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Peiffer inni. del: Fritzsch Jeni: Sculqis:


Von allen Schmuck der gantzen Erde, Graß, Kraͤutern Bluhmen, Baͤum und Fruͤ[chte]
ſind Gaͤrten recht der Jnbegriff. Hier laͤßt ſich die Natur, wie ſchoͤn,
ſie, ſo in ihrer eignen Pracht, als mit der Kunſt Verſchwiſtert, ſehn.
Genieſsen wir ſie, Gott zum Preiſe; ſo handeln wir nach unſern Pflichten


[]
Jrdiſches
Vergnuͤgen

in
GOTT,
beſtehend
in Phyſicaliſch- und Moraliſchen
Gedichten.
Achter Theil.
Herausgegeben
von
B. H. B. jun.

Hamburg: , bey Chriſtian Herold.
1746.
[][]

All’
Altezza Riverendma Serenma
ed Elettorale

di
CLEMENTE
AUGUSTO

Arciveſcovo di Colonia
del Sacro Romano Imperio
Prencipe Elettore
Arci-Cancellario per l’Italia
\&c. \&c. \&c.

umilmente dedicato
dal
Autore.


[][]
Degno ch’ ogn’ un T’ incenſi,

ogn’ un T’inchini,

PRENCE, Onor diGerma-

nia e del Impero,

Soſtegno di ſua gloria, e ſuoi confini,

Il di cui ſgardo ardente, in occhio nero,

Uniſce Altezza e Amor, in dolci rai,

E ſpira Maeſtà dovunque vai.

* 3Deh!
[]
Deh! non ſdegnar della mia Muſa il dono,

Ch’ella, come al più degno, offrir Ti ardiſce!

Da Tua bontà gradita, anni gia ſono,

Ch’ attonita T’ honora e riveriſce.

Appena paſſa un’ hora, ed un momento,

In cui, del Tuo favor, non mi rammento.

Ah! ſe gli Grandi, al par di Te, Signore,

Con cuor clemente, e con benigno viſo

Guardaſſero le Muſe; or pien d’orrore,

Diventarebbe il mondo, un Paradiſo:

El’ huomo giungerebbe, à un gran ſapere,

L’ Arte d’eſſer felice, e di godere.

Che giova poſſeder Regni e teſori,

Se l’ inſenſibil Cuor ſempre altro brama,

E delle brame ſol, ſente gli ardori,

Mentre cio che poſſiede, egli non ama?

E una impoſſibiltà, ſ’altro non lice,

In queſta guiſa, mai, eſſer felice.

Di
[]
Di meraviglie e beni, il Mondo e pieno.

Per noſtri ſenſi, e ver, toccati ſiamo

D’ogni beltà, d’ogni piacer terreno;

Ma, per il penſier ſol, ci l’appropriamo.

Perche, d’ogni piacer, dunque privarvi,

Mortali, e d’ogni ben; nel non penſarvi?

Avezzo di cantar del GRAN SOVRANO

Le lodi, in Sue fatture, e le bell’ opre,

In cui l’ Onnipotente e ſaggia mano,

Per noſtro ben celandoſi, ſi ſcopre;

Diſcopro un raggio del Divino Amore,

Ch’ in contentarci, ſol, pone il Suo onore.

Biaſmar, chi ſtima il mondo; e grand errore.

Felice e quel, chi l’ ama, e chi ne gode.

Canta, godendo, un tal, del Gran Fattore

L’ Amor, la gloria e la poſſanza e lode.

S’Iddio fece il mondo e lo ſoſtenta;

Folle è, chi’l mondo e Dio, divider tenta.

* 4Or,
[]
Or, chi mai più di Te, Signor, godea

De beni di qua giù, ch’ il Ciel Ti diede!

Chi, di Te, più ſovente unir ſolea,

Nel Tuo gran Cuor, e contentezza e fede!

Gia che del Creatore, il mondo e’l tempio;

Di ben ſacrificar, ci dai l’ eſempio.

O! che non vidde in Te, la Patria mia,

Avendo la ventura ad inchinar Ti!

De’ Cittadini ogn’ un, ſe ſteſſo ubblia,

Per moſtrar il ſuo zelo, in ammirar Ti.

Vecchiezza e Gioventù ſi ſtancò à gara

D’elevar e lodar Virtù ſi rara.

E queſto dura ancor, come egli è giuſto:

Benche lontan; non ſei da noi diviſo.

Al Tuo gran Nome ſol, CLEMENTE AUGUSTO,

Gioia ſi moſtra ancor in ogni viſo.

Del ricevuto onor, ch’ ogn’ altro avanza,

Non perderemo mai la rimembranza.

Vivi
[]
Vivi felice! vivi! e regni, e godi,

Lodandone l’ Autor, piacer terreni!

Rimbombi Europa ognor delle Tue lodi!

Sol volgi il Ciel à Te, giorni Sereni!

Per noſtro ben, Ti dia Bontà ſovrana

L’oltima mèta della vita umana!

In Te ſuoi doni il Ciel voglia adunare!

Tanto di dispiacer baſti ch’ ingombra

Sol Tua felicità, quanto ſuol dare

Di luce e di rilievo, al Quadro, l’ombra!

A me conceſſo ſia, la Tua memoria

Al mondo conſervar, cantar Tua gloria!

[][[1]]

Jrdiſches
Vergnuͤgen
in
GOTT.
Achter Theil.


8 Theil. A
[[2]][[3]]

Einleitung.


Gefild’ und Waͤlder! meine Zuflucht, aus der
muͤhſelgen Welt voll Pein,

Voll Gram und Sorgen! nehmt mich ein

Jn euer ruhig Heiligthum! beguͤnſtiget mein einſam
Leben!

Da ich mich, von Zufriedenheit, von einem ernſten
Ueberlegen

Und von Betrachtungen begleitet, will, aus der Stadt,
zu euch begeben!

Jhr gruͤnen Ebnen, wie vergnuͤgt begruͤß ich euch!
Gluͤck, Heil und Segen

Erfuͤllen immer eure Fluren! ihr holden Vorwuͤrf’
unſers Blicks,

Jhr angenehmen Gegenden,

Der Erden majeſtaͤtſche Schoͤnheit, du Jnbegriff
des wahren Gluͤcks,

Du Feld- und Land-Luſt voller Anmuth, ihr keuſch-
und reinen Wohnungen

Der hoͤchſtbegluͤckten Sterblichen,

Die hier, in Unſchuld-vollem Frieden, ein unbeneidet
Leben naͤhrt,

(Ob ſolches gleich faſt goͤttlich iſt) da es, in Segen-
reicher Stille,

Uns einen edlen Muͤßiggang und eine ſuͤße Ruh gewaͤhrt:

Uns, die wir, fuͤr Betrachtungen (um uns ſo wohl,
als andre Weſen,

Zu unterſuchen) eigentlich formieret ſcheinen und erleſen;

A 2Die
[4]Einleitung.
Die wir, die Eigenſchaft der Dinge, mit mehrer Ein-
ſicht, zu ergruͤnden,

Nie beſſere Gelegenheit, als wie in euren Fluren,
finden,

Und (in die Scenen der Natur, bey euch, geſetzt)
von ihren Werken

Die Gruͤnd’ und Wunder faͤhig ſind, am allernaͤch-
ſten zu bemerken.

Glorwuͤrdig’ herrliche Natur! O! die du, uͤber
alles, ſchoͤn,

Und, uͤber alles, guͤtig biſt; die alles liebet, alles naͤhrt;

Die, uͤber alles, ehrenwuͤrdig, und, uͤber alles, lie-
benswerth;

Ja, die ſelbſt goͤttlich, da, in ihr, der Gottheit Weſen
Selbſt zu ſehn.

Du, deren Blicke ſo gefaͤllig, von ſolcher Wohl-
anſtaͤndigkeit,

Die faſt unendlich. Das Betrachten von deiner
Vollenkommenheit

Bringt lauter Weisheit, und das Forſchen in deinem
Weſen, lauter Luſt.

Ein jedes deiner Werke giebt ſo ſchoͤne Scenen unſern
Augen,

Und iſt ein herrlicher Spectakel, als alle Kuͤnſt’ in
unſrer Bruſt

Uns jemals vorzuſtellen taugen.

O groß’ und maͤchtige Natur!

Der Vorſicht weiſeſte Verordnung, durch Vollmacht,
rege Schoͤpferinn!

Doch mehr, der Du ihr Vollmacht gabſt, Du hoͤch-
ſter Schoͤpfer, Dich allein,

Vereh-
[5]Einleitung.
Verehret, rufet, flehet an, mein Dir allein ergebner
Sinn.

Dir ſoll die Einſamkeit, der Ort, mein Feld-Geſang,
geweihet ſeyn,

Jndem, mit der Gedanken Wohllaut begeiſtert, ich
anjetzt beſinge,

Obgleich mit eingeſchraͤnkten Worten, die Ordnung
der erſchaffnen Dinge,

Das wahre Weſen der Natur, und der Geſchoͤpfe
Schoͤnheit preiſe,

Die alle ſich, in Dir, entbinden, zu der, von Dir
beſtimmten, Zeit,

Du Quell und Urſprung aller Schoͤnheit und aller
Vollenkommenheit!

Es iſt Dein Weſen undurchdringlich, nicht zu erfor-
ſchen, ſonder Schranken.

Jn deiner Unermeßlichkeit vergehen aller Welt Ge-
danken,

Verſenken und verlieren ſich; die Phantaſey hemmt
ihren Flug;

Die Kraft zu bilden wirket nicht, indem ſie, in der
Gottheit Meer,

Kein Ufer, keinen Grund, kein Ende, noch in dem
allerfernſten Zug,

Worein ſie ſtieg, nur einen Punkt befindet, welcher
naͤher waͤr

Zum Umkreis, als das erſte Centrum, von dem ſie
ſich zuerſt erhoben.

Hievon, wenn ich ins leere Weite geſtiegen, nahm ich
oft die Proben

A 3Bey
[6]Einleitung.
Bey meiner Ruͤckkehr in mich ſelbſt. Erſtaunt ob
meinem kleinen Jch,

Und ob der unermeßnen Fuͤlle der großen Einheit,
ſcheu ich mich,

Die ſo erſtaunlich tiefe Tiefe der Allgemeinheit aus-
zufinden,

Noch den unendlich hohen Abgrund der Gottheit ferner
zu ergruͤnden.

Jedoch, weil ich, o hoͤchſter Geiſt! von Dir, ſo
wie ich bin, formieret,

Vernuͤnftig hier erſchaffen bin, und meines Weſens
Wuͤrdigkeit

Darinn beſtehet, Dich zu kennen, und Deine Vollen-
kommenheit

Zu unterſuchen, zu bewundern; ach ſo erlaub’, in
dieſer Zeit,

Daß ich die Kraft und Faͤhigkeit,

Mit ſchuldger Freyheit, brauchen moͤge, mit welchen
du mich ausgezieret.

Erdulde mein verwegnes Naͤhern. Und, weil kein’
eitle Neubegier,

Noch ſtolze Thorheit, noch die Liebe zu etwas ſonſt,
als Dir allein,

Mir die Gedanken eingegeben; ſo laß mein Thun
geſegnet ſeyn.

Sey Selbſt mein Beyſtand, leite mich, und zeige
Deine Wege mir,

Da ich es wag’, in der Natur ſo weiten Labyrint zu gehen,

Dir in demſelben nachzuſpuͤhren, und Dich in Deinem
Werk zu ſehen.


Lob-
[7]

Lob-Gedicht.


Jndem ich jetzt bedacht- und einſam zur Abend-Zeit
ſpazieren gehe,

Die Augen in die Hoͤhe heb, und den geſtirnten Himmel ſehe,

Fuͤhl ich, durch deſſen Glanz geruͤhrt, von einer ruhigen
und ſtillen,

Mit Ehrfurcht untermiſchten, Luſt die aufmerkſame Seel
erfuͤllen.

Sie glaubt’, in den beflammten Schaaren, und in den
Boden-loſen Gruͤnden,

Den Ewgen Urſtand aller Dinge, den HERRR der Schaa-
ren, GOTT, zu finden,

Ja gegenwaͤrtig, faſt zu ſehn. Ein tief- und inniges
Entzuͤcken

Erheiterte mein ganzes Weſen. Ein nicht zu widerſtehn-
der Trieb,

Des Schoͤpfers Herrlichkeit zu preiſen, Sein Lob nach
Wuͤrden auszudruͤcken,

Fuͤhrt’ mich in eine Garten-Laube, woſelbſt ich, voller
Andacht, ſchrieb:

Gottheit! Die ich uͤberall, ſonderlich im Heer
der Sterne,

Finden, ehren und bewundern, lieben und ver-
ehren lerne,

Laß, von den Dich offenbarnden großen Werken,
jetzt mein Lallen,

Bloß aus vaͤterlichem Lieben, Ewge Liebe! Dir
gefallen!

A 4Die
[8]Lob-Lied.
Die Wunder-wuͤrdige Verſchwendung der Strahlen-rei-
chen Flammen-Quellen,

Der großen Sonn’ und Welten Heere, beſchaͤfftigt ſich,
in ihrer Pracht,

Die Tiefen Deiner ewgen Weisheit, den weiten Abgrund
Deiner Macht,

Das Grund- und Grenzen- loſe Meer der ewgen Liebe
vorzuſtellen.

Sie blitzen, funkeln, ſchimmern, ſtrahlen in nimmer un-
terbrochnem Schein,

Sie glaͤnzen, waͤlzen ſich und prangen in dieſer Abſicht
bloß allein,

Der Gottheit Ehre zu verbreiten, im ſtillen, doch bered-
ten, Schweigen,

Das ewige ſelbſtſtaͤndge Weſen, den Schoͤpfer, aller
Welt zu zeigen.

Sie ſtellen dieſen großen Jnhalt, auf einer Tafel von
Sapphir,

Die unermeßlich, unbegrenzet, in feurig hellen Schriften,
fuͤr;

Sie geben unſerm Blick und Geiſt, in uͤberall vorhandnen
Werken,

Den uͤberall vorhandnen Gott, faſt ſicht- und fuͤhlbar
zu bemerken.

Sein Daſeyn, Seine weiſe Liebe und Seine Grenzen-loſe
Macht

Verkuͤndiget ein Tag dem andern, und eine Nacht der
andern Nacht.

Von Seines Weſens Einfachheit erkennt mein Geiſt die
hellen Spuren

Jn den verſchiednen Toͤnen, Farben, in den verſchiedlichen
Figuren

Der
[9]Lob-Lied.
Der Pflanzen, Bluͤhte, Fruͤchte, Thiere, in der Geſichter
Unterſcheid.

Jn der ſo richtigen als feſten Veraͤnderung der Jahres-
Zeit

Seh ich, daß Er unwandelbar. Es zeigt ſich Seine
Guͤt’ und Milde

Jn allen Schaͤtzen unſrer Erde, Sein Vor-Verſehn,
Sein Weisheit-Licht,

Jn einem Nahrung-Segen-reichen und Aehren-ſchwan-
geren Gefilde.

Wie herrlich zeiget Seine Groͤße der Luft- und Waſſer-
Abgrund nicht!

Ja gar der unumſchraͤnkte Himmel. Man ſteht an aller
Erden Grenzen

Das Feuer Seiner Liebe blitzen, die Strahlen Seiner
Weisheit glaͤnzen,

Wodurch Er, bloß um uns zu leuchten, das wunderbare
Licht formiert,

Die Luft zum Athem-ziehn bereitet; die Waͤrme wirkt,
um uns das Leben

Und deſſen Saamen zu erhalten. Die Pflanzen, uns
die Koſt zu geben,

Wenn wir geſund, ja wodurch Er die Kranken auch zu-
gleich curiert.

Die Bienen, daß ſie nicht allein den ſuͤßen Honig uns
gewaͤhren;

Daß ſie zugleich, durch ihr Betragen und Ordnung, uns
die Ordnung lehren.

Das Meer, daß es der Handelſchaft zu einem Mittel-
punkte dien.

Die Wolken, daß ſie um die Welt, auf Fluͤgeln ſchneller
Winde, fliehn.

A 5Um
[10]Lob-Lied.
Um unſre Felder zu befeuchten. Die Sonne, mit de[n]
hellen Blicken

Uns zu erleuchten, zu beleben, die Welt zu ſchwaͤnger[n]
und zu ſchmuͤcken.

Den Mond und uͤbrige Planeten, uns etwas Lich[t]
herab zu ſchicken,

Wenn Phocbus in der Ferne wirkt. Den Tag, als
unſrer Arbeit Zeit;

Die Nacht, die Erde zu bedecken mit einer holden Dun-
kelheit,

Jn eine ſuͤß- und holde Stille die Creaturen einzuhuͤllen[,]

Die muͤden Coͤrper zu erquicken, die Geiſter wieder an-
zufuͤllen,

Mit einer neuen Kraft zu wirken. Der Morgenroͤthe
bunten Schein,

Den Tag uns wieder herzubringen,

Und die Natur ſelbſt zu verjuͤngen.

Es muͤſſe denn die Geiſter-Welt dem Schoͤpfer ewig dank-
bar ſeyn.

Es muͤſſe, was nur Othem hat, fuͤr ſolche nicht

zu zaͤhlnde Proben
Der Liebe, Macht und Weisheit Gottes, die Gott-
heit unaufhoͤrlich loben!


Auf-
[11]

Aufmunterung,
ſich an Gottes Werken zu vergnuͤgen.


Wie ſchoͤn iſt das bebluͤhmte Feld!

Wie ſchoͤn der Wald! wie ſchoͤn die Wieſe!

Wie ſchoͤn der bunten Gaͤrten Zelt!

Und kurz: Wie ſchoͤn die ganze Welt!

Sie gleicht faſt einem Paradieſe.

Mein Geiſt, der dieſen Schmuck bemerkt,

Wird, durch die Pracht, nicht nur geruͤhret;

Sein denkend Weſen wird geſtaͤrkt,

Und, da es ſolche Wunder ſpuͤhret,

Zu Dem, aus Welchem alles quillt,

Was uns mit ſo viel Luſt erfuͤllt,

Zum Schoͤpfer aller Welt, gefuͤhret.

Er glaubt, Jhn uͤberall zu finden,

Zu hoͤren, ſchmecken und zu ſehn.

Er ſcheint, Sein Weſen zu ergruͤnden,

Und, da die Creatur ſo ſchoͤn,

Jn ihrer Ordnung, Zier und Pracht

Des Schoͤpfers Lieb’ und weiſe Macht

Ganz uͤberzeuglich zu verſtehn.

Denn, bloß allein zu unſrer Freude,

Schuff Er das ſchoͤne Welt-Gebaͤude.

Wer wollte denn die holden Pflichten,

Sich zu vergnuͤgen, nicht verrichten?

Wer
[12]Aufmunt. zur Vergnuͤg. an Gottes Werken.
Wer wollt’ an Seinen ſchoͤnen Gaben,

Zu Seinem Preiſe, ſich nicht laben?

Wer wollte ſich an allen Schaͤtzen,

Die Gott uns ſchenket, nicht ergetzen?

Er ſchuff ſie ja fuͤr uns allein.

So laßt uns, Seinen holden Willen,

Jm froͤhlichen Genuß, erfuͤllen,

Jn unſrer Luſt, Jhm dankbar ſeyn!


Die
[13]

Die Nachtigall.


Welch ein hell- und reiner Schall,

Der aus jenem Buſche dringet!

Ach! es iſt die Nachtigall,

Die ihr erſtes Liedchen ſinget.

Gott ſey Dank, daß wir die Zeit

Wiederum erlebet haben,

An der Voͤgel Lieblichkeit

Unſern Geiſt, durchs Ohr, zu laben!

Moͤchte ſie, wann wir ſie hoͤren,

Bey der Luſt, uns auch belehren!

ARIA.
Kleiner Saͤnger, ſey willkommen! wunderreiche

Creatur
Deines wunderbaren Schoͤpfers, Deſſen Weis-
heit, Lieb’ und Macht,
Jn dem Reiche der Natur,
Dich fuͤr uns hervorgebracht!

Die Blaͤtter ſcheinen ſich zu mehren,

Ja gleichſam recht hervor zu dringen,

Um dein faſt uͤberirdiſch Singen,

So wie wir andern, auch zu hoͤren.

Du ſcheinſt zu rufen, daß ſie eilen;

Sie hoͤren es, bemuͤhen ſich

Die Knoͤſpchen aͤmſig zu zertheilen,

Sie wachſen gleichſam ſichtbarlich.

Es
[14]Die Nachtigall.
Es ſcheint, als ob ſie ſich verbreiten,

Um deinem Neſt, aus Dankbarkeit,

Fuͤr deiner Lieder Lieblichkeit,

Ein gruͤnes Schirm-Dach zu bereiten.

Geliebte Menſchen, laßt uns doch auf ihre ſuͤße Lieder
achten,

Und beſſer, als bisher geſchehn, dieß laute Wunder-Werk
betrachten.

Ein Ton wird einzeln wiederholt, darauf verdoppelt,
ſchnell vermehrt,

Ja oͤfters faſt vertauſendfacht. Oft ſcheints, als ob ſie
uns belehrt;

Oft, daß ſie lacht, oft, daß ſie klaget;

Oft ſchlieſſet ſie, mit kurzem Satz, im Steigen, recht
als wenn ſie fraget;

Zum oͤftern ſinkt, nach langem Kraͤuſeln, und oͤfterm
Schlagen, ſchnell ihr Schall,

Jn einem, nach der Ton-Kunſt Regeln gedehnten, recht
gemeßnen Fall;

Bald aber ſingt, mit neuem Feuer, ſie wild, und doch
nicht minder ſchoͤn.

Kaum, daß der Menſchen ſchlanke Zunge ſo manches
Wort articulieret,

Als ſie ein klingend Woͤrter-Heer verſchiedlich fuͤget und
formieret.

Jhr fehlet nichts, nur uns die Kunſt, ihr klingend Spre-
chen zu verſtehn.

Zuweilen deucht mich, daß ichs merke: Daß naͤmlich
aller Melodey,

Und ihres reinen Modulierens, Zweck, Lehr und Jnhalt
dieſer ſey:

ARIA.
[15]Die Nachtigall.
ARIA.
Jch ſinge, mit nie muͤder Kehle,

Zu Gottes Ruhm, und dir zur Luſt.

Ach! waͤre deiner regen Seele

Die Abſicht der Natur bewußt!

Wenn nur dein Geiſt, beym Hoͤren, denket:

“Daß Gott die Kunſt zu ſingen mir,

“Die Gabe des Gehoͤres dir,

“Dich zu beluſtigen, geſchenket;

“So ſing, und hoͤreſt du, und ich,

“Zu Gottes Ruhm, gemeinſchaftlich.


Die
[16]

Die Nachtigall.


Die Nachtigall hoͤrt man, zur lieblichen Fruͤh[e]

lings-Zeit,
Aus ihrer, zum Wunder, erſchaffenen Kehlen[,]
Die Waͤlder begeiſtern, die Schatten beſeelen[,]
Und, ſingend, die Wunder des Schoͤpfers erzehlen[,]
Mit klingendem Eifer, mit feuriger Fertigkeit.

Verſtehen wir nun gleich, von ihrem Lob-Geſang,

Den Jnhalt nicht, nicht den Zuſammenhang;

So faſſen wir doch dieß, daß dieſer Wunder-Klang,

Wo nicht der Wunder-Bau der Ohren

An uns formieret waͤr, fuͤr uns verlohren

Und ganz vergebens wuͤrd’ erklingen.

Ach denket dann, bey ihrem Singen,

An Den, Der ſolche Eigenſchaft

Dem kleinen Vogel eingeſenket,

Und unſerm Geiſt zugleich des Hoͤrens Kraft,

Die Ohren, unſerm Koͤrper, ſchenket;

Damit wir uns, bey allen Fruͤhlings-Schaͤtzen,

Nicht durchs Geſicht allein, auch durchs Gehoͤr, ergetzen.

Behorchet dann noch einſt, mit aufmerkſamen Sinn,

Der Waͤlder holde Saͤngerinn.

Arioſo.
Sie fuͤllet die Luͤfte mit ſchmetterndem Schallen,

Sie laͤſſet, mit Floͤthen und Glucken gemiſcht,

Worunter ſie, lockend, bald gurgelt, bald ziſcht,

Die reinen Geſaͤnge bald ſteigen, bald fallen.

Jetzt
[17]Die Nachtigall.
Jetzt aͤchzet, jetzt jauchzt ſie, jetzt wirbelt ſie ſtrenge

Der klingenden Toͤne nicht zaͤhlbare Menge.

Es quillet und ſprudelt auf einmal ein Chor,

Aus ihrem harmoniſchen Schnabel, hervor.

Man hoͤrt ſie bald pfeifen, bald, Froͤſchen gleich,

quarren;
Bald klingt ſie, wie Glocken; bald miſcht ſich

ein Schnarren,
Jn einer ſanft winſelnden Floͤthe, mit ein;
Bald ſcheint ſie zu trauren, bald froͤhlich zu ſeyn.
Unzaͤhlbar veraͤndert ſie Stimmen und Klang.
Es bleibet ihr Singen ein Wunder-Geſang.


8 Theil. BEin
[18]

Ein ander Gedicht von der
Nachtigall.


Bey der hellen Nachtigall ſchmetterndem und reinem
Singen,

Konnt’ ich juͤngſt mich nicht enthalten, dieß noch zu Papier
zu bringen.

Ein hell- und hohles Floͤthen wendet

Und endet oͤfters ſich in ein Geziſch.

Jhr Hals gebiert, vermengt, verſchwendet,

Ein ſonſt nicht miſchbares Gemiſch

Von Toͤnen, die ſie weiß zu fuͤgen,

Daß, ſonder Wohllaut, ſie dennoch vergnuͤgen.

Jetzt quarret ſie, dem Froſch im nahen Bach,

Jetzt ſchnarret ſie, dem Graſe-Koͤnig, nach;

Jetzt ſtimmt, ihr feuriger Geſang,

Mit dem durchdringend reinen Klang

Metallner Glocken uͤberein.

Da ſie bald lockt, bald ſchlaͤgt, bald pfeift,

Bald ſtehnt, bald jauchzt, bald klagt, bald keift;

Scheint ſie, verwegen, zu probieren

Die Toͤne, die nur moͤglich ſeyn,

Hervorzubringen, zu vermaͤhlen,

Durch Werkzeug’ ihrer ſchlanken Kehlen,

Und alle moͤgliche Manieren

Mit einzumiſchen, auszufuͤhren,

Um deſto kraͤftiger der Menſchen Ohr zu ruͤhren.

ARIA.
[19]Die Nachtigall.
ARIA.
Fehlt’ uns unſer horchend Ohr,

Und viel tauſend Nachtigallen

Suͤngen, in vereintem Chor;

Wuͤrd’ ihr Klang vergebens ſchallen.

Aber, fehlt’ uns auch das Denken:

Daß die Gottheit unſrer Bruſt,

Durch dieß Thierchen, ſo viel Luſt,

Bloß aus Liebe, wollen ſchenken;

Schien es, daß, von Abſicht leer,

Durch ein blindes Ungefehr,

Alles dieſes, was vorhanden,

Koͤnnt’ und wuͤrde ſeyn entſtanden.


B 2Betrach-
[20]

Betrachtung Goͤttlicher Gegenwart,
bey Bluhmen.


Geruͤhrt durchs bluͤhende Gepraͤnge,

Erſtaunt ob aller Wunder Menge,

Die jetzt aus Erd’ und Baͤumen quillt,

Durch ihren bunten Schmuck erquicket,

Durch Farben, Form und Glanz entzuͤcket,

Von ihrem Balſam ganz erfuͤllt,

Erhebt mein froͤhliches Gemuͤthe

Die Allmacht, Weisheit, und die Guͤte,

Des Weſens, welches ihre Pracht,

Zu unſrer Luſt, hervorgebracht.

Es miſchet ſich in mein Ergetzen

Ein ſuͤß- ein liebliches Entſetzen,

Das durch mein ganzes Weſen dringt,

Das mich zur Lieb’ und Ehrfurcht zwingt,

Da ich, in ihnen, in der Naͤhe,

So ihr- als meinen Schoͤpfer ſehe.

Von Andacht heiß, von Luſt erſtarrt,

Verſpuͤhr’ ich Sein’ Allgegenwart,

Die nie ſo klar, als hier, zu ſpuͤhren.

Nicht nur der ganzen Erden Zier;

Ein jedes Bluͤhmchen, zeigt Jhn mir,

Bemuͤht ſich, mich zu Jhm zu fuͤhren.

Ein’ iede, deucht mich, daß ſie ſpricht:

Erblickſt du unſern Schoͤpfer nicht?

Du kannſt in mir, da ich ſo ſchoͤn,

Sein’ Allmacht, Lieb’ und Weisheit ſehn.

Und
[21]Betracht. goͤttl. Gegenwart bey Bluhmen.
Und dieß iſt ja Sein wahres Weſen.

Du kannſt, wo du vernuͤnftig biſt,

Ganz deutlich, daß, und was, Er iſt,

Auf allen meinen Blaͤttern leſen.

Die Stimm’ und dieſe ſchoͤne Schrift,

Die meiner Seelen Jnnres trifft,

Bringt mich zu einer Seelen-Stille.

Jch fuͤhle, wie dieß ſtille Denken,

Mich in Jhn Selber zu verſenken,

Mir Faͤhigkeit und Anlaß giebt.

Jch fuͤhle, wie mein ganz Gemuͤthe,

Jm holden Ausbruch Seiner Guͤte/

Jn Furcht und Luſt, Jhn ehrt und liebt.

Es waͤchſt mein kindliches Vertrauen,

Wenn die geruͤhrte Seele denkt:

Der Bluhmen kleidet, naͤhrt und traͤnkt,

Der ſie formiert, der mir ſie ſchenkt,

Wird auch auf meinen Zuſtand ſchauen.

Die nahe Gegenwart erregt

Noch ferner, da ich Sein mich freue,

Mein Herz Sein Daſeyn uͤberlegt;

Daß ich, was Jhm mißfaͤllig, ſcheue.

Wer einen Kaiſer in der Naͤhe,

Und bey ſich gegenwaͤrtig, ſaͤhe;

Der wuͤrde ja, nach ſeinen Pflichten,

Jhm nichts Mißfaͤlliges verrichten.

Wenn ich dann Gottes Naͤh’ und Groͤſſe,

Bey Bluhmen, die Er ſchuff, ermeſſe;

Wie ſollt’ ich Seiner mich nicht freuen?

Wie ſollt’ ich nicht die Laſter ſcheuen?

B 3Auf
[22]Betracht. goͤttl. Gegenwart bey Bluhmen.
Auf die Art kann der Bluhmen Heer

Nicht nur zu ihres Schoͤpfers Ehr;

Es koͤnnen ihre Lieblichkeiten

So gar uns zu der Tugend leiten.

Auf die Art lernen wir verſtehn,

Wenn wir vernuͤnftig Bluhmen ſehn,

Wie Gott in Bluhmen Selber ſchoͤn.

Auf die Art dienet jede Bluhme,

Bey klugen Menſchen, Gott zum Ruhme.


Die
[23]

Die ſchoͤne Nacht.


Es uͤberſilberte bereits, mit reinem Lichte,

Der helle Mond die dunkle Welt;

Wodurch dem menſchlichen Geſichte

Ein neuer Schauplatz vorgeſtellt,

Um, wie ſo wunderwuͤrdig ſchoͤn,

Auch bey der Nacht, der Welt-Kreis anzuſehn.

Nun zeigt zwar uͤberall, in einer hellen Nacht,

Der Mondſchein Anmuth, Glanz und Pracht;

Allein ſo auſſerordentlich

Verſchoͤnerte ſie ſich

Noch niemals, wenigſtens fuͤr mich,

Als ich ſie jetzt auf meinem Garten finde,

So daß ich mich, faſt auſſer mir, und ganz

Erſtaunt, den gar zu ſchoͤnen Glanz

Kaum, zu beſchreiben, unterwinde.

Des Gartens Lage mehrete,

Durch die verſchiedne Tief’ und Hoͤh,

Die Schoͤnheit, die man ſonſt zertheilt nur [|]findet;

Jndem, bey den verſchiednen Stiegen,

Sich ein verſchiedenes Vergnuͤgen

Bald einzeln zeigt, bald ſich mit andern bindet.

Wenn man im untern Gange ſteht,

Und in der gruͤnenden Allee ſpazieren geht,

Wird unſer Blick vergnuͤgt empor gefuͤhrt,

Und ihm, da er bequem auf Stiegen aufwaͤrts ſteiget,

Wie ſo verſchiedentlich ſich alles ziert,

Auch Staffel-weiſe ſtets gezeiget;

Da ſieben Abſaͤtz’, ihm, die wir zugleich erblicken,

Zur Luſt, ſich mit ſo viel beſondrer Schoͤnheit ſchmuͤcken.

B 4Ein
[24]Die ſchoͤne Nacht.
Ein ſchoͤn- und zierliches Gebaͤude,

Das oben, wo der Berg am ſtaͤrkſten ſich erhoͤht,

Nebſt zween geraden Fluͤgeln, ſteht,

Jſt unſrer Augen Ziel. Vor dieſen ſtehn ſechs Bogen

Von Linden, nach der Kunſt gezogen,

Auf welchem ſechs erhabne Staͤmme ſich,

Jn richtig zugeſpitzten Zweigen,

Recht zierlich, kuͤnſt- und meiſterlich,

Als wie Laurieren-Kronen, zeigen.

Dieß alles traf, in dieſer ſchoͤnen Nacht,

Des Mondes heller Strahl.

Es ſtund das Haus in einer weiſſen Pracht:

Der Baͤume Dunkelheit

Erhob des Lichtes Herrlichkeit;

Ja machten ſolche ſcharfe Schatten,

Daß wir, am weißlichten Gebaͤude,

Statt ſechs, zu noch vermehrter Freude,

Zwoͤlf Baͤume zu bemerken hatten.

Durch dieſe funkelten, recht wie ein heller Tag,

So hell, daß es nicht zu beſchreiben,

Die angeſtrahlten Fenſter-Scheiben,

Vom hellen Mond, im Wiederſchlag.

Hiedurch war das Gebaͤude ganz

Jlluminirt; es fiel und ſchien,

Erhoͤhet durch der Baͤume Dunkel-Gruͤn,

Jn netter Simmetrie, ein ſolcher Glanz,

Ein ſolches Funkeln, ſolch ein Licht,

Jn unſer faſt darob erſtaunetes Geſicht,

Daß wir, erſtarret, ſtille ſtunden,

Und uns recht innerlich dadurch geruͤhret funden.

Jch
[25]Die ſchoͤne Nacht.
Jch trat nachher, im Dunklen, in den Saal,

Und fand denſelben angefuͤllet

Vom ſanften Licht, vom Silber-weiſſen Strahl,

Der aus des Mondes Scheibe quillet,

Nebſt einigen formirten netten Schatten

Von Blaͤttern, die, von angeſtrahlten Zweigen,

Sich uͤberall gebildet hatten,

Und ſich hier an der Wand, dort auf dem Boden, zeigen.

Welch angenehmes Schatten-Spiel,

Als ich drauf achtete, mir inniglich gefiel.

Die Luſt ward noch vermehrt,

Als ich mich, linker Hand,

Nach den durchſtrahlten Fenſtern, kehrt’,

Und alle Scheiben bunt, von Licht und Schatten, fand.

Das angeſtrahlte Glas war nicht, wie ſonſt, ſo glatt,

Schien minder klar, und etwas matt;

Doch ſchien es weiſſer noch, als ſonſt: wodurch die
Schatten

Der Blaͤtter, welche ſich darauf gebildet hatten,

Um ſo viel deutlicher und zierlicher ſich zeigten.

Wie ſich, vom linden Weſt, die wahren Blaͤtter beugten;

So beugten, regten ſich, und ſchwebten

Die Schatten-Blaͤtter, faſt als wenn ſie lebten.

Jch ſtund dann auch, durch dieſes Glanzes Fuͤlle

Nicht weniger geruͤhret, ſtille,

Und ward, durch dieſe lichte Pracht,

Bey dieſer wunderſchoͤnen Nacht,

Zu folgenden Betrachtungen gebracht.

B 5Mein
[26]Die ſchoͤne Nacht.
Mein Schoͤpfer! iſt die Welt, bey Tage, wu[rd]

derſchoͤn;
So laͤßt Du uns, in einer neuen Pracht,
Wie ſie, ſo gar bey dunkler Nacht,
Nicht minder wunderſchoͤn, zu Deinen Ehren [zu]
ſehn.


Auf-
[27]

Aufmunterung bey hellem Wetter.


Ein bunter, doch meiſt gruͤner Glanz,

Bedecket unſern Erd-Kreis ganz,

Der faſt in Licht und Waͤrme ſchwimmet.

Faſt jeder Vorwurf, den man ſieht,

Vergnuͤgt das Auge, ſchimmert, gluͤht;

Luft, Waſſer, Feld und Garten glimmet.

Was ſonſt ſchon herrlich gnug gemahlt,

Wird, da es durch- und angeſtrahlt

Vom Sonnen-Licht, an Pracht vermehrt,

Verſchoͤnert, uͤberſilbert, helle,

Ja guͤlden oft auf mancher Stelle,

Durchlaͤuchtig, in der That verklaͤrt.

Wenn Felder faſt Smaragden ſcheinen;

So gleichet, andern Edelſteinen,

Das glaͤnzend- bunte Bluhmen-Heer.

Da Gott uns nun auf eine Welt,

Die ſo viel herrliches enthaͤlt,

Zu unſrer Luſt, und Seiner Ehr’,

Aus lauter Liebe, hingeſtellt;

So ſollte jeder Menſch, zumal

Wer im entwoͤlkten Sonnen-Strahl

Spazieren gehet, und beſiehet,

Wie Wald und Feld und Garten gluͤhet,

Wie, was er ſieht, ſo wunderſchoͤn,

Mit Luſt, zu Gottes Ehren, ſehn.


Vernuͤnf-
[28]

Vernuͤnftiges Gebet.


Ach! ſtaͤrke mein vergnuͤgt Geſicht,

Daß der Gewohnheit Nebel nicht

Dein herrlich Werk vor mir verſtecke;

Gieb, daß ich Dich, in jeder Stelle,

Als aller Schoͤnheit Grund und Quelle,

Mit immer neuem Blick, entdecke.

Gieb, daß ich Geiſt und Sinn verbinde,

Wenn ich, in Farben und Figur,

(Die Liberey der Creatur)

Die Proben weiſer Liebe finde.

Gieb, daß ich, mit geruͤhrter Bruſt,

Bey immer neu empfundner Luſt,

Von jedem Deiner Werke denke:

Es ſey ein goͤttliches Geſchenke.

Laß, wenn die ſchoͤne Welt mich ruͤhret,

Mich von der Wahrheit uͤberfuͤhret

Und voͤllig uͤberzeuget ſeyn:

Es ſtamme, was die ſchoͤne Welt

Bewundernswuͤrdigs in ſich haͤlt,

Von Gott, vom Schoͤpfer bloß allein.

Bey einem jeglichen Genuß

Von Anmuth, ſey ein froͤhlichs Denken:

Dieß wollt’ uns unſer Schoͤpfer ſchenken!

Der Anfang; ein Gott Lob! der Schluß.


Betruͤb-
[29]

Betruͤbtes Verfahren der Menſchen.


Fuͤr alle Seine Wunder-Gaben,

Die Er erſchuff, um uns zu laben,

Fuͤr aller Bluhmen Pracht und Zier,

Verlangt der große Schoͤpfer hier

Nichts, als nur unſre Luſt, zu haben.

Da nun ein ſolcher Dienſt bequem,

Nicht ſchwehr, nein leicht und angenehm;

Jſt es dann nicht bedaurenswerth,

Daß man dieſelbigen verachtet,

Sie nicht genießt, ſie nicht betrachtet,

Sich nicht vergnuͤget, Gott nicht ehrt?


Die
[30]

Die mit großem Nutzen verbundene
Schoͤnheit des Graſes.


Was fuͤhlet ein geruͤhrt Geſicht

Fuͤr Anmuth in dem Graſe nicht?

Da kaum Figuren, Farb’ und Glanz,

An einem ſchoͤnen Bluhmen-Kranz,

Voll tauſendfacher Zierlichkeiten,

Uns ſo verſchiedne Luſt bereiten.

Der ſaͤurlich- angenehme Duft,

Der aus dem friſchen Graſe quillet,

Und uͤberall die niedre Luft,

Mit allgemeiner Anmuth, fuͤllet,

Wird hier und dort, und uͤberall,

Durch einen angewuͤrzten Schwall,

Der inniglich den Geiſt erfriſchet,

Aus tauſend Kraͤutern, untermiſchet.

Wann wir, von ſchwarzen Sorgen frey, bequem, bey
ruhigem Vergnuͤgen,

Hier auf dem Teppich der Natur, im Blumen-reichen
Graſe, liegen;

So laßt uns, mit vernuͤnftgem Blick, auf unſer ſchoͤnes
Lager achten,

Und die bewundernswerthen Theile, aus welchen es
beſteht, betrachten.

Die
[31]Nutzen und Schoͤnheit des Graſes.
Die Faͤden dieſer ſchoͤnen Decke, von Fingern der Natur
gewebt,

Sind Meiſterſtuͤcke ſchon fuͤr ſich: Ein jeder Draht
ſcheint hier belebt;

Ein jeder Faden iſt ein Kunſtſtuͤck, das alle Kunſt weit
uͤberſteiget,

Und in ſich Farben, Licht und Schatten, Glanz, Zeich-
nung und Figuren zeiget.

Was Wunder dann, daß ein Geweb’, aus ſolchen ſchoͤnen
Faͤden, ſchoͤn,

Und, ſonder inniges Vergnuͤgen, und ohne Luſt, nicht
anzufehn?

Jch lenke dann den frohen Blick, und des Geſichts
geſchaͤrften Sinn,

Auf dieß bewundernswerthe Werk der unſichtbaren
Wirkerinn,

Und finde, wie mein reges Auge, durch ſo viel Lieblichkeit
verwirret,

Von einer Schoͤnheit zu der andern, in immer neuen
Wegen, irret,

Ganz ungewiß, was ich zuerſt, da jedes Kraut von
Wundern voll,

Vor andern, die nicht minder ſchoͤn, zuerſt beſehn und
waͤhlen ſoll.

Von jungem, hell durchſtrahltem Graſe, erblick ich
gruͤne Linien;

(Die ſich ſehr zier- und lieblich ſpitzen) nicht minder
gruͤne Zirkelchen

Von Klee- und tauſend andern Blaͤttern, bald ſie be-
deckend, bald bedeckt,

Jndem bald vor, bald hinter ihnen, bald durch ſie, ſich
ein Spitzchen ſtreckt,

Und ſie bald zeigt, bald ſie verſteckt.

Jn
[32]Nutzen und Schoͤnheit des Graſes.
Jn den ſo ſuͤß verwirrten Tiefen, wohin der Sonne[n]
Strahl nie drung,

Herrſcht unten eine gruͤne Nacht; dann eine gruͤ[ne]
Daͤmmerung,

Die unſer Auge kuͤhlt und ſtaͤrkt, ergetzt, erquicket u[nd]
erfriſchet,

Wenn, etwas hoͤher, mit der Daͤmmrung ein zart gemi[l-]
dert Licht ſich miſchet,

Und oben, auf den netten Spitzen,

Jn einem Schimmer-reichen Glanz, viel kleine gruͤ[ne]
Lichter blitzen,

Wodurch, in ſo verſchiednem Gruͤnen, da eins das ande[re]
erhoͤht,

Ein lieblich angenehm Gemiſch, das unſre Blicke lab[et]
entſteht.

Wie ſchmeichelt es nicht dem Gefuͤhl,

Da Gras und Kraut ſo lieblich kuͤhl,

Wenn es im Sommer heiß und ſchwuͤhl,

Und man ins friſche Gras ſich ſetzet;

Da es, ſelbſt dem erhitzten Blut,

Von auſſen wohl und ſanfte thut,

Zugleich auch innerlich ergetzet,

Da, aus der Kuͤhlung, eine Luſt,

Die unſer Herz vergnuͤgt, entſpringet,

Und ſich von auſſen in die Bruſt,

Durch ſo viel kleine Nerven, dringet.

Es ſeh’ ein menſchlich Auge dann,

Mit Fleiß, mit Luſt und Andacht, an,

Was fuͤr ein Schatz, von Nutz und Luſt,

Der ſich aufs Vieh, und uns, erſtrecket,

Und, manchem, leider! unbewußt,

Nur bloß allein im Graſe ſtecket.

Ei[n]
[33]Nutzen und Schoͤnheit des Graſes.
Ein einziges Geſchoͤpfe kann

Nicht nur allein faſt alles Vieh,

Und uns, durch ſie,

Erhalten, ſpeiſen und ernaͤhren;

Es kann zugleich auch unſerm Geiſt,

Wie es ja die Erfahrung weiſt,

Durch viele Sinnen, Luſt gewaͤhren,

Und uns dadurch zugleich erklaͤren,

Wie wunderbar die weiſe Macht

Deß, Der den großen Bau der Welt,

So wie Er ihn hervorgebracht,

So wunderbar ihn auch erhaͤlt:

Ja daß Er, mit dem Pflanzen-Reich,

Nicht nur das Thier-Reich hat verbunden;

Daß Er, mit einem Stoff zugleich,

So manchen Endzweck zu erhalten,

So leichte Mittel ausgefunden.

Ach laſſet Jhn dann ferner walten!

Und wenn ihr auch wo Mangel leidet,

So denkt: “Der Gras und Bluhmen kleidet,

“Zum Nutz dem Vieh, zum Schmuck der Erde,

“Das euch zugleich ergetzt und naͤhrt,

“Auf dieſem ſchoͤnen Welt-Gebaͤude,

“Sey einer feſten Zuverſicht,

“Und kindlichen Vertrauens Pflicht,

“Daß Er auch euch verſorgen werde,

“(Wodurch ihr Jhn am meiſten ehrt)

“Sey eurer Luſt, ſey eurer Freude,

“Bewunderung, und Dankens, werth.


8 Theil. CDer
[34]

Der Thau.


Jndem ich hier, vom reinen Thau,

Den bunten Glanz und Schimmer ſchau,

Faͤllt mir, bey ſeiner Schoͤnheit, ein:

Daß faſt durch nichts, auf dieſer Welt,

Die Herrlichkeit vom Sonnenſchein

Uns herrlicher wird vorgeſtellt,

Als durch den klaren Thau allein.

Nicht nur ein kleines Sonnen-Bild

Hat jedes Troͤpfchen angefuͤllt;

Die ſieben Farben ihrer Strahlen

Sieht man darinn ſich deutlich mahlen:

Man ſiehet Purpur, gelb und blau,

Auch roth, und weiß, und gruͤn, im Thau;

So, wie bekannt, vom Sonnenſchein,

Und ihrem Strahl, die Farben ſeyn.

Man wird dahero fuͤglich koͤnnen

Die Troͤpfchen, Sonnen-Spiegel nennen,

Die Kraut und Gras und Land befeuchten,

Doch auch zugleich die Welt erleuchten,

Daß ſie, was in der Sonne ſchoͤn,

Auch kann auf unſrer Erde ſehn.

Schoͤpfer Himmels und der Erden!

Sollte dann, durch alle Zier

Deiner Wunder, nicht in mir

Eine Zuverſicht zu dir

Billig auch gewirket werden?


Lehren
[35]

Lehren der Creaturen, abſonderlich
der Bluhmen.


Was giebt uns nicht das Buch der Welt von unſers
Schoͤpfers Wunder-Weſen

Fuͤr uͤberzeuglich-klare Lehren, wie manchen ſchoͤnen
Text, zu leſen?

Die Welt ſcheint eine große Schule, wo alle Creaturen
Lehrer,

Auch ohne Witz und Klugheit, ſind. Die Lehre laͤßt ſich
fuͤhlen, ſehn,

Zumal in den ſo ſchoͤnen Bluhmen. Ein jeglicher ver-
nuͤnftger Hoͤrer

Kann, durch Betrachtung, ihren Jnhalt und eigentlichen
Sinn verſtehn.

Sie rufen all’, in ſanftem Ton: Es iſt ein Gott!

Die Ordnung, Pracht,
Licht, Farb’, und Abſicht, die wir haben, ſind nicht
durch uns, in uns, gemacht:
Wir ſind zu dumm, uns ſelbſt zu bilden. So muß
dann Anmuth, Pracht und Schein,
Die ihr in unſerm Weſen findet, von einem
andern Weſen ſeyn,
Das weiſer iſt, als wir und ihr.
Dieß ſagen ſie
Jahr aus, Jahr ein.

Doch ihre Sprache faſſen nur die Geiſter, welche,
durch Betrachten,

Nicht nur die ſchoͤne Schrift allein, den Jnhalt auch
darinn, beachten.

C 2Der
[36]Lehren der Creaturen, ſonderl. der Bluhmen.
Der iſt nicht nur: Es iſt ein Gott. Er iſt zugleich,

(da wir ſo praͤchtig,
Und zwar fuͤr euch ſo ſchoͤn, formieret) Er iſt auch
liebreich, weiſ’, und maͤchtig.

Sie ſagen ferner: Da uns Gott, fuͤr euch, ſo ſchoͤn,

ſo herrlich, bildet,
Fuͤr euer Aug’ uns faͤrbt, verſilbert, zu eurer Luſt
uns uͤberguͤldet,
Fuͤr uns, zu eurem Beſten, ſorgt; wie ſollt’ Er dann
fuͤr euch nicht ſorgen,
Da ihr ja ſo viel mehr, als wir? Drum ſetzet
eure Zuverſicht
Auf Seine weiſe Macht und Liebe, und ſorgt nicht
fuͤr den kuͤnftgen Morgen.

Dieß ſind die Worte, lieber Menſch, die jede Bluhme
zu dir ſpricht.


Der
[37]

Der durch den Regen verſchoͤnerte
Wald.


Mich lockte juͤngſt ein heitres Wetter,

Zum holden Schirm-Dach gruͤner Blaͤtter,

Jn einen dicken Wald, zu gehn.

Jch ſah daſelbſt, wie wunderſchoͤn,

Jn denen dicht belaubten Buͤſchen,

Sich Licht und dunkle Schatten miſchen,

Und tauſend Miſchungen entſtehn.

Darauf bezog ſich ſchnell die Luft

Mit einem ſchwarzen Wolken-Duft.

Die vielen Lichterchen verſchwunden;

Die vielen Schatten, ihre Kinder,

Verlohren ſich zugleich nicht minder,

Mit dem verſchwundnen Sonnenſchein.

Ein dunkel Gruͤn, das allgemein,

Ward in dem ganzen Wald allein,

Und keine Farbe ſonſt, gefunden.

Jndeß erhub ſich uͤberall

Ein liſpelnder und ſanfter Schall.

Auf hohen Wipfeln und in Buͤſchen

Verſpuͤhrte man ein lautes Ziſchen.

Es rauſchte, durch des Regens Fall,

Die Luft, das Laub, daß dem, ders hoͤrte,

Es ſeine Luſt annoch vermehrte.

Hiedurch nun wurden Laub und Gras,

Die Wipfel und der Boden, naß.

C 3Gleich
[38]Der durch den Regen
Gleich aber fing der kurze Regen,

Eh mans gedacht, an, ſich zu legen;

Es brach der hellen Sonne Schein,

Von neuem, uͤberall herein.

Da haͤtte man ein Blitzen, Glimmern,

Ein Funkeln, Spielen, Glaͤnzen, Schimmern,

Jm ganzen Walde, ſollen ſehn

Jn einem Augenblick entſtehn!

Ein jedes Kraut, ein jedes Blatt,

Das, von dem Regen, naß und glatt,

Bedeckt ein heller Silber-Schein.

Ja, wie ein glattes Spiegel-Glas,

Sah man die Stellen, welche naß,

Viel Blaͤtter-Bilderchen formieren,

Von andern Blaͤttern, die man nah,

Und ſich in ihnen bilden, ſah.

Wohin man ſeine Blicke ſchickte,

Sah man, in dem begruͤnten Dunkeln,

Faſt nichts, als Diamanten, funkeln,

Und an verſchiedner Blaͤtter Spitzen,

Dem Schein nach, helle Lichter blitzen;

Zumal, wo große Tropfen hingen,

Worinn der Sonne bunte Strahlen,

Die ſie mit vielen Farben mahlen,

Sich dringen, und zuruͤcke ſpringen.

Jch ſtutzt’, und lieſſe dieſe Pracht,

Die uͤber Wunder Wunder ſchoͤn,

Mir, durch das Aug’, ans Herze gehn.

E[s]
[39]verſchoͤnerte Wald.
Es dankte mein geruͤhrt Gemuͤthe,

Voll Luſt, dem Gott, durch Deſſen Guͤte

So manche Pracht auf dieſer Welt,

Durchs Aug’, in unſre Seele faͤllt;

Zumal fuͤr das Geſchenk der Augen,

Wodurch wir, was auf Erden ſchoͤn,

Mit innerlicher Luſt zu ſehn,

Uns gleichſam zuzueignen taugen.


C 4Zum
[40]

Zum Fruͤhlinge.


Da uns, mit ſolcher Wunder-Pracht,

Der Lenz jetzt uͤberall anlacht,

Und alles, was das Aug’ erblicket,

Sich lieblich bildet, herrlich ſchmuͤcket;

Da ſich die Welt, wohin man ſieht,

Mit neuer Schoͤnheit uͤberzieht;

Da alles gruͤnet, alles bluͤht:

So laß, o Menſch! doch dein Gemuͤth,

Durch aller deiner Sinne Thuͤren,

Des Schoͤpfers ſchoͤne Werke ruͤhren,

Und dich zu Dem, durch Deſſen Macht

Sie, bloß fuͤr dich, hervorgebracht,

Durch froͤhliches Empfinden, fuͤhren.

Es ſtammet aller Glanz und Schein,

Fuͤr dich, nur bloß aus Gott allein.

Er will, du ſollſt an Seinen Schaͤtzen,

Zu Seinen Ehren, dich ergetzen.

“Die Anmuth deiner frohen Bruſt,

“Ob Seinem Werk, iſt Jhm bewußt,

“Und deine Luſt iſt Seine Luſt.

Kommt, laßt uns Seine Lieb’ und Macht,

Jn Bluͤht- und Bluhmen, dann beſingen;

Laßt uns, entzuͤckt durch ihre Pracht,

Jhm unſre Bluhmen-Luſt zum Opfer bringen.

Jhr
[41]Zum Fruͤhlinge.
Jhr ſchimmernden Bluhmen in zierlichen Betten,

Wo ihr, wie bunte Flammen, gluͤht;

Jn glaͤnzenden Luͤften erhabne Buquetten,

Die ihr auf ſchwanken Zweigen bluͤht,

Wie herrlich iſt euer ergetzliches Glaͤnzen,

Jhr lieblichen Kinder des froͤhlichen Lenzen!

Betracht’ ich, wie ſchoͤn ihr, wie lieblich, wie

praͤchtig;
Gedenk’ ich, inniglich geruͤhrt,
Wie herrlich, wie liebreich, wie weiſe, wie
maͤchtig,
Der Schoͤpfer, der euch, fuͤr uns, formiert!


C 5Fruͤh-
[42]

Fruͤhlings-Betrachtungen.


Auf ausgeſpannten Pfirſich-Baͤumen ſieht man e[s]
roͤthlichs Feuer gluͤhn;

Auf hohen Aepfel-Baͤumen, bluͤhn,

Aus rothen Knoſpen, weiſſe Roſen; und auf den Ki[r-]
ſchen-Baͤumen ſcheint

Zugleich ein ſchimmernd Weiß, ein glaͤnzend Gruͤn,

Als waͤren ſie dazu vereint,

Sich, in die Wette, zu beſtreben,

Aus den Behaͤltern ſich zu heben,

Um ein gedoppeltes Vergnuͤgen, dem menſchlichen G[e-]
ſicht, zu geben.

Seht, wie die Tulpen, Kaiſerkronen,

Ranunkeln, Primuln, Anemonen,

Aurikeln, Hyacinthen, Crokos, Narciſſen, Jrides, Tercette[n]

Jonkilchen, guͤldene Violen, auf gruͤn bebuͤſchten Ga[r-]
ten-Betten,

Aus ſchwarzer Erde, triftig dringen!

Seht, wie ſie, auf den ſchwanken Stielen,

Wenn laue Weſten-Winde kuͤhlen,

Sanft wankend, glaͤnzen, ſchimmern, ſpielen!

Es ſcheint ihr hin und wieder ſchweben

Uns groͤßre Luſt, als wenn ſie ſtill, zu geben.

Es laͤßt, als ob ſie ſich bemuͤhn,

Jm Wanken, unſern Blick noch mehr auf ſich zu zieht

Und uns dadurch, von allen Seiten,

Der Form und Farben Lieblichkeiten,

Zuſamt dem Glanz, der ihnen eigen,

Noch deſto deutlicher zu zeigen;

Auch deſto kraͤftiger, da ſie ſich ruͤhren,

Durch ihren Ruch, die Luft zu balſamiren.

Ma[n]
[43]Fruͤhlings-Betrachtungen.
Man wird zugleich, mit neuer Luſt, gewahr,

Von Schatten-Bluhmen, eine Schaar,

Die, rings umher, in den dadurch geſchmuͤckten Steigen,

Jn netten Zeichnungen, ſich zeigen,

Als wenn ſie recht getuſchet waͤren:

Wodurch ſie dann, da ſie auch Bluhmen gleich,

Derſelben Meng’, und, durch die Dunkelheit,

Der wahren Bluhmen licht- und helle Herrlichkeit

Annoch erheben, und vermehren.

Bemerkt anbey, daß ihrer Schoͤnheit Pracht

Nur bloß fuͤr uns gemacht;

Da ihrer Wurzeln Bau, als welchen wir nicht ſehn,

An Farben und an Form, nicht ſchoͤn.

Suchet dann doch, eure Pflichten,

Jm Betrachten, zu verrichten!

Wenn wir ſie, mit Luſt, betrachten,

Wird man, Den ja hoch zu achten,

Jhn zu ehren, Jhn zu lieben,

Schon von ſelbſten, angetrieben;

Welcher dazu das Geſicht,

Welcher uns das Sonnen-Licht,

Und die ſchoͤnen Koͤrper, ſchenket.

Jſt denn ſolch ein Gott nicht werth,

Daß man Jhn, bewundernd, ehrt,

Und, mit Freuden, Sein gedenket?


Schoͤn-
[44]

Schoͤnheit
der Baͤume im Fruͤhlinge.


Unzaͤhlich iſt die Lieblichkeit

Auf Baͤumen, in der Fruͤhlings-Zeit,

Durch junger Blaͤtter junges Gruͤn,

Die aller Augen auf ſich ziehn.

Da ſich das Laub noch nicht geſchloſſen,

Sieht man auf einmal alle Sproſſen

Des ganzen Baums, von allen Seiten;

Wobey des Himmels blaues Licht,

Da er annoch durchſichtig, bricht.

Das Glaͤnzen vom Sapphir, und von Smaragde[n]
ſcheinet

Hiedurch in jedem Baum vereinet,

Und wirket eine reine Luſt

Jn ein vernuͤnftig Aug’, und eine fromme Bruſt.


Augen[-]
[45]

Augen-Luſt an Knoſpen
im Fruͤhlinge.


Kommt, laßt uns, an den reichen Schaͤtzen,

Die ſich dem Blick, auf allen Zweigen,

Jn aufgequollnen Knoſpen, zeigen,

Die der Gebuhrt jetzt nah, uns jetzt ergetzen!

Erwaͤget, wie ſie jetzt, im lauen Lenzen,

Jn ſolcher Meng’, auf allen Wipfeln, glaͤnzen.

Es ſcheinet jetzo recht, ob ſchwebe

Um Baͤumen, in der niedern Luft,

Von Knoſpen, ein durchſichtiges Gewebe;

Ein braun- mit grau und gruͤn gemiſchter Duft,

Der, ſichtlich faſt, ſich mehret, ſich verdicket,

Und, durch ein ſtets ſich mehrend Gruͤn, ſich ſchmuͤcket.

Willt du, in dieſen ſchoͤnen Werken,

Jn ihrer Ordnung, Schmuck und Pracht,

Nicht Deſſen Weisheit, Lieb’ und Macht,

Der ſie, fuͤr dich, hervorgebracht,

Und Gottes Finger, nicht bemerken;

So nuͤtzeſt, und ſo brauchſt du ſie

Nicht, als ein Menſch; kaum, als das Vieh.

Der Linden Knoſpen, die, vor allen,

Da man, auf ihrer glatten Haut,

Ein kraͤftig Roth, das lieblich glaͤnzet, ſchaut,

Am meiſten uns gefallen,

Eroͤffnen allgemach die rothen Spitzen,

Und laſſen ein lebendig Gruͤn, in noch gefaltnen Blaͤt-
tern, blitzen.

Die
[46]Augen-Luſt an Knoſpen
Die Ypern, die auf ihren Zweigen

Uns Millionen Knoſpen zeigen,

Sehn, durch die Menge, rauch und kraus,

Umnebelt und bewoͤlket, aus;

Sie mehren, in ſo holder Augen-Weide,

Des Fruͤhlings allgemeine Freude.

Der Erlen Knoſpe laͤßt, auf andre Weiſe, ſchoͤn,

Schon einen fetten Glanz, auf braunen Blaͤttern, ſehn

Wenn, aus verſchiednen Baͤumen, Knoſpen, in gruͤ[-]
nen runden Augen, dringen,

So ſieht man andere, geſpitzt, aus einem harten Holz
entſpringen,

Sich bald, in mancherley Geſtalten,

Entwickeln und entfalten,

Und in der Ruͤnd’, auf allen Seiten

Vom Mittelpuncte, ſich verbreiten,

Allmaͤhlich uͤberall ſich ſtrecken,

Allmaͤhlich Zweig und Stamm verdecken.

ARIA.
Jhr Muͤtter der Blaͤtter, ſo Muͤtter der Schatten

Jhr koͤnnet die Wohnung nicht ferner verſtatten

Den lieblichen Kindern, durch die ihr, gedrengt,

Euch jetzo, zu unſerm Vergnuͤgen, zerſprengt.

Vernuͤnftige Blicke bewundern den Segen,

Der in euch, ſo lange, verborgen gelegen.

Allein
[47]im Fruͤhlinge.
Allein, werft die erſtaunten Blicke

Auf jene Baͤume dort zuruͤcke!

Die Knoſpen liefern uns nicht Blaͤtterchen allein;

Sie ſtoßen, in gefaͤrbtem Schein,

Und wunderſchoͤn formiertem Flor,

Ein ganzes Bluhmen-Heer hervor.

Seht Birn-Baͤum’, Aprikoſen, Kirſchen,

Jn weiſſen Roſen ſchimmernd, bluͤhn!

Seht dorten Mandel-Baͤum’ und Pfirſchen,

Jn rothen Roſen, lieblich gluͤhn,

Und dort, auf Aepfel-Baͤum- und Buͤſchen,

Sich beyder Farben zaͤrtlich miſchen;

Ja, wie dort, auf den ſchwanken Feigen,

Die Fruͤchte ſelbſt ſchon, ſtatt der Knoſpen, ſteigen.

Erwaͤget doch, in dieſer Fruͤhlings-Zeit,

Derſelben Drang, der Farben Lieblichkeit,

Der Form- und Arten Unterſcheid!

Will man denn, zu des Schoͤpfers Ehren,

Der Knoſpen liebliches Gebaͤhren,

Mit Andacht, und mit Luſt, nicht ſehn,

Jhn, durch Bewundrung, nicht erhoͤhn;

Und, da derſelben ſchoͤne Fruͤchte,

So wie die Bluͤhte, dem Geſichte

Ergetzlich, ſich nicht dran ergetzen,

Nicht darinn Gottes Macht und weiſe Liebe

ſchaͤtzen?


Mancher-
[48]

Mancherley
Vergnuͤgen im Fruͤhlinge.


Bemerke doch, mein Geiſt, die Herrlichkeit,

Womit die holde Fruͤhlings-Zeit

Die Welt, mit ſo viel Wundern, zieret,

Die man jetzt uͤberall verſpuͤhret.

Hier ſingt, dort ſtimmt, ein Voͤglein wieder

Die lange nicht geſungnen Lieder.

Doch horchet, welch ein heller Schall!

Fuͤrwahr, es iſt bereits die Nachtigall.

Gott Lob, daß Er uns wollen goͤnnen,

Daß wir ſie wieder hoͤren koͤnnen.

Ewger Urſtand aller Dinge,

Aller Luſt und Herrlichkeit!

Gieb, daß in den ſchoͤnen Werken,

Sonderlich zur Fruͤhlings-Zeit,

Jch Dich froͤhlich mag bemerken,

Und Dir oft ein Lob-Lied ſinge!

Laß mich, Herr, zu Deinen Ehren,

Oft der Voͤgel Lob-Lied hoͤren!

Die, in ungezaͤhlten Choͤren,

Deine Macht und Weisheit lehren,

Und Dein Lieben uns erklaͤren.

Mancher-
[49]Mancherley Vergnuͤgen im Fruͤhlinge.
Man ſieht, aus kaum zu ſehnden Ritzen,

Des Graſes kleine ſtarre Spitzen,

Um Feld und Wieſen zu bedecken,

Jn unbegreiflicher Geſchwindigkeit, ſich ſtrecken.

Man ſieht zu anfangs, hier und dar,

Faſt ſichtlich, an verſchiednen Stellen,

Aus duͤrrer Erden, eine Schaar

Von kleinen gruͤnen Huͤgeln, quellen;

Die aber, eh wir es vermeynen,

Sich gleichſam naͤhern, ſich vereinen.

Der trockne Zwiſchenſtand verkleinert ſich

Gemach, und gleichſam ſichtbarlich;

Ein angenehmer gruͤner Schein

Wird, unvermuthet, allgemein.

Fuͤr wen bebluͤhmen ſich die Felder?

Fuͤr wen belauben ſich die Waͤlder?

Fuͤr wen? Fuͤr dich, o Menſch! allein.

Willt du denn nicht den holden Willen

Des Schoͤpfers der Natur erfuͤllen,

Dich Seiner Gaben nicht erfreun?

Jn deiner Luſt nicht dankbar ſeyn?

Die Erde, die damit noch nicht vergnuͤget ſchien,

Jn einen gruͤnen Sammt ſich einzuhuͤllen,

Mit Klee und Gras und Kraut, fuͤr uns, ſich zu beziehn,

Faͤngt an ſo gar, ſich zu bemuͤhn,

Durch ein nicht minder ſchoͤnes Gruͤn,

Den ganzen Luft-Kreis zu erfuͤllen,

Sich hoͤher, als ſie ſelbſt, noch zu erſtrecken,

Und Baͤum’ und Buͤſch mit Blaͤttern zu bedecken.

8 Theil. DNoch
[50]Mancherley Vergnuͤgen im Fruͤhlinge.
Noch mehr! Sie will auch dort, mit ihren ſchoͤnſte[n]
Schaͤtzen,

Mit Bluhmen, uns ergetzen.

Sie laͤßt, zu dieſem Zweck, der Baͤume Wipfel bluͤhn

Man ſieht ſie, aͤmſig ſich beſtreben,

Jhr Prangen uͤber ſich noch zu erheben,

Und, um die Luft nicht minder auszuzieren,

Auch Gaͤrten zu formieren,

Die in der That in Luͤften ſchweben.

Seh ich der Erde Fruͤhlings-Zier,

Komm ich, vor Luſt, faſt auſſer mir;

Zumal, da dieſe Luſt mich leitet

Zu Dem, Der ſolche Wunder-Pracht,

Durch Seine Goͤttlich weiſe Macht,

Aus Liebe, bloß fuͤr uns, bereitet.


De[r]
[51]

Der bluͤhende Dornſtrauch.


Es iſt, zur holden Fruͤhlings-Zeit,

Die Welt ſo voller Lieblichkeit,

Daß man, nicht ohn’ Ergetzen, ſiehet,

Wie auch ſo gar der Dornſtrauch bluͤhet,

Und zwar ſo angenehm, ſo ſchoͤn,

Daß wir das ſchimmernde Gepraͤnge,

Der Bluhmen, Farben, Form und Menge,

Nicht ſonder Luſt und Anmuth, ſehn.

Wie? dacht ich, ſoll der Fluch der Erden,

Mit welchem ſie beleget war

Zu unſrer Strafe, denn ſo gar

Ein Vorwurf unſrer Anmuth werden?

Da ja ſo Dorn als Diſteln bluͤhn,

Und ſich, zu unſrer Augen-Weide,

Mit einem Schimmer-reichen Kleide,

Und bunten Farben, uͤberziehn.

Doch ſey die Antwort ausgeſetzt;

Weil das, was ich, hier in der Naͤhe,

Am Dornſtrauch Schoͤn- und Lieblichs ſehe,

Mir Aug’ und Herz ſo ſehr ergetzt,

Daß ich es, mit geruͤhrter Seele,

Zum Vorwurf meiner Lieder waͤhle.

Wer, mit betrachtendem Gemuͤth,

Den Bau des Dornſtrauchs uͤberſieht

Den Zweig, den Dorn, das Laub, die Bluͤht;

Auch, wie ſo ordentlich ſie ſtehn,

Wie ſehr ſie gleich verworren ſcheinen:

Der findet alle Theile ſchoͤn,

Und zierlicher, als wie wir meynen.

D 2Die
[52]Der bluͤhende Dornſtrauch.
Die Zweige, die, in jungen Sproſſen,

Vor kurzem erſt, hervor geſchoſſen,

Sind oben roth, und unten gruͤn.

Aus dieſen ſieht man ſich bemuͤhn,

Ein zierlich eingeſchnittnes Blatt,

Das dunkelgruͤn und glaͤnzend glatt,

An einem Ort hervorzubrechen:

Zugleich auch, einen Dorn ſich ſtechen,

Der dunkelroth, und noch nicht hart;

Der aber, bald darauf, erſtarrt.

Allein, was recht verwunderlich!

Ein kleines Blaͤttchen theilet ſich,

Und ſcheinet, recht in ſeiner Mitten,

Als waͤr’ es kuͤnſtlich aufgeſchnitten.

Es ſcheint, wenn man es recht beſieht,

Vom Dorn und groſſem Blatt zerſpalten,

Daß jede Haͤlfte ſich bemuͤht,

Von beyden Seiten ſie zu halten.

Es iſt dieß kleine Blaͤttchen werth,

Daß ſich Betracht- und Achtung mehrt.

Kein Menſchen-Witz vermag zu faſſen,

Warum es ſich muß theilen laſſen.

Jch brach zween Haͤlften ab, und fuͤgte

Sie beyde, vor mir, aufs Papier:

Da ich, an ihrer Formen Zier,

Mich recht in meinem Geiſt vergnuͤgte;

Zumal erſtaunt’ ich, als ich fund,

An jeder Haͤlft’, ein halbes Rund,

Das, wie ich ſie zuſammenbrachte,

Vollkommen einen Zirkel machte.

Ei[n]
[53]Der bluͤhende Dornſtrauch.
Ein jedes Spitzchen, das es ziert,

Jſt ſo ſubtil, ſo zart formiert,

Daß ſie kein Kuͤnſtler, mit der Scheere,

So nett zu bilden, faͤhig waͤre.

Nun laſſet uns das große Blatt

Am Dornſtrauch ebenfals beſehn.

Es iſt ſo lieblich gruͤn, ſo glatt,

So glaͤnzend, zierlich, und ſo ſchoͤn;

Es ſcheint an Glanz, an Farb’ und Zier,

Dem lieblich glaͤnzenden Laurier,

An Schoͤnheit, faſt noch vorzugehn.

Zuletzt betrachtet’ ich die Bluͤht,

Die jetzt den ganzen Buſch bedecket;

Die auch ein ſonſten traͤg Gemuͤth,

Als wie ein Licht, vom Schlaf erwecket,

Und, mit Gewalt faſt, auf ſich zieht.

Das Weiſſe ſcheinet, auf dem Dunklen,

Noch deſto kraͤftiger zu funklen.

Ein Silber glaͤnzet kaum ſo rein,

Als dieſer Bluͤhten weiſſer Schein.

Man ſah von ihnen eine Schaar,

Die noch nicht ganz geoͤffnet war,

An Ruͤnd’ und Glanz, den Perlen gleichen;

Jndem die offnen, dort und hier,

An weiſſem Schimmer, Form und Zier,

Kaum netten weiſſen Roſen weichen.

Fuͤnf Blaͤtter ſind daran zu ſehn,

Die in ſo netter Ordnung ſtehn,

Daß, da ſie untenwaͤrts ſich ſpitzen,

Man durch derſelben offne Ritzen

Ein fuͤnfeckt Sternchen glaubt zu ſehn.

D 3Da
[54]Der bluͤhende Dornſtrauch.
Da ſich, in ihrer Mitte, nun

Meiſt funfzehn Faͤſerchen erhoͤhn,

Auf welchen kleine Kugeln ruhn,

Die purpurfarbig ſind, und ſich,

Das Auge mehr noch zu erfriſchen,

Mit ihrem weiſſen Grunde miſchen;

So freu ich recht und labe mich,

An dieſer Miſchung, inniglich.

Sehn wir nun, wie, durch Gottes Willen,

Die Felder, uns zur Luſt, ſich fuͤllen,

Und Dornbuͤſch’ allenthalben bluͤhn;

Laßt ſie den Blick doch auf ſich ziehn!

Laßt uns ſie mit Vergnuͤgen ſehn,

Und, bey ſo ſuͤſſer Augen-Welde,

Durch die darob gefuͤhlte Freude,

Den Schoͤpfer, im Geſchoͤpf, erhoͤhn!


Bluh-
[55]

Bluhmen,
Betrachtung-wuͤrdige Geſchoͤpfe.


Schoͤne Bluhmen! holde Zeugen

Von der Weisheit, Lieb’ und Macht

Deſſen, Welcher euch erdacht,

Und, ſo ſchoͤn, hervorgebracht;

Der, mit ſo viel Glanz und Pracht,

Aus der Erde ſchwarzen Nacht,

Euch befahl, hervorzuſteigen:

Welcher Farben und Figuren,

Auch den Ruch, in euch geſenket;

Der uns Menſchen das Geſicht,

Und das ſchoͤne Sonnen-Licht,

Auch des Riechens Kraft, geſchenket.

Nichts vermag von GOTT die Spuhren,

Und die Wunder, die Jhm eigen,

Ueberzeuglicher zu zeigen,

Als ihr ſchoͤnen Creaturen.


D 4Fruͤh-
[56]

Fruͤhlings-Gedanken.


Hier ſitz’ ich in zufriedner Stille,

Von Streit und Zank und Laͤrm befreyt

Jn ungeſtoͤhrter Einſamkeit.

Rings um mich her iſt eine Fuͤlle

Von Schaͤtzen holder Fruͤhlings-Zeit:

Von Roſen, Liljen und Jesminen,

Die all’, in tauſendfaͤrbgem Gruͤnen,

Als wie ein buntes Feuer, gluͤhn.

Sollt’ ich dann dieſes nicht erwaͤgen,

Nicht meinen Geiſt zuſammenziehn?

Sollt’ ich nicht froͤhlich uͤberlegen,

Wozu ſo ſchoͤne Bluhmen bluͤhn?

Sollt’ ich mich nicht, mit Ernſt, bemuͤhn,

Durch ein darauf verwandtes Denken,

Der Fruͤhlings-Kinder bunte Pracht

Mir zuzueignen? Sollt’ ich nicht

Zu Dem, Der ſie hervorgebracht,

Und mir nicht minder mein Geſicht

Dazu geſchenkt, mich dankbar lenken?

Erfodert es nicht meine Pflicht,

Mich an den wunderſchoͤnen Gaben,

Zum Ruhm Deß, Der ſie gab, zu laben;

Sie zu beteachten, zu beſehn;

Sie zu bewundern, und in ihnen,

Da ſie, nur bloß fuͤr uns, ſo ſchoͤn,

Und, uns allein zur Luſt, erſchienen;

Auch Gott, in meiner Luſt, zu dienen,

Jn meiner Freud’ Jhn zu erhoͤhn?

E[s]
[57]Fruͤhlings-Gedanken.
Es hat ja Gott Sein liebreich Wollen,

Daß wir uns hier vergnuͤgen ſollen,

Durch die Vernunft, uns offenbahrt:

Wie daß, bey ſolcher Augen-Weide,

Man, unbegreiflich, Seine Freude

Stets auf ein kuͤnftigs Jahr verſpahrt!


D 5Bewun-
[58]

Bewundernswerthe Nahrung
der Pflanzen.


Nicht weit von zwo erhabnen Linden, die, Wolke
waͤrts, die Aeſte ſtreckten

Und welchen, erſt entſproßne Blaͤtter, die oft getheilte[n]
Zweige deckten,

Beſah ich juͤngſt derſelben Pracht, bewunderte des Wuch[-]
ſes Hoͤh,

Betrachtete der breiten Wipfel gebogner Zweig’ un[d]
Blaͤtter Menge,

Zumal der von der Wurzel ab ſo weit gedehnten Fieber[n]
Laͤnge,

Und faßte nicht, wie ihre Nahrung durch ſo entfernt
Wege geh.

Wie, dacht ich, koͤnnen ihre Hoͤhen, ſo weit entferne[t]
von der Erden,

Da ſie kein Menſch begieſſen kann, getraͤnket und genaͤh-
ret werden?

Die hohen Wipfel brauchen Naͤſſe; wer traͤnket, wer
begieſſet ſie?

Wuͤrd’ auch der allerkluͤgſte Menſch, mit aller Kunſt,
mit aller Muͤh,

So große Koͤrper anzufeuchten, ſie zu beſpruͤtzen, ſie
zu traͤnken,

Ein Mittel zu erſinnen wiſſen, ja nur die Weiſe zu er-
denken?

So aber hat ein andrer Geiſt, ein weit erhabnerer
Verſtand,

Ein herrlich Mittel ausgefunden: das, weil es uns
zu ſehr bekannt,

Zwar
[59]Bewundernswerthe Nahrung der Pflanzen.
Zwar nicht von uns bewundert wird; das aber an ſich
ſelber wehrt,

Daß mans bemerket, und darinn die Weisheit des Er-
finders ehrt,

Samt Seiner Lieb’ und Seiner Macht. Es ziehen,
aus der tiefen See,

Durch der beflammten Sonne Kraft, ſich Feuchtigkeiten
in die Hoͤh,

Verſammlen ſich, formieren Wolken, und werden, als
im Schlauch gefaßt,

Von Winden hin und her getrieben, bis ſie zuletzt, durch
eigne Laſt,

Sich wieder abwaͤrts ſenken muͤſſen: da, wenn ſie nun
herunter eilen,

Die ihnen widerſtehnde Luͤfte ſie ſanfte von einander
theilen,

Daß ſie nur troͤpflend fallen koͤnnen; wodurch, recht
wie ein Gaͤrtner gießt,

Der Trank der Blaͤtter und der Pflanzen, nur maͤhlig,
auf dieſelben fließt,

Sie netzet, kuͤhlt, erfriſcht und traͤnkt: da ſie ſich, durch
die hohlen Roͤhren,

Nachher annoch, von unten auf, durch ein beſonders
Triebwerk, naͤhren;

So noch ein neues Wunderwerk. Ein Thier bemerket
dieſes nicht,

Und ſieht in dem, was, in dem Regen, Bewunderns-
wuͤrdiges geſchicht,

Kein’ Abſicht, keine Weisheit, Ordnung, noch Frucht-
barkeit, noch Nutz, noch Segen.

Allein, die kluge Creatur, der Menſch, wird dieß oft
uͤberlegen,

Jn
[60]Bewundernswerthe Nahrung der Pflanzen.
Jn dieſem unentbehrlichen und Segen-reichen Wel[t]
Getraͤnke,

Ein ihm, nebſt allen Pflanzen, Thieren, ſo noͤth- al[s]
nuͤtzliches Geſchenke

Befinden, ſich daruͤber freuen, dem Geber oͤfters dan[k-]
bar ſeyn,

Zu Jhm in Gegenlieb’ entbrennen, und Jhn verehren
Leider! nein.

Die meiſten danken nie dafuͤr, ja denken nicht einma[l]
daran;

So daß man: Ja ſo viel, als wir, dankt auch ein[em]
Thier. wohl ſagen kann[.]


Labſal
[61]

Labſal der Sinne im Fruͤhlinge.


Jn, ganz von balſamirten Duͤften

Erfuͤllt- und faſt beſchwehrten, Luͤften

Erſchallt zugleich ein tzwitſchernd Klingen

Verliebter Voͤgelchen; ihr hell und ſchmeichlend Singen

Ruͤhrt, wie der Kraͤuter Duft die Naſe ruͤhrt, das Ohr.

Den Augen ſtellt das Heer der Bluhmen

Nicht nur die Felder aus Jdumen;

Ein neues Eden, gleichſam vor.

Des Zephirs Hauch, bald lau, bald kuͤhl,

Erquickt die Seele, durchs Gefuͤhl.

Jn Fruͤchten kann ſie, durch das Schmecken,

Noch eine neue Luſt entdecken.

Kurz: Durch das, was man riecht, fuͤhlt, hoͤret,
und erblicket,

Auch ſchmecket, wird die Seel’, auf ſo viel Art, entzuͤcket,

Wenn ſie ihr Denken nur mit ihren Sinnen bindet;

Zumal, wenn ſie darinn der Weſen Urſtand findet.


Fruͤh-
[62]

Fruͤhlings-Gedanken bey einem
lauen Regen.


Der Himmel weinet Freuden-Thraͤnen,

Und traͤnkt das Land. Die Erde lacht,

Und ſucht, zu ihrer Fruͤhlings-Pracht,

Viel tauſend Wege ſich zu baͤhnen.

Bemerkt das liebliche Geraͤuſch

Von dem ſo lang’ erſeufzten Regen!

Erwaͤgt, in ihm, den Nahrungs-Segen:

Es troͤpfelt Milch, es regnet Fleiſch.

Es ſaͤuſeln jetzt gelinde Winde,

Der rauhe Nord-Wind ſchnaubt nicht mehr;

Es oͤffnet hunderttauſend Muͤnde

Des Graſes und der Kraͤuter Heer.

Es koͤmmt dem aufmerkſamen Ohr,

Beym Fruͤhlings-Regen, gleichſam vor,

Als koͤnnt’ es, von den zarten Roͤhren,

Das Schmatzen ihres Saugens hoͤren.

Das Land wird ſchwarz, die Kloͤße kleben;

Wodurch, von Gras und Saat, das Gruͤn,

Durch dunklen Grund, ſich mehr zu heben,

Sich mehr noch zu verſchoͤnern, ſchien:

Ja, daß, bey jedem Augenblicke,

Das Feld ſich immer ſchoͤner ſchmuͤcke.

Es ſcheint, daß, durch die Feuchtigkeiten,

Das Gras geſtaͤrkt, ſich recht bemuͤht,

Sich zu erhoͤhn, ſich auszubreiten;

Ja, daß man es faſt wachſen ſieht.

Dem
[63]Fruͤhlings-Gedanken bey einem lauen Regen.
Dem geſtern noch kaum Gruͤnen ſchien

Ein ganz beſonders lebend Gruͤn,

Das Aug’ und Herz und Geiſt erfriſcht,

Jn einer Nacht noch, zugemiſcht.

Es ſchien, bedeckt mit Glanz und Schein,

Faſt aus den Wolken ausgegoſſen,

Jm Regen mit herab gefloſſen,

Und faſt kein irdiſch Gruͤn, zu ſeyn.

Dem Gruͤnen, an dem bunten Kranz

Des Himmels, wich es kaum an Glanz.

Es ſcheint, wenn es das Licht durchſtrahlet,

Und das durchlauchtge Laub durchbricht,

Jlluminiert mehr, als gemahlet,

Und gleichſam ſelbſt ein gruͤnes Licht.

Ach, moͤchte doch des Fruͤhlings Zier,

Sein bunter Glanz, ſein heller Schein,

Geliebter Leſer, dir und mir,

Zur Luſt, zum Dank, ein Leitſtern ſeyn!


Gedan-
[64]

Gedanken uͤber Tulpen.


Faſt erſtaunet, ſeh’ ich hier,

Wie der bunten Tulpen Zier

Minder pranget, glaͤnzt und bluͤhet,

Als in bunten Flammen gluͤhet.

Ganz an Feuer-Farben reich,

Sehn ſie nicht nur Flammen gleich;

Sondern, was ſo ſchoͤn gemahlet,

Wird vom Sonnen-Feur durchſtrahlet,

Und dadurch darinn erblickt,

Wie ein wirklich Feur ſie ſchmuͤckt.

Dieſer Feuer-gleiche Schimmer

Mehrt, in ihnen, ſich noch immer,

Wenn, vom Winde ſanft bewegt,

Er bald hier, bald dort, ſich regt,

Und die Bluhmen bald ſich heben,

Bald ſich drehen, bald ſich neigen,

Und, im Sinken und im Steigen,

Ein beweglichs feurigs Schweben,

Als von einer Lohe, zeigen,

Welche nimmer ſtill, ſtets eilt,

Und die Luft durchdringt und theilt.

Dieſer ſchoͤnen Flammen Wuͤhlen,

Jhr ſo bunt- als reger Schein,

Dringt ſich in mein Herz hinein;

Meine Seele kann ſie fuͤhlen.

Durch
[65]Gedanken uͤber Tulpen.
Durch der ſchoͤnen Farben Pracht,

Welche, Flammen gleich, nicht ruht,

Wird in ihr ein’ Andacht-Gluht,

Gott zu Ehren, angefacht.

Es wird recht ein neues Licht

Jn ihr Jnnerſtes geſenket;

Und ſie dankt, daß das Geſicht

Jhr vom Schoͤpfer ſey geſchenket,

Auch der Sonne heller Schein,

Nebſt ſo vieler Bluhmen Schaͤtzen.

Sollt’ ich dann, fuͤr ſolch Ergetzen,

Dir, mein Gott! nicht daukbar ſeyn?


8 Theil. EDer
[66]

Der fruͤh bluͤhende Roſenſtock.


Jm fuͤnf und vierzigſten nach ſiebzehn hundert Jahr[e]
ward mir, ſchon mitten im April,

Ein wunderſchoͤner Roſenſtock, der voͤllig aufgebluͤht,
geſchenket.

Jch ſtund, bey der beſondern Schoͤnheit, vor Luſt geruͤhrt
erſtaunet ſtill,

Und ward, in der empfundnen Luſt, zum Ruhm des
Schoͤpfers hingelenket,

Der ein ſo ſchoͤn geformt Geſchoͤpf, der Blaͤtter, Knoſp-
und Bluhmen Pracht,

Aus hartem Holze ſteigen laͤßt: der Menſchen Seele[n]
ſinnlich macht,

Den Koͤrpern Naſ’ und Augen ſchenkt; damit wir, a[n]
der Erde Schaͤtzen,

So, ſonder Sinn, nicht moͤglich waͤr, uns zu vergnuͤgen,
zu ergetzen,

Jhn zu bewundern, faͤhig waͤren. Darauf verband ich
Geiſt und Sinnen,

Roch achtſam, ſahe mit Bedacht den Schmuck, von
auſſen und von innen,

Der, Blaͤtter, Knoſp- und Bluhmen deckt. Da dann,
vor andern, aus dem Gruͤnen,

Der kleinen Knoſpen glaͤnzend Roth, wie kleine fun-
kelnde Rubinen,

Mir tief in meine Seele ſtrahlten. Jch ſahe ſie bedacht-
ſam an,

Und fand, daß ihre Lieblichkeit darinn hauptſaͤchlich mit
beſtand,

Daß ein gedaͤmpfter weiſſer Rand,

Da[,]
[67]Der fruͤh bluͤhende Roſenſtock.
Da, wo das Gruͤn am Rothen graͤnzet,

Jn einem ſanften Schimmer glaͤnzet;

Wodurch ein ſanft Gemiſch entſteht,

Das, von dem ſanften Roth- und Gruͤnen, die Lieblich-
keit noch mehr erhoͤht.

Bey dieſer froͤhlichen Betrachtung ward ich, von unge-
fehr, gewahr,

Wie, auf des Topfes dunklem Boden, ein’ abgefallne
Blaͤtter-Schaar

Die Erde hin und wieder deckte. Dieß gab von der
Vergaͤnglichkeit

Der Bluhmen, mir zwar einen Eindruck; inzwiſchen ward,
durch ihren Fall,

Und fluͤchtige Beſchaffenheit,

Jn mir dennoch kein Gram erregt. Daß Creaturen
uͤberall

Vergaͤnglich und veraͤnderlich, dacht ich, muß nicht
getadelt werden:

Es iſt des Schoͤpfers Ordnung ja. Vielmehr laßt uns
auf dieſer Erden,

Durch die Vergaͤnglichkeit belehrt, uns unſrer Zeit
gebrauchen lernen,

Die uns der Schoͤpfer ſchenkt und goͤnnt. Weil wir
aus der Erfahrung wiſſen,

Daß, ſo wie alles ſich veraͤndert, wir ſelbſt uns auch
veraͤndern muͤſſen;

So laßt uns doch, ſo viel wir koͤnnen, uns oft am Jr-
diſchen vergnuͤgen,

Laßt uns, bey jeglichem Genuß, Erkenntlichkeit und
Danken fuͤgen!

E 2Je
[68]Der fruͤh bluͤhende Roſenſtock.
Je oͤfter wir, in unſerm Leben, an uns von GOTT
geſchenkten Schaͤtzen,

Jn ihnen Seine Weisheit, Lieb’ und Macht bewundernd,
uns ergetzen;

Je mehr vollfuͤhren wir die Pflichten, zu welchen wir
erſchaffen ſeyn:

Es iſt der beſte Gottes-Dienſt, uns Sein, in Sei-

nen Werken, freun.


Noch
[69]

Noch einige Fruͤhlings-Gedanken.


Hoͤr, in dieſen holden Buͤſchen,

Linde Winde ſaͤuſelnd ziſchen!

Schau, wie ſanft das Laub ſich regt!

Schau, wie, durch ihr kuͤhles Scherzen,

Auch der Schatten ſich bewegt,

Und wie tauſend lichte Stellen

Bald, durch ihren Tuſch, ſich ſchwaͤrzen,

Bald ſich, wie vorhin, erhellen!

Fuͤhl! es ſpielen Zephirs Schwingen

Mit den balſamirten Luͤften,

Die aus tauſend Bluhmen dringen;

Denen er, wenn er ſie ruͤhrt,

Mancherley Geruch entfuͤhrt,

Und, aus tauſend ſuͤßen Duͤften,

Einen einzigen formiert.

Eine frohe Seele ſpuͤhrt,

Wenn ſie riechet, wie ſie ſoll,

Dieſen holden Bluhmen-Zoll.

Ein ambrirter ſuͤßer Schwall

Fuͤllt den Luft-Kreis uͤberall.

Wer behindert uns, zu denken,

Wenn die Fruͤhlings-Luſt uns ruͤhrt,

Daß Dem, Der ſie wollen ſchenken,

Ehre, Preis und Dank gebuͤhrt?


E 3Die
[70]

Die Paͤonien.


Seht, wie der laue Junius ſo manche Bluhmen-Art
gebiehret!

Seht, wie der Garten, unter andern, auch mit Paͤonien
ſich zieret,

Die, durch die Groͤße nicht allein,

Auch durch der Farben Gluht, betraͤchtlich ſeyn.

Man ſiehet ſie, mit Luſt, auf einem dunkeln,

Nicht gar zu hohen, Buſche, funkeln,

Und, eben durch dieß dunkle Gruͤn

Noch mehr erhoͤht, die Augen auf ſich ziehn.

Es iſt, ſo viel ich weiß, im Bluhmen-Reich,

An Groͤß’, ihr keine Bluhme gleich.

Es ſcheint, ob wolle die Natur

Uns, durch der Farben Glanz und Pracht, nicht nur

Das Aug’ erfreuen und ergetzen;

Durch die anſehnliche Figur

Zugleich uns in Bewundrung ſetzen.

Allein,

Weil dieſe Bluhme nur gemein,

Und auch der Bauren Garten ſchmuͤcket;

So wird, trotz ihrer Groͤß’ und ihrer Farben Schein,

Sie doch von wenigen nur angeblicket.

Es ſcheint, als ob die Achtlosheit,

So ihr von Menſchen wiederfaͤhret,

Jhr ſo empfindlich ſey, daß ſie nur kurze Zeit,

Darum, bey uns zu bluͤhn begehret.

Daher,
[71]Die Paͤonien.
Daher, wenn ſie kaum aufgebluͤht,

Zur Probe, daß ſie uns nicht lang’ ergetzen werde,

Man, unter ihrem Buſch, oft auf der Erde

Schon abgefallne Blaͤtter ſieht;

Als wollte ſie dadurch, in uͤberfuͤhrnden Lehren,

Uns ihre kurze Daur erklaͤren.

Es ſcheint, als ob ſie uns noch mehr, als ſich,
beklagte,

Und daß ſie dieß, in ihrer Sprache, ſagte:

Schau, lieber Menſch, noch einmal nach mir her!

Denn morgen ſiehſt du mich nicht mehr.

Vermuthlich welkt ſchon morgen unſer Prangen;

Vielleicht biſt du, nebſt uns, ſelbſt morgen ſchon,

vergangen.


E 4Schoͤn-
[72]

Schoͤnheit junger Linden
im Fruͤhlinge.


Wenn in der Linden jungen Zweigen,

Die, weich, und noch nicht ſteif und feſt,

Sich, nebſt den Blaͤttern, abwaͤrts beugen,

Zuweilen der verliebte Weſt,

Um ſie zu kuͤſſen, liſpelnd blaͤſt,

Erreget er ein lieblich Spiel,

Und ein vergnuͤgendes Gewuͤhl.

Man hoͤrt nicht nur ein ſanft Geziſch;

Man ſieht, von Lichtern und von Schatten,

Die ſich bald trennen und bald gatten,

Ein immer wandelbar Gemiſch.

Bald durch- bald angeſtrahlte Blaͤtter,

Sind weislich bald, bald gelblich gruͤn:

Wodurch, in aufgeklaͤrtem Wetter,

Ein helles Gruͤne bald, und bald,

Jn ſtets ſich aͤndernder Geſtalt,

Ein dunkelgruͤnes Feur, erſchien;

Durch welches ſich ein blauer Strahl,

Vom blauen Himmel, oftermal,

Da, wo das Laub ſich oͤffnet, wies,

Und, bey ſo ſchoͤnen irdſchen Lichtern,

Den es beachtenden Geſichtern

Ein himmliſch Feur oft ſehen ließ.

Es ſchien, daß ſie der Weſt-Wind darum regte,

Und, in der Abſicht bloß, bewegte,

Damit wir deutlich moͤchten ſehn,

Daß ſie an beyden Seiten ſchoͤn.

Wenn
[73]Schoͤnheit junger Linden im Fruͤhlinge.
Wenn uns nun aus den jungen Baͤumen,

So viel Ergetzlichkeiten keimen;

So laßt ſie, durch das Aug’, auch unſre Seelen
ruͤhren,

Und uns, in unſrer Luſt, zu ihrem Schoͤpfer
fuͤhren.


E 5Troſt
[74]

Troſt aus Bluhmen.


Voll Schwehrmuth, Gram, und recht betruͤbt,

Wozu, von einigen der Meinen,

Mir eine Nachricht Anlaß giebt,

Die mich zum innerlichen Weinen,

Ja faſt zum aͤuſſerlichen, zwingt,

Die von dem, was ich auf der Welt,

Von ihnen, nie mir vorgeſtellt,

Mir traurige Verſichrung bringt,

Geh’ ich allein, von ungefehr,

Mit Schritten, die von Kummer ſchwehr,

Jn meinem Garten auf und nieder.

An ſtatt daß ſonſt ein Lob-Geſang,

Jn dieſen Steigen, oft erklang,

Sang ich jetzt bittre Klage-Lieder:

Bis ich, zuletzt, auf einem Platz,

Woſelbſt ein bunter Bluhmen-Schatz,

Vom Sonnen-Licht beſtrahlet, ſtunde,

Mich, ohn’ auf ſie zu denken, funde.

Allein,

Als wie ein ſchnelles Licht

Durch Dunkelheit und Nebel bricht;

So brach und drang ihr bunter Schein

Auch durch der Sinne ſchwarzen Kummer.

Jch ſtutzt’. Und als ich ihre Pracht

Erwog, und etwas nachgedacht,

Erwacht’ ich, als aus einem Schlummer.

Es ward, auf dieſer bunten Stelle,

Jn meiner Seele gleichſam helle;

E[s]
[75]Troſt aus Bluhmen.
Es ließ, als duͤrften faſt die Traurigkeit, und Plagen,

Jn dieſen Sitz der Anmuth ſich nicht wagen.

Die Bluhmen ſchienen nicht mit Glanz und Farb’
allein,

Mit lieblichem Geruch, erfuͤllet und umgeben;

Es ſchien ein holder Anmuth-Schein

Um ihre bunte Pracht zu ſchweben,

Und ein Vergnuͤgungs-Duft, aus ihr, ſich zu erheben,

Mit dem Geruch zugleich.

Ja, ihr von Gott geſchmuͤcktes Heer

Erklaͤrte mir, aufs neue, Chriſti Lehr,

Die, an beſonderm Troſt, ſo reich,

Daß, wenn wir Gott gefaͤllig handeln,

Allhier nach unſern Pflichten wandeln,

Und Gott gefaͤllig leben wollen,

Wir Dem allein vertrauen ſollen:

Der, ſo wie Er die ganze Welt

Erſchuff, regieret, und erhaͤlt;

So auch der ſchoͤnen Bluhmen Pracht,

Ohn’ ihre Sorg’, hervorgebracht.

Jch fuͤhlte dann, in meiner Bruſt, von innen,

Den Kummer allgemach zerrinnen:

Der ſanften Anmuth holder Schein

Nahm, ſtatt der Schwermuth Nacht, mir alle Sinnen ein.

Jndem ich alſo ſtehen bleibe,

Um recht zu ſehn, die Augen reibe,

Woraus der ſchwarze Gram verfleucht;

Wird eine Schachtel, die recht ſchwehr,

Verſiegelt, mir, von Hamburg her,

Von meinem Gaͤrtner, eingereicht.

Dieß
[76]Troſt aus Bluhmen.
Dieß war aus Baaden Durlachs Garten,

Jn welchem ſie zuerſt entſprungen,

Ein Ausfluß, zu mir hergelenkt,

Von faſt zwohundert Tulpen-Arten,

Der, dafuͤr daß ich ſie beſungen,

Mir war, aus Dankbarkeit, geſchenkt,

Und der nunmehr in Hamburg bluͤht.

Kein Feuer, das man, wie es gluͤht,

Und, unverhofft, im Dunkeln ſieht,

Zieht die ſonſt ausgedehnten Blicke,

So ſchnell, auf ſich allein, zuruͤcke,

Als hier ſich eine bunte Flamme, die ſchnell aus d[em]
Behaͤlter drang,

Und gleichſam mir ins Auge ſprang,

Wie ich die Schachtel oͤffnen ließ,

Dem drob erſtaunten Geiſte wies.

Es ſchien, ob loderten zuſammen

Glanz, Edelſtein’, und helle Flammen,

Jn einer bunt gefaͤrbten Loh:

Der holde Schimmer ſtrahlte ſo;

Es drang der ſuͤß gemiſchte Schein

Jn meine Bruſt, ſo kraͤftig, ein,

Daß ich, da ihre Gluht ſo bunt,

Vor Luſt, mich kaum beſinnen kunnt.

Es kam mir faſt nicht anders vor, als ob Ergetz[en]
und Vergnuͤgen,

Jn einem unſichtbaren Duft, zugleich aus dieſer Lo[h]
ſtiegen,

Und alle Sorgen, die mich nagten,

Durch ihren Wunder-Glanz, faſt mit Gewalt, verjagte[.]

J[ch]
[77]Troſt aus Bluhmen.
Jch ließ, um an den Herrlichkeiten

Mich deſto mehr noch zu vergnuͤgen,

Sie alle von einander breiten,

Und, um ſie beſſer zu erwaͤgen,

Jn Schuͤſſeln voller Waſſer, legen.

Mein Gott, welch eine Farben-Menge!

Wie uͤber wunder-wunderſchoͤn

War das faſt blendende Gepraͤnge,

Von Form und Schimmer, anzuſehn!

Jch ließ mir das Regiſter reichen;

Weil alle Nummern noch daran,

Worinn man die verſchiednen Zeichen,

Und ihre Namen finden kann.

Da fand ich denn, wie dieſer Namen,

Die ſie wohl, theils von ungefehr,

Und theils aus Abſicht, uͤberkamen,

Gar eine große Menge waͤr;

Wovon ich, einige zu nennen,

Damit ich noch, auf manchen Tag,

Mich ihrer Pracht erinnern mag,

Mich hier nicht hab’ entbrechen koͤnnen.

An Tulpen, fand ich folgende: Den Pfalz-Graf,
Samſon, Flamboyant,

Den Admiral, den bonten Held, de goude Scepter,
Diamant,

Minerva, Juno, Roſen-Kron, Thalia, Conſtans, Argentina,

De Liefde boven all, Achates, de Brand-Vlag, Paragon
Royal,

Diana, Koͤnigin von Polen, t’ vergult Juweel, der Cardinal,

Bona-
[78]Troſt aus Bluhmen.
Bonaventura, Cafferin, de Neger Konigin, Br[u]
nette,

Die Kayſerinn Zenobia, Sophia, Gellia, Roſette,

De Bruyd von Harlem, Sansje pansje, der Chevalie[r]
die Delila,

Den Hoogforſt, Prinz von Baden-Durlach, D[uc]
de Bourbon, Thereſia,

Dictator, Socrates, Petron, de Graf van Hollan[d]
Renommee,

De Roſemond, Mirtillo, Caſtor, Euphrates, Carolu[s]
Moree,

Conquett van Lew, la Violette, le grand Monarqu[e]
Duc de Bourbon,

Jncomparable, Veldheer, Samſon, le Peroquet, Du[c]
d’ Epernon,

Charmante Brune, Prinz von Homburg, le grand Co[-]
loſſe, Proſerpina,

Der Erz-Biſchof von Canterbury, der Moor, Eliſabeth
Chriſtina,

Madame Merian, Auguſtus, Prinz von Hannove[r]
Friſia,

Odatus, Pfalz-Graͤfinn von Sulzbach, Columba, De[-]
mus, Florida,

La Furieuſe, die Pictura, Louis de grote, Tamerlan,

La belle Collmar, Sommerſchvon, Palais Royal, d[e]
witte Schwan,

Latona, Kliffort, Beauregard, Artorius, Pamphilia,

Aurora, Kayſer von Marocco, den blauen Reyer[ſ]
Hecuba,

L’ Ambaſſadrice, Kayſers Hof, het guͤlden Vlies, etc.

E[ſ]
[79]Troſt aus Bluhmen.
Es waren, in Ranunkeln, gleichfals nicht minder
eine große Zahl:

Le Turban d’ Or, Carl Friederich, Prinz Wilhelm, Hydra,
Roſen-Thal,

Philoctetes, Anacreon, Apelles, mon Plaiſir, Blandina,

De rode Draack, de bonte Mantel, Veſpaſianus, Palatina,

Die Dardanella, Duc de Berwick, Hyppomenes, Lao-
medon,

Manteau d’ Evequ’, Empedocles, Apollo, Sappho,
Papillon,

Veſpaſianus, Bruydegam, de Monteſpan, Mercurius,

Porſenna, mon Bijou, Camilla, Pan, Nimroth, Aga,
Priamus,

Artemidorus, Venus, Chilo, grand Alexandre, Amaranth,

Minerva, Nero, bella Donna, de Bruyt, Protector,
Oliphant,

Die Nonpareille, Leopoldus, Grand-Marechal, Prinz
von Piombino,

Prinz Lubomirſky, Hiero, Pomona, Memnon, Sol-
phorino,

Gaillarde, grand Seigneur, Achates, der Graf von Sporck,
Lavinia,

Arion, Baſſa Bonneval, Preſent Royal, Pamphilia,

Die Mignardiſe, Phoenomene, Andronicus, etc.

Von bunt gefaͤrbten Anemonen, die minder nicht,
als jene, ſchoͤn,

War gleichfals eine große Menge, vor andern aber die,
zu ſehn:

Biſard d’ Eſpagne, l’ Electrice, Tiarra, Notus, la Ducheſſe,

Adonis, Beau du Jour, Gigantes, la Monarchie,
la Moreſſe,

Super-
[80]Troſt aus Bluhmen.
Superbe, la Grandeur, Merveille, Biſard de Blyc[h]
Aquarius,

De Paerl von Brabant, Philomele, Princes van Cont[e]
Pindarus,

Conqueſt de Grisdelin, Pipinus, de Roſe-Croon [...]
Arcadia,

Orange, Reus, de Abondanz, de Jannethon, Andromeda

Feu de Bruxelles, la Syrone, den roden Hahn, etc.

Hab’ ich nun etwan, durch die Liſte, der Dichtkunſ[t]
Regeln uͤberſchritten,

Und ſcheint ſie jemand gar zu lang; den will ich um Ver[-]
zeihung bitten:

Es iſt zu keiner andern Abſicht, als darum bloß allein[,]
geſchehn,

Den Schoͤpfer ſolcher ſchoͤnen Bluhmen, auch in der
Menge, zu erhoͤhn,

Als welche nicht gnug zu bewundern; indem, an Tul-
pen bloß allein,

Fuͤnftauſend, ganz verſchiedner Art, in Carols Ruh,
vorhanden ſeyn.

Daß nun, bey ihrer Fluͤchtigkeit,

Jch, wenigſtens noch eine Zeit,

Sie der Vergaͤnglichkeit entzoͤge;

Brech’ ich von jeglicher ein Blatt, und lege

Es zwiſchen blau-papierne Blaͤtter: wozwiſchen, obzwar
gleich nicht ganz,

Die Farben blieben; doch der Glanz,

Und die Figur, noch lange ſchoͤn,

Jn dem Herbario, zu ſehn.

Damit
[81]Troſt aus Bluhmen.
Damit es von den Bluhmen nun nicht mag, nur
beym Regiſter, bleiben;

Will ich, von ſo verſchiednen Schoͤnen, doch eine, we-
nigſtens, beſchreiben.

Dieß iſt die ſchoͤne Merian, die man la Burghemaitre
nennet,

Die faſt, von allen andern Bluhmen, an Pracht, nicht
ihres Gleichen kennet;

Und die ſowohl an ihrem Bau, als in der ſchoͤnen Farbe,
wehrt,

Daß man, zur Dankbarkeit getrieben, in unſrer Luſt,
den Schoͤpfer ehrt.

Sie iſt von ganz beſondrer Groͤße; ſie uͤbertrifft und
uͤberſteiget

Das Anſehn aller andern faſt. Die Form iſt recht ver-
wunderlich;

Jndem an ihr Figur und Umſtrich, auch fuͤr den beſten
Kuͤnſtler, ſich,

Durch fremde Biegung, ungewiß, und gleichſam un-
nachahmbar, zeiget:

Symmetriſch ohne Symmetrie: ſcheint recht, als ob
ein jedes Blatt

Mit andern Blaͤttern nichts gemein, und eine eigne
Bildung, hat;

Aus denen ſich dennoch, mit Ecken und runden Spitzen
ausgeziert,

Sowohl am Rand, als in der Mitten, ein wunderwuͤr-
digs Ganz formiert.

Die Blaͤtter ſcheinen feſt und dicke, und recht, als
wenn ſie ſich erhuͤben,

An manchem Ort, auf Goldſchmids-Art, wie Laubwerk,
in die Hoͤh getrieben,

8 Theil. FAn
[82]Troſt aus Bluhmen.
An einem andern eingedruͤckt; woran ſich denn ſo Glan[z]
als Licht,

Jn den verſchiednen Tief- und Hoͤhen, ſich ſenket, ſich
erhebt, ſich bricht,

Und dadurch Farb’ und Formen mehrt. Sind nun die
Blaͤtter, in der Mitten,

Durch ihre Pracht, beſonders ſchoͤn; iſt der nicht min-
der ſchoͤne Rand,

Auf tauſend Arten, ausgeſchweift, ſo wunderkuͤnſtlich
ausgeſchnitten,

Daß, mit den allerfeinſten Scheeren, auch des geuͤbtſten
Kuͤnſtlers Hand,

Mehr Regel-recht, nicht auszuſchweifen, nicht zierlicher
zu ſchneiden, weiß.

Sie laſſen hier, mit Luſt beſchaͤmt, den Fingern der Na-
tur den Preis.

Was ſoll ich von der Farbe ſagen, die recht, als wie
Granaten, bluͤht,

Jn einem, dem Rubin, an Farben, recht aͤhnlich-ſchoͤ-
nen Feuer gluͤht?

Wodurch ein angenehmes, ſanft-gedaͤmpftes und ge-
brochnes Gruͤn,

Jn vielen nett geformten Adern vermenget, hin und
wieder ſchien.

Es ſcheinet, durch das dunkle Roth, ein gleichſam guͤldner
Grund zu ſpielen;

Der Blaͤtter Fuß ſcheint wirklich Gold. Kurz: Alles,
was man an ihr ſieht,

Scheint, auf ſo Blick als Geiſt zu laben, und auf Be-
wundrung, abzuzielen.

Es
[83]Troſt aus Bluhmen.
Es ward, durch aller Bluhmen Pracht, mein gleich-
ſam aufgeklaͤrt Gemuͤth

Von Kummer, Gram und Sorgen ab- und zu der
Gottheit hingezogen,

Die alle Ding’ hervorgebracht, ernaͤhret, ſchmuͤckt, erhaͤlt,
regiert;

Die ſo viel liebliche Geſchoͤpfe, aus Lieb’ und Huld dazu
bewogen,

Der Menſchen Augen zu ergetzen, ſo ſchoͤn, ſo wunder-
wuͤrdig, ziert.

Dieß mehrete dann mein Vertrauen zu Seiner Lieb’,
und Seiner Macht.

Jch dachte: Sollte ſolch ein Gott, Der ſolchen Schmuck
hervorgebracht,

Der nichts, was Er geſchaffen, haßt, Dem Gluͤck und
Ungluͤck unterthan,

Der nichts, als Gutes, will, aus Liebe, und Welcher, was
Er will, auch kann,

Der, uns zum Beſten, ſo viel Schoͤnheit den fluͤchtgen
Bluhmen wollen goͤnnen,

Nicht auch, was etwan boͤſe ſcheinet, zu unſerm Beſten
kehren koͤnnen?

Hiedurch ward, wenn die ſchwarze Sorge zuweilen
durch die Freude drang,

Und, wie der Schatten mit dem Licht, bey einem dicken
Nebel, kaͤmpfet,

Bey einem, durch die Creatur gewirkten, frohen Lob-
Geſang,

Durch ein in Gott geſetzt Vertrauen: Was iſt, ſey
alles gut. gedaͤmpfet.


F 2Ueber
[84]

Ueber drey vortreffliche Vorſtellungen
des Paradieſes.
Von dem Hrn. Ridinger.


1.
Auf den werdenden Adam.

Dein, mit der Herrlichkeit des Schoͤpfers, erfuͤlltes
Eden lacht uns an;

Die angeſtrahlten Baͤume funkeln; die Thiere jauchzen.
Doch, wer kann

Sie ſehn, ſie ruͤhmen, ſie bewundern? Von eines
Licht-Meers hellen Wogen

Wird Auge, Blick, und Seel’, und Sinn, zum großen
Mittel-Punct gezogen,

Der allenthalben, ſonder Umkreis, hier, uͤberirdiſch,
ſtrahlt und flammt,

Aus dem, nebſt allen Creaturen, das Leben ſelbſt, faſt
ſichtbar, ſtammt.

Wie weit reicht hier des Kuͤnſtlers Denken, und ſeine
Wunder-Kunſt! Man kann

Des Großen Wortes rege Wirkung, faſt ſichtlich, in die
Kraft ergehen,

Und, den noch nicht gewordnen Adam, faſt augenſchein-
lich, werden ſehen.

Voll Brunſt und Ehrfurcht betet er ſchon Den, Der ihn
noch ſchaffet, an.

Jn
[85]Auf den werdenden Adam.
Jn einer groͤßern Majeſtaͤt, mit mehrerm Anſtand,
wuͤrdiger,

Mit weniger Verkleinerung, und edler, hat kein Sterb-
licher,

Ein Bild des nicht zu Bildenden, in einen Schatten-Riß
gebracht:

Er zeigt, ſo viel ſichs zeigen laͤßt, den Schoͤpfer in
Selbſt-eigner Pracht.


F 32. Auf
[86]
2.
Auf Evens Schoͤpfung.

Eva wird! Es jauchzt die Erde, Thier’ und Voͤge[l]
jubiliren:

Jhres ſchlanken Leibes Glanz, ihrer Glieder Symmetrie [...]

Dringt auch in der Thiere Herzen, ruͤhrt, durchſtrahlt[,]
ergetzet ſie;

Jedes laͤßt, in ſeiner Art, ein erſtaunt Vergnuͤgen ſpuͤhren[.]

Nicht genug, mit klugen Strichen, Eden wuͤrdig
abzumahlen,

So daß alles prangt und funkelt, ſo daß alles glaͤnz[t]
und gluͤht;

Nein, es geht die Kunſt ſo weit, daß hier nicht nu[r]
alles bluͤht,

Sondern, daß man, in dem Garten, etwas Heilig[es]
ſichtbar ſieht:

Selbſt der Sonnen Sonne ſcheint in dem Luſt-Revie[r]
zu ſtrahlen.

Jch bewundere den Kuͤnſtler, der ſo trefflich wirk[t]
und denkt;

Doch weit mehr der Geiſter Urſtand, Der ihm ſo vie[l]
Geiſt geſchenkt.


3. Auf
[87]
3.
Auf die von Adam zum erſtenmal
erblickte Eva.

Welch ein lodernd Liebes-Feuer, welch ein inniges
Entzuͤcken,

Welch Erſtaunen, kann ein jeder, hier, in Adams Seel’,
erblicken!

Alle Muſkeln, Zuͤg’ und Mienen, da ſein Gegenſtand
ſo ſchoͤn,

Laſſen des durchdrungnen Geiſtes innre Leidenſchaften
ſehn,

Geben uns von Adams Herzen, das von Evens Reiz
durchſtrahlt,

Die Empfindungen zu ſpuͤhren, alle Regungen zu leſen.

Waͤre Ridinger ein Zeuge der Zuſammenkunft geweſen,

Und er haͤtt’, in Eden ſelber, dieſes erſte Paar gemahlt,

Waͤren ſie, das Paradies, nebſt der ſchoͤnen Thiere Horden,

Herrlicher nicht vorgeſtellt, ſchoͤner kaum gemahlet

worden.


F 4Beſchrei-
[88]

Beſchreibung meines, nach begluͤckte[r]
Zuruͤckkunft aus Ritzebuͤttel, in voͤllig
gutem Stande wieder vorge-
fundenen Gartens.


Gott Lob! mein’ Hoffnung iſt erfuͤllt,

Und mein Verlangen iſt geſtillt:

Jch ſeh die holden Fluren wieder.

Jch kann aufs neue, wie ſo ſchoͤn

(So ſeit ſechs Jahren nicht geſchehn)

Mein lang verlaßner Garten, ſehn;

Und darum ſing’ ich Freuden-Lieder.

Ach! moͤcht’ im Ton, der ungemein,

Jhr reiner Klang geſtimmet ſeyn;

Ach! moͤcht’ er vielen, wo nicht allen,

Vor andern aber Dem, gefallen,

Aus Dem, was Luft und Erde fuͤllt,

Aus Dem der Stoff von allen Schaͤtzen,

Woran Geſchoͤpfe ſich ergetzen,

Jn nie verſiegner Fuͤlle, quillt;

Der, zum Beweis, daß Er uns liebet,

Uns ungezaͤhltes Gutes giebet.

Allein, der Wunder große Zahl,

Die hier in der ſo ſchoͤnen Welt,

Auf einmal, mir ins Auge faͤllt,

Erregt mir eine ſuͤße Qual,

Durch zweifelhaft gemachte Wahl:

Zumal, wenn ich die Blicke ſchlage

Auf dieſes Gartens holde Lage,

Und
[89]Beſchreibung ſeines wieder erblickten Gartens.
Und was ich von der ſchoͤnen Hoͤh

Fuͤr ſchoͤne Vorwuͤrf’ uͤberſeh;

Die, da ich ſie, mit neuen Augen,

So, durch Gewohnheit, noch nicht blind,

Wie meiſt geſchicht, geworden ſind,

Beſchau; mich ſo zu ruͤhren, taugen,

Daß ich, gezwungen, ſtill zu ſtehn,

Und ſtumm, fuͤr Anmuth und Behagen,

Faſt nichts, als dieß, vermag zu ſagen:

Ach Gott, wie iſt die Welt ſo ſchoͤn!

Es weiß mein ungewiß Gemuͤthe,

Da alle Stellen Wunder-voll,

Nicht, ob ich Bluhmen oder Bluͤhte,

Zuerſt, zum Vorwurf waͤhlen ſoll.

Wend’ ich die frohen Augen hier

Auf eine bunt gefaͤrbte Zier

Von Bluhmen; reißt ein andrer Ort,

Der ſchoͤner noch, ſie mit ſich fort.

Kaum ſchau ich den; ſo zieht von neuen,

Um mehr annoch mich zu erfreuen,

Ein mehr geſchmuͤckter dritter, dort,

Den ganz darob erſtaunten Sinn

Auf Bluͤht’ und junge Blaͤtter hin.

Ach! ſeufzt dann die geruͤhrte Seele,

Jch weiß nicht, was ich erſt erwaͤhle;

Herr, Deiner Wunder ſind zu viel!

Es hat in dem, was uns vergnuͤget,

Und uns hier vor den Augen lieget,

Dein’ Allmacht weder Maaß noch Ziel.

F 5Jnzwi-
[90]Beſchreibung
Jnzwiſchen muß ein Anfang ſeyn.

So fang’ ich mit dem ſchoͤnen Bogen,

Womit der Vorhof uͤberzogen,

Auf eine Art, die ungemein,

Die man kaum gnug bewundern kann,

Des ſchoͤnen Orts Beſchreibung an.

Hier ſind, auf eine fremde Weiſe,

Jn einem Zirkel-runden Kreiſe,

Sechs ſchoͤne Linden ſo geſetzt,

Daß jedes Stammes ſchlanke Laͤnge

Uns, durch dadurch formierte Gaͤnge,

Gleich einer ſchoͤnen Seul’, ergetzt.

Die Wipfel ſind, durch Kunſt, gebogen,

Und ſo geflochten und gezogen,

Daß ein gewoͤlbtes Blaͤtter-Zelt,

Wodurch der ganze Platz begruͤnet,

Die Durchſicht zu verſchoͤnern, dienet,

Und, durch die Dunkelheit, erhellt.

Von jeder Linde ſieht man oben

Noch einen eignen Stamm erhoben,

Der hoch ſich in die Luft erſtreckt,

Und deſſen ſcharf geſpitzten Gipfel

Ein, nach der Kunſt, geſchorner Wipfel,

Der dem Laurier ſich gleichet, deckt.

Durch dieſer Laube gruͤne Schatten,

Die ſich mit holder Kuͤhlung gatten,

Wird der erſtaunte Blick geſtaͤrkt,

Da man, im hellen Sonnen-Strahle,

Die ſchoͤne Landſchaft, in dem Thale,

Dadurch noch herrlicher bemerkt.

Die[ß]
[91]ſeines wieder erblickten Gartens.
Dieß wunderſchoͤne Stuͤck der Welt,

Das hier uns in die Augen faͤllt,

Jſt ſo Betrachtungs-wuͤrdig, ſchoͤn,

Daß, wenn der Schritt will weiter gehn,

Er gleichſam ſich gehemmet fuͤhlet.

Die ſtarren Fuͤße bleiben ſtehn;

Weil alles, was die Augen ſehn,

Zu herrlich glaͤnzt, zu lieblich ſpielet.

Ein gleiches wiederfaͤhrt auch mir,

Beym Eintritt in den Garten, hier.

Jch fuͤhle gleichſam mich beklemmet:

Es bleibt, bey dem zu ſchoͤnen Blick,

Der angefangne Tritt zuruͤck;

So Schritt als Feder wird gehemmet.

Jch muß, gezwungen, ſtehen bleiben,

Und, ſtatt der Ordnung nachzugehn,

Den obern Garten zu beſehn,

Die ſchoͤne Landſchaft erſt beſchreiben.

Doch hatt’ ich, von derſelben Pracht,

So bald den Anfang kaum gemacht,

Als ich mich gluͤcklich drauf beſann,

Daß ich derſelben Lag’ und Zier,

Bereits, mein Leſer, Dir und mir,

So gut ich es vermocht, gewieſen,

Und ihren Schmuck dir angeprieſen.*

Weshalben ich die Stieg’ hinab,

Jn obern Garten, mich begab.

Ein
[92]Beſchreibung
Ein laͤnglicht Viereck zeigt ſich hier,

Worinn der Bluhmen bunte Zier

Jn tauſend tauſend Farben bluͤhet,

Ja mehr faſt, als ſie bluͤhet, gluͤhet;

Zumal, wenn ſie die Sonne mahlet,

Und jedes bunte Blatt durchſtrahlet.

Drey Stufen fuͤhren uns hinab

Jn den bebluͤhmten obern Garten,

Wo uns, in Millionen Arten,

Der Bluhmen Heer ein Schauſpiel gab.

Jhr bunt- und bluhmigtes Gewand

Scheint von der Flora ausgeſpannt,

Und, uns zur Luſt, zur Schau geleget.

Die groͤßte Schoͤnheit der Natur,

Die ſie, an Farben und Figur,

Jn ihrem weiten Schooße heget,

Bedeckt hier die geſchmuͤckte Flur.

Ein weiſes Auge ſtutzt und ſtarrt

Bey dieſem Schmuck der ſchoͤnen Welt;

Weil, bey den Farben und Figuren

So wunderſchoͤner Creaturen,

Zugleich des Schoͤpfers Gegenwart,

Unleugbar, ihm wird vorgeſtellt.

Es laͤßt den Blick daruͤber ſchieſſen,

Und ſieht, im Sonnenſchein zumal,

Veraͤnderungen ohne Zahl,

Von Farben, in einander flieſſen.

Dann haͤlt er eine kluge Wahl,

Und laͤßt, von einer zu der andern,

Den ernſten Blick bedachtſam wandern,

Erwaͤgt,
[93]ſeines wieder erblickten Gartens.
Erwaͤgt, vergleicht bald die mit jener;

Bald haͤlt er die, bald jene, ſchoͤner;

Bald ſieht er, mit Erſtaunen, dort,

An einem dritt- und vierten Ort,

Noch andre, zehnmal ſchoͤner, bluͤhn,

Jn Feuer-Farben gleichſam gluͤhn,

Und fuͤhlet, die erſtaunten Blicke

Von aller andern Schmuck zuruͤcke,

Recht mit Gewalt auf ſich nur, ziehn.

Bey einer ſolchen Anmuth Fuͤlle,

Steht billig unſer Fuß oft ſtille:

Man wird, in ihrer Farb’ und Pracht,

An allen Orten angelacht;

Man will, und kann dennoch nicht, waͤhlen.

Dann fragen billig kluge Seelen:

Fuͤr wen ſie doch hervorgebracht?

Die Antwort iſt ſo gleich vorhanden:

Durch Lieb’, und eine weiſe Macht,

Sind ſie, nur bloß fuͤr uns, entſtanden.

So laſſet dann auch uns allein,

Dadurch, wenn man bey ihnen denket,

Daß Gott ſie ſchuff, und ſie uns ſchenket,

Jn unſrer Luſt, Jhm dankbar ſeyn!

Nun war es eben in der Zeit,

Worinn der Tulpen Herrlichkeit,

(Auch die aus Baden-Durlachs Garten,

Von ſo viel ungezaͤhlten Arten,

Wornach mich lange ſchon verlangt,)

Jn buntem Glanz und Feuer prangt.

Jch
[94]Beſchreibung
Jch ſah nicht minder die Ranunkeln,

Bey bunten Anemonen, funkeln;

Jch ſah dieſelben wunderſchoͤn,

Auf zierlich ausgeſchweiften Fluren,

Jn Ranken-formigen Figuren,

Und Bluhmen, ſelbſt in Bluhmen ſtehn.

Die ſchoͤnen Theile, voller Glanz,

Formierten ein ſo herrlichs Ganz,

Daß ich, durch ihrer Farben Brand,

Mich, auſſerordentlich geruͤhret,

Zum Schoͤpfer aller Welt gefuͤhret,

Und gleichſam halb entzuͤcket, fand.

Woher, rief ich, woher entſtand

Der ſchoͤnen Bluhmen Pracht und Schein,

Als bloß aus Gott, aus Gott allein?

Ach moͤcht’, ob dieſer Augen-Weide,

Doch meines Herzens Luſt und Freude,

Aus Gnaden, Jhm gefaͤllig ſeyn!

Am Ende dieſes Gartens findet

Derſelbige ſich ausgeruͤndet;

Jndem daſelbſt die Seiten-Ecken

Sich weiter, als die Mitte, ſtrecken.

Auf jeder ſtehet ein Altan,

Der eine frey, und der bedecket;

Von welchen man bemerken kann,

Wie fern ſich der Geſichts-Kreis ſtrecket.

Di[e]
[95]ſeines wieder erblickten Gartens.
Die Mitte fuͤhrt zur großen Stiegen.

Bey dieſer ſieht man, mit Vergnuͤgen,

Was ſonſt bey uns faſt unbekannt,

Zur rechten und zur linken Hand,

Zween Weinberg’, in der Ruͤnde, liegen,

Woran die Trauben-reichen Reben

Uns mancherley Vergnuͤgen geben.

An jedes Fuße zeiget ſich,

So kuͤnſtlich als verwunderlich,

Ein klein Parterr, in netten Ranken:

Wovon die wohlgeſchlungnen Schranken

Manch nach der Kunſt geordnet Bild,

Aus bunten Stein- und Bluhmen, fuͤllt;

Jn deren figurierten Graͤnzen

Wir oͤfters, ſonderlich im Lenzen,

Jn tauſend Farben, wunderſchoͤn,

So mancherley Aurikeln ſehn.

Von dieſem Platz, der unſern Blicken,

Da ihn ſo ſchoͤne Vorwuͤrf ſchmuͤcken,

So mancherley Vergnuͤgen gab,

Tritt man noch eine Stieg hinab,

Jn einen dunklen Bogen-Gang:

Derſelbe gehet, in die Queer,

Recht mitten durch den Garten her,

Und iſt des Gartens Breite lang.

Der Bogen-Gang iſt in der Mitten,

Zum Vortheil des Geſichts, durchſchnitten,

Und graͤnzt daſelbſt an einem Teich,

Der oft ſo Fiſch- als Waſſer-reich,

Den, von dem zierlichen Altan,

Man, mit Vergnuͤgen, ſehen kann.

Drey
[96]Beſchreibung
Drey ſchoͤne Waͤnd’, aus Taxus-Hecken,

Die ſich um dieſen Teich erſtrecken,

Und ſich, im Viereck, um ihn ziehn,

Verſchoͤnern und verſchraͤnken ihn.

Um dieſe Waͤnd’, an beyden Seiten,

Sieht man ſich, durch zween Gaͤnge, leiten

Zur letzten großen Stieg hinab;

Woſelbſt dem Garten die Allee,

Von ganz beſondrer Laͤng’ und Hoͤh’,

Annoch das beſte Anſehn gab.

Beym Eintritt der Alleen findet

Man beyde Seiten ausgeruͤndet.

Die Winkel ziert ein hoher Baum,

Der, dem Laurier gleich, rund geſchnitten,

Und welche man dahero kaum

Von Lorbeern unterſcheiden kann.

Jn der getheilten Zirkel-Mitten

Eroͤffnet ſich, den ſtarren Blicken,

Ein herrlich Perſpectiv; woran,

Um recht nach Wuͤrden auszudruͤcken,

Was man darinn fuͤr Schoͤnheit ſieht,

Man ſich gewiß umſonſt bemuͤht.

Der, durch das Dunkelgruͤn der Waͤnde,

Geſtaͤrkte Blick durchſtreicht behende

Des Ganges lange Dunkelheit;

Die ihn mit Anmuth haͤlt gefangen,

Um nach der lichten Herrlichkeit

Des hellern Aug-Puncts zu gelangen.

Dieß
[97]ſeines wieder erblickten Gartens.
Dieß iſt ein hell beſtrahltes Feld,

Worauf, damit mans unterſchiede,

Man eine weiſſe Pyramide,

Zum Ziel der Augen, hingeſtellt.

Doch iſt die Dunkelheit der Schatten

Jm Gange, reizend, und ſo ſchoͤn,

Daß ſelber auf den hellen Matten,

Trotz ſeiner angeſtrahlten Pracht,

Der Blick nicht maͤchtig, ſtill zu ſtehn.

Man ſieht ihn in die gruͤne Nacht

Des Ganges oͤfters ruͤckwaͤrts gehn,

Um auszuruhn, und ſich zu ſtaͤrken:

Bald aber, froͤhlich, ohn Verweilen,

Nach ſeinem Aug-Punct wieder eilen,

Und deſſen Schoͤnheit zu bemerken.

Jnzwiſchen fuͤhren unſre Schritte,

Von Luſt und Einſamkeit geleitet,

Und von Zufriedenheit begleitet,

Nach dieſes langen Ganges Mitte.

Hier iſt ein Platz, der ausgeruͤndet,

Von hohen Baͤumen ganz umringt,

Worinn man neue Luſt empfindet;

Jndem daſelbſt ein Spring-Brunn ſpringt,

Dadurch das Aug’ und Ohr der Bruſt,

Uns, eine noch vermehrte Luſt,

Durch Spruͤtzen und durch Klatſchen, bringt.

Unglaublich iſt die ſtille Freude,

Die hier, ob dieſer Augen-Weide,

8 Theil. GWenn
[98]Beſchreibung
Wenn man ſich hier auf Baͤnken ſetzt,

Uns, durch den Fall und Schall, ergetzt.

Mich bringt der rege Waſſer-Strahl

Zu den Gedanken mannichmal:

“Das ſtetig ſteigende Bewegen

“Des reinen Strahls, den wir hier ſehn,

“Scheint unſerm Geiſt, ſich zu erhoͤhn,

“Auch Triebe gleichſam einzupraͤgen.

“Wir ſieigen mit: Allein, es waͤhrt

“Dieß unſer Steigen nicht gar lange;

“Dieweil man, mit des Waſſers Gange,

“Bald wieder ſinkt und abwaͤrts faͤhrt.

“Dieß ſcheint ein Bild von unſrer Ruh:

“Wir bringen unſre Lebens-Zeit

“Jn Hoffnung, Furcht, in Luſt und Leid,

“Mit Steigen und mit Fallen, zu.

Verlaͤßt man dieſe Ruͤnde nun,

Wie wir, des Ortes Anmuth wegen,

Doch oͤfters, nicht ohn’ Unmuth, thun,

Um die Alleen, die ſo ſchoͤn,

Bis ganz zum Ende durchzugehn,

Jn welcher wir doch in der Mitten,

An beyden Seiten, Thuͤren ſehn,

Wodurch wir in die Gaͤrten gehn;

Jn welchen, nebſt den Huͤlſen-Fruͤchten

Zu ſo verſchiedlichen Gerichten,

Viel Obſt- und andre Baͤume ſtehn:

Drauf finden wir, nach vielen Schritten,

Von einem Graben ſie durchſchnitten,

Den
[99]ſeines wieder erblickten Gartens.
Den eine Bruͤcke deckt und ſchmuͤckt.

Hier wird das vorige Vergnuͤgen

Verdreyfacht; da man drey Alleen,

Die, unvermuthet, vor uns liegen,

Jn holder Symmetrie, erblickt.

Wann die zu Ende; ſehen wir

Noch eine ganz beſondre Zier,

Jn ſieben gruͤnen Bogen, ſtehen;

Durch die wir ein ſo ſchoͤnes Feld,

Das faſt nicht ſchoͤner auf der Welt,

Als durch ſo viel Arcaden, ſehen.

Wenn wir, ob dieſen ſchoͤnen Auen

Erſtaunt, uns drehn, und ruͤckwaͤrts ſchauen;

Erſtaunet man, fuͤr Luſt, aufs neu:

Weil wir nicht nur die lange Reih

Der dunklen ſchattichten Alleen;

Nein, gleichfals die erhabnen Hoͤhen

Der obern Gaͤrten, vor uns liegen,

Und uns ins Auge fallen, ſehen.

Es ſteigt, auf vier geraden Stiegen,

Die man auf einmal ſehen kann,

Der Blick den ſchraͤgen Berg hinan,

Bis zu den erſt erwaͤhnten Bogen,

Worauf die ſechs geſpitzten Wipfel

Der Linden in die Hoͤh gezogen.

Naͤchſt dieſen laͤßt der ſchoͤne Gipfel

Des Garten-Hauſes oben her,

Nebſt den zwo Fluͤgeln in der Queer,

Jn netter Symmetrie, ſich ſehn;

G 2Woruͤber
[100]Beſchreibung ſeines wieder erblickten Gartens.
Woruͤber noch vier Linden ragen,

Die drauſſen vor der Thuͤre ſtehn,

Und die, zumal bey ſchoͤnen Tagen,

Da ſie das rothe Dach bedecken,

Und hoch ſich in die Luft erſtrecken,

Jn einem gruͤnen Schimmer glaͤnzen,

Und endlich unſern Blick begraͤnzen.

Das waͤre von des Gartens Pracht

Ein kleiner Abriß nun gemacht,

Den ich, Gott Lob! nun wieder ſehe.

Gieb, Herr! Der Du ihn mir gegeben,

Daß ich, bey einem laͤngern Leben,

Jn ihm, als Geber Dich erhoͤhe!

Ach laß mich an den innern Schaͤtzen,

Zu Deinem Preiſe, mich ergetzen,

Oft Deine Creatur beſingen,

Dir oft ein frohes Dank-Lied bringen!


Vergnuͤg-
[101]

Vergnuͤglicher Gottes-Dienſt.
Zum
Schluß des Fruͤhlings.


Heut haben heller Voͤgel Choͤre

Sich, mir zur Luſt, und Gott zur Ehre,

Jm Singen, nicht umſonſt, bemuͤht.

Gott Lob! ſo manche ſchoͤne Bluhme

Hat, mir zur Freude, Gott zum Ruhme,

Und folglich nicht umſonſt, gebluͤht.

Die Pracht der Kraͤuter-reichen Felder,

Die gruͤnen Schatten kuͤhler Waͤlder,

Hab ich, Gott Lob! mit Luſt, erblickt.

Es hat der Schnee der ſchoͤnen Bluͤhte

Mein drob erſtaunendes Gemuͤthe

Sowohl, als wie die Welt, geſchmuͤckt.

Das uͤberall vorhandne Glaͤnzen

Der Creaturen, in dem Lenzen,

Hat mich ergetzt, hat mich geruͤhrt:

Ja, es iſt nicht dabey geblieben;

Jhr Schmuck hat mich zur Quell getrieben,

Und zu dem Schoͤpfer Selbſt gefuͤhrt.

Jn tiefer Ehrfurcht fing mein Denken

Jn Deſſen Tief’ an, ſich zu ſenken,

Aus Welchem alle Schoͤnheit quillt:

Aus Dem entſtanden, was entſtanden;

Jn Welchem das, was iſt, vorhanden;

Der allen Raum umſchraͤnkt und fuͤllt.

G 3Meiu
[102]Vergnuͤglicher Gottes-Dienſt.
Mein Geiſt, mit dieſer Welt verbunden,

Durch meine Sinnen, hat in ihr,

Jn ihrer Ordnung, Pracht und Zier,

Durch alle Sinnen, Gott gefunden:

Und zwar auf eine ſolche Weiſe,

Die, wenn man ſelbe recht ermißt,

Der wahren Gottheit wuͤrdig iſt.

Sein Werk gereichet Gott zum Preiſe.

Jhn Selbſt kann unſer Blick nicht ſehn;

Doch durch Sein Werk, das Er bereitet,

Wird unſer Geiſt zu Jhm geleitet.

Dieß giebt Sein Daſeyn zu verſtehn.

Wie kann Sich Gott an Creaturen,

Die ſo wie wir, ſo offenbahren;

Wie koͤnnten wir von Jhm nur Spuhren,

Daß, und wie groß, Er ſey, erfahren:

Wenn Gott uns nicht, in unſerm Leben,

Auch Sinnen, nebſt dem Geiſt, gegeben?

So brauchet ſie dann, alle beyde,

Zu Gottes Ehr’, und eurer Freude.


Der
[[103]]

Der Sommer.


G 4
[[104]][[105]]

Gute Gedanken auf dem Lande.


Jn dieſer abgelegnen ſtillen und angenehmen Ein-
ſamkeit,

Wo ich, in ruhigem, vernuͤnftig- und edlem
Muͤßiggang, empfinde,

Wie ich, von Unruh, Zank und Sorgen, Verdruß und
wildem Laͤrm befreyt,

Recht als im Haven angelaͤndet, mich endlich in mir
ſelber finde.

Es flieht zugleich der Plagen Heer, mit dem Getuͤm-
mel, das ich flieh.

Da ich, zu viel erſt ausgeſpannt, mich jetzo in mich ſel-
ber zieh;

So fang’ ich erſtlich an, zu leben: Jch denk’, und fuͤhle,
daß ich denke.

Die Gegenwuͤrf’, auf die ich jetzt, faſt einzig, die Ge-
danken lenke,

Sind Gott, ſind die Natur, und ich. Jm Schooß
von einem tiefen Frieden

Belebt mein Glaube ſich aufs neu. Von aller Eitel-
keit hienieden,

Von der betrieglichen, vergaͤnglich- und uͤberfirnſten
Pracht der Welt

Wird mir, ohn Firniß, ohne Schminke, ein aͤhnlich Bild
hier vorgeſtellt.

G 5Oft,
[106]Gute Gedanken auf dem Lande.
Oft, wenn ich, durch bebluͤhmte Wieſen, am U[fer]
reger Baͤche, gehe,

Und ihren ungehemmten Lauf, mit aufmerkſam[en]
Blicken, ſehe;

Betracht’ ich, in der ſchnellen Fluth, und in der Well[en]
Fluͤchtigkeit,

Mit ernſtem Blick, von unſerm Leben die aͤhnliche B[e-]
ſchaffenheit.

Wie tauſend Wellen, unaufhoͤrlich, von tau[-]

ſend Wellen ſind verdrungen,
Und wie die, von den folgenden, von neuem wie[-]
der eingeſchlungen,
Ohn daß man ihre Spuhren ſieht; ſo ſenken auch
nach kurzer Zeit,
Die Menſchen alle nach einander ſich in den Raum
der Ewigkeit.


Die
[107]

Die Roſen.


Die Tulipanen waren welk; der funkelnden Ranun-
keln Roth

Entfaͤrbt; die bunten Anemonen von aller Pracht
beraubt, und todt.

Und kurz: Der juͤngſt ſo bunte Garten, der recht bewun-
dernswuͤrdig ſchoͤn,

War, ganz von ſeinem Schmuck entbloͤſt, faſt oͤd’ und
traurig anzuſehn.

Mich ruͤhrte die Veraͤnderung. Jch dacht’: Ach!
iſt doch alles nichtig!

Dieß iſt ein Sinnbild aller Dinge. Wir ſelbſt ſeyn,

wie die Bluhmen, fluͤchtig.

Allein, ich kam, nach wenig Tagen, in eben dieſen
meinen Garten,

Und ſtutzte, wie ich ihn, von neuem, mit Bluhmen
ungezaͤhlter Arten,

Faſt mehr bedecket, als geſchmuͤckt,

Fuͤr unverhoffter Luſt und Anmuth mit Recht darob
erſtaunt, erblickt.

Vor andern aber funkelten, in einer nicht zu zaͤhlnden
Menge,

Jn einer Anmuth-reichen Roͤthe, und purpurfarbenem
Gepraͤnge,

Viel aufgebluͤhte Roſen-Buͤſche. Es drang ihr lieblich
roͤthlichs Licht,

Als wie ein helles Freuden-Feuer, mir in die Seele,
durchs Geſicht.

Sie
[108]Die Roſen.
Sie ward, durch ihren ſchoͤnen Bau, auch durch d[en]
Balſam, den ſie ſpuͤhret,

Geruͤhrt, erquickt, ergetzt, erſtaunt, und ſo zu denk[en]
angefuͤhret:

Holdſelige Roſe, liebreizende Bluhme!

Du prangeſt, ſchimmerſt, glaͤnzeſt, gluͤhſt,

Du riecheſt, ſcheineſt, funkelſt, bluͤhſt,

Dem alles erſchaffenden Schoͤpfer zum Ruhm[e!]

Wer kann dieß Wunder doch begreifen,

Auf welche Weiſe ſich in dir

So manche Kraft, ſo manche Zier,

So viele Lieblichkeiten, haͤufen;

Wie, in der ſchwarz- und kalten Erde,

Fuͤr unſer drob erſtaunt Geſicht,

Ein roͤthlich und faſt flammend Licht,

Jn dir, doch zubereitet werde;

Wie, aus ſo hartem Stock, bedornt- und dichten feſte[n]
Zweigen,

So nett formiert, ſo ſchoͤn gefaͤrbte Blaͤtter ſteigen!

Jn deiner lieblichen Figur,

Jn deiner Blaͤtter Glanz und Pracht,

Die uns erquicken und entzuͤcken,

Werd’ ich, von aufgeklaͤrten Blicken

Der ſich verſchoͤnernden Natur,

Liebaͤugelnd gleichſam, angelacht.

Gott Lob! daß ich mich dein von neuen,

Dem, Der dich ſchuff, zum Ruhm, erfreuen,

Jn meiner Luſt Jhm danken kann!

Es ſieht dich mein vergnuͤgt Gemuͤthe

Als einen Ausfluß Seiner Guͤte,

Und Seiner weiſen Allmacht, an.

Du
[109]Die Roſe.
Du ſtaͤrkſt mein kindliches Vertrauen,

Von einem Vater, Der uns hier,

Jn Seiner Creaturen Zier,

So reich beſchenkt, dort, fuͤr und fuͤr,

Jn den geſtirnten Himmels-Auen,

Noch groͤßre Herrlichkeit zu ſchauen.

Es praͤgt dein mehr als irdſcher Schein

Mir die Gedanken, froͤhlich, ein:

“Großer Gott! hier ſeh’ ich Spuhren,

“Wie Du Deine Creaturen

“Hier vergnuͤgen kannſt und willt.

“Haſt Du, ſchon auf dieſer Erden,

“So viel Wunder laſſen werden,

“Sie mit ſolcher Pracht erfuͤllt;

“Was mußt Du fuͤr Schaͤtz’ und Gaben,

“Unſern Geiſt noch mehr zu laben,

“Nicht in Deinen Himmeln haben!

Wie werden nicht in andern Sphaͤren,

Zu des allmaͤchtgen Schoͤpfers Ehren,

Sich Bilder, Farben, Glanz und Schein,

Auf ungezaͤhlte Weiſe, mehren!

Denn die Vernunft kann uns belehren,

Und, uͤberzeuglich, uns erklaͤren:

Es koͤnn’, in unſrer Erden Pracht,

Des Schoͤpfers Weisheit, Lieb’ und Macht,

Unmoͤglich, hier erſchoͤpfet ſeyn.

Ver-
[110]Die Roſen.
Verklaͤrte Farben und Figuren,

An ganz verklaͤrten Creaturen,

Jn tauſendfach verſchiednem Flor,

Stell’ ich, in jeder Welt, mir vor.

Was werden dort fuͤr Bluhmen bluͤhen,

Und, in noch hellerm Schimmer, gluͤhen!

Verſchiedentlich gefaͤrbte Strahlen,

Aus jeder andern Sonne, werden,

Auf ebenfals verſchiednen Erden,

Die Koͤrper, worauf ſich das Licht,

Nicht minder, ganz verſchiedlich bricht,

Unendlich unterſchiedlich mahlen.

Wer weiß, ob irgendwo nicht Leiber, deren Blut,

Jn einer roͤthlich weiſſen Gluht,

Durch eine klar’ und glatte Haut,

Wie hier die holde Roſe, ſpielet;

Durch die, wenn man den Schimmer ſchaut,

Und die polierte Glaͤtte fuͤhlet,

Man, von ſo friſcher Gluht entzuͤndet,

Vielleicht noch ſuͤßern Reiz empfindet,

Als wenn man hier, mit Luſt, erblickt,

Wie ſuͤß die ſchoͤne Roſe bluͤhet,

Und ihre weiche Feſtigkeit dem Finger, der ſie ſanfte druͤck[t,]

Zu widerſtreben, ſich bemuͤhet?

Hab’ ich, von andrer Erden Pracht,

Was Wunderwuͤrdiges gedacht;

So hat die mehr als irdſche Gluht,

Die um dich ſpielt, und in dir ruht,

O Roſe! mich dazu gebracht.

Es
[111]Die Roſen.
Es hat dein Liebreiz, Glanz und Licht,

Ein Andacht-Feuer, durchs Geſicht,

Jn meiner Seelen, angefacht.

Es preiſet mein geruͤhrt Gemuͤthe

Die Allmacht, Weisheit, und die Guͤte,

Des, Welcher dich ſo ſchoͤn gemacht.


Die
[112]

Die Roſe.


Jn einer dick verwachſnen Laube, wo das verſchrenkt[e]
Laub ſo dicht,

Daß dem geſchaͤrftſten Sonnen-Strahle, daß dem ſo ſchnell[em]
als hellem Licht,

Es allen Durch- und Zugang wehrte,

Herrſcht’ eine tiefe Dunkelheit,

Die ſich, auch ſelbſt zur Mittags-Zeit,

Jn eine falbe Daͤmmrung nicht; in eine rechte Nacht [...]
verkehrte:

So daß, ob gleich, in ihr, ein jeder Vorwurf gruͤn,

Doch jeder Vorwurf ſchwarz, aufs mindſte ſchwaͤrzlicht
ſchien.

Jn dieſer gruͤnen Nacht ſaß ich vergnuͤgt, und dachte[,]

Der holden Schatten-Luſt, der kuͤhlen Anmuth, nach,

Die dieſer Ort mir machte:

Da denn die Dunkelheit ſo Aug’ als Geiſt mir ſtaͤrkte,

Daß ich darinn, von ſelbſt, ein Dach,

Voll Kuͤhlung und voll Luſt, fuͤr mich gewachſen, merkte.

Jch ſahe die Bequemlichkeit,

Die Anmuth dieſes Orts, fuͤr mich bereit.

Jch ſahe mit Verſtand: Jch fuͤhlte,

Daß, was mich hier, ſo lieblich, kuͤhlte,

Und die ſo angenehme Nacht,

Aus weiſer Abſicht, fuͤr die Gluht,

Und fuͤr der Sonne ſchwuͤhles Blitzen,

Auf eine ſuͤße Art, mich zu beſchuͤtzen,

Verwunderlich, hervorgebracht;

Genoß der Luſt mit Luſt, bewunderte die Zier,

Und dankte Dem, Der ſie mir ſchenkt, dafuͤr.

Wie
[113]Die Roſe.
Wie ich nun den geſchaͤrften Blick,

Da, wo der Blaͤtter Heer am ſtaͤrkſten ſich verſchrenkte,

Jn eine dunkle Tiefe ſenkte;

Bog ſich von ungefehr, vom Wind, ein Aſt zuruͤck.

Gleich ſprang, als wie ein Blitz, ein kleines rothes Licht

Jn mein erſtaunt Geſicht.

Ein Roſen-Buſch, vom Sonnen-Strahl beſchienen,

Noch kraͤftiger erhoͤht von dem vertieften Gruͤnen,

Drang durch die Oeffnungen der Blaͤtterchen ſo ſchnell,

Glaͤnzt durch die Dunkelheit derſelbigen ſo hell,

Daß es ein wahres Feur, beym erſten Blick, formierte,

Und meinen innern Geiſt, ſo wie die Augen, ruͤhrte.

Es brennet, ſchimmert, glaͤnzt und gluͤht,

Schon vor ſich ſelbſt, von eignem Schimmer reich,

Die Roſe, wenn man ſelbe gleich,

Von Sonnen-Strahlen nicht geſchmuͤcket,

Nur beym bedeckten Tage ſieht,

Beym allgemeinen Licht erblicket.

Viel groͤßer aber wird, in ihrer Pracht,

Die ſchoͤne Loh, ihr Feur weit heller angefacht,

Wenn, bey entwoͤlktem heiterm Wetter,

Ein Sonnen-Strahl der Roſen lichte Blaͤtter,

Voll Gluht und Feuer, trifft. Hier aber, wo der Grund,

Durch welche man ſie ſah, worauf ſie ſtund,

Faſt ſchwarz und dunkel mehr, als wie begruͤnet,

Jhr noch zu einer Fulge dienet;

Weiß ich, ſie wuͤrdig zu beſchreiben,

So Farb’ als Reim nicht hoch genug zu treiben.

8 Theil. HDer
[114]Die Roſe.
Der rothen Lohe Herrlichkeit

Schien, an verſchiednen Stellen,

Der finſtern Laube Dunkelheit,

Recht wirklich zu erhellen.

Es trieben mich die kleinen ſchoͤnen Blitze

Von meiner Raſen-Bank bemoßtem Sitze,

Um in der Naͤhe ſie zu ſehn.

Jch eilte nach den Roſen hin,

Und ſah, der Bluhmen Koͤniginn,

Bewundernswuͤrdig, lieblich, ſchoͤn,

Jn ihrem Purpur-Kleide bluͤhen,

Jn ihrem holden Feuer gluͤhen;

Bewunderte, vom Finger der Natur,

Die wunderſchoͤn gebildete Figur;

Ergetzte mich, recht inniglich erfreut,

An ihrer Blaͤtter Glanz und holden Zaͤrtlichkeit;

Erquickte mich an ihrer Balſam-Kraft,

Die aus den purpurfarbnen Hoͤhlen,

Jm ſchmeichlenden Geruch, ſelbſt unſern Seelen,

Ein’ innerliche Luſt verſchafft.

Vor allen aber mehrt ihr herrliches Gepraͤnge

Von klaren Tropfen eine Menge,

Die, durch den Thau darauf geſpruͤtzt,

Bald wie Rubin, bald wie ein Demant, blitzt.

Jch ſuchte Quell und Grund von dieſem hellen Schein[;]

Und fand ihn, in dem Strahl der Sonne, bloß allein:

Der nicht mit Farben nur die reine Ruͤnde ſchmuͤckte;

Nein, der darein das Bild von ſeinem Urbild druͤckte.

Dieß
[115]Die Roſe.
Dieß Bildchen fuͤhrte gleich Blick, Herz und Sinn

Zur hellen Sonne ſelber hin.

Jch uͤberlegt’, erwog, erkannte,

Daß ihre Lebens-Gluht, zum Nutz der Welten, brannte,

Und daß, was unſre Welt, nebſt ſo viel andren, fuͤllet,

Aus ihrem Wunder-Weſen quillet.

Doch kam mir ihre Groͤß’ und Zier

Nicht anders, als ihr kleines Bild,

Womit dieß Troͤpfchen angefuͤllt,

(Jm Gegenhalt mit ihrem Urbild) fuͤr:

Aus welchem ſie, nebſt ungezaͤhlten Sonnen,

Als ſo viel Troͤpfchen nur, geronnen,

Und welches ihr, wie ſie das Troͤpfchen ſchmuͤckt,

Licht, Waͤrm’ und Glanz gewaͤhrt und eingedruͤckt.

Ach! welch ein unbegreiflich Licht,

Ach! welch ein weſentlich- ſelbſtſtaͤndger Wun-

der-Schein,
Muß aller Dinge Schoͤpfer nicht,
Muß aller Sonnen Sonne, ſeyn!

So hat demnach die ſchoͤne Roſe mich,

Durch ihre Pracht, recht inniglich,

Zu ihres Schoͤpfers Ruhm, geruͤhret;

Sie hat zugleich zur Sonnen, und, durch ſie,

Zu aller Sonnen Sonn’ und Quell, mich hingefuͤhret.

Dem dank’ ich, mit gebognem Knie,

Daß Er uns, hier in unſerm Leben,

Nebſt dem ſo ſchoͤnen Sonnen-Licht,

Die Roſe, den Geruch, auch das Geſicht,

Zu unſrer Luſt, aus lauter Huld, gegeben.

H 2Jn
[116]Die Roſe.
Jn aller Schoͤnheit dieſer Erden erheb’ ich ihre[s]

Schoͤpfers Macht;
Voll Anmuth ſeufz’ ich nur zu Dem, Der ſi[e]
und mich hervorgebracht:
Denn von der Zier und Pracht der Welt werd[e]
ich nur in ſo fern geruͤhret[:]
Als mich derſelben Pracht und Zier zu unſer alle[r]
Urſprung fuͤhret.


Gedan-
[117]

Gedanken uͤber Roſen.


Auf einer Stiege, woran Hecken

Von Roſen, beyde Seiten, decken,

Wovon die aufgebrochne Menge,

Ein lieb- und herrliches Gepraͤnge,

Den drob erſtaunten Augen, zeigt;

Da, wenn man auf- und abwaͤrts ſteigt,

Sie faſt Gelaͤnder, von Rubinen

Und von Smaragd formieret, ſchienen:

Auf dieſer Stiege hatte ſich, von friſchen Roſen halb
beſchattet,

Und halb von ihrem Paraſol, mein Marianchen hin-
geſetzt.

Jch ſahe, (von ihr ungeſehn) vom Gehen ziemlich
abgemattet,

Auf einem Raſen-Baͤnkchen ſitzend, von Blaͤttern der
Allee bedeckt,

Wie ſie an einer großen Roſe, vor andern, Naſ’ und
Blick ergetzt.

Jhr Hand-Buch, die Zufriedenheit des großen Hoff-
manns, hatte ſie

Jnzwiſchen bey ſich hingelegt, um in der ſpielenden
Natur,

Nach der vorhin geleſnen Lehre, die allen faſt verborgne
Spur

Des Schoͤpfers aller Welt zu finden. Sie drehete, mit
ſuͤßer Muͤh,

H 3Die
[118]Gedanken uͤber Roſen.
Die Roſe, faſt von allen Seiten, und ließ den helle[n]
Sonnen-Strahl

Bald ſeitenwaͤrts, bald in ſie, fallen. Hiedurch entde[ckte]
ſie Lieblichkeiten,

Von Farb- und Formen, ſonder Zahl;

Nicht weniger von rothen Schatten, die ſich verkleine[rten]
und verbreiten,

Nachdem ſie ſich dem Lichte nahn, und von ihm weiche
Sonderlich

(So wie ſie mir nachher erzaͤhlt) hatt’ ihren reg[en]
Blicken ſich

Manch, in den reinen runden Tropfen (ſo hell- u[nd]
klarer, als Chryſtallen)

Erblicktes kleine Sonnen-Bild, mit hellem Schimme[r]
eingepraͤgt,

Und ihr, als wie im Jrdiſchen, was wirklich Himm[li-]
ſches gefallen.

Zuweilen kaͤm’ ihr, ſagte ſie, der ſchoͤnen Roſen For[m]
und Flor,

Als eine ſelbſt-gewachſene polierte Balſam-Buͤchſe vo[r.]

Sie ſchienen ihr, und dann zumal, wenn ſie der kla[re]
Thau genetzet,

Als waͤren ſie, bald hie bald da, mit Diamanten gar beſetz[et]

Nachdem ſie mir, wie ſchon geſagt, was ſie davo[n]
gedacht, erzaͤhlt,

Vergnuͤgt’ ich mich, wie leicht zu glauben, daß ſie ſi[ch]
ſo was Guts gewaͤhlt,

Zu Gegenwuͤrfen der Betrachtung. Wir brachen no[ch]
mehr Roſen ab,

Da dann derſelben Meng’ und Schoͤnheit zu mehr Jde[en]
Anlaß gab;

Bis
[119]Gedanken uͤber Roſen.
Bis ich zuletzt, in einer Laube, wohin mich Luſt und
Andacht trieb,

Dasjenige, ſo ich geſehn, und folgends dabey, nieder-
ſchrieb:

Jhr lieblichen Kinder des froͤhlichen Lenzen!

Jhr herrlichen Zeugen der Goͤttlichen Macht!

Wir ſehen, in eurer erquickenden Pracht,

Die Strahlen der Weisheit und Guͤtigkeit glaͤnzen.

Es blitzet aus euren bebieſamten Hoͤhlen,

Und ſpielenden Blaͤttern, ein roͤthliches Licht;

Es dringet, durch unſer betrachtend Geſicht,

Zum Lobe des Schoͤpfers, ins Jnnre der Seelen.

Vom Balſam, der ſuͤß aus euch duftet und quillt,

Sind unſere Seelen nicht minder erfuͤllt,

Gelabet, erquicket, erfriſchet, geruͤhret;

Auch, da ihr noch ferner erfriſchend und kuͤhl,

Wird, durch das nicht weniger holde Gefuͤhl,

Noch eine vergnuͤgende Wolluſt geſpuͤhret.

Wenn folglich der Roſen beluſtigend Weſen

Zu unſerm Vergnuͤgen beſonders erleſen,

Jndem ſie durch dreyerley Sinnen ergetzt;

So ſey ſie, vor andern, nach Wuͤrden geſchaͤtzt.

Jhr Schoͤpfer verdienet erkenntliche Triebe,

Voll Dankbarkeit, Andacht, Bewundrung und

Liebe,
So oft wir ihr glaͤnzend Gebaͤude betrachten.

H 4Je mehr
[120]Gedanken uͤber Roſen.
Je mehr wir die Schoͤnheit vernuͤnftig beachten,

Mit welcher die lieblichen Roſen ſich ſchmuͤcken;

Je klaͤrer die Seelen ein Weſen erblicken,

Das ſolche vergnuͤgende Koͤrper bereitet.

Bemerkt dann, ihr Menſchen! die liebliche Weiſe,

Wodurch, zu des Schoͤpſers verherrlichtem Preiſe,

Die Schoͤnheit der lieblichen Roſen uns leitet.


Roſen-
[121]

Roſen-Theater.


Wie ich juͤngſt die Roſen-Buͤſche

Jn faſt flammendem Gemiſche,

Und in uͤberirdſcher Zier,

Auf bebluͤhmten Raſen ſitzend, mit erſtauntem Blick,
beſah;

Hoͤret, was mir da geſchah!

Die Gebuͤſche kamen mir,

Auf dem Schau-Platz der Natur, recht als bunte Sce-
nen fuͤr.

Aber dacht ich: Dieß Theater iſt ſo ſchoͤn, ſo [...] wun-
derſchoͤn;

Sind denn, auf ſo praͤchtger Buͤhne, keine Spielende
zu ſehn?

Jſt ein ſo geſchmuͤckter Schau-Platz von Agirenden
denn leer?

Jn mich uͤberfallndem Schlummer, uͤberfiel mich ein
Entzuͤcken;

Und ich glaubt’, auf dieſer Buͤhne wirklich Spieler
zu erblicken.

Meines Geiſtes Auge ſah’, ein vergnuͤgtes Geiſter-Heer

Hier an allen Orten ſchweben, bald ſich theilen, bald
geſellen.

Alle ſchienen mir Perſonen, von Bewundrern, vorzuſtellen.

Viele rochen; viele ſchienen,

Mit fuͤr Luſt entzuͤckten Mienen,

Bald am Rothen, bald am Gruͤnen,

Bald an der, bald jeder Bluhme,

Dem, Der ſie geformt, zum Ruhme,

H 5Sich
[122]Roſen-Theater.
Sich zu laben, zu vergnuͤgen;

Manchen hoͤrt’ ich, ſeiner Luſt einen Dank hinzuzufuͤgen.

Endlich lieſſen ſie zuletzt, in geſtimmten reinen Choͤren,

Voll von Ehrfurcht, Luſt und Dank, allgemeine Lieder
hoͤren;

Da ich dann, wie ich hiedurch, inniglich geruͤhrt, er-
wachte,

Voll von meinem Traum-Geſicht, Gott zum Preiſe,
Folgends dachte:

Schoͤpfer! da wir ſo viel Wunder hier genieſſen,

ſehn und fuͤhlen;
Laß mich, auf dem Welt-Theater, meine Rolle
wuͤrdig ſpielen!
Laß mich der Geſchoͤpfe Schoͤnheit, und, in ihnen,
Dich, verſpuͤhren,
Ja, ſo oft derſelben Prangen, Ordnung, Schoͤn-
heit, Glanz und Schein,
Durch die Wunder meiner Sinnen, meiner
Seelen Jnnres ruͤhren;
Ein Bewundrer Deiner Liebe, Deiner Macht
und Weisheit ſeyn!


Roſen-
[123]

Roſen-Betrachtung,
Jhro
Churfuͤrſtlichen Durchlaucht von Coͤlln,
Clemens Auguſt,

unterthaͤnigſt zugeeignet.
1745.


Wir waren dem Auguſt ſchon nah, die Roſen waren
meiſt verbluͤhet,

Als meine juͤngſte Tochter mir, am Morgen, ihrer drey
noch bracht:

Jn deren Zwiebel-foͤrmgen Koͤrpern, der funkelnden Ru-
binen Pracht,

Theils weißlicht- und theils dunkel-roth, in lieblichem
Gemiſche, gluͤhet,

Und mir, durchs Aug’, ins Herze ſtrahlt; zumal der
Blaͤtter holdes Gruͤn,

Das ihre lange Staͤngel ſchmuͤckte, den Glanz noch
zu erheben ſchien.

Die eine ſetzt’ ich vor mir hin, bewunderte der gruͤnen
Stangen

Gedrehte Ruͤnd’ und Zierlichkeit: an deren gruͤnen Ruͤnd’
und Haut

Man, hin und wieder, roͤthliche, den Dornen gleiche,
Spitzen ſchaut,

Die doch nur zieren; nicht verletzen. Allein, der Roſe
funkelnd Prangen,

Der holden Roͤthe glaͤnzend Licht, ihr gleichſam recht
beflammter Schein,

Riß meinen Blick auf ſie allein.

Jch
[124]Roſen-Betrachtung.
Jch ſah, auf ihren zarten Blaͤttern, ſich weiſſe Stellen,
rothe Schatten,

Jn einer ſuͤßen Harmonie, vermiſchen, brechen, trennen,
gatten,

Bald an einander reflectiren,

Bald in einander ſich verlieren.

Ein etwas abgebognes Blatt,

Das zart, durchſichtig, weiß und glatt,

Ließ, augenſcheinlich, ſelbſt das Licht, durch ſein ſubtil
Gewebe, ſtrahlen,

Und diente, welches kaum begreiflich, die untern Blaͤtter
roth zu mahlen;

So wie ein weiſſes Glas zuweilen, wenn es gefuͤllt mit
rothem Wein,

Ein weiſſes Tiſchtuch faͤrbt und decket mit einem klaren
rothen Schein.

Man kann demnach von Roſen-Blaͤttern, durch dieſe
Wirkung, deutlich ſchlieſſen,

Daß, zwiſchen weißlicht duͤnnen Haͤuten, ſich auch Canaͤle
finden muͤſſen,

Mit einem rothen Saft erfuͤllt. Trifft es nun, daß ein
ſolches Blatt,

Von einem Wuͤrmchen angefreſſen, ein kleines Loͤchlein
in ſich hat;

Sieht man, mit Luſt, wie, auf dem untern, ein ſchnelles
rundes weiſſes Licht

Die rothen Schatten unterbricht.

Wer
[125]Roſen-Betrachtung.
Wer aber kann der Farben Menge, der Lichter Mi-
ſchungen, erzaͤhlen,

Wenn ſie ſich, auf der tauſendfach gedrehter Blaͤtter
aͤuſſern Flaͤchen,

Bald in derſelben innre Tiefen verſenken, reflectiren,
brechen,

Bald lieblich in einander flieſſen, dort trennen, und ſich
hier vermaͤhlen?

So dacht ich bey der einen Roſe, die vor mir auf dem
Tiſche ſtand;

Jndeß die andern, ungefehr, bey der ſo koſtbarn guͤldnen
Doſe,

Die mir, von Coͤlln, der große Churfuͤrſt, erſt unlaͤngſt,
zum Geſchenk geſandt,

Als wie durch einen Zufall, lagen. Jch ſtutzt’, als ich,
erſtaunt, erblickte,

Wie einer jeden Pracht und Gluht in das polierte Gold
ſich druͤckte,

Als wie in einen hellen Spiegel. Sie ſchienen beyde
faſt verklaͤrt;

Jhr Feuer, ihre Lieblichkeit, ſchien, durch des Goldes
Glanz vermehrt,

Anſtatt zu bluͤhn, zu gluͤhn, zu funkeln, und wie ein
ſchimmernder Rubin,

Jm Gold aus Ophir eingefaßt: inzwiſchen ihres Laubes
Gruͤn,

Jn Gold gefaſſetem Smaragd, an Farb’ und Glanz,
faſt aͤhnlich ſchien.

Die
[126]Roſen-Betrachtung.
Die Augen-Luſt vermehrt’ in mir mein erſt empfun-
denes Vergnuͤgen,

Und dacht ich: Der mir meine Luſt, durch ein ſo ſchoͤn
Geſchenk, vermehrt,

Jſt eines wiederholten Danks, und eines bruͤnſtgen
Wunſches, wehrt.

Jch wuͤnſcht’: Es moͤge dieſer Fuͤrſt auf Anmuth-

Roſen ſtetig liegen!
Es bluͤhn in Seiner Helden-Seele, beſtaͤndig,
Roſen ſuͤßer Luſt!
Jhm ſeyn, bey einem hohen Alter, des Alters Dor-
nen nie bewußt!
Das Gold der Unvergaͤnglichkeit muß Seinen
ewgen Nachruhm kroͤnen!
Das tauſendzuͤngige Geruͤcht laß Seine Vollen-
kommenheit,
Auch auf die allerſpaͤtſte Zeit,
Durch ihre Ruhm-Trompet, ertoͤnen!

Hierauf ergriff ich meine Roſen von neuem wieder;
traͤnkte mich

Mit ihrem Balſam, der aus ihnen, in unſichtbaren
Duͤnſten, raucht,

Den ihre purpurfarbne Hoͤhle, fuͤr unſre Naſen, von ſich
haucht,

Und merkt’ an ihnen eigentlich

Noch eine nie bemerkte Luſt,

Wenn man ſie mit Bedacht gebraucht.

Wie
[127]Roſen-Betrachtung.
Wie eine junge volle Bruſt,

Die die belebende Natur ſelbſt gleichſam unterſtuͤtzt und
ſteift,

Wenn man ſanft an dieſelbe greift,

Dem Finger, der ſie zaͤrtlich druͤckt, ſich ſtrotzend gleich-
ſam widerſetzet;

So wird, von einer gleichen Luſt,

Die Naſe, durch die ſanfte Haͤrte, und durch die weiche
Steifigkeit

Der rund- und vollen Roſ’, ergetzet:

Nur bloß mit dieſem Unterſcheid,

Daß dort der feſten Bruͤſte Schnee, von einer warmen
Gluht erfuͤllet,

Wenn aus der Roſen holder Gluht ein’ angenehme Kuͤh-
lung quillet.

Sie labet aͤuſſerlich die Naſ’, und den Geruch gemein-
ſchaftlich.

Durch ihre Eigenſchaft, die ſinnlich, erquickte meine
Seele ſich,

Und lobte Den, Der, uns zur Luſt, die Roſe nicht allein
ſo ſchoͤn,

So wunderwuͤrdig ſchoͤn, gemacht; Der auch, um ihre
Pracht zu ſehn,

Uns Augen, und das Licht, geſchenket,

Der eine Kraft, die ſinnlich iſt, in unſre Seelen eingeſenket,

Und Den man ehrt, wenn man ſich freut, und Sein,
bey unſrer Luſt, gedenket.


Das
[128]

Das Kletten-Kraut.


Wie ich, an einem heitern Tage,

Jn ſtiller Einſamkeit, in ungeſtoͤhrter Ruh,

Jm kuͤhl- und feuchten Graſe lage;

Sah’ ich, in Pflanzen, Kraͤutern, Stauden, den Werken
unſers Schoͤpfers zu.

Der Farben Schmuck, der Formen Zierlichkeit,

Der Form- und Farben Unterſcheid,

Erfuͤlleten, durchs Auge, meine Bruſt,

Mit einer Fuͤlle reiner Luſt;

Weil ihr gehaͤufter Schmuck der Seelen Jnnres ruͤhrte,

Und mich zum Urſprung aller Schoͤnheit, zur Quell
von allen Wundern, fuͤhrte.

Vergnuͤgen, Ehrfurcht, Luſt, nebſt einem heilgen
Grauen,

Den Schoͤpfer gleichſam Selbſt, in unſichtbarem Schein,

Mit Blicken meines Geiſts, zu ſchauen,

Nahm mein Gemuͤth, mein ganzes Weſen, ein.

Jch fuͤhlte, wie mein Geiſt zu einer Stille kam,

Die unbeſchreiblich ſuͤß. Mich fuͤllt’ und uͤbernahm

Ein rein Vergnuͤgen, eine Luſt,

Die denen nur, die Gott ſich nahn, bewußt.

Ein ſanftes Feur, voll einer Gluht,

Die aus Bewunderung und Andacht ſtammte,

Begeiſterte, beweget’ und beflammte

Mein fuͤr Vergnuͤgen wallend Blut.

Um
[129]Das Kletten-Kraut.
Um mich nun immer mehr noch zu entzuͤnden,

Um ihn noch immer mehr zu ſuchen, und zu finden;

Beſah ich uͤberall der Kraͤuter Zierlichkeit,

Der Farb’ und Bildungen unzaͤhlbarn Unterſcheid.

Da ich dann ungefehr, zu meiner rechten Hand,

Ein praͤchtiges Gewaͤchs vor vielen andern fand.

Dieß Kraut hatt’ Ellen-lange Blaͤtter, meiſt einer
halben Elle breit,

Die, in beſondrer Zierlichkeit,

Sich auf dem Rande falteten; wo ſie ſich oft zuſammen
zogen,

Bald hier ſich hebten, dort ſich bogen:

Wodurch hier, viel erhabne Stellen, viel hohle Tiefen dort,
entſtunden,

Und uͤberall ſich Linien, von nett gezognen Adern, funden.

Die viel- und manchen Biegungen, die dieſe krauſen
Blaͤtter zeigen,

Formieren ſo viel ſchoͤne Lichter, formieren ſo viel ſchoͤne
Schatten,

Die hier, auf ſo verſchiedne Art, ſich brechen, biegen,
trennen, gatten,

Daß die, in der ſo edlen Kunſt der Mahlerey, erfahrnen
Seelen,

Zu ihrer Schildereyen Schmuck, im Vorgrund, immer
dieſes Kraut,

Vor allen andern Kraͤutern, waͤhlen,

Als eins der zierlichſten, an welchem die Structur,

Die wilde zwar, dennoch ſymmetriſche Figur,

Vor vielen Pflanzen, in der That,

Was Praͤchtigs und was Großes har.

8 Theil. JJndem
[130]Das Kletten-Kraut.
Jndem ich dieſer Stauden Bau,

Der Blaͤtter Groͤß’ und Ordnung, ſchau,

Der Adern Richtigkeit erwaͤge,

Den Schmuck der Farben uͤberlege,

Die Urſach’ aller Zier ergruͤnde,

Und etwas Wirkendes, in dem Gewirkten, finde;

So faͤllt mir Folgends ein:

“Nur dieſer Pflanzen Bau allein

“Koͤnnt’ eine Probe ſeyn,

“Daß ihre Regel-rechte Pracht,

“Ohn’ eine weiſe Macht,

“Unmoͤglich ſey hervorgebracht.

Wie ungluͤckſelig ſeyn wir hier dann auf der Welt,

Daß die, von dieſer großen Wahrheit,

So hell’ und unleugbare Klarheit

Uns oͤfter nicht ins Auge faͤllt!

Wenn, dacht ich, ich allein, an dieſem Orte, ſaͤße,

Und daß ein Kraut, von ſolcher Groͤße,

Jn meiner Gegenwart, ſchnell aufwaͤrts ſchoͤſſe,

Aus einer leeren Stell’ entſpruͤnge,

Und, ſichtbar, in die Hoͤhe druͤnge;

Wie wuͤrde nicht mein Geiſt beſchaͤfftigt ſeyn,

Den Grund des Wunders zu ergruͤnden,

Den Meiſter davon auszufinden?

Wuͤrd’ ich nicht, wenigſtens, mit meinen Schluͤſſen

Dahin gelangen muͤſſen:

Es muͤßte hier, im unſichtbaren Schein,

Was Geiſtiges vorhanden ſeyn,

Das ſich ſo ordentlich bewegte,

So zierlich und ſo kuͤnſtlich regte?

Die
[131]Das Kletten-Kraut.
Die Wunder nun ſind allgemein,

Geſchehen uͤberall, geſchehen ſtuͤnd- und taͤglich;

Nur daß ſie nicht ſo ſchnell geſchehn,

Und allgemaͤhlich nur entſtehn.

Jſt es dann nicht betruͤbt und klaͤglich,

Daß wir auf aller Wunder Pracht,

Noch weniger auf Den, Der ſie hervorgebracht,

Und ſie beſtaͤndig ſchafft, nicht ſehn;

Uns an den uns geſchenkten Schaͤtzen,

Zu Deſſen Ehren, nicht ergetzen,

Der uns gewuͤrdiget, ſie uns zu ſchenken;

Auf Jhn kaum die Gedanken lenken,

Noch weniger auf Seine Ehre!

Wir koͤnnten minder faſt auf Jhn nicht denken,

Wenn weder Schoͤpfer, Welt, noch Gott, vor-

handen waͤre.


J 2Die
[132]

Die Schoͤnheit der Welt,
zur Sommers-Zeit.


Als ich, bey reinem heitrem Wetter, und ganz ent[-]
woͤlktem Sonnenſchein,

Jn einer ganz zuruͤck gebognen und offnen Chaiſe, gan[z]
allein,

Zur Erndte-Zeit, ſpazieren fuhr,

Ward ich, von ungezaͤhlten Wundern der gleichſam laͤch
lenden Natur,

Und vieler Gegenwuͤrfe Pracht,

So wie mich deucht, recht angelacht.

Der Erden ganze Flaͤche ſchien mit neuen Farben
uͤbermahlet,

Manch niedrer Buſch, manch hoher Wipfel, ſehr kraͤftig
durch- und angeſtrahlet.

Der gruͤne Klee voll bunter Bluhmen zertheilt’, auch
angeſtrahlt und helle,

Von ebenfals beſtrahltem Sande, der gleichſam guͤlden,
manche Stelle,

Formierte mancherley Figuren und Linien; ſo daß es
ſchien,

Ob waͤr der Boden uͤberguͤldet, und, durch Smaragden-
gleiches Gruͤn,

Bald hie bald dort, illuminieret.

Jch ward, durch ihrer Schoͤnheit Pracht, bis in mein
Jnnerſtes geruͤhret,

Und zu der Urquell’ aller Dinge, in meiner Luſt, empor
gefuͤhret.

Jch
[133]Die Schoͤnheit der Welt, zur Sommers-Zeit.
Jch ſah das blaue Firmament, und ſeine Tiefe ſonder
Graͤnzen,

Gleich einem funkelnden Sapphir, mit hellem Licht erfuͤl-
let, glaͤnzen.

Jch ward, durch dieſer Schoͤnheit Groͤße, die ſonder Grund
und ohne Schranken,

Zur tiefen Ehrfurcht angetrieben. Es breiteten ſich
die Gedanken

Weit kraͤftiger, als ſonſten, aus. Erſt ſenkte ſich mein
Geiſt hinein

Jns tiefe Meer der duͤnnen Luft, erwog das Licht,
und Deſſen Schein,

Der ſolche ungeheure Tiefen, weit uͤber unſerm Luft-Kreis,
fuͤllet,

Und der ſich, ohne Luft und Vorwurf, wie licht er gleich,
dem Blick verhuͤllet,

Und keinem Auge ſichtbar iſt. Nichts iſt ſo groß, nichts
iſt ſo klein,

Als wie des Lichts betraͤchtlichs Weſen. Ob es aus
unſrer Sonne quillet,

Wie oder nur von ihr beweget und wirkbar wird, iſt
ungewiß;

Wie alles faſt, was auf der Welt, in einer lichten Fin-
ſterniß

Und Schatten-reicher Daͤmmrung ſtecket:

So aber weiter keinen Gram in mein belehrt Gemuͤth
erwecket;

Jndem ich einmal uͤberfuͤhret, daß unſre Pflicht, in
dieſem Leben,

Nicht auf ein gruͤndliches Begreifen, nur aufs Bewun-
dern, ſich erſtreckt:

J 3Wobey
[134]Die Schoͤnheit der Welt,
Wobey mir aber Glaub’ und Hoffnung zu unſers Schoͤp-
fers Lieb’ entdeckt,

Er werd’ ein gruͤndlicher Erkenntniß dereinſt, nach dieſer
Zeit, uns geben.

Voll ehrerbietiger Bewundrung und Luſt, zog ich drauſ
meinen Blick,

Von der ſo dunklen Herrlichkeit des ſchoͤn- und hellen
Lichts, zuruͤck,

Den Schmuck der Erde zu betrachten. Jch uͤberlieſ
von unſrer Welt

Die Groͤße, ſamt der Wunder Menge, die ihre runde
Flaͤch’ enthaͤlt.

Jch uͤberlegte mit Bedacht: Viel hundert tauſend Mei-
len Felder,

Viel hundert tauſend Meilen Wieſen, viel hundert tau-
ſend Meilen Waͤlder,

Sind auf der Erden Rund vorhanden! Mit wie viel
unſchaͤtzbaren Schaͤtzen,

Von Nahrung, Segen, und von Anmuth, zu unſerm
Nutzen und Ergetzen,

Sind alle dieſe nicht erfuͤllt! Wer lebt wohl, der den
wahren Preis,

Nur vom Getraid’, in einem Jahr, zu ſchaͤtzen, zu be-
rechnen, weiß,

Den uns das Rund der Erde traͤgt? Wer kann den
Schatz und wahren Wehrt

Der Baͤum’ und Huͤlſen-Fruͤchte ſchaͤtzen, ſo uns der
Erden Rund beſchehrt

Jn einem Jahr? Und wer vermag den Preis des Gra-
ſes einzuſehn,

Das Millionen Thiere naͤhrt?

Jſt
[135]zur Sommers-Zeit.
Jſt es nicht unſre Pflicht, die Lieb’ und Macht und
Weisheit zu erhoͤhn,

Der Gottheit, wodurch bloß allein uns ſo viel Gutes
wiederfaͤhrt?

Wodurch kann doch der Menſchen Geiſt ſich von den
unvernuͤnftgen Thieren,

Als durch Betrachten, unterſcheiden? als, im Empfinden,
zu verſpuͤhren,

Daß, wo und wie wir was empfinden, und dann, aus
den empfundnen Sachen,

Auf Den, Der ſie und alles ſchuff, und ſie uns ſchenkt,
den Schluß zu machen,

Daß Er ſey: daß Er unſrer Liebe, Verehrung und An-
betung wehrt;

Daß Er uns alles dieß verliehn, und daß Jhm alles
zugehoͤrt?

Mit ſolchen Ueberlegungen beſchaͤfftigt’ ich mich;
und zugleich

Betrachtet’ ich die ſchoͤnen Vorwuͤrf’, in Kraͤutern,
Baͤumen, Buͤſch- und Hecken,

Die, da ſie, an beſtrahlten Farben, faſt all’, auf andre
Weiſe, reich,

Jn nicht zu zaͤhlender Veraͤndrung, uns immer neue
Schaͤtz’ entdecken.

Bald fuhr ich durch ein dunkles Waͤldchen. Hier
war, da ſonſt die Luͤfte ſchwuͤhl,

Durchs gruͤne Zelt verſchrenkter Blaͤtter, in gruͤnen
Schatten, alles kuͤhl.

J 4Bald
[136]Die Schoͤnheit der Welt,
Bald fuhr ich durch ein offnes Feld, das von der Son-
nen Glanz beſtrahlet,

Von ihrem hellen Schein verguͤldet, mit tauſend Farben
uͤbermahlet,

Verherrlicht und erleuchtet war. Dort machten, auf
bebluͤhmten Matten,

Erhabne liebliche Gebuͤſche, recht zierlich figurierte
Schatten.

Das Feld war ſchoͤn, durch die Copie, ſchattieret von
der Sonnen Strahl,

Noch ſchoͤner, an der hellen Seite des Buſches, im
Original.

Hier konnt’ ich, minder lichte Thaͤler, dort feurig’ ange-
ſtrahlte Huͤgel,

Verſchoͤnert durch den Gegenſatz, in angenehmer Mi-
ſchung, ſehn,

Von Farben, Formen, Licht und Schatten. Doch war,
vor andern, wunderſchoͤn,

Jm Rahm, der recht Smaragden-gruͤn, der faſt ſapphirne
Himmels-Spiegel,

Der reinen Alſter klarer Fluß: von welcher die chry-
ſtallne Fluth,

Jn Ufern, welche bald bebuͤſcht, und bald beſchilft, in
Bluhmen ruht.

Jhr fruchtbar Naß bebluͤhmt ſich ſelbſt; und, in die
Wette mit der Erden,

Bemuͤht ſie ſich, mit eignen Bluhmen und Pflanzen, ja
ſo ſchoͤn zu werden.

Sie zeugt ein rundes glattes Gras in den polierten
dunklen Binſen;

Sie decket ſich, an manchem Ort, mit Sittig-gruͤnen
Waſſer-Linſen;

Sie
[137]zur Sommers-Zeit.
Sie ſchmuͤckt ſich gar mit großen Bluhmen, die auf der
glatten Flaͤche ſchwimmen,

Die recht wie Gold und Silber glaͤnzen, und in der
Sonnen Strahlen glimmen.

Derſelben platt- und breite Blaͤtter formieren, auf dem
Waſſer-Reich,

Viel angenehme gruͤne Zirkel, und ſehen kleinen Jnſeln
gleich.

Da aber, wo das Waſſer klar, ſchmuͤckt es der ſchoͤne
Wiederſchein

Von Buͤſchen, Baͤumen, Bluhmen, Hecken; er ſcheint
das Urbild ſelbſt zu ſeyn.

Es ſcheint ſo gar die ſtille Flaͤche des glatten Waſſers,
ohne Wellen,

Des Firmamentes blauen Bogen, voll Licht, gedoppelt,
vorzuſtellen.

An jenem angeſtrahlten Ufer der klaren Alſter, ſah ich,
zwiſchen

Den Wipfeln groß- und kleiner Baͤume, auch in den
niedrigen Gebuͤſchen,

Viel Feuer-farbne rothe Daͤcher, als wie Zinnober,
gleichſam gluͤhn;

Wobey, auf vielen von Glaſur, ein jeder Ziegel; Silber
ſchien,

Und nebſt viel angeſtrahlten Fenſtern, durch auch beſtrahl-
tes Gruͤn bekraͤnzt,

Als waͤren die verſilbert, blitzt, und dieſe, wie verguͤldet,
glaͤnzt.

J 5Nach-
[138]Die Schoͤnheit der Welt, zur Sommers-Zeit.
Nachdem ich nun, mit tauſend Freuden, wie ſchoͤn
die Welt, wie wunderſchoͤn,

Jn jedem Vorwurf, einzeln bald, bald aber uͤberhaupt,
beſehn;

Empfand ich, daß derſelben Pracht und Schoͤnheit in-
nerlich mich ruͤhrte,

Und zu dem Urquell aller Schoͤnheit, dem Geber aller
Gaben, fuͤhrte.

Jch dankt’ Jhm fuͤr der Sonnen Licht, ich dankt’ Jhm
fuͤr der Koͤrper Pracht;

Jch dankt’ Jhm, daß Er, fuͤr dieſelben, uns, durch die
Sinnen, ſinnlich macht;

Jch dankt’ Jhm fuͤr die Kraft des Geiſtes, die Er dem
Menſchen wollen goͤnnen,

Daß, beym Genuß der Creatur, wir an den Schoͤpfer
denken koͤnnen,

Ja, zuverſichtlich hoffend, glauben, daß, nach dem Hin-
tritt von der Erde,

Er uns mit noch weit beſſern Guͤtern erfreuen koͤnne,
woll’ und werde.


Der
[139]

Der Schoͤpfer,
aus den Geſchoͤpfen erkannt.
Ueberſetzt.


Die Schoͤpfung zeigt, an allen Orten, mir, ihres
großen Schoͤpfers Spur.

Wohin ich meine Blicke lenke, zeigt mir die liebliche
Natur

Den Eindruck einer holden Gottheit, die ich, durch alle
Sinnen, ſpuͤhre;

Und ich empfinde, daß Sie mir das Jnnerſte der Seelen
ruͤhre.

Jn einem Silber-reinen Fluß, von einem rings be-
bluͤhmten Bach,

Folg’ ich den Spuhren ſeines Schoͤpfers, in einer ernſten
Anmuth, nach.

Von der beredten Nachtigall hoͤr’ ich, zur Freude mei-
ner Seelen,

Sein Lob, Sein unausdruͤcklichs Lob, mit froher Acht-
ſamkeit, erzaͤhlen.

Auf den begruͤnt- und bunten Wieſen, auf eines Roſen-
ſtocks Rubin,

Da ich ſie, als Sein Werk, erwaͤge, bewundr’, entdeck’
und ſeh ich Jhn.

Jn dichten, dick belaubten Waͤldern, erfahr’ ich, in der
holden Stille,

Wie, Jhm zu Ehren, meinen Geiſt ein ſchaudrigtes
Vergnuͤgen fuͤlle.

Jch
[140]Der Schoͤpfer aus den Geſchoͤpfen erkannt.
Jch ſehe Seine Lieb’ und Macht der hohen Berge
Gipfel kroͤnen;

Jch hoͤre das bebuͤſchte Thal, von Seinen Ehren, wie-
dertoͤnen;

Jch rieche, Gott zum Ruhm, den Balſam, der in den
Bluͤht- und Bluhmen ſteckt,

Wobey die Zunge Seine Guͤte, in ſaͤurlich ſuͤßen Fruͤch-
ten, ſchmeckt.

Nur Er iſts, der das Feld mit Weizen, mit fettem
Vieh den Anger, deckt.

Die dunklen Tiefen preiſen Jhn, Jhn ruͤhmen Graͤnzen-
loſe Meere;

Die Luft, der Raum, das Firmament, ſind Zeugen
Seiner Macht und Ehre.

Die Glorie der Gottheit ſtrahlet im Flammen-reichen
Sonnen-Licht.

Wie glaͤnzet Seine Majeſtaͤt, in Millionen Sonnen,
nicht!

Ach! moͤchte Sein, in Seinen Werken, ver-

borgner und entdeckter Schein,
Bis daß ich von der Erde ſcheide, mir ein beſtaͤnd-
ger Vorwurf ſeyn!


Der
[141]

Der Wiederſchein.


Durch einen kuͤhlen dunklen Wald floß, mit faſt un-
vermerktem Lauf,

Ein klarer Bach. Des Ortes Anmuth ſchien recht, ob
hielt ſie ihn, im Rennen,

Und ſeinem ſonſt nie ſtillen Wallen, durch gar zu holde
Schoͤnheit, auf;

Mit Muͤhe ſchien er von den kuͤhlen und gruͤnen Schat-
ten ſich zu trennen.

Der ſtill- und reinen Fluth Chryſtallen-gleiches Naß,

Von mannichfachem Schmuck der Nachbarſchaft gezieret,

Nimmt Form und Farben an, verſchoͤnert ſich; formieret

Ein flach- und reines Spiegel-Glas,

Worinn von Baͤumen, Buͤſchen, Huͤgeln,

Und allem Schmuck, den ſie erhalten,

Sich die anmuthigen natuͤrlichen Geſtalten

Faſt mehr verdoppeln, als ſich ſpiegeln:

Worinn ein weiſes Aug’ und aufgeweckt Gemuͤth,

Von Himmel, Erde, Baͤum’ und Buͤſche,

Ein wunderbar vermengt Gemiſche,

Ein liebliches und neues Chaos, ſieht.

Man glaubt, auf hohen Baͤumen, Fiſche,

Und Voͤgel in der Fluth, zu ſehn;

Man zweifelt oft, (getaͤuſchet, mit Vergnuͤgen)

Ob nicht ein Vogel ſchwimmt, ob nicht die Fiſche fliegen,

Und ſich nicht in der Luft erhoͤhn.

Hier
[142]Der Wiederſchein.
Hier ſieht man die Natur, von den Originalen,

So wunderſchoͤn, die zierlichſte Copey,

Jn einer wunderſchoͤn- und netten Schilderey,

Mit wahren Waſſer-Farben, mahlen.

Da nun, in einer ſchoͤnen Landſchaft, der Wie-

derſchein ſo wunderſchoͤn,
Jndem ſich die Natur, in ihm uns doppelt zu er-
freun bemuͤhet;
Jſt es demnach, o lieber Menſch! von dir kein
ſtraͤfliches Vergehn,
Wenn du dich nicht daran ergetzeſt, und ihn dein
blinder Blick nicht ſiehet?
Wodurch du, da, in Gottes Werken, du die ver-
goͤnnte Luſt nicht fuͤhlſt,
Dir ſelbſt Luſt, Anmuth und Vergnuͤgen, dem
Schoͤpfer, Dank und Ehre, ſtiehlſt.


Noch
[143]

Noch einige Betrachtungen uͤber den
Wiederſchein.


ARIA.
Spiegel des Himmels und der Welt!

Deiner Flaͤch’ iſt eingepraͤget,

Was der Himmel Herrlichs heget.

Was den Erdkreis Lieblichs ſchmuͤcket,

Weiß, in ſchnell formierten Bildern,

Die Natur auf dich zu ſchildern,

Hat ſie auf dich ausgedruͤcket,

Und in dir uns vorgeſtellt,

Spiegel ꝛc.

Allein, geliebte Fluth,

Du biſt ein Bild (ach duͤrft’ ichs nicht erzaͤhlen!)

Von unſern ungeruͤhrten Seelen:

Denn alles, was auf deiner Flaͤche ruht,

Dringt in dich ſelbſt ſo wenig ein,

Als wie der Erde Pracht, des Himmels Schein,

So uns doch uͤberall umringet,

Jn das Gemuͤth der Menſchen dringet.

Jhr’ Augen ſieht man von den Werken

Des Schoͤpfers mehrers nicht bemerken,

Als du von deiner Bilder-Pracht.

Man kann ſie, leider! dann, mit Recht und mit Bedacht,

Von allem dem, was Gott gemacht,

Wie dich, auch todte Spiegel, nennen.

Statt
[144]Ueber den Wiederſchein.
Statt daß ſie an der Creaturen,

Die uns der Schoͤpfer wollen goͤnnen,

Pracht, Ordnung, Farben und Figuren,

Und an ſo mannichfaltgen Schaͤtzen,

Sich ſollten, Jhm zur Ehr’, ergetzen;

So bleibt der Form- und Farben Zier,

Zugleich auch Anmuth und Vergnuͤgen,

Auf gleiche Weiſ’, als wie bey dir,

Auf ihres Waſſers Flaͤchen liegen:

Die Seele wird dadurch, indem ſie nichts verſpuͤhret,

So wenig, als dein Grund, geruͤhret.

ARIA.
Wie betruͤbt iſt dein Betragen,

Fuͤhlloſ- menſchliches Geſchlecht!

Nicht nur Baͤume, Buͤſch’ und Huͤgel,

Sind ſo ſchoͤn allein fuͤr ſich;

Auch die Fluth, ihr ſchoͤner Spiegel,

Bildet ſie umſonſt fuͤr dich.

Hat dann die Natur nicht Recht,

Ueber dich ſich zu beklagen?

Wie betruͤbt ꝛc.

Mich aber, rein- und ſchoͤn geſchmuͤckter Bach,

Fuͤhrt deine Spieglung weiter fort,

Jm Geiſt, und zwar an jenen Ort,

Woſelbſt die Luft, vermuthlich, ja ſo flach,

So rein, ſo klar, an ihren aͤuſſern Graͤnzen,

Als wie du hier.

Welch
[145]Ueber den Wiederſchein.
Welch eine Schoͤnheit, welche Zier,

Wird dort, im Wiederſchein, nicht glaͤnzen,

Von Koͤrpern, welche zarter ſeyn,

Wo nicht ſelbſt von des Himmels Schein;

Von Sonnen, welche dorten brennen;

Von Welten, die ſymmetriſch rennen!

Jn verhimmelnden Jdeen

Deucht mich, zu des Schoͤpfers Ehre,

Jn dem tiefen Himmels-Meere,

Sonnen waͤlzen, Welten drehen,

Ja noch etwas mehr, zu ſehen.

Wenn vielleicht auch dort von ihnen,

Der Geſtalten Pracht und Zier,

Auf der Luft Fluth, ſo wie hier,

Auf der Fluth die Koͤrper, ſchienen;

Welch ein heller Wiederſchein,

Wie ſo herrlich muͤßt’ er ſeyn!


8 Theil. KDer
[146]

Der Regenbogen.


Es hatte juͤngſt der ſchoͤn gefaͤrbte Bogen

Das ganze Firmament umzogen,

Da mich deſſelben buntes Glaͤnzen und Schimmer-reicher
Farben Pracht

Auf folgende Gedanken bracht:

Hier ſiehet man die Sonnen-Strahlen,

Die ihnen weſentliche Farben, ſo ſonſt nicht ſichtbar,
deutlich mahlen.

Hier zeiget ſich, dem menſchlichen Geſicht,

Das eigentliche Sonnen-Licht;

Es legt ſich Purpur, Violet, und Roth, und Gelb, und
Gruͤn, und Blau,

Jn dieſer Regel-rechten Ruͤnde des halben Zirkels, uns
zur Schau:

Denn andre Farben hat es nicht.

Wer wird, durch dieſe Pracht, nicht inniglich geruͤhret?

Doch wird mein ganz dadurch durchdrungner Geiſt,

Da er ſich aller Macht des Vorurtheils entreißt,

Zu Gottes Ruhm, viel weiter noch, gefuͤhret.

Er denkt an aller Sonnen Menge,

Und ſchließt: Es wird, von jeglicher, der Schein,

An Farben, unterſchieden ſeyn;

Es wird, in jeglichem Planeten, ein anders ſchimmern-
des Gepraͤnge,

Die Kraft, das Licht zu reflectiren,

Veraͤndert, herrlicher zu ſpuͤhren,

Die Aendrung unerſchoͤpflich, ſeyn.

O Gott!
[147]Der Regenbogen.
O Gott! in dieſem tiefen Denken

Fuͤhl’ ich, erſtaunt, mein ganzes Weſen in Deine

Groͤße ſich verſenken.
Jm Anblick Deiner Majeſtaͤt, und Deines uner-
ſchaffnen Lichts,
Werd’ ich, in einer frohen Ehrfurcht, und ſelgen
Wolluſt, faſt zu nichts.


K 2Zum
[148]

Zum Thuͤrmchen in Ritzebuͤttel.


Jch kam mir ſelber hier,

Auf dieſer meiner Augen Reiſe,

Als wie ein Centrum fuͤr,

Von einem großen halben Kreiſe:

Auf deſſen aͤußrer Ruͤnde

Jch nichts, als Luft und Waſſer, finde.

Mein Thuͤrmchen ſchien, um mir,

Als um dem Mittelpunct, ein Zirkel, welcher klein;

Der Fenſter Oeffnungen, zehn Radii zu ſeyn,

Die, divergirend, ſich bis an den Umkreis ſtreckten,

Und das ſo ſchoͤne Stuͤck der Land- und Waſſer-Welt,

Jn ihren Linien verſchrenkt, entdeckten,

Das mir, im Mittelpunct verkleint, ins Auge faͤllt.

Mir fiel, aufs neu, das Wunder ein,

Wodurch ſich eine ſolche Groͤß’, in etwas, das ſo winzig
klein,

So ſehr verengen kann, ſo ſehr verſchrenkt,

Und, wunderbar verkleint, ſich uns ins Auge ſenkt,

Ja tiefer dringt, und ſich, noch mehr verkleint,

Jn einen Punct, der unbegreiflich zart,

Auf eine uns verborgne Art,

Mit unſrer Seel’, im Hirn, vereint.

Die Kleinheit ſcheinet mir ſo klein,

Daß Ort, und Raum, und Zeit, in ihr verſchwunden
ſeyn.

Es
[149]Zum Thuͤrmchen in Ritzebuͤttel.
Es ſcheint, was koͤrperlich, ſich hier zu enden;

Was Geiſtigs, das nicht ausgeſpannt,

Das gar mit keinem Raum verwandt,

An dieſem Ort ſich anzufangen.

Kann nun der Menſch, als Menſch, hievon

gleich nichts verſtehn;
So hoffen wir dennoch zu einer Faͤhigkeit,
Dieß Wunder tiefer einzuſehn,
Nach dieſem Leben, zu gelangen.


K 3Gedan-
[150]

Gedanken uͤber Bluhmen.


Wie ſchoͤn prangt jede ſchoͤne Bluhme,

Quell aller Schoͤnheit, Dir zum Ruhme

So Form als Farben, Glanz und Schein,

Samt des Geruchs Ergetzlichkeiten,

Konnt’ anders niemand zubereiten,

Als Deine Macht, o Gott! allein.

Ach! laßt, an ihren bunten Schaͤtzen,

Uns, Jhm zum Ruhm, uns dann ergetzen!

Sein Ruhm iſt eine frohe Bruſt;

Sein Preis iſt unſer Augen Weide;

Sein Lob, o Lieb’! iſt unſre Freude;

Sein liebſter Dank iſt unſre Luſt.


Gluͤck-
[151]

Gluͤckſeligkeit einer Seele,
welche den Schoͤpfer in den Geſchoͤpfen
betrachtet, empfindet, und verehret.


Da ich, zur kuͤhlen Abend-Zeit, in meiner ſchattichten
Allee,

Von Amts-Geſchaͤfften unbeladen, ganz einſam, hier
ſpazieren geh,

Der Blaͤtter Schmuck, Figur und Farben, mit innigli-
cher Luſt, betrachte,

Sie, als unmittelbare Zeugen von Gottes weiſer Macht,
beachte,

Einfolglich Deſſen Gegenwart, Der allenthalben wirket,
nah,

Weit deutlicher, als ſonſt, empfand, und kaum begriff,
wie mir geſchah;

Verſpuͤhrte mein geruͤhrter Geiſt ein Etwas, das man
oͤfters ſpuͤhren,

Und, GOTT zu Ehren, fuͤhlen ſollte. Ein bruͤnſtigs
Wallen, eine Luſt,

Erzeugt aus einer innern Regung, und die, in meiner
ganzen Bruſt,

Sich angenehm verbreitete, fing meinen Geiſt an, zu re-
gieren,

Gebahr und unterhielt’ in mir ein’ Anmuth, eine See-
len-Stille.

Es ſcheint, als ob in ſolchem Stande, wenn man
in Seinem Werk Jhn ſucht,

Ein ſelten ſonſt geſpuͤhrt Vergnuͤgen, als eine ſuͤße Seelen-
Frucht,

K 4Aus
[152]Gluͤckſeligkeit in Betrachtung des Schoͤpfers.
Aus allen Blaͤttern gleichſam keime, aus jedem Kraute
gleichſam quille,

Ja, als wenn Sich der Schoͤpfer Selber hier mehr
annoch, als ſonſt, enthuͤlle.

Jn tiefer Ehrfurcht fing mein Denken,

Jn Deſſen Tief’, an, ſich zu ſenken,

Aus Welchem alle Schoͤnheit quillt:

Aus Dem entſtanden, was entſtanden;

Jn Welchem das, was iſt, vorhanden;

Der allen Raum umſchraͤnkt und fuͤllt.

Jch fuͤhl’, in der erſchaffnen Pracht,

Fuͤr die, nur Gott, mich ſinnlich macht,

Und die ich, bloß durch Jhn, empfinde,

Durch Jhn allein vermag zu merken;

Daß Er, in Seinen ſchoͤnen Werken,

Sich gleichſam Selbſt mit mir verbinde.

Gieb, Herr! daß ich je mehr und mehr,

Jn meiner Luſt, zu Deiner Ehr,

Da ich Dich fuͤhle, ſeh’ und ſchmecke,

Mein Gluͤck, in Deiner Lieb’, entdecke!


Ver-
[153]

Vernuͤnftiger
Genuß der Bluhmen.


Wenn ich das liebliche Geſchenke

Der ſchoͤnen Bluhmen/ riech’ und ſehe;

Gieb, Gott! daß Dirs zum Ruhm geſchehe,

Und ich, bey meiner Luſt, gedenke:

“Geruch und Aug’ iſt Gottes Gabe.

“Gott Lob, daß Er der Bluhmen Pracht

“So wunderſchoͤn fuͤr mich gemacht!

“Gott Lob, daß meine Seele ſinnlich, und ich

des Koͤrpers Sinnen habe!


K 5Betruͤbte
[154]

Betruͤbte Betrachtung bey ſchoͤnen
Vorwuͤrfen.


So iſt die Welt denn wunderſchoͤn

Fuͤr Menſchen, welche ſie nicht ſehn?

So muͤſſen Bluhmen Ambra zollen

Fuͤr Menſchen, die nicht riechen wollen?

So ſchallet die Muſic, in holder Voͤgel Choͤren,

Fuͤr Menſchen, welche ſie nicht hoͤren,

Und nicht, in ihrer Luſt, den großen Schoͤpfer ehren?

Jſt denn die Creatur, auf ſolche Weiſe, nicht

Umſonſt ſo herrlich zugerichtt;

Und alle Ordnung, Schmuck und Pracht,

Die, wie wir lehren, doch, vom Schoͤpfer, fuͤrs menſch-
liche Geſchlecht gemacht,

Fuͤr ſolche Menſchen, wie wir ſeyn, vergebens nur her-
vorgebracht?


Betrach-
[155]

Betrachtung der Wunder, wodurch
uns alles ſichtbar wird.


Wie uns das Licht die Koͤrper zeiget;

So zeigen Koͤrper uns das Licht.

Das Licht, wenn wir im Licht auch ſtuͤnden,

Wuͤrd’, ohne Koͤrper, ſich nicht finden;

Wir ſaͤhen ſeine Schoͤnheit nicht.

Wenn es ſich nicht an Koͤrper bricht;

So ſteckt, fuͤr uns, ſein Schein im Dunkeln:

Der Widerſchlag macht es erſt funkeln.

Es ſtehn Licht, Aug’, und Gegenſtand,

Jm unzertrennlichen Verband.

Doch muͤſſen wir auch nicht vergeſſen,

Der Luft Natur noch zu ermeſſen.

Es wuͤrd’, im leeren Raum, das Licht

Sich ganz verlieren und zerſchlagen,

Wuͤrd’ es, im Kreis der Luͤfte, nicht

Verſammlet, und uns zugetragen.

Wir koͤnnen hieraus oeutlich ſehn,

Wie groß die Wunder, die geſchehn;

Damit der ſchoͤne Bau der Erde

Den Creaturen ſichtbar werde.

Will die vernuͤnftge Creatur,

Der Menſch, denn nicht, hierinn, die Spuhr

Der Weisheit, Lieb’ und Allmacht ſehen?

Nicht, im Bewundern, Den erhoͤhen,

Der
[156]Betrachtung der Wunder im Sichtbaren.
Der aller Koͤrper Wunder-Pracht

Nicht nur allein hervorgebracht;

Nein, Der, mit neuen Wunder-Werken,

Um, im Genuß, Jhn Selbſt zu merken,

So wunderbar ihm ſichtbar macht?

Wie kann, wenn wir dieß nicht erkennen,

Nicht Dank und Ruhm dem Schoͤpfer goͤnnen;

Der Menſch ſich doch vernuͤnftig nennen?


Die
[157]

Die Hochmuths-Bluhme.


Der verhaßte Nam’ allein, welchen man von unge-
fehr,

Liebſtes Bluͤhmchen, dir gegeben, hat die Schuld, daß
ich bisher

Dich, wie du doch wohl verdienſt, nicht betrachtet, nicht
beſungen.

Ob mir gleich dein buntes Prangen, zwiſchen andrer
Bluhmen Pracht,

Oefters, ins Geſicht gedrungen;

Sah ich dich doch, ohn Bedacht,

Folglich mit halb blinden Augen, ohne mich an deinen
Schaͤtzen,

Deiner Form- und Farben Schmuck, zu vergnuͤgen,
zu ergetzen,

So wie Menſchen alle Bluhmen, leider! ſehn, veraͤchtlich an.

Jetzt, da meine juͤngſte Tochter viele davon abge-
pfluͤcket,

Und ſie mir vor Augen leget; find’ ich ſie ſo ſchoͤn ge-
ſchmuͤcket,

Daß ich mich, ſie zu bewundern, ferner nicht enthalten kann.

Jch bewunderte zuerſt ihrer Farben große Menge,

Miſchung, Unterſcheid und Pracht. Jch bewunderte
die Laͤnge

Der, ganz auſſerordentlich, rings umher belaubten
Stangen,

Woran die gefaͤrbten Kinder aufwaͤrts ſtehn, nicht abwaͤrts
hangen.

Ueberall,
[158]Die Hochmuths-Bluhme.
Ueberall, wo Bluhmen-Sproſſen,

Aus getheilten Neben-Stielen ihres Stamms hervorge-
ſchoſſen,

Jſt derſelben Fuß bekraͤnzt, von beſondern Blaͤtterchen,

Die ſehr zierlich, und ſo ſchmahl, daß ſie gruͤne Linien

Gleichſam vorzuſtellen ſcheinen; aber die ſo ordentlich,

Von dem Finger der Natur, und ſo zierlich, ſind gezogen,

Daß uns billig jeder Strich

Zur Bewundrung leiten ſollte. Jeder wird dazu bewogen,

Wer die Zeichnung uͤberlegt. Jeder Hauptſtrich wird
in drey

Gruͤne Linien getheilt; und ein jeder wird aufs neu,

Seitwaͤrts, wiederum in drey, und noch mehrern, aus-
geſtrecket:

So daß man dadurch, in ihnen, einen kleinen Buſch
entdecket,

Der aus Strichen bloß formiert. Jch bemerkte dieſe Zier,

Dadurch, mit Bewunderung, wie ich eins, auf mein
Papier

Ausgebreitet, vor mir legte. Da ich dann, mit Luſt,
erblickte

Die ſymmetriſche Figur, welche dieſe Blaͤtter ſchmuͤckte.

Endlich wandt’ ich meinen Blick auf der Bluhmen
ſchoͤnen Bau.

Dieſe legen, voller Schoͤnheit, unſern Augen ſich zur Schau,

Jn faſt ſeltſamer Figur. Wie ein Ueberfluſſes-Horn,

Jſt ihr Hintertheil gebildet; welches in ein Blatt ſich endet,

Das ſich zu vier andern Blaͤttern, die beſonders zierlich,
vorn,

Ueberhalb des Staͤngels, ſitzen, in beſondrer Biegung,
wendet.

Mitten
[159]Die Hochmuths-Bluhme.
Mitten aus dem Hoͤrnchen waͤchſt ein beſonder-frem-
des Blatt,

Wovon ſich das untre Theil vorwaͤrts bieget, und ſich
ſchlieſſet

Ueber das Gehaͤus des Saamens, der an dieſem Ort
entſprieſſet;

Da das obre Theil hingegen aufwaͤrts ſteht, und, in der
Mitten,

Regel-maͤßig ausgeſchnitten,

Die Figur von einem Kopf-Schmuck, mit gebognen
Falten, hat.

Von derſelben bunten Farben großer Mannichfal-
tigkeit,

Jhrer Miſchung und Verbindung nicht zu zaͤhlndem
Unterſcheid,

Da bald Purpur, weiß, auch Leibfarb, weißlicht- bald,
bald dunkel- blau,

Roͤthlicht, gruͤnlicht, falb, Laſur, gelblicht, gris de lin
und grau,

Jhre netten Blaͤtter zieret;

Wird ein Blick, der ſie bemerkt, eingenommen und ge-
ruͤhret.

Wenn die Bluhme nun verbluͤhet, ſteiget, nach ver-
lornem Flor,

Mitten aus dem ſtarren Staͤngel, ihre Saamen-Huͤlſ’
hervor;

Welche, wie ein kleines Schoͤthchen, weiſſe Saamen-
Koͤrner traͤget,

Und, ſehr zierlich eingepackt, ihrer immer vierzig heget.

Da
[160]Die Hochmuths-Bluhme.
Da ich dieſe Bluhme nun, mit Aufmerkſamkeit, be-
achtet,

Und derſelben Bildungs-Formen, Farben, Zuͤg’ und
Schmuck betrachtet,

Und mich recht daran vergnuͤgt und ergetzet; kommt ſie
mir,

Jn des Welt-Buchs A. B. C., als ein neuer Buchſtab fuͤr,

Der mir ſeines großen Schreibers Daſeyn, Lieb’ und
Macht zwar zeiget;

Aber deſſen rechter Jnhalt mein Begreifen uͤberſteiget.

Des Natur-Buchs ſchoͤne Lettern einzeln hier

nur anzuſehn
Scheint der Menſch auf dieſer Welt. Unſer hie-
ſiges Studieren
Geht nur bloß aufs Buchſtabieren.
Doch, daſſelbe recht zu leſen, und den Jnhalt
zu verſtehn;
Dieſes wird, nach dieſer Zeit,
Jn der ſelgen Ewigkeit,
Von verklaͤrten Geiſtern erſt, wie man billig glaubt,
ſich faſſen,
Und des Schoͤpfers Herrlichkeit deutlicher begreifen
laſſen.


Der
[161]

Der neue Mond.


Bewundre, Menſch, den Kreis der Luft! der dir
nicht nur das helle Licht

Der Sonne, das ſich ſonſt verſpreiten,

Und, ſonder Luft, im leeren Raum zerſchlagen wuͤrd’,
in dein Geſicht

Allein vermoͤgend iſt, zu leiten;

Nein, welche taͤglich, ſpat und fruͤh, ſo gut als wie der
Mond, dir dient,

Dir den ſonſt kuͤrzern Tag verlaͤngt:

Und, da ſie fruͤh den Sonnen-Strahl viel eh, als unſre
Erd’, empfaͤngt,

Des Abends laͤnger auch behaͤlt;

Denſelben, eben wie der Mond, von ſich laͤßt wieder
abwaͤrts prallen,

Und, auf die ſonſt viel eh und ſpaͤter in dunkle Nacht
geſenkte Welt,

Jm Wiederſchein, herunter fallen,

Und uns die Daͤmmerung gebiert: da, wenn daſſelbe
nicht geſchaͤhe,

Man, nach der Sonnen Untergang, vor ihrem Aufgang
auch, nicht ſaͤhe.

So ſchaue dann, voll Dank und Andacht, be-

wundernd, kuͤnftig, jedermann,
Die Luft, als einen wahren Mond, zum Ruhm
des weiſen Schoͤpfers, an!


8 Theil. LTirſan-
[162]

Tirſander.


Verachte kuͤnftig, lieber Menſch, wie es bisher von
dir geſchehen,

Gebeſſert durch Tirſanders Beyſpiel, der Bluhmen
Schmuck und Pracht nicht mehr!

Tirſander hatt’, in ſeinem Leben, kein’ einzge Bluh-
me je geſehen,

Er wußte nicht, was Bluhmen waren; als einſt Be-
rander, ungefehr,

Jhm Roſen, Anemonen, Liljen,

Ranunkeln, Nelken und Sjonkiljen,

Die er mit Fleiß, fuͤr ihn, geſammlet, auf einmal vor
die Augen hielte.

Tirſander ſtutzt’, erſtarrt fuͤr Luſt, die ſeine Seele
ploͤtzlich fuͤhlte:

Es war, als wenn ein ſchneller Blitz ihm ſeinen Geiſt,
durchs Auge, ruͤhrte;

Als wenn ein Strohm von reiner Wolluſt ſein ganzes
Weſen uͤberfloß;

Als wenn, fuͤr uͤberhaͤufter Anmuth, die er, aus ihrer
Pracht, genoß,

Er ein belebend Freuden-Feur, in allen ſeinen Nerven,
ſpuͤhrte.

“Mein Gott!” brach er, erſtaunet, aus; “mein
Gott! was iſt das, was ich ſehe!

“Was fuͤr ein Glanz, und was fuͤr Farben! O welche
kuͤnſtliche Figuren!

“Sind dieſes irdiſche Geſchoͤpfe? wie? oder ſind es
Creaturen

“Aus der geſtirnten Himmels-Hoͤhe?

“Kein
[163]Tirſander.
“Kein Menſchen-Finger hat die Pracht

“Formiert; es muß was Goͤttlichs ſeyn, das ihren
Wunder-Bau gemacht.

Er ſah von einer auf die andre; zog aber den begier-
gen Blick

Schnell wieder von der andern ab, und auf die erſtere
zuruͤck,

Um ihren Schmuck nicht zu verlieren. Es uͤberlief ſein
Augen-Strahl,

Verwirrt, bald die, bald jene Bluhme, bald alle Bluh-
men auf einmal.

Um ſie nun beſſer zu betrachten, bracht’ er ſie nah
an ſein Geſicht.

Allein, welch eine neue Wolluſt durchdrunge ſeine Seele
nicht,

Als ſein Geruch den Balſam ſpuͤhrte, der aus den ſchoͤ-
nen Blaͤttern quillt,

Und, mit noch nie geſpuͤhrter Anmuth, ihm ſchnell ſein
ganz Gehirn erfuͤllt!

Er ſtutzt’ und er verſtummt’ aufs neu. Sein Othem
ging ſchnell aus und ein;

Er roch, er ſchnauft’, er ſchloß die Augen, und ſchien,
fuͤr Luſt, entzuͤckt zu ſeyn.

“Dem Weſen, welches dieſe Weſen, ſo wunderbar,
zu bilden weiß,

“Und meinen Geiſt durch ſie ergetzt, ſey ewig Ehre,
Lob und Preis!

Rief er, fuͤr Wolluſt auſſer ſich. Ach! daß wir, wie
Tirſander, daͤchten,

Und, bey den wunderſchoͤnen Bluhmen, GOTT,

unſre Luſt, zum Opfer, braͤchten.


L 2Unter-
[164]

Unterſcheid der Wiſſenſchaft,
daß, und was Gott ſey.


Kein Thier hat von der Gottheit Nachricht, Erkennt
niß, oder Wiſſenſchaft.

Die Menſchen wiſſen, daß Er iſt. Dieß koͤnnen ſie
und ſollens wiſſen.

Doch was Er ſey, ſcheint bloß ein Vorwurf fuͤr Geiſte
von viel ſchaͤrfrer Kraft:

Daher wir dieß Erkenntniß billig, nach dieſer Zeit, be
ſpahren muͤſſen.

Doch iſt dieß Wiſſen, daß ein Gott, ſo klein und
ſo geringe nicht.

Denn es beſtehet eigentlich darinn, daß wir von Seinen
Werken,

Jn ihrer Ordnung, Nutz und Zier, zugleich Macht
Weisheit, Liebe, merken,

Und finden, daß ein jedes Ding: Es iſt ein Schoͤpfer,
deutlich ſpricht.

Je oͤfter nun der Creatur Pracht, Ordnung, Nutz und
Glanz uns ruͤhret;

Je oͤfter wird man, daß ein Gott, unwiderſprechlich
uͤberfuͤhret.


Betrach-
[165]

Betrachtung Goͤttlicher Werke.


Hier, wo meine Seele ſiehet,

Und nicht nur mein Aug’ allein,

Wie ſich die Natur bemuͤhet,

Meine Lehrerinn zu ſeyn;

Wo ich, in vergnuͤgter Stille,

Meines Schoͤpfers Wunder-Werke,

Und, in ihrer Pracht und Fuͤlle,

Weisheit, Macht und Liebe merke:

Treff ich eine helle Klarheit,

Jn der Koͤrper Schoͤnheit, an,

Welche mir den Weg zur Wahrheit,

Durch die Sinnen, zeigen kann.

Nicht nur Himmel, Erd’ und Meere,

Sterne, Mond und Sonnenſchein,

Predigen des Schoͤpfers Ehre;

Jeder Vorwurf ſtimmt mit ein.

Jedes Baumes gruͤner Wipfel,

Kraut, Bluͤht, Bluhme, Laub und Gras,

Jedes Berges ſteiler Gipfel,

Unterweiſt mich, lehrt mich was.

Jch bemerk’ an ihren Lehren,

Daß ſie voller Weisheit ſeyn;

Auch, daß ſie fuͤr uns gehoͤren,

Ja nur bloß fuͤr uns allein.

Jn den unterſchiednen Bildern

Jhrer kuͤnſtlichen Structur,

Die, fuͤr uns, ſo ſchoͤn ſich ſchildern,

Redet mit uns die Natur.

L 3Daß
[166]Betrachtung Goͤttlicher Werke.
Daß die Theile, wie wir ſehen,

Und man nicht verleugnen kann,

All’ auf eine Abſicht gehen;

Zeiget einen Meiſter an.

Der Verband, der unter ihnen,

Und zugleich mit uns; erweiſt,

Da ſie, mehrentheils, uns dienen,

Jhres Urſprungs weiſen Geiſt.

Alle Kraͤft’, in allen Dingen,

Jhre Ordnung, Nutz und Zier,

Die in Aug’ und Ohren dringen,

Kommen mir, als Worte, fuͤr,

Die uns rufen, die uns lehren,

Und, von aller Wunder Pracht,

Jhren Jnhalt uns erklaͤren:

Gott ſey groß, der ſie gemacht.

Ja, die unſer ganzes Leben,

(Moͤchten wir ſie doch verſtehn!)

Durch die Nachricht, die ſie geben,

Mit Bequemlichkeit verſehn;

Unſern Geiſt mit Wahrheit fuͤllen,

Unſer Herz mit Dankbarkeit,

Und uns, klaͤrlich, Den enthuͤllen,

Welcher ſie, fuͤr uns, bereit.


Noch
[167]

Noch einige Betrachtungen uͤber die
Anmuth der Waͤlder.


Den Sitz des ſchaudrichten Vergnuͤgens, den Licht-
und Schatten-reichen Wald,

Der Kuͤhlung, eines heilgen Schreckens, und ſchneller
Voͤgel Aufenthalt,

Wuͤnſch’ ich, aus einem neuen Trieb’, in ihm, auf Gottes
Werk zu achten,

Um ihn noch einmal zu beſingen, noch einmal, froͤhlich,
zu betrachten.

Erhabne praͤchtige Gebaͤude, die ihr, von der Natur
Hand ſelber,

So kuͤnſtlich, ohne Kunſt, formiert!

Jhr ſchoͤn gebogenen Gewoͤlber,

Ohn alles Zuthun eines Menſchen, vom Schoͤpfer, in
die Luft gefuͤhrt!

Du holdes Schirm-Dach fuͤr die Hitze! wie iſt dein
Wohnplatz, wenn es ſchwuͤhl,

Dem ganzen Koͤrper ſo gefaͤllig, dein gruͤner Schatten
doch ſo kuͤhl!

Kein menſchlicher Verſtand iſt faͤhig, ein Luſt-Gebaͤude
zu erfinden,

Worinn ſich Symmetrie und Nutz, und Luſt und Pracht,
ſo ſchoͤn, verbinden,

Als wie in eines Baumes Bau. Es iſt, wenn man es
recht beachtet,

Ein jeder Zweig ein kleiner Baum; und folglich, wenn
man dieß betrachtet,

L 4Ein
[168]Ueber die Anmuth der Waͤlder.
Ein jeder Wald ein Wald von Waͤldern, da jeder Baum
ein kleiner Wald.

Ja, wo wir etwas weiter gehn, hat jedes Blaͤttchen
die Geſtalt

Von einem Baum: nur, daß er platt;

Jndem es einen Stamm, im Stiel, und ſo viel Zweig’,
als Adern, hat.

Dieß fuͤhrt mich auf das Reich der Pflanzen. Der
ganze Kreis der ſchoͤnen Erden

Waͤr’, ohne Pflanzen, eine Wuͤſte, ja koͤnnte nicht bewoh-
net werden.

Man ſtelle ſich einſt, in Gedanken, ein Bild von einer
Erde fuͤr,

Worauf nur Sand, Moraſt und Klippen, nur Hoͤhlen,
Berg’ und Stein zu ſehn;

Welch ein betruͤbt- und oͤder Vorwurf! beraubt von allem
dem, was ſchoͤn!

Beraubt von Farben und Figuren, Glanz, Ordnung,
Nutzen, Pracht und Zier!

Jn Baͤumen, Bluhmen, Gras und Kraut, beſteht
der Erde ganze Pracht,

Erhalt- und Nahrung aller Thiere.

Sie ſind demnach die groͤßten Proben von einer weiſen
Lieb’ und Macht.

Doch, wieder auf den Wald zu kommen; ſeht der
geraden Staͤmme Menge;

Betrachtet die ſymmetriſche, den Seulen gleiche, Ruͤnd’
und Laͤnge:

Bemerkt, was ſich, in allen Zweigen,

Fuͤr holde Lieblichkeiten zeigen;

Die
[169]Ueber die Anmuth der Waͤlder.
Die den, der ſie betrachtet, ruͤhren. Die Spitzen wer-
den, von der Laſt

Der Blaͤtter, ſanft herabgezogen;

Und machen, dadurch, jeden Aſt

Zu einem gruͤn gewoͤlbten Bogen:

Die, wenn man weislich denken wollte,

Man Ehren-Bogen nennen ſollte,

Fuͤr Den, Der ſie, fuͤr uns, gemacht.

Aus dieſer Bogen Meng’ entſteht, an jedem Wipfel,
eine Ruͤnde;

Wovon ich, in dem runden Stamm, die Urſach und
den Grund befinde.

Mit welcher Luſt ſenkt ſich der Blick, zumal im hellen
Sonnenſchein,

Jn die mit Licht vermiſchten Schatten der Blaͤtter-reichen
Baͤum’ hinein!

Man ſieht, beym linden Weſt, an ihnen, ein lieblichs
Licht- und Schatten-Spiel,

Von an- und durchgeſtrahlten Blaͤttern, und ein behaͤg-
liches Gewuͤhl.

Die obern Zweige laſſen oft, zumal, wenn ſie, beweget, wallen,

Auf die beſtrahlten untern Zweige, ihr Bild, in Schat-
ten-Zweigen, fallen:

Durch deren dunkel-gruͤne Schoͤnheit ſie, die beſtrahlten
lichten Stellen,

Nicht nur mit Schatten-Blaͤttern mahlen, noch durch
den Gegenſatz, erhellen;

Die Formen von den Schatten-Blaͤttern, auch ihre
dunkle Farb’, erhoͤhn

Des angeſtrahlten wahren Laubes Geweb’, und machens
doppelt ſchoͤn.

L 5Wie
[170]Ueber die Anmuth der Waͤlder.
Wie manches Schlag-Licht trennt die Schatten! wie
mancher Schatten deckt das Licht!

Wovon, zu unſrer Augen Luſt, ſtets eins das ander’
unterbricht,

Und ein ſo ſuͤß Gemiſch formiert, daß auch die unge-
ruͤhrtſten Augen

Sich nicht darinn zur Gnuͤg’ erquicken, nicht ſatt daran
zu ſehen taugen.

Ach! daß wir doch, in holden Waͤldern, an Den,
Der ſie formieret, daͤchten,

Und uns des herrlichen Erfinders, und weiſen Ge-
bers, freuen moͤchten!


Andacht
[171]

Andacht bey Bluhmen.


Bey dieſer Bluhmen Lieblichkeit, bey ihrer Wunder
Meng’ und Fuͤlle,

Bet’ ich, in ehrerbietger Stille,

Der Wunder Schoͤpfer, dankend, an.

Jch dank’ Jhm, daß Er ihre Pracht,

Zum Beſten vieler Creaturen, und auch fuͤr mich, her-
vorgebracht!

Jch dank’ Jhm, daß ich ſie bewundern; in ihnen Seine
Weisheit, Macht,

Und vaͤterliche Liebe, finden: Jch dank’ Jhm, daß ich
danken kan!

Es offenbahrt faſt nichts ſo klar, es zeiget uns faſt
nichts ſo ſehr,

Jm ganzen Reiche der Natur, als wie der Bluhmen
holdes Heer,

Die Goͤttliche vereinte Dreyheit, die Weisheit, All-
macht, und die Liebe.

Der Farben und Figuren Ordnung, die Sym-

metrie, Geruch, und Pracht,

Zeigt ihres Urſtands tiefe Weisheit; ihr Daſeyn,
zeiget Seine Macht.

Die Abſicht, die Jhn, Creaturen durch Bluhmen zu ver-
gnuͤgen, triebe;

Erweiſet, offenbahrt, und zeiget, da Er, denſelben, das
Geſicht,

Auch das dazu nothwendge Licht,

Und einen Geiſt, der fuͤhlt, geſchenkt, unwiderſprechlich,
Seine Liebe.

“Moͤcht’
[172]Andacht bey Bluhmen.
“Moͤcht’ unſrer Seelen andre Kraft, die Ueberle-
gung, ſich bemuͤhn,

“Den Seelen-Honig, der in Bluhmen wahrhaftig ſteckt,
daraus zu ziehn,

“ Jn ihren Freuden, Gott zu finden; und oft, an allem
dem, was ſchoͤn,

“ Jm ſchoͤnen Reich der Creatur, mit Luſt, den Schoͤp-
fer zu erhoͤhn!

Herr! laß mich, mich, meiner und Deiner

bewußt,
Bey Bluhmen, mit innigſt geruͤhreter Bruſt,
Die Kraft des Erwaͤgens zur ſinnlichen fuͤgen!
Herr! laß mich die ſchwarze Gewohnheit
beſiegen!
Mein Dienſt, Dir zum Ruhm, ſey mein irdiſch
Vergnuͤgen;
Mein Opfer, ſey meine bewundernde Luſt!


Schwaͤche
[173]

Schwaͤche
des menſchlichen Begriffes.


Es ſieht die Seele, durchs Geſicht,

Von kleinen Koͤrpern nicht zu ſagen,

Die allergroͤßten Koͤrper nicht:

Sie kann die Luft, ſie kann das Licht,

Wie ſcharf ſie ſonſt auch ſieht, nicht ſehn.

Mit welchem Recht kann ſie denn wagen,

Der Geiſter Weſen zu verſtehn?

Ja, laßt uns etwas weiter gehn.

Wuͤrd’ eine Seel’, in Finſterniſſen,

Und ohne Sonne, von der Welt,

Und aller Schoͤnheit, etwas wiſſen?

Sie wird durchs Licht ihr vorgeſtellt.

So weiß ſie, wenn ein geiſtigs Licht

Die Geiſter-Welt ihr nicht entdecket,

Von Geiſtern das geringſte nicht:

Sie iſt fuͤr ſich ja ſelbſt verſtecket.

Wie kann ſie ſich denn unterwinden,

Die Welt der Geiſter einzuſehn?

Wie kann ſie gar ſich unterſtehn,

Der Gottheit Weſen zu ergruͤnden?


Gedan-
[174]

Gedanken uͤber die Geheimniß-voll
Veraͤnderung der Raupen.


Bilder abgeſchiedner Seelen, Sommer-Voͤgel! mi[t]
Vergnuͤgen

Seh’ ich euch, in reiner Luft, aus dem Staub erhoben
fliegen.

Jhr habt euren morſchen Koͤrper, der euch an der Erd[e]
band,

Der ein Wurm war, abgelegt; und den kuͤmmerlicher
Stand,

Da ihr krocht, erfreut veraͤndert. Man wird euch, im
Gegenhalt

Mit der vormals haͤßlichen und verworfenen Geſtalt,

Nicht verſchoͤnert und verbeſſert; in der That verherr-
licht, nennen;

Ja, betrachtet man euch recht, fuͤr verklaͤrt faſt, ſchaͤtzen
koͤnnen.

Da ihr erſt am Staube klebtet, koͤnnt ihr euch nun-
mehr erheben,

Und, mit neuer Kraft begabt, in durchſtrahlten Luͤften
ſchweben,

Waͤrm’ und Licht vergnuͤgt genieſſen, und, was auf der
Erde ſchoͤn,

Bluhmen, Baͤume, Gras und Kraut, allenthalben
uͤberſehn.

Wenn man, gegen euch, nunmehr, die zuruͤckgelaßne
Haut,

Und des morſchen Dattel-Kerns klaͤgliche Figur beſchaut;

Schei-
[175]Ueber die Veraͤnderung der Raupen.
Scheinet ihr, an Symmetrie, Schmuck der Farben,
und Figur,

Ein durchaus verherrlicht Weſen, eine neue Creatur.

Es bringt eurer ſchlechten Formen praͤchtige Veraͤn-
derung,

Eurer Kraͤft’ und ganzen Weſens gaͤnzliche Verwandelung,

Dem, Der euch, und alles, ſchuff, nicht Bewundrung
nur, und Ehre;

Sondern, ſie erweckt in uns die Geheimniß-volle Lehre:

“Daß, und wie, auch unſer Weſen, einer Aenderung
nicht nur;

“Einer herrlichen Verbeßrung und Verklaͤrung, faͤhig
ſey.

Denn es iſt unwiderſprechlich, daß die Wege der Natur,

Nach des Schoͤpfers weiſer Ordnung, Macht und Liebe,
mancherley.

Bleibt nun gleich der Zweifel uͤbrig, daß, wie ſie bey
euch geſchehen,

Unſere Veraͤndrungen, nicht zu fuͤhlen, nicht zu ſehen;

Heben unſrer Sinnen Schwaͤchen doch die Moͤglichkeit
nicht auf.

Da wir ja den großen Koͤrper unſrer Luft nicht ſehen
koͤnnen,

Der doch, unverneinlich, da; da wir des Gebluͤtes Lauf,

Sein unwiderſprechlichs Zirkeln, und ſein unaufhoͤrlichs
Rennen,

Nicht vermoͤgend ſeyn, zu fuͤhlen: ſind ſie, darum,
zu verneinen?

Dieſes wuͤrde der Erfahrung und Vernunft zuwider
ſcheinen.

So
[176]Ueber die Veraͤnderung der Raupen.
So wie eure Raupen-Haut, eures jetzgen Koͤrpers
Pracht

Lebend Futteral geweſen, ſah ihn gleich kein Augen-
Strahl;

Kann auch, unſers Koͤrpers Bau, leicht ein lebend
Futteral

Eines unſichtbaren Koͤrpers, ohne Widerſpruch, ja ſeyn.

Ja, mit dieſer Lehre traͤffe gar die groſſe Wahrheit
ein:

Daß die Seelen, nach dem Scheiden, von dem koͤrper-
lichen Weſen,

Womit ſie, zu ihrem Nutzen, bis daher vereint geweſen,

Das Subtileſte behielten, und die zarten Stamina,

Die vergaͤnglich nicht, nicht ſichtbar, bey denſelben blei-
ben werden:

Weil ſie ſonſt von aller Schoͤnheit der von Gott erſchaff-
nen Erden,

Ohne Sinnen, nichts mehr merken; des ſo ſchoͤnen
Sonnen-Lichts,

Jn Ermanglung des Geſichts,

Nicht genieſſen koͤnnt- und wuͤrden, waͤr’ es ihnen noch
ſo nah.

Ja, es finden die Gedanken

Darinn einen Widerſpruch, daß ein Weſen, ohne
Schranken,

(Welches doch umſchraͤnkt) beſtuͤnde, ſeine Dauer noch
verlaͤngte,

Wo es ſich nicht, als ein Tropfen, in ein Geiſter-Meer
vermengte:

Aber, wenn auch dieß geſchaͤhe; blieb es nicht fuͤr ſich
allein.

Wirft
[177]Ueber die Veraͤnderung der Raupen.
Wirft mir jemand etwan ein:

Sie wird eine Monas werden, ſonder Graͤnzen und
Figur;

So geſteh’ ich offenherzig: Einer Monadis Natur

Faſſ’ ich und begreif ſie nicht. Wie ich denn dabey
geſtehe,

Daß ich, ohn Verringerung vieler Vorzuͤg’ unſrer Seelen,

Die monadiſche Verwandlung, da ſie uns was raubt,
nicht ſehe:

Da, im Koͤrper-loſen Weſen, ſchoͤne Gegenwuͤrfe fehlen,

Und wir, in dergleichem Stande, eine ganze Welt ver-
lieren,

Welche wir vorher beſeſſen; die der Schoͤpfer uns
geſchenkt,

Jhrer froͤhlich zu genieſſen, wo man nur dabey gedenkt:

Denn wir konnten hier auch denken, uns erinnern,
uͤberlegen.

Wenn wir alſo klar verſpuͤhren,

Daß man, bey dem Tauſch, verliehrt; ſcheint es dem
Begriff zugegen,

Den wir vom Verbeſſern hegen,

Beym betraͤchtlichen Verluſt aller Schoͤnheit dieſer Erden,

Dieſen Widerſpruch zu glauben, daß wir dadurch beſſer
werden?

Aber welch ein ſtarker Einwurf faͤllt mir hier zuletzt
noch ein!

Koͤnnen Engel, ohne Koͤrper, ſeliger und weiſer ſeyn;

Warum nicht auch unſre Seelen? Dieſer Schluß ſcheint
von Gewicht;

Dennoch uͤberfuͤhrt er mich, von der Folge, voͤllig nicht.

8 Theil. MEngel
[178]Ueber die Veraͤnderung der Raupen.
Engel ſcheinen andre Weſen,

Die vom Schoͤpfer, gleich im Anfang, eingerichtet und
erleſen,

Daß ſie, ſonder Sinnen, fuͤhlen, hoͤren, riechen, ſchmecken,
ſehn,

Und, vielleicht auf mehrer’ Arten, Guts genieſſen und
verſtehn.

So ſind unſre Seelen nicht: da dieſelben alle Gaben,

Zu genieſſen, zu begreifen, bloß nur durch die Sinnen
haben.

Ja, es iſt auch von den Engeln, uns, der eigentliche
Stand,

Ob ſie nicht verklaͤrte Koͤrper ſelber haben, nicht bekannt.

Kurz: Jn dieſer dunklen Sache,

Da es ohne dieß bekannt, daß die wirkende Natur

Jmmer Staffel-weiſe wirke, und nicht ſchnelle Spruͤnge
mache;

Scheint es mir der Wahrheit aͤhnlich, einer ſolchen
Creatur,

Wie wir ſeyn, Veraͤndrungen, Stafel-weiſe, zuzuſchreiben,

Aber, von ihr, kein Vernichten ihres halben Theils
zu glaͤuben.

Hierzu kann der Sommer-Voͤgel ſchoͤner und verbeſſert
Leben

Uns, wo nicht ein uͤberzeugend, doch ein lehrend, Bey-
ſpiel geben.


Die
[179]

Die Bluhmen-Allee.


Jndem ich hier durch ein’ Allee,

Von mehr als tauſend Nelken, geh,

Riech’ ich den Balſam-reichen Duft,

Der, in der ganz ambrirten Luft,

Als ein unſichtbar-ſuͤßer Schwall,

Die Athmoſphaͤr hier uͤberall,

Mit ungeſehnen Kreiſen, fuͤllet,

Die der Geruch allein enthuͤllet.

Jch ging den ganzen Gang zum Ende,

Um dieſer Anmuth nachzudenken,

Und minſtens unſerm Schoͤpfer hier,

Fuͤr den Geruch, auch ihre Zier,

Ein bruͤnſtiges Gott Lob! zu ſchenken.

Jch ſetzte mich hieſelbſt, voll Andacht und voll Luſt,

Jn einer Sommer-Laube, nieder,

Und ſang, mit recht geruͤhrter Bruſt,

Voll Dank und Ehrfurcht, dieſe Lieder.

Da ich allhier die Blicke ruͤckwaͤrts wende,

Und ſie, von dieſem hier bis jenem Ende,

Durch dieſen ſchoͤnen Gang, gerade vor mir, ſende;

Erblick’ ich, aller Nelken Menge,

Durch die dadurch verkuͤrzte Laͤnge

Vereinet, dicht beyſammen ſtehn.

Hiedurch ſchien, in vermehrtem Glanz,

Ein buntes wunderſchoͤnes Ganz,

Aus ſonſt getheiltem Schmuck gefuͤget, zu entſtehn.

M 2Erſt
[180]Die Bluhmen-Allee.
Erſt ſah ich Linien, von gleich geformten Toͤpfen,

Jm ganz geraden Strich, bis ganz zu Ende gehn.

Das blaͤulich-gruͤne Laub, gekroͤnt mit bunten Knoͤpfen,

Bedeckt’ und fuͤllte ſie; bis, an geraden Stangen,

Von riſchen Stecken, ſich die Pracht

Der Bluhmen ſelbſt, der Nelken, ſichtbar macht,

Die meiſt gerade ſtehn, zum Theil auch abwaͤrts hangen.

Hier ſtutzte Blick und Geiſt, durch die Verſchie-
denheit

Der tauſendfach gefaͤrbten Herrlichkeit,

So dieſes Heer der Bluhmen zieret,

Mit Recht faſt auſſer ſich geſetzt, mit Recht geruͤhret.

Sie waren wunderwuͤrdig ſchoͤn;

Und iſt nicht leicht, im Bluhmen-Reich,

Ein Schmuck, der dieſem Schmucke gleich,

Nicht leicht was Lieblichers, zu ſehn.

Mein Blick, in ſolcher bunten Zier,

Von beyden Seiten, eingeſchraͤnket,

Stutzt, nebſt dem Geiſt, bald dort bald hier:

Der weiß nicht, was er ſieht; der weiß nicht, was er
denket.

Bald ſtehn, bald eilen ſie; und, mitten in dem Eilen,

Zwingt ſie der Schoͤnheit Ueberfluß,

Bald hier bald dorten zu verweilen.

Bald ſchwebt der Blick die eine Seit hinab;

Die andre Seite zieht ihn wieder zu mir her:

Bald, weil ihm jede Seit’ ein neu Vergnuͤgen gab,

So uͤberlaͤuft er ſie zum oͤftern, in der Queer,

Jn zackigter Bewegung, hin und wieder,

Jn Winkelfoͤrmiger Veraͤndrung, auf und nieder.

Er
[181]Die Bluhmen-Allee.
Er ſucht, mit einer ſuͤßen Muͤh,

Bald beyder Schoͤnheit zu vergleichen:

Bald kommt ihm vor, als muͤßten die,

An Schmuck und Schoͤnheit, jenen weichen;

Bald aber, ganz fuͤr Luſt verwirrt,

Bekennet er, daß er geirrt,

Und muß oft, halb beſchaͤmt, geſtehn,

Sie waͤren beyde gleiche ſchoͤn.

Allein, hier iſt die Luſt und Pracht noch nicht zum Ende;

Es ſtehen, hinter dieſer Zier

Der ſchoͤnen Nelken, dort und hier,

Erhabene belaubte gruͤne Waͤnde,

Voll bunt gefaͤrbter Lieblichkeiten,

Von Malva hier, und, an der andern Seiten,

Von Sonnen-Bluhmen, deren Pracht

Den Blick, nicht weniger, aufmerkſam macht.

Jch koͤnnt’, und wollte nicht ermuͤden,

Hier den bebluͤhmten Pyramiden,

Und dort dem guͤldnen Glanz der praͤchtgen Sonnen-
Wenden,

Die regen Blicke zuzuſenden;

Jn dieſer heitern Zeit zumal,

Da der entwoͤlkte Sonnen-Strahl

Der guͤldnen Blaͤtter Gold, noch eins ſo ſtark, verguͤldet,

Und ſie dem Golde gleich, ja noch faſt guͤldner, bildet.

Der Bluhmen Groͤß’, und ihre Menge,

Die, ob ſie ſich gleich nicht ſo nahe ſtunden,

Von meinem Sitze dennoch nah,

Weil ich ſie in Verkuͤrzung ſah,

Nach meinem Aug-Punct ſich verbunden;

Formierten ein ſo groß- und herrliches Gepraͤnge,

M 3Als
[182]Die Bluhmen-Allee.
Als waͤren es, mit durchgeflochtnen Kronen,

Von Schmelz, ja von Smaragd, verfertigte Feſtonen.

Wenn nun zugleich der Malva rothe Bluͤhte,

Durch ihr durchſtrahlet Laub, recht wie Rubinen, gluͤhte;

Ward Blick und Sinn dadurch zu neuer Luſt bewegt,

Und, nebſt dem wallenden Gebluͤte,

Auch mein erheitertes Gemuͤthe,

Zum Preiſe, Lob und Dank erregt.

Daß vernuͤnftge Menſchen-Seelen,

Um den Schoͤpfer zu erhoͤhn,

Bluhmen nicht zum Vorwurf waͤhlen;

Kann ich wahrlich nicht verſtehn.

Jn den bunten Bluhmen werden

Mehr faſt, als ſonſt wo auf Erden,

Gottes Lieb’ und Macht geſpuͤhrt;

Sie ſind, bloß durch Jhn, geziert.

Wer, als Gott, als Gott allein,

Hat, mit Farben, Form und Schein,

Sie, und zwar fuͤr uns, formiert?

Nicht durch das Geſicht allein

Ruͤhret uns der Bluhmen Schein;

Jhre duftende Natur

Labt uns im Geruch nicht nur:

Sondern, da ſie weich und kuͤhl,

Schmeicheln ſie uns durchs Gefuͤhl.

Ja
[183]Die Bluhmen-Allee.
Ja noch mehr! die Bluhmen haben,

Uns auch im Geſchmack zu laben,

Tauſendfache Suͤßigkeit;

Die, im Honig, uns erfreut.

Laßt uns alſo ferner nicht

Dieſe Creatur verachten.

Laſſet uns, nach unſrer Pflicht,

Bey den Bluhmen, dieß betrachten:

Daß nicht nur durch einen Sinn

Man von Bluhmen wird geruͤhret;

Sondern, daß der Geiſt darinn,

Faſt durch jeden, Luſt verſpuͤhret.

Gott hat ſie fuͤr uns erkohren.

Achten wir, nach unſrer Pflicht,

Sie, zu Seinem Ruhm, nun nicht;

Jſt Sein’ Abſicht ja verlohren.

Wozu nuͤtzt uns der Verſtand,

Als allein in Gottes Werken

Seine Weisheit zu bemerken?

Nirgends wird Er ſo bekannt.

Unſre Sinnen ſind die Thuͤren,

Wodurch unſers Schoͤpfers Macht,

Jn der Creaturen Pracht,

Und Sein Daſeyn, zu verſpuͤhren.

M 4Jn
[184]Die Bluhmen-Allee.
Jn den Bluhmen, in der Bluͤhte,

Da ſie gar zu wunderſchoͤn,

Kann das menſchliche Gemuͤthe,

Von der Gottheit Lieb’ und Guͤte,

Proben, die unleugbar, ſehn.

Jch aufs wenigſte geſtehe,

Und ich danke Gott dafuͤr,

Daß ich ſie mit Freuden ſehe;

Ja, daß ich, in ihrer Zier,

Mit vergnuͤgter Dank-Begier,

Gottes weiſe Macht erhoͤhe.

Gieb, Herr, daß es oft von mir,

Jnniglich geruͤhrt, geſchehe!


Erin-
[185]

Erinnerung einiger Umſtaͤnde
bey
einer gefaͤhrlichen Waſſer-Fahrt,
von Ritzebuͤttel nach Hamburg.
1745.


Fruͤh, als annoch der reine Mond ſein Silber-Horn
im Oſten wies,

Noch eh Auroren ſanftes Licht den Roſen-Schimmer ſehen
ließ,

Betraten wir bereits die Jagd, worauf, als einem Waſ-
ſer-Wagen,

Des reichen Elb-Strohms breiter Ruͤcken, uns nach
Cuxhaven hergetragen,

Um wiederum zuruͤck zu kehren. Die rothen Flagg’ und
Wimpel ſpielten,

Und walleten in kuͤhler Luft, weil ſie des Suͤdwinds
Hauchen fuͤhlten.

Wir gruͤßten das verlaßne Land mit unſerm donnernden
Geſchuͤtze;

Wir ſahen auch gar bald darauf vom Schloſſe, das uns
dankt’, die Blitze,

Und hoͤrten der Canonen Knall. Gleich zog man alle
Segel auf,

Die eingetretne ſtrenge Fluht befordert’ unſern ſchnellen
Lauf,

Die guͤldne Sonne brach hervor, es glaͤnzte die beſtrahl-
te Fluht,

Luft, Himmel, Meer und Erde lachte, erquickt durch ihre
Segens-Gluht.

M 5Nichts
[186]Erinnerung einiger Umſtaͤnde
Nichts war Gefuͤhl-los, als der Menſch. Denn
man bewunderte dieß Licht

Durch der Gewohnheit Macht geblendet, trotz ſeinem
hellen Schimmer, nicht.

Jnzwiſchen ſah man hin und wieder ſich, aus dem Waſſer
Duͤft’ erheben,

Und ſie, eh man es ſich verſah, im Firmament, als
Wolken, ſchweben,

Der Sonne Glanz und Licht verdunkeln. Der Suͤdwind
ſtaͤrkte ſich, und blies

So heftig, daß uns ſeine Wut, ſtatt ſegeln, nur lavie-
ren ließ.

Die Ebbe widerſtund uns auch. Wir mußten denn die
Segel braſſen,

Und, wider Willen, unſer’ Anker, nicht weit von Gluͤck-
ſtadt, fallen laſſen.

Dieß war geſchehn; doch unvorſichtig. Der Schiffer
hatt’ uns, aus Verſehn,

Auf eine Sandbank hingeſetzt. Wir wußten nicht, daß
dieß geſchehn,

Bis daß, nach mehr verlaufnem Waſſer, wir einen Stoß
am Steuer ſpuͤhrten;

Dabey bemerkten, daß die Schiffer ſich drauſſen unge-
woͤhnlich ruͤhrten;

Auch ſahen, daß ſie die Chaloupe mit vier Matroſen aus-
geſchickt,

Damit, durch einen andern Anker, wir von der Sand-
bank abgeruͤckt

Und abgezogen werden moͤgten. Allein, es war des
Windes Blaſen

So heftig, und die Schaar der Wellen fing an ſo fuͤrch-
terlich zu raſen,

Daß
[187]bey einer gefaͤhrlichen Waſſer-Fahrt.
Daß dieſes Boot nicht nur, den Vorſatz zu enden, nicht
im Stande war;

Sie kamen durch der Wellen Wut noch in die aͤuſſerſte
Gefahr,

Jhr Leben, wir ſie, zu verlieren; ſo auch gewiß geſche-
hen waͤr,

Wenn ſie den zugeworfnen Strick nicht noch erhaſcht.
Was nun noch mehr

Uns unſern Zuſtand ſchlimmer machte, war, daß wir,
ohne Grund nicht, ſchloſſen,

Daß, wenn durch die noch waͤhrnde Ebbe mehr Waſſer
wuͤrde ſeyn verfloſſen,

Das Schiff gewiß zerſtoßen wuͤrde. Worauf man denn
ſo gleich befahl,

Die Schau, wie man ſie heiſſet, wehn, und einen Noth-
Schuß thun zu laſſen;

Ja, dieß geſchah, weil niemand kam, annoch zum zweyt-
und drittenmal.

Wie wir nun (wie es leicht zu glauben) ſo zwiſchen
Furcht und Hoffnung ſaſſen;

Da ward ein großer Fiſcher-Ever von weitem unſer noch
gewahr,

Und naͤherte ſich unſrer Jagd. Wodurch denn unſere
Gefahr

Sich um ein gutes Theil verlohr. Denn wenn nun-
mehr das Schiff auch brechen,

Zerſtoßen und zertruͤmmern wuͤrde, wir uns doch Huͤlf’
annoch verſprechen

Und in den Ever retten konnten. Es ſtuͤrmete der Win-
de Wut,

Es goſſen ſchwarze Regen-Wolken auf uns ſolch eine
dicke Fluht,

Daß
[188]Erinnerung einiger Umſtaͤnde
Daß keiner oben bleiben konnte. Zuletzt kam noch ein
kleines Boot

Mit drey Matroſen auf uns zu, und minderte Gefahr
Noth.

Zumal, als ſie ſich Seit-waͤrts legten,

Und, durch den eingeſenkten Anker, das Schiff von ſei-
nem Ort bewegten,

Auch, ehe wir es faſt gedachten,

Das Schiff, von ſeiner ſeichten Bank, auf mehr als
zwoͤlf Fuß Waſſer brachten.

Ja, die nachher, wie wir verſpuͤhret,

Uns noch den groͤßten Dienſt gethan; wodurch wir denn
erſtaunt geſtehen,

Daß dieſe erſtere Gefahr

Uns eine Huͤlfe zugefuͤhret,

Die, in der andern, noͤthig war.

Nunmehr war Sorg’ und Furcht verſchwunden; nun-
mehr war die Gefahr vorbey,

Wofuͤr Dem, Der die Welt regiert, Lob, Ehr und Preis
gewidmet ſey.

Allein, was ſtand uns noch bevor! Mir ſchaudert
noch faſt jetzt die Haut;

Weil mir, wie damals vor der Noth, noch jetzt vor der
Erinnrung, graut.

Wir lagen ſtille, bis die Fluht, nach ihrer Ebbe, wieder
kam,

Und mit dem wiederkehrnden Waſſer uns wieder auf den
Ruͤcken nahm.

Wir eilten erſt nach Grauer-Ort,

Als
[189]bey einer gefaͤhrlichen Waſſer-Fahrt.
Als einem recht bequemen Haven; allein, es ging, zu
unſerm Beſten,

Der Wind, der erſt aus Suͤden blies, durch Suͤd-Suͤd-
Weſten, nach dem Weſten.

Wir fuhren, durch den guten Zufall verfuͤhret, darauf
weiter fort,

Paßirten Stade, ſamt der Luͤhe, ſo dann die letzten Ha-
ven waren,

Wohin man ſich ſalviren kann, bey ſchnell entſtehenden
Gefahren.

Kaum hatten wir ſie hinter uns, da fiel ein ſchreckli-
cher Orcan,

Mit ſolcher wuͤtenden Gewalt, uns, und das Schiff, von
hinten, an,

Daß er die Segel faſt zerriß; die Fluht fing graͤulich an
zu ſchaͤumen,

Und, in gethuͤrmte Wellen-Berge, zu ſchwellen und ſich
aufzubaͤumen,

Wobey, als wie ein Wolken-Bruch, ein ungeſtuͤhmer
Regen fiel.

Nunmehr war unſer ſchwaches Schiff der Wellen und
der Stuͤrme Spiel,

Es wankete die Waſſer-Welt in einem wallenden Gewuͤhl;

Die Nacht brach an, geſchwaͤrzt, und ſchwer von Schrek-
ken-reicher Dunkelheit;

Sie mehrte, durch den finſtern Schleyer, der weiſſen
Wellen Graͤßlichkeit.

Man konnte von der ſchwarzen Fluht nichts anders, als
den Schaum, nur ſehn,

Nichts, als der Stuͤrme Raſen, hoͤren. Ein unertraͤgli-
Getoͤn,

Von
[190]Erinnerung einiger Umſtaͤnde
Von Heulen, Pfeiffen, Schnauben, Sauſen

Der Winde, fuͤllet Luft und Ohr; ein fuͤrchterliches Bruͤl-
len, Brauſen,

Der wilden Fluht, betaͤubt uns faſt. Es ward, in dun-
keln Finſterniſſen,

Das Schiff bey Schulau, Wittenbergen und Blankeneſ’
vorbey geriſſen,

So ſchnell, als wie ein Pfeil vom Bogen. Doch, nun
ging die Gefahr erſt an.

Bey Neuenmuͤhlen, Altona und Hamburg lagen viele
Schiffe,

Durch welche wir paßiren mußten. Es uͤberdachte Je-
dermann,

Wie ſchwer dieß wuͤrd’, im Dunkeln, halten.

Denn, wenn wir eines nur beruͤhrt, wuͤrd’ unſer Schiff
ſo gleich zerſpalten,

Zertruͤmmern und zerſcheitern muͤſſen. Allein, es war
kein andrer Rath,

Vor Anker konnten wir nicht reiten; wir waͤren ploͤtzlich
voll geſchlagen.

Das eine Boot war abgeriſſen, und von den Wellen
weggetragen;

Das andre war bereits geſunken. Der Ever, der noch
bey uns war,

Stund ſelbſt in aͤuſſerſter Gefahr,

Er konnte ſich und uns nicht helfen. Weil Noth nun
kein Geſetze hat;

So wagten wirs in Gottes Namen.

Da haͤtte man nun ein Geſchrey von Backbort,
Stuͤrbort, von Louv-an,

Und andern laͤrmen hoͤren ſollen, bis daß uns endlich
der Orcan

Durch
[191]bey einer gefaͤhrlichen Waſſer-Fahrt.
Durch alle Schiffe gluͤcklich trieb, und wir auf ſtiller
Waſſer kamen,

Recht wie es eben Mitternacht. Ob, fuͤr die Huld, die
wir verſpuͤhrt,

Da uns der Schoͤpfer, wunderbar,

Jm Dunkeln ſelbſt, durch Sturm und Fluht, und durch
ſo mancherley Gefahr,

Beſchirmet, in den Port gefuͤhrt,

Nun nicht dem HERRN der Wind’ und Wellen Lob, Ehre,
Preis und Dank gebuͤhrt,

Daran wird ja wohl niemand zweifeln, am wenigſten die
wir erhalten,

Und wovon keiner nicht einmal die Mittel der Erhaltung
weiß.

Dir ſey denn, HErr, fuͤr Deinen Schutz und fuͤr

Dein vaͤterliches Walten
Lob, Ehre, Ruhm, und Dank, und Preis!


Ueberlegung.


Jn der Gefahr, worinn wir waren,

Hatt ich, auf mich, und andre, Acht,

Und fand, daß jeder die Gefahren,

So viel ihm moͤglich, kleiner macht.

Man ſchien, bey ſo beſtalten Sachen,

Sich ſelber dreiſt, fuͤr Angſt, zu machen.

Wir ſuchten uns zu uͤbertaͤuben,

Und zwungen uns ſelbſt, was zu glaͤuben,

Das ohne den geringſten Grund.

Ob
[192]Ueberlegung nach einer ausgeſtandenen
Ob ich dem ſeltſamen Betragen

Nun gleich zu Anfang widerſtund:

So muß ich doch mit Wahrheit ſagen,

Daß ich es ſelbſt nicht aͤndern kunnt.

Doch meynt ich auch zugleich dabey,

Und meyn es noch, daß dieß Verfahren das beſte nicht
geweſen ſey.

Durch Phantaſey die Noth zu mindern,

Mußt uns an wahrer Andacht hindern.

Kein kraͤftiges Gebeth hat ſtatt,

Wenn man ſich ſelbſt zu denken zwinget:

Daß das, woraus die Furcht entſpringet,

Nicht eben viel zu ſagen hat.

Doch ſcheinet auch nicht minder wahr,

Daß unvermeidliche Gefahr

Die Seele faſt verſtocken kann.

Furcht, Gram, und Unmuth tritt ſie an;

Jhr wird die rege Kraft verſchraͤnket,

Sie denkt, und weiß nicht, was ſie denket,

Von ſchwerer Angſt faſt unterdruͤckt.

Jn naher Noth, in Furcht, und Grauen,

Scheint ſie zum Bethen, zum Vertrauen,

Am allerwenigſten geſchickt.

Hieraus nun nehm ich dieſe Lehre:

“Da ſich der Seelen Schwaͤch’ entdeckt,

“Wenn ſie Gefahr und Unfall ſchreckt;

“Wie noͤthig es dem Menſchen waͤre,

“Bey ruhigen und ſichern Zeiten,

“Und wenn die Lebens-Tage ſchoͤn,

“Zum Lob und Dank uns zu bereiten,

“Auf Gottes Lieb und Macht zu ſehn,

“Durch Zuverſicht Jhn zu erhoͤhn.

Weil,
[193]gefaͤhrlichen Waſſer-Fahrt.
“Weil, wenn Gefahr, und Sturm, und Noth

“Den nahen Untergang uns droht;

“Die Seele, ganz betaͤubt, befindet,

“Daß ihre beſte Kraft verſchwindet;

“Jndem nun der gewiſſe Tod

“Uns alle wird dereinſt ereilen.

Erwegt denn, ob nicht dieſe Zeilen

Uns allen nuͤtz- und noͤthig ſeyn:

Verehre Gott bey guten Tagen,

Weil, in Gefahr, in Noth und Plagen,

Am mindſten, wenn die Todes-Pein

Den Coͤrper und die Seele druͤckt;

Wir, zu der großen Pflicht, geſchickt.


8 Theil. NLob
[194]

Lob des Schoͤpfers in den
Geſchoͤpfen.


Des Silber-weiſſen Mondes Schein,

Der, heiter und entwoͤlkt, in ſanftem Lichte
ſtrahlet,

Und jetzt die Schilderey der Welt,

Da er ſie bloß durch Schatten mahlet,

Jn einer Zeichnung uns vor Augen ſtellt,

Als waͤre ſie getuſcht, dringt nicht allein

Jn mein Geſicht; er dringt zugleich hinein

Jn meinen Geiſt: Die Seele wird geruͤhret,

Und zu deſſelben Quell, die Sonne, ja ſo gar

Zur Quell des Sonnen-Lichts, empor gefuͤhret.

Mir ſtellt der Schoͤpfer Selbſt Sich, in Gedanken
dar;

Und ſink’ ich, voller Ehrfurcht, Luſt,

Und fuͤr Erſtaunen faſt erſtarrt,

Ob Seiner meinem Geiſt ſo nahen Gegenwart,

Da Seine Lieb’, im hellen Firmament,

Mit Weisheit und mit Macht vereinet,

So wunderwuͤrdig ſtrahlt, ſo helle ſcheinet,

So herrlich funkelt, flammt und brennt,

Jn feuriger Bewundrung, nieder:

Es quillen aus der faſt entzuͤckten Bruſt,

Zum Opfer, bruͤnſtige Lob- Dank- und Freuden-Lieder.

Was
[195]Lob des Schoͤpfers in den Geſchoͤpfen.
Was geben, o ewigs unendliches Weſen!

Von Deiner Weisheit, Lieb’ und Macht,

Uns Deine Geſchoͤpfe fuͤr Wunder zu leſen,

Die man nie gnug bewundern mag.

Dich zeigt und preiſt und lobt der Tag,

Jn der geſchmuͤckten Erden Pracht;

Dich zeigt und preiſt und lobt die Nacht,

Jn dem beflammten Heer der Sternen.

Auf! laßt uns, von Seinem allmaͤchtigen Willen,

Voll bruͤnſtiger Liebe, die Abſicht erfuͤllen,

Jn unſrer Luſt, Jhn loben lernen!

Alleinige Quelle der Ordnung, des Lichts,

Der Geiſter, der Koͤrper, und ihrer Beſchaf-
fenheit,

Der Schoͤnheit, des Lebens, der Luſt, der Em-
pfindlichkeit,

Der Sinnen; vor allen des regen Geſichts!

Da, einzig durch Deinen allmaͤchtigen Willen,

Sich Himmel und Erde mit Wundern erfuͤllen,

Der Wald ſich beblaͤttert, das Feld ſich be-
bluͤhmet,

Die Gaͤrten ſich ſchmuͤcken, der Anger ſich ziert,

Und alles die ſinnlichen Seelen uns ruͤhrt;

Sey ewig geprieſen! ſey ewig geruͤhmet!


N 2Das
[196]

Das herrliche Schau-Spiel
der Natur.


Was fuͤr ein herrliches Spectakel! was fuͤr ein
Schimmer! Alles bluͤhet!

Was fuͤr Figuren! welche Farben! Wie hat ſich die
Natur bemuͤhet,

Das Welt-Theater auszuſchmuͤcken! Welch holde Schoͤn-
heit! welch ein Glanz!

Es ſcheinet Feld und Wald und Garten und Berg und
Thal, ein Bluhmen-Kranz.

Erſtaunter Menſchen-Geiſt, erwege! Fuͤr dich iſt
alle dieſe Pracht,

Auf dieſem wunderſchoͤnen Schau-Platz, fuͤr dich allein,
hervorgebracht.

Durch die dazu geſchenkte Augen, vermagſt du, was
ſo wunderſchoͤn,

Zu nutzen, und dir zuzueignen. Du kannſt, du ſollt,
du mußt ſie ſehn,

Zu deiner Luſt, und Dem zum Preiſe, Der dir die Augen
und das Leben,

Auch ſo viel ſchoͤne Gegenwuͤrfe, dich zu beluſtigen, gegeben.

Die Bluhmen koͤnnten alle da ſeyn; was huͤlf’ es dir,
waͤr dein Geſicht,

Zu dieſem ſchoͤn geſchmuͤckten Wunder, ſo wunderbar
nicht zugericht,

Das Licht zugleich dir nicht verliehn? Du wuͤrdſt, in
ſchwarzen Finſterniſſen,

Auch mitten unter allen Bluhmen, von allen Bluhmen
nichtes wiſſen.

Unleug-
[197]Das herrliche Schau-Spiel der Natur.
Unleugbar iſt es, daß die Seelen,

Bloß durch die Werkzeug’ unſrer Sinnen, ſich mit der
ganzen Welt vermaͤhlen:

So laß ſie dann, wenn wir die Wunder des Schoͤpfers,
durch die Sinnen, ſpuͤhren,

Derſelben Ordnung, nebſt der Schoͤnheit, in ſuͤßer Luſt,
ihr Jnnres ruͤhren,

Und, auf der Leiter der Geſchoͤpfe, zu ihr- und unſerm
Schoͤpfer fuͤhren!

Laßt uns den Schau-Platz der Natur, und was fuͤr
Wunder drauf geſchehn,

Jn den drey ſchoͤnen Jahres-Zeiten, in dreyen Hand-
lungen, beſehn!

Der Fruͤhling zieht den Vorhang auf. Jn figu-
rirten Garten-Beeten

Kommt eine bunt geputzte Schaar, in buntem Schim-
mer, aufgetreten.

Die Schnee-Bluhm und die Crocos ſteigen,

Jn ſilbernem und guͤldnem Moor,

Zuerſt, oft unverhofft, und oft aus noch beeiſter Erd’,
hervor.

Worauf die zarten Primulen, und die Aurikelchen,
ſich zeigen,

Jn bunten, nett geſtickten Kleidern. Bald treten
praͤchtge Kayſer-Kronen,

Jn einem ſtolzen Anſtand, auf. Die bunte Schaar
der Anemonen,

Nebſt den Ranunkeln, tritt hervor. Worauf die
ſchimmernden Narciſſen,

Samt den Terzetten und Jonkiljen, ſich eilend einzu-
ſtellen wiſſen.

N 3Hierauf,
[198]Das herrliche Schau-Spiel
Hierauf, eh mans bemerkt, erſcheinen

Die blau- und weiſſen Hyacinthen, die, mit der Pracht,
den Ruch vereinen,

Der ihre Sprache ſcheint zu ſeyn; mit welcher ſie,
mit unſerm Geiſt,

Durch unſre Naſe, lieblich reden. Ach! moͤchten wir
ſie doch verſtehn,

Und dieſen Jnhalt doch bemerken: Wir riechen, bloß

fuͤr dich, ſo ſchoͤn;
Was ſich fuͤr Pracht, fuͤr Glanz und Farb’, in
unſern netten Blaͤttern weiſt,
Das glaͤnzt, das prangt, und zeiget ſich
So bunt, ſo lieblich, bloß fuͤr dich.

Dieß liſpeln ſie uns unauf hoͤrlich, ſo lang ſie bluͤhen,
ohne Ruh,

Jn ihrem ſuͤßen Hauchen, zu.

Dieß war des Fruͤhlings erſter Auftritt. Der andre
folgt unmittelbar,

Und ſtellt, in koͤniglicher Pracht, die bunten Tulipanen
dar:

Die ſiehet man ſo herrlich funkeln, und in ſo holden
Farben bluͤhen,

Daß ſie die Augen aller Schauer, durch buntes Schim-
mern, auf ſich ziehen.

Sie prangen auf erhabnen Stielen;

Worauf ſie, hin und wieder wankend, geſchaͤfftig durch
einander wuͤhlen:

Und, da ſie, durch ihr ſanft Bewegen, in noch vermehr-
tem Glanze blinken;

So ſcheinen ſie, als ob ſie uns, ſie mehr noch zu betrach-
ten, winken,

Uns
[199]der Natur.
Uns mit gebognen Haͤuptern gruͤßen, bald ſich erhoͤhen
bald ſich ſenken,

Um unſern Blick auf ſich zu lenken.

Sie ſcheinen, zu dem Zweck geſchaͤfftig, durch ihre Schoͤn-
heit uns zu ruͤhren,

Und das geruͤhrte Herz ſodann auf aller Schoͤnheit Quell
zu fuͤhren.

Mich deucht dabey, ob ſagten ſie:

Seht uns doch anders, als das Vieh,

Und mit vernuͤnftgen Augen, an.

Verſchiebt es nicht, uns anzuſehen,

Jn uns den Schoͤpfer zu bewundern: wir bleiben

hier nicht lange ſtehen,
Wir treten bald vom Schau-Platz ab; da nie-
mand euch verſichern kann,
Ob ihr ſo lang annoch auf Erden,
Daß nir euch wieder ſichtbar werden.

Nebſt ihren eilen auch zugleich die funkelnden Gen-

zianellen,

Jn einem ſchoͤnen blauen Feur, ſich auf dem Schau-Platz
darzuſtellen.

Des Himmels allerſchoͤnſtes Blau, wenn er am herr-
lichſten geſchmuͤckt,

Jſt kaum ſo ſchoͤn, als wie der Glanz, den man auf ihrem
Kleid’ erblickt.

Sie ſcheint, durch dieſen Himmels-Glanz, zu dieſem Zweck
ſich zu bemuͤhen,

Ein Auge, das vernuͤnftig ſieht, hinauf und Himmel-
waͤrts zu ziehen.

N 4Jm
[200]Das herrliche Schau-Spiel
Jm Sommer treten auf den Schau-Platz, um uns
durchs Auge liebzukoſen,

Auf hell- und dunkel-gruͤnen Buͤſchen, die rothen, weiſſ-
und bunten Roſen.

Sie ſtellen uns das Welt-Theater in einem mehr als
irdſchen Flor,

Als ein nicht ganz verlornes Eden, in Paradieſes Far-
ben, vor.

Mit Balſam fuͤllen ſie die Luft. Jedwede Bluhme,
jeder Straus,

Haucht einen perfumirten Othem, der uns ergetzt, und
lehret, aus.

Jn einer Sprache, welche riecht, verſuchen ſie, vernuͤnft-
gen Seelen,

Von ihres Schoͤpfers Weisheit, Macht und Liebe, vieles
zu erzaͤhlen.

Der Jnhalt, lieber Menſch! iſt dieſer: Bewund[re] in

unſrer Blaͤtter Pracht,
Und, in dem Balſam, der uns fuͤllet, Der, Wel-
cher uns fuͤr dich gemacht.
Willt du denn dem liebreichen Schoͤpfer, in einem
Dank-erfuͤllten Leben,
Nicht ein Jhm wohlgefaͤlliges, dich ſelbſt vergnuͤ-
gend, Opfer geben?

Es trat hierauf, mit neuer Pracht, gehuͤllt in einem
Silber-Moor,

Jm Glanz, der faſt die Augen blendet, der Liljen weiſſes
Heer hervor.

Die
[201]der Natur.
Die praͤchtige Figur, ihr Anſtand, nahm minder nicht,
als wie ihr Schein,

Der, blitzend, in die Augen faͤllt, vernuͤnftger Schauer
Augen ein.

Es wird vom Duft, der, recht im Schwall, aus den
Kelch-formgen Blaͤttern quillet,

So wie der Garten nebſt der Luft, nicht minder mein
Gehirn erfuͤllet.

Bey ihnen funkelt tauſendfaͤrbig, und gluͤht, und flammt,
der bunte Mah;

Es ſteht die Lichnis, Flos Adonis, und Cardinalis,
gleichfals da.

Wenn dieſe nun der Buͤhne Schoͤnheit, durch ihre
Schoͤnheit, lang erhoben;

Sodann erblickt man andre Scenen, und werden gleich-
ſam vorgeſchoben.

Dann ſtellt der Herbſt, nicht minder praͤchtig, ein’ un-
gezaͤhlte Bluhmen-Schaar,

Jn Tuberoſen, Sonnen-Bluhmen, Naſturtium
und Malva, dar.

Die Bluhm’ aus Africa, der Aſter, der Amarant,
die Balſamine,

Flos admirabilis, und andre, verzieren noch zuletzt
die Buͤhne.

Zu dieſer Zeit begeben ſich die Spieler, nach und nach,
zur Ruh.

Dann wirft der Winter, bis zum Lenz, der ſchoͤnen
Buͤhne Vorhang zu.

N 5Jn
[202]Das herrliche Schau-Spiel
Jn dieſes Schau-Spiel der Natur begleitet mich,
mit klugen Blicken,

Gar oft, der Kern von meinen Freunden, mein Wilckens,

Muͤller, Hagedorn,

Und helfen mir die Form- und Farben, die die belehrn-
den Spieler ſchmuͤcken,

Mit groͤßrer Achtung zu bewundern. Jhr’ Einſicht
dient mir oft zum Sporn,

Das, was an ihnen wunderwuͤrdig, was ſchoͤn, und
unnachahmbar ſchoͤn,

Mit ſchaͤrfern Blicken zu bemerken. Jhr Beyſpiel leh-
ret mich, die Lehren,

Die die Natur, in Bluhmen, predigt, mit groͤßrer Sorg-
falt anzuhoͤren,

Und ihre Sprache zu verſtehn;

Jn welcher jede, ſtatt der Ohren, mit unſrer Seele,
durchs Geſicht,

Auch durchs Gefuͤhl und den Geruch, und alſo durch
drey Sinnen, ſpricht.

Jndem wir uns daran vergnuͤgten, ſprach Wilckens,
aller Tichter Zier:

Warum ſind wir an dieſem Ort? Auf dieſem Schau-
Platz wollen wir

Nicht ſtumme; redende Perſonen, ſowohl als unſre
Bruͤder, ſeyn.

Mir faͤllt ein lehrender Gedanke, den ich erſt juͤngſt ent-
worfen, ein;

Erlaubt mir, ihn zu recitiren! Drauf fing er, wie er
ſich beſann,

Mit dieſem ſchoͤnen Ausdruck, an:

Laß
[203]der Natur.
Laß mich, o wunderthaͤtger Schoͤpfer! mit innig-

lich geruͤhrten Freuden,
Am ſchoͤnen Schau-Platz der Natur, mein auf-
merkſames Auge weiden!
Vermehr’ in mir die Kraft der Seele, das Herr-
liche von Deinen Werken,
Mit Luſt und Achtſamkeit zu ſehn! Laß mich das,
was ſo ſchoͤn, bemerken,
Und das, was ich bemerke, fuͤhlen! Vermehre
die Empfindlichkeit,
Die wahre Quelle des Vergnuͤgens! Ach! wenn
ich die Beſchaffenheit
Und Schoͤnheit aller Dinge ſehe, die, bloß allein
durch Dich, ſich ſchmuͤcken;
So laß mich Dich darinn erblicken!
Laß mich Dein Goͤttlichs Daſeyn ruͤhren,
Unendlichs Meer der ſelgen Luſt! Denn ohn’ ein
innerlichs Entzuͤcken
Kann keine Seele Dich erblicken.

Nach ihm beſtieg, mit edlem Anſtand, und einer
aufgeweckten Miene,

Von dieſem Schau-Platz der Natur, die ſchoͤn geſchmuͤckte
bunte Buͤhne,

Von Hagedorn. Und wie ſein Geiſt, der ſchwarzen
Schwehrmuth nicht geneigt,

Vielmehr, bey ſeinem ſcharfen Denken, ein offen munter
Herze zeigt;

So
[204]Das herrliche Schau-Spiel
So bracht’ er, bey der Bluhmen Flor,

Dieß angenehme Lied hervor:

Alle ſchoͤne Creaturen

Sind dem Menſchen zum Genuß;

Und auf dieſen ſchoͤnen Fluren

Leben wirin floribus.

Wie ich mich an allen Schaͤtzen,

Welche die Natur uns beut,

Pflag zu laben, zu ergetzen;

Freu ich mich der Bluhmen heut.

Wunderſchoͤn ſind ſie geſchmuͤcket,

Jede prangt in buntem Licht;

Aber wir ſeyn mehr begluͤcket.

Jch beneide Bluhmen nicht.

Wie viel Guts iſt uns geſchenket!

Denkt, wie viel wir beſſer ſeyn!

Da man ſie mit Waſſer traͤnket;

Traͤnkt man uns mit ſuͤßem Wein.

Nun fehlte noch der kluge Muͤller. Der ließ, mit
tief erwognen Lehren,

Sich, bey den Bluhmen, folgends hoͤren:

So wie ich, an der Bluhmen Schaͤtzen,

Gewohnt, mich innigſt zu ergetzen;

So find’ ich, daß der Bluhmen Reich

Auch uns, in vielen Stuͤcken, gleich.

Der
[205]der Natur.
Der Menſch tritt in die Welt, wie ſie; er tritt

auch, ſo wie Bluhmen, ab:
Auf Bluhmen wartet die Verweſung; auf uns,
ein unvermeidlichs Grab.
Allein, man darf, darum, nicht meynen, daß ſie,
und daß auch wir, vergehn;
Da wir, in unſern regen Seelen, wie ſie im Saa-
men, ſtets beſtehn.

Nachdem ich dieß, mit Luſt, gehoͤrt; fiel mir, bey
dieſer Handlung, ein:

Ach! moͤchten, auf dem Welt-Theater, dergleichen

Spieler, viele ſeyn!


Die
[206]Die Herrlichkeit des Schoͤpfers

Die Herrlichkeit des Schoͤpfers
in den Geſchoͤpfen.


Ueberſetzt.
Jhr einſamen bebuͤſchten Huͤgel, ihr muͤßt mir euren
Schatten leihen,

Um, in demſelben, unſerm Schoͤpfer, den Ausbruch mei-
ner Luſt zu weihen.

Die Stadt, der Sitz der Leidenſchaften, wodurch ſie un-
ſern Geiſt bethoͤrt,

Hat lange die Betrachtungen mir unterbrochen und ge-
ſtoͤhrt.

Jhr Waͤlder, ihr allein vermoͤgt, ſie zu erzeugen und zu
naͤhren;

So wuͤrdigt unſern großen Meiſter, Jhn zu erheben, zu
verehren.

Er ſpricht mit mir in jedem Weſen, ich ſeh Jhn in
der Luft, Er glaͤnzt

Jm Firmament, auf unſrer Erd’, auch in dem Meer, das
ſie begraͤnzt;

Es praͤgt die reizende Natur, ohn allen Makel, ſchoͤn
und rein,

Sich den darob erſtaunten Augen, bey mir, an allen
Orten ein;

Es pranget Gott an allen Enden, mit Ehr und Herr-
lichkeit gekroͤnet;

Sein unermeßlich Weſen reicht, ſo weit der Himmel Kreis
ſich dehnet.

Vergieb,
[207]in den Geſchoͤpfen.
Vergieb, o großer Schoͤpfer! denn der Neubegier
Verwegenheit,

Wenn, da ich, aͤmſig zu erforſchen der Wunder Man-
nigfaltigkeit,

Mich, bald die Ebnen, bald die Waͤlder, in ihnen, hin
und wieder gehn,

Und bald von Dir, bald meiner Liebe, mich Wechſels-
weiſe ſprechen ſehn.

Jch komme nicht in dieſer Waͤlder ſo Laub-als Schat-
ten-reiche Buͤſche,

Der Voͤgel Lieder anzuhoͤren, noch ihr hell-klingendes
Geziſche;

Jch komme bloß allein, o GOTT! um Deiner Stimme
Lieblichkeit

Zu hoͤren, welche der Natur Geſetze giebt, und Maaß
und Zeit.

Jch fuͤhl ein inniges Vergnuͤgen, allein bey kuͤhl- und
ſtillen Baͤchen,

Jn einem feurigen Gebeth, mit Dir, o GOTT! mich
zu beſprechen.

Da ruͤhm ich Deine Weisheit, Macht und Lieb in hellen
heilgen Liedern,

Und hoͤre die gefaͤllig’ Echo, im Wiederhall, den Klang
erwiedern.

Vom Balſam-Duft, den uns die Roſ’ aus ihren offnen
Blaͤttern ſchickt,

Sind meine Sinnen faſt bezaubert, und wird die Seele
ſelbſt erquickt.

Es wendet meine Augen aufwaͤrts, zu Dir, der Duͤfte
ſuͤße Schwall.

Fuͤr eine Seele, die Dich ſucht, biſt Du, o Schoͤpfer!
uͤberall.

Wer
[208]Die Herrlichk. des Schoͤpf. in den Geſchoͤpfen.
Wer ruͤhmt nicht, preiſet und bewundert der hellen
Sterne funkelnd Licht,

Das durch die Finſterniß der Nacht, und ihren dunklen
Schleyer, bricht;

Zuſammt der Morgen-Roͤthe Schimmer, der alle Sterb-
lichen belehrt,

Durch ihr gefaͤrbtes feurigs Glaͤnzen, daß Tag und
Sonne wiederkehrt?

Und endlich, wer erſtaunet nicht, wenn er das helle
Mond-Licht ſieht,

Zuſammt der Sonne Wunder-Feuer, wenn es am hellen
Mittag gluͤht?

Jnzwiſchen iſt doch aller Glanz, und aller ihrer Schoͤn-
heit Pracht,

Bey meines Gottes eignem Licht, nur Schatten, Fin-
ſterniß und Nacht.

“Unendlich-groß- und maͤchtger Schoͤpfer! die Pracht
und Schoͤnheit Deiner Werke,

“Die zeigen Deine Herrlichkeit, und machen, daß ich Dich
bemerke.

“Was fuͤr verſchiedene Bewegung erregt der Anblick aller
Zier,

“Worinn ſo Erd als Himmel glaͤnzen, durch ihre Schoͤn-
heit, nicht in mir!

“Welch Ordnung, Lieblichkeit, o GOTT! welch Anmuth,
Harmonie und Pracht,

“Wird mir, in Deinen Wunder-Werken, und doch zum
Theil nur, kund gemacht!

“Wer reicht denn ſelbſt an Deines Weſens, und Majeſtaͤt
Vollkommenheit?

“O HERR! der Menſch verlieret ſich in Deine Unermaͤß-
lichkeit.


Haſen-
[209]

Haſen-Pappeln.


Jch ward, zur ſchwuͤhlen Sommers-Zeit, da wir ſchon
in Auguſt getreten,

Auf meines Gartens bunten Beeten,

Bey der ſo mannigfach gefaͤrbten und ſchoͤn geformten
Bluhmen Schaar,

Ein auſſerordentliches lieblichs und ſchoͤn gefaͤrbt Ge-
waͤchs gewahr.

Die Augen zogen ſich, ſo gleich, von allen andern Bluh-
men ab,

Weil ihre zierliche Figur,

Jm holden Bau der Blaͤtter, mir nicht nur

Ein auſſerordentlich Vergnuͤgen gab;

Durch die beſondre Lieblichkeit

Der ſanften Roſen-farbnen Roͤthe, mit weiſſen Strichen
ſanft gemiſcht,

Ward, durch das Auge, mein Gemuͤth ergetzt, geruͤhret
und erfriſcht.

Es glich ſich dieſer Bluhme Form und ihres Baues
aͤußrer Riß

Faſt der einblaͤttrichten Convolvel, und der Flos admi-

rabilis,

Nur mit dem Unterſcheid allein,

Daß, ſo wie jener nette Kelch’, aus einem einzgen Blatt,
formiert,

Man hier an dieſer, daß dieſelbe aus ihrer fuͤnf erbaut,
verſpuͤhrt.

Hieraus erſcheint, daß die Natur, verſchiedne Formen
auszudruͤcken,

Und Bluhmen, auf dieſelbe Weiſe, hervor zu bringen
und zu ſchmuͤcken,

8 Theil. OAn
[210]Haſen-Pappeln.
An keinem armen Einerley

Verbunden und gebunden ſey;

Nein, daß ſie, an Erfindungs-Kraͤften, ganz unerſchoͤpflich
und geſchickt,

Daß ſie dieſelbige Figur auf unterſchiedne Weiſe ſchmuͤckt

Der gruͤne Fuß, worauf die Bluhm’, in ihrer netter
Stellung, ruht,

Gleicht einem aufgeſtutzten Hut,

Woraus fuͤnf nette ſpitze Blaͤtter, in ordentlicher Ruͤnde
ſteigen,

Und dadurch eine zierliche formierte runde Krone zeigen

Die dieſer Bluhme Purpur ſtuͤtzt,

So lange ſie in Knoſpen ſitzt;

Woran man aber nachmals ſiehet,

So bald ſie voͤllig aufgebluͤhet,

Wie ein geſtreiftes Silber-Weiß ſich, Strich-weis, in der
Purpur miſcht,

Wo durch ſie die getheilte Roͤthe ſo lieblich und ſo lind
macht,

Daß ſie, mit einer ſanften Pracht,

Der Schauer Geiſt, durchs Aug’, erfriſcht;

Zumal des ſchoͤnen Laubes Gruͤn

Die ſanfte Lieblichkeit der Bluhmen zu mehren, zu erhoͤ-
hen ſchien.

Da ich dieſelbe nun bedachtſam, mit meinen Augen
uͤberliefe,

Erblickt’ ich, wie die innre Tiefe,

Wo alles, ſonſt faſt Silber-weiß, ein dunkel-rothes Fuͤnf-
eck ziert,

Das jedes Blatt darinn formiert,

Durch
[211]Haſen-Pappeln.
Durch einen Purpur-farbnen Strich, den es an beyden
Seiten hat;

Wovon es aber immer einen, durch ſein benachbart Blatt,
verſtecket,

Und eine Seite nur entdecket.

Jn dieſes dunklen Fuͤnfecks Mitten, weil ſich die Blaͤtter
unten ſpitzen,

Sieht man, aufs neu, ein fuͤnfeckt Sternchen, in einem
weiſſen Schimmer, blitzen.

Aus dieſes Sternchens Mittel-Punkt erhebet ſich ein klein
Gebuͤſch,

Woran ſich weiß und Purpur mengt, in faſt nicht ſicht-
lichem Gemiſch,

Woraus zuletzt ſich abermal ein dunkles fedrigt Fuͤnfeck
ſtrecket,

Und uns dadurch ſo manche Miſchung, in dieſer ſchoͤnen
Bluhm’, entdecket.

Jndem ich nun, wie die Natur dieß ſchoͤne Bluͤhmchen
ſo geſchmuͤckt,

Mit einem recht geruͤhrten Geiſt, und innrer Luſt, noch
einſt erblickt;

Sah ich, in ſelbiger, ganz unvermuthet Spuren

Von darinn lebenden ſehr kleinen Creaturen;

Sie waren Wunder-klein, man ſah ſie kaum einmal,

Sie waren laͤnglich, ſchwarz, und unbeſchreiblich ſchmal,

So daß, von zarten Linien, und von ſehr fein gezognen
Strichen,

Sie, abgeſchnittnen Theilen, glichen.

Jch ſah erſtaunt, wie ſchnell, wie fertig, ſie die kaum
ſichtbarn Glieder regten,

Mit welcher regen Aemſigkeit ſie rannten, liefen, ſich
bewegten.

O 2Jch
[212]Haſen-Pappeln.
Jch bitt’ euch, ſagt mir doch, rief ich, auf welche Weiſ
koͤnnt ihr leben?

Wie koͤnnt ihr euch ſo ſchnell, ſo fertig zu der von jene
Stell’ erheben?

Allein, kaum hatt’ ich dieß geſprochen;

Da ward mein ernſtliches Bewundern, von einem neuen
unterbrochen,

Als viele ſich behende bogen,

Aus ihrem Ruͤcken ſelbſt, geſchwinde Fluͤgel zogen,

Und, wie der Blitz, von dannen flogen.

Mein GOTT! in welches Abgrunds Meer der

Kleinheit, fuͤhrt mich dieſes Thier
Da Du ſo kleiner Creatur ſo feine Gliederchen,
das Leben,
Faſt unſichtbare Fluͤgelchen, und ſolche Fertigkeit
gegeben;
So koͤmmt mir Deine Groͤß’, im Kleinen, von neuem
unbegreiflich fuͤr.


Vernuͤnf-
[213]

Vernuͤnftiger Gebrauch der Welt.


Fuͤr mich belebet ſich die Scene der Felder, es beſeelen
ſich

Die Waͤlder, Thaͤler, Berg’ und Auen, das Morgen-
Gold, das Abend-Roth,

Und alles ſchmuͤcket ſich fuͤr mich.

Jn eines blinden Poͤbels Augen iſt alles einſam, alles
todt:

Ein Wald iſt eine dunkle Wuͤſte, des hellen Bachs be-
ſchaͤumter Fall

Jſt nichts, als Waſſer: und der Zephyr ein bloßer Hauch,
ein leerer Schall;

Jn einem weiſen Blick hingegen, der ſich durch Ueberlegen
hebet,

Glaͤnzt alles, alles unterweiſet und lehret, alles denkt
und lebet.

Die klaren Fluthen, bald in Wieſen, bald zwiſchen Schat-
ten-reichen Huͤgeln,

Die werden Wechſels-weiſe mir zu Welt- und bald zu
Himmels-Spiegeln.

Sie murmeln mir, auf mancher Stelle,

Jm Rieſeln, die Vermahnung zu:

Gedenk an unſrer großen Quelle!

Bald reizt, indem ich ſo gedenke, ihr ſanftes Rauſchen
mich zur Ruh.

Der dunkle Wald belehret mich, und heißt mich mein
vergnuͤgtes Denken

Auf Den, durch Deſſen Wort er ward, mit Luſt

und Dankbarkeit zu lenken.

O 3Die
[214]Vernuͤnftiger Gebrauch der Welt.
Die kuͤhlen Luͤfte laſſen mich, bald hie, bald dort, di[e]
wahren Lehren:

Wir wehen, bloß durch Gott, ſo ſanft fuͤr dich; i[n]
ſuͤßem Liſpeln, hoͤren.

Die Bluhmen, die in ſolcher Pracht mit Balſam ange[-]
fuͤllet ſtehn,

Belehren mich, in bunter Schrift: Wir ſeyn, durch

Gott, fuͤr dich ſo ſchoͤn


Der
[[215]]

Der Herbſt.


[[216]][[217]]

Betrachtungen
uͤber die Schoͤnheit der Welt,
im Herbſt.


Obgleich, bey etwas ferner Sonne, die Tag’ all-
maͤhlich dunkel werden;

Entfernt ſich doch auch manche Dunkelheit,

Jm Fall der Blaͤtter, von der Erden.

Die Schatten, die ſie machten, ſchwinden, wodurch die
mehr entdeckte Welt,

Von duͤſtern Schatten erſt geſchwaͤrzt, an manchem Ort
mehr Licht erhaͤlt.

Die dunkel-gruͤnen Blaͤtter ſelber bemuͤhn ſich, den Ver-
luſt des Lichts,

Da ſie ſich gelb und helle faͤrben, ſo viel ſie koͤnnen, zu
erſetzen,

Wodurch ſie durch den bunten Schimmer zugleich der
Menſchen Aug’ ergetzen.

Unglaublich iſt, wie durch die Miſchung der Farben, die
man jetzt erblickt,

Der Erden obre Flaͤch’, im Herbſt, ſo angenehm, ſo
ſchoͤn ſich ſchmuͤckt.

O 5Durch
[218]Betrachtungen
Durch gruͤne Baͤume ſieht man gelbe, durch gelb[e]
gruͤne Baͤume, prangen,

Jn rothen Blaͤttern ſcheinen Fruͤchte noch an dem leere[n]
Baum zu hangen.

Es ſcheinen jetzt faſt alle Blaͤtter ſich zu bemuͤhn, bevo[r]
ſie ſterben,

Sich noch viel ſchoͤner, als vorher, ja ſelbſt den Bluh-
men gleich, zu faͤrben.

Wie denn die Sonnen-Bluhmen ſelbſt kaum einen hoͤhern
Glanz behielten,

Als viele Blaͤtter, welche hell- und guͤldnem Blech faſt
aͤhnlich, ſpielten.

Der groͤßte Theil miſcht in das Gelbe, was roͤthliches:
hiedurch nun ſchien

So mancher Baum, bald hie bald dort, recht wie Na-
ſturtium, zu bluͤhn,

Und wie die Bluhm’ aus Africa, die meiſt ein brennend
gelb- roth ſchmuͤcket.

Die lieblich ſchoͤn gefaͤrbten Baͤume, die man jetzt uͤberall
erblicket,

Die man auf Feldern, in den Gaͤrten, zumal in dich-
ten Waͤldern, ſieht,

Erfuͤllen in dem kuͤhlen Herbſt, durchs Aug’, ein achtſa-
mes Gemuͤth

Mit auſſerordentlicher Luſt. Das Gelb, das jetzt die
Blaͤtter hegen,

Scheint meiſtens eine ſanfte Waͤrme der kuͤhlen Land-
ſchaft einzupraͤgen,

Auch bey bewoͤlkter, truͤber Luft. Wann aber, wie es
oft geſchicht,

Durch den verdickten Dunſt der Wolken, der ſchnelle
Strahl der Sonne bricht,

Und
[219]uͤber die Schoͤnheit der Welt.
Und Luft und Land mit Licht beſtroͤhmet; mein Gott!
welch eine bunte Gluht

Verklaͤhret ploͤtzlich alle Vorwuͤrf’! Nicht Farben, ein
gefaͤrbter Glanz

Erfuͤllet Luft, und Land, und Fluht,

Verherrlicht den Geſichtkreis ganz.

Die Erde ſcheint illuminiret. Ach! nehmt denn, in

des Herbſtes Pracht,
Jhr bloß durch Gott begluͤckte Menſchen, des Schoͤp-
fers Wunder doch in Acht!
Beſtrebt euch, froͤhlich zu bemerken, und, unſerm
Gott zum Ruhm, zu ſehn:
“Es ſey, in jeder Jahres-Zeit, die Welt, nicht ſchoͤn
nur; wunderſchoͤn!


Froͤhliche
[220]

Froͤhliche Herbſt-Betrachtungen.
1741.


Es zeigte ſich, in zwanzig Jahren,

Kein Herbſt ſo lang’ und lieblich nicht, das Wetter
nicht ſo warm, ſo ſchoͤn,

Als heuer, da wir ſeine Milde, tief im November noch,
erfahren,

Und, uͤberall, das Gras noch gruͤn, die Baͤume noch
beblaͤttert, ſehn,

Die Wege gut, die Erde hart, die Gaͤrten noch nicht
oͤde, finden.

Man weiß, in vielen Wochen, nichts von kalter Luft,
von Sturm und Winden.

Die angenehme Witterung iſt dann ja wohl mit Rechte
wehrt,

Daß man, durch einen Herbſt-Geſang, Den, Welcher
ihn uns ſchenket, ehrt.

Wes Endes dann, voll Luſt und Andacht, ich dem Re-
gierer aller Dinge,

Der, durch den ſteten Zeiten-Wechſel, die Welt erhaͤlt,
aufs neu beſinge:

Wie wird uns, jetzt im Herbſt, die Welt,

Jn neuer Schoͤnheit, vorgeſtellt!

Was man erblickt, iſt bunter, wie zuvor.

Die Blaͤtter ſcheinen jetzt in einem neuen Flor,

Der, wenigſtens, nicht minder ſchoͤn,

Wo er nicht ſchoͤner noch, als wie vorher, zu ſtehn.

Das
[221]Froͤhliche Herbſt-Betrachtungen.
Das Gruͤne, welches, nach und nach, ſich unſern
Augen ſanft entzog,

Und unvermerkt, in ſanfter Stille, von unſern Graͤnzen
gleichſam flog,

Wird, durch ein roͤthlichs Gelb, erſetzet,

Und unſer Blick dadurch, auf andre Weiſ’, ergetzet.

Ein angenehm Gemiſch, von hell- und dunkel- gruͤn,

Von roth mit gelb gemengt,

Von gelb mit gruͤn beſprengt,

Bemuͤht ſich jetzt, der Erden Flaͤche, mit neuer Schoͤn-
heit, zu beziehn.

Die Blaͤtter, welche gleichſam voͤllig ihr Ziel erreichet,
und gereift,

Die werden heuer nicht, wie ſonſt, von Sturm und
Winden abgeſtreift,

Und weit von ihrem Stamm gefuͤhrt. Man ſieht ein
lind und ſanft Bewegen,

Bey einer ſtill- und lauen Luft. Es faͤllt, als wie ein
bunter Regen,

Der Blaͤtter Heer, von ſelbſt, herab: Nicht mehr an
ihren Aeſten feſt,

Scheint es, als ob der muͤde Baum ſie ſelbſt herunter-
fallen laͤßt.

Hiedurch ward ich, in ſanfter Stille, in meiner Ein-
ſamkeit, geruͤhret,

Und zu vernuͤnftiger Betrachtung, und zur Beluſtigung,
gefuͤhret,

Als ich, wie, durch den Fall der Blaͤtter, ſich jetzt der
Erden Flaͤche ſchmuͤckte,

Aus einem Fenſter, juͤngſt erblickte,

Das
[222]Froͤhliche Herbſt-Betrachtungen.
Das dem entlaubten Garten nah:

Da ich, von oben, durch die Wipfel, die nackt, und
ihres Schmucks beraubt,

Den, durch die abgefallnen Blaͤtter, geſchmuͤckten bun-
ten Boden ſah.

Es ſchien derſelbige nunmehr, an ſtatt der Baͤume,
ganz belaubt,

Und einer zierlichen Tapete, von ganz verſchiednen Far-
ben reich,

Zu unſers Blicks Beluſtigung, an Pracht, in allen
Stuͤcken, gleich:

Die man, bald hier, vom gruͤnen Graſe, bald dort, von
einem dunklen Grunde

Der feuchten Erde, hie und da, als einer Fulg’, erhoben
funde.

Die ungezaͤhlten bunten Blaͤtter, an Form und Farben
vielerley,

Formierten, durch ihr bunt Gemiſch, ein’ angenehme
Schilderey.

Jch konnte, bey den vielen Farben, und den verſchie-
denen Geſtalten,

Mich, ihrer inniglich zu freuen, und Gott zu danken,
nicht enthalten,

Der, Seiner weiſen Ordnung nach, uns annoch eine Luſt
verliehn,

Daß auch ſo gar die ſchoͤnen Blaͤtter, auch ſelbſt zu der
Zeit, da ſie fliehn,

Und ihren Stamm, und uns, verlaſſen, ſich doch vor-
hero noch bemuͤhn,

Uns,
[223]Froͤhliche Herbſt-Betrachtungen.
Uns, bey dem Abſchied, zu ergetzen; daß Er uns dazu
das Geſicht,

Nebſt dem bewundernswuͤrdigen, die Welt erhellnden,
Sonnen-Licht,

Auch einen Geiſt, der, wenn er denket,

Sich alles zuzueignen, faͤhig, aus vaͤterlicher Huld,
geſchenket.

Jch wuͤnſche mir, und vielen Menſchen, daß,

durch ein frohes Ueberlegen,
Wir dieſer Augen-Luſt genieſſen, uns freuen, und
Gott danken moͤgen!


Noch
[224]

Noch einige Betrachtungen
uͤber die
Schoͤnheit der Baͤume und der Welt,
im Herbſt, bey heiterm Wetter.


Man ſieht, mit den verwehten Blaͤttern, die dunklen
Schatten mit verwehn,

Und, ſtatt der vorgen gruͤnen Nacht, die Baͤum’ in gruͤ-
ner Daͤmmrung ſtehn.

Wir ſehen jetzt, vom Licht und Dunklen, in jedem Baum,
ein ſuͤß Gewuͤhl,

Und in den Blaͤttern, die vermindert, ein holdes Licht-
und Schatten-Spiel;

Womit noch das ſapphirne Blau, der mehr entdeckten
Luft, ſich miſchet,

Und, durch der Blaͤtter Oeffnung brechend, den Blick
ergetzet und erfriſchet.

Durch vielerley Veraͤndrungen nimmt die Natur,
im Herbſt, uns ein.

Vom Gruͤnen, das bald ſcheiden will, vergnuͤgt uns jetzt
ſo mancher Schein.

Beſchattete Parteyen, Laub, im Herbſt, bey aufgeklaͤr-
tem Wetter,

Sind, durch benachbarte Parteyen der an- und durch-
geſtrahlten Blaͤtter,

Beym
[225]Ueber die Schoͤnheit der Baͤume u. der Welt.
Beym hellen Gruͤnen, dunkler gruͤn; hingegen ſind dort
lichte Stellen,

Durch dunkle, mehr herausgebracht. Worauf denn,
oft noch, manches Blatt,

Das, noch vor andern, friſch und glatt,

Von Sonnen-Strahlen ſchnell getroffen, die es, im Wie-
derſchlag, erhellen,

Den Baum mit kleinen Lichtern ziert; die dann, bey
Blaͤttern, die im Dunklen,

Wie weiſſe Funken reines Silber, ja recht wie kleine
Blitze, funkeln.

Von Blaͤttern, welche roth gefaͤrbt; von gelben, die
wie uͤberguͤldet,

Jn deren Glaͤtte ſich nicht minder ein kleines Sonnen-
Bildchen bildet,

Wenn ſich darauf die hellen Strahlen, in eines Winkels
Puncte, brechen,

Und unſern Blick, gefaͤrbt, vergnuͤgen, mit buntem Glanz;
nicht einſt zu ſprechen.

Durch den, in der verlaͤngten Nacht, herabgeſunknen
feuchten Duft,

Beherrſchet jetzt ein reiner Feur, und heller Licht, die
klare Luft;

Wodurch die uͤberſtrahlte Welt, nebſt jedem Vorwurf,
wunderſchoͤn,

Und wirklich ſchoͤner, wie vorher, recht als durch ein
Chryſtall, zu ſehn.

Der Bluhmen und der Kraͤuter Reſt, vom Licht bald
durch- bald angeſtrahlet,

Scheint, durch der Sonnen helle Gluht, illuminirt mehr,
als gemahlet.

8 Theil. P“Wer
[226]Ueber die Schoͤnheit der Baͤume u. der Welt.
“Wer wollte denn nicht, auch im Herbſt, auf Gott,
durch Welchen er ſo ſchoͤn,

“Die große Quell der Jahres-Zeiten, in ihrem Wunder-
Wechſel, ſehn,

“Und, in Bewunderung und Dank, nicht Deſſen Macht
und Lieb’ erhoͤhn;

“Dem, da Er, durch das ganze Jahr, fuͤr uns, die Welt
ſo herrlich zieret,

“Jn unſerm froͤhlichen Bewundern, Lob, Ehre, Preis
und Dank gebuͤhret.


Gedan-
[227]

Gedanken im Herbſt, wenn es
truͤbe.


Jch fuͤhle, durch der Welt anjetzo neue Zier

Geruͤhret, einen Trieb in mir,

Der Welt Geſtalt im Herbſt, von neuem, zu beſchreiben.

Der feuchte Dunſt beſchwitzter Fenſter-Scheiben,

Mit der, den ganzen Kreis der Luft

Erfuͤllenden, noch duͤnnen Nebel Duft,

Veraͤndern jetzt der Vorwuͤrf’ aͤußre Flaͤchen.

Der Koͤrper Umriß ſcheint ſich uͤberall zu ſchwaͤchen;

Was man erblickt, iſt ungewiß.

Ein ſichtbar Grau, womit die Luft erfuͤllet,

Beziehet alles, und verhuͤllet,

Mit einer lichten Finſterniß,

Was man ſonſt deutlicher, bey klarer Luft, geſehn.

Doch iſt, was man erblickt, auch jetzt noch ſchoͤn,

Zumal bey einem ſtillen Wetter.

Die gelblichten, mit Gruͤn vermiſchten, Blaͤtter,

Die ſich, in truͤber Luft, mit ſanften Farben, miſchen,

Vergnuͤgen unſern Blick, auf bunten Buͤſchen,

Jn einer allgemein- und ſanften Harmonie.

Selbſt unſer Geiſt, der uͤberall gebrochner Farben
Schoͤnheit ſpuͤhret,

Wird, durch den, dort und hie,

Und uͤberall, gedaͤmpften Schein,

Der bunten Welt, nicht nur allein

Auf eine neue Art, geruͤhret;

P 2Er
[228]Gedanken im Herbſt, wenn es truͤbe.
Er wird ſo gar, in ſtiller Einſamkeit,

Zu einer Art Zufriedenheit

Gebracht, und allgemach, mit Luſt, darinn verſenket,

So, daß er ernſthaft- faſt und tiefer jetzt gedenket,

Als wie zu andrer Zeit.

So mancher, von der ſchoͤnen Blaͤtter Laſt

Bereits beraubte, ſchwarze Aſt

Vermehret ſeine Traurigkeit;

Doch wird ſie, da der Blick dadurch nicht mehr gehindert

Und aufgehalten wird, durch den gefaͤrbten Reſt

Der Blaͤtter, die annoch an ihren Zweigen feſt,

Jn einer ſchoͤnen Fern, gemildert und gelindert.

Wie eine bunte Daͤmmerung, im Herbſt, der Erden
Flaͤche deckt;

So fuͤhlt man, daß ſie ſich auch auf den Geiſt erſtreckt:

Es wird, wie man es jetzt bemerkt,

Die Kraft zu denken, faſt geſtaͤrkt.

Die rege Fluͤchtigkeit der eilenden Gedanken

Bezaͤhmt und ziehet ſich in abgemeßne Schranken.

Man zieht, vom gar zu ſtarken Licht der hellen Vorwuͤrf’
ungeblendet,

Sich in ſich ſelbſt: da die Beſchaffenheit

Sich, mehrentheils, bey der Vergaͤnglichkeit

Der Blaͤtter, auch auf unſrer Lebens-Zeit

Vergaͤnglichen und fluͤchtgen Zuſtand wendet;

Die aber, glaubet man nur feſt,

Uns einen beſſern hoffen laͤßt.

Verſchiedne ſiehet man faſt ſichtbarlich erbleichen.

Das Gelbe mehret ſich, es mindert ſich das Gruͤn;

Verſchiedne ſiehet man von ihrem Sitze fliehn;

Von vielen ſieht man ſchon die kleinen Leichen;

Verſchiedne
[229]Gedanken im Herbſt, wenns truͤbe.
Verſchiedne taumeln jetzt recht Schaaren-weiſ herab,

Und ſuchen ihr beſtimmtes Grab;

Doch viele ſitzen noch auf ihrer vorgen Stelle,

Und machen Luft und Welt, auch ſelbſt im Sterben, helle.

Jch fuͤhle wenigſtens, durch ſanften Drang gezwungen,

Bey der Gelegenheit in mir den Trieb

Zu ſchreiben, was ich einſt ſchon ſchrieb;

Zu ſingen, was ich einſt geſungen:

ARIA.
Bleiche Blaͤtter, bunte Buͤſche,

Gelbe Stauden, roͤthlichs Rohr,

Euer fluͤſterndes Geziſche

Kommt mir, wie ein Sterblied, vor.

Aber, da ihr, wenn ihr ſterbet,

(Wie in einer hellern Gluht

Ein verloͤſchend Fuͤnkgen thut)

Euch am allerſchoͤnſten faͤrbet:

Wird, durch euer buntes Kleid,

Nicht nur Aug’ und Herz erfreut,

Und zu Gottes Ruhm gefuͤhret;

Sondern, auf beſondre Weiſe,

Durch ſo holden Schmuck geruͤhret,

Wuͤnſcht mein Herz, nicht minder ſchoͤn,

Zu des Allerhoͤchſten Preiſe,

Wenn ich ſterbe, zu vergehn!


P 3Betrach-
[230]

Gedanken bey dem Fall der Blaͤtter
im Herbſt.


Jn einem angenehmen Herbſt, bey ganz entwoͤlktem
heiterm Wetter,

Jndem ich im verduͤnnten Schatten, bald Blaͤtter-loſer
Baͤume, geh’,

Und des ſo ſchoͤn gefaͤrbten Laubes annoch vorhandnen
Reſt beſeh;

Befaͤllt mich ſchnell ein ſanfter Regen, von ſelbſt herab-
geſunkner Blaͤtter.

Ein reges Schweben fuͤllt die Luft. Es zirkelt, ſchwaͤrmt’
und drehte ſich,

Jhr bunt, ſanft abwaͤrts ſinkend Heer; doch ſelten im
geraden Strich.

Es ſchien die Luft, ſich zu bemuͤhn, den Schmuck, der
ſie bisher gezieret,

So lang es moͤglich, zu behalten, und hindert’ ihren
ſchnellen Fall.

Hiedurch ward ihre leichte Laſt, im weiten Luft-Kreis
uͤberall,

Jn kleinen Zirkelchen bewegt, in ſanften Wirbeln um-
gefuͤhret,

Bevor ein jedes ſeinen Zweck, und ſeiner Mutter Schooß,
beruͤhret;

Um ſie, bevor ſie aufgeloͤſt, und ſich dem Sichtlichen
entruͤcken,

Mit Decken, die weit ſchoͤner noch, als perſianiſche,
zu ſchmuͤcken.

Jch
[231]Bey dem Fall der Blaͤtter im Herbſt.
Jch hatte dieſem ſanften Sinken, der Blaͤtter lieb-
lichem Gewuͤhl,

Und dem dadurch, in heitrer Luft, erregten angenehmen
Spiel,

Der bunten Tropfen ſchwebendem, im lindem Fall for-
miertem, Drehn,

Mit offnem Aug’, und ernſtem Denken, nun eine Zeitlang
zugeſehn;

Als ihr von dem geliebten Baum freywilligs Scheiden
(da durch Wind,

Durch Regen, durch den ſcharfen Nord, ſie nicht herab-
geſtreifet ſind;

Nein, willig ihren Sitz verlaſſen, in ihren ungezwungnen
Faͤllen)

Nach ernſtem Denken, mich bewog, ſie mir zum Bilde
vorzuſtellen,

Von einem wohlgefuͤhrten Alter, und ſanftem Sterben:
Die hingegen,

Die, durch der Stuͤrme ſtrengen Hauch, durch ſcharfen
Froſt, durch ſchwehren Regen,

Von ihren Zweigen abgeſtreift und abgeriſſen, kommen mir,

Wie Menſchen, die durch Krieg und Brand und
Stahl gewaltſam fallen, fuͤr.

Wie gluͤcklich, dacht’ ich, ſind die Menſchen, die

den freywillgen Blaͤttern gleichen,

Und, wenn ſie ihres Lebens Ziel, in ſanfter Ruh’

und Fried’, erreichen;
Der Ordnung der Natur zufolge, gelaſſen ſcheiden,
und erbleichen!


P 4Zum
[232]

Zum Herbſt.


Oft trauret ſelber mein Gemuͤth,

Wenn es, im Herbſt, bey truͤbem Wetter,

Den Reſt der gelblich-gruͤnen Blaͤtter,

Durch die beſchwitzten Fenſter-Scheiben, als wie durch
einen Nebel, ſieht,

Der unſer’ Augen ſchwaͤcht und blendet, und worinn
ein gedaͤmpftes Licht,

An der verduͤnnten Feuchtigkeit, ſich heftet, ſich verwirrt
und bricht:

Worinn die Farben zwar zu ſehen, doch die Figur ſich
ganz verzieht;

Den doch, an unterſchiednen Stellen,

Die Spuhren abgeloffner Tropfen ein wenig theilen und
erhellen;

Durch deren Striche man die Vorwuͤrf dann alsbald
deutlicher bemerkt.

Es wird, nach weggenommner Hindrung, das Aug’
erheitert und geſtaͤrkt.

Man ſieht, wenn ſich der Duft zertheilt, die Vorwuͤrf’
alle ſchoͤn und rein.

Bey dieſem ernſten Ueberlegen, fiel mir noch ferner
dieſes ein:

Laß nicht den Dunſt der Leidenſchaften

An deiner Augen Fenſter haften:

Denn, ein durch ſie bewoͤlkt Gemuͤth

Bemerkt ſodann nicht, was es ſieht.

Die
[233]Zum Herbſt.
Die allerzierlichſten Figuren

Der Wunder-vollen Creaturen,

Verlieren, wenigſtens, bey dir,

Pracht, Ordnung, Symmetrie, und Zier.

Ein paar, durch Reu, vergoßne Zaͤhren

Wird dir gleich eine klare Durchſicht, und eine

neue Luſt, gewehren.

Ja, ſoll ſich, in der Phantaſey, nicht alles durch

einander miſchen;
Muß man den Duft der Leidenſchaften, von jedem
Sinn, zuweilen wiſchen:
Sodann ſtellt ſich die Creatur, mit ihrer Pracht
und Schoͤnheit, klar,
Und nicht benebelt, wie vorhin, den Augen, und
dem Geiſte, dar.


P 5Noch
[234]

Noch andre Herbſt-Gedanken.


Die Farben brennen jetzo nicht,

Es ſcheint, daß die Natur, nach Mahler Art,

Mit minderm Glanz und Kraft die bunten Farben paart,

Die gar zu ſtarken daͤmpft, die gar zu hellen bricht.

Es ſcheint, ob ſie der Welt ein’ Art von Anmuth gebe,

Und eine Harmonie zu zeigen ſich beſtrebe,

Die ſanfter als vorhin, daß ſie das mattre Licht

Der Farben jetzt nur bloß durch dunklen Grund erhebe,

Wozu der Daͤmmrung gleiche Duft

Der jetzt halb klar- halb dunklen Luft

Jhr wunderwuͤrdig dient, als deren Dunkelheit,

Der ſchwachen Farben Lieblichkeit

So angenehm erhoͤht, daß ein vergnuͤgt Gemuͤth,

So weit es ſehen kann, die Welt nicht anders ſieht,

Als waͤre ſie, zu noch vermehrterm Prangen,

Mit kuͤnſtlichen Tapeten ganz behangen.

Wie viele Kunſt, wie viele Muͤh

Zu ſolcher Farben Harmonie

Jn der erhabnen Mahlerey

Erfordert wird; iſt denen nur bekannt,

Die Muͤhe, Fleiß, Verſtand

Auf dieſe edle Kunſt verwandt:

Hier aber ſieht man jetzt, zumal im Wald und Buͤſchen,

Die Farben ſich von ſelbſt ſo kuͤnſt- und lieblich miſchen,

So angenehm, ſo ſanft ſich brechen,

Daß es nicht glaublich iſt, nicht auszuſprechen.

Ein
[235]Herbſt-Gedanken.
Ein ſanftes dunkel Gelb, ein ſanftes dunkel Braun,

Ein ſanftes dunkel Roth, ein ſanftes dunkel Gruͤn,

Sieht man licht-gelb-, licht-braun-, licht-roth-, licht-
gruͤne Stellen,

Wohin man ſieht, erheben und erhellen;

So, daß kein Ort faſt zu erblicken,

Den nicht verſchiedne Farben ſchmuͤcken,

Die, vor im Sommer, auch zwar ſchoͤn,

Doch bloß allein im gruͤnen Schmuck, zu ſehn.

Da denn zugleich, bey mehr entlaubten Zweigen,

Und durch der Farben Unterſcheid,

Jn noch vermehrter Deutlichkeit,

Sich tauſend vormals nie geſehne Weiten zeigen.

Von gelb- und rothem Laub, von lieblich gruͤnem Mooß

Jſt, in den Waͤldern, jetzt der Ueberfluß ſo groß,

Daß es nicht moͤglich zu beſchreiben;

Wer es nicht ſelbſt geſehn, kann es unmoͤglich glaͤuben.

Das Gelbe, das man hie und dort im ganzen Wald’
erblickt,

Laͤßt, als ob lauter Sonnen-Schein den ganzen Wald
erfuͤllt und ſchmuͤckt.

Ja, wie wird jetzt im Herbſte nicht

So manch- gefaͤrbter Glanz, ſo manches bunte Licht,

Das uͤberall die Luft jetzt zieret,

Jm tauſendfach gefaͤrbten Obſt verſpuͤhret!

Schau! wie die Obſt-Baͤum’ und die Reben

Sich in die Wette faſt beſtreben,

Dir, nebſt dem Nutzen, auch ein’ Augen-Luſt zu geben.

Bewun-
[236]Herbſt-Gedanken.
Bewunderſt du, im lauen Herbſt, den Schmuck

der Welt, der Farben Pracht,
Die ſich an allen Orten zeigen;
So ruͤhmſt du Deſſen Weisheit, Macht,
Und Liebe, Welcher ſie nur bloß, zu deinem Nutz,
hervorgebracht.
Jhn ehrt ſchon deine ſtumme Luſt, Jhn preiſt ſo-
gar dein froͤhlichs Schweigen.


Aloe
[237]

Aloe Margaritifera.


Liebſter Gott! was ſeh ich hier!

Ein mit lauter Diamanten uͤberall bedecket Kraut,

Deſſen Schimmern, Glaͤnzen, Funkeln, und metalliſirte
Zier

Auch der Unempfindlichſte mit erſtaunten Blicken ſchaut.

Das beſonders ſchoͤne Gruͤn dieſer Staud’ iſt ganz be-
leget

Mit erhabnen kleinen Blaͤsgen, die durchſichtig und ſo rein,

Daß der Sonnen-Strahlen Schein

Durch das Naß, ſo jedes Blaͤschen in dem runden Zir-
kel heget,

Wie ein kleines reines Licht

Dringet, ſich vereint, und bricht

Oft, wie ein Opal ſich mahlet,

Oft auch von der glatten Haut, wie ein Demant, ruͤck-
waͤrts ſtrahlet.

Nach dem Stand’, in dem mans ſieht, ſcheints im Sil-
ber-weiſſen Schein,

Ja, recht als mit klarem Silber, uͤberall belegt zu ſeyn.

Um recht ſchoͤnes Gruͤn zu haben,

Streichet man es ſonſt auf Silber, hier liegt Silber auf
das Gruͤn;

So, daß, unſern Blick zu laben,

Dieſe Miſchung noch viel ſchoͤner; herrlicher u. heller ſchien.

Jedes Blaͤschen ſcheinet mir, als ob ich ein Troͤpfgen
Thau,

Das verhaͤrtet, und doch funkelnd in der Sonnen Strah-
len, ſchau.

Alle
[238]Aloe Margaritifera.
Alle Farben, die die Sonne, nach der Lehre Newtons,
heget,

Sind, ſo wie die Thaues-Tropfen, jedem Blaͤschen ein-
gepraͤget.

Und, da ſolch ein helles Blaͤschen ſich aus jeder Oeff-
nung ſtreckt,

Wird ein allgemeiner Schimmer auf dem ganzen Kraut
entdeckt.

Um es beſſer zu beſehn, pfluͤckt ich etwas davon ab,

Das mir, eine neue Schoͤnheit zu entdecken, Anlaß gab,

Da auf jeder innern Spitzen ein klein Puͤnktgen, wie
Rubin,

Recht im feuerreichen Glanz, gluͤhte, blitzte, flammt’
und ſchien.

Jch erſtaunt’ ob aller Pracht, die man an dem
Kraut erblicket,

Und bewunderte den Schoͤpfer, Der es ſo fuͤr uns
geſchmuͤcket,

Daß wir, wie wir Seine Weisheit, Lieb und
Macht, an allen Gaben,

Auch am Perlen-traͤchtgen Kraut, zu bewundern
Urſach haben.


Betrachtung
[239]

Betrachtung der Herbſt-Bluhme,
Aſter.


Jm Herbſt, an einem heitern Morgen, nach allbereits
verſchwundner Nacht,

Sah ich, der, in dem ſpaͤten Herbſt, annoch vorhandnen
Bluhmen Pracht,

Jn dem noch bunten Garten, an. Durchs Auge ward
mein Geiſt geruͤhret,

Und, in der ſchoͤnen Farben Schmuck, zu ihrer Urquell
hingefuͤhret:

Da dann ein lieblich Freuden-Feur, durch aller Farben
bunten Brand,

Von heiſſer Andacht angefacht, in meiner regen Seel’,
entſtand.

Jch ſah die Sonnen-Bluhme funkeln: Es bluͤht
die africanſche Bluhme,

Die Flammen-Seulen-gleiche Malva, zu ihres
großen Schoͤpfers Ruhme;

Die Ritterſporn, die Ringel-Bluhme,Flos admi-
rabilis; der Mah,

Den uns Siberien geſchenkt. Wobey ich, faſt er-
ſtaunet, ſah,

Die Bluhmen, die man Aſter nennt, in weiß- auch rothen
Farben prangen.

Um
[240]Betrachtung der Herbſt-Bluhme, Aſter.
Um die nun naͤher zu betrachten, fuͤhlt’ ich ein ſehn-
liches Verlangen.

Jch pfluͤckte, von verſchiednen Sorten derſelben, unter-
ſchieden’ ab;

Wovon mir jede reichen Stoff zu froͤhlicher Betrach-
tung gab.

Es bluͤht dieß praͤchtige Gewaͤchs, Dem, Der ſie wach-
ſen laͤßt, zum Preiſe:

Zu Anfangs: wenn ſie voͤllig bluͤht; zuletzt auch,
auf beſondre Weiſe.

Viel ausgeſchnittne Blaͤtter zieren den ganzen Staͤn-
gel: bis zuletzt

Dieſelben oberwaͤrts ſich ſpitzen,

Und nah am kuͤnftgen Knopf der Bluhme, in ſolcher
ſchoͤnen Ruͤnde, ſitzen,

Daß, eh die Bluhmen aufgebluͤht,

Man, an der ganz beſondern Staude, die ſchoͤnſte gruͤne
Bluhme ſieht;

Bis ſich die Bluhme ſelbſt entwickelt. Dann wird man
einer netten Schaar,

Von fuͤnf und dreyßig ſchoͤnen Blaͤttern, die Purpur,
oder weiß, gewahr;

Die alle, mit den untern Spitzen,

Jn einem nett geformten Kranz, von Silber-weiſſen Zaͤ-
ſern, ſitzen.

Wie ganz beſonders, und wie fremd, nun alles an
der Bluhmen Bau;

Jſt doch noch mehr bewundernswehrt, was ich in ihrer
Mitten ſchau:

Es
[241]Betrachtung der Herbſt-Bluhme, Aſter.
Es glaͤnzt in allen dieſen Bluhmen, an Gelb’ und Ruͤnd’,
ein Sonnen-Bild,

Das den, der es genau betrachtet, mit ganz beſondrer
Luſt erfuͤllt.

Der gleichſam guͤldne runde Koͤrper, ſo Regel-recht
geformt, beſtehet

Aus ungezaͤhlten kleinen Puncten, die all’ auf eine Weiſ’
erhoͤhet;

Doch aber in ſo ſeltnem Rang, und fremder Ordnung,
daß ich nimmer

Dergleichen ſonſt bemerket habe. Der kleinen Puͤnctchen
gelber Schimmer

Scheint in der Ruͤnde nur zu ſtehn.

Allein, betrachtet man ſie recht; ſo ſieht man ſie zugleich
ſich drehn,

Und Neben-Zirkelchen formieren: die kuͤnſtlich dergeſtalt
ſich ſchwingen,

Daß ſie beſondre Ranken machen, und, mit beſondrer
Zierlichkeit,

So richtig durch einander laufen, daß es ein achtſam
Aug’ erfreut.

Kein Kuͤnſtler wuͤrd’ auf die Figuren, die ſich in dieſer
Bluhm’ entdecken,

Mit aller Muͤh, gerathen koͤnnen.

“Laßt uns der kuͤnſtlichen Natur denn doch ein acht-
ſam Auge goͤnnen,

“Der Striche Richtigkeit bewundern, die Schoͤnheit
der Erfindung preiſen,

“Und als vernuͤnftige Beſchauer der zierlichen Geſchoͤpf’
uns weiſen!

8 Theil. Q“Zu
[242]Betrachtung der Herbſt-Bluhme, Aſter.
“Zu Ehren Dem, Der, als die Quelle der Weisheit,
uͤberall ſich zeigt;

“Und Deſſen Einſicht alle Tiefen der Wiſſenſchaften
uͤberſteigt,

“Die Menſchen, Geiſtern, Engeln, eigen.” Jch finde
mich dadurch geruͤhret,

Und, ſo zu denken, angetrieben: Gott, Den man

allenthalben ſpuͤhret,
Nimm meine froͤhliche Bewundrung zum Opfer,
das nur Dir gebuͤhret!


Die
[243]

Die Honig-Bluhme.


Da du, faſt aller Bluhmen Pracht, beſehn, bewun-
dert, und beſchrieben;

Sprich, warum willt denn du,

Bevor der Froſt mich aufgerieben,

Auch meiner Farben Schmuck nicht ſehn? rief mir die
Honig-Bluhme zu:

Als ich, wie ich bisher gethan,

Sie nur unachtſam angeblicket, ſie unbemerkt vorbey
zu gehn,

Mich im Begriff befand;

Da ich, durch ihren ſanften Ruf geruͤhret, bey ihr ſtille
ſtand,

Um, mit Bedachtſamkeit, auch ihren Schmuck zu ſehn.

Jch ſtutzt’, und ſchaͤmte mich, daß ihres Purpurs
Pracht

Mich, bis dahero, nicht aufmerkſamer gemacht;

Da er jedoch recht brennend ſchoͤn.

Jhr ernſthaft Weſen ſchiene mir was Majeſtaͤtiſches
zu zeigen.

Der dunkle Schmuck, der ihren Blaͤttern eigen,

Kam, in der duͤſtern Roͤthe, mir,

Als wie ein Kleid, das Kronen ſchmuͤcket, fuͤr.

Jch ſchnitte dann verſchiedne Bluhmen, den Bau recht
zu betrachten, ab;

Wovon ein’ jede zur Bewundrung Gelegenheit und An-
laß gab.

Q 2Die-
[244]Die Honig-Bluhme.
Diejenigen, die man ſchon voͤllig aufgebluͤhet,

Und zur Vollkommenheit gelanget, ſiehet,

Beſtehn aus einem runden Kranz,

Von purpurfarbnen kleinen Kelchen, woran ein matter
Silber-Glanz

Der aͤußren Blaͤtter Spitzen faͤrbt; die innerſten zwey
kleinen ausgenommen.

Man ſieht aus jedem dieſer Blaͤtter, im Grund’, ein
weiſſes Spitzchen kommen,

Ein weiſſes Staͤnglein aus der Mitten. Ein kleiner
Huͤgel hebt ſich dann

Von lauter Bluͤhmchen, deren Menge,

Jndem ſie alle dunkel-roth, das dunkle purpurne Ge-
praͤnge,

An dieſer Bluhme Bau, formiert;

Worauf jedoch, ſie zu erheben, auf gleichfals purpur-
farbnen Spitzen,

Viel ſilberfarbne Haͤmmerchen, auf einem dunklen Grunde,
blitzen.

Eh ſich der Bluhmen Huͤgel oͤffnet, iſt zwar der untre
Kranz zu ſehn,

Der auf acht gruͤnen ſpitzen Blaͤttern, die ſich einander
zieren, ruht;

Doch liegt die purpurfarbne Gluht,

Jn einer dunkel-braunen Decke, annoch verſteckt. Nicht
minder ſchoͤn

Jſt, wenn die Blaͤtter abgefallen,

Das Saamen-Haͤuschen, welches gruͤn, und woran,
wie ichs zaͤhlt’, an allen,

Drey hundert fuͤnf und ſiebenzig ſehr nett rangirte
Spitzen ſtehn:

Da
[245]Die Honig-Bluhme.
Da fuͤnf und ſiebzig Saamen-Koͤrner, ein jedes mit fuͤnf
ſtarren Spitzen,

Ein jeglichs im beſondern Kelch, bewundernswerth ge-
ordnet, ſitzen.

Wenn man auf die beſagten Spitzen ein ſolches Saamen-
Kelchlein ſetzt,

Bleibt es, als auf fuͤnf Beinen, ſtehn; und durch die
laͤnglichte Figur,

Von einem kleinen Zucker-Huth, wird ein betrachtend
Aug’ ergetzt.

Das Laub, an dieſer Honig-Bluhme, gleicht voͤllig
einer Helleparten.

Bewundre doch, vernuͤnftger Menſch! die viele
Millionen Arten,

Wodurch die bildende Natur

Die Weisheit ihres Schoͤpfers zeiget,

Die allen menſchlichen Begriff und Witz unend-
lich uͤberſteiget!

Durch ein ſo dich vergnuͤgendes, als ehrerbietiges,
Bemuͤhn,

Biſt du geſchickt, aus Honig-Bluhmen der Andacht
Honigſeim zu ziehn.


Q 3Die
[246]

Die Bieſam-Bluhme.


Die Bieſam-Bluhme fehlt mir noch, zum Ruhm des
Schoͤpfers, zu betrachten.

Jhr gleichfals ganz beſondrer Bau verdient mit Recht,
ihn zu beachten.

Mich ruͤhrt ihr kraͤftiger Geruch. Doch das, ſo wir
an ihr erſehn,

Jſt auch nicht weniger betraͤchtlich, und, auf beſondre
Weiſe, ſchoͤn.

Sie ſcheint, aus lauter Linien, aus lauter Strichen,
zu beſtehn,

Wenn man ſie obenhin beſieht: Bemerkt mans aber
eigentlich;

So ſind die Blaͤtter Trichter-formig. Der Obertheil
iſt, bis zur Mitten,

So wunderkuͤnſtlich eingeſchnitten,

Als wenn es, mit der feinſten Scheere,

So richtig eingekerbet waͤre.

Daher ſcheint jedes Blatt ein Strich,

Die ganze Bluhm’ aus Faͤſerchen, theils weiß-, theils
purprichten, formieret,

Und alſo, vor den andern Bluhmen, auf eine neue Art,
gezieret:

Die, weil ſie alle mit einander aus einem runden Knopfe
ſteigen,

Der ebenfals betrachtenswerth, ſich all’ in netter Ruͤnde
zeigen.

Der
[247]Die Bieſam-Bluhme.
Der Knopf iſt rund, und hart, und feſt,

Mit Schuppen rings umher bedeckt, als waͤren ſie daran
gepreßt,

Und auf einander ſo gefuͤget,

Daß auf zwo Fugen eine Schuppe, ſie kraͤftig zu ver-
decken, lieget.

Derſelben Farb’ iſt dunkel-gruͤn, mit einem rothen Rand
umher.

Jch hatte juͤngſt, von ungefehr,

Dergleichen Knopf, recht in der Mitten,

Mit einem Meſſerchen durchſchnitten;

Und ward, in ſelbem, eine Schaar

Von Faͤſerchen, die nicht zu zaͤhlen, durch ihre Meng’
erſtaunt, gewahr:

Sie ſtehen allzumal gedraͤngt, auf einem Grunde, der ſo feſt,

Daß er ſich kaum zerſchneiden laͤßt.

An jeder Spitze Fuß entſpringt allhier der Saam’:
und hab’ ich hier

Zwey hundert Koͤrnerchen gezaͤhlt, wovon um jedes
funfzig Spitzen,

Jn Silber-weiſſem Glanze ſitzen;

Die, weil ſie kuͤrzer, als die Blaͤtter, allein den Bauch
des Knopfes fuͤllen,

Und jedes Blattes Huͤlſ’ umhuͤllen.

Da oberwaͤrts aus ihm ſodann, die Trichter-formgen
Blaͤtter ſteigen,

Die alle, kuͤnſtlich eingekerbt, am End’, auf zwanzig
Spitzen zeigen:

So, daß dadurch an jeder Bluhme, wenn wir ſie mit
Bedacht beſehn,

Jn die vier tauſend nette Spitzen, in einer richtgen Ord-
nung, ſtehn.

Q 4“Be-
[248]Die Bieſam-Bluhme.
“Bewundre, Menſch! in dieſer Menge der Blaͤt-
terchen, die Strichen gleich,

“Wie die Natur an feiner Kunſt, und an Erfindungen,
ſo reich;

“Und laß, in dieſer ſchoͤnen Bluhme, die drinn entdeckten
Seltſamkeiten,

“Dich doch zu ihrem erſten Urſtand, zu einem weiſen
Schoͤpfer, leiten!

“Noch mehr! Es bluͤhet dieſe Bluhme nicht nur in
einer weiſſen Zier;

“Sie bringt, in eben dieſer Form, auch purpurfarbene
herfuͤr.

“Noch mehr! Sie iſt mit ſuͤßem Duft, bewunderns-
wuͤrdig, angefuͤllet,

“Und es vergleicht ſich der Geruch dem Bieſam, wel-
cher aus ihr quillet:

“Wofuͤr, wenn man vernuͤnftig riecht, bey dem er-
quickenden Genuß,

“Ein jeder, der dadurch erquickt, dem Schoͤpfer billig
danken muß.


Der
[249]

Der Papagay.


Du zwingeſt mich, du ſchoͤnes Thier,

Dein glaͤnzend, lieblich-bunt- und reizendes Ge-
fieder,

Samt deines Coͤrpers Bau und Zier,

Zu deines Schoͤpfers Ruhm, zum Vorwurf meiner Lieder,

Mit froͤhlicher Aufmerkſamkeit, zu wehlen.

Wie oft haſt du in meiner Seelen,

Durch deinen Wunder-Schmuck, ein’ innre Luſt erweckt!

Der Farben Pracht des Kleides, das dich deckt,

Hat oft, da die Natur ſo herrlich dich gezieret,

Durchs Auge, meinen Geiſt geruͤhret,

Und, voll Bewundrung, ihn, auf Den gefuͤhrt,

Der die Natur beſeelt, Der das erfreu’nde Licht

Erſchuff, die Coͤrper formt’, den Menſchen das Geſicht

Geſchenkt, und einen Geiſt zu allem wollen fuͤgen,

Der faͤhig und geſchickt,

An allem dem, was Er ſo herrlich ſchmuͤckt,

An Farb’ und Symmetrie ſich zu vergnuͤgen.

Du traͤgeſt, ſchoͤnes Thier, geſchmuͤckter Papagay,

Von Pflanzen, Laub und Gras die ſchoͤnſte Liberey.

Jhr lieblich Gruͤn, womit ſich Feld und Waͤlder
ſchmuͤcken,

Bedecket deinen glatten Ruͤcken,

Die Schwingen ebenfalls, worauf wir mancherley

Gemiſch, von licht- und dunkel Gruͤnen,

So wie bey ihnen,

Auf jeder Feder faſt, erblicken.

Q 5Allein,
[250]Der Papagay.
Allein, was fuͤr ein Gelb, das einer Bluhme gleicht,

Ja dem das ſchoͤnſte Gelb von allen Bluhmen weicht,

Bricht auf einmal in gleichſam guͤldnem Flor

Aus deinem Halſ’ hervor,

Und ſchmuͤckt, und kroͤnt dein Haupt? Wie lieblich,
hell und klar

Glaͤnzt in dem guͤldnen Grund’, in einem weiſſen Kreiſe,

Wie Silber, eingefaßt, dein ſchwarzes Augen-Paar!

Es glimmt daſelbſt auf gleiche Weiſe,

Als wenn, auf ſchwarz-poliert- und glaͤnzenden Corallen

Sich brechend, Sonnen-Strahlen fallen.

Des Hauptes Vordertheil ſchmuͤckt ein aus gelb und roth

Gemiſchtes Roth der glaͤnzenden Auroren,

Wenn ſie den fruͤhen Tag gebohren.

Des krummen Schnabels halber Kreis,

Der glatt und weiß,

Gleicht einem glaͤnzenden Agat,

Der ungeſtreift: wobey er keine Oeffnung hat.

Es ſchließt dahero jedermann

Mit Recht, daß er nicht riechen kann.

Ein gelblich Gruͤn bedeckt, zu unſrer Augen-Luſt,

Den untern Theil des Schweifs, den Bauch, die ganze
Bruſt.

Recht oben auf der Fluͤgel Ecken,

Die uͤberall ſonſt dunkel gruͤn,

Sieht man drey roͤthlich-gelbe Flecken,

Jn einer netten Ordnung, gluͤhn.

An ſeinen Fuͤßen ſind die Zaͤh’ und Klauen,

Nicht, wie wir ſie an andern Voͤgeln ſchauen,

An welchen wir, daß ſich drey Zaͤhe vorwerts ſtrecken,

Und einer hinterwerts, entdecken;

Da
[251]Der Papagay.
Da ſich im Gegentheil zween Zaͤhe vorn, zween hinden

Am Fuß des Papagayen finden.

Wobey er, welches ſonderlich, wenn er herabſteigt oder klim̃t,

Gar oft, als einen dritten Fuß, den Schnabel mit zu
Huͤlfe nimmt.

Der Farben Schoͤnheit an den Federn, da ja die Far-
ben anders nichts,

Als wie ein Wiederſchein des Lichts,

Die muß, aus der verſchiednen Bildung verſchiedner
Faͤſerchen entſtehn.

Muß alſo deren Eigenſchaft, wodurch dieſelbige ſo ſchoͤn,

Jhr Wunder-Bau beherziget, auch ihre Ordnung angeſehn,

Die Symmetrie bewundert werden. “Ein Geiſt, den
dieſe Schoͤnheit ruͤhret,

“Wird billig, voll Bewunderung, zu aller Schoͤnheit
Quell gefuͤhret,

“Der die Natur beſeelt, belebt, und welcher das er-
freunde Licht

“Erſchuff, die ſchoͤnen Coͤrper formt, der auch den
Menſchen das Geſicht

“Geſchenkt, und einen Geiſt annoch zu allem dieſem
wollen fuͤgen,

“Der faͤhig und geſchickt,

“An allem dem, was Er gebildet, und welches Er ſo
herrlich ſchmuͤckt,

“An Farben, an der Symmetrie, ſich durch die Sin-
nen, zu vergnuͤgen.

“Er wird, da Seine Liebe, Weisheit und Macht,
die Creaturen weiſen,

“Jn ſeiner drob empfundnen Luſt, ſo ihr, als ſeinen
Schoͤpfer, preiſen.”


Erbauliche
[252]Erbauliche Gedanken uͤber Hn. Roͤſels

Erbauliche Gedanken
uͤber
Herrn Roͤſels
vortreffliches Jnſecten-Werk.


Ach! wie iſt des Menſchen Geiſtes Kraft und Schaͤrfe
doch ſo klein,

Und die Blindheit unſrer Seelen doch ſo groß, als allge-
mein!

Die Materie ſowohl, als der Geiſt, iſt uns verborgen;

Auch der untheilbare Stoff, woraus erſtere beſteht,

Als derſelben Fuͤgungen, unerachtet aller Sorgen,

Alles ernſten Ueberlegens, ſind, wenn man recht in ſich
geht,

Dunkel und ganz unbegreiflich. Von dem Geiſt begrei-
fen wir,

Wo es moͤglich; minder noch. Dennoch kommt uns
oͤfters fuͤr,

Daß, wo wir nicht eben alles, vieles jedennoch, begreifen.

Unſer Stolz lenkt unſern Blick, von den Dingen, truͤg-
lich ab,

Wo er ſieht, daß ſich darinn zu viel Schwierigkeiten
haͤuffen;

Sucht ſich aber deſto mehr auf diejenigen zu ſteiffen,

Wovon die Empfindung ihm kaum den Schein der
Wahrheit gab,

Wann, durch ſeiner Sinnen Mittel, von verſchiednen
Eigenſchaften,

Die an ſolchen Weſen haften,

Er,
[253]vortreffliches Jnſecten-Werk.
Er, ein daͤmmrig Licht erblickt. Die Empfindungen allein

Leiten und belehren ihn. Dieſe theilt er kluͤglich ein

Jn, von ihm formierte, Claſſen, ziehet Folgen, machet
Schluͤſſe:

Daß er die ſelbſtaͤndge Wahrheit unbetrieglich haben muͤſſe.

Da jedoch, bey jedem Menſchen, andre Folgen und Jdeen,

Die den ſeinen widerſprechen, wie man es erfaͤhrt, entſtehen.

Woraus ſoviel Widerſpruͤche, Zaͤnkereyen, Ketzereyen,

Unſer Leben zu verbittern, uns zu foltern, ſich nicht ſcheuen,

Und wodurch Geſelligkeit, Lieb und Eintracht von der
Erden,

Nebſt Vergnuͤgen, Luſt und Anmuth, leider, ganz ver-
bannet werden!

Sieht man alſo, daß der Stolz, Jrrthum und Unwiſſenheit,

Bloß allein die Ungluͤcks-Quellen unſrer ganzen Lebenszeit.

Mit ſo graͤmlichen Gedanken, und ſo bittrer Traurigkeit

War ich juͤngſt beſchaͤfftiget, und beklagte, faſt mit Traͤhnen,

Unſer menſchliches Geſchlecht, da die Sterblichen ſo blind,

So verwirret, ſo betrogen, dumm, und ſo voll Einfalt ſind,

Und ſich doch, vom Stolz verfuͤhrt, ſtets nach hohen Din-
gen ſehnen.

Schloß auch, daß bey ſolcher Einfalt, bey ſo duͤſterer
Erkenntniß,

Bey ſo wenig Wiſſenſchaft, und benebeltem Verſtaͤndniß,

Keiner Creatur gebuͤhre, aufgeblaͤht und ſtolz zu ſeyn;

Sondern, daß ein tiefes Trauren billig ſie belehren muͤſſe:

Daß ihr Vorzug vor den Thieren, nicht ſehr groß

ſey, ſondern klein,
Und daß ſie, von allen Dingen, nicht vielmehr, als
jene, wiſſe.

Aber
[254]Erbauliche Gedanken uͤber Hn. Roͤſels
Aber in der dunklen Schwermuth, ſtrahlt’ ein helles
Freuden-Licht,

Das die Nacht des Grams beſiegte, unverhofft mir ins
Geſicht.

Dein bewundernswuͤrdigs Werk, das bis zur Natur faſt
ſteiget,

Edler Roͤſel, wurde mir, von Jnſecten, vorgezeiget.

Jch erſtaunt’, und mich befiel, bey dem reinſten Wol-
luſt-Strahl,

Freud, Ergetzen, Ueberlegung und Bewundrung auf einmal.

Meine Seele ward, durchs Auge, ganz, und inniglich ge-
ruͤhret,

Ja zugleich, durch Ueberlegung, zu der Wahrheit hin-
gefuͤhret,

Die vorher bey mir verſteckt, unterdruͤckt, begraben, ſchien:

Wie ſo ſehr der Menſchen Geiſt, einem Thier, ſey

vorzuziehn.

Deine Faͤhigkeit, die Wunder unſers Schoͤpfers, in den
Werken,

Nicht durch Strich’ allein zu bilden, ſondern durch ein
weiſes Miſchen

Kleiner Theile ſchlechten Staubes, Geiſt und Auge zu
erfriſchen,

Da faſt gar kein Unterſcheid zwiſchen der Natur zu merken,

Und den Bildern deiner Hand; zeigt uns uͤberzeuglich an,

Da kein einziges Geſchoͤpf, bloß ein Menſch, ſo wirken
kann;

Was ein Menſch, vor allen Thieren, fuͤr ein’ auserleſne
Gabe,

Folglich, welchen großen Vorzug er, vor ihnen, wirklich
habe.

Deine
[255]vortreffliches Jnſecten-Werk.
Deine Kunſt bringt mir demnach eine beſſre Meynung
bey

Von dem menſchlichen Geſchlecht, als ich ſie vorher ge-
heget,

Wie mein Gram mich unterdruͤckt. Da mein Geiſt
nunmehr erweget:

Daß, was deine Hand formiert, keinem Thiere moͤglich
ſey.

Nimm demnach, erhabner Geiſt, das Bekenntniß
meiner Luſt,

Welche du, in meiner Bruſt,

Durch die weiſe Hand erregt, als ein Prob-Stuͤck deiner
Staͤrke,

Jn der edlen Bildungs-Kunſt; aber auch als eine Probe

Meiner wahren Dankbarkeit, da ich, deines Pinſels
Werke,

Oeffentlich erheb’ und lobe.

Dieſen Dank bin ich dir ſchuldig, und daher um deſto mehr,

Als ich die Betrachtungen, die dein herrlich Werk be-
gleiten,

Meinem Singen aͤhnlich finde, und dem Ton von meinen
Saiten.

Denn wir mahlen, dichten, ſchreiben, beyde, zu des
Schoͤpfers Ehr.

Ja, ich ſeh mich uͤbertroffen. Deine Kunſt legt augen-
blicklich,

Ohne die geringſte Muͤh deiner Schauer, ſo geſchicklich

Jhnen die Natur vor Augen, und ſo lebhaft. Jch hin-
gegen

Kann, ohne einige Bemuͤhung meines Leſers, ihm den
Sinn

Nicht ſo ſchnell vor Augen legen.

Dennoch
[256]Gedanken uͤber Hn. Roͤſels Jnſecten-Werk.
Dennoch ſoll mich dieß nicht hindern. Meine Hoffnung
geht dahin,

Daß vermuthlich, auf der Erden,

Zeiten annoch kommen werden,

Wo die Menſchen nicht ſo ſehr, als wie jetzo, von der Spuhr

Der, zu ihrem wahren Schoͤpfer einzig fuͤhrenden, Natur,

Durch Exempel, durch Gewohnheit, ja auch, leider! gar
durch Lehren,

Straͤflich abgezogen werden, und, wo, deine Mahlereyen,

Ja, vielleicht auch meine Schriften, Menſchen Augen
mehr erfreuen,

Und zum Schoͤpfer fuͤhren duͤrften. Um dich laͤnger nicht
zu ſtoͤhren,

Brech ich hier, mein ſonſt vielleicht gar zu langes Schrei-
ben, ab,

Das dir ungeſchminkte Proben meiner ſondern Achtung
gab.

Denke, wenn du es vielleicht mehr als einmal duͤrfteſt leſen,

Daß ich dir ergeben bleibe, ſo wie ich es laͤngſt geweſen.


Betrach-
[257]

Betrachtung Goͤttlicher Werke.


Mein Schoͤpfer! wie ſo wunderſchoͤn

Jſt hier der Erd-Kreis anzuſehn!

Von wie viel Farben und Figuren

Seh ich hier ſchoͤne Creaturen,

Verherrlicht durch den Sonnen-Strahl,

Faſt ohne Maße, ſonder Zahl!

Mein Auge ſieht ſich muͤd’ und matt

An allen Wundern; doch nicht ſatt.

Hier ſeh ich ſchoͤne Bluhmen prangen,

Dort Baͤume voller Fruͤchte hangen:

Da Wieſen, und drauf glattes Vieh

Jm Graſe gehn, bis an die Knie,

Viel’ auf dem weichen Klee ſich ſtrecken;

Da Bluhmen ſie faſt ganz bedecken.

Hier kann ich ſchattichte Alleen,

Die nach der Schnur gepflanzt ſind, ſehen;

Dort ohne Kunſt gewachſne Hecken.

Hier ſeh ich rothe Daͤcher, zwiſchen

Bald hohen und bald niedern Buͤſchen;

Hier Thaͤler, dort bebluͤhmte Huͤgel:

Und dort, in einem langen Strich,

Die Elbe, die dem Silber glich,

Als einen ſchoͤnen Himmels-Spiegel,

Bedeckt von vieler Schiffe Laſt;

Manch rothes Seegel, manchen Maſt.

Jch ſehe noch, an jenem Strande,

Entfernte Baͤum’ auf gelbem Sande;

Von welchen ihr auch ſchoͤnes Gruͤn

Mit etwas Blau gemiſchet ſchien.

8 Theil. RUm
[258]Betrachtung Goͤttlicher Werke.
Um alles dieſes ziehet ſich,

Von Bergen, ein faſt blauer Strich,

Der mit dem Luft-Kreis ſich vereinet;

Worauf die Luft zu ruhen ſcheinet.

So weit erſtreckte ſich die Reiſe

Der Augen. Hierauf zog mein Blick

Sich aufwaͤrts, zu dem Himmels-Kreiſe,

Durch manches ſchoͤne Wolken-Bild,

Das dort das Firmament erfuͤllt,

Aufs neu erſtaunet, ſich zuruͤck.

Hier ſank er in der blauen Tiefe grundloſen Abgrund,
den der Schein

Der Sonnen und das Leere faͤrbt, ohn’ alle Gegen-
wuͤrf’, hinein.

Weil hier der Raum ſich nun nicht endet;

War meiner Augen Kraft geblendet.

Es ſah, beym Glanz des hellſten Lichts,

Nichts Koͤrperlichs, und folglich, nichts.

Doch fing mein Seelen-Aug’ hier an,

Durch Schatten dunkler Nacht belehret,

Zu ſehn, was man nicht ſehen kann,

Wann Finſterniß es nicht erklaͤret.

Es ſtellte ſich, in dieſer Ferne,

Das ungezaͤhlte Heer der Sterne,

Und Sonn- und Welten- Heere, mir,

Jn ihnen, mit Erſtaunen, fuͤr.

Die Seele ſah hier, in Gedanken,

Des Schoͤpfers Werke, ſonder Schranken.

Durch nichts wird Seine Majeſtaͤt

Mehr, als durchs Firmament, erhoͤht.

Hier, da Sich Gott Selbſt ſcheint zu zeigen,

Ehrt Jhn mein ehrerbietigs Schweigen.


An
[259]

An meinem Gebuhrts-Tage.
1741.


Jn dieſer Welt, wo Gluͤck und Ungluͤck, wo Boͤſ’ und
Gut’, als Licht und Schatten,

Beſtaͤndig wechſeln, ja zugleich ſich, als in einer Daͤmm-
rung, gatten;

Wo ungezaͤhlte Creaturen, zur Anmuth, zur Bequem-
lichkeit,

Zur Nahrung, Waͤrme, Kuͤhl- und Kleidung, im Winter
und zur Sommers-Zeit,

Zu Gegenwuͤrfen unſrer Sinnen, zur Luſt, auch oft zur
Qual, vorhanden:

Bin ich, nunmehr vor ſechszig Jahren, auf unſers
Schoͤpfers Wink, entſtanden;

Wo Menſchen, welche ſich ſo wenig am Geiſt, als an
Geſichtern, gleich,

Sich haſſen, lieben, helfen, ſchaden, an Eigenliebe alle
reich.

Was hab’ ich nicht fuͤr vieles Gut’, in ſo viel abge-
wichnen Jahren,

Von Gottes Vater-Hand, genoſſen! Auf wie viel unge-
zaͤhlte Weiſe

Hab’ ich, nebſt allen Meinigen, den Ausbruch Seiner
Huld erfahren!

So iſt es dann ja meine Pflicht, daß ich Jhn lobe,
ruͤhme, preiſe.

R 2Wenn
[260]An ſeinem Gebuhrts-Tage.
Wenn ich den Zuſtand dieſer Welt, und den Zuſam-
menhang erwege,

Von Menſchen, welche ſich ſo wenig an Geiſt- als an
Geſichtern gleich,

Die, ob ſie gleich fuͤrs Ganze wirken, doch all’, an Ei-
genliebe reich,

Sich ſelber bloß vor Augen haben; wenn ich ihr Wuͤh-
len uͤberlege,

Und aller Krieg faſt, gegen alle: ſo ſtutz ich, und er-
ſtaune ſchier,

Ob der betraͤchtlichen Gefahr, die allen Meinigen, auch
mir,

Beſtaͤndig uͤberm Haupt geſchwebet. Wenn ich nachher,
die vielen Faͤlle,

Die allen Menſchen taͤglich drohn, als Krankheit, Feuer,
Waſſers-Noth,

Krieg, Armuth, Peſtilenz, Verletzung, Verlaͤhmung,
einen ſchnellen Tod,

Und aller Elementen Krieg, wie billig, mir vor Augen
ſtelle,

Wovor ich, in ſo langer Zeit, durch Gottes Huld, be-
wahret bin;

Wenn ich zugleich die vielen Guͤter, mein Schoͤpfer!
die bloß Dein Geſchenke,

Und die Du mir, aus lauter Gnaden, bisher gelaſſen,
uͤberdenke:

So bricht mein, durch dieß Ueberlegen, mit hoͤchſtem
Recht geruͤhrter Sinn,

Jn heiſſen Seufzern, froͤhlich aus: Regierer aller

Dinge! Dir,
Als einzgem Geber alles Guten, ſey Ehre, Preis
und Dank dafuͤr!

Von
[261]An ſeinem Gebuhrts-Tage.
Vor allem aber dank ich Gott, daß, durch die mir
verliehne Gabe,

Jch mich, an Seiner Haͤnde Werke, nicht oft allein ver-
gnuͤget habe;

Nein, daß ich ſelbige betrachtet, als Seiner Haͤnde Werk;
ja gar,

Daß Er, durch Seine Gnad’ allein, wie ſonſt, auch im
verſtrichnen Jahr,

Bequemlichkeit, Gelegenheit, auch Faͤhigkeit, mir wollen
goͤnnen,

Daß ich, durch manches frohe Lied, ſie andern gleichfals
zeigen koͤnnen:

So daß, wie mancher, hie und dort, durchs Licht der
Wahrheit, ſey geruͤhrt,

Jch, Gott allein ſey Dank dafuͤr! nicht ohne Regun-
gen, verſpuͤhrt.

Mein heiſſer Wunſch iſt: Daß, wofern ich laͤnger
auf der Welt ſoll leben,

Jch darinn, wie in allem Guten, mag, fortzufahren,
mich beſtreben,

Damit die, meiner Einſicht nach, nothwendge Menſchen-
Pflicht auf Erden,

Des Schoͤpfers in den Werken ſich zu freuen, moͤg’ er-
halten werden.

Gieb aber, daß, bey ſolcher Arbeit, mein Jch ſich nicht
zu weit vergeh,

Und glaube, daß, bey dieſer Lehre, durch mich was Son-
derlichs geſcheh!

Laß mich vielmehr, in wahrer Demuth, die große Wahr-
heit wohl bedenken:

“Daß Gott allein die Faͤhigkeit, das Wollen, das Voll-
bringen, ſchenken,

R 3Und
[262]An ſeinem Gebuhrts-Tage.
“Und alles Gute geben muß; daß nichts von allem
uns gehoͤrt;

“Daß wir, auch ſelbſt in guten Thaten, dennoch fuͤr uns
nichts mehrers werth,

“Als ein gebrauchtes Werkzeug iſt.” Den ſo ge-
nannten freyen Willen

Seh man als keinen Vorzug an; indem es wird un-
leugbar ſeyn,

Daß Gott, auch ſelbſt das Wollen, giebt. Wenn wir
demnach was Guts erfuͤllen,

Jſt dennoch nichts von allem unſer; nur Gott gehoͤrt

die Ehr’ allein.


Auf
[263]

Auf meinen Gebuhrts-Tag.
1742.


Der Tag, an welchem ich der guͤldnen Sonnen Schein,

Zum erſtenmal, erblickt, bricht abermal herein.

Schon zwey und ſechszig mal hab’ ich ihn ſehen koͤnnen:

Das drey und ſechszigſte will Gott mir heute goͤnnen.

Wie billig iſt demnach, daß mein geruͤhrter Geiſt

Dich, unſers Lebens Quell, fuͤr ſolche Gnade, preiſt;

Daß ich, fuͤr ſo viel Guts, das ich, in ſo viel Jahren,

Durch Deine Gnad’ allein, genoſſen und erfahren,

Von Herzen dankbar ſey! Jch ſtutze vor der Zahl,

Die nicht zu zaͤhlen iſt. Die Menge ſtoͤhrt die Wahl;

Jch weiß nicht, welches ich von allen, erſt, beſingen,

Was ich verſchieben ſoll. Kein Ton will mir gelingen;

Weil aller Guͤter Zahl, womit Du mich begluͤckt,

Wie eine ſuͤße Laſt, den Geiſt faſt unterdruͤckt.

Jch muß mich dann nur bloß zur Allgemeinheit kehren,

Und Deine Lieb’, o Gott! in frohem Schweigen, ehren.

Dir iſt es ja bekannt, mein Rechnen braucht es nicht,

Was mir von Dir fuͤr Guts geſchehen, und geſchicht.

Jch koͤnnt’, und wuͤrd’ auch leicht, durch ordentlichs
Erzehlen,

Verſchiedner Leſer Sinn, durch Neid und Argwohn,
quaͤlen,

Ob fuͤhrt’ ein eitler Ruhm den Dank-erfuͤllten Kiel,

Und daß ich, in dem Dank, mir ſelbſt zu viel gefiel.

Daher will ich vielmehr, in ſtillem Ueberlegen,

Die Ueberſchwenglichkeit von Deiner Huld erwegen,

Die Du den Meinigen ſowohl, als mir, erzeigt,

Die ihr und mein Verdienſt unendlich uͤberſteigt.

R 4Sey,
[264]Auf ſeinen Gebuhrts-Tag.
Sey, ewge Liebe! dann fuͤr das, was mir erwieſen

Jn meiner Lebens-Zeit, ſo hier als dort geprieſen!

Jch trete dann nunmehr ſchon in mein Stuffen-Jahr,

Wie mans zu nennen pflegt, worinn man viel Gefahr

Den Menſchen prophezeiht; wovon ich aber glaͤube,

Daß mehr der Aberglaub’ uns zu der Meynung treibe,

Als daß ſie gruͤndlich ſey. Erfahrung widerſpricht,

Und unterſchreibt den Schluß von dieſem Satze nicht:

So wird auch der Vernunft es nicht an Gruͤnden fehlen;

Sie heißt es eitlen Wahn, ſie heißt es Tage-waͤhlen.

Jnzwiſchen, da jedoch mein wohlbelehrter Geiſt,

Daß jedes Jahr mit Recht wohl ein Gefahr-Jahr heißt,

Mehr als zu wohl erkennt; ſo ſchuͤtt’ ich Wunſch und
Flehen,

Mein Schoͤpfer! vor Dir aus. Soll ich mein Ende
ſehen,

Jſt meines Lebens Ziel in dieſem Jahr beſtimmt,

Und willt Du, daß darinn mein Lebens-Tocht verglimmt;

So laß mich, wenn Du willt, o Gott! nicht anders
wollen!

Laß mich Dir, meinem Herrn, mein Leben willig zollen,

Voll Glaubens, daß Du mir, nach hier vollbrachter Zeit,

Worein Du mich geſetzt, der ſelgen Ewigkeit

Vergnuͤgen ſchenken wirſt; wozu Du, ewge Liebe!

Aus ewger Liebe bloß, der Hoffnung ſuͤße Triebe

Uns ſelber eingepraͤgt. Wo aber ich allhier

Noch laͤnger leben ſoll; o Gott! ſo ſchenke mir,

Nebſt allen Meinigen, auf allen unſern Wegen,

Doch ferner, wie vorhin, Geſundheit, Weisheit, Segen;

Und ſtaͤrke meinen Geiſt, damit ich jeden Tag,

Jn Deinen Wundern, Dich, mit Luſt, bewundern mag!


Auf
[265]

Auf meinen Gebuhrts-Tag.
1743.


Gott Lob! es iſt, von meinen Jahren,

Auch das, ſo man gefaͤhrlich haͤlt,

Das drey und ſechszigſte, vergangen, und, wie ein Strohm,
dahin gefahren.

Jch ſeh annoch die ſchoͤne Welt.

Mein noch, Gott Lob! geſundes Aug’ ſieht meines erſten
Tages Strahl,

Jn Ruh, Geſundheit, und Vergnuͤgen, zu Gottes Ehren,
abermal.

Was kann ich anders thun, als danken? was ſonſt,
als laue Freuden-Zaͤhren,

Fuͤr Deine Guͤte, Gnad’ und Liebe, Dir, Herr des Le-
bens! zu gewaͤhren?

Dir ſey demnach Lob, Ehr’ und Preis, daß Du mir meine
Lebens-Zeit

So fern, ſo lang’, erſtrecken wollen; daß Du ſo viel
Bequemlichkeit,

Geſundheit, Nothdurft, und Vergnuͤgen, mir in derſelben
wollen goͤnnen!

Zumal, daß ich, HERR! Deine Werke betrachten und
bewundern koͤnnen;

Das ja, ſo viel ich es begreife, der edelſt’ Endzweck faſt
allein

Von unſerm Leben auf der Erden, zu Deinen Ehren,
ſcheint zu ſeyn.

R 5Ach
[266]Auf ſeinen Gebuhrts-Tag.
Ach ſchaͤrfe ferner meine Sinnen! vermehre meines
Geiſtes Kraft,

Daß ich die Schoͤnheit dieſer Erden, ſo mancher Koͤrper
Eigenſchaft,

Genieſſen, ihrer mich erfreuen, in meiner Luſt Dir danken
moͤge,

So lange, bis, nach Deinem Willen, ich mich dereinſt
zur Ruhe lege!

Laß meine Meynung mich nicht taͤuſchen, die ich von
unſern Pflichten hege,

Daß naͤmlich ſie hierinn beſtehn:

“Aus Deinen Werken Dich erkennen, des uns geſchenk-
ten Guts genieſſen,

“Erwegen, daß ſo Geiſt als Koͤrper allein aus Deiner
Liebe flieſſen;

“Uns Dein in Deinen Werken freuen, und Dich, in
unſrer Luſt, erhoͤhn.


Auf
[267]

Auf meinen fuͤnf und ſechszigſten
Gebuhrts-Tag.


Gott Lob! es iſt von meinen Jahren das vier und
ſechszigſte vollbracht;

Der zwey und zwanzigſte September beſchlieſſet es, und
faͤngt zugleich

Das fuͤnf und ſechszigſte ſchon an. Was hab’ ich Dei-
ner Lieb’ und Macht,

O Herr des Lebens! nicht zu danken! Wie wunderbar,
wie Gnaden-reich,

Haſt Du mich, auch dieß Jahr, gefuͤhrt! und ſo viel
Gutes mir erhalten,

Was Du mir bis daher geſchenkt; die Leibes-Kraͤfte,
da ich mich

So ſtark, als jemals, noch befinde. Mein Geiſt, Gott
Lob! befindet ſich,

Nicht minder, noch in vorger Staͤrke: Jch kann mein
Amt ſo gut verwalten,

Als wie es ſonſt von mir geſchehn. Es bluͤhen meine
Kinder auch,

Voll von Geſundheit und von Leben. Zwar mußte,
durch des Todes Hauch.

Von ihnen eins, zu meinem Gram, im abgewichnen Jahr,
erkalten.

Doch hat derſelben ſanfter Tod, in dem empfindlichẽ Verluſt,

Mich ſehr getroͤſtet und geſtaͤrkt; dieß ſtaͤrkt auch jetzt
noch meine Bruſt:

Sie ſtarb vergnuͤgt, wie ſie gelebt. Auch, dieſes traurige
Geſchick

Mir etwas wenigſtens zu lindern, ließ ſie mir einen
Sohn zuruͤck,

Der
[268]Auf ſeinen fuͤnf u. ſechszigſten Gebuhrts-Tag.
Der wenig ſeines Gleichen hat; wie alle, die ihn ſehen,
ſagen.

Daß ich nun dieſen herben Fall noch mit Gelaſſenheit
ertragen,

Erkenn’ ich, daß es Deine Gnade, und meine Staͤrke
nicht, geweſen;

Weil der Erblaßten Werth mir kund. Allein, ich wende
meinen Sinn

Auf tauſend tauſend angenehme, von Dir geſchenkte,
Vorwuͤrf’ hin.

Erweg’ ich, wie ſo oft Du, Herr, zur Luſt und Nah-
rung, mich geſpeiſet,

Jn meinen vier und ſechszig Jahren; ſo traͤget dieſes
eine Zahl

Von, uͤber ſechs und vierzig tauſend, noch ſieben hundert
zwanzigmal;

Wofuͤr, bey der Erinnerung, mein recht geruͤhrter Geiſt
Dich preiſet.

Auch uͤber drey und zwanzig tauſend, bracht ich, in einer
ſanften Ruh,

Drey hundert ſechszig ſuͤße Naͤchte, erquicket und geſtaͤr-
ket, zu.

Die Menge bringt mich zum Erſtaunen: und mein
dadurch geruͤhrt Gemuͤthe

Erhebet, ruͤhmet, dankt und lobet Dein’ Allmacht, Weis-
heit, Lieb’ und Guͤte;

Mit heiſſem Flehn, und feſter Hoffnung, daß mir, ſo lang’
ich auf der Erde,

Dein Lieben ferner Speiſ’ und Trank, und ſanfte Ruhe,
goͤnnen werde!


Auf
[269]

Auf meinen ſechs und ſechszigſten
Gebuhrts-Tag.


Das fuͤnf und ſechszigſte von meinen Lebens-Jahren

Jſt, wie die vorigen, nun auch dahin gefahren:

Das ſechs und ſechszigſte faͤngt ſich jetzt eben an.

Mein Gott! wie fleucht die Zeit! beklagt ſich jeder-
mann;

Jch aber klage nicht. Mit dankbarem Gemuͤthe

Verehr’ ich, in dem Lauf der Dinge, Deſſen Guͤte,

Der alles in der Welt, in ſolcher Richtigkeit,

Jn ſolcher Ordnung, Maß und Daur, bis auf die Zeit,

Bewundernswuͤrdig, weiſ’ und herrlich eingerichtet:

Daß, was vernuͤnftig iſt, und denken kann, verpflichtet,

Jn dieſer ſtillen Dau’r der Dinge, die vergehn,

Ein uͤbermenſchliches Regieren einzuſehn,

Und eine Liebe, Macht und Weisheit zu erhoͤhn,

Die aller Sterblichen Begriff weit uͤberſteiget,

Die ſich unwandelbar, bey aller Aendrung, zeiget.

Jch finde mich, zumal bey dieſer Zeit, geruͤhrt,

Da ich noch denken kann, da noch mein Geiſt verſpuͤhrt,

Was, auch in dieſem Jahr, das eben jetzt verfloſſen,

Jch, durch des Hoͤchſten Huld, fuͤr vieles Gut genoſſen;

Das meine Schuldigkeit mir zur Erinnrung bringt,

Und mich zum Preis und Dank, bey Freuden-Thraͤnen,
zwingt.

Jch bin in dieſem Jahr, Gott Lob! geſund geblieben,

Nebſt allen Meinigen. Sein vaͤterliches Lieben

Hat
[270]Auf ſeinen ſechs u. ſechszigſten Gebuhrts-Tag.
Hat Krankheit, Schmerz und Noth, und Ungluͤck, Fluth
und Brand,

Und manches Creutz, von mir ſo gnaͤdig abgewandt;

Ja einen Sohn, ſo gar in ſchreckenden Gefahren,

Jn Sturm und See-Gefecht, gewuͤrdigt, zu bewahren,

Und ihn, mit Sieg und Beut, von Kugeln unberuͤhrt,

Von Fluthen unverſehrt, juͤngſt zu mir hergefuͤhrt.

Du haſt mir, dieſes Jahr, die Freude wollen goͤnnen,

Daß meine Tochter ich ſo wohl berathen koͤnnen,

Mir einen Schwieger-Sohn, ihr einen Mann, beſchehrt,

Den ſie nicht nur, und ich; den jeder, liebt und ehrt.

Du fuͤhrteſt ſie begluͤckt auf ihren fernen Wegen;

Sie ſpuͤhren auch noch jetzt, in Frankreich, Deinen Segen.

Von meinem andern Sohn lief juͤngſt die Nachricht
ein:

Zu einem hohen Poſt ſollt’ er berufen ſeyn.

Wo es ihm nuͤtzt; ſo gieb, o Gott! daß es geſchehe,

Und daß ich meine Luſt an ſeinen Ehren ſehe!

Mein heiſſer Wunſch iſt der: HERR! laß mich

alles dieß,
Nebſt ſo viel anderm Gluͤck, nebſt ungezaͤhlten
Gaben
Am Koͤrper und am Geiſt, die ich annoch genieß,
Die noch kein Alter ſchwaͤcht, doch oft vor Augen
haben!
Laß mich mein kuͤnftigs Jahr, und ganze Lebens-
Zeit,
Jn frohem Ueberſchlag, und in Erkenntlichkeit,

Daß
[271]Auf ſeinen ſechs u. ſechszigſten Gebuhrts-Tag.
Daß Du allein die Quell von allem Guten,

bleiben,
Und, wo es Dir gefaͤllt, viel Nuͤtzliches noch ſchreiben,
Zu mein- und andrer Lehr! Gieb, daß ich, jeden
Tag,
Jn dieſer ſchoͤnen Welt Dein’ Allmacht zeigen mag,
Bis Deine Vater-Huld, zum irdiſchen Vergnuͤgen,
Dereinſt, wenn Dirs gefaͤllt, ein himmliſches wird
fuͤgen!


Das
[272]

Das Buch der Natur.


Unſre Sprachen, unſre Woͤrter, ſchrift- und muͤndlich,
kommen mir,

Als verkoͤrperte Gedanken unſrer regen Seelen, fuͤr.

Sollte man, mit Recht, nicht koͤnnen

Die betraͤchtlichen Figuren

Der, im allgemeinen Welt-Raum, ſicht- und hoͤrbarn
Creaturen,

Zeichen Goͤttlicher Gedanken, Worte, die verkoͤrpert,
nennen?

Lettern jenes großen Worts, da der Schoͤpfer ſprach:
Es werde?

Schriften, die Sein ewigs Wollen, durch die Weisheit,
Allmacht, Liebe,

Fuͤr belebte Creaturen, ſie zu unterweiſen, ſchriebe?

Dieß heißt billig das Natur-Buch. Unſer ganzer Kreis
der Erde

Jſt darinn ein einzigs Blatt. Andre Kreiſe, welche man,

Nebſt den Sonnen, in den Sternen, zaͤhlen, und nicht
zaͤhlen, kann,

Seh’ ich, in erſtaunter Ehrfurcht, als ſo viele Blaͤtter, an,

Die die Majeſtaͤt der Gottheit, uns, auf eine Weiſ’,
erklaͤren,

Als es aller Menſchen Schriften, Wort’ und Buͤcher,
nimmer lehren.

O du großes Buch der Weisheit! wem dein

Jnhalt recht bekannt,
Der haͤlt billig alle Buͤcher, die die Menſchheit
ſchrieb, fuͤr Tand.


Ver-
[273]

Vergleichung anderer Creaturen
mit dem Mond.


Von uns ſind alle Creaturen, (indem ſie nicht ſelbſt-
ſtaͤndig ſchoͤn,

Und bloß durch ihren Schoͤpfer nur) mit Recht, nicht an-
ders anzuſehn,

Als wie, in einer finſtern Nacht, wir unſers Mondes
Silber-Schein,

Wenn wir ihn mit Vernunft betrachten, ſtets anzuſehen,
ſchuldig ſeyn.

Wir wiſſen, daß, wie angenehm und reizend gleich
ſein holdes Licht,

Er doch von ſeinem hellen Schimmer ein eigentlicher Ur-
ſprung nicht;

Als welchen er nur von der Sonnen, und ihrem Lebens-
Strahl, erhaͤlt.

Daher wir, wenn, bey ſtiller Nacht, der Mondſchein
uns ſo wohl gefaͤllt,

Wir, voll Vergnuͤgen, billig denken: Daß wir im Son-
nenſchein ſpazieren,

Und daß uns, in des Mondes Licht, der Sonne Strahlen
wirklich ruͤhren.

Auf gleiche Weiſe muͤſſen wir die Creaturen auch
betrachten,

Und, in derſelben Schoͤnheit, Den, durch Deſſen Wollen
ſie ſo ſchoͤn,

Geruͤhrt durch ihren Schmuck, doch mehr durch dieſes
Schmuckes Quelle, ſehn,

Und, im Vergnuͤgen, ihre Schoͤnheit, doch mehr Den,
Der ſie ſchenkt, betrachten.

8 Theil. SNoch
[274]Vergleichung andererCreaturẽ mit dem Mond.
Noch wirklicher iſt Er bey ihnen, als wie die Sonn’
im Mond, zu ſpuͤhren:

Da ſie ſo wenig, ſonder Jhn, als in des Mondes Fin-
ſterniß

Er Licht behaͤlt, den Schmuck behalten; nein, alle Schoͤn-
heit gleich verlieren,

Ja gar vergehn und ſchwinden wuͤrden. Jſt dieſe Wahr-
heit nun gewiß,

Wie ſie wahrhaftig iſt; ſo denket, ob es nicht eure Pflicht
erfodert,

Die Creaturen zu betrachten und anzuſehn? ſo ihrent-
wegen,

Als euch in ihnen zu vergnuͤgen? auch, da der Schoͤpfer
Selbſt zugegen,

Ob nicht, zum wahren Gottes-Dienſt, mit Recht ein
Andacht-Opfer lodert?

Da wir in ihnen uns vergnuͤgen, zu Gott uns nahn;
ja gar, in ihnen,

Wenn wir derſelben uns erfreun, und, ſelbſt durch unſre
Luſt, Jhm dienen:

So geb’ ich allen Menſchen, Chriſten, und Geiſtlichen,
zu uͤberdenken,

“Wie es ſo noͤthig, Sinn und Seelen auf unſers Schoͤp-
fers Werke lenken.


Der
[[275]]

Der Winter.


S 2
[[276]][[277]]

Der Bluhmen-Topf.


Jm Winter.
Mein Gaͤrtner ſchickt’, im Januar,

Wie alles noch gefroren war,

Mir einen Topf mit ſchoͤnen Bluhmen, an
welchen ich mich recht erquickte:

Jndem ich Hyacinthen, Crocos, theils weiß, theils Pur-
pur, drinn erblickte,

Auch manche Schnee-Bluhm’; uͤberall mit jungem fri-
ſchem Laub umgeben.

Er hatte, bey den ſelbſt gewachſnen, um ihre Pracht
noch zu erheben,

Levcojen, Nelken und Violen, nebſt rothem Pfeffer,
eingeſteckt;

Wovon der Farben bunte Menge, dem Blick, ſo manche
Luſt erweckt,

Der ſie bald all, bald einzeln, ſah. Sie hatten mich
am Tag’ ergetzet:

Nicht weniger zur Abend-Zeit, wie ich ſie nah ans Licht
geſetzet;

Woſelbſt ich, ſo wie ich gewohnt, das Licht mit meiner
Hand bedeckt,

Und dadurch, mit geſtaͤrkten Augen, da ſie dem Schein
des Lichts ſo nah,

Derſelben Farben, Glanz und Gluht verdoppelt und
vervielfacht ſah.

S 3Allein,
[278]Der Bluhmen-Topf.
Allein, ich hab’ ein neu Vergnuͤgen, an dieſer Bluh-
men Pracht, empfunden,

So ich bisher noch nicht beacht. Jch ſah u. ich bemerkte ſie,

Von ungefehr, wie ich erwacht, noch eins, des andern
Morgens, fruͤh,

Noch ehe ſich des Tages Licht, in vollem Schimmer,
eingefunden.

Man ſahe ſolches, ungewiß, bey noch vorhandner Daͤmm-
rung Graͤnzen,

Zwar ziemlich klar, doch aber noch in einem ſchwachen
Grade, glaͤnzen.

Was nun der ſanft gebrochne Schein, fuͤr eine ſuͤße
Harmonie,

Auf meinem Bluhmen-Topf, erweckte,

Und welchen Schmuck er mir entdeckte;

Beſchreib’ ich dir, geliebter Leſer, zwar gern, jedoch nicht
ohne Muͤh.

Es ſchien der Reſt verſchwundner Schatten,

Mit dem erſt neugebohrnen Licht, und jungen Farben,
ſich zu gatten.

Man konnte faſt den ſanften Kampf der Schatten und
des Lichts bemerken:

Die ſah man, ſich allmaͤhlich ſchwaͤchen; und dieſe, ſich
faſt ſichtlich ſtaͤrken.

Man ſiehet zierliche Figuren, aus einem leeren Dunklen,
ſteigen,

Und, wie aus einem Chaos, ſich, ſonſt nicht geſehne
Farben, zeigen.

Die bunten Lieblichkeiten waren zwar nicht ſo ſtark,
ſo brennend nicht,

Als wie der volle Tag ſie zeigt; dennoch war das ge-
brochne Licht

So
[279]Der Bluhmen-Topf.
So ſuͤß gemildert, und ſo ſanft gemiſcht, gedaͤmpft,
und dennoch ſchoͤn,

Um und im ganzen Buſch, zu ſehn.

Ein’ angenehme liebliche durchſichtge bunte Daͤmmerung

Bedeckt’, umgab, durchdrung,

Die Bluhmen und das Laub; wovon das zarte Gruͤn

Den dunklen Boden ſelbſt ſanft gruͤn zu faͤrben ſchien.

Jch ſtellte mir, bey dieſem ſanften Flor,

Die gleichſam junge Welt, beym fruͤhen Morgen, vor:

Die wir, bevor uns, von Auroren,

Der volle Morgen wird gebohren,

Jn ſolcher ſanften Pracht, fruͤh, taͤglich ſehen koͤnnen.

Nur iſt betruͤbt, daß wir ihr nicht,

Zu unſrer Luſt, nach unſrer Pflicht,

Den Blick und die Betrachtung goͤnnen:

Vielmehr den ſchoͤnſten Theil des Lebens, der recht
zu unſrer Luſt erſchaffen,

Nicht unſrer Achtung wuͤrdig ſchaͤtzen; nein, ihn ver-
ſchnarchen und verſchlafen!

Mit welcher Anmuth koͤnnten wir, ſich Licht, Figur
und Farben mehren,

Und, in den friſch bethauten Pflanzen, die Schoͤnheit,
nebſt dem Tag, gebaͤhren,

Sich alles ſtets verſchoͤnern ſehn! Wie wuͤrden, nebſt
des Koͤrpers Augen,

Auch unſers Geiſtes Augen nicht, das Licht, die Schat-
ten, ſanft verdrengen,

All’ Augenblick, mehr Himmliſches ſich mit den irdſchen
Theilen mengen,

Zu ſehn und zu bemerken taugen.

S 4Es
[280]Der Bluhmen-Topf.
Es hatt’ ein gleichſam dunkles Nichts

Die Pracht der Welt, vor uns, verſtecket;

Fruͤh wird ſie, durch den Glanz des Lichts,

Dem frohen Geiſt, durchs Aug’, entdecket.

Ach! daß ihr, in der Creatur, und in der Gabe

des Geſichts,
Noch in dem ſchoͤnen Lichte nicht, den Schoͤpfer,
Der die Erde ſchmuͤcket,
Formiert und faͤrbet, nicht bemerkt, und nicht des
Lichtes Quell erblicket!

Zu dieſem Denken brachte mich der ſchoͤne Bluhmen-
Topf, der mir,

Fruͤh in der Daͤmmerung, die Zier

Der fruͤh geſchmuͤckten großen Welt,

Jm Kleinen, deutlich vorgeſtellt.


Der
[281]

Der ſchon in Weihnachten gruͤnende
Linden-Zweig.


Jm vier und vierzigſten, nach ſiebzehn hundert Jahr,

Ward mir ein Linden-Zweig, der ſchon beblaͤttert
war,

Zur Weihnacht-Zeit, gebracht. Jch ſtutzte fuͤr Ver-
gnuͤgen;

Jch glaubt’, es moͤchte mich mein ſchnelles Auge triegen.

Drum nahm ich ihn, in Eil, begierig, in die Hand,

Da ich ihn wirklich gruͤn, und voller Laub, befand.

Kann dieſes moͤglich ſeyn? mein Gott! rief ich, fuͤr
Freuden;

Kann auch, im Winter, ſich ein Zweig mit Blaͤttern
kleiden?

Es uͤberlief mein Blick die Farben, Form und Schein.

Unmoͤglich kann ein Laub, im Fruͤhling, ſchoͤner ſeyn.

Der Zweig war weißlicht gruͤn, rund, ſtarr und lieblich
glatt.

Ein ſtaͤrker gruͤner Glanz deckt jedes zarte Blatt,

Das wie ein Herz formiert, ſehr zart gewebt und platt;

Das, um den aͤuſſern Rand, gekerbte Spitzen hatt’,

Und worinn man, mit Luſt, der Adern Meng’ erblicket,

Die das durchſichtge Laub ernaͤhret, ſtuͤtzt und ſchmuͤcket.

Wie nun mein Aug’ hierauf, auf jedes Blattes Stiel,

Und ihre zierlich rund- und ſchlanke Laͤnge fiel;

Erſtaunt’ ich. Denn es ward mein ſchneller Blick gewahr,

Wie, an des Stieles Fuß, auch ſchon fuͤrs kuͤnftge Jahr,

S 5Ein
[282]Der in Weihnachten gruͤnende Linden-Zweig.
Ein kleines Knoͤſpchen ſaß. Die Blaͤtter an der Spitzen

Sah ich, annoch verhuͤllt, in kleinen Huͤlſen ſitzen;

Wovon ein einziges, das recht unglaublich klein,

Noch unentwickelt, ſchien ein Embryo zu ſeyn.

Jch konnte mich nicht ſatt, an dieſem Wunder, ſehen.

Allein, es blieb mein Geiſt dabey nicht lange ſtehen.

Jch fragte: Wie man es mit dieſem Zweig gemacht,

Und wodurch man ihn doch zum fruͤhen Wuchs gebracht?

Die Antwort war: Man haͤtt’ ihn, durch ein Scheiben-
Glas,

Jn eine warme Stub’ allmaͤhlich eingeleitet,

Wodurch er ſich, von ſelbſt, belaubt und ausgebreitet.

Wie, dacht ich, ſteckt im Stamm’, im Froſt, noch
ſo viel Kraft?

Wie, oder zog der Zweig des Wachsthums Eigenſchaft

Aus einer warmen Luft? Jch faßte beydes nicht.

Dennoch nahm ich daher ſo viel zum Unterricht:

Daß der Natur Trieb ſich, in Pflanzen, nicht vermindre,

Und daß die Kaͤlte bloß den ſteten Wachsthum hindre.

Dieß haſt du, liebſter Zweig, mich nun, mit Luſt,
gelehrt:

Du haſt mich auch zugleich, voll Andacht, hingekehrt

Zum Herrn der Creatur; da Er mir goͤnnen wollte,

Daß ich mich, Jhm zum Ruhm, an dir vergnuͤgen
ſollte.


Von
[283]

Von der Kaͤlte ausgepreßte Seufzer.
Den 11 Jun. 1741.


Mildre doch den kalten Duft

Jn der Luft,

Welcher alle Luſt vermindert,

Und uns hindert,

Des bebluͤhmten Schmucks der Erden

Froh zu werden!

Laß (wie unſre ſchoͤnſte Zeit,

Jn den abgewichnen Jahren,

Durch der Kaͤlte Widrigkeit,

Ungepruͤft, davon gefahren)

Auch nicht abermal ein Theil

Unſrer Zeit, in ſtrenger Eil’,

Ohne, daß wir es verſpuͤhren,

Uns, auch heuer, nicht verlieren!

Zwar verdienten wir es wohl:

Weil wir nicht (wie man doch ſoll)

Deine Lieb’, in Deinen Werken,

Mit vergnuͤgtem Ernſt, bemerken;

Sondern, durch Gewohnheit blind,

Luſt-Geruch- und Fuͤhl-los ſind.

Aber, da wir es erkennen;

Ach! ſo ſenke laue Duͤfte,

Statt der kalten, in die Luͤfte:

Daß auch wir, von Andacht heiß,

Jn vernuͤnftger Luſt entbrennen,

Unſers Lebens hier genieſſen; Dir Dank, Ehre,
Lob und Preis,

Jn bequemlicher Betrachtung Deiner Wunder,
geben koͤnnen!


Der
[284]

Der fruͤhe Froſt.
1741.


Es ragten die noch friſch- und gruͤnen Binſen,

Aus der ſchon ſtarren Fluth, hervor,

Und ſtreckten, da ihr Fuß gefeſſelt, die Spitzen aus dem
Eis empor.

Die ſonſt ſchon laͤngſt geſunknen Waſſer-Linſen

Sah man, darob erſtaunt, und dennoch mit Vergnuͤgen,

Als im durchſichtigen Chryſtall,

Jm glatten Eis, als eingeſchmelzet, liegen.

Es ward hiedurch ein gruͤnes Eis formiert.

Es ſchien das ſchnell erſtarrte Naß

Nicht anders, als ein Spiegel-Glas,

Das man mit gruͤner Farb’ und Rankenwerk geziert,

Und kuͤnſtlich uͤbermahlt. Jch ſahe dieß mit Luſt.

Und obgleich die beſorgte Bruſt,

Die zu befuͤrchtende zu fruͤhe Kaͤlte, ſchreckte,

Die mir, vom vorgen Jahr, noch im Gedaͤchtniß ſteckte;

So ſah ich doch, vergnuͤgt, dieß ſchoͤne Schauſpiel an,

Und troͤſtete den bangen Muth,

Mit dieſem ſtillen Ueberlegen:

“Daß Gott es leichtlich aͤndern kann;

“Und daß, was Er gethan, und thut,

“Unwiderſprechlich, gut.


Unter-
[285]

Unterſuchung
der die Erde begleitenden Luft-Kugel,
ſamt der
vermuthlichen Urſache
der,
bey ſo beſtaͤndiger Bewegung der Erde,
ſo veraͤnderlichen Winde.


Nachdem ich oft den weiten Luft-Kreis, der unſer’
Erd’ umgiebt, betrachtet,

Deſſelben Hoͤhe, Tiefe, Weite, auch was darinn geſchicht,
beachtet,

Und ich in dieſen hohlen Raum den Geiſt verſenket’,
und befand,

Daß, wie dort alles ſehr betraͤchtlich, uns alles doch
faſt unbekannt;

Bemuͤht’ ich mich nach allen Kraͤften, von der bewegten
Luft, den Winden,

Den Zuſtand, ob, und auch wie weit, mir moͤglich, etwas
zu ergruͤnden:

Jndem man, durch der regen Erde beſtaͤndig- und gleich-
foͤrmigs Drehn,

Faſt glauben ſollt’, es muͤßten auch die Wind’ auf gleiche
Weiſe wehn.

So viel wir, von dem Dunſt- und Luft-Kreis um
unſer Erden-Kugel, faſſen;

So wird, von ihren aͤuſſern Graͤnzen, ſich anders nichts
begreifen laſſen,

Als,
[286]Unterſuchung der Luft-Kugel,
Als, daß dieſelben gleichfals rund ſeyn, und, mit der
Ruͤndung unſrer Erden,

Worauf die untern Graͤnzen ruhn, faſt gleich gerechnet
koͤnnen werden.

Jn dieſem groß- und weiten Kreiſe von fluͤßiger
Materie,

Jſt ganz erweislich, daß die Erde, nebſt ihr, ſich um
die Sonne dreh.

Da nun von einer runden Kugel, die ſich um feſte Angel
lenket,

Die eigentliche Bildung dieß: daß ſie am groͤßten in der
Mitten,

Und daß ſie eng- und kleiner wird, je weiter ſie ſich
abwaͤrts ſenket;

Wie uns ein Apfel zeigen kann, wenn man ihn dreymal
durchgeſchnitten,

Erſt mitten durch, dann nach den Ecken: ſo weiſet ſich
von ſelber ja,

Daß zwiſchen denen Tropicis, und in der Zona torrida,

Der Erden Rund am allergroͤßten; hingegen immer
kleiner werde,

Je naͤher ſie den Angeln koͤmmt. So wie nun die Figur
der Erde;

So muß die Luft, die auf ihr ruht, wo ſich ihr Grund
ſenkt, auch ſich ſenken,

Und folglich nach den beyden Angeln von oben immer
abwaͤrts lenken:

Wodurch daſelbſt, an Luft, dann mehr, als oben, ſich
zu finden ſcheint,

Als die ſich, durch der Erde Senkung, durch eignes Sen-
ken da vereint.

Wann
[287]und Urſachen der veraͤnderlichen Winde.
Wann nun begreiflich, da die Erde, in einer ſtarken
Fahrt, ſich drehet;

Daß da, woſelbſt ihr Kreis am groͤßten, der Drang
am heftigſten entſtehet,

Jn der daſelbſt vom Sonnen-Feur zugleich gedehnten
Luft; wie wir

Dann, zwiſchen denen Tropicis, die Wirkung finden,
da wir hier

Die Wind’ in unveraͤnderlich- und immer gleichem Gange
wehen,

Und halbe theils, theils ganze Jahre, in einem Zuge
blaſen ſehen:

Wann aber, gegentheils, bey uns, in unſerm kaͤltern
Himmels-Strich,

Die Winde ſo veraͤnderlich;

So ſcheint die Urſach klar zu ſeyn, daß ſich die Luft
mehr abwaͤrts lenkt,

Und auf der runden Erden-Kugel, die hier ſich ſenkt,
herunter ſenkt.

Da dann, indem ihr hier zugleich, der Widerſtand von
mehrerer,

Und nicht ſo ſehr verduͤnnter, Luft, in ihrem Gang’, im
Wege ſtehet,

Der Wind unordentlicher ſtets, und nimmer ſo beſtaͤndig,
wehet;

Zumal auch die vermengten Duͤnſte, die ſtets ſich in die
Luft erheben,

Von allerley Materien, zu dieſen Winden Anlaß geben.

Dann tritt, vermuthlich, dieß noch bey, daß aus den
Polis, wie man meynt,

Und es aus der Erfahrung ſcheint,

Von
[288]Unterſuchung der Luft-Kugel, ꝛc.
Von einem Luft-Meer in der Erde, das man Centraliſch
heiſſet, quille,

Ein nie verſiegner ſtarker Luft-Strich, der ſtets die aͤußre
Luft erfuͤlle,

Veraͤndre, reg’ und fluͤchtig mache. Aus dieſem allem
zeiget ſich,

Woher bey uns, in unſerm Welt-Strich, die Winde
ſo veraͤnderlich:

Wie laͤcherlich es folglich ſey, daß man, bey ſo geſtalten
Sachen,

(Da Winde meiſt das Wetter machen)

Von einer kuͤnftgen Witterung, in den Calendern es will
wagen,

Was Zuverlaͤßiges zu ſagen.

Es zeigt, aus angefuͤhrten Gruͤnden, nicht minder ſich,
zu gleicher Zeit,

Vom Luft-Kreis, und vom Bau der Erde, die Ordnung
und die Richtigkeit:

Wie herrlich alles eingerichtet, nach Regeln, nach Ge-
wicht und Maße;

Auch, daß der Menſchen Geiſt davon zwar wenig, den-
noch etwas, faſſe.

Verdienet dann ſo großer Werke Quell, Urſprung,

Schoͤpfer, Herr und Meiſter,
Der auch zugleich, ſie zu erkennen, uns einen Strahl
in unſre Geiſter,
Aus Seinen Wundern Jhn zu merken, vor allen
Thieren, eingeſenkt,
Nicht, daß man ſie erwegt, und Jhm ein heiliges
Bewundern ſchenkt?


Nutzen
[289]

Nutzen des Mangels.
Neu-Jahrs-Gedicht auf 1739.


Jm ſich bisher, fuͤr unſre Flaͤche, vom Licht entfernden
Sonnen-Wege,

Der, um der Jahres-Zeiten Wechſel, vom Schoͤpfer,
wunderbarlich ſchraͤge,

Geordnet worden und gemacht, entfernt die Erde ſich
nicht mehr.

Jndem derſelben großer Weg von oben ſich herabwaͤrts
ſenkt,

Wird unſer ſtets beweglichs Wohnhaus, die Welt, zu-
gleich herab gelenkt;

Und eben dadurch ſtammt, fuͤr uns, der Sonnen-Strah-
len Wiederkehr.

Die Sonne faͤllt, indem wir ſinken, nach Nordens Flaͤche
nach und nach,

Mit ihren Strahlen allgemach,

Und uͤber unſern Erd-Strich her:

Der, da er, bis daher, beſtaͤndig, in ſeinem Gange hoͤ-
her ſtand,

Vom Sonnen-Feuer abgewandt,

Und nicht getroffen werden konnte, von dem erwaͤrmden
Flammen-Meer.

Kein groͤßer Zeichen Deiner Wunder, als daß die Erde
ſchraͤge ſteht,

Auch ſich, in einem ſchraͤgen Weg, beſtaͤndig um die
Sonne dreht,

Wodurch ſie ſich, zu unſerm Nutzen, bald ſenkt, bald
wiederum erhoͤht,

8 Theil. THaſt
[290]Nutzen des Mangels,
Haſt Du, o Gott! uns hier gezeigt: Ein Wunder, das
vor andern wehrt,

Daß man, mit recht geruͤhrter Seele, den wahren Gott
darinn verehrt.

Da heute nun der Tag, den wir, mit Recht, bey die-
ſem Wechſel, feyren;

So laßt uns, unſerm Gott zur Ehr’, auch unſern Preis
und Dank erneuren:

Unendlicher Schoͤpfer! unendliche Liebe! unend-

liche Weisheit! unendliche Macht!
Wir preiſen, in Deiner erſchaffenen Wunder, den
Geiſtern enthuͤlleten, Ordnung und Pracht,
Mit frohem Entſetzen, Erſtaunen, Betrachten,
Mit tiefer Bewundrung, Verehrung, Erkenntlich-
keit,
Des Goͤttlichen, nie zu ergruͤndenden Weſens, auch
Engeln verborgene, ſelge Vollkommenheit.

Auf dann, mein Geiſt! bereite dich; laß jetzo, zu der
Gottheit Ehren,

Jn Dank, Betrachtung und Bewundrung, von Seiner
Lieb’ ein Dank-Lied hoͤren!

Es ſoll von meines Schoͤpfers Huld, und weiſen Macht
in allen Dingen,

Zumal wie Er, durch unſern Fleiß, ja ſelbſt durch Duͤrf-
tigkeit, die Welt,

Auf recht bewundernswerthe Weiſe, regieret, leitet und
erhaͤlt,

Jm ſonſt nicht gar bekannten Ton, mein angeſtimmtes
Lied erklingen.

Ach
[291]in einem Neu-Jahrs-Gedichte.
Ach laß, o weiſeſter Regierer! von meinem Dir geweih-
ten Singen,

Den Ausdruck, wie die Abſicht, Dir gefallen, und mein
Thun gelingen!

Daß dieſe Welt ganz unbegreiflich, ſo manchen ganz
verſchiednen Staat,

Und jeder Stand und Staat aufs neue ſo viele Reich’
und Arme, hat;

Daß manche gluͤcklich, wenn viel andre hingegen ungluͤck-
ſelig, ſcheinen:

Jſt (wie vielleicht die allermeiſten es in der That nicht
anders meynen)

Gar nicht ein ungefaͤhrer Zufall. Vielmehr hat alles
ſeinen Grund,

Jn einer Goͤttlich-weiſen Ordnung; die aber bloß nur
denen kund,

Die es, in Demuth, uͤberlegen. Man wird, wenn dieß
geſchicht, befinden,

Daß die Verſchiedenheit der Staͤnde, auch nach den
allerſtrengſten Gruͤnden

Der menſchlichen Regierungs-Kunſt, nicht nur von allen
Maͤngeln frey;

Nein, daß ſie gar, zum Heil des Ganzen, unwiderſprech-
lich noͤthig ſey:

So daß, wenn man dieß ſcheinend Uebel, das aber, in
der That, ein Gut,

Wodurch des Hoͤchſten weiſe Vorſicht beſondre Wunder
an uns thut,

Vermoͤgend waͤren, wegzunehmen, und es zu aͤndern;
auf der Erden

Ein’ ungluͤckſelige Verwirrung, die unertraͤglich, wuͤrde
werden.

T 2Was
[292]Nutzen des Mangels,
Was alles auf der Welt erhaͤlt, was alles auf der
Welt verbindet,

Jſt die nothwendge Wechſel-Huͤlfe, die einer an dem
andern findet;

Weil keiner lebt auf dieſer Erden, er fang’ es, wie er
will auch, an,

Der keines andern noͤthig hat, und ſonder alle leben kann.

Wer vieles kann, hat ſelten viel: Wer viel beſitzt, wird
nicht viel koͤnnen.

Daher entſteht, da dieſer hat, und jener kann, ein Gleich-
gewicht,

Wenn der, der hat, dem, welcher kann, und der, ſo kann,
nach ſeiner Pflicht,

Das, was er kann, dem, der da hat, fuͤr das, was er hat,
gern wird goͤnnen:

Wodurch die Reichen und die Armen, die Klugen, Dum-
men, Starken, Schwachen,

Die tapfer ſind, und die, ſo furchtſam, ein Buͤndniß
mit einander machen,

Und ſich, ohn beyderſeits Verderben, nicht koͤnnen von
einander trennen.

Nun muß zwar (wie in vielen Dingen) von vielen,
welche dieß nicht faſſen,

Auch hier die allerhoͤchſte Weisheit Sich, von der Thor-
heit, meiſtern laſſen;

Wenn faſt die meiſten ſich beſchwehren, daß Gott der Herr,
in dieſem Leben,

Nicht allen Menſchen, Seine Guͤter, in einem gleichen
Maß gegeben:

Allein, wenn ſie es unterſuchten, ſo wuͤrde jedermann
geſtehn,

Daß alle Dinge, die geſchehen, zu ihrer aller Heil geſchehn.

Um
[293]in einem Neu-Jahrs-Gedichte.
Um nun, von dieſer großen Wahrheit, ein deutlichs
Ebenbild zu geben,

Will ich, was einſt Chryſoſtomus, zu dieſem Endzweck,
von der Welt

Fuͤr ein vortreff lichs Bild gezeigt, euch auch zu zeigen,
mich beſtreben.

Er ſpricht: Es ward, vor vielen Jahren, zu einer
recht gluͤckſelgen Stadt,

Ein unvergleichlich fruchtbarer und ſchoͤner Boden aus-
erſehen,

Der alles, was nur die Natur, an Pracht und Luſtig-
keiten, hatt’,

Jn ſeiner Lag’ in ſich beſchloß. Die allerzierlichſten Alleen,

Die allerherrlichſten Pallaͤſte, von Marmor, Jaſpis und
Porphier,

Die allerſchoͤnſten Luſt-Fontainen, Boſquetten, Gaͤrten,
waren hier;

Parterren, Waͤlder von Laurier, Orangerien, große Teiche.

Die Buͤrger dieſes Luſt-Reviers, ſind lauter Edle, lauter
Reiche,

Jn Purpur und Drap d’or gekleidet, mit Perlen und
Rubin behangen.

Man ſahe nichts, als guͤldne Meublen, in ungemeßnen
Zimmern, prangen.

Um nun, mit ſich allein vergnuͤgt, in Ruh’ und Sicher-
heit zu ſeyn;

So gruben ſie die Ueberſchrift, auf allen ihren Thoren, ein:

Kein Armer nahe ſich herzu! kein polternd Hand-

werk, Hunger, Noth!
“Kein graͤmlichs Sorgen! keine Bauren! kein’
Arbeit! keine Sucht nach Brodt!

T 3Hin-
[294]Nutzen des Mangels,
Hingegen ward ein’ andre Stadt, an einem andern
Ort, gebauet,

Wo man, auf einem duͤrren Sande, nur ſtarr’ und duͤrre
Dornen ſchauet;

Wo nichts, als kalter Kieſelſtein, verfaultes Mooß, und
truͤbe Luft,

Jm Schatten eines ſchroffen Felſens; wo den nicht leicht
zertheilten Duft

Die Sonne kaum zu Mittag theilet. Hier wird ein
ſchwirrendes Getoͤn

Beſtaͤndig, Tag und Nacht, gehoͤrt. Nur Handwerks-
Huͤtten ſind zu ſehn;

Beſchmutzte Buden, niedre Daͤcher. Die Buͤrger die-
ſer armen Stadt

Sind Handwerks-Arbeits-Acker-Leute, nie ruhig, ſtets
von Arbeit matt.

Nun laßt uns einſt, mit ernſtem Fleiß, auf das Be-
tragen und das Leben

Der Seligen der erſten Stadt, wo nichts als Reichthum,
Achtung geben.

Wie lange wird die Freude dauren, wie lange die Zufrie-
denheit?

So bald die Mittags-Zeit erſcheinet, entfernt ſich die
Bequemlichkeit:

Kein Koch, kein Diener, iſt zugegen, kein Eſſen gaar,
kein Tiſch gedeckt.

Da ſich, zu einer Mahlzeit nur, die Zahl der Haͤnde
weit erſtreckt,

Die alle dazu noͤthig ſind; ſo iſt kein’ einzige vorhanden.

Viel guͤldne Schuͤſſeln, Teller, Aufſaͤtz’ und ſilberne Ge-
faͤße ſtanden,

Jn
[295]in einem Neu-Jahrs-Gedichte.
Jn großer Anzahl, auf der Tafel; allein, ſie waren kalt
und leer.

Es murrte der betruͤbte Magen, bey dieſem Reichthum,
immer mehr.

Das Geld und Gold, ein wahrer Proteus, der ſich in
allerley verkehrt,

Wenn er ſich nicht verwandeln kann, verlieret alsbald
ſeinen Wehrt,

Und hat nicht den geringſten Nutzen. Sie wollten ſich
zur Ruhe legen;

Kein aufgemachtes Bett war da: Kein Knecht, kein
Maͤdchen, war zugegen;

Ein jeder muß ſich ſelbſt entkleiden. Fruͤh zeigte ſich
dieſelbe Noth:

Es war nicht Kleid, nicht Waͤſche, da; es mangelte
das Morgen-Brodt.

Und kurz: Sie wurden bald gewahr, daß Reiche unter
ſich allein,

Mit lauter Reichen, ſonder Arme, unmoͤglich koͤnnen
gluͤcklich ſeyn;

Ja, daß ſie ſelbſten arm ohn’ Arme, mit allem Reich-
thum, werden muͤſſen.

Sie wuͤrden ſonder Kleider gehn, und ſonder Schuh’
an ihren Fuͤſſen:

Sie muͤßten, mitten in dem Golde, ſelbſt hacken, gra-
ben, pfluͤgen, ſaͤ’n;

Selbſt backen, brauen, Kleider machen, ſelbſt waſchen,
ſpinnen, egen, maͤh’n.

Die Armen koͤnnten ebenfals unmoͤglich ohne Reiche
leben:

Wem wollen ſie, von ihrem Fleiß, die Frucht; wem
ihrer Stirne Schweiß,

T 4Der
[296]Nutzen des Mangels,
Der Hand Geſchicklichkeit, und wem, der ſtarken Armen
Arbeit, geben?

Von welchem wollen ſie den Lohn, von aller ihrer Muͤhe,
heben?

Ein ſolch bewundernswuͤrdigs Band verbindet jetzo Herr
und Knecht,

Die Bauren, Edelleut’, und kurz, das ganze menſchliche
Geſchlecht.

Die Armuth iſt der Welt ſo noͤthig, daß, ohne ſie,
die Welt nicht Staͤdte,

Nicht Ordnung, nicht Bequemlichkeit, Geſetze, noch
was Gutes, haͤtte.

Waͤr’ Armuth nicht; waͤr’ alles arm. Ein jeder wuͤrde
nicht allein

Sein eigner Diener werden muͤſſen; wir wuͤrden, auf
dem trocknen Lande,

Nicht anders, als durch Sturm verſchlagnes ſchiff bruͤ-
chigs Volk auf oͤdem Strande,

Jn einem Meer von Elend wuͤhlen, und ſonder Schutz
und Huͤlfe ſeyn.

Noch mehr! wir koͤnnen deutlich zeigen, daß bloß allein
die Armuth wehrt,

Daß wir ſie aller Kuͤnſte Mutter, die ſie erzeugt, erhaͤlt,
ernaͤhrt,

Mit Recht, unwiderſprechlich, nennen. Der Mangel
uns nothwendger Guͤter

Schaͤrft, wie der Wetzſtein ſtumpfen Stahl, die unge-
ſchliffenſten Gemuͤther,

Und ſpornet ſie zum Denken an: ſo daß, wenn wir ſie
von uns trennten,

Wir, ſonder Wiſſenſchaft, Erfindung, uns ſelbſt kaum
Menſchen nennen koͤnnten.

Erwege
[297]in einem Neu-Jahrs-Gedichte.
Erwege dann, auch ſelbſt im Mangel, was er fuͤr
Wunder an uns thut,

Da er allein, uns, alle Staͤnde, den geiſtlichen nicht
ausgenommen,

Zum kuͤnft- und gegenwaͤrtgen Nutzen, gewaͤhret! was
er fuͤr ein Gut!

Und was wir, durch die Duͤrftigkeit, fuͤr große Guͤter
uͤberkommen!

Erwege ferner, Gott zum Preiſe, was Er, die Abſicht
zu erhalten,

Fuͤr ein geringes Mittel braucht; wie Sein Anbetung-
wuͤrdigs Walten,

Auch hierinn, zu verehren ſey: da Er, daß wir, auf
dieſer Erden,

Uns, Jhm zum Ruhm, beſchaͤfftigen, und dadurch erſt
recht Menſchen werden,

Ein Wunderwerk uns anerſchaffen, ein ſolches Glied in
uns gelegt,

Das immer mehr noch zu bewundern, je weniger man
es erwegt.

Wir finden all’, in unſern Koͤrpern, ein ganz beſon-
ders Theil geſenket,

Das, ob mans gleich kaum glauben wird, faſt aller Men-
ſchen Handlung lenket;

Das, wenn man es genau erwegt, faſt ſelber den Ver-
ſtand uns ſchenket;

Das gleichſam aller Wiſſenſchaften, und aller Kuͤnſte,
die man kennt,

Erfinder, Meiſter und Beſorger; das Triebwerk iſt und
Jnſtrument.*

T 5Dieß
[298]Nutzen des Mangels,
Dieß iſt, mit einem Wort, der Magen: der, wie man
meynt, nicht uns allein

Zum Beſten; nein, der ganzen Welt, und allen Men-
ſchen insgemein,

Zur Unterhaltung, zum Verband, zum Fuͤhrer, zum Be-
ſchuͤtzer, dienet;

Durch den allein die Handelſchaft, im regen Flore, bluͤht
und gruͤnet.

Er iſt der Grund des Regiments; durch ihn erhalten ſich
die Thronen:

Er macht und ſtuͤtzet alle Staͤnde, von Bauren an, bis zu
den Kronen.

Der Magen, wenn man ſeinen Bau, nur obenhin,
erweget, ſcheint

Nur unſern Leib allein zu naͤhren; allein, auf wunder-
bare Weiſe,

Hat Der, ſo alles eingerichtet, zu unſerm Nutz, und
Seinem Preiſe,

Durch ihn, das menſchliche Geſchlecht, auf wunderbare
Art, vereint.

Der Magen leitet uns die Hand; der Magen ſchaͤrfet
unſre Sinnen;

Der Magen naͤhret ſich, und andre. Was wir voll-
bringen und beginnen,

Hat meiſtens ſeinen Grund im Magen. Kein Menſch
wird leugnen, wers erwegt,

Daß, von dem menſchlichen Geſchlecht, die eine Haͤlft’,
um ſie zu ſpeiſen,

Und Koſt und Nahrung darzureichen der andern Haͤlfte,
Sorge traͤgt.

Gewiß,
[299]in einem Neu-Jahrs-Gedichte.
Gewiß, wenn wir nur uͤberlegen, wie groß die Zahl
der Menſchen ſey,

Die ſich mit nichts beſchaͤfftigen, als, durch verſchiedne
Faͤhigkeiten,

Den andern Menſchen ihre Koſt, Gemuͤſ’ und Speiſen
zu bereiten;

Wird man mit Recht erſtaunen muͤſſen, nur ob der
Namen lange Reih,

Die all’, ihr eigen Brodt zugleich, aus aller andern Brodt,
gewinnen.

Da giebt es Muͤller, Becker, Fleiſcher, die Gaͤrtner,
Koͤche, nebſt Koͤchinnen,

Der Bauren ungezaͤhlte Schaar, die Obſt-Verkaͤufer,
Honig-Saͤmer,

Die Fiſcher, die Paſteten-Becker, die Salz-Gewuͤrz-
und Tauben-Kraͤmer,

Die Schaͤfer, Milch- und andre Hoͤker, die Eßig-Brauer,
Hering-Packer;

Die Wurzeln, Ruͤben, Kohl, verkaufen, theils aus dem
Garten, theils vom Acker;

Die unſre Tiſch-Geraͤthſchaft machen, als Loͤffeln, Meſſer,
Toͤpf’ und Teller;

Die Huͤhner-Schwein- und Ochſen-Kaͤufer, die Schuͤtzen,
Jaͤger, Vogelſteller,

Die Kaͤſ’- und Butter-Haͤndler; Schiffer, ſo lauter
Trank- und Nahrungs-Waaren,

Von weit entfernten Ort und Enden, fuͤr unſre Tiſche,
zu uns fahren;

Auch die Confect- und Zucker-Becker, ſamt denen, die
die Menſchen traͤnken,

Die Winzer, Brauer, Wein-Verkaͤufer, Thee-Haͤndler,
Thee- und Caffee-Schenken,

Die
[300]Nutzen des Mangels,
Die Kruͤger, die Getraide-Haͤndler, die Fleiſch- und
Fiſche-Raͤucherer,

Die Toͤpfer, Gruͤtz- und Graupen-Muͤller, und faſt
unzaͤhlich’ andre mehr.

Naͤchſt dieſen haben wir dem Magen, an jedem Ort,
zu allen Zeiten,

(Und, wenn ichs recht erweg’, in ihm, allein den ſchar-
fen Wunder-Saft,

Der alles aufzuloͤſen weiß, und uns den Appetit verſchafft)

So Dach als Fach, nebſt aller Kleidung, und anderen
Bequemlichkeiten,

Als ihren Trieb- und Regung-Federn, faſt einzig und
allein zu danken.

Wollt’ ich nun alle Arten zaͤhlen, die ſich, fuͤr ſich,
mit uns, bemuͤhn,

Um uns, und ſich zugleich, dem Mangel, der jeden druͤcket,
zu entziehn;

So haͤtte, dieſe meine Schrift, nur gar zu weit gedehnte
Schranken:

Jch wuͤrde faſt ein ganzes Buch, von bloßen Namen,
fuͤllen koͤnnen,

Von Leuten, die, zu ihrem Vortheil, uns tauſendfachen
Vortheil goͤnnen.

Nun fordert meine Schuldigkeit, daß ich die weiſen
Wunder-Wege

Der Gottheit, in der Arbeit ſelbſt, zu Seinen Ehren,
uͤberlege:

Jn welchen ſich denn ſolche Weisheit, und Macht, und
Liebes-Proben, finden,

Daß alle Vortheil’, Abſicht, Endzweck, und Ordnungen,
nicht zu ergruͤnden.

Es
[301]in einem Neu-Jahrs-Gedichte.
Es ſind der Menſchen Koͤrper ja, auf eine ſolche Art,
gebauet,

Daß man beſtaͤndig einen Abgang, an deſſen Bau und
Weſen, ſchauet.

Wir ſind daher auf eine Erde, von einer ſolchen Art, geſetzt,

Die, durch die Fruchtbarkeit, die Theile, die wir verlieren,
zu ergaͤnzen,

Bis zur Verwundrung, faͤhig iſt; ja, die zugleich uns
auch ergetzt

Jm lieblichen Gewuͤrz des Hungers. Doch hat dieſelbe
ſolche Graͤnzen,

Daß ſie, durch unſern Beytrag nur, wenn man ſie pfluͤ-
get, eget, duͤngt,

Uns alles das, was wir beduͤrfen, in einer ſolchen Maße,
bringt,

Die wieder ihre Maße hat. Denn, ſollte ſie zu reich-
lich tragen;

Wuͤrd’, uns zum Schaden, das Getraid’, im Preiſe,
ſo herunter ſchlagen,

Daß Buͤrger, Bauer, Edelmann, beym Ueberfluß, ver-
armen wuͤrde,

Und keiner recht beſtehen koͤnnte, durch eines armen Reich-
thums Buͤrde.

Der Bauer kriegte keine Muͤhe, der Edelmann kein Land,
bezahlt;

Der Buͤrger haͤtte nichts zu tauſchen. Und kurz: Zu
große Fruchtbarkeit

Braͤcht’, in dem groͤßten Ueberfluß der Erden, eine theure
Zeit.

Woraus denn abermal ein Glanz von einer weiſen Vor-
ſicht ſtrahlt.

Allein,
[302]Nutzen des Mangels,
Allein, worinn man, noch am meiſten, der Weisheit.
hellen Glanz erſieht,

Jſt, daß die Erd’, ohn’ unſern Fleiß, kein Korn aus
ihrem Schooße zieht.

Wenn eine Bluhme mehrentheils, ohn ſonderliches Zu-
thun, bluͤht;

Wenn alle Fruͤchte, faſt von ſelbſt, fuͤr uns, auf den
erhabnen Zweigen,

Und ohne ſonderliche Muͤhe, in ihrem holden Schmuck
fich zeigen:

So muß das Allernoͤthigſte, das Korn, mit groͤßrer Muͤh’
allein

Gebaut, geduͤnget und gepfleget, erhalten und behan-
delt ſeyn.

“Ja, moͤchte mancher hierauf ſprechen: Dieß iſt
ein Ungluͤck, und kein Gluͤck;

“Und ich beklage mich mit Recht, daß ein nicht billiges
Geſchick

“Mich recht zum Sclaven-Stand verdammt. Wie
elend bin ich nicht daran,

“Daß ich mich mit ſo bitterm Schweiß, und ſaurer
Muͤh, nur naͤhren kann!

“Wenn ihr, ſtatt meiner, graben muͤßtet, wenn ihr
in meiner Stelle waͤrt;

“Jhr wuͤrdet andre Lieder ſingen, ihr wuͤrdet dieß kein
Gluͤck nicht nennen,

“Noch mein ſo kuͤmmerliches Leben, fuͤr etwas Gutes,
ſchaͤtzen koͤnnen:

“Jhr murrtet minder nicht, als ich; ihr hieltet euch
mit Recht beſchwehrt.

“Den
[303]in einem Neu-Jahrs-Gedichte.
“Den ganzen Tag im tiefen Schlamm, im Sumpf
und hohlen Graben ſtehn,

“Den klebrichten und zaͤhen Boden, beſtaͤndig, in die
Hoͤhe werfen;

“Jm aufgebrochnen weichen Acker, beſtaͤndig, hinterm
Pfluge gehn;

“Die Sonne mag, ſo ſtark ſie will, die unbequemen
Strahlen ſchaͤrfen,

“Jn nie verſiegnem lauen Schweiß, und ſchwehrer Muͤh,
beſtaͤndig maͤhn:

“Dieß wirſt du ja wohl kein Vergnuͤgen, kein ange-
nehmes Leben, nennen,

“Wofern du redlich richten willt, noch eine Freude
heiſſen koͤnnen.

Dein Klagen hat, o lieber Menſch! vom Recht zwar
wirklich einen Schein;

Doch iſt es, wenn mans recht ermißt, dennoch nur bloß
ein Schein allein.

Erweg’ es aber einſt mit Ernſt; ſo wirſt du, neben mir,
geſtehen:

Dein Stand ſey wirklich gluͤcklicher, als er, von auſſen,
anzuſehen.

Jch will von denen ſchwarzen Sorgen, ſo die, vor dir,
begluͤckten Seelen;

Nicht von der Unruh, Furcht und Gram, ſo die geehr-
tern Menſchen quaͤlen,

Und welche dir, in deinem Stande, und aller Arbeit,
wirklich fehlen,

Die dein Gemuͤthe nicht zerreiſſen, die bloß allein die
Großen plagen,

Und Tag und Nacht die Ruhe rauben, und recht zer-
foltern, hier nichts ſagen.

Jch
[304]Nutzen des Mangels,
Jch will von deinem ſanften Schlaf, der bloß der Arbeit
Frucht, nicht ſprechen;

Auch nicht von den ſo ſuͤßen Luͤſten, wodurch dein Brodt
ſo lieblich ſchmeckt,

Vom allerbeſten Koch gewuͤrzt: wovon der Reiche nichts
entdeckt,

Da Ueberfluß und Muͤßiggang ihm Appetit und Magen
ſchwaͤchen.

Die moͤrderiſchen Plage-Geiſter, die nie zufriednen Lei-
denſchaften,

Die an dem ſchwehren Gold’, imgleichen am leichten
Dunſt der Ehre, haften,

Die ihren Wirth beſtaͤndig foltern, beſtaͤndig hin und
wieder reiſſen,

Die ihn des Tages nimmer ruhn, des Nachts ihn im-
mer wachen heiſſen;

Die Wellen, die ihn ſtets erheben, und ſtets verſenken,
deren Brand

Die Seele bis aufs Mark verzehrt, ſind dir Gluͤckſelgen
unbekannt.

Hingegen kannſt du ja das ſchoͤnſte von allen Dingen,
welche ſchoͤn,

Des Lichts und Lebens Quell, die Sonne, viel oͤfterer,
als jene, ſehn,

Und (wenn du es nur erſt gewohnt) dich an derſelben
wahren Schaͤtzen

Nicht nur allein, in ſanfter Luſt; der Gottheit Selbſt,
zur Ehr’, ergetzen.

Doch,
[305]in einem Neu-Jahrs-Gedichte.
Doch, laßt uns nach der Ordnung gehn, und nicht
nur von der ſchlimmen Seiten,

Das Allernoͤth- und nuͤtzlichſte der Welt, die Arbeit, an zu ſehn.

Sie hat den Grund in Gottes Ordnung. Den Satz
wird niemand leicht beſtreiten,

Wer, wie wir oben angefangen, erwegt, daß eben, was
uns noth,

Und das wir nicht entbehren koͤnnen, das Allernoͤthigſte,
das Brodt,

Sich ohne Muͤh nicht bauen laͤßt. Dieß zeigt ein wei-
ſes Ueberlegen;

Dieß zeigt, obgleich in harten Schaalen, den ſchoͤnſten
Kern, den reichſten Segen.

Was wuͤrde doch mit allen Menſchen, auf dieſem
unſerm Bau der Erden,

So wie wir uns darauf befinden, fuͤr ein betruͤbter Zu-
ſtand werden,

Wenn keiner etwas wirken muͤßte, von Arbeit keiner
etwas wuͤßte,

Wenn nicht ein jeglicher, aus Noth, zur Arbeit ſich
bequemen muͤßte.

Jch will vom allgemeinen Nutzen, der andern aus
der Arbeit ſprießt,

Da immer einer von des andern Bemuͤhung etwas Guts
genießt,

Wie noͤthig es, nicht einmal ſprechen. Wir wollen nur
allein erwegen,

Wie jeder, der jetzt, durch die Arbeit, ſein Brodt erwirbt,
und Gutes thut,

Wenn er beſtaͤndig muͤßig ginge, als wie ein Waſſer, das
ſtets ruht,

Verfault, auch faſt verfaulen duͤrfte: Entweder wuͤrd’ er
ſich kaum regen;

8 Theil. UWo
[306]Nutzen des Mangels,
Wo nicht, doch nichts, als Boͤſes, thun. Denkt, welch’
ein’ ungluͤckſelge Buͤrde

Sich ſelbſt, und andern eine Laſt, der Muͤßiggaͤnger
werden wuͤrde!

Man ſtelle Millionen Bauren, und Millionen Hand-
werks-Leute,

Die alle taͤglich muͤßig gingen, und nichts verrichteten,
ſich fuͤr,

Die ſich mit nichts beſchaͤfftigten, ſo wenig morgen,
als wie heute;

Was fuͤr ein ungluͤckſelges Schwaͤrmen ſtell’ ich, in ſol-
chem Stande, mir,

Vom ganzen menſchlichen Geſchlecht, welch ein Spectakel,
vor die Augen!

Vor langer Weile wuͤrde keiner ſich ſelbſt faſt zu ertragen
taugen;

Der rege Geiſt, der in uns iſt, wuͤrd’ ohne Zweck und
Vorwurf bleiben,

Und kraͤftiglich ſich bloß bemuͤhn, ſich ſelbſt beſtaͤndig
umzutreiben.

Wie wuͤrd’ uns doch ein jeder Tag, wie jede Stunde,
doch ſo lang,

Ja jegliche Minute, werden! Ein ſolcher ewger Muͤßig-
gang

Wuͤrd’ uns, als Bley und Steine, druͤcken, wann, wie
dem Vieh das Gras und Kraut,

Uns unſer Korn von ſelbſten wuͤchſe, ohn daß man es
mit Muͤhe baut.

Bewundert dann, mit froher Andacht, des hoͤchſten
Weſens weiſe Fuͤhrung,

Und betet Seine Vater-Lieb’, und Seine gnaͤdige Regierung,

Auch
[307]in einem Neu-Jahrs-Gedichte.
Auch ſelber in der Arbeit, an! Der ein ſo noͤth- und
nuͤtzlichs Band,

Der ganzen Menſchheit wohl zu thun, auch in der Ar-
beit ſelbſt, erfand,

Und Der euch ein ſo noͤthigs Gut, das euch ſo nuͤtz, als
wie das Leben,

Wenn wir den wahren Werth betrachten, auch in der
Arbeit ſelbſt, gegeben:

So daß man, wenn man dieß bedenkt, faſt ſagen kann,
daß in der That

Die Arbeit mehr von einem Segen, als von dem Fluch,
das Anſehn hat.

Es findet ſich, wenn ihr vernuͤnftig die Arbeit an ihr
ſelbſt erwegt,

Daß das, ſo an ihr wirklich muͤhſam, dennoch auch mehr
Bequemlichs hegt,

Als wie man wohl vermuthen ſollte; indem Veraͤndrung,
Unterſcheid,

Gewohnheit, Wechſel, Speiſ’ und Trank, des ſanften
Schlafs Bequemlichkeit,

So wie ſie ſelbſt der Arbeit Frucht, auch ſelbſt die Arbeit
euch verſuͤſſen:

Unmoͤglich waͤr’ es, ſonder Arbeit des wahren Lebens
zu genieſſen.

Jch habe ſelbſt, in meinem Vorwerk, das Dreſchen,
zu dem Zweck, betrachtet,

Und, bey der ſonſt nicht leichten Arbeit, daß ſie ſo ſauer,
als man meynt,

Und als es dem, der obenhin es uͤberſiehet, etwa ſcheint,

Und man es etwa glauben moͤchte, recht in der That
nicht ſey, beachtet.

U 2Jch
[308]Nutzen des Mangels,
Jch ſprech’ hier nicht von der Gewohnheit, die alles
leichte macht, einmal.

Jch ſahe, wenn die Dreſcher erſt die Diele, in geſetzter
Zahl,

Hinab, und dann herauf, gedroſchen, daß ſie die Flegel
aus den Haͤnden,

Auf eine Zeitlang, alle, legten, um das gedroſchne Stroh
zu wenden;

Das, durch die Aenderung der Arbeit, gewiß nicht ohn’
Erleichtrung war.

Der Wechſel nun geſchicht zum oͤftern. Zuletzt wird,
wenn die Aehren leer,

Das Stroh mit Gaffeln aufgeworfen; welch’ Arbeit
ebenfals nicht ſchwehr.

Dann wird was Neues angelegt;

Bis etwan eine Glocke ſchlaͤgt.

Da wird das Vieh getraͤnkt, gefuͤttert: und endlich,
wenn das Korn heraus,

Daſſelbe ſanft zu Hauf geſchoben, geworfelt; wenn
vorher das Haus,

Samt dem Getraide, mit dem Beſem, gemach gereinigt.
Alles dieß,

So mir, wie ich es uͤberlegte, recht klar und uͤberzeuglich
wies,

Daß in der Arbeit, durch den Wechſel allein, die Widrig-
keit gelindert,

Die Muͤhe in der That verſuͤßet, und, wenigſt, guten
Theils vermindert,

Das, was beſchwehrlich, leichter wird. So wird, wenn
wir es recht beſehn,

Es mit den allermeiſten Kuͤnſten, faſt mit der meiſten
Arbeit, gehn.

Doch,
[309]in einem Neu-Jahrs-Gedichte.
Doch, laßt uns wieder zu dem Nutzen der noͤthgen
Duͤrftigkeit uns kehren,

Und, daß nur ſie den Menſchen faſt zum Menſchen
recht gemacht, erklaͤren.

Sie ſchaͤrfet, an dem harten Wetzſtein der Nothdurft,
den ſonſt ſtumpfen Witz.

Sie iſt der Urſprung und die Quelle von Staͤdten, Reich-
und Regimenten,

Geſetzen, Buͤndniß, und Geſellſchaft. Sie iſt die Wur-
zel, und der Sitz,

Von jeder Wiſſenſchaft und Kunſt; die nicht ohn ſie
beſtehen koͤnnten.

Waͤr keiner; waͤr’ ein jeder, duͤrftig: Und, wenn mans
recht erwegt, ſo waͤren,

Ohn’ Armuth, alle Menſchen arm. Der Trieb, wodurch
der Menſchen Geiſt,

Vor allem Vieh, den Vorzug hat, und ſo viel Wunder-
Werke weiſt,

Wuͤrd’, ohne den geruͤhmten Mangel, in faule Dumm-
heit ſich verkehren.

Wozu wuͤrd’ unſers Geiſtes Kraft uns nuͤtz ſeyn, und
wie wenig wehrt,

Da die Natur den Thieren meiſt, was ſie gebrauchen,
ſelbſt beſchehrt,

Weil ſie ſich ſonſt nicht rathen koͤnnten; wenn ſie auch
uns, wie ſie, beſchenkt’,

Und das, was uns bekleidet, ſchuͤtzet, erhaͤlt, bequem iſt,
naͤhrt und traͤnkt,

Sich alles um und bey uns faͤnde? Es hat die Gott-
heit, in der Welt,

Uns Vorwuͤrf’, unſern Geiſt zu uͤben, an allen Orten,
dargeſtellt.

U 3Daß
[310]Nutzen des Mangels,
Daß er nun nicht unfruchtbar, ſtumpf, ohn Kunſt und
Wiſſenſchaften, bliebe,

Und etwas, dieſe zu erlangen, ihn unauf hoͤrlich ſpornt’
und triebe,

Hat er, zum weiſen Zweck, den Mangel ihm, zum Ge-
faͤhrten, zugegeben;

Damit er ſich, ſtets zu verbeſſern, und kuͤnſtlicher zu ſeyn,
beſtreben,

Und nimmer muͤßig bleiben moͤchte. Denn dieß wird
jeder zugeſtehn,

Daß, wenn wir nicht auf Speiſ’ und Trank, und uns
zu kleiden, muͤßten ſehn,

Und alles dieß, im Ueberfluß, ſich uͤberall zugegen
fuͤnde,

Der Menſchen Geiſt, von allen Dingen, unſtreitig, we-
niger verſtuͤnde;

Die allerbeſten Kraͤfte wuͤrden, mit noch vermehrtem
Unvergnuͤgen,

Und wo nicht lauter Unkraut tragen, doch ungluͤckſelig
Braache liegen.

Doch, eh’ ich die Gedanken ſchlieſſe, muß ich, zum
Troſt noch fuͤr die Armen,

Ein Wort der Wahrheit hier erwehnen. Habt ihr auf
Erden minder Freuden,

Und muͤßt ihr, bey der Duͤrftigkeit, ein mehrers, als die
Reichen, leiden;

So glaubt gewißlich, euer Vater wird ſich ſchon eurer
auch erbarmen,

Und was ihr, in der kurzen Zeit,

Nach Seiner weiſen Ordnung, duldet, in jener langen
Ewigkeit,

Mit
[311]in einem Neu-Jahrs-Gedichte.
Mit unaufhoͤrlichem Vergnuͤgen, und nie verſiegten
Freuden-Fluͤſſen,

Euch, eure Seelen zu erfuͤllen, die Arbeit zu belohnen
wiſſen.

Nunmehro lenk’ ich mich, mit Freuden, zum andern
Endzweck meiner Lieder,

Und danke, mit erkenntlichem, mit Luſt und Andacht-
vollem Sinn,

Der Gottheit, Deren gnaͤdigs Wollen erlaubet, daß ich
heute wieder,

Des vorgen Jahres vieles Gute zu uͤberdenken, faͤhig bin.

Ja, Gott! Du haſt im vorigen, ſo wie in abgewich-
nen Jahren,

Mit Gutem mich, und alle Meinen, zu uͤberſchuͤtten,
fortgefahren.

Du haſt uns nicht nur Leib und Leben, von Schmerz
und Krankheit ungekraͤnkt,

Das ganze Jahr hindurch, erhalten (ſo wohl wahrhaf-
tig Dankens wehrt)

Du haſt noch eine neue Gabe, zu allen andern, mir ge-
ſchenkt,

Und, in der Tochter jungem Sohn, auch mir ein Kin-
des-Kind beſchehrt.

Ach laß doch auch von Deiner Gnad’ ein Vorwurf,
neben uns, auf Erden,

Und Deinen Wunder-großen Namen zu preiſen, ihn ein
Werkzeug werden!

Jn Hamburg haſt Du meine Kinder, in Goͤttingen,
auch die bey mir,

So gnaͤdig, dieſes Jahr, bewahrt; Dir, Herr, ſey Preis
und Dank dafuͤr!

U 4Vor
[312]Nutzen des Mangels,
Vor andern iſt eins meiner Kinder, aus einer drohenden
Gefahr,

Die ihm recht uͤberm Haupte ſchwebte, und gleichſam
unvermeidlich war,

Faſt wunderbar errettet worden. Von Steinen eine große
Laſt

Lag uͤber ihm auf einer Stange, wovon die Stuͤtze weg-
geriſſen:

Wie er nun dieſe Stang’ ergreift, ſtuͤrzt, wie er ſie kaum
angefaßt,

Die ſchwehre Buͤrde ſchnell herunter, und haͤtt’ ihn ganz
zerſchlagen muͤſſen,

Wenn nicht, o Herr! Dein gnaͤdigs Wollen den Unfall
von ihm abgekehrt,

So daß der Schutt, der um ihn lag, ihn im geringſten
nicht verſehrt.

Sey, Herr! fuͤr dieſen Schirm und Schutz, der ihm,
recht wunderbar, erwieſen,

Sowohl von ihm, als auch von mir, gedankt, gelobet
und geprieſen!

Nicht minder fuͤr ſo Huͤlf’ als Schutz, die ebenfals,
recht wunderbar,

Mein kleiner Garlieb auch genoſſen, da er aus einem
Boot gefallen,

Und mitten in dem Graben trieb; wohin kein einzger
von uns allen

Gelangen, und ihn retten konnt. Wie viele Dinge ſich
dabey

Verbinden muͤſſen, daß er noch, doch kuͤmmerlich, geret-
tet ſey,

Hab’
[313]in einem Neu-Jahrs-Gedichte.
Hab’ ich, in einem eignen Stuͤck, aus ſchuldger Dank-
Begier getrieben,

Dir, Herr, ſey nochmals hier dafuͤr Lob, Ehre, Preis
und Dank! beſchrieben;

Nicht minder, wie es einſt entſetzlich bey uns geblitzet
und geſtuͤrmet,

Und Deine Gnade Land und Haus, die Meinigen und
mich, beſchirmet.

Des Jrdiſchen Vergnuͤgens Auszug iſt dieſes Jahr
ans Licht gekommen,

Der ſechste Theil zum Stande bracht, das erſte guͤn-
ſtig aufgenommen;

Vom letzten hoff’ ich eben das, und wuͤnſche, daß es
vielen Frommen,

So wie die andern, ſchaffen moͤge! Von mehrerm
Guten will ich ſchweigen,

Und meinen Leſer nicht beſchwehren mit dem, was eigent-
lich mein eigen.

Vielmehr will ich mich ingeheim bemuͤhen, Gott, fuͤr alle
Gaben,

Die ich und alle Meinigen, ſo unverdient, empfangen
haben,

Mit tiefer Ehrfurcht zu bewundern, und, recht geruͤhret,
Jhm allein,

Als einzgem Urſprung alles Guten, ergeben, froh und
fromm zu ſeyn:

Voll Hoffnung, daß auch Er die Sorgen, die eben jetzt
mein Amt umgeben,

Und die damit verknuͤpfte Arbeit, zum Beſten leiten werd’
und heben.


U 5Neu-
[314]

Neu-Jahrs-Gedicht,
auf das 1740ſte Jahr.
Von der eigentlichen Abſicht unſers
Hierſeyns.


Oewiges, einiges Alles in allen!

Durch Deſſen Entſchlieſſen die herrliche
Welt,

Begeiſterten Koͤrpern, zur Schau geſtellt;

Durch Deſſen Wollen die Waſſer wallen,

Die Flammen ſteigen, die Berge ſtehn;

Durch Deſſen Wort das Licht ſo ſchoͤn;

Durch Deſſen Ordnung alle Dinge,

Die auf der Welt geſchehn, geſchehn:

Da heut, bey unſrer Erde Drehn,

Jch, Dir zu Ehren, Lieder ſinge;

So laß Dir, mein Dir nur gewidmetes Lallen,

O ewiges, einiges Alles in allen,

Aus Lieb’ und Erbarmen, zum Opfer, gefallen!

Bey dieſer ganz beſondern Zeit, worinn ich unſers Schoͤp-
fers Werke,

Mit einer billigen Bewundrung, Betrachtung und Ver-
ehrung merke,

Erſtaun’ ich uͤber unſre Traͤgheit, und kann auf keine
Weiſe faſſen,

Wie doch vernuͤnftige Geſchoͤpfe, faſt unvergeblich, un-
terlaſſen,

Ein
[315]Neu-Jahrs-Gedicht, auf das 1740ſte Jahr.
Ein ſonſt faſt augenfaͤlligs Wunder, mit einger Andacht-
anzuſehn,

Sich ihres Nutzens wegen freun, und Gottes Allmacht
zu erhoͤhn;

Warum, da ſie vernuͤnftig ſind, ſie der Geſchoͤpfe Herr-
lichkeit,

Zu Ehren Des, Der ſie gemacht, nicht wuͤrdigen zu uͤber-
legen.

Dieß bringt mich auf ein ferners Denken, und auf
ein ernſtliches Erwegen,

Was doch der Menſchen Abſicht ſey, in ihrer ganzen
Lebens-Zeit;

Ob ſie hier einen Endzweck haben: wie, oder ob wir,
gleich den Thieren,

Von einem Tag zum andern leben; ſeyn, und uns
wiederum verlieren.

Man ſtehet auf, man legt ſich nieder; man ziehet Kleider
aus und an:

Dieß thut ein Kind, dieß thut der Juͤngling, der Mann,
und auch der alte Mann;

Das andere Geſchlecht nicht minder. Dieß heißt man,
ſeyn; dieß heißt man, leben.

Wenn man uns aber einmal fragte: Zu welchem End-
zweck lebet ihr?

Was iſt die Abſicht eures Lebens? Zu welchem Ende
ſeyd ihr hier?

Wozu ſchuff euch, Der euch geſchaffen? was wuͤrdet ihr
fuͤr Antwort geben?

Zu
[316]Neu-Jahrs-Gedicht,
Zu trinken, eſſen, euch zu mehren? erhaben, groß und
reich zu werden?

Dieß ſagt ihr nicht: Jhr wißt es beſſer. Die eitlen
Handlungen allein,

Die koͤnnen nimmermehr der Endzweck vernuͤnftger Crea-
turen ſeyn,

Wovon die Seelen ewig dauren, und, nach dem Abſchied
von der Erden,

Der Seligkeit genieſſen ſollen. Jhr ſtutzt vielleicht bey
meinem Fragen.

Denn wuͤrdet ihr, im Ernſt, wohl ſagen,

Jndem ihr nie daran gedacht:

Zu dieſen angefuͤhrten Werken haͤtt’ uns ein weiſer Gott
gemacht,

Damit ihr hier, in vielen Stuͤcken, ein thieriſch Leben
ſolltet fuͤhren?

Jhr ſolltet Ehr’ und Reichthum ſuchen, um beyd’, im
Sterben, zu verlieren?

Dieß thut ihr nicht. Was bleibt denn uͤbrig? Kommt,
laßt uns, mir und euch zur Lehr,

Zugleich dem Urſprung aller Dinge zum Preiſe, Lobe,
Ruhm und Ehr,

Die Quellen des Betragens ſuchen! ob etwan, wenn
wir ſie bedacht,

Wir, durch die Herrlichkeit geruͤhrt, noch moͤchten ſeyn
zu recht gebracht.

Wir Menſchen kommen in die Welt, und merkens
nicht. Wenn wir es merken,

Daß wir auf Erden ſeyn, und leben; hat die Gewohn-
heit allbereit,

Daß wir gekommen, ausgetilgt, durch ſchlaͤfrige Ver-
geſſenheit.

Das
[317]auf das 1740ſte Jahr.
Das Wachſen unſers Geiſts und Koͤrpers, und wie ſich
beyder Weſen ſtaͤrkt,

Wird mehr von uns nicht, als die Pflanzen ihr Wach-
ſen fuͤhlen, auch bemerkt.

Da wir, beym Anfang unſers Weſens, zu denken, nicht
im Stande ſeyn,

Wie wir gekommen; nimmt Gewohnheit uns derge-
ſtalt die Sinnen ein,

Daß wir auch das Wozu verſaͤumen. Die viel- und
mancherley Geſchaͤffte

Der andern, unſre gleicherweiſe, die ſchwehren Sorgen
fuͤr das Brodt,

Die Leidenſchaften, die Begierden, verſchiedne Faͤlle,
manche Noth,

Beſchaͤfftigen den regen Geiſt, und ſchwaͤchen unſers
Koͤrpers Kraͤfte:

So daß wir voͤllig alles Denken, an unſern Endzweck,
faſt verlieren,

Ja unſer’ ungluͤckſelge Schlafſucht, zu dieſer Pflicht,
nicht einſt verſpuͤhren.

Wir treten folglich einen Tag, und ein Jahr nach
dem andern, an;

Wir werden alt, erkranken, ſterben: ohn’ auf die erſte
unſrer Pflichten,

Zum Ruhm des Schoͤpfers hier zu leben, nur einmal
unſern Sinn zu richten,

Und ehe wir auf unſern Endzweck kaum einen einzgen
Blick gethan.

Die vielerley Beſchaͤfftigungen, womit die Menſchen
ſich zerwuͤhlen,

Sind meiſtens gut, und nicht zu tadeln; nur daß ſie
auf den Zweck nicht zielen,

Zu
[318]Neu-Jahrs-Gedicht,
Zu welchem wir nicht leugnen koͤnnen, und auch zu leug-
nen nicht begehren,

Daß wir dazu erſchaffen ſeyn, als naͤmlich zu des Schoͤp-
fers Ehren.

Wenn dieß nicht wahr; ſo folgt von ſelbſt, daß zwiſchen
uns und andern Thieren,

Wie ſehr wir uns auch ſelbſten ſchmeicheln, kein wahrer
Unterſcheid zu ſpuͤhren.

Zwar ſtellen uns die Geiſtlichen die ſchoͤnſten Him-
mels-Lehren fuͤr,

Daß wir, zu einem kuͤnftgen Leben, uns, auf der Welt,
bereiten ſollen:

Doch weiß ich, daß ſie nicht die Abſicht des Schoͤpfers
dadurch ſcheiden wollen,

Von der verlangten Zubereitung zum Kuͤnftigen; es wird
vielmehr,

Die allerbeſte Zubereitung zum Kuͤnftigen, des Schoͤp-
fers Ehr’,

Und daß wir unſern Gott als Schoͤpfer, in Seinem
großen Werk erhoͤhn.

Wobey wir aber allerdings auf das Erloͤſungs-Wunder
ſehn,

Und es als einen rechten Ausbruch von Goͤttlicher Er-
barmung achten,

Es als ſolch eine Liebes-Probe von einer ewgen Huld
betrachten,

Die nimmer gnugſam zu bewundern. Allein, faͤllt da-
durch Gottes Zweck,

Wozu Er uns, von Anbeginn, auf dieſen Erd-Kreis
ſetzen wollen,

Daß wir im Koͤrperlichen Jhn bewundern u. verehren ſollen,

Jhn ſuchen ſollen, und Jhn finden, bey allen Chriſten
gaͤnzlich weg?

Un-
[319]auf das 1740ſte Jahr.
Unmoͤglich wird man dieſes ſagen, unmoͤglich wird man
dieſes meynen;

Unmoͤglich kann man unſern Satz, bey menſchlicher Ver-
nunft, verneinen.

Wuͤrd’ hiedurch nicht des Schoͤpfers Wunder, wofuͤr Jhn
alle Geiſter loben,

Die Thronen und die Seraphinen, vor uns getilgt und
aufgehoben?

Die wir doch zu dem Zweck erſchaffen; die wir der Sin-
nen edle Gaben,

Wodurch Sein Werk mit uns vereint, ja nicht umſonſt
empfangen haben:

Es muͤßten denn des Schoͤpfers Werke, und Sein darinn
verborgner Schein,

Nicht unſerer Betrachtung wuͤrdig, fuͤr unſern Geiſt
zu niedrig ſeyn.

Dieß werden wir, wie ich vermeyne, ſo wenig zugeſtehen
koͤnnen,

Als daß wir uns dazu zu klein, und zu geringe, werden
nennen.

Die Weiſeſten noch unter uns, die lehren: Es ſey
unſer Leben

Nur als ein Durchzug durch die Welt, und eine Wall-
fahrt, anzuſehn;

Wodurch ſie uͤberzeuglich darthun, und ihre Meynung
zugeſtehn,

Zu einer eignen Abſicht ſey uns dieſes Leben nicht
gegeben.

Allein,
[320]Neu-Jahrs-Gedicht,
Allein, es iſt dennoch ein Endzweck: Natur und Bibel
zeigen ihn;

Scheint er gleich faſt, durch Adams Fall, nebſt aller
Herrlichkeit, verlohren.

Ward nicht der erſte Menſch erſchaffen, zum Herrn der
Creatur erkohren,

Damit an ihm, und ſeinem Geiſt, des Schoͤpfers Macht
und Lieb’ erſchien?

Damit ſein denkender Verſtand erkennen moͤchte, ſehn
und ſchmecken,

Wie alle Goͤttliche Geſchoͤpfe des Schoͤpfers Herrlichkeit
entdecken,

Daß er, in ungezaͤhlten Wundern, und im Genuß ſo
vieler Sachen,

Auf Goͤttliche Vollkommenheit ſollt’ unaufhoͤrlich Schluͤſſe
machen,

Sein’ Allmacht, Seine Weisheit preiſen, den Ausbruch
Seiner Liebe ſehn,

Und, in beſtaͤndiger Bewundrung, Sein unausdruͤck-
lichs Lob erhoͤhn;

Anbey, geruͤhrt durch ihres Schoͤpfers erhabne Weis-
heit, Macht und Lieben,

Jn einem tugendhaften Wandel ſich mit einander ſollten
uͤben?

Die Abſicht Gottes, da Er uns den Geiſt, der uͤber-
legt, gegeben,

Der uns von Thieren unterſcheidet, iſt uͤberzeuglich,
klar und wahr;

Wodurch wir uns, durch die Betrachtung, wie alles
doch ſo wunderbar,

Zu Seiner ſeligen Bewundrung, und uns zugleich zu Jhm,
erheben.

Durch
[321]auf das 1740ſte Jahr.
Durch alle Koͤrper, die nicht denken, von allen Sonnen,
allen Erden,

Kann Gottes Allmacht nicht erkannt, bewundert, ange-
betet werden.

Wenn kein vernuͤnftger Geiſt in ihnen;

Kann bloß ihr Daſeyn ihm nicht dienen.

Sie werden ihren großen Schoͤpfer und Herrn ſo wenig,
als ein Stein,

Zu ehren, zu erhoͤhn, zu lieben, und zu bewundern,
faͤhig ſeyn.

Wer kann dieß leugnen? Keine Seele, kein Chriſt, kein
Jude. Ja ſelbſt Heiden

Und Tuͤrken muͤſſen dieß geſtehn,

Daß Gott dem Menſchen Weisheit gab, um, durch Ver-
ſtand, zu unterſcheiden,

Und, durch die Creatur, zu finden: “Es ſey ein Gott;
und auch zugleich,

“Weil Er, an Vollenkommenheiten, vor allen Creaturen,
reich,

“Er ſey zu ehren, anzubeten; Er ſey zu lieben und
zu loben.

“Und, weil, in Seiner Creatur, ſich Seine Eigenſchaften
weiſen,

“Sey Er in ihnen zu betrachten, und, in Bewunderung,
zu preiſen:

“Durch ſie, da ſie Jhn offenbahren, ſey Er am wuͤrdigſten
erhoben.

War dieß nun, wie es nicht zu leugnen, des erſten
Menſchen Zweck und Pflicht,

Wozu er bloß allein erſchaffen; ſo leugnet, hoff’ ich,
keiner nicht,

8 Theil. XDaß
[322]Neu-Jahrs-Gedicht,
Daß (da wir ja noch zugeſtehn, wir ſeyn zu Gottes
Ehren hier)

Wir auch, darnach zu ſtreben, ſchuldig, in Seiner Crea-
turen Zier

Sein’ Allmacht ernſtlich zu bewundern; und, eben da-
durch, uns befleiſſen,

Dem Fall, worein uns Adam ſtuͤrzte, nach Moͤglichkeit
uns zu entreiſſen:

Damit wir, obgleich voller Schwachheit, uns, nach der
erſten Pflicht zu leben,

Wozu der Menſch erſchaffen worden, und Gott zu dienen,
uns beſtreben.

Dieß war der Endzweck unſrer Schoͤpfung, warum Gott
Menſchen werden laſſen,

Durch ihren Geiſt: Es ſey ein Gott, Der zu verehren
wehrt; zu faſſen.

Der Endzweck hat nicht aufgehoͤrt; er dauret noch, und
iſt allein

Der einzige Bewegungs-Grund, daß wir hier auf der
Erde ſeyn.

Ja, werden hier wohl viele ſprechen: Jſt denn die
Ordnung in der Welt,

So wie ſie iſt, nicht Gottes Ordnung? Daß hier ein
Baur, ein Handwerksmann,

Ein Kaufmann, ein Soldat, ein Schiffer, nur bloß fuͤr
das ſo liebe Geld,

Zeit, Arbeit, Fleiß und Leben wagt; da man ohn Geld
nicht leben kann?

Da alle Vortheil nicht zu zaͤhlen, die, auf dem Kreiſe
dieſer Erden,

Durch dieſes nuͤtzliche Metall, erſchwitzet und erhalten
werden.

Hierauf
[323]auf das 1740ſte Jahr.
Hierauf erwiedr’ ich: Jhr habt Recht. Durch dieſes
nuͤtzliche Metall

Wird Muͤhe, Schweiß und Fleiß belohnt; der Nutzen
zeigt ſich uͤberall:

Und iſt es folglich nicht verboten, in dieſem unſerm irdſchen
Leben,

Jn einer vorgeſchriebnen Ordnung, mit Muͤh darnach
ſich zu beſtreben,

Deſſelben Wehrt erkennen lernen. Jedoch wird keiner
hieraus ſchlieſſen,

Daß wir, ob ſey das Geld die Abſicht von unſerm Hier-
ſeyn, meynen muͤſſen.

Sollt’ Adam zu dem Endzweck wohl von Gott gebildet
worden ſeyn,

Um Geld und Reichthum zu erwerben? Beſteht darinn
des Schoͤpfers Ruhm,

Daß einer, in der kurzen Daur des Lebens, mehr zum
Eigenthum,

Als wie ein anderer, erhalte? Du ſprichſt, verhoff’ ich,
ſelber: nein.

So zeiget ſich dann uͤberzeuglich, es ſey auf Erden unſer
Weſen

Gewiß zu einem andern Endzweck, von unſerm Schoͤp-
fer, auserleſen.

Weil aber, ich weiß nicht, wodurch, ſich dieſer, leider!
meiſt verlohren;

So ſcheint, man hab’, an deſſen Stelle, ſich einen anderen
erkohren.

Und, da uns, leider! durch Gewohnheit, der Zweck von
unſerm Daſeyn fehlt;

So ſcheint, es habe ſich die Menſchheit hier andre Ne-
benweg’ erwaͤhlt.

X 2Der
[324]Neu-Jahrs-Gedicht,
Der groͤßte Theil der Menſchheit glaubet, als ob das
Geld der einige,

Der wahre Zweck von unſerm Hierſeyn, und unſers Le-
bens Abſicht, ſey.

Die Allgemeinheit dieſer Meynung ſtimmt dieſem Vor-
urtheile bey:

Man glaubt, wie Geld hier unentbehrlich; ſo ſey es auch
die wuͤrdigſte

Beſchaͤfftigung der Sterblichen. Und, ob wirs gleich
nicht deutlich ſagen;

So ſcheint man, ohn’ es ſelbſt zu wiſſen, mit dieſer Mey-
nung ſich zu tragen,

Ob ſey es unſers Lebens Abſicht. Dieß waͤr von einer
Creatur,

Die nicht verlangte, Gott zur Ehr’ allhier hervorgebracht
zu ſeyn,

Vielleicht nicht ungereimt geſchloſſen. Da der Zuſam-
menhang der Dinge

Das Geld in einen Wehrt geſetzt, wodurch man nicht
nur, was bequem,

Was noͤthig, nuͤtzlich, herrlich, praͤchtig, ergetzend, lieb-
lich, angenehm,

Sich zu verſchaffen, faͤhig iſt: wodurch man nicht nur
viele Plagen,

Beſchwerlichkeiten, Froſt und Bloͤße, von ſich vermoͤ-
gend zu verjagen;

Nein, woran, durch die Koͤniginn der Welt, (die Mey-
nung) Ehre, Ruhm,

Ja, leider! faſt die Tugend ſelbſt, als wie ihr wahres
Eigenthum,

Gehef-
[325]auf das 1740ſte Jahr.
Geheftet: und, im Gegentheil, an Armuth, oͤfters,
Unmuth, Bande,

Verachtung, Ungluͤck, Plag’ und Noth, Spott, Unbe-
quemlichkeit und Schande,

Verknuͤpft hat, und mit ihr vereint; So ſcheinets,
daß man in der That,

(Zumal beym Mangel eines Endzwecks) man nicht
ſo großes Unrecht hat,

Das maͤchtige Metall zu waͤhlen, das Gold zu einem
Gott zu machen:

Abſonderlich, wenn man erwegt, wie gleichſam rechte
Wunder-Sachen,

Durch den Gebrauch des lieben Geldes, faſt auf dem
ganzen Kreis der Erden,

An allen Orten, ausgefuͤhrt, verrichtet und gewirket
werden.

Noch ſieht man eine Neben-Abſicht, die Menſchen
in Bewegung bringen,

Die iſt der Stolz, und heiſſet Ehre: da man ſich, uͤber
ſeines Gleichen,

Durch wahre theils, theils falſche Gaben, bemuͤht iſt,
ſich empor zu ſchwingen,

Und, wo es moͤglich, einen Vorzug vor allen, ſuchet
zu erreichen.

Ob nun, durch dieſe Leidenſchaft, nicht minder, als durch
Geld, auf Erden,

Unwiderſprechlich, viele Dinge, die gut ſind, ausgefuͤh-
ret werden;

So wird doch jeder leicht gewahr, daß ſie zu Krieg und
Blut-vergieſſen,

Verraͤthereyen, Land-Verwuͤſtung, nicht minder, oͤfters
dienen muͤſſen:

X 3Da
[326]Neu-Jahrs-Gedicht,
Da jeder, was du ſucheſt, ſucht; da jeden eine Hoheit reizt,

Die ſich beſtaͤndig gegen deine, und gegen andrer Hoheit,
ſpreizt.

Wir ſuchen, auſſer Ehr’ und Geld, noch den Ver-
ſtand und Witz zu ſchaͤrfen;

Wir wollen alle Dinge faſſen: Wir ſuchen uns, mit
aller Macht,

Faſt uͤber die Natur und Gott zu Richtern gleichſam
aufzuwerfen,

Und ſind auf nichts, als aufs Begreifen, mit aller See-
len-Kraft, bedacht.

Der Seelen beſte Kraft hingegen, uns Gottes Werke
vorzuſtellen,

Als herrlich, als bewundernswuͤrdig, als nuͤtzlich, noͤthig,
ordentlich;

Als ſolche Werke, woriñ uns, der allgewaltge Schoͤpfer, Sich,

Durch alle Sinnen, offenbahrt: verſaͤumt man, faſt in
allen Faͤllen.

Dieß ſind nun die Beſchaͤfftigungen der Menſchen,
die auf Erden leben;

Wovon doch wohl kein’ einzige taugt, einen Endzweck
abzugeben,

Weshalben wir auf Erden kommen.

Um nun, ſo viel mir moͤglich iſt, ein Mittel mir und
euch zu zeigen,

Wodurch man, was bisher verſaͤumt, am allerleichtſten
aͤndern kann;

So will ich meine Meynungen, die dazu tauglich, nicht
verſchweigen:

“Auf Beſſerung der Phantaſie koͤmmt, wie mich deucht,
faſt alles an.

“Vor
[327]auf das 1740ſte Jahr.
“Vor uns ſind, faſt die meiſten Dinge, nicht, was ſie
ſeyn; nein, das, was wir

“Davon uns vorzuſtellen pflegen.

“Hieraus nun ſieht man uͤberzeuglich, wie viel uns denn
daran gelegen,

“Die Kraft, ſich etwas vorzuſtellen, ſo wie es iſt, wohl
auszuuͤben:

“Einfolglich Gottes Wunder-Werke als Wunder-Werk’
auch anzuſehn;

“Durch ſelbe, Sein’ Allgegenwart, und, nebſt der Weis-
heit, auch Sein Lieben,

“Jn allen Dingen, zu bewundern, und Gott in ihnen
zu erhoͤhn.

Erkennt demnach, geliebte Menſchen! in dieſer nicht
beſtrittnen Wahrheit,

Von dieſem unſerm Lehr-Satz hier, ſowohl die Gruͤnd-
lichkeit als Klarheit:

“Daß naͤmlich Gott, zu dieſem Endzweck, euch bloß
die Sinnen, Geiſt und Leben,

“Damit ihr Jhn, in Seinen Werken, erkennen, preiſen
und erheben,

“Und Jhm allein vertrauen, lieben, und Jhn bewun-
dern ſollt, gegeben.

Aus dieſer Abſicht fließt zugleich: “Daß, da wir
Gott nicht dienen koͤnnen,

“Und Er, aus Lieb’, uns doch ein Mittel, in unſerm
Naͤchſten, wollen goͤnnen;

X 4“Daß
[328]Neu-Jahrs-Gedichte,
“Daß wir ihn auch, als Sein Geſchoͤpf, ſtets zu be-
trachten, ſchuldig ſeyn,

“Und uns, mit allem Ernſt, beſtreben, an ihm den Lie-
bes-Dienſt zu uͤben,

“Den wir an Gott nicht uͤben koͤnnen. So laßt uns
dann den Naͤchſten lieben!

Es fußt ſich, auf die zwey Gebote, die ganze Sitten-Lehr’
allein.

Es ſcheint, wenn man es unterſuchet, daß man faſt
uͤberzeuglich findet,

“Daß unſre, mit des Naͤchſten Liebe, in Gottes Liebe,
ſich verbindet;

“Und daß, zu unſerm eignen Beſten, nach ganz untrieg-
lich wahren Schluͤſſen,

“Sie, aus der ſeligen Bewundrung des Schoͤpfers in
den Werken, flieſſen.

“So uͤberlege doch ein jeder, mit einem ſeligen Er-
wegen,

“Wie viel, an dieſer großen Wahrheit, dem menſch-
lichen Geſchlecht gelegen.

“Wofern man dieſen Zweck verlaͤßt, und von der
Abſicht ſich entfernt;

“So weiß ich nicht, woher man doch, vom Licht und
Adel unſrer Seelen

“Sowohl, als auch von ihrer Dauer, ſo viel Vortreff-
liches erzaͤhlen,

“Jhr herrlichs Vorzugs-Recht erweiſen, ein ewigs Leben
glauben lernt.

“Will
[329]auf das 1740ſte Jahr.
“Will man demnach nicht allen Vorzug vor andern
nicht vernuͤnftgen Thieren,

“Ja allen Adel unſers Geiſtes, da er zu Gottes Ruhm
gemacht,

“Die Faͤhigkeit, Jhn zu verehren in Seiner Creaturen
Pracht,

“Ja, unſers Weſens ewge Dauer, die hierauf bloß nur
fußt, verlieren;

“So muß uns nichts, auf dieſer Welt, die Wahrheit
und den ſelgen Glauben,

“Der Menſch ſey, Gott zu Ehren, hier auf dieſe Welt
geſetzet; rauben:

“Einfolglich ſollt’, in Gottes Werken Jhn zu bewun-
dern, bloß allein

“Der Hauptzweck unſrer Handlungen, und unſers
ganzen Lebens, ſeyn.

Hier aber, deucht mich, hoͤr’ ich dich zuletzt noch
einen Einwurf machen:

Wann dieſes Gottes Abſicht iſt; wie daß, bey ſo be-
ſtalten Sachen,

Die Menſchen faſt nichts minder thun? und wie doch
Gott dieß dulden kann?

Darauf iſt meine Antwort dieſe: Zeig’ erſtlich mir die
Urſach an,

Warum doch, auf dem Kreiß der Welt, ſo viel, ſo viele
Millionen,

Jn falſchem Gottes-Dienſte leben, in irrigen Religionen?

Vielleicht erſcheinet noch die Zeit, da ſich hierinn die
Menſchheit beſſert,

Und, durch Erfuͤllung ihrer Abſicht, des Schoͤpfers Lob
und Ruhm vergroͤſſert.

X 5Jn-
[330]Neu-Jahrs-Gedicht,
Jnzwiſchen iſt unſtreitig wahr, und bleibet es bey
unſern Schluͤſſen,

Die ich annoch, mit wenigem, hier werde wiederholẽ muͤſſen.

“Es iſt der Endzweck aller Menſchen, das große Welt-
Buch zu ſtudieren,

“Als welches uns den Schoͤpfer zeigt, und Sein all-
maͤchtiges Regieren;

“Das Buch, worinn die wahre Weisheit, die Furcht
des Herrn, ſehr klar geſchrieben,

“Und deſſen Jnhalt deutlich zeigt: Man ſoll Jhn ehren,
fuͤrchten, lieben.

“Dieß iſt der Endzweck unſers Hierſeyns: Daß, durch
das Sinnliche, die Seelen,

“Da ſie ſich, nach des Schoͤpfers Ordnung, mit der
Materie vermaͤhlen,

“Zu einer bruͤnſtigen Bewundrung des Schoͤpfers in
den Creaturen,

“Geſchickt und faͤhig werden moͤchten, die uͤberzeuglich
hellen Spuhren,

“Daß Gott, und was Er ſey, zu ſehn;

“Jn den Betrachtungen der vielen darinn enthaltnen
Herrlichkeiten,

“Des Schoͤpfers anzubetend Weſen, in froher Ehrfurcht,
zu erhoͤhn,

“Und uns zugleich, nach dieſer Zeit, zum ewgen Preiſe
zu bereiten.

“Ach moͤchte doch hievon die Menſchheit, auf an-
der’ Art, belehret werden!

“Ach moͤchten wir, wozu wir hier, warum uns Gott,
auf dieſer Erden,

“Zu Seinen Ehren naͤmlich, ſchuff, recht uͤberzeuglich
einzuſehn,

“Ver-
[331]auf das 1740ſte Jahr.
“Vernuͤnftig uͤberfuͤhret ſeyn! Wie wuͤrd’, in unſerm
Geiſt und Sinnen,

“Die Creatur, ja Selbſt der Schoͤpfer, ein’ andere Ge-
ſtalt gewinnen!

“Wie wuͤrde man, ſo lang wir hier, an Gott, im Jrd-
ſchen, ſich vergnuͤgen,

“Und, zum untadelhaften Leben, den Glauben des zu-
kuͤnftgen, fuͤgen!

“Wie wuͤrde doch, wenn, in den Werken, wir, unſern
Gott mit Luſt zu ehren,

“Durch Lehr’, Ermahnung und Exempel dahin gefuͤhrt,
gewohnet waͤren,

“Die ganze Menſchheit anders denken; auch anders
leben, anders ſeyn!

“Jhr Endzweck waͤr’, in der Erkenntniß des Guten,
Gottes Ehr’ allein.

“So laßt uns dann doch kuͤnftighin nicht ferner
ſonder Endzweck leben;

“Laßt uns auf Gottes weiſe Macht, in Seinen Wer-
ken, Achtung geben,

“Und, wozu wir allhier erſchaffen, doch, zu erfuͤllen,
uns beſtreben!

O ewiges, einiges Alles in allen!

Durch Deſſen Entſchlieſſen die herrliche Welt,

Begeiſterten Koͤrpern, zur Schau geſtellt;

Durch Deſſen Wollen die Waſſer wallen,

Die Flammen ſteigen, die Berge ſtehn;

Durch Deſſen Wort das Licht ſo ſchoͤn;

Durch Deſſen Ordnung alle Dinge,

Die auf der Welt geſchehn, geſchehn:

Ach
[332]Neu-Jahrs-Gedicht,
Ach laß doch, ſo oft wir, in Deinen Geſchoͤpfen,

Dich, und Dein herrlichs Weſen, ſehn,

Die Lieder, die von uns erkenntlichſt erſchallen,

Dir, ewiges, einiges Alles in allen,

Aus Lieb’ und Erbarmung, zum Opfer, ge-

fallen!

Nun wend’ ich mich zu meiner Lieder beſondrer Abſicht,
und erkenne,

Wie viel, wie faſt unzaͤhlich viel, von Gluͤck und Gutem,
Gott mir goͤnne;

Wie groß die Menge Seiner Gaben, die kaum zu zaͤh-
len, kaum zu faſſen,

Er mir im vorgen Jahr geſchenkt, und mir im vorgen
Jahr gelaſſen.

Wenn ich, ſo wie ich ſchuldig waͤr, ſie, in der Ordnung,
ſollte zaͤhlen;

So wuͤrde mir das Ende faſt, und die Geduld dem Le-
ſer, fehlen.

Da auſſer dem, was uns nicht angeht, uns ſelten auch
zu ruͤhren pflegt;

So deucht mich, daß es beſſer ſey, wenn ſie mein Geiſt
fuͤr ſich erwegt,

Und, in der Stille, meinem Schoͤpfer zum Ruhm, ſie
bey mir uͤberlegt;

Jhm herzlich dank’, Jhn lob’ und preiſe, und, mit ge-
ruͤhrter Seel’, erkenne,

Daß ich das Gute nicht verdient, und Er mirs bloß
aus Gnaden goͤnne.

Wann
[333]auf das 1740ſte Jahr.
Wann aber auch verſchiedne Zufaͤll’, im vorgen Jahr,
mir uͤberkommen,

Die mir empfindlich gnug geweſen, und mancherley
Verdruß erregt;

Wovon doch aber mehrentheils die wilden Stuͤrme ſich
gelegt,

Durch Gottes allgewaltigs Walten: hab’ ich mir jetzo
vorgenommen,

Auch dafuͤr meinen Gott zu preiſen; und, was auch
dabey mir geſchehn,

Durch Ueberlegen und Erinnern, zum Ruhm des Schoͤp-
fers, einzuſehn.

Es haben ſich, in meinem Amt, viel Zwiſtigkeiten
an den Graͤnzen,

Mit einer maͤchtgen Nachbarſchaft, ganz unverhofft,
hervorgethan:

Bald kamen hier Verdrießlichkeiten voll Schwierigkeiten
auf die Bahn,

Die mehrentheils von Folgen ſind, und nicht ſo leicht-
lich zu ergaͤnzen;

Doch iſt es mehrentheils mit allen,

Gott Lob! ſo leidlich ausgefallen,

Daß mein mir untergebnes Amt, und ja ſo wenig
unſer Staat,

An ſeinem wohlbeſeßnen Recht, was merkliches verloh-
ren hat.

Die Anſtalt, die, zu Land und Waſſer, Gott Lob! noch
ferner Seuchen wegen,

Von mir gemachet werden muͤſſen, begleitete zugleich
Dein Segen.

“O Du
[334]Neu-Jahrs-Gedicht,
“O Du allmaͤchtiger Beſchuͤtzer! wem anders ſonſten,
als nur Dir,

“Der Du dem boͤſen Uebel ſteureſt, gebuͤhret Lob und
Dank dafuͤr?

Von einigen von meinen Kindern empfing ich, im
verwichnen Jahr,

Zuweilen eine ſolche Nachricht, die eben nicht die beſte
war:

Daß ſie was rechts zwar lerneten, und was rechtſchaf-
fenes ſtudierten;

Jedoch, daß ihres Gleichen ſie, zu großem Aufwand,
auch verfuͤhrten,

Nach Art der meiſten hohen Schulen: Daruͤber hab’ ich
manche Nacht,

Jndem ich es noch ſchlimmer glaubte, mit ſchwarzen
Sorgen zugebracht.

Ach gieb, daß, bey ſo vielen Gaben, die Du denſelbigen
gegeben,

Durch ihren Schaden klug gemacht, ſie kuͤnftig moͤgen
wirthlich leben!

Ein dritter noch von meinen Soͤhnen gewann zur
See-Fahrt ſolche Luſt,

Daß er, mit wiederholtem Bitten, dahin mich zu bewe-
gen wußt,

(Da ich, zu einer Lebens-Art die Kinder ohnedeß
zu zwingen,

Nicht billig, noch erlaubet, halte) es ihm, zur Probe,
zuzuſtehn:

Da er dann, gluͤcklich, Liſſabon, nachhero Petersburg,
geſehn;

Auch,
[335]auf das 1740ſte Jahr.
Auch, muͤnd- und ſchriftlich, mir bezeugt, wie ihm ſein
Stand, in allen Dingen,

So angenehm und reizend waͤre, daß er, ſein einſt er-
waͤhltes Leben,

Nicht einſt fuͤr eines Koͤnigs Stand, geſinnet waͤre,
wegzugeben.

“Ach Herr! Der Du in allen Staͤnden, auch in der Fern’
und Naͤh, regierſt;

“Regier’ auch ihn auf ſeinen Wegen! Der Du auch
durch die tiefen Fluthen

“Die ſchwehren Waſſer-Schloͤſſer fuͤhrſt;

“Ach lenke ſein gefaͤhrlichs Wallen, durch Deine Wun-
der-Hand, zum Guten,

“Und laß ihn, auf dem weiten Meer, wie Dein allmaͤch-
tiges Regieren,

“Auch Deine vaͤterliche Vorſicht, Dein Wohlthun,
Deinen Segen, ſpuͤhren!

Noch haſt Du eins von meinen Kindern, in unter-
ſchiedlichen Gefahren,

Zumalen einſt mit Schieß-Gewehr, o Herr! gewuͤrdigt,
zu bewahren.

Da auch was, ſo mit eben dieſem geſchehen ſollen, nicht
geſchehn;

So gieb, daß das, was es gewaͤhlt, und nicht gewaͤhlt,
ſey wohlgethan,

Und nimmer ihn gereuen moͤge!

Von meinen Dir geweihten Werken iſt auch, in die-
ſem Jahr nunmehr,

Zu Deinen Ehren, und zugleich zu vieler Leſer Luſt und
Lehr,

Der
[336]Neu-Jahrs-Gedicht,
Der ſechste Theil von meinen Schriften, den andern
fuͤnfen beygefuͤget,

Der, wie ich hoͤre, manchen Leſer, ſo wie die anderen,
vergnuͤget.

Auch iſt, der andre Theil der Werke, von neuem wieder
aufgelegt;

Jmgleichen wird auch, fuͤr den fuͤnften, die rege Preſſe
ſchon bewegt:

So daß ich fuͤr den ſtarken Abgang, als eine ſonderbare
Gabe,

Dir, Geber alles Guts, zu danken, und mich zu freuen,
Urſach habe.

Des großen Popen herrlichs Werk, was er von unſerm
Stand gedacht.

Jſt ebenfals, in dieſem Jahr, von mir, in unſre Sprach
gebracht

Auch ſtimmt’ ich, in beſeelten Toͤnen, zum himmliſchen

Zuſammenklang

Jm Jrdiſchen, ein toͤnend Lied, und manchen froͤh-
lichen Geſang.

“Jch ſenke mich hier, Demuths-voll, vor Dir,
o großer Schoͤpfer! nieder,

“Und ſchlieſſe die, zu Deiner Ehr’, und unſrer Lehr’, er-
zielten Lieder.

“Laß, Herr! ſo wie ſie uͤberzeuglich, und unſern wah-
ren Endzweck zeigen,

“Uns doch des Jnhalts große Wahrheit erkennen,
merken und verſtehn:

“Damit ſie uns, zu Deinem Ruhm, mag dergeſtalt
zu Herzen gehn,

“Daß wir, in Deinen großen Werken, nicht ferner
Deinen Ruhm verſchweigen;

“Dich
[337]auf das 1740ſte Jahr.
“Dich darinn zu verherrlichen, Dich herzlich zu ver-
ehren ſuchen,

“Und alle traͤge Blind- und Taubheit, als eine Seelen-
Peſt, verfluchen!

“Wenn wir nun kuͤnftig nicht, wie vor, durch unter-
laſſenes Betrachten,

“O Schoͤpfer! Deine Weisheit, Macht und Lieb’, in
Deinem Werk, verachten;

“Nicht, ſtatt, durch froͤhliche Betrachtung derſelben,
zu Dir aufzuſteigen,

“Uns ſelbſt, von unſers Geiſtes Hoͤhe, zur Achtlosheit
der Thiere neigen:

“So wird dereinſt ein froh Erinnern, (wenn wir zum
andern Stand erleſen)

“Daß wir, nach unſerm wahren Zweck, zu Deinen
Ehren, hier geweſen,

“Verhoffentlich ein Anfang ſeyn der uns verſprochnen
Seligkeit,

“Die Du, o Liebe! bloß aus Liebe, uns dort, nach die-
ſer Zeit, bereit.


8 Theil. YAn-
[338]

Andenken
der auſſerordentlich grimmigen Kaͤlte
des 1740ſten Jahres,

nebſt
derſelben wahrſcheinlichen Urſache.
Zum Neu-Jahrs-Gedicht auf 1741.


Gott Lob! es iſt auch dieſes Jahr, dieß recht beſondre
Jahr, zum Ende!

Es hat ſchon unſrer Erden Flaͤche die ſo genannte Son-
nen-Wende,

Vor wenig Tagen, uͤberſchritten. Wir naͤhern uns
dem Sonnen-Strahl,

Der alles in Bewegung bringt, belebt und waͤrmet, abermal.

Mein Opfer, welches ich gewohnt zu dieſer Wechſel-
Zeit zu bringen,

Und den allgegenwaͤrtgen Herrn der Tag’ und Zeiten
zu beſingen,

Soll jetzt in der Erinnerung des, was im vorgen Jahr
geſchehn,

Da es ganz auſſerordentlich u. recht entſetzlich fror, beſtehn.

Jch werde mich zugleich bemuͤhn, ſo weit ſich meine Kraͤfte
ſtrecken,

Von den verborgnen Eigenſchaften der Kaͤlte ſo viel
zu entdecken,

Als bis daher davon bekannt; weil auch der Froſt den
Schoͤpfer preiſt,

Und er, wie alles auf der Welt, auch Gottes Macht
und Weisheit weiſt.

“Ach
[339]Andenken der grimmigen Kaͤlte des 1740 Jahrs.
“Ach gieb, unwandelbarer Gott, Du Herr und Urquell
aller Dinge!

“Daß, was, zu unſerm Unterricht, und Dir zum Ruhm,
ich hievon ſinge,

“Zuvoͤrderſt Dir zum wuͤrdgen Ruhm, und uns zum
Unterricht, gelinge!

Jm Winter ſiebzehnhundert vierzig, im Jenner, fiel,
mit ſolcher Strenge,

Ein nimmer faſt erhoͤrter Froſt, die Welt und Elementen an,

Daß man die, durch derſelben Wut, gewirkter fremden
Faͤlle Menge,

Und ſonderbaren Wirkungen, kaum zaͤhlen noch erzehlen
kann.

Doch zwingt mich die ſo gar beſondre Veraͤnderung in
der Natur,

Es, Gott zum Ruhm, zu uͤberlegen; zugleich den Men-
ſchen auch die Spuhr

Von der ergrimmten Macht des Froſts ein Ueberbleibſel
vorzulegen,

So weder Feur noch Sonne ſchmelzt: damit ſie wenig-
ſtens darinn,

Bey etwa nicht ſo ſtarkem Froſt, in kalten Wintern,
kuͤnftighin,

Jm Gegenhalt geringrer Plage, durch dieſe Schrift, ſich
troͤſten moͤgen;

Nicht minder uns zur Ueberlegung, daß, da die ſtrenge
Noth vorbey,

Man fuͤr die Aendrung, fuͤr den Schutz, auch unſere
Bequemlichkeit,

Jn einer ſo fatalen Zeit,

Man, dem Regierer aller Dinge mit Ernſt zu danken,
ſchuldig ſey;

Y 2Jm-
[340]Andenken der grimmigen Kaͤlte
Jmgleichen ernſtlich zu bedenken, wie leicht (wehrt’ es
der Schoͤpfer nicht)

Die Luft, ſo uns ſo unentbehrlich, uns, wenn ſie aus
dem Gleichgewicht;

Erſticken, laͤhmen und erdruͤcken, und allen koͤnnte toͤdt-
lich werden.

Jch ſuche dann, ſo gut ich kann, von auſſerordentlichen
Faͤllen,

Die die ergrimmte Kaͤlte wirkte, ein lebhaft Bild dir
vorzuſtellen.

Bey einem ſtarken Sturm aus Oſten, fing es entſetz-
lich an zu frieren;

Luft, Erde, Fluth, ja die Natur, ſchien ſelbſt durch die
Gewalt entſtellt:

Ein ſcharfer, recht ergrimmter Froſt, fing an ſo wuͤtend
zu regieren,

Befiel mit ſolchem ſtrengen Druck, als eine ſchwehre Laſt,
die Welt,

Droht’, alles ploͤtzlich zu verderben; droht’, alle Koͤr-
per zu erdruͤcken,

Und, was lebendig, Thier’ und Menſchen, ſchnell zu ent-
ſeelen, zu erſticken.

Die Luft ſchien ſelbſt erſtarret, dick, gedrungen, ſchwehr,
und gleichſam feſt:

Der rothe Saft im Wetter-Glaſe ward dergeſtalt durch
ſie gepreßt,

Daß er, weit uͤber alle Grade, noch zwey Queer-Finger
tief, geſenkt,

Ganz in der untern kleinen Kugel verſchloſſen und darinn
verſchrenkt,

So
[341]des 1740ſten Jahres.
So man ſonſt nie bemerket, lag. Die Zimmer waren
dergeſtalt

Mit kalten Theilen angefuͤllt, daß auch die heftigſte
Gewalt

Des Feuers, ſie nicht mildern konnte. Wer dichte bey
dem Ofen ſaß,

Empfand kaum eine laue Waͤrme. Wenn man den
innern Theil der Hand,

Durch die zu nahe Nachbarſchaft des Ofens, manchmal
faſt verbrannt;

Druͤckt’ ihren aͤuſſern Theil der Froſt. Ja, ob man
auch gleich nicht vergaß,

Jn Pelzwerk ſich noch einzuhuͤllen, mit rauhen Muͤtzen
ſich zu decken,

Die Fuͤß’ in einen guten Fuß-Sack, von einer Baͤren-
Haut, zu ſtecken;

Konnt’ einer dennoch kaum ſich bergen. Es mußte
denken, leſen, ſchreiben,

Weil man ſich recht beklemmet fuͤhlte, zween ganze Tage
unterbleiben.

Man konnt’ und wollte faſt nichts ſagen; man ſaß und
dacht’, und dachte nicht:

Sprach einer noch ein Wort; geſchah’ es mit einem
ſtoͤrriſchen Geſicht.

Es drenget’ alles ſich zum Ofen, um ihn zur Lindrung
anzufaſſen;

Es konnte faſt und wollte keiner, den ganzen Tag, den
Stand verlaſſen.

Y 3Der
[342]Andenken der grimmigen Kaͤlte
Der Wein zu dem geweihten Kelch war, in der Kirche,
ſo gefroren,

Daß man, denſelben aufzuthauen, ihn zu dem Feuer
bringen mußt.

Viel Huͤhner, Enten, ja das Vieh, wovon ſonſt keiner
was gewußt,

Hat hie und dort, ſelbſt in den Staͤllen, das Leben,
durch den Froſt, verlohren.

Die Baͤume borſten von einander. Nicht nur das Bier;
ſo gar der Wein,

Fror, ſelber in gewoͤlbten Kellern. Tief ausgegrabne
Brunnen deckte

Ein ſtarr, faſt undurchdringlichs Eis. Wir haben aus
der Luft die Kraͤhen,

Nebſt andern Voͤgeln, ſelbſt im Flug erſtarrt, herunter-
fallen ſehen.

Kein Brodt war eßbar; und kein Stein

Konnt’, ehe man es aufgethauet, an Kaͤlt’ und Haͤrte,
feſter ſeyn.

Es war in keinem Hauſ’, im Flecken, ein Fenſter-Schlag
herabgelaſſen:

Daher ſchien’ alles oͤd’ und leer,

Und recht, als ob, in allen Gaſſen,

Faſt alles ausgeſtorben waͤr.

Vom Bremer Poſt-Knecht lief bey uns, nach kurzer
Zeit, die Nachricht ein,

Er ſollte, nebſt zwo alten Leuten in Bremen, ebenfals
nicht minder

Jm Lande Wurſten zwo Perſonen, in Steinau auch
zwey kleine Kinder,

Und noch vier Menſchen, auf der Poſt, erſtarret und
erfroren ſeyn.

Ver-
[343]des 1740ſten Jahres.
Verſchiedne haben ihre Beine; verſchiedne, Fuͤße, Fin-
ger, Ohren,

Auch andre Glieder, ungluͤckſelig, in dieſem harten Froſt,
verlohren.

Dem unerhoͤrten Winter folgt ein nie erlebter Fruͤh-
ling nach.

Die Kaͤlte wollte nicht entweichen, es wollte ſich kein Eis
verlieren:

Aus der annoch gefrornen Erd’ erſchien’ annoch kein Gras;
es brach

Kein Laub aus noch erſtarrten Baͤumen; im May war
noch kein Gruͤn zu ſpuͤhren.

Nun ſahe man im Junius zwar wohl kein wirklich Eis
nicht mehr;

Doch war, im Julius ſo gar, die Luft noch nicht von
Kaͤlte leer.

Kein Regen fiel, kein Gras erſchien: So wie die Kaͤlte
erſt gethan;

So hinderte die ſtrenge Duͤrre und Regen-Mangel nun
daran:

Wodurch das Vieh, ſo faſt verkam, annoch in aͤuſſerſter
Gefahr,

Fuͤr Hunger umzukommen, war.

Den Fruͤhling fuͤhlt’ und ſah man nicht; es war kein
Sommer faſt zu ſpuͤhren;

Es ſchien der Herbſt, in dieſem Jahr, den vorgen Win-
ter zu beruͤhren:

Ja, wie das Korn kaum eingefuͤhrt, das heuer tief im
Herbſt geſchah,

War allbereit, zu unſerm Schrecken, ein neuer Winter
wieder da.

Y 4Es
[344]Andenken der grimmigen Kaͤlte
Es fing der Froſt ſchon vor der Mitten des reifenden
Octobers an;

Jndem ein ungewohntes Eis bereits die Waſſer-Graben
deckte,

Und nicht allein den bangen Landmann, auch den er-
ſtaunten Gaͤrtner, ſchreckte:

Der ſich annoch, was ihm fuͤr Schaden der Froſt, im
vorgen Jahr, gethan,

Nicht nur erinnert; ſondern auch den noch von Aepfeln
ſchwehren Baum,

Fuͤr banger Furcht und Schrecken, kaum

Sich unterſtehet, anzuſehn: indem er ſchon beſorgen
muß,

Die kaum zur Haͤlfte reife Frucht moͤcht’ ihm noch an
dem Zweig’ erfrieren,

Und er dadurch ſein langes Hoffen, von einem ganzen
Jahr, verlieren,

Zuſamt dem Vortheil und Genuß.

Es iſt der Zufall nicht erhoͤrt, und, was man ſah, war
nie geſehn:

Man ſiehet alle Baͤume gruͤn, voll Frucht und voller
Blaͤtter ſtehn,

An deren ſchon erſtarrtem Fuß

Das Waſſer allbereit gefroren,

Und ſeinen ſchluͤpfrich- regen Fluß,

Durch ein ganz unerwartet Eis, und einen ſchnellen Froſt,
verlohren.

Wie kann es aber moͤglich ſeyn? Hoͤrt der ſo feſt
geſetzte Lauf

Der nimmer unterbrochnen Ordnung, im Reiche der Na-
tur, denn auf,

Die
[345]des 1740ſten Jahres.
Die der unwandelbare Schoͤpfer Selbſt, unveraͤnderlich,
gegruͤndet;

Jn welcher Ordnung man den Schoͤpfer am uͤberzeug-
lichſten faſt findet,

Und die Er Selbſt auch, nach der Schrift, unwandelbar
hat feſtgeſtellt?

Es ſcheinet, daß, auf dieſe Weiſe, der Zeiten Wechſel,
in der Welt,

Nicht mehr, wie in den vorgen Zeiten, die ihm beſtimmte
Ordnung haͤlt.

Jn dieſem Jahre, da man vierzig nach ſiebzehnhundert
hat gezaͤhlt,

Hat faſt der Fruͤhling, nebſt dem Sommer, ja faſt ſo gar
der Herbſt, gefehlt.

Die wuͤteriſche Tyranney des Winters, welcher ſonder
gleichen,

War ſelbſt der Sonnen ungehorſam, und wegerte ſich,
ihr zu weichen.

Jm Fruͤhling war kein Gras noch Kraut: Jm Herbſt
ward keine Baum-Frucht reif;

Sie wurden, durch ein fruͤhes Eis, annoch in gruͤnen
Blaͤttern ſteif.

Es iſt, da es ſo ſpaͤt noch fror, und alles wieder ſchon
gefroren,

Das ſiebzehnhundert vierzigſte von unſern Jahren faſt
verlohren:

Ja in dem neun und dreyßigſten hat ſchon die Kaͤlte
ſehr regiert,

Da man, den ganzen Sommer uͤber, nur wenig Waͤrme
hat verſpuͤhrt.

Y 5Wie?
[346]Andenken der grimmigen Kaͤlte
Wie? ſtehet denn nicht in der Schrift? iſt es nicht
deutlich gnug erklaͤret:

Nie hoͤren Froſt und Sommer auf, ſo lange als

die Erde waͤhret?

Faͤllt denn der kraͤftigſte Beweis der Schrift ſowohl,
als der Natur,

Nicht, durch die Aendrung, voͤllig weg? Wo bleibt
der Gottheit hellſte Spuhr?

So ſprach der Kleinglaub’; und es ſchien, als ob ich
ſelber, dieſe Gruͤnde,

Von ziemlicher Erheblichkeit, und nicht ſo ungereimet,
fuͤnde.

Allein, ſo bald ich mich beſann, verſpuͤhret’ ich, wie,
nach und nach,

Das helle Sonnen-Licht der Wahrheit des Jrrthums
truͤben Duft durchbrach;

Wobey ſie mir doch eine Lehre, die von Gewicht, vor
Augen legte,

Und meinen Geiſt recht innig ruͤhrt’: Ach daß er ander’
auch bewegte!

“Verdienet die Unachtſamkeit, wodurch die Men-
ſchen Gottes Segen,

“So unerkenntlich, nicht zu ſchaͤtzen, ja gleichſam zu ver-
achten pflegen,

“Nicht eine kleine Zuͤchtigung? Es muß der May

uns Gras gewaͤhren;

Das Waſſer das muß geben Fiſch:* ſo wird
man faſt von jedem hoͤren.

“Von
[347]des 1740ſten Jahres.
“Von der unſeligen Gewohnheit, des Fruͤhlings Pracht
nicht anzuſehn,

“Und, in der uns gebotnen Luſt, des Schoͤpfers Ehre
zu erhoͤhn,

“Will ich nicht einmal was erwehnen: obgleich die
Gabe des Geſichts

“Uns gleich, ſamt allen andern Sinnen, hier auf der
Welt, zu anders nichts,

“Als die von Gott gewirkten Wunder zu merken, bloß
allein gegeben.

Nun wird die Ausnahm von der Regel der ſonſt
ſo wohl gepflegten Erden,

Uns eines beſſeren berichten, ein kraͤftiger Beweis-Grund
werden:

“Daß Gott regiert; daß wir allein das Gute, was
wir hier genieſſen,

“Von Jhm und Seiner Huld empfangen, und bloß
von Gott, erwarten muͤſſen.

Jnzwiſchen ſpuͤhren wir annoch, (o moͤcht’ es doch
ein jeder ſpuͤhren!)

“Daß, mitten in der Zuͤchtigung, uns Strahlen Sei-
ner Guͤte ruͤhren;

Da uns das noͤthigſte Getraide, obgleich der Sommer
faſt gefehlt,

Obgleich der Winter noch ſo ſtreng’, und noch ſo heftig
uns gequaͤlt,

Doch, durch ein wirklich wahres Wunder, und durch
des großen Vaters Lieben,

Jm Sommer dennoch wohl gerathen, und in dem Froſt
behalten blieben.

Wie
[348]Andenken der grimmigen Kaͤlte
Wie wuͤrd’ es ſonſt mit ganzen Laͤndern, mit Millionen
Menſchen, ſtehn?

Es muͤßte wenigſtens Europa, fuͤr Hunger, mehrentheils
vergehn.

Darum erwege doch ein jeder, was uns, in beyden vor-
gen Jahren,

Dadurch, daß uns der Rokken blieb, fuͤr eine Gnade
wiederfahren!

Ja, ſprichſt du, alles dieſes hebt doch meinen erſten
Einwurf nicht;

Es iſt uns anders doch ergangen, als, von der Zeit,
die Bibel ſpricht:

Der Sommer iſt nicht warm geweſen, der Herbſt hat
keine Frucht gereift;

Hiedurch werd’ ich um deſto mehr in meiner Meynung
noch geſteift.

So hoͤre! Dieſe Stelle handelt ja nicht allein von einem
Lande;

Nein! ſondern von der ganzen Welt. Nun blieb der
Reſt der Welt im Stande:

Jn andern Theilen unſrer Erden hat es an Waͤrme nicht
gefehlt;

Man hat daſelbſt, wie ſonſt, geerndtet, und ſie hat gar
kein Froſt gequaͤlt.

So folgt ja nicht: Was einem Lande, zur Strafe etwan,
auferlegt,

Daß es die Ordnung fuͤr das Ganze durchloͤchert, und
zu Boden ſchlaͤgt.

Laßt uns vielmehr die Schuld erkennen, und daß wir
alles wohl verdient;

Weil ſonſt vielleicht, durch fernen Froſt verderbet, uns
kein Gras mehr gruͤnt.

Der
[349]des 1740ſten Jahres.
Der Rokken, den man in die Erde, nur kuͤmmerlich,
hineingebracht,

Jſt in Gefahr, durch der bereits ſo fruͤh gefuͤhlten Kaͤlte
Macht,

Wofern ſie dauret, aufgerieben zu werden, gaͤnzlich
zu verderben,

Und folglich, Thier’ und Menſchen ſelbſt, fuͤr großer
Hungers-Noth, zu ſterben.

Wir flehen Dich demnach, wie billig, Regierer,

Herr und Vater! an:
Laß ſich die ſtrenge Kaͤlte mindern! weil niemand
ſonſt uns helfen kann.
Der Zeiten Wechſel kehre wieder! Laß ſich die
Wut des Froſts entfernen;
Und laß uns beſſer, als vorhin, Dein herrlichs
Werk bewundern lernen!

So dacht ich einſt im vorgen Jahr, als eben an dem
dritten Tag,

Am zehnten des November-Monats, ein ungewohnter
Donnerſchlag,

Nebſt einem ungewohnten Hagel, der kleinen Tauben-
Eyern gleich,

Bey einem ungeheuren Sturm, der aufgebrachten Luͤfte
Reich,

Mit einem hellen Blitz, zerriß. Ob nun dadurch die
kalten Theile,

Die in der Luft ſo lange herrſchten, zertheilt, vertrieben,
und, in Eile,

Jn
[350]Andenken der grimmigen Kaͤlte
Jn eine Art von Gaͤhrung kommen; begreif ich eigent-
lich zwar nicht:

Doch dieſes iſt unleugbar wahr, (und halt’ ich es fuͤr
meine Pflicht,

Es zu bemerken und zu zeigen) daß, eben von derſelben
Zeit,

Des ſtrengen Froſts, der ſtarken Kaͤlte, ſo ungewohnte
Heftigkeit,

Recht als auf einmal, aufgehoͤrt; die Luft ward feucht.
Und, wie wir pflegen,

Jm Herbſt, ein meiſtens ſchlackricht Wetter, zuweilen
Schnee, zuweilen Regen,

Auch wohl gelinde Luft, zu haben; ſo iſt es jetzt ſchon
lange her,

Daß das gewohnte Wetter herrſcht: wir fuͤhlen keinen
Froſt nicht mehr.

Ob dieß nun durch den Blitz gewirkt, kann ich nicht
eben feſt beſtreiten;

Genug, daß die Natur, Gott Lob! ſich wieder ſcheinet
einzuleiten

Jn ihren ſonſt gewohnten Gang: Und dieſes iſt wohl
ſo viel wehrt,

Daß man des Schoͤpfers Hand erkennet, und Seine
Huld darinn verehrt;

Jndem, als durch ein Wunderwerk, wir dadurch neue
Hoffnung haben,

Jm angenehmern Lenz und Sommer uns kuͤnftig, wie
vorhin, zu laben.

Denn, daß wir, bey des Jahres Schluß, aufs neue,
Schnee und Froſt bekommen,

Dadurch wird, weil es Winter iſt, uns unſre Hoffnung
nicht benommen.

Nachdem
[351]des 1740ſten Jahres.
Nachdem wir nun, was, durch den Froſt, der Welt,
im vorgen Jahr, geſchehn,

Zu ſchuldiger Erinnerung, mit Ernſt betrachtet und
beſehn;

Wird es nicht ohne Nutzen ſeyn, den Geiſt, den Gott
uns hat gegeben,

Sich auf den Zuſtand der Natur, im Froſt, zu wenden,
zu beſtreben,

Und uns, ſo weit es uns vergoͤnnt, ihn zu ergruͤnden,
zu bemuͤhn:

Damit wir der Unwiſſenheit, ſo viel es moͤglich, uns
entziehn;

Um, in bewundernder Erkenntniß von unſers Gottes
weiſen Wegen,

Deſſelben Allmacht, Lieb’ und Weisheit, in Lieb’ und
Furcht, zu uͤberlegen.

Nachdem wir, in verſchiednen Schriften, faſt uͤber-
zeuglich, anerkannt,

Und gleichſam Sonnen-klar befunden, daß bey uns, in
und um der Erden,

Auch unſrer untern Luft, die Theile der Waͤrme, bloß
gefunden werden,

Wovon man meynete, ſie wuͤrden uns von der Sonne
zugeſandt;

So deucht mich, daß man weiter gehen, und auch daraus
erweiſen koͤnne,

Woher uns, oft im Sommer ſelber, der nahen Sonne
Strahl nicht brenne,

Und es zuweilen heftig kalt: da naͤmlich durch den kal-
ten Duft,

Der aus dem Nord-Pol oͤfters quillt, die warmen Theil’
in unſrer Luft

Ver-
[352]Andenken der grimmigen Kaͤlte
Verdrengt, vertrieben, und geſchwaͤcht; einfolglich (wie
die Wolken hindern,

Daß uns der Sonnen-Strahl nicht trifft) ſie auch der
Sonne Kraft vermindern,

Durch ihrer Theile froſtigs Weſen, daß ſie dieſelben
nicht durchdringt,

Noch die Partikeln lauer Waͤrme in richtige Bewegung
bringt,

Ohn welche wir die linde Kraft der holden Waͤrme nicht
verſpuͤhren.

Jch laſſe mich durch dieſe Meynung, da ſie gegruͤndet,
weiter fuͤhren,

Und deucht mich, wie aus ſelbiger, von Folgerungen
mancherley,

So auch vielleicht aus ihr zugleich, die Urſach zu ergruͤn-
den ſey,

Woher (wie ſonſt zur Winter-Zeit die Kaͤlte pflege her-
zukommen)

Sie ſonderlich in dieſem Jahr, ſo heftig, uͤberhand ge-
nommen.

Vermuthlich (da, wie wir erwieſen, daß in der Erd’
ein wahres Meer,

Von einer innern Luft, vorhanden, und daß ſie, aus
dem Nord-Pol her,

Beſtaͤndig quillet, uͤberwaͤrts ſich in die aͤußre Luft er-
gieſſet,*

Und uͤberall die ganze Flaͤche von unſerm Erden-Kreiß
beflieſſet)

Hat
[353]des 1740ſten Jahres.
Hat ſich, ganz auſſerordentlich, von einer kaͤltern Luft
ein Guß,

Von ſcharfen Theilen, ausgegoſſen, in großer Meng’
und Ueberfluß,

Wodurch die warmen Feuer-Theilchen vielleicht geſchwaͤ-
chet und gehemmet:

Und, da der Sonnen rege Kraft, durch jener Menge,
recht verdaͤmmet,

Zu ihnen gleichſam nicht gelangen, noch in Bewegung
bringen kann;

Seh’ ich ſie fuͤr des ſcharfen Froſts und ſtrengen Winters
Urſach an.

So wie der Wolken dichte Koͤrper uns oft das Licht
der Sonne rauben,

Und unſern Augen ſichtbar ſind; ſo ſcheinet von der Luft
zu glauben,

Daß ſie von kalten Theilen oft ganz angefuͤllet koͤnne ſeyn:

Durch die, ſo wie das Licht durch Wolken nicht dringen
kann, vom Sonnenſchein

Der Waͤrme Kraft nicht koͤnne dringen. Die kalten
Theile kommen mir

Sodann, in unſrer untern Luft, als unſichtbare Wolken fuͤr,

Wodurch der Sonnen warme Kraft ſo wenig, als, am
truͤben Tag,

Das Licht durch Wolken dringen kann, zu wirken und
zu gehn vermag.

Wann alſo nun die rege Kraft der Sonnen unſer Feur
nicht ruͤhret,

Das Gott um unſre Welt gelegt, und dieß durch ſie
nicht angeſchuͤhret;

So wird, auf unſrer Erden Flaͤche, auch eine Waͤrme
nicht verſpuͤhret.

8 Theil. ZNach-
[354]Andenken der grimmigen Kaͤlte
Nachdem wir nun, nach Moͤglichkeit, von unſers
Schoͤpfers weiſen Wegen,

Auch wenn der rauhe Winter raſ’t, das Wunderwerk
zu uͤberlegen,

Die Kraft des Geiſtes angeſtreckt; ſo heiſcht es meine
Schuldigkeit,

Dem Guten, welches mir, beſonders in der vergangnen
Jahres-Zeit,

So uͤberſchwenglich, zugefloſſen, in froher Andacht nach-
zudenken,

Und Dem, Der alles Gute giebt, ein Dank-begierges
Herz zu ſchenken.

Bey der ergrimmten Kaͤlte Wut, die faſt die halbe
Welt beſtuͤrmt,

War ich, nebſt allen Meinigen, durch Dich geſichert
und beſchirmt.

Unzaͤhliche Bequemlichkeit konnt’ ich, bey ſcharfem Froſt
und Winden,

Durch warmer Zimmer lauen Duft, in Kleidern, Trank
und Speiſ’, empfinden:

So daß, da die gemeine Plage mich und die Meinen
nicht beruͤhrt,

Jch ſchuldig, Deſſen Huld zu preiſen, durch Deſſen Schutz
ich nichts geſpuͤhrt.

Denn alles, was viel’ andre druͤckte, haͤtt’ auch mir
uͤberkommen koͤnnen,

Wenn, durch die mir geſchenkten Umſtaͤnd’, Er mir den
Schutz nicht wollen goͤnnen.

Du ſegneteſt vor vielen andern, mit reifen Fruͤchten,
dieſes Land;

Du ſchuͤtzeteſt, und benedeyteſt mit Gluͤck und Segen,
meinen Stand.

Es
[355]des 1740ſten Jahres.
Es hat, in dieſem Jahr annoch, ein ganz beſonderes
Vergnuͤgen,

Zu ungezaͤhltem anderm Guten, zu meiner Luſt, ſich
muͤſſen fuͤgen:

Da ich ein kleines Enkelchen, das ſchoͤn, ja recht aus-
nehmend ſchoͤn,

Und mit beſonderm Geiſt begabt, zum allererſtenmal
geſehn.

Es hat mich ſein ſo lebhaft Weſen in ganz beſondre Luſt
geſetzet;

Sein kindiſch-munterer Betrieb hat mich recht ungemein
ergetzet,

Und zwar weit mehr, als unſre Sippſchaft: Denn,
wenn ihn auch ein Fremder ſieht,

So iſt wohl keiner, deſſen Lieb’ er nicht gleich zu und
auf ſich zieht.

“Jch danke Dir, mein Gott! von Herzen, daß Du
denſelben uns gegeben,

“Und flehe Dich inbruͤnſtig an: Laß ihn zu Deinen
Ehren leben!

Was ſind nicht ſonſt, in meinem Amte, fuͤr Faͤlle
von mir abgekehrt,

Die wuͤrdig, daß mein Geiſt die Hand, die mich beſchirmt,
in Demuth ehrt!

Jch habe, mit Gewalt und Waffen, des Strandes Frey-
heit ſchuͤtzen muͤſſen,

Wie Guͤt- und Lindigkeit nicht half; was uns ſchon
mehrentheils entriſſen,

Ward herzhaft wieder hergeſtellt: Wobey dann ich und
jedermann,

Daß alles gluͤcklich ausgefuͤhrt, Gott nie genug verdan-
ken kann.

Z 2Viel
[356]Andenken der grimmigen Kaͤlte
Viel Graͤnz- und andre Streitigkeiten ſind all’ in ſol-
chem Stande blieben,

Daß keine feindliche Gewalt dieſelben noch zuruͤck ge-
trieben.

Verſchiednes iſt zum Landes-Beſten, ſo noch nicht einge-
richtet war,

Verbeſſert und verordnet worden, in dieſem abgewichnen
Jahr.

Weil dann nun auch in dieſem Lande mein Regiment
zu Ende gehet,

Und eine neue Lebens-Art, aus der Veraͤnderung, ent-
ſtehet,

Da ich die Einſamkeit verlaſſen, und wieder in die große
Welt,

(Die ich faſt, und ſie mich, vergeſſen) weil es dem Him-
mel ſo gefaͤllt,

Mich auf das neu begeben muß; ſo gieb, auf dieſen
neuen Wegen,

Mir, o Du Segens-reicher Gott! doch auch von neuem
Deinen Segen!

“Ach gieb, wenn die beſchiedne Zeit, ſo wie bisher,
begluͤckt vorbey,

“Daß meine Wiederkehr nach Hamburg doch auch
gebenedeyet ſey;

“Daß ich, wenn ich dort neue Aemter, die mir beſchie-
den ſind, erhalten,

“Sie Dir zur Ehre, meinem Naͤchſten und mir zum
Beſten, mag verwalten!

Jch habe hier, obgleich nicht immer, ſo manchen ſtil-
len Tag verbracht;

Jch gab, in meiner Einſamkeit, auf Deine Creaturen Acht.

Jch
[357]des 1740ſten Jahres.
Jch habe, Dir zum Ruhm, mit Luſt, hier manch erbau-
lichs Lied geſchrieben;

Ach gieb, daß ich nicht minder dort, die ſuͤßen Pflichten
auszuuͤben,

Gelegenheit und Luſt behalte! Dieweil ich voͤllig uͤberfuͤhrt,

Daß, wenn man ſich nicht Deiner freut, man ſeine Le-
bens-Zeit verliert.

Zumal ich, was, von meinen Lehren, ich oͤfters in den
vorgen Jahren,

Daß ſie nicht ohne Nutz geweſen, Gott Lob! auch dieſes
Jahr erfahren;

Wovon ich aber lieber ſchweigen, und meinem Schoͤpfer,
in der Still,

Dafuͤr, in tiefer Demuth, danken, als Neid und Miß-
gunſt reizen will.

Nur muß ich noch mit einem Wort, weil es doch
ohne das bekannt,

Mich dieſes oͤffentlich erinnern, daß mir ein koſtbar ſchoͤ-
ner Band,

Von meinem uͤberſetzten Buche, aus Holland juͤngſt
ward uͤberſandt,

Das von dem klugen Opterbeek, ſehr ſchoͤn, in Nieder-
laͤndſcher Tracht,

Mit dem Verſprechen, fuͤr noch mehr, wohl uͤberſetzt
ans Licht gebracht.

Du haſt, noch vor des Jahres Schluß, von einem
meiner Soͤhne, mir

Die Nachricht unverhofft gegoͤnnt, daß er, nach abge-
legter Reiſe,

Die wohl gefaͤhrlich gnug geweſen, in Hamburg kommen,
und bald hier,

Zu meinem Troſt, erſcheinen wird: Auch dieß gereicht
Dir, Herr! zum Preiſe,

Z 3Daß
[358]Andenken der grimmigen Kaͤlte
Daß Du, in ſo gar mancherley und faſt unglaublichen
Gefahren,

Auf ſeinen fernen Waſſer-Wegen, gewuͤrdiget, ihn
zu bewahren.

“Ach Herr! laß auch im kuͤnftgen Jahr, ſo mir als
auch den lieben Meinen,

“Jn ihren ſo verſchiednen Staͤnden, die Sonne Dei-
ner Gnade ſcheinen!

Jch ſchlieſſe dann. Doch, eh ich ſchlieſſe, muß ich
noch eins zuruͤcke gehen,

Und auf den Vorwurf dieſes Liedes, den ſchwehren Froſt,
noch einmal ſehen.

Der Kaͤlte Zuſtand ſollte billig zu einem ernſten Ueber-
legen,

Wie leicht, auch bloß nur durch die Luft, wir aufzurei-
ben; uns bewegen:

Nicht weniger, wie ordentlich die Elementen eingerichtet,

Daß, durch ein Regel-recht Verhaͤltniß derſelbigen, wir
nicht vernichtet;

Wie ſonſt, wenn durch ein Ungefehr

Der Kreiß der Welt beſorget waͤr,

Bald durch zu großer Hitze Macht, bald durch zu ſtren-
ger Kaͤlte Buͤrde,

Gewiß genug geſchehen wuͤrde.

Denn ein ſo ſeltner Fall, wie der in abgewichner Win-
ters-Zeit,

Scheint eine Abſicht zu entdecken,

“Um, die vor Gottes Werken blind, vom Schlaf der
Unempfindlichkeit,

“Durch ſtarkes Ruͤtteln, zu erwecken.

Mein
[359]des 1740ſten Jahres.
Mein Schoͤpfer! da Du ſolche Wunder, im
Reiche der Natur, verrichteſt,

Mit einer unleugbaren Weisheit, vereint mit Lieb’
und Macht, regierſt,

Was Du erſchaffen, Welt und Himmel, in un-
verruͤckter Ordnung fuͤhrſt,

Und Creaturen, die vernuͤnftig, dadurch zum Dank
und Ruhm verpflichteſt:

Ach! laß doch, unſrer Seelen Kraͤfte darauf zu
richten, uns beſtreben,

Daß wir, in froͤhlicher Betrachtung, Dir unſern
Dank zum Opfer geben,

Und, in Bewundrung, Lob und Ehrfurcht, zu
Deinen heilgen Ehren leben!


Z 4Neue
[360]

Neue Betrachtungen
uͤber die
Natur des Lichts und der Waͤrme,
nach Anleitung des Spect. de la Nat.
Auf das 1742ſte Jahr.


Quell des Lebens, Brunn des Lichts, ewiges
ſelbſtſtaͤndigs Licht,

“Urſtand aller Geiſt- und Koͤrper! Es erfodert meine
Pflicht,

“Bey der Zeit, die ſo betraͤchtlich, da ſich unſer Jahr
geendet,

“Und ſich unſrer Erden Flaͤche zu der Sonne wieder
wendet,

“Fuͤr ſo Segen-reiche Ordnung in derſelben Waͤrm’
und Schein,

“Dir, ſo ihr- als unſerm Schoͤpfer, ein bewundernd
Herz zu weihn,

“Und zugleich, ſo viel mir moͤglich, mehr auf ſolche
Spuhr zu bringen,

“Ein Dein Werk verherrlichend Lob- und Freuden-Lied
zu ſingen.

Was iſt eigentlich der Zweck unſerer Aufmerkſamkeit,

Bey dem eingetretnen Jahr, bey der frohen Wechſel-Zeit,

Anders, als, zu Gottes Ehren, Seine weiſe Macht
beachten,

Und die Proben Seiner Lieb’ auch zugleich dabey be-
trachten,

Die
[361]Betracht. uͤber die Nat. des Lichts u. der Waͤrme.
Die Er, in dem Drehn der Erde, uns allein zum Nutzen
zeigt?

Das wahrhaftig ſolch ein Wunder, ſo das Denken
uͤberſteigt.

Ein ſo ſchreckliches Gewicht in ſo richtger Ordnung fuͤhren,

Einen ſolchen großen Koͤrper wohl und Regel-recht regieren,

Daß er alle Tage ſich zu und von der Sonne dreht,

Und zugleich, durch die Bewegung, jaͤhrlich um dieſelbe
geht,

Zeiget Macht und Lieb’ und Weisheit, um ſo mehr
und deutlich, an,

Als der Thier’ und Pflanzen Reich nimmer ſich erhalten
kann,

Wenn die richtige Bewegung unſerm Erd-Kreiß fehlen
ſollte,

Und ſie nicht in ſteter Ordnung, ſondern wild und fluͤch-
tig, rollte.

Da der Sonne waͤrmend Licht ſo nothwendig allen
Dingen,

Und dennoch, wenn ihre Strahlen ſtets auf eine Stelle
dringen,

Alle Dinge gleich verkommen, ſterben muͤßten, und
vergehn;

Welches jetzt behindert wird durch das ungehemmte Drehn:

So [e]rwege man doch oft, zu des großen Schoͤpfers Ehre,

Welche Weisheit, welche Liebe, welche Macht, dazu gehoͤre,

Auſſer Sonn’ und Welt zu ſchaffen, durch ſo weisliches
Verwalten,

Das ſo einſt erſchaffen worden, unverruͤcket zu erhalten.

Dieß Erhalten zu betrachten, dieſes Wunder zu ermeſſen,

Muͤſen wir, zu dieſer Zeit, voll Bewundrung, nicht
vergeſſen.

Z 5Wann
[362]Betrachtungen uͤber die Natur
Wann ich nun, bey der Betrachtung, mich zugleich
getrieben fuͤhle,

Auch das Licht zu unterſuchen, und deſſelben Eigenſchaft;

Ferner, in wie fern hierinn dieſer Sonnen wahre
Kraft

Bey demſelben ſich erſtrecket; wend’ ich mich zu dieſem
Ziele:

“Herr, Der Du der Menſchen Geiſt zugerichtet und
bereitet,

“Daß er, ſtaffelweiſe nur, zu der Wahrheit wird
geleitet;

“Da uns die Erfahrung zeigt, daß ſich, zu gewiſſen
Jahren,

“Viele Wiſſenſchaften gleichſam auf behalten und ver-
ſpahren;

“Welches meine Meynung ſtaͤrket, daß die Welt noch
immer mehr,

“An Begriffen, ſich bereichert, und ſich beſſert, Dir
zur Ehr:

“Staͤrke meiner Seelen Kraͤfte! Laß, da ich mir vor-
genommen,

Licht und Waͤrme zu betrachten, es begluͤckt zum
Stande kommen,

“Daß darinn, wie ordentlich die Natur (durch Dich
regiert)

“Jhr Geſchaͤfft, uns bloß zum Nutzen, ſo verwunder-
lich, vollfuͤhrt,

“Offenbar und deutlich werde, wir vernuͤnftiger ver-
ſtehn,

“Und wir gruͤndlicher, in allem, Deine weiſen Wege
ſehn!

Ein
[363]des Lichts und der Waͤrme.
Ein jeder glaubte faſt bisher, ob ſtammten Waͤrme,
Licht und Schein,

Unmittelbar und weſentlich, aus unſrer Sonne bloß allein;

Da doch nunmehro die Erfahrung uns uͤberfuͤhrt, (wie
fremd es klinget)

Daß, bloß die Sonne, Licht und Waͤrme belebt und in
Bewegung bringet,

Und daß die Waͤrm’ und Lichtes Theile, ſo in der Luft,
als auf der Erden,

Fuͤr ſich allein vorhanden ſind, und uͤberall gefunden
werden.

Wir wollen erſt den Kreiß der Luft betrachten, wie er
zu dem Licht

Das meiſte beyzutragen ſcheine; wie wunderbar er zu-
gericht,

So daß, wenn keine Luft vorhanden, des Lichtes jetzt
ſo lieblichs Blitzen

Uns kein Vergnuͤgen geben koͤnnte, und uns ſehr wenig
wuͤrde nuͤtzen:

Nachhero, wie der Waͤrme Theile, vom Schoͤpfer,
unſrer Welt geſchenkt,

Und wie er ſie bald mehr, bald minder, der Erde Flaͤchen
eingeſenkt.

Zum erſten Theile der Betrachtung wird unſre Daͤmm-
rung, die wir ſpuͤhren,

So fruͤh, als auch des Abends ſpaͤt, am allerdeutlichſten
uns fuͤhren.

Ein ſchwaches Licht faͤngt maͤhlich an, und machet den
Geſichts-Kreiß grau,

Noch eh ich von der Sonnen Koͤrper, nebſt ihren Strah-
len, etwas ſchau.

Dieß
[364]Betrachtungen uͤber die Natur
Dieß iſt ja fremd, und kaum begreiflich. Mir zeiget ſich
ja ſonſt kein Licht,

Wenn nicht ſein Strahl die Augen trifft. Jetzt ruͤhrt
es meinen Blick ja nicht,

Jndem die Sonne weit entfernt. Ja, waͤr’ auch gleich
ein Strahl zu ſpuͤhren,

Wuͤrd’ alles ſich doch, in der Tiefe des Himmels unge-
ſpuͤhrt, verlieren;

Wo etwa nicht ein feſter Koͤrper daſelbſt vorhanden,
welcher ihn,

Jm Wiederſchlage, ruͤckwaͤrts ſchickte, und etwa, wie
der Mond, uns ſchien:

Sonſt iſt, nach der Natur des Lichts, ſein Glanz und
Schein vor uns verſchwunden.

Wird nun, fuͤr uns, in der Natur, ein ſolcher Koͤrper
wohl gefunden,

Der uns ſo großen Dienſt gewaͤhrt? Wofern er iſt;
ſo muß ſein Weſen

Um deſto mehr betraͤchtlich ſeyn, weil er uns, ungeſehen,
nuͤtzt,

Und deſto mehr bewundernswehrt, weil er allein fuͤr uns
erleſen.

Dieß iſt der zarte Luft-Kreiß nun, der rings um unſern
Erd-Kreiß liegt,

Und welchen eine weiſe Liebe, und Wunder-Macht, uns
zugefuͤgt:

Damit, nebſt manchem anderm Nutzen, durch ihn, die
Buͤrger dieſer Erden,

Mit fruͤh- und ſpaͤterm Licht verſehn, beſchienen und
erleuchtet werden.

Daß
[365]des Lichts und der Waͤrme.
Daß er aus lauter zarten Blaͤschen beſtehet, haben
wir geſehn,

Durch welche tauſend Wunder-Werk’, im Regen, Blitz
und Thau, geſchehn. *

Jetzt zeiget uns ſein zarter Koͤrper noch einen neuen
Nutzen an,

Da man, durch ſein durchſichtigs Weſen, die Himmels-
Koͤrper ſehen kann,

Und auch zugleich, durch ihr Geweb’, ein unausſprech-
lichs Gut empfaͤnget,

Da ſie nicht nur den Tag uns ſchafft; ihn auch noch,
fruͤh und ſpaͤt, verlaͤnget.

Wenn unſrer Erden Flaͤche ſich dem Sonnen-Licht, auf
achtzehn Grad,

Des Morgens, kaum genaͤhert hat;

Empfaͤngt die Luft, die zwanzig Meilen noch hoͤher, als
die Erde, ſtehet,

Bereits vom Sonnen-Licht die Kraft; die ſie beruͤhrt,
und in ſie gehet,

Sich bieget, und ſich abwaͤrts lenkt,

Und ſich, das Licht ſtets reflectirend, dadurch zu uns
herunter ſenkt:

Wodurch, indem die Lichtes-Theile beſtaͤndig in der
Wirkung bleiben,

Sie ſich, nicht nur in gleichem Strich; auf allen Sei-
ten, um ſich treiben,

Und dadurch alle Ding’ erhellen, die neben, um und an
uns ſeyn,

Mit einem, durch der Luft Natur erregten, mittelbaren
Schein.

Der
[366]Betrachtungen uͤber die Natur
Der Nutzen wird nicht fruͤh und ſpaͤt, in unſrer Daͤmm-
rung nur, verſpuͤhret;

Auch wenn die Sonn’ am hoͤchſten ſteht, verſchafft die
Luft uns, und gebieret,

Die ſtaͤrkſten Wirkungen des Lichts. Der Strahl ſelbſt,
den die Erd’ erhaͤlt,

Schlaͤgt wieder ruͤckwaͤrts in die Luft; wo er aufs neu
herunter faͤllt,

Und alle Vorwuͤrf’ helle macht, durch ihr ſtets nieder-
ſchlagend regen,

Wodurch ſie uns erwaͤrmt und leuchtet, durch ein beſtaͤn-
diges Bewegen.

Denn daß die Luft, zuſamt dem Licht, zugleich uns auch
die Waͤrm’ erhaͤlt,

Sie bald vermehret, bald vermindert, hat die Erfahrung
feſtgeſtellt.

Der Luft-Kreiß macht und unterhaͤlt um uns den allge-
meinen Tag,

Durch den man alles, was erſchaffen, und koͤrperlich,
zu ſehn vermag;

Der aber, wenn mans recht bedenkt, und ſich nicht, wie
bishero, irrt,

Weit minder noch durchs Sonnen-Licht, als durch die
Luft, verurſacht wird.

Dieß wird man nicht ſo leichtlich glauben. Wie?
wird man ſagen, wenn die Luft,

Da ſie der Sonnen Licht vereint, den Tag verurſacht;
(laß den Duft

Einſt, in Gedanken, ſich verlieren)

Wird man ſodann die Sonne ſehn, und dennoch keinen
Tag verſpuͤhren?

Jch
[367]des Lichts und der Waͤrme.
Jch will einſt, ſo wie du, gedenken. Die Luft iſt weg,
es iſt geſchehn;

Wir ſehn die Erde nun enthuͤllet, und uͤber ihr die
Sonne ſtehn.

Fruͤh gehet, vor der Sonnen Aufgang, nun keine Daͤm-
merung vorher:

Die Morgen-Roͤth’ iſt auch nicht da; weil alle Himmels-
Theile leer,

Und nichts darinn, woran das Licht,

Und deſſen ſchraͤger Strahl, ſich bricht.

Die allerdickſten Finſterniſſen bedecken uns bis zur
Secunde,

Da ſich der Sonnen Koͤrper zeigt: Der bricht dann
ploͤtzlich aus dem Grunde,

Nicht groͤßer, als wir ihn des Mittags, in ſeiner groͤßten
Hoͤhe, ſehn,

Und bleibt in dieſer Form beſtaͤndig, bis wieder zu dem
Untergehn;

Das dann fuͤr uns nicht minder ſchwarz, als wie die
allerdickſte Nacht.

Nun wird die Sonne zwar die Augen, mit einer
hell beflammten Pracht,

Mit einem hellen Glanz, uns ruͤhren;

Doch, da wir keinen Luft-Kreiß ſetzen, wird man ſie
anders nicht verſpuͤhren,

Als wie ein Feur, das in der Nacht, auf einem weiten
Felde, brennt.

Es iſt zwar Tag, man ſieht die Sonne, auch das, was
ſich von uns nicht trennt,

Und
[368]Betrachtungen uͤber die Natur
Und etwan alle nahe Vorwuͤrf’; allein, die Strahlen,
welche fallen

Auf Koͤrper, die ein wenig fern, verlieren ſich den Au-
genblick

Jn die geraume Himmels-Tiefe, und kommen nicht auf
uns zuruͤck:

Dahero kann man ſie nicht ſehn, und ſpuͤhrt faſt nichts
von ihnen allen.

Der Sonnen Glaͤnzen unerachtet, ſo iſt es jedennoch
gewiß,

Auch bey derſelben Gegenwart umgaͤb’ uns Nacht und
Finſterniß.

Anſtatt der all erhellnden Weiße, (woraus die Tage
meiſt beſtehn,

Und die uns die Natur entdeckt, da ſie des Himmels
Blau formieret,

Und auch zugleich, auf unſrer Welt, mit Farben den
Geſichts-Kreiß zieret)

So wuͤrden wir nur ſchwarze Tiefen, und einen dunklen
Abgrund, ſehn,

Jn welchen, von der Sonnen Strahl, kein einzger Vor-
wurf zu erblicken,

Der faͤhig, das empfangne Licht auf unſre Welt herab
zu ſchicken.

Zwar wuͤrden wir, am Firmament, die Gegenwuͤrfe
ſich vermehren,

Und, nebſt der Sonn’, auch Sterne ſehn; doch kann
uns dieß noch mehr erklaͤren,

Daß,
[369]des Lichts und der Waͤrme.
Daß, ſonder Luft-Kreiß, auch kein Tag auf unſrer Erde
koͤnnt’ entſtehn:

Weil bloß die Luft, durchs Reflectiren, der Sonnen Schein
ſo ſehr verſtaͤrkt,

Daß man, durch das vermehrte Licht, der Sterne Ge-
genwart nicht merkt.

Und alſo wuͤrde zwar die Sonne ſich uͤber unſerm Haupt
erhoͤhn;

Doch wuͤrden wir, wo unſer Luft-Kreiß nicht da waͤr,
oder ſollte ſchwinden,

Uns, ſelber bey der Sonnen Glanz, in einer ſteten Nacht
befinden:

Jn welcher dann, mit unſrer Nacht, ſich noch ein ſolcher
Unterſcheid

Eraͤugen wuͤrde, daß, da jetzt, in einem angenehmen
blauen,

Und einem lieblich-holden Grunde, das funkelnde Geſtirn
zu ſchauen;

Der Grund dann wuͤrde dunkel ſeyn, und ſchwarz, recht
als ein Trauer-Kleid.

Wie? wirfſt du mir vielleicht noch weiter, bey dieſen
meinen Schluͤſſen, ein:

Soll denn der ſchoͤne blaue Himmel hinfuͤro nun nichts
anders ſeyn,

Als wie ein wenig Luft und Waſſer? Soll denn nur
bloß, von unſrer Erden,

Als ein’ um ſie geſpannte Decke, der Himmel angeſehen
werden?

Jch ſpreche: Ja. Und dieſes iſt ein ſolches Wunder,
welches wir

Beſonders zu bewundern haben. Uns zeiget dieſe Ord-
nung hier

8 Theil. A aRecht
[370]Betrachtungen uͤber die Natur
Recht klar und uͤberzeuglich an, daß des ſelbſtſtaͤndgen
Schoͤpfers Weſen,

Von Seiner vaͤterlichen Lieb’, als einen Vorwurf, uns
erleſen.

Zwar ſcheinen Luft- und Waſſer-Blaͤschen von nicht
beſonderm Wehrt zu ſeyn,

Und, zu ſo einer großen Probe, zu klein und zu gering.
Allein,

Des Schoͤpfers weiſe, maͤchtige und Gnaden-reiche
Allmacht-Hand

Hat ſie mit ſolcher Kunſt geordnet, ſo kuͤnſtlich um die
Welt geſpannt,

Damit der Flammen-reichen Sonne, zuſamt ſo vieler
Sterne, Schein,

Fuͤr uns, mit allen ihren Strahlen, nicht ſollten ſonder
Nutzen ſeyn.

“Gott kann bereichern und verſchoͤnern, das, was
Er will. Nach Seinem Willen

“Muß, auch aus Luft- und Waſſer-Blaͤschen, ein
Schatz von Ehr- und Nutzen quillen.

“Er weiß aus ihnen, uns zum Beſten, (1) die ſanften
Daͤmmrungen zu ziehn,

“Durch ſie die Augen zum Empfang (2) des großen
Lichtes zu bereiten.

“Er laͤſſet, bloß durch dieſes Mittel, (3) der Morgen-
Roͤthe Roſen bluͤhn;

“Er bringt aus ihnen, uns zum Beſten, (4) des Ta-

ges Glanz und Herrlichkeiten,

“Die uns die Sonne ſelbſt nicht reicht. Er hat ſie
zubereiten wollen,

“Daß ſie zugleich auch, von der (5) Waͤrme, uns zu
Behaͤltern dienen ſollen,

“Die
[371]des Lichts und der Waͤrme.
“Die alles das, was lebet, naͤhrt. Er hat (6) den
hellen blauen Bogen,

“Der uͤberall das Aug’ ergetzt, aus ihnen, um die
Welt gezogen,

“Als unſrer Wohnung ſchoͤn Gewoͤlbe. Der Schoͤpfer
haͤtt’ es koͤnnen ſchwaͤrzen;

“Allein, der Schwaͤrze Dunkelheit betruͤbt und ſchrecket
unſre Herzen.

“Die rothe Farbe, nebſt der weiſſen, dient auch zu die-
ſem Endzweck nicht:

“Die Augen wuͤrden uns verletzet durch ſolcher Farben
blendend Licht.

“Die gelbe dient der Morgen-Roͤthe; auch ſtaͤche,
wenn der Himmel ganz

“Jn einer gelben Farbe brennte, davon nicht ab der
Sternen Glanz.

“Der ſchoͤne Bogen haͤtte zwar, in einem angenehmen
Gruͤnen,

“Zu unſrer Luſt, nicht minder ſchoͤn, und voller Lieb-
lichkeit, geſchienen;

“Allein, dieß iſt die holde Farbe, mit welcher Gott
die Welt geſchmuͤckt,

“Die man, als einen ſchoͤnen Teppich, ſtets unter un-
ſerm Fuß erblickt.

“Das Blau hat dieß noch uͤberdem, daß, ſonder Haͤrt-
und Traurigkeit,

“Es, durch noch einen dunklern Grund, die Stern’
erhebt, und uns erfreut.

A a 2So
[372]Betrachtungen uͤber die Natur
So kuͤnſtlich iſt dieß Luft-Gebaͤude, daß, ob es gleich
ſehr dick und dicht,

Es doch ſo klar iſt, ſo durchſichtig, daß auch der fernen
Sterne Licht

Durch den behenden Koͤrper ſtrahlt, durch ihr ſo zartes
Weſen bricht.

Jch frage dann vernuͤnftge Seelen, warum des Schoͤp-
fers Wunder-Hand

Das ausgedehnte Luft-Gewebe um unſern Erden-Kreiß
geſpannt?

Ein ſich und uns betriegender Philoſophus irrt, wenn er
meynet,

Und ſaget, daß er ihm ein Hefen von jenen regen Wir-
beln ſcheinet.

Da gegentheils ein redliches und mehr erleuchtetes Gemuͤth,

Jn dieſem Wunder, Wunder-Proben von einer weiſen
Ordnung ſieht,

Und auch von Gottes Macht und Liebe, wodurch, mit
ſolchen reichen Schaͤtzen,

Da dieſe Welt fuͤr uns gemacht, Er uns gewollt, und
will, ergetzen.

Nun laßt uns noch, bewundernd, ſehn, wie Gott
auch unſre Welt bezirket

Mit Theilen einer ſuͤßen Waͤrm’, und wie die Sonn’
in ihnen wirket.

Der Schoͤpfer, wie Er unſre Sonne formieret, und
ihr eine Stelle

Jm tiefen Himmel angewieſen, hat ſie zum Mittelpunct
gemacht,

Aus welchem Licht und Farben quillen. Sie zeiget uns
der Erden Pracht,

Jn ſchoͤnen Farben; macht dabey der dunklen Erden Flaͤche
helle,

Und
[373]des Lichts und der Waͤrme.
Und alle Creaturen ſichtbar. Doch Gottes Weisheit
hat anbey,

Zu zeigen, wie es Seiner Weisheit und Macht ſo leicht
und moͤglich ſey,

Aus einem einzgen Jnſtrument verſchiedne Wirkungen
zu bringen,

Dieß große Wunder-Rund beſtimmt, zugleich ein richtig
Maß von Hitz’

Und Waͤrm’ auf Erden auszuſpenden; wodurch dieſelbe
allen Dingen,

Den Menſchen, Thieren, und den Pflanzen, auf mehr
als eine Weiſe, nuͤtz.

Zwar kann die Waͤrme denen Koͤrpern, im eigent-
lichen Sinn, das Leben,

Jmgleichen ihres Weſens Bau, und ihren Unterhalt,
nicht geben;

So haben auch die Elementen, wodurch ſich jeder Koͤr-
per naͤhrt

Und zunimmt, ihr beſondres Weſen, das zu der Waͤrme
nicht gehoͤrt.

Allein, man nennet ſie dennoch, mit Recht, belebend:
weil von ihr

Die Elementen in Bewegung gebracht; auch aller Koͤr-
per Theile,

Durch ſie, zum Wachsthum ausgedehnet, und zu der
vollenkommnen Zier

Gebracht, zu welcher ſie beſtimmt. Durch Waͤrme ſind
die Wind’ in Eile

Erzeugt, wie ſie die Luͤfte dehnt. Durch Waͤrm’, indem
ſie aus der See

Das Waſſer hebt, und es, in Duͤften verbreitend, maͤh-
lich in die Hoͤh,

A a 3Mit
[374]Betrachtungen uͤber die Natur
Mit einem regen Triebe, zieht, erfriſcht ſie alles durch
den Regen,

Und bringet Menſchen, Pflanzen, Thieren, Trank, Nah-
rung, Ueberfluß und Segen.

Sie macht, daß wir die Sonne wuͤnſchen; dieweil man
keinen ſchoͤnen Tag,

Ohn’ eine holde Waͤrme, fuͤhlen, kaum athmen, und
kaum leben mag.

Die Laͤnder werden in ſo fern nur angenehm und hoch
geſchaͤtzet,

Als ſie der Sonne nahe liegen, und unter ihren Strahl
geſetzet.

Uns grauet vor den Laͤndereyen, auf welche ſie nur ſeit-
waͤrts faͤllt;

Wie man denn die, wo ſie nicht ſcheint, faſt gleichſam
nur fuͤr Graͤber haͤlt.

Und, weil die Sonne jeden Vorwurf auch waͤrmet,
welchen ſie erhellt,

Wird ſie die Seele der Natur mit Recht geheiſſen, und
der Welt.

So wie das Herz, in unſern Koͤrpern, das rege Feuer-
reiche Blut,

Jm Druck, den ganzen Leib durchtreibt, und uns dadurch
belebt, erhaͤlt;

So ſcheint die Sonne, da dieſelbe den Stoff des Lichtes
und der Gluht

(Der um und in den großen Koͤrpern ſich waͤlzender
Planeten ruht)

Jn ſtetige Bewegung bringt, und dadurch ſolche Wunder
thut,

Mit Wahrheit und mit Recht zu nennen das Herz der
Planetarſchen Welt.

Und
[375]des Lichts und der Waͤrme.
Und dennoch muͤſſen wir ihr Weſen nicht gar zu groß,
und hoͤher, ſchaͤtzen,

Als es die Wahrheit uns erlaubt; noch ſie in einen
Rang verſetzen,

So keiner Creatur gebuͤhrt: wie es von manchem Volk
geſchehn,

Und von verſchiednen Philoſophen, die ſie als Urſprung
angeſehn,

Von allem Licht und allem Feuer. Auch bey der Sonne
fernen Pracht,

Und mitten in der dickſten Nacht,

Jſt noch bey uns ein Feur vorhanden. Der Schoͤpfer
macht, daß eine Gluht,

Sowohl in unſrer niedern Luft, als oben in der Erde, ruht;

Ein Element, das voller Kraft und Schnelligkeit: man
wuͤrd’ es koͤnnen,

Mit Recht, da es fuͤr uns allein gemacht, ein irdiſch
Feuer nennen.

Dieß unterhaͤlt uns unſer Lebe[n], und hat ſein Weſen
nicht vom Licht,

Jmgleichen von der Sonne nicht;

Doch wird es von der Kraft derſelben und ihrer immer
regen Macht,

Zu aller Creaturen Nutzen, belebt und in Bewegung bracht.

Es iſt, ob es gleich nicht zu ſehn, doch gegenwaͤrtig in
der Nacht,

Da es zuweilen unſern Augen ſich, in den Funken, ſicht-
bar macht.

Am hellen Tage wird es nur durchs Sonnen-Feur ge-
preßt, gerieben,

Jn einen ſtarken Drang geſetzt, und heftig nach uns her
getrieben:

A a 4Daß
[376]Betrachtungen uͤber die Natur
Daß alſo, weder Sonn’ noch Funke, das eigentliche Licht
erregt;

Nein, daß es nur, durch ihren Trieb, ſich in vermehrter
Kraft bewegt.

Waͤr’ auch das Licht ein wahres Feuer; ſo waͤre doch
der Sonnen Schein

Ein praͤcht- und herrlichs Jnſtrument, das ſolches zu
uns treibt, allein

Beſtimmet, den Gebrauch des Feuers, durch allgemeinen
Druck, von weiten,

Da er dem Licht ihn einverleibt, zu unſerm Nutzen
zu bereiten:

Und wird man hoͤher, als die Sonne, mit ſeinem Den-
ken, ſteigen muͤſſen,

Den Urſprung einer ſolchen Ordnung, und den Bewe-
gungs-Grund zu wiſſen.

Doch wird man von der Abſicht Des, Der dieſe Ord-
nungen regiert,

Und ihrer Trieb-Kraft Federn macht, recht uͤberzeuglich
uͤberfuͤhrt.

Man wird ſo gar erſtaunen muͤſſen ob aller Vorſicht,
die geſchehen,

Wodurch wir unſer Leben ſelbſt dann auch zugleich ver-
laͤngert ſehen,

Wenn man noch (auſſer jenem Licht, das alle Dinge
fuͤllt) erwegt,

Wie Gott, ſo bey, und bloß fuͤr uns, ſo in die Rinde
unſrer Erde,

Als in den untern Kreis der Luft, ein ſchnelles Element
gelegt,

Voll Kraͤfte; welches wehrt, daß es ein irdiſch Feur
genennet werde.

Daß
[377]des Lichts und der Waͤrme.
Daß dieſes Feuer, unaufhoͤrlich, das Leben in der
ganzen Welt,

Doch von der Sonnen nicht verurſacht, noch von dem
Licht, das Seyn erhaͤlt;

Auch daß das, ſo es von der Sonnen empfaͤngt, in
anders nicht beſtehet,

Als in dem Druck und ſchnellen Drang, des hellen Lich-
tes Fluͤßigkeit,

Als durch ein Mittel, deſſen reg- und flieſſende Be-
ſchaffenheit

Vom Feur ſich bis zur Sonn’ erſtreckt, von einem
bis zur andern gehet;

Daß ſolch ein Feuer um uns iſt, auch daß dem Feur
das Licht nicht eigen:

Davon will ich euch klare Proben, ſtatt ungewiſſer
Schluͤſſe, zeigen.

1)
Man kann ein’ angenehme Waͤrme in einem
dunklen Ort verſpuͤhren,

Und ein hellglaͤnzend Licht, durchs Fenſter, in ein
ſehr kaltes Zimmer fuͤhren.

2)
Das Feur in einer warmen Stube iſt fuͤhlbar,
obgleich unſer’ Augen,

Die ſonſt ſo leicht geruͤhret ſind, davon nichts zu be-
merken taugen;

Jndem das Feur, wie ſtark es gleich, da es vertheilet
und verbreitet,

Wenns nicht gepreßt wird und gedrengt, das Licht
nicht nach dem Auge leitet:

Da gegentheils, das Licht vom Mond, das Auge trifft
im Wiederſchlag,

Und doch auch, die geringſte Waͤrm’ auf uns zu wir-
ken, nicht vermag.

A a 5So
[378]Betrachtungen uͤber die Natur
So koͤnnen wir demnach ein Feur, ohn’ allen Glanz
und Schimmer, finden;

Und auch zugleich ein helles Licht, wovon wir keine
Waͤrm’ empfinden.

3)
Wir werden auch noch ferner leicht das Licht vom
irdſchen Feuer trennen,

Und, daß ſie oͤfters nicht vereint, annoch viel klaͤrer
zeigen koͤnnen.

Laßt uns nur auf der Alpen Spitzen, und Pic von
Teneriffa gehn,

Zumalen auf die Cordeliere in Perou, welche von
den Hoͤhn

Der Erde wohl die allerhoͤchſten. Man wird ſodann,
vermuthlich, denken,

Weil wir, in einer ſolchen Hoͤhe, uns naͤher zu der
Sonne lenken,

Daß es daſelbſt wird heiſſer ſeyn. Allein, man wage
dieſes nicht

Jn duͤnnen Kleidern; weil es uns an Waͤrme dorten
noch gebricht,

Auch in den allerdickſten Pelzen: Je hoͤher wir dort
kommen werden;

Je mehr empfinden wir von Kaͤlte und ſtrenger Schaͤrfe
die Beſchwerden.

Des Pico Luft, der vom Æquator nicht weiter liegt,
als achtzehn Grad,

Jſt ſchneidender, als man dieſelbe, im ſtaͤrkſten Froſt,
in Deutſchland hat,

Ob wir gleich mehr als funfzig Grad davon entlegen.
Dieß iſt wahr

Durch uͤberzeugliche Erfahrung. Nun wird ſchon
allgemaͤhlich klar,

Ob
[379]des Lichts und der Waͤrme.
Ob unſer Feuer und die Hitze

Von oben komme, oder nicht vielmehr in niedern Oer-
tern ſitze.

Weil aber man noch denken koͤnnte,

Daß, durch den Wiederſchlag der Ebne, vielleicht das
Feuer ſtaͤrker brennte;

So laßt uns, ſtatt geſpitzter Berge, der Cordeliere
in Perou Hoͤhn

Betrachten, die, wie andre Berge, aus Pyramiden
nicht beſtehn:

Nein, wo, im Gegentheil, man Ebnen von vielen
hundert Meilen findet,

Und wo man eine reine Luft, und ein ſehr heitres
Licht, empfindet;

Jndem ſie uͤber alle Wolken belegen, wo des Lichtes
Schein,

Durch den geraden Sonnen-Strahl, vor andern
muͤßte kraͤftig ſeyn.

Kein Wind iſt, der daſſelbe ſchwaͤchen,

Kein Nebel, der es koͤnnte brechen;

Und dennoch iſt es ſonder Hitze: Es ſchmilzt kein
Schnee, der dorten liegt;

Auch wachſen keine Pflanzen da. Wenn jemand ſich
hieher verfuͤgt,

Das ohn Gefahr dann nicht geſchicht; muß er ſich,
wie im Norden, decken:

Und trifft er oft erfrorne Koͤrper, an dieſem rauhen
Ort, mit Schrecken,

Von Thieren und von Menſchen, an, die lange dauren;
da von Winden,

Von Hitze, Regen, und von Wuͤrmern, gar nichts
an dieſem Ort zu finden.

Waͤr
[380]Betrachtungen uͤber die Natur
Waͤr nun im Licht zugleich ein Feuer; ſo muͤßte
hier des Lichtes Schein,

Vom Wind und Duft nicht unterbrochen, auch voller
Waͤrm’ und Hitze ſeyn:

Und dennoch funkelt hier ein Licht voll Glanz, und
auch im Wiederſchlag,

Wovon man eine Spuhr von Hitze dennoch zu fuͤh-
len nicht vermag.

Daher ich dann nicht anders ſchlieſſe, als: Da das
Licht, ſo wir empfangen,

Begleitet iſt mit vieler Hitze, wir ſelbige dadurch erlangen,

Daß es auf uns ein Feuer preßt, das es in unſrer
Gegend findet,

Und das man nicht an hohen Oertern, wo es ſo haͤu-
fig nicht, empfindet.

4)
Wenn wir von hohen Bergen ſteigen, und uns
gemach herab verfuͤgen,

Empfindet man die Luft nicht mehr ſo ſcharf, und
ſiehet mit Vergnuͤgen,

So wie man immer tiefer koͤmmt, den aufgeloͤſ’ten
Schnee zergehn,

Und, etwas tiefer, Kraͤuter, Bluhmen, Gebuͤſch und
gruͤne Baͤume ſtehn;

Jnzwiſchen daß den obern Gipfel, wie hell ſich gleich
das Licht entdeckt,

Dennoch ein nie geſchmolzner Schnee, unaufgeloͤſ’tes
Eis, verſteckt.

Bald komm’ ich in die Waͤlder ſelbſt, und, wenn
die Sonne kaum zugegen,

Bin ich gezwungen, meine Kleider, fuͤr Hitze, von
mir abzulegen;

Die
[381]des Lichts und der Waͤrme.
Die mich doch, oben auf den Bergen, kaum fuͤr den
ſcharfen Froſt beſchuͤtzt:

Daher denn das, was in der Ebne, in der Veraͤnd-
rung, mich erhitzt,

Jn dem daſelbſt vorhandnen Feuer, und in dem Lichte,
nicht zu finden.

Vorher verließ die Waͤrme mich, ſo wie ich von den
niedern Gruͤnden

Mich allgemach entfernete: Und alles zwinget mich,
zu denken,

Daß alle Waͤrm’- und Feuer-Theile an niedre Oerter
ſich verſchrenken.

5)
Mein erſter Argwohn ſtaͤrket ſich noch durch ein neu
Experiment.

Wenn in dem Heerd, vom hohlen Spiegel, man einer
Kohle, welche brennt,

Entgegen ein auf funfzig Fuß entferntes Brennglas
haͤlt; entzuͤndet

Ein Vorwurf ſich, der Flammen faͤhig: anſtatt daß
von dem Monden-Schein,

Wenn auch die Strahlen, in dem Spiegel, fuͤnf hun-
dertmal verſtaͤrket ſeyn,

So wenig Waͤrme wird gewirkt, daß ſich ein Wetter-
Glas, ſo man,

Wenn eine warme Hand ſich naht, veraͤndern und
bewegen kann,

Sich im geringſten nicht bewegt. Es zeigt dann
eine kleine Gluht

Weit mehr und groͤßere Gewalt, als wie ein großes
Licht nicht thut.

Es
[382]Betrachtungen uͤber die Natur
Es brennt vielleicht auch ſelbſt ein Licht

Fuͤr ſich, durch eigne Kraͤfte, nicht,

Und nur durch die Dazwiſchenkunft des Feuers, das
durchs Licht vertrieben,

Wenn dieſes zu gewiſſer Staͤrke der Heftigkeit gebracht.
Man findet,

Daß, wenn im Brennglas es gebogen, es heftiger
das Feur entzuͤndet,

So es daſelbſt trifft und begegnet, und welches in
der Luft geblieben.

Doch wollen wir dem Licht den Ruhm, den es bisher
gehabt, nicht rauben,

Und ferner, daß es waͤrm’ und brenne, ſo weit die
Kraft ſich ſtrecket, glauben.

Obgleich, was wir vorher erwieſen, uns an dem Vor-
zug zweifeln laͤßt;

So iſt es ſchon fuͤr uns genug, wenn man ein irdiſch
Feuer feſt

Und auſſer allen Zweifel ſetzt, in welchem wir auf
Erden leben,

Und das man fuͤhlet, wenn die Strahlen der Sonnen
ihm den Eindruck geben,

Es preßt, und kraͤftig auf uns treibt; das auch das
Licht, in dunkler Nacht,

Wenn es dawider ſtark gedruckt und ſehr gepreßt wird,
glaͤnzend macht.

6)
Das Licht drengt, ohne Hinderniß, durch Glas,
Chryſtall und Edelſtein;

Doch hoͤret die Durchſichtigkeit der Koͤrper auf, ſamt
ihrem Schein,

So bald
[383]des Lichts und der Waͤrme.
So bald das Feuer ſie durchdringt und gluͤhend macht.
Es iſt daher

Das Feur ſo wenig ſelbſt das Licht; daß es, im Ge-
gentheil, vielmehr

Es ruͤckwaͤrts drengt, es ganz vertreibet,

So daß ihm, durch dieſelben Koͤrper, durchaus kein
Durchgang uͤbrig bleibet.

7)
Das Sonnen-Licht, das auf den Bergen, auch
wenn der Sommer uns erhitzt,

Dennoch mit ſchwacher Waͤrme blitzt,

Weil es da ſo viel Feur nicht findet zu einem hefti-
gen Gedrenge,

Treibt, mit ſo großer Heftigkeit, das, welches, in
weit groͤßrer Menge,

Jn unſrer untern Luft vorhanden, und ſetzet es in ſolche
Wut,

Daß, wenn die Sonne gleich hinweg, man dennoch,
in der Nacht, die Gluht

Und eine ſchwehre Hitze fuͤhlt. Wofern das Licht
das Feuer waͤr;

So wuͤrden wir weit groͤßre Waͤrme, ſo vor als nach
der Sonnen-Wende,

Und in dem Julio nicht mehr,

Als in dem Monat May, verſpuͤhren: Bey dieſer
beyden Monat’ Ende

Jſt ja das Licht von gleicher Staͤrke. Das Licht
des Morgens, fruͤh um Neun,

Stimmt mit dem Licht des Nachmittags, um Drey,
vollkommen uͤberein:

Allein,
[384]Betrachtungen uͤber die Natur
Allein, das erſte faͤngt nur an, das Feuer bey uns
anzuſchuͤhren;

Statt daß die aufgebrachte Gluht die Heftigkeit laͤßt
ſtaͤrker ſpuͤhren,

Sie auch noch laͤnger unterhaͤlt, auch bey ſchon unter-
gangnem Licht.

Es reizt demnach das Licht das Feuer, und iſt das
Feuer ſelber nicht.

8)
Wodurch wir, allem Anſehn nach, in dieſem Jrr-
thum uns befinden,

Jſt, weil wir ſehen, daß ſie meiſt beyſammen ſeyn,
und ſich verbinden.

Und wir vermeynen, daß, ein Strahl vom Licht, ein
Strahl ſey von der Gluht,

Wenn erſterer, im hohlen Spiegel, im Brennen ſolche
Wirkung thut:

Da es, in der vereinten Strahlen gedrungnem Mit-
telpunct und Heerd,

Faſt alles, was ſich da befindet, zerſtoͤhret und in
Kalk verkehrt.

Allein, es brennt vielleicht das Licht daſelbſt nicht
ſtaͤrker, als es brennt

An allen Orten: Seine Kraft iſt hier nur weniger
getrennt,

Und es vereint ſich ſtaͤrker hier. Auch treibt es hier
des Feuers Flammen

Weit mehr und heftiger zuſammen,

Die es in dieſer Gegend findet; doch bringt das Licht
ſie nicht hinein:

Und muß daher von uns das Licht nicht mit dem Feur
vermiſchet ſeyn.

So viel
[385]des Lichts und der Waͤrme.
9)
So viel Beweisthum wir nun haben, daß in der
allgemeinen Welt

Das Licht ſich uͤberall befinde; ſo bleibt es ja ſo feſt
geſtellt:

Es ſey das Feuer, uns zu Dienſt, (nicht, wie der
Stagirith gemeynet,

Jm Obertheil der duͤnnen Luft, noch in dem Licht,
wie es uns ſcheinet;

Nein!) in der untern Luft, ja gar ſo auf als in der
Erde Gruͤnden,

Jn unſrer Nachbarſchaft, zu finden.

Es iſt das Element des Feuers, ſelbſt in dem
Waſſer, das uns traͤnkt,

Auch in der Luft, wodurch wir athmen, auch in der
Erde, die uns naͤhrt,

Zu unſerm Beſten, eingeſchrenkt.

Und dieß wird folgends leicht erklaͤrt:

Das Waſſer, wenn es ohne Feuer, wird Eis, und
fließt fuͤr uns nicht mehr;

Die Luft iſt ſonder Feur unleidlich, die Erde ganz
von Kraͤften leer.

Das Feuer iſt dann allenthalben; wird um- auch
unter uns, verſpuͤhrt,

Und iſt uns ſtets zum Dienſt bereit: ſo daß man
ſeine Kraft verliert,

Wenn man erhabner’ Oerter waͤhlt, als die uns Gott,
in dieſem Leben,

Zu unſerm Wohnplatz eingegeben.

8 Theil. B b“Jſt
[386]Betrachtungen uͤber die Natur
“Jſt es demnach nicht angenehm, daß, da wir von
dem Element,

“So uns ſo großen Nutzen bringt, den eigentlichen
Sitz ergruͤnden;

“Wir eine Probe von der Guͤte des Schoͤpfers uͤber-
zeuglich finden,

“Und man, in dieſer großen Gabe, Deſſelben weiſe Lieb’
erkennt;

“Auch, daß man von des Jrrthums Nebel zugleich
ſich mehr und mehr entfernet,

“Und in der Sonn’, in Waͤrm’ und Licht, die Wege
der Natur erlernet?

“Hiedurch wird es in unſerm Geiſt ſelbſt licht; und
eine neue Klarheit

“Entdeckt uns eine neue Spuhr zu der ſo lang geſuch-
ten Wahrheit,

“Dem rechten Vorwurf unſers Geiſtes, nach welchem
unſre Seele ſtrebt,

“Obgleich der Jrrthum ſie fuͤr uns in einen tiefen Born
begraͤbt.

“Die Wahrheit, ob ſie uns gleich, leider! faſt bloß
dem Namen nach, bekannt,

“Zieht doch, wie der Magnet das Eiſen, den unter-
ſuchenden Verſtand,

“Durch innerlich- geheimen Trieb, nach ihrem reinen
Himmels-Licht.

“Thut nun ihr Name ſchon ſo viel; was wirkt ihr
Weſen ſelbſt wohl nicht,

“Das hier auf Erden zwar vorhanden, doch mehren-
theils noch ſehr verſtecket,

“Und welches uns ein ander Leben, vermuthlich, aller-
erſt entdecket?

Nun-
[387]des Lichts und der Waͤrme.
Nunmehro treibt mich meine Pflicht, erkenntlich einſt
zuruͤck zu denken

Auf alles Gute, was mir Gott, im abgewichnen Jahr, erwies,

Was Er mir gab, was Er mir ließ;

Was Er annoch dazu, von neuem, mir und den Meini-
gen zu ſchenken,

So gnaͤdig uns gewuͤrdigt hat. Was, ſeit ſo vielen
Jahren her,

Mein Wunſch und mein Verlangen war: mein Amt,
das ich bisher gefuͤhret,

Von meiner Vater-Stadt entfernt, geſund, mit Nutzen,
und mit Ehr,

Zuruͤck zu legen; iſt erfuͤllt! Jch bin nun wieder ange-
langet

Daſelbſt, wo Hamburg noch, Gott Lob! in unverruͤck-
tem Schimmer pranget.

So viele ſonderbare Faͤlle, die mir, in den verfloßnen
Jahren,

Auf nicht ſo leicht erlebte Weiſe, zuſamt den Meinen,
wiederfahren,

Wovon ich vieles ſchon gemeldet; ſind meiſt zum Guten
ausgeſchlagen.

Brand, Waſſers-Noth, Peſt, Mißwachs, Krieg, ſamt
annoch mehrern Landes-Plagen,

Beruͤhrten unſre Graͤnzen zwar; doch hat des Hoͤchſten
Vater-Hand

Sie alle, ſo daß es kaum glaublich, recht wunderbar
von uns gewandt,

Und uns in Seinem Schutz erhalten. Der Schoͤpfer hat
mir wollen goͤnnen,

Daß ich den Ort geſchmuͤckter, ſchoͤner, geſegneter, ver-
laſſen koͤnnen,

B b 2Als
[388]Betrachtungen uͤber die Natur
Als wie ich ihn, beym Antritt, fand. “Allmaͤchtiger
Regierer, Dir,

“Aus Welchem alles Gute ſtammet, ſey Ehre, Preis
und Dank dafuͤr!

Jch wuͤrde, mit beſondrer Luſt, von allem noch ein
mehrers ſchreiben:

Doch, nicht den ſchwarzen Neid zu reizen, muß es hier,
leider, unterbleiben;

Zumal ich vieles aufgezeichnet, ſo meiſtens ſchon das
Licht geſehn,

Und das auch von dem uͤbrigen, vielleicht mit ehſtem,
wird geſchehn.

Doch muß ich noch, fuͤr alle Lieder, die, Herr, durch
Deine Gnad’ allein,

Von Dir und Deinen Wunder-Werken, daſelbſt von mir
verfertigt ſeyn,

Dir ein beſondres Dank-Lied bringen. Mir gab der
ſtillen Einſamkeit,

Von allem Laͤrm entfernte Ruhe, gar oft dazu Gele-
genheit.

Die Vorwuͤrf’ unſerer Bewundrung, am Himmel, auf
dem Land’ und Meere,

Entdecken mehr, als in den Staͤdten, ſich dorten, Herr,
zu Deiner Ehre.

Der Mond, die Sonne, Felder, Waͤlder, die Fluth, die
Schimmer-reichen Sterne,

Bebluͤhmte Gaͤrten, Berg und Thal, ſind dort, in einer
offnen Ferne,

Von ſtolzen Haͤuſern unbehindert, in einer groͤßern Weite,
ſchoͤn,

Den freyen unverſchraͤnkten Blicken, zu allen Zeiten,
zu beſehn.

Es
[389]des Lichts und der Waͤrme.
Es ſpornte der zu aller Zeit mir unverhohlne Schmuck
mich an,

Daß ich, zu meiner Luſt, und Dir zur Ehre, manches
Lied begann;

So, ohne die entdeckten Vorwuͤrf’, im Himmel, auf dem
Land’ und Meere,

Wo alles voll von Deinen Wundern, vermuthlich unter-
blieben waͤre.

“Jch preiſe dann, in froher Andacht, mit unvergeſſen-
dem Gemuͤthe,

“Fuͤr den dadurch erregten Klang von meinen Liedern,
Deine Guͤte!

“Und wuͤnſch’ aus innerm Trieb der Seele, daß ſie mir,
doch nicht mir allein,

“Auch andern Neben-Menſchen, nuͤtzlich; Dir aber
nicht mißfaͤllig, ſeyn!

Nunmehro, da ich, Herr! durch Dich und Deine Huld
zuruͤck gekommen,

Und wieder meinen vorgen Sitz und Aemter ein- und
uͤbernommen,

Wobey ich aller Meinigen ſo Wohlfahrt- als Geſund-
heit-Stand,

(Dir, Herr, ſey Lob und Preis dafuͤr!) ſo wie ich ſie
gelaſſen, fand;

So fordert meine tiefe Pflicht, Herr, Deine Gnade
zu beſingen,

Und, fuͤr das laͤngſt gewuͤnſchte Gluͤck, ein Freuden-Opfer
Dir zu bringen.

B b 3Herr,
[390]Betrachtungen uͤber die Natur
Herr, Der Du allgegenwaͤrtig, uͤberall den Zep-

ter fuͤhreſt!
Herr, Der Du, wie alle Welt, alle Umſtaͤnd’
auch regiereſt!
Da Du mich, wie ich gewuͤnſcht, hier geſund
zuruͤck gebracht;
So erkenn’ ich Deine Weisheit, lobe Deine
Lieb’ und Macht.

“Ach laß mich dann auch, wie zuvor, mein Amt mit
Redlichkeit verwalten,

“Das Gute zu befoͤrdern ſuchen, und manchem Men-
ſchen nuͤtzlich ſeyn!

“Laß aber auch, bey dieſen Pflichten, mich nicht in jener
Pflicht erkalten,

“Jn Deinen Werken Dich zu ſuchen, und den darinn
verhuͤllten Schein,

“Von Deiner Lieb’ und weiſen Macht, mit Andacht-
voller Luſt zu ſehen!

“Ach laß die Wunder der Natur, die bloß allein durch
Dich geſchehen,

“Mich ruͤhren, und beſtaͤndig reizen, in ihnen Dich nur
zu erhoͤhn!

“Laß mich, zumal im ſchoͤnen Licht, durch welches alle
Koͤrper ſchoͤn,

“Dein Segen-reiches Daſeyn ſpuͤhren, Dich, unbegreif-
lichs Licht, entdecken,

“Und Deine Freundlichkeit im Licht, ſo wie in allem,
ſehn und ſchmecken!

“Es komme das, zu Deinen Ehren, beſchriebne Leben

auf dem Lande,

“Zum Nutzen meines Neben-Menſchen, und meines
eignen, bald zum Stande!

“Ach
[391]des Lichts und der Waͤrme.
“Ach laß dann auch in dieſem Jahr, ſo mir, als
auch den lieben Meinen,

“Jm Zeitlichen, wo es uns nuͤtz, die Sonne Deines
Segens ſcheinen!

“Bis daß dereinſt, nach dieſer Zeit, von dieſer Wall-
fahrt aufgenommen,

“Wir alle, Dank- und Lobes-voll, zu Deinem ewgen
Lichte kommen.

Schluß.

Einziger Urſprung unendlicher Kraͤfte, Born des

Erſchaffenen, Quelle des Lichts,
Ewig-ſelbſtſtaͤndige Klarheit und Wahrheit, mehre
die Schaͤrfe des Seelen-Geſichts!
Gieb uns, von Deinen Geſchoͤpfen geruͤhret, in den
Geſchoͤpfen, Dein ſchaffendes Weſen,
Als ein allmaͤchtiger Urſtand von allem, voller Be-
wundrung erſtaunet, zu leſen!
Laß uns, im Jnnerſten unſerer Seelen, wuͤrdige
Bilder formieren, und denken:
Daß wir, zu Deiner Verherrlichung, ſchuldig, auf
die Geſchoͤpfe die Sinnen zu lenken,
Und, durch die irdiſche Schoͤnheit geruͤhret,
Von den Geſchoͤpfen zum Schoͤpfer gefuͤhret,
Dir, voll Erſtaunen, Vergnuͤgen und Ehrfurcht,
unſere Seelen zum Opfer zu ſchenken.


B b 4Der
[392]

Der Sonntag.
Neu-Jahrs-Gedicht aufs Jahr 1743.


Nunmehro waͤlzet ſich die Erd’ in ihrem großen
ſchraͤgen Kreiſe,

Auf die bisher gewohnte Weiſe,

Nicht ferner aufwaͤrts um die Sonne; ſie faͤnget, ſich
nunmehr zu lenken,

Und wieder abwaͤrts ſich zu ſenken,

Zu unſerm Heil, von neuem, an. Die Strahlen, die,
nach unſerm Stand,

Uns bis daher nicht treffen koͤnnten, weil wir von ihnen
abgewandt,

Die ſeitwaͤrts ſich verſpreiteten, da wir jetzt wiederum
hernieder

Jn unſern ſchraͤgen Kreis-Lauf kommen, die treffen uns
von neuem wieder,

Und praͤgen uns und unſerm Luft-Kreis, durch ihren
regen Wunder-Schein,

Nach dem durch ſie vertriebnen Froſt, Licht, Fruchtbar-
keit und Leben ein.

“O Gott! Der Du, nebſt allen Himmeln, auch
unſre Welt ſo richtig lenkeſt,

“Und, durch derſelben ſchraͤgen Lauf, ſo ungezaͤhltes
Gut uns ſchenkeſt:

“Wir preiſen billig Deine Liebe, wir ruͤhmen Deine
weiſe Macht,

“Daß Du uns wunderbar erhaͤltſt, ſo wie Du uns
hervorgebracht.

“Wo
[393]Der Sonntag, ein Neu-Jahrs-Gedicht.
“Wo wir, in Deiner weiſen Fuͤhrung, uns, fuͤr Be-
wundrung, je verlieren,

“Wo irgend Deiner Weisheit, Lieb’ und Allmacht
Ausbruch zu verſpuͤhren;

“So iſt er in des Kreiſes Schraͤge, worinn der Schoͤp-
fer unſre Welt

“So richtig um die Sonne fuͤhrt, ſo ordentlich darinn
erhaͤlt,

“Woraus die Jahres-Zeiten ſtammen, und ſo viel
Wunder-Ding’ entſtehen,

“Und ſo viel Guts gewirket wird, mit tiefer Ehrfurcht
zu erſehen.

“Wir preiſen dann, mit Luſt und Andacht, zumal
zu dieſer Wechſel-Zeit,

“Jn ehrerbietigſter Bewundrung, Dein’ Allmacht,
Weisheit, Guͤtigkeit,

“Und freuen uns, daß wir hierinn den Vorzug vor den
andern Thieren,

“Jndem wir Deine Macht bemerken und preiſen koͤn-
nen, deutlich ſpuͤren:

“Der, vor denſelben, ins beſondre nur uns gegoͤnnete
Verſtand

“Macht uns Dein unleugbares Daſeyn, in Deiner
Werke Pracht, bekannt.

“Unendlichs Weſen aller Weſen! ach moͤchten
aller Menſchen Seelen

“Dein weiſes Walten doch erkennen, und Deiner Wun-
der Meng’ erzaͤhlen!

“Du Quell der Ewigkeit und Zeit, laß von der Zeit,
die uns verliehn,

“Uns doch, mit Andacht und mit Luſt, und mit Auf-
merkſamkeit, bemuͤhn,

B b 5“Hier
[394]Der Sonntag,
“Hier einen Theil Dir aufzuopfern! HERR! laß
uns doch, in unſerm Leben,

“Jn der Bewundrung Deiner Werke, zuweilen uns
zu Dir erheben,

“Und, von den Tagen, die wir hier, den, welchen Du
Dir Selbſt geweiht,

“Zu der Betrachtung Deiner Wunder, zum Preiſe
Deiner Herrlichkeit,

“Beſonders ſuchen anzuwenden!„ Jch will mich
wenigſtens bemuͤhen,

So mich als dich, geliebter Leſer! zu dieſer unſrer Pflicht
zu ziehen.

Dieß ſoll, zu dieſer Wechſel-Zeit, mein Gott geweihtes
Opfer ſeyn.

Ach ſtimmte doch mit meinem Wuͤnſchen auch dießmal
mein Vermoͤgen ein!

So wie wir Tag und Nacht in Stunden; ſo theilen
wir, von unſrer Zeit,

Nach dem beſtimmten Lauf des Monds, mit Regel-
rechter Richtigkeit,

Ein jedes Jahr, in Wochen ein. Der Sonntag macht
den Unterſcheid;

Jndem wir, eben durch denſelben, beſtaͤndig jede Woch’
erneuren.

Wir ſondern ihn von andern Tagen, in guter Ordnung,
ab, und feyren,

An ſelbigem, von aller Arbeit. Den Sonntag hat die
Chriſtenheit

Zu ihrem Gottes-Dienſt geheiligt, und der Religion
geweiht.

Dieß
[395]ein Neu-Jahrs-Gedicht.
Dieß iſt nun heilſam, billig, noͤthig, doch einen Theil
von unſerm Leben

Der ewgen Quell der Zeiten, Gott, ſo viel an uns,
zu uͤbergeben,

Und, neben ihr, uns Jhm zu widmen. Dieß zeigt uns
die Vernunft nicht nur,

Zuſamt dem Beyſpiel vieler Voͤlker; wir haben eine
klare Spuhr,

Daß es der Schoͤpfer Selbſt geboten. Es ſoll, ſpricht
Er, von allen Tagen,

Der ſiebende Mir heilig ſeyn. Jſt es mir nun
erlaubt, zu fragen:

Wie heiligen wir dieſen Tag? Wir wirken nicht.
Gut. Wie denn mehr?

Wir gehen zweymal in die Kirche; und dieſes thun

wir Gott zur Ehr.

Gut. Was geſchicht dann in der Kirche? Wir hoͤren

Gottes Wort, wir ſingen,

Wir beten, wir communiciren, wir leſen auch wohl.
Gut. Allein

Schleicht ſich die leidige Gewohnheit in dieſe Handlun-
gen nicht ein?

So daß viel tauſend in den Tempel, faſt bloß nur aus
Gewohnheit, gehen,

Von allem, was ſie beten, ſingen, und was ſie hoͤren,
nichts verſtehen;

Und dennoch, mit ſich wohl zufrieden, den einen Sonn-
tag wie den andern,

Ohn’ Andacht, nach der Kirche hin, und ungebeſſert
aus ihr, wandern?

Sie
[396]Der Sonntag,
Sie gehen mehrentheils hinaus, ſo wie ſie in die Kirche
kamen;

Da ſie, die meiſte Zeit der Predigt, gehofft auf ein er-
ſeufztes Amen.

Von fremden, immer regen Geld- und Welt-Gedanken,
ſonder Zahl,

Die bald die Wolluſt, bald der Geiz, erzeuget, ſprech’
ich nicht einmal.

Ja, ſprichſt du, dieß iſt, leider! wahr; allein,

es muß, in unſerm Leben,
Wie das bekannte Sprichwort zeigt, der Miß-
brauch den Gebrauch nicht heben.
Wie viele fromme Seelen ſind, die in die Kirch’
aus Andacht gehn,
Mit Andacht ſingen, ernſtlich beten, und, was der
Lehrer ſagt, verſtehn,
Ja, ſich daraus zu beſſern, ſuchen!
So geb’ ich
dieſes zu. Allein,

Du wirſt auch dieß mir zugeſtehn, daß ſolcher Seelen
wenig ſeyn,

Jm Gegenhalt mit allen andern: zudem, ſo heiſcht
das Chriſtenthum,

Nebſt vielen guten Ordnungen, daß ſtets ein Evangelium,

Wie man es nennt, erklaͤret werde. Die Ordnung
zwinget alle Lehrer,

Daß ſie, die Herrlichkeit des Schoͤpfers in Seinem
Schoͤpfungs-Werk, dem Hoͤrer,

Behindert werden, vorzuſtellen. Man hat vielleicht
hiebey gedacht,

Wie man zuerſt, im Chriſtenthum, die Kirchen-Ordnun-
gen gemacht,

Dieß
[397]ein Neu-Jahrs-Gedicht.
Dieß wuͤrd’ ein jeder ſelber thun: Allein, da dieſes
ſich nicht findet;

So ſcheinen unſere Gedanken, in dieſem Fall, nicht
ungegruͤndet.

Es wird, im neuen Teſtament, der Mittler, als der
Sohn, verehret:

Allein, es hat, durch dieſen Dienſt, des Vaters Dienſt
nicht aufgehoͤret:

Und iſt der Menſchen Sabbaths-Pflicht, in froher An-
dacht Gott zu loben,

Und Jhn als Schoͤpfer zu verehren, verhoffentlich nicht
aufgehoben.

Man thue jenes nach der Ordnung; doch unterlaſſe man
die Pflicht

Und Abſicht, wozu dieſer Tag geweiht, und erſt beſtim-
met, nicht.

Daß unſer Sonntag in der Schoͤpfung den Grund
und ſeinen Urſprung hat,

Wird wenigſtens ein Chriſt nicht leugnen. Wie, nach
des Schoͤpfers weiſem Rath,

Was in dem Graͤnzen-loſen Umfang des Raums und
der Natur vorhanden,

Der Himmel Himmel Heer, die Schaar der Sonnen,
und die Welt, entſtanden,

Jn einer abgemeßnen Zeit, die uns die Schrift ſechs Tage
nennt,

Und, wie Er alles uͤberſehn, gefunden, was gemacht,
ſey gut;

Hat Gott, ſo wie es ferner heißt, am ſiebenden darauf
geruht,

Und ihn zum Ruhe-Tag geheiligt. Woraus ein jeder
leicht erkennt,

Der
[398]Der Sonntag,
Der Ausdruck wolle ſo viel ſagen: “Daß den Be-
wohnern dieſer Welt,

“Die mit Vernunft von Jhm begabt, ein ſolcher Tag
ſey vorgeſtellt,

“Als ein Erinnrungs-Tag der Schoͤpfung. Es ſind
die Sinnen uns gegeben,

“Den Schoͤpfer durchs Geſchoͤpf zu finden; der Geiſt,
den Schoͤpfer zu erheben,

“Sein’ Huld und weiſe Macht zu loben.„ Dieß kann
nun beſſer nicht geſchehn,

Als wenn wir mit Bewunderung, mit Luſt und Andacht,
uͤberſehn,

Wie gut, wie herrlich, was geſchaffen; wie wunder-
barlich Gott die Welt,

Bey ihrem wandelbaren Weſen, doch ſtets unwandelbar
erhaͤlt.

“Laßt uns, an dieſem Seinem Tage, des Schoͤpfers
dann nicht ganz vergeſſen!

“Laßt uns, daß Er die Welt, und uns, aus Lieb’,
erſchaffen, doch ermeſſen!

Dieß kann nun, wenn wir erſt die Kirche beſucht, und,
was man darinn lehrt,

Vom Glauben und Beweis des Glaubens, in ernſter
Andacht angehoͤrt:

Bey mangelnder Gelegenheit, ſelbſt das Original
zu ſehen;

Jn etwa folgender Copie, des Sonntags, auch daheim,
geſchehen:

Sonn-
[399]ein Neu-Jahrs-Gedicht.

Sonntags-Lied.


Herr der Tage, Jahr’ und Zeit!

Gieb, daß ich, an dieſem Tage,

Von der Wunder Herrlichkeit,

Die Du ſchuffſt, was wuͤrdigs ſage!

Laß jetzt Sinnen und Gedanken heut auf die Geſchoͤpfe ſehn,

Um Dich, ihrer aller Urſprung, in Denſelben zu erhoͤhn!


Laßt uns erſt, nach unſrer Pflicht,

Blick und Geiſt zur Sonne lenken,

Und, bey ihrem Wunder-Licht,

An der Sonnen Sonne denken!

Bloß der Creatur zum Beſten, praͤgte Gott ſo hellen Schein,

Anmuth, Farben, Waͤrm’ und Leben, dieſem Himmels-
Koͤrper ein.


Ohne dieſes Wunder-Licht,

Ohne dieſe Quell des Lebens,

Waͤre, was Gott zugericht,

Auf der ganzen Welt, vergebens:

Was, durch Weisheit, Macht und Liebe, Herrliches
darauf geſchehn,

Koͤnnten auch die ſchaͤrfſten Augen, ſonder ihren Strahl,
nicht ſehn.


Stell, erſtaunte Seele! dir,

Jn der Groͤß’ und Kraft der Sonne,

Jhres Urſprungs Groͤße fuͤr!

Laß Bewundrung, Luſt und Wonne

Jetzt dein ganzes Weſen fuͤllẽ! Preiſe Den, aus Dem ihr Licht,

Zu der Creaturen Beſten, brach, und unauf hoͤrlich bricht.

Ja,
[400]Sonntags-Lied.
Ja, beſchau, in dunkler Nacht,

Millionen Sonn- und Erden,

Worinn Weisheit, Lieb’ und Macht,

Recht erſtaunlich, ſichtbar werden!

Nichts kann unſers Schoͤpfers Weſen herrlicher, als ſie,
erhoͤhn;

Nirgends laͤßt ſich Gottes Groͤße groͤßer, als in ihnen, ſehn.


Hegt der menſchliche Verſtand

Kraͤfte, die vom Himmel ſtammen,

Wo ſein Geiſt mit Gott verwandt;

Muͤſſen reiner Andacht Flammen,

Muß Bewundrung, Lieb’ und Ehrfurcht, wenn

wir ſolche Wunder ſehn,
Dem zum Preiſe, Der ſie wirket, billig in der
Seel’ entſtehn.


Ferner laßt uns, von der Welt,

Die vier Element’ erwegen,

Wodurch alles ſich erhaͤlt,

Scheinen ſie ſich gleich zugegen!

Solcher widerwaͤrtgen Dinge nicht begreiflichen Verband

Fuͤgt, zu der Geſchoͤpfe Beſten, bloß ein Goͤttlicher Verſtand.


Laßt uns erſt die Erd’ und Fluth,

Mit vergnuͤgtem Ernſt, betrachten,

Und nachher die Luft und Gluht

Ebenfals mit Luſt beachten!

Jedes iſt von Wundern traͤchtig; jedes naͤhrt, ergetzt
und nuͤtzt;

Und der ganze Bau der Erde wird von ihnen unterſtuͤtzt.

Die
[401]Sonntags-Lied.
Wird nicht von der Erden Pracht

Ein vernuͤnftiges Geſichte

Taͤglich gleichſam angelacht

Durch Gras, Kraͤuter, Baͤume, Fruͤchte?

Bluhmen, Holz, Metall und Stein, was uns nuͤtzet,
ſchuͤtzt und naͤhrt,

Wird uns auf dem Bau der Erden, durch der Erden
Stoff, beſchehrt.


Daß ſie feſt, und nicht zu feſt,

Daß ſie dicht, und nicht zu dichte:

Daß ſie ſich durchdringen laͤßt;

Doch die ſchwehreſten Gewichte,

Ohne Wanken, haͤlt und traͤgt; daß ſie das ergrimmte
Meer

Daͤmmt, da ſie doch Waſſer durchlaͤßt: koͤmmt vom wei-
ſen Schoͤpfer her.


Hegt der menſchliche Verſtand

Kraͤfte, die vom Himmel ſtammen ꝛc.


Laßt uns auch die Fluth beſehn,

Und, in ihrem Wunder-Weſen,

Deſſen Macht und Lieb’ erhoͤhn,

Der ſie recht fuͤr uns erleſen!

Menſchen, Thiere, Baͤum’ und Pflanzen, traͤnkt der kuͤhle
Saft der Fluth;

Waſſer waͤſcht und tilgt die Flecken, loͤſcht den Durſt,
und loͤſcht die Gluht.

8 Theil. C cDurch
[402]Sonntags-Lied.
Durch die rege Fluͤßigkeit

Eilt es durch den Kreiß der Erden,

Da, durch Stroͤhme, weit und breit,

Alle Laͤnder fruchtbar werden.

Welch ein Segen in der Schiff-Fahrt, welcher in der
Fiſche Schaar,

Die ſo Fluͤſſ’ als Meer uns zollen, macht der Schoͤpfer
offenbar!


Hegt der menſchliche Verſtand ꝛc.


Auch die Luft verdient zumal,

Daß wir Gottes Lieb’ erhoͤhen:

Sie laͤßt uns der Sonnen Strahl,

Den man ſonſt kaum ſaͤhe, ſehen;

Sie erhaͤlt uns unſer Leben, da, im ſteten Athem-ziehn,

Uns das Leben zu verlaͤngern, ihre Theilchen ſich bemuͤhn.


Sie giebt uns der Daͤmmrung Licht,

Sie bereitet Thau und Regen.

Was bringt, in der Schiff-Fahrt, nicht,

Sie, im Winde, nicht fuͤr Segen!

Sie ernaͤhret Thier und Pflanzen. Der Geruch und
das Gehoͤr

Wirkte, waͤr’, und ruͤhret’ uns, waͤr die Luft nicht,
nimmermehr.


Hegt der menſchliche Verſtand ꝛc.

Ferner
[403]Sonntags-Lied.
Ferner laͤßt des Feuers Kraft,

Um den Schoͤpfer zu erhoͤhen,

Da es ſo viel Nutzen ſchafft,

Tauſend Wunder-Dinge ſehen.

Es wird wohl mit Recht die Seele aller Creatur genannt,

Und, in ſeiner regen Wirkung, eine weiſe Macht
erkannt.


Feuer theilt, vereint, verzehrt,

Kruͤmmet Holz, und ſchmeidigt Eiſen,

Schmelzet, reiniget, bewaͤhrt,

Treibet, leuchtet, kocht die Speiſen,

Macht und brennet Kalk und Ziegel, faͤrbt, erweichet,
diſtilliert,

Trocknet, macht durchſichtigs Glas; waͤrmt und heizet,
wenn uns friert.


Hegt der menſchliche Verſtand ꝛc.


Auf! nun auch den Schmuck der Welt,

Mit Bewundrung, zu beſchauen!

Dieß ſind Gaͤrten, Wald und Feld,

Berg’ und Thaͤler, Buͤſch’ und Auen:

Hier bezeugt ſich allenthalben, in derſelben Nutz und
Pracht,

Des, Der ſie ſo ſchoͤn erſchaffen, Groͤße, Weisheit, Lieb’
und Macht.

C c 2Seht
[404]Sonntags-Lied.
Seht die holde Lieblichkeit

Jn dem bunt bebluͤhmten Garten!

Seht darinn, die meiſte Zeit,

Bluͤht’ und Fruͤchte mancher Arten!

Welche zwar die Menſchen pflanzen: Aber, in der
Menſchen Hand,

Da ſie, was Gott ſchuff, nur ordnen; wird des Schoͤp-
fers Hand erkannt.


Seht den Schatten-reichen Wald;

Denkt, durch wen der Wuchs der Baͤume,

Jn ſo lieblicher Geſtalt

Jhrer Zweig’ und Blaͤtter, keime!

Fuͤhlt, mit Luſt, die kuͤhlen Schatten; ſeht, mit Luſt,
das gruͤne Licht,

Welches in den Waͤldern herrſcht: doch vergeßt des
Schoͤpfers nicht!


Seht das Aehren-ſchwangre Feld,

Das, mit Segen angefuͤllet,

Euch, recht klar, vor Augen ſtellt,

Daß aus Gott der Segen quillet!

Sprecht, (wenn ihr, daß es ſo ſchoͤn, und ſo nuͤtzlich,
ſeht) und denkt:

Herr, wie groß ſind Deine Werke! Herr, was

haſt Du uns geſchenkt!

Laßt
[405]Sonntags-Lied.
Laßt uns auch die Berge ſehn,

Die uns in Erſtaunen ſetzen,

Und, da ſie ſo nuͤtz als ſchoͤn,

Beym Erſtaunen auch ergetzen!

Da ſie auswaͤrts oft von Reben, Aeckern, Wald und
Kraut bedeckt;

Liegt, in ihren hohlen Baͤuchen, Demant und Metall
verſteckt.


Merkt, wie an den Gipfeln ſich,

Uns zum Nutz, die Wolken brechen!

Wodurch, recht verwunderlich,

Aus dadurch formierten Baͤchen,

Alle Stroͤhm’ und Fluͤſſ’ entſtehen; wodurch ſich der
Regen ſenkt,

Der die Laͤnder fruchtbar macht, Pflanzen, Thier und
Menſchen traͤnkt.


Seht dann auch die Thaͤler an,

Wie, in ihren feuchten Gruͤnden,

Daß das Vieh ſich weiden kann,

Klee und fettes Gras zu finden;

Wie in ihren kuͤhlen Schatten ſo viel Kraͤuter-Werk
entſprießt,

Welches, nebſt dem fluͤchtgen Wilde, auch das zahme
Vieh genießt.

C c 3Laßt
[406]Sonntags-Lied.
Laßt uns auch der Erden Zier,

Buſch- und Straͤucher-Werk, erwegen,

Die, in ihrem Luſt-Revier,

Licht zugleich und Schatten hegen!

Hoͤrt, wie aus der Voͤgel Schnaͤbeln, womit alle Buͤſch’
erfuͤllt,

Ein zu unſrer Luſt gereichend angenehmes Gurgeln
quillt.


Laſſet ferner Blick und Geiſt

Die bebluͤhmten Wieſ- und Auen,

Was auf ihnen ſchoͤn ſich weiſt,

Gras und Klee und Bluhmen, ſchauen!

Wie vergnuͤgt nicht unſer’ Augen, als der ſchoͤnſte Schmuck
der Welt,

Ein mit Silber-klaren Baͤchen angenehm durchſchlaͤn-
gelt Feld!


Ferner laſſet uns das Heer

Der erſchaffnen Thier’ erwegen,

Und in ihnen, Gott zur Ehr,

Tauſend Wunder uͤberlegen!

Wieviel Adern, Knochen, Nerven, daß man ſie nicht
zaͤhlen kann,

Haut und Blut, und Hirn, und Sinnen, trifft man
nicht in ihnen an?

Seht,
[407]Sonntags-Lied.
Seht, wie weiſ’ und wundernswehrt

Jedes Theil in Ordnung lieget;

Wie das, was ſie ſchmuͤckt und naͤhrt,

Eingerichtet und gefuͤget!

Merkt, in ihren ſchoͤnen Formen, den ſo reichen Unter-
ſcheid,

Und der Thiere, Fiſch’ und Voͤgel, große Mannichfal-
tigkeit!


Endlich laß auch deinen Blick,

Mit erſtaunter Ehrfurcht, fallen

Auf der Schoͤpfung Meiſter-Stuͤck,

Auf dich ſelbſt, o Menſch, vor allen!

Gottes Groͤße wird in dir am vernehmlichſten er-
kannt:

Herz und Haupt und Mund von allen, wirſt du wohl
mit Recht genannt.


Lenk vor allem den Verſtand

Auf die Wunder unſrer Sinnen!

Wodurch Gott die Welt verband

Mit der Seelen Kraft von innen.

Habet, in der Sinnen Nutz, auf des Schoͤpfers Weis-
heit Acht!

Sollte Der nicht ſehn und hoͤren, Der das Aug’

und Ohr gemacht?

C c 4“Nichts,
[408]Sonntags-Lied.
“Nichts, als Wunder, zeigt dein Leib:

“Schoͤnheit, Anſtand und Geberden

“Zeigen, ſo bey Mann als Weib,

“Einen Herrn und Schmuck der Erden:

“Aber ein unſterblich Licht, das in deiner Seele brennt,

“Zeiget dadurch ſeinen Wehrt, daß es einen Gott
erkennt.


“Daß es weiß, und faſſen kann,

“Daß von allem, was entſtanden,

“Gott ein Urſtand ſey; daran

“Zeigt ſich, was in ihm vorhanden:

“Daß in ihm, zu ſeinem Koͤrper, ein vernuͤnftger Geiſt
gefuͤgt;

“Und zugleich, daß etwas Goͤttlichs in dem Geiſt
verborgen liegt.


“Brauche dann dieß Seelen-Licht,

“Deines Schoͤpfers Ruhm zu mehren!

“Jedes Seiner Werke ſpricht:

“Daß nur Er allein zu ehren.

“Widme ſonderlich, vor allen, dieſen heilgen Tag dazu:

Gott in Seinen Werken finden, iſt die wahre

Seelen-Ruh.


Nach
[409]Der Sonntag, ein Neu-Jahrs-Gedicht.
Nach den vollfuͤhrten Sonntags-Pflichten, erfodert
meine Schuldigkeit,

Fuͤr die mir, auf ſo manche Weiſe, in der verfloßnen
Jahres-Zeit,

Erzeigte, nicht zu zaͤhlnde Wohlthat, den Schoͤpfer in-
niglich zu loben,

Zu preiſen, ruͤhmen, und zu danken. Mein Gott! wie
viel- und große Proben,

Von Deiner vaͤterlichen Lieb’, empfing ich im vergang-
nen Jahr!

Du wendeteſt nicht nur, o Herr! ſo viel, ſo mancherley
Gefahr,

Von mir und allen Meinen ab. Dir ſey, o Herr, da-
fuͤr gedanket!

Von allen, welche fern und nah, noch Kind noch Kin-
des-Kind erkranket.

Zween Soͤhne, welche dieſes Jahr in fremder Herren
Dienſte traten,

Jſt der Verſuch von ihrem Gluͤck bishero recht erwuͤnſcht
gerathen:

Da einer, bey dem beſten Herrn, das Gluͤcke hat, im
Dienſt zu ſtehn;

Der ander’, in Geſandtſchaft, Rußlands entfernetes
Revier geſehn,

Mit einem Herrn, der lauter Guͤte. Der dritte, wel-
cher ſchon erwaͤhlt,

Zu einer wichtigen Bedienung, hat zwar des Zwecks
annoch verfehlt,

Durch einen unverhofften Zufall; doch iſt noch Hoffnung
da: Vielleicht

Daß er das faſt erhaltne Ziel, wo es ihm nuͤtz iſt, noch
erreicht.

C c 5“Ver-
[410]Der Sonntag,
“Verleih, o Vater! doch, daß ſie vergnuͤgte Buͤrger
dieſer Erden,

“Daß jeder, Deines Namens Ruhm zu mehren, mag
ein Werkzeug werden!

“Geſegn’, o Vater, ihr Beginnen! Gebenedey, o Herr,
ihr Thun!

“Jn Deiner ſeligen Erkenntniß laß all’ ihr Gluͤck und
Heil beruhn!

Wie ich, in einem fremden Zufall, geſund und unver-
letzt geblieben,

Nebſt allen Meinigen; daruͤber hab’ ich ein eignes Blatt
geſchrieben.

Jch wiederhole meinen Dank, und, inniger Bewegung
voll,

Weiß ich nicht, wie ich dieſe Gnade, mein Gott! Dir
gnug verdanken ſoll.

Daß mich zum Buͤrgermeiſter-Loß der Rath erkieſt,
iſt eine Ehre,

Der ich, wenn ich mich ihrer nicht erinnerte, nicht wuͤr-
dig waͤre.

Daß nun das Loß mich nicht getroffen, ich nicht erwaͤhlet;
auch dafuͤr

(Jndem es einen beſſern traff) verehre, preiſ’, und
dank’ ich Dir.

Denn wem die Buͤrde dieſes Amts bekannt iſt, wird
mit mir geſtehen,

Man troͤſte ſich daruͤber leicht, wenn man dazu nicht
auserſehen.

Hier
[411]ein Neu-Jahrs-Gedicht.
Hier ſchließ ich dann nunmehr mein Lied, bey dieſem
angetretnen Jahr,

Das dieſesmal ein Lehr-Gedicht von wahrer Sonntags-
Feyer war.

“Jſt es mir nuͤtz; laß, Herr, dergleichen ſich oͤfters
noch mit mir erneuern,

“Bis ich dereinſt, in ſelger Ruh, den ewgen Sabbath
werde feyern!


Das Neu-Jahr-Gedicht auf 1744, welches eine neue,
aus der Verſchiedenheit anderer Planeten, ſowohl
im Koͤrper- als im Sittlichen, hergenommene
Betrachtung des Zuſtandes unſerer Erde,
im Gegenhalt der theils beſſern, theils
ſchlechtern Umſtaͤnde der andern,
enthielte;
iſt, durch einen beſondern Zufall, von Abhaͤnden
gekommen.



Eine
[412]

Eine Erzehlung.
Zum
Neu-Jahrs-Gedicht auf das 1745ſte Jahr.


Weiter nicht, ſprach einſt der Schoͤpfer, ſoll dein

Waͤlzen, Wirbeln, Drehn,
Erde! von der Sonnen Licht ſich entfernen; dieſe
Graͤnzen
Sollt du nimmer uͤberſchreiten.
Da wir nun, zur
Sonnen Glaͤnzen

Heut uns wiederum zu naͤhern, den begluͤckten Anfang
ſehn;

Laßt uns dieſe Gnad’ erkennen! Laßt uns auf dieß
Wunder achten,

Und darinn der Gottheit Allmacht, Lieb’ und Weisheit
doch betrachten!

“Laßt uns uns zur Sonnen Sonne, wie die Welt zur
Sonne, nahn:

“Und, wie wir ſonſt andre Wunder auf der Welt mit
Luſt beſahn;

“Auf die Herrlichkeit des Schoͤpfers unſers Geiſtes
Kraͤfte lenken,

“Und, zu dieſer Wechſel-Zeit, auf des Weſens Groͤße
denken,

“Woraus alle Weſen ſtammen! Nichts erhebet Got-
tes Ehr

“Wuͤrdiger, als Seine Werke. Nichts erhebt uns ſelbſt
ſo ſehr,

“Nichts
[413]Neu-Jahrs-Gedicht auf das 1745ſte Jahr.
“Nichts kann unſers eignen Weſens Stand und Groͤß’
uns mehr enthuͤllen,

“Als wenn Seiner Creaturen Groͤßen unſre Seelen
fuͤllen,

“Und ſie dadurch ſelbſt vergroͤßern.„ Um uns ſelbſt
nun zu erhoͤhn,

Jn des Schoͤpfers Wunder-Werken, wenn wir Jhn
darinn erſehn;

Tret’ ich eine neue Bahn, “(gieb, o Gott, daß es
gelinge,

“Wenn ich in der Allmacht Tiefen, mit erſtaunter Ehr-
furcht, dringe!)

Durch ein neues Dichten, an. Vorurtheile zu bekaͤmpfen,

Und, nach aller Moͤglichkeit, die Unachtſamkeit zu daͤmpfen;

Auch zugleich von Gottes Wundern, wie Er Sich, auf
dieſer Welt,

Jn denſelben, ſo unendlich majeſtaͤtiſch dargeſtellt,

Ob es viele gleich nicht merken, etwas wuͤrdigs zu erzehlen:

Jſt, bey folgender Geſchicht, bloß die Abſicht meiner
Seelen.

Erzehlung.

Der weiſe Silvius, verfolgt von falſchen Freunden,

Beneidet und gehaßt von ungerechten Feinden,

Hatt’ eine lange Zeit, in einer weiten Hoͤhle,

An eines Berges Fuß, der ſein verwegnes Haupt

Bis an die Wolken ſtreckt, von Fichten rings belaubt,

Den jungen Cernamir erzogen: deſſen Seele,

Von der Natur, zum Sitz der Wiſſenſchaft beſtimmt,

Worinn der Weisheit Feur von Jugend auf geglimmt;

Und der, ſeit kurzem nur, ins ſiebenzehnte Jahr

Nunmehr getreten war.

Die
[414]Neu-Jahrs-Gedicht
Die Hoͤhle ſchien mit Fleiß, von Fingern der Natur,

Zu dieſem Endzweck, ausgegraben:

Damit man, ganz entfernt von aller Menſchen Spuhr,

Jn Sicherheit, darinn konnt’ eine Wohnung haben;

Auch, nebſt geruhiger und ſanfter Sicherheit,

Genugſame Bequemlichkeit;

Ein ſanft einſiedleriſch vergnuͤglichs Leben fuͤhren,

Und das geheime Buch der Welt-Weisheit ſtudieren.

Der Umfang ihrer hohlen Weite

War, in der Laͤng’ und in der Breite,

Faſt eine halbe Meile groß.

Durch Riſſ’ und Spalten fiel, in die ſonſt dunkle Schooß,

Von oben, ein geſchwaͤcht, gemiſchtes, daͤmmricht Licht,

Wie es fruͤh, durch die Luft, und auch des Abends,
bricht:

So daß allhier kein Licht noch dunkler Schatten ſchwebte,

Und man, in dieſer Hoͤhl’, in ſteter Daͤmmrung lebte.

Der Umſtaͤnd’ insgeſammt, die ihm ſo nuͤtzlich ſchienen,

Beſchloß ſich Silvius vernuͤnftig zu bedienen,

Um Cernamir, entfernt von Menſchen, zu erziehn.

Er ſucht abſonderlich, dahin ſich zu bemuͤhn,

Daß ſeine Seele rein von allem Jrrthum bliebe,

Von allem Vorurtheil, von allem falſchen Triebe

Der blinden Leidenſchaft: damit, wenn er die Welt

Dereinſt erblicken ſollt’, und was ſie in ſich haͤlt;

Er ihre Schaͤtze moͤg’ in einem andern Licht,

Als wie es, leider! meiſt von Sterblichen geſchicht,

Und nach dem wahren Zweck der Schoͤpfung, uͤberſehen,

Und, im vergnuͤglichen Genuß, bewundernd, GOTT
erhoͤhen.

Da
[415]auf das 1745ſte Jahr.
Da ſonſt die Menſchen ſtets, zu einer ſolchen Zeit,

Da die Vernunft noch ſchwach, der Koͤrper Herrlichkeit

Jn die noch ſtumpfen Sinne faſſen,

Und, durch Gewohnheit, ſich zur Unempfindlichkeit,

Zeit ihres Lebens, bringen laſſen:

Wodurch ſie, alle Pracht und Wunder dieſer Erden,

Daß ſie bewundernswehrt, zu ſehn, behindert werden.

Sie fahren fort, und ſehn die Welt, im Nebel, an,

Wie es ihr junges Aug’, ohn’ Achtſamkeit, gethan:

Wodurch ſie, leider! dann, ob ſie es gleich nicht
glauben,

Sich ſelber alle Luſt, und Gott die Ehre, rauben.

Jhr Denken bindet ſich mit ihren Sinnen nicht:

Hiedurch vernimmt kein Ohr, es ſiehet kein Geſicht;

Bewundrung, Luſt und Nutz, Lieb’, Ehrfurcht, Andacht,
ſchwinden.

“Nur Dank und Andacht zeigt ein denkendes Empfinden.

“Dem, dacht er, tritt noch bey: daß die Religionen,

“Faſt aller Sterblichen, die auf der Erde wohnen,

“Die doch zur Herrlichkeit der erſten Offenbahrung,

“Durch Ueberzeugung, Lehr’, Ermahnung und Erfah-
rung,

“Die Menſchheit billig leiten muͤſſen,

“Von dieſer Wahrheit uns nichts zeigen, und nichts
wiſſen.

Um nun auf eine Weiſ’, als es ſonſt nicht geſchehn,

Jn der Geſchoͤpfe Wehrt den Schoͤpfer zu erhoͤhn;

Hatt’ unſer Silvius beſchloſſen,

An ſeinen ſeines Leids und Ungluͤcks Mitgenoſſen,

Den jungen Cernamir vernuͤnftig zu probieren,

Ob nicht die neue Art, ihn in die Welt zu fuͤhren,

Jhn
[416]Neu-Jahrs-Gedicht,
Jhn beſſer machen wuͤrd’. Ob, und wie weit, er nun

Den Zweck erhalten hab; hievon wird der Bericht,

Von ſeiner merklichen Geſchicht,

Ein mehrers uns zu wiſſen thun.

Doch muͤſſen wir hiebey, von dieſem jungen Helden,

Vorher noch dieſes melden:

Daß Silvius ihm oft, des Nachts, das Firmament,

Jn der geſtirnten Pracht, zu ſehn, vergoͤnnt;

Wovon er ihm hernach, in ſeinen weiſen Lehren,

Des großen Schoͤpfers Wunder-Macht,

Der ſolch ein Sternen-Heer hervorgebracht,

Bemuͤht geweſen, zu erklaͤren.

Jm fuͤnf und zwanzigſten nach ſiebzehnhundert Jahr,

Wie, nach dem Lenz, die Welt dem Sommer nahe war,

Da unſrer Erden Flaͤch’ am allerhellſten ſcheint,

Wollt’ unſer Silvius den liebenswuͤrdgen Freund,

Um ihre Schoͤnheit recht zu ſehen und zu faſſen,

Die Wunder dieſer Welt zuerſt erblicken laſſen.

Damit nun dieß ſo unvermerkt als unverhofft geſchehen
moͤchte;

Hatt’ er dem alten Roderich, dem wohlgepruͤften treuen
Knechte,

Befohlen, auf den kleinen Fluß, der, von der Hoͤhle
nicht gar weit,

Sein reines Waſſer ſchaͤumend rollt’ in moͤglicher Ge-
ſchwindigkeit,

Ein kleines Fahrzeug hinzulegẽ: nachdem derſelbige vorher,

Jn einem wohlgebauten Staͤdtchen, das von der Hoͤhlen
ungefehr

Drey halbe Meil entfernet lag, ein ſauber Haus ihm
eingerichtet;

Wobey er, es geheim zu halten, den Roderich mit Ernſt
verpflichtet.

Die
[417]auf das 1745ſte Jahr.
Die Sonne war nun untergangen, der Abend brach
gemach herein,

Als Silvius den Cernamir, beym Eſſen, ein paar
Glaͤſer Wein

Mehr, als gewoͤhnlich, trinken ließ: wobey er einen
weiſſen Saft,

Von einer ſchlaͤfrig machenden und opiatſchen Eigenſchaft,

Ganz unvermerkt, zu miſchen wußte, daß Cernamir,
durch dieſen Trank

Benebelt, und gemach betaͤubt, in einen tiefen Schlum-
mer ſank.

Sie brachten ihn hierauf ſo gleich in das beſtellte Boot,
und legten

Die Reiſ’, in etwan einer Stunde, weil ſie die Ruder
kraͤftig regten,

Bis an die Stadt begluͤckt zuruͤck. Den Cernamiro
brachte man

So gleich in ein geputztes Bette, ließ ihn allein, und
gab ſodann,

Des Morgens, Acht auf ſein Betragen. Wie ſelbiger
nun fruͤh erwachte,

Und ſich die Menge neuer Vorwuͤrf’ ihm, unvermuthet,
ſichtbar machte;

Jſt leicht zu glauben, daß ihn alles in gaͤnzliche Ver-
wirrung brachte.

Erſt blieb er eine lange Zeit, und ohne ſich zu ruͤhren, liegen;

Ließ aber die erſtaunten Blicke auf alles, was im Zim-
mer, fliegen,

So daß er faſt, in ſeinen Augen, allein zu leben ſchien.
Er fiel

Von einem Vorwurf auf den andern: Bald war dieß
ſeiner Augen Ziel,

8 Theil. D dBald
[418]Neu-Jahrs-Gedicht,
Bald das; bald alles, was vorhanden. Zuletzt fing,
ſich ſein Haupt zu drehen,

Und er, ſich aufzurichten, an. Man konnt’ an ihm, faſt
ſichtbar, ſehen

Die Menge ſtets ſich mehrender und ihn verwirrender
Jdeen,

Die ihn in ein Erſtaunen ſetzten. Dieß waͤhrt faſt eine
Stunde lang,

Bis eine ſtarke Neubegier zuletzt ihn, aufzuſtehen, zwang.

Jm Zimmer (deſſen obre Fenſter allein geoͤffnet, daß er
nicht

Die Blicke weit erſtrecken koͤnnte) verwandt’ er ſein
erſtaunt Geſicht

Auf jeden Vorwurf, nach einander; betaſtet’ alles, was
ihm nah:

Und jedes ſchien ihn zu vergnuͤgen, was er betaſtet’ und
beſah.

Des ganzen Zimmers Symmetrie ſchien dem geruͤhrten
Geiſt vor allen;

Die zierlichen Mobilien doch auch nicht minder, zu ge-
fallen.

Zuletzt ſah er, von ungefehr, den ihm bekannten Schreib-
Tiſch ſtehn,

Den man zugleich mit hergebracht. Er freute ſich, ihn
hier zu ſehn:

Papier, nebſt Dintenfaß und Federn, befanden ſich
zu recht geleget.

Drauf fiel er, theils vom Sehen matt, von Neugier theils
dazu beweget,

Jn den ihm auch bekannten Lehn-Stuhl; ſaß etwas ſtille,
dacht, und ſchien

Die ganz zerſtreueten Jdeen zuſammen und zu recht zu ziehn.

Und,
[419]auf das 1745ſte Jahr.
Und, wie er ſonſt dazu gewoͤhnt, was er bemerket, auf-
zuſchreiben;

Schien die Gewohnheit ſeine Hand, zu dieſer Handlung,
anzutreiben.

Er griff zur Feder, ſann ein wenig: Und, wie er etwas
nachgedacht;

So wurden folgende Gedanken, in Eile, zu Papier
gebracht:

Die zwar, von einiger Zerſtreuung, in den Jdeen; doch
daneben,

Von ſeiner reinen Art zu denken, ein’ unleugbare Probe
geben.

“Wo bin ich? Jſt, was mir hier in die Augen faͤllt,

“Auch wirklich? Bin ich hier in einer neuen Welt?

“Jſt alles das, was hier vorhanden,

“Und was ich fuͤhl’ und ſeh, von ungefehr entſtanden?

“Jſt es, ſo wie es iſt, gewachſen? Oder muß

“Ein Geiſt geweſen ſeyn, der, nach vernuͤnftgem
Schluß,

“Die Theile ſo gefuͤgt; der alles, mit Bedacht,

“Zu ſolcher Ebenmaß ſo ordentlich gebracht?

“Dieß ſcheint mir wahr zu ſeyn. Allein, wo iſt
der Geiſt?

“Wo find’ ich den Verſtand? Jſt er nicht hier?
Wie heißt,

“Wie nennt er ſich? Jch kann ja nichts von ihm
verſtehen:

“Jch hoͤr’, ich fuͤhl’ ihn nicht; ich kann ihn auch
nicht ſehen.

D d 2“Doch
[420]Neu-Jahrs-Gedicht,
“Doch halt! er iſt vordem vermuthlich hier geweſen:

“Dieß kann ich wenigſtens aus aller Ordnung leſen.

“Vielleicht iſt er noch hier; und daß nur meine
Augen,

“Als die vielleicht zu ſchwach, ihn nicht zu ſehen
taugen.

“Vielleicht hat Silvius dieß alles hier gemacht.

“Ach Silvius! was hat dich von mir weggebracht?

“Wo biſt du, wehrter Freund? Du koͤnnteſt mich
belehren:

“Du biſt allein geſchickt, die Wahrheit zu erklaͤren.

“Er hat mir oftermals von einer Gottheit Weſen,

“Als der ſelbſtſtaͤndigen Vernunft, mir viel geleſen,

“Geſchrieben, und erzaͤhlt, und mir von Seiner
Macht

“So viel ehrwuͤrdige Gedanken beygebracht.

“Die Gottheit hat vielleicht hier dieſe neue Welt

“Unmittelbar gemacht, und mich darein geſtellt:

“Vielleicht iſt es von Jhr, durch Mittel nur, ge-
ſchehen;

“Doch kann ich auch ja nicht einmal die Mittel ſehen.

Drauf legt’ er ſeine Feder nieder,

Stund auf, und ging, mit ſanften Schritten, im ganzen
Zimmer auf und nieder,

Von mancherley Jdeen voll, geſenkt, im ernſten Ueberlegen;

Bis, zu vermehrtererm Erſtaunen, von den geſchloßnen
Fenſter-Schlaͤgen

Sich zween, von auſſen, oͤffneten. Er ſah vom hellen
Sonnen-Scheine

Beſtrahlte Haͤuſer; viele Fenſter, die eben ſo geformt,
wie ſeine.

Er
[421]auf das 1745ſte Jahr.
Er ſahe Menſchen durch dieſelben: Er ſchloß daher,
daß ſie darinn,

Wie er in ſeinem Wohnplatz, wohnten. Jhm fiel dar-
auf in ſeinen Sinn,

Was, von der Welten Vielheit, ihm ſein Silvius ſo oft
erzehlet,

Wenn er den hell geſtirnten Himmel zu ſeinem Gegen-
wurf erwaͤhlet:

Und der Gedanke, wie er ſich an allen Gegenwuͤrfen matt,

Doch aber ſich nicht ſatt geſehn, trieb ihn, daß er die
Lagerſtatt

Auf ſeinem Stuhl von neuem nahm; ergriff aufs neu
die Feder wieder,

Und ſchrieb, wie vormals, aufs Papier, die folgenden
Gedanken nieder:

“Es iſt vielleicht der Bau der allgemeinen Welt

“Mit dem, was mir allhier in meine Sinne faͤllt,

“Jn vielen Stuͤcken, zu vergleichen.

“Was, von Planeten, dort, mein Denken kann
erreichen,

“Jndem ſie Wohnungen von Creaturen ſeyn,

“Stimmt mit den Wohnungen, die hier ſind, uͤberein.

“Der dunkele Begriff, den ich vorhero mir

“Von einer Stadt gemacht, ſtellt mir den Himmel
fuͤr,

“Als eine große Stadt der Gottheit; die Planeten,

“Als Haͤuſer, deren Platz die Creatur von noͤthen,

“Die dorten Buͤrger ſind. Mit Recht wird der
Verband

“So vieler Haͤuſer, dort, fuͤr eine Stadt erkannt,

D d 3“Fuͤr
[422]Neu-Jahrs-Gedicht,
“Fuͤr eine Reſidenz des Hoͤchſten. Jch erſeh,

“Jn der die große Welt vereinenden Jdee,

“Ein wunderbares Bild von Gottes Werk gemahlt,

“Woraus die Gottheit Selbſt mir in die Seele ſtrahlt;

“Das, durch die Groͤße, meinen Geiſt

“Zur frohen Andacht treibt, zur tiefen Ehrfurcht
reißt.

“Jn dieſer Stadt des Allerhoͤchſten ſind Millionen Son-
nen-Heere,

“Anſtatt der Fackeln, aufgeſteckt: die nicht nur durch
das tiefe Leere,

“Zur Pracht, und zur Bewundrung, funkeln; nein, die,
durch Kraͤfte, Waͤrm’ und Licht,

“Den großen Haͤuſern der Planeten, nach einem treuen
Unterricht

“Vernuͤnftiger Analogie, ſo ungezaͤhlten Nutzen bringen,

“Sie fruchtbar machen, ſie erwaͤrmen, in Regel-rechte
Wirbel ſchwingen,

“Erleuchten, zieren, und beleben. Bewunderns-

wuͤrdge Himmels-Stadt!
“Die wohl mit allem Recht den Namen der Re-
ſidenz des Schoͤpfers hat:
“Du fuͤllſt mit Ehrfurcht, voller Andacht, den
Geiſt, mein ganzes Weſen, an,
“Daß ich, mit Luſt darinn verſunken, erſtaunt,
nichts weiter denken kann.

Hier warf er ſeine Feder nieder, und ſich ſelbſt in den
Stuhl zuruͤck,

Ganz auſſer ſich von tiefem Denken. Allein, in ſelbem
Augenblick

Trat
[423]auf das 1745ſte Jahr.
Trat Silvius, der ihn nicht laͤnger vermoͤgend war
allein zu laſſen,

Jn die entſchloßne Stub’ hinein, und eilt’, ihn bruͤnſtig
zu umfaſſen.

Man ſtelle ſich die Freude vor, die Cernamiro uͤberkam;

Mit welcher Luſt er ſeinen Freund umhalſ’t’, und in
die Arme nahm,

Den er, fuͤr ſich, verlohren hielte. Auf all’ an ihn
ergangne Fragen

Konnt’ unſer Silvius unmoͤglich, ſo ſchnell, ihm ſeine
Antwort ſagen;

Jedoch geſchah’ es nach und nach: bis Silvius von
ungefehr

Das voll geſchriebne Blatt erblickte. Er laſ’ es, ſtutzt’,
und ward ſo ſehr,

Durch der Jdeen und des Ausdrucks erhabne Richtigkeit,
geruͤhret,

Daß er ihn auf das neu umarmte. “Nun bin ich
gaͤnzlich uͤberfuͤhret,

“Daß mich mein Hoffen nicht getaͤuſcht; ſprach er:
Jch ſeh’ in euch nunmehr,

“Was ich, zu ſehn, mir laͤngſt gewuͤnſcht; ihr werdet,
zu des Schoͤpfers Ehr,

“Auf dem von Jhm ſo ſchoͤn formierten, ſo ſchoͤn ge-
ſchmuͤckten Bau der Erden,

“Ein Jhm gefaͤlliger Bewohner, zu Seinem Ruhm
ein Werkzeug, werden.

Hierauf erſucht’ er Cernamir, nunmehr mit ihm
umher zu gehn,

Um dieſes Planetarſche Haus, wie er es nennte, zu
beſehn.

D d 4Was
[424]Neu-Jahrs-Gedicht,
Was ſie darinn nun angetroffen, und wie, deſſelben
Wunder-Pracht,

Den neuen Blick des jungen Weiſen geruͤhrt, faſt aus
ſich ſelbſt gebracht;

Und was fuͤr ein Jdeen-Heer in ihm entſtanden; wie
vernuͤnftig

Er alle Vorwuͤrf’ angeſehn: davon ſoll meine Feder
kuͤnftig

Dem Leſer mehr annoch berichten. Jndem, zu dieſer
Wechſel-Zeit,

Es billig meine Pflicht erfodert, in ehrerbietger Dank-
barkeit,

Dem groſſen Geber alles Guten, fuͤr alles, was ich
Guts genoſſen,

Jn dem entwichnen Fluß der Zeit, des Jahres, das
nunmehr verfloſſen,

Mein Andacht-Opfer darzubringen. O Gott! wie wird
mein Geiſt geruͤhrt,

Wenn ich erwege, wie Du mich bisher ſo wunderbar
gefuͤhrt:

Mir alles Meine, nebſt den Meinen, nicht nur erhalten;
auch daneben

Mir annoch ungezaͤhlte Proben von Deiner Gnad’ und
Huld gegeben,

Die Freude, Lob und Dank erfodern. Jch war, doch
nur zween Tage, krank.

Fuͤr die ſo ſchleunige Geneſung, mein Schoͤpfer, ſey Dir
Preis und Dank!

Zumal ich, ſchon im dritten Tag’, im Speiſen ſolche Luſt
empfunden,

Als ich, ſo lang’ ich auch gelebt, kein einzigsmal darinn
gefunden.

Die
[425]auf das 1745ſte Jahr.
Die Luſt im Schmecken ging ſo weit, daß, wie ich ſie
mit Ernſt erwog,

Und alle Kraͤfte meines Denkens, bey dieſer Luſt, zu-
ſammen zog,

Jch ſprach: “Wenn ich, in meinem Leben, kein’
andre Luſt, als die, genoſſen,

“Und Gott, mich alſobald darauf aus dieſer Welt
zu ziehn, beſchloſſen;

“Koͤnnt’ ich mich nicht mit Recht beklagen. Denn,
da uns Gott nichts ſchuldig iſt;

“So iſt es unſre Schuldigkeit, daß man, was Er uns
ſchenkt, ermißt,

“Den Geber in den Gaben ehret. Ach daß, ſo oft

ich Gutes ſpuͤhre,
“Jch damit ſo, und, neben mir, ein jeder Sterb-
licher, verfuͤhre!

“Ach! laßt uns, da wir taͤglich eſſen, uns doch
mit frohem Ernſt bemuͤhn,

“Das Glied, wodurch wir, wunderbar, aus Koͤrpern
eine Wolluſt ziehn;

“Die ſonſt fuͤr uns verlohren waͤre, wo nicht ſein wun-
derbar Gewebe

“Uns die darinn verborgnen Kraͤfte, im Schmecken,
zu erkennen gaͤbe:

“Die Zunge, ſag ich, zu bewundern; und Dem, Der
ſie, fuͤr uns allein,

“So huld- und liebreich eingerichtet, ſo oft wir ſchmecken,
dankbar ſeyn!

D d 5Wie
[426]Neu-Jahrs-Gedicht,
Wie oft hab ich, in dieſem Jahr, was Du uns Gutes
wollen goͤnnen,

Jn Feldern, Waͤldern, und im Garten, durch andre
Sinnen, ſchmecken koͤnnen;

Dein’ Allmacht, Lieb’ und Weisheit ſpuͤhren! Jch ward
den Großen dieſer Welt,

Zumal des Kayſers wuͤrdgem Bruder, in dieſem Jahre
zugeſellt.

Wie gnaͤdig hat der große Fuͤrſt nicht meine Lieder
aufgenommen!

Was fuͤr ein koſtbares Geſchenk hab ich von Jhm juͤngſt
uͤberkommen!

Von einem ſolchen Brief begleitet, dergleichen wohl
kein Fuͤrſt leicht ſchriebe;

Jn welchem Gnade, Guͤtigkeit, ſamt Weisheit, Huld
und Menſchen-Liebe,

Aus allen Zeilen, glaͤnzt und ſtrahlt: Wofuͤr dem Herrn,
Der alles fuͤhrt,

Der auch der Fuͤrſten Herzen lenket, von mir Lob, Preis
und Dank gebuͤhrt.

Um uns an Goͤttlichen Geſchoͤpfen und der Natur
Pracht zu ergetzen,

War ich, in dieſem Jahr, bedacht, ein herrlichs Werk *
zu uͤberſetzen,

Das, von ſo einem ſchoͤnen Vorwurf, ein tief gelehrter
Britte ſchrieb,

Den auch, wie mich, des Schoͤpfers Werk zur froͤh-
lichen Bewundrung trieb;

Jn
[427]auf das 1745ſte Jahr.
Jn welcher Schrift der große Thomſon ſo ſinnreich,
ſo begluͤckt, geweſen,

Daß wir bey keiner Nation dergleichen Meiſter-Stuͤck
geleſen.

“Ach! waͤre mein, in guter Abſicht, ihm angelegtes
teutſche Kleid

“Geſchickt, auch meinem Volk zu zeigen die Ordnung,
Pracht und Herrlichkeit

“Der Gottheit, in den ſchoͤnen Werken, die er ſo herr-
lich abgemahlet,

“Daß ein ſonſt nicht geſehnes Licht nunmehr in unſern
Seelen ſtrahlet!

Von meinem Jrdiſchen Vergnuͤgen hat dieſes Jahr
der erſte Theil,

Zum ſiebendenmal aufgelegt, vielleicht zu manches Leſers
Heil,

Die Preſſe wiederum verlaſſen. Mir faͤllt hiebey mit
Freuden ein:

Daß noch, Gott Lob! von meinen Liedern die Leſer nicht
ermuͤdet ſeyn.

Von meinen Kindern in der Fremde, hab ich, Gott
Lob! in dieſem Jahr,

Stets gute Zeitungen erhalten. Der uͤbrigen zwiefaches
Paar

Hat, nebſt dem kleinen ſchoͤnen Enkel, zu meiner Luſt,
geſund gelebet,

Und jedes hat, zum Weg der Tugend ſich zu erhoͤhn,
Gott Lob! beſtrebet:

Wie ich denn auch fuͤr Marianne, zu einer recht erwuͤnſch-
ten Eh

Mit Gottes Huͤlfe zu gelangen, bereits in guter Hoff-
nung ſteh.

O Gott,
[428]Neu-Jahrs-Gedicht, auf das 1745ſte Jahr.
O Gott, Du einzge Segens-Quelle! wie groß,

wie herrlich, ſind die Gaben,
Die wir bereits auf dieſer Welt genieſſen, und
genoſſen haben!
Gieb, daß wir es erkennen moͤgen! Laß uns,
o Geber! Dir allein,
Fuͤr ſo viel unverdiente Guͤte, in froher Ehrfurcht,
dankbar ſeyn!

Und hiemit leg’ ich dann fuͤr jetzt, voll Andacht,
meine Feder nieder.

“Herr! ſegne, nebſt den Meinen, mich, und meine
Dir geweihten Lieder,

“Daß ich, zu dieſer Wechſel-Zeit, geſund, vergnuͤgt,
noch manchen Tag,

“Jn Deinen Werken Dich bewundern, Dich preiſen,
und Dir danken mag!


Der
[429]

Der im Winter ſchon bluͤhende
Kirſch-Baum.


Jm Februario bereits, wie noch der Froſt die Erde
druͤckt,

Ward mir ein bluͤhend Kirſchen-Baͤumchen, von mei-
nem Gaͤrtner, zugeſchickt,

Das ich mit innigem Vergnuͤgen, jedoch nicht ohn’ Er-
ſtaunen, ſah.

Durch ſein faſt blendend Weiß geruͤhrt, begriff ich kaum,
wie mir geſchah.

Aus mehr als tauſend weiſſen Bluhmen ein auf einmal
entſpringend Licht,

Samt der Figuren Lieblichkeit, bezauberte faſt mein Geſicht;

Wobey zugleich, aus zarten Blaͤttern, ein ſanftrer Licht,
das lieblich gruͤn,

Verſchoͤnert durch die Nachbarſchaft, und ſie zugleich
verſchoͤnernd, ſchien.

Die Blaͤtterchen der Bluhmen waren ſo zart, durchſich-
tig, und ſo klar,

Daß auch ſo gar derſelben Schatten nicht ſchwarz, nein
weiß und helle, war.

Jn jedem Kelch ſah man annoch, auf kleinen Silber-
weiſſen Spitzen,

Auf fuͤnf und zwanzig gelbe Puͤnctchen, die faſt dem
Golde glichen, blitzen,

Und ihrer Mutter Schoͤnheit mehren. Es ſaß der
Bluhmen Heer ſo dicht,

Und in einander recht gepreßt; man ſah faſt keinen
Staͤngel nicht.

Sie
[430]Der im Winter ſchon bluͤhende Kirſch-Baum.
Sie ſahn daher, an Weiſſ’ und Ruͤnde, faſt einer Schnee-
Ball-Bluhme gleich;

Nur mit dem Unterſchied allein,

Daß viele, noch nicht aufgebrochne, den runden Perlen
aͤhnlich ſeyn.

Jch ſah, mit allen meinen Kindern, von dieſem Baͤum-
chen jeden Zweig,

Mit Anmuth und Erſtaunen, an: als Julius, von
ungefehr,

Von einer kleinen Juden-Kirſche die rothe Kugel, obenher

Auf die Schnee-weiſſen Bluhmen legte; die, da ſie einer
Kirſche glich,

Die holde Schoͤnheit noch vermehrte. Die rothe Gluht
vermiſchte ſich,

Und glaͤnzte, durch den weiſſen Schimmer, und durch
der zarten Blaͤtter Gruͤn,

So herrlich, daß ein funkelnder und rund geſchliffener
Rubin

Nicht ſchoͤner haͤtte glaͤnzen koͤnnen. “Jch freute mich
recht inniglich,

“Und dankte Dem, Der alles ſchafft, daß, auf ſo un-
verhoffte Weiſe,

“Annoch im Froſt, im Schnee und Eiſe,

“Er den noch nicht vorhandnen Lenzen,

“Uns, zum voraus ſchon, laͤſſet glaͤnzen.

“Jch wuͤnſchte, mit vergnuͤgtem Sehnen, um Seine
Liebe zu erheben,

“Den nicht ſo gar entfernten Fruͤhling bald froͤhlich
wieder zu erleben.


Ver-
[[431]]

Vermiſchte
Gedichte.


[[432]][[433]]

Vertheidigung
meines vielen Schreibens.


Hoͤrſt du denn noch nicht auf, mein Geiſt! in dei-
nen Schriften auszuſchweifen?

Die Menſchen, die doch deines Gleichen, mit Unterricht
zu uͤberhaͤufen?

Jhr allgemeines Thun zu tadeln? und einer neuen Wahr-
heit Licht

Denſelben gleichſam aufzudringen? Wer hat doch, zu
ſo ſchwehrer Pflicht,

Dich anders, als du ſelbſt, verdammt? Von wem biſt
du zu einem Lehrer

Des menſchlichen Geſchlechts beſtellt? Bemerkſt du nicht,
daß deine Hoͤrer

So vieler Lehren uͤberdruͤßig, dieſelbigen nicht ferner
leſen;

Und, leſen ſie ſie gleich einmal, doch bleiben, wie ſie vor
geweſen?

Was willt du doch, beſinne dich! auf die nicht ungerech-
ten Fragen,

Die die Erfahrung ja bewaͤhrt, betrogner Geiſt! zur
Antwort ſagen?

8 Theil. E eJa,
[434]Vertheidigung
Ja, ja! dein Vorwurf iſt gerecht. Die Fragen ſind
es, leider! wehrt,

Daß man auf ihren Jnhalt achte: und, was noch
meinen Gram vermehrt,

Jſt, daß mir die Erfahrung zeigt, ich hab’ im Hoffen
mich geirret.

Es iſt auch nicht zum erſtenmal, daß der Gedanke mich
verwirret:

“Was nuͤtzt, daß ich die ſchoͤne Welt, daß ich der Erd’
und Himmel Pracht,

“Den ſproͤden Menſchen angeprieſen, zum Preiſe Des,
Der ſie gemacht,

“Und ihrem eigenen Vergnuͤgen? Da ſie, trotz dem,
was ich geſchrieben,

“Und trotz der unleugbaren Wahrheit, doch immer
unempfindlich blieben.

“Daß auch ſo gar begabte Geiſter, vom laͤcherlichen
Stolz beſiegt,

“Es nicht des Anſehns wuͤrdig achten, und lieber im-
mer unvergnuͤgt,

“Selbſt Gott zur Schande, bleiben wollen; als an
von Jhm erſchaffnen Schaͤtzen,

“Jhr zeitlich Leben zu begluͤcken, ſich laben wollen
und ergetzen:

“Die ſich geſchaͤmt, und noch ſich ſchaͤmen, zu weiſen,
daß von meinem Werke

“Sie die geringſte Kundſchaft haͤtten. Es ſcheint,
ſo viel ich es bemerke,

“Und hab ichs, leider! oft geſpuͤhrt,

“Wofern man glaubt’, ob laͤſen ſies, ſie hielten ſich
encanaillirt.

Wie
[435]ſeines vielen Schreibens.
Wie oft hab ich, bey dem Betragen, mit einem bittern
Grimm, gelacht;

Bald aus Verdruß, und bald aus Mitleid! Vom
großen Vorwurf keck gemacht,

Da ich zum Lobe Gottes ſchrieb, hab ich von ihnen oft
gedacht:

“Wie ſeyd ihr doch bey dieſer Arbeit, da ihr ſonſt ſo
beredt, ſo ſtumm?

“Wird euer ſonſt ſo kluge Geiſt, allein bey dieſem Vor-
wurf, dumm?

“Es ſoll vielleicht der arme Author durch euren Neid
beehret ſeyn,

“Gedacht ich oft; doch dacht ich auch: Fuͤrwahr, das
waͤr fuͤr ſie zu klein.

“Vielleicht verachten ſie die Verſe, und alle Dichterey.
Doch nein:

“Sie leſen andre Verſe ja. Was bleibt, von allem,
dann noch uͤber,

“Als dieſe Warnung an mich ſelbſt: Was nuͤtzt es
alles? Schweige lieber!

Allein, hingegen dacht ich auch: und eben, was ich
da gedacht,

Dient auch, zur Antwort, auf die Fragen, die du zu
Anfangs vorgebracht.

Jch dachte naͤmlich: “Soll ich dann, weil etwan Alle,
meine Lehren,

“Aus dieſer, bald aus jener Urſach und Abſicht, nicht
mehr leſen, hoͤren,

“Und merken wollen, darum ſchweigen? Da ich jeden-
noch uͤberfuͤhrt,

“Daß viele ſie noch nicht verachten; daß viele noch,
dadurch geruͤhrt,

E e 2“Sich,
[436]Vertheidigung
“Sich, Gott zum Ruhm, daran vergnuͤgen. Wie
die Verleger es bewaͤhren,

“Die eine neue Auflag bald, bald einen neuen Theil,
begehren.

“Es iſt ja keine Moͤglichkeit noch Hoffnung, auf der
Erden, allen

“Mit ſo verſchiednen Meynungen erfuͤllten Menſchen,
zu gefallen.

Warum ich zu ſo ſchwehren Pflichten, ſo wie du fragſt,
mich ſelbſt verdammt,

Da ich doch kein beſtellter Lehrer? So hoͤre: “Mein
Betragen ſtammt

“Aus einer allgemeinen Pflicht. Die allgemeine Men-
ſchen-Liebe

“Jſt einzig, welche mich, fuͤr dich und mich, zu dieſer
Arbeit triebe.

Es iſt ein Trieb, ſich zu vergnuͤgen, bey allen Men-
ſchen, allgemein:

Ein jeder wuͤnſchet, rennet, laufft, und ſehnet ſich, ver-
gnuͤgt zu ſeyn.

Ein jeder ſucht verſchiedne Wege, zu ſeinem Endzweck
zu gelangen:

Ein jeder irrt in ſeiner Wahl; faſt einen jeden taͤuſcht
der Schein.

Der eine glaubet: Das Vergnuͤgen beſteh’ in Hoheit,

Pracht und Prangen.

Der andre ſiehet volle Kaſten fuͤr Quellen des Ver-
gnuͤgens an.

Der meynt: Daß man ohn Wein und Weiber
unmoͤglich ſich vergnuͤgen kann.

Dieß
[437]ſeines vielen Schreibens.
Dieß ſind die Meynungen der Menſchen, wornach
die mehreſten ſich lenken,

Und darinn ihr Vergnuͤgen ſuchen. Nun ſoll mein Le-
ſer nicht gedenken,

Daß ich dieſelben ganz verwerfe. Ein ſolcher Zeno bin
ich nicht,

Und kein ſo ſtrenger Sitten-Lehrer: indem ich einem
jeden goͤnne,

Daß er an Ehre, Geld, und Wein, und Liebe, ſich ver-
gnuͤgen koͤnne;

Wenn es nach Ordnung, Regeln, Maß’ und Ueberle-
gung nur geſchicht.

Jch halte dieſe Gegenwuͤrfe vielmehr fuͤr Mittel zum
Vergnuͤgen,

Jn welchen Quellen vieler Anmuth, zum Labſal unſers
Lebens, liegen.

Sie ſind es aber nicht allein. “Erwegt die Wege
der Natur!

“Seht Euch, die Welt, den Himmel, an; ſo kommt
ihr auf die rechte Spuhr.

“Jhr ſelbſt beſteht aus Geiſt und Koͤrper. Der Geiſt
iſt ſinnlich und vernuͤnftig.

“Der Koͤrper iſt fuͤr die fuͤnf Sinnen bewunderns-
wuͤrdig zugericht.

“Die Welt hat Millionen Vorwuͤrf fuͤr ſie. Der
Himmel hat das Licht.

“Der Geiſt, waͤr’ er auch noch ſo klug, begriff von
aller Erden Schaͤtzen,

“Wofern er keine Sinnen haͤtte, nichts, und es koͤnnt
ihn nichts ergetzen.

E e 3“Darum
[438]Vertheidigung
“Darum hat Gott fuͤr ihn den Koͤrper, mit den fuͤnf
Sinnen, ausgefunden,

“Und, durch der Sinnen Wunder-Mittel, ihn mit der
ganzen Welt verbunden,

“Damit er ihr genieſſen moͤchte; damit er, was auf
Erden ſchoͤn

“Und angenehm, empfinden, fuͤhlen, auch hoͤren,
ſchmecken moͤcht’, und ſehn.

Dieß iſt des Koͤrpers, unſers Geiſts, und der Natur
Beſchaffenheit.

“Damit der Menſch an ſo viel Gutem, an Millionen
Erden-Schaͤtzen,

“Auf Millionen Art und Weiſe, ſich laben ſollt’, und
koͤnnt’ ergetzen;

“Hat Gott ihn in die Welt geſetzt. Dieß alles iſt

fuͤr dich bereit;

Komm, ſchlacht’, und iß! (ſcheint ſeine Stimm’
an alle Sterblichen zu ſeyn)

Gebrauche die Vernunft allein,

Und deines Geiſtes Kraft, das Denken, bey deinen

Sinnen. Ueberlege,
Daß du was ſchmeckeſt, wenn du ſchmeckſt; daß,
wenn du riecheſt, fuͤhleſt, hoͤrſt,
Du wirklich hoͤreſt, fuͤhleſt, riechſt: daß du, in
deiner Luſt, Mich ehrſt,
Wenn du die ſchoͤnen Werke ſiehſt, mit Luſt und
Achtſamkeit. Erwege,
Daß Jch die Kraft, die ganze Welt dir zuzueignen,
bloß nur dir
Geſchenkt, und keinem andern Thier:

Ja,
[439]ſeines vielen Schreibens.
Ja, daß dir deſto deutlicher der Strahl von Mei-

ner Liebe ſcheinet;
So hab Jch, Meinen Dienſt ſo gar, mit einer
ſolchen Luſt, vereinet.

“So liegt es dann ja nicht an Gott, daß von den
Sterblichen hienieden

“Die allermeiſten unzufrieden;

“Zumal die, ſo, von Seiner Hand, Geſundheit, Noth-
durft, und noch mehr,

“An Geld, Bequemlichkeit, an Ehr’,

“An Leibes- und Gemuͤthes-Gaben,

“Auf dieſer Welt empfangen haben.

Durch dieſes unvernuͤnftige, dieß ungluͤckſelige Be-
tragen,

Das alle Lebens-Luſt verbittert, und das, von allen
unſern Plagen

Auf dieſer Welt, die Quell’ allein,

Jndem ſie, leider! allgemein;

Bin ich, nachdem ich es erkannt, zu mein- und deinem
Nutz und Frommen,

Auf den von mir erkieſten Weg zu meiner neuen Lehr-
Art kommen,

Jn dieſer feſten Ueberzeugung: “Daß, da der Weg,
zu Gottes Ehre,

“Und zu der, ſonſt auf dieſer Welt umſonſt geſuchten
Luſt, uns fuͤhret,

“Der wahren Stimme der Natur, in dieſer meiner
ſanften Lehre,

“Ein aufmerkſames Ohr gebuͤhret;

E e 4“Auch
[440]Vertheidigung ſeines vielen Schreibens.
“Auch daß, wo nicht die jetzigen, vermuthlich doch
die kuͤnftgen Zeiten,

“Zu der ſo klar- als ſuͤßen Wahrheit ſich endlich wer-
den laſſen leiten.

Jn dieſer feſten Zuverſicht

Fahr ich, mit meinen Liedern, fort: und, in den wun-
derbaren Werken,

Des Schoͤpfers Weisheit, Macht und Liebe, mit froher
Andacht, zu bemerken,

Ermuͤd’ ich nicht.


Verſuch
[441]

Verſuch
einer etwanigen Vorſtellung

von
der unbegreiflichen Groͤße Goͤttlicher
Allwiſſenheit.


Meine Seele! ſenke dich, voller Andacht, noch einmal

Jn des tiefen Firmaments Grund- und Graͤnzen-
loſes Thal:

Wende die geſchaͤrften Kraͤft’, und des Geiſtes regen
Blicke,

Aus der hell geſtirnten Tiefe weitem Raum, nicht eh
zuruͤcke,

Ehe du von Gottes Groͤße, die dieß große Ganz erfuͤllt,

Die ſo groß, daß Sich Sein Weſen, durch die Groͤße
ſelbſt, verhuͤllt,

Hier in dieſem Kreis ohn Umkreis, ein Jhm nicht un-
wuͤrdigs Bild

Angetroffen, und verehrt. Ueberleg’, auf dieſer Reiſe,

Die, (wie fluͤchtig gleich dein Weſen, ſo daß du, im
Augenblick,

Tauſend Millionen Meilen, ja noch ihrer mehr, zuruͤck

Legen, und durchſtreichen kannſt; wenn du auch, auf
ſolche Weiſe,

Gleich dein ganzes Leben reiſteſt) doch kein Ziel hat,
Gott zum Preiſe,

Erſtlich, dieſen Wunder-Raum! Dann erweg’, in die-
ſer Ferne,

Jenes Graͤnzen-loſe Heer der beflammten hellen Sterne,

E e 5Welche
[442]Vorſtellung der unbegreiflichen Groͤße
Welche lauter Sonnen ſind! Ferner, die noch groͤßre
Zahl

Aller Welten, die um ſie, durch derſelben Lebens-Strahl

Helle, fruchtbar, warm gemacht, ſich beſtaͤndig richtig
drehen,

Und um ſie (wie wir Planeten all’ um unſre Sonne)
gehen!

Weiter! Dann betracht’ einmal aller derer Creaturen,

Die darinn enthalten ſind, unterſchiedliche Figuren,

Und vor andern deren Weſen, welche denken! Dann
hab Acht

Auf die Menge der Gedanken, die von ihnen ſind
gedacht,

Von der Zeit, da ſie entſtanden, und die ſie, auf ihren
Erden,

Noch, ſo lange ſie beſtehn, kuͤnftighin erzeugen werden.

Hier halt ein! “und uͤberlege eines Weſens Groͤß’
und Stand,

“Dem ſie alle unverborgen, Dem ſie alle wohl bekannt;

“Welches den Zuſammenhang aller dieſer Ding’ er-
gruͤndet:

“Der, in einer ewgen Kette, alles, was erſchaffen,
bindet;

“Der, was war, was iſt, was kommt, all’, auf einmal,
vor ſich findet:

“Dem das Geiſtige nicht minder, als das Koͤrperliche,
klar,

“Und, ſo wie Ers jetzo kennet, immer unverborgen
war.

Dieſes
[443]Goͤttlicher Allwiſſenheit.
Dieſes zeiget dir, vermuthlich, einen Gott viel wuͤrd-
ger an,

Als das unanſtaͤndge Bild, ſo, von einem alten Mann,

Nicht dem Blick nur, auch dem Geiſt, leider! oft wird
vorgeſtellt,

Und wodurch man in den Graͤuel eines Goͤtzen-Dienſts
verfaͤllt;

Den doch Gott ſo ſcharf verboten. Schaͤrf’ uns,

Herr! doch den Verſtand,
Der Du unumſchraͤnkt unendlich, Der Du groß
und unbekannt:
*

Daß wir Dich, als Gott, zu kennen, und zu ehren,

uns beſtreben,
Und Dir, zum gefaͤllgen Opfer, Ehrfurcht und Be-
wundrung geben!


Betraͤcht-
[444]

Betraͤchtlicher
Troſt fuͤr Ungluͤckliche und Arme.


An jedem Abend wird die Welt von uns, und wir
von ihr, verlaſſen:

Sie nuͤtzt uns nicht; die ganze Pracht und Schoͤnheit
iſt, fuͤr uns, nicht ſchoͤn.

Die Menſchen wollen uns nicht laͤnger, und wir dieſel-
ben auch nicht, ſehn.

Die beſten Freunde ſcheiden ſich: ſie ſcheinen, uns;
wir ſie, zu haſſen.

Wir werden Sinnen-los; verlieren Geſchmack, Geruch,
Gehoͤr, Geſicht,

Nebſt allen ihren Gegenwuͤrfen, als Speiſen, Bluhmen,
Klang und Licht.

Wir leben, wo wir anders leben, ſo dann, nur von der
Luft allein.

Kein Armer, wenn er ſchlaͤft, iſt arm: Ein Reicher
hoͤrt auf, reich zu ſeyn.

Ein Koͤnig iſt kein Koͤnig mehr; Ehr’, Anſehn, Schaͤtz’
und Zepter ſchwinden:

Ein Bettler kann, in ſeinem Traum, den Thron, den der
verlohren, finden.

Denn, wird man einen Reichen reich, ſo lang er ſchlaͤft,
mit Recht, wohl nennen?

Noch einen Armen wirklich arm, wenn er nicht wachet,
heiſſen koͤnnen?

“Da
[445]Troſt fuͤr Ungluͤckliche und Arme.
“Da nun, die halbe Lebens-Zeit, kein Armer arm,
kein Reicher reich;

“So ſind, in ihrem halben Leben, die Menſchen ſich
einander gleich.

“Die Gleichheit, welche die Natur mit allen Sterblichen
beachtet,

“Verdient, daß man, in dieſer Ordnung, der weiſen
Vorſicht Huld betrachtet.

“Da einer, in der Lebens-Haͤlfte, ſein Ungluͤck; der,
ſein Gluͤck, verliert;

“Wird eine Art von Gleichgewicht, bey aller Ungleich-
heit, verſpuͤhrt:

“Bis daß zuletzt, nach kurzer Dauer, des ſtillen Todes
lange Nacht

“Den ganzen Unterſcheid hinwegnimmt, und alles voͤl-
lig aͤhnlich macht.


Neue
[446]

Neue Erd-Beſchreibung.


Es iſt der Erd-Kreis ein Planet,

Der einmal, jaͤhrlich, um die Sonn’, und taͤglich
um ſich ſelbſt, ſich dreht,

Wodurch die Sonne, vielen Voͤlkern, ſtets auf- und
immer untergeht;

Den Laub und Gras, von auſſen, ſchmuͤcken: auf wel-
chem den Bewohnern ſcheinet,

Daß ein Triangel aus drey Winkeln, und ein Quadrat
aus vier, beſteht;

Und wo man ſchließt: Ein Theil ſey kleiner, als wie
ſein Ganz, wenn es vereinet:

Worauf man, daß ein Ding, zugleich nicht ſeyn, und
ſeyn kann, ſtark verneinet;

Auch, daß zwey Paar nicht mehr als vier ſey, mit ziem-
licher Gewißheit, meynet.


Vor-
[447]

Vorzuͤge der Mahlerey.


Mit der Kunſt noch nicht zufrieden, ſo im Leſen als
im Schreiben

Die Gedanken zu verkoͤrpern; fand die guͤtige Natur,

Uns zum Nutzen und Ergetzen, annoch eine neue Spuhr,

Jhre Guͤte gegen uns weit- und hoͤher noch zu treiben.

Da wir, ſonder Muͤhe nicht, auch nicht ohne Zeit, erſt
leſen,

Was desjenigen, der ſchrieb, Zweck und Abſicht ſey
geweſen;

Schenkt ſie uns die Mahlerey:

Wo wir, ſonder tiefes Denken, ohne Muͤh, durch bloßes
Sehen,

Was des Kuͤnſtlers Geiſt gedacht, was ſein Zweck
geweſen ſey,

Jn der groͤßten Deutlichkeit, gleich im Augenblick, ver-
ſtehen.

Sprich dann, edler Ridinger, ob nicht unſrer Dich-
terey,

Deines Griff- und Pinſels Werk, billig vorzuziehen ſey?


Die
[448]

Die Sprache der Natur.


Das Welt-Buch muß der Menſch ſtudieren.

Dieß ſchrieb des Schoͤpfers Wunder-Hand.

Er ſchenkt uns Sinnen und Verſtand,

Daß uns der Jnhalt koͤnnte ruͤhren,

Und uns auf Sein Erkenntniß fuͤhren.

Der Jnhalt iſt der Unterricht:

Euch zeigt Mein Werk, daß Jch gewollt,

Daß ihr Mein Daſeyn wiſſen ſollt.

Ein mehrers brauchen wir hier nicht.

Doch merket, wie der Menſch es macht!

Was Gott, und zwar fuͤr ihn, geſchrieben,

Laͤßt er, von ſeinen eignen Trieben

Verfuͤhret, ſtraͤflich aus der Acht.

Er braucht, er nuͤtzt, er lieſt es nicht;

Er glaubt, was Paul und Peter ſpricht:

Die ſagen nichts von Gottes Werken;

Noch, daß Er darinn ſichtbarlich

Zu ſehn, zu ſpuͤhren, zu bemerken.

Ein jeder ſchreibt ſein Buch fuͤr ſich.

Sie ſehn nicht, was ſie ſollen ſehen:

Nicht Gott, in Seiner Werke Zier;

Sie ziehn, die eigenen Jdeen,

Des ſchoͤnen Welt-Buchs Jnhalt fuͤr.

Jhr Hirn-Geſpinnſt iſts ganz allein,

Womit ſie hier beſchaͤfftigt ſeyn:

Man lehrt, mit Zanken und Geſchrey,

Nicht, daß ein Gott; nein, was Er ſey.

Was
[449]Die Sprache der Natur.
Was Gott ſchreibt, das muß allgemein;

Muß allen denen leſerlich,

Fuͤr die Er es geſchrieben, ſeyn.

Es kennt ſo gleich der Geiſt fuͤr ſich

Das, was er, durch die Sinnen, kennet.

Das Wiſſen iſt recht wunderbar,

Das Gott uns, durch die Sinnen, goͤnnet.

Die Wiſſenſchaft iſt allen klar;

Kein metaphyſiſches Studieren,

Kein tiefes Gruͤbeln, braucht es hier:

Der Bauer kann ſo gut, als wir,

Was ſeine Sinnen ruͤhret, ſpuͤhren.

Es iſt kein Kraut, kein Gras, ſo klein,

Kein Bluͤhmchen, und kein Laub, ſo zart,

So winzig iſt kein Staub, kein Stein,

Es kann des Schoͤpfers Zeuge ſeyn.

Es zeigt nicht Seine Macht allein,

Und Seiner weiſen Liebe Schein;

Es zeigt ſelbſt Seine Gegenwart:

Jndem Er es, zuſamt der Welt,

Nicht nur erſchuff; auch noch erhaͤlt.

Die Sonne, die am Himmel flammet,

Aus welcher, was uns auf der Welt

Ernaͤhret, nuͤtzet und gefaͤllt,

Unwiderſprechlich quillt und ſtammet,

Zeigt, in dem Nutzen und der Pracht,

Wie herrlich Der, Der ſie gemacht.

8 Theil. F fWenn
[450]Die Sprache der Natur.
Wenn wir, auf dieſe Weiſe, ſehn;

Wird aller Eigenduͤnkel ſchwinden:

Wir werden gruͤndlicher verſtehn

Jn dem, was von Jhm Selbſt geſchehn,

Und in dem Welt-Buch klaͤrer leſen

Sein Daſeyn und Sein Goͤttlichs Weſen,

Als wirs in allen Buͤchern finden.

Wenn wir nun davon uͤberfuͤhrt;

So werden Seine Herrlichkeiten

Uns erſtlich zur Bewundrung leiten,

Worinn man ſich, in Jhm, verliert:

Wir werden, in Jhm, froͤhlich werden.

Dieß iſt, von Dienſten auf der Erden,

Der beſte Dienſt, der Jhm gebuͤhrt.

Naͤchſt dieſem wird es unſern Seelen

So dann an dem Begriff nicht fehlen,

Und an der Wiſſenſchaft, daß man

Dem Schoͤpfer nichts vergelten kann;

Da finden ſich ſo dann die Triebe

Zu einer wahren Naͤchſten-Liebe.

Wir kommen dadurch auf die Spuhr:

Daß, da er Gottes Creatur

Sowohl, als wir; der Schoͤpfer wolle,

Daß man, in ihm, Jhn lieben ſolle.

Dieß iſt die Stimme der Natur,

Die wir an allen Orten hoͤren;

Dieß ſind des Welt-Buchs weiſe Lehren,

Die wir an allen Orten ſehn,

Und uͤberall geſchrieben ſtehn.

Laßt
[451]Die Sprache der Natur.
Laßt uns das Welt-Buch dann ſtudieren;

Doch nach der Ordnung dieſer Zeit:

“Wir ſollen hier nur buchſtabieren;

“Das Leſen lehrt die Ewigkeit.

Es ſtimmt, von allen unſern Schluͤſſen,

Der beſte, dieſer Wahrheit bey:

“Der Menſch ſoll, hier auf Erden, wiſſen,

“Nicht, was Gott ſey; nein, daß Er ſey.


F f 2Gleich
[452]

Gleichniß von der Zweyſeitigkeit
aller Dinge.


Jn einer Oper ſah ich einſt ein Paar Schnee-weiſſer
Maſquen kommen,

Mit ſanftem Schritt; ſie hatten ſich einander bey der
Hand genommen:

Sie tanzeten mit leichtem Fuß; ſie ſchienen ungemein
vergnuͤgt,

Und recht, als haͤtte Fried’ und Eintracht ſie ſich einan-
der zugefuͤgt.

Jnzwiſchen drehete ſich eine, als wie von ungefehr,
heruͤm;

Da war ſie ſchwarz, wie Pech und Kohlen. Die andre
hatt’ es kaum geſehn;

So ſchiene ſie darob erſtaunt, und in Verwunderung
zu ſtehn:

Allein, kaum wendete ſie ſich; ſo war ſie ja ſo ſchwarz,
ſo ſchlimm,

So daß die erſte, durch den Anblick, denſelben Schrecken
jetzt verſpuͤhrte,

Den jene, durch der erſtern Schwaͤrze gewirket, kurz
vorhero ruͤhrte.

Sie merkten endlich alle beyde, daß ſie, an Weiß-
und Schwaͤrze, reich,

An gut- und boͤſen Eigenſchaften einander faſt vollkom-
men gleich.

Daruͤber ſchienen ſie zuletzt ſich mit einander zu vergleichen.

Man ſahe ſie, mit neuer Freundſchaft, einander ſich
die Haͤnde reichen,

Und
[453]Von der Zweyſeitigkeit aller Dinge.
Und froͤhlich huͤpfen, tanzen, ſpringen; bald vorn, bald
ſeitenwaͤrts, ſich drehn:

Sie lieſſen bald die ſchwarze Seite, und bald die weiſſe
wieder, ſehn.

Jch dachte dieſem Handel nach; und fiel, bey die-
ſem Spiel, mir bey:

“Wie es, in unſrer ganzen Welt, nicht anders faſt
beſtellet ſey.

“Es hat ein jedes Ding zwo Seiten: halb iſt es haͤß-
lich, und halb ſchoͤn.

“Wer klug iſt, ſuchet ſtets von ſich die weiſſe Seite
vorzudrehn.

“Wenn wir nun recht vernuͤnftig waͤren; ſo muͤßten
wir uns auch bemuͤhen,

“Von allen Gegenwuͤrfen ſtets die beſte Seite vorzu-
ziehen:

“Weil, da doch nichts hier voͤllig weiß, wir, wenigſtens
mit groͤßern Freuden,

“Am Naͤchſten uns vergnuͤgen koͤnnten, und unſer Aug’
am Weiſſen weiden.


F f 3Die
[454]

Die Suppe.


Von ſeiner Tafel ſandt’ Amintas einſt an drey un-
terſchiedne Kranken,

Zum Labſal, angewuͤrzte Suppen, ſo niedlich, als es
moͤglich war.

Nun nahmen ſie dieſelbe zwar:

Doch, weil ſie von verſchiednem Geiſt, und ganz ver-
ſchiedenen Gedanken;

So nahm der erſte ſeine Schaale, und ſoffe ſie, als wie
ein Schwein,

Ohn’ etwas, was daran, zu koſten, in einem ſtarken
Zug’, hinein.

Der andre ſah die Schuͤſſel an, durchſuchte alles,
nahm die Stuͤcken;

Beſahe Wurzeln, Kraͤuter, Fleiſch: beſah, mit aufmerk-
ſamen Blicken,

Ein jedes Koͤrnchen vom Gewuͤrze; bemuͤhete ſich, das
Gewicht,

Und das Verhaͤltniß, auszufinden. Jndem er nun
von allen ſpricht,

Der Waͤrterinn gelehrt erklaͤrt, wo Jngber und der
Pfeffer wachſen,

Jn Java naͤmlich, und der Kuͤmmel an manchem Ort,
und auch in Sachſen;

Da war die ſchoͤne Suppe kalt, und zum Genuß nicht
ferner nuͤtz.

Und kurz darauf befiel, aufs neue, ihn ſeines wilden
Fiebers Hitz.

Der
[455]Die Suppe.
Der dritte nahm, mit frohem Muth, die ihm geſandte
Schuͤſſel an,

Genoß und koſtete dieſelbe; empfand, was man daran
gethan;

Verband ſein Denken mit der Zunge: fand eine ſchoͤne
Harmonie

Jn den ſo wohl gemengten Theilen; vergnuͤgte ſich,
indem er ſie,

Mit Luſt, bedachtſam niederſchluckte, und dankte, faſt
bey jedem Biſſen,

Dem Geber, welcher ihn erquickt. Nun moͤcht’ ich wohl
die Meynung wiſſen

Von denen, welche dieſe Nachricht, mit einigem Be-
dacht, geleſen,

Ob das Betragen von dem Letzten nicht das vernuͤnf-
tigſte geweſen?

“Wie vielen werden, von dem Schoͤpfer, dergleichen
Suppen nicht geſchenkt!

“Wie ſelten findet ſich ein Menſch, der, wie der dritte,
ſpeiſt und denkt!


F f 4Beweg-
[456]

Beweg-Gruͤnde,
weswegen ein vernuͤnftiger Gebrauch
unſerer Sinnen, in Betrachtung
Goͤttlicher Werke, nicht zu
verſaͤumen.


Das, was wir eigentlich (wenn wir nur Ernſt dazu
gebrauchen wollten)

Jn unſern Maͤchten haben ſollten,

Sind unſere Gedanken ja: Sie ſind ja Kinder unſrer
Seelen.

Wir koͤnnen, fuͤr ſie, Vor- und Gegenwuͤrfe waͤhlen,

Aus ſo viel Dingen auf der Welt,

Von faſt unzaͤhlichen Geſtalten:

Es ſteht in unſrer Macht, dabey uns aufzuhalten,

So lang’ es uns gefaͤllt;

Wir koͤnnen, durch ein achtſam Ueberlegen,

Derſelben Farben und Figur,

Kraͤft’, Eigenſchaften und Natur,

Bewundern, und mit Luſt bewegen.

Was hindert uns, dabey nicht ſtill zu ſtehn,

Und ſie, mit Achtſamkeit zu hoͤren und zu ſehn?

Zumal wir, dadurch, nicht nur manche Luſt empfinden;

Nein, da wir Gott ſo gar, in ihren Wundern, finden.

“Wollt ihr, in dieſer Welt, in Gott vergnuͤget ſeyn;

“Wollt ihr euch Seiner Macht und Lieb’ und Weisheit
freun;

“Wollt
[457]Nothwend. u. vernuͤnftiger Gebrauch der Sinne.
“Wollt ihr, im Jrdiſchen, den Schoͤpfer liebgewinnen,

“Auch Jhn, in Seinem Werk, erhoͤhen: ſo vermaͤhlt

“Vernuͤnftige Gedanken mit den Sinnen.

“Wo dieſes nicht geſchicht; ſo wird der Zweck verfehlt,

“Zu welchem ihr gemacht. Jhr habt nicht Geiſt allein;

“Jhr habt, ein Geiſt, mit Fleiſch verbunden, ſollen ſeyn.

“Durchs Fleiſch kann unſer Geiſt allein, von Gottes
Werken,

“Die koͤrperlich, ihr Daſeyn merken.

“Ohn dieſes Werkzeug kann das, was durch Gott
geſchehn,

“Die Seele nimmermehr verſtehn;

“Ja nicht einmal begreifen, und erweiſen,

“Daß eine Gottheit ſey, noch weniger Sie preiſen.


F f 5Das
[458]

Das lehrende Kerzen-Licht.


Mir ſtrahlte juͤngſt ein Kerzen-Licht,

Jm Dunklen, ploͤtzlich ins Geſicht.

Es traff deſſelben Glanz und Schein

Nicht meines Koͤrpers Aug’ allein;

Mein Geiſt ward ebenfals geruͤhrt,

Und, durch deſſelben helle Klarheit,

Zu einer unleugbaren Wahrheit,

Auf einen neuen Weg, gefuͤhrt.

Jch dachte: “Koͤmmt die helle Gluht,

“Die ſolche Wunder bey uns thut,

“Vielleicht von einem Ungefehr,

“Und alſo von ſich ſelber, her?

“O nein! ſie hat der Menſchen Hand,

“Und einen menſchlichen Verſtand,

“Zur Urſach’ und zu ihrem Grunde:

“Der eine ſolche Kunſt erfunde,

“Daß man, aus Jnſchlitt, Wachs und Dacht,

“So nutzbar, in der dunklen Nacht,

“Uns eine kleine Sonne macht.

“Wie kann es dann doch moͤglich ſeyn,

“Daß man der Sonnen Wunder-Schein,

“Das ungemeßne Licht-Gefaͤße,

“Von ſolcher Ordnung, Pracht und Groͤße,

“Das Leben, Aug’ und Schmuck der Welt,

“Von ungefehr entſtanden haͤlt?

“Dieß waͤr, von ihrer Kraft und Pracht,

“Weit aͤrger, als ein Vieh, gedacht.

“Wo
[459]Das lehrende Kerzen-Licht.
“Wo Abſicht, Ordnung, Nutz, vorhanden;

“Jſt nichts von ungefehr entſtanden:

“Es muß ein weiſer Geiſt allein

“Die Urquell’ aller Ordnung ſeyn.

“Und alſo, nebſt viel tauſend Gruͤnden,

“Die ſich in der Natur befinden,

“Macht uns ein Kerzen-Licht ſo gar

“Der Sonnen Schoͤpfer offenbar.

Anhang.

Die Sonne zeiget ihre Kraft und helle Strahlen

nicht ſo ſehr
Der, durch ihr helles Lebens-Licht, erwaͤrmten und
beſtrahlten Erden,
Als, durch dieſelbige, vielmehr,
Von ihrem wunderbaren Schoͤpfer, die Macht,
die Weisheit, Lieb’ und Ehr
Beſtaͤndig offenbahret werden.


Menſch-
[460]

Menſchliche Unwiſſenheit,
im Buche der Natur zu leſen.


Cœcutus ging zum Brillen-Macher, um eine Brill
ihm zu erkaufen.

Er nahm verſchiedene derſelben aus einem aufgethuͤrmten
Haufen,

Setzt’ eine nach der andern auf, verſucht’, an ein ge-
druckt Papier,

Die Guͤte des geſchliffnen Werkzeugs; allein, er aͤrgerte
ſich ſchier,

Als er kein’ einzige gerecht fuͤr ſich und ſeine Augen fand.

Bald legt’ er die, bald jene, nieder; nahm eine andere
zur Hand,

Bis er ſie alle faſt probiert. Drauf fing der Brillen-
Macher an:

Mein Freund, ihr koͤnnt vielleicht nicht leſen. Darum,
daß ich nicht leſen kann,

Sprach jener, kauf’ ich eine Brille. Denn, haͤtt’ ich
ein ſo gut Geſicht;

Gebraucht’ ich eurer Brillen nicht.

Wie laͤcherlich nun dieſer Schluß;

So gab er mir zum ernſten Denken doch Anlaß; wel-
ches ich denn hier,

Geliebter Leſer! gleichfals dir,

Wiewohl betruͤbt, entdecken muß.

“Wir alle ſind Cœcutus gleich. Wer hat, im Buche
der Natur

“Zu leſen, jemals wohl gelernt? Man hat ja kaum
einmal die Spuhr

“Der
[461]Menſchliche Unwiſſenheit im Buche der Natur.
“Der ſchoͤnen Lettern angeſehn, viel minder darinn buch-
ſtabiert,

“Noch weniger darinn ſtudiert,

“Den Jnhalt, der der wahre Gott, in ſeinen großen
Wunder-Werken,

“Die dieſes Buches Lettern ſind, zu uͤberlegen, zu be-
merken;

“Und meynen doch, die weiſe Schrift, und den darinn
verborgnen Schein,

“Durch unſrer Augen Brillen bloß, zu leſen, ſchon ge-
ſchickt zu ſeyn.

“Wahrhaftig, es ſind unſer’ Augen, wenn unſer Geiſt
nicht leſen kann,

“Nichts, als ein bloßes Brillen-Glas. Wir ſehn den
Kreis der Erden an,

“Als einer, der nicht lieſt, ein Buch; obgleich, in deſ-
ſen klugen Zuͤgen,

“Der allertiefſten Weisheit Schaͤtze enthalten, und ver-
borgen liegen.


Stunden
[462]

Stunden-Betrachtungen.


Obgleich die Zeit, von der Natur, in Tag und Nacht,
und von uns, in Stunden, eingetheilet wird; ſo befin-
den wir jedoch, daß dadurch eine langweilige Einfoͤr-
migkeit bey uns ſich nicht unterbreche. Wir ver-
bringen unſere Dauer in einem ungefuͤhlten Zug.
Jndem wir nicht daran gedenken; bemerken wir kaum,
daß wir ſeyn, wenn wir uns in guten Umſtaͤnden
befinden: und, in verdrießlichen, werden wir, in einer
nicht unterbrochenen bittern Stille, gleichſam als in
einem ſchwehren Schlaf, und wie in einem ſchleichen-
den Drang eines Strohms, fortgezogen. Jnſon-
derheit empfinden wir eine verdrießliche lange Weile,
bey ſchlafloſen Naͤchten. Dieſe beſchwehrliche Lang-
wierigkeit nun nicht allein zu unterbrechen; ſondern
auch zugleich, (nebſt einer vernuͤnftigen Erinnerung
unſers Daſeyns) in guten Zeiten, unſer Vergnuͤgen
zu vermehren; in kranken und betruͤbten aber, durch
erbauliche Betrachtung: daß wir, bey jeder Stunde,
dem Ende unſerer beſchwehrlichen Umſtaͤnde, und
dem Anfange einer ewig daurenden Gluͤckſeligkeit, uns
naͤhern; habe ich nicht undienlich erachtet, folgende
Stunden-Betrachtungen anzuſtellen.


1.
Jetzt ſchlaͤgt es Ein. Laß dieſe Zahl,

Die aller Zahlen Grund allein,

Geruͤhrtes Herz! dir allemal

Der großen Einheit Denk-Bild ſeyn,

Aus welcher alles, was vorhanden,

Der Welt und Sonnen Heer’, entſtanden.

2. Es
[463]Stunden-Betrachtungen.
2.
Es ſchlug jetzt Zwey. Die Zeiten ei[l]en.

Erwege Zeit und Ewigkeit!

Du ſelbſt beſtehſt aus zweyen Theilen:

Du biſt aus Seel’ und Leib bereit.

Quaͤlt etwa dieſes hier ein Leid;

Die Ewigkeit wird alles heilen.

3.
Drey ſchlug es. Jch erweg hiebey,

Zu meinem Troſt, ein heilges Drey:

Und, daß der Schoͤpfer aller Welt,

Der ſie erſchuff, regiert, erhaͤlt,

Allmaͤchtig, weiſ’ und liebreich ſey.

4.
Jetzt ſchlug es Vier. Vier Jahres-Zeiten

Bezeichnen unſre Lebens-Zeit:

Die all’, in reger Fluͤchtigkeit,

Nebſt uns, beſtaͤndig vorwaͤrts gleiten;

Bis daß dereinſt ein ſtetes Heut,

Ein ewger Fruͤhling, uns erfreut.

5.
Da es nunmehro Fuͤnfe ſchlug;

Erweg’ ich, und zwar wohl mit Fug,

Der herrlichen fuͤnf Sinnen Gaben,

Wodurch der Geiſt die Welt empfindet,

Wodurch ihn Gott mit Koͤrpern bindet,

Und wir ſo viel Vergnuͤgen haben.

6. Schon
[464]Stunden-Betrachtungen.
6.
Schon Sechs! Von vier und zwanzig Stunden,

Worein die Tages-Zeit getheilt,

Jſt ſchon der vierte Theil verſchwunden.

Da auf der Welt nun nichts verweilt,

Sich alles aͤndert, wechſelt, eilt;

So laßt uns, bis er eingetroffen,

Den letzt- und beſten Wechſel hoffen.

7.
So eben ſchlug der Seiger Sieben,

Die man die heilge Zahl ſonſt heißt.

Ach wuͤrd jetzt, mehr als ſonſt, mein Geiſt,

Der Gottheit allgemeines Lieben,

Das ſich in allen Dingen weiſt,

Doch zu bewundern, angetrieben!

8.
Die Glocke ſchlug jetzt eben Acht.

Mein Herze, nimm des Schoͤpfers Macht,

Die alle Ding’ hervorgebracht,

Jn Seiner ſchoͤnen Werke Pracht,

Jn dieſer Stunde, mit Bedacht,

Mit Andacht, und mit Luſt, in Acht!

9.
Die neue Stunde tritt herein,

Sie iſt ſchon da, es ſchlaͤget Neun.

Moͤcht jetzt des Schoͤpfers Weisheits-Schein

Doch etwas mehr, als insgemein,

Ein Vorwurf unſers Denkens ſeyn!

10. Jetzt
[465]Stunden-Betrachtungen.
10.
Jetzt hat es eben Zehn geſchlagen.

Biſt du befreyt von Pein und Plagen;

So danke Gott. Druͤckt dich ein Leid;

So denke: daß ſelbſt unſrer Zeit

Unauf haltbare Fluͤchtigkeit,

Von deinem Kummer und Verdruß,

Stets etwas mit ſich nehmen muß.

11.
Schon eine Stunde wieder hin,

Ob ich ihr Fliehn gleich nicht empfunde.

Eilf ſchlug es: und die letzte Stunde

Beginnt bereits. Moͤcht’ unſer Sinn

Sich zu den ſelgen Ewigkeiten,

Dem Schluß von unſrer Zeit, bereiten!

12.
Des Tages letzte Stunde ſchlaͤgt.

Wie gluͤcklich, wer dabey erwegt,

Daß, auch von unſern Lebens-Tagen,

Die letzte Stund’ einſt werde ſchlagen;

Und wer, befreyt von Gram und Sorgen,

Mit zuverſichtlichem Gemuͤth,

Dem kuͤnftig-ewgen Freuden-Morgen,

Den Gott verſpricht, entgegen ſieht!

8 Theil. G gWeil
[466]Stunden-Betrachtungen.

Weil alle dieſe Betrachtungen auf die Nacht- und
Tages-Stunden ſich ſchicken, auſſer die eilfte und
zwoͤlfte; ſo ſind, beyde folgende, des Tages zu ge-
brauchen.


11.
Dieß war der eilfte Seiger-Schlag.

Gieb, Herr! daß ich bedenken mag,

Wie, ſelbſt aus Arbeit und aus Muͤhe,

Der Menſch ſo Luſt als Segen ziehe.

Es iſt des Menſchen Gluͤck allein,

Bey ſeiner Arbeit froͤhlich ſeyn.*

12.
Jetzt ſchlug es Zwoͤlf. Die Mittags-Zeit,

Worinn uns Gott, in unſerm Leben,

So reichlich Speiſ’ und Trank wird geben,

Zum Nutz, zur Luſt; iſt nicht mehr weit.

Ach moͤchten wir die Gab’ ermeſſen,

Und ſo, zu Gottes Ehren, eſſen! **


Beſſere
[467]

Beſſere
Anwendung unſerer Seelen-Kraͤfte.


Bey ungezaͤhlten leiblichen und ungezaͤhlten Seelen-
Gaben,

Die wir, von Gottes weiſer Liebe, zum Vorzug vor den
Thieren, haben,

Jſt dieß vor andern hoch zu ſchaͤtzen:

“Daß wir uns, auf der Welt, nicht nur am Gegen-
waͤrtigen ergetzen,

“Uns laben und vergnuͤgen koͤnnen: Man kann an
dem auch, was vergangen,

“Durch das Gedaͤchtniß; und, durch Hoffnung,
an dem, was noch nicht angefangen,

“Der Seelen ein Vergnuͤgen ſchaffen.„ Wir aber
brauchen dieſe Kraͤfte,

Statt uns zu nuͤtzen, uns zu plagen. Wir rauben,
durch Unachtſamkeit,

Uns ſelbſt, das gegenwaͤrtge Gute. Des Guten

der vergangnen Zeit

Erinnern wir uns, uns zur Plage: Wir graͤmen uns,
daß es dahin;

Da der genoſſene Beſitz, verfuͤhr man billig; unſerm Sinn

Doch einen Troſt ertheilen muͤßte. Die Hoffnung fuͤr
ein kuͤnftigs Gut

Wird von der bittern Furcht verſchlungen. Da es nun
auf uns ſelbſt beruht,

Uns zu vergnuͤgen und zu plagen; wuͤrd’ unſer Gluͤck
dann nicht vergroͤßert,

Wenn man, durch ein vernuͤnftigs Denken, die Kraft
der Phantaſey verbeſſert?

G g 2Und,
[468]Beſſere Anwendung unſerer Seelen-Kraͤfte.
Und, da die Dinge dieſer Welt,

Fuͤr uns, ſo ſehr nicht, was ſie ſind, als das ſind, wozu
man ſie macht,

Und wie man ſie ſich vorgeſtellt;

So ſey man kuͤnftig doch bedacht,

Sich das von ihnen vorzuſtellen, was unſer Wohl
vermehren kann,

Und ſehe nicht ein jedes Ding, von ſeiner ſchlimmen
Seiten, an.

“Laßt, fuͤr das gegenwaͤrtge Gut, euch die Ge-
wohnheit nicht verblenden.

“Erweget ihr, daß ihr es habt; ſo habt ihr euer Gluͤck
in Haͤnden:

“Sonſt habt ihrs, da ihrs habet, nicht. Bey dem
vergangnen Guten, denkt:

“Daß ihr es in der That beſeſſen. Hat etwan euch
ein Leid gekraͤnkt,

“Und es iſt weg und uͤbergangen; ſo freuet euch, daß
es vorbey.

“Vom kuͤnftgen Guten hofft und glaubt, von uͤber-
fluͤßgen Sorgen frey,

“Daß, wenns euch nuͤtzt, das große Weſen, es euch
zu geben, maͤchtig ſey.

“Gebrauchten wir der Seelen Kraͤft’ auf dieſe Weiſ’,
auf dieſer Erden;

“Wir wuͤrden, wo nicht ganz begluͤckt, doch wenigſtens
begluͤckter, werden.


Die
[469]

Die abgewandte Gefahr.


Wenn ein von uns gewendet Ungluͤck, mit Recht,
ein wahres Gluͤck zu nennen;

So werd’ ich mich, mit hoͤchſtem Fug, aufs neu begluͤcket
heiſſen koͤnnen.

Da eine nicht vorher zu ſehnde, nicht vorzubeugende
Gefahr,

Sowohl mir ſelbſt, als meinen Kindern, ſo nah, und
kaum vermeidlich, war;

So hat ſie uns doch nicht betroffen. Jch ſehe dieſe
Wohlthat an,

Als eine Gnade, die ich Gott, durch Dank, nicht gnug
verdanken kann.

Damit ich, wie ſo vieles Gute, auch dieſes nicht
vergeſſen moͤge;

So wird mein Leſer mir vergoͤnnen, daß ichs auch ihm
vor Augen lege:

Zur ſtetigen Erinnerung, damit auch er ſein Gluͤck ermeſſe,

Bey auch von ihm vermiednem Ungluͤck, und auch des
Dankens nicht vergeſſe.

Jn dem von mir bewohnten Zimmer fiel der gegipſte
Boden ein;

Durch deſſen Laſt, da er ſo dick, und ja ſo ſchwehr, als
wie ein Stein,

Der Stuhl, der Sitz von meiner Tochter, zertruͤmmert
ward und abgeſchlagen.

Der ganze Boden war bedeckt mit großen Stuͤcken
Schutt und Graus;

Die ganze Stube ſah zerſtoͤret und gleichſam ruiniret aus,

Als ich, erſtaunt, in ſelbe trat. Wie glaublich, war
mein erſtes Fragen:

G g 3Ob
[470]Die abgewandte Gefahr.
Ob keinen dieſer Fall betroffen? Zur frohen Antwort
hoͤrt’ ich: Nein;

Und ferner: Daß die juͤngſten Kinder, die in der Stunde
ſchreiben lernen,

Dadurch Gelegenheit gefunden, von der Gefahr ſich
zu entfernen,

Da ſie, in einer andern Stube zu ſchreiben, angewieſen
ſeyn,

Weil die zween aͤlteſten den Lehrer, in fremden Sprachen
ſich zu uͤben,

Zu gleicher Zeit vermuthet hatten; und der waͤr’ eben
ausgeblieben,

Zu ihrer aller groͤßtem Gluͤck. Wie mancher Umſtand
hat nicht muͤſſen,

Bey dieſem Fall, zuſammen laufen, daß ihr dem nahen
Tod’ entriſſen,

Und unverſehrt geblieben ſeyd! fing ich, halb bang, halb
froͤhlich, an.

Wer iſt, der eine weiſe Vorſicht, nach Wuͤrden, gnug
bewundern kann,

Die ſo geringe Mittel braucht, und in Gefahr ſo leicht
uns ſchuͤtzt!

Wie leicht haͤtt’ ich zerquetſchte Schaͤdel, den Boden
ganz mit Blut beſpruͤtzt-

Wie leicht erblaßte, Koͤrper finden; wie leicht, an einem
hier, die Knochen

Von Arm und Bein, am andern dort, den Kopf geſplit-
tert und gebrochen,

Voll
[471]Die abgewandte Gefahr.
Voll Gram und Wehmuth, ſehen koͤnnen! Jetzt aber,
Gott ſey Dank dafuͤr!

Seyn wir geſund, uns fehlet nichts, und koͤnnen, un-
verſehret, ſehen,

Was uns, in ſolcher nahen Noth, von Gott, fuͤr Huͤlf’
und Heil geſchehen.

“Wir preiſen dann, fuͤr die Beſchirmung, Dich
unſern Gott, und danken Dir!

“Ach laß ein oͤfteres Erinnern, an Deinen Schutz,
uns innig ruͤhren,

“Und uns, Dein uns beſchirmend Aug’, auch kuͤnftig,
wie bisher, verſpuͤhren!


G g 4Der
[472]

Der Naͤchſte.


Dein Naͤchſter, lieber Menſch! iſt jeder, den Gott
auf dieſen Kreis der Welt,

Mit dir zugleich, hat hingeſtellt,

Daß ihr einander nuͤtzen ſolltet, gemeinſchaftlich euch
Seiner freun,

Und, in der ſuͤßen Leidenſchaft der Lieb’ und Freundſchaft,
froͤhlich ſeyn.

Nun ſteht euch frey, den edlen Zweck, zu welchem ihr
gemacht, zu waͤhlen;

Wie oder, ſtatt der Lieb’ und Freundſchaft, euch zu ver-
folgen und zu quaͤlen:

Euch an einander zu ergetzen; wie oder, ſo wie Hund
und Katzen,

Euch zu zerbeiſſen und zu kratzen.


Das
[473]

Das wahre Leben.


Wenn wir auf unſer ganzes Leben,

So wie wir ſollten, Achtung geben,

Mit rechtem Ernſt; ſo findet ſich:

Vom Leben komm’ uns eigentlich

Nur eine einzige Minute,

Zum Nutz, und in der That, zu gute.

Denn die Minute, die verſchwunden,

Jſt weg, gehoͤret uns nicht mehr;

Die kuͤnftge fehlt uns ja ſo ſehr,

Da ſie ſich noch nicht eingefunden.

Hieraus nun folget dieſe Lehr:

“Daß, da, von unſern Lebens-Theilen,

“Die alle fluͤchtig ſind und eilen,

“Die einzige Minut’ allein,

“Die gegenwaͤrtig, uns gehoͤret;

“Wir deſto mehr verpflichtet ſeyn,

“Wo uns kein Schmerz noch Gram beſchwehret;

“Dieſelbe froͤhlich zu gebrauchen: ſie ungenutzet
nicht vergehn,

“Und ungepruͤft verſchwinden laſſen. Es wird uns
die Erfahrung geben,

“Daß wir, wenn ſolches nicht geſchicht, ob wir gleich
leben, doch nicht leben:

“Geſchichts hingegen; daß wir leben, und Gott,
in unſrer Freud’, erhoͤhn.


G g 5Der
[474]

Der Punct.


Juͤngſt hatt’ ich einen Punct auf mein Papier gemacht:

Mein Aug’ erblickt’ ihn kaum. Mein Geiſt hatt’
aber Acht

Auf ſeine Kleinheit; ſonderlich

Auf ſeine faſt vollkommne Ruͤnde.

Die Ruͤnd’ und Kleinheit brachten mich

Zu einem abgezognen Denken.

Es fing mein Geiſt an, ſich ins Meer

Der dunklen Kleinheit zu verſenken:

Dieß kam mir gleichſam vor, als obs unendlich waͤr.

Denn, dacht ich, ich vermag ein Puͤnctchen, das
ſo klein,

Mir in Gedanken vorzuſtellen,

Daß, wenn man meinen Punct dagegen haͤlt,

Er, unſerm Kreis der Welt,

An Groͤße, gegen jenem, gleichet.

Wie fern, wie weit nun gleich das Ziel,

Wohin der Geiſt, im Kleinen, reichet;

So finden wir doch ja ſo viel

Bewundernswuͤrdiges, von ſeinen weiten Schranken,

Und wie ſo fern er ſich, im Großen, auch erſtreckt:

Worinn den forſchenden Gedanken

Ein Ziel ſo wenig ſcheint geſteckt;

Daß ich gar leicht den Kreis der Erden,

Durch die Vergleichung andrer Groͤßen

Jm Himmels-Raum, die nicht zu meſſen,

Zu
[475]Der Punct.
Zu einem Punct, der meinem Puncte gleich,

Zu machen, mich geſchickt befinde.

Woraus ich mich, zu ſchlieſſen, unterwinde:

“Wie unſer Geiſt an Faͤhigkeit ſo reich;

“Auch, daß wir noch dadurch die Wahrheit mehr
erkennen:

Nichts Endlichs ſey, fuͤr ſich, groß oder klein

zu nennen.
“Nur die Unendlichkeit der Gottheit bloß allein,
“Als unvergleichbar, kann groß, an ſich ſelber,
ſeyn.


Zwo
[476]

Zwo Seelen.


Zwo Seelen kamen auf die Welt. Sie waren Kinder,
wußten nichts;

Durch ihre Sinnen nahmen ſie allmaͤhlich an Erkennt-
niß zu.

Jhr Weſen ſchien, ſich zu entwickeln; genaͤhrt durch
Eſſen, Trank und Ruh.

Die eine ward, durch die Natur, durch alle Herrlichkeit
des Lichts,

Kurz, durch die Creatur geruͤhrt: genoß derſelben, war
vergnuͤget,

Und dankte Dem, Der ſie, fuͤr ſie, ſo weiſ’ und wun-
derbar gefuͤget;

Der ſie von tauſend Gegenwuͤrfen, und fuͤr der ganzen
Erde Pracht,

Durch manches Werkzeug ihrer Sinnen, zu ihrem Be-
ſten, ſinnlich macht.

Darauf verließ ſie ihren Leib. Die andre thate nichts
auf Erden,

Als Tag und Nacht ſich zu bemuͤhn, viel Geld zu ſamm-
len, reich zu werden;

Auf die Natur, auf ihre Schoͤnheit, auf ihres Schoͤpfers
Herrlichkeit,

Auf Seine Weisheit, Macht und Liebe, zu denken; hatte
ſie nicht Zeit.

Zuletzt verließ auch ſie die Welt. “Bey deinem Schei-
den, liebſte Seele!

“Sprich: welcher wollteſt du, von beyden, hier wohl
geglichen haben? Waͤhle!


Noth-
[477]

Nothwendigkeit,
unſere Vorſtellungen wohl ein-
zurichten.


Es haͤnget von dem Menſchen ab, um, mehrentheils
in allen Sachen,

Des Lebens Zufaͤll’ insgeſammt willkuͤhrlich boͤſ’ und gut
zu machen.

Des Geiſts und der Jdeen Zuſtand verurſacht und be-
ſtimmt allein

Den eigentlichen Wehrt der Dinge, und macht, fuͤr uns,
das, was ſie ſeyn.

Die Art, ſo wie wir ſie empfangen; die Form, die ſie,
im Herzen, nehmen;

Die Farben, die ſie da erhalten: macht eigentlich ihr
Weſen aus.

“Ach! laßt uns dann doch, die Jdeen zu recht zu
bringen, uns bequemen:

“Denn unſer ganzes Gluͤck und Ungluͤck, in dieſem Le-
ben, folgt daraus.

Allein, wie iſt dieß anzufangen? Bey einem jeden

Zufall denke:
(1) Ein Weſen ſey, das alles lenke;
Daß nichts von ungefehr geſchicht: (2) Daß dir
wohl eh, was ſchlimm geſchienen,
Dennoch, wie du es oft erfahren, zum Beſten habe
muͤſſen dienen:

(3) Daß
[478]Noͤthige u. anſtaͤndige Einrichtung unſ. Jdeen.
(3) Daß du ein Menſch, der nicht verdiene, daß

alles, wie er es verſehn,
Nach der von ihm gemachten Richtſchnur, dennoch
von ſtatten muͤſſe gehn:
(4) Und endlich auf das viele Gute, ſo dir von
Gott annoch gelaſſen;
So wirſt du dich, verſuch es nur, in allem Ungluͤck
leichter faſſen.


Der
[479]

Der unvernuͤnftige Menſch.


Der Menſch iſt ein vernuͤnftigs Thier.

Wer ſagt es? Wir.

Nun wohl! es ſey. So laßt dann ſehn,

Worinn die Proben der Vernunft, bey uns, denn eigent-
lich beſtehn?

Es zeigt und lehrt uns die Vernunft: “Daß wir
der Sinnen Schaͤtz’ und Gaben,

“Um, Gott zum Ruhm, die ſchoͤne Welt zu nuͤtzen,
uͤberkommen haben.

Es lehret die Vernunft uns weiter: “Daß die Ver-
nunft, bey dem Genuß,

“Gebraucht ſeyn, und nicht fehlen muß;

“Weil Sehn und Hoͤren, ohn Erwegen, ein thieriſch
Sehn, ein viehiſch Hoͤren.

Nun mag uns die Erfahrung lehren:

Ob die ſo ſehr vernuͤnftge Pflicht,

Von den ſich ſelbſt ſo nennenden vernuͤnftgen Buͤrgern
dieſer Erde,

Vernuͤnftig ausgerichtet werde?

“So lange dieſes nicht geſchicht,

“Und du, zu Deines Schoͤpfers Ruhm, nicht riecheſt,
hoͤreſt, ſchmeckſt und fuͤhleſt,

“Dir ſelbſt die dir gegoͤnnte Luſt, dem Geber Seine
Ehre, ſtiehleſt;

“Wie werden andre Weſen, Geiſter, und Engel, dich,
mit Fug, wohl koͤnnen

“Ein mit Vernunft begabtes Thier, wie du dich ſelber
nenneſt, nennen?


Das
[480]

Das wahre Leben.


Wir leben; aber welch ein Leben, wenn man nicht,
daß wir leben, denkt!

Jnzwiſchen, daß ſich unſre Zeit beſtaͤndig, wie ein Strohm,
verſenkt,

Wird man, mit eitlem Tand beſchaͤfftigt, kaum, daß
wir leben, einſt gewahr;

Und eh wir merken, daß wir leben, zeigt ſich bereits die
Todten-Baar.

Wir ſuchen Brodt, wir ſuchen Reichthum, wir ſtreben
nach dem Schmuck der Ehre,

Als wenn, geehrt und reich zu ſeyn, der Endzweck un-
ſers Daſeyns waͤre:

Da doch Natur, Vernunft und Schrift, nebſt unſern
Sinnen, unſerm Geiſt,

Jn einer allgemeinen Sprache, ganz einen andern End-
zweck weiſt.

Es predigt uns die ganze Welt den wahren Satz:
“Der Schoͤpfer wolle,

“Daß man, in Seinen Werken, Jhn bewundernd,
ſich vergnuͤgen ſolle.

“Zu dieſer Abſicht ſcheinet uns das Leben, auf der Welt,
gegeben.

Zum Ruhm des Schoͤpfers ſich vergnuͤgen, das

iſt allein ein wahres Leben.


Gottes
[481]

Gottes Wort in Seinen Werken.


Wie kann ein Weſen, das vernuͤnftig, das Welt-
Gebaͤude doch verachten!

Wie kann ein Menſch ſich doch enthalten, als Gottes
Werk, es zu betrachten;

Da doch des Schoͤpfers wahres Weſen Sich, durch die
Sinnen, unſerm Geiſt,

Jn den von Jhm gewirkten Werken, als wie in einem
Spiegel, weiſt!

Dieß iſt das große Wunder-Buch, das Gott, von
Seiner Weisheit, Liebe

Und Allmacht uns zu uͤberzeugen, und zu belehren, Sel-
ber ſchriebe.

Der Jnhalt iſt die Gottheit Selbſt. Die ſchoͤn geform-
ten Creaturen

Sind, von der Schrift des großen Schreibers, die Let-
tern, Ziefern und Figuren.

Ja dieſes Buch iſt Gottes Wort: Gott ſprach es
Selbſt. Es hieß: “Es werde

“Das Licht, das Meer, und Erd’ und Himmel! Und
Licht, und Himmel, Meer und Erde,

“Entſtand, erſchien und war ſo fort.

Jſt dieſes dann nicht Gottes Wort?

Ja zeigt uns nicht die Bibel ſelbſt, ſamt der Vernunft
und der Erfahrung:

“Es ſey, von unſers Schoͤpfers Weſen, die Welt, die
erſte Offenbahrung?


8 Theil. H hDes
[482]

Des Schoͤpfers Herrlichkeit.


Der Unendlichkeiten Tiefe, Raum, und Ewigkeit,
und Zeit,

Sind erfuͤllt von Gottes Liebe, Majeſtaͤt und Herrlichkeit.

Millionen Welt- und Sonnen, die durch Jhn hervor-
gebracht,

Sind die Proben Seiner Weisheit, ſind die Zeugen
Seiner Macht.

Der Natur Buch giebt den Geiſtern, von des großen
Schoͤpfers Weſen,

Ein unwiderſprechlichs Zeugniß, in der Creatur, zu leſen.

“Es erzehlt ein Tag dem andern, und die Nacht dem
andern Morgen

“Der allgegenwaͤrtgen Gottheit uͤberall vorhandne
Spuhr.

“Koͤnnt’ ich doch von der Natur,

“Von dem Himmel, von den Sternen, und der Welt,
die Stimme borgen,

“Um Den wuͤrdig zu beſingen,

“Durch Den die Natur, der Himmel, Stern’ und
Welt’, ihr Seyn empfingen!


Die
[483]

Die Einheit des Schoͤpfers.


Der Prinz von Malva, der ein Heide, bemuͤhete ſich,
ſeine Lehre,

Als ob, ſtatt eines Einigen, von Goͤttern eine Vielheit waͤre;

Durch dieſe Gruͤnde, zu behaupten: “Daß unſer’
allgemeine Welt,

“Sprach er, ein’ ungezaͤhlte Zahl von Sonnen-Heeren
in ſich haͤlt;

“Jſt wahr, und nimmermehr zu leugnen: auch, daß
ein jede Sonn’ um ſich

“Verſchiedene Planeten lenke, in richtger Ordnung
um ſich fuͤhre,

“Erleuchte, ſchmuͤcke, fruchtbar mache, belebe, waͤrm’,
und ſie regiere;

“Jſt auch unwiderſprechlich wahr. Nun ſage mir, ich
bitte dich!

“Muß nicht das Reich von jeder Sonne ein eigenes
Syſtema ſeyn,

“Das mit den Reichen andrer Sonnen gar nichts
gemeinſchaftliches heget,

“Sie nicht beruͤhret, ſie nicht nuͤtzt, und von dem gar
zu fernen Schein

“Gar keine Wirkung fuͤhlt noch braucht? Wenn man
nun ferner noch erweget,

“Daß ihre zugehoͤrgen Theile nach ihrem Mittel-Punct
ſich lenken,

“Und, ſo wie wir, mit unſrer Luft, uns ſtets nach unſrer
Sonne ſenken,

“Sie ebenfals, wie unſre Koͤrper, nach ihrem einge-
ſenkten Drang,

“Sich auch zum Centro ſenken werden; wodurch dann
kein Zuſammenhang

H h 2“Mit
[484]Die Einheit des Schoͤpfers.
“Mit andern Sonnen uns begreiflich: warum kann
jede Sonne nicht,

“Nebſt ihren planetarſchen Erden, fuͤr ſie beſonders
eingericht,

“Von einem eignen Gott geſchaffen, erhalten und
regieret ſeyn?

“Der Mangel des Zuſammenhangs, im großen Ganzen,
bloß allein,

“Giebt meiner Meynung das Gewicht:

“Der Raum von Millionen Meilen, der zwiſchen jedem
ſich befindet,

“Behindert ja, daß keine Sonne ſich mit der andern
je verbindet.

Jch ſtutzt’, ob dieſem Satz, ein wenig. Allein, ſo
bald ich mich beſann,

Erwiedert’ ich, mit ernſtem Laͤcheln: “Wie geht ein
ſolcher Schluß doch an,

“Der ſich auf keine Wahrheit gruͤndet? Die großen
Welt-Gebaͤude hangen,

“Unleugbar, unter ſich zuſammen. Jndem wir der
Geſtirne Prangen,

“Mit unſern Augen, ſehen koͤnnen, und wir, durch ihren
Wunder-Schein,

“Jhr helles Funkeln, Blitzen, Glaͤnzen, und lichte Herr-
lichkeit, geruͤhret,

“Durch die Bewundrung ihrer Ordnung und Groͤßen,
zu der Quell gefuͤhret,

“Von ihren Groͤßen, ihrer Ordnung, zum wahren Gott
geleitet ſeyn;

“So ſind ſie nicht fuͤr uns umſonſt. Ja, waͤre dieß
noch nicht genug;

“So
[485]Die Einheit des Schoͤpfers.
“So faͤllt mir ein Beweisthum bey:

“Daß eine der entferntſten Sonnen, zugleich fuͤr uns,
erſchaffen ſey,

“Einfolglich ſich mit uns verbinde; da, ſonder ihren
ſteten Glanz,

“Der allergroͤßte Theil der Welt vor uns verborgen
waͤr’, und ganz

“So ungebraucht, als ungenuͤtzt, ſo lang die Welt ſteht,
bleiben muͤßte,

“Und man von dem Gebrauch des Meers und ſeinen
Jnſeln nichtes wuͤßte.

“Dieß iſt der Wunder-reiche Pol-Stern. Den ich nun
in weit groͤßrer Achtung,

“Wie vor, hinkuͤnftig halten werde;

“Weil er uns nicht nur, wie vorhin, durchs Meer,
zu einer neuen Erde

“Gewiſſe Wege zeigen kann; Er leitet uns, durch die
Betrachtung,

“Zur majeſtaͤtſchen Einheit Gottes. Das unbegreiflich-
tiefe Leere,

“Der Raum, der zwiſchen allen Sonnen, vermindert
nicht des Schoͤpfers Ehre:

“Ein richtiger Vernunft-Schluß zeigt, daß er dieſelbe
noch vermehre.

“Denn, daß er leer, iſt nicht erweislich.„ Mein
Gegner ſtutzt’ ob dieſem Satz:

Der Wahrheit, die unwiderſprechlich, gab er, nach ern-
ſtem Denken, Platz.

Zwar wollte ſich, von ſeinem Eifer, die Hitze noch nicht
voͤllig legen;

Doch ſprach er: “Was ich jetzt gehoͤrt, will ich, mit
mehrerm Ernſt, erwegen.


Die
[486]

Die Groͤße unſers Geiſtes,
aus
der Betrachtung Goͤttlicher Groͤße
auch im Kleinen.


Jndem ich neulich, voller Ehrfurcht, die uͤberall
durchſtrahlten Blicke,

Jn unſers Himmels dunkle Tiefe, die aber hell von Ster-
nen, ſchicke,

Den Grund- und Graͤnzen-loſen Raum, der Sternen
und der Sonnen Groͤße,

Bey ihrer ungezaͤhlten Menge, mit aufmerkſamen Blick,
ermeſſe;

Erſtaunt’ ich, als ich uͤberdachte, wie ſolch ein unge-
heurer Raum,

Worinn faſt alle Maße ſchwindet, und welcher den Ge-
danken kaum,

Ein Ziel zu finden, zugeſteht, daß, ſag’ ich, eine Tief’
und Breite,

Daß eine Graͤnzen-loſe Weite,

Die, Sonnen ſonder Zahl und Maße, in ihrem tiefen
Schooß enthaͤlt,

So unbegreifllich ſich verkleint, daß alles, durch den
Gang der Augen,

Jn unſerm innerſten Gehirn, in ein ſo kleines Puͤnctchen
faͤllt,

Daß wir die Kleinheit dieſes Puncts kaum mit dem Geiſt
zu faſſen taugen.

Welch
[487]Die Groͤße unſers Geiſtes.
Welch ein bewundernswuͤrdigs Wunder, daß ſolche
koͤrperliche Groͤße

Jn ſolche koͤrperliche Kleinheit ſich ſenken, ſich verſchraͤn-
ken kann!

Je mehr ich dieß erſtaunliche geheime Wunder-Werk
ermeſſe;

Je mehr treff ich, von Gottes Allmacht und Weisheit,
darinn, Proben an,

Nicht weniger von Seiner Liebe: da Er dieß Mittel
ausgefunden,

Und ſolche große Creaturen mit unſrer Kleinheit hat
verbunden;

Da Er, durch unſrer Augen Spiegel, dem Geiſt der Men-
ſchen deutlich zeigt

Den Ausbruch Seiner weiſen Macht, der alles Denken
uͤberſteigt,

Worinn man Gott als Gott erkennt. All’ andre Werke
haben Schranken;

Hier aber ſchwinden alle Kraͤfte der ausgeſpannteſten
Gedanken:

Sie finden weder Maß noch Ende; ſie ſtocken, ſie ver-
lieren ſich,

Und ſehen, in dem weiten Raum der Ewigkeit, Herr!
nichts, als Dich.

Weil wir denn in der Gottheit Tiefen, uns ſelbſt ver-
lierend, uns verſenken;

So laßt uns wenigſtens die Kleinheit vom menſchlichen
Geſicht bedenken.

Wir finden ein ſo kleines Puͤnctchen, worein ſo manche
Sonn’ und Welt,

Worein zugleich der Raum des Himmels, der ſonder
Ziel und Graͤnzen, faͤllt;

H h 4Daß
[488]Die Groͤße unſers Geiſtes.
Daß er den Augen ſelbſt nicht ſichtbar. Bey dieſer
Kleinheit faͤllt mir bey:

“Ob nicht, die unſichtbare Kleinheit des Geiſtes, noch
viel kleiner ſey?

“Ob nicht von dieſem kleinen Punct der Abſtand zu des
Geiſtes Schranken

“Vielleicht ſo groß, als wie der Abſtand des Aug-
Puncts von des Himmels Hoͤhn?

“Wie, oder ob vom kleinſten Koͤrper zum Geiſt, der
Quelle der Gedanken,

“Vielleicht kein Abſtand uͤberall, und gar kein Raum
ihm zuzuſtehn?

Hier ſcheinen, wie des Koͤrpers Augen, des Geiſtes
Augen zu erblinden:

Sie koͤnnen zwar was ſehr betraͤchtlichs, doch nichts
begreifliches, hier finden.

Doch, da der Geiſt in einem Bande mit ſeinem Leib
und Koͤrper ſteht;

So ſcheints, daß er, mit ſeinem Denken, noch nicht aus
ſeinem Schranken geht,

Wenn er ſich dennoch Schluͤſſ’ erlaubet,

Und Graͤnzen zwiſchen ihnen glaubet.

Es moͤgen nun dieſelbigen ſo unempfindlich, zart und
klein,

Ja wie ein mathematſcher Punct, und, waͤr’ es moͤglich,
kleiner ſeyn:

Doch, weil es meinem Blick zu tief, und ich es nicht
vermag zu faſſen;

Will ich es eines ſchaͤrfern Geiſts gepruͤftrer Meynung
uͤberlaſſen,

Und
[489]Die Groͤße unſers Geiſtes.
Und mich daran allein begnuͤgen, “daß ich von Gottes
weiſer Macht,

“Die unermeßlich, wie im Großen, ſo auch im Kleinen,
was gedacht.

“Hiedurch ſieht unſer Geiſt zugleich ſich ſelbſt als etwas
Großes an;

“Weil er, durch unſers Schoͤpfers Gnade, von Gott,
was Großes denken kann.


H h 5Das
[490]

Das Metall.


Wer ſagt, daß nicht die Unter-Welt

Die obere beherrſcht, regieret?

Gab nicht der Erden Schooß, das Geld,

Das uͤberall den Zepter fuͤhret?

Was unſrer Erden Schlund gebar,

Das Erz, regiert die Zeit ſo gar.

Die Glocken heiſſen und befehlen,

Wenn wir bald dieß, bald jenes, thun:

Wenn wir erwachen, oder ruhn;

So muͤſſen wir die Glocken zaͤhlen.

Was uns um unſre Freyheit bringt,

Womit man uns beherrſcht und zwingt,

Sind Stuͤcke, Schwerter, und Piſtolen:

Den Stoff zu dieſem Mord-Gewehr

Giebt uns der Erden Jnnres her;

Man muß es aus der Tiefe hohlen.

Allein, was ſchmaͤhlen wir aufs Geld?

Was tadeln wir die Unter-Welt,

Daß ſie uns das Metall gewaͤhret?

Der Menſchen Bosheit bloß allein

Kann hier, nicht ſie, zu tadeln ſeyn,

Die den Gebrauch in Mißbrauch kehret;

Die, was die guͤtige Natur

Uns, im Metall, fuͤr Guts geſchenket,

Auf Ungluͤck und auf Plagen nur,

Zum allgemeinen Schaden, lenket.

“Erweget, was, in unſerm Leben,

“Fuͤr Gutes, durchs Metall, geſchicht!

“Das Boͤſe kann das Gute nicht,

“Und den Gebrauch kein Mißbrauch, heben.


Goͤtt-
[491]

Goͤttliche
Offenbahrung in den Werken.


Jn welcher Abſicht ſollte wohl der Schoͤpfer ſo viel

Wunder-Gaben,

Und Sinnen, ihrer zu genieſſen, und den erwegenden

Verſtand,

Auf dieſer Welt, hervorgebracht, und ſie in uns vereinet
haben,

Als bloß, daß Seine Weisheit, Macht und Liebe
von uns ſollt’ erkannt,

Gefuͤhlet, und geprieſen werden? Will man denn ſol-
chen heilgen Willen,

Der bloß auf unſer Wohl nur zielt, ihm widerſpaͤnnſtig,
nicht erfuͤllen;

So handeln wir der Pflicht entgegen, zu welcher wir
erſchaffen ſeyn,

Und ſuͤndigen, durch die Beraubung der Luſt, nicht gegen
uns allein;

Wir widerſtehn der Ordnung Gottes, und dem in uns
geſenkten Triebe,

Jn unſrer Freude, zur Bewundrung der Weisheit, All-
macht und der Liebe

Des Schoͤpfers, oft uns zu erhoͤhn;

Jn Seinen wunderbaren Werken,

Durch die uns zugefuͤgten Sinnen, Jhn zu erkennen,
Jhn zu ſehn,

Und, in der Weisheit, Macht und Liebe, Sein wahres
Weſen zu bemerken;

Uns
[492]Goͤttliche Offenbahrung
Uns Seiner Guͤt’ und Huld zu freuen, Sein’ unum-
ſchraͤnkte Macht zu ehren,

Die tiefe Weisheit zu bewundern, und Sein unendlichs
Lob zu mehren.

Jn welchem viehiſchen Betragen, ich, gegen Gott, die
groͤßte Suͤnde,

Man ſag’ auch, was man will, dagegen, von allen
andern Suͤnden, finde.

Die allermeiſten andern Suͤnden betreffen unſern
Naͤchſten nur;

Hier ſuͤndigen wir gegen Gott. Die Suͤnde wider die
Natur

Jſt dieſer Suͤnde rechter Name. Ein viehiſch Laſter!
Doch, ein Vieh,

Jndem es die Vernunft nicht hat, und Gott nicht kennt,
begeht es nie.

“Wir haben die Vernunft bekommen, um einen
Schoͤpfer zu erkennen:

“Jn Seinen Werken zeigt Er Sich; Sein Weſen,
Weisheit, Lieb’ und Macht,

“Sein Daſeyn zeigt die Creatur. Daher wird man
ſie nicht nur koͤnnen;

“Man wird dieſelbe wirklich muͤſſen, die erſte Offen-
bahrung nennen.

“Es giebt ſie uns der Erden Schmuck; es giebt ſie uns
des Himmels Pracht,

“Jn einer hellen Schrift, zu leſen. Ein Gott hat uns

hervorgebracht!

“Ruft uns die Stimme der Natur, aus allen ihren Wer-
ken, zu.

“Die
[493]in den Werken.
“Die Sinnen gebens unſrer Seele zu ſehn, zu fuͤhlen,
und zu ſchmecken;

“Und unſre Seele kann, in ſich, der Gottheit Gegen-
wart entdecken,

“Wenn ihre Kraft, zu uͤberlegen, ſich mit der ſinnlichen
verbindet,

“Als wodurch ſie, und zwar allein, den Schoͤpfer in
Geſchoͤpfen findet.


Genaue
[494]

Genaue
Unterſuchung unſerer Seelen.


Es ſcheinet, als ob unſre Seele

Sich, durch die kuͤnſtlichen Canaͤle

Der Sinnen, mit der Welt vermaͤhle.

Denn, ohne Sinnen, wuͤßten wir,

Von unſrer Erden Pracht und Zier,

Von Formen, Farben, Ordnung, Licht,

Von allem, das geringſte nicht.

“Ja, denk’ ich recht, die Seele koͤnnte,

“Wenn Gott ihr nicht die Sinnen goͤnnte,

“Sich ihrer ſelbſt ganz unbewußt,

“Daß ſie ein Weſen, ſelbſt nicht ſpuͤhren:

“Ja, ſollte ſie ſo gar die Gaben

“Der Sinnen, und die Werkzeug’, haben;

“So wuͤrde ſie dennoch nichts wiſſen,

“Und ſich ſelbſt unbekannt ſeyn muͤſſen,

“Wenn keine Gegenwuͤrfe waͤren,

“Die ihr, ſich, ſie, und Gott, erklaͤren.

Man ſtell ſich eine junge Seele ohn’ Haͤnde, ſon-
der Aug’ und Ohr,

Und, nebſt dem Mangel aller Vorwuͤrf’, auch ohne
Naſ’ und Zunge vor;

Wie iſt es moͤglich, daß Jdeen

Jn einer ſolchen Seel’ entſtehen?

Wie kann ſie, ohn’ Jdeen, denken?

Jhr
[495]Genaue Unterſuchung unſerer Seelen.
Jhr fehlt nicht nur der Phantaſey; ihr fehlet des
Gedaͤchtniß Kraft,

Und, ohne Vorwuͤrf’, ohn’ Jdeen, der Ueberlegung
Eigenſchaft,

Die wir Vernunft zu nennen pflegen. “Es ſcheint
demnach, daß einer Seelen,

“Der Vorwuͤrf’, und die Sinne, fehlen,

“Der Seelen Name kaum gebuͤhr; daß ſie, mit ihnen,
durch die Zeit,

“Und durch Erfahrung, allererſt zur denkenden Be-
ſchaffenheit,

“Und ihrem Weſen, recht gelange: daß ſie ſich allge-
mach verbeßre;

“Daß, durch ein oftes Ueberlegen, die Kraft zu ſchlieſ-
ſen, ſich vergroͤßre:

“Daß ſie ſodann erſt richtig ſchlieſſe, wann ſie vom Jrr-
thum ſich entfernt;

“Und daß, durch oft gepruͤften Jrrthum, ſie ſich der
Wahrheit naͤhern lernt.

Durch ſolch ein Denken von der Seelen

Wird ihr dennoch kein Vorzug fehlen.

Denn, daß der Schoͤpfer haben wolle,

Daß ſie, durch Mittel ihrer Sinnen, und durch den
Gegenwurf der Welt,

Sich allgemach verbeſſern ſolle;

Dieß nimmt ihr nichts von ihrem Weſen. Vielmehr
bleibt dieſes feſtgeſtellt:

“Daß, wenn ſie ihre Pflicht beachtet,

“Den Schoͤpfer, im Genuß, bewundert, und, Gott
zum Ruhm, die Welt betrachtet,

“Sie
[496]Genaue Unterſuchung unſerer Seelen.
“Sie ein vernuͤnftigs Weſen worden.„ Woraus
ihr ſelbſt der Troſt entſprieſſet,

Und ſie, von ihrer ewgen Dauer, aus dieſem Grunde,
ſicher ſchlieſſet:

Daß, weil ihr Gott die ewge Liebe; Er auch, aus

ewger Liebe, wolle,
Daß ſie, zu Seinem Ruhm, beſtehn, und ewig
Guts genieſſen ſolle.


Gedemuͤ-
[497]

Gedemuͤthigter Stolz der Menſchen.


Was hat die Menſchheit doch fuͤr Recht, daß ſie ſich
ſelbſt vernuͤnftig nennet:

Da doch der Menſch und die Vernunft ſich ſtets, faſt
unvereinbar, trennet;

Da er nicht in- nicht auſſer ſich, kaum das geringſte,
gruͤndlich kennet?

Wir ſcheinen dazu nicht geſchaffen, wie wir (doch
bloß aus Stolz nur) wollen,

Daß wir der Dinge Grund und Weſen, nach ihrem Ur-
ſtand, kennen ſollen:

Auf dieſem unſern Erd-Planeten ſcheint ein ſo ausge-
dehnter Witz,

Als wir uns zuzueignen ſuchen, uns nicht ertheilet, auch
nicht nuͤtz.

Vermuthlich wird, nach dieſem Leben,

Der Schoͤpfer, nach der weiſen Ordnung, uns ein gewiſ-
ſers Wiſſen geben.

“Genug, daß wir, Jhn zu bewundern, uns Sein
zu freuen, ſo viel Gaben,

“Vor allen andern Thier- und Weſen, in ſolchem Maß,
empfangen haben.


8 Theil. J iDer
[498]

Der Schlaf,
eine Abbildung des Todes.


Wenn wir des Abends ſchlafen gehn, wir gleichſam
uns der Welt entziehn:

Da naͤmlich unſere Bekannten von uns, und wir von
ihnen, fliehn,

Die beſten Freunde ſich von uns, und wir von ihnen
gleichfals, ſcheiden;

Die Sinnen ſelber uns verlaſſen, und wir, von allen
ihren Freuden,

Vom Licht, von Hoͤren, Schmecken, Riechen, und Fuͤh-
len, uns beraubet ſehn,

Gedaͤchtniß und Verſtand verlieren: muß man dann
nicht mit Recht geſtehn,

Daß wir die Welt, mit aller Pracht, ſo oft wir ſchlafen
gehn, verlaſſen?

Was iſt denn fuͤr ein Unterſcheid, wenn wir, im letz-
ten Schlaf, erblaſſen,

Als daß wir nicht ſo bald erwachen? Daß aber dieß
einſt wird geſchehn,

Und, von dem kuͤnftigen Erwachen, zu einem Freuden-
reichen Leben;

Davon, Gott Lob! kann jeder Morgen uns ein beleh-
rend Beyſpiel geben,

Das, (dadurch, daß wir, wenn wir ſchlafen, dennoch
aufs neu erwachen koͤnnen)

Um unſre Hoffnung hier zu ſtaͤrken, uns Gott auf Erden
wollen goͤnnen.


Der
[499]

Der Hochmuth,
die Quelle des menſchlichen Ungluͤcks.


Ogroßer Gott! was iſt der Menſch? Ein Weſen,
welches uͤberleget;

Das allenthalben Wahrheit ſucht: und, wenn er alles
recht erweget;

Doch allenthalben Jrrthum findet.

Wenn er ſein Jnnerſtes ergruͤndet,

Wenn er nach Billigkeit verfaͤhrt; ſo ſollt’ ihn ja der
Fehler Menge,

Der Leidenſchaften zaͤhe Stricke, des Labyrinths ver-
worrne Gaͤnge,

Die er bey ſich und andern ſpuͤhrt, doch auch auf die
Gedanken bringen:

Wer gab denn dir allein Befugniß, die Wahr-

heit aus der Gruft zu ziehn,
“Jn welche ſie geſenket ſcheint? Wer gab denn
dir das Richter-Amt?
“Jſt es denn bloß in deiner Bruſt, wo Weisheit
unbetrieglich flammt?
“Ein jeder deines gleichen denkt und urtheilt eben
ſo von ſich,
“Als du von dir und deinem Geiſt. Von wem
wird dieſer Zwiſt entſchieden?
“Du haſt nicht den geringſten Vorzug: du kamſt,
und biſt, wie er, hienieden.
“Ein jeder deines gleichen fuͤhlt ſowohl, als du,
ſein denkend Jch,

J i 2“Und
[500]Der Hochmuth,
Und glaubet, was er denkt, ſey recht. Die Ei-

gen-Lieb’ herrſcht in uns allen,
“Und fodert, es ſoll einem jeden nur das, was ihm
gefaͤllt, gefallen.
“Ein jeder Geiſt ſcheint, auf der Welt, mit ſich,
und ſonſt mit nichts, zufrieden.

Dieß ſcheinet nun die wahre Quelle von unſrer Noth
und Plag’ hienieden.

Doch laß uns ernſtlich unterſuchen, ob dieſe Plagen,
Noth und Pein,

Der Eigen-Liebe beyzumeſſen, und ihr nur zuzuſchreiben
ſeyn.

Jch meyn’ es nicht: Denn Eigen-Liebe ſcheint uns,
von Gott, in unſerm Leben,

Als eine Quelle des Vergnuͤgens, zum Labſal und zum
Troſt, gegeben.

Wie wuͤrde man, ohn’ Eigen-Liebe, ſein eignes Jch
ertragen koͤnnen,

Wofern uns, eine weiſe Liebe, die Troͤſterinn nicht wol-
len goͤnnen?

Der Mißbrauch unſrer Eigen-Liebe, der Hochmuth,
iſt es bloß allein,

Wodurch wir, allen andern Menſchen, und uns ſelbſt,
unertraͤglich ſeyn.

Wenn dir ein andrer widerſpricht, kann es dein Hoch-
muth nicht vertragen;

Er denkt ſo gleich: Der Widerſprecher woll’ eigentlich
nichts anders ſagen,

Als:
[501]die Quelle des menſchlichen Ungluͤcks.
Als: Du ſeyſt nicht ſo klug, als er. Gleich wird
dein ſchwuͤlſtger Stolz gereizt

Zu ſeiner Selbſt-Verthaͤdigung; gleich faͤngt er Feuer,
ſtrebt und ſpreizt

Sich gegen alle fremde Lehre, ſie ſey ſo deutlich und ſo klar,

So gruͤndlich und unwiderſprechlich, als wie ſie woll’,
und noch ſo wahr.

Der Stolz vergißt recht unvergeblich, daß er ſich
tauſendmal geirret,

Daß Vorurtheil und Uebereilung ihn tauſend- tauſend-
mal verwirret.

Ja, er vergißt ſo gar ſein Weſen, das bloß ſo einge-
richtet ſcheint,

Daß er nichts, gruͤndlich, wiſſen ſoll: daß, wenn er nur
vernuͤnftig meynt;

Er ſeiner Abſicht ſchon gemaͤß, wozu er in der Welt,
gelebet.

Wo er, die wahre Wiſſenſchaft hier zu erlangen, ſich
beſtrebet,

Die, wie es ſcheint, ein Eigenthum von einer andern
Athmoſphaͤre;

So will er fliegen, ſonder Fluͤgel: da aber ihn, ſein’
eigne Schwehre,

Beſtaͤndig wieder ruͤckwaͤrts zieht. “Nur die Bewun-
derung allein,

“Scheint bloß die Abſicht und das Ziel, bey allen
Sterblichen, zu ſeyn,

“Wohin ihr Geiſt gelangen kann. Nur durch Be-
wundrung dienet er

“Sich ſelbſt, ohn allen Zank und Streit. So wird,
nicht minder, Gott der Herr,

J i 3“Bloß
[502]Hochmuth, eine Quelle des menſchl. Ungluͤcks.
“Bloß durch Bewunderung, geehrt. Die Wiſſens-
Sucht, wornach wir ſtreben,

“Dient minder unſers Schoͤpfers Weisheit, als unſre
Weisheit, zu erheben:

“Da wir, was Gott uns hier verborgen, und das Ge-
heimniß Seiner Macht,

“Jhm gleichſam abzulauren ſuchen. Gott hat die Welt
hervorgebracht

“Zu unſerm Nutzen, uns zur Luſt: Wir aber wollen
gruͤndlich wiſſen,

“Wie Er gewirkt; und daß Er ſo, und anders nicht,
verfahren muͤſſen.

“Steckt nicht, in dieſem Unterfangen,

“Der Eva ſtraͤflichs, ihr vom Teufel ſelbſt eingegebenes,
Verlangen,

Zu ſeyn, wie Gott? Dieß iſt die Quelle, woraus
ſo vieles Ungluͤck fließt,

“Und Zank, und Ketzerey, und Neid, ſich auf die Sterb-
lichen ergießt:

“Die ſonſt, gemeinſchaftlich, die Wahrheit, auf Erden,
ruhig ſuchen koͤnnten,

“Wenn ſie das privativſche Wiſſen, und Stolz, und
Eigenſinn, nicht trennten.

“Ach folgten wir, von der Natur, den wahren un-
leugbaren Schluͤſſen:

“Daß Thiere denken, Menſchen meynen, und daß
allein die Engel wiſſen!


Ver-
[503]

Vernuͤnftige
Anwendung der Vergaͤnglichkeit.


Was hat der Menſch, der ſelbſt ſo fluͤchtig, fuͤr Grund,
ſich uͤber aller Dinge

Vergaͤnglichkeit und Fluͤchtigkeit, mit murrſchem Graͤ-
men, zu beſchwehren?

Die Klagen moͤchten dann mit Recht ihm zuſtehn, und
fuͤr ihn gehoͤren,

Wenn er nicht ſelber fluͤchtig waͤr, wenn er nicht ſelber
ſtets verginge.

“Ach! braͤchten, beyder Fluͤchtigkeit,

“Jhn doch zu dem vernuͤnftgen Schluß,

“Sich ihrer, und auch ſeiner Zeit,

“Vernuͤnftig und wohl zu gebrauchen; durch ihren
oͤfteren Genuß

“Sich zu vergnuͤgen; oft zu danken dem Weſen,
welches ihm ſein Leben,

“Von einer ihm beſtimmten Daur, und ſo viel Guts
darinn, gegeben!


J i 4Unempfind-
[504]

Unempfindlichkeit
uͤber Goͤttliche Wohlthaten,
ein Verbrechen.


Wenn ich den Menſchen recht mit Ernſt, was um
und an ihm iſt, erwege,

Und, daß er eigentlich ein Weſen, ein ſolches Weſen, uͤberlege,

Das riechen, ſchmecken, fuͤhlen, hoͤren, auch ſehen, und
gedenken, kann;

So ſeh’ ich ihn nicht anders an,

Als daß ihm, hier in dieſem Leben,

Die Sinnen, nebſt der Kraft zu denken, zum ſicheren
Beweis gegeben:

Daß, Der ſie ihm gegeben, wolle,

Daß er ſie anders, als ein Thier, das nicht gedenket,
brauchen ſolle.

Soll denn die Abſicht, Pflicht und Vorzug, von einer
ſo begabten Seelen,

Allein, um Reichthum zu erwerben, Metall zu haͤufen,
Geld zu zaͤhlen,

Wie es doch meiſt geſchicht, beſtehn?

“Was kann denn fuͤr ein Endzweck ſeyn,

“Daß wir ſo vielerley erhalten, in dieſem Leben, als allein:

“Zu Deſſen Preis und Ruhm und Ehren,

“Der uns dieß alles wollen ſchenken,

“Bedachtſam, ſuͤße Bluhmen riechen; was ſchoͤn iſt,
ſehen; Toͤne hoͤren;

“Was ſanft iſt, fuͤhlen; Fruͤchte ſchmecken, mit An-
muth; und dabey gedenken:

Daß
[505]Unempfindlichkeit uͤber Goͤttl. Wohlthaten.
Daß aller dieſer Guͤter Fuͤlle

“Aus Gott, und Seiner Liebe, quille;

“Jhm, mit geruͤhrter Seele, danken, daß, fuͤr ſo ſchoͤ-
ner Werke Pracht,

“Er, bloß aus Liebe, wunderbar, mit ſolcher Kunſt,
uns ſinnlich macht?

“So iſt es dann ja wohl betruͤbt,

“Daß wir, in unſerm ganzen Leben,

“(Da wir aus dem, was Gott uns giebt,

“Nichts machen, nicht drauf Achtung geben,

“Es gleichſam faſt nicht haben wollen) der Liebe ſelber
widerſtreben,

“Und auch zugleich, ſo viel an uns, des weiſen Schoͤp-
fers Abſicht ſchwaͤchen,

“Uns ſchaden, Gottes Ehre rauben!

“Wer kann hievon was anders glauben,

“Als: es ſey dieſes ein Verbrechen?


J i 5Betruͤbte
[506]

Betruͤbte Fragen.


Jſt es wahr, daß, Gott zum Ruhm, dieſe Welt her-
vorgebracht?

Jſt es wahr, daß unſer Geiſt, unſers großen Schoͤpfers
Willen,

Durch Genieſſen, in Betrachtung, Jhm zu Ehren, zu
erfuͤllen,

Fuͤr die Koͤrper, ſinnlich worden, und zu dieſem Zweck
gemacht?

Jſt es wahr, wie es wahrhaftig, daß, von allen andern
Pflichten,

Dieſe die hauptſaͤchlichſte? Jſt es wahr, daß nicht nur
hier;

Sondern (wenn wir, auf der Welt, dieſe holde Pflicht
verrichten,

Und, in Seiner Werke Zier,

Mit Bewundrung, Jhn betrachten,

Gottes Weisheit, Gottes Liebe, Gottes Macht, in ihnen
achten)

Auch der Geiſt dadurch bereitet, in der ſelgen Ewigkeit,

Jn dem Preiſe fortzufahren, Gottes Vollenkommenheit

Zu erheben und zu preiſen? Jſt es wahr, daß, wo wir
nicht

Unſerm Gott, in dieſem Leben,

Das, was Jhm gebuͤhrt, gegeben:

Durch Verſaͤumung dieſer Pflicht

Wir nicht nur den wahren Zweck, wozu wir doch hier
erkohren;

Sondern unſre ganze Zeit, uns, ja Selber Gott, ver-
lohren?

Jſt
[507]Betruͤbte Fragen.
Jſt es wahr, daß eine Seele, die ſo ſorglos hier gelebt,

Die, in ihrer Luſt den Schoͤpfer zu erhoͤhn, ſich nicht
beſtrebt,

(Wenn ſie ſich vom Koͤrper trennet, und zugleich von
allem dem,

Was ihr hier ſo lieb geweſen, ſo beliebt, ſo angenehm)

Muͤß’, erſtaunet, nur allein ob den Unterlaſſungs-Suͤnden,

Jn ihr ſelbſt, ein ſchreckend Leer, eine tiefe Wuͤſte, finden?

“Jſt dieß, ſag’ ich, alles wahr; ach! wie kann es
moͤglich ſeyn,

“Daß wir uns der ſchoͤnen Welt nicht gebrauchen
Gott zu Ehren,

“Daß wir nicht, in unſrer Luſt, Seines Namens Ruhm
vermehren:

“Da wir, durch ſo ſchnoͤden Wandel, nicht allein in
irdſchen Dingen,

“Aller Freuden uns berauben; ſondern uns, nach die-
ſer Zeit,

“Um die uns, zum Lohn der Luſt, dort verheißne Se-
ligkeit,

“Ja zugleich, ſo viel an uns, Gott um Seine Ehre,
bringen?


Unter-
[508]

Unterſuchung der Liebe.


Das, was wir Menſchen, Liebe nennen, iſt anders
nichts, als ein Verlangen,

Von einem Vorwurf, den wir uns, durch Phantaſey,
ſelbſt zugeſchickt,

Und, mehrentheils, mit ſelbſt erdachten Vollkommenhei-
ten ausgeſchmuͤckt,

Ein vorgeſtelletes Vergnuͤgen, zu unſerm Beſten, zu em-
pfangen.

Die Meynung, und der ſuͤße Vorwand, als ob man
bloß, in unſerm Triebe,

Auf der Geliebten Beſtes ſaͤhe, dient gleichſam unſrer
Eigen-Liebe

Zum Frey-Brief’, unſere Begierd’ an der Geliebten
zu entdecken;

Da, unterm Schein der Gegen-Lieb, wir ihre Eigen-
Lieb’ erwecken.

Die Eigen-Liebe der Geliebten verblendet ſie, daß ſie
vermeynt,

Die Liebe deſſen, der ſie liebet, ſey Lieb; ob es gleich
nur ſo ſcheint:

Sie glaubt, daß ſeine wahre Abſicht, die doch nur Eigen-
Lieb’ allein,

Ganz uͤberzeugliche Beweiſe von ihrem Wehrt und Vor-
zug ſeyn.

Wird
[509]Unterſuchung der Liebe.
Wird dieſe Eigen-Liebe nun von einer Meynung
unterſtuͤtzet,

Daß deine Lieb’, ihr Vortheil, Ehr’, auch Luſt, ver-
ſpricht, ihr folglich nuͤtzet;

So ſcheinets, als ob Gegen-Lieb’ entſtehe: die doch,
in der That,

Nichts anders, als bloß Eigen-Liebe, zu ihrem wahren
Grunde hat.


Die
[510]

Die
Ausſchweifungen der Leidenſchaften.


Jch ſahe neulich, im Geſicht, von Menſchen, drey
verſchiedne Haufen,

Auf dreyen ganz verſchiednen Wegen, auf ganz ver-
ſchiedne Weiſe, laufen.

Der eine Weg fuͤhrt in die Hoͤhe, zu einer Boden-loſen
Tiefe:

Jn dieſe ſtuͤrzte faſt ein jeder, der auf dem ſteilen Wege
liefe,

So bald als er den aͤuſſern Rand von dieſer hohlen Gruft
beruͤhrte.

Nur einige, die ſich von ihnen meiſt ſelber Philoſophen
nennten,

Anſtatt ſie einen kleinen Fußſteig, der durch die niedre
Tiefe fuͤhrte,

(Auf welchen ſie, in Sicherheit, durch dieſen Abgrund
kommen koͤnnten)

Erwaͤhlen ſollten; waͤhlten einen, der uͤber einen Berg
ſich ſtreckte,

Der noch viel hoͤher, welchen man an dieſes Abgrunds
Rand entdeckte:

Von welchem ſie zuletzt denn alle,

Mit einem deſto ſchwehrern Falle,

Jn hoͤherm Sturz, herunterſchoſſen,

Und ihres Lebens Lauf beſchloſſen.

Der
[511]Die Ausſchweifungen der Leidenſchaften.
Der andre Weg iſt weich und ſchluͤpfrig, ein uner-
gruͤndlicher Moraſt:

Auf welchem die, ſo ihn beſchritten, von einem Huͤgel-
chen zum andern,

Jn einer ſtetigen Gefahr, bald ſpringen, bald geruhig
wandern;

Bis ſie zuletzt, ermuͤdet, ſchwach, gedruckt von ihrer
eignen Laſt,

Faſt alle, nach und nach, verſunken,

Und, im verfaulten Wuſt, ertrunken.

Der dritte ſenkte ſich ſtets abwaͤrts; und die denſel-
bigen erwaͤhlen,

Bemuͤhen ſich, die hohle Tiefe beſtaͤndig mehr noch aus-
zuhoͤhlen:

Sie ſuchen ſich hindurch zu graben, ſie wollen durch, ſie
muͤſſen fort;

Und dennoch graben ſie mit Fleiß, und ſtets am aller-
haͤrtſten Ort.

Sie ſuchen, ſonder Ruh’ und Raſt, bey ihrer Graͤberey,
von allen,

Die Stellen ſich vor andern aus, woſelbſt ergiebige
Metallen:

Da ſie dann theils der giftge Duft, der aus den Minen
ſtieg, erſtickte,

Und theils die eingeſchoßne Laſt des ſchwehren Erzes
ſie erdruͤckte.


Guter
[512]

Guter Rath.


Wenn, auſſer unſrer Erden etwan, vernuͤnftgen We-
ſen, von der Welt

Beſondrer Schoͤnheit, Anmuth, Ordnung, wuͤrd’ irgend
etwas vorgeſtellt;

So koͤnnten ſie nicht anders denken, als daß, in unge-
ſtoͤrten Luͤſten,

Der Erden Buͤrger und Bewohner, ohn’ allen Zweifel,
leben muͤßten.

Erfuͤhren ſie, daß wir dennoch in Unruh, Gram und
Sorgen ſchwebten,

Und, ſonder einiges Vergnuͤgen, in ſolchem ſchoͤnen Orte,
lebten;

So wuͤrden ſie unmoͤglich anders gedenken, und dabey
verbleiben:

Die Schuld davon waͤr’ anders niemand, als unſerm
Geiſte, zuzuſchreiben.

Betrachteten ſie nun den Geiſt des Menſchen, um
ihn zu ergruͤnden;

So wuͤrden ſie in ſeinem Weſen, mehr als es jemals
zu vermuthen,

Von Klugheit und von Unverſtand, von Groͤß’ und
Kleinheit, Boͤſ- und Guten,

Ein nicht entwickelbar Gewebe, ein ordentliches Chaos,
finden.

Wo ſie ſich nun, in dieſem Stande, mit uns ſo viel
befaſſen wollten,

Um einen Rath uns zu ertheilen, wie wir uns hier
verhalten ſollten,

Um
[513]Guter Rath.
Um auf der ſchoͤnen Erde gluͤcklich, und, nach dem Le-
ben auf der Erden,

Auch ewig dort begluͤckt zu werden;

So wuͤrd hierinn der Rath beſtehn: Sucht euch im

Leiblichen zu naͤhren,

Jm Sinnlichen euch zu vergnuͤgen, nur in Be-

wundrung Gott zu ehren,

Und ſtets von ihm das allerbeſte und das vollkom-

menſte zu glauben;

So wird euch das Vergnuͤgen hier, den Himmel

dort, kein Teufel rauben.


8 Theil. K kVer-
[514]

Verehrung des Schoͤpfers
in den Geſchoͤpfen.


Ach was erregen nicht in mir, ſo mannichfaltige Be-
wegung,

So viele Wunder auf der Welt, Schmuck, Ordnung,
Schoͤnheit, Pracht, fuͤr Regung!

Welch eine Harmonie, o Gott! zeigt uͤberall uns die
Natur!

Und doch ſieht man, von Deinen Werken, den kleinſten
Theil, in ihnen, nur.

“Wer taugt denn Deiner Majeſtaͤt ſelbſtſtaͤndgem We-
ſen nachzuſpuͤhren?

Jn Deiner Unermeßlichkeit muß Menſch und

Engel ſich verlieren.


Cornaro
[515]

Cornaro.


Was man vom trinkbarn Golde ruͤhmt, daß es uns
nicht nur unſer Leben

Auf hundert Jahr, verlaͤngern ſoll, in unzerſtoͤrlicher
Geſundheit;

Daß es zugleich, die ſanfte Ruh, und ein vergnuͤgtes
Herz zu geben,

Der Leidenſchaften Wut zu daͤmpfen, der Seelen Kraͤfte
zu erheben,

Bequem, geſchickt und faͤhig ſey: lieſt man in dunklen
Schriften wohl.

Allein, hier hab ich das Recept. Cornaro giebt es
uns zu leſen,

Jn unverfaͤlſchter Deutlichkeit: es iſt probat; es iſt
nicht ſchwehr,

Nicht koſtbar. Jſt es denn wohl moͤglich, daß es noch
nie gebraucht geweſen?

Daß nicht einmal ein Philoſoph, die doch, vor allen
andern, mehr,

Um ihrer Seelen Kraft zu ſchaͤrfen, ſich zu bemuͤhen
ſuchen ſollten,

Den ſichern Weg nicht eingeſchlagen? Der, wenn ſie
nur vernuͤnftig wollten,

Nicht ſchwer, und gar nicht unerſteiglich; und der, zur
Wiſſenſchaft, zur Ehr,

Zur Tugend, zur Geſelligkeit, zum Gottes-Dienſt, zu
allen Pflichten,

Die wir, auf dieſem Wunder-Bau der Welt, gehalten,
zu verrichten,

K k 2Bey
[516]Cornaro.
Bey einem langen, froͤhlichen, vergnuͤgten Leben, ſicher
fuͤhrt.

Jch bin nicht nur fuͤr ſie, fuͤr mich; fuͤrs ganze menſch-
liche Geſchlecht,

Von einer billigen Verwundrung und inniglichen Scham
geruͤhrt:

Und dieſes, wie es mich beduͤnkt, mit großem Fug und
großem Recht.

Das Mittel, wodurch alle Menſchen zum ſpaͤten Alter
faͤhig ſeyn,

Und zwar zum frohen und geſunden, iſt bloß die Maͤßig-
keit allein:

Wozu er ſolche leichte Regeln, die alle unumſtoͤßlich, giebet,

Daß es der ganzen Menſchheit ſchimpflich, daß man ſie
noch nicht ausgeuͤbet.

Was hab ich, dacht ich, bey dem Zuſtand, fuͤr meine
Lehren, doch zu hoffen,

“Daß man ſich, im Gebrauch der Sinnen, zu Gottes
Ruhm, vergnuͤgen ſoll;

Da dieſe Lehre, die das Leben, bey einem ungeſtoͤhrten
Wohl,

Uns zu verlaͤngern faͤhig iſt, noch ihre Abſicht nicht
getroffen!

Das, was der Menſch hat, heißt es dort, das laͤßt

er willig fuͤr ſein Leben;

Und dennoch ſieht man keinen faſt, es zu erhalten, ſich
beſtreben.

Wie wenig werden ſich demnach an deine gut gemeynten
Lehren,

Dacht ich, da ſie noch lange nicht ſo viel verſprechen
koͤnnen, kehren!

“Ver-
[517]Cornaro.
“Vergnuͤgt ſeyn, iſt ein großes Gut; in Gott ver-
gnuͤgt ſeyn, noch vielmehr:

“Es ſind zwo ungemeine Schaͤtze, der Menſchen Luſt
und Gottes Ehr.

Allein, auch alle beyde hat Cornari Lehr nicht ausge-
ſchloſſen;

Da ſie vielmehr, als ſchoͤne Fruͤchte, aus ſeiner Lehre
Saamen ſproſſen:

Und ſie verſpricht annoch daneben

Ein lang-geſundes, froͤhlichs Leben;

Jn welchem wir, um deſto laͤnger, die Gott und uns
geweihten Pflichten,

Auch die zu unſers Naͤchſten Beſten, geſchickt und faͤhig
zu verrichten.

Jch muß es wenigſtens geſtehn, ich bin, dieß ſchoͤne
Buch zu leſen,

Doch minder um des Lebens Laͤng’ und Dauer ange-
flammt geweſen,

Als daß ich, in demſelbigen, zugleich den Nutzen eingeſehn,

Auf welche Weiſe wir zugleich, der Leidenſchaft zu wider-
ſtehn,

Von ſelbſt, geſchickt und faͤhig werden. Steckt hier
der Menſchen hoͤchſtes Gut,

Die Kraft des Koͤrpers und der Seelen, in einem wohl-
gemiſchten Blut;

So ſollt’, ein ſolches zu erzeugen, von klugen Buͤrgern
dieſer Erden

Der allerehrſte Zweck ja ſeyn, und ihres Denkens Vor-
wurf werden.


K k 3Das
[518]

Das beſte Leben.


Von einem jeglichen Vergnuͤgen ſollt billig Gottes
Lob das Ende;

Das Ende von dem Lobe Gottes, ein Anfang vom Ver-
gnuͤgen, ſeyn:

Dieß waͤr’ ein recht begluͤcktes Leben, in dieſer Welt,
fuͤr alle Staͤnde.

“Ach wuͤrd’ es doch, zu unſerm Nutzen, und Gottes
Ehren, allgemein!


Schaͤd-
[519]

Schaͤdliche Verabſaͤumung der Kraͤfte
unſers Gedaͤchtniſſes.


Die meiſten halten dieß fuͤr wahr, daß der Verſtand
aus dreyen Kraͤften,

Gedaͤchtniß, Phantaſey, Verſtand, beſtehe. Wenn
wir nun bisher,

Um Gott zu kennen, uns allein an den Verſtand am
meiſten heften,

Und, was Gott ſey, begreifen wollen; das aber unbe-
greiflich ſchwehr,

Und viele Ketzerey gewirkt: ſo waͤr’ es wohl zu uͤberlegen,

Ob, da die andern Kraͤfte ganz hintangeſetzt, wir dieſer-
wegen

Nicht in den Labyrinth gerathen. “Wenn wir, bey
allen Wunder-Gaben,

“Die wir, aus Gottes Huld und Liebe, beſitzen, und
empfangen haben,

“Nur das Gedaͤchtniß angeſtreckt, und, durch der
Gaben große Zahl,

“Zum Danken uns geſchickt gemacht, und zur Be-
wunderung zumal;

“So ſcheinet faſt von ſelbſt zu folgen, daß Gott, von
allem Zanken frey,

“Weit wuͤrdiger verehret worden, und immer zu ver-
ehren ſey:

“Daß es einfolglich unſre Pflicht, anſtatt ein ſchwuͤl-
ſtiges Begreifen,

“Das gar dem Glauben widerſpricht, ſtets die Erinne-
rung zu haͤufen;

K k 4“Und
[520]Schaͤdl. Verabſaͤumen unſ. Gedaͤchtniß-Kraͤfte.
“Und uns durch das Gedaͤchtniß mehr, Gott zu ver-
ehren, zu bemuͤhn,

“Als den Verſtand im Gottes-Dienſt, den andern
Kraͤften vorzuziehn.

Dieß wird nun ebenfals fuͤr die, ſo, durch die Phan-
taſey verfuͤhrt,

Enthuſiaſten worden ſind, vertieft in ihren dunklen
Lehren,

Auch der Erinnerung vergeſſen, und, durch dieſelbe
nicht geruͤhrt,

Den Schoͤpfer alles Danks berauben, zu ihrer Beſſerung,
gehoͤren.


Neuer
[521]

Neuer Beweis
des Nutzens und der Wahrheit

des
Copernicaniſchen Syſtematis,
aus dem 3, 4 und 5 Verſe des 1 Capitels
im erſten Buche Moſis.


Wie noͤthig des Copernici vortreff lichs Welt-Syſte-
ma ſey,

Wird ſich aus dieſem Satze zeigen. Es machet eine
ſchwehre Stelle,

Jn unſrer Schrift, die dunkel ſonſt, und kaum zu loͤſen,
deutlich, helle,

Und, vom bishero ſtark beſtrittnen und zweifelhaften
Vorwurf, frey.

Man hat faſt gar nicht faſſen koͤnnen, wenn Moſes von
der Schoͤpfung ſpricht:

Es ward aus Abend und aus Morgen der erſte Tag.
Da doch das Licht

Der Sonne gar noch nicht erſchaffen. Wie haͤtte ſelbige
denn rennen,

Und uns den Morgen und den Abend, durch ihren Kreis-
Lauf, geben koͤnnen,

Da ſie noch uͤberall nicht da? Allein, wenn man es ſo
verſtehet,

Daß, wie es auſſerdem ja klar, ſich unſer Kreis der Erde
drehet;

So kann, weil ſchon das Licht erſchaffen, durch dieſes
Drehen unſrer Erden,

Ein Morgen und ein Abend fuͤglich von uns ſich vorge-
ſtellet werden.


Sene-
[522]

Seneca,
Lib. de Or. Sap. XXXII.


Curioſum nobis Natura ingenium dedit: et artis

ſibi ac pulchritudinis ſuæ conſcia, Spectatores

nos tantis rerum ſpectaculis genuit. Perditura fru-

ctum ſui, ſi tam magna, tam clara, tam ſubtiliter

ducta, tam nitida et non vno genere formoſa, ſoli-

tudini oſtenderet.

Ueberſetzt.

Es gab die wirkende Natur uns einen Geiſt voll Neu-
begier;

Und, da ſie ſich ſelbſt ihrer Kunſt bewußt, und deß, was
an ihr ſchoͤn:

Hat ſie uns, ihre Treff lichkeiten und ſchoͤne Schauſpiel’
anzuſehn,

Erzeuget und uns werden laſſen. Sie wuͤrd’ auch ſelbſt
die Frucht von ihr

Und ihrer Abſicht Zweck verlieren, wenn ſolche große
Herrlichkeiten,

So kuͤnſtlich- und ſo zarter Werke, voll glaͤnzenden Voll-
kommenheiten,

Die auf viel tauſend Arten ſchoͤn, nur bloß einſiedleriſche
Wuͤſten,

Von allem Geiſt und Denken leer, und ohn’ Empfindung,
ſehen muͤßten.


Die
[523]

Die
Groͤße des Schoͤpfers aus der Groͤße
Seiner Werke.


Herrſcher der beflammten Schaaren,

Die, in jenen tiefen Hoͤhn,

Schon ſeit ſo viel tauſend Jahren,

Sich bewegen, waͤlzen, drehn,

Die, in unverruͤcktem Kreiſe,

Dir, Herr Zebaoth, zum Preiſe,

Die beſtimmten Wege gehn.

Nirgends, als in ihrem Lichte,

Kann das menſchliche Geſichte,

So erhaben, praͤchtig, ſchoͤn,

Deiner Allmacht Ausbruch ſehn.

Unſer’ Erde, Berge, Meere,

Aller Creaturen Heere,

Offenbahren, zeigen Dich

Doch in keinem wuͤrdgern Bilde,

Als im himmliſchen Gefilde,

Weiſt Dein Goͤttlichs Daſeyn ſich.

Dieſen nie begriffnen Raum,

Seine Hoͤhe, Groͤß’ und Weite,

Seine Laͤnge, Tief’ und Breite

Faſſen alle Engel kaum.

Es vermoͤgen nicht einmal

Ewig denkende Gedanken,

Jn dem hohlen Abgrunds-Thal,

Ende, Maaße, Ziel und Schranken,

Umfang, Kreis und Schluß zu finden,

Noch die Tiefe zu ergruͤnden.

Jn
[524]Die Groͤße des Schoͤpfers
Jn dem Raum nun, ohne Graͤnzen,

Sieht man, ſonder Maaß und Zahl,

Millionen Sonnen glaͤnzen,

Welches alle Licht-Gefaͤße,

Von ſo unermeßner Groͤße;

Daß der menſchliche Verſtand,

Wenn er ihren Umkreis ſpuͤrt,

Und ihm der Begriff bekannt,

Sich in ihnen faſt verliert.

Da denn ihre Groͤßen eben,

Samt dem Jnhalt, Laͤng’ und Breite,

Von der ungeheuren Weite,

Jhres Raums, worinn ſie ſchweben,

Unleugbare Proben geben.

Ja, was das erſtaunlichſte,

Daß ſie, nebſt dem Raum, den Augen

Sich dennoch zu zeigen taugen,

Und ich ſie auf einmal ſeh.

Von ſo ungemeßner Lichter

Ungezaͤhlt- und großen Flammen

Zieht, in unſere Geſichter,

Wunder- wunderbar verkleint,

Wunder- wunderbar vereint,

Alles ſich im Punct zuſammen.

Hier ſcheint alle Groͤße klein;

Und die Kleinheit groß zu ſeyn.

Aber, da ich dieß bedenke,

Faͤllt mir noch ein Wunder ein.

Naͤmlich dieß: Auf welche Weiſe

Gott die ungeheuren Kreiſe,

Samt dem ganzen Himmel, lenke!

Laßt
[525]aus der Groͤße Seiner Werke.
Laßt uns, unſerm Gott zur Ehre,

Jn den wunderbaren Werken,

Mit erſtaunter Ehrfurcht, merken,

Welche Kraft dazu gehoͤre,

Solche Koͤrper, ſolche Schwehre,

Jhre Zahlen- loſen Heere,

Zu erhalten und regieren,

Und in ſolcher Ordnung fuͤhren!

Dieß Bewegen ſollt’ allein

Uns ein ſolcher Vorwurf ſeyn,

Deß wir nimmermehr vergeſſen;

Sondern darinn Gottes Macht,

Unauf hoͤrlich, mit Bedacht,

Mit erſtaunter Furcht, ermeſſen,

Und Jhr darum ehren ſollten,

Wenn wir Menſchen heiſſen wollten.

Nichts auf Erden ſtellet mir

Wuͤrdiger die Gottheit fuͤr.

Nichts im Reiche der Natur

Giebt uns eine ſolche Spur,

Laͤßt von einer Gottheit Werken

Sichtlicher die Kraft bemerken,

Machet Seine Allmacht-Hand

Unſerm Geiſt ſo klar bekannt.

Der Du alle Dinge traͤgeſt

Bloß durch Dein allmaͤchtig Wort,

Und das Sternen-Heer bewegeſt

Um den, durch Dich, feſten Nord

Jn beſtaͤndig reger Ruh.

Großer Gott! wer iſt, wie Du?

O un-
[526]Die Groͤße des Schoͤpfers ꝛc.
O unendlichs ewigs Weſen,

Welche Wunder giebt von Dir,

Und von Deiner Allmacht, hier,

Dieſes Himmels-Buch zu leſen!

Wie ſo praͤchtig, wunderbar,

Wie ſo herrlich, wie ſo wahr

Jſt der Jnhalt! Wie ſo klar

Laͤßt es uns den Schoͤpfer ſehn!

Dieß kann ich daraus verſtehn:

Raum und Ewigkeit umſchraͤnken,

Sonnen waͤlzen, Welten drehn,

Aller Himmel Himmel lenken,

Daß ſie ewig richtig gehn;

Herrlicher und anders ſeyn,

Als erſchaffne Geiſter denken,

Kann, und iſt mein GOTT allein.


Die
[527]

Die verdrießliche Frage.


Jch ſehe ſo viel Wunder-Ding’, aus allen Orten, jetzt
entſprieſſen,

(Da recht als wie ein Wunder-Meer aus Waſſer, Luft
und Erde quillt)

Daß ihre mannigfache Zier und Pracht mein ganzes We-
ſen fuͤllt.

Jch fuͤhle mein gefuͤlltes Herz von Anmuth gleichſam
uͤberflieſſen.

Dabey faͤllt, mitten in der Luſt, der wohlgemeynte Wunſch
mir ein:

“Ach waͤr, bey allgemeiner Schoͤnheit der Welt, die Luſt
auch allgemein!

Jch wiederhole denn zum Schluß, bey meiner oft ge-
fuͤhrten Klage

Ob unſrer Unempfindlichkeit, die euch vielleicht verhaßte
Frage:

“Da die Natur an tauſend Orten, wie ihr es allenthal-
ben hoͤret,

“Zugleich auch allenthalben ſeht, daß in der Werke
Schmuck und Schein

“Sie uns den Schoͤpfer deutlich zeigt, auch das ja,
was Er iſt, uns lehret;

“Wie kann man blind vor ihrer Schoͤnheit, und taub
vor ihrer Lehre ſeyn?


Hartes
[528]

Hartes Betragen der Menſchen
gegen einander.


Jndem ich juͤngſt, in meinem Zimmer, bey einer Erden-
Kugel ſteh,

Und, auf derſelben, neue Proben vom menſchlichen Ver-
ſtande ſeh,

Der, (da er etwas, das ſo groß, bewundrungswuͤrdig,
ſo verkleinet)

Recht unbegreiflich die Natur, zuſamt der Kunſt, in ſich
vereinet;

Bewundert’ ich Natur und Kunſt, von beyden inniglich
geruͤhrt:

Doch ward ich, eh ichs mich verſah, auf eine neue Bahn
gefuͤhrt.

Jch ſahe, mit geſchaͤrftem Blick, die Stellen an, wo
Chriſten wohnen,

Jm Gegenhalt mit andern Oertern verſchiedener Reli-
gionen,

Und ſtutzte, da ich die Verhaͤltniß ſo klein, ſo gar aus-
nehmend klein,

An Weite, Meng’ und Laͤnge fand, daß, nicht nur nach
dem Augenſchein,

Auch in der That faſt kein Verhaͤltniß von uns zu ihnen
ſich befindet,

Zumal, wenn ſich mit dieſen allen noch eine Schwierigkeit
verbindet,

Da
[529]Hartes Betragen der Menſch. gegen einander.
Da auch die Chriſtenheit, von neuem, ſich wieder in drey
Theile reißt,

Wovon ein jedes Drittel ſich rechtglaͤubig, jene Ketzer,
heißt,

Sie mehrentheils verdammt, und niemand, als ſich alleine,
ſelig preiſt.

Mich uͤberfiel, bey dieſem Denken, ein Schrecken. Denn
mir kam die Welt,

Wie ſie, von allen, gegen alle, beſchrieben wird, und vor-
geſtellt,

(Da ſie ſich alle durch einander des Jrrthums zeihen und
verdammen)

Als wie der Hoͤllen Vorhof vor. Denn alle werden zu
den Flammen

Von allen ordentlich vertheilt. Wofern man ihnen
glauben ſoll;

So iſt der Himmel leer von Seelen, der Pfuhl der Hoͤllen
aber voll,

Und, wenige nur ausgenommen, ſo traͤgt hieran faſt
niemand Zweifel,

Einfolglich, nach dem Spruch der Welt, gehoͤrt die Welt
faſt ganz dem Teufel.

Jch wollte mich, voll heilgem Eifer, zu einer Widerle-
gung wenden;

Allein mir kam ein Schaudern an, die Feder fiel mir aus
den Haͤnden.


8 Theil. L lGroßer
[530]

Großer Troſt uͤber unſere Kleinheit.


Es iſt die ganze Erden-Welt,

Wenn man ſie bey dem Wunder-Bau und Heer
der feſten Sterne haͤlt,

Ein nicht zu findend Puͤnctchen nur; was wird denn doch
aus dieſer Erden

Bewohn- und Buͤrgern immer werden?

Der Menſch ſcheint, nach der Wahrheit Schein,

Faſt ganz vernichtiget zu ſeyn.

Wird man denn nun wohl glauben koͤnnen, ob hab’ ihn
Gott in Seinen Werken

Gewuͤrdiget, ihn zu bemerken?

Und daß fuͤr ihn der Jahre Kreis, die Aenderung der Tag’
und Zeiten

Sich in ſo richtger Ordnung leiten?

Die Herrlichkeit der Creaturen, die Gott der Herr her-
vorgebracht,

Jſt nicht mit Ellen abzumeſſen. Der Menſch hat die
Vernunft empfangen,

Und, nebſt dem Willen, eine Seele. Dem kleinen Weſen
theilt die Macht

Des Schoͤpfers eine Kenntniß mit, von Seinen Werken,
die das Licht

Des Sonnen-Koͤrpers ſelber nicht

Geſchickt und faͤhig zu erlangen.

Dem Menſchen hat Er den Gebrauch von aller Herrlich-
keit beſtimmt;

Der Menſch iſts, welcher bloß den Nutzen von allen dieſen
Schaͤtzen nimmt.

Den
[531]Großer Troſt uͤber unſere Kleinheit.
Den Menſchen hat Er bloß erwaͤhlt, ihm Seine weiſe
Macht zu weiſen;

Nur er iſts, welchem Gott erlaubt, fuͤr alle Wunder Jhn
zu preiſen.

Es kann der Menſch gewiß mit Nutzen ſein’ ungeheure
Kleinheit fuͤhlen;

Allein, er muß um deſto mehr Verwundrung-voll und
dankbar ſeyn,

Zu ſehen, daß Gott ihn allein

Gewuͤrdigt, mit ſo vieler Huld und Vorzug nur auf ihn
zu zielen,

Jhn zum Beſitzer der Natur, ſo ungezaͤhlter ſchoͤnen
Sachen,

Und zum Betrachter Seiner Werk’ und Wunder ihn allein
zu machen.

Anſtatt denn, ſeine Niedrigkeit mit Gram und Dumm-
heit anzuſehn,

Fuͤhlt er vielmehr ſein niedrigs Etwas um deſto mehr ſich
noch erhoͤhn,

Wenn er die edele Beſtimmung von ſeinem Weſen uͤber-
denkt,

Auch daß ſie ihm, ohn ſein Verdienſt und Wuͤrdigkeit
umſonſt geſchenkt.

Er kann ſich ſelbſt, wenn er vernuͤnftig, die ſuͤße Wahr-
heit nicht verhehlen,

Daß ihn der Schoͤpfer hier zum Vorwurf von Seiner Liebe
wollen wehlen.

Ja, ſollten auch in andern Sphaͤren, und andern Wel-
ten, Millionen

Vernuͤnftger Creaturen wohnen,

L l 2Die
[532]Großer Troſt uͤber unſre Kleinheit.
Die Gott nicht weniger gewuͤrdigt, auch ihnen Guͤter
zuzuwenden,

(So doch gewiß aus unſrer Sphaͤre

Ein unnuͤtz Unterſuchen waͤre)

Waͤr’ es darum nicht minder wahr, daß hier der Menſch
an allen Enden

Des Schoͤpfers Gnaden- reiche Hand und vaͤterliche Sor-
ge findet,

Auch wie, zu ſeinem Nutz, ſich alles in ſolcher ſchoͤnen
Ordnung bindet.

“Welch’ eine Wuͤrde! welche Groͤße! ſolch einen Gott
und Vater haben,

“Der nicht allein, fuͤr uns, die Erde mit ſolchen unge-
zaͤhlten Gaben

“Bedeckt, erfuͤllet, ſchmuͤckt und ziert,

“Der auch ſo gar den Himmel, mit fuͤr uns, und uns
zu Dienſt, regiert!


Krankheit
[533]

Krankheit des Geiſtes.


Die unerſaͤttliche Begierde, von allen, alles zu ver-
ſtehen,

Und alle Dinge zu erklaͤren, auch, bloß nach unſeren
Jdeen,

Die doch ſo unvollkommen ſind, die Wege Gottes ein-
zurichten,

Jſt unſers Geiſtes groͤßte Krankheit. Die noͤthigſte von
unſern Pflichten,

Und unſrer Seelen groͤßte Staͤrke, iſt, vor des Schoͤpfers
Weisheit ſchweigen,

Und, in Bewundrung- voller Demuth, vom Schoͤpfer,
ihren Abhang zeigen.


L l 3Seltſames
[534]

Seltſames Betragen der Menſchen.


Das rege Weſen, das, in mir,

Sieht, hoͤret, fuͤhlet, riecht und ſchmecket,

Dem ſich die ganze Welt entdecket,

Und das ſich doch, ſo mir, als dir,

Ja gar ſich, vor ſich ſelbſt, verſtecket,

Das ſollte ja, von Buͤrgern dieſer Erden,

Vorher erkannt und wohl begriffen werden,

Bevor ſie ſich, mit Recht, vernuͤnftig nennen,

Und ſich dadurch, vor allem Vieh nicht nur,

Vor einer jeden Creatur,

Ja, faſt vor Engeln ſelbſt, den Vorzug geben koͤnnen.

Man ſage mir, mit welchem Recht

Das eitle menſchliche Geſchlecht

Die Weisheit, die weit hoͤher geht,

Sich zuzueignen unterſteht,

Da ſich die Seele ſelbſt nicht kennt, da der Verſtand,

Da ſich ihr eigner Geiſt und Coͤrper unbekannt.

Da aller Menſchen Thun ſo naͤrriſch eingerichtet,

Daß, wenn man uͤberhaupt die Handlungen erwegt,

Die Thorheit gleich mit Recht den Hochmuth niederſchlaͤgt,

Und die Vernunft, die ſie ſich ſelbſt geſchenkt, vernichtet.

Kehrt einmal auf euch ſelbſt, bedachtſam, euren Sinn,

Seht, ob, was ich geſagt, nicht wahr! Damit forthin

Sich keiner wegere, die Wahrheit zuzuſtehn;

So laßt uns mit Bedacht der Menſchen Thun beſehn.

Die
[535]Seltſames Betragen der Menſchen.
“Die Menſchen kommen auf die Welt, bemuͤhen ſich,
ſich zu ernaͤhren,

“Dann werden ſie verliebt, und ſuchen ſich fortzupflan-
zen, zu vermehren,

“So wie es auch die Thiere machen. Man ſtrebt dar-
auf nach eitlen Ehren;

“Dann wird man geizig. Unſer Zweck iſt, Geld und
Reichthum zu erwerben.

“Wir werden endlich krank, und ſterben.

Oder deutlicher:

“Jn unſrer Jugend ſchwaͤrmen wir, in voͤlliger Zu-
friedenheit,

“Sind fuͤr uns ſelber unbeſorgt. Nur wuͤnſchen wir,
zur ſelben Zeit,

“(Als fromme wohlgerathne Kinder) daß unſre Eltern
kluͤger waͤren!

“Um dreißig Jahren duͤnket uns zuweilen, daß wir ſelbſt
nicht klug.

“Jm vierzigſten erfahren wirs, und ſuchen alsdenn
umzukehren.

“Sind wir nun funfzig; ſchmaͤhlen wir auf den bishe-
rigen Verzug,

“Bemerken oͤfters, mit Befremdung, der ſchnellen Zeiten
ſtrengen Fluß,

“Und treiben unſern klugen Vorſatz zu einem ernſtlichen
Entſchluß.

“Jn den großmuͤthigen Gedanken, da man ſich zu ver-
beſſern ſtrebt,

“Entſchlieſſet man, entſchlieſſet wieder, und ſtirbt zu-
letzt, wie man gelebt.


L l 4Der
[536]

Der betraͤchtliche Verluſt,
in dem
betruͤbten und fruͤhzeitigen Ableben
des weiland
S. T. Herrn Hof-Raths
Drollingers.


Auf dieſem regen Erd-Planeten, worauf wir uns
geſetzet ſehn,

Jſt, vom Materialiſchen, faſt alles ordentlich und ſchoͤn.

Das aber, welches man, bey uns, vernuͤnftig, klug und
geiſtig nennet,

Jſt manchem Fehler unterworfen, und ſelten nur davon
getrennet.

Jn unſers Geiſtes Schwachheit bloß, hat jedes Laſter
ſeinen Sitz:

Stolz, Argliſt, Ungerechtigkeit, Verfolgung, Bosheit,
eitler Witz,

Der Unglaub’ und der Aberglaub’. Es bringen, da ſie
ſtets ſich haͤufen,

Die Leidenſchaften ihn dazu, faſt unauf hoͤrlich auszu-
ſchweifen.

Der Leim der Luſt, der Wind der Ehre, die ſtrenge Gold-
und Silber-Sucht,

Sind, nebſt derſelben ſchlimmen Folgen, bloß des ver-
fuͤhrten Geiſtes Frucht.

Der
[537]Auf das Ableben des Hn. Hof-R. Drollingers.
Der Jrrthum herrſchet in den Geiſtern, faſt aller, die
auf Erden wohnen.

Erſtrecken ſich der Seelen Schwaͤchen nicht gar auch
auf Religionen?

Ein jeder glaubt, mit Ausſchluß andrer, als ob nur er
die Wahrheit haͤtt.

Viel Millionen ehren Brama, viel Millionen Mahomet.

Viel’ haben mehr, als tauſend, Goͤtter; viel’ einen fal-
ſchen, viele keinen:

Viel glauben Seelen-Wandrungen; da gegentheils ver-
ſchiedne meynen:

Die Seelen ſterben mit dem Koͤrper; und was des
Aberglaubens mehr.

Ein jedes Volk denkt faſt beſonders; ein jedes Land
hat ſeine Lehr.

Wie ſtraͤf- und ſchaͤdlich iſt noch ferner die Kraͤnklich-
keit der ſtarren Seelen,

Die, ſtatt, nach ihrer Pflicht und Ordnung, ſich Gottes
Werk zum Zweck zu waͤhlen,

Vor Gottes Werk, vor der Natur, ja vor der Gottheit
Selber, blind,

Und minder faſt, als alles Vieh, vor Seiner Lieb’ em-
pfindlich ſind!

Die das beſtirnte Firmament, worinn Sich Gott am
hellſten zeiget,

Kaum ihres Blickes wuͤrdigen. Was aus der frucht-
barn Erde ſteiget,

An Baͤumen, Kraͤutern, Gras und Bluhmen, an Feld-
an Baum- an Garten-Frucht,

Dafuͤr wird Luſt, Bewundrung, Dank, in ihnen, nur
umſonſt geſucht:

L l 5Sie
[538]Auf das fruͤhzeitige Ableben
Sie wuͤhlen, ſchwaͤrmend, durch einander, und ſterben,
eh ſie das, was ſchoͤn,

Und was bewundernswehrt, auf Erden, zum Ruhm des
Schoͤpfers, angeſehn.

Nun finden ſich zwar hier und da erhabne Geiſter,
große Seelen,

Die ihres wahren Endzwecks hier nicht nur alleine
nicht verfehlen,

Da ſie den Schoͤpfer ſehn und ſchmecken; nein, die,
den Jrrenden zu gut,

Die Gottheit in den Creaturen, in Himmel, Erde, Luft
und Fluth,

Allgegenwaͤrtig darzuſtellen, und aus der Blindheit uns
zu ziehn,

Um Gott in unſrer Luſt zu ehren, in reinen Liedern, ſich
bemuͤhn:

So wie, vom großen Drollinger, bewundernswuͤrdig,
iſt geſchehn,

Und wir in ſeinen herrlichen, nie gnug geprieſnen, Schrif-
ten ſehn.

Allein, bedaurenswehrter Fall! der große Geiſt ver-
laͤßt die Welt:

Es ſtirbt, der nimmer ſterben ſollte; der Wahrheit
ſtaͤrkſte Stuͤtze faͤllt.

Dein Aug’, in welchem ſich ſo oft des Schoͤpfers Werk
geſpiegelt, bricht;

Der Werkzeug’ aller deiner Sinnen gebraucheſt du nun
ferner nicht.

Dein
[539]des Hrn. Hof-Raths Drollingers.
Dein Koͤrper ſchwindet und verweſ’t; wir ſehen deine
ſanften Blicke,

Auf dieſer Welt, hinfort nicht mehr: du laͤſſeſt uns
betruͤbt zuruͤcke.

Dein Geiſt, der oft, im Sternen-Heer, der Sonn’ und
Sternen Herrn erblickt,

Und welcher oft, bewundernd, ſah, wie herrlich Gott
die Welt geſchmuͤckt,

Der es auch andern zeigt’, entweicht, und wird dem
Erden-Kreis entruͤckt.

Die ſich gelaſſene Vernunft kann ſolchen Zufall nicht
begreifen;

Sie duͤrfte ſich faſt unterſtehn, wie ſie gewohnt iſt, aus-
zuſchweifen,

Und ſprechen: Da der Erden Buͤrger bisher ſo ſtraͤflich
ſich verirrt,

Da der Gewohnheit Seelen-Schwindel die ganze Menſch-
heit faſt verwirrt,

Und Drollingers erhabner Geiſt ſie auf die rechten Wege
fuͤhret,

Wodurch die Unempfindlichkeit und Blindheit ſich gemach
verlieret;

So wird er von der Welt geriſſen! Was haͤtt’ er nicht
noch Gutes thun,

Wie viele noch belehren koͤnnen? Jetzt muß er ſchon
im Grabe ruhn!

Mich ſelbſt erſchuͤttert dieſer Fall, mich beuget dein
betruͤbtes Scheiden;

Dein Tod erregt, in meinem Geiſt, ein innerlichs em-
pfindlichs Leiden:

Auch
[540]Auf das Ableben des Hn. Hof-R. Drollingers.
Auch fuͤhl ich den Verluſt der Menſchen, in deinem
Sterben, gar zu wohl;

Und auf des Einwurfs kuͤhnen Schluß weiß ich kaum,
was ich ſagen ſoll.

Daher ich auf den Mund die Hand, gebuͤckt, mit dieſen
Worten, lege:

Wie unbegreiflich ſind, o Herr! wie unerforſchlich,

Deine Wege!

Zugleich erblick ich dich, im Geiſt, in den geſtirnten
Himmels-Hoͤhn:

Was du im Schatten hier erblickteſt, kannſt du im Licht,
verklaͤrt, jetzt ſehn.

Jch ſehe dich den großen Lohn des ewig ſelgen Lebens
erben:

Und dieſes iſt allein mein Troſt bey deinem Thraͤnen-
werthen Sterben.


Schluͤſſe
[541]

Schluͤſſe der Vernunft.


Der Engel, aller Seligen, ja aller Geiſter, Schul-
digkeit,

Jſt, von der unumſchraͤnkten Gottheit unendlichen Voll-
kommenheit,

Das allerbeſt- und herrlichſte, wozu ſie faͤhig, zu ge-
denken,

Und alle, zu ſo edlem Zweck, des Sinnes Kraͤfte hinzu-
lenken.

Nun iſt der Glaub’: “Es werde Gott dem, was
Er, Sich zur Ehr, gemacht,

“Und was Er, auch zugleich aus Liebe, fuͤr Sein Ge-
ſchoͤpf, hervorgebracht,

“(Da Er ja nichts geſchaffen hat, wozu Er Haß hat)
Gutes goͤnnen;

Nach unſerem Begriff, das Beſte, was alle Geiſter den-
ken koͤnnen.

Der Will’ iſt da: Er iſt die Liebe. Die Macht
nicht minder. Er iſt weiſe,

Und weiß, wie Seiner Majeſtaͤt, ohn’ Abbruch Seiner
Heiligkeit,

Und Seinem ſtets gerechten Recht, genug geſchehen koͤnn’.
Es zeigen

Schrift, Werk, und unſrer Seelen Kraͤfte, daß dieſes
einer Gottheit eigen.

So kann dann die Vernunft nicht anders, als glau-
ben, unſerm Gott zum Preiſe,

Mit einem, voller Zuverſicht, auf Gott allein gekehrten
Muth:

“Wie das, was Gott geſchaffen, gut,

“Und
[542]Schluͤſſe der Vernunft.
“Und Er, zu Seiner Ehr’, es ſchuff; auch bloß
(da Er die ewge Liebe)

“Die Liebe, Seiner Macht und Weisheit Geſchoͤpf
hervorzubringen, triebe:

“So werd’, ob wirs gleich nicht ergruͤnden,

“Die ewge Liebe, Weisheit, Macht, der Herr und
Schoͤpfer, Mittel finden,

“Daß Er, nicht eine kurze Zeit,

“Auf dieſer Kummer-reichen Erde,

“Von wenigen allein; auch dort, von allen, in der
Ewigkeit,

“Jn ewgem Wohl der Creaturen, auch ewiglich geehret
werde.

Da die Philoſophi nunmehr, um Gottes Macht noch
zu erhoͤhn,

Ob ſchaff’ Er immer neue Welten, in Lehren, oͤffentlich
geſtehn;

So ſtell’ ich dieß an ſeinen Ort, und moͤcht’ es fuͤr gewiß
nicht ſagen.

Doch deucht mich, daß man wenigſtens hiebey, mit Recht,
wohl koͤnne fragen:

“Ob nicht die Zeugungen der Dinge, die unauf hoͤrlich
noch geſchehn,

“Als eine Art von daurender beſtaͤndgen Schoͤpfung
anzuſehn?

“Und ob es von der Gottheit Weſen, von Seiner Lieb’
und weiſen Macht,

“Nicht ſey viel wuͤrdiger gedacht,

“Daß Er ſie nicht vernichtigen, noch minder ewig
quaͤlen werde?

“Da
[543]Schluͤſſe der Vernunft.
“Da Seine Liebe, Weisheit, Ehre, ja ſehr darunter
leiden muͤßte,

“Daß Er, da Er, zu Seiner Ehr, die Creatur her-
vorgebracht,

“Er Sich, in alle Ewigkeit, davon ſodann verlaͤſtert
wuͤßte:

“Es haͤtte ja, die ewge Weisheit, hiedurch, den gan-
zen Zweck verlohrn;

“Es haͤtte ja, die ewge Liebe, faſt einen ewgen Haß
gebohrn.

“Wenn Goͤttliche Gerechtigkeit von ſolchen Eigen-
ſchaften waͤre,

“Daß, bloß durch ſie, des Schoͤpfers Abſicht, als
Seine Lieb’ und Seine Ehre,

“Des großen Zwecks verfehlen muͤßte; und Gott, ſo
wie es wuͤrd’ ergehen,

“Unſtreitig, ja vorher geſehen;

“So kann die menſchliche Vernunft unmoͤglich etwas
anders faſſen,

“Als dieß: Die ewge Liebe wuͤrde nie Menſchen haben
werden laſſen.

Wie weit nun aber die Vernunft, in Glaubens-

Sachen, anzuhoͤren,
Das werden deutlicher, als ich, vernuͤnftge Geiſt-
lichen erklaͤren.


Noth-
[544]

Nothwendiger Verband der Koͤrper,
der Sinnen, und der Seele.


Farben, Formen, Schatten, Licht,

Sind die Schoͤnheit dieſer Erden. Aber doch ſind
ſie es nicht

Ohn’ ein ſie verbindend Aug’, ohn’ ein ſinnliches Geſicht.

Und auch hierzu muß annoch ſich ein Ueberlegen fuͤgen,

Soll man anders an der Pracht dieſer Erden ſich ver-
gnuͤgen,

Jhren Wunder-Bau bewundern, ihre Lieblichkeit em-
pfinden,

Und, in ihnen, ihren Urſprung, einen weiſen Schoͤpfer,
finden.


Gottes
[545]

Gottes Groͤße.


Mit gebuͤhrender Bewundrung ſah die Seele durchs
Geſicht

Juͤngſt des eben aufgegangnen großen Monden-Koͤrpers
Licht,

Welcher, bloß durch einen Schein,

Wie von Licht, ſo auch von Groͤße, alle große Sterne
klein,

Nacht und Schatten helle macht,

Da er doch nicht licht, nicht groß. Dieſes nahm mein
Geiſt in Acht,

Und betrachtete zumal: Ob wir hier mit Recht wohl
koͤnnen

Etwas an ſich ſelber groß, ohne dran zu irren, nennen?

Von der wahren Groͤße Stand

Ward mir endlich dieſe Wahrheit, die unſtreitig iſt,
bekannt:

“Jn den Coͤrpern, die erſchaffen, und in aller Himmel
Gruͤnden,

“Trotz der ungeheuren Groͤßen, iſt nichts groß, nichts
klein zu finden,

“Als nur bloß Vergleichungs-weiſe. Nichts fuͤr ſich
iſt groß und klein.

Der nur, der kein Gleiches hat, keiner ſonſt, iſt

groß allein.

8 Theil. M mVon
[546]Gottes Groͤße.
Von der koͤrperlichen Groͤße ward ich zu den Geiſtig-
keiten,

Und derſelben unergruͤndlich- unbegreiflich- unbekannt-

Jn ſich ſelbſt verborgenen, denkenden Beſchaffenheiten

Unvermerket hingefuͤhrt. Da ich denn derſelben Stand,

Mit verwirretem Erſtaunen, ohne Raum und Ort befand,

Dergeſtalt, daß tauſend Geiſter kaum von einer Nadel-
Spitze

Den faſt unſichtbaren Platz, oder Raum, zu ihrem Sitze,

Wie es ſcheint, gebrauchen muͤſſen. Wenn man ſich die
Geiſter-Welt,

Nach den Gruͤnden unſers Wiſſens, wie man lehrt, vor
Augen ſtellt,

Hat ſo wenig Raum und Geiſt mit einander was gemein,

Daß uns deucht, die Geiſter koͤnnten all’ an einem Orte
ſeyn,

Ohn’ einander ſich zu hindern. Ob ich gleich, daß dieſer
Schluß

Mir nicht eben richtig ſcheint, und ganz unbegreiflich
faͤllt,

Mit Erlaubniß unſrer Weiſen, oͤffentlich geſtehen muß.

Da vielmehr es ordentlicher, von denſelben dieß zu glaͤuben,

Daß ſie in ein Mittel-Weſen, zwiſchen Geiſt und Leib,
gehuͤllt,

Wodurch jeder, abgeſondert, doch noch einen Ort erfuͤllt,

Und ſie etwan, auf die Weiſe, unter ſich verſchieden bleiben.

Was die menſchliche Vernunft von den Geiſtern faſſet,
ſcheint

Den Begriff uns faſt zu geben. Doch begreif’ ich auch
dabey,

Daß ihr Weſen von der Gottheit auch darinn verſchieden
ſey:

Daß
[547]Gottes Groͤße.
“Daß der große Geiſt der Geiſter, Der ſie all’ in Sich
vereint,

“Und woraus ſie all’ entſtanden,

“(So wie ſie nur irgendwo) allenthalben ganz, vor-
handen,

“So wie die vergangenen, kuͤnft- und gegenwaͤrtgen
Zeiten,

“Der Unendlichkeiten, Tiefen, aller grauen Ewigkeiten

“Ewigkeiten in Sich faſſe;

“Nirgend nicht ſey, ſonder Ziel, ſonder Zahl und ſonder
Maaſſe.„

Dieſe Meynung von der Gottheit, und von der Allge-
genwart,

Auſſer, daß ſie uns erfreulich, und ſehr troͤſtlich, koͤmmt
ſie mir

Als die wuͤrdigſte Jdee einer wahren Gottheit fuͤr.

Alle Dinge, die erſchaffen, ſind, und ſind nicht groß

und klein;
Der nur, Der kein Gleiches hat, GOTT der
HERR, iſt groß allein.


M m 2Goͤttliche
[548]Goͤttliche Guͤte mit Dank genieſſen,

Goͤttliche Guͤte mit Dank genieſſen,
iſt beſſer,
als Jhn begreifen wollen.


Der Menſchen Geiſt wuͤßt’, ohne Koͤrper, nichts;

Die Sinnen ſind allein die Quellen ſeines Lichts.

Es hat der weiſe Gott ein Mittel ausgefunden,

Und durch den Leib uns mit der Welt verbunden.

Warum verachtet denn der Geiſt ſo freventlich

Die Sinnen und den Leib, die doch ſein eignes Jch

Zuſammen halten und ernaͤhren,

Ergetzen, nuͤtzen und belehren?

Will, auf der Welt, der Menſch bloß den Verſtand allein,

Mit ſeines Koͤrpers Ausſchluß, brauchen;

So werden wir ſchon hier den Todten aͤhnlich ſeyn.

Man lebte, ſonder Leib, als waͤr man ſchon geſtorben;

Sechs achtel Theile ſind dadurch von uns verdorben.

“Der Schoͤpfer hat uns in dieſer Welt

“Gewuͤrdigt, ſo mancherley Guͤter zu haͤufen.

“Wie daß ſo viel Schoͤnes uns denn nicht gefaͤllt!

“Wir ſollen genieſſen; wir wollen begreifen.

“Er hat uns in ſolchen Stand geſtellt,

“Die Wunder der Koͤrper, durch Koͤrper, zu kennen;

“Jn Werken den Meiſter bewundern zu koͤnnen,

“Jn ihnen uns tauſend Vergnuͤgen zu goͤnnen.

“Die ſinnlichen Kraͤfte vom Geiſte zu trennen,

“Da Gott ſie, zur herrlichen Abſicht, vereint;

Lauft wider die Ordnung der Schoͤpfung, und ſcheint,

Jndem
[549]iſt beſſer, als Jhn begreifen wollen.
“Jndem wir die Weisheit und Macht nicht betrachten.

“Man woll’, in Geſchoͤpfen, den Schoͤpfer verachten;

“Und (mit dem Hirn-Geſpinnſt allein

“Beſchaͤfftiget, vergnuͤgt, zufrieden,)

“Da Gott uns die Welt noch, zum Wohnplatz, beſchieden,

“Aus Uebermuth, ſchon dorten ſeyn.

“Laßt uns die Gewohnheit nicht ferner verleiten;

“Vielmehr uns, zu kuͤnftgen Vergnuͤglichkeiten,

“Durch kluges Genieſſen des Jrdſchen, bereiten!


M m 3Aufrichtiges
[550]Aufrichtiges Geſtaͤndniß, nach ſchuldiger

Aufrichtiges Geſtaͤndniß,
nach
ſchuldiger Bemuͤhung unſern Geiſt
zu unterſuchen.


Von allen Menſchen abgeſondert, um in der Stille
Gott zu loben,

Saß ich in meinem kleinen Thurm, von allem Niedrigen
erhoben.

Hier ſieht man, in ſo weiter Ruͤnde, den Himmel, Erd’
und Waſſer an,

Daß man, vom Zirkel am Geſichts-Kreis, auf neunzig
Grad erblicken kann.

Jch drehte meinen Augen-Punkt in dieſem Zirkel
allgemach;

Jch dachte dieſer hohlen Weite, zuſammt des Himmels
Tiefe, nach,

Und konnte, durch des Raumes Jnhalt faſt unterdruͤcket,
dieß verſpuͤhren,

Daß in der ungeheuren Groͤße ſich die Gedanken ſelbſt
verliehren.

Jch zog zuletzt des Geiſtes Blicke,

Und meinen denkenden Verſtand,

So viel mir noch zu denken uͤbrig, von dieſer Groͤß’ auf
mich zuruͤcke,

Da ich mich kaum, vor Kleinheit, fand.

Ja,
[551]Bemuͤhung unſern Geiſt zu unterſuchen.
Ja, da ich ferner, wie ſo klein,

Jm Gegenhalt mit meinem Koͤrper, die ſo viel kleinern
Augen ſeyn;

Noch mehr, wie ich noch uͤberlegte,

Und den ſo kleinen Punkt erwegte,

Des Nervchens, wo die Linien von beyden Augen ſich
verbinden,

Konnt ich den Punkt, von dieſem Punkt, auch nicht ein-
mal durchs Denken finden.

Und dennoch ſenkt’ ſich ſolche Groͤße, in eine Stelle, die
ſo klein,

Daß ſie ſo wenig, als die Groͤße, dem Geiſt begreiflich iſt,
hinein,

Und iſt noch immer koͤrperlich, wie groß auch ſeine Klein-
heit bleibet,

Bis es, ſo wie es mich bedeucht, daſelbſt dem Geiſt ſich
einverleibet,

(Wo man vom Geiſt ſo ſagen kann) der es entwickelt,
uͤberleget,

Und anders mit der Form verfaͤhrt, als wie ein bloßer
Koͤrper pfleget.

Die Stelle, (wo es eine Stelle) den Ort, (wo es ein
Ort zu nennen)

Laßt uns ein wenig unterſuchen, um, wo der Geiſt be-
ginnt, zu kennen;

Weil eben zwiſchen Geiſt und Koͤrper, wofern wir anders
richtig ſchlieſſen,

An dieſem Ort, die Grenzen ſeyn, und End’ und Anfang
machen muͤſſen.

M m 4Es
[552]Aufrichtiges Geſtaͤndniß, nach ſchuldiger
Es ſcheint, ob muͤſſen große Dinge, ſowohl im Him-
mel, als auf Erden,

Eh’ unſer Geiſt ſie faßt, verkleint,

Und, eh ſie was, mit ihm vereint,

Jn ein gewiſſes Maaß gebracht, und fuͤr ihn eingerichtet
werden;

Da auch, wenn Dinge gar zu klein,

Vergroͤßrungs-Glaͤſer noͤthig ſeyn.

Sprich nicht: Das liegt an unſern Augen,

Weil ſie ſonſt nichts zu ſehen taugen.

Es ſcheint vielmehr, daß das Geſicht

Sey fuͤr den Geiſt ſo zugericht’t,

Als daß der Geiſt, das edelſte, ſich nach dem ſchlechtern
richten ſollte;

Wie in der That geſchehen muͤßte, wofern man dieß be-
haupten wollte.

Es ſcheint demnach, was wir geſagt, aus dieſem
Grunde ziemlich klar,

Und gleichſam uͤberzeuglich wahr,

Daß Koͤrper ein gewiſſes Maaß von einer Groͤße muͤſſen
kriegen,

Damit derſelbigen Figuren ſich mit dem Geiſte koͤnnen
fuͤgen.

Allein!

Es duͤrft’ hier mancher ſprechen: Hier wird noch einzu-
werfen ſeyn:

Figuren ſind ja koͤrperlich;

Der Geiſt, ſo geiſtig, kann ja ſich

Mit den Figuren nicht befaſſen.

Wie
[553]Bemuͤhung unſern Geiſt zu unterſuchen.
Wie wird doch wohl ein einfach Weſen,

Das bloß zum Denken nur erleſen,

Mit koͤrperlicher Bilder Formen ſich fuͤgen und verbinden
laſſen,

Und waͤren ſie auch noch ſo klein?

Die Schwierigkeiten, die ſich hier vom Geiſt, zum Geiſte
ſelber, haͤufen,

Die ſcheinen ihm faſt ja ſo ſchwehr, unmoͤglicher faſt zu
begreifen,

Als daß aus Koͤrpern, die gefuͤgt, wenn ſie ſich etwa
kuͤnſtlich trennten,

Nicht Theile ſich vergeiſtern koͤnnten.

Es waͤr denn, daß die Einfachheit, die große neu erfundne
Wahrheit,

Nicht eben die vermeynte Klarheit,

Als wie man glaubet, in ſich ſchloͤße.

Jedoch, dieß ſey dahin geſtellt. Auf das, ſo wir uns
vorgenommen:

Ob naͤmlich Kleinheit, oder Groͤße,

Jn dem, was geiſtig, anzutreffen; muß unſere Betrach-
tung kommen.

Daß einem Geiſt, ſo wie wir ihn, fuͤr ſich alleine, zu
erwegen,

Und einen denkenden Begriff von ihm uns bloß zu ma-
chen pflegen,

Wohl keine Groͤße zuzueignen, begreift man, ſo wie wir
begreifen;

Allein dann, wenn er ſich mit Groͤßen befaſſen muß, da
ſcheinen eben

Die Schwierigkeiten ſich zu haͤufen,

Und etwas Unbegreifliches ſich augenblicks hervor zu geben.

M m 5Wie
[554]Aufrichtiges Geſtaͤndniß, nach ſchuldiger
Wie wenig wir nun faſſen koͤnnen; ſo ſcheinet doch,
man koͤnne ſchlieſſen,

Daß Geiſter, wenn ſie mit den Koͤrpern ſich fuͤgen, ſich
veraͤndern muͤſſen;

Daß ſie in einen andern Stand, als ſie vorher geweſen,
kaͤmen,

Und, es geſchehe wie es wolle, doch etwas anders an ſich
naͤhmen,

So ſie vorhero nicht gehabt. (wofern wir ſie,

Wie in der neuen vorbeſtimmten, alſo genannten Har-
monie,

Nicht bey und nebſt den Koͤrperchen faſt muͤßig, wollten
laufen laſſen.)

Allein, wie dieſes recht geſcheh, geſteh’ ich gern, es nicht
zu faſſen.

Es koͤnnen unſers Koͤrpers Augen faſt alles, aber ſich
nicht, ſehn,

Als etwa bloß in einem Spiegel; ſo ſcheint es mit dem
Geiſt zu gehn.

Wer aber reichet uns den Spiegel, in welchem unſer Geiſt
ſich zeiget?

Da alles das, was in und um uns, von ſeinem wahren
Weſen ſchweiget;

So deucht mich, wenn man dieſes erſt, wie unſre Pflicht,
ermeſſen wollte,

Daß man von einem Richter-Spruch ſo lange ſich ent-
halten ſollte,

Bis dieſer Spiegel erſt gefunden,

Und daß die Menſchheit, dieſen Satz wohl zu beherzigen,
verbunden:

Bevor
[555]Bemuͤhung unſern Geiſt zu unterſuchen.
Bevor wir uns nicht ſelbſt gefaßt, und was wir ei-

gentlich ergruͤbelt,
Wird uns der Ausdruck: Es iſt ſo, und anders
nicht; mit Recht veruͤbelt.

Es ſcheint uns beſſer anzuſtehen,

Nachdem wir alles unterſuchet, und uns, wie alles, an-
geſehen,

Zu dem aufrichtigen Geſtaͤndniß: Wir wiſſen wenig;
uns zu kehren,

Den Schoͤpfer durch Bewunderung, in Seinen Werken,
zu verehren,

Und, in gelehrter Demuth, Jhn am wuͤrdigſten oft zu
erhoͤhen,

Nebſt einem kindlichen Vertrauen: Es werd’ uns Gott,
nach dieſem Leben,

Von uns, von allen, und von Sich, aus Gnaden, mehr
Erkenntniß geben.

“Wobey wir hier doch billig danken, daß Er uns einen
ſolchen Grad,

“Uns, in Bewundrung, zu vergnuͤgen, zu Seiner Ehr,
geſchenket hat.


Unter-
[556]

Unterſuchung
eines vom Koͤrper getrenneten Geiſtes.


Jch mag auch denken, was ich will;

Die ganze Welt bleibt vor ſich ſtill,

Und fuͤhlet nichts von meinem Denken:

Nichts kann ſich aͤndern, regen, lenken.

Es wird, auf unſrer ganzen Erden,

Dadurch nichts ausgerichtet werden,

Wo, durch ein koͤrperlichs Bewegen,

An mir ſich keine Theile regen.

Hieraus erhellet, daß der Geiſt,

Wie, oder was man Seele heißt,

Fuͤr ſich, nichts mit der Welt zu ſchaffen.

Es iſt demnach ein Mittel-Weſen

Zu dieſer Abſicht bloß erleſen.

Dieß ſcheint das ſinnliche Vermoͤgen,

Das unſre Seelen in ſich hegen,

Daß ſolches ſich mit ihr verbinde:

Und daß man anders keinen Band

Mit unſrer Welt, und den Verſtand,

Als bloß das Sinnliche, befinde.

Hier aber moͤchte mancher ſprechen,

Und unſer kuͤnftigs Hoffen ſchwaͤchen:

Hoͤrt, bey vollbrachtem Lebens-Lauf,

Bey uns das Sinnliche nun auf;

So ſcheint die Welt und Geiſt getrennet:

Die Welt wird, nebſt der Pracht des Lichts,

Fuͤr ihn ſodann ein leeres Nichts,

Jndem er nichts von ihr mehr kennet.

Ja,
[557]Unterſuch. eines vom Koͤrper getrennten Geiſtes.
Ja, weil nicht nur die Welt allein,

Auch Himmels-Koͤrper, Koͤrper ſeyn;

So ſchienen ſie, nebſt ihrem Weſen,

Fuͤr unſre Seele nicht erleſen:

Einfolglich waͤr’ auch alle Pracht,

Die Gott darinn hervorgebracht,

Fuͤr unſre Geiſter nicht gemacht.

Der ſtrenge Schluß verwirret mich.

Doch, denk’ ich nach; ſo findet ſich:

Daß, da das ſinnliche Vermoͤgen

Was Geiſtigs, wovon eigentlich

Den Grund die Seelen in ſich hegen;

Wird ſich die Kraft nicht von ihr trennen,

Noch mit dem Koͤrper ſchwinden koͤnnen.

Wirfſt du mir etwa ferner ein:

Es koͤnne doch die Kraft allein,

Ohn leiblichs Werkzeug, nichts verfangen;

So iſt es noch nicht ausgemacht,

Ob man genugſam nachgedacht,

Ob alles Leibliche vergangen.

Vielleicht ſind koͤrperliche Theile

Bey ihr, die ſo ſubtil und fein,

Daß ſie nicht ſicht- nicht fuͤhlbar ſeyn;

Und daß die Ordnung der Natur,

Jm Tode, die zu groben nur,

So ſie bishero eingekleidet,

Von ihrem Weſen trennt und ſcheidet.

Vielleicht kann die Verwandelung,

Und merkbare Veraͤnderung,

Des
[558]Unterſuchung
Des Seiden-Wurms, in dieſem Leben,

Uns ein etwanigs Beyſpiel geben:

Als welcher, zu gewiſſer Zeit,

Die groben Huͤlſen, und das Kleid,

Das erſt ihn einzuſchraͤnken pfleget,

Wenn es verſchrumpfet, von ſich leget;

Da man in einer ſchoͤnern Haut,

Aufs neu’, ihn eingehuͤllet ſchaut.

Daß aber unſer Leib ſo zart,

Daß man deſſelben Gegenwart

Mit Augen nicht vermag zu ſehen;

Kann nichts beweiſen: da uns ja

Die große Luft, die uns ſo nah,

Und, wie erweislich, wirklich da,

Nicht ſichtbar; wie du mußt geſtehen.

O welch ein heller Wahrheits-Schein

Praͤgt hier ſich meiner Seelen ein,

Der, tauſendfaches Widerſprechen,

Das hier ſo manchen Geiſt geplagt,

Und, recht als wie ein Wurm, genagt,

Vermoͤgend, kraͤftiglich zu ſchwaͤchen!

Von welchem Geiſte konnte ſich

Der Stand von unſerm Geiſte faſſen,

Noch ſeine Graͤnzen eigentlich,

Als unbegraͤnzt, begreifen laſſen?

Der hier im Koͤrper immerdar

Bisher verſchraͤnkt geweſen war,

Und eben dadurch bloß allein,

Ein Individuum zu ſeyn,

Geſchickt
[559]eines vom Koͤrper getrennten Geiſtes.
Geſchickt geweſen; das nunmehr

Von Form, Figur und Schranken leer:

So daß die Geiſter etwa muͤſſen,

Wie Waſſer, in einander flieſſen;

Wie, oder man muß dieſes glaͤuben,

Daß ſie, wie hier, geſchieden bleiben.

Denn, ſprecht, in einem dunklen Sinn,

Von einem Geiſte, immerhin:

Er ſey ein Simplex. Denn das deine

Muß doch ein ander Simplex ſeyn,

Ein anders Seyn, als wie das meine:

Einfolglich, wo es ſich mit mir

Nicht ſoll verwirren; muß es ſich,

Recht in der That und weſentlich,

Durch ein nothwendigs dort und hier,

Durch etwas minſtens, unterſcheiden.

Die Meynung aber, daß die Seelen

Mit zartem Stoff ſich noch vermaͤhlen,

Mit duͤnnen Weſen ſich bekleiden,

Wuͤrd’ alle Schwierigkeiten heben,

Und viel Erlaͤuterungen geben

Jn Sachen, die, ſeit ſo viel Jahren,

Voll Widerſpruch, und dunkel, waren.


Seelen-
[560]

Seelen-Betrachtung.


Denkend und empfindend Puͤnctchen, das ſich ſelber
Seele nennet,

Das ſich ſelber zwar bewußt, aber ſich dennoch nicht
kennet,

Komm einmal, dring’ in dich ſelbſt; laß von deinem
wahren Weſen,

Jn ſo fern du dir begreiflich, uns doch etwas gruͤndlichs
leſen!

Da wir uns auf dich verlaſſen; da, was du fuͤr wahr
erklaͤrt,

Wir fuͤr wahr und richtig halten; iſt es wohl der Muͤhe
wehrt,

Deine Kraft zu unterſuchen: da wir, ohne dich zu kennen,

Wenn du dich wo ſelbſt betroͤgſt, auch betrogen werden
koͤnnen.

Dir iſt ſelbſt daran gelegen, deine Kinder, die Ge-
danken,

Einſt mit Ernſt auf dich zu wenden; deine Kraͤfte,
deine Schranken,

Ordentlich zu unterſuchen. Sprich nicht, um zu wi-
derſtreben:

Wem ſoll ich von meinem Weſen und Verfah-

ren Rechnung geben?
“Der mich fragt, der bin ich ſelbſt; und zwar
bin ich es allein:
“Denn mein Koͤrper kann unmoͤglich uͤber mich
ein Richter ſeyn.

Gut!
[561]Seelen-Betrachtung.
Gut! die Ausflucht ſcheinet billig. Aber, doch zum
Zweck zu kommen,

Und nicht erſt zu unterſuchen, ob nicht unſer Weſen ſey,

Statt zwey Theil’, als Seel’ und Koͤrper, eigentlich
gefuͤgt aus drey,

Aus dem Koͤrper, Seel’ und Geiſt; laß, von einer an-
dern Seelen,

Uns die Schranken unterſuchen, und zu unſerm Vor-
wurf waͤhlen.

Wir befinden, daß die Seele fuͤhlet, merket, denkt
und meynt:

Wobey ſie, nach ihrem Weſen, dennoch ſo beſchaffen
ſcheint,

Daß, wenn keine Koͤrper waͤren, und wenn ihr die Sin-
nen fehlten,

Auch ſo gar ihr’ eignen Kraͤfte ewig ſich vor ihr ver-
hehlten;

Ja, ſie wuͤrde ſich, vermuthlich, ſelber unbewußt ver-
bleiben.

Jſt denn ſolchem Weſen wohl, das nur bloß die Faͤhigkeit,

Durch Erfahrung, in ſich hegt, das Vermoͤgen zuzu-
ſchreiben,

Mich zur Wahrheit hinzufuͤhren, und zur Vollenkom-
menheit?

Unſers Koͤrpers Wunder-Bau iſt ſo wunderbar gefuͤget,

Zu der offenbahren Abſicht, wie es ja vor Augen lieget,

Daß wir ſinnlich werden ſollen; da die Menſchen, bloß
allein

Durch die Werkzeug’ ihrer Sinnen, mit der Welt ver-
bunden ſeyn.

8 Theil. N nWaͤr
[562]Seelen-Betrachtung.
Waͤr der ganze Kreis der Welt voll von ſolchen Men-
ſchen-Seelen,

Die entbloͤßt von allen Sinnen; wuͤrd ſich die Natur
verhehlen;

Wuͤrden ihnen Erd’ und Himmel, ja ſie ihnen ſelber
fehlen.

“Thut denn eine Seele wohl, daß ſie Sinn’ und
Welt verachtet,

“Die doch ihre Lehrer ſind? daß ſie ſich allein
betrachtet

“Als der Wahrheit einzge Quelle? daß ſie, frech, bereits
hienieden

“Alle Dinge faſſen will, welche ſie, nach dieſer Zeit,

“Jn verklaͤrter Wiſſenſchaft, und vermehrter Faͤhig-
keit,

“Nach des Schoͤpfers Lieb’ und Ordnung, zu begreifen,
erſt beſchieden?

“Denn aus ihrer Schwaͤche ſelbſt machet ſie mit Recht
den Schluß:

“Daß ſie, von der Gottheit Liebe, Beßrung hoffen kann,
und muß.

“Durch die Sinnen ſich der Welt,

“Auf vernuͤnftge Art, gebrauchen, ſcheinet hier der
Menſchen Pflicht,

“Zu dem Endzweck ſcheinen Koͤrper, Seel- und Sinnen,
zugericht’t.

“Will man das, was Gott verbunden, und einander
zugeſellt,

“Trotz-
[563]Seelen-Betrachtung.
“Trotz- und eigenwillig, trennen? Wollt ihr denn,
auf dieſer Erden,

“Statt mit Fleiſch vereinter Seelen, ſchwaͤrmende Ge-
ſpenſter werden?

“Welch ein Umſturz der Natur! welch ein thoͤrichter
Verſtoß!

“Da ihr Seel- und Sinnen trennet, ſeyd ihr Sinn-
und Sinnen-los.


N n 2Gleich-
[564]

Gleichniß.


Jndem ich, nach verfloßner Nacht,

Und einer ſanften Ruh’, erwacht;

Erblickt’ ich, an der Wand, die meiner Augen Ziel,

Von einem Linden-Baum, den Phoͤbus Licht beſtrahlt,

Und den der Wind bewegt, ein ſcherzend Schatten-Spiel;

Jndem der Blaͤtter Heer daran ſich deutlich mahlt,

Und, unaufhoͤrlich, eine Stelle

Bald dunkel macht, bald wieder helle.

Jch dachte dieſem nach, und fand, daß auf der Erden,

Dergleichen Aendrungen, die Licht und Schatten macht,

Jn Tag und Nacht,

Beſtaͤndig, auch gefunden werden.

Denn, daß ſie langſamer, und nicht ſo ſchnell, geſchehn,

Wie wir es hier im Spiel der Blaͤtter ſehn,

Beſtreitet dieſes Gleichniß nicht.

Die Zeit, worinn die Aenderung geſchicht,

Thut, an und fuͤr ſich ſelbſt, faſt nichts dazu; da man,

Mit Recht, von unſrer Zeit ja ſagen kann:

Daß eigentlich

Die Zeit, fuͤr ſich,

(Aufs wenigſte, wie wir ſie kennen)

Nicht kurz, nicht lang, zu nennen.

Wenn wir demnach, nach dieſer Zeit,

Nicht eine Ewigkeit

Zu hoffen haͤtten; koͤnnten wir,

Nebſt unſrer Zeit und Dauer hier,

So wie der Tag und Nacht auf Erden,

Mit dieſem Licht- und Schatten-Spiel,

Nicht ungereimt, verglichen werden.


Zu-
[565]

Zuſtand der Welt.


Wenn wir der Erde ſtetes Drehn,

Mit einiger Aufmerkſamkeit, beſehn,

Und, was dadurch geſchicht, erwegen;

So findet ſich, daß, immerfort,

Zu einer Zeit es fruͤh, am andern Ort

Es ſpaͤte ſey: daß hier ſich Menſchen niederlegen;

Die andern dort, zur ſelben Zeit,

Mit ſchon erſchlafner Munterkeit,

Von ihren Lager-Staͤten

Auf ihre Beine treten.

Dieß unauf hoͤrliche Gewuͤhl auf dieſer Welt,

Das mir die Phantaſey, im Geiſt, vor Augen ſtellt,

Ruͤhrt meinen Geiſt auf eine fremde Weiſe:

“So, daß ich Den, mit froher Ehrfurcht, preiſe,

“Der das, was ſonder Ordnung ſcheint,

“Auf eine Art, die einfach iſt, vereint,

“Und eine Welt, worinn ſich unſer Geiſt verliert,

“So wunderbar, ſo ordentlich, regiert;

“Ja, welcher, die Verſchiedenheit

“So vieler Handlungen, zu einer Zeit,

“Auf einmal uͤberſieht, Geſchoͤpfe ſchaffet, lenket,

“Und ihnen ihre Daur, ſo wie ihr Weſen, ſchenket.


N n 3Die
[566]

Die nicht ganz unſichtbare
Gottheit.


Der Geiſt des Menſchen, nicht der Koͤrper, iſt, einen
Gott zu ſehn, erleſen:

Kein Aug’ hat einen Geiſt zum Vorwurf. Es iſt Sein
eigentliches Weſen

Nicht ſichtbar; dennoch iſt Er ſichtbar in Seinen wun-
derbaren Werken,

Worinn die Augen der Vernunft, die Er uns ſchenkt,
Jhn ſehn und merken.

“So deutlich, und noch deutlicher, als wenn wir
Jhn mit Augen ſaͤhn,

“Kann man die Wirklichkeit des Schoͤpfers, in dem
Erſchaffenen, verſtehn.

Woraus dann dieſes klaͤrlich flieſſet:

“Daß, weil der Gottheit Werk allein

“Die Spuhren Seines Weſens ſeyn,

“Der, ſo vor ſie die Augen zu- auch ſelbſt vor Gott
die Augen ſchlieſſet.


Ungluͤck-
[567]

Ungluͤckſelige
Folgen der Unachtſamkeit.


OGott! wo kommt doch dieſes her,

Daß wir, recht als in einem Meer

Von Guͤtern, und von Wundern, ſchwimmen:

Und man doch immer, ungeruͤhrt,

Faſt alles, im Beſitz, verliert;

Sich nimmer, Dir, wie ſichs gebuͤhrt,

Bemuͤht, ein Dank-Lied anzuſtimmen!

Die meiſten Dinge ſcheinen ſo;

Man wird derſelben bloß nur froh,

So lange ſie von uns entfernet.

Es iſt nur ein Geſichts-Punkt da,

Wo es gefaͤllt: Kommt es zu nah;

Verzieht ſich ploͤtzlich alles das,

(Als wie, durch ein Vergroͤßrungs-Glas,

Bey Dingen, die zu nahe ſtehn)

Was in dem Aug-Punkt wunderſchoͤn,

So lang’ es nicht zu nah, zu ſehn.

Der Fehler aber lieget nicht

Am Vorwurf, auch nicht am Geſicht;

Er liegt allein, daß wir das Denken

Nur immer vorwaͤrts, und faſt nie,

Aufs wenigſte nicht ohne Muͤh’,

Aufs Gute, ſo uns nah iſt, lenken.

N n 4“So
[568]Ungluͤckſelige Folgen der Unachtſamkeit.
“So lang’ uns, was man hat, nicht ruͤhrt,

“Jſt es unmoͤglich, auf der Erden,

“Beym groͤßten Gluͤck, begluͤckt zu werden;

“Da man, was man bekommt, verliert.

“So lange man zu allen Sachen,

“Die gut ſind, nicht das Denken fuͤgt;

“Kann uns kein Koͤnigreich vergnuͤgt,

“Kein Kayſers-Zepter gluͤcklich, machen.


Der
[569]

Der Schoͤpfer,
durch Seine Werke geprieſen.


Herr der Tiefen! Quell der Meere!

Urſtand, Fuͤhrer und Monarch nicht zu zaͤhlnder
Erden-Heere!

Aller Stern- und Sonnen Sonne, deren Licht aus Dir
nur quillt!

Der der Himmel Himmels-Sphaͤre,

Ja, das unumſchraͤnkte Leere,

Allenthalben gegenwaͤrtig, uͤberall umſchraͤnkt und fuͤllt!

Grund der Weſen! Schoͤpfer, Meiſter,

Aller Menſchen, Engel, Geiſter!

Deiner Creaturen Choͤre

Singen, in nie ſtillen Toͤnen, die ſo ſanft als allgemein:

Ewger Urſprung unſers Weſens, wahres Weſen!

Dir allein
Sey Lob, Preis und Dank und Ehre!


N n 5Die
[570]

Die Wolluſt.


Von allem, was da lebt, Magnet, der allgemein,

O ſuͤße Wolluſt, ohne dich

Wuͤrd’ uns, zu ſterben, und zu leben

Auf dieſer Welt, gleichguͤltig ſeyn.

Es regt ſich, was ſich regt, nur bloß durch dich allein.

Es lebt kein Fuͤrſt, kein Baur, kein Kaufmann, kein Soldat,

Der, auf der Welt, nicht dich zum Endzweck hat.

Wie? rechnet man die Luſt der Sinnen gar fuͤr nichts?

Fuͤr wen iſt doch der Wein? fuͤr wen die Pracht des Lichts?

Fuͤr wen iſt die Muſik? fuͤr wen die ſchoͤne Bluͤhte?

Fuͤr wen ein ſchoͤner Leib? Ein froͤhliches Gemuͤhte

Gebraucht ſich aller Ding’, und nimmt nur dieß in Acht,

Daß er der Ordnung folgt, zumal im Lieben,

Die Der in Bruſt und Schrift ihm vorgeſchrieben,

Der, bloß aus Lieb’ allein, ihn und die Welt gemacht.


Verab-
[571]

Verabſaͤumte Betrachtung
Goͤttlicher Geſchoͤpfe hoͤchſtſchaͤdlich.


Wofern die Abſicht Gottes war, in uns, Geſchoͤpf
hervor zu bringen,

Die der von Jhm erſchaffnen Werke genieſſen ſollten, Jhm
zur Ehr;

So laßt uns doch einmal erwegen, da wir, in ſo viel
ſchoͤnen Dingen,

Uns nicht vergnuͤgt, Gott nicht erkannt; wenn wir ge-
ſtorben, wie ſo ſchwehr

Uns denn die Rechnung fallen duͤrfte, fuͤr das, was hier
von uns geſchehn,

Fuͤr das, was von uns unterlaſſen. Wird es nicht faſt
unleidlich klingen,

Wenn wir, erſtaunt, zuruͤcke denken, und, wegen Gottes
Werk’ auf Erden,

Betruͤbt uns ſelber fragen werden:

War denn die Welt voll ſolcher Schaͤtze? ſo ſehr Bewun-
derns-wehrt? ſo ſchoͤn?

Wir haben dieſes nicht bemerkt, geſchmeckt, gehoͤret, noch
geſehn.

Wie gluͤcklich wuͤrden wir uns ſchaͤtzen, wenn uns ſodann,
die Pracht der Erden

Noch einſt zu ſehn und zu genieſſen, aus Gnaden moͤcht’
erlaubet werden.


Mittel
[572]

Mittel gegen die Unachtſamkeit.


Daß man an ſo vielem Guten ſich ſo ſelten nur ver-
gnuͤgt,

Kommt, daß der Gewohnheit Staͤrke die Aufmerkſamkeit
beſiegt.

Doch, es ſchadet zum Vergnuͤgen die Gewohnheit nicht
allein;

Nein, auch dieß, daß die Gedanken mehrentheils zer-
ſtreuet ſeyn,

Der Beſchaͤfftigungen Vielheit, und der Vorwuͤrf’.
Es verhindern

Auch die Traͤgheit des Gemuͤths, nebſt der Unempfind-
lichkeit,

Andrer Jrrenden Exempel, Stolz und Unzufriedenheit,

Den Genuß des vielen Guten. Dieſe Feinde muß man
mindern,

Und ſie zu bekaͤmpfen ſuchen, eh wir zur Aufmerkſamkeit,

Als dem Schluͤſſel zum Vergnuͤgen und zum Dank, ge-
langen koͤnnen.

Wann nun dieſes ſonder Muͤhe, ja faſt ſonder Kampf
und Streit,

Nicht erhalten werden kann,

Und ſie wirklich eine Kunſt, eine ſolche Kunſt zu nennen,

Welche nicht ſo leicht zu lernen; ach! ſo fange man
doch an,

Sich mit Sorgfalt zu bemuͤhn,

Die ſich ſtets zerſtreunden Blicke, den nicht minder fluͤcht-
gen Geiſt,

Zu bezaͤhmen, und ſie beyde feſt auf einen Punkt zu ziehn,

Weil, auf ſolche Art zu ſehen, eigentlich nur ſehen heißt.

Beyder
[573]Mittel gegen die Unachtſamkeit.
Beyder concentrirte Kraͤfte werden denn zuerſt erblicken,

Wie die Werke der Natur ſich Bewunderns-wuͤrdig
ſchmuͤcken,

Dadurch muß und wird Bewundrung in der regen Seel’
entſtehn.

Man wird tauſend Ding’ entdecken, die man nie vorher
geſehn.

Dann wird der geruͤhrte Geiſt, da er ſo viel Wunder
ſpuͤhret,

Jn der neu empfundnen Luſt, zu der Wunder-Quell gefuͤhret,

Und von Andacht, Lieb’ und Ehrfurcht inniglich erfuͤllet
werden,

Gegen den allmaͤchtigen Schoͤpfer Himmels und der Erden,

Der gewollt, daß ſie entſtuͤnden, und der uns fuͤr ihre
Pracht,

Durch der Sinnen Wunderwerke, wunderbar empfindlich
macht,

Ja, dabey uns noch die Kraft, zu erwegen und zu denken:

Daß wir alles Jhm zu danken; uns gewuͤrdiget, zu
ſchenken.


Verboth
[574]

Verboth,
an
Goͤttliche Geſchoͤpfe ſich zu vergnuͤgen,
ſuͤndlich.


Uns zeiget dieſes die Natur

Jn ihren ungezaͤhlten Schaͤtzen.

Es zeiget uns die Schrift die Spur,

Man ſoll an ſelben ſich ergetzen.

Es leget die Vernunft uns klar

Die Abſicht einer Weisheit dar,

Daß ſolche Ordnung, ſolche Pracht

Ja wohl umſonſt nicht ſey gemacht.

So ſpricht Natur, Vernunft und Schrift. Ein
ſchwaͤrmriſcher Phantaſt hingegen

Sucht, bloß auf ſich allein ſich fußend, ſie alle drey zu
widerlegen,

Und traͤumt: Der Menſch, aus Seel’ und Leib, ſoll auf
der Welt ein Geiſt allein,

Dis Goͤttliche Geſchenk, die Sinnen, ſoll ſuͤndlich: alles
teufliſch ſeyn,

Was koͤrperlich, was in der Welt. Vortrefflich waͤre
dieſe Lehre,

Wofern der Urſtand, Herr und Schoͤpfer der Welt, nicht
Gott, der Teufel, waͤre.


Die
[575]

Die Weisheit.


Die Weisheit iſt: Von allen Sachen,

Sowohl die koͤrperlich, als geiſtig, ſich richtige

Begriffe machen.

Um nun zur ſelben zu gelangen; ſo muͤſſen wir die Ei-
genſchaft

Der, von dem Schoͤpfer, unſern Seelen einſt anerſchaff-
nen Wunder-Kraft,

Uns etwas in uns vorzuſtellen, zu unterſuchen uns
bemuͤhen,

Und, um von allem Jrrthum, Trug und Widerſpruch
uns abzuziehen,

Die Phantaſie verbeſſern lernen, zumal, da alles auf der
Welt,

Fuͤr uns, das, was es iſt, nicht iſt; nein, das, was
man ſich vorgeſtellt.

Nun ſind die Sinnen eigentlich, wenn man es recht
erwegt, die Thuͤren,

Wodurch die Koͤrper unſre Seelen, und unſre Seelen ſie,
beruͤhren.

Die Thuͤren muͤſſen denn geoͤffnet, gerad’, und nicht ge-
kruͤmmet, ſtehn,

Damit die Vorwuͤrf’ auch gerad’ und richtig durch die-
ſelbe gehn.

Es muß kein Dunſt von Leidenſchaft und Vorurtheil die
Gaͤng’ erfuͤllen;

Kein Spinnen-Webe der Gewohnheit den freyen Durch-
gang uns verhuͤllen:

Weil,
[576]Die Weisheit.
Weil, wo die Vorwuͤrf’ unſern Geiſt, von auſſen ſchon
verſtellt, beruͤhren,

Sie ihn in ſeiner Urtheils-Kraft behindern und gewiß
verfuͤhren.

Man ſpanne denn zu dieſem Endzweck die Kraft an,
wie es ſich gehoͤrt.

Man lege die Phyſik zum Grunde, die uns der Koͤrper
Weſen lehrt,

Und uns derſelben Eigenſchaften bloß durch Erfahrungen
erklaͤhrt.

Dann lerne man die Menſchen kennen, und fange bey
ſich ſelber an,

Weil Selbſt-Erkenntniß uns am beſten zur Kenntniß an-
drer leiten kann.

Wann wir bey dieſer erſten Sproſſe zur Wahr- und
Weisheit angefangen;

So werden wir zur andern Staffel der Geiſter ſicherer
gelangen,

Zu welcher, ohne daß man jene zuerſt beſtieg und da nicht
irrt;

Ohn’ Jrrthum, ſonder Fehl und Zweifel, man nimmer-
mehr gelangen wird.


Verſchie-
[577]

Verſchiedene Arten der Abgoͤtterey,
auch bey Chriſten.


Je mehr mir die Verkleinerung von Gott, im alten
Mann, zuwider,

Je lieber wehl’ ich dieſen Greuel zu einem Vorwurf mei-
ner Lieder,

Um, wo es moͤglich, alle Menſchen in dieſem Stuͤck be-
kehrt zu ſehn,

Daß von der Gottes-Laͤſterung ſie ſich beſtreben abzuſtehn.

Es iſt nicht gnug, daß man von Gott ein Bild vom alten
Mann formieret,

Bey welcher winzigen Jdee man ſelbſt den wahren Gott
verlieret.

Es bleibet nicht allein beym Bilde. Es dichtet dieſem
alten Mann

Ein jeder, ohn’ es ſelbſt zu merken, ſein’ eigne Leiden-
ſchaften an.

Der Gott der Geizigen iſt hart, ſcharf, ernſthaft,
unerbittlich, ſtrenge,

Der Wolluſt und Vergnuͤgen haßt, ein Feind von glaͤn-
zendem Gepraͤnge,

Ein reicher Herr, ein Herr von allem, der alles Gold
und Geld der Welt,

Sowohl gepraͤgt, als ungepraͤget, beſitzt, und in Ge-
wahrſam haͤlt,

Der, die er liebet, ſegnen kann, der aber niemand anders
liebet,

Als der, mit Ausſchluß aller andern, ſich unaufhoͤrlich
Muͤhe giebet,

8 Theil. O oUnd
[578]Verſchiedene Arten der Abgoͤtterey,
Und bloß auf ſich allein bedacht, des Tages und des
Nachts nicht ruht,

Um ein, von ihm ſelbſt nicht gebrauchtes, und ein bald
zu verlaſſend, Gut.

Der Stolzen Gott iſt ein Monarch, der uͤber alle
Ding’ erhoͤhet,

Nur Loben, Ruhm und Preis verlangt, und bloß allein
nach Ehren ſtehet,

Dem das, was irdiſch, zu geringe, der nur allein im
Großen groß,

Der das, was klein, veraͤchtlich ſchaͤtzet, und welcher nur
den Hohen bloß

Gewogen iſt, und ihrer achtet. Dem aller Engel Schaa-
ren dienen,

Und die, aus Ehrfurcht ſeine Pracht nur anzuſehn, ſich
nicht erkuͤhnen;

Der bloß nach ſeinem Willen herrſcht, der nur gebiethe-
riſch befiehlt,

Und deſſen Herrſchen nicht auf Liebe, nur bloß allein auf
Hoheit, zielt.

Die Gottheit einer weichen Wolluſt iſt ein von red-
lichem Gemuͤthe,

Nachſichtlich und verzeihend Weſen, das minder Strenge
liebt, als Guͤte;

Der alles ſo genau nicht nimmt, dem unſre Schwaͤche
wohl bewußt,

Dem Gut- und Boͤſes einerley. Ein Weſen, welches
keine Luſt

An Plagen und an Strafen findet, das ihnen wird, nach
dieſem Leben,

Es ſey geweſen, wie es ſey, ein ewigs froͤhlichs Leben geben;

Dieß
[579]auch bey Chriſten.
Dieß zu erlangen, glaubt man ihn. Der alte Mann
ſcheint ihm zu gut,

Als daß Er ihn beſtrafen ſollte mit einer ewgen Hoͤllen-
Gluht.

Dieß ſind die Fruͤchte, wenn man Gott, in den betro-
genen Jdeen,

Als wie ein altes Menſchen-Bild, gewohnt geweſen, an-
zuſehen,

Statt Jhn als ein unendlichs All, das unbegreiflich,
unumſchraͤnkt,

Das Millionen Sonnen, Welten, und Raum und Himmel
ſchuff und lenkt,

Allgegenwaͤrtig, maͤchtig, weiſ’, und ewig, guͤtig zu be-
trachten.

Wenn wir Jhn nicht unendlich anders, als aller Witz
Jhn faſſet, achten,

Und glauben, daß der Gottheit Weſen durchaus nicht
Formen faͤhig ſey,

Begehn wir das verbothne Laſter der ſchaͤndlichen Ab-
goͤtterey.


O o 2La
[580]

La Divinité eſt incomprehenſible.


Raiſon reconnois toi, connois toi, par toi-même!

Tu ne ſçais rien de ſur, ſi non, qu’il eſt un Dieu.

So yés ſoumiſe à Lui, addreſſe à Lui tes voeux.

Dire, qu’on le comprend, eſt erreur, eſt blaſpheme.

Sur cette terre, à toi Il voulût Se montrer

Dans Ses ouvrages ſeuls. Il veut ſe reveler

Dans leur beauté, leur ordre \& l’excellence,

Mais ſache, qu’icy bas, Il a voulû cacher

Son incomprehenſible Eſſence.


Auf
[581]

Auf Herrn Reinbecks Bildniß.


Dieß ſind des großen Reinbecks Zuͤge; dieß iſt ſein
holdes Angeſicht,

Des ſchoͤnern Geiſtes ſchoͤne Schaale. Es leuchtet dieſes
große Licht,

Jn ſeinen Gott geweihten Schriften, als wie der Mond
bey dunkler Nacht,

Durch die, von ihm gezeigte, Sonne, ſelbſt hell, und ſelbſt
zum Licht gemacht.


O o 3Gott
[582]

Gott gefaͤlliger Dienſt.


Wofern ein Gott, ſo wird Jhm ja ein, durch Sein
Werk, vergnuͤgt Gemuͤthe,

Als welche Werk’ Er uns, aus lauter Guͤte,

Jn dieſem Leben wollen goͤnnen,

Unmoͤglich mißgefallen koͤnnen.

Die Anmuth, welche man darinn verſpuͤhret,

Da ſie, in unſrer Luſt, zu Seiner Ehr’, uns ruͤhret;

Jſt in der That

Ein Ausbruch, ein Beweis, von Seiner Liebe

Und Abſicht, wozu Er uns hier erſchaffen hat:

Und die Betrachtungen von Weisheit und von Macht,

Wodurch, was iſt, hervor gebracht,

Gereichen und gehoͤren,

So viel Jhn ein Geſchoͤpf kann ehren, Jhm zu Ehren.

Es iſt dahero nichts ſo klein,

Worinn, zu unſerer Beluſtigung,

Betrachtung und Bewunderung,

Nicht ſollten Gruͤnde ſeyn.

Weil alles, da es uns ſich durch die Sinnen weiſet,

Ja Den, Der uns die Sinnen ſchenkt,

Die Koͤrper ebenfalls, auch was in uns gedenkt;

Jn einer froͤhlichen Betrachtung, wirklich preiſet.


Vernunft
[583]

Vernunft und Glaube.


Es iſt unſere Vernunft, in uns, ein lebendigs Licht,

Welches das, was wahr und irrig, zeigt, bemerkt
und ſelbft empfindet.

Von dem Großen Geiſt der Geiſter iſt es in uns ange-
zuͤndet.

Man verachte denn den Wehrt dieſer großen Gabe nicht.

Ob nun gleich die helle Fackel ins Unendliche nicht
glaͤnzet,

Jſt ſie, bey der ganzen Menſchheit, und bey jedem, gleich
begraͤnzet;

So befugt dieß uns doch nicht, daß wir ſie vom Glauben
trennen,

Weil wir, ohne die Vernunft, nimmermehr recht glauben
koͤnnen.

Heiden, Juden, Tuͤrken glauben. Bloß nur die Ver-
nunft allein

Muß, daß unſer beſſer ſey, Richtſchnur, Prob’ und Richter
ſeyn.

Nun iſt des Verſtandes Kraft, die Erfahrung lehrts
hienieden

Faſt bey jedem andrer Gattung, und unglaublich unter-
ſchieden;

Doch beſteht dieß nur in Graden, und der Grund iſt
allgemein.

Denn ein Licht bleibt doch ein Licht, iſt dieß groß, gleich
jenes klein.

O o 4Wann
[584]Vernunft und Glaube.
Wann nun auch der groͤßte Geiſt, die durchdringenſten
Gedanken,

Jn der Dinge Grund nicht dringen, denn der Geiſt hat
ſeine Schranken,

Ueber die ſein ſchwaches Licht nicht vermoͤgend weg zu
ſcheinen;

Alſo zeigt ſein eigner Strahl, daß wir, auf der Welt,
nur meynen,

Und nicht weiter gehen koͤnnen. Selbſt der Glaube zeigt
dieß an:

(Welcher eine feſte Meynung) daß man hier nicht wiſſen
kann.

Dannenher iſt unſre Pflicht, uns allhier, in allen Faͤllen,

So weit unſre Kraͤfte gehn, ſtets das Beſte vorzuſtellen,

Unſere Vernunft zu brauchen, auch beym Glauben; denn
nur dieß

Setzet unſern Glauben feſt, macht die Zuverſicht gewiß.

Wir ſchraͤnken unſre Meynung dann in dieſen wichtgen
Lehr-Satz ein:

Des Glaubens Anfang muß Vernunft, ihr End’ und

Schluß der Glaube, ſeyn.


Ungluͤcklicher
[585]

Ungluͤcklicher Mißbrauch der Kraͤfte
unſers Geiſtes.


Wir haben eine Faͤhigkeit, wodurch ein gegenwaͤrt-
ges Gut,

Wenn wir es, daß es gut, erwegen, von uns gefuͤhlt
wird und empfunden;

Auch eine, wodurch unſre Luſt, wenn ſie vergangen
und verſchwunden,

Durch die Erinnerung, annoch recht wie vor unſern
Augen ruht.

Wir haben ferner auch die Hoffnung, ein kuͤnftig Gut
herbey zu ziehn.

Und dennoch ſcheinen wir, mit Fleiß, uns ungluͤckſelig
zu bemuͤhn,

Die drey gluͤckſelgen Faͤhigkeiten fuͤr uns ungluͤcklich
umzukehren,

Und dadurch unſre Luſt auf Erden zu mindern, und
die Laſt zu mehren.

Des Gegenwaͤrtigen genießt man, durch ein verſaͤumt
Erwegen, nicht.

Die Luſt, die weg, erweget man: ſie ſteht uns gleich-
ſam vor Geſicht;

Doch klaget man, ſie ſey nicht mehr,

Und ſeufzet, mit vergebnem Wuͤnſchen: Ach wenn ſie
noch zugegen waͤr!

Statt ſuͤßer Hoffnung, mindert uns, die bittre Furcht
der kuͤnftgen Zeit,

Das Gute, wenn wir Gutes haben: wo nicht; ver-
mehrt ſie unſer Leid.


O o 5Der
[586]

Der
Goͤttlicher Abſicht und Ordnung
widerſtrebende Menſch.


Der Schoͤpfer hieß die ſchoͤne Welt, von uns genannt,
das Rund der Erden,

Zu einer Zeit, die Jhm gefiel, entſtehen, ſich verbinden,
werden.

Es ſonderte ſich von dem Trocknen das fluͤßige gelenke
Naß:

Es wurden Ebnen, Berge, Thaͤler; es keimten Pflanzen,
Laub und Gras.

Der Kraͤuter Gruͤn bekraͤnzete der aufgethuͤrmten Berge
Gipfel;

Das wunderſchoͤne Laub bekroͤnte, nebſt mancher Frucht,
der Baͤume Wipfel:

Bebluͤhmtes Gras bedeckt’ und ſchmuͤckte die Wieſen
und das ebne Feld.

Und kurz: Licht, Farben, Formen, Schatten, verſchoͤ-
nerten die Ober-Welt.

Es wurden Thiere, welche faͤhig, die Pflanzen, die
darauf entſprieſſen,

Zu ihrer Luſt, zu ihrer Nahrung, auf manche Weiſe,
zu genieſſen.

Allein, es war annoch kein Weſen, in welchem eine Kraft
gepraͤgt,

Die Wunder, die die Welt erfuͤllten, und uͤberall ihm
vorgelegt,

Zu
[587]Der Gottes Abſicht widerſtrebende Menſch.
Zu ſehn, zu merken, zu bewundern: und, im Genieſſen,
Sehen, Schmecken,

Jm Hoͤren, Fuͤhlen, und Geruch, ein ſchaffend Weſen
zu entdecken;

Deſſelben Weisheit, Macht und Liebe zu ſpuͤhren: den-
kend einzuſehn,

Daß nichts ſich von ſich ſelber bildet; und folglich
deutlich zu verſtehn:

“Ein alles wirkender Verſtand hab’ aller Koͤrper Schmuck
und Pracht

“Erdacht, gefuͤgt, geformt, geordnet, und zu dem Zweck
hervorgebracht,

“Den Creaturen wohl zu thun, und, in dem Wohlthun,
Sich zu weiſen;

“Damit, in ihrem eignen Gluͤck, ſie Seine weiſe Liebe
preiſen,

“Jn ihrer Luſt Jhn ehren moͤchten. Zu dieſem End-
zweck bloß, entſtand

“Der Menſch, aus Seel’ und Leib gefuͤgt: Jhr unbe-
greiflicher Verband

“Vereint uns dergeſtalt mit Koͤrpern, die, durch den
Sinn, die Seele ruͤhren,

“Daß wir, durch denken, ſie genieſſen, ja gar darinn
die Gottheit ſpuͤhren.

Nun wird ja der vernuͤnftge Menſch, zu Gottes Ruhm,
ſich zu vergnuͤgen,

Jn Seinen Wundern Jhn zu merken, das Denken zum
Genuß zu fuͤgen,

Jn froͤhlicher Empfindlichkeit, des großen Schoͤpfers
holden Willen,

Der Ehre ſucht in unſrer Luſt, nach ſeinen Pflichten
zu erfuͤllen,

Mit
[588]Der Gottes Abſicht widerſtrebende Menſch.
Mit ehrerbietigem Bewundern und Danken oft beſchaͤff-
tigt ſeyn,

Und dieß als einen Gottes-Dienſt beſonders rechnen?
Leider, nein!

Die meiſten kommen, leben, ſterben; ohn’, in ſo unge-
zaͤhlten Gaben,

Auf ſie, auf Gott, derſelben Schoͤpfer und Geber, je
gedacht zu haben.

Wir ſind nicht unſerm großen Urſprung, nicht uns,
nur bloß dem Mammon, hold;

Der Menſchen einzigs Augenmerk, ihr hoͤchſtes Gut, ihr
Gott, iſt Gold.

Wie ſtraͤflich iſt nun dieß Verfahren! Der Schoͤpfer
ſucht uns zu gefallen

Jn Seinen herrlichen Geſchoͤpfen: Fuͤr uns iſt Weis-
heit, Lieb’ und Macht,

Jn ihnen, uͤberall zu ſehn. Wir laſſen alles aus der
Acht,

Und, ſtatt in ihnen Gott zu ehren, macht man ſich
Goͤtter aus Metallen.

Bey dem Betragen ſcheint es faſt: (wie ſehr mich die
Bekenntniß quaͤlt)

“Des Schoͤpfers Zweck ſey nirgend ſonſt, als bey dem
Menſchen nur, verfehlt.


Ver-
[589]

Vertrauen.


So bald wir einen Gott erkannt, durch Deſſen Lieb’
und weiſe Macht,

Was in den Himmeln, auf der Erde, verwunderlich
hervorgebracht,

Verwunderlich erhalten wird, und daß wir feſt verſi-
chert ſeyn,

Das Allervollenkommenſte von allen ſey nur Er allein;

So ſcheint es unſre Schuldigkeit, und eine von den
groͤßten Pflichten,

Jn dieſer Regel Seinen Willen, zu Seinen Ehren, aus-
zurichten:

“An ſtatt wir, Seine Wege faſſen, und Sein Regieren
wiſſen wollen,

“Ja, unſre Lebens-Zeit verbringen, zu unterſuchen,
zu ergruͤnden;

“Daß wir vielmehr, mit allen Kraͤften der Seelen,
uns bemuͤhen ſollen,

“Was ein ſo weiſ- und liebreichs Weſen verhaͤngt und
wirket, gut zu finden:

“Zu glauben, wenn es uns gleich fremd, zuwider, nicht
erſprießlich, ſchien,

“Daß Er es fuͤr das große Ganze geordnet; daß es
nach der Erde,

“Wo nicht noch hier bey unſerm Leben, zu unſerm Be-
ſten dienen werde.

“Erweis-
[590]Vertrauen.
“Erweislich iſt es, daß man Gott mehr ehre, fuͤrchte,
lieb’ und dien,

“Zu glauben: Es ſey alles gut,

“Was ein ſo weiſ- als liebreichs Weſen verordnet,
kommen laͤßt, und thut.

“Zu hoffen iſt, wenn wir hierinn uns Gott zu unter-
werfen trachten,

“Er werd’ ein ſolches Seelen-Opfer weit mehr, als
alle Opfer, achten.


Zu
[591]

Zu den Meynungen.


Halt! rief ein alter Philoſoph: man ſchlaͤgt dich
wirklich. Meyneſt du,

Daß man dich ſchlaͤgt? Weißt du es nicht? Man
ſchilt dich: Giebeſt du nicht zu,

Zu wiſſen, daß man dich geſcholten? Ja, lieber Phi-
loſoph! es ſcheinet,

Wir wiſſen etwas. Jch geſtehe: Jch hab’ hierinn
nicht recht gemeynet;

Jch gebe deiner Meynung nach. Allein, was wir jetzt
Wiſſen nennen,

Betrifft nur bloß das, was die Seelen, durch ihrer Sin-
nen Huͤlf’, erkennen,

Und iſt doch auch kein rechtes Wiſſen;

Man wuͤrd’ es eine Fuͤhlungs-Art und ein Empfinden
heiſſen muͤſſen.

Davon iſt aber nicht die Rede. Wir ſprechen bloß
allein von Schluͤſſen,

Die unſre Seel’, aus Folgen, macht, wenn ſie der Dinge
Gruͤnd’ ergruͤnden,

Und, von den Sinnen abgezogen, fuͤr ſich will neue
Wahrheit finden:

Hier, wo wir redlich denken wollen, wird es gewiß bey
einem Glaͤuben,

Und, welches meiſtens einerley, bey einem ſtarken Mey-
nen, bleiben.


Betrach-
[592]

Betrachtung
uͤber die beſtaͤndige Veraͤnderung
unſers Koͤrpers.


Jndem ich juͤngſt, das Nagel-Fleiſch zu loͤſen,

Am Daumen hinten etwas ſchnitte,

Und mir von ungefehr das Meſſer tiefer glitte,

So daß, faſt bis aufs Fleiſch, das Horn geſpalten war,

Und, durch den Schnitt, das Blut bereits zu dringen
ſchien;

Mußt’ es jedoch nicht ganz und gar

Durchhin gegangen ſeyn:

Denn erſtlich floß kein Blut, ich fuͤhlt’ auch keine Pein.

Jch dankte Gott dafuͤr, daß, vor ſo nahem Schaden,

Der um die Breite kaum von einem Haar

Von mir entfernet war,

Er mich ſo gnaͤdiglich beſchuͤtzt aus lauter Gnaden.

Jndem ich nun darauf,

Nach dem Verlauf

Von wenig Tagen,

Die Augen einſt auf dieſen Schnitt geſchlagen;

Ward ich, Verwundrungs-voll, gewahr,

Daß, da er erſt am Hintertheile,

Am Fuß des Nagels, ſtand, nunmehr, und zwar

Jn ſolcher Eile,

Die meiſt ſchon ausgewachſ’ne Ritze,

Ganz vorn ſchon, an des Nagels Spitze,

Zu
[593]Beſtaͤndige Veraͤnderung unſerer Koͤrper.
Zu ſehen war. Jch ſtutzt’, als ich dieß ſah, und dachte:

Wie geht doch dieſes zu? Auf welche Weiſe

Geht dieß ſo ſchleunig fort? Stoͤßt ſich der Nagel ſachte,

Von Zeit zu Zeiten, weg? Wie, oder geht er leiſe,

Beſtaͤndig, Tag und Nacht? Jſt denn ein Nagel nur

Allein veraͤnderlich?

Erſtrecket ſich

Die Aendrung der Natur

Nicht auch auf unſer Haar?

Ja, was noch mehr, ſollt’ es nicht gar

Sich auf den ganzen Leib erſtrecken?

Da wir ja ſichtbarlich entdecken,

Und ganz unwiderſprechlich ſpuͤhren,

Wie Wunden-Maal’ und Narben ſich verlieren.

Ja, ja, dieß iſt gewiß! An uns verneut, verſchwindet,

Erſetzet und ergaͤnzt ſich alles dergeſtalt,

Beſtaͤndig, und ſo bald,

Daß, der mich jetzo ſieht, daſſelbe Mich nicht findet,

Was er vordem geſehn.

Wie? bin ich denn nicht mehr daſſelbe Jch?

Hab ich denn aufgehoͤrt? Treff ich mein wirklichs Mich

Jn mir nicht ferner an? Dieß waͤre wirklich wahr,

Wenn ich mich nur gefuͤgt befuͤnde

Aus einer ungefehren Schaar

Materie: und wenn ich nicht beſtuͤnde

Aus etwas, welches feſt und unzerſtoͤrlich;

Aus etwas, welches bleibt, und unauf hoͤrlich,

Ohn’ Aenderung, beſteht. Man mag es Stamina,

Man mag es Germen nennen.

Ja, wenn man es erwegt,

Und die Oeconomie vernuͤnftig uͤberlegt;

So wird man hierinn was erkennen,

8 Theil. P pDas,
[594]Beſtaͤndige Veraͤnderung unſerer Koͤrper.
Das, wie in allen andern Werken

Des Schoͤpfers, ſo auch hier, recht ſonderlich, zu merken.

Die unauf hoͤrliche Veraͤnderung

Der Theile, die mein Weſen fuͤgen;

Die unnachlaͤßliche Verwandelung

Derſelben: (da ſie ſtets verfliegen,

Und doch, ſo ordentlich, ſich wieder andre finden,

Die, ſtatt der vorigen, ſich wieder mit mir binden;

Die ihnen gaͤnzlich gleich, an Weſen und Figur,

An Kraͤften, an Gebrauch, an Stellung und Natur)

Dieß, ſag’ ich, kann ja nimmermehr

Von einem blinden Ungefehr,

Jn ſolcher Richtigkeit und Ordnung, wie wir ſehen,

Die ſonder allen Fehl, geſchehen.

Es muß bey uns ein feſtes Weſen,

Das unveraͤnderlich, zugegen ſeyn,

Das, alle Theile zu erleſen,

Zu ordnen, fuͤgen, zu zerſtreun,

Geſchickt und faͤhig iſt: das, auf dieſelbe Art,

Wie ſie getheilet hat, auch andre wieder paart,

Die ihnen voͤllig gleich; weil ſonſt nicht die Natur,

Nicht unſere Figur,

Dieſelben wuͤrden bleiben koͤnnen,

Und niemand wuͤrd’ uns wieder kennen.

Es ſey nun, daß durch eine Kraft,

Die etwa, wie der Saamen und die Saat,

Mit einem Urſtoff ſich vereinigt hat,

Der unveraͤnderlich. - - -

So weit war ich,

Hierinn, mit meinem Denken, kommen,

Als mich bedeucht, daß ich zwar etwas ſehe,

Wie es vielleicht mit unſern Koͤrpern gehe;

Wie er, ob er gleich abgenommen,

Doch
[595]Beſtaͤndige Veraͤnderung unſerer Koͤrper.
Doch immer als derſelbige beſtehe.

Doch deucht mich auch dabey,

Daß, wie es eigentlich geſchehe,

Uns doch nicht recht begreiflich ſey.

Thun es die Stamina fuͤr ſich allein;

So find’ ich, daß ſie mir doch dunkel ſeyn.

Thut es denn unſre Seele;

So faſſ’ ich nicht, wie ſie

Sich mit des Koͤrpers Stoff vermaͤhle.

Jſt es denn noch ein’ andre Kraft;

So iſt mir (ich geſteh’s) auch deren Eigenſchaft,

Trotz aller meiner Muͤh’ und Sorgen,

Dennoch verborgen.

Wir werden denn auch hier, mit unſerm Denken,

Gezwungen, uns von uns zu lenken,

Und in des Schoͤpfers Weisheit, Macht und Lieb’ uns
einzig zu verſenken.

Jndem wir, wenn wir redlich denken, dieß offenbar
geſtehen muͤſſen:

Daß, ob wir gleich die Weiſ’ und Art von unſrer Aen-
derung nicht wiſſen,

Man darum doch ganz uͤberzeuglich ſpuͤhre,

Daß Ordnung, Abſicht, Macht, darinn zu finden ſey;

Auch, daß ein weiſer Geiſt, ſo viel und mancherley,

Auf eine weiſe Art, unmoͤglich ein Ungefehr, darinn
regiere;

Nicht minder, daß es uns zugleich von unſerm Nichts,

Und von der Herrlichkeit und Weisheit Seines Lichts,

Unwiderſprechlich uͤberfuͤhre.

P p 2O gluͤck-
[596]Beſtaͤndige Veraͤnderung unſerer Koͤrper.
O gluͤckliches Erkennen unſrer Schwaͤche!

O ſelge Demuth! du allein

Sollt meines Wiſſens End’ und Anfang ſeyn.

Wenn ich, vom Stolz verfuͤhrt, in mir, kaum einen
Dunſt und leeren Schein,

Von Fruͤchten falſcher Groͤße, breche;

So machet mich dein holdes Licht, mit Recht, in
meinen Augen klein,

Und fuͤhret mich zur wahren Groͤße, zu meinem
Urſprung, wieder ein.


Das
[597]

Das Große aus dem Kleinen.


So wie an eines Zirkels Centro die Winkel immer
enger ſeyn;

Man aber, wenn ſie noch ſo klein,

Doch in demſelben eine Gleichmaß, wie fern ſich auch
der Zirkel ruͤndet,

Mit ihren divergirenden und laͤngſten Radiis, ſich findet:

So werden wir, auch in den kleinſten von Gott erſchaff-
ner Creaturen,

Doch ein’ ununterbrochne Groͤße gewahr, und ſehn in
ihnen Spuhren,

Die uns, von ſich, auf allen Seiten,

Zu einer Unermeßlichkeit, zum Urſprung aller Dinge,
leiten.


P p 3Das
[598]

Das Leben.


Jch ſah’, in reger Munterkeit, ein kleines Wuͤrmchen
ſich bewegen,

Und mit faſt nimmer ſtillen Gliedern, in ſteter Fertigkeit,
ſich regen.

Jch ſah dann, daß das Thierchen lebt, und dachte mit
Bedacht dabey,

Was eigentlich das Leben ſey.

Es muß ja, fiel mir ein, das Leben

Wohl nicht von großer Wuͤrde ſeyn, und ſich ſein Wehrt
nicht weit erſtrecken;

Weil alles, was wir an dem Leben Vortreffliches und
Guts entdecken,

Auch einem ſolchen kleinen Thier, und ſo verworfnem
Wurm, gegeben.

Jch ging im Denken weiter fort. Es lebt ein Wurm,
es lebt ein Thier,

Sowohl, und minder nicht, als wir:

Es hoͤret unſer Lebens-Lauf

Sowohl, als wie des kleinen Wurms, und aller Thiere
Leben, auf.

Er kam, er war, er lebt’, er ſtirbt; wir kamen, waren,
lebten, ſterben:

Man ſiehet, was man an uns ſieht, auch was wir an
ihm ſehn, verderben.

Ja, ſprichſt du, es iſt bloß der Geiſt,

Worinn der Unterſchied ſich weiſt.

So
[599]Das Leben.
So ſage: Kenneſt du den ſeinen?

Noch mehr! Sprich: Kenneſt du den deinen?

Denn, wie ich hoffe, denkſt du nicht, ob hab’ ein ſolches
Wuͤrmchen keinen.

Was lebt, kann ohne Geiſt nicht leben.

Dieß wird von dir ja zugegeben.

Wir koͤnnen gleichſam in ihm ſehen,

Daß minſtens dunkele Jdeen

Jn ſeinem kleinen Geiſt vorhanden;

Jndem er, was ihm ſchaͤdlich ſcheinet,

Mit Vorſicht gleichſam und mit Fleiß

Verabſcheut, und zu meiden weiß.

Man ſpruͤtze nur ein Troͤpfchen Waſſer vor ihm in ſei-
nen Weg und Lauf,

Gleich hoͤret er zu laufen auf;

Man ſiehet ihn

Sich ungeſaͤumt zuruͤcke ziehn.

Wo bleibt ſein Geiſt denn? Stirbt er mit? Wie?
koͤnnen Geiſter denn auch ſterben,

Und, durch die Trennung ihrer Theile, ſowohl als wie
der Leib, verderben?

Jſt dieß gewiß und ausgemacht?

O nimm dich bey dem Schluß in Acht!

Weil wir ja ſonſt von unſern Geiſtern, wenn ſie ſich
von den Koͤrpern trennen,

Vielleicht ein gleiches ſchlieſſen koͤnnen.

Wirſt du der Geiſter Einfachheit, worauf du alles bauſt,
verlaſſen;

Wirſt du ja von den Geiſtern minder, als wie du erſt
geglaubet, faſſen,

Und wie du meyneſt, nichts verſtehn.

P p 4Doch
[600]Das Leben.
Doch hoͤre! laß uns weiter gehn!

Wie waͤr’ es, wenn ſie alle blieben, und daß, im Schooße
der Natur,

Sie andre Stamina belebten,

Die etwa beſſer, als die erſten; daß ſie ſich allemal
beſtrebten,

Den erſten Zuſtand zu verbeſſern? Daß dieſes Gott
nicht moͤglich ſey,

Zu glauben, faͤllt dir, (wie ich hoffe) mein Leſer, ja wohl
nimmer bey.

So fragt ſich: Ob, bey dieſem Satz, man wohl geden-
ken koͤnn’ und ſolle,

Daß es die Gottheit alſo wolle?

Und ob, von Seiner weiſen Macht,

Dieß auch ſey wuͤrdiglich gedacht?

Es ſcheint der Wahrheit nicht zuwider; wofern man
dieſe Meynung nimmt:

“Daß alles das, was Gott geſchaffen, ſey zur Ver-
beſſerung beſtimmt.

Vermuthlich kaͤm’ es darauf an: Wie es der Menſchen
Schuldigkeit,

Von Gott das Vollenkommenſte, wozu ſie faͤhig, zu ge-
denken;

Ob (wenn wir unſrer Seelen Kraͤfte auf Gott in dieſer
Sache lenken)

Es eine Seiner Gottheit wuͤrdig- und groͤßere Voll-
kommenheit

Bezeug’, ein Weſen, das Er ſchuff, noch immer weiter
zu verbeſſern,

Und das ihm eingeſenkte Gut noch ſtets zu mehren,
zu vergroͤßern;

Wie,
[601]Das Leben.
Wie, oder es ſtets zu verſtoͤhren, und, ſtatt der einſt
geſchaffnen Sachen,

Beſtaͤndig neue zu formieren, und immer andere zu machen?

Jm Koͤrperlichen ſcheint es zwar, als ob die bildende
Natur,

Was ſie hervorgebracht, verſtoͤhre,

Und nimmer, wenn ſie was hervorbringt, ſich zu den-
ſelben Formen kehre;

Nein, immer neue Weſen bilde. Ob aber, da ſich ja
der Geiſt,

Von Koͤrpern, faſt in allen Dingen, am Weſen unter-
ſchieden weiſt,

Es eben die Beſchaffenheit mit ihm, als mit dem Koͤr-
per, habe,

Und er ſowohl, als wie die Koͤrper, zu einer kurzen Daur
entſtehe,

Und eben ſo, wie ſie, vergehe;

Dieß ſcheinet dem Begriff zugegen,

Den unſre Geiſter von dem Geiſt, und von des Schoͤp-
fers Weisheit, hegen.

Nun haben wir uns den Begriff vom Beſten ja nicht
ſelbſt geſchenket;

Er iſt uns von der Gottheit Selbſt, die uns den Geiſt
gab, eingeſenket,

Jn eines Geiſts Verbeſſerung mehr Vollenkommenheit
zu finden,

Als wenn die Geiſter wie die Koͤrper vergingen, neue
ſtets entſtuͤnden,

Und gleichſam, wie die Waſſer-Blaſen, die Geiſter kaͤmen,
und verſchwuͤnden.

P p 5So
[602]Das Leben.
So lange nun der Geiſter Dauer uns beſſer, als ihr
Schwinden, ſcheint;

So ſcheinet unſre Pflicht zu ſeyn, wenn man von ihrem
Weſen meynt,

Daß es beſteh’, und ſich verbeßre. Ja, ſollte man
hierinn auch irren,

Und etwan uns, durch Vorurtheile, die Schwaͤche un-
ſers Geiſts verwirren;

So deucht mich, daß ein ſolcher Jrrthum, der Gottes
Ruhm zum Grunde ſetzt,

So ſtraͤflich nicht, als wie man meynet, und Seine Groͤße
nicht verletzt.

Doch, weil wir, wenn wir redlich denken, befinden,
daß wir wenig faſſen;

So will ich die Materie weit groͤßern Geiſtern uͤberlaſſen:

Und mich allein damit begnuͤgen, “wie auch ein Wuͤrm-
chen, das ſo klein,

“Zu groß- und wuͤrdiger Betrachtung des Schoͤpfers
koͤnn’ ein Anlaß ſeyn;

“Und daß ſich eben unſer Geiſt von ihm, und allen
andern Thieren,

“Am meiſten darinn unterſcheide, daß wir der Gott-

heit Weſen ſpuͤhren.


Unor-
[603]

Unordentliche Selbſt-Liebe.


Es glaubt der Menſch, er liebe ſich.

Allein er liebt ſich in der That nicht ſo, wie er es
ſelbſt vermeynet.

Es laͤßt, ob unterſcheid’ er ſich von ſich zuweilen, und es
ſcheinet,

Ob ſey er ſtets derſelbe nicht. Es haſſet oft ſein heutigs
Jch

Sein geſtriges. Jch irrte mich,

Giebt er noch wohl von geſtern zu;

Heut aber liebt er ſich ſo ſehr,

Daß, wenn auch du

Jhn noch ſo deutlich uͤberfuͤhrteſt, verachtet er doch deine
Lehr,

Er giebt nicht nach, er weichet nicht. Sein heutigs Jch
kann nicht vertragen,

Daß man ihn eines Fehlers zeiht; viel minder wird ers
ſelber ſagen,

Wie er vom geſtrigen doch noch zuweilen ſelbſt thut, oder
leidet,

So daß er ſich faſt alle Tage, von den verfloßnen, unter-
ſcheidet.

Allein, bedenke, lieber Menſch, der heute ſich ſo heftig
ſtreubet,

Daß dein, dem Schein nach, feſtes Heute gewiß nicht
immer heute bleibet.

Als
[604]Unordentliche Selbſt-Liebe.
Als morgen iſt dein heutiges ein geſtrigs Jch. Drum
uͤberlege,

Daß du dich heute irren kaunſt, wie du vor dieſem oft
gethan.

Es bricht ein ſteter Morgen an,

Der, mit dem heutigen, vielleicht verfahren wird, und
minſtens kann,

So wie der heutige mit dem, der jetzo geſtern iſt, gethan.

“Dieß ſind zur wahren Selbſt-Erkenntniß die ſicherſten
und beſten Wege.


Unver-
[605]

Unvermeidliche Strafe
der
Unaufmerkſamkeit auf Goͤttl. Werke.


Wenn etwa dir von einem Großen, was Kuͤnſtliches
geſchenket waͤr,

Das er mit eigner Hand gemacht; ſo wuͤrd’ es ja, zu
ſeiner Ehr,

Von dir, vermuthlich, oft betrachtet.

Waͤr das Geſchenk von einem Fuͤrſten, geſchaͤhe ſolches
noch wohl mehr.

Von einem Kayſer wuͤrd’ es ja von dir weit mehr annoch
geachtet.

Wenn aber aller Kayſer Kayſer euch wunderſchoͤne Bluh-
men ſchenket;

So wuͤrdigt ihr ſie kaum ſo viel, daß ihr ſo ſchoͤner Ga-
ben Pracht,

Noch in denſelben Seiner Weisheit, und Seiner Lieb’
und Wunder-Macht,

Wodurch Er ſie fuͤr euch erſchuff, und ſie euch ſchenkete,
gedenket.

Sonſt ſchaͤtzt ihr, wenn wir ſuͤndigen, die Suͤnden
darum bloß allein,

Weil gegen ein unendlichs Weſen ſie freventlich began-
gen ſeyn,

Auch einer ewgen Strafe wehrt. Sollt’ eine ſtraͤfliche
Verachtung

Der Gaben dieſes ewgen Weſens, in einer rohen Nicht-
Betrachtung,

Nicht
[606]Strafe der Unachtſamkeit auf Gottes Werke.
Nicht gleiche Strafe wirken muͤſſen, aufs wenigſte ver-
dienen koͤnnen?

Und zwar um ſo viel mehr annoch, als Gott in Seiner
Creatur,

Als Schoͤpfer, ſich zu offenbahren, und nur in ihnen uns
die Spur

Von Seines Weſens Wirklichkeit, zu Seiner Ehre, wol-
len goͤnnen?


Die
[607]

Die unerlaubte Gruͤbeley.


Aus allen Dingen, die wir ſehen,

Bey uns, auch in des Himmels Hoͤhen,

Faßt dieß der menſchliche Verſtand:

Gott iſt bekannt und unbekannt.

Es laͤßt uns die Erfahrung lernen,

Daß, wenn wir Jhn begreifen wollen,

Jndem wir nicht thun, was wir ſollen;

Wir uns nur mehr von Jhm entfernen.

Jn Werken wollt’ Er uns Sich zeigen;

Wir wollen Jhn darinn nicht ſehn,

Wir wollen, durch uns, zu Jhm ſteigen,

Durch unſer Wiſſen, das uns eigen,

Uns ſelbſt zu Seinem Thron erhoͤhn;

Wir wollen nicht, wie Gott gewollt,

Daß Jhn die Menſchheit finden ſollt;

Nein, unſer Geiſt ſoll Jhn verſtehn.

Wie aber kann dieß moͤglich ſeyn,

Da Gott ſo groß, und wir ſo klein?

Es ſcheint, wir koͤnnen ſelbſt verſpuͤhren,

Wenn Seine Wunder uns nicht ruͤhren,

Wir, da man auf der andern Bahn

Unmoͤglich Jhn erreichen kann,

Nebſt unſrer Luſt, ſelbſt Gott verlieren.

Er hat, ſo viel wir koͤnnen faſſen,

Sich Selbſt nicht unbezeugt gelaſſen.

Dieß iſt in Seinem Werk geſchehn,

Aus dieſem koͤnnen wir Sein Weſen,

Daß Er wahrhaftig ſey, nun leſen,

Zugleich auch Seine Weisheit ſehn.

Wir koͤnnen, daß Er liebreich, maͤchtig,

Unendlich heilig, herrlich praͤchtig,

Aus
[608]Die unerlaubte Gruͤbeley.
Aus dem, was Er gewirkt, verſtehn.

Ein mehrers von Jhm zu ergruͤbeln,

Als wie Er Selbſt erkannt will ſeyn,

Geſchicht aus Hochmuth bloß allein,

Und iſt daher uns zu veruͤbeln.

Koͤnnt’ auch ſogar bey uns auf Erden

Ein Fuͤrſt dadurch geehret werden,

Wenn ſeine Unterthanen deſſen,

Womit Er ſie beſchenkt, vergeſſen,

Und all ihr aͤmſiges Bemuͤhn

Auf nichts beſtrebeten zu ziehn,

Als wie ſie ſeinen Geiſt und ihn,

Auf welche Weiſe er regierte,

Was er fuͤr eine Abſicht fuͤhrte,

Vermoͤgten aus- und abzumeſſen?

Wie viel unmoͤglicher iſt nun,

Was wir in Anſehn Gottes thun?

Wie viel unbilliger daneben,

Daß, ſtatt Jhm Ehrfurcht, Lob und Preis,

Bewunderung und Dank zu geben,

Wir denken, zanken, gruͤbeln, haͤuffen,

Sein wahres Weſen zu begreiffen.


Aus des vortrefflichen Tit. Herrn Ribow habe ich
die hieher gehoͤrige ſchoͤne Stelle herzuſetzen nicht
unterlaſſen koͤnnen:


Die heilige Schrift berichtet uns an einem Orte Eſ. 45,
15. Daß Gott ein Gott ſey, der ſich verbuͤrge,
oder ein verborgener Gott. Und in einer andern Stelle
ſaget ſie uns: Gott offenbahre ſich, und laſſe ſich gleich-
ſam vor Augen ſehen. Roͤm. 1, 19. 20. Dieſe zwo Arten,
uns
[609]Die unerlaubte Gruͤbeley.
uns Gott vorzuſtellen, ſcheinen einander entgegen geſetzt zu
ſeyn; allein ſie ſind es deswegen in der That nicht. Gott
iſt vor unſern Sinnen verborgen; Er offenbahret ſich aber
in unſerer Vernunft. Gott iſt auch ſelbſt unſrer Vernunft
verborgen, wenn ſie Jhn in den ordentlichen und gemeinen
Begriffen, welche ſie von Dingen hat, ſuchen will; doch of-
fenbahret Er ſich auch eben dieſer Vernunft, wenn ſie ihre
Begriffe von alle dem, was ſie vom Coͤrperlichen bey ſich
haben, reiniget, und wenn ſie ihnen alle die Geiſtigkeiten
giebt, die ſie zu haben faͤhig iſt. Gott iſt ein Gott, der ſich
der verwegenen Vermeſſenheit einer hochmuͤthigen Seele
verbirgt, die ſich unterſtehet, die goͤttlichen Tiefen zu er-
gruͤnden, und das Unendliche, ſo zu ſagen, zu meſſen, indem
ſie alles, was Gott iſt, begreifen will; die aber doch, wenn ſie
Jhn nicht begreifen, u. ganz u. gar in ihren Begriff einſchlieſ-
ſen kann, denſelben nicht erkennet, und nichts von Jhm weiß.


Faſt eben ſo, als wie ſich ein Menſch unvermoͤgend
machen wuͤrde, die Sonne anzuſehen, wenn er ſie gar zu
ſcharf anſehen wollte. Hingegen iſt Gott ein Gott, der
ſich einer weiſen und demuͤthigen Vernunft offenbahret, die
ſich unfaͤhig achtet, alles das, was Gott iſt, zu erkennen,
und die ſich begnuͤget, zu erkennen, daß er ſey, Jhn in Sei-
nen Werken zu finden, den Schoͤpfer in den Geſchoͤpfen zu
ſehen, und Jhn unter der Decke gewahr zu werden, worun-
ter Er Seine Hoheit vor uns verſtecket.


Darum kann man eben das von Gott ſagen, was man
von dem Lichte geſaget hat, das nichts ſey, welches mehr
bekannt, und auch zugleich mehr unbekannt ſey. Es iſt kein
Kuͤnſtler, kein Schiffmann, kein Soldat, der nicht das Licht
kennete; gleichwol aber giebt es keine Philoſophen u. keinen
ſo tiefſinnigen Verſtand, der erklaͤren koͤnnte, was es ſey.



8 Theil. Q qAnleitung
[610]

Anleitung zur Demuth.


Jch weiß, ich bin. Woher? Jch denke.

Jch weiß, daß ich mich nicht gemacht;

Auch, daß, der mich hervorgebracht,

Mir alles, was ich habe, ſchenke.

Was iſt dafuͤr denn meine Pflicht?

“Daß ich auf mein Verdienſt mich nicht;

“Auf Seine Lieb’ allein, verlaſſe:

“Daß ich von allem, was geſchicht,

“Dieß, daß nur Er vollkommen, faſſe;

“Und daß, bey dieſem Unterricht,

“Jch nichts ſo ſehr, als Hochmuth, haſſe.


Die
[611]

Die beſtrafte
Achtlosheit auf das Gute.


Es ſcheint mit uns, in dieſer Welt,

Wenn wir drauf achten, ſo beſtellt,

Daß in der Hoffnung bloß allein

Wir nur vergnuͤgt und gluͤcklich ſeyn.

So bald die Hoffnung nicht mehr da,

Jſt unſer Unvergnuͤgen nah:

Es ſey, daß das, ſo wir gehofft, von uns unmoͤglich
zu erlangen;

Es ſey, daß wir, was wir gehofft, erhalten haben und
empfangen:

Jndem, ſo bald wir es beſitzen, da wir das Gute nicht
betrachten,

Wir es, faſt im Beſitz, verlieren, dadurch, daß wir
darauf nicht achten.

Nun iſt es wahr, wir haben oft die Dinge koͤſtlicher
geſchaͤtzt,

Als wie ſie wirklich wehrt geweſen: und folglich wird
man, im Genuß

Derſelben, weniger ergetzt;

Und macht ſodann, ſelbſt der Beſitz, uns einen billigen
Verdruß.

Allein, wenn das, was wir erhalten, auch noch ſo gut,
auch noch ſo ſchoͤn;

Verſchwindet doch, ſo bald es unſer, da wir nicht auf
das Gute ſehn,

Q q 2Auch
[612]Die beſtrafte Achtlosheit auf das Gute.
Auch die vorher gehoffte Freude. Dieß iſt nun unſre
Schuld allein:

Und koͤnnen wir, bey dem Betragen, auf Erden nimmer
gluͤcklich ſeyn;

Weil, wenn wir auch die ganze Welt, auf dieſe Weiſ’
und Art, erhielten,

Durch Unterlaſſung des Erwegens, wir dennoch kein
Vergnuͤgen fuͤhlten.


Gott
[613]

Gott zu lieben,
eine noch groͤßere Pflicht, als
Jhn zu ehren.


Giebt nicht die ungezaͤhlte Menge der uns von Gott
geſchenkten Gaben,

Die unſre Seele, durch die Sinnen, auf nicht zu zaͤhlnde
Weiſe, laben,

Uns uͤberzeuglich zu verſtehn:

“Daß, bey Formierung unſers Weſens, die Gottheit
mehr darauf geſehn,

“Durch unſer hieſiges Vergnuͤgen auf der von Jhm
geſchmuͤckten Erden,

“Von uns geliebt; als, durch des Witzes Begriff,
von uns geehrt zu werden?


Q q 3Der
[614]

Der vernuͤnftige Gottes-Dienſt.


Was waͤr die Erde, ſonder Licht? Was waͤren
Erd’ und Licht, ohn’ Augen?

Was waͤren Erd’ und Licht und Augen, ohn einen ſie
verſtehnden Geiſt,

Der faͤhig, im Geſchoͤpf zu finden, daß alles einen
Schoͤpfer weiſt,

Durch uͤberlegen und vergleichen? Koͤnnt wohl, von
allen, etwas taugen,

Der Weſen Ordnung zu verbinden,

Und, in derſelbigen Vergleichung, derſelben Quelle, Gott,
zu finden,

Durch Schluͤſſe, die unwiderſprechlich; als dieſe Kraft,
die in uns lebt,

Und die uns uͤber alle Dinge, die um und bey uns ſind,
erhebt?

Hierinn beſtehet unſer Adel und Vorzugs-Recht vor
allen Thieren:

“Daß, in Betrachtung Seiner Werke, wir Liebe, Macht
und Weisheit ſpuͤhren,

“Und Gott, den wahren Gott, erkennen; wovon ſonſt
keine Creatur

Von allen, die auf dieſer Welt, da ſie nicht ſchlieſſen,
eine Spuhr

Zu finden und zu ſehn, vermoͤgend. Nun zeiget uns
dieſelbe Kraft

Der uͤberlegenden Vernunft, zugleich: daß uns die Ei-
genſchaft,

Von
[615]Der vernuͤnftige Gottes-Dienſt.
Von Gott was mehrers zu begreifen, als, daß Er ſey,

daß Er das Beſte;
Daß Er ganz anders, als Geſchoͤpfe Jhn halten koͤn-
nen, und der Groͤßte;

Jn dieſem Leben, nicht gegeben. Ein mehrers von Jhm
wiſſen wollen,

Da wir aus der Erfahrung ſehn, daß wir hier mehr
nicht wiſſen ſollen,

(Wie es uns ja der Widerſpruch von allen, gegen alle,
zeigt)

Scheint ein verwegner Stolz zu ſeyn, der alle Schran-
ken uͤberſteigt,

So einer Creatur geſetzt. Ein Weſen, welches in die
Welt,

Die ſo viel Wunder in ſich haͤlt,

Nebſt ungezaͤhlten Creaturen, auch Creaturen ſetzen koͤnnen,

Den Es, vor anderen Geſchoͤpfen, beſondern Vorzug
wollen goͤnnen;

Die Es, mit einer Faͤhigkeit zu uͤberlegen und zu denken,

Als die ſie ſich nicht ſelbſt gegeben, allhier gewuͤrdigt,
zu beſchenken:

Muß nicht allein,

Wahrhaftig und unwiderſprechlich, vernuͤnftiger und
weiſer ſeyn,

Als alle Seine Creaturen; Es folgt, zu Seinem groͤßern
Preiſe:

Er denke, von den kluͤgſten Geiſtern, auf eine ganz ver-
ſchiedne Weiſe.

Das uns von Jhm geſchenkte Licht der Weisheit zeigt
uns ſelber an,

Daß man, aus Ehrfurcht gegen Jhn, von Jhm nicht
anders ſchlieſſen kann,

Q q 4Als,
[616]Der vernuͤnftige Gottes-Dienſt.
Als, daß Er anders, als wie wir, gedenken koͤnnen,
denken muͤſſe:

Sonſt waͤr’ Er bloß der kluͤgſte Menſch. Dieß ſcheinen
ungereimte Schluͤſſe.

Das Denken oder der Jnſtinct der Thier’ iſt ja nicht
einerley:

Wir ſehen, daß ein jedes Thier, auf andre Weiſe, witzig
ſey.

Wie koͤnnen wir, die auch Geſchoͤpfe, dann wohl, mit
Billigkeit, verlangen,

Daß wir dieſelbe Art zu denken, wie eine Gottheit denkt,
empfangen,

Ohn’ einen unvernuͤnftgen Stolz? Wir denken beſſer,
als das Vieh;

Wir uͤberlegen, wir verbinden, und ſchlieſſen beſſer, als
wie ſie.

Doch folgt aus dieſem unſern Vorzug, da wir oft
irren, nicht der Schluß,

Daß unſer eingeſchraͤnkte Geiſt, ſo wie die Gottheit,
denken muß;

O nein! die Billigkeit, die Demuth, die Anerkenntniß
unſrer Schwaͤche,

Die Ehrfurcht gegen unſern Schoͤpfer, vertragen ſolche
Thorheit nicht.

So wenig eine kleine Grube des großen Welt-Meers
Tief’ und Flaͤche

Jn ſeinen engen Schranken faßt; ſo wenig leidet unſre
Pflicht,

Daß wir, was Gott, begreifen wollen. Erwege ſelber,
wenn ein Thier,

Das ein Geſchoͤpf ſowohl, als du, von deinem Weſen
und von dir,

Was
[617]Der vernuͤnftige Gottes-Dienſt.
Was weſentliches unterſuchen, und deine Schluͤſſ’ er-
gruͤbeln wollte;

Wuͤrd’ es nicht unvermeidlich irren? wuͤrd’ es gedenken,
wie es ſollte?

Sprich nicht: Ein Thier iſt unvernuͤnftig; wir ha-
ben die Vernunft empfangen.

Denn hoͤr! iſt dieſes recht geſchloſſen: Wir denken beſ-
ſer; darum kann

Dein Geiſt, der, ſonder Zweifel, endlich, zu dem Unend-
lichen gelangen,

Der Gottheit wahres Weſen kennen? Fuͤrwahr! es geht
der Schluß nicht an:

Dieß iſt ein Sprung, der unerlaubt. Ja, ſprichſt du:
Dennoch wird man muͤſſen

Der Seelen Kraͤfte dazu brauchen, von Gott, ſo viel
man kann, zu wiſſen.

O nein, mein Freund! dieß folget nicht. Die Graͤnzen
unſers Geiſtes zeigen,

Jn Dingen, die nicht ſinnlich ſind, wenn er vom Leib-
lichen ſich zieht,

Und abgezogne Schluͤſſe zeugt, wie ernſtlich er ſich auch
bemuͤht,

Daß wiſſen nicht fuͤr uns gehoͤrt: Dieß hieß die Schran-
ken uͤberſteigen,

Die hier dem Geiſt von Gott geſetzt. Ein gruͤndlichs
Wiſſen iſt vielleicht

Den Engeln kaum noch zuzuſtehn; viel minder uns, in
dieſem Leben.

Wird denn, was Engel nicht vermoͤgen, von eines Men-
ſchen Geiſt erreicht?

Q q 5“Ge-
[618]Der vernuͤnftige Gottes-Dienſt.
“Gebrauche deiner Seelen Kraͤfte, zum Zweck, wozu
ſie dir gegeben.

“Such’, in Bewundrung Seiner Werke, den großen
Schoͤpfer zu erheben.

Hiebey wird aller Zank vermieden, den die bisherge
Wiſſens-Sucht,

Das Kind des Hochmuths, angerichtet: da jeder Gott
allein zu kennen,

Mit Ausſchluß anderer, verlangt; woraus die ungluͤck-
ſelge Frucht

Von Zank und Ketzereyen ſtammt. Die Weſen, die ſich
Menſchen nennen,

Und die von unſerm Erd-Planeten den aͤuſſern runden
Kreis bewohnen,

Sind unter ſich getheilt, und Feinde, durch mancherley
Religionen.

Von denen iſt nun eine, keine; wie, oder ſie ſind alle,
gut.

Das letzte wuͤrd’ ich etwa glauben, wenn ſie ſich nicht
mit Schwerdt und Gluht

Einander ſuchten aufzureiben. Dieß ſtimmet mit der
Wahrheit Schein,

Mit einer ewgen Liebe Willen, die unſer Gott, nicht
uͤberein.

Wie kann man, ſonder Raſerey, in Glaubens-Sachen,
ſich erkuͤhnen,

Der ewgen Liebe, durch Verfolgung, durch Zank, durch
Haß und Mord, zu dienen?

Daß keine gut ſey; dieſe Meynung kommt, ich geſteh’
es gerne, mir,

Wenn ich es recht erwege, Gott und Menſchen unan-
ſtaͤndig fuͤr.

Jſt
[619]Der vernuͤnftige Gottes-Dienſt.
Jſt es nur eine; muß dieſelbe, da ſie von Gott ſtammt,
deutlich, klar,

So unveraͤnderlich, ſo rein, ſo uͤberzeuglich, offenbar,

Ohn’ alle Fehler, Zweifel, Zwiſt, unwiderſprechlich, all-
gemein,

Und auf Vertraͤglichkeit und Liebe, zu Deſſen Ruhm,
gegruͤndet ſeyn,

Aus welchem ſie, und alles, ſtammt. Dieß ſcheint nun
die: Jn Gottes Werken,

Voll ſtets bewundernden Vergnuͤgens, Sein’ All-

macht, Lieb’ und Weisheit merken;
Nach den Geſetzen der Natur vergoͤnnte Freud’,
erlaubte Luſt,
Zum Ruhm Des, Der ſie ſchenkt, genieſſen, be-
freyt von aller Laſter Wuſt;
Den Naͤchſten, unſer Mitgeſchoͤpf, wie uns, zu lie-
ben, uns beſtreben,
Und, in gelaßner Zuverſicht auf Seine Liebe, Gott
erheben:
Dieß ſcheint ein wahrer Gottes-Dienſt, und Gott,
was Gottes iſt, gegeben.

Das Chriſtenthum hat ſelber nicht,

Was dieſer Wahrheit widerſpricht:

Es iſt auf dieſen Grund gegruͤndet.

Je mehr man, ihren wahren Saͤtzen recht nachzuſinnen,
ſich beſtrebt;

Je mehr es ihren großen Urſprung, im Beyfall, und
ſich ſelbſt, erhebt;

Je mehr man Seine Groͤße findet.

Worinn
[620]Der vernuͤnftige Gottes-Dienſt.
Worinn es aber weiter geht, den Glauben; davon laß
ich lieber

Den uͤberzeuglichen Beweis, voll Glaub’ und Hoffnung,
denen uͤber,

Die ſonderlich dazu beſtellt, und die, mit mehr geuͤbten
Haͤnden,

Die Schaͤtze der Geheimniſſe, als ich, vermoͤgend, aus-
zuſpenden.


Das
[621]

Das Grab der Beliſe.


So oft ich in der Kirche bin,

Wo mein verlohrner Schatz begraben,

Erweget mein gebeugter Sinn

Die Menge der verlohrnen Gaben.

Da denn mein Blick ſo gleich ſich lenkt

Zur Stelle, wo man ſie verſenkt:

Worauf mein Geiſt dann uͤberdenkt,

Wie ſchoͤn, wie fromm, wie auserleſen,

Jm Leben mein Gemahl geweſen.

Geweſen! ach betruͤbtes Wort!

Wobey ich dieſe Wuͤnſche zolle:

Daß Gott, die ewge Liebe, dort

Sie ewiglich erfreuen wolle!


Eine
[622]

Eine Lehr-reiche Geſchichte.


Nach einem entſetzlichen Sturm, und gaͤnzlicher
Zertruͤmmerung ſeines Schiffs, wird Miran-
der, ein deutſcher Edelmann, halb todt durch die
Brandung an ein ſonſt uͤberall mit ſteilen Felſen be-
ſetztes Ufer, jedoch, zu ſeinem Gluͤck, an eine etwas fla-
che Stelle geworfen. Hieſelbſt, nachdem er ſeine noch
uͤbrigen wenigen Kraͤfte angewendet, in moͤglicher Eile
weiter aufs Land zu gelangen, und denen ihn wieder zu-
ruͤckrollenden Wellen zu entkriechen, trifft er eine kleine
Hoͤhle an, worinn er ſich begiebt. Er danket dem Him-
mel inbruͤnſtig fuͤr ſeine ſonderbare Errettung, und ſank
fuͤr großer Muͤdigkeit in einen tiefen Schlaf.


Nachdem er nun des Morgens, um die Lage des Lan-
des zu uͤberſehen, auf die faſt unerſteiglichen Felſen ge-
klettert, wird er gegen Oſten, zwiſchen zween Himmel-
hohen, ſich unten aber allgemach verbreitenden Bergen,
in einem dadurch formirten Thal, einer ſehr anmuthigen
Gegend gewahr.


Ein uͤberaus klarer Fluß ſchlaͤngelte wie ein flieſſend
Silber ſich durch die Ufer, welche auf beyden Seiten mit
vielen geraden Palmen-Orangen-Oliven- und andern
Frucht-Baͤumen bepflanzet waren, wovon das ſchoͤne
Gruͤn ihrer Wipfel beyde Seiten des Waſſers mit einem
kraͤftigen Wiederſchein ſehr anmuthig faͤrbte, derſelben
Schoͤnheit verdoppelte, und dadurch den Augen den lieb-
lichſten Vorwurf von der Welt darſtellte. Die Anhoͤ-
he zur Rechten war von Weinreben, die Linke mit ver-
ſchiedenen ordentlich eingetheilten kleinen Kornfeldern
bedecket. Das Gras war kurz und gruͤn, worauf man-
cherley fremde Thiere ruhig weideten; wie er denn auch
den
[623]Eine Lehr-reiche Geſchichte.
den Fluß mit vielen Waſſer-Voͤgeln, deren einige die
ſchoͤnſten Federn hatten, an vielen Orten faſt bedecket,
und in dem Waſſer ganze Heere beſchuppter Fiſche wim-
meln ſahe. Die Luft ſchien nicht nur von gebieſamten
Duͤnſten aus unzaͤhligen Bluhmen, ſondern zugleich
von ſuͤßen Toͤnen lieblich ſingender Voͤgel ganz ange-
fuͤllet. Kurz! die ganze Landſchaft war ein Jnbegriff
anmuthiger Vorwuͤrfe, und ſchien faſt ein irdiſches Pa-
radies vorzuſtellen.


Nachdem Mirander nun durch einen etwas weniger
gefaͤhrlichen Weg von dem Gebuͤrge herabgeſtiegen,
und in einem kleinen luſtigen Waͤldgen angelanget war,
ward er unvermuthet einen Mann anſichtig, dem ſeine
majeſtaͤtiſche Mine ein ehrwuͤrdiges Anſehn gab. Es
hatte derſelbe einen weiſſen Bart, der uͤber ſeine Bruſt
herab hieng, ſeine Augen waren ſehr lebhaft, durchdrin-
gend, und zugleich voller einnehmender Sanftmuth.
Er war zwar in Ziegenfelle gekleidet, die aber, weil ſie auf
eine zierliche Art zugeſchnitten waren, ihm nicht uͤbel
anſtunden. Jhn begleitete eine faſt auf dieſelbe Art
bedeckte lange und ſehr anſehnliche Frau, deren Geſichts-
zuͤge noch den Reſt von einer ausnehmenden Schoͤnheit
zeigten. Dieſe hatte einen Knaben von ungefehr acht
Jahren bey der Hand. Nachdem ſie alle bey dem er-
ſten Anblicke etwas ſtutzig ſich eine Zeitlang von ferne an-
geſehen hatten, nahete Mirander ſich ihnen voller Freu-
de, an einem ſo entlegnen Orte Menſchen ſo unvermu-
thet angetroffen zu haben, zumal ihr ſittſamer Anſtand
ihn etwas dreiſte gemacht hatte. Er redete ſie in Fran-
zoͤſiſcher Sprache an. Der ehrwuͤrdige Greis antwor-
tete ihm zu ſeiner groͤßten Verwunderung Teutſch.
Nachdem ſie ihn nun beyde mit vieler Hoͤflichkeit in ihre
nicht
[624]Eine Lehr-reiche Geſchichte.
nicht fern gelegene Wohnung einzutreten genoͤthiget,
und mit auserleſenen Fruͤchten erquicket hatten, erkun-
digte Mirander ſich nach ihren Umſtaͤnden, und bat aufs
inſtaͤndigſte, ſeine Neubegier zu vergnuͤgen, und ihm
einige Nachricht davon zu ertheilen.


Der anſehnliche Alte gab ihm, nachdem er von ſeiner
Abkunft und ganzem Lebenslauf ihn kuͤnftig weitlaͤuftig
zu benachrichtigen verſprochen, einen kurzen Begriff
von ihrer nunmehr in die ſechs Jahr gefuͤhrten Lebensart.


Jch habe, fieng er an, nachdem ich faſt die halbe
Welt mit abwechſelnden Gluͤcks- und Ungluͤcksfaͤllen
durchgewandert bin, bey den meiſten Voͤlkern eine be-
daurenswuͤrdige Abweichung von den Wegen der Na-
tur, und von derjenigen Abſicht, wozu die Menſchen,
nach ihrer allerſeitigen Geſtaͤndniß, hervor gebracht ſind,
angetroffen. Jch habe zwar, fuhr er ſort, faſt
uͤberall Religionen gefunden, welche zu dieſer Abſicht
leiten ſollten: wie denn auch in einigen theils mehr,
theils minder darauf gezielet wird, und hin und
wieder ein Strahl von dem Lichte der Wahrheit darinn
zu erblicken iſt. Jedoch iſt es, durch unzaͤhlige
Kuͤnſteleyen, auch ſogar im Chriſtenthume, wieder
verdunkelt und oft unſichtbar worden. Ja ich habe
gefunden, daß die Menſchen, wie in den meiſten
Religionen, durch Betrug und Aberglauben, ſo in der
Philoſophie durch Hochmuth und Eigenſinn bis auf un-
ſere Zeiten verfuͤhret werden, da naͤmlich ein jeder Philo-
ſoph ein Welt-Syſtema nach einem von ihm erdachten
Leiſten gleichſam zugeſchnitten, und ſich faſt unterſtan-
den, wenn ich ſo reden darf, einen Schoͤpfer des Schoͤp-
fers abzugeben; wenigſtens alle Jdeen des Schoͤpfers
in ſeiner Jdee zu vereinen. Wodurch denn ſowohl,
als
[625]Eine Lehr-reiche Geſchichte.
als durch die Religions-Jrrthuͤmer, die Wahrheit im-
mer mehr und mehr verdunkelt, und der Menſch von
der Einfachheit ſeiner wahren Pflichten iſt abgefuͤhret
worden.


Seiner Meynung nach, koͤnnte die Haupt-Abſicht
desjenigen allmaͤchtigen, weiſen und liebreichen We-
ſens, welches ſinnliche und zugleich denkende Creaturen
hervorgebracht hat, wohl keine andere, als dieſe, geweſen
ſeyn, den Menſchen naͤmlich durch die ſeinem Koͤrper
anerſchaffenen Sinnen faͤhig zu machen, die Gegenwart
unzaͤhliger von ihm formirter koͤrperlichen Geſchoͤpfe zu
bemerken, ihrer mit Vergnuͤgen zu genieſſen, durch die
Anwendung ſeines Geiſtes derſelben Urſprung und
Schoͤpfer zu erkennen, in der Creaturen Mannigfaltig-
keit und Schoͤnheit die weit herrlichere Eigenſchaften
ihres Urſprungs, insbeſondere ſeine Allmacht und Weis-
heit, zu bewundern, auch in dem aus den Geſchoͤpfen
ihm zuflieſſenden tauſendfachen Nutzen, und einem da-
mit beſtaͤndig verbundenen Vergnuͤgen, in kindlicher
Gegenliebe denſelben zu verehren. Dieſes, ſprach er,
zeige uns die Natur. Die geſunde und reine Vernunft
fuͤhre uns weiter, und bedeute uns, daß, da wir Gott
ſelbſt zu dienen uns zu ſchwach befinden; wir in unſern
Naͤchſten ſein Bild zu verehren, und, ſo viel an uns, den-
ſelben das Leben angenehm und ertraͤglich zu machen,
nach Moͤglichkeit uns zu bemuͤhen ſchuldig waͤren. Aus
welchem Dienſt, durch eine verwunderlich eingerichtete
Wechſel-Ordnung, denn zugleich unſer eigen Beſtes,
Heil und Erhaltung flieſſet. Ferner bringe dieſelbige
Vernunft, zum Glauben und zu einer veſten Zuverſicht,
daß, da Gottes Liebe eine von ſeinen vollkommenſten
Eigenſchaften, und ſelbige, wie alles an Jhm, ewig, er
8 Theil. R rauch,
[626]Eine Lehr-reiche Geſchichte.
auch, aus ewiger Liebe, es denen von Jhm mit den groͤß-
ten Vorzuͤgen, und zumal mit einem Begriff von Jhm
ſelbſt begabten Geſchoͤpfen mit dieſer kurzen Lebenszeit
es nicht wird bewenden laſſen, ihnen nur Gutes zu thun,
ſondern uns zu einem ſtets ſich verbeſſernden Stande
koͤnne, wolle, und werde verhelfen.


Hier nun finge ſich, redete er weiter, allererſt die Of-
fenbahrung an, und haͤtten wir ſolche als ein Mittel an-
zuſehen, uns dazu zu verhelfen; durch dieſelbe wuͤrden
wir auf die chriſtliche Religion, als die beſte von allen,
gefuͤhret; jedoch ſo, daß wir daruͤber den Grund nicht
vergeſſen, oder uns von dem Dienſte des Schoͤpfers ab-
geben, am wenigſten, daß wir uͤber einem Dienſt, der
eigentlich faſt ganz allein auf unſer Beſtes abzuzielen
ſcheinet, die in unſerer Natur gegruͤndeten Haupt-
Pflichten ganz vergeſſen und aus den Augen ſetzen muͤß-
ten. Zu welchem meinen Glauben, fuhr er fort, der
Zuſtand in dieſer Welt noch ein großes beytraͤgt, da
naͤmlich nur ſehr ſelten die Tugend belohnet und das La-
ſter beſtrafet wird, welches alles, auf ein anderes Leben,
recht mit Fingern zeiget.


Dieſes iſt, nach vieljaͤhrigem Nachſinnen und Unter-
ſuchung vielerley Religionen, mir, als ein mit unſrer
und der ganzen Natur uͤbereinſtimmender Grund eines
Gottes-Dienſtes vorgekommen, welcher zugleich unſere
Pflichten mit in ſich ſchlieſſet. Es dienet nicht allein die
Einfachheit dieſes Grund-Satzes, ſondern die Ueber-
einſtimmung deſſelben mit dem Zuſtande unſerer erſten
Eltern im Paradieſe, mit dazu, ſeine unumſtoͤßliche
Wahrheit zu bewaͤhren.


Nach
[627]Eine Lehr-reiche Geſchichte.

Nach dieſer Grund-Regel habe ich, bereits vor vielen
Jahren, gewuͤnſchet, im Stande zu ſeyn, mein Leben ein-
zurichten, auch bereits einen Anfang dazu gemacht, wie
ich noch in der Welt war; woſelbſt ich es denn, ohne
Ruhm, weiter als viele andere gebracht, ob ich gleich, wie
leicht zu glauben, daſelbſt noch viele Verhinderungen
angetroffen habe. Da ich nun, durch unzaͤhlbare Zu-
faͤlle, an dieſem Orte, von allen Menſchen abgeſondert,
mich befinde: ſo habe ich deſtoweniger Hinderniß gehabt,
mich mit mehrer Muͤhe darauf zu befleißigen. Wozu
denn meine geliebte Gemahlinn, durch ihren erhabenen
Geiſt, ein großes beygetragen hat, dergeſtalt, daß wir
nunmehr ſechs Jahre uns taͤglich damit beſchaͤfftigen,
uns zu vergnuͤgen; in allen Vorwuͤrfen die darinn
durch Gottes Finger gepraͤgte Weisheit zu bemerken,
und zu bewundern. Jch kann euch, mein lieber Freund,
nicht beſchreiben, wie weit wir durch die taͤgliche Ge-
wohnheit unſre ſonſt zerſtreuten Gemuͤths-Kraͤfte ge-
bracht haben; ſo daß wir nunmehr ohne Muͤhe un-
ſere Sinnen vernuͤnftig gebrauchen koͤnnen. Wir ſe-
hen, was wir ſehen, und hoͤren, was wir hoͤren. Wir
riechen, fuͤhlen und ſchmecken, was wir wirklich rie-
chen, fuͤhlen und ſchmecken.


Das zarte Gemuͤth unſers lieben Sohnes haben wir
bey Zeiten dazu angefuͤhret, welcher denn dadurch, daß
er weniger Vorurtheile abzulegen und weniger Ge-
wohnheits-Schwierigkeiten zu uͤberſteigen gehabt, zu
unſer beyderſeits nicht auszuſprechendem Vergnuͤgen,
alles auf dieſem Wege ſo leicht gefunden; daß wir uns
gar oft, mit Luſt, von ihm uͤbertroffen ſehen.


R r 2Was
[628]Eine Lehr-reiche Geſchichte.

Was nun die Einrichtung und Ordnung unſerer taͤg-
lichen Beſchaͤfftigung betrifft; ſo beſtehet ſelbige in
ſolgenden:


Nachdem wir den Sonntag, zu Ausuͤbung unſerer
Chriſten-Pflichten, wobey wir jedoch des Schoͤpfers
nicht vergeſſen, insbeſondere ausgeſetzet; fangen wir
alle Morgen, wenn wir erwachen, welches kurz vor dem
Aufgange der Sonne bey uns zu geſchehen pfleget, ehe
wir aufſtehen, an, unſere Gedanken auf den Schlaf, als
ein Wunder der Natur und eine Gabe des uns liebenden
Schoͤpfers, mit ſtillem Nachdenken zu wenden; und
fuͤr die genoſſene Suͤßigkeit deſſelben Dem, welcher uns
hier damit begluͤckſeliget, mit wenigen, doch nicht leeren
Worten, herzlich zu danken. Sobald dieſes geſchehen,
erheben wir uns, erfriſchen und reinigen Geſicht und
Haͤnde in einer klaren Quelle, deſſen kuͤhlendes und rei-
nigendes Weſen wir nicht obenhin, ſondern als ein mit
mancherley Kraͤften begabtes Geſchenke, anſehen, wo-
durch der Menſch unzaͤhliges Gutes genieſſet.


Hierauf begeben wir uns an einen erhabenen Ort,
um uns an der Morgenroͤthe zu ergetzen, den Aufgang
der Sonne zu bewundern; der Sonne, des herrli-
chen Spiegels der Gottheit, welcher durch ſeine Gegen-
wart, die in der Dunkelheit verſunken geweſene Welt
wieder aufs neue hervorgebracht hat, und uns dadurch
gleichſam taͤglich ein Ebenbild der erſten Schoͤpfung
ſehen laͤſſet.


Haben wir beym Anblicke dieſer herrlichen Schoͤnheit
und dieſes, Himmel und Erde uͤberſtroͤmenden Lichts,
ſelbſt neue, auf Bewunderung, Ehrfurcht und Andacht
abzielende, Vorſtellung; ſo fahren wir in ſtiller Ueber-
legung darinn fort, theilen auch wohl unſere Gedanken
uns
[629]Eine Lehr-reiche Geſchichte.
uns einander mit: wo aber nicht; ermuntern wir
unſere Jdeen durch die Betrachtungen, welche ich von
einem großen Geiſte in ſpaniſcher Sprache uͤber dieſen
majeſtaͤtiſchen Vorwurf erhalten, und zu meiner Erbau-
ung, ſo gut ich gekonnt, uͤberſetzt habe. Oder wir ver-
leſen des unvergleichlichen Miltons Morgen-Gebet un-
ſerer erſten Eltern bey Erbilckung der aufgehenden
Sonne; laſſen auch ſelbiges wol zuweilen uns von un-
ſerm Kinde, welches bereits der engliſchen Sprache
maͤchtig iſt, und ſolches laͤngſt auswendig gelernet hat,
vorbeten. Wobey ihm der Knabe ſolches ſogleich her-
ſagte, und, ſeines ſchoͤnen Jnhalts halber, von Mirander
bald darauf ſelbſt auswendig gelernet wurde. Es ver-
dienet, ſeiner Schoͤnheit wegen, hier einen Platz, und
lautet alſo:


Aller dieſer Creaturen Herrlichkeit und Wunder-Pracht

Jſt, o Vater alles Guten! durch Dein’ Allmacht bloß,
gemacht!

Dieß ſo wunder- wunderſchoͤne Welt-Gebaͤud’ iſt einzig
Dein.

Welch ein Vorwurf des Erſtaunens mußt Du nun wol ſelbſt
nicht ſeyn!

O du Unausſprechlicher! Deſſen Sitz der Himmel iſt,

Ja weit uͤber alle Himmel, der Du uns unſichtbar biſt,

Oder in der Daͤmmerung Deiner allerſchlechtſten Werke,

Nur allein von uns zu ſehn! welche doch noch deutlich
zeigen,

Daß Dein unbegreiflichs Lieben, daß die Weisheit, Macht
und Staͤrke

Deiner unumſchraͤnkten Gottheit, unſern Geiſt weit uͤber-
ſteigen.

R r 3Redet
[630]Eine Lehr-reiche Geſchichte.
Redet ihr! die ihr viel beſſer, als wir koͤnnen, reden koͤnnt,

Lichtes-Kinder, heilgen Engel, weil euch, Jhn zu ſehn, ver-
goͤnnt;

Die ihr mit Geſaͤng- und Pſalmen euch, Jhn zu erhoͤhn,
beſtrebet,

Und mit ungezaͤhlten Choͤren, in ſo rein- ſo hellem Licht,

Welches keine Nacht begrenzet, noch die Klarheit unter-
bricht,

Unaufhoͤrlich jubilirend, Seinen heilgen Thron umgebet.

Jhr! durch die im Himmel droben, und nicht minder hier
auf Erden,

Aller Creaturen Schaaren zu dem Zweck vereinet werden,

Jhn zu loben, als den Erſten, als den Letzten, und zugleich

Als den Mittelſten ohn End’. Und du ſchoͤnſter Stern
der Sternen,

Den man von dem Nacht-Geſtirn ſich am ſpaͤtſten ſieht
entfernen,

Wo du nicht vielmehr gehoͤreſt zu der Morgenroͤthe Reich,

Der du als ein ſichrer Bothe eines nahen Tages glaͤnzeſt,

Und mit deinem hellen Zirkel den verjuͤngten Morgen
kraͤnzeſt,

Lobe du, in deinem Kreis, unſern Schoͤpfer in der Zeit

Dieſes neugebohrnen Tages, voller Luſt und Suͤßigkeit.

Sonne, die du Aug’ und Seele dieſer weiten Welt! erkenne

Jhn fuͤr deinen Oberherrn. Es erſchall ſein Lobgeſang

Stets in deines ew’gen Laufs nimmer ruhendem Gerenne,

Wenn du ſteigeſt, auch am Mittag, und bey deinem Un-
tergang.

Mond! der, da du jetzt der Sonne fruͤh begegneſt, dich
entzieheſt,

Und, mit denen veſten Sternen, nebſt derſelben Kreiſe,
flieheſt,

Worinn
[631]Eine Lehr-reiche Geſchichte.
Worinn ſie beſtaͤndig gehn! Und ihr andern fuͤnf, die ihr

Jm geheimen Tanz beſtaͤndig, ſonder Ruhe, fuͤr und fuͤr,

Euch nicht ſonder Klang beweget, lobet Den, durch Den
das Licht,

Aus der Finſterniß gerufen, in ſo helle Strahlen bricht!

Luft! und alle Elementen! aͤltſte Kinder der Natur,

Die ihr weiter Schooß erzeugt! die, ohn daß ihr je
verweilet,

Jns Geviert, in vielgeformten, regen Zirkeln, laufet, eilet,

Alles miſcht, und alles naͤhret! laßt, dem großen Gott
zu Ehren,

Jn beſtaͤndig neuer Aendrung, neue Lieder jauchzend
hoͤren.

Nebel! Duͤnſte! die ihr falb, grau und ſchmutzig, bis
die Strahlen

Unſrer Sonnen euch den Saum uͤberguͤlden und bemahlen,

Ob ihr in verduͤnneten, allgemach erhabnen Duͤften,

Aus den feuchten Seen ſteiget, oder aus der Berge
Gruͤften,

Dem zum Ruhm, Der alle Welt wunderbar hervor
gebracht,

Ob ihr, am gefaͤrbten Himmel, einen Schmuck in Wolken
macht,

Und, zu dieſem Endzweck ſanft, euch unſichtbar hebt und
ſteiget,

Oder wenn ihr euch, die Erd’ auch zu traͤnken, abwerts
neiget,

Auf, vermehret Seinen Ruhm! Auf, vermehrt auch ihr,
ihr Winde!

Die ihr aus vier Himmels-Theilen heftig bald, und bald
gelinde,

R r 4Weht
[632]Eine Lehr-reiche Geſchichte.
Weht und blaſet, Seinen Ruhm! Auch ihr Fichten, nebſt
dem Heer

Aller Pflanzen, die, durch ſie, eure Wipfel oft beweget,

Bieget euer Haupt, zum Zeichen eurer Demuth, Jhm zur
Ehr!

Auch ihr Brunnen, die ihr wirbelnd fließt, und ein Ge-
raͤuſch erreget,

Welches ſanft und lieblich klingt, rauſcht und wirbelt Jhm
zum Preiſe!

Alle Seelen, die ihr lebt! Voͤgel, die ihr ſteigt im
Singen,

Traget Seinen Ruhm empor, ſo im Ton, als auf den
Schwingen!

Jhr, die ihr in Waſſern glitſcht! Jhr, die auf dem Er-
den-Kreiſe

Praͤchtig tretet, oder kriechet, zeuget, ob, ſo fruͤh als ſpat,

Meine Zunge, Huͤgel, Thaͤler, Brunnen, oder friſche
Schatten,

Gott zu ruͤhmen, zu beehren, einmal wol geſchwiegen
hat,

Die mein ſtetiger Geſang, als womit ſie ſtets ſich gatten,

So zum Klang als Wiederhall Seines Ruhms geſchickt
gemacht.

Dir, allgegenwaͤrt’ger Herr! ſey mein Morgen-Gruß
gebracht!

Ach! erbarme Dich, gieb uns, ew’ge Guͤte, nichts als
Gutes.

Wo die Nacht auch etwas Boͤſes haͤtt’ erzeuget und ver-
borgen;

So vertilg es, wie die Schatten jetzt vertilgt der helle
Morgen.

Nachher,
[633]Eine Lehr-reiche Geſchichte.

Nachher, fuhr er fort, begeben wir uns zu unſerer
gewoͤhnlichen Arbeit; wobey wir uns aber gewoͤhnet,
an allen unſern Werkzeugen die Materie als eine
goͤttliche Gabe, und die Zubereitung und Zuſchickung
derſelben, ſo zum verſchiedenen Gebrauche, als eine
Probe der unſerm Geiſte von Gott zugelegten Geſchick-
lichkeit, und mannigfaltiger Faͤhigkeit, zu betrachten;
da wir denn zugleich einen unſtreitigen Vorzug vor
andern Thieren in demſelben befinden. Die bewun-
dernswuͤrdige Zubereitung unſerer Haͤnde dienen uns
beſtaͤndig, und oft bey jedweder veraͤnderlichen Be-
wegung, zu einem Vorwurfe und Beweiſe eines weiſen
Weſens, der uns ſelbige nicht allein, ſondern auch
dazu unſerm Geiſte eine ſo bewundernswuͤrdige Faͤhig-
keit, uns derſelben nuͤtzlich zu gebrauchen, gegeben hat.


Zu Anfange kamen uns dergleichen Ueberlegungen
etwas ſchwer an; aber durch oͤftere Wiederholung
derſelben, fallen ſie uns gleichſam von ſelbſt bey: und
kann ich euch nicht ſagen, was fuͤr ein inniges Ver-
gnuͤgen wir dabey empfinden, wenn wir dergleichen
Vorſtellungen als Erfuͤllungen derjenigen Pflichten,
wozu wir gemacht ſeyn, und zugleich als ein Theil
eines zwar ſchwachen, doch ſchuldigen, Gottes-Dienſtes
anſehen. Ja, indem wir unſere Arbeit mit unſerm
Vergnuͤgen, und mit letzterem zugleich eine dem Schoͤp-
fer aller Dinge zu leiſtende Pflicht verbinden; ſo iſt
es mir ſchwer, diejenigen ſuͤßen Empfindungen aus-
zudruͤcken, welche bey dergleichen Betrachtungen ſich
durch unſer ganzes Weſen ausbreiten, und was wir
fuͤr ein inniges, ſanftes und ruhiges Vergnuͤgen da-
durch empfinden.


R r 5Bey
[634]Eine Lehr-reiche Geſchichte.

Bey unſerer Mittags-Mahlzeit, auch beym Ge-
nuſſe anderer Speiſen und Fruͤchte, haben wir uns
gewoͤhnet, nicht allein mit Aufmerkſamkeit das Ver-
gnuͤgen des Geſchmacks uns zuzueignen; ſondern wir
erinnern uns zugleich der uns von Gott zu eben die-
ſem Vergnuͤgen geſchenckten Vorwuͤrfe, und der uns
dabey gegoͤnnten Geſchicklichkeit, dieſelben durch faſt
unzaͤhlbare Veraͤnderungen, in unterſchiedlicher Zube-
reitung derſelben, uns die Art von Vergnuͤgen im-
mer zu vermehren. Abſonderlich aber ermangeln wir
nicht, auf die zu ſolcher Luſt uns auf eine ſo bewun-
dernswerthe Art zugerichteten Werkzeuge der Zunge,
des Gaums ꝛc. nicht weniger der den Speiſen beyge-
legten Nahrungs-Kraft, einige Pflichtmaͤßige Gedan-
ken zu wenden. Dieſe Beſchaͤfftigung ſehen wir an
als eine Handlung, durch welche wir uns nicht allein
von den Thieren unterſcheiden, ſondern wodurch wir
in der empfundenen und durch die Betrachtung uns
zugeeigneten Luſt zu einer Dankbegier gegen denjeni-
gen, durch deſſen weiſe Macht und Guͤte wir ſo man-
nigfachen Vergnuͤgens auf eine ſo kuͤnſtliche Weiſe
theilhaftig werden, uns aufgemuntert finden; und in
einem bruͤnſtigen Verlangen, uns ſeinem Willen ge-
maͤß zu bezeigen, geſtaͤrket und beveſtiget werden.


Nach aufgehobener Tafel verfuͤgen wir uns aber-
mal zu unſerer Arbeit, und nach Endigung derſelben,
wenn der Tag kuͤhle worden, begeben wir uns entwe-
der in jenen luſtigen Wald, oder auf die am Ufer des
Fluſſes belegene Wieſe, oder in unſern angelegten
Garten; da uns denn die unzaͤhlbaren Vorwuͤrfe un-
gezaͤhltes Vergnuͤgen erregen. Wobey es uns un-
moͤglich an guten Vorſtellungen fehlen kann, da durch
der
[635]Eine Lehr-reiche Geſchichte.
der Vorwuͤrfe Mannigfaltigkeit unſere zu Betrach-
tungen gewohnten Seelen von ſtets neuen Gedanken
gleichſam uͤberquellen. Wenn wir nun darauf die
untergehende Sonne, und endlich den geſtirneten Him-
mel, mit ſo vieler Ehrfurcht als Vergnuͤgungen be-
trachtet, und ein leichtes Abend-Brodt verzehret ha-
ben; ſo legen wir uns zur Ruhe, und erwarten eines
froͤhlichen Morgens, um unſer Vergnuͤgen von neuem
wieder anzufangen.


Nachdem Mirander, durch die Buͤndigkeit dieſes
Vortrages, ganz eingenommen, denſelben bewundert,
und nebſt einer dienſtlichen Dankſagung fuͤr deſſen Mit-
theilung, ſelbige mit dieſem herzlichen Wunſche beglei-
tet: daß doch dieſe guten Lehren ſo beſchaffen ſeyn
moͤchten, daß ſie auch denen in der Welt lebenden
Menſchen koͤnnten brauchbar gemacht werden; ſo
fing die Gemahlinn mit der ihr eigenen und gewohn-
ten Leutſeligkeit an: Sie glaube nicht, daß ein ein-
ziger Punkt in ihren Lebens-Regeln vorhanden waͤre,
welcher von allen, ſo ſich in der Welt befaͤnden, nicht
ſollte koͤnnen gebrauchet werden. Jhr waͤre die Welt,
nebſt allen denjenigen Unruhen und muͤhſeligen Be-
ſchaͤfftigungen, welche einem jeden Stande gleichſam
eigen und faſt nicht davon zu trennen, noch, mehr als
zu wohl bekannt. Sie haͤtte verſchiedene Jahre bey
Hofe zugebracht; dennoch getraue ſie ſich zu erweiſen,
daß auch alle daſelbſt insgemein herrſchende Eitelkei-
ten, ihre Lehr-Saͤtze vollkommen zulaſſen koͤnnten.
Wie viel weniger werden ſie in andern Staͤnden eine
Zerruͤttung machen; indem von dem hoͤchſten bis zu
dem niedrigſten, ja ſo gar dem Bauren-Stande, es
die Menſchen nicht hindern koͤnnte, ihre Sinnen
mit
[636]Eine Lehr-reiche Geſchichte.
mit mehrer Anmuth zu gebrauchen, ſich ihr Eſſen
und Trinken beſſer ſchmecken zu laſſen, und bey ihrer
ohnedas unvermeidlichen Arbeit, dieſelbe mit ange-
nehmen Gedanken zu verſuͤßen; ja, mit einem ſol-
chen Vergnuͤgen zugleich das Haupſaͤchlichſte, naͤm-
lich einen vernuͤnftigen Gottes-Dienſt, zu verbinden:
welches, ihrer Meynung nach, einer vernuͤnftigen
Seele, zur Vermehrung ihres Gluͤcks, zur Erleichte-
rung ihrer Arbeit, und zum Troſt bey allen Unfaͤllen,
nothwendig dienen wuͤrde, ohne daß ſie deswegen von
ihren gewoͤhnlichen Handelungen etwas abbrechen
duͤrften. Kurz! das von allen Menſchen ſonſt ver-
gebens geſuchte Vergnuͤgen auf dieſer Welt, wuͤrde
auf dieſen Weg angetroffen, und das Leben der Ein-
wohner dieſes Erdbodens dadurch ertraͤglicher und
angenehmer werden.



Ver-[[637]]

Appendix A Verzeichniß
der in dieſem achten Theile befindlichen Gedichte,
nach dem Alphabet.


  • Abgoͤtterey, verſchiedener Arten, auch bey Chri-
    ſten Seite 577
  • Achtlosheit, die beſtrafte, auf das Gute 611
  • Adam, auf den werdenden 84
  • Aloë Margaritifera237
  • Andacht bey Bluhmen 171
  • Anwendung, vernuͤnftige, der Vergaͤnglichkeit 503
  • Aſter, Herbſt-Bluhme, Betrachtung derſelben 239
  • Aufmunterung, ſich an Gottes Werken zu ver-
    gnuͤgen 11
  • ——— bey hellem Wetter 27
  • Augen-Luſt an Knoſpen im Fruͤhlinge 45
  • Ausſchweifungen der Leidenſchaften 510
  • Baͤume, deren Schoͤnheit im Fruͤhlinge 44
  • Begriffes, Schwaͤche des menſchlichen 173
  • Betrachtung Goͤttlicher Gegenwart bey Bluhmen 20
  • —— uͤber den Wiederſchein 143
  • —— betruͤbte, bey ſchoͤnen Vorwuͤrfen 154
  • —— der Wunder, wodurch uns alles ſicht-
    bar wird 155
  • —— Goͤttlicher Werke 165
  • —— uͤber die Anmuth der Waͤlder 167
  • —— verabſaͤumte, Goͤttlicher Geſchoͤpfe,
    hoͤchſtſchaͤdlich 571
  • —— uͤber die beſtaͤndige Veraͤnderung un-
    ſers Koͤrpers 592
  • Betragen, hartes, der Menſchen gegen einander 528
  • —— ſeltſames, der Menſchen 534
  • Beweg-Gruͤnde, weswegen ein vernuͤnftiger Ge-
    brauch unſerer Sinnen, in Betrachtung Goͤtt-
    licher Werke, nicht zu verſaͤumen 456
  • Beweis, neuer, des Nutzens und der Wahrheit
    des copernicaniſchen Syſtematis, aus dem 1 B.
    Moſ. 1, 3-5. 521

Bieſam-
[[638]]
  • Bieſam-Bluhme S. 246
  • Bildniß des Herrn Reinbecks 581
  • Bluhmen, Lehren der 35
  • —— Betrachtung-wuͤrdige Geſchoͤpfe 55
  • —— Troſt aus 74
  • —— Andacht bey 171
  • —— Allee 179
  • —— Topf, im Winter 277
  • Buch der Natur 272
  • Cornaro515
  • Creaturen, Lehren der 35
  • Demuth, Anleitung dazu 610
  • Dienſt, Gott gefaͤlliger 582
  • La Divinité eſt incomprehenſible580
  • Dornſtrauch, der bluͤhende 51
  • Einheit des Schoͤpfers 483
  • Einleitung3
  • Neue Erd-Beſchreibung446
  • Eva, auf die von Adam zum erſtenmal erblickte 87
  • Auf Evens Schoͤpfung 86
  • Fragen, betruͤbte 506
  • Frage, verdrießliche 527
  • Froſt, der fruͤhe, 1741 284
  • Zum Fruͤhlinge40
  • Fruͤhlings-Betrachtungen 42
  • Fruͤhlings-Gedanken 56, 69
  • ——— bey einem lauen Regen 62
  • Jm Fruͤhlinge, Schoͤnheit der Baͤume 44
  • ——— — junger Linden 72
  • ——— Augen-Luſt an Knoſpen 45
  • ——— mancherley Vergnuͤgen 48
  • ——— Labſal der Sinne 61
  • Fruͤhling, vergnuͤglicher Gottes-Dienſt zum Schluſſe
    deſſelben 101

Garten,
[[639]]
  • Garten, Beſchreibung meines in voͤllig gutem
    Stande wieder vorgefundenen S. 88
  • Gebet, vernuͤnftiges 28
  • Gebuhrts-Tag des Hrn. Verfaſſers 1741. 259
  • ——— ——— 1742. 263
  • ——— ——— 1743. 265
  • ——— auf deſſen 65ſten 267
  • ——— — 66ſten 269
  • Gedanken, gute, auf dem Lande 105
  • —— uͤber Roſen 117
  • —— uͤber Bluhmen 150
  • —— uͤber die Geheimniß-volle Veraͤnde-
    rung der Raupen 174
  • —— im Herbſt, wenn es truͤbe 227
  • Gedichte, vermiſchte 431
  • Gefahr, die abgewandte 469
  • Gegenwart, Betrachtung Goͤttlicher, bey Bluh-
    men 20
  • Genuß, vernuͤnftiger, der Bluhmen 153
  • Geſchichte, eine Lehr-reiche 622
  • Geſtaͤndniß, aufrichtiges, nach ſchuldiger Bemuͤ-
    hung unſern Geiſt zu unterſuchen 550
  • Glaube und Vernunft 583
  • Gleichniß564
  • Gluͤckſeligkeit einer Seele, welche den Schoͤpfer
    in den Geſchoͤpfen betrachtet ꝛc. 151
  • Gottes-Dienſt, vergnuͤglicher, zum Schluſſe des
    Fruͤhlings 101
  • ——— der vernuͤnftige 614
  • Gottheit, die nicht ganz unſichtbare 566
  • Grab der Beliſe 621
  • Gras, die mit großem Nutzen verbundene Schoͤn-
    heit deſſelben 30
  • Groͤße unſers Geiſtes, aus der Betrachtung Goͤtt-
    licher Groͤße auch im Kleinen 486
  • — des Schoͤpfers, aus der Groͤße Seiner
    Werke 523
  • — Gottes 545
  • Das Große aus dem Kleinen 597
  • Gruͤbeley, die unerlaubte 607
  • Guͤte, Goͤttliche, mit Dank genieſſen, iſt beſſer, als
    Jhn begreifen wollen 548

Haſen-
[[640]]
  • Haſen-Pappeln S. 209
  • Der Herbſt215
  • Herbſt-Betrachtungen, froͤhliche 220
  • Jm Herbſt, Betrachtungen uͤber die Schoͤnheit der
    Welt 217. 224. 227
  • —— Gedanken bey dem Fallen der Blaͤtter 230. 234
  • Zum Herbſt232
  • Herbſt-Bluhme Aſter, Betrachtung derſelben 239
  • Herrlichkeit des Schoͤpfers in den Geſchoͤpfen 206. 482
  • Hochmuths-Bluhme 157
  • Hochmuth, die Quelle des menſchlichen Ungluͤcks 499
  • Honig-Bluhme 243
  • Jnſecten-Werk, vortreffliches, des Herrn Roͤſels,
    erbauliche Gedanken daruͤber 252
  • Kerzen-Licht, das lehrende 458
  • Kirſch-Baum, der im Winter ſchon bluͤhende 429
  • Kletten-Kraut128
  • Knoſpen, Augen-Luſt an, im Fruͤhlinge 45
  • Krankheit des Geiſtes 533
  • Labſal der Sinne im Fruͤhlinge 61
  • Leben, das wahre 473. 480
  • — das beſte 518
  • Das Leben598
  • Lehren der Creaturen, abſonderlich der Bluhmen 35
  • Linden-Zweig, der ſchon in Weihnachten gruͤnende 281
  • Lob-Gedicht7
  • Lob des Schoͤpfers in den Geſchoͤpfen 194
  • Luft-Kugel, Unterſuchung der die Erde begleitenden 285
  • Der Menſchen betruͤbtes Verfahren 29
  • Menſch, der unvernuͤnftige 479
  • — der widerſtrebende 586
  • Metall490
  • Meynungen, zu den 591
  • Mißbrauch, ungluͤcklicher, der Kraͤfte unſers Geiſtes 585
  • Mittel gegen die Unachtſamkeit 572
  • Mond, der neue 161

Nacht,
[[641]]
  • Nacht, die ſchoͤne S. 23
  • Die Nachtigall13. 16. 18
  • Der Naͤchſte472
  • Nahrung, bewundernswerthe, der Pflanzen 58
  • Neu-Jahrs-Gedicht 1739. Der Nutzen des Man-
    gels 289
  • ———— 1740. Von der eigentlichen
    Abſicht unſers Hierſeyns 314
  • ———— 1741. Das Andenken der
    grimmigen Kaͤlte des 1740-
    ſten Jahrs, nebſt derſelben
    wahrſcheinlichen Urſachen 338
  • ———— 1742. Neue Betrachtungen
    uͤber die Natur des Lichts
    und der Waͤrme 360
  • ———— 1743. Der Sonntag 392
  • ———— 1745. Eine Erzehlung 412
  • Nothwendigkeit, unſere Vorſtellungen wohl ein-
    zurichten 477
  • Offenbahrung, Goͤttliche, in den Werken 491
  • Paͤonien70
  • Der Papagey249
  • Der Pflanzen bewundernswerthe Nahrung 58
  • Pflicht, Gott zu lieben, eine noch groͤßere, als Jhn
    zu ehren 613
  • Der Punct474
  • Rath, guter 512
  • Raupen, Gedanken uͤber ihre Geheimniß-volle Ver-
    aͤnderung 174
  • Der Regenbogen146
  • Hrn. Ridingers drey vortreffliche Vorſtellungen
    des Paradieſes 84
  • Roſen107. 112. 117. 121. 123
  • Roſenſtock, der fruͤh bluͤhende 66
  • Schauſpiel, das herrliche, der Natur 196
  • Schlaf, eine Abbildung des Todes 498

S sSchluͤſſe
[[642]]
  • Schluͤſſe der Vernunft S. 541
  • Schoͤnheit des Graſes, mit großem Nutzen ver-
    bunden 30
  • —— der Baͤume im Fruͤhlinge 44
  • —— junger Linden im Fruͤhlinge 72
  • —— der Welt, zur Sommers-Zeit 132
  • Der Schoͤpfer, aus den Geſchoͤpfen erkannt 139
  • ——— durch Seine Werke geprieſen 569
  • Schwaͤche des menſchlichen Begriffes 173
  • Seele, Gluͤckſeligkeit einer, welche den Schoͤpfer
    in den Geſchoͤpfen betrachtet ꝛc. 151
  • Seelen-Betrachtung 560
  • Seelen-Kraͤfte, beſſere Anwendung unſerer 467
  • Zwo Seelen476
  • Selbſt-Liebe, unordentliche 603
  • Seneca, Lib. de Or. Sap. XXXII. uͤberſetzt 522
  • Seufzer, von der Kaͤlte ausgepreßt, den 11ten
    Jun. 1741 283
  • der Sinne, Labſal, im Fruͤhlinge 61
  • Der Sommer103
  • Sonntags-Lied 399
  • Sprache der Natur 448
  • Stolz, gedemuͤthigter, der Menſchen 497
  • Strafe, unvermeidliche, der Unaufmerkſamkeit auf
    Goͤttliche Werke 605
  • Stunden-Betrachtungen 462
  • Die Suppe454
  • Der Thau34
  • Thuͤrmchen in Ritzebuͤttel 148
  • Tirſander162
  • Troſt aus Bluhmen 74
  • — betraͤchtlicher, fuͤr Ungluͤckliche und Arme 444
  • — großer, uͤber unſere Kleinheit 530
  • Tulpen, Gedanken uͤber 64
  • Unachtſamkeit, ungluͤckſelige Folgen der 567
  • ——— Mittel gegen die 572
  • Unaufmerkſamkeit auf Goͤttliche Werke, deren
    unvermeidliche Strafe 605

Unem-
[[643]]
  • Unempfindlichkeit uͤber Goͤttliche Wohlthaten, ein
    Verbrechen S. 504
  • Unterſuchung, genaue, unſerer Seelen 494
  • ——— der Liebe 508
  • ——— eines vom Koͤrper getrenneten
    Geiſtes 556
  • ——— der die Erde begleitenden Luft-
    Kugel 285
  • Unwiſſenheit, menſchliche, im Buche der Natur
    zu leſen 460
  • Verabſaͤumung, ſchaͤdliche, der Kraͤfte unſers
    Gedaͤchtniſſes 519
  • Veraͤnderung, Betrachtung uͤber die beſtaͤndige,
    unſers Koͤrpers 592
  • Verband, nothwendiger, der Koͤrper, der Sinnen
    und der Seele 544
  • Verboth, an Goͤttlichen Geſchoͤpfen ſich zu vergnuͤ-
    gen, ſuͤndlich 574
  • Verehrung des Schoͤpfers in den Geſchoͤpfen 514
  • Verfahren, betruͤbtes, der Menſchen 29
  • Vergaͤnglichkeit, vernuͤnftige Anwendung der 503
  • Vergleichung anderer Creaturen mit dem Mond 273
  • Vergnuͤgen, mancherley, im Fruͤhlinge 48
  • Verluſt, betraͤchtlicher, in dem betruͤbten Ableben
    des S. T. Herrn Hof-Raths Drollin-
    gers 536
  • Vernunft, Schluͤſſe derſelben 541
  • Vernunft und Glaube 583
  • Verſuch einer Vorſtellung von der unbegreiflichen
    Groͤße Goͤttlicher Allwiſſenheit 441
  • Vertheidigung ſeines vielen Schreibens 433
  • Vertrauen589
  • Vorwuͤrfen, betruͤbte Betrachtung bey ſchoͤnen 154
  • Vorzuͤge der Mahlerey 447
  • Wald, der durch den Regen verſchoͤnerte 37
  • Waͤlder, Betrachtungen uͤber deren Anmuth 167
  • Waſſer-Fahrt, gefaͤhrliche, von Ritzebuͤttel nach
    Hamburg 185
  • Die Weisheit557

S s 2Welt,
[[644]]
  • Welt, deren vernuͤnftiger Gebrauch S. 213
  • Werke, Betrachtung Goͤttlicher 165. 257
  • Der Wiederſchein141. 143
  • Winde, vermuthliche Urſachen der ſo veraͤnderli-
    chen 285
  • Der Winter275
  • Wiſſenſchaft, Unterſcheid der, daß, und was Gott
    ſey 164
  • Die Wolluſt570
  • Wort, Gottes, in Seinen Werken 481
  • Wunder, Betrachtung der, wodurch uns alles
    ſichtbar wird 155
  • Zuſtand der Welt 565
  • Zweyſeitigkeit aller Dinge, Gleichniß davon 452


Appendix B

Gedruckt mit
Piſcators Schriften.


[][][][]
Notes
*
vid. Tom. 2. pag. 390.
*
Artium largitor venter.
*
Aus dem gemißbrauchten Vers des Geſanges:
Singen wir aus Herzens Grund ꝛc.
*
Siehe des Jrdiſchen Vergnuͤgens vierten Theil, S. 402.
*
Siehe den Anhang zur Seifen-Blaſe, VII. Th. S. 479.
*
the Seaſons, die Jahres-Zeiten.
*
Hiob 36, 26.
*
Pred. Sal. 3, 22.
**
1 Corinth. 10, 31. Jhr eſſet, oder trinket,
oder was ihr thut, ſo thut es alles zu Got-
tes Ehren.

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CC-BY-4.0
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Brockes, Barthold Heinrich. Jrdisches Vergnügen in Gott. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bj1b.0