[][][][][][][[I]]
Der deutſche Chriſtus.


Fünfzehn Canzonen


[figure]

Leipzig:
Verlag von S. Hirzel.
1854.
[[II]][[III]]

Meinen getreuen Freunden
Theodor Kugler, Guſtav Mühl, Auguſt Nefftzer
zur Erinnerung
an entſchwundener Jugendzeit trauliche Weiheſtunden
gewidmet.


Nancy, den 29. Mai 1853.


K. C.

[[IV]]

Ich könnte es überhoben sein, diese von Lothrin¬
gen her uns dargereichte innige und seelenvolle dich¬
tung mit meinen worten zu begleiten, da unfehlbar
ihr reines, zartgefaltetes gewand den blick von selbst
auf sich ziehen wird. ihre überschrift mahnt mich
an Otfried, der, bald sind es nun schon tausend jahre,
im kloster Weiszenburg, also auch jenseit Rheines,
seinen evangeliono deil den stolzen Franken laut er¬
schallen liesz,
thaz wir Kriste sungun in unsera zungun;
fast um dieselbe zeit, wo eines armen im walde hütenden
hirten stimme, dessen name verschollen ist, durch ein
nachtgesicht plötzlich zur poesie entzündet, den Alt¬
sachsen ihren Heiland sang. so begierig waren diese
Deutschen, ihres frischen glaubens inhalt aus dem rö¬
mischen kleid zu ziehen und in ein heimisches, dem
volke gefüges zu gieszen; sie folgten den evangelischen
berichten auf dem fusze, Otfried mehr aushebend, er¬
bauliche, geistliche gedanken zwischen einstreuend,
der Sachse voller, epischer, in seiner mildeindringenden
sprache klingen heidnische weisen nach. welchen
eindruck diese werke auf ihre zeitgenossen hinter¬
lieszen, wissen wir nicht, beide dichter hätten aber
nicht zu ahnen vermocht, wie zu danke sie späten ge¬
schlechtern geschrieben haben, denen nichts höher an¬
lag, als aus dem schutte langer vergessenheit die sie¬
[VI] benschläfer zu wecken, und an ihrer unverwitterten
gestalt, als lautersten denkmälern, die regel und den
ganzen wollaut unserer alten sprache zu erforschen.
solange deutsche zunge dauert, werden diese ehrwür¬
digen gedichte gelesen werden und nimmer untergehn.
O des wandels! eine edle hehre dichtung, die vor
erst hundert jahren in allen händen war, und mit mäch¬
tigem ruck durch ihren angebornen adel unsere gesamte
poesie empor gehoben hat, beginnt, wer wollte es sich
verbergen?, ungelesen zu sein und zu versinken. Klop¬
stocks Messias, nachdem er so grosze, in ihm und zu¬
gleich auszer ihm gelegene Wirkung auf seine zeit her¬
vorgebracht hatte, hört fortzuleben auf, und wir müssen
ihn heute für ein verfehltes werk erklären. sein dichter
wähnte dadurch, dasz er in der evangelisten heilige
berichterstattung eine reihe englischer, menschlicher und
teuflischer wesen schaltete, ein wahrhaftes epos zu er¬
zeugen, da doch die zwischentretenden gestalten immer
nur scheinthätig sind, d. h. alles was geschieht eben¬
so wol auch ohne sie geschehen müste oder geschehen
wäre. diese schwebenden und betenden cherubim und
seraphim bis auf unser überempfindsames urelternpaar
herab halten nicht wider, sie sind lauter fünfte räder am
wagen und werden durch ihre erdichtung und unwahr¬
heit uns auf die länge unerträglich, jedes epos aber
fordert ungestörten glauben. Klopstocks Christus selbst,
so erhaben und gefühlvoll er gehalten sei, ist doch we¬
der geistig fein genug, noch menschlich blühend, dasz
beide naturen einander tief durchdrängen.


Christus ist gar nicht episch darzustellen, nur
lyrisch, denn aller mythischen auffassung entgegen
strebt die unverrückbare bestimmtheit unserer religion.
[VII] wer aber sehen will, wie lyrisch er aufzunehmen und
wiederzugeben sei, lese, dünkt mich, unsern neuen
dichter, der vom boden menschlicher und irdischer
gefühle aus dem innersten seiner brust ausgehend auf
in geistige höhe klimmt und sich von ihr herabsenkt,
um von seinem fluge zu ruhen und zum aufschwung
neue stärke zu sammeln. diese mit dichterischer be¬
sonnenheit überall gepaarte schwärmerei scheint sein
eigenstes kennzeichen, und steigender funken art ist es
zu schwärmen, ja alle lyrische begeisterung, mag sie
gott, den sieg oder die liebe zum gegenstand haben,
musz schwärmerisch sein.


Des dichters deutschen Christus dürfte man so
nehmen, als ob heimwehvoll und im bewustsein der
ihm ungeschwächt einwohnenden muttersprache er seine
lieder entsende. vielmehr aber ist offenbar die meinung,
dasz er einen Christus in deutschem sinn aufstelle, wie
ihn deutsche gemütsart und gedankenerhebung ge¬
funden, gehegt und erkannt hat, seit durch die reforma¬
tion herz und glaube gelöst und frei gemacht und
jener kalte, allgemeine Christus der katholischen kirche
aufgehoben wurde. als echten protestanten gibt den
verfasser schon seine äuszere stellung kund, und schöne,
warme worte, die jeder finden wird, verbürgen ihn.


Er wählte sich eine der geschmeidigsten italieni¬
schen formen aus, die vollen gedankenreichthum wal¬
ten läszt und in ungezwungne reime einschlieszt; unter
allen würde ich der vierten canzone und der zwölften
den preis zuerkennen, worin er seines sohnes taufe
feiert, den an die hergegebnen weihetropfen dereinst
zu mahnen er alle gewässer lieblich aufruft.


Mir verargt es keiner, wenn ich ein paar wort¬
[VIII] bemerkungen beifüge. Candidus bedient sich einiger
ungewöhnlichen ausdrücke, die er vielleicht einführt,
wie neustets für stets von neuem, er setzt im conjunctiv
das praeteritum statt des praesens, wie seite 69 entböte,
75 sprösse, was aber mit einem empfindlichen mangel
unserer sprache zusammenhängt, seite 7 möchte man
lesen hatt es für hat es. schneuse für schneise seite 87
kann gestattet werden. herse seite 64 für egge, im
reim auf ferse schwer zu meiden, ist das einzige ent¬
schlüpfte französische wort (aus irpex, ital. erpice,
harpago). die schreibung ortnung sucht bezüge auf
ort, spitze, ecke, wovon doch schon in der alten
sprache orde, ordnung fern steht, wol aber könnte tief¬
einschlagende etymologie die verhüllte verwandtschaft
zwischen sohn und sühne (goth. sunus und saun) an
den tag bringen.


Berlin 26 dec. 1853.


Jacob Grimm.


[[1]]

Der
deutſche Chriſtus.

[[2]][[3]]

CanzoneI.

Unendliches in Endlichem zu ſchauen

Erſannen ihre Götter die Hellenen,

Weil himmelher gottmenſchliches Gebaren

Dem Sinn entgegendämmerte bei Jenen.

Es lag die Welt in heil'gem Morgengrauen.

Doch mächtig wollte Gott ſich offenbaren,

Und als erfüllet waren

Die Zeiten und ſein Vollglanz nun hervortrat

Im Mittler Jeſus, ſanken hin die Götter

Ein traurig Spiel der Spötter,

Hinſank das Fatum und zurück der Chor trat.

Des dunkeln Ahnens Zeichen und Umhüllung

Schwand vor der Klarheit wirklicher Erfüllung.
1 *[4]
Nicht konnten die olympiſchen Geſtalten

Dem Gottesmenſchenthume ſich vergleichen

Deß der da ſprach: „wer mich ſieht, ſieht den Vater.“

Kein Phidias entlockt des Meißels Streichen

So warmes Leben und ſo hohes Walten.

In Fleiſch und Blut, als wahrer Menſch, auftrat er

Und angelweit aufthat er

Die Thore des Unendlichen für Jeden

Der ſeines Gottbewußtſeins theilhaft werden

Und Ewiges auf Erden

Darſtellen mochte ſo in Thun wie Reden.

Er heiligte für Alle ſich daß Alle

Zu Göttern würden bei der Götter Falle.
Und war das Fatum attiſcher Tragöden

Erſchütternd wie bei ſittlichen Geſetzen

Erhabne Unverbrüchlichkeit und Sühne?

Ergreift euch nicht ein ſchauderndes Entſetzen

Wenn in den Schuldzuſammenhang des blöden

Geſchlechts eintretend untergeht der Kühne

Dort auf des Lebens Bühne,

Daß ſeiner Unſchuld theilhaft das Geſchlecht ſei?

Iſt die Heroenwelt doch nur ein Ahnen

Der wundervollen Bahnen

Worauf der Geiſt uns führt zu dem was recht ſei!

Vom Kreuz erſt dunkelt ſchrecklich das Verhängniß,

Erſt jene Sühne tilgt der Welt Bedrängniß.
[5]
Die ihr aus Schutt nun grabet Götterbilder,

Mit euch will ſchwelgen ich im Werk der Muſen,

Doch ob auch vor dem Donnerer durchfähret

Gotthaftes Ahnen der Beſchauer Buſen,

Gotthafter däucht mir, trauter auch und milder

Ein lebend Menſchenantlitz das verkläret

Als Spiegel ſich bewähret

Der Herrlichkeit die ſich vom Kreuz ergoſſen.

Doch ferner Zukunft bleibt, ach! vorbehalten

Das Leben zu geſtalten,

Denn dies Geſchlecht hat Flügel nicht noch Floſſen.

Sie haben nicht und ſind auch keine Götter,

Und noch die Beſten ſind fürwahr die Spötter.
Sie wenigſtens doch zeigen durch ihr Höhnen

Vorhandnen Sinn, Beregniß, zeigen Feindſchaft,

Und oft iſt Feindſchaft mißverſtand'ne Liebe.

Mißbildern kniet der Frömmlinge Gemeinſchaft

Anſtatt der Urbildung, der hohen, ſchönen,

Zerrbildern, wert zermalmungsvollſter Hiebe.

In ſeinem dunkeln Triebe

Dient da der Gottheit mancher Läſtrer Gottes

Weit beſſer als die dumpfigen Geſellen,

Die nie die Bruſt erſchwellen

Sich fühlten bei dem freien Hauch des Spottes.

Wol gilt manch Nein als Ja hoch ob den Sternen.

Doch Theilnahmloſigkeit mag nichts erlernen.
[6]
Den Heiden werde drum das Wort gepredigt

Die gläubig noch zu ihrem Fetiſch beten!

Gepredigt denen die vor Graungeſtalten

Uralter Götzen opferblutig treten!

Vielleicht erkennen dieſe daß erledigt

Was ſie geſucht in ihrem dunkeln Walten.

Laßt Indern ſich entfalten

Der guten Botſchaft tiefſinnſchweres Drama.

Vielleicht wird ſich denſelben offenbaren

Im unſichtbar-ſichtbaren

Gottmenſchen die Bedeutung ihres Brahma.

Da wo nur irdiſches Beregniß ſchaltet,

Sind wahrer Gott und wahrer Menſch veraltet.
Ich kenne meine Zeit. Mir aber zucket

Der Meißel, was auch immer ſei die Glocke,

Ein Bild des großen Stillen auszuhauen

Aus der Betrachtung reinſtem Marmorblocke,

Für hochſtrebſame Jugend, die, entrucket

Gemeiner Welt, es gerne mag erſchauen.

Ein heilig ſüßes Grauen

Will vor dem hohen Steine mich erfaſſen,

„Als knieten Viele ungeſehn“ —, wie's heißet

Im frommen Lied. Mir reißet

Das Eiſen in der Hand, ich kann's nicht laſſen,

Ich muß hinan. Eh' ſich das Jahr mag neigen

Muß aus ſich ſelbſt der deutſche Chriſtus ſteigen.
[[7]]

CanzoneII.

Tag unter allen Tagen mir geſegnet,

An dem der Heiland geiſtig mir erſchienen,

O Tag des Heils, dein werd' ich ſtets gedenken!

Ich fuhr dahin auf blanken Eiſenſchienen,

Längs den Vogeſen hat es fern geregnet,

Ich kam von Straßburgs hoher Schule Bänken

Und ließ in ſich verſenken

Den Geiſt ſich zu erinnernder Betrachtung.

Da war's, da ſah ich ihn, den großen Stillen,

Da trat er, mir zu Willen,

Hervor aus ringsaufdämmernder Umnachtung,

Und die ihn da umſtralt, die hellen Stralen,

Sie blitzten gleich Türkiſen und Opalen.
[8]
Kein bloßes Bild war's, was ſie Bild ſo nennen,

Kein Sinnbild, nein, Selbſtdarſtellung des Lebens,

Das Leben ſelbſt, er ſelbſt war's. Wonneſchauer

Strebt zu erregen leere Form vergebens.

Mir aber ſchauerte. Mag Freunde trennen

Ein äußeres Geſchick, beſieh's genauer,

Sie ſind in Luſt und Trauer

Doch ungetrennt, denn weſſen Leib natürlich,

Der hat auch einen geiſt'gen Leib, und nimmer

Kann ſolchen Leibes Schimmer,

Der wirkend lebt, mir gelten als figürlich

In jenem dürft'gen Sinne wie ſie's meinen,

Weil ihnen Schein und Sein ſich nie vereinen.
Nicht nach dem Fleiſch, nein, wie er in uns wohnet,

So iſt der Heiland damals mir erſchienen,

Und ſeine Hände träuften Glutverlangen,

Demütig treu dem Himmliſchen zu dienen,

Der mir im eignen Buſen wohnt und thronet.

Denn wie Corregio war es mir ergangen

Der vor dem Farbenprangen

Des Sanzio ausrief: „ich auch bin ein Maler!“

Mir hatte Göttliches der Gott gewecket,

Und freudig bang erſchrecket

Erkannte ich als Stral mich vor dem Straler.

Mein Auge war, nachdem es erſt geblendet,

Den morgenländ'ſchen Augen zugewendet.
[9]
Und ſeine Gottesmenſchheit die er zeugte,

Die in ihm iſt und lebt und webt bewußtvoll

Weil ſie mit ihm verſelbigt hat der Glaube,

Die ſeines Leidens iſt und ſeiner Luſt voll,

Die tauſend Kreuzen ihren Nacken beugte

Und dennoch nimmer ward dem Tod zum Raube,

Und Jene die am Staube,

Ach! weithin zahllos wie der Sand am Meere

In trauriger Gebundenheit noch kleben

Und immer noch nicht leben

Obſchon ſein Blut für ſie auch troff vom Speere,

Der Menſchheit ſämmtliche Geſchlechter malten

In jenen Augen ſich die mild erſtralten.
Und was uns fördern mag im rechten Handeln,

Was als Erkenntniß kräftig im Gedanken

Sich fortbewegt, und was da lieblich ſcheinet

Als Schönheit in der Sinne holden Schranken,

Des Tages Glanz, der Nächte ſtilles Wandeln,

Und Schmerz und Wonne die das Leben weinet,

Und was der Künſtler meinet,

Das All mit Allem was uns in ihm hebet,

In ihm beglückt, was da geveſtet aufliegt,

Was grünt, was läuft und auffliegt,

Was flammt und ſtrömt und frohes Leben lebet,

Im Spiegel jener Augen war's zu leſen,

War Eins mit Ihm durch ſeiner Liebe Weſen.
[10]
Es war der Welterlöſer der da ſchwebte,

Der Hochverklärte, frei von Zeitbeſchränkniß,

Der Zeiten und Geſchichte Herr und Meiſter,

Und gleich galt ob er lebte als Erdenkniß,

Ob anders, gleich galt wann und wo er lebte,

Er war es wie er wirket auf die Geiſter.

Mir war, wenn ihn ein dreiſter

Apoſtel ſchöpferiſch hervorgerufen,

Er hätte dann geſchichtlich auch gelebet,

Geblutet und gebebet

Im Volk und im Apoſtel die ihn ſchufen,

Und dieſe wären ſelber dann geweſen

Des fleiſchgeword'nen Gottes wirklich Weſen.
Aus Gott nur kann ja Göttliches uns kommen

Und er nur heiligt jegliche Erſcheinung.

Den Punkt aus welchem Gott die Welt beweget

Zur Rückkehr aus der Endlichkeit Verneinung,

Ihn ſah ich im Gekreuzigten, im Frommen,

Der liebend des Geſchlechtes Sünde träget

Und uns zu Füßen leget

Hochher entſtammte reiche Gottesfülle,

Daß wir uns Gold und Perlen eignen können.

Ein gnadenreiches Gönnen,

Das ſah ich in des Menſchenſohnes Hülle,

Wie langerſehnten Regens Niederrauſchen

Dem wolig rings die Creaturen lauſchen.
[11]
Drum in die Zeit hin bergglasglockentönig

Sing' ich das Rolandslied des Chriſtenthumes.

Mir mochte freilich ſtets auch klarer werden

Daß ihm nur Rauſchgoldkronen ird'ſchen Ruhmes

Sein Volk ſchuf, nicht ihn ſelbſt, den Geiſterkönig,

Daß er im Weſentlichen war auf Erden

Wie ſonder viel Beſchwerden

Mir Vater ſagte in der Kindheit Tagen:

Mir mochte das Geſchichtliche begründen

Theilweiſe ſich und ründen,

Doch darnach durfte nicht mein Glaube fragen.

Der Glaube hat ganz anderes Verlangen:

Ihm gnügt daß er das Ew'ge hält umfangen.
O daß doch nicht mit Weisheit manche Weiſen,

Nein, ganz wie aberkluge Kinder ſtreiten

Ob die Geſchichte wahr ſei! Gibt doch Wahrheit

Allein der Geiſt dem Reich der Wirklichkeiten!

O heller ſtralt aus tauſend Fabelkreiſen

Sie als aus eures Daſeins armer Baarheit!

Mir ſitzt in Himmelsklarheit

Zur Rechten Gottes ewiglich der Mittler,

Hoch über jenen grauſen Finſterniſſen

Worin ſich wißbefliſſen

Abmühen ernſte Forſcher wie auch Krittler.

Wie ruhig kann ich forſchen, leben, ſterben!

Er lebt mir ja und läßt mich nicht verderben.
[[12]]

CanzoneIII.

Wie uns ihr eignes Licht die Sichtbarkeiten

Auf wunderbarer Kunſt Jodſilber malet,

So malt dein Bild auf ſchlichter Seelen Grunde

Die Klarheit, welche dir, o Herr, entſtralet

Und lieblich fällt in Schmerzes Dunkelheiten,

Wenn du den Schieber hebſt zur rechten Stunde.

O ſtets mit Herz und Munde

Will ich dem heilig hehren Künſtler danken,

Der mir durch ſeiner Weltanſchauung Normen

Und Grundempfindungsformen

Hat umgebildet gänzlich die Gedanken!

Die chriſtliche Beſtimmtheit der Gemüter

Iſt Kraft als Geiſt, iſt Heil als Geiſtes Güter.
[13]
Dein Geiſt iſt deine Weiſe Gott zu haben,

Iſt deine Demut und dein Selbſtbewußtſein,

Denn weil du endlich, iſt der Vater größer,

Doch gleichermaßen mußt' in deiner Bruſt ſein

Ein Selbſtgefühl unnennbar, hehr, erhaben,

Eins ja mit Gotte warſt du, mein Erlöſer!

Wenn du mich nun, Entblößer

Von allen Moſisdecken, mir bewähreſt

Als tief von deiner Herrlichkeit durchdrungen,

Und wie durch Spiegelungen

Mich in ein dir verwandtes Bild verkläreſt,

Ja mich zur Brudergleichheit willſt erwählen,

Muß Demut nicht und Stolz auch mich beſeelen?
Du wollteſt niemals gut geheißen werden,

„Nur Gott iſt gut,“ ſo ſprachſt du groß beſcheiden,

Doch warſt du Eins mit Gott, weil nur als nichtig

Du dich von Gotte konnteſt unterſcheiden,

Und ob du als ein Menſch zwar an Geberden

Und mannichfacher Schwachheit warſt erſichtig,

Warſt du doch nimmer pflichtig

Noch unterworfen dem Geſetz der Sünden,

Denn über die perſönlich enge Schranke

Hinaus war dein Gedanke,

Gott mochteſt du als wahres Selbſt verkünden.

Zu gleicher Reinheit drängſt du nun die Geiſter.

So wardſt du dienend unſer Aller Meiſter.
[14]
Und Quelle deiner Demut war dein Lieben,

So auch dein Lieben Quelle deiner Hoheit.

Sind dies denn nicht der Liebe beide Pole?

O wie beklagenswert iſt jene Rohheit,

Die an des Stolzes und der Demut Trieben

Nur Streit hat, leere Strebungen, gleich hohle!

O wenn zu Eurem Wole

Ihr liebtet und begriffet! Elend ſcheinen

Müßt ihr mir vollends wo ihr vor mögt wenden

Das Selbſtvergegenſtänden.

Angeblich ſchuft ihr Gott und ſeinen Reinen,

Und könnt das eigne Werk nicht menſchlich lieben?

O wo ſind Stolz und Demut euch geblieben?!
Du biſt in mich und ich in dich geſtaltet

Und nichts kann mich, mein Heiland! von dir ſcheiden,

Kann ich doch von mir ſelbſt nicht ſein geſchieden!

In meinen Freuden wie in meinen Leiden

Haſt göttlich groß du immerdar gewaltet,

Und nur in dir gewurzelt iſt mein Frieden.

Daß unſer Bund hienieden,

Ach, nicht ſo innig iſt wie er wol ſein ſoll,

Dies regt mir oft geheimer Wehmut Thränen,

Doch dieſes heiße Sehnen,

Es kommt von dir, als das mir Ernſt verleih'n ſoll,

Und jener Blick der bitterlich macht weinen,

Läßt lauter Huld und Liebe ja erſcheinen.
[15]
Gefühl der Selbigkeit im Unterſchiede,

Gefühl des Unterſchiedes in der Einheit,

Iſt heißer Durſt und friſcher Trunk der Liebe,

Iſt ihrer Demut, ihres Stolzes Reinheit,

Iſt ew'ger Schmerz für ſie und ew'ger Friede,

Iſt Pendelſchwung und Schwerkraft frommer Triebe,

Ich, wo ich immer bliebe.

Starb ſchon und du, o Herr, biſt meine Wahrheit,

Mein wahres Ich, dieweil mich ließ ererben

Dein demutvolles Sterben,

Das zahllos iſt, die Fülle deiner Klarheit.

Ich lebe, doch nicht ich, es lebt die Liebe

In mir, drum ſchrecken mich nicht Todeshiebe.
Sie ſchrecken zwar, doch nur das Fleiſch. So nannte

Der Beter von Gethſemane den Anhalt

Des Unterſchiedgefühls der heil'gen Minne.

Beklag' ich mich? Sieh, du haſt wolgethan halt

Der Demut Born mir, als ich dich erkannte,

Nicht flammend zu verzehren. Sacht verrinne

Den Brüdern zum Gewinne

Die heil'ge Flut, mir ſelber zum Ergetzen.

Aus Fleiſchesſchwachheit quillt ja neuſtets Demut,

Und Hochgefühl aus Wehmut

Und ſo erſcheinet als ein göttlich Setzen

Der Liebesortnung was mir ſchien ein Schade.

Was liegt ſo tief daß drunter nicht die Gnade?
[16]
In meiner Schwachheit gnügt mir deine Gnade.

Laß mich in deinen Anblick ganz verſinken!

Mir ſelbſt entfliehen ganz in deinen Armen!

Vollkommenheit aus deinen Zügen trinken!

O laß in deiner Reinheit Wonnenbade

Zu neuverjüngtem Leben mich erwarmen!

Was böte Troſt mir armen

Befleckten Seele wenn nicht dein Gedulden?

Ach! kann ich mich denn anders wiederfinden

Als wenn bis zum Erblinden

Ich mich verliere ganz in deinen Hulden?

Nur ſo, nicht anders, kann ich mich erringen

Und eigne Bildung dir entgegenbringen.
Stets iſt aus Nichts das Sein hervorgegangen.

So will ich neuſtets mich in dir vernichten,

Neuſtets verfälſchter Selbigkeit neu ſterben,

Auf falſches eignes Sein und Thun verzichten,

Daß ich von dir das wahre mag empfangen,

So oft an mir das Weltjoch geht in Scherben.

In Demut will ich werben,

In ſtets erneuter Demut um das Größte,

Damit das Größte ſtets ſich mir erneue,

Und ewig mich erfreue

Dein Lieben, das mich von mir ſelbſt erlöste

Um neugebildet mich mir ſelbſt zu geben.

Machſt du mich klein, iſt göttlich groß mein Leben.
[17]
Aus Freiheit dient die Gottheit. Alles Wandeln

Iſt der Verlauf des ew'gen Opfers Gottes,

Des Opfers ſeiner ſelbſt zum Heil der Welten.

Gebilde ſelbſt des Zornes und des Spottes

Bezeugen ſeiner Liebe treues Handeln.

Sein Andres nur mag als ſein Selbſt ihm gelten.

Aus ſeinen ew'gen Zelten

Kommt er als Stral in meinem Blick zu ſterben,

Als Hauch in meiner Bruſt, als Wein und Aehre,

Als Mutterſorgezähre,

Als Held und Märtrer, die um Liebe werben,

Und daß er ſich nur ja ganz treu bezeuge,

Als Mittler Jeſus, dem die Welt ſich beuge.
So wie er Seligkeit im Dienen findet,

Will er daß mich auch Demut nur beglücke.

Hat Wolgefallen Gott an meiner Kleinheit,

Daß er mich ſeinethalben niederdrücke?

Aus Freiheit liebt er und aus Liebe bindet

Er dienend ſich an mich als Allgemeinheit,

Zurück zu ſeiner Reinheit

Mich durch Erkenntniß meines Nichts zu führen,

Zurück durch Liebe mich zu ſeiner Freiheit.

O wunderſel'ge Zweiheit

Die ſich als Einigung aus Eins mag ſpüren!

Aus Gnaden bin ich ledig jedes Zwiſtes,

O nicht aus mir, nein, Gottes Gabe iſt es.
[18]
Das Handeln Gottes in mir und nach außen,

Als „zierlich Denken“ und als „ſüß Erinnern,“

Als künſtleriſches Bilden und Geſtalten,

Als Leben in und aus dem „tiefſten Innern,“

So wie als hohen Mutes Donnerbrauſen,

Als heil'gen Mitgefühles brünſtig Walten

Und angemeßnes Schalten,

Dann Gottes Handeln in den Weſen allen,

Vom höchſten Geiſte bis herab zum Staube,

Dies Handeln glaubt der Glaube,

Dies Handeln, und nur dies, mag mir gefallen,

Das Gnadenhandeln Gottes. Seine Werke

Beſel'gen mich, nicht eigne Lügenſtärke.
Geſelle dich aus ſüßer Herzensſtille,

Die Gott mir ſchuf, o Lied! den hohen Chören

Die allſtets dem, der Freiheit heißt, erklungen.

Ach, ſollte, der das Ohr gepflanzt, nicht hören?

Zu denken Solches ſtrebt umſonſt der Wille

Und auf zur Freiheit lallen tauſend Zungen.

Doch nur in ſich bezwungen

Iſt Freiheit Freiheit, nur an Endlichkeiten

Unendliches unendlich, und der Vater,

Vor mein Bewußtſein trat er

Stets nur im Sohn, und Ew'ges nur an Zeiten,

Und Alles ſchlingt ſich wunderbar zum Kreiſe.

Das iſt, traun! des lebend'gen Gottes Weiſe.
[19]
Das iſt der Sohn und jenes Wort das That iſt,

Wodurch die Welt gemacht und was darinnen,

Das iſt der Gottheit Glanz der glänzt und ſcheinet

In allem Endlichen, wenn unſern Sinnen

Dies ſelbe Wort ein inn'res Licht und Rat iſt,

Wie das an allen Gläubigen erſcheinet,

Die wonniglich vereinet

Mit Jeſu, mit dem Bräut'gam ihrer Seelen,

Im ſchwebenden Gewölk, in Meerespſalmen,

In Blütenzier und Halmen

Ihn ſchau'n und haben, und ſich innig quälen

Wenn irgend etwas, ſei es was es möge,

Des Herzens fromme Sehnſucht je betröge.
Was wüßten wir von höchſten Eigenſchaften,

Von Allmacht und Allgegenwart und Liebe

Und Weisheit, glänzten ſolche nicht im Sohne?

Das Daſein Gottes ganz zu Staub zerriebe

Der Winzigſte von unſern „Weſenhaften,“

Wär's nicht ein heller Stein der Sohneskrone.

Der Sohn nur ſchirmt vor Hohne

Den alten deutſchen Glauben an den Vater?

Ha! dächte ich den Sohn nicht, es verſchlänge

Mir der Gedanken Menge

So wie ſich ſelbſt des Gottgedankens Krater,

Wo in der Dichtung zierlich leichtem Laube

Nun üppig ſchwillt der Wahrheit volle Traube.
[20]
Der Menſch, als Eins geſetzt, lebt mir im Andern.

Iſt dieſes Andre Gott, ſo iſt Erhebung

In's ew'ge Leben liebendes Verſenken,

Und tief, tief unter dir bebt Todesbebung

Wie bei der luft'gen Geiſter Gipfelwandern

Das ſinnig anmutvolle Dichter denken.

Iſt, dran wir uns verſchenken,

Das Andre Chriſtus, was iſt unſer Weſen

Dann wenn nicht Gottes? Nur des Mittlers Weben

Beut uns ja ew'ges Leben

Und Weſeneinſicht denen die verweſen.

Drum freut mich kindlich jedes Tages Scheinen.

Luſt ward mein heimliches Kohelethweinen.
O Firmament wo meine Sterne glänzen,

Wie haſt du meiner Sehnſucht Schloß erſchloſſen!

Wie thut dein tiefes Blau ſo wol den Blicken!

O dunkler Grund draus meine Blumen ſproſſen,

Wie heimlich unterbreiteſt bunten Kränzen

Du dich zu überſchwänglichem Erquicken!

Ach, wer kann je erſticken

Der Gottesſehnſucht ewig rohe Wunde?

Doch ewig blutet ſie nur Wonneſchmerzen

Wenn aufging tief im Herzen

Erkenntnißglanz vom höchſten Liebesbunde.

Nur wie der Wolluſt Uebermaß in Thränen

Seufzt, ſeufzt hochüberfülltes frommes Sehnen.
[21]
Triumph! Triumph! mein Glück iſt ſeine Liebe.

Ha, eine Liebe nur ſich ſelbſt vergleichbar!

Unwandelbar! fromm! ewig! überſchwänglich!

Mir iſt das Höchſte nimmer unerreichbar,

Das Höchſte iſt und bleibt ja dieſe Liebe.

Warum doch, meine Seele, wärſt du bänglich?

Was dürfte dir bedränglich

Noch dünken wenn dich Chriſtusarme halten?

Mein Freund iſt mein und ich bin ſein beſtändig,

Er iſt in mir inwendig

Mit ſeines Reiches herrlichem Entfalten.

Er lebt in mir, ich bin in ihm vollkommen,

Durch ihn gerecht. Frohlockt ihm, alle Frommen!
Laßt mich in meiner Bruſt Abgründe ſteigen,

Die Fülle meines Glückes zu genießen,

Und jauchzen wenn er fehlt an keinen Orten

Mein Heißgeliebter, dem die Locken fließen

Bekränzt mit aller Anmut holden Zweigen,

Ein Held, Hoſanna! unter Siegespforten,

Das Wort in allen Worten

Die mir mein Denken und mein Fühlen tragen,

Weil was da endlich iſt und was unendlich,

Mir ewig unabwendlich

Nur im Unendlich-Endlichen kann tagen.

Soll lebenswarm ich fühlen, ſicher denken,

Muß in der Worte Wort ich mich verſenken.
[22]
Er war ſchon vordem als Vernunftanſtreben

In mir, gab meiner Jugend Freiheitsliebe

Und eignen Gang, gab heil'ger Ortnung Ahnen,

Und brachte Maß in's Spiel der dunkeln Triebe,

Und leitete mir unbewußt mein Leben

Lang eh' das Ziel ich kannte meiner Bahnen.

Er war im hehren Mahnen

Der Stimme des Gewiſſens und der Glocken,

(Bewußtſein war's der Menſchheit) als, ein Knabe,

Ich ſchluchzt' an deinem Grabe,

Lieb Schweſterlein du mit den Engelslocken,

Weil ich dir einmal, da wolmeinend ſtrenge

Zu ſein ich glaubte, hart war, roh und enge.
Ja eh' ich ward, iſt er in mir geweſen

Und ich in ihm, doch wußt' ich Solches nimmer

Bis ich als den Gekreuzigten ihn kannte,

Bis er in ſeiner Liebe hohem Schimmer

Still vor mich hintrat, als ich zu geneſen

Von herber Sehnſucht mich umſonſt ermannte.

O wie mein Herz da brannte

Als neu ſich auf des geiſt'gen Auges Netze

Sein Bild herſtellte und ich mich erinnernd

Und immer mehr erinnernd

Ihn vor mir ſah, und Edens Freudenplätze,

Aeonenlang verſchüttet und vergeſſen,

Sich breiteten zu reuigem Ermeſſen!
[23]
Doch ſchnell ausſüßend jeglich Bittres wollte

Der Freund in ſeinen Frieden mich verſenken,

Und ſeit dem Säuſeln jener Himmelsſtunde

Iſt er in allem meinem Schau'n und Denken.

Sagt mir wohin das Endliche verrollte.

Ertheilet vom Beweglichen mir Kunde.

Im weiten Weltenrunde

Seh' ich nur Eins, das Reich der heil'gen Minne,

Das unbewegliche, das wir empfangen.

Ha! mir iſt aufgegangen

Nach dieſes Wortes ſchönem Doppelſinne —

Im Bilde des Geliebten alles Andre,

Wo immer auch, wie weit, wie lang ich wandre.
Er iſt Allgegenwart der Gottesfülle

In Geiſt wie in Natur, da er zur Einheit

Mit diamantnem Band verbindet Beides,

Und Selbſtdurchdrungenſein iſt ſeine Reinheit

Womit er meine endlich-ſchlechte Hülle

Durchdringt daß ich vergeſſe jedes Leides.

Des endlich-ſchlechten Kleides

Drum will ich mich nicht ſchämen und es ſpreiten

Auf des Geliebten Pfade hin in Demut.

Wie dort, voll Liebeswehmut,

Wird dann mein Herr und König drüber reiten.

Gelobt ſei der da kommt von Gotteswegen

Im Lichtreif ſeines Haubts auf allen Stegen!
[[24]]

CanzoneIV.

Schmückt mir das Saitenſpiel mit roten Roſen:

Heut will ich froh dem eignen Herzen leben,

Heut will dem Genius bekränzt ich warten,

Sind doch vom Herrn mir Sinn und Herz gegeben.

Heut will ich harmlos wie ein Kindlein koſen

Mit allen bunten Blümelein im Garten.

O ſende mir den zarten

Geſpielen, du Unendlicher, den Sohn her,

Der uns verſöhnt und darum Sohn mag heißen!

O ſende mit den weißen

Maiwolken ihn von deinem Stralenthron her!

Ihn ſende her aus meines Herzens Tiefen

Wo dieſer Sabbathfeier Wonnen ſchliefen!
[25]
Was wären Augen wo nicht Stralen flögen?

Was wäre Licht wenn es kein Auge gäbe?

Was wären Töne da wo keine Hörer?

Was wären Hörer ohne Klangesſchwebe?

So Geiſtbegriff auch ſonder Sinnvermögen

Und Weltbild ſonder Geiſt ſind Selbſtzerſtörer.

Wie liebliche Verſchwörer

Sind höchſter Einheit Zeugen alle Dinge,

Und Jedes iſt ſo Darſtellung des Ganzen

Daß auch in Stäubleins Tanzen

Uroffenbarung ſchwingt die Feuerſchwinge.

Hat der von Nazareth uns erſt erkoren,

Iſt er uns plötzlich überall geboren.
Mag Stumpfſinn dich im Kripplein nur erblicken,

Und Blindheit dich erkennen, ach! ſelbſt dort nicht,

Stillſteht der Weiſen Stern mir allenthalben

Wo trennbar von Allgegenwart der Ort nicht.

Du Glanz der Gottheit willſt mein Herz erquicken

Und mir mit Freudenöl die Augen ſalben,

Sei's daß die holden Schwalben

Nun kommen oder flieh'n, daß Winterſtürme

Herſchneien oder Sommerfriede lächle,

Ein warmer Wind herfächle

Und ſüdwärts ſchau'n die Hähne deiner Thürme.

Doch ſeliger wird deine Näh' empfunden

Im Schweben ſolcher goldnen Blüteſtunden.
2[26]
Wer ruft mir? Iſt's die Stimme nicht der ſüßen

Geſpielin meines Freundes? nicht die Stimme

Der Nachtigall? An ſeinem Buſen hegt er

Die Kleine, wenn ein Sturm herſaust im Grimme

Und toll ihm Aſt und Laubſchmuck wirft zu Füßen;

Doch wenn ſein Frühlingsmond hold ſteigt, da trägt er

Die Flatternde, bewegt er

Sie auf dem Zeigefinger oder ſetzt ſie

In dunkelſtes Gebüſch, in traute Wipfel,

Und zu der Flüſtergipfel

Chorliede ſchlagend jedes Ohr ergetzt ſie.

Er lebt und webt in ihr und mag ſich freuen

Des Vögleins wie der Hoheit ſeiner Leuen.
Mir neige deine Zweige, Lila-Flieder!

Er iſt der Thau womit du mich beſprengeſt,

Er iſt dein Würzeduft und deine Schöne

Womit du dich in alle Herzen drängeſt.

Er kommt in dir holdſelig anders wieder

Und ſtreut umher was aller Not entwöhne.

Beim frohen Lenzgetöne

Entblüheſt du der Weſenortnung Tiefen,

Trittſt vor uns hin mit eigenem Gebaren,

Ein ſüßes Offenbaren

Der Huld davon dir alle Dolden triefen.

Wie du ſo daſtehſt an der alten Mauer,

Erfaſſen mich geheime, ſüße Schauer.
[27]
Dort flammen Tulpen aus der ſchwarzen Erde,

Doch ſieh! die wahre Wurzel ihrer Prachten

Ruht im Zuſammenhang der Weltortnungen,

Und Himmelshauche ſind's die ſie entfachten.

Des allgemeinen ſchöpferiſchen Werde

Sind ſie ein Ausdruck in beſondern Zungen,

Aus Gottes Mund entſprungen

Und darum alſo ſchön und wunderprächtig.

O Wort, das uns in Jeſu iſt erſchienen,

Du biſt's, du brennſt in ihnen!

An heil'ger Stätte ſteh' ich tiefandächtig

Gleich jenem Frommen, dem du glutentzündet

Erſchienſt im Dornbuſch, wie die Vorwelt kündet.
Ihr kleinen weißen Erdbeerblüten wecket

Erinnern das wie Himmelblau erheitert.

Hat nicht dem Bernardin de St. Pierre

Ein Erdbeerſtock zum Weltall ſich erweitert

Und jenes Ueberſchwängliche entdecket,

Das Mittelpunkt iſt jeder Weſenſphäre?

Iſt ſchwerer Herzensleere

Dies arme Kraut zum Mittler nicht geworden?

Anbetung dir, Sohn Gottes, eingeborner,

In Allem unverlorner!

Du ſtrömſt einher in alles Lebens Borden!

Wo Schönes unſern Blicken ſich entfaltet,

Iſt's das Unendliche das endlich waltet.
2 *[28]
Iſt nicht die ganze Sichtbarkeit der Himmel

Selbſt nur ein Erdbeerſtock im großen Ganzen,

Ein einzler Theil im All wie wir es denken,

Des göttlichen Gedichts nur ein paar Stanzen,

Ein Endliches? Doch dieſes Glanzgewimmel,

Dies Weltbild will die Welt aufſchließend ſchenken

Und ſich vor uns verſenken

In's Ueberſinnliche, wie es die Welt iſt,

Denn ihr iſt keine Vorſtellung gewachſen

Und ihren Rieſenaxen

Gibt Raum nur der Begriff der Gottes Zelt iſt.

So tönet im Erhabnen wie in allen

Gebilden uns des ew'gen Sohnes Lallen.
Ihr aber, allverbreitete Beſtände

Jedwelcher Bildung, reine Weſenheiten,

Die ihr in Paargeſtalten hochher ſteiget

Um euern Liebesſtreit nie auszuſtreiten,

Euch flieht und haſcht und wieder flieht behende

Und euch im Fliehen zur Umarmung neiget,

So ernſt im Spiel euch zeiget

Als wär' es gottesdienſtliche Verrichtung,

So ſpielend frei im Ernſt als wär's ein Scherz nur,

Mit unbegriffnem Schmerz nur

Schaut Mancher euer Werk und ſieht Vernichtung.

Doch ihr ſchwebt lächelnd und dem Frommen leiſe

Vertrauet ihr daß dies des Wortes Weiſe.
[29]
Nur wo Natur in frommem Geiſt ſich ſpiegelt,

Als einem zu vermittelnden Gemüte,

Tritt auf der Mittler, daß er ſich ihm eine,

Und da und dann nur treibt ſolch ew'ge Blüte,

Die, aus beſchränkter Anſchauung entſiegelt.

Im holden Duftkelch beut das Allgemeine.

Doch iſt das große Eine

In der Natur dem Frommen allzugänglich,

Weil es in Allem, was da endlich heißet,

Uns mächtiglich ergleißet

Als eben ſo beſchränkt wie überſchwänglich,

Ein kleines Kind, ein großer Gott desgleichen,

Der Weihrauch, Gold und Myrrhen uns will reichen.
Grün-golden ruht ein Käfer mir zu Füßen

Wie Spielzeug liegt in einer Kinderſtube.

Rings blinken tauſend zarte Lieblichkeiten

Und jeder Stein ſcheint eine Demantgrube.

Es iſt ſo deine Art, mit wunderſüßen

Geſchenken, Jeſuskind, Luſt zu bereiten.

So kommt ans blauen Weiten

In jenem ſinnig webenden Gedichte

Ein himmliſch hoher Gaſt zu armen Hirten,

Sobald die Lerchen ſchwirrten,

Mit fremder Welten Offenbarungslichte,

Doch ſieh: all deine holde Wunderhabe

Die biſt du ſelbſt, du lichter Himmelsknabe!
[[30]]

CanzoneV.

Die ſchnackiſchen Gemälde welche weinen

Und lachen und, o Pfaffenſpuk! Blut ſchwitzen,

Auch Erben vom Haus Iſrael bekehren,

Zerhauen mögt ihr die mit ſcharfen Witzen,

Ihr Geiſter die ihr daſtellt das Verneinen,

Doch Wunderwerke ſollt ihr nicht verſehren

Draus Jeſu Geiſt mit Speeren,

Mit Balſamölgetränkten, heilkraftſchwangern,

Die Bruſt durchbohrt der Hörer und Beſchauer,

Daß wonnevolle Trauer,

Wie Chriſtenkunſt ſie hoch auf Himmelsangern

Mag pflücken, ſtill ein Jeder trägt von dannen

Und ſolchen Spuk der Wahrheit nicht kann bannen.
[31]
Denn nicht die ausgeſpannte bunte Leinwand,

Die Steine nicht, auch Holz nicht noch Metalle,

Nicht Luft- und Gliedbewegung mögen wecken

Mit alſo gotthaft lautem Donnerhalle,

Beſeitigen der Sünde letzten Einwand

Und tief erſchüttern wie mit ſel'gem Schrecken.

Die ſich drin will verſtecken,

Die Künſtlerſeele thut's, die, gotterfüllet,

Uns ihr Unendliches zu offenbaren,

In ſolch durchſichtig klaren

Gebilden und Getönen ſich enthüllet.

Es iſt das Wort der Worte das da webet

Und wie ein Gotteslichtblitz uns durchbebet.
Selbſt dann wenn in der heil'gen Jungfrau Bilde

Das Endliche verherrlicht und gekrönt wird,

Als „Ewig-Weibliches das uns hinanzieht“

Und Reue pflegt bis alle Schuld verſöhnt wird,

Als Mutter Jeſu, deren zarte Milde

Aufwärts der Schönheit lichte Himmelsbahn zieht

Und uns aus blut'gem Wahn zieht,

Iſt Mutter ewiglich ſie nur im Sohne,

Iſt nur die Liebe, die ſie Gott vereinet

Und die im Sohn erſcheinet,

Ihr Sternenkranz und thront auf ihrem Throne.

Nur des unendlich-endlichen Seins Einheit

Iſt ewiglich des ſchönen Scheines Reinheit.
[32]
Und wagt die freie Kunſt, was kaum zu wagen,

Ein Bild des Widerſpiels der Endlichkeiten,

Wo borgt, wenn nicht vom Mittler, ſie die Züge

Der menſchlichen und jeder anderweiten

Geſtalt? Da mag ſich einer ewig plagen,

Es wird zur Wahrheit allfort ihm die Lüge,

Und alle höchſten Flüge

Des Genius beweiſen daß untrennbar

Der Vater iſt vom Sohn und Gott vom Worte,

Weil an des Aufſchwungs Orte

Gott ſchon das Wort iſt und als Wort nur kennbar.

Nur als unendlich-endlichen Seins Einheit

Iſt auch ein Kunſtvorwurf die Allgemeinheit.
Der reinen Kunſt iſt rein was ſie berühret.

Sie übt Vermittelung auch durch Gewande

Und durch die Hochpracht flammender Kronleuchter.

Den Reichthum heiligt ſie und ſchlingt die Bande

Wodurch das Wort auch ihn als Schall ſich küret

Und, wie er ſelbſt anzeucht, zu Gott hin zeucht er.

Sie füllt mit wolluſtfeuchter

Sehnſucht den Blick der weichlich holden Liebe,

Und ſündigt nicht wenn, was nur finſtrer Wahn iſt,

Sie dem nicht unterthan iſt,

Die Heuchelei verſchmähend feiger Diebe.

Dem Satyr zeigt ſie frei von Feigenblättern

Das Wort der Allmacht das ihn mag zerſchmettern.
[33]
Vermittelung ſchon war es was ſie meinte

Auf Elephanta und an Niles Ufern

Wie bei den gottgeſegneten Hellenen

Und Iſraels erhabnen Zukunftrufern,

Erſt alſo daß nur Sternenblick vereinte

Die Nacht dem Lichtreich welchem galt ihr Sehnen,

Dann morgenhell in jenen

Maßvollen Werken griechiſch edler Muſen,

Und als die Geiſterſonne nun gekommen

Im ſittlich freien Frommen,

Als Gottmenſch, und entzündete die Buſen,

Rang auch die Kunſt daß Jeſus ſie durchdringen,

Sie ihn darſtellen möchte, dar ihn bringen.
Dich aber, hehre Tonkunſt, dich vor Allen

Will ich mit allen Deutſchen heilig preiſen

Als goldnen Kern der Gabe wol der Zungen.

Wer trennt vom Kreuz der Orgel Himmelsweiſen?

Und ſoll ein Name mir im Lied erſchallen,

Wem hat Beethoven Sonnenklang geklungen?

Wo Kunſt ſich ſelbſt durchdrungen,

Durchdrang ſie aller Gottesfülle Sphären

Und waltet chriſtlich, denn ihr ganzes Streben

Iſt nur das ew'ge Leben

Des Schönen und Erhabnen zu verklären,

Und ihr iſt gar das Niedliche und Loſe

Ein liebſtes Kind in Vaters ew'gem Schooſe.
[34]
Ihr ſcheint das Urbild oftmals unerreichbar,

Doch iſt's erreicht ſobald es in ihr ſcheinet,

Und prieſterlich vom Ewigen durchdrungen

Das ſie verkündigt, iſt ſie ihm vereinet,

Iſt ſie, Allmittler, gänzlich dir vergleichbar.

Vergleichbar nur? Die frommen Huldigungen

Womit ſie hält umſchlungen

Allewig deine Kniee, mag wol ſchulden

Die Jüngerin, denn ihrer Liebe Demut

Iſt deine eigne Demut,

Ihr Werk dein Werk, die deinen ihre Hulden,

Denn nur dein eignes Thun vergegenſtändet

Iſt ſie, und nichtig wo dir abgewendet.
Wenn Himmelsſchönheit je für Augenblicke

Die Sterblichen befreit von Gram und Sorgen,

Geſpannten Schmerz gelöst, Schwermut gelichtet,

Daß wie ein Kind im Mutterarm geborgen

Der Aermſte frei ſich fühlte vom Geſchicke,

Weil ihm auf Ewiges der Sinn gerichtet,

Verſchlungen und vernichtet

Des Todes Trägheit und des Lebens Bürde,

Warſt du nicht der Erlöſer und Befreier?

Du nicht der ſchwachen Leier

Geſittungskraft und himmliſch hohe Würde?

Du biſt der wahre Schenke, traun! der Seelen,

Den preiſen mögen göttliche Gaſelen.
[35]
Kunſt iſt dein Thun und Weſen allerwegen.

Löst ſich vom Ei Gegliedertes, zeigt Mitte

Und Seitenmaß das Ewig-Ungezeugte,

Erſtrebet Selbſtbildung ein Mann und Sitte,

Hat einer Wiſſen, kann er dar es legen,

Stets iſt es deine Kunſt die ſich bezeugte.

Wenn ſchön herüberbeugte

Zur Auflöſung der Mißklang der Geſchichte,

Wenn göttlich reine Stimmen thun hervor ſich

Und voller hebt der Chor ſich,

Wer fragt noch ob dies deine Kunſt verrichte?

Der Muſe Thun iſt nur ein Wiederſcheinen

Des deinigen, des großen, ganzen, einen.
Stets ſind's für dich, du Himmliſcher! ſechs Tage

Vor Oſtern, weil ſie ſtets auf's Neu dich töten

Durch anders ſtets geſtaltete Gemeinheit.

Da naht die Muſe, naht, ach! mit Erröten

Und tiefgeheimer ſtummer Totenklage,

Mariagleich, und, fühlend ihre Kleinheit

Vor deiner Groß- und Reinheit,

Kniet ſie vor dir und geußt demütig holde

Die Narde, köſtlich, unverfälſcht, duftſüße

Auf deine heil'gen Füße,

Und trocknet die mit ihrer Haare Golde.

Das Haus des Glaubens aber allenthalben

Wird lieblich voll von dem Geruch der Salben!
[[35]]

CanzoneVI.

Was ſich als Wahrheit tröſtend ſenkt in Weh her

Und was als Irrthum ſich um Wahrheit windet,

Was fertig ſcheint und was ſich zeigt als Strich nur,

Was irrend ſchweift und was zurecht ſich findet,

Was irgend iſt, birgt dich, o Wort, von jeher

Und Alles Endliche beſteht durch dich nur.

Sieh! was dir ſcheu entwich nur,

Bleibt Größe noch und iſt als ſolche du ſtets,

Und dich nicht ſchauen ſollt' ich da wo Fülle

In bildungsreger Hülle

Den Sinn erfreut und nimmt fortwährend zu ſtets?

Im Menſchen Jeſus aber ſtralt und brennet

Dein Licht daß nur, wer blind iſt, es verkennet.
[37]
Aufging der Menſchheit Sonne voller Klarheit

Im Galiläer der als dich ſich wußte,

Als das Unendlich-Endliche ſich kannte,

Und Solches klar und redlich, wie er mußte,

Auch ausſprach und bezeugte als die Wahrheit.

Sein Lieben das die Gottheit Vater nannte

Und mild das All umſpannte

War Urſach, Werk und Weſen höchſter Einheit.

Das war nicht jenes kalte, ſtolze, arme

„Brahma bin Ich!“ nein, warme

Gemütserweiterung zur Allgemeinheit.

Fortan hieß Jeſus jedes höchſte Lieben

Und biſt von ihm untrennbar du geblieben.
Er war's, der dich zuerſt in ſich erkannte

Und dir Geſtalt und Name mochte geben

So wie du ihm, denn du biſt er, er du ja.

Des menſchlichen Bewußtſeins Licht und Leben,

Und wie bisher ihm unſer Weihrauch brannte,

So tönet ihm der Zukunft Halleluja.

Der Welt Unruh und Ruh ja,

Sie ſind in ihm nur. Schlichtgroß prophezeite

Er Solches ſelbſt mit wahrhaft göttlich klarer

Und ewig wunderbarer

Beſtimmtheit dem ſchwerfaſſenden Geleite.

Am Bergquell aber ſchöpften die Genoſſen

Bis Lebensſtröme auch von ihnen floſſen.
[38]
Ein Tropfen dieſer Fluten ward gefangen

In ärmlich ird'nem Krüglein. Welch ein Wunder!

Ein Brunnen ward's, der wie er floß und fließet,

Doch nie verſieget noch verarmt bei runder

Umlagerung des Volks, das mit Verlangen

Die Flut ſchöpft, die ſich fort und fort ergießet.

Der Born der alſo ſchießet

In Kraft und Friſche, tiefher, klar und klingend,

Das iſt das höchſte Schrift gewordne Leben,

Das neuſtets ſich erheben

Und Leben werden will, die Welt durchdringend;

Das iſt die Schrift die unter allen Schriften

Beſtimmt iſt ein Weltſchriftenthum zu ſtiften.
Hier ſind in ſtaunenswürdig feſten Zügen

So Wiſſenſchaft wie Glauben uns begründet

Und im Unendlich-Endlichen geſetzet,

Als wo ſich Denken und Gefühl entzündet

Und Jegliches Beſtand hat und Genügen,

Wenn außerhalb ſich Alles morſch zerfetzet.

Von Himmelsthau benetzet

Grünt hier ein Muſterbild den ſchönen Künſten

Im Sprößling Iſai's. Hier geußt die Liebe

Der ſittlich reinen Triebe

Stromurne ſilberblinkend her aus Dünſten.

Der Gottmenſchheit Geſammterſcheinungsformen

Blüh'n hier in unvergänglich hohen Normen.
[39]
Und wunderbar! es weiſſagt groß die Bibel

Im Selbſtvergehn ihr ewiges Beſtehen.

Aufhebt all Jugendliches in der reifen

Vollendung ſich des Mannes, und verſehen

Soll deß die Kirche ſich, daß ſie, wie Fibel

Und Flügelkleid, ab alles Stückwerk ſtreife.

Doch was der Geiſt ergreife,

Durchdrungener nur wird es ſein das Alte,

Er ſelbſt, die Liebe, die im Wandel bleibet,

Jetzt aber mächtig treibet

Daß Schauen und Vollendung ſich geſtalte.

Bis dahin bleibt uns Glauben, bleibt uns Hoffen

Und ſoll die Liebe mildern alle Schroffen.
Auch andre Schrift mag Gottes Wort wol heißen;

Wie aber in vergilbten Jugendbriefen

Ein Etwas wohnt, was heilig man verehret,

So von ureigner Lebensfriſche triefen

Und einfach treuer Innigkeit die weißen

Pfingſtblumen, wie die Bibel ſie beſcheeret.

Auch wird, ſo lang man lehret,

Dies Buch, was Lüge ſammeln mag, zerſtreuen

Und, auf den Weinſtock zeigend, niederſchlagen

Der Dornen ſtolzes Wagen,

Die Weinberg ſich zu nennen ſich nicht ſcheuen.

Als Prüfſtein liegt es auf dem Altar oben

Daß ſich der Lehre Gold dran mag erproben.
[40]
Ein Volksbuch, ein Gewaltsbuch. Wie ein Erdſtoß

War's doch, als Doctor Martin es emporhob.

Daß weithin leuchtend Himmelsworte ſtammten,

Die rings der Kirche Finſterniß hervorhob.

Rom's Gottentfremdung war die That ein Schwertſtoß

Voll grimmer Schmerzen die von oben ſtammten,

Doch freundlich der geſammten

Weſtlichen Chriſtenheit ging, wie ein Sternbild,

Auf das Unendlich-Endliche, daß Viele

Erkannten Gottes Ziele

Und huldigend ſich neigten vor des Herrn Bild.

Und heute noch erprobet ſich als Heiland

Für Viele dieſes Schriftenthum wie weiland.
Wahr iſt es, hundert Gegenſätze ſchweben

Gebunden und gelöst in dieſem Buche

Und Jedem beut es Jedes, wie ſie ſagen,

Doch wurzelt nur im heil'gen Widerſpruche

Stets alle Wahrheit ja und alles Leben,

Und löſen mag der Geiſt euch alle Fragen.

An ſolchem Buch zerſchlagen

Sich alle toten Formeln drin die Toten

Das Leben bannen möchten und erſticken.

Ein himmliſches Erquicken

Wird aller Welt in dieſem Buch geboten.

Kühn ragt da, voller Früchte, voller Düfte,

Des Kreuzes Dialektik in die Lüfte.
[41]
Der Knechte Knecht im Vatikane blitzet

Gezackten Blitz umſonſt. Es mühen Krittler,

Buchſtabenknechte, Feinde ſo wie Freunde

Umſonſt ſich. Stets bewähret ſich als Mittler

Das Wort im Kanon, den die Welt beſitzet,

Und übet für und für die welterneu'nde,

Bedräu'nde und erfreu'nde,

Maßgebende Gewalt. Soll je einſt kommen

Die Zeit wo Keiner mehr den Andern lehret,

Weil Allen den verkehret

Schlecht endlichen Verſtand Gott hat benommen

Und Wahrheit mild geſtreut in alle Brüſte,

Dann geht die Bibel — eher nicht — zur Rüſte.
[[42]]

CanzoneVII.

Freut euch! aus allem Nacht- und Licht-Umſtoßnen

Rückſtralet Himmelshuld euch Aufmerkſamen.

Kann euch doch Jegliches zum Mittler werden!

Und lernt ihr dann begreifen jenen Namen

Und jenes Bild des freventlich Verſtoßnen,

Der Mitte der Vermittlung ward auf Erden,

Dann auf den Opferherden

Der Gottesmenſchheit flammt auch eure Gabe.

Dem wird zum Mittler Weltgeräuſch, Dem Schweigen,

Dem der Geſtirne Reigen,

Dem irgendwer, Dem Schmerz an einem Grabe,

Und Jenem ſchauert Heilgefühlserregung

Aus reinen Denkens hoher Selbſtbewegung.
[43]
Wo immer ich, mein Heiland, dich mag ſchauen,

In Schrift und Kunſt, in mir und auf der Straßen.

Erſcheinſt du mir als Fließendes und Vieles

Und auch als Eins und Veſtes gleichermaßen

Wie Einheit wol in heil'gem Münſterbauen

Benebſt Vielartigkeit des Arbeitſpieles.

Laß Jeden ſeines Zieles

Beſonderheit, o Herr, ſtets klarer faſſen

Und kräftiger erſtreben, auf daß alle

Werkleute ſich im Schwalle

Des Bildens dahin ſtellen wo ſie baſſen,

Und Allen laß im einzeln Thun Bewußtſein

Des großen Ganzen ſtets die höchſte Luſt ſein.
Denn nichts und ewig auch die Menſchheit kann nicht

Aus ſich heraus, kann im Verhältniß ſtehen

Zu nichts das nicht zugleich ihr angehörig,

Sei's Wollen, Fühlen, Ahnen, ſei's Verſtehen,

Selbſt dann, wenn ſie von Grenzen ſpricht, ſelbſt dann nicht,

Und Gott trennt man, Natur von Menſchheit thörig.

Mag ſäuſelndes Geröhrig

Wol als ein Fremdes anſeh'n Strom und Flur ſich?

Horcht ihm! es wird ſein Credo euch verkünden.

Dem Geiſte muß verbünden

Als Geiſt ſich alles Sein, und als Natur ſich

Natürlichem. Du aber, Bild der Reinheit,

Biſt Geiſt und biſt Natur als höchſte Einheit.
[44]
Du biſt das königliche Allgemeine,

Biſt das Unendliche, die ew'ge Freiheit,

Biſt ſelbſtbewußtes All, in Gott ausſagbar,

Und dennoch biſt du nicht die Einerleiheit,

Nein, das Hocheigenthümliche, weil deine

Freiheit bei Selbſtbeſchränkung iſt erfragbar.

Der unſer Aller Tag war,

Iſt als das fleiſchgewordne Wort ſo Alles

In Allem wie er Alles iſt im einen

Charakterbild, dem reinen,

Das Eckſtein ward des ird'ſchen Tempelwalles.

Und wir auch, die belebten Steine, faſſen

In's Ganze uns nach eignen Gottesmaßen.
In dir ſind alle Bildungen der Gattung

Wie ſie in Raum und Zeit vertheilt erſcheinen.

Stets biſt, als Einzler, Ganzes du geblieben,

Nicht zwar als ob du Bunteſtes vereinen

Im Einzeln möchteſt, dir in Vollausſtattung

An einem Punkt geſammte Keime trieben,

Nein, durch dein hohes Lieben

Wodurch du, was als Einzlem dir nicht reifte,

In Andern reif ſiehſt und als dein, aus Gnaden,

Der Einzel-Myriaden

Urſprüngliche Entwickelungsverläufte.

Denn Alle hat der Vater dir gegeben,

Daß ſie mit dir in Eins vollendet leben.
[45]
Es iſt das Schöne ſtets das Allgemeine

In hochbeſtimmter Form. Du aber biſt ja

Des Schönen voller Inbegriff zu nennen

Und anders nicht erſchaut dich jeder Chriſt ja.

Zum Muſterbild fromm aufblickt die Gemeine

Weil Jedem Sinn und Liebe da entbrennen.

So muß er bald erkennen

In ſich und Andern eigenes Geſtalten.

Denn gleichwie in der Kunſt ſo iſt im Leben

Nie knechtiſches Ankleben

Der Nachahmung gedeihliches Entfalten.

An reiner Eigenthümlichkeit entzünde

Sich andere Befreiung von der Sünde.
Wo ſich der Gottgeſalbte mag erzeigen,

Weil er ja Alles uns in Allem ſein muß,

In Menſchen und vermenſchheiteten Dingen,

Iſt's das Unendliche das er verleih'n muß,

Doch endliche Beſtimmtheit, neu und eigen,

Muß er nicht minder, wo er aufſtralt, bringen.

Wo irgend ſind die Schwingen

Der Jordanstaube über Hochgebilden

Geſpannt, wird Gottes Liebling eigenthümlich

Neu ſein wie als er rühmlich

Zuerſt auftrat in irdiſchen Gefilden,

Und wird in Andern Anderes anregen

Und ewig ſelbſt ſein jeglich Selbſtbewegen.
[46]
Und Völker ſo wie Einzle werden allzeit,

Wenn ſelbſtbeſchränkend Einzles ſie erleſen,

Als Glieder ſich des großen Ganzen wiſſen.

Seht da des Sprachthums Heiligkeit und Weſen!

Uns vor dem Fluche gänzlicher Verfallzeit

Zu retten iſt das ew'ge Wort befliſſen.

O in den Finſterniſſen

Der Jetztwelt haltet feſt an ſolchem Horte!

Mag mehr und mehr die Gegenwart verrotten

Und mag der Fremde ſpotten,

Die deutſche Zukunft blüht im deutſchen Worte.

Hat Luthers Hammer denn ſchon ausgewuchtet?

Noch hat ja deutſcher Geiſt nicht ausgefruchtet.
Wie ſpielſt du wechſelreich und vielgeſtaltig.

O Herr, allſtets derſelbe und ein andrer,

Im Menſchen vor mir und im Menſchenwerke!

Ein erdgebildet hoher Himmelswandrer,

Als Theil beſchränkt, als Ganzes frei-gewaltig,

Ein ſchwaches Rohr ſtets wie ein Gott der Stärke!

Doch wo ich dich vermerke,

Allmittler! ſchmilzt mir alles dein Erſcheinen

Am liebſten ſtets in jenes Bild zurücke,

Das wir in Schmerz und Glücke

Am Fuß des Kreuzes dankerfüllt beweinen.

Vom Kreuz auf Golgatha kommt uns das Leben,

Wie mannigfaltig du es mochteſt geben.
[47]
Dein Kreuz iſt Mittelpunkt uns der Geſchichte,

Und jene deine Knechtsgeſtalt bleibt allen

Zeitaltern ew'ger Huld erhöhtes Zeichen,

Und ob ſtets neue Namen heilig ſchallen,

Dein erſter ird'ſcher Name bleibt im Lichte

Bis alle Erdenſprachen einſt erbleichen.

Es ſind im ganzen reichen

Sprachſchatz der Menſchheit keinerlei Juwelen

Bedeutender als dieſe deines Lebens

Und Todes und Aufſtrebens

Bezeugungen an alle Menſchenſeelen,

Und, eingefaſſet in die Sacramente,

Sind ſie des höchſten Styls Grundelemente.
Vor jenem Kreuze muß die Erde küſſen

Der Dagon derer die nach Weisheit fragen,

Unächter Weisheit, welche nichts mag würzen.

Vor jener Knechtsgeſtalt, die wir umklagen,

Vor jener herrlichen, erhabnen, müſſen

In Staub hin alle falſchen Heil'gen ſtürzen.

In jenem Namen ſchürzen

Sendboten ſich, beſeligende Kunde

Zu künden, und verſteh'n ſich die da glauben.

Ein ſolch Palladium rauben

Läßt ſich die Gottmenſchheit zu keiner Stunde.

Wie möchte ſie? Es thun nur, was ſie ſollen,

Die Glieder, und dem Haubt gebührt das Wollen.
[48]
Und iſt dereinſt der letzte Feind bezwungen,

Wenn jemals in der Zeit dies ganz geſcheh'n ſoll,

Und iſt der Tod durchaus zu Grund gerichtet,

Weil überall der Geiſt des Grundes weh'n ſoll,

Und iſt dein Leben allwärts durchgedrungen

Und Unform wie Verbildung ganz vernichtet,

Und überall gelichtet

Die Ausſicht in's Unendliche, daß Alles

Gott iſt in Allem, Alles Wort der Worte

Und Alles Himmelspforte

Für Alle, wird bis zu des Erdenballes

Sturz doch der Erdgeiſt ſeiner Wiege denken

Und jenem Kripplein fromme Liebe ſchenken.
Unendlich-Endliches, Wort aller Worte,

Wie andre Welten doch dich mögen nennen,

Beſitzen, fühlen, wiſſen und geſtalten,

Gedenk' ich oftmals, wenn erfunkelnd brennen

Der Nacht Geſtirne. Doch an jedem Orte

Iſt dir, wie unterſchiedlich du magſt walten,

Die Selbigkeit erhalten

Im Vater, im Unendlichen, im Einen,

Und jauchzend taucht ſich in den Hochgedanken

Mein Herz, daß keine Schranken

Geſetzt dem eigenthümlichen Erſcheinen.

Ja wahrlich, wer nur „fühlt“! Ein bloßerSchall“ ſind

Mir „Namen“, weil ſie mehr mir überall ſind.
[[49]]

CanzoneVIII.

Gefühl des Sollens und ein dunkles Sehnen,

Obzwar ein immerwährend unerfülltes,

Empfänglichkeit und wechſelvolles Spüren

Nach dem Unendlichen, das ein Verhülltes,

Wer mag das Endliche damit belehnen

Im Sündenirrſal, wenn nicht heil'ges Führen?

So ſtralt, den ſie mag küren,

Der unfindbare Freund der Frauenſeele

Als Urbild, wie in Endlichkeit herſcheinet

Ein Gott, bis ihm vereinet,

Nun kennend öftrer herber Täuſchung Fehle,

Sie volle Gnüge hat und ſüßes Feiern

In heilig ſtillen Lebens holden Schleiern.
3[50]
Und wie ein Jüngling wirbt um zartes Danken,

So das Unendliche. Wie auf der Stirne

Der Liebe ruht ihr Traumbild unabtrennbar,

Ob ſteigen, ob ſich neigen die Geſtirne,

Iſt ewiglich der göttliche Gedanken

Im Sorgen nur um's Endliche erkennbar.

Und ſtets durch ſolch unnennbar

Allſtetes Ineinanderſcheinen ſchwanden

Die Beiden ineinander, und mit Klarheit

Iſt ſo, als ihre Wahrheit,

In irdiſchem Bewußtſein auch erſtanden

Urew'ger Liebeseinheit Bild und Weſen,

Der Sohn, der „iſt eh Abraham geweſen“.
Judäas Berge ſchweigen jede Kunde

Vom Anfang des Bewußtſeins höchſter Würde,

Als dankend auf zum Vater mochte beten

Der Sohn und frei erkor die Mittlerbürde.

O höchſter Himmelsoffenbarung Stunde!

O feierlichſte Stunde des Planeten!

Ha! Lebensſchauer wehten

Aus den Unendlichkeiten her der Himmel,

Aus den Unendlichkeiten her der Seele,

Und deſſen was er wähle

Bewußt, groß ſtand, fernab vom Weltgewimmel,

Der erſte freie Menſch. Es ſingt's mit Zaudern

Die Muſe, ja! und denkt's mit ſüßem Schaudern
[51]
Nun lag die Wahrheit offen jenes Bundes

Von Jehovah und dem erwählten Volke.

Nun war erfüllt Geſetz und Prophezeiung.

Das Sollen war erreicht. Die Feuerwolke

Schmolz und der Sohn ſtand da. Vor ſeines Mundes

Anlächeln ſchwieg die Klage der Entzweiung.

Fortan war's um Kaſteiung

Und Opferdienſt und Satzungen geſchehen.

Des Sohnes ſich zu freu'n ſchien ſüße Pflicht nur.

Ihn ſah im Ahnungslicht nur

Die Väterwelt. Ihr Traumbild muß vergehen

Vor übertreffender Erfüllungsfülle.

Den Kern entlaſſend fällt die Tempelhülle.
O wie mit ſalomoniſchem Gerölle,

O wie mit Zebaoth und Zehngeboten

Mögt ihr nun ſtets die Kirche noch verplundern?

Das Alles ging ja längſt ſchon zu den Toten,

Auch längſt ſchon ſind die Cherubim zur Hölle,

Und eure Zionswacht muß ich bewundern.

Ja wahrlich! naſſen Zundern

Vergleich' ich dies Geſchlecht. Nur ſchwer mag fangen

Ein Himmelsfunken, und das ſchönſte Feuer

Erliſcht bald. Neuſtets theuer

Iſt Toten nur was tot und was vergangen.

Tot ſind die leben. Möchte Leben ſprühen

Aus heil'ger Aſchenkrüge ew'gem Glühen!
3 *[52]
Des Judenchriſtenthumes Petrusheucheln

Und Petrusſchwachheit, ach! umſtrickt uns Alle

Mehr oder minder bis zum Selbſtbetrügen.

O rette deine Kirche vom Verfalle,

Denn deine Diener ſind es, die ſie meucheln,

O Herr, durch wahngewiegtes Selbſtbelügen!

Auf alle Paulusrügen,

Wenn je ich ſie verdiene, laß mich achten

Und kühn wie Paulus jeden Flor zerreißen

Wohinter falſches Gleißen

Verläugnet deines Geiſtes neue Machten.

So laß mich dienen dir in allen Treuen,

Der du einherfährſt Alles zu erneuen.
[[53]]

CanzoneIX.

Nun freue ich mich in meinem Leiden, daß ich
für euch leide, und erſtatte an meinem Fleiſche,
was noch mangelt an Trübſalen in Chriſto, für
ſeinen Leib, welcher iſt die Gemeinde.

Paulus an die Koloſſer I, 24.
Die Länder auf und ab zu Tod und Leben

Geſellt das Bild ſich des geliebten Mannes,

Der durch ſein Lieben Höchſtes offenbarte,

Ein Retter uns, ein Tilger jedes Bannes.

Es ragt das Kreuz wo Menſchentritte ſchweben

Bedeutungsvoll als ewige Standarte.

Ach, wo ſich ja die zarte

Lichtblüte höhern Lebens mag entfalten,

Allſtets muß ringen ſie mit wilden Wettern

Und traurig ſich entblättern,

Soll gold'ne Frucht die Folgezeit erhalten.

Nur ſterbend wirſt du jedes Ziel erreichen,

Drum iſt das Kreuz der Weltgeſchichte Zeichen.
[54]
Frei iſt der Geiſt, doch iſt beſtimmt ſein Wirken,

Iſt — alſo will er's — ſtrengem Maß verfallen‚

Und weil er Liebe ſein will, himmelsglutig

Erwählend demutvolles Erdenwallen,

Muß er in ihm entfremdeten Bezirken

Geſammte Schuld der Erde ſühnen blutig.

So nahmen auf ſich mutig

Ihr Kreuz der Menſchheit Helden und Befreier,

Die mit dem Griffel, die mit frommen Thaten,

Die mit dem Pflug und Spaten,

Die mit des Schwertes Wucht, die mit der Leier,

Denn alle ſind des Mittlers, wie ſie kamen,

Die, ihn verklärend, von dem Seinen nahmen.
Und ſein ſind, durch ſein Lieben, alle Schmerzen

Der Welt, von Blute Abels des Gerechten

Bis zu der Weltgeſchichte letzten Plagen‚

Daß eine Dornenkrone mochte flechten

Der Heilige daraus in ſeinem Herzen,

Weit blutiger als die ſein Haubt getragen.

Er klagte unſre Klagen

Und weinte unſre Thränen eh' wir waren‚

Damit hinfort wir ſeine Thränen weinen,

Erhebend ſo zur reinen

Natur des Mitgefühls den rohen, baaren,

Unfrommen Schmerz, wo ſeiner Liebe Walten

Alsbald uns tröſten mag und neugeſtalten.
[55]
So geht ein Mann gebeugt von ſchwerem Kummer

Ob ſeiner Kinder frevlem Thun. Ihn peinigt,

Ihn, der da rein iſt, foltert das Gewiſſen

Der Schuldigen mehr als ſie ſelbſt. Es ſteinigt

Ihn auf der Straße und ihn flieht der Schlummer

Der Nacht. Krank, arm durch ihre Schuld, befliſſen

Nur ihren Finſterniſſen

Ein Licht zu ſein, ach! ſchleppt er noch ſein Leben.

Jetzt mit dem greiſen Vater fühlt Erbarmen

Sein jüngſtes Kind. Umarmen

Darf er das weinend und zu ſich erheben.

Da ſtralt ſein Blick: „laßt mich von hinnen fliehen!

Es wird mein Tod ſie alle zu mir ziehen!“
O wunderbar Geheimniß du der Liebe,

Und dennoch allen kündlich die da lieben,

Wie die Gemeinſchaft, welche ſie begründet,

So Schuld wie Unſchuld theilt, des Sünders Trieben

Des Reinen Reinheit eignet, und im Siebe

Der Schuld den Edeln umwirft, daß verbündet

Sich Beider Herz entzündet

Zu neuen doppelt ſüßen Himmelsflammen!

Anbetungswürdiges Geſetz der Liebe

Das alle Todeshiebe

Ausheilet und das Weltall hält zuſammen!

Zwar frommer Wehmut magſt du Urſach werden,

Doch die hat niemand noch gereut auf Erden.
[56]
Mit dem gekreuzigten Erlöſer büßen,

Sein Leiden ihm nachfühlend, die Erlöſten,

Durch Mitleid ſelbſt mit ihm gekreuzigt ſterben

Der böſen Luſt ſie, das nur kann ſie tröſten,

Hat doch die Sünde, ach! zu Aller Füßen

Den beſten Freund verſchlungen in's Verderben,

Weil um den Tod zu werben,

In dem die Welt liegt, Mitleid ihn getrieben.

So ſtirbt und lebt der Heiligen Gemeine

In läuterndem Vereine

Mit dem der ſie vermittelt durch ſein Lieben.

So iſt Geſammteinſtand des Kreuzes Mahnen.

Nicht kann es für der Deutung falſche Bahnen.
Doch euch will noch was längſt der Geiſt geehret

Ein Aergerniß und eine Thorheit däuchten.

Die Kreuze wollt ihr „aus der Erde reißen!“

Euch blendet des Jahrhunderts Wetterleuchten

Daß ihr nicht ſeht wie es die Kreuze mehret,

Die ihr zu tragen ſelber ſeid geheißen.

Hinauf tragt bis zu weißen

Berghäubtern euer Kreuz, ja bis zur Wolke,

Bis euch das Herz bricht! O nur ſolche Sühne

Kann von der Alp zur Düne

Erlöſung endlich bringen allem Volke!

Der Edeln Arbeit, nicht die Luſt der Böſen,

Kann uns im Himmel und auf Erden löſen.
[57]
So ſei mir denn gegrüßt, zum Trutz Verächtern,

O Zeichen das uns Opferweihe lehret,

Bis einſt aus Männerernſt und Frauenthränen

Des Volkes Seele reingewaſchen kehret

Und Heil erblüht den künftigen Geſchlechtern!

Du Menſchheitswappen, wie auch alles Wähnen

Und mißverſtand'ne Sehnen

Der Sterblichen dich mag entgeiſtet haben,

Sei mir gegrüßt, wo ich dich immer ſchaue,

Gegrüßt, wie ich vertraue,

O Kreuz, all deinen ſüßen Himmelslaben!

Wie biſt du ſtreng und dunkelſt ernſte Schauer!

Wie biſt du mild und lichteſt jede Trauer!
Wie tief das Leid war, alſo hoch wird Luſt ſein,

Und wie die Klage war, wird ſein Frohlocken

Wenn Gottes Reich mit feſtlichem Geſumme

Dereinſt verkünden aller Lande Glocken.

Still ſagt dann Jedem ſeliges Bewußtſein

Daß heilumflutet letztes Weh verſtumme.

Denn gleich iſt ja die Summe

Die Gott uns wog der Schmerzen und der Wonnen

Und enden muß die ſühnende Geſchichte

In höchſter Hulden Lichte

Wie ſie mit tiefem Falle hat begonnen.

Laß mich, o Kreuz! in deines Kelches Schrecken

Der Heilvollendung Maß und Umfang ſchmecken.
[58]
Und bricht zuletzt der Erde Bau zuſammen

Weil ſchlaff der Bogen, weil der Pfeil am Ziele,

Und ſchmiegt der Erdgeiſt andrer Ströme Wogen

Sich an, zu ſpielen ew'gen Lebens Spiele,

Nur rettungsthätig neuſtets wird entflammen

Sich ew'ge Liebe, neuſtets angezogen

Wird heil'gen Streites Bogen,

Bei immer neuem Ziel wirft unverwendlich

Aus Schmerzensnacht das Mittlerthum die Pfeile

Nach glanzumſtraltem Heile,

Und Kranz um Kranz erblutet es unendlich.

Sprich's aus und wenn dich Schauer überliefen:

Ich ſah das Kreuz in allen Himmelstiefen.
[[59]]

CanzoneX.

Daß Jegliches an ſeinem Ort erſcheine,

Darin beſteht der Ortnung heilig Weſen.

Wenn in der Schöpfung Schooß die Roſe pranget

Sind Primel und Viole längſt geweſen,

Und blühen herbſtlich Aſtern im Vereine,

Iſt, traun! ein Thor wer Tulpen noch verlanget.

Wenn ſo in Angeln hanget,

Die unverrückbar ſind, der Zeiten Kreislauf,

Wenn bei der glanzumhauchten Sommerhitze

Mit allem eurem Witze

Vergeblich ihr beriethet einen Eislauf,

Warum doch ſoll des Geiſtes Flügelſpreiten

Nicht auch erfolgen zu beſtimmten Zeiten?
[60]
Wer ſchafft von ſeinem Ort den Himalaya

Und macht ihn gleich der kleinſten Hügelkette?

Wer zieht in Grönland ſüße Rebenblüten?

Wer kann dem Palmbaum ändern ſeine Stätte

Daß er nicht ſchatte mehr dem ſtolzen Raja?

Kann auch das Nordland Straußeneier brüten?

So mögt ihr nicht verhüten

Daß jedem Geiſt gemeſſen ſei der Schauplatz.

Doch ob von jedem Stein wir hätten Kunde

Wo und zu welcher Stunde

Er einſt erſchienen auf der Menſchheit Bauplatz,

Ihr gönnt in Zeit und Raum dem keine Stelle

Den laut zum Eckſtein ſchlug des Bauherrn Kelle.
Nach zeitmaßvollem Reigenſchritt der Horen

Erglühte jedes Aufſchwungs Morgenröte

Stets wo und wann des Cynthiers Geſpann kam.

Ihr billigt wol daß Hegel und daß Göthe

Gerade da und dann uns ward geboren?

Doch daß das Wort, was uns als Gottesmann kam,

Gerade da und dann kam,

Das Rätſelwort darob die Völker ſchwitzen,

Der Menſchheit und Geſchichte Wort, daß Stunden

Und Räume das gebunden,

Ein rechtes Ziel däucht Solches euern Witzen.

Indeß wo Ewiges auf Erden auftrat

War es ein Menſch der in der Zeiten Lauf trat.
[61]
Weil ihr in abgezogner Allgemeinheit

Das Ewige nur wähnet, iſt ein Gräuel

Die herrlichſte Geſtalt euch der Geſchichte.

Die Wahrheit ſeht ihr nur wie einen Knäuel.

Verſucht's und ſchaut des Nazareners Reinheit

Mit uns in ſeines Mittlerthumes Lichte

Worin er treu und ſchlichte

Fortlebt, fortſtirbt und ſühnt durch ſeine Söhne

Bis daß er Alles einverleibt dem Einen,

Deß Minnen und deß Meinen

Das ſeine war und iſt als höchſtes Schöne.

Vielleicht erfaßt ihr doch in engſten Schranken

Zuletzt noch reinſter Reinheit Reingedanken.
Du aber, o mein Heiland, den im Leben

Ein klares und prophetiſches Bewußtſein

Bei Wahl von Zeit und Ort allſtets geleitet,

Laß ſolch Verſtändniß auch in meiner Bruſt ſein!

Nur wer durch angemeſſen weiſes Streben

Sich wirkungsvoll in ſeine Welt verbreitet

Und nicht im Nebel ſtreitet,

Nur der ja iſt zur rechten Zeit geboren,

Nur der iſt immer auch am rechten Orte

Und wandelt durch die Pforte

Des Daſeins gleich erkürend wie erkoren.

Die Ortnung die ſein Lebenseintritt ſpiegelt

Hat er durch freie Lebensthat beſiegelt.
[[62]]

CanzoneXI.

Der Welt will dünken daß zweitauſend Jahre

Der Trauer und der Treue mehr als ſchicklich.

Ihr biſt du tot, ja längſt tot, und ſie findet

Dein zu gedenken nimmermehr erquicklich.

Ich aber weiß, Geliebter! daß die Bahre

Dich nicht erbeutet und kein Grab dich bindet.

Du lebſt und nimmer ſchwindet

In deinen Freundesarmen mein Gedenken

An alle Todesqual die du gelitten

Als du mich dir erſtritten

Und neuſtets muß ich mich darein verſenken.

Welch roher Sinn, wenn dein ich je vergäße

Und meine Dankbarkeit nach Jahren mäße!
[63]
Der Menſchheit haſt du Ewiges erblutet,

Und unſer Dank, nicht darf er ſein vergänglich.

Ach, wäre doch Einbuße ſein Erkalten,

Verluſt des Heils womit du überſchwänglich

Uns ringsum wie mit einem Meer umflutet!

Darum erkor ja Tod dein klares Walten,

Daß du uns ſeiſt erhalten

In brennendem, erkennendem Gedächtniß.

Wie heilig, wenn der Kirche Glocken rufen

Zu deines Tiſches Stufen,

Wie heilig ſoll mir ſein, Herr, dein Vermächtniß!

Stets möge da in ſtillem Liebestrauern

Ein neues Maß des Heils mich überſchauern.
Da will ich alles deines Bluts gedenken

Das uns zu gut gefloſſen gleich dem Weine.

Das Ahnen der Propheten aller Völker,

Du warſt's ja ſelbſt, und ihr Blut war das deine.

Von Anbeginn ja wollteſt du uns lenken.

Allbildungswort, ſelbſt All, Gottheitsentwölker,

Selbſt Gott, du Ziel der Völker,

Du biſt auch Schwung und Anlauf der Geſchichte.

Dein Blut von Alters her ſind die Entdecker,

Erfinder und Erwecker

Die durch ihr Leuchten zeugten von dem Lichte.

Du bluteteſt ſo oft ſie mochten leiden,

Sie alle darf ich nicht vom Mittler ſcheiden.
[64]
Im Menſchen Jeſus dann zertratſt der Schlange

Den Kopf du und ſie ſtach dich in die Ferſe,

Und purpurn quoll, derweil die Knechte flohen,

Des Sämanns Blut in's Feld bei Pflug und Herſe.

O eine Nacht der Hölle, eine bange

Nacht des Verrats erfaßte meinen Hohen

Und gab ihn preis der rohen

Gottloſigkeit des Pöbels aller Stände!

Wer kann den Qualkelch ſingen den du trankeſt,

O Herr, und wie du trankeſt!

Das Kreuz war deiner Marter nur das Ende.

Erhabner! dein gedenk' ich voller Demut

Wie du gewünſcht in menſchlich ſchöner Wehmut.
Du wardſt, du wardſt getauft mit jener Taufe

Die du vorausſahſt, wählteſt und erſehnteſt.

Und auch das Schwert, gewürgt hat's bis es trunken,

Das wilde Schwert womit du uns belehnteſt.

Wer ſagt wie groß des Feuers Aſchenhaufe

Das angezündet deine Himmelsfunken?

Und Alle die geſunken

Als Opfer ihres Glaubens, dir ſich ſchenken

Ja wollten ſie, ihr Lieben war das deine.

Drum bei dem Altarweine

Will ich auch dieſes deines Bluts gedenken,

Vor Allen dein, o Huß! du Reigenführer

Der Zeugen deren Staub noch glimmt dem Spürer.
[65]
War Galiläi nicht ein Galiläer

Als er der Wahrheit wegen ward geplaget?

Du biſt ja alle Wahrheit, hoher Meiſter,

Und warſt das Licht wo immer es getaget.

Von dem was dein iſt nahm der Himmelsſpäher

Als er zu neuem Schauen rief die Geiſter.

Dein ſind die großen Leiſter

Beim Werke der Vermenſchheitung der Erde,

Die da bewältigen die Auſſendinge

Daß mehr und mehr durchdringe

Sein Leibliches der Menſch und König werde,

Und ach! den meiſten flocht die Welt zum Lohne

Nach heißem Tagwerk eine Dornenkrone.
Als Schleiermachers göttliche Erſcheinung.

Den rohen Sinn der Zeitgenoſſen ſtrafend,

Mit wunderbarem Licht dein Bild erhellte,

Veſthielt was wankend, weckte was da ſchlafend,

Ja Selbſtverneinung abzwang der Verneinung,

Und deine Freiheit, die die Bruſt ihm ſchwellte,

Der Welt entgegenſtellte,

Den Mittler neuvermittelnd an die Neuen,

Warſt du es nicht der dieſen Mann beſeelte

Und in ihm war? Ihn quälte

Jedoch die Welt, ſtatt ſeiner ſich zu freuen,

Die Buchſtabſelige! und ſchwache Fliegen,

Doch böſe, mußt' er mühevoll beſiegen.
[66]
So will ich ernſt und trauernd überlegen

Was maßen ward dein Leib für mich gebrochen,

Und freudig wird alsbald mein Sinn ſich heben

Und liebender mein Herz und reiner pochen.

Iſt doch, weil nur dein Tod es zu erregen

Vermocht, mir doppelt wert das höchſte Leben,

Und wenn uns tief durchbeben,

Beim heil'gen Mahle deine tauſend Schmerzen,

Wird gleichſehr, deine Ziele zu erjagen

So lang es uns will tagen,

Ein hoher Mut befeuern alle Herzen.

Und alſo wird dein Leib auf geiſt'ge Weiſe

In Wahrheit Himmelsſtärkung uns und Speiſe.
Ihr aber wollt das Abendmahl ja rein nur

Vom blutgeſchichtlich tragiſchen Geſchmacke.

Als „Liebesmahl“ nur mögt ihr es „mitmachen.“

Traun! iſt wo Gold, ſo wollt ihr's ohne Schlacke.

Nun iſt zwar Leiden ohne Leib ein Schein nur,

Und Chriſti Leiden Stärkung für mich Schwachen,

Doch ſei's! Spitzfindig flachen

Lehrwuſt gar ſelbſt nicht mag ich alter Zeiten.

Nur ſagt mir auch, ihr Guten! wie man könnte,

Wenn Undank es begönnte,

Zu einem Liebesmahle ſich bereiten.

Wie mag ich euch doch meine Liebe ſchenken

Wenn ich des großen Freunds nicht ſoll gedenken?
[67]
Iſt's Thorheit nicht, für Menſchenheil zu ſterben

Wenn keine Thräne unſern Hügel feuchtet?

Geſchlechter opfern ſich und gehn zur Ruhe

Und denken: „Alſo lang die Sonne leuchtet

Wird unſre Liebe Liebe ſich erwerben.“

Ihr Thoren, ihr! was Einer immer thue,

Schläft er in dunkler Truhe,

So mag er ſchlafen, ſein gedenkt man nimmer.

So ſei uns denn das Höchſte das Genießen!

Laßt uns mit Spott begießen

Wer uns noch ſpricht von hoher Liebe Schimmer!

Laßt unſer Alles wilde, ſchnöde Luſt ſein!

Die Menſchheit iſt kein Ganzes voll Bewußtſein!
Erkennet doch! In lobenswertem Streben

Spannt ihr durch Land und Meer die Eiſendrähte.

Was hilft's? Fortglüht der Herrn und Knechte Feindſchaft.

Die Lebenden vereint ſolch Hochgeräte

Dann erſt wenn ihre Toten ihnen leben

Und Herzenselectricität Verein ſchafft.

Die geiſtige Gemeinſchaft,

O kennet ſie, die Zeit wie Raum beſieget

Und, ſo Jahrhunderte wie Länderſtrecken

Vernichtend, Schmerz mag wecken

Daß uns in heil'gem Kampf ein Freund erlieget!

Als Ganzes muß die Menſchheit ſich begreifen,

Soll ſie nicht ewig ratlos kreiſend ſchweifen.
[68]
Faßt und begreift die tragiſche Bedeutung

Der Handlung wie wir pflegen ſie zu halten.

Da ſteht uns Chriſtus mit den Wundenmalen

Und um ihn her die blutenden Geſtalten

All derer die des Menſchenheils Erbeutung

Mit ihm und durch ihn heldengroß bezalen.

In heil'gen Opferſchalen,

Als frommen Marterthumes Darſtellniſſe,

Sind da des Weinſtocks und der Aehre Gaben,

Damit wir Zeugen haben

Wie edle Liebe groß zu ſterben wiſſe.

Tiefernſt fühlt Jeder die Gemeinverpflichtung

Wie vor ſich geht die heilige Verrichtung.
So muß den Tod des Herrn ſein Volk verkünden

Und allgemeine Todesweihe fodern

Bis daß er kommt, bis daß er ſiegreich kehret

Aus weltenalterlangem Kampfeslodern.

Dann wird der ganzen Menſchheit ſich entzünden

Sein Leben wie ſie ſeinen Tod geehret.

Dem Friedefürſten wehret

Alsdann kein Feind mehr und im Erdengaden

Verbreiten ſeines Geiſtes Anortnungen

Bei Völkern aller Zungen

Erkenntniß als Kanäle höchſter Gnaden.

Dein Leib ward nicht umſonſt dahin gegeben,

Mein Heiland! dieſes Glaubens laß mich leben.
[[69]]

CanzoneXII.

Den Tauftag meines Sohnes grüßet munter

Mit lautem Chor der Kirchenſpatzen Völklein

Wie tiefer thurmab gleitet Sonnenröte

Und ſacht verglimmen wangenglühe Wölklein.

Ein friſcher Morgenwind weht ſanft herunter

Daß er zum Feſttag ſeinen Gruß entböte.

Wenn innerlich erhöhte

Gemütsſtimmung das Leben uns begeiſtet,

Wie iſt die Erde ſchön! Und ſie wär' ſchöner

Wenn nicht wie Tagelöhner

Die Menſchen, ach! ihr Königswerk geleiſtet.

Es bleibt die Schönheit der Natur verhüllet

So lang der Lügengeiſt die Welt erfüllet.
[70]
O Gottentfremdung, einzig Eine Sünde,

Wie haſt du mein Geſchlecht mir zugerichtet!

Verfinſtert der Verſtand! Verſtockt die Herzen!

Und der Geſellſchaft Grundortnung vernichtet!

Wer iſt ſo klug daß Einklang er ergründe

Wo üppig wuchern Millionen Schmerzen?

Ach! ſelbſt die Himmelskerzen

Des Lichtes leuchten nicht den „Ewigblinden“

Und „äſchern Stadt und Land ein“ zum Beweiſe

Daß ſich im Jammerkreiſe

Drehn muß die Menſchheit bis ſie Gott mag finden.

Das iſt die Wahrheit jener alten Lehre

Daß erblich ſtets die Sünde wiederkehre.
Denn innerſtes und äußeres Verderben

Erzeugen für und für ſich wechſelſeitig

Und graunvoll hoffnungsloſe Doppelknechtſchaft

Macht was da Menſch heißt ſich als Beute ſtreitig.

Geſteigert muß dies Elend ſtets vererben

Die Lügenſchöpfung welche das Geſchlecht ſchafft.

Weh! niemand iſt der recht ſchafft.

Geſammtbeziehungslos hinſchwirrend ſpielen

Der menſchlichen Natur verkannte Triebe.

Erkenntniß gibt die Liebe

Von Sonderkräften und gemeinen Zielen

Allein ja und die Liebe ward zum Spotte.

Es ſchaut der Menſch den Menſchen außer Gotte.
[71]
Da iſt von Menſchenachtung kein Gedanke,

Kein Sinn für eigenthümliche Entfaltung,

Kein Ahnen daß darin die Grundbeſtände

Vorhanden göttlicher Geſammtgeſtaltung.

Da wuchert widrig wild der Frechheit Ranke

Wenn nicht an toter Formeln ſtarre Wände

Sie binden plumpe Hände.

Wer weiß von Einem Gott und vielen Kräften?

Wer weiß von Einem Leib und vielen Gliedern

Und ehret auch die niedern

Und weiß von Aller nützlichen Geſchäften?

Durch Gottentfremdung fiel der Menſchheit Ganzes

Wie Blumen auseinander eines Kranzes.
O nehmt mein Kind und bringt's dem Kinderfreunde

Der einer neuen Menſchheit Vater worden!

Da wo er ſteht iſt eine reine Stelle,

Da kann die Sünde nicht mein Würmlein morden,

Da herzt und ſegnet es die welterneu'nde

Hehrheil'ge Hand und ſtreut ihm Himmelshelle

Hold auf des Lebens Schwelle

Und ſtellt es hin als groß im Gottesreiche,

Obgleich auch über ihm ſchon ſchwebt Verdammung

Daß die Geſammtverſchlammung

Sein Füßlein, wie es wandeln lernt, erreiche.

Ein Kind iſt ja nur mögliches Entfalten.

Wird mir's die arge Welt nicht arg geſtalten?
[72]
O nimm hinweg, den Schatten weg, den kalten,

Der ſchon die junge Stirn beſtreicht, mein Heiland!

Laß deine Taufe meines Kindes Wiege

Umſtrömen wie ein unnahbares Eiland

Wo deine Heiligen Gemeinſchaft halten

Als Himmelsvolk das da die Welt beſiege.

In Jüngerarmen liege

Und wachſe es als Glied der Neugeſellſchaft,

Wo ſich das Heil vererbt wie dort das Kranken

Und wo der Gottgedanken

Aus Allem leuchtet wie er Alles hell ſchafft.

Da wird es heiliger Gemeingeiſt lehren

Und Waſſertauf' in Feuertaufe kehren.
Wol weiß ich, ach! daß nicht am gleichen Ort lebt,

Daß dünn zerſtreut das Häuflein deiner Söhne,

Doch ſo nur zeigt es allwärts das Verderben

Und zeigt es allwärts deine Himmelsſchöne

Und jeder Chriſt, in dem dein Geiſt und Wort lebt,

Muß die Genoſſen, die er wünſcht, erſt werben.

Sollt' ich drum frühe ſterben,

Wirſt in Geſtalt erleuchtet frommer Männer

Du meinem Kinde da und dort erſcheinen

Und dir den Jüngling einen

Als einſichtsvoll lebendigen Bekenner.

Mein Kind, wenn Gott das Leben ihm verleihet,

Der unſichtbaren Kirche ſei's geweihet.
[73]
Sei denn getauft im Namen des Dreieinen,

Den wir als Ausgang, Weg und Heimkunft kennen,

Und der als jedes Dieſes alle Drei iſt,

Wie Größe ſich und Grenze niemals trennen,

Und ſollte Solches dir einſt dunkel ſcheinen,

Mein Sohn, wenn deine Kindeszeit vorbei iſt,

So wiſſe daß da frei iſt

Und bleibt in Gott wer in der Liebe bleibet,

Und habe Chriſtum lieb in allem Leben,

Und ſelig ſüßes Beben

Wird dir bezeugen daß der Geiſt dich treibet

Und daß an dir erfüllt iſt was dem Glauben

Verheißen und kein Schickſal dir wird rauben.
Ihr aber, Murmelquellen dieſer Erde,

Ihr Brunnen Gottes, ſel'ger Ruhe Stätten,

Ihr Ströme die ihr hohe Rede tauſchet,

Ihr Alpenſeeen in den Felſenbetten

Wo ſtolz euch bettete der Allmacht Werde,

Und du o Weltmeer das da tiefaufrauſchet,

Wenn einſt mein Jüngling lauſchet

Dem Zauber eurer ew'gen Melodeien,

Dann laßt ihn ſtill ſich in ſich ſelbſt verſenken

Und kindlich fromm gedenken

Der Tropfen die ihr gabet ihn zu weihen.

Erzählt ihm von der Menſchen Wehethume

Das ihr geſehen, und von Jeſu Ruhme.
4[74]
Denn Jeſus iſt der Herr und wird's vollenden,

Wie er's begonnen und geführt bis hieher.

Den Kopf zertrat er ja der alten Schlange

Als in ſich ſelbſt er ſtellte Harmonie her

Und die nicht ſchweigte, nein, für alle Enden

Der Welt ausgoß in ſäuſelnd ſanftem Klange.

Was ringreich uns ſo bange

Umwindet, iſt nur mehr des Schlangenleibes

Graunvolles Qualgeſchling und Todeszucken,

Das uns noch will erdrucken.

Fahr hin! dich traf der Same längſt des Weibes.

Es gibt der Geiſt uns Zeugniß deines Falles.

Der auf dem Stuhl ſitzt ſpricht: „ſieh! neu wird Alles!“
[[75]]

CanzoneXIII.

Von Menſchheit hör' ich ſagen viel und ſingen

Und von dem Heil der Maſſen durch die Maſſen.

Die Menſchheit aber iſt wo Jeſu Geiſt iſt‚

Und dieſer mag zwar bildend wol erfaſſen

Die Menge, doch ſie ihn hervor nicht bringen,

Weil das Geſchlecht von ſolcher Kraft verwaist iſt.

Wenn das Gefild enteist iſt,

Pfropft ſtill ein Wundergaſt und ſieh! nach Jahren

Beugt ſüße Fruchtlaſt ſeine Himmelsſchöſſe

Derweil, wie ſtark es ſpröſſe,

Allſtets nur herbe Holzfrucht läßt gewahren

Das ungepfropfte Aſtwerk, das daneben

Derſelbe Thau, daſſelbe Licht umſchweben.
4 *[76]
Der Geiſt allein iſt ewig machtvollkommen.

Die Maſſen in Palläſten und in Hütten,

Am Webſtuhl und im Lehrſtuhl und auf Thronen,

Sie können, was zerrüttet, mehr zerrütten,

Doch ſchaffen nichts, nichts was da möchte frommen,

Nichts was der Mühe wahrhaft möchte lohnen.

Laß blitzen deine Kronen,

Du königliches Volk der Geiſtbetrauten,

Du Mittlerſchaft die ſich der Herr erküret,

Denn dir allein gebühret

Zu bauen neuer Menſchheit Himmelsbauten.

Der Geiſt allein vermag aus Sündenketten

So Könige wie Völker zu erretten.
Die löblichſte Gewohnheit iſt unlöblich,

Iſt Sünde, weil gedankenloſes Treiben.

Wie fänden der Gewohnheit ew'ge Knechte,

Sie die in altgewohntem Schlendern leiben

Und leben, Gottes Thun verkennend gröblich,

Wie fänden ſie das Gute und das Rechte?

Vom Pantherthiergeſchlechte

Und Mohren fordert ihr kein Hautverwandeln.

Weiß auch ein Baum wo der Veredlung Spur iſt?

So mag, was nur Natur iſt,

Niemals aus Freiheit und für Freiheit handeln.

Doch Gottes Huld ſind alle Dinge möglich.

Ihm iſt das Unbewegliche beweglich.
[77]
Von Sünde frei iſt wer da kommt zum Vater.

Wer aber führt zu ihm als die ihn kennen?

Wer auch verſteht der Menſchen Sinn zu leiten

Daß ſie für das Unendliche entbrennen?

Wer iſt der Künſte Meiſter und Berater

Die äußerlich den Menſchen gern befreiten,

Ihm Muße zu bereiten

Aus Not und, ach! geiſtloſer Arbeit Fluche?

Wer weiß, wer ahnt zum Mindeſten, die Mittel

Die uns aus dieſem Spittel

Erlöſen möchten, wie dort ſteht im Buche?

Wer ſchafft und gründet? gibt uns Hoffnungsſchimmer?

Nur Einzle ſind's, die Maſſen ſind es nimmer.
Das Chriſtenthum iſt ſel'ger Spiele Spiegel

Und Feſtluſt der Geſalbten heißt ſein Name.

Des Meiſters heitrer Geiſt mag niemand gönnen

Zweckloſer Luſtentſagung Uebernahme.

Doch ob ihm offen alle Himmelsriegel

Und er wol hätte Freude haben können,

Ward er, daß wir entrönnen

Der Armut, ſelbſt arm, wählte Schmach ſtatt Ehren.

So mag auch nur, wen gleiche Liebe ſpornet,

Des Menſchenheils bedornet

Schmerzreichen, rauhen Pfad zu gehn begehren.

Kein Mühſal ſcheut, zu bahnen höchſtem Wandeln,

Wen Eins nur freut: zu ſchauen Gottes Handeln.
[78]
Wohlthätig, Kranke heilend, lehrend wallte

Der Meiſter und ſo mögen auch die Seinen

Der Leiber wie der Geiſter ſich erbarmen.

Wie Sünde ſich und Uebel gern vereinen,

So mögen wir daß, wo die Predigt ſchallte,

Auch leiblich werde Linderung den Armen.

Uns will das Herz erwarmen

Beim Anblick des verkommenen Geſchlechtes.

Und ſo wie zweierlei iſt unſrer Liebe Segen,

So iſt auch allerwegen

Stets zweierlei der Lohn den wir als ächtes

Beglaubigen empfangen unſrer Uebniß:

Leibliche Not und geiſtliche Betrübniß.
Ach! ſüßer iſt es freilich ſtill zu blühen

Am Gottesbaume als mit ſcharfem Stale

Gelöst, noch heimwehträufend, fern von Eden,

Verpflanzt zu werden in die Erdenthale.

Weit ſüßer als Prophetenamtes Mühen

Iſt mit den Vögelein beſchaulich reden.

Doch zu des Lebens Fehden

Drängt unerbittlich fort aus Hirtenruhe,

Getreue Jünger, euch des Meiſters Liebe,

Auf daß ihr nicht wie Diebe

Des Heiles Schatz verhehlt in toter Truhe.

So lang Geheimgut letzte Herrlichkeiten,

Heißt Mittlerthum das Heilswort aller Zeiten.
[79]
Mag ſtumpf die Welt dem alten Joch ſich beugen

Das längſt den Nacken blutig ihr gerieben,

Ihr blöder Blick ſoll uns nicht niederſchlagen,

Die ſchöne Hoffnung ſoll uns nicht zerſtieben.

Als treue Wächter wollen wir bezeugen

Den Gang der Nacht und das gewiſſe Tagen.

Hoch ſei einhergetragen

Das Glaubensbanner das da ſpricht erfreulich

Von dem was man nicht ſieht. Denn nur der Glaube

Läßt uns nicht ſein zum Raube

Der Trägheit und nur er führt uns getreulich.

Geduld iſt not. Durch Glauben und Vertrauen

Läßt Gott den Tag der Zukunft uns erſchauen.
Es ſchläft die Welt den Todesſchlaf wie immer

Und da iſt kaum was möchte Hoffnung geben,

Doch durch den Glauben iſt uns klar entfaltet

Daß Gott in unſer Nichts gepflanzt ſein Leben

Und daß dies All in ſeiner Prachten Schimmer

Das bloße göttlich ſtarke Wort geſtaltet.

Drum, wenn das Wort nur ſchaltet,

Braucht's weiter nichts, noch einen ſchönern Himmel

Und eine ſchön're Erde ſtill zu bilden

In deren Luſtgefilden

Sich regt der neuen Gottmenſchheit Gewimmel.

Die blöde Welt, ach! blendet ſolches Hoffen,

Allein der Glaube ſieht die Zukunft offen.
[80]
Im Glauben, da Gott Abraham berufen,

Ging dieſer aus und wußte nicht vom Ziele

Und wohnte als ein Fremdling unter Zelten.

Gewärtig was zu ſtiften Gott gefiele.

Im Glauben trat herab von Thronesſtufen

Ein Moſes weil er anſah das Vergelten.

Das kühne Donnerſchelten

Der heiligen Propheten kam vom Glauben.

Im Glauben trank Sokrates Gift, und ſandte

Der Heiland ungewandte

Sendlinge gen der Sünde Todesſchnauben.

Im Glauben ſtach Kolumbus in die Meere,

Und ſcheute Luther nicht der Weltmacht Heere.
Im Glauben wirkten alle Männer Gottes,

Und Viele litten Bande und Gefängniß.

Sie ſind geſteiniget, zerhackt, zerſtochen,

Durch's Schwert getötet. Jeglicher Bedrängniß

Und Not bloß, waren ſie ein Ziel des Spottes.

Sie, deren unwert war die Welt, verkrochen

In Wüſten, auf Bergjochen,

In Klüften ſich und Höhlen. O wir haben

Im Kampf noch bis auf's Blut nicht widerſtanden!

Uns mache nicht zu Schanden

Die Schaar der Zeugen die uns ſtets umgaben!

Seht auf den Meiſter, der das Widerſprechen

Der Welt trägt, ach! bis ihm die Augen brechen.
[81]
So lang auf Erden Etwas zu erlöſen,

Seid ihr nicht ganz erlöst. Ihr müßt's ja fühlen!

Nicht euer Ich iſt euer Selbſt, das wahre,

Das ganze Selbſt. Zwar auf des Glaubens Pfühlen

Ruht ſelig euer Haubt, und frei vom Böſen

Iſt euer wahres Selbſt, das volle, klare.

Sich ewig offenbare,

Doch neuſtets ſpielt ihr ſel'ges Spiel die Liebe,

Schafft Leere ſtets, ſchafft Sehnſucht nach Erfüllen,

Und will, in ſolchen Hüllen

Sich ſchauend, drin erlöſen eigne Triebe.

In euer leeres Ich kam ſie hernieder,

Und iſt ſie 's wirklich, liebt und löst ihr wieder.
Es will durch euch der Herr den Geiſt ausgießen,

Und was ihr laßt gebunden, bleibt gebunden,

Und was ihr löſet, iſt gelöst. Die Bande

Der Sündenknechtſchaft an der Menſchheit wunden

Gliedmaßen könnet ihr, nur ihr, aufſchließen.

Von euch erwarten Freiheit alle Lande.

Zu ſüßem Liebesbrande

Entfache ſtill die Welt denn euer Hauchen,

Bis Liebe Wahrheit, Wahrheit Freiheit bringe,

Und neuſchön alle Dinge,

Vom Scepter bis zum Pflug, aus Gott auftauchen.

Euch iſt das Amt der Schlüſſel übertragen,

Und eitles Klagen iſt nur Selbſtanklagen.
[82]
Sitzt aber träg ihr auf des Geiſtes Thronen,

Wird dumm der Erde Salz, die Leuchte dunkel,

Dann ſeid in Wahrheit ihr nur tote Maſſen,

Doch wißt: wie fernſter Sterne Urgefunkel

Herfliegt und uns erglänzet nach Aeonen,

So naht, aus tiefſtem Himmelsraum entlaſſen,

Den Erdball zu erfaſſen,

Ein Lebenswürzeſtrom, von Gott erſehen

Eh' er den Erdball ſchuf, daß er die Seinen

Erwecke ſich aus Steinen,

Wenn ihr nicht möchtet ſeine Huld verſtehen.

Erfüllt doch Chriſtus die Unendlichkeiten

Und kann ſein Werk auch ohne euch bereiten.
[[83]]

CanzoneXIV.

Wie heult es herzzerſchneidend durch die Lüfte!

Wie tost es durch den Wald! Von jenen Bäumen,

Den ſtattlich hohen, ſtöhnt gewalt'ges Stöhnen.

Es wirft der Sturm des Waſſerſturzes Schäumen

Und zerrt und läßt ihn raſen in die Klüfte.

Wie leuchtet neuſtets vor dem Donnerdröhnen

Der Fels im prächtig ſchönen

Blitzglanz! Verkehrt in Nacht iſt Tag. Es fallen

Die Tropfen ſtärker, doch mich ſchirmt, o Buche!

Dein Laubdach. Keinem Fluche

Mehr bebt dies Herz wenn wilde Stimmen ſchallen.

Du haſt ganz andre Stürme mir geleget,

O Herr! und ſie auch hatte Huld erreget.
[84]
Beſtimmungsloſes Fühlen iſt kein Fühlen.

In Schmerz und Luſt nur iſt Gefühl entfaltet.

Drum ſpannt das ewig-eine Wort und bricht ſich,

Als Widerſpruch und Unortnung geſtaltet.

Und Wahn und Lüge, Haß und Tod durchwühlen

Die Welt. Doch ſieh! mit Finſterniß verſticht ſich

Und zeigt der Liebe Licht ſich

Urſtets, der Liebe Leben, denn begründet

In ew'ger Einheit nur iſt ew'ges Brechen.

Da muß der Bruch ſich rächen

Durch Sehnſuchtsweh, und ſel'ges Heil verbündet

Treu mit Verſöhnung ſich und ſtiller Friede.

Drob preist, o Herr! auch mein Herz dich im Liede.
Und wird nun wer gefangen war wol ſagen:

Gebt nochmals Ketten daß ich freier werde?

Und wer wird ſprechen: laßt uns mehr erkranken

Um beſſer zu geſunden? Menſch von Erde!

Wie ſollten mit der Sünde wir uns tragen

Der wir geſtorben ſind, da in Gedanken

Mit ſterbensvollem Wanken

Der alte Menſch in uns zum Tod begleitet

Den Herrn vom Himmel, der in uns nun lebet?

Wenn's von den Lippen bebet:

O felix culpa!“ gibt's kein Fleiſch das ſtreitet.

Verſöhnt iſt Alles. Von der Sünde Schranken,

Nun ſie zertrümmert, aufweint brünſtig Danken.
[85]
Hier haben keine Stimme, die am Satze

Des Widerſpruches abzugweiſe hangen

Und deren Denkthat wirklich noch im Grauen

Des Bruches und des Widerſpruchs befangen.

Mit Recht bezeugen ſie die Teufelsfratze

Die ſie als Hinterhaubt des Guten ſchauen.

Ich möcht' im bläulich grauen

Helldunkel eines Tempels lieber ſehen

Ein Jünglingsantlitz qualverſtört und trotzig,

Selbſt etwas läppiſch-protzig,

Doch immer gotthaft, während Heilsergehen

Auf vord'rer Janusſtirn freundſelig ruhte

Wie er mit Schlüſſel thront und Königsrute.
Licht überſtrömt vom Kreuze die Geſchichte

Rückwärts und vorwärts. Schmerzenreiches Irren

Bezeichnete des Menſchen erſtes Wollen

Auf Erden, doch in ſtets vermehrte Wirren

Trat Wahrheit aus prophetiſchem Geſichte,

Und dringender auftrat erhab'nes Sollen,

Bis Wahrheit mit dem vollen

Inhalt der Heiligkeit ſich offenbarte.

Dem Jugendſchmerz wird Altersheil entblühen.

Es läßt nach unſern Mühen

Der Herr uns ſchau'n was er uns aufbewahrte.

Einmal muß des Geſchlechtes Frucht ſich ſonnen.

Sei neuer Siegel Aufſchluß dann begonnen.
[86]
Wir harren einer Ortnung ird'ſcher Dinge

Die Gottes Reich verdient genannt zu werden.

Nur geiſtig iſt ſein Reich und darum eben

Soll Alles geiſtgeortnet ſein auf Erden.

In Adams Reich iſt Arbeit Fluches Schlinge,

In Gottes muß ſie ſich zum Spiel erheben.

In Adams Reich erſtreben

Sich beſte Kämpfer ſelten heil'gen Frieden,

In Gottes iſt er Allen, wie dem Kinde

Aus Gnaden gar geſchwinde

Und ſonder Mühe noch Verdienſt beſchieden.

O komm du Spiegel ſel'ger Gottesklarheit,

Komm bald und ſei des Kreuzes äuß're Wahrheit.
Wie ſpannt dort anmutreich der Regenbogen

Sich ob der tiefen, duftig grünen Schneuſe!

Der Aufruhr der Natur hat ausgewütet

Und freundlich ſchließt der Himmel ſeine Schleuſe.

So tret' ich denn heraus, euch Balſamwogen

Des Waldes friſch zu trinken, denn behütet

Hat ſeinen frohgemütet

Dankbaren Knecht der Herr auch diesmal wieder.

O Amſelſchlag, o volles, reiches Tönen!

Und rings wie viel des Schönen!

Erquickung ſtrömt durch Herz und Haubt und Glieder.

Mit mark'gen Knochen ſteht zugleich im Leben

Wer wahrhaft ſich dem Himmel hat ergeben.
[87]
O Freudigkeit des Glaubens!

Den Satan ſah auch ich vom Himmel fallen

Wie einen Blitz. Was bleibt vom Wetterſcheine

Wenn er erloſch? Das reine,

Das heitre Blau wo ew'ge Sterne wallen,

Wo, ſchöngeſchmückt zu prieſterlichem Handeln,

Die ſeligen Gedanken Gottes wandeln.
[[88]]

CanzoneXV.

Eins weiß ich, Andres glaub' ich nur zu wiſſen.

Ich weiß das mein Erlöſer lebt und treu iſt.

Im Lachen weiß ich dies und unter Thränen

Weil er in Wol und Weh mir immer neu iſt.

Ich habe redlich mich vor ihm befliſſen,

Als unter ſeinen Augen, alles Wähnen

Und mißverſtand'ne Sehnen

Zu ihm zu bringen als zum Vollgenügen

Der Heiligkeit und Wahrheit, und ich glaube

Nicht daß mein Thun zum Raube

Dem Wahn, zur Beute ward dem Selbſtbetrügen.

Doch nur auf Eins mag leben ich und ſterben:

Mein Jeſus lebt und läßt mich nicht verderben.
[89]
So lang ich lebe, muß ich denkend leben,

Und ſoll ich anders denken als ich denke,

So wirſt du, mein Erlöſer, mich es lehren,

Und wenn ich hier der Welt nur Irrwahn ſckenke,

So wirſt du ihr dafür die Wahrheit geben

Und wirſt, die ich verführte, ſelbſt bekehren.

Ich wollte dich ja ehren,

Mein Heiland, und du weißt daß ich dich liebe.

Auch glaub' ich nicht daß ich mich ſelbſt bethöre,

Denn wenn ich dich verlöre,

So wüßt' ich nicht was von dem Allen bliebe

Was betend ich und weinend dir geſungen.

Warſt du Beherrſcher doch auch meiner Zungen!
Wie jegliches vollbrachte Werk, ſo mahnet

Auch dieſes an den Tod mich, drum erſcheinet

Mir ſo unweſentlich was ich vollbrachte.

Und freilich wenn mir Alles was da ſcheinet,

Wenn dieſe Welt, die du mir haſt gebahnet,

Wenn dieſes Denken, das in dir ich dachte,

Das ſich in dir entfachte,

Dereinſt zu kleinſtem Durchmaß in ſich ſinket.

So wie die Glieder mählig mir erkalten

Und nur im Herzen walten

Noch mag was ew'gen Lebens Abglanz blinket,

Dann iſt mein Alles, bei dem Allverſchwinden,

In meines Herzens Herzen dich zu finden.
[90]
Dem Leben was des Lebens!

Weil noch dies Herz ausſtralt endloſe Sphären

Und allwärts den Geliebten mag erſchauen,

So will ich, voll Vertrauen,

Was ich geſchaut auch vor der Welt verklären.

Geht hin, o Lieder! Grüßt mir die Getreuen.

Der Herr iſt Gott im Alten und im Neuen.
[[91]]

Anhang.

[ [92]][[93]]

Hymnus.


Einzele Stimme.

Was iſt das für ein Glanz und Stral?

Halbchor.

Es ſteht verklärt ein Todespfal.


Stimme.

Ein kahler Kreuzesſtamm ſchlägt aus?


Halbchor.

In einen grünen Lebensſtrauß!


Stimme.

Sagt, was belebt ihn für ein Saft?


Halbchor.

Es iſt der Liebe Wort und Kraft.


Stimme.

Was fließt in ſeinen Adern gut?


Halbchor.

Es iſt ein dreimal heilig Blut.


[94]
Geſammtchor.

Wie ſteht der Baum ſo göttlich kühn!
Wie rauſchet uns der Aeſte Grün!
Des Himmels Lichter glänzen dran
Und Früchte roſig angethan!
O Weihnachtsbaum, o Lebensholz,
O Demutsſtamm, o Freiheitsſtolz,
Erhebe dich am Strom der Zeit
Voll Kraft und Herrlichkeit!

Einzele Stimme.

Hat nicht die Erde ſich bewegt?


Halbchor.

Der Bauherr hat den Grund gelegt.


Stimme.

Was beut ſich meinen Blicken dar?


Halbchor.

Ein Münſter hehr und wunderbar.


Stimme.

Wie heißt der Grundſtein?


Halbchor.

Jeſus Chriſt.

Stimme.

Wie heißt der Schlußſtein?


Halbchor.

Jeſus Chriſt.


Stimme.

Wie heißt die Säule?


[95]
Halbchor.

Jeſus Chriſt.


Stimme.

Nennt mir den Gott auch.


Halbchor.

Jeſus Chriſt.


Geſammtchor.

O Kirche Chriſti, Braut und Chriſt,
Wie Prieſter du und Opfer biſt,
Gott und Gemeine allzugleich,
An aller Gottesfülle reich,
Du voller Mond, Abglanz des Herrn,
Du ſelber Herr, du nah, du fern,
O Münſter, rage himmelhoch
Und ſei der Himmel doch!


Einzele Stimme.

Was rauſcht ſo wunderlieblich gar?


Halbchor.

In Kanaan ein Bergquell klar.


Stimme.

Was deckt wie Meeresflut das Land?


Halbchor.

Erkenntniß Gottes wird's genannt.


Stimme.

Wer iſt die Quelle?


Halbchor.

Jeſus Chriſt.


[96]
Stimme.

Wer iſt das Weltmeer?


Halbchor.

Jeſus Chriſt.


Stimme.

Wer hat beſiegt den grimmen Tod?


Halbchor.

Der uns Erkenntniß Gottes bot.


Geſammtchor.

O du dich ſelbſt Ergründender,
Uns ew'ges Leben Spendender,
Gott Vater, Sohn und heil'ger Geiſt,
Der ſich als Eines uns erweiſt,
Alleins, Allmittler, Jeſu Chriſt,
Du aller Schönheit Umkreis biſt!
Auf! geſtern Jeſus Chriſt und heut',
Derſelb' in Ewigkeit.

Ende

Appendix A

Druck von Otto Wigand in Leipzig.


[[97]]

Appendix B Druckfehler.


S. 43. Z. 2. v. o. ſetze nach Straßen ein Komma.


S. 89. Z. 6. v. u. iſt nach ſinket ebenfalls ein Komma ſtatt des Puncts zu ſetzen.


[]

Appendix C

Leipzig
Verlag von S. Hirzel.

1854.


Appendix D

Druck von Otto Wigand in Leipzig.

[][][]

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CC-BY-4.0
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Candidus, Karl. Der deutsche Christus. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bj0m.0