befande ſich eine Bad-Wanne/ die wol huͤbſch
war/ aber meinem Beduncken nach ſchaͤndet ſie den
gantzen Saal; Die Alte ſagte zu mir/ nun willkom̃
Herꝛ Landsmann/ kan er noch ſagen/ daß man ihn
mit Verꝛaͤtherey hindergehe? er lege nur allen Un-
muth ab/ und erzeige ſich wie neulich auff dem Thea-
tro, da er ſeine Euridicen wieder vom Plutone erhiel-
te/ ich verſichere ihn/ er wird hier eine ſchoͤnere an-
treffen/ als er dort eine verloren.
DasV.Capitel.
JCh hoͤrte ſchon an dieſen Worten/ daß ich mich
nicht nur an dieſem Ort beſchauen laſſen/ ſondern
noch gar was anders thun ſolte; Sagte derowegen
zu meiner alten Landsmaͤnnin: Es waͤre einem Dur-
ſtigen wenig damit geholffen/ wenn er bey einem ver-
bottenen Brunnen ſaͤſſe; Sie aber ſagte/ man ſey in
Franckreich nit ſo mißgoͤnſtig/ daß man einem das
Waſſer verbiete/ ſonderlich wo deſſen ein Uberfluß
ſeye; Ja/ ſagte ich/ Madame, ſie ſagt mir wol dar-
von/ wenn ich nicht ſchon verheuratet waͤre! Das
ſind Poſſen/ (antwortet das gottloſe Weib) man
wird euch ſolches heunt Nacht nit glauben/ dann die
verehelichte Cavallier ziehen ſelten in Franckreich/
und ob gleich dem ſo waͤre/ kan ich doch nit glauben/
daß der Herꝛ ſo alber ſey/ eher Durſt zu ſterben/ als
auß einem fremden Brunnen zu trincken/ ſonderlich
wann er vielleicht luſtiger iſt/ und beſſer Waſſer hat/
als ſein eigener. Diß war unſer Diſcurs, dieweil mir
ein Adeliche Jungfer/ ſo dem Feuer pflegte/ Schuh
und Struͤmpff außzoge/ die ich uͤberall im Finſtern
beſudelt hatte/ wie dann Pariß ohne das eine ſehr
kothige
[405]Viertes Buch.
kothige Statt iſt. Gleich hierauff kam Befehl/ daß
man mich noch vor dem Eſſen baden ſolte/ dann be-
meldtes Jungfraͤulein gieng ab und zu/ und brachte
das Bad-Gezeug/ ſo alles nach Biſam und wolruͤ-
chender Saͤiffen roche/ das Leinen Geraͤth war vom
reineſten Cammer-tuch/ und mit theuren Hollaͤndi-
ſchen Spitzen beſetzt; Jch wolte mich ſchaͤmen/ und
vor der Alten nicht nackend ſehen laſſen/ aber es halff
nichts/ ich muſte dran/ und mich von ihr außreiben
laſſen/ das Jungfergen aber muſte ein Weil abtret-
ten; Nach dem Bad wurde mir ein zartes Hembd
gegeben/ und ein koͤſtlicher Schlaf-beltz von Veyel-
blauem Daffet angelegt/ ſampt einem paar ſeidener
Struͤmpffe von gleicher Fard/ ſo war die Schlaff-
Hand ſampt den Pantoffeln mit Gold und Perlen
geſtickt/ alſo daß ich nach dem Bad dort ſaſſe zu pro-
tzen/ wie der Hertz-Koͤnig. Jndeſſen mir nun meine
Alte das Haar truͤcknet und kaͤmpelt/ dann ſie pflegte
meiner/ wie einem Fuͤrſten oder kleinen Kinde/ trug
mehrgemeldtes Jungfraͤulein die Speiſen auff/ und
nachdem der Tiſch uͤberſtellt war/ tratten drey heroi-
ſche junge Damen in den Saal/ welche ihre Alaba-
ſter-weiſſe Bruͤſte zwar zimlich weit entbloͤſt t[r]ugen/
vor den Angeſichtern aber gantz vermaſquirt; Sie
duͤnckten mich alle drey voꝛtrefflich ſchoͤn zu ſeyn/ aber
doch war eine viel ſchoͤner als die ander; ich machte
ihnen gantz ſtillſchweigend einen tieffen Buͤckling/
und ſie bedanckten ſich gegen mir mit gleichen Cere-
monien/ welches natuͤrlich ſahe/ als ob etliche Stum-
men beyeinander geweſen/ ſo die Redende agirt haͤt-
ten/ ſie ſetzten ſich alle drey zugleich nider/ daß ich
alſo nit erꝛathen konte/ welche die vornehmſte unter
ihnen
[406]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ihnen geweſen/ viel weniger welcher ich zu dienen da
war; Die erſte Red war/ ob ich nit Frantzoͤſich koͤn-
te? meine Landsmaͤnnin ſagte Nein; Hierauff ver-
ſetzte die ander: Sie ſolte mir ſagen/ ich wolte belie-
ben nider zu ſitzen/ als ſolches geſchehen/ befohl die
dritte meiner Dolmetſchin/ ſie ſolte ſich auch ſetzen:
Worauß ich abermal nicht abnehmen moͤgen/ wel-
che die vornehmſte unter ihnen war. Jch ſaſſe neben
der Alten gerad gegen dieſen dreyen Damen uͤber/
und iſt demnach meine Schoͤnheit ohn Zweiffel neben
einem ſo Alten Geribb deſto beſſer hervor geſchienen.
Sie blickten mich alle drey ſehr andaͤchtig an/ und ich
doͤrffte ſchwoͤren/ daß ſie viel hundert Seufftzen gehen
lieſſen: Jhre Augen konte ich nit ſehen funcklen we-
gen der Maſquen/ die ſie vor ſich hatten. Meine Alte
fragte mich/ (ſonſt konte niemand mit mir reden/)
welche ich unter dieſen dreyen vor die Schoͤnſte hiel-
te? Jch antwortet/ daß ich keine Wahl darunter
ſehen koͤnte; Hieruͤber fieng ſie an zu lachen daß man
ihr alle vier Zaͤhn ſahe/ die ſie noch im Maul hatte/
und fragte/ warumb das? Jch antwortet/ weil ich
ſie nit recht ſehen koͤnte/ doch ſo viel ich ſehe/ waͤren
ſie alle drey nit heßlich. Dieſes/ was die Alte gefragt/
und ich geantwort/ wolten die Damen wiſſen; mein
Alte verdolmetſchte es/ und log noch darzu/ Jch
haͤtte geſagt/ einer jeden Mund waͤre hundert tauſend
mal kuͤſſens werth! denn ich konte ihnen die Maͤu-
ler unter den Maſquen wol ſehen/ ſonderlich deren/ ſo
gerad gegen mir uͤber ſaſſe. Mit dieſem Fuxſchwantz
machte die Alte/ daß ich dieſelbe vor die vornehmſte
hielte/ und ſie auch deſto eyferiger betrachtete. Diß
war all unſer Diſcurs uͤber Tiſch/ und ich ſtellte mich/
als
[407]Viertes Buch.
als ob ich kein Frantzoͤſiſch Wort verſtuͤnde. Weil
es dann ſo ſtill her gieng/ machten wir deſto ehe Feyr-
abend: Darauff wuͤnſchten mir die Damen eine gute
Nacht/ und giengen ihres Wegs/ denen ich das Ge-
leit nit weiter/ als biß an die Thuͤr geben doͤrffte/ ſo
die Alte gleich nach ihnen zurigelte. Da ich das ſahe/
fragte ich/ Wo ich dann ſchlaffen muͤſte? Sie ant-
wortet/ ich muͤſte bey ihr in gegenwaͤrtigem Bett vor
lieb nehmen; Jch ſagte/ das Bett waͤre gut genug/
wenn nur auch eine von jenen dreyen darinn lege! ja/
ſagte die Alte/ es wird euch fuͤrwahr heunt keine von
ihnen zu theil. Jn dem wir ſo plauderten/ zog eine
ſchoͤne Dam/ die im Bett lag/ den Umbhang etwas
zuruͤck/ und ſagte zu der Alten/ ſie ſolte auffhoͤren zu
ſchwaͤtzen/ und ſchlaffen gehen! Darauff nam ich ihr
das Liecht/ und wolte ſehen/ wer im Bett lege? Sie
aber leſchte ſolches auß/ und ſagte: Herꝛ/ wenn ihm
ſein Kopff lieb iſt/ ſo unterſtehe er ſich deſſen nit/ was
er im Sinn hat/ Er lege ſich/ und ſey verſichert/ da
er mit Ernſt ſich bemuͤhen wird/ dieſe Dame wider
ihren Willen zu ſehen/ daß er nimmermehr lebendig
von hinnen kompt! Damit gieng ſie durch/ und be-
ſchloß die Thuͤr/ die Jungfer aber/ ſo dem Feuer ge-
wartet/ leſcht das auch vollend auß/ und gieng hin-
der einer Tapezerey/ durch ein verborgene Thuͤr/ auch
hinweg. Hierauff ſagte die Dame/ ſo im Bett lag/
Alle Monſ. Beau Alman, gee ſchlaff mein Hertz/ gom/
rick ſu mir! So viel hatte ſie die Alte Teutſch geler-
net; Jch begab mich zum Bett/ zu ſehen/ wie dann
dem Ding zu thun ſeyn moͤchte? und ſo bald ich hin-
zu kam/ fiel ſie mir umb den Hals/ bewillkom̃te mich
mit vielem kuͤſſen/ und hiſſe mir vor hitziger Begierde
Sſchier
[408]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ſchier die unter Lefftzen herab/ ja ſie fieng an meinen
Schlaffbeltz auffzuknoͤpffeln/ und das Hemd gleich-
ſam zu zerꝛeiſſen/ zog mich alſo zu ihr/ und ſtellte ſich
vor unſinniger Liebe alſo an/ daß nicht außzuſagen.
Sie konte nichts anders Teutſch/ als Rick ſu mir
mein Hertz! das uͤbrige gab ſie ſonſt mit Geber-
den zu verſtehen. Jch gedachte zwar heim an meine
Liebſte/ aber was halffs/ ich war leyder ein Menſch/
und fand ein ſolche wol-proportionirte Creatur/ und
zwar von ſolcher Lieblichkeit/ daß ich wol ein Ploch
haͤtte ſeyn muͤſſen/ wenn ich keuſch haͤtte darvon kom-
men ſollen.
Dergeſtalt bracht ich acht Taͤg und ſo viel Naͤcht
an dieſem Ort zu/ und ich glaube/ daß die andern drey
auch bey mir gelegen ſeyen/ dann ſie redeten nicht alle
wie die erſte/ und ſtellten ſich auch nicht ſo naͤrꝛiſch.
Wiewol ich nun acht gantzer Tage bey dieſen vier
Damen war/ ſo kan ich doch nit ſagen/ daß mir zuge-
laſſen worden/ ein einige anders als durch eine Flor-
Hauben/ oder es ſey denn finſter geweſen/ im bloſſen
Angeſicht zu beſchauen. Nach geendigter Zeit der
acht Tag ſetzt man mich im Hof/ mit verbundenen
Augen/ in eine zugemachte Gutſche/ zu meiner Al-
ten/ die mir unterwegs die Augen wieder auffbande/
und fuͤhrte mich in meines Herꝛn Hof/ alsdann fuhr
die Gutſche wieder ſchnell hinweg. Meine Vereh-
rung war 200. Piſtolet/ und da ich die Alte fragte/
ob ich niemand kein Trinckgeld darvon geben ſolte?
ſagte ſie/ bey Leib nicht/ dann wann ihr ſolches thaͤ-
tet/ ſo wuͤrde es die Dames verdrieſſen; ja ſie wuͤrden
gedencken/ Jhr bildet euch ein/ ihr waͤret in einem
Huren-Hauß geweſen/ da man alles belohnen muß.
Nach-
[409]Viertes Buch.
Nachgehends bekam ich noch mehr dergleichen Kun-
den/ welche mirs ſo grob machten/ daß ich endlich
auß Unvermoͤgen der Narꝛenpoſſen gantz uͤberdruͤſſig
wurde.
DasVI.Capitel.
DUrch dieſe meine Handierung brachte ich beydes
an Geld und andern Sachen ſo viel Verehrun-
gen zuſammen/ daß mir angſt darbey wurde/ und ver-
wunderte ich mich nit mehr/ daß ſich die Weibsbil-
der ins Bordell begeben/ und ein Handwerck auß die-
ſer viehiſchen Unflaͤterey machen/ weil es ſo trefflich
wol eintraͤgt; Aber ich fieng an/ und gieng in mich
ſelber/ nit zwar auß Gottſeeligkeit oder Trieb meines
Gewiſſens/ ſondern auß Sorg/ daß ich einmal auff
ſo einer Kuͤrbe erdappt/ und nach Verdienſt bezahlt
werden moͤchte: Derhalben trachtet ich/ wieder in
Teutſchland zu kommen/ und das umb ſo viel deſto
mehr/ weil der Commandant zur L. mir geſchrieben/
daß er etliche Coͤlniſche Kauffleute bey den Koͤpffen
gekriegt/ die er nit auß Handen laſſen wolte/ es ſeyen
ihm dann meine Sachen zuvor eingehaͤndigt: Jtem
daß er mir das verſprochene Faͤhnlein noch auffhal-
te/ und meiner noch vor dem Fruͤhling gewaͤrtig ſeyn
wolte/ dann ſonſt/ wo ich in der Zeit nit kaͤme/ muͤſte
er die Stell mit einem andern beſetzen; So ſchickte
mir mein Weib auch ein Brieflein darbey/ das voll
liebreicher Bezeugungen ihres groſſen Verlangens
war: Haͤtte ſie aber gewuſt/ wie ich ſo ehrbar gelebt/
ſo ſolte ſie mir wol einen andern Gruß hinein geſetzt
haben.
Jch konte mir wol einbilden/ daß ich mit Monſig.
S ijCa-
[410]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Canarden Conſens ſchwerlich hinweg kaͤme/ gedacht
derhalben heimlich durch zu gehen/ ſo bald ich Gele-
genheit haben koͤnte/ ſo mir zu meinem groſſen Un-
gluͤck auch angienge; Dann als ich einsmals etliche
Officier von der Weymariſchen Armee antraff/ gab
ich mich ihnen zu erkennen/ daß ich nemlich ein Faͤhn-
rich von deß Obriſten de S. A. Regiment/ und in mei-
nen eigenen Geſchafften ein Zeitlang in Pariß gewe-
ſen/ nunmehr aber entſchloſſen ſeye/ mich wieder zum
Regiment zu begeben/ mit Bitt/ ſie wolten mich in
ihre Geſellſchafft zu einem Raͤisgeferten mit nem̃en:
Alſo eroͤffneten ſie mir den Tag ihres Auffbruchs/ und
namen mich willig auff/ ich kauffte mir einen Klepper/
und mondirte mich auff die Raͤis ſo heimlich als ich
konte/ packte mein Geld zuſamm/ (ſo ohngefaͤhr bey
500. Duplonen waren/ die ich alle den gottloſen
Weibsbildern abverdient hatte) und machte mich oh-
ne von Monſ. Canard gegebene Erlaubnus mit ihnen
fort; ſchrieb ihm aber zuruͤck/ und datirt das Schrei-
ben zu Maſtrich/ damit er meynen ſolte/ ich waͤre
auff Coͤln gangen/ darinn nam ich meinen Abſchied/
mit Vermelden/ daß mir unmuͤglich geweſen laͤnger
zu bleiben/ weil ich ſeine Aromatiſche Wuͤrſte nicht
mehr verdauen haͤtte koͤnnen.
Jm zweyten Nachtlaͤger von Pariß auß wurde
mir natuͤrlich wie einem der den Rotlauff bekompt/
und mein Kopff thaͤt mir ſo grauſam wehe/ daß mir
unmuͤglich war auffzuſtehen. Es war in einem gar
ſchlechten Dorff/ darinn ich keinen Medicum haben
konte/ und was das aͤrgſte war/ ſo hatte ich auch nie-
mand der mir wartete/ dann die Officier raͤiſten deß
morgens fruͤh ihres Wegs foꝛt/ gegen dem Elſas zu/
und
[411]Viertes Buch.
und lieſſen mich/ als einen der ſie nichts angienge/
gleichſam todtkranck da ligen/ doch befohlen ſie bey
ihrem Abſchied dem Wirth mich und mein Pferd/
und hinderlieſſen bey dem Schultzen im Dorff/ daß
er mich als einen Kriegs-Officier, der dem Koͤnig die-
ne/ beobachten ſolte.
Alſo lag ich ein paar Tag dort/ daß ich nichts von
mir ſelber wuſte/ ſondern wie ein Hirnſchelliger fa-
belte/ man drachte den Pfaffen/ derſelbe konte aber
nichts verſtaͤndiges von mir vernehmen. Und weil er
ſahe/ daß er mir die Seel nit artzneyen konte/ gedacht
er auff Mittel/ dem Leib nach Vermoͤgen zu Huͤlff
zu kommen/ allermaſſen er mir eine Ader oͤffnen/ ein
Schweißtranck eingeben/ und in ein warmes Bett
legen laſſen/ zu ſchwitzen; Das bekam mir ſo wol/
daß ich mich in derſelben Nacht wieder beſanne wo
ich war/ und wie ich dahin kommen/ und kranck wor-
den waͤre. Am folgenden Morgen kam obgemeldter
Pfaff wieder zu mir/ und fand mich gantz deſperat,
dieweil mir nicht allein all mein Geld entfuͤhrt war/
ſondern auch nit anders meynte/ als haͤtte ich (ſ. v.)
die liebe Frantzoſen/ weil ſie mir billicher als ſo viel
Piſtolen gebuͤhrten/ und ich auch uͤber dem gantzen
Leib ſo voller Flecken war/ als ein Tyger/ ich konte
weder gehen/ ſtehen/ ſitzen noch ligen/ da war keine
Gedult bey mir/ dann gleich wie ich nicht glauben
konte/ daß mir Gott das verlorne Geld beſchehrt haͤt-
te/ alſo war ich jetzt ſo ungehalten/ daß ich ſagte/ der
Teuffel haͤtte mirs wieder weg gefuͤhrt! Ja ich ſtellte
mich nicht anders/ als ob ich gantz verzweiffeln haͤtte
wollen/ daß alſo der gute Pfarꝛer genug an mir zu
troͤſten hatte/ weil mich der Schuh an zweyen Orten
S iijſo
[412]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ſo hefftig druckte; Mein Freund/ (ſagt er) ſtellt euch
doch als ein vernuͤnfftiger Menſch/ wenn ihr euch ja
nit in eurem Creutz anlaſſen koͤnnet wie ein frommer
Chriſt/ was macht ihr/ wolt ihr zu eurem Geld auch
das Leben/ und was mehr iſt/ auch die Seeligkeit ver-
lteren? Jch antwortet/ nach dem Geld fragte ich
nichts/ wenn ich nur dieſe abſchenliche verfluchte
Kranckheit nit am Hals haͤtte/ oder waͤre nur an Ort
und Enden/ da ich wieder curirt werden koͤnte! Jhr
muͤſt euch gedulden/ antwoꝛt der Geiſtliche/ wie muͤſ-
ſen die arme kleine Kinder thun/ deren in hiefigem
Dorffuͤber 50. daran kranck ligen? Wie ich hoͤrte/
daß auch Kinder damit behafftet/ war ich alsbalden
hertzhaffter/ dann ich konte ja leicht gedencken/ daß
ſelbige dieſe garſtige Seuch nit kriegen wuͤrden; nam
derowegen mein Felleiſen zur Hand/ und ſuchte/ was
es etwan noch vermoͤchte/ aber da war ohne das
weiß Gezeug nichts ſchaͤtzbares innen/ als ein Capſel
mit einer Damen Conterfaͤit/ rund herumb mit Ru-
binen beſetzt/ ſo mir eine zu Pariß verehrt hatte/ ich
nam das Conterfaͤit herauß/ und ſtellte das uͤbrige
dem Geiſtlichen zu/ mit Bitt/ ſolches in der naͤchſten
Statt zu verſilbern/ darmit ich etwas zu verzehren
haben moͤchte: Diß gieng dahin/ daß ich kaum den
dritten Theil ſeines Werths davor kriegte/ und weil
es nit lang daurte/ muſte auch mein Klepper fort/ da-
mit reichte ich kaͤrglich hinauß/ biß die Purpeln an-
fiengen zu doͤrꝛen/ und mir wieder beſſer wurde.
DasVII.Capitel.
WOrmit einer ſuͤndiget/ darmit pflegt einer auch
geſtrafft zu werden/ dieſe Kinds-Blattern rich-
teten
[413]Viertes Buch.
teten mich dergeſtalt zu/ daß ich hinfuͤro vor den
Weibsbildern gute Ruhe hatte; ich kriegte Gruben
im Geſicht/ daß ich außſahe wie ein Scheur-Denne/
darin man Erbſen gedroſchen/ ja ich wurde ſo heß-
lich/ daß ſich meine ſchoͤne krauſe Haar/ in welchem
ſich ſo manch Weibsbild verſtrickt/ meiner ſchaͤmten/
und ihre Heimat verlieſſen; An deren ſtatt bekam ich
andere/ die ſich den Saͤuborſten vergleichen lieſſen/
daß ich alſo nothwendig eine Barucque tragen muſte/
und gleich wie außwendig an der Haut keine Zierd
mehr uͤbrig bliebe/ alſo gieng meine liebliche Stimm
auch dahin/ dañ ich den Hals voller Blattern gehabt/
meine Augen/ die man hiebevor niemal ohne Liebes-
Feur finden koͤnnen/ eine jede zu entzuͤnden/ ſahen
jetzt ſo roth und trieffend auß/ wie eines 80. jaͤhrigen
Weibs/ das den Cornelium hat. Und uͤber das all[e]s
ſo war ich in fremden Landen/ kante weder Hund
noch Menſchen/ ders treulich mit mir meynte/ ver-
ſtund die Sprach nicht/ und hatte allbereit kein Geld
mehr uͤbrig.
Da fieng ich erſt an hinderſich zu gedencken/ und
die herꝛliche Gelegenheiten zu bejammern/ die mir
hiebevor zu Befoͤrderung meiner Wolfart angeſtan-
den/ ich aber ſo liederlich hatte verſtreichen laſſen;
Jch ſahe erſt zurück/ und merckte/ daß mein extra or-
dinari Gluͤck im Krieg/ und mein gefundener Schatz/
nichts anders als eine Urſach und Vorbereitung zu
meinem Ungluͤck geweſen/ welches mich nim̃ermehr
ſo weit hinunder haͤtte werffen koͤnnen/ da es mich nit
zuvor durch falſche Blick angeſchaut/ und ſo hoch
erhaden haͤtte/ ja ich fande/ daß das jenige Gute/ ſo
mir begegnet/ und ich vor gut gehalten/ boͤß gewe-
S jvſen
[414]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ſen/ und mich in das aͤuſſerſte Verderben geleitet hat-
te/ da war kein Einſidel mehr/ ders treulich mit mir
gemeynt/ kein Obriſt Ramſay, der mich in meinem
Elend auffgenommen/ kein Pfarꝛer/ der mir das be-
ſte gerathen/ und in Summa kein einiger Menſch/ der
mir etwas zu gut gethan haͤtte/ ſondern da mein Geld
hin war/ hieß es/ ich ſolte auch fort/ und meine Gele-
genheit anderswo ſuchen/ und haͤtte ich wie der ver-
lorne Sohn mit den Saͤuen vor lieb nemmen ſollen.
Damals gedacht ich erſt an deß jenigen Pfarꝛherꝛn
guten Rath/ der da vermeynte/ ich ſolte meine Mittel
und Jugend zu den Studiis anwenden/ aber es war
viel zu ſpaͤt mit der Scheer/ dem Vogel die Fluͤgel zu
beſchneiden/ weil er ſchon entflogen; O ſchnelle und
ungluͤckſelige Veraͤnderung! vor vier Wochen war
ich ein Kerl/ der die Fuͤrſten zur Verwunderung be-
wegte/ das Frauenzimmer entzuckte/ und dem Volck
als ein Meiſterſtuͤck der Natur/ ja wie ein Engel vor
kam/ jetzt aber ſo ohnwerth/ daß mich die Hund an-
pißten. Jch machte wol tauſend und aber tauſender-
ley Gedancken/ was ich angreiffen wolte/ dann der
Wirth ſtieß mich auß dem Hauß/ da ich nichts mehr
bezahlen konte/ ich haͤtte mich gern unterhalten laſ-
ſen/ es wolte mich aber kein Werber vor einen Sol-
daten annehmen/ weil ich als ein grindiger Guckuck
außſahe/ arbeiten konte ich nit/ denn ich war noch zu
matt/ und uͤber das noch keiner gewohnt. Nichts troͤ-
ſtete mich mehr/ als daß es gegen dem Som̃er gieng/
und ich mich zur Noth hinder einer Hecken behelffen
konte/ weil mich niemand mehr im Hauß wolte lei-
den. Jch hatte mein ſtattlich Kleid noch/ das ich mir
auff die Raͤis machen laſſen/ ſampt einem Felleiſen
voll
[415]Viertes Buch.
voll koſtbar Leinengezeug/ das mir aber niemand ab-
kauffen wolte/ weil jeder ſorgte/ ich moͤchte ihm auch
eine Kranckheit damit an Hals hencken. Solches
nam ich auff den Buckel/ den Degen in die Hand/ und
den Weg unter die Fuͤß/ der mich in ein klein Staͤtt-
lein trug/ ſo gleichwol ein eigene Apotheck vermoch-
te/ in dieſelbe gieng ich/ und ließ mir eine Salbe zu-
richten/ die mir die Urſchlechten-maͤhler im Geſicht
vertreiben ſolten/ und weil ich kein Geld hatte/ gab
ich dem Apothecker-Geſellen ein ſchoͤn zart Hemd da-
vor/ der nit ſo eckel war/ wie andere Narꝛen/ ſo keine
Kleider von mir haben wolten. Jch gedachte/ wenn
du nur der ſchandlichen Flecken loß wirſt/ ſo wird
ſichs ſchon auch wieder mit deinem Elend beſſern;
und weil mich der Apothecker troͤſtete/ man wuͤrde
mir uͤber acht Tag/ ohne die tieffe Narben/ ſo mir die
Purpeln in die Haut gefreſſen/ wenig mehr anſehen/
war ich ſchon behertzter. Es war eben Marckt da-
ſelbſt/ und auff demſelben befand ſich ein Zahnbrecher/
der trefflich Geld loͤſete/ da er doch liederlich Ding
den Leuten dafuͤr anhaͤngte: Narꝛ/ ſagte ich zu mir
ſelber/ was machſtu/ daß du nicht auch ſo einen Kram
auffrichteſt? biſtu ſo lang bey Monſ. Canard geweſt/
und haſt nit ſo viel gelernt/ ein einfaͤltigen Bauren zu
betruͤgen/ und dein Maul futter darvon zu gewinnen/
ſo muſtu wol ein elender Tropff ſeyn.
DasVIII.Capitel.
JCh mochte damals freſſen wie ein Dreſcher/ dann
mein Magen war nicht zu erſaͤttigen/ wiewol ich
nichts mehr im Vorꝛath hatte/ als noch einen einzi-
gen guͤldenen Ring mit einem Demant/ der etwa 20.
S vCronen
[416]Deß Abenth. Simpliciſſimi
Cronen werth war/ den verſilberte ich umb zwoͤlffe/
und demnach ich mir leicht einbilden konte/ daß diß
bald auß ſeyn wuͤrde/ da ich nichts darzu gewinnete/
reſolvirt ich mich/ ein Artzt zu werden. Jch kauffte
mir die Materialia zu dem Theriaca Diateſſaron, und
richtete mir denſelben zu/ alsdann machte ich auß
Kraͤutern/ Wurtzeln/ Butter/ und etlichen Olitaͤten
eine gruͤne Salbe zu allerhand Wunden/ damit man
auch wol ein gedruckt Pferd haͤtte heylen koͤnnen/ item
auß Galmey/ Kiſſelſteinen/ Krebsaugen/ Schmir-
gel und Trippel ein Pulver/ weiſſe Zaͤhn darmit zu
machen; ferner ein blau Waſſer auß Lauge/ Kupffer/
Sal armoniacum und Camphor/ vor den Scharbock/
Mundſaͤule/ Zaͤhn- und Augenwehe/ bekam auch ein
Hauffen plecherne und hoͤltzerne Buͤchslein/ Papier
und Glaͤslein/ meine Wahr darein zu ſchmieren/
und damit es auch ein Anſehen haben moͤchte/ lieſſe
ich mir einen Frantzoͤſ. Zettel concipiren und drucken/
darinnen man ſehen konte/ worzu ein und anders gut
war. Jn dreyen Tagen war ich mit meiner Arbeit
fertig/ und hatte kaum drey Cronen in die Apotheck
und vor Geſchirꝛ angewendet/ da ich diß Staͤttlein
verlieſſe. Alſo packte ich auff/ und nam mir vor/ von
einem Dorff zum andern biß in das Elſas hinein zu
wandern/ und meine Wahr unterwegs an Mann zu
bringen/ folgends zu Straßburg/ als in einer neu-
tralen Statt/ mich mit Gelegenheit auff den Rhein
zu ſetzen/ mit Kauffleuten wieder nach Coͤln zu bege-
ben/ und von dort auß meinen Weg zu meinem Weib
zu nehmen: Das Vorhaben war gut/ aber der An-
ſchlag fehlte weit!
Da ich das erſte mal mit meiner Quackſalberey
vor
[417]Viertes Buch.
vor eine Kirche kam/ und fail hatte/ war die Loſung
gar ſchlecht/ weil ich viel zu bloͤd war/ mir auch ſo
wol die Sprach als Storgeriſche Auffſchneiderey
nicht von ſtatten gehen wolte; ſahe demnach gleich/
daß ichs anderſt angreiffen muͤſte/ wenn ich Geld ein-
nehmen wolte. Jch gieng mit meinem Kram in das
Wirthshauß/ und vernam uͤber Tiſch vom Wirth/
daß den Nachmittag allerhand Leut unter der Linden
vor ſeinem Hauß zuſammen kommen wuͤrden/ da
doͤrffte ich dann wol ſo etwas verkauffen/ wenn ich
gute Wahr haͤtte/ allein gebe es der Betruͤger ſo viel
im Land/ daß die Leut gewaltig mit dem Geld zu-
ruͤck hielten/ wenn ſie keine gewiſſe Prob vor Augen
ſehen/ daß der Theriac außbuͤndig gut waͤre. Als ich
dergeſtalt vernam/ wo es mangelte/ bekam ich ein
halbes Trinckglaͤßlein voll guten Straßburger Bran-
tewein/ und fieng eine Art Krotten/ die man Reling
oder Moͤhmlein nennet/ ſo im Fruͤhling und Som̃er
in den unſaubern Pfuͤtzen ſitzen/ und ſingen/ ſind gold-
gelb oder faſt rothgelb/ und unden am Bauch ſchwartz
geſcheckigt/ gar unluſtig anzuſehen: Ein ſolches ſetzt
ich in ein Schoppen-Glas mit Waſſer/ und ſtellts
neben meine Wahr auff einen Tiſch unter der Linden.
Wie ſich nun die Leut anfiengen zu verſamlen/ und
umb mich herumb ſtunden/ vermeynten etliche/ ich
wuͤrde mit der Klufft/ ſo ich von der Wirthin auß ih-
rer Kuͤchen entlehnt/ die Zaͤhn außbrechen/ ich aber
ſieng an: Jhr Herꝛn und gueti Freund (dann
ich konte noch gar wenig Frantzoͤſiſch reden) bin ich
kein brech dir die Zahn auß/ allein hab ich gut
Waſſer vor die Aug/ es mach all die Fluͤß auß
die rode Aug; Ja/ antwortet einer/ man ſihets
S vjan
[418]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
an euren Augen wol/ die ſehen ja auß/ wie zween Jrꝛ-
wiſch; Jch ſagte/ Das iſt wahr/ wann ich aber
der Waſſer vor mich nicht hab/ ſo waͤr ich wol
gar blind werd/ ich verkauff ſonſt der Waſſer
nit/ der Theriac und der Pulver vor die weiſ-
ſe Zaͤhn/ und das Wundſalb will ich verkauff/
und der Waſſer noch darzu ſchenck/ Jch bin
ich kein Schreyer oder beſcheiß dir die Leut/
hab ich mein Theriac feil/ wann ich ſie habe
probirt/ und ſie dir nit gefalt/ ſo darffſtu ſie
mir nit kauffab. Jn dem ließ ich einen von dem
Umbſtand eins von meinen Theriac-Buͤchslein auß-
wehlen/ auß demſelben thaͤt ich etwan einer Erbſen
groß in meinen Brantewein/ den die Leut vor Waſ-
ſer anſahen/ zertrieb ihn darinn/ und kriegte hierauff
mit der Klufft das Moͤhmlein auß dem Glas mit
Waſſer/ und ſagte: Secht ihr gueti Freund/
wann diß gifftig Wurm kan mein Theriac
trinck/ und ſterbe nit/ ſo iſt der Ding nit nutz/
dann kauff ihr mir nit ab. Hiemit ſteckte ich die
arme Krott/ welche im Waſſer geboren und erzogen/
und kein ander Element oder Liquor leiden konte/ in
meinen Brantewein/ und hielte es mit einem Papier
zu/ daß es nit herauß ſpringen konte/ da fieng es der-
geſtalt an darinn zu wuͤten und zu zablen/ ja viel aͤr-
ger zu thun/ als ob ichs auff gluͤende Kolen geworffen
haͤtte/ weil ihm der Brantewein viel zu ſtarck war/
und nachdem es ſo ein kleine Weil getrieben/ verꝛeckt
es/ und ſtreckt alle viere von ſich. Die Baurn ſperꝛten
Maul und Beutel auff/ da ſie dieſe ſo gewiſſe Prob
mit ihren Augen angeſehen hatten; da war in ihrem
Sinn kein beſſerer Theriac in der Welt/ als der mei-
nige
[419]Viertes Buch.
nige/ und hatte ich genug zu thun/ den Plunder in die
Zettel zu wickeln/ und Geld darvor einzunehmen/ es
waren etliche unter ihnen/ die kaufftens wol 3. 4. 5.
und ſechsfach/ damit ſie ja auff den Nothfall mit ſo
koͤſtlicher Gifftlatwerge verſehen waͤren/ ja ſie kauff-
ten auch vor ihre Freund und Verwandte/ die an an-
dern Orten wohnten/ daß ich alſo mit der Narꝛnweis/
da doch kein Marcktag war/ denſelben Abend zehen
Cronen loͤſte/ und doch noch mehr als die Helffte mei-
ner Wahr behielte. Jch machte mich noch dieſelbe
Nacht in ein ander Dorff/ weil ich ſorgte/ es moͤchte
etwan auch ein Baur ſo curios ſeyn/ und eine Krott
in ein Waſſer ſetzen/ meinen Theriac zu probirn/ und
wenn es denn mißlinge/ mir der Buckel geraumt wer-
den. Damit ich aber gleichwol auch die Vortreff-
lichkeit meiner Gifft-Latwerge auff ein andere Ma-
nier erweiſen koͤnte/ machte ich mir auß Meel/ Saff-
ran und Gallus, einen gelben Arſenicum, und auß Meel
und Victril einen Mercurium Sublimatum, und wenn
ich die Prob thun wolte/ hatte ich zwey gleiche Glaͤ-
ſer mit friſchem Waſſer auff dem Tiſch/ davon das
eine zimlich ſtarck mit Aqua fort oder Spiritus victril
vermiſcht war/ in daſſelbe zerꝛuͤhrte ich ein wenig von
meinem Theriac/ und ſchabte alsdann von meinen
beyden Gifften ſo viel als genug war/ hinein/ davon
wurde das eine Waſſer/ ſo keinen Theriac/ und alſo
auch kein Aqua fort hatte/ ſo ſchwartz wie eine Dinte/
das ander aber bliebe wegen deß Scheidwaſſers wie
es war; Ha/ ſagten dann die Leut/ ſeht/ das iſt fůr-
wahr ein koͤſtlicher Theriac/ ſo umb ein gering Gelt!
Wann ich dann beyde untereinander goſſe/ ſo wurde
wieder alles klar; davon zogen dann die gute Baurn
S vijihre
[420]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ihre Beutel/ und kaufften mir ab/ welches nicht allein
meinem hungerigen Magen wol zu paß kam/ ſondern
ich machte mich auch wider beritten/ proſperirte noch
darzu viel Geld auff meiner Raͤis/ und kam gluͤcklich
an die Teutſche Grentz. Darumb ihr liebe Baurn/
glaubt den fremden Marcktſchreyern ſo leicht nicht/
ihr werdet ſonſt von ihnen betrogen/ als welche nicht
euer Geſundheit/ ſondern euer Geld ſuchen.
DasIX.Capitel.
DA ich durch Lothringen paſſirte/ gieng mir mei-
ne Wahr auß/ und weilen ich die Guarniſonen
ſcheuete/ hatte ich keine Gelegenheit andere zuzurich-
ten/ derhalben muſte ich wol was anders anfangen/
diß ich wieder Theriac machen koͤnte. Jch kauffte
mir 2. Maaß Brantewein/ faͤrbte ihn mit Saffran/
fuͤllte ihn in halb-loͤthige Glaͤslein/ und verkieffe ſol-
chen den Leuten vor ein koͤſtlich Guͤldenwaſſer/ das
gut vors Fieber ſeye/ brachte alſo dieſen Brantewein
auff 30. Guͤlden. Und demnach mirs auch an kleinen
Glaͤslein zerꝛinnen wolte/ ich aber von einer Glas-
Huͤtten hoͤrete/ die in dem Fleckenſteiniſchen Gebiet
lege/ begab ich mich darauff zu/ mich wieder zu mon-
dirn/ und in dem ich ſo Abweg ſuchte/ wurde ich un-
gefaͤhr von einer Partey auß Philipsburg/ die ſich
auff dem Schloß Wagelnburg auffhielte/ gefangen;
kam alſo umb all das jenige/ was ich den Leuten auff
der Raͤis durch meine Betruͤgerey abgezwackt hatte/
und weil der Baur/ ſo mir den Weg zu weiſen mit
gieng/ zu den Kerln geſagt/ ich waͤre ein Doctor, wur-
de ich wider deß Teuffels Danck vor einen Doctor
nach Philipsburg gefuͤhrt.
Da-
[421]Viertes Buch.
Daſelbſt wurde ich examinirt/ und ſcheuete mich
gar nit zu ſagen waͤr ich waͤre/ ſo man mir aber nicht
glauben/ ſondern mehr auß mir machen wolte/ als ich
haͤtte ſeyn koͤnnen/ dann ich ſolte und muͤſte ein Do-
ctor ſeyn; ich muſte ſchwoͤren/ daß ich unter die Kaͤi-
ſerliche Dragoner in Soeſt gehoͤrig/ und erzehlte fer-
ner bey Eydspflicht alles ſo mir von ſelbiger Zeit an
biß hieher begegnet/ und was ich jetzo zu thun vor-
habens: Aber es hieſſe/ der Kaͤiſer brauche ſo wol in
Philipsburg als in Soeſt Soldaten/ man wuͤrde
mir bey ihnen Auffenthalt geben/ biß ich gleichwol
mit guter Gelegenheit zu meinem Regiment kom̃en
koͤnte; wann mir aber dieſer Vorſchlag nit ſchmeck-
te/ ſo moͤchte ich im Stockhauß vor lieb nehmen/ und
mich/ biß ich wieder loß kaͤme/ als einen Doctor tra-
ctiren laſſen/ vor welchen ſie mich dann auch gefan-
gen bekommen haͤtten.
Alſo kam ich vom Pferd auff den Eſel/ und muſte
ein Mußquetier werden wider meinen Willen; das
kam mich blutſauer an/ weil der Schmalhans dort
herꝛſchte/ und das Commiß-brot daſelbſt ſchroͤcklich
klein war; ich ſage nit vergeblich ſchroͤcklich klein/
dann ich erſchrack alle Morgen/ wenn ichs empfieng/
weil ich wuſte/ daß ich mich denſelben gantzen Tag
damit behelffen muſte/ da ichs doch ohn einige Muͤhe
auff einmal auffreiben konte. Und die Warheit zu
bekennen/ ſo iſts wol ein elende Creatur umb einen
Mußquetierer/ der ſolcher geſtalt ſein Leben in einer
Guarniſon zubringen/ und ſich allein mit dem lieben
trocken Brod/ und noch darzu kaum halb ſatt/ behelf-
fen muß; dann da iſt keiner anders/ als ein Gefan-
gener/ der mit Waſſer und Brod der Truͤbſal ſein
arm-
[422]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
armſeelig Leben verzoͤgert/ ja ein Gefangener hats
noch beſſer/ dann er darff weder wachen/ Runden
gehen/ noch Schildwacht ſtehen/ ſondern bleibt in
ſeiner Ruhe ligen/ und hat ſo wol Hoffnung/ als ein
ſo elender Guarniſoner/ mit der Zeit einmal auß ſol-
cher Gefaͤngnus zu kommen. Zwar waren auch et-
liche/ die ihr Außkommen umb ein kleines beſſer hat-
ten/ und auff unterſchiedliche Gattungen/ doch kein
einige Manier die mir beliebte/ und ſolcher geſtalt
mein Maulfutter zu erobern/ anſtaͤndig ſeyn wolte:
Dann etliche namen (und ſolten es auch verloffene
Huren geweſen ſeyn) in ſolchem Elend keiner andern
Urſach halber Weiber/ als daß ſie durch ſolche ent-
weder mit Arbeiten/ als naͤhen/ waͤſchen/ ſpinnen/
oder mit kraͤmpeln und ſchachern/ oder wol gar mit
ſtehlen ernehrt werden ſollen; da war eine Faͤhnrich
unter den Weibern/ die hatte ihre Gage wie ein Ge-
freyter; ein andere war Hebamme/ und bracht dar-
durch ſich ſelbſten und ihrem Mann manchen guten
Schmauß zu wegen; ein andere konte ſtaͤrcken und
waͤſchen/ dieſe waͤſchten den ledigen Officiern und
Soldaten Hemder/ Struͤmpff/ Schlaffhoſen/ und
ich weiß nicht was als mehr/ darvon ſie ihre ſondere
Nahmen kriegten; andere verkieffen Toback/ und
verſahen der Kerl ihre Pfeiffen/ die deſſen Mangel
hatten; andere handelten mit Brantewein/ und wa-
ren im Ruff/ daß ſie ihn mit Waſſer/ ſo ſich von ihnen
ſelbſten diſtillirt/ verfaͤlſchten/ darvon es doch ſeine
Prob nicht verlohr; ein andere war eine Naͤherin/
und konte allerhand Stich und Moͤdel machen/ da-
mit ſie Geld erwarb; ein andere wuſte ſich bloͤßlich
auß dem Feld zu ernehren/ im Winter grub ſie Schne-
cken/
[423]Viertes Buch.
cken/ im Fruͤhling graſete ſie Salat/ im Som̃er nam
ſie Vogelneſter auß/ und im Herbſt wuſte ſie ſonſt
tauſenderley Schnabelwaid zu kriegen; etliche tru-
gen Holtz zu verkauffen/ wie die Eſel; und andere
handelten auch mit etwas anders. Solcher geſtalt
nun meine Nahrung zu haben/ war nicht vor mich/
dann ich hatte ſchon ein Weib. Etliche Kerl ernaͤhr-
ten ſich mit ſpielen/ weil ſie es beſſer als Spitzbuben
konten/ und ihren einfaͤltigen Cameraden das ihrige
mit falſchen Wuͤrffeln und Karten abzuzwacken wu-
ſten/ ſolche Profeſſion aber war mir ein Eckel. Andere
arbeiteten auff der Schantz/ und ſonſten wie die Be-
ſtien/ aber hierzu war ich zu faul; etliche konten und
trieben etwan ein Handwerck/ ich Tropff aber hatte
keines gelernt/ zwar weñ man einen Muſicanten von-
noͤthen gehabt haͤtte/ ſo waͤr ich wol beſtanden/ aber
daſſelbe Hungerland behalffe ſich nur mit Trom̃eln
und Pfeiffen/ etliche ſchillerten vor andere/ und ka-
men Tag und Nacht niemal von der Wacht/ Jch
aber wolte lieber hungern/ als meinen Leib ſo ab-
mergeln; etliche brachten ſich mit Partey gehen
durch/ mir aber wurde nicht einmal vor das Thor zu
gehen vertraut; etliche konten beſſer mauſen als Ka-
tzen/ ich aber haßte ſolche Handierung wie die Peſt.
Jn Sum̃a/ wo ich mich nur hin kehrte/ da konte ich
nichts ergreiffen/ das meinen Magen haͤtte ſtillen
moͤgen. Und was mich am aller meiſten verdroß/ war
dieſes/ daß ich mich noch darzu muſte foppen laſſen/
wenn die Burſch ſagten/ ſolteſt du ein Doctor ſeyn/
und kanſt anders keine Kunſt/ als Hunger leiden?
Endlich zwang mich die Noth/ daß ich etlich ſchoͤne
Karpffen auß dem Graben zu mir auff den Wall gau-
ckelte
[424]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ckelte/ ſo bald es aber der Obriſt innen wurde/ muſte
ich den Eſel darvor reuten/ und war mir meine Kunſt
ferner zu uͤben bey hencken verbotten. Zuletzt war
anderer Ungluͤck mein Gluͤck/ dann nachdem ich et-
liche Gelbſuͤchtige und ein paar Febricitanten curir-
te/ die einen beſondern Glauben an mir gehabt haben
muͤſſen/ wurde mir erlaubt/ vor die Veſtung zu ge-
hen/ meinem Vorwand nach/ Wurtzel und Kraͤuter
zu meinen Artzneyen zu ſamblen/ da richtet ich hin-
gegen den Haſen mit Stricken/ und hatte das Gluͤck/
daß ich die erſte Nacht zween bekam/ dieſelbe bracht
ich dem Obriſten/ und erhielte dardurch nicht allein
einen Thaler zur Verehrung/ ſondern auch Erlaub-
nus/ daß ich hinauß doͤrffte gehen/ den Haſen nach-
zuſtellen/ wenn ich die Wacht nit haͤtte. Weil dann
nun das Land zimlich eroͤdet/ und niemand war/ der
dieſe Thier aufffienge/ zumal ſie ſich trefflich gemeh-
ret hatten/ als kam das Waſſer wieder auff meine
Muͤhl/ maſſen es das Anſehen hatte/ als ob es mit
Haſen ſchneyhete/ oder ich in meine Strick bannen
koͤnte. Da die Officier ſahen/ daß man mir trauen
doͤrffte/ wurde ich auch mit andern hinauß auff Par-
tey gelaſſen/ da fienge ich nun mein Soeſtiſch Leben
wieder an/ auſſer daß ich keine Parteyen fuͤhren und
commandiren doͤrffte/ wie hiebevor in Weſtphalen/
denn es war vonnoͤten/ zuvor Weg und Steg zu
wiſſen/ und den Rheinſtrom zu kennen.
DasX.Capitel.
NOch ein paar Stuͤcklein will ich erzehlen/ ehe ich
ſage/ wie ich wieder von der Mußquete erloͤſet
worden; eins von groſſer Leib- und Lebensgefahr/
darauß
[425]Viertes Buch.
darauß ich durch Gottes Gnad entronnen/ das an-
der von der Seelengefahr/ darinnen ich hartnaͤckiger
Weis ſtecken bliebe/ denn ich will meine Untugenden
ſo wenig verhelen/ als meine Tugenden/ damit nicht
allein meine Hiſtori zimlich gantz ſey/ ſondern der
ohngewanderte Leſer auch erfahre/ was vor ſeltzame
Kautzen in der Welt gibt.
Wie zu End deß vorigen Capitels gemeldet/ ſo
dorffte ich auch mit andern auff Partey/ ſo in Guar-
niſonen nit jedem liederlichen Kunden/ ſondern recht-
ſchaffenen Soldaten gegoͤnnet wird: Alſo giengen
nun unſer 19. einsmals miteinander durch die Under
Marggrafſchafft hinauff/ oberhalb Straßburg ei-
nem Basleriſchen Schiff auffzupaſſen/ worbey heim-
lich etliche Weymariſche Officierer und Guͤter ſeyn
ſolten. Wir kriegten uͤberhalb Ottenheim ein Fiſcher-
Nachen/ uns damit uͤberzuſetzen/ und in ein Werd zu
legen/ ſo gar vortelhafftig lag/ die ankom̃ende Schiff
aus Land zu zwingen/ maſſen zehen von uns durch
den Fiſcher gluͤcklich uͤbergefuͤhrt wurden; Als aber
einer auß uns/ der ſonſt wol fahren konte/ darunter
ich mich befande/ auch holte/ ſchlug der Nachen ohn-
verſehens umb/ daß wir alſo urploͤtzlich miteinander
im Rhein lagen. Jch ſahe mich nit viel nach den an-
dern umb/ ſondern gedachte auff mich ſelbſt. Ob ich
mich nun zwar auß allen Kraͤfften ſpreitzte/ und alle
Voͤrtel der guten Schwim̃er brauchte/ ſo ſpielte den-
noch der Strom mit mir wie mit einem Ballen/ in
dem er mich bald uͤber-bald und erſich in Grund warf/
ich hielte mich ſo ritterlich/ daß ich offt uͤber ſich kam/
Athem zu ſchoͤpffen; waͤre es aber umb etwas kaͤlter
geweſen/ ſo haͤtte ich mich nimmermehr ſo lang ent-
halten
[426]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
halten/ und mit dem Leben entrinnen koͤnnen: Jch
verſuchte offt ans Ufer zu gelangen/ ſo mir aber die
Wuͤrbel nit zulieſſen/ als die mich von einer Seite
zur andern warffen/ und ob ich zwar in Kuͤrtze unter
Goldſcheur kam/ ſo wurde mir doch die Zeit ſo lang/
daß ich ſchier an meinem Leben verzweiffelte. Dem-
nach ich aber die Gegend bey dem Dorff Goldſcheur
paſſirt hatte/ und mich bereits drein ergeben/ ich wuͤr-
de meinen Weg durch die Straßburger Rheinbruͤcke
entweder todt oder lebendig nemmen muͤſſen/ wurde
ich eines groſſen Baums gewahr/ deſſen Aeſte unweit
vor mir auß dem Waſſer herfuͤr reichte/ der Strom
gieng ſtreng/ und rectâ drauff zu/ derhalben wandte
ich alle uͤbrige Kraͤfften an/ den Baum zu erlangen/
welches mir denn trefflich gluͤckte/ alſo daß ich beydes
durchs Waſſer und meine Muͤhe auff den groͤſten Aſt/
den ich anfaͤnglich vor einen Baum angeſehen/ zu
ſitzen kam/ derſelbe wurde aber von den Strudeln und
Wellen der geſtalt tribulirt/ daß er ohn Unterlaß auff
und nider knappen muſte/ und derhalben mein Ma-
gen alſo erſchuͤttert/ daß ich Lung und Leber haͤtte auß-
ſpeyen moͤgen. Jch konte mich kuͤmmerlich darauff
halten/ weil mir gantz ſeltzam vor den Augen wurde/
ich haͤtte mich gern wieder ins Waſſer gelaſſen/ be-
fand aber wol/ daß ich nit Manns genug waͤre/ nur
den hunderten Theil ſolcher Arbeit außzuſtehen/ der-
gleichen ich ſchon uͤberſtritten hatte/ muſte derowegen
verbleiben/ und auff ein ungewiſſe Erloͤſung hoffen/
die mir Gott ungefaͤhr ſchicken muͤſte/ da ich anderſt
mit dem Leben darvon kommen ſolte. Aber mein Ge-
wiſſen gab mir hierzu einen ſchlechten Troſt/ in dem
es mir vorhielt/ daß ich ſolche gnadenreiche Huͤlffe
nun
[427]Viertes Buch.
nun ein par Jahr her ſo liederlich verſchertzt; jedoch
hoffte ich ein beſſers/ und fieng ſo andaͤchtig an zu be-
ten/ als ob ich in einem Cloſter erzogen worden waͤ-
re/ ich ſetzte mir vor/ ins kuͤnfftig froͤmmer zu leben/
und thaͤt unterſchiedliche Geluͤbde: Jch widerſagte
dem Soldaten-Leben/ und verſchwur das Partey ge-
hen auff ewig/ ſchmiß auch meine Patrondaͤſch ſam̃t
dem Rantzen von mir/ und lieſſe mich nit anderſt an/
als ob ich wieder ein Einſidel werden/ meine Suͤnden
buͤſſen/ und der Barmhertzigkeit GOttes vor meine
hoffende Erloͤſung biß in mein End dancken wolte:
Und in dem ich dergeſtalt auff dem Aſt bey 2. oder 3.
Stunden lang zwiſchen Forcht und Hoffnung zuge-
bracht/ kam das jenige Schiff den Rhein herunder/
dem ich haͤtte auffpaſſen helffen ſollen. Jch erhube
meine Stim̃ erbaͤrmlich/ und ſchrye umb Gottes und
deß Juͤngſten Gerichts willen umb Huͤlff/ und nach-
dem ſie unweit von mir voruͤber fahren muſten/ und
dahero meine Gefahr und elenden Stand deſto ey-
gentlicher ſahen/ wurde jeder im Schiff zur Barm-
hertzigkeit bewegt/ maſſen ſie gleich ans Land fuhren/
ſich zu unterꝛeden/ wie mir moͤchte zu helffen ſeyn.
Weil denn wegen der vielen Wuͤrbel/ die es rund
umb mich herumb gabe/ und von den Wurtzeln und
Aeſten deß Baums verurſacht wurden/ ohne Lebens-
Gefahr weder zu mir zu ſchwimmen/ noch mit groſ-
ſen und kleinen Schiffen zu mir zu fahren war/ als
erforderte meine Huͤlff lange Bedenckzeit; wie aber
mir unterdeſſen zu Muth geweſen/ iſt leicht zu erach-
ten: Zuletzt ſchickten ſie zween Kerl mit einem Na-
chen oberhalb meiner in den Fluß/ die mir ein Sail
zuflieſſen lieſſen/ und das eine End darvon bey ſich
behiel-
[428]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
behielten/ das ander End aber bracht ich mit groſſer
Muͤhe zu wegen/ und band es umb meinen Leib ſo gut
ich konte/ daß ich alſo an demſelben/ wie ein Fiſch an
einer Angelſchnur/ in den Nachen gezogen/ und auff
das Schiff gebracht wurde.
Da ich nun dergeſtalt dem Todt entronnen/ haͤtte
ich billich am Ufer auff die Knye fallen/ und der goͤtt-
lichen Guͤte vor meine Erloͤſung bancken/ auch ſonſt
mein Leben zu beſſern/ einen Anfang machen ſollen/
wie ich denn ſolches in meinen hoͤchſten Noͤthen ge-
lobt und verſprochen. Ja hinder ſich nauß! Denn
da man mich fragte/ wer ich ſey? und wie ich in die-
ſe Gefahr gerathen waͤre? fieng ich an/ dieſen Bur-
ſchen vorzuluͤgen/ daß der Himmel haͤtte erſchwartzen
moͤgen; denn ich dachte/ wenn du ihnen ſagſt/ daß
du ſie haſt pluͤndern helffen wollen/ ſo ſchmeiſſen ſie
dich alsbald wieder in Rhein/ gab mich alſo vor einen
vertriebenen Organiſten auß/ und ſagte/ nachdem ich
auff Straßburg gewolt/ umb uͤber Rhein irgend ei-
nen Schul- oder andern Dienſt zu ſuchen/ haͤtte mich
eine Partey erdappt/ außgezogen/ und in den Rhein
geworffen/ welcher mich auff gegenwaͤrtigen Baum
gefuͤhrt. Und nachdem ich dieſe meine Luͤgen wol fuͤt-
tern konte/ zumalen auch mit Schwuͤren bekraͤfftig-
te/ wurde mir geglaubt/ und mit Speiß und Tranck
alles Gutes erwieſen/ mich wieder zu erquicken/ wie
ichs denn trefflich vonnoͤten hatte.
Beym Zoll zu Straßburg ſtiegen die meiſte aus
Land/ und ich mit ihnen/ da ich mich denn gegen die-
ſelbe hoch bedanckte/ und unter andern eines jungen
Kauffherꝛn gewahr wurde/ deſſen Angeſicht/ Gang
und Geberden mir zu erkennen gaben/ daß ich ihn
zuvor
[429]Viertes Buch.
zuvor mehr geſehen/ konte mich aber nicht befinnen/
wo? vernam aber an der Sprach/ daß es eben der
jenige Cornet war/ ſo mich hiebevor gefangen bekom-
men/ ich wuſte aber nicht zu erſinnen/ wie auß einem
ſo braven jungen Soldaten zu einem Kauffmañ wor-
den/ vornemlich weil er ein geborner Cavallier war;
die Begierde zu wiſſen/ ob mich meine Augen und
Ohren betruͤgen oder nicht/ trieben mich dahin/ daß
ich zu ihm gieng/ und ſagte: Monſieur Schoͤnſtein/
iſt ers/ oder iſt ers nicht? Er aber antwort/ ich bin
keiner von Schoͤnſtein/ ſondern ein Kauffmann; da
ſagte ich/ So bin ich auch kein Jaͤger von Soeſt nit/
ſondern ein Organiſt/ oder vielmehr ein Land laͤuffi-
ger Bettler! O Bruder/ ſagt hingegen jener/ was
Teuffels machſtu/ wo zieheſt du herumb? Jch ſagte/
Bruder/ wenn du vom Himmel verſehen biſt/ mir das
Leben erhalten zu helffen/ wie nun zum zweyten mal
geſchehen iſt/ ſo erfordert ohn Zweiffel mein fatum,
daß ich alsdenn nit weit von dir ſeye. Hierauff namen
wir einander in die Arm/ als zwey getreue Freund/
die hiebevor beyderſeits verſprochen/ einander biß in
Todt zu lieben. Jch muſte bey ihm einkehren/ und
alles erzehlen/ wie mirs ergangen/ ſint ich von L.
nach Coͤln verꝛeyſt/ meinen Schatz abzuholen/ ver-
ſchwieg ihm auch nit/ was geſtalt ich mit einer Par-
tey ihrem Schiff haͤtte auffpaſſen wollen/ und wie es
nus druͤber ergieng; Aber wie ich zu Pariß gehauſt/
davon ſchwieg ich ſtockſtill/ denn ich ſorgte/ er moͤchte
es zu L. außbringen/ und mir deßwegen bey meinem
Weib einen boͤſen Rauch machen. Hingegen ver-
traute er mir/ daß er von der Heſſiſchen Generalitaͤt
zu Hertzog Bernhard/ dem Fuͤrſten von Weymar/
geſchickt
[430]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
geſchickt worden/ wegen allerhand Sachen von groſ-
ſer Importanz, das Kriegsweſen betreffend/ Relation
zu thun/ und kuͤnfftiger Campagne und Anſchlaͤg hal-
ber zu conferiren/ welches er nunmehr verꝛichtet/ und
in Geſtalt eines Kauffmanns/ wie ich denn vor Au-
gen ſehe/ auff der Zuruckraͤis begriffen ſeye. Benebens
erzehlte er mir auch/ daß meine Liebſte bey ſeiner Ab-
raͤis groſſes Leibs/ und neben ihren Eltern und Ver-
wandten noch in gutem Wolſtand geweſen; Jtem
daß mir der Obriſt das Faͤhnlein noch auffhalte/ und
vexirte mich darneben/ weil mich die Urſchlechten ſo
verderbt haͤtten/ daß mich weder mein Weib noch das
andere Frauenzimmer zu L. vor den Jaͤger mehr an-
nemmen werde/ ꝛc. Demnach redten wir miteinan-
der ab/ daß ich bey ihm verbleiben/ und mit ſolcher Ge-
legenheit wieder nach L. kehren ſolte/ ſo ein erwuͤnſch-
te Sach vor mich war. Und weil ich nichts als Lum-
pen an mir hatte/ ſtrockt er mir etwas an Geld vor/
damit ich mich wie ein Gaden-Diener mondirte.
Man ſagt aber/ wenn ein Ding nit ſeyn ſoll/ ſo ge-
ſchichts nicht/ das erfuhr ich auch/ denn da wir den
Rhein hinunder fuhren/ und das Schiff zu Rhein-
hauſen viſitirt wurde/ erkanten mich die Philipsbur-
ger/ welche mich wieder anpackten/ und nach Phi-
lipsburg fuͤhrten/ allda ich wieder wie zuvor einen
Mußquetierer abgeben muſte/ welches meinen guten
Cornet ja ſo ſehr verdroß/ als mich ſelbſten/ weil
wir ſich wieder ſcheiden muſten/ ſo dorffte er ſich auch
meiner nicht hoch annehmen/ denn er hat mit ihm
ſelbſt zu thun/ ſich durch zu
bringen.
Das
[431]Viertes Buch.
DasXI.Capitel.
ALſo hat nun der guͤnſtige Leſer vernom̃en/ in was
vor einer Lebensgefahr ich geſteckt; Betreffend
aber die Gefahr meiner Seelen/ iſt zu wiſſen/ daß ich
unter meiner Mußquete ein rechter wilder Menſch
war/ der ſich umb Gott und ſein Wort nichts bekuͤm-
merte/ keine Boßheit war mir zu viel/ da waren alle
Gnaden und Wolthaten/ die ich von GOtt jemals
empfangen/ allerdings vergeſſen/ ſo bat ich auch we-
der umb das Zeitlich noch Ewig/ ſondern lebte auff
den alten Kaͤiſer hinein wie ein Viehe. Niemand haͤt-
te mir glauben koͤnnen/ daß ich bey einem ſo frommen
Einſidel waͤre erzogen worden; ſelten kam ich in die
Kirch/ und gar nicht zur Beicht/ und gleich wie mir
meiner Seelen Heyl nichts anlag/ als betruͤbte ich
meinen Nebenmenſchen deſto mehr: Wo ich nur je-
mand beruͤcken konte/ unterließ ichs nit/ ja ich wolte
noch Ruhm darvon haben; ſo daß ſchier keiner ohn-
geſchimpfft von mir kam/ davon kriegte ich offt dichte
Stoͤß/ und noch oͤffter den Eſel zu reuten/ ja man
bedrohete mich mit Galgen und Wippe/ aber es halff
alles nichts/ ich trieb meine gottloſe Weis fort/ daß
es das Anſehen hatte/ als ob ich das deſperat ſpielte/
und mit Fleiß der Hoͤllen zurennete. Und ob ich gleich
keine Ubelthat begieng/ dadurch ich das Leben ver-
wuͤrckt haͤtte/ ſo war ich jedoch ſo ruchlos/ daß man
(auſſer den Zauberern und Sodomiten) kaum einen
wuͤſtern Menſchen antreffen moͤgen.
Diß nam unſer Regiments-Caplan an mir in acht/
und weil er ein rechter frommer Seelen-Eiferer war/
ſchickte er auff die Oeſterliche Zeit nach mir/ zu ver-
Tnehmen
[432]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
nehmen/ warumb ich mich nicht bey der Beicht und
Communion eingeſtellt haͤtte? Jch tractirte ihn aber
nach ſeinen vielen treuhertzigen Erinnerungen/ wie
hiebevor den Pfarꝛer zu L. Alſo daß der gute Herꝛ
nichts mit mir außrichten konte. Und in dem es ſchie-
ne/ als ob Chriſtus und Tauff an mir verloren waͤre/
ſagte er zum Beſchluß: Ach du elender Menſch! ich
habe vermeynt/ du irꝛeſt auß Unwiſſenheit/ aber nun
mercke ich/ daß du auß lauter Boßheit/ und gleichſam
vorſetzlicher Weis zu ſuͤndigen fortfaͤhreſt/ Ach wer
vermeynſtu wol/ der ein Mitleiden mit deiner armen
Seel und ihrer Verdam̃nus haben werde? Meines
theils proteſtire ich vor Gott und der Welt/ daß ich
an deiner Verdam̃nus keine Schuld haben will/ weil
ich gethan/ und noch ferner gern unverdroſſen thun
wolte/ was zu Befoͤrderung deiner Seeligkeit von-
noͤthen waͤre. Es wird mir aber beſorglich kuͤnfftig
mehrers zu thun nit obligen/ denn daß ich deinen Leid/
wenn ihn deine arme Seel in ſolchem verdampten
Stand verlaͤſt/ an kein geweyht Ort zu andern from-
men abgeſtorbenen Chriſten begraben/ ſondern auff
den Schind-Waſen bey die Cadavera deß verꝛeckten
Viehs hinſchleppen laſſe/ oder an den jenigen Ort/
da man andere Gotts-vergeſſene und Verzweiffelte
hin thut!
Dieſe ernſtliche Bedrohung fruchtete eben ſo we-
nig/ als die vorige Ermahnungen/ und zwar nur der
Urſach halber/ weil ich mich vorm Beichten ſchaͤmte;
O ich groſſer Narꝛ! Jch erzehlte offt meine Buben-
ſtuͤck bey gantzen Geſellſchafften/ und log noch darzu/
aber jetzt/ da ich mich bekehren/ und einem einigen
Menſchen/ an Gottes ſtatt/ meine Suͤnden demuͤtig
beken-
[433]Viertes Buch.
bekennen ſolte/ Vergebung zu empfangen/ war ich
ein verſtockter Stumm! Jch ſage recht/ verſtockt/
blieb auch verſtockt/ denn ich antwortet: Jch diene
dem Kaͤiſer vor einen Soldaten/ wenn ich nun auch
ſterbe als ein Soldat/ ſo wirds kein Wunder ſeyn/
da ich gleich andern Soldaten (die nit allezeit auff
das Geweyhte begraben werden koͤnnen/ ſondern ir-
gends auff dem Feld/ in Graͤben/ oder in der Woͤlff
und Raben Maͤgen vor lieb nemmen muͤſſen) mich
auch auſſerhalb deß Kirchhofs behelffen werde.
Alſo ſchiede ich vom Geiſtlichen/ der mit ſeinem
heiligen Seelen-Eyfer anders nichts umb mich ver-
dient/ als daß ich ihm einsmal einen Haſen abſchlug/
den er inſtaͤndig von mir begehrte/ mit Vorwand/
weil er ſich ſelbſt an einem Strick erhenckt und umbs
Leben gebracht/ daß ſich dannenhero nit gebuͤhre/ daß
er als ein Verzweiffelter/ in ein geweyhtes Erdreich
begraben werden ſolte.
DasXII.Capitel.
ALſo folgte bey mir keine Beſſerung/ ſondern ich
wurde je laͤnger je aͤrger/ der Obriſt ſagte eins-
mals zu mir/ Er wolte mich/ da ich kein gut thun
wolte/ mit einem Schelmen hinweg ſchicken; Weil
ich aber wol wuſte/ daß es ihm nit Ernſt war/ ſagte
ich/ diß koͤnne leicht geſchehen/ wenn er mir nur den
Steckenknecht mit gebe; Alſo ließ er mich wiederum
paſſirn/ weil er ſich wol einbilden konte/ daß ichs vor
keine Straff/ ſondern vor eine Wolthat halten wuͤr-
de/ wenn er mich lauffen lieſſe. Muſte demnach wie-
der meines Hertzen Willen ein Mußquetier bleiben/
und Hunger leiden/ biß in den Sommer hinein. Je
T ijmehr
[434]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
mehr ſich aber der Graf von Goͤtz mit ſeiner Armee
naͤherte/ je mehrers naͤherte ſich auch meine Erloͤ-
ſung: Denn als ſelbiger zu Bruchſal das Haupt-
Quartier hatte/ wurde mein Hertzbruder/ dem ich im
Laͤger vor Magdeburg mit meinem Geld getreulich
geholffen/ von der Generalitaͤt mit etlichen Verꝛich-
tungen in die Veſtung geſchickt/ da man Jhm die
hoͤchſte Ehr anthaͤt. Jch ſtund eben vor deß Obriſten
Quartier Schildwacht/ und ob er zwar ein ſchwar-
tzen ſammeten Rock antrug/ ſo erkante ich ihn jedoch
gleich im erſten Anblick/ hatte aber nicht das Hertz/
ihn ſo gleich anzuſprechen/ denn ich muſte ſorgen/
er wuͤrde der Welt Lauff nach ſich meiner ſchaͤmen/
oder mich ſonſt nit kennen wollen/ weil er den Klei-
dern nach in einem hohen Stand/ ich aber nur ein
lauſiger Mußquetier waͤre. Nachdem ich aber ab-
geloͤſt wurde/ erkundigte ich bey deſſen Dienern ſeinen
Stand und Nahmen/ damit ich verſichert ſeye/ daß
ich vielleicht keinen andern vor ihn anſpraͤche/ und
hatte dennoch das Hertz nit/ ihn anzureden/ ſondern
ſchrieb dieſes Brieflein/ und ließ es ihm am Morgen
durch ſeinen Kammerdiener einhaͤndigen:
MOnſieur, ꝛc. Wenn meinem Hochg. Herꝛn
beliebte/ den jenigen/ den er hiebevor durch ſei-
ne Dapfferkeit/ in der Schlacht bey Wittſtock auß
Eiſen und Banden erꝛettet/ auch anjetzo durch ſein
vortrefflich Anſehen auß dem aller-armſeeligſten
Stand von der Welt zu erloͤſen/ wohinein er als
ein Ball deß unbeſtaͤndigen Gluͤcks gerathen; So
wuͤrde Jhm ſolches nicht allein nicht ſchwer fallen/
ſondern Er wuͤrde Jhm auch vor einen ewigen Die-
ner
[435]Viertes Buch.
ner obligirn/ ſeinen ohne das getreu-verbundenen/
anjetzo aber aller-elendeſten und verlaſſenen
S. Simpliciſſimum.
So bald er ſolches geleſen/ ließ er mich zu ihm hi-
nein kommen/ ſagte er: Landsmann/ wo iſt der Kerl/
der euch diß Schreiben gegeben? Jch antwort/ Herꝛ/
er ligt in hieſiger Veſtung gefangen; Wol/ ſagt er/
ſo gehet zu ihm/ und ſagt/ ich woll ihm darvon helf-
fen/ und ſolt er ſchon den Strick an Hals kriegen. Jch
ſagte: Herꝛ/ es wird ſolcher Muͤhe nit bedoͤrffen/ ich
bin der arme Simplicius ſelbſten/ der jetzt kompt/ dem-
ſelben ſo wol vor die Erloͤſung bey Wittſtock zu dan-
cken/ als Jhn zu bitten/ mich wieder von der Mußquet
zu erledigen/ ſo ich wider meinen Willen zu tragen
gezwungen wuͤrde. Er lieſſe mich nit voͤllig außre-
den/ ſondern bezeugte mit umbfahen/ wie geneigt er
ſeye/ mir zu helffen; Jn Summa/ er thaͤt alles was
ein getreuer Freund gegen dem andern thun ſolle/
und ehe er mich fragte/ wie ich in die Veſtung/ und
in ſolche Dienſtbarkeit gerathen? ſchickte er ſeinen
Diener zum Juden/ Pferd und Kleid er vor mich zu
kauffen; indeſſen erzehlte ich ihm/ wie mirs ergangen
ſint ſein Vatter vor Magdeburg geſtorben/ und als er
vernam/ daß ich der Jaͤger von Soeſt (von dem er ſo
manch ruͤhmlich Soldatenſtuͤck gehoͤret) geweſen/
beklagte er/ daß er ſolches nit ehe gewuſt haͤtte/ denn
er mir damals gar wol zu einer Compagni haͤtte ver-
helffen koͤnnen.
Als nun der Jud mit einer gantzen Tagloͤhner-Laſt
von allerhand Soldaten-Kleidern daher kam/ laſe er
mir das beſte herauß/ ließ michs anziehen/ und nam
mich mit ihm zum Obriſten/ zu dem ſagte er: Herꝛ/
T iijich
[436]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ich hab in ſeiner Guarniſon gegenwaͤrtigen Kerl an-
getroffen/ dem ich ſo hoch verobligirt bin/ daß ich ihn
in ſo nidrigem Stand/ wenn ſchon ſeine Qualitaͤten
keinen beſſern meritirten/ nit laſſen kan; Bitte dero-
wegen den Herꝛ Obriſten/ er wolle mir den Gefallen
erweiſen/ und ihn entweder beſſer accommodiren/
oder zulaſſen/ daß ich ihn mit mir nemme/ umb ihm
bey der Armee fort zu helffen/ worzu villeicht der Herꝛ
Obriſte hier die Gelegenheit nit hat. Der Obriſt ver-
crentzigte ſich vor Verwunderung/ daß er mich ein-
mal loben hoͤrte/ und ſagte: Mein hochgeehrter Herꝛ
vergeb mir/ wenn ich glaube/ ihm beliebe nur zu pro-
biren/ ob ich ihm auch ſo willig zu dienen ſey/ als er
deſſen wol werth iſt/ und wofern er ſo geſinnet/ ſo be-
gehre er etwas anders/ das in meinem Gewalt ſteht/
ſo wird er meine Willfaͤhrigkeit im Werck erfahren:
Was aber dieſen Kerl anbelangt/ iſt ſolcher nicht ei-
gentlich mir/ ſondern ſeinem Vorgeben nach/ unter
ein Regiment Dragoner gehoͤrig/ darneben ein ſolch
ſchlimmer Gaſt/ der meinem Provoſen/ fint er hier
iſt/ mehr Arbeit geben/ als ſonſt ein gantze Compagni,
ſo daß ich von ihm glauben muß/ er koͤnne in keinem
Waſſer erſauffen. Endet damit ſeine Red lachend/
und wuͤnſchte mir Gluͤck ins Feld.
Diß war meinem Hertzbruder noch nicht genug/
ſondern er bat den Obriſten auch/ Er wolte ſich nicht
zu wider ſeyn laſſen/ mich mit an ſeine Tafel zu nem-
men/ ſo er auch erhielt; er thaͤts aber zu dem Ende/
daß er dem Obriſten in meiner Gegenwart erzehle/
was er in Weſtphalen nur diſcurſent von dem Gra-
fen von der Wahl und dem Commandanten in Soeſt
von mir gehoͤret haͤtte: Welches alles er nun der-
geſtalt
[437]Viertes Buch.
geſtalt herauß ſtriche/ daß alle Zuhoͤrer mich vor ei-
nen guten Soldaten halten muſten; darbey hielt ich
mich ſo beſcheiden/ daß der Obriſt und ſeine Leut/ die
mich zuvor gekant/ nicht anders glauben konten/ als
ich waͤre mit andern Kleidern/ auch ein gantz anderer
Menſch worden. Und demnach der Obriſt auch wiſ-
ſen wolte/ woher mir der Nahm Doctor zukommen
waͤre? erzehlt ich ihm meine gantze Raͤis von Pariß
auß biß nach Philipsburg/ und wie viel Bauern ich
betrogen/ mein Maulfutter zu gewinnen/ daruͤber ſie
zimlich lachten. Endlich geſtund ich unverholen/ daß
ich willens geweſt/ Jhn Obriſten mit allerhand Boß-
heiten dergeſtalt zu perturbirn und abzumatten/ daß
er mich endlich auß der Guarniſon haͤtte ſchaffen muͤſ-
ſen/ dafern er anders wegen der vielen Klagen in Ruhe
vor mir leben wollen.
Darauff erzehlte der Obriſt viel Bubenſtuͤcklein/
die ich begangen/ ſo lang ich in der Guarniſon geweſt/
wie ich nemlich Erbſen geſotten/ oben mit Schmaltz
uͤbergoſſen/ und ſolche vor eitel Schmaltz verkaufft;
item gantze Saͤck voll Sand fuͤr Saltz/ in dem ich
die Saͤck unden mit Sand/ und oben mit Saltz ge-
fuͤllt/ ſo dann/ wie ich einem hie/ dem andern dort ei-
nen Beern angebunden/ und die Leut mit Pasquillen
vexirt. Alſo daß man die gantze Mahlzeit nur von mir
zu reden hatte; haͤtte ich aber keinen ſo anſehenlichen
Freund gehabt/ ſo waͤren alle meine Thaten ſtraff-
wuͤrdig geweſen. Darbey nam ich ein Exempel/ wie
es bey Hof hergehen muͤſſe/ wenn ein boͤſer Bub deß
Fuͤrſten Gunſt hat.
Nach geendigtem Jmbiß hatte der Jud kein Pferd/
ſo meinem Hertzbruder vor mich gefallen wolte/ weil
T jver
[438]Deß Abenth. Simpliciſſimi
er aber in ſolcher Æſtimation war/ daß der Obriſt ſei-
ne Gunſt ſchwerlich entberen konte/ als verehrte er
ihm eins mit Sattel und Zeug auß ſeinem Stall/ auff
welches ſich Herꝛ Simplicius ſetzte/ und mit ſeinem
Hertzbruder Freudenvoll zur Veſtung hinauß ritte/
theils ſeiner Cameraden rieffen ihm nach/ Gluͤck zu
Bruder/ Gluͤck zu! theils aber auß Neid: Je groͤſſer
Gluͤck/ je groͤſſer Gluͤck.
DasXIII.Capitel.
UNterwegs redete Hertzbruder mit mir ab/ daß ich
mich vor ſeinen Vetter außgeben ſolte/ damit ich
deſto mehr geehrt wuͤrde/ hingegen wolte er mir noch
ein Pferd ſampt einem Knecht verſchaffen/ und mich
zum Neun Eckiſchen Regiment thun/ bey deme ich
mich als ein Freyreuter auffhalten koͤnte/ biß ein Of-
ficier-Stelle bey der Armee ledig wuͤrde/ zu deren er
mir helffen koͤnte.
Alſo wurde ich in Eyl wieder ein Kerl/ der einem
braven Soldaten gleich ſahe/ ich thaͤt aber denſelben
Sommer wenig Thaten/ als daß ich am Schwartz-
wald hin und wieder etliche Kuͤhe ſtehlen halffe/ und
mir das Brißgaͤu und Elſas zimlich bekant machte.
Jm uͤbrigen hatte ich abermal wenig Stern/ denn
nachdem mir mein Knecht ſampt dem Pferd bey Ken-
tzingen von den Weymariſchen gefangen wurde/
muſte ich das ander deſto haͤrter ſtrapezirn/ und end-
lich gar hinreuten/ daß ich mich alſo in den Orden der
Merode-Bruͤder begeben muſte. Mein Hertzbruder
haͤtte mich zwar gern wieder mondirt/ weil ich aber
ſo bald mit den erſten zweyen Pferden fertig worden/
hielte er zuruͤck/ und gedachte mich zappeln zu laſſen/
biß
[439]Viertes Buch.
biß ich mich beſſer vorzuſehen lernte; ſo begehrte ich
ſolches auch nit/ denn ich fand an meinen Mit-Con-
ſorten eine ſo angenehme Geſellſchafft/ daß ich mir
biß an die Winter- Quartier keinen beſſern Handel
wuͤnſchte.
Jch muß nur ein wenig erzehlen/ was die Merode-
Bruͤder vor Leut ſind/ weilen ſich ohn Zweiffel etli-
che finden/ ſonderlich die Kriegs Unerfahrne/ ſo nichts
davon wiſſen: So hab ich bißher noch keinen Scriben-
ten angetroffen/ der etwas von ihren Gebraͤuchen/
Gewonheiten/ Rechten und Privilegien/ ſeinen
Schrifften einverleibt haͤtte/ ohnangeſehen es wol
werth iſt/ daß nit allein die jetzige Feldherꝛn/ ſondern
auch der Baursmann wiſſe/ was es vor ein Zunfft
ſeye. Betreffend nun erſtlich ihren Nahmen/ will ich
nit hoffen/ daß es dem jenigen dapffern Cavallier, un-
ter dem ſie ſolchen bekommen/ ein Schimpff ſey/ ſonſt
wolte ichs nit einem jeden ſo offentlich auff die Nas
binden: Jch hab eine Art Schuh geſehen/ die hatten
an ſtatt der Loͤcher krumme Naͤht/ damit ſie deſto beſ-
ſer durch den Koth ſtampffen ſolten; ſolte nun einer
deßwegen den Mansfelder ſelbſt vor einen Pechfartzer
ſchelten/ den wolte ich vor einen Phantaſten halten.
Eben ſo muß man dieſen Nahmen auch verſtehen/ der
nicht abgehen wird/ ſo lang die Teutſche kriegen/ es
hat aber ein ſolche Beſchaffenheit damit: Als dieſer
Cavallier einsmals ein neugeworben Regiment zur
Armee brachte/ waren die Kerl ſo ſchwacher baufaͤl-
liger Natur/ wie die Frantzoͤſiſche Britanier/ daß ſie
alſo das Marchirn und ander Ungemach/ das ein Sol-
dat im Feld außſtehen muß/ nit erleiden konten/ dero-
wegen denn ihre Brigade zeitlich ſo ſchwach wurde/
T vdaß
[440]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
daß ſie kaum die Faͤhnlein mehr bedecken konte/ und
wo man einen oder mehr Krancke und Lahme auff
dem Marck/ in Haͤuſern und hinder den Zaͤunen und
Hecken antraff/ und fragte/ Was Regiments? ſo
war gemeiniglich die Antwort/ von Merode! Da-
von entſprang/ daß man endlich alle die jenige/ ſie
waͤren gleich kranck oder geſund/ verwundt oder nit/
wenn ſie nur auſſerhalb der Zug-Ordnung daher zot-
telren/ oder ſonſt nicht bey ihren Regimentern ihr
Quartier im Feld namen/ Merode-Bruͤder nante/
welche Burſch man zuvor Saͤuſenger und Jmmen-
ſchneider geheiſſen hatte; denn ſie ſind wie die Brum-
ſer in den Jmmenfaͤſſern/ welche/ wenn ſie ihren Sta-
chel verloren haben/ nicht mehr arbeiten noch Honig
machen/ ſondern nur freſſen koͤnnen; Wann ein
Reuter ſein Pferd/ und ein Mußquetier ſeine Geſund-
heit verleurt/ oder ihm Weib und Kind erkranckt und
zuruck bleiben will/ ſo iſts ſchon anderthalb par Me-
rode-Bruͤder/ ein Geſindlein/ ſo ſich mit nichts beſ-
ſer als mit den Zuͤgeinern vergleicht/ weil es nicht al-
lein nach ſeinem Belieben vor/ nach/ neben und mit-
ten unter der Armee herumb ſtreicht/ ſondern auch
demſelben beydes an Sitten und Gewonheit aͤhnlich
iſt/ da ſihet man ſie Hauffenweis beyeinander (wie
die Feld-Huͤner im Winter) hinder den Hecken/ im
Schatten/ oder nach ihrer Gelegenheit an der Son-
nen/ oder irgends umb ein Feur herumb ligen/ Ta-
back zu ſauffen und zu faullentzen/ wenn unterdeſſen
anderwerts ein rechtſchaffener Soldat beym Faͤhn-
lein Hitz/ Durſt/ Hunger/ Froſt/ und allerhand Elend
uͤberſtehet. Dort geht eine Schaar neben dem March
her auff die Mauſerey/ wenn indeſſen manch armer
Soldat
[441]Viertes Buch.
Soldat vor Mattigkeit unter ſeinen Waffen verſin-
cken moͤchte. Sie ſpoliren vor/ neben und hinder der
Armee alles was ſie antreffen/ und was ſie nicht ge-
nieſſen koͤnnen/ verderben ſie/ alſo daß die Regimen-
ter/ wenn ſie in die Quartier oder ins Laͤger kommen/
offt nicht einen guten Trunck Waſſer finden/ und
wenn ſie alles Ernſtes angehalten werden/ bey der
Bagage zu bleiben/ ſo wird man offt bey nahe dieſelbe
ſtaͤrcker finden/ als die Armee ſelbſt iſt; Wenn ſie aber
Geſellen-weis marchiren/ quartiren/ campiren und
hauſtren/ ſo haben ſie keinen Wachtmeiſter/ der ſie
commandirt/ keinen Feldwaibel oder Schergianten/
der ihnen das Wambs außklopfft/ keinen Corporal,
der ſie wachen heiſt/ keinen Tambour, der ſie deß Zapf-
fenſtreichs/ der Schaar- und Tagwacht erinnert/
und in Summa niemand/ der ſie an ſtatt deß Adju-
tanten in Battaglia ſtellt/ oder an ſtatt deß Fourirs ein-
logirt/ ſondern leben vielmehr wie die Frey-Herꝛen.
Wenn aber etwas an Commiß der Soldateſca zu-
kompt/ ſo ſind ſie die erſte/ die ihr Theil holen/ ob ſie
es gleich nit verdient Hingegen ſind die Rumormei-
ſter und General Gewaltiger ihr allergroͤſte Peſt/ als
welche ihnen zu Zeiten/ wenn ſie es zu bundt machen/
eiſerne Silbergeſchirꝛ an Haͤnd und Fuͤß legen/ oder
ſie wol gar mit einem haͤnffinen Kragen zieren/ und
an ihre allerbeſte Haͤls auffhencken laſſen.
Sie wachen nicht/ ſie ſchantzen nicht/ ſie ſtuͤrmen
nicht/ und kommen auch in keine Schlacht-ordnung/
und ſie ernehren ſich doch! Was aber der Feldherꝛ/
der Landmann/ und die Armada ſelbſt/ bey deren ſich
viel ſolches Geſinds befindet/ vor Schaden darvon
habe/ iſt nicht zu beſchreiben. Der heylloſeſte Reuter-
T vjJung
[442]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Jung/ der nichts thut als fouragiren/ iſt dem Feld-
Herꝛn nuͤtzer/ als 1000. Merode-Bruͤder/ die ein
Handwerck drauß machen/ und ohne Noth auff der
Bernhaut ligen/ ſie werden vom Gegentheil hinweg
gefangen/ und von den Baurn an theils Orten auff
die Finger geklopfft/ dadurch wird die Armee gemin-
dert/ und der Feind geſtaͤrckt/ und wenn gleich ein ſo
liederlicher Schlingel (ich meyne nicht die arme
Krancke/ ſondern die unberittene Reuter/ die unacht-
ſamer Weis ihre Pferd verderben laſſen/ und ſich
auff Merode begeben/ damit ſie ihre Haut ſchohnen
koͤnnen) durch den Sommer darvon kompt/ ſo hat
man nichts anders von ihm/ als daß man ihn auff
den Winter mit groſſem Koſten wieder mondiren
muß/ damit er kuͤnfftigen Feldzug wieder etwas zu
verlieren habe/ man ſolte ſie zuſamm kuppeln wie die
Windhund/ und ſie in den Guarniſonen kriegen ler-
nen/ oder gar auff die Galleern ſchmiden/ wenn ſie
nit auch zu Fuß im Feld das ihrige thun wolten/ biß
ſie gleichwol wieder Pferd kriegten. Jch geſchweige
hier/ wie manches Dorff durch ſie ſo wol unachtſam-
als vorſetzlicher Weis verbrennt wird/ wie man-
chen Kerl ſie von ihrer eigenen Armee abſetzen/ pluͤn-
dern/ heimlich beſtehlen/ und wol gar nider machen/
auch wie mancher Spion ſich unter ihnen auffhalten
kan/ wenn er nemlich nur ein Regiment und Com-
pagni auß der Armada zu nennen weiß. Ein ſolcher
ehrbarer Bruder nun war ich damals auch/ und ver-
bliebs biß den Tag vor der Wittenweyrer Schlacht/
zu welcher Zeit das Haupt-Quartier in Schuttern
war/ denn als ich damals mit meinen Cameraden in
das Geroltzeckiſche gieng/ Kuͤhe oder Ochſen zu ſteh-
len
[443]Viertes Buch.
len/ wie unſer Gewonheit war/ wurde ich von den
Weymariſchen gefangen/ die uns viel beſſer zu tracti-
renwuſten/ denn ſie luden uns Mußqueten auff/ und
ſtieſſen uns hin und wieder unter die Regimenter/ ich
zwar kam unter das Hattſteiniſche.
DasXIV.Capitel.
JCh konte damals greiffen/ daß ich nur zum Un-
gluͤck geboren/ denn ungefaͤhr 4. Wochen zuvor/
ehe das gedachte Treffen geſchahe/ hoͤrete ich etliche
Goͤtziſche gemeine Officier von ihrem Krieg diſcu-
riren/ da ſagte einer: Ohngeſchlagen gehets dieſen
Sommer nicht ab! Schlagen wir dann den Feind/
ſo muͤſſen wir den kuͤnfftigen Winter Freyburg und
die Waldſtaͤtt einnehmen; kriegen wir aber Stoͤß/
ſo kriegen wir auch Winter-Quartier. Auff dieſe
Prophezey machte ich meinen richtigen Schluß/ und
ſagte bey mir ſelbſt: Nun freue dich Simplici, du wirſt
kuͤnfftigen Fruͤling guten See- und Neckerwein trin-
cken/ und genieſſen/ was die Weymariſche verdienen
werden. Aber ich betrog mich weit/ denn weil ich nun-
mehr Weymariſch war/ ſo war ich auch prædeſti-
nirt/ Breyſach belaͤgern zu helffen/ maſſen ſolche Be-
laͤgerung gleich nach mehrbemeldter Wittenweyrer
Schlacht voͤllig ins Werck geſetzt wurde/ da ich
denn wie andere Mußquetier Tag und Nacht wa-
chen und ſchantzen muſte/ und nichts davon hatte/ als
daß ich lernte/ wie man mit den Approchen einer Ve-
ſtung zuſetzen muß/ darauff ich vor Magdeburg we-
nig Achtung geben. Jm uͤbrigen aber war es laufig
bey mir beſtellt/ weil je zwo oder drey auffeinander
ſaſſen/ der Beutel war laͤer/ Wein/ Bier und Fleiſch
T vijein
[444]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ein Raritaͤt/ Aepffel und halb Brod genug mein be-
ſtes Wildpret.
Solches war mir ſauer zu ertragen/ Urſach/ wenn
ich zuruͤck an die Egyptiſche Fleiſchtoͤpff/ das iſt/ an
die Weſtphaͤliſche Schincken und Knackwuͤrſt zu L.
gedachte. Jch gedachte niemal mehr an mein Weib/
als wenn ich in meinem Zelt lag/ und vor Froſt halb
erſtarꝛt war/ da ſagte ich denn offt zu mir ſelber:
Huy Simplici, meynſtu auch wol/ es geſchehe dir un-
recht/ wenn dir einer wieder Wett ſpielte/ was du zu
Pariß begangen? Und mit ſolchen Gedancken quaͤl-
te ich mich wie ein ander eyferſichtiger Hanrey/ da
ich doch meinem Weib nichts als Ehr und Tugend
zutrauen konte; zuletzt wurde ich ſo ungedultig/ daß
ich meinem Capitain eroͤffnete/ wie meine Sachen
beſtellt waͤren/ ſchrieb auch auff der Poſt nach L. und
erhielte vom Obriſten de S. A und meinem Schwehr-
vatter/ daß ſie durch ihre Schreiben bey dem Fuͤrſten
von Weymar zu wegen brachten/ daß mich mein
Capitain mit einem Paß muſte lauffen laſſen.
Ungefaͤhr eine Woch oder vier vor Weyhnachten/
marchirt ich mit einem guten Feur-rohr vom Laͤger
ab/ das Brißgaͤu hinunder/ der Meynung/ ſelbige
Weyhnacht-Meß zu Straßburg 20. Thaler/ von
meinem Schwehr uͤbermacht/ zu empfahen/ und
mich mit Kauffleuten den Rhein hinunder zu bege-
ben/ da es doch unterwegs viel Kaͤiſerl. Guarniſonen
hatte: Als ich aber bey Endingen vorbey paſſirt/ und
zu einem einigen Hauß kam/ geſchah ein Schuß nach
mir/ ſo daß mir die Kugel den Rand am Hut verletzt/
und gleich darauff ſprang ein ſtarcker vierſchroͤtiger
Kerl auß dem Hauß auff mich loß/ der ſchrye/ ich
ſolte
[445]Viertes Buch.
ſolte das Gewehr ablegen; Jch antwort/ bey Gott
Landsmann dir zu gefallen nicht/ und zog den Hanen
uͤber/ Er aber wiſchte mit einem Ding von Leder/ das
mehr einem Henckers-Schwerd als Degen gleich
ſahe/ und eylete damit auff mich zu: Wie ich nun ſei-
nen Eruſt ſpuͤrte/ ſchlug ich an/ und traff ihn derge-
ſtalt an die Stirn/ daß er herumb durmelte/ und end-
lich zu Boden fiel; dieſes mir zu Nutz zu machen/
rang ich ihm geſchwind ſein Schwerd auß der Fauſt/
und wolts ihm in Leib ſtoſſen; da es aber nicht durch
gehen wolte/ ſprang er wieder unverſehens auff die
Fuͤß/ erwiſchte mich beym Haar/ und ich ihn auch/
ſein Schwerd aber hatte ich ſchon weg geworffen/
darauff fiengen wir ein ſolch ernſtlich Spiel mitein-
ander an/ ſo eines jeden verbitterte Staͤrck genugſam
zu erkeñen gab/ und kont doch keiner deß andern Mei-
ſter werden/ bald lag ich/ bald er oben/ und im Huy
kamen wir wieder auff die Füß/ ſo aber nicht lang
dauerte/ weil je einer deß andern Todt ſuchte; das
Blut/ ſo mir baͤuffig zu Nas und Mund berauß lieffe/
ſpeyte ich meinem Feind ins Geſicht/ weil ers ſo hi-
tzig begehrte/ das war mir gut/ denn es binderte ihn
am ſehen. Alſo zogen wir einander bey anderthalbe
Stund im Schnee herumb/ darvon wurden wir ſo
matt/ daß allem Anſehen nach deß einen Unkraͤfften
deß andern Muͤdigkeit/ allein mit den Faͤuſten nicht
voͤllig uͤberwinden/ noch einer den andern auß eigenen
Kraͤfften und ohne Waffen vollends zum Todt haͤtte
bringen moͤgen.
Die Ring-Kunſt/ darinn ich mich zu L. offt uͤbte/
kam mir damals wol zu ſtatten/ ſonſt haͤtte ich ohne
Zweiffel eingebuͤſt/ dann mein Feind war viel ſtaͤrcker
als
[446]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
als ich/ und uͤber das Eiſen-veſt. Als wir einander
faſt toͤdtlich abgemattet/ ſagte er endlich: Bruder/
hoͤr auff/ ich ergeb mich dir zu eigen! Jch ſagte/ du
ſolteſt mich anfaͤnglich baben paſſiren laſſen; Was
haſtu mehr/ antwortet jener/ wenn ich gleich ſterbe;
Und was haͤtteſtu gehabt/ ſagte ich/ weñ du mich haͤt-
teſt nider geſchoſſen/ ſintemal ich kein Heller Geld
dey mir hab! Darauff bat er umb Verzeyhung/ und
ich mich erweichen/ und ihn auffſtehen ließ/ nachdem
er mir zuvor theur geſchworen/ daß er nit allein Frie-
den halten/ ſondern auch mein treuer Freund und
Diener ſeyn wolte. Jch haͤtte ihm aber weder ge-
glaubt noch getraut/ wenn mir ſeine veruͤbte leicht-
fertige Handlungen bekant geweſt waͤren.
Da wir nun beyde auff waren/ gaben wir einander
die Haͤnd/ das alles was geſchehen/ vergeſſen ſeyn
ſolte/ und verwunderte ſich einer uͤber den andern/
daß er ſeinen Meiſter gefunden/ dann jener meynte/
ich ſeye auch mit einer ſolchen Schelmenhaut/ wie
er/ uͤberzogen geweſen; ich ließ ihn auch darbey blei-
ben/ damit/ wenn er ſein Gewehr bekaͤme/ ſich nicht
noch einmal an mich reiden doͤrffte. Er hatte von mei-
nem Schuß ein groſſe Beul an der Stirn/ und ich
hatte mich ſehr verblutet/ doch klagte keiner mehr als
den Hals/ welche ſo zugerichtet/ daß keiner den Kopff
auffrecht tragen konte.
Weil es dann gegen Abend war/ und mir mein
Gegentheil erzehlen thaͤt/ daß ich biß an die Kintzig
weder Hund noch Katz/ viel weniger einen Menſchen
antreffen wuͤrde/ er aber hingegen ohnweit von der
Straß in einem abgelegenen Haͤußlein ein gut ſtuͤck
Fleiſch und einen Trunck zum beſten haͤtte, Alſo ließ
ich
[447]Viertes Buch.
ich mich uͤberꝛeden/ und gieng mit ihm/ da er dann
unterwegs offt mit Seufftzen bezeugte/ wie leyd ihm
ſeye/ daß er mich beleydtgt habe.
DasXV.Capitel.
EJn reſoluter Soldat/ der ſich darein ergeben/ ſein
Leben zu wagen/ und gering zu achten/ iſt wol ein
dummes Vieh! Man haͤtte tauſend Kerl gefunden/
darunter kein einiger das Hertz gehabt haͤtte/ mit ei-
nem ſolchen/ der ihn erſt als ein Moͤrder angegriffen/
an ein unbekant Ort zu Gaſt zu gehen: Jch fragt ihn
auff dem Weg/ was Volcks er ſey? da ſagte er/ Er
haͤtte vor dißmal keinen Herꝛn/ ſondern kriege vor ſich
ſelbſt/ und fragte zugleich/ was Volcks denn ich ſey?
Jch ſagte/ daß ich Weymariſch geweſen/ nunmehr
aber mein Abſchied haͤtte/ und geſinnet waͤre/ mich
nach Hauß zu begeben; Darauff fragte er/ wie ich
hieſſe? und da ich antwoꝛtet/ Simplicius, kehrt er ſich
umb (denn ich ließ ihn voran gehen/ weil ich ihm nit
traute) und ſahe mir ſteiff ins Geſicht; Heiſtu nicht
auch Simpliciſſimus? Ja/ antwortet ich/ der iſt ein
Schelm der ſeinen Nahmen verleugnet/ Wie heiſt
aber du? Ach Bruder/ antwortet er/ ſo bin ich Oli-
vier, den du wol vor Magdeburg wirſt gekant haben;
Warff damit ſein Rohr von ſich/ und fiel auff die
Knye nider/ mich umb Verzeyhung zu bitten/ daß er
mich ſo uͤbel gemeynt haͤtte/ ſagend/ er koͤnte ſich wol
einbilden/ daß er keinen beſſern Freund in der Welt
bekomme/ als er an mir einen haben wuͤrde/ weil ich
nach deß Alten Hertzbruders Prophecey ſeinen Todt
ſo dapffer raͤchen ſolte: Jch hingegen wolte mich uͤber
ein ſo ſeltzame Zuſam̃enkunfft verwundern/ Er aber
ſagte
[448]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ſagte/ das iſt nichts neues/ Berg und Thal kom̃t nit
zuſam̃en/ das iſt mir aber ſeltzam/ daß wir beyde uns
ſo veraͤndert haben/ ſintemal ich auß einem Secreta-
rio ein Waldfiſcher/ du aber auß einem Narꝛn zu ei-
nem ſo dapffern Soldaten worden! Sey verſichert
Bruder/ wenn unſerer zehentauſend waͤren/ daß wir
morgenden Tags Breyſach entſetzen/ und endlich zu
Herꝛen der gantzen Welt machen wolten.
Jn ſolchem Diſcurs paſſirten wir/ da es eben Nacht
woꝛden/ in ein klein abgelegen Tagloͤhner-haͤußlein;
und ob mir zwar ſolche Pralerey nit gefiel/ ſo gab ich
ihm doch recht/ vornemlich weil mir ſein ſchelmiſch
falſch Gemuͤt bekant war/ und ob ich ihm zwar im
geringſten nichts Guts zutraute/ ſo gieng ich doch
mit ihm in beſagtes Haͤußlein/ in welchem ein Baur
eben die Stub einhitzte/ zu dem ſagte er: Haſtu etwas
gekocht? Nein/ ſagt der Baur/ ich hab ja den gebra-
tenen Kalbsſchlegel noch/ den ich heute von Wald-
kirch brachte; Nun dann/ antwort Olivier, ſo gehe/
und lang her was du haſt/ und bringe zugleich das
Faͤßlein Wein mit.
Als der Baur fort war/ ſagte ich zu Olivier: Bru-
der/ (ich nennt ihn ſo/ damit ich deſto ficherer vor
ihm waͤre) du haſt einen willigen Wirth! Das danck
(ſagte er) dem Schelmen der Teuffel/ ich ernaͤhr ihn
ja mit Weib und Kind/ und er macht noch darzu vor
ſich ſelbſt gute Beuten/ ich laſſe ihm alle Kleider/ die
ich erobere/ ſolche zu ſeinem Nutzen anzuwenden:
Jch fragte/ wo er denn ſein Weib und Kind haͤtte?
da ſagte Olivier, daß er ſie nach Freyburg geflehnt/ die
er alle Woch zweymal beſuche/ und ihm von dort
auß ſo wol die Victualia als Kraut und Loth zubringe.
Ferner
[449]Viertes Buch.
Ferner berichtet er mich/ daß er dieſe Freybeuterey
ſchon lang getrieben/ und ihm beſſer zuſchlage/ als
wenn er einem Herꝛn diene/ er gedaͤchte auch nit auff-
zuhoͤren/ biß er ſeinen Beutel rechtſchaffen geſpickt
haͤtte. Jch ſagte/ Bruder/ du lebeſt in einem gefaͤhr-
lichen Stand/ und wenn du uͤber ſolcher Rauberey
ergriffen wuͤrdeſt/ wie meynſtu wol/ daß man mit dir
umbgieng? Ha/ ſagte er/ ich hoͤre wol/ daß du noch
der alte Simplicius biſt; ich weiß wol/ daß der jenige
ſo kegeln will/ auch auffſetzen muß/ du muſt aber das
wiſſen/ daß die Herꝛen von Nuͤrnberg keinen hencken
laffen/ ſie haben ihn dann: Jch antwortet/ geſetzt
aber Bruder/ du werdeſt nicht erdappt/ das doch ſehr
mißlich ſtehet/ deñ der Krug gehet ſo lang zum Brun-
nen/ biß er einmal zerbricht/ ſo iſt dannoch ein ſolch
Leben/ wie du fuͤhreſt/ das aller-ſchaͤndlichſte von der
Welt/ daß ich alſo nit glaube/ daß du darin zu ſter-
ben begehreſt; Was/ (ſagte er) das ſchaͤndlichſte?
mein dapfferer Simplici, ich verſichere dich/ daß die
Rauberey das aller-Adelichſte Exercitium iſt/ das
man dieſer Zeit auff der Welt haben kan! Sag mir/
wie viel Koͤnigreich und Fuͤrſtenthuͤmer ſind nicht mit
Gewalt erꝛaubt und zu wegen gebracht worden?
Oder wo wirds einem Koͤnig oder Fürſten auff dem
gantzen Erdboden vor uͤbel auffgenommen/ wenn er
ſeiner Laͤnder Intraden geneuſt/ die doch gemeinlich
durch ihrer Vorfahren veruͤbten Gewalt zu wegen
gebracht worden? Was koͤnte doch Adelicher genen-
net werden/ als eben das Handwerck/ deſſen ich mich
jetzt bediene? Jch mercke dir an/ daß du mir gern voꝛ-
halten wolteſt/ das ihrer viel wegen Mordens/ Rau-
bens und Stehlens ſeyen geraͤdert/ gehenckt und ge-
koͤpfft
[450]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
koͤpfft worden? das weiß ich zuvor wol/ dann das
befehlen die Geſetze/ du wirſt aber keine andere als
arme und geringe Dieb haben hencken ſehen/ welches
auch billich iſt/ weil ſie ſich diſer vortrefflichen Udung
haben unterfangen doͤrffen/ die doch niemanden als
hertzhafften Gemuͤtern gebuͤhrt und vorbehalten iſt:
Wo haſtu jemals eine vornehme Stands-Perſohn
durch die Juſtitiam ſtraffen ſehen/ umb daß ſie ihr Land
zu viel beſchwert habe? ja was noch mehr iſt/ wird
doch kein Wucherer geſtrafft/ der dieſe herꝛliche Kunſt
heimlich treibt/ und zwar unter dem Deck-Mantel
Chriſtlicher Lieb/ warumb wolte denn ich ſtraffbar
ſeyn/ der ich ſolche offentlich/ auff gut Alt-Teutſch/
ohn einige Bemaͤntelung und Gleißnerey uͤbe? Mein
lieber Simplici, du haſt den Machiavellum noch nicht
geleſen; Jch bin eines recht auffrichtigen Gemuͤts/
und treibe dieſe Manier zu leben/ frey offentlich ohne
allen Scheu; Jch fechte/ und wag mein Leben da-
ruͤber/ wie die Alte Helden/ weiß auch/ daß die jenige
Handierungen/ dabey der ſo ſie treibt/ in Gefahr ſte-
hen muß/ zugelaſſen ſind; weil ich denn mein Leben
in Gefahr ſetze/ ſo folgt unwiderſprechlich/ daß mirs
billich und erlaubt ſey/ dieſe Kunſt zu uͤben.
Hierauf antwortet ich/ geſetzt/ Rauben und Ste-
len ſey dir erlaubt oder nicht/ ſo weiß ich gleichwol/
daß es wider das Geſetz der Natur iſt/ das da nicht
will/ daß einer einem andern thun ſolle/ das er nicht
will/ daß es ihm geſchehe; So iſt ſolche Unbilligkeit
auch wider die Weltliche Geſetz/ welche befehlen/
daß die Dieb gehenckt/ die Raͤuber gekoͤpfft/ und die
Moͤrder geradbrecht werden ſollen; Und letztlich ſo
iſt es auch wider Gott/ ſo das fuͤrnehmſte iſt/ weil er
keine
[451]Viertes Buch.
keine Suͤnde ungeſtrafft laͤſt. Es iſt/ wie ich vor ge-
ſagt/ (antwort Olievier) du biſt noch Simplicius, der
den Machiavellum noch nit ſtudirt hat/ koͤnte ich aber
auff ſolche Art eine Monarchiam auffrichten/ ſo wol-
te ich ſehen/ wer mir alsdenn viel darwider predigte.
Wir haͤtten noch mehr miteinander diſputirt/ weil
aber der Baur mit dem Eſſen und Trincken kam/ ſaſ-
ſen wir zuſammen/ und ſtillten unſere Maͤgen/ deſſen
ich denn trefflich hoch vonnoͤthen hatte.
DasXVI.Capitel.
UNſer Eſſen war weiß Brod/ und ein gebratener
kalter Kalbsſchlegel/ dabey hatten wir einen guten
Trunck Wein/ und ein warme Stub; Gelt Simplici,
ſagt Olivier, hier iſts beſſer/ als vor Breyſach in den
Lauffgraͤben? Jch ſagte/ das wol/ wenn man ſolch
Leben mit gewiſſer Sicherheit und beſſern Ehren zu
genieſſen haͤtte; Daruͤber lachte er uͤberlaut/ und
ſagte/ ſind dann die arme Teuffel in den Lauffgraͤben
ſicherer als wir/ die ſich all Augenblick eines Außfalls
beſorgen muͤſſen? Mein lieber Simplici, ich ſihe zwar
wol/ daß du deine Narꝛn-Kapp abgelegt/ hingegen
aber deinen naͤrꝛiſchen Kopff noch behalten haſt/ der
nicht begreiffen kan/ was gut oder boͤß iſt/ und wenn
du ein anderer/ als der jenige Simplicius waͤreſt/ der
nach deß Alten Hertzbruders Wahrſagung meinen
Todt raͤchen ſolle/ ſo wolte ich dich bekennen lernen/
daß ich ein edler Leben fuͤhre/ als ein Freyherꝛ. Jch
gedachte/ was will das werden/ du muſt ander Wort
hervor ſuchen/ als bißher/ ſonſt moͤcht dich dieſer Un-
menſch/ ſo jetzt den Baurn fein zu Huͤlff hat/ erſt ca-
put machen/ ſagte derhalben: Wo iſt ſein Tag je er-
hoͤrt
[452]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
hoͤrt worden/ daß der Lehrjung das Handwerck beſ-
ſer verſtehe/ als der Lehrmeiſter? Bruder/ haſtu ein
ſo edel gluͤckſeelig Leben wie du vorgibſt/ ſo mache
mich deiner Gluckſeeligkeit auch theilhafftig/ ſinte-
mal ich eines guten Gluͤcks hoch vonnoͤten. Darauff
antwort Olivier, Bruder ſey verſichert/ daß ich dich
ſo hoch liebe als mich ſelbſten/ und daß mir die Be-
leydigung/ ſo ich dir heut zugeſuͤgt/ viel weher thut/
als die Kugel/ damit du mich an meine Stirn troffen/
als du dich meiner wie ein dapfferer rechtſchaffener
Kerl erwehrteſt/ warumb wolte ich dir denn etwas
verſagen koͤnnen? wenn dirs beliebt/ ſo bleibe bey
mir/ ich will vor dich ſorgen/ als vor mich ſelbſten/
haſtu aber keinen Luſt bey mir zu ſeyn/ ſo will ich dir
ein gut ſtuͤck Geld geben/ und begleiten/ wohin du
wilt: Damit du aber glaubeſt/ daß mir dieſe Wort
von Hertzen gehen/ ſo will ich dir die Urſach ſagen/
warumb ich dich ſo hoch halte: Du weiſt dich zu er-
innern/ wie richtig der Alte Hertzbruder mit ſeinen
Prophezeyhungen zugetroffen/ ſchaue/ derſelbe hat
mir vor Magdeburg dieſe Wort geweiſſagt/ die ich
„bißhero fleiſſig im Gedaͤchtnus behalten: Olivier,
„ſihe unſern Narꝛn an wie du wilt/ ſo wird er dan-
„noch durch ſeine Dapfferkeit dich erſchroͤcken/ und
„und dir den groͤſten Poſſen erweiſen/ der dir dein
„Lebtag je geſchehen wird/ weil du ihn darzu verur-
„ſacheſt in einer Zeit/ darinn ihr beyde einander nicht
„erkennet gehabt/ doch wird er dir nit allein dein Le-
„ben ſchencken/ ſo in ſeinen Haͤnden geſtanden/ ſon-
„dern er wird auch uͤber ein Zeit lang hernach an das
„jenig Ort kommen/ da du erſchlagen wirſt/ daſelbſt
„wird er gluͤckſeelig deinen Todt raͤchen. Dieſer
Weiſ-
[453]Viertes Buch.
Weiſſagung halber/ liebſter Simplici, bin ich bereit
mit dir das Hertz im Leib zu theilen/ dann gleich wie
ſchon ein Theil davon erfullt/ in dem ich dir Urſach
geben/ daß du mich als ein dapfferer Soldat vor den
Kopff geſchoſſen/ und mir mein Schwerd genom̃en/
(das mir freylich noch keiner gethan) mir auch das
Leben gelaſſen/ da ich unter dir lag/ und gleichſam im
Blut erſtickte; Alſo zweiffle ich nicht/ daß das uͤbri-
ge von meinem Todt auch fehl ſchlagen werde. Auß
ſolcher Rach nun/ liebſter Bruder/ muß ich ſchlieſſen/
daß du mein getreuer Freund ſeyeſt/ dann dafern du
es nicht waͤreſt/ ſo wuͤrdeſtu ſolche Rach auch nicht
uͤber dich nehmen; da haſtu nun die concepta meines
Hertzens/ jetzt ſag mir auch/ was du zu thun geſinnet
ſeyeſt? Jch gedachte/ trau dir der Teuffel/ ich nicht!
nimm ich Geld von dir auff den Weg/ ſo moͤchteſtu
mich erſt nidermachen/ bleib ich dann bey dir/ ſo muß
ich ſorgen/ ich doͤrffte mit dir geviertheilt werden;
ſetzte mir demnach vor/ ich wolt ihm eine Nas draͤ-
hen/ bey ihm zu bleiben/ biß ich mit Gelegenheit von
ihm kommen koͤnte/ ſagte derhalben/ ſo er mich lei-
den moͤchte/ wolte ich mich ein Tag oder acht dey
ihm auffhalten/ zu ſehen/ ob ich ſolche Art zu leben
gewohnen koͤnte/ gefiel mirs/ ſo ſolte er beydes einen
getreuen Freund und guten Soldaten an mir haben/
gefiel mirs nit/ ſo ſey allezeit gut voneinander ſchei-
den. Darauff ſetzt er mir mit dem Trunck zu/ ich ge-
traute aber auch nicht/ und ſtellte mich voll ehe ichs
war/ zu ſehen/ ob er vielleicht an mich wolte/ wenn
ich mich nicht mehr defendiren koͤnte.
Jndeſſen plagten mich die Muͤllerfloͤhe trefflich/
deren ich eine zimliche Quantitaͤt von Breyſach mit
mir
[454]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
mir gebracht hatte/ dann ſie wolten ſich in der Waͤr-
me nicht mehr in meinen Lumpen-behelffen/ ſondern
ſpazirten herauß/ ſich auch luſtig zu machen. Dieſes
nam Olivier an mir gewahr/ und fragte/ ob ich Laͤus
haͤtte? Jch ſagte/ ja freylich/ mehr als ich mein Leb-
tag Ducaten zu bekommen getraue; So muſtu nit
reden/ ſagte Olivier, wenn du bey mir bleibeſt/ ſo kanſt
du noch wol mehr Ducaten kriegen/ als du jetzt Laͤus
haſt; Jch anrwortet/ das iſt ſo unmuͤglich/ als ich
jetzt meine Laus abſchaffen kan: O ja/ ſagte er/ es iſt
beydes müglich/ und befohl gleich dem Baurn/ mir
ein Kleid zu holen/ das unfern vom Hauß in einem
holen Baum ſtack/ das war ein grauer Hut/ ein Kol-
ler von Elend/ ein paar rother ſcharlachner Hoſen/
und ein grauer Rock/ Struͤmpff und Schuh wolte er
mir moꝛgen geben. Da ich ſolche Gutthat von ihm
ſahe/ getraute ich ihm ſchon etwas beſſers zu/ als zu-
vor/ und gieng froͤlich ſchlaffen.
DasXVII.Capitel.
AM Moꝛgen gegen Tag ſagte Olivier: Auff Sim-
plici, wir wollen in GOttes Nahmen hinauß/ zu
ſehen/ was etwan zu bekommen ſeyn moͤchte: Ach
GOtt/ gedacht ich/ ſoll ich dann nun in deinem hoch-
heiligen Nahmen auff die Rauberey gehen? und bin
hiedevor/ nachdem ich von meinem Einſtdel kam/ nit
ſo kuͤhn geweſen/ ohne Erſtaunen zuzuhoͤren/ wenn
einer zum andern ſagte: Komm Bruder/ wir wollen
in Gottes Nahmen ein Maß Wein miteinander ſauf-
fen; weil ichs vor eine doppelte Suͤnd hielte/ wenn
einer in deinem Nahmen ſich voll ſoͤffe. O himmli-
ſcher Vatter/ wie hab ich mich veraͤndert! O getreuer
Gott
[455]Viertes Buch.
GOtt/ was wird endlich auß mir werden/ wenn ich
nicht wieder umbkehre? Ach hemme meinen Lauff/
der mich ſo richtig zur Hoͤllen bringt/ da ich nit Buß
thue! Mit dergleichen Worten und Gedancken fol-
gete ich Olivier in ein Dorff/ darinnen kein lebendige
Creatur war/ da ſtiegen wir deß fernen Außſehens
halber auff den Kirchthurn; Auff demſelben hatte er
die Struͤmpff und Schuh verborgen/ die er mir den
Abend zuvor verſprochen/ darneben 2. Laͤib Brod/
etlich Stuͤck geſotten doͤrꝛ Fleiſch/ und ein Faͤßlein
halb voll Wein im Vorꝛath/ mit welchem er ſich al-
lein gern 8. Tag haͤtte behelffen koͤnnen. Jn dem ich
nun meine Verehrung anzoge/ erzehlt er mir/ daß er
an dieſem Ort pflege auffzupaſſen/ wenn er eine gute
Beut zu holen gedaͤchte/ deßwegen er ſich dann ſo
wol proviantirt/ mit dem Anhang/ daß er noch etlich
ſolcher Oerter haͤtte/ die mit Speiß und Tranck ver-
ſehen waͤren/ damit wenn Blaͤſy an einem Ort nicht
zu Hauß waͤre/ er ihn am andern finden koͤnte. Jch
muſte zwar ſeine Klugheit loben/ gab ihm aber zu
verſtehen/ daß es doch nicht ſchoͤn ſtuͤnde/ ein ſo heili-
gen Ort/ der Gott gewidmet ſey/ dergeſtalt zu befle-
cken; Was/ ſagte er/ beflecken? die Kirchen/ da ſie
reden koͤnten/ wuͤrden geſtehen/ daß ſie das jenige/
was ich in ihnen begehe/ gegen denen Laſtern/ ſo hie-
bevor in ihnen begangen worden/ noch vor gar gering
auffnehmen muͤſten; Wie mancher und wie manche
meynſtu wol/ die ſint Erbauung dieſer Kirch herein
getretten ſeyen/ unter dem Schein/ GOTT zu
dienen/ da ſie doch nur her kommen/ ihre neue Klei-
der/ ihre ſchoͤne Geſtalt/ ihre Præeminenz und ſonſt
ſo etwas ſehen zu laſſen? da kompt einer zur Kirchen
Uwie
[456]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
wie ein Pfau/ und ſtellt ſich doch vorm Altar/ als ob
er den Heiligen die Fuͤß abbeten wolte; dort ſtehet ei-
ner in einem Eck zu ſeufftzen wie der Zoͤllner im Tem-
pel/ welche Seufftzer aber nur zu ſeiner Liebſten ge-
hen/ in deren Angeſicht er ſeine Augen weydet/ umb
derent willen er ſich auch eingeſtellt: Ein ander kom̃t
vor/ oder wenns wol geraͤth/ in die Kirch mit einem
Gebund Brieff/ wie einer der ein Brandſteur ſamb-
let/ mehr ſeine Zinsleut zu mahnen/ als zu beten;
haͤtte er aber nit gewuſt/ daß ſeine Debitores zur Kirch
kommen muͤſten/ ſo waͤre er fein daheim uͤber ſeinen
Regiſtern ſitzen blieben: Ja es geſchicht zu Zeiten/
wenn theils Obrigkeiten einer Gemeind im Dorff et-
was anzudeuten hat/ ſo muß es der Bott am Sonn-
tag bey der Kirchen thun/ daher ſich mancher Bauer
vor der Kirch aͤrger/ als ein armer Suͤnder vor dem
Richthauß foͤrchtet: Meyneſtu nicht/ es werden auch
von den jenigen in die Kirch begraben/ die Schwerd/
Galgen/ Feuer und Rad verdient haͤtten? Mancher
koͤnte ſeine Bulerey nicht zu End bringen/ da ihm die
Kirch nit befoͤrderlich waͤre; Jſt etwas zu verkauffen
oder zu verleyhen/ ſo wirds an theils Orten an die
Kirchthůr geſchlagen; Wenn mancher Wucherer
die gantze Woche keine Zeit nimmt/ ſeiner Schinde-
rey nachzuſinnen/ ſo ſitzt er unter waͤhrendem Gottes-
dienſt in der Kirch/ und dichtet/ wie der Judenſpieß zu
fuͤhren ſeye; da ſitzen ſie hier und dort unter der Meß
und Predigt miteinander zu diſcurirn/ gerad als ob
die Kirch nur zu dem End gebauet waͤre/ da werden
denn offt Sachen berathſchlagt/ deren man an Privat-
Oertern nicht gedencken doͤrffte; theils ſitzen dort/
und ſchlaffen/ als ob ſie es verdingt haͤtten; Etliche
thun
[457]Viertes Buch.
thun nichts anders als Leut außrichten/ und ſagen:
Ach wie hat der Pfarꝛer dieſen oder jenen ſo artlich
in ſeiner Predigt getroffen! Andere geben fleiſſig Ach-
tung auff deß Pfarꝛers Vorbringen/ aber nit zu dem
End/ daß ſie ſich darauß beſſern/ ſondern damit ſie ih-
ren Seelſorger/ wenn er nur im geringſten (wie ſie
es verſtehen) durchziehen und tadlen moͤchten; Jch
geſchweig hier der jenigen Hiſtorien/ ſo ich geleſen/
was vor Bulſchafften durch Kupplerey in den Kir-
chen hin und wieder ihren Anfang und End genom-
men/ ſo faͤllt mir auch/ was ich von dieſer Materi noch
zu reden haͤtte/ jetzt nicht alles ein: Diß muſtu doch
noch wiſſen/ daß die Menſchen nit allein in ihrem Le-
ben die Kirchen mit Laſtern beſchmitzen/ ſondern auch
nach ihrem Todt dieſelbe mit Eitelkeit und Thorheit
erfuͤllen/ ſo bald du in eine Kirche kommeſt/ ſo wirſtu
an den Grabſteinen und Epitaphien ſehen/ wie die je-
nige noch prangen/ die doch die Wuͤrm ſchon laͤngſt
gefreſſen/ ſiheſt du dann in die Hoͤhe/ ſo kommen dir
mehr Schild/ Helm/ Waffen/ Degen/ Fahnen/
Stifel/ Sporn und dergleichen Ding ins Geſicht/
als in mancher Ruͤſtkammer/ daß alſo kein Wunder/
daß ſich die Bauern dieſen Krieg uͤber an etlichen Or-
ten auß den Kirchen/ wie auß Veſtungen/ umb das
Jhrige gewehrt: Warumb ſolte mir nicht erlaubt
ſeyn/ mir ſage ich/ als einem Soldaten/ daß ich mein
Handwerck in der Kirchen treibe? da doch hiebevor
zween Geiſtliche Vaͤtter in einer Kirch nur deß Vor-
ſitzes halber ein ſolch Blut-Bad angeſtellt/ daß die
Kirch mehr einem Schlacht-Hauß der Metzger/ als
heiligen Ort gleich geſehen: Jch zwar lieſſe es noch
unterwegen/ wenn man nur den Gottesdienſt zu ver-
U ijrichten
[458]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
richten her kaͤme/ da ich doch ein Weltmenſch bin;
jene aber/ als Geiſtliche/ reſpectirten doch die Hohe
Majeſtaͤt deß Roͤmiſchen Kaͤiſers nicht. Warumb
ſolte mir verbotten ſeyn/ meine Nahrung vermittelſt
der Kirche zu ſuchen/ da ſich doch ſonſt ſo viel Men-
ſchen von derſelben ernehren? Jſts billich/ daß man-
cher Reicher umb ein Stuͤck Geld in die Kirche be-
graben wird/ ſein und ſeiner Freund ſchafft Hoffart zu
bezeugen/ und daß hingegen der Arme (der doch ſo
wol ein Chriſt als jener/ ja vielleicht ein froͤmmerer
Menſch geweſen) ſo nichts zu geben hat/ auſſerhalb
in einem Winckel verſcharꝛet werden muß; es iſt ein
Ding wie mans macht/ wenn ich haͤtte gewuſt/ daß
du Bedencken truͤgeſt/ in der Kirch auffzupaſſen/ ſo
haͤtte ich mich bedacht/ dir anderſt zu antworten/ in-
deſſen nimm ein Weil mit dieſem vor lieb/ diß ich
dich einmal anders berede.
Jch haͤtte dem Olivier gern geantwoꝛt/ daß ſolches
auch liederliche Leut waͤren/ ſo wol als er/ welche die
Kirchen verunehren/ und daß dieſelbige ihren Lohn
ſchon drumb finden wuͤrden; Weil ich ihm aber ohne
das nicht traute/ und ungern noch einmal mit ihm
geſtritten haͤtte. Hernach begehrte er/ ich wolte ihm
erzehlen/ wie mirs ergangen/ ſint wir vor Witſtock
voneinander kommen/ und dann warumb ich Narꝛn-
Kleider angehabt/ als ich im Magdeburgiſchen Laͤger
angelangt? Weil ich aber wegen Hals-ſchmertzen
gar zu unluſtig/ entſchuldigte ich mich/ mit Bitt/ er
wolte mir doch zuvor ſeinen Lebens-lauff erzehlen/
der vielleicht poſſierliche Schnitz in ſich hielte; Diß
ſagte er mir zu/ und fieng ſein ruchlos Leben nachfol-
gender geſtalt an zu erzehlen.
Das
[459]Viertes Buch.
DasXVIII.Capitel.
MEin Vatter/ ſagte Olivier, iſt unweit der Statt
Aach von geringen Leuten geboren woꝛden/ de-
rowegen er dann bey einem reichen Kauffmann/ der
mit dem Kupffer-Handel ſchacherte/ in ſeiner Jugend
dienen muſte/ bey demſelben hielt er ſich ſo fein/ daß er
ihn ſchreiben/ leſen und rechnen lernen lieſſe/ und ihn
uͤber ſeinen gantzen Handel ſetzte/ wie Potiphar den
Joſeph; Diß ſchlug auch beyden Theilen wol zu/
dann der Kauffmann wurde wegen meines Vattern
Fleiß und Vorſichtigkeit je laͤnger je reicher/ mein
Vatter ſelbſt aber/ der guten Tag halber/ je laͤnger je
ſtoͤltzer/ ſo gar/ daß er ſich auch ſeiner Eltern ſchaͤm-
te/ und ſolche verachtete/ das ſie offt vergeblich be-
klagten. Wie nun mein Vatter das 25. Jahr ſeines
Alters erꝛeichte/ ſtarb der Kauffmann/ und verlieſſe
ſein alte Wittib ſampt deren einzigen Tochter/ die
kuͤrtzlich in ein Pfann getretten/ und ihr von einem
Gaden-Hengſt ein Junges zweigen laſſen/ ſelbiges
aber folgte ſeinem Großvatter am Todten-Reyhen
bald nach: Da nun mein Vatter ſahe/ daß die Toch-
ter Vatter- und Kinder- aber nicht Geld loß worden/
achtet er nicht/ daß ſie keinen Krantz mehr tragen
dorffte/ ſondern erwog ihren Reichthum/ und machte
ſich bey ihr zutaͤppiſch/ ſo ihre Mutter gern zulieſſe/
nit allein/ damit ihre Tochter wieder zu Ehren kaͤme/
ſondern weil mein Vatter umb den gantzen Handel
alle Wiſſenſchafft hatte/ zumalen auch ſonſt mit dem
Judenſpieß trefflich fechten konte. Alſo wurde mein
Vatter durch ſolche Heurath unverſehens ein reicher
Kauffmann/ ich aber ſein erſter Erb/ den er wegen
U iijſeines
[460]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ſeines Uberfluſſes zaͤrtlich auffziehen lieſſe/ ich wurde
in Kleidungen gehalten wie ein Edelmann/ in Eſſen
wie ein Freyherꝛ/ und in der uͤbrigen Wartung wie
ein Graf/ welches ich alles mehr dem Kupffer und
Galmey/ als dem Silber und Gold zu dancken.
Ehe ich das ſidende Jahr voͤllig uͤberlebte/ erzeigte
ſich ſchon/ was auß mir werden wolte/ dann was zur
Neſſel werden ſoll/ brennt bey Zeiten; kein Schelm-
ſtuͤck war mit zu viel/ und wo ich einem konte einen
Poſſen reiſſen/ unterließ ichs nicht/ dann mich weder
Vatter noch Mutter hierumb ſtraffte; ich terminirte
mit meines gleichen boͤſen Buben durch dinn und dick
auff der Gaſſen herumb/ und hatte ſchon das Hertz/
mit ſtaͤrckern als ich war/ herumb zu ſchlagen/ krieg-
te ich dann Stoͤß/ ſo ſagten meine Eltern/ Was iſt
das? ſoll ſo ein groſſer Flegel ſich mit einem Kind
ſchlagen? uͤberwand denn ich (maſſen ich kratzte/ biß
und warff) ſo ſagten ſie/ Unſer Oliviergen wird ein
draver Kerl werden! Davon wuchs mir der Muth/
zum beten war ich noch zu klein/ wenn ich aber fluch-
te wie ein Fuhrmann/ ſo hieß/ ich verſtuͤnde es nicht:
Alſo wurde ich immer aͤrger/ biß man mich zur Schul
ſchickte/ was denn andere boͤſe Buben auß Boßheit
erſannen/ und nicht practiciren doꝛfften/ das ſetzte ich
ins Werck. Wenn ich meine Buͤcher verklettert oder
zerꝛiſſe/ ſo ſchaffte mir die Mutter wieder andere/ da-
mit mein geitziger Vatter ſich nit erzoͤrnte. Meinem
Schulmeiſter thaͤt ich groſſen Dampff an/ dann er
dorffte mich nit hart halten/ weiler zimliche Vereh-
rungen von meinen Eltern bekam/ als deren unziem-
liche Affen-Liebe gegen mir ihm wol bekant ware;
Jm Sommer fieng ich Feldgrillen/ und ſetzte ſie fein
heim-
[461]Viertes Buch.
heimlich in die Schul/ die uns ein lieblich Geſang
machten/ im Winter aber ſtahl ich Nießwurtz/ und
ſtaͤubte ſie an den Ort/ da man die Knaben zu caſtigi-
ren pflegt/ wann ſich dann etwan ein Halsſtarꝛiger
wehrte/ ſo ſtobe mein Pulver herumb/ und machte
mir ein angenehme Kurtzweil/ weil alles nieſſen mu-
ſte. Hernach duͤnckte ich mich viel zu gut ſeyn/ nur
ſo gemeine Schelmſtuͤck anzuſtellen/ ſondern all mein
Thun gieng auff obigen Schlag; ich ſtabl offt dem
einen etwas/ und ſteckte es einem andern in Sack/
dem ich gern Stoͤß angerichtet/ und mit ſolchen Grif-
fen konte ich ſo behutſam umbgehen/ daß ich ſaſt nie-
mals daruͤber erdappt wurde. Von den Kriegen/ die
wir damals gefuͤhrt/ bey denen ich gemeꝛniglich ein
Obriſter geweſen/ item von den Stoͤſſen die ich offt
bekommen/ (denn ich hatte ſtets ein zerkratzt Geſicht/
und den Kopff voll Beulen) mag ich jetzt nichts ſa-
gen/ es weiß ja jederman ohne das wol/ was die Bu-
ben offt anſtellen. So kanſt du auch an oberzehlten
Stuͤcken leicht abnebmen/ wie ich mich ſonſt in mei-
ner Jugend angelaſſen.
DasXIX.Capitel.
WEilen ſich meines Vattern Reichthum taͤglich
mehrte/ als bekam er auch deſto mehr Schma-
rotzer und Fuchsſchwaͤntzer/ die meinen guten Kopff
zum Studiren trefflich lobten/ ſonſten aber alle meine
Untugenden verſchwiegen/ oder auffs wenigſt zu ent-
ſchuldigen wuſten/ denn ſie ſpuͤrten wol/ daß der je-
nige ſo ſolches nicht thaͤt/ weder bey Vatter noch
Mutter wol dran ſeyn koͤnte/ derowegen hatten meine
Eltern ein groͤſſere Freud uͤber ihren Sohn/ als die
U jvGras-
[462]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Grasmuck/ die einen Guckuck auffzeucht. Sie ding-
ten mir einen eigenen Præceptorem, und ſchickten
mich mit demſelben nach Luͤttich/ mehr daß ich dort
Welſch lernen/ als ſtudiren ſolte/ weilen ſie keinen
Theologum, ſondern einen Handelsmann auß mir
ziehen wolten; Dieſer hatte Befelch/ mich bey Leib
nicht ſtreng zu halten/ daß ich kein foꝛchtſam knech-
tiſch Gemuͤt uͤberkaͤme/ Er ſolte mich fein unter die
Burſch laſſen/ damit ich nit Leut-ſcheu wuͤrde/ und
gedencken/ daß ſie keinen Moͤnchen/ ſondern einen
Weltmann auß mir machen wolten/ der wiſſen muͤſ-
ſe/ was Schwartz oder Weiß ſeye.
Ermeldter mein Præceptor aber war dieſer Inſtru-
ction unbedürfftig/ ſondern von ſich ſelbſten auff alle
Buͤberey geneigt/ was haͤtte er mir denn folche ver-
bieten/ oder mich umb meine geringe Fehler hart hal-
ten ſollen/ da er ſelbſt groͤbere begieng; Auffs Bulen
und Sauffen war er am meiſten geneigt/ ich aber
von Natur auffs Balgen und Schlagen/ daher gieng
ich ſchon bey Nacht mit ihm und ſeines gleichen gaſ-
ſatim/ und lernete ihm in Kuͤrtze mehr Untugenden
als Latein ab. So viel das Studirn anbelangt/ ver-
ließ ich mich auff mein gut Gedaͤchtnus und ſcharpf-
fen Verſtand/ und war deßwegen deſto fahrlaͤſſiger/
im uͤbrigen aber in allen Laſtern/ Bubenſtuͤcken und
Muthwillen erſoffen/ mein Gewiſſen war bereits ſo
weit/ daß ein groſſer Hen-Wagen hindurch haͤtte
fahren moͤgen: Jch fragte nichts darnach/ wenn ich
in der Kirch unter der Predigt den Bernium Burchiel-
lum oder den Aretinum laſe/ und hoͤrte nichts liebers
vom gantzen Gottesdienſt/ als wenn man ſagt: Ite
miſſa eſt. Darneben duͤnckte ich mich keine San zu
ſeyn
[463]Viertes Buch.
ſeyn/ ſondern hielte mich recht Stutzeriſch/ alle Tag
war mirs Martins-Abend oder Faßnacht/ und weil
ich mich dergeſtalt hielte wie ein gemachter Herꝛ/
und nicht nur das/ ſo mein Vatter zur Nothdurfft
reichlich ſchickte/ ſondern auch meiner Mutter fette
Milchpfenning dapffer durchgehen lieſſe/ lockte uns
auch das Frauenzimmer an ſich/ ſonderlich meinen
Præceptorem, bey dieſen Schleppſaͤcken lernete ich
leffeln/ bulen und ſpielen; hadern/ balgen und ſchla-
gen konte ich zuvor/ und mein Præceptor wehrte mir
das Freſſen und Sauffen auch nicht/ weil er ſelbſten
gern mit machte. Es waͤhrte dieſes herꝛliche Leben
anderthalb Jahr/ ehe es mein Vatter erfuhr/ welches
ihn ſein Factor zu Luͤttich/ bey dem wir auch anfangs
zu Koſt giengen/ berichtet; der bekam hingegen Be-
felch/ auff uns genauer Achtung zu geben/ den Præ-
ceptorn abzuſchaffen/ mir den Zuͤgel fuͤrter hin nicht
mehr ſo lang zu laſſen/ und mich ferner mit Geld-ge-
ben genauer zu halten. Solches verdroß uns alle
beyde/ und ob ſchon er Præceptor geurlaubt wurde/
ſo ſtacken wir jedoch ein als den andern Weg Tag
und Nacht beyeinander/ demnach wir aber nit mehr
wie hiebevor ſpendiren konten/ geſelleten wir uns zu
einer Burſch/ die den Leuten deß Nachts auff der
Gaſſen die Maͤntel abzwacken/ oder ſie gar in der
Maaß erſaͤufften/ was wir dann ſolcher geſtalt mit
hoͤchſter Gefahr eroberten/ verſchlemmten wir mit
unſern Huren/ und lieſſen das Studiren bey nahe
gantz unterwegen.
Als wir nun einsmals/ unſerer Gewonheit nach/
bey der Nacht herumb ſchlingelten/ den Studenten
ihre Maͤntel hinweg zu vulpinirn/ wurden wir uͤber-
U vwun-
[464]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
wunden/ mein Præceptor erſtochen/ und ich neben
andern fuͤnffen/ die rechte Spitzbuben waren/ erdappt
und eingezogen: Als wir nun den folgenden Tag
examinirt wurden/ und ich meines Vattern Factor
nennete/ der ein anſehenlicher Mann war/ wurde
derſelbe beſchickt/ meinetwegen befragt/ und auff
ſeine Verbuͤrgung loß gelaſſen/ doch daß ich biß auff
weitern Beſcheid in ſeinem Hauß im Arreſt verblei-
ben ſolte; indeſſen wurde mein Præceptor begraben/
jene fuͤnff als Spitzbuben/ Raͤuber und Moͤrder ge-
ſtrafft/ mein Vatter aber berichtet/ wie mein Handel
ſtuͤnde/ der kam eyligſt ſelbſt auff Luͤttich/ richtete mei-
ne Sach mit Geld auß/ hielte mir eine ſcharffe Pre-
digt/ und verwieſe mir/ was ich ihm vor Creutz und
Ungluͤck machte/ item daß ſich meine Mutter ſtelle/
als ob ſie wegen meines uͤbel-verhaltens verzweiffeln
wolte/ bedrohete mich auch/ dafern ich mich nit beſ-
ſerte/ daß er mich enterben/ und vorn Teuffel hinweg
jagen wolte. Jch verſprach Beſſerung/ und ritte mit
ihm nach Hauß; und alſo hat mein ſtudirn ein End
genommen.
DasXX.Capitel.
DA mich mein Vatter heim brachte/ befand er/
daß ich in Grund verderbt waͤre; Jch war kein
ehrbarer Dom ne woꝛden/ als er wol gehofft hatte/
ſondern ein Diſputirer und Schnarcher/ der ſich ein-
bildete/ er verſtehe trefflich viel! Jch war kaum ein
wenig daheim erwarmt/ als er zu mir ſagte: Hoͤre
Olivier, ich ſihe deine Eſels-Ohren je laͤnger je mehr
herfuͤr ragen/ du biſt ein unnuͤtze Laſt der Erden/ ein
Schlingel/ der nirgends zu mehr taug! ein Hand-
werck zu lernen biſtu zu groß/ einem Herꝛn zu dienen/
diſt
[465]Viertes Buch.
biſtu zu Flegelhafftig/ und meine Handierung zu be-
greiffen und zu treiben/ biſtu nichts nutz. Ach was
hab ich doch mit meinem groſſen Koſten/ den ich an
dich gewendet/ außgericht? Jch hab gehofft/ Freud
an dir zu erleben/ und dich zum Mann zu machen/
ſo hab ich dich hingegen jetzt auß deß Henckers Haͤn-
den kauffen muͤſſen: Pfuy der Schand! Das beſte
wirds ſeyn/ daß ich dich in eine Kelmuͤß-Muͤhl thue/
und Miſeriam cum aceto ſchmeltzen laſſe/ biß dir ohne
das ein beſſer Gluͤck auffſtoͤßt/ wenn du dein uͤbel Ver-
halten abgebuͤſt haben wuͤrdeſt.
Solche und dergleichen Lectiones muſte ich taͤg-
lich hoͤren/ biß ich zuletzt auch ungedultig wurde/
und zu meinem Vatter ſagte: Jch waͤre an allem nit
ſchuldig/ ſondern er und mein Præceptor, der mich
verfuͤhret haͤtte; daß er keine Frend an mir erlebe/
waͤre billich/ ſintemal ſeine Eltern ſich auch ſeiner
nicht zu erfreuen/ als die er gleichſam im Bettel ver-
hungern laſſe: Er aber erdappte einen Pruͤgel/ und
wolte mir umb meine Wahrſagung lohnen/ hoch und
theur ſich verſchwoͤrend/ er wolte mich nach Amſter-
damb ins Zuchthauß thun. Da gieng ich durch/ und
verfuͤgte mich ſelbige Nacht auff ſeinen unlaͤngſt er-
kaufften Meyerhof/ ſahe meinen Vortel auß/ und
ritte ſeinem Meyer den beſten Hengſt auff Coͤln zu/
den er im Stall hatte.
Denſelben verſtlberte ich/ und kam abermal in eine
Geſellſchafft der Spitzbuben und Diebe/ wie ich zu
Luͤttich eine verlaſſen hatte/ dieſe erkanten mich gleich
am Spielen/ und ich ſie hinwieder/ weil wirs beyder-
ſeits ſo wol konten; Jch verfuͤgte mich gleich in ihre
Zunfft/ und balff bey Nacht einfahren wo ich zukom-
U vjmen
[466]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
men moͤchte/ demnach aber kurtz hernach einer auß
uns erdappt wurde/ als er einer vornehmen Frauen
auff dem Alten Marckt ihren ſchweren Beutel doll
machen wolte/ zumal ich ihn einen halben Tag mit
einem eiſern Hals-Kragen am Pranger ſtehen/ ihm
auch ein Ohr abſchneiden/ und mit Ruthen außhauen
ſahe/ erleidet mir das Handwerck/ ließ mich derowe-
gen vor einen Soldaten unterhalten/ weil eben da-
mals unſer Obriſt/ bey dem wir vor Magdeburg ge-
weſen/ ſein Regiment zu verſtaͤrcken/ Knecht annam.
Jndeſſen hatte mein Vatter erfahren/ wo ich hinkom-
men/ ſchrieb derhalben ſeinem Factor zu/ daß er mich
außkundigen ſolte/ diß geſchahe eben als ich bereits
Geld auff die Hand empfangen hatte; der Factor be-
richtet ſolches meinen Vatter wieder/ der befohl/ er
ſolte mich wieder ledig kauffen/ es koſte auch was es
wolle; da ich ſolches hoͤrte/ foͤrchtete ich das Zucht-
Hauß/ und wolt einmal nicht ledig ſeyn. Hierdurch
vernam mein Obriſter/ daß ich eines reichen Kauff-
Herꝛn Sohn waͤre/ ſpannete derhalben den Bogen
gar zu hoch/ daß mich alſo mein Vatter lieſſe wie ich
war/ der Meynung/ mich im Krieg ein Weil zap-
peln zu laſſen/ ob ich mich beſſern moͤchte.
Nachgehends ſtunde es nicht lang an/ daß meinem
Obriſten ſein Schreiber mit todt abgieng/ an deſſen
ſtatt er mich zu ſich nam/ maſſen dir bewuſt: Damal
ſienge ich an hohe Gedancken zu machen/ der Hoff-
nung/ von einer Staffel zur andern hoͤher zu ſteigen/
und endlich gar zu einem General zu werden: Jch
lernete von unſerm Secretario, wie ich mich halten
ſolte/ und mein Vorſatz groß zu werden verurſachte/
daß ich mich ehrbar und reputirlich einſtellte/ und nit
mehr
[467]Viertes Buch.
mehr/ wie hiebevor meiner Art nach/ mich mit Lum-
penboſſen ſchleppte; Es wolte aber gleichwol nicht
botten/ biß unſer Secretarius ſtarb/ da gedacht ich/
du muſt ſehen/ daß du deſſen Stell bekom̃ſt; ich ſpen-
dirte wo ich konte/ denn als meine Mutter erfuhr/ daß
ich anfienge gut zu thun/ ſchickte ſie mir noch immer
Geld. Weil aber der junge Hertzbruder meinem Ob-
riſten gar ins Hemd gebacken war/ und mir voꝛgezo-
gen wurde/ trachtet ich/ ihn auß dem Weg zu raͤu-
men/ voꝛnemlich da ich innen wurde/ daß der Obriſt
gaͤntzlich gewillet/ ihm die Secretariat-ſtelle zu geben.
Jn Verzoͤgerung ſolch meiner Befoͤrderung/ die ich
ſo hefftig ſuchte/ wurd ich ſo ungedultig/ daß ich mich
von unſerm Provoſen ſo veſt als Stahl machen lieſ-
ſe/ deß Willens mit dem Hertzbruder zu duelliſiren/
und durch die Kling hinzurichten; Aber ich konte nie-
mals mit Manier an ihn kommen; So wehrete mir
auch unſer Provos mein Voꝛhaben/ und ſagte/ weñ
du ihn gleich auffopfferſt/ ſo wird es dir doch mehr
ſchaͤd-als nutzlich ſeyn/ weil du deß Obriſten liebſten
Diener ermoꝛdt haben wuͤrdeſt/ gabe mir aber den
Rath/ daß ich etwas in Gegenwart deß Hertzbruders
ſiehlen/ und ihm ſolches zuſtellen ſolte/ ſo wolte er
ſchon zu wegen bringen/ daß er deß Obriſten Gnad
verliere. Jch folgte/ nam bey deß Obriſten Kindtauff
ſeinen uͤberguͤldten Becher/ und gab ihn dem Provo-
ſen/ mit welchem er dann den jungen Hertzbruder
abgeſchafft hat; Als du dich deſſen noch wol wirſt
zu erinnern wiſſen/ als er dir in deß Obriſten groſſen
Zelt die Kleider auch voll junger Huͤndlein
gauckelte.
Das
[468]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
DasXXII.Capitel.
ES wurde mir gruͤn und gelb vor den Augen/ als
ich auß Oliviers eigenem Maul hoͤren muſte/ wie
er mit meinem allerwertheſten Freund umbgangen/
und gleichwol keine Rach voꝛnehmen doꝛffte/ ich
muſte noch darzu mein Anligen verbeiſſen/ damit ers
nit merckte/ ſagte derowegen/ er ſolte mir auch erzeh-
len/ wie es ihm nach der Schlacht vor Wittſtock fer-
ner ergangen waͤre?
Jn demſelben Treffen (ſagte Olivier) hielt ich mich
nicht wie ein Federſpitzer/ der nur auff das Dinten-
faß beſtellt iſt/ ſondern wie ein rechtſchaffener Soldat/
denn ich war wol deritten/ und ſo veſt als Eiſen/ zu-
mal in keine Squadron eingeſchloſſen/ ließ derhalben
meinen Valor ſehen/ als einer der durch den Degen
hoch zu kommen oder zu ſterben gedenckt/ ich vagirte
umb unſere Brigade herumb wie eine Windsbraut/
mich zu exerciren/ und den Unſern zuweiſen/ daß ich
beſſer zu den Waffen als zu der Feder tauge; Aber es
halff nichts/ das Gluͤck der Schweden uͤberwand/
und ich muſte der Unſern Ungluͤckſeeligkeit theilhafftig
werden/ allermaſſen ich Quartier nemmen muſte/ wie-
wol ich es kurtz zuvor keinem geben wolte.
Alſo wurde ich nun wie andere Gefangene unter
ein Regiment zu Fuß geſtoſſen/ welches ſich wieder
zu erholen in Pom̃ern gelegt wurde/ und demnach es
viel neugeworbene Burſch gab/ ich aber ein treffliche
Courage verſpuͤren lieſſe/ wurde ich zum Corporal
gemacht; Aber ich gedacht da nit lang Miſt zu ma-
chen/ ſondern bald wieder unter die Kaͤtſ. zu kommen/
als deren Partey ich beſſer affectionirt war/ da ich
doch ohne Zweiffel bey den Schweden beſſere Befoͤr-
derung
[469]Viertes Buch.
derung gefunden haͤtte. Mein Außreiſſen ſetzte ich
folgender geſtalt ins Werck: Jch wurde mit ſieden
Mußquetiern außgeſchickt/ in unſern abgelegenen
Quartiern die außſtaͤndige Contribution zu erpreſſen/
als ich nun uͤber 800. Guͤlden zu wegen gebracht/
zeigte ich meinen Burſchen das Geld/ und machte
ihre Augen nach demſelden luͤſterend/ alſo daß wir
deß Handels miteinander eins wurden/ ſolches un-
ter uns zu theilen/ und damit durch zu gehen; Als
ſolches geſchehen/ perſuadirt ich ihrer drey/ daß ſie
mir halffen die andere vier todt ſchieſſen/ und nach
ſolcher Verꝛichtung theilten wir das Geld/ nemlich
jedem 200. Guͤlden/ damit marchirten wir gegen
Weſtphalen; unterwegs uͤberꝛedt ich noch einen auß
denſelben dreyen/ daß er auch die zween uͤbrige nider
ſchieſſen halff/ und als wir das Geld abermal mit-
einander theilen ſolten/ erwuͤrgte ich den letzten auch/
und kam mit dem Geld gluͤcklich nach Werle/ allwo
ich mich unterhalten lieſſe/ und mit dieſem Geld zim-
lich luſtig machte.
Als ſolches auff die Neige gieng/ und ich ein als
den andern Weg gern banquetirt haͤtte/ zumaln viel
von einem jungen Soldaten in Soeſt hoͤrte ruͤhmen/
was treffliche Beuten/ und groſſen Nahmen er ihm
damit machte/ wurde ich angefriſcht/ ihm nachzu-
folgen man nennete ihn wegen ſeiner gruͤnen Klei-
dung den Jaͤger/ derhalben ich auch eins machen lieſ-
ſe/ und ſtal auff ihn in ſeinen und unſern eignen Quar-
tiren/ mit Veruͤbung ſonſt allerhand Exorbitantien
dermaſſen/ daß uns beyden das Partey gehen nider-
gelegt werden wolte; jener zwar blieb daheim/ ich
aber mauſete noch immerfort in ſeinem Nahmen/ ſo
viel
[470]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
viel ich konte/ alſo daß beſagter Jaͤger umb ſolcher
Urſach willen mich auch herauß foꝛdern lieſſe/ aber
der Teuffel haͤtte mit ihm fechten moͤgen/ den er auch/
wie mir geſagt wurde/ in Haaren ſitzen hatte/ er wuͤr-
de mir meine Veſtigkeit ſchoͤn auffgethan haben.
Doch konte ich ſeiner Liſt nicht entgehen/ denn er
practicirte mich mit Huͤlff ſeines Knechts in eine
Schaͤferey/ ſampt meinem Cameraden/ und wolte
mich zwingen/ ich ſolte daſelbſt beym Mondenſchein/
in Gegenwart zweyer leibhaffter Teuffel/ die er als
Secundanten bey ſich hatte/ mit ihm rauffen; Weil
ichs aber nicht thun wolte/ zwangen ſie mich zu der
ſpoͤttlichſten Sach von der Welt/ ſo mein Camerad
unter die Leute bracht/ darvon ich mich dergeſtalt
ſchaͤmte/ daß ich von doꝛt hinweg auff Lippſtatt lieffe/
und bey den Heſſen Dienſt nam/ verbliede aber auch
daſelbſt nicht lang/ weil man mir nit traute/ ſondern
trabte fuͤrters in Hollaͤnd. Dienſte/ allwo ich zwar
richtigere Bezahlung: aber einen langweiligen Krieg
vor mein Humor fande/ dann da wurden wir einge-
halten wie die Moͤnche/ und ſolten zuͤchtig leben als
die Nonnen.
Weil ich mich dann nun weder unter Kaͤiſerl.
Schwediſch-noch Heſſiſchen nicht mehr dorffte ſehen
laſſen/ ich haͤtte mich dann muthwillig in Gefahr
geben wollen/ in dem ich bey allen dreyen außgeriſſen/
zumal unter den Hollaͤndern nicht laͤnger zu bleiben
hatte/ weil ich ein Maͤgdlein mit Gewalt entunehrt
hatte/ welches allem Anſehen nach in Baͤlde ſeinen
Außbruch nemmen wuͤrde/ gedachte ich meine Zu-
flucht bey den Spaniſchen zu haben/ der Hoffnung/
von denſelben heim zu gehen/ und zu ſehen/ was meine
Eltern
[471]Viertes Buch.
Eltern machten. Aber als ich ſolches ins Werck zu
ſetzen außgieng/ wurde mir der Compaſs ſo verꝛuckt/
daß ich unverſehens unter die Bayriſche gerieth/ mit
denſelben marchirte ich unter den Merode-Brüdern
auß Weſtphalen biß ins Brißgaͤu/ und ernehrte mich
mit ſpielen und ſtehlen/ hatte ich etwas/ ſo lag ich
bey Tags damit auff dem Spielplatz/ und bey Nacht
bey den Marquetentern/ hatte ich aber nichts/ ſo ſtal
ich hinweg was ich kriegen konte/ ich ſtal offt auff
einen Tag zwey oder drey Pferd/ beydes von der
Waid und auß den Quartiern/ verkauffte und ver-
ſpielte hinwieder/ was ich loͤſte/ und minirte alsdenn
bey Nacht den Leuten in die Zelt/ und zwackte ihnen
ihr beſtes unter den Koͤpffen herfuͤr. War es aber
auff dem March, ſo hatte ich an den engen Paͤſſen ein
wachtſames Aug auff die Felleiſen/ ſo die Weiber
hinder ſich fuͤhrten/ die ſchnitte ich ab/ und brachte
mich alſo durch/ biß das Treffen vor Wittenweyer
voruͤber gieng/ in welchem ich gefangen/ abermal un-
ter ein Regiment zu Fuß geſtoffen/ und alſo zu einem
Weymariſchen Soldaten gemacht wurde/ es wolte
mir aber im Laͤger vor Breyſach nicht gefallen/ da-
rumb quitirte ichs auch bey Zeiten/ und gieng davon
vor mich ſelbſt zu kriegen/ wie du dann ſiheſt/ daß ich
thue. Und ſey verſichert Bruder/ daß ich ſeithero
manchen ſtoltzen Kerl nider gelegt/ und ein herꝛlich
Stuͤck Geld proſperiret habe/ gedencke auch nicht
auffzuhoͤren/ biß daß ich ſehe/ daß ich nichts mehr
bekommen kan. Jetzund nun wirds an dir ſeyn/
daß du mir auch deinen Lebenslauff
erzehleſt.
Das
[472]Deß Abenth. Simpliciſſimi
DasXXII.Capitel.
ALs Olivier ſeinen Diſcurs dergeſtalt vollfuͤhrete/
konte ich mich nicht genugſam uͤber die Goͤttliche
Vorſehung verwundern! Jch konte greiffen/ wie
mich der liebe Gott hiebevor in Weſtphalen vor die-
ſem Unmenſchen nit allein vaͤtterlich bewahret/ ſon-
dern noch darzu verſehen hatte/ daß er ſich vor mir
entſetzt: Damals ſahe ich erſt/ was ich dem Olivier
vor ein Poſſen erwieſen/ darvon ihm der Alte Hertz-
bruder prophezeyet/ welches er Olivier aber ſelbſt/
wie hiervon im 16. Capitel zu ſehen/ zu meinem groſ-
ſen Vortel anders außgelegt/ dann ſolte dieſe Beſtia
gewuſt haben/ daß ich der Jaͤger von Soeſt geweſen
waͤre/ ſo haͤtte er mir gewißlich wieder eingetraͤnckt/
was ich ihm hiebevor auff der Schaͤferey gethan; ich
betrachtete auch/ wie weislich und obſcur Hertzbru-
der ſeine Weißſagungen geben/ und gedachte bey mir
ſelber/ ob zwar ſeine Wahrſagungen gemeinlich un-
fehlbar einzutreffen pflegten/ daß es dennoch ſchwer
fallen wuͤrde/ und ſeltzam hergehen muͤſte/ da ich eines
ſolchen Todt/ der Galgen und Rad verdient haͤtte/
raͤchen ſolte; ich befand auch/ daß mirs trefflich ge-
ſund geweſen/ daß ich ihm meinen Lebenslauff nicht
zu erſt erzehlt/ denn mit der Weis haͤtte ich ihm ja
ſelber geſagt/ womit ich ihn hiebevor beleydigt. Jn
dem ich nun ſolche Gedancken machte/ wurde ich in
Oliviers Angeſicht etlicher Ritz gewahr/ die er vor
Magdeburg noch nit gehabt/ bildete mir derhalben
ein/ dieſelbe Narden ſeyen noch die Wahrzeichen deß
Spring-ins-feld/ als er ihm hiebevor in Geſtalt ei-
nes Teuffels das Angeſicht ſo zerkratzte/ fragte ihn
der-
[473]Viertes Buch.
derhalben/ Woher ihm ſolche Zeichen kaͤmen? mit
dem Anhang/ ob er mir gleichwol ſeinen gantzen Le-
benslauff erzehle/ daß ich jedoch ohnſchwer abnem-
men muͤſſe/ er verſchweige mir das beſte Theil/ weil
er mir noch nicht geſagt/ wer ihn ſo gezeichnet haͤtte;
Ach Bruder/ antwortete er/ wenn ich dir alle meine
Bubenſtuͤck und Schelmerey erzehlen ſolte/ ſo wuͤrde
deydes mir und dir die Zeit zu lang werden/ damit
du aber gleichwol ſeheſt/ daß ich dir von meinen Be-
gegnuſſen nichts verhele/ ſo will ich dir hievon auch
die Warheit ſagen/ ob es ſchon ſcheinet/ als gereiche
es mir zum Spott.
Jch glaude gaͤntzlich/ daß ich von Mutterleib an
zu einem gezeichneten Angeſicht prædeſtiniret gewe-
ſen ſeye/ dann gleich in meiner Jugend wurde ich
von meines gleichen Schuͤler-Jungen ſo zerkratzt/
wenn ich mit ihnen ropffte; ſo hielte mich auch einer
von denen Teuffeln/ die dem Jaͤger von Soeſt auff-
warteten/ uͤberauß hart/ maſſen man ſeine Klauen
wol 6. Wochen in meinem Geſicht ſpuͤrte/ aber ſol-
ches heylete ich wieder alles ſauber hinweg/ die Strie-
men aber/ die du jetzt noch in meinem Angeſicht ſiheſt/
haben einen andern/ und zwar dieſen Urſprung: Als
ich noch unter den Schweden in Pommern in dem
Quartier lag/ und eine ſchoͤne Matreſſe hatte/ muſte
mein Wirth auß ſeinem Bett weichen/ und uns hin-
ein ligen laſſen/ ſeine Katz die auch alle Abend in dem-
ſelbigen Bette zu ſchlaffen gewohnt war/ kam alle
Nacht/ und machte uns groſſe Ungelegenheit/ in
dem ſie ihre ordentliche Ligerſtatt nit ſo ſchlechtlich
entheren wolte/ wie ihr Herꝛ und Frau gethan; ſol-
ches verdroß meine Matreſſe (die ohne das keine Katz
leiden
[474]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
leiden konte) ſo ſehr/ daß ſie ſich hoch verſchwur/ ſie
wolte mir in keinem Fall mehr Liebs erweiſen/ biß
ich ihr zuvor die Katz baͤtte abgeſchafft; Wolte ich
nun ihrer Freundlichkeit laͤnger genieſſen/ ſo gedach-
te ich ihr nit allein zu willfahren/ ſondern mich auch
dergeſtalt an der Katz zu raͤchen/ daß ich auch einen
Luſt daran haben moͤchte/ ſteckte ſie derbalden in ei-
nen Sack/ nam meines Wi ths beyde ſtarcke Bau-
ren-Hunde (die den Katzen ohne das zimlich graͤ-
miſch/ bey mir aber wol gewohnt waren) mit mir
und der Katzen im Sack auff ein breite luſtige Wieſe/
und gedachte da meinen Spaß zu haben/ dann ich
vermeynte/ weil kein Baum in der Naͤhe war/ auff
den ſich die Katz retiriren konte/ wuͤrden ſie die Hund
eine Weil auff der Ebne hin und wieder jagen/ wie
einen Haſen raumen/ und mir eine treffliche Kurtz-
weil anrichten/ Aber potz Stern! es gieng mir nit
allein Hunds-uͤbel/ wie man zu ſagen pflegt/ ſondern
auch Katzen-uͤbel (welches Ubel wenig erfahren ha-
ben werden/ dann man haͤtte ſonſt ohne Zweiffel
vorlaͤngſten auch ein Spruͤchwort darauß gemacht)
maſſen die Katz/ ſo bald ich den Sack auff thaͤte/
nur ein weites Feld/ und auff demſelbigen ihre zwey
ſiarcke Feind/ und nichts hohes vor ihr ſahe/ dahin
ſie ihre Zuflucht haͤtte nehmen koͤnnen: Derowegen
wolte ſie ſich nicht ſo ſchlechtlich in die Nidere bege-
ben/ und ihr das Fell zerꝛeiſſen laſſen/ ſondern ſie
begab ſich auff meinen eigenen Kopff/ weil ſie keineu
hoͤhern Ort wuſte/ und als ich ihr wehrte/ ſiel mir
der Hut herunder; je mehr ich ſie nun herunder zu
zerꝛen trachtete/ je veſter ſchlug ſie ihre Naͤgel ein/
ſich zu halten: Solch unſerm Gefecht konten beyde
Hund
[475]Viertes Buch.
Hunde nicht lang zuſehen/ ſondern mengten ſich mit
ins Spiel/ ſie ſprangen mit offenem Rachen hinden/
vornen und zur Seiten nach der Katz/ die ſich aber
gleichwol von meinem Kopff nicht hinweg begeben
wolte/ ſondern ſich beydes ſo wol in meinem Ange-
ſicht als ſonſten auff dem Kopff/ mit Einſchlagung
ihrer Klauen hielte ſo gut ſie konte/ thaͤt ſie aber mit
ihrem Dorn-Handſchuh einen Fehlſtreich nach den
Hunden/ ſo traff mich derſelbe gewiß/ weil ſie aber
auch bißweilen die Hund auff die Naſe ſchlug/ befliſ-
ſen ſich dieſelbige/ ſie mit ihren Talpen herunder zu
bringen/ und gaben mir damit manchen unfreundli-
chen Griff ins Geſicht/ wenn ich aber ſelbſt mit bey-
den Haͤnden nach der Katz taſtete/ ſie herab zu reiſ-
ſen/ biſſe und kratzte ſie nach ihrem beſten Vermoͤ-
gen: Alſo wurde ich beydes von den Hunden und
von der Katz zugleich bekriegt/ zerkratzt und derge-
ſtalt ſchroͤcklich zugerichtet/ daß ich ſchwerlich ei-
nem Menſchen mehr gleich ſahe/ und was das al-
lerſchlimſte war/ muſte ich noch darzu in der Ge-
fahr ſtehen/ wann ſie ſo nach der Katz ſchnappten/
es moͤchte mir etwan einer ohngefaͤhr die Naſe/
oder ein Ohr erwiſchen/ und gantz hinweg beiſſen;
Mein Kragen und Koller ſahe ſo blutig auß/ als
wie vor eines Schmidts Nothſtall an S. Steffans-
Tag/ wann man den Pferden zur Ader laͤſt; und
wuſte ich gantz kein Mittel zu erſinnen/ mich auß
dieſen Aengſten zu erꝛetten; zuletzt ſo muſte ich von
freyen Stuͤcken auff die Erde nider fallen/ darmit
beyde Hund die Katz erwiſchen koͤnten/ wolte ich an-
derſt nicht/ daß mein Capitolium noch laͤnger ihr
Fecht-
[476]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Fechtplatz ſeyn ſolte/ die Hund erwuͤrgten zwar die
Katz/ ich hatte aber bey weitem keinen ſo herꝛlichen
Spaß darvon als ich gehofft/ ſondern nur Spott/
und ein ſolch Angeſicht/ wie du noch vor Augen ſiheſt.
Deſſentwegen wurde ich ſo ergrimmt/ daß ich nach-
gehends beyde Hund todt ſchoſſe/ und meine Matreß,
die mir zu dieſer Thorheit Anlaß geben/ dergeſtalt
abpruͤgelte/ daß ſie haͤtte Oel geben moͤgen/ und daruͤ-
ber von mir hinweg lieffe/ weil ſie ohn Zweiffel keine
ſo abſcheuliche Larve laͤnger lieben konte.
DasXXIII.Capitel.
JCh hette uͤber dieſer deß Olieviers Erzehlung gern
gelacht/ und muͤſte mich doch mitleid enlich erzei-
gen; und als ich eben auch anfienge meinen Lebens-
Lauff zuerzehlen/ ſahen wir eine Kutſche ſampt zwey-
en Reutern das Land herauff kommen/ derohalben
ſtiegen wir vom Kirch-Thurn/ und ſetzten uns in ein
Hauß das an der Straß lag/ und ſehr bequem war
die voruͤber Reiſende anzugreiffen/ mein Rohr muſte
ich zum Vorꝛath geladen behalten/ Olivier aber legte
mit ſeinem Schuß gleich den einen Reuter und das
Pferdt/ ehe ſie unſerer innen wurden/ weßwegen dañ
der ander gleich durchgienge/ und in dem ich mit uͤ-
bergezognem Hanen den Kutſcher halten/ und ab-
ſteigen gemacht/ ſprang Olivier auff ihn dar/ und
ſpaltete ihm mit ſeinem breiten Schwerdt den Kopff
von einander biß auff die Zaͤhn hinunter/ wolte auch
gleich darauff das Frauenzimmer und die Kinder
metzgen/ die in her Kutſchen ſaſſen/ und bereits
mehr den todten Leichen/ als den Lebenden gleich ſa-
hen; ich aber wolte es rund nicht geſtatten/ ſondern
ſagte
[477]Viertes Buch.
ſagte/ wofern er ſolches ja ins Werck ſetzen wolte/
muͤſte er mich zuvor erwuͤrgen/ Ach! ſagte er/ du
naͤrꝛiſcher Simplici, ich haͤtte mein Tage nicht gemei-
net/ daß du ſo ein heiloſer Kerl waͤreſt/ wie du dich
anlaͤſt: Jch antwortet/ Bruder/ was wilſt du die
unſchuldige Kinder zeihen/ wanns Kerl waͤren die
ſich wehren koͤndten/ ſo waͤrs ein anders/ was/ ant-
wortet er/ Eyer in die Pfannen/ ſo werden keine
Junge drauß; Jch kenne dieſe junge Blutſauger wol/
ihr Vatter der Major iſt ein rechter Schindhund/
und der aͤrgſte Wam̃sklopffer von der Welt? und
mit ſolchen Worten wolte er immer fortwuͤrgen/
doch enthielte ich ihn ſo lang/ biß er ſich endlich er-
weichen lieſſe; es waren aber eines Majors Weib/
ihre Maͤgd/ und drey ſchoͤne Kinder/ die mich von
Hertzen daureten/ dieſe ſperꝛeten wir in einen Keller/
auff daß ſie uns ſo bald nicht verꝛathen ſolten/ in wel-
chem ſie ſonſt nichts als Obs und weiſſe Ruben zu
beiſſen hatten/ biß ſie gleichwol widerumb von jeman-
den erloͤßt wuͤrden; demnach pluͤnderten wir die
Kutſchen/ und ritten mit ſiben ſchoͤnen Pferden in
Wald wo er zum dickſten war.
Als wir ſolche angebunden hatten/ und ich mich
ein wenig umbſchauete/ ſahe ich ohnweit von uns
einen Kerl ſtockſtill an einem Baum ſtehen/ ſolchen
wiſe ich dem Olivier, und vermeinte es waͤre ſich vor-
zuſehen; ha Narꝛ! antwortet er/ es iſt ein Jud/ den
hab ich hingebunden/ der Schelm iſt aber vorlaͤngſt
erfroren und verꝛeckt/ und in dem gieng er zu ihm/
klopffte ihm mit der Hand unten ans Kinn/ und ſag-
te/ ha! du Hund haſt mir auch viel ſchoͤne Ducaten
gebracht/ und als er ihm dergeſtalt das Kiñ bewegte/
rollten
[478]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
rollten ihm noch etliche Duplonen zum Maul her-
auß/ welche der arm Schelm noch biß in ſeinen Todt
davon bracht hatte/ Olivier griff ihm darauff in das
Maul/ und brachte zwoͤlff Duplonen und einen koͤſt-
lichen Rubin zuſammen/ dieſe Beut (ſagte er) hab
ich dir Simplici zu dancken/ ſchenckte mir darauff den
Rubin/ ſtieß das Geld zu ſich/ und gieng hin ſeinen
Bauren zu holen/ mit Befelch/ ich ſolte indeſſen bey
den Pferden verbleiben/ ſolte aber wol zuſehen/ daß
mich der todte Jud nicht beiſſe/ womit er mir ver-
wieſe/ daß ich kein ſolche Courage haͤtte wie er.
Als er nun nach dem Bauren auß war/ machte ich
indeſſen ſoꝛgſame Gedancken/ und betrachtete/ in
was vor einem gefaͤhrlichen Stand ich lebte; Jch
nam mir vor/ auff ein Pferd zu ſitzen und durch zu
gehen/ beſorgte aber/ Olivier moͤchte mich uͤber der
Arbeit erdappen/ und erſt nider ſchieſſen/ denn ich arg-
wohnte/ daß er meine Beſtaͤndigkeit vor dißmal nur
probire/ und irgends ſtehe mir auffzupaſſen; bald ge-
dacht ich zu Fuß davon zu lauffen/ muſte aber doch
ſorgen/ wann ich dem Olivier gleich entkaͤme/ daß ich
nichts deſto weniger den Baurn auff dem Schwartz-
wald/ die damals im Ruff waren/ daß ſie den Solda-
ten auff die Hauben klopfften/ nicht entrinnen wuͤrde
koͤnnen; nimmſtu aber/ gedacht ich/ alle Pferd mit
dir/ auff daß Olivier kein Mittel hat/ dir nachzujagen/
und wuͤrdeſt von den Weymariſchen erwiſcht/ ſo
wirſtu als ein uͤberzeugter Moͤrder auffs Rad gelegt.
Jn Summa/ ich wuſte kein ſicher Mittel zu meiner
Flucht zu erſinnen/ vornemlich da ich mich in einem
wilden Wald befand/ und weder Weg noch Steg
wuſte; uͤber das wachte mir mein Gewiſſen auch
auff
[479]Viertes Buch.
auff/ und quaͤlte mich/ weil ich die Gutſch auffgehal-
ten/ und ein Urſach geweſen/ daß der Gutſcher ſo er-
baͤrmlich umbs Leben kommen/ und beyde Weibsbil-
der und unſchuldige Kinder in Keller verſperꝛt wor-
den/ worinnen ſie vielleicht/ wie dieſer Jud/ auch
ſterben und verderben muͤſten; bald wolte ich mich
meiner Unſchuld getroͤſten/ weil ich wider Willen
angehalten wuͤrde/ aber mein Gewiſſen hielt mir vor/
ich haͤtte vorlaͤngſten mit meinen andern begangenen
boͤſen Stuͤcken verdient/ daß ich in Geſellſchafft die-
ſes Ertz-Moͤrders in die Haͤnd der Juſtitz gerathe/
und meinen billichen Lohn empfange/ und vielleicht
haͤtte der gerechte Gott verſehen/ daß ich ſolcher ge-
ſtalt geſtrafft werden ſolte: Zuletzt fienge ich an ein
beſſers zu hoffen/ und bat die Guͤte GOttes/ daß ſie
mich auß dieſem Stand erꝛetten wolte/ und als mich
ſo eine Andacht ankam/ ſagte ich zu mir ſelber: Du
Narꝛ/ du biſt ja nicht eingeſperꝛt oder angebunden/
die gantze weite Welt ſtebt dir ja offen/ haſtu jetzt nit
Pferd genug/ zu deiner Flucht zu greiffen? oder da
du nicht reuten wilt/ ſo ſeyn deine Fuͤſſe ja ſchnell ge-
nug/ dich darvon zu tragen? Jn dem ich mich nun
ſelbſt ſo martert und quaͤlte/ und doch nichts ent-
ſchlieſſen konte/ kam Olivier mit unſerm Baurn da-
her/ der fuͤhrte uns mit den Pferden auff einen Hof/
da wir fuͤtterten/ und einer umb den andern ein paar
Stund ſchlieffen/ nach Mitternacht ritten wir wei-
ters/ und kamen gegen Mittag an die aͤuſſerſte Gren-
tzen der Schweitzer/ allwo Olivier wol bekant war/
und uns ſtattlich aufftragen lieſſe/ und dieweil wir
uns luſtig machten/ ſchickte der Wirth nach zweyen
Juden/ die uns die Pferd gleichſam nur umb halb
XGeld
[480]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Geld abhandelten: Es war alles ſo nett und juſt be-
ſtellt/ daß es wenig Wortwechſelns brauchte/ der
Juden groͤſte Frag war/ ob die Pferd Kaͤiſeriſch oder
Schwediſch geweſen? und als ſie vernamen/ daß ſie
von den Weymariſchen herkaͤmen/ ſagten ſie/ ſo
muͤſſen wir ſolche nicht nach Baſel/ ſondern in das
Schwabenland zu den Bayriſchen reuten. Uber wel-
che groſſe Kundſchafft und Vertraͤulichkeit ich mich
verwundern muſte.
Wir banquetirten Edelmaͤnniſch/ und ich lieſſe
mir die gute Wald-Forellen und koͤſtliche Krebs da-
ſelbſt wol ſchmecken; Wie es nun Abend wurde/ ſo
machten wir uns wieder auff den Weg/ hatten un-
ſern Baurn mit Gebratens und andern Victualien wie
einen Eſel beladen/ damit kamen wir den andern Tag
auff einen einzeln Baurn-Hof/ allwo wir freundlich
bewillkommt und auffgenommen wurden/ und uns
wegen ungeſtuͤmmen Wetters ein paar Tag auffhiel-
ten/ folgends kamen wir durch lauter Wald und Ab-
weg wieder in eben das jenige Haͤußlein/ dahin mich
Olivier anfaͤnglich fuͤhrte/ als er mich zu ſich bekam.
DasXXIV.Capitel.
WJe wir nun ſo da ſaſſen/ unſerer Leiber zu pflegen
und außzuruhen/ ſchickte Olivier den Baurn auß/
Eſſenſpeiß ſampt etwas von Kraut und Loth einzu-
kauffen; Als ſelbiger hinweg/ zoge er ſeinen Rock
auß/ und ſagte zu mir: Bruder/ ich mag das Teuf-
fels-Geld nit mehr allein ſo herumb ſchleppen/ band
demnach ein paar Wuͤrſte oder Wuͤlſt/ die er auff
bloſſem Leib trug/ herunder/ warff ſie auff den Tiſch/
und ſagte ferner: Du wirſt dich hiemit bemuͤhen muͤſ-
ſen
[481]Viertes Buch.
ſen/ biß ich einmal Feyerabend mache/ und wir beyde
genug haben/ das Donners-Geld hat mir Beulen
getruckt! Jch antwortete: Bruder/ haͤtteſt du ſo we-
nig als ich/ ſo wuͤrde es dich nit truͤcken; Was? fiel
er mir in die Red/ was mein iſt/ das iſt auch dein/ und
was wir ferner miteinander erobern/ ſoll gleiche Part
gelten. Jch ergriff beyde Wuͤlſte/ und befande ſie
trefflich gewichtig/ weil es lauter Goldſorten warn;
Jch ſagte/ es ſey alles gar unbequem gepackt/ da es
ihm gefiel/ wolte ichs alſo einnaͤhen/ daß einen das
tragen nit halb ſo ſauer ankaͤme. Als er mirs heim
ſtellte/ gieng ich mit ihm in einen holen Eichbaum/
allda er Scheer/ Nadel und Faden machte/ da mach-
te ich mir und ihm ein Scapulier oder Schulter-kleid
auß einem paar Hoſen/ und verſteppte machen ſchoͤ-
nen rothen Batzen darein/ und demnach wir ſolche
unter die Hemder anzogen/ war es nicht anders/ als
ob wir vorn und hinden mit Gold bewaffnet geweſt
waͤren: Und demnach mich Wunder nam/ und frag-
te/ warum er kein Silber-Geld haͤtte? bekam ich zur
Antwort/ daß er mehr als 1000. Thaler in einem
Baum ligen haͤtte/ auß welchem er den Baurn hau-
ſen lieſſe/ und umb ſolches nie kein Rechnung begehrt/
weiler ſolchen Schafmiſt nicht hoch achte.
Als diß geſchehen/ und das Geld eingepackt war/
giengen wir nach unſerm Logiment, darinn wir die-
ſelbe Nacht uͤber kochten/ und uns beym Ofen auß-
baͤheten: Und demnach es eine Stund Tag war/ ka-
men/ als wir uns deſſen an wenigſten verſahen/ ſechs
Mußquetier ſampt einem Corporal/ mit fertigem
Gewehr und auffgepaßten Lunden ins Haͤußlein/
ſtieſſen die Stubenthuͤr auff/ und ſchryen: Wir ſolten
X ijuns
[482]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
uns gefangen geben! Aber Olivier (der ſo wol als
ich jederzeit ſeine geſpannte Mußquete neben ſich li-
gen/ und ſein ſcharff Schwerd allzeit an der Seiten
hatte/ und damals eben hinderm Tiſch ſaſſe/ gleich
wie ich hinder der Thuͤr beym Ofen ſtunde) antwor-
tet ihnen mit einem paar Kuglen/ durch welche er
gleich zween zu Boden faͤllte/ ich aber erlegte den
dritten/ und beſchaͤdigte den vierten durch einen
gleichmaͤſſigen Schuß; darauff wiſchte Olivier mit
ſeinem nothveſten Schwerd/ welches Haar ſchure/
und wol deß Koͤnigs Arturi in England Caliburn ver-
glichen werden moͤchte/ von Leder/ und hieb den
fuͤnfften von der Achſel an biß auff den Bauch hin-
under/ daß ihm das Jngeweid herauß/ und er neben
demſelben darnider fiel/ indeſſen ſchlug ich den ſech-
ſten mit meinem umbgekehrten Feur-rohr auff den
Kopff/ daß er alle vier von ſich ſtreckte; einen ſolchen
Streich kriegte Olivier von dem ſibenden/ und zwar
mit ſolchem Gewalt/ daß ihm das Hirn herauß
ſpritzte/ ich aber traff denſelben/ ders ihm gethan/
wiederumb dermaſſen/ daß er gleich ſeinen Camera-
den am Todten-Reyhen Geſellſchafft leiſten muſte;
Als der beſchaͤdigte/ den ich anfaͤnglich durch meinen
Schuß getroffen/ dieſer Puͤff gewahr wurde/ und
ſahe/ daß ich ihm mit umbgekehrtem Rohr auch ans
Leder wolte/ warff er ſein Gewehr hinweg/ und fieng
an zu zauffen/ als ob ihn der Teuffel ſelbſt gejagt haͤt-
te. Und dieſes Gefecht waͤhrte nit laͤnger/ als eines
Vatter unſers Laͤnge/ in welcher kurtzen Zeit dieſe
ſiben dapffere Soldaten ins Gras biſſen.
Da ich nun ſolcher geſtalt allein Meiſter auff dem
Platz blieb/ beſchaute ich den Olivier, ob er vielleicht
noch
[483]Viertes Buch.
noch einen lebendigen Athem in ſich haͤtte/ da ich ihn
aber gantz entſeelet befande/ duͤnckte mich ungereimt
zu ſeyn/ einem todten Coͤrper ſo viel Golds zu laſſen/
deſſen er nit vonnoͤthen/ zog ihm derwegen das guͤl-
den Fell ab/ ſo ich erſt geſtern gemacht hatte/ und
henckte es auch an Hals zu dem andern. Und demnach
ich mein Rohr zerſchlagen hatte/ name ich Oliviers
Mußquete und Schwerd zu mir/ mit demſelben ver-
ſahe ich mich auff allen Nothfall/ und machte mich
auß dem Staub/ und zwar auff den Weg/ da ich
wuſte/ daß unſer Baur darauff herkommen muͤſte/ ich
ſetzte mich bey ſeit an ein Ort/ ſeiner zu erwarten/ und
mich zugleich zu bedencken/ was ich ferner anfangen
wolte.
DasXXV.Capitel.
JCh ſaß kaum ein halbe Stund in meinen Gedan-
cken/ ſo kam unſer Baur daher/ und ſchnanbte wie
ein Beer/ er lieff von allen Kraͤfften/ und wurde mei-
ner nit gewahr/ biß ich ihm auff den Leib kam; Wa-
rumb ſo ſchnell/ (ſagte ich) was neues? Er antwoꝛt/
geſchwind macht euch abweg! es kompt ein Corpo-
ral mit 6. Mußquetiern/ die ſollen euch und den Oli-
vier auffheben/ und entweder todt oder ledendig nach
Liechteneck liefern/ ſie haben mich gefangen gehabt/
daß ich ſie zu euch fuͤhren ſolte/ bin ihnen aber gluͤck-
lich entronnen/ und hieher kommen/ euch zu warnen:
Jch gedachte/ O Schelm/ du haſt uns verꝛathen/
damit dir Oliviers Geld/ ſo im Baum ligt/ zu theil
werden moͤge/ lieſſe mich aber doch nichts mercken/
weil ich mich ſeiner als eines Wegweiſers gebrau-
chen wolte/ ſondern ſagte ihm/ daß beydes Olivier
X iijund
[484]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
und die jenige ſo ihn haͤtten fangen ſollen/ todt waͤ-
ren; da es aber der Bauer nit glauben wolte/ war ich
noch ſo gut/ und gieng mit ihm hin/ daß er das Elend
an den ſieben Coͤrpern ſehen konte/ den ſiebenden/ die
uns fangen ſollen/ ſagte ich/ habe ich lauffen laſſen/
und wolte Gott/ ich koͤnte auch dieſe wieder lebendig
machen/ ſo wolte ichs nit unterlaſſen! Der Bauer
erſtannte vor Schrecken/ und ſagte/ Was Raths?
Jch antwoꝛtet/ der Rath iſt ſchon beſchloſſen/ unter
dreyen Dingen gib ich dir die Wahl/ entweder fuͤhre
mich alsbald durch ſichere Abweg uͤber den Wald
hinauß nach Villingen/ oder zeige mir Oliviers Geld/
das im Baum ligt/ oder ſtirb hier/ und leiſte gegen-
waͤrtigen Todten Geſellſchafft! Fuͤhreſtu mich nach
Villingen/ ſo bleibt dir Oliviers Geld allein/ wirſtu
mirs aber weiſen/ ſo will ichs mit dir theilen/ thuſtu
aber deren keines/ ſo ſchieß ich dich todt/ und gehe
gleichwol meines Wegs. Der Baur waͤre gern ent-
loffen/ aber er forchte die Mußquete/ fiele derhalben
auff die Knye nider/ und erbote ſich/ mich uͤber Wald
zu fuͤhren: Alſo wanderten wir eylend fort/ giengen
denſelben Tag und folgende gantze Nacht/ weil es zu
allem Gluͤck trefflich hell war/ ohne Eſſen/ Trincken
und einige Ruhe immer hin/ biß wir gegen Tag die
Statt Villingen vor uns ligen ſahen/ allwo ich mei-
nen Baurn wieder von mir lieſſe. Auff dieſem Weg
trieb den Baurn die Todtesforcht/ mich aber die Be-
gierde/ mich ſelbſt und mein Geld davon zu bringen/
und muß faſt glauben/ daß einem Menſchen das Gold
groſſe Kraͤfften mittheilet/ denn ob ich zwar ſchwer
genug daran trug/ ſo empfand ich jedoch keine ſon-
derbare Muͤdigkeit.
Jch
[485]Viertes Buch.
Jch hielte es vor ein gluͤcklich Omen, daß man die
Pfort eben oͤffnete/ als ich vor Villingen kam/ der
Officier von der Wacht examinirte mich/ und als er
vernam/ daß ich mich vor einen Freyreuter außgab/
von dem jenigen Regiment/ wobey mich Hertzbruder
gethan/ als er mich zu Philipsburg von der Muß-
quete erlōſte/ wie auch/ daß ich auß dem Laͤger vor
Brey ſach von den Weymariſchen her kaͤme/ unter
welche ich vor Wittenweyr gefangen und unterge-
ſtoſſen worden/ und nunmehr wieder zu meinem Re-
giment unter die Bayriſche begehrte/ gab er mir ei-
nen Mußquetierer zu/ der mich zum Commandanten
fuͤhrte. Derſelbe lag noch in ſeiner Rube/ weil er
wegen ſeiner Geſchaͤfften mehr als die halbe Nacht
wachend zugebracht hatte/ alſo daß ich wol andert-
halbe Stund vor ſeinem Quartier auffwarten muſte/
und weil eben die Leut auß der Fruͤhmeß giengen/ ei-
nen groſſen Umbſtand von Buͤrgern und Soldaten
bekam/ die alle wiſſen wolten/ wie es vor Breyſach
ſtuͤnde? Von welchem Geſchrey der Commandant
erwachte/ und mich vor ihn kommen lieſſe:
Er fieng an mich zu examiniren/ und meine Auß-
ſag war wie unterm Thor; Hernach fragte er mich
ſonderliche Particularitaͤten/ von der Belaͤgerung und
ſonſten/ und damit bekennete ich alles/ wie daß ich
nemlich ein Tag oder vierzehen mich bey einem Kerl
auffgehalten/ der auch durch gangen/ und mit dem-
ſelben eine Gutſche angegriffen und gepluͤndert haͤtte/
der Meynung/ von den Weymariſchen ſo viel Beu-
ten zu holen/ daß wir uns darauß beritten machen/
und rechtſchaffen mond[i]ert wieder zu unſern Regi-
mentern kommen moͤchten/ wir ſeyen aber erſt geſter
X jvvon
[486]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
von einem Corporal mit noch ſechs andern Kerlen/
die uns auffheben ſollen/ uͤberfallen worden/ dadurch
mein Camerad mit noch ſechſen vom Gegentheil auff
dem Platz geblieben/ der fiebend aber ſo wol als ich/
und zwar jeder zu ſeiner Partey/ entloffen ſeye; von
dem aber/ daß ich nacher L. in Weſtphalen zu mei-
nem Weib gewolt/ und daß ich zwey ſo wolgeſuͤtterte
Hinder- und Vorderſtuͤck an hatte/ ſchwieg ich ſtock-
ſtill/ und zwar ſo machte ich mir auch kein Gewiſſen
darumb/ daß ichs verhelete/ dann was giengs ihn an?
Er fragte mich auch nit einmal darumb/ ſondern ver-
wunderte ſich vielmehr/ und wolts faſt nit glauben/
daß ich und Olivier ſolten 6 Mann nider gemacht/
und den ſiebenden verjagt haben/ ob zwar mein Ca-
merad mit eingebuͤſt. Mit ſolchem Geſpraͤch gabs
Gelegenheit von Oliviers Schwerd zu reden/ ſo ich
lobte/ und an der Seiten hatte/ das gefiel ihm ſo wol/
daß ichs ihm/ wolte ich anders mit guter Manier
von ihm kommen/ und Paß erlangen/ gegen einem
andern Degen/ den er mir gab/ uͤberlaſſen muſie; in
Warheit aber/ ſo war daſſelbe trefflich ſchoͤn und
gut/ es war ein gantzer ewigwaͤhrender Calender da-
rauff geetzet/ und laſſe ich mir nicht außreden/ daß es
nicht in Hora Martis von Vulcano ſelbſt geſchmidet/
und allerdings zugerichtet worden ſeye/ wie im Hel-
denſchatz eins beſchrieben wird/ worvon alle andere
Klingen entzwey ſpringen/ und die behertzteſte Feinde
und Loͤwen-Gemuͤter/ wie forchtſame Haſen entlauf-
fen muͤſſen. Nachdem er mich nun entlieſſe/ und be-
fohlen/ einen Paß vor mich zu ſchreiben/ gienge ich
den naͤchſten Weg ins Wirthshauß/ und wuſte nit/
ob ich am erſten ſchlaffen oder eſſen ſolte? denn es
war
[487]Viertes Buch.
war mir beydes noͤthig doch wolt ich zuvor meinen
Magen ſtillen/ lieſſe mir derhalben etwas zu eſſen/
und einen Trunck langen/ und machte Gedancken/
wie ich meine Sachen anſtellen moͤchte/ daß ich mit
meinem Geld ſicher nach L. zu meinem Weib kom̃en
moͤchte/ denn ich hatte ſo wenig im Sinn zu meinem
Regiment zu gehen/ als den Hals abzufallen.
Jn dem ich nun ſo ſpeculirte/ hinckte ein Kerl in
die Stub/ an einem Stecken in der Hand/ der hatte
einen verbundenen Kopff/ einen Arm in der Schlinge/
und ſo elende Kleider an/ daß ich ihm kein Heller da-
rumb geben haͤtte; ſo bald ihn der Haußknecht ſahe/
wolte er ihn außtreiben/ weil er uͤbel ſtuncke/ und ſo
voll Laͤus kroche/ daß man die gantze Schwabenhaid
damit beſetzen koͤnte; er aber bat/ man wolte ihm
doch umb Gottes willen zulaſſen/ ſich nur ein wenig
zu waͤrmen/ ſo aber nichts halff; demnach ich mich
aber ſeiner erbarmte/ und vor ihn bat/ wurde er kuͤm-
merlich zum Ofen gelaſſen: Er ſahe mir/ wie mich
duͤnckte/ mit begierigem Appetit und groſſer Andacht
zu/ wie ich drauff hiebe/ und ließ etliche Senfftzer
lauffen/ und als der Haußknecht gieng/ mir ein ſtuͤck
Gebratens zu holen/ gieng er gegen mir zum Tiſch
zu/ und reichte ein irden Pfennig-Haͤfelein in der
Hand dar/ als ich mir wol einbilden konte/ warumb
er kaͤme? nam derhalben die Kanne/ und goß ihme
ſeinen Hafen voll/ ehe er hieſche; Ach Freund/ ſagte
er/ umb Hertzbruders willen gebt mir auch
zu eſſen! Da er ſolches ſagte/ gieng mirs durchs
Hertz/ und befand/ daß es Hertzbruder ſelbſten war/
ich waͤre bey nahe in Ohnmacht geſuncken/ da ich ihn
in einem ſo elenden Stand ſahe/ doch erhielt ich mich/
X vfiel
[488]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
fiel ihm umb den Hals/ und ſetzte ihn zu mir/ da uns
denn beyden/ mir auß Mitleiden und ihm auß Frend/
die Augen uͤber giengen.
DasXXVI.Capitel.
UNſer unverſehene Zuſammenkunfft machte/ daß
wir faſt weder eſſen noch trincken konten/ nur frag-
te einer den andern/ wie es ihm ergangen/ ſind wir das
letzte mal beyſamm geweſen/ dieweil aber der Wirth
und Haußknecht ſtets ab und zu gieng/ konten wir
einander nichts vertraͤulichs erzehlen/ der Wirth
wunderte/ daß ich ein ſo lauſigen Kerl bey mir lidte/
Jch aber ſagte/ ſolches ſey im Krieg unter rechtſchaf-
fenen Soldaten/ die Cameraden waͤren/ der Brauch.
Da ich auch verſtunde/ daß ſich Hertzbruder bißher
im Spital auffgehalten/ vom Almoſen ſich ernehrt/
und ſeine Wunden liederlich verbunden woꝛden/ ding-
te ich dem Wirth ein ſonderlich Stuͤblein ab/ legte
Hertzbrudern in ein Bett/ und ließ ihme den beſten
Wund-Artzt kommen/ den ich haben konte/ wie auch
einen Schneider und eine Naͤherin/ ihn zu kleiden/ und
den Laͤuſen auß den Zaͤhnen zu ziehen; ich hatte eben
die jenige Duplonen/ ſo Olivier einem todten Juden
auß dem Maul bekommen/ bey mir in einem Saͤckel/
dieſelbe ſchlug ich auff den Tiſch/ und ſagte/ dem
Wirth zu Gehoͤr/ zu Hertzbrudern: Schau Bruder/
das iſt mein Geld/ das will ich an dich wenden/ und
mit dir verzehren; davon der Wirth uns brav auff-
wartete/ dem Barbier aber wieſe ich den Rubin/ der
auch deß bedeuten Juden geweſen/ und ungefaͤhr 20.
Thaler werth war/ und ſagte: Weil ich mein wenig
Geld/ ſo ich haͤtte/ vor uns zur Zehrung/ und meinem
Came-
[489]Viertes Buch.
Cameraden zur Kleidung auffwenden muͤſte/ ſo wolt
ich ihm denſelben Ring geben/ wenn er beſagten mei-
nen Camer aden in Baͤlde von Grund auß davor cu-
riren wolte/ deſſen er denn wol zu frieden/ und ſeinen
beſten Fleiß zur Cur anwendete.
Alſo pflegte ich Hertzbrudern/ wie meinem andern
Jch/ und ließ ihm ein ſchlecht Kleidlein von grauem
Tuch machen/ zuvor aber gieng ich zum Comman-
danten wegen deß Paſſes/ und zeigte ihm an/ daß ich
einen uͤbel-beſchaͤdigten Cameraden angetroffen haͤt-
te/ auff den wolte ich warten/ biß er vollend heylete/
denn ihn hinder mir zu laſſen/ getraute ich bey meinem
Regiment nicht zu verantworten; der Commandant
lobte meinen Fuͤrſatz/ und goͤnnete mir zu bleiben/ ſo
lang ich wolte/ mit fernerm Anerbieten/ wenn mir
mein Camerad wuͤrde folgen koͤnnen/ daß er uns bey-
de alsdenn mit genugſamem Paß verſehen wolte.
Demnach ich nun wieder zu Hertzbrudern kam/
und allein neben ſeinem Bett bey ihm ſaſſe/ bat ich
ihn/ er wolte mir unbeſchwert erzehlen/ wie er in ei-
nen ſo armſeeligen Stand gerathen waͤre? denn ich
bildete mir ein/ er moͤchte vielleicht wichtiger Urſa-
chen/ oder ſonſt eines Uberſehens halber/ von ſeiner
vorigen Dignitaͤt verſtoſſen/ unredlich gemacht/ und
in gegenwaͤrtig Elend geſetzt worden ſeyn; Er aber
ſagte: Bruder du weiſt/ daß ich deß Grafen von Goͤtz
fac totum und allerliebſter geheimſter Freund gewe-
ſen/ hingegen iſt dir auch genugſam bekant/ was die
verwichene Campagne unter ſeinem Generalat und
Commando vor ein ungluͤckſelige Endſchafft erꝛeicht/
in dem wir nicht allein die Schlacht bey Wittenweyr
verloren/ ſondern noch darzu das belaͤgerte Breyſach
X vjzu
[490]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
zu entſetzen nit vermoͤcht haben: Weil denn nun deß-
wegen hin und wieder vor aller Welt ſehr ungleich
geredt wird/ zumalen wol-ermeldter Graf/ ſich zu
verantwoꝛten/ nach Wien citirt worden/ ſo lebe ich
beydes vor Scham und Forcht/ freywillig in dieſer
Nidere/ und wuͤnſche mir offt/ entweder in dieſem
Elend zu ſterben/ oder doch wenigſt mich ſo lang ver-
borgen zu halten/ biß mehr-wolbeſagter Graf ſeine
Unſchuld an Tag gebracht/ dann ſo viel ich weiß/ iſt
er dem Roͤm. Kaͤiſer allezeit getreu geweſen/ daß er
aber dieſen verwichenen Sommer ſo gar kein Gluͤck
gehabt/ iſt meines Erachtens mehr der Goͤttlichen
Vorſehung (als welcher die Siege gibt wem er will)
als deß Grafen Uberſehen beyzumeſſen.
Da wir Breyſach zu entſetzen im Werck waren/
und ich ſahe/ daß es unſer ſeits ſo ſchlaͤfferig hergieng/
armirte ich mich ſelbſt/ und gieng dergeſtalt auff die
Schiffbruͤcke mit an/ als ob ichs allein haͤtte vollen-
den wollen/ da es doch damals weder mein Profeſſion
noch Schuldigkeit war; Jch thaͤts aber den andern
zum Exempel/ und weil wir den vergangenen Som-
mer ſo gar nichts außgericht hatten/ das Gluͤck/ oder
vielmehr das Ungluͤck wolte mir/ daß ich unter den
erſten Angaͤngern dem Feind auch am erſten auff der
Bruͤcken das Weiß in Augen ſahe/ da es denn ſcharff
her gieng/ und gleich wie ich im Angriff der erſte ge-
weſen/ alſo wurde ich/ da wir der Frantzoſen unge-
ſtuͤm̃em Anſetzen nicht mehr widerſtunden/ der aller-
letzte/ und kam dem Feind am erſten in die Haͤnde:
ich empfieng zugleich einen Schuß in meinen rechten
Arm/ und den andern in Schenckel/ alſo daß ich we-
der außreiſſen/ noch meinen Degen mehr gebranchen
konte/
[491]Viertes Buch.
konte/ und als die Enge deß Orts und der groſſe Ernſt
nit zulieſſe/ viel vom Quartier geben und nehmen zu
parlementiren/ kriegte ich einen Hieb in Kopff/ davon
ich zu Boden fiel/ und weil ich fein gekleidet war/ von
etlichen in der Furi außgezogen/ und vor todt in Rhein
geworffen wurde. Jn ſolchen Noͤthen ſchrye ich zu
Gott/ und ſtellete alles ſeinem heiligen Willen heim/
und in dem ich unter ſchiedliche Geluͤbde thaͤt/ ſpuͤrte
ich auch ſeine Huͤlff/ der Rhein warff mich ans Land/
allwo ich meine Wunden mit Moß verſtopffte/ und
ob ich zwar bey nahe erfrore/ ſo verſpuͤrte ich jedoch
eine abſonderliche Krafft davon zu kriechen/ maſſen
mir Gott halff/ daß ich (zwar jaͤm̃erlich verwundet)
zu etlich Merode-Bruͤdern und Soldaten-Weibern
kam/ die ſaͤmptlich ein Mitleiden mit mir hatten/ ob
ſie mich zwar nit kanten. Dieſe verzweiffelten bereits
an einem gluͤcklichen Entſatz der Veſtung/ das mir
weher thaͤt als meine Wunden/ ſie erquickten und be-
kleideten mich bey ihrem Feur/ und ehe ich ein wenig
meine Wunden verbande/ muſie ich ſehen/ daß ſich
die Unſerige zu einem ſpoͤttlichen Abzug ruͤſteten/ und
die Sach vor verloren gaben/ ſo mich trefflich ſchmir-
tzete/ reſolvirte derhalben bey mir ſelbſten/ mich nie-
mand zu offenbaren/ damit ich mich keines Spotts
theilhafftig machte/ maſſen ich mich zu etlichen Be-
ſchaͤdigten von unſerer Armee geſellet/ welche einen
eigenen Feldſcherer bey ſich hatten/ denen gab ich ein
guͤlden Creutzlein/ das ich noch am Hals darvon ge-
bracht/ vor welches er mir biß hieher meine Wunden
verbunden. Jn ſolchem Elend nun/ werther Simplici,
hab ich mich bißher beholffen/ gedencke mich auch kei-
nem Menſchen zu offenbaren/ biß ich zuvor ſehe/ wie
X vijdeß
[492]Deß Abenth. Simpl. IV. Buch.
deß Grafen von Goͤtz ſeine Sach einen Außgang ge-
winnet. Und demnach ich deine Guthertzigkeit und
Treu ſehe/ gibt mir ſolches einen groſſen Troſt/ daß
der liebe Gott mich noch nit verlaſſen/ maſſen ich heut
morgen/ als ich auß der Fruͤhmeß kam/ und dich vor
deß Commandanten Quartier ſiehen ſahe/ mir einge-
bildet/ Gott haͤtte dich an ſtatt eines Engels zu mir
geſchickt/ der mir in meiner Armſeeligkeit zu Huͤlff
kommen ſolte. Jch troͤſtete Hertzbrudern ſo gut ich
konte/ und vertraute ihm/ daß ich noch mehr Geld
haͤtte als die jenige Duplonen die er geſehen/ welches
alles zu ſeinen Dienſten ſtuͤnde; und in dem erzehlte
ich ihm auch Olieviers Untergang/ und was geſtalt
ich ſeinen Todt raͤchen muͤſſen. Welches ſein Gemuͤt
dermaſſen erquickte/ alſo daß es ihm auch an ſeinem
Leib wol zu ſtatten kam/ geſtalten es ſich an allen
Wunden taͤglich mit ihm
beſſerte.
ENDE deß IV. Buchs.
Aben-
[493]
Abentheurlicher
Simpliciſſimus
Teutſch:
Das Fuͤnffte Buch.
Jnhalt deß V. Buchs.
- Das 1. Capitel.
WieSimpliciusein Pilger wird/ und mit
Hertzbrudern wallen gehet. - Das 2. Capitel.
Simpliciusbekehrt ſich/ nach dem er zuvor von
dem Teuffel erſchreckt worden. - Das 3. Capitel.
Wie beyde Freund den Winter hinbringen. - Das 4. Capitel.
Was maſſen Hertzbruder undSimplicius
abermal in Krieg/ und wieder darauß kom̃en. - Das 5. Capitel.
Simpliciuslaufft Botten-weis/ und vernim̃t
in GeſtaltMercuriivon demJove,was er ei-
gentlich wegen deß Kriegs und Friedens im
Sinn habe.
Das
[494]Jnhalt
- Das 6. Capitel.
Erzehlung eines Poſſen/ denSimpliciusim
Saurbrunnen angeſtellt. - Das 7. Capitel.
Hertzbruder ſtirbt/ undSimpliciusfaͤngt
wieder an zu bulen. - Das 8. Capitel.
Simpliciusgibt ſich in die zweyte Ehe/ trifft
ſeinen Knan an/ und erfaͤhrt/ wer ſeine Eltern
geweſen. - Das 9. Capitel.
Welcher geſtalt ihn die Kindswehe ange-
ſtoſſen/ und wie er wieder zu einem Witwer
wird. - Das 10. Capitel.
Relationetlicher Baursleut/ von dem wun-
derbaren Mummel-See. - Das 11. Capitel.
Ein unerhoͤrte Danckſagung einesPatien-
ten/ die beySimpliciofaſt heilige Gedancken
verurſacht. - Das 12. Capitel.
WieSimpliciusmit denSylphisin dasCentrum
Terræfaͤhrt. - Das 13. Capitel.
Der Printz ůber den Mum̃el-See erzehlet
die Art und das Herkommen derSylphorum. - Das 14. Capitel.
WasSimpliciusferner mit dieſem Fuͤrſten
unterwegsdiſcurirt/ und was er vor verwun-
derliche und abentheurliche Sachen vernom-
men.
Das
[495]deß Fuͤnfften Buchs.
- Das 15. Capitel.
Was der Koͤnig mitSimplicio, und Simplicius
mit dem Koͤnig geredet. - Das 16. Capitel.
Etliche neue Zeitungen auß der Tieffe deß
unergruͤndlichen MeersMare del Zur,oder
das friedſame ſtille Meer genant. - Das 17. Capitel.
Zuruckraͤis auß dem Mitteltheil der Er-
den/ ſeltzame Grillen/ Lufftgebaͤu/ Calender/
und gemachte Zech ohne den Wirth. - Das 18. Capitel.
Simpliciusverzettet ſeinen Saurbrunnen an
einem unrechten Ort. - Das 19. Capitel
Etwas wenigs von den Ungariſchen Wi-
dertaͤuffern/ und ihrer Art zu leben. - Das 20. Capitel.
Haͤlt in ſich einen kurtzweiligen Spazier-
weg/ vom Schwartzwald biß nach Moſcau
in Reuſſen. - Das 21 Capitel.
Wie esSimplicioweiters in der Moſcau er-
gieng. - Das 22. Capitel.
Durch was vor einen nahen und luſtigen
Weg er wiederumb heim zu ſeinem Knan
kommen. - Das 23. Capitel.
Jſt gar ein fein kurtz Capitel/ und gehet
nurSimpliciuman.
Das
[496]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
- Das 24. Capitel.
Jſt das allerletzte/ und zeiget an/ warumb
und welcher geſtaltSimpliciusdie Welt wie-
der verlaſſen.
Das Erſte Capitel.
NAchdem Hertzbruder wieder allerdings er-
ſtarckt/ und an ſeinen Wunden geheylt war/
vertraute er mir/ daß er in den hoͤchſten Noͤ-
then eine Wallfahrt nach Emſidlen zu thun gelobt;
Weil er dann jetzt ohne das ſo nahe am Schweitzer-
land waͤre/ ſo wolte er ſolche verꝛichten/ und ſolte er
auch dahin bettlen! Das war mir ſehr angenehm zu
hoͤren/ derhalben botte ich ihm Geld und meine Ge-
fellſchafft an/ ja ich wolte gleich zween Klepper kauf-
fen/ auff ſelbigen die Raͤis zu verꝛichten; nicht zwar
der Urſach/ daß mich die Andacht darzu getrieben/
ſondern die Aydgnoßſchafft/ als das einige Land/
darinn der liebe Fried noch gruͤnete/ zu beſehen: So
freute mich auch nit wenig/ daß ich die Gelegenheit
hatte/ Hertzbrudern auff ſolcher Raͤis zu dienen/ maſ-
ſen ich ihn faſt hoͤher als mich ſelbſt liebte; Er aber
ſchlug beydes meine Huͤlff und meine Geſellſchafft
ab/ mit Vorwand/ ſeine Wallfahrt můſte zu Fuß/
und darzu auff Erbſen geſchehen; Solte ich nun in
ſeiner Geſellſchafft ſeyn/ ſo wuͤrde ich ihn nicht allein
an ſeiner Andacht verhindern/ ſondern auch mir ſelbſt
wegen ſeines langſamen muͤhſeeligen Gangs groſſe
Ungelegenheit auffladen. Das redete er aber mich
von ihm zu ſchieben/ weil er ſich ein Gewiſſen mach-
te/ auff einer ſo heiligen Raͤis von dem jenigen Geld
zu
[497]Fuͤnfftes Buch.
zu zehren/ das mit Morden und Rauben erobert
worden; uͤber das wolte er mich auch nicht in allzu-
groſſe Unkoſten bringen/ und ſagte unverholen/ daß
ich bereits mehr bey ihm gethan/ als ich ſchuldig ge-
weſen/ und zu erwidern getraute/ hieruͤber geriethen
wir in ein freundlich Gezaͤnck/ das war ſo lieblich/
daß ich dergleichen noch niemals hab hoͤren hadern/
denn wir brachten nichts anders vor/ als daß jeder
ſagte/ er haͤtte gegen dem andern noch nicht gethan/
was ein Freund dem andern thun ſolte/ ja bey wei-
tem die Gutthaten/ ſo er vom andern empfangen/
noch nit wett gemacht. Solches alles aber wolte ihn
noch nicht bewegen/ mich vor einen Raͤisgeferten zu
gedulden/ biß ich endlich merckte/ daß er beydes an
Oliviers Geld und meinem gottloſen Leben/ ein Eckel
hatte/ derhalben behalff ich mich mit Luͤgen/ und uͤber-
redet ihn/ daß mich mein Bekehrungs-Vorſatz nach
Einſidlen triebe/ ſolte er mich nun von einem ſo gu-
ten Werck abhalten/ und ich daruͤber ſterben/ ſo wuͤr-
de ers ſchwerlich verantworten koͤnnen. Hierdurch
perſuadirt ich ihn/ daß er zulieſſe/ den heiligen Ort
mit ihm zu beſuchen/ ſonderlich weil ich (wiewol al-
les erlogen war) eine groſſe Reu uͤber mein boͤſes Le-
ben von mir ſcheinen lieſſe/ als ich ihn denn auch uͤber-
redete/ daß ich mir ſelbſt zur Buß auffgelegt haͤtte/ ſo
wol als er auff Erbſen nach Einſidlen zu gehen.
Dieſer Zanck war kaum vorbey/ da geriethen wir
ſchon in einen andern/ denn Hertzbruder war gar zu
gewiſſenhafft; er wolte kaum zugeben/ daß ich einen
Paß vom Commandanten nam/ der nach meinem
Regiment lautete: Was/ (ſagte er) haben wir nit
im Sinn/ unſer Leben zu beſſern/ und nach Einfidlen
zu
[498]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
zugeben? und nun ſihe umb Gottes willen/ du wilſt
den Anfang mit Betrug machen/ und den Leuten mit
Falſchheit die Augen verkleiben/ wer mich vor der
Welt verlaͤugnet/ den will ich auch vor meinem
himmliſchen Vatter verlaugnen/ ſagt Chriſtus!
Was ſeyn wir vor verzagte Maulaffen? wann alle
Maͤrtyrer und Bekenner Chriſti ſo gethan hetten/ ſo
weren wenig Heilige im Himmel! laſſe uns in Got-
tes Nahmen und Schutzempfehlung gehen wohin
uns unſer heiliger Vorſatz und Begierden hintrei-
ben/ und im uͤbrigen Gott walten/ ſo wird uns Gott
ſchon hinfuͤhren wo unſere Seelen Ruhe finden; Als
ich ihm aber vorhielte/ man muͤßte Gott nicht ver-
ſuchen/ ſondern ſich in die Zeit ſchicken/ und die Mit-
tel gebrauchen/ deren wir nicht entbehren koͤnten/
vornemlich weil das Wallfahrten gehen bey der Sol-
dateſca ein ungewoͤhnlich Ding ſeye/ und wenn wir
unſer Vorhaben entdeckten/ eher vor Außreiſſer als
Pilger gehalten wuͤrden/ das uns denn groſſe Unge-
legenheit und Gefahr bringen koͤnte/ zumalen auch
der H. Apoſtel Paulus/ dem wir noch bey weitem
nicht zu vergleichen/ ſich wunderbarlich in die Zeit
und Gebraͤuch dieſer Welt geſchickt; ließ er endlich
zu/ daß ich einen Paß bekam/ nach meinem Regi-
ment zu gehen/ mit demſelben giengen wir bey Be-
ſchlieſſung deß Thors ſampt einem getreuen Weg-
weiſer auß der Statt/ als wolten wir nach Rotweil/
wandten uns aber kurtz durch Neben-Weg/ und ka-
men noch dieſelbige Nacht uͤber die Schweitzeriſche
Grentze/ und den folgenden Morgen in ein Dorff/
allda wir uns mit ſchwartzen langen Roͤcken/ Pil-
ger-Staͤben und Roſenkraͤntzen mondirten/ und den
Botten
[499]Fuͤnfftes Buch.
Botten mit guter Bezahlung wieder zuruͤck ſchickten.
Das Land kame mir ſo frembd vor gegen andern
Teutſchen Laͤndern/ als wenn ich in Braſilia oder
in China geweſen waͤre/ da ſahe ich die Leute in dem
Frieden handlen und wandlen/ die Staͤlle ſiunden
voll Viehe/ die Baurn-Hoͤf lieffen voll Huͤner/ Gaͤns
und Endten/ die Straſſen wurden ſicher von den
Raͤiſenden gebraucht/ die Wirthshaͤuſer ſaſſen voll
Leute die ſich luſtig machten/ da war gantz keine
Forcht vor dem Feind/ keine Sorg vor der Pluͤnde-
rung/ und keine Angſt/ ſein Gut/ Leib noch Leben zu
verlieren/ ein jeder lebte ſicher unter ſeinem Wein-
ſtock und Feigenbaum/ und zwar gegen andern Teut-
ſchen Laͤndern zu rechnen/ in lauter Wolluſt und
Freud/ alſo daß ich dieſes Land vor ein irdiſch Para-
dis hielte/ wiewoln es von Art rauch genug zu ſeyn
ſchiene. Das machte/ daß ich auff dem gantzen Weg
nur hin und her gaffte/ wenn hingegen Hertzbruder
an ſeinem Roſenkrantz betete/ deßwegen ich manchen
Filtz bekam/ dann er wolte haben/ ich ſolte/ wie er/ an
einem Stuͤck beten/ welches ich aber nicht gewohnen
konte.
Zu Zuͤrch kam er mir recht hinder die Brieff/ und
dahero ſagte er mir die Warheit auch am troͤckneſten
herauß/ denn als wir zu Schafhauſen (allwo mir die
Fuͤß von den Erbſen ſehr weh thaͤten) die vorig Nacht
geherbergt/ und ich mich den kuͤnfftigen Tag wieder
auff den Erbſen zu gehen foͤrchtete/ ließ ich ſie kochen/
und thaͤts wieder in die Schuh; deßwegen ich dann
wol zu Fuß nach Zuͤrch gelangte/ er aber ſich gar uͤbel
gehube/ und zu mir ſagte: Bruder/ du haſt groſſe
Gnad von Gott/ daß du unangeſehen der Erbſen in den
Schuhen
[500]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Schuhen/ dennoch ſo wol fort kommen kanſt; Ja/
ſagte ich/ liebſter Hertzbruder/ ich hab ſie gekocht/
ſonſt haͤtte ich ſo weit nit darauff gehen koͤnnen; Ach
daß Gott erbarm/ antwortet er/ was haſtu gethan?
du haͤtteſt ſie lieber gar auß den Schuhen gelaſſen/
wenn du nur dein Geſpoͤtt darmit treiben wilt/ ich
muß ſorgen/ daß Gott dich und mich zugleich ſtraffe;
halte mir nichts vor ungut Bruder/ wenn ich dir auß
bruͤderlicher Liebe Teutſch herauß ſage/ wie mirs
umbs Hertz iſt/ nemlich diß/ daß ich beſorge/ wofern
du dich nit anderſt gegen Gottſchickeſt/ es ſtehe deine
Seeligkeit in hoͤchſter Gefahr/ ich verſichere dich/
daß ich keinen Menſchen mehr liebe/ als eben dich/
leugne aber auch nit/ daß/ wofern du dich nit beſſern
wuͤrdeſt/ ich mir ein Gewiſſen machen muß/ ſolche
Liebe zu continuiren Jch verſtum̃te vor Schrecken/
daß ich mich ſchier nit wieder erholen konte/ zuletzt
bekante ich ihm frey/ daß ich die Erbſen nit auß An-
dacht/ ſondern allein ihm zu gefallen in die Schuh
gethan/ damit er mich mit ihm auff die Raͤis genom-
men haͤtte. Ach Bruder/ antwortet er/ ich ſihe/ daß
du weit vom Weg der Seeligkeit biſt/ wenn gleich
die Erbſen nit waͤren/ Gott verleyhe dir Beſſerung/
denn ohne dieſelbe kan unſer Freundſchafft nicht be-
ſtehen.
Von dieſer Zeit an folgte ich ihm traurig nach/
als einer den man zum Galgen fuͤhrt/ mein Gewiſſen
fieng mich an zu druͤcken/ und in dem ich allerley Ge-
dancken machte/ ſtelleten ſich alle meine Bubenſtuͤck
vor Augen/ die ich mein Lebtag je begangen/ da be-
klagte ich erſt die verlorne Unſchuld/ die ich auß dem
Wald gebracht/ und in der Welt ſo vielfaͤltig ver-
ſchertzt
[501]Fuͤnfftes Buch.
ſchertzt hatte/ und was meinen Jammer vermehrte/
war dieſes/ daß Hertzbruder nit vielmehr mit mir re-
dete/ und mich nur mit Seufftzen anſchaute/ welches
mir nit anders vor kam/ als haͤtte er meine Verdam̃-
nus gewuſt/ und an mir bejammert.
DasII.Capitel.
SOlcher geſtalt langten wir zu Einſidlen an/ und
kamen eben in die Kirch/ als ein Prieſter einen
Beſeſſenen exorciſiret/ das war mir nun auch etwas
neues und ſeltzams/ derowegen ließ ich Hertzbrudern
knyen und beten/ ſo lang er mochte/ und gieng hin/
dieſem Spectacul auß Fuͤrwitz zuzuſehen; Aber ich
hatte mich kaum ein wenig genaͤhert/ da ſchrye der
boͤſe Geiſt auß dem armen Menſchen: Oho/ du Kerl/
ſchlaͤgt dich der Hagel auch her? ich hab vermeynt/
dich zu meiner Heimkunfft bey dem Olivier in unſerer
hoͤlliſcheu Wohnung anzutreffen/ ſo ſehe ich wol/ du
laͤſt dich hier finden/ du ehebrecheriſcher moͤrderiſcher
Huren-Jaͤger/ darffſt du dir wol einbilden/ uns zu
entrinnen? O ihr Pfaffen/ nemmt ihn nur nicht an/
er iſt ein Gleißner und aͤrgerer Luͤgner als ich/ er foppt
ſich nur/ und ſpottet beydes GOtt und der Religion!
Der Exorciſt befohl dem Geiſt zu ſchweigen/ weil
man ihm als einem Ertz-Luͤgner ohne das nit glaube;
Ja ja/ antwortet er/ fragt dieſes außgeſprungenen
Moͤnchs Raͤisgeſellen/ der wird euch wol erzehlen
koͤnnen/ daß dieſer Atheiſt ſich nit geſcheuet/ die Erb-
ſen zu kochen/ auff welchen er hieher zu gehen verſpro-
chen. Jch wuſte nit/ ob ich auff dem Kopff oder Fuß
ſtunde/ da ich dieſes alles hoͤrete/ und mich jederman
anſahe; Aber der Prieſter ſtraffte den Geiſt/ und
machte
[502]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ſtill ſchweigen/ konte ihn aber denſelben Tag nicht
außtreiben. Jndeſſen kam Hertzbruder auch herzu/
als ich eben vor Angſt mehr einem Todten als Leben-
digen gleich ſahe/ und zwiſchen Hoffnung und Foꝛcht
nit wuſte/ was ich thun ſolte/ dieſer troͤſtete mich ſo
gut als er konte/ verſicherte darneben die Umbſtehen-
de/ und ſonderlich die Patres, daß ich mein Tage nie
kein Moͤnch geweſen/ aber wol ein Soldat/ der viel-
leicht mehr boͤſes als gutes gethan haben moͤchte/
ſagte darneben/ der Teuffel waͤre ein Lugner/ wie er
denn auch das von den Erbſen viel aͤrger gemacht
haͤtte/ als es an ſich ſelbſt waͤre; ich war aber in mei-
nem Gemuͤt dermaſſen verwirꝛet/ daß mir nicht an-
ders war/ als ob ich allbereit die hoͤlliſche Pein ſelbſt
empfaͤnde; Alſo daß die Geiſtlichen genug an mir zu
troͤſten hatten/ ſie vermahnten mich zur Beicht und
Communion, aber der Geiſt ſchrye abermal auß dem
Beſeſſenen: Ja ja/ er wird fein beichten/ er weiß nit
einmal was be[i]chten iſt/ und zwar was wolt ihr mit
ihm machen/ er iſt einer Ketzeriſchen Art/ und uns zu-
ſtaͤndig/ ſeine Eltern ſeyn mehr Widertaͤufferiſch
als Calviniſch geweſen/ ꝛc. Der Exorciſt befohl dem
Geiſt abermal ſtill zu ſchweigen/ und ſagte zu ihm:
So wird dichs nur deſto mehr verdrieſſen/ wenn dir
das arme verlorne Schaͤflein wieder auß dem Rachen
gezogen/ und der Herd Chriſti einverleibt wird; da-
rauff fieng der Geiſt ſo grauſam an zu bruͤllen/ daß es
ſchroͤcklich zu hoͤren war. Auß welchem greulichen
Geſang ich meinen groͤſten Troſt ſchoͤpffte/ dann ich
gedachte/ wenn ich keine Gnad von GOtt mehr er-
langen koͤnte/ ſo wuͤrde ſich der Teuffel nicht ſo uͤbel
geheben.
Wie-
[503]Fuͤnfftes Buch.
Wiewol ich mich damals auff die Beicht nicht
gefaſt gemacht/ auch mein lebtag nie in Sinn ge-
nommen zu beichten/ ſondern mich jederzeit auß
Scham darvor gefoͤrchtet/ wie der Teuffel vorm H.
Creutz/ ſo empfande ich jedoch in ſelbigem Augen-
blick in mir eine ſolche Reu uͤber meine Suͤnden/ und
ein ſolche Begierde zur Buſſe und mein Leben zu beſ-
ſern/ daß ich alſobalden einen Beichtvatter begehrte/
uͤber welcher gehlingen Bekehrũg und Beſſerung ſich
Hertzbruder hoͤchlich erfreuete/ weil er wahrgenom-
men und wol gewußt/ daß ich bißher noch keiner Re-
ligion beygethan geweſen/ demnach bekante ich mich
oͤffentlich zu der Catholiſchen Kirchen/ gieng zur
Beicht/ und communicirte nach empfangener Ab-
ſolution; Worauff mir dann ſo leicht und wol
umbs Hertz wurde/ daß ichs nicht außſprechen kan/
und was das verwunderlichſte war/ iſt dieſes/ daß
mich der Geiſt in dem Beſeſſenen fürterhin zu friden
lieſſe/ da er mir doch vor der Beicht und Abſolution
unterſchidliche Bubenſtuͤck die ich begangen gehabt/
ſo eigentlich vorgeworffen/ als wann er auff ſonſt
nichts/ als meine Suͤnden anzumercken/ beſtellt ge-
weſen waͤre; doch glaubten ihm als einem Luͤgner
die Zuhoͤrer nichts/ ſonderlich weil mein erbarer Pil-
gerhabit ein anders vor die Augen ſtellete.
Wir verbliben vierzehen gantzer Tag an dieſem
gnadenreichen Ort/ allwo ich Gott umb meine Be-
kehrung danckte/ und die Wunder ſo allda geſchehen/
betrachtete; welches alles mich zu zimlicher An-
dacht und Gottſeeligkeit reitzete/ doch waͤhrete ſol-
ches auch ſo lang als es mochte; dann gleich wie
meine Bekehrung ihren Urſprung nicht auß Liebe zu
YGott/
[504]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Gott/ genommen: ſondern auß Angſt und Forcht
verdampt zu werden; alſo wurde ich auch nach und
nach wider gantz lau und traͤg/ weil ich allgemaͤhlich
deß Schreckens vergaß/ den mir der boͤſe Feind ein-
gejagt hatte; und nach dem wir die Reliquien der
Heiligen/ die Ornat, und andere ſehens wuͤrdige Sa-
chen deß Gotteshauſes genungſam beſchauet/ bega-
ben wir uns nach Baden/ alldorten vollends außzu-
wintern.
DasIII.Capitel.
JCh dingte daſelbſt ein luſtige Stude und Kammer
vor uns/ deren ſich ſonſten/ ſonderlich Som̃ers-
Zeit/ die Bad-Gaͤſt zu gebrauchen pflegen; welches
gemeiniglich reiche Schweitzer ſeyn/ die mehr hin-
ziehen ſich zu erluſtiren und zu prangen/ als einiger
Gebrechen halber zu baden; ſo verdingte ich uns
auch zugleich in die Koſt/ und als Hertzbruder ſahe/
daß ichs ſo herꝛlich angriff/ vermahnete er mich zur
Geſparſamkeit/ und erinnert mich deß langen rau-
hen Winters/ den wir noch zu uͤberſtehen haͤtten;
maſſen er nicht getraute/ daß mein Gelt ſo weit hin-
auß langen wuͤrde/ ich wuͤrde meinen Vorꝛath/ ſagte
er auffden Fruͤhling wol brauchen/ wann wir wider
von h[inn]en wollen/ viel Gelt ſey bald verthan/ wañ
man nur darvon/ und nichts darzu thue: Es ſtaͤube
hinauß wie der Rauch/ und verſpreche nimmermehr
wieder zu kommen/ ꝛc. Auff ſolche treuhertzige Erin-
nerung kondte ich Hertzbrudern nicht laͤnger verber-
gen wie reich mein Seckel waͤre/ und daß ich hedacht
uns beeden guts darvon zuthun/ ſintemal deſſen An-
kunfft
[505]Fuͤnfftes Buch.
kunfft und Erwerbung ohne das alles Segens ſo un-
wurdig waͤre/ daß ich keinen Maͤyerhof darauß zu
erkauffen gedaͤchte/ und wenn ichs ſchon nit anlegen
wolte/ meinen liebſten Freund auff Erden damit zu
unterhalten/ ſo waͤre doch billich/ daß er Hertzbruder
auß Oliviers Geld vergnuͤgt wuͤrde/ umb die jenige
Schmach/ die er hiebevor von ihm vor Magdeburg
empfangen. Und demnach ich mich in aller Sicher-
heit zu ſeyn wuſte/ zog ich meine beyde Scapulier ab/
trennete die Ducaten und Piſtolen herauß/ und ſagte
zu Hertzbrudern/ Er moͤge nun mit dieſem Geld nach
ſeinem Belieben diſponiren/ und ſolches anlegen und
außtheilen/ wie er vermeyne/ daß es uns beyden am
nutzlichſten waͤre.
Da er neben meinem Vertrauen das ich zu ihm
trug/ ſo viel Geld ſahe/ mit welchem ich auch ohne
ihn wol ein zimlicher Herꝛ haͤtte ſeyn koͤnnen/ ſagte er:
Bruder/ du thuſt nichts ſo lang ich dich kenne/ als
deine gegen mir habende Lieb und Treu zu bezeugen!
Aber ſage mir/ womit vermeynſtu wol/ daß ichs wie-
der umb dich werde beſchulden koͤnnen? es iſt nit nur
umb das Geld zu thun/ denn ſolches iſt vielleicht mit
der Zeit wieder zu bezahlen/ ſondern umb deine Lieb
und Treu/ vornemlich aber umb dein zu mir haben-
des hohes Vertrauen/ ſo nicht zu ſchaͤtzen iſt/ Bru-
der mit einem Wort/ dein tugendhafft Gemuͤt macht
mich zu deinem Sclaven/ und was du gegen mir
thuſt/ iſt mehr zu verwundern/ als zu wiedergelten
muͤglich; O ehrlicher Simplici, dem bey dieſen gott-
loſen Zeiten/ in welchen die Welt voll Untreu ſteckt/
nicht in Sinn kompt/ der arme und hochbedoͤrfftige
Hertzbruder moͤchte mit einem ſo anſehlichen Stuͤck
Y ijGeld
[506]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Geld fort gehen/ und ihn an ſeine ſtatt in Mangel ſe-
tzen; verſicher Bruder/ dieſer Beweisthumb wahrer
Freundſchafft verbindet mich mehr gegen dir/ als ein
reicher Herꝛ/ der mir viel tauſend verehrte: Allein
bitte ich mein Bruder/ bleib ſelber Herꝛ/ Verwahrer
und Außtheiler uͤber dein Geld/ mir iſts genug/ daß
du mein Freund biſt! Jch antwoꝛtet/ was wunder-
liche Reden ſeyn das/ hochgeehrter Hertzbruder/ er
gibt muͤndlich zu vernehmen/ daß er mir verbunden
ſeye/ und will doch nicht darvor ſeyn/ daß ich unſer
Geld/ beydes ihm und mir zu Schaden/ nicht unnuͤtz
verſchwende. Alſo redeten wir beyderſeits gegenein-
ander laͤppiſch genug/ weil je einer in deß andern Lieb
truncken war. Alſo wurde Hertzbruder zugleich mein
Hofmeiſter/ mein Seckelmeiſter/ mein Diener und
mein Herꝛ/ und in ſolcher muͤſſigen Zeit erzehlte er
mir ſeinen Lebenslauff/ und durch was Mittel er bey
dem Grafen von Goͤtz bekant und befoͤrdert worden/
worauff ich ihm auch erzehlte/ wie mirs ergangen/
ſint ſein Vatter ſeel. geſtorben/ dann wir uns bißher
noch niemal ſo viel Zeit genommen/ und da er hoͤrte/
daß ich ein junges Weib zu L. hatte/ verwieſe er mir/
daß ich mich nit ehender zu derſelbigen/ als mit ihm
in das Schweitzerland begeben/ dann ſolches waͤre
mir anſtaͤndiger/ und auch meine Schuldigkeit ge-
weſen. Und demnach ich mich entſchuldiget/ daß ich
ihn als meinen allerliebſten Freund in ſeinem Elend
zu verlaſſen/ nit uͤbers Hertz bringen koͤnnen/ beredet
er mich/ daß ich meinem Weid ſchriebe/ und ihr mei-
ne Gelegenheit zu wiſſen machte/ mit Verſprechen/
mich mit ehiſtem wieder zu ihr zu begeben/ thaͤt auch
meines langen Außbleibens halber meine Entſchul-
digung
[507]Fuͤnfftes Buch.
digungen/ daß ich nemlich allerhand wideriger Be-
gegnuſſen halber/ wie gern ich auch gewolt/ mich nit
ehender bey ihr haͤtte einfinden koͤnnen.
Und dieweil Hertzbruder auß den gemeinen Zei-
tungen erfubr/ daß es umb den Grafen von Goͤtz wol
ſtuͤnde/ ſonderlich daß er mit ſeiner Verantwortung
bey der Kaͤiſ. Mayt. hinauß langen/ wieder auff freyen
Fuß kommen/ und gar wiederumb das Commando
uͤber eine Armee kriegen wuͤrde/ berichtete er demſel-
ben ſeinen Zuſtand nach Wien/ ſchrieb auch nach der
Chur Bayr. Armee wegen ſeiner Bagage, die er noch
dort hatte/ und fieng an zu hoffen/ ſein Gluͤck wuͤrde
wieder gruͤnen/ derhalben machten wir den Schluß/
kuͤnfftigen Fruͤhling voneinander zu ſcheiden/ indem
er ſich zu bemeldtem Grafen/ ich aber mich nach L.
zu meinem Weib begeben wolte. Damit wir aber
denſelben Winter nit muͤſſig zubraͤchten/ lernten wir
von einem Ingenieur auff dem Papier mehr fortifici-
ren/ als die Koͤnige in Hiſpanien und Franckreich ins
Werck ſetzen koͤnnen/ darneben kam ich mit etlichen
Alchymiſten in Kundſchafft/ die wolten mich/ weil
ſie Geld hinder mir merckten/ Gold machen lernen/
da ich nur den Verlag darzu bergeben wolte/ und ich
glaube/ ſie haͤtten mich uͤberꝛedt/ wenn ihnen Hertz-
bruder nicht abgedanckt haͤtte/ dann er ſagte: Wer
ſolche Kunſt koͤnte/ wuͤrde nicht ſo bettelhafftig daher
gehen/ noch andere umb Geld anſprechen.
Gleich wie nun Hertzbruder von hoch-ermeldtem
Grafen ein angenehme Wieder-Antwort und treff-
liche Promeßen von Wien auß erhielte/ alſo bekam
ich von L. kein einigen Buchſtaben/ unangeſehen ich
unterſchiedliche Poſttaͤg in duplo hinſchriebe: Das
Y iijmachte
[508]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
machte mich unwillig/ und verurſachte/ daß ich den-
ſelben Fruͤhling meinen Weg nit nach Weſtphalen
antrat/ ſondern von Hertzbrudern erhielt/ daß er mich
mit ihm nach Wien nam/ mich ſeines verhoffenden
Gluͤcks genieſſen zu laſſen; Alſo mondirten wir uns
auß meinem Geld wie 2. Cavallier, beydes mit Klei-
dungen/ Pferden/ Dienern und Gewehr/ giengen
durch Coſtantz auff Ulm/ allda wir uns auff die Tho-
nau ſetzten/ und von dort auß in 8. Tagen zu Wien
gluͤcklich anlangten. Auff demſelben Weg obſervirte
ich ſonſt nichts/ als daß die Weibsbilder/ ſo an dem
Strand wohnen/ den voruͤber-fahrenden/ ſo ihnen
zuſchryen/ nicht muͤndlich/ ſondern ſchlechthin mit
dem Beweisthum ſelbſt antworten/ darvon ein Kerl
manch feines Einſehen haben kan.
DasIV.Capitel.
ES gehet wol ſeltzam in der veraͤnderlichen Welt
her! Man pflegt zu ſagen/ Wer alles wuͤſte/
der wuͤrde bald reich; Jch aber ſage: Wer ſich
allweg in die Zeit ſchicken koͤnte/ der wuͤrde bald groß
und maͤchtig. Mancher Schindhund oder Schab-
hals (dann dieſe beyde Ehren-Titul werden den Gei-
tzigen gegeben) wird wol bald reich/ weil er einen
und andern Vorthel weiß und gebraucht/ er iſt aber
darumb nit groß/ ſondern iſt und verbleibt vielmals
von geringerer æſtimation, als er zuvor in ſeiner Ar-
muth war; Wer ſich aber weiß groß und maͤchtig zu
machen/ dem folget der Reichthumb auff dem Fuß
nach. Das Gluͤck/ ſo Macht und Reichthum zu ge-
ben pflegt/ blickte mich trefflich holdſeelig an/ und
gab mir/ nachdem ich ein Tag oder acht zu Wien
geweſen
[509]Fuͤnfftes Buch.
geweſen/ Gelegenheit genug an die Hand/ ohn einige
Verhinderungen auff die Staffeln der Hoheit zu
ſteigen/ ich thaͤts aber nicht/ Warumb? Jch halte/
weil mein fatum ein anders beſchloſſen/ nemlich das
jenige/ dahin mich meine fatuitas leitete.
Der Graf von der Wahl/ unter deſſen Comman-
do ich mich hiebevor in Weſtphalen bekant gemacht/
war eben auch zu Wien/ als ich mit Hertzbrudern
hin kam; dieſer wurde bey einem Banquet/ da ſich
verſchiedene Kaͤiſerl. Kriegsraͤthe neben dem Grafen
von Goͤtz und andern mehr befanden/ als man von al-
lerhand ſeltzamen Koͤpffen/ unter ſchiedlichen Solda-
ten/ und beruͤhmten Parteygaͤngern redete/ auch deß
Jaͤgers von Soeſt eingedenck/ und erzehlte etliche
Stuͤcklein von ihm ſo ruͤhmlich/ daß ſich theils uͤber
einen ſo jungen Kerl verwunderten/ und bedaurten/
daß der liſtige Heſſiſche Obriſte S. A. ihm ein Weh-
Bengel angehenckt/ damit er entweder den Degen
beyſeits legen/ oder doch Schwediſche Waffen tra-
gen ſolte; Dann wolbeſagter Graf von der Wahl
hatte alles erkuͤndigt/ wie derſelbige Obriſt zu L. mit
mir geſpielt; Hertzbruder/ der eben dort ſtunde/ und
mir meine Wolfahrt gern befoͤrdert haͤtte/ bat umb
Verzeyhung und Erlaubnus zu reden/ und ſagte/
daß er den Jaͤger von Soeſt beſſer kenne/ als ſonſt ei-
nen Menſchen in der Welt/ er ſey nit allein ein guter
Soldat/ der Pulver riechen koͤnte/ ſondern auch ein
zimlicher Reuter/ ein perfecter Fechter/ ein trefflicher
Buͤchſenmeiſter und Feurwercker/ und uͤber diß alles
einer der einem Ingenieur nichts nachgeben wuͤrde/
er haͤtte nit nur ſein Weib/ weil er mit ihr ſo ſchimpf-
lich hindergangen worden/ ſondern auch alles was
Y jver
[510]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
er gehabt/ zu L. hinderlaſſen/ und wiederum Kaͤiſerl.
Dienſt geſucht/ maſſen er in verwichener Campagne
ſich unter dem Grafen von Goͤtz befunden/ und als
er von den Weymariſchen gefangen worden/ und von
denſelben ſich wieder zu den Kaͤiſerl. begeben wollen/
neben ſeinem Cameraden einen Corporal ſampt ſechs
Mußquetierern die ihnen nachgeſetzt/ und ſie wieder
zuruͤck fuͤhren ſollen/ nider gemacht/ und anſehenliche
Beuten darvon gebracht/ maſſen er mit ihm ſelbſten
nach Wien kommen/ deß Willens/ ſich abermal wi-
der der Roͤm. Kaͤiſ. Mayt. Feinde gebrauchen zu laſ-
ſen/ doch ſo fern er ſolche Conditiones haben koͤnte/
die ihm anſtaͤndig ſeyen/ dann keinen gemeinen Knecht
begehre er mehr zu agiren.
Damals war dieſe anſehliche Compagni mit dem
lieben Trunck ſchon dergeſtalt begeiſtert/ daß ſie ihre
Curioſitaͤt den Jaͤger zu ſehen/ contentirt haben wol-
te/ maſſen Hertzbruder geſchickt wurde/ mich in einer
Gutſche zu holen; derſelbe inſtruirt mich unterwegs/
wie ich mich bey dieſen anſehenlichen Leuten halten
ſolte/ weil mein kuͤnfftig Gluͤck daran gelegen waͤre;
Jch antwortet derhalben als ich hin kam/ auff alles
ſehr kurtz und apophthegmatiſch/ alſo daß man ſich
uͤber mich zu verwundern anfienge/ dann ich redete
nichts/ es muͤſte dann einen klugen Nachdruck haben;
in Summa/ ich erſchien dergeſtalt/ daß ich jedem an-
genehm war/ weil ich ohne das vom H. Grafen von
der Wahl auch das Lob eines guten Soldaten hat-
te; Mithin kriegte ich auch einen Rauſch/ und glaub
wol/ daß ich alsdenn auch hab ſcheinen laſſen/ wie
wenig ich bey Hof geweſen; endlich war dieſes das
End/ daß mir ein Obriſter zu Fuß eine Compagni
unter
[511]Fuͤnfftes Buch.
unter ſeinem Regiment verſprochen/ welches ich dañ
gar nit außſchlug/ denn ich dachte/ ein Hauptmann
zu ſeyn/ iſt fuͤrwahr kein Kinderſpiel! Aber Hertzbru-
der verwieſe mir den andern Tag meine Leichtfertig-
keit/ und ſagte/ wenn ich nur noch laͤnger gehalten
haͤtte/ ſo waͤre ich noch wol hoͤher ankommen.
Alſo wurde ich einer Compagni vor einen Haupt-
mann vorgeſtellt/ welche/ ob ſie zwar mit ſampt mir
in prima Plana gantz complet, aber nit mehr als ſiben
Schillergaͤſt hatte/ zu dem meine Unter-Officier meh-
rentheils alte Krachwedel/ daruͤber ich mich hindern
Ohren kratzte/ als wurde ich mit ihnen bey der ohn-
laͤngſt hernach vorgangenen ſcharffen Occaſion deſto
leichter gemartſcht/ in welcher der Graf von Goͤtz
das Leben/ Hertzbruder aber ſeine Teſticuli einbuͤſte/
die er durch einen Schuß verlor; ich bekam meinen
Theil in einen Schenckel/ ſo aber gar eine geringe
Wunde war. Dannenhero begaben wir uns auff
Wien/ umb ſich curiren zu laſſen/ weil wir ohne das
unſer Vermoͤgen dort hatten/ ohne dieſe Wunden/
ſo zwar bald geheylet/ ereignete ſich an Hertzbrudern
ein anderer gefaͤhrlicher Zuſtand/ den die Medici an-
ſaͤnglich nit gleich erkennen konten/ dann er wurde
lahm an allen vieren/ wie ein Cholericus den die Gall
verderbt/ und war doch am wenigſten ſelbiger Com-
plexion noch dem Zorn beygethan/ nichts deſto weni-
ger wurde ihm die Saurdrunnen-Cur gerathen/ und
hierzu der Grießbach an dem Schwartzwald vorge-
ſchlagen.
Alſo veraͤndert ſich das Gluͤck unverſehens/ Hertz-
bruder hatte kurtz zuvor den Willen gehabt/ ſich mit
einem vornehmen Fraͤulein zu verheuraten/ und zu
Y vſolchem
[512]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ſolchem Ende ſich zu einem Freyberꝛn/ mich aber zu
einem Edelmann machen zu laſſen; nunmehr aber
muſte er andere Gedancken concipiren/ dann weil er
das jenige verloren/ damit er ein neues Geſchlecht
propagiren wollen/ zumalen von ſeiner Laͤhme mit
einer langwierigen Kranckheit bedrohet wurde/ in
deren er guter Freunde vonnoͤthen/ machte er ſein
Teſtament/ und ſetzte mich zum einzigen Erben aller
ſeiner Verlaſſenſchafft/ vornemlich weil er ſahe/ daß
ich ſeinet wegen mein Gluͤck in Wind ſchlug/ und
meine Compagni quitirt/ damit ich ihm in Sauer-
brunnen begleiten/ und daſelbſten/ biß er ſeine Ge-
ſundheit wieder erlangen moͤchte/ außwarten koͤnte.
DasV.Capitel.
ALs nun Hertzbruder wieder reuten konte/ uͤber-
machten wir unſere Paarſchafft (dann wir hat-
ten nunmehr nur einen Seckel mit einander) per We-
xel nach Baſel/ mondirten uns mit Pferden und
Dienern/ und begaben uns die Thonau hinauff na-
cher Ulm und von dannen in den obbeſagten Sauer-
brunnen/ weil es eben im Maͤy und luſtig zu raͤiſen
war; daſelbſt dingten wir ein Loſament/ ich aber
ritte nach Straßburg/ unſer Gelt/ welches wir von
Baſel auß dorthin uͤbermacht/ nicht allein zum theil
zu empfangen/ ſondern auch mich umb erfahrne Me-
dicos umbzuſehen/ die Hertzbrudern Recepta und
Bad-Ordnung vorſchreiben ſolten/ dieſelbe begaben
ſich mit mir/ und befanden/ daß Hertzbrudern verge-
ben worden/ und weil das Gifft nicht ſtarck genug
geweſen/ ihn gleich hinzurichten/ daß ſolches ihm in
die
[513]Fuͤnfftes Buch.
die Glider geſchlagen were/ welches wieder durch
Pharmaca, Antidota, Schweißbaͤder evacuiret wer-
den muͤſte/ und wuͤrde ſich ſolche Cur auff ohngefehr
ein Woch oder acht belauffen/ da erinnerte ſich
Hertzbruder gleich/ wann und durch wen ihm ver-
geben worden waͤre/ nemlich durch die jenige/ die
gern ſeine Stell im Krieg betretten baͤtten/ und weil
er auch von den Medicis verſtunde/ daß ſein Cur eben
keinen Sauerbrunnen erfordert hette/ glaubte er fe-
ſtiglich/ daß ſein Medicus im Feld durch eben dieſelbe
ſeine Æmulos mit Gelt beſtochen worden/ ihne ſo
weit hinweg zu weiſen; jedoch reſolvirte er ſich im
Sauerbrunnen ſeine Cur zu vollenden/ weil es nicht
allein einen geſunden Lufft/ ſondern auch allerhand
anmuͤthige Geſellſchafften unter den Bad-Gaͤſten
hatte.
Solche Zeit mochte ich nicht vergeblich hinbrin-
gen/ weil ich eine Begierde hatte/ dermalen eins
mein Weib auch wiederum zu ſehen/ und weil Hertz-
bruder meiner nicht ſonderlich vonnoͤthen/ eroͤffnet
ich ihm mein Anligen/ der lobte meine Gedancken/
und gab mir den Rath/ ich ſolte ſie beſuchen/ gab mir
auch etliche koſtbare Kleinodien/ die ich ihr ſeinet-
wegen verehren/ und ſie damit umb Verzeybung bit-
ten ſolte/ daß er ein Urſach geweſen ſey/ daß ich ſie
nit ehender beſucht; Alſo ritte ich nach Straßburg/
und machte mich nicht allein mit Gelt gefaßt/ ſon-
dern erkundigte auch/ wie ich meine Raͤiß anſtellen
mochte/ daß ich am ſicherſten fortkaͤme/ befand aber
daß es ſo alleinig zu Pferd nit geſchehen koͤnne/ wei-
len es zwiſchen ſo vielen Guarniſonen/ der beyder-
ſeits kriegenden Theilen von den Partheyen zimlich
Y vjunſi-
[514]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
unſicher war; Erhielte derowegen einen Paß/ vor
einen Straßburger Botten-laͤuffer/ und machte etli-
che Schreiben an mein Weib/ ihre Schweſter und
Eltern/ als wann ich ihn damit nach L. ſchicken wol-
te/ ſtellte mich aber als wann ich wieder anders Siñs
worden waͤre/ erpracticirte alſo den Paß vom Pot-
ten/ ſchickte mein Pferd und Diener wieder zuruck/
verkleidete mich in eine weiß und rothe Liberey/ und
fuhr alſo in einem Schiff hin und biß nach Coͤlln/
welche Statt damaln zwiſchen den kriegenden Par-
theyen Neutral war.
Jch gieng zuforderſt hin meinen Jovem zu be-
ſuchen/ der mich hiebevor zu ſeinem Ganymede er-
klaͤrt hatte/ umb zu erkundigen/ wie es mit meinen
hinderlegten Sachen eine Bewandtnuß haͤtte/ der
war aber damals wiederumb gantz hirnſchellig und
unwillig uͤber das Menſchlich Geſchlecht; O Mer-
curi, ſagte er zu mir/ als er mich ſahe/ was bringſt
du neues von Muͤnſter? vermeynen die Menſchen
wolohn meinen Willen Frieden zu machen? Nim-
mermehr! Sie hatten ihn/ warumb haben ſie ihn
nicht behalten? Giengen nit alle Laſter im ſchwang/
als ſie mich bewegten ihnen den Krieg zu ſenden?
womit haben ſie ſeithero verdienet/ daß ich ihn den
Frieden widergeben ſolte? haben ſie ſich dann ſeit-
her bekehrt? ſeynd ſie nicht aͤrger worden/ und ſelbſt
mit in Krieg geloffen wie zu einer Kirmeß? oder ha-
den ſie ſich villeicht wegen der Theurung bekehret/
die ich ihnen zugeſandt/ darinn ſo viel tauſend See-
len Hungers geſtorben; Oder hat ſie villeicht das
grauſame Sterben erſchreckt/ (daß ſo viel Millionen
hingerafft) daß ſie ſich gebeſſert? Nein/ nein Mer-
curi,
[515]Fuͤnfftes Buch.
curi, die uͤbrig verbliebene/ die den elenden Jammer
mit ihren Augen angeſehen/ haben ſich nit allein nit
gebeſſert/ ſondern ſeynd viel aͤrger worden als ſie
zuvor jemals geweſen! haben ſie ſich nun wegen ſo
vieler ſcharpffen Heimſuchungen nit bekehrt/ ſondern
unter ſo ſchwerem Creutz und Truͤbſalen gottlos zu
leben nicht auffgehoͤret/ was werden ſie dann erſt
thun/ wann ich ihnen den wol-luſtbarlichen guͤldenen
Frieden wieder zuſendete? Jch muͤſte ſorgen/ daß
ſie mir wie hiebevor die Riſen gethan/ den Himmel
abzuſtuͤrmen unterſtehen wuͤrden; aber ich will ſol-
chem Muthwillen wol bey Zeit ſteuren/ und ſie im
Krieg hocken laſſen.
Weil ich nun wuſte/ wie man dieſem Gott lau-
ſen muſte/ wann man ihn recht ſtimmen wolte/ ſagte
ich: Ach groſſer Gott/ es ſeuffzet aber alle Welt
nach dem Frieden/ und verſprechen ein groſſe Beſſe-
rung/ warumb wolteſt du ihnen dann ſolchen noch
laͤnger verweigern koͤnnen? Ja/ antwortet Jupiter,
ſie ſeuffzen wol/ aber nit meinet-ſondern ihrentwil-
len; Nicht/ daß jeder unter ſeinem Weinſtock und
Feigenbaum Gott loben/ ſondern daß ſie deren edle
Fruͤchten mit guter Ruhe/ und in allem Wolluſt ge-
nieſſen moͤchten; Jch fragte neulich einen grindigen
Schneider/ ob ich den Frieden geben ſolte? Aber er
antwortet mir/ was er ſich drumb geheye/ er muͤſſe
ſo wol zu Kriegs- als Friedenszeiten mit der ſtaͤhler-
nen Stange fechten: Ein ſolche Antwort kriegte ich
auch von einem Rothgieſſer/ der ſagte/ wenn er im
Frieden keine Glocken zu gieſſen haͤtte/ ſo haͤtte er im
Krieg genug mit Stuͤcken und Feuermoͤrſeln zu thun.
Alſo antwortet mir auch ein Schmid/ und ſagte/
Y vijhabe
[516]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
habe ich keine Pfluͤg und Bauren-Waͤgen im Krieg
zu beſchlagen/ ſo kommen mir jedoch genug Reuter-
Pferd und Heer-Waͤgen unter die Haͤnd/ alſo daß
ich deß Friedens wol entberen kan. Sihe nun lieber
Mercuri, warumb ſolte ich ihnen dann den Frieden
verleyhen? Ja es ſind zwar etliche die ihn wuͤnſchen/
aber nur wie geſagt/ umb ihres Bauchs und Wol-
luſt willen; hingegen aber ſind auch andere/ die den
Krieg behalten wollen/ nicht zwar weil es mein Will
iſt/ ſondern weil er ihnen eintraͤgt; Und gleich wie die
Maͤurer und Zimmerleut den Frieden wuͤnſchen/ da-
mit ſie in Aufferbauung der eingeaͤſcherten Haͤuſer
Geld verdienen/ alſo verlangen andere/ die ſich im
Frieden mit ihrer Hand-Arbeit nicht zu ernehren ge-
trauen/ die Continuation deß Kriegs/ in ſelbigem zu
ſtehlen.
Weilen dann nun mein Jupiter mit dieſen Sachen
umbgieng/ konte ich mir leicht einbilden/ daß er mir
in ſolchem verwirꝛten Stand von dem Meinigen we-
nig Nachricht wuͤrde geben koͤnnen/ entdeckte mich
ihm derhalben nicht/ ſondern nam meinen Kopff zwi-
ſchen die Ohren/ und gieng durch Abweg/ die mir
dann alle wol bekant waren/ nach L. fragte daſelbſt
nach meinem Schwehrvatter/ allerdings wie ein
fremder Bott/ und erfuhr gleich/ daß er ſampt mei-
ner Schwieger bereits vor einem halben Jahr dieſe
Welt geſegnet/ und dann daß meine Liebſte/ nachdem
ſie mit einem jungen Sohn nider kommen/ den ihre
Schweſter bey ſich haͤtte/ gleichfalls ſtracks nach ih-
rem Kindbett dieſe Zeitlichkeit verlaſſen; Darauff
lieferte ich meinem Schwager die jenige Schreiben/
die ich ſelbſt an meinen Schwehr/ an meine Liebſte/
und
[517]Fuͤnfftes Buch.
und an ihn meinen Schwager geſchrieben; derſelbe
nun wolte mich ſelbſt herbergen/ damit er von mir als
einem Botten erfahren koͤnte/ was Stands Simpli-
cius ſeye/ und wie ich mich verhielte? zu dem Ende
diſcurirte meine Schwaͤgerin lang mit mir von mir
ſelbſten/ und ich redete auch von mir/ was ich nur
loͤblichs von mir wuſte/ dann die Urſchlechten hatten
mich dergeſtalt verderbt und veraͤndert/ daß mich kein
Menſch mehr kante/ auſſer der von Schoͤnſtein/ wel-
cher aber als mein getreuſter Freund/ reinen Mund
hielte.
Als ich ihr nun nach der Laͤnge erzehlt/ daß Herꝛ
Simplicius viel ſchoͤner Pferd und Diener haͤtte/ und
in einem ſchwartzen ſammeten Mutzen auffzoͤge/ der
uͤberall mit Gold verbremt waͤre/ ſagte ſie: Ja/ ich
hab mir jederzeit eingebildet/ daß er keines ſo ſchlech-
ten Herkommens ſey/ als er ſich darvor außgeben/
der hieſige Commandant hat meine Eltern ſeel. mit
groſſen Verheiſſungen perſuadirt/ daß ſie ihm meine
Schweſter ſeel. die wol ein from̃e Jungfer geweſen/
gantz vorthelhafftiger Weis auffgeſattelt/ davon ich
niemalen ein gutes End habe hoffen koͤnnen/ nichts
deſto weniger hat er ſich wol angelaſſen/ und reſol-
virt/ in hieſiger Guarniſon Schwediſche/ oder viel-
mehr Heſſiſche Dienſt anzunehmen/ maſſen er zu ſol-
chem End ſeinen Vorꝛath/ was er zu Coͤln gehabt/
hieher holen wollen/ das ſich aber geſteckt/ und er da-
ruͤber gantz ſchelmiſcher Weis in Franckreich pra-
cticirt worden/ meine Schweſter/ die ihn noch kaum
vier Wochen gehabt/ und ſonſt noch wol ein halb
Dutzet Burgers-Toͤchter/ ſchwanger hinderlaſſend;
wie dann eine nach der andern (und zwar meine
Schwe-
[518]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Schweſter am allerletzten) mit lauter jungen Soͤh-
nen nider kommen. Weil dann nunmehr mein Vat-
ter und Mutter todt/ ich und mein Mann aber keine
Kinder miteinander zu hoffen/ haben wir meiner
Schweſter Kind zum Erben aller unſer Verlaſſen-
ſchafft angenom̃en/ und mit Huͤlff deß hieſtgen Herꝛn
Commandanten ſeines Vattern Haab zu Coͤln erho-
ben/ welches ſich ungefaͤhr auff 3000. fl. belauffen
moͤchte/ daß alſo dieſer junge Knab/ wenn er einmal
zu ſeinen Jahren kompt/ ſich unter die Arme zu rech-
nen keine Urſach haben wird; Jch und mein Mann
lieben das Kind auch ſo ſehr/ daß wirs ſeinem Vatter
nicht lieſſen/ wenn er ſchon ſelbſt kaͤme/ und ihn ab-
holen wolte/ uͤber das ſo iſt er der Schoͤnſte unter al-
len ſeinen Stieffbruͤdern/ und ſihet ſeinem Vatter ſo
gleich/ als wenn er ihm auß den Augen geſchnitten
waͤre; und ich weiß/ wenn mein Schwager wuͤſte/
was er vor einen ſchoͤnen Sohn hier haͤtte/ daß er ihm
nicht abbrechen koͤnte hieher zu kommen (da er ſchon
ſeine uͤbrige Hurenkinder ſcheuen moͤchte) nur das
liebt Hertzgen zu ſehen.
Solche und dergleichen Sachen brachte mir mei-
ne Schwaͤgerin vor/ worauß ich ihre Lieb gegen mei-
nem Kind leicht ſpuͤren koͤnnen/ welches dann dort in
ſeinen erſten Hoſen herumb lieffe/ und mich im Her-
tzen erfreute/ derhalben ſuchte ich die Cleinoder her-
fuͤr/ die mir Hertzbruder geben/ ſolche ſeinetwegen
meinem Weib zu verehren/ dieſelbige (ſagte ich) haͤt-
te mir Herꝛ Simplicius mit geben/ ſeiner Liebſten zum
Gruß einzuhaͤndigen/ weil aber ſelbige todt waͤre/
ſchaͤtzte ich/ es waͤre billich/ daß ich ſie ſeinem Kind
hinderlieſſe/ welche mein Schwager und ſeine Frau
mit
[519]Fuͤnfftes Buch.
mit Freuden empfiengen/ und darauß ſchloſſen/ daß
ich an Mitteln keinen Mangel haben/ ſondern viel ein
anderer Geſell ſeyn muͤſte/ als ſie ſich hiebevor von
wir eingebildet. Mithin trang ich auff meine Abfer-
tigung/ und als ich dieſelbe bekam/ degehrte ich im
Nahmen Simplici den jungen Simplicium zu kuͤſſen/
damit ich ſeinem Vatter ſolches als ein Wahrzeichen
erzehlen koͤnte; Als es nun auff Vergoͤnſtigung mei-
ner Schwaͤger in geſchahe/ fienge beydes mir und
dem Kind die Nas an zu bluten/ daruͤber mirs Hertz
haͤtte brechen moͤgen/ doch verbarg ich meine Affe-
cten/ und damit man nit Zeit haben moͤchte/ der Ur-
ſach dieſer Sympathiæ nachzudencken/ machte ich
mich ſtracks auß dem Staub/ und kam nach 14. Ta-
geu durch viel Muͤhe und Gefahr wieder in Bettlers
Geſtalt in Saurbrunnen/ weil ich unterwegs auß-
geſchaͤlet worden.
DasVI.Capitel.
NAch meiner Ankunfft wurde ich gewahr/ daß es
ſich mit Hertzbrudern mehr geboͤſert als gebeſ-
ſert hatte/ wiewol ihn die Doctores und Apothecker
ſtrenger als eine ſette Gans gerupfft; uͤber das kame
er mir auch gantz kindiſch vor/ und konte kuͤm̃erlich
mehr recht gehen/ ich ermuntert ihn zwar ſo gut ich
konte/ aber es war ſchlecht beſtellt/ er ſelbſt merckte
an Abnehmung ſeiner Kraͤfften wol/ daß er nit lang
mehr wuͤrde dauren koͤnnen/ ſein groͤſter Troſt war/
daß ich bey ihm ſeyn ſolte/ wenn er die Augen wuͤrde
zu thun.
Hingegen machte ich mich luſtig/ und ſuchte meine
Freud
[520]Deß Abenth. Simpliciſſimi
Frend/ wo ich ſolche zu finden vermeynte/ doch ſol-
cher geſtalt/ daß meinem Hertzbruder an ſeiner Pfleg
nichts manglete. Und weil ich mich einen Witwer
zu ſeyn wuſte/ reitzten mich die gute Taͤg und meine
Jugend wiederum zur Bulerey/ deren ich dann treff-
lich nach hienge/ weil mir der zu Einfidlen eingenom-
mene Schrecken wieder allerdings vergeſſen war. Es
befand ſich im Sauerbrunnen eine ſchoͤne Dame/ die
ſich vor eine von Adel außgab/ und meines Erachtens
doch mehr mobilis als nobilis war/ derſelben Mañs-
ſallen wartet ich trefflich auff den Dienſt/ weil ſie
zimlich glatthaͤrig zu ſeyn ſchiene/ erhielte auch in
kurtzer Zeit nicht allein einen freyen Zutritt/ ſondern
auch alle Vergnuͤgung/ die ich haͤtte wuͤnſchen und
degehren moͤgen/ aber ich hatte gleich ein Abſcheuen
ab ihrer Leichtfertigkeit/ trachtet derhalben/ wie ich
ihrer wieder mit Manier loß werden koͤnte/ dann wie
mich duͤnckte/ ſo gieng ſie mehr darauff umb/ meinen
Seckel zu ſcheren/ als mich zur Ehe zu bekommen/
zu dem uͤbertrieb ſie mich mit liebreitzenden feurigen
Blicken und andern Bezeugungen ihrer brennenden
Affection, wo ich gieng und ſtunde/ daß ich mich bey-
des vor mich und ſie ſchaͤmen muſte.
Neben dem befand ſich auch ein vornehmer reicher
Schweitzer im Bad/ dem wurde nicht nur ſein Geld/
ſondern auch ſeines Weibs Geſchmuck/ der in Gold/
Silber/ Perlen und Edelgeſteinen beſtunde/ entfrem-
det; Weil dann nun ſolche Sachen eben ſo ungerne
verloren werden/ als ſchwer ſie zu erobern ſeyn/ der-
halben ſuchte bemeldter Schweitzer allerhand Rath
und Mittel/ dadurch er ſelbige wieder zur Hand brin-
gen moͤchte/ maſſen er den beruͤhmten Teuffelsbanner
auß
[521]Fuͤnfftes Buch.
auß der Geißhaut kommen lieſſe/ der durch ſeinen
Dieb dergeſtalt tribulirte/ daß er das geſiolene Cut
wieder in eigener Perſon an ſeine Gehoͤrde liefern
muſte/ deßwegen der Hexenmeiſter dann 10. Reichs-
thaler zur Verehrung bekam.
Dieſen Schwartzkuͤnſtler haͤtte ich gern geſehen/
und mit ihm conferirt/ es mochte aber/ wie ich dar-
vor hielte/ ohne Schmaͤlerung meines Anſehens
(dann ich duͤnckte mich damals keine Sau ſeyn) nit
geſchehen/ derhalben ſtellte ich meinen Knecht an/
mit ihm denſelben Abend zu ſauffen/ weil ich vernom-
men/ daß er ein Außbund eines Weinbeiſſers ſeyn
ſolte/ umb zu ſehen/ ob ich vielleicht hierdurch mit ihm
in Kundſchafft kommen moͤchte/ dann es wurden mir
ſo viel ſeltzame Sachen von ihm erzehlt/ die ich nit
glauben konte/ ich haͤtte ſie dann ſelbſt von ihm ver-
nommen; ich verkleidete mich wie ein Landfahrer/
der Salben feil hat/ ſetzte mich zu ihm an Tiſch/ und
wolte vernehmen/ ob er erꝛathen/ oder ihm der Teuf-
fel eingeben wurde/ wer ich waͤre? aber ich konte nit
das geringſte an ihm ſpuͤren/ dann er ſoff immer hin/
und hielte mich vor einen/ wie me[i]ne Kleider anzeig-
ten/ alſo daß er mir auch etliche Glaͤſer zubrachte/
und doch meinen Knecht hoͤher als mich reſpectirte/
demſelben erzehlte er vertraulich/ wann der jenige ſo
den Schweitzer beſtolen/ nur das geringſte darvon
in ein flieſſend Waſſer geworffen/ und alſo dem ley-
digen Teuffel auch Partem geben haͤtte/ ſo waͤre un-
muͤglich geweſen/ weder den Dieb zu nennen/ nvch
das verlorne wieder zur Hand zu bringen.
Dieſe naͤrꝛiſche Poſſen hoͤrte ich an/ und verwun-
dert mich/ daß der heimtuͤckiſche und tauſendliſtige
Feind
[522]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Feind den armen Menſchen durch ſo geringe Sachen
in ſeine Klauen bringt. Jch konte leicht ermeſſen/
daß dieſes Stuͤcklein ein Theil deß Pacts ſey/ den er
mit dem Teuffel getroffen/ und konte wol gedencken/
daß ſolche Kunſt den Dieb nichts helffen wuͤrde/ wenn
ein anderer Teuffelsbanner geholt wuͤrde/ den Dieb-
ſtal zu offenbaren/ in deſſen Pact dieſe Clauſul nicht
ſtuͤnde; befohl demnach meinem Knecht/ (welcher
aͤrger ſtelen konte als ein Boͤhm) daß er ihn gar voll
ſauffen/ und ihm hernach ſeine zehen Reichsthaler
ſtelen/ alſobalden aber ein paar Batzen darvon in die
Rench werffen ſolte. Diß thaͤt mein Kerl gar fleiſ-
ſig; Als nun der Teuffelsbanner am Morgen fruͤhe
ſein Geld mangelte/ begab er ſich gegen der Wuͤſten
Rench in einen Buſch/ ohne Zweiffel ſeinen Spiritum
familiarem deßwegen zu beſprechen/ er wurde ader ſo
uͤbel abgefertigt/ daß er mit einem blauen und zerkratz-
ten Angeſicht wieder zuruͤck kam; Weßwegen mich
dann der arme alte Schelm dergeſtalt daurte/ daß ich
ihm ſein Geld wieder geben/ und darbey ſagen lieſſe/
weil ernunmehr ſehe/ was vor ein betruͤglicher boͤſer
Gaſt der Teuffel ſeye/ koͤnte er hinfort deſſen Dienſt
und Geſellſchafft wol auffkuͤnden/ und ſich wieder zu
GOtt bekehren. Aber ſolche Vermahnung bekam
mir wie dem Hund das Gras/ dann ich hatte von die-
ſer Zeit an weder Gluͤck noch Stern mehr/ maſſen
mir gleich hernach meine ſchoͤne Pferd durch Zau-
berey hinfielen? und zwar was haͤtte davor ſeyn ſol-
len? ich lebte gottlos wie ein Epicurer/ und befohl
das meinige niemal in Gottes Schutz/ warumb haͤtte
ſich dann dieſer Zauberer nicht wiederum an mir
ſollen raͤchen koͤnnen?
Das
[523]Fuͤnfftes Buchs.
DasVII.Capitel.
DEr Sauerbrunnen ſchlug mir je laͤnger je beſſer
zu/ weil ſich nit allein die Bad-Gaͤſte gleichſam
taͤglich mehrten/ ſondern weil der Ort ſelbſt und die
Manier zu leben/ mich anmuthig ſeyn duͤnckte: Jch
machte mit den Luſtigſten Kundſchafft/ die hin ka-
men/ und fienge an courtoiſe Reden und Compli-
menten zu lernen/ deren ich mein Tag ſonſt niemal
viel geachtet hatte. Jch wurde vor einen vom Adel
gehalten/ weil mich meine Leut Herꝛ Hauptmann
nenneten/ ſintemal dergleichen Stellen kein Sol-
dat von Fortun ſo leichtlich in einem ſolchen Alter
erlangt/ darinnen ich mich damals befand; Dau-
nenhero machten die reichen Stutzer mit mir/ und
hingegen ich hinwiederumb mit ihnen nicht allein
Kund-ſondern auch gar Bruͤderſchafft/ und war alle
Kurtzweil/ Spielen/ Freſſen und Sauffen meine al-
lergroͤſte Arbeit und Sorg/ welches aber manche
ſchoͤne Ducat hinweg nam/ ohne daß ichs ſonder-
lich wahr genommen und geachtet haͤtte/ dann mein
Seckel von dem Olivieriſchen Erdgut war noch treff-
lich ſchwer.
Unterdeſſen wurde es mit Hertzbrudern je laͤn-
ger je aͤrger/ alſo daß er endlich die Schuld der Na-
tur bezahlen muſte/ nachdem ihn die Medici und
Aertzt verlaſſen/ als ſie ſich zuvor genugſam an
ihm begraſet hatten; Er beſtetigte nachmalen ſein
Teſtament und letzten Willen/ und machte mich
zum Erben uͤber das jenige/ ſo er von ſeines Vattern
ſeel. Verlaſſenſchafft zu empfahen/ hingegen ließ ich
ihn gantz herꝛlich begraben/ und ſeine Diener mit
Traur-
[524]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Trauer Kleidern und einem Stuͤck Geld ihres Wegs
lauffen.
Sein Abſchied thaͤt mir ſchmertzlich wehe/ vor-
nemlich weil ihm vergeben worden/ und ob ichs zwar
nit endern konte/ ſo enderts doch mich/ dann ich flohe
alle Geſellſchafften/ und ſuchte nur die Einſamkeit/
meinen betruͤbten Gedancken Audienz zu geben/ zu
dem Ende verbarg ich mich etwan irgends in einen
Buſch/ und betrachtete nit allein was ich vor einen
Freund verloren/ ſondern auch daß ich mein Lebtag
ſeines gleichen nit mehr bekommen wuͤrde; Mithin
machte ich auch von Anſtellung meines kuͤnfftigen
Lebens allerhand Anſchlaͤg/ und beſchloß doch nichts
gewiſſes; bald wolt ich wieder in Krieg/ und unver-
ſehens gedacht ich/ es haͤttens die geringſte Baurn in
ſelbiger Gegend beſſer/ als ein Obriſter/ dann in daſ-
ſelbe Gebuͤrg kamen keine Parteyen/ ſo konte ich mir
auch nit einbilden/ was eine Armee darin zu ſchaffen
haben muͤſte/ dieſelbe Lands-Art zu ruiniren/ maſſen
noch alle Baurn-Hoͤf gleich als zu Friedenszeiten in
trefflichem Bau/ und alle Staͤll voll Viehe waren/
unangeſehen auff dem ebenen Land in den Doͤrffern
weder Hund noch Katz anzutreffen.
Als ich mich nun mit Anhoͤrung deß lieblichſten
Vogelgeſangs ergetzte/ und mir einbildete/ daß die
Nachtigal durch ihre Lieblichkeit andere Voͤgel ban-
ne ſtill zu ſchweigen/ und ihnen zuzuhoͤren/ entweder
auß Scham/ oder ihr etwas von ſolchem anmuthi-
gen Klang abzuſtehlen; da naͤherte ſich jenſeit dem
Waſſer eine Schoͤnheit an das Geſtad/ die mich
mehr bewegte/ (weil ſie nur den Habit einer Baurn-
Dirne antrug) als eine ſtattliche Damoiſelle ſonſt nit
haͤtte
[525]Fuͤnfftes Buch.
haͤtte thun moͤgen/ dieſe hud einen Korb vom Kopff/
darin ſie einen Ballen friſche Butter trug/ ſolchen im
Sauerbrunnen zu verkauffen/ denſelben erfriſchte ſie
im Waſſer/ damit er wegen der groſſen Hitz nicht
ſchmeltzen ſolte/ unterdeſſen ſetzte ſie ſich nider ins
Gras/ warff ihren Schleyer und Baurn-Hut von
ſich/ und wiſchte den Schweiß vom Angeſicht/ alſo
daß ich ſie genug betrachten/ und meine vorwitzige
Augen an ihr weyden konte/ da duͤnckte mich/ ich haͤtte
die Tag meines Lebens kein ſchoͤner Menſch geſehen/
die Proportion deß Leibs ſchiene vollkom̃en und ohne
Tadel/ Arm und Haͤnde Schneeweiß/ das Angeſicht
friſch und lieblich/ die ſchwartze Augen aber voller
Feur und Liebreitzender Blick; Als ſie nun ihre But-
ter wieder einpackte/ ſchrye ich hinuͤber: Ach Jung-
fer/ ihr habt zwar mit euren ſchoͤnen Haͤnden eure
Butter im Waſſer abgekuͤhlt/ hingegen aber mein
Hertz durch eure klare Augen ins Feur geſetzt! So
bald ſie mich ſahe und hoͤrte/ lieff ſie darvon/ als ob
man ſie gejagt haͤtte/ ohne daß ſie mir ein Woͤrtlein
geantwort haͤtte/ mich mit all den jenigen Thorhei-
ten beladen hinderlaſſend/ damit die verliebte Phan-
taſten gepeinigt zu werden pflegen.
Aber meine Begierden/ von dieſer Sonne mehr
beſchienen zu werden/ lieſſen mich nit in meiner Ein-
ſamkeit/ die ich mir außerwehlt/ ſondern machten/
daß ich das Geſang der Nachtigallen nit hoͤher ach-
tete/ als ein Geheul der Woͤlff; derhalben trollte
ich auch dem Saurbrunnen zu/ und ſchickte meinen
Jungen voran/ die Butter-Verkaͤufferin anzupacken/
und mit ihr zu marcken/ biß ich hernach kaͤme; dieſer
thaͤt das ſeinige/ und ich nach meiner Ankunfft auch
das
[526]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
das meinige; aber ich fande ein ſteinern Hertz/ und
eine ſolche Kaltſinnigkeit/ dergleichen ich hinder ei-
nem Baurn-Maͤgdlein nim̃ermehr zu finden getraut
haͤtte/ welches mich aber viel verliebter machte/ ohn-
angeſehen ich/ als einer der mehr in ſolchen Schulen
geweſen/ mir die Rechnung leicht machen koͤnnen/
daß ſie ſich nit ſo leicht bethoͤren laſſen wuͤrde.
Damals haͤtte ich entweder einen ſtrengen Feind/
oder einen guten Freund haben ſollen; einen Feind/
damit ich meine Gedancken gegen demſelbigen haͤtte
richten/ und der naͤrꝛiſchen Lieb vergeſſen muͤſſen/ oder
einen Freund/ der mir ein anders gerathen/ und mich
von meiner Thorheit/ die ich vornam/ haͤtte abmah-
nen moͤgen: Aber Ach leyder/ ich hatte nichts als
mein Geld das mich verblendete/ meine blinde Be-
gierden die mich verfuͤhrten/ weil ich ihnen den Zaum
ſchieſſen lieſſe/ und meine grobe Unbeſonnenheit/ die
mich verderbte/ und in alles Ungluͤck ſtuͤrtzte/ ich Narꝛ
haͤtte ja auß unſern Kleidungen/ als auß einem boͤſen
Omen judiciren ſollen/ daß mir ihre Lieb nit wol auß-
ſchlagen wuͤrde/ dann weil mir Hertzbruder/ dieſem
Maͤgdlein aber ihre Eltern geſtorben/ und wir dahe-
ro alle beyde in Trauer-Kleidern auffzogen/ als wir
einander das erſte mal ſahen/ was haͤtte unſere Bul-
ſchafft vor eine Froͤlichkeit bedeuten ſollen? Mit ei-
nem Wort/ ich war mit dem Narꝛnſail rechtſchaffen
verſtrickt/ und derhalben gantz blind und ohne Ver-
ſtand/ wie das Kind Cupido ſelbſten/ und weil ich
meine viehiſche Begierden nicht anders zu ſaͤttigen
getraute/ entſchloß ich/ ſie zu heuraten; Was/ ge-
dacht ich/ du biſt deines Herkommens doch nur ein
Baurn-Sohn/ und wirſt dein Tag kein Schloß be-
ſitzen
[527]Fuͤnfftes Buch.
ſitzen/ dieſe Revier iſt ein edel Land/ das ſich gleichwol
diß grauſame Kriegs-weſen hindurch gegen andern
Orten zu rechnen/ im Wolſtand und Flor befunden;
uͤber das haſt du noch Geld genug/ auch den beſten
Baurn-Hof in dieſer Gegend zu bezahlen/ du wilſt
diß ehrliche Baurn-Gretlein heuraten/ und dir einen
geruhigen Herꝛn-Handel mitten unter den Bauren
ſchaffen/ wo wolteſtu dir eine luſtigere Wohnung
außſehen koͤnnen als bey dem Sauerbrunnen/ da du
wegen der zu- und abraͤiſenden Bad-Gaͤſt gleichſam
alle 6. Wochen ein neue Welt ſehen/ und dir dabey
einbilden kanſt/ wie ſich der Erdkraͤis von einem Sæ-
culo zum andern veraͤndert. Solche und dergleichen
mehr tauſendfaͤltige Gedancken machte ich/ biß ich
endlich meine Geliebte zur Ehe begehrte/ und (wie-
wol nicht ohne Muͤhe) das Jawort erhielte.
DasVIII.Capitel.
JCh lieſſe trefflich zur Hochzeit zuruͤſten/ denn der
Himmel hieng mir voller Geigen; das Bauren-
Gut/ darauff meine Braut geboren worden/ loͤſte ich
nit allein gantz an mich/ ſondern fieng noch darzu ei-
nen ſchoͤnen neuen Bau an/ gleich als ob ich daſelbſt
mehr Hof-als Haußhalten haͤtte wollen/ und ehe ich
die Hochzeit vollzogen/ hatte ich bereits uͤber dreiſſig
Stuͤck Vieh da ſtehen/ weil man ſo viel das Jahr hin-
durch auff demſelben Gut erhalten konte; in Sum̃a/
ich beſtellte alles auff das beſte/ auch ſo gar mit koͤſtli-
chem Haußrath/ wie es mir nur meine Thorheit ein-
gab. Aber die Pfeiff fiel mir bald in Dreck/ dann da
ich nunmehr vermeynte mit gutem Wind in England
zu ſchiffen/ kam ich wider alle Zuverſicht in Holland/
Zund
[528]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
und damals/ aber viel zu ſpat/ wurde ich erſt gewahr/
was Urſach mich meine Braut ſo ohngerne nemmen
wollen/ das mich aber am allermeiſten ſchmirtzte/
war/ daß ich mein ſpoͤttlich Anligen keinem Menſchen
klagen dorffte. Jch konte zwar wol erkennen/ daß ich
nach dem Maaß der Billichkeit Schulden bezahlen
muſte/ aber ſolche Erkantnus machte mich darumb
nichts deſto gedultiger/ viel weniger froͤm̃er/ ſondern
weil ich mich ſo betrogen befande/ gedachte ich meine
Betruͤgerin wieder zu betruͤgen/ maſſen ich anfienge
graſen zu gehen/ wo ich zukommen konte/ uͤber das
ſtack ich mehr bey guter Geſellſchafft im Saurbrun-
nen/ als zu Hauß; Jn Summa/ ich lieſſe meine
Haußhaltung allerdings ein gut Jahr haben/ andern
theils war meine Frau eben ſo liederlich/ ſie hatte ei-
nen Ochſen/ den ich ins Hauß ſchlagen laſſen/ in et-
liche Koͤrb eingeſaltzen; und als ſie mir auff ein Zeit
eine Span-Sau zurichten ſolte/ unterſtunde ſie ſol-
ches wie einen Vogel zu ropffen/ wie ſie mir dann
auch Krebs auff dem Roſt/ und Forellen an einem
Spieß braten wollen; Bey dieſen paar Exempeln
kan man ohnſchwer abnehmen/ wie ich im uͤbrigen
mit ihr bin verſorgt geweſen/ nicht weniger tranck
ſie auch das liebe Weingen gern/ und theilet andern
guten Leuten auch mit/ das mir dann mein kuͤnfftig
Verderben prognoſticirte.
Einsmals ſpazierte ich mit etlichen Stutzern das
Thal hinunder/ eine Geſellſchafft im undern Bad zu
beſuchen/ da begegnet uns ein alter Baur/ mit einer
Geiß am Strick/ die er verkauffen wolte/ und weil
mich duͤnckte/ ich haͤtte dieſelbe Perſon mehr geſehen/
fragte ich ihn/ wo er mit dieſer Geiß her kaͤme? Er
aber
[529]Fuͤnfftes Buch.
aber zoge ſein Huͤtlein ab/ und ſagte: Gnaͤdiger
Hearꝛ/ eich darffs auch Werlich neit ſahn; ich ſagte/
du wirſt ſie ja nicht geſtolen haben? Nein/ antwort
der Baur/ ſondern ich bring ſie auß dem Staͤttgen
unden im Thal/ welches ich eben gegen dem Herꝛn
nicht nennen darff/ dieweil wir vor einer Geiß reden:
Solches bewegte meine Geſellſchafft zum lachen/
und weil ich mich im Angeſicht entfaͤrbte/ gedachten
ſie/ ich haͤtte ein Verdruß/ oder ſchaͤmte mich/ weil
mir der Baur ſo artlich eingeſchenckt; Aber ich hatte
andere Gedancken/ dann an der groſſen Wartzen/ die
der Baur gleichſam wie das Einhorn mitten auff der
Stirn ſtehen hatte/ wurde ich eigentlich verſichert/
daß es mein Knan auß dem Speſſert war/ wolte der-
halben zuvor einen Wahrſager agiren/ ehe ich mich
ihm offenbaren/ und mit einem ſo ſtattlichen Sohn/
als damals meine Kleider außwieſen/ erfreuen wolte/
ſagte derhalben zu ihm: Mein lieber alter Vatter/
ſeyt ihr nicht im Speſſert zu Hauß? Ja Hearꝛ/ ant-
wort der Baur; da ſagte ich/ Haben euch nicht vor
ungefaͤhr 18. Jahren die Reuter euer Hauß und Hof
gepluͤndert und verbrennt? Ja/ Gott erbarms/ ant-
woꝛtet der Baur/ es iſt aber noch nicht ſo lang; Jch
fragte weiter/ habt ihr nicht damals zwey Kinder/
nemlich eine erwachſene Tochter/ und einen jungen
Knaben gehabt/ der euch der Schaf gehuͤtet? Herꝛ/
antwoꝛtet mein Knan/ die Tochter war mein Kind/
aber der Bub nicht/ ich hab ihn aber an Kindes ſtatt
auffziehen wollen; Hierauß verſtunde ich wol/ daß
ich dieſes groben Knollfincken Sohn nicht ſey/ wel-
ches mich eins theils erfreute/ hingegen aber auch
betruͤbte/ weil mir zugefallen/ ich muͤſte ſonſten ein
Z ijBan-
[530]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Banckert oder Findling ſeyn; fragte derowegen mei-
nen Knan/ wo er dann denſelben Buben auffgetrie-
ben? oder was er vor Urſach gehabt/ denſelben an
Kinds ſtatt zu erziehen? Ach/ ſagte er/ es iſt mir ſel-
tzam mit ihm gangen/ der Krieg hat mir ihn geben/
und der Krieg hat mir ihn wieder genommen. Weil
ich dann beſorgte/ es doͤrffte wol ein facit herauß
kommen/ das mir wegen meiner Geburt nachtheilig
ſeyn moͤchte/ verwendet ich meinen Diſcurs wieder
auff die Geiß/ und fragte/ ob er ſie der Wirthin in
die Kuͤche verkaufft haͤtte? das mich befremde/ weil
die Saurbrunnen-Gaͤſt kein alt Geiſſenfleiſch zu ge-
nieſſen pflegten; Ach nein Herꝛ/ antwort der Baur/
die Wirthin hat ſelber Geiſſen genug/ und gibt auch
nichts vor ein Ding/ ich bring ſie der Graͤfin die im
Sauerbrunnen badet/ und ihr der Doctor Hans in
allen Gaſſen etliche Kraͤuter geordnet/ ſo die Geiß
eſſen muß/ und was ſie dann vor Milch darvon gibt/
die nimmt der Doctor, und macht der Graͤfin noch
ſo ein Ertzney druͤber/ ſo muß ſie die Milch trincken/
und wieder geſund darvon werden/ man ſaht/ es
mangel der Graͤfin am Gehenck/ und wenn ihr die
Geiß hilfft/ ſo vermag ſie mehr als der Doctor und
ſeine Abdecker miteinanger. Unter waͤhrender ſolcher
Relation beſann ich/ auff was Weis ich mehr mit
dem Baurn reden moͤchte/ botte ihm derhalben einen
Thaler mehr umb die Geiß/ als der Doctor oder die
Graͤfin darum geben wolten; ſolches gieng er gleich
ein (dann ein geringer Gewin perſuadirt die Leut bald
anders) doch mit dem Beding/ er ſolte der Graͤfin
zuvor anzeigen/ daß ich ihm ein Thaler mehr darauff
gebotten/ wolte ſie dann ſo viel drumb geben als ich/
ſo
[531]Fuͤnfftes Buch.
ſo ſolte Sie den Vorkauff haben/ wo nicht/ ſo wolte
er mir die Geiß zukommen laſſen/ und wie der Han-
del ſtuͤnde/ auff den Abend anzeigen.
Alſo gieng mein Knan ſeines Wegs/ und ich mit
meiner Geſellſchafft den unſerigen auch/ doch konte
und mochte ich nit laͤnger bey der Compagni bleiben/
ſondern drehte mich ab/ und gieng hin/ wo ich meinen
Knan wieder fand/ der hatte ſeine Geiß noch/ weil
ihm andere nicht ſo viel als ich drumb geben wolten/
welches mich an ſo reichen Leuten wunderte/ und
doch nit kaͤrger machte; Jch fuͤhrte ihn auff meinen
neu-erkaufften Hof/ bezahlte ihm ſeine Geiß/ und
nachdem ich ihme einen halben Rauſch angehenckt/
fragte ich ihn/ woher ihm der jenige Knad zugeſtan-
den waͤre/ von dem wir heut geredet? Ach Herꝛ/
ſagte er/ der Mansfelder Krieg hat mir ihn beſchehrt/
und die Noͤrdlinger Schlacht hat mir ihn wieder ge-
nommen; Jch ſagte/ das muß wol ein luſtige Hiſtori
ſeyn/ mit Bitt/ weil wir doch ſonſt nichts zu reden
haͤtten/ er wolte mirs doch vor die lange Weil erzeh-
len: Darauff fieng er an/ und ſagte/ als der Mans-
felder bey Hoͤchſt die Schlacht verlor/ zerſtreute ſich
ſein fluͤchtig Volck weit und breit berum/ weil ſie nit
alle wuſten/ wohin ſie ſich retiriren ſolten/ viel kamen
in Speſſert/ weil ſie die Buͤſch ſuchten/ ſich zu verber-
gen/ aber in dem ſie dem Todt auff der Edne entgien-
gen/ fanden ſie ihn bey uns in den Bergen/ und weil
beyde kriegende Theil vor billich achteten/ einander
auff unſerm Grund und Boden zu berauden und ni-
der zu machen/ griffen wir ihnen auch auff die Hau-
ben/ damals gieng ſelten ein Bauer in den Buͤſchen
ohne Feur-rohr/ weil wir zu Hauß bey unſern Hauen
Z iijund
[532]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
und Pfluͤgen nit bleiben konten; Jn demſelben Tu-
mult bekam ich nicht weit von meinem Hof in einem
wilden ungeheuren Wald ein ſchoͤne junge Edelfrau/
ſampt einem ſtattlichen Pferd/ als ich zuvor nit weit
darvon etliche Buͤchſenſchuß gehoͤrt hatte/ ich ſahe
ſie anfaͤnglich vor einen Kerl an/ weil ſie ſo mannlich
daher ritte/ aber in dem ich ſie beydes Haͤnd und Au-
gen gegen dem Himmel auffheben ſahe/ und auff
Welſch mit einer erbaͤrmlichen Stimm zu Gott ruf-
fen hoͤrte/ ließ ich mein Rohr/ damit ich Feur auff ſie
geben wolte/ fincken/ und zog den Hanen wieder zu-
ruͤck/ weil mich ihr Geſchrey und Geberden verſicher-
ten/ daß ſie ein betruͤbtes Weibsbild waͤre; mithin
naͤherten wir uns einander/ und da ſie mich ſahe/ ſagte
ſie: Ach! wann ihr ein ehrlicher Chriſten-Menſch
ſeyt/ ſo bitte ich euch umb GOttes und ſeiner Barm-
hertzigkeit/ ja umb deß Juͤngſten Gerichts willen/
vor welchem wir alle umb unſer Thun und Laſſen
Rechenſchafft geben muſſen/ ihr wollet mich zu ehr-
lichen Weibern fůhren/ die mich durch Goͤttliche
Huͤlff von meiner Leibes-Buͤrde entledigen helffen!
Dieſe Wort/ die mich ſo groſſer Ding erinnerten/
ſampt der holdſeeligen Außſprach/ und zwar betruͤb-
ten doch uͤberauß ſchoͤnen und anmuthigen Geſtalt
der Frauen/ zwangen mich zu ſolcher Erbaͤrmde/
daß ich ihr Pferd beym Ziegel nam/ und ſie durch
Hecken und Stauden/ an den allerdickſten Ort deß
Geſtraͤuchs fuͤhrte/ da ich ſelbſt mein Weid/ Kind/
Geſind und Viehe hin geflehnt hatte/ daſelbſt genaß
ſie ehender als in einer halben Stund/ deß jenigen
jungen Knaben/ von dem wir heut miteinander ge-
redet haben.
Hie-
[533]Fuͤnfftes Buch.
Hiemit beſchloß mein Knan ſeine Erzehlung/
weil er eins tranck/ dann ich ſprach ihm gar guͤtlich
zu/ da er aber das Glaß außgelehret hatte/ fragte
ich/ und wie iſts darnach weiter mit der Frauen
gangen? Er antwortet/ als ſie dergeſtalt Kindbette-
rin worden/ bat ſie mich zu Gevattern/ und daß ich
das Kind ehiſtes zum Tauff fuͤrdern wolte/ ſagte mir
auch ihres Manns und ihren Nabmen/ damit ſie
moͤchten in das Tauffbuch geſchriben werden/ und
in dem thaͤt ſie ihr Felleyſen auff/ darinnen ſie wol
koͤſtliche Sachen hatte/ und ſchenckte mir/ meinem
Weib und Kind/ der Magd und ſonſt noch einer
Frauen ſo viel/ daß wir wol mit ihr zu friden ſeyn
koͤnnen/ aber in dem ſie ſo damit umbgieng/ und uns
von ihrem Mann erzehlte/ ſtarb ſie uns unter den
Haͤnden/ als ſie uns ihr Kind zuvor wol befohlen
hatte: weil es dann nun ſo gar ein groſſer Lermen im
Land war/ daß niemand bey Hauß bleiben konte/
vermachten wir kaum ein Pfarꝛherꝛn/ der bey der
Begraͤbnuß ware/ und das Kind tauffte/ da aber
endlich beydes geſchehen/ wurde mir von unſerm
Schultzen und Pfarꝛherꝛn befohlen/ ich ſolte das
Kind auffziehen biß es groß wuͤrd/ und vor meine
Muͤhe und Koſten der Frauen gantze Verlaſſenſchaft
behalten/ außgenommen etliche Pater Noſter, Edel-
geſtein und ſo Geſchmeiß/ welches ich vor das Kind
auffbehalten ſolte; Alſo ernehrte mein Frau das
Kind mit Gaiß-Milch/ und wir behielten den Buben
gar gern und dachten/ wir wolten ihm/ wann er groß
wuͤrde/ unſer Maͤdgen zur Frauen geben/ aber nach
der Noͤrdling. Schlacht habe ich beydes das Maͤgd-
Z jvlein
[534]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
lein und den Buben verlohren/ ſampt allem dem was
wir vermochten.
Jhr habt mir/ ſagte ich zu meinem Knan/ ein art-
liche Geſchicht erzehlt/ und doch das beſt vergeſſen/
dann ihr habt nicht geſagt weder wie die Frau/ noch
ihr Mann oder das Kind geheiſſen: Herꝛ/ antwortet
er/ ich hab nicht gemeint/ daß ihrs auch gern hettet
wiſſen moͤgen; die Edelfrau hieſſe Suſanna Ramſi,
ihr Mann Capitaͤin Sternfelß von Fuchsheim/ und
weil ich Melchior hieſſe/ ſo lieſſe ich den Buben bey
der Tauffe auch Melchior Sternfelß von Fuchsheim
nennen/ und ins Tauffbuch ſchreiben.
Hierauß vernam ich umbſtaͤndlich/ daß ich meines
Einſidlers und deß Gubernators Ramſay Schweſter
leiblicher Sohn geweſen/ aber ach leider viel zu ſpat/
dann meine Eltern waren beyde todt/ und von mei-
nem Vetter Ramſay kondte ich anders nichts erfah-
ren/ als daß die Hanauer ihn mie ſampt der Schwe-
diſchen Guarniſon außgeſchafft hetten/ weßwegen er
dann vor Zorn und Ungedult gantz unſinnig worden
waͤre.
Jch deckte meinen Pettern vollends mit Wein
zu/ und lieſſe den andern Tag ſein Weib auch holen/
da ich mich ihnen nun offenbahrte/ wolten ſie es nicht
ehe glauben/ biß ich ihnen zuvor einen ſchwartzen
haarigen Flecken auffgewiſen/ den ich fornen auff der
Bruſt hatte.
DasIX.Capitel.
OHnlaͤngſt hernach nahme ich meinen Pettern zu
mir/ und thaͤt mit ihm einen Ritt hinunder in
Speſſert/ glaubwuͤrdigen Schein und Urkund mei-
nes
[535]Fuͤnfftes Buch.
nes Herkommens und ehelicher Geburt halber zu
wegen zu bringen/ welches ich obnſchwer auß dem
Tauff-Buch und meines Pettern Zeugnus erhielte.
Jch kehrte auch gleich bey dem Pfarꝛer ein/ der ſich
zu Hanau auffgehalten/ und meiner angenommen/
derſelbe gab mir einen ſchrifftlichen Beweiß mit/ wo
mein Vatter ſeel. geſtorben/ und daß ich bey demſel-
ben biß in ſeinen Todt/ und endlich unter dem Nah-
men Simplici eine Zeitlang bey Herꝛn Ramſay dem
Gubernator in Hanau geweſen waͤre/ ja ich lieſſe uͤber
meine gantze Hiſtori auß der Zeugen Mund durch ei-
nen Notarium ein Inſtrument auffrichten/ dann ich
gedachte/ wer weiß/ wo du es noch einmal brauch eſt/
ſolche Raͤis koſtet mich uͤber 400. Thaler/ dann auff
dem Zuruͤck-Weg wurde ich von einer Partey er-
haſcht/ abgeſetzt und gepluͤndert/ alſo daß ich und
mein Knan oder Petter allerdings nackend/ und kaum
mit dem Leben darvon kamen.
Jndeſſen giengs daheim auch ſchlim zu/ dañ nach-
dem mein Weib vernom̃en/ daß ihr Mann ein Jun-
cker ſey/ ſpielte ſie nit allein der groſſen Frauen/ ſon-
dern verliederlicht auch alles in der Haußhaltung/
welches ich/ weil ſie groſſes Leibs war/ ſtillſchwei-
gend uͤbertrug/ uͤber das war mir ein Ungluͤck in den
Stall kommen/ ſo mir das meiſte und beſte Viehe
hingerafft.
Dieſes alles waͤre noch zu verſchmirtzen geweſen/
aber ô mirum! kein Ungluͤck allein/ in der Stund/
darinn mein Weib genaſe/ wurde die Magd auch
Kindbetterin/ das Kind zwar ſo ſie brachte/ ſahe mir
allerdings aͤhnlich/ das aber ſo mein Weib gebar/
ſahe dem Knecht ſo gleich/ als wenns ihm auß dem
Z vGeſicht
[536]Deß Abenth. Simpliciſſimi
Geſicht geſchnitten worden waͤre; zu dem hatte die
jenige Dame/ deren oben gedacht/ in eben derſelben
Nacht auch eins vor meine Thuͤr legen laſſen/ mit
ſchrifft Bericht/ daß ich der Vatter waͤre/ alſo daß
ich auff einmal drey Kinder zuſammen brachte/ und
war mir nit anders zu Sinn/ als es wuͤrde auß jedem
Winckel noch eins herfuͤr kriechen/ welches mir nit
wenig graue Haar machte! Aber es gehet nit anders
her/ wann man in einem ſo gottloſen und verꝛuchten
Leben/ wie ich eins gefuͤhrt/ ſeinen viehiſchen Begier-
den folget.
Nun was halffs? ich muſte tauffen/ und mich
noch darzu von der Obrigkeit rechtſchaffen ſtraffen
laſſen/ und weil die Herꝛſchafft damals eben Schwe-
diſch war/ ich aber hiebevor dem Kaͤiſer gedient/ wur-
de mir die Zech deſto hoͤher gemacht/ welches lauter
Præludia waren meines abermaligen gaͤntzlichen Ver-
derbens. Gleich wie mich nun ſo vielerley ungluͤck-
liche Zufaͤll hoͤchlich betruͤbten/ alſo nam es andern
theils mein Weibgen nur auff die leichte Achſel/ ja
ſie trillete mich noch darzu Tag und Nacht/ wegen
deß ſchoͤnen Funds/ der mir vor die Thuͤr geleget/
und daß ich umb ſo viel Gelds geſtrafft woꝛden waͤr;
haͤtte ſie aber gewuſt/ wie es mit mir und der Magd
beſchaffen geweſen/ ſo wuͤrde ſie mich noch wol aͤrger
gequaͤlt haben/ aber das gute Menſch war ſo auff-
richtig/ daß ſie ſich durch ſo viel Geld/ als ich ſonſt
ihrentwegen haͤtte Straff geben muͤſſen/ bereden lieſ-
ſe/ ihr Kind einem Stutzer zuzuſchreiben/ der mich
das Jahr zuvor unterweilen beſucht/ und bey meiner
Hochzeit geweſen/ den ſie aber ſonſt weiters nicht ge-
kant/ doch muſte ſie auß dem Hauß/ dann mein Weib
arg-
[537]Fuͤnfftes Buch.
argwohnet/ was ich ihrentwegen vom Knecht ge-
dachte/ und dorfft doch nichts anden/ dann ich haͤtte
ihr ſonſt vorgehalten/ daß ich in einer Stund nicht
zugleich bey ihr und der Magd ſeyn koͤnnen. Jndeſſen
wurde ich mit dieſer Anfechtung hefftig gepeiniget/
daß ich meinem Knecht ein Kind auffziehen/ und die
Meinige nicht meine Erben ſeyn ſolten/ und daß ich
noch darzuſtill ſchweigen/ und froh ſeyn muſte/ daß
gleichwol ſonſt niemand nichts darvon wuſte.
Mit ſolchen Gedancken martert ich mich taͤglich/
aber mein Weid delectrte ſich ſtuͤndlich mit Wein/
denn ſie hatte ihr das Kaͤnngen ſint unſerer Hochzeit
dergeſtalt angewehnt/ daß es ihr ſelten vom Maul/
und ſie ſelbſten gleichſam keine Nacht ohne ein zimli-
chen Rauſch ſchlaffen gieng/ darvon ſoff ſie ihrem
Kind zeitlich das Leben ab/ und entzuͤndet ihr ſelbſten
das Gehenck dergeſtalt/ daß es ihr auch bald hernach
entfiele/ und mich wiederum zu einem Witwer mach-
te/ welches mir ſo zu Hertzen gienge/ daß ich mich faſt
kranck hieruͤber gelacht haͤtte.
DasX.Capitel.
DA ich mich nun wieder ſolcher geſtalt in meine
erſte Freyheit gefetzt befande/ mein Beutel aber
von Geld zimlich gelaͤeret/ hingegen meine groſſe
Haußhaltung mit vielem Viehe und Geſind beladen/
nam ich meinen Petter Melchior vor einen Vatter/
meine Goͤth/ ſeine Frau/ vor meine Mutter/ und den
Banckert Simplicium, der mir vor die Thuͤr geleget
worden/ vor meinen Erben an/ und uͤbergab dieſen
beyden Alten Hauß und Hof/ ſampt meinem gantzen
Vermoͤgen/ biß auff gar wenig gelbe Batzen und
Z vjClei-
[538]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Cleinodien/ die ich noch auff die aͤuſſerſte Noth ge-
ſpart und hinderhalten hatte/ dann ich hatte einen
Eckel ab aller Weiber Beywohnung und Gemein-
ſchafft gefaſt/ daß ich mir vornam/ weil mirs ſo uͤbel
mit ihnen gangen/ mich nicht mehr zu verheuraten/
dieſe beyde alte Eheleut/ welche in re ruſticorum nit
wol ihres gleichen mehr hatten/ goſſen meine Hauß-
haltung gleich in einen andern Model/ ſie ſchafften
von Geſind und Viehe ab was nichts nutzte/ und be-
kamen hingegen auff den Hof/ was etwas eintrug;
Mein alter Knan ſampt meiner alten Mender ver-
trõſteten mich alles Guten/ und verſprachen/ wenn
ich ſie nur hauſen lieſſe/ ſo wolten ſie mir allweg ein
gut Pferd auff der Streu halten/ und ſo viel verſchaf-
fen/ daß ich je zu Zeiten mit einem ehrlichen Bider-
mann ein Maaß Wein trincken koͤnte: Jch ſpuͤrete
auch gleich/ was vor Leut meinem Hof vorſtunden/
mein Petter beſtellte mit dem Geſind den Feld-bau/
ſchacherte mit Viehe und mit dem Holtz- und Hartz-
Handel aͤrger als ein Jud/ und meine Goͤth legte ſich
auff die Viehzucht/ und wuſte die Milchpfenning
beſſer zu gewinnen und zuſamm zu halten/ als zehen
ſolcher Weiber/ wie ich eins gehabt hatte. Auff ſol-
che Weis wurde mein Bauren-Hof in kurtzer Zeit
mit allerhand nothwendigem Vorꝛath/ auch groß
und kleinem Vieh genugſam verſehen/ alſo daß er in
Baͤlde vor den beſten in der gantzen Gegend geſchaͤtzt
wurde/ ich aber gieng darbey ſpazieren/ und wartet
allerhand Contemplationen ab/ dann weil ich ſahe/
daß meine Goͤth mehr auß den Jmmen an Wachs
und Honig vorſchlug/ als mein Weib hiebevor auß
Rindvieh/ Schweinen und anderm eroberte/ konte
ich
[539]Fuͤnfftes Buch.
ich mir leicht einbilden/ daß ſie im uͤbrigen nichts
verſchlaffen wuͤrde.
Einsmals ſpazierte ich in Sauerbrunnen/ mehr
einen Trunck friſch Waſſer zu thun/ als mich meiner
vorigen Gewonheit nach/ mit den Stutzern bekant
zu machen/ dann ich fieng an meiner Alten Kargheit
nachzuoͤhmen/ welche mir nicht riethen/ daß ich mit
den Leuten viel umbgehen ſolte/ die ihre und ihrer El-
tern Haab ſo unnuͤtzlich verſchwendeten: Gleichwol
aber geriethe ich zu einer Geſellſchafft mittelmaͤſſigen
Stands/ weil ſie von einer ſeltenen Sach/ nemlich
von dem Mummel-See diſcurirten/ welcher uner-
grũndlich/ und in der Nachbarſchafft auff einem von
den hoͤchſten Bergen gelegen ſey; ſie hatten auch un-
terſchiedliche alte Bauersleut beſchickt/ die erzehlen
muſten/ was einer oder der ander von dieſem wun-
derbarlichen See gehoͤret haͤtte/ deren Relation ich
dann mit groſſem Luſt zuhoͤrte/ wiewol ichs vor eitel
Fabuln hielte/ denn es lautete ſo luͤgenhafftig/ als et-
liche Schwenck deß Plinii.
Einer ſagte/ wenn man ungerad/ es ſeyen gleich
Erbſen/ Steinlein oder etwas anders/ in ein Nas-
tuͤchlein binde/ und hinein hencke/ ſo veraͤndere es ſich
in gerad; alſo auch/ wenn man gerad hinein hencke/
ſo finde man ungerad. Ein anderer/ und zwar die
meiſte gaben vor/ und beſtetigten es auch mit Exem-
peln/ wenn man einen oder mehr Stein hinein wuͤrf-
fe/ ſo erhebe ſich gleich/ GOtt geb wie ſchoͤn auch der
Himmel zuvor geweſen/ ein grauſam Ungewitter/
mit ſchroͤcklichem Regen/ Schloſſen und Sturm-
winden. Von dieſem kamen ſie auch auff allerhand
[ſ]e[l]tzame Hiſtorien/ ſo ſich darbey zugetragen/ und
Z vijwas
[540]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
was ſich vor wunderbarliche Spectra von Erd- und
Waſſermaͤnnlein darbey haͤtten ſehen laſſen/ und was
ſie mit den Leuten geredet. Einer erzehlte/ daß auff
ein Zeit/ da etliche Hirten ihr Vieh bey dem See ge-
huͤtet/ ein brauner Stier herauß geſtiegen/ welcher
ſich zu dem andern Rindvieh geſellet/ dem aber gleich
ein kleines Maͤnnlein nachgefolget/ ihn wieder zu-
ruͤck in See zu treiben/ er haͤtte aber nicht pariren wol-
len/ biß ihm das Maͤnnlein gewuͤnſcht haͤtte/ es ſolte
ihn aller Menſchen Leiden ankommen/ wenn er nicht
wieder zuruͤck kehre! Auff welche Wort er und das
Maͤnnlein ſich wieder in den See begeben haͤtten.
Ein anderer ſagte/ es ſey auff ein Zeit/ als der See
uͤberfroren geweſen/ ein Baursmann mit ſeinen Och-
ſen und etlichen Ploͤchern/ darauß man Tihln ſchnei-
det/ uͤber den See gefahren ohn einigen Schaden/
als ihm aber ſein Hund nachkommen/ ſeye das Eiß
mit ihm gebrochen/ und der arme Hund allein hinun-
der gefallen/ und nicht mehr geſehen worden. Noch
ein anderer behauptete bey groſſer Warheit/ es ſeye
ein Schuͤtz auff der Spur deß Wilds bey dem See
voruͤber gangen/ der haͤtte auff demſelben ein Waſſer-
maͤnnlein ſitzen ſehen/ das einen gantzen Schos voll
gemuͤntzte Goldſorten gehabt/ und gleichſam damit
geſpielt haͤtte; und als er nach demſelbigen Feur ge-
ben wollen/ haͤtte ſich das Maͤnnlein geduckt/ und
dieſe Stimme hoͤren laſſen: Wenn du mich gebet-
ten/ deiner Armuth zu huͤlff zu kommen/ ſo wolte ich
dich und die deinige reich genug gemacht haben.
Solchen und dergleichen mehr Hiſtorien/ die mir
alle als Maͤhrlein vorkamen/ damit man die Kinder
auffhaͤlt/ hoͤrte ich an/ verlachte ſie/ und glaubte nit
ein-
[541]Fuͤnfftes Buch.
einmal/ daß ein ſolcher unergruͤndlicher See auff ei-
nem hohen Berg ſeyn koͤnte; Aber es fanden ſich
noch andere Baursleut/ und zwar alte glaubwuͤrdi-
ge Maͤnner/ die erzehlten/ daß noch bey ihrem und
ihrer Vaͤtter Gedencken Hohe Fuͤrſtl. Perſonen den
beſagten See zu beſchauen ſich erhoben/ wie denn ein
regierender Hertzog zu Wuͤrtenberg/ ꝛc einen Floß
machen/ und mit demſelbigen darauff hinein fahren
laſſen/ ſeine Tieffe abzumeſſen/ nachdem die Meſſer
aber bereits neun Zwirn-Netz (iſt ein Maß/ das die
Schwartzwaͤlder Baurn-Weiber beſſer als ich oder
ein anderer Geometra verſtehen) mit einem Senckel
hinunder gelaſſen/ und gleichwol noch keinen Bo-
den gefunden/ haͤtte das Floß/ wider die Natur deß
Holtzes/ anfahen zu ſincken/ alſo daß die ſo ſich da-
rauff befunden/ von ihrem Voꝛnehmen abſtehen/ und
ſich ans Land ſalviren muͤſſen/ maſſen man noch heut
zu Tag die Stuͤcker deß Floſſes am Ufer deß Sees/
und zum Gedaͤchtnus dieſer Geſchicht das Fuͤrſtl.
Wuͤrtenberg. Wappen und andere Sachen mehr/
in Stein gehauen vor Augen ſehe. Andere bewieſen
mit vielen Zeugen/ daß ein Ertz-Hertzog von Oeſter-
reich/ ꝛc den See gar haͤtte abgraben laſſen wollen/
es ſeye Jhm aber von vielen Leuten widerꝛathen/ und
durch Bitt der Landleute ſein Voꝛnehmen hinder-
trieben woꝛden/ auß Foꝛcht/ das gantze Land moͤchte
untergehen und erſauffen: Uber das haͤtten Hoͤchſt-
gedachte Fuͤrſten etliche Legeln voll Forellen in den
See ſetzen laſſen/ die ſeyen aber alle/ ehe als in einer
Stund/ in ihrer Gegenwart abgeſtanden/ und zum
Außlauff deß Sees hinauß gefloſſen/ ohnangeſehen
das Waſſer/ ſo unter dem Gebuͤrg/ darauff der See
lige
[542]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
lige/ durch das Thal (ſo von dem See den Nahmen
habe) hinfleuſi/ von Natur ſolche Fiſch hervor brin-
ge/ da doch der Außlauff deß Sees in ſelbig Waſſer
ſich ergieſſe.
DasXI.Capitel.
DJeſer Letztern Außſag machte/ daß ich denen zu
erſt bey nahe voͤlligen Glauben zuſtellte/ und be-
wog meinen Fuͤrwitz/ daß ich mich entſchloß/ den
wunderbaren See zu beſchauen; Von denen/ ſo ne-
ben mir alle Erzehlung gehoͤrt/ gab einer diß/ der an-
der jenes Urtheil daruͤber/ darauß denn ihre unter-
ſchiedliche und widereinander lauffende Meynungen
genugſam erhellten; Jch zwar ſagte/ der Teutſche
Nahm Mummel-See gebe genugſam zu verſte-
hen/ daß es umb ihn/ wie umb eine Maſcarade, ein
verkapptes Weſen ſeye/ alſo daß nicht jeder ſeine Art
ſo wol als ſeine Tieffe ergruͤnden koͤnne/ die doch auch
noch nicht erfunden worden waͤre/ da doch ſo Hohe
Perſonen ſich deſſen unterfangen haͤtten; gienge da-
mit an den jenigen Ort/ allwo ich vorm Jahr mein
verſtorbenes Weib das erſte mal ſahe/ und das ſuͤſſe
Gifft der Lieb einſoffe.
Daſelbſten legte ich mich auff das gruͤne Gras in
Schatten nider/ ich achtet aber nicht mehr als hiebe-
vor/ was die Nachtigallen daher pfiffen/ ſondern ich
betrachtete/ was vor Veraͤnderung ich ſeithero er-
duldet; da ſtellte ich mir vor Augen/ daß ich an eben
demſelbigen Ort den Anfang gemacht/ auß einem
freyen Kerl zu einem Knecht der Liebe zu werden/ daß
ich ſeithero auß einem Officier ein Bauer/ auß einem
reichen Bauer ein armer Edelmann/ auß einem Sim-
plicio
[543]Fuͤnfftes Buch.
plicio ein Melchior/ auß einem Witwer ein Ehmann/
auß einem Ehmañ ein Gauch/ und auß einem Gauch
wieder ein Witwer worden waͤre; Jtem/ daß ich
auß eines Baurn Sohn/ zu einem Sohn eines recht-
ſchaffenen Soldaten/ und gleichwol wieder zu einem
Sohn meines Knans worden. Da fuͤhrte ich zu Ge-
muͤt/ wie mich ſeithero mein fatum deß Hertzbruders
beraubt/ und hingegen vor ihn mit zweyen alten Ehe-
leuten verſorgt haͤtte; ich gedachte an das gottſelige
Leben und Abſterben meines Vatters/ an den erbaͤrm-
lichen Todt meiner Mutter/ und darneben auch an
die vielfaͤltige Veraͤnderungen/ deren ich mein Leb-
tag unterworffen geweſen/ alſo daß ich mich deß
weynens nit enthalten konte. Und in dem ich zu Ge-
muͤth fuͤhrte/ wie viel ſchoͤn Geld ich die Tage mei-
nes Lebens gehabt und verſchwendet/ zumal ſolches
zu bedauren anfienge/ kamen zween gute Schlucker
oder Weinbeiſſer/ (denen die Cholica in die Glieder
geſchlagen/ deßwegen ſie denn erlahmet/ und das
Bad ſampt dem Saurbrunnen brauchten) die ſetzten
ſich zu naͤchſt bey mir nieder/ weil es eine gute Ruhe-
ſtatt hatte/ und klagte je einer dem andern ſeine Noth/
weil ſie vermey[n]eten allein zu ſeyn/ der eine ſagte:
Mein Doctor hat mich hieher gewieſen/ als einen/
an deſſen Geſundheit er verzweiffelt/ oder als einen/
der neben andern dem Wirth umb das Faͤßlein mit
Butter ſo er ihm neulich geſchickt/ Satisfaction thun
ſolle/ ich wolte/ daß ich ihn entweder die Tage mei-
nes Lebens niemals geſehen/ oder daß er mir gleich
anfangs in Sauerbrunnen gerathen haͤtte/ ſo wuͤrde
ich entweder mehr Geld haben oder geſuͤnder ſeyn
als jetzt/ denn der Sauerbrunnen ſchlaͤgt mir wol zu.
Ach
[544]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Ach! antwort der ander/ ich dancke meinem GOtt/
daß er mir nicht mehr uͤberfluͤſſig Geld beſchehrt hat/
als ich vermag/ dann haͤtte mein Doctor noch mehr
hinder mir gewuſt/ ſo haͤtte er mir noch lang nicht in
Sauerbrunnen gerathen/ ſondern ich haͤtte zuvor mit
ihm und ſeinen Apotheckern/ die ihn deßwegen alle
Jahr ſchmieren/ theilen muͤſſen/ und haͤtte ich daruͤ-
ber ſterben und verderben ſollen; die Schabhaͤls ra-
then unſer einem nicht eher an ein ſo heylſam Ort/ ſie
getrauen denn nit mehr zu helffen/ oder wiſſen nichts
mehr an einem zu ropffen; wenn man die Warheit
bekennen will/ ſo muß ihnen der jenige ſo ſich hinder
ſie laͤft/ und hinder welchem ſie Geld wiſſen/ nur loh-
nen/ daß ſie einen kranck erhalten.
Dieſe zween hatten noch viel ſchmaͤhens uͤber ihre
Doctores, aber ich mags drumb nicht alles erzehlen/
dann die Herꝛen Medici moͤchten mir ſonſt feind wer-
den/ und kuͤnfftig eine Purgation eingeben/ die mir die
Seel außtreiben moͤchte: Jch melde diß allein deß-
wegen/ weil mich der letztere Patient mit ſeiner
Danckſagung/ daß ihm Gott nit mehr Geld beſcheh-
ret/ dergeſtalt troͤſtete/ daß ich alle Anfechtungen und
ſchwere Gedancken/ die ich damal deß Gelds halber
hatte/ auß dem Sinn ſchlug. Jch reſolvirte mich/
weder mehr nach Ehren noch Geld noch nach etwas
anders das die Welt liebt/ zu trachten; ja ich name
mir vor zu philoſophiren/ und mich eines gottſeligen
Lebens zu befleiſſen/ zumalen meine Unbußfertigkeit
zu bereuen/ und mich zu befleiſſen/ gleich meinem
Vatter ſeel. auff die hoͤchſte Staffeln der
Tugenden zu ſteigen.
Das
[545]Fuͤnfftes Buch.
DasXII.Capitel.
DJe Begierde den Mummelſee zu beſchauen ver-
mehrte ſich bey mir/ als ich von meinem Petter
verſtunde/ daß er auch dabey geweſen/ und den Weg
darzu wißte/ da er aber hoͤrete/ daß ich uͤberein auch
darzu wolte/ ſagte er/ und was werdet ihr dann
darvon tragen/ wann ihr gleich hinkompt? der Herꝛ
Sohn und Petter wird nichts anders ſehen als ein
Ebenbild eines Weyers/ der mitten in einem groſſen
Wald ligt/ und wann er ſeinen jetzigen Luſt mit be-
ſchwerlichem Unluſt gebuͤßt/ ſo wird er nichts anders
als Reu/ muͤde Fuͤß/ (dann man kan ſchwerlich hin
reuten) und den Hergang vor den Hingang darvon
haben; Es ſolte mich kein Menſch hingebracht ha-
ben/ wann ich nicht hett hinfliehen muͤſſen/ als der
Doctor Daniel (er wolte Duc d’Anguin ſagen) mit
ſeinen Kriegern das Land hinunder vor Philipsburg
zog; hingegen kehrte ſich mein Fuͤrwitz nicht an ſei-
ne Abmahnung/ ſondern ich beſtellte einen Kerl der
mich hinfuͤhren ſolte; da er nun meinen Ernſt ſahe/
ſagte er/ weil die Haberſaat fuͤruͤber/ und auff dem
Hof weder zu hauen noch zu ernden/ wolte er ſelbſt
mit mir gehen/ und den Weg weiſen; denn er hatte
mich ſo lieb/ daß er mich ungern auß dem Geſicht
lieſſe/ und weil die Leut im Land glaubten/ daß ich ſein
leiblicher Sohn ſeye/ prangte er mit mir/ und thaͤt
gegen mir und jederman/ wie etwann ein gemeiner
armer Mann gegen ſeinem Sohn thun moͤchte/ denn
das Gluͤck ohne ſein zuthun und Befuͤrderung zu ei-
nem groſſen Herꝛn gemacht bette.
Alſo wanderten wir miteinander uͤber Berg und
Thal
[546]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Thal/ und kamen zu dem Mummelſee/ ehe wir 6.
Stund gegangen hatten/ dann mein Petter war
noch ſo kefermaͤſſig und ſo wol zu Fuß als ein Jun-
ger; Wir verzehrten daſelbſt was wir von Speiß
und Tranck mit uns genommen/ dann der weite Weg
und die Hoͤhe deß Bergs/ auff welchem der See
ligt/ hatte uns hungerig und hellig gemacht; Nach-
dem wir ſich aber erquickt/ beſchauete ich den See/
und fande gleich etliche gezimmerte Hoͤltzer darinn
ligen/ die ich und mein Knan vor rudera deß Wuͤr-
tenbergiſchen Floſſes hielten; ich nahm oder maſſe
die Laͤnge und Breite deß Waſſers vermittelſt der
Geometriæ, weil gar beſchwerlich war umb den See
zu gehen/ und denſelben mit Schritten oder Schuhẽ
zu meſſen/ und brachte ſeine Beſchaffenheit vermit-
telſi deß verjuͤngten Maaßſtabs in mein Schreibtaͤfe-
lein/ und als ich damit fertig/ zumaln der Himmel
durchauß hell/ und die Lufft gantz windſtill/ und wol
temperirt war/ wolte ich auch probiren was War-
heit an der Sagmehr waͤre/ daß ein Ungewitter ent-
ſtehe/ wann man einen Stein in den See werffe;
ſintemal ich albereit die Hoͤrſag/ daß der See keine
Forellen leide/ am Mineraliſchen Geſchmack deß
Waſſers wahr zu ſeyn befunden.
Solche Prob nun ins Werck zu ſetzen/ gieng ich
gegen der lincken Hand am See hin/ an den jenigen
Ort/ da das Waſſer (welches ſonſt ſo hell iſt als
ein Cryſtall) wegen der abſcheulichen Tieffe deß Sees
gleichſam kohlſchwartz zu ſeyn ſcheinet/ und deßwe-
gen ſo forchterlich außſihet/ daß man ſich auch nur
vorm Anblick entſetzt/ daſelbſt fieng ich an ſo groſſe
Stein hinein zu werffen/ als ich ſie immermehr er-
tragen
[547]Fuͤnfftes Buch.
tragen konte; mein Petter oder Knan wolte mir
nicht allein nicht helffen/ ſondern warnete und bate
mich davon abzuſtehen ſo viel ihm immer muͤglich/
ich aber continuiret meine Arbeit embſig fort/ und
was ich von Steinen ihrer Groͤſſe und Schwere hal-
ben nicht ertragen mochte/ das walgert ich herbey/
biß ich deren uͤber 30. in See brachte; Da fieng die
Lufft an den Himmel mit ſchwartzen Wolcken zu be-
decken/ in welchen ein grauſames Donnern gehoͤret
wurde; Alſo daß mein Petter/ welcher jenſeit deß
Sees bey dem Außlauff ſtunde/ und uͤber mein Ar-
beit lamentirte/ mir zuſchrye/ ich ſolte mich doch ſal-
viren/ damit uns der Regen und das ſchroͤckliche
Wetter nicht ergreiffe/ oder noch wol ein groͤſſer Un-
gluͤck betreffe; ich aber antwortete ihm hingegen/
Vatter ich will bleiben und deß Ends erwarten/ und
ſolte es auch Helleparten regnen; Ja/ antwortet
mein Knan/ ihr machts wie alle verwegene Buben/
die ſich nichts drumb geheyen/ wann gleich die gantze
Welt untergieng.
Jn dem ich nun dieſem ſeinem Schmelen ſo zuhoͤ-
rete/ verwandte ich die Augen nicht von der Tieffe
deß Sees/ der Meynung/ etwan etliche Blattern o-
der Blaſen vom Grund deſſelbigen auffſteigen zu ſe-
hen/ wie zugeſchehen pflegt/ wann man in andere
Tieffe/ ſo ſtillſtehende als flieſſende Waſſer Steine
wirfft; aber ich wurde nichts dergleichen gewahr/
ſondern ſahe ſehr weit gegen den abyſſum etliche Cre-
aturen im Waſſer herum fladern/ die mich der Ge-
ſtalt nach an Froͤſch ermahnten/ und gleichſam wie
Schwermerlein auß einer auffgeſtiegenen Raquet, die
im Lufft ihr Wuͤrckung der Gebuͤhr nach vollbringt/
herumb
[548]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
herumb vagirten; und gleich wie ſich dieſelbige mir
je laͤnger je mehr naͤherten/ alſo ſchienen ſie auch in
meinen Augen je laͤnger je groͤſſer/ und an ihrer Ge-
ſtalt den Menſchen deſto aͤhnlicher; weßwegen mich
dann erſtlich eine groſſe Verwunderung/ und endlich
weil ich ſie ſo nahe bey mir hatte/ ein Grauſen und
Entſetzen ankam: Ach! ſagte ich damal vor Schre-
cken und Verwunderung zu mir ſelber/ und doch ſo
laut/ daß es mein Knan/ der jenſeit dem See ſtunde/
wol hoͤren konte (wiewol es ſchroͤcklich donnerte)
wie ſeynd die Wunderwerck deß Schoͤpffers auch ſo
gar im Bauch der Erden/ und in der Tieffe deß Waſ-
ſers ſo groß! Kaum hatte ich dieſe Wort recht auß-
geſprochen/ da war ſchon eins von dieſen Sylphis obẽ
auff dem Waſſer/ das antwortet/ Sihe: das be-
kenneſt du/ ehe du etwas davon geſehen haſt; was
wuͤrdeſt du wol ſagen/ wann du erſt ſelbſten im cen-
tro teriæ waͤreſt/ und unſere Wohnung/ die dein Fuͤꝛ-
witz beunruhiget/ beſchauteſt? Unterdeſſen kamen
noch mehr dergleichen Waſſer-Maͤnnlein hier und
dort/ gleichſamb wie die Tauch-Entlein hervor/ die
mich alle anſahen/ und die Stein wieder herauff
brachten/ die ich hinein geworffen/ woruͤber ich gantz
erſtaunte; Der erſte und vornehmſte aber unter ih-
nen/ deſſen Kleidung wie lauter Gold und Silber
glaͤntzte/ warff mir einen leuchtenden Stein zu/ ſo
groß als ein Dauben-Ey/ und ſo gruͤn und durchſich-
tig als ein Schmaragd/ mit dieſen Worten: Nimm
hin diß Cleinod/ damit du etwas von uns und dieſem
See zu ſagen wiſſeſt! Jch hatte ihn aber kaum auff-
gehoben und zu mir geſteckt/ da wurde mir nit anderſt/
als ob mich die Lufft haͤtte erſticken oder erſaͤuffen
wollen
[549]Fuͤnfftes Buch.
wollen/ derhalben ich mich dann nit laͤnger auffrecht
behalten konte/ ſondern herumb daumelte wie eine
Garnwinde/ und endlich gar in See hinunder fiele:
So bald ich aber ins Waſſer kam/ erholte ich mich
wieder/ und brauchte auß Krafft deß Steins den ich
bey mir hatte/ im Athmen das Waſſer/ an ſtatt der
Lufft/ ich konte auch gleich ſo wol als die Waſſer-
Maͤnnlein mit geringer Muͤhe im See herumb we-
bern/ maſſen ich mich mit denſelben in Abgrund hinab
thaͤt/ ſo mich an nichts anders ermahnte/ als wenn
ſich ein Schaar Voͤgel mit umbſchweiffen auß dem
oberſten Theil der temperirten Lufft gegen der Erden
nider laͤſt.
Da mein Knan diß Wunder zum theil (nemlich
ſo viel oberhalb deß Waſſers geſchehen) ſampt mei-
ner gaͤhlingen Verzuckung geſehen/ trollte er ſich
vom See hinweg/ und heim zu/ als ob ihm der Kopff
brennte/ daſelbſt erzehlte er allen Verlauff/ vornem-
lich aber/ daß die Waſſermaͤnnlein die jenige Stein/
ſo ich in See geworffen/ wieder in vollem Donner-
wetter herauff getragen/ und an ihre vorige ſtatt ge-
legt/ hingegen aber mich mit ihnen hinunder genom-
men haͤtten: Etliche glaubten ihm/ die meiſte aber
hielten es vor eine Fabul; Andere bildeten ſich ein/
ich haͤtte mich wie ein anderer Empedocles Agrigen-
tinus (welcher ſich in den Berg Ætnam geſtuͤrtzt/ da-
mit jederman gedencken ſolte/ wenn man ihn nir gend
finde/ er waͤre gen Himmel gefahren) ſelbſt im See
ertraͤnckt/ und meinem Vatter befohlen/ ſolche Fa-
buln von mir außzugeben/ umb mir einen unſterbli-
chen Nahmen zu machen; man haͤtte eine Zeitlang
an meinem melancholiſchen Humor wol geſehen/ daß
ich
[550]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ich halber deſperat geweſt waͤre/ ꝛc. Andere haͤtten
gern geglaubt/ wenn ſie meine Leibskraͤfften nicht ge-
wuſt/ mein angenommener Vatter haͤtte mich ſelbſt
ermordet/ damit er als ein geitziger alter Mann mei-
ner loß wuͤrde/ und allein Herꝛ auff meinem Hof ſeyn
moͤchte; Alſo daß man umb dieſe Zeit von ſonſten
nichts/ als von dem Mummel See/ von mir und
meiner Hinfahrt und von meinem Petter/ beydes im
Sauerbrunnnen und auff dem Land zu ſagen und zu
rathen wuſte.
DasXIII.Capitel.
PLinius ſchreibt im End deß zweyten Buchs vom
Geometra Dionyſio Doro, daß deſſen Freunde
einen Brieff in ſeinem Grab gefunden/ den er Dio-
nyſius geſchrieben/ und darinnen berichtet/ daß er auß
ſeinem Grab biß in das mittelſte Centrum der Erden
ſey kommen/ und befunden/ daß 42000. Stadia biß
dahin ſeyen; Der Fuͤrſt uͤber den Mum̃el-See aber/
ſo mich begleitet/ und obiger geſtalt vom Erdboden
hinweg geholet hatte/ ſagte mir vor gewiß/ daß ſie
auß dem Centro Terræ biß an die Lufft durch die hal-
be Erd/ juſt 900. Teutſcher Meilen haͤtten/ ſie wol-
ten gleich in Teutſchland/ oder zu deren Antipodibus,
und ſolche Raͤiſen muͤſten ſie alle durch dergleichen
See nem̃en/ deren hin und wieder ſo viel in der Welt/
als Tag im Jahr ſeyn/ welcher Ende oder Abgruͤnde
alle bey ihres Koͤnigs Wohnung zuſammen ſtieſſen.
Dieſe groſſe Weite nun paſſirten wir ehe als in einer
Stunde/ alſo daß wir mit unſerer ſchnellen Raͤts deß
Monds Lauff ſehr wenig/ oder gar nichts bevor ga-
ben/ und dennoch geſchahe ſolches ſo gar ohne alle
Beſchwe-
[551]Fuͤnfftes Buch.
Beſchwerung/ daß ich nicht allein keine Muͤdigkeit
empfande/ ſondern auch in ſolchem ſanfften Abfahren
mit obgemeldten Mummelſeer-Printzen allerhand
diſcuriren konte/ denn da ich ſeine Freundlichkeit ver-
merckte/ fragte ich ihn/ zu was Ende ſie mich einen
ſo weiten/ gefaͤhrlichen/ und allen Menſchen ohnge-
woͤhnlichen Weg mit ſich naͤhmen? Da antwortet
er mir gar beſcheiden/ der Weg ſey nit weit/ den man
in einer Stund ſpazieren koͤnte/ und nit gefaͤhrlich/
dieweil ich ihn und ſeine Geſellſchafft mit dem uͤber-
reichten Stein bey mir haͤtte/ daß er mir aber unge-
woͤhnlich vor komme/ ſey ſich nichts zu verwundern;
ſonſt haͤtte er mich nicht allein auß ſeines Koͤnigs Be-
felch/ der etwas mit mir zu reden/ abgeholt/ ſondern
daß ich auch gleich die ſeltzame Wunder der Natur
unter der Erden und in Waſſern beſchauen ſolte/ de-
ren ich mich zwar bereits auff dem Erdboden ver-
wundert/ ehe ich noch kaum einen Schatten darvon
geſehen. Darauff bate ich ihn ferner/ er wolte mich
doch berichten/ zu was End der guͤtige Schoͤpffer ſo
viel wunderbarliche See erſchaffen/ ſintemal ſie/
wie mich duͤnckte/ keinem Menſchen nichts nutzten/
ſondern viel ehender Schaden bringen koͤnten? Er
antwortet/ du fragſt billich umb das jenige/ was du
nicht weiſt oder verſteheſt/ dieſe See ſind dreyerley
Urſachen willen erſchaffen: Denn erſtlich werden
durch ſie alle Meer/ wie die Nahmen haben/ und ſon-
derlich der groſſe Oceanus, gleichſam wie mit Naͤ-
geln an die Erde gehefftet; Zweytens werden von
uns durch dieſe See (gleichſam als wie durch Tei-
chel/ Schlaͤuche oder Stiefeln bey einer Waſſer-
Kunſt/ deren ihr Menſchen euch gebrauchet) die
A aWaſſer
[552]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Waſſer auß dem abyſſu deß Oceani in alle Quellen
deß Erdbodens getrieben/ (welches denn unſer Ge-
ſchaͤfft iſt) worvon alsdenn alle Brunnen in der
gantzen Welt flieſſen/ die groſſe und kleine Waſſer-
fluͤß entſtehen/ der Erdboden befeuchtiget/ die Ge-
waͤchſe erquickt/ und beydes Menſchen und Viehe
getraͤnckt werden; Drittens/ daß wir als vernuͤnff-
tige Creaturen Gottes hierinn leben/ unſer Geſchaͤff-
te verꝛichten/ und Gott den Schoͤpffer in ſeinen groſ-
ſen Wunderwercken loben ſollen! Hierzu nun ſeynd
wir und ſolche See erſchaffen/ und werden auch biß
an den Juͤngſten Tag beſiehen; Wenn wir aber ge-
gen derſelben letzten Zeit unſere Geſchaͤfften/ darzu
wir von Gott und der Natur erſchaffen und verord-
net ſind/ auß einer oder andern Urſach unterlaſſen
muſſen/ ſo muß auch nothwendig die Welt durchs
Feuer untergehen/ ſo aber vermuthlich nit ehender
geſchehen kan/ es ſey denn/ daß ihr den Mond/ (do-
nec auferatur luna, Pſal. 71.) Venerem oder Martem,
als Morgen und Abendſtern verlieret/ denn es muͤ-
ſten die generationes fructu- \& animalium erſt verge-
hen/ und alle Waſſer verſchwinden/ ehe ſich die Erde
von ſich ſelbſt durch der Sonnen Hitz entzuͤnde/ cal-
cinire/ und wiederum regenerire; Solches aber ge-
buͤhrt uns nicht zu wiſſen/ iſt auch allein Gott bekant/
auſſer was wir etwan muthmaſſen/ und eure Chymi-
ci auß ihrer Kunſt daher lallen.
Da ich ihn ſo reden/ und die H. Schrifft anziehen
hoͤrete/ fragte ich/ ob ſie ſterbliche Creaturen waͤ-
ren/ die nach der jetzigen Welt auch ein kuͤnfftiges
Leben zu hoffen haͤtten? oder ob ſie Geiſter ſeyen/
welche ſo lang die Welt ſtuͤnde/ nur ihre anbefohlene
Ge-
[553]Fuͤnfftes Buchs.
Geſchaͤffte verꝛichteten? Darauff antwortet er/ wir
ſind keine Geiſter/ ſondern ſterbliche Leutlein/ die
zwar mit vernuͤnfftigen Seelen begabt/ welche aber
ſampt den Leibern dahin ſterben und vergehen; Gott
iſt zwar ſo wunderbar in ſeinen Wercken/ daß ſie kei-
ne Creatur außzuſprechen vermag/ doch will ich dir/
ſo viel unſere Art anbelangt/ ſimpliciter erzehlen/ daß
du darauß faſſen kanſt/ wie weit wir von den andern
Creaturen GOttes zu unterſcheiden ſeyen: Die hei-
lige Engel ſind Geiſter/ zum Ebenbild Gottes ge-
recht/ verſtaͤndig/ frey/ keuſch/ hell/ ſchoͤn/ klar/ ge-
ſchwind und unſterblich/ zu dem Ende erſchaffen/
daß ſie in ewiger Freude GOtt loben/ ruͤhmen/ ehren
und preiſen/ in dieſer Zeitlichkeit aber der Kirche
Gottes hier auff Erden auff den Dienſt warten/ und
die Allerheiligſte Goͤttliche Befelch verꝛichten ſol-
len/ deßwegen ſie dann auch zu Zeiten Nuncii genant
werden/ und ihrer ſeynd auff einmal ſo viel hundert
tauſend mal tauſend Millionen erſchaffen worden/
als der Goͤttlichen Weisheit wolgefaͤllig geweſen;
nachdem aber auß ihrer groſſen Anzahl unaußſprech-
lich viel/ die ſich ihres hohen Adels uͤberhoben/ auß
Hoffart gefallen/ ſeynd erſt eure erſte Eltern von
GOtt mit einer vernuͤnfftigen und unſterblichen Seel
zu ſeinem Ebenbild erſchaffen/ und deßwegen mit
Leibern begabt worden/ daß ſie ſich auß ſich ſelbſten
vermehren ſolten/ biß ihr Geſchlecht die Zahl der
gefallenen Engel wiederum erfuͤllte; zu ſolchem End
nun wurde die Welt erſchaffen/ mit allen andern
Creaturen/ daß der irdiſche Menſch/ biß ſich ſein Ge-
ſchlecht ſo weit vermehret/ die angeregte Zahl der
gefallenen Engel damit erſetzt werden koͤnte/ darauff
A a ijwohnen
[554]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
wohnen/ GOtt loben/ und ſich aller anderer erſchaf-
fenen Dinge auff der gantzen Erdkugel (als woruͤber
ihn GOtt zum Herꝛn gemacht) zu GOttes Ehren/
und zu ſeines Nahrung-bedoͤrfftigen Leibs Auffent-
haltung bedienen ſolte; damals hatte der Menſch die-
ſen Unterſcheid zwiſchen ihm und den H. Engeln/ daß
er mit der irdiſchen Buͤrde ſeines Leibs beladen/ und
nicht wuſte was gut und boͤß war/ und dahero auch
nit ſo ſtarck und geſchwind als ein Engel ſeyn konte;
hatte hingegen aber auch nichts gemeines mit den
unvernuͤnfftigen Thieren/ demnach er aber durch den
Suͤndenfall im Paradeis ſeinen Leib dem Todt un-
terwarff/ ſchaͤtzten wir ihn das Mittel zu ſeyn zwi-
ſchen den heiligen Engeln und den unvernuͤnfftigen
Thieren/ denn gleich wie eine heilige entleibte Seel
eines zwar irdiſchen doch himmliſch-geſinnten Men-
ſchen alle gute Eigenſchafft eines heiligen Engels
an ſich hat/ alſo iſt der entſeelte Leib eines irdiſchen
Menſchen (der Verweſung nach) gleich einem an-
dern Aaß eines unvernuͤnfftigen Thiers/ uns ſelbſten
aber ſchaͤtzten wir vor das Mittel zwiſchen euch und
allen andern lebendigen Creaturen der Welt/ ſinte-
mal/ ob wir gleich wie ihr vernuͤnfftige Seele haben/
ſo ſterben jedoch dieſelbige mit unſern Leibern gleich
hinweg/ gleichſam als wie die lebhaffte Geiſter der
unvernunfftigen Thiere in ihrem Todt verſchwinden.
Zwar iſt uns kundbar/ daß ihr durch den Ewigen
Sohn Gottes/ durch welchen wir denn auch erſchaf-
fen/ auffs allerhoͤchſte geadelt worden/ in dem Er
euer Geſchlecht angenommen/ der goͤttlichen Ge-
rechtigkeit genug gethan/ den Zorn Gottes geſtillt/
und euch die ewige Seeligkeit wiederum erworben/
welches
[555]Fuͤnfftes Buch.
welches alles euer Geſchlecht dem unſerigen weit
vorziehet; Aber ich rede und verſtehe hier nichts von
der Ewigkeit/ weil wir deren zu genieſſen nicht faͤhig
ſeyn/ ſondern allein von dieſer Zeitlichkeit/ in welcher
der Allerguͤtigſte Schoͤpffer uns genugſam beſeeligt/
als mit einer guten geſunden Vernunfft/ mit Er-
kantnus deß Allerheiligſten Willens Gottes/ ſo viel
uns vonnoͤthen/ mit geſunden Leibern/ mit langem
Leben/ mit der edlen Freyheit mit genugſamer Wiſ-
ſenſchafft/ Kunſt und Verſtand aller natuͤrlichen
Dinge/ und endlich/ ſo das allermeiſte iſt/ ſind wir
keiner Suͤnd/ und dannenhero auch keiner Straff/
noch dem Zorn Gottes/ ja nicht einmal der gering-
ſten Kranckheit unterworffen: Welches alles ich dir
darumb ſo weitlaͤufftig erzehlt/ und auch deßwegen
der H. Engel/ irdiſchen Menſchen/ und unvernuͤnff-
tigen Thier gedacht/ damit du mich deſto beſſer ver-
ſtehen koͤnneſt. Jch antwortet/ es wolte mir dennoch
nicht in Kopff; da ſie keiner Miſſethat/ und alſo auch
keiner Straff unterworffen/ worzu ſie denn eines Koͤ-
nigs bedoͤrfftig? item/ wie ſie ſich der Freyheit ruͤh-
men koͤnten/ wenn ſie einem Koͤnig unterworffen
waͤren? item/ wie ſie geboren werden/ und wieder
ſterben koͤnten/ wenn ſie gar keinen Schmertzen oder
Kranckheit zu leiden geartet waͤren? Darauff ant-
wortet mir das Printzlein/ ſie haͤtten ihren Koͤnig
nicht/ daß er Juſtitiam adminiſtriren/ noch daß ſie
ihm dienen ſolten/ ſondern daß er wie der Koͤnig oder
Weiſſel in einem Jmmenſtock/ ihre Geſchaͤffte diri-
gire; und gleich wie ihre Weiber in coitu keine Wol-
luſt empfaͤnden/ alſo ſeyen ſie hingegen auch in ihren
Gedurten keinen Schmertzen unterwoꝛffen/ wel-
A a iijches
[556]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ches ich etlicher maſſen am Exempel der Katzen ab-
nehmen und glauben koͤnte/ die zwar mit Schmertzen
empfahen/ aber mit Wolluſt gebaͤren; So ſtuͤrben
ſie auch nicht mit Schmertzen/ oder auß hohem ge-
brechlichem Alter/ weniger auß Kranckheit/ ſondern
gleichſam als ein Liecht verleſche/ wenn es ſeine Zeit
geleuchtet habe/ alſo verſchwinden auch ihre Leiber
ſampt den Seelen; gegen der Freyheit/ deren er ſich
geruͤhmt/ ſey die Freyheit deß allergroͤſten Monar-
chen unter uns irdiſchen Menſchen gar nichts/ ja nit
ſo viel als ein Schatten zu rechnen/ dann ſie koͤnten
weder von uns noch andern Creaturen getoͤdtet/ noch
zu etwas unbeliebigem genoͤtiget/ viel weniger be-
faͤngnuſt werden/ weil ſie Feuer/ Waſſer/ Lufft und
Erde ohn einige Muͤhe und Muͤdigkeit (von deren
ſie gar nichts wuͤßten) durchgehen koͤnten. Darauff
ſagte ich/ wenn es mit euch ſo beſchaffen/ ſo iſt euer
Geſchlecht von unſerm Schoͤpffer weit hoͤher geadelt
und beſeeligt/ als das unſerige; Ach Nein/ antwort
der Fůrſt/ ihr ſuͤndigt wenn ihr diß glaubt/ in dem ihr
die Guͤte Gottes einer Sach beſchuldiget/ die nicht
ſo iſt/ denn ihr ſeyt weit mehrers beſeeligt als wir/
in dem ihr zu der ſeeligen Ewigkeit/ und das Ange-
ſicht GOttes unauffhoͤrlich anzuſchauen erſchaffen/
in welchem ſeeligen Leben eurer einer der ſeelig wird/
in einem einzigen Augenblick mehr Freud und Won-
ne/ als unſer gantzes Geſchlecht von Anfang der Er-
ſchaffung biß an den Juͤngſten Tag/ geneuſt. Jch
ſagte/ was haben drum die Verdammte darvon? Er
antwortet mir mit einer Wieder-Frag/ und ſagte:
Was kan die Guͤte Gottes davor/ wenn euer einer
ſein ſelbſt vergiſſet/ ſich der Creaturen der Welt/ und
deren
[557]Fuͤnfftes Buch.
deren ſchaͤndlichen Wolluͤſten ſich ergibt/ ſeinen vie-
hiſchen Begierden den Ziegel ſchieſſen laͤſt/ ſich dar-
durch dem unvernuͤnfftigen Viehe/ ja durch ſolchen
Ungehorſam gegen Gott/ mehr den hoͤlliſchen als ſee-
ligen Geiſtern gleich macht? Solcher Verdam̃ten
ewiger Jammer/ worein ſie ſich ſelbſt geſturtzt haben/
benimmt drum der Hoheit und dem Adel ihres Ge-
ſchlechts nichts/ ſintemal ſie ſo wol als andere/ in ih-
rem zeitlichen Leben die ewige Seeligkeit haͤtten er-
langen moͤgen/ da ſie nur auff dem darzu veroꝛdneten
Weg haͤtten wandlen wollen.
DasXIV.Capitel.
JCh ſagte zu dem Fuͤrſtlein/ weil ich auff dem Erd-
boden ohne das mehr Gelegenheit haͤtte/ von die-
ſer Materia zu hoͤren/ als ich mir zu nutz machte/ ſo
wolte ich ihn gebetten haben/ er wolte mir doch dar-
vor die Urſach erzehlen/ warum zu Zeiten ein ſo groß
Ungewitter entſtehe/ wenn man Stein in ſolche See
werffe? dann ich erinnerte mich von dem Pilatus-
See im Schweitzerland eben dergleichen gehoͤrt/
und vom See Camarina in Sicilia ein ſolches geleſen
zu haben/ von welchem die Phraſis entſtanden/ Cama-
rinam movere; Er antwortet/ weil alles das ſchwer
iſt/ nicht ehe gegen dem centro terræ zu fallen auffhoͤ-
ret/ wenn es in ein Waſſer geworffen wird/ es treffe
dann einen Boden an/ darauff es unterwegs ligen
verbleibe/ hingegen dieſe See alle miteinander biß
auff das centrum gantz Bodenloß und offen ſeynd/
alſo daß die Stein ſo hinein gewoꝛffen werden/ noth-
wendig und natuͤrlicher Weis in unſere Wohnung
fallen/ und ligen bleiben muͤſten/ wenn wir ſie nicht
A a jvwieder
[558]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
wieder zu eben dem Ort/ da ſie her kommen/ von uns
hinauß ſchafften/ als thun wir ſolches mit einer Un-
geſtuͤmme/ damit der Muthwill der jenigen/ ſo ſie
hinein zu werffen pflegen/ abgeſchreckt/ und im Zaum
gehalten werden moͤge/ ſo dann eins von den vor-
nehmſten Stuͤcken unſers Geſchaͤffts iſt/ darzu wir
erſchaffen. Solten wir aber geſtatten/ daß ohne der-
gleichen Ungewitter die Stein eingeſchmiſſen/ und
wieder außgeſchafft wuͤrden/ ſo kaͤme es endlich dar-
zu/ daß wir nur mit denen muthwilligen Leuten zu
thun haͤtten/ die uns taͤglich von allen Orten der Welt
her auß Kurtzweil Stein zuſendeten. Und an dieſer
einzigen Verꝛichlung die wir zu thun haben/ kanſtu
die Nothwendigkeit unſers Geſchlechts abnehmen/
ſintemal da obiger geſtalt die Stein von uns nicht
außgetragen/ und doch taͤglich durch ſo viel derglei-
chen unterſchiedliche See/ die ſich hin und wieder in
der Welt befinden/ dem centro terræ, darinnen wir
wohnen/ ſo viel zugeſchickt wuͤrden/ ſo muͤſten endlich
zugleich die Gebaͤnde/ damit das Meer an die Erde
gehefftet und beveſtiget/ zerſtoͤret/ und die Gaͤnge/
dardurch die Quellen auß dem Abgrund deß Meers
hin und wieder auff die Erde geleitet/ verſtopfft wer-
den/ das dann nichts anders als ein ſchaͤdliche Con-
fuſion, und der gantzen Welt Untergang mit ſich
bringen koͤnte.
Jch bedanckte mich dieſer Communication, und
ſagte: Weil ich verſtehe/ daß euer Geſchlecht durch
ſolche See alle Quellen und Fluͤß auff dem gantzen
Erdboden mit Waſſer verfihet/ ſo werdet ihr auch
Bericht geben koͤnnen/ warumb ſich die Waſſer nit
alle gleich befinden/ beydes an Geruch/ Geſchmack/ ꝛc.
und
[559]Fuͤnfftes Buch.
und der Krafft und Wuͤrckung/ da ſie doch ihre Wie-
derkehrung (wie ich verſtanden) urſpruͤnglich alle
auß dem Abgrund deß groſſen Oceani hernehmen/ da-
rein ſich alle Waſſer wiederum ergieſſen; Dann et-
liche Quellen ſeynd liebliche Sauerbrunnen/ und tau-
gen zu der Geſundheit/ etliche ſind zwar ſauer/ aber
unfreundlich und ſchaͤdlich zu trincken; und andere
ſeynd gar toͤdtlich und vergifft/ wie der jenige Brunn
in Arcadia, damit Jollæ dem Alexandro Magno verge-
ben haben ſolle; etliche Brunnenquellen ſeynd lau-
licht/ etliche ſiedent-haiß/ und andere Eißkalt; etli-
che freſſen durch Eiſen/ als Aquafort, wie einer in
Zepuſio oder der Grafſchafft Zips in Ungarn; An-
dere hingegen heylen alle Wunden/ als ſich dann ei-
ner in Theſſalia befinden ſolle; etliche Waſſer wer-
den zu Stein/ andere zu Saltz/ und etliche zu Vi-
ctriol: Der See bey Zircknitz in Kaͤrnten hat nur
Winterszeit Waſſer/ und im Sommer ligt er aller-
dings trocken; der Brunn bey Aengſtlen laufft nur
Sommerszeit/ und zwar nur zu gewiſſen Stunden/
wenn man das Viehe traͤnckt; der Schaͤndtlebach
bey Ober-Naͤhenheim laufft nicht ehe/ als wenn ein
Ungluͤck uͤbers Land kommen ſolle. Und der Fluvius
Sabbathicus in Syria bleibt allezeit den ſiebenden Tag
gar auß. Woruber ich mich offtermal/ wenn ich der
Sach nachgedacht/ und die Urſach nit erſinnen koͤn-
nen/ zum allerhoͤchſten verwundern muſte.
Hierauff antwortet der Fuͤrſt: Dieſe Dinge alle
miteinander haͤtten ihre natuͤrliche Urſachen/ welche
dann von den Naturkuͤndigern unſers Geſchlechts
mehrentheils auß denen unterſchiedlichen Geruchen/
Geſchmacken/ Kraͤfften und Wuͤrckungen der Waſſer
A a vgenug-
[560]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
genugſam erꝛathen/ abgenom̃en/ und auff dem Erd-
boden offenbart worden waͤren. Wenn ein Waſſer
von ihrer Wohnung an biß zu ſeinem Außlauff/ wel-
chen wir die Quelle nenneten/ nur durch allerhand
Stein lauffe/ ſo verbleibe es allerdings kalt und ſuͤß/
dafern es aber auff ſolchem Weg durch und zwiſchen
die Metalla paſſire, (dann der groſſe Bauch der Erden
ſey innerlich nicht an einem Ort wie am andern be-
ſchaffen) als da ſey Gold/ Silber/ Kupffer/ Zinn/
Bley/ Eiſen/ Queckſilber/ ꝛc. oder durch die halbe
Mineralia, nemlich Schwefel/ Saltz mit allen ſeinen
Gattungen/ als naturale, ſal gemmæ, ſal nativum, ſal
radicum, ſal nitrum, ſal armoniacum, ſal petræ, \&c.
weiſſe/ rothe/ gelbe und gruͤne Farben/ Victril, mar-
chaſita aurea, argentea, plumbea, ferrea, lapis lazuli,
alumen, arſenicum, antimonium, riſigallum, Ele-
ctrum naturale, Chriſocolla, Sublimatum, \&c. ſo
nemme es deren Geſchmack/ Geruch/ Art/ Krafft
und Wuͤrckung an ſich/ alſo daß es den Menſchen
entweder beylſam oder ſchaͤdlich werde. Und eben
daher haͤtten wir ſo unterſchiedlich Saltz/ dann etli-
ches ſey gut/ und etliches ſchlecht; zu Cervia und
Comachio iſt es zimlich ſchwartz/ zu Memphis roͤth-
licht/ in S[i]cilia Schneeweiß/ das Centaropiſche iſt
Purpurfaͤrbigt/ und das Cappadociſche gelblecht.
Betreffend aber die warme Waſſer/ ſagte er/ ſo neh-
men dieſelbe ihre Hitz von dem Feuer an ſich/ das in
der Erde brennet/ welches ſo wol als unſere See/
hin und wieder ſeine Lufftloͤcher und Camin hat/ wie
man am beruͤhmten Berg Æthna in Sicilia, Hecla in
Jßland/ Gumapi in Banda und andern mehr abneh-
men mag. Was aber den Zircknitzer See anlangt/
ſo
[561]Fuͤnfftes Buch.
ſo wird deſſen Waſſer Sommerszeit bey der Kaͤrnt-
ner Antipodibus geſehen/ und der Aengſtler-Brunn
an andern Orten deß Erdbodens zu gewiſſen Stun-
den und Zeiten deß Jahrs und Tags anzutreffen
ſeyn/ eben das jenige zu thun/ was er bey den Schwei-
tzern verꝛichtet Gleiche Beſchaffenheit hat es mit
der Ober-Naͤheimer Schaͤndtlibach/ welche Quellen
alle durch unſers Geſchlechts Leutlein nach dem
Willen und Ordnung Gottes/ umb ſein Lob dadurch
bey euch zu vermehren/ ſolcher geſtalt geleitet und
gefuͤhret werden: Was den Fluvium Sabbathicum
in Syria betrifft/ pflegen wir in unſerer Wohnung/
wenn wir den ſiebenden Tag feyern/ uns in deſſen
Urſprung und Canal, als das luſtigſte Ort unſers
gantzen Aquætori, ſich zu laͤgern und zu ruhen/ deß-
wegen dann ermeldter Fluß nicht lauffen mag/ ſo
lang wir daſelbſt dem Schoͤpffer zu Ehren feyerlich
verharꝛen.
Nach ſolchem Geſpraͤch fragte ich den Printzen/
ob auch muͤglich ſeyn koͤnte/ daß er mich wieder durch
einen andern als den Mummel-ſee/ auch an ein ander
Ort der Erden auff die Welt bringen koͤnte? Frey-
lich/ antwortet er/ warumb das nicht/ wenn es nur
Gottes Will iſt; denn auff ſolche Weis haben un-
ſere Vor-Eltern vor alten Zeiten etliche Cananeer/
die dem Schwerd Joſuæ entronnen/ und ſich auß
Deſperation in einen ſolchen See geſprengt/ in Ame-
ricam gefuͤhrt/ maſſen deren Nachkoͤmmlinge noch
auff den heutigen Tag den See zu weiſen wiſſen/
auß welchem ihre Ur-Eltern anfaͤnglich entſprungen.
Als ich nun ſahe/ daß er ſich uͤber meine Verwunde-
rung verwunderte/ gleichſam als ob ſeine Erzehlung
A a vjnicht
[562]Deß Abenth. Simpliciſſimi
nicht verwunderns wuͤrdig waͤre/ ſagte ich zu ihm:
Ob ſie ſich denn nit auch verwunderten/ da ſie etwas
ſeltenes und ungewoͤhnliches von uns Menſchen ſe-
ben? Hierauff antwortet er: Wir verwundern uns
an euch nichts mehrers/ als daß ihr euch/ da ihr doch
zum ewigen ſeeligen Leben/ und den unendlichen
himmliſchen Freuden erſchaffen/ durch die zeitliche
und irdiſche Wolluͤſte/ die doch ſo wenig ohne Unluſt
und Schmertzen/ als die Roſen ohne Doͤrner ſind/
dergeſtalt bethoͤren laſt/ daß ihr dadurch euer Gerech-
tigkeit am Himmel verlieret/ euch der froͤlichen An-
ſchauung deß Allerheiligſten Angeſichts GOttes be-
raubt/ und zu den verſtoſſenen Engeln in die ewige
Verdam̃nus ſtuͤrtzet! Ach moͤchte unſer Geſchlecht
an eurer Stell ſeyn/ wie wuͤrde ſich jeder befleiſſen/ in
dem Augenblick eurer nichtigen und fluͤchtigen Zeit-
lichkeit die Prob beſſer zu halten/ als ihr/ denn das
Leben ſo ihr habt/ iſt nit euer Leben/ ſondern euer Le-
ben oder der Todt wird euch erſt gegeben/ wenn ihr
die Zeitlichkeit verlaßt; das aber was ihr das Leben
nennet/ iſt gleichſam nur ein Moment und Augen-
blick/ ſo euch verliehen iſt/ GOtt darin zu erkennen/
und ihme euch zu naͤhern/ damit er euch zu ſich nem-
men moͤge/ dannenhero halten wir die Welt vor ei-
nen Probierſtein Gottes/ auff welcher der Allmaͤch-
tige die Menſchen/ gleich wie ſonſt ein reicher Mann
das Gold und Silber probiert/ und nachdem er ihren
Valor am Strich befindet/ oder nachdem ſie ſich
durchs Feuer laͤutern laſſen/ die gute und feine Gold-
und Silberſorden in ſeinen him̃liſchen Schatz leget/
die boͤſe und falſche aber ins ewige Feuer wirfft/ wel-
ches euch dann euer Heyland und unſer Schoͤpffer
mit
[563]Fuͤnfftes Buch.
mit dem Exempel vom Weitzen und Unkraut genug-
ſam vorgeſagt und offenbaret hat.
DasXV.Capitel.
DJß war das End unſers Geſpraͤchs/ weil wir
uns dem Sitz deß Koͤnigs naͤherten/ vor welchen
ich ohne Ceremonien oder Verluſt einiger Zeit hin
gebracht wurde: Da hatte ich nun wol Urſach/ mich
uͤber ſeine Majeſtaͤt zu verwundern/ da ich doch we-
der eine wolbeſtellte Hofhaltung noch einiges Ge-
praͤng/ ja auffs wenigſt keinen Cantzler oder gehei-
me Raͤth/ noch einigen Dolmetſchen/ oder Traban-
ten und Leibguardi/ ja ſo gar keinen Schalcksnarꝛn/
noch Koch/ Keller/ Page/ noch einigen Favoriten
oder Dellerlecker nicht ſahe; ſondern rings umb ihn
her ſchwebten die Fuͤrſten uͤber alle See/ die ſich in der
gantzen Welt befinden/ ein jedweder in der jenigen
Lands-Art auffziehend/ in welches ſich ihr unter-
habender See von dem Centro Terræ auß erſtreckte/
dannenhero ſahe ich zugleich die Ebenbilder der Chi-
neſer und Africaner, Troglodyten und Novazembler,
Tartarn und Mexicaner, Samogeden und Moluccen-
ſer; ja auch von denen/ ſo unter den Polis arctico und
antarctico wohnen/ das wol ein ſeltzames Spectacul
war; die zween/ ſo uͤber den wilden und ſchwartzen
See die I[n]ſpection trugen/ waren allerdings beklei-
det/ wie der ſo mich convojirt/ weil ihre See zunaͤchſt
am Mummel-ſee gelegen/ zog alſo der jenige/ ſo uͤber
den Pilatus-ſee die Obſicht trug/ mit einem breiten
ehrbaren Bart und einem par Bloderhoſen auff/ wie
ein reputierlicher Schweitzer/ und der jenige/ ſo uͤber
den obgemeldten See Camarina die Auffſicht hatte/
A a vijſahe
[564]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ſahe beydes mit Kleidern und Geberden einem Sici-
lianer ſo aͤhnlich/ daß einer tauſend Ayd geſchworen
haͤtte/ er waͤre noch niemalen auß Sicilia kommen/ und
koͤnte kein Teutſches Wort; Alſo ſahe ich auch/ wie
in einem Trachten-Buch/ die Geſtalten der Perſer/
Japonier/ Moſcowiter/ Finnen/ Lappen/ und aller
andern Nationen in der gantzen Welt.
Jch bedorffte nit viel Complimenteu zu machen/
dann der Koͤnig fienge ſelbſt an ſein gut Teutſch mit
mir zu reden/ in dem ſein erſtes Wort war/ daß er
fragte: Auß was Urſach haſtu dich unterfangen/ uns
gleichſam gantz muthwilliger Weis ſo einen Hauffen
Stein zuzuſchicken? Jch antwortet kurtz/ weil bey
uns einem jeden erlaubt iſt/ an einer verſchloſſenen
Thuͤr anzuklopffen; Darauff ſagte er: Wie/ wenn
du aber den Lohn deiner fuͤrwitzigen Importunitaͤt
empfingeſt? Jch antwortet/ ich kan mit keiner groͤſ-
ſern Straff belegt werden/ als daß ich ſterbe/ ſinte-
mal ich aber ſeithero ſo viel Wunder erfahren und
geſehen/ die unter ſo viel Millionen Menſchen keiner
das Gluͤck nit hat/ wuͤrde mir mein Sterben ein ge-
ringes/ und mein Todt vor gar keine Straff zu rech-
nen ſeyn; Ach elende Blindheit! ſagte hierauff der
Koͤnig/ und hub damit die Augen auff/ gleich wie ei-
ner der auß Verwunderung gen Himmel ſchauet/
ferner ſagend: Jhr Menſchen koͤnt nur einmal ſter-
den/ und ihr Chriſten ſoltet den Todt nit eher getroſt
zu uͤberſtehen wiſſen/ ihr waͤret dann vermittelſt eures
Glaubens und Liebe gegen Gott durch eine unzweif-
felhaffte Hoffnung verſichert/ daß eure Seelen das
Angeſicht deß Hoͤchſten eigentlich anſchauen wuͤr-
den/ ſo bald der ſterbende Leib die Augen zuthaͤte:
Aber
[565]Fuͤnfftes Buch.
Aber ich habe vor dieſes mal weit anders mit dir zu
reden.
Darauff ſagte er/ es iſt mir referirt worden/ daß
ſich die irdiſche Menſchen/ und ſonderlich ihr Chri-
ſten deß juͤngſten Tags ehiſtes verſehen/ weilen nicht
allein alle Weiſſagung/ ſonderlich was die Sybillen
hinterlaſſen/ erfuͤllt/ ſondern auch alles was auff
Erden lebt/ den Laſtern ſo ſchroͤcklich ergeben ſeye: al-
ſo daß der Allmaͤchtige Gott nicht laͤnger verziehen
werde/ der Welt ihr Endſchafft zu geben; Weilen
dann nun unſer Geſchlecht mit ſampt der Welt un-
tergehen/ und im Feur (wiewol wir deß Waſſers
gewohnt ſeyn) verderben muß/ als entſetzen wir ſich
nit wenig wegen Zunahung ſolcher erſchroͤcklichen
Zeit; haben dich derowegen zu uns holen laſſen/ um̃
zu vernehmen/ was etwan deßwegen vor Sorg oder
Hoffnung zu machen ſeyn moͤchte? wir zwar koͤnnen
auß dem Geſtirn noch nichts dergleichen abnehmen/
auch nichts an der Erdkugelvermercken/ daß ein ſo
nahe Veraͤnderung obhanden ſeye; muͤſſen ſich de-
rowegen wir von denen benachrichtigen laſſen/ wel-
chen hiebevor ihr Heyland ſeldſten etliche Warzeichẽ
ſeiner Zukunfft hinterlaſſen/ erſuchen dich derowe-
gen gantz holdſeelig/ du wolleſt uns bekennen/ ob der
jenige Glaub noch auff Erden ſey oder nit/ welchen
der zukuͤnfftige Richter bey ſeiner Ankunft ſchwerlich
mehr finden wird? Jch antwortet dem Koͤnig/ er
haͤtte mich Sachen gefragt/ die mir zu beantwor-
ten viel zu hoch ſeyen/ zumahln kuͤnfftigs zu wiſſen:
und ſonderlich die Ankunfft deß Herꝛn allein Gott
bekandt; Nun wolan dann/ antwortet der Koͤnig
hinwiderumb/ ſo ſage mir dann/ wie ſich die Staͤnde
der
[566]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
der Welt in ihrem Beruffhalten/ damit ich darauß
entweder der Welt und unſers Geſchlechts Unter-
gang: Oder gleich meinen Worten mir und den mei-
nigen ein langes Leben und gluͤckſeelige Regierung
conjecturiren koͤnte/ hingegen will ich dich ſehen laſ-
ſen was noch wenig zu ſehen bekommen/ und hernach
mit einer ſolchen Verehrung abfertigen/ deꝛen du dich
dein lebtag zu erfreuen haben wirſt/ wann du mir
nur die Warheit bekenneſt; Als ich nun hierauff ſtill
ſchwiege und mich bedachte/ fuhr der Koͤnig ferner
fort und ſagte/ nun dran/ dran/ fang am hoͤchſten an
und beſchlieſſe es am niderſten/ es muß doch ſeyn/
wann du anders wider auff den Erdboden wilſt.
Jch antwortet/ wann ich an dem hoͤchſten an-
fahen ſoll/ ſo mach ich billich den Anfang an den
Geiſtlichen/ dieſelbe nun ſeynd gemeiniglich alle/ ſie
ſeyen auch gleich was vor Religion ſie immer wollen/
wie ſie Euſebius in einer Sermon beſchriben; nemlich
rechtſchaffene Veraͤchter der Ruhe/ Vermeider der
Wolluͤſte/ in ihrem Beruff begierig zur Arbeit/ ge-
dultig in Verachtung/ ungedultig zur Ehr/ arm an
Haab und Geld/ reich am Gewiſſen/ demuͤtig gegen
ihren Verdienſten/ und hochmuͤthig gegen den La-
ſtern; und gleich wie ſie ſich allein befleiſſen GOtt zu
dienen/ und auch andere Menſchen mehr durch ihr
Exempel als ihre Wort zum Reich Gottes zu brin-
gen; Alſo haben die Weltliche hohe Haͤupter und
Vorſteher allein ihr Abſehen auff die liebe Juſtitiam,
welche ſie dann ohne Anſehen der Perſon einem jed-
wedern/ Arm und Reich/ durch die Banck hinauß
ſchnur-gerad ertheilen und widerfahren laſſen: Die
Theologi ſind gleichſam lauter Hieronymi und Bedæ,
die
[567]Fuͤnfftes Buch.
die Cardinaͤl eytel Borromæi, die Biſchoͤffe Augu-
ſtini, die Aebbte andere Hylariones und Pachomi, und
die uͤbrige Religioſen miteinander wie die Congrega-
tion der Eremiten in der Thebaniſchen Wildnus!
Die Kauffleute handlen nicht auß Geitz/ oder umb
Gewins willen/ ſondern damit ſie ihren Nebenmen-
ſchen mit ihrer Wahr/ die ſie zu ſolchem Ende auß
fernen Landen herbringen/ bedient ſeyn koͤnnen: Die
Wirthe treiben nicht deßwegen ihre Wirthſchafften/
reich zu werden/ ſondern damit ſich der Hungerige/
Durſtige und Raͤiſende bey ihnen erquicken/ und ſie
die Bewirthung als ein Werck der Barmhertzigkeit
an den muͤden und krafftloſen Menſchen uͤben koͤn-
nen: Alſo ſucht der Medicus nicht ſeinen Nutz/ ſon-
dern die Geſundheit ſeines Patienten/ wohin dann
auch die Apothecker zielen: Die Handwercker wiſ-
ſen von keinen Voͤrteln/ Luͤgen und Betrug/ ſondern
befleiſſigen ſich/ ihre Kunden mit daurhaffter und
rechtſchaffener Arbeit am beſten zu verſehen: Den
Schneidern thut nichts geſtolenes im Aug wehe/
und die Weber bleiben auß Redlichkeit ſo arm/ daß
ſich auch keine Maͤuß bey ihnen ernehren koͤnnen/ de-
nen ſie etwan ein Knaͤul Garn nachwerffen muͤſten:
Man weiß von keinem Wucher/ ſondern der Wol-
haͤbige hilfft dem Duͤrfftigen auß Chriſtlicher Liebe
gantz ohngebetten: Und wenn ein Armer nicht zu be-
zahlen hat/ ohne mercklichen Schaden und Abgang
ſeiner Nahrung/ ſo ſchenckt ihm der Reich die Schuld
von freyen Stuͤcken: Man ſpuͤret keine Hoffart/ denn
jeder weiß und bedenckt/ daß er ſterblich iſt: Man
mercket keinen Neid/ denn es weiß und erkennet je
einer den andern vor ein Ebenbild GOttes/ das von
ſeinem
[568]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ſeinem Schoͤpffer geliebet wird: Keiner erzoͤrnt ſich
uͤber den andern/ weil ſie wiſſen/ daß Chriſtus vor
alle gelitten und geſtorben: Man hoͤret von keiner
Unkeuſchheit/ oder unordentlichen fleiſchlichen Be-
gierden/ ſondern was ſo vorgehet/ das geſchicht auß
Begierd und Liebe zur Kinderzucht: Da findet man
keine Trunckenbold oder Vollſaͤuffer/ ſondern wenn
einer den andern mit einem Trunck ehret/ ſo laſſen
ſich beyde nur mit einem Chriſtl. Raͤuſchlein benuͤ-
gen: Da iſt keine Traͤgheit im Gottesdienſt/ denn
jeder erzeigt einen embſtgen Fleiß und Eyfer/ wie er
vor allen andern GOtt rechtſchaffen dienen moͤge/
und eben deßwegen ſind jetzund ſo ſchwaͤre Krieg auff
Erden/ weil je ein Theil vermeynt/ das andere diene
GOtt nicht recht: Es gibt keine Geitzige mehr/ ſon-
dern Geſparſame; keine Verſchwender/ ſondern
Freygebige; keine Kriegs-gurgeln/ ſo die Leut be-
rauben und verderben/ ſondern Soldaten/ die das
Vatterland beſchirmen; keine muthwillige faule
Bettler/ ſondern Veraͤchter der Reichthum/ und Lieb-
haber der freywilligen Armuth; keine Korn- und
Wein-Juden/ ſondern voꝛſichtige Leut/ die den uͤber-
fluſſigen Vorꝛath auff den beſoꝛgenden kuͤnfftigen
Nothfall vor das Volck zuſammen heben.
DasXVI.Capitel.
JCh pauſirte ein wenig/ und bedachte mich was ich
noch ferners vorbringen wolte/ aber der Koͤnig
ſagte/ er haͤtte bereits ſo viel gehoͤrt/ daß er nicht meh-
rers zu wiſſen begehrte; wann ich wolte/ ſo ſollten
mich die ſeinige gleich wider an den Ort bringen wo
ſie mich genommen; wolte ich aber (dann ich ſihe
wol
[569]Fuͤnfftes Buch.
wol/ ſagte er/ daß du zimlich curio biſt) in ſeinem
Reich eins und anders beſchauen/ daß meines glei-
chen ohne zweifel ſelten ſeyn wuͤrde/ ſo ſolte ich in ſei-
ner Juriſdiction ſicher hin begleitet werden/ wohin ich
nur wolte/ und alsdann ſo wolte er mich mit einer
Verehrung abfertigen/ daß ich damit zu friden ſeyn
koͤnte; da ich mich aber nichts entſchlieſſen/ und ih-
me antworten konte/ wandte er ſich zu etlichen die
eben in dem Abgrund deß Mare del Zur, ſich begeben:
und dorten beydes wie auß einem Garten/ und wie
von einer Jagd/ Nahrung holen ſolten/ zu den ſagte
er/ nem̃t ihn mit/ und bringt ihn bald wider her/ da-
mit er noch heut wider auff den Erdboden geſtellt
werde; zu mir aber ſagte er/ ich koͤnte mich in deſ-
ſen auff etwas beſinnen/ das in ſeiner Macht ſtuͤnde/
umb ſolches mir zum Recompens und einer ewigen
Gedaͤchtnuß mit auff den Erdboden zu geben; Alſo
wiſchte ich mit den Sylphis darvon durch ein Loch
welches etlich hundert Meil lang war/ ehe wir auff
den Grund deß obgedachten fridſamen Meers kamẽ/
darauff ſtunden Corallenzincken ſo groß als die Eich-
baͤum/ von welchen ſie zur Speiſe mit ſich nahmen/
was noch nicht erhartet und geferbt war/ dann ſie
pflegen ſie zu eſſen/ wie wir die junge Hirſchgeweyh/
da ſahe man Schnecken-Haͤußlein ſo hoch als ein
zimlich Rondel/ und ſo breit als ein Scheuerthor;
Jtem Perlen ſo dick als Faͤuſte/ welche ſie an ſtatt
der Eyer aſſen/ und andere viel ſeltzamere Meer-
wunder die ich nicht all erzehlen kan/ der Boden lag
uͤberall mit Smaragden/ Tuͤrckis/ Rubinen/ Dia-
mauten/ Saphiren und andern dergleichen Steinen
uͤberſtreit/ gemriniglich in der Groͤſſe/ wie bey uns
Wacken-
[570]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Wackenſtein/ ſo hin und wider in den flieſſenden Baͤ-
chen ligen; da ſahe man hie und dort gewaltige
Schroͤffen viel Meil wegs hoch in die Hoͤhe ragen/
welche vor das Waſſer hinauß giengen und luſtige
Jnſulen trugen; dieſe waren rund herumb mit aller-
hand luſtigen und wunderbarlichen Meergewaͤchſen
geziert/ und von mancherley ſeltzamen kriechenden/
ſtehenden und gehenden Creaturen bewohnet; gleich-
ſam als wie der Erdboden mit Menſchen und Thie-
ren/ die Fiſche aber deren wir groß und klein und
von unzahlbarer Art ein groſſe Menge hin und wider
uͤber uns im Waſſer herumb vagiren ſahen/ ermah-
neten mich allerdings an ſo vielerley Voͤgel/ die ſich
Fruͤhlingszeit und im Herbſt bey uns in der Lufft er-
luſtiren; und weil es eben Vollmon und ein helle
Zeit war (dann die Sonn war damals über unſer[m]
Horizont, alſo daß ich damals mit unſern antipodi-
bus Nacht/ die Europeer aber Tag hatten) konte ich
durch das Waſſer hinauff den Mond und das Ge-
ſtirn ſampt dem Polo antarctico ſehen/ deſſen ich mich
wol verwundern muſte; Aber der/ dem ich in ſeine
Obhut befohlen war/ ſagte mir/ wann wir ſo wol den
Tag haͤtten als die Nacht/ ſo wuͤrde mir alles noch
verwunderlicher vorkommen/ dann man koͤnte als-
dann von weitem ſehen/ wie es ſo wol in Abgrund deß
Meers als auff dem Land ſchoͤne Berg und Thaͤler
abgebe/ welches ſchoͤner ſchiene/ als die ſchoͤnſte
Landſchafften auff dem Erdboden; Als er auch ſa-
be/ daß ich mich uͤber ihn und alle die ſo mit ihm wa-
ren/ verwunderte/ daß ſie als Peruaner/ Braſilia-
ner/ Mexicaner und Jnſulaner de los latronos auff-
gezogen und dannoch ſo gut teutſch redeten/ da ſagte
er
[571]Fuͤnfftes Buch.
er/ daß ſie nicht mehr als eine Sprach koͤnten/ die
aber alle Voͤlcker auff dem gantzen Umbkreiß der Er-
den in ihrer Sprache verſtuͤnden/ und ſie hingegen
dieſelbe hinwiderumb: welches daher komme/ die-
weil ihr Geſchlecht mit der Thorheit ſo bey dem Ba-
byloniſchen Thun vorgangen/ nichts zu ſchaffen
haͤtte.
Als ſich nun meine Convoy genugſam proviantirt
hatte/ kehrten wir widerumb durch ein andere Hoͤle
auß dem Meer in das Centrum terræ, unterwegs er-
zehlte ich ihrer etlichen/ daß ich vermeint bette/ das
Centrum der Erden waͤre inwendig hol/ in welchem
holen Theil die Pigmei wie in einem Kran Rad her-
umb lieffen/ und alſo die gantze Erdkugel herum trill-
ten/ damit ſie uͤberal von der Sonnen/ welche nach
Ariſtarchi und Copernici Meynung mitten am Him-
mel unbeweglich ſtill ſtuͤnde/ beſchienen wuͤrde; Wel-
cher Einfalt wegen ich ſchroͤcklich außgelacht wur-
de/ mit Bericht/ ich ſolte mir ſo wol obiger beyden
Gelehrten Meynung/ als meine gehabte Einbildũg
mir ein eitlen Traum ſeyn laſſen; Jch ſollte mich/
ſagten ſie/ an ſtatt dieſer Gedancken beſinnen/ was ich
von ihrem Koͤnig vor eine Gab begehren wolte/ da-
mit ich nicht mit lehrer Hand wiederumb auff den
Erdboden doͤrffte; Jch antwortete/ die Wunder die
ich ſeithero geſehen/ hetten mich ſo gar auß mir ſelbſt
gebracht/ daß ich mich auff nichts bedencken koͤnte/
mit Bitt/ ſie wolten mir doch rathen/ was ich von
dem Koͤnig begehren ſollte; Meine Meynung waͤre
(ſintemal er alle Brunnenquellen in der Welt zu di-
rigiren haͤtte) von ihm einen Geſund-Brunnen auff
meinen Hof zu begehren/ wie der jenige waͤre/ der
neulich
[572]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
neulich von ſich ſelbſt in Teutſchland entſprungen/
der gleichwol doch nur Suͤßwaſſer fuͤhre/ der Fuͤrſt
oder Regent uͤber das ſtille Meer und deſſen Huͤlen/
antwortet/ ſolches wuͤrde in ſeines Koͤnigs Macht
nicht ſtehen/ und wann es gleich bey ihm ſtuͤnde/ und
er mir gern gratificiren wolte/ ſo haͤtten jedoch der-
gleichen Heilbrunnen in die Laͤng keinen Beſtand/ ꝛc.
Jch bat ihn er wollte mir doch unbeſchwert die Ur-
ſach erzehlen; da antwortet er/ es befinden ſich hin
und wieder in der Erden laͤre ſtaͤtte/ die ſich nach und
nach mit allerhand Metallen außfuͤllen/ weil ſie da-
ſelbſt auß einer exhalatione humida, viſcoſa \& craſſa,
generirt werden/ in dem nun ſolche Generation ge-
ſchihet/ ſchlaͤgt ſich zu zeiten durch die Spaͤlt der
Marchaſitæ aureæ vel argenteæ auß dem centro, davon
alle Quellen getriben werden/ Waſſer daꝛzu/ welches
ſich dann umb und zwiſchen den Metallis ſich viel
hundert Jahr enthaͤlt/ und der Metallen edle Art
und heilſame Eigenſchafften an ſich nimbt/ wañ ſich
dann das Waſſer auß dem centro je laͤnger je mehr
vermehrt/ und durch ſeinen ſtarcken Trieb/ einen
Außlauff auff dem Erdboden ſucht und findet/ ſo wiꝛd
das Waſſer/ welches ſo viel hundert oder tauſend
Jahr zwiſchen den Metallen verſchloſſen geweſen/
und deſſen Kraͤffte an ſich genommen/ zum allererſten
außgeſtoſſen/ und thut alsdann an denen Menſchli-
chen Coͤrpern die jenige wunderbarliche Wuͤrckung/
die man an ſolchen neuen Heilbrunnen ſihet/ ſo bald
nun ſolches Waſſer/ das ſich ſo lang zwiſchen den
Metallen enthalten/ verfloſſen/ ſo folgt gemein Waſ-
ſer hernach/ welches zwar auch durch dieſelbige
Gaͤng paſſirt/ in ſeinem ſchnellen Lauff aber keine
Tugen-
[573]Fuͤnfftes Buch.
Tugenden oder Kraͤfften von den Metallen an ſich
nemmen/ und alſo auch nicht wie das erſtere heilſam
ſeyn kan; Wann ich (ſagte er) die Geſundheit ſo
ſehr affectire/ ſo ſolte ich ſeinen Koͤnig erſuchen/ daß
er mich dem Koͤnig der Salamandræ, mit welchem er
in guter Correſpondenz ſtuͤnde/ in eine Cur recom-
mendire; derſelbe koͤnne die Menſchliche corpora zu-
richten/ und durch ein Edelgeſtein begaben/ daß ſie
in keinem Feuer verbrennen moͤchten/ wie ein ſonder-
barer Leinwat den wir auff Erden haͤtten/ und im
Feuer zu reinigen pflegten/ wann er ſchmutzig wor-
den were; alsdann ſetze man einen ſochen Menſchen
wie eine ſchleimige alte ſtinckende Tabackpfeiff mitten
ins Feur/ da verzehrten ſich dann alle boͤſe Humores
und ſchaͤdliche Feuchtigkeiten/ und komme der Pa-
tient wider ſo jung/ friſch/ geſund und neugeſchaffen
hervor/ als wann er das Elixier Theophraſti einge-
nommen haͤtte; Jch wuſte nicht ob mich der Kerl
foppt oder obs ihm ernſt war/ doch bedanckte ich
mich der veutraulichen Communication, und ſagte/
ich beſorgte/ dieſe Cur ſey mir als einem Colerico,
zu hitzig; mir wuͤrde nichts liebers ſeyn/ als wann
ich meinen Mit-Menſchen eine heilſame rare Quell
mit mir auff den Erdboden bringen koͤnte/ welches
ihnen zu nutz/ ihrem Koͤnig aber zur Ehr: mir aber
zu einem unſterblichen Nahmen/ und ewigem Ge-
daͤchtnuß gereichen wuͤrde; darauff antwortet mir
der Fuͤrſt/ wann ich ſolches ſuche/ ſo wolle er mir
ſchon ein gut Wort verleyhen/ wiewol ihr Koͤnig ſo
beſchaffen/ daß er der Ehr oder Schand ſo ihm auff
Erden zugelegt werde/ gleich viel achte; Mithin
kamen wir widerumb in den Mittelpunct der Erden/
und
[574]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
und vor deß Koͤnigs Angeſicht/ als er und ſeine Prin-
tzen ſich eben ſpeiſen wollten; Es war ein Jmbs
wie die Griechiſche Nephalia, da man weder Wein
noch ſtarck Getraͤncke brauchte/ aber an ſtatt deſſen/
trancken ſie Perlen wie rohe oder weich geſottene Eyer
auß/ als welche noch nicht erhartet waren/ und
treffliche Staͤrcke gaben/ oder ſuͤtterten wie die Bau-
ren ſagen.
Da obſervirte ich/ wie die Sonn einen See nach
dem andern beſchiene/ und ihre Stralen durch die-
ſelbige diß in dieſe ſchroͤckliche Tieffe hinunder warff/
alſo daß es dieſen Sylphis niemal an keinem Liecht
nicht mangelte: Man ſahe ſie in dieſem Abgrund ſo
heiter wie auff dem Erdboden leuchten/ alſo daß ſie
auch einen Schatten warff: So daß ihnen den Syl-
phis die See wie Tagloͤcher oder Fenſter taugten/
durch welche ſie beydes Helle und Waͤrme empfien-
gen/ und wenn ſich ſolches nicht uͤberall ſchickte/ weil
etliche See gar krumm hinum giengen/ wurde ſol-
ches durch die reflexion erſetzt/ weil die Natur hin
und wieder in die Winckel gantze Felſen von Cry-
ſtall/ Diamanten und Carfuncklen geoꝛdnet/ ſo die
Helling hinunder fertigten.
DasXVII.Capitel.
JNdeſſen hatte ſich die Zeit genaͤhert/ daß ich wie-
der heim ſolte/ derhalben befohl der Koͤnig/ ich
ſolte mich vernehmen laſſen/ wormit ich vermeynte/
daß er mir einen Gefallen thun koͤnte? Da ſagte ich/
es koͤnte mir keine groͤſſere Gnade widerfahren/ als
wenn er mir einen rechtſchaffenen Medicinaliſchen
Sauer-
[575]Fuͤnfftes Buch.
Sauerbrunnen auff meinen Hof zukommen laſſen
wuͤrde; Jſts nur das? antwortet der Koͤnig/ Jch
haͤtte vermeynt/ du wuͤrdeſt etliche groſſe Smaragd
auß dem Americaniſchen Meer mit dir genommen/
und gebetten haben/ dir ſolche auff den Erdboben paſ-
ſiren zu laſſen? jetzt ſehe ich/ daß kein Geitz bey euch
Chriſten iſt; Mithin reichte er mir einen Stein von
ſeltzamen va[ri]renden Farben/ und ſagte: Dieſen ſtecke
zu dir/ und wo du ihn hin auff den Erdboden legen
wirſt/ daſelbſt wird er anfahen das Centrum wieder
zu ſuchen/ und die bequemſte Mineralia durchgehen/
biß er wieder zu uns kompt/ und dir unſert wegen ei-
ne herꝛliche Sauerbrunnen-Quell zuſchickt/ die dir
ſo wol bekommen und zuſchlagen ſoll/ als du mit Er-
oͤffnung der Warheit umb uns verdient haſt. Da-
rauff nam mich der Fuͤrſt vom Mammel-ſee alsbald
wieder in ſein Geleit/ und paſſirte mit mir den Weg
und See wieder zuruͤck/ durch welchen wir herkom-
men waren/ ꝛc.
Dieſe Heimfahrt duͤnckte mich viel weiter/ als die
Hinfahrt/ alſo daß ich auff dritthalb-tauſend wolge-
maͤſſener Teutſcher Schweitzer-Meilen rechnete;
es war aber gewiß die Urſach/ daß mir die Zeit ſo
lang wurde/ weil ich nichts mit meiner Convoy re-
dete/ als bloͤßlich/ daß ich von ihnen vernam/ ſie wuͤr-
den biß auff 3. 4. oder 500. Jahr alt/ und ſolche
Zeit lebten ſie ohne einige Kranckheit. Jm uͤbrigen
war ich im Sinn mit meinem Saurbrunnen ſo reich/
daß alle meine Witz und Gedancken genug zu thun
hatten/ zu berathſchlagen/ wo ich ihn hin ſetzen/ und
wie ich mir ihn zu Nutz machen wolte; Da hatte ich
allbereit meine Anſchlaͤg wegen der anſehnlichen Ge-
B bbaͤu/
[576]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
baͤu/ die ich darzu ſetzen muͤſte/ damit die Badgaͤſte
auch rechtſchaffen accommodirt ſeyn/ und ich hin-
gegen ein groſſes Loſament-gelt auff heben moͤchte;
ich erſanne ſchon/ durch was vor Schmiralia ich die
Medicos perſuadiren wolte/ daß ſie meinen neuen
Wunder-Sauerbrunnen allen andern/ ja gar dem
Schwalbacher vorziehen/ und mir einen Hauffen
reiche Badgaͤſt zuſchaffen ſolten; ich machte ſchon
gantze Berg eben/ damit ſich die Ab- und Zufahrende
uber keinen muheſeeligen Weg beſchwereten; Jch
dingte ſchon verſchmitzte Haußknecht/ geitzige Koͤ-
chinnen/ vorſichtige Bett Maͤgd/ wachtſame Stall-
knecht/ ſaubere Bad- und Brunnen-Verwalter/ und
ſanne auch bereits einen Platz auß/ auff welchen ich
mitten im wilden Gebuͤrg/ bey meinem Hof/ einen
ſchoͤnen ebenen Luſt-Garten pflantzen/ und allerley
rare Gewaͤchs darinnen zielen wolte/ damit ſich die
fremde Herꝛen Badgaͤſt und ihre Frauen darinn er-
ſpazieren/ die Krancke erfriſchen/ und die Geſunde
mit allerband kurtzweiligen Spielen ergetzen und er-
ramlen koͤnnen. Da muſten mir die Medici, doch
umb die Gebuͤhr/ einen herꝛlichen Tractat von mei-
nem Brunnen und deſſen koͤſtlichen Qualitaͤten zu
Papier bringen/ welchen ich alsdann neben einem
ſchoͤnen Kupfferſtuͤck/ darein mein Baurn-Hof ent-
worffen und in Grund gelegt/ drucken laſſen wolte/
auß welchem ein jeder abweſender Krancker ſich
gleichſam halb geſund leſen und hoffen moͤchte; ich
lieſſe alle meine Kinder von L. holen/ ſie allerhand ler-
nen zu laſſen/ das ſich zu meinem neuen Bad ſchickte/
doch dorffte mir keiner kein Bader werden/ dann ich
hatte mir vorgenommen/ meinen Gaͤſten/ ob zwar
nicht
[577]Fuͤnfftes Buch.
nicht den Rucken/ doch aber ihren Beutel dapffer zu
ſchrepffen.
Mit ſolchen reichen Gedancken und uͤber-gluͤckſee-
ligem Sinn-Handel erꝛeichte ich wiederum die Lufft/
maſſen mich der vielgedachte Printz allerdings mit
trockenen Kleidern auß ſeinem Mum̃el-ſee aus Land
ſetzte/ doch muſte ich das Cleinod/ ſo er mir anfaͤng-
lich geben/ als er mich abgeholet/ ſtracks von mir
thun/ dann ich haͤtte ſonſt in der Lufft entweder er-
ſauffen/ oder Athem zu holen den Kopff wieder ins
Waſſer ſtecken muͤſſen/ weil gedachter Stein ſolche
Wuͤrckung vermochte. Da nun ſolches geſchehen/
und er denſelben wieder zu ſich genommen/ beſchirm-
ten wir einander als Leut/ die einander nimmermehr
wieder zu ſehen wuͤrden bekommen/ er duckte ſich/
und fuhr wieder mit den ſeinigen in ſeinen Abgrund/
ich aber gieng mit meinem Lapide, den mir der Koͤ-
nig geben hatte/ ſo voller Freuden darvon/ als wenn
ich das Guͤlden Fell auß der Jnſul Colchis darvon
gebracht haͤtte.
Aber Ach! meine Freud/ die ſich ſelbſt vergeblich
auff eine immerwaͤhrende Beſtaͤndigkeit gruͤndete/
waͤhrete gar nicht lang/ dann ich war kaum von die-
ſem Wunder-ſee hinweg/ als ich bereits anfienge in
dem ungeheuren Wald zu verirꝛen/ weil ich nit Ach-
tung geben hatte/ von wannen her mein Knan mich
zum See gebracht; Jch gieng ein gut ſtuͤck Wegs
fort/ ehe ich meiner Verirꝛung gewahr wurde/ und
machte noch immerfoꝛt Calender/ wie ich den koͤſt-
lichen Sauerbrunnen auff meinen Hof ſetzen/ wol
anlegen/ und mir dabey einen geruhigen Herꝛnhandel
ſchaffen moͤchte. Dergeſtalt kam ich ohnvermerckt
B b ijje
[578]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
je laͤnger je weiter von dem Ort/ wohin ich am aller-
meiſten begehrte/ und was das ſchlimſte war/ wurde
ichs nicht eher innen/ biß ſich die Sonn neigte/ und
ich mir nit mehr zu helffen wuſte/ da ſtunde ich mitten
in einer Wildnus wie Matz von Dreßden/ beydes
ohne Speiß und Gewehr/ deſſen ich gegen die bevor-
ſtehende Nacht wol bedoͤrfftig geweſt waͤre; Doch
troͤſtete mich mein Stein/ den ich mit mir auß dem
innerſten Jngeweid der Erden herauß gebracht hatte:
Gedult/ Gedult! ſagte ich zu mir ſelber/ dieſer wird
dich aller uͤberſtandenen Noth wiederum ergetzen/
gut Ding will Weil haben/ und vortreffliche Sa-
chen werden ohne groſſe Muͤhe und Arbeit nicht er-
woꝛben/ ſonſt wuͤrde jeder Narꝛ ohne ſchnauffens
und Bart wiſchens einen ſolchen edlen Sauerbrun-
nen/ wie du einen in der Daſchen haſt/ ſeines Geſal-
lens zu wegen bringen.
Da ich mir nun ſolcher geſtalt zugeſprochen/
faßte ich zugleich mit der neuen Reſolution auch neue
Kraͤfften/ maſſen ich weit dapfferer als zuvor auff die
Solen tratte/ ob mich gleich die Nacht daruͤber er-
eylte; der Vollmond leuchtete mir zwar fein/ aber
die hohe Dannen lieſſen mir ſein Liecht nicht ſo wol
gedeyen/ als denſelben Tag das tieffe Meer gethan
hatte/ doch kam ich ſo weit fort/ biß ich umb Mitter-
nacht von weitem ein Feuer gewahr wurde/ auff
welches ich den geraden Weg zugienge/ und von fer-
nen ſahe/ daß ſich etliche Wald-Bauren darbey be-
fanden/ die mit dem Hartz zu thun hatten: Wiewol
nun ſolchen Geſellen nit allzeit zu trauen/ ſo zwang
mich doch die Noth/ und riethe mir meine eigene
Courage ihnen zuzuſprechen; Jch hinderſchlich ſie
unver-
[579]Fuͤnfftes Buch.
unverſehens/ und ſagte: Gute Nacht oder guten
Tag/ oder guten Morgen oder guten Abend ihr
Herꝛen! ſagt mir zuvor/ umb welche Zeit es ſeye/
damit ich euch darnach zu gruͤſſen wiſſe? Da ſtunden
und ſaſſen ſie alle ſechſe vor Schrecken zitternd/ und
wuſten nicht was ſie mir antwoꝛten ſolten/ dann weil
ich einer von den Laͤngſten bin/ und eben damals noch
wegen meines juͤngſt-verſtorbenen Weibleins ſeel-
ein ſchwartz Trauer-Kleid an hatte/ zumalen einen
ſchroͤcklichen Pruͤgel in Haͤnden trug/ auff welchen
ich mich wie ein wilder Mann ſteurete/ kam ihnen
meine Geſtalt entſetzlich vor; Wie? ſagte ich/ will
mir dann keiner antworten? Sie verblieben aber
noch ein gute Weil erſtaunt/ biß ſich endlich einer er-
holte/ und ſagte: Wear iſcht dann der Hair?
Da hoͤrete ich/ daß es ein Schwaͤbiſche Nation ſeyn
muͤſte/ die man zwar (aber vergeblich) vor einfaͤltig
ſchaͤtzet/ ſagte derowegen/ ich ſeye ein fahrender
Schuͤler/ der jetzo erſt auß dem Venus-Berg kom̃e/
und ein gantzen Hauffen wunderliche Kuͤnſt gelernet
haͤtte; Oho! antwortet der aͤltſte Baur/ jetzt glaub
ich GOtt Lob/ daß ich den Frieden wieder erleben
werde/ weil die fahrende Schuͤler wieder anfangen
zu raͤiſen.
DasXVIII.Capitel.
ALſo kamen wir miteinander ins Geſpraͤch/ und
ich genoſſe ſo vieler Hoͤflichkeit von ihnen/ daß
ſie mich hieſſen zum Feuer nider ſitzen/ und mir ein
Stuͤck ſchwartz Brod und magern Kuͤh-Kaͤß anbot-
ten/ welches ich dann alle beyde acceptirte; Endlich
B b iijwurden
[580]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
wurden ſie ſo vertraͤulich/ daß ſie mir zumutheten/
ich ſolte ihnen als ein fahrender Schuͤler gute War-
heit ſagen: Und weil ich mich ſo wol auff die Phy-
ſiognomiam als Chiromantiam umb etwas verſtun-
de/ fienge ich an einem nach dem andern auffzuſchnei-
den/ was ich meynte daß ſie contentiren wuͤrde/ da-
mit ich bey ihnen meinen Credit nicht verlierte/ denn
es war mir bey dieſer wilden Waldburſch nicht aller-
dings beimlich. Sie begehrten allerhand fuͤrwitzige
Kuͤnſte von mir zu lernen/ ich ader vertroͤſtet ſie auff
den kuͤnfftigen Tag/ und begehrte/ daß ſie mich ein
wenig wolten ruhen laſſen. Und demnach ich ſolcher
geſtalt einen Zigeiner agirt hatte/ legte ich mich ein
wenig beyſeits/ mehr zu hoꝛchen und zu vernehmen/
wie ſie geſinnet/ als daß ich groſſen Willen (wiewol
es am Appetit nicht mangelte) zu ſchlaffen gehadt
haͤtte; je mehr ich nun ſchnarchte/ je wachtſamer ſie
ſich erzeigten/ ſie ſtieſſen die Koͤpff zuſammen/ und
fiengen an umb die Wett zu rathen/ wer ich doch ſeyn
moͤchte? vor keinen Soldaten wolten ſie mich hal-
ten/ weil ich ein ſchwartz Kleid antrug/ und vor kei-
nen Burgers-Kerl konten ſie mich nit ſchaͤtzen/ weil
ich zu einer ſolchen ungewoͤhnlichen Zeit ſo fern von
den Leuten in das Mucken-Loch (dann ſo heiſſet der
Wald) angeſtochen kaͤme. Zuletzt beſchloſſen ſie/
ich muͤſte ein Lateiniſcher Handwercks-Geſell ſeyn/
der verirꝛet waͤre/ oder meinem eigenen Vorgeben
nach/ ein fahrender Schuͤler/ weil ich ſo trefflich
wahrſagen koͤnte: Ja/ fieng denn ein anderer an/
und ſagte/ Er hat drumb nicht alles gewuſt/ er iſt
etwan ein loſer Krieger/ und hat ſich ſo verkleidet/
unſer Vieh und die Schlich im Wald außzukuͤndi-
gen
[581]Fuͤnfftes Buch.
gen/ Ach daß wirs wuͤſten/ wir wolten ihn ſchlaffen
legen/ daß er das auffwachen vergeſſen ſolte! Ge-
ſchwind war ein anderer da/ der dieſem Widerpart
hielte/ und mich vor etwas anders anſahe. Jndeſſen
lag ich dort/ und ſpitzt die Ohren/ ich gedachte/ wer-
den mich dieſe Knollfincken angreiffen/ ſo muß mir
zuvor einer oder drey ins Gras beiſſen/ ehe ſie mich
auffopffern.
Demnach nun dieſe ſo rathſchlagten/ und ich
mich mit Sorgen aͤngſtigte/ wurde mir gehling/ als
ob einer bey mir lege/ der ins Bett druntzte/ dann ich
lag unverſehens gantz naß/ ômirum! da war Tro[ja]
verloren/ und alle meine treffliche Anſchlaͤge waren
dahin/ dann ich merckte am Geruch/ daß es mein
Sauerbrunnen war; Da geriethe ich vor Zorn und
Unwillen in eine ſolche Raſerey/ daß ich mich bey
nahe allein hinder die ſechs Baurn gelaſſen/ und mit
ihnen herum geſchlagen håtte: Jhr gottloſe Flegel/
(ſagte ich zu ihnen/ als ich mit meinem ſchroͤcklichen
Pruͤgel auffgeſprungen war) an dieſem Saurbrun-
nen der auff meiner Laͤgerſtatt hervor quillt/ koͤnt ihr
mercken/ wer ich ſey/ es waͤre kein Wunder/ ich
ſtraffte euch alle/ daß euch der Teuffel holen moͤchte!
weil ihr ſo boͤſe Gedancken in Sinn nehmen doͤrffen/
machte darauff ſo bedrohliche und erſchroͤckliche
Minen/ daß ſie ſich alle vor mir entſetzten: Doch
kam ich gleich wieder zu mir ſelber/ und merckte/ was
ich vor eine Thorheit begieng/ Nein/ (gedacht ich)
beſſer iſts den Sauerbrunnen/ als das Leben verlo-
ren/ das du leicht einbuͤſſen kanſt/ wenn du dich hin-
der dieſe Limmel machſt: gab ihnen derhalben wie-
der gute Wort/ und ſagte/ ehe ſie ſich etwas anders
B b jvent-
[582]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
entſinnen konten: Stehet auff/ und verſucht den
herꝛlichen Sauerbrunnen/ den ihr und alle Hartz-
und Holtzmacher hinfort in dieſer Wildnus meinet
wegen zu genieſſen haben werdet! Sie konten ſich
in mein Geſpraͤch nicht richten/ ſondern ſahen ein-
ander an wie lebendige Stockfiſch/ biß ſie ſahen/ daß
ich fein nuͤchtern auß meinem Hut den erſten Trunck
thaͤt/ da ſtunden ſie nach einander vom Feuer auff/
darumb ſie geſeſſen/ beſahen das Wunder/ und ver-
ſuchten das Waſſer/ und an ſtatt daß ſie mir darum
haͤtten danckbar ſeyn ſollen/ fiengen ſie an zu laͤſtern/
[un]d ſagten: Sie wolten/ daß ich mit meinem Saur-
drunnen an ein ander Ort gerathen waͤre/ dann ſolte
thre Herꝛſchafft deſſen innen werden/ ſo muͤſte das
gantze Ampt Dornſtett frohnen/ und Weg darzu ma-
chen/ welches ihnen dann ein groſſe Beſchwerlich-
keit ſeyn wuͤrde. Hingegen (ſagte ich) habt ihr deſ-
ſen alle zu genieſſen/ eure Huͤner/ Eyer/ Butter/
Viehe und anders/ koͤnt ihr beſſer ans Geld bringen;
Nein nein/ ſagten ſie/ Nein! die Herꝛſchafft ſetzt ei-
nen Wirth hin/ der wird allein reich/ und wir muͤſſen
ſeine Narꝛen ſeyn/ ihm Weg und Steg erhalten/
und werden noch kein Danck darzu darvon haben!
Zuͤletzt entzweyten ſie ſich/ zween wolten den Sauer-
brunnen behalten/ und ihrer vier mutheten mir zu/ ich
ſolte ihn wieder abſchaffen; welches/ da es in mei-
ner Macht geſtanden waͤre/ ich wol ohne ſie gethan
haben wolte/ es waͤre ihnen gleich lieb oder leyd ge-
weſen.
Weil dann nunmehr der Tag vorhanden war/
und ich nichts mehr da zu thun hatte/ zumalen be-
ſorgen muͤſte/ wir wuͤrden/ da es noch lang herum
gieng
[583]Fuͤnfftes Buchs.
gieng/ einander endlich in die Haar gerathen/ ſagte
ich: Wenn ſie nicht wolten/ daß alle Kuͤhe im gan-
tzen Bayersbrunner Thal rothe Milch geben ſolten/
ſo lang der Brunn lieffe/ ſo ſolten ſie mir alſobald den
Weg in Seebach weiſen/ deſſen ſie dann wol zu frie-
den/ und mir zu ſolchem End zwey mitgaben/ weil
ſich einer allein bey mir foͤrchtete.
Alſo ſchiede ich von dannen/ und ob zwar die-
ſelbe gantze Gegend unfruchtbar war/ und nichts als
Tannzapffen trug/ ſo haͤtte ich ſie doch noch elender
verfluchen moͤgen/ weil ich alle mein Hoffnung da-
ſelbſt verloren; doch gienge ich ſtillſchweigend mit
meinen Wegweiſern fort/ biß ich auff die Hoͤhe deß
Gebuͤrgs kam/ allwo ich mich dem Gelaͤnd nach
wieder ein wenig erkennen konte. Da ſagte ich zu ih-
nen: Jhr Herꝛen koͤnt euch euren neuen Saurbrun-
nen trefflich zu nutz machen/ wenn ihr nemlich hin
gehet/ und eurer Obrigkeit deſſen Urſprung anzeiget/
dann da wuͤrde es eine treffliche Verehrung ſetzen/
weil alsdann der Fuͤrſt ſelbigen zur Zierde und Nutz
deß Lands auffbauen/ und zu Vermehrung ſeines
Intereſſe aller Welt bekant machen laſſen wird; Ja/
ſagten ſie/ da waͤren wir wol Narꝛen/ daß wir uns
eine Ruth auff unſern eigenen Hindern machten/
wir wolten lieber/ daß dich der Teuffel mit ſampt
deinem Sauerbrunnen holete/ du haſt genug gehoͤrt/
warumb wir ihn nicht gerne ſehen! Jch antwortet/
Ach ihr heylloſe Tropffen/ ſolte ich euch nit meiney-
dige Schelmen ſchelten/ daß ihr auß der Art eurer
frommen Vor-Eltern ſo ferne abtrettet! dꝛeſelbige
waren ihrem Fuͤrſten ſo getreu/ daß er ſich ihrer ruͤh-
men doͤrffte/ Er waͤre ſo kuͤhn/ in eines jeden ſeiner
B b vUnder-
[584]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Underthanen Schos ſeinen Kopff zu legen/ und da-
rinn ſicherlich zu ſchlaffen; und ihr Maußkoͤpff ſeyt
nicht ſo ehrlich/ einer beſorgenden geringen Arbeit
willen/ darumb ihr doch mit der Zeit wieder ergetzt
wuͤrdet/ und deren all eure Nachkoͤmmling reichlich
zu genieſſen haͤtten/ beydes eurem Hochloͤbl. Fuͤrſten
zu Nutz/ und manchem elenden Krancken zur Wol-
fahrt und Geſundheit dieſen heylſamen. Sauerbrun-
nen zu offenbaren; was ſolts ſeyn/ wann gleich et-
wan jeder ein paar Tag darzu frohnte? Was/ ſag-
ten ſie/ wir wolten dich/ damit dein Sauerbrunnen
verborgen bleibe/ ehender im Frohn todt ſchlagen;
Jhr Voͤgel/ (ſagte ich) es muͤſten eurer mehr ſeyn!
zuckte darauff meinen Pruͤgel/ und jagte ſie damit
fuͤr alle Sanct Velten hinweg/ gieng folgends gegen
Nidergang und Mittag Berg abwerts/ und kame
nach vieler Muͤhe und Arbeit gegen Abend wieder
heim auff meinen Bauren-Hof/ im Werck wahr zu
ſeyn befindend/ was mir mein Knan zuvor geſagt
hatte/ daß ich nemlich von dieſer Wallfahrt nichts
als muͤde Bein/ und den Hergang vor den Hingang
haben wuͤrde.
DasXIX.Capitel.
NAch meiner Heimkunfft hielte ich mich gar ein-
gezogen/ mein groͤſte Freud und Ergetzung war/
hinter den Buͤchern zu ſitzen/ deren ich mir dann
viel beyſchaffte/ die von allerhand Sachen tractirten/
ſonderlich ſolche/ die ein groſſes Nachſinnens be-
dorfften; das was die Grammatici und Schulfuͤchſe
wiſſen muͤßten/ war mir bald erleidet/ und eben alſo
wurde
[585]Fuͤnfftes Buch.
wurde ich der Arithmeticæ auch gleich uͤberdruͤſſig/
was aber die Muſicam anbelangt/ haßte ich dieſelbe
vorlaͤngſt wie die Peſt/ wie ich dann meine Laute zu
tauſend Stuͤckern ſchmiſſe; die Mathematica und
Geometria fand noch platz bey mir/ ſo bald ich aber
von dieſen ein wenig zu der Aſtronomia geleitet wur-
de/ gah ich ihnen auch Feyerabend und hieng dieſer
ſampt der Aſtrologia ein zeitlang an/ welche mich
dann trefflich delectirten/ endlich kamen ſie mir auch
falſch und ungewiß vor/ alſo daß ich mich auch nicht
laͤnger mit ihnen ſchleppen mochte/ ſondern griffe
nach der Kunſt Raymundi Lullii, fande aber viel Ge-
ſchrey und wenig Wollen/ und weil ich ſie vor eine
Topicam hielte/ ließ ich ſie fahren und machte mich
hinter die Cabalam der Hebreer/ und Hieroglyphicas
der Egyptier/ fande aber die allerletzte und auß allen
meinen Kuͤnſten und Wiſſenſchafften/ daß kein beſſer
Kunſt ſey/ als die Theologia, wann man vermittelſt
derſelbigen Gott liebet und ihm dienet! Nach der
Richtſchnur derſelbigen erfande ich vor die Menſchen
eine Art zu leben die mehr Engliſch als Menſchlich
ſeyn koͤnte/ wann ſich nemlich eine Geſellſchafft zu-
fammen thaͤte/ beydes von verehlichten und ledigen/
ſo Manns-als Weibsperſonen/ die auff Manier der
Widertaͤuffer allein ſich befliſſen/ unter einem ver-
ſtaͤndigen Vorſteher durch ihrer Hand Arbeit ihren
leiblichen Unterhalt zu gewinnen/ und ſich die uͤbrige
Zeiten mit dem Lob und Dienſt Gottes und ihrer See-
len Seeligkeit zu bemuͤhen; dann ich hatte hiebevor
in Ungarn auff den Widertaͤufferiſchen Hoͤfen ein
ſolches Leben geſehen/ alſo daß ich/ wofern dieſelbe
gute Leut mit andern falſchen/ und der allgemeinen
B b vjChriſt-
[586]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
Chriſtlichen Kirchen widerwertigen ketzeꝛiſchen Mei-
nung nicht weren verwickelt und vertiefft geweſen/
ich mich von freyen ſtuͤcken zu ihnen geſchlagen/ oder
wenigſt ihr Leben vor das ſeeligſte in der gantzen
Welt geſchetzt haͤtte/ dann ſie kamen mir in ihrem
Thun und Leben allerdings fuͤr wie Joſephus und
andere mehr/ die Juͤdiſche Eſſeer beſchrieben; Sie
hatten erſtlich groſſe Schaͤtze und uͤberfluͤſſige Nah-
rung/ die ſie aber keines Wegs verſchwendeten/
kein Fluch/ Murmelung noch Ungedult wuͤrde bey
ihnen geſpuͤrt/ ja man hoͤrete kein unnuͤtzes Wort/
da ſahe ich die Handwercker in ihren Werckſtaͤtten ar-
beiten/ als wann ſie es verdingt haͤtten/ ihr Schul-
meiſter inſtruirte die Jugend/ als wann ſie alle ſeine
leibliche Kinder geweſt waͤren/ nirgends ſahe ich
Manns- und Weibsbilder untereinander vermiſcht/
ſondern an jedem beſtimbtẽ Ort auch jedes Geſchlecht
abſonderlich ſeine obligende Arbeit verꝛichten; Jch
fande Zimmer/ in welchen nur Kindtbetterinnen wa-
ren/ die ohne Obſorg ihrer Maͤnner durch ihre
Mitſchweſtern mit aller nothwendigen Pfleg ſampt
ihren Kindern reichlich verſehen wurden/ andere
ſonderbahre Saͤl hatten nichts anders in ſich/ als
viel Wiegen mit Saͤuglingen/ die von hierzu beſtim-
ten Weibern mit Wiſchen und Speiſen beobachtet
wurden/ daß ſich deren Muͤtter ferners nicht umb ſie
bekuͤmmern dorfften/ als wann ſie taͤglich zu dreyen
gewiſſen Zeiten kamen/ ihnen ihre milchreiche Bruͤ-
ſte zu bieten: und dieſes Geſchaͤffte den Kindbetterin
und Kindern abzuwarten war allein den Wittiben
anbefohlen/ anderswo ſahe ich das Weibliche Ge-
ſchlecht ſonſt nichts thun als ſpinnen/ alſo daß man
uͤber
[587]Fuͤnfftes Buch.
uͤber die bundert Kunckeln oder Spinnrocken in ei-
nem Zimmer bey einander antraff/ da war eine ein
Waͤſcherin/ die ander eine Bettmacherin/ die dritte
Vieh-Magd/ die vierte Schuͤſſelwaͤſcherin/ die fuͤnf-
te Kellerin/ die ſechſte hatte das weiß Zeug zu ver-
walten/ und alſo auch die uͤbrige alle/ wuſte ein jed-
wedere was ſie thun ſolte; und gleichwie die Aemp-
ter unter dem Weiblichen Geſchlecht oꝛdentlich auß-
getheilet waren/ alſo wuſte auch unter den Maͤnnern
und Juͤnglinge jeder ſein Geſchaͤffte/ wurde einer o-
der eine kranck/ ſo hatte er oder dieſelbe einen ſonder-
bahren Kranckenwarter oder Warterin/ auch beyde
Theil einen allgemeinen Medicum und Apotecker;
wiewol ſie wegen loͤbl. Diæt und guter Ordnung ſel-
ten erkrancken/ wie ich dann manchen feinen Mann
in hohem geſundem und geruhigem Alter bey ihnen
ſahe/ dergleichen anderswo wenig anzutreffen/ ſie
hatten ihre gewiſſe Stunden zum Eſſen/ ihr gewiſſe
Stunden zum Schlaffen/ aber kein einzige Minut
zum ſpielen noch ſpatzieren/ auſſerhalb die Jugend/
welche mit ihrem Præceptor jedes mal nach dem eſ-
ſen der Geſundheit halber ein Stund ſpatzieren ge-
hen: mithin aber beten/ und geiſtliche Geſaͤnge ſin-
gen muſte/ da war kein Zorn/ kein Eifer/ kein Rach-
gier/ kein Neid/ kein Feindſchafft/ kein Sorg umb
Zeitlichs/ kein Hoffart/ kein Reu! Jn Summa/ es
war durchauß eine ſolche liebliche Harmonia, die auff
nichts anders angeſtimbt zu ſeyn ſchiene/ als das
Menſchlich Geſchlecht und das Reich Gottes in al-
ler Erbarkeit zu vermehren/ kein Mann ſahe ſein
Weib/ als wann er auff die beſtimbte Zeit ſich mit
derſelbigen in ſeiner Schlafkammer befande/ in wel-
B b vijcher
[588]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
cher er fein zugerichtes Bett/ und ſonſt nichts darbey
als ſein Nacht geſchirꝛ neben einem Waſſerkrug und
weiſſen Handzwel fande/ damit er mit gewaſchenen
Haͤnden beydes ſchlaffen gehen/ und den Morgen
wieder an ſeine Arbeit auffſtehen moͤchte; Uber das
hieſſen ſie alle einander Schweſtern und Bruͤder/ und
war doch eine ſolche ehrbare Vertraͤulichkeit keine
Urſach unkeuſch zu ſeyn. Ein ſolch ſeeliges Leben/
wie dieſe Widertaͤufferiſche Ketzer führen/ haͤtte ich
gerne auch auffgebracht/ dann ſo viel mich duͤnckte/
ſo uͤbertraff es auch das Cloͤſterliche: Jch gedachte/
koͤnteſtu ein ſolches ehrbares Chriſtliches Thun auff-
bringen unter dem Schutz deiner Obrigkeit/ ſo waͤ-
reſt du ein anderer Dominicus oder Franciſcus; Ach/
ſagte ich offt/ koͤnteſt du doch die Widertaͤuffer bekeh-
ren/ daß ſie unſere Glaubensgenoſſen ihre Manier
zu leben lerneten/ wie waͤreſt du doch ſo ein ſeeliger
Menſch! Oder wenn du nur deine Mit-Chriſten be-
reden koͤnteſt/ daß ſie wie dieſe Widertaͤuffer ein ſol-
ches (dem Schein nach) Chriſtliches und ehrbares
Leben fuͤhrten/ was haͤtteſtu nicht außgerichtet? Jch
ſagte zwar zu mir ſelber: Narꝛ/ was gehen dich an-
dere Leut an/ werde ein Capucciner/ dir ſind ohne
das alle Weibsbilder erleidet; Aber bald gedachte
ich/ du biſt morgen nicht wie heut/ und wer weiß/
was du kuͤnfftig vor Mittel bedoͤrfftig/ den Weg
Chriſti recht zu gehen? heut biſtu geneigt zur Keuſch-
heit/ morgen aber kanſtu brennen.
Mit ſolchen und dergleichen Gedancken gienge
ich lang umb/ und haͤtte gerne ſo einer vereinigten
Chriſtlichen Geſellſchafft meinen Hof und gantzes
Ver-
[589]Fuͤnfftes Buch.
Vermoͤgen zum beſten gegeben/ unter derſelben ein
Mitglied zu ſeyn. Aber mein Knan propheceyte mir
ſtracks/ daß ich wol nimmermehr ſolche Burſch zu-
ſammen bringen wuͤrde.
DasXX.Capitel.
DEnſelbigen Herbſt naͤherten ſich Frantzoͤſiſche/
Schwediſche und Heſſiſche Voͤlcker/ ſich bey
uns zu erfriſchen/ und zugleich die Reichs-Statt in
unſerer Nachbarſchafft/ die von einem Englaͤndiſchen
Koͤnig erbaut/ und nach ſeinem Nahmen genennet
worden/ blocquirt zu halten/ deßwegen dann jeder-
man ſich ſelbſt ſampt ſeinem Vieh und beſten Sachen
in die hohe Waͤlder flehnte; Jch machte es wie mei-
ne Nachbarn/ und lieſſe das Hauß zimlich laͤer ſtehn/
in welches ein Reformierter Schwediſcher Obriſt
logirt wurde; Derſelbige fande in meinem Cabinet
noch etliche Buͤcher/ dann ich in der Eyl nicht alles
weg bringen konte/ und unter andern einige Mathe-
matiſche und Geometriſche Abriß/ auch etwas vom
Fortification-Weſen/ wormit voꝛnemlich die Inge-
nieur umbgehen/ ſchloß derbalben gleich/ daß ſein
Quartier keinem gemeinen Bauren zuſtaͤndig ſeyn
muͤſte/ fienge derowegen an/ ſich umb meine Beſchaf-
fenheit zu erkuͤndigen/ und meiner Perſon ſelbſten
nachzutrachten/ maſſen er ſelbſten durch courtoiſe
Zu-entbietungen und untermiſchte Drohwort mich
dahin brachte/ daß ich mich zu ihm auff meinen Hof
begab/ daſelbſt tractirte er mich gar hoͤflich/ und hiel-
te ſeine Leut dahin/ daß ſie mir nichts unnuͤtzlich ver-
derben
[590]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
derben oder umbbringen ſolten. Mit ſolcher Freund-
lichkeit brachte er zu wegen/ daß ich ihm all meine
Beſchaffenheit/ vornemlich aber mein Geſchlecht
und Herkommen vertraute. Darauff verwundert er
ſich/ daß ich mitten im Krieg ſo unter den Baurn woh-
nen/ und zuſehen moͤchte/ daß ein anderer ſein Pferd
an meinen Zaun binde/ da ich doch mit beſſern Eh-
ren das meinig an eines andern binden koͤnte/ ich ſol-
te (ſagte er) den Degen wieder anhencken/ und meine
Gaben die mir Gott verliehen haͤtte/ nicht ſo hinderm
Ofen und beym Pflug verſchimlen laſſen/ er wuͤſte/
wenn ich Schwediſche Dienſt annehmen wuͤrde/ daß
mich meine Qualitaͤten und Kriegs-Wiſſenſchafften
bald hoch anbringen wuͤrden: Jch lieſſe mich hierzu
gar kaltſinnig an/ und ſagte/ daß die Befoͤrderung in
weitem Feld ſtuͤnde/ wenn einer keine Freund haͤtte/
die einem unter die Arm griffen; hingegen replicirte
er/ meine Beſchaffenheiten wuͤrden mir ſchon beydes
Freunde und Befoͤrderung ſchaffen/ uͤber das zweifle
er nicht/ daß ich nit Verwandte bey der Schwediſchen
Haupt-Armee antreffen wuͤrde/ die auch etwas gel-
ten/ dann bey derſelben viel voꝛnehme Schottiſche von
Adel ſich befaͤnden/ ihm zwar (ſagte er ferner) ſeye
vom Torſtenſohn ein Regiment verſprochen/ wann
ſolches gehalten wuͤrde/ woran er denn gar nit zweif-
fele/ ſo wolte er mich alsbald zu ſeinem Obriſt Leute-
nant machen. Mit ſolchen und dergleichen Worten
machte er mir das Maul gantz waͤſſerig/ und weilen
noch ſchlechte Hoffnung auff den Frieden zu machen
war/ und ich deßwegen ſo wol fernerer Einquartie-
rung als gaͤntzlichen Ruins unterworffen/ als reſol-
virt ich mich wiederum mit zu machen/ und verſprach
dem
[591]Fuͤnfftes Buch.
dem Obriſten/ mich mit ihm zu begeben/ wofern er
mir ſeine Parol halten/ und die Obriſt Leutenantſtelle
bey ſeinem kůnfftigen Regiment geben wolte.
Alſo wurde die Glock gegoſſen/ ich lieſſe meinen
Knan oder Petter holen/ derſelbe war noch mit mei-
nem Vieh zu Bayriſchbrunn/ dem und ſeinem Weib
verſchrieb ich meinen Hof vor Eygenthum/ doch daß
ihn nach ſeinem Todt mein Baſtart Simplicius, der
mir vor die Thuͤr gelegt worden/ ſampt aller Zuge-
hoͤrde erben ſolte/ weil keine eheliche Erben vorhan-
den; folgends holte ich mein Pferd/ und was ich
noch vor Geld und Cleinodien hatte/ und nachdem
ich alle meine Sachen richtig/ und wegen Aufferzie-
hung erſtermeldten meines wilden Sohns Anſtalt
gemacht/ wurde angeregte Blocquada unverſehens
auffgehoben/ alſo daß wir auffbrechen/ und zu der
Haupt-Armee marchiren muſten/ ehe wir ſichs ver-
ſahen; Jch agirete bey dieſem Obriſten einen Hof-
meiſter/ und erhielte mit ſeinen Knechten und Pfer-
den ihn und ſeine gantze Haußhaltung mit ſtehlen und
rauben/ welches man auff Soldatiſch fouragiren
nennet.
Die Torſtenſohniſche Promeſſen/ mit denen er ſich
auff meinem Hof ſo breit gemacht/ waren bey wei-
tem nit ſo groß als er voꝛgeben/ ſondern wie mich be-
duͤnckte/ wurde er vielmehr nur uͤber die Achſel an-
geſehen: Ach! ſagte er dann gegen mir/ was vor
ein ſchlimmer Hund hat mich bey der Generalitaͤt ein-
gehauen/ da wird meines Verbleibens nicht lang
ſeyn. Und demnach er argwohnete/ daß ich mich
bey ihm in die Laͤng nicht gedulden wuͤrde/ dichtet er
Brieff/ als wann er in Liffland/ allwo er dann
zu
[592]Deß Abenth. Simpliciſſimi
zu Hauß war/ ein friſch Regiment zu werben haͤtte/
und uͤberꝛedete mich damit/ daß ich gleich ihm zu
Wißmar auffſaſſe/ und mit ihm in Liffland fuhr.
Da war es nun auch nobis, dann er hatte nicht allein
kein Regiment zu werben/ ſondern war auch ſonſten
ein Blut-armer Edelmann/ und was er hatte/ war
von ſeinem Weib da.
Ob ich nun zwar mich zweymal betruͤgen/ und
ſo weit hinweg fuͤhren laſſen/ ſo gieng ich doch auch
das dritte mal an/ dann er wieſe mir Schreiben vor/
die er auß der Moſcau bekommen/ in welchen ihm
(ſeinem Voꝛgeben nach) hohe Kriegs-Chargen an-
getragen wurden/ maſſen er mir dieſelbige Schrei-
den ſo verteutſchte/ und von richtiger und guter Be-
zahlung trefflich auffſchnitte: Und weilen er gleich
mit Wetb und Kind auffbrach/ dachte ich/ er wird ja
umb der Gaͤns willen nicht hinziehen; begab mich
derowegen voll guter Hoffnung mit ihme auff den
Weg/ weil ich ohne das kein Mittel und Gelegen-
heit ſahe/ vor dißmal wieder zuruͤck in Teutſchland
zu kehren; So balden wir aber uͤber die Reuſſiſche
Grentze kamen/ und uns unterſchiedliche abgedanck-
te Teutſche Soldaten/ vornemlich Officier begeg-
neten/ fienge mir an zu graueln/ und ſagte zu meinem
Obriſten/ Was Teuffels machen wir? wo Krieg
iſt/ da ziehen wir hinweg/ und wo es Fried/ und die
Soldaten unwerth und abgedanckt worden/ da kom-
men wir hin! Er aber gab mir noch immer gute
Wort/ und ſagte: Jch ſolte ihn nur ſorgen laſſen/
er wiſſe beſſer was zu thun ſey/ als dieſe Kerl/ an de-
nen nicht viel gelegen.
Nach
[593]Fuͤnfftes Buch.
Nach dem wir nun ſicher in der Statt Moſcau
ankommen/ ſahe ich gleich daß es gefehlt hatte/ mein
Obriſter conferirte zwar taͤglich mit den Magnaten,
aber viel mehr mit den Metropoliten als den Kneſen/
welches mir gar nicht Spaniſch/ aber viel zu pfaͤf-
fiſch vorkam; ſo mir auch allerhand Grillen und
Nachdenckens erweckte/ wiewol ich nicht erſinnen
koͤnte/ nach was vor einem Zweck er zielte; endlich
notificirt er mir/ daß es nichts mehr mit dem Krieg
waͤre/ und daß ihn ſein Gewiſſen treibe die Griechi-
ſche Religion anzunehmen; Sein treuhertziger Rath
waͤre/ weil er mir ohne das nunmehr nicht helffen
konte wie er verſprochen/ ich ſolte ihm nachfolgen;
Deß Zaarn Mayeſtaͤt haͤtte bereits gute Nachricht
von meiner Perſon und guten Qualitaͤten/ die wuͤr-
den gnaͤdigſt belieben/ wofern ich mich accommodi-
ren wolte/ mich als einen Cavallier mit einem ſtatt-
lichen Adelichen Gut und vielen Unterthanen zu be-
gnaͤdigen; Welches allergnaͤdigſte Anerbieten nicht
außzuſchlagen waͤre/ in deme einem jedwedern rath-
ſamer waͤre/ an einem ſolchen groſſen Monarchen
mehr einen allergnaͤdigſten Herꝛn/ als einen unge-
neigten Groß-Fuͤrſten zu haben; Jch wurd hieruͤ-
ber gantz beſtuͤrtzt/ und wuſte nichts zu antworten/
weil ich dem Obriſten/ wann ich ihn an einem an-
dern Ort gehabt/ die Antwort lieber im Gefuͤhl als
im Gehoͤr zu verſtehen geben haͤtte; muſte aber mei-
ne Leyer anders ſtimmen/ und mich nach dem jenigen
Ort richten/ darinn ich mich gleichſam wie ein Ge-
ſangner befande/ weßwegen ich dann/ ehe ich mich
auff eine Antwort reſolviren konte/ ſo lang ſtillſchwi-
ge:
[594]Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
ge: Endlich ſagte ich zu ihm/ ich waͤre zwar der
Meinung kommen/ ihrer Zaariſchen Maͤyeſtaͤt/ als
ein Soldat zu dienen/ warzuer der Herꝛ Obriſte mich
daſelbſt veranlaßt haͤtte/ ſeyen nun Dieſelbe meiner
Kriegsdienſte nicht bedoͤrfftig/ ſo koͤnte ichs nicht
aͤndern/ viel weniger Derſelben Schuld zumeſſen/
daß ich Jhrentwegen einen ſo weiten Weg vergeblich
gezogen/ weil ſie mich nicht zu Jhro zu kommen be-
ſchrieben/ daß aber Dieſelbe mir ein ſo hohe Zaariſche
Gnad allergnaͤdigſt widerfahren zu laſſen geruheten/
waͤre mir mehr ruͤhmlich aller Welt zu ruͤhmen/ als
ſolche allerunterthaͤnigſt zu acceptiren und zu ver-
dienen/ weil ich mich meine Religion zu mutiren noch
zur Zeit nicht entſchlieſſen koͤnne/ wuͤnſchend/ daß
ich widerumb am Schwartzwald auff meinem Bau-
ren-hof ſaͤſſe/ umb niemanden einiges Anligen noch
Ungelegenheiten zu machen; Hierauff antwortet er/
der Herꝛ thue nach ſeinem Belieben/ allein hette ich
vermeinet/ wann ihn Gott und das Gluͤck gruͤſſet/
ſo ſolte er beyden billich dancken/ wann er ihm aber
ja nicht helffen laſſen/ noch gleichſam wie ein Printz
leben will/ ſo verhoffe ich gleichwol/ er werde dar-
vor halten/ ich habe an ihm das meinig nach euſſer-
ſtem Vermoͤgen zu thun keinen Fleiß geſpart/ dar-
auff hin machte er einen tieffen Buͤckling/ gieng ſei-
nes wegs und lieſſe mich dort ſitzen/ ohne daß er zu-
laſſen wolte/ ihme nur biß vor die Thuͤr das Geleit
zu geben.
Als ich nun gantz perplex dort ſaſſe/ und meinen
damaligen Zuſtand betrachtete/ hoͤrete ich zween
Reuſſiſche Waͤgen vor unſerm Loſament/ ſahe da-
rauff
[595]Fuͤnfftes Buch.
rauff zum Fenſter hinauß/ und wie mein guter Herꝛ
Obriſter mit ſeinen Soͤhnen in den einen/ und die
Frau Obriſtin mit ihren Toͤchtern in den andern ein-
ſtiege/ es waren deß Groß-Fuͤrſten Fuhren und
Liberey/ zumalen etliche Geiſtliche darbey/ ſo dieſem
Ehevolck gleichſam auffwarteten/ und allen guten
geneigten Willen erzeigten.
DasXXI.Capitel.
VOn dieſer Zeit an wurde ich zwar nit offentlich/
ſondern heimlich durch etliche Strelizen verwa-
chet/ ohne daß ichs einmal gewuſt haͤtte/ und mein
Obriſter oder die ſeinige wurden mir nit einmal mehr
zu ſehen/ alſo daß ichs nicht wiſſen konte wo er hin
kom̃en/ damals ſetzte es/ wie leicht zu erachten/ ſeltza-
me Grillen/ und ohne Zweiffel auch viel graue Haar
auff meinem Kopff. Jch machte Kundſchafft mit den
Teutſchen/ die ſich beydes von Kauff- und Hand-
wercksleuten in der Moſcan ordinari auffhalten/ und
klagte denſelben mein Anligen/ und welcher geſtalt
ich mit Gefaͤhrden hindergangen woꝛden/ die ga-
ben mir Troſt und Anleitung/ wie ich wieder mit
guter Gelegenheit in Teutſchland kommen koͤnte:
So bald ſie aber Wind bekamen/ daß der Zaar
mich im Land zu behalten entſchloſſen/ und mich
hierzu dringen wolte/ wurden ſie alle zu Stummen
an mir/ ja ſie aͤuſſerten ſich auch meiner/ und wur-
de mir ſchwer/ auch nur vor meinen Leib Her-
berg zu bekommen/ dann ich hatte mein Pferd ſampt
Sattel und Zeug bereits verzehrt/ und trennete heut
eine
[596]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
eine/ und morgen die andere Ducat auß/ die ich hie-
bevor zum Vorꝛath ſo weislich in meine Kleider ver-
naͤhet hatte. Zuletzt fienge ich auch an/ meine Ring
und Cleinodia zu verſilbern/ als der Hoffnung/ mich
ſo lang zu enthalten/ biß ich eine gute Gelegenheit
wieder in Teutſchland zu kommen/ erharꝛen moͤchte.
Jndeſſen lieff ein Viertel-Jahr herumb/ nach wel-
chem offtgemeldter Obriſte ſampt ſeinem Haußge-
ſind wieder umbgetaufft/ und mit einem anſehen-
lichen Adelichen Gut und vielen Underthanen wieder
verſehen wurde.
Damals gienge ein Mandat auß/ daß man gleich
wie unter den Jnheimiſchen/ alſo auch unter den
Fremden keine Muͤſſiggaͤnger bey hoher unaußbleib-
licher Straffmehr leiden ſolte/ als die den Arbeiten-
den nur das Brod vorm Maul weg freſſen/ und was
von Frembden nicht arbeiten wolte/ das ſolte das
Land in einem Monat/ die Statt aber in vier und
zwantzig Stunden raumen. Alſo ſchlugen ſich un-
ſerer bey fuͤnfftzig zuſammen/ der Meynung/ unſern
Weg in GOttes Nahmen durch Podoliam nacher
Teutſchland miteinander zu nehmen/ wir wurden
aber nicht gar zwo Stund weit von der Statt von
etlichen Reuſſiſchen Reutern wieder eingeholt/ mit
dem Vorwand/ daß Jhr Zaariſche Majeſtaͤt ein
groß Mißfallen haͤtte/ daß wir uns frevelhaffter
Weis unterſtanden/ in ſo ſtarcker Anzahl ſich zu-
ſammen zu rotten/ und ohne Paß unſers Gefallens
Dero Land zu durchziehen/ mit fernerem Anhang/
daß Jhr Majeſtaͤt nicht unbefuͤgt waͤren/ uns unſers
groben Beginnens halber nach Syberien zu ſchicken.
Auff
[597]Fuͤnfftes Buch.
Auff demſelbigen Zuruͤckweg erfuhr ich/ wie mein
Handel beſchaffen war/ dann der jenige ſo den Trop-
pen Reuter fuhrte/ ſagte mir außtruͤcklich/ daß Jhr
Zaariſche Majeſtaͤt mich nicht auß dem Land laſſen
wuͤrden/ ſein treuhertziger Rath waͤre/ ich ſolte
mich nach Dero Allergnaͤdigſtem Willen accommo-
diren/ mich zu ihrer Religion verfuͤgen/ und wie
der Obrige gethan/ ein ſolch anſehenlich Adelich
Gut nicht verachten/ mit Verſicherung/ wo ich
dieſes außſchlagen/ und bey ihnen nicht als ein Herꝛ
leben wolte/ daß ich wider meinen Willen als ein
Knecht dienen muͤſte; Und wuͤrden auch Jhr Zaari-
ſche Majeſtaͤt nicht zu verdencken ſeyn/ daß Sie ei-
nen ſolchen wol-erfahrnen Mann/ wie mich der offt-
gemeldte Obriſte beſchaffen zu ſeyn beſchrieben/ nicht
auß dem Land laſſen wolten. Jch verꝛingerte mich
hierauff/ und ſagte: Der Herꝛ Obriſte wuͤrde mir
vielleicht mehr Kuͤnſte/ Tugend und Wiſſenſchaff-
ten zugeſchrieben haben/ als ich vermoͤchte; zwar
waͤre ich darumb ins Land kommen/ Jhrer Zaari-
ſchen Majeſtaͤt und der Loͤblichen Reuſſiſchen Na-
tion/ auch mit Darſetzung meines Bluts/ wider
Dero Feinde zu dienen/ daß ich aber meine Religion
aͤndern ſolte/ koͤnte ich mich noch nicht entſchlieſſen/
wofern ich aber in einigerley Weg Jhrer Zaariſchen
Majeſtaͤt ohne Beſchwerung meines Gewiſſens
wuͤrde dienen koͤnnen/ wuͤrde ich an meinem aͤuſſer-
ſten Vermoͤgen nichts erwinden laſſen.
Jch wurde von den andern abgeſondert/ und
zu einem Kauffherꝛn logirt/ allwo ich nunmehr of-
fentlich verwacht/ hingegen aber taͤglich mit herꝛli-
chen
[598]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
chen Speiſen und koͤſtlichem Getraͤnck von Hof auß
verſehen wurde; hatte auch taͤglich Leut die mir zu-
ſprachen/ und mich hin und wieder zu Gaſt luden/
ſonderlich war einer/ dem ich ohne Zweiffel inſon-
derheit befohlen war (ein ſchlauer Mann) der unter-
hielte mich taͤglich mit freundlichem Geſpraͤch/ denn
ich konte ſchon zimlich Reuſſiſch reden/ dieſer diſcu-
rirte mehrentheils mit mir von allerhand Mechani-
ſchen Kuͤnſten/ item von Kriegs- und andern Ma-
chinen/ vom Fortification-Weſen/ und der Artol-
lerey, \&c. zuletzt als er unterſchiedlich mal auff den
Buſch geklopfft/ umb zu vernehmen/ ob ich mich
endlich nicht ihres Zaaren Intention nach bequemen
wolte/ und keine Hoffnung faſſen konte/ daß ich
mich im geringſten aͤndern wuͤrde/ begehrte er/ wenn
ich ja nicht Reuſſiſch werden wolte/ ſo ſolte ich doch
dem Groſſen Zaar zu Ehren/ ihrer Nation etwas
von meinen Wiſſenſchafften communiciren und mit-
theilen/ ihr Zaar wuͤrde meine Willfaͤhrigkeit mit
hohen Kaͤiſerlichen Gnaden erkennen; Darauff ant-
wortet ich/ meine Affection waͤre jederzeit dahin
geſtanden/ Jhrer Zaariſchen Majeſtaͤt underthaͤ-
nigſt zu dienen/ maſſen ich zu ſolchem Ende in Dero
Land kommen waͤre/ ſeye auch noch ſolcher geſtalt
intentionirt/ wiewol ich ſehe/ daß man mich gleich-
ſam wie einen Gefangenen auffhalte: Ey nicht ſo
Herꝛ/ antwortet er/ ihr ſeyt nicht gefangen/ ſon-
dern Jhr Zaariſche Majeſtaͤt lieben euch ſo hoch/ daß
Sie eurer Perſon ſchier nicht wiſſen zu entberen;
Warum (ſagte ich) werde ich dann verwacht?
darum/ antwortet er/ weil Jhr Zaariſche Majeſtaͤt
beſor-
[599]Fũnfftes Buch.
beſorgen/ es moͤchte euch etwas Leyds wider-
fahren.
Als er nun meine Offerten verſtunde/ ſagte er/
daß Jhr Zaariſche Majeſtaͤt Allergnaͤdigſt bedacht
waͤren/ in Dero Landen ſelber Salpeter graben/
und Pulver zurichten zu laſſen/ weil aber niemand
unter ihnen waͤre/ der damit umbgehen koͤnte/ wuͤr-
de ich der Zaariſchen Majeſtåt einen angenehmen
Dienſt erweiſen/ wann ich mich deß Wercks un-
terſienge/ Sie wuͤrden mir hierzu Leute und Mittel
genug an die Hand ſchaffen/ und er vor ſeine Per-
ſon wolte mich auffs treuhertzigſte gebetten haben/
ich wolte ſolches Allergnaͤdigſtes Angeſinnen nicht
abſchlagen/ dieweilen ſie bereits genugſame Nach-
richt haͤtten/ daß ich mich auff dieſe Sachen treff-
lich wol verſtuͤnde. Darauff antwortet ich/ Herꝛ/
ich ſage vor wie nach/ wann der Zaariſchen Ma-
jeſtaͤt ich in etwas dienen kan/ auſſer daß Sie gnaͤ-
digſt geruhen/ mich in meiner Religion paſſiren zu
laſſen/ ſo werde ich an meinem Fleiß nichts erwin-
den laſſen. Hierauff wurde dieſer Reuß (welcher
einer von den vornehmſten Kneſen war) trefflich lu-
ſtig/ alſo daß er mir mit dem Trunck mehr zuſprach/
als ein Teutſcher.
Den andern Tag kamen vom Zaar zween Kne-
ſen und ein Dolmetſch/ die ein endliches mit mir
beſchloſſen/ und von wegen deß Zaaren mir ein koͤſt-
liches Reuſſiſches Kleid verehrten. Alſo fienge ich
gleich etliche Tag hernach an Salpeter-Erde zu
ſuchen/ und die jenige Reuſſen/ ſo mir zugegeben
waren/ zu lernen/ wie ſie denſelben von der Erden
C cſepa-
[600]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
ſepariren und laͤutern ſolten/ und mithin verfertigte
ich die Abriß zu einer Pulver-Muͤhlen/ und lehrete
andere die Kohlen brennen/ daß wir alſo in gar kur-
tzer Zeit ſo wol deß beſten Buͤrſch- als deß groben
Stuͤck-Pulvers eine zimliche Quantitaͤt verfertig-
ten/ dann ich hatte Leut genug/ und darneben auch
meine ſonderbare Diener/ die mir auffwarten/
oder beſſer zu ſagen/ die mich huͤten und verwahren
ſolten.
Als ich mich nun ſo wol anlieſſe/ kam der viel-
gemeldte Obriſte zu mir/ in Reuſſiſchen Kleidern/
und mit vielen Dienern gantz praͤchtig auffgezogen/
ohne Zweiffel durch ſolche ſcheinbarliche Herꝛlich-
keit mich zu perſuadiren/ daß ich mich auch umbtauf-
fen laſſen ſolte; Aber ich wuſte wol/ daß die Kleider
auß deß Zaaren Kleider-Kaſten waren/ und ihm nur
angeliehen/ mir die Zaͤhne weiß zu machen/ weil
ſolches an dem Zaariſchen Hof der aller-gewoͤhn-
lichſte Brauch iſt.
Und damit der Leſer verſiehe/ wie es damit pfle-
get herzugehen/ will ich ein Exempel von mir ſelbſt
erzehlen: Jch war einsmals geſchaͤfftig auff den
Pulver-Muͤhlen/ die ich aufferhalb Moſcau an den
Fluß bauen laſſen/ Verordnung zu thun/ was der
ein und ander von meinen zugegebenen Leuten den-
ſelben und folgenden Tag vor Arbeit verꝛichten ſol-
te/ da wurde ohnverſehens Allarm, weilen ſich die
Tartarn bereits vier Meilen weit auff 100000.
Pferd ſtarck befanden/ das Land pluͤnderten/ und
alſo immerhin fort avancirten/ da muſten ich und
meine Leut ſich alſobalden nach Hof begeben/ all-
wo
[601]Fuͤnfftes Buch.
wo wir auß deß Zaaren Ruͤſt-Kammer und Mar-
ſtall mondirt wurden; Jch zwar wurde an ſtatt deß
Kuͤriß mit einem geſteppten ſeidenen Pantzer ange-
than/ welcher einen jeden Pfeil auffhielte/ aber
vor keiner Kugel Schußfrey ſeyn konte/ Stieffel/
Sporen/ und ein Fuͤrſtliche Hauptzierde mit einem
Reigerbuſch/ ſampt einem Sebel der Haar ſchur/
mir lauter Gold beſchlagen/ und mit Edelgeſteinen
verſetzt/ wurden mir dargeben/ und von deß Zaa-
ren Pferden ein ſolches untergezogen/ dergleichen
ich zuvor mein Lebtag keins geſehen/ geſchweige be-
ritten; ich und das Pferdgezeug glaͤntzten von Gold/
Silber/ Edelgeſteinen und Perlen/ ich hatte einen
ſtaͤhlernen Streitkolben anhangen/ der glitzerte wie
ein Spiegel/ und war ſo wol gemacht und ſo ge-
wichtig/ daß ich einen jeden dem ich eins damit ver-
ſetzte/ gar leicht todt ſchlug/ alſo daß der Zaar
ſelbſt beſſer mondirt daher nicht reuten koͤnnen/ mir
folgte ein weiſſer Fahnen mit einem doppelten Ad-
ler/ welchem von allen Orten und Winckeln gleich-
ſam Volck zuſchnye/ alſo daß wir ehe zwey Stund
vergiengen/ bey viertzig- und nach vier Stunden
bey ſechtzigtauſend Pferd ſtarck waren/ mit welchen
wir gegen den Tartarn fort ruckten; Jch hatte alle
Viertelſtund neue muͤndliche Ordre von dem Groß-
Fuͤrſten/ die nichts anders in ſich hielten/ als: Jch
ſolte mich heut als ein Soldat erzeigen/ weil
ich mich vor einen außgegeben/ damit Seine
Majeſtaͤt mich auch vor einen halten und er-
kennen koͤnten: All Augenblick vermehrte ſich
unſer Hauff beydes von Kleinen und Groſſen/ ſo
C c ijTrop-
[602]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
Troppen als Perſonen/ und ich konte doch in ſol-
cher Eyl keinen einigen erkennen/ der das gantze
Corpus commandiren/ und die Battaglia anordnen
ſolte.
Jch mag eben nicht alles erzehlen/ dann es iſt
meiner Hiſtori an dieſem Treffen nicht viel gelegen;
ich will allein diß ſagen/ daß wir die Tartarn/ ſo
mit muͤden Pferden und vielen Beuten beladen/ ur-
ploͤtzlich in einem Thal oder zimlich tieffen Gelaͤnd
antraffen/ als ſie ſich deſſen am allerwenigſten ver-
ſahen/ und von allen Orten mit ſolcher Furi darein
giengen/ daß wir ſie gleich im erſten Anfang trenn-
ten; Jm erſten Angriff ſagte ich zu meinen Nach-
folgern auff Reuſſiſche Sprach: Nun wolan/ es
thue jeder wie ich! Solches ſchryen ſie einan-
der alle zu/ und damit rennete ich mit verhaͤngtem
Zaum an die Feinde/ und ſchlug dem erſten den ich
antraff/ welcher ein Mirſa war/ den Kopff ent-
zwey/ alſo daß ſein Hirn an meinem ſtaͤhlernen
Kolben haͤngen bliebe. Die Reuſſen folgten meinem
heroiſchen Exempel/ ſo daß die Tartarn ihren An-
griff nicht erleiden mochten/ ſondern ſich in eine
allgemeine Flucht wendeten: Jch thaͤt wie ein Ra-
ſender/ oder vielmehr wie einer der auß Deſperation
den Todt ſuchte/ und nicht finden kan; Jch ſchlug
alles nider was mir vorkam/ es waͤre gleich Tartar
oder Reuß geweſen. Und die ſo vom Zaaren auff
mich beſtellt waren/ trangen mir ſo fleiſſig nach/
daß ich allezeit einen ſichern Rucken behielte/ der
Lufft flog ſo voller Pfeil/ als wann Jmmen oder
Bienen geſchwermt haͤtten/ worvon mir dann einer
in
[603]Fuͤnfftes Buch.
in Arm zu theil wurde/ dann ich hatte meine Ermel
hinderſich geſtreifft/ damit ich mit meinem Sebel
und Streit-Kolben deſto unverhinderlicher metzlen
und todt ſchlagen koͤnte. Ehe ich den Pfeil auff-
fienge/ lachte mirs Hertz in meinem Leib an ſolcher
Blutvergieſſung/ da ich aber mein eigen Blut flieſ-
ſen ſahe/ verkehrte ſich das Lachen in eine unſinnige
Wuth. Demnach ſich aber dieſe grimmige Feinde
in eine hauptſaͤchliche Flucht wendeten/ wurde mir
von etlichen Kneſen im Nahmen deß Zaarn befoh-
len/ ihrem Kaͤiſer die Bottſchafft zu bringen/ was
geſtalt die Tartarn uͤberwunden; Alſo kehrete ich
auff ihr Wort zuruͤck/ und hatte obngefaͤhr hun-
dert Pferd zur Nachfolg. Jch ritte durch die Statt
der Zaariſchen Wohnung zu/ und wurde von al-
len Menſchen mit Frolocken und Gluͤckwuͤnſchung
empfangen/ ſo bald ich aber von dem Treffen Rela-
tion gethan hatte/ ob zwar der Groß-Fuͤrſt von al-
lem Verlauff ſchon Nachricht hatte/ muſte ich mei-
ne Fuͤrſtliche Kleider wieder ablegen/ welche wie-
derum in deß Zaaren Kleider-Behaltnus auffgeha-
ben wurden/ wiewol ſie ſampt dem Pferd-Gezeug
uͤber und uͤber mit Blut beſprengt und beſudelt/ und
alſo faſt gar zu nichte gemacht waren/ und ich al-
ſo nicht anders vermeynt haͤtte/ weil ich mich ſo
ritterlich in dieſem Treffen gehalten/ ſie ſolten mir
zum wenigſten ſampt dem Pferd zum Recompens
uͤberlaſſen worden ſeyn: Konte demnach hierauß
wol abnehmen/ wie es mit der Reuſſen Kleider-
Pracht beſchaffen/ deren ſich mein Obriſter bedient/
weil es lauter gelehnte Wahr iſt/ die dem Zaaren/
C c iijwie
[604]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
wie auch alle andere Sachen in gantz Reuſſen/ allein
zuſtaͤndig.
DasXXII.Capitel.
SO lang meine Wunde zu heilen hatte/ wurde
ich allerdings Fuͤrſtlich tractirt, ich gieng alle-
zeit in einem Schlaff-beltz von guͤldenem Stuͤck mit
Zobeln gefuͤttert/ wiewol der Schad weder toͤdtlich
noch gefaͤhrlich war/ und ich hab die Tag meines
Lebens niemals keiner ſolchen fetten Kuchen genoſſen
als eben damals; ſolches waren aber alle meine
Beuten/ die ich von meiner Arbeit hatte/ ohne das
Lob/ ſo mir der Zaar verlihe/ welches mir aber auß
Neid etlicher Kneſen verbittert wurde.
Als ich aber gaͤntzlich heil war/ wurde ich mit ei-
nem Schiff die Walga hinunter nach Aſtrachan ge-
ſchickt/ daſelbſten wie in der Moſcau ein Pulverma-
cherey anzuordnen/ weil dem Zaarn unmuͤglich war/
dieſelbe Grentz-Veſtungen allezeit von Moſcau auß
mit friſchem und gerechtem Pulver/ das man einen
ſo weiten Weg auff dem Waſſer durch viel Gefaͤhr-
ligkeit hinfuͤhren muſte/ zu verſehen; Jch lieſſe mich
gern gebrauchen/ weil ich Promeſſen hatte/ der
Zaar wuͤrde mich nach Verꝛichtung ſolches Ge-
ſchaͤffts wiederumb in Holland fertigen/ und mir ſei-
ner Hochheit/ und meinen Verdienſten gemaͤß/ ein
namhafftes Stuͤck Geld mitgeben; Aber ach! wañ
wir in unſeren Hoffnungen und gemachten conce-
pten am allerſicherſten und gewiſſeſten zu ſtehen ver-
meinen/ ſo kompt unverſehens ein Wind der allen
Bettel
[605]Fuͤnfftes Buch.
Bettel auff einmal uͤbern hauffen wehet/ waran wir
ſo lange Zeit gebauet: Der Gubernator in Aſtrachan
tractirte mich wie ſeinen Zaarn/ und ich ſtellt alles
in Kuͤrtze auff einen guten Fuß/ ſeine verlegene Mu-
nition, die allerdings faul und verſport war/ und kei-
nen Effect mehr thun konte/ goſſe ich gleichſam wi-
der von neuem umb/ wie ein Spengler auß dem al-
ten-neue zinnerne Leffel macht/ ſo bey den Reuſſen
damals ein unerhoͤrtes Ding war/ weßwegen und
anderer Wiſſenſchafften mehr mich dann theils vor
einen Zauberer/ andere vor einen neuen Heiligen oder
Propheten: und aber andere vor einen andern Em-
pedoclem oder Gorgiam Leontinum hielten; Als ich
aber im beſten Thun war/ und mich auſſerhalb der
Veſtung uͤber Nacht in einer Pulvermuͤhl befande/
wurde ich von einer Schaar Tartarn diebiſch[er]
weiß geſtohlen und auffgehoben/ welche mich fampt
andern mehr/ ſo weit in ihr Land hinein fuͤhrten/ daß
ich auch das Schafgewaͤchs Borametz nicht allein
wachſen ſehen konte/ ſondern auch darvon eſſen
dorffte; dieſe vertauſchten mich mit den Niuchiſchen
Tartarn/ umb etliche Chineſiſche Kauffmanns-
Wahren/ welche mich hernach dem Koͤnig in Corea,
mit welchem ſie eben Stillſtand der Waffen ge-
macht hatten/ vor ein ſonderbares Præſent verehr-
ten/ daſelbſt wurde ich werth gehalten/ weil keiner
meines gleichen in Duſecken ſich finden lieſſe/ und ich
den Koͤnig lernete/ wie er mit dem Rohr auff der
Achſel ligend/ und den Rucken gegen der Scheiben
kehrende/ dannoch das ſchwartze treffen koͤnde/ weß-
wegen er mir dann auch auff mein unterthaͤnigs an-
C c jvhalten
[606]Deß Abenth.Simpliciſſimi
halten die Freyheit wieder ſchenckte/ und mich durch
Japonia nach Macao zu den Portugeſen gefertigt/
die aber meiner wenig achteten/ gieng derowegen
bey ihnen herumb/ wie ein Schaf das ſich von ſeiner
Heerde verirꝛet/ biß ich endlich wunderbarlicher
weiß von etlichen Tuͤrckiſchen oder Mahometaniſchẽ
Meer-Raubern gefangen/ und (nach dem ſie mich
wol ein gantzes Jahr auff dem Meer bey ſeltzamen
frembden Voͤlckern/ ſo die Oſt-Jndianiſche Jnſulen
bewohnen/ herumb geſchleppt) von denſelben etli-
chen Kauff Leuten von Alexandria in Egypten ver-
handelt wurde/ dieſelbe namen mich mit ihren Kauff-
manns-Wahren mit ſich nach Conſtantinopel/ und
weil der Tuͤrckiſche Kaͤiſer/ eben damaln etliche Gal-
leren wider die Venediger außruͤſtete/ und Mangel
an Ruderern erſchiene/ muſten viel Tuͤrckiſche Kauff-
leut ihre Chriſtliche Sclaven jedoch umb bahre Be-
zahlung/ hergeben/ warunder ich mich dann/ als
ein junger ſtarcker Kerl auch befande/ alſo muſte ich
lernen rudern/ aber ſolche ſchwere Dienſtbarkeit
wehret nicht uͤber zween Monat/ dann unſere Galle-
ra wurde in Levante von den Venetianern Ritterlich
uͤbermannet/ und ich ſampt allen meinen Geſpanen
auß der Tuͤrcken Gewalt erledigt/ als nun befagte
Gallera zu Venedig mit reicher Beut und etlichen
vornehmen Tuͤrckiſchen Gefangnen auffgebracht
wurde/ war ich auff freyen Fuß geſtellt/ weil ich
nach Rom und Loreta Pilgersweiß wolte/ ſelbige
Oreter zu beſchauen/ und Gott umb meine Erledi-
gung zu dancken/ zu ſolchem Ende bekam ich gar
leichtlich einen Paß/ und von ehrlichen Leuten/ ſon-
derlich
[607]Fuͤnfftes Buch.
derlich etlichen Teutſchen/ eine zimliche Steur/ alſo
daß ich mich mit einem langen Pilger verſehen und
meine Raͤiß antretten koͤnte.
Demnach begab ich mich den nechſten Weg auff
Rom/ allwo mirs trefflich zuſchlug/ weil ich beydes
von Groſſen und Kleinen viel erbettelte/ und nach
dem ich mich ungefehr 6. Wochen daſelbſt auffge-
halten/ name ich meinen Weg mit andern Pilgern
darunter auch Teutſche/ und ſonderlich etliche
Schweitzer waren/ die wieder nach Hauß wolten/
auff Loreta; von dannen kam ich uͤber den Gottart
durchs Schweitzerland wider auff den Schwartz-
wald zu meinem Knan/ welcher meinen Hof be-
wahrt/ und drachte nichts beſonders mit beim/ als
einen Bart/ der mir in der Frembde gewachſen
war.
Jch war drey Jahr und etlich Monat auß gewe-
ſen/ in welcher Zeit ich etliche unterſchiedliche Meer
uͤberfahren/ und vielerley Voͤlcker geſehen/ aber bey
denenſelben gemeiniglich mehr boͤſes als gutes em-
pfangen/ von welchem allem ein groſſes Buch zu
ſchreiben waͤre; Jn deſſen war der Teutſche Fried
geſchloſſen worden/ alſo daß ich bey meinem Knan
in ficherer Ruhe leben konte/ denſelben lieſſe ich ſor-
gen und hauſen/ ich aber ſetzte mich wieder hinder
die Buͤcher/ welchzs dann beydes meine Arbeit und
Ergoͤzung war.
DasXXIII.Capitel.
JCh laſe einsmals/ was maſſen das Oraculum A-
pollinis den Roͤmiſchen Abgeſandten/ als ſie
C c vfrag-
[608]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
fragten was ſie thun muͤſten/ damit ihre Unteꝛthanen
friedlich regirt wuͤrden/ zur Antwort geben/ Noſce
teipſum, das iſt/ es ſollte ſich jeder ſelbſt erkennen:
Solches machte daß ich mich hinderſonne/ und von
mir ſelbſt Rechnung uͤber mein gefuͤhrtes Leben be-
gehrte/ weil ich ohne das muͤſſig war/ da ſagte ich
zu mir ſelber/ dein Leben iſt kein Leben geweſen/ ſon-
dern ein Todt; deine Tage ein ſchwerer Schatten/
deine Jahr ein ſchwerer Traum/ deine Wolluͤſt
ſchwere Suͤnden/ deine Jugend eine Phantaſey/ und
deine Wolfahrt ein Alchimiſten Schatz/ der zum
Schornſtein hinauß faͤhrt/ und dich verlaͤſt/ ehe du
dich deſſen verſiheſt! du biſt durch viel Gefaͤhrlig-
keiten dem Krieg nachgezogen/ und haſt in dem ſelbi-
gen viel Gluͤck und Ungluͤck eingenommen/ biſt bald
hoch bald nider/ bald groß bald klein/ bald reich bald
arm/ bald froͤlich bald betruͤbt/ bald beliebt bald ver-
haßt/ bald geehrt und bald veracht geweſen: Aber
nun du O mein arme Seel was haſtu von dieſer gan-
tzen Raͤiß zu wegen gebracht? diß haſt du gewon-
nen: Jch bin arm an Gut/ mein Hertz iſt beſchwerdt
mit Sorgen/ zu allem guten bin ich faul/ traͤg und
verderbt/ und was das allerelendeſte/ ſo iſt mein Ge-
wiſſen aͤngſtig und beſchwert/ du ſelbſten aber biſt
mit vielen Suͤnden uͤberhaͤufft und abſcheulich beſu-
delt! der Leib iſt muͤd/ der Verſtand verwirꝛet/ die
Unſchuld iſt hin/ mein beſte Jugend verſchliſſen/ die
edle Zeit verlohren/ nichts iſt das mich erfreuet/
und uͤber diß alles/ bin ich mir ſelber feind; Als ich
nach meines Vattern ſeeligen Todt in dieſe Welt
lam/ da war ich einfaͤltig und rein/ auffrecht und
redlich
[609]Fuͤnfftes Buch.
redlich/ warhafftig/ demuͤtig/ eingezogen/ maͤſ-
ſig/ keuſch/ ſchamhafftig/ fromm und andaͤch-
tig; bin aber bald boßhafftig/ falſch/ verlogen/
hoffaͤrtig/ unruhig/ und uͤberall gantz gottlos woꝛ-
den/ welche Laſter ich alle ohne einen Lehrmeiſter
gelernet; Jch nam meine Ehr in acht/ nicht ihrer
ſelbſt/ ſondern meiner Erhoͤhung wegen; Jch beob-
achtet die Zeit/ nicht ſolche zu meiner Seeligkeit wol
anzulegen/ ſondern meinem Leib zu nutz zu machen;
Jch hab mein Leben vielmal in Gefahr geben/ und
hab mich doch niemal befliſſen ſolches zu beſſern/ da-
mit ich auch getroſt und ſeelig ſterben koͤnte; Jch ſahe
nur auff das gegenwaͤrtige und meinen zeitlichen
Nutz/ und gedachte nicht einmal an das kuͤnfftige/
viel weniger/ daß ich dermaleins vor Gottes Ange-
ſicht muͤſte Rechenſchafft geben! Mit ſolchen Ge-
dancken quaͤlte ich mich taͤglich/ und eben damals
kamen mir etliche Schrifften deß Queva[r]æ unter die
Haͤnde/ darvon ich etwas hieher ſetzen muß/ weil ſie
ſo kraͤfftig waren/ mir die Welt vollends zu erleiden.
Dieſe lauteten alſo:
DasXXIV.Capitel.
ADjeu Welt/ dann auff dich iſt nicht zu trauen/
noch von dir nichts zu hoffen/ in deinem Hauß
iſt das vergangene ſchon verſchwunden/ das gegen-
waͤrtige verſchwindet uns unter den Haͤnden/ das
zukuͤnfftige hat nie angefangen/ das aller-beſtaͤndig-
ſte faͤllt/ das aller-ſtaͤrckſte zerbricht/ und das aller-
ewigſte nimmt ein End; alſo/ daß du ein Todter biſt
C c vjunter
[610]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
unter den Todten/ und in hundert Jahren laͤſtu uns
nicht eine Stund lebene
Adjeu Welt/ denn du nimmſt uns gefangen/ und
laͤſt uns nicht wieder ledig/ du bindeſt uns/ und loͤſeſt
uns nicht wieder auff; du betruͤbeſt/ und troͤſteſt nit/
du raubeſt/ und gibeſt nichts wieder/ du verklageſt
uns/ und haſt keine Urſach/ du verurtheileſt/ und
hoͤreſt keine Partey; Alſo daß du uns toͤdteſt ohne
Urtheil/ und begraͤbeſt uns ohne Sterben! Bey dir
iſt keine Freud ohne Kummer/ kein Fried ohne Unei-
nigkeit/ keine Lieb ohne Argwohn/ keine Ruhe ohne
Forcht/ keine Fuͤlle ohne Maͤngel/ keine Ehr ohne
Mackel/ kein Gut ohne boͤß Gewiſſen/ kein Stand
ohne Klag/ und keine Freundſchafft ohne Falſch-
heit.
Adjeu Welt/ dann in deinem Pallaſt verheiſſet
man ohne Willen zu geben/ man dienet ohne bezah-
len/ man liebkoſet/ umb zu toͤdten/ man erhoͤhet/
umb zu ſtuͤrtzen/ man hilfft/ umb zu faͤllen/ man
ehret/ umb zu ſchaͤnden/ man entlehnet/ umb nicht
wieder zu geben/ man ſtrafft/ ohne verzeyhen.
Behuͤt dich GOtt Welt/ dann in deinem Hauß
werden die groſſe Herꝛen und Favoriten geſtuͤrtzt/ die
Unwuͤrdige herfuͤr gezogen/ die Verꝛaͤther mit Gna-
den angeſehen/ die Getreue in Winckel geſtellt/ die
Boßhafftige ledig gelaſſen/ und die Unſchuldige ver-
urtheilt/ den Weiſen und Qualificirten gibt man Ur-
laub/ und den Ungeſchickten groſſe Beſoldung/ den
Hinderliſtigen wird geglaubt/ und die Auffrichtige
und Redliche haben keinen Credit, ein jeder thut was
er will/ und keiner was er thun ſoll.
Adjeu
[611]Fuͤnfftes Buch.
Adjeu Welt/ dann in dir wird niemand mit ſei-
nem rechten Nahmen genennet/ den Vermeſſenen
nennet man kuͤhn/ den Verzagten fuͤrſichtig/ den Un-
geſtümmen embſig/ und den Nachlaͤſſigen friedſam;
Einen Verſchwender nennet man herꝛlich/ und einen
Kargen eingezogen; einen hinderliſtigen Schwaͤtzer
und Plauderer nennet man beredt/ und den Stillen
einen Narꝛn oder Phantaſten; einen Ehebrecher
und Jungfrauen-ſchaͤnder nennet man einen Buler;
einen Unflat nennet man einen Hofmann/ einen
Rachgierigen nennet man einen Eyferigen/ und einen
Sanfftmuͤtigen einen Phantaſten/ alſo daß du uns
das giebige vor das ungiebige/ und das ungiebige
vor das giebige verkauffeſt.
Adjeu Welt/ dann du verfuͤhreſt jederman/ den
Ehrgeitzigen verheiſſeſt du Ehr/ den Unruhigen Ver-
aͤnderung/ den Hochtragenden Gnad bey Fuͤrſten/
den Nachlaͤſſigen Aempter/ den Geitzhaͤlſen viel
Schaͤtze/ den Freſſern und Unkeuſchen Freude und
Wolluſt/ den Feinden Rach/ den Dieben Heimlich-
keit/ den Jungen langes Leben/ und den Favoriten
verheiſſeſtu beſtaͤndige Fuͤrſtliche Huld.
Adjeu Welt/ dann in deinem Pallaſt findet weder
Warheit noch Treu ihre Herberg! wer mit dir redet
wird verſchamt/ wer dir traut wird betrogen/ wer
dir folgt wird verfuͤhrt/ wer dich foͤrchtet wird am
aller-uͤbelſten gehalten/ wer dich liebt wird übel be-
lohnt/ und wer ſich am allermeiſten auff dich verlaͤſt/
wird auch am allermeiſten zu ſchanden gemacht; an
dir hilfft kein Geſchenck ſo man dir gibt/ kein Dienſt
ſo man dir erweiſt/ keine liebliche Wort ſo man dir
C c vijzu-
[612]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
zuredet/ kein Treu ſo man dir haͤlt/ und keine Freund-
ſchafft ſo man dir erzeigt/ ſondern du betrengſt/ ſtuͤr-
tzeſt/ ſchaͤndeſt/ beſudelſt/ droheſt/ verzehreſt und
vergiſt jederman; dannenhero weynet/ ſeufftzet/
jammert/ klaget und verdirbt jederman/ und jeder-
man nimmt ein End; bey dir ſihet und lernet man
nichts/ als einander haſſen biß zum wuͤrgen/ reden
biß zum luͤgen/ lieben biß zum verzweiffeln/ handlen
biß zum ſtehlen/ bitten biß zum betruͤgen/ und ſuͤndi-
gen biß zum ſterben.
Behuͤt dich GOtt Welt/ dann dieweil man dir
nachgehet/ verzehret man die Zeit in Vergeſſenheit/
die Jugend mit rennen/ lauffen und ſpringen uͤber
Zaun und Stiege/ uͤber Weg und Steg/ uͤber Berg
und Thal/ durch Wald und Wildnus/ uͤber See
und Waſſer/ in Regen und Schnee/ in Hitz und
Kaͤlt/ in Wind und Ungewitter; die Mannheit wird
verzehrt mit Ertz ſchneiden und ſchmeltzen/ mit Stein
hauen und ſchneiden/ hacken und zimmern/ pflan-
tzen und bauen/ in Gedancken dichten und trachten/
in Rathſchlaͤgen ordnen/ Sorgen und Klagen/ in
Kauffen und Verkauffen/ Zancken/ Hadern/ Krie-
gen/ Luͤgen und Betruͤgen; Das Alter verzehrt man
in Jammer und Elend/ der Geiſt wird ſchwach/ der
Athem ſchmeckend/ das Angeſicht runtzlicht/ die
Laͤnge krumm/ und die Augen werden dunckel/ die
Glieder zittern/ die Naſe trtefft/ der Kopffwird kahl/
das Gehoͤr verfaͤllt/ der Geruch verliert ſich/ der Ge-
ſchmack geht hinweg/ er ſeuffzet und achzet/ iſt faul
und ſchwach/ und hat in Summa nichts als Muͤhe
und Arbeit biß in Todt.
Adjeu
[613]Fuͤnfftes Buch.
Adjeu Welt/ dann niemand will in dir from̃ ſeyn/
taͤglich richtet man die Moͤrder/ viertheilt die Ver-
raͤther/ hencket die Dieb/ Straſſenraͤuber und Frey-
beuter/ koͤpfft Todtſchlaͤger/ verbrennt Zauberer/
ſtrafft Meineydige/ und verjagt Auffruͤhrer.
Behuͤt dich GOtt Welt/ dann deine Diener haben
kein andere Arbeit noch Kurtzweil/ als faullentzen/
einander vexieren und außrichten/ den Jungfrauen
hofieren/ den ſchoͤnen Frauen auffwarten/ mit den-
ſelben liebaͤuglen/ mit Wuͤrffeln und Karten ſpielen/
mit Kupplern tractiren/ mit den Nachbarn kriegen/
neue Zeitungen erzehlen/ neue Fuͤnd erdencken/ mit
dem Judenſpieß rennen/ neue Trachten erſinnen/ neue
Liſt auffbringen/ und neue Laſter einfuͤhren.
Adjeu Welt/ dann niemand iſt mit dir content
oder zu frieden/ iſt er arm/ ſo will er haben; iſt er
reich/ ſo will er viel gelten; iſt er veracht/ ſo will er
hoch ſteigen; iſt er injurirt/ ſo will er ſich raͤchen; iſt
er in Gnaden/ ſo will er viel gebieten; iſt er laſterhaff-
tig/ ſo will er nur bey gutem Muth ſeyn.
Adjeu Welt/ dann bey dir iſt nichts beſtaͤndiges/
die hohe Thuͤrn werden vom Blitz erſchlagen/ die
Muͤhlen vom Waſſer weg gefuͤhrt/ das Holtz wird
von den Wuͤrmen/ das Korn von Maͤuſen/ die Fruͤch-
ten von Raupen/ und die Kleider von Schaben ge-
freſſen/ das Viehe verdirbt vor Alter/ und der arme
Menſch vor Kranckheit: Der eine hat den Grind/
der ander den Krebs/ der dritte den Wolff/ der vierte
die Frantzoſen/ der fuͤnffte das Podagram/ der
ſechſte die Gicht/ der ſiebende die Waſſerſucht/ der
achte den Stein/ der neunte das Grieß/ der zehende
die
[614]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
die Lungenſucht/ der eylffte das Fieber/ der zwoͤlffte
den Außſatz/ der dreyzehende das Hinfallen/ und
der vierzehende die Thorheit! Jn dir ô Welt/ thut
nicht einer was der ander thut/ dann wann einer wey-
net/ ſo lacht der ander/ einer ſeufftzet/ der ander iſt
froͤlich; einer faſtet/ der ander zechet; einer banque-
tirt/ der ander leidet Hunger; einer reutet/ der ander
gehet; einer redt/ der ander ſchweigt; einer ſpielet/
der ander arbeitet; und wann der eine geboꝛen wird/
ſo ſtirbt der ander. Alſo lebt auch nicht einer wie der
ander/ der eine herꝛſchet/ der ander dienet; einer wey-
det die Menſchen/ ein anderer huͤtet der Schwein;
einer folgt dem Hof/ der ander dem Pflug; einer raͤiſt
auff dem Meer/ der ander faͤhrt uͤber Land auff die
Jahr- und Wochen-Maͤrckt; einer arbeit im Feur/
der ander in der Erde/ einer fiſcht im Waſſer/ und
der ander faͤngt Voͤgel in der Lufft/ einer arbeitet
haͤrtiglich/ und der ander ſtilet und beraubet das
Land.
O Welt behuͤt dich GOTT/ dann in deinem
Hauß fuͤhret man weder ein heilig Leben/ noch einen
gleichmaͤſſigen Todt/ der eine ſtirbt in der Wiegen/
der ander in der Jugend auff dem Bett/ der dritte am
Strick/ der vierte am Schwerd/ der fuͤnffte auff dem
Rad/ der ſechſte auff dem Scheiterhauffen/ der ſieben-
de im Weinglas/ der achte in einem Waſſerfluß/
der neunte erſtickt im Freß-Hafen/ der zehende er-
worgt am Gifft/ der eylffte ſtirbt gaͤhling/ der zwoͤlff-
te in einer Schlacht/ der dreyzehende durch Zaube-
rey/ und der vierzehende ertraͤnckt ſeine arme Seel im
Dintenfaß.
Behuͤt
[615]Fuͤnfftes Buch.
Behuͤt dich Gott Welt/ dann mich verdreußt
deine Converſation, das Leben ſo du uns gibſt/ iſt ein
elende Pilgerfahrt/ ein unbeſtaͤndigs/ ungwiſſes/
hartes/ rauhes/ hinfluͤchtiges und unreines Leben/
voll Armſeeligkeit und Jrꝛthumb/ welches vielmehr
ein Tod als ein Leben zu nennen; in welchem wir
all Augenblick ſterben durch viel Gebrechen der Un-
beſtaͤndigkeit und durch mancherley Weg deß Tods!
du laͤſt dich der Bitterkeit deß Todes/ du laͤſt dich der
Bitterkeit nicht genuͤgen mit deren du umbgeben und
durch ſaltzen biſt/ ſondern betreugſt noch darzu die
meiſte mit deinem Schmeicheln/ Anreitzung und
falſchen Verheiſſungen/ du gibſt auß dem guldenen
Kelch/ den du in deiner Hand haſt/ Bitterkeit
und Falſchheit zutrincken/ und machſt ſie blind/
taub/ toll/ voll und ſinnloß/ ach wie wol denen/ die
dein Gemeinſchafft außſchlagen: deine ſchnelle au-
genblickliche hinfahrende Freud verachten/ dein Ge-
ſellſchafft verwerffen/ und nicht mit einer ſolchen
argliſtigen verlornen Betriegerin zu Grund gehen;
dann du macheſt auß uns einen finſtern Abgrund/ ein
elendes Erdreich/ ein Kind deß Zorus/ ein ſtincken,
des Aas/ ein unreines Geſchirꝛ in der Miſtgrub/ ein
Geſchirꝛ der Verweſung voller Geſtãck und Greuel/
dann wann du uns lang mit Schmeicheln/ liebko-
ſen/ traͤuen/ ſchlagen/ plagen/ martern und peinigen
umbgezogen und gequaͤlt haſt/ ſo uͤberantworteſt du
den außgemergelten Coͤrper dem Grab/ und ſetzeſt
die Seel in ein ungewiſſe Schantz. Dann obwol
nichts gewiſſers iſt als der Todt/ ſo iſt doch der
Menſch nicht verſichert/ wie/ wann und wo er ſter-
ben/ und (welches das erbaͤrmlichſte iſt) wo ſein
Seel
[616]Deß Abentheurl.Simpliciſſimi
Seel hinfahren/ und wie es derſelben ergehen wird:
Wehe aber alsdann der armen Seelen/ welche dir
O Welt/ hat gedienet/ gehorſambt und deinen Luͤ-
ſten und Uppigkeiten hat gefolgt/ dann nach dem ei-
ne ſolche ſuͤndige und unbekehrte arme Seel mit ei-
nem ſchnellen und unverſehenen Schrecken auß dem
armſeeligen Leib iſt geſchieden/ wird ſie nicht wie der
Leib im Leben mit Dienern und Befreundten umbge-
den ſeyn/ ſondern von der Schaar ihrer allergreu-
lichſten Feinde fuͤr den ſonderbahren Richterſiul
Chriſti gefuͤhrt werden; darumb O Welt behuͤt dich
Gott/ weil ich verſichert bin/ daß du dermal eins
von mir wirſt außſetzen und mich verlaſſen/ nicht al-
le in zwar/ wann mein arme Seel vor dem Angeſicht
deß ſtrengen Richters erſcheinen/ ſondern auch wañ
das allerſchroͤcklichſte Urtheil/ Gehet hin ihr Ver-
maledeyte ins ewige Feuer/ ꝛc. gefaͤllt und auß-
geſprochen wird.
Adjeu O Welt/ O ſchnoͤde arge Welt/ O ſtin-
ckendes elendes Fleiſch/ dann von deine[t]wegen und
umb daß man dir gefolget/ gedienet und gehorſamet
hat/ ſo wird der gottloß unbußfertig zur ewigen Ver-
damnus verurtheilt/ in welcher in Ewigkeit anders
nichts zu gewarten/ als an ſtatt der verbrachten
Freud/ Leid ohne Troſt/ an ſtatt deß zechens/ Durſt
ohne Labung/ an ſtatt deß freſſens/ Hunger ohne fuͤl-
le/ an ſtatt der Herꝛligkeit und Prachts/ Finſternuß
ohne Liecht; an ſtatt der Wolluͤſte/ Schmertzen oh-
ne Linderung/ an ſtatt deß dominirens und trium-
phirens/ heulen/ weinen und weheklagen ohne auff-
hoͤren/ Hitz ohne Kuͤhlung/ Feuer ohne Leſchung/
Kaͤlt ohne Maaß/ und Elend ohne End.
Behuͤt
[617]Fuͤnfftes Buch.
Behuͤt dich Gott O Welt/ dann an ſtatt deiner
verheiſſenen Freud und Wolluͤſte/ werden die boͤſe
Geiſter an die unbußfertige verdampte Seel Hand
anlegen/ und ſie in einem Augenblick in Abgrund der
Hoͤllen reiſſen/ daſelbſt wird ſie anders nichts ſehen
und hoͤren/ als lauter erſchroͤckliche Geſtalten der
Teuffel und Verdampten/ eitele Finſternuß und
Dampff/ Feuer ohne Glantz/ ſchreyen/ heulen/ Zaͤn-
klappern und Gottslaͤſtern; Alsdann iſt alle Hoff-
nung der Gnad und Milterung auß/ kein Anſehen
der Perſon iſt verhanhen/ je hoͤher einer geſtigen/ und
je ſchwerer einer geſuͤndiget/ je tieffer er wird ge-
ſtuͤrtzt/ und je haͤrtere Pein er muß leiden; dem viel
geben iſt/ von dem wird viel gefordert/ und je mehr
einer ſich bey dir/ O arge ſchnoͤde Welt! hat herꝛlich
gemacht/ je mehr ſchenckt man ihm Qual und Leiden
ein/ denn alſo erforderts die goͤttliche Gerechtigkeit.
Behuͤt dich Gott O Welt/ dañ obwol der Leib bey
dir ein Zeitlang in der Erden ligen bleibt und verfau-
let/ ſo wird er doch am juͤngſten Tag wider auffſtehn/
und nach dem letzten Urtheil mit der Seel ein ewiger
Hoͤllenbrand ſeyn muͤſſen; Alsdenn wird die arme
Seel ſagen: Verflucht ſeyſtu Welt! weil ich durch
dein Anſtifften Gottes und meiner ſelbſt vergeſſen/ und
dir in aller Uppigkeit/ Boßheit/ Suͤnd und Schand
die Tag meines Lebens gefolgt hab; verflucht ſey die
Stund/ in deren mich Gott erſchuff! verflucht ſey
der Tag/ darinn ich in dir O arge boͤſe Welt geboꝛn
bin! O ihr Berg/ Huͤgel und Felſen fallet auff mich/
und verbergt mich vor dem grim̃igen Zoꝛn deß Lam̃s/
vor dem Angeſicht deſſen/ der auff dem Stul ſitzet;
Ach Wehe und aber Wehe in Ewigkeit!
O Welt
[618]Deß Abenth.Simpl. V.Buch.
O Welt! du unreine Welt/ derhalben beſchwoͤre
ich dich/ ich bitte dich/ ich erſuche dich/ ich ermahne
und proteſtire wider dich/ du wolleſt kein Theil mehr
an mir haben; und hingegen begehre ich auch nicht
mehr in dich zu hoffen/ dann du weiſt/ daß ich mir hab
fuͤrgenommen/ nemlich dieſes: Poſui finem curis,
ſpes \& fortuna valete.
Alle dieſe Wort erwog ich mit Fleiß und ſtetigem
Nachdencken/ und bewogen mich dermaſſen/ daß ich
die Welt verlieſſe/ und wieder ein Einfidel ward:
Jch haͤtte gern bey meinem Saurbrunnen im Mucken-
loch gewohnt/ aber die Baurn in der Nachbarſchafft
wolten es nicht leiden/ wiewol es vor mich ein ange-
nehme Wildnus war; ſie beſorgten/ ich wuͤrde den
Brunnen verꝛathen/ und ihre Obrigkeit dahin ver-
moͤgen/ daß ſie wegen nunmehr erlangten Friedens
Weg und Steg darzu machen muͤſten. Begab mich
derhalben in eine andere Wildnus/ und fienge mein
Speſſerter Leben wieder an; ob ich aber wie mein
Vatter ſeel. biß an mein End darin verharꝛen werde/
ſtehet dahin. GOtt verleyhe uns allen ſeine Gnade/
daß wir alleſampt das jenige von ihm erlangen/
woran uns am meiſten gelegen/ nemlich
ein ſeeliges
ENDE.
[[619]][[620]][[621]][[622]][[623]][[624]][[625]][[626]]
- License
-
CC-BY-4.0
Link to license
- Citation Suggestion for this Edition
- TextGrid Repository (2025). Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von. Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bj1s.0