[][][][][][][][]
[figure]
[[I]]
Peter Schlemihl's
wunderſame Geſchichte



Mit einem Kupfer.


Nuͤrnberg,
: bei Johann Leonhard Schrag.
1814.
[[II]]

An
Adelbert von Chamiſſo.



Trift Frank' und Deutſcher jetzt zuſammen,

Und Jeder edlen Muth's entbrannt,

So faͤhrt an's tapfre Schwert die Hand,

Und Kampf entſpruͤht in wilden Flammen.
Wir treffen uns auf hoͤherm Feld,

Wir zwei verklaͤrt in reinerm Feuer.

Heil Dir, mein Frommer, mein Getreuer,

Und dem, was uns verbunden haͤlt!
Fouqué.
[[III]]

Dem
Herrn

Regierungs-Aſſeſſor und Buchhaͤndler
J. E. Hitzig,


 

Wohlgeboren,
  in
Berlin
.

[[IV]][V]

Vorwort.


An
Freund Eduard
.



Bewahren, lieber[Eduard], ſollen
wir die Geſchichte des armen Schlemihl,
dergeſtalt bewahren, daß ſie vor Augen,
die nicht hineinzuſehn haben, beſchirmt
bleibe. Das iſt eine ſchlimme Aufgabe.
Es gibt ſolcher Augen eine ganze Menge,
und welcher Sterbliche kann die Schickſale
eines Manuſcriptes beſtimmen, eines Din¬
[VI] ges, das beinah noch ſchlimmer zu huͤten
iſt, als ein geſprochenes Wort. Da mach'
ich's denn wie ein Schwindelnder, der in
der Angſt lieber gleich in den Abgrund
ſpringt: ich laſſe die ganze Geſchichte
drucken.


Und doch, Eduard, es gibt ernſtere
und beſſere Gruͤnde fuͤr mein Benehmen.
Es truͤgt mich Alles, oder in unſerm lie¬
ben Deutſchlande ſchlagen der Herzen viel,
die den armen Schlemihl zu verſtehen
faͤhig ſind und auch werth, und uͤber manch
eines aͤchten Landsmannes Geſicht wird bei
dem herben Scherz, den das Leben mit
ihm, und bei dem argloſen, den er mit
ſich ſelbſt treibt, ein geruͤhrtes Laͤcheln
[VII] ziehn. Und Du, mein Eduard, wenn
Du das grundehrliche Buch anſiehſt, und
dabei denkſt, daß viele unbekannte Her¬
zensverwandte es mit uns lieben lernen,
fuͤhlſt auch vielleicht einen Balſamtropfen
in die heiſſe Wunde fallen, die Dir und
Allen, die Dich lieben, der Tod geſchla¬
gen hat.


Und endlich: es gibt — ich habe mich
durch mannichfache Erfahrung davon uͤber¬
zeugt — es gibt fuͤr die gedruckten Buͤcher
einen Genius, der ſie in die rechten Haͤn¬
de bringt, und, wenn nicht immer, doch
ſehr oft die unrechten davon abhaͤlt. Auf
allen Fall hat er ein unſichtbares Vorhaͤng¬
ſchloß vor jedwedem aͤchten Geiſtes- und
[VIII] Gemuͤthswerke, und weiß mit einer ganz
untruͤglichen Geſchicklichkeit auf- und zuzu¬
ſchließen.


Dieſem Genius, mein ſehr lieber
Schlemihl, vertraue ich Dein Laͤcheln
und Deine Thraͤnen an, und ſomit Gott
befohlen!


Fouqué.

[IX]

Du vergiſſeſt Niemanden, Du wirſt
Dich noch eines gewiſſen Peter Schle¬
mihl's erinnern, den Du in fruͤheren Jah¬
ren ein paar Mal bei mir geſehen haſt, ein
langbeiniger Burſch', den man ungeſchickt
glaubte, weil er linkiſch war und der we¬
gen ſeiner Traͤgheit fuͤr faul galt. Ich hatte
ihn lieb, — Du kannſt nicht vergeſſen ha¬
ben, Eduard, wie er uns einmal in un¬
ſerer gruͤnen Zeit durch die Sonnette lief,
ich brachte ihn mit auf einen der poetiſchen
Thee's, wo er mir noch waͤhrend des Schrei¬
bens einſchlief, ohne das Leſen abzuwarten.
Nun erinnere ich mich auch eines Witzes,
den Du auf ihn machteſt. Du hatteſt ihn
nemlich ſchon, Gott weiß, wo und wann,
[X] in einer alten ſchwarzen Kurtka geſehen,
die er freilich damals noch immer trug, und
ſagteſt: “der ganze Kerl waͤre gluͤcklich zu
ſchaͤtzen, wenn ſeine Seele nur halb ſo un¬
ſterblich waͤre, als ſeine Kurtka.„ — So
wenig galt er bei Euch. — Ich hatte ihn
lieb. — Von dieſem Schlemihl nun,
den ich ſeit langen Jahren aus dem Geſicht
verloren hatte, ruͤhrt das Heft her, das ich
Dir mittheilen will — Dir nur, Eduard,
meinem naͤchſten, innigſten Freund, mei¬
nem beſſ'rem Ich, vor dem ich kein Ge¬
heimniß verwahren kann, theil' ich es mit,
nur Dir und, es verſteht ſich von ſelbſt,
unſerm Fouqué, gleich Dir in meiner
Seele eingewurzelt — aber in ihm theil' ich
es blos dem Freunde mit, nicht dem Dich¬
ter. — Ihr werdet einſehen, wie unange¬
nehm es mir ſeyn wuͤrde, wenn etwa die
Beichte, die ein ehrlicher Mann im Ver¬
trauen auf meine Freundſchaft und Red¬
[XI] lichkeit an meiner Bruſt ablegt, in einem
Dichterwerke an den Pranger geheftet wuͤr¬
de, oder nur wenn uͤberhaupt unheilig ver¬
fahren wuͤrde, wie mit einem Erzeugniß
ſchlechten Witzes, mit einer Sache, die das
nicht iſt, und ſeyn darf. Freilich, muß
ich ſelbſt geſtehen, daß es um die Geſchichte
Schad’ iſt, die unter des guten Mannes
Feder nur albern geworden, daß ſie nicht
von einer geſchickteren fremden Hand in ih¬
rer ganzen komiſchen Kraft dargeſtellt wer¬
den kann. — Was wuͤrde nicht Jean
Paul
daraus gemacht haben. — Übri¬
gens, lieber Freund, moͤgen hier Manche
genannt ſeyn, die noch leben; auch das will
beachtet ſeyn. —


Noch ein Wort uͤber die Art, wie
dieſe Blaͤtter an mich gelangt ſind. Ge¬
ſtern fruͤh bei meinem Erwachen, gab man
ſie mir ab, — ein wunderlicher Mann,
der einen langen grauen Bart trug, eine
[XII] ganz abgenuͤtzte ſchwarze Kurtka an hatte,
eine botaniſche Kapſel daruͤber umgehangen,
und bei dem feuchten, regnichten Wetter
Pantoffeln uͤber ſeine Stiefel, hatte ſich
nach mir erkundigt, und dieſes fuͤr mich
hinterlaſſen; er hatte, aus Berlin zu kom¬
men, vorgegeben. — — —



P. S. Ich lege dir eine Zeichnung bei, die der
kunſtreiche Leopold, der eben an ſeinem
Fenſter ſtand, von der auffallenden Erſchei¬
nung entworfen hat. Als er den Werth,
den ich auf dieſe Skizze legte, geſehen hat,
hat er ſie mir gerne geſchenkt.


I. Nach
[[1]]

I.

Nach einer gluͤcklichen, jedoch fuͤr mich ſehr
beſchwerlichen Seefahrt, erreichten wir endlich den
Hafen. Sobald ich mit dem Boote an’s Land
kam, belud ich mich ſelbſt mit meiner kleinen
Habſeligkeit, und durch das wimmelnde Volk mich
draͤngend, ging ich in das naͤchſte, geringſte
Haus hinein, vor welchem ich ein Schild haͤngen
ſah. Ich begehrte ein Zimmer, der Hausknecht
maß mich mit einem Blick und fuͤhrte mich un¬
ter’s Dach. Ich ließ mir friſches Waſſer geben,
und genau beſchreiben, wo ich den Herrn Tho¬
mas John
aufzuſuchen habe: — “Vor dem
Norderthor, das erſte Landhaus zur rechten Hand,
ein großes, neues Haus, von roth und weißem
Marmor mit vielen Saͤulen.„ Gut. — Es
war noch fruͤh an der Zeit, ich ſchnuͤrte ſogleich
A[2] mein Buͤndel auf, nahm meinen neu gewandten
ſchwarzen Rock heraus, zog mich reinlich an in
meine beſten Kleider, ſteckte das Empfehlungsſchrei¬
ben zu mir, und ſetzte mich alsbald auf den Weg
zu dem Manne, der mir bei meinen beſcheidenen
Hoffnungen foͤrderlich ſeyn ſollte.


Nachdem ich die lange Norderſtraße hinauf¬
geſtiegen, und das Thor erreicht, ſah ich bald die
Saͤulen durch das Gruͤne ſchimmern — “alſo
hier,„ dacht' ich. Ich wiſchte den Staub von
meinen Fuͤßen mit meinem Schnupftuch ab, ſetzte
mein Halstuch in Ordnung, und zog in Gottes
Namen die Klingel. Die Thuͤr' ſprang auf.
Auf dem Flur hatt' ich ein Verhoͤr zu beſteh'n,
der Portier ließ mich aber anmelden, und ich hatte
die Ehre, in den Park gerufen zu werden, wo
Herr John — mit einer kleinen Geſellſchaft ſich
erging. Ich erkannte gleich den Mann am Glanze
ſeiner wohlbeleibten Selbſtzufriedenheit. Er em¬
pfing mich ſehr gut, — wie ein Reicher einen ar¬
men Teufel, wandte ſich ſogar gegen mich, ohne
ſich jedoch von der uͤbrigen Geſellſchaft abzuwen¬
den, und nahm mir den dargehaltenen Brief aus
[3] der Hand. — “So, ſo! von meinem Bruder,
ich habe lange nichts von ihm gehoͤrt. Er iſt doch
geſund? — Dort,„ fuhr er gegen die Geſell¬
ſchaft fort, ohne die Antwort zu erwarten, und
wies mit dem Brief auf einen Huͤgel, “dort laß
ich das neue Gebaͤude auffuͤhren.„ Er brach das
Siegel auf und das Geſpraͤch nicht ab, das ſich
auf den Reichthum lenkte. “Wer nicht Herr iſt
wenigſtens einer Million,„ warf er hinein, “der
iſt, man verzeihe mir das Wort, ein Schuft!„
“O wie wahr!„ rief ich aus mit vollem uͤber¬
ſtroͤmenden Gefuͤhl. Das mußte ihm gefallen,
er laͤchelte mich an und ſagte: “Bleiben Sie
hier, lieber Freund, nachher hab' ich vielleicht Zeit,
Ihnen zu ſagen, was ich hiezu denke,„ er deutete
auf den Brief, den er ſodann einſteckte, und
wandte ſich wieder zu der Geſellſchaft. — Er
bot einer jungen Dame den Arm, andere Herr'n
bemuͤhten ſich um andere Schoͤnen, es fand ſich,
was ſich paßte, und man wall'te dem roſenum¬
bluͤh'ten Huͤgel zu.


Ich ſchlich hinterher ohne Jemanden beſchwer¬
lich zu fallen, denn keine Seele bekuͤmmerte ſich
A 2[4] weiter um mich. Die Geſellſchaft war ſehr auf¬
geraͤumt, es ward getaͤndelt und geſcherzt, man
ſprach zuweilen von leichtſinnigen Dingen wichtig,
von wichtigen oͤfters leichtſinnig, und gemaͤchlich
erging beſonders der Witz uͤber abweſende Freunde
und deren Verhaͤltniſſe. Ich war da zu fremd,
um von alle dem Vieles zu verſtehen, zu bekuͤm¬
mert und in mich gekehrt, um den Sinn auf
ſolche Raͤthſel zu haben.


Wir hatten den Roſenhain erreicht. Die
ſchoͤne Fanny, wie es ſchien, die Herrin des
Tages, wollte aus Eigenſinn einen bluͤhenden
Zweig ſelbſt brechen, ſie verletzte ſich an einem
Dorn, und wie von den dunkeln Roſen, floß Pur¬
pur auf ihre zarte Hand. Dieſes Ereigniß brach¬
te die ganze Geſellſchaft in Bewegung. Es wur¬
de Engliſch Pflaſter geſucht. Ein ſtiller, duͤnner,
hag'rer, laͤnglichter, aͤltlicher Mann, der neben
[mir] ging, und den ich noch nicht bemerkt hatte,
ſteckte ſogleich die Hand in die knapp anliegende
Schoßtaſche ſeines altfraͤnkiſchen grautaffentnen
Rockes, brachte eine kleine Brieftaſche daraus her¬
vor, oͤffnete ſie, und reichte der Dame mit devoter
[5] Verbeugung das Verlangte. Sie empfing es oh¬
ne Aufmerkſamkeit fuͤr den Geber und ohne Dank,
die Wunde ward verbunden, und man ging wei¬
ter den Huͤgel hinan, von deſſen Ruͤcken man die
weite Ausſicht uͤber das gruͤne Labyrinth des Parkes
nach dem unermeßlichen Ozean genießen wollte.


Der Anblick war wirklich groß und herrlich.
Ein lichter Punkt erſchien am Horizont zwiſchen
der dunkeln Fluth und der Blaͤue des Himmels.
“Ein Fernrohr her!„ rief John, und noch be¬
vor das auf den Ruf erſcheinende Dienervolk in
Bewegung kam, hatte der graue Mann, beſchei¬
den ſich verneigend, die Hand ſchon in die Rock¬
taſche geſteckt, daraus einen ſchoͤnen Dolon hervor¬
gezogen, und es dem Herrn John eingehaͤndigt.
Dieſer, es ſogleich an das Aug' bringend, benach¬
richtigte die Geſellſchaft: es ſei das Schiff, das
geſtern ausgelaufen, und das widrige Winde im
Angeſicht des Hafens zuruͤcke hielten. Das Fern¬
rohr ging von Hand zu Hand, und nicht wieder
in die des Eigenthuͤmers; ich aber ſah verwun¬
dernd den Mann an, und wußte nicht, wie die
große Maſchine aus der winzigen Taſche heraus¬
[6] gekommen war; es ſchien aber Niemanden auf¬
gefallen zu ſeyn, und man bekuͤmmerte ſich nicht
mehr um den grauen Mann als um mich ſelber.


Erfriſchungen wurden gereicht, das ſeltenſte
Obſt aller Zonen in den koſtbarſten Gefaͤßen.
Herr John machte die Honneurs mit leichtem
Anſtand und richtete da zum zweiten Mal ein
Wort an mich: “Eſſen Sie nur; das haben Sie
auf der See nicht gehabt.„ Ich verbeugte mich,
aber er ſah es nicht, er ſprach ſchon mit jemand
Anderem.


Man haͤtte ſich gern auf den Raſen, am
Abhange des Huͤgels, der ausgeſpannten Land¬
ſchaft gegen uͤber gelagert, haͤtte man die Feuch¬
tigkeit der Erde nicht geſcheut. Es waͤre goͤttlich,
meinte Wer aus der Geſellſchaft, wenn man tuͤr¬
kiſche Teppiche haͤtte, ſie hier auszubreiten. Der
Wunſch war nicht ſobald ausgeſprochen, als ſchon
der Mann im grauen Rock die Hand in der
Taſche hatte, und mit beſcheidener, ja demuͤthi¬
ger Geberde, einen reichen, golddurchwirkten, tuͤr¬
kiſchen Teppich daraus zu ziehen bemuͤht war. Be¬
diente nehmen ihn im Empfang, als muͤſſe es ſo
[7] ſeyn, und entfalten ihn am begehrten Ort. Die
Geſellſchaft nahm ohne Umſtaͤnde Platz darauf;
ich wiederum ſah betroffen den Mann, die Taſche,
den Teppich an, der uͤber zwanzig Schritt in der
Laͤnge und zehn in der Breite maß, und rieb mir
die Augen, nicht wiſſend, was ich dazu denken
ſollte, beſonders, da Niemand etwas Merkwuͤr¬
diges darin fand.


Ich haͤtte gern Aufſchluß uͤber den Mann
gehabt, und gefragt, wer er ſei, nur wußt' ich
nicht, an wen ich mich richten ſollte, denn ich
fuͤrchtete mich faſt noch mehr vor den Herr'n Be¬
dienten, als vor den bedienten Herr'n. Ich faßte
endlich ein Herz, und trat an einen jungen Mann
heran, der mir von minderem Anſehen ſchien als
die Andern, und der oͤfter allein geſtanden hatte.
Ich bat ihn leiſe, mir zu ſagen, wer der gefaͤl¬
lige Mann ſei dort im grauen Kleide, — “Die¬
ſer? der wie ein Ende Zwirn ausſieht, der ei¬
nem Schneider aus der Nadel entlaufen iſt?„
Ja, der allein ſteht — “den kenn' nicht,„
gab er mir zur Antwort, und, wie es ſchien, ei¬
ne laͤngere Unterhaltung mit mir zu vermeiden,
[8] wandt' er ſich weg und ſprach von gleichguͤltigen
Dingen mit einem Andern.


Die Sonne fing jetzt ſtaͤrker zu ſcheinen an,
und ward den Damen beſchwerlich; die ſchoͤne
Fanny richtete nachlaͤßig an den grauen Mann,
den, ſo viel ich weiß, noch Niemand angeredet
hatte, die leichtſinnige Frage: ob er nicht auch
vielleicht ein Zelt bei ſich habe? Er beantwortete
ſie durch eine ſo tiefe Verbeugung, als widerfuͤhre
ihm eine unverdiente Ehre, und hatte ſchon die
Hand in der Taſche, aus der ich Zeuge, Stangen,
Schnuͤre, Eiſenwerk, kurz, Alles, was zu dem
prachtvoll'ſten Luſtzelt gehoͤrt, herauskommen ſah.
Die jungen Herr'n halfen es ausſpannen, und
es uͤberhing die ganze Ausdehnung des Teppichs —
und Keiner fand noch etwas Außerordentliches
darin. —


Mir war ſchon lang' unheimlich, ja graulich
zu Muthe, wie ward mir vollends, als beim
naͤchſt ausgeſprochenen Wunſch ich ihn noch aus
ſeiner Taſche drei Reitpferde, ich ſage dir, drei
ſchoͤne, große Rappen mit Sattel und Zeug, her¬
ausziehen ſah, — denke Dir, um Gotteswillen!
[9] drei geſattelte Pferde noch aus derſelben Taſche,
woraus ſchon eine Brieftaſche, ein Fernrohr, ein
gewirkter Teppich, zwanzig Schritte lang und zehn
breit, ein Luſtzelt von derſelben Groͤße, und alle
dazu gehoͤrige Stangen und Eiſen, herausgekom¬
men waren — wenn ich Dir nicht betheuerte,
es ſelbſt mit eigenen Augen angeſehen zu haben,
wuͤrdeſt Du es gewiß nicht glauben. —


So verlegen und demuͤthig der Mann ſelbſt
zu ſeyn ſchien, ſo wenig Aufmerkſamkeit ihm auch
die Andern ſchenkten, ſo ward mir doch ſeine
bloße Erſcheinung, von der ich kein Auge ab¬
wenden konnte, ſo ſchauerlich, daß ich ſie nicht
laͤnger ertragen konnte.


Ich beſchloß, mich aus der Geſellſchaft zu ſteh¬
len, was bei der unbedeutenden Rolle, die ich darin¬
nen ſpielte, mir ein Leichtes ſchien. Ich wollte nach
der Stadt zuruͤckkehren, am andern Morgen mein
Gluͤck beim Herrn John wieder verſuchen, und,
wenn ich den Muth dazu faͤnde, ihn uͤber den ſelt¬
ſamen grauen Mann befragen. — Waͤre es mir
nur ſo zu entkommen gegluͤckt!


[10]

Ich hatte mich ſchon wirklich durch den Ro¬
ſenhain, den Huͤgel hinab, gluͤcklich geſchlichen,
und befand mich auf einem freien Raſenplatz, als
ich aus Furcht, außer den Wegen durch’s Gras
gehend angetroffen zu werden, einen forſchenden
Blick um mich warf. — Wie erſchrack ich, als
ich den Mann im grauen Rock hinter mir her und
auf mich zukommen ſah. Er nahm ſogleich den
Hut vor mir ab, und verneigte ſich ſo tief, als
noch Niemand vor mir gethan hatte. Es war
kein Zweifel, er wollte mich anreden, und ich
konnte, ohne grob zu ſeyn, es nicht vermeiden.
Ich nahm den Hut auch ab, verneigte mich wie¬
der, und ſtand da in der Sonne mit bloßem
Haupt wie angewurzelt. Ich ſah’ ihn voller
Furcht ſtier an, und war wie ein Vogel, den
eine Schlange gebannt hat. Er ſelber ſchien ſehr
verlegen zu ſeyn; er hob den Blick nicht auf, ver¬
beugte ſich zu verſchiedenen Malen, trat naͤher,
und redete mich an mit leiſer, unſicherer Stimme,
ungefaͤhr im Tone eines Bettelnden.


“Moͤge der Herr meine Zudringlichkeit ent¬
ſchuldigen, wenn ich es wage, ihn ſo unbe¬
[11] kannter Weiſe aufzuſuchen, ich habe eine Bitte
an ihn. Vergoͤnnen Sie gnaͤdigſt —„ “Aber
um Gotteswillen, mein Herr!„ brach ich in mei¬
ner Angſt aus, “was kann ich fuͤr einen Mann
thun, der„ — — — wir ſtutzten Beide, und wur¬
den, wie mir daͤucht, roth.


Er nahm nach einem Augenblick des Schwei¬
gens wieder das Wort: “Waͤhrend der kurzen
Zeit, wo ich das Gluͤck genoß, mich in Ihrer Naͤhe
zu befinden, hab' ich, mein Herr, einige Mal —
erlauben Sie, daß ich es Ihnen ſage, — wirk¬
lich mit unausſprechlicher Bewunderung den ſchoͤ¬
nen, ſchoͤnen Schatten betrachten koͤnnen, den Sie
in der Sonne, und gleichſam mit einer gewiſſen
edlen Verachtung, ohne ſelbſt darauf zu merken,
von ſich werfen, den herrlichen Schatten da zu
Ihren Fuͤßen. Verzeihen Sie mir die freilich kuͤh¬
ne Zumuthung. Sollten Sie ſich wohl nicht ab¬
geneigt finden, mir dieſen Ihren Schatten zu uͤber¬
laſſen.„


Er ſchwieg, und mir gings wie ein Muͤhlrad
im Kopfe herum. Was ſollt' ich aus dem ſelt¬
ſamen Antrag machen, mir meinen Schatten ab¬
[12] zukaufen? Er muß verruͤckt ſeyn, dacht' ich, und
mit veraͤndertem Tone, der zu der Demuth des
ſeinigen beſſer paßte, erwiederte ich alſo:


“Ei, ei! guter Freund, habt Ihr denn nicht
an euerm eignen Schatten genug? das heiß' ich
mir einen Handel von einer ganz abſonderlichen
Sorte.„ Er fiel ſogleich wieder ein: “Ich hab'
in meiner Taſche Manches, was dem Herrn nicht
ganz unwerth ſcheinen moͤchte; fuͤr dieſen unſchaͤtz¬
baren Schatten halt' ich den hoͤchſten Preis zu
gering.„


Nun uͤberfiel es mich wieder kalt, da ich an
die Taſche erinnert ward, und ich wußte nicht,
wie ich ihn hatte guter Freund nennen koͤnnen.
Ich nahm wieder das Wort, und ſuchte es, wo
moͤglich, mit unendlicher Hoͤflichkeit wieder gut
zu machen.


“Aber, mein Herr, verzeihen Sie Ihrem
unterthaͤnigſten Knecht. Ich verſtehe wohl Ihre
Meinung nicht ganz gut, wie koͤnnt' ich nur mei¬
nen Schatten — — —„ Er unterbrach mich:
“Ich erbitte mir nur Dero Erlaubniß, hier
auf der Stelle dieſen edlen Schatten aufheben
[13] zu duͤrfen, und zu mir zu ſtecken; wie ich das
mache, ſei meine Sorge. Dagegen als Beweis
meiner Erkenntlichkeit gegen den Herrn, uͤberlaſſe
ich ihm die Wahl unter allen Kleinodien, die ich
in der Taſche bei mir fuͤhre: die aͤchte Spring¬
wurzel, die Alraunwurzel, Wechſelpfennige, Raub¬
thaler, das Tellertuch von Rolands Knappen, ein
Galgenmaͤnnlein zu beliebigem Preis; doch, das
wird wohl nichts fuͤr Sie ſeyn: beſſer, Fortuna¬
ti Wuͤnſchhuͤtlein, neu und haltbar wieder reſtau¬
rirt; auch ein Gluͤcksſeckel, wie der ſeine geweſen.„
“Fortunati Gluͤcksſeckel,„ fiel ich ihm in die Re¬
de, und wie groß meine Angſt auch war, hatte
er mit dem einen Wort meinen ganzen Sinn ge¬
fangen. Ich bekam einen Schwindel, und es
flimmerte mir wie doppelte Dukaten vor den Au¬
gen. —


“Belieben gnaͤdigſt der Herr dieſen Seckel zu
beſichtigen und zu erproben.„ Er ſteckte die Hand
in die Taſche und zog einen maͤßig großen, feſt¬
genaͤhten Beutel von ſtarkem Korduanleder, an
zwei tuͤchtigen ledernen Schnuͤren heraus und haͤn¬
digte mir ſelbigen ein. Ich griff hinein, und
zog zehn Goldſtuͤcke daraus, und wieder zehn, und
[14] wieder zehn, und wieder zehn; ich hielt ihm ſchnell
die Hand hin: “Topp! der Handel gilt, fuͤr
den Beutel haben Sie meinen Schatten.„ Er
ſchlug ein, kniete dann ungeſaͤumt vor mir nie¬
der, und mit einer bewundernswuͤrdigen Geſchick¬
lichkeit ſah ich ihn meinen Schatten, vom Kopf
bis zu meinen Fuͤßen, leiſe von dem Graſe loͤ¬
ſen, aufheben, zuſammenrollen und falten, und
zuletzt einſtecken. Er ſtand auf, verbeugte ſich
noch einmal vor mir, und zog ſich nach dem Ro¬
ſengebuͤſche zuruͤck. Mich duͤnkt’, ich hoͤrte ihn
da leiſe fuͤr ſich lachen. Ich aber hielt den Beu¬
tel bei den Schnuͤren feſt, rund um mich her
war die Erde ſonnenhell, und in mir war noch
keine Beſinnung.


[15]

II.

Ich kam endlich wieder zu Sinnen, und
eilte, dieſen Ort zu verlaſſen, wo ich hoffentlich
nichts mehr zu thun hatte. Ich fuͤllte erſt meine
Taſchen mit Gold, dann band ich mir die Schnuͤre
des Beutels um den Hals feſt, und verbarg ihn
ſelbſt auf meiner Bruſt. Ich kam unbeachtet
aus dem Park, erreichte die Landſtraſſe, und nahm
meinen Weg nach der Stadt. Wie ich in Ge¬
danken dem Thore zu ging, hoͤrt’ ich hinter mir
ſchreien: “Junger Herr! he! junger Herr! hoͤ¬
ren Sie doch! —„ Ich ſah mich um, ein al¬
tes Weib rief mir nach: “Sehe ſich der Herr
doch vor, Sie haben Ihren Schatten verloren.„ —
“Danke Muͤtterchen,„ ich warf ihr ein Gold¬
ſtuͤck fuͤr den wohlgemeinten Rath hin, und trat
unter die Baͤume.


Am Thore mußt’ ich gleich wieder von der
Schildwacht hoͤren: “Wo hat der Herr ſeinen
[16] Schatten gelaſſen?„ und gleich wieder darauf von
ein Paar Frauen: “Jeſus Maria! der arme Menſch
hat keinen Schatten!„ Das fing an mich zu ver¬
drießen, und ich vermied ſehr ſorgfaͤltig, in die
Sonne zu treten. Das ging aber nicht uͤberall
an, zum Beiſpiel nicht uͤber die Breiteſtraſſe, die
ich zunaͤchſt durchkreuzen mußte, und zwar, zu
meinem Unheil, in eben der Stunde, wo die Kna¬
ben aus der Schule gingen. Ein verdammter
buckeliger Schlingel, ich ſeh' ihn noch, hatte es
gleich weg, daß mir ein Schatten fehle. Er ver¬
rieth mich mit großem Geſchrei der ſaͤmtlichen
literariſchen Straſſenjugend der Vorſtadt, welche
ſofort mich zu rezenſiren und mit Koth zu bewer¬
fen anfing: “Ordentliche Leute pflegten ihren
Schatten mit ſich zu nehmen, wann ſie in die
Sonne gingen.„ Um ſie von mir abzuwehren,
warf ich Gold zu vollen Haͤnden unter ſie, und
ſprang in einen Miethswagen, zu dem mir mit¬
leidige Seelen verhalfen.


Sobald ich mich in der rollenden Kutſche al¬
lein fand, fing ich bitterlich an zu weinen. Es
mußte ſchon die Ahnung in mir aufſteigen: daß,
um[17] um ſo viel das Gold auf Erden Verdienſt und Tu¬
gend uͤberwiegt, um ſo viel der Schatten hoͤher als
ſelbſt das Gold geſchaͤtzt werde; und wie ich fruͤher
den Reichthum meinem Gewiſſen aufgeopfert, hatte
ich jetzt den Schatten fuͤr bloßes Geld hingege¬
ben, was konnte, was ſollte auf Erden aus mir
werden!


Ich war noch ſehr verſtoͤrt, als der Wagen
vor meinem alten Wirthshaus hielt, ich erſchrack
uͤber die Vorſtellung, nur noch jenes ſchlechte
Dachzimmer zu betreten. Ich ließ mir meine
Sachen herabholen, empfing den aͤrmlichen Buͤn¬
del mit Verachtung, warf einige Goldſtuͤcke hin,
und befahl, vor das vornehmſte Hotel vorzufah¬
ren. Das Haus war gegen Norden gelegen, ich
hatte die Sonne nicht zu fuͤrchten, ich ſchickte
den Kutſcher mit Gold weg, ließ mir die beſten
Zimmer vorn heraus anweiſen, und verſchloß mich
darin, ſo bald ich konnte.


Was denkeſt Du, daß ich nun anfing? —
O mein lieber Chamiſſo, ſelbſt vor Dir es zu
geſtehen, macht mich erroͤthen. Ich zog den un¬
gluͤcklichen Seckel aus meiner Bruſt hervor, und
B[18] mit einer Art Wuth, die, wie eine flackernde
Feuersbrunſt, ſich in mir durch ſich ſelbſt mehrte,
zog ich Gold daraus, und Gold, und Gold, und
immer mehr Gold, und ſtreute es auf den Eſtrich,
und ſchritt daruͤber hin, und ließ es klirren, und
warf, mein armes Herz an dem Glanze, an dem
Klange weidend, immer des Metalles mehr zu
dem Metalle, bis ich ermuͤdet ſelbſt auf das rei¬
che Lager ſank und ſchwelgend darin wuͤhlte, mich
daruͤber waͤlzte. So verging der Tag, der Abend,
ich ſchloß meine Thuͤr' nicht auf, die Nacht fand
mich liegend auf dem Golde, und darauf uͤber¬
mannte mich der Schlaf.


Da traͤumt' es mir von Dir, es ward mir,
als ſtuͤnde ich hinter der Glasthuͤr Deines kleinen
Zimmers, und ſaͤhe Dich von da an Deinem Ar¬
beitstiſche zwiſchen einem Skelet und einem Bun¬
de getrockneter Pflanzen ſitzen, vor Dir waren
Haller, [Humboldt] und [Linné] aufgeſchlagen, auf
Deinem Sopha lagen ein Band Goͤthe und der
Zauberring, ich betrachtete Dich lange, und je¬
des Ding in Deiner Stube, und dann Dich wie¬
der, Du ruͤhrteſt Dich aber nicht, Du hatteſt auch
nicht Athem, du warſt todt.


[19]

Ich erwachte. Es ſchien noch ſehr fruͤh zu
ſeyn. Meine Uhr ſtand. Ich war wie zerſchla¬
gen, durſtig und hungrig auch noch, ich hatte
ſeit dem vorigen Morgen nichts gegeſſen. Ich ſtieß
von mir mit Unwillen und Überdruß dieſes Gold,
an dem ich kurz vorher mein thoͤrichtes Herz ge¬
ſaͤttiget: nun wußt' ich verdrießlich nicht, was ich
damit anfangen ſollte. Es durfte nicht ſo liegen
bleiben — ich verſuchte, ob es der Beutel wieder
verſchlingen wollte — Nein. Keines meiner Fen¬
ſter oͤffnete ſich uͤber die See. Ich mußte mich
bequemen, es muͤhſam und mit ſauerm Schweiß
zu einem großen Schrank, der in einem Kabinet
ſtand, zu ſchleppen, und es darin zu verpacken.
Ich ließ nur einige Handvoll da liegen. Nachdem
ich mit der Arbeit fertig geworden, legt' ich mich
erſchoͤpft in einen Lehnſtuhl, und erwartete, daß
ſich Leute im Hauſe zu regen anfingen. Ich ließ,
ſobald es moͤglich war, zu eſſen bringen, und den
Wirth zu mir kommen.


Ich beſprach mit dieſem Mann die kuͤnftige
Einrichtung meines Hauſes. Er empfahl mir fuͤr
den naͤhern Dienſt um meine Perſon einen ge¬
B 2[20] wiſſen Bendel, deſſen treue und verſtaͤndige Phy¬
ſionomie mich gleich gewann. Derſelbe war’s,
deſſen Anhaͤnglichkeit mich ſeither troͤſtend durch
das Elend des Lebens begleitete, und mir mein
duͤſt’res Loos ertragen half. Ich brachte den gan¬
zen Tag auf meinen Zimmern, mit herrenloſen
Knechten, Schuſtern, Schneidern und Kaufleu¬
ten zu, ich richtete mich ein, und kaufte beſon¬
ders ſehr viele Koſtbarkeiten und Edelſteine, um
nur Etwas des vielen aufgeſpeicherten Goldes los
zu ſeyn; es ſchien aber gar nicht, als koͤnne der
Haufen ſich vermindern.


Ich ſchwebte indeß uͤber meinen Zuſtand in
den aͤngſtigendſten Zweifeln. Ich wagte keinen
Schritt aus meiner Thuͤr’, und ließ Abends vier¬
zig Wachskerzen in meinem Saal anzuͤnden, be¬
vor ich aus dem Dunkel heraus kam. Ich ge¬
dachte mit Grauen des fuͤrchterlichen Auftrittes
mit den Schulknaben. Ich beſchloß, ſo viel Muth
ich auch dazu bedurfte, die oͤffentliche Meinung
noch einmal zu pruͤfen. — Die Naͤchte waren zu
der Zeit mondhell. Abends ſpaͤt warf ich einen
weiten Mantel um, druͤckte mir den Hut tief in
[21] die Augen, und ſchlich, zitternd wie ein Verbre¬
cher, aus dem Hauſe. Erſt auf einem entlege¬
nen Platz trat ich aus dem Schatten der Haͤuſer,
in deren Schutz ich ſo weit gekommen war, an
das Mondeslicht hervor; gefaßt, mein Schickſal
aus dem Munde der Voruͤbergehenden zu ver¬
nehmen.


Erſpare mir, lieber Freund, die ſchmerzliche
Wiederholung alles deſſen, was ich erdulden mu߬
te. Die Frauen bezeugten oft das tiefſte Mit¬
leid, das ich ihnen einfloͤßte; Aeußerungen, die
mir die Seele nicht minder durchbohrten, als der
Hohn der Jugend und die hochmuͤthige Verach¬
tung der Maͤnner, beſonders ſolcher dicken, wohl¬
beleibten, die ſelbſt einen breiten Schatten war¬
fen. Ein ſchoͤnes, holdes Maͤdchen, die, wie es
ſchien, ihre Eltern begleitete, indem dieſe bedaͤch¬
tig nur vor ihre Fuͤße ſahen, wandte von Unge¬
faͤhr ihr leuchtendes Auge auf mich; ſie erſchrack
ſichtbarlich, da ſie meine Schattenloſigkeit be¬
merkte, verhuͤllte ihr ſchoͤnes Antlitz in ihren
Schleier, ließ den Kopf ſinken, und ging laut¬
los voruͤber.


[22]

Ich ertrug es laͤnger nicht. Salzige Stroͤme
brachen aus meinen Augen, und mit durchſchnit¬
tenem Herzen zog ich mich ſchwankend in's Dunkel
zuruͤck. Ich mußte mich an den Haͤuſern halten,
um meine Schritte zu ſichern, und erreichte lang¬
ſam und ſpaͤt meine Wohnung.


Ich brachte die Nacht ſchlaflos zu. Am an¬
dern Tage war meine erſte Sorge, nach dem
Manne im grauen Rocke uͤberall ſuchen zu laſſen.
Vielleicht ſollte es mir gelingen, ihn wieder zu
finden, und wie gluͤcklich! wenn ihn, wie mich,
der thoͤrichte Handel gereuen ſollte. Ich ließ
Bendel vor mir kommen, er ſchien Gewandheit
und Geſchick zu beſitzen, — ich ſchilderte ihm ge¬
nau den Mann, in deſſen Beſitz ein Schatz ſich
befand, ohne den mir das Leben nur eine Qual
ſei. Ich ſagte ihm die Zeit, den Ort, wo ich ihn
geſehen; beſchrieb ihm Alle, die zugegen geweſen, und
fuͤgte dieſes Zeichen noch hinzu: er ſolle ſich nach
einem Dolon'ſchen Fernrohr, nach einem golddurch¬
wirkten tuͤrkiſchen Teppich, nach einem Prachtluſt¬
zelt, und endlich nach den ſchwarzen Reithengſten
genau erkundigen, deren Geſchichte, ohne zu be¬
[23] ſtimmen wie, mit der des raͤthſelhaften Mannes,
zuſammenhienge, welcher Allen unbedeutend ge¬
ſchienen, und deſſen Erſcheinung die Ruhe und
das Gluͤck meines Lebens zerſtoͤrt hatte.


Wie ich ausgeredet, holt' ich Gold her, eine
Laſt, wie ich ſie nur zu tragen vermochte, und
legte Edelſteine und Juwelen noch hinzu fuͤr ei¬
nen groͤßern Werth. “Bendel,„ ſprach ich,
“dieſes ebnet viele Wege, und macht Vieles leicht,
was unmoͤglich ſchien; ſei nicht karg damit, wie
ich es nicht bin, ſondern geh', und erfreue Deinen
Herrn mit Nachrichten, auf denen ſeine alleinige
Hoffnung beruht.„


Er ging. Spaͤt kam er und traurig zuruͤck.
Keiner von den Leuten des Herrn John, Keiner
von ſeinen Gaͤſten, er hatte Alle geſprochen, wu߬
te ſich nur entfernt an den Mann im grauen
Rocke zu erinnern. Der neue Teleskop war da,
und Keiner wußte, wo er hergekommen; der Tep¬
pich, das Zelt waren da noch auf demſelben Huͤ¬
gel ausgebreitet und aufgeſchlagen, die Knechte
ruͤhmten den Reichthum ihres Herrn, und Keiner
[24] wußte, von wannen dieſe neuen Koſtbarkeiten ihm
zugekommen. Er ſelbſt hatte ſeinen Wohlgefallen
daran, und ihn kuͤmmerte es nicht, daß er nicht
wiſſe, woher er ſie habe; die Pferde hatten die
jungen Herren, die ſie geritten, in ihren Staͤl¬
len, und ſie prieſen die Freigebigkeit des Herrn
John, der ſie ihnen an jenem Tage geſchenkt.
So viel erhellte aus der ausfuͤhrlichen Erzaͤhlung
Bendels, deſſen raſcher Eifer und verſtaͤndige
Fuͤhrung, auch bei ſo fruchtloſem Erfolg, mein
verdientes Lob erhielten. Ich winkte ihm duͤſter,
mich allein zu laſſen.


“Ich habe,„ hub er wieder an, “meinem
Herrn Bericht abgeſtattet, uͤber die Angelegenheit,
die ihm am wichtigſten war. Mir bleibt noch
ein Auftrag auszurichten, den mir heute fruͤh Je¬
mand gegeben, welchem ich vor der Thuͤr begeg¬
nete, da ich zu dem Geſchaͤfte ausging, wo ich
ſo ungluͤcklich geweſen. Die eigenen Worte des
Mannes waren: “Sagen Sie dem Herrn Pe¬
ter Schlemihl, er wuͤrde mich hier nicht
„mehr ſehen, da ich uͤber’s Meer gehe; und ein
„guͤnſtiger Wind mich ſo eben nach dem Hafen
[25] „ruft. Aber uͤber Jahr und Tag werde ich die
„Ehre haben, ihn ſelber aufzuſuchen, und ein
„anderes, ihm dann vielleicht annehmliches Ge¬
„ſchaͤft, vorſchlagen. Empfehlen Sie mich ihm
„unterthaͤnigſt, und verſichern ihn meines Dan¬
„kes.„ Ich frug ihn, wer er waͤre, er ſagte
aber, Sie kennten ihn ſchon.„


“Wie ſah der Mann aus?„ rief ich voller
Ahnung. Und Bendel beſchrieb mir den Mann
im grauen Rocke Zug fuͤr Zug, Wort fuͤr Wort,
wie er getreu in ſeiner vorigen Erzaͤhlung des Man¬
nes erwaͤhnt, nach dem er ſich erkundigt. —


“Ungluͤcklicher,„ ſchrie ich haͤnderingend,
“das war er ja ſelbſt!„ und ihm fiel es wie
Schuppen von den Augen. — “Ja, er war
es, war es wirklich,„ rief er erſchreckt aus, “und
ich Verblendeter, Bloͤdſinniger, habe ihn nicht er¬
kannt: ihn nicht erkannt und meinen Herrn ver¬
rathen.„


Er brach, heiß weinend, in die bitterſten
Vorwuͤrfe gegen ſich ſelber aus, und die Ver¬
zweiflung, in der er war, mußte mir ſelber Mit¬
[26] leiden einfloͤßen. Ich ſprach ihm Troſt ein, ver¬
ſicherte ihn wiederholt, ich ſetzte keinen Zweifel
in ſeine Treue, und ſchickte ihn alsbald nach
dem Hafen, um, wo moͤglich, die Spuren des
ſeltſamen Mannes zu verfolgen. Aber an dieſem
ſelben Morgen waren ſehr verſchiedene Schiffe, die
widrige Winde im Hafen zuruͤckgehalten, ausge¬
laufen, alle nach anderen Weltſtrichen, alle nach
anderen Kuͤſten beſtimmt; und der graue Mann
war ſpurlos wie ein Schatten verſchwunden.


[27]

III.

Was haͤlfen Fluͤgel dem in eiſernen Ket¬
ten feſt Angeſchmiedeten? er muͤßte dennoch, und
ſchrecklicher, verzweifeln. Ich lag, wie [Faffner]
bei ſeinem Hort, fern von jedem menſchlichen Zu¬
ſpruch, bei meinem Golde darbend, aber ich hatte
nicht das Herz nach ihm, ſondern ich fluchte ihm,
um deſſentwillen ich mich von allem Leben abge¬
ſchnitten ſah. Bei mir allein mein duͤſt'res Ge¬
heimniß hegend, fuͤrchtete ich mich vor dem letzten
meiner Knechte, den ich zugleich beneiden mußte;
denn er hatte einen Schatten, er durfte ſich ſehen
laſſen in der Sonne. Ich vertrauerte einſam in
meinen Zimmern die Tag' und Naͤchte, und Gram
zehrte an meinem Herzen.


Noch Einer haͤrmte ſich unter meinen Au¬
gen ab, mein treuer Bendel hoͤrte nicht auf,
ſich mit ſtillen Vorwuͤrfen zu martern, daß er
[28] das Zutrauen ſeines guͤtigen Herrn betrogen, und
Jenen nicht erkannt, nach dem er ausgeſchickt
war, und mit dem er mein trauriges Schickſal in
enger Verflechtung denken mußte. Ich aber konn¬
te ihm keine Schuld geben, ich erkannte in dem
Ereigniß die fabelhafte Natur des Unbekannten.


Nichts unverſucht zu laſſen, ſchickt' ich einſt
Bendel mit einem koſtbaren brillantenen Ring
zu dem beruͤhmteſten Maler der Stadt, den ich,
mich zu beſuchen, einladen ließ. Er kam, ich
entfernte meine Leute, verſchloß die Thuͤr, ſetzte
mich zu dem Mann, und, nachdem ich ſeine Kunſt
geprieſen, kam ich mit ſchwerem Herzen zur Sa¬
che, ich ließ ihm zuvor das ſtrengſte Geheimniß
geloben.


“Herr Profeſſor,„ fuhr ich fort, “koͤnnten
Sie wohl einem Menſchen, der auf die ungluͤcklichſte
Weiſe von der Welt um ſeinen Schatten gekommen
iſt, einen falſchen Schatten malen?„ — “Sie
meinen einen Schlagſchatten?„ — “den mein’
ich allerdings.„ — “Aber,„ frug er mich wei¬
ter, “durch welche Ungeſchicklichkeit, durch welche
Nachlaͤßigkeit konnte er denn ſeinen Schlagſchatten
[29] verlieren?„ — “Wie es kam,„ erwiederte ich,
“mag nun ſehr gleichguͤltig ſeyn, doch ſo viel,„
log ich ihm unverſchaͤmt vor: “In Rußland, wo
er im vorigen Winter eine Reiſe that, fror ihm
einmal, bei einer außerordentlichen Kaͤlte, ſein
Schatten dergeſtalt am Boden feſt, daß er ihn
nicht wieder loß bekommen konnte.„


“Der falſche Schlagſchatten, den ich ihm ma¬
len koͤnnte,„ erwiederte der Profeſſor, “wuͤrde
doch nur ein ſolcher ſeyn, den er bei der leiſeſten
Bewegung wieder verlieren muͤßte, — zumal wer
an dem eignen angebornen Schatten ſo wenig feſt
hing, als aus Ihrer Erzaͤhlung ſelbſt ſich abneh¬
men laͤßt; wer keinen Schatten hat, gehe nicht
in die Sonne, das iſt das Vernuͤnftigſte und Si¬
cherſte.„ Er ſtand auf und entfernte ſich, indem
er auf mich einen durchbohrenden Blick warf, den
der meine nicht ertragen konnte. Ich ſank in
meinen Seſſel zuruͤck, und verhuͤllte mein Geſicht
in meine Haͤnde.


So fand mich noch Bendel, als er herein
trat. Er ſah den Schmerz ſeines Herrn, und
[30] wollte ſich ſtill, ehrerbietig zuruͤckziehen. — Ich
blickte auf — ich erlag unter der Laſt meines
Kummers, ich mußte ihn mittheilen. “Bendel,„
rief ich ihm zu, “Bendel! Du Einziger, der Du
meine Leiden ſiehſt und ehrſt, ſie nicht erforſchen
zu wollen, ſondern ſtill und fromm mit zu fuͤh¬
len ſcheinſt, komm zu mir, Bendel, und ſei
der Naͤchſte meines Herzens. Die Schaͤtze mei¬
nes Goldes hab' ich vor Dir nicht verſchloſſen, nicht
verſchließen will ich vor dir die Schaͤtze meines
Grames — Bendel, verlaſſe mich nicht. Ben¬
del, Du ſiehſt mich reich, freigebig, guͤtig, Du
waͤhnſt, es ſollte die Welt mich verherrlichen,
und Du ſieh'ſt mich die Welt flieh'n, und mich
vor ihr verſchließen. Bendel, ſie hat gerichtet,
die Welt, und mich verſtoßen, und auch Du viel¬
leicht, wirſt Dich von mir wenden, wenn Du
mein ſchreckliches Geheimniß erfaͤhrſt. Bendel,
ich bin reich, freigebig, guͤtig, aber — o Gott! —
ich habe keinen Schatten!„ —


“Keinen Schatten?„ rief der gute Junge
erſchreckt aus, und die hellen Thraͤnen ſtuͤrzten ihm
aus den Augen. — “Weh mir, daß ich geboren
[31] ward, einem ſchattenloſen Herrn zu dienen!„ Er
ſchwieg, und ich hielt mein Geſicht in meinen
Haͤnden. —


Bendel,„ ſetzt' ich ſpaͤt und zitternd hin¬
zu, “nun haſt Du mein Vertrauen, nun kannſt
Du es verrathen. Geh' hin und zeuge wider
mich.„ — Er ſchien in ſchwerem Kampfe mit
ſich ſelber, endlich ſtuͤrzte er vor mir nieder, und
ergriff meine Hand, die er mit ſeinen Thraͤnen be¬
netzte. “Nein,„ rief er aus, “was die Welt
auch meine, ich kann und werde um Schattens¬
willen meinen guͤtigen Herrn nicht verlaſſen, ich
werde recht, und nicht klug handeln, ich werde
bei Ihnen bleiben, Ihnen meinen Schatten bor¬
gen, Ihnen helfen, wo ich kann, mit Ihnen wei¬
nen.„ Ich fiel ihm um den Hals, ob ſolcher
ungewohnten Geſinnung ſtaunend;[] denn ich war
von ihm uͤberzeugt, daß er es nicht um Geld
that.


Seitdem aͤnderten ſich in Etwas mein Schick¬
ſal und meine Lebensweiſe. Es iſt unbeſchreiblich,
wie vorſorglich Bendel mein Gebrechen zu ver¬
helen wußte. Überall war er vor mir und mit
[32] mir, alles vorherſehend, Anſtalten treffend, und
wo Gefahr unverſehens drohte, mich ſchnell mit
ſeinem Schatten uͤberdeckend, denn er war groͤßer
und ſtaͤrker als ich. So wagt' ich mich wieder
unter die Menſchen, und begann eine Rolle in
der Welt zu ſpielen. Ich mußte freilich viele
Eigenheiten und [Launen] ſcheinbar annehmen. Sol¬
che ſtehen aber dem Reichen gut, und ſo lange
die Wahrheit nur verborgen blieb, genoß ich alle
der Ehre und Achtung, die meinem Golde zukam.
Ich ſah ruhiger dem uͤber Jahr und Tag ver¬
heißenen Beſuch des raͤthſelhaften Unbekannten ent¬
gegen.


Ich fuͤhlte ſehr wohl, daß ich mich nicht lange
an einem Orte aufhalten durfte, wo man mich
ſchon ohne Schatten geſehen, und wo ich leicht
verrathen werden konnte; auch dacht' ich vielleicht
nur allein noch daran, wie ich mich bei Herrn John
gezeigt, und es war mir eine druͤckende Erinnerung,
demnach wollt' ich hier bloß Probe halten, um an¬
derswo leichter und zuverſichtlicher auftreten zu koͤn¬
nen — doch fand ſich, was mich eine Zeitlang an
meine Eitelkeit feſthielt: das iſt im Menſchen, wo
der Anker am zuverlaͤßigſten Grund faßt.


Eben[33]

Eben die ſchoͤne Fanny, der ich am dritten
Ort wieder begegnete, ſchenkte mir, ohne ſich zu
erinnern, mich jemals geſehen zu haben, einige
Aufmerkſamkeit, denn jetzt hatt' ich Witz und Ver¬
ſtand. — Wenn ich redete, hoͤrte man zu, und
ich wußte ſelber nicht, wie ich zu der Kunſt ge¬
kommen war, das Geſpraͤch ſo leicht zu fuͤhren
und zu beherrſchen. Der Eindruck, den ich auf
die Schoͤne gemacht zu haben einſah, machte aus
mir, was ſie eben begehrte, einen Narren, und
ich folgte ihr ſeither mit tauſend Muͤhen durch
Schatten und Daͤmmerung, wo ich nur konnte.
Ich war nur eitel darauf, ſie uͤber mich eitel zu
machen, und konnte mir, ſelbſt mit dem beſten
Willen nicht, den Rauſch aus dem Kopf ins
Herz zwingen.


Aber wozu die ganz gemeine Geſchichte dir
lang und breit wiederholen? — Du ſelber haſt ſie
mir oft genug von andern Ehrenleuten erzaͤhlt. —
Zu dem alten wohlbekannten Spiele, worin ich
gutmuͤthig eine abgedroſchene Rolle uͤbernommen,
kam freilich eine ganz eigens gedichtete Kataſtro¬
phe hinzu, mir und ihr und Allen unerwartet.


C[34]

Da ich an einem ſchoͤnen Abend nach mei¬
ner Gewohnheit eine Geſellſchaft in einem erleuch¬
teten Garten verſammelt hatte, wandelte ich mit
der Herrin Arm in Arm, in einiger Entfernung
von den uͤbrigen Gaͤſten, und bemuͤhte mich, ihr
Redesarten vorzudrechſeln. Sie ſah ſittig vor ſich
nieder, und erwiederte leiſe den Druck meiner
Hand; da trat unverſehens hinter uns der Mond
aus den Wolken hervor — und ſie ſah nur ih¬
ren
Schatten vor ſich hinfallen. Sie fuhr zuſam¬
men, und blickte beſtuͤrzt mich an, dann wieder
auf die Erde, mit dem Auge meinen Schatten
begehrend; und was in ihr vorging, malte ſich ſo
ſonderbar in ihren Mienen, daß ich in ein lautes
Gelaͤchter haͤtte ausbrechen moͤgen, wenn es mir
nicht ſelber eiskalt uͤber den Ruͤcken gelaufen
waͤre.


Ich ließ ſie aus meinem Arm in eine Ohn¬
macht ſinken, ſchoß wie ein Pfeil durch die ent¬
ſetzten Gaͤſte, erreichte die Thuͤr', warf mich in
den erſten Wagen, den ich da haltend fand, und
fuhr nach der Stadt zuruͤck, wo ich diesmal zu
meinem Unheil den vorſichtigen Bendel gelaſſen
hatte. Er erſchrack, als er mich ſah, ein Wort
[35] entdeckte ihm Alles. Es wurden auf der Stelle
Poſtpferde geholt. Ich nahm nur einen meiner
Leute mit mir, einen abgefeimten Spitzbuben, Na¬
mens [Rascal], der ſich mir durch ſeine Gewand¬
heit nothwendig zu machen gewußt, und der nichts
vom heutigen Vorfall ahnen konnte. Ich legte
in derſelben Nacht noch dreißig Meilen zuruͤck.
Bendel blieb hinter mir, mein Haus aufzuloͤſen,
Gold zu ſpenden, und mir das Noͤthigſte nachzu¬
bringen. Als er mich am andern Tage einholte,
warf ich mich in ſeine Arme, und ſchwur ihm,
nicht etwa keine Thorheit mehr zu begehen, ſon¬
dern nur kuͤnftig vorſichtiger zu ſeyn. Wir ſetzten
unſre Reiſe ununterbrochen fort, uͤber die Grenze
und das Gebirg, und erſt am andern Abhang
durch das hohe Bollwerk von jenem Ungluͤcksboden
getrennt, ließ ich mich bewegen, in einem nah'
gelegenen, und wenig beſuchten Bad'ort von den
uͤberſtandenen Muͤhſeligkeiten auszuraſten.


C 2[36]

IV.

Ich werde in meiner Erzaͤhlung ſchnell uͤber
eine Zeit hineilen muͤſſen, bei der ich, wie gerne,
verweilen wuͤrde, wenn ich ihren lebendigen Geiſt
in der Erinnerung herauf zu beſchwoͤren vermoͤchte.
Aber die Farbe, die ſie belebte, und nur wieder
beleben kann, iſt in mir verloſchen, und wann ich
in meiner Bruſt wieder finden will, was ſie da¬
mals ſo maͤchtig erhob, die Schmerzen und das
Gluͤck, den frommen Wahn, — da ſchlag' ich
vergebens an einen Felſen, der keinen lebendigen
Quell mehr gewaͤhrt, und der Gott iſt von mir
gewichen. Wie veraͤndert blickt ſie mich jetzt an,
dieſe vergangene Zeit! — Ich ſollte dort in dem
Bade eine heroiſche Rolle tragiren, ſchlecht einſtu¬
dirt, und ein Neuling auf der Buͤhne, vergaft'
ich mich aus dem Stuͤcke heraus in ein paar blaue
Augen. Die Eltern, vom Spiele getaͤuſcht, bie¬
[37] ten Alles auf, den Handel nur ſchnell feſt zu ma¬
chen, und die gemeine Poſſe beſchließt eine Ver¬
hoͤhnung. Und das iſt Alles, Alles! — Das kommt
mir albern und abgeſchmackt vor, und ſchrecklich
wiederum, daß ſo mir vorkommen kann, was da¬
mals ſo reich, ſo groß, die Bruſt mir ſchwellte.
Mina, wie ich damals weinte, als ich dich
verlor, ſo wein' ich jetzt, dich auch in mir ver¬
loren zu haben. Bin ich denn ſo alt worden? —
o traurige Vernunft! Nur noch ein Pulsſchlag
jener Zeit, ein Moment jenes Wachens, — aber
nein! einſam auf dem hohen oͤden Meere deiner
bittern Fluth, und laͤngſt aus dem letzten Pokale
der Champagner Elfe entſpruͤht!


Ich hatte Bendel mit einigen Goldſaͤcken
voraus geſchickt, um mir im Staͤdtchen eine Woh¬
nung nach meinen Beduͤrfniſſen einzurichten. Er
hatte dort viel Geld ausgeſtreut, und ſich uͤber den
vornehmen Fremden, dem er diente, etwas unbe¬
ſtimmt ausgedruͤckt, denn ich wollte nicht genannt
ſeyn, das brachte die guten Leute auf ſonderbare
Gedanken. Sobald mein Haus zu meinem Em¬
pfang bereit war, kam Bendel wieder zu mir,
[38] und holte mich dahin ab. Wir machten uns auf
die Reiſe.


Ungefaͤhr eine Stunde vom Orte, auf einem
ſonnigen Plan, ward uns der Weg durch eine
feſtlich geſchmuͤckte Menge verſperrt. Der Wagen
hielt. Muſik, Glockengelaͤute, Kanonenſchuͤße wur¬
den gehoͤrt, ein lautes Vivat durchdrang die Luft, —
vor dem Schlage des Wagens erſchien in weißen
Kleidern ein Chor Jungfrauen von ausnehmen¬
der Schoͤnheit, die aber vor der Einen, wie die
Sterne der Nacht vor der Sonne verſchwanden.
Sie trat aus der Mitte der Schweſtern hervor;
die hohe zarte Bildung kniete verſchaͤmt erroͤthend
vor mir nieder, und hielt mir auf ſeidenem Kiſ¬
ſen, einen aus Lorbeer, Oelzweigen und Roſen
geflochtenen Kranz entgegen, indem ſie von Ma¬
jeſtaͤt, Ehrfurcht und Liebe einige Worte ſprach,
die ich nicht verſtand, aber deren zauberiſcher Sil¬
berklang mein Ohr und Herz berauſchten, — es
war mir, als waͤre ſchon einmal die himmliſche
Erſcheinung an mir voruͤber gewallt. Der Chor
fiel ein, und ſang das Lob eines guten Koͤniges
und das Gluͤck ſeines Volkes.


[39]

Und dieſer Auftritt, lieber Freund, mitten
in der Sonne, — ſie kniete noch immer zwei
Schritte vor mir, und ich, ohne Schatten, konnte
die Kluft nicht uͤberſpringen, nicht wieder vor
dem Engel auf die Knie fallen. O, was haͤtt’
ich nicht da fuͤr einen Schatten gegeben. Ich
mußte meine Schaam, meine Angſt, meine Ver¬
zweiflung tief in den Grund meines Wagens ver¬
bergen. Bendel beſann ſich endlich fuͤr mich,
er ſprang von der andern Seite aus dem Wagen
heraus, ich rief ihn noch zuruͤck und reichte ihm
aus meinem Kaͤſtchen, das mir eben zur Hand
lag, eine reiche diamantene Krone, die die ſchoͤne
Fanny hatte zieren ſollen. Er trat vor, und
ſprach im Namen ſeines Herrn, welcher ſolche Eh¬
renbezeugungen nicht annehmen koͤnne noch wolle;
es muͤſſe hier ein Irrthum vorwalten, jedoch ſeien
die guten Einwohner der Stadt fuͤr ihren guten
Willen bedankt. Er nahm indeß den dargehalte¬
nen Kranz von ſeinem Ort, und legte den bril¬
lantenen Reif an deſſen Stelle; dann reichte er
ehrerbietig der ſchoͤnen Jungfrau die Hand zum
Aufſtehen, entfernte mit einem Wink Geiſtlich¬
keit, Magistratus und alle Deputationen. Nie¬
[40] mand ward weiter vorgelaſſen. Er hieß den Hau¬
fen ſich theilen und den Pferden Raum geben,
ſchwang ſich wieder in den Wagen, und fort ging's
weiter in geſtrecktem Galopp unter eine aus Laub¬
werk und Blumen erbaute Pforte hinweg, dem
Staͤdtchen zu. — Die Kanonen wurden immer
friſchweg abgefeuert. — Der Wagen hielt vor
meinem Hauſe; ich ſprang behend' in die Thuͤr',
die Menge theilend, die die Begierde, mich zu ſe¬
hen, herbeigerufen hatte. Der Poͤbel ſchrie Vi¬
vat
unter meinem Fenſter, und ich ließ doppelte
Dukaten daraus regnen; am Abend ward die
Stadt freiwillig erleuchtet. —


Und ich wußte immer noch nicht, was das
Alles bedeuten ſollte, und fuͤr wen ich angeſehen
wurde. Ich ſchickte Rascal'n auf Kundſchaft aus.
Er ließ ſich dann erzaͤhlen, weßmaßen man be¬
reits ſichere Nachrichten gehabt, der gute Koͤnig
von Preußen reiſe unter dem Namen eines Gra¬
fen durch das Land; wie mein Adjutant er¬
kannt worden waͤre, und wie er ſich und mich
verrathen habe, wie groß endlich die Freude gewe¬
ſen, da man die Gewißheit gehabt, mich im Orte
[41] ſelbſt zu beſitzen. Nun ſah man freilich ein, da
ich offenbar das ſtrengſte Inkognito beobachten wol¬
le, wie ſehr man Unrecht gehabt, den Schleier ſo
zudringlich zu luͤften. Ich haͤtte aber ſo huldreich,
ſo gnadenvoll gezuͤrnt, — ich wuͤrde gewiß dem
guten Herzen verzeihen muͤſſen.


Meinem Schlingel kam die Sache ſo ſpaßhaft
vor, daß er mit ſtrafenden Reden ſein Moͤglich¬
ſtes that, die guten Leute einſtweilen in ihrem
Glauben zu beſtaͤrken. Er ſtattete mir einen ſehr
komiſchen Bericht ab, und da er mich dadurch er¬
heitert ſah, gab er mir ſelbſt ſeine veruͤbte Bos¬
heit zum Beſten. — Muß ich's bekennen? es
ſchmeichelte mir doch, ſei es auch nur ſo, fuͤr das
verehrte Haupt angeſehen worden zu ſeyn.


Ich hieß zu dem morgenden Abend unter den
Baͤumen, die den Raum vor meinem Hauſe be¬
ſchatteten, ein Feſt bereiten, und die ganze Stadt
dazu einladen. Der geheimnißreichen Kraft mei¬
nes Seckels, Bendel's Bemuͤhungen und der be¬
henden Erfindſamkeit Rascal's gelang es ſelbſt
die Zeit zu beſiegen. Es iſt wirklich erſtaunlich,
[42] wie reich und ſchoͤn ſich Alles in den wenigen
Stunden anordnete. Die Pracht und der Über¬
fluß, die da ſich erzeugten; auch die ſinnreiche Er¬
leuchtung war ſo weiſe vertheilt, daß ich mich ganz
ſicher fuͤhlte. Es blieb mir nichts zu erinnern, ich
mußte meine Diener loben.


Es dunkelte der Abend. Die Gaͤſte erſchie¬
nen, und wurden mir vorgeſtellt. Es ward die
Majeſtaͤt nicht mehr beruͤhrt; aber ich hieß in tie¬
fer Ehrfurcht und Demuth: Herr Graf. Was
ſollt' ich thun? Ich ließ mir den Grafen gefal¬
len, und blieb von Stund' an der Graf Peter.
Mitten im feſtlichen Gewuͤhle begehrte meine
Seele nur nach der Einen. Spaͤt erſchien ſie; ſie,
die die Krone war und trug. Sie folgte ſittſam
ihren Eltern, und ſchien nicht zu wiſſen, daß ſie
die Schoͤnſte ſei. Es wurden mir der Herr Forſt¬
meiſter, ſeine Frau und ſeine Tochter vorgeſtellt.
Ich wußte den Alten viel Angenehmes und Ver¬
bindliches zu ſagen; vor der Tochter ſtand ich wie
ein ausgeſcholtener Knabe da, und vermochte kein
Wort hervor zu lallen. Ich bat ſie endlich ſtam¬
melnd, dies Feſt zu wuͤrdigen, das Amt, deren
[43] Zeichen ſie ſchmuͤckte, darin zu verwalten. Sie
bat verſchaͤmt mit einem ruͤhrenden Blick um Scho¬
nung; aber verſchaͤmter vor ihr, als ſie ſelbſt,
bracht ich ihr als erſter Unterthan meine Huldi¬
gung in ſteifer Ehrfurcht, und der Wink des Gra¬
fen ward allen Gaͤſten ein Gebot, dem nachzule¬
ben ſich Jeder freudig beeiferte. Majeſtaͤt, Un¬
ſchuld und Grazie beherrſchten, mit der Schoͤnheit
im Bund, ein frohes Feſt. Die gluͤcklichen Eltern
Mina's glaubten ihnen nur zur Ehren ihr Kind
erhoͤht, ich ſelber war in einem unbeſchreiblichen
Rauſch. Ich ließ Alles, was ich noch von den
Juwelen hatte, die ich damals, um beſchwerliches
Gold loß zu werden, gekauft, alle Perlen, alles
Edelgeſtein in zwei verdeckte Schuͤſſeln legen, und
bei Tiſche unter dem Namen der Koͤnigin, ihren
Geſpielinnen und allen Damen herumreichen; Gold
ward indeſſen ununterbrochen uͤber die gezogenen
Schranken unter das jubelnde Volk geworfen.


Bendel am andern Morgen eroͤffnete mir
im Vertrauen, der Verdacht, den er laͤngſt gegen
[Rascal's] Redlichkeit gehegt, ſei nunmehr zur
Gewißheit worden. Er habe geſtern ganze Saͤcke
[44] Goldes unterſchlagen. “Laſſet uns,„ erwiedert’
ich, “dem armen Schelmen die kleine Beute goͤn¬
nen, ich ſpende gern Allen, warum nicht auch
ihm? Geſtern hat er mir, haben mir alle neuen
Leute, die du mir gegeben, redlich gedient, ſie ha¬
ben mir froh ein frohes Feſt begehen helfen.„ —


Es war nicht weiter die Rede davon. Ras¬
cal
blieb der erſte meiner Dienerſchaft, Bendel
war aber mein Freund und mein Vertrauter. Die¬
ſer war gewohnt worden, meinen Reichthum als
unerſchoͤpflich zu denken, und er ſpaͤhte nicht nach
deſſen Quellen. — Er half mir vielmehr, in
meinen Sinn eingehend, Gelegenheiten erſinnen,
ihn darzuthun und Gold zu vergeuden. Von jenem
Unbekannten, dem blaſſen Schleicher, wußt' er
nur ſo viel: Ich duͤrfe allein durch ihn von dem
Fluche erloͤſt werden, der auf mir laſtete, und
fuͤrchte ihn, auf dem meine einzige Hoffnung ruh¬
te. Übrigens ſei ich davon uͤberzeugt, er koͤnne
mich uͤberall auffinden, ich ihn nirgends, darum
ich, den verſprochenen Tag erwartend, jede ver¬
gebliche Nachſuchung eingeſtellt.


[45]

Die Pracht meines Feſtes und mein Beneh¬
men dabei, erhielten Anfangs die ſtarkglaͤubigen
Einwohner der Stadt bei ihrer vorgefaßten Mei¬
nung. Es ergab ſich freilich ſehr bald aus den
Zeitungen, daß die ganze fabelhafte Reiſe des Koͤ¬
nigs von Preußen ein bloßes ungegruͤndetes Ge¬
ruͤcht geweſen. Ein Koͤnig war ich aber nun ein¬
mal, und mußte ſchlechterdings ein Koͤnig bleiben,
und zwar einer der reichſten und koͤniglichſten, die
es immer geben mag. Nur wußte man nicht
recht, welcher. Die Welt hat nie Grund gehabt,
uͤber Mangel an Monarchen zu klagen, am we¬
nigſten in unſern Tagen; die guten Leute, die
noch keinen mit Augen geſehen, riethen mit glei¬
chem Gluͤck bald auf dieſen, bald auf jenen —
Graf Peter blieb immer der er war. —


Einſt erſchien unter den Badegaͤſten ein Han¬
delsmann, der Bankerot gemacht hatte, um ſich
zu bereichern; der allgemeine Achtung genoß, und
einen breiten, obgleich etwas blaſſen Schatten von
ſich warf. Er wollte hier das Vermoͤgen, das er
geſammelt, zum Prunk ausſtellen, und es fiel ſo¬
gar ihm ein, mit mir wetteifern zu wollen. Ich
[46] ſprach meinem Seckel zu, und hatte ſehr bald den
armen Teufel ſo weit, daß er, um ſein Anſehen
zu retten, abermals Bankerot machen mußte und
uͤber das Gebirg ziehen. So ward ich ihn loß. —
Ich habe in dieſer Gegend viele Taugenichts und
Muͤßiggaͤnger gemacht!


Bei der koͤniglichen Pracht und Verſchwen¬
dung, womit ich mir Alles unterwarf, lebt' ich
in meinem Hauſe ſehr einfach und eingezogen.
Ich hatte mir die groͤßte Vorſicht zur Regel ge¬
macht, es durfte, unter keinem Vorwand, kein
Anderer, als Bendel, die Zimmer, die ich be¬
wohnte, betreten. So lange die Sonne ſchien,
hielt' ich mich mit ihm darin verſchloſſen, und es
hieß: der Graf arbeite in ſeinem Kabinet. Mit
dieſen Arbeiten ſtanden die haͤufigen Kuriere in
Verbindung, die ich um jede Kleinigkeit abſchickte
und erhielt. — Ich nahm nur am Abend unter
meinen Baͤumen, oder in meinem, nach Ben¬
del
's Angabe geſchickt und reich erleuchteten Saale
Geſellſchaft an. Wann ich ausging, wobei mich
ſtets Bendel mit Argusaugen bewachen mußte,
ſo war es nur nach dem Foͤrſtergarten, und um
[47] des Einen willen; denn meines Lebens innerlich¬
ſtes Herz war meine Liebe.


O mein guter Chamiſſo, ich will hoffen,
du habeſt noch nicht vergeſſen, was Liebe ſei!
Ich laſſe Dir hier Vieles zu ergaͤnzen. Mina
war wirklich ein liebewerthes, gutes, frommes
Kind. Ich hatte ihre ganze Phantaſie an mich
gefeſſelt, ſie wußte in ihrer Demuth nicht, wo¬
mit ſie werth geweſen, daß ich nur nach ihr ge¬
blickt; und ſie vergalt Liebe um Liebe mit der
vollen jugendlichen Kraft eines unſchuldigen Her¬
zens. Sie liebte wie ein Weib, ganz hin ſich
opfernd; ſelbſt vergeſſen, hingegeben den nur mei¬
nend, der ihr Leben war; unbekuͤmmert, ſolle ſie
ſelbſt zu Grunde gehen, das heißt, ſie liebte wirk¬
lich. —


Ich aber — o welche ſchreckliche Stunden — —
ſchrecklich! und wuͤrdig dennoch, daß ich ſie zuruͤck¬
wuͤnſche, hab’ ich oft an Bendel's Bruſt ver¬
weint, als nach dem erſten bewußtloſen Rauſch ich
mich beſonnen, mich ſelbſt ſcharf angeſchaut, der
ich ohne Schatten mit tuͤckiſcher Selbſtſucht, die¬
ſen Engel verderbend, die reine Seele an mich
[48] gelogen und geſtolen! Dann beſchloß ich, mich
ihr ſelber zu verrathen; dann gelobt' ich mit theu¬
ren Eidſchwuͤren, mich von ihr zu reißen und zu
entfliehen; dann brach ich wieder in Thraͤnen aus,
und verabredete mit Bendel'n, wie ich ſie auf
dem Abend im Foͤrſtergarten beſuchen wolle. —


Zu andern Zeiten log ich mir ſelber vom na¬
he bevorſtehenden Beſuch des grauen Unbekannten
große Hoffnungen vor, und weinte wieder, wann
ich daran zu glauben vergebens verſucht hatte. Ich
hatte den Tag ausgerechnet, wo ich den Furcht¬
baren wieder zu ſehen erwartete; denn er hatte ge¬
ſagt, in Jahr und Tag, und ich glaubte an ſein
Wort.


Die Eltern waren gute, ehrbare, alte Leute,
die ihr einziges Kind ſehr liebten, das ganze Ver¬
haͤltniß uͤberraſchte ſie, als es ſchon beſtand, und
ſie wußten nicht, was ſie dabei thun ſollten. Sie
hatten fruͤher nicht getraͤumt, der Graf Peter
koͤnne nur an ihr Kind denken, nun liebte er ſie
gar, und ward wieder geliebt. — Die Mutter
war wohl eitel genug, an die Moͤglichkeit einer
Verbindung zu denken, und darauf hinzuarbeiten,
der[49] der geſunde Menſchenverſtand des Alten gab ſol¬
chen uͤberſpannten Vorſtellungen nicht Raum. Bei¬
de waren uͤberzeugt von der Reinheit meiner Lie¬
be — ſie konnten nichts thun, als fuͤr ihr Kind
beten.


Es faͤllt mir ein Brief in die Hand, den ich
noch aus dieſer Zeit von Mina habe. — Ja, das
ſind ihre Zuͤge, ich will Dir ihn abſchreiben.


“Bin ein ſchwaches, thoͤrichtes Maͤdchen,
koͤnnte mir einbilden, daß mein Geliebter, weil
ich ihn innig, innig liebe, dem armen Maͤdchen
nicht weh thun moͤchte. — Ach, Du biſt ſo gut,
ſo unausſprechlich gut; aber mißbrauche mich nicht.
Du ſollſt mir nichts opfern, mir nichts opfern wol¬
len; o Gott! ich koͤnnte mich haſſen, wenn Du
das thaͤteſt. Nein — Du haſt mich unendlich
gluͤcklich gemacht, Du haſt mich Dich lieben ge¬
lehrt. Zeuch hin! — Weiß doch mein Schickſal,
Graf Peter gehoͤrt nicht mir, gehoͤrt der Welt
an. Will ſtolz ſeyn, wenn ich hoͤre: das iſt er
geweſen, und das war er wieder, und das hat er
vollbracht; da haben ſie ihn angebetet, und da
haben ſie ihn [vergoͤttert]. Siehe, wenn ich das
D[50] denke, zuͤrne ich Dir, daß Du bei einem einfaͤltigen
Kinde Deiner hohen Schickſale vergeſſen kannſt. —
Zeuch hin, ſonſt macht der Gedanke mich noch un¬
gluͤcklich, die ich, ach! durch Dich ſo gluͤcklich, ſo
ſelig bin. — Hab' ich nicht auch einen Oelzweig
und eine Roſenknoſpe in Dein Leben geflochten,
wie in den Kranz, den ich Dir uͤberreichen durfte?
Habe Dich im Herzen, mein Geliebter, fuͤrchte
nicht, von mir zu gehen — werde ſterben ach ſo
ſelig, ſo unausſprechlich ſelig durch Dich.„ —


Du kannſt Dir denken, wie mir die Worte
durch's Herz ſchneiden mußten. Ich erklaͤrte ihr,
ich ſei nicht das, wofuͤr man mich anzuſehen
ſchien; ich ſei nur ein reicher, aber unendlich
elender Mann. Auf mir ruhe ein Fluch, der das
einzige Geheimniß zwiſchen ihr und mir ſeyn ſolle,
weil ich nicht noch ohne Hoffnung ſei, daß er
geloͤſt werde. Dies ſei das Gift meiner Tage: daß
ich ſie mit in den Abgrund hinreißen koͤnne, ſie,
die das einzige Licht, das einzige Gluͤck, das ein¬
zige Herz meines Lebens ſei. Dann weinte ſie
wieder, daß ich ungluͤcklich war, ach, ſie war ſo
liebevoll, ſo gut. Um Eine Thraͤne nur mir zu
[51] erkaufen, hatte ſie, mit welcher Seligkeit, ſich
ſelbſt ganz hingeopfert.


Sie war indeß weit entfernt, meine Worte
richtig zu deuten, ſie ahnete nun in mir irgend
einen Fuͤrſten, den ein ſchwerer Bann getroffen,
irgend ein hohes, geaͤchtetes Haupt, und ihre Ein¬
bildungskraft malte ſich geſchaͤftig, unter heroiſchen
Bildern den Geliebten herrlich aus.


Einſt ſagte ich ihr: “Mina, der letzte Tag
im kuͤnftigen Monat kann mein Schickſal aͤndern
und entſcheiden — geſchieht es nicht, ſo muß ich
ſterben, weil ich Dich nicht ungluͤcklich machen
will.„ — Sie verbarg weinend ihr Haupt an
meiner Bruſt. “Ändert ſich Dein Schickſal, laß
mich nur Dich gluͤcklich wiſſen, ich habe keinen
Anſpruch an Dich — Biſt Du elend, binde mich
an Dein Elend, daß ich es Dir tragen helfe.„ —


“Maͤdchen, Maͤdchen, nimm es zuruͤck, das
raſche Wort, das thoͤrichte, das Deinen Lippen
entflohen — und kenn'ſt Du es, dieſes Elend,
kenn'ſt Du ihn, dieſen Fluch? Weißt Du, wer
Dein Geliebter. — – – – was er – – ? —
D2[52] Siehſt Du mich nicht krampfhaft zuſammenſchau¬
dern, und vor Dir ein Geheimniß haben?„ Sie
fiel ſchluchzend mir zu Fuͤßen, und wiederholte mit
Eidſchwur ihre Bitte. —


Ich erklaͤrte mich gegen den hereintretenden
Forſtmeiſter, meine Abſicht ſei, am erſten des
naͤchſtkuͤnftigen Monats um die Hand ſeiner Toch¬
ter anzuhalten — ich ſetzte dieſe Zeit feſt, weil
ſich bis dahin Manches ereignen duͤrfte, was Ein¬
fluß auf mein Schickſal haben koͤnnte. Unwandel¬
bar ſei nur meine Liebe zu ſeiner Tochter. —


Der gute Mann erſchrack ordentlich, als er
ſolche Worte aus dem Munde des Grafen Pe¬
ter
vernahm. Er fiel mir um den Hals, und
ward wieder ganz verſchaͤmt, ſich vergeſſen zu ha¬
ben. Nun fiel es ihm ein, zu zweifeln, zu er¬
waͤgen und zu forſchen; er ſprach von Mitgift, von
Sicherheit, von Zukunft fuͤr ſein liebes Kind. Ich
dankte ihm, mich daran zu mahnen. Ich ſagte
ihm, ich wuͤnſche in dieſer Gegend, wo ich geliebt
zu ſeyn ſchien, mich anzuſiedeln, und ein ſorgen¬
freies Leben zu fuͤhren. Ich bat ihn, die ſchoͤnſten
[53] Guͤter, die im Lande ausgebeten wurden, unter
dem Namen ſeiner Tochter zu kaufen, und die Be¬
zahlung auf mich anzuweiſen. Es koͤnne darin ein
Vater dem Liebenden am beſten dienen. — Es
gab ihm viel zu thun, denn uͤberall war ihm ein
Fremder zu vorgekommen; er kaufte auch nur fuͤr
ungefaͤhr eine Million.


Daß ich ihn damit beſchaͤftigte, war im
Grunde eine unſchuldige Liſt, um ihn zu entfer¬
nen, und ich hatte ſchon aͤhnliche mit ihm gebraucht,
denn ich muß geſtehen, daß er etwas laͤſtig war.
Die gute Mutter war dagegen etwas taub, und
nicht, wie er, auf die Ehre eiferſuͤchtig, den Herrn
Grafen zu unterhalten.


Die Mutter kam hinzu, die gluͤcklichen Leute
drangen in mich, den Abend laͤnger unter ihnen
zu bleiben; ich durfte keine Minute weilen: ich ſah
ſchon den aufgehenden Mond am Horizonte daͤm¬
mern. — Meine Zeit war um. —


Am naͤchſten Abend ging ich wieder nach dem
Foͤrſtergarten. Ich hatte den Mantel weit uͤber
die Schulter geworfen, den Hut tief in die Au¬
[54] gen gedruͤckt, ich ging auf Mina zu; wie ſie auf¬
ſah, und mich anblickte, machte ſie eine unwill¬
kuͤhrliche Bewegung; da ſtand mir wieder klar vor
der Seele die Erſcheinung jener ſchaurigen Nacht,
wo ich mich im Mondſchein ohne Schatten ge¬
zeigt. Sie war es wirklich. Hatte ſie mich aber
auch jetzt erkannt? Sie war ſtill und gedanken¬
voll — mir lag es zentnerſchwer auf der Bruſt —
Ich ſtand von meinem Sitz auf. Sie warf ſich
ſtille weinend an meine Bruſt. Ich ging.


Nun fand ich ſie oͤfters in Thraͤnen; mir
ward's finſter und finſterer um die Seele, — nur
die Eltern ſchwammen in unuͤberſchwaͤnglicher
Gluͤckſeligkeit; der verhaͤngnißvolle Tag ruͤckte her¬
an, bang und dumpf, wie eine Gewitterwolke.
Der Vorabend war da — ich konnte kaum mehr
athmen. Ich hatte vorſorglich einige Kiſten mit
Gold angefuͤllt, ich wachte die zwoͤlfte Stunde
heran. — Sie ſchlug. —


Nun ſaß ich da, das Auge auf die Zeiger
der Uhr gerichtet, die Sekunden, die Minuten
zaͤhlend, wie Dolchſtiche. Bei jedem Laͤrm, der
[55] ſich regte, fuhr ich auf, der Tag brach an. Die
bleiernen Stunden verdraͤngten einander, es ward
Mittag, Abend, Nacht; es ruͤckten die Zeiger,
welkte die Hoffnung; es ſchlug eilf, und nichts
erſchien; die letzten Minuten der letzten Stunde
fielen, und nichts erſchien, es ſchlug der erſte
Schlag, der letzte Schlag der zwoͤlften Stunde,
und ich ſank hoffnungslos in unendlichen Thraͤnen
auf mein Lager zuruͤck. Morgen ſollt' ich — auf
immer ſchattenlos, um die Hand der Geliebten an¬
halten; banger Schlaf druͤckte mir gegen den
Morgen die Augen zu.


[56]

V.

Es war noch fruͤh, als mich Stimmen
weckten, die ſich in meinem Vorzimmer, in hef¬
tigem Wortwechſel erhoben. Ich horchte auf. —
Bendel verbot meine Thuͤr; Rascal ſchwur
hoch und theuer, keine Befehle von ſeines Glei¬
chen anzunehmen, und beſtand darauf, in meine
Zimmer einzudringen. Der guͤtige Bendel ver¬
wies ihm, daß ſolche Worte, falls ſie zu meinen
Ohren kaͤmen, ihn um einen vortheilhaften Dienſt
bringen wuͤrden. Rascal drohte Hand an ihn
zu legen, wenn er ihm den Eingang noch laͤnger
vertreten wollte. —


Ich hatte mich halb angezogen, ich riß zornig
die Thuͤr auf, und fuhr auf Rascal’n zu —


“Was willſt Du Schurke – – – –,„ er trat
zwei Schritte zuruͤck, und antwortete ganz kalt:
“Sie unterthaͤnigſt bitten, Herr Graf, mir doch
[57] einmal Ihren Schatten ſehen zu laſſen, — die
Sonne ſcheint eben ſo ſchoͤn auf dem Hofe. —„


Ich war wie vom Donner geruͤhrt. Es
dauerte lange, bis ich die Sprache wieder fand. —
“Wie kann ein Knecht gegen ſeinen Herrn – – ?„
Er fiel mir ganz ruhig in die Rede: “Ein Knecht
kann ein ſehr ehrlicher Mann ſeyn und einem
Schattenloſen nicht dienen wollen, ich fordre mei¬
ne Entlaſſung.„ Ich mußte andre Saiten auf¬
ziehen. “Aber Rascal, lieber Rascal, wer
hat Dich auf die ungluͤckliche Idee gebracht, wie
kannſt Du denken – – – –?„ er fuhr im ſelben


Tone fort: “Es wollen Leute behaupten, Sie
haͤtten keinen Schatten — und kurz, Sie zeigen
mir Ihren Schatten, oder geben mir meine Ent¬
laſſung.„


Bendel, bleich und zitternd, aber beſonne¬
ner als ich, machte mir ein Zeichen, ich nahm zu
dem Alles beſchwichtigenden Golde meine Zuflucht, —
auch das hatte ſeine Macht verloren — er warf's
mir vor die Fuͤße; “von einem Schattenloſen
nehme ich nichts an.„ Er kehrte mir den Ruͤcken
und ging, den Hut auf dem Kopf, ein Liedchen pfei¬
[58] fend, langſam aus dem Zimmer. Ich ſtand mit
Bendel da wie verſteint, gedanken- und re¬
gungslos ihm nachſehend.


Schwer — aufſeufzend, und den Tod im
Herzen, ſchickt' ich mich endlich an, mein Wort
zu loͤſen, und, wie ein Verbrecher vor ſeinen Rich¬
tern, in dem Foͤrſtergarten zu erſcheinen. Ich
ſtieg in der dunklen Laube ab, welche nach mir
benannt war, und wo ſie mich auch diesmal er¬
warten mußten. Die Mutter kam mir ſorgenfrei
und freudig entgegen. Mina ſaß da, bleich und
ſchoͤn, wie der erſte Schnee, der manchmal im
Herbſte die letzten Blumen kuͤßt, und gleich in
bitt’res Waſſer zerfließen wird. Der Forſtmeiſter,
ein geſchriebenes Blatt in der Hand, ging heftig
auf und ab, und ſchien Vieles in ſich zu unter¬
druͤcken, was mit fliegender Roͤthe und Blaͤſſe
wechſelnd, ſich auf ſeinem ſonſt unbeweglichen Ge¬
ſichte malte. Er kam auf mich zu, als ich her¬
eintrat, und verlangte mit oft unterbrochenen Wor¬
ten, mich allein zu ſprechen. Der Gang, auf den
er mich, ihm zu folgen, einlud, fuͤhrte nach ei¬
nem freien, beſonnten Theile des Gartens — ich
[59] ließ mich ſtumm auf einen Sitz nieder, und es
erfolgte ein langes Schweigen, das ſelbſt die gute
Mutter nicht zu unterbrechen wagte.


Der Forſtmeiſter ſtuͤrmte immer noch unglei¬
chen Schrittes die Laube auf und ab, er ſtand
mit einem Mal vor mir ſtill, blickte ins Papier,
das er hielt, und fragte mich mit pruͤfendem Blick:
“Sollte Ihnen, Herr Graf, ein gewiſſer Peter
Schlemihl
wirklich nicht unbekannt ſeyn?„
Ich ſchwieg — “ein Mann von vorzuͤglichem Cha¬
rakter und von beſonderen Gaben.„ Er erwar¬
tete eine Antwort. — “Und wenn ich ſelber der
Mann waͤre?„ “dem,„ fuͤgte er heftig hinzu,
“ſein Schatten abhanden gekommen iſt!!„ “O
meine Ahnung, meine Ahnung,„ rief Mina
aus, “ja, ich weiß es laͤngſt, er hat keinen Schat¬
ten!„ und ſie warf ſich in die Arme der Mut¬
ter, welche erſchreckt, ſie krampfhaft an ſich ſchlieſ¬
ſend, ihr Vorwuͤrfe machte, daß ſie zum Unheil
ſolch ein Geheimniß in ſich verſchloſſen. Sie aber
war, wie Arethuſa, in einen Thraͤnenquell ge¬
wandelt, der beim Klang meiner Stimme haͤufiger
floß, und bei meinem Nahen ſtuͤrmiſch aufbrauſte.


[60]

“Und Sie haben,„ hub der Forſtmeiſter
grimmig wieder an, “und Sie haben mit uner¬
hoͤrter Frechheit dieſe und mich zu betruͤgen keinen
Anſtand genommen; und Sie gaben vor, ſie zu
lieben, die Sie ſo weit herunter gebracht haben,
ſehen Sie, wie ſie da weint und ringt. O ſchreck¬
lich! ſchrecklich! —„


Ich hatte dergeſtalt alle Beſinnung verloren,
daß ich, wie irre redend, anfing: Es waͤre doch am
Ende ein Schatten, nichts als ein Schatten, man
koͤnne auch ohne das fertig werden, und es waͤre
nicht der Muͤhe werth, ſolchen Laͤrm davon zu er¬
heben. Aber ich fuͤhlte ſo ſehr den Ungrund von
dem, was ich ſprach, daß ich von ſelbſt aufhoͤrte,
ohne daß er mich einer Antwort gewuͤrdigt. Ich
fuͤgte noch hinzu: was man einmal verloren, koͤn¬
ne man ein andermal wieder finden.


Er fuhr mich zornig an. — “Geſtehen Sie
mir's, mein Herr, geſtehen Sie mir's, wie ſind
Sie um ihren Schatten gekommen?„ Ich mußte
wieder luͤgen: “Es trat mir dereinſt ein unge¬
ſchlachter Mann ſo flaͤmiſch in meinen Schatten,
[61] daß er ein großes Loch darein riß — ich habe ihn
nur zum Ausbeſſern gegeben, denn Gold vermag
viel, ich habe ihn ſchon geſtern wieder bekommen
ſollen. –„


“Wohl, mein Herr, ganz wohl!„ erwiederte
der Forſtmeiſter, “Sie werben um meine Toch¬
ter, das thun auch Andere, ich habe als ein Va¬
ter fuͤr ſie zu ſorgen, ich gebe Ihnen drei Tage
Friſt, binnen welcher Sie ſich nach einem Schat¬
ten umthun moͤgen; erſcheinen Sie binnen drei
Tage vor mir mit einem wohlangepaßten Schat¬
ten, ſo ſollen Sie mir willkommen ſeyn; am vier¬
ten Tage aber — das ſag' ich Ihnen, — iſt
meine Tochter die Frau eines Andern. —„ Ich
wollte noch verſuchen, ein Wort an Mina zu
richten, aber ſie ſchloß ſich, heftiger ſchluchzend,
feſter an ihre Mutter, und dieſe winkte mir ſtill¬
ſchweigend, mich zu entfernen. Ich ſchwankte
hinweg, und mir war's, als ſchloͤße ſich hinter
mir die Welt zu.


Der liebevollen Aufſicht Bendel's entſprun¬
gen, durchſchweifte ich in irrem Lauf Waͤlder und
Fluren. Angſtſchweiß trof von meiner Stirne,
[62] ein dumpftes Stoͤhnen entrang ſich meiner Bruſt,
in mir tobte Wahnſinn. —


Ich weiß nicht, wie lange es ſo gedauert ha¬
ben mochte, als ich mich auf einer ſonnigen Heide
beim Ärmel anhalten fuͤhlte. — Ich ſtand ſtill
und ſah mich um — — es war der Mann im
grauen Rock, der ſich nach mir außer Athem ge¬
laufen zu haben ſchien. Er nahm ſogleich das
Wort:


“Ich hatte mich auf dem heutigen Tage an¬
gemeldet, Sie haben die Zeit nicht erwarten koͤn¬
nen. Es ſteht aber Alles noch gut, Sie nehmen
Rath an, tauſchen Ihren Schatten wieder ein, der
Ihnen zu Gebote ſteht, und kehren ſogleich wie¬
der um. Sie ſollen in dem Foͤrſtergarten willkom¬
men ſeyn, und Alles iſt nur ein Scherz geweſen;
den Rascal, der Sie verrathen hat, und um
Ihre Braut wirbt, nehm' ich auf mich, der Kerl
iſt reif.„


Ich ſtand noch wie im Schlafe da. — “Auf
den heutigen Tag angemeldet —?„ ich uͤberdachte
noch einmal die Zeit — er hatte Recht, ich hatte
mich ſtets um einen Tag verrechnet. Ich ſuchte
[63] mit der rechten Hand nach dem Seckel auf mei¬
ner Bruſt, — er errieth meine Meinung, und
trat zwei Schritte zuruͤck.


“Nein, Herr Graf, der iſt in zu guten
Haͤnden, den behalten Sie. —„ Ich ſah ihn mit
ſtieren Augen, verwundert fragend an, er fuhr
fort: “Ich erbitte mir blos eine Kleinigkeit zum
Andenken: Sie ſind nur ſo gut, und unterſchrei¬
ben mir den Zettel da.„ — auf dem Pergament
ſtanden die Worte:


“Kraft dieſer meiner Unterſchrift vermache
ich dem Inhaber dieſes meine Seele nach
ihrer natuͤrlichen Trennung von meinem
Leibe.„


Ich ſah mit ſtummen Staunen die Schrift
und den grauen Unbekannten abwechſelnd an. —
Er hatte unterdeſſen mit einer neu geſchnittenen
Feder einen Tropfen Bluts aufgefangen, der mir
aus einem friſchen Dornenriß auf die Hand floß,
und hielt ſie mir hin. —


“Wer ſind Sie denn?„ frug ich ihn end¬
lich: “was thut's,„ gab er mir zur Antwort,
[64] “und ſieht man es mir nicht an? ein armer
Teufel, gleichſam ſo eine Art von Gelehrten und
Phyſikus, der von ſeinen Freunden fuͤr vortreff¬
liche Kuͤnſte ſchlechten Dank erntet, und fuͤr ſich
ſelber auf Erden keinen andern Spaß hat, als
ſein Bißchen Experimentiren — aber unterſchrei¬
ben Sie doch. Rechts, da unten. Peter
Schlemihl
.„ —


Ich ſchuͤttelte mit dem Kopf, und ſagte:
“Verzeihen Sie, mein Herr, das unterſchreibe
ich nicht.„ — “Nicht!„ wiederholte er verwun¬
dert, “und warum nicht?„ —


“Es ſcheint mir doch gewiſſermaſſen bedenk¬
lich, meine Seele an meinen Schatten zu ſez¬
zen. — —„ “So, ſo!„ wiederholte er, “be¬
denklich,„ und er brach in ein lautes Gelaͤchter
gegen mich aus. “Und, wenn ich fragen darf,
was iſt denn das fuͤr ein Ding, Ihre Seele? ha¬
ben Sie es je geſehen, und was denken Sie da¬
mit anzufangen, wenn Sie einſt todt ſind. Seien
Sie doch froh, einen Liebhaber zu finden, der Ih¬
nen bei Lebenszeit noch, den Nachlaß dieſes X.,
dieſer galvaniſchen Kraft oder polariſirenden Wirk¬
ſamkeit,[65] ſamkeit, und was alles das naͤrriſche Ding ſeyn
ſoll, mit etwas Wirklichem bezahlen will, nemlich
mit Ihrem leibhaftigen Schatten, durch den Sie
zu der Hand Ihrer Geliebten und zu der Erfuͤl¬
lung aller Ihrer Wuͤnſche gelangen koͤnnen. Wol¬
len Sie lieber ſelbſt das arme junge Blut dem
niedertraͤchtigen Schurken, dem Rascal zuſtoßen
und ausliefern? — Nein, das muͤſſen Sie doch
mit eigenen Augen anſehen; kommen Sie, ich
leihe Ihnen die Tarnkappe hier,„ (er zog etwas
aus der Taſche) “und wir wallfahrten ungeſehen
nach dem Foͤrſtergarten. —„


Ich muß geſtehen, daß ich mich uͤberaus
ſchaͤmte, von dieſem Manne ausgelacht zu werden.
Er war mir von Herzensgrunde verhaßt, und ich
glaube, daß mich dieſer perſoͤnliche Widerwille
mehr als Grundſaͤtze oder Vorurtheile abhielt, mei¬
nen Schatten, ſo nothwendig er mir auch war,
mit der begehrten Unterſchrift zu erkaufen. Auch
war mir der Gedanke unertraͤglich, den Gang, den
er mir antrug, in ſeiner Geſellſchaft zu unterneh¬
men. Dieſen haͤßlichen Schleicher, dieſen hohn¬
laͤchelnden Kobold, zwiſchen mich und meine Ge¬
E[66] liebte, zwei blutig zerriſſene Herzen, ſpoͤttiſch hin¬
treten zu ſehen, empoͤrte mein innigſtes Gefuͤhl.
Ich nahm, was geſchehen war, als verhaͤngt an,
mein Elend als unabwendbar, und mich zu dem
Manne kehrend, ſagte ich ihm:


“Mein Herr, ich habe Ihnen meinen Schat¬
ten fuͤr dieſen, an ſich ſehr vorzuͤglichen Seckel
verkauft, und es hat mich genug gereut. Kann
der Handel zuruͤckgehen, in Gottes Namen!„ Er
ſchuͤttelte mit dem Kopf und zog ein ſehr finſteres
Geſicht. Ich fuhr fort: — “So will ich Ih¬
nen auch weiter nichts von meiner Habe verkau¬
fen, ſei es auch um den angebotenen Preis meines
Schattens, und unterſchreibe alſo nichts. Daraus
laͤßt ſich auch abnehmen, daß die Verkappung, zu
der Sie mich einladen, ungleich beluſtigender fuͤr
Sie als fuͤr mich ausfallen muͤßte; halten Sie
mich alſo fuͤr entſchuldigt, und da es einmal nicht
anders iſt, — laßt uns ſcheiden!„ —


“Es iſt mir leid, Monſieur Schlemihl,
daß Sie eigenſinnig das Geſchaͤft von der Hand
weiſen, das ich Ihnen freundſchaftlich anbot. In¬
[67] deſſen, vielleicht bin ich ein andermal gluͤcklicher.
Auf baldiges Wiederſehen! — A propos, erlau¬
ben Sie mir noch, Ihnen zu zeigen, daß ich die
Sachen, die ich kaufe, keinesweges verſchimmeln
laſſe, ſondern in Ehren halte, und daß ſie bei mir
gut aufgehoben ſind.„ —


Er zog ſogleich meinen Schatten aus ſeiner
Taſche, und ihn mit einem geſchickten Wurf auf
der Haide entfaltend, breitete er ihn auf der Son¬
nenſeite zu ſeinen Fuͤßen aus, ſo daß er zwiſchen
den beiden ihm aufwartenden Schatten, dem mei¬
nen und dem ſeinen, daher ging, denn meiner
mußte ihm gleichfalls gehorchen und nach allen ſei¬
nen Bewegungen ſich richten und bequemen.


Als ich nach ſo langer Zeit einmal meinen
armen Schatten wieder ſah’, und ihn zu ſolchem
ſchnoͤden Dienſt herabgewuͤrdigt fand, eben als ich
um ſeinetwillen in ſo namenloſer Noth war, da
brach mir das Herz, und ich fing bitterlich zu
weinen an. Der Verhaßte ſtolzirte mit dem mir
abgejagten Raub, und erneuerte unverſchaͤmt ſei¬
nen Antrag:
E2[68] “Noch iſt er fuͤr Sie zu haben, ein Feder¬
zug, und ſie retten damit die arme ungluͤckliche
Mina aus des Schuftes Klauen in des hochge¬
ehrten Herrn Grafen Arme — wie geſagt, nur
ein Federzug.„ Meine Thraͤnen brachen mit er¬
neuter Kraft hervor, aber ich wandte mich weg,
und winkte ihm, ſich zu entfernen.


Bendel, der voller Sorgen meine Spuren
bis hieher verfolgt hatte, traf in dieſem Augen¬
blick ein. Als mich die treue fromme Seele wei¬
nend fand, und meinen Schatten, denn er war
nicht zu verkennen, in der Gewalt des wunderli¬
chen grauen Unbekannten ſah, beſchloß er gleich,
ſei es auch mit Gewalt, mich in den Beſitz mei¬
nes Eigenthums wieder herzuſtellen, und da er
ſelbſt mit dem zarten Dinge nicht umzugehen ver¬
ſtand, griff er gleich den Mann mit Worten an,
und ohne vieles Fragen, gebot er ihm ſtracks,
mir das Meine unverzuͤglich verabfolgen zu laſ¬
ſen. Dieſer, ſtatt aller Antwort, kehrte dem un¬
ſchuldigen Burſchen den Ruͤcken und ging. Ben¬
del
aber erhob den Kreuzdornknuͤttel, den er trug,
und, ihm auf den Ferſen folgend, ließ er ihn ſcho¬
[69] nungslos unter wiederholtem Befehl, den Schat¬
ten herzugeben, die volle Kraft ſeines nervigten
Armes fuͤhlen. Jener, als ſei er ſolcher Be¬
handlung gewohnt, buͤckte den Kopf, woͤlbte die
Schultern, und zog ſtillſchweigend ruhigen Schrit¬
tes ſeinen Weg uͤber die Haide weiter, mir mei¬
nen Schatten zugleich und meinen treuen Diener
entfuͤhrend. Ich hoͤrte lange noch den dumpfen
Schall durch die Einoͤde droͤnen, bis er ſich end¬
lich in der Entfernung verlor. Einſam war ich
wie vorher mit meinem Ungluͤck.


[70]

VI.

Allein zuruͤckgeblieben auf der oͤden Haide,
ließ ich unendlichen Thraͤnen freien Lauf, mein
armes Herz von namenloſer banger Laſt erleich¬
ternd. Aber ich ſah meinem unuͤberſchwaͤnglichen
Elend keine Grenzen, keinen Ausgang, kein Ziel,
und ich ſog beſonders mit grimmigem Durſt an
dem neuen Gifte, das der Unbekannte in meine
Wunden gegoſſen. Als ich Minas Bild vor
meine Seele rief, und die geliebte, ſuͤße Geſtalt
bleich und in Thraͤnen mir erſchien, wie ich ſie
zuletzt in meiner Schmach geſehen, da trat frech
und hoͤhnend Rascal's Schemen zwiſchen ſie und
mich, ich verhuͤllte mein Geſicht, und floh durch
die Einoͤde, aber die ſcheußliche Erſcheinung gab
mich nicht frei, ſondern verfolgte mich im Laufe,
bis ich athemlos an den Boden ſank, und die Erde
mit erneuertem Thraͤnenquell befeuchtete.


[71]

Und alles um einen Schatten! und dieſen
Schatten haͤtte mir ein Federzug wieder erworben.
Ich uͤberdachte den befremdenden Antrag und mei¬
ne Weigerung. Es war wuͤſt in mir, ich hatte
weder Urtheil noch Faſſungsvermoͤgen mehr.


Der Tag verging. Ich ſtillte meinen Hun¬
ger mit wilden Fruͤchten, meinen Durſt im naͤch¬
ſten Bergſtrom; die Nacht brach ein, ich lagerte
mich unter einem Baum. Der feuchte Morgen
weckte mich aus einem ſchweren Schlaf, in dem
ich mich ſelber wie im Tode roͤcheln hoͤrte. Ben¬
del
mußte meine Spur verloren haben, und es
freute mich, es zu denken. Ich wollte nicht un¬
ter die Menſchen zuruͤckkehren, vor welchen ich
ſchreckhaft floh, wie das ſcheue Wild des Gebir¬
ges. So verlebte ich drei bange Tage.


Ich befand mich am Morgen des vierten
auf einer ſandigen Ebene, welche die Sonne be¬
ſchien, und ſaß auf Felſentruͤmmern in ihrem
Stral, denn ich liebte jetzt ihren lang' entbehrten
Anblick zu genießen. Ich naͤhrte ſtill mein Herz
mit ſeiner Verzweiflung. Da ſchreckte mich ein
[72] leiſes Geraͤuſch auf, ich warf, zur Flucht bereit,
den Blick um mich her, ich ſah Niemand: aber
es kam auf dem ſonnigen Sande an mir vorbei
geglitten ein Menſchenſchatten, dem meinigen nicht
unaͤhnlich, welcher, allein daher wandelnd, von
ſeinem Herrn abgekommen zu ſeyn ſchien.


Da erwachte in mir ein maͤchtiger Trieb:
Schatten, dacht' ich, ſuchſt du deinen Herrn? der
will ich ſeyn. Und ich ſprang hinzu, mich ſeiner
zu bemaͤchtigen; ich dachte nemlich, daß, wenn es
mir gluͤckte, in ſeine Spur zu treten, ſo, daß
er mir an die Fuͤße kaͤme, er wohl daran haͤngen
bleiben wuͤrde, und ſich mit der Zeit an mich ge¬
woͤhnen.


Der Schatten, auf meine Bewegung, nahm
vor mir die Flucht, und ich mußte auf den leich¬
ten Fluͤchtling eine angeſtrengte Jagd beginnen,
zu der mich allein der Gedanke, mich aus der
furchtbaren Lage, in der ich war, zu retten,
mit hinreichenden Kraͤften ausruͤſten konnte. Er
floh einem freilich noch entfernten Walde zu, in
deſſen Schatten ich ihn nothwendig haͤtte verlie¬
ren muͤſſen, — ich ſah’s, ein Schreck durchzuckte
[73] mir das Herz, fachte meine Begierde an, befluͤ¬
gelte meinen L[a]uf — ich gewann ſichtbarlich auf
den Schatten, ich kam ihm nach und nach naͤher,
ich mußte ihn erreichen. Nun hielt er ploͤtzlich an,
und kehrte ſich nach mir um. Wie der Loͤwe auf
ſeine Beute, ſo ſchoß ich mit einem gewaltigen
Sprunge hinzu, um ihn in Beſitz zu nehmen —
und traf unerwartet und hart auf koͤrperlichen
Widerſtand. Es wurden mir unſichtbar die un¬
erhoͤrteſten Rippenſtoͤße ertheilt, die wohl je ein
Menſch gefuͤhlt hat.


Die Wirkung des Schreckens war in mir,
die Arme krampfhaft zuzuſchlagen und feſt zu
druͤcken, was ungeſehen vor mir ſtand. Ich ſtuͤrzte
in der ſchnellen Handlung vorwaͤrts geſtreckt auf
den Boden: ruͤckwaͤrts aber unter mir ein Menſch,
den ich umfaßt hielt, und der jetzt erſt ſichtbar
erſchien.


Nun ward mir auch das ganze Ereigniß ſehr
natuͤrlich erklaͤrbar. Der Mann mußte das un¬
ſichtbare Vogelneſt, welches den, der es haͤlt, nicht
aber ſeinen Schatten, unſichtbar macht, erſt ge¬
tragen und jetzt weggeworfen haben. Ich ſpaͤhete
[74] mit dem Blick umher, entdeckte gar bald den
Schatten des unſichtbaren Neſtes ſelbſt, ſprang
auf und hinzu, und verfehlte nicht den theuern
Raub. Ich hielt unſichtbar, ſchattenlos das Neſt
in Haͤnden.


Der ſchnell ſich aufrichtende Mann, ſich ſo¬
gleich nach ſeinem begluͤckten Bezwinger umſehend,
erblickte auf der weiten ſonnigen Ebene weder ihn
noch deſſen Schatten, nach dem er beſonders aͤngſt¬
lich umherlauſchte. Denn daß ich an und fuͤr
mich ſchattenlos war, hatte er vorher nicht Muße
gehabt zu bemerken, und konnte es nicht vermu¬
then. Als er ſich uͤberzeugt’, daß jede Spur ver¬
ſchwunden, kehrte er in der hoͤchſten Verzweiflung
die Hand gegen ſich ſelber und raufte ſich das
Haar aus. Mir aber gab der errungene Schatz
die Moͤglichkeit und die Begierde zugleich, mich
wieder unter die Menſchen zu miſchen. Es fehlte
mir nicht an Vorwand gegen mich ſelber, mei¬
nen ſchnoͤden Raub zu beſchoͤnigen, oder vielmehr,
ich bedurfte ſolcher nicht, und jedem Gedanken der
Art zu entweichen, eilte ich hinweg, nach dem Un¬
gluͤcklichen nicht zuruͤckſchauend, deſſen aͤngſtliche
[75] Stimme ich mir noch lange nachſchallen hoͤrte.
So wenigſtens kamen mir damals alle Umſtaͤnde
dieſes Ereigniſſes vor.


Ich brannte nach dem Foͤrſtergarten zu ge¬
hen, und durch mich ſelbſt die Wahrheit deſſen zu
erkennen, was mir jener Verhaßte verkuͤndigt hat¬
te; ich wußte aber nicht, wo ich war, ich be¬
ſtieg, um mich in der Gegend um zu ſchauen,
den naͤchſten Huͤgel, ich ſah von ſeinem Gipfel
das nahe Staͤdtchen und den Foͤrſtergarten zu
meinen Fuͤßen liegen. — Heftig klopfte mir das
Herz, und Thraͤnen einer andern Art, als die ich
bis dahin vergoſſen, traten mir in die Augen,
ich ſollte ſie wiederſehen. — Bange Sehnſucht
beſchleunigte meine Schritte auf dem richtigſten
Pfad hinab. Ich kam ungeſehen an einigen
Bauern vorbei, die aus der Stadt kamen. Sie
ſprachen von mir, Rascal’n und dem Foͤrſter;
ich wollte nichts anhoͤren, ich eilte voruͤber.


Ich trat in den Garten, alle Schauer der
Erwartung in der Bruſt — mir ſchallte es wie
ein Lachen entgegen, mich ſchauderte, ich warf ei¬
[76] nen ſchnellen Blick um mich her; ich konnte Nie¬
manden entdecken. Ich ſchritt weiter vor, mir
war's, als vernaͤhme ich neben mir ein Geraͤuſch
wie von Menſchentritten; es war aber nichts zu
ſehen: ich dachte mich von meinem Ohre getaͤuſcht.
Es war noch fruͤh, Niemand in Graf Peter's
Laube, noch leer der Garten; ich durchſchweifte
die bekannten Gaͤnge, ich drang bis nach dem
Wohnhauſe vor. Daſſelbe Geraͤuſch verfolgte mich
vernehmlicher. Ich ſetzte mich mit angſtvollem
Herzen auf eine Bank, die im ſonnigen Raume
der Hausthuͤr gegen uͤber ſtand. Es ward mir, als
hoͤrte ich den ungeſehenen Kobold ſich hohnlachend
neben mich ſetzen. Der Schluͤſſel ward in der
Thuͤr gedreht, ſie ging auf, der Forſtmeiſter trat
heraus, mit Papieren in der Hand. Ich fuͤhlte
mir wie Nebel uͤber den Kopf zieh'n, ich ſah mich
um, und — Entſetzen! — der Mann im grauen
Rock ſaß neben mir, mit ſataniſchem Laͤcheln auf
mich blickend. — Er hatte mir ſeine Tarnkappe
mit uͤber den Kopf gezogen, zu ſeinen Fuͤßen la¬
gen ſein und mein Schatten friedlich neben ein¬
ander; er ſpielte nachlaͤßig mit dem bekannten
Pergament, das er in der Hand hielt, und, in¬
[77] dem der Forſtmeiſter mit den Papieren beſchaͤftigt
im Schatten der Laube auf- und abging —
beugte er ſich vertraulich zu meinem Ohr und fluͤ¬
ſterte mir die Worte:


“So haͤtten Sie denn doch meine Einladung
angenommen, und da ſaͤßen wir einmal zwei
Koͤpfe unter einer Kappe! — Schon recht! ſchon
recht! Nun geben Sie mir aber auch mein Vo¬
gelneſt zuruͤck, Sie brauchen es nicht mehr, und
ſind ein zu ehrlicher Mann, um es mir vorent¬
halten zu wollen — doch keinen Dank dafuͤr, ich
verſichere Sie, daß ich es Ihnen von Herzen
gern geliehen habe.„ — Er nahm es unwei¬
gerlich aus meiner Hand, ſteckte es in die Taſche
und lachte mich abermals aus, und zwar ſo laut,
daß ſich der Forſtmeiſter nach dem Geraͤuſch um¬
ſah. — Ich ſaß wie verſteinert da.


“Sie muͤſſen mir doch geſtehen,„ fuhr er
fort, “daß ſo eine Kappe viel bequemer iſt.
Sie deckt doch nicht nur ihren Mann, ſondern
auch ſeinen Schatten mit, und noch ſo viele an¬
dere, als er mit zu nehmen Luſt hat. Sehen
[78] Sie, heute fuͤhr' ich wieder ihrer zwei. —„ Er
lachte wieder. “Merken Sie Sich's, Schle¬
mihl, was man Anfangs mit Gutem nicht will,
das muß man am Ende doch gezwungen. Ich
daͤchte noch, Sie kauften mir das Ding ab, neh¬
men die Braut zuruͤck, (denn noch iſt es Zeit)
und wir ließen den Rascal am Galgen bau¬
meln, das wird uns ein Leichtes, ſo lange es am
Stricke nicht fehlt — Hoͤren Sie, ich gebe Ih¬
nen noch meine Muͤtze in den Kauf.„


Die Mutter trat heraus und das Geſpraͤch
begann. — “Was macht Mina? —„ “Sie
weint.„ — “Einfaͤltiges Kind! es iſt doch nicht
zu aͤndern!„ — “Freilich nicht; aber ſie ſo fruͤh
einem Andern zu geben – – – O Mann, Du
biſt grauſam gegen Dein eigenes Kind.„ — “Nein,
Mutter, das ſiehſt Du ſehr falſch. Wenn ſie,
noch bevor ſie ihre doch kindiſchen Thraͤnen ausge¬
weint hat, ſich als die Frau eines ſehr reichen
und geehrten Mannes findet, wird ſie getroͤſtet
aus ihrem Schmerze wie aus einem Traum er¬
wachen, und Gott und uns danken, das wirſt
Du ſehen!„ — “Gott gebe es!„ — “Sie
[79] beſitzt freilich jetzt ſehr anſehnliche Guͤter; aber
nach dem Aufſehen, das die ungluͤckliche Geſchichte
mit dem Abentheurer gemacht hat, glaubſt Du,
daß ſich ſobald eine andere, fuͤr ſie ſo paſſende
Partie, als der Herr Rascal, finden moͤchte?
Weißt Du, was fuͤr ein Vermoͤgen er beſitzt, der
Herr Rascal? Er hat fuͤr ſechs Millionen
Guͤter hier im Lande, frei von allen Schulden,
baar bezahlt. Ich habe die Dokumente in Haͤn¬
den gehabt; er war's, der mir uͤberall das Beſte
vorweg genommen hat; und außerdem im Porte
feuille Papiere auf Thomas John fuͤr circa
viertehalb Millionen.„ — “Er muß ſehr viel
geſtolen haben.„ — “Was ſind das wieder fuͤr
Reden! Er hat weislich geſpart, wo verſchwen¬
det wurde.„ — “Ein Mann, der die Livree ge¬
tragen hat!„ — “Dummes Zeug! er hat doch
einen untadlichen Schatten.„ — “Du haſt
Recht, aber – – –„


Der Mann im grauen Rock lachte und ſah
mich an. Die Thuͤre ging auf, und Mina trat
heraus. Sie ſtuͤtzte ſich auf den Arm einer Kam¬
merfrau, ſtille Thraͤnen floſſen auf ihren ſchoͤnen
[80] blaſſen Wangen. Sie ſetzte ſich in einen Seſſel,
der fuͤr ſie unter den Linden bereitet war, und ihr
Vater nahm einen Stuhl neben ihr. Er faßte
zaͤrtlich ihre Hand, und redete ſie, die heftiger zu
weinen anfing, mit zarten Worten an:


“Du biſt mein gutes, liebes Kind, Du wirſt
auch vernuͤnftig ſeyn, wirſt nicht Deinen alten
Vater betruͤben wollen, der nur Dein Gluͤck will;
ich begreife es wohl, liebes Herz, daß es Dich ſehr
erſchuͤttert hat, Du biſt wunderbar Deinem Ungluͤck
entkommen! Bevor wir den ſchaͤndlichen Betrug
entdeckt, haſt Du dieſen Unwuͤrdigen ſehr geliebt;
ſiehe Mina, ich weiß es, und mache Dir keine
Vorwuͤrfe daruͤber. Ich ſelber, liebes Kind, ha¬
be ihn auch geliebt, ſo lange ich ihn fuͤr einen
großen Herrn angeſehen habe. Nun ſiehſt Du ſel¬
ber ein, wie anders Alles geworden. Was! ein
jeder Pudel hat ja ſeinen Schatten, und mein lie¬
bes einziges Kind ſollte einen Mann ‑ ‑ ‑ Nein,
Du denkſt auch gar nicht mehr an ihn. — Hoͤre,
Mina, nun wirbt ein Mann um Dich, der die
Sonne nicht ſcheut, ein geehrter Mann, der frei¬
lich kein Fuͤrſt iſt, aber zehn Millionen, zehnmal
mehr[81] mehr als Du in Vermoͤgen beſitzt, ein Mann, der
mein liebes Kind gluͤcklich machen wird. Erwie¬
dere mir nichts, widerſetze Dich nicht, ſei meine gute
gehorſame Tochter, laß Deinen liebenden Vater fuͤr
Dich ſorgen, Deine Thraͤnen trocknen. Verſprich
mir, dem Herrn Rascal Deine Hand zu geben. —
Sage, willſt Du mir dies verſprechen?„ —


Sie antwortete mit erſtorbener Stimme:
“Ich habe keinen Willen, keinen Wunſch fuͤrder
auf Erden. Geſchehe mit mir, was mein Vater
will.„ Zugleich ward Herr Rascal angemeldet,
und trat frech in den Kreis. Mina lag in Ohn¬
macht. Mein verhaßter Gefaͤhrte blickte mich zor¬
nig an und fluͤſterte mir die ſchnellen Worte:
“Und das konnten Sie erdulden! was fließt Ih¬
nen denn ſtatt des Blutes in den Adern?„ Er
ritzte mir mit einer raſchen Bewegung eine leichte
Wunde in die Hand, es floß Blut, er fuhr fort:
“Wahrhaftig! rothes Blut! — So unterſchrei¬
ben Sie!„ Ich hatte das Pergament und die
Feder in Haͤnden.


F[82]

VII.

Ich werde mich Deinem Urtheile bloß ſtel¬
len, lieber Chamiſſo, und es nicht zu beſtehen
ſuchen. Ich ſelbſt habe lange ſtrenges Gericht an
mir ſelber vollzogen, denn ich habe den quaͤlenden
Wurm in meinem Herzen genaͤhrt. Es ſchwebte
immerwaͤhrend dieſer ernſte Moment meines Le¬
bens vor meiner Seele, und ich vermocht' es nur
zweifelnden Blickes, mit Demuth und Zerknir¬
ſchung anzuſchauen — Lieber Freund, wer leicht¬
ſinnig nur den Fuß aus der geraden Straſſe ſetzt,
der wird unverſehens in andere Pfade abgefuͤhrt,
die abwaͤrts und immer abwaͤrts ihn ziehen; er
ſieht dann umſonſt die Leitſterne am Himmel
ſchimmern, ihm bleibt keine Wahl, er muß un¬
aufhaltſam den Abhang hinab, und ſich ſelbſt der
Nemeſis opfern. Nach dem uͤbereilten Fehltritt,
der den Fluch auf mich geladen, hatt' ich durch
[83] Liebe frevelnd in eines andern Weſens Schickſal
mich gedraͤngt: was blieb mir uͤbrig, als wo ich
Verderben geſaͤt, wo ſchnelle Rettung von mir ge¬
heiſcht ward, eben rettend blindlings hinzuzuſprin¬
gen? denn die letzte Stunde ſchlug. — Denke
nicht ſo niedrig von mir, mein Adalbert, als
zu meinen, es haͤtte mich irgend ein geforderter
Preis zu theuer geduͤnkt, ich haͤtte mit irgend Et¬
was, was nur mein war, mehr als eben mit Gold
gekargt. — Nein, Adalbert; aber mit unuͤber¬
windlichem Haſſe gegen dieſen raͤthſelhaften Schlei¬
cher auf krummen Wegen, war meine Seele an¬
gefuͤllt. Ich mochte ihm Unrecht thun, doch em¬
poͤrte mich jede Gemeinſchaft mit ihm. — Auch
hier trat, wie ſo oft ſchon in mein Leben, und
wie uͤberhaupt ſo oft in die Weltgeſchichte, ein
Ereigniß an die Stelle einer That. Spaͤter habe
ich mich mit mir ſelber verſoͤhnt. Ich habe erſt¬
lich die Nothwendigkeit verehren lernen, und was
iſt mehr, als die [gethane] That, das geſchehene
Ereigniß ihr Eigenthum! Dann hab' ich auch dieſe
Nothwendigkeit als eine weiſe Fuͤgung verehren
lernen, die durch das geſammte große Getrieb'
weht, darin wir bloß als mitwirkende getriebene
F 2[84] treibende Raͤder eingreifen; was ſeyn ſoll, muß ge¬
ſchehen, was ſeyn ſollte, geſchah, und nicht ohne
jene Fuͤgung, die ich endlich noch in meinem Schick¬
ſale, und dem Schickſale derer, die das meine
mit angrif, verehren lernte.


Ich weiß nicht, ob ich es der Spannung mei¬
ner Seele, unter dem Drange ſo maͤchtiger Em¬
pfindungen zuſchreiben ſoll, ob der Erſchoͤpfung
meiner phyſiſchen Kraͤfte, die waͤhrend der letzten
Tage ungewohntes Darben geſchwaͤcht, ob endlich
dem zerſtoͤrenden Aufruhr, den die Naͤhe dieſes
grauen Unholdes in meiner ganzen Natur erregte;
genug, es befiel mich, als es an das Unterſchrei¬
ben ging, eine tiefe Ohnmacht, und ich lag eine
lange Zeit wie in den Armen des Todes.


Fußſtampfen und Fluchen waren die erſten
Toͤne, die mein Ohr trafen, als ich zum Bewußt¬
ſeyn zuruͤckkehrte; ich oͤffnete die Augen, es war
dunkel, mein verhaßter Begleiter war ſcheltend
um mich bemuͤht. “Heißt das nicht wie ein al¬
tes Weib ſich auffuͤhren. — Man raffe ſich auf,
und vollziehe friſch, was man beſchloſſen, oder hat
[85] man ſich anders beſonnen, und will lieber grei¬
nen ?„ — Ich richtete mich muͤhſam auf von
der Erde, wo ich lag, und ſchaute ſchweigend um
mich. Es war ſpaͤter Abend, aus dem hellerleuch¬
teten Foͤrſterhauſe erſcholl feſtliche Muſik, einzel¬
ne Gruppen von Menſchen wallten durch die Gaͤn¬
ge des Gartens. Ein Paar traten im Geſpraͤche
naͤher, und nahmen Platz auf der Bank, worauf
ich fruͤher geſeſſen hatte. Sie unterhielten ſich von
der an dieſem Morgen vollzogenen Verbindung des
reichen Herrn Rascal mit der Tochter des Hau¬
ſes. — Es war alſo geſchehen. —


Ich ſtreifte mit der Hand die Tarnkappe des
ſogleich mir verſchwindenden Unbekannten von mei¬
nem Haupte weg, und eilte ſtillſchweigend, in die
tiefſte Nacht des Gebuͤſches mich verſenkend, den
Weg uͤber Graf Peter's Laube einſchlagend,
dem Ausgang des Gartens zu. Unſichtbar aber
geleitete mich mein Plagegeiſt, mich mit ſcharfen
Worten verfolgend. “Das iſt alſo der Dank fuͤr
die Muͤhe, die man genommen hat, Monſieur,
der ſchwache Nerven hat, den langen lieben Tag
hindurch zu pflegen. Und man ſoll den Narren
[86] im Spiele abgeben. Gut, Herr Trotzkopf fliehn
Sie nur vor mir, wir ſind doch unzertrennlich.
Sie haben mein Gold und ich Ihren Schatten;
das laͤßt uns beiden keine Ruhe — Hat man je
gehoͤrt, daß ein Schatten von ſeinem Herrn ge¬
laſſen haͤtte. Ihrer zieht mich Ihnen nach, bis
Sie ihn wieder zu Gnaden annehmen, und ich
ihn los bin. Was Sie verſaͤumt haben, aus fri¬
ſcher Luſt zu thun, werden Sie, nur zu ſpaͤt,
aus Überdruß und Langeweile nachholen muͤſſen;
man entgeht ſeinem Schickſale nicht.„ Er ſprach
aus demſelben Tone fort und fort; ich floh um¬
ſonſt, er ließ nicht nach, und immer gegenwaͤr¬
tig, redete hoͤhnend von Gold und Schatten. Ich
konnte zu keinem eigenen Gedanken kommen.


Ich hatte durch menſchenleere Straſſen einen
Weg nach meinem Hauſe eingeſchlagen. Als ich
davor ſtand, und es anſah, konnte ich es kaum er¬
kennen; hinter den eingeſchlagenen Fenſtern brann¬
te kein Licht. Die Thuͤren waren zu, kein Die¬
nervolk regte ſich mehr darin. Er lachte laut auf
neben mir: “Ja, ja! ſo geht's; aber Ihren
Bendel finden Sie wohl daheim, den hat man
[87] juͤngſt vorſorglich ſo muͤde nach Hauſe geſchickt,
daß er es wohl ſeitdem gehuͤtet haben wird.„ Er
lachte wieder. “Der wird Geſchichten zu erzaͤhlen
haben. — Wohlan denn! fuͤr heute gute Nacht,
auf baldiges Wiederſehen.„


Ich hatte wiederholt geklingelt, es erſchien
Licht; Bendel frug von innen, wer geklingelt
habe. Als der gute Mann meine Stimme er¬
kannte, konnte er ſeine Freude kaum baͤndigen,
die Thuͤr' flog auf, wir lagen weinend einander
in den Armen. Ich fand ihn ſehr veraͤndert,
ſchwach und krank; mir war aber das Haar ganz
grau geworden.


Er fuͤhrte mich durch die veroͤdeten Zimmer
nach einem innern verſchont gebliebenen Gemach;
er holte Speiſe und Trank herbei, wir ſetzten uns,
er fing wieder an zu weinen. Er erzaͤhlte mir, daß
er letzthin den grau gekleideten duͤrren Mann, den
er mit meinem Schatten angetroffen hatte, ſo lange
und ſo weit geſchlagen habe, bis er ſelbſt meine
Spur verloren und vor Muͤdigkeit hingeſunken
ſei; daß nachher, wie er mich nicht wiederfinden
[88] gekonnt, er nach Hauſe zuruͤckgekehrt, wo bald
darauf der Poͤbel, auf Rascal's Anſtiften, her¬
an geſtuͤrmt, die Fenſter eingeſchlagen, und ſeine
Zerſtoͤrungsluſt gebuͤßt. So haͤtten ſie an ihren
Wohlthaͤter gehandelt. Meine Dienerſchaft war
aus einander geflohen. Die oͤrtliche Polizei hatte
mich als verdaͤchtig aus der Stadt verwieſen, und
mir eine Friſt von vier und zwanzig Stunden feſt¬
geſetzt, um deren Gebiet zu verlaſſen. Zu dem,
was mir von Rascal's Reichthum und Ver¬
maͤhlung bekannt war, wußte er noch Vieles hin¬
zuzufuͤgen. Dieſer Boͤſewicht, von dem Alles aus¬
gegangen, was hier gegen mich geſchehen war,
mußte vom Anbeginn mein Geheimniß beſeſſen
haben, es ſchien, er habe, vom Golde angezogen,
ſich an mich zu draͤngen gewußt, und ſchon in
der erſten Zeit einen Schluͤſſel zu jenem Gold¬
ſchrank ſich verſchaft, wo er den Grund zu dem
Vermoͤgen gelegt, den noch zu vermehren er jetzt
verſchmaͤhen konnte.


Das Alles erzaͤhlte mir Bendel unter haͤu¬
figen Thraͤnen, und weinte dann wieder vor
Freuden, daß er mich wieder ſah, mich wieder
[89] hatte, und daß, nachdem er lange gezweifelt, wo¬
hin das Ungluͤck mich gebracht haben mochte, er
mich es ruhig und gefaßt ertragen ſah. Denn
ſolche Geſtaltung hatte nun die Verzweiflung in
mir genommen. Ich ſah mein Elend rieſengroß,
unwandelbar vor mir, ich hatte ihm meine Thraͤ¬
nen ausgeweint, es konnte kein Geſchrei mehr
aus meiner Bruſt preſſen, ich trug ihm kalt und
gleichguͤltig mein entbloͤßtes Haupt entgegen.


Bendel,„ hub ich an, “Du weißt mein
Loos. Nicht ohne fruͤheres Verſchulden trift mich
ſchwere Strafe. Du ſollſt laͤnger nicht, unſchul¬
diger Mann, Dein Schickſal an das meine bin¬
den, ich will es nicht. Ich reite die Nacht noch
fort, ſattle mir ein Pferd, ich reite allein; du
bleibſt, ich will's. Es muͤſſen hier noch einige
Kiſten Goldes liegen, das behalte Du. Ich wer¬
de allein unſtaͤt in der Welt wandern; wann
mir aber je eine heitere Stunde wieder lacht, und
das Gluͤck mich verſoͤhnet anblickt, dann will ich
Deiner getreu gedenken, denn ich habe an Deiner
getreuen Bruſt in ſchweren ſchmerzlichen Stunden
geweint.„

[90]

Mit gebrochenem Herzen mußte der Redliche
dieſem letzten Befehle ſeines Herrn, woruͤber er
in der Seele erſchrack, gehorchen, ich war ſeinen
Bitten, ſeinen Vorſtellungen taub, blind ſeinen
Thraͤnen; er fuͤhrte mir das Pferd vor. Ich
druͤckte noch einmal den Weinenden an meine
Bruſt, ſchwang mich in den Sattel und entfernte
mich unter dem Mantel der Nacht von dem
Grabe meines Lebens, unbekuͤmmert, welchen Weg
mein Pferd mich fuͤhren werde; denn ich hatte
weiter auf Erden kein Ziel, keinen Wunſch, keine
Hoffnung.


[91]

VIII.

Es geſellte ſich bald ein Fußgaͤnger zu mir,
welcher mich bat, nachdem er eine Weile neben
meinem Pferde geſchritten war, da wir doch den¬
ſelben Weg hielten, einen Mantel, den er trug,
hinten auf mein Pferd legen zu duͤrfen, ich ließ
es ſtillſchweigend geſchehen. Er dankte mir mit
leichtem Anſtand fuͤr den leichten Dienſt, lobte
mein Pferd, nahm daraus Gelegenheit, das Gluͤck
und die Macht der Reichen hoch zu preiſen, und
ließ ſich, ich weiß nicht wie, in eine Art von
Selbſtgeſpraͤch ein, bei dem er mich bloß zum Zu¬
hoͤrer hatte.


Er entfaltete ſeine Anſichten von dem Leben
und der Welt, und kam ſehr bald auf die Meta¬
phyſik, an die die Forderung erging, das Wort auf¬
zufinden, das aller Raͤthſel Loͤſung ſei. Er ſetzte
[92] die Aufgabe mit vieler Klarheit aus einander, und
ſchritt fuͤrder zu deren Beantwortung.


Du weißt, mein Freund, daß ich deutlich er¬
kannt habe, ſeitdem ich den Philoſophen durch die
Schule gelaufen, daß ich zur philoſophiſchen Spe¬
kulation keinesweges berufen bin, und daß ich mir
dieſes Feld voͤllig abgeſprochen habe; ich habe ſeit¬
her Vieles auf ſich beruhen [laſſen], Vieles zu wiſ¬
ſen und zu begreifen Verzicht geleiſtet, und bin,
wie Du es mir ſelber gerathen, meinem geraden
Sinn vertrauend, der Stimme in mir, ſo viel
es in meiner Macht geweſen, auf dem eigenen
Weg gefolgt. Nun ſchien mir dieſer Redekuͤnſt¬
ler mit großem Talent ein feſt gefuͤgtes Gebaͤude
aufzufuͤhren, das in ſich ſelbſt begruͤndet ſich em¬
por trug, und wie durch eine innere Nothwendig¬
keit beſtand. Nur vermißt' ich ganz in ihm, was
ich eben darin haͤtte ſuchen wollen, und ſo ward
es mir zu einem bloßen Kunſtwerk, deſſen zierliche
Geſchloſſenheit und Vollendung dem Auge allein
zur Ergoͤtzung diente; aber ich hoͤrte dem wohlbe¬
redten Manne gerne zu, der meine Aufmerkſam¬
keit von meinen Leiden auf ſich ſelbſt abgelenkt,
[93] und ich haͤtte mich ihm willig ergeben, wenn er
meine Seele wie meinen Verſtand in Anſpruch
genommen haͤtte.


Mittlerweile war die Zeit hingegangen, und
unbemerkt hatte ſchon die Morgendaͤmmerung den
Himmel erhellt; ich erſchrack, als ich mit einmal
aufblickte, und im Oſten die Pracht der Farben
ſich entfalten ſah, die die nahe Sonne verkuͤnden,
und gegen ſie war in dieſer Stunde, wo die
Schlagſchatten mit ihrer ganzen Ausdehnung prun¬
ken, kein Schutz, kein Bollwerk in der offenen
Gegend zu erſeh'n! und ich war nicht allein;
ich warf einen Blick auf meinen Begleiter und
erſchrack wieder. — Es war kein anderer als der
Mann im grauen Rock.


Er laͤchelte uͤber meine Beſtuͤrzung, und fuhr
fort, ohne mich zum Wort kommen zu laſſen:
“Laßt uns doch, wie es einmal in der Welt Sitte
iſt, unſern wechſelſeitigen Vortheil uns auf eine
Weile verbinden, zu ſcheiden haben wir immer
noch Zeit. Die Straſſe hier laͤngs dem Gebirge,
ob Sie gleich noch nicht daran gedacht haben, iſt
[94] doch die einzige, die Sie vernuͤnftiger Weiſe ein¬
ſchlagen koͤnnen; hinab in das Thal duͤrfen Sie
nicht, und uͤber das Gebirg werden Sie noch we¬
niger zuruͤckkehren wollen, von wo Sie hergekom¬
men ſind — dieſe iſt auch gerade meine Straſſe. —
Ich ſehe Sie ſchon vor der aufgehenden Sonne
erblaſſen. Ich will Ihnen Ihren Schatten auf
die Zeit unſerer Geſellſchaft leihen, und Sie dul¬
den mich dafuͤr in Ihrer Naͤhe; Sie haben ſo
Ihren Bendel nicht mehr bei ſich; ich will Ih¬
nen gute Dienſte leiſten. Sie lieben mich nicht,
das iſt mir leid. Sie koͤnnen mich darum doch
benutzen. Der Teufel iſt nicht ſo ſchwarz, als
man ihn malt. Geſtern haben Sie mich geaͤr¬
gert, das iſt wahr, heute will ich’s Ihnen nicht
nachtragen, und ich habe Ihnen ſchon den Weg
bis hieher verkuͤrzt, das muͤſſen ſie ſelbſt geſte¬
hen — nehmen Sie doch nur einmal Ihren
Schatten auf Probe wieder an.„


Die Sonne war aufgegangen, auf der Straſſe
kamen uns Menſchen entgegen, ich nahm, obgleich
mit innerlichem Widerwillen, den Antrag an.
Er ließ laͤchelnd meinen Schatten zur Erde glei¬
[95] ten, der alsbald ſeine Stelle auf des Pferdes
Schatten einnahm, und luſtig neben mir hertrabte.
Mir war ſehr ſeltſam zu Muth. Ich ritt an ei¬
nem Trupp Landleute vorbei, die vor einem wohl¬
habenden Mann ehrerbietig mit entbloͤßtem Haup¬
te Platz machten. Ich ritt weiter, und blickte
gierigen Auges und klopfenden Herzens ſeitwaͤrts
vom Pferde herab auf dieſen ſonſt meinen Schat¬
ten, den ich jetzt von einem Fremden, ja von ei¬
nem Feinde, erborgt hatte.


Dieſer ging unbekuͤmmert neben her, und
pfiff eben ein Liedchen. Er zu Fuß, ich zu Pferd',
ein Schwindel ergriff mich, die Verſuchung war
zu groß, ich wandte ploͤtzlich die Zuͤgel, druͤckte
beide Sporen an, und ſo in voller Karriere einen
Seitenweg eingeſchlagen, aber ich entfuͤhrte den
Schatten nicht, der bei der Wendung vom Pfer¬
de glitt und ſeinen geſetzmaͤßigen Eigenthuͤmer auf
der Landſtraſſe erwartete. Ich mußte beſchaͤmt
umlenken, der Mann im grauen Rocke, als er
ungeſtoͤrt ſein Liedchen zu Ende gebracht, lachte
mich aus, ſetzte mir den Schatten wieder zurecht,
und belehrte mich, er wuͤrde erſt an mir feſthangen
[96] und bei mir bleiben wollen, wann ich ihn wie¬
derum als rechtmaͤßiges Eigenthum beſitzen wuͤrde.
“Ich halte Sie,„ fuhr er fort, “am Schatten
feſt, und Sie kommen mir nicht loß. Ein rei¬
cher Mann, wie Sie, braucht einmal einen
Schatten, das iſt nicht anders, Sie ſind nur
darin zu tadeln, daß Sie es nicht fruͤher einge¬
ſehen haben.„ —


Ich ſetzte meine Reiſe auf derſelben Straſſe
fort; es fanden ſich bei mir alle Bequemlichkeiten
des Lebens, und ſelbſt ihre Pracht wieder ein;
ich konnte mich frei und leicht bewegen, da ich ei¬
nen, obgleich nur erborgten, Schatten beſaß, und
ich floͤßte uͤberall die Ehrfurcht ein, die der Reich¬
thum gebietet; aber ich hatte den Tod im Herzen.
Mein wunderſamer Begleiter, der ſich ſelbſt fuͤr
den unwuͤrdigen Diener des reichſten Mannes in
der Welt ausgab, war von einer außerordentlichen
Dienſtfertigkeit, uͤber die Maßen gewandt und ge¬
ſchickt, der wahre Inbegrif eines Kammerdieners
fuͤr einen reichen Mann, aber er wich nicht von
meiner Seite, und fuͤhrte unaufhoͤrlich das Wort
gegen mich, ſtets die groͤßte Zuverſicht an den
Tag[97] Tag legend, daß ich endlich, ſei es auch nur, um
ihn los zu werden, den Handel mit dem Schatten
abſchließen wuͤrde. — Er war mir eben ſo laͤſtig
als verhaßt. Ich konnte mich ordentlich vor ihm
fuͤrchten. Ich hatte mich von ihm abhaͤngig ge¬
macht. Er hielt mich, nachdem er mich in die
Herrlichkeit der Welt, die ich floh, zuruͤck gefuͤhrt
hatte. Ich mußte ſeine Beredſamkeit uͤber mich
ergehen laſſen, und fuͤhlte ſchier, er habe Recht.
Ein Reicher muß in der Welt einen Schatten
haben, und, ſobald ich den Stand behaupten
wollte, den er mich wieder geltend zu machen ver¬
leitet hatte, war nur ein Ausgang zu erſehen.
Dieſes aber ſtand bei mir feſt, nachdem ich mei¬
ne Liebe hingeopfert, nachdem mir das Leben ver¬
blaßt war, wollt’ ich meine Seele nicht, ſei es
um alle Schatten der Welt, dieſer Kreatur ver¬
ſchreiben. Ich wußte nicht, wie es enden ſollte.


Wir ſaßen einſt vor einer Hoͤle, welche die
Fremden, die das Gebirg’ bereiſen, zu beſuchen
pflegen. Man hoͤrt dort das Gebrauſe unterirdi¬
ſcher Stroͤme aus ungemeſſener Tiefe heraufſchal¬
len, und kein Grund ſcheint den Stein, den man
G[98] hineinwirft, in ſeinem hallenden Fall aufzuhal¬
ten. Er malte mir, wie er oͤfters that, mit
verſchwenderiſcher Einbildungskraft und im ſchim¬
mernden Reize der glaͤnzendſten Farben, ſorgfaͤltig
ausgefuͤhrte Bilder von dem, was ich in der Welt,
Kraft meines Saͤckels, ausfuͤhren wuͤrde, wenn
ich erſt meinen Schatten wieder in meiner Gewalt
haͤtte. Die Ellenbogen auf die Knie geſtuͤtzt, hielt
ich mein Geſicht in meinen Haͤnden verborgen,
und hoͤrte dem Falſchen zu, das Herz zwiefach
getheilt zwiſchen der Verfuͤhrung und dem ſtren¬
gen Willen in mir. Ich konnte bei ſolchem in¬
nerlichen Zwieſpalt laͤnger nicht ausdauern, und
begann den entſcheidenden Kampf:


“Sie ſcheinen, mein Herr, zu vergeſſen, daß
ich Ihnen zwar erlaubt habe, unter gewiſſen Be¬
dingungen in meiner Begleitung zu bleiben, daß
ich mir aber meine voͤllige Freiheit vorbehalten
habe.„ — “Wenn Sie befehlen, ſo pack' ich
ein.„ Die Drohung war ihm gelaͤufig. Ich
ſchwieg; er ſetzte ſich gleich daran, meinen
Schatten wieder zuſammen zu rollen. Ich er¬
blaßte, aber ich ließ es ſtumm geſchehen. Es er¬
[99] folgte ein langes Stillſchweigen. Er nahm zuerſt
das Wort:


“Sie koͤnnen mich nicht leiden, mein Herr,
Sie haſſen mich, ich weiß es; doch warum haſ¬
ſen Sie mich? Iſt es etwa, weil Sie mich auf
oͤffentlicher Straſſe angefallen, und mir mein Vo¬
gelneſt mit Gewalt zu rauben gemeint, oder iſt
es darum, daß Sie mein Gut, den Schatten,
den Sie Ihrer bloßen Ehrlichkeit anvertraut glaub¬
ten, mir diebiſcher Weiſe zu entwenden geſucht
haben? Ich meinerſeits haſſe Sie darum nicht;
ich finde ganz natuͤrlich, daß Sie alle Ihre Vor¬
theile, Liſt und Gewalt geltend zu machen ſuchen;
daß Sie uͤbrigens die allerſtrengſten Grundſaͤtze ha¬
ben, und, wie die Ehrlichkeit ſelbſt denken, iſt ei¬
ne Liebhaberei, wogegen ich auch nichts habe. —
Ich denke in der That nicht ſo ſtreng als Sie;
ich handle bloß, wie Sie denken. Oder hab' ich
Ihnen etwa irgend wann den Daumen auf die
Gurgel gedruͤckt, um Ihre wertheſte Seele, zu der
ich einmal Luſt habe, an mich zu bringen! Hab'
ich von wegen meines ausgetauſchten Saͤckels einen
Diener auf Sie los gelaſſen, hab' ich Ihnen damit
G2[100] durchzugehen verſucht?„ Ich hatte dagegen nichts
zu erwiedern; er fuhr fort: “Schon recht, mein
Herr, ſchon recht! Sie koͤnnen mich nicht leiden;
auch das begreife ich wohl, und verarge es Ihnen
weiter nicht. Wir muͤſſen ſcheiden, das iſt klar,
und auch Sie fangen an, mir ſehr langweilig
vorzukommen. Um ſich alſo meiner ferneren be¬
ſchaͤmenden Gegenwart voͤllig zu entziehen, rathe
ich es Ihnen noch einmal: Kaufen Sie mir das
Ding ab.„ — Ich hielt ihm den Saͤckel hin.
“Um den Preis?„ — “Nein!„ — Ich ſeufzte
ſchwer auf und nahm wieder das Wort: “Auch
alſo. Ich dringe darauf, mein Herr, laßt uns
ſcheiden, vertreten Sie mir laͤnger nicht den Weg
auf einer Welt, die hoffentlich geraͤumig genug iſt
fuͤr uns beide.„ Er laͤchelte und erwiederte: “Ich
gehe, mein Herr, zuvor aber will ich Sie unter¬
richten, wie Sie mir klingeln koͤnnen, wenn Sie
je Verlangen nach Ihrem unterthaͤnigſten Knecht
tragen ſollten: Sie brauchen nur Ihren Saͤckel
zu ſchuͤtteln, daß die ewigen Goldſtuͤcke darinnen
raſſeln, der Ton zieht mich augenblicklich an. Ein
Jeder denkt auf ſeinen Vortheil in dieſer Welt;
Sie ſehen, daß ich auf Ihren zugleich bedacht
[101] bin, denn ich eroͤffne Ihnen offenbar eine neue
Kraft — O dieſer Saͤckel! — Und haͤtten gleich
die Motten Ihren Schatten ſchon aufgefreſſen,
der wuͤrde noch ein ſtarkes Band zwiſchen uns
ſeyn. Genug, Sie haben mich an meinem Gold,
befehlen Sie auch in der Ferne uͤber Ihren Knecht,
Sie wiſſen, daß ich mich meinen Freunden
dienſtfertig genug erweiſen kann, und daß die
Reichen beſonders gut mit mir ſtehen; Sie ha¬
ben es ſelbſt geſehen, — nur Ihren Schatten,
mein Herr — das laſſen Sie Sich geſagt
ſeyn — nie wieder, als unter einer einzigen
Bedingung.„


Geſtalten der alten Zeit traten vor meine
Seele. Ich frug ihn ſchnell: “Hatten Sie eine
Unterſchrift vom Herrn John?„ — Er laͤchel¬
te. — “Mit einem ſo guten Freund, hab' ich
es keinesweges noͤthig gehabt.„ — “Wo iſt
er? bei Gott, ich will es wiſſen!„ Er ſteckte
zoͤgernd die Hand in die Taſche, und daraus bei
den Haaren hervorgezogen erſchien Thomas
John's
bleiche entſtellte Geſtalt, und die blauen
Leichenlippen bewegten ſich zu ſchweren Worten:
[102]“Justo judicio Dei judicatus sum; Justo ju¬
dicio Dei condemnatus sum
.„ Ich entſetzte
mich, und ſchnell den klingenden Saͤckel in den
Abgrund werfend, ſprach ich zu ihm die letzten
Worte: “So beſchwoͤr' ich Dich im Namen
Gottes, Entſetzlicher! hebe Dich von dannen und
laſſe Dich nie wieder vor meinen Augen blicken!„
Er erhub ſich finſter und verſchwand ſogleich hin¬
ter den Felſenmaſſen, die den wild bewachſenen
Ort begraͤnzten.


[103]

IX.

Ich ſaß da ohne Schatten und ohne Geld;
aber ein ſchweres Gewicht war von meiner Bruſt
genommen, ich war heiter. Haͤtte ich nicht auch
meine Liebe verloren, oder haͤtt' ich mich nur bei
deren Verluſt vorwurfsfrei gefuͤhlt, ich glaube, ich
haͤtte gluͤcklich ſeyn koͤnnen — ich wußte aber
nicht, was ich anfangen ſollte. Ich durchſuchte
meine Taſchen und fand noch einige Goldſtuͤcke
darin; ich zaͤhlte ſie, und lachte. — Ich hatte
meine Pferde unten im Wirthshauſe, ich ſchaͤmte
mich, dahin zuruͤckzukehren, ich mußte wenigſtens
den Untergang der Sonne erwarten; ſie ſtand noch
hoch am Himmel: Ich legte mich in den Schatten
der naͤchſten Baͤume und ſchlief ruhig ein.


Anmuthige Bilder verwoben ſich mir im luf¬
tigen Tanze zu einem gefaͤlligen Traum. Mina,
einen Blumenkranz in den Haaren, ſchwebte an
[104] mir voruͤber, und laͤchelte mich freundlich an.
Auch der ehrliche Bendel war mit Blumen be¬
kraͤnzt, und eilte mit freundlichem Gruße voruͤber.
Viele ſah' ich noch, und wie mich duͤnkt, auch
Dich, Chamiſſo, im fernen Gewuͤhl; ein hel¬
les Licht ſchien, es hatte aber Keiner einen Schat¬
ten, und was ſeltſamer iſt, es ſah nicht uͤbel
aus, — Blumen und Lieder, Liebe und Freude,
unter Palmenhainen. – – – Ich konnte die be¬
weglichen, leicht verwehten, lieblichen Geſtalten
weder feſthalten noch deuten; aber ich weiß, daß
ich gerne ſolchen Traum traͤumte und mich vor
dem Erwachen in Acht nahm; ich wachte wirklich
ſchon, und hielt noch die Augen zu, um die wei¬
chenden Erſcheinungen laͤnger vor meiner Seele
zu behalten.


Ich oͤffnete endlich die Augen, die Sonne
ſtand noch am Himmel, aber im Oſten; ich
hatte die Nacht verſchlafen. Ich nahm es fuͤr
ein Zeichen, daß ich nicht nach dem Wirthshauſe
zuruͤckkehren ſollte. Ich gab leicht, was ich dort
noch beſaß, verloren, und beſchloß, eine Neben¬
ſtraſſe, die durch den waldbewachſenen Fuß des
[105] Gebirges fuͤhrte, zu Fuße einzuſchlagen, dem Schik¬
ſal es anheim ſtellend, was es mit mir vor hat¬
te, zu erfuͤllen. Ich ſchaute nicht hinter mich
zuruͤck, und dachte auch nicht daran, an Ben¬
del
, den ich reich zuruͤck gelaſſen hatte, mich zu
wenden, welches ich allerdings gekonnt haͤtte. Ich
ſah mich an auf den neuen Charakter, den ich in
der Welt bekleiden ſollte: Mein Anzug war ſehr
beſcheiden. Ich hatte eine alte ſchwarze Kurtka
an, die ich ſchon in Berlin getragen, und die
mir, ich weiß nicht wie, zu dieſer Reiſe erſt wie¬
der in die Hand gekommen war. Ich hatte ſonſt
eine Reiſemuͤtze auf dem Kopf und ein Paar alte
Stiefeln an den Fuͤßen. Ich erhob mich, ſchnitt
mir an ſelbiger Stelle einen Knotenſtock zum An¬
denken, und trat ſogleich meine Wanderung an.


Ich begegnete im Wald einem alten Bauer,
der mich freundlich begruͤßte, und mit dem ich
mich in Geſpraͤch einließ. Ich erkundigte mich,
wie ein wißbegieriger Reiſender, erſt nach dem
Wege, dann nach der Gegend und deren Bewoh¬
ner, den Erzeugniſſen des Gebirges und derlei
mehr. Er antwortete verſtaͤndig und redſelig auf
[106] meine Fragen. Wir kamen an das Bette eines
Bergſtromes, der uͤber einen weiten Strich des
Waldes ſeine Verwuͤſtung verbreitet hatte. Mich
ſchauderte innerlich vor dem ſonnenhellen Raum,
ich ließ den Landmann vorangehen. Er hielt aber
mitten im gefaͤhrlichen Orte ſtill, und wandte ſich
zu mir, um mir die Geſchichte dieſer Verwuͤſtung
zu erzaͤhlen. Er bemerkte bald, was mir fehlte,
und hielt mitten in ſeiner Rede ein: “Aber wie
geht denn das zu, der Herr hat ja keinen Schat¬
ten.„ — “Leider! leider!„ erwiederte ich ſeuf¬
zend. “Es ſind mir waͤhrend einer boͤſen langen
Krankheit, Haare, Naͤgel und Schatten ausgegan¬
gen. Seht, Vater, in meinem Alter, die Haare,
die ich wieder gekriegt habe, ganz weiß, die Naͤgel
ſehr kurz, und der Schatten, der will noch nicht
wieder wachſen.„ — “Ei! ei!„ verſetzte der alte
Mann kopfſchuͤttelnd, “keinen Schatten, das iſt
boͤs! das war eine boͤſe Krankheit, die der Herr ge¬
habt hat.„ Aber, er hub ſeine Erzaͤhlung nicht wie¬
der an, und bei dem naͤchſten Querweg, der ſich dar¬
bot, ging er, ohne ein Wort zu ſagen, von mir ab. —
Bittere Thraͤnen zitterten aufs Neue in meinen
Wangen und meine Heiterkeit war hin.


[107]

Ich ſetzte traurigen Herzens meinen Weg fort,
und ſuchte ferner keines Menſchen Geſellſchaft.
Ich hielt mich im dunkelſten Wald, und mußte
manchmal, um uͤber einen Strich, wo die Sonne
ſchien, zu kommen, Stundenlang darauf warten,
daß mir keines Menſchen Aug' den Durchgang ver¬
bot. Am Abende ſuchte ich Herberge in den Doͤr¬
fern zu nehmen. Ich ging eigentlich nach einem
Bergwerk im Gebirg, wo ich Arbeit unter der
Erde zu finden gedachte; denn, davon abgeſehen,
daß meine jetzige Lage mir gebot, fuͤr meinen Le¬
bensunterhalt ſelbſt zu ſorgen, hatte ich dieſes wohl
erkannt, daß mich allein angeſtrengte Arbeit gegen
meine zerſtoͤrenden Gedanken ſchuͤtzen koͤnnte.


Ein Paar regnichte Tage foͤrderten mich leicht
auf den Weg, aber auf Koſten meiner Stiefeln,
deren Solen fuͤr den Grafen Peter und nicht
fuͤr den Fußknecht berechnet worden. Ich trat
ſchon auf den bloßen Fuͤßen. Ich mußte ein Paar
neue Stiefeln anſchaffen. Am naͤchſten Morgen
beſorgte ich dieſes Geſchaͤft mit vielem Ernſt in
einem Flecken, wo Kirmes war, und wo in einer
Bude alte und neue Stiefeln zu Kauf ſtanden.
[108] Ich waͤhlte und handelte lange. Ich mußte auf
ein Paar neue, die ich gerne gehabt haͤtte, Ver¬
zicht leiſten; mich ſchreckte die unbillige Forde¬
rung. Ich begnuͤgte mich alſo mit alten, die
noch gut und ſtark waren, und die mir der ſchoͤne
blondlockige Knabe, der die Bude hielt, gegen
gleich baare Bezahlung, freundlich laͤchelnd ein¬
haͤndigte, indem er mir Gluͤck auf den Weg
wuͤnſchte. Ich zog ſie gleich an, und ging zum
noͤrdlich gelegenen Thor aus dem Ort.


Ich war in meinen Gedanken ſehr vertieft,
und ſah kaum, wo ich den Fuß hinſetzte, denn ich
dachte an das Bergwerk, wo ich auf den Abend
noch anzulangen hoffte, und wo ich nicht recht
wußte, wie ich mich ankuͤndigen ſollte. Ich war
noch keine zweihundert Schritte gegangen, als ich
bemerkte, daß ich aus dem Wege gekommen war;
ich ſah mich darnach um, ich befand mich in ei¬
nem wuͤſten uralten Tannenwald, woran die Axt
nie gelegt worden zu ſeyn ſchien. Ich drang noch
einige Schritte vor, ich ſah mich mitten unter
oͤden Felſen, die nur mit Moos und Steinbruch¬
arten bewachſen waren, und zwiſchen welchen
[109] Schnee und Eisfelder lagen. Die Luft war ſehr
kalt, ich ſah mich um, der Wald war hinter mir
verſchwunden. Ich machte noch einige Schritte —
um mich herrſchte die Stille des Todes, unabſeh¬
bar dehnte ſich das Eis, worauf ich ſtand, und
worauf ein dichter Nebel ſchwer ruhte; die Sonne
ſtand blutig am Rande des Horizontes. Die Kaͤlte
war unertraͤglich. Ich wußte nicht, wie mir ge¬
ſchehen war, der erſtarrende Froſt zwang mich,
meine Schritte zu beſchleunigen, ich vernahm nur
das Gebrauſe ferner Gewaͤſſer, ein Schritt, und
ich war am Eisufer eines Ozeans. Unzaͤhlbare
Heerden von Seehunden ſtuͤrzten ſich vor mir
rauſchend in die Fluth. Ich folgte dieſem Ufer,
ich ſah wieder nackte Felſen, Land, Birken- und
Tannenwaͤlder, ich lief noch ein Paar Minuten
gerade vor mir hin. Es ward erſtickend heiß, ich
ſah mich um, ich ſtand zwiſchen ſchoͤn gebauten
Reisfeldern unter Maulbeerbaͤumen, ich ſetzte mich
in deren Schatten, ich ſah nach meiner Uhr, ich
hatte vor nicht einer Viertelſtunde den Markt¬
flecken verlaſſen, — ich glaubte zu traͤumen, ich
biß mich in die Zunge, um mich zu erwecken;
aber ich wachte wirklich. — Ich ſchloß die Augen
[110] zu, um meine Gedanken zuſammen zu faſſen. —
Ich hoͤrte vor mir ſeltſame Sylben durch die Naſe
zaͤhlen; ich blickte auf: zwei Chineſen, an der
aſiatiſchen Geſichtsbildung unverkennbar, wenn ich
auch ihrer Kleidung keinen Glauben beimeſſen
wollte, redeten mich mit landesuͤblichen Begruͤſ¬
ſungen in ihrer Sprache an; ich ſtand auf und
trat zwei Schritte zuruͤck. Ich ſah ſie nicht mehr,
die Landſchaft war ganz veraͤndert: Baͤume, Waͤl¬
der, ſtatt der Reisfelder. Ich betrachtete dieſe
Baͤume und die Kraͤuter, die um mich bluͤhten;
die ich kannte, waren ſuͤdoͤſtlich aſiatiſche Gewaͤch¬
ſe; ich wollte auf den einen Baum zugehen, ein
Schritt — und wiederum Alles veraͤndert. Ich
trat nun an, wie ein Rekrut, der geuͤbt wird, und
ſchritt langſam, geſetzt einher. Wunderbar ver¬
aͤnderliche Laͤnder, Fluren, Auen, Gebirge, Step¬
pen, Sandwuͤſten, entrollen ſich vor meinem ſtau¬
nenden Blick: es war kein Zweifel, ich hatte
Siebenmeilenſtiefeln an den Fuͤßen.


[111]

X.

Ich fiel in ſtummer Andacht auf meine
Knie und vergoß Thraͤnen des Dankes — denn
klar ſtand ploͤtzlich meine Zukunft vor meiner
Seele. Durch fruͤhe Schuld von der menſchlichen
Geſellſchaft ausgeſchloſſen, ward ich zum Erſatz
an die Natur, die ich ſtets geliebt, gewieſen, die
Erde mir zu einem reichen Garten gegeben, das
Studium zur Richtung und Kraft meines Lebens,
zu ihrem Ziel die Wiſſenſchaft. Es war nicht ein
Entſchluß, den ich faßte. Ich habe nur ſeitdem,
was da hell und vollendet im Urbild vor mein inn¬
res Auge trat, getreu, mit ſtillem, ſtrengen, un¬
ausgeſetzten Fleiß darzuſtellen geſucht, und meine
Selbſtzufriedenheit hat von dem Zuſammenfallen
des Dargeſtellten mit dem Urbild abgehangen.


Ich rafte mich auf, um ohne Zoͤgern mit
fluͤchtigem Überblick Beſitz von dem Felde zu neh¬
[112] men, wo ich kuͤnftig aͤrnten wollte — ich ſtand
auf den Hoͤhen des Tibet, und die Sonne, die
mir vor wenigen Stunden aufgegangen war, neig¬
te ſich hier ſchon am Abendhimmel, ich durchwan¬
derte Aſien von Oſten gegen Weſten, ſie in ih¬
rem Lauf einholend, und trat in Afrika ein. Ich
ſah mich neugierig darin um, indem ich es wie¬
derholt in allen Richtungen durchmaß. Wie ich
durch Ägypten die alten Pyramiden und Tempel
angafte, erblickte ich in der Wuͤſte, unfern des
hundertthorigen Theben, die Hoͤlen, wo chriſtliche
Einſiedler ſonſt wohnten. Es ſtand ploͤtzlich feſt
und klar in mir: hier iſt dein Haus. — Ich
erkor eine der verborgenſten, die zugleich geraͤu¬
mig, bequem und den Schakalen unzugaͤnglich
war, zu meinem kuͤnftigen Aufenthalte, und ſetzte
meinen Stab weiter.


Ich trat bei den Herkules-Saͤulen nach Eu¬
ropa uͤber, und nachdem ich ſeine ſuͤdlichen und noͤrd¬
lichen Provinzen in Augenſchein genommen, trat
ich von Nordaſien uͤber den Polarglaͤtſcher nach
Groͤnland und Amerika uͤber, durchſchweifte die
beiden Theile dieſes Kontinents, und der Winter,
der[113] der ſchon im Suͤden herrſchte, trieb mich ſchnell
vom Cap Horn nordwaͤrts zuruͤck.


Ich verweilte mich, bis es im oͤſtlichen Aſien
Tag wurde, und ſetzte erſt nach einiger Ruh mei¬
ne Wanderung fort. Ich verfolgte durch beide
Amerika die Bergkette, die die hoͤchſten bekannten
Unebenheiten unſerer Kugel in ſich faßt. Ich
ſchritt langſam und vorſichtig von Gipfel zu Gipfel,
bald uͤber flammende Vulkane, bald uͤber beſchneite
Kuppeln, oft mit Muͤhe athmend, ich erreichte
den Eliasberg, und ſprang uͤber die Behringsſtraſſe
nach Aſien. — Ich verfolgte deſſen weſtliche Kuͤ¬
ſten in ihren vielfachen Wendungen, und unter¬
ſuchte mit beſonderer Aufmerkſamkeit, welche der
dort gelegenen Inſeln mir zugaͤnglich waͤren. Von
der Halbinſel Malacca trugen mich meine Stie¬
fel auf Sumatra, Java, Bali und Lamboc, ich
verſuchte, ſelbſt oft mit Gefahr, und dennoch im¬
mer vergebens, mir uͤber die kleinern Inſeln und
Felſen, wovon dieſes Meer ſtarrt, einen Über¬
gang nordweſtlich nach Borneo und andern Inſeln
dieſes Archipelagus zu bahnen. Ich mußte die
Hoffnung aufgeben. Ich ſetzte mich endlich auf
H[114] die aͤußerſte Spitze von Lamboc nieder; und das
Geſicht gen Suͤden und Oſten gewendet, weint'
ich, wie am feſt verſchloſſenen Gitter meines Ker¬
kers, daß ich doch ſobald meine Begrenzung ge¬
funden. Das Merkwuͤrdige, zum Verſtaͤndniß der
Erde und ihres ſonnengewirkten Kleides, der Pflan¬
zen und Thierwelt, ſo weſentlich nothwendige Neu¬
holland, und die Suͤdſee mit ihren Zoophyten-Inſeln,
waren mir unterſagt, und ſo war, im Urſprunge
ſchon, Alles, was ich ſammeln und erbauen ſoll¬
te, bloßes Fragment zu bleiben verdammt. — O
mein Adalbert, was iſt es doch um die Be¬
muͤhungen der Menſchen!


Oft habe ich im ſtrengſten Winter der ſuͤdli¬
chen Halbkugel vom Cap-Horn aus jene zweihun¬
dert Schritte, die mich etwa vom Land van Die¬
men und Neuholland trennten, ſelbſt unbekuͤm¬
mert um die Ruͤckkehr, und ſollte ſich dieſes
ſchlechte Land uͤber mich, wie der Deckel meines
Sarges, ſchließen, uͤber den Polarglaͤtſcher weſt¬
waͤrts zuruͤck zu legen verſucht, habe uͤber Treib¬
eis mit thoͤrigter Wagniß verzweiflungsvolle Schritte
gethan, der Kaͤlte und dem Meere Trotz geboten.
[115] Umſonſt, noch bin ich auf Neuholland nicht gewe¬
ſen — ich kam dann jedesmal auf Lamboc zu¬
ruͤck und ſetzte mich auf ſeine aͤußerſte Spitze nie¬
der, und weinte wieder, das Geſicht gen Suͤden
und Oſten gewendet, wie am feſt verſchloſſenen
Gitter meines Kerkers.


Ich riß mich endlich von dieſer Stelle und
trat mit traurigem Herzen wieder in das innere
Aſien, ich durchſchweifte es fuͤrder, die Morgen¬
daͤmmerung nach Weſten verfolgend, und kam noch
in der Nacht in die Thebais zu meinem vorbe¬
ſtimmten Hauſe, das ich in den geſtrigen Nach¬
mittagsſtunden beruͤhrt hatte.


Sobald ich etwas ausgeruht, und es Tag
uͤber Europa war, ließ ich meine erſte Sorge ſeyn,
Alles anzuſchaffen, was ich bedurfte. — Zuvoͤr¬
derſt Hemmſchuhe, denn ich hatte erfahren, wie
unbequem es ſei, ſeinen Schritt nicht anders ver¬
kuͤrzen zu koͤnnen, um nahe Gegenſtaͤnde gemaͤch¬
lich zu unterſuchen, als indem man die Stiefel
auszieht. Ein Paar Pantoffeln uͤbergezogen, hat¬
ten voͤllig die Wirkung, die ich mir davon ver¬
ſprach, und ſpaͤterhin trug ich ſogar deren immer
H2[116] zwei Paar bei mir, weil ich oͤfter welche von den
Fuͤßen warf, ohne Zeit zu haben, ſie aufzuheben,
wann Loͤwen, Menſchen oder Hyaͤnen mich beim
Botaniſiren aufſchreckten. Meine ſehr gute Uhr
war auf die kurze Dauer meiner Gaͤnge ein vor¬
treffliches Kronometer. Ich brauchte noch außer¬
dem einen Sextant, einige phyſikaliſche Inſtru¬
mente und Buͤcher.


Ich machte, dieſes Alles herbei zu ſchaffen,
etliche bange Gaͤnge nach London und Paris, die
ein mir guͤnſtiger Nebel eben beſchattete. Als der
Reſt meines Zaubergoldes erſchoͤpft war, bracht'
ich leicht zu findendes afrikaniſches Elfenbein als
Bezahlung herbei, wobei ich freilich die kleinſten
Zaͤhne, die meine Kraͤfte nicht uͤberſtiegen, aus¬
waͤhlen mußte. Ich ward bald mit Allem verſehen
und ausgeruͤſtet, und ich fing ſogleich als privatiſi¬
render Gelehrter meine neue Lebensweiſe an.


Ich ſtreifte auf der Erde umher, bald ihre
Hoͤhen, bald die Temperatur ihrer Quellen und
die der Luft meſſend, bald Thiere beobachtend,
bald Gewaͤchſe unterſuchend; ich eilte von dem
Aequator nach dem Pole, von der einen Welt
[117] nach der andern; Erfahrungen mit Erfahrungen
vergleichend. Die Eier der afrikaniſchen Strauße
oder der noͤrdlichen Seevoͤgel, und Fruͤchte, beſon¬
ders der Tropen-Palmen und Bananen, waren
meine gewoͤhnlichſte Nahrung. Fuͤr mangelndes
Gluͤck hatt' ich als Surrogat die Nicotiana, und
fuͤr menſchliche Theilnahme und Bande die Liebe
eines treuen Pudels, der mir meine Hoͤhle in
der Thebais bewachte, und wann ich mit neuen
Schaͤtzen beladen zu ihm zuruͤck kehrte, freudig an
mich ſprang, und es mich doch menſchlich empfin¬
den ließ, daß ich nicht allein auf der Erde ſei.
Noch ſollte mich ein Abentheuer unter die Men¬
ſchen zuruͤckfuͤhren.


[118]

XI.

Als ich einſt auf Nordlands Kuͤſten, meine
Stiefel gehemmt, Flechten und Algen ſammelte,
trat mir unverſehens um die Ecke eines Felſens
ein Eisbaͤr entgegen. Ich wollte, nach weggewor¬
fenen Pantoffeln, auf eine gegen uͤber liegende
Inſel treten, zu der mir ein dazwiſchen aus den
Wellen hervorragender nackter Felſen den Übergang
bahnte. Ich trat mit dem einen Fuß auf den
Felſen feſt auf, und ſtuͤrzte auf der andern Seite
in das Meer, weil mir unbemerkt der Pantoffel
am anderen Fuß haften geblieben war.


Die große Kaͤlte ergrif mich, ich rettete mit
Muͤhe mein Leben aus dieſer Gefahr; ſobald ich
Land hielt, lief ich, ſo ſchnell ich konnte, nach der
Lybiſchen Wuͤſte, um mich da an der Sonne zu
trocknen. Wie ich ihr aber ausgeſetzt war, brannte
ſie mir ſo heiß auf den Kopf, daß ich ſehr krank
[119] wieder nach Norden taumelte. Ich ſuchte durch
heftige Bewegung mir Erleichterung zu verſchaf¬
fen, und lief mit unſichern raſchen Schritten von
Weſten nach Oſten und von Oſten nach Weſten.
Ich befand mich bald in dem Tag und bald in
der Nacht; bald im Sommer und bald in der
Winterkaͤlte.


Ich weiß nicht, wie lange ich mich ſo auf
der Erde herumtaumelte. Ein brennendes Fieber
gluͤhte durch meine Adern, ich fuͤhlte mit großer
Angſt die Beſinnung mich verlaſſen. Noch wollte
das Ungluͤck, daß ich bei ſo unvorſichtigem Laufen
Jemanden auf den Fuß trat. Ich mochte ihm
weh gethan haben; ich erhielt einen ſtarken Stoß,
und ich fiel hin. —


Als ich zuerſt zum Bewußtſeyn zuruͤckkehrte,
lag ich gemaͤchlich in einem guten Bette, das un¬
ter vielen andern Betten in einem geraͤumigen
und ſchoͤnen Saale ſtand. Es ſaß mir Jemand
zu Haupten; es gingen Menſchen durch den Saal
von einem Bette zum andern. Sie kamen vor
das meine und unterhielten ſich von mir. Sie
nannten mich aber Numero Zwoͤlf, und an der
[120] Wand zu meinen Fuͤßen ſtand doch ganz gewiß,
es war keine Taͤuſchung, ich konnte es deutlich le¬
ſen, auf ſchwarzer Marmortafel mit großen golde¬
nen Buchſtaben mein Name


PETER SCHLEMIHL
ganz richtig geſchrieben. Auf der Tafel ſtanden
noch unter meinem Namen zwei Reihen Buch¬
ſtaben, ich war aber zu ſchwach, um ſie zuſam¬
men zu bringen, ich machte die Augen wie¬
der zu. —


Ich hoͤrte Etwas, worin von Peter Schle¬
mihl die Rede war, laut und vernehmlich able¬
ſen, ich konnte aber den Sinn nicht faſſen; ich
ſah einen freundlichen Mann und eine ſehr ſchoͤ¬
ne Frau in ſchwarzer Kleidung vor meinem Bette
erſcheinen. Die Geſtalten waren mir nicht fremd
und ich konnte ſie nicht erkennen.


Es verging einige Zeit, und ich kam wieder
zu Kraͤften. Ich hieß Numero Zwoͤlf, und
Numero Zwoͤlf galt ſeines langen Bartes we¬
gen fuͤr einen Juden, darum er aber nicht minder
ſorgfaͤltig gepflegt wurde. Daß er keinen Schatten
hatte, ſchien unbemerkt geblieben zu ſeyn. Meine
[121] Stiefel befanden ſich, wie man mich verſicherte,
nebſt Allem, was man bei mir gefunden, als ich
hieher gebracht worden, in gutem und ſicherm Ge¬
wahrſam, um mir nach meiner Geneſung wieder
zugeſtellt zu werden. Der Ort, worin ich krank
lag, hieß das SCHLEMIHLIUM; was
taͤglich von Peter Schlemihl abgeleſen wurde,
war eine Ermahnung fuͤr denſelben, als den Ur¬
heber und Wohlthaͤter dieſer Stiftung zu beten.
Der freundliche Mann, den ich an meinem Bette
geſehen hatte, war Bendel, die ſchoͤne Frau
war Mina.


Ich genas unerkannt im Schlemihlio,
und erfuhr noch mehr, ich war in Bendel's
Vaterſtadt, wo er aus dem Überreſt meines ſonſt
nicht geſegneten Goldes dieſes Hoſpitium, wo Un¬
gluͤckliche mich ſegneten, unter meinem Namen ge¬
ſtiftet hatte, und er fuͤhrte uͤber daſſelbe die Auf¬
ſicht. Mina war Wittwe, ein ungluͤcklicher Kri¬
minal-Prozeß hatte dem Herrn Rascal das Le¬
ben und ihr ſelbſt ihr mehrſtes Vermoͤgen gekoſtet.
Ihre Eltern waren nicht mehr. Sie lebte hier
als eine gottesfuͤrchtige Wittwe, und uͤbte Werke
der Barmherzigkeit. —


[122]

Sie unterhielt ſich einſt am Bette Numero
Zwoͤlf mit dem Herrn Bendel: “Warum,
edle Frau, wollen Sie ſich ſo oft der boͤſen Luft,
die hier herrſcht, ausſetzen? Sollte denn das Schick¬
ſal mit Ihnen ſo hart ſeyn, daß Sie zu ſterben
begehrten?„ — “Nein, Herr Bendel, ſeit ich
meinen langen Traum ausgetraͤumt habe, und in
mir ſelber erwacht bin, geht es mir wohl, ſeitdem
wuͤnſche ich nicht mehr und fuͤrchte nicht mehr den
Tod. Seitdem denke ich heiter an Vergangenheit
und Zukunft. Iſt es nicht auch mit ſtillem in¬
nerlichem Gluͤck, daß Sie jetzt auf ſo gottſelige
Weiſe Ihrem Herrn und Freunde dienen?„ —
“Sei Gott gedankt, ja, edle Frau. Es iſt uns
doch wunderſam ergangen, wir haben viel Wohl
und bitt'res Weh unbedachtſam aus dem vollen Be¬
cher geſchluͤrft. Nun iſt er leer; nun moͤchte Ei¬
ner meinen, das ſei Alles nur die Probe geweſen,
und, mit kluger Einſicht geruͤſtet, den wirklichen
Anfang erwarten. Ein anderer iſt nun der wirk¬
liche Anfang, und man wuͤnſcht das erſte Gaukel¬
ſpiel nicht zuruͤck, und iſt dennoch im Ganzen
froh, es, wie es war, gelebt zu haben. Auch find'
ich in mir das Zutrauen, daß es nun unſerm al¬
[123] ten Freund beſſer ergehen muß, als damals.„ —
“Auch in mir,„ erwiederte die ſchoͤne Wittwe,
und ſie gingen an mir voruͤber.


Dieſes Geſpraͤch hatte einen tiefen Eindruck
in mir zuruͤck gelaſſen; aber ich zweifelte im Gei¬
ſte, ob ich mich zu erkennen geben oder unerkannt
von dannen gehen ſollte. — Ich entſchied mich.
Ich ließ mir Papier und Bleiſtift geben, und ſchrieb
die Worte:


“Auch Eurem alten Freunde ergeht es nun
beſſer als damals, und buͤßet er, ſo iſt es
Buße der Verſoͤhnung.„


Hierauf begehrte ich mich anzuziehen, da ich
mich ſtaͤrker befaͤnde. Man holte den Schluͤſſel
zu dem kleinen Schrank, der neben meinem Bette
ſtand, herbei. Ich fand Alles, was mir gehoͤrte,
darin. Ich legte meine Kleider an, hing meine
botaniſche Kapſel, worin ich mit Freuden meine
nordiſchen Flechten wieder fand, uͤber meine ſchwar¬
ze Kurtka um, zog meine Stiefel an, legte den
geſchriebenen Zettel auf mein Bett, und, ſo wie
die Thuͤr' aufging, war ich ſchon weit auf dem
Wege nach der Thebais.


[124]

Wie ich laͤngſt der ſyriſchen Kuͤſte den Weg,
auf den ich mich zum letzten Mal vom Hauſe ent¬
fernt hatte, zuruͤcklegte, ſah ich mir meinen ar¬
men Figaro entgegen kommen. Dieſer vortreffli¬
che Pudel ſchien ſeinen Herrn, [den] er lange zu
Hauſe erwartet haben mochte, auf die Spur nach¬
gehen zu wollen. Ich ſtand ſtill, und rief ihm
zu. Er ſprang bellend an mich mit tauſend ruͤh¬
renden Äußerungen ſeiner unſchuldigen ausgelaſſe¬
nen Freude. Ich nahm ihn unter dem Arm,
denn freilich konnte er mir nicht folgen, und brachte
ihn mit mir wieder nach Hauſe.


Ich fand dort Alles in der alten Ordnung,
und kehrte nach und nach, ſo wie ich wieder Kraͤfte
bekam, zu meinen vormaligen Beſchaͤftigungen und
zu meiner alten Lebensweiſe zuruͤck. Nur daß ich
mich ein ganzes Jahr hindurch der mir ganz un¬
zutraͤglichen Polar-Kaͤlte enthielt. —


Und ſo, mein lieber Chamiſſo, leb' ich
noch heute. Meine Stiefel nutzen ſich nicht
ab, wie das ſehr gelehrte Werk des beruͤhmten
Tieckius, de rebus gestis Pollicilli, es mich
[125] Anfangs befuͤrchten laſſen. Ihre Kraft bleibt un¬
gebrochen; nur meine Kraft geht dahin, doch hab’
ich den Troſt, ſie an einen Zweck in fortgeſetzter
Richtung und nicht fruchtlos verwendet zu haben.
Ich habe, ſo weit meine Stiefel gereicht, die
Erde, ihre Geſtaltung, ihre Hoͤhen, ihre Tem¬
peratur, ihre Atmoſphaͤre in ihrem Wechſel, die
Erſcheinungen ihrer magnetiſchen Kraft, das Le¬
ben auf ihr, beſonders im Pflanzenreiche, gruͤnd¬
licher kennen gelernt, als vor mir irgend ein
Menſch. Ich habe die Thatſachen mit moͤglich¬
ſter Genauigkeit in klarer Ordnung aufgeſtellt in
mehrern Werken, meine Folgerungen und Anſich¬
ten fluͤchtig in einigen Abhandlungen niedergelegt. —
Ich habe die Geographie vom Innern von Afrika und
von den noͤrdlichen Polarlaͤndern, vom Innern von
Aſien und von ſeinen oͤſtlichen Kuͤſten, feſtgeſetzt.
Meine Historia stirpium plantarum utriusque
orbis
ſteht da als ein großes Fragment der Flora
universalis terrae
, und als ein Glied meines
Systema naturae. Ich glaube darin nicht bloß
die Zahl der bekannten Species maͤßig um mehr
als ein Drittel vermehrt zu haben, ſondern auch
Etwas fuͤr das natuͤrliche Syſtem und fuͤr die
[126] Geographie der Pflanzen gethan zu haben. Ich
arbeite jetzt fleißig an meiner Fauna. Ich werde
Sorge tragen, daß vor meinem Tode meine Ma¬
nuſkripte bei der Berliner Univerſitaͤt niederge¬
legt werden.


Und Dich, mein lieber Chamiſſo, hab’ ich
zum Bewahrer meiner wunderſamen Geſchichte er¬
koren, auf daß ſie vielleicht, wenn ich von der
Erde verſchwunden bin, Manchem ſeiner Bewoh¬
ner zur nuͤtzlichen Lehre gereichen koͤnne. Du aber,
mein Freund, willſt Du unter den Menſchen le¬
ben, ſo lerne verehren zuvoͤrderſt den Schatten,
ſodann das Geld. Willſt Du nur Dir und Dei¬
nem beſſern Selbſt leben, o ſo brauchſt Du kei¬
nen Rath.


Explicit.

[127]
[]

Appendix B

[figure]
[][]
[figure]
[][]
[figure]
[][]
[figure]
[][]
[figure]
[][]
[figure]
[]
[][][]

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Holder of rights
Kolimo+

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2025). Collection 1. Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bj0g.0